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Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden
Montan in Nummern von es. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
BERLINER
Alle Einsendungen fBr die Redaktion nnd Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August tUcsekwaUi in*Berlin NW.^ IJmSr'ileu
t Äe. 65 b, ^droselerön:
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 6. Januar 1913. J»S1.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Originalien: Heffter: Die Grundlagen der Arzneibehandlung. (Jubi¬
läumsartikel.) S. 1.
Ewald: Die Therapie der Darmkrankheiten in den letzten 50 Jahren.
(Eine Jubiläumsbetrachtung.) S. 3.
Küttner: Ueber circumscripte Tumorbildung durch abdominale
Fettnekrose und subcutane Fettspaltung. (Aus der Königl. chir¬
urgischen Klinik zu Breslau.) (Ulustr.) S. 9.
Ehr mann: Ueber das Coma diabeticum. (Aus dem medizinisch¬
poliklinischen Institut der Universität Berlin.) S. 11.
Blüh dorn: Die Therapie sogenannter unstillbarer Blutungen im
Säuglingsalter. (Aus der Universitätskinderklinik in Göttingen.)
S. 14.
Bernhardt und Ornstein: Ueber Variabilität pathogener Mikro¬
organismen. (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert
Koch“.) S. 16.
Hanauer: Neuere Arbeiten über Säuglingssterblichkeit. (Sammel¬
referat.) S. 19.
Praktische Ergebnisse. Gerichtliche Medizin. Mari: Zur Lehre
von den Erstickungsblutungen. S. 24.
Bücherbesprechungen: Schmidt: Klinik der Darmkrankheiten. S. 27.
(Ref. Ewald.) — Hohmeyer: Die Anwendungsweise der Lokal¬
anästhesie in der Chirurgie. S. 27. (Ref. Borchardt.) — Ti 11 man ns:
Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. S. 27. Leier: Lehrbuch der
allgemeinen Chirurgie. S. 27. (Ref. Adler.) — Hartmann: Travaui
de Chirurgie anatomo-clinique. S. 27. (Ref. Posner.) — Doederlein:
Leitfaden für den geburtshilflichen Operationskurs. S. 28. Martin:
Der Haftapparat der weiblichen Genitalien. S. 28. Hamm: Die
puerperale Wundinfektion. S. 28. (Ref. Schaeffer.) — Römer:
Lehrbuch der Augenheilkunde in der Form klinischer Besprechungen.
S. 28. (Ref. Seefelder.) — Kratter: Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin. S. 29. (Ref. Man.) — Riegler: Landkolonien für Unfall-
ALT.
verletzte und Invalide und ihre innere Organisation. S. 29. Rumpf:
Arzt und R.V.O. (Der Arzt und die deutsche Reichsversicherungs¬
ordnung). S. 29. (Ref. Mugdan.) — Leuchtenberger: Alt¬
klassisches Viaticum aus Horaz, Sophokles und Homer. S. 29. (Ref.
Posner.) — Matthias: Wie werden wir Kinder des Glücks? S. 29.
(Ref. H. Kohn.)
Literatur-Auszüge: Anatomie. S. 30. — Physiologie. S. 30. — Pharmako¬
logie. S. 31. — Therapie. S. 31. — Allgemeine Pathologie und
pathologische Anatomie. S. 32. — Diagnostik. S. 33. — Parasiten¬
kunde und Serologie. S. 33. — Innere Medizin. S. 33. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten. S. 35. — Kinderheilkunde. S. 36. —
Chirurgie. S. 37. — Röntgenologie. S. 37. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. S. 38. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 38. —
Augenheilkunde. S. 38. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
S. 39. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 40. — Unfallheilkunde und
Versicherungswesen. S. 40. — Technik. S. 40.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Gesellschaft für soziale
Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik zu Berlin. S. 40.
— Berliner ophthalraologische Gesellschaft. S. 41. —
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg
i.Pr. S.41.— Naturwissenschaftlich-medizinische Gesell¬
schaft zu Jena. S.41. — Naturhistorisch-medizinischer
Verein zu Heidelberg. S. 42. — Gesellschaft für Morpho¬
logie und Physiologie zu München. S. 42. — Medizinische
Gesellschaft zu Basel. S. 43. — Aus Pariser medizinischen
Gesellschaften. S. 43.
Vollmann: Sozialärztliche Jahresschau. S. 44.
Viennensis: Wiener Brief. S. 45.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 46.
Amtliche Mitteilungen. S. 47.
Zum 50. Jahrgang. An unsere Leser. S. 48.
Die Grundlagen der Arzneibehandlung.
Jubiläumsartikel.
Von
A. Heffter.
Die Ansichten über die Anwendung von Arzneien zur Hinderung
und Heilung von Krankheiten haben ira Laufe des verflossenen
Jahrhunderts grosse Wandlungen erfahren, noch grössere die Vor¬
stellungen von ihrem Wirkungsmechanismus.
Der Begründer und langjährige Redakteur dieser Wochen¬
schrift, die mit diesem Jahre in ihr 50. Lebensjahr tritt, Louis
Posner, hat der Arzneibehandlung stets eine ganz besondere
Vorliebe gewidmet. Von ihr gibt sowohl das mit Simon 1855
herausgegebene „Handbuch der allgemeinen und speziellen Arznei-.
verordnuugslehre“ Kunde, als auch besonders ein seiner Feder
entstammendes „Handbuch der klinischen Arzneimittellehre“. Dies
ira Jahre 1866, also vor etwa 50 Jahren erschienene Werk kann
als Maassstab dafür dienen, wie sich unsere Vorstellungen und
Kenntnisse von den Wirkungen der Arzneimittel bei Krankheiten
in diesem Zeitraum geändert und vertieft haben.
Als L. Posner seine eigenen, nicht geringen Erfahrungen
in der Arzneibehandlung zusammen fasste, war die Herrschaft des
therapeutischen Nihilismus gerade überwunden, dessen Wesen er
recht witzig damit kennzeichnet, dass man „den Zwischenraum !
zwischen Diagnose und Sektion mit Mixtura gummosa ausfüllte“.
Was damals an wissenschaftlich erworbenem und festgestelltem
Material über die Wirkung der Arzneimittel vorlag, war äusserst
beschränkt, und man darf Posner nur beistimmen, wenn er die
Geburtsstätte der modernen Heilmittellehre nicht allein im physio¬
logischen Laboratorium erblickte (pharmakologische Institute gab
es in Deutschland nicht), sondern vor allem die mit strengster
Kritik verwerteten ärztlichen Erfahrungen am Krankenbette als
wesentliches Baumaterial ansah. Denn auch heute noch, zu einer
Zeit, in der die Theorie der Arzneimittelwirkung auf einer viel
breiteren experimentellen Grundlage aufgebaut ist, dürfen wir die
erfolgreiche Anwendung eines Heilmittels in einem gegebenen
Kranheitsfall nicht allein aus pharmakologischeu Versuchen ab¬
leiten. Wenn wir auch allmählich lernen, im biologischen Ex¬
periment die zahlreichen Bedingungen zu erkennen und zu be¬
herrschen, so sind die Schwierigkeiten, die sich der Deutung der
pharmako-therapeutischen Erfolge beim Menschen entgegenstellen,
unendlich viel grösser.
Bei allen Krankheiten handelt es sich um Störungen des
’l
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
vj. C jö
Nr. 1.
'npfj^älen : 'Aijfaitfs 'Jihy&iflJcMtecijer Prozesse. Aber nicht jede
/Störung /öhtt^zur.ltiicänic^ng]. Unser Organismus besitzt eine
Art Anpassung, .Äinß # Menge von Regulationseinrichtnngen, durch
die r r er, jDi;fsi|igt isj; gestörte Funktionen wieder herzustellen oder
duiVn änderte zu örVetzen, Gifte und Krankheitserreger unschädlich
sfu äijäfchän.fErSt tfer&i diese unzählbaren Regulierungsvorgänge, die
män/sfl? bezeichnet hat, sich als machtlos erweisen,
sprechen wir von Erkraukung, und je schwerer die Störung, je unvoll¬
kommener die Regulation ist, um so schwerer erscheint die Krankheit.
Dieser Störung entgegenzuarbeiten, das Heilbestreben des
Organismus zu unterstützen, das ist der Zweck, den wir mit der
Anwendung der Arzneimittel verfolgen. Je mehr wir Einsicht
gewinnen in die den erwähnten Regulationen zugrunde liegenden
chemischen und physikalischen Prozesse, je tiefer wir in die Er¬
kenntnis der feinsten durch die Arzneimittel ira Organismus be¬
wirkten Veränderungen eindringen, um so sicherer und zielbewusster
wird sich die Arzneibehandlung gestalten.
Die Anwendung der Arzneimittel lässt sich von zwei Gesichts¬
punkten betrachten.
Ein Ziel, dessen Erreichung in allen Perioden der Heilkunst
mit heissem Verlangen erstrebt wird, ist das Suchen nach „spezi-
fischen M Arzneien. Ihm entsprang die Goldtinktur der Alchimisten,
ihm verdanken die Arcana des Paracelsus ihr Dasein. Heute ist
für jene mystischen Bestrebungen ein fester Boden gewonnen
worden. In dem Maasse, als die praktische Medizin in die Er¬
kenntnis der Krankheitsursachen eingedrungen ist, ist die geträumte
Kausaltherapie zur Wirklichkeit geworden. Bei dieser Art der
Arzneibehandlung bandelt es sich umdie Entfernungoder Vernichtung
oder Bindung von belebten oder unbelebten Krankheitsursachen.
Führen wir Gifte, die von aussen in den Körper gelangt sind,
in unschädliche Verbindungen über, behandeln wir also z. B.
einen mit Kleesalz vergifteten Menschen mit Calciumsalzen, eine
Bariumvergiftung mit Sulfaten, so treiben wir kausale Therapie,
ebenso wenn die durch abnorme Stoffwechselvorgänge im Organis¬
mus entstandenen Gifte durch Arzneimittel unschädlich gemacht
werden. Beim schweren Diabetes mellitus bilden sich reichliche
Mengen von Säuren, wodurch die Alkaleszenz des Blutes stark
vermindert werden kann, so dass die gleichen Symptome ent¬
stehen, die man experimentell durch Säurevergiftung am Tier
erzeugen kann. Die Zuführung von Alkalien kann, namentlich
wenn sie prophylaktisch stattfindet, von lebensrettender Wirkung
sein. Hier handelt es sich um die Unterstützung des dem
Organismus innewohnenden Entgiftungsvermögens, sich durch
Ammoniakbildung vor der drohenden Säurevergiftung zu schützen.
Wesentliche Anregungen und verheissungsvolle Ausblicke
erhielt die kausale Therapie durch die grossen Entdeckungen
Lister’s und Robert Koch’s. Sie brachten uns die Kenntnis
einer grossen Gruppe von Heilmitteln, die auf die krankheits¬
erregenden Bakterien entwicklungshemmend oder vernichtend
wirken, der Antiseptica. So erfolgreich sich nun auch die thera¬
peutische Anwendung der antiseptischen Mittel gestaltet hat,
wenn es sich darum handelte, die Krankheitserreger an der Ober¬
fläche des Organismus, in Wunden oder auf der Haut zu ver¬
nichten, um so weniger gelang es, die in den Geweben und im
Blute hausenden Lebewesen zu vernichten. Die so heiss erstrebte
innere Desinfektion scheiterte an der schweren Ailgemein-
giftigkeit der antiseptischen Stoffe. Zwar wiesen die langjährigen
Erfahrungen mit dem einem südamerikanischen Volksheilmittel
entstammenden Chinin auf die Möglichkeit hin, ohne Schädigung
des Patienten die krankheitserregenden Parasiten abzutöten oder
doch wenigstens so zu verändern, dass das Heilbestreben des
Organismus ihrer Herr werden kann. Der aus dieser Erfahrung
gezogene Fehlschluss, in den Fiebermitteln überhaupt kausale
Mittel, Heilmittel gegen Infektionskrankheiten zu besitzen, hat
uns wenigstens in der Salicylsäure ein Heilmittel verschafft, das
bei Gelenkrheumatismus möglicherweise auf den uns noch un¬
bekannten Krankheitserreger einwirkt.
Aus dieser Zeit, in der man mit den allgemein antiseptisch
wirkenden Mitteln Infektionen zu bekämpfen versuchte, rührt die
heutzutage fast wieder verlassene Kreosotbehandlung der Lungen¬
tuberkulose her.
Durch die genauere Erforschung der Chininwirkung bei
Malaria kam man zu der Erkenntnis, dass gewisse Krankheits¬
erreger, die zu den Protozoen gehören, gegenüber eingeführten
Arzneimitteln empfindlicher sind, als die Zellen des Organismus,
der sie beherbergt. Es bandelt sich also nur darum, derartige
Mittel aufzufinden, die trotz starker Giftwirkung auf den Krank¬
heitserreger in der zu Lähmung oder Vernichtung nötigen Kon¬
zentration für den Patienten unschädlich sind. Bekanntlich ist es
das grosse Verdienst Ehrl ich’s, durch zielbewusste, systematische
Untersuchungen in einer Anzahl organischer Arsenverbindungen
Mittel gefunden zu haben, die .sich im Tierversuch als sehr wirksam
gegen Trypanosomen, Spirillen und Spirochäten erwiesen haben.
Freilich hat die Anwendung beim Menschen noch nicht die
günstigen Erfolge zu verzeichnen gehabt, wie sie das Experiment
liefert. Das Atoxyl zeigt sich nicht ganz so wirkungslos auf den
menschlichen Organismus wie auf den der Tiere, und das Sal-
varsan ist nicht imstande, mit der gleichen Sicherheit die Spiro-
chaete pallida im menschlichen Körper zu vernichten, wie sie es
beim Kaninchen tut, so dass vorläufig das seit Jahrhunderten als
Spezifikum geltende Quecksilber bei der Syphilisbehandlung durch¬
aus noch nicht überflüssig geworden ist.
Zu den kausalen Behandlungsmethoden, die darauf hinzielen,
die Heilkraft des Körpers nackzuahmen und zu unterstützen, ge¬
hört die Anwendung der Heilsera, auf die hier nur hingewiesen
werden soll. Die Serumtherapie beruht, wie uns Behring’s
Entdeckung gelehrt hat, auf der Uebertragung von Schutzstoffen
(Antitoxinen), die sich durch allmähliche Vergiftung im tierischen
Organismus im Ueberschuss gebildet haben, auf den Menschen.
Dass ihre entgiftende Wirkung sich mehr bei prophylaktischer
Anwendung(besonders beimTetanusheilserum) bewährt als im streng
heilenden Sinne, ist darin begründet, dass das bereits in die Nerven¬
zellen aufgenommene Gift den Antitoxinen nicht mehr erreichbar ist.
Schliesslich dürfen wir als kausale Therapie jene Fälle
von Arzneibehandlung betrachten, in denen wir Krankbeils¬
erscheinungen, die infolge angeborenen oder erworbenen Fehlens
oder Erkrankung eines Organs entstanden sind, dadurch zu
heilen versuchen, dass wir durch Darreichung desselben Organ¬
präparats die Ausfallserscheinungen zu beseitigen suchen. Diese
sogenannte Organtherapie ist bisher nur für ein einziges Organ
praktisch bewährt und wissenschaftlich begründet, die Thyreoidea,
so dass Schilddrüsenpräparate als spezifisches Mittel gegen Myx¬
ödem und sporadischen Kretinismus angesehen werden müssen.
Dagegen erscheint die therapeutische Anwendung der aus anderen
Organen hergestellten Präparate in dem weiten Umfange, wie sie
heute angepriesen und benutzt werden, noch recht mangelhaft
begründet und unsicher im Erfolg. Bei dem allergrössten Teil
dieser Präparate handelt es sich um kritiklose Quacksalbereien.
Den Mitteln, die der Bekämpfung der Krankheitsursache
dienen und die man deswegen auch als ätiotrope Heilmittel
bezeichnet hat, steht als eine andere, nicht weniger bedeutsame
Gruppe von Heilmitteln jene gegenüber, die auf die krankhaft
veränderten Organfunktionen einzuwirken und sie der Norm wieder
näherzubringen vermögen. So können wir z. B. die bei Phthisikern
übermässig gesteigerte Sekretion der Schweissdrüsen durch kleine
Atropindosen mässigen oder den pathologisch erhöhten Druck bei
Glaukom durch Physostigmin herabsetzen oder den atoniseben
Uterus post partum durch Adrenalininjektionen zur energischen
Kontraktion anregen. Man kann diese Gruppe von Mitteln als
funktionelle oder besser organotrope bezeichnen.
Diese Methode der Arzneibehandlung ist viel schwieriger,
denn sie setzt zunächst das Erkennen und die Analyse aller bei
dem Kranken vorhandenen Störungen voraus, um daraus, soweit
möglich, auf das Organ und die Art der Störung seiner Funktion
zn schliessen. Sodann ist erforderlich, dass der Arzt die Wir¬
kungen und die Angriffspunkte der Arzneimittel kennt. Die
experimentelle pharmakologische Forschung hat in der verhältnis¬
mässig kurzen Zeit ihres Bestehens — wenn man von verein¬
zelten Vorläufern absieht, ist sie nicht viel älter als diese Wochen¬
schrift — es als ihre Hauptaufgabe betrachtet, die verschiedenen
Organsysteme aufzusuchen, auf die sich die Wirkungen der
Arzneimittel beziehen, also um mit Hans H. Meyer 1 ) zu reden,
pharmakologische Topographie zu treiben. Diese Aufgabe,
deren Lösung ursprünglich als verhältnismässig leicht erschien,
insofern man annehmen durfte, dass etwa Gefässgifte auf alle
Gefässgebiete des Organismus gleichartig kontrahierend oder
dilatierend wirkten, oder dass andere Gifte die gesamte Skelett-
muskulatnr in gleicher Weise beeinflussten, hat sich im Laufe
der Jahre als immer schwieriger erwiesen. Es ergab sich, dass
erhebliche Unterschiede in der Empfindlichkeit und der Reaktion
gleichartig arbeitender Zellgebilde bestehen. So wissen wir z. B.
vom Coffein, dass es zwar das vom Splanchnicus innervierte Ge-
fässgebiet verengt, aber die Gefässe des Gehirns, der Niere und
die Coronararterien erweitert.
1) Wiener klin. Wochenschr., 1905, Nr. 22.
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3
Während nach dieser Richtung der pharmakologischen For¬
schung noch recht viel zu tun übrigbleibt, ist die Frage, wie die
Arzneimittel die Funktion der Organe beeinflussen*' leichter zu
beantworten: Hier handelt^ es sich nicht um qualitative Umände¬
rungen der Organleistungen, sondern nur um Abweichungen im
Sinne von Plus oder Minus, also um Verstärkung oder Schwächung
der physiologischen Tätigkeit.
Unsere Erkenntnis und Analyse der Wirkungen der Arznei¬
mittel gründet sich, abgesehen von den rein ätiotropen Arznei¬
mitteln -im wesentlichen auf den Tierversuch, und dieser Umstand
hat häufig den Praktikern Veranlassung gegeben, abschätzig über
die Ergebnisse dieser Versuche zu urteilen und sie gegenüber den
therapeutischen Erfahrungen am Patienten für ziemlich wertlos
zu erklären. Man hält den Pharmakologen entgegen, dass die
am gesunden Tier beobachteten Tatsachen nicht ohne weiteres
auf den Menschen übertragen werden dürfen. Man trägt aber
andererseits kein Bedenken, die wesentlich auch am Tier ge¬
wonnenen Ergebnisse der experimentellen Physiologie und neuer¬
dings auch der experimentellen Pathologie für die Erkenntnis der
im menschlichen Organismus sich abspielenden Vorgänge in An¬
spruch zu nehmen. So dürfen wir auch mit demselben Recht die
am Tier festgestellten pharmakologischen Wirkungen auf den
Menschen übertragen. Wer wollte leugnen, dass Abweichungen
der Wirkung sich zeigen, namentlich beim kranken Menschen,
aber diese Unterschiede sind ganz wesentlich nur quantitativer
Natur, bedingt durch die grössere oder geringere Erregbarkeit der
Organsysteme, Abweichungen, wie sie die Erfahrungen der heute
so hoch im Ansehen stehenden Vertreter der Chemotherapie, z. B.
beim Atoxyl, ebenfalls erleben mussten.
Gewiss, der therapeutische Erfolg am Krankenbette muss das
letzte Wort sprechen hinsichtlich der praktischen Brauchbarkeit
eines Arzneimittels. Aber man darf, wenn die Ergebnisse des
Tierversuchs sich mit der Arzneiwirkung am kranken Menschen
nicht decken, nicht sofort die ersteren für wertlos halten. Auch
die Beobachtung am Krankenbett hat nicht selten zu Irrtümern
geführt, denn die Bedingungen sind verwickelter, daher viel
schwerer zu übersehen und weniger leicht objektiv zu beurteilen.
Das lehren ja hinreichend die meisten der über neue Arzneimittel
mitgeteilten Erfahrungen.
Bei der praktischen Anwendung der organotropen Mittel darf
nicht überseheu werden, dass die erkrankten Organe nicht selten
gegenüber den pharmakologischen Agentien eine grössere
Reaktionsfähigkeit zeigen als die gesunden Gewebe. Das ergibt
sich z. B. aus der leichten Beeinflussbarkeit des pathologisch er¬
regten Wärmecentrums durch antipyretische Mittel. Eine beim
Gesunden ganz wirkungslose Gabe Antipyrin bewirkt beim
Fiebernden ein deutliches Fallen der Temperatur. Auch diese
Tatsache darf bei der Arzneibehandlung nicht ausser acht gelassen
werden, da es ja'nicht bloss auf die Art, sondern auch auf den
Grad und die Dauer der Wirkung ankommt. In dieser Hinsicht
erscheint die Notwendigkeit einer individualisierenden Arznei¬
behandlung insofern ganz besonders wichtig, als eben die ver¬
schiedene Empfindlichkeit gegenüber den Arzneimitteln besondere
Berücksichtigung fordert. Auf das „Individualisieren“ haben ältere
Kliniker auf Grund ihrer reichen Erfahrung und Uebung einen
besonderen Wert gelegt. Das bezieht sich picht bloss auf die
Art des zu wählenden Heilmittels, sondern vor allem auch auf
die sorgfältige Abstufung der zu verabreichenden Dosis. Wenn
eine bestimmte Menge eines Mittels sich als wirkungslos erweist, ist
durchaus nicht immer ratsam, eine grössere Gabe zu verabfolgen,
sondern man wird unter Umständen mit besserem Erfolg die Gabe
verkleinern. Es sei hier nur an die Wirkungen verschiedener
Mengen bei Adrenalin, Atropin und Digitalis erinnert.
Diese ärztliche Kunst individueller Dosierung findet, wie mir
scheinen will, heutzutage nicht mehr die genügende Beachtung.
Kein Wunder freilich in einer Zeit, da die Abmessung der Arznei¬
dosen mehr von den chemischen Fabriken als auf den ärztlichen
Rezepten vorgenommen wird.
Die Therapie der Darmkrankheiten in den letzten 50 Jahren.
Eine Jubiläumsbetrachtung.
Von
C. A. Ewald,
Wenn ich als erster der Praktiker, die in diesen Jubiläums¬
aufsätzen über therapeutische Fragen gehört werden sollen, zu
Worte komme, so verdanke ich es dem Umstand, dass ich selbst
mehr wie die Hälfte der verflossenen 50 Jahre an der Spitze
dieser Wochenschrift gestanden habe. So möchte ich der
„Klinischen“ zuförderst wünschen, dass sie so wie mich und meine
Vorgänger noch viele andere „Redakteure“ überdauern und in
moltos annos wie bisher fortfahren möge, der Wissenschaft, der
Praxis und den wahren Interessen der Aerzte gleicbmässig zu dienen.
_ Im folgenden sei versucht, einen Rückblick über die Beband-
o lung der Darmkrankheiten während der letzten Dezennien zu geben.
__ Zwei Leitmotive, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, sind für
die Therapie der Darmkrankheiten als Ergebnis der Forschung
und Erfahrung in dieser Zeit maassgebend geworden, eins in Moll
und eins in Dur.
Das erstere besteht, um es kurz zu sagen, in der Erkenntnis
der Unzulänglichkeit der auf die Antisepsis des Darmes gerichteten
r therapeutischen Bestrebungen; das andere sehe ich in dem Aus¬
bau und der Vertiefung der Diätotherapie und in den Fort¬
schritten, welche die lokale Behandlung der untersten Darm¬
abschnitte durch den Gebrauch des Rektoromanoskops gemacht hat.
Als man vor 50 Jahren die fundamentale Bedeutung der
Mikroorganismen für die Entstehung und den Verlauf akuter und
' chronischer Entzündungs- und Zersetzungsprozesse im Darm fest-
gestellt hatte, zielten die therapeutischen Bestrebungen natur-
— gemäss und folgerichtig darauf ab, eine Antisepsis und Des¬
infektion des Darminbaltes auf medikamentösem Wege zu er¬
reichen. Es wurden die verschiedenartigsten Medikamente und
chemischen Präparate, die sich im Reagenzglasversuch als
bakterientötend erwiesen hatten, versucht, aber die anfänglich
hochgespannten Erwartungen sahen sich bald enttäuscht. Man
fand, dass die Beeinflussung der Darmbakterien und damit die
< ' erhoffte Herabminderung oder Aufhebung der Zersetzungsprozesse,
wenigstens durch diejenigen Mengen des betreffenden Mittels, die
ohne Schaden vertragen werden, nicht zu erreichen war. Unter
anderen wurden die verschiedenen Salicylsäurepräparate, Salol
(Salicylsäurephenylester), Strontium salicylic., Bismutum salicyl.,
das Resorcin,Orphol, Enterol,Benzo-Naphtol, Isoform,Tbiokoll, Thy¬
mol, Menthol usf. in Anwendung gezogen, aber sie alle fristeten, so¬
weit sie der Darmantisepsis dienen sollten, kein allzulanges Dasein.
Fürbringer 1 ) wies schon 1887 überzeugend nach, dass die
Keimzahl der Fäces, selbst unter Einwirkung grosser Dosen anti¬
septischer Mittel, keine ins Gewicht fallende Verminderung erlitt.
Auch Oalomel und Sublimat hielten nicht, was man sich von
ihnen versprach, ja Strassburger 2 ) kam sogar zu dem an¬
scheinend paradoxen Ergebnis, dass die Kotbakterien eine Zu¬
nahme unter Calomelwirkung erfuhren. Aktiver Sauerstoff in
statu nascendi hat eine starke gärungshemmende Wirkung. Eine
solche kommt daher dem Wasserstoffsuperoxyd, das ausserordent¬
lich leicht in Wasser und aktiven Sauerstoff zerfällt, zu. Aber
es war vorauszusehen, dass die seiner Zeit empfohlenen Wasser¬
stoffsuperoxydpräparate, das Gorit (Calcium carbonicum hyper-
oxydat.), das Oxygar (Agar-Agar mit H 2 0 2 ) ond Pergenol
(Natriumperborat mit saurem weinsaurem Natrium), nichts leisten
würden, weil sich das Wasserstoffsuperoxyd viel früher spaltet,
als es in den Darm kommt, und seine Wirkung bestenfalls nur
auf die kurze Zeit der Gasentwicklung beschränkt, also nur vor¬
übergehend und oberflächlich ist. Ich habe wenigstens von dem
mir 1899 von Nencki 3 ) zugesandten Gorit keine Wirkung auf
1) Fürbringer, Zur Würdigung der Naphthalin- und Calomeltherapie
des Unterleibstyphus. Deutsche med. Wochenschr., 1887, Nr. 11 bis 13.
2) Strassburger, Untersuchungen über die Bakterien menge in
menschlichen Fäces. Zeitschr. f. klin. Med., 1902, Bd. 46.
3) Nencki und Jolewski, Ueber das Verhalten des Benzoyls und
des Calciumsuperoxyds im Verdauungskanal des Menschen und des Hundes.
Zeitschrift f. physiol. Chemie, 1899, Bd. 27, H. 6.
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4
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1 .
die Darmfäulnis gesehen. Roszkowski 1 ) verwendete es mit
günstigem Erfolg bei den Magendarmkatarrhen der Kinder, aber
„ob es sich nun hierbei allein um die Wirkung des freiwerdenden
Sauerstoffes handelt und wie hoch daneben der seit altersher be¬
kannte günstige Einfluss der Kalkpräparate zu bewerten ist,
muss dahin gestellt bleiben“. [Ewald 2 )]. Es scheint, dass
letzterer der ausschlaggebende Faktor ist, denn seitdem sind, so¬
weit mir bekannt, keine weiteren Beobachtungen über das Gorit
mitgeteilt. Aehnlich dürfte es sich mit der Anwendung des Oxygar
und Pergenol gegen Darmzersetzungen verhalten — sie gehören,
wie so vieles andere, zu den Eintagsfliegen der Therapie.
Steht es nun mit der medikamentösen Darmantisepsis
schlecht, so steht es nicht besser mit dem Bestreben, den Darm¬
zersetzungen dadurch gewissermaassen den Boden abzugraben,
dass die Nahrungsmittel, so weit möglich, vor der Nahrungsauf¬
nahme keimfrei gemacht werden. Man ging dabei von der bisher
noch nicht erwiesenen Annahme aus, dass die mit den Lebens¬
mitteln eingebrachten Keime die anderen Darmbakterien über¬
wucherten. Hier kann, genau genommen, nur die rohe Milch in
Frage kommen, denn die anderen Nahrungsmittel sind, soweit
sie genügend gekocht werden, eo ipso in dieser Beziehung ein¬
wandsfrei, und soweit wir sie roh essen, nur in sehr unvoll¬
kommener Weise zu desinfizieren, wobei selbstverständlich nicht
ganz tadellose, in Fäulnis oder Gärung übergegangene Lebens¬
mittel oder nicht genügend ausgegorene Getränke schon bei Ge¬
sunden, geschweige denn bei Kranken von vornherein aus
geschlossen sind. Man batte aber besonders in der Kinder¬
ernährung grossen Wert auf die Darreichung sterilisierter
Milch bei Darmkrankheiten gelegt und von einer Asepsis
des Darms im Gegensatz zu der schwer erreichbaren Anti¬
sepsis desselben gesprochen. Es ist nicht zu leugnen, dass
in der Kinderpraxis gute Erfolge mit sterilisierter Milch erzielt
werden, ob dies aber an der Abtötung etwaiger (im gewöhn¬
lichen Sinne nicht pathogener) Keime in der Milch liegt, oder ob
es andere Veränderungen der Milch sind, die dieselbe durch den
Sterilisationsprozess oder die vorherige Behandlung erleidet,
scheint mir noch nicht ansgemacht. In letzterem Sinne würde
z. B. die günstige Wirkung der Buttermilch (Salge) bei den
Darmstörungen des Kindes bzw. Säuglings sprechen. Hier hat
die Ernährung mit einer in beginnender Zersetzung begriffenen
und später sterilisierten Milch zweifellos auffallend rasche und
gute Erfolge aufzuweisen, die bei einfach sterilisierter Milch nicht
eintreten. Es kommt hinzu, dass bei dem gewöhnlichen Sterili¬
sationsverfahren die Milchbacillen nicht abgetötet werden, sondern
es dazu einer viel intensiveren über Tage fortgesetzten Behand¬
lung bedarf (Baginsky). Beim Erwachsenen steht es vollends
ausser Zweifel, dass von einer Asepsis des DarmkaDals bei Milch¬
diät nicht die Rede sein kann. Es ist das Verdienst von Albu 3 ),
diese Tatsache, und zwar nicht nur für die Milch, sondern auch
für eine sterilisierte gemischte Kost, in mehreren Publikationen,
besonders in seiner Arbeit vom Jahre 1897 festgestellt und durch
exakte Versuche begründet zu haben. Schon Schmitz 4 ) hatte
in Tierversuchen gefunden, dass die Darmfäulnis bei Verfütterung
von gekochtem und ungekochtem Hundekuchen keinen Unterschied
erkennen lässt. Die Sterilisation der Nahrungsmittel ist selbst¬
verständlich unumgänglich, sobald sie die Vernichtung direkt
pathogener Keime, der Tuberkel-, Typhus- usw. Bacillen im
Auge hat, aber der Darm enthält schon in der Norm einen
solchen Reichtum der verschiedenartigsten Bakterien, von denen
Mannaberg nicht weniger wie 14 Bacillen, 9 Kokken und vier
Arten von Hyphomyceten aufzählt, dass die wenigen Mikroben,
die ihm eventuell mit gut abgekochter oder aus einwandsfreier
Quelle stammender roher Milch zugeführt werden können, nicht
ins Gewicht fallen. Auch ist nicht bekannt, dass die sterilisierte
Milch etwa einen besonders schlechten Nährboden für die im
Darm vorhandenen Bakterien abgebe oder sich schwerer zer¬
setzte, wenn sie erst einmal in den Darm gelangt ist, und da¬
durch von Nutzen sein könnte. Man kann sich vielmehr von der
Nutzlosigkeit des Abkochens oder Sterilisierens der Milch gegen¬
über den gärungserregenden Bakterien des Kotes leicht durch
folgenden von uns angestellten Versuch überzeugen. Es wurden
1) Roszkowski, Eio Beitrag zur Lehre von der Antisepsis des
Darmkanals bei Kindern durch das Gorit. Virchow’s Jahrb., 1899, S. 660.
2) Ewald, Klinik der Darmkrankheiten, Berlin 1902, S. 152.
3) Albu, Ueber den Einfluss verschiedener Ernährungsweisen auf
die Darmfäulnis. Deutsche med. Wochenschr., 1897, Nr. 32.
4) Schmitz, Die Eiweissfäulnis im Darm. Zeitschr. f. pbysiol.
Chemie, 1894, Bd. 19, S. 378,
in drei Ewald’schen Gärungsröhren gleichzeitig rohe, abgekochte
und lege artis sterilisierte Milch mit gleichen Mengen (1 ccm)
einer wässrigen Aufschwemmung von normalem Kot geimpft und
bei Körpertemperatur aufgestellt. Nach Verlauf von 12 Stunden
hatten sich in allen drei Röhren grosse Mengen von Gas an¬
gesammelt, und zwar war paradoxerweise aus der sterilisierten
Milch die grösste Quantität Gas entwickelt. Dieser Versuch ist
wiederholt mit demselben Erfolg mit verschiedenem Kot angestellt
worden. Wir sterilisieren die Milch, und mit gutem Recht, um
den Organismus, zumal den leicht empfänglichen, kindlichen
Organismus vor etwaigen pathogenen Keimen zu schützen. Das
hat aber mit einer Asepsis des Magendarmkanals nichts zu tun,
und die Forderung, bei Darmkrankheiten sterilisierte oder mit
einem Zusatz sogenannter antiseptiscber Stoffe versehene Milch
zur Minderung der bakteriellen Aussaat und Wucherung im Darm
zu geben, hält, wie ich dies schon früher auseinandergesetzt habe,
einer näheren Ueberlegung nicht stand 1 ). Am wirksamsten von
allen, gegen die Darmfäulnis und ihre Erreger versuchten Mitteln
hat sich dagen die naheliegendste und einfachste Methode be¬
wiesen, die bezweckt, den Darm rein mechanisch von ihnen zu
reinigen. Abführmittel aller Art, die die Darmperistaltik be¬
fördern, können durch Entleerung grosser Mengen fäulnisfähigen
Materials die Darmgärung zwar nicht aufheben, aber doch be¬
schränken. Auch darauf bat bereits Albu nachdrücklich hin¬
gewiesen und gleichzeitig hinzugefügt 2 ): „die Desinfektion hat
in der Therapie der Darmkrankheiten kaum mehr als wissen¬
schaftliches Interesse. Wo uns theoretisch eine Beschränkung
der Darmfäulnis wünschenswert erscheinen könnte, führen uns
andere Mittel sicherer zum Ziel“. Diese anderen Mittel bestehen
in der Diätotherapie, auf die wir jetzt zu sprechen kommen.
Vor 50 Jahren war von einer rationellen diätetischen Be¬
handlung der Darmkrankheiten, soweit dieselbe auf eine genauere
Kenntnis der sich im Darm abspielenden Verdauungsstörungen
gründet, kaum die Rede, und das Kapitel „Diät“ wurde in den
betreffenden Lehrbüchern mit wenigen W 7 orten abgetan. Man
empfahl eine empirisch ausgeprobte, sogenannte blande Diät, die
summarisch allerdings alle gröberen Schädigungen vom Darm
fernhielt, aber von einer zielbewussten Auswahl der zu ver¬
ordnenden Nahrungsmittel weit entfernt war. Zum Beweise führe
ich die folgende Stelle aus der Bearbeitung der Krankheiten des
Digestionstractus von Bamberger in Virchow’s Handbuch der
speziellen Pathologie und Therapie (1855) an. Es heisst bei der
Therapie der „chronischen katarrhalischen Darmentzündung“:
„Je näher die Krankheit noch der akuten Periode ist, je häufiger
akute Exacerbationen eintraten, desto mehr muss die Diät eine
strenge und möglichst eingeschränkte sein. Dauert die Krankheit
aber bereits längere Zeit, ist der Magen frei und keine Fieber¬
bewegung vorhanden, so können leicht verdauliche und wenig
Rückstände liefernde Nahrungsmittel erlaubt werden.“ Das ist
alles, was überhaupt über die Diät in dieser seiner Zeit mit Recht
hochgeschätzten Arbeit gesagt wird. Auch Nothnagel in seinem
grossen Lehrbuch der Darmkrankheiten ist von einer ausführ¬
lichen Besprechung der Diätotherapie noch recht weit entfernt.
Eine bessere Kenntnis der hier zu stellenden Forderungen ist erst
möglich, seit wir einen tieferen Einblick in die Physiologie der
Darmverdauung und das Verhalten der einzelnen Nährstoffe und
Nahrungsmittel im Darm gewonnen haben. Wir wissen jetzt, wie
ausserordentlich vielfältig die im Darmrohr sich abspielenden
Prozesse sind, wie viele Faktoren sich an der Umwandlung des
Speisebreies in die resorptionsfähigen Produkte der Darmverdauung
beteiligen und wie gegebenenfalls bald der eine, bald der andere
derselben krankhaft versagt. Ueber die Art dieser Arbeitsleistung
gibt uns naturgemäss nur die KotuntersuchuDg Aufschluss, deren
Bedeutung übrigens nicht von gestern auf heute, sondern seit
langem bekannt und gewürdigt ist. Nur hat sich gezeigt, dass
die alte Ansicht, wonach der Kot aus der genossenen Nahrung
zusammengesetzt sei, nicht durchweg zntrifft. Letzteres besteht
vielmehr bei einer gut verdaulichen, keine Rückstände hinter¬
lassenden, aus Eiweiss und aufgeschlossenen Kohlehydraten
zusammengesetzten Nahrung der Hauptsache nach aus den
Resten der in den Darm abgesonderten Verdauungssekrete, die
mit Schleim und Epithelien vermischt sind, und enthält so gut
wie gar keine eigentlichen Nahrungsreste. Dies geht aus dem
1) Ewald, Die Ernährungstherapie bei Darmkrankheiten in
v. Leyden’s Handb. d. Ernährungstherapie. 1. Aufl. 1898, Bd. 2, S. 240,
und Ueber die diätetische Behandlung yop Parmkrankheiten. Zeitschr.
f. ärztl. Fortbildung, 1909, Nr. 10.
^ 2) Albu, l/c.
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C. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
6
Vergleich des Hungerkotes mit dem Normalkot und dem Kot bei
N-freier Nahrung hervor. Die charakteristischen Bestandteile der
Nahrung werden im Darm völlig aufgebraucht bzw. resorbiert und
lassen sich in solchem Kot nicht mehr nachweisen. Nur die
Menge wechselt mit vermehrter Nahrung, aber quantitativ nicht
sehr bedeutend. Daran ändern auch krankhafte Darmstörungen, wie
Müller 1 ) und Röhl 2 ), Cohnheim 3 ) und Ury 4 ) gezeigt haben,
nichts Wesentliches.
Anders liegen die Verhältnisse freilich bei gemischter, nicht
aufgeschlossener Nahrung. Für die Cellulose haben der Mensch
und die höheren Tiere auffallenderweise kein lösendes Ferment.
Der menschliche Organismus vermag die Cellulose zwar zu
verwerten, aber in individuell recht verschiedenem Grade.
Samen, Blätter, Stengel, Körner sind ohne Vorbereitung nicht,
oder nur zum kleinsten Teil angreifbar. Es ist bekanntlich die
Aufgabe der Küche, hier lösend und vorbereitend einzutreten.
Im menschlichen Darm wird z. B. die Cellulose nur zu 25 pCt.,
die Schwarzwurzel nur zu 4 pCt. angegriffen. Dementsprechend
gestaltet sich auch der Kot, dessen Menge wächst und einen
wechselnden Anteil unverdauter Nahrungsreste enthält. Die Ab¬
scheidungen in den Darm sind vermehrt, und es entsteht ein
stärkerer mechanischer Reiz. Hierzu tritt die bakterielle Zer¬
setzung der Kohlehydrate, als deren Ergebnis organische Säuren
gebildet werden, welche die Peristaltik beschleunigen. Dieses
Verhalten kommt in der Ausnutzung der Kost und in der Analyse
des Kotes, welche sich je nach der Art der verwendeten Nahrung
ändert, zum Ausdruck. So enthält die
C H N
Fleischkost 43,4 pCt. 6,5 pCt. 6,5 pCt.
Brotkost 47,4 „ 6,6 „ 2,4 „
Die Asche des Fleischkotes beträgt 30,03 pCt., die des Brot¬
kotes nur 7,02 pCt. Die Kotmenge von gleichen Mengen Brot aus
feinem Weizenmehl einerseits und aus ganzem Korn andererseits
betrug je 132,7 g und 817,8 g, der Trockenkost dementsprechend
auf 100 g bei Weissbrot 4,5, bei Schwarzbrot 21 g, bei gelben Rüben
20,7 g und bei trockenem Kakao sogar 45— 60 g (nach Rubner).
Man sollte daher glauben, dass die Stuhluntersucbung nach
einer zusammengesetzten Nahrung sowohl bei chemischer wie
mikroskopischer Untersuchung ein sehr verworrenes Bild geben
müsste. Aber der Organismus wird unter gesundhaften Verhält¬
nissen selbst bei gemischter Nahrung mit ihrer Verarbeitung glatt
und mit auffallend gleichmässigem Endergebnis fertig, sofern die¬
selbe nicht aus exzessiven Massen besteht bzw. direkt unver¬
dauliche Bestandteile, wie z. B. Fruchtkerne und Schalen, viel
cellulosehaltige Vegetabilien u. dgl., enthält. Mit anderen Worten:
das mikroskopische Bild des Stuhles bleibt dasselbe. Man findet
einige unverdaute Muskel- oder Pflanzenreste (Gefässspiralen,
Gittergewebe), eine und die andere Stärke- oder Kartoffelzelle
und einzelne Fettsäurenadeln, gelegentlich auch eine unverdaute
Bindegewebsfaser neben den die Hauptmasse des Kotes bildenden
Schollen und Körnchen. Auch Bakterien, Hefe- oder Klostridiura-
zellen sind gar nicht oder nur spärlich vorhanden. Tritt aber
eine krankhafte Störung in der Darmverdauung ein, so ist sie
leicht an dem Uebermaass, mit dem das eine oder das andere
oder alle diese Gebilde im Stuhl auftreten, zu ersehen. Man
kann daher bei einiger Uebung den Einfluss krank¬
hafter Zustände auf die Darmentleerungen und das Auf¬
treten unverdauter Nahrungsreste im Stuhl sowie ab¬
norme chemische Veränderungen ebensogut bei einer
einfachen wie bei einer komplizierten Nahrung in den
Dejektionen erkennen. Auffallende Mengen unverdauter
Muskel- und Stärkereste, Bindegewebe, vegetabilische Zellen, Fett,
Blut und Eiter können wir in jedem pathologischen Stuhl mit
Leichtigkeit makroskopisch und mikroskopisch, eventuell chemisch
nachweisen, wenn wir uns die Mühe einer sorgfältigen
Untersuchung des Stuhles nicht verdriessen lassen.
Dasselbe gilt für die Untersuchung auf Bakterien bzw. Spross¬
pilze. Man kann aus dem Uebermaass, in welchem das eine
oder andere dieser Gebilde im Stuhl auftritt, auf die Art und den
Ablauf der vorhandenen Darmstörung rückschliessen. So können
1) Frd. Müller, Zeitschr. f. Biologie, 1884, Bd. 20, S. 327.
2) W. Röhl, Ueber die Ausnutzung stickstoffhaltiger Nahrungs¬
mittel bei Störungen der Verdauung. Deutsches Archiv f. klin. Med.,
1905, Bd. 83, S. 523.
3) 0. Cohnheim, Die Physiologie der Verdauung und Ernährung.
1908, S. 262 u. ff.
4) H. Ury, Zur Lehre von den Abführmitteln. Boas’ Archiv, 1908,
Bd. 14, S. 411 u. 506 u. Bd. 15, S. 210.
wir aus einer sogenannten Muskelverschleuderong, aus unverdauten
Bindegewebsfasern,Pflanzenzellen, Gefässbündeln, Stärke und Fett usf.
die Unzulänglichkeit der betreffenden Verdauungsarbeit erkennen.
Nun versteht es sich von selbst, dass, je einfacher die ver¬
abfolgte Kost ist, desto klarer und offensichtiger der Einfluss der
Darmstörung auf dieselbe zum Ausdruck kommt, und dass es für
die grosse Menge der Praktiker wünschenswert ist, ein Schema
zu besitzen, weiches dem Ungeübten die Möglichkeit gibt, Ab¬
weichungen von der Norm leicht und ohne störendes Beiwerk zu
erkennen. Freilich sollte jeder Arzt in den Fäcesuntersuchungen
„geübt“ sein und sich über die verschiedenen im Stuhl auch bei
gewöhnlicher gemischter Kost auftretenden Schlacken der Darmver¬
dauung Rechenschaft geben können. Dies ist leider, wie die tägliche
Erfahrung lehrt, durchaus nicht in ausreichendem Maasse der Fall.
Durch die von Schmidt und Strasburger eingeführte
Darmprobediät 1 ) ist aber in der Tat eine solche Vereinfachung
geschaffen worden. Sie hat in ähnlicher Weise, wie es seinerzeit
das Ewaid’sche Probefrübstück getan bat, den Untersuchungen
eine gewisse Gleichmässigkeit gegeben und dieselben wesentlich
erleichtert. Der Unterschied ist nur der, dass ohne die Probe¬
kost bei Magenerkrankungen überhaupt kein Einblick in das Ver¬
halten der Magentätigkeit zu gewinnen ist, während sieb dies
auch ohne die Darmprobediät sehr wohl ermöglicht. Ohne des¬
halb das Verdienst, welches der Einführung der Probedarmkost
zukommt, und das nicht zum mindesten in der Popularisierung
der Kotuntersuchungen bei den Aerzten besteht, schmälern zu
wollen, muss ich doch auch an dieser Stelle wie anderwärts
wiederum betonen, dass sie neue Wege in der Erkenntnis
der Darmkrankheiten nicht aufgedeckt hat. Die Schmidt-
sche Probekost ist eine sogenannte blande Diät, wie wir sie bei
gewissen Darmaffektionen schon immer gegeben haben. Sie be¬
steht aus Milch, eventuell mit Zusatz von Tee oder Kakao, Weiss¬
brot mit Butter, weichen Eiern, Kartoffelbrei, einer Mehl- oder
Haferscbleimsuppe und etwa 125 g gut gehacktem mageren Rind¬
fleisch. Sie kann nach den neuesten Angaben von A. Schmidt
eventuell durch etwas Rotwein, etwas Kaffee, Bouillon, abends ge¬
hacktes Kalbfleisch erweitert werden. Es ist offensichtlich, dass
sich eine so reich bemessene Probekost nur auf chronisch
Darmkranke beziehen kann, denn bei akuten Darmstörungen
sind wir fast ausnahmslos genötigt, von vornherein eine viel
beschränktere Diät zu geben, und haben dies auch immer
getan. Dadurch fällt dann die Notwendigkeit, eine bestimmte
Probkost zu geben, von vornherein fort. Aber auch bei chroni¬
schen Fällen führen verschiedene Wege zum Ziel, d. h. zu einer
besseren Uebersicht über die Kotbeschaffenheit, denn dies ist, ich
betone es nochmals, der wesentliche Vorzug der Schmidt’schen
Darmprobekost. So gebe ich seit Jahren in den Fällen,
in denen mir eine besondere Probekost wünschenswert er¬
scheint, eine seinerzeit von Rosenfeld 3 ) zu einem anderen
Zweck empfohlene Zusammenstellung, die den Vorzug hat, unter
allen Umständen anwendbar zu sein und sich leicht dem Ge¬
dächtnis einzuprägen. Sie besteht aus 75—100 g Zwieback,
100 — 150 g Kakao oder Schokolade, mit Milch oder Wasser ge¬
kocht, und 300 g Reis, der mit Wasser, Milch oder Fleischbrühe
gekocht wird (eventuell sind die Mengen entsprechend zu ver¬
ringern, da sie für manche Personen zu gross sind). Zur Zu¬
bereitung kann im ganzen etwa 1—1 x / 4 Liter Flüssigkeit verwendet
und die gesamte Menge auf die einzelnen Mahlzeiten des Tages
verteilt werden. Dabei hat man den Vorteil, gleichzeitig diäto-
therapeutisch vorzugeben. Diese Diät gibt bei guter Darmfunktion
so gut wie gar keine geformten Stublelemente. Man findet in
dem braunen Stuhl nur die Schollen des Kakaos und allenfalls
einzelne Stärkekörner, die sich bei mangelnder Stärkeverdauung
aber sofort als erheblich vermehrt erweisen. Die Beimengung
von Muskelfasern, vegetabilischen Zellen, Sehnenfasern, Schleim usw.
lässt also erkennen, dass noch alte Massen entleert werden bzw.
krankhafte Prozesse vorliegen. Diese Kost wird zunächst 2 bis
3 Tage durchgeführt. Will man dann später spezielle Ver¬
dauungsanomalien aufdecken, so kann man durch Zugabe von
Fleisch oder von Kartoffelbrei, Spinat oder von durchgeriebenen
Gemüsen (Karotten, grüne Erbsen usw.) die jeweilige Funktions¬
tüchtigkeit für das betreffende Nahrungsmittel prüfen. Einen be-
1) A. Schmidt, Die Punktionsprüfung des Darms mittels der Probe¬
kost. Wiesbaden 1904. — Klinik der Darmkrankheiten. Wiesbaden 1912.
2) G. Rosenfeld, Diät bei chronischer Diarrhöe. Deutsche Acrzte-
zeitung, 1901, H. 20. Rosenfeld’s Vorschrift war: 180 g Reis, 200 g
Schokolade, 300 g Zwieback = 2100 Kalorien. Diese Quantität ist
nach meinen Erfahrungen für die meisten Personen zu gross. E.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
sonderen Vorzug sehe ich bei dieser Kostordnung aber darin, dass
sie von vornherein fleischfrei ist, also ohne weiteres die Proben
auf okkultes Blut anzustellen erlaubt, deren wir in den meisten
Fällen nicht entraten können.
Aber ob man sich nun dieser oder der Schmidt’schen Probe¬
kost bedient, das wesentliche ist, dass man in allen Fällen, die
nicht von vornherein ganz klar liegen, genaue und wieder¬
holte makroskopische und mikroskopische Stublunter-
suchungen anstellt, die bei allen Fragen der Darmpathologie
unumgänglich notwendig sind.
H. Strauss 1 ) hat vor einiger Zeit die Prüfung der Verweil¬
dauer der Speisen im Darm anempfohlen und Vorschriften zur Aus¬
führung dieses Verfahrens mittels Carmins angegeben. Mitteilungen
von anderer Seite darüber stehen, soweit mir bekannt, noch aus.
Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten der Diagnostik
einzugehen, die sich freilich, wo therapeutische Fragen in Be¬
tracht kommen, nicht umgehen lässt, aber zwei Punkte möchte
ich doch hervorheben, an denen sich der Nutzen der modernen
Untersuchungsmethoden für die Therapie sozusagen handgreiflich
erweisen lässt. Das sind erstens die gastrogenen Achylien,
und zweitens die sogenannten Gärungsdyspepsien. Auch
hier handelt es sich streng genommen nicht um früher unbe¬
kannte Vorgänge. Die gastrogenen Diarrhöen sind schon 1863
von Henoch 2 3 ) beschrieben worden. Auf das Vorkommen der
Gärungsdyspepsien weisen ebenfalls die älteren Schriftsteller, so
auch Nothnagel in seinen Darmkrankheiten, hin. Aber die
engere Umgrenzung dieser Krankbeitsbilder und ihre Diagnose ist
zweifellos als ein Fortschritt der letzten Jahre anzusehen. Wir
haben erst jetzt kennen gelernt, und es ist besonders A. Schmidt
gewesen, der dies Verhalten aufgedeckt hat, dass das Vorkommen
von unverdauten Bindegewebsresten in den Stühlen auf eine
Störung der Magenfunktion hinweist. Es bandelt sich dabei nicht
immer um sogenannte Achylien des Magens, es können auch
andere Störungen der Magenfunktion vorhanden sein, wie denn
umgekehrt keineswegs jede Achylia gastrica mit einer gastro¬
genen Diarrhöe verbunden sein muss. Ganz im Gegenteil! Nach
meinen Erfahrungen überwiegen die Achylien ohne Diarrhöen weit¬
aus die gastrogenen Darmstörangen. Aber man wird in
solchen Fällen zweifelhafter Ursache auf den Magen mehr noch
als sonst als ersten Anlass der Darmstörung zu achten haben
und kann diese Aetiologie durch eine genaue Stuhluntersucbung
aufdecken. Es ist dann möglich, durch eine zweckmässige Magen¬
therapie die Darmstörung zu beseitigen, selbst wenn die sub¬
jektiven, auf den Magen sich beziehenden Beschwerden des
Patienten ganz in den Hintergrund treten oder völlig fehlen.
Die Gärungsdyspepsie, deren Ursache in einer falsch
verlaufenen Amylaceenverdauung beruht, lässt sich in den meisten
Fällen schon makroskopisch aus dem mit Gasblasen durchsetzten
breiigen oder gar schaumigen Stuhl erkennen. Charakteristisch
ist, dass solche Stühle einen mehr faden, säuerlichen wie kotigen,,
und sicher keinen stinkenden Geruch haben. Das unterscheidet
sie von den Fäulnisstühlen, ln der Regel bedarf es deshalb zu
ihrer Agnoszierung keines besonders umständlichen Verfahrens,
d. h. der Untersuchung auf die Gärfähigkeit des entleerten Stuhles,
wie dies von Schmidt und Strassburger ursprünglich verlangt
wurde. Ein Blick durch das Mikroskop lässt die Vermehrung
unverdauter Stärkezellen im Stuhl erkennen. Meyer 8 ) sagt: „Ich
habe mikroskopische Stärkereste im Gegensatz zu Schmidt und
Strasburger eigentlich niemals vermisst.“ In der Regel be¬
darf es also keiner besonderen Gärungsprobe, und der eben ge¬
nannte Autor, ein Schüler Schmidt’s, sagt wiederum: „Ich
selbst habe mich mehr von den makroskopischen und mikroskopi¬
schen Befunden leiten lassen und den positiven Ausfall der
Gärungsprobe gewissermaassen nur als eine Bestätigung derselben
angesehen.“ 4 * ) Dies entspricht meiner schon 1902 in meiner
Klinik der Darmkrankheiten ausgesprochenen gleichlautenden,
damals aber bestrittenen Anschauung, die sich nuf eine jahrelang
zurückreichende Beschäftigung mit den Stuhlgärungen stützte.
Ihr hat sich jetzt auch A. Schmidt 6 ) angeschlossen, wenn er
sagt: „Wir haben anfangs, wie Meyer mit Recht betont, zu viel
Wert auf die Gärungsprobe und zu wenig auf die übrigen Er¬
1) H. Strauss, Fortschritte der Medizin, 1901, Nr. 31, und diese
Wochenschr., 1904, Nr. 41.
2) Henoch, Klinik der Unterleibskrankheiten. Berlin 1863, S. 577.
3) H. Meyer, Ueber die intestinale Gärungsdyspepsie. Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1908, S. 453.
4) 1. c. S. 470.
6) A. Schmidt, ebenda, S. 474.
scheinungen gelegt.“ Aber die neueren Untersuchungen haben
uns gezeigt, dass eine Stuhlgärung bei methodischer Untersuchung
der Stühle häufiger angetroffen wird, als man früher annahm.
Sie kann selbst da vorhanden sein und durch das Mikroskop
eventuell in Verbindung mit der Gärungsprobe nachgewiesen
werden, wo sich die Stühle nicht schon grob makroskopisch als
mehr oder weniger schaumige und aufgelockerte Massen dar¬
stellen. Zur Technik sei bemerkt, dass man die Gärungsprobe am
besten und für die Zwecke der Praxis jedenfalls vollkommen aus¬
reichend mit der von mir seinerzeit angegebenen einfachen
Gärungsröhre ausführen 1 ), aber nicht die komplizierten und un¬
handlichen von Strasburger, Deluge und A. Münzer ange¬
gebenen Apparate benutzen sollte, die die ohnehin nicht allzu
angenehme Manipulation mit den Fäkalien noch umständlicher
machen und keinen Vorteil voraus haben. Ich kann es nur als
die Folge eines gewissen Beharrungsvermögens ansehen, wenn
A. Schmidt auch in seinem neuen Buche über die Darmkrank¬
heiten den Strasburger’schen Apparat wieder abbildet und
empfiehlt und meiner, schon seit Jahren mitgeteilten, viel zweck -
mässigeren Gärungsröhre keine Erwähnung tut 2 ).
Für die symptomatische Therapie der Darmkrankheiten
kommen wesentlich zwei Zustände in Betracht: Verstopfung
und Durchfall.
Die letzten Jahrzehnte haben uns zahlreiche Präparate und Metho¬
den gebracht, die über die Galenischen Mittel hinaus unseren Arznei¬
schatz beträchtlich erweitert haben. Es fragt sich,obdemZuwachsvon
Mitteln auch ein Zuwachs von Erfolgen, eine grössere Sicherheit und
vor allem eine länger anhaltende Dauer der Wirkung gegenübersteht.
Da sind zunächst eine Anzahl wohl charakterisierter Körper
aus der Reihe der aromatischen Verbindungen, denen eine spezi¬
fische abführende Wirkung zukoramt. Sie sind teils aus den
ersteren isoliert, wie die Anthrachinonderivate (Emodin, Purgatin,
auch Purgatol genannt), teils gehören sie in die Gruppe synthetisch
gewonnener Anthracenderivate, wie das Phenolphthalein (Purgen)
und das Aperitol, welches ein Gemisch gleicher Teile des Iso-
valeriansäuresters und des Essigsäureesters des Phenolphthaleins
darstellt. Hierzu kommt in neuester Zeit noch als sogenanntes
biologisches Präparat das Hormonal von Zuelzer, ein aus der
Milz gewonnenes Hormon (von öppato = ich reize oder rege an),
dem eine höchst interessante an regende Wirkung auf die Darmtätigkeit
eigen ist, wenn es auf intramuskulärem oder subcutanem Wege dem
Körper einverleibt wird. Das ist von verschiedenen Seiten erprobt
worden. Ich selbst habe in mehreren (drei) Fällen eine jahre¬
lang bestehende habituelle Obstipation auf atonischer Basis nach
einer einmaligen bzw. zweimaligen Injektion wie mit einem Zauber¬
schlage dauernd, d. h. so lange ich die Patienten unter Beob¬
achtung hatte — immerhin sechs Wochen bis mehrere Monate —,
verschwinden sehen, ln anderen Fällen war das Mittel freilich
ohne jeden Erfolg — Zuelzer hatte unter 52 Fällen 31 Hei¬
lungen —, und für die tägliche Praxis wird es sich schon durch
seinen hohen Preis unmöglich machen, der allerdings nicht io
Betracht kommen bzw. sich reichlich bezahlt machen würde, wenn
man den Patienten von vornherein einen sicheren Erfolg ver¬
sprechen könnte. Das ist aber nicht der Fall. Dazu kommt,
dass sich die Beobachtungen gemehrt haben, in denen schwere
Zufälle nach Hormonal, Schmerzen, Fieber, schwerster Collaps,
Cyanose, ja selbst Exitus letalis eingetreten sind, so dass es kaum
noch angewendet werden dürfte, wenn es nicht gelingen sollte,
derartige „Nebenwirkungen“ zu vermeiden. Denn diesen Preis ist
das Objekt, eine chronische Obstipation, mit der sich doch immer¬
hin leben lässt, ja selbst ein postoperativer Ileus, der in den
meisten Fällen auch ohne Hormonal überwunden wird, nicht wert.
Wir machen auch hier wieder, wie bei so vielen neueren Mitteln,
die Erfahrung, dass sie, auf eine breitere Anwendung gestellt,
ihrer Aureole alsbald verlustig gehen. Wenn es sich um harm¬
lose Dinge handelt, so ist das ja, abgesehen von den vergeudeten
Kosten, nicht weiter schlimm. Wenn aber Leben und Gesundheit
1) Ein breites Reagenzglas wird mit dem zu einem dünnen Brei an¬
gerührten Kot bis zum Rande angefüllt und dann ein Gummikork auf¬
gesetzt, der von einem U-förmig gestalteten kleinen Glasröhrchen durch¬
bohrt ist. Das Reagenzglas wird umgekehrt, d. h. mit seiner Kuppe
nach oben in ein Wasser- oder Becherglas gesetzt, welches so
hoch mit Wasser gefüllt ist, dass das äussere Ende der U-Röhre unter
Wasser steht. Das ganze kommt in den "Wärmeschrank, in dem es
12—24 Stunden bleibt. Das entwickelte Gas sammelt sich in der Kuppe
des Reagenzglases und lässt sich leicht in seiner Menge abschätzen, eventuell
an einer Skala ablesen; der verdrängte Kot tritt in das Wasserglas über.
2) A. Schmidt, Klinik der Darmkrankheiten. Wiesbaden 1912, S. 100.
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
7
der Kranken bei einem solchen „Heilmittel“ geschädigt werden
können, dann fragt man sich doch, ob es nicht an der Zeit wäre,
das Heilmittel wesen mit grösseren Garantien zu um¬
geben und die wiederholt verlangte amtliche Untersuchungs¬
station einzurichten. Denn bei einer so plötzlichen Häufung be¬
drohlicher and selbst tödlicher Zufälle liegt der Gedanke nahe,
dass ein Fehler in der Herstellung die Ursache sein könnte. Wer
kontrolliert aber heute die Industrie? Ihr eigenstes Interesse
Bolite sie freilich zur äassersteo Vorsicht mahnen, aber ist das
ausreichend? Die Herstellung der Heilsera steht unter amtlicher
Kontrolle. Was man dort für nötig hält, sollte man auch hier
nicht unterlassen!
Die genannte unsichere Wirkung gilt freilich für alle Abführ¬
mittel — soweit es sich nicht um die schärfsten Drastica handelt —,
die für den täglichen Gebrauch, und mit diesem haben wir es hier zu
tun, bestimmt sind. Jedem Abführmittel gegenüber kommen indivi¬
duelle Eigenheiten des Patienten in Betracht, und in Hinsicht auf
Dosis und Natur des wirksamen Medikaments bedingt jeder Einzel¬
fall ein besonderes Studium. „Nur das ist ein gutes Abführ¬
mittel“, so habe ich mich schon 1897 gcäussert 1 ), „welches
ohne Unbequemlichkeiten (Leibschmerz, Tenesmus, Uebelkeit) eine
breiige oder weiche, ausgiebige, nicht wässerige Entleerung ver¬
schafft. Man muss eventuell im konkreten Fall so lange mit den
verschiedenen Aperientien wechseln, bis man das der Natur des
Kranken passende Mittel gefunden hat.“ Nun kommt aber noch
hiozu, dass auch die Art der Verabfolgung, zumal da, wo es sich
um den chronischen Gebrauch handelt, nicht gleichgültig ist.
Allerdings wird es immer unser Bestreben sein müssen, so wenig Ab¬
führmittel wie möglich zu geben, aber man kann auch bei einer soge¬
nannten habituellen Obstipation nicht unterschiedslos dahin trachten
oder sich dem Glauben hingeben, dass man in kurzer, ja auch
nur in absehbarer Zeit von allen Nachhilfen loskommen könnte.
Wenn man also die oben aufgeworfene Frage auf Grund der
Erfahrungen mit den neueren Abführmitteln zu beantworten ver¬
sucht, so kommt man zu dem Schluss, dass sie zwar ihren grossen
Wert in dem Sinne haben, dass sie uns eine grössere Abwecbs-
lungsmöglichkeit erlauben, dass sie aber ebensowenig Voll¬
kommenes und Dauerndes wie die alten Aperientien und Laxantien
leisten. Das liegt ja auch in der Natur der Sache, und es wäre
abstrus, wenn man mehr von ihnen verlangen wollte. Hier soll
die Diät einsetzen. ln der Tat dürfen wir in der besseren
Indikationsstellung und schärferen Präzisierung der Diät sowohl
bei Verstopfung als bei Durchfall einen wesentlichen Fortschritt
der Behandlung erblicken. Wir haben uns von der früher unter¬
schiedslos gegebenen, empirisch erprobten, sogenannten Obsti¬
pationsdiät, d. h. einer schlackenreichen, viel cellulosehaltige
Vegetabilien und schwer verdauliche, leicht gärende und wasser¬
haltige Nahrungsmittel enthaltenden Kost insofern emanzipiert,
als wir grössere Rücksicht auf die Ursache der Stuhlträgbeit
nehmen, ob spastische oder atonische Obstipation besteht,
ob nervöse oder entzündliche Reizzustände vorliegen. Schon
Barnes 1 ) hat 1878 die durch Anhäufung der Kotmassen im
Rectum hervorgerufene Obstipation als „Dyschezie“ bezeichnet,
einen Zustand, für den H. Strauss 8 ) das Wort der „proktogenen
Obstipation“ geprägt hat. Wir haben auf diese Verhältnisse und
die Beziehungen der Enteroptose zur Obstipation, auf den
Sphincterenkrampf, den Colospasmus 4 * * * ), auf die Beziehungen
zwischen Magen und Darm (gastrogene Diarrhöen) achten gelernt
und ihnen unsere Diätverordnungen angepasst. Man vermeidet
leicht gärende Nahrungsmittel, wenn die Darmatonie von vorn¬
herein mit Gärung und Fäulnis verbunden ist, und sucht die Darm¬
flora durch Verabfolgung von Sauermilch, Kefir, Yogurt, Topfen¬
käse u. dgl. zu beseitigen oder umzuändern. Man schont die
gereizte Dickdarmschleimhaut, indem man statt einer schlacken¬
reichen eine Fleisch-Fettdiät verordnet u. s. f. Und von ähnlichen
Grundsätzen lassen wir uns auch bei der diätetischen Beeinflussung
1) C. A. Ewald, Ueber die habituelle Obstipation und ihre Be¬
handlung. Berliner Klinik, H. 105.
2) R. Barnes, Diseases of women. London 1878, 2. ed., p. 145.—
Stierlin, 1. c. sagt: „Sie wurde zuerst von Chevalier (Med. Chirurg.
Transact., 1819, Vol. 10, p. 400) als Dyschezia beschrieben.“ An der
genannten Stelle kommt das Wort überhaupt nicht vor!!
3) H. Strauss, Ueber proktogene Obstipation. Therapeut. Monats¬
hefte, 1906.
4) Th. Rosenheim, Zur Physiologie und Pathologie des Dick¬
darms. Deutsche med. Wochenschr., 1909, Nr. 17. — G. Singer, Dia¬
gnose und Therapie der Erkrankungen des unteren Darmabschnittes.
Med. Klinik, 1911, Nr. 16.
der Durchfälle, ja dort noch in viel höherem Grade, leiten. Es
kann hier nicht meine Aufgabe sein, die diätetischen Verordnungen
im einzelnen durchzusprechen, und ich darf diesbezüglich auf
meinen Vortrag „Ueber die diätetische Behandlung von Darm¬
krankheiten 1 )“ verweisen, in dem sich alles Wesentliche zusammen¬
gefasst findet.
Wenig Neues haben uns die sogenannten physikalischen
Heilmethoden, Massage und Elektrizität, Gymnastik u. s. f.,
gebracht. Was erstere betrifft, so hat sich mehr und mehr
die Ueberzeugung Geltung verschafft, dass die Massage, gleich¬
viel ob manuell oder mit Zanderapparaten oder als Vibrations¬
massage, nur von gründlich geschulten Personen mit anatomischen
Kenntnissen und nicht, wie das früher üblich war, von jedem
beliebigen Heilgehilfen oder sogenannten Masseusen zweifel¬
hafter Provenienz auszuüben ist, dass aber, was die Technik
betrifft, die verschiedensten Methoden zum Ziele führen, wenn
sie sacbgemäss ausgeführt werden. Andererseits hat der frühere
Enthusiasmus für die Anwendung der Elektrizität sehr nach¬
gelassen, weil das Elektrisieren des Abdomens, gleichviel in
welcher Form, nur selten einen merkbaren oder mehr wie einen
Augenblickserfolg hat. Ich darf dies um so eher sagen, als
ich selbst früher eine Mastdarmelektrode angegeben und viel
benutzt habe. Dagegen kann die lokale Behandlung durch
Klysmen in den „Oidtmann’schen Glycerinspritzen“, in den Oel-
klystieren Kussmaul - Fleiner’s und den Lipowski’schen
Paraffineioläufen, die den Vorzug grösserer Reinlichkeit vor
den ersteren haben, einen Fortschritt verzeichnen. Sie wirken
häufig noch dort, wo andere Einläufe versagen oder in so grossen
Mengen gegeben werden müssen, dass eine unerwünschte Er¬
weiterung und Reizung des Darms zu befürchten ist. Dem
Paraffin wird gegenüber dem Oel nachgerühmt, dass 69 sich nicht
zersetzt. Das halte ich nicht für einen besonderen Vorzug, da
wir wohl annehmen dürfen, dass die geringen Mengen Fettsäuren,
die sich aus dem Oel bilden, einen günstigen Einfluss auf die
Peristaltik ausüben. A. Schmidt empfiehlt, zu diesem Zweck
Selterwasserklystiere zu geben. Auch die hypnotische Suggestion
ist versucht worden. Günstige Dauerwirkungen lassen sich durch
hydrotherapeutische Vornahmen, besonders die Wechselduschen,
erzielen. Ich habe danach gute Erfolge in Fällen gesehen, die
sich anderen Maassnahmen gegenüber ganz unzugänglich erwiesen,
zumal wenn es sich um neurasthenisch veranlagte Personen
handelte. So ist auch die Applikation kalter Umschläge auf das
Abdomen bei Atonie ein altes Volksmittel, an dessen Stelle Boas
das zwar umständlichere aber energisch einwirkende Verfahren
empfohlen hat, auf die Abdominalwand einen Aetherspray zu
applizieren. Aber das sind alles, streng genommen, keine Er¬
rungenschaften der letzten 5 Jahrzehnte, das hat man auch früher,
nur nicht in gleicher Ausdehnung und Mannigfaltigkeit gemacht,
neu ist nur der umfangreichere Betrieb und die gewiss mit Be¬
friedigung zu begrüssende Tatsache, dass viele dieser Maass¬
nahmen eine bessere Begründung gefunden haben und zum Teil
aus Laienhänden in die ärztliche Praxis übergegangen sind. Um
altbekannte Mittel handelt es sich auch bei der jetzt wieder viel
besprochenen Anwendung der Belladonna und des Extr. Fabae
Galabaricae. Denn diese Mittel erfreuen sich, besonders in der
englischen und französischen Praxis, eines alten Rufes, neueren
Datums ist nur ihre Verwendung als Alkaloid — Atropin und
Physostygmin — und in so hohen Dosen, wie sie jetzt, besonders
bei Ileus, gegeben werden, denn noch Lau der Brun ton 1 )
empfiehlt, unter Berufung auf ältere Autoren, die Belladonna nur
in kleinen Dosen zu verabfolgen.
Gleichfalls zu den älteren, bei der Obstipation verwendeten,
aber jetzt aufs Neue gründlich studierten und in ihrer Indikation
scharf umgrenzten Mitteln gehört die Anwendung der Gallen¬
säuren als Abführmittel. Singer und Glaessner 3 ) haben ihre
Wirkung mit Hilfe der Radioskopie verfolgt. Sie empfehlen die
reine Cholsäure oder cholsaures Natrium in Dosen von 0,3 bis
0,5 g in Form von Suppositorien, Mikro- und Makroklysmen
oder als Bilenpillen ä 0,2 g, und haben gefunden, dass sie be¬
sonders bei der im Sigma und Rectum lokalisierten Konstipation
von Erfolg sind. Auch der paralytische Ileus, die postoperative
Darmparalyse, sowie die hartnäckigeren Formen von Darmträgheit
1) A. Ewald, Ueber die diätetische Behandlung von Darmkrank¬
heiten. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1909, Nr. 10.
2) Lauder Brunton, I. Action of medicines, London 1897, S. 431.
3) Singer und Glaessner, Die abführende Wirkung der Gallen¬
säuren. Archiv f. Verdauungskd., 1912, Bd. 18, H. 2, S. 192.
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8
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
bei chronischer Peritonitis, bei schwerkranken bettlägerigen Personen
gehören in ihren Aktionsbereich.
Mit dieser kurzen Aufzählung ist die Summe der neueren
Mittel bei weitem nicht erschöpft, namentlich ist durch die
mehr oder weniger glückliche Kombination bereits bekannter
Präparate, die nur unter neuer Flagge segeln, wie z. B. die
Dannau-Tabletten (Cascara sagrada-Extrakt und Phenolphthalein),
das Chocolin (Cacaopulver mit Manna und Phenolphthalein) u.s.f.,
eine weitere Anzahl von Präparaten dem Arzt und Publikum in
die Hand gegeben. Auf der Kombination der chemischen Cascara-
wirkung mit der mechanischen Quellwirkung des Agar-Agar
beruht der günstige Effekt des Regulins, der in vielen Fällen un¬
verkennbar ist, in anderen gar nicht oder nur vorübergehend ein-
tritt. Jedenfalls kann es bei chronischer Verstopfung lange Zeit
ohne Nachteil genommen werden.
Ein neues Gebiet hat sich die Chirurgie gegenüber den
beregten Zuständen erobert. Schon 1899 empfahl der amerika¬
nische Professor der Proctologie, Martin 1 ), „proctologist to the
Cleveland general hospital“, die Durchschneidung der stark aus¬
gebildeten Houston’schen Klappen, hinter denen sich der Stuhl
anhäuft, und diese Methode ist neuerdings von Goebell 2 ) mit
gutem Erfolge aufgenommen worden.
Stier!in 3 ) bzw. Wilms haben die Ausschaltung des ganzen
Colon ascendens in Fällen von Stagnation des Kotes in diesem
Darmteil (Obstipation von Ascendenstypus) versucht, indem sie
das abgetrennte lleum in das Quercolon einpflanzten. Der Erfolg
soll in neun von zehn Fällen sehr befriedigend gewesen sein, so
dass sich eine vollständige Regelung des Stuhlganges einstellte.
Eine lebhafte Debatte hat die Frage des sogenannten Coecum
mobile und die chirurgische Behandlung der ihm zugeschriebenen
Verstopfungszustände hervorgerufen, die wohl noch nicht als ab¬
geschlossen zu betrachten ist. Ich selbst stehe auf dem Stand¬
punkt, die gelegentlich vorhandene abnorme Beweglichkeit des
Coecums, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Maasse als
Ursache der chronischen Obstipation anzusehen, denn man kann
sehr häufig ohne weiteres durch die manuelle Palpation oder
nach Aufblähung der Därme mit Luft eine deutliche Verschieb¬
lichkeit des Coecums bei Personen wahrnehmen, die nicht nur
nicht an Verstopfung, sondern an Durchfall leiden, wie sie dann
andererseits auch nicht gerade selten gefunden wird, ohne dass
irgendwelche Darmbeschwerden vorhanden sind. So gross das
Interesse ist, welches sich an diese chirurgischen Bestrebungen
knüpft, so gering sind die Aussichten, dass sie es zu einer Be¬
handlungsmethode bringen werden, die sich auf mehr wie ver¬
einzelte Fälle erstreckt. Der grössere Teil des hier in Betracht
kommenden Publikums nimmt lieber jahraus, jahrein seine Pillen,
geht in die Badeorte, lebt auch eine Zeitlang, so lange der Arzt
mit dem Diätzettel dahinter steht, nach einer vorgeschriebenen
Kostordnung, als dass er sich einer, in den letztgenannten Fällen
doch immerhin recht eingreifenden, Operation unterzieht. Da es
aber, wie jedem einigermaassen erfahrenen Arzt sattsam bekannt
ist, Fälle genug gibt, die unter einer hartnäckigen Obstipation
auf das äusserste, körperlich und seelisch leiden, so würde ihnen
ein neues Leben aus solchem Eingriff erwachsen, über dessen
Indikationen und Ausführung Stierlin (1. c.) einzuseben ist 4 ).
Was den akuten und chronischen Darmkatarrh an¬
betrifft, sei nochmals der grosse Fortschritt hervorgehoben, den
uns die bessere Kenntnis der den verschiedenen Darmstörungen
zugrunde liegenden Störungen des Chemismus und die darauf
begründete Diätetik 5 ) gebracht hat. Dies gilt namentlich für
die Kinderkrankheiten, bei denen sich — es sei nur an die Lehre
von den Mehlnährschäden erinnert — geradezu eine Umwälzung
in der Behandlung der Kinderdiarrhöen ergeben hat 6 ). Von
1) T. C. Martin, Obstipation. Philadelphia 1899.
2) R. Goebell, Zur chirurgischen Therapie der Obstipation. Med.
Klinik, 1910, Nr. 45, S. 1771.
3) E. Stierlin, Ueber eine neue operative Therapie gewisser Fälle
schwerer Obstipation mit sogenannter chronischer Appendicitis. Grenz¬
gebiete, Bd. 20, S. 509. — Derselbe, Ueber die Obstipation vom
Ascendenstypus. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36.
4) Anmerkung bei der Korrektur. Soeben, diese Wochenschr., 1912,
Nr. 51 und 52, gibt F. Karewski eine auf reiche Erfahrung begründete,
ebenso objektive wie einsichtige Besprechung der Frage der chirurgischen
Behandlung chronischer Obstipation, der ich mich auf Grund meines
Materials in allen wesentlichen Punkten anschliesse.
5) Cf. Th. Rosenheim, Die Behandlung der chronischen Darm¬
katarrhe. Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 23.
6) Siehe die vortreffliche Darstellung in „Die Bedeutung der Getreide-
mcble für die Ernährung“ von M. Klotz. Berlin 1912, Springer.^.,
Nr. 1.
neueren Drogen und chemischen Präparaten auf diesem Gebiete
sei die Uzara genannt, von der wir wiederholt recht gute Erfolge
gesehen haben. Wir benutzten den Liq. Uzara, d. h. eine 2 proz.
Lösung der Droge, von dem zweistündlich 20—30 Tropfen ge¬
geben wurden. Auch die Verbindung der Gerbsäure mit Albu-
minaten in Form des Tannocols, Tannalbins dürfte als ein Fort¬
schritt zu bezeichnen sein, weil die genannten Präparate den
Magen unverändert passieren und erst im Darm zur Wirkung
kommen. Hierher gehören auch die übrigen Präparate, bei
denen durch Kombination oder Addition des Bismuts, des
Tannins, des Ichthyols, des Silbers mit Eiweiss, Gelatine, Form¬
aldehyd, Acetyl usw. beabsichtigt wird, unter Schonung des
Magens die Darmschleimhaut zu beeinflussen. Dasselbe hat man
durch Umhüllung des betreffenden Arzneimittels mit einer im
Magen unlöslichen, im Darm löslichen Masse, Keratin oder durch
die Gelodurat- und Glutoidkapseln zu erreichen gesucht, von
denen die keratinierten Präparate sich sicherlich als untauglich
erwiesen haben, bei den letzteren die Zweckmässigkeit ihrer Ver¬
wendung noch sub judice steht.
Auch bei den chronisch entzündlichen Prozessen der
Darmschleimhaut haben wir in der Chirurgie einen mächtigen
Bundesgenossen gefunden. Ich denke dabei weniger an die An¬
legung einer Kotfistel oder die Resektion erkrankter Darmteile,
wie sie, um ein ganz banales Beispiel zu nehmen, die Appendi-
citisbehandlung beherrscht und sich bei den verschiedenen Coecal-
erkrankungen auf tuberkulöser, carcinomatöser oder infektiöser
Basis (Aktiuomyko.se) bewährt, sondern an die Durchspülung des
Darms von einer Appendikostomie aus, oder die Ausschaltung des
gesamten Dickdarms durch Anastomosenbildung zwischen Rectum
bzw. Sigma und Coecum, die uns bei dysenterischen Zuständen
wiederholt gute Erfolge gebracht hat.
Es heisst in der Tat Eulen nach Athen tragen, wenn schliess¬
lich auf den besonderen Fortschritt hingewiesen wird, den uns
die Methoden der Rektoromanoskopie und die durch sie er¬
möglichte und auf sie begründete Lokalbebandlung gebracht hat.
Es ist das grosse Verdienst der Amerikaner Otis, Kelly und
Tuttle, die früher üblichen kurzen Specula, mit denen kaum
die Ampulla recti zu besichtigen war, in der Weise vervollkommnet
zu haben, dass wir jetzt ohne jede Schwierigkeit die ganze untere
Darmstrecke bis hinauf zur Flexur des Sigma übersehen können.
Es sei gegenüber gegenteiligen Auslassungen hier wiederum und
nachdrücklichst betont, dass wir darin ein ebenso ungefährliches
wie leicht zu handhabendes Verfahren besitzen, das jeder Arzt
ebensogut ausüben sollte, wie er z. B. den Kehlkopfspiegel oder
den Augenspiegel anwendet. Denn Hand in Hand mit der
Förderung der Diagnostik 1 ), die uns daraus erwachsen ist, geht
die Bereicherung unserer Behandlungsmöglichkeiten, die jetzt in
viel höherem Maasse wie früher in einer ausgiebigen und erfolg¬
reichen Lokalbehandlung bestehen. Die neuen Errungenschaften
auf diesem Gebiete, ich erinnere nur an den Nachweis hoch¬
sitzender Carcinomknoten, Polypen, ulceröser bzw. dysenterischer
und syphilitischer Prozesse, entzündlicher und varicöser Ver¬
änderungen, sind jedermann bekannt. Ich möchte nur besonders
hervorheben, dass wir in der letzten Zeit wiederum in zwei
Fällen, in denen keinerlei Symptome auf ein bestehendes Mast-
darmcarcinom hinwiesen, mit Hilfe des Romanoskops eine hoch¬
sitzende circumscripte Geschwulst zu entdecken imstande waren.
Der Darm hatte noch keine Verwachsungen mit der Nachbar¬
schaft erlitten, und die Verhältnisse lagen für eiue vorzunehmende
Operation sehr günstig. In solchen Fällen kommt man in der Tat
dem chirurgischen Desiderium einer Frühoperation schon recht nahe.
Aehnliches leistet jetzt auch die radioskopische Unter¬
suchung, die anfänglich mehr die Topographie der Därme ge¬
fördert hat, jetzt aber nicht nur neue Einblicke in den Ablauf
der Darmbewegung und der Passage des Darminhalts gibt, sondern
auch ähnliche Angaben über das Vorliegen pathologischer Gewebs¬
veränderungen bringt, wie sie dies am Magen schon längst getan
hat. So kann der Beginn einer carcinomatösen Striktur zu einer
Zeit durch das Röntgen verfahren nachgewiesen werden, wo die
anderen klinischen Untersuchungsmethoden noch versagen. Aehu-
lich ist es nach M. Cohn 2 ) mit Dickdarmdivertikeln, dem chro-
1) Dies gilt nicht nur für die positiven, sondern auch für die
negativen Befunde. Sehr treffend sagt Rosenheim (Ueber die praktische
Bedeutung der Romanoskopie, Ewald-Nummer, diese Wochenschr., 1905,
Nr. 44a, S. 12): „Besonderen Wert hat in zweifelhaften Fällen die Fest¬
stellung der Tatsache, dass die Sigraaschlinge.. als gesund angesprochen wer¬
den darf. Dadurch ist unsere Ungewissheit mit einem Schlage beseitigt“ usw.
2) Diese Wochenschr., 1912, S. 2377.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
9
G. Januar 1913.
niscben subakoten Volvulas, der Differentialdiagnose zwischen
Darmconvoluten und Tumoren anderer Abdominalorgane.
Ich sehe an dieser Stelle ausdrücklich von der Besprechung
der Therapie bei bestimmten, auf gesonderter Basis beruhenden
Darmkrankheiten, wie etwa der Darmtuberkulose, der akut in¬
fektiösen Darmkrankheiten (Typhus, Ruhr, Cholera usw.) ab, wie
denn auch die rein chirurgischen Affektionen ausser Betracht
bleiben müssen. Aber es darf nicht vergessen werden, zum
wenigsten die Grenzgebiete und vor allen Dingen die Behand¬
lung der Appendicitis und des Ulcus duodenale, in der der
innere Arzt mit dem Chirurgen heutzutage mehr wie je Hand in Hand
geht, als einen überaus glücklichen und segenbringenden
Fortschritt zu nennen. Es ist nicht möglich, auf die Einzelheiten
dieses weiten und grossen Gebietes einzugehen, doch können wir
mit Genugtuung feststellen, dass die innere Medizin mehr und
mehr die kleinliche Angst aufgegeben hat, In ihrer Domäne ge¬
schmälert zu werden, wenn sie ihre Kranken betreffendenfalls zur
rechten Zeit dem Chirurgen abgibt. Es wäre nur zu wünschen,
dass die Chirurgie nun nicht in das andere Extrem verfällt und
die Fälle, bei denen ein Zusammengehen mit dem Inneren von
ihrer Seite aus wünschenswert und nölig wäre, in ihrem Hause
zurückbäit und „innerlich“ weiter behandelt.
Schliesslich kann ich nicht unterlassen, es als einen wesent¬
lichen Fortschritt in der Behandlung der Darmkrankheiten an¬
zusehen, dass beute in ungleich grösserem Maasse wie früher die
Kranken in zahlreichen gutgeleiteten Sanatorien Gelegenheit
finden, eine sacbgemässe und namentlich diätetisch sorgsame
Behandlung durchzumachen. Vor 50 Jahren war davon so gut
wie gar keine Rede, namentlich - fehlten die Sanatorien in
den Kurorten fast ganz, und es darf nicht unterschätzt wer¬
den, dass die Patienten heute viel mehr wie früher von
dem Belieben und dem Zwange der Gastwirte unabhängig ge¬
worden sind.
So finden wir denn auf der gesamten weiten Strecke der
Pathologie und Therapie unseres Gebietes ein erfreuliches Vor-
wärtsschreiten dank der emsigen und eingehenden Arbeit zahl¬
reicher Forscher, und dürfen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Einen nicht geringen Anteil daran hat, dem können und
wollen wir uns nicht verachliessen, der Umstand, dass
sich im Laufe der Jahre die Bearbeitung der Magen-
und Darmkrankbeiten mehr und mehr zu einem Sonder¬
fache herausgebildet hat. Daran lässt sich, so sehr man
auch die Einheit der Medizin hochhalten und eine möglichst
universelle Bildung als das erstrebenswerte Ideal hinstellen mag,
nun einmal, wie die Dinge liegen, nichts ändern. Wir wollen
hoffen, dass die innere Medizin nach wie vor imstande ist,
alle diese divergierenden Elemente in einem Brennpunkt zu
sammeln, und dass die Zersplitterung nicht nach abermals
50 Jahren so weit gegangen ist, dass wir, wie schon jetzt
in Amerika, besondere Spezialisten für das Rectum, den unteren,
mittleren und Oberdarm, den Magen und die Speiseröhre haben
werden!
Aus der Königl. chirurgischen Klinik zu Breslau
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Küttner).
Ueber circumscripte Tumorbildung durch ab¬
dominale Fettnekrose und subcutane Fett¬
spaltung.
Von
Hermann Küttner.
Da die Pathologie des Fettgewebes noch in vielen Punkten
der Klärung bedarf, erscheinen die folgenden Beobachtungen der
Mitteilung wert.
A. Umschriebene Tumorbildung bei abdominaler
Fettnekrose.
Während circumscripte Abscedierungen bei der abdominalen
Fettnekrose keine Seltenheiten sind, ist die Bildung um¬
schriebener Tumoren, welche den Eindruck echter
Geschwülste her vorrufen, bei dem an Problemen so reichen
Krankheitsbilde bisher nicht beschrieben worden. Die beiden
folgenden Beobachtungen sind, wie mich ein eingehendes Literatur¬
studium gelehrt bat, bisher die einzigen ihrer Art.
Der erste Fall, den ich sah, betraf eine korpulente 56 jährige Dame.
Die Krankheit setzte akut mit heftigen abdominalen Erscheinungen ein,
die zunächst zurückgingen, aber in den folgenden drei Wochen sich
mehrfach, wenn auch in milderer Form, wiederholten. Wir fanden in
der rechten Bauchseite etwas oberhalb der Ileocoecalgegend einen kinds¬
kopfgrossen, derben, rundlichen Tumor, dessen im allgemeinen glatte
Oberfläche nur in den unteren Partien einer höckerigen Beschaffenheit
Platz machte. Wir konnten die Differentialdiagnose zwischen einem
entzündlichen und einem malignen Tumor nicht mit Sicherheit stellen,
neigten aber, der Vorgeschichte halber, mehr zur Annahme eines appendi-
citiscben Infiltrats. Bei der Laparotomie stellte sich ein Konglomerat
verbackener Darmschlingen ein. Während ihrer Lösung quoll in ge¬
ringer Menge eine höchst auffallende, durchaus nicht wie Eiter aus¬
sehende opike Flüssigkeit hervor, die reichlioh Fettropfen enthielt, und
gleichzeitig gelangte ich in einen mit bröckligen, wie von einem zer¬
fallenen Tumor herrübrenden Massen angefüllten Hohlraum, der von
verklebten Darmschlingen und Netz abgeschlossen war. Die Massen
wurden ausgelöffelt und machten makroskopisch den Eindruck nekro¬
tischen Fettes. Der Wurmfortsatz war vollkommen intakt. Die Wunde
wurde teilweise tamponiert. Der Verlauf war glatt, der Tampon konnte
bald entfernt werden, worauf sich die Wunde überraschend schnell
schloss. Auffallend war, dass jede Eiterung um den Tampon fehlte.
3* 2 Jahre nach der Operation wurde volles Wohlbefinden der Patientin
festgestellt. — Die mikroskopische Untersuchung der entfernten
Massen ergab nun, dass es sich in der Tat ausschliesslich um nekro¬
tisches Fett handelte, daneben fanden sich nur spärliche Rundzellen
und Fettkörncbenzellen. Weder Tumorbestandteile noch Eiter konnten
□achgewiesen werden, dementsprechend ergab auch die bakteriologische
Untersuchung ein negatives Resultat.
In dem zweiten Falle handelte es sich um einen 45 jährigen, ziem¬
lich fettleibigen Herrn, der am 16. Dezember 1911 plötzlich unter
heftigem Erbrechen, Schüttelfrösten und hohem Fieber mit Schmerzen
in der Leber- und Magengegend erkrankte, die in die rechte Schulter
und den rechten Arm ausstrahlten. Dabei war der Stuhl angehalten,
Winde gingen nicht ab. Schon am nächsten Tage war ein druck¬
empfindlicher Tumor in der Gallenblasengegend zu fühlen, bald danach
trat Icterus auf. Der Tumor blieb bestehen, während das abdominale
Krankheitsbild durch eine typische, normal verlaufende Pneumonie ab¬
gelöst wurde. — Bei der 2 1 /* Monate nach Beginn der Erkrankung er¬
folgten Aufnahme fand sich ein länglicher derber Tumor in der Gallen¬
blasengegend, der auf Grund der charakteristischen Anamnese, ebenso
wie vom Hausarzte und einem internen Kollegen, so auch von mir als
Gallenblasentumor angesprochen wurde. Bei der Laparotomie zeigte
sich, dass die Geschwulst dem Netz angehörte und durch unbedeutende
flächenhafte Adhäsionen am Colon asoendens in Höhe der Gallenblase
fixiert war. Nach dem eigentümlich opaken Aussehen auch der Schnittfläche
schien sie aus nekrotischem Fett zu bestehen. Die betreffende Netzpartie
wurde abgetragen; Gallensteine fanden sich nicht, auch in der Gegend
des Pankreas und in der übrigen Bauchhöhle war nichts Pathologisches
nachzuweisen. Die Rekonvaleszenz war ungestört. Pat. befindet sich
seit der Operation vollkommen wohl.
Während in dem ersten Falle nur die bröckligen ausge¬
löffelten Massen untersucht werden konnten, lag hier ein in toto
exstirpierter Tumor vor, der bakteriologisch wie histologisch ein¬
gehend geprüft wurde. Auch hier war das Ergebnis der bak¬
teriologischen Untersuchung (Hygienisches Institut Geheimrat
Pfeiffer) ein negatives. Der mikroskopische Befund (Dr.
Hörz) aber war folgender (vgl. Figur 1).
Auf Paraffinschnitten, die mit Hämatoxylineosin gefärbt wurden,
sieht man bei schwacher Vergrösserung unregelmässig rundliche Fett¬
läppchen, welche durch mehr oder minder breite Bindegewebssepten
voneinander getrennt sind. Schon bei schwacher Vergrösserung fällt
auf, dass, während die Mehrzahl der Bindegewebssepten, besonders die
dickeren, sehr kernreich sind, andere keinerlei oder nur sehr spärliche
Kerne zeigen; ebenso fehlen an den eigentlichen Fettzellen die Kerne.
Noch ein zweites fällt an den Fettläppchen auf: während die kern¬
haltigen bindegewebigen Septen die gewöhnliche rosarote Eosinfärbuog
annebmen, zeigen die kernlosen Bindegewebssepten und die Fettläppchen
selbst eine etwas blässere Rotfärbung mit einem lichten Stich ins
Gelbliche.
Bei starker Vergrösserung sieht man, dass die kernhaltigen Binde¬
gewebssepten aus einem zellreichen faserigen Bindegewebe bestehen, in
welches zahlreiche Leukocyten und grössere, Blutpigrnent führende
Zellen eingelagert sind. An einzelnen Stellen überwiegen die Leuko¬
cyten über die spindeligen Bindegewebszellen, ausserdem finden sich
hier zahlreiche grössere, epithelähnliche Zellen, so dass man das Bild
eines jungen Granulationsgewebes vor sich bat.
Nach verschiedenen Seiten gehen nun die kernhaltigen Septen all¬
mählich in kernlose über; zunächst werden die spindeligen Kerne der
Bindegewebszellen immer spärlicher und verschwinden schliesslich ganz,
während noch hier und da in den sonst kernlosen Partien Lymphocyten
3
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10
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
Figur 1.
Umschriebene Tumorbildung durch abdominale Fettnekrose.
Starke Vergrösserung.
zu sehen sind. Die Bindegewebsstruktur ist auch in den völlig kern¬
losen Partien noch wohl zu erkennen.
Die Fettläppchen selbst erweisen sich auch bei starker Vergrösse¬
rung als kernlos.
Besonders zu erwähnen sind einzelne Stellen, an denen kern¬
lose Fettläppchen an kernführende Bindegewebssepten angrenzen. Hier
sieht man in der Randzone der Bindegewebssepten eine stärkere Lympho-
cytenausammlung, welche nach dem Rande des Fettläppchens zu ersetzt
wird von einem schmalen Saum grosser epithelähnlicher Zellen, welche
teilweise auch zwischen die zunächst liegenden Fettzellen eindringen.
Einzelne besonders grosse Zellen zeigen mehrere unregelmässig verteilte
Kerne und stellen also Riesenzellen vom Typus der Fremdkörperriesen¬
zellen dar.
Zu erwähnen ist noch, dass mit der Weigert’schen Bakterienfärbung
keine Bakterien nachweisbar waren.
Wie die klinische, so musste auch die mikroskopische Dia¬
gnose auf Fettnekrose lauten.
Es handelt sich also hier um zwei analoge Fälle, in denen
eine mit dem charakteristischen stürmischen Krankheitsbilde ein¬
setzende abdominale Fettnekrose nicht zu den bekannten Ver¬
änderungen führte, sondern die Bildung ganz umschriebener
solider Tumoren veranlasste, welche in einem Falle eine Gallen-
blasengeschwulsr, im zweiten einen chronisch entzündlichen oder
malignen Tumor des Darmes vortäuschten.
B. Umschriebene, durch Fettspaltung hervorgerufene
Tumorbi 1 dung in der Mamma.
In dem folgenden Falle hat es sich ebenfalls um eine durch
Veränderungen des Fettgewebes herbeigeführte Tumoi bildung,
und zwar in der Mamma gehandelt, doch liegt hier ätiologisch
ein durchaus anderer Prozess als der der abdominalen Fettnekrose
zugrunde.
Die G3jährige Patientin hatte G Wochen vor der Aufnahme einen
Stoss gegen die Mamma erlitten, und einige Wochen später an der be¬
treffenden Stelle zufällig einen derben Tumor gefühlt, der sich bei der
Untersuchung als harte, nussgrosse Geschwulst im unteren inneren
Quadranten der linken Mamma darstellte. Die bedeckende Haut wies
eine geringfügige iivide Verfärbung "auf und war über dem Tumor, der
bis in die Substanz der Mamma hineinzureichen schien, nicht frei ver¬
schieblich. Bei der Exstirpation zeigte sich, dass die Geschwulst dem
Unterfettgewebe angehörte und den Drüsenkörper intakt liess. Das Fett
hatte die eigentümlich opake Beschaffenheit, welche für die abdominale
Fettnekrose charakteristisch ist, und ich glaubte eine durch das Trauma
bedingte Nekrose des Subcutaufettes vor mir zu haben.
Die mikroskopische Untersuchung (Dr. Hörz) ergab
folgendes Resultat (vergl. Figur 2 und 3).
An Schnitten, welche in Paraffin eingebettet und mit Häraatoxylin-
eosin sowie nach van Gieson gefärbt wurden, sieht man in der Um¬
gebung des Tumors normales Fettgewebe mit einzelnen Gefässen und
schmalen, spärlichen Bindegewebssepten.
In der makroskopisch als Tumor imponierenden Partie überwiegt
wiederum das Fettgewebe. Im Gegensatz zu den normalen Fettpartien
Figur 2.
Tumorbildung durch Spaltung des subcutanen Fettes der Mamma.
Starke Vergrösserung.
Figur 3.
Tumorbildung durch Spaltung des subcutanen Fettes der Mamma.
Gefrierschnitt. Starke Vergrösserung.
der Umgebung aber fällt hier schon bei schwacher Vergrösserung eine
ungleich stärkere Entwicklung der bindegewebigen Septen auf, die als
breite Bänder die ganze Tumorpartie durchziehen und nach allen Seiten,
immer feiner werdend, baumförmig verästelte Ausläufer abgeben, deren
feinste Enden selbst zwischen die einzelnen Fettzellen eindringen.
Bei starker Vergrösserung sieht man in den Fettpartien der Um¬
gebung überall die kleinen, spärlichen Kerne der Fettzellen, während
die Septen aus schmalen, locker gefügten Spindelzellen und Bindegewebs-
fibrillen bestehen. Im Tumor dagegen bestehen die Septen aus einem
zellreichen Bindegewebe, das eine starke Durchsetzung mit Lympho-
cyten zeigt. Vielfach sieht man Stellen, an denen die Fettzellen gegen¬
über diesem lympbocytendurchsetzten Zwischenbindegewebe ganz in den
Hintergrund treten. Besonders ist dies der Fall in dem Tumorgebiet,
welches die Grenze gegen das normale Fettgewebe der Umgebung
bildet und infolge dieses Ueberwiegens des kernreichen Bindegewebes
schon bei Lupenvergrösserung als dunkel gefärbter Saum deutlich hervor¬
tritt. Hier finden sich auch im Bindegewebe, oft am Rande einer Fett¬
alveole liegend, grössere Zellen mit mehreren, unregelmässig über den
ganzen Zellleib verteilten Kernen, die ihrem ganzen Aussehen nach als
Fremdkörperricsenzellen anzusehen sind.
Ueber die Herkunft dieser Fremdkörperriesenzellen
(Figur 2 und 3) geben uns Gefrierschnitte Aufschluss. Auf diesen
erkennt man, über das ganze Tumorgebiet verteilt, innerhalb der
von dem lymphocytendurchsetzten Bindegewebe umschlossenen
Fettzellen zahlreiche, zu radiär geschichteten Büscheln angeordnete
Kristallnadeln (Figur 3), an deren Rande man vielfach die
eben beschriebenen Fremdkörperriesenzellen sitzen sieht. Die
Kristallbüschel färben sich mit Sudan blassgelb, während sie mit
der Fischler’schen Fettsäurefärbung eine dunkelblaue Farbe an-
ueh men.
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich tat¬
sächlich am Fettsäurekristalle handelt.
Anzeichen für Gewebsnekrose finden sich nirgends in den
Präparaten, dem entspricht auch, dass die Benda’sche Reaktion
auf Fettgewebsnekrose sowohl makroskopisch als mikroskopisch
negativ aus fällt.
Das mikroskopische Bild zeigt demnach eine Abspaltung
von Fettsäuren aus dem Fettgewebe und eine chronische
Entzündung im Zwischenbindegewebe. Ob eine primäre
Fettspaltung sekundär eine reaktive Entzündung des benachbarten
Bindegewebes hervorgerufen hat, oder aber, ob eine primäre
chronische Entzündung des Bindegewebes sekundär zu einer
Spaltung des Neutralfettes geführt hat, lässt sich schwer ent¬
scheiden. Die Bildung der Fremdkürperriesenzellen spricht mehr
für eine primäre Fettzersetzung mit sekundären Entzündungs¬
erscheinungen. Dass der Prozess mit dem angegebenen Trauma
zusammengehangen hat, erscheint durchaus wahrscheinlich.
Auch hier habe ich eine völlig analoge Beobachtung in der
Literatur nicht finden können. Am nächsten steht unserem Falle
ein von Lanz 1 ) im Jahre 1898 publizierter, in dem es sich eben¬
falls um einen traumatisch entstandenen, für ein aberriertes
Carcinom gehaltenen Tumor der dem Sternalrande benachbarten
Partien der Mamma gehandelt hat. Die mikroskopische Unter¬
suchung ergab ein der unsrigen ähnliches Resultat, doch wuide
von Lanz die Diagnose direkt auf Fettnekrose gestellt, während
in unserem Falle die entzündlichen Erscheinungen im Vorder¬
gründe standen, und eine eigentliche Nekrose nirgends nachzu¬
weisen war. Auch in dem von Hey de 3 ) 1911 veröffentlichten
Falle hat es sich um eine echte Nekrose im Subcutanfette des
Oberschenkels gehandelt, ln einem Lipom der Mamma scheint
Targett*) Veränderungen gefunden zu haben, welche den oben
mitgeteilten ähnlich sind, die Beschreibung ist indes nicht ganz
klar, und Sbattock bezeichnete in der Diskussion das Objekt
wiederum als Fettnekrose. Multiple Tumoren, die durch einen
im subcutanen Fettgewebe lokalisierten sklerosierenden Ent
zondungsprozess hervorgerufen waren, haben Pfeiffer 4 ) und
Rothmann 6 ) beschrieben, doch unterscheiden sich diese Fälle
durch das Auftreten vielfacher, zum Teil symmetrischer Knoten¬
bildungen von dem unsrigen, dessen Bedeutung ebenso wie die
des Lanz’schen Falles in der Differentialdiagnose gegenüber eigent¬
lichen Mammatumoren gelegen ist.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬
versität Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Goldscheider).
Ueber das Coma diabeticum.
Von
Privatdozeot Dr. Rudolf Ehrmann, Assistenzarzt.
Die genaue klinische Beschreibung des Bildes des Coma
diabeticum rührt bekanntlich von Kussmaul 6 ) her. Er beschrieb
als die hervorstechendsten Eigenschaften dieses eigentümlichen
Zustandes, durch den in vielen Fällen der Diabetes mellitus
seinen tödlichen Abschluss findet, die tiefe Bewusstlosigkeit ver¬
bunden mit der auffallend dyspnoischen Atmung, die ohne jede
Störung in den Luftwegen und ohne jede Cyanose vorhanden sei.
Der so charakteristische Symptomenkomplex war allerdings schon
viel früher aufgefallen und war bereits 20 Jahre vorher von
Marsh 7 ), v. Dusch 6 9 ) u. A. ziemlich gut gekennzeichnet worden.
Gleichzeitig hiermit waren auch schon Veränderungen des nor¬
malen Chemismos bei diesem Kraukbeitsbilde beobachtet worden,
ao das Auftreten von Aceton durch Petters 6 ), Kau lieh 10 ) und
1) Traumatische Fettnekrose. Centralbl. f. Chir., 1898, S. 1253.
2) Zur Kenntnis der subcutanen Fettgewebsnekrose. Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1911, Bd. 109.
3) Concretion in a lipoma of the breast. Pathological Society of
London, Lancet 1896, 7. März.
4) Ueber einen Fall von herdweiser Atrophie des subcutanen Fett¬
gewebes. Deutsches Archiv f. klin. Med., 1892, Bd. 50, S. 438.
5) Ueber Entzündung und Atrophie des subcutanen Fettgewebes.
Virchow’s Archiv, 1894, Bd. 136, S. 159.
6) Kussmaul, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1874, Bd. 14.
7) Marsh, Dublin quaterly review, 1858, Bd. 17.
8) ▼. Dusch, Zeitschr. f. rationelle Med., 1854, Bd. 4.
9) Petters, Prager Vierteljahrsschr., 1857, Bd. 55.
10) Kaulich, ebenda, 1860, Bd. 67.
11
Lerch. Hinzu kam die Aufdeckung der Acetessigsäure durch
C. Gerhardt 1 ), Tollens 2 ) und v. Jaksch 3 ) als eine bei ein-
tretendem und ausgebildetera Coma diabeticum vorhandene Sub¬
stanz. Erst viel später wurde der dritte der für das Coma
charakteristischen Acetonkörper, die linksdrehende /1-Oxybutter-
säure festgestellt. Aus der gefundenen vermehrten NH S Aus¬
scheidung im Urin beim Coma diabeticum wurde nämlich eine
vorhandene Säure erschlossen und schliesslich die \-ß Oxybutter-
säuie durch die Arbeiten von Stadelmann 4 ), Minkowski 5 ),
Külz 6 ) erwiesen.
Wenige Jahre vorher hatte Walter 7 ) in Sch m iedeberg’s
Laboratorium die experimentelle Salzsäurevergiftung von Kaninchen
studiert und gefunden, dass die tödliche Säurevergiftung durch so¬
fortige Zufuhr von Natriumkarbonat stets beseitigt werden, konnte.
Da die Salz'äurevergiftung ein dem Coma ähnelndes Bild bot, und
da auch im Coma die Ausscheidung erheblicher Mengen von
Säuren nunmehr festgestellt war, schlug Stadel mann 8 ) vor,
auch hier Natron zur Absättigung der Säuren therapeutisch zu
verwenden. Diese Therapie erwies sich in der Tat als segens¬
reich, wenn sie auch, wie wir sehen werden, von falschen Vor¬
aussetzungen au^ging und eine dauernde Rettung wie beim Tiere
nicht statifindet. Da weiterhin Minkowski*) und F. Kraus 10 )
eine erhebliche Alkaleszeuzverminderung im Coma feststellten, so
schien alles darauf hinzuweisen, die Alkaleszenzabnahme des
Blutes infolge Säurewirkung als die Ursache des diabetischen
Coma anzusehen. Diese Auffassung, zunächst der Schule
Naunyn’s, vor allem Stadel mann’s, wurde um so mehr ge¬
stützt, als die 1-^-Oxybuttersäure durch Magnus-Levy ll ) in
solchen Mengen in den Organen der an Coma Verstorbenen nacb-
gewiesen wurde, dass die an sich als ungiftig angesehene Säure
durch Alkaliverarmung des Organismus sehr wohl zum Tode führen
konnte.
Der Ausbau dieser Lehre führte schliesslich auch dazu, den
beiden anderen Substanzen, der Acetessigsäure und dem Aceton,
ihre im Anfang vermutete ursächliche Bedeutung für das Coma
fast gänzlich zu nehmen.
Zugunsten der Behauptung, dass im Coma diabeticum keine
spezifische Wirkung der dabei gefundenen Acetoukörper vorliege,
wie sie auf das bestimmteste durch Naunyn 12 ), Minkowski 13 )
und Magnus-Levy 14 ) ihren Ausdruck gefundeu hat, sondern dass
die Alkalientziehung des Blutes und der Gewebe, ähnlich wie
bei der experimentellen Salzsäurevergiftung das Coma bervorrufe,
wurde vor allem auch die fehlende Toxizität der Oxybuttersäure
herangezogen. Es muss jedoch bemerkt werden, dass diese Sub¬
stanzen nur relativ unschädlich sind, aber in gewissen Mengen
doch immerhin schwerere Erscheinungen hervorrufen. So fand
schon Kussmaul 15 ) und später auch Penzoldt 18 ), dass Aceton
Vergiftungserscheinungen am Kaninchen hervorruft.
Statt der linksdrehenden ß -Oxybuttersäure wurde meist die
käufliche inaktive ß -Oxybuttersäure zu intravenösen und sub¬
cutanen Injektionen am Tier verwandt. Araki 17 ), W. Stern¬
berg 18 ), Wilbur 1 *) fanden sie jedoch ungiftig. Der letztere, der
auf Veranlassung v. Noorden’s arbeitete, sah jedoch ihr Natrium¬
salz bei intravenöser Zufuhr toxisch wirken. Er glaubte daher,
1) C. Gerhardt, Wiener med. Presse, 1865, Nr. 28.
2) Tollens, Liebig’s Annalen, 1881, Bd. 209.
3) v. Jaksch, Bericht d. deutschen chem. Gesellsch., 1882, und
Ueber Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885.
4) Stadel mann, Archiv f. experim. Pathol. u. Pbarmakol., 1883,
Bd. 17.
5) Minkowski, ebenda, 1884, Bd. 18.
6) Külz, Zeitschr. f. Biol., 1884, Bd. 20, und 1887, Bd. 23.
7) Walter, Archiv f. experim. Pathol. u. Pbarmakol., 1877, Bd. 7.
8) Stadelmann, ebenda, 1883, Bd. 17, sowie Deutsches Archiv f.
klin. Med., 1885, Bd. 37, und 1886, Bd. 38.
9) Minkowski, Mitteil. a. d. Königsberger med. Klinik, 1888.
10) F. Kraus, Zeitschr. f. Heilk., 1890, Bd. 10.
11) Magnus-Levy, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1899,
Bd. 42, und 1901, Bd. 45.
12) Naunyn, Der Diabetes mellitus, Wien 1906.
13) Minkowski, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1884,
Bd. 18.
14) Magnus-Levy, ebenda, Bd. 42 u. 45, sowie Ergehn, d. inneren
Med. u. Kinderheilk., 1908, Bd. 1. sowie Albu’s Saraml. zwangl. Abhandl.
a. d. Geb. d. Verdauungskrankh., 1909, Bd. I.
15) Kuss maul, 1. c.
16) Penzoldt, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1883, Bd. 34.
17) Araki, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1894, Bd. 18.
18) W. Sternberg, Virchow’s Archiv, 1898, Bd. 152.
19) Wilbur, Journ. americ. med. assoc., 1904.
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UNIVERSUM OF IOWA
12
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
dass die Säure ungiftig sei, dass aber im Blut aus ihrer Ver¬
bindung mit den Alkalien des Blutes toxische Salze sich bildeten.
W. Sternberg 1 ) und Grube 2 ) fanden, dass /f-Aminobutter-
säure ein dem Coma ähnliches Bild hervorrufe, and sie sprechen
daher diese als die Muttersubstanz der l/l-Oxybuttersäure und als
die Ursache des Coma an.
Es ist jedoch ausser Zweifel, dass weder die ß Aminobutter-
säure, noch die inaktive ß Oxybuttersäure im Organismus eine
Rolle spielen oder als Vorstufen der im Coma vorhandenen
1-^-Oxybuttersäure in Betracht kommen können. Auch die viel¬
fachen Verfutterungen der 1-^-Oxybuttersäure und der Acetessig-
säure an gesunde und diabetische Menschen sowie an Tiere
durch Prerichs, Albertoni, v. Jaksch, Minkowski, Wein-
traud, Geelinuyden, Waldvogel, Magnus-Levy, Schwarz,
Baer und Blum Hessen so gut wie keine toxischen Eigenschaften
erkennen. Minkowski 3 ) macht überdies gegen die Giftigkeit der
1-^-Oxybuttersäure noch den logischen Eiuwand geltend, dass sie
in diesem Falle nicht Jahre hindurch ohne jegliche Funktions¬
störung von manchen Diabetikern in so grosser Menge ausge¬
schieden werden könnte.
Naunyn 4 ) äussert sich in seinem Lehrbuch über das Coma
diabeticum: „. . ., dass in dieser wichtigen Stoffwechselanomalie
keineswegs eine besondere (spezifische oder Gift-)Wirkung
der Oxybuttersäure zur Geltung kommt; diese wirkt viel¬
mehr lediglich als ,Säure*, d. b. durch die Säurebelastung
des Stoffwechsels . . .“
ln der Tat konnten die Grundlagen der Lehre Naunyn’s
nicht erschüttert werden, da es nicht gelang, durch Zufuhr
der im Coma vorhandenen oder der diesen verwandten Säuren
experimentell das gleiche Bild bervorzurufen. Ebensowenig konnte
die Behauptung, dass die AlkaleszenzVerminderung das Coma be¬
dinge, widerlegt werden.
Zu unseren Zweifeln, das Wesen des Coma diabeticum in
einer Alkalientziehung durch vorhandene Säuren zu sehen, hatten
wir aber mehrfache Gründe.
Zunächst fusste diese Annahme auf der Aehnlichkeit, die
das Coma diabeticum mit der experimentellen Salzsäurevergiftung
bot, die ja als reiner Säuretod auftrat und durch Zufuhr von
Natriumkarbonat regelmässig verhindert werden konnte. Nachdem
man dann beim Coma ebenfalls abnorm auftretende Säuren fest¬
gestellt und die günstige Wirkung der Alkalien beobachtet
hatte, während die betreffende Säure selbst sich anscheinend als
ungiftig erwies, lag eine Identifizierung des experimentellen und
des klinischen Bildes allerdings nahe.
Und doch sind die beiden Zustände nur recht wenig ver¬
gleichbar, wenn man sie genauer analysiert.
Im Coma bandelt es sich vor allem um schlafähnlichen
Bewusstseinsverlust, um eine Betäubung, die stunden- bis tage¬
lang andauert. Bei der Salzsäurevergiftung tritt Collaps und
erst infolgedessen Verlust des Bewusstseins und schnell hinterher
dann der Tod ein. Einen narkoseähnlichen Zustand haben wir
beim Salzsäure vergifteten Kaninchen nicht gesehen. Der Blut¬
druck ist schon bei beginnendem Coma, wie wir bei mehreren
Fällen von Coma diabeticum gefunden haben, herabgesetzt, bei
der Salzsäurevergiftung des Tieres hingegen ist er während der
Dyspnoe gesteigert. Die Atemfrequenz ist nach unseren Beob¬
achtungen zu Beginn des Comas häufig deutlich verringert, beim
Kaninchen hingegen zeigt sich nach Zufuhr von Salzsäure an¬
fangs beschleunigte Atmung. Auch die C0 2 Abnahme ist nach
den Untersuchungen von Fr. Kraus 5 ) beim Comatösen keineswegs
so erheblich vermindert, wie sie bei dem salzsäurevergifteten Tier
von Walter 6 ) beobachtet wurde.
Ueberhaupt scheint uns die Frage, inwieweit man in der
C0 2 -Abnahme eine austreibende Wirkung der stärkeren Säure
und infolgedessen eine Bindung des vorher an C0 2 gebundenen
Alkalis sehen will, noch nicht geklärt, da beim Kaninchen
auch bei andersartigen Vergiftungen, z. B. nach oxalsaurem
Natron, Toluylendiamin u. a., wie Hans H. Meyer 7 ) beobachtet
1) Sternberg, Zeitschr. f. klin. Med, 1899, Bd. 38.
2) Grube, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1900, Bd. 44.
3) Minkowski, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1884,
Bd. 18.
4) Naunyn, Der Diabetes mellitus. 2. Aufl. 1906, S. 219.
5) Fr. Kraus in Lubarsch-Ostertag, 1895, und Archiv f. Heilk.,
1890, Bd. 10.
6) Walter, 1. c.
7) Hans Meyer, Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol.,
1883, Bd. 17.
hat, starke C0 2 Abnahme des Blutes eintritt. Eines der wesent¬
lichsten Momente aber ist noch die Tatsache, dass, wie bereits
Salkowski 1 ), Gaethgens 2 ) und Walter festgestellt hatten, nur
der Herbivore diese Salzsäurevergiftung infolge Alkalientziehung
aufweist, während der Carnivore und auch der Mensch die
Säuren duich Ammoniak grossenteils zu binden vermag und so
sich der Alkalientreissung entziehen kann.
Man kann daher keineswegs einfach die Verhältnisse der
Alkalientziebung vom Kaninchen auf den Menschen übertragen
und gewiss nicht, wie das von Magnus-Levy 3 ) geschehen ist,
aus den in den Organen Vorgefundenen Mengen von 1-/9 Oxy butter¬
säure die deren Acidität entsprechende Menge Salzsäure berechnen,
um aus ihrer für Kaninchen pro Kilo tödlichen Dosis den Tod
des comatösen Menschen erklären zu wollen.
Die Säurevergiftung an sich ist aber nicht nur in jener
Weise auf die Herbivoren wie das Kaninchen beschränkt, sondern
hat sogar bei diesem nach Walter’s eigenen Experimenten
nicht einmal für organische Säuren, wie die Bernsteinsäure,
Geltung. Während 0,9 g pro Kilo Salzsäure die tödliche Gabe
darstellen und diese 0,9 g durch die Alkalientziehung tödlich
wirken, d. h. eine 0,77 g Na 2 0 entsprechende Menge an Alkali
entziehen, finden wir in Walter’s Versuchen 9,0 g pro Kilo Bern¬
steinsäure, die 4,7 g Na 2 0 entziehen müssen, ohne Wirkung auf
das Tier. Nicht einmal für alle anorganischen Säuren scheinen
hier die gleichen Verhältnisse vorzuliegen. So kann jedenfalls
Schwefelsäure, wie ich beobachtet habe, vom Kaninchen zum
Teil durch Bildung von Indikan entgiftet werden, so dass auch
beim Kaninchen der Organismus nicht ohne weiteres jeder Mineral-
säuren Vergiftung durch eintretende Alkaliverarmung erliegen muss.
Was die Wirkung des Natriumcarbonats anlangt, so kann beim Tier
nach Salzsäurevergiftung die tödliche Wirkung regelmässig
verhindert werden; beim Diabetischen hingegen handelt es sich
nur um eine Verzögerung oder Hintanhaltung des schliesslich
doch ausbrechenden Coma.
Wir werden später zeigen, dass hierbei auch ganz andere
pharmakodynamische Wirkungen des Natriumcarbonats vorliegen
als dort. Würde das Alkali den gleichen Wirkungsmecbanismus
wie bei der Salzsäurevergiftung haben, so müsste man in jedem
Falle den Tod durch Coma verhindern können. Aber selbst bei
stärkster Zufuhr von Alkalien und nach stärkster Alkalescenz des
Urins hat man doch das Coma nicht endgültig abwenden können,
und gleiche Beobachtungen haben v. Noorden 4 ) und Andere
in mehreren Fällen mit dauernd alkalischem Urin gemacht.
Die zuerst nach Einführung der Alkalitherapie mitgeteilten Be¬
richte von dauernder Heilung des Coma sind auch dann all¬
mählich verstummt. Die zweifellos im Sinne der Hinausschiebung
günstige Wirkung der Alkalien kann aber, da sie das Coma nicht
regelmässig beseitigt, nicht mehr als vollgültiger Beweis dafür,
dass eine Säure Vergiftung vorliegt, angesehen werden, wie das
bereits Fr. Kraus 5 ) und v. Noorden auch betont haben.
Wir kommen daher zu dem Schlösse, dass die präventive
Wirkung der Alkalien im Coma mit der durch Paralysierung
unbedingt heilenden, beim Salzsäure vergifteten Kaninchen nichts
gemein hat. Seit Einführung der Alkalitberapie bat sich das
Coma diabeticum nicht vermindert, und ein grosser Teil der
Diabetiker und vor allem die jugendlichen sterben, jetzt wie zu¬
vor, im Coma.
Bleibt also schon bei einer Analysierung des Bildes der
experimentellen Salzsäurevergiftung nicht mehr viel Gemeinsames
mit dem Coma der Diabetischen übrig, so war ein Beweis natür¬
lich erst dann erbracht, wenn es gelang, experimentell durch die
im Coma vorhandenen Säuren einen dem klinischen Bilde voll¬
kommen analogen Zustand herbeizufübren. Hatte doch gerade
der Umstand, dass diese Säuren sich so gut wie ungiftig gezeigt
hatten, sowohl bei der Zufuhr im Tierexperiment als auch bei
Einnahme des gesunden und des diabetischen Menschen, mit dazu
gedrängt, ihre Wirkung in der Alkalientziebung des Organismus
zu suchen.
Bei unseren Versuchen gingen wir von der Voraussetzung
aus, dass zum Zustandekommen des Coma weder vom Darm¬
kanal ausgehende Toxine (G. Klemperer) noch die Alkalient-
1) Salkowski, Virchow’s Archiv, Bd. 58.
2) Gaethgens, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 4.
3) Magnus-Levy, Ergebnisse d. inneren Medizin u. Kinderheilk.,
1908, Bd. 1, S. 412.
4) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. 5. Auf¬
lage, 1910.
5) Fr. Kraus, 1. c.
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UNIVERSUM OF IOWA
6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
13
ziehung durch Säuren (Stadelmann, Naunyn, Minkowski,
Magnus-Levy) in ihrer ursächlichen Bedeutung genügend sicher-
gestellt sind, und dass vielleicht der im Coma auftretenden
Acetessigsäure und 1-jfl-Oxybuttersäure spezifische Giftwirkungen
von der Art des Coma zukämen. Dass das Coma in der Tat
einer Vergiftung ausserordentlich ähnelt, diesem Eindruck kann
man sich nicht entziehen, und v. Noorden 1 ) schreibt mit Recht:
„Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, einen Diabetiker im typischen
diabetischen Coma sterben zu sehen, nimmt von dem Kranken¬
bette den unauslöschlichen Eindruck mit, dass ein schwerer Ver¬
giftungszustand vorlag.“
Zur Beantwortung dieser Frage musste man mit den ge¬
nannten Substanzen oder aber mit ihrer Muttersubstanz, der Butter¬
säure, experimentieren. Die l-/0-Oxybuttersäure war in den nötigen
Mengen und in der nötigen Reinheit nicht zu beschaffen, um
damit die Hauptzahl der Versuche anzustellen. Bei der
Acetessigsäure, deren Natriumsalz wir uns herstellten, be¬
stehen die Schwierigkeiten in der ausserordentlich geringen
Haltbarkeit. Die Buttersäure hingegen bzw. ihr Natronsalz ist
chemisch rein käuflich zu haben. Ihr Zusammenhang mit
den beiden anderen Säuren ist ein naher, und sie kommt viel¬
leicht sogar als die hauptsächlichste Muttersobstanz dieser im
diabetischen Organismus in Betracht. Vom normalen mensch¬
lichen Organismus wird sie mit dem Schweiss ausgeschieden und
findet sich als Natronsalz besonders in den Muskeln. Nachdem
uns Vorversuche gezeigt hatten, dass die Natronsalze der drei
Säuren prinzipiell die gleiche Wirkung hervorriefen und nur
Unterschiede in der Intensität bei gleichen Mengen boten, ver¬
wendeten wir hauptsächlich das buttersaure Natrium. Zunächst
wurden Versuche an Hunden angestellt. Es zeigten sich erst
deutliche Resultate, sobald man die für das menschliche Coma
hauptsächlichen Vorbedingungen, jugendliches Alter und Unter¬
ernährung, auch hierbei berücksichtigte. Diese Versuche, die
A. Marx 2 ) im poliklinischen Institut ausführte, ergaben, dass
ein das menschliche Coma andeutendes Krankheitsbild durch
intraperitoneale Einverleibung von buttersaurem Natron häufig
bei jungen hungernden Hunden zu erzielen war.
Am kräftigen und erwachsenen Hund Hess sich aber ein
comaartiges Bild nicht erzielen. Die Tiere hätten ausserdem
dorch die grossen Dosen, die hierzu wahrscheinlich nötig ge¬
wesen wären, und die dadurch bedingten Störungen im Magendarm¬
kanal kein brauchbares Objekt zum Studium der Comafrage ge¬
boten. Aehnlich liegen die Verhältnisse offenbar beim Menschen,
bei dem sich bekanntlich enorme Mengen 1-^ß-Oxybuttersäure
aufgestapelt finden müssen, wenn es zum Coma kommen soll.
Nach Versuchen an Katzen haben wir schliesslich im Kaninchen
ein geeignetes Objekt gefunden, worüber wir bereits [Ehrmann
und Esser 8 ), Ehrmann 4 5 ), A. Loewy und Ehrmann 6 )] berichtet
haben.
Es zeigte sich, dass das Natriumsalz der Buttersäuren,
nämlich der Acetessigsäure (= ß Ketobuttersäure), der \-ß-
Oxybuttersäure und der Buttersäure, per os verabreicht, in
gewissen Dosen regelmässig ein dem menschlichen Coma
bis in Kleinigkeiten hinein ähnelndes Bild hervorriefen.
Auch verwandte Fettsäuren boten im wesentlichen dieses Bild,
unterschieden sich meist aber in der zum Coma erforderlichen
Dosis. Mit am wenigsten giftig erwies sich die racemische ß-Ozy-
buttersäure. Ueberhaupt zeigte sich gerade die Substanz am
toxischsten, die noch am ehesten unter gewöhnlichen Verhält¬
nissen im Organismus Vorkommen dürfte, die normale Butter-
säure.
Nach Eingiessung der leicht alkalischen Lösung von 3,2 bis
3,6 pro Kilo buttersauren Natrons in 50 ccm Wasser, manchmal
anch erst bei etwas höheren Dosen, tritt bei Kaninchen regel¬
mässig Coma ein, das entweder zum Tode führt, oder aus dem
sich die Tiere nach einigen Stunden wieder erholen. Grössere
Dosen sind stets letal, kleinere rufen nur verlangsamte und ver¬
tiefte Atmung und bisweilen Diarrhöen hervor, während das Tier
bei Bewusstsein bleibt. Bei den angegebenen Dosen tritt meist
schon im Verlauf einer Stunde tiefe Bewusstlosigkeit auf. Die
Reflexe sind herabgesetzt oder ganz aufgehoben. Die Atmung ist
schon vorher auffallend vertieft und verlangsamt und sinkt mit
1) v. Noorden, 1. c., S. 140.
2) A. Marx, Zeitschr. f. klin. Med., 1910, Bd. 71.
3) Ehrmann und Esser, Verhandlungen der Berliner medizinischen
Gesellschaft, 1910, S. 266, und Zeitsohr. f. klin. Med., 1911, Bd. 72.
4) Ehrmann, ebenda, Bd. 72.
5) Loewy und Ehrmann, ebenda, Bd. 72.
eintretender Bewusstlosigkeit immer weiter bis auf 40 bis 30
Atemzüge in der Minute statt 70 bis 80, ohne mühsam zu sein.
Besondeis deutlich ist das kurze und stossförmige Exspirium.
Auch im menschlichen Coma ist, nachdem wir infolge dieser
Beobachtungen unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatten,
dieses stossförmige Exspirium von uns gesehen worden.
Ganz wie beim menschlichen Coma ist die Vertiefung der Atmung,
Kussmauls „grosse“ Atmung, zuerst ausgeprägt, und erst später
tritt die Benommenheit auf. Was diese Verlangsamung der
Atmung beim Tiere anlangt, so ist in der Literatur des mensch¬
lichen Coma wenig darüber berichtet, abgesehen von Naunyn,
der in zwei Fällen bei bereits beginnendem Coma 14 abnorm
vertiefte Respirationen in der Minute beobachtete. Da sich aber
auch beim Hunde diese Verlangsamung der Atmung zeigt und die
Bilder vom diabetischen und experimentellen Coma sich in hohem
Maasse gleichen, war daran zu denken, dass die Respirations¬
verlangsamung im diabetischen Coma vielleicht verdeckt sei.
Das in grosser Menge gebildete Aceton dürfte wohl dafür verant¬
wortlich zu machen sein und dürfte vielleicht, durch eine be¬
schleunigende Wirkung auf die Atmung, die Verlangsamung para¬
lysieren. Es zeigte sich auch im Experiment analog, dass nach
Eingabe von Buttersäureäthylester, statt des buttersauren Natriums,
in entsprechender Menge, eine Respirationsverlangsamung nicht
mehr eintrat, während im übrigen die grosse Atmung mit stoss-
förmigem Exspirium vollkommen ausgebildet war. Die Herztätig¬
keit wird bei fortschreitendem Coma schwächer, übereinstimmend
mit dem Coma diabeticum. Der Blutdruck fängt bald zu sinken
an. Vom menschlichen Coma sind derartige Blutdrucksenkungen
bisher nicht beschrieben worden. Nachdem uns aber das Ex¬
periment darauf aufmerksam gemacht hatte, konnten wir bei
oder sogar schon längere Zeit vor beginnendem Coma des
Menschen stets eine starke Blutdrucksenkung beobachten,
ln dieser Blutdrucksenkung ist m. E. jedenfalls auch, falls sie sehr
schnell fortschreitet, die Ursache des bisweilen beobachteten soge¬
nannten diabetischenCollapses zu sehen, auf denv. Frerichs 1 ) zuerst
aufmerksam gemacht hat. Auch die akute Herzschwäche, die
nicht selten den Tod herbeiführt, und die nach v. F rerichs 1 ) und
v. Noorden 2 ) mit dem Coma diabeticum nichts zu tun hat, sind
wir auf Grund unserer Untersuchungen jedoch geneigt, als Wirkung
der Acetessigsäure und 1-^-Oxybuttersäure auf das cardiovasculäre
System zu betrachten. Die Augäpfel sind beim comatösen Hund,
wie A. Marx 3 ) beobachtete, und beim comatösen Kaninchen leicht
eindrückbar, was wir später auch nach darauf gerichteten Be¬
obachtungen am comatösen Menschen regelmässig feststellten. Es
war bereits schon von Krause bei einigen Fällen dieses Symptom
bemerkt worden. Bei bewusstlos eingelieferten Kranken, bei denen
Urämie oder Coma in Frage kommt, kann dieses Symptom zur
vorläufigen Klärung verwendet werden. Auch die von uns fest¬
gestellte Senkung des Blutdruckes, im Gegensatz zur Urämie, hat
diagnostische Bedeutung und muss in Zukunft auch therapeutisch
wohl beachtet werden. Während an den Pupillen der Tiere Ab¬
normitäten von uns nicht wahrgenommen wurden, sahen wir
unwillkürliche nystagmusartige Bewegungen der Bulbi. Nach
v. Noorden 2 ) zeigen auch die comatösen Diabetiker bisweilen
langsame Bewegungen der Augäpfel. Wir haben sie gleichfalls am
Menschen beobachtet. Ein weiteres gemeinschaftliches Symptom ist
die Temperaturabnahme, die beim Kaninchen rectal von 39° etwa
(im Sommer höher) bis auf 3735° allenfalls 34° herabsinkt.
Collapstemperaturen, wie wir sie am salzsäurevergifteten Tier wahr-
n&hmeu, traten nie ein. Die Därme sind in lebhafter Bewegung,
es besteht Meteorismns und Stuhlentleerung und nach stärkeren
Dosen treten Durchfälle auf. Die Urinabsonderung ist anscheinend
erhöht, und im Urin finden sich meist Aceton bzw. Acetessigsäure.
Auch im menschlichen Goma sind im Beginn unfreiwillige Stuhl¬
entleerungen nach Naunyn nicht selten. Eine vermehrte Urin¬
ausscheidung, die vielleicht auf eine Wirkung der vorhandenen
Fettsäuren zurückzuführen ist, habe ich bei einem jugendlichen
schweren Diabetiker mit starker Acetonkörperausscheidung be¬
obachtet, bei dem nach Diät der Urin nur gegen 1 pCt. Dextrose
enthielt und demgemäss die grosse tägliche Urinmenge von
3—4000 ccm und darüber nicht durch den Zuckergehalt erklärt
werden konnte.
Wir haben also im experimentellen Coma ein dem diabetischen
Coma in jeder Hinsicht fast gleiches Symptomenbild, dessen
1) v. Frerichs, Zeitschr. f. klin. Med., 1883, Bd. 6.
2) v. Noorden, 1. c.
3) A. Marx, 1. c.
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UNIVERSUM OF IOWA
14
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
Einzelheiten ans anf eine Reihe von Dingen hingewiesen haben,
die wir dann auch im menschlichen Coma bei genauer Unter¬
suchung vielfach fanden und die auch daher für eine eingehendere
Symptomatologie des menschlichen Comas wertvoll geworden sind.
Wichtiger jedoch noch war das experimentelle Coma für die
Genese des Coma diabeticum.
Dadurch, dass das experimentelle Coma nach buttersaurera,
acetessigsaurem und L/l-oxybuttersaurem Natrium eintrat, d. h.
also nach den schwach alkalisch reagierenden Salzen, liess sich
schon klar ersehen, dass es gar nicht von der Zufuhr der freien
Säure abhängig sein kann. Auch der Einwand, dass durch die
Salzsäure des Magens die Säure freigemacht würde, ist deswegen
nicht stichhaltig, weil die Flüssigkeit sehr schnell in den Darm
übergeht und schnell zur Resorption gelangt, und da ausserdem
die Salzsäure des Magens lange nicht hinreicht, um die ein-
geführten Fettsäuremengen zu vertreten. Ausserdem tritt das Coma
auch bei Umgehung des Magens, durch Injektion der alkalischen
Lösung des buttersauren Natriums in die Blutbahn, regelmässig
mit den gleichen Symptomen auf. Der stark alkalische Urin weist
ebenfalls darauf bin, dass im Organismus wohl kaum ein Mangel
an Alkali vorhanden sein kann. Noch auf andere Weise konnte
ich zeigen, dass es sich nicht um eine ungiftige, nur durch ihre
Wirkung als Säure toxische Substanz handelt, sondern dass eine
spezifische Wirkung vorliegt: Eine der Buttersäure nahestehende
Säure, die Isobuttersäure, die die gleiche elementaranalytische Zu¬
sammensetzung aufweist, und die der gleichen Menge Alkali zur
Absättigung bedarf, ruft in der gleichen Dosis wie jene, pro Kilo
Tier, verabreicht, kein Coma hervor, sondern führt erst nach
viel höheren Dosen zu comatösen Erscheinungen. Dies zeigt
deutlich, dass die Annahme der Naunyn’schen Schule, die Säure
an sich spiele keine Rolle und komme nur hinsichtlich ihrer
Alkalientziehung beim Coma in Betracht, nicht richtig ist.
Dieses verschiedene Verhalten von zwei nahestehenden Fett¬
säuren bezüglich des experimentellen Coma gewinnt um so mehr
für das menschliche Coma an Interesse, als auch hier zwei sich
nahe verwandte Fettsäuren, die Acetessigsäure und die l-^-Oxy-
buttersäure, vorhanden sind, deren gegenseitiges Toxizitätsverhältnis
wir nunmehr zu beachten haben, und das bei der Möglichkeit
des leichten wechselseitigen Ueberganges der einen in die andere
auch in therapeutischer Hinsicht von Bedeutung werden kann.
Nachdem diese Beobachtung gemacht war, war noch die Frage
zu entscheiden, wie die CO a -Abnahme sich bei den beiden Säuren
und speziell zum Coma verhielte. Seitdem durch Minkowski 1 )
und Fr. Kraus 2 ) die C0 2 -Abnahrae im diabetischen Coma fest¬
gestellt worden war, wurde dieser Befund als eine der Haupt¬
stützen der Lehre vom Coma diabeticum als einer Folge der Alkali¬
entziehung herangezogen. Wie ich zusammen mit A. Loewy aber
beobachtete, tritt die C0 2 -Abnabme eben sowohl nach dem butter¬
saurem als auch nach dem isobuttersauren Natron ein, während
das Coma nur nach dem ersteren erfolgt.
Da die Werte für die C0 2 des Blutes ebenso stark nach iso¬
buttersaurem wie nach dem buttersauren Natron sinken, ohne dass
bei jenem Coma eintritt, muss die Annahme, dass die C0 2 Abnahme
als Zeichen der Alkalibindung zum Coma führt, unrichtig sein.
Ebensowenig bat der charakteristische coroatöse Atemtypus
Beziehungen zu einer Alkalientziehung, da nach intravenöser
Zufuhr von Natriumcarbonat und Natriumbicarbonat sich keioe
Aenderung io dem Atmungstyp zeigte. Nur Adrenalin war im¬
stande, während der Dauer der darauf folgenden Blutdrucksteigerung
eine normale Atmung des comatösen Tieres herbeizuführen, die
aber nachher wieder in die grosse Atmung umschlug. Man wird
die „grosse 11 Atmung wohl als eine toxische Einwirkung der
Fettsäuren auf das Atemcentrum ansehen müssen. Ob dann
weiterhin Bewusstlosigkeit und schliesslich Tod eiotritt, hängt von
der Art der betreffenden Fettsäuren und von ihrer Menge ab.
Da aber die veränderte Atmung in unseren Experimenten sich
viel früher zeigte und es bisweilen bei kleineren Dosen dabei allein
bleibt, sollte man auch bei zu erwartendem Coma diabeticum
aufs sorgfältigste auf dieses frühzeitige Sypmtom achten, um
rechtzeitig therapeutische Hilfe bringen zu können.
Diese toxische Wirkung auf das Atemcentrum dehnt sich
schliesslich auf das übrige Centralnervensystem aus und führt
zum Bewusstseinsverlust. Dass gerade das Gehirn der Angriffs¬
punkt der buttersauren Salze ist, konnte von mir dadurch deut¬
lich gezeigt werden, dass die zum Coma erforderliche Dosis nicht
1) Minkowski, 1. c.
2) Fr. Kraus, 1. c.
so vom Körpergewicht, als vielmehr vom Hirngewicht bedingt sich
herausstellte.
Wir sahen nämlich, dass Tiere, die bereits einmal zum Ver¬
such gedient und leichtes Coma gezeigt hatten, bei späteren
Versuchen immer grössere Dosen pro Kilo Körpergewicht zum
Eintritt von leichtem Coma verlangten. Die Tiere, die an Gewicht
meist erhebliche Einbusse erlitten hatten, zeigten aber stets
wieder Coma, wenn man die für ihr früheres Körpergewicht er¬
forderliche und meist zwischen 3,2 und 3,6 g pro Kilo individuell
schwankende Dosis ihnen wieder zuführte. Da das Gehirn das¬
jenige Organ ist, das bei Abmagerung vom Gewichtsverlust kaum
mitbetroften wird, so ist es verständlich, dass die für das be¬
treffende Individuum nötige Dosis, trotz starker Abnahme des
Körpergewichtes, doch weiterhin Geltung behält. Andererseits
ist wiederum der Rückschluss erlaubt, dass buttersaures, acetessig-
saures und l-/9-oxybuttersaures Natrium Hirngifte sind, deren Be¬
deutung für das experimentelle und das diabetische Coma in
erster Linie auf dieser ihrer toxischen Wirkung für das Central¬
nervensystem beruht.
Schliesslich ist noch das Auftreten von Aceton im Urin zu
erwähnen, das im Experiment allerdings in geringen Mengen im
Vergleich zum diabetischen Coma auftritt. Bei den geringen
Mengen, die da gebildet werden, muss man dem Aceton jedwede
Bedeutung für das experimentelle Coma absprecheu. Im Coma
diabeticum, wo grosse Mengen Aceton entstehen, könnte es jedoch
in gewisser Hinsicht eine Rolle ira Bilde des Coma spielen.
Vielleicht ist die Atmung möglicherweise deswegen meist nicht
deutlich verlangsamt, weil das Aceton, ähnlich wie Aethylalkohol
im experimentellen Coma, die Verlangsamung der Atmung zu
paralysieren vermag.
(Schluss folgt.)
Aus der Universitätskinderklinik in Göttingen (Direktor:
Professor F. Göppert).
Die Therapie sogenannter unstillbarer Blutungen
im Säuglingsalter.
Von
Dr. Kurt Blfihdoru, Assistenzarzt der Klinik.
(Nach einem Vortrag in der Göttinger medizinischen Gesellschaft.)
M. H.! Ich möchte Ihnen heute über die Therapie einiger
sogenannter unstillbarer Blutungen im Säugliogsalter berichten,
die sich, wie aus dem Namen hervorgeht, ganz besonders durch
die Trübheit ihrer Prognose auszeichnen. Bei diesen Blutungen,
die durch die üblichen chirurgischen Maassoabmen absolut nicht
zu beeinflussen sind, muss man von vornherein an Anomalien der
Blutgerinnung denken. Die Therapie ist, wenn man diesen Faktor
berücksichtigt, bis zu einem gewissen Grade vorgeschrieben.
Es handelt sich in unseren Fällen um drei verschiedene
Typen derartiger Erkrankungen, nämlich um Melaena neonatorum,
ferner um Purpura abdominalis (Henoch) und drittens um einen
Fall von Nabelblutung bei Sepsis mit pernieiösem Icterus. Ich
will die von uns eingeschlagene Therapie an der Hand der aus¬
zugsweise wiedergegebenen Krankengeschichten der einzelnen Fälle
kurz erläutern.
Fall 1. Melaena neonatorum. E9 handelt 9ich um ein drei
Tage altes Kind A. H., das an diesem Tage, morgens, mit schwarzem
stinkenden Stuhl erkrankt war. Es werden bei der Aufnahme drei Windeln
voll von schwarzem übelriechenden, reichlich bluthaltigem Stuhl vor¬
gezeigt.
Status. 23. V. 1912. Ausgetragenes Kind, kalt, blass. Mund
etwas rot und trocken. Es werden sofort 2,5 ccm Pferdeserum (Diphtherie¬
serum) injiziert und innerlich wird zweistündlich 0,5 g Calcium aceticum
dargereicht.
24. V. Seit der gestern abend erfolgten Aufnahme sind nachts
vier Stühle erfolgt, die noch blutige Beimengungen zeigten, jedoch hat
die Quantität des beigemischten Blutes ganz bedeutend abgenommen und
der letzte Stuhl, der am Morgen erfolgte, ist bereits reichlich mit Schleim
gemischt, während die vorhergehenden Stühle ganz dünnflüssig waren.
Der Zustand des Kindes ist ganz wesentlich gebessert, und es scheint
keinerlei Gefahr mehr zu bestehen.
Die innerhalb von zwölf Stunden dargereichte Kalkmenge be¬
trug 3 g. Es wird auch heute noch Kalk in geringeren Mengen weiter¬
gegeben.
25. V. Heute insgesamt drei reichlich kothaltige Stühle, die ersten
beiden noch etwas blutig, der dritte frei von Blut (chemische Blut-
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UNIVERSITY OF IOWA
6. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
15
probe noeh positiv). Das Kind trinkt gut, und der Zustand ist aus¬
gezeichnet.
28. V. Kind sieht rosig aus, guter Turgor, keine bluthaltigen Stühle
mehr seit drei Tagen; geheilt entlassen.
Der Erfolg der Seruminjektion muss wohl als ganz eklatant
bezeichnet werden, denn die profusen Darmblutungen, mit denen
das Rind in die Klinik eingeliefert wurde, haben auf die In¬
jektion bin gauz prompt gestanden. Dass die in der nächsten
Zeit nach der Verabfolgung des Serums erfolgenden Stühle noch
blutige Beimengungen zeigten, ist ja ganz selbstverständlich.
Auch die Wirkung des Kalkes, der namentlich anfangs in ziemlich
grossen Dosen gereicht worden ist, soll nicht vernachlässigt
werden.
Fall 2. Henoch’sche Purpura.
M. S., 6 Monate alt. Erstes Kind, das mit halb Milch, halb Hafer¬
schleim ernährt wird. Vor drei Wochen hat das Kind einen akuten
Magen- und Darmkatarrh durchgemacht, es hat damals bis zu 1 Liter
Milch bekommen. In den letzten 14 Tagen ist der Stuhl von sehr harter
Konsistenz, höchstens einmal am Tage.
Das Kind nimmt sehr wenig Nahrung zu sich, kommt gar
nicht vorwärts, nimmt im Gegenteil am Gewicht ab und sieht sehr
schlecht aus.
Status. 19. VI. 1912. Totenblasses Kind, angedeuteter Rosen¬
kranz, schlaffer Turgor. Im Urin Eiweisstrübung und unzentrifugiert
massenhaft Leukocyten.
Das Kind wurde, da es sich um einen sehr schweren Milchnähr¬
schaden handelte, auf Brustmilch gesetzt.
27. VI. 1912. Bis heute ging es dem Kinde relativ gut; die an¬
fangs bestehende Pyelocystitis war schon nach vier Tagen beseitigt.
Heute Morgen nun zeigen sich an beiden Füssen in der Tiefe unregel¬
mässig begrenzte rötlichblaue Hämorrhagien. Die Ober- und Unterfläche
der Füsse ist prall angeschwollen. Auch an den Fingern, und zwar am
linken Zeigefinger und am dritten und vierten Finger der rechten Hand
sind zertrümmernde Blutungen nachweisbar. Keine besondere Milz¬
schwellung.
Im Stuhl, der dreimal erfolgt ist, geringe blutige Beimengungen.
Bei der klinischen Vorstellung sickert Blut aus dem After, es erfolgt die
Entleerung von reichlich 1 Teelöffel dunkelfarbigen Blutes, ohne jeden
Stuhlgang.
Da der Verdacht einer Invagination bestehen muss, wird sofort eine
bimanuelle Untersuchung vorgenommen, die jedoch den ausgesprochenen
Verdacht nicht bestätigt. In den nächsten drei Stunden erfolgen zwei
Stühle wiederum mit Blutbeimengungen, ein dritter um 1 Uhr mittags
enthält wieder nur reines Blut.
Um i/all Uhr morgens wurden 3,8 com Diphtherieserum
subcutan injiziert und von 11 bis abends 9 Uhr 2 g Calcium¬
chlorid innerlich gegeben.
Nach 1 Uhr erfolgt der nächste Stuhl um 7 Uhr abends.
Schöner reichlicher Kotstuhl mit geringer blutiger Bei¬
mengung.
28. VL Kein blutiger Stuhl mehr; keine Zunahme der Haut¬
blutungen.
Auch heute weitere Darreichung von 2 g Kalk.
29. VI. Auch weiterhin keine Darmblutung mehr, dagegen haben
die Hautblutungen weitere Ausdehnung angenommen.
Erneute Injektion von 3,8 ccm Serum; dabei erfolgte eine ziemlich
starke Blutung aus dem Stichkanal, die jedoch nach einiger Zeit zu
stillen ist. Weitere Kalkmedikation.
Die Gewebsblutungen haben in wechselnder Intensität noch einige
Zeit angehalten. Nach dem 7. VII. sind keine neuen Blutungen mehr
erfolgt. Das Kind hat ausser der mit wechselnder Intensität wieder
auftretenden Pyelocystitis noch eine schwere Bronchopneumonie durch¬
gemacht und konnte erst nach Wochen, dann allerdings in bestem Zu¬
stande aus der Klinik entlassen werden.
Es ist also auch in diesem Falle durch das Serum gelungen,
einen ganz tadellosen Einfluss auf die Darmblutung, die in
unserem Falle als besonders periculös aufgefasst werden musste,
und die dem schon so schwer geschädigten Kinde sicherlich das
Leben gekostet hätte, zu erzielen. Auch auf die Gewebsblutungen
Hess «Ich, wenigstens kurze Zeit eine Wirkung, die wohl auch
zum Teil dem Kalk zugeschrieben werden kann, ausüben.
Fall 3. Nabelblutung bei Sepsis mit schwerstem Icterus.
E. R., 10 Tage alt, fünftes Kind, Brustkind. Das Kind ist bald
nach der Geburt auffällig braungelb gewesen, und diese Verfärbung hält
bis heute an. Die Windeln sind stets stark gelb gefärbt, was der Mutter
besonders auffällt. Seit dem 3. Lebenstage werden häufiger krampfartige
Zuckungen an dem Kinde bemerkt, es wird dieserhalb in die Klinik
gebracht.
Status. 2. XI. 1912. Kind mit auffälliger braungelber icterischer
Verfärbung und leicht bläulichem septischen Ton. B'ontanelle relativ
voll, weich. Auffällig mattes und welkes Kind. Keine palpable Milz,
Leber klein und scharfrandig, ganz leicht blutender Nabel, so dass der
Nabelverband etwas benetzt wird.
Urin: Eiweiss positiv. Sehr zahlreiche Cylinder; Gallenfarbstoff
stark positiv.
3. XI. Fontanelle wie gestern ziemlich voll. Häufiger krampfartige
Zustände, der Kopf wird in nach hintenüber gebeugter Stellung hin-
und hergedreht, Stirn in Falten gelegt, das Kind lässt ächzende Laute
hören.
Da neben der sicher bestehenden Sepsis der Verdacht einer sub-
tentorialen Blutung auftaucht, wird eine Spinalpunktion vorgenommen,
die eine unter auffallend hohem Druck stehende stark blutig-seröse
Flüssigkeit entleert, die nach 24 Stunden noch nicht geronnen ist.
4. XI. Heute beginnt der Nabel, der bisher nur ganz leicht ge¬
blutet hatte, stärker zu bluten, es sickert kontinuierlich Blut aus dem
Nabelgrunde, nicht aus den Nabelgefässen. Durch chirurgische Maass¬
nahmen (Kompression usw.) gelingt es nicht, auf die Blutung irgend¬
welchen Einfluss zu erzielen, ja, die Blutung nimmt trotz strengster
Tamponade dauernd zu. Um die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu
prüfen, wird ohne feinere Methodik folgender Versuch angestellt:
Erstens wird die Gerinnungszeit des Nabelblutes mit
der normalen Blutes verglichen, dabei zeigt sich, dass das
Blut des Patienten später gerinnt als die gleiche Menge
normalen Blutes.
Fügt man zu dem Nabelblut des Patienten Serum (Diph¬
therieheilserum) zu, so gelingt es, die Gerinnungsfähigkeit
des Blutes bedeutend zu beschleunigen, indem das Blut,
das mit gleichen Teilen Serum gemisoht ist, weit eher ge¬
rinnt als das unbehandelte Nabelblut.
Nabelblut, das man zu geronnenem normalen Blut zu-
fliessen lässt, gerinnt fast auf der Stelle.
Die folgende kurze Tabelle gibt die genaueren Gerinuungszeiten an :
1. Röhrchen (normales Blut) .... Gerinnung nach ca. 2 Minuten
2. * (Nabelblut des Patienten) . „ „ „ 7 „
3. „ (halb Nabelblut, halb Serum) „ „ „ 2 n
4. * (Nabelblut -f- geronnenes
Normalblut) „ „ „50 Sekunden
Da auf diese Weise eine verminderte Gerinnbarkeit des Blutes fest¬
gestellt werden konnte, war auch in diesem Falle der Versuch, durch
Seruminjektion und Kalkdarreichung die Blutung zu beeinflussen, wohl
berechtigt. Es wurde um die Nabelwunde herum Serum subcutan in¬
jiziert, und ausserdem wurde ein mit normalem Menschenblut und Serum
getränkter Tampon direkt auf die blutende Wunde aufgelegt und in
üblicher Weise ein Verband angelegt.
Zu gleicher Zeit wurde mit der innerlichen Darreichung von Kalk
begonnen, die auch an den beiden nächsten Tagen fortgesetzt wurde
(ca. 4 g Calciumchlorid pro die).
Die Nabelblutung stand hiernach fast auf der Stelle. Es erfolgte
mehrere Stunden nach der Seruminjektion eine recht beträchtliche
Blutung aus einem Stichkanal, die erst nach längerer Zeit zu stillen war.
5. XI. Auf der Nabelwunde völlig trockner Schorf, auch die aus
dem Stichkanal erfolgte Blutung sistiert seit heute morgen.
9. XI. Es ist keinerlei Blutung mehr erfolgt, so dass keine Gefahr
mehr für das Leben des Kindes besteht. Wie sich im übrigen die Ent¬
wicklung des keinesfalls normalen Kindes gestalten wird, lässt sich heute
noch nicht beurteilen. Die septischen Erscheinungen (Nephritis, Icterus)
sind vollkommen geschwunden; gute Gewichtszunahme. Eine luetische
Erkrankung darf wohl wegen des negativen Ausfalls der Wassermann’schen
Reaktion ausgeschlossen werden.
Diese Fälle von Nabelblutungen sind in ihrer Prognose über¬
aus ungünstig und gehen sonst wohl ausnahmslos zugrunde. Es
kann daher bei einem so prompten Stillstand der Blutung an
einer Wirkung der Serumtherapie nicht gezweifelt werden. Der
Stillstand der nachträglich erfolgten Sticbkanalblutung ist viel¬
leicht auf den Einfluss des unterdessen wirksam gewordenen
Kalkes zurückzuführen. Denn wir wissen aus der Anwendung
des Kalkes bei anderen Krankheiten, dass ein Einfluss bei grossen
Gaben schon innerhalb weniger Stunden festzustellen ist.
Dass es sich bei der Blutung im Falle von Melaena neo¬
natorum um eine Herabsetzung der Gerinnbarkeit des Blutes
handelt, ist von vornherein nicht ohne weiteres klar, denn wir
finden bei der Sektion häufig Darmgeschwüre, aus denen die
Blutungen erfolgen. In einer grossen Zahl der Fälle sind jedoch
auch keinerlei anatomische Veränderungen im Darm nachzuweisen.
Dass die Gerinnungsfähigkeit des Blutes bei Melaena tatsächlich
herabgesetzt ist, konnte ein amerikanischer Autor, Whipple 1 ),
durch Untersuchungen über Gerinnbarkeit zeigen.
In unserem zweiten Falle von Purpura abdominalis können
wir eine verlangsamte Gerinnbarkeit nicht mit Sicherheit an¬
nehmen, wenn auch die beschriebene ungewöhnlich starke Blutung
bei der zweiten Seruminjektion auf Anomalien der Blutgerinnung
hinweist.
In dem Falle von Nabelblutung stellten wir, wie dies ja in
der Krankengeschichte des näheren auseinandergesetzt ist, auf
einfache Weise die Herabsetzung der Blutgerinnung fest.
1) Whipple, Hämorrhagische Diathese usw. Ref. Therapeut. Monats¬
hefte, 1911.
4*
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16
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1.
Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, welche von den zur
Gerinnung notwendigen Bestandteilen in unseren Fällen gefehlt
haben mag, so darf ich wohl in Kurze auf die zurzeit herrschen¬
den Anschauungen über den Gerinnungsvorgang eingehen. Zum
Zustandekommen der Gerinnung sind bekanntlich zwei bzw. drei
Komponenten notwendig, nämlich das Fibrinogen, das Thrombin
oder, wie es Fuld und Schlesinger 1 ) neuerdings nannten, das
Holothrombin und ferner die Kalksalze. Das Thrombin ist nicht
als einfaches Proferment im Blute enthalten, sondern setzt sich
aus zwei Faktoren, dem Thrombogen oder Plasmathrombin und
der Thrombokinase oder Gytothrombin zusammen. Diese beiden
Komponenten sind imstande, in Gegenwart löslicher Kalksalze
das Fibrinogen in Fibrin überzuführen. Dass im strömenden Blut
eine Gerinnung nicht zustande kommt, dafür sprechen mehrere
Gründe, die uns hier nicht interessieren.
Bei Maelena neonatorum sind nach den Untersuchungen
Whipple’s 2 ) Fibrinogen und Kalksalze in gewöhnlicher Menge
vorhanden, dagegen ist ein Thrombinmangel nachweisbar. Für
unseren Fall von Henoch’scher Purpura können wir vielleicht
mit aller Vorsicht einen Mangel an Kalksalzen annehmen, wenn
wir bedenken, dass die Kalkbilanz des an schwerem Milchnähr-
schaden leidenden Kindes sicherlich stark negativ war. Welcher
der zur Gerinnung notwendigen Faktoren aber in unserem Fall
von Nabelblutung nicht vorhanden gewesen sein mag, darüber
lassen sich einigermaassen bestimmte Vermutungen nicht aus¬
sprechen.
Für die Therapie ist es jedenfalls von geringer Bedeutung,
welche der einzelnen Komponenten, die zur Gerinnung notwendig
sind, fehlen mag, da wir diese ja mit Ausnahme der Kalksalze
kaum isoliert zuführen können. Das seit langem wohl beliebteste
Mittel, welches man bei Blutungen gern anwendet, ist die Gelatine,
und man hat hiermit auch z. B. in Fällen von Melaena oft recht
günstige Erfolge erzielt. Bei der Beurteilung der Erfolge bei
Melaena darf man freilich nicht vergessen, dass ein fast krisen¬
haftes Aufhören der Blutung im Moment der grössten Gefahr bei
jeder Therapie von uns beobachtet worden ist. Man bat ferner
auch öfter Versuche mit der Kalktherapie gemacht. Bei Melaena
neonatorum hat jedoch Bigelow 3 ) in drei Fällen mit der inner¬
lichen Darreichung von Calcium lacticum keinen Erfolg gehabt.
Dabei ist aber zu bemerken, dass, wie ich noch auseinandersetzen
werde, dieses Kalksalz keinesfalls das bestwirksamste ist. Fälle
von Nabelblutuug, wie der von mir beschriebene, sind nach
unseren Erfahrungen (Göppert) bisher weder durch Gelatine¬
injektionen, noch auch durch Kalkdarreichung irgendwie beeinflusst
worden, sondern vielmehr stets innerhalb von 2 bis 3 Tagen lang¬
sam verblutet.
In den letzten Jahren hat man nun bei den sogenannten un¬
stillbaren Blutungen wohl zuerst bei der Hämophilie Serum¬
injektionen zum Teil mit recht günstigen Erfolgen angewandt.
Man hat, wie ich bei nachträglicher Durchsicht der Literatur ge¬
funden habe, auch bei Melaena neonatorum (Bigelow) und
Purpura mit Serum gute Erfahrungen gemacht, ein auf diese
Weise geheilter Fall von Nabelblutung ist mir jedoch nicht
bekannt.
Das von uns verwendete Serum war Diphtberieserum, das
uns gerade bequem zur Hand war, und wir haben damit ja aus¬
gezeichnete Erfolge erzielt. Es kommt zu therapeutischen Serum¬
injektionen ein käufliches steriles Pferdeserum in den Handel,
doch wird von manchen Autoren wegen der angeblich besseren
Wirksamkeit frischbereitetes Serum empfohlen. Vielleicht ist
Pferdeserum, und zu diesem gehört ja unser Diphtberieserum,
deswegen weniger empfehlenswert, weil alle unsere Heilsera
solches enthalten und bei anderweitigen, vielleicht später not¬
wendigen Injektionen die Möglichkeit einer Anaphylaxie nicht
von der Hand zu weisen ist. In klinischen Betrieben wird man
sich ja jederzeit Menschenserum frisch steril bereiten können, in
der Praxis jedoch wird man wohl das Serum, das relativ am
frischesten und überall käuflich zu haben ist, nämlich das
Diphtherieserum, das, wie gesagt, in unseren Fällen recht prompt
gewirkt hat, mit Nutzen verwenden.
Der Kalk, dessen unterstützende Wirkung wir nicht unter¬
schätzen möchten, wenngleich wir diese nicht ohne weiteres
1) Fuld und Schlesinger, Ueber die Gerinnung des Blutes.
Diese Wochenschr., 1912.
2) Whipple, 1. c.
3) Bigelow, Serumtherapie der hämorrhagischen Erkrankungen des
Neugeborenen. Bef. Therap. Monatsh., 1911.
taxieren können, wurde einmal in der Erwägung gegeben, die
Beschleunigung der Blutgerinnung durch unmittelbare Vermehrung
der Kalksalze im Blute herbeizuführen. Es ist experimentell
nacbgewiesen, dass eine derartige Beeinflussung durch Kalkdar¬
reichung gelingt, doch müssen, wenn der Kalkgehalt des Blutes
erhöht werden soll, grosse Mengen Kalk zugeführt werden
[Voorhoeve] 1 ). Ferner gaben wir Kalk in dem Gedanken einer
anderen, von Chiari und Januschke 2 ) festgestellten Wirkung
des Calciumions, das die Durchlässigkeit der Gefässwand berab-
zusetzen imstande sein soll.
Was die Dosierung und die Wirksamkeit der einzelnen Kalk¬
salze angeht, so sind nach unseren bisher nicht abgeschlossenen
Erfahrungen bei anderweitiger Kalkanwendung, über die ich später
berichten werde, die löslichen Kalksalze (Calciumchlorid und
Calcium aceticum) wegen ihrer weit besseren Resorbierbarkeit
den unlöslichen Salzen (Calcium lacticum und citricum) vorzu¬
ziehen. Die Dosierung muss sehr gross sein. Es muss, da es
uns gerade bei Blutungen auf eine rasche Wirkung ankommt,
eine direkte Ueberschwemmung des Körpers stattfinden. Man
muss selbst dem jungen Säugling innerhalb von 24 Stunden 3 bis
6 g Calcium aceticum oder Calciumchlorid zuführen. Bei längerer
Darreichung von Kalk treten bisweilen Nebenerscheinungen von
seiten des Magendarmkanals auf, die sich in Appetitlosigkeit und
Auftreibung des Leibes dokumentieren; bei der relativ kurzen
Anwendung bei Blutungen kommen diese jedoch kaum in Frage.
Wir verwenden den Kalk in 5 proz. Lösung und fügen, da der
Säugling namentlich Calcium aceticum sehr ungern nimmt, als
Geschmackskorrigentien den Liquor ammonii anisati und Saccharin
zu (Calc. acet. 10,0, Liqu. am. anis. 2,0, Gummi arab. 1,0, Saccharini
quantum satis, Aquae ad 200,0).
Kürzlich haben Müller und Saxl 3 ) die subcutane Anwendung
des Kalkes in Form von Calciumgelatine empfohlen. Sie haben
damit insbesondere auch bei hämorrhagischen Diathesen gute
Erfolge erzielt. Sie berichten jedoch auch über Nebenerschei¬
nungen der Injektionen, die sich in Schmerzen, die mindestens
stundenlang anhalten, äussern, auch sind Temperatursteigerungen
bis 38° beobachtet.
Wir möchten darum Bedenken tragen, wenigstens beim
jungen Säugling, diese Injektionen anzuwenden, zumal wir mit
unserer kombinierten Serum-Kalktherapie, die ich nach unseren
an der Hand der beschriebenen Fälle gemachten Erfahrungen
aufs beste empfehlen kann, insbesondere auch in dem Fall von
septischer Nabelblutung, dessen Prognose sonst absolut infaust
gestellt werden musste, ausgezeichnete Erfolge erzielt zu haben
scheinen. Die Seltenheit namentlich der beiden letzten Fälle
gibt uns Veranlassung, schon jetzt darüber zu berichten, um andere
zur Nachprüfung dieser Therapie anzuregen.
Aus dem Institut für Infektionskrankheiten „Robert
Koch u (Direktor: Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky,
Abteilungsvorsteher Prof. Dr. Neufeld).
Ueber Variabilität pathogener Mikroorganismen.
Von
Dr. Georg Bernhardt uud Dr. Otto Ornstein,
Assistenten am Institut.
(Vortrag, gehalten in der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft,
Sitzung vom 12. Dezember 1912.)
Die Frage der Veränderlichkeit der Bakterien, des Erwerbens
und Verlierens bestimmter Eigenschaften, hat in den letzten
Jahren eine so vielfache Bearbeitung erfahren, dass wir im
Rahmen des heutigen Vortrages auf die Literatur nicht eingeben
wollen. Es sei nur auf die zusammenfassende Darstellung von
Gottschlich in der Neuauflage des „Handbuchs der pathogenen
Mikroorganismen“ von Kolle-Wassermann verwiesen, wo auch
1) Voorhoeve, Beiträge zum Kalkstoffwechsel. Biochem. Zeit¬
schrift, 1911.
2) Chiari und Januschke, Hemmung von Transsudat- und Ex¬
sudatbildung durch Calciumsalze. Archiv f. experiment. Pathol. und
Pharmakol., 1911.
3) Müller und Saxl, Ueber Calciumgelatineiojektionen. Therap.
Monatsh., 1912.
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UNIVERSUM OF IOWA
6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
17
die älteren Arbeiten, insbesondere die grundlegenden Beob¬
achtungen Kruse’s, gewürdigt worden sind.
Zwecks Gewinnung der abweichenden Formen haben wir
dieselbe Technik benutzt, vermittels deren Baerthlein an einer
grossen Zahl verschiedener Bakterienarten zeigen konnte, mit
welcher Regelmässigkeit sich Typen abspalten Tassen, die meist
io mehr als einer Hinsicht sich von dem ursprünglichen Typ
unterscheiden, und zwar haben wir hauptsächlich die Abimpfung
von alten Agar- und Bouillonkulturen angewendet.
Bei dieser Art der Untersuchung kann man drei Formen der
Abweichung unterscheiden:
1. kann man die bekannte Knopfbildung bzw. die Bildung
von Sekundärkolonien beobachten, die die Erzeugung
divergenter Formen zur Folge hat;
2. kann eine Umwandlung aller Keime beobachtet werden,
oder, richtiger gesagt, es lässt sich aus alten Kulturen
nur eine Art von Keimen, die von dem eingesäten Typ
sich mehr oder weniger abweichend verhält, gewinnen;
3. tritt in der Mehrzahl der Fälle die Veränderung in der
Form auf, dass man bei Abimpfung von alten Agar- oder
Bouillonkulturen nebeneinander verschiedene Typen
gewinnt, die bei rascher Weiterimpfung zunächst konstant
bleiben.
Nach unseren Beobachtungen möchten wir annehmen, dass
ein prinzipieller Unterschied zwischen den genannten
drei Formen, unter denen die Veränderungen auftreten, nicht
besteht, dass sie vielmehr auf den gleichen Ursachen beruhen.
Im folgenden wollen wir zunächst einige unserer Beob¬
achtungen mitteilen, wobei wir die bisher bekannten Tatsachen,
nur insoweit nötig, erwähnen. Als Objekte dienten uns Typhus,
Paratyphus, Cholera, Hühnerchoiera und Diphtherie.
Was die speziellen Differenzen der berausgezüchteten Typen
hinsichtlich ihrer kulturellen Merkmale betrifft, so konnten
bei Typhus und Cholera ganz extreme Formen erzielt werden,
bei Typhus z. B. solche, die ganz trockene, mit körnigen Auf¬
lagerungen bedeckte Kolonien bildeten, die infolge ihres gelochten
und gezackten Randes Milzbrand sehr ähnelten. Bei Cholera
konnten im Anschluss an die von Baerthlein, Eisenberg u. a.
beschriebenen Abweichungen neben dunklen, hellen und Ring¬
formen noch besonders divergente Wachstumsformen beobachtet
werden, die durch ein eigenartig rosettenähnliches Aussehen (wie
gekörnt, gefältelt) gekennzeichnet waren. Stark divergente Kolonie¬
formen zeigten sich bei Diphtherie-Agarkulturen bei längerer
Beobachtung, bei denen dann auch besonders schön die von
anderen Bakterien her bekannte Knopfbildung in die Erscheinung
trat; derartige Knopfbildung mit Erzeugung abweichender Formen
wurde übrigens auch bei Meningokokken beobachtet. Auch bei
Gelatinewachstum liessen sich bei Cholera ebenso wie bei
Typhus sehr weitgehende und charakteristische Differenzen er¬
zielen. Hierbei kamen Typhusstämme zur Beobachtung, welche
Typen abspalteten, die bei Zimmertemperatur kein merkliches
Wachstum oder ein sehr verlangsamtes zeigten, während der
Origioaltyp gut wuchs. Was Cholera betrifft, so zeigten die auf
Agar differenten Typen eine strenge Differenzierung auch auf
Gelatine.
Bei der Untersuchung der Morphologie der divergenten
Typen konnten wir die von anderer Seite, besonders von
Baerthlein, beschriebenen weitgehenden Veränderungen be¬
stätigen, fanden aber auch hier ganz extreme Formen, nicht bloss
enorme Grössendifferenzen bei Vibrionen, punktförmige Cholera¬
vibrionen, Fadenbildung bei Paratyphus, subtilisähnliche Typhus¬
bacillen, sondern kamen schliesslich sowohl bei Cholera wie bei
Typhus zu dauernd völlig unbeweglichen Bacilleo; bei derartigen
unbeweglichen Typbusbacillen vermochte auch die Geisselfärbung
keine Geissein mehr nacbzuweisen. Erhebliche morphologische
Differenzen wurden ferner bei Diphtheriebacillen erzielt.
Besonders charakteristisch erwies sich bei vielen Stämmen
der Typbus- und Paratypbusgruppe das Wachstum in Bouillon,
insofern als gewisse stark divergente Typen hier die Bouillon
völlig klar liessen, einen dicken Bodensatz und oft auch eine
eigentümliche, beim Schütteln in körnigen Massen herabfallende
Kahmbaut bildeten. Diese so eigenartig wachsenden Varietäten
waren oft, aber keineswegs stets, schlecht oder gar nicht be¬
weglich, auch die Zähigkeit, mit der das eigentümliche Wachstum
auch nach wochenlangem Aufenthalt in Bouillon festgehalten
wurde, wechselte bei den verschiedenen Stämmen.
Die chemischen Proben (Zuckervergärung usw.) liessen bei
den auf die oben beschriebene Weise erhaltenen Varietäten der
Typhusstämme keine nennenswerte Abweichung erkennen, weder
bei den unbeweglichen Stämmen noch bei denen, die die weiter
unten zu besprechenden weitgehenden serologischen Differenzen
darboten. Was das Verhalten der Choleravibrionen hinsichtlich
der Hämolyse von Hammelblutkörperchen anbetrifft, so zeigte
ein bestimmter, morphologisch und kulturell scharf charakteri¬
sierter Typus diese Eigenschaft in sehr viel stärkerem Maasse als
die anderen Typen; während also bei schwach hämolysierenden
Cholerastämmen nur noch dieser eine Typ Hämolyse be¬
wirkte, konnten bei sehr stark hämolytischen Stämmen auch die
übrigen die Eigenschaft, wenn auch in überaus abgeschwächtem
Maasse, noch darbieten.
Was die Agglutination angeht, so zeigte sich Cholera,
soweit die eigentümliche Neigung einzelner Typen, beim Ver¬
reiben zu krümeln, eine Prüfung überhaupt zuliess, oder soweit
keine Spontanagglutination eintrat, stets einheitlich. Bei Typhus
hingegen liessen sich bei Prüfung verschiedener Varietäten aus
zahlreichen Stämmen mit einer Reihe von Seris alle möglichen
Abweichungen feststellen. Es fanden sich Typen, die kulturell
und morphologisch sich stark unterschieden und sich doch
agglutinatorisch ganz identisch verhielten, andere, die nur langsam
agglutinierten, d. h. 24 Stunden bis zur Erreichung des Titers
brauchten, und wieder andere, die gar nicht beeinflusst wurden.
Dabei gingen die Veränderungen der agglutininbildenden und
agglutininbindenden Funktionen nicht parallel. Wir haben mit
einem serumfesten Typhusstamm ein Serum erzeugt, das weder
den Eigenstamm noch einige andere sichere Typhusstämme be¬
einflusste, einen besonders gut agglutinablen Typbusstamm aber
hoch agglutinierte, während es einen aus diesem ab¬
gespaltenen Typ wieder gar nicht beeinflusste.
Eine nennenswerte Agglutination inagglutinabler Typhus¬
stämme durch fremde Sera wurde bisher nicht beobachtet.
Uebrigen8 konnten wir auch hier das Uebergreifen agglutinierender
Eselsera auf abgespaltene atypische Stämme beobachten, während
Kaninchensera diesen gegenüber versagten, ein Punkt, auf den
wir bei der Beschreibung atypischer Fleischvergiftungsstämme
kürzlich hinwiesen.
Weitere eigentümliche Veränderungen bot in Ergänzung der
von Neufeld und Lindemann auf der letzten mikrobiologischen
Tagung mitgeteilten Beobachtungen die Prüfung der verschiedenen
Typen im baktericiden Plattenversuch, insofern wir auch
hier wieder künstlich, durch Herauszüchten aus alten Kulturen
Varietäten von Typhusbacillen gewannen, die bei bestimmten
Konzentrationen sich mehr oder weniger stark, manchmal völlig,
serumfest erwiesen. Auch sonst liessen sich, wenn auch nicht
regelmässig, gewisse Differenzen der verschiedenen Varietäten
gegenüber den Immunitätsreaktionen feststellen, sowohl bei Unter¬
suchung der Bakteriotropine im Phagocytoseversush bei Typhus
wie im Pfeiffer’schen Versuch. (Hinsichtlich näherer Angaben
verweisen wir auf eine spätere Publikation).
Bemerkenswert sind auch die Pathogenitätsänderungen. Ver¬
suche, die wir mit den exquisit septikämischen Hühnercholera¬
bacillen anstellten, zeigten uns wohl eine Verlangsamung der
Infektion, aber keinen Virulenzverlust, sofern wir nur die Vor¬
sicht gebrauchten, zunächst die kulturell und morphologisch recht
verschiedenen Typen in so grosser Dosis zu injizieren, dass sie
sicher töteten, und dann erst die aus dein Tierkörper wieder
herausgezüchteten Kulturen — die den injizierten glichen — zur
Titration benutzten.
Bei Diphtherie fanden wir ganz auffällige und unseres
Wissens bisher noch nicht beschriebene Divergenzen, so auf
Agar helle, flache Kolonien mit durchscheinendem Centrum, die
weiterhin Knöpfe bildeten, und aus diesen Knöpfen gezüchtete
grosse kuppenförmige und dunkler gefärbte Kolonien mit viel
stärkerer Wachstumsenergie. Wir haben nun das Toxinbildungs¬
vermögen der divergentesten Formen untersucht, und da haben
sich denn ganz wesentliche Unterschiede in der Giftbildungskurve
zwischen den beiden Typen ergeben — in Parallelreihen kon¬
trolliert —; während der grosse, dunkelgefärbte Typ schon nach
zwei Tagen ein Gift bildete, von dem 0,01 g Meerschweinchen
von 250 g tötete, war der andere in der zehnfachen und fünfzig¬
fachen Dosis ganz ungiftig. Im Verlaufe der nächsten Tage stieg
dann auch in der mit dem hellen, flachen Typ besäten Bouillon
die Giftigkeit rasch an, aber nunmehr war, wie Agarausstriche
zeigten, in dieser Bouillon auch der grosse, dunkelgefärbte Typ
vorhanden; diese dunklen Kolonien ergaben reingezüchtet wieder
starke Giftbildung. Ob es sich hier um konstante Differenzen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. i.
18
bandelt, müssen weitere Versuche zeigen 1 ). Auf Löfflerserum
Hessen sich neben weissen Kolonien solche aufßnden, die einen
blassgelblichen, andere, die einen goldgelben Farbstoff bildeten,
was nicht ohne praktisches Interesse ist.
Wir haben im Vorhergehenden einige bemerkenswerte und
anscheinend noch nicht allgemein bekannte morphologische und
biologische Differenzen betrachtet, die sich an Varietäten von
Mikroorganismen auffinden lassen, die aus völlig einheitlichen
Stämmen herausgezüchtet waren. Wir müssen hier nun auf die
theoretisch wesentliche Tatsache hinweisen, dass es uns im Gegen¬
satz zu anderen Beobachtern (Baertklein u. a.) bei darauf ge¬
richteten Bemühungen stets gelungen ist, zwischen dem ein¬
gesäten und dem herausgezüchteten divergentesten Typ
Zwischenformen, und zwar in beliebiger Zahl, aufzufinden. In
älteren Bouillonkulturen Hessen sich beispielsweise bei Typhus
neben den ganz grossen Bacillen auch ganz kleine und dazwischen
mittlere von verschiedener Länge beobachten; dieselben Schwan¬
kungen waren in der Beweglichkeit zu konstatieren. Dass es sich
hierbei wirklich um Zwischenstufen handelte, bewies die Agar¬
plattenaussaat, wo wir bei Aussaat aus einer älteren Typhus¬
bouillon beispielsweise sieben verschiedene Wuchsformen (1. runde,
2. Dellenformen, 3. Zackenformen, 4. chagriuierte Formen, 5. ge¬
rippte, 6. zerfliessliche, 7. trockene Formen) feststellten, die sich
in eine Reihe, entsprechend ihrer Abweichung vom
Normaltyp, einordnen Hessen, und dazwischen noch Formen,
bei denen nicht zu entscheiden war, zu welchem Typ sie gehörten,
so dass sich durchaus eine Kontinuität der Formen ergab.
Bei täglicher Ueberimpfung waren diese sieben Wudisfurmen
durch mehrere Generationen konstant zu halten. Zahlenmässig
war bei Prüfung der Agglutination ebenfalls ein ganz verschieden
starker Verlust der Agglutinierbarkeit eingetreten. End auch das
so überaus charakteristische Bouillonwachstum zeigte die Ueber-
gänge von diffuser Trübung zu völliger Klarheit und Boden¬
wachstum.
Die Veränderungen der verschiedenen Merkmale gingen
oft, aber keineswegs stets, einander parallel; mehrfach
fanden wir bei Typhusstämmen z. B. diejenige Varietät, welche
die Bouillon klar Hess, unbeweglich, während die normale Form
in Bouillon beweglich war. In anderen Fällen fanden wir dies
aber umgekehrt. Bei Cholera bewirkte in der Regel nur die
kulturell und morphologisch typische „dunkle“ Varietät Hämolyse;
aus den gleichen Stämmen konnten aber auch anscheinend völlig
gleiche „dunkle“ Formen gezüchtet werden, die gar nicht bämo-
lysierten. Andererseits zeigten Choleravarietäten, die morpho¬
logisch völlig different waren, hinsichtlich ihrer Toxi-
cität und ihres hämoly tischen Verhaltens noch immei eine
beträchtliche Stärke.
Was die Ursachen der im vorstehenden mitgeteilten Beob¬
achtungen betrifft, kann von einer einfachen Anpassung in
dem elementaren Sinne der Zweckmässigkeit nicht ge¬
sprochen werden; es liegt nicht etwa so, dass der Mikroorganismus
einfach sich den veränderten Lebensbedingungen zweckmässig an¬
passt. Wir können uns wohl vorstellen, dass ein im Tierkörper
lebender Typhusbacillus unter Einwirkung des Serums gegen
dieses fest wird. Was aber fängt ein Bacillus, der in alter, durch
Verdunstung konzentrierter gewordener, von Stoffwechselprodukten
usw. erfüllter Bouillon wächst, mit seiner „erworbenen Serum¬
festigkeit“ an?
Wenn es auch natürlich im einzelnen Falle so liegen kann,
dass eine neue Eigenschaft dem Mikroorganismus nützlich ist, dass
diese somit als zweckmässige Anpassung zu deuten ist, so müssen
wir doch annehmen, dass die mannigfaltigen in alten Kulturen
1) Anmerkung bei der Korrektur. Diese Beobachtungen können
vielleicht praktisch verwertet werden, um stärkere und gleichmässigere
Giftbildung bei Diphtherie zu erzielen; vielleicht sind die so oft beob¬
achteten Schwankungen im Giftbildungsvermögen, neben anderen Ursachen
(Nährböden), auf derartige Veränderungen zurückzutühreu. Noch in
einer anderen Hinsicht, namentlich in bezug auf die alte Frage des
Zusammenhangs zwischen Diphtherie- und Pseudodiphtherie¬
bacillen, haben unsere Versuche neue Anhaltspunkte ergeben: Aus
einer morphologisch und kulturell typischen, hochtoxischen
Diphtheriekultur wurde eine ganze Reihe verschiedener Varietäten
abgespalten, darunter Kulturen von sehr kurzen Bacillen, die in Form
und Grösse ganz einheitlich waren, bei Neisserfärbung in den ersten
beiden Tagen keine Körnchen zeigten und selbst in Dosis von 1,0 ccm
Bouillonkultur für Meerschweinchen als ungiftig sich erwiesen, also
Kulturen darstellten, die wir ohne Kenntnis ihrer Herkunft für Pseudo¬
diphtherie erklären würden.
z. B. von Tag zu Tag sich ändernden äusseren Lebens¬
bedingungen maqnigfaltige und richtungslose Verände¬
rungen des Mikroorganismus zur Folge haben.
Als Ursache der Variabilität hat (nach Weismann) in
letzter Linie der durch äussere Bedingungen verursachte Zu¬
stand der Vererbungssubstanz — des Keimplasmas — zu
gelten „dessen Einzelteilchen dauernd Schwankungen unterworfen
sind, die sich im Lauf der Generationen summieren, so dass
sich schliesslich sichtbare Variationen am Köiper zeigen können“
(Goldschmidt). Dieser innere Faktor der Variabilität steht offen¬
bar in Beziehung zu dem individuellen Entwicklungs¬
stadium: Bei der langsamen Entwicklung und der langen Lebens¬
dauer eines Bakterienindividuums in älteren Kulturen haben die
äusseren Reize offenbar Gelegenheit, tiefer und nachhaltiger auf
den Bakterienkörper einzuwirken.
Wenn diese Auffassung, dass die Variabilität durch äussere
Reize bedingt oder ausgelöst wird, richtig sein soll, so muss
Gleichartigkeit der äusseren Bedingungen notwendig die
Variabilität hemmen: Und in der Tat können ja auch bei
täglicher Ueberimpfung auf frische Nährmedien selbst nur ganz
wenig differente Typen konstant gehalten werden, d. h. es lassen
sich sogenannte Rückschläge vermeiden.
Umgekehrt muss eine Veränderung der äusseren Be¬
dingungen auch eine Veränderung der Variabilität zur
Folge haben: Eine successive Veränderung des Mediums,
stärkere Konzentration, grössere Anhäufung von Stoffwechselpro¬
dukten lässt Veränderung der abweichenden Forraea sowohl nach
Zahl wie nach Art erkennen, die Ausbeute an divergenten Typen
ist zu verschiedenen Zeiten eine ganz verschiedene. Während
Peptonlösung bei Cholera oft schon in 1 bis 3 Tagen die ver¬
schiedenen Formen zutage treten lässt, braucht dasselbe Resultat
in dem anders gearteten Nährmedium Bouillon viele Wochen. Zahl
und Charakter der Typen wechseln bei Haltung im Pepton¬
kölbchen successive, und dass die Variabilität der Bakterien,
speziell in flüssigen Nährböden, durch die Stoffwechsel¬
produkte derselben, die eben das Nährmedium verändern,
bedingt ist, dafür spricht die Beobachtung, dass die gleiche
Menge der Bakterien, wenn sie in kleine Mengen der Nährlösung
verbracht wird, einem anderen Variabilitätsmodus unterworfen ist,
als wenn sie — unter sonst gleichen Bedingungen — in grossen
Mengen des Nährmediums wachsen kann.
Mehrfach haben wir nun beim Zusammenlassen der ver¬
schiedenen divergenten Typen in flüssigen Medien bei monate¬
langer Beobachtung schliesslich ein Verschwinden aller
abweichenden Formen feststellen können; was übrig blieb,
waren Typen, die unter sich einheitlich waren.
Die Verteilung dieser Varianten unterliegt nun bekanntlich,
wie ausserordentlich viele Zählungen, besonders auf botanischem
Gebiet, ergeben haben, einem bestimmten mathematisch ausdrück-
baren Gesetz, dem Quetelet’schen Gesetz, wonach eine Variante
um so seltener ist, je extremer sie vom Mittelwert ab¬
weicht. Dies lässt sich bei messbaren, oder wägbaren oder zähl¬
baren Eigenschaften ohne weiteres feststellen, ein zahlenmässiger
Beweis für die Bakterien Varianten — etwa Messung der Kolonie¬
grösse oder Auswahl besonders typischer Varianten und Verteilung
derselben auf die Variationsreihe — ist, wie nicht weiter aus¬
geführt zu werden braucht, natürlich sehr schwer. Immerhin
konnten wir stets beobachten, dass die ganz extremen Varianten
überans selten auftraten, während die verschiedenen Formen
um so häufiger wurden, je mehr sie sich der Norraalform
näherten.
Was die Konstanz der neuen Eigenschaften, ihre
Vererbbarkeit, betrifft, so haben wir ebenso, wie alle anderen
Untersucher, bei schneller Ueberimpfung die Typen konstant
halten können, ln älteren Kulturen dagegen traten regelmässig
Rückschläge ein. Hierbei Hessen sich indessen grosse Unter¬
schiede zwischen den verschiedenen Varietäten feststellen. Ge¬
wisse Varietäten schlugen sehr schnell, andere sehr langsam zu¬
rück. Ja, wir haben sogar, wie oben bereits erwähnt, Ver¬
änderungen beobachten können, bei denen wir trotz aller Be¬
mühungen und bei einer Beobachtungszeit, die sich über vier
Monate erstreckt, eine Rückkehr zur Norm nicht haben
erzielen können.
Was nun die Anwendung der in den Naturwissen¬
schaften üblichen Nomenclatur auf die beobachteten
Prozesse betrifft, so sind darüber recht verschiedene Ansichten
laut geworden. Viele Autoren haben seit Neisser und Massini
die uns hier beschäftigenden Veränderungen in Anlehnung an die
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6.Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
berühmten de Vries’schen Beobachtungen als Mutationen, als
scheinbar plötzlich auftretende und vererbbare Veränderungen,
aufgefasst. Andere haben die Veränderung«^ als Adaptionen
oder als fluktuierende Variationen bzw. als Modifikationen
angesehen, und auch der eine von uns (Bernhardt) bat sich für
die von ihm beobachteten Schwankungen des Gärungsvermögens
der Dysenteriebakterien und für die Knopfbildung des Bacillus Coli
mutabile dieser Anschauung angescblossen. Auch Burri und
seine Mitarbeiter haben für die eben genannten Erscheinungen den
Begriff der Mutation abgelehnt und die scheinbar neu erworbene
Eigenschaft nur auf Erregung bzw. Ausbildung einer bereits latent
vorhandenen zurückgeführt.
Wir möchten uns auf Grund unserer neueren Erfahrungen
der Ansicht zuneigen, dass für Bakterien zwischen den als
Mutation einerseits, Modifikation bzw. fluktuierender
Variation andererseits beschriebenen Veränderungen ein
prinzipieller Unterschied nicht zu erweisen ist. Es macht
ja freilich Schwierigkeit, sich vorzustellen, dass die dem Orga¬
nismus inhärente Eigenschaft der Veränderlichkeit, wie wir
gesehen haben, selbst wieder verändert wird; es scheint
aber, als ob die Tatsachen dazu zwingen, keine prinzipiellen
Unterschiede zwischen reversiblen und irreversiblen Veränderungen
aozunehmen. Die „Vererbbarkeit“ können wir für unsere Beob¬
achtungen an asexuellen Mikroorganismen als ausschlaggebendes
Kriterium nicht anerkennen. Wie oben erwähnt, haben wir alle
Üebergang8stufen gesehen zwischen Varietäten, die von einem zum
aoderen Tage Zurückschlagen, und solchen, bei denen ein Rück¬
schlag überhaupt nicht zu erzielen war. Anscheinend lässt der¬
selbe Reiz, der die Modifikation bedingte, sobald er in besonderer
Stärke auftritt und lange genug wirkt, die Erscheinung dauernd
erblich werden.
Ebensowenig erscheint es uns möglich, die Plötzlich¬
keit des Auftretens oder die Grösse der Veränderungen als
etwas Entscheidendes anzuerkennen. Wie beschrieben, haben
wir neben den stark differenten extremen Formen stets bei ge¬
nauem Zusehen alle möglichen Uebergänge gefunden, die all¬
mählich zur Normalform hinüberleiten. Ob die Veränderungen
aber plötzlich auftreten, lässt sich bei der schnellen Gcnerations-
folge der Bakterien überhaupt kaum entscheiden. Schliesslich
können wir keinen prinzipiellen Unterschied anerkennen zwischen
Adaption an äussere Lebensbedingungen und richtungsloser Ver¬
änderung. Wir sehen genau die gleiche neue Eigenschaft, z. B.
Serumfestigkeit bei einem Typhusstamm, als Adaption im Tier-
körper oder anscheinend als ganz zufällige richtungslose Variation
in alten Reagensglaskulturen auftreten. ln letzter Linie müssen
wir in beiden Fällen äussere, speziell Ernäbrungseinflüsse als
Ursache annebraen.
Von grosser Wichtgigkeit ist die Frage, ob die Verände¬
rungen, die uns hier beschäftigten, artbildend wirken. De Vries
wollte die Mutation als wesentlichen Faktor der Artbildung
betrachten, während Beyerinck dies für die genannten Ver¬
änderungen der Bakterien ablehnen möchte. Wesentlich für
das Problem der Artbildung ist die Frage, ob die
veränderten Typen über den Rahmen der Variations¬
breite der Aasgangsart hinaus variieren können, d. h.
ob sie neue Varianten erzeugen können. Es scheinen nun in der
Tat einige unserer Beobachtungen dafür zu sprechen, dass stark
abgewichene Formen, die ihrerseits unier Bedingungen verbracht
wurden, die ihre Variabilität begünstigten, einen neuen Formen¬
kreis bildeten, d. h. dass wir aus diesen Abweichern Typen
abspalten konnten, die wir bisher nicht in Händen
hatten, dass somit der Variabilitätskreis verändert er¬
schien. Endgültig wird aber die ganze wichtige Frage der Be¬
deutung derartiger Veränderungen für die Artbildung wohl nur
auf Grund ausgedehnter weiterer Erfahrungen und unter Heran¬
ziehung des gesamten, von Botanikern und Zoologen auf anderen
Gebieten gesammeiten Materials entschieden werden können.
Um schliesslich noch einige praktisch bakteriologische Ge¬
sichtspunkte herauszuheben, so haben wir, wie auch schon
Baerthlein, bei verschiedenen Bakterien, z. B. den Paratypbus-
bacilleD, verschiedene, für die Art charakteristische Veränderungen
beobachten können, so dass das Auftreten bestimmter abweichender
Formen unter bestimmten Bedingungen also praktisch diffe¬
rential-diagnostische Bedeutung gewinnen kann.
Auch die Schnelligkeit, mit der diese Abspaltungen ein-
treten, ist ganz verschieden und für die einzelnen Bakterienarten
ganz charakteristisch. Besonders gross ist sie bei der Gruppe
der Fleischvergifter; vielleicht bedingt der Umstand, dass die
19
Fleischvergifter nicht bloss für den Menschen, sondern für die
verschiedensten Tiere pathogen sind, wohl auch saprophytisch
existieren können — welcher Zustand ihres Somas sie oben unter
immer wechselnde Bedingungen bringt —, dass sie eine nicht so
scharf eingestellte, nicht stabilisierte Art bilden. Offenbar ist die
Variabilität selbst etwas dem Organismus gesetzmässig
Zugehöriges, verläuft in bestimmter Richtung, d. h. jeder
Eigenschaft kommt die Fähigkeit zu, auf bestimmte Einflüsse der
Aussenwelt in einer bestimmten Richtung zu reagieren („Reaktions¬
norm“).
Von besonderem bakteriologischen Interesse jedenfalls scheint
uns der Umstand zu sein, dass echte Serumfestigkeit nicht bloss
durch Kontakt mit dem betreffenden Serumstoffe, sondern auch
ohne solchen entstehen kann. Analoge Beobachtungen von an¬
derer Seite (Seiffert) liegen vor, nach denen ein Cnlistamm,
sobald er gififest gegen Malachitgrün geworden war, gleichzeitig
ein bestimmtes Zuckergärungsvermögen erworben hatte. Auch
die Beobachtungen Ehrlicbs über die Arsenfestigkeit der Try¬
panosomen nach der Behandlung mit Farbstoffen (und umgekehrt)
gehören hierher und zeigen uns, dass solche Veränderungen
neben ihrem allgemein-naturwissenschaftlichen Interesse gleich¬
zeitig eine besondere Bedeutung für die experimentelle Pathologie
gewinnen können.
Neuere Arbeiten über Säuglingssterblichkeit.
(Sammelreferat.)
Von
Dr. med. W. Hananer-Frankfurt a. M.
Je mehr die modernen Säuglingsfürsorgebestrebungen
an Boden gewinnen und in der Praxis gehandbabt werden, desto
mehr macht sich die Notwendigkeit geltend, als unentbehrliche
Grundlage für diese Bestrebungen einwandfreies Material über die
Säuglingssterblichkeit zu erhalten. Man will sich hinsicht¬
lich der Ergebnisse dieser Fürsorge an der Statistik orientieren;
das ist aber nur möglich, wenn die Statistik der Säuglingssterb¬
lichkeit einwandsfrei von vornherein bekannt ist.
Wie sich aus der folgenden Uebezsicht ergibt, ist die theo¬
retische statistische Arbeit mit der praktischen Fürsorge Hand
in Hand gegangen, und die Wissenschaft ist durch manche wert¬
volle Arbeit bereichert worden.
Ueber „die Statistik der Säuglinge“ sprach Dr. Silber¬
gleit (1), der Direktor des statistischen Amtes zu Berlin, in der
Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege. Hervor¬
zubeben ist, dass nach ihm unter den bei der Abnahme der
natürlichen Ernährung in Berlin wirksamen Kräften nicht zuletzt
die sehr viel stärker gewordene Beteiligung des weiblichen Ge¬
schlechts an Beruf und Gewerbe zu nennen ist. Trotzdem hat
in Berlin die Säuglingssterblichkeit abgenoramen, was um so be¬
merkenswerter ist, als durch umfangreiche Fortzüge von Wohl¬
habenden in die westlichen Vororte die Kreise derjenigen eine
Schwächung erfahren haben, in welchen die Säuglingspflege die
sorgfältigste sein konnte. Als Ursachen der Abnahme der Säug¬
lingssterblichkeit in Berlin sind die Abnahme der Geburten¬
frequenz, die allgemeine Hebung des Sinnes für die Hygiene des
Säuglingsalters, sowie die positiven Maassnabmen des Staates
und der Gemeinde anzusehen. Sil bergleit weist ferner auf die
merkwürdige Tatsache hin, dass eine Reihe von Ländern, welche
schon seit langem durch eine geringe Säuglingssterblichkeit aus¬
gezeichnet sind, diesen ihren Vorsprung gegenüber anderen
Staaten in den letzten Jahren noch erheblich vergrössem konnten.
Das gilt vor allem von Norwegen, dem Lande der von jeher
niedrigsten Säuglingssterblichkeit. Hier stellte sie sich im
Durchschnitt des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts mit
etwa 9,8 schon ganz ausserordentlich niedrig, und doch nahm
die Ziffer im neuen Jahrhundert noch weiter ab, um im Durch¬
schnitt der Jahre 1906 und 1907 auf 6,8 herabzusinken, d. h.
auf einen Betrag, der noch nicht die Hälfte, ja noch nicht ein
Drittel von derjenigen anderer Kulturstaaten darstellt. Aehn-
liches lässt sich auch für Schweden und Dänemark sowie vom
britischen Königreich feststellen.
Für weite Bezirke der preussischen Monarchie ist das Ur-
material nach wie vor in der „Preussischen Statistik“ sowie in
den „Medizinalstatistischen Mitteilungen“ des Kaiserlichen Gesund¬
heitsamtes enthalten. Dazu kommen neuerdings die „Medizinal-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
statistischen Nachrichten“, die vom Königlich Prenssischen
statistischen Landesamt herausgegeben werden. Im 3. Jahrgang
hat Behla (2) in einem Aufsatz: „Die Säuglingssterblich¬
keit in den Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen
des preussischen Staates 1910 und 1904“ verglichen und
nacbgewiesen, dass die Säuglingssterblichkeit von 185 auf 157
pro Tausend Geburten im preussischen Staat zuröckgegangen ist,
wahrlich ein höchst beachtenswerter Erfolg, in welcher Ziffer die
kräftig einsetzenden Säuglingsfürsorgemaassnah men zweifellos zum
Ausdruck kommen. Da der Aufsatz auch in dieser Wochenschrift
(Jahrgang 1911, Nr. 37) erschienen ist, erübrigt es sich, auf den
Inhalt hier näher einzugehen.
„Die Säuglingssterblichkeit in der preussischen
Statistik“ behandelt auch Birk-Cbarlottenburg (3). In Preussen
wurde 1909 31,57 pCt. der Gesamtmortalität von den Toten des
ersten Lebensjahres gestellt. Birk stellt fest, dass namentlich
in den Städten ganz erhebliche Fortschritte in der Besserung
der Sterblichkeitsverhältnisse der Säuglinge zu verzeichnen sind,
bei den ehelichen Kindern findet sich im Zeitraum von 1876 bis
1908 eine Herabsetzung von 54 pM., und bei unehelichen gar
von 112 pM. Von 1000 Todesfällen entfielen 260,91 auf Erkran¬
kungen der Verdauungsorgane, 206 auf angeborene Lebens¬
schwäche, 136 auf übertragbare Krankheiten, 44 auf Krankheiten
der Atmungsorgane, 24 auf Krankheiten des Nervensystems. Die
höchste Ziffer erreichte von sämtlichen preussischen Provinzen
Pommern mit 221, die niedrigste Hessen Nassau mit 108, in
13 Kreisen des Regierungsbezirks Kassel ist die Säuglingssterb¬
lichkeit unter 100. Franzburg hat mit 324 pM. die höchste
und der Unterlahnkreis mit 65 pCt. die niedrigste Säuglings¬
sterblichkeit, dabei stehen beide Bezirke bezüglich ihres Ein¬
kommens fast gleich. Der Unterschied liegt nur darin, dass
das Vermögen in dem einen Landesteil in den Händen der
Grossgrundbesitzer liegt, während in dem anderen viele kleine
Vermögen existieren, wodurch die Lebenshaltung eine günstigere
wird. Interessant ist der Nachweis, dass in Pommern trotz der
höchsten Säuglingssterblichkeit in der Monarchie die Miiitär-
tauglichkeit den Durchschnitt des preussischen Staates um 4 bis
6 pCt. übertrifft. Das würde wieder denjenigen eine Handhabe
geben, welche die hohe Säuglingssterblichkeit im Sinne einer Aus¬
lese für etwas Erwünschtes halten.
Wertvolle Monographien sind in den letzten Jahren über die
Säuglingssterblichkeit in den deutschen Ostseeprovinzen er¬
schienen; die Reibe derselben eröffnete Brüning mit einer Unter¬
suchung über die Kindersterblichkeit in Mecklenburg-
Schwerin (4). Die Säuglingssterblichkeit ist dort, im Vergleich
mit anderen deutschen Gebieten, eine mittlere, hat jedoch von
1876—1905 von rund 16 auf 17 zugenommen, und zwar ist dies
durch die Sterblichkeit der auf dem Lande geborenen Säuglinge
bedingt; die Säuglingsmortalität war in den Städten um 1 pCt.
höher, als in den übrigen Landesteilen, die Sterblichkeit der
Unehelichen ist gegenüber den Ehelichen besonders gross bei den
2 bis 6 Monate alt gewordenen Säuglingen, also zu einer Zeit,
wo die Kinder aus sozialen Gründen bei Verwandten oder fremden
Leuten als Kostkinder in Pflege gegeben werden. Letztere sind
vielfach uuzweckmässig untergebracht und im allgemeinen völlig
ungenügend beaufsichtigt.
Die übermässig höbe Säuglingssterblichkeit in Pommern
mag wohl Peiper ( 5 ) in Greifswald und seinen Assistenten
Pauli veranlasst haben, in einer eingehenden und gründlichen
Studie „Die Säuglingssterblichkeit in Pommern, ihre Ursachen
und Bekämpfung“ zu behandeln. Die Ergebnisse sind deswegen
wertvoll, weil sie den ganzen Zeitraum von 1881 bis 1905 um¬
fassen. Während die Säuglingssterblichkeit in Preussen in den
25 Beobachtungsjahren ständig gesunken ist, ist sie in Pommern
von 1881 bis 1885 und 1895 bis 1900 gestiegen, erst im letzten
Jahrfünft ist eine Abnahme derselben eingetreten. Die Höhe der
Säuglingssterblichkeit richtet sich in Pommern nicht nach der
Geburtsziffer. Während z. B. in den Jahren 1881 bis 1905 in
fast allen Kreisen der Provinz die Geburtsziffer eine sinkende
Tendenz zeigte, nahm beinahe ebenso regelmässig die Säuglings¬
sterblichkeit zu, mit Ausnahme der Städte des Bezirks Köslin.
Die Zunahme der Säuglingssterblichkeit in den Landgemeinden
Vorpommerns hat ihren sichtbaren Grund in der Ausbreitung,
welche die unnatürliche Ernährung der Säuglinge gefunden hat.
Wie in den pommerschen Landgemeinden eine ständige Steige¬
rung der Säuglingssterblichkeit der unehelichen Kinder einge¬
treten ist, so müssen hier in der Kinderernährung und Pflege,
besonders auch im Haltekinderwesen schwere Missstände bestehen.
Die Sommersterblichkeit der Säuglinge anlangend, ergab sieb,
dass die Jahre mit niederen Maximaltemperaturen und mittlerer
Feuchtigkeit durchweg einen Tiefstand der Sterblichkeit darboten.
Erreicht jedoch die Feuchtigkeit hohe Grade, so ist die Einwirkung
des kühlen Sommers nicht so auffallend, weil dann die Sterblichkeit
an anderen Krankheiten hohe Werte erreicht, ln Sommern mit
extrem hohenTemperaturen, falls dieselben von Trockenheit begleitet
sind, steigt die Sterblichkeit gewaltig an; der Höhepunkt der
Sterblichkeit bleibt um etwa 4 Wochen hinter dem Temperatur¬
maximum zurück. In trockenen Gegenden starben mehr Kinder
als in Bezirken mit reichlichen Regenfällen. Wie die Schwan¬
kungen der Sterblichkeit durch diese klimatischen Faktoren ihre
wenigstens teilweise Erklärung finden, so ist es unzulässig, kurze
Zeitperioden der Säuglingsfürsorge miteinander zu vergleichen
und aus dem Unterschied irgendwelche Schlüsse auf die Wirk¬
samkeit der organisierten Fürsorge zu ziehen.
ln den Kreisen, in welchen die natürliche Ernährung eine
weitverbreitete ist, zeigt die Säuglingssterblichkeit einen wesent¬
lich tieferen Stand als in den Kreisen, in welchen der Stillwert
ein geringer ist. Kreise mit kurzer Stilldauer zeigen hohe
Säuglingssterblichkeit.
Uebereinstimmend bekunden die Aerzte der Provinz, dass
nicht die Stillfähigkeit, sondern die Stillhäufigkeit abgenommen
hat, ohne Zweifel hat das Anwachsen der Industrie, die not¬
wendige Anteilnahme der Frau am Miterwerb zum Rückgang der
Brusternährnng beigetragen. Die enorme Verbreitung der Perl¬
sucht, besonders in Vorpommern, die Höhe der Kindersterblich¬
keit gerade auf dem Lande, die weite Verbreitung der künst¬
lichen Ernährung andererseits legen den Gedanken nahe, dass
zwischen diesen Faktoren eine Korrelation bestehen mag.
Den Untersuchungen der Säuglingssterblichkeit Mecklenburgs
und Pommerns hat sich neuerdings P. Hanssen-Kiel (6) mit
einer solchen über Schleswig-Holstein angeschlossen. Die
gründliche Arbeit gliedert sich in eineu allgemeinen und speziellen
Teil, in einer Schlussbetrachtung sind die Mittel zur Abstellung
der Säuglingssterblichkeit angegeben. Einer allgemeinen Ueber-
sicht ist zu entnehmen, dass die Säuglingssterblichkeit in der
Provinz nach einer Steigerung in den neunziger Jahren im letzten
Jahrzehnt wieder abgenommen hat, dass sie aber den niedrigen
Stand, den sie 1871 — 1885 hatte, noch nicht wieder erreichte.
Alle Faktoren, welche auf die Sterblichkeit von Einfluss sind,
werden eingehend beleuchtet und im speziellen Teil die Sterb¬
lichkeit in den verschiedenen Kreisen der Provinz zur Darstellung
gebracht, die naturgemäss erheblichen Schwankungen unterliegt.
In einer Untersuchung über „den örtlichen Stand der
Säuglingssterblichkeit in Bayern“ kommt Generalstabsarzt
Dr. v. Vogl (7) zu dem Schlüsse, dass für das Zustandekommen
der verschiedenen Höhe der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen
bayerischen Distrikten neben der Ernährung noch ein Faktor
wirksam sein muss, und dieser kann nur die Oertlichkeit selbst
sein. Das sucht der Verfasser an einer Anzahl Kartogramme zu
erläutern. Eine Karte zeigt die Kleinen unter den bayerischen
Militärpflichtigen. Die Gegenden an der Donau haben mit der
grösseren Anzahl der Kleinen auch die grösste Kindersterblich¬
keit. Die Karte über die Militärtauglichkeit zeigt, dass, wie die
Säuglingssterblichkeit, so auch die Tauglichkeit von der Er¬
nährung nicht ausschliesslich und auch nur teilweise ausschlag¬
gebend bestimmt wird. Der örtliche Einfluss, der nur im Boden
und Klima gelegen sein kann, kommt im Maass an Gesundheit
und Kraft nicht weniger zur Geltung als an Krankheit und Sterb¬
lichkeit. Die Wehrpflichtigen des Flachlandes stehen viel tiefer
in ihrer Körperkonstitution als die Söhne des Hochgebirges, und
eben diese Konstitution sowie auch die Säuglingssterblickeit fallen
bzw. steigen ganz gesetzmässig von einer Stufe zur anderen.
Ein Einfluss des Bodens und Klimas gelangt bei der Säuglings¬
sterblichkeit nach v. Vogl in der Weise zur Geltung, dass er
eben durch die Eltern, d. i. durch die Abstammung, vermittelt
wird; durch sie bekommt das Kind seinen physischen Wert schon
vor der Geburt von den Eltern übertragen, durch sie werde auch
der Örtliche Stand der Säuglingssterblichkeit bedingt.
Mit der Säuglingssterblichkeit in Bayern beschäftigte sich
in mehreren originellen Untersuchungen auch Grass 1 (8), indem
er zunächst den Zusammenhang zwischen Kindersterblichkeit
und ehelicher Fruchtbarkeit eruierte. In den bayerischen
Bezirksämtern nimmt die Sterblichkeit der Säuglinge mit der
Höhe der ehelichen Fruchtbarkeit zu. Der zuerst von Geissler
für Sachsen gefundene Zusammenhang, dass die Säuglingsmorta¬
lität das Primäre ist, dass also der Abfall der Säuglingsmortalität
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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den Abfall der ehelichen Fruchtbarkeit bewirkt hat, ist auch für
Bayern deutlich bemerkbar. Wolle man einen wahrhaften Erfo'g
in unserer Säuglingssterblichkeitsbewegung, so dürfe man nicht
einseitig die geringste Säuglingssterblichkeit für die beste halten.
Es gäbe auch ein Optimum der Säuglingssterblichkeit, das für
jeden Bezirk durch den Lokalbeamten sorgfältig ermittelt werden
müsse. In vielen Aemtern Bayerns ist eine Verringerung der
Kindersterblichkeit erwünscht, in anderen aber ist eine Verringe¬
rung nicht mehr vorteilhaft, weil dann ein Rückgang der Kinder-
erzeugung zu befürchten ist.
Ferner untersuchte Grassl (9) die sozialen Ursachen der
Kindersterblichkeit in Bayern, insbesondere den Einfluss
der agrarischen Verhältnisse auf die Kindersterblichkeit in Bayern
und anderen Staaten. Er findet, dass noch ein anderer Faktor
zur Herabsetzung der Kindersterblichkeit wirksam gewesen sein
muss als die Stillhäufigkeit, und dieser Faktor ist es, der die
Verschiedenartigkeit des Abfallens der Häufigkeit der Kinder¬
sterblichkeit der Jetztzeit gegenüber der Sterblichkeit der Ver¬
gangenheit in den einzelnen Kreisen bedingte. Dieser Faktor
sind die wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie allein und die aus
ihnen sich ergebenden Aufzuchtssitten, -Gewohnheiten vermögen
die Bewegung der Kindersterblichkeit in Bayern zu erklären.
Die Sterblichkeit der Kinder Bayerns nimmt mit der Grösse des
Bodenbesitzes zu. Die Kindersterblichkeit ist um so geringer,
je mehr Wiesen der Einzelhof hat. Nur durch das Ueberwiegen
der Arbeitszuteilung ist es zu erklären, dass die altbayrische und
schwäbische Bäuerin ihrem Kind die Brust versagt. Die bayrischen
Frauen behalten die Aufzuchtssitten, die sie sich als Bäuerinnen
im Laufe der Jahrhunderte anerzogen haben, in der Hauptsache
bei, wenn sie zur Industrie übergehen oder in die Städte wandern.
Nicht das Einkommen an sich, sondern die Art und Weise, wie
die Mittel zum Leben erworben werden, ist für das Leben des
Säuglings entscheidend. Diese Gesetze haben nach Grassl auch
für ausserdeutsche Staaten Geltung. In Holland z. B. ist die
Säuglingssterblichkeit so niedrig, weil die Bäuerin grundsätzlich
keinen Finger in der Landwirtschaft anrührt. Dasselbe gilt für
die nordischen Königreiche. Während Vieh- und namentlich
Milchwirtschaft die Kindersterblichkeit herabsetzt, kann man
namentlich in den preussischen Provinzen deutlich sehen, dass
Ackerbau die Säuglingsmortalität erhöht. Rüben- und Kartoffel¬
bau konsummieren die Kräfte der Mutter, wirken daher deletär
auf das Kind, ln Württemberg nimmt mit Zunahme der Zer¬
stückelung des Bodens auch die Sterbehäufigkeit der Kinder ab.
„Die Säuglingssterblichkeit in Frankfurt a. M.“ wurde
von Dr. W. Hanauer-Frankfurt a. M. monographisch behandelt.
Sehr eingehend ist hier auch die historische Seite der Frage be¬
rücksichtigt, da die Aufzeichnungen bis in das 16. Jahrhundert
zurückgehen und in den Kirchenbüchern die Kinder gesondert
von den Erwachsenen verzeichnet wurden. Wir ersehen, dass in
früheren Jahrhunderten die Säuglingssterblichkeit eine recht hohe
gewesen sein muss, was bei dem Fehlen jeder rationellen Kinder¬
pflege von vornherein nicht zu verwundern war. Von 1811 bis
1834 war die Sterblichkeit der Säuglinge etwa 26,5; sie fiel
auf 15,2 in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der zweite
Teil der Arbeit behandelt die Säuglingssterblichkeit in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sie stieg in
der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1875
langsam auf 18,6, um dann bis zur Gegenwart wieder ständig
zu fallen; der Anstieg hing mit den Veränderungen politischer
und sozialer Natur zusammen, welche die Niederlassungsfreiheit
sowie die Gewerbefreiheit und das dadurch bedingte Einströmen
proletarischer Volksmassen in Frankfurt im Gefolge hatten. Die
Sterblichkeit bei den Unehelichen betrug 1901—1907 31,4.
Eingehende Berechnuugen stellt der Verfasser über die Säuglings¬
sterblichkeit mit Beziehung zum Geschlechte, zur Konfession, zu
den Lebensmonaten und Jahreszeiten an; endlich wird die Säug¬
lingssterblichkeit nach Stadtteilen und Todesursachen gruppiert
und nun durch Vergleich mit anderen deutschen Städten die
Eigentümlichkeiten der Frankfurter Säuglingssterblichkeit genau
präzisiert; die Ergebnisse müssen im Original nachgelesen
werden.
Der letzte Abschnitt endlich behandelt sehr eingehend die
Ursachen der niedrigen Säuglingssterblichkeit Frankfurts und
schildert alle die Einflüsse, welche auf das Zustandekommen der
niedrigen Ziffer von Einfluss sind. Demgemäss wirken das Klima,
der gute Stand der öffentlichen Gesundheitspflege, die günstigen
sozialen Verhältnisse, namentlich auch die relativ günstigen
Wohouogsverhältnisse, endlich die niedrige Geburtsziffer. Zum
Schlüsse wird geschildert, was in Frankfurt auf dem Gebiete der
Säuglingsfürsorge geschieht und was noch zu geschehen hat.
Mit der Säuglingssterblichkeit in Wien befasst sich
Dr. S. Rosenfeld (11), indem er die Abnahme der Säuglings¬
sterblichkeit, den Einfluss der Jahreszeiten auf die Sterblichkeit,
insbesondere der einzelnen Lebensmonate und den Einfluss der
Zeugungszeit auf die Sterblichkeit untersucht. Vom Jahre 1895
ab zeigt sich bei den ehelichen Kindern, Knaben sowohl wie
Mädchen, das Auftreten einer fast stetig fortschreitenden Abnahme
der Kindersterblichkeit, sie ist Teilerscheinung einer beobachteten
Abnahme der Gesamtsterblichkeit, doch begann die Abnahme der
Kindersterblichkeit später und ist bis jetzt auch nicht so stark,
wie die Abnahme der Allgemeinsterblichkeit. Die beobachtete
Sterblichkeitsabnahme kommt den ehelichen Kindern aller Lebens¬
monate in gleicher Stärke zu. Man findet eine Sterblichkeitsabnahme
der einjährigen, gleichgültig, wie ihre Ernährung ist. Da die
Sterblichkeitsabnahme auch bei den mit Frauenmilch ernährten
Kindern sich zeigt, hier sogar noch grösser ist als bei den künst¬
lich genährten Kindern, so kann man die gesamte Sterblichkeits¬
abnahme keinenfalls ausschliesslich mit einer rationelleren
Ernährungsweise in Zusammenhang bringen. Eine intensive
Abnahme zeigen die beiden für das Säuglingsalter wichtigen
Krankheitsgruppen, die Magendarmkatarrhe und die Entzündungen
der Atmungsorgane, sodann die Nervenkrankheiten und die Lungen¬
tuberkulose. Die Sterblichkeitsabnahme der mit Muttermilch ge¬
nährten ehelichen Kinder kommt hauptsächlich den höheren
Lebensmonaten zugute, dagegen betrifft die Sterblichkeitsabnahme
der künstlich genährten ehelichen Kinder hauptsächlich die ersten
Lebensmonate.
Was die Erforschung der Säuglingssterblichkeit auf dem Lande
anlangt, so setzte Dr. Marie Baum (12) ihre verdienstvollen
Untersuchungen fort, indem sie die Säuglingssterblichkeit in dem
rheinischen Kreis Mörs und Geldern darlegte. Diese beiden
Kreise waren ursprünglich der Bevölkerung, der Lebensweise und
der Berufsart nach gleichartig, der eine von ihnen,.Geldern, ver¬
harrte auch völlig in der alten Art, während der andere, Mörs,
durch Ausbreitung der linksrheinischen Kohlengruben und die in
deren Gefolge einwandernden Industrien in seiner südlichen Hälfte
sehr wesentliche Umgestaltungen erfuhr. Die Säuglingssterblich¬
keit steht in beiden Kreisen auf mittlerer Höhe, 14,6 bis 15,6
im Jahrfünft 1904 bis 1908, ist aber in Mörs etwas grösser und
zeigt hier seit Jahren ein zwar leises, aber anhaltendes Steigen.
Der Stand der natürlichen Ernährung wurde durch eine besondere
Zählung mit Hilfe der Hebammen eruiert. Sehr deutlich zeigte
sich hier die verschiedene Struktur der beiden untersuchten Kreise.
In Geldern mit seinen einfachen, gleichmässigen Lebensverhält¬
nissen ist der Parallelismus zwischen Stillhäufigkeit und Sterb¬
lichkeit in den einzelnen Gemeinden, da der Einfluss der Er¬
nährung nicht durch andere Faktoren verdeckt wird, ganz
unverkennbar. In Mörs dagegen sind die Verschiedenheiten wirt¬
schaftlicher und kultureller Natur so gross, dass sie vielfach über
die Einflusssphäre der Ernährungsart hinübergreifen. Allgemein
war festzustellen, dass in den wohlhabenderen ländlichen Bezirken
des Kreises Mörs niedrige Sterblichkeit herrscht, während in dem
in Nordwesten gegen Geldern zu gelegenen weniger fruchtbaren
Teil die Sterblichkeit hoch ansteigt. In Mörs ist ausser dem Ein¬
fluss der Stillung in erheblichem Maasse auch der Einfluss der
wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen bemerkbar.
Zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit verlangt Dr. Baum Er¬
weiterung der Wöchnerinnenversicherung, Anstaltsfürsorge für
Wöchnerinnen und Säuglinge, Unterricht in bauswirtschaftlichen
Fächern, Kontrolle der Zieh- und unehelichen Kinder, Hauspflege,
Mutterberatung, Milchabgabe usw.
Ein ähnliches Thema wie Baum behandelt Dr. Hanssen-
Kiel (13), indem er ebenfalls die Entwicklung der Säuglings¬
sterblichkeit in einer Landgemeinde beim Uebergang in einen
Industrieort beschreibt. Es handelt sich dabei um den Fabrikort
Lägerdorf in Schleswig - Holstein. Durch das Aufblühen der
Zementindustrie in Lägerdorf erfuhr auch der vorher ländliche
Ort seit den siebziger Jahren eine an amerikanische Verhältnisse
erinnernde Entwicklung. Die Säuglingssterblichkeit lässt sich bis
zum Jahre 1704 zurückverfolgen. Während in den Jahren bis zum
Jahre 1870 die Säuglingssterblichkeit am höchsten in den fünf
ersten Monaten des Jahres war, tritt sie nach dem Jahre 1870
im Winter sehr zurück gegen das Sterben in den Sommerpiopatpo %<
besonders der August zeichnet sh^U *jetik c&m$ e)n$ qäitirm; fcrnlia;
Sterblichkeit aus. Unter den neo^ Verhältnissen ^spielt «fep*Er-**
satz der natürlichen Ernährung durch die künstliches ein? Rq4fc,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
daher jetzt die Darmkrankheiten an Häufigkeit und Gefährlichkeit
sehr zunehmen. Der unter den neuen Verhältnissen entstehende
typische hohe Sommergipfel ist weder durch Witterungs- noch
Wohnungsverhältnisse bedingt, vielmehr ausschliesslich durch die
künstliche Ernährung und die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit,
mit welcher in Industriearbeiterkreisen Kinder erzeugt und auf¬
gezogen werden. Auch der Alkoholismus spielt eine grosse Rolle.
Ein Einfluss der Lohnverhältnisse auf die Säuglingssterblichkeit
scheint vorhanden zu sein, je höher der Lohn, desto geringer die
Säuglingssterblichkeit. Leider gelte aber auch die Regel, je
höher der Lohn, desto grösser der Alkoholverbraucb. Für die
arbeitende Rasse und das Gedeihen ihrer Familie scheint ein
mittelhoher Lohn der günstigste zu sein (!!).
Was die Säuglingssterblichkeit im Ausland anlangt, so liegt
eine Arbeit von Borrino (14) über die Kindersterblichkeit in
Italien vor. Danach stellen auch in Italien die Ernährungs¬
störungen etwas über ein Drittel der Sterbefälle dar. Auch in
Italien sind die besonderen Verhältnisse, unter welchen die Stillung
vorgenommen wird, viel mehr als die allgemeinen hygienischen
oder die klimatischen oder die Wohnungsverhältnisse für die
Frage der Kindersterblichkeit maassgebend. Die grosse Ver¬
breitung der natürlichen Ernährung stellt keinen grossen Vorteil
dar, da dieselbe unregelmässig und unter Vorherrschen zahlreicher
Vorurteile vorgenommen wird. Die Kinderfursorge ist unter diesem
Gesichtspunkt in Italien ungenügend, es ist eine strengere ärzt¬
liche Ueberwachung der Säuglinge, und zwar besonders der
armen, den Ammen zur Pflege anvertrauten und der unehelichen
Säuglinge nötig.
DerArbeitvonWladislaw Hubert(15)über den gegenwärtigen
Stand der Kindersterblichkeit in Russland und ihre Bekämpfung
ist zu entnehmen, dass Russland mit einer Säuglingssterblichkeit
von 27,7 1908 an der Spitze aller europäischen Länder stand, in
einzelnen Gouvernements erreicht sie sogar 600 pM. Besonders
gross ist die Kindersterblichkeit in den Grossstädten, in Moskau
z. B. 331, die Sterblichkeit unter den Brustkindern ist fast
zwei- bis dreimal grösser als in den europäischen Grossstädten.
Als hauptsächliche Todesursachen kommen Magendarmkatarrhe in
Betracht, hervorgerufen durch Ernährungssünden, die vielfach
auf abergläubischen Vorstellungen beruhen. Bei den altrussi¬
schen Frauen ist es nach dem Volksglauben eine Sünde, länger
als während dreier Fastenzeiten im Jahr das Kind noch an der
Brust zu ernähren; viel besser ist die Ernährung und Pflege bei
den Muhamedanerinnen, daher deren Kinder viel weniger sterben.
Sehr viele Säuglinge sterben ferner an Infektionskrankheiten.
Die Erschöpfung der Frauen durch viele Geburten wird noch ver¬
stärkt infolge ungenügender Ernährung, oft durch ein Leben voller
Entbehrungen, infolge schwerer Arbeit und vollständigen Fehlens
jeglichen Mutterschutzes.
In England ist nach Prinzing (16) die gemeldete Säug-
lingssterblicbkeitsziffer von 13,8 in 1901 bis 1909 trügerisch,
weil die Kinder, die in den sechs Wochen nach der Geburt sterben,
nicht gemeldet werden. Die Säuglingssterblichkeit beträgt daher,
wenn man diese nicht gemeldeten zurechnet, in Wahrheit 19,0.
Die Feststellungen Prinzing’s legen es eindringlich nahe, bei der
Vergleichung der internationalen Säugliogssterblichkeitszifler eine
gewisse Vorsicht walten zu lassen. Was für England, gilt
auch für Japan, danach erhöht sich in Japan die Säuglingssterb¬
lichkeit auf 18,8 pCt., während sie die amtliche Statistik nur auf
16,3 berechnet. 60 pCt. der im ersten Lebensjahre gestorbenen
sind in Japan im ersten Lebensmonat gestorben, während in Europa
dieser Prozentsatz ein geringerer ist. Sehr gross ist die Sterb¬
lichkeit der japanesischen Säuglinge an Krankheiten der Atmungs¬
organe und des Nervensystems.
Die Säuglings- und Kindersterblichkeit Nordamerikas be¬
handelt C. Loydold (17). In Pennsylvania und Süd-Dakota be¬
trägt die Säuglingsmortalität 23 pCt. sämtlicher Todesfälle, in
Massachussets 21, in New York 19, in Rhode-Island 22.
In den bedeutendsten Städten Nordamerikas entfielen auf
je 100 Todesfällen in Washington 17 auf Säuglinge; in Chicago 20,
in Indianopolis 14, in Boston 19, in Philadelpia 20, in New York 21.
Die Mehrzahl der -Säuglinge ist Erkrankungen d$r Verdauungs¬
organe sowie Frühgeburten und angeborener Schwäche erlegen.
Ganz ausserordentlich niedrig ist die Säuglingssterblichkeit in
Neu-Seeland (18), sie betrug 1900 76,2 auf 1000 Geborene und fiel
in 1909 auf 61,6. Eine strenge gesetzliche Regelung hat daselbst
das Kostkinderwesen erfahren, ohne Lizenz darf niemand ein Kind
jn Ufthjneq. , Das ßgsgt^.^njhält ferner Bestimmungen über
,<lie.jZailWgfefif&thotle de$ Ufttelhjtftbeitrages. An Pflegepersonen
* ••• • • • • • ••• • • •
ist kein Beitrag zu leisten, wenn nicht ein Vertrag vorliegt, der
vom Sekretär des Unterrichtsministeriums genehmigt ist. Ergeben
sich bei einer solchen Zahlung Schwierigkeiten, so kann der Se¬
kretär auf Reichskosten den vereinbarten Betrag vergrössern und
übernimmt dafür, so lange der Betrag nicht sichergestellt ist,
die Elternrechte über das Kind bis zu dessen 16. Lebensjahr.
Eine Spezialuntersuchung von Peiper und Polenz gilt den
unehelichen Kindern in Pommern, ihrer Sterblichkeit und
körperlichen Wertigkeit. Die Sterblichkeit des unehelichen Kindes
ist in Pommern sehr gross, doch korrespondiert sie mit der Sterb¬
lichkeit der ehelichen, wo letztere hoch ist, ist auch erstere hoch
und umgekehrt. Ist die Fürsorge der Bevölkerung für die ehe¬
lichen Kinder eine geringe, so kommen die Faktoren, welche die
Lebensgefährdung bedingen, in erhöhtem Maasse bei den unehe¬
lichen zum Ausdruck. Die Magendarmkatarrhe bilden erheblich
häufiger die Todesursache bei den ehelichen wie bei den unehe¬
lichen Kindern. Besonders gross ist die Lebensgefährdung im
ersten Monat, am höchsten am ersten Tag (hohe prozentuale Be¬
teiligung der Erstgebäreuden bei den unehelichen Müttern!). Eine
Minderwertigkeit der körperlichen Entwicklung bei der Geburt
ist nach den Untersuchungen Peiper’s und Polens’ nicht zu
konstatieren, was in Widerspruch zu den Erfahrungen von Selter
steht, was sich aber von vornherein erwarten lässt, in der Er¬
wägung, dass das uneheliche Neugeborene von meist gesunden,
in der Blüte der Kraft und der Jahre stehenden Eltern gezeugt ist.
Eine Untersuchung über die Sterblichkeit im ersten
Monat wurde von Dr. Birk-Charlottenburg (20) angestellt. In
überwiegender Mehrzahl geben die Kinder an Ernährungsstörungen
zugrunde. Ein zweiter Teil fällt den Infektionen zum Opfer, und erst
der Rest wird von den eigentlich lebensschwachen Kindern, den
debilen Neugeborenen gebildet. Von den infektiösen Erkran¬
kungen macht die Sepsis der Neugeborenen in der Mortalitäts¬
ziffer den Hauptprozentsatz aus, welche ihren Ausgangspunkt ge¬
wöhnlich vom Magendarmkanal des Kindes aus nimmt. Die beste
Therapie für die aus alimentären Ursachen sterbenden Säuglinge
ist die Prophylaxe, d. h. in diesem Fall die Verhinderung der
künstlichen Ernährung.
Dasselbe Thema: die Sterblichkeit im ersten Monat
wurde von E. Rössle (21) in einer gründlichen Arbeit erörtert. Die
Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum 1901—1906; es
wurden die Bevölkerungsverhältnissen von 21 europäischen und
6 aussereuropäischen Staaten benutzt. Die Sterblichkeit im ersten
Monat hat in allen Staaten abgenommen, am meisten da, wo sie
vorher am grössten gewesen ist. Die unterste Grenze, die bisher
zwischen 3 uud 4 pCt. geschwankt hat, sank zum erstenmal (in
Norwegen) unter 3 pCt. Aus der Tatsache, dass in allen Staaten
die Lebensfähigkeit der Neugeborenen sich zum Teil ganz be¬
deutend gehoben hat, ergibt sich, dass die physische Kraft der
Nachkommenschaft der Kulturvölker nicht im Abnebmen, sondern
im Zunehmen begriffen sein muss. Der infolge der Geburten¬
abnahme weniger geschwächte Organismus vermag jetzt lebens¬
tüchtigere Kinder zur Welt zu bringen, durch die zunehmenden
Fürsorgeeinrichtungen ist es jetzt in grösserem Maasse möglich,
auch schwächere Kinder über die Gefahren der ersten Lebens¬
monate hinwegzubringen.
Was die Sterblichkeit in den einzelnen Lebenstagen anlangt,
so ist sie natürlich in den ersten Tagen am grössten, dann findet
man eine Stagnation derselben am 7. Tage, einen raschen Anstieg
vom 11. Tage an und den gleichzeitig beginnenden Abfall vom
14. Tage ab. Im weiteren ist die Sterblichkeit nach dem Ge¬
schlecht, nach Abkunft der Geborenen, nach dem Berufe der
Eltern und dem Unterschiede in Stadt und Land besonders be¬
handelt. Was den Beruf der Eltern anlangt, so liegen Unter¬
suchungen nur aus Sachsen vor. Dort ist die Sterblichkeit im
ersten Monat trotz der grossen Zahl der gewerblich beschäftigten
Frauen verhältnismässig gering, weil diese Frauen sich bis
6 Wochen nach der Geburt von der Berufsarbeit enthalten müssen.
Die soziale Stellung der Eltern vermag übrigens nur unbedeutend
die Sterblichkeit im ersten Monat zu beeinflussen. Die Sterblich¬
keit der Neugeborenen in den einzelnen Jahresroonaten zeigt
unter anderem die interessante Tatsache, dass in Sachsen und
Dänemark der Uranfang des sogenannten Sommergipfels bereits
am ersten Lebenstage in die Erscheinung tritt.
Einen Beitrag zur Frage der Beziehungen zwischen Kinder¬
zahl und Kindersterblichkeit liefert Marie Baum (22). In
den Städten M.-Gladbach, Rheydt, Odenkirchen und Rheindalen
wurde bei 1495 Familien mit 9487 lebendgeborenen Kindern die
Säuglingssterblichkeit unter Beziehung auf die Reihenfolge der
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6.Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Gebarten and die Stillverhältnisse festgestellt. Im Mittel starb
von den Erstgeborenen jedes 7. bis 8. Kiöd, von den Zweit* bis
Achtgeborenen etwa jedes sechste, von den Neuntgeborenen jedes
vierte bis fünfte und von den noch höher in der Geburtsreihe
stehenden jedes dritte Kind. Aber weit grössere Spannungen als
zwischen diesen Durchschnittsziffern bestehen unter den Rindern
aller Geburtsordnungen bei Berücksichtigung der Ernährungs¬
verhältnisse. Die achten und noch späteren Kinder fallen, wenn
überhaupt nicht gestillt, fast zur Hälfte dem Tode zum Opfer.
Bei einer Stilldauer bis zu 13 Wochen stirbt ein Drittel und
mehr, bei läogeren Stillfristen immer noch ein Sechstel, ein
Zwölftel, ja bei Stillung von über drei Vierteljahren sind bei
insgesamt 190 Kindern dieser späteren Geburtsnummern nur noch
3,1 pCt. Sterbefälle zu verzeichnen. Die Erstgeborenen starben
bei den von Anbeginn an künstlicher oder bei einer bis höchstens
6 Wochen fortgesetzten natürlichen Ernährung zu einem Viertel
dahin. Bei einer Stilldauer von 13 bis 26 Wochen sinkt die
Sterblichkeit der Erstgeborenen auf 12,17, bei einer dreiviertel-
jährigen Stillung auf 2,7 und bei den über drei Vierteljahre ge¬
stillten ist die Sterblichkeit fast gleich Null.
Mit einer ähnlichen Untersuchung, mit der Sterblichkeit
in kinderreichen Familien, beschäftigt sich Thiemich-
Magdeburg (23). Diese ist sehr ungleichmässig und schwankt von
0 bis 75 pCt. Auch hier ist die Ursache die vom Baum ge¬
fundene: die verschiedenen Ernährungsverbältnisse, die mit dem
Leben davon Gekommenen haben Mutterbrust erhalten, die Ge¬
storbenen sind mit der Flasche aufgezogen worden. Aufgefallen
ist Thiemich, dass auch bereits die Mütter ein charakteristi¬
sches Aussehen darbieten, je nachdem die Kinder am Leben ge¬
blieben oder gestorben sind. Im ersten Fall haben sich die
Mütter eine körperliche und geistige Frische bewahrt, im letzteren
ist ihnen vielfach der Stempel des Proletariats in seiner traurigsten
Form aufgedrückt. Bemerkenswert, dass bei dem massenhaften
Hinsterben dieser Kinder weder Tuberkulose noch Lues eine be¬
sondere Rolle spielen, vielmehr Ernährungsstörungen und Spasmo-
philie. Thiemich verlangt zum Schlüsse, dass die Fürsorge¬
einrichtungen auf die Säuglingssterblichkeit in kinderreichen
Familien besondere Acht haben sollen.
Zu der Frage, ob die Säuglingssterblichkeit eine Auslese
bedeute oder nicht, die wir eigentlich für geklärt halten, wird
uns noch neues Material geliefert, so von Sadyuki Kuzuga (24).
Um den Einfluss der Säuglingssterblichkeit auf die
Wertigkeit der Ueberlebenden unter Berücksichtigung
der Veränderungen, getrennt nach Stadt und Land und nach
dem Geschlecht bis zum 15. Lebensjahr zu verfolgen,
stellte er für jede preussische Provinz eine Tabelle auf.
Aus seiner Arbeit zog er den Schluss, dass hohe Säuglings¬
sterblichkeit auch hohe Kindersterblichkeit bedingt, denn in den¬
jenigen Provinzen PreusseDS, in denen im ersten Lebensjahr eine
hohe Sterblichkeit besteht, ist auch in den nächsten Jahren die
Kindersterblichkeit eine grosse. Auch der Vergleich von Stadt
und Land zeigt, dass die hohe Säuglingssterblichkeit eine hohe
Gefahr mit sich bringt; denn in den Stadt- wie Landgemeinden
zeigt sich dort eine grosse Kindersterblichkeit, wo auch die Säug¬
lingssterblichkeit eine hohe ist. Dasselbe geht auch aus dem
Vergleich der Sterblichkeit der Knaben und Mädchen hervor.
Dasselbe Resultat erzielte A. Walter-London (25). Durch
Gegenüberstellung der Sterblichkeitsverhältnisse der Säuglinge
und der 1 — 5jährigen Kinder in einer Anzahl englischer Graf¬
schaften ergab sich, dass dort, wo die Sterblichkeit während des
ersten Lebensjahres niedrig ist, auch in den folgenden Altersklassen
des Kindes eine niedrige Mortalitätsziffer zu verzeichnen ist
Die Aetiologie der Sommersterblichkeit der Säuglinge
anlangend, so haben uns die letzten Jahre eine Anzahl ein¬
gehender Arbeiten gebracht, deren Verfasser zu einer Bestätigung
der Meinert’schen Theorie gelangen. Zunächst Käthe (26).
Letzterer resümiert seine Untersuchungen, die auf die Wohnungs¬
verhältnisse der Stadt Halle gerichtet sind, dahin, dass sie
keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Lehre von der Hitze¬
schädigung der Säuglinge verwertbar wären. Käthe hält die
Wohnung und das Sommerklima, das Wohnungsklima in den
Sommermonaten für die Ursache des Massensterbens der künstlich
ernährten Säuglinge. Das Auftreten von Infektionen und In¬
toxikationen wird durch das sommerliche Klima begünstigt; aber
der Hinweis auf eine derartig indirekte Einwirkung vermag
keineswegs die weitgehende Abhängigkeit der durch tägliche
Einzcichnungen gewonnene Kurve der Säuglingstodesfälle, vor
allem an sogenannten Magendarmaffektionen, von der der Luft¬
wärme zu erklären. Gestützt werden diese Sätze durch den
Nachweis der Lokalisation im Stadtgebiet von Halle. Quartiere
mit schmalen, winkligen Strassen, engen Höfen, alten verbauten
Häusern — Bedingungen, die eine Lufterneuerung und Wärme¬
abgabe erschweren — wiesen hohe Ziffern der Kindermortalität auf,
vor allem an den durch Hitzestauung veranlagten Magendarm¬
affektionen in der Sommerhitze. In den peripheren Bezirken mit
ihren geraden, breiten Strassen und nach modernen Grundsätzen
errichteten Häusern forderte das Sommersterben in der Regel
erheblich weniger Opfer; gerade in diesen hinsichtlich der
Ventilation, der Entwärmung der Häuser günstig gestellten Ge¬
bieten fanden sich Quartiere, die sich durch auffällig niedrige
Säuglingssterblichkeit auszeichneten. Die soziale Lage der Be¬
wohner war von weitgehender, aber doch nicht in jedem Falle
ausschlaggebender Bedeutung.
Dieselbe Koinzidenz zwischen hoher Säuglingssterblichkeit
und hoher Temperatur an einzelnen Tagen beobachteten Lief-
mann und Lindemann (27) auch für Berlin und in einigen
anderen Grossstädten, ln den Hitzeperioden des Frühsommers
war dieser Zusammenhang am deutlichsten in die Erscheinung
getreten. Dies hatte die Verfasser zu der Vorstellung geführt,
dass die Hitze ein die Kinder unmittelbar gefährdender Faktor
sein müsse, dass es nicht der durch die Wärme begünstigten
Milchzersetzung, nicht der Ausbreitung einer Infektion bedürfe,
um eine vermehrte Sterblichkeit der Säuglinge herbeizuführen.
Acht Gründe werden für diese Annahme geltend gemacht: erstens
dass sich fast in jedem Jahr im Frühsommer an heissen Tagen
ein Parallelgehen von Temperatur und Sterblichkeit finde; zweitens
dass nur Temperaturen von über 23° im allgemeinen ein deut-
! lieber Anstieg der Mortalität entspreche; drittens das ähnlich
abnorme Verhalten der Mortalität in Jahren mit abnormen
Temperaturverbältnissen; viertens das Vermehrtsein selbst der
Zahl der Brustkinder unter den Gestorbenen; fünftens die nicht
vermehrteSterblichkeit der in Kellern lebenden Säuglinge; sechstens,
die Sterblichkeit steige manchmal so rasch mit der Temperatur,
dass nur eine unmittelbare Schädiguug der Kinder stattgefunden
haben könne; siebentes das Ueberwiegen der nicht vorwiegend vom
Magendarmkanal ausgehenden Erscheinungen bei den an heissen
Frübsommertagen sterbenden Säuglingen, wobei Krämpfe in erster
Linie stehen; achtens das in sinkender Wärme ungemein rasche
Nachfolgen der Sterblichkeit. Diese Feststellungen wurden dnreh
klinische Beobachtungen ergänzt: Beobachtung typischer Hitz-
schläge mit Encephalitis an nicht einmal extrem heissen Tagen.
Uebereinstimmung der Wohnungstemperatur mit den statistischen
Ergebnissen, Auftreten krankhafter Störungen bei Säuglingen
meist im Anschluss an hohe Wohnungstemperaturen, endlich
blieb eine künstlich beigebrachte Darmschädigung bei Meer¬
schweinchen nicht ohne Einfluss auf das Verhalten der Tiere bei
Ueberhitzung. Der Tod der Säuglinge, die an heissen Vorsommer¬
tagen in grösserer Menge der sonst unter Erscheinungen einer
Verdauungsstörung akut erliegen, ist durch das Hinzutreten einer
Hitzschädigung zu einer schon bestehenden Darmaffektion zu
erklären. Die Auffassung der Verfasser über die Hochsommer¬
sterblichkeit ist die, dass sie annebmen, dass in heissen Tagen
des Hochsommers eine Anzahl von Säuglingen an direkter Ueber¬
hitzung sterben. Das gleiche ereignet sich auch an kühlen Tagen,
ist aber dann nicht durch die Aussentemperatur, sondern durch die
in den Wohnungen herrschende, länger anhaltende Hitze zu erklären.
Der grösste Teil der im Hochsommer sterbenden Säuglinge geht
an Verdauungsstörungen zugrunde; ein Teil dieser Erkrankungen
ist im Anschluss an Hitzeschädigungen durch unzweckmässige
Ernährung entstanden, ein anderer Teil wird durch solche Fälle
gebildet, in denen eine bereits vorhandene Ernährungsstörung
infolge der Hitzesehädigung einen unheilvollen Ausgang nimmt.
Mit der Frage der Sommersterblichkeit der Säuglinge
hat sich bekanntlich auch die Gesellschaft für Kinderheil¬
kunde und die Abteilung für Kinderheilkunde auf der Natur-
forscherversammlung in Karlsruhe beschäftigt, und es haben dort
Praussnitz-Graz und Rietschel-Dresden referiert. Rietschel
(28) batte in den „Ergebnissen für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde“, 1910, seine Auffassung von der Sommersterblichkeit
der Säuglinge entwickelt, und diese gipfelte darin, dass für das
grosse Sterben der Säuglinge im Sommer die direkte Einwirknng
der Hitze von ausschlaggebender Bedeutung wäre, und dass die
gewöhnliche Ansicht, dass die Sommerhitze dadurch so verderb¬
lich für unsere Säuglinge werde, weil durch sie die bakterielle
Zersetzung der Milch gefördert werde, unbewiesen und auch un¬
wahrscheinlich sei. Dafür, dass die Sommerhitze wesentlich
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
durch die hohe Wohnungstemperatur zur Geltung komme, bringt
Rietschel in einer weiteren Arbeit: „Sommerhitze, Woh¬
nungstemperatur und Säuglingssterblichkeit 11 neue Be¬
obachtungen bei. Er liess durch das statistische Amt alle Häuser
von Dresden heraussuchen, in denen in den letzten 5 Jahren im
Sommer mehr als ein Säugling gestorben war. In diesen Woh¬
nungen wurden Temperaturmessungen vorgenommen, und es ergab
sich, dass selbst bei niedrigen Aassentemperaturen im Sommer
höhere Wärmegrade nicht nur tage-, sondern wochenlang sich
hielten und 30, 32 und 34° als Maximum gar nichts Seltenes
waren. Ja es wurde eine Wohnung gefunden, in welcher die
Temperatur an einzelnen Tagen bis auf 35—37° stieg, bei
Maximalaussentemperaturen von 23,5 und 21,3°. Das Ent¬
scheidende in der Pathogenese der Sommersterblichkeit bleibt
demnach für Rietschel die hohe Wohnungstemperatur. „Nur
so können wir uns vorstellen, wie durch wochen- und monate¬
lange Einwirkung solcher Temperaturen der zarte Körper der
Säuglinge geschädigt werden kann.“
Diese Arbeit Rietscbers ist in der Hauptsache eine Polemik
gegen Kleinschmidt, der auf Grund klinischer Beobachtungen
die Anschauung von der direkten Wirkung der Hitze auf die
Säuglingssterblichkeit bestritten hatte. Er beobachtete gesunde
und kranke Säuglinge bei höheren Temperaturgraden mit wech¬
selnder Luftfeuchtigkeit, und er kam zum Schlüsse, dass die
klinischen Erfahrungen, die sich im Wärmezimmer darbieten,
nicht dem Sommerbrechdnrchfall und dem Hitzschlag entsprechen,
die Hitze als solche könne nicht die direkte Ursache der Sommer¬
sterblichkeit sein.
Ueber den Vortrag Rietschers auf der Naturforscher¬
versammlung in Karlsruhe ist in dieser Wochenschrift, 1911,
Nr. 43, berichtet worden.
Ueber Säuglingssterblichkeit im Zusammenhang mit der
Aussentemperatur im Winter arbeitete Hans Risel (29) in
Leipzig unter Zugrundelegnng der Sommer 1904/06 und 1909/10.
Seine Tabellen ergaben, dass, wie tief und dauernd auch die
negativen Temperaturen sind und wie gross ihr Wechsel, die
Kurve der täglichen Säuglingssterblichkeit doch im wesentlichen
unbeeinflusst bleibt. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist
demnach: Es Hessen sich keinerlei Beziehungen nacbweisen
zwischen Säuglingssterblichkeit und selbst strengster Kälte.
Literatur.
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lingssterblichkeit. Hyg. Rundschau, 1911, Nr. 22. — 2. Behla, Die
Säuglingssterblichkeit in den Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen
des preussischen Staates 1910 und 1904. Medizinalstatistische Nach¬
richten, herausgegeben vom Königlich preussischen statistischen Landes¬
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Ursachen und Bekämpfung. Wiesbaden 1909, 154 S. Derselbe,
Säuglingssterblichkeit und Säuglingsfürsorge in Mecklenburg-Schwerin.
Zeitschr. f. soziale Medizin, Bd. 2, S. 261. — 5. Peiper und Po lenz,
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zu ihrer Abhilfe. Teil 1, 31 S, Teil 2, 65 S. Kiel 1912. — 7. Vogl,
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lichkeit und ehelicher Fruchtbarkeit in Bayern. Soziale Med. u. Hyg.,
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keit der Säuglinge in den Kreisen Mörs und Geldern. Zeitschr. f. Säug¬
lingsfürsorge, 1910, S. 28. — 13. Hanssen-Kiel, Ueber die Säuglings¬
sterblichkeit in einer Landgemeinde beim Uebergang in einen Industrie¬
ort. Archiv f. soziale Hyg., Bd. 7, S. 46. — 14. Borrino, Die Kinder¬
sterblichkeit in Italien. Jahrb. f. Kinderheilk., 3. Folge, Bd. 22, Er¬
gänzungsheft, S. 275. — 15. Hubert, Der gegenwärtige Stand der
Frage über die Kindersterblichkeit in Russland und deren Bekämpfung.
Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 54, S. 351. — 16. Prinzing, Tot¬
geburten, Kindersterblichkeit und Geschlechtsverhältnisse der Geborenen
in England und Japan. Zeitschr. f. soziale Med., 1910, Bd. 6, S. 295.
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19. Peiper und Po lenz, Ueber die Sterblichkeit und die körperliche
Wertigkeit der unehelich geborenen Säuglinge. Zeitschr. f. Säuglings¬
fürsorge, 1910, S. 33. — 20. Birk, Ueber die Sterblichkeit der Säug¬
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Kinderheilk., 1910, Bd. 1, H. 1.
Praktische Ergebnisse
aus dem Gebiete der gerichtlichen
Medizin.
Von
Gerichtsarzt Dr. Marx -Berlin.
Zur Lehre von den Erstickungsblutungen.
Die sogenannten Erstickungsblutungen haben in der gericbt-
l'chen Medizin eine bedeutsame und, so kann man sagen, durch
viele Jahre eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Es ist noch
nicht allzu lange her, dass sich die Lehre Tardieu’s unein¬
geschränkter Geltung erfreute. Tardieu lehrte, dass die sub¬
pleuralen Ecchymosen bei Erhängten, bei Erdrosselten und bei
Ertrunkenen fehlen: er sah in ihnen die klassischen Zeichen ge¬
waltsamer Erstickung durch Verschluss von Nase und Mnnd oder
durch Verhinderung der Bewegungen des Thorax.
ErstLiman hat diese Lehre endgültig erschüttert, und heute
wissen wir, dass diese Ecchymosen einmal bei allen Todesarten
Vorkommen, deren Wesen der primäre Atemstillstand ist, und
dass sie andererseits bei allen diesen Todesarten ebensogut auch
fehlen können, ohne dass an dem eigentlichen Erstickungstod
Zweifel berechtigt sind (v. Hofmann, Strassmann, Haberda
und andere). Darüber hinaus wissen wir durch neuere Arbeiten,
unter anderen durch die von A. Schulz, dass auch beim pri¬
mären Herzstillstand subpleurale Ecchymosen auftreten.
Gleichwohl scheint mir immer noch in weiteren Kreisen eine
gewisse Neigung vorhanden zu sein, den subpleuralen Ecchymosen
für die Diagnose des Erstickungstodes eine Bedeutung zuzumessen,
die ihnen nicht im entferntesten zukommt. So schreibt selbst
Kratter in seinem jüngst erschienenen Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin, dass diesen Ecchymosen eine grosse Beweiskraft unter den
Erstickungsbefunden zukommt, aber Kratter betont doch aus¬
drücklich, dass diesen Blutaustritten jene entscheidende Beweis¬
kraft, die ältere Autoren ihnen beilegten, nicht zugeschrieben
werden kann.
Im allgemeinen besagt ja der Ausspruch, dass ein Mensch
an Erstickung gestorben ist, so gut wie nichts. Er ist für den
Kliniker, den pathologischen Anatomen fast ebenso bedeutungslos
wie für den gerichtlichen Mediziner, und man ist fast versucht,
Puppe zuzustimmen, wenn er meint, dass das Gutachten: „Dieser
Mensch ist an Erstickung gestorben“, kaum etwas mehr sagt, als
dass der Betreffende tot sei. Erstickung ist schliesslich eben
nichts anderes als das Aufhören des respiratorischen Gaswechsels,
der jedes Leben beendigt, und Strassmann ist vielleicht im
Recht, wenn er die Ansicht ausspricht, dass der praktische Wert
der subpleuralen Ecchymosen in ihrer Beziehnng zur Erstickung
kaum zu gering geschätzt werden kann.
Wir finden die subpleuralen nnd dementsprechend die sub-
pericardialen Ecchymosen, ferner solche unter dem Ueberzug der
Thymus, unter der Pleura costalis, bei einer fast unbegrenzten An¬
zahl von Todesarten, bei Vergiftungen jeder Art, bei der
Capillarbronchitis, dem Darmkatarrh der Säuglinge, beim Tode
Neugeborener infolge von Blutungen in das Schädelinnere, beim
Hitzschlag, bei Verbrennungen und Verbrühungen, kurzum bei
allen möglichen Todesarten, die mit dem wenigstens, was der
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
25
Gericbtsarzt unter Erstickung im engeren Sinne versteht, nicht
das mindeste zu ton haben.
Wenn anders der Begriff der Erstickung für die gerichtliche
Medixin irgendeine praktische Bedeutung haben und behalten soll,
so müssen wir ihn für die Fälle von Erstickung durch äussere
Gewalteinwirkung reservieren, und da lautet das unabweisbare
Postulat für den Gerichtsarzt, der immer und überall den Rechts-
sweck vor Augen haben soll, dass von Erstickung im Obduktions¬
gutachten nur die Rede sein soll, wo zugleich die äussere, zum
Verschluss der Atemwege führende Ursache nachgewiesen werden
kaun.
Sollen wir nun, das sei zunächst rein theoretisch gefragt, an
den Erstickungsblutungen achtlos vorübergehen? Ich denke, das
verbietet schon die Achtung vor den Tatsachen, und wer einmal
diese oft geradezu erstaunlichen Blassen von subserösen Ecchy-
mosen an der Leiche gesehen hat, wird sich des Eindrucks nicht
erwehren können, dass uns hier ein Zeichen gegeben ist, das auf
ausserordentlich intensive patho-physiologische Prozesse hinweist.
Zum mindesten dürften diese Erstickungsblutungen, ich behalte
diesen Ausdruck zunächst bei, einen Wert für die Aufdeckung
der Todesart besitzen. Sie werden uns lehren'können, welche
ioneren Mechanismen letzten Endes das Aufhören des respiratori¬
schen Gaswechsels bewirkt oder, besser vielleicht, eingeleitet und
begleitet haben.
Wir haben uns bisher auf die Erstickungsblotungen be¬
schränkt, die innerhalb des Thorax anzutreffen sind. Eine unend¬
lich grössere Bedeutung für die praktische gerichtliche Medizin
haben diejenigen Blutungen, die wir beim eigentlichen Erstickungs¬
tode, im forensischen Sinne, ausserhalb des Thorax beob¬
achten. Ausser Betracht sollen dabei die kleinen Blutungen in
die Haut, unter die ConjunctiveD, in die weichen Kopfdecken
bleiben. Gegenstand der weiteren Erörterungen sollen lediglich
die Blutungen in die Weichteile des Halses sein.
Die Bedeutung von Blutungen in die Weichteile des Halses,
insbesondere in die Muskulatur der Kopfnicker, die vom Brust¬
bein zum Kehlkopf und zum Zungenbein ziehenden Muskeln, in
die Umgebung der Submaxillaris an den Kieferwinkeln, und in
die Gefäss- und Nervenscheiden des Halses, in das lockere Ge¬
webe vor der Halswirbelsäule, war bisher in der gerichtlichen
Medizin im grossen und ganzen unbestritten. Man sah in diesen
Bildungen, soweit sie nicht etwa Teilerscheinungen ganz allge¬
meiner, über den ganzen Körper verbreiteter Blutungen waren,
die Produkte einer von aussen gegen den Hals gerichteten Ge¬
walt. Man führte sie auf eine direkte mechanische Einwirkung
xurück und achtete sie etwa den Kontusionsblutungen gleich.
Aus dieser Auffassung ergibt sich die unabweisbare Folge¬
rung, dass diese Blutungen im engsten Sinne als Erstickungs¬
blotungen anzusehen waren, als eindeutige Zeichen einer Er¬
stickung durch äussere Gewalteinwirkung, durch gewaltsamen
Verschluss des Kehlkopfes bzw. der Luftröhre.
Gegen diese fast allgemein geteilte Auffassung konnten zu¬
erst einige Beobachtungen sprechen, die schon vor etwa 25 Jahren
vonPaltauf gemacht worden waren. Paltauf sah neben Muskel¬
rissen Blutunterlaufungen am Sternocleidomastoideus an Leichen
Ertrunkener; nach ihm veröffentlichte Reuter im Jahre 1901
ähnliche Befunde.
Im ganzen sind diese Beobachtungen aber wenig berück¬
sichtigt worden, so bedeutsam sie an und für sich erscheinen
mussten, und erst neuerdings habe ich in Gemeinschaft mit
Dr. Arnheim wieder auf diese Erscheinungen aufmerksam ge¬
macht und die Kenntnis ihres Ursprungs und Vorkommens er¬
weitert. Nach dieser letzten Publikation habe ich nun in einer
grossen Anzahl von Fällen an den Halsorganen Ertrunkener
solche Blutaustritte in geradezu erstaunlicher Fülle beobachtet.
Uns entsprechende Material soll demnächst in der Aerztlichen
Sachverständigen-Zeitung dem Kreise der Fachkollegen unter¬
breitet werden.
Diese Blutungen an den Halsorganen Ertrunkener sind
zweifellos geeignet, die Bedeutung von Blutaustritten in die Hals¬
weichteile erheblich einzuschränken bzw. zu modifizieren. Es
ist bekannt, dass besonders an Leichen Erwürgter erhebliche
Blutungen in die Weichteile des Halses zustande kommen. Wir
wissen, dass in der Regel die Erwürgung Spuren, in Gestalt der
bekannten Fingernägeleindrücke, in der Haut des Halses zurück¬
lässt, wir wissen aber ebensogut, dass bei der Erwürgung über
weichen Bedeckungen, etwa über einem Halstuch, Spuren an der
Haut nicht nur fehlen können, sondern tatsächlich auch ge¬
legentlich vermisst werden. Findet man nun oder fand man an den
Halsorganen eines Ertrunkenen Blutaustritte, so konnte man leicht
auf den Gedanken kommen, dass, bevor der Körper in das
Wasser geriet, eine Erwürgung stattgefunden habe, und dass der
Tod nicht durch Ertrinken, sondern vielmehr durch gewaltsame
Erstickung durch Menschenhand herbeigeführt worden war.
Daraus ergibt sich ohne weiteres die Bedeutung der oben
erwähnten Beobachtungen, die vielleicht deshalb so selten gemacht
worden sind, weil die Leichen Ertrunkener vielfach erst dann
auf den Obduktionstisch kommen, wenn erhebliche Leichenfäulnis
Platz gegriffen und diese flächenhaften Blutungen durch hämo¬
lytische Veränderungen überdeckt und verwischt hat. Glücklicher¬
weise stand mir ein reichliches Material von ganz frischen
Leichen Ertrunkener zur Verfügung, und zwar von solchen Fällen,
in denen der Tod durch Ertrinken durchaus einwandfrei fest¬
gestellt war.
Kehren wir hiernach zu einer allgemeineren Betrachtung der
Erstickungsblutungen zurück, so werden wir nun zunächst die
Frage zu erörtern haben, wie die Entstehung solcher Halsblutungen
zu denken ist. Die Lösung dieser Frage wird uns dann auch
sagen können, welcher Wert den Erstickungsblutungen für die
gerichtlich medizinische Praxis zukommt, und zugleich denke ich,
dass ganz allgemein auch die Patho-Physiologie aus der Lösung
dieses Problems einen, wenn auch kleinen Nutzen ziehen kann.
Ueberblicken wir in aller Kürze, wie man sich bisher die
Entstehung der Ersticknngsblutungen gedacht hat, so kommen im
wesentlichen zwei Theorien in Betracht, die eine folgt der Donders-
schen Lehre von der Entstehung der Lungenbyperämie. Sie führt
diese Blutungen auf die Druckdifferenz zurück, die sich zwischen
den Venen innerhalb und ausserhalb des Brustkorbes etabliert,
wenn die starken Inspirationsbewegungen während der Dyspnöe
das Blut schröpfkopfartig an die Lungenoberfläche saugen, wo
dann die resultierende Drucksteigerung die dünnen Gapillarwände
zerreisst. Dass diese Anschauung, die von Krahmer vertreten
wird, nur die innerhalb der Brusthöhle gelegenen Ecchymosen er¬
klären kann, versteht sich von selbst.
v. Hofmann nimmt den auf der Höhe der Erstickung ein¬
tretenden vasomotorischen Krampf und die dadurch bedingte Er¬
höhung des auf den Gefässwandungen lastenden Seitendruckes
für die Entstehung’ der Blutaustritte in Anspruch, und ent¬
sprechend verlegt v. Hofmann die Entstehung der Erstickungs¬
blutungen in das konvulsive Stadium der Erstickung.
Corin konnte auf Grund eigener Experimente die Ent¬
stehung der Ecchymosen in den Augenblick verlegen, wo die
Erhöhung des Blutdrucks in der Arteria pulmonalis mit dem
Aufhören der Respiration und der Fixierung der Lungen zu-
sammenfällt.
Was die Entstehung der Blutungen in die Halsorgane an¬
geht, so hat man bisher ganz allgemein, wie ich das schon er¬
wähnte, eine Anschauung vertreten, die man etwa als die Theorie
der direkten Quetschung bezeichnen kann. Paltauf und Reuter
haben für die Entstehung der Halsblutungen beim Ertrinkungs¬
tode die Vornahme plötzlicher Bewegungen der vernnglückten
Individuen und die Anstellung von Wiederbelebungsversuchen
(Paltauf) und die Ueberanstrengung der auxiliären Atemmuskeln
bei der Dyspnoe (Reuter) in Anspruch genommen.
Die Lehre v. Hofmann’s, die durch Corin’s Experimente
eine wertvolle Stütze erfahren hat, erscheint plausibel für die
Entstehung der Erstickungsblutungen innerhalb des Brustkorbes,
sie ist in gewissem Grade auch anwendbar auf die Blutaustritte
in die Halsorgane. Es ist ganz zweifellos, dass ein vasomoto¬
rischer Krampf mit dem durch ihn gesetzten erhöhten Seiten¬
druck auf die Gefässwände ein Einreissen der dünnen Gefässwände
und somit die Blutaustritte herbeiführen kann.
Wenn wir diese Theorie auch für das Zustandekommen der
Halsblutungen zunächst einmal gelten lassen, so werden wir zu¬
gleich mit Bestimmtheit die Ansicht zurückweisen können, dass
die Blutungen in die Halsmuskulatur, in die Gefässscheiden usw.,
wie wir sie etwa beim Erwürgungstode finden, in ihrer Gesamtheit
rein mechanisch durch den äusseren Druck auf den Hals zu er¬
klären sind. Wir wissen aus zahlreichen Erfahrungen, dass zu¬
nächst die Blutaustritte in die Weichteile des Halses in ihrer
Lokalisation durchaus nicht den äusseren Erwürgungsspuren ent¬
sprechen. Wenn die Fingereindrücke, wie es meist der Fall ist,
etwa in Kehlkopfhöhe und zwischen dem Kehlkopf und den Unter¬
kieferrändern sitzen, so erstrecken sich die inneren Blutaustritte
vielfach bis zur Thoraxapertur hinunter, und wir finden auch sonst
diese Blutungen da, wo die direkte Druckwirkung von aussen gar
nicht zur Geltung kommen kann, wie in dem lockeren Gewebe vor
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26
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
der Halswirbelsäule. Auch einfache Zag- und Zerrungswirkung ist
nicht imstande, alle diese Blutungen zu erklären. Im übrigen
zeigen ja die Blutaustritte in die Halsorgane bei Ertrunkenen,
dass äussere Gewalteinwirkung auf den Hals für das Zustande¬
kommen dieser Blutungen durchaus entbehrlich ist.
Wenn wir die Erstickungsarten durch äussere Gewalteinwirkung
durchgehen, so muss auffallen, dass bei einer Art der gewalt¬
samen Erstickung, bei der eine ganz enorme äussere Gewalt¬
einwirkung auf den Hals stattfindet, Blutungen in die Weichteile
des Halses geradezu selten anzutreffen sind: Ich meine den Tod
durch Erhängen. Hier wirkt nicht nur das Strangwerkzeug als
solches auf den Hals ein, es kommt auch als Kraftkomponente
das ganze Gewicht des hängenden ziehenden Körpers hinzu.
Um die Seltenheit der Blutungen bei Erhängten zu illustrieren,
führe ich die Beobachtungen von Martinek an, der bei 184 Er¬
hängten nur 10 mal, und die von W. Schmidt, der in 344 Fällen
nur 11 mal Blutungen an den Weichteilen des Halses konstatiert.
Meine eigenen Erfahrungen bestätigen dies zahlenmässige Ver¬
halten. Auch beim Tode durch Erdrosseln sind die Blutungen
nicht entfernt so häufig wie beim Tode durch Erwürgen.
Diese Tatsachen müssen zu denken geben, und sie werden
uns auf ein Moment führen, das bisher zu wenig Beachtung ge¬
funden hat.
Der Mechanismus des Erhängungstodes besteht, wie bekannt
ist, darin, dass der Zungengrund gegen die hintere Rachenwand
gepresst wird. Auf diese Weise kommt es zum Verschluss der
oberen Luftwege; der Verschluss der grossen Halsgefässe soll
dabei zunächst ausser acht gelassen werden.
In dem Augenblick, wo der Zungengrund gegen die hintere
Rachenwand gedrückt wird, kommt es zu einem vollständigen
Aufhören der Atmung, mit anderen Worten zu einem Zustande
von Apnoe. Es sind in dem Augenblick, in dem das
strangulierende Werkzeug, in Verbindung mit der Schwere
des ziehenden Körpers, den Zangengrund gegen die Rachenwand
drückt, etwa die gleichen Verhältnisse gegeben, wie in der
Narkose, wenn die Zunge nach hinten sinkt und der Zungen¬
grund den Eingang zum Kehlkopf verlegt. Wir sehen ja auch in
der Narkose, wenn dieser gefürchtete Zustand eintritt, ein plötz¬
liches Aufbören der Atembewegungen und nicht etwa eine
Dyspnoe.
Der vollendete Abschluss der Atemwege stellt den idealen
Erhängungsmechanismus dar. Wir wissen, dass jede Modifikation
des Sitzes des Strangwerkzeuges Veränderungen jenes Mechanismus
herbeiführen kann. So werden wir auch nicht in jedem Falle
von Erhängung einen idealen Verschluss der Luftwege antreffen,
so dass, wenn auch die Apnoe die Regel sein dürfte, hier und
da auch beim Erhängen ein Stadium der Dyspnoe mit konse¬
kutiven geringfügigen Erstickungsblutungen vorkommt, das aber
nach v. Hofmann’s Beobachtungen regelmässig kürzer zu sein
pflegt, als sonst bei der Erstickung.
Man bat ganz allgemein, unter anderem tut das auch
Strassmann in seinem viel gelesenen Lehrbuch, das Ausbleiben
von Blutunterlaufungen an den Halsorganen Erhängter mit dem
Verschluss der grossen Halsgefässe, insbesondere der Carotiden
zu erklären versucht. Diese Erklärung ist sicher nicht stichhaltig.
Unterhalb des strangulierenden Werkzeugs circuliert das Blut zu¬
nächst weiter, es muss ganz naturgemäss unterhalb der Ver¬
schlussstelle der Gefässe zu einer venösen Stauung und damit
zu einem erhöhten Druck in den Venen kommen, und es wäre
so die Möglichkeit zu Blutaustritten durchaus gegeben, wenn
nicht eben ein wesentliches Moment fehlte.
Dieses wesentliche Moment sind die Atembewegungen. Wo
überhaupt keine Atembewegungen stattfinden, wo also der Zu¬
stand der Apnoe eintritt, können auch keine Blutaustritte zustande
kommen.
Es ergibt sich somit die zunächst paradox anmutende Er¬
kenntnis, dass Erstickungsblutungen nur dann zustande kommen,
wenn noch Atmung vorhanden ist.
Es ist ganz fraglos die Dyspnoe in ihren höchsten Graden,
welche die Erstickungsblutungen erzeugt, und zwar sind es sowohl
die forcierten Inspirations- wie die forcierten Exspirationsbewe¬
gungen, welche zu den Blutaustritten führen. Verstärkte Saug-
und Druckwirkung zusammen führen zur Zerreissung der zarten
Capillarwände und zum Blutaustritt, der erhöhte Druck vermehrt
den intracapillären Seitendruck, der schnelle kontinuierliche Wechsel
zwischen negativen und positiven Druckwerten nimmt die Elasti¬
zität der Gefässwand übermässig in Anspruch und begünstigt so
durch eine additionale Wirkung den Wandriss.
Wir wissen, dass schon unter normalen Verhältnissen die
Aterabewegungen des Thorax einen wesentlichen Einfluss auf den
venösen Kreislauf haben. Inspirationsbewegungen saugen, Ex¬
spirationsbewegungen drücken auf die venöse Blutsäule. Diese
Effekte werden in dem Augenblick verstärkt, wo die Atem¬
bewegungen einem erhöhten Widerstand begegnen, wo ein Hinder¬
nis den Querschnitt der oberen Luftwege verengt, oder ein er¬
höhter Druck sich auf Einatmung»- und Aasatmungsluft legt, wie
das beim Ertrinkungstod z. B. der Fall ist.
Es ist fast selbstverständlich, dass ein Druck, der von aussen
auf den Hals, besonders auf die grossen Halsgefässe ausgeübt
wird, den Effekt der Dyspnoe nur noch verstärken kann, und so
habe ich in der Tat in Fällen von Ertrinkungstod jedesmal dann
die ausgedehntesten Blutaustritte angetroffen, wenn die betreffende
Person bekleidet, mit enganschliessendem Halskragen, in das
Wasser geraten war. Ich habe in solchen Fällen gelegentlich
die Sterno-cleido mastoidei, infolge der zahlreichen Blutaustritte,
geradezu wie getigert aussehend gefunden.
Wir werden also aus einer Fülle von sogenannten Er¬
stickungsblutungen jedenfalls den Schluss ziehen dürfen, dass
dem Tod ein Zustand von Dyspnoe vorausgegangen ist. Wodurch
diese Dyspnoe bewirkt wurde, ist dann eine zweite Frage, die
in jedem Falle besonders zu beantworten ist. Diese Dyspnoe
kann ebensowohl rein mechanisch durch äussere Gewalteinwirkung
bedingt sein, sie kann auch durch innere anatomische Verhält¬
nisse, wie z. B. durch eine starke Ausfüllung der feinsten
Bronchien mit Schleim, sie kann central bedingt worden sein.
Je intensiver und länger die Dyspnoe war, um so gehäufter die
Ecchymosen.
Was die Lokalisation der Ecchymosen betrifft, so wird sie
vielfach von rein individuellen Momenten abhängen, unter anderem
von dem Sitze des die Einatmung erschwerenden Momentes,
genauer: von der Lokalisation des höchsten Druckes. Sitzt
das Hindernis wie bei der Capillarbronchitis der Säuglinge in
den Lungen selbst, so werden wir die Mehrzahl der Ecchymosen
unter der Pleura antreffen. Sitzt das die Atmung behindernde
Moment höher, wie etwa beim Erwürgen in Keblkopfböhe, so
werden vorzugsweise die Halsorgane von den Erstickungsblutungen
befallen werden. Auch die verschiedene Zartheit der Gewebe,
die wiederum von den verschiedenen Lebensaltern abhängig ist,
wird die Lokalisation der Blutaustritte beeinflussen können.
Was die Unterscheidung der Todesarten betrifft, oder die
Frage, ob ein primärer Respirationsstillstand oder ein primärer
Herzstillstand vorliegt, so wird das gehäufte Auftreten von
Ecchymosen uns immer sagen müssen, dass die wesentlichsten
für den Eintritt des Todes konditionalen Störungen im Respirations¬
gebiet gelegen haben, und dass dem Eintritt des Todes eine mehr
oder weniger erhebliche Dyspnoe vorausgegegangen ist, eine Dys¬
pnoe, die ihrem Grade nach etwa in einem direkten Verhältnis
zur Zahl der Ecchymosen stehen dürfte.
Finden wir bei einem offenbaren Erstickungstode keine Er¬
stickungsblutungen, ich erinnere wieder an die Erhängung, an
die Asphyxie, die dem Tode in der Narkose vorausgeht, so dürfen
wir mit Gewissheit aussprechen, dass nicht - Dyspnoe, sondern
Apnoe die terminalen Erscheinungen eingeleitet hat. Hier dürfen
wir mit anderen Worten sagen: Das Fehlen von Erstickungs¬
blutungen kann unter Umständen den vollendetsten Grad des
Luftabschlusses erschliessen lassen.
Für die Diagnose des Ertrinkungstodes scheint mir in den
Blutungen in die Halsorgane ein wichtiges diagnostisches Hilfs¬
mittel gewonnen zu sein.
Es ist bekannt, dass alle die für den Ertrinkungstod als
charakteristisch geltenden Merkmale, wie die Ballonierung der
Lungen, das Flüssigbleiben des Blutes, die kryoskopischen Unter¬
schiede zwischen dem Blut der rechten und linken Herzhälfte
selbst in ihrer Gesamtheit nicht ausreichen, die Diagnose der
Ertrinkung zu einer absolut sicheren zu machen. Finden wir
nun bei einer Wasserleiche die erwähnten Blutaustritte in die
Weichteile des Halses, so haben wir in ihnen ein weiteres Moment
gewonnen, um die Diagnose des Ertrinkungstodes auf eine ge¬
festigtere Grundlage stellen zu können. Ja ich stehe nicht an,
in einem Falle, in dem wir bei einer Wasserleiche jene Hals¬
blutungen in Verbindung mit einer Ballonierung der Lungen an¬
treffen, die Diagnose des Ertrinkungstodes nunmehr mit aller
Sicherheit auszusprechen.
Wenn wir den Gang unserer Ausführungen noch einmal
überblicken, so sehen wir, das» die Lehre von den Erstickungs¬
blutungen zunächst den Weg von einer maasslosen Ueberscbätzung
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8. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
27
dieser Blatungen bis zu einer immerhin recht erheblichen Unter*
Schätzung dieser Zeichen gegangen ist. Die Erkenntnis des
Tardieu’schen Irrtums ist, wie das so oft in der Wissenschaft der
Fall gewesen ist, eine bedeutendere Förderung gewesen als die
Entdeckung positiver neuer Tatsachen. Man ist aber in der Be¬
wertung der Rcchyraosen einen Schritt zu weit nach unten ge¬
gangen, und ich hoffe, dass diese Ausführungen dazu beitragen
werden, die Aufmerksamkeit aufs neue auf ein so sinnfälliges
anatomisches Zeichen zu lenken, damit wir lernen, es kritisch
nach seinem vollen Werte zu würdigen.
Bücherbesprechungen.
A. Schmidt: Klinik der Darmkrankheiten. I. Teil. Mit 102,
grösstenteils farbigen Textabbildungen. Wiesbaden 1912, Berg¬
mann. 380 S. Gr. 8.
Dem Buch von Schmidt eine Empfehlung mit auf dem Wege zu
geben, ist eigentlich überflüssig. Es wird sicher viel gelesen und ge¬
kauft werden. Und das mit Recht, denn es gibt eine vortreffliche und
sorgsame Bearbeitung dessen, was auf diesem Gebiet einschliesslich der
Anatomie und Physiologie des Darmes längst bekannt, und dessen, was
in den letzten Jahren neu binzugekommen ist. Wie kaum nötig zu
sagen, kommt dem Verf. dabei eine eigene reiche Erfahrung und Forscher¬
arbeit zugute; und dass er sich dabei auf die letztere stützt und be¬
züglich der diagnostischen Methoden wesentlich seine Richtung zur Geltung
bringt, ist natürlich und berechtigt, wenn auch nicht ganz objektiv.
Ich habe an anderer Stelle, zuletzt in dieser Nummer der Klin. Wochen¬
schrift, meine von den Schmidt’schen Methoden in mancher Hinsicht ab¬
weichenden Anschauungen widerholt zum Ausdruck gebracht, nicht aus
persönlicher Rechthaberei, sondern weil ich sie für einfacher und zweck¬
mässiger, also praktischer und deshalb für den allgemeinen Gebrauch für
geeigneter halte. Sie werden sich auch, trotzdem Schmidt auch in
seinem neuen Buch wie früher über sie fortgeht, gerade so wie mein
Probefrühstück schliesslich Bahn brechen, obwohl es manchmal lange
dauert, bis das Simplex sigillum veri anerkannt wird. Aber abgesehen
davon, gereicht es mir zur Freude, den Wert des vorliegenden Buches
roll anzuerkennen und vornehmlich die Kapitel über die funktionellen
Störungen bei der Darmverdauung und über die entzündlichen Er¬
krankungen des Darmes vom klinischen Standpunkt aus als ganz be¬
sonders gelungen zu bezeichnen. Sie geben zweifellos weitaus die beste
zusammenfassende Darstellung dieser schwierigen Gebiete, die uns die
letzten Jahre gebracht haben, und sind sowohl in bezug auf die Klarheit
und Flüssigkeit des Stils als auf die Gruppierung, Verwertung und Be¬
wertung unserer Kenntnisse in hervorragendem Maasse berufen, dem
Studierenden, d. h. jedem, der sich in das Studium der Darmkrank¬
heiten vertiefen will, ein Leitfaden zu sein. Es ist hier nicht der Ort,
eine eingehende Kritik und Würdigung des Buches vorzunehmen, zumal
jetzt nur der erste Teil, welcher die anatomischen und physiologischen
Grundlagen, Diagnostik, Therapie, Darmdyspepsien, entzündliche Er¬
krankungen des Darmes enthält, zur Ausgabe gelangt ist. Das dürfen
vir uns für eine spätere Besprechung Vorbehalten und wollen jetzt nur
noch die vorzügliche Ausstattung des Baches, Papier, Druck und Ab¬
bildungen hervorheben. Ewald.
Die Aaweaingsweise der Lokalanästhesie in der Chirurgie. Von
Prof. Frita flohmeyer. Berlin 1912, Verlag von August Hirsch¬
wald. Preis M. 4,—.
Der Verf. gibt uns in der vorliegenden Monographie eine Uebersicht
iber den derzeitigen Stand der Lokalanästhesie und über die Anwen-
4aogsweise, wie sie an der Marburger chirurgischen Klinik (Fritz König)
geübt wird. Viel eigene, sorgfältige Arbeit steckt in der Abhandlung,
und sie zeigt uns, dass trotz der glänzenden Erfolge, die durch Braun
^aoguriert wurden, die Methoden noch weiter ausbaufähig sind.
In der Marburger Klinik wird, wie anch auf der Abteilung des
Ref., ausgedehntester Gebrauch gemacht von der Kombination von
LeituDgsunterbrechung einzelner Nervenstämme und der direkten Infil¬
tration des Gewebes. Nach Möglichkeit wird die Leitung der Nerven-
jtämme durch perineurale Injektion in der Nähe des Operationsfeldes
ucterhrochea, dann aber noch die Infiltration des Unterhautzellgewebes
oberhalb des Operationsgebietes und der Schnittlinie an geschlossen. Bei
Operationen an den Extremitäten wird ausserdem noch die Infiltration
Querschnittes hinzugelügt.
ln König's Klinik wird, wie auch heim Ref., fast ausschliesslich
'Üe i/ 2 proz. Novocainlösung benutzt, von der bisweilen bis 300 ccm
verbraucht werden.
Im speziellen Teil werden die Operationen an Kopf, Hals, an der
Brost, am Bauch und an den Extremitäten in klarer Weise besprochen;
.Hes Kapitel beginnt mit den nötigen anatomischen Vorbemerkungen,
4■« durch trefflich ausgeführte und sorgfältig ausgewählte Zeichnungen
illustriert werden. Den grössten Fortschritt sehen wir bei der Be-
Khreibuog der Operationen an den Extremitäten. Ist cs doch gelungen,
nunmehr auch grosse Operationen an den Gliedmaassen, Amputationen,
Eiartikulationen and Resektionen sicher unter reiner Lokalanästhesie
auszuführen, was bisher nur ausnahmsweise möglich war. Das Gebiet
der Allgemeinnarkose, der Lumbal- und der Venenanästhesie wird da¬
durch noch mehr eingeschränkt, und das ist ein wesesentliches Verdienst
Hohmeyer’s.
Die schöne Arbeit Hohmeyer’s zeigt uns den unaufhaltsamen
Siegeszug der Braun’schen Lokalanästhesie. Sein Buch gibt dem An¬
fänger treffliche Belehrung, dem Erfahrenen reichliche Anregung und
kann allen Aerzten wärmstens empfohlen werden.
Borchardt-Berlin.
Hermann Tillmanng: Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Elfte, ver-
verbesserte Auflage. Mit einer Tafel und 767 zum Teil farbigen
Abbildungen im Text. Leipzig 1913, Veit & Co. 686 S.
Preis 20 M.
Die elfte Auflage des allgemein bekannten Buches hat mannigfache
Erweiterungen erfahren. Die neueste Literatur ist sorgfältig berück¬
sichtigt; den einzelnen Kapiteln sind am Schlüsse die wichtigsten Literatur¬
nachweise angefügt. An Stelle veralteter Abbildungen sind zahlreiche
neue, zum Teil farbige Abbildungen und eine mehrfarbige Tafel mit
Blutbildern aufgenommen. Der Text lässt allenthalben das Bestreben
des Verfassers, sein Werk auf der Höhe zu erhalten, erkennen. So haben
z. B. die neuesten Fortschritte, wie die künstliche Blutleere nach
Momhurg, die Radium- und Sonnenlichttherapie, Thermopenetration
und Fulguration, Gefässnaht und Organtransplantation, Verpflanzung von
Sehnen und Fascien, operative Mobilisierung ankylosierter Gelenke nach
Payr (Arthroplastik), Blutbefunde bei malignen Tumoren, Antiferment-
und Vaccinetherapie (Wright) die gebührende Berücksichtigung erfahren.
Die Ausstattung des Werkes ist tadellos.
Erich Lexer: Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Zum Gebrauch
für Aerzte und Studierende. Zwei Bände mit 184 bzw. 220 teils
farbigen Abbildungen. Sechste, umgearbeitete Auflage. Stutt¬
gart 1912. Ferd. Enke. Preis 23,60 M.
L.’s Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie erschien zum ersten Male
im März 1904. Im Jahre 1911 konnten wir die fünfte Auflage an dieser
Stelle besprechen und jetzt nach Jahresfrist liegt bereits die sechste Auf¬
lage vollendet vor. Ein Werk, welches binnen acht Jahren sechs Auf¬
lagen erlebt, bedarf eigentlich einer Empfehlung nicht mehr. Es ist ja
auch hinreichend bekannt, dass L.’s Buch in den Kreisen der Studierenden
und Aerzte sich grosser Beliebtheit erfreut. Die neue Auflage berück¬
sichtigt alle wichtigen Errungenschaften der letzten Jahre, das Literatur¬
verzeichnis ist ergänzt, die Abbildungen sind vermehrt und einige neue
Drucke nach Farbphotographien sind eingefügt worden. So wird sich
L.’s Chirurgie zu ihren zahlreichen alten Freunden noch viele neue
erwerben. Adler- Berlin-Pankow.
Henri Hartmann: Travanx de ehirnrgie anatomo-cliniqne. Avec la
collaboration de B. Cunöo, Paul Lecene, Küss, Delamare,
V. Henry et Lebreton. Quatrieme Serie: Voies urinaires.
Avec 132 figures. Paris 1913, G. Steinheil.
Hartmann, der Chirurg des Hospitals Bicbat in Paris, veröffent¬
licht seit einiger Zeit eine Reihe stattlicher Bände, welche wertvolle
Arbeiten chirurgisch-anatomischen Inhaltes aus seiner oder seiner Schüler
Feder bringen. Die drei ersten enthielten bereits zahlreiche Mit¬
teilungen aus dem Gebiete der Harn Chirurgie; der vorliegende ist
diesem fast völlig gewidmet: er stützt sich ausschliesslich auf die Er¬
fahrungen, die der Herausgeber selbst gemacht hat, trägt also ein rein
persönliches Gepräge.
Den Beginn bildet eine allgemeine Statistik von Operationen, die
allerdings schon eine Zeitlang zurückliegen (1. März 1904 bis 31. De¬
zember 1907). Es folgt eine Arbeit von Küss über die normale
Anatomie der Prostata, in welcher namentlich die Entwicklung der
prostatischen Drüsen, ihr Verhältnis zum glatten und gestreiften Hara-
röhrenschliessmuskel, sowie die Bildung und Bedeutung der periprosta-
tisohen Aponeurosen besprochen und durch zahlreiche Abbildungen
illustriert werden. Unmittelbar hieran schliesst sich ein Aufsatz von
Cun 60 , den anatomischen Sitz der „Prostatahypertrophie“
betreffend. Cuneo erklärt (in Uebereinstimmung mit allen neueren
Forschern) die Bezeichnung: Prostatahypertrophie für unzutreffend und
irreführend, wünscht sie vielmehr durch den Namen: „Periurethrales
Adenomyom“ ersetzt zu sehen. Die Prostata selber bildet nur die Kapsel
dieser Geschwulst, bei einer Enucleation der letzteren soll also die Pro¬
stata ebenso wie die Ductus ejaculatorii erhalten bleiben; er glaubt,
dass dieser Indikation die Freyer’sche Operation am besten entspricht.
Henry teilt einige Erfahrungen über die laterale Prostatektomie
nach Wilms mit; es handelt sich um 16 Fälle mit 3 Todesfällen
(einer 43 Tage nach der Operation an Hirnblutung hei vortrefflichem
Operationsresultat; einer am 15. Tage an Anurie infolge chronischer
Nephritis; einer am 4. Tage bei einem 79 jährigen, schwer infizierten
Manne). Seine Endresultate sind weniger erfreulich: bei 13 Ueber-
lehenden stellte sich achtmal Inkontinenz ein, — Henry selber ist der
Meinung, dass hieran wohl ein Fehler seiner Operationstechnik schuld
sei. — Ueber die Technik der transvesicalen Prostatektomie
handelt Hartmann; wesentliche Abweichungen von den Frey er’sehen
Vorschriften finden sich hier nicht. Gemeinsam mit Küss berichtet er
dann von 118 Operationen, unter besonderer Berücksichtigung der Fern-
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Nr. 1.
28_ __ BERLIN KR KLINISCHE WOCH ENSCHRIFT.
resultate; folgende Zahlen dürften interessieren: Bei 43 perinealen
Prostatektomien hatte er 34 Heilungen, 9 Todesfälle, davon einer
40 Tage nach der Operation, nach dessen Abzug sich eine Mortalität
von 17 pCt. ergäbe. 27 Kranke konnten 6 Monate bis 10 Jahre hin¬
durch kontrolliert werden; 18 waren völlig frei von Beschwerden; kein
einziger inkontinent. Die 53 transvesicalen Prostatektomien ergaben
44 Heilungen bei 9 Todesfällen. Die Fernresultate schienen günstiger
als bei der perinealen Operation: von 25 genau kontrollierten Kranken
waren 24 völlig beschwerdefrei. Dieser Abhandlung sind zahlreiche,
sehr schöne Abbildungen beigegeben.
Ueber die nichttuberkulösen Abscesse der Prostata han¬
delt dann Hartmann und Lavenant (Empfehlung der perinealen In¬
zision); über einen Gonokokkenabscess der Prostata Lebreton.
Hart mann berichtet dann einen Fall von Prostatakrebs, der einen
Rectalkrebs vortäuschte. Eine grössere Arbeit betrifft die Operationen
bei Blasentumor (47 Fälle), darunter 9 Cystektomien. Küss macht
interessante Mitteilungen über die knochigen Fremdkörper der
Blase unter hauptsächlicher Berücksichtigung der Knochensequester,
die namentlich im Geleite von Osteomyelitis und Ostitis der Scham¬
beine und des Hüftknochens auftreten, seltener bei Potl’scher Kyphose;
sie bilden wahrscheinlich öfter, als man gemeinhin annimmt, den Kern
phosphatischer Concretionen. Eine Arbeit von Guneo betrifft die chirur¬
gische Behandlung der Blasenexstrophie (zwei Fälle, in denen er mit
gutem Erfolg, nach Gersuny’s Vorschlag, die Ureteren in den Dick¬
darm ableitete). Hartmannn beschreibt einen Fall von Blasen¬
gangrän nach einer kaustischen Injektion bei einer Frau (Essig, als
Abortivmittel versucht; tödlicher Ausgang); weiter bespricht er sehr
eingehend Technik und Resultate der Nierenoperationen und
die chirurgische Behandlung der Nierenkrankheiten, besonders Anurie,
Steine, Tumoren, Tuberkulose; in bezug auf letztere erklärt er sich für
einen unbedingten Anhänger der Frühoperation, sofern die Einseitigkeit
erwiesen ist; 65 Fälle wurden berichtet. Eine kleine Arbeit von
Delamare und Lecene betrifft die Gegenwart von Lecithin in den
Hypernephromen. Kurz bespricht dann noch Hartmann einige
Operationen am Ureter, sowie (mit Henry) das Thema: Nieren¬
operationen und Schwangerschaft, wobei er den Satz formuliert,
dass auch bei nephrektomierten Frauen die Gravidität keine Gefahr
bildet, selbst wenn es sich um Tuberkulose gehandelt hat. Den Schluss
des Bandes bildet eine Arbeit von Lecene über histologische Verände¬
rungen der Niere bei Anurie.
Man kann vielleicht bedauern, dass diese 19, zum Teil sehr wich¬
tigen und eingehenden Arbeiten nicht in Zeitschriften oder Archiven
erschienen, sondern an einer nicht ohne weiteres zugänglichen Stelle
untergebracht sind; um so mehr schien es mir nützlich, wenigstens kurz
auf jede einzelne hinzuweisen, damit sie bei künftigen Literaturstudien
die verdiente Beachtung finden. Posner.
A. Doederlein: Leiffadei für den geburtshilflichen Operationskurs,
Leipzig 1912, Georg Thieme. 10. Auflage. 243 S. mit 167 Ab¬
bildungen. Preis 4 M.
Der Leitfaden dient zur Unterstützung des Phantomkurses für Lehrer
und Hörer, sowie für den Arzt, der sich die einzelnen Operationen in
Kürze schnell ins Gedächtnis zurückrufen will. Die weite Verbreitung
des Buches und die schnell aufeinanderfolgenden Neuauflagen sprechen
am besten für die Beliebtheit, deren es sich bei Studenten und Aerzten
erfreut.
E. Martin-Berlin: Der Haftapparat der weiblichen Genitalien. Eine
anatomische Studie. II. Teil: Der Prolaps. Mit 24 Tafeln.
Berlin 1912, Verlag S. Karger. 60 S. Preis 25 M.
Das vorliegende Werk ist eine Fortsetzung des ersten Teiles, in
welchem gezeigt wurde, dass für die Lage der weiblichen Geschlechts¬
organe in erster Linie der Haftapparat, die fascialen Verdichtungen
im Beckenbindegewebe und erst in zweiter Reihe der Stützapparat
in Betracht zu ziehen ist. Hier im zweiten Teile werden die verschiedenen
Formen des Genitalprolapses nach ihrem anatomischen Befund getrennt.
Diese Arbeit ist um so verdienstlicher, als in den letzten Jahren, be¬
sonders nach den Untersuchungen von Hai bau und Taendler, eine
grosse Literatur über die primären und sekundären Ursachen der Prolapse
entstanden ist. Durch vorzügliche Abbildungen fast in Lebensgrösse,
die nach durchsägten Prolapsbecken hergestellt sind, ist es dem Verf.
gelungen, das, was er nachweisen will, auch wirklich zum klaren Aus¬
druck zu bringen.
Er unterscheidet I. die primären Defekte des Haftapparetes. Hierzu
gehören 1. die Cystocele, 2. die Hernie in der Exoavatio vesico-uterina,
3. der primäre Uterusprolaps, den er von der Elongatio colli scharf
trennt, 4. die Hernie in der Excavatio rectouterina. 11. Die primären
Defekte des Stützapparates. Hierzu rechnet er 1. den Vorfall der hinteren
Scheidenwand, 2. die Elongatio colli, 3. den sekundären Vorfall von Harn¬
blase und Uterus nach primärem Schadhaftwerden des Stützapparates.
III. Die Rectocele, für welche er den Ausdruck Muskelbruch für geeigneter
hält als die Bezeichnung eines Darmwandbruches.
Bei jeder der einzelnen Formen wird ausser der Anatomie noch die
Aetiologie, Diagnose, Prophylaxe, Prognose und Therapie angegeben.
Die Therapie besteht bei den vorderen Prolapsen in einer Blasenraffung,
bei den hinteren Prolapsen in einer isolierten Naht der Levatorschenkel,
wie sie seit einigen Jahren in der Bumm’schen Klinik ausgeführt wird.
Gute Abbildungen erläutern die einzelnen Phasen der Operation. In
einem Anhänge zum zweiten Teil wird in ausgiebiger Weise die Frage
des Zusammenhanges des Prolapses mit einem Unfall besprochen und
die Stellung, die der Sachverständige bei seinem Gutachten einzunehmen
hat, klar präcisiert.
Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche.
A. Hamm-Strassburg i. E.: Die paerperale Wiadiafektiea. Berlin 1912,
Julius Springer. 167 Seiten. Preis 6 M.
Ein jeder, der die im letzten Jahrzehnt enorm angeschwollene
Literatur über die bakteriologischen Untersuchungen beim Puerperal¬
fieber kritisch verfolgt hat, leidet wohl an dem unbefriedigenden Gefühl,
das stets in uns erzeugt wird, wenn wir entgegenstehende, mit grossem
Scharfsinn verfochtene Meinungen hören und nicht in der Lage sind, ein
einheitliches Bild des Gegenstandes zu gewinnen. Wie bei dem Streit
über die Lehre von der Selbstinfektion hat man auch bei den Diskussionen
über die Aetiologie des Puerperalfiebers den Eindruck, dass ein jeder
Autor seine eigene Terminologie gebraucht, und dass mit aus diesem
Grunde eine Verständigung fast unmöglich ist. Iu diese unerfreulichen
Verhältnisse leuchtet Hamm mit unerbittlicher Schärfe hinein und
klärt die zahlreichen Widersprüche auf, die die einzelnen Forscher durch
Anwendung unklarer und wissenschaftlich nicht aufrechtzuhaltender Be¬
griffe begehen. Er weist mit zwingender Logik nach, wie die einfachsten
bakteriologischen Grundbegriffe: Saprämie, sapropbytär, Intoxikation,
Infektion, Virulenz, Pathogenität, Sepsis und ähnliche so überaus häufig
direkt falsch und unter Verkennung ihrer wirklichen Bedeutung an¬
gewendet werden. Der Hauptinhalt besteht aber in dem — sowohl
sachlich wie stilistisch — glänzend geführten Nachweis, dass jede
Puerperalerkrankung auf einer Wundinfektion beruht, dass die An¬
nahme einer Intoxikation (wenigstens in der bisher üblichen Bedeutung)
durchaus zu verwerfen ist. Unter genauer Schilderung der ca. 20 bereits
bisher gefundenen Erreger des Wochenbettfiebers geht er ausführlich auf
die Bedeutung der Hämolyse ein und weist nach, dass ihr keine ent¬
scheidende Rolle für die Prognose des Puerperalfiebers zukommt Von
hohem Interesse ist das Kapitel, welches die begünstigenden Momente
für die Entstehung der puerperalen Wundinfektion schildert. Zum ersten
Male wird hier auf die Bedeutung der Friedrich’schen Versuche (aus
dem Jahre 1899) hingewiesen, welcher gezeigt hat, dass nicht nur die
Virulenz der Bakterien, sondern auch die Gewebsspannung ein
wesentliches Moment für die Schnelligkeit und Schwere der Infektion
abgibt. Im Rahmen eines kurzen Referates ist es leider unmöglich, den
reichen Inhalt auch nur andeutend auszuschöpfen. Die Arbeit, die von
einer vorzüglichen Beherrschung der einschlägigen Literatur zeugt, ist
aus einem Guss geschrieben; trotz der vielen verwickelten Fragen geht
ein klarer, überall erkennbarer, einheitlicher Grundgedanke durch das
ganze Werk, es wirkt gegenüber dem Wirrnis der bisherigen Ansichten
geradezu befreiend.
Ref. ist überzeugt, dass jeder Forscher über Puerperalfieber dieses
Werk der ernstesten Beachtung für wert halten wird.
R. Schaeffer-Berlin.
Paal Römer-Greifswald: Lehrbuch der Augenheilkunde in der Form
klinischer Besprechungen. Berlin und Wien 1913, Urban und
Schwarzenberg. Zweite, unbearbeitete Auflage. 1. Bd. 380 S.
21 Tafeln. 2. Bd. S. 381—828. Tafel XXII-XXXII. Preis des
Bandes 8 M., geb. 9 M.
Wenn ein Lehrbuch, wie das Römer’sche, schon zwei Jahre nach
seinem ersten Erscheinen eine neue Auflage erlebt bat, so könnte eine
weitere Empfehlung des Buches fast überflüssig erscheinen. Zeigt doch
diese Tatsache auf das deutlichste, dass es sich weit über den Wirkungs¬
kreis des Verfassers hinaus Freunde und Interessenten erworben hat,
und dass die in dem Vorworte zur ersten Auflage niedergelegten
Wünsche des Autors in vollem Umfange in Erfüllung gegangen sind.
Das Buch hat obendrein durch die bei der zweiten Auflage vor¬
genommenen Aenderungen noch wesentlich gewonnen. So ist es durch
die Teilung in zwei Bände viel handlicher geworden. Die Zahl der Ab¬
bildungen ist ganz enorm vermehrt worden; enthält doch allein der
1. Band 21 farbige Tafeln, während die ganze erste Auflage nur 13 ent¬
hielt. Diese Vermehrung der Abbildungen ist vorzugsweise der patho¬
logischen Anatomie zugute gekommen, was gewiss nur zu begrüssen
ist. Als Reproduktionsverfahren ist wieder farbige Autotypie gewählt
worden.
Die Einführung der Marginalien wird nicht nur dem Examens¬
kandidaten, sondern dann und wann auch dem jungen Lehrer der Augen¬
heilkunde willkommen sein.
Einen grossen Gewinn erblicke ich auch in dem Fortfall der direkten
Anrede, deren häufige Anwendung in der ersten Auflage die sonst so
flotte und erfrischende Diktion entschieden beeinträchtigte.
Der lohalt des Buches ist ausserordentlich reichhaltig und geht
vielfach weit über den Rahmen anderer Lehrbücher hinaus. Dass
nicht alle Kapitel mit der gleichen Ausführlichkeit erörtert, und dass
die eigenen Arbeitsgebiete des Verfassers mit besonderer Liebe behandelt
worden sind, wird jeder Autor verstehen.
So kann es nicht ausbleiben, dass die Zahl der Freunde des Buches
weiter wachsen wird, was ihm auf Grund seiner vorzüglichen Eigen¬
schaften nur zu wünschen ist. R. Seefelder.
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6. Januar 1013.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29
Joliu8 Kratter-Graz: Lehrbuch der gerichtlichen Medizin. Stuttgart
1912, Ferdinand Enke. 628 S. Preis 17 M.
Kratter, einer der erfahrensten und bekanntesten Lehrer der ge¬
richtlichen Medizin, hat dieses Buch seinen Schülern gewidmet, deren
Wünschen es seine Entstehung verdankt. Es versteht sich von selbst,
dass der Verfasser überall aus dem reichen Quell seiner Erfahrung ge¬
schöpft hat, deshalb bedauere ich es aber ganz besonders, dass der Ver¬
fasser uns so wenig von der Besonderheit seiner Einzelerfahrung mitteilt.
Gerade die gerichtliche Medizin zeigt, wenn wir ihren Untersuchungs¬
methoden nachgehen, ein exquisites historisches Moment in ihrer
Forschungsart. Gerade der Einzelfall ist es, der in der gerichtlichen
Medizin problematisch und heuristisch eine so ganz besondere und
wesentliche Rolle spielt. Ich möchte daher den Verfasser an dieser
Stelle besonders gebeten haben, bei der zweiten Auflage seines sonst
so vortrefflichen Buches uns mehr von dem Reichtum seiner Einzel¬
erfahrungen mitzuteilen, als es diesmal geschehen ist; in demselben
Sinne ist auch das Fehlen von Illustrationen zu bewerten und zu be¬
urteilen.
Im übrigen ist dem Kratter’schen Lehrbuch nur jegliches Lob zu
spenden. Die Darstellung ist knapp, geschickt und übersichtlich. Be¬
sonders gut erscheinen mir die Abschnitte über die gewaltsamen Ge¬
sundheitsschädigungen und Todesarten und über die Vergiftungen ge¬
lungen zu sein. Die dritte Abteilung „die zweifelhaften Geisteszustände“
erscheinen mir etwas zu korapendiös gehalten.
W T as die vom Verfasser aufgenommenen gesetzlichen Bestimmungen
betrifft, so ist es ihm entgangen, dass in Preussen die ärztliche Ge¬
bührenordnung vom Jahre 1872 durch das GebühreDgesetz vom 14. Juli
1909 ersetzt worden ist.
Ich schliesse meine Besprechung mit einer warmen Empfehlung des
Kratter’schen Lehrbuches. Es wird Aerzten wie Juristen, Studierenden
wie Kandidaten der Physikatsprüfung ein vortrefflicher Leitfaden sein.
Das Eingehen auf die Literatur und die Angabe von Literaturquellen
wird es dem Leser des Buches erleichtern, beim Einzelstudium beson¬
derer Kapitel an die Quellen der Einzelbearbeitung zu gelangen.
Marx-Berlin.
Landkolonien für Unfallverletzte und Invalide und ihre innere
Organisation. Von Dr. Otto Riegler, Chefarzt der Ernst-Ludwig-
Heilanstalt in Darmstadt. Leipzig 1912, Verlag von Johann Am¬
brosius Baith. 51 S. Preis 1 M.
Von der Tatsache ausgehend, dass Unfallverletzte oft infolge ihrer
Beschäftigungslosigkeit schweren, unheilbaren Nervenerkrankungen ver¬
fallen, dass es aber für Unfallverletzte, die noch leichte Arbeit verrichten
können, sehr schwer ist, eine Arbeitsgelegenheit zu finden, schlägt der
Verf. die Gründung von Kolonien vor, die mit Heilanstalten verbunden
sind. Diese Kolonien sollen den Unfallverletzten, nicht nur den nervös
erkrankten, ein dauerndes oder vorübergehendes Heim bieten, in dem
sie nutzbringende Arbeit — in der Landwirtschaft, Schreinerei, Schlosserei,
Buchbinderei, Klempnerei, Korbflechterei, Teppichknüpferei u. dergl. —
leisten können. Die Verheirateten sollen mit ihrer Familie in eigenen
Häuschen, die Unverheirateten in einem gemeinsamen Hause, je zwei
oder drei in einem Zimmer, untergebracht werden, und zwar alle auf
Kosten der Kolonie. Für seinen Lebensunterhalt hat jeder selbst zu
sorgen, wofür die Kolonie einen Tagelohn garantiert. Den Verheirateten
stellt die Kolonie Lebensmittel, soweit er sie in seinem kleinen Garten
nicht ziehen kann, möglichst zum Selbstkostenpreis zur Verfügung; die
Unverheirateten werden aus gemeinsamer Küche beköstigt und haben
hierfür den Selbstkostenpreis zu bezahlen.
Alles notwendige Handwerkszeug wird von der Kolonie geliefert.
Die Art der Arbeit soll jedem Kolonisten individuell nach seinen Fähig¬
keiten und seinen eigenen Wünschen zuerteilt werden, die Arbeitszeit
soll für alle in gleicher Weise auf 5 Stunden bemessen werden, ohne
Einschluss der von jedem etwa zu leistenden häuslichen Arbeit. Der
Minimaltagelohn soll nicht unter 2 Mark heruntergehen. Die Kolonie,
die ja nie sich selbst erhalten, sondern immer Zuschüsse bedürfen wird,
muss, des Absatzes der hergestellten Produkte und Gegenstände wegen,
in der Nähe einer Stadt liegen.
Mit der Kolonie soll eine Heilstätte für Tuberkulöse und Verkrüppelte
verbunden sein.
Dies sind die wichtigsten Vorschläge, die der Verf. für die von ihm
beabsichtigten Kolonieu macht. Zur genauen Kenntnis der geplanten
Einrichtung muss auf das Original verwiesen werden.
Die Idee des Verf. ist zweifellos eine gute, und es wäre sehr zu
wünschen, dass ihre Durchführbarkeit erprobt würde. Die Reichsver¬
sicherungsordnung verbietet weder den Berufsgenossenschaften, noch den
Landesversicherungsanstalten, noch den Krankenkassen, ein derartiges
Unternehmen finanziell zu unterstützen, und diese Kolonien können den
Versicherten und den Versicherungsträgern unter Umständen mehr
Nutzen bringen als eine gewöhnliche Heilanstalt.
Arzt and R.V.O. (Der Arzt and die deutsche Reichsversichernngs-
ordnang). Von Dr. Th. Rumpf, Geh. Med.-Rat und Professor an
der Universität Bonn. Bonn 1912, A. Marcus & E. Weber’s Verlag.
Der verdienstvolle Verf. hat es verstanden, auf wenig mehr als
100 Seiten das Notwendigste zusammenzufassen, was der Arzt von der
k.V.O wissen muss. Unter der Knappheit der Sprache hat die Verständ¬
lichkeit nicht gelitten, im Gegenteil liest sich das Buch, das eine Fülle
von Belehrung bringt, leicht, fliessend und höchst anregend. Das Buch
soll der Einführung in die R.V.O. dienen. Es kann jedem Arzte, der
sich über die Rechte und Pflichten, die die R.V.O. den Aerzten auf¬
erlegt, eine Kenntnis verschaffen will, auf das wärmste empfohlen werden.
Mugdan -Berlin.
Altklassisches Viaticum aus Horaz. Sophokles und Homer. Ge¬
sammelt und jungen und alten Freunden des Gymnasiums dar¬
geboten von Gottlieb Leuchtenberger, Gymnasialdirektor a. D.,
Geh. Regierungsrat. Berlin 1912, Weidmann’sche Buchhandlung.
Dass ich dem in der Ueberschrift genannten Büchlein an dieser
Stelle eine empfehlende Erwähnung widme, wird minder auffallend er¬
scheinen, wenn man aus dem Vorworte etwas über seine Entstehung
erfährt — geht sie uns Aerzte doch unmittelbar an. Der Verfasser,
früherer Gymnasialdirektor, erzählt mit gutem Humor, wie er vor langen
Jahren einen berühmten Berliner Universitätslehrer, Professor der Me¬
dizin, wegen eines alten Schadens befragt habe; dieser habe ihm zwar
nicht helfen können — dafür habe er bei dem etwa 60 jährigen Herrn
ein köstliches halbes Stündchen im Gespräch über die alten griechischen
Schriftsteller genossen; der für diese begeisterte Professor recitierte aus
dem Gedächtnis sophokleische Chorlieder, wobei es „natürlich hier und
da haperte“. Er sprach schliesslich den Wunsch nach einem Büchlein
aus, in dem die schönsten Stellen der altklassischen Primalektüre ver¬
zeichnet wären, damit man sie immer alle bei der Hand hätte und
rasch nachschlagen könnte, wenn das Gedächtnis versagte. Diesen
Wunsch zu erfüllen hat der Herr Verfasser sich nun angelegen sein lassen,
— er meint, dass den gebildeten Aerzten, nicht minder auch Juristen,
Verwaltungsbeamten, Offizieren und Kaufleuten wohl eine solche Erinne¬
rungssammlung einst gelernter Sentenzen erfreulich sein dürfte, und ich
zweifle nicht, dass er damit das Richtige getroffen hat. Ist doch gerade
jetzt — man braucht nur an den jüngsten Vortrag Kern’s und an die
steten Bemühungen unseres gelehrten Kollegen Hirschberg zu erinnern —
die Wertschätzung dessen, was das humanistische Gymnasium uns
einst als Besitz für das Leben geboten hat, wieder in ersichtlichem
Steigen begriffen. So nehmen wir denn diese Gabe, die eine köstliche
und mit sicherem Geschmack getroffene Auslese der schönsten und sinn¬
vollsten Stellen aus der Ilias, der Antigone, dem König Oedipus und
den horazischen Oden, Epoden und Satiren enthält, dankbarlich
entgegen — freilich, nicht ohne einige Wünsche daran zu knüpfen. Die
Beschränkung auf die Dichter wird man billigen können — obwohl
auch manches, nur in der Form prosaische (sagen wir z. B. der
platonische Bericht über den Tod des Sokrates oder gewisse Stellen aus
dem Symposion) sich schön eingefügt hätte; schwerer wird man die
Odyssee verschmerzen, deren Fehlen durch den rein äusseren Grund,
dass nur an die Prima-Lektüre angeknüpft werden soll, kaum verständ¬
lich gemacht wird. Bedachte der Herausgeber, dass durch ihr Hinein¬
beziehen der Umfang des Buches zu sehr anwachsen würde, so wären
vielleicht besser einige sophokleische Chöre zu opfern gewesen; denn ich
fürchte, ihnen gegenüber wird doch bei manchen älteren Lesern die
Schwierigkeit des Verstehens den Genuss der Lektüre überwiegen. Auf
eine Uebersetzung ist, gewiss mit Recht, verzichtet — die knappen er¬
klärenden Bemerkungen über den Inhalt und die (nicht immer glück¬
lichen) Hinweise auf Parallelstellen deutscher Dichter reichen aber kaum
aus, das Verständnis stets mühelos zu machen. Wir dürfen solche An¬
regungen uns erlauben, weil ja gerade an unsere Erinnerungs- und
Aufnahmefähigkeit appelliert wird — und hoffen, der Verfasser wird uns
dieser Wünsche wegen nicht mit einem „Multa petentibus desunt
multa!“ abfertigen. Posner.
Adolf Matthias: Wie werden wir Kinder des Glücks? 3. Aufl.
München, Beck’sche Buchhandlung.
Es mag befremdlich erscheinen, das Buch eines Schulmannes über
die Glücksmöglichkeiten dieser Welt in einer medizinischen Zeitschrift
besprochen zu sehen. Aber als Referent es unter seinem Weihnachts¬
baum gefunden und darin gelesen hatte, da war er bald der Meinung,
dass er es auch seinen Kollegen empfehlen sollte zu eigener Erbauung,
mehr aber noch zu Nutz und Frommen ihrer Kranken.
Das üppig, allzu üppig wuchernde Spezialistentum unserer Tage
hat die Kranken gar sehr des besten Arztes beraubt, des Hausarztes,
der sie auch von ihrer psychischen Seite zu verstehen und zu nehmen
wusste. Die Neurastheniker laufen zu einem ihnen fremden Neurologen,
der sie mit Elektrizität, mit Brom und anderen „Latwergen“ zu beruhigen
und zu stärken sucht, aber nicht immer Zeit und Interesse findet, auf
ihrer Leiden Grund hinabzusteigen. Die von mancherlei Beschwerden
heimgesuchte „Dame“ lässt Wochen und Monde sich vom Frauenarzt mit
Tampous, Playfair und anderen Instrumenten traktieren, um sich am
Ende, wenn alles ging, wie’s Gott gefällt, noch einer Operation zu unter¬
werfen, die ihre Nervenkraft zur völligen Erschöpfung bringt.
Und doch hätte in vielen dieser Fälle die Mahnung des Arztes
zu vernünftigerer Lebenshaltung, zu einer dankbareren Lebensbetrachtung,
zu einer inhalts- und pflichtenreicheren Lebensführung das alleingesund¬
machende Heilmittel repräsentiert.
Zwar ist über das Glück, seitdem es der aus dem Paradies ver¬
triebenen, ihrer Kindheit entwachsenen Menschheit entschwunden, manch
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
30
gutes Buch erschienen, und neben den rein philosophischen haben sich
auch heute noch die von Aerzten herausgegebenen oder verfassten eines
Hufeland (Kant) und Feuchtersieben trotz ihres ehrwürdigen
Alters in lebendiger Wirkungskraft erhalten. Aber gerade, weil sie aus
jenen stilleren, schlichten Zeiten stammen, werden sie in manchem
unserer „modernen“ Kranken nur die Sehnsucht nach einem ent¬
schwundenen Glück erregen, ohne ihm ad hominem zu demonstrieren,
dass auch heute noch Glücksmöglichkeiten in Fülle sich finden lassen,
wenn man sie nur zu suchen sich bemüht. Solcher skeptischen Seele
hilft vielleicht besser eiu Buch aus unserer Zeit, verfasst von einem
Manne, der als hoher Beamter in der Reichshauptstadt sich den Blick
für die Schönheiten und Glücksinöglicbkeiten dieser, freilich durch unsere
„Kultur“ ein wenig verunzierten Welt ungetrübt erhalten konnte.
Der um die neuere Entwicklung des preussischen Schulwesens hoch¬
verdiente Autor geht als rechter Pädagoge vor. Er setzt bei seinem Leser
nicht allzu viel voraus und weiss, dass sich das Glück der Meisten im
engen Kreis entfaltet. Und auch da, wo er sich den höchsten Problemen
zuwendet, geschieht es in einer Art, dass auch der philosophisch Un¬
geschulte ihm mühelos zu folgen vermag. Freilich, wer diese Dinge gern
bei der Wurzel fassen möchte, dem wird das Buch nicht überall Genüge
tun. Die zwei grossen Hindernisse des Glücks, Krankheit und Schuld —
in unglückseliger Verkettung gar oft Objekte ärztlichen Bemühens —,
sind darin kaum berührt. Aber das Buch wollte ja keine philosophische
Abhandlung geben, die keinen hätte recht zufrieden stellen können,
sondern als Ergebnis eigenen Erlebens zunächst den Söhnen des Ver¬
fassers ein Freund und Führer und dann all denen ein Tröster und
Berater sein, die von eigenem oder fremdem Leid erfasst, dem Pessi¬
mismus ins Garn geraten wollen. Darum der eudäraonistische Zug, der
das ganze Buch durchweht, der gewollte Optimismus — vielleicht zum
Schaden philosophischer Betrachtungsweise, aber sehr zur Vergrösserung
der Breite und Tiefe seiuer Wirkung. Und eben darum auch erscheint
es als „Heilgehilfe“ so geeignet. Die dunklen Seiten des Lebens zu sehen
und seine Schatten noch zu übermaleo, sind unsere Kranken schon von
selbst geneigt, auf die lichten ihren Blick zu lenken und die dunklen —
sei’s drum, auch mit erborgtem Schein — zu erhellen, ist unserer Kunst
oft schwerster Teil. Hans Kohn.
Literatur-Auszüge.
Anatomie.
F. Weiden reich-Strassburg i. E.: Die Thymus des erwachsenen
Menschen als Bildungsstätte ungranulierter und granulierter Lcukocyten.
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 4S.) Die eosinophil gekörnten
Thymuszellen sind, wie Untersuchungen an Ratten ergaben, echte Leuko¬
cyten, da ihr Kern wie bei diesen in seinem Endstadium die charakte¬
ristische Ringform aufweist, und zweitens, da sie nicht jeweils im aus¬
gebildeten Zustande aus dem Blute in die Thymus einwandern, sondern
an Ort und Stelle durch mitotische Teilung aus schon im Thymus¬
gewebe vorhandenen, gleichgearteten Elementen hervorgeben. Die eosino¬
philen Leukocyten gehen aus ungranulierten Elementen der Thymusrinde
hervor, die ihrerseits wieder zu den typischen kleinen Formen über¬
leiten. Auch beim Menschen sind die Zellen der Tbymusriade typische
Lymphocyten, nicht nur mit allen morphologischen Merkmalen dieser
Elemente, sondern auch mit der ihnen eigenen Differenzierungsfähigkeit
in der Richtung der granulierten Leukocyten. Man muss die Thymus
als ein Organ betrachten, das, wie die Lymphdrüsen, Milz und Knochen¬
mark leukocytäre Zellen produziert. Bildung von roten Blutkörperchen
konnte nie nachgewiesen werden. — Für W. ist es fraglos, dass die
Ehrlich’sche Theorie von der ausschliesslichen Entstehung der granu¬
lierten Leukocyten im Knochenmark unrichtig ist. Dünner.
Siehe auch Augenheilkunde: Agababow, Nerven in den Augen¬
häuten. Attias, Nerven der Hornhaut. — Psychiatrie und Nerven¬
krankheiten: Fabritius, Gruppierung der motorischen Bahnen im
Pyramidenseitenstrang.
• Physiologie.
H. Galler: Ueber den elektrischen Leitangswiderstand des
tierischen Körpers. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) G. durch¬
strömte Frösche mit Gleich- oder Wechselstrom, oder gleichzeitig mit
beiden und maass den Widerstand des Froschkörpers nach der Kohl-
rausch’schen Methode. Der Widerstand gegen Gleichstrom schien
doppelt so gross, wie der Wechselstrorawiderstand. Beide sind haupt¬
sächlich in der Haut lokalisiert. Den scheinbar grösseren Widerstand
bei Gleichstrom konnte Verf. dahin erklären, dass er nur durch elektro¬
motorische Gegenkräfte polarisatorischer Art vorgetäuscht wird.
0. Meyerhof: Ueber scheinbare Atmung abgetöteter Zellen
durch Farbstoffreduktion (Versuche an Acetonhefe). (Pflüger’s Archiv,
Bd. 149, H. 4—5.) Neutrale und schwach alkalische Acetonhefe
besitzt eine Sauerstoffzehrung, die durch Zusatz von Methylenblau auf
das Mehrfache ansteigt. Messungen der gebildeten Wärme ergeben das¬
selbe. M. setzt auseinander und stützt seine Anschauung durch Ver¬
suche, dass das Methylenblau nicht etwa ein atmungssteigerndes Mittel
darstellt, dass vielmehr die durch die Acetonhefe herbeigeführte Reduktion
des Methylenblaus dadurch von den natürlichen Verbrennungsprozessen
verschieden ist, dass sie nur minimale Energie liefert.
E. L. Back man: Der osmotische Drnck bei einigen Wasserkftfern.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) B. bestimmte den osmotischen
Druck der Hämolymphe bei Wasserkäfern (Dytiscus, Cymatopterus u. a.)
nach der Hämat>*kritin« thode. Sie zeigte einen für die einzelnen Arten
konstanten Gefrierpunkt, der zwischen — 0,49° und — 0,95° lag. Ver¬
bringen der Tiere in concentrierte Salz- oder Rohrzuckerlösungen führle
zu einer Erniedrigung des Gefrierpunktes, wobei es zu Paresen kam.
Die Käfer sind also nicht vollkommen homoiosmotische Tiere, da sie
die Concentratiou ihrer Gewebsflüssigkeit nur gegenüber hypotonischen
Lösungen bzw. destilliertem Wasser auf recht erhalten können.
H. Jordan: Eine Vorrichtung, um die RegistriemBg des Ver*
kürzungsgrades von Tonusmuskeln bei bestimmten Singetieren vor¬
nehmen zu können. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 4—5.) Beschreibung
eines geeigneten Apparates.
W. N. Berg: Die physikalisch-chemischen Grundlagen für eine
Theorie der Muskelkontraktion. Die Theorie vou Zuntz. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 4 — 5.) Nach Zuntz soll die Muskelkoutraktioh
dadurch zustande kommen, dass die gebildete Kohlensäure einen ge¬
steigerten osmotischen Druck im Muskel bewirkt, dadurch Wasser eindringt,
das Muskelelement schwillt und sich verkürzt. Demgegenüber betont B.,
dass in Flüssigkeiten gelöste Gase sich nicht wie wirklich gelöste Stoffe
verhalten, also keinen osmotischen Druck ausiiben (mit Ausnahme ein¬
zelner). Auch seien wohl die Wände der Muskeleleraente für Kohlen¬
säure durchgängig, so dass nicht nur durch das Hineindiffuudieren von
Wasser das osmotische Gleichgewicht bergestellt wird. A. Loewy.
W. S t epp -Giessen: Weitere Untersuchungen über die Unentbehr¬
lichkeit der Lipoide für das Leben. — Ueber die Hitzezerstörbarkeit
lebenswichtiger Lipoide der Nahrung. (Zeitschr. f. BiolBd. 59, H. 8,
S. 366—395.) Wenn man Mäusen zu lipoidfreiem Futter Lipoide zulegt,
kann man die Tiere am Leben erhalten. Kochen der Lipoide mit
Alkohol nimmt den Lipoiden aber diese Eigenschaft. Auch die natür¬
liche Nahrung der Mäuse (Milch oder Brot) wird durch längeres Erhitzen
mit Alkohol unbrauchbar für die Ernährung. Im wesentlichen scheint
es so zusammenzuhängen, dass zur Ernährung fertige Lipoide notwendig
sind, da die Fähigkeit des Organismus zum Aufbau der Lipoide begrenzt
ist. Daneben könnten aber auch bei der Alkoholbehandlung Gifte aus
den Lipoiden abgespalten werden. Ausschliessliche Lecithinzulage vermag
nicht, die Nahrungslipoide zu ersetzen. Bis zu einem gewissen Grade
kann das darauf beruhen, dass Handelslecithiu schon mehr oder weniger
zersetzt ist. Jacoby.
Hirschstein: Ueber die Beziehungen des Schwefels znm Stick¬
stoff in Nahrungsmitteln mit besonderer Berücksichtigung der Fritten-
and Knhmileh. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Dezember 1912.)
Die Verschiedenheit in der elementaren Zusammensetzung der Eiweiss¬
substanzen unserer Nahrung ist eine so grosse, dass die alleinige Be¬
stimmung des Stickstoffs weder als Maassstab für die Charakterisierung
dieser Stoffe noch zur Beurteilung des Eiweissumsatzes des Menschen
ausreicht. Nur aus der gleichzeitigen Ermittelung von Schwefel und
Stickstoff in Nahrung und Ausscheidungsprodukten und aus ihrem gegen¬
seitigen Verhältnis können wir Aufschlüsse über die Gesetze des Eiweiss¬
stoffwechsels bei Mensch und Tier erhalten. E. Tobias.
E. Masing: Sind die roten Blutkörperchen durchgängig für
Traubenzucker? (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 4—5.) Die Zellen ver¬
schiedener Blutarten verhalten sich Traubenzucker gegenüber verschieden.
Die von Gans, Kaninchen, Schwein und Hammel nehmen keinen auf, wie
sie auch normal keinen enthalten; die von Rind und Maus nehmen
wenig, die des Menschen viel auf. Die Zuckereoncentration in letzteren
steigt auf 60—70 pCt. der des umgebenden Serums. Dabei sind sie für Jod¬
kali undurchgängig. Bei Hunden liess sich durch Aderlässe die Permea¬
bilität für Traubenzucker herabsetzen, vielleicht weil junge Erythrocyten
wenig oder nicht für Zucker permeabel sind. A. Loewy.
H. King-Berlin: Zur Frage der Vermeidbarkeit der Adrenalin-
glykosnrie durch Nicotin. (Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Tber., Bd. 12,
H. 1, S. 152—154.) Bei Darreichung geeigneter Nicotindosen unter¬
bleibt, wie in Bestätigung von Hirayama gefunden wurde, die Adrenalin-
glykosurie. Die Ursache liegt in einer Dichtung des Nierenfilters, da
die Hyperglykämie nicht beseitigt wird.
W. Th. Sack - Edinburgh: Ueber den Einfluss von Corpus luteum
und Hypophyse (lobus anterior) auf den Stoffwechsel. (Archiv f. exper.
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 293 — 301.) Der Extrakt der
Hypophyse (lobus anterior) hat keinen Einfluss auf den Stoffwechsel.
Das Corpus luteum hat eine spezifische Wirkung auf den weiblichen
Organismus, die sich in einer starken Vergrösserung des Stickstoffansatzes
ausdrückt, während ein Einfluss auf den männlichen Organismus nicht
nachgewiesen werden kann. Es scheint, dass bei weiblichen Tieren die
Injektion von Corpus luteum einen nachweisbaren Einfluss auf die
Milchdrüsen, den Uterus und die zu diesen Organen führenden Blut¬
gefässe hat. Jacoby.
R. Höher: Ist die Lunge für Ammoniak durchgängig? (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Magnus hatte gezeigt, dass nach Ein¬
spritzung von Ammoniak in eine Vene nichts davon aus dem Lungen-
blute in die Lungenluft Übertritt. Das liegt nicht an einer Undurch¬
gängigkeit der Lungen für Ammoniak, vielmehr an dessen grosser Lös-
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0. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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lichkeit und damit Bindung im Blute. Lässt man ammoniakhaltige
Luft einatmen, so tritt NH a leicht in das Blut über.
A. Loewy.
F. Obermayer, H. Popper und E. Zak-Wien: Ueber den Harn*
sisreaaehweis im Blüte. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.)
Die Autoren benutzen als Reagens eine bestimmte Phosphorwolfrarasäure
(Schuchhardt), welche mit Harnsäure bei alkalischer Reaktion ein
blaugefärbtes Reaktionsprodukt bildet. Das Ergebnis der Untersuchungen
ist folgendes: Im Blut normaler Menschen ist nach dreitägiger purin-
freier Kost Harnsäure nachweisbar. Unter krankhaften Bedingungen
weist der Uarnsäuregehalt des Blutes beträchtliche Schwankungen auf.
Der Uarnsäuregehalt der Sera verschiedener Tierspezies ist ver¬
schieden gross. P. Hirsch.
M. Win ekel - München: Die chemische Wirkung des Carbenzyms.
(Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Fermente werden durch
Vanillin und konzentrierte Salzsäure rot gefärbt. Das Carbenzym
(= durch Kohle absorbiertes Trypsin) gibt diese Reaktion nicht. Weun
auch die Ferraentreaktion — durch die Kohle — aufgehoben ist, so
ist die Ferme nt Wirkung absolut nicht beeinflusst, wie die mitgeteilten
Versuche uinwandsfrei zeigen. Dünner.
H. S t ü b e I: Morphologische Veränderungen des gereizten Nerven.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Das Netzwerk, dass die Mark¬
scheide eines zur mikroskopischen Untersuchung fixierten Nerven durch¬
zieht, ist nach Reizung desselben weiter als beim ruhenden. Nur beim
lokalanästhesierten Nerven tritt auf Reizung keine Erweiterung des
Maschenwerkes ein. Bei Durcbströmung mit dem konstanten Strom
findet sich eine solche an der Kathode. Danach scheinen bei der Tätigkeit
chemische bzw. physikalisch-chemische Veränderungen an der Mark¬
scheide des Nerven vor sich zu gehen, vielleicht durch Austauschprozesse
mit dem Acbsencylinder, analog denen, die zwischen der contraktilen
Fibrille des Muskels und dem Sarkoplasma zu bestehen scheinen.
J. P. Karplus und A. Kreidl: Ueber die Bahn des Pnpillar-
reflexeo. (Die reflektorische Pupillenstarre.) (Pflüger’s Archiv, Bd. 149,
H. 1-3.) Sehr umfassende Durchscbneidungs- und Reizversuche am
Hirn von Kaninchen und Katzen, Prüfung der Pupillenreaktion und Ver¬
folgung der in Betracht kommenden Leitungsbahnen. Es zeigte sich, dass
Sämtliche Pupillenfasern vom Tract. opticus über den vorderen Vier¬
hügelarm zu in Vierhügel gehen. Sie lassen sich bis nahe an die Mittel¬
linie ara Rande des vorderen Vierhügels verfolgen.
J. v. Angyän: Der Einfluss der Vagi auf die automatisch
leblagende Kammer (auf den idip-ventrikulären Rhythmus). (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 4 — 5.) A. erzeugte bei Katzen durch Asphyxie
Herzblock und untersuchte den Einfluss der Vagusreizung auf die
Scblagfolge. Er findet, dass sie eine Verlangsamung der Kammer¬
kontraktion hervorruft, auch wenn die Vorkammern stillstehen. Rechter
und linker Vagus verhalten sich gleich. A. fand also das gleiche, was
frühere Autoren bei Herzblock nach Vergiftungen oder Verlegung der
Coronararterien gefunden hatten.
W. Einthoven: Dentong des Elektrocardiogramms. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) E. gibt hier eine eingehende Kritik der ver-
x'hiedenen Anschauungen über die Bedeutung der verschiedenen Zacken
des Elektrocardiogramms, so der von Gotch, Kraus, Nicolai u. a.
Nur die Zacke P gehört den Vorkammern an. Das veränderliche Ver¬
halten von QRS leitet E. von dem anatomischen Bau des Herzens ab.
Gelangt der Reiz zuerst an eine der Spitze oder der linken Kammer¬
wand nahe Stelle, so bildet sich eine Q-Zacke, sie fehlt, wenn die ent¬
gegengesetzten Stellen der Kammern zuerst getroffen werden. Die
R-Zacke rührt von der Herzbasis und der rechten Kammer her, die
- Zacke zeigt, dass die Kontraktion der linken Kammer wieder die
Oberhand gewinnt. Die Richtung der Zacke hängt davon ab, ob die
rechte oder die linke Kammer, die Herzbasis oder die Spitze länger
kontrahiert bleiben. Die T-Zacke kann nicht einfach auf einen lokalen
Prozess an der Herzbasis bezogen werden.
W. Einthoven und J. H. Wieringa: Ungleichartige Vagns-
wirkugen anf das Herz, elektrocardiographisch untersucht. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 1—3.) Das Morphin übt eine Wirkung auf das
Elektrocardiograram von Hunden aus; es kommt zu partiellem Block
der vollkommener Dissoziation zwischen Vorkammern und Kammern.
Diese Wirkung beruht auf einer Beeinflussung des Vagus. Bei Durch¬
schneidung der Vagi oder Atropinisierung, oder bei so grossen Morphin-
irabeo, dass eine Vaguslähmung zustande kommt, lallt die Beeinflussung
des Elektrocardiogramms fort. A. Loewy.
Siehe auch Röntgenologie: Meyer-Betz, Normale Dickdarm-
bewegung.
Pharmakologie.
0. Barth-Tübingen: Ein Beitrag zur Wirkung der Opiumalkaloide
unter besonderer Berücksichtigung des Pantopons. (Archiv f. experim.
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 253—292.) Vergleichende Ver¬
buche ergeben, dass dem Gemisch von wirksamen Substanzen, welche im
Pantopon vorliegen, weit erheblichere Wirkungen zukommen, als man
nach dem Gehalt an Alkaloiden bei der Annahme einer einfachen Addition
der Wirkungen erwarten könnte.
M. Salzmann-Tübingen: Aafhehmg der narkotischen Wirkung
<Lr Stoffe der Alkoholgruppe bei gleichzeitiger Anfnahme von Fett
auf Grund ihres Teilungskoeffizienten zwischen Fett und Wasser. (Archiv
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 233—254.) Die Ver¬
suche wurden in Hinblick auf die Meyer-Overton’sche Theorie angestellt.
Bei Gelegenheit der Versuche wurde festgestellt, dass ein neuerdings
zur Behandlung des Diabetes empfohlenes Präparat ^Barzarin“ im Tier¬
versuch sich nicht als besonders giftig erwies, so dass gegen klinische
Versuche keiue Bedenken sich ergaben.
H. Walbaum und M. Salzmann - Tübingen: Weitere Unter¬
suchungen über Barzarin. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol.,
Bd. 70, H. 4, S. 255—257.) Die chemische Untersuchung des Barzarins
ergibt bisher keine Momente, welche imstande wären, die ihm zuge¬
schriebene Heilwirkung auf den Diabetes zu stützen. Jacoby.
A. Ambroz-Prag: Vergleichende Untersuchungen über die bakteri-
cide Wirkung einiger Wasserstoffsuperoxyd Präparate. (Zeitschr. f.
Heilk., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 470.) Das Hyperol, eine kristallisierte
Verbindung von Karbamid und H 2 0 2 , übertrifft in jeder Hinsicht alle
übrigen Wasserstoffsuperoxyd-Präparate. Die höhere bakterieide Fähig¬
keit des Hyperols scheint dadurch bedingt zu sein, dass das Hyperol
eine organische Säure (Zitronensäure) enthält. Andere Vorzüge des
Hyperols vor den anderen • H 2 0 2 -Präparaten sind darin zu erblicken,
dass das Hyperol ein Präparat vorstellt, das Wasserstoffsuperoxyd in
hochkonzentrierter, und zwar in fester Form enthält, mit dem man sehr
bequem in der Praxis umgehen und das man auch sehr gut konservieren
kann. Möllers.
L. Lewin-Berlin: Ueber Hämanthin. (Archiv f. experim. Pathol.
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 4, S. 302.) Gegenüber Tutin betont Verf.,
dass das Hämanthin eine reine Substanz ist.
J. Plesch, L. Karczag und ß. Keotman-Berlin: Das Thorium X
in der Biologie und Pathologie. — Th. A. Maass und J. Plesch-
Berlin*. Wirkung des Thorium X auf die Circulation. — A. Pappen¬
heim und J. Plesch-Berlin: Experimentelle und histologische Unter¬
suchungen zur Erforschung der Wirkung des Thorium X auf den
tierischen Organismus. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12,
H. 1, S. 1 —107.) Thorium X kann man subcutan, intravenös, durch
Trinken und Klysma applizieren. Bei der intravenösen Injektion wird
die einzuverleibende Substanz fast momentan im ganzen Organismus
verteilt. Bei Einführung von Radiumbromid findet sich nach 24 Stunden
ca. 75pCt. der injizierten Menge in den Knochen bzw. im Knochenmark
wieder. Thorium X verteilt sich ähnlich. Im allgemeinen scheiuen
Zellen um so leichter durch radioaktive Strahlung geschädigt zu werden,
je höher die vitale Energie der Zellen ist. Die Ausscheidung durch die
Nieren erfolgt beim Thorium X sofort, die Ausscheidung durch den Darm
allmählich, auch der Schweiss sondert etwas Thorium X ab. Sicherlich
bilden sich Depots im Körper, so dass man bei der therapeutischen
Anwendung sich vor Cumulation vorsehen muss. Im Gegensatz zu der
Radiumemanation wirkt Thorium X weder auf Fermente noch Gärungen.
Die Atmung wird bei Gesunden durch das Thorium X kaum, bei car-
dialer Dyspnoe und Pneumonie wird der Atemtypus und die Atemtiefe
deutlich beeinflusst. Die mit Thorium X vergifteten Tiere zeigen
meistens eine Vergrösserung des Lungenvolumens. Das Residualluft¬
volumen ist vergrössert, auch die Totalkapazität zeigt eine Zunahme.
Es kommt zu erheblich und lange anhaltenden Blutdrucksenkungen.
Einzelne Individuen sind in bezug auf den Blutdruck refraktär gegen
Thorium X. Der Stoffwechsel wird im allgemeinen erhöht. Eine be¬
merkenswerte Desinfektionswirkung wurde bisher vermisst. Frösche sind
sehr resistent gegen Thorium X, Säugetiere verhalten sich verschieden,
auch die Individuen ein- und derselben Spezies. Thorium X-Uieera
heilen sehr schlecht. Nach grösseren Dosen entstehen Pigmentierungen,
Thorium X fördert den Appetit. Einmal entstand Hypertrichiasis. Die
Dosierung erfordert Vorsicht. Jedoch sind vielfach schon ganz ungefähr¬
liche Dosen wirksam. Heilwirkungen wurden bisher erzielt bei Fett¬
sucht, Gicht, aber nicht bei Diabetes. Günstig wurde Sklerodermie be¬
einflusst. Bei Tuberkulose versagte Thorium X, bei Pneumonie wurde
anscheinend der Krankheitsverlauf beinflusst, auch in einer Anzahl
Fällen von Rheumatismus. Bei Sepsis wurde nichts gesehen. Ferner
werden Erfahrungen bei Circulationsstörungen bei einer Nebenhöhlen¬
eiterung mitgeteilt. Bei Blutkrankheiten, insbesondere bei der Leukämie,
wurden ganz auffallende Besserungen beobachtet. Die diastolische Dehn¬
barkeit des Kaltblüterherzens erfährt durch Thorium X eine Zunahme.
Beim Kaninchen scheint die Erregbarkeit der herzhemmenden Vagus¬
fasern oder der serösen Endelemente durch Thorium X zunächst eine
Abnahme, dann eine geringe Zunahme zu erfahren. Im Blut macht
Thorium X sofortigen Leukocytensturz und dann völligen Leukocyteu-
schwund. Histologisch zeigen die blutbildenden Organe enorme Blutfülle,
Hämorrhagien, Zellverarmung bis zur Nekrosenbildung. Jacoby.
Siehe auch Physiologie: King, Vermeidbarkeit der Adrenalin-
glykosurie. — Nervenkrankheiten: Lazarew, Wird Quecksilber in
die Cerebrospinalflüssigkeit abgeschieden? — Therapie: Lewin,
Kalmopyrin. — Röntgenologie: Stierlin und Schapiro, Wirkung
von Morphium, Opium, Pantopon auf die Bewegungen des Verdauungs-
tractus.
Therapie.
v. Stalewski-Freiburg i. B.: Ueber die Anwendung der Opiate,
im besonderen des Narcophias in der ärztlichen Praxis. (Therapie d.
Gegenw., November 1912.) Io allen Fällen, in welchen ein protrahierter
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32 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 1.
Gebrauch von Morphium nicht zu entbehren ist, empfiehlt Verf., an
Stelle dieses das Narcophin wegen der viel geringeren Schädlichkeit zu
setzen. In zahlreichen schmerzhaften Zuständen, wie Koliken, Cardio-
spasmus wurde Narcophin 0,03 g subcutan mit Erfolg angewandt.
R. Fabian.
W. Nieveling-Lippspringe: Ueber die Behandlung des Fiebers
Tuberkulöser, insbesondere mit Hydropyria Grifft. (Deutsche med.
Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Führt Bettruhe nicht zum Ziel, so
empfiehlt N.:
Ac. arsenicos. 0,03
Hydropyrin Grifa 10,0
Mass. pil. q. s. f. pil. No. C.
DS. dreimal tagl. 3—4 Pillen.
Wolfsohn.
C. Lewin-Berlin: Ueber Kalmopyrift, das lösliche Calciumsalz der
Acetylsalicylsäure. (Therapie d. Gegenw., November 1912.) Aus den
Tierversuchen des Verf. geht hervor, dass das Kalmopyrin eine erheblich
geringere Giftigkeit besitzt als das Natrium salicylicum, entsprechend den
früheren Untersuchungen über die geringere Giftigkeit der Acetylsalicyl¬
säure. Günstige Erfahrungen bei allen akuten und chronischen Rheuma¬
tismen, Neuralgien, bei den Schmerzen der Tabiker usw. Der Wert
des Präparats liegt vor allem in seiner leichten Löslichkeit.
R. Fabian.
H. Brüning-Rostock: Wemolin. (Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 50.) Wermolin enthält das Prinzip des amerikanischen Wurm¬
samenöls, 01. Chenopodii anthelminthici, in einer mit ätherischen Oelen
und Geschmaokskorrigentien emulgierten Form. Nach B.’s Erfahrungen
ist es ein gutes Mittel zur Abtreibung von Spulwürmern. Es wird zwei-
bis dreimal täglich tee- bis esslöffelweise verabfolgt. Mit drei Löffeln
kommt man fast stets aus. Nach der letzten Dosis empfiehlt es sich,
ein Abführmittel hinterher zu geben. Subjektive Beschwerden und
Schädigungen wurden nicht beobachtet. Per clysma verabreicht (1 : 4 mit
Glycerin und Wasser verdünnt), soll das Mittel auch bei Oxyuren wirk¬
sam sein. Wolfsohn.
Osten-Königslutter: Zur Drftinage bei Ascites. (Therapie d.
Gegenw., November 1912.) Bei einem Fall von Lebercirrhose, bei
welchem sehr viele Punktionen des Abdomens nötig waren, wurde zur
Dauerdrainage durch einen starken Trokar ein sterilisierter weicher
Guromikatheter in die Bauchhöhle geschoben. Nach Entfernen des
Trokars wurde das Gummirohr mit Collodium und Heftpflasterstreifen
an die Baucbhaut befestigt und das Ende des Rohres mit einem Quetsch¬
hahn verschlossen. Der Patient war somit befähigt, den Ascites nach
Bedarf selbst abzulassen. R. Fabian.
R. Emmerich-München: Zur rationellen Therapie der Cholerft
ftrifttieft. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Der cholera-
kranke Organismus sucht die Wirkung der Choleragifte, die salpetrige
Säure, zu bekämpfen, indem er den Darmkanal mit alkalisch reagierender
Reiswasserflüssigkeit überflutete. Das gelingt meist nur unvollkommen.
Rogers injiziert 3—4 1 einer hypertonischen Salzlösung (7,8 Chlor¬
natrium, 0,4 Chlorkalium und 0,28 Calciumchlorid auf 1000,0 Wasser).
Gegen die salpetrige Säure verwendet man mit Erfolg kolloides M&ngan-
superoxydbydrat oder 1 prom. Amidosulfosäure. Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Stein, Behandlung der Leukämie
mit Benzol.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
H. Stieve: Trftnsplantatieisversuehe mit dem experimentell er¬
zeugten Riesenzelleftgrftnalom. (E. Ziegler 1 Bei r. z. pathol. Anatomie
u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Injektion von Kieselgurauf¬
schwemmung in 27 Tieren (Meerschweinchen, Kaninchen, Katze), teils
intraperitoneal, teils subcutan, teils beides gleichzeitig zur Erzeugung
von Riesenzellengranulomen (am schönsten gelungen bei Meerschweinchen).
Transplantation auf artgleiche Tiere mit dem Ergebnis, dass die Pro¬
liferationsfähigkeit der Zellen des an sich gutartigen Granulomgewebes
sich so steigerte, dass ein überstürztes und infiltratives Wachstum zu¬
stande kam, und dadurch histologisch wie biologisch das Gewebe echten
Geschwülsten sehr ähnlich wurde. Benn.
H. Schridde - Dortmund: Die Diagnose des Stfttns thymo“
lynpbftticvs. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Patho¬
logisch-anatomisch fand Sch. beim Status thymo-lymphaticus: Eine
eigenartige Blässe der Haut, starkes Fettpolster. Vergrösserung der
Thymus; manchmal allerdings auch subnormale Gewicbtswerte, trotzdem
müssen solche Fälle dann hierher gerechnet werden, wenn man mikro¬
skopisch eine Markhyperplasie, die mit einer Unterentwicklung der im
übrigen normal gebauten Rinde einhergeht, und die Hassal’schen
Körperchen vergrössert findet. Gewöhnlich trifft man Hyperplasie des
lymphatischen Parenchyms. Fast immer waren die Malpighi’scben
Körperchen der Milz vergrössert, oft auch die Lymphknötchen des Magen¬
darmkanals. Vielfach sind Zungenbälge, Rachen und Gaumenmandeln
hypertrophisch. Auch Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels
wurden konstatiert. Dünner.^
W. Georgi: Experimentelle Untersuchungen zur Emholielokftli-
satioa in den Lungen. (E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z.
allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Es wurden Versuche an 43 Tieren an¬
gestellt: 9 verschiedene Substanzen wurden als Embolusmaterial ver¬
wendet. Als Ort der Injektion wurden Ohrvene, Nierenvene, Jugular-
vene, Axillarvene gewählt. Es ergab sich: die Embolieverteilung in der
Lunge ist unabhängig von der Art und Menge des Emboliematerials,
von der Lagerung des Tieres und von der Injektionsstelle. Benn.
0. M. Chiari: Ueber die Frage der trftftBfttischea Eatstehaag
voa ftkater Bronchitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Cbir., 1912, Bd. 81.)
Aehnlich, wie es bei der traumatischen Pneumonie der Fall ist, kann
vielleicht auch eine akute Bronchitis durch ein den Thorax betreffendes
Trauma ausgelöst werden. In drei vom Verf. beobachteten Fällen
scheint die Annahme eines derartigen- ätiologischen Zusammenhanges
berechtigt, doch konnte Verf. in der ihm zugänglichen Literatur keine
diesbezüglichen Angaben finden. W. V. Simon.
E. Meuber: Die Gitterfftsern des Herzens. (E. Ziegler’s Beitr.
x. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) Zehn Fälle
von teils rechts-, teils linksseitiger Herzhypertrophie wurden nach dem
Iraprägnationsverfabren von Bielschowsky, ferner mit van Gieson-,
Fett- und elastischer Faserfärbung behandelt und in Serienschnitten
untersucht. Verf. kommt zu dem Resultat: dos Herz besitzt
ein ebenso gut entwickeltes Gitterfasergerüst wie etwa Leber und
Lymphdrüse. Es bildet wahre Anastomosen; es vermehrt und verdickt
sich bei Herzhypertrophie in ansehnlichem Maasse, verändert sich nicht
bei parenchymatöser Degeneration, geht bei der fibrösen Myocarditis im
schwieligen Herd zugrunde; ist dagegen gegen akute Prozesse (Blutungen,
beginnende Nekrosen) recht resistent.
H. Rautmann: Ueber Blutbild ang bei fötaler allgemeiner
Wassersucht. (E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem.
Pathol., Bd. 54, H. 2.) Bei einem Fötus aus dem Anfang des dritten
Monats, welcher einen allgemeinen Hydrops aufwies, fand sich in Leber,
Milz und Nieren eine hochgradige Wucherung von Erythroblasten und
grossen lymphoiden Zellen, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit als
lymphoide-basophile Mutterzellen von Erythroblasten zu deuten sind.
Fast sämtliche Leukocyten traten io den Btutbildungsherden völlig in
den Hintergrund. (Erythroblastose.)
J. Ipsen: Untersuchungen über die Grawitx’schen Geschwftlsto.
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54,
H. 2.) An der Hand von 35 von ihm untersuchten Grawitz’schen
Tumoren bespricht Verf. die Frage ihrer Herkunft von versprengten
Nebennierenkeimen („überzähligen Nebennieren“). Er kommt zu dem
Resultat, dass es absolut am wahrscheinlichsten sei, anzunehmen, dass
die Hypernephrome nicht von Nebennierenkeimen ausgehen, sondern vom
Nierengewebe selbst und den papillösen Adenomen zuzurechnen seien.
J. F. Poschovisky: Zur Frage des Fettgehaltes der Milz.
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54,
H. 2.) 87 Milzen von Menschen sind auf ihren Fettgehalt geprüft Man
stellte fest, dass es sich in der Milz von Kindern ausschliesslich in den
epitheloiden Zellen der Malpighi’schen Follikel vorfindet, bei Erwachsenen
dagegen in der Pulpa, Trabekeln, Kapsel und Gefässen. Das Fett er¬
scheint meistens in Form kleinster Tröpfchen und gehört wahrscheinlich
zum Neutralfett.
E. Bundschuh: Ein weiterer Fall von tnberdser Sklerose des
Gehiris mit Tumoren der Dura mater, des Herzens und der Nieren.
(E. Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54,
H. 2.) Besprechung eines Falles von tuberöser Sklerose des Gehirns,
bei dem sich ausser den Veränderungen der Hirnrinde, Herden im Mark¬
lager und Ventrikeltumoren ein Gliom der Dura mater, ein Rhabdomyom
und Lipom des Herzens und eigentümliche Nieren Veränderungen
(lipomatöses Gewebe, fötale Glomeruli) fanden. Verf. beurteilt diesen
Befund als eine Störung in der embryonalen Entwicklung und zwar im
Sinne einer Hemmung in der Differenzierung der Zellen mit abnormer
Wucherung falschdifferenzierter Zellen.
Nicol: Ueber genuine eitrige Parotitis. (E. Ziegler’s Beitr. z.
pathol. Anatomie u. z. allgem. Pathol., Bd. 54, H. 2.) An fünf Fällen
von eitriger Entzündung der Parotis wird die Frage erörtert, ob der
Entstehungsmodus der stomatogen-ascendierende oder der hämatogen¬
metastatische sei. Verf. entscheidet sich für den ersteren. Benn.
L. Pincussohn - Berlin: Untersuchungen über die Seekrankheit.
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1, S. 155—158.)
Es wurden Versuche an Hunden mit Magenblindsack auf hoher See vor¬
genommen. Mit der Stärke der Schiffsbewegungen wird entsprechend
die Magensaftsekretion gehemmt. Bei schwerer See machten die Hunde
einen ganz apathischen Eindruck. Hunde, denen das innere Ohr voll¬
ständig zerstört war, verhielten sich wie normale Tiere.
K. Amerling - Prag: Experiueitelle Albumianrie und Nephritis
bei Hunden infolge Immobilisation. (Zeitschr. f. exp. Pathol, u. Ther.,
Bd. 12, Nr. 1, S. 108—115.) Eine zweistündige Immobilisation von
Hunden genügt, um Albuminurie und Nephritis zu erzeugen.
Jacoby.
Siehe auch Augenheilkunde: Ito, Pathologische Anatomie bei
Retinitis syphilitica hereditaria. — Hygiene und Sanitätswesen =
0ehler, Schädlichkeit des destillierten Wassers.
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
33
Diagnostik.
Lochm an n - Strasswalcheo: Ueber Schnlterschmerz bei Appendi-
fitis. (Therapie d. Gegenw., November 1912.) Verf. hat bei zwei
Fällen von Perforation des Proc. vermiformis einen Schulterschmerz
beobachtet. Er ist der Ansicht, dass dieser durch die Ausbreitung der
Entzündung von der Appendix auf den Bauchfellüberzug der Leber
durch Vermittlung des N. phrenicus erklärt wird. R. Fabian.
Parasitenkunde und Serologie.
W. Studte-Gelsenkirchen: Vergleichende Untersuchungen über den
diagnostischen Wert einiger neuer Typhnsnährbö'den. (Zeitschr. f.
Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 444.) Verf. hat vergleichende
Untersuchungen mit dem Endo’schen Nährboden, dem Conradi’schen
Brillantgrünagar, dem Werbitzki’schen Chinagrünagar, dem Gaethgens-
scben Coffein-Endoagar, dem Kindborg’schen Säurefuchsinagar und dem
Löffler’schen Reinblauagar angestellt. Keiner der geprüften neueren
Nährböden vermochte den erprobten Endo’schen zu übertreffen. Ein
Idealoährboden ist keiner der nachgeprüften; denn die von einem solchen
zu fordernden Bedingungen, Ausschaltung der Koukurrenzbakterien, Be¬
günstigung oder charakteristische Markierung der Typhuskolonien in
kürzester Bebrütungsdauer erfüllt keiner derselben. Möllers.
H. Bontemps -Hamburg: Menschenpathogenität eines saprophytisch
im Schweinedarm lebenden paratyphnsähnlichen Bakteriums. (Deutsche
roed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Laboratoriuminfektion mit einem
sonst saprophytischen Bakterium. Der Nachweis der Pathogenität gelang
durch Präcipitinbildung beim ZusammenbriDgen von Patientenserum mit
dem verdächtigen Stamm. Wolfsohn.
N. Gasiorowski-Lemberg: Ueber einen choleraähnlichen Vibrio.
(Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 530.) Der vom Verf.
isolierte „Vibrio Tarnopol“ ist ein choleraähnlicher Vibrio, der fast in
Reinkultur im Darminhalt nachgewiesen wurde und den Koch’schen
Vibrionen sowohl morphologisch wie im Verhalten auf Nährböden und
den Tieren gegenüber sehr ähnlich war. Erst die spezifischen Reaktionen
— Agglutinationsprobe und der Pfeiffer’sche Versuch — bewiesen, dass
die isolierten Mikroorganismen in die Gruppe der choleraähnlicben Vibrio¬
nen gehörten.
O. Sc hie mann-Berlin: Ueber die Zuverlässigkeit des diagnostischen
Tierversuches bei Lyssainfektion. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912,
Bd. 72, H. 3, S. 413.) In einem Fall von klinisch sicherer menschlicher
Wut, der zum Exitus kam, konnte die Diagnose Tollwut durch den in
üblicher Weise angestellten Tierversuch zunächst nicht gestellt werden,
denn die mit Teilen des Ammonshornes und der Hirnrinde infizierten
zwei Kaninchen starben nach mehreren Monaten, ohne das Bild der Wut
gezeigt zu haben. Dagegen führte die Verimpfung des Rückenmarks
auf die Versuchstiere zu einem positiven Resultat. Für den Misserfolg
des Tierversuches oder den atypischen Verlauf der Infektion macht Verf.
in Uebereinstimmung mit Jos. Koch „atypische Lokalisation, unge¬
nügende Vermehrung oder geringe Virulenz des Erregers“ in dem Impf¬
material verantwortlich. Verf. kommt zu dem Schluss, dass man nicht
berechtigt ist, Tollwut mit Sicherheit auszuschliessen, wenn die mikro¬
skopische Untersuchung auf Negri’sche Körperchen und der Tierversuch
negativ ausfallen, sondern, dass man sein Urteil nur unter Berück¬
sichtigung aller für die Diagnose in Betracht kommenden Momente
fällen darf. Möllers.
J. Fräs er-Edinburgh Die Unterscheidung des humanen und bovinen
Typs des Tnberkelbaeillns. (Brit. med. journ., 23. November 1912,
Nr. 2708.) Man kann die beiden Typen unterscheiden, wenn man
kleine Mengen der Bacillenemulsion ins Kniegelenk von Kaninchen
bringt. Man kann auch Eiter oder andere Flüssigkeiten zur Unter¬
suchung benutzen, sie dürfen aber keine Mischinfektion enthalten. Der
humane Typus verursacht einen chronischen Synovialtuberkel; der bovine
macht schon nach 10 Tagen eine akute Entzündung und efne fort¬
schreitende allgemeine Erkrankung. Das Gelenk verkäst; Lunge, Milz
uod Nieren erkranken ebenfalls. Die Unterscheidung der beiden Typen
ist auf diese Art rasch, leicht und bequem möglich.
Weydemann.
Bacmeister und Rueben-Freiburg i. Br.: Ueber „sekundäre“
TiVerkalose. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Nach der
Stäubli-Schnitter’schen Methode (Auflösung des Blutes in 3 proz. Essig¬
säure, kombiniert mit Antiforminverfahren) sind im Ausstrichpräparat
von strömendem Blut in der letzten Zeit vielfach säurefeste Stäbchen
gefunden worden, die als Tuberkelbacillen gedeutet wurden. Man bat
daraus weitgehende diagnostische und prognostische Schlüsse zu ziehen
▼ersucht. Die Verff. halten diese Befunde nicht für einwandfrei. Nach
ihren Untersuchungen finden sich die typischen säurefesten Stäbchen
auch bei nichttuberkulösen Menschen und im Blute sicher nichttuber¬
kulöser Kaninchen. Die Frage nach der Herkunft dieser Gebilde wird
nicht entschieden. Die Verff. möchten glauben, dass es sich um Kunst¬
produkte handelt, die allerdings nur im Blute Vorkommen. Es kann
demnach nur der Tierversuch uns über das Vorhandensein des Tuberkel-
bacillus im Blute Auskunft geben. Wolfsohn.
Graf-Berlin: Vergleichende Untersuchungen über Giftbildnng in
DipktheriebaeiUenkmltaren. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72,
H. 3, S. 523.) Unter 28 im ganzen untersuchten Fällen war in etwa
der Hälfte der Beobachtungen die Giftproduktion vom 10. bis zum
20. Tage stärker als iu den ersten 10 Tagen. Wesentliche Unterschiede
in der Gifterzeugung der aus frischen Diphtheriefällen und der von
Genesenen gezüchteten Stämme wurden nicht beobachtet. Auch die
lange Zeit von Genesenen beherbergten Stämme erwiesen sich zum Teil
als so giftig, dass sie Meerschweinchen von 250 g Körpergewicht inner¬
halb 4 J / 2 Tagen unter den bekannten Erscheinungen und Sektionsergeb¬
nissen zu töten vermochten, wenn die Bouillon in Mengen von 0,2 oder
0,1 ccm eiogespritzt wurde.
E. Frankel-Hamburg: Ueber die Mensehenpathogenität des Ba¬
cillus pyocyanens. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72, H. 3,
S. 486.) Bei der Invasion des Baoillus pyocyaneus in die Gewebe
machen sich negativ chemotaktische Einflüsse geltend. Der Bacillus
pyocyaneus löst überwiegend hämorrhagisch-Dekrotische Prozesse aus;
auch dann, wenn er zu exsudativ-eitrigen Vorgängen Anlass gibt, be¬
steht eine nicht verkennbare Neigung zum Auftreten hämorrhagischer
Beimengungen zu den Exsudaten. Abgesehen von dem kulturellen Nach¬
weis des Bacillus pyocyaneus im strömenden Blut gibt es kein Symptom,
das uns mit absoluter Sicherheit zu der Diagnose einer Pyocyaneus-
infektion berechtigte, ln zweiter Linie kommt dem Exanthem, das durch
das Auftreten an Zahl und Grösse wechselnder hämorrhagischer Quaddeln,
Blasen und Geschwüre charakterisiert ist, eine hohe klinische Be¬
deutung zu. Möllers.
J. F. Anderson und W. H. Frost: Die Uebertragung der Polio¬
myelitis durch die Stallfliege. (Lancet, 30. November 1912, Nr. 4657.)
Wiederholung der Versuche von Rosenau. Infizierte Affen wurden den
Stichen von Stomoxys calcitrans ausgesetzt, und diese Hessen die Verff.
wieder an drei gesunden Affen stechen. Alle drei erkrankten an Polio¬
myelitis 7, 8 und 9 Tage, nachdem sie zuerst den Fliegenstichen aus¬
gesetzt waren. Es bleibt durch weitere Untersuchungen festzustellen,
ob die Stomoxys die Poliomyelitis in der Regel oder nur ausnahmsweise
überträgt. Weydemann.
E. Heilner und R. Schneid er-München: Ueber den schützenden
Einfluss des Komplements (Alexin) auf den Eiweissstoffwechsel. (Zeit¬
schrift f. Biol., Bd. 59, H. 8, S. 321—334.) Spritzt man Kaninchen
artfremdes Eiweiss in die Blutbahn, während sie im Hungerzustand sich
befinden, so kommt es zum Komplementschwuud, die eingespritzten,
artfremden Blutzellen werden aufgelöst, und es entwickelt sich eine
intensive Eiweisszersetzung, bei der viel Körpereiweiss eingeschmolzen
wird. Daneben wird eine grosse Diurese beobachtet. Alle diese Er¬
scheinungen werden bei Einspritzung von arteigenem Eiweiss vermisst.
Bei fiebernden oder krebskranken Tieren wirkt arteigenes Eiweiss wie
sonst artfremdes. Nach der Ansicht der Verff. bat das Komplement die
Funktion, einen zu starken Eiweisszerfall im Organismus zu verhüten.
Wird experimentell ein Komplementsohwund bewirkt, so entwickelt
sich das schwere Krankheitsbild des starken Eiweisszerfalls.
Jacoby.
A. Uffenheimer-München: Hanigiftigkeit and Anaphylaxie.
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) U.’s Untersuchungen haben
ebenso wie Mautner’s ergeben, dass von einer spezifischen Harngiltig¬
keit bei Masern nicht die Rede sein kann. Die Behauptung von Aron-
son und Sommerfeld, dass die intravenöse Harninjektion für Masern
differentialdiagnostisch verwertbar sei, trifft demnach keineswegs zu.
Weder starben alle mit Masernurin behandelten Tiere, noch sind andrer¬
seits andere Infektionskrankheiten von Masern in dieser Beziehung prin¬
zipiell verschieden. Besonders bei Scharlach ist eine Harntoxizität
häufig. Ob die im Urin wirksamen Stoffe anaphylaktischer Natur sind,
kann bisher noch nicht sicher gesagt werden. Verf. ist mit diesbezüg¬
lichen Versuchen beschäftigt. Wolfsohn.
G. Izar-Catania: Ueber Antigene für die Meiostagminreaktion.
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) Dass die Tumor- oder Pan¬
kreasantigene durch Verbindungen der Myristilsäure mit Proteinen er¬
setzt werden können, wurde früher schon nachgewiesen. Es genügt
jedoch der Zusatz von Myristilsäure allein zu Tumorserum.
P. Hirsch.
Mutermilch und Hertz-Warschau: Untersuchungen über den
Gehalt an Komplement in normalen und pathologischen Flüssigkeiten
des Körpers. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 und 6.) M. und H.
haben den Komplementgehalt verschiedener Körperflüssigkeiten unter¬
sucht, indem sie die hämolytische Wirkung eines inaktivierten Kaninchen-
amboceptors auf Hammelblutkörperchen nach Zusatz von 0,05—0,4 der
betreffenden Flüssigkeiten als Komplement prüften. Sie fanden, dass
Oedemflüssigkeiten sowie eitrige und serös-eitrige Exsudate und normale
wie patholologische Cerebrospinalflüssigkeiten kein Komplement oder
erstere nur in Spuren enthalten. Serös-entzündliche Exsudate haben
hämolytisches und baktericides Komplement. H. Hirschfeld.
Siehe auch Iuuere Medizin: Panton und Tidy, Vorkommen
des Bacterium coli im Blut. — Kinderheilkunde: Jemma, Leish-
man’sche Anämie. — Augenheilkunde: Stiel, Trachomähnliche
Bindehautentzündung mit Blastomycetenbefund.
Innere Medizin.
D. Gerhardt-Würzburg: Das Crescendogeränsch der Mitral¬
stenose. (Münchener med. Wochenschr., 1912. Nr. 50.) G. teilt einige
Fälle mit, die seiner Meinung nach dafür sprechen, dass das Crescendo-
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34
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
geräusch der Mitralstenose durch eine Kontraktion des Vorhofes ent¬
steht, dass aber andererseits durch die Mitwirkung der Ventrikel¬
kontraktion seine charakteristische Eigenart des klappenden Abschlusses
erhält. Das Geräusch entsteht also durch den atrioventrikulären Blut¬
strom. Diese Anschauung beweist folgendes: 1. Es gibt Fälle, bei denen
das präsystolische Geräusch nicht in den ersten Ton übergeht, sondern
nur leise blasend ist; der erste Ton klappt nicht. 2. Bei manchen
Mitralstenosen mit Ueberleitungsstörung hört man bei den auf die Pause
folgenden ersten drei oder vier Herzschlägen ein typisches präsystolisches
Geräusch mit klappendem ersten Ton; bei den späteren ist das Geräusch
durch eine kurze Pause vom ersten Ton getrennt. 3. Manchmal bestehen
bei Mitralstenosen mit totaler Unregelmässigkeit des Pulses diastolische
Geräusche mit Crescendocharakter. Dünner.
B. Stein-Wien: Zur Behandlung der Leukämie mit Benzol.
(Wieuer klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) In einem Fall von myeloischer
Leukämie, bei dem die Röntgentherapie erfolglos geblieben war, hat St.
das von Koranyi empfohlene Benzol angeweudet. Es gelang bei der
67järigen Patientin innerhalb 42 Tagen die Leukocytenzahl von 225 000
zur Norm zu reduzieren. Im Verlauf der Benz.oldarreichung stieg das
Körpergewicht, und der ganze Komplex der subjektiven Symptome
schwand. Die Milz, die vordem bis zur Mittellinie reichte, war nach
Abschluss der Behandlung nicht mehr palpabel. P. Hirsch.
P. N. Panton und H. L. Tidy- London: Vorkommen des Bact.
coli im Blute. (Lancet, 31. November 1912, Nr. 4G57.) Blutkulturen
von Personen, die an Colierkrankungen leiden, sind fast stets steril;
den Verfassern ist es eben in drei Fällen gelungen, aus dem Blute eine
Reinkultur des Bact. coli zu erhalten. In zwei von diesen Fällen wurde
das Blut zurZeit des Beginnes des Schüttelfrostes entnommen, im dritten
Falle 3 l / 2 Stunde später; in anderen Fällen, wo das Blut noch später
entnommen wurde, war es steril. Der positive Blutbefund weist auf
einen Zusammenhang zwischen Schüttelfrost und dem Uebertritt grösserer
Bacillenmengen in den Blutstrom hin. Weydemaun.
Schiele: Neigung der oberen Thoraxapertur. (Zeitschr. f. kliu.
Med , Bd. 76, H. 5 u. 6.) Die Neigung der oberen Thoraxapertur, der
Winkel, in welchem die Rippen gegen die Horizontale zu getragen
werden, ist ein Gradmesser der Konstitution. Beim asthenischen
Habitus ist der Winkel, welchen die obere Thoraxapertur mit der Wirbel¬
säule bildet, ein kleinerer, wie beim Habitus des kräftigen gesunden
Menschen. Verf. schildert nun, in welcher Weise die Lage der Brust-
und Baucheingeweide beim asthenischen Habitus durch die stärkere
Neigung der oberen Thoraxapertur und ihre Folgezustände beeinflusst
wird. Das Herz tritt tiefer, und da die Höhe des Aortenbogens gegen¬
über der Wirbelsäule konstant ist, wird die Aorta gedehut uud ver¬
engert. Die Leber tritt tiefer und lenkt die rechte Niere aus ihrem
Bett, ebenso ergeht es dem Magen und dem Dickdarm, und so kommt
es zu einer allgemeinen Enteroptose infolge der Thorakoptose. Es wird
eine Methode angegeben, die Neigung der oberen Thoraxapertur zu
messen. Die Atemexkursionen des Brustkorbes spielen eine wichtige
Rolle, nicht nur für die Lungen selbst, sondern auch für die Herztätig¬
keit und die Funktionen der Bauchorgane. Die Verknöcherung des ersten
Rippenknorpels ist nach Verf. nicht Ursache, sondern Folge einer Lungen¬
spitzentuberkulose. Sie entsteht durch die verminderte Intensität der
Atmung. Die Lungentuberkulose des Kulturmenschen folgt aus dem
Mindergebrauch der Lunge. Der phthisische Thorax ist nicht angeboren,
sondern erworben. Er kann durch zweckmässige Gymnastik in seiner
Entstehung verhindert werden. Gibt es doch beim Neugeborenen keinen
paralytischen Thorax. H. Hirschfeld.
L. Hofbauer-Wien: Natur und Entstehung der Kroenig’schen
Langenspitzenatelektase. (Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Ther., Bd. 12,
Nr. 1, S. 159—164.) Beim Mundatmer vergrössern sich die Atembewe¬
gungen der oberen Brustkastenpartie bis zur Norm, wenn er gezwungen
wird, durch die Nase zu atmen. Während der Nasenatraung verschwindet
die Spitzenatelektase, die nur in einer Luftverarmung der Lunge ohne
jede gewebliche Veränderung begründet ist. Verf. tritt für die Brauch¬
barkeit seiner pneumographischen Methode ein. Jacoby.
Frankenhau ser: Ueber die Wirkung der Cyklonen (barometrischen
Minima) auf das Allgemeinbefinden. (Zeitschr. f. physikal. u. diät.
Therapie, Dezember 1912.) Viele scheinbar Gesunde sind gegen das
Herannahen der Cyklonen (barometrischen Minima) empfindlich und
reagieren darauf mit Krankheitserscheinungen. Gewisse Krankheiten
prädisponieren zu dieser Empfindlichkeit (Cyklonopathie) und werden
durch die Cyklonen ungünstig beeinflusst. Die Krankheitserscheinungen
der Cyklonose setzen sich zusammen aus einem kongestiven cerebralen,
katarrhalischen intestinalen und einem rheumatoiden peripheren
Symptomenkomplex, von denen immer einer in den Vordergrund tritt.
Die Ursachen sind nicht aufgeklärt. Wahrscheinlich handelt es sich um
Vibrationen des Luftdrucks, Luftverunreinigungen, Aenderungen des
Elektrizitätsgehaltes und Wasserdarapfgehaltes, die den Cyklonen und
dem Barometerfall vorausgehen. Man kann den Erscheinungen rationell
entgegentreten und Vorbeugen. Für cyklonopathische Personen muss
man Orte aufsuchen, wo sie vor dem Einfluss der Cyklonen geschützt
sind.
Falkenstein: Verdannng und Stoffwechsel. (Zeitschr. f. physi¬
kalische u. diät. Therapie, Dezember 1912.) F. bespricht an der Hand
der Forschungen über Phagocytose und Opsoninbildung, also unserer
neueren Kenntnisse über intrazelluläre Verdauung, sowie der Fortschritte
in der modernen Chemie in bezug auf die Veränderung der Nahrungs¬
mittel im Verdauungskanal den ganzen Hergang, der sich vom Moment
der Nahrungsaufnahme bis zur Ausscheidung der Auswurfstoffe vollzieht.
E. Tobias.
L. Rupport-Wien: Ein piimäres endogastrisehes Lymphosarkom.
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Demonstriert in der k.k. Ge¬
sellschaft der Aerzte in Wien, Sitzung vom 22. November 1912. Referat
siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
Schaal-Köln: Enterospasmns yerninosns. (Münchener med.
W T ochensehr., 1912, Nr. 48.) Ascariden können Veranlassung zu Spasmen
des Darmes geben, die klinisch ileusartige Symptome machen. Bei
einem solchen Falle, der wegen der Erscheinungen operiert wurde, fand
sich der Dünndarm in einer Ausdehnung von 25 ccm strikturiert. Man
fühlte einen Ascaris durch. Dünner.
L. Rütimeyer: Ueber die diagnostische Behandlung derFerment-
erkrank lügen, speziell des Labfermentes des Magensaftes bei Magen¬
krankheiten, zugleich ein klinischer Beitrag zur Frage der Wesenseinheit
von Lab und Pepsin beim Menschen. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5, S. 573.)
Die Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich auf das Lab, in zweiter
Reihe auf das Pepsin und betreffen einmal die Frage nach der Bedeutung
uud zweitens nach der Quantität derselben. Methodologisch bevorzugt
Verf. die Boas’sche Probe und hat diese auch in einer Anzahl von Malen
mit dem Fuld’schen Verfahren verglichen. R. hält die erstere für den
Praktiker für vollkommen ausreichend, da sie in 06,6 pCt. völlige Ueber-
einstimmung und in 88 pCt. Boas gleiche oder etwas höhere Ausschläge
wie Fuld gab. Es zeigte sich ferner, dass die betreffenden Magensäfte
möglichst frisch, jedenfalls innerhalb 8—10 Stunden nach der Entnahme
zu untersuchen sind, da bei längerem Stehen ihre milchcoagulierende Kraft
in 60 pCt. der Fälle abnimmt und sich niedrigere Grenzwerte ergeben.
Für die Pepsinbestirnmungen genügt die Prüfung nach Mett mit der
Modifikation von Nierenstein und Schiff (die nach den seinerzeit von
Kaiserling auf meiner Abteilung angestellten Versuchen auch nicht
nötig ist. lief.); die Ergebnisse nach Solms und Jacoby sowie Wolff
und Tomaczewski waren nicht so scharf wie die mit Mett erhaltenen.
Alle Magensäfte wurden nach dem Ewald’schen Probefrühstück und im
ganzen 109 Fälle mit 236 Lab- und 186 Pepsinuntersuchungen analysiert.
Aus den im Original übersichtlich zusammengcstellten Ergebnissen ist
hervorzuheben, dass die Untersuchung auf die peptische Wirkung nach
Mett weniger Anhaltspunkte für die Differentialdiagnose zwischen
Carcinom uud Achylie gibt als die Labprobe. Letztere ist empfindlicher
und feiner nuanciert nach ihrem diagnostischen Werte, verdient deshalb
für den praktischen Arzt den Vorzug. Bei malignen Prozessen scheint
während der Entwicklung derselben ein Absinken des Fermentgehaltes
vorzukommen (was doch selbstverständlich ist! Ref.). Sekretionen von
jreier Salzsäure und von Lab und Pepsin sind, in Bestätigung bekannter
Angaben, voneinander unabhängig, aber auch in der Abscheidung von
Lab und Pepsin unter sich kommen, wenn auch geringere, Divergenzen
vor. Diese Tatsache spricht nicht im Sinne der Wesenseinheit von Lab
und Pepsin.
E. K. Tauber: Zur Frage von den Stfirnngen der Fettverdannng
bei den Erkrankungen der Leber und des Pankreas. (Boas’ Archiv,
Bd. 18, H. 5, S. 627.) Es wurden acht Fälle von Lebercirrhose mit
fehlendem oder nur ganz vorübergehendem leichten Icterus auf den Fett¬
gehalt (Ncutralfett, Fettsäuren, Seifen) untersucht uüd die Einwirkung
des Pankreon (3 mal tägl. 1,0 wärend 3 Tagen) bestimmt. Störungen
der Fettverdauung waren unzweifelhaft vorhanden, am stärksten und
konstantesten war die Herabsetzung der Fettverseifung, geringer (nur in
zwei Fällen) die Störungen der Fettspaltung. Die Resorption des Fettes
war, mit Ausnahme der beiden Fälle mit Icterus, „ungefähr normal“.
Die Wirkung des Pankreas war unsicher, schien aber die Resorption
einigermaassen zu verbessern. Ewald.
K. v. Noorden - Wien: Ueber ernsthafte Folgeznstände 4er chro¬
nischen Obstipation. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 3 u. 6.) Payr
hat ein durch gutartige Stenosen an der linken Coliflexur zustande
kommendes Krankheitsbild geschildert, das mit tagelanger Stuhlverbaltung
und starken Entleerungen abwechselt und in akuten Fällen ileusartige
und peritoneale Erscheinungen hervorrufen kann. Die Ursache liegt in
narbigen Verwachsungen des Colons sowie in Coloptose. Nach Beob¬
achtungen v. Noorden’s kann auch die chronische spastische Obstipation
zu derartigen Folgezuständen führen, und es wird ein derartiger Fall
mitgeteilt. Die Therapie bestand zunächst in der Verabreichung von
Atropin, dann wurde kurze Zeit eine schonende kalorienreiche Diät ge¬
geben und dann erst allmählich zu gröberer Diät übergegangen. Kommt
es aber bei dieser groben Kost zu neuen Attacken, so ist darin ein
Zeichen dafür zu sehen, dass Adhäsionen, Strikturen oder Fixationen
bestehen, die nur operativ zu beseitigen sind. H. Hirschfeld.
E. Fricker: Eosinophile Proktitis. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5,
S. 656.) F. teilt vier F'älle dieser interessanten, zuerst von Neubauer
und Häubli beobachteten Erkrankung mit, bei welcher in Zusammen¬
hang mit einer akuten Proktitis unbekannter Ursache in den schleimig¬
blutigen Ausleerungen zahlreiche eosinophile Zellen und Charcot-
Leyden’schen Kristalle gefunden wurden. Das Körperblut zeigt dabei
keine Vermehrung der eosinophilen Zellen, überhaupt keine Veränderung
des weissen Blutbildes. Wodurch der offenbar p. diapedesin erfolgende
Austritt der Eosinophilen aus dem Blute in das Darmlumen yeranlasst
wird, bleibt offen. (Ref. würde an chemotaktische Vorgänge denken.)
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
35
Charakteristisch sind die der Darmschleimhaut anhaftenden, gelbiich-
weissen Schleimaoflagerangen, in denen die genannten Gebilde gefunden
werden. Ewald.
L. Jacob-Würzburg: Beitrag zur Kenntnis des Paratyphus. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Epidemie nach Genuss von
Leberwuret Bei einem Patienten traten zwei verschiedene Verlaufs-
formen des Paratypbus, nämlich der gastroenteritische und der typhöse, auf.
Dünner.
Dolgopol - Odessa: Zur Kasuistik der Erkrankung des Nervus
nlnaris nach Unterleibstyphus. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5
u. 6.) Verf. beschreibt einen Fall von Neuritis des Nervus ulnaris
während der Rekonvaleszenz eines Typhus bald nach dem Abfall der
Temperatur. Er schliesst sich nicht der Meinung von Bernhardt an,
dass es sieb bei diesen Beobachtungen um eine Drucklähmung durch
das andauernde Liegen bandle, sondern um eine toxische Einwirkung.
Tachau-Berlin : Der diagnostische Wert der Harnpepsinbestimmung.
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, fl. 3 u. 4.) Auf die diagnostische Ver¬
wertbarkeit der Harnpepsinbestimmung, insbesondere auch für das Magen-
carcinom, bat man grosse Hoffnungen gesetzt. Nach den Untersuchungen
des Verf. gibt uns aber das Verhalten des Harnpepsins keine sicheren
diagnostisch verwertbaren Aufschlüsse. Wir können weder bei einer
Herabsetzung der Fermentmenge im Harn mit Sicherheit krankhafte Ver¬
änderungen der Magensekretion annehmen, noch bei normaler Harnpepsin¬
menge eine Magenaffektion ausschliessen. Auch für die Differential¬
diagnose des Magencarcinoms gibt uns die Harnpepsinuntersuchuug keine
verwertbaren Anhaltspunkte. H. Hirschfeld.
W. Weiland-Kiel: Kohlehydratkuren und Alkalitherapie bei
Diabetes mellitas, ihre Indikation und Prognose. (Zeitschr. f. experim.
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1, S. 116—151.) Bei richtiger Indikations¬
stellung ist die Haferkur anderen Kohlehydratkuren vorzuziehen, In ihrer
Kombination mit eiweissarmer Fettgemüsekost und Alkalidarreichung
wird sie nie Schaden anrichten und ist schonender als die Verwendung
anderer Mehlarten. Bei schwerem Diabetes wird Hafer besser toleriert
als andere Kohlehydrate. Verf. gibt jedem Diabetiker Natr. bic. in
grossen Dosen, so dass die Urinreaktion stets alkalich bleibt. Für jeden
Diabetiker ist im Anfang klinische Behandlung wünschenswert, für die
schweren Kranken ist quantitative Bestimmung der Zucker- und Aceton¬
körperausscheidung notwendig. Im allgemeinen ist für den Diabetiker
mit Acidosis eine Gefahr nicht zu befürchten, wenn es gelingt, den Urin
mit 40—50 g Natr. bic. zu alkalisieren. Jacoby.
Fr. Ro 1 ly - Leipzig: Ueber die Nutzanwendung der neueren
Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der Serumtherapie und der
Praxis. (Schluss ) (Ther. d. Gegenw., November 1912.) Verf. behandelt
ausführlich die Serumtherapie bei Streptokokken-, Pneumokokkeninfek¬
tionen, bei der epidemischen Genickstarre, bei der Dysenterie, Unter¬
leibstyphus, Cholera und Milzbrand. Als Resultat seiner Untersuchungen
kommt Verf. zu der Erkenntnis, dass die Erfolge der Serumtherapie am
Menschen trotz enorm geleisteter experimenteller Arbeit an Tieren bisher
noch sehr gering sind. Nur eine Ausnahme macht das Diphtherieserum.
R. Fabian.
A. Schittenhelm und W. Weichardt-Erlangen: Ueber ende-
■isekei Kropf ii Bayora. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 48.) Nicht die geologische Formation ist das Primäre für die ende¬
mische Verbreitung des Kropfes, sondern die Infektion des Wassers, die
allerdings durch gewisse Gesteinsarten begünstigt werden kann. Das
am meisten fördernde Element scheint das Gebirge zu sein. In den
Kropfgegenden ist das Befallensein der Schuljugend (um das 10. Lebens¬
jahr) der beste Gradmesser für die Stärke der Endemie.
Dünner.
H. Schlesinger-Wien: Meine Erfahrungen über den akuten Morbus
Baaoiowii. (Ther. d. Gegenw., November 1912.) Zum Krankheitsbilde
des akuten Morbus Basedowii gehört als auffallendstes Symptom eine
ganz rapide Abmagerung. Ziemlich früh entwickelt sich ein grosser,
harter Tumor. Häufig findet sich remittierendes oder intermittierendes
Fieber. Ausschlaggebend für die Diagnose ist die Veränderung der
Schilddrüse. Eine Vergrösserung ist häufig nicht nachweisbar; man aus¬
kultiert ausgesprochene Gefässgeräusche. Tachycardie war in den Fällen
des Verf. stets nachzuweisen. Im Blute findet sich eine Leukopenie mit
relativer Lymphocytose. Bisweilen kommt eine Glykosurie vor. Häufig
finden sich auch Symptome von seiten des Magendarmtractus, die von
denen der chronischen Formen nicht abweichen. Auffallend wenig
widerstandsfähig sind die Kranken mit akutem Basedow gegen äussere
Schädlichkeiten. Die Behandlung besteht in absoluter Bettruhe, Mastkur,
vorzugsweise durch ein Eiweiss - Fettregime. Von Medikamenten:
Antitbyreodin Moebius 8 mal täglich eine Tablette oder 3 mal täglich
15 Tropfen in Kombination mit einer Kakodylbehandlung (tägliche intra¬
muskuläre Injektion von 0,02 bis 0,05 Natr. cacodyl., im ganzen 30 In¬
jektionen). In jedem Falle sind Röntgenbestrahlungen vorzunehmen.
Daneben kommen noch in Betracht die physikalischen Heilmethoden, wie
leichte bydratische Prozeduren. Galvanisation am Halse. Empfehlens¬
wert ist ein Aufenthalt im Hochgebirge (1000 bis 1500 m).
R. Fabian.
H. Lobriscb: Qualitativer Nachweis von Fett in den Sekreten
und Exkreten mit besonderer Berücksichtigung der Fäces. (Boas’ Arch.,
Bd. 18 H. 5, S. 636.) Empfehlung des Nilblausulfats, welches neutrales
Fett rosarot/ Fettsäuren tiefdunkelblau bis hellblau, Fettsäurenadeln
und Seifen gar nicht färbt. Muskelfasern werden hellblau oder grünlich¬
blau, Cellulose grünblau, Bakterien und Hefezellen blau, Bindegewebe
und Schleim bleiben ungefärbt, ebenso Stärkekörner. Ewald.
W. Falta und L. Zehner-Wien: Ein Fall von Gicht, Bit
Thorilm X behandelt. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Mit¬
teilung in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, Sitzung vom
6. Dezember 1912, Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
R. W. Cruickshank - Egnsham: Bemerkung über das Ratten¬
bissfieber. (Brit. med. journ., 23. November 1912, Nr. 2708.) Kranken¬
geschichte mit Temperaturtabellen eines in England beobachteten Falles
von Rattenbissfieber. Wey de mann.
Siehe auch Pharmakologie: Satz mann, Aufhebung der narkoti¬
schen Wirkung bei gleichzeitiger Aufnahme von Fett. — Allgemeine
Pathologie und pathologische Anatomie: Chiari, Traumatische
Entstehung von akuter Bronchitis. — Therapie: Osten, Dauerdrainage
bei Ascites. Emmerich, Therapie der Cholera asiatica. — Augenheil¬
kunde: Cosmettatos, Metastatische Ophthalmie infolge Pneumonie.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Fabritius - Helsingfors: Zur Frage nach der Gruppierung der
motorischen Bahnen im Pyramidenseitenstrang des Menschen. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Polemik gegen Kehrer (siehe
Bd. 41). F. hält auch auf Grund weiterer, genau analysierter Fälle
daran fest, dass die Pyramidenstrangfasern im Rückenmark gruppen¬
förmig und nicht diffus angeordnet sind.
Lasarew - Kiew: Wird das zu therapeutischen Zwecken io den
Organismus eingeführte Quecksilber in die Cerebrospinalflüssigkeit ab¬
geschieden? (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Das
eingeführte Hg geht nicht in die Cerebrospinalflüssigkeit über, in welcher
Form es auch dem Organismus zugeführt wird. Die Hg-Wirkung kommt
also durch das Blut zustande. In welcher Form es hier circuliert, ob
als Albuminat oder als freie Ionen, ist noch nicht bekannt.
K. Kroner.
R. Hoffmann - München: Lumbale Hypophysininjektionen. (Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 u. 6.) Der nach Durchschneidung
des Hypophysenstieles eintretende Tod von Versuchstieren hat seinen
Grund darin, dass durch diese Kontinuitätstrennung der Uebertritt des
kolloidalen Hypophysensekrets in den dritten Ventrikel bzw. in den
Liquor cerebrospinalis unmöglich gemacht wird. Es müsste untersucht
werden, ob die letale Wirkung der Durchschneidung des Hypophysen¬
stieles durch lumbale Injektion von Hypophysin aufgehalten wird. Nach
intralumbalen Hypophysininjektionen bei Kaninchen sah Verf. starke
Kontraktionen der Blase. Beim Menschen können ähnliche Versuche
eventuell durch Epiduralmjektionen an der Blase des Tabikers und am
wehenschwachen Uterus gemacht werden. Vielleicht kommt das Hypo-
pbysin für den Stoffwechsel des Centralnervensystems in Betracht.
H. Hirschfeld.
Otto Veraguth - Zürich: Die Grundlagen der Psychotherapie.
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50. Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
B. Revesz-Hermannstadt: Psychiatrische Fürsorge auf dem
Kriegsschauplätze. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Eine
systematisch durchgeführte psychiatrische Fürsorge im Kriege ist zum
ersten Male im russisch japanischen Kriege organisiert worden, und zwar
hauptsächlich auf russischer Seite. In Ermangelung sonstigen statisti¬
schen Materials müssen unsere psychiatrische Bestrebungen auf den dort
gesammelten Erfahrungen basieren. Es erscheint heutzutage als ein
sehr wichtiger Zweig des Militärsanitätswesens, psychiatrische Spezialisten
auf den Kriegsschauplatz zu entsenden und eigene Militärsanitäts-
abteiluDgen für psychisch erkrankte Kombattanten in der Nähe der
Feuerlinie zu etablieren. P. Hirsch.
Soh uhart-Dresden: Sieben Fälle von psychischer Erkrankung nach
gynäkologischer Behandlung geheilt. (Münchener med. Wochenschr.,
1912, Nr. 48.) Erwiderung auf die Arbeit von Ortenau in Nr. 44 der
Münchener med. Wochenschr.
P. Mathes - Graz: Psychiatrie in der Gynäkologie. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Auch M. nimmt gegen Bossi, der viele
psychiatrische Erkrankungen durch gynäkologische Behandlung heilen
will, energisch Stellung. Dünner.
Müller - Marburg: Die Epidemiologie der sogenannten spinalen
Kinderlähmung. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 45, H. 3.)
Die spinale Kinderlähmung ist eine contagiöse Krankheit, die auch durch
scheinbar gesunde Zwischenpersonen übertragen werden kann. Die aus¬
gesprochene Prädisposition des frühen Kindesalters beruht aut einer be¬
sonderen Affinität zum Lymphapparat.
H. Curschmann - Mainz: Ueber familiäre atrophische Myotonie.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 45, H. 3.) Die Krankheit ent¬
wickelt sich langsam und schleichend. Die myotonischen Beschwerden
sind die ersten, dann folgt die Störung der Sprache, später Paresen und
Atrophien, zuletzt Ataxie; ausserdem Aufhebung der Potenz und der
Sehnenreflexe, vasomotorische Störungen, allgemeine Abmagerung, zu¬
nehmende Asthenie. Die Atrophie betrifft gewöhnlich am meisten den
M. sternocleidomastoideus und die distalen Teile der Extremitäten. Die
aktive Myotonie beschränkt sich an den oberen Ertremitäten ausscbliess-
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36 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _Nr. 1.
lieh auf die Faustschliesser und Fingerspreizer. Von den Kopfmuskeln
ist nur die Zunge myotonisch. Auch die elektrische Myotonie beschränkt
sich auf wenige Muskeln. Dieses schon von Steincrt erkannte Krank¬
heitsbild ist mit der Thomsen’schen Krankheit nicht identisch, vielmehr
ihr koordiniert. Die Ursache der Erkrankung liegt nicht im Muskel,
sondern wahrscheinlich in einer Störung der inneren Sekretion, wie dies
Erb auch früher schon für die Thomsen’sche Krankheit vermutet hat.
K. Kroner.
J. Krön: Ein Fall von operativ entfernten Kleinhirnbröcken-
winkeltnmor. (Neurolog. Centralbl., 1912, Nr. 24.) Die 34jährige
Patientin hatte sich fünf Jahre vor der jetzigen Erkrankung zweimal
eine Kopfverletzung zugezogen. Allmählich zeigten sich eine fort¬
schreitende linksseitige Gehörsabnahme, Parakusien, Kopfschmerzen, Ubn-
machtsanfälle, dann eine linksseitige, später auch rechtsseitige Opticus¬
atrophie, Fehlen des linken Corneal- und Scleralreflexes, Adiadokokinesis.
Die Diagnose lautete auf linksseitigen Kleinhirnbrückenwinkel- bzw.
Acusticustumor. Die Operation ergab eine Geschwulst von der Grösse
eines kleinen Apfels und wechselnder Konsistenz; die Geschwulst be¬
stand mikroskopisch aus dünnen Bindegewebsfibrillen, es handelte sich
um ein Fibrom, das aber den Charakter eines Fibrosarkoras bzw. Fibro-
myxoms annahm. Zwölf Stunden post operationem Exitus.
E. Tobias.
C. Tsiminakis-Athen: Nucleinsänrebebandlong der progressiven
Paralyse. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.) Bei 7 von
14 Fällen wurde durch Nucleinsäureinjektionen sichtliche Remission
erzielt. 6 dieser Patienten konnten nach der Therapie ihren Beruf
wieder aufnehmen. Die Nucleinsäurebehandlung ist nach T.’s Erachten
der Tuberkulintherapie vorzuziehen. P. Hirsch.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Andersou und
Frost, Uebertragung der Poliomyelitis durch Stallfliegen. — Kinder¬
heilkunde: Müller, Frühstadien der Kinderlähmung. — Innere
Medizin: Dolgopol, Erkrankung des Nervus ulnaris nach Unterleibs¬
typhus.
Kinderheilkunde.
M. Thiemich-Magdeburg: Zur Stilltechlik. (Monatsscbr. f. Kinder¬
heilkunde, 1912, Bd. 11, Orig., S. 405.) Th. wendet sich gegen die
Meinung Rietschel’s (siehe diese Wochenschr., 1912, S. 848), dass ein
Teil der Brustkinder in den ersten Lebenswochen mit 5—6 Brustmahl¬
zeiten nicht auskomme, sondern 7—8 Mahlzeiten in 24 Stunden brauche.
Er glaubt, dass ein Beobachtungsfehler Rietschel’s vorliege, indem er
die Kinder bei jeder Mahlzeit nur an einer Brust trinken lasse. Dieses
Verfahren sei jedoch durchaus nicht nachahmenswert. Werden Kinder,
die an nicht sehr ergiebigen Brüsten trinken, beim Anlegen an einer
Brust nicht satt, so müssten sie bei jeder Mahlzeit an beide Brüste an¬
gelegt werden.
B. Bendix und J. Bergmann: Ueber das sogenannte Kochsalz*
fleber. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 387.) Die
Autoren bestätigen das Resultat der Untersuchungen Samelson’s (ref.
diese Wochenschr., 1912, S. 1746), nach denen das sogenannte Koch¬
salzfieber ein Kunstprodukt ist, das sich vermeiden lässt, wenn mit aus¬
reichend sterilen Lösungen gearbeitet wird.
F. Schaefer-Göttingen: Ein Fall von angeborener Pylorusstenose
(Typus Landerer-Maier) beim Säugling und Entwicklung des Sanduhr¬
magens. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 695.) Bei dem Kinde
fand sich ein kleiner fistulöser Pylorus ohne jede Entwicklung eines
Sphincters, ein kompensatorisch erweiterter und hypertrophierter, in
zwei Teile zerlegter Magen. Die klinische Beobachtung ergab eine Reihe
interessanter Momente: das nur periodische Auftreten des Magen¬
verschlusses und eine Intoxikation infolge einer schnellen Steigerung der
Nahrungszufuhr nach einem längeren relativen Hungerzustande, wie es
bereits L. F. Meyer und Rietschel bei gleichartigen Fällen beschrieben
haben.
Trumpp - München: Rectaler Sehleimepithelpfropf und Darm¬
stenosen beim Neugeborenen. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76,
S. 678.) Kasuistik.
F. Lust: Ausscheidung von znckerspaltenden Fermenten beim
Säugling. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 302.) —
H. Hahn und F. Lust: Ausscheidung von eiweiss-, stärke- und fett¬
spaltenden Fermenten beim Säugling. (Monatsschr. f. Kinderheilk.,
1912, Bd. 11, Orig., S. 311.) — F. Lust: Nachweis der Verdauungs¬
fermente in den Organen des Magendarmkanals von Säuglingen. (Monats¬
schrift f. Kinderheilk., 1912, Orig., S. 411.) Die Bedeutung der Fermente
in der Pathologie der Ernährungsstörungen ist abzulehnen, wie das
Czerny schon vor Jahren getan hatte. Im einzelnen stellten die Verff.
fest, dass bei einem umfassenden Material und bei keiner Art von Er¬
nährungsstörung ein tatsächlicher Mangel von Trypsin oder Erepsin,
ebensowenig des stärke- sowie der beiden disaccharidspaltenden Fermente,
des Invertins und der Maltase vorlag. Nur bei nicht lebensfähigen
Frühgeburten ist die Laktase gewöhnlich nicht vorhanden. Die Magen¬
schleimhaut besitzt eine kräftige lipolytische Fähigkeit, die unter dem
Einfluss von Ernährungsstörungen zu leiden scheint. Auch die Lipase
des Pankreas vermag Störungen der Ernährung und augenscheinlich
speziell der alimentären Intoxikation keinen Widerstand zu leisten.
St. Ostrowski - Petersburg: Urobilinuric und Urobilinogenurie
bei Brustkindern. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 645.) Die
vom Vcrf. untersuchten Kinder des ersten Lebensjahres gaben — soweit
es sich um gesunde Brustkinder handelt — stets ein negatives Resultat
bei der Probe auf Urobilin (Schlesinger) und Urobilinogen (Ehrlich).
Bei Kindern mit verschiedenen Erkrankungen war die Urobilinogen-
reaktion in ca. 39 pCt. der Fälle positiv, die Urobilinprobe in 19 pCt.
K. Sugi-Japan (z. Z. Prag): Ein Beitrag zur Frage der dallengang-
Stenose beim Nengeborenen. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11,
Orig., S. 294.) Es handelt sich um ein 3 Wochen altes Kind, das unter
den Zeichen einer hämorrhagischen Diathese ohne Icterus zugrunde ging.
Bei der Obduktion fand sich eine Stenose des Ductus hepaticus und
seiner beiden Hauptäste auf entzündlicher Genese. Das entzündliche
Gewebe fand sich auch in der Leber, hauptsächlich um die Gallenwege.
Die Erkrankung war nicht luetischer Natur, und die Natur des sehr
jungen Granulationsgewebes deutet nach Verf. darauf hin, dass die Er¬
krankung (Infektion?) erst kurz nach der Geburt eingesetzt hatte.
H. Köppe-Giessen: Ein Fall von „StiN’scher Kraikheit“. (Jahrb.
f. Kinderheilk., 1912, Bd. 76, S. 707.) Das Krankbeitsbild: periodisch
auftretendes Fieber, schmerzlose chronische Verdickung und Versteifung
der Gelenke, Pericarditis, Milzvergrüsserung, multiple Lymphdrüsen-
schwellung kam bei einem 3 Jahre alten Kinde zur Beobachtung.
Tuberkulose lag Dicht vor.
Ed. Mül ler - Marburg: Die Frühstadien der epidemischen Kinder¬
lähmung. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 281.)
Aus dem auf dem 1. Internationalen Kongress für Kinderheilkunde in
Paris (Oktober 1912) erstatteten Referat seien aus dem beschriebenen
vielgestaltigen Krankheitsbilde des Frühstadiums die folgenden Symptome
der Reihe nach aufgezählt: Die symptomlose Inkubationszeit beträgt
1 —10 Tage, dann folgen fieberhafte Allgemeinerscheinungen, Erkrankungen
des Kespirationsapparates, Conjunctivitis, Magen- und Darmerscheinungen,
Zeichen der Eutzüudung der Knochenmarks- und Hirnhäute, Haut¬
eruptionen (Exantheme, Herpes zoster), Hyperästhesie, Lymphocytose
und vermehrter Eiweissgehalt in der Lumbalflüssigkeit, Leukopenie,
Lähmungen. Die durchschnittliche Mortalität beträgt 10 bis 15 pCt.
Einzelheiten müssen im Original eingesehen werden.
Jemma- Palermo (übersetzt von Romeo Monti-Wien): Leish-
man’sehe Anämie. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig.,
S. 321.) Die Leishman’sehe Anämie kommt hauptsächlich an den Küsten
des Mittelmeeres vor und ist eine chronische, meist tödliche Infektions¬
krankheit des frühen Kindesalters. Sie ist charakterisiert durch Fieber,
Anämie, progressive Milzschwellung und Abmagerung. Sie wird durch
einen Parasiten hervorgerufen, der mit dem der Kala-azar-Kranken in
Indien identisch ist. Derselbe Parasit findet sich bei Hunden, die die
Träger der Krankheit sind, während Flöhe, Fliegen und Wanzen die
Zwischenwirte zu sein scheiuen. Der Erreger ist im Blut, Milzsaft,
Knochenmark und Lebersaft nachweisbar. Eine biologische Methode des
Nachweises der Krankheit ist bisher nicht gefunden. Von bisher ge¬
brauchten Mitteln scheinen die Arsenpräparate den Heilungsprozess zu
begünstigen.
Rolli er-Leysin: Die Sonnenbehandlang der Taberknlose. (Monats¬
schrift f. Kinderheilk., 1912, Bd. 11, Orig., S. 357.) Nach dem Vortrage
in der Gesellschaft für Kinderheilkunde in Münster 1912; cf. diese
Wochenschr., 1912, S. 2202. R. Weigert.
A. G. L. Re ade und F. G. Ca ley- London: Der Wert der Röntgen¬
strahlen bei der Diagnose der Tuberkulose bei Kindern. (Lancet,
30. November 1912, Nr. 4657.) 28 Kinder im Alter von 7 bis 16 Jahren;,
bei allen war die v. Pirquet’sche Probe positiv, Klinisch: Abmagerung,
Kopfschmerzen, Müdigkeitsgefühl, Appetitlosigkeit. Sie zeigten deutliche
Schatten an der Lungenwurzel, die an Grösse und Gestalt wechselten
und oft eine lineare Form hatten, entsprechend den grösseren Bronchien.
Die rechte Seite zeigte die Schatten im allgemeinen deutlicher. Die
physikalische Untersuchung der Lungen war in 16 Fällen negativ, in
7 nur zeitweise positiv. Wey dem an n.
W. Beyer-Rostock: Antitoxinnntersnchungen bei Diphtherie¬
kranken, die mit Heilserum behandelt wurden. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 50.) B. hat sich der dankenswerten Aufgabe unter¬
zogen, die Antitoxinwerte bei Diphtheriekranken zu verschiedenen Zeiten
nach der intracutanen Methode im Tierexperiment (Römer) auszutitrieren.
In keinem einzigen Falle frischer Diphtherie konnte er Antitoxin im
Blute nachweisen, wohl aber bei nicht diphtherischen Anginen, oft sogar
in sehr reichem Maasse. Untersuchte er das Blut kurz nach einer intra¬
venösen Seruminjektiou, so konnte er fast die gesamte injizierte Anti¬
toxinmenge darin nachweisen. Viel ungünstiger war die Resorption bei
subcutaner Einspritzung. Soll eine rasche Wirkung erzielt werden, so
muss daher der intravenöse Weg gewählt werden. Es kommt weniger
darauf an, die Antitoxindosis zu steigern, sondern vielmehr auf eine
rechtzeitige Einverleibung, bevor das Gift Zeit gehabt hat, sich an die
lebenswichtigen Organe zu verankern. Der Antitoxingehalt des Blutes
nimmt nach der Serumeinspritzung allmählich ab. Nach 4—6 Wochen,
in der Zeit der Rekonvaleszenz, fehlt er bereits vollkommen.
R. Koch - Frankfurt a. M.: Zur Bedeutung des Vorkommens von
Diphtheriebacillen im Harn. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.)
K. untersuchte 111 Urinproben von 26 Diphtheriekranken in ver¬
schiedenen Perioden der Krankheit. Bei 2 Patienten fand er (in 4 Proben)
tierpathogene Diphtheriebacillen. In 10 anderen Proben, 5 Patienten
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f». Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
37
betreffend, wurden dipbtheroide Stäbchen gefunden, deren Identifizierung
nicht gelang. Aehnliche Stäbchen fanden sich auch bei Scharlach¬
kranken, die frei von Diphtherie waren, viermal. Die Befunde von tier¬
pathogenen Bacillen bezogen sich nur auf das Frühstadium schwerer
Erkrankungen, die an Herz- und Gefässläbmung starben.
Wolfsobn.
F. v. Ssontagh - Budapest: Angina und Scharlach. (Jahrb. f.
Kiuderheilk., 1912, Bd. 76, S. 654.) Verf. setzt seinen Kampf, den
Scharlach mit der Angina zu identifizieren und seiner Spezifität zu ent¬
kleiden, fort. R. Weigert.
Siehe auch Parasitenkundc und Serologie: Graf, Giftbildung
in Dipbtberiebacillenkultur. — Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten: Müller, Epidemiologie der spinalen Kinderlähmung.
Chirurgie.
H 0ffergeId-Frankfurt a. M.: Ueber Scopolamin zum Ersatz und
zur Einleitung der Inhalntionsnarkose. (Deutsche med. Wochensehr.,
1912, Nr. 50) Mit Pantopon-Scopolamin können wir in relativ unge¬
fährlicher Weise eiuen narkoseähnliehen Traurazustand hervorrufeu und
Allgemeinnarkose einleiten. Die Gefahren der Allgemeinnarkose können
dadurch, bei genügender Kautele, wesentlich verringert werden. In der
Geburtshilfe ist die Gefahr der Nachblutung bei Scopolaminanwendung
zu berücksichtigen und durch rechtzeitige Ergotingaben zu bekämpfen.
Bei Myodegeneratio cordis ist in der Dosierung des Scopolamius grosse
Vorsicht geboten. Albuminurie, Lungentuberkulose und allgemeine
Schwäche sind an sich keine Kontraindikation, ebensowenig Glykosurie,
während echter Diabetes zur grössten Vorsicht mahnt.
Wolfsohn.
E. Borchers: Zur Technik der Chloräthylnarkose. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Dünner.
H. Bardach-Wien: Vorläufige Mitteilungen über eine neue Mög¬
lichkeit, Blotgefäsfiö io unterbinde!. (Wiener ktin. Wochenschr., 1912,
Nr. 50.) B. verwendet zu seinen Versuchen dünnste Gumraischläuohe
(von 1,7 mm Durchmesser), um eine „elastische Ligatur“ zu erzielen.
Es gelang auf diese Weise, die Arterien von Hunden, Katzen und
Kanincheu für 24 Stunden ausser Betrieb zu setzen, ohne merklichen
Schaden am Leitungsrohr anzurichten. Nach dieser Zeit konnte die
„temporäre Ligatur“ wieder gelöst werden, ohne dass die Leistungs¬
fähigkeit des Arterienrohres gestört war.
F. Tedesco-Sant’Anna do Livramento: Ein Fall von geheilter
Sehnssvcrletinng des Heriens. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 49.)
T. berichtet über einen Fall von Schussverletzung des Herzens, bei dem
er genötigt war, unter den ungünstigsten äusseren Bedingungen
(mangelnde Asepsis, schlechtes Instrumentarium usw.) die Herznaht aus¬
zuführen. Der Patient wurde gerettnt. P. Hirsch.
E. Kondolöon-Athen: Die chirurgische Behandlung der elephan-
tiastischen Oedeme durch eine neue Methode der Lympbableitung.
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Bei veralteten Fällen von
Elephantiasis findet man sehr schwere Veränderungen der Fascien, die
schon makroskopisch auffallen. Wenn man dem Lymphwege Abfluss
durch die Muskulatur verschaffen will, so muss man Stücke der
Eascie exzidäeren. Eine Reibe Fälle, die K. auf diese Weise behandelte,
zeigten sehr guten Erfolg. Dünner.
Hagedor n - Görlitz: Zur Behandlung von Oberkiefer fraktnren.
(Deutsche raed. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) In einem Falle von Bruch
einer Oberkieferhälfte mit Verschiebung des Processus alveolaris und
palatinus nach rückwärts oben wandte H. folgenden Verband an: zwei
dünne Eisenbügel werden maulkorbartig angegipst, der eine vertikal,
der andere horizontal vor dem Mund in Abstand von 10—12 cm. Durch
den Processus palatinus werden zwei Löcher gebohrt; durch diese wird
ein dicker Bronzedraht gezogen und auf dem horizontalen Bügel be¬
festigt. Er zieht das frakturierte Fragment nach vorn und hält es gut
in dieser Lage. In dem mitgeteiten Fall konnte der Verband nach zwölf
Tagen abgenommen werden. Es war dann ein absolutes Festsitzen in
normaler Lage erzielt. Wolfsohn.
H. Finsterer: Ein Fall von Chleresarkom des Oberkiefers,
(v. Bruos’ Beitr. z. klin. Cbir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung eines operierten
Falles von grüügefärbtem Oberkiefersarkom bei einem 3 jährigen Knaben.
Die histologische Untersuchung ergab: myelogeues kleinzelliges Rund-
zelieosarkom. Wegen fehlender Blutuntersuchuog ist eine sichere Ein¬
reihung des Tumors nicht möglich; jedenfalls stellt er eine Rarität dar,
da eigentliche Sarkome fast nie Grünfärbung zeigen, bei den Chloromen
hingegen das isolierte Auftreten eines Kiefertumors selten ist. Um
Todesfälle bei den Sarkomen der Kinder zu vermeiden, wird die Aus¬
schaltung des Cbloroformes bei der Narkose gefordert.
W. V. Simon.
A. Strauss - Barmen: Weiterer Beitrag zur Chemotherapie der
unseren Taherkalese. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.)
Vortrag auf der Naturforscherversaramlung in Münster, September 1912.
Vgl. Kongressbericht dieser Wochenschrift. Dünner.
G. Perthes - Tübingen: Ueber die Behandlung der Knochen- nnd
Gelenktnberknlaee. (Therapie d. Gegen w., November 1912.) Fort-
bildungsvortrag für Aerzte, gehalten am 15. Januar 1912.
R. Fabian.
K. Ungar - Hermannstadt: Ueber das gleichzeitige Vorkommen von
Ulcns rotnndnm nnd Myom des Magens. (Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 50.) Hühnereigrosses Leiomyom an der grossen Curvatur,
über welchem die Schleimhaut eine runde Ulceration zeigt. Ein zweites
Ulcus an der kleinen Curvatur. Exzision des Tumors und der beiden
Ulcera. Heilung. Wolfsohn.
R. Rubesch und K. Sugi: Experimentelle Untersuchungen über
die Entstehung traumatischer Blatangen in der Appendix. (Beitr. z.
klin. Chir., 1912, Bd. 80, H. 3.) Durch Kaninchenversuch wurde gezeigt,
dass capilläre Blutungen in Wurmfortsätzen schon durch die blosse
Appendektomie sowie durch blossen Druck auf den Wurmfortsatz oder
durch künstlich erzeugte Circularstörungen entstehen können. Diese
Blutungen konnten auch in sogenannten „gestohlenen“, von Ent¬
zündung freien menschlichen Appendices, und zwar gerade dort am
reichlichsten naebgewiesen werden, wo bei der Operation auf den Wurm¬
fortsatz ein Druck stattgefunden hatte. Da die iu akut erkrankten
menschlichlichen Wurmfortsätzen vorkommeuden Blutungen vollkommen
den so künstlich erzeugten gleichen, kann solchen Blutungen insolange
keine andere als traumatische Aetiologie zugesprochen werden, als für
eine entzündliche Entstehung keine auderen Beweise als die bisherigeu
Yorliegen. W. V. Simon.
Th. Wilson-Birmingham: Cysten des Wurmfortsatzes. (Lancet,
30. November 1912, Nr. 4657.) Zwei Fälle von Pseudomyxoma peritonei
ausgehend von Cysten des Wurmfortsatzes. Das gelatinöse Material
wurde leider nicht chemisch untersucht.
Tb. W. Eden-London: Ein Fall von Pseudomyxoma peritonei.
(Lancet, 30. November 1912, Nr. 4657.) Die Patientin wurde innerhalb
2V 2 Jahren zweimal wegen des Pseudomyxoms operiert, das erst von
einer Cyste des rechten, dann des linken Ovariums ausging. Bei der
letzten Operation fand sich auch der Wurmfortsatz erweitert und mit
einer klaren, gelben Gallert gefüllt. Das gleichzeitige und unabhängige
Vorkommen der Erkrankung am Ovarium und Wurmfortsätze, zwei Or-
gauen mit ganz verschiedenem Epithel, ist bisher noch nicht berichtet.
Wey de mann.
J. Hertle*. Polypenbildnng am Orificiom nrelhrae der weiblichen
Harnblase bei Cystitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chiturgie, 1912,
Bd. 81.) 37 jährige Frau, schon wegen spitzer Condylome der Vulva und
Karunkeln der Urethra wiederholt behandelt, stellte sich mit cystitischem
Harn und partieller Urinverhaltung wieder ein. Die Cystoskopie ergab
neben cystitischen Veränderungen der Blasenwand das Vorhandensein
von kranzförmig um das Orif. internum urethrae angeordneter, gegen die
Blase hervorragender Gebilde, welche zunächst den Eindruck von
Papillomen machten und die in einer grösseren Reihe von Sitzungen
mittels kalter Schlinge abgetragen wurden. Die histologische Unter¬
suchung ergab, dass es sieh nicht um wirkliche Gescbwulstbildung,
sondern um entzändliche Exkreszenzen handelte, welche wohl ätiologisch
und pathologisch-anatomisch auf dieselbe Basis mit durch chronische
Urethritis und Vulvovaginitis unterhaltenen entzündlichen Karunkeln
(s. Condylomata acurainata) gestellt werden dürfen.
W. V. Simon.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Krön,
Operativ entfernter Kleinhirnbrückenwinkeltumor. — Diagnostik:
Lacbmaun, Schulterschmerz bei Appendicitis.
Röntgenologie.
E. Stierlin und N. Schapiro - Basel: Die Wirkung von Morphium,
Opinm und Pantopon auf die Bewegungen des Verdannngslractos beim
Menschen und Tier. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.)
Morphin wirkt auf den Magen verschieden: es verzögert bei jugend¬
lichen Individuen die Magenentleerung; bei Erwachsenen ist diese
Wirkung schwächer. Im Dünndarm hat Morphin oft eine Verzögerung
der Fortbewegung des Chymus zur Folge. Der Tonus zeigt gewöhnlich
keine deutliche Veränderung. Der Dickdarm bleibt vom Morphin auch
in grossen Dosen unbeeinflusst. Prinzipiell ähnlich wirken Opium und
Pantopon. Bei chronisch-diarrhoischer Enteritis mit Hypermotilität des
Dünn- und Dickdarras bewirkt Opium eine Verzögerung der Dünndarm¬
passage, während Colon bis zur Flexura sigmoidea ungefähr gleich rasch
durcheilt wird. Die Flexur blieb viel länger gefüllt. Die stopfende
Wirkung der Opiate kann nicht in allen Fällen in der Herabsetzung der
M&gendünndarmmotilität ihre Erklärung finden; es scheint vielmehr die
Verzögerung des centralen Defäkationsreflexes und der dadurch bedingte
verlängerte Aufenthalt des Kotes im S romanum einen grossen Anteil
an dieser Wirkung zu haben.
F. Meyer-Betz-München: Zur Kenntnis der normalen Dickdarm-
bewegnng. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Aus den
Versuchen geht hervor, dass im Dickdarm eine selbständige fort¬
schreitende Peristaltik besteht im Sinne der Rieder’schen „wogenden
Bewegungen“; die Annahme eines vis a tergo, d. h. die lebendige Kraft
der in oberhalb gelegene Darmpartien einströmenden Massen, ist über¬
flüssig. Untersuchungen mit Physostigmin ergaben, dass es auf die
Peristaltik des ganzen Darmkaoals wirkt; nach einiger Zeit trat an
Stelle der beschleunigten Peristaltik ein mehr spastischer Zustand der
Darmmuskulatur und eine besonders starke Anregung zu „kleinen Colon¬
bewegungen“ (Schwarz) ein, die mehr hemmend auf den weiteren Trans-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
38
port einwirkten. Am Magen hatte sich eher eiue Verlangsamung als
eine Beschleunigung der Entleerung geltend gemacht. Dünner.
Siehe auch Kinderheilkunde: Reade und Caley: Röntgen
Untersuchung bei der Diagnose der Kindertuberkulose.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
W. Heuck-Bonn: Erfahrungen über Behandlung Hantkranker
aiit Menseheigemm. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48.)
Die von Bruck empfohlene Blutwasehung bei Dermatosen ist nach den
Erfahrungen von H. ohne wesentlichen Wert. Die von Linser inaugu¬
rierte Behandlung von Hautkrankheiten mit Seruminjektionen gesunder
Menschen verspricht bei manchen chronischen juckenden Affektionen,
besonders Urticaria, Strophulus infantum und Pruritus senilis gute
Resultate; bei blasigen Affektionen konnte mit einer Besserung keine
Heilung erzielt werden, bei akuten und chronischen Ekzemen und bei
Psoriasis ist ein Erfolg nicht zu erwarten. Die intravenöse Serura-
behandlung ist wegen der besseren Wirkung der subcutanen vorzuziehen.
Dünner.
W. Wechselmann: Ueber den gegenwärtigen Stand der Sal¬
varsan therapie der Syphilis. (Therapie d. Gegenw., November 1912.)
Die spezifische Wirkung des S. ist jetzt allgemein anerkannt. Re¬
fraktäre Fälle sind nach den Erfahrungen W.’s nicht mehr beobachtet
worden, nachdem die Scheu vor wiederholten Salvarsaninjektionen auf¬
gegeben worden ist. Die Wirkung auf maligne quecksilberresistente
Lues ist absolut sicher. Das S. ist dem Hg bei der Syphilis des
centralen Nervensystems weit überlegen. Auch sind die Erfolge bei der
Tabes und Paralyse grösser, als anfangs erwartet wurde. Eiue wesentliche
Toxizität besitzt Salvarsan in den angewendeten Dosen nicht, wenn
auch gelegentlich Vergiftungserscheinungcn bzw. auf Ueberempfindlichkeit
beruhende Nebenwirkungen sich einstelleu können. Verf. ist der An¬
sicht, dass fast alle Todesfälle Retentionstoxikosen darstellen und
meistens bei kombiniert behandelten Patienten eingetreten sind.
Was die Heilung der Lues durch Salvarsan betrifft, so hat Verf.
Recidive ungleich sei teuer und ungleich milder auftreten gesehen als
nach Quecksilber. Meistens besteht das Ilecidiv nur in der Wiederkehr
der Wassermanu’schen Reaktion und ist wahrscheinlich auf zu früh ab¬
gebrochene Kuren zurückzuführen. R. Fabian.
V. L. Neumayer-Kljuc: Versuch einer „Richtnng“ bzw. Anreiche¬
rung der Salvarsanwirknng. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 48.) N. geht von der Voraussetzung aus, dass man schlecht vascu-
larisierteu Körperteilen zu wenig Salvarsan zuführen kann; er staut
sofort nach der Injektion die betreffenden Partien. Auf diese Weise
gelang es ihm, ein Neurorecidiv zu heileu. Er empfiehlt die Methode
bei gummösen Prozessen usw. Dünner.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
J. Sonnenfeld-Berlin: Ovaradentriferrin and Dürkheimer M&x-
quelle für die gynäkologische Praxis. (Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 50.) Dürkheimer Maxquelle ist besonders bei chlorotischeu
und anämischen Patientinnen erfolgreich, desgleichen bessert sie die
klimakterischen vasomotorischen Störungen. Ovaradentriferrintabletten
werden für Menstruationsanomalien und klimakterische Stoffwechsel¬
veränderungen empfohlen. Wolfsohn.
W. Nacke: Hand von der Geb&rmitter. (Centralbl. f. Gynäkol.,
1912, Nr. 50.) Verf. spricht sich energisch im Sinne des früher refe¬
rierten gleicbbetitelten Artikels von Ahlfeld aus und tritt für möglichst
konservatives Verhalten in der Geburtshilfe, speziell bei der Nach¬
geburtsperiode ein. Solche Artikel sollten recht häufig vom praktischen
Arzte gelesen werden und gehören viel mehr in eine allgemeine medi¬
zinische Zeitschrift, als in eine spezialistische Fachzeitschrift. Unsere
Zeit neigt, was die Geburtshilfe anlangt, entschieden zum voreiligen und
indikationslosen Eingreifen, und es wird leider nur zu oft vergessen,
dass der Praktiker sich nicht dieselben Freiheiten gestatten darf, wie
der Fachmann. Die Folgen sind schwer gut zu machen und leider nur
zu oft recht betrübende. Siefart.
H. Meyer-Ru egg- Zürich: Das Oedema acutum cervicis nleri
gravidi et parturientis. (Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1912,
Nr. 31.) Verf. beschreibt einen Fall einer III para, bei dem im Beginn
der Geburt die vordeie Muttermundslippe ödematös anschwillt und aus
der Scheide heraustritt. Bei Bettruhe zieht sie sich wieder zurück, ver¬
streicht nach und nach unter den Wehen und zeigt später durchaus
normale Verhältnisse. Im Anschluss an diesen Fall gibt Verf. eine
Uebersicht über die bisher in der Literatur veröffentlichten Fälle.
R. Fabian.
A. Mueller-München: Eine neue Methode der Sectio caesarea
clas8ica bei infiziertem Uterns. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 49.)
Auf dem internationalen Gynäkologenkongress in Berlin fand die Frage
des Kaiserschnittes am infizierten und nichtinfizierten Uterus eingehende
Erörterung. Während die Vertreter des extraperitonealen Kaiserschnittes
diesen als die Zukunfsmethode hinstellten, wandteu andere, speziell
Schauta, ein, dass eine Methode, die kompliziert sei, Eiterungen und
langes Krankenlager machen könne und die Mortalität der Kinder nicht
unbeträchtlich und die Dauerresultate zweifelhaft erscheinen lässt, nicht
als die Methode der Zukunft anzusehen sein könne und nur ausnahms¬
weise in Betracht komme. Verf. hat nur in zwei Fällen den klassischen
Kaiserschnitt ausgeführt, die Uteruswunde nach Vernähung aber extra¬
peritoneal durch die übersteheuden Lappen des Peritoneum parietale
umsäumt, dann erst die freien Ränder des Peritoneums, Muskulatur,
Fascie und Haut vernäht. Im unteren Wundwinkel hat er eine Oeffnung
gelassen und in diese wie in eine Säbelscheide eine Jodoformtamponade
gelegt. Uterusinnenlläche und Aussenseite wurden mit 92 proz. Alkohol
abgorieben, was ausserdem den Vorzug hatte, dass der Uterus sich gut
kontrahierte. Trotz vorübergehend hohen Fiebers in einem Fall, trotz
schwerer Infektion des Uterusinhaltes, wie aus der grünlichen Farbe
und dem üblen Geruch des Fruchtwassers hervorging, war das Resultat
in beiden Fällen ein gutes. Im Prinzip hat er dasselbe getan, was
schon von verschiedenen Seiten, wie Verf. meint, aber erst nach ihm,
als extraperitonealer Kaiserschnitt prophylaktisch empfohlen wurde, und
meint, dass auf diese Weiso der einfache klassische Kaiserschnitt auch
bei infektionsverdächtigen Fällen anzuwenden ist.
Th. Köhler: Colibakteriämie puerperalen Ursprunges. (Centralbl.
f. Gynäkol., 1912, Nr. 50.) Zwei Fälle.
A. Wolff-Heidelberg: Lässt sich nur aus der eytologischen Unter¬
suchung des Tnbeneiters die Diagnose gonorrhoische Salpingitis stellen?
(Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 49) Die Untersuchungen knüpfen
an die Arbeiten von Schridde an, welcher die Behauptung aufstellt,
dass schon der Befund in mikroskopischen, mit Methylgrün-Pyroniu ge¬
färbten Ausstriehpräparaten die sichere Diagnose „Gonorrhöe“ gestattet,
da nämlich im gonorrhoischen Eiter sich stets sehr zahlreiche Plasma-
Z'dlen vorfinden. Es war wohl von vornherein einleuchtend, dass dieser
Folgerung kein allzu grosser Wert beizumessen ist, aus dem sehr ein¬
fachen Grunde schon, weil der Begriff „zahlreich“ doch ein recht labiler
ist. Von wo ab soll man die Menge der Plasmazelleu zahlreich nennen?
Aber auch abgesehen davon hat der Verf. jetzt nachgewiesen, dass io
seinen Präparaten, die er als Ausstrichpräparate des Eiters gonorrhoischer
und tuberkulöser Tuben gewonnen hat, die Zahl der Plasmazelleu
keineswegs lür das Urteil über die Aetiologie in Betracht kommt. In
den Fällen, in welchen Gonokokken nachzuweisen waren, schwankten
die Plasmazellen zwischen 0,1 — 20,1; in denen, wo Tuberkelbacillen
oder keine Bakterien nachzuweisen waren, zwischen 7,5 und 23,9. Bei
Salpingitiden, hervorgerufen durch andersartige Eiterungen, 0,6— 9,7, bei
chronischen Salpingitiden ohne Erregernachweis 3,6—14,9. Das Zellbild
des Tubeneiters ist also nicht für eine besondere Form charakteristisch,
ebensowenig ist für die ätiologische Diagnose das reichliche Vorkommen
der Zellen der Lymphocytenreihe zu verwerten. Siefart.
I. Schottlaender-Wien: ln welcher "Weise lässt sich die Prfih-
operation des Gebärmutterkrebses fördern? (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 49.) Sch. schliesst sich der von Frankl (W’ieuer
klin. WOchenschr., 1912, Nr. 48) aufgestellten Forderung völlig an, dass
zur Untersuchung von Schabselmassen und exzidierten Stückchen der
Portio eine centrale Untersuchungsstation errichtet werden soll. Er
weist ferner darauf hin, dass die krebsigo Erkrankung fast durchweg in
der Umgebung des äusseren Muttermundes beginnt, er hält es daher für
angezeigt, dass bei jeder Auskratzung der Gebärmutter nicht nur die
Schleimhaut des Corpus, sondern prinzipiell auch diejenige der Cervix¬
höhle entfernt wird. Auf diese Weise wird es gelingen, Herde heraus¬
zubefördern, die anderenfalls der Untersuchung entgangen wären.
P. Hirsch.
Siehe auch Physiologie: Sack, Einfluss von Corpus luteum und
Hypophyse auf den Stoffwechsel. — Chirurgie: Hertle, Polypen¬
bildung am Orificium urethrae der weiblichen Harnblase bei Cystitis. —
Psychiatric und Nervenkrankheiten: Schubart, 7 Fälle von
psychischer Erkrankung nach gynäkologischer Behandlung geheilt.
Mathes, Psychiatrie in der Gynäkologie.
Augenheilkunde.
G. Attias: Die Nerven der Hernbant des Menschen. (Graefe’s
Archiv, Bd. 83, H. 2.) Die sehr umfangreiche Arbeit erörtert sehr ein¬
gehend die Topographie der cornealen Nerven, ihre Histologie und ihr
Verhalten zu den Gefässen, sowie die Nerven in der Hornhaut selbst.
Agababow: Die Nerven in den Angenbäuten. (Graefe’s Archiv»
Bd. 83, H. 2.) Jede der Augenhäute hat ihre eigenen Nerven. Ehe sie
sich im Gewebe dieser Haut verästeln, bilden die Nerven ein ringförmiges
oder circulares Geflecht aus markhaltigen Fasern, denen auch marklose
zugesellt sind. Solche Geflechte finden sich in der Aderhaut um den
hinteren Augenpol, im Corp. eil., in der Iriswurzel, im vorderen Teile
der Sclera, in der Randzone der Cornea, ln den mit einem Endothel
oder Epithel bedeckten Augenhäuten bilden die Nerven ein Endnetz aus
feinsten Fäden. Die bindegewebige Hornbautsubstanz, die Sclera und
die bindegewebige Grundsubstanz der Corp. eil. enthält auch freie
Endigungen sensibler Nerven. Die Hornhautperipherie enthält epithelial
und subepithelial Endapparate, ebenso die Sclera, besonders in ihrem
vorderen Abschnitt, und das Corp. eil. In der Aderhaut sind sensible
Nerven noch nicht nachgewiesen worden, ihr Vorhandensein aber ist
wahrscheinlich. Alle gefässhaltigen Gewebe enthalten vasomotorische,
alle Muskelgewebe motorische Nerven. K. Steindorff.
A. Verwey-Rotterdam: Die Vermehrung der Peroxydase in der
Bindehaut und ihre Anwendung. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.)
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6. Jauuar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
39
Io der Spülungsflüssigkeit der Bindehaut sind oxydierende Fermente
nicht in einer nennenswerten Quantität nachzuweisen. In den Ab-
kratzungspräparaten entzündeter Bindehäute ist mehr Peroxydase zu
linden als in diesen gesunden Bindehäuten. Die Peroxydase aus Bor-
sauremilch und die aus Meerrettich bereitete Peroxydase werden von der
Bindehaut aufgenommen. 2 proz. Peroxydaselösung reizt das Auge nicht,
auch nicht bei langdauerndem Gebrauche. Bei Keratitis parenchymatosa
hat die Behandlung mit dem ESnzym wenigstens so viel Einfluss wie die
spezifische Behandlung mit Quecksilbersalbe. Es dürfte sich empfehlen,
bei chronischen Bindehautentzündungen mit der Behandlung mit Per¬
oxydase Wasserstoffoxydase Versuche anzustellen. F. Mendel.
A. Stiel-Cöln a. Rh.: Ueber eine trachomfthnliche Bindehant-
eitsüding Mit Blnstomyeetenbefand. (Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 50.) In dem roitgeteilten Falle lag eine Mischinfektion von
Staphylokokken und Blastomyceten vor. Verf. hält es für sehr wahr¬
scheinlich, dass pathogene Hefen die alleinige Ursache des Trachoms
sind. Sie finden sich stets im Gewebe, besonders in den Körnern vor,
sind ferner imstande, im Gewebe zu wachsen, Zellhaufen zu bilden und
mechanische wie chemische Reaktionen auszulösen. Den Trachomkörper¬
chen möchte Verf. keine spezifische Bedeutung beimessen, da dieselben
bei den verschiedensten Bindehauterkrankungen, ja auch in gesunden
Schleimhäuten Vorkommen. Wolfsohn.
F. Pincus Cöln*. Zur Kenntnis der endogenen gonorrboiseben
HtrahanUITektionea. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) In der
Mehrzahl der Fälle, die als endogene gonorrhoische Keratitis angesprochen
verden können, handelt es sich um eine Erkrankung des Hornhaut-
epitbels, charakterisiert durch mehr oder weniger ausgedehnte Ablösungen
mit ihren Folgeerscheinungen. F. Mendel.
A. Burk: Beiträge zur Anatomie der erworbenen LinsenInxation
und ihrer Folgen. (Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. i.) Der erworbenen
spontanen Luxation der Linse in die vordere Kammer gebt wohl eine
seitliche Verlagerung voraus, so dass die Luxation erst etwas Sekundäres
ist. Ein prinzipieller Unterschied besteht zwischen seitlicher Verlagerung
und Luxation in die vordere Kammer nicht. Auch die traumatische
Linsenluxation braucht nicht durch totalen Vorfall mit sekundärer Kon¬
traktion des Sphincter iridis zu entstehen. Beide Formen der Luxation
sind nur nach vollkommener Lösung der Verbindung mit den Zonula-
fasern möglich. Die häufigste Folge der Linsenverschiebung ist das
Sekundärglaukom, das durch ringförmige Verwachsung der Iriswurzel
mit dem Lig. pectinatum infolge von chronsich-entzündlichen Prozessen
io der Kammerbucht ausgelöst wird. Die luxierte kann auch den Aus¬
bruch einer Chorioretinitis hervorrufen. K. Steindorff.
F. v. Herrenschwand: Aogenerkrankang nach Schutzpocken-
iapfiag. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, II. 1.) Es handelt sich in
dem beschriebenen Falle um eine sonst normal verlaufende Vaccination
eines gesunden Kindes, bei dem am 7. Tage — dem Tage der höchsten
Temperatursteigerung — plötzlich ohne äussere Ursache eine beiderseitige
Abducenslähmung auftrat. Die genauere Angabe der Dauer dieser vor¬
übergehenden Lähmung ist schwer, nachdem sie erst in den späten
Xachmittagstunden auftrat und mit dem Erwachen am nächsten Morgen
verschwunden war. Die Art des Zustandekommens der Lähmung erklärt
Verf. dadurch, dass durch die im Blute kreisenden Toxine, welche infolge
der Vaccination entstanden waren, eine vorübergehende Läsion der Ab-
ijceozkerne hervorgerufeo wurde.
G. F. Cosmettatos: Metastatische Ophthalmie infolge einer
Pieinoaie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) Der 32 jährige
Patient erkrankte ganz plötzlich an einer Pneumonie. Die Krisis kam
am 7. Tage. G Tage nachher, als das Fieber bereits fiel, fühlte Patient
am rechten Auge Schmerzen, und die Sehkraft Hess nach. Das Auge
schwoll an und quoll aus der Lidspalte heraus, so dass die Enucleation
v-Tgenommen werden musste. Der Glaskörper ist in eine eitrige Masse
von graugelber Farbe verwandelt und zeigt reichliche Pneumokokken.
F. Mendel.
J. Ohm-Bottrop i. W.: Das Augenzittern der Bergleute und seine
Entstehung, dargestellt an mehr als 500 selbst beobachteten Fällen,
iraefe’s Archiv, Bd. 83, H. I.) Der Nystagmus der Bergleute ist ein
vdlenförmiger, aber kein Ruck nach Pendelnystagmus. Er entsteht stets
g den obersten Teilen des Blickfeldes und dehnt sich allmählich weiter
Ga:h unten aus. Die durchschnittliche Schwingungszahl beträgt 180 bis
"WO io der Minute. Ermüdung, dunkle Beleuchtung, körperliche Er¬
schütterung, Fixieren, Richtung der Gesichtsfeldlinien beeinflussen das
Zittern. Die Bahn des Sehnerven kann bei dem Augenzittern gerad-
1 1er krummlinig sein (Beobachtung am Einzelauge). Die Beobachtungen
im Doppelauge zeigen, dass Hering’s Gesetz der gleichmäßigen Inner¬
vation beider Augen hier nicht gilt. Der Nystagmus ist nie absolut
'inseitig, tritt auch auf blinden bzw. stark amblyopischen Augen auf.
Besonders zur Beobachtung der Aeoderung der Schwingungsrichtung
■ sich ein von 0. konstruierter binocularer Augenspiegel. Ausser
Nystagmus kommt bei Bergleuten unter anderem Krampf der Mm interni,
und der Mm. sphiuct. pup., ferner typischer Akkommodationskrampf vor,
d*r in Perioden der Ruhe und des Zitterns auftritt, und clonischer
Krampf im Gebiete des Augenfacialis, der eine Kompensation des Zitterns
dirstfllt. Unfälle kommen für die Entstehung des Nystagmus nicht in
Alkohol bringt auch den schwersten Nystagmus zum
Verschwinden. Jeder Nystagmus ist nach Verlassen der Grube heil-
“■tf- Ara meisten gefährdet sind die Hauer. 0. hält das Augenzittern
der Bergleute für eine Veränderung im Kerngebiet des N. oculomotorius
und N. trochlearis, wobei gewisse disponierende Momente mitspielen.
C. F. üeerfordt: Ueber Glaukom. II. Weitere Untersuchungen
über die Pathogenese des hämostalischen Glaukoms. Ueber die Klapp¬
wirkung der Sinoscleralplatte als Ursache des hämostatischen Glaukoms.
(Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 1 ) In einer früheren Arbeit suchte H. zu
beweisen, dass das sogenannte entzündliche Glaukom auf venöser Stase
infolge von Faltenbildung in der Wand des Sinus vorticosus vor oder
im Scleralkanal beruht, wodurch sekundär der nächstliegcnde Teil des
Scleralkanals komprimiert wird. Die anatomischen Veränderungen, die
sich in einem vom Verf. untersuchten Falle fanden, zieht er als Stütze
seiner Theorie heran. K. Steindorff.
M. Ito-Kyoto: Pathologische Anatomie bei Retinitis sypbilitiea
hereditaria. (Archiv f. Augenheilk,, Bd. 73, H. 1.) Netzhaut und Ader¬
haut können vollständig unabhängig voneinander erkranken. Es gibt
Fälle, und zu diesen gehört der veröffentlichte, bei denen sich ähnliche
Gefässveränderungen an der Hirnbasis und gleichzeitig in der Netzhaut
nachweisen lassen, doch bilden diese die Ausnahme. Die Erkrankungen
der Netz- und Aderhaut kommen nicht im Anschluss an die Gefäss-
wandVeränderungen, sondern durch direkte Einwirkung der Spirochäten
bzw. Gifte zustande. Bei Netzhautpigmentierung spielen in dem be¬
schriebenen Falle die gewucherten Giiaelemente eine wichtige Rolle.
H. Meyer-Brandenburg: Entstehung des erworbene! Ectropium
uveae. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 1.) Es handelt sich beim
Ectropium uveae um die Wirkung eines in Schrumpfung geratenen
Exsudates, in welches der Kopf der ektropionierten Pigmentlage ein¬
gebettet ist. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Schrumpfung
aller Irisgewebe und vor allem durch die Bildung neuen Bindegewebes
in den vorderen Irisschichten, welches einen Zug auf den Pupillarrand
ausübt. F. Mendel.
K. Eskuchen - München: Genese der Sehnervenatrophie bei Oxy-
cephalen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Bei einem
Oxycephalen trat relativ spät die Opticusatrophie in Erscheinung. Bis
zu seiner Erkrankung an Meningitis konnte er gut lesen usw. Di»
Meningitis führte dann aber in wenigen TageD, in denen klinisch da»
Bild schweren Hirndrucks im Vordergrund stand, einen plötzlichen und
nur wenig besserungsfähigen Umschlag des Visus herbei, ohne dass am
Sehnerven Zeichen eiuer Entzündung konstatiert werden konnten. Es
Hegt somit nahe, die Erhöhung des Hirndrucks durch die Meningitis für
die Erblindung verantwortlich zu machen, die Besserung auf das Zurück-
geben der Meningitis zurückzufübren. Dünner.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
E. Theodore - Strassburg i. Eis.: Ueber Knorpel and Knochen
in den Gaumenmandeln. (Archiv f. Obrenheilk., Bd. 90, H. 1 u. 2.)
Die Frage nach dem Herstammen des in den Gaumenmandeln gelegent¬
lich vorkommende t n Knorpels und Knochen ist noch unentschieden. Tb.
teilt die Beobachtungen und histologischen Untersuchungen eines selbst
beobachteten Falles als Beitrag zu obiger Forschung mit. Danach
schien es, als ob der Knorpel nicht durch Metaplasie des Bindegewebes
entstanden ist, weil die Beziehungen zweier Bindegewebe nicht nach¬
weisbar waren, entzündliche Erscheinungen fehlten, die jüngsten Knorpel¬
partien in der Mitte der Herde vorkamen und reichlich hyaliner Knorpel
auftrat. Vielmehr verdankt der Knorpel seine Entstehung einer mangel¬
haften Rückbildung im Bereiche des zweiten Kiemenbogens, aus
welchem mikroskopische Teile in der ersten Fötalzeit in die Urtonsille
verlagert werden. Der Knochen wird dagegen durch direkte Metaplasie
des Knorpels ohne Osteoblasten gebildet. M. Senator.
E. Bore he rs: Zur Technik der Chloräthylnarkose. Nachtrag zu
„Totale Enucleation der Gaumenmandeln“ in Nr. 41 der Münchener med.
Wochenschrift. (Münchener med. Wochenschrift, 1912, Nr. 50.)
Dünner.
F. Dornheim - Leipzig: Erfahrungen mit Noyiform in der Oto-
Rhinologie. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Noviform
(Heyden) ist ein geruchloses Antisepticum, das die Gewebe nicht
schädigt und nach Resorption niemals Vergiftungserscheinungen hervor¬
ruft. Es wurde von D. in der Nachbehandlung nach Ohraufmeisse-
lungen sowie in der rhinologischen Praxis mit sehr gutem Erfolg an¬
gewendet. Wolfsohn.
G. Holmgren - Stockholm: Ueber Otitis media perforativa bei
Scarlatina. Statistische Studien. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90,
H. 1 u. 2.) Die Frequenz der perforativen Scharlachotitis ist sehr
wechselnd innerhalb verschiedener Epidemien; südliche hochgelegene
Orte mit Festlandskliraa zeigen niedrigere Otitisfrequenz, nördliche tief¬
gelegene mit Küstenklima dagegen hohe. Die allgemeine Vorstellung,
dass die Otitisfrequenz ein Kriterium für die Malignität der Epidemie
sei, ist unrichtig; es gibt Epidemien mit relativ niedriger Mortalität aus
hoher Otitisfrequenz, und ebenso umgekehrte Epidemien. Die Häufigkeit
von manifesten Otitiden ist unter letal verlaufenden Fällen, Scharlacb-
fällen, wesentlich gesteigert; bei Sektionen von Scharlachleichen findet
man ausserdem in vielen Fällen eitrige Otitiden, die sich bei Lebzeiten
nicht bemerkbar gemacht hatten. Sekundärinfektionen, namentlich die
Anwesenheit von Diphtheriebacillen (bei sogenannten Bacillenträgern)
erhöhen die Disposition. Morbidität von Otitis und Scharlach, sowie
Mortalität hängen deutlich von den Jahreszeiten ab, ebenso vom Alter,
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UNIVERSUM OF IOWA
40
BERLINER KLINISC HE \V<K'HENSrHRlKT. Nr. 1.
da die jüngsten Jahrgänge am stärksten befallen werden. Hei sonst
fieberfreien Patienten kann die Scharlachotitis vollkommen afebril oder
mit ganz kurzdauerndem hohen Fieber verlaufen, so dass wohl ihre
Bedeutung als Fieberursache erheblich überschätzt wird. Auch die Pro¬
gnose hängt von der Jahreszeit ab, chronische Eiterungen oder dauernde
Perforationen entstanden am seltensten im Hochsommer. Die Otitiden,
die sich während der zwei ersten Krankheitswochen offenbaren, sind die
Ursache der grossen Troramelfellperforationen, die für Chronischwerden
disponieren, dagegen sind für das Entstehen der Mastoiditis die nach
der zweiten Woche auftretenden Otitideu von etwas grösserer Bedeutung
als die früheren. Diese früheren Otitiden überwiegen an relativer Au-
zahl bei Patienten über 10 Jahren und kommen häufiger in der warmen
Jahreszeit vor, die späteren Otitiden zeigen ein entgegengesetztes Ver¬
halten.
A. Blau - Görlitz: Experimentelle Studien über die Labyrinthitis.
(Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, 11. 1 u. 2.) B. impfte, um Labyrinthitis
zu erzeugen, einer Reihe von Katzen Bakterienreinkulturen direkt in
das Labyrinth ein und zwar Streptococcus erysipelatos und Streptococcus
mucosus, welche beide Arten bekanntlich für die menschlich-eitrige
Mittelohrentzündung besonders wichtig sind. Seine Ergebnisse lassen
sich dahin zusaramenfassen, dass auch die direkte bakterielle Infektion
des Labyrinthes diffuse und circurascripte Entzündungen verschiedenen
Grades hervorruft, dass Bakterien durch die unverletzte Membran des
runden Fensters hindurchwandern können; dass Bakterientoxiue ebenso
wie andere Gifte Entzündungen im Labyrinth erregen und degenerative
Veränderungen am Corti’schen Organ erzeugen können. Des weiteren
ergab sich, dass direkte Infektionen des Labyrinths mit Erysipelas-
kokken bei Katzen wesentlich schwerere Veränderungen setzen als solche
mit Mucosuskokken, während die Wirkung des Mucosustoxin eine stärkere
zu sein scheint als die des Erysipelastoxins; dass Bakterien auch in
schon organisierten Entzündungsherden im Labyrinth sich noch lebens¬
fähig durch längere Zeit erhalten können, wie es ja auch von der
Diphtherie bekannt ist; dass Bakterien, ohne Entzündung zu erregen,
durch den Subarachnoidalraum hindurchwandern können. Klinisch
fanden sich bei einigen Tieren Schiefkopf, Nystagmus, Brechen, Geh¬
störungen, sowie Schwellung und Eiteruug des Auges auf der operierten
Seite; teilweise gingen die Erscheinungen nach einiger Zeit zurück.
M. Senator.
Hygiene und Sanitätswesen.
L. Quadflieg-Gelsenkirchen: Paratypbnsbaeilleiibefand bei einer
Fleisebvergiftoagsepidemie. (Zeitschr. f. Hygiene usw., 1912, Bd. 72,
H. 3, S. 385.) Die Fleischvergiftungsepidemie in Sodingen im August
1910 wurde durch den Bacillus paratyphosus B Sehottrnueller verursacht.
Die Pathogenität der Stämme fiir Meerschweinchen und Mäuse war sehr
gross. Mit den gebräuchlichen Nährböden gelang es nicht, die Stämme
der Gaertnergruppe und Paratyphusbacillen zu trennen. Für die Praxis
genügt es, das kulturelle und agglutinatorische Verhalten der fraglichen
Stämme bei Fleischvergiftungen festzustellen.
A. I. An ton owsky-Kronstadt: Zur Frage der Desinfektion von
Trinkwasser mittels minimaler Chlorkalkmengen. (Zeitsehr. f. Hygiene
usw., 1912, Bd. 72, H. 3, S. 421.) Das wirksame Hauptagens bei der
Desinfizierung von Trinkwässern mit neutralen Chlorkalklösungen ist der
Sauerstoff. Andauernde Wirkung ist eine unumgängig notwendige Be¬
dingung, wenn die baktericiden Eigenschaften des Bleichkalk in wässrigen
Lösungen voll zur Geltung kommen sollen. Inaktivierung der Chlor¬
kalklösungen durch unterschwefligsaures Natron befreit die Mikrobien
von der hemmenden Wirkung der unterchlorigsauren Salze, so dass sic
wieder zu wachsen beginnen. Durch Zusatz von Katalysatoren (Wasser¬
stoffsuperoxyd, Mangansuperoxyd) innerhalb bestimmter Zeitabschnitte
wird die baktericide Wirkung von geringen Chlorkalkmengeu gesteigert,
ln Anbetracht der zweifellosen baktericiden Wirkung kann der Zusatz
von geringen Chlorkalkmengen als gutes Hilfsmittel zur Reinigung von
Trinkwässern mittels mechanischer Methoden gelten. Möllers.
R. Oehler-Frankfurt a. M.: Zur Schädlichkeit des destillierten
Wassers, (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Injektionen
von 1 bis 2 ccm destillierten Wassers in den Magen einer Maus hatten
sofortige Auslösung von häraoglobinurischeu Anfällen zur Folge. Keine
Cylinder, keine zellige Beimischungen. Gegen Ende des Anfalles, der
selten länger als eine Stunde dauert, oder wenn es zu keiner Hämo-
globiuurie kommt, tritt eine deutliche Grünfärbung des Urins auf, die
nicht durch gelösten Farbstoff bedingt ist, sondern von einem feinen
staubförmigen, grünen Sediment berrührt. Der rote wie auch der grüne
Urin enthält Eiweiss. Wiederholung der Injektionen hat meist nur ge-
geriugen Erfolg. Wiederauslösung gelingt jedoch, wenn mau subeutan
oder intravenös injiziert. Injektionen von niedrig concentrierter NaCl-
Lösung bewirken manchmal auch Hämoglobinurie. Auch bei Kaninchen
erfolgen hämoglobinuriscbe Anfälle, aber erst bei intravenösen Injektionen
von 40 ccm destillierten Wasser. Dünner.
Siehe auch Augenheilkunde: Ohm, Augenzittern der Bergleute.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
F. Zahn-München: Die Arbeiterversichernng in Dentschland, ihre
sozialhygienische and sozialpolitische Bedeutung. (Münchener med.
Wochenschr., 1912, Nr. 48.) Vortrag, gehalten in der Plenarsitzung des
Internationalen hygienisch-deraographischen Kongresses in Washington
am 25. September 1912.
M. v. Brunn-Tübingen: Zur Beurteilung der Ischias bei Unfall¬
verletzten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Simulanten
geben an, 1. dass eine Flexion des Knies beim Liegen auf dem Bauche
(wobei eine Entspannung des Ischiadicus erfolgt) sehr schmerzhaft ist,
2. dass auch Druck in der Umgebung des Ischiadicusverlaufes Schmerzen
verursache.
W. Sand rock-Leipzig: Ein Fall von elektrischer Starkstrsn-
verletzang mit tödlichem Ausgang. (Münchener med. Wochenschr.,
1912, Nr. 48.) Verbrennung durch Stossen des Kopfes an einen Draht,
der über 10 000 Volt Hochspaunung führte. Kolossales Oedem des
Kopfes und schwere Brandwunden am Hinterkopf. Exitus. Bei der
Autopsie fanden sich relativ geringe Veränderungen an den inneren
Organen, speziell am Centralnervensystem. Dünner.
Technik.
Koeppe-Giessen: Ohrtnpfer. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 48.) Aus Caravonicawatte herg<\stollte, 5 — 6 cm lange, von etwas
über Stmohholzdicke, kräftig zus ammenge drehte Tupfer, deren eines Ende
nicht fest gedreht, Sündern locker ist. Eine Verletzung ist nicht möglich.
A. v. Bornsini - München: Universalbruchbaad. (Münchener med.
Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Dünner.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizlnalst-atislik
zu Berlin.
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Gottstein.
Schriftführer: Herr Len n ho ff.
Tagesordnung.
1. Hr. Theilhaber:
Nene statistische Berechnungsmethoden der Foitpflaaznng.
Man berechnet heute vorzugsweise die Fortpflanzung einerseits durch
eine Berechnung des Geburtenüberschusses und andererseits der Frucht¬
barkeit. Der Geburtenüberschuss ist aber keine wirklich wissenschaft¬
liche -Handhabe zur Erkenntnis der Fortpflanzung, denn trotz eines
solchen kann die Fruchtbarkeit einmal glänzend oder gerade noch aus¬
reichend und ferner auch unternormal sein, wenn man unter normaler
Fortpflanzung die versteht, die den Status der Bevölkerung erhält. Es
kommt nämlich auf die Zusammensetzung der Bevölkerung an, ob zahl¬
reiche geschlechtsreife Personen darin enthalten sind, und wie der Stand
der Sterblichkeit ist, der sicher abhängig ist von der Zahl der kranken
und alten Personen. So kann z. B. eine Bevölkerungsschicht einge¬
wanderter, in der Blüte ihres Lebens stehender Menschen eine Mortalität
nahezu gleich null haben, deren Fortpflanzung kann man aber nicht
durch den Ueberschuss der Geburtlichkeit über die Mortalität messen.
Der Geburtenüberschuss, der aus der Subtraktion der allgemeinen Sterb¬
lichkeit von der Geburtlichkeit gewonnen wird, ist so sehr von dem Be¬
völkerungsaufbau, dem Gesundheitszustand der älteren Klassen, von
Säuglingssterblichkeit, Wanderungen und anderen Momenten abhängig,
dass die gewonnene Zahl nicht für die Fortpflanzungsfrage ausschlag¬
gebend ist. Sie ist nur zur numerischen Bestimmung der Volkszahl¬
bestimmung zu benutzen. Ebenso irreführend ist die Promilleberechnung,
da z. B. eine Geburtlichkeit von 25 pM. etwas anderes bedeutet, wenn
300 als wenn G00 unter 1000 Menschen als fertil zu bezeichnen sind.
Vortr. stellt zur Berechnung der Fruchtbarkeit folgendes Beispiel
auf: Wenn je 1000 fertile Frauen, die je 1000 Männern entsprechen und
deren Zusammensetzung stets die gleiche ist, innerhalb der Gebärfähig¬
keit ist, während 30 Jahre vom 15. bis 45. Lebensjahre 2000 Kinder
zur Welt bringen bzw. in einem Jahre 66,7 Geburten, dann ersetzen sie
sich und die dazugehörigen Männer. Die Quote der Geborenen muss
aber noch um 25 pCt. grösser sein als die angenommene Ziffer von
66,7 pM., wenn der Nachwuchs den heutigen Stand an geschlechtsreifcn
Personen ersetzen soll, da im Säuglingsalter durchschnittlich 20 pCt.
der Geborenen und im Alter von 5—15 Jahren 5 pCt. der Geborenen
sterben. Ist die SaugÜDgs- und Kindersterblichkeit grösser, muss auch
die Geburtlichkeit grösser sein als 84,5 auf 1000 gebärfähige Frauen.
Vortr. nennt die Ziffer 66,7 pCt. den idealen Adäquatswert der Geburt,
während er den normalen Adäquatswert diese Zahl nennt, vermehrt um
die Reservegeburtsziffer, d. h. die Ziffer von Geburten, die eine gerade
gehörige Fortpflanzung ergibt. An einigen Beispielen (Frankreich, die
Berliner Juden) erläutert Vortr. die Bestimmung der Fortpflanzung nach
seiner Methode, die erst klar und deutlich sehen lässt, was man allgemein
unter Vermehrung des Volkes versteht, nämlich den ziffernmässigen Zu¬
wachs aus der Geburtenzahl. Zur Kontrolle dieser Methode kann das
Verhältnis der gebärfähigen Frauen zur Zahl der Kinder nach der Ge¬
burtenfolge dienen, wodurch man zu denselben Resultaten gelangt.
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UNIVERSUM OF IOWA
6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
41
2. Hr. Lesshoff: Ueber amerikanische Krankenhäuser.
Io Amerika sind die Krankenhäuser durchweg nicht durch öffentliche
Behörden begründet, sondern Wohltätigkeitseinrichtungen. In New York
gibt es 65 Hospitäler mit 27 500 Betten für Kranke aller Art, d. h.
1 Bett auf 190 Einwohner. Davon 36 allgemeine Krankenhäuser mit
20400 Betten (darunter 3 homöopathische mit 1785 Betten), 6 Säug-
lingskliniken mit 3044, 3 Frauenkliniken mit 480, 2 Entbindungsanstalten
mit 271, 4 Augen-, Hals- und Nasenkliniken mit 389, 2 Nervenkliniken
mit 342, 3 Tuberkulosehospitäler mit 1136, 3 Infektionskrankenhäuser
mit 960 Betten usw. Im Besitze der Stadt sind 9 Hospitäler, davon
l in Verbindung mit dem Laboratorium des Gesundheitsamtes als Be¬
obachtungsstation für Infektionskranke, von der sie in die Spezial-
krankenhäuser überführt werden. In den städtischen Hospitälern ge¬
schieht die Aufnahme durchweg gratis, in den anderen meistens für
Unbemittelte ebenfalls gratis oder für eine ganz geringe Summe. Die
Selbstkosten für einen Kranken sind durchschnittlich 2 Dollars.
Das Lying-in-Hospital, als Entbindungsanstalt dienend, ist 8 Stock¬
werk hoch mitten in der Stadt gelegon und vorzüglich eingerichtet. Für
Entbindung ausserhalb der Anstalt ist ein Ambulanzdienst ähnlich wie
die Feuerwehr eingerichtet, für den 10—20 sterilisierte Taschen mit
allem nötigen Zubehör ständig bereit gehalten werden. In der Anstalt
fanden 1911 2275 Entbindungen mit 48 Todesfällen, im Aussendienst
2S90 mit 2 Todesfällen statt. Die Ursache der geringen Mortalität be¬
ruht auf der grossen Asepsis, die sich nicht nur auf Räume und Instru¬
mente, sondern auch auf das Personal erstreckt. Die Behandlung ist
auch hier gratis, da nur 38 Dollars eingegangen sind, während die Aus¬
gabe 198 000 Dollars betrage, die zum grössten Teil durch eine Spende
von Pierpont Morgan gedeckt werden. Im Spital sind Räume für gesunde
kleine Kinder, die bei Mangel an häuslicher Pflege die Mütter begleiten.
Das poliklinische Institut dient der ärztlichen Fortbildung, in den
oberen Räumen des 10 Stockwerk hohen Gebäudes mit 12 Fenstern
Front und 18 Fenstern Tiefe sind 300 Krankenbetten. Trotzdem war
anscheinend keine Beengung vorhanden, sondern alles gut eingerichtet.
Der mögliche Nachteil ist nur die Feuersgefahr und das Fehlen der
Möglichkeit, spazieren zu gehen. Dafür sind aber Veranden, Balkons
und Dachgärten vorhanden. Operierte kommen nach der Operation in
einen besonderen Raum mit 6—8 Betten, wo sie den Narkoserausch
verschlafen
Die dirigierenden Aerzte wechseln alle l U—\ Jahr und sind ebenso¬
wenig besoldet wie die Assistenten,' höchstens die Hausassistenten be¬
kommen Wohnung und Kost. Ausserdem sind externe Assistenten tätig,
die nur 2—3 Stunden tätig sind. Das Schwesternpersonal ist ausge¬
zeichnet, bat strengere Vorbildung (höhere Töchterschulbildung) und
längere Ausbildung (2— 8 V 2 Jahre) als in Deutschland. Die Gehälter
im Kranken hause sind 50—100 Dollars pro Monat bei gleicher Arbeits¬
zeit und Bettenzahl wie bei uns, in der Privatpflege 25—30 Dollers pro
Woche. Klinische Krankenhäuser gibt es nicht, Lehrer und Studenten
sind auf die Gastfreundschaft der städtischen oder privaten Kranken¬
häuser angewiesen. Nur im John Hopkins’ Hospital sind die klinischen
Lehrer zugleich Abteilungsvorsteher. J. Lilienthal.
Berliner ophthalmologische Gesellschaft.
Sitzung vom 17. November 1912.
1. Hr. Fehr: Der 32 Jahre alte Patient hatte im 10. Lebensjahre
eine Verletcsag des rechten Aoges erlitten, seit dem 17. Lebensjahre
häufig anfallsweise Schwellung des Lides und der Augenbrauengegend, bis
sich am Orbitalrand eine Fistel entwickelte, aus der sich erst Blut und
Eiier, später wässrige Flüssigkeit entleerte. Allmählich stülpte sich das
rechte Oberlid so um, dass der obere Lidrand hinter dem oberen Orbital-
rand lag, die Cornea beim Lidschluss kaum halb bedeckt wurde, und häufig
wiederkehrende Entzündungen der Cornea schliesslich die Sehkraft fast
zu vernichten drohten. Bei der Operation der anzunehmenden Stirn-
höblenaffektion fand sich eine Mucocele; nach glattem Heilungsverlauf
wurde das Ektropium durch eine plastische Operation (Ueberpflanzung
eines gestielten Lappens von der Wange) erfolgreich beseitigt.
2 . Hr. C. Hambarger berichtet über den günstigen Einfluss der
Reaer’selien JeqoirUoltliernpie bei einem durch Pannus fast erblindeten
schweren Trachom. Die Sehkraft stieg von Fingerzählen in 2 m auf
V«—v«.
3. Hr. Peters-Rostock (a. G.): Ueber angeborene Staphylome.
Das von v. Hippel als Ulcus corneae int. bezeichnete Krankheits¬
bild ist nicht entzündlichen Ursprungs, sondern angeborene Missbildungen
im Sinne eines Defektes der Deszemet’schen Membran. Die häufig auf
dem anderen Auge in solchen Fällen beobachteten Staphylome sind
gleichfalls Entwickelungsstörangen. Ein anatomisch genau untersuchter
Fall brachte dem Vortr. den einwandfreien Beweis für seine Theorie.
Das Gemeinsame zwischen den angeborenen Hornhauttrübungen und den
Staphylomen sind eine Defektbildung der Membr. Deszem. und vordere
Synechien, ferner häufig starke Verdünnungen, besonders in der Mitte
der Cornea. Die Ursache der Hornhautveränderungen ist eine sehr
frühzeitige abnorme Differenzierung des zwischen Ektoderm und Linsen-
bläschen liegenden Mesoderms, die auf einem abnormen Verhalten des
Ektoderms in dem Sinne beruht, dass entweder keine Linse abgeschnürt
wird, oder dass die abgescbnürte Linse im Bezirk der Hornhautmitte
liegen bleibt oder dass die normal abgeschnürte Linse nach hinten tritt,
wobei eine zweite (Pseudo-)Linse die Ursache der Staphylombildung
sein kann.
4. Hr. H. Wolff:
Untersuchung im unoknlaren nnd stereoskopiseben, umgekehrten,
reflexlosen Bilde.
Kurt Steindorff.
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zn Königsberg h Pr.
Sitzung vom 25. November 1912.
Hr. F. Schieck: Die Bedeutung der Stauungspapille.
Beim Zustandekommen der Stauungspapille sind mechanische Mo¬
mente von grösster Bedeutung. Die Annahme eines „entzündlichen“ Pro¬
zesses wird dadurch hinfällig, dass auch in stark entwickelten Fällen
sich niemals die Zeichen zeitiger Infiltration finden. Die einzige Ver¬
änderung ist eine ödernatöse Durchtränkung des Sehnerven. Vortr. unter¬
suchte diese Verhältnisse näher mit Hilfe von Serienschnitten und konnte
die Angabe der Autoren bestätigen, dass in der Mehrzahl der Fälle das
Oedem der Nerven proximal dort abschneidet, wo die Centralgefässe von
unten her in den Opticus eindringen. Dabei stellte sich heraus, dass das
Oedem ganz besonders stark entwickelt ist in unmittelbarer Nähe der
Gefässe in der Papille und im Sehnerven. Es führt in den Axialstrang
ein System von klaffenden perivasculäreu Saftspalten von dem Zwischen¬
scheideraum des Nerven bis zur Papillenmitte, welche die Quelle für die
Entstehung des Oedems zu sein scheint. Es ist das auch der Weg, auf
welchem unter abnormen Druckverhältnissen der Liquor cerebrospinalis,
vom Schädelinnern nach dem Sehnervenkopf hindrängt und zur Auf¬
quellung desselben Veranlassung gibt. Ausser durch den anatomischen
Befund ist die Richtigkeit dieser Anschauung auch bewiesen dadurch,
dass man im Leichenauge eine Stauungspapille hervorrufen kann, wenn
man proximal von dem Beginn des Axialstranges eine feine Kanüle in
den Intervaginalraum einbindet und Kochsalzlösung einspritzt; die Saft¬
lücken um die Centralgefässe erscheinen dabei weitklaffend. Bei Affen
kann man durch Injektion von Flüssigkeit unter die Dura Veränderungen
des Sehnerven erzeugen, welche sich ophthalmoskopisch und auch mikro¬
skopisch mit dem Bild der menschlichen Erkrankung decken.
Diese mechanischen Vorstellungen erscheinen bei Zuständen von
Drucksteigerung im Schädelinnern, oder der Orbita allein, ohne weiteres
berechtigt. Sie treffen aber auch zu, wenn es z. B. nach perforierenden
Verletzungen des Bulbus zu Druokverminderung im Bulbusinnern kommt;
die Annahme entzündlicher Vorgänge ist gar nicht nötig. Das Auf¬
treten der Stauungspapille in seltenen Fällen von Anämie ist noch nicht
abgeklärt.
Hr. Carl: Ueber Tamorbildangen bei Kaltblütern.
Vortr. führt aus, dass keine prinzipiellen Unterschiede zwischen
Kaltblüter- und Warmblütertumoren bestehen, dass alle Theorien zwanglos
auch auf die Geschwülste der niederen Wirbeltiere angewendet werden
können. Er gibt dann eine allgemeine Uebersicht über die bisher be¬
kannten Geschwulstarten, geht darauf zu dem speziellen Teil über und
behandelt Dacheinander die Tumoren bei Reptilien, Amphibien und
Fischen. Den Geschwulstbildungen bei Amphibien kann Vortr. eine
eigene Beobachtung, ein Hypernephrom beim Frosch, hinzufügen.
Bei den Fischen wird ausführlicher das Thyreoideacarcinom der
Salmoniden abgehandelt und die Karpfenpocke. Hierbei wird die Frage
der Infektion eingehend beleuchtet. Eine echte Tumorbildung, durch
Parasiten bedingt (Myxosporidien), wird angeführt, und zwischen dieser
Erkrankung und der Coccidienerkrankung der Gallenwege des Kaninchens
und der durch Distomum fellineum hervorgerufenen Wucherungen in den
Gallenwegen des Menschen eine Parallele gezogen. Vergleichend patho¬
logisch-anatomische und klinische Bemerkungen und die Projektion von
Abbildungen der Fischtumoren und mikroskopische Demonstrationen
eigener Präparate schliessen den Vortrag. Frey-Königsberg.
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zn Jena.
Sitzung vom 28. November 1912.
Vorsitzender: Herr Binswanger.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Stintzing: Fall von Friedreich’scher Ataxie.
21 jähriger Gymnasiast aus völlig, speziell nervengesunder Familie;
keine Erkrankung der Geschwister. Vor 7 Jahren Sturz aus 5 m Höhe.
Vor vier Jabreu begann sich allmählich das jetzige Leiden zu entwickeln.
Pat. ist bettlägerig. Es besteht hochgradige Ataxie der Extremitäten
sowie des Rumpfes. Die Patellarreflexe fehlen, dagegen sind die Pupillen
vollkommen normal. Es bestehen nur geringfügige, wohl bedeutungslose
Sensibilitätsstörungen. Das klassische Bild wird noch vervollständigt
durch eine ziemlich erhebliche Skoliose und die Krallenstellung der
Zehen, welche beim Aufsetzen des Fusses auf den Boden verschwindet.
Im Anschluss an den demonstrierten Fall erinnert St. an eine frühere
Beobachtung, wo mehrere Geschwister von der Krankheit betroffen waren
und von Generation zu Generation sich eine zunehmende nervöse Ent¬
artung feststellen liess.
Hr. Reichmann: Fall von septischem Cfelenkrheamatismas.
18jährige Patientin, die wahrscheinlich im Anschluss an Angina
Gelenkrheumatismus bekam, der septischen Charakter annahm und nicht
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UNIVERSUM OF IOWA
42
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
auf Salicyl reagierte. Im Blute und im Liquor cerebrospinalis fanden
sich hämolytische Staphylokokken bei mehrmaligen Untersuchungen.
Durch sehr grosse Collargoldosen wurde schliesslich völlige Heilung
erzielt.
Vortr. berichtet über weitere günstige Erfolge der Jenaer medizini¬
schen Klinik (Trembur) bei Sepsis und bespricht das Wesen der
Collargolwirkung, das er in der Hauptsache durch da9 Freiwerden von
Fermenten aus den zerfallenden Leukocyten sieht.
Hr. Janeke: Fall Ton chronischem Pyopneumothorax.
Der Pat. wird seit zwei Jahren in der Klinik beobachtet. Io dieser
Zeit wurden durch anfangs häufigere, dann seltenere Punktionen etwa
20 Liter Eiter, der anfangs reichlich Tuberkelbacillen enthielt, jetzt frei
davon ist, entleert. Pat. wird seit etwa Jahresfrist mit intrathorakalen
Stickstoffeinblasungen behandelt. Er hat seitdem etwa 40 Pfund an
Gewicht zugenommen, sich glänzend erholt und schon seit längerer
Zeit seinen Dienst wieder voll versehen. Das Empyem wird immer
geringer.
Tagesordnung.
Hr. Roessle:
Demonstrationen ans dem Gebiete der pathologischen Anatomie.
1. Postoperativer Verblutungstod aus hämorrhagischen
Erosionen des Magens. Einen Tag vor dem Tode war Gastroenterostomie
ausgeführt worden wegen Pyloruscarcinom und Stenose.
2. Zwei Fälle von tödlichen Blutungen aus dem Oeso¬
phagus. Bei einem Falle von pernieiöser Anämie hatten aus Erosionen
der Speiseröhre profuse Blutungen in den Magen stattgefunden. Im
zweiten Fall bestand frischer Typhus vom Charakter der schwersten All¬
gemeininfektion mit schwerster Oesophagitis haemorrhagica und daraus zu
erklärendem Verblutungstod. In beiden Fällen fanden sich auch sonst
Zeichen von hämorrhagischer Diathese.
3. Zwei Fälle von Thrombose der Carotis, a) Alte oblite¬
rierende Totalthrombose der ganzen rechten Carotis communis ohne
Hirnveränderungen, im Zusammenhang mit einem Parietalthrombus eines
syphilitischen Aneurysmas der Aorta ascendens. b) Thrombose der
ganzen rechten Carotis int. bis zum Austritt aus dem Canalis caroticus.
Akute weisse Erweichung der mittleren Teile der rechten Hirnhemi¬
sphäre.
4. Aneurysma dissecans der Aorta descendens. Den Aus¬
gangspunkt bildete ausgedehnte kalkige Atherosklerose.
5. Totale Thrombose der Bauchaorta mit Aesten. Trotz
der hochgradigen Veränderungen, die bis weit in die Beinarterien zu ver¬
folgen sind, keine Ischämie der Extremitäten. Die Blutversorgung muss
auf capillärem Wege erfolgt sein.
6. Collateralkreislauf bei Lebercirrhose durch Netzvenen.
Das Pfortaderblut floss unter anderem durch Netzverwachsungen in einem
Bruchsaok in das Gebiet der unteren Hohlvene.
7. Weitere Fälle von natürlich entstandenem Talma.
Das Pfortaderblut wurde im ersten Falle auf vier Wegen abgeleitet:
a) durch die Kapselvenen Köllicker’s, b) durch Verwachsungen des
ganz atrophischen Netzes mit der Bauchwand, c) durch grosse Venen
des mit der ßauchwand verwachsenen Colons, d) durch enorme Varicen
zwischen unterem Nierenpol und Magenfundus einerseits, linker Baucb-
wand andererseits.
Im zweiten Falle starke syphilitische Schrumpfung des
rechten Leberlappens. Vikariierende Hypertrophie des linken
Lappens. Ableitung des Blutes wahrscheinlich durch die Vena gastro-
epiploica zur Bauchwand und perihepatitische Stränge.
8. Totale Verlegung der unteren Hälfte der Vena cava
inferior. Ursache krebsige Durchwachsung.
9. Abnormer Ursprung der Subclavia und Carotis dextra.
Dass die Subclavia dextra wie hier als letzte aus dem Aortenbogen ent¬
springt, ist nicht so selten; der hier erhobene Befund, dass dies die
rechte Carotis mitmacht, und dass nun beide Gefässe von links nach
rechts nebeneinander hinter dem Oesophagus verlaufen, dürfte zu den
grossen Seltenheiten gehören. Gleichzeitig sieht man hier eine linke
Art. anonyma. Die unter der klinischen Bezeichnung „Dysphagia
lusoria“ gehende Varietät der rechten Subclavia wird, wie gesagt, nicht
selten angetroffen; obwohl Vortr. schon eine ganze Reihe von Fällen ge¬
sehen hat, ist ihm dabei noch nie etwas über die mit dem Namen be-
zeichneten Schluckbeschwerden bekannt geworden. Es fragt sich also,
ob der Name berechtigt ist. Strümpell hat dies schon bezweifelt.
Hr. Hegener: Lidplastik nach Büdinger.
Der Knorpel des Tarsus wird durch frei transplantierte Teile des
Ohres samt Knorpel ersetzt. Demonstration eines nach dieser Methode
geheilten Falles, bei dem das obere Augenlid wegen Carcinom entfernt
werden musste. Störung des Heilverlaufes durch Ulcera corneae infolge
Reibens der Seidenähte.
Im Anschluss hieran erwähnt Herr Wrede Nasenflügelplastiken
nach ähnlichen Prinzipien, die von König angegeben wurden.
Hr. Strohmayer: Zar Inznehts frage.
Vortr. weist an Stammbäumen aus berühmten Tierzüchtereien und
aus der Familie der Ptolemäer die Tatsache nach, dass die Inzucht nur
unter bestimmten Bedingungen zu kranker Nachkommenschaft führt.
Sie kann unter Umständen von rasseförderndem Werte sein. Einzel¬
heiten für ein Referat nicht geeignet.
Natnrhistorisch-medizinlscher Verein za Heidelberg.
Sitzung vom 26. November 1912.
1. Hr. Zade*. Demonstration zur metastatisehen Ophthalmie.
Streptokokkensepsis nach Infektion am Haudrücken, metastatische
Hüft- und Kniegelenksentzündung, Nephritis, Endocarditis. Beiderseits
metastatische Ophthalmie. Exitus. Bulbi 4 Stunde nach dem Tode in
Formalin konserviert.
Beiderseits Streptokokken in der Retina, Glaskörper, subretinal,
nicht in der Chorioidea. Primärer Sitz der Metastase Retina, Capillaren
mit Streptokokken angefüllt. Ausführliche Publikation erfolgt später.
2. Hr. Rost: Leber agonale Blutgerinnung.
Man findet auf Cruor oder Speckhautgerinnseln verhältnissmässig oft
kleine kugelförmige Auflageruugen, die histologisch Leukocytenhaufen
sind. Derartige Gebilde können nur agonal entstanden sein, da bei
Gerinnung im Reagenzglas die korpusculären Elemente des Blutes stets
ganz gleichraässig verteilt sind. Es wurden Versuche angestellt, der¬
artige Gebilde experimentell zu erzeugen. Das gelang beim Kaninchen
durch intravenöse Collargolinjektionen. Es kommt dabei zu ausgedehnter
Gerinnung des Blutes, an der die Tiere etwa nach 15 Minuten sterben.
Man findet dann auf dem Cruor Häufchen von Collargol und Leuko¬
cyten. Den bisher als Leicheugerinnsel wenig beachteten Gebilden
wird danach in gewissen Fällen eine grössere funktionelle Bedeutung
zukommen.
3. Hr. Marchand: Ueber Untersuchungen über die Beziehungen
der Nebennieren zu Blutzucker und Wärmeregulation, die er in
Gemeinschaft mit Herrn Dr. Freund unternommen hat. Die Versuche
wurden an Kaninchen gemacht. Nach Entfernung der Nebennieren
bildet kritischer Abfall der Körpertemperatur eine charakteristische Er¬
scheinung. Lässt man ein kleines Stück Nebennieren im Körper zurück,
so gelingt es, den Tod der Versuchstiere einige Tage hinauszuschieben.
Die Blutzuckerbestimmungen wurden nach der Methode von Frank und
Moechel ausgeführt. In den ersten Stunden nach der Operation findet
sich eine durch Laparotomie und Narkose verursachte Hyperglykämie.
Solange sich die Versuchstiere dann in gutem Zustand und bei normaler
Körpertemperatur halten, bleibt der Blutzucker normal. Sobald aber
der Temperatursturz eintritt, sinkt auch der Blutzuckerwert ausser¬
ordentlich stark (tiefster Wert 0,O0S pCt.). Die Erscheinungen der
schweren Störung der Wärmeregulation lassen daran denken, dass es
sich um AdrenalinmaDgel, also um Folgen der Verminderung des
chromaffinen Systems handelt. Dem gegenüber muss aber betont werden,
dass kleine Stücke aus Nebennierenrinde genügen, diese Ausfallserschei¬
nungen zu verhindern. Man gewinnt also den Eindruck, dass die Neben¬
nieren funktionell einheitliche Organe sind im dem Sinne, dass das
chromaffine Gewebe, das sich ausser in Nebennierenmark noch an
anderen Orten im Körper findet, nur dann funktionsfähig bleibt, wenn
genügend Nebennierengewebe vorhanden ist. Ko 1 b - Heidelberg.
Gesellschaft für Morphologie and Physiologie zu München.
Sitzung vom 26. November 1912.
Hr. v. Frisch *.
Ueber den Farbensinn der Bienen nnd die Blnmenfarben.
Bienen, die auf eine bestimmte Farbe (Gelb oder Blau) dadurch
„dressiert“ worden waren, dass sie nur auf zwei rechteckigen Papier¬
stücken von der betreffenden Farbe Uhrschälchen mit Zuckerwasser
fanden, während auf 30 anderen, in verschiedener Helligkeit abgetönten
Papierflächen leere Uhrschälchen waren, sammeln sich stets auf dem
farbigen Papier, auch wenn hier leere Uhrschälchen aufgestellt werden,
nicht auf einem der grauen. Eine Gewöhnung an Nuancen von Grau
gelingt nicht. Gelb scheiut den Bienen mit denselben Farben verwandt
wie uns. Auf Blau dressierte Tiere gehen jedoch auch auf rote Papiere;
Rot und Schwarz wird verwechselt. Mit diesen Feststellungen harmoniert
die Tatsache gut, dass die einheimische Blumenflora arm an roten —
jedenfalls rein roten — Blumen ist. Versuche mit grünen Farben
konnten wegen des ungünstigen Sommerwetters noch nicht ausgeführt
werden.
Hr. L. Neamayer:
Zar Morphogenese des Gehirns der Krokodile nnd Schildkröten.
Bei Schildkröten findet sich regelmässig sowohl Paraphyse wie
Epiphyse; bei den Krokodilen scheint durchgehende die Epiphyse zu
fehlen. Für die Gliederung des embryonalen Gehirns haben sich die
Kommissuren als verlässliche Merkpunkte erwiesen.
Sitzung vom 10. Dezember 1912.
Hr. Borst: Ueber Transplantation.
Ernährung, Funktion und Milieu sind für die Einheilung eines
Propfreises maassgebend. Autoplastische Transplantationen (z. B. von
Muskel auf periphere Nerven) gelingen ohne Schwierigkeit. Homoio-
plastische Transplantation (von Thyreoidea z. B.) dagegen misslingt; der
Schwund des Transplantates kann zwar langsam eintreten, bleibt aber
wohl nie aus. Ganz unmöglich ist Heteroplastik. Manche Gewebe
scheinen allerdings biochemisch nicht so empfindlich zu sein, besonders
die Geschlechtsdrüsen. Aber selbst bei gelungener Parabiose, einer
„Homoioplastik en masse“ geht der eine der beiden Partner früher oder
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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später zugrunde. Bei Gelenktransplantationen mit wachsendem Knochen
tritt immer Verkürzung des Transplantates ein. In künstlichen Züch¬
tungsversuchen wächst Knochenmark im Plasma normaler Tiere gut,
dagegen nicht im Plasma solcher Tiere, die mit Knochenmark vor¬
behandelt worden waren. K. Süpfle - München.
Medizinische Gesellschaft zu Basel.
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
Hr. Haegier:
1. Weitere Erfahrung über das harte traumatische Oedem des
Handrückens.
Ref. erwähnt kurz die über dieses Krankheitsbild sowohl in klinischer
als histologischer Hinsicht erschienene Literatur. Ref. konnte seine Fälle
um einige vermehren. Das dieser Verletzung vorhergegangene Trauma
ist meistens geringfügiger Natur: leichte Quetschung oder Dorsalflexion
der Hand oder des Daumens. Kleine Volarverletzungen. Auffallend
dazu ist das Krankbeitsbild: Handrücken geschwollen, Haut blass, selten
rot, häufig etwas bläulich verfärbt. Schwellung reicht vom Handgelenk
bis höchstens zum 1. Phalangealgelenk. Handgelenk ist immer frei.
Eher Schwellung, kein eigentliches Oedem. Inkonstante Druckempfind¬
lichkeit, hier und da Crepitieren bei Palpation und Fingerbewegung.
Funktionsstörung gering, vollständiger Handscbluss behindert. Es
gibt Fälle, wo Schwellung verteilt oder auf einzelne Teile beschränkt ist.
Ausgezeichnet ist die Affektion durch jahrelange Dauer. Zur Er¬
klärung der Schwellung wurde entzündliche Hyperplasie, Transsudat-
bildung, Störung des Lymphstroms herangezogen, Affektion wurde auch
als aogioneurotische mit bestimmter Disposition zu erklären versucht.
Befuode an exzidierten Stücken: ältere und neuere Blutextravasate,
einzelne cystiscbe Hohlräume, Unterhautzellgewebe derb, Fascie nicht
scharf abgrenzbar, degenerative Hyperplasie des Bindegewebes.
Die Aetiologie dieser Affektion ist Beklopfen des Handrückens
während längerer Zeit mit kurzen Schlägen. Auch Injektionen.
Nach erstmaligem Auftreten zeigte sich ein rasches Anschwellen
dieser Affektion, meistens bei Italienern an der „linken Hand“ beobachtet.
Auffallend war Zufriedenheit der angeblich Verletzten mit geringer Ab¬
findungssumme.
Da die Affektion zu Unfallszwecken gemacht wird, genügt meistens
diesbezügliche Aufklärung.
Demonstration eines solchen Patienten.
In der Diskussion erwähnt Herr He ding er die pathologisch-
anatomischeo Veränderungen: Bindegewebe hier und da verflüssigt,
Höhlenbildung mit Andeutungen von Endothelbelag, alte und neue
Blutextravasate, hyaline Bindegewebsumwandlung, geringe entzündliche
Erscheinungen. H. lehnt vom pathologisch-anatomischen Standpunkte
aus die Auffassung als Angioneurose ab.
Hr. Haegier:
2 . Chirurgische Erfahrungen bei hoebsitzendem Mastdanncarcinom.
Topographisch - anatomische Verhältnisse. Erörterung der ver¬
schiedenen Carcinomformen, die übrigens für die Prognosenstellung nicht
von Bedeutung sind. Diagnose schwierig. Häufig erstes Auftreten unter
Ileuserscheinung.
' Symptome: Stuhlunregelmässigkeiten (Obstipation), Schleimabgang,
Kreuzschmerzen.
In diagnostischer Hinsicht wichtig: öftere digitale Untersuchung
beim Liegen und Stehen mit Husten und Pressen, Einläufe, leere Ampulle.
Rectoskop. Abdominell häufig keine Befunde, Drüsen seltener.
Ref. operierte 5 Fälle, 2 auf sacralem Wege, 3 auf kombinierte
Methode (Anus praeternaturalis und naohherige Resektion). Ref. hatte
gute Resultate. Erörterung der Fälle und der jeweils eingeschlagenen
Operationsmethode.
Ref. spricht für die zweizeitige Operation; man kann den Patienten
in besseren Ernährungszustand bringen und zur eigentlichen Resektion,
welche übrigens nach Anus praeter leichter ist, kräftigen. Anus praeter¬
naturalis ist für den Patienten nicht unbequemer als Anus sacralis.
Mortalität bei kombiniertem Vorgehen geringer, Operation schonender
und radikaler. Prognose besser. Hohe Mastdarmcaroinome häufiger bei
Frauen — Ref. operierte nur Frauen — als bei Männern im Gegensatz
zu den tiefen Mastdarmkrebsen.
De Quervain ist auch zu zweizeitiger Operation — 3 Wochen
nach Anus praeternaturalis rechts — gekommen, dann ausgedehnte
Resektion, und wenn es angeht, Einstülpen der oberen Darmränder in
d:e unteren und Naht. WoIfer-Basel.
Aas Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academle de mddecine.
Sitzung vom 1. Oktober 1912.
Hr. Ch. Fiessiager erinnert, dass der schwere Anfall von Angina
pectoris, der durch eine Anstrengung, einen Marsch, ausgelöst wird,
mebt immer auf den gleichen Ursachen beruhe. Unter etwa 80 seit
•1 ihren beobachteten Fällen findet man nebeneinander Fälle mit Corona-
ritis und Obliteration der Coronararterien, Aorteninsuffizienz, gewisse
Myoearditisformen, interstitielle Nephritis mit Hypertension, Fettsucht
und Aeropbagie. Die beiden letzteren Formen heilen sicher mit der
richtigen Diät. Die Coronaritis, oft spezifischen Ursprungs, heilt durch
Hg-Behandlung. Jodsalze in kleinen Dosen bessern die Anginaanfalle
der Aorteninsuffizienz, während sehr kleine Digitalisdosen (Vio rag zwei¬
mal wöchentlich), Theobromin und Laxantien die Schmerzanfälle bei
interstitieller Nephritis beruhigen. Die spontane Besserung tritt ein
nach spontaner Entwicklung einer funktionellen Mitralisinsuffizienz, durch
Vorhoferweiterung. Bei Myocarditis wirken am besten Digitalin, Vio rag»
während 3—4 Tagen per Woche, und Theobromin. — Alle diese Formen
bedürfen einer Allgemeinbehandlung, Nitrite (ausgenommen bei Aero-
pbagen), schwache Morphiumdosen (1 mg alle 3 Stunden) und nament¬
lich Bettruhe. Ferner kleine, alle 2 Stunden wiederholte Mahlzeiten,
sehr wenig Flüssigkeit. Unter diesen Konditionen heilt nach 70 Jahren
die Angina meist, wenn man die Behandlung l 1 /*—3 Jahre fortsetzt.
Diskussion.
Hr. Robin ist besonders für Angina bei Fettleibigen und Aoro-
phagen gleicher Meinung. Die ersteren verlieren die Anfälle durch eine
gut geleitete Entfettungskur, mit der auch gleichzeitig die Albuminurie
verschwindet. Bei Aerophagen ist die Diagnose schwerer, weil oft
gleichzeitig Gärungserscheinungen bestehen. Uebrigens ist eine tödliche
Syncope infolge äusserster Dehnung des Magens durch Gase sehr selten.
Sitzung vom 8. Oktober 1912.
Hr. Letulle liest den Kommissionsberieht über die Frage der
obligatorischen Krankenmeldnng bei Tuberkulose. Er schickt voraus,
dass es sich allein um diejenigen Fälle handeln könne, bei denen der
Patient durch regelmässige Ausstreuung von Koch’schen Bacillen aus
seinem Körper zu einem Verbreitungsherd der Krankheit wurde: also
um offene Tuberkulosen. Die Frage wurde schon 1889 von Villemin
aufgeworfen und seither an Hand von Berichten von Grancher,
Thoinot, Robin besprochen, man kam aber zu keinem definitiven
Entschluss. Inzwischen wurde die obligatorische Tuberkulose-Kranken¬
meldung und Desinfektion in Dänemark im Jahre 1900 eingeführt, 1901
in Norwegen, in Deutschland und England mit einigen Einschränkungen,
während die Krankenmeldung in Frankreich fakultativ geblieben ist.
Heute wäre es möglich, dank dem gewaltigen Fortschritt, den die öffent¬
liche Meinung in bezug auf soziale Hygiene gemacht hat, bessere Anti¬
tuberkulosemaassregeln aufzustellen. Dafür bedarf man aber der Mit¬
hilfe des praktischen Arztes, der wegen Gefährdung des ärztlichen
Geheimnisses wenig dafür eingenommen ist, wie aus den lebhaften Dis¬
kussionen in verschiedenen Syndikaten und ärztlichen Gesellschaften
hervorgeht.
Herr Letulle meint, man sollte sich bei Aufstellung der Anti¬
tuberkulinmaassregeln an folgende Grundsätze halten: l. Die mensch¬
liche Tuberkulose wird meist durch das Sputum verbreitet. 2. Die Ver¬
breitung der Tuberkulose wird eingeschränkt durch den Kampf gegen
den Alkoholismus, gegen ungesunde Wohnungen, gegen Nährmittel-
fälschuDgen und durch die Beschaffung gesunder, billiger Nahrung und
lohnender Arbeit in bestmöglichen hygienischen Verhältnissen. 3. Die
Krankenmeldung der Tuberkulose wird obligatorisch, wenn es sich um
offene Tuberkulose handelt. 4. Die Krankenmeldung ist Pflicht des
Familienvaters oder der an seiner Stelle verantwortlichen Person (An¬
staltsvorsteher, Vermieter usw.) und endlich, wenn diese nicht vorhanden,
des Arztes. 5. Die gültige Krankenmeldung muss von einem Zeugnis
begleitet sein, das der behandelnde Arzt dem Familienvater ausstellt,
zu Händen eines Arztes des Gesundheitsamtes, der für Wahrung des
ärztlichen Geheimuisses verantwortlich ist und nach der Desinfektion die
nötigen Zeugnisse ausstellt. Es wäre also nötig, solche medizinischen
Amtspersonen zu schaffen, das Geheimnis der KrankenmelduDg wäre
somit nur dem Familienoberhaupt, dem behandelnden Arzt und dem
ärztlichen Gesundheitsbeamten bekannt. 6. Der Staat verpflichtet sich
zur Desinfektion und zur Unterstützung der mittelosen Kranken. 7. Eine
besondere Verordnung stellt die für Zeugnisse zu -entrichtenden Ge¬
bühren fest usw., es muss also im Staatsbudget ein besonderer Artikel
„Tuberkulose“ aufgenommen werden.
Hr. Achard berichtet über lokale Salvarsanbehandlnng der
Angina Vincenti. Da diese Angina eine lokale Spirillenkrankheit ist,
proponierte Vortr. lokale Arsenobenzolbehandlung. In einem neuen
Fall trat vollkommene Heilung in 4 Tagen ein. Es ist oft schwer, die
Angina Vincenti von Syphilis zu unterscheiden; eine Hg-Behandlung
könnte gefährlich werden bei Angina Vincenti und zu Gangrän führen,
während Arsenobenzol bei Angina Vinoenti lokal gut wirkt, ebenso auch
bei Syphilis. Ausserdem ist diese Behandlung gefahrlos und sehr einfach.
Hr. Vincent berichtet über Antityphnsimpfnngen mit polyvalentem
Impfstoff. In Marokko sind die 1911 geimpften Truppen immun ge¬
blieben. Eine heftige Epidemie (1500 Fälle) in Avignon zeigt von
neuem die Wirksamkeit der Impfung. Von 2053 Mann der Garnison
waren 525 Mann vor der Epidemie geimpft worden, 841 bei Eintritt der
Epidemie. Bei den Truppen wurden 155 Patienten mit 21 Todesfällen
verzeichnet, und zwar nur bei Ungeimpflen. Bei den 841 während der
Epidemie Geimpften waren keine Zeichen der sogenannten negativen
Phase zu beobachten. Es blieben 200 Mann verschont, welche nur zwei
oder eine einzige Injektion bekommen hatten.
Hr. Boeekel beschreibt eine besondere Form der Appendieitis,
bei der das freie Ende der Appendix mit dem vorderen Blatt des Mesen¬
teriums verwachsen ist. Bei der Perforation der Appendix entleert sich
bei diesem Patienten der toxisch-infektiöse Inhalt der Appendix zwischen
die beiden Blätter des Mesenteriums, und es entsteht ein Tumor, der
mit einem Empyem der Gallenblase verwechselt werden kann. Raseh
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UNIVERSUM OF IOWA
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Nr. 1.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
verwachsen die umliegenden Darmschlingen zu einer kompakten Masse.
Zwischen den einzelnen Schlingen entstehen Eiterherde, der Exitus durch
Peritonitis ist sicher. Eine Chance der Heilung besteht in ausgedehnter
Resektion der verwachsenen Schlingen. Vortr. hat bei einer 39 jährigen
Patientin 80 cm Ileum, 90 cm Coecum und Colon ascendens reseziert
und dann das Ileum mit dem, Coecum anastomosiert. Patientin heilte
vollständig.
Sitzung vom 15. Oktober 1912.
Hr. Poncet erinnert an seine vor 20 Jahren mit Herrn Leriche
gemachten Versuche mit Heliotherapie bei Tuberkulose, hartnäckigen
Geschwüren, infizierten Wunden, verlangsamter Konsolidation der Frak¬
turen usw. Diese Behandlung sollte in grösserem Maassstabe durch¬
geführt werden und in jedem Krankenhause möglich sein mittels be¬
sonders geeigneten Terrassen und der Sonne ausgesetzten Baracken, bis
besondere Anstalten in günstiger Lage hergestellt worden sind. Er
meint, die Sonne der Riviera könne den Kranken ebenso nützlich sein
als eine Sonnenkur in der Schweiz.
Diskussion. Hr. Henrot betont, dass in St. Gervais und
La Motte-Beuvron solche Anstalten bestehen.
Sitzung vom 22. Oktober 1912.
Hr. Widal spricht über den hämatogenen Ursprung gewisser
Formen der Appendicitis. Obwohl klinische, pathologisch-anatomische
und experimentelle Tatsachen für diesen hämatogenen Ursprung sprechen,
konnten doch bisher noch in keinem Fall die Keime, die die Appen-
dicitis veranlassen, im Blut durch Häraokultur nachgewiesen werden.
In einem mit den Herren Abrami, Brissaud und Weissenbach be¬
obachteten Fall gelang es, die ganze Folge der infektiösen Erschei¬
nungen zu beobachten und die Septikämie festzustellen, die plötzlich
eine letal verlaufende, perforierende Appendicitis veranlasste. Patientin
zeigte während 14 Tagen das klassische Bild einer Typhusinfektion ohne
Zeichen von Appendicitis. Die Blutkultur erlaubt zweimal den Nachweis
von Paratyphus B-Bacillen. Dann traten plötzlich peritoneale Erschei¬
nungen auf mit Exitus in 24 Stunden. Die Autopsie zeigte eine per¬
forierte Appendix mit Ecchymosen am Coecum. Ueberall war Para¬
typhus B fast in Reinkultur. Die Einschleppung auf dem Blutwege war
bewiesen durch zahlreiche Kolonien des Paratyphus B in den Capi Haren
der Wandungen von Appendix und Coecum. Diese Typbo-Appendicitis
war die einzige Darmlokalisation der Typhusseptikämie. Der Dünndarm
war ganz frei, besonders die Peyer’schen Plaques. Die Beobachtung
zeigt, dass nach den verschiedensten Infektionen, selbst nach Eiterungen
im Unterhautzellgewebe, wie im berühmten Fall von Gambetta, eine
Appendicitis entstehen kann. Die möglichst früh gemachte Blutkultur
könnte diese Frage noch weiter aufklären.
Sozialärztliche Jahresschau.
Mobilmachung braucht nicht unbedingt den Krieg zu bedeuten; das
hat jedermann aus dem im Gefolge des Balkankrieges eingetretenen Ver¬
wickelungen lernen können. Diese Vorgänge lehrten aber auch von
neuem, dass alles darauf ankommt, rechtzeitig in Bereitschaft zu sein;
denn nur dann lassen sich wichtige Forderungen mit dem gehörigen
Nachdruck vertreten. Ein schwacher Gegner wird geringschätzig ab¬
getan, sei seine Sache auch noch so gerecht.
Auf dem sozialen Schauplatze gibt es nicht Schwertgeklirr und
Donnerhall, aber die Gegensätze, die hier ausgefochten werden, begreifen
doch auch oft genug das Wohl und Wehe vieler Einzelpersonen und
Familien in sich. . Und nach den 30 Jahren sozialer Versicherungs-
entwicklung in Deutschland, nach den heftigen Mitbewegungen, mit
denen die Interessentengruppen die einzelnen Phasen der Gesetzwerdung
der Reichsversicherungsordnung begleitet haben, musste jeder erwarten,
dass mit der Einführung der RVO. die Kassenärztefrage endlich zu einer
definitiven Lösung kommen würde. Für die deutschen Aerzte bedeutet diese
Lösung nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob sie in Zukunft
ein freier Stand bleiben oder nicht.
Ziel und Richtung waren der deutschen Aerzteschaft durch die
Beschlüsse des Stuttgarter Aerztetages vorgezeichnet, und schon im
Februar v. J. lagen die taktischen Direktiven des Geschäftsausschusses
des Deutschen Aerztevereinsbundes für eine grosszügige und planvolle
Defensivrüstung vor. Der Schwerpunkt wurde in die Bildung von
lokalen Organisationen gelegt, deren Zweck Abschluss und Durch¬
führung kollektiver Kassenarztverträge sein sollte. Jeder Arzt,
soweit er zum Praktizieren berechtigt ist, soll beitrittsberechtigt sein.
Der Vertragscentrale in Leipzig fällt die Aufgabe zu, das gesamte
Material von Verträgen kritisch zu bearbeiten. Jede Verzettelung von
Kräften in Einzelkämpfen soll vermieden werden, denn eine in grossem
Stil arbeitende Strategie verlangt naturgemäss ein einheitliches, gleich-
mässiges und geschlossenes Vorgehen allerTruppenkörper. Diese Forderung,
in den Direktiven klar ausgesprochen, fiel den Herren auf der Kassen¬
seite auf die Nerven, und ilugs interpretierte man hier die Sache als
Vorbereitung des ärztlichen Generalstreiks. Wie üblich, wurde mit
diesem zurecht konstruierten Gespenst in Presse, Tagungen und Hinter¬
zimmern der Staatsbehörden operiert, und die Oeffentlichkeit weidlich
vor den Schreckensplänen der sozialen Nihilisten graulich gemacht;
immer wieder rief man ernsthaft den Schutz der Regierung „gegen die
Bedrückung und Bedrohung durch den Leipziger Verband“ an. Daneben
wurde natürlich eine umfassende Gegenrüstung betrieben, bei der wie
immer, wo es gegen die Aerzte geht, proletarische und hochbourgeoise
Vertreter der Kassenverbände in holder Gemeinschaft Zusammenarbeiten;
und während sie in den öffentlichen Kundgebungen in aufdringlicher
Weise ihre Friedensbereitschaft und den guten Willen betonen, den
Aerzten eine staudesgemässe Stellung einzuräumen, zeigen ihre geheimen
Abmachungen eine geradezu brutale Ablehnung aller ärztlichen
Grundforderungen. In erster Linie wird die Freie Arztwahl
a limine verworfen. Sonderhonorar für die Versicherten zwisch en
2000 und 2500 M. wird abgelehnt. Dagegen soll eine weitere Be¬
schränkung der Kassenpraxis auf einen möglichst kleinen Kreis
von Aerzten angestrebt werden, indem sämtliche Kassengattungen mög¬
lichst sich derselben Aerzte bedienen. Von der Heranziehung von
Heildienern soll ausgiebigster Gebrauch gemacht und alle Mittel ver¬
sucht werden, sich gegebenenfalls in dem vertragslosen Zustand, wie er
durch den § 370 RVO. geschaffen würde, zu behaupten. Verwegene
Pläne treten da auf: Wenn die Anwerbung von „Vertrauensärzten“
misslingt, soll womöglich Abkommandierung von beamteten, ja von —
Militärärzten den maassgebenden Stellen nahegelegt werden.
Man scheint doch eiu unbegrenztes Vertrauen zur Hilfsbereitschaft
der Regierenden für eine der beiden Parteien zu haben, und es ist
interessant, zu verfolgen, inwieweit die Staatsregierung sich ihrerseits
aus der ihr naturgemäss zukommenden und von ihr stets behaupteten
wohlwollenden Neutralität herausdräugen lässt.
Von dem grossen Einfluss namentlich der rheinisch-westfälischen
Schwerindustrie hat man ja Proben genug erlebt; andererseits aber
kann auch oben kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass hinter dem
Leipziger Verband tatsächlich die deutsche Aerzteschaft steht. Sehr zu
denken muss insbesondere gegeben haben die Einstimmigkeit, mit der
an Stelle des langjährigen, für alle Zeit vorbildlichen Führers des
Deutschen Aerztevereinsbundes, Loebkers, ein Mann gewählt
wurde, der bis dahin im Vorstand des Leipziger Verbandes ge¬
sessen hatte. Die Einmütigkeit, von der Dippe’s Wahl getragen war,
erweckt die besten Hoffnungen und ist das stärkste Unterpfand dafür,
dass er würdig das Erbe Loebkers verwalten wird, aber auch dafür,
dass in künftigen Kämpfen diejenigen Prinzipien auf ärztlicher Seite
sich behaupten werden, welche den Leipziger Verband volkstümlich
unter den Standesgeuossen und gefürchtet und bis aufs Blut gehasst
bei den Gegnern gemacht haben.
Dass er nicht ganz so schlecht sein kann wie sein Ruf, beweist die
erfreuliche Wendung, welche die Verhandlungen zwischen ihm und der
Reichspostverwaltung in Sachen der Krankenkasse für Post- und
Telegraphenunterbeamte genommen haben; wenn auch noch kein Vertrags¬
abschluss erzielt ist, so spricht doch alles dafür, dass hier einmal eine
Reichsbehörde für die Berechtigung des Verlangens auf freie Arztwahl,
Beschränkung auf die 2000 M.-Einkommensgrenze, paritätische Schieds¬
gerichte usw. ein weitblickendes Verständnis beweist, das leider den
Vertretern der grossen Kassenverbände abgeht, und dessen F’ehlen eben
der letzte Grund für den dauernden Karapfzustand ist.
Freilich wäre, das Zustandekommen eines Tarifvertrags zwischen
Leipziger Verband und Reichspost vorausgesetzt, letztere wahrhaft ein
rara avis auch unter den staatlichen Behörden. Hier überwiegt ja
naturgemäss die bureaukratische Auffassung jeglichen Verhältnisses, wo¬
durch a priori dem Amtlichen und Halbamtlichen der Vorzug vor allem
gesichert ist, was das Stigma des „Freien“ trägt. Das zeigt sich in
peinlicher Weise wieder, nachdem die Privatbeamtenversieherung,
deren Maschen sich die Aerzte als Objekt glücklich entwunden haben,
ihren Einzug in die Praxis genommen hat. Sofort taucht seitens des
Direktoriums dieser Versicherungsanstalt der Plan auf, die Mitarbeit
der froipraktizierenden Aerzte auszuschalten; es soll vielmehr
ein „lückeulos das ganze Reich überziehendes Netz von geeigneten Ver¬
trauensärzten, am besten durch Heranziehung der beamteten
Aerzte“ geschaffen werden. Jeder Praktiker weiss, wie willkürlich die
Trennung von behandelnder und begutachtender Tätigkeit in den meisten
Fällen ist, da ja gerade die erstere am ehesten den Schlüssel zur
richtigen Beurteilung der kranken Persönlichkeit gibt. Jeder Praktiker
kennt aber auch die fatale Rückwirkung einer solchen Monopolisierung
der Gutachtertätigkeit auf die freie Praxis, indem dem Nimbus, den die
beamtete Eigenschaft an sich verleiht, noch der einleuchtende Vorteil
hinzugefügt wird, von demjenigen Arzte behandelt zu werden, der
schliesslich über die Berufsunfähigkeit oder die Bewilligung eines Heil¬
verfahrens das entscheidende Wort zu sprechen hat.
Es zeigt sich hier deutlich, wie jede Erweiterung der Versicherungs-
idee unweigerlich der Verbeamtung des Aerztestandes zutreibt,
und damit wäre ja auch das Ideal unseres rührigsten Freundes, des
Betriebskrankenkassenverbandes in Essen, erreicht; wenigstens trocknet er
gelegentlich seine Tränen mit folgendem Ausblick: „Will man gegen den
Leipziger Verband nicht Vorgehen, auch keiue Behandlungspflicht für die
Aerzte bei der Krankenversicherung einfübren, so gebe man wenigstens
den Krankenkassen freie Hand, die ärztliche Behandlung durch eine
Geldleistung abzugelteo, eine Maassnahme, die bei all ihren Mängeln
das gute hätte, dass sie denUebergang zum beamteten Arzt-
tum bei den Krankenkassen vorbereitet und damit zu der
einzig möglichen Lösung der Arztfrage auf dem Gebiete der
Reichs Versicherung führt.“
Diese Lösung mag ja dem Herrenstandpunkt jener Kreise wohl¬
gefällig sein. Die Aerzteschaft wird sich nach wie vor mit allen Kräften
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UNIVERSITÄT OF IOWA
6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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dagegen wehren, und vorläufig scheint doch auch noch an den Stellen,
denen die Handhabung der Gesetze obliegt, der Wunsch und das Ver¬
trauen zu bestehen, dass es zwischen Aerzten und Kassen zu friedlichen
Vereinbarungen auf dem Boden der paritätischen Vertragsschliessung
kommt und damit die gedeihliche Entwicklung der Sozialversicherung
gesichert wird. Es war ja auch der Sinn der schliesslichen Reichstags¬
beschlüsse, der freien Vereinbarung weitesten Spielraum zu lassen, da
sich jede konkrete gesetzliche Regelung als verfehlt erwiesen hatte. Es
muss anerkannt werden, dass seitens der Staatsbehörden der Versuch
einer ehrlichen Vermittlung gemacht wird, und gerade das Ende des
Jahres stand im Zeichen dieser Versuche von seiten des Reichsamts des
Innern. Sie haben eine Vorgeschichte, deren Einzelheiten erst jetzt
bekannt geworden sind. Das preussische Ministerium des Innern —
dessen Vertreter übrigens bei früherer Gelegenheit in einer parlamen¬
tarischen Kommissionssitzung über Koalitionsrecht und Selbsthilfe¬
bestrebungen der Aerzte verständig und tapfer sich ausgelassen hatte —
hat bereits im Mai v. J. eine vertrauliche Besprechung mit Vorstands¬
mitgliedern des Leipziger Verbandes über Regelung des Verhältnisses
zwischen Aerzten und Kassen gehabt, in der protokollarisch festgelegt
wurde, dass der Leipziger Verband weder an einen General¬
streik denkt noch rücksichtslos auf der Durchführung der
freien Arztwahl besteht, vielmehr nur erstrebt, dass der Abschluss
neuer Verträge durch die beiderseitigen Organisationen nach
Maassgabe der örtlichen Verhältnisse erfolgt.
Man sollte annehmen, dass diese Vereinbarungen die Unterlage für
eine weitere Verständigungsaktion hätten abgeben müssen, wie sie
der Staatssekretär des Innern im November begonnen hat, durch
Einladung an die Hauptverbände der Kassen einerseits, an Leipziger
Verband, Aerztevereinsbund und eine Reihe von Aerztegruppen anderer¬
seits, unter denen sich neben Vertretern des monopolisierten Systems
auch der — Reichsverband deutscher Aerzte befand. Als Unterlage für
die Verhandlungen sollte ein vorläufiger Entwurf von Grundzügen für
eine Vereinbarung dienen, der allerdings in ängstlichster Weise den
Hauptstreitpunkten aus dem Wege geht und unter allen Vor¬
behalten über die Freiheit der Kassen, ihren Standpunkt zur organi¬
sierten freien Arztwahl zu wahren und entsprechende Verträge mit dazu
bereiten Aerzten abzuschliessen, lediglich gewisse Normen über die Ein¬
richtung von Schiedsinstanzen vorschlägt, wie sie ähnlich bereits im
ersten Entwurf der RVO. figurierten. Charakteristisch übrigens ist, dass
das „Schiedsamt“ beschlussfähig sein soll, wenn selbst nur
die drei beamteten Mitglieder anwesend sind (!).
Es war vorherzuseheD, dass der Leipziger Verband nicht ohne
weiteres auf diesen Boden treten würde, ja es wäre in Aerztekreisen
schwer verstanden worden, hatte er es getan. So entwickelte sich ein
reger Briefwechsel zwischen Delbrück und Hartmann, in welchem
letzterer namens des «Vorstandes des Leipziger Verbandes entschieden
ablehnt, mit einem Vertreter des sogenannten Reichsverbandes gemein¬
sam zu verhandeln, und auf diesem Standpunkt selbst nach dem etwas
gereizt klingenden Ultimatum des Staatssekretärs beharrt, und zwar „auf
Grund früher gemachter Erfahrungen, dass durch die sonst unvermeid¬
lichen, weil gewollten Auseinandersetzungen gegnerischer Aerzte das er¬
sehnte Ziel der Konferenz, nämlich eine Verständigung mit den Kassen¬
verbänden, vereitelt wird“. Allerdings besteht ausserdem beim Leipziger
Verband auch das sachliche Bedenken, dass die ganze Konferenz an¬
gesichts des geplanten farblosen Programms zwecklos sein muss, wenn
nicht in erster Linie über Zulassung und Anstellung von
Kassenärzten verhandelt und eine Verständigung herbeigeführt
wird. Wenn also die geplante Friedenskonferenz in den Präliminarien
stecken bleibt, wird der Leipziger Verband den etwaigen Vorwurf, das
Scheitern „verschuldet“ zu haben, ruhig ertragen können. Die Vor¬
bereitung des ganzen trägt zu sehr den Stempel der Einseitigkeit;
der Zankapfel ist mit der Einladung des „Reichsverbands“ gegeben,
dieses chimärischen Gebildes, von dem wohl nur Herr Busch und der
liebe Gott weiss, woraus es besteht, und diese Einladung ist auf den
dringenden Wunsch der Kassen verbände erfolgt, wie der Staatssekretär
erklärt. (Wer hatte vorher die Aerzte nach ihren Wünschen gefragt?)
Er passt zu einer Verständigungsaktion wie die Faust aufs Auge, und
cs bezeugt seitens des Leipziger Verbandes demgemäss den ernsten
Willen, eine Konferenz lediglich zu erspriesslicbem Zweck mitzumachen,
wenn er strikte ein Element des Unfriedens a priori ablehnt.
Im Notfall wird man auch auf Generalverhandlungen, die ja doch
nur rein informatorischen Wert haben sollen, verzichten können.
Im Bewusstsein ihrer guten Sache und gesammelten Kraft können
die im Leipziger Verband geeinten Aerzte der Zukunft ruhig entgegen¬
sehen. Das war auch die Stimmung der Hauptversammlung in
Leipzig, die diesmal zugleich einen Ersatz für den Aerztetag bildete.
Mit Genugtuung erfuhr man dort, dass die oben erwähnte Organi¬
sation von Lokal verbänden fast lückenlos im ganzen Reiche
durch ge führt ist, und nicht wenig Verwunderung freudigster Art er¬
weckte es, dass auch in Berlin, das bisher für die einheitliche Organi¬
sationsbemühung als verzweifelter Fall galt, eine befriedigende Einigung
aller kassenärztlichen Gruppen behufs gleichmässigen und gemeinschaft¬
lichen Handelns in einer Reihe wichtiger Fragen erzielt worden ist.
Glänzend ist auch das Resultat der unverzinslichen Anleihe zu
nennen, die voraussichtlich, wenn alle Zeichnungen abgeschlossen sind,
eine Million Mark noch übersteigen dürfte. Auch die Erfolge,
die der Leipziger Verband durch seine Vereinbarungen mit dem Ver¬
band öffentlicher Lebensversicherungen erzielt hat, sowie die
Aussicht auf Verlängerung des Tarifvertrags mit den grossen
kaufmännischen Verbänden sind günstige Vorzeichen für das
Kommende.
Ein recht bitterer Tropfen ist leider in die Sylvesterbowle durch
einen Erlass des preussischen Ministers des Innern geträufelt worden,
der nicht allein in ärztlichen Kreisen befremden muss. Er richtet sich
gegen die Erlangung der Rechtsfähigkeit der kassenärztlichen
Lokalvereine (s. o.) auf dem Wege der Eintragung ins Vereinsregister,
indem er mittels einer, wie uns scheint, anfechtbaren Argumentation dar¬
tut, dass ihr Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet
ist. Die Tätigkeit dieser Vereine durch Abschluss von Verträgen sei
„auf den Umsatz wirtschaftlicher Güter insofern gerichtet, als ärztliche
Hilfeleistungen auch einen wirtschaftlichen Wert haben und daher wirt¬
schaftliche Güter sind“. Das Gezwungene und Bedenkliche dieser be¬
grifflichen Deduktion wird auch dem juristischen Laien kaum entgehen;
aber schon haben sich auch hervorragende Juristen, wie Reichsgeriohtsrat
Ebermayer und der Berliner Universiätsprofessor Hellwigmit aller Ent¬
schiedenheit gegen diesen Erlass ausgesprochen (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 51). Beunruhigend in Laienkreisen, wie wir es doch
sind, musste aber geradezu der Schluss wirken, wo die Verwaltungsbehörden
angewiesen werden, durch Vorstellungen bei den Amtsgerichten und
nötigenfalls durch Appell an die Landgerichte dahin zu wirken,
dass die Eintragung versagt, eine etwa erfolgte Eintragung gelöscht
und der betreffende Verein auf die Erlangung der Rechtsfähigkeit durch
staatliche Verleihung verwiesen wird. Das sieht einer Einwirkung auf
die Gerichte verzweifelt ähnlich, deren unbeeinflusste, unparteiische,
unabhängige Rechtsprechung dem Volk als höchstes Palladium gilt.
Etwas muss bei der Emanation dieses Erlasses nicht in Ordnung gewesen
sein, denn von dieser Regierungsstelle sind wir, seit ihr die Medizinal¬
abteilung angegliedert ist, unfreundliche Akte eigentlich nicht gewöhnt
gewesen. Und trotz aller Kommentierungen, die schon halboffiziös be¬
ginnen, kann man den Erlass nicht anders als den Versuch einer Er¬
schwerung der Organisationsbewegung der Aerzte anseben. Wäre er
nur vom juristischen Gewissen diktiert, das eine irrige Anwendung des
§ 21 BGB. verhüten will, dann wäre das Justizministerium die hierzu
legitimierte Instanz gewesen. Wenn man einer gut unterrichteten
Korrespondenz glauben darf, so soll in dieser Sache noch der Aerzte-
kammerausschuss vom Ministerium des Innern gehört werden, ehe die
„Erwägungen“ sich zu einer Entscheidung verdichten.
Wie dem auch sei, wir brauchen uns durch keinerlei Anfechtungen
beirren zu lassen; unbekümmert wollen wir trotzdem und frohgemut auf
der beschrittenen Bahn weiter ziehen, durchdrungen von der Ueber-
zeugung, dass es hier nicht so sehr ankommt auf die Rechtsfähigkeit,
als auf das gute Recht. Vollmann.
Wiener Brief.
Wien, im Dezember 1912.
Die erste Nothnagelpreisvorlesung fand am 7. d. M. im Hör¬
saal der Klinik v. Noorden statt. Prof. Franz Hofmeister aus
Strassburg i. E. sprach über die Bedeutung der Leber für den
Zuckerstoffwechsel. Aus der grossen Notnagel-Stiftung wurde ein
Betrag gerettet, dessen Zinsen alle zwei Jahre zur Abhaltung einer Noth¬
nagel-Preisvorlesuug an der Wiener Universität, ferner in Zukunft auch
zur Prägung einer Nothnagel-Preismedaille verwendet werden sollen.
Für die Wiener Universität bedeutet diese Preisvorlesung ein Novum au
und für sich, und das Erscheinen Franz Hofmeister’s in einem
Wiener Hörsaale hatte überdies einen sensationellen Beigeschmack. Be¬
kanntlich ist der Führer der deutschen physiologischen Chemiker ein
Prager und entstammt einem deutsch-böhmischen Aerztehause. Wir
Hessen Franz Hofmeister im Jahre 1896 aus Prag, wo er die Lehr¬
kanzel für medizinische Chemie innehatte, nach Deutschland wandern,
um einem in weiteren Kreisen unbekannten jungen Chemiker, der zudem
nicht Doktor der gesamten Heilkunde war, die Wiener Lehrkanzel anzu¬
vertrauen. Nunmehr wird diese Lehrkanzel vakant, und alle Arme der
Wiener medizinischen Fakultät strecken sich sehnsüchtig nach Franz
Hofmeister aus. Ob der Gelehrte, welcher in Deutschland eine Schule
von Weltruf gegründet hat und jahraus jahrein 40 bis 50 österreichische
Aerzte in seinem Auditorium sieht, der recht verspäteten Liebe der
Wiener medizinischen Fakultät Folge leisten wird?
Prof. Hofmeister entwickelte in seinem Vortrage folgendes: Die
Kohlehydrate bilden im Stoffwechsel das Bindeglied zwischen den ver¬
schiedenen Nährstoffen. Sie können im Tierkörper einerseits aus
Eiweiss, möglicherweise auch aus Fett hervorgehen, sind aber anderer¬
seits befähigt, Fett und unter Stickstoffaufnahme Aminosäuren, also Bau¬
steine des Eiweissmoleküls zu bilden. Ein Teil dieser Vorgänge voll¬
zieht sich in der Leber, die damit im Mittelpunkte des intermediären
Stoffwechsels steht. In welchem Umfange sie dabei betätigt ist, lässt
sich zum Teil durch Kombination von Versuch und mikroskopischer
Untersuchung, am sichersten aber durch Eiperimente an dem isolierten,
künstlich mit Blut gespeisten Organ ermitteln. Für solche Versuche
eignet sich die Kaninchenleber besonders. Das Glykogen findet sich da
bei reichlichem Gehalt in den Leberläppchen gleichmässig verbreitet.
Im Hunger schwindet es von der Peripherie ab, bildet eine immer
schmäler werdende Zone um die Centralvene, bis es am vierten bis
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UNIVERSUM OF IOWA
46
Nr. 1.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
fünften Hungertag auch da verschwindet. Anders gestaltet sich das Bild
nach dem Zuckersticb; man findet dann das Glykogen zu einem grossen
Teil ausserhalb der Leberzellen in deu erweiterten Lymphräumen, den
Capillaren und Venen. Der Vorgang entspricht hier den an anderen
Drüsen erforschten „echten“ Sekretionsvorgängen und zeigt, dass der
Organismus befähigt ist, mit Hilfe des Sympatbicus im Bedarfsfälle das
aufgespeicherte Glykogen in grossem Umfange zu mobilisieren. Vortr. legt
dar, dass sich eine Reihe von früher schwer verständlichen Tatsachen
aus diesen Beobachtungen erklären lässt. So vor allem die dem Zucker*
stich folgende Hyperglykämie und Glykosurie, da das einmal in den
Lymph- und Blutstrom gelangte Glykogen notwendig der diastatischen
Wirkung des hier vorhandenen glykogenspaltenden Fermentes unterliegt
und so zu einer Zuckeranreicherung im Blute mit ihren Folge¬
erscheinungen führt. Da das Glykogen nachweislich nur aus Trauben¬
zuckermolekülen aufgebaut ist, kann, streng genommen, nur der Trauben¬
zucker als direkter Glykogenbildner angesehen werden. Indes vermag
die Leber auch aus anderem, und zwar einfacher gebautem Material
Glykogen aufzubauen, wobei angenommen werden muss, dass der Trauben¬
zucker vorübergehend als Durchgangsstufe auftritt. Als solches Material
haben sich Glykol, Glykolaldehyd, Glykolaldehyddicarbonsäure, Glycerin,
Glycerinaldehyd, Glycerinsäure und Milchsäure ergeben, wobei der Leber
recht verschiedene chemische Leistungen, Anbydrierung, Oxydation und
Abspaltung von Kohlensäure, zufallen. Danach besitzt die Leber die
wichtige Fähigkeit, Abbauprodukte, die sehr verschiedener Herkunft sein,
von Eiweiss, Fett oder Kohlehydrat abstaramen können, durch Ueber-
führung in Zucker neuerdings für den Organismus nutzbar zu machen.
Unter diesen im Körper entstehenden Abbauprodukten nimmt wohl die
Milchsäure der Menge nach die erste Stelle ein, und insofern kann man
mit v. Noorden und Embden von einem Kreislauf der Kohlehydrate
über die Milchsäure sprechen. Doch weisen die an der Leber ge¬
wonnenen Erfahrungen nicht darauf hin, als ob die Zuckerbildung aus
Milchsäure leichter erfolgte als aus den übrigen nach dieser Richtung
geprüften StolTen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der in der Leber ge¬
bildete Zucker je nach den gegebenen Bedingungen aus verschiedener
Quelle stammt, gleichwie er auch beim Verbrauche in verschiedener
Weise abgebaut wird. Zum Schlüsse hob der Vortr. hervor,
wie fruchtbar sich auf dem Gebiete des intermediären Stoffwechsels das
Zusammenarbeiten der Physiologen und Pathologen gestaltet habe, und
gab dem Wunsche Ausdruck, dass auf allen Gebieten der Medizin
Theorie und Praxis einander immer näher treten und sich gegenseitig be¬
fruchten mögen.
Im alten Allgemeinen Krankenhause wurde eine staatliche
Radiumstation eröffnet, welche den praktischen Aerzten die Möglich¬
keit gibt, sich zu massigen Preisen mit wissenschaftlich geprüften und
gemessenen Radiummengen zu versehen. Es hat nämlich nach lang¬
wierigen Verhandlungen in einer interministeriellen Konferenz die Wiener
medizinische Fakultät ein halbes Gramm Radium erhalten. Das
Kollegium bzw. die neue Station hat 4 pCt. Zinsen, ferner l f 2 pCt. zur
Amortisation des Kapitals, schliesslich die bis zur Aktivierug der Station
auflaufenden Betriebskosten zu zahlen. Der Vorstand der dermatologi¬
schen Klinik, Prof. Riehl, wurde mit der Organisation der neuen
Station betraut. Der Tarif für die Emanation lautet wie folgt:
10000 Mache-Einheiten 60 h., 25000 1,20 Kr., 50000 2 Kr., 100000
3 Kr., 150000 4 Kr., 200000 5,50 Kr., 250000 5,50 Kr., 300000 6 Kr.
Für die Entlehnung eines Radiumträgers zahlen praktische Aerzte je
30 Kr. für 4 Stunden. In den letzten Tagen wurde auch ein Kurs ein¬
gerichtet, um die Aerzte in die Anwendungsweise der Radiumpräparate
einzuführen.
Ein Streik aller Kassenärzte Niederösterreichs wirft seine
Schatten auf Wien. Ohne Wissen und Befragen der Kassenärzte haben
die Bezirkskrankenkassen in Baden bei Wien, St. Pölten, Floridsdorf
und Wr.-Neustadt, sowie die allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unter¬
stützungskasse Neunkirchen, Wr.-Neustadt usw. eine Organisation ge¬
schaffen, um sich ärztliche Hilfe und Medikamente zu tunlichst billigem
Preise zu verschaffen. Da sich der grösste Teil der Aerzte dieser Kassen
und Verbände in einem Vertragsverhältisse befindet, das sie sogar
zwingt, Mitglieder aller neubeitretenden Kassen zu behandeln, sahen
sich die Kassenärzte gezwungen, am 1. November d. J. ihre Stellen
niederzulegen. Bis auf weiteres sind alle Kassenarztstellen in Nieder-
csterreich gesperrt, eine Kassenarztstelle darf nur im Einvernehmen bzw.
mit Zustimmung der wirtschaftlichen Organisation der Aerzte Nieder¬
österreichs angenommen werden.
Grosses Aufsehen hat die Rückweisung des Gesetzes zur
Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom
österreichischen Abgeordnetenhause an einen Ausschuss hervorgerufen.
In diesen Tagen, da Seuchen sich in gefahrdrohender Weise an den
Grenzen der Monarchie ausbreiten, schien es notwendig, das sogenannte
Epidemiegesetz zur Tat werden zu lassen. Trotzdem gelang es einigen
Gegnern der wissenschaftlichen Medizin und einigen angeblichen Vor¬
kämpfern der „persönlichen Freiheit“, die Inkrafttretung dieses Gesetzes
zum vierten Male zu verhindern. Der Minister des Innern v. Heinold
trat mit grosser V r ärme für das Gesetz ein; er meinte, die staatsgrund¬
gesetzlich gewährte Freiheit der Person habe mit diesem Gesetze nichts
zu schaffen; ja, er erklärte sogar, dass ein staatsgrundgesetzlich gewähr¬
leistetes Recht, andere Personen anzustecken, nirgends bestehe. Aber
Parteien, welche auch gegen die erstjährige Schulpflicht, angeblich im
Interesse der „persönlichen Freiheit“, kämpfen, haben das Epideraiegesetz
abermals geworfen. Merkwürdigerweise kämpften auch Aerzte in den
Reihen der Gegner; ein Arzt fürchtete die Einführung des Impfzwanges
in Oesterreich, ferner, dass durch Maassnahmen gegen die Verbreitung
von Epidemien Gewerbetreibende geschädigt werden könnten. Ein
anderer Arzt meinte, dass die Gesetzesvorlage zu wenig biete, er forderte
Bestimmungen für die Prophylaxe, fiir die Assanierungsmaassnahmen,
Vorschriften zur Verhütung der Kindersterblichkeit, in Betreff der
Jugendfürsorge und des Mutterschutzes. Der Kollege warf unter dem
Verwände, dass der Gesetzentwurf zu wenig biete, das ganze über den
Haufen. Wir müssen uns demnach auch derzeit mit den alten und ver¬
alteten Hofdekreten und mit Sanitätsgesetzeu, welche den modernen An¬
schauungen durchaus nicht mehr entsprechen, bei der Bekämpfung der
Infektionskrankheiten helfen.
Die zweite medizinische Klinik ist seit dem Tode
v. Neusser’s vakant, und man weiss nicht recht, was man mit dieser
Klinik anfangen soll. Bekanntlich wurden vor zwei Jahren zwei
Kliniker ernannt, die Zahl der medizinischen Kliniken von drei auf vier
vermehrt. Damals behauptete man, dass cs unbedingt notwendig sei,
den Studenten dio Gelegenheit zu einer intensiveren Ausbildung in der
inneren Medizin zu bieten. Seit dem Tode v. Neusser’s ist von dieser
Notwendigkeit nichts mehr zu spüren und zu hören. Im Gegenteil, bei
der medizinischen Fakultät herrscht nunmehr die Ansicht vor, dass drei
medizinische Kliniken den Anforderungen des Unterrichts vollständig
genügen würden. Was soll nunmehr mit der systemisierten vierten
Klinik geschehen? Man spricht davon, diese Klinik in eine chirurgische
zu verwandeln, d. h. neben drei medizinische drei chirurgische Kliniken
zu stellen, ein Wunsch, der schon wiederholt geäussert wurde. Die
grösste Schwierigkeit, welche sich der Errichtung einer dritten chirurgi¬
schen Klinik, iür welche ja die Räume vorhanden sind, in den Weg
legt, ist die Besetzungsfrage. Es gibt so viele tüchtige jüngere öster¬
reichische Chirurgen au österreichischen Universitäten und auch im Aus¬
lande, dass man, wie ein hervorragendes Mitglied des Professorenkollegiums
gesagt hat, nur durch das Los entscheiden könnte, wem man die neue
chirurgische Klinik verleihen solle.
Tatsächlich wäre die Kreierung einer dritten chirurgischen Klinik
für den UuterrichUbetrieb in Wien viel notwendiger als die Beibehaltung
einer vierten medizinischen. Vicnnensis.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Die Begründung einer Universität in Hamburg, von
der schon vielfach die Rede war, ist jetzt durch einen Antrag des Senats
an die Bürgerschaft (vom 20. Dezember 1912) in greifbare Nähe gerückt.
Bekanntlich steht ja jetzt schon das Vorlesungswesen in Hamburg auf
einer sehr hohen Stufe; und das Kolonialinstitut trägt, was die Art des
Unterrichts und die Bedeutung der Professoren anlangt, durchaus die
Züge des Universitätsstudiums. Will man jetzt die letzten Konsequenzen
ziehen und das ganze zu einer wirklichen Universität ausbauen, so
scheint als ein wesentlicher Wunsch dabei mitzuwirken, dass den in
Hamburg an genanntem Institut Studierenden dann auch wirklich alle
damit verbundenen Rechte erteilt werden, d. h. dass ihnen die dort ver¬
brachten Semester seitens anderer deutschen Universitäten angerechnet
werden, und dass es ihnen ermöglicht wird, auch in Hamburg den Doktor¬
grad zu erwerben. Freilich hat man sich bisher noch nicht entschlossen
können, ganze Arbeit in dem Sinne zu machen, dass eine Universität
mit allen Fakultäten begründet wird — es soll vielmehr nur eine philo¬
sophische, eine naturwissenschaftliche, eine juristische und eine kolonial-
wissenschaftliche Fakultät errichtet werden — Theologie und Medizin
fallen vorläufig fort. Als Gründe, warum die Medizin ausgeschlossen bleibt,
werden angeführt einmal, dass die Ergänzung der vorhandenen Anstalten
zu Studienzwecken (es fehlen zurzeit anatomische und physiologische
Institute) immerhin sehr bedeutende Summen erfordern würde, dann
aber, dass die vorhandenen naturwissenschaftlichen Institute Dicht aus¬
reichen würden, wenn sie auch von Medizinern in den vorklinischen
Semestern benutzt werden sollten. Immerhin wird man hierin wohl nur
ein Provisorium zu erblicken haben; ist die Universität, die im übrigen
in ihrer Organisation wesentlich den auch sonst in Deutschland bestehen¬
den angepasst werden soll, erst einmal geschaffen, so wird der völlige
Ausbau auch hier — ebenso wie in Münster — zu erwarten sein; sind
doch gerade in Hamburg durch die Grossartigkeit der klinischen An¬
stalten und die Persönlichkeit der dort wirkenden hervorragenden Aerzte
die Vorbedingungen besonders günstig.
— Durch Bundesratsbeschluss vom 12. Dezember v. J. wurde den
Abiturientinnen von Studienanstalten für Mädchen die Gleichberechtigung
für alle in Frage kommenden Berufe mit den Abiturienten der höheren
Knabenschulen nunmehr auch hinsichtlich des ärztlichen Studiums erteilt.
— Die 15. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie findet vom 14.—17. Mai 1913 in Halle a. S. statt. Die
Sitzungen werden in der Aula und im Auditorium maximum der Uni¬
versität abgehalten. Das für die Verhandlungen bestimmte Thema
lautet: „Die Beziehungen der Erkrankungen des Herzens und der Nieren
sowie die Störungen der inneren Sekretion zur Schwangerschaft.“ Re¬
ferenten sind die Herren Fromme, Zaugemeister, Seitz. Die
definitive Liste der Vorträge wird später veröffentlicht werden. An¬
meldungen von Vorträgen werden bis spätestens den 20. April 1913 an
den 1. Vorsitzeuden erbeten.
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6. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
47
— Eine historisch-medizinische Ausstellung seltener und
merkwürdiger Gegenstände, die sich auf Medizin, Chemie, Pharmakologie
und ihre verwandten Wissenschaften beziehen, wird im Zusammenhang
mit dem internationalen Kongress in London vorbereitet. Ein Aufruf
für Leihobjekte hatte so vollen Erfolg, dass wahrscheinlich eine der
interessantesten Sammlungen historisch-medizinischer Gegenstände, die
je zusammengebracht wurde, während der Dauer des Kongresses zur
Schau gestellt sein wird. Eine der vielen interessanten Sektionen um¬
fasst medizinische Götter- und Götzenbilder wilder, barbarischer oder
sonst primitiver Völker. Durch die Liebenswürdigkeit von Freundesseite
var es möglich, Beispiele solcher von allen Teilen der Erdkugel zu er¬
halten, doch klaffen noch immer Lücken, weshalb alle, die solche Objekte
besitzen, ersucht werden, sich diesbezüglich mit dem Ausstellungssekretär,
dessen Adresse unten angegeben ist, ins Einvernehmen zu setzen.
In der Abteilung für Chirurgie wird der Versuch gemacht werden, die
historische Veränderung und Entwicklung der wichtigsten Instrumente,
die heute im Gebrauch stehen, darzustellen, weshalb die Vereinigung
einer möglichst grossen Anzahl von Instrumenten, wie sie in allen
Teilen der Welt, bei wilden und zivilisierten Völkern, in Gebrauch sind,
äusserst wünschenswert erscheint. In der Pharmakologie und Botanik
sind besondere Ausstellungsgegenstände ins Auge gefasst, die Modelle
alter Apotheken, Laboratorien und merkwürdige Ueberbleibsel aus dem
Gebiete der Alchemie früherer Zeiten umfassen sollen. Auch Beispiele
alter und ungewöhnlicher materia medica aus allen Erdteilen werden
zur Ausstellung gelangen. Eine vollständige und illustrierte Uebersicht
vird allen Interessenten auf Wunsch durch „The Secretary, 54a Wigmore
Street, London W. (England),“ zugestellt.
— In Boston starb Dr. Arthur Cabot, Chirurg am Harvard- und
am Massachusetts Grand Hospital, namentlich durch tüchtige Leistungen
auf dem Gebiete der Harnchirurgie bekannt.
— Einer der angesehensten und persönlich beliebtesten Kollegen,
der Frauenarzt Geh. Sanitätsrat Dr. Ben icke, ist am 27. d. M. verstorben.
— Herr Prof. Hermann Oppenheim wurde von der Gesellschaft
italienischer Nervenärzte in Rom zum Ehrenmitglied ernannt.
Hochschulnachrichten.
Breslau. Geheimrat Ponfick, Direktor des pathologischen In¬
stituts, tritt mit Ende des Wintersemesters vom Lehramt zurück. —
Düsseldorf. Den Titel Professor erhielten die Dozenten der Akademie
DDr. Engel (innere Medizin), Janssen (Chirurgie), v. d. Velden (Kinder¬
krankheiten). — Marburg. Prof. Schenck, Direktor des physiologischen
Instituts, wurde Geheimer Medizinalrat. — Heidelberg. Der Privat-
dczent Dr. Gross hat einen Lehrauftrag für gerichtliche Medizin er¬
balten. Habilitiert: Dr. Elze (Anatomie). — Budapest. Der Privat¬
dozent für Gynäkologie Dr. Dirner ist gestorben. — Wien. Habilitiert:
Dr. R. Bauer (innere Medizin). — Innsbruck. Prof. v. Rokitansky
feierte seinen 70. Geburtstag.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Aegypten (30. XI.—6. XII.) 3. Britisch-Ostindien
10.-16. XL) 2845 und 2246 f. Philippinen (27. X.—5. XI.) 3.
Britisch-Ost afrika (21. X.—16. XI.) 17, davon 16 f. Venezuela
23. X.j 1 und 1 f. Chile (22. IX.—26. X.) 3 und 2 +. Peru (15. X.
bis 11. XL) 10 und 2 +• — Cholera. Türkei (3.—9. XII.) 540 und
*229 +. Straits Settlements (7.—18. XI.) 3 +. — Gelbfieber.
Heiiko (31. X.—3. XL) 1 und3+. Venezuela (20. X.—2. XI.) 2.
Brasilien (27. X.—2. XI.) 2 und 2 f*— Pocken. Deutsches Reich
15.-21. XII.) 3. Oesterreich (l.—14. XII.) 7. Schweiz (1. bis
XIL) 4. — Fleckfieber. Oesterreich (1.—14. XII.) 101. —
Genickstarre. Preussen (8.—14. XII.) 5 und 2+. Schweiz (l.bis
7 . XII.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (8.—14. XIL) 2.
— Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in
K-nigshütte, Rostock, Zabrze; an Masern in Hagen, Hamborn, Kaisers-
Gütern, Mülheim (Rhein), Oberhausen, Rheydt; an Diphtherie und
Krupp in Gladbeck, Gleiwitz; an Keuchhusten in Recklinghausen;
an Typhus in Rheydt.
Amtliche Mitteilungen.
Pergonalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife:
ordentl. Professor, Geb. Med.-Rat Dr. E. Sieraerling in Kiel.
K-jsigl. Kronen-Orden 3. KL: Geh. San.-Rat Dr. E. Solger in
Berlin.
Ctarakter als Geheimer Medizinalrat: ordentl. Professor
Dr. Schenck in Marburg.
den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. A. Schnelle
■n Hildesheira.
Ernennungen: Kreisassistenzarzt Dr. R. Gaehtgens in Gelsenkirchen
zum Kreisarzt in Neumark (Westpr.); Arzt Dr. A. Niewerth in
Hüdesheim zum Kreisarzt daselbst; Arzt Dr. M. Abesser in Ballen¬
stedt a. Harz zum Kreisassistenzarzt in Gelsenkirchen.
Niederlassungen: Dr. K. Weiter in Kerpen, Arzt M. Töpfer in
Bonn, Dr. L. Reischig und Dr. F. Ebeler in Cöln.
Verzogen: Dr. H. Zimmermann von Reisen nach Charlottenburg;
Dr. A. Friedländer von Wien, Dr. F. Herr mann von Buckow
(Kreis Teltow), Dr. K. Levi von Hamburg, Dr. E. Martin, Geh.
San.-Rat Dr. E. Odebrecht, Dr. W. Rosenberg und Dr. M.
Stickel von Berlin und Dr. S. Wygodzinski von Beuthen
in Oberschlesien nach Berlin-Schöneberg; Dr. H. Darms und Dr.
A. Neumann von Charlottenburg nach Berlin-Wilmersdorf, Dr. I.
Spier von Berlin nach München, Dr. R. Hoefft von Teupitz nach
Lichtenberg, Aerztin Dr. F. Cordes von Dresden nach Franz.-Buch-
holz, Dr. K. G. A. Herapel von Charlottenburg-Westend nach Wuhl-
garten, Dr. W. Sochaczewski von Berlin und Dr. H. Zahn von
Blankenburg i. Th. nach Pankow, Dr. E. Crüger von Berlin nach
Hermsdorf b. Berlin, Dr. F. Noltenius von Rahnsdorf nach Bornim
b. Potsdam, Dr. Chraplewski von Charlottenburg nachWriezen, Dr.
R. Bräuler von Konstantinopel nach Falkenhagen b. Berlin, Dr. H.
Grenacher von Berlin nach Teupitz, Dr. E. Ha hl weg von Picher
(Mecklenburg) nach Wannsee, Dr. W. Dodel von Schöneberg und Dr.
H. F. Neuendorff von Marienwerder nach Berlin-Steglitz, Dr. P. Ko 11-
mann von Marburg nach Beelitz, Arzt P. Neumann von Oranienburg
nach Golzow, Dr. H. Lehrecke von Rengsdorf b. Neuwied nach Saar¬
mund, Dr. C. Eisenbach von Stuttgart nach Culm, Arzt J. Mag
von Wronke nach Czersk, Dr. F. Kontny und Dr. M. Serog von
Breslau nach Obernigk, Dr. F. Lewy von München, Dr. R. Krails-
heimer von Stuttgart, Dr. E. Zalewski von Berlin und Dr. E.
Lesohik von Namslau nach Breslau, Dr. J. Cludius von Hildesheim
nach Trebnitz, Stabsarzt Dr. R. H ad lieb von Beeskow nach Magde¬
burg, Oberärzte Dr. J. Bauer von Jericbow und Dr. P. G. A. Riebel
von Metz nach Uchtspringe, Dr. P. Ritter von Uchtspringe nach
Jerichow, Dr. R. Schönberner von Berlin nach Weissenfels, Arzt D.
Lütjens von Schöppenstedt nach Zeitz, Dr. E. Delorme von Erfurt
nach Halle a. S., Dr. F. Schwerdtfeger von Halle a. S. nach Mainz,
Dr. M. Ludwig von Barntrup (Lippe-Detmold) nach Diepholz, Dr. R.
Heyden von Bad Rehburg nach Loccum, Dr. A. Musskat von Hagen
i. W. nach Geestemünde, Stabsarzt z. D. Dr. C. F. Boether von Duis¬
burg nach Lebe, Dr. K. Decker von Cöln nach Münster, Dr. K.
Henes von Berlin nach Hagen i. W., Dr. A. Hel hing von Emmendingen
nach Singen, Dr. H. Thom von Cöln und Dr. E. Piltz von Dresden nach
Gelsenkirchen, Dr. E. Ketzmer von Aachen nach Bochum, Dr. W.
Maschke von Göttingen und Dr. A. Eppenstein von Leipzig nach
Marburg, Dr. H. Klein von Wirges nach Holsterhausen bei Werden
a. Ruhr, Dr. M. Margulies von Sayn nach Königsberg i. Pr., Dr.
M. Müller von Reisen nach Schwentainen, Dr. A. Fi ege von Wies¬
baden nach Stettin, Dr. P. Mosler von Grüna i. Sa. nach Buchheide
b. Finkenwalde, Dr. R. Pitsch von Koblenz nach Stolp, Oberstabs¬
arzt Dr. W. Scholz von Neumünster nach Görlitz, Dr. K. Klare
von Bad Rehburg nach Hohenwiese (Kr. Hirschberg), Arzt H. Dzial-
lach von Beuthen i. Oberschi, nach Kontopp (Kr. Grünberg), Dr. A.
Spiess von Obervellmar nach Landeshut, Dr. C. Hirsch von Frank¬
furt a. M. nach Kattowitz, Arzt R. Ullrich von Breslau nach
Rydultau, Dr. 0. W T esemeyer von Mikultschütz nach Hamburg, Dr.
L. Lehmann von Gross-Wartenberg nach Zabrze, Dr. A. Schmidt
von Altscherbitz nach Mühlhausen i. Thür., Dr. P. Mahr von Erfurt
nach Pfafferode, Arzt R. Bech von Bad Rothenfelde nach Niebüll,
Dr. R. Felten und Aerztin Dr. F. Felten geb. Stolzenberg von
Boldixum nach Woserin i. Meckl., Dr. C. Paysen von Hollingstedt
und Dr. G. Berneaud von Danzig nach Kiel, Dr. H. Thümmel von
Braunschweig nach Hollingstedt, Dr. F. Bon ho ff von Itzehoe nach
Hamburg, Dr. E. v. Werthern von Tsingtau nach Heide, Aerztin
E. Frank von Göttingen nach Rendsburg, Aerztin Dr. E. Litzmann
von Norderney nach Buenos-Ayres, Arzt C. Chojnacki von Essen
a. d. R. nach Dielingen, Dr. G. Heinsius von Berlin nach Frankfurt
a. M., Dr. V. Bauer von Altdorf b. Nürnberg nach Bad Homburg
v. d. H., Dr. K. Schulz von Schloppe nach Laufenselden, Kreis¬
arzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr. A. Mencke von Weilburg nach Wies¬
baden, Kreisarzt a. D. Dr. K. Neumann von Westerburg nach Idar,
Dr. E. G. Rietz sc hei von Kissingen nach Ebringshausen, Dr. B.
Bentler von Sinzig nach Weibern, Dr. 0. Marenbach von Dier¬
dorf nach Andernach, Stabsarzt Dr. P. Ho ff mann von Spandan,
Oberstabsarzt Dr. L. Nordhof von Graudenz, Dr. K. Schneider von
Ludwigsburg und Dr. F. Rablff von Oberreifenberg nach Cöln, Arzt
P. Sperling von Leipzig nach Mülheim a. Rh., Dr. E. Koch von
Beuel nach Alpirshach, Dr. 0. Beck von Cöln nach München, Arzt
J. Drazkowsky von Dillingen nach Leipzig, Dr. K. Zeppenfeldt
von Frankfurt a. M. nach Dillingen, Dr. F. Franke von Offenbaoh
nach Trier, Dr. A. Amlinger vod Bitburg nach Bremerhaven, Dr. 0.
von Link von Kaiserslautern, Dr. M. Thiesen von Trier und Ober¬
stabsarzt Dr. Wissmann von Strassburg i. E. nach Saarbrücken,
Dr. J. M. M. Hermann von Düren nach Valkenberg (Holland).
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. 0. Albers
von Jeschewo (Kreis Sch wetz), Dr. H. Ankele von Tandslet, Dr. R.
Wessing, Dr. F. Scheidler, Dr. F. Krawietz, Dr. W. Melborn
und Dr. H. Blomberg von Dortmund, Dr. E. de Vedia von Haspe,
Dr. H. Schrecke von Rengsdorf auf Reisen.
Gestorben: Dr. J. Kowalski in Dölzig, San.-Rat Dr. K. J. Hart¬
mann in Wissen.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Haus Kohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
48
Nr. 1.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zum 50. Jahrgang.
An unsere Leser.
Der erste Jahrgang dieser Wochenschrift, die beute in ihr
50. Lebensjahr tritt, wurde von ihrem Redakteur, L. Posner,
mit einem Programm eingeleitet, in welchem vor allem ihre Be¬
zeichnung als einer „klinischen 11 dahin ausgedeutet wurde, dass
sie eine Vermittlerrolle zwischen den Ergebnissen theoretischer
Forschung und den unmittelbaren Bedürfnissen des Arztes über¬
nehmen, die Verbindung zwischen wissenschaftlicher Medizin und
praktischer Heilkunde aufrecht halten sollte. Nicht besser konnte
dies Programm verdeutlicht und verwirklicht werden, als durch
die Zusammensetzung der ersten Nummern. Es berührt uns beute
eigenartig, wenn uns in ihnen gleich zu Beginn die Namen junger
Autoren grüssen, die später die höchsten Staffeln akademischer
Würden erstiegen — damals noch Schüler, bald selber Meister
ersten Ranges. Ein freundlicher Zufall hat es gefügt, dass von
den Männern, welche diesen Reigen eröffnen, die beiden ersten
noch in frischer Rüstigkeit unter uns weilen — Emil Mannkopff,
der frühere Marburger Kliniker, damals Assistent an Frerichs’
Klinik, und Hermann Fischer, seinerzeit Stabsarzt bei Traube,
der sich nach ruhmvoller Tätigkeit als Chirurg zu Breslau nach
Berlin zurückgezogen hat, wo er als Bibliothekar der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie seines Amtes waltet — ihnen beiden
sei heute, beim Beginn unseres Jubiläumsjahrgangs, ein besonders
herzlicher Gruss dargebracht. Es folgt in der Reihe der Autoren
eine nicht geringe Zahl solcher, die bereits von uns geschieden
sind — in Nummer 1 ergreift noch unser allverehrter Henoch
das Wort, nach ihm Casper, der gerichtliche Mediziner, dem
noch im gleichen Jahre ein Nachruf gewidmet werden musste.
Die zweite Nummer leitet Bernhard von Langenbeck ein;
ihm folgt Mosler, und dann, als erste Vertreter von Spezial¬
fächern, Hermann Schmidt-Rimpler, der heute noch lebende
berühmte Ophthalmologe, mit einer Arbeit aus Gräfe’s Klinik,
und der jüngst verstorbene Winckel, damals bei Eduard Martin
tätig. Noch manche Namen von bestem Klange begegnen uns
alsbald beim Weiterblättern: Georg Lewin, Liman, Otto
Lehnerdt, S. Rosenstein, Tobold, Albert Eulenburg,
Klebs — eine stolze Vereinigung, die recht deutlich erkennen
lässt, wie die junge Wochenschrift um ihre Fahne versammelte,
was damals in der ärztlichen Welt Berlins an jungen Kräften sich
regte. Auch manch sonstiger Einblick in die medizinischen Be¬
wegungen jener Zeit eröffnet sich, wenn wir in den feuilletonistischen
Skizzen des Redakteurs vom Geheimmittelschwindel und der —
uns heute ziemlich bescheiden dünkenden — Reklame lesen, welche
die Hoff, Daubitz, Fest getrieben; wenn hier zum ersten Male
der unvergänglichen Verdienste gedacht wird, welche sich der
Schweizer Philanthrop Henri Dunant, lange Jahre später auf
Rudolf Virchow’s Initiative mit dem Moskauer Kongresspreise
gekrönt, durch die Begründung des Roten Kreuzes erworben hat;
oder wenn wir die Totenklage um Schönlein und den früh ver¬
storbenen, nicht immer seinem wahren Werte nach gewürdigten
Robert Remak vernehmen!
Mancherlei Wandel hat sich seither vollzogen. Nur kurze
Zeit war es L. Posner vergönnt, sich der Erfolge seiner Arbeit
zu erfreuen — bereits im Jahre 1868 ist er, erst 53 jährig, dahin¬
gegangen und durch L. Waldenburg ersetzt worden, den eben¬
falls ein früher Tod schon 1882 abgerufen. Dann trat an die Spitze
des Blattes Carl Anton Ewald, der sich, überbürdet mit
mancherlei anderer Berufstätigkeit, im Jahre 1907 von der
Redaktion, die er seit 1890 mit dem einen von uns geteilt hatte,
zurückzog. Mancherlei Wandel im inneren Leben der Wochen¬
schrift, die im Jahre 1899 auch den Tod ihres Begründers, des
Seniorchefs der Hirschwald’schen Verlagsbuchhandlung, Herrn
Eduard Aber, zu beklagen hatte — mancherlei Wandel auch iu
Wesen und Art der Wissenschaft und Kunst, der sie dienstbar ist,
nicht minder in der Stellung und Lebensführung ihres ärztlichen
Leserkreises, welchem seither schwere wirtschaftliche Kämpfe be-
schieden waren, in deren Mitte wir heute noch stehen. In un¬
geahnter Weise hat sich die Medizin entwickelt; die experimentelle
Forschung hat neue Bahnen eingeschlagen; die Zahl der Arbeits¬
stätten und der wissenschaftlichen Arbeiten, mit ihr die Zahl der
Publikationsorgane ist ins Unübersehbare gewachsen. Unser ge¬
samtes Leben ist reicher und vielseitiger geworden — was den
kleinen Verhältnissen des preussischen Staates vor 50 Jahren noch
entsprach, hat sich ausbreiten und decentralisieren müssen. Der
Tendenz, welcher diese Wochenschrift anfangs fast allein diente,
widmen sich jetzt viele Gleichstrebende — ihre Ziele werden, auf
gleichen oder ähnlichen Wegen, von zahlreichen Kampf- und
Arbeitsgenossen verfolgt.
Aber unsere Wochenschrift darf, ohne ruhmredig zu er¬
scheinen, von sich aussagen, dass sie sieb, unter steter Anpassung
an die wachsenden Erfordernisse der Zeit und unter stetem Ein¬
treten für die Interessen des ärztlichen Standes, immer redlich be¬
strebt hat, ihrem alten Programm treu zu bleiben — sie hat ihre
Spalten gern und vorurteilslos allezeit jeder wissenschaftlichen
Richtung erschlossen, sie hat sich allezeit bemüht, die Früchte
ernster Forschung dem Arzte darzubieten. Mitunter mochte es dabei
scheinen, als bewegte sich die Bahn der modernen Medizin gar
zu ausschliesslich in rein theoretischen Linien, als häufe sie
nur Material an, ohne an dessen praktische Verwertbarkeit zu
denken. Ganz gewiss soll es ihr nicht nur um die Erforschung
der Wahrheit an sich zu tun sein; ganz gewiss soll sie ihr End¬
ziel nicht aus den Augen verlieren. Bietet aber nicht gerade die
gegenwärtige Entwicklung den deutlichsten Beweis dafür, dass
Arbeitstisch und Krankenbett nur scheinbar durch einen weiten
Raum getrennt sind, in Wirklichkeit aber nahe bei einander stehen?
Beruht der gewaltige Ausbau der Chirurgie nicht zum grossen
Teil auf experimenteller Forschung? Hat sich die moderne Be¬
kämpfung der Infektionskrankheiten, die Sero- und Chemotherapie,
haben sich die verbeissungsvollen Versuche zur Heilung der Krebs¬
krankheit ohne den Tierversuch, hat sich die Diätetik ohne die
Vertiefung in die Probleme der physiologischen Chemie, die
Lehre von den Herzkrankheiten ohne die Verwertung feinster
physikalischer Versuchsanordnungen entwickeln können? und ist
nicht die junge Strahlentherapie ganz unmittelbar ein Kind sub¬
tilster Laboratoriumsarbeit?
Nicht ohne Berechtigung darf man wohl aussprechen, dass
gerade jetzt die Medizin im Begriff ist, Ernten einzuheimsen, die
aus solcher Saat hervorgegangen sind. Und wenn es gewiss nur
willkürliches Menschenwerk ist, sich an einen bestimmten Zeit¬
abschnitt anzuklammern, so wird man es doch verstehen, wenn
wir an unserem 50 jährigen Jubiläum angelangt, nun solcher Ernte
unser Hauptaugenmerk zuwenden: die Therapie im weitesten
Wortsinne, mag sie sich prophylaktisch betätigen, mag sie mit
inneren Mitteln oder mit physikalischen Heilmethoden arbeiten oder
mag sie zum Messer greifen, nimmt mehr als je zuvor den ihr
gebührenden Platz in Unterricht, Forschung und Handeln ein —
ihr, als dem eigentlichen Ziel unserer Arbeit, wollen wir daher
diesen unseren Jubiläumsjahrgang in erster Linie widmen. Zahl¬
reiche Forscher des In* und Auslandes haben uns zugesagt, in
besonderen Artikeln darzulegen, auf welchen Wegen und bis zu
welcher Höhe sich das Können des Arztes in den von ihnen
selbst mit spezieller Vorliebe bestellten Gebieten entwickelt
hat, — L nicht wenige darunter, deren Arbeit grundlegend ge¬
wesen ist. Und wir glauben diese „Jubiläumsartikel 11 nicht
besser einleiten zu können, als durch die Darlegungen Heffter’s
über die jüngste Entwicklung der Arzneimittellehre, die gerade
durch mancherlei neue Forschungen nun wieder in ihre alten
Rechte eingesetzt ist, und die Arbeit unseres hochverehrten alten
Redaktionskollegen Ewald, dem wir für diesen Beweis freund¬
licher Erinnerung an frühere, gemeinsame Tätigkeit zu besonderem
Dank verbunden sind.
So dürfen wir denn hoffen, dass der 50. Jahrgang unserer
Wochenschrift, die in ihren bisherigen Bänden ein umfassendes
und erfreuliches Zeugnis für den Aufschwung der modernen
Heilkunde bildet, deren gegenwärtigen Stand in anschaulicher
Weise darstellen wird, und dass künftige Beurteiler auch in ihm
einen Hauch des Geistes verspüren werden, welcher von Anbeginn
an Leiter und Mitarbeiter dieser Blätter beseelt hat!
Redaktion der Berliner klinischen Wochenschrift.
C. Posner. H. Kohn.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
öl* B«rlJii«r Ülniseh« Wochenschrift arsohelnt Jeden <|v ' | *#' v Tf* '*■ % g^V Alle Sinaeodangen fftr di« fted&ktlou and fixpeditlofl
Montag ln Kammern tob cm. S —6 Bogen gr. 4. — II Ijl II I I »| lil II wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
Prmis Tlerteljihrlieh 8 Mark. Bestellungen nehmen r\ M l< I . I | mj M fC August Hltschwald In Berlin NW., Unter den Linden
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 1 W | J I jj No. 88, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen*
Redaktion s Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 13. Januar 1913. M2.
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Origiaaliei : Neisser: Die Prinzipien der modernen Syphilistherapie.
(Jubiläumsartikel.) S. 49.
von Noorden: Ueber enterogene Intoxikationen, besonders über
enterotoxische Polyneuritis. (Aus der I. medizinischen Klinik in
Wien.) S. 51.
Weichert: Lähmungen bei Extensionbehandlung von Oberschenkel¬
brüchen. (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬
hospitals zu Breslau.) (Itlustr.) S. 54.
Schlesinger: Zur chirurgischen Behandlung des Morbus Basedowii.
(Aus der chirurgischen Privatklinik von Dr. A. Schlesinger in
Berlin.) S. 57.
Sommer: Das Ehrmann’sche Froschaugenphänomen im Blutserum
von Psoriasiskranken. (Aus der Kgl. dermatologischen Universitäts¬
klinik in Breslau.) S. 61.
Schippers: Ein Fall von akuter aleukämischer Lymphadenose.
(Aus dem Emma-Kinderkrankenhaus zu Amsterdam.) (ILlustr.)
S. 61.
O/fergeld: Ueber synthetisches Hydrastinin und seine Anwendung.
S. 62.
Dührssen: Ueber synthetisches Hydrastinin. hydrochloricum. S. 64.
Ehr mann: Ueber das Coma diabeticum. (Aus dem medizinisch¬
poliklinischen Institut der Universität Berlin.) (Schluss.) S. 65.
Jeger: Ein Instrument zur Erleichterung der Gefässnaht nach
Carrel. (Illustr.) S. 67.
Biekerbesprechungeii: Bloch: Handbuch der gesamten Sexualwissen¬
schaft in Einzeldarstellungen. S. 68. (Ref. Pinkus.) — Strauss:
Vorlesung über diätetische Behandlung innerer Krankheiten. S. 68.
(Ref. Hirschberg.) — Gottschalk: Grundriss der gerichtlichen
Medizin. S. 69. (Ref. Marx.) — Mayrhofer: Lehrbuch der Zahn¬
krankheiten für Aerzte und Studierende. S. 69. Preiswerk:
Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheilkunde. S. 69.
(Ref. Pröll.)
Literatur-Auszüge : Anatomie. S. 69. — Physiologie. S. 69. — Pharmako¬
logie. S. 69. — Therapie. S. 69. — Allgemeine Pathologie und
pathologische Anatomie. S. 70. — Diagnostik. S. 70. — Parasiten¬
kunde und Serologie. S. 71. — Innere Medizin. S. 71. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten. S. 78. — Kinderheilkunde. S. 74. —
Chirurgie. S. 74. — Röotgenologie. S. 76. — Urologie. S. 78. —
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 78. — Geburtshilfe und
Gynäkologie. S. 78. — Augenheilkunde. S. 79. — Hals-, Nasen-
und Ohrenkrankheiten. S.79. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 80. —
Technik. S. 80.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Lewin: Versuche über die Biologie der Tier¬
geschwülste. S. 80. — Laryngologische Gesellschaft zu
Berlin. S. 82. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 84.—
Berliner mikrobiologische Gesellschaft S. 87. — Medi¬
zinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau. S. 88. — Aerztlicher Verein
zu Essen-Ruhr. S. 89. — Medizinische Gesellschaft zu
Kiel. S. 92. — Klinischer Demonstrationsabend der Ober¬
ärzte des Allgemeinen städtischen Krankenhauses Nürn¬
berg. S. 93. — Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
S. 93.
Weisz: Budapester Brief. S. 94.
Bessau: Erwiderung auf die Bemerkungen des Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. L. Brieger zu meinem Vortrag: „Ueber die aktive Typhusschutz¬
impfung“ in Nr. 50 dieser Wochenschrift. S. 95.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 95.
Amtliche Mitteilungen. S. 96.
Die Prinzipien der modernen Syphilistherapie.
• Jubiläumsartikel.
Von
Geh .-Rat Neisser-Breslau.
Vor 50 Jahren war die Syphilisbehandlnng eine rein
symptomatische, zum Teil eine antimercurialistische oder
wenigstens mit möglichster Beschränkung der Hg-Anwendung. Der
Hanptgrnndsatz war: so selten und so spärlich wie möglich,
nur gezwungen durch Symptome, die auf andere Weise
nicht zu beseitigen waren, mit Hg einzugreifen. Man
wusste eben damals nichts oder zu wenig von der ätiologischen
Bedeutung der Syphilis gerade für die schwersten Nerven-, Ge-
föss- nnd Organerkrankungen; man meinte mit der Behandlung
der Frübsymptome Genügendes getan zu haben.
Es ist ein gar nicht hoch genug zu würdigendes Verdienst
Fonmier’s, diesen laxen Anschauungen gegenüber die Lehre von
der Notwendigkeit einer viel energischeren, chronisch¬
intermittierenden Behandlung aufgestellt zu haben. Es sollte
nicht mehr gleichsam dem Zufall überlassen bleiben, ob eine In¬
fektion einen günstigen oder einen ungünstigen, von Nachkrank¬
beiten aller Art gefolgten Ausgang nähme, sondern man solle
versuchen, durch genügend lange durchgeführte Therapie in den
ersten Jahren der Erkrankung den Gesamtablauf so zu beeinflussen,
dass die gefürchteten tertiären und metasyphilitischen Formen
ausblieben.
Dieser Anschauung habe ich mich und mit mir die Breslauer
Klinik seit 1881 „voll und ganz“ angescblossen und sie zur
Basis unser Syphilisbehandlung gemacht; freilich mit einer Modi¬
fikation, die mir fast ebenso wichtig erscheint, als das Fournier-
sche Prinzip selbst. Fournier führte seine Behandlung mit einer
meiner Ueberzeugung nach gänzlich unzureichenden Methode der
Hg-Bebandlung durch, nämlich mit Pillenkuren, die sicherlich
nicht eine irgendwie energische Hg-Wirkung auf das Syphilisgift
gewährleisteten. Wir verlangten dafür in den ersten Jahren zum
mindesten energische und sorgfältig durchgeföhrte Einreibungs¬
kuren, die wir aber später immer mehr durch die nach jeder
Richtung hin überlegenen Injektionskuren ersetzten.
Auch in der Injektionsbehandlung hat sich eine Wandlung
vollzogen, indem man lernte, dass durchaus keine Gleichwertig¬
keit unter den verschiedenen zur Injektion verwendbaren Hg-
Präparaten bestehe, indem die einen akut wirken, dafür aber
verhältnismässig rasch, ohne nachhaltige Dauerwirkung den Körper
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UNIVERSUM OF IOWA
50 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.___N r. 2.
verlassen, während andere gerade durch lange, nachhaltig wirkende
Remanenz ausgezeichnet, für schnell eintretende Wirkung aber
ungeeignet sind. Ferner ist die Berücksichtigung des Hg Gehalts
der einzelnen Hg - Präparate von wesentlicher Bedeutung. Wie
weit die Hoffnung, die organischen Hg-Präparate als viel¬
leicht ganz besonders wirksame Präparate heranzuziehen, sich er¬
füllen wird, lässt sich zurzeit noch nicht übersehen.
So waren wir, wenn wir die Jahre 1862 und 1902 ver¬
gleichen, schon ein sehr wesentliches Stück in der Syphilisbehand¬
lung vorangekommen. Aber unvergeichlich grösser ist die
Entwicklung von 1902 bis 1912, auf die wir jetzt kurz ein-
gehen.
Die 1902 von mir und vielen Syphilidologen festgehaltenen
Prinzipien der Syphilisbehandlung gipfelten etwa in folgenden
Sätzen:
1. Die Allgemeinbehandlung soll so zeitig wie mög¬
lich beginnen.
2. Die Behandlung soll in mehreren wiederholten
Quecksilberkuren, die bald sehr energisch, bald milder
durebzuführen seien, bestehen.
3. Die Behandlung ist mindestens bis ins 4. und
5. Jahr fortzusetzen, und zwar bei allen Syphilitikern
ausnahmslos, auch wenn sie nicht die allergeringsten
nachweisbaren Symptome mehr zeigen.
4. Wo irgend möglich, soll eine Lokalbehandlung
die Wirkung der Allgemeinbehandlung unterstützen,
namentlich an solchen Stellen der Haut und der Schleim¬
haut, wo kontagiöse Erscheinungen vorhanden sind. —
Was hat sich nun an diesen Grundsätzen heute
— 1912 —, wo wir dank der Entdeckung Schaudinn’s,
Metschnikoff’s uud Roux’, Wassermann’s und Ehrlich’s
eine so unendlich vertiefte Kenntnis der Syphilis ge¬
wonnen haben, geändert?
1. Beginn der Behandlung.
Das Prinzip, „möglichst zeitig mit der Behandlung zu be¬
ginnen“, ist nicht nur dasselbe geblieben, sondern wird jetzt erst
recht und wohl allseitig von allen Syphilisärzten anerkannt und
befolgt. Denn der Haupteinwand gegen die Lehre, schon in der
„primären“ Periode die Allgemeinbehandlung zu beginnen, welcher
lautete: „man könne leicht eine Fehldiagnose stellen und dann
Fälle, die gar keine Syphilis seien, in eine doch immerhin mehr
oder weniger angreifende Allgemeinbehandlung nehmen,“ dieser
Einwand ist beseitigt für alle diejenigen Fälle, in denen sich
Spirochäten finden, und wo eine positive Reaktion vorliegt, was
meist schon 5 bis 6 Wochen post infectionem der Fall ist; also
lange vor dem Termin, zu welchem Allgemeinerscheinungen die
rein klinische Diagnose nach jeder Richtung hin sichern könnten.
Der sonst mehrfach gemachte Einwand, es würde durch die
Allgemeinbehandlung eine Störung des normalen Ablaufes der
Syphilis herbeigeführt, hat wohl nie eine allgemeine Beachtung
gefunden. Es liegt ja auf der Hand, dass gerade umgekehrt eine
solche Störung die Tatsache, welche Wirkung eine Allgemein-
bebandlung ausüben könnte, beweisen muss. Man konnte also
diese Beobachtung, wenn sie richtig ist, nur zugunsten einer
möglichst zeitig einsetzenden Allgemeinbehandlung verwerten.
Es ist aber jetzt auch die Notwendigkeit und der
eminente Vorteil solcher möglichst früh einsetzenden
Behandlung erwiesen
1. durch die Heilversuche sowohl an Trypanosomen- wie an
Syphilis geimpften Tieren. Es hat sich mit aller Bestimmt¬
heit herausgestellt und lässt sich immer von neuem
demonstrieren: je eher die Therapie einsetzt, desto leichter
und sicherer wird ein voller Heilerfolg erzielt. Und wenn
sich auch nicht alle an Tieren gemachten Erfahrungen auf
den Menschen übertragen lassen, so besteht doch auch nicht
der geringste Grund, derartige immer wiederkehrende
experimentelle Erfahrungen nicht auch für die Prinzipien der
Behandlung bei Menschen zu verwerten;
2. durch den experimentellen Nachweis, dass die Allge¬
meininfektion des Körpers nicht erst viele Wochen
oder Monate nach der Infektion, also ziemlich nahe dem
Termin des Erscheinens der sekundären Affektionen einsetzt,
sondern schon längst vor dem Auftreten und der Entwick¬
lung des Primäraffekts sich vollzieht. Dieser so zeitigen
Allgemeininfektion muss also logischer weise eine
entsprechend zeitige Allgemeintherapie ent¬
sprechen.
Wenn wir bisher sagten: Die Allgemeinbehandlung soll so
zeitig wie irgend möglich beginnen, so hatte das zur — ich
möchte sagen selbstverständlichen — Voraussetzung, „sobald
man mit Sicherheit die Diagnose ,Syphilis* stellen
konnte“. Denn es entstanden in der Tat früher die grössten
Schwierigkeiten für die spätere Beurteilung eines Falles, wenn
ein Patient nach einer venerischen Infektion ohne sichere Dia¬
gnose in Syphilisbehandlung genommen worden war. Immer war
der Einwand berechtigt, dass das Ausbleiben von Syphiliserschei¬
nungen darauf zurückzuführen sei, dass überhaupt gar keine
Syphilisinfektion stattgefunden habe. Andererseits war auch die
Möglichkeit, dass Latenz vorliege, nicht auszuschHessen.
Sicherlich wird man auch heute diese Voraussetzung in den
allermeisten Fällen gelten lassen müssen. Und doch möchte ich
hier trotz aller Widersprüche, die mein Vorschlag gefunden hat,
mindestens für besonders dringliche Fälle — ich denke z. B. an
verheiratete Männer und an Männer, die direkt vor der Ver¬
lobung stehen oder während der Verlobungszeit sich infizieren —
die Ausnahme zulassen, dass man auch ohne sichere
Syphilisdiagnose behandeln solle. Einerseits ist dann die
Chance, sofort einen vollen und sicheren Heilerfolg zu erzielen,
am allergrössten, andererseits wird in späteren Jahren durch die
Benutzung der Serodiagnose sich stets ein klares Bild über den
wahren Status des Patienten, ob Syphilis vorhanden sei, gewinnen
lassen. Für den Patienten ist es schliesslich gleichgültig, wenn
er gesund ist, ob diese Gesundheit darauf zurückzuführen sei,
dass er überhaupt nicht infiziert war, oder darauf, f dass man ihn
so schnell von seiner Krankheit geheilt habe.
2 .
Die Behandlung war bisher eine chronisch-inter¬
mittierende. — Auch heute wird man noch an dem Prinzip
einer gewissen Chronicität festhalten müssen, und zwar auch
für alle Fälle. Sicherlich ist das Aufhören von Recidiven und
das Eintreten einer negativen Reaktion ein ausserordentlich
günstiges Zeichen, und sicherlich wird dieser günstige Status oft
schon nach einer einzigen Kur erreicht. Aber es wäre nach den
vorliegenden Erfahrungen über das oft ganz unvermutete Wieder¬
auftreten von Symptomen und einer positiven Reaktion — selbst
nach fast einjähriger Pause! — ein grosser Fehler, sich auf
eine einzige Kur und auf ein bis zwei negative Reaktionen zu
verlassen und sich dazu verführen zu lassen, die Bebandlung ab¬
zubrechen. Ich möchte geradezu umgekehrt den Schluss ziehen:
Gerade wenn man sich überzeugt, dass man gut mit
der Behandlung vorwärts gekommen ist, soll man das
Errungene nicht durch Unterlassen einer weiteren
Therapie aufs Spiel setzen, sondern noch weitere ein-
bis eineinhalb Jahre lang dem im Rückzug befind¬
lichen Feind nachsetzen. — Das Prinzip der Chroni¬
cität halte ich also fest, nur scheint es gestattet zu sein, es in
milderer Form anzuwenden, d. h. mit einer kürzeren Beband-
lungsfrist als früher (welche ja durchschnittlich 3—4, von manchen
sogar 7 Jahre lang fortgesetzt wurde).
Ganz abgekommen aber bin ich von dem Prinzip des „inter¬
mittierenden“. Natürlich soll bei einer permanenten Kur nicht
tagtäglich behandelt, es sollen nicht tagtäglich neue Antisyphilitica
durch irgendwelche Maassnahmen dem Körper zugefübrt werden;
aber es ist dafür zu sorgen, dass die im Körper befindlichen Spiro¬
chäten gleichsam nie ganz zur Ruhe kommen, dass sie sich nicht
in den Geweben „abkapseln“ und vielleicht eine Art Dauerform
annehmen können, so dass sie dem Heilmittel schwerer und gar
nicht zugänglich werden. Jedenfalls soll man nie glauben, das
anfangs Versäumte später noch nachholen zu können. Hat doch
die Erfahrung gelehrt, dass es verhältnismässig leicht ist, in
den ersten ein bis zwei Jahren die Syphilis zu heilen, bzw. eine
dauernd bleibende negative Reaktion zu erzielen, während in den
späteren Jahren der Syphilis, mit und ohne Symptome, das
viel schwerer, oft bisweilen gar nicht zu erreichen ist.
Wir geben also immer wieder — der individuellen Art des
Falles angepasst — Salvarsaninjektionen und — neben einzelnen
akut wirkenden Gaben — speziell solche Quecksilberpräparate
(am liebsten graues Oel), bei denen eine sehr lange Remanenz
des Quecksilbers im Körper festgestellt worden ist. Zwischen
den neuen Zufuhren machen wir nur so lange Pausen, dass wir
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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sicher sind, dass immer noch Reste des früher zugeführten Queck¬
silbers im Körper nachwirken.
Selbstverständlich — und ich brauche das wohl eigentlich
sicht besonders zu betonen — muss bei jedem Kranken für sich
bestimmt werden die Grösse der Einzeldosen, die Zahl der Injek¬
tionen, die Länge der Intervalle usw. Kurz, es muss für jeden
Patienten individuell der Heilplau aufgestellt werden. Aber ich
habe die feste Ueberzeugung, dass man ein grosses Unrecht tut, sich
auf die Selbstheilung des Körpers und seine so gut wie unbekannten
„Antikörper“ in irgendwelcher Art zu verlassen. Nur durch
möglichst energische Zufuhr der Antispirochätenmittel
ist eine sichere Heilung zu erzielen. Möglicherweise gibt
es eine Spontanheilung, aber wir wissen absolut nichts davon!
3.
Früher, als wir gar keinen Maassstab dafür hatten, um fest¬
stellen zu können, ob wirklich eine Heilung erzielt worden sei,
oder ob ein symptomloser Zustand nur eine Latenz bedeute,
batten wir aus der allgemeinen Erfahrung heraus uns eine Art
Schema herausgerechnet und gesagt — Fournier an der
Spitze —: „Jeder Syphilitiker muss 3—4—5—7 Jahre
hindurch behandelt werden.“ So glaubte man am besten
die Kranken gegen späte Nachkrankheiten zu sichern, ohne
sich freilich dabei zu verhehlen, dass es eben nicht eine fest
basierte Lehre sei, sondern eben nur eine Ueberlegung, dass
infolgedessen Fehler nach beiden Seiten Vorkommen müssten, in¬
dem man bald nicht genug, bald unnötig viel therapeutisch vor¬
ging. Trotz aller dieser Bedenken habe ich aber früher aus
vollster Ueberzeugung stets die chronisch-intermittierende Be¬
handlung bei jedem Patienten vertreten und auch nach Möglich¬
keit durchgeführt. Wenn sie oft versagt hat, so ist dabei stets
za bedenken, in welcher Weise die einzelnen Kuren von dem be¬
treffenden Arzt durebgeführt wurden. Denn darüber lässt sich
doch nicht streiten, dass früher eine Unzahl von Kuren, viel¬
leicht die allermeisten, die überhaupt je gemacht worden sind,
gänzlich unzureichend waren, da man ja nie feststellen konnte,
ob eine genügende, d. h. eine wirksame Menge des Medikaments
dem Körper auch wirklich zugeführt worden sei. Aus diesem
Grunde habe ich ja auch schon seit langen Jahren von der Ein¬
reibungskur Abstand genommen, nicht als wenn ich sie etwa für
gänzlich wirkungslos hielte, aber weil ich sie durch bessere
Methoden, die mir eine sicherere und reichlichere Zufuhr von
Quecksilber ermöglichen, ersetzen kann.
Jetzt sind wir dank der Wassermann’schen Sero¬
diagnostik einen gewaltigen Schritt vorwärts gekommen.
Positive Reaktionen beweisen, dass der Patient noch nicht
definitiv geheilt sei und weiterer Behandlung unterworfen werden
müsse; negative Reaktion ist, in grossen Abständen wiederholt,
ein Zeichen fortschreitender oder sogar schon vollzogener Heilung.
Aber gerade hier erhebt sich, wenn man einen Kranken von An¬
fang an behandelt hat, die schwierige Frage: Wann darf man den
negativen Reaktionen soweit trauen, um die Behandlung
abzubrechen? Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Abbrechen
der Behandlung auch wieder eine Vermehrung der Spirochäten
und damit wiederum eine Verschlechterung des Gesaratzustandes,
vielleicht mit Recidiven, jedenfalls mit Wiederauftreten positiver
Reaktion eintritt? Waren nicht vielleicht die bisherigen negativen
Reaktionen nur die Folge der therapeutisch herbeigeführten
Spirochätenunterdrückung derart, dass ihre Menge zwar nicht aus¬
reichte zum Produzieren der nachweisbaren Reagine, dass aber
doch ein Rest von Syphilis zurückblieb?
In bezug auf diese Fragen ist noch keine Klärung erreicht,
wenn auch, wie schon gesagt, durch die Serodiagnostik ein ge¬
waltiger Fortschritt angebabnt worden ist, auch für die Frage
der Therapie bzw. wie lange man behandeln soll.
Es sei hier noch besonders auf einen grossen Fortschritt,
der eventuell zur Verhütung der Tabes und Paralyse führen kann,
hingewiesen: Man sollte keinen Syphilitiker, den man
sonst auf Grund der negativen Serurareaktionen für
geheilt halten könnte, aus der Behandlung entlassen,
ohne auch seine Spinalflüssigkeit zu untersuchen. Es
können tatsächlich Veränderungen im und am Centralnerven¬
system bestehen, ohne dass sie sich irgendwie klinisch bemerkbar
machen; Veränderungen, die aber durch die serologische, mikro¬
skopische und chemische Untersuchung der Spinalflüssigkeit auf¬
gedeckt und damit einer Behandlung, die späteren, vielleicht dann
unheilbaren Verschlimmerungen vorbeugt, zugeführt werden können.
4.
Dem Satz: „Wo irgend möglich soll eine Lokal¬
behandlung die Wirkung der Allgemeinbehandlung
unterstützen, namentlich an solchen Stellen der Haut
und der Schleimhaut, wo kontagiöse Erscheinungen
vorhanden sind“, ist nichts hinzuzufügen. Sowohl die Lehre,
man soll die Primäraffekte so früh und so energisch wie möglich
vernichten, wie die Lehre, die kontagiösen sekundären Formen
sofort zum Heilen zu bringen, besteht nach wie vor zu recht.
Nur soll man über der Lokaltherapie — und das ist
von durchschlagender Bedeutung — speziell der Primär¬
affekte nie die viel wichtigere Allgemeinbehandlung
vernachlässigen.
Zum Schluss sei noch als Prinzip der Syphilistherapie das
allgemein-ärztliche Prinzip hinzugefügt: jedes Mittel auszu¬
nützen, welches einigermaassen von Nutzen sein kann.
Also in jedem Falle Salvarsan, in jedem Quecksilber- und Jod¬
präparate, die Hilfsmittel der Hydro- und Balneotherapie, es
müssten denn beim einzelnen Krauken spezielle Kontraindikationen
gegen die eine oder andere therapeutische Maassnahme vorliegen.
Aus der I. medizinischen Klinik in Wien.
Ueber enterogene Intoxikationen, besonders
über enterotoxische Polyneuritis. 1 )
Von
Prof. Carl von Noorden-Wien.
Es gibt in der Medizin kaum einen anderen Begriff, der so
häufig missbraacht worden ist, wie das Wort Autointoxikation.
Das Wort hat in der wissenschaftlichen Literatur einen üblen
Klang. Man bat viele krankhafte Zustände damit erklären wollen,
wenn andere Deutungen fehlten oder wenn mangelhafte Unter¬
suchungen durch ein klangvolles Wort ergänzt werden sollten.
Wenn wir einen Rückblick werfen auf die Geschichte des
Begriffes „Autointoxikation“, so müssen wir mehrere Phasen unter¬
scheiden. Das Wort wurde zuerst angewendet auf jene alt¬
bekannten Zustände, die in den Endstadien 'des schweren Diabetes
mellitus, ferner bei Urämie und bei Cholämie Vorkommen. In
diesen und in ähnlichen Zuständen hat das Wort seine ursprüng¬
liche Bedeutung beibehalten, und niemand zweifelt, dass man es
da mit wohl charakterisierten Formen der Autointoxikation zn tun
hat. Dann kam die bekannte Arbeit von Bouchard, der in
geistvoller Weise den Begriff verallgemeinerte und fast alle krank-
1) Vortrag, gehalten im University medical College in Syracuse,
N. Y., am 21. November 1912.
haften Zustände, die nicht durch Mikroben veranlasst werden, als
Autointoxikation deutete. Die Methoden, die Bouchard zum
Beweise seiner Ansichten ins Feld führte, sind hinfällig geworden.
Es ist kaum ein Stein des Gebäudes übriggeblieben. Ja mau
kann sagen, dass die Scheu, die gleichen Fehler wie Bouchard
zu begeben, ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung der
Lehre von den Autointoxikationen gewesen ist. Wir dürfen gegen
Bouchard keinen Vorwurf erheben; denn zu der Zeit, als er
sein Buch über die Autointoxikationen schrieb, waren die
chemischen und biologischen Methoden noch nicht genügend aus¬
gebildet, um ihn vor fehlerhaften Versuchen und Schlussfolge¬
rungen zu schützen.
Wir müssen vielmehr anerkennen, dass Bouchard trotz
mangelhafter Methoden und trotz anfechtbarer Versuche in geist¬
voller Weise richtige Grundanschauungen vertrat, und dass die
spätere Zeit zwar nicht seinen Detailangaben, wohl aber seinen
Grundideen volle Rechtfertigung verschaffte. Zunächst aber kam
eine Zeit der Ernüchterung, und nach der Zeit der grossen
Debatte über Autointoxikationen auf dem Leipziger Kongress für
innere Medizin (1892) folgte eine lange Periode, die für die
Weiterentwicklung der Lehre ganz unfruchtbar war. Freilich
nahm kurze Zeit später Albu in Berlin die Frage noch einmal
im Bouchard’schen Sinne auf, aber auch sein Versuch litt unter
dem Mangel positiver Kenntnisse und konnte nicht als ernsthafte
Förderung der Frage betrachtet werden.
Dann kam die Zeit, in der die Lehre von den internen
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UNIVERSITY OF IOWA
52 _ BERLIN ER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT._ Nr. 2.
Sekretionen entwickelt wurde, und mit ihr gewann die Frage der
Autointoxikationen eine neue Bedeutung. Die Lehre von den
internen Sekretionsstörungen des Pankreas, der Schilddrüse, der
Epithelkörperchen, der Nebennieren, der Hypophysis cerebri, der
männlichen und der weiblichen Genitalien usw. wurde hinein¬
gezogen. Der Begriff der Autointoxikationen verschob sich, aber
es wurde klar, dass gar manches, was jetzt als neue Errungen¬
schaft imponierte, schon in den Ideen des geistvollen Bouchards
vorausgeahnt war.
Für unsere heutigen Betrachtungen wollen wir diese be¬
deutende und wichtige Seite der Autointoxikationen ausser acht
lassen. Wir wollen uns nur den sogenannten intestinalen
Intoxikationen zuwenden und auch aus diesem Kapitel nur ein
kleines Stück herausgreifen. Wenn ich eingangs bemerkte, dass
der Begriff „Autointoxikation“ etwas in Misskredit gekommen ist,
so bezieht sich das auf keinen Teil dieses umfangreichen Gebietes
mehr als auf die intestinalen Formen. Man hat mit dem Begriff
in geradezu frevelhafter Weise gespielt und krankhafte Zustände
hereingezogen, die gar nicht unter jenen Begriff fallen. Von ge¬
wissen Zuständen abgesehen, die bei Säuglingen Vorkommen,
sollte man lieber auf den Begriff intestinaler Autointoxikation
ganz verzichten, um so mehr aber anerkennen, dass enterogene
Intoxikationen eine bedeutende Rolle spielen.
Von „Autointoxikation“ kann man nämlich vernünftigerweise
nur sprechen, wenn die Gifte von den Geweben des Körpers
selbst gebildet werden, oder mit anderen Worten, wenn es sich
um sogenannte „endogene“ Gifte handelt. Von Giften, die in
der Wand des Magens oder des Darmes gebildet werden, wissen
wir aber so gut wie gar nichts. Um so mehr wissen wir, dass
der Darminhalt eine reiche Giftquelle ist. Schon unter den
normalen Verdauungsprodukten, die unter dem Einfluss der
Pepsin- und der Trypsinverdauung entstehen, finden sich Stoffe,
die man nicht ohne schwere Schädigung des Gesamtorganismus,
insbesondere des Nervensystems, in den Kreislauf bringen kann.
Die Summe der giftigen Stoffe wird noch bedeutend erhöht durch
den zersetzenden Einfluss, den die bakterielle Darmflora auf die
Ingesta ausübt. Wir dürfen sagen, es ist geradezu ein wunder¬
bares Phänomen, dass in dichter Nachbarschaft einer resorbierenden
Membran tagein, tagaus eine solche Fülle giftiger Stoffe gebildet
wird, und dass trotzdem die Gesundheit nicht geschädigt wird.
Wie die Entgiftung stattfindet, wissen wir nicht. Ich meine,
dass das eine der wichtigsten biologischen^Probleme für die Zu¬
kunft ist.
Es sind gewiss schon dankenswerte Versuche zur Lösung des
Problems gemacht worden. Ich erinnere an die Arbeiten von
Metschnikoff, der anstrebt, eine gewisse — als schädlich be-
zeichnete Darmflora dadurch unschädlich zu machen, dass er eine
andere unschädliche bakterielle Flora im Darm zu reicher Ent¬
wicklung bringt. Ich glaube, dass wir alle darüber einig sind,
dass Metschnikoff, von Enthusiasmus getrieben, in seinen
Voraussetzungen und in seinen Schlussfolgerungen viel zu weit
geht. Wenn wir seinen Ideen bis zu den letzten Konsequenzen
folgen wollten, müssten wir erwarten, nicht nur das grösste
Maass der Gesundheit, sondern auch das grösste Maass körper¬
licher und geistiger Leistung bei den Milchtrinkern, bei den
Kartoffelessern und bei den Vegetariern zu finden. Das ent¬
spricht nicht den Tatsachen, die uns die Geschichte der Menschheit
lehrt. Wir dürfen wohl mit einer gewissen Berechtigung sagen,
dass die angelsächsische, die germanische, die slavische und die
semitische Rasse durch ihre körperlichen und geistigen Eigen¬
schaften die Weltherrschaft errungen haben; und sie alle sind im
grossen Durchschnitt starke Fleischesser gewesen, d. h. sie haben
solche Nahrungsmittel bevorzugt, die zweifellos die stärksten Gift¬
bildner sind. Was Metschnikoff uns berichtet, sind Labora¬
toriumsversuche, und ich sehe keinen Grund ein, warum wir auf
Grund einseitiger Laboratoriumsversuche Tatsachen vergessen
sollen, die uns die Ernährungsgeschichte der Völker lehrt.
Wir sollten mit Dankbarkeit anerkennen, dass der Mensch,
ebenso wie das fleischfressende Tier, im Kampfe ums Dasein die
Fähigkeit erworben hat, gewisse Gifte, die beim normalen Ab¬
lauf der Verdauung im Darmkanal entstehen, unschädlich zu
machen.
Das alles sind „exogene“ Gifte, d. h. sie entstehen nicht in
den Geweben, sondern — gleichsam — vor den Toren der Ge¬
webe, und daher dürfen wir nicht von „Autointoxikation“ reden.
Wir sind nicht gegen alle Gifte, die dort entstehen, geschützt.
Ich greife, um zu zeigen, was ich meine, nur das Choleragift
heraus. Neben diesem schlimmsten Feind gibt es aber viele
andere, und es ist keine Frage, dass auch geringe Abweichungen
von den normalen digestiven und bakteriellen Zersetzungen im
Verdauungskanal, ebenso wie pathologische Aenderungen der
resorbierenden Flächen zur Aufnahme von Giften in das Blut
führen können, die krankhafte Erscheinungen am Nervensystem
oder in anderen Organen auslösen. Dann kann es in der Tat
notwendig werden, Nahrungsstoffe vom Darmkanal fern zu halten,
die beim normalen Gang der Dinge keine pathologische Reaktion
auslösen, und in der Tat ist es voll berechtigt und in der ärzt¬
lichen Praxis seit uralter Zeit üblich, solchen Verhältnissen durch
Vereinfachung der Kost, durch Hungerdiät, durch Ausschluss von
Fleisch, durch Milchdiät, durch vegetarische Diät usw. Rechnung
zu tragen.
Im grossen und ganzen stehen wir hier auf dem Boden der
Empirie. Es ist zwar versucht worden, auch hier die wissen¬
schaftliche Forschung an die Stelle der Empirie treten zu lassen.
Wenn wir aber einen kritischen Maassstab^ anlegen, so müssen
wir bekennen, dass wir erst im Anfang der Forschungen stehen
und so gut wie alles, was wirklich wissenschaftlich fundiert ist,
von der Zukunft erwarten müssen. Ich darf hier nicht ver¬
schweigen, dass seit längerer Zeit Combe in Lausanne den Ver¬
such gemacht hat, diese Fragen in ein wissenschaftliches System
zu bringen, und wenn man sein Buch liest, könnte der in diesen
Fragen Unerfahrene meinen, dass er schon ziemlich weit in das
wissenschaftliche Studium der Materie eingedrungen ist. Dies ist
aber nicht so, und ich muss mich dem auch von anderer Seite
ausgesprochenen Urteil anschliessen^dass^die ganzen Fragen von
Combe sehr oberflächlich und vor allem sehr einseitig behandelt
worden sind. Die Einseitigkeit betrifft nicht nur den theoreti¬
schen Teil seiner Deduktionen, sondern spiegelt sich auch in den
therapeutischen Folgerungen und Nutzanwendungen wieder. Wir
finden sowohl in seinen Schriften wie in seinen Verordnungen
immer wieder die Bevorzugung einfacher Mehlstoffe. Sie domi¬
nieren in dem ganzen Tagesmenu. Wenn nun auch ohne weiteres
zuzugeben ist, dass dies für gewisse Fälle von Darmstörungen die
beste Diät ist, so ist es doch zweifellos unrichtig, dies so zu
verallgemeinern, wie Combe es tut. Ein Kritiker bat das Wort
„Combismus“ geprägt. Er wollte damit sagen, dass bei den von
Combe vertretenen Ansichten und bei der von ihm geübten The¬
rapie es nicht mehr der besondere Zustand des Patienten ist, der
das therapeutische Vorgehen diktiert, sondern die Methode be¬
herrscht die Situation, und in dieses Schema werden die ver¬
schiedenartigsten pathologischen Zustände eingezwängt. Es
herrscht eine Einförmigkeit der Auffassung und der Behandlung,
wie beim militärischen Drill. Was ich selbst vom praktisch¬
therapeutischen Standpunkt aus gegen den sogenannten Combis¬
mus zu sagen habe, betrifft einen anderen, sehr wichtigen Gesichts¬
punkt. Die von Combe geübte Therapie führt die Patienten auf
eine äusserst leichte Diät zurück, d. h. auf eine Diät, wie sie für
das Kindesalter geeignet und üblich ist.'~ Es ist eine sogenannte
„Schonungsdiät“. Wenn man diesen Weg einschlägt, so sieht
man sehr häufig, dass die Patienten sich sehr gut befinden, so
lange sie bei dieser Diät bleiben, die nur sehr geringe Ansprüche
an die Leistungsfähigkeit des Darms stellt. Sobald die Patienten
aber zu gemischter Kost zurückkehren, melden sich wieder Be¬
schwerden. Von ganz schweren Krankheiten des Darmkanals ab¬
gesehen ist es meines Erachtens zweifellos der bessere Weg,
eine wahre Abhärtung des Darms anzustreben und den Patienten
daran zu gewöhnen, den mannigfachen Ansprüchen des täglichen
Lebens und dem natürlichen Wechsel der täglichen Kost ge¬
wachsen zu sein. Das ist eine „Uebungstherapie“, im Gegensatz
zu der „Scbonungstherapie“. Nach meinen eigenen Erfahrungen
erreicht man mittels der abbärtenden Uebungstherapie viel
bessere und vor allem viel dauerhaftere Resultate als mit der
Schonungstherapie, die nur im Anfang der Behandlung eine vor¬
übergehende Berechtigung hat, und die nur in besonders schweren
Fällen längere Zeit fortgesetzt werden sollte. Dies bezieht sich
sowohl auf die Fälle von leichten Darmkatarrhen, von nervösen
Diarrhöen, von chronischer Konstipation, als auch besonders auf
die häufigen Fälle der sogenannten „Enterite mnco-membraneuse u .
Die letztgenannten Fälle ziehen sich, wenn mit der „Schonungs¬
therapie“ behandelt, gewöhnlich über viele Jahre hin. Immer
wieder kommen Rückfälle. Mit der „Uebungs- oder Abbärtungs-
therapie“ kann man sie dagegen in kurzer Zeit definitiv be¬
seitigen.
Nach diesen Abschweifungen lassen Sie mich auf eine be¬
sondere Form intestinaler Intoxikation eingehen, die ich im Laufe
der letzten Jahre besonders studiert habe.
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
53
Die Patienten klagen über gewisse Unregelmässigkeiten der
Verdauung. Meist besteht Konstipation, die mit verschiedenen
Abführmitteln bekämpft wird. Manchmal erfolgt aber die Stuhl-
eotleerung täglich, und die Patienten leugnen — wenn sie befragt
werden — auf das bestimmteste, an Konstipation zu leiden. Wenn
man aber den Bauch nach der Stuhlentleerung untersucht, so
findet man den Darm nicht leer. In der Flexura sigmoidea liegen
noch, weit hinauf, harte Massen. Nur der unterste Teil des
Darmkanals hat sich entleert. Weiter oben werden die Massen
festgehalten. Sehr empfindliche Personen haben infolgedessen
gewu.se Beschwerden, vor allem ein dauerndes Gefühl der Völle;
jede Nahrungsaufnahme steigert die Beschwerden, und dann leidet
in der Regel auch die Gesamternährung, weil die Patienten nicht
genug essen. Sie magern ab. Die Patienten meinen selbst, dass
der Sitz des Uebels viel mehr der Magen als der Darm sei, und
bei der ärztlichen Untersuchung wird dies oft anscheinend be¬
stätigt; denn sehr oft findet man eine Verlangsamung der Magen-
entleerung und besonders bemerkenswerte Grade von Hyper¬
acidität. Ich habe schon vor acht Jahren darauf hingewiesen,
dass die Hyperacidität des Magens häufig gar kein selbständiges
Leiden des Magens ist, sondern von einer chronischen Obstipation
abhängt und am sichersten dadurch bekämpft wird, dass man
durch Regelung der Diät die Konstipation beseitigt, während die
Behandlung mit Abführmitteln nicht den gleichen guten Er¬
folg hat 1 ).
Die weitere Untersuchung des Bauches zeigt in der Regel,
dass auf der linken Seite des Abdomens ein bestimmter Punkt
sehr druckempfindlich ist. Ich nenne ihn den S-Punkt, weil
er einen Reizzustand des S romanum anzeigt. Seine linksseitige
Lage entspricht dem rechtsseitigen Mac Burney’schen Druckpunkt,
der für die Diagnose der Appendicitis eine grosse Bedeutung er¬
langt hat.
Nicht immer hat man es mit Konstipation zu tun. Manch¬
mal schieben sich Diarrhöen ein, die durch die mechaniche und
chemische Reizung der kotgefüllten Flexura sigmoidea veianlasst
werden. Es kann auch zu Scbleimproduktion und zu spontanen
Schmerzen kommen, und dann ist das klinische Bild der Colica
mucosa «der der sogenannten Enteritis muco-membranacea
gegenwärtig. Der Reizzustand der Flexur ist aber in Wirklich¬
keit gar nicht bedeutend. Wenn man die Schleimhaut mit dem
Romaooskop betrachtet, so findet man nnr hier und da eine
leichte Hyperämie und etwas zähen, der Schleimhaut fest an¬
liegenden Schleim. Dagegen fehlen sowohl Schwellungen der
Schleimhaut wie auch in der Regel Ulceration derselben. Nur in
sehr veralteten und schweren Fällen begegnet mau diesen Dingen.
Die Röntgenuntersnchung lehrt, in Uebereinstimmung mit dem
palpatorischen Befund, dass die Flexura sigmoidea die Massen
ungewöhnlich lange festbält und eng umklammert. Es besteht
also ein Spasmus der Darrawand, der das Tieferrücken der Kot¬
massen hemmt.
Während nun bei manchen Individuen sich die Erscheinungen
auf die hier geschilderten Anomalien der Verdauung beschränken
und bald mehr, bald weniger lokale Beschwerden machen, ent¬
wickelt sich bei sehr vielen anderen Personen ein eigenartiges
Krankheitsbild. Es treten Schmerzen in den verschieden¬
sten Gebieten des Körpers auf. Bald sind es Schmerzen in
den Cbcipitalnerven oder im Trigeminusgebiet, bald in den Armen
oder im Rücken oder im Gebiet des Nervus ischiadicus oder des
Nervus cruralis. Die Schmerzen können ihren Sitz rasch wechseln,
d. b. sie treten in Form der sogenannten Dolores vagi auf. Be¬
sonders oft fand ich aber Schmerzen, die der gewöhnlichen Ischias
oder der Intercostalneuralgie entsprechen. Wenn man die soge¬
nannten Druckpunkte der Nerven aufsucht, so findet man oft eine
iusserst lebhafte Schmerzhaftigkeit solcher Punkte, selbst in
Fällen, wo die spontanen Schmerzen noch sehr unbedeutend sind
und kaum beachtet werden. Besonders frühzeitig sind die Druck¬
punkte des Nervus radialis an den Oberarmen sehr empfindlich.
Während die Schmerzen sich bei manchen Patienten mehr auf
die Muskelgebiete be^fchränkeo, sind bei anderen mehr die Ge¬
lenke betroffen. Keine Schwellung, keine Rötung an den Ge¬
lenken, aber Schmerzen bei Bewegungen, insbesondere in den
Morgenstunden, während sie im Laufe des Tages abflauen.
Man hat es mit einer leichten Neuritis zu tun, die man in¬
sofern eine elektive Neuritis nennen kann, als sie nur die
sensiblen Fasern betrifft. Sehr feine Proben ergeben manchmal
1) Hvperacidität des Magensafts und ihre Behandlung. Zeitschr. f.
kün. Med!, Bd. 53, S. 1.
auch eine Abänderung der Tastempfindung, besonders oft im Ge¬
biet des Nervus cutaueus femoris externus (Meroparästhesien).
Sehr oft gesellen sich Anomalien der Herztätigkeit
hinzu, entweder einfache Verlangsamung des Pulses oder leichte
Irregularitäten, die den Patienten und den Arzt sehr erschrecken.
Im übrigen ist das Herz aber völlig gesund. Die Irregularitäten
(bestehend in gewöhnlichen Extrasystolen) treten gewöhnlich nur
aul, wenn der Patient sich in völliger Ruhe befindet oder wenn
er erschöpft ist. Sobald er körperlich oder psychisch erregt ist,
verschwinden die Irregularitäten. Dafür kommt es dann manch¬
mal zu voiübergehender Beschleunigung der Herzaktion. Oft be¬
obachtet man eineu schnellen Wechsel in der Füllung der Haut-
capillaren, raschen Wechsel von Kältegefühlen und Hitzegefübl,
und gar nicht selten eine Neigung zu Dermographismus, die
in einzelnen Fällen zu Urticaria factitia oder zu anscheinend
spontaner Urticaria auswächsf.
Diese circulatorischen Störungen sind im ganzen unbedeutend
und wenn man es mit torpiden Individuen zu tun hat, werden sie
von ihnen kaum beachtet. Meist aber sind es reizbare, neurastbe-
nisch veranlagte Naturen, und dann spielen diese Symptome
natürlich im Klagenregister der Patienten eine grosse Rolle.
Genauere Untersuchungen decken nun noch mehrere andere
Anomalien auf. Vor allem ist meist die Tagesmenge des
Urins bedeutend vermindert, und zwar auch dann, wenn die
Patienten reichlich Wasser trinken. Infolgedessen neigt der Harn
zu Sedimentbildung, was nur gar zu oft Arzt und Patienten an
barnsaure Diathese denken lässt. In Wirklichkeit ist die Harn¬
säure aber gar nicht vermehrt. Es fehlt nur an dem nötigen
Wasser, um sie ordnungsmässig in Lösung zu halten. Die Ver¬
minderung der Diurese ist die Folge einer ungewöhnlich staiken
Perspiratio insensibilis. Es kann freilich auch zu Schweissaus-
brücheu kommen; in der Regel fehlen dieselben aber, und nur
die unmerkbare Abdunstung von der Haut ist verstärkt.
Wenn wir die Symptome, die ich schilderte, Zusammenhalten,
so sehen wir, dass wir es einerseits mit einer diffusen sen¬
siblen Polyneuritis leichtesten Grades zu tun haben, anderer¬
seits mit sehr ausgesprochenen Reizerscheinungen im Vagus¬
gebiet. Dahin gehören die Pulsverlangsamung, die Extrasystolen,
der abnoime Tonus der Flexura sigmoidea, die Hyperacidität, der
Dermographismus, die verstärkte Perspiratio insensibilis. Es ent¬
wickelt sich ein Krankheitsbild, das in manchen Stücken dem
entspricht, was mein Assistent, Dr. H. Eppinger, vor einiger
Zeit als Vagotonie beschrieb. Es sind natürlich nicht in allen
Fällen alle Stücke dieses Kraukheitsbildes vorhanden. Wer aber
das Krankheitsbild als Ganzes kennt, wird es auch wiedererkennen,
wenn einzelne Stücke fehlen.
Was hat das nun mit iutestiualer Intoxikation zu tun?
Welche Beweise haben wir, dass die Abänderungen in den peri¬
pheren Nerven und im autonomen Nervensystem in Beziehung zur
Giftresorptiou aus dem Darmkanal stehen. Da ist zunächst zu
erwähnen, dass io der Mehrzahl dieser Fälle eine ganz ungewöhn¬
liche Ausscheidung von ln di kan gefunden wird. Während wir
normalerweise mittels der colorimetrischen Methode von Bouma
etwa 20 mg Indigo im Tagesharn finden, erhebt sich diese Zahl
in unseren Fällen oft auf 40 — 60 oder gar 80 mg. Dies beweist
eine abnorm starke bakterielle Zersetzung von Eiweiss im Darm
bzw. eine abnorm starke Resorption der Fäulnisprodukte. Be¬
merkenswert ist, dass die Menge der Aether-Schwefeisäure sich
in der Regel nicht so stark erhebt, wie dem lodikangehalt ent¬
spricht. Dies kommt daher, dass ein Teil des Indols sich mit
Glykuroosäure verbindet, und daher finden wir oft eine gewisse
Reduktionskraft des Urins, ähnlich wie bei geringer Glykosurie.
Es ist aber kein Zucker, es ist die Glukuronsäure, die diese Er¬
scheinung bedingt.
Wenn schon der hohe lodikangehalt des Urins beweisend
genug ist, so wird unsere Annahme einer intestinalen Gift¬
produktion noch weiter dadurch gefestigt, dass mein Assistent,
Dr. H. Eppinger, in einigen solcher Fälle aus den Fäces einen
Giftstoff extrahieren konnte, der im Tierexperiment ganz ähnliche
Erscheinungen machte. Es ist ein starkes Vagusreizmittel.
Ein wenig davon auf die Haut des Menschen gebracht, führt zu
einer starken lokaleu Urticaria, die 10—15 Minuten andauert.
Es scheint sogar gelungen zu sein, ein bestimmtes Bacterium zu
isolieren, das diese Gifte produziert; es gehört in die Paratyphus¬
gruppe, ist aber nicht identisch mit den bisher bekannten Formen.
Die Giftproduktion ist ganz verschieden, je nachdem auf welchen
Nährböden der Mikroorganismus gezüchtet wird. Hieraus ergeben
sich wichtige therapeutische Anhaltspunkte. Doch alle diese
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UNIVERSITÄT OF IOWA
54
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
bakteriellen und chemischen Untersuchungen sind so schwierig
und zeitraubend, dass wir noch nicht in der Lage sind, exakte
Details mitzuteileu.
Ich habe hier nun noch ein Symptom zu erwähnen, das sich
gar nicht selten dem geschilderten Krankheitsbild hinzugesellt
und manchmal sogar in den Vordergrund tritt. Das sind Tem¬
peratursteigerungen. Nur ausnahmsweise sind es Steige¬
rungen der Temperatur, die man wirklich als Fieber bezeichnen
kann, aber die Temperaturen erheben sich doch oft bis zu dem
Maximum der physiologischen Breite, d. h. sie erreichen 37,5 bis
37,7 Centigrad, und die Spannweite zwischen dem Temperatur¬
minimum und dem Temperaturmaximum des Tages ist abnorm
gross. Wir finden dieses abnorme Verhalten namentlich in
solchen Fällen, die Kinder und junge Leute betreffen, und es ist
klar, dass diese Temperaturanomalien oft der Gegenstand schwerer
Sorge werden, indem man einen latenten tuberkulösen Prozess
vermutet. Die Temperaturanomalien verschwinden aber vollkommen,
sobald der Darm in Ordnung gebracht ist.
Es ist klar, dass man diese Zustände kennen muss, wenn
man nicht schweren diagnostischen Irrtümern sich aussetzen will.
In fast allen Fällen, die ich selbst gesehen habe, lautete die ur¬
sprüngliche Diagnose entweder auf einfache Neurasthenie oder
wegen der Schmerzen auf eine chronisch rheumatische Erkrankung;
oder die Gegenwart von Harnsediment hatte zu der Diagnose
„harnsaure Diathese“ oder gar echte „Gicht“ (Arthritis urica)
verleitet; oder es war der Verdacht auf latente Tuberkulose er¬
weckt und aufrecht erhalten worden. Besonders häufig ist aber
die Verwechslung mit rheumatischen Myalgien, Neuralgien, Arthri¬
tiden und mit harnsaurer Diathese. Dieser Diagnose schmiegte
sich die Therapie an, und die mannigfachsten Behandlungen mit
Bädern, Massage, mit Elektrizität, mit Sonnenkuren, mit anti¬
rheumatischen und antigichtischen Arzneimitteln waren voraus-
gpgangen. Meist bringen solche Kuren einen gewissen Erfolg,
indem sie ja alle zu einer Verminderung der Reizbarkeit des
Nervensystems beitragen. Aber der Erfolg ist nur vorübergehend,
und Rückfälle sind die Regel.
Wirkliche Heilung erfolgt erst, wenn der Darm wieder ganz
in Ordnung gebracht ist. Sie werden nun wünschen, dass ich
spezielle therapeutische Maassregeln angebe, wie dies zu bewerk¬
stelligen ist. Es lassen sich aber durchaus keine allgemein
gültigen Vorschriften geben. Jeder Fall muss für sich studiert
werden. Da sind Fälle, in denen man am schnellsten mit einer
reinen Milchdiät zum Ziel kommt oder mit Modifikationen der
Milch, wie Sauermilch, Yogurth, Kefir usw. In anderen Fällen
ist gerade Milch die ungeeignetste Nahrung. Mehlstoffe oder ge¬
mischte vegetabilische Kost bewähren sich dann vielleicht besser.
In einigen Fällen war es von entscheidendem Vorteil, die Patienten
einige Tage nichts als Zuckerlösung trinken zu lassen. Umgekehrt
gibt es aber auch Fälle, in denen eine animalische Kost den
Vorzug verdient. In jedem Falle muss unser Ziel darauf ge¬
richtet sein, die einseitige Kost nur eine kurze Zeit zu geben und
später den Darm wieder an gemischte Kost zu gewöhnen. Bevor
nicht das Ziel erreicht ist, dass der Darm bei der gewöhnlichen
Kost, die der Durchschnitt der Menschen zu sich nimmt, regel¬
mässig arbeitet, und bevor nicht die gesamten unteren Abschnitte
des Darms sich bei den Stuhlentleerungen vollständig entleeren,
darf man nicht von Heilung sprechen. Ich benutze zur Er¬
reichung des Zieles so gut wie gar keine Abführmittel oder
andere Drogen, sondern ich habe den Eindruck, dass man auf
rein diätetischem Wege am besten fährt. Abführmittel, Klystiere
eingeschlossen, cachieren nur den krankhaften Zustand des
Darms. Sie halten die definitive Heilung eher auf, als dass sie
helfen.
Eine solche Behandlung kann sich über mehrere Wochen
binziehen. In der Regel genügen aber 2—3 Wochen, um den
richtigen Weg der diätetischen Behandlung mit voller Sicherheit
festzulegen. Es dauert freilich stets längere Zeit, bis alle Folge¬
erscheinungen geschwunden sind. Temperatursteigerungen —
wenn sie etwa da waren — schwinden zuerst. Bis aber die Ver¬
änderungen im Nervensystem sich völlig zurückgebildet haben,
können noch mehrere Wochen oder Monate vergehen, und manch¬
mal muss man andere Maassregeln, wie Bäder usw., zur Hilfe
nehmen, um den Heilungsprozess zu beschleunigen. Das ist genau
so wie bei anderen chronischen Vergiftungen. Ich erinnere z. B.
an die chronische Nikotinvergiftung. Wenn ein Patient, der zuviel
geraucht bat, den Tabakgenuss aufgibt, so dauert es oft mehrere
Monate, bis die letzten krankhaften Erscheinungen verschwunden
sind, und manchmal sind die durch das Nikotin gesetzten Ver¬
änderungen so bedeutend, dass die Symptome sich überhaupt
nicht mehr völlig zurückbilden. Ich erwähne die Nikotinintoxi¬
kation hier, weil in einiger Hinsicht Verwandtschaft zwischen
dem klinischen Bilde der Nikotinvergiftung und dem hier ge¬
schilderten Krankheitsbilde bestehen. Ich erinnere vor allem an
die Neuralgien.
Ich will um so weniger auf das weitere therapeutische Detail
eingeben, als ich es vermeiden möchte, schematische Regeln für
die Behandlung dieser Zustände festzulegen. Vielleicht wird das
später möglich sein. Einstweilen kam mir es mehr darauf au,
zu zeigen, dass es wohlabgegrenzte klinische Bilder gibt, die wir
tatsächlich auf eine intestinale Intoxikation zurückführen müssen.
Ich könnte noch mehrere andere klinische Bilder, die ganz ab¬
weichend von den hier geschilderten sind, Ihnen vorführen. Wir
sind auf meiner Klinik eifrig damit beschäftigt, dieselben festzu¬
legen. Ich habe mich hier aber auf die Schilderung der entero-
genen toxischen Polyneuritis beschränkt, weil wir da sowohl
in bezug auf das klinische Symptomenbild, wie in bezug auf die
Therapie am weitesten vorgeschritten sind.
Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬
hospitals zu Breslau (Prof. A. Tietze).
Lähmungen bei Extensionbehandlung von Ober¬
schenkelbrüchen. 1 )
Von
Assistenzarzt Dr. Max Weichert.
Die Behandlung von Oberschenkelbrüchen mit Streck verbänden
und Heftpflasterstreckverbänden überhaupt ist bereits sehr alt
und von Gurdon Buck und Crosby in die Chirurgie eingeführt
worden. Barden heu er gebührt dabei das unzweifelhafte Ver¬
dienst, der ganzen Behandlungsmethode ein System gegeben zu
haben, welches zu ausgezeichneten Resultaten führte. Bei der
immer vollkommener werdenden Heilung dieser Brüche durch die
verbesserte Behandlungsmethode drängten sowohl die Aerzte selbst
als auch die Berufsgenossenschaften darauf hin, ein möglichst
gutes, womöglich anatomisches Heilungsresnltat zu erreichen in
möglichst kurzer Zeit.
Die Folge davon war, da am schwersten von allen Dis¬
lokationen am Oberschenkel die Längenverschiebung zu überwinden
war, die Anwendung möglichst hoher Gewichte zu deren Aus¬
gleich. Während man früher eine Verkürzung von 1—2 cm bei
sonst guter Stellung des Knocbenbruches am Oberschenkel für
ein leidliches Resultat ansah, war man nachher bestrebt, die
Längenverscbiebung völlig auszugleichen und auch röntgenologisch
ideale Heilungsresultate zu erreichen. Die von Barden heuer
dafür empfohlenen Gewichte für kräftige Männer am Oberschenkel
schwankten bis zu 60 Pfund.
Wir sind an unserer Anstalt etwa seit Anfang 1910 zu den
ganz hohen Gewichten bei der Heftpflasterlängsextension über¬
gegangen und sahen bereits in demselben Jahre das erstemal eine
Fusslähmung auftreten (Fall 1) bei einem kräftigen Manne, den
wir in gestreckter Stellung im Bett behandelten. Diese Fuss¬
lähmung entpuppte sich bei näherer Untersuchung als eine Pero¬
neuslähmung, und wir sahen, um gleich von vornherein dieses
vorwegzunehmen, bei weiteren vier Fällen, die des näheren noch
weiter hinten beschrieben werden, immer nur das Auftreten von
Lähmungen in nur diesem Nervengebiet.
Wie nun diese Lähmung zum ersten Male auftrat, dachten
wir unwillkürlich an einen Fehler in der von uns angewandten
Behandlungsmethode. Um uns gegen den Vorwurf mangelnder
Erfahrung auf diesem Gebiete zunächst zu sichern, müssen wir
erwähnen, dass wir vom 1. Januar 1906 bis Mitte 1912, also in
ca. 5 Vs Jahren, 224 Oberschenkelbrüche behandelt haben, von
denen wir sämtliche einer Heftpflasterextension unterzogen. Mit
dieser Methode an sich waren wir also wohl vertraut, und ich
wiederhole nochmals, dass wir die Lähmungen erst sahen, nach¬
dem wir zu den hoben Gewichten übergegangen waren, und be¬
merke dazu, dass wir bis zu dieser Zeit eine Verkürzung von
1 cm bei sonst guter Stellung als ein leidliches Resultat be¬
trachteten.
1) Im Auszuge als Vortrag gehalten in der chirurgischen Gesell¬
schaft im A1 lerheiligenhospital am 11. November 1912.
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
65
Da wir uns nun eines eigentlichen Fehlers bei der Behand¬
lung nicht bewusst waren und uns sagen mussten, dass wir ja
bis jetzt solche Lähmungen nicht gesehen hatten, waren wir
natürlich geneigt, diese zunächst auf das von uns neu hinzugefügte
Moment, die hohen Gewichte, zurückzuführen. Wir suchten in
der einschlägigen Literatur (Verzeichnis siehe unten) nach ähn¬
lichen Fällen und fanden zu unserer Ueberraschung nirgends eine
Erwähnung davon. Ohne einen Vorwurf damit aussprechen zu
wollen, war dieses recht bedauerlich, und wir fragten unter der
Hand an verschiedenen Stellen an und erfuhren, dass auch andere
Kliniker ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
Die Erforschung der Gründe für das Auftreten dieser Lähmung
liess nun zunächst von dem Gedanken nicht abkomraen, dass es
sich um eine direkte Druckwirkung auf den Peroneus unterhalb
des Fibulaköpfchens durch die stark gespannten Extensions¬
streifen bandele. Ein Umstand machte uns dabei allerdings etwas
stutzig, und das war der, dass wir bei diesen Lähmungen nie
eine Druckrötung oder ein Decubitalgeschwiir oder etwas Aehn-
liches, was auf einen solchen Druck schliessen liesse, an dieser
Stelle beobachten konnten.
Wir kamen allmählich zu der Ueberzeugung, dass ein solcher
direkter Druck gegen den Peroneus zum Zustandekommen einer
Lähmung nicht absolut notwendig sei, und wir fingen an, die
Stärke des Zuges an und für sich zu beschuldigen, die besonders
auf den Nervus peroneus communis unterhalb des Fibulaköpfchens
ein wirken musste, und zwar aus folgenden Gründen: „Der Nerv
sei dort nach früheren anatomischen Untersuchungen von
v. Aberle bindegewebig fixiert; er könne also bei stärkerer Zug¬
wirkung nicht nachgeben, sondern werde gegen die Sehne des
Biceps und den Knochen des Fibulaköpfchens gedrückt und da¬
durch lädiert.* 4
Um nun zunächst unsere erste Annahme mit Sicherheit aus-
scbalten zu können, schnitten wir in den äusseren, breiten Ex-
tensionsheftpflasterstreifen an der betreffenden Stelle ein etwa
dreiraarkstückgrosses Loch und polsterten noch dazu mit Gaze.
Auf diese Weise glaubten wir vor Druck sicher geschützt zu
sein. Aber selbst bei dieser äussersten Vorsicht sahen wir bei
Anwendung der hohen Gewichte wiederum eine solche Lähmung
(Fall 2). Es war also die Annahme eines direkten Druckes
auf den Peroneus abzuweisen, nicht aber die einer Zerrung des¬
selben.
Indessen schienen uns damit die beobachteten Erscheinungen
noch nicht genügend erklärt, vielmehr mussten wir annehmen,
dass, wenigstens in vielen Fällen solcher Lähmungen, die Ursache
nicht in einer Ueberdehnung oder Zerrung des Peroneus, sondern
des Ischiadicusstammes selbst zu suchen sei.
Aus der Ueberlegung heraus, dass man als Zugachse für das
gebrochene Glied die des central gelegenen Bruchteiles annehmen
müsse, haben wir bei gestrecktem Bein gleichzeitig unter Berück¬
sichtigung physiologisch mechanischer Momente und auf Grund
der Erfahrung, dass das obere Oberschenkelbruchstück meist nach
oben und aussen verschoben ist, eine schiefe Ebene mit ent¬
sprechender Elevationsstellung (die Elevation entsprach etwa dem
Winkel, den das centrale Fragment mit der Unterlage bildete)
und Abduktion hinzugefügt. Wir hatten uns dazu einen beson¬
deren Apparat aus Holz mit kleinem Tischchen gebaut. Mit
diesem Apparat sahen wir bei Beibehaltung der hohen Gewichte
die Lähmungen noch dreimal, also etwas häufiger als vorher.
Einen dieser drei Fälle (siehe Fall 4) haben wir mit Nagel¬
extension behandelt, konnten darum eine Druckwirkung voll¬
kommen ausschliessen. Um nun festzustellen, ob die Schwere
der Gewichte oder die Elevation das Entscheidende dafür sei,
verfuhren wir so: Wir setzten einerseits die Gewichtsmenge her¬
unter bei gleichbleibender Elevation, andererseits behielten wir
die Gewichtsmenge bei und verringerten die Elevation. Im
ersten Falle sahen wir keine Lähmungen mehr, im zweiten Falle
änderte sich das Bild gegen früher nicht wesentlich. Auffallend
war uns, dass bei gestreckter Elevation schon bei mittleren Ge¬
wichten die Lähmnngen auftraten. Es musste also die Zug¬
wirkung bei dieser Anordnung stärker sein. Es standen also
Elevation und Gewichtsmenge in enger Beziehung zueinander.
Die Folge dieser Gewichtsverminderung war ein Mangel an
idealem Ausgleich der Längenverschiebung der Bruchstücke. Und
diesen Ausgleich wollten wir ja gerade durch die hohen Gewichts-
mengen erreichen! Durch die Arbeiten Zuppinger’s und seiner
Schule wurden wir dem Gedanken näher gebracht, dass bei einer
im Knie gebeugten Lage mit Elevation des Oberschenkels ohne
Besorgnis auch schwerere Gewichte wieder angewendet werden
dürften. Die Praxis hat uns darin recht gegeben 1 Lähmungen
blieben bis jetzt aus. Doch haben wir gerade diese letzte Me¬
thode noch nicht an einer genügenden Anzahl von Fällen ge¬
prüft, um uns ein endgültiges Urteil erlauben zu können.
Es sind zum Verständnis der ganzen Vorgänge ein paar kurze
anatomische Bemerkungen unerlässlich:
Der Nervus ischiadicus geht aus dem Lumbalis IV und V
ab, läuft an der Beckenschaufel entlang auf der Innenseite des
M. pyriformis, wendet sich dann an dem unteren Rande desselben
nach hinten und kommt aufObdurator und Gemelli und Quadratus
femoris und die grosse Adduktorengruppe zu liegen; darüber
(von hinten gesehen) liegt nur der Biceps und nach innen zu
daneben Semitendinosus, Semimembranosus, Gracilis. An der
Stelle, wo sich der lange Bicepskopf von dem Semitendinosus in
einem Winkel entfernt, tritt der Ischiadicus aus seiner Muskel¬
umhüllung heraus und teilt sich gleich dort in seine beiden Aeste,
den Tibialis und Peroneus commuuis. Wenige Centimeter unter¬
halb dieser Teilungsstelle geht von dem Peroneus der Cutaneus
surae lateralis ab und hält sich, bevor er in die Haut tritt, etwa
in dem äusseren Drittel der Kniekehle. Der Nervus peroneus
communis geht weiter an der Bicepssehne lang, schlingt sich
unten um das Fibulaköpfchen eng herum und verteilt sich von
da in seine entsprechenden Gebiete (s. Figur I).
Kniekehle nach Schultze.
Bi = M. biceps. s. t. = M. semitendinosus. s. m. = M. semimembranosus.
g = M. gracilis. A. p. = Arteria poplitea. V. p. = Vena poplitea.
N. Iscb. = N. Ischiadicus. P = N. peroneus, t = N. tibialis. Pc =
N. peroneus commuuis. c. s. 1. = N. cutaneus surae lateralis, c. s. m. =
N. cutaneus surae medialis. F = Fibulaköpfchen.
Genaue klinische Feststellungen der Sensibilität bei den be¬
troffenen Kranken führte uns nun zu einem endgültigen Resultat;
wir fanden, dass bei den Kranken, bei allen ohne Ausnahme,
nicht nur (s. Figur II) die Stelle des Peroneus superficialis und
profundus, sondern auch die Gegend der Ausbreitung des Nervus
cutaneus surae lateralis in allen Qualitäten gelähmt war. Motorisch
waren selbstverständlich sämtliche vom Peroneus versorgten
Muskelgruppen komplett gelähmt, also: Tibialis anticus für die
Dorsalflexion des Fusses, Extensor digitorum communis longus und
brevis und Extensor hallucis longus für die Grundphalangen der
Zehen sowie die Abduktion des Fusses und das Heben des äusseren
Fussrandes (Peronei). Zweifellos unbeteiligt blieb das Hautgebiet
des Nervus suralis und des Cutaneus surae medialis und Cutaneus
femoris posterior. Die dazugehörigen Muskeln waren ebenfalls
unbeteiligt.
In Verbindung mit der Anatomie hatten wir nun den Beweis
2 *
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UMIVERSITY OF IOWA
BERL1NKR K LINIS C HE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
5G
Figur II.
c. s. 1. = Nervus cutaneus surae lateralis, p. s. = Peroneus superficialis,
p. p. = Peroneus profundus.
klar vor Augen, dass die Schädigung unbedingt oberhalb der
Stelle am Köpfchen der Fibula liegen musste, da der Cutaneus
surae lateralis mitbeteiligt war, der etwa handbreit oberhalb der
Kniekehle aus dem Peroneus sich abzweigt. Wir glaubten darum
mit grosser Wahrscheinlichkeit die Schädigung auf den oberen
Teil des Ischiadicus selbst verlegen zu müssen, besonders da wir
wissen, dass der Ischiadicus an und für sich schon ein etwas
starrer Nerv ist und sehr nahe an einer knöchernen Unterlage
vorbei geht (Tuber ischiadicum) und nach Art des Lasegue’schen
Phänomens leicht Druckwirkungen ausgesetzt ist. Wir suchten
in der einschlägigen Literatur nach und fanden bei Oppenheim
und v. Strümpell sehr ausgiebig darauf hingewiesen, dass
Peroneuslähmungen häufig oder gar meistenteils der Ausdruck
von Schädigungen des Ischiadicusstaromes waren. Bs wurden in¬
sonderheit solche Lähmungen beobachtet bei Trendelenburg’scher
Hochlagerung, bei Esmarch’schem Schlauch, bei Stelzendruck, bei
Schlafen mit überschlagenen Beinen, nach ständigem Arbeiten in
hockender Stellung, nach Ueberanstrengung durch Näbmaschinen-
arbeit usw. In letzter Zeit wurde von Bade auf dem Ortbopäden-
kongress 1909 besonders darauf hingewiesen, dass solche
Lähmungen bei der Reposition von angeborenen Hüftverrenkungen
in etwa 2,5 pCt. der Fälle beobachtet worden sind. Er versuchte
a / 8 dieser Fälle auf Quetschung durch den Femurkopf und */s etwa
auf Zerrung bei der Einrenkung zurückzuführen.
Anatomische Untersuchungen haben auch gezeigt, dass der
Ischiadicus selbst bei seinem Austritt aus dem Becken bei ge¬
nauester Untersuchung bereits eine Art Teilung erkennen lässt,
und zwar so, dass der peroneale zum tibialen Abschnitt etwa sich
verhält wie 1:2. Hoffmann war geneigt, Peroneuslähmungen
bei Ischiadicusschädigung auf weniger günstige GefässVersorgung
dieses Nerven gegenüber dem Tibialis zurückzufübren. Im Tibialis¬
teil wurden etwa acht Gefässe gezählt, im Peronealteil genau ent¬
sprechend weniger. Wir hatten Gelegenheit, einen Fall zu beob¬
achten, der vielleicht auf diese Meinung bindeuten könnte (Fall 3);
ein Mann mit schwerer Arteriosklerose. Wir batten allerdings
bei diesem Manne auch verhältnismässig hohe Gewichte und
Elevationen angewandt.
Die Frage, warum gerade bei Zuglähmungen der Ischiadicus
gegenüber dem Femoralis bevorzugt werde, lässt sich einfach
anatomisch dadurch beantworten, dass der Femoralis in zahlreiche
weiche Unterlagen gebettet ist und somit leichter Zugwirkungen
ausweichen kann. Dass dieses aber nicht so ganz möglich ist,
beweisen die weiteren Ausführungen Bades, dass die Orthopäden
bei sehr forcierten Einrenkungsmanövern auch Lähmungen des
Femoralis und sogar Schädigungen am Rückenmark selbst ge¬
sehen haben. Für die Extensionsbehandlung an und für sich,
selbst wenn man ganz schwere Gewichte anwendet, kommen ja
wohl so grosse Kräftewirkungen gar nicht in Betracht.
Diese Ueberlegungen führten uns, glaube ich, unseren Fällen
von Lähmungen gegenüber, auf die richtige Fährte. Wir betrachten
sie als Folgen einer Ueberdehnung des Ischiadicusstammes und
machen dafür die hohe Gewichtsbelastung verantwortlich. Nun
waren allerdings nicht in allen Fällen extrem hohe Gewichte an¬
gewandt worden, in mehreren betrug die Belastung nur 20 bis
30 Pfund, d. h. cs bandelte sich uro ein mittleres Maass von
Belastung: dafür aber waren diese Frakturen gleichzeitig mit
Extension und Elevation behandelt worden: das Bein ruhte ge¬
streckt auf einer schiefen Ebene. Es ist klar, dass durch die
dadurch bedingte Beugung im Hüftgelenk ein neues Moment der
Dehnung des Nerven eingeführt war, so dass in dieser Lage auch
mittlere Belastung zu einem „zu viel w führen konnte.
Einen Beweis für die Richtigkeit unserer Anschauungen sehen
wir, wie oben gesagt, darin, dass Lähmungen nicht mehr beob¬
achtet wurden, seitdem wir extreme Gewichtsmengen überhaupt
nicht mehr anwendeten, diese namentlich bei Elevation in ge¬
streckter Lage vermieden und überhaupt auch bei Elevation durch
passende Lagerung und Apparate zur Extension in Semifiexion
übergingen, wobei der Ischiadicus entspannt wird.
Der Streckextension, wie sie früher allgemein angewandt
wurde, hafteten ja auch noch andere Schädigungen zuweilen an.
Am bekanntesten sind ja wohl: starke Muskelatropbien, Gelenk¬
steifigkeiten, Schlottergelenke usw.
Unsere fünf Fälle gestalteten sich im einzelnen etwa folgender-
maassen: die ersten beiden Fälle ohne, die letzten drei Fälle
mit Elevation und Abduktion behandelt.
Fall 1. A. K., Kesselschmied, 47 Jahre alt. Aufgenommen 11. IX.
1910. Entlassen 17. XI. 1910.
Der Bruch entstaud auf der Strasse nach Umfahren durch einen
Radfahrer; wie, ist unbekannt. Das rechte Bein war aussenrotiert, es
bestand eine subtrochanterc Fraktur, im Röntgenbild vom kleinen bis
zum grossen Trochanter gehend, keine Verkürzung. Die Achse bildete
einen nach innen offenen Winkel. Es wurde ein Streckverband ange¬
legt ohne vorherige Reposition, und mit 50 Pfund beschwert. Keine
Elevation, kein Kniekissen.
25. X. Peroneuslähmung komplett. Am Entlassungstage ist die
Frakturstellung gut, keine Verkürzung. Peroneuslähmung besteht noch,
wenn auch gebessert. Der Gang ist leicht hinkend. Die Nachunter¬
suchung nach s / 4 Jahren zeigte die Peroneuslähmung beseitigt.
Fall 2. J. N., Maler, 22 Jahre alt. Aufgenommen 17. VII. 1912;
noch nicht entlassen.
Sehr schwächlicher, magerer, etwa wie ein Tuberkulöser aussehender
Mann. Lungenbefund negativ. Der linke Oberschenkel ist in der Mitte
bajonettförmig abgeknickt in einem nach innen offenen Winkel. Auf der
Aussenseite des Oberschenkels eine mittelgrosse Wunde, die bis auf den
Knochen geht und eitrig belegt ist. (Die Fraktur ist schon einige
Tage alt.)
18. VII. Nagelexteusion am Calcaneus. Gewichte: 80 Pfund. Keine
schiefe Ebene. Seit etwa 1. VIII. Peroneuslähmung in oben beschriebener
Weise. Extension war erfolgt mit ganz kleinem Kniekissen, längs
im Bett.
10. XI. Peroneuslähmung noch deutlich nachweisbar, aber in Besse¬
rung begriffen. Heftpflasterstreckverband hatte ein Peroneusloch im
äusseren Extensionsstreifen.
Fall 3. K. K., Kürschner, 55 Jahre alt. Aufgenommen 19. XI.
1911. Entlassen 15. XI. 1912.
Stürzte beim Verlassen der Strassenbahn über seinen Schirm; wie,
unbekannt.
Auffallend gealterter Mann, dement, abends delirant. Schwere
Arteriosklerose. Fraktur rechts im oberen Drittel, quer; Aussenrotation;
nach innen offener Winkel; oberes Bruchstück nach aussen und oben;
6 cm Verkürzung. In Narkose Repositionsversuch und Heftpflasterstreck¬
verband. Lagerung mit Abduktion und Elevation, deren Winkel 35°.
Gewichtsmenge 36 Pfund. Der Verband rutscht oft ab, weil der Kranke,
nachts verwirrt, denselben abreisst.
26. XI. Peroneuslähmung; ausserdem fühlt sich die kleine Zehe
rechts kalt und blass an, die übrigen warm.
Heftpflasterstreckverband mit Peroneusloch im äusseren Extensions¬
streifen.
Später entwickelte sich aus diesem Zustand eine Gangrän der
vierten und fünften Zehe. Es wäre also bei diesem Falle nach der
oben geschilderten Meinung von Hoffmann erklärlich, bzw. nicht ganz
von der Hand zu weisen, dass es sich nebenbei auch um eine Schädi¬
gung der Gefässversorgung im Peroueusgebiet handeln könnte. Bei der
Entlassung war keinerlei Besserung festzustellen, was unsere letztere
Ansicht zu bestätigen schien.
Fall 4. A. F., Schüler, 11 Jahre alt. Aufgenommen 28. X. 1911.
Entlassen 26. III. 1912.
Stolperte über einen Stein, von einem anderen gestossen, und fiel
auf den rechten Oberschenkel. Rechter Oberschenkel in der Mitte quer
gebrochen; Verkürzung 4 cm. Oberes Fragment steht nach aussen und
oben; Winkel nach innen offen. Aussenrotation. Ohne Reposition Streck-
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
verband, der dreimal erneuert werden musste, weil der Kranke sehr un¬
ruhig ist. Gewichtsmenge etwa 26 Pfund.
28. XL wegen schlechier Stellung Refraktion und nachher Nagel¬
extension mit zwei Nägeln oberhalb der Condylen, Lagerung mit Ab¬
duktion und Elevation im Winkel von 30°. Gewichtsmenge 20 Pfund.
6. XII. Peroneuslähmung.
19. XII. Verkürzung aufgehoben, Nägel entfernt. Gipsverband nach
Dollinger.
2. XII. Fraktur fest, Peroneuslähmung noch komplett. Gipsver¬
band ab.
Bei der Entlassung keine Verkürzung; starke Muskelatrophie, Ver¬
steifung im Knie. Peroneuslähmung soweit gebessert, dass etwa die
Hälfte der Norm erreicht ist. Kein ausgesprochener „Steppergang“
mehr. Die Zehenabhebelung geschieht beim Gehen durch Adduktion des
Fusses und Circumduktion des Unterschenkels bei extremer Kniebeugung.
Nachuntersuchung vor einiger Zeit ergab die Peroneuslähmung beseitigt
bis auf eine geringe Schwäche der Dorsalflexion der grossen Zehe und
eine leichte Herabsetzung der Sensibilität im Peroneus superficialis. Die
Heftpflasterstreckverbände hatten ein Loch zum Peroneusschulz im
äusseren Extensionsstreifen.
Fall V. K. G., Arbeiter, 27 Jahre alt. Aufgenommen 7. VI. 1912.
Entlassen 7. VIII. 1912.
Von 3 m Höhe auf Steine seitlich mit dem Oberschenkel aufgefallen.
Linker Oberschenkel im oberen Drittel quer gebrochen; Aussenrotation;
5 cm Verkürzung. Oberes Fragment steht nach oben und aussen. Ohne
Reposition Heftpflasterstreckverband auf schiefer Ebene mit 30° Elevation,
Abduktion und 36 Pfund Belastung.
In den Extensionsstreifen Loch und Aussparung für Fibulaköpfchen
und Peroneus. Verbandwechsel zweimal. Nach 14 Tagen im Verbände
Massage uod Elektrizität.
12. VI. Beginn von Peroneuslähmung mit parästhetischen Erschei¬
nungen; erst sensibel und nur Peroneus superficialis, nachher Profundus
und Cutaneus surae lateralis.
14. VI. Komplett gelähmt, auch motorisch. Sämtliche andere Sen¬
sibilitätsgebiete frei.
17. VII. Verband entfernt, nachdem seit 18. VI. die Gewichte ver¬
mindert und die Elevation der schiefen Ebene verringert war. Nach¬
untersuchung 15. X.: Keine Verkürzung, Stellung der Bruchstücke gut,
Kniebewegung bis etwa *U der Norm. Typischer „Steppergang“. Es
besteht noch eine komplette Lähmung des ganzen Peroneus, sensibel
und motorisch, es hat aber den Anschein, als ob die Schwere der Sen¬
sibilitätsstörung bereits etwas geringer geworden wäre. Auch motorisch
ist eine Besserung insofern angedeutet, als bereits leichte Dorsalflexion
beginnt
Um ao dieser Stelle gleich noch zwei weiteren Einwänden
tu begegnen, ehe sie später gemacht werden, wollen wir folgendes
anführen: Erstens könnte man sagen, es handle sich bei Ent¬
stehung der Lähmung um eine lokale Schädigung durch den
Bruch selbst resp. durch entzündliche, reparatoriscbe Vorgänge
oder Narbenbildungen. Demgegenüber lehrt uns die Erfahrung
auch anderer Autoren, dass bei sich selbst überlassenen Brüchen
(es sind nur subcutane gemeint) keine Peroneuslähmung entsteht,
obwohl die erwähnten Vorgänge ja auch zur Heilung notwendig
siod. Zweitens könnte eine Zugwirkung nur am Peroneus als
Grund gerade dieses Lähmungstypus angenommen werden, fussend
auf der anatomischen Tatsache, dass nur er am Fibulaköpfchen
bindegewebig fest fixiert, der Tibialis dagegen in Muskelmassen
eingebettet ist. Dagegen führen wir nur an, dass der Cutaneus
surae lateralis mitbeteiligt ist, der circa handbreit darüber liegt
anf weicher Unterlage.
Wir wissen aber auch, dass der peroneale Teil im Iscbiadicus
näher dem Tuber ischiadicum liegt als der tibiale. Wenn nun
eine Zugwirkung den Stamm auf den Knochen drückt, so ist es
leicht denkbar, dass der Nerventeil auch zuerst gelähmt wird,
der am meisten dem Druck ausgesetzt ist. Für unsere Fälle
kommt dies aber nicht so recht in Betracht, da wir einen
solchen Druck ausschliessen können. In der Literatur sind ja
genügend Peroneuslähmungen beschrieben worden, die eine solche
Druckwirkung auf den Knochen direkt ausschliessen lassen, so
z. B. bei Tumoren an anderer Stelle, bei Esmarch’schem Schlauch,
bei Erkältungen u. a. m. Für die leichtere Vulnerabilität des
Peroneus gegenüber dem Tibialis gibt vielleicht der von Hoff-
mann geführte Hinweis auf die Gefässversorgung beider Nerven¬
teile im Stamm eine, wenn auch nicht ganz stichhaltige Er¬
klärung ab.
Was nun die Prognose dieser Lähmungen anlangt, so reichen
unsere Erfahrungen noch nicht so weit, um uns ein abschliessendes
Urteil zu erlauben. Fall 1 ist völlig wieder gut geworden;
Fall 2 bessert sich; Fall 3 zeigt, wie wir erwarteten, absolut
keine Aenderung der Erscheinungen; Fall 4 ist fast ganz geheilt,
bis anf die erwähnte Schwäche. Beim Gehen merkt man fast nichts
■ehr. Fall 5 fängt an, sich zu bessern, wie wir oben gesehen
haben.
5 1
Nach unseren Erfahrungen bis jetzt gehört rund ein Jahr
dazu, bis sich die Lähmung wieder restituiert hat. Das ent¬
spricht auch den Erfahrungen der Neurologen bei ähnlichen
peripheren Nervenerscheinungen. Wir würden also die Prognose
im allgemeinen als relativ günstig biostellen, vorausgesetzt,
dass zeitig genug eine sacbgemässe Behandlung eintritt.
Die Behandlung dieser Fälle wurde bei uns in folgender
Weise ausgeführt: Neben der üblichen Art der Massage wandten
wir an Heissluft und Uebungen, bis zur Schmerzgrenze allmählich
weitergeführt. Für die Nervenlähmung gaben wir selten und nur
ganz schwache Faradisation, dagegen im wesentlichen Galvani¬
sation mit Unterbrechungsstrom. Wir tun dies aus dem Grunde,
den auch die Neurologen anführen, dass lang angewandter
Faradisationsstrom zu Kontrakturen führen kann. Für das Gehen
lassen wir einen Spitzfussschuh konstruieren, weil bei längerem
Bestehen solcher Lähmungen sich Kontrakturen und eine Ver¬
kürzung der Achillessehne entwickeln könnte.
Vor allen Dingen sind wir auch auf Grund dieser un¬
angenehmen Erfahrungen zu dem Prinzip der Zuppinger’schen
Hemiflexionsmethode übergegangen, indem wir unsere Elevations¬
schiene im Knie abknickten, den unteren Teil zum Bett etwa io
45° neigten und den oberen Teil für den Unterschenkel dem Bett
parallel laufen Hessen. Die Kniekehle wurde freigelassen, indem
wir Ober- und Unterschenkel polsterten bis etwa handbreit um
die Kniekehle, und indem wir ein Loch an der abgeknickten Stelle
des Brettes einschnitten. Wir haben bei dieser Behandlung eine
Lähmung nicht mehr gesehen und konnten zugleich das Vorteil¬
hafte konstatieren, dass Fuss und Hüfte nach Abnahme des Ver¬
bandes völlig beweglich waren und das Knie völlig gestreckt und
bis 45° sofort gebeugt werden konnte ohne wesentliche Schmerzen.
Literatur.
1. Bade, Ueber Lähmungen im Anschluss an Reposition der an¬
geborenen Hüftverrenkung. Verhandlg. d. deutschen Gesellsch. f.
orthopäd. Chir., 1909, und dortige Autoren an gaben. — 2. Barden¬
heuer und Graessner, Die Behandlung der Frakturen. — 3. Die¬
selben, Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie, 1910, Bd. 1, und
178 Literaturnummern dort. — 4. Bergmann, Handbuch der prak¬
tischen Chirurgie, 3. Aufi. — 5. Brösike, Lehrbuch der Anatomie des
Menschen, 1903. — 6. Grüne, Behandlung der Oberschenkelhals- und
Schaftbrüche mittels Bardenheuer’scher Längsextension. Verhandlg. d.
deutschen Gesellsch. f. Chir., 1912. — 7. Henschen, Die Extensions¬
behandlung. Tübingen 1908 und dort franz. Autoren. — 8. Hoffa,
Lehrbuch der Frakturen und Luxationen. 1904. — 9. Heusner, Zur
Eitensionsbehandlung der Beinbrüche. Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 8, und dort referiert: Lienhardt. — 10. Landois, Lehrbuch
der Physiologie des Menschen, 1900, S. 602 ff. und 709ff. — 11. Op¬
penheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 1905, S. 473 ff. —
12. Schuchardt, Ueber die Behandlung der subcutanen Knochenbrüche.
Deutsche Aerzteztg., 1909, H. 9. — 13. Schultze, Grundriss der topo¬
graphischen Anatomie, 1903. — 14. v. Strümpell, Lehrbuch der
inneren Krankheiten, 1904, Bd. 3. — 15. Told, Anatomische Atlanten,
1903. — 16. Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie, 1901.
Aus der Chirurg. Privatklinik von Dr. A. Schlesinger
in Berlin.
Zur chirurgischen Behandlung des Morbus
Basedowii.
Von
Dr. Artknr Schlesinger-Berlin.
(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft
am 4. Dezember 1912.)
Die operative Behandlung des Morbus Basedowii ist eine
ziemlich junge Errungenschaft der modernen Chirurgie. Zwar
bat Rebn schon 1884 einen Fall von Basedowscher Krankheit
operiert; ein allgemeines Interesse jedoch fand die Methode erst
Ende der neunziger Jahre, als die 1887 aufgestellte Möbius’sche
Theorie von der primären Rolle der Schilddrüse, bestehend in
einer Hyperfunktion derselben, allmählich mehr und mehr An¬
hänger gewann.
Im Laufe der Zeit hat die chirurgische Behandlung sich
immer mehr Bahn gebrochen, und es fehlt heute nicht an Chir¬
urgen, die „früheste Prühoperation“ als beste Behandlungsmethode
der Basedowschen Krankheit empfehlen.
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UNIVERSUM OF IOWA
ßfi
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Mein Material, an dessen Hand ich Ihnen heute über einige
Beobachtungen berichten möchte, umfasst 20 operierte Fälle. Un¬
gefähr die Hälfte davon möchte ich als schwere Fälle bezeichnen,
die übrigen, 2 ausgenommen, sind mittelschwere, bei denen allen
die Beschwerden seit längerer Zeit bestanden. Weniger als ein
halbes Jahr vor der Operation hatte die Krankheit in keinem
Falle gedauert.
Alle Patienten waren schon längere oder kürzere Zeit
(Minimum 2 Monate) innerlich behandelt worden.
In den meisten Fällen war die Schilddrüse ziemlich gleich-
mässig in ihren beiden Hälften vergrössert, in einem Falle war
nur ein vergrösserter Mittel lappen vorhanden.
In 3 Fällen hielt sich die Vergrösserung der Schilddrüse in
mässigen Grenzen, jedoch waren die nervösen Symptome und die
von seiten des Herzens sehr ausgesprochene.
Sogenannte „formes frustes“ sind unter den Fällen nicht vor¬
handen. Ueberall waren die Hauptsymptoroe deutlich, wenn auch
nicht immer in höherem Grade ausgesprochen, insbesondere die
charakteristische nervöse Unruhe, die ja für die meisten Patienten
der Hauptgrund der Zustimmung zur Vornahme der Operation ist.
Erwähnen möchte ich, dass ich bei der Untersuchung der
Fälle immer auf eine etwaige Vergrösserung der Thymusdrüse
geachtet habe, zum Teil auch deswegen Röntgendurchleuchtungen
vornahm, da nach vieldiskutierten Anschauungen (Schnitzler,
Capelle) der postoperative Tod nach Basedowoperationen mit
einer persistierenden Thymus im Zusammenhänge steht und es
sogar nach Garrö einen thymeogenen Morbus Basedowii gibt.
Ich kann nicht sagen, dass ich in meinen Fällen auch nur
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (die Diagnostik dieses Zu¬
standes ist ja eine sehr unsichere) eine persistierende Thymus
nachweisen konnte.
Als Operationsmethode wurden angewandt: zweimal Exstirpation
eines Lappens und Exzision eines Teiles der anderen Hälfte, in den
übrigen Fällen Halbseitenexstirpation, grösstenteils -f- Fortnahme des
Jsthmus bzw. Mittellappens, einmal Exstirpation nur eines isolierten Mittel¬
lappens. Die Operationen wurden sämtlich unter Lokalanästhesie mit
Va proz. Novocainsuprareninlösung ausgeführt. Die Anästhesie war in
der Regel vollkommen, jedoch reichte sie in einigen Fällen nicht ganz
aus. Der Vorteil der Lokalanästhesie gerade bei dieser Operation ist
aber so gross, sowohl wegen der bequemen Durchführbarkeit der Asepsis
als wegen der sicheren Vermeidung der Recurrensverletzung und der
Gefahren der besonders bei diesen Operationen unangenehmen Narkose,
dass ich mich trotz eines gelegentlichen Misserfolges, wo eine geringe
Menge Aether genügte, um die Kranken zu beruhigen, nicht entschliessen
konnte, die Methode aufzugeben.
Immer wurde die A. tbyreoidea superior zuerst unterbunden, später
vor der Ablösung der hinteren Schilddrüsenwand die A. thyreoidea
inferior, so dass ich den Recurrens fast nie zu Gesicht bekam.
An Komplikationen während dor Operation habe ich eine sehr
schwere Blutung beim Auslösen des unteren Pols erlebt, die sich aber
schliesslich durch Abklemmen stillen liess. Es wurde regelmässig ein
Jodoformgazetampon in die Wunde eingeführt, der am zweiten bis
vierten Tage entfernt und dann durch keinen neuen ersetzt wurde.
Im Verlaufe der Nachbehandlung trat einmal eine sehr schwere
Nachblutung infolge Abgleitens einer Ligatur der A. thyreoidea superior
auf, die durch Oeffnen der Wunde, Ausräumung der Blutgerinnsel und
Unterbindung gestillt wurde. In der Folge habe ich die Thyreoidea
dann immer doppelt unterbunden. Sonst habe ich keine erheblichen
Störungen des Befindens beobachtet.
Einmal trat eine mehrere Wochen dauernde Aphonie auf; da ich
aber bei der Operation immer die Phonation prüfte und so sicher war,
dass der Recurrens unverletzt, machte mir die Störung weiter keine
Sorgen. Nach einiger Zeit ging dieselbe auch zurück.
Was nun die Resultate betrifft, so ist ein Todesfall nicht zu
verzeichnen.
17 Patienten konnte ich teils nachuntersuchen, teils Nachricht
über ihr Befinden erhalten.
Die anderen 3 Patienten, über die ich später nichts erfahren
konnte, befanden sich noch ein halbes Jahr nach der Operation
gut und fühlten sich erheblich gebessert.
Von den übrigen sind ganz geheilt 3 (Fall 1—3), alle über
2 Jahre (wozu ich bemerke, dass die subjektiven Erscheinungen
vollkommen verschwunden sind, jedoch noch ganz leichte objektive
Störungen bestehen, etwaige Steigerung der Pulsfrequenz, etwaiger
Exophthalmus). Fast geheilt, d. h. subjektiv und objektiv sehr
geringe Symptome zeigend, sind 4 (Fall 4—7), dazu zähle ich 2
vor weniger als 2 Jahren operierte. Darunter sind zwei be¬
merkenswertere Fälle:
1. (Fall 4). Eine 35 jährige Frau, die immer ein wenig nervös war,
erkrankt Anfang 1908 mit leichtem Exophthalmus, mässiger Vergrösserung
der Schilddrüse und starken nervösen Erscheinungen (Schlaflosigkeit,
Unruhe, Herzklopfen). Die nervösen Erscheinungen nehmen zu und
führen allmählich zu einer schweren Psychose paranoisch-maniakaliachen
Charakters. Es bestehen dauernde Aufregungszustände; Patientin ver¬
lässt nachts das Bett;, läuft schreiend aus dem Zimmer usw. An¬
fang 1910 wird sie in meiner Abwesenheit an einer Perityphlitis operiert,
steht während dieser Zeit dauernd unter strenger Bewachung; trotzdem
gelingt es ihr, einmal den Widerstand der Schwester zu überwinden
und aus dem Bette zu gehen, glücklicherweise ohne Schaden zu nehmen.
Auch später bestanden dieselben psychotischen Zustände dauernd weiter.
Ich konnte mich zuerst nicht zu der Auffassung entschliessen, dass die
Psychose mit der Basedow’schen Krankheit in ursächlicher Verbindung
stände und wurde darin durch einen hinzugezogenen Neurologen bestärkt.
Als aber die objektiven Basedowsyraptome (Struma, Tacbycardie) Zu¬
nahmen, konnte man sich der Möglichkeit eines Zusammenhanges beider
Erkrankungen nicht mehr verschliessen. Ich schlug den Angehörigen
die Operation vor, die dann auch ohne wesentliche Schwierigkeiten
ausgeführt wurde. Der Verlauf nach der Operation (Halbseitenexstir¬
pation) nun war sehr überraschend. Während wir mit hochgradigen
Erregungszuständen nach der Operation gerechnet hatten, war Pat. vom
ersten Tag an vollkommen ruhig, bot keine Spur von psychischer
Erregung, und es hat sich auch bis heute (Beobachtung 2 Jahre), ab¬
gesehen von der schon vorher bestehenden leichten Nervosität, nichts
wieder gezeigt. Pat. hat 20 Pfd. an Gewicht zugenommen. Die Puls¬
frequenz ist nur leicht erhöht. Tremor, Exophthalmus sind verschwunden.
Einen ähnlichen Fall finde ich in der französischen Literatur er¬
wähnt 1 ), eine seit 3 Jahren bestehende Psychose nach Halbseiten¬
exstirpation zurückging. Ich hatte mich lange Zeit zur Operation nicht
entschliessen können, weil einerseits (durch das Gutachten des Neuro¬
logen unterstützt) Zweifel bestanden, ob überhaupt ein direkter Zu¬
sammenhang zwischen Basedow und Psychose bestand, ausserdem es
aber fraglich erschien, ob bei der ziemlich heruntergekommenen Patientin
durch die Operation nicht eine Verschlimmerung der Psychose hervor¬
gerufen werden könnte. Erst das überraschende unmittelbare Resultat
klärte uns über die Natur der Krankheit auf, und wenn ich auch nicht
mit absoluter Sicherheit das post hoc propter hoc aussprechen möchte,
so dürfte doch, soweit wir überhaupt imstande sind, eine Sicherheit der
Aetiologie bei solchen Psychosen festzustellen, hier alles für den Zu¬
sammenhang von Ursache und Behandlung sprechen. Es scheint mir
dieses sofortige Verschwinden der Erregungszustände dafür zu sprechen,
dass nicht die Inanation der Patientin, wie ich erst, besonders auch
wegen der starken Gewichtszunahme nach der Operation, zu glauben
geneigt war, die Ursache der Psychose gewesen ist, sondern dass dieselbe
direkt durch ein im Körper kreisendes, von der Schilddrüse abgesondertes
Gift ausgelöst worden ist.
Der zweite Fall betrifft ein neunjähriges Mädchen, das von Geburt
an einen prominenten Schilddrüsenmittellappen von der Grösse, einer
kleinen Pflaume hatte. Anfang 1910 fing dieser Mittellappen an, sich
zu vergrössern und gleichzeitig stellten sich Symptome von Basedow¬
scher Krankheit ein: ein geringer Exophthalmus, eine mässige Tachy-
cardie, geringer Tremor und eine sehr starke nervöse Unruhe, verbunden
mit Schlaflosigkeit. Die Eistirpation dieses Mittellappens wurde April
1911 unter Lokalanästhesie vorgenommen. Das Präparat zeigte eine
Struma cystica. Seitdem haben die nervösen Erscheinungen vollkommen
aufgehört, das Kind schläft gut, hat noch eine kleine Spur Erhöhung
der Pulsfrequenz und eine Spur Exophthalmus.
Der Fall ist dadurch bemerkenswert, dass es sich um einen reinen
Fall von sekundärem Basedow handelt. Es ist mehrfach hervorgehoben
worden, dass solche Fälle ein wichtiger Beweis für die primäre Rolle
der Schilddrüse beim Basedow sind. Hier ist nun die Pathogenese voll¬
kommen eindeutig. Mit Wachsen des Mittellappens Auftreten der
klinischen Erscheinungen. Prompter Rückgang nach Exstirpation des
Lappens. Die Erscheinungen waren nicht sehr schwere. Das stimmt
mit Kocher’s Ansicht (1907) überein, dass der sekundäre Basedow meist
in mitigierter Form auftritt.
Es folgen nun sieben Fälle, die ich als erheblich gebessert
bezeichnen möchte. Nur nach dem subjektiven Befinden be¬
trachtet, könnten einige davon als fast geheilt gelten, jedoch be¬
stehen noch teilweise erhebliche objektive Abweichungen von der
Norm (Exophthalmus, Tachycardie). Diesen schliesst sich ein
Fall an, der gesondert zu betrachten ist (Fall 15).
Frau K., 40 Jahre alt, wird wegen schwerster Basedowscher Krank¬
heit (hochgradigster Exophthalmus, Puls 150, Verbreiterung des linken
Herzens, starker Tremor, Vergrösserung beider Mittellappen) im Jahre
1907 operiert, und zwar exstirpierte ioh den ganzen rechten und einen
kleinen Teil des linken Lappens. Pat. erholte sich nach der Operation
vorzüglich, nahm 24 Pfund an Gewicht zu, die Pulsfrequenz ging anf
110 herab. Exophthalmus war unverändert, ausserdem bestand auch
nach der Operation weiter ein schweres Asthma cardiale. Ich beob¬
achtete Pat. 2 Jahre, verlor sie dann aus den Augen. Als ich sie
später (1910) wiedersah, war ein sehr schweres Myxödem vorhanden. Die
Haut und das Unterhautzellgewebe hatten die charakteristische Be¬
schaffenheit; Arme und Beine waren erheblich verdickt; es bestand bei
der allerdings schon vorher nicht sehr intelligenten Patientin eine aus¬
gesprochene Demenz, und von der Schilddrüse, von der ich bei der
1) Delmas, Presse mödicale, 1910.
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13 Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Operation einen etwa männerfaustgrossen Teil des linken Lappens zurück¬
gelassen hatte, war nichts mehr zu fühlen. Ausserdem bestand eine
deutliche Tetanie (Chvostek’sches Phänomen). Unter Behandlung mit
Schilddrüsentabletten hat sich nun der Zustand wesentlich gebessert;
es sind heute nur noch Spuren von dem Myxödem und Spuren von der
Tetanie nachweisbar. Das Asthma ist versohwunden, der Puls fast
normal. Sehr interessant Ist, worauf mich Kollege Kurt Mendel, der
die Pat. mitbehandelte, aufmerksam machte, dass im Gesioht und am
Schädel Zeichen von Akromegalie vorhanden sind 1 )*
Was nun die Ursachen der Ausfallserscheinungen betrifft, so wäre
zuerst daran zu denken, dass ich zu viel Schilddrüse fortgenommen
habe. Jedoch sprachen gegen diese Aetiologie zwei Tatsachen: Erstens
habe ich den grösseren, etwa männerfaustgrossen Teil des linken
Lappens stehen lassen, und wenn ich auch glaube, dass man die zur
Funktionstüchtigkeit notwendige Menge Scbilddrüsengewebe nicht in
Gramm angeben kann (es ist von einigen Autoren gesagt worden: so
und so viel Gramm Schilddrüse müssen stehen bleiben), so kann man
doch sagen, dass die Fortnahme eines Lappens und der kleineren Hälfte
des anderen im allgemeinen keine üblen Folgen nach sich zieht. Zweitens
habe ich die Pat. 2 Jahre nach der Operation beobachtet und keine
myxödematosen Erscheinungen an ihr gesehen. Es ist nun höchst un¬
wahrscheinlich, dass zwischen Ursache (Fortnahme der Schilddrüse) und
Wirkung (Auftreten des Myxödems) ein Zeitraum von über 2 Jahren
liegt, wenn man auch berücksichtigt, dass das Myxödem eine chronische
Erkrankung im Gegensatz zur reinen Tetanie ist. Es ist offenbar eine
sekundäre Schrumpfung der Schilddrüse eingetreten, wie wir sie
ja z. B. absichtlich bei der Behandlung des Basedow mittels Arterien-
uuterbindung herbeifübren. Dass, wenn ausser der Unterbindung ein
Stückchen reseziert worden ist, leichter noch Atrophie eintritt, ist sehr
wahrscheinlich.
Interessant sind die Zeichen von Akromegalie bei der Pat.; das
würde also dafür sprechen, dass die Hypophysis für die Schilddrüse
vikariierend eingetreten ist, ein Beweis für die an anderen Organen ge¬
wonnene Anschauung, dass die Drüsen mit innerer Sekretion sich gegen¬
seitig teilweise ersetzen können.
Es sind schliesslich noch zwei Fälle (Fall 16, 17) zu er¬
wähnen, bei denen Recidive aufgetreten sind, das eine nach 2,
das andere nach 3 Jahren. Bei beiden trat nach vollständigem
Wohlbefinden von nenem nervöse Unruhe, Herzklopfen und Schlaf¬
losigkeit auf. Die zurückgebliebene Schilddrusenhälfte ist gegen
früher nicht sichtbar vergrössert. Die Beschwerden halten sich
jedoch in engen Grenzen, so dass sich beide bis jetzt zu einer
Operation an der anderen Seite nicht entschlossen konnten. Bei
der einen Patientin sind übrigens nach der letzten Untersuchung
die Beschwerden nach Arsen und Elektrisieren wieder zurück¬
gegangen.
Bei einem dritten in meiner Behandlung befindlichen Recidiv,
bei dem die erste Operation nicht von mir ausgeführt wurde,
trat zugleich mit Zunahme der Beschwerden eine starke Schwellung
des zurückgebliebenen Lappens auf.
Was die unmittelbaren Folgen der Operation anlangt,' so
batte ich erwähnt, dass ich auch in den schweren Fällen eine
vergrösserte Thymus nicht mit annähernder Wahrscheinlichkeit
feststellen konnte. Ich erwähne dies deswegen, weil in den
letzten Jahren die Beziehung der Thymus zum postoperativen
Basedowtod vielfach diskutiert wurden. Insbesondere von der
Garre’scheo Schule (Capelle) wurde die Meinung ausgesprochen,
dass eine persistierende Thymus die häufigste Ursache dieses
Todes sei. Jedoch möchte ich aus der Tatsache, dass ich einer¬
seits keinen Todesfall und keine schweren postoperativen Er¬
scheinungen hatte, andererseits keine vergrösserte Thymus kon¬
statieren konnte, keine weiteren Schlüsse ziehen. Erstens ist die
Diagnose der Thymusvergrösserung eine ziemlich unsichere, so
dass ich nicht behaupten möchte, nicht doch eine unter meinen
Operierten gehabt zu haben; zweitens haben die Arbeiten der
letzten Jahre (Gebele nsw.) immer mehr gezeigt, dass die
Thymusvergrössemng im allgemeinen nicht die Ursache des Basedow¬
todes, sondern nur eine kompensatorische ist, also im grossen
und ganzen nur bei manchen schweren Fällen vorkommt.
Eine zweite Theorie des postoperativen Basedowtodes will
ich, soweit sie in Beziehung zu meinem Material steht, noch er¬
wähnen; das ist die heute ziemlich verlassene von der akuten
Resorption von Schilddrüsensaft. Besonders wird gegen diese
Lehre angeführt, dass auch nach Operationen an anderen Organen
(als der Schilddrüse), die bei Basedowkranken ausgeführt werden,
dieselben schweren Zustände wie nach Eingriffen an der Schild¬
drüse selbst beobachtet werden; sie bestehen in Anfregungs-
1) Der Blutbefund (Dr. G. Wolfsohn) ergab 35pCt. Lympbocyten,
also noch eine Erhöhung der Zahl, und normale Blutgerinnungszeit. (Die
Blutgerinnungszeit ist nach Ko oh er im Gegensatz zum Basedow beim
Myiödem niedriger als normal.)
zuständeD, Benommenheit, Herzklopfen, Irregularität des Pulses,
Schweiss, Erbrechen, DyspnÖe, hohem Fieber und führen in einer
gewissen Anzahl von Fällen zum Tode.
Ich glaube nun doch, dass als Ursache für diese gefürchteten
Zustände, wenigstens in manchen Fällen, eine akute Resorption
von Schilddrüsensaft nicht von der Hand zu weisen ist. Kocher
hat 1907 darauf aufmerksam gemacht, dass bei schonenden
Manipulationen mit dem Kropfrest man im allgemeinen diese
schweren Zustände vermeiden könnte. Ich habe ebenfalls, ab¬
gesehen von dem nach jeder Kropfoperation auftretenden hohen
Fieber, keinmal solche Zustände gesehen. Ich glaube, dass es
vielleicht ausser dem schonenden Umgehen noch von Wichtigkeit
ist, eine möglichst wenig offene Schilddrüsenschnitifläche zu
schaffen, also eine möglichst kleine Resorptionsfläche zu geben.
Zu dieser Ansicht wurde ich veranlasst durch einen Vergleich
mit dem von Reinbach veröffentlichten Mikulicz’schen Material,
wo bei 18 Operationen fünfmal solche schweren Erscheinungen
eintraten, während sonst solche Zustände heute anscheinend zu
den seltenen Vorkommnissen gehören. Mikulicz führte die
Resektion aus, wobei sehr grosse Schilddrüsenwundflächen ge¬
schaffen werdeD, während bei der Technik der meisten anderen
Operateure dieser Uebelstand vermieden wird. Auch aus anderen
Gründen, auf die ich hier nicht eingehen will, wird die Resorption
heute ziemlich allgemein verworfen. Ich meine nun, dass der
eben besprochene Vorwurf zu den anderen Einwänden hinzukommt,
und dass es doch nicht von der Hand zu weisen ist, dass die
akute Resorption von Schilddrüsensaft bei der Aetio¬
logie der postoperativen Erscheinungen bzw. Todesfälle
eine gewisse Rolle spielt 1 ).
Kommen wir nun zur Wahl der zweckmässigsten Operations¬
methode, so haben wir heute in der Hauptsache zwei An¬
schauungen, die sich aber nicht sehr scharf trennen:
1. die einen bevorzugen die Halbseitenexstirpation in der
Regel -f- Ligatur der A. thyreoidea superior der anderen
Seite;
2. das von Kocher inaugurierte allmähliche Vorgehen, be¬
sonders bei schweren Fällen.
Da nun aber auch Kocher, wie aus einer Mitteilung von
A. Kocher 2 ) hervorgebt, nur in etwa einem Drittel seiner Fälle
mehrzeitig operiert, so kann man sagen, dass die beiden Richtungen
in der Praxis nicht gar so weit auseinandergehen.
Zweifellos ist nun, wie eine grosse Menge operierter Fälle
beweisen, dass in einem grossen Teil derselben mit der einfachen
Halbseitenexstirpation gute Resultate zu erzielen sind.
Andererseits gilt heute ganz allgemein der Satz, dass das
erreichte Heilresultat proportional ist dem durch die
Operation erreichten Grade der Schilddrüsenver-
kleinerung.
Hier ergeben sich nun aber gewisse Widersprüche: Nach
Kocher soll man dort, wo ein Teil der Schilddrüse, insbesondere
in bezug auf die Gefässerscbeinungen (Vascularisation) vor den
übrigen Partien ausgezeichnet ist, bei der Operation diesen an¬
greifen. Nun ist aber doch in einer sehr grossen Anzahl von
Fällen kein so deutlicher Unterschied zwischen den einzelnen
Teilen bzw. beiden Seiten nachzuweisen; so konnte ich bei meinen
Operierten kaum in 5 Fällen eine deutliche Differenz zwischen
den beiden Seiten feststellen.
Die Heilung der halbseitig Operierten ist nun dort erklärt,
wo die A. thyreoidea der anderen Seite unterbunden worden ist.
Hier findet infolge der schlechteren Ernährung eine Schrumpfung
der unterbundenen Seite statt, die das Resultat erklärt. Dort
aber, wo bei gleicher Grösse beider Lappen überhaupt nur an
einer Seite operiert wurde, ist das vielfach beobachtete Vor¬
kommen von vollkommener oder fast vollkommener Heilung nicht
recht erklärt.
Wenn eine Hälfte der Schilddrüse entfernt wird, so neigt
nach allgemeiner Anschauung und nach experimentellen Unter¬
suchungen (Beresowsky) die übriggebliebene Hälfte zur Hyper¬
trophie. Ich glaube nun, dass diese Experimente, die an normalen
Schilddrüsen ausgeführt wurden, nicht ohne weiteres auf die
Basedowschilddrüse übertragen werden können.
1) Vielleicht handelt es sich hierbei um Zustände, die mit der
Anaphylaxie in Parallele zu setzen sind, eine Vermutung, auf die zuerst
G. Wolfsohn (Deutsche med. Wocbenscbr., 1912) aufmerksam gemacht
bat. Es wäre dann dieser plötzliche Zustand etwa einem anaphylak*
tischen Shock vergleichbar.
2 Münchener med. Wochenschr., 1912.
3*
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Zur Erklärung der Heilung der halbseitig Operierten (selbst¬
verständlich kommen nur solche in Betracht, wo vor der Operation
eine gleichmässige Affektion beider Hälften äusserlich festzustellen
war) müsste man annehmen, dass man zufällig die kranke (nur
äusserlich in ihrer Erkrankung nicht erkennbare) Hälfte ex-
stirpiert hat. Nun konnte ich aber bei mehreren Fällen, bei
dreien sicher, bei einigen anderen so, dass ich es nur als wahr¬
scheinlich hinstellen möchte, folgendes beobachten: Einige Zeit
(V2 —1 Jahr) nach der Halbseitenexstirpation nahm
die nicht operierte Hälfte deutlich an Volum ab.
Selbstverständlich kann daa nicht als Regel aufgestellt
werden; das zeigen ja sowohl die manchmal schon nach kurzer
Zeit auftretenden Recidive als die öfter notwendig werdende
weitere Verkleinerung der Drüse nach vorheriger Halbseiten¬
exstirpation; jedenfalls aber gibt es Fälle, wo eine solche sekun¬
däre Atrophie ganz deutlich zu beachten ist. Ueber den Pro¬
zentsatz, in welchem dies der Fall ist, möchte ich mich nach
meinem relativ kleinen Material nicht weiter äussern. Bei der
Erklärung für diesen Vorgang müssen wir uns auf Vermutungen
beschränken; ich nehme an, dass hier vielleicht nervöse Einflüsse
eine Rolle spielen, und dass das geschilderte Verhalten ein Reflex¬
vorgang ist, ausgelöst von der Stelle der Operation. Es er¬
scheint jedenfalls auffallend, dass sich keiner meiner halbseitig
Operierten „zu Ende“ operieren lassen wollte, weil sie alle von
dem Resultat der Operation befriedigt waren.
Andererseits geben auch nach Kocher manchmal mehrfach
operierte Fälle keine befriedigenden Resultate, ebenso wie ein¬
seitig operierte gute Resultate geben.
Eine weitere Tatsache schliesslich ist ebenfalls nicht mit
Satz von dem Parallelismus der Masse der entfernten Schild¬
drüsenmenge und Heilresultat in Einklang zu bringen, das sind
Recidive, die ohne neuerliche Vergrösserung der Schilddrüse ein¬
hergehen, wie es z. B. zwei Fälle meines Materials sind, während
bei anderen Recidiven deutlich eine Zunahme an Volum zu kon¬
statieren ist.
Kurz zusammengefasst möchte ich also sagen, dass meiner
Ansicht nach der Satz, dass die Masse der entfernten Schild¬
drüse parallel ist dem erreichten Heilresultat, gewisse Ein¬
schränkungen erfordert. Gegen seine allgemeine Gültigkeit
spricht:
1. Sehr viele gute Resultate nach einfacher Halbseiten¬
exstirpation trotz äusserlich gleichmässigem Ergriffensein beider
Lappen.
2. Vorkommen von Atrophien der zurückgelassenen Schild¬
drüsenhälfte nach Operation der anderen Seite.
Dazu kämen noch, was nicht allzuselten zu beobachten ist,
gute Resultate nach Strumektomie bei Basedowkranken, deren
Schilddrüsenhypertrophie relativ gering ist und in keinem Ver¬
hältnis steht zu den schweren Allgemeinerscheinungen.
Die praktische Folgerung aus diesen Beobachtungen möchte
ich vor allem darin sehen, dass wir uns doch vielleicht in einer
grösseren Anzahl von Fällen als es bisher den Anschein hatte,
mit einem einmaligen einseitigen Eingriff begnügen können. Eine
Inangriffnahme beider Seiten ist, wenn auch auf der einen Seite
nur eine Arterienunterbindung gemacht wird, doch immerhin ein
grösserer Eingriff als eine einseitige Operation. Wenn auch die
operative Mortalität, hauptsächlich wohl, weil wir heute die
Fälle früher in Behandlung bekommen, ganz enorm zurück¬
gegangen ist, so ist doch die Schilddrüsenoperation bei einer
Basedowkranken nicht so ungefährlich wie eine gewöhnliche
Strumektomie, und es scheint, dass die geringste Mortalität die¬
jenigen Operateure haben, die sieb, wenn möglich, mit kleineren
Eingriffen begnügen. Deswegen soll nicht gesagt sein, dass es
nicht manchmal nötig ist, später die andere Seite zu operieren,
bzw. an eine Unterbindung eine Ektomie anzuschliessen, aber ich
glaube, dass man doch, wenn überhaupt ein Erfolg der ersten
Operation zu konstatieren ist, erst nicht allzu kurze Zeit ab-
warten soll, ob nicht (bedingt durch die oben beschriebene
sekundäre Atrophie) die Erscheinungen weiter von selbst zurück¬
gehen. Das scheint mir auch aus dem Kocher’scben Material
(A. Kocher, 1910) hervorzugehen, da in ca. 18 pCt. der Fälle, bei
denen eine mehrzeitige Operation in Aussicht genommen war, die
zweite Operation sich nachträglich als nicht mehr nötig erwies;
andererseits hatten in ebenfalls ca. 18 pCt. auch mebrzeitige Ope¬
rationen nicht den gewünschten Effekt. Vielleicht wäre noch ein
weiterer Prozentsatz ohne zweite Operation geheilt worden, wenn
nicht der vorher bestimmte Plan ausgeführt worden wäre,-
die Patienten nach einem halben oder einem Jahre weiter zu
operieren.
Auch der Amerikaner Mayo, der über ein sehr grosses
Material verfügt, bevorzugt nach seiner letzten Mitteilung (Journ.
of americ. assoc., 6. Juli 1912) im grossen und ganzen kleine
Eingriffe. In ca. 35 pCt. hat er sich mit einer einfachen, ein¬
seitigen Ligatur der Thyreoidea begnügt; in einer relativ klei¬
nen Zahl der Fälle war es nötig, eine zweite Operation anzu-
scbliessen.
Schliesslich komme ich zu der Frage, wann man überhaupt
den Basedow operieren soll. Es herrscht darin beute wohl so
ziemlich Einigkeit unter den Chirurgen, dass man, wenn nach
einiger Zeit interner Behandlung keine Besserung eintritt, die
Operation vorschlagen soll. Natürlich lässt sich ein Schema
nicht aufstellen. Je nach Temperament, Sicherheit der Technik
usw. schreitet der eine früher, der andere später zur Operation.
Solchen, die einen mehr konservativen Standpunkt einnehmmen,
stehen andere gegenüber, die die „früheste Früboperation“ für
das beste halten.
Jedenfalls spricht die Tatsache, dass die Todesfälle, eine
richtige Technik vorausgesetzt, fast ausschliesslich die schweren
Fälle betreffen, und die Operation bei nicht zu sehr vorgeschrittener
Erkrankung eine fast ungefährlicheist, dafür, dass wir keines¬
falls zu lange warten, bis die gefürchteten Gefäss- und Herz-
veränderungen ein treten, und lieber zu früh als zn spät
operieren sollen.
Deshalb ist es auch angezeigt, bei Fällen, die, ohne vorher
behandelt worden zu sein, erst in späteren Stadien zur Beob¬
achtung kommen, keine Zeit erst mit interner Therapie zu ver¬
lieren, sondern sofort zur Operation zu schreiten. Einen erheb¬
lichen Einfluss auf unser Verhalten übt das soziale Moment. Bei
Patienten, die sich schonen und monatelang in Bädern und Luft¬
kurorten verbringen können, ist es natürlich eher am Platze, noch
einen Versuch mit konservativer Behandlung zu wagen, als bei
Kranken der arbeitenden Klasse. Ich möchte jedoch beinahe be¬
haupten, dass die letzteren manchmal besser daran sind, weil sie
sich im allgemeinen eher zur Operation entschliessen und nicht erst
die ganze Musterkarte der empfohlenen inneren Mittel durch¬
probieren müssen und auf diese Weise die Krankheit nicht so
lange verschleppen, bis die Operation eine gefahrvolle ist.
Die Resultate eigentlicher Heilung werden heute sehr ver¬
schieden angegeben; so erwähne ich nur, dass Kocher 75 pCt.
Heilungen angibt, während Garrö nur 15 pCt. hat. Vielleicht
liegt dies zum Teil daran, dass sich bei Kocher’s weltbekannten
Autorität die Patienten eher zu einer zweiten und dritten Operation
entschliessen als anderswo. Trotzdem ist aber hier noch vieles
nicht geklärt. Im allgemeinen kann man sagen, dass man in der
grossen Mehrzahl der Fälle durch die Operation eine wesentliche
Besserung der Erscheinungen erzielen kann.
Immerhin aber müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es
eine Reihe von Fällen gibt, die wir durch operative Behandlung,
auch durch mehrzeitige Operationen nicht beeinflussen können.
Warum in solchen einzelnen Fällen die Operation nichts nützt,
während sie in anderen vorzüglich wirkt, ist vorläufig durchaus
unklar, und wir haben auch kein Mittel, das vorher bestimmen zu
können. Es sind zam Teil die schwersten Fälle mit vorge¬
schrittenen Herz- und Gefässveränderuogen, zum Teil aber auch
Fälle, wo solche Momente nicht vorliegen. (Dass ich bei meinen
Fällen keinen eigentlichen Misserfolg habe, betrachte ich als
einen glücklichen Zufall.)
Ebenso ist immer zu berücksichtigen, dass es andere Fälle
gibt, die durch innere Therapie oder spontan gebessert werden,
vielleicht sogar heilen, eine Tatsache, die meiner Ansicht nach
gegen einen allzu radikal chirurgischen Standpunkt in der Frage
spricht.
Jedenfalls dürfte bezüglich der chirurgischen Basedowbehand¬
lung das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Die operative
Therapie hat eine Reihe neuer Probleme gezeitigt, die keineswegs
heute schon als gelöst gelten können. Wir sind zwar durch die
operative Behandlung mit Zuhilfenahme der experimentellen
Forschung in der Einsicht in das Wesen der merkwürdigen Krank¬
heit ein gut Teil weiter gekommen, aber aus jeder anscheinend
geklärten Frage ergeben sich immer wieder neue Probleme, deren
vollständige Lösung wohl noch viel Zeit und Mühe in Anspruch
nehmen dürfte.
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
61
Aus der Kgl. dermatologischen Universitätsklinik zu
Breslau (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neisser).
Das Ehrmann’sche Froschaugenphänomen im
Blutserum von Psoriasiskranken.
Von
Arthur Sommer, Medizinalpraktikant.
Trotz zahlreicher Versuche, einiges Licht in die immer noch
dunkle Psoriasisätiologie zu bringen, liegen einwandfreie Resultate
bisher noch nicht vor.
Deswegen sind Beobachtungen interessant, die ich bei der
Einwirkung von Blutserum an Psoriasis leidender Menschen auf
Froschaugenpupillen gemacht habe.
Gleich die ersten drei Versuche zeigten, dass die Frosch¬
augenpapillen in dem Serum normaler Menschen sich bald
erweiterten, während die Papillen im Serum an Psoriasis
Leidender eng blieben. Ich habe die Zahl meiner Versuche auf
21 gebracht, und alle 21 Fälle haben diese Reaktion einwandfrei
und eindeutig ergeben; die meisten Versuche habe ich den Herren
in der Klinik gezeigt; sie haben, ohne vorher zu wissen, welches
Ange im Normalserum und welches im Psoriatikersernm lag, stets
das Auge im Normalserum grösser gefunden. Als Kontrollsera
verwertete ich das Blutserum teils vollkommen gesunder Menschen,
teils von Patienten, die an Gonorrhöe, Lues, Ulcera mollia und
Lupus litten. Interessant ist es, dass diese Reaktion für Psoriasis
spezifisch zu sein scheint; denn das Blutserum von Patienten, die
an Dermatitis herpetiformis, Lichen chronicus Vidal, Lichen ruber
planus, Prurigo, Ekzem litten, ergab diese Reaktion nicht.
Die Ausbreitung der Psoriasis scheint auf die Reaktion einen
quantitativen Einfluss zu haben; denn das Serum von Patienten,
die fast vollkommen mit Psoriasiseffloreszenzen bedeckt waren,
ergab gar keine Erweiterung der Pupille, während die Frosch¬
augenpapille in dem Serum von Kranken, die nur an wenig aus¬
geprägter Psoriasis litten, im Verhältnis zu den Froschaugen¬
pupillen im Normalserum zwar deutlich kleiner blieben, aber
doch auch eine gewisse Vergrösserung aufwiesen.
Die Technik der Herstellung dieser Reaktion ist eine äusserst
einfache:
Dem Frosch werden nach Durchschneiden der Wirbelsäule
und Zerstörung des Rückenmarks beide Augen enucleiert und in
physiologische Kochsalzlösung gelegt. Die Pupillen, die im
lebenden Frosch weit waren, werden sofort eng. Man legt nun
das eine Auge in das Serum normaler Menschen, das andere in
das Serum an Psoriasis Leidender. Schon nach ungefähr 5 bis
10 Minuten tritt an der Papille des Auges im Normalserum eine
deutliche Erweiterung ein, während die Pupille des Auges im
Psoriatikerserum vollkommen eng bleibt. Erst nach ungefähr
einer halben Stunde erweitert sich auch die Pupille im Psoriatiker¬
serum, wenn die Psoriasiseffloreszenzen nicht allzu sehr aus¬
gebreitet sind. Nach ungefähr 1—l 1 /» Stunden kann man die
Reaktion als abgeschlossen betrachten.
Ist dieses Phänomen nun ein begleitendes Symptom der
Psoriasis, solange klinische Erscheinungen vorhanden sind, oder
aber bleibt diese Reaktion auch erhalten, wenn von Psoriasis-
effioreszensen nichts mehr zu sehen ist? leb hatte Gelegenheit, das
Blutserum eines Patienten, bei dem vor 6 Jahren von einem
hiesigen Arzte eine Psoriasis festgestellt worden war, auf diese
Reaktion hin zu untersuchen. Auch bei diesem Patienten, der in
der Folgezeit nur einigemal noch einzelne Psoriasiseffloreszenzen
bemerkt batte, fiel die Reaktion vollkommen einwandfrei aus.
Ich möchte ännehmen, dass diese Alteration im Blutserum,
die diese Reaktion hervorruft, nicht etwas Sekundäres der
Psoriasis darstellt, sondern möglicherweise mit der Aetiologie der
Psoriasis in Zusammenhang gebracht werden könnte. Dafür spricht
auch, dass die Reaktion durch das Abheilen der Psoriasis¬
effloreszenzen nicht beeinflusst wird.
Welcher Art ist nun diese Alteration im Blutserum? Be-
kanntermaassen vermag Adrenalin selbst in Verdünnungen von
1 bis zu 20 Millionen diese Reaktion auszulösen. Adrenalin¬
lösungen sind aber dem Sauerstoff gegenüber überaus empfindlich.
Ich habe daher versucht, den Adrenalingehalt des Blutserums
durch Sauer8toffzufubr zu zerstören und habe trotzdem dieselbe
Reaktion an der Froschaugenpupille auftreten sehen. Diese Unter¬
suchungen stimmen mit den Feststellungen von Embden, Fürth
und O’Connor überein, nach denen trotz Zerstörung des Ad¬
renalins die Wirkung des Serums auf das Froschgeftsspräparat
fast vollständig erhalten blieb. Es müssen also, wie schon auch
andere Autoren nacbgewiesen haben, im Blutserum adrenalin-
ähnliche Substanzen vorhanden sein, über deren chemische Natur
man allerdings noch nichts aussagen kann. Jedenfalls müssen
diese adrenalinähnlichen Substanzen nach meinen Versuchen in
dem Blutserum an Psoriasis leidender Menschen in einer Minder¬
wertigkeit vorhanden seiD, wodurch eine Erweiterung der Frosch¬
augenpupille ausbleibt.
Ich glaube somit, einen neuen Fingerzeig für die Sympto¬
matologie und vielleicht auch für die Aetiologie der Psoriasis
gegeben zu haben.
Ueber weitere Versuche betreffend andere Hauterkrankungen
als Psoriasis, Stärke der Reaktion im Vergleich zur Ausbreitung
der Psoriasis, Erhaltenbleiben der adrenalinartigen Substanzen im
Blutserum bei Kälte und Wärme, eventuelle Verwertung dieses
Phänomens in therapeutischer Beziehung usw. hoffe ich später
einmal ausführlich berichten zu können.
Aus dem Emma-Kinderkrankenhaus zu Amsterdam.
Ein Fall von akuter aleukämischer Lymph-
adenose.
Von
Dr. med. J. C. Schippers.
Es scheint die akute aleukämische Lymphadenose [Schridde 1 )]
eine ziemlich seltene Erkrankung zu sein 2 ). Deshalb möchte ich
einen vor einiger Zeit von mir beobachteten Fall, welcher einige
Eigentümlichkeiten bietet, hier mitteilen. Bekanntlich verlaufen
die akuten und perakuten Fälle dieser Krankheit unter dem Bilde
von Morbus maculosus Werlhofii, wie der meinige, von ulceröser
Angina oder von hämorrhagischer Enteritis. Nebenher findet
man Schwellung der Lympbdrüsen, Leber und Milz und erheb¬
liche Kachexie, sowie Fieber.
Jan V., geboren am 4. März 1905, war immer ein schwäohliches
Kind, machte die verschiedenen Kinderkrankheiten durch; Vater gesund,
Mutter im Jahre 1911 einer Lungenschwindsucht erlegen.
Ende Januar 1912 zeigte sich ohne nachweisbare Ursache eine nicht
empfindliche Schwellung der linken Leistendrüsen, welche später wieder
verschwand. Als nach einigen Tagen auch Schmerzen und leichte
Schwellung der beiden Kniegelenke hinzukamen, wurde das Kind zum
Chirurgen gesandt. Es wurde an doppelseitige Kniegelenkstuberkulose
gedacht, das Kind mit Kleisterverbänden und später auch mit Jodkali
behandelt; die Reaktion von v. Pirquet wurde freilich nicht vor¬
genommen und auf die Heredität mütterlicherseits viel Gewicht gelegt.
Am 14. Juni wurde der Knabe nach unserer Dependance in Wijk
aan Zee geschickt. Dort zeigte der blasse, schwächliche Knabe bei der
Aufnahme eine unerhebliche Schwellung der Halsdrüsen nebst massigem
Fieber. Am 22. Juni bekam er Schmerzen und rote Schwellung im
rechten Knöchel, welche unter Behandlung mit Priesnitzverbänden nach
zwei Tagen schwanden. Am 30. Juni zeigte sich während zwei bis drei
Tagen dasselbe Bild an der anderen Seite, jetzt mit gleichzeitiger
Schwellung und Schmerz, jedoch ohne Rötung in den beiden Knien.
Jedesmal, sobald die Schmerzen vorüber waren, war das Kind wieder
beiter, und der Appetit hob sich.
Am 8. Juli nachts bekam Pat. aufs neue Gelenkschmerzen mit
starker Rötung und Schwellung in beiden Ellbogen und Knöcheln und
erhebliches Fieber. Der Arzt, der ausser den Gelenkaffektionen
gar keine Abweichungen feststellen konnte (der Umfang der
Halsdrüsen wechselte), verordnete Aspirin (dreimal 0,3 g d. d.). Nach
zwei Tagen war auch dieser Anfall vorüber, und das Kind erholte sich,
es fing sogar an, besser auszuseben und wurde am 12. Juli entlassen.
Am 18. oder 19. Juli sahen die Angehörigen zu Hause plötzlich kleine
Hautblutungen, welche sich in den nächsten Tagen über den ganzen
Körper verbreiteten, zu gleicher Zeit bekam der Junge Zahnfleisch-
blutungen. Sonstige Blutungen wurden nicht beobachtet. Patient wurde
sehr krank und fieberte hoch, die oberflächlichen Lymphdrüsen wurden
grösser.
In kläglichem Zustande wurde das Kind am 2. August auf der
inneren Abteilung des Emma-Kinderkrankenhauses aufgenommen, wo
der untenstehende Status praesens festgestellt wurde.
Pat. ist ein grazil gebautes Kind, sehr krank, compos mentis, un¬
ruhig, schwer anämisch, erbricht wiederholt. Der ganze Körper ist
1) Synonyme: Echte Pseudoleukämie (Pinkus), Aleukämie (Pappen¬
heim), aleukämische Lymphomatöse (Türk), Lymphocytom (zum Teil)
(Ribbert), aleukämische, generalisierte Lymphocytomatose (Naegeli).
2) Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 2. Aufl. 1912,
S. 559. Benjamin und Sluka, Jahrb. f. Kinderheilk., 1907, Bd. 65,
Ergänzungsheft, S. 253.
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62
Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
übersät mit alten und frischen Petechien. Puls 160, regelmässig, weich,
dikrot. Respiration 32. Temperatur 40,2.
Zunge belegt. Erhebliche Zahnfleischblutungen mit Coagula. Thorax.
Ausser scharfen, anämischen Geräuschen über allen Herzostien keine
Abweichungen.
Abdomen: Gleichmässige Vergrösserung von Milz und Leber, welche
zwei Finger breit unter dem Rippenbogen hervorragen.
Lymphdrüsen: Massige Vergtösserung (bis Haselnuss) aller ober¬
flächlichen Lymphdrüsen den Unterkiefer entlang, an den Kieferecken,
längs der M. sternocleidomastoidei, in Ober- und Unterschlüsselbein¬
gruben, Achsel- und Leistengegenden. Die Drüsen sind unempfindlich,
nicht mit einander verwachsen, beweglich auf der Unterlage. Die naut
zeigt ausser den schon mitgeteilten Blutungen keine Abnormitäten.
Skelett: Die langen Röbrenkuochen sind bei Berührung leicht empfindlich.
Der Harn enthält eine Spur Eiweiss, keinen Zucker, kein Blut,
ziemlich viel Urobilin. Diazoreaktion negativ.
Stuhl: Kein Blutfarbstoff.
Am nächsten Tag wurde das Blut untersucht.
Das Blut gerinnt sehr schlecht, die Blutkörperchen fangen bald an,
sich abzusetzen.
Hämoglobingehalt nach Sahli = 10
Zahl der roten Blutkörperchen = 1 700 000
„ „ weissen „ = 3 300
Starke Anisocytose und Poikilocytose.
Am Ausstricbpiäparat, gelärbt nach May-Grünwald und Leish-
man, fällt erstens auf, dass alle Chromocyten basophil sind.
Polynucleäre neutrophile Leukoeyten .... 6,2 pCt.
Lymphocyten (kleine, mittelgrosse und patho¬
logische Formen, etwa 25 pCt.).89,2 „
Uebergangsformen.1,4 „
Türck’sche Reizungsformen .2,4 „
Keine eosinophile und Mastzellen gesehen.
Normoblasten (von allen kernhaltigen Elementen) 22,0 *
Am 4. August starb das Kind nach wiederholtem Erbrechen und
grosser Unruhe.
Die Sektion wurde 14 Stunden nach dem Tode von Herrn Pro¬
sektor P. G. J. Duker vorgenommen.
Thorax: In dem Herzbeutel seröse Flüssigkeit, in den Pleurahöhlen
je etwa 100 ccm sanguinolente Flüssigkeit. Unter den Pleureu zahlreiche
punktförmige Blutungen, unter dem visceralen Pericard grosse flächen¬
haft ausgebreitete Blutungen. Herz und Lungen ohne Veränderungen.
Keine Zeichen von Tuberkulose. Ueberall findet man Lymphdrüsen-
schwellung, ohne Nekrose oder Verkäsung. Thymus, 8 g, etwas ver-
grössert.
Abdomen: Leber 940 g; die Lobuli sind scharf abgegrenzt, gelb¬
lich verfärbt, an der Porta keine vergrösserten Drüsen.
Milz 200 g. Die Follikel sind scheinbar vermehrt und haben un¬
deutliche Zeichnung.
Nieren je 120 g. Kleine subkapsuläre Blutungen. Rinde trüb,
grau mit verwaschener Zeichnung.
In der Magenmucosa viele punktförmige Blutungen. Im Darm nur
Follikel vergrösserung.
Knochenmark (Femur) rot, im Ausstrich viele Lymphocyten, einige
Myelocyten, die Chromocyten sind oxyphil.
Histologische Untersuchung. Färbung nach Leishman.
(Dr. Duker). Die Leberinseln haben verschmälerte Zellenreihen mit
erweiterten Capillaren; zwischen denselben sieht man scharf begrenzte
Lymphocyteninfiltrate. Das Blut in den Gefässen ist oxyphil, dazwischen
sieht man Lymphocyten.
Die Adventitia der Nierengefässe ist durchsetzt mit Lymphocyten-
infiltraten, wodurch die Nierenkanälchen auseinandergedrückt sind, zumal
in der Rinde. Auch die Glomeruli sind von Lymphocyteninfiltraten um¬
geben.
Knochenmark. Man sieht deutliche uusgebreitete, herdweise Wuche¬
rung von kleinen und mittelgrossen Lymphocyten mit Verdrängung
der Myelocyten. Es fehlen oxyphile Myelocyten, Leukoeyten wie Stamm¬
formen.
Milz. Follikel mit Keimcentra sind undeutlich, ihre Stellen sowie
die Pulpa sind überfüllt von kleinen und mittelgrossen Lymphocyten,
weiter sind hier ziemlich viel Normoblasten.
Lymphdrüsen. Die Rinde ist überfüllt mit kleinen Lymphocyten.
In den Lympbbahnen des Markes viel Blutpigment.
Der oben mitgeteilte Fall wird in diagnostischer Hinsicht
keine Schwierigkeiten machen. Die klinische Diagnose: akute
aleukämische Lyraphadenose wurde auch anatomisch bestätigt.
Ob wir es mit einem prämortalen Abfall der Leukocytenmenge
zu tun haben, ist natürlich nicht zu entscheiden. Auch dieser
Fall beweist, wie nahe „Pseudoleukämie“ und Leukämie verwandt
sind. Schwierigkeiten bieten die Gelenkschwellungen. Es ist
natürlich die Frage, ob wir es hier mit einem intercurrierenden
akuten Gelenkrheumatismus zu tun haben. Ich sehe keine Mög¬
lichkeit, dies auszumachen, auch die gegebene Menge Aspirin war
zu klein, dass man eine Diagnosis ex iuvantibus stellen könnte.
Eine weitere Möglichkeit ist eine komplizierende Sepsis, welche be¬
kanntlich öfters in den späteren Stadien der Leukämien beob¬
achtet wurde. Doch neige ich dazu, die Gelenkschwellungen auf
Rechnung des Blutleidens zu stellen, sind sie doch auch früher
gelegentlich beobachtet worden. Ueberdies imponiert doch auch
diese Krankheit stark als eine akute Infektion und bei den
verschiedenen Infektionskrankheiten sieht man oft Gelenk¬
entzündungen. Die starke Polychromasie des gesamten peri¬
pheren Blutes ist eine weitere Besonderheit. Durch die nötigen
Kontrollen der Farbstoffe, Objektträger usw. habe ich mich
überzeugt, dass dies nicht auf einen Irrtum beruht.
Ueber synthetisches Hydrastinin und seine An¬
wendung.
Von
Dr. Heinrich Offergeld, Frauenarzt, Frankfurt a. M.-Sa.
Die von Schatz in Deutschland eingeführten Hydrastis-
präparate, von welchen praktisch fast ausschliesslich das Extractum
fluidum in Frage kommt, werden sehr verschieden beurteilt. Die
Gründe dafür liegen auf der Hand: Extractum hydrastis fluidum
ist ein variables Gemenge von wirksamem Hydrastin, ganz un¬
zuverlässig wirkendem Berberin und Canadin, das überhaupt
keine Wirkung auf den Uterus hat. Proben aus den Apotheken
ergeben, dass der Hydrastingehalt in so weiten Grenzen
schwankt, dass eine gleichmässige Wirkung gar nicht erwartet
werden kann.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass man das galenische
Fluidextrakt schon längst durch das stärker blutstillende, weniger
toxische, kristallinische Oxydationsprodukt des Hydrastins, das
Hydrastinin, ersetzt hätte, wenn nicht der enorm hohe Preis der
letzteren Substanz die Verordnung unmöglich gemacht hätte.
In pharmakologischer Hinsicht besteht zwischen Hydrastin und
Hydrastinin ein gewisser Unterschied. Beide Präparate bewirken eine
geringe Blutdrucksteigerung.
Beim Hydrastin ist diese Wirkung auf den Blutdruck als Teil¬
erscheinung der strychninartigen Wirkung auf das Centralnervensystem
anzusehen. Die Gefässspannung bei toxischen Dosen ist also eine Teil¬
erscheinung des tetanischen Stadiums.
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Hydrastinin ist kein Krampfgift (Laidlaw), es bewirkt Gefäss-
kootraktion gewisser Gefässgebiete durch Einwirkung auf die Gefäss-
muskulatur selbst, besitzt also eine periphere Wirkung.
Die Cotarninpräparate (Stypticin, Styptol) besitzen keine geläss-
verengeode Eigenschaft [Pio Marfori 1 )].
Hydrastin, Hydrastinin und die Cotarninpräparate wirken aber
qualitativ — nicht quantitativ — analog auf den Uterus, wie die Ver¬
suche von Kurdinowski, Ronsee und Kehrer ergeben haben. Aller¬
dings sind die Versuchsergebnisse nicht ganz übereinstimmend, wahr¬
scheinlich weil Kurdinowski am isolierten, überlebenden Uterus
experimentierte, Kehrer die Hydrastis- und Cotarninpräparate intravenös
injizierte. Die Untersuchung ist dadurch noch komplizierter, dass der
virgioelle Uterus anders reagiert als der gravide. Kehrer betont, dass
an einer erregenden Wirkung des Hydrastinins auf das Myometrium und
die Getässmuskulatur nicht mehr zu zweifeln ist; es steht in seiner
' kontraktionsbefördernden Eigenschaft hinter den besten Ergotinpräparaten
kaum zurück, da es seine Wirksamkeit noch in einer Verdünnung von
1:200 000 dokumentiert. Kehrer bemerkt, dass gerade das Extractum
hydrastis fluidum in auffallend geringer Weise diesen Erfolg zeigt.
Ausser der stärkeren Wirkung auf den Uterusmuskel, dem vaso-
konstriktorischen Effekt auf die peripheren Gefässe (wichtig z. B. bei
Hämoptoe), dem Fehlen der Krampfwirkung in grossen Dosen besitzt
Hydrastinin noch einen weiteren Vorzug. Hydrastin ist in grösseren
Gaben ein ausgesprochenes Herzgift, während Hydrastinin kein Herz¬
gift mehr ist (Robert, Laidlew). Ueber Cotarnin äussert sich
Frankel (Arzneimittelsynthese, 2. Aufl., S. 422): Es wirkt schwächer
als das nahe verwandte Hydrastinin in bezug auf die Blutstillung, löst
aber Wehentätigkeit aus, was Hydrastinin nicht tut und wirkt auch nicht
narkotisch 2 ).
Auf die offensichtliche Ueberlegenheit des Hydrastinins gegenüber
dem abscheulich schmeckenden, oft versagenden Extractum hydrastis
fluidum hinzuweisen, hat aber erst jetzt Zweck, nachdem das Präparat
zu erschwinglichen Preisen — es ist sogar billiger als das Fluid¬
extrakt — ira Handel ist. Die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.,
Leverkusen, stellen das Hydrastinin nach der Decker’schen Methode, aus¬
gehend von dem Methylenäther des Protocatechualdehyds, dem be¬
kannten Riechstoffe des Heliotrops, Piperonal oder Heliotropin genannt,
dar, wie folgt:
x°\A/ c "°
Piperonal: CH 2 <^ | | wird über das Oxim des
\ 0 /y\
Homopiperonals CH 2
\
V
Homopiperonalamin CH,<^
,CH 2 . CH = NOH
CH 2 . NH 2
\ 0 /\/\
ch 2
dessen Formylverbindung CH 2 :
x
reduziert.
wird sauer
kondensiert zu
./X^ /
; c
II
0
N.H
CH«
Methylendioxydihydroisochinolin CH 2 '
/
X
/ \/\/\cH f
/}*
Dieses ergibt durch Anlagerung von Jodmethyl:
0 CIJ 2
/ \/\/\ch 2
\7
c
H
Hydrastiniujodhydrat CH 2
/CH 8
\ i I ijyj/
1
H
1) Archiv, ital. de biologie, 1897, fare 2.
2) Virchow’s Archiv, Bd. 142, S. 860.
Dieses wird durch Alkali verwandelt in
CH 2
Hydrastininbase: CH 2 <^
/ \/\/\cH,
, welche mit
\° / \ / c
/N.CH.
Salzsäure
Hydrastininchlorbydrat: CH 2 <(
0 c» c ch 2
/V\/\cn
1
\ 0 A\x ( y> N < cn ’
0 c » c °
H
ergibt.
Durch Versuche von Impens u. a. auch nach der Kehrer’schen
Methode wurde festgestellt, dass das synthetische Hydrastinin in
jeder Hinsicht in der Wirkung mit dem natürlichen Hydrastinin,
dem teuren Oxydationsprodukte des aus der Hydrastiswurzel gewonnenen
Hydrastins, übereinstimmt. Die Giftigkeit des synthetischen Hydrastinins
wurde von Impens an Katzen geprüft; die Versuche wurden genau nach
der Kehrer’schen Methode am suspendierten Uterus ausgefübrt, mit dem
Ergebnis, dass die Toxicität sich im Rahmen des natürlichen Hydrastinins
hält; so z. B. vertrugen mittelgrosse Katzen subcutan 0,1 einverleibt
sehr gut.
Die Wirksamkeit auf den Blutdruck wurde gleichfalls an Katzen ge¬
prüft; dabei stellte sich heraus, dass Dosen von 0,003—0,005, intravenös
verabreicht, den Blutdruck beträchtlich erhöhen. Diese Wirkung ist je
nach dem Tonus des Gefässsystems und der Tiefe der Narkose des Ver¬
suchstieres mehr oder weniger ausgeprägt. Die am isolierten, über¬
lebenden Uterus der Katze nach Kehrer angestellten Versuche ergaben,
dass die Wirkung des synthetischen genau die gleiche ist wie die des
natürlichen: der nicht gravide Uterus reagiert nach kleinen Gaben durch
Erhöhung des Tonus und durch Kontraktionen, nach grossen Dosen mit
Lähmung.
Versuche mit Liquor bydrastinini hydrochlorici „Bayer“.
Das Präparat, dessen Gehalt an wirksamer Substanz dem
Alkaloidgebalt des galeniscben Fluidextraktes entspricht, stellt
eine leicht opaleszierende Flüssigkeit dar, welcher als Geschmacks-
corrigens Pfefferminz zugesetzt ist.
Als erste Gruppe fasse ich meine Fälle von reiner Dys¬
menorrhöe zusammen; ich verstehe darunter die heftigen kolik-
und wehenartigen Schmerzen, welche kurz vor der Periode be¬
ginnen, sich aber allmählich in den ersten Tagen abschwächen;
diese Schmerzen, kurz nach der Menarche einsetzend, bei intakten
Virgines vorkommend, pflegen mit vollständig normalen Genital¬
befunden einherzugeben, und die Patientinnen sind in der inter¬
menstruellen Zeit, vielleicht vom „Mittelschmerz“ abgesehen,
vollständig gesund. Charakteristisch für diese Fälle ist die aus¬
gesprochene Schmerzhaftigkeit des Endometriums gegen die Sonden-
beröhrung, welche sofort den typischen dysmenorrhoischen Anfall
auslöst und sich keineswegs auf das Orificium internum beschränkt.
Ich habe sechs Patientinnen in dieser Gruppe mit dem syn¬
thetischen Hydrastinin in der Weise behandelt, dass ich 10 Tage
vor Beginn der zu erwartenden Menstruation je 30 Tropfen des
Liquor bydrastinini alle 3 Stunden einnehmen Hess, ohne im be¬
sonderen der Menstruationsdiätetik meine Aufmerksamkeit zu
schenken. Die Erfolge waren derart, dass schon bei der ersten
Periode erheblich weniger Schmerzen auftraten und bei fort¬
gesetzt et Darreichung, zumal dann, wenn die äusseren Umstände
geregelt wurden, in einigen Monaten die Menstruation ohne
Schmerzen verlief. Es war alsdann die Sondierung der Schleim¬
haut schmerzlos, während nur das Eindringen über den inneren
Muttermund wieder Krämpfe auslöste.
Sodann berichte ich über acht weitere Fälle von Dys¬
menorrhöe, wobei bereits mehrfache Cohabitationen
vorgenommen waren, ohne dass es aber dabei zu Infektionen
gekommen wäre; in zwei dieser Fälle war wohl die eingegangene
Ehe als auslösendes Moment zu beschuldigen, da erst seit der
Cobabitation die vorher schmerzlose Menstruation den krankhaften
Charakter annahm; in einem anderen Falle trat sie zeitlich nach
der Appendektomie auf, obschon nach Versicherung des Operateurs
an den Genitalien kein Eingriff vorgenommen wurde und sich
weder eine Fixation, noch eine anderweitige Erkrankung fest¬
stellen Hess. Auch hierbei war in der angegebenen Darreichungs¬
weise insofern ein Erfolg zu verzeichnen, als schon bei der ersten
Menstruation die heftigen Koliken aufhörten und in den folgenden
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
bei fortgesetztem Gebrauche nur noch ganz leichte, unbestimmte,
ziehende Schmerzen sich im Abdomen einstellten.
Wichtig ist die Tatsache, welche ich besonders hervorheben
möchte, dass ich in allen diesen Fällen ohne Narkotica aaskam;
allenfalls wurde noch Wärme in jeder Form und die reflektorische
Beeinflussung auf nasalem Wege angewandt. Es ist mir so aus¬
nahmslos gelungen, die Kranken sofort wieder zu ihrem Beruf
fähig zu machen.
Bei einem anderen Teil der Patienten waren die Dys¬
menorrhöen mit Menorrhagien kombiniert. Das Haupt¬
kontingent stellte die chronische Metritis und Endometritis in
allen ihren Abarten dar. Es gelang, durch die Medikation die
intermenstruelle Zeit zu vergrössem, die Dauer der Blutung ab¬
zukürzen und den Gesamtblutverlust zu reduzieren. Es finden
sich aber selbstredend auch Versager, besonders wenn eine Gra¬
vidität voraufgegangen war; andererseits musste ich recht häufig
aus sozialen Gründen diese Behandlung unterbrechen und durch
die rascher wirkende Abrasio ersetzen. Im allgemeinen lässt sich
wohl sagen, dass das Hydrastinin am besten wirkt, wenn es sich
um rein funktionelle Störungen handelt, das histologische Bild
also ein normales ist und man die verschiedenen Bilder der inter-
und prämenstruellen Zeit antrifft.
Zufriedenstellend waren die Resultate auch bei der fun-
gösen, hy per plastisch-glandulären Endometritis, während
bei den Mischformen und der interstitiellen Endometritis erst mit
der Entfernung der erkrankten Schleimhaut bei späterer Dar¬
reichung von Hydrastinin dauernde Erfolge zu verzeichnen waren,
zumal dann, wenn man die Kombination mit Secale benutzte.
Diese Ordination leistet auch bei metritischen Blutungen gute
Dienste, falls noch hinreichend kontraktionsfähiges Parenchym
vorhanden ist. Gerade hier wirkt das Hydrastinin durch seinen
gefässverengernden Eiufluss prompt auf die Blutung, während
das Ergotin allenfalls noch eine Verkleinerung des Organs
bewirkt.
Es ist hier vielleicht der Platz, auf die Hydrastininwirkung
bei Myomen einzugehen; ich habe das Präparat bei drei sub-
serösen, zwei interstitiellen und einem submucösen versucht.
Irgendeine Einwirkung auf die Grösse der Tumoren und die ver¬
ursachten Beschwerden konnte ich nicht feststellen (hierbei be¬
finde ich mich wohl in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der
anderen Untersucher), dagegen gelang es bei den interstitiellen
Myomen, die Blutungen hinsichtlich der Dauer und Menge zu
verringern. Als Erklärung mag wohl die Tatsache genügen,
dass die hierbei gleichzeitig bestehende Endometritis in dem
oben angeführten Sinne beeinflusst wurde; es mag dies wohl auch
der Grund sein, weswegen früher das Hydrastinin gegen Myome
empfohlen wurde; es ist bei den interstitiellen Formen ein brauch¬
bares symptomatisches Mittel, welches die eventuelle Entfernung
hinauszuschieben gestattet.
Bei den klimakterischen und präklimakterischen
Blutungen wurde das Hydrastinin angewandt, wenn die voraus¬
gegangene Abrasio und FeCl 8 -Aetzung nicht den gewünschten
Erfolg hatten und es sich histiologisch um keine maligne Er¬
krankung handelte. Gerade in dieser medikamentösen Nachkur
erblicke ich ein zur Unterstützung der Abrasio vorzüglich ge¬
eignetes Mittel, welches, rechtzeitig genommen und während
längerer Zeit einverleibt, die so schwer stillbaren klimakterischen
Blutungen beherrscht und so die teure Bestrahlung und die nicht
ungefährliche Vaporisation ersetzt und die Erhaltung des Uterus
gestattet.
Weiterhin benutzte ich das Hydrastinin zur Bekämpfung der
Stauungsblutungen bei retroflektiertem Uterus. Nach
Reposition und dauernder Lagekorrektur heilt unter Hydrastinin-
gabe die Hyperplasie der Uterusmucosa schnell und dauernd aus;
beschränkt man sich nur auf die Aufhebung der Stauung, so
nehmen zwar allmählich auch die Menorrhagien ab, jedoch dauert
dies längere Zeit, was gerade bei anämischen jugendlichen Personen
beachtet werden muss.
Bei ovariellen Blutungen habe ich über die Wirksamkeit
des Hydrastinins keip klares Bild bekommen, da ich hier meist
grosse Dosen der üblichen Cotarninpräparate intramusculär in¬
jizierte. Natürlich trat bei dieser Darreichungsweise der Effekt
rascher ein als bei der Anwendung des Hydrastinins per os. Es
schien mir aber letzteres anhaltender zu wirken.
Eine ganze Reihe von Fällen von anämischen Blutungen
konnte durch Hydrastinin teils gebessert, teils dauernd geheilt
werden, wenn es gelang, erfolgreich die anämische Diathese zu
bekämpfen. Vor allen Dingen wirkt hierbei das Hydrastinin aus¬
gezeichnet symptomatisch; durch Beschränkung des Blutverlustes
wird die Anämie am Fortschreiten gehindert; es sprengt hierbei
den Circulus vitiosus. Gerade die Bekämpfung der Me¬
norrhagien gehört mit zu den dankbarsten Aufgaben
der Anämiebehandlung.
Sodann habe ich von diesen sekundären Menorrhagien
mehrere bei Tuberkulose, hämorrhagischer Diathese,
Nephritis, Adipositas und Vitium cordis behandelt. Auch
hier war der Erfolg ein durchaus guter, wenn rechtzeitig mit der
Verordnung begonnen und diese längere Zeit hindurch fortgeführt
wurde. Bei den unkompensierten Herzfehlern war die Wirkung
weniger augenfällig. Es bewahrheitete sich auch hier wieder der
Satz, dass gerade der virginelle Uterus in ganz besonders inten¬
siver Weise auf Hydrastinin reagiert, weil hier die reine gefäss-.
verengernde Wirkung sich Geltung verschafft.
Fasse ich also zusammen, so ist das Hydrastinin ein
gutes Mittel zur Bekämpfung unkomplizierter, primärer und
sekundärer, uteriner Blutungen, eventuell in Kombination oder
Wechsel mit Secale und Cotarninpräparaten; die Wirkung ist
besonders hervorragend bei längerem Gebrauche, schon prophy¬
laktisch vor Beginn der Blutung und beim virginellen Uterus;
wegen seiner Uteruskontraktionen auslösenden Wirkungen ist es
zur Behandlung der im Verlaufe einer Gravidität auftretenden
Blutungen ebensowenig wie Extract. hydrastis fluid., Hydrastin
und die Cotarninpräparate am Platze.
Es erhebt sich zum Schlüsse die wohl berechtigte Frage, ob
und inwiefern das von den Elberfelder Farbenfabriken hergestellte
synthetische Hydrastinin das natürliche bzw. den Fluidextrakt
übertrifft, ob es gleichwertig ist oder diesen Präparaten nachsteht.
Die beiden letzten Fragen lassen sich kurz dabin beantworten,
dass es in seinen therapeutischen Eigenschaften den besten
amerikanischen Fluidextrakten mindestens ebenbürtig ist. Und
darüber hinaus stellt das Bayerische Präparat einen Fortschritt
aus folgenden Gründen dar: Zunächst ist das ungiftigere, wirk¬
samere Hydrastinin an Stelle des Hydrastins vorhanden; sodann
hat das Präparat vermöge seiner synthetischen Darstellungsweise
eine einheitliche und konstante Zusammensetzung. Erst die durch
die Synthese ermöglichte, unbegrenzte Darstellung liefert uns das
Hydrastinin zu einem so billigen Preise, dass seiner ausgedehnten
Anwendung wesentliche Hindernisse nicht mehr im Wege stehen.
Im Gegensatz zu dem höchst widerwärtigen Geschmacke des
Fluidextraktes schmeckt der Liquor hydrastinini-Bayer angenehm
nach Pfefferminz. Das Hydrastinium hydrocbloricum lässt sich
in verschiedenartigen Kompositionen und Anwendungsformen dar¬
reichen.
Ueber synthetisches Hydrastinin hydro-
chioricum.
Von
Dtthrssen - Berlin.
Hiermit möchte ich die Aufmerksamkeit der Aerzte auf das synthe¬
tisch hergestellte Hydrastinin bydrochl. „Bayer“ lenken,
welches mir bei Uterusblutungen, speziell, bei den durch Adnex¬
erkrankungen bedingten Blutungen gute Dienste geleistet hat. Vor dem
Extract. hydrastis canad. fluid, besitzt das synthetische Hydrastinin wesent¬
liche Vorzüge. Hier haben wir einen einheitlichen, genau charakterisierten
chemischen Körper, dort ein Fluidextrakt mit einem niemals gleich-
massigen Gehalt, dessen therapeutische Komponente Schwankungen auf¬
weist, die sich nach Lehmann 1 ) zwischen 0,36 und 2,1 pCt. bewegen.
Ein derartiges Präparet kann naturgemäss einen Anspruch auf prompte
und gl eich massige Wirkung nicht erheben. Dazu kommt als weiterer
Nachteil des Extract. hydr. canad. fluid., dass es mit einem über¬
flüssigen Ballast von Extraktivstoffen beladen ist, die den bekannten,
wenig angenehmen Geschmack des Pharmakopoepräparates bedingen —
und dass das im Fluidextrakt präformiert enthaltene Hydrastin, aus dem
auch das natürliche Hydrastinin hergestellt wird, ein Herz- und ein
Krampfgift ist, das synthetische Hydrastinin dagegen nicht.
Die klinischen Versuche haben nun ergeben, dass das synthetische
Hydrastinin die gleichen therapeutischen Eigenschaften besitzt wie das
Extract. hydr. canad. fluid., nur dass sie wesentlich prompter und inten¬
siver auftreten. Irgendwelche Herzstörungen hat es nicht hervorgerufen.
Auch hat es in einigen meiner Fälle geholfen, wo Stypticin hydrochloric.
versagte.
Die Wirkung des Hydrastinins beruht auf der Gefässverengerung
und der Kontraktion der Uterusmuskulatur, die es erzeugt. Ich ver¬
ordne es auch regelmässig bei der starken Menstruation, welche konser-
1) Allgem. med. Centralztg., 1912, Nr. 39.
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vativen gynäkologischen Operationen zu folgen pflegt — und zwar in
der Form der Tablettae hydrastinini bydrochl. „Bayer“ ä 0,025, Nr. 15
(4 mal täglich 1 Tablette). Auch als Liquor hydrastinini „Bayer“ 25,0,
3 mal täglich 20 Tropfen in einem Esslöffel Zuckerwasser, kann das
Präparat verordnet werden und kostet in dieser Form nur etwa die
Hälfte des Fluidextraktes.
Trotz des Zusatzes „Bayer“ auf dem Rezept haben die Apotheken
meinen Kranken mehrfach das natürliche aus dem Fluidextrakt ge¬
wonnene Hydrastinin verabfolgt. Dieses ist aber dreimal so teuer wie
das synthetisch hergestellte.
Meine günstigen Erfahrungen mit dem Hydrastinin „Bayer“ decken
sich mit denjenigen von Freund 1 ) und von Ziegenspeck 2 3 ).
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬
versität Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Goldscheider).
Ueber das Coma diabeticum.
Von
Privatdozent Dr. Rudolf Ehrmail, Assistenzarzt.
(Schluss.)
Es ist nun gezeigt worden, dass sich regelmässig and leicht
experimentelles Coma erzeugen lässt.
Dieses gleicht dem menschlichen Coma so sehr, dass
wir eine Reibe neuer und bisher nicht beobachteter
Symptome daraufhin auch im menschlichen Coma fest¬
stellen konnten. Endgültig konnte weiter die Annahme einer
Alkalientziehung als Ursache des Coma diabeticum ausgeschlossen
werden. Es wurde vielmehr eine toxische Wirkung auf das
Centralnervensystem, vor allem Grosshirn, Atherocentrum, vaso¬
motorisches Centrum, festgestellt (eigentliches Coma), während
bisweilen die letzteren Symptome (Coma cardiale, diabetischer
Collaps) mehr das Krankheitsbild beherrschen können. Beide
Formen sind aber als Folgen der toxischen Wirkung der in Be¬
tracht kommenden Buttersäuren aufzufassen.
Nun ist noch die Frage zu entscheiden, ob das Coma des
Menschen ein vom Diabetes abhängiger Symptomenkomplex ist.
Wie schon vorher gesagt wurde, hatte Naunyn 8 9 ), um die seiner
Meinung nach vorhandene Unabhängigkeit des Coma diabeticum
vom Diabetes selbst besser zum Ausdruck zu bringeD, vorge¬
schlagen, statt Coma diabeticum lieber Coma dyspnoicum zu sagen.
Auch Fr. Kraus 4 ) ist der Ansicht gewesen, dass weder zwischen
Diabetes an sieb, noch zwischen comatösen Prozessen im all¬
gemeinen and Säurevergiftung ein direkter Zusammenhang be¬
steht. Um diese Frage entscheiden zu können, ist zu wissen nötig,
ob ein dem Coma diabeticum gleichender Symptomenkomplex
auch bei anderen Erkrankungen vorkommt und ob, wie im mensch¬
lichen schweren Diabetes, auch bei den experimentellen schweren
Diabetes- bzw. Glykosurieformeo ein ähnlicher Zustand beob¬
achtet wird.
Wir können die vielen Untersuchungen über Acetonurien hier
vollkommen ausscbalten, nachdem wir darauf hiugewiesen haben,
dass das Aceton selbst als Erreger des Coma nicht in Betracht
kommt, sondern vielleicht nur kleine Modifikationen im klinischen
Bild bedingen könnte. Es handelt sich nur um die Frage, ob es
auch ohne das Bestehen eines schweren Diabetes zu einer so
massigen Anhäufung von 1-^-Oxybuttersäure, Acetessigsäure oder
verwandter Fettsäuren mit der ihr folgenden typischen Atmnng,
Bewusstseinsverlust und Tod kommen kann.
Es ist eine Reihe von Fällen, wo „Coma diabeticum ohne
Diabetes“ Vorgelegen haben soll, beschrieben, so von Senator 5 6 ),
Litten®), Riess 7 ), v. Jaksch 8 ), Ebstein®), Klemperer 10 ) u. a.
Es handelt sich hierbei aber nur um eine Aehnlicbkeit in
der Atmung mit der grossen Atmung im Coma diabeticum, sowie
um Benommenheit, die allmählich in den Tod überging. Ausser
rein äusseren Aehnlicbkeiten kann man aber keine näheren Be-
1) Therap. Monatsb., 1912, Nr. 5.
2 j Med. Klinik, 1912, Nr. 43.
3) Naunyn, 1. c., S. 830.
4) Fr. Kraus, 1. c., S. 617.
5 ) Senator, Zeitscbr. f. klin. Med., 1884, Bd. 7.
6) Litten, Zeitschr., f. klin. Med., Bd. 8.
7) Riess, ebenda, Bd. 8.
8) r. Jaksch, ebenda, Bd. 10.
9) Ebstein, Deutsches Archiv f. kliu. Med., Bd. 80.
10; G. Klemperer, diese Wochenschr., 1889, Nr. 40.
Ziehungen zum Coma in den mitgeteilten Krankengeschichten er¬
kennen. Diese vertiefte Atmnng findet man auch beim Verbluten
sowie überhaupt häufig als terminale Atmung.
Weiterhin ist dann bei der Salicylsäureintoxikation von
Quincke 1 ) dyspnoisches Coma beobachtet worden. Auch hier
bestehen, abgesehen von der vertieften und verlangsamten
Atmung, keine inneren Zusammenhänge mit dem diabetischen
Coma. Es zeigen sich ja häufiger nach grossen Salicyldosen starke
Verlangsamung der Atmung und des Pulses. Diese Gefahren der
Salicylsäurevergiftung können, wie ich gesehen habe, ebenso
wie im Coma diabeticum, durch Natriumbicarbonatzufuhr beseitigt
werden. Auf Grund dieser Beobachtung 2 ), dass, nach Gebrauch
von Salicylsäure, die auf Tage protrahierte Salicylsäureausscheidung
durch Natriumbicarbonat auf die Hälfte der Zeit verkürzt werden
kann, habe ich die Natrontherapie gegen Salicylintoxikation vor¬
geschlagen 8 ). Auch hieraus ersieht man, dass aus dem günstigen
Effekt des Natriumbicarbonats, ebensowenig wie bei der Salicyl-
säiireintoxikation, beim Coma diabeticum eine Alkalientziehung als
Ursache des Coma angenommen werden muss. Wie bei langsam
absterbenden Kranken sowie nach Salzsäure- und Salicylsäure¬
intoxikation mit der Bewusstlosigkeit auch eine vertiefte Atmung
einsetzen kann, so kann auch natürlich einmal bei Diabetikern
unter solchen Umständen der Tod erfolgen, ohne dass wirkliches
Coma diabeticum vorliegt. So müssen vielleicht die vereinzelt
beschriebenen Fälle von Coma bei Diabetikern, ohne dass Aus¬
scheidung der zwei Fettsäuren vorhanden gewesen sein soll, auf-
gefasst werden. Andererseits ist natürlich bei Komplikationen
des Diabetes z. B. durch Nephritis und Urämie auch ein ver¬
ändertes äusseres Bild zn erwarten, während die Fettsäuren-
anhänfung im Organismns natürlich doch als Ursache vorhanden
gewesen ist. Wenn auch vom nicht diabetischen Organismus,
z. B. im Hunger, Acetessigsäure und 1-ß-Oxybuttersäure gebildet
werden können, so sind doch die znm Coma erforderlichen Dosen
so ausserordentlich grosse, dass sie nur der diabetische Organismus
zu liefern vermag.
Eine weitere Erhärtung unserer Ansicht, dass das Coma stets
nur im Gefolge eines schweren Diabetes auftritt, sind unsere Be¬
obachtungen am pankreaslosen Hund 4 ). Die enorme Aceton¬
körperproduktion des pankreaslosen Hundes wird besonders deut¬
lich bei der Eröffnung der Leibeshöhle des eingegangenen Tieres.
Hier zeigt sich ein solch intensiver AcetoDgerucb, wie man ihn
nur bei comavcrstorbenen Menschen antrifft. Auch die 1/LOxy-
bnttersänre ist bei Tieren einige Zeit nach der Operation
vorhanden. Die Tiere zeigen am Ende des Lebens auch vertiefte
Atmnng und ausserordentlich intensiven Acetongerucb. An dem
wie auch beim Menschen häufig sehr kurz dauernden Coma muss
es zum Teil liegen, dass dieser Zustand nicht häufiger festgestellt
bzw. übersehen worden ist. Vielleicht spielt beim Tod dieser
Tiere anch mehr als beim Menschen die toxische Wirkung der
Fettsäuren auf das Gefässsystem eine Rolle. Beim Tod des coma-
tösen Menschen steht diese Wirkung, die wir, wie gesagt, im
experimentellen Coma des Kaninchens zuerst beobachteten, seltener
im Vordergrund und ist offenbar bei den Fällen vorhanden ge¬
wesen, die als „Collaps der Diabetiker“ oder als plötzlicher
Herztod der Diabetiker beschrieben sind.
Wir kommen daher zu dem Schluss, dass das eigentliche
Coma diabeticum, das sich durch die beiden Buttersäuren experi¬
mentell erzeugen lässt, und das demgemäss auch durch sie hervor-
gernfen wird, nur im Gefolge von schwerem menschlichem
oder experimentellem Diabetes auftritt und von diesem
abhängig ist. Es liegt daher anch keine Veranlassung vor,
nur äusserlich ähnelnde Symptome bei anderen Krankheits¬
zuständen als dem Coma diabeticum wesensverwandt anzusehen
oder überhaupt von einem Coma, z. B. bei Carcinomatösen, zu
sprechen. Das Coma ist vielmehr durch die im schweren Dia¬
betes entstehenden Fettsäuren bedingt. Durch diese wird auch
das Gefässsystem alteriert, und so kann es, falls dieses eher ver¬
sagt als die schlafartige Bewusstlosigkeit eingetreten ist, unter
den Erscheinungen des Gefässcollapses auch zum Exitns kommen,
wie es beim Menschen seltener der Fall ist, vielleicht aber gar
nicht einmal so selten, wenn man von jetzt ab mehr auf den
Blutdrnck der präcomatösen Diabetiker achtet.
1) Quincke, diese Wochenschr., 1882, Nr. 47.
2) Ehrmann, Münchener med. Wochenschr., 1907, Nr. 52.
3) Siehe auch Hans H. Meyer und Gottlieb, Die experimentelle
Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung. Wien 1910.
4) Alexander und Ehrmann, Archiv f. exp. Pathol. u. Ther.,
1908, Bd. 5, und Ebrmann, Zeitschr. f. klin. Med., 1909, Bd. 69.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
CG
Die beiden in Betracht kommenden Buttersäuren können aller¬
dings auch io anderen Zuständen einmal in grösserer Menge gebildet
und dann mit dem Urin entleert werden — ob beide oder eine
von ihnen intermediär normaliter entsteht, ist noch nicht ent¬
schieden — aber in den zum Coma notwendigen grossen Mengen
werden sie sicher ausschliesslich im schwerem Diabetes gebildet.
Wir haben dann noch die Frage zu entscheiden, ob die eine
oder beide Säuren für die Entstehung des Coma in Betracht
kommen. Aus unseren Versuchen am Kaninchen ergab sich, dass
die Acetessigsäure schon in geringeren Dosen Coma herbeizu¬
führen scheint, obwohl genaue Vergleichungen der sich schnell
zersetzenden und unreinen Lösungen der Substanz mit anderen
nicht sicher vorgenommen werden können. Allem Anschein nach
scheint sie auch bei Hunden giftiger zu wirken. Im mensch¬
lichen Coma enthalten nun die Organe und das Blut der Ver¬
storbenen mehr 1-^-Oxybuttersäure als Acetessigsäure. In den
Organen fand Magnus-Levy 1 ) über 0,15 g l-/l-Oxybuttersäure in
100 g frischem Organ und 0,20—0,30 g in 100 g Blut. Immer¬
hin wurden aber auch bis zu 0,05 g Acetessigsäure in 100 g
frischem Organ von ihm gefunden und bis zu 0,12 g von Geel-
muyden 2 3 ). Auch im Urin sah Magnus-Levy meist die drei-
bis fünffache Menge an 1 l-Oxybuttersäure, die bis zu 50 bis 80
bis 100 g im Tag ausgeschieden wurde, während die Acetessig-
säureausscheidung etwa 15—30 g täglich betrug.
Joslin 8 ) hingegen fand die 1/ff-Oxybuttersäure nur wenig
und etwa nur die Hälfte mehr als Acetessigsäure im Urin vor¬
handen, also erheblich mehr Acetessigsäure als Magnus-Levy.
Bei der Umwandlung der Acetessigsäure in Aceton und dessen
Ausscheidung zum Teil durch die Lungen, sowie bei der vor
kurzem von Friedmann und Maase 4 5 ), L. Blum 6 ) und 0. Neu¬
bauer 6 ) entdeckten Reduktion der Acetessigsäure zu l-/?-Oxy-
buttersäure durch die Leber ist die Frage über die im Augen¬
blick des eintretenden Coma vorhandenen Mengenverhältnisse
beider Säuren wohl überhaupt nicht zu entscheiden. Bei den
angegebenen Schwierigkeiten der quantitativen Abgrenzung beider
Säuren voneinander möchten wir es nicht als unmöglich ansehen,
dass die Acetessigsäure io erster Linie als Erreger des Coma in
Betracht kommt. Die Bildung der weniger toxischen bß Oxy-
buttersäure dürfte alsdann vielleicht als eine entgiftende Leber¬
funktion wohl aufzufassen sein.
Nachdem wir festgestellt batten, dass im Coma die Alkali¬
entziehung keine wesentliche Rolle spielen kann, musste unter¬
sucht werden, worauf die Wirkung des kohlensauren und doppelt¬
kohlensauren Natrons denn beruhe. Denn es ist ganz zweifellos,
dass diese durch Stadel mann, ausgehend von der Idee der
Neutralisation der gebildeten und durch ihre Alkalientziehung
tödlich wirkenden Säuren, inaugurierte Therapie sowohl zur Ver¬
hinderung des Coma bei strenger Diät, als auch zur Beseitigung
des eben erst mit Benommenheit beginnenden, aber noch nicht
voll ausgeprägten Symptomenkomplexes von grösster Bedeutung
ist. Eine Rettung aus dem vollentwickelten Coma hingegen ist
seit den 25 Jahren der Anwendung dieser Therapie jedoch wohl
nicht vorgekommen. Dieses Versagen wird von Naunyn und
Minkowski damit begründet, dass man kaum die nötige Menge
Alkali zuführeu kann, um die vorhandene grosse Menge an
Säure zu neutralisieren. Mit Berufung auf die zur tödlichen
Salzsäurevergiftung des Kaninchens erforderlichen Dosen, wie sie
Walter in seinen Versuchen feststellte, hat Magnus-Levy
eine noch höhere Acidität im comatösen Organismus aus seinen
Befunden berechnet, um daraus zu schliessen, dass durch die
Unmöglichkeit einer Neutralisierung der freien Säu/e der Tod
eintreten muss. Der Diabetiker sterbe im Coma, wie Magnus-
Levy schreibt, nicht an der im Harn im neutralisierten ZustaGd
ausgeschiedenen Säure, sondern an der im Körper verbliebenen,
die die Alkaleszenz der Säfte und Gewebe in einer mit der
Fortdauer des Lebens unverträglichen Weise herabsetze.
Da man in dieser Weise das häufige Versagen der Alkali¬
therapie, wegen zu grosser Säuremengen für genügend erklärt hielt,
wurde der bei der Alkalizufuhr auffallenden Mebrausscbeidung der
1) Magnus-Levy, Archiv f. experimen. Pathol. u. Pharmakol.,
Bd. 42 u. Bd. 45.
2) Geelmuyden, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 41.
3) Joslin, Journ. of med. researcb, Bd. 6.
4) Friedmann und Maase, Sitzung d. physiol. Gesellscb. Berlin
vom 4. Februar 1910. Med. Klinik, 1910, Nr. 11.
5) L. Blum, Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 13 und Ver-
bandl. d. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1910.
6) 0. Neubauer, Ebenda, Wiesbaden 1910.
Fettsäuren im Urin wenig Beachtung geschenkt. Diese Steigerung
der Ausscheidung im Urin nach Natronzufubr war schon von
Wolpe 1 ), Weintraud 2 ), Magnus-Levy 2 ), L. Schwarz 4 ),
Mohr und Loeb 6 ), jedoch nicht regelmässig in allen Fällen be¬
obachtet worden. Magnus-Levy glaubte, dass diese Steigerung
der Ausscheidung auf den schnelleren Uebertritt der Säuren aus
den Körperzellen in das Blut zurückzuführen sei. Eine Bedeutung
für die Therapie des Coma wurde aber dieser vermehrten Aus¬
scheidung im Urin nicht zuerteilt, sondern immer wieder ihr
Nutzen zur Absättigung der im Organismus vorhandenen Säure
hervorgehoben.
Ich habe nun nach den Beobachtungen 6 ), die ich über die
beschleunigte und gesteigerte Ausscheidung der Salicylsäure nach
Natrium bicarbonicum machte, schon damals darauf bingewiesen, dass
die Bedeutung des Natriumkarbonats für das Coma diabeticum
jedenfalls auch in der schnellen Eliminierung der 1-ß-Oiy-
buttersänre zu suchen sei. Ich glaube, dass, wie bei der Salicyl-
säureintoxikation, auch hier die schnelle nnd vermehrte Ausschei¬
dung der Fettsäuren die Ursache ist, dass nicht eine so starke An¬
häufung dieser im Organismus stattbat, die zur Vergiftung, d. h.
zum Coma führen muss.^ «.Seitdem ist nun weiter auch von
Stäubli 7 ) und v. Noorden 8 ) ebenfalls darauf hingewiesen
worden, dass die Steigerung der Ausscheidung bei der Natron¬
therapie des Coma wohl mit in Betracht komme.
Es ist also erklärlich, dass, falls sehr grosse Mengen
toxischer Fettsäuren auf diese Weise schnell aus dem Körper ab-
fliessen, die Menge der sich im Organismus bildenden Säuren
nicht mehr den Pegel erreicht, der zum Eintritt einer toxischen
Wirkung auf das Centralnervensystem erforderlich ist. Hierzu
sind ja verhältnismässig sehr grosse Dosen notwendig, wie unsere
Tierversuche zeigten. Das Natronsalz der verschiedenen Säuren
musste hierzu in Dosen von über 3 g bis 6 g pro Kilo Tier ver¬
abreicht werden, was 2,4 g bis 4,8 g der freien Säuren entspricht.
Man müsste also beim Menschen pro 50 Kilo Körpergewicht 120 bis
240 g der Säuren im Organismus erwarten, falls man die An¬
nahme macht, dass Kaninchen und Mensch ähnlicher Dosen
pro Kilo zum Coma bedürfen. Dies wären Zahlen, die denjenigen
nahestehen, wie wir sie bei Comatösen mit 100 bis 150 g im
Urin ausgeschieden finden, und die in der Tat fast identisch sind
mit den von Magnus-Levy bei jugendlichen im Coma Ver¬
storbenen von 30 bis 50 Kilo Körpergewicht als retiniert be¬
stimmten Mengen, nämlich 3 bis 5 g pro Kilo, was bei 50 Kilo
Körpergewicht 150 bis 250 g.der Säuren entspräche.
Wir beseitigen also mit der Natronbikarbonatzufuhr schnell
die Säuremengen, die sich beim Uebergang zu strenger Diät
reichlich bilden, und lassen eine Anhäufung, wie sie zum Coma
erforderlich ist, nicht zustande kommen. Daraus ergibt sich die
Wichtigkeit der Natrontherapie für die Prophylaxe bzw. für das
eben in der Entwicklung begriffene Coma.
Wir konnten aber ausser dieser die Eliminierung der toxischen
Säuren beschleunigenden Eigenschaft noch eine weitere Eigentüm¬
lichkeit der Wirkung des Natriumkarbonats beobachten. Wir
fanden, dass die intravenöse Injektion von Natriumkarbonat und
Natriumbikarbonat den herabgesetzten Blutdruck des
comatösen Tieres erhöht, während dabei der Atmungstypus
unverändert bleibt.
Das Verhalten von comatösen Tieren, die sich frei bewegen
konnten, zeigte eine auffällige Aenderung nach Injektion von
Natriumkarbonat. Das Tier erwacht aus dem Coma, setzt sich
auf oder läuft einige Zeit herum, um dann von neuem wieder in
tiefes Coma zu verfallen.
Diese Zustände gleichen vollkommen denen, die nach be¬
ginnendem Coma des Menschen infolge intravenöser Natrium¬
karbonatzufuhr die ersten Beobachter so sehr in Erstaunen gesetzt
haben. Der Patient, der besinnungslos war, wachte nach der In¬
fusion wieder auf und erkannte seine Umgebung, um allerdings meist
1) JA. Wolpe, Archiv f. experim. Pathol. u. .Pharmakol., 1886,
Bd. 21.
2) Weintraud, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1894,
Bd. 34.
3) Magnus-Levy, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1901,
Bd. 45.
4) L. Schwarz, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1903, Bd. 76.
5) Mohr und Loeb, Centralbl. f. d. Physiol. u. Pathol. d. Stoff¬
wechsels, 1902, Bd. 3.
ti6) Ehrmann, Münchener med. Wochenschr., 1907, Nr. 52.
7) Stäubli, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1908, Bd. 93.
8) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, 1910, 5. Auflage.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
07
bald wieder von neuem in das Coma zu verfallen. Diese Wirkung
des Natriumkarbonats hätte man wohl so deuten können, dass die
nach Einführung des buttersauren Natriums in der Blutbahn frei
werdende oder dissoziierte Säure in den Zellen des Gehirns
speziell des Atemcentrums verankert wird und dass sie nun durch
das überschüssig eingeführte Natriumkarbonat wieder als Na-Salz
aus den Zellen heraustrete. Wir konnten aber feststellen, dass
die Verhältnisse nicht so liegen, und das9 weder die Stärke der
Dissoziation noch die Ersetzung des durch die Nieren leicht aus-
tretenden Natrium durch Calcium einen Einfluss auf diese Erschei¬
nungen ausübt. Es hat also auch hier die Alkalisierung an sich,
durch Zufuhr von Natriumkarbonat, anscheinend keine Bedeutung
für diese Aufhebung des Coma, ebensowenig wie umgekehrt der
Eintritt des Coma nicht verhindert wird, wenn die Zufuhr der
Fettsäuren als alkalisches Natronsalz geschieht. Hier tritt viel¬
mehr die Wirkung ein, sobald das dissoziierte alkalische Salz den
für die betreffende Fettsäure zur Toxizität erforderlichen Schwellen¬
wert erreicht. Der Eintritt der Vergiftung ist nicht nur un¬
abhängig von Alkaleszenz und anderen Verhältnissen, sondern
auch von der späteren Ausscheidung der comamachenden Dosis
aus dem Organismus. Daher zeigte sich auch nach Exstirpation
der Nieren bei Dosen, die ein leichtes Coma bewirken, genau das
gleiche Bild bei normalen und nierenlosen Tieren.
Wir kommen daher zu der Ansicht, dass diese zweite Kom¬
ponente der Natriumkarbonatwirkung nicht mit Aenderungen in
der Ausscheidung noch mit der Bindung der Fettsäuren in Be¬
ziehung steht. Es handelt sich vielmehr um eine spezifische
Wirkung des Natriumkarbonats und Natriumbikarbonats, auf das
centrale oder periphere Gefässnervensystem, die durch vorüber¬
gehende Blutdrucksteigerung mit Aufwachen aus tiefer Somnolenz
verbunden ist. Noch eine ungünstige Beobachtung nach Infusion
von konzentrierteren Natronlösungen haben wir experimentell ge¬
macht, die vor kurzem von L. Blum 1 2 ), 0. Hansen*), W. Wei¬
land 3 ) auch am Kranken beobachtet wurde, nämlich den Eintritt
von Krämpfen, die zum Tod führten.
Aus den oben mitgeteilten Experimenten und Beobachtungen
an comatösen Diabetischen ergibt sich, dass das Coma dia-
beticum eine spezifische Buttersäurenvergiftung (lß-Oxy-
buttersäure und l-Ketobuttersäure s. Acetessigsäure) ist. Die
Buttersäuren wirken als Hirngifte auf Atemcentrum, Vasomotoren¬
centrum und Grosshirn. Bei überwiegender Wirkung der Butter¬
säuren auf das Gefässsystem kann eine cardiovasculäre Form des
Coma zustande kommen. Der Wirkungsmechanismus des Natrium-
carbonats und Natriumbicarbonats beim Coma beruht einmal auf
einer schnelleren und reichlicheren Ausschwemmung der toxischen
Buttersäuren, sodann aber auch auf einer ei regenden Wirkung
für das Gefässnervensystem.
Ein Instrument zur Erleichterung der Gefäss-
naht nach Carrel.
Von
Erist Jeger.
Kürzlich hat Horsley 4 ) einen Halteapparat angegeben, durch
den die Anlegung einer circulären Gefässnaht nach Carrel er¬
leichtert werden soll. Derselbe stellt einen unter einem Winkel von
55° abgebogenen Stab dar, der an seinen beiden Schenkeln und
an der Spitze je eine Schraube tiägt. Es wird nach seiner Vor¬
schrift in der Weise vorgegangen, dass man nach Anlegung der
drei Haltefäden jeden derselben in eine der Schrauben ein¬
spannt, wodurch das Gefäss dreieckig auseinandergezogen und
das Anlegen einer fortlaufenden Naht sehr erleichtert wird.
Nun hat dieses Instrument den Nachteil, dass nur eine der drei
Seiten des dilatierten Gefässes frei zugänglich ist, während man
bei den anderen die Nadel zwischen Stab und Gefässwand durch¬
führen muss, wodurch das Nähen stark behindert wird. Dies
veranlasst mich, über ein kleines von mir benutztes Instrumentchen
zu berichten, das mir für derartige Zwecke ausgezeichnet geeignet
zu sein scheint und der schnellen Ausführung der Naht keinerlei
Schwierigkeiten entgegensetzt.
1) L. Blum, Semaine medicale, 1911.
2) O. Hansen, Zeitschr. f. klin. Med., 1912, Bd. 76.
S) W. Weiland, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, 1912,
Bd. 12.
4; Annals of surgery, 1912, Bd. 1.
Es ist a priori zu bemerken, dass die Verwendung eines
solchen Instruments bei einfachen circulären Gefässnähten an
oberflächlich liegenden Gefässen überflüssig ist. Dagegen dürfteu
viele Experimentatoren, wenn sie in die Lage kamen, Gefäss-
anastomosen an tief liegenden und stark gespannten Blutgefässen
ausführen zu müssen, sich davon überzeugt haben, dass das An¬
legen der Haltefäden, die exakte Adaptierung der Gefässränder,
das straffe Anspannen der Fäden und das Manipulieren mit den¬
selben häufig recht beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, dies
um so mehr, wenn man sich strikte an die wichtige Vorschrift
halten will, jede Berührung der Hände, der Fäden und Instru¬
mente mit den umliegenden Geweben während der Operation zu
vermeiden. Unter diesen Umständen kann das Horsley’sche In¬
strument, sowie das meinige, das ich im folgenden beschreiben
werde, ausgezeichnete Dienste leisten und einem wirklichen Be¬
dürfnis abhelfen.
Mein Instrument [siehe Figur l] 1 ) besteht aus drei Metall¬
stäben von der Dicke einer starken Stricknadel, die bei Punkt a
miteinander vereinigt sind. Jeder der drei Stäbe trägt an der
Spitze eine kleine Klemmschraube. Die Stäbe sind so stark ge¬
wählt, dass es nur durch einen ziemlich kräftigen Druck möglich
ist, die Distanz der einzelnen Schrauben voneinander etwas zu ver¬
ringern. Die Anwendung des Instrumentes geschieht in folgender
Weise:
Figur 1.
Es wird zunächst wie gewöhnlich ein Haltefaden angelegt
und, ohne zu knüpfen, in die eine Schraube eingespannt; das¬
selbe geschieht mit dem zweiten und dritten Faden. Nachdem
auf diese Weise das Gefäss straff ausgespannt worden ist, wird
ein Faden nach dem anderen aus der Schraube gelöst und unter
sorgfältigem Nach aussen krempeln der Intima verknüpft und hier¬
auf wieder eingespannt. Schliesslich werden die Gefässränder
in gewöhnlicher Weise durch fortlaufende Naht miteinander
vernäht, wobei der Assistent durch einfaches Drehen des In¬
strumentes um seine eigene Achse dem Operateur nach und nach
die ganze Circumferenz des Gefässes piäsentiert und gleichzeitig
das Instrumentchen derartig nach oben zieht, dass die beiden
Gefässenden einander dacbgiebelförmig gegenüberstehen. Durch
eine derartige Vorrichtung wird das Anlegen einer Naht ganz
ausserordentlich vereinfacht. Nachdem die Naht vollendet ist,
komprimiert der Assistent das Instrumentchen ein wenig, so dass
die Haltefäden erschlafft werden, worauf der Operateur durch
Oeffnen der Gefässklemmen die Circulation wiederherstellt. Zeigt
sich nun irgendwo eine stärkere Blutung, so wird einfach die
Klemme wieder angelegt, die Haltefäden neuerlich angespannt,
und es gelingt leicht und sicher, durch Anlegung einer Knopf¬
naht die Blutung zu stillen.
Nebenbei sei es mir gestattet, bei dieser Gelegenheit auf
folgenden Punkt hinzuweisen:
Es ist eine selbstverständliche Anforderung, dass man bei
Gefässnähten so feine Seide und so feine Nadeln verwenden soll,
als nur irgend möglich ist. Diese Forderung steht nun vielfach im
Konflikt mit der Tatsache, dass namentlich bei tief liegenden
und grösseren Gefässen und solchen, die unter einer grossen
1) Hergestellt von Georg Haertel, Breslau-Berlio.
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLIN HK KLINISCHE \V0C1I ENSCH RIET.
Nr. 2.
Cs
Spannung stehen, feine Seide einfach nicht brauchbar ist, da sie
bei jedem Stich glatt durchreisst. Ich bediene mich daher viel¬
fach des Kunstgriffes, zunächst Haltefäden aus ziemlich starker
Seide anzulegen, dieselben in das Instrumentchen einzuspannen
und hierauf mit einem allerfeinsten Seidenfaden und allerfeinster
Nadel die Circumferenz des Gefässes zu nähen, was nunmehr bei
dem Mangel jeglicher Spannung und der bequemen Art, in der
das Gefäss dem Operateur vorliegt, ohne jede Muhe gelingt (siehe
Figur 2).
Figur 2.
Man geht nun bei der Nabt derartig vor, dass man an den¬
jenigen Stellen, an denen die Haltenähte sitzen, etwas weiter als
sonst vom Rande entfernt ein- und aussticht. Durch Anziehen des
feinen Fadens wird so der dicke Haltefaden aus dem Gefässlumen
ausgeschaltet, so dass der ßlutstrom nach Wiederherstellung der
Circulation nur mehr mit den feinen Seidenfäden in Berührung
kommt. Nach Vollendung der Nabt und nach Stillung einer
etwaigen Blutung werden die Haltefäden kurz abgeschnitten und
auf diese Weise die Operation beendet. Es ist auf diese Weise
möglich, auch dicke und unter starker Spannung stehende Gefässe
mit feinster Seide fortlaufend zu nähen, was die Gefahr der
Thrombose und Verengerung des Gefässlumens wesentlich ver¬
ringert.
Bücherbesprechungen.
Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen.
Bd. 1. Die Prostitution, 1. Band. Von Dr. med. Iwan Bloch.
Berlin 1912, L. Marcus. Preis 10 M.
Bloch, der grosse Kenner der sexuellen Literatur aller Zeiten und
Völker, der die Wissenschaft schon mit so vielen wertvollen Werken
über das Geschlechtsleben, seine Verirrungen und vor allem die Syphilis
beschenkt hat, beginnt hier ein Werk, wie cs in gleichem Umfange und
mit nur annähernd ähnlichem Gehalt noch in keiner Literatur der Welt
geschaffen wurde. Diese Arbeit war nur deutschem Sammlerfleiss mög¬
lich, und auch in unserem Lande nur für einen so unabgelenkt stu¬
dierenden und sowohl der Medizin als der allgemeinen Weltgeschichte,
als so vieler Sprachen kundigen Mann, wie es Bloch ist. Sehen wir
zunächst ganz von der Beweisführung ab, die Bloch in diesem Bande
für seine Ansicht von der Bedeutung und der Besserung der Prostitutions-
Verhältnisse durchzuführen beginnt, so bietet uns das Buch durch all
die unendlich vielen Ausschnitte aus den Werken alter Autoren ein
lebendiges Bild dar, das in seiner originellen Farbenpracht uns fesselt
und vollkommen in den Weg hineinzieht, den der Autor uns führen
will. Es handelt sich in diesem Bande um die Ursprünge der Prosti¬
tution bei den wenig zivilisierten Völkern und um die Prostitution der
antiken Kulturvölker und des Mittelalters. Plastisch treten die von
dem eigenen Schulstudium uns noch vertrauten Männer und Frauen der
griechischen und römischen Autoren hervor. Bloch citiert nicht kurz,
nicht in Umschreibungen und Auszügen, sondern breit und in den eigenen
Periodengängen der Dichter und Historiker des Altertums, so dass für den
Leser zur eigenen Urteilsbildung alle Elemente klar zur Hand sind. Aber
wie anders nehmen sich jetzt die ernsten Männer jener klassischen Zeiten
aus, wo sie uns nicht als nacheifernswerte Geistesheroen und Sittlichkeits¬
lehrer in der für den Gymnasiasten ausgewählten Lektüre vorgeführt
werden, sondern als die lebenden Menschen ihrer Zeit mit den Bedürf¬
nissen und Schwächen ihres täglicheu Bedarfes, der nach den hier vor¬
geführten Citaten (meistens den sonst vorsichtig übergangenen Stellen der
Satiren und Oden, sowie den Komödien entnommen und ohne Rücksicht
auf kindliche Scheu ins Deutsche übersetzt) recht erheblich sich in
sexuellen Wünschen bewegt haben muss.
Es ist wohl zweifellos, dass Bloch die Darstellung der antiken
Verhältnisse am lebendigsten gelungen ist. Diese besonders liebevolle
Darstellung der antiken Liebesaffären, die er aus allen Schriftstellern
herausliest, sind für ihn aber auch die Grundlage aller Besprechung der
Prostitution. Er stellt den Satz auf, dass alle Prostitution der zivili¬
sierten Völker der alten Welt, also vornehmlich auch die unsere,
geradenwegs von derjenigen der antiken Kulturvölker abzuleiten sei.
Unsere Prostitution zeigt noch die Merkmale des alten Sklavenstaates,
in dem der unfreie Mensch rechtlos und als sachlicher Besitz galt, mit
dem sein Herr nach Belieben verfahren konnte. Die Möglichkeit der
Prostitution ist hier die Folge des patriarchalischen Verhältnisses, in
welchem eine absolute Vorherrschaft und Bestimmungsfreiheit des
Mannes vorhanden ist, und als Gegensatz dazu eine ebenso strenge
Ausschliessung der ehrbaren Frau von allen öffentlichen Handlungen
und ihr Vergrabenwerden in haremartiger Abschliessung. Die beiden
Geschlechter haben ganz verschiedene Rechte im Ehebunde, der nicht
auf dem beruhte, was heute als Liebe gilt und hauptsächlich auf
geistiger Anziehung beruht, sondern in einer standesgemässen Verbindung
zur Erzeugung rassereiner, ebenbürtiger und vor allem gesunder Nach¬
kommenschaft. Mit dieser Verbindung mit der Mutter seiner Kinder
war das sexuelle Verlangen des intelligenten Mannes aber nicht aus¬
gefüllt. Er verlangt nach anderer Befriedigung nicht nur des Körpers,
sondern auch seiner Phantasie, und findet sie in dem Wechsel, in der
Vereinigung mit freilebenden gebildeten oder wenigstens geistig regen
Frauen und mit jungen, eben zu geistiger Reife erblühenden Knaben,
denen er das in Manneskraft und männlichem Mut nachahmenswerte
Vorbild darstellen will — immer mit dem in jenen entlegenen Zeiten
noch nicht wie bei uns als schmutzig und schändlich geltenden Neben¬
gedanken der Befriedigung seiner sexuellen Gelüste. Diese sexuelle
Ungebundenheit stammt aber aus viel älteren Zeiten her, als es über¬
haupt noch keine festen ehelichen Verbindungen gab, und so ist die
Prostitution als der Rest dieser alten freien Geschlechtsverbindungen
anzusehen, ein Ueberbleibsel der gesetzlosen Urzeit in den Beziehungen
der Geschlechter zueinander und auch unter Individuen gleichen Ge¬
schlechts.
Bloch gibt mit seinen Ausführungen eine natürliche Erklärung der
Prostitution, die von der landläufigen Annahme, es handle sich um ein
unumgänglich notwendiges Uebel, wie der Ausdruck allgemein heisst,
sehr erheblich abweicht. Auf die genauere Darlegung seiner Gedanken¬
gänge ist es nicht möglich in dieser kurzen Anzeige und Empfehlung
des Buches einzugehen, sie würden in so erheblicher Kürzung ja nur
verstümmelt und nicht im Sinne des Autors dargestellt werden können.
Fordert er doch selbst den Leser auf, zum Verständnis dessen, was er
darlegen will, nicht hier und da einmal ein Kapitel seines Buches zu
lesen, sondern von vorne an ein Kapitel nach dem andern; es rollt sich
der leitende Gedanke des ganzen Werkes aus den allmählich fort¬
schreitenden und überall mit unendlichen Citaten bewiesenen Einzel¬
studien auf. Es ist vielleicht nicht überflüssig, zu erwähnen, dass trotz
der spannenden Darstellungsart und trotz des gewiss heiklen Stoffes in
dem Werke die äusserste Dezenz gewahrt ist. Es ist selbstverständlich
kein Buch, das für Unerwachsene geeignet ist, aber es hält sich von
der allergeringsten Spur von Lascivität so ausserordentlich fern, wie es
eben nur ein im besten Sinne als wissenschaftlich anzusehendes Werk
tun muss. Die Besprechung der Lehre von den sexuellen Zuständen
des Menschen, normalen und abnormen, wie sie in der „Sexualwissen¬
schaft“ zusammengefasst werden soll, hat mit diesem Bande in würdiger
Weise begonnen. Pinkus.
H. Stranss: Vorlesung über diätetische Behandlung innerer Krank¬
heiten. 3. vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1912,
Verlag von S. Karger.
Die Wertschätzung, deren das Strauss’sche Buch seit seinem Er¬
scheinen sich erfreut, wird durch die vorliegende Auflage noch wesent¬
lich gesteigert werden. Den Ausführungen über allgemeine diätetische
Gesichtspunkte, die in dankenswerter Kürze das für den Zweck des
Buches Notwendige und Ausreichende hervorheben, folgt die diätetische
Behandlung der Speiseröhren-, Magen- und Darmerkrankungen in kli¬
nisch musterhafter Gliederung. Sie nimmt entsprechend ihrer Bedeutung
den weitesten Raum des Buches ein. In ausserordentlich glücklicher
Weise vereinigt Verf. die Ergebnisse der Physiologie mit den praktisch
klinischen Erfahrungen, so dass die schablonenhafte Aufstellung von
Speisezetteln völlig vermieden wird, was besonders bei Besprechung der
Ulcusbehandlung von grossem Wert ist. Auch bei der Abhandlung über
die Diätetik der Abdominalerkrankungen stehen die prinzipiellen Ge¬
sichtspunkte im Vordergrund, die geeignet sind, den Leser zum selb¬
ständigen diätetischen Denken anzuregen. Zweckmässig wären hier
einige Vorschriften für die Behandlung der chronischen adhäsiven Zu¬
stände des Bauchfelles, für die die richtige Ernährung oft die einzige
Therapie darstellt. Bei dem Kapitel „Nephritis“ ist die präzise Hervor¬
hebung der Indikation für die Kochsalzentziehung ausserordentlich
dankenswert. Die Kapitel Diabetes, Gicht und Fettsucht stehen absolut
auf der Höhe der modernen Erkenntnis der Stoffwechselpathologie,
würdigen strittige Fragen ohne Weitschweifigkeit und tragen den Stempel
der eigenen umfangreichen klinischen und experimentellen Erfahrungen
des Verfassers.
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
69
Ausführungen über vegetarische Ernährungsweise, Uebersicht und
kritische Würdigung der sehr zahlreichen Nährpräparate und reichhaltige
Nahrungsmitteltabellen beschliessen das Buch, dem als Anhang Winke
für die diätetische Küche von Elise Hannemann beigefügt sind.
Gleich wertvoll als Nachschlagewerk wie als zusammenhängende
Lektüre stellt das Strauss’sche Buch in seiner dritten Auflage ein unent¬
behrliches Hilfsmittel für jeden Arzt dar, der sich mit praktischer
Therapie beschäftigt und auf der Höhe seiner Kunst stehen will.
M. Hirschberg-Tegel.
R. Gattsebalk: Grandriss der gerichtlichen Medizin. (Einschliesslich
Unfall- und Invaliditätsversicherung.) Für Aerzte und Juristen.
4. vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1912, Georg
Thieme. 471 S. Preis 6,50 M.
Das bekannte Kompeudium erfreut sieb, wie die Zahl der sich
schnell folgenden Auflagen beweist, einer Beliebtheit, die dem Referenten
wohl begründet erscheint. In der vorliegenden vierten Auflage zeigt
der Verfasser, dass er den neueren Erscheinungen der Literatur mit
Verständnis gefolgt ist. Auch die Fortschritte der Gesetzgebung, insbe¬
sondere die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung sind ein¬
gehend berücksichtigt. Die wichtigsten Bestimmungen der Reichsver-
sicberungsordnung sind übersichtlich zusammengestellt. So wird auch
diese neue Auflage dem Verfasser und seinem Buche sicherlich neue
Freunde werben. Marx-Berlin.
B. Mayrhofer-Innsbruck: Lohrbich der Zahnkranhheiten frir Aerzte
aad Stadierende. 340 Seiten Text mit 296 Abbildungen. Jena 1912,
Verlag von Gustav Fischer. Preis 9 M.
Das vorliegende Werk M.’s ergänzt seine „stomatologischen Demon¬
strationen“ und entspringt ebenso wie letztere dem Bestreben, die
praktischen Aerzte für eine teilweise Ausübung der Zahnheilkunde zu
gewinnen. Es ist ein zu billigender Wunsch, dass der Arzt sich während
seines Studiums auch auf zahnärztlichem Gebiet so viel Kenntnisse an¬
eignet, dass er Zahnschmerzen — die weitaus häufigsten Schmerzen, von
welchen die Menschen heimgesucht werden — auch anders als durch
Extraktion zu beheben imstande ist. Es gilt dies in erster Linie für die
Aerzte kleinerer Städte und Dörfer, in denen Zahnärzte nicht ansässig
sind, und nicht minder für Schiffs- und Kolonialärzte.
In dem Lehrbuch finden wir unter Ausschaltung des rein spezialisti-
schen Teils alles das mit Sorgfalt zusammengetragen, was von den Zahn¬
krankheiten für den Allgemeinarzt theoretische und praktische Bedeutung
hat. Unberücksichtigt geblieben ist die Lehre von der Extraktion der
Zähne, ebenso ist über die Beziehungen der Zähne zum übrigen
Organismus nur ein kurzer Ueberblick gegeben. Mit grossem Interesse
und viel Freude habe ich als Arzt und Zahnarzt das Werk studiert,
denn die Darstellung ist musterhaft, die Ausstattung gediegen und die
Abbildungen sind vorzüglich. Dem angehenden Jünger der Zahnbeil¬
kunde bringt das Buch eine ihn zu medizinischem Denken anleitende Ein¬
führung in sein Fach. Zum Studium für Mediziner hätten vielleicht
manche Abschnitte, besonders die in der ersten Hälfte besprochene Patho¬
logie der Zahnform und des Zahnwechsels kürzer gefasst und dadurch
dem Ganzen eine weniger voluminöse Form gegeben werden können.
G. Preiswerk: Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheil-
kaide. Lehmann’s medizinische Handatlanten, Bd. 38, 404 Seiten
Text mit 32 vielfarbigen Tafeln und 323 Textabbildungen.
München 1912, J. F. Lehmann’s Verlag. Preis gut gebunden
14M.
Dieser von einem alterfahrenen Praktiker geschriebene neueste
Band der L.’schen Handatlanten ist für die Zahnärzte bestimmt und
solche, die es werden wollen. In möglichst knapper, leicht fasslicher
Form behandelt Verf. einen Spezialzweig der zahnärztlichen Wissenschaft.
Besonderer Wert ist auf detaillierte Darstellung der wichtigsten Me¬
thoden, vornehmlich der Goldfüllungen, der Pulpa- und Wurzelbehand¬
lungen gelegt. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug des vorliegenden
Buches scheint mir die überaus reichliche Anzahl und Güte der Ab¬
bildungen zu sein, die ebenso wie der mit Sorgfalt geschriebene Text dem
Leser vor Augen führen, dass nur sorgfältiges und gewissenhaftes Arbeiten
in unserem Beruf befriedigende Resultate zeitigen kann. Möge das Werk
denselben Anklang finden, wie die beiden früheren von P. heraus¬
gegebenen Lehrbücher (Lehmann’s Handatlas Nr. 30 u. 33).
ProII - Königsberg.
Literatur-Auszüge.
Anatomie.
A. Keitb- London: Die funktionelle Katar des Blinddarmes und
dus Wurmfortsatzes. (Brit. raed. journ., 7. Dezember 1912, Nr. 2710.)
Bei allen Wirbeltieren findet sich an der Verbindungsstelle des Dünndarmes
und Dickdarroes eine sphinkterartige Stelle. Wo sich der Diekdarra zurück¬
bildet, wie bei den Bären, Insektivoren und Edentaten ist der ileocoecalc
Sphinkter das einzige sichtbare Gebilde, das eine Verbindung von Dünn-
and Dickdarm zum Ausdruck bringt. Die Tätigkeit des Sphinkter kann
am besten an der Ratte studiert werdeD. Die grösste Spezialisierung
zeigt die Ileocoecalgegend des Darmes bei den pflanzenfressenden Vögeln.
Hier liegt zwischen Ueura und Colon ein besonderer Darmabschnitt
(coecales Colon), von dem die beiden Coeca abgehen, ln diese wird der
alkalische Darminhalt durch Bakterienwirkung sauer, und er wird nur
gelegentlich und teilweise wieder entleert. Ueberhaupt wird bei keinem
Tiere das Coecum jemals völlig entleert; hier ist vielmehr die Brut¬
stätte für die Baktorien, die zur Dickdarmverdauung gebraucht werden,
und es bleibt immer ein Rest davon im Coecum für die Weiterkultur.
Vom Standpunkt der vergleichenden Anatomie bat man den Dickdarm
als einen für seine besondere Zwecke (Erhaltung der Verdauung durch
Bakterien) besonders entwickelten Darmteil anzusehen. Auch der
Appendix hat sicher seine Funktion, sonst wäre anzunehmen, dass er im
Laufe der langen Entwicklungszeit, vom Ursprung der anthropoiden
Affen bis jetzt, längst verschwunden wäre. Weydemann.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Besta,
Cerebro-cerebellare Bahnen.
Physiologie.
F. Bering-Kiel: Zur Wirkung des Lichtes. (Münchener med.
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Das Licht übt eine Wirkung auf die Grund¬
stoffe des Organismus in dem Sinne aus, dass es zu einer Spaltung der¬
selben führt; ausserdem vermag es einen fördernden Einfluss auszuüben
auf Oxydationsprozesse sowohl in dem Sinne, dass es die Abspaltung
des Sauerstoffs erleichtert, als auch, dass es fördernd auf die in allen
Zellen tätige Peroxydase wirkt. An diesen Vorgängen sind vermutlich
alle Strahlengruppen beteiligt; jene, deren Wirkung nur eine sehr ge¬
ringe, deren Penetrationskraft aber eine grosse ist, finden im Organismus
Stoffe, welche ihnen durch Sensibilisierung eine Wirkung ermöglichen.
Dünner.
Pharmakologie.
E. Harnack - Halle a. S.: Die Arsenqnelle za Dürkheim.
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Die Maxquelle in Dürk¬
heim ist unter allen Arsenquellen die zweitreichste mit 17—18 mg
As 2 O s im Liter. H. empfiehlt die Maxquelle sehr warm. Dünner.
J. Almkvist - Stockholm: Weitere Untersuchungen über die
Pathogenese der merenriellen Colitis und Stomatitis. (Dermatol.
Zeitschr., November und Dezember 1912.) Durch Fäulnisprozesse werden
gemeinsam mit dem Quecksilber die Colitis und Stomatitis mercurialis
hervorgerufen, und zwar dadurch, dass durch die Fäulnis Schwefelwasser¬
stoff gebildet wird, welcher mit dem Quecksilber das giftige Schwefel¬
quecksilber bildet, durch welches die Darmschleimhaut bzw. die Mund¬
schleimhaut geschädigt wird. Immerwahr.
Staeubli - Basel: Beobachtungen über Arsenüberempfindlichkeit.
(Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Vortrag, gehalten in der
Medizinischen Gesellschaft in Basel am 7. November 1912.
Wolfsohn.
F. Rabe-Rostock: Resorption von Eisenpräparaten. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Versuche am Fistelkunde zeigen, dass
der Dünndarm des Fleischfressers imstande ist, von einem mit der
Nahrung gereichten Eisenpräparat grosse Mengen zu resorbieren. Die
Hauptmenge des Eisens wird in den obersten Darmabschnitten resorbiert.
Wahrscheinlich wird auch Eisen durch die Magenwand resorbiert. Die
Eisenresorption wird stark eingeschränkt, wenn die Eisengaben rasch
hintereinander erfolgen. Dünner.
Siehe auch Hygiene und Sanitätswesen: Dienes, Tiefen¬
wirkung des Formaldehyds. — Parasitenkunde und Serologie:
Wright, Pharmakotherapie der Pneumokokkeninfektion.
Therapie.
R. Langbein - Leipzig: Beitrag zur Behandlung der Isebias Bit
epidoralen Injektionen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) L.
hat epidurale Injektionen von „Läwen’scher Lösung“ in 12 Fällen von
Ischias ausgefübrt (Natr. bicarbon. puriss. 0,25, Natr. chlorat. 0,5,
Novocain 1,0; wird in 100 ccm destilliertem Wasser aufgelöst und dann
noch einmal halb aufgekocht). Am Hiatus sacralis werden die Injektionen
am besten in sitzender Haltung ausgefübrt. Die Injektion muss leicht,
ohne Widerstand erfolgen; ein Oedem darf nicht entstehen. Häufig
treten Parästhesien oder Druckgefühl in beiden Beinen auf. Nach 15
bis 20 Minuten sind bei richtiger Injektion alle Ischiassymptome ver¬
schwunden. Zweitägige Bettruhe. Resultate: 7 Fälle dauernd geheilt,
4 gebessert. Das Verfahren wird empfohlen, wenn energische Kuren
mit Wärmeprozeduren und Antineuralgica erfolglos waren.
Wolfsohn.
A. J. Wallace-Liverpool: Die Unterdrückung der Krämpfe bei
der Eklampsie. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Veranlasst
durch die Erfolge der Injektionen von Magnesiumsulfatlösung bei Tetanus
hat der Verf. diese auch bei Eklampsie in zwei Fällen versucht. Die
Dosis betrug bei intraspinaler Injektion 1 ccm der 25 proz. Lösung auf
je 25 Pfund (engl.) Körpergewicht. Natürlich will der Verf. aus den
zwei Fällen keine allgemeinen Schlüsse ziehen, doch kann er berichten,
dass nach der Injektion die Anfälle 7 und 4 7a Stunden ausblieben und
beide Patientinnen mit lebenden Kindern geheilt entlassen wurden. Ob
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UMIVERSITY OF IOWA
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Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ein Zusammenhang zwischen den Injektionen und dem Ausbleiben der
Anfälle besteht, müssen weitere Untersuchungen lehren.
Weydemann.
Zink - Davos: Versnche mit Mesbe. (Münchener med. Wochenschr.,
1912, Nr. 50.) Mesbö hatte, wie Z. an einigen Fällen nachzuweisen
sucht, bei Larymtuberkulosen keinen Erfolg. Dünner.
Siehe auch Chirurgie: Lotheissen, Behandlung mit Novojodin-
paste. — Innere Medizin: Saar, Melubrin bei akutem Gelenk¬
rheuma.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
H. Bayon-Robbeninsel (Kapkolonie): Epithelwncherongen durch
Einspritzungen von Kohlenteer. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.)
Injektionen von Teer aus Gebläseöfen in das Kaninchenohr hatte keine
Wirkung, solche von Teer aus Gaswerken dagegen machten lebhafte
Epithelwucherungen in Gestalt eines dicken Walles um den injizierten
Teer; von dem Walle gingen Stränge und Zapfen in die Tiefe. Gleich¬
zeitig fanden sich Rundzelleninfiltration und Epithelnester. Der Teer
war mit vier Teilen Lanolin emulgiert und diese Mischung durch Er¬
hitzen auf 60° an drei aufeinanderfolgenden Tagen sterilisiert werden.
Wey demann.
E. F. Ba shford - London: Das Krebsproblem. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten im Verein für innere Me¬
dizin und Kinderheilkunde zu Berlin am 21. Oktober 1912.
Wolfsoh n.
E. Bressl au - Strassburg: Hyperthelie. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 51.) Beim Eichhörnchen entstehen aus der von der
Achselhöhle zur Leistengegend verlaufenden Milehlinie die Milchhügel,
die sich dann verdoppeln. Der eine Teil wird Zitze, während aus dem
anderen Sinushaare entstehen. Scheinbar handelt es sich hier um
eine doppelte Zitzenanlage; von Hyperthelie kann man in diesem Falle
nicht sprechen. Inwieweit diese Befunde für den Begriff der Hyperthelie
überhaupt verallgemeinert werden können, muss zunächst unentschieden
bleiben. Jedenfalls kann man mit Rücksicht auf die Untersuchungen
von B. nicht ohne weiteres die Hyperthelie als pathologischen Vorgang
oder als Rückschlag auf mehrbrüstige Vorfahren formen ansehen.
Dünner.
H. Rib b e r t - Bonn: Beitrag Kar Rachitis. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 1.) Im Bereich der von den Markräumen durch¬
wachsenen Knorpelabschnitte fand R. vielfache kernlose, im Absterben
begriffene Knorpelzellen. (Färbung mit Hämalaun und van Gieson;
Ueberfdrben mit Orange. Die zerfallenen Knorpelzellen erscheinen dann
intensiv gelb.) Für die Knorpelnekrosen macht R. toxische, auf das
Skelett wirkende Einflüsse verantwortlich. Diese sind wahrscheinlich
aus Stoffwechselstörungen infolge falscher Ernährung abzuleiten.
Wolfsohn.
G. Cannisa: Zwei neue Fälle von Ostinm atrioventricalare sin.
duplex. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 23, Nr. 23.) Bei zwei Erwachsenen
fand sich eine Verwachsung der Mitralsegel in der Mitte, so dass ein
doppeltes Ostium entstand. Als Ursache wird Endocarditis angenommen
und die Möglichkeit einer fötalen Entzündung erörtert.
H. Reinhard: Ein Fall von endocardialem Ahklatschtnberkel.
(Vircbow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Bei allgemeiner Miliartuberkulose
fanden sich im Herzen Tuberkel, die sich als echte endocardiale er¬
wiesen, durch direkte Infektion vom Blut aus. Besonders bemerkens¬
wert ist, dass am vorderen und hinteren Papillarmuskel des linken
Herzens sich genau an den Stellen, die sich bei Systole berühren,
Tuberkel gebildet hatten, die somit als Abklatschtuberkel aufzufassen sind.
E. Reye: Ueber die Lokalisation der Lungenembolien. (Central¬
blatt f. Pathol., Bd. 23, Nr. 23.) Auf Grund statistisch zusammen¬
gestellten Sektionsmaterials kommt R. zu dem Schluss, dass embolische
Infarkte unabhängig von dem Ort der Herkunft in allen Lungen¬
abschnitten entstehen können. Am häufigsten werden die Unterlappen
befallen.
E. Joest und E. Emshoff: Studien über die Histogenese des
Lymphdrüsentuberkels und die Frühstadien der Lymphdrüsentuberkulose.
(Virehow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Bei Impfung mit Typ. bovinus
zeigen die regionären Lymphdrüsen des Meerschweinchens am 5. oder
6. Tag die ersten spezifischen Veränderungen, bei Typ. humanus schon
am 3. Tag. Es bestehen diese in Epitheloidzellhäufchen, die, wie Mitosen
und Uebergänge zeigen, aus Reticulumzellen der perifollikulären Lymph-
bahnen hervorgehen, nicht aus Zellen der reticulumfreien Keimcentren.
Auch die später auftretenden Riesenzellen stammen von den Re¬
ticulumzellen. Mitosen finden sich bei Typ. bovinus spärlich, bei Typ.
humanus reichlich, ebenso verhalten sich die Bacillen im gefärbten
Schnitt. Die Lymphocyten gehen durch Pyknose zugrunde. Die Ver-
grösserung der Lymphdrüsen wird nur durch Zunahme des spezifischen
Gewebes bestimmt, ein lymphoides Vorstadium im Sinne Bartel’s wurde
nicht beobachtet. Die ersten Stadien der spontanen Lymphdrüsentuber¬
kulose beim Rind stimmen mit diesen experimentellen Befunden im
ganzen überein.
H. Beitzke: Untersuchungen über die Infektionswoge der Tnber-
kalose. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2 ) Unter 27 Kinderleichen, die
frei von manifester Tuberkulose waren, liess sich neunmal in Lymph¬
drüsen mikroskopisch oder durch Tierversuch tuberkulöse Infektion nach-
weisen. Einmal waren die Tracheobronchialdrüsen allein befallen, drei¬
mal diese mit Drüsen des Verdauungstractus, fünfmal nur solche des
Digestionsapparates (4 Cervicaldrüsen, 1 Periportaldrüse). Nur in einem
Fall enthielt eine periphere Drüse, Axillardrüse, Tuberkelbacillen. Es
wird daraus geschlossen, dass im Latenzstadium eine hämatogene Ver¬
schleppung von Tuberkelbacillen beim Kind nicht oder nur ausnahms¬
weise vorkommt, vielmehr eine Drüseutuberkulose die Eintrittspforte an¬
zeigt. Lympboide Hyperplasie fand sich bei den infizierten Fällen
häufiger, in 2 /a der Fälle aber auch bei nicht infizierten Kindern.
C. Hart: Thymusstadien. II. Thymnselemente. (Virchow’s Archiv»
Bd. 210, H. 2.) Die Thymus ist ein lympho-epitheliales Organ, ent¬
sprechend ihrer zellulären Zusammensetzung. Der epitheliale Anteil
(Reticulum) bildet das eigentliche Parenchym, dem die spezifische
Thymusfunktion obliegen dürfte. Der zweite lymphoide Anteil ist durch
Einwanderung entstanden und dürfte nur die allgemeinen Lymphocyten-
funktionen ausüben, also keine organspezifische. Die eosinophilen Zellen
sind gleichfalls eingewandert und dienen der vorübergehenden Speiche¬
rung überschüssig gebildeter Sekretionsprodukte.
Chr. Lundsgaard: Ueber Nebennierenblntnngen bei Nengehnrenen.
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 1 u. 2.) Nebennierenblutungen können
bei Neugeborenen in normalem Organ eintreten oder aber in vorher
hyperplastischem Organ; in letzterem Fall zeigt die an dem Hämatom
anliegende Niere eine entsprechende Deformation.
Rob. Meyer: Nebennieren bei Anencephalie. (Virchow’s Archiv,
Bd. 210, H. 1. u. 2.) Bei etwa der Hälfte der Anencephalen ist die
Nebenniere einseitig oder doppelseitig zugrunde gegangen. Der Zu¬
sammenhang mit der Gebimmissbildung ist nicht klar, aber letztere
jedenfalls primär. Es können aber die Nebennieren auch normal an¬
gelegt sein, das Mark ist sogar oft hyperplastisch und weit differenziert.
Der Lipoidgehalt der Rinde ist unverändert, soweit diese nicht durch
frühzeitigen Untergaug der Zona reticular. und inneren Zona fasciculat.
verkleinert ist.
Th. Fahr: Können wir die Nierenerkranknngen nach ätiologischen
Gesichtspunkten einteilen? (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2.) Auf
Grund von Untersuchungen bei verschiedensten Infektionen kommt F.
zu einer Verneinung der Frage. Einzelne Formen sind wohl soweit
charakteristisch, dass man, wie von Quecksilbernere, von Choleraniere
und Scharlachniere sprechen kann, aber darüber hinaus muss die ana¬
tomische Einteilung bestehen bleiben.
K. Sugi: Ueber Veränderungen des Wnmfortsatses bei allge¬
meiner Infektion und bei Peritonitis. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 2
u. 3.) Das Verhalten des Wurmfortsatzes bei septischen Allgemein¬
infektionen wurde an Schnitten untersucht. Es fanden sich bei Strepto¬
kokken- und Staphylokokkeninfektionen in einer Anzahl von Fällen
Kokkenembolien, aber ohne Reaktion der Umgebung. Sie liegen in allen
Schichten der Wand, am häufigsten in Mucosa und Submucosa, keines¬
wegs mit Vorliebe in den Follikeln. Der Appendix verhält sich hierin
dem übrigen Darm gleich. Ausserdem finden sich häufig kleine Blutungen.
Bei allgemeiner Miliartuberkulose liegen Tuberkel in allen Wandschichten.
Bei eitriger Peritonitis dringt die Entzündung bis zur MusQularis,
selten in den Lymphgefässen bis zur Muscosa vor; vielfach greift die
Entzündung vom Mesenteriolum herüber. Dietrich.
W. Kern-Wien: Ueber Leberverändernngen bei chronischem
Alkohol ismas. (Zeitschr. f. Hygiene, 1912, Bd. 73, H. 1, S. 143.) Unter
einer Gesamtzahl von 111 Fällen des pathologisch-anatomischen In¬
stituts zu Wien, d. h. 2,6 pCt. in bezug auf die Gesamtzahl der Sektionen
und 65 pCt. in bezug auf die Anzahl der Potatoren, fanden sich Leber¬
veränderungen, die das Gewebe der Glisson’schen Kapsel und die kleinen
Gallengänge betrafen und häufig noch mit Fettinfiltrationen des
Parenchyms verbunden waren. Möllers-Berlin.
M. Lissauer-Königsberg i. Pr.: Experimentelle Lebercirrhose
naeh chronischer Alkoholvergiftung. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 1.) Vortrag im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in
Königsberg i. Pr. am 28. Oktober 1912. Wolfsohn.
Siehe auch Röntgenologie: Walter, Wachstumsschädigung
junger Tiere durch Röntgenstrahlen. Koch und Bucki, Resorption der
serösen Höhlen. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten:
Alles, Mucocele der vorderen Ethmoidalzellen. — Chirurgie: Stüsser,
Epitheliale Neubildungen des Nierenbodens. — Parasitenkunde und
Serologie: v. Calcar, Diplococcus pneumoniae und Pathogenese der
croupösen Pneumonie. — Hygiene und Sanitätswesen: Cesa-
Bianchi, Staubinhalation und Lungentuberkulose. — Innere Medizin:
Roque und Cordier, Die tuberkulöse Natur des Ascites bei Leber¬
cirrhose speziell bei Laöonec’scher Cirrhose. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten: Stöcker, Balkenmangel im Gehirn.
Diagnostik.
A. Dienst - Leipzig: Ein einfaches Hifsmittel zur Differential-
diagnose zwischen Ascites and schlaffen Ovarialcysten. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.) Im Ascites ist stets Fibrinogen vor¬
handen, das durch konzentrierte Kochsalzlösung fällbar ist; im Cystom-
inhalt fehlt Fibrinogen. Man braucht also nur die durch Punktion
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UNIVERSUM OF IOWA
13.Januar 1913. BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 71
gewonnene Flüssigkeit auf Fibrinogen zu untersuchen, um zu wissen, ob
Ascites oder Cystom vorliegt. Im ersteren Falle unterbleibt die Lapa-
ratomie. Dünner.
Parasitenkunde und Serologie.
J. Kl ein-Bonn: Ueber die sogenannte Mutation und die Ver¬
änderlichkeit des Gärvermögens bei Bakterien. (Zeitschr. f. Hyg.,
1912, Bd. 73, H. 1, S. 87.) Man findet bei Stuhl- und Urinunter¬
suchungen oft Bakterien, die zunächst keinen Milchzucker zersetzen und
in Traubenzucker auch kein Gas bilden. Von diesen erlangt ein Teil
diese Fähigkeiten nach kurzer Berührung mit der Laktose im künst¬
lichen Nährboden wieder und muss als Colibacillen angesprocben werden.
Es finden sich aber auch, allerdings seltener, Stämme, die als mutierende
Arten aufzufassen sind, deren charakteristisches Merkmal die Knopf¬
bildung auf Milchzuckeragar ist. Schliesslich gelangen zwei wiederum
anders geartete Stämme zur Beobachtung, die auch die Laktose nicht
sofort zersetzen könneD, sondern auf einem flüssigen Nährboden mit
0,5 pCt. Milchzucker dazu 3—4 Tage gebrauchen. Die Keime haben
dann ihre Fähigkeit erworben und vererben sie bei steter Berührung
mit Milchzucker weiter. Im Gegensatz zum ricbtungslosen und experi¬
mentell unbeeinflussbaren Auftreten der Mutanten bei Pflanzen lässt
sich dies bei den Bakterien mit der Sicherheit einer chemischen Reak¬
tion durch Zusatz des entsprechenden Kohlehydrats zum Nährboden und
nur dadurch erreichen. Die in Milchzucker Knöpfe bildenden Stämme
wurden durch kein anderes Kohlehydrat dazu gebracht.
Möllers.
Sir A. E. Wright in Verbindung mit anderen: Ueber die Pharmako¬
therapie der Paeamokokkeninfektioneii. (Lancet, 14. u. 21. Dezember
1912, Nr. 4659 u. 4660.) Nachprüfung der Versuche von Morgenroth
mit Aethylhydrocupreinchlorhydrat an Tieren und Menschen. Das Mittel
ist in Serum ebenso wirksam wie in Wasser gelöst und wirkt spezifisch
auf Pneumokokkeu; auf Staphylokokken und Paratyphusbacillen nur
ganz wenig. Bei Mäusen verhinderte das Mittel, vor der Pneumokokken-
infektion gegeben, bei 90 pCt. deren Ausbruch, nach der Infektion ge¬
geben brachte es bei 50 pCt. Heilung. Beim gesunden Menschen erhält
das Serum drei Stunden nach Eingabe von 0,5 g die Fähigkeit, Pneumo¬
kokken zu töten, ebenso bei Mäusen, nicht aber bei Kaninchen. Die
opsonische Kraft des Serums wird durch Einverleibung des Mittels nicht
verändert. Augenstörungen nach Gaben von 0,5—2,0 g innerlich oder
subcutan sind auch von Wright beobachtet. Er hat aber keine Heil¬
wirkung bei Pneumonie beim Menschen konstatieren können, vielleicht,
weil die im fibrinösen Exsudat fest eingebetteten Pneumokokken vom
Mittel nicht so erreicht werden wie bei der septikämischen Form der
Infektion bei Mäusen. Weydemann.
P. Gei bei-Darmstadt: Ist das Tuberkulin für den gesunden Orga¬
nismus ungiftig? (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 13.) Verf.
kommt bei seinen Versuchen zu dem Schluss, dass es mit Hilfe der
Landmann’schen Präparate (Tuberculol) möglich sei, die spezifische
Giftwirkung des Tuberkulosegiftes dem gesunden Organismus gegenüber
einwandfrei nachzuweisen. Referent hat sich durch die Ausführungen
des Verf. nicht von der unbedingten Richtigkeit seiner Auffassung über¬
zeugen können, dass das Tuberkulin für den gesunden Organismus
giftig sei. Möllers.
E. Levy-Strassburg: Probleme der spezifischen Tuberkulose-
bekuudlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Das Tier¬
experiment hat ergeben, dass ein bereits tuberkulös erkrankter Orga¬
nismus gegenüber einer Superinfektion mit Tuberkulose sich einer
relativen Widerstandserhöhung erfreut. Die Superinfektion, sei es mit
lebenden oder toten Bacillen, beeinflusst den tuberkulösen Prozess
günstig, wenn nicht zu hohe Dosen angewendet werden. Dabei werden
wahrscheinlich sehr wirksame Antistoffe im Körper hinterlassen. Zur
Erzielung einer Immunität ist die Impfung mit lebenden Erregern ent¬
schieden die beste Methode, und zwar mit Stämmen, die entweder von
Natur aus oder durch künstliche Maassnahmen nur noch minimale oder
gar keine pathogene Eigenschaften besitzen. Dabei muss natürlich ge¬
wissenhaft kontrolliert werden, ob der betreffende Stamm nicht wieder
virulent wird. Es wird jetzt vielfach behauptet, dass eine Vaccination
mit toten Tuberkelbacillen bzw. deren Stoffwechselprodukten überhaupt
nicht wirksam sei. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass auch
tote Bacillen bei ihrer Uebertragung typische histologische Verände¬
rungen hervorrufen. Allerdings bleiben dieselben lokal, ohne eine Allge¬
meininfektion nach sich zu ziehen. Durch chemisch indifferente Stoffe,
wie Glycerin, Harnstoff, Zuckerarten usw., lässt sich jeder denkbare
Grad von Abschwächung lebenden Materials erzielen. Für therapeutische
Zwecke findet eine Einwirkung auf die Bacillen nur so lange statt, bis
letztere in einer Menge von 2 mg Meerschweinchen nach intramusku¬
lärer und intraperitonealer Injektion nicht mehr tuberkulös erkranken
lassen. Man muss sich stets vor Augen halten, dass die hervorgerufene
Immunität nur eine temporäre ist. Die Einspritzungen müssten etwa
alle 3—12 Monate wiederholt werden. Wolfsohn.
R. P. v. CaIcar-Leiden: Ueber den Diploeocens pneimonUe und
die Pithogenese der cronpösen Piennonie. (Zeitschr. f. Hyg., 1912,
Bd. 73, H. 1, S. 79.) Die Bedeutung des Diplococcus pneumoniae liegt
in der Tatsache, dass er weniger ein Bewohner des Inhalts der Mund¬
höhle, als ein obligater Parasit des Oberflächenepithels ist, dass er die
Fähigkeit besitzt, aktiv bis in die Tiefen des Epithels durchzudringen,
dass er direkt die Oberflächenschichten der Schleimhaut verlassen kann,
um in die Blutbahn durchzudringen. Die Untersuchung des Inhalts der
Mundhöhle lehrt, dass der Diploeocens pneumoniae namentlich dann
einen hohen Grad von Virulenz besitzt, wenn er eigentlich abgesondert
von den anderen Mikroorganismen auftritt, d. h. also, wenn er innerhalb
der Epithelzellen eingeschlossen ist. Ueberdies geht dieser Mikroorga¬
nismus bei der Symbiose mit den anderen Mikroorganismen, wie dies
bei der echten Aspirationspneumonie geschieht, infolge seiner grossen
Labilität schnell zugrunde.
W. Weiohardt und H. Stötter: Kurze Bemerkungen zu der
Arbeit von Dr. A. Korff-Petersen und Dr. H. Brinkmann in der
Zeitschr. f. Hyg., Bd. 72. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 182.)
Korff-Petersen und Brinkmann-Berlin: Erwiderung auf vor¬
stehende „Kurze Bemerkungen“. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1,
S. 184.) Polemik. Möllers.
R. Oppenheimer-Frankfurt a. M.: Zur Frage des Tuberknlose-
naehweises durch beschleunigten Tierversuch. (Münchener med.
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) 0. polemisiert gegen Esch, der behauptet,
dass die Intracutanreaktion des mit dem tuberkuloseverdächtigen
Material infizierten Tieres in früheren Stadien die Tuberkulose erkennen
lasse als die von Oppenheimer angegebene intrahepatische Impfung,
bei der man die Diagnose durch Sektionsbefund sichern kann.
Dünner.
Siehe auch Hals-, Nasen-und Ohrenkrankheiten: Mackin¬
tosh, Akuter Nasenkatarrb. — Haut- und Geschlechtskrankheiten:
Sowade, Kultur der Spirochaete pallida. — Hygiene und Sanitäts¬
wesen: Bernhardt, Fleischvergiftungserreger. — Innere Medizin:
Hübschmann, Gonokokkensepsis mit Endocarditis. — Chirurgie:
Haim, Die appendiculäre Peritonitis vom bakteriologischen Standpunkt.
Innere Medizin.
R. von den Velden-Düsseldorf: Zur Wirkung der Radiumem&nation
anf das Blut. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.)
Wird ausserhalb des tierischen Organismus (in vitro) dem Blut Radium¬
emanation zugesetzt, so tritt bei Capillarblut eine deutliche Beschleuni¬
gung der Gerinnung ein; bei venösem Blut ist diese weniger deutlich.
Die durch Inhalation, Injektion und Trinken zugeführte Radiumemanation
ruft eine Verkürzung der Gerinnungszeit sowohl des capillaren wie auch
des venösen Blutes hervor (bei extravasculärer Untersuchung). Es zeigt
sich dabei keine Veränderung der Blutkonzentration. Die Menge der
Trockensubstanz und des Fibrins bleibt annähernd gleich. Die an
Normalen festgestellte Tatsache der beschleunigten Blutgerinnung nach
Zufuhr von Radiumemanation gilt auch für die Hämophilie.
Arneth - Münster: Ueber das Verhalten der eosinophilen Lenkt-
eyten hei der cronpösen Lungenentzündung. (Deutsches Archiv f. klin.
Med., Bd. 103, H. 3 u. 4.) Die eosinophilen Blutzellen verschwinden
nicht immer bei der croupösen Pneumonie bis auf die letzte Zelle. Je
schwerer der Fall, um so weniger Eosinophile im Blut. Am Tage nach
der Krisis erscheinen sie meist wieder. Der Bedarf an Eosinophilen ist
also während der Pneumonie im Körperhaushalt reduziert. Es ist anzu¬
nehmen, dass auch die Produktionsstätten im Mark ihre Tätigkeit ein¬
schränken. Einige postpneumonische Eosinophilien sind beobachtet
worden. Die eosinophilen Zellen erscheinen bei ihrem ersten Wieder¬
erscheinen als überreif. Sie haben also durch den Pneumonieprozess
keinerlei Schädigung erfahren. Sie haben andererseits zu dem Kampf
gegen die Infektionserreger und zur Schutzstoffbildung keine Beziehung.
Die Eosinophilie kann als biologische Reaktion nicht in Parallele zur
Neutropbilie gesetzt werden. Die Umsetzungen innerhalb der Eosino¬
philen selbst sind im Gegensatz zu den gewaltigen Veränderungen der
Neutrophilen ganz unbedeutend. Im Höhestadium der Pneumonie findet
man enorme Schädigung der Neutrophilen mit Hyperleukocytose und
selbst gleichzeitiger Hypoleukocytose, dagegen absolut normales, ja über¬
entwickeltes Blutbild bei den Eosinophilen und ihr nahezu völliges Ver¬
schwinden aus dem Blute. Nach Ablauf des akuten Stadiums der Pneu¬
monie, also nach der Krisis, gehen die Neutrophilen an Zahl zurück,
während die Eosinophilen sich jetzt vermehren. G. Eisner.
Austregesilo - Rio de Janeiro: Pneumonie in Ri« de Jaaeiro und
Pneomococciae bastardae. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5 u. 6.)
Nach den Erfahrungen des Verf. kommt auch in Brasilien, was früher
bestritten wurde, eine gewöhnliche croupöse Pneumonie vor, wenn auch
selten. Ihr klinisches Bild gleicht völlig dem, wie es in anderen
Ländern beobachtet wird. Viel häufiger dagegen sind abortive und
Bastardformen. Bei den abortiven Formen hat das Sputum nicht die
charakteristischen Merkmale des echt pneumonischen, und die physikali¬
schen Zeichen sind nicht ausgesprochen. Oft fehlen überhaupt physi¬
kalische Symptome von seiten der Lungen. Immerhin gleicht in diesen
Fällen noch der Auswurf dem der echten Pneumonien. Bei den Bastard¬
formen hat nicht einmal mehr der Auswurf charakteristische Beschaffen¬
heit. Häufig sind Komplikationen von seiten der Pleura. Der Verlauf
ist ein schleppender, nicht mit einer Krise endender. Sehr eingehend
bespricht Verf. das Krankheitsbild der pulmonalen Kongestion, das
namentlich von französischen Autoren beschrieben worden ist. Der
Pneumococcus setzt in diesen Fällen nach A. keine gewöhnliche Er-
C*
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Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE WOn^ENSCIlRIlT.
krankung, sondern verursacht Kongestion und Entzündung mit und ohne
Befallensein der Pleura. H. Hirschfeld.
W. C. Ly ons - Bradford: Eine neue Form des Taberknlins. (Lancet,
7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Bei den cutanen Tuberkulinproben
reagieren mit dem alten Tuberkulin Personen positiv, die augenschein¬
lich gesund sind. Vielleicht enthält das alte Tuberkulin einen hautreizenden
Stoff. Der Verf. fällte 10 ccm Tuberkulin mit 60 ccm Alkohol. Die
vom Niederschlag abgegossene Flüssigkeit wurde wieder mit Alkohol ge¬
fällt und filtriert. Beide Niederschläge wurden in 10 ccm Wasser ge¬
löst, wieder gefällt und filtriert. Beide Filtrate wurden vereinigt und
bei 56° auf 10 ccm eingedampft. Eine Lösung der Niederschläge, in
die Haut gespritzt, verursachte bei 92 pCt. aller Individuen eine Haut¬
reaktion; die eingedampften Filtrate taten dies nur bei sicher Tuberku¬
lösen. Die Hautreaktion entstand nach 12—18 Stunden, hatte bei
frischen Fällen 2—3 cm Durchmesser, ohne scharfe Ränder; bei älteren
Fällen war sie nur halb so gross und hatte scharfe Ränder, bei noch
weiter vorgeschrittenen Fällen war sie undeutlicher oder gar nicht mehr
wahrzunehmen. Die Reaktion dauerte in frischen Fällen 3—4, in älteren
1—2 Tage. Auch bei der therapeutischen Anwendung dieses neuen
Tuberkulins reagierten die Patienten weniger heftig als mit dem alten
Mittel. Die Anlangsdosis war 0,001 ccm; jeden zweiten Tag wurde um
0,0002—0,001 ccm gestiegen. Wey de mann.
A. Weber - Giessen: Ueber die Dikrotie des Pulses. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Es wird von Versuchen an
Tieren über die Dikrotie des Pulses berichtet. Als Resultat ergab sich:
1. Verschwinden der Dikrotie nach Unterbindung der peripheren Arterien.
2. Wiederauftreten der Dikrotie, wenn man nach Unterbindung der
Arterien die Blutdrucksteigerung beseitigt. 3. Verschwinden der Dikrotie
unter dem Einfluss des Suprarenins. Verf. glaubt, dass das Auftreten
der Dikrotie von der Dehnbarkeit der Arterien abhängig ist. Je starrer
die Gefässwände sind, um so weniger kann es zur Dikrotie kommen. Er
sieht ferner in den Eigenschwingungen der Gefässwände die wesentliche
Ursache für die Entstehung der Dikrotie, jedoch nur bei mittlerem und
hohem Blutdruck, bei dem in der Regel Eigenschwingungen besonders
deutlich auftreten. G. Eisner.
Straschesko: Zur Frage des diastolischen Herzstosses, des
diastolischen accidentellen Tones und des Dikrotismas des Pulses bei
Insuffizienz der Aortenklappen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5
u. 6.) Die Symptome der beginnenden Insuffizienz des Herzmuskels bei
Aortenklappeniusulfizienz sind bisher wenig beachtet worden. Nach Verf.
ist der diastolische Herzstoss und der diastolische accidentelle Ton
Zeichen einer beginnenden Dekompensation bei Aorteninsuffizienz, und
es wird der Mechanismus dieser Erscheinungen geschildert. In dem Auf¬
treten einer dikrotischen Welle an der Pulskurve bei der Aorten¬
insuffizienz sieht Verf. kein pathognomonisches Zeichen für eine gleich¬
zeitige Erkrankung einer anderen Klappe. Ihren Grund sieht Verf. in
der während des Dekompensationsstadiums bei Aorteninsuffizienz beob¬
achteten schnellen Dehnung der Wände des linken Ventrikels im Beginn
der Diastole. H. Hirschfeld.
Huebschmann - Leipzig: Ueber Gonokokkensepsis mit Eodo-
carditis. (Zeitschr. f. Hygiene, 1912, Bd. 73, H. 1, S. 1.) Bericht
über einen Fall von Gonokokkensepsis, der sechs Wochen nach einer
normal verlaufenen Geburt plötzlich unter den Erscheinungen einer Gehirn¬
embolie zum Exitus kam. Während intra vitam die Blutkulturen trotz
mehrfacher Versuche steril blieben, gelang eine Kultur der Gonokokken
aus dem Leichenblut. Möllers.
H. Hohlweg - Giessen: Störungen der Salzsänreabscheidang des
Magens bei Erkrankungen und nach Exstirpation der Gallenblase.
(Deutsches Archiv f. klio. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) In einer grossen
Mehrzahl von Fällen wurde bei Cholecystektomierten nach Einnahme des
Ewald-Boas’schen Probefrühstücks im ausgeheberten Mageninhalt ein
Salzsäuredefizit oder wenigstens subnormale Werte für freie HCl ge¬
funden. Es ist anzunehmen, dass der Ausfall der Gallenblase die Ur¬
sache für den Salzsäuremangel im Magen bildet. Bei Cysticusverschluss
und Schrumpfung der Gallenblase war ebenfalls in 84 pCt. Salzsäure¬
defizit, in 14 pCt. Verminderung der freien Salzsäure zu finden. Un¬
gefähr das gleiche Resultat zeigte sich bei 16 Fällen von Cholecystitis
ohne Verschluss des Ductus cysticus. Im Tierexperiment (Exstirpation
der Gallenblase bei Hunden) wurde ebenfalls ein HCl-Delizit bzw. starke
Verminderung der Salzsäureabscheidung im Magen gegen vorher fest¬
gestellt. Das Fehlen der freien HCl im Mageninhalt verdient also als
Symptom von Gallenblasenerkrankungen praktisch eine entschiedene Be¬
achtung und kann vielfach auch diagnostisch wertvoll sein.
R. Roubitsohek - Karlsbad: Alimentäre Galaktosarie bei experi¬
menteller Phosphorvergiftnng. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108,
H. 3 u. 4.) Verf. prüfte die Toleranz gegen zugeführte Galaktose bei
experimentell erzeugten Parenchymschädigungen der Leber (Phosphor¬
vergiftung) von Kaninchen. Es ergab sich in allen Fällen eine Erhöhung
der Galaktoseausscheidung durch den Urin.
E. Reiss und W. Jehn-Frankfurt a. M.: Alimentäre Galaktosnrie
bei Leberkrankheiten. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3
u. 4.) Im klinischen Teil der Arbeit berichten die Verfasser über Stoff¬
wechselversuche mit Galaktose bei den verschiedensten Lebererkrankungen.
Während bei Normalen 40 g nüchtern eingeführte Galaktose ganz oder
bis auf geringe Mengen verarbeitet werden, zeigen manche Leber¬
erkrankungen dabei ein anderes Verhalten. Bei Icterus catarrhalis z. B.
wird ein grosser Teil der eingeführten Galaktose wieder im Urin aus¬
geschieden. Näheres ist in der Arbeit selbst nachzulesen. Differential¬
diagnostisch ergibt sich aus den Versuchen etwa folgendes: Starke ali¬
mentäre Galaktosurie spricht mit gewissen Einschränkungen (s. Arbeit)
für Icterus catarrhalis. Mittelstarke Galaktosurie scheint bei den meisten
Lebererkrankungen verkommen zu können. Sie fehlt bei Carcinom, un¬
komplizierter Cbolelithiasis und Stauungsleber. Normale Toleranz für
Galaktose spricht gegen Icterus catarrhalis. Im experimentellen Teil der
Arbeit wird über Versuche an Hunden berichtet. Als Resultat ist zu
bemerken, dass die grobmechanische Gallenstauung (Unterbindung und
Durchschneidung des Ductus choledochus), die nicht zu tiefer greifenden
Läsionen des Leberparenchyms führt, die Toleranz gegen Galaktose nicht
beeinflusst. G. Eisner.
Or lowski - Kasan: Zum klinischen Studium der Trypsinabsoiie-
raogsfähigkeit des Pankreas. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. 5
u. 6.) Zum Studium der Trypsinabsonderung des Paukreas gibt es zwei
neuere Methoden. Boldyrew lässt den Kranken nüchtern 75—80 g
2proz. Oleinsäurelüsuug in Olivenöl nehmen, lässt nach 1 —1‘/ 2 Stunden
den Mageninhalt auspressen und untersucht hierin die Trypsinwirkung.
Müller lässt erst den unteren Darmabschnitt durch Klysmen reinigen,
gibt 150 g Fleisch und 150 g Kartoffelpüree und eine Stunde später
ein starkes Abführmittel. Mit einigen Tropfen des danach entleerten
Stuhls untersucht Müller auf Trypsin auf der Serumplatte. Beide
Methoden hat Orlowsky studiert uud hält sie beide für brauchbar.
Doch benutzt er zur Trypsiubestimmung die Gross’sche Methode. Man
darf sich bei negativem Resultat nicht mit einer einzelnen Untersuchung
begnügen. Auch kann die Kotuntersuchung negativ und die Magensaft-
uutersuchung positiv ausfallen. H. Hirschfeld.
G. Lang - Petersburg: Ueber den arterielle! Brack bei der Cholera
asiatica und seine Veränderungen unter dem Einfluss grosser Kochsalz¬
infusionen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Im
Stadium algidurn der asiatischen Cholera fällt im Durchschnitt der
mittlere Blutdruck nicht, weil, während der maximale fällt, der minimale
gleichzeitig steigt. Der Pulsdruck ist also stark vermindert. In schwersten
Fällen steigt aber der Minimaldruck nicht nur nicht, sondern er fällt
sogar. Dann sinkt auch der mittlere Druck. Die Ursache der Blut-
druckvermiuderung ist die Verkleinerung des Gesamtblutvolumens durch
Wasserverlust und consecutiver Gelässkontraktion. Mit einer Kochsalz-
infusiou von 2 l ist das normale Gesarntblutvoluraen wieder erreicht und
der Wasserverlust des Blutes und der Gewebe ersetzt. Die Blutdruck¬
werte sind dabei annähernd normal. Wird mehr infundiert als der
Organismus an Flüssigkeit verloren hat, so erfolgt Ueberlüllung des
Kreislaufes und Steigen der Blutdruckwerte über die Norm, da die Ge-
fässe sich nicht genügend erweitern. Die Pulsfrequenz nimmt zu. ln
den dem Stadium algidurn folgenden Tagen ist oft auch ohne Cholera-
typhoid eine Blutdrucksteigerung zu beobachten. Für das Choleratyphoid
ist sie die Regel. Im Stadium algidurn sollen 2, höchstens 3 1 infundiert
werden unter Beobachtung des Blutdrucks. Die Druckmessung gibt
über die zu infundierende Menge Flüssigkeit Aufschluss. Bei Ueber-
schreitung der Menge wird dem Herzen die zu leistende Arbeit ver-
grössert und erschwert.
F. Conzen-Cöln: Ueber NierenfanktioaspröfaBg. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 3 u. 4.) Verf. fasst seine Resultate
folgendermaassen zusammen: 1. Die mit der Schlayer’schen Funktions¬
prüfung der Nieren erhobenen Befunde stimmen bezüglich der zur Nach¬
prüfung verwendeten Fälle von genuiner Schrumpfniere in der Haupt¬
sache mit den Resultaten Schlayer’s überein. 2. Bei einem Fall von
Sublimatvergiltuug ergaben die Methoden ausser der Tubulischädigung
auch eine funktiouelle Erkrankung der Glomeruli. 3. Die Funktions¬
prüfungen erleichtern sowohl die Diagnose Nephritis als auch die Er¬
kennung des anatomischen Sitzes der Erkrankung. 4. Als eine weitere
Stütze der Diagnose sind folgende Punkte zu verwerten: Die aut Koch¬
salzzulage erfolgende Verstärkung der Eiweissausscheidung und der
Wasserretentiou uud Verschlimmerung des Krankheitszustandes findet
sich nur bei echter Nephritis (und bei schwerer Stauungsniere). Ein
Parallelismus zwischen Acidität und Albumenmenge sowie eine Beein-
flussbarkeit der letzteren durch Natrium bicarbonicum findet sich nur
bei frischer Erkrankung der Nieren und dann, wenn die Erkrankung
herdförmigen Charakter hat, insbesondere aber bei Albuminurien, während
alle übrigen Formen der Nephritis jede Abhängigkeit der Eiweissmenge
vom Säuregrad des Urins vermissen lassen.
Kj. 0. af K lercker - Lund: Beitrag zur Lehre von der Pentosarie
auf Grundlage von Untersuchungen an zwei Fällen. (Deutsches Archiv
f. klin. Med., Bd. 108, H, 3 u. 4.) Verf. beschreibt zwei Fälle von
Pentosurie bei zwei Brüdern. Die Pentose des einen Falles ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit als l-Arabinose zu bezeichnen, die des anderen
ein Gemisch der 1- und d-Komponente mit der 1-Komponente im Ueber-
schuss. Offenbar können bei Pentosurie beide Spiegelbildisomeren in
untereinander wechselnden Proportionen abgesondert werden. Die über¬
wiegende Komponente ist für das optische Verhalten ausschlaggebend.
Die Quelle der Pentosenbildung im Organismus ist noch nicht sicher
bekannt. Die in den Nucleoproteiden des eigenen Organismus ge¬
bundenen Organpentosen sind aber nicht ohne weiteres auszusehliessen.
Hunger und Unterernährung bedingen eine Verminderung der Pentosen-
ausscheidung. Die Parallelität zwischen der stündlichen Pentosen- und
Gesamt-N-Ausscheidung deutet auf einen Zusammenhang mit dem Ei¬
weissumsatz hin. Ein Einfluss der Kohlehydrate der Nahrung auf die
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
73
Pentosurie besteht wahrscheinlich nicht. Ob ein Zusammenhang der
Pentosurie mit dem Diabetes mellitus vorhanden ist, lässt sich noch
nicht bestimmt sagen, ist aber recht wohl möglich. 0. Eisner.
K. Vorpahl-Lübeck: Spiroehätenbefund im Urin bei Nephritis
chrwaica. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) V. fand in
einem Fall von Nephritis syphilitica Spirochäten im Urin. Eine anti¬
luetische Kur brachte Heilung. Der Fall zeigt, dass luetische Nephritis
mit Quecksilber behandelt werden muss. Dünner.
G. Roque und V. Cor di er: Die tnberkulöse Natur des Ascites
bei Lebereirrhasen, speziell bei Laennec’scher Cirrhose. (Revue de
med., 1912, Nr. 12, Fortsetzung und Schluss.) Auf Grund ausgedehnter
klinischer Studien kommen die Verfasser zu folgenden Schlüssen:
1. Jeder Ascites im Verlauf einer Laennec’schen Cirrhose ist tuberku¬
löser Natur. 2. Der tuberkulöse Ursprung muss selbst dort behauptet
werden, wo weder klinisch noch anatomisch irgendwelche Merkmale für
eine tuberkulöse Peritonitis, so wie sie früher beschrieben wurden, vor¬
handen sind. A. Münzer.
C. Klieneberger - Zittau: Allgeuieiniafektion durch Bacillus pyo-
cjraaeug. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Rasch vor¬
übergehende septische Erscheinungen nach mehrfachen Schüttelfrösten.
Im Blute Reinkulturen von Bacillus pyocyaneus. Keine nennenswerte
Agglutininproduktion (1 : 40). Die Allgemeininfektion kam wahrschein¬
lich im Anschluss an eine aufsteigende Harninfektion zustande.
Saar-Berlin: Erfahrungen mit Melubrin bei akutem Gelenk-
rheimalismiis. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Melubrin
wirkt bei akutem Gelenkrheumatismus meist recht prompt auf die
Gelenkschwellungen, Schmerzen und Fieber ein. Seine Anwendung wird
besonders für salicylrefraktäre Fälle empfohlen (Dosis ca. 4—6 g pro die).
A. Fau ser - Stuttgart: Einige Uutersuchungsergebnisse und klinische
Ausblicke auf Grund der Abderhalden’schen Anschauungen und
Methodik. (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) In Verfolgung
der Abderhalden’schen Ideen und Methoden hatF. das Dialysierverfahren
zum Nachweis von Schutzfermenten gegen bestimmte nicht abgebaute
Gewebe bei einer Anzahl von Erkrankungen des Nervensystems und der
inneren Sekretion angewandt. Zwar werden durch das Dialysierverfahren
nur solche Fermente nacbgewiesen, die auf unabgebautes Eiweiss ein¬
gestellt sind (während die optische Methode auch einen unvollständigen
Abbau nachweist). Dennoch kam F. bei seinen Untersuchungen zu recht
interessanten Resultaten. Bei 5 Basedowkranken fand er im Serum Ab¬
baufermente für Schilddrüse (ein Fall von akuter schwerer Psychose gab
auch mit Hirnrinde einen positiven Ausfall). 7 Fälle von Dementia
praecox reagierten mit Hirn positiv, 4 negativ. Die 5 männlichen
Patienten dieser Gruppe gaben auch mit Testikel ein positives Resultat.
Alle Fälle von Lues und Metalues (11) reagierten mit Centralnerven¬
system positiv. Es ist vielleicht denkbar, dass das Schutzferment einer¬
seits wieder einen fermentativen Abbau des betreffenden Gewebes ver¬
sucht, und dass letzteres darauf mit bestimmten Abwehrmaassregeln
antwortet, die sich unter anderem histologisch als Lymphocyten-
infiltration, Gliawucherung usw. kennzeichnen. Reicht diese Abwehr
nicht aus, so könnte man sich vorstellen, dass immer wieder neues Ge¬
webe als blutfremdes Material in den Kreislauf dringt und daselbst
die Produktion der Schutzfermente wieder verstärkt. Mit dieser Vor¬
stellung könnte z. B. der progressive Charakter der Gehirn- und Rücken¬
marksparalyse und ihre Nichtbeeinflussbarkeit durch die übliche The¬
rapie erklärt werden.
E. Erlenmeyer - Freiburg i. B.: Das Blutbild bei Poeken und
lapfpoekeu. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Bei zwei
Pockenfällen fand E. das von Kämmerer beschriebene Blutbild, be¬
stehend in Leukocytose, relative Verminderung der Neutrophilen und
Vermehrung der Lymphocyten. Ein Fall von Variolois zeigte schon am
dritten Krankheitstage das für Variola typische Bild. Durch die Re-
vaccination wird das Blutbild nicht beeinflusst, wie die Untersuchung
von vier gesunden Schulkindern vor und nach der Impfung zeigte.
Wolfsohn.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Wright, Phar¬
makotherapie der Pneumokokkeninfektion. — Chirurgie: Persch, Be¬
handlung der Lungentuberkulose mit Pneumothorax. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten: Kastan, Der Adrenalingehalt des Blutes
bei Psychosen. Lenel, Rückenmarksdegeneration bei perniciöser An¬
ämie. — Röntgenologie: Weil, Lungentumoren mit ungewöhnlichem
Befund.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
C. Besta-Padua: Ueber die cerebro-cerebellaren Bahnen. Ex¬
perimentelle Untersuchungen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Angabe
der angewandten Technik. Der Pedunculus cerebri enthält ausschliess¬
lich aus der Rinde kommende Fasern, die sich weiterhin zum grössten
Teil kreuzen. Im Brachium pontis besteht ein beträchtlicher eerebello-
fugaler Anteil, der zur entgegengesetzten Seite zieht. Es existiert wahr¬
scheinlich eine durch das Brachium conjunctivum zur entgegengesetzten
Seite ziehende cerebello-thalamo-corticale Bahn. Die cerebello-rubro-
corticale Bahn ist sehr zweifelhaft.
W. Stock er-Breslau: Ueber Balkennangel im menschlichen Gehirn.
(Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Es handelte sich um eine juvenile
Paralyse. Statt des Balkens fand sich ein ausgedehntes Längsfaser¬
system neben anderen Abweichungen (Fehlen des Septum pellucidum,
Getrenntbleiben der Fornixschenkel, Abweichung des Windungs- und
Furchenverlaufs). Die konstante Regelmässigkeit, mit der sich das
„Balkenlängsbüudel“ in allen Fällen von Balkenmangel findet, spricht
gegen die Annahme einer reinen Heterotopie und dafür, dass es sich um
etwas Präformiertes handelt. Die Längsfasern treten nur gewöhnlich
gegenüber den mächtigen Kommissurenfasern zurück; im Falle der Ver¬
hinderung des Durchbruchs des Quersystems gestalten sie sich vikari¬
ierend zu einem grossen Längssystem aus. Zweig.
P. Rauschburg - Budapest: Die Gedächtnisschwäche (Mnem-
asthenie) und ihre Behandlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1912,
Nr. 51 u. 52.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn.
M. Kastan-Rostock (jetzt Königsberg i. Pr.): Der Adrenalingehalt
des Blutes bei einigen Psychosen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.)
Untersucht wurde mittels der Läwen-Trendelenburg’schen Methode. Von
den 17 Irabecillen und Idioten wiesen 11 eine erhebliche Herabsetzung
des Adrenalingehalts im Blutplasma auf, wodurch sich eine früh er¬
worbene Imbecillität oder Idiotie von einer präformierten vielleicht wird
unterscheiden lassen. Bei 5 senilen Psychosen hat sich eine Ueber-
funktion der Nebennieren im Sinne der Kräpelin’schen Vermutung nicht
nachweisen lassen. Zweig.
L. Benedek und St. Deak - Klausenburg: Unterschiede zwischen
dem Blutserum bei Paralyse und Dementia praecox in bezug auf die
Auslösung von Immunhämolysinen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 1.) Die Verff. haben Kaninchen mit dem Serum von Patienten mit
Paralyse und Dementia praecox intraperitoneal mehrfach geimpft. Sie
untersuchten dann das Kaninchenimmunserum in bezug auf seine hämo¬
lytische Kraft. Resultate: Die Hämolyse der mit Paralytikerserum er¬
zielten Immunsera ist am geringsten gegenüber paralytischen roten Blut¬
körperchen; bei Vorbehandlung mit Serum von Dementia praecox ist die
hämolytische Kraft des Immunserums am stärksten. Die übrigen, einzelne
Details betreffenden Resultate müssen in der Originalarbeit nachgelesen
werden. Wolfsohn.
0. Pförtner-Göttingen: Die weissen Blutkörperchen beim Jugend¬
irresein. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Bei den gewöhnlichen
Formen des Jugendirreseins handelt es sich lediglich um eine qualitative
Verschiebung der einzelnen Leukocytenarten (Verminderung der neutro¬
philen Leukocyten, Vermehrung der mononucleären und eosinophilen
Zellen). Es gibt aber auch Fälle mit Hyperleukocytose. P. beschreibt
zwei derartige. Klinisch bestand schwere delirante Verwirrtheit. Beim
Jugendirresein handelt es sich um eine Alteration vorwiegend des
myeloiden Gewebssystems durch noch unbekannte Toxine. Zweig.
E. Meyer-Königsberg: Zur Frage des künstlichen Abortes bei
psychischen Störnugen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.)
Der künstliche Abort kommt fast nur bei den relativ seltenen schweren
Formen der Depression der Psychopathen in Betracht, aber auch nur
dann, wenn die klinische Beobachtung gezeigt hat, dass der weitere
Verlauf der Gravidität die Gefahr einer dauernden Psychose mit sich
bringt.
Für er-Eberbach: Zur Frage der sogenannten AbstinenudeHrien der
chronischen Alkobolisten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.)
Auch in den schwersten Fällen von chronischem Alkoholismus muss in
erster Linie der Alkohol sofort vollständig entzogen werden. Es ist nicht
erwiesen, dass dadurch die sogenannten Abstinenzerscheinungen entstehen.
Dünner.
H. Nimier und A. Nimier: Bemerkung über einige symptomatische
Erscheinungen der peripheren Facialislähmnng. (Rev. de med., 1912,
Nr. 12.) Die beiden Autoren machen auf einige noch wenig bekannte
Symptome der Facialislähmung aufmerksam, die teilweise im subjektiven
Empfinden der Patienten liegen, teilweise objektiven Charakters sind.
Die ersteren beziehen sich auf Störungen der Gehörsempfindung, die
letzteren auf die mangelhafte Funktion des M. orbicularis palpebr.,
exakter auf den Mangel an Synergie zwischen den Bewegungen des
Augenlides und des Augapfels. A. Münzer.
Ra ecke-Frankfurt a.M.: Die Frühsymptome der arteriosklerotischen
Gehirnerkrankung. (Referat, erstattet auf der 37. Versammlung Süd¬
deutscher Neurologen und Irrenärzte am 8. Juni 1912 in Baden-Baden.)
(Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) In den meisten Fällen von Arterio¬
sklerose Zusammenwirken von Disposition und erworbener Schädigung.
Wesentlich in der ersten Phase die vasomotorische Leistungsunfähigkeit
des Gefässapparates, die bei neuen Schädlichkeiten, besonders An¬
strengungen, manifestiert wird. Sehr regelmässig Schlafstörungen im
Initialstadium, Parästhesien, Kopfschmerz, Schwindel. Frühsymptora ist
auch mitunter eine Sprachverlangsamung und undeutliche Aussprache.
Unsicherheit der Fingerbewegungen, daher oft früh Schriftveränderung.
Psychisch subjektives lnsuffizienzgefühl hinsichtlich des Sicherinnerns,
Erschwerung der Konzentration. Auf affektivem Gebiet ist es in erster
Linie die grosse Reizbarkeit und Rührseligkeit, andererseits egocentrische
Einengung des Gefühlslebens. Hysterische, neurasthenische und hypo¬
chondrische Zustände, die erst im späteren Leben hervortreten, müssen
zur Untersuchung auf Arteriosklerose veranlassen. Psychosen vorwiegend
depressive Färbung. In dieser Richtung gibt es pathognomonische
Symptome für Arteriosklerose.
E. Siemerling-Kiel: Gliosis spinalis und Syriigomyelie. Starke
Beteiligung des Halsmarkes mit Zerstörung der Hinterstränge bei er-
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Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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haltener Pupillenreaktion. Gliastift am Boden des 4. Ventrikels. (Archiv
f. Psych., Bd. 50, H. 2.) In der Anamnese Trauma gegen rechten Arm
und Schulter und Quetschung des Daumens, danach ziehende Schmerzen
und Schwäche in dieser Extremität, später Analgesie, ein Jahr nach
dem Unfall Schwäche im anderen Arm. Verschlimmerung des Leidens
durch den Unfall wird angenommen, da auch schon vor demselben
ziehende, die Erwerbsfähigkeit nicht beeinträchtigende Schmerzen be¬
standen hatten. Der anatomische Befund in den peripheren Nerven
spricht gegen die Annahme einer asceudierendcn Neuritis. Im Liquor
Xanthochromie, vermehrter Eibringehalt und vermehrte Leukocyto.se
(Frouin’schesSymptom). Würdigung dieses Liquorbefundes in diagnostischer
Hinsicht aus der Kasuistik der Literatur.
R. 0. Lenel - Freiburg i. Br.: Rückenmarksdegenerationen bei
pernieiöser Anämie. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 2.) Klinisch bestand
neben der pernieiösen Anämie Ataxie der oberen und der unteren Ex¬
tremitäten, Fehlen des Bauchdeckenreflexes, spastische Parese der unteren
Extremitäten, Sensibilitätsstörungen an den Beinen. Anatomisch waren
die Hinter- und Seitensträuge vor allem verändert. Inmitten der cireura-
scripten Herde befand sich stets ein Gefäss. Die Gefässwandveräuderuugen
spielen für die Entstehung der Degenerationen keine Rolle; die Ad-
ventitiaquellung ist vielmehr selbst nur ein Glied in der Kette der
Abbauvorgänge. Der Zerfall des Rückenmarkparenchyras hat mitunter
Sklerose zur Folge. Zweig.
0. Foerster - Breslau: Die analytische Methode der kompensato¬
rischen Uebangsbehandlnng bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn.
Siehe auch Chirurgie: di Gaspero und Streissler, Operativ
geheilte Kleinhirn-Gliacyste. Malkwitz, Tutalluxation der Halswirbel¬
säule ohne Erscheinungen von seiten des Rückenmarks.
Kinderheilkunde.
A. Beläk - Budapest: Ueber die diagnostische Bedeutung der
Dtfhle’schen Leukocyteneinschliisse. (Deutsche med. Wochenschr., 1912,
Nr. 52.) Die Döhle’schen Leukocyteneinschlüsse kommen ausser bei
Scharlach auch bei anderen Krankheiten vor und sind daher für die
Scharlachdiagnose nicht zu verwerten. Nur der negative Befund ist
wichtig. Er spricht sehr gegen Scharlach, da in frischen Fällen die
Einschlüsse stets vorhanden sind. Wolfsohn.
Siehe auch Chirurgie: Gebhardt, Akute Knochen-und Gelenk¬
entzündungen im Säuglingsalter. — Röntgenologie: Alvens und
Husler, Röntgenuntersuchungen des Kindermagens.
Chirurgie.
H. Schmerz: Lokaler Tetanus. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1912, Bd. 81.) Ein leichtes Ziehen im Wundgebiete, fibrilläre Zuckungen,
unbedeutendes Steifigkeitsgefühl sind die Zeichen des lokalen Starr¬
krampfes, der oft übersehen wird. Vielleicht beginnt jeder Tetanus
zuerst lokal. Verf. teilt unter anderem einen sehr interessanten Fall
Yon lokalem Tetanus im Kopfgebiet mit.
H. Helm: Unsere Lumbalanästhesie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin.
Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. beschreibt die geübte Technik von Tuffier
nebst Instrumentarium nach Wittek. Bei 1419 Fällen waren 105 Miss¬
erfolge zu verzeichnen, davon 29 unvollständige Anästhesien. Drei
Todesfälle in Anschluss an die Punktion batten eine andere Ursache.
Niemals trat schwerer Collaps auf, der künstliche Atmung notwendig
gemacht hätte. Postoperative Störungen wurden beobachtet: Erbrechen
(sehr selten), Kopfschmerzen (20 pCt.), Fieber (30 pCt.) Meningitis sechs
Fälle, davon ein Exitus. Seitdem die Technik dahin geändert wurde,
dass unter Lokalanästhesie ein kleiner Hautschnitt gemacht wird, dass
weiters die Sterilisationsdauer des Instrumentariums erhöht wurde
(110°, 30 Min.), trat eine bedeutende Abnahme aller Beschwerden ein.
W. V. Simon.
H. Braun - Zwickau: Die Anwendung der Lokalanästhesie zur
Reposition snbeutaner Fraktnren nnd Lnxationen. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag in der Zwickauer medizinischen
Gesellschaft am 5. November 1912. Wolfsohn.
H. Finsterer: Lokalanästhesie bei Magenoperationen (Gastro¬
enterostomien, Resektionen), (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912,
Bd. 81.) Etwa 50 Fälle, deren Resultate ein weiteres Vordringen der
Lokalanästhesie auch auf dem Gebiet der Magenchirurgie erwarten lassen.
Die Lokalanästhesie erlaubt, nach der Ansicht des Verf., eine erweiterte
Indikationsstellung der Operation, vermeidet den Collaps und die post¬
operativen Beschwerden und setzt die Zahl und vor allem die Schwere
der Lungenkomplikationen (im Gegensatz zu der Ansicht früherer Autoren)
herab. W. V. Simon.
Bericht des Ausschusses der britischen medizinischen Gesellschaft
über die Behandlung einfacher Knochenbrüche. (Brit. med. journ.,
30. November 1912, Nr. 2709.) Die sehr umfangreiche, mit vielen
Tabellen ausgestattete Arbeit kommt zu folgenden Schlüssen: Die un¬
blutige Behandlung gebrochener langer Röhrenknochen zeigt bei Kindern
unter 15 Jahren ebenso gute Resultate wie die operative, ausgenommen
bei Brüchen beider Vorderarmknochen. Die Erfolge der unblutigen Be¬
handlung bei Erwachsenen sind nicht befriedigend: je alter der Patient,
desto schlechter das Resultat, lu allen Altersklassen über 15 Jahren
sind die Erfolge der operativen Behandlung besser. Wenn auch bei
mangelhaftem anatomischen ein gutes funktionelles Resultat erzielt
werden kann, so ist doch nur die Behandlung als Methode der Wahl
anzusehen, die das beste anatomische Resultat verspricht, denn nur sie
gibt Beweise für eine gute Funktion. Nur die Operationsmethoden sind
berechtigt, die die Bruchstücke sicher befestigen; Naht ist nur erlaubt
bei Olecranonbrüchen. Es soll möglichst bald operiert werden, nicht
erst dann, wenn die konservative Behandlung versagt bat; es darf aber
nur jemand operieren, der die Technik völlig beherrscht. Die meisten
Feh Resultate der operativen Behandlung kommen infolge von Wund¬
infektionen, die auch bei der besten Technik Vorkommen können. Die
Mortalität durch die Operationsbehandlung selbst ist so gering, dass sie
davon nicht abhalten darf. Für Aerzte, die die operative Behandlung
nicht auwenden küuneu, bleibt die alte konservative zunächst noch die
bessere. Weydcmann.
F. Ascher: Ueber die mit dem Osteoklasten behandelten, schlecht
geheilten Frakturen der Grazer chirurgischen Klinik 1903—1912.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. kommt zu dem
Schluss, dass die Osteoklase der schlecht geheilten Frakturen bei
richtiger Auswahl der Fälle den Anforderungen der modernen Chirurgie
entspricht, womit aber durchaus nicht dem Vorzüge des Osteoklasten
vor Meissei und Knochennaht das Wort gesprochen werden soll, wo die
Wahl zwischen beiden frei steht. Die Gefahr der schweren Fettembolie
bei der Osteoklase ist eine sehr geringe. In der Nähe abgelaufener in¬
fektiöser Prozesse wird man die Osteoklase nicht anwendeu.
K. Mulley: Ueber Frakturen des Radinsküpfchens. (v. Brun’s
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Eingehende Besprechung dieser
Frakturart au Hand von 6 Fällen der chirurgischen Klinik in Graz.
H. Pegger: Zur Diagnose der isolierten Abrissfraktur den
Trochanter minor. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Das
Ludloff’sche Symptom wurde erst am 12. Tage positiv. Wichtig für die
Diagnose scheint zu sein, dass dem Kranken, selbst als er schon gehen
konnte, das Stehen auf dem verletzten Bein unmöglich war.
W. V. Simon.
B. Malkwitz: Totalluxationen der Halswirbelsäule ohne Er¬
scheinungen von seiten des Rückenmarks. (Archiv f. Orthop., Mechano-
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Neun Fälle. Subjektiv be¬
standen durchgängig Steifigkeit und Schmerzen im Bereich der Halsgegend,
objektiv eine Bewegungsbeschrhnkung des Kopfes und eine ge¬
zwungene Kopfhaltung mit Streckung des Halses nach vorne und
Beugung des Kopfes nach hinten. Stärkere Dislokation wird oft ver¬
misst, so dass die Diagnose der Luxation nur mittels des Röntgenbildes
gestellt werden kann. Die Schmerzen sind als Wurzelsymptom — Zer¬
rung der hinteren Wurzeln — zu deuten. In der Gutachtertätigkeit
werden analoge Fälle oft verkannt.
H. Mohr: Exostosis tibiae mit Spontanfraktnr der Exostose.
(Archiv f. Orthop, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.)
Bei einem IG jährigen jungen Manne fand sich eine beiderseitige Exostose
der Tibia. Vor 2 Monaten entstanden plötzlich, ohne äussere Ursache,
heftige Schmerzen am linken Unterschenkel. Das Röntgenbild ergab
eine Spontaufraktur der Exostose mit Dislokation der Brucbenden. An-
führuug der Literatur und Hinweis auf die Schwierigkeiten der Diffe-
rcntialdiaguose gegenüber freien Exostosen in Schleimbeuteln.
Gramer: Ein blutig operativ mobilisiertes Kniegelenk. (Archiv
f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei
einer 25 jährigen Frau, die vor 7 Jahren an Gelenkrheumatismus er-
kraukt war, und die eine doppelseitige Kniegelenksversteifung davon¬
getragen hatte, wurde durch eine zweimalige Fascientransplantation
mit Nachbehandlung nach Thilo eine gute Beweglichkeit erzielt.
Cramer-Cöln: Ein Fall von angeborener Scbnlterversteifnng bei
partiellem Infantilismus. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬
chirurgie, 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei einem 50jährigen, sonst gesunden
Arbeiter fand sich ein abnorm kleiner Thorax mit Hochstand der rechten
Scapula bei links konvexer Dorsalskoliose und Muskeldefekten im Bereich
des Cucullaris, Latissimus dorsi, Triceps und Deltoideus. Weiterhin
fehlte der rechte Oberarmkopf bei kaum ausgebildeter Cavitas glenoidalis
und fast völliger Versteifung des Gelenkes.
Chrisospathes: Zwei Fälle von gegengleieher Madel nng’seher
Deformität. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1912,
Bd. 11, H. 4.) Bei einer 38 jährigen Bäuerin und ebenso bei einem
18 jährigen Manne fand sich eine Madeluug’sche Deformität beider Hände,
die nach dem Dorsura zu verschoben waren. Im Gegensatz zu den
bisher beschriebenen analogen Fällen (Kirmisson, de Witt-Stetten,
Gaudier) war die Hand gleichzeitig radialwärts abgelenkt. Auslösendes
Moment war ein stärkeres Trauma, das zur Deformierung des unteren
Radiusendes und nachfolgender Luxation der Ulna führte. Als ursäch¬
liches Moment betrachtet der Verf. eine der Rachitis analoge Knochen¬
erkrankung.
W. Böcker: Ueber eine seltene Spätkomplikation nach unblutig
eingerenkter angeborener Hüftverrenkung. (Archiv f. Orthop., Mechano¬
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Bei einem 7 jährigen Kinde
trat 5 Jahre nach einer unblutig eingerenkten Hüftluxation willkürliche
Reluxation mit C’oxa vara ein. Der antevertierte Schenkelkopf war in
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13. Jannar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 75
der Leistenbeuge deutlich zu fühlen. Heilung durch sechswöchige Fixation
im Streckgipsverband mit nachfolgender Massage und Gymnastik.
M. Strauss.
E. Glass-Berlin: Ueber die Dauerresultate von Meniscnsexstir-
pationen bei Menioensverletxnngen. (Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 99,
H. 4, S. 1099.) Die Nachuntersuchung von 11 Fällen der chirurgischen
Klinik der Charite, welche durchschnittlich 7—8 Jahre nach der Operation
vorgenommen wurde, ergab in etwa 2 / s der Fälle Heilung, in Vs Störungen,
welche auf Veränderungen durch Arthritis deformans zurückzuführen
sind, und zum Teil schon vor der Operation bestanden. Verf. tritt für
die Operation der Meniscusexstirpation ein. F. Härtel.
Wolff-Danzig: Entwicklnngskrankheiten and traumatische Affek¬
tionen der Wirbelsfiale. (Archiv f. Orthop., Mechanother. u. Unfallchir.,
1912, Bd. 11, H. 4.) Verf. weist darauf hin, dass der Entstehungs¬
mechanismus der habituellen Skoliose und der Kyphoskoliose wesentlich
komplizierter ist als die Genese der Skoliosen und Kyphosen nach
traumatischen Affektionen der Wirbelsäule. Letztere betreffen meist nur
einen kurzen Abschnitt der Wirbelsäule, während erstere sich über einen
langen Bogen derselben ausdehnen. Die Unterscheidung ist für die Gut¬
achtertätigkeit von wesentlicher Bedeutung. M. Strauss.
G. R. Strong - Magor: Acht Fälle von Osteomyelitis der Wirbel¬
saale. (Lancet, 7. Dezember 1912, Nr. 4658.) Krankengeschichten und
Sektionsberichte. Die Krankheit ist vielleicht nicht so selten, als an¬
genommen wird. Sie wird am ersten mit der Pott’schen Kyphose ver¬
wechselt und gegen diese Verwechslung kann nur eine mit allen Hilfs¬
mitteln angestellte Differentialdiagnose schützen. Weydemann.
Th. Gebhardt: Zur Kenntnis der aknten Knochen- and Gelenk¬
entzündungen im Sfiaglings<er. (Arch f. Orthop., Mechanotherapie u.
Unfallchir., 1912, Bd. 11, H. 4.) Hinweis auf die von Drehmann be¬
schriebenen, für die Praxis recht bedeutungsvollen akuten Knochen- und
Gelenkentzündungen der Säuglinge, die meist das Hüftgelenk betreffen
und unter geringen lokalen Erscheinungen gewöhnlich zu einem Spontan¬
durchbruch des Eiters führen. Die Heilung erfolgt unter starker Form¬
veränderung mit geringer Versteifung des Gelenks. Eine Unterscheidung
der Erkrankung von der akuten Osteomyelitis ist zur Zeit nicht möglich.
Anführung von acht Fällen.
H. Nebel: Zwanzig Jahre Erfahrungen mit Dr. Gustav Zander’s
medico-mechauischen (d. h. vom Arzte geleiteter, durch Apparate ver¬
mittelter) Heilgymnastik. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬
chirurgie, 1912, Bd. 11, H. 4.) Weitere eingehende Darstellung der
Vorteile der richtig geleiteten Zanderkur für die Behandlung der Gicht
und des Diabetes. Nebel betont hierbei die Notwendigkeit der Behand¬
lung des ganzen Körpers und die gleichzeitige psychische Beeinflussung
durch die Anlage eines grossen, luftigen Zandersaales mit dem Ausblick
ins Freie. M. Strauss.
M. Lieber: Die Verbrennungen und ihre Behandlung, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. geht zunächst näher auf die
Frage der Toxinentstehung bei Verbrennungen ein; das sehr oft und in
typischer Art auftretende Fieber ist nicht durch Infektion der Brand¬
wunden, sondern durch die fiebererregende Wirkung des Verbrennungs¬
giftes zu erklären. Bezüglich der Lebensgefahr infolge der Verbrennung
als solche macht Verf. folgende Einteilung: 1. infolge von Shock (inner¬
halb der ersten 24 Stunden), 2. infolge von Sekundärinfektion (jeder¬
zeit möglich), 3. infolge der Vergiftung (nur innerhalb der ersten
6 Tage). Die Therapie muss lokal und allgemein (möglichst schnelle
Ausscheidung des Giftes) sein. Verf. warnt vor Jodoform, Wismut,
Wasserbett, Morphium. Dagegen hat er sehr gute Resultate mit An-
ästhesinpulver und Novojodin (Hexamethylentetramindijodid) gesehen,
das sehr viele Vorteile habe. Bei der Allgemeinbehandlung sind Koch¬
salzinfusionen oder -Klysmen, Coffein, Campher, Digalen und reichliche
Flüssigkeitszufuhr zu empfehlen. W. V. Simon.
K. E. Veit-Halle a. S.: Behandlung des äusseren Milzbrandes.
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die v. Braraann’sche
Klinik verfährt konservativ. Verband mit grauer Salbe auf die Karbunkel
unter Ruhigstellung und Suspension der betreffenen Abschnitte. Ex-
citantien. Dünner.
H. Schmerz: Die operativ behandelten Herzverletznngen der
Grazer chirurgischen Klinik. Ein Beitrag znr Herzchirurgie, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung von 5 Fällen. Bei nur
einigermaassen begründetem Verdacht auf eine bestehende Herzverletzung
soll operiert werden. Wo reine Verhältnisse vorliegen, ist der primäre
Pericard-Pleuraverschluss zu bevorzugen, bei beginnender oder bestehender
Eiterung wird drainiert. Am Ende geht Verf. noch auf die zwischen
dem Herztrauma und dem Reizleitungssystem bestehenden Beziehungen ein.
H. Schmerz: Die Röntgenradiotherapie der chirurgischen Tnber-
kllose. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Von 41 Fällen
der Grazer Klinik wurden 46 pCt. geheilt, 39 pCt. gebessert und 9,7 pCt.
nicht gebessert. Stark fistulöse, reichlich secernierende Fälle sind für die
R-mtgentherapie nicht geeignet. Neben der Röntgenbehandlung muss
eine energische Lokal- (Jodoformglycerin, Novojodin u. ä.) und Allgemein¬
behandlung stattfinden. Gleichzeitig bestehende Lungentuberkulose
bildet keine Koutraindikation für die Radiotherapie. Die Iselin’schen
Dauerbestrahlungen können durch wiederholte kürzere ersetzt werden.
Fungöse Wucherungen stellen kein Heilungshindernis dar. Zum Schluss
streift Verf. noch die Frage, auf welche Weise der Heilungsprozess unter
der Röntgenbestrahlung zustande kommt.
R. Persch: Kritischer Beitrag zur Behandlung der Lungentuber¬
kulose mittels künstlichem Pneumothorax, (v. Bruns’ Beitr. z. klin.
Chir., 1912, Bd. 81.) Verf. gibt der Stichmethode (Forlanini) gegen¬
über der Brauer’schen Schnittmethode den Vorzug, da bei Anwendung
des Wassermanometers die Gefahr einer Gasembolie nicht vorhanden ist
und die Sticbmethode daher ebenso sicher und einfacher ist als diese
und mindestens ebenso gute Erfolge gebe. Eine allmähliche Lungen¬
kompression mit kleinen wiederholten N-Dosen verdient den Vorzug vor
der allzu raschen Kompression durch seltene und grosse N-Dosen. Verf.
weist unter anderem weiter auf die Wichtigkeit des Befundes der
relativ gesunderen Lunge bei der Indikationsstellung hin, da der
Pneumothorax eine erhebliche Belastung für die andere Lunge bedeutet.
Weitere Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
G. Lotbeissen: Ueber Lebertnberknlose und deren chirurgische
Behandlung, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Eine Ueber-
sicht über dieses von den Chirurgen bisher wenig beachtete Leiden, das
teils in Form von Knoten, teils in der des Abscesses auftritt. Unter
47 Fällen (2 eigene) wurde meist die Diagnose erst bei der Obduktion
gestellt; 15 wurden operiert, 10 wurden durch die Operation geheilt,
5 starben an der auch in anderen Organen ausgebreiteten Tuberkulose.
Ist daher die Diagnose gestellt, die leider noch sehr schwierig ist, so
soll chirurgische Therapie eingeleitet werden.
Nils Hellström: Zur Spontanheilung der aknten eitrigen
Hepatitis naeh Appendicitis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., Bd. 80,
H. 3.) Verf. macht darauf aufmerksam, dass auch eine Selbstheilung
durch Resorption der Entzündungsprodukte nach dem Absterben des
Virus wirklich vorkomme, eine Tatsache, die bisher zu wenig beachtet
sei und der eine nioht ganz unwesentliche klinische Bedeutung zu¬
komme. W. V. Simon.
W. Hering - Klettwitz: Perirenales Hfimatom nach Scharlach.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Während der Scharlach-
rekonvaleszeuz entstand bei einem 7jährigen Kinde ein subakut ein¬
setzender paralytischer Ileus mit Anschwellung des linken Hodens und
Samenstranges. Es wurde die Incarceration eines Netzzipfels vermutet.
Die Operation zeigte ein grosses retroperitoneales Hämatom, welches
drainiert wurde (uachdem eine Inzision in der Bruchpfortengegend und
mediane Laparotomie ergebnislos waren!). Tod an Peritonitis. Der
Ausgangspunkt des Hämatoms konnte nicht ermittelt werden. Die
Nieren waren intakt. Wolfsobn.
Fr. Stüsser: Ueber die primären epithelialen Neubildungen des
Nierenbeckens, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 80, H. 3.)
Zusammenstellung der in der Literatur bisher publizierten Fälle und
Mitteilung eines eigenen. Hervorgehoben mag werden, dass Verf. das
Vorkommen von gutartigen Papillomen im Gegensatz zu Pels-
Leusden und de Josseling de Jong annimmt, wenn er auch an¬
erkennt, dass diese Neubildungen wegen ihrer ausgesprochenen Neigung
bösartig zu werden, eine eigenartige Stellung in der Pathologie ein¬
nehmen.
H. Finsterer: Zur Kenntnis der Gleitbriicke des Diekdarmes.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung dreier eigener
Beobachtungen von Gleitbrüchen (ein Fall von Schaukelbruch des Colon
ascendens; Heilung nach Resektion des Coecums und Iteocolostomie;
ein Fall von incarceriertem Gleitbruch bei einem 6 Monate alten Knaben
und eine Appendicocele bei einem 8jährigen Knaben). Verf. schlägt
vor, künftighin die Gleitbrüche mit teilweisem Bruchsacke in zwei
Gruppen zu teilen, je nachdem der Bruchsack grösser oder kleiner ist
als der vorliegende Dickdarm. Dann werden die verschiedenen Darm-
absehnitte als Inhalt besprochen (Coecum, Flexura sigmoidea, unterstes
Ileum, Appendix) und für letzteren den fünf Fällen der Literatur eine
eigene Beobachtung hinzugefügt. Bei Besprechung des Entstehungs-
mechaoismus für Gleitbrüche wird auf die seltene Form der Schaukel¬
brüche verwiesen (dazu eine eigene Beobachtung). Die Einklemmung
eines Gleitbruches, besonders bei Kindern, ist selten (eigene Beobachtung).
Bei der Therapie ist das wichtigste, eine Verletzung des Dickdarmes zu
vermeiden (Eröffnung des Bruchsackes immer an der medialen Seite), die
vollständige Ablösung des Bruchsackes hat zu unterbleiben. Bei Ver
letzung des Darmes kann die primäre Resektion notwendig werden.
H. Finsterer: Chronischer Cirenlns vitiosus nach Gastroentero¬
stomie mit Einklemmung von Dtinndarmschlingen im Mesocolonschlitz,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung eines vom
Verf. in der Hochenegg’schen Klinik beobachteten und operierten Falles
von chronischem Circulus vitiosus infolge zu langer Schlingen (auswärts
operiert) und gleichzeitiger Einklemmung von Dünndarrasehliogen im
offen gebliebenen Mesocolonschlitze. Die verschiedenen Ursachen der
Passagenstörung Dach Gastroenterostomien werden besprochen und dabei
der wahre Circulus vitiosus von dem falschen, durch die akute Magen¬
dilatation hervorgerufenen streng geschieden. Schliesslich werden noch
die wenigen (5) Fälle von Einklemmung von Dünndarmscblingen im
Mesocolonschlitze aus der Literatur zusammengestellt.
H. Finsterer: Ueber doppelten Darmversehlnss (Kombiuations-
ileus). (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Der von Ilochen-
egg unter dem Begriff Korabinationsileus zusamraengefasste doppelte
Darmverschluss wird auf Grund von 6 eigenen und 21 Literaturfällcn
einer eingehenden Schilderung unterzogen. Einleitend wird auf die Be¬
ziehung desselben zur Scheineinklemmung (Clairmont) verwiesen.
Nach Erweiterung des Begriffes werden die Fälle in zwei Hauptgruppen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
76
eingeteilt: 1. Primärer Darmverschluss durch anfangs chronische Stenose
(Kombinationsileus nach Hochenegg). 2. Akuter primärer Darmver¬
schluss, entweder durch Einklemmung in eine Hernie oder als innere
Incarceration. Es folgt eine eingehende Besprechung der Aetiologic und
des Entstehungsmechanismus sowie der wichtigsten Symptome. Die Pro¬
gnose ist eine schlechte, weil meist bei der Operation nur der eine
Darmverschluss beseitigt, während der andere übersehen wird. Einzel¬
heiten sind im Original nachzulesen.
M. Hofmann: Entstehung von Stenosen an Stelle der Schnür-
fnrchen nach Reposition eingeklemmter Dünn dann schlingen. (v. Bruns'
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Makroskopische und mikroskpische
Untersuchung eines Falles, in dem sich nach Incarceration an der ab¬
oralen Schnürfurche des Darms eine Narbenstenose entwickelt hatte,
die nach 29 Jahren schliesslich wegen wiederholter Ueusattacken zur
Resektion geführt hatte. Die histologische Untersuchung ergab, dass für
das Zustandekommen der Stenosen offenbar der gleiche Entstehungs¬
modus anzunehmen sei, wie für die kanalförmigen Stenosen, die sich aus
der schwer geschädigten incarcerierten Schlinge selbst entwickeln, und
dass die Annahme einer äusseren oder peritonealen Narbenstriktur des
Darms am besten endgültig fallen gelassen wird.
V. St. John: Versehliessimg eiiier Brochpforte einer Hernia
parasacralis postoperativa durch Myoplastik. (v. Bruns’ Beitr. z. klin.
Chir., 1912, Bd. 81.) Zum erfolgreichen Verschluss der nach para-
sacraler Eröffnung eines Douglasabscesses entstandenen Hernie benutzte
v. Hacker im Anschluss an die experimentellen Erfahrungen der Hilde-
brand’schen Klinik den in seinem oberen Drittel durchtrennten langen
Kopf des Biceps femoris mit Erhaltung der von oben in ihn eintretenden
Nerven und Gefässe. W. V. Simon.
E. Haim-Budweis: Die appendicnläre Peritonitis vom bakterio¬
logischen Standpunkte. (Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 99, H. 4, S. 1067.)
Die Appendicitis ist gewöhnlich Folge einer Mischinfektion. Bei den
selteneren Fällen, in denen aus dem Exsudat der Bauchhöhle einheitliche
Erreger gezüchtet werden können, sogenannte Monoinfektionen, sind zwei
Typen zu unterscheiden, welche auch klinisch voneinander getrennt
werden können: 1. Die durch Bakterien des Magendarmkanals er¬
zeugte Form: Bacterium coli, anaerobe Bakterien; schwere lokale Ver¬
änderungen am Wurmfortsatz, relativ leichte peritoneale und allgemeine
Erscheinungen. 2. Die durch von aussen kommende Erreger, Strepto¬
kokken oder Pneumokokken verursachte Appendicitis: Am Wurmfortsatz
geringe Veränderungen, frühzeitiges Durchwandern durch die intakte
Darmwand zur Bauchhöhle, diffuse Peritonitis, schwere Allgemein¬
erscheinung und Prognose. Zur Entstehung des Typus 1 ist eine
Virulenzsteigerung erforderlich, wie sie gewöhnlich durch mechanische
Verhältnisse (Sekretstauung) verursacht wird. F. Härtel.
H. Finsterer: Ueber Harnblasenbrüehe. (v. Bruns’ Beitr. z.
klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Mitteilung dreier selbst beobachteter und
operierter Fälle, von denen der eine zu der seltenen Form der ein¬
geklemmten extraperitonealen Blasenhernie gehört. Im Anschluss daran
werden die Fälle von Blasenhernien mit Ausschluss der „operativen
Blasenhernien“ gesammelt (48) und die Aetiologie und Symptomatik
kurz besprochen. Bei der Diagnose wird betont, dass wenigstens intra
operationem die Blase erkannt werden sollte, um eine Verletzung zu ver¬
meiden oder wenigstens die Blasen wunde sofort zu versorgen, da hiervon
die Prognose wesentlich abhängt. Zur Vermeidung einer Blasen¬
verletzung bei der sogenannten „operativen Blasenhernie“ wird empfohlen,
bei weiter Bruchpforte, besonders bei den direkten Hernien statt der
Bruchsackligatur die Tabaksbeutelnaht anzuwenden. W. V. Simon.
W. Neu mann - Heidelberg: Zur Operation sehr grosser, mit kom¬
pletter Kieferspalte einhergehender Hasenscharten. (Deutche med.
Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Die Vereinigung der Weichteile wird durch
die zu grosse Breite des gespaltenen Oberkiefers sehr erschwert. N. hat
ein klammerartiges Instrument konstruiert, das durch seitliche Kom¬
pression den Kiefer verschmälert und die Weichteile dadurch entspannt.
Die Klammer bleibt 3—4 Tage lang liegen. Die Weichteilnaht ist dann
stets gut entspannt und gesichert. Nachteile für die Entwicklung des
Kiefers werden durch das Verfahren nicht hervorgerufen.
Wolfsohn.
M. Hof mann: Die quere Pharyngotomie über dem Znngenbein,
insbesondere als Voroperation zur Entfernung von Tumoren des Nasen¬
rachenraumes. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Be¬
schreibung zweier weiterer Fälle der vom Verf. seinerzeit zu diesem Zweck
empfohlenen Operation. Besondere Betonung der Vor- und Nachteile
dieser Methode, die gestattet, ohne Blutung in ausgiebiger Weise an
Tumoren der Schädelbasis heranzukommen. W. V. Simon.
A. Denker-Halle a. S.: Zur Technik und Verwendbarkeit der Inter-
cricothyreotomie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Denker
empfiehlt das Verfahren von Botey, mit einem zweischneidigen Messer
das Ligamentum conicum transversal zu durchschneiden und dann eine
Kanüle unter Führung des Mandrins einzuführen. Durch Leichenversuche
wurde festgestellt, dass bei Inzision direkt am oberen Rande des Ring¬
knorpels Nebenverletzungen nicht in Betracht kommen. Für alle Fälle,
in denen eine temporäre Eröffnung der Luftwege erforderlich ist und die
perorale Tubage nicht ausgeführt werden kann, ist das Botey’sche Ver¬
fahren nach Denker indiziert, weiterhin besonders auch bei dringendster
Lebensgefahr. Wolfs ohn.
0. M. Chiari: Ueber einen Fall von C&rotisdrftsevUunor. (v. Brun’s
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Kasuistische Mitteilung mit ausführ¬
lichen Literaturangaben und Betonung der Wichtigkeit der exakten Dia¬
gnose in derartigen Fällen.
H. di Gaspero und E. Streissler: Neurologische und chirurgische
Mitteilungen über eine operativ geheilte Kleinhirn-Clliacyste. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Inhalt im Titel enthalten. Zu¬
sammenstellung der bisher operierten Fälle.
J. Zipper: FetttransplailtatiOB. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1912, Bd. 81.) Besprechung der Methodik und der Erfolge der Fett-
transplantation, die besonders in der kosmetischen Chirurgie bei ihrer
leichten Technik und den guten Erfolgen sehr viel leistet und den
Paraffininjektionen bedeutend überlegen ist.
G. Lotheissen: Ueber Behandlung mit Novojodinpaste. (v. Bruns*
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Um die in der Literatur schon
ziemlich zahlreichen Wismutvergiftungen bei Injektionen nach E. G. Beck
zu vermeiden, hat L. Novojodin (Hexametbylentetramindijodid) verwendet
und berichtet über seine Erfahrungen im Laufe von 15 Monaten. Von
55 Kranken wurden 28 geheilt (50,9 pCt ). Es handelte sich um chro¬
nische Eiterungen, darunter 29 tuberkulöse. Hier wurden nur 34,5 pCt.
geheilt. Da niemals Störungen beobachtet wurden, wird dieser ungiftige
Ersatz bei der Pastenbehandlung empfohlen.
E. Streissler: Die operative Behandlung der Donglasabseesse.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 81.) Die Eröffnung von oben
her wird nur für die Abscesse reserviert sein, die bis zur vorderen
Bauchwand reichen. Bei Frauen ist die vaginale Methode am besten;
die perineale Methode ist bei Männern leistungsfähig, aber technisch
nicht ganz leicht. Die ischiorectale Methode schätzt Verfasser
nicht, dagegen ist die parasacrale Methode, besonders bei hoch¬
sitzenden Abscessen und bei periproktalen Phlegmonen, empfehlenswert.
Am meisten empfiehlt Str. jedoch die coccygeale Methode, die alle
Vorzüge der parasacralen Methode hat, dabei aber die Bandmassen des
Kreuz- und Steissbeines schont und so Hernienbildung vermeidet. Den
rectalen Weg will Str. nur bei grossen, tiefliegenden, deutlich
fluktuierenden Abscessen, die nahe vor dem Durchbruch stehen, an¬
gewandt wissen, nie bei hochsitzenden Abscessen mit dicken Wänden,
Infiltrationen und Adhäsionen im Douglas. W. V. Simon.
Siehe auch Anatomie: Keith: Die funktionelle Natur des Blind¬
darms und des Wurmfortsatzes. — Röntgenologie: Burchard,
Chondromatöse, fibröse und cystische Degeneration der Knochen. Klar,
Defekt der Fibula.
Röntgenologie.
v. Lorentz-Stettin: Ein neuer Rontgenantersachniigstiseh für
trochoskopische Durchleuchtungen, Aufnahmen mit Kompressionsblenden
und Bestrahlungen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.)
Dünner.
G. Hartung: Die Heydenfolie. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgen¬
strahlen, Bd. 19, H. 3.) Hartung empfiehlt eine neue Folie, welche
die chemische Fabrik von Heyden, Radebeul-Dresden, herstellt. Die
Folie soll alle bisher in den Handel gebrachten in den Schatten stellen,
da ihre Expositionszeit ganz erheblich kürzer genommen zu werden
braucht. (Dass die Radiologiefolie gerade zu Vergleichsobjekten gewählt
wurde, lässt die Lobeserhebungen des Autors in etwas schwächerem
Lichte erstrahlen. Ref.). Die Folie ist abwaschbar und deswegen auch
auf lange Zeit verwertbar. Zu der Folie wird eine neukonstruierte
Kassette geliefert, welche praktischer sein soll als die bisherigen
Kassetten.
G. v. Goureritsch: Ueber das Kartoffelmehldekokt als Vehikel
für kontrastbildende Mittel in der Röntgenuntersuchung des Verdauungs¬
kanals. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 3.) G.
hat in folgender Weise einen Wismut - Kartoffelmehldekokt bereitet:
Um einen halben Liter einer halbflüssigen Masse herzustellen, nimmt
man: Kartoffelmehl 15,0 bis 20,0, Milch ein Teeglas, offizinellen
Mandelsirup 50,0, kohlensauren Wismut 50,0, mischt alles gut zusammen,
bis eine gleichmässige Suspension entsteht und giesst es rasch unter
Umrühren in eine gleiche Menge kochendes Wasser. Nun lässt man
nochmals unter ständigem Umrühren die Flüssigkeit etwas aufkoeben
und kocht noch etwa 1 bis 2 Minuten. Die mit dieser Masse gewonnenen
Bilder zeichnen sich durch besondere Tiefe der Schatten aus. Die
Kranken nehmen das Kontrastmittel gern. Besondere wertvolle Resultate
ergab die Einführung des flüssigen Wismut-Kartoffelmehldekokts bei der
Untersuchung des Dickdarms per rectum. Die Flüssigkeit reizt die
Schleimhaut fast gar nicht. Selbst sehr ängstliche Personen konnten
die Einführung grösserer Mengen vertragen. Stuhlgang trat nicht sofort
auf und konnte l / 2 bis 2‘/ 2 Stunden unterdrückt werden.
Christen: Das Lastkonto der Sabouraad-Pastille. (Fortschr. auf
d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Christen fasst die Ergebnisse
seiner sorgfältigen Untersuchungen über die Sabourand’scben Messungen
in Röntgenstrahlen in folgenden Sätzen zusammen: Unter Intensität der
Röntgenstrahlung hat man die in der Zeiteinheit auf die Flächeneinheit
entworfenen Röntgenenergiemengen nicht verstanden. Die Flächenenergie
ist diejenige Stnüilungsenergiemenge, welche während einer gegebenen
Bestrahlungszeit auf die Flächeneinheit trifft. Die Dosis einer Röntgen¬
strahlung auf eine dünne Schicht ist nicht nur der Flächenenergie pro-
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCH ENSCH RI ET.
77
portional, sondern gleichzeitig der Halbwertsschioht der Strahlung in
dem betreffenden Medium umgekehrt proportional. Dementsprechend ist
die Wirkung auf die Sabourand-Pastille nicht ein Maass für die Flächen¬
energie, sondern für den Quotienten aus der Fläcbenenergie in der
Halb wertsschicht der Strahlung mit Barium-Platin- Zyanür. Die Sabou¬
rand-Pastille eignet sich daher zu Messungen für Fiächenenergien oder
Intensitäten nur dann, wenn man den Härtegrad konstant hält. Bei
Versuchen, welche irgendwelchen Einfluss der Aenderung bervorrufen
sollen, kann die Sabourand-Pastille keinen Aufschluss geben, es sei
denn, dass man den Zusammenhang der Halbwertsschicht mit destil¬
liertem Wasser einerseits und dem Barium-Platin-Zyanür andererseits
in Rechnung ziehe. Bei gleicher Sabourand-Dosis ist die Fläcbenenergie
der härteren Strahlung grösser als diejenige der weicheren. Trotzdem
ist bei gleicher Sabourand-Dosis die Wirkung auf die Haut bei der
härteren Strahlung die geringere, während die Zunahme an Flächen¬
energie überkompensiert wird durch die Abnahme an Absorptionsfähigkeit
der Haut.
F. Becker: Zur Frage der Frfihreaktion. (Fortschr. auf d. Geb.
d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Becker rührt von neuem die Frage
auf, welcher von den bisher angestrebten Theorien über die Frühreaktion
am meisten Geltung zukommt. Er hat darüber eigene Untersuchungen
gemacht, sowohl mit der Gundelach-Röhre wie mit der Müller-Lindemann-
Rohre. Die Versuche zeigen übereinstimmend mit den Beobachtungen
der Praxis, dass in einer verhältnismässig nicht geringen Zahl von
Fällen das Früherythem ausbleiben kann, und dass der Bezeichnung
«Frühreaktion“ noch des Ungeklärten genug anhaftet. Eine grössere
Anzahl von Mitteilungen über Fälle von Frühreaktion wird uns viel¬
leicht in den Stand setzen, die aus den positiv erfolgten Ergebnissen
gezogenen Schlüsse ergänzend zu modifizieren, damit wir über Wesen
und Ursache der Frühreaktiou ein klareres Bild erhalten.
H. E. Schmidt: Die Anwendung filtrierter Strahlen in der
Röntgentherapie. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.)
Schmidt wendet bei Tiefenbestrahlungen Filter an, um einmal die in
dem Strahlengemisch enthaltenen überflüssigen Härtestrahlen abzufangen
und ausserdem günstigere Bedingungen für die Tiefenverteilung der
Strahlen zu schaffen. Das zweckmässigste Filtermaterial scheint das
Aluminium zu sein, das gewöhnlich in einer Dicke von 1 mm Anwen¬
dung findet. Prüfungen, die Schmidt angestellt hat, ergaben, dass
das Filter an sich keineswegs eine erfolgreiche Strahlung gewährleistet,
sondern dass der Härtegrad der Strahlung vor dem Filter dabei eine
grosse Rolle spielt. Ist bei der Tiefenstrahlung die Anwendung eines
Filters unbedingt notwendig, so ist auch für die Oberflächenbestrahlung
die Anwendung häufig nützlich.
H. E. Schmidt: Die Strahlenbehandlung als Spezialfach? (Fort¬
schritte auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 3.) Sch. polemisiert
gegen die im Bd. 19, H. 1 der Fortschritte geschriebenen Ausführungen
von Kienböck und Holzknecht, besonders gegen den Satz: „Es geht
nicht an, sich nur mit einem Teil, z. B. nur mit der internistischen
oder der chirurgischen oder gar nur mit der dermatologischen Radio¬
logie zu befassen, denn solche Aerzte können auch auf dem begrenzten
Gebiet nichts Vollkommenes leisten.“ Er meint, dass ein Dermatologe
ein vorzüglicher Radiotherapeut sein könne, ohne von der Röntgen¬
technik etwas zu verstehen. Viel angebrachter wäre es nach seiner
Meinung, wenn der Röntgenologe, welcher Hautkranke mit Röntgen¬
strahlen behandelt, auch Spezialkenntnisse über die Erkrankungen der
Haut besässe. Er hält deshalb die Trennung der Radiotherapie von der
Radiologie für durchaus geboten und für einen Fortschritt; denn sie be¬
deutet für den Fachröntgenologen eine Entlastung.
Gottscbalk: Einige kurze Bemerkungen zu dem Artikel der
Herren Professor Krönig und Privatdozent Dr. Gauss in Freiburg
„Z«r Röatgenbehudlug der Myome“ in Nr. 20 der Deutschen med.
Wochenschr. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.)
«iottschalk weist zunächst darauf hin, dass er bereits im Jahre 1906
in einer Broschüre die günstige Einwirkung der Röntgenstrahlen auf
Myome beschrieben habe. Im übrigen setzt sich Gottschalk warm
für die prinzipielle Autorschaft der sogenannten Freiburger Technik ein,
deren drei hauptsächlichste Ingredienzien für die optimistische Tiefen¬
wirkung zu suchen sind: 1. in der Strahlenfiltration, 2. in der Tiefen-
bestrablung, 3. in der Krouzfeuerwirkung durch möglichst zahlreiche
Einfallspforten. Besonderes Gewicht legt Gottschalk auf die Hoch-
lagerung des Beckens, wodurch die stark Röntgenstrahlung absor¬
bierenden Darmscblingen nach oben sinken.
A. Cieszynski: Beiträge zur intra-oralen Aufnahme der Zähne.
(Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 8.) C. will die Ein¬
stellung des Hauptstrahles über Intr&zahnaufnabmen mittelst seiner
Grientierungstafel vorgenommen wissen, da es dem Ungeübten sehr
schwerfälit, Zabnaufnahmon so zu machen, dass sie den tatsächlichen
Verhältnissen nahekommen. Der Einfallswinkel der Röntgenstrahlen ist
bei den verschiedenen Zahnaufnahmen ein sehr verschiedener. An
schematischen Zeichnungen werden die intra-oralen Zahnaufnahmen be¬
sprochen. Man mache es sich zur Regel, in jedem Falle zwei Aufnahmen
bei verschiedener Stellung des Kopfes zu machen, wobei der Hauptstrahl
durch verschiedene Radien des Kieferbogens verläuft. Es werden dabei
unter Umständen gewiss wertvolle Details sichtbar. Des weiteren be¬
spricht C. die topographische Bestimmung retroapikaler Herde, z. B. von
allgemeinen Granulomen, Cysten; auch verwandte Verf. die Röntgenstrahlen
zur Kontrolle der Wurzelfüllung, da fast alle Wurzelfüllungsmaterialien
für die Röntgenstrahlen undurchlässig sind.
M. M. Klar: Defekt der Fibnla. (Fortschr. auf d. Geb. d.
Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Klar sah bei einem 15jährigen Mädchen
bei einem Sprunge aus nur 20 cm Höbe in Schnee eine Fraktur der
rechten Tibia entstehen. Die Röntgenaufnahme zeigte, dass genau in
der Höhe, wo die Tibia gebrochen war, die Fibula in einer Spitze
endigte, um erst 4 cm oberhalb des Knochengelenks wieder in Knochen
überzugehen. Es fehlte also ein Zwischenstück von 7—8 cm Länge im
Knochen. (Ref. hat dieselbe Erscheinung bei einem älteren Individuum
im Gefolge einer schwer deutbaren — vielleicht auf Lues beruhenden —
Knochenerkrankung gesehen.
A. Burchard: Zur Diagnostik der ehondromatösen, fibrösen und
cystischen Degeneration der Knochen. (Fortschr. auf d. Geb. d.
Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Burchard gibt einen kasuistischen Beitrag
über chondromatöse Degeneration des Knochensystems bei einem jugend¬
lichen Individuum, das früher an Rachitis litt. Er bespricht im An¬
schluss daran die Mannigfaltigkeit der im Titel wiedergegebenen Krank¬
heiten, die von vielen Autoren immer wieder verschieden benannt worden
sind, und meint, dass von der einen Krankheit zur anderen Uebergänge
bestehen. Der Röntgenuntersuchung kommt ein dominierender Wert zu,
denn das klinische Bild ist häufig ein absolut unklares. Inwieweit die
Rachitis im ursächlichen Zusammenhang zu dem geschilderten Krank-
heitsbilde steht, muss offengelassen werden. Die Aetiologie der Ostitis
fibrosa ist noch vollständig in Dunkel gehüllt, während es für die Ent¬
stehung der Enchondrome zwei Theorien gibt, und zwar entweder die
Entstehung des übriggebliebenen Knorpelinnern der Fötalzeit, anderer¬
seits die Entstehung durch entzündliche metaplastische Neubildung.
R. Walter: Ueber Wachstansschädigangen jinger Tiere durch
Röntgenstrahlen. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.)
Der erste Teil seiner Arbeit gibt ein kritisches Sammelreferat über die
Einwirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf das Wachstum junger
Tiere und Menschen. Im zweiten Teil berichtet W. über seine eigene
Untersuchungen, die an Kaninchen, Meerschweinchen, Hunden und
Schafen angestellt wurden. Es ergeben sich grosse Unterschiede zwischen
den Experimenten der verschiedenen Autoren. Die Erklärungen für die¬
selben sind schwierig. Io der Tierart oder im Alter der Tiere eine Er¬
klärung zu suchen, ist nicht möglich, Es bleibt nur übrig, in der Art
der Bestrahlung, über die nur sehr unbestimmte Angaben bestehen, die
Ursache der Verschiedenheit zu suchen. W. hat auch die bestrahlten
Nervensysteme der Tiere, über die Krukenberg früher berichtet hatte,
mikroskopisch untersucht. Makroskopisch ergeben sich keine Verände¬
rungen. Mikroskopisch sind die Ergebnisse nicht genügend geklärt, um
Schlüsse ziehen zu können.
Koch und Bucki: Ueber die Darstellung der Resorption der
serösen Höhlen, insbesondere der Pleurahöhlen, mittels Röntgenstrahlen.
(Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Koch und Bucki
haben bei Tieren in die Pleurahöhlen schattengebende Substanzen ein¬
gespritzt und sich über deren Verteilung und Verhalten in der Pleura¬
höhle durch Röntgenstrahlen eine Uebersicht gemacht. Es zeigt sich,
dass an der Resorption nicht die gesamte Pleurahöhle, sondern nur be¬
stimmte Partien teilnehmen. Vor allem ist es das lockere Gewebe des
vorderen Mediastinums, in dem sich sowohl die Hauptsache von corpus-
culären als auch flüssigen Körpern ablagert. Die Resorption von seiten
der übrigen Pleurapartien kommt kaum in Betracht. Die Lunge selbst
nimmt an der Resorption so gut wie gar nicht teil. Es wird ange¬
nommen, dass das Bindegewebe des Mediastinums offene Lymphspalten
besitzt, durch die die Aufnahme erfolgt, während die übrige Pleura
vielleicht solche nur im Verlaufe der Rippengefässe aufzuweisen hat.
Auch bei der Pleurahöhle besteht die Tatsache, dass bestimmte Bezirke
und nicht etwa die ganze Oberfläche einer serösen Höhle resorbiert,
ebenso wie in der Bauchhöhle vor allem das Netz und dis Centrum
tendineum als resorbierende Organe anzusprechen sind.
A. Weil: Drei Falle von Lungentumoreii mit ungewöhnlichem Be¬
fund. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 2.) Weil be¬
richtet aus der Strassburger medizinischen Klinik über drei seltene
Fälle von Lungentumoren. Der erste betraf ein Chorionepitheliom, das
in der Lunge eine Metastase gesetzt hatte. Im zweiten Falle beschreibt
Weil den Befund bei einem Adenocarcinom des rechten Hauptbronchus,
welcher auf das Periost Übergriff. Im dritten Falle handelte es sich um
einen grossen Schattenherd des rechten Oberlappens von Mannesfaust¬
grösse, der im Centrum einen grösseren Kalkherd enthält. Im Anschluss
an die drei Fälle bespricht Weil die Differentialdiagnose der verschie¬
denen Arten von Lungentumoren.
W. Alvens und J. Husler*. Röntgenuntersuchungen des Kinder¬
magens. (Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, II. 3.) Alvens
und Husler haben die Fortschritte des sogenannten Einzelscblag-
verfahrens, das Dessauer in die Röntgenologie eingeführt hat, sich
zunutze gemacht, um an den schwer zu röntgenden Säuglingen
die Topographie und Physiologie des Magens zu studieren. Sie be¬
richten über Form und Lage des Magens, über die Elastizität und den
Tonus, die Eigenbewegungen des Magens, die Oesophnguspassage, Ge¬
staltung und Füllung des Organes. Weiter berichten sie, wie sich der
Magen des Säuglings entleert. Wesentlich ist, dass der Magen beim
Säugling, entsprechend der horizontalen Lage des Säuglings, auch eine
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Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE VV< KTIKNSCHRIKT.
mehr liegende Stellung bat und im übrigen stark abhängig ist von dem
Luftgebalt des Magens selbst, sowie den Einflüssen der Nachbarorgaue
auf den Magen. Während im Säuglingsalter die horizontale Lage des
Magens vorherrscht, waltet im späteren Kindesalter die vertikale Stellung
des Magens vor. M. Cohn.
Siehe auch Chirurgie: Schmerz, Röntgenradiotherapie der
chirurgischen Tuberkulose.
Urologie.
Pöchler-Charlottenburg: Zur Vaecinebehandlaig der Goaarrhöe.
(Dermatol. Wochenschr., 1912, Bd. 55, Nr. 46.) Bei der Arthritis gonor¬
rhoica, bei Epididymitis, Prostatitis, Vulvovaginitis der Kinder wirkt die
Arthigonbehandlung zum Teil günstig, bei einfacher Urethritis, bei
Cervix- und Rectalgonorrhöe ist ein Erfolg nicht zu erwarten.
C. Cronqvist- Malmö: Ueber abortive Behandlung der Gonorrhöe,
insbesondere der hinteren Harnröhre. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis,
1912, Bd. 114, H. 1.) Für die abortive Behandlung eignen sich nur
Fälle, bei denen keine Entzündung des Orificium urethrae besteht, und
bei welchen die erste Harnportion nicht trübe, sondern klar mit Flocken
ist. Die Behandlung besteht in zwei Einspritzungen hintereinander von
fünf Minuten Dauer einer 2 proz. wässerigen Albarginlösung. Häufig ge¬
nügen zweimal zwei Einspritzungen mit Zwischenraum von etwa acht
Stunden. Die abortive Behandlung der Urethritis posterior besteht in
zweimal täglichen Janet’schen Spülungen mit schwachen Kalihyper-
manganlösungen. Immerwahr.
Grussendorf - Jerusalem: Erfahrungen mit der Blasennaht beim
hohen Steinschnitt an Kindern. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 51.) Die totale Blasennaht nach hohem Steinscbnitt an Kindern
birgt Gefahren, die der offenen Wundbehandlung nicht anhaften. Man
muss von der Blasennaht ausschHessen: 1. Kinder, die bei gutem All¬
gemeinbefinden einen höheren Grad von Blasenreizung erkennen lassen,
die bei Bettruhe usw. nicht schwindet. 2. Kinder mit Beeinträchtigung
des Allgemeinbefindens, selbst wenn Fieber fehlt. 3. Kinder, bei denen
man keine Tabaksbeutelnaht als innerste Nahtschicht machen kann.
Dünner.
L. Waelsch - Prag: Cavernitis penis migrans. (Dermatol. Wochen¬
schrift, 1912, Bd. 55, Nr. 47.) Die Penisaffektion des Patienten, bei
welchem Gonorrhöe auszuschHessen war, ist mit der späteren Thrombo¬
phlebitis der unteren Extremitäten io *Zusammenhang zu bringen; es
handelte sich um eine Cavernitis migrans. Immerwahr.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
K. Schmidt-Frankfurt a. M.: Zur Kenntnis des Ehrmaun’schen
Lnesphünomens. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.)
Der Erklärung des Ehrmann’schen Gefässsymptomes bei Lues, das sich
durch Auftreten von dunkeilividen Flecken und Zeichnungen charakteri¬
siert, als Arterienerkrankung kann Verf. nicht beistimmen, vielmehr
glaubt er, dass es sich eher um Stauungsvorgänge in den Venen handle.
E. Hoffmann-Bonn: Wer ist der Pfälxer Anonymas? (Dermatol.
Zeitschr., Dezember 1912.) Es ist der am 6. Februar 1887 verstorbene
Medizinalrat Dr. Julius Bettinger in Frankenthal in der Pfalz, welcher
anonym seine Impfungen mit sekundären Syphilisprodukten an gesunden
Menschen veröffentlicht und dadurch die Ansteckungsfähigkeit der Syphilis
bewiesen hat.
St. Rygier und E. Müller-Breslau: Steinkohlenteer in der
Dermatologie. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.)
Der Steinkohlenteer ist ein ausserordentlich brauchbares Mittel für die
Behandlung von chronischen Ekzemen, Dermatitis lichenoides pruricus
und Prurigo Hebrae.
A. Brauer-Kiel: Ueber eine besondere Form des hereditären
Keratoms (Keratoma dissipatnm hereditarinm palmare et plantare).
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) Die Keratodermie
fand sich bei den Söhnen nicht affizierter Eltern; die erkrankten Söhne
übertrugen die Affektion auf ihre Söhne, nicht aber auf die Enkel,
während die weiblichen Familienmitglieder sämtlich verschont blieben
und ihrerseits nicht das Leiden vererbten. Die Keratose war ausserdem
keine allgemeine, sondern es fanden sich nur sehr zahlreiche stecknadel-
spitz- bis pfennigstückgrosse Horneinlagerungen.
Kreibich-Prag: Angionenrofische oder toxische Entzündung?
Bemerkungen zur Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica Mutzenauer-
Polland. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) K. sucht
nachzuweisen, dass es sich bei der Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica
nicht um eine toxische, sondern um eine angioneurotische Entzündung
handelt.
J. Friedberg-Breslau: Ein Fall von Dermatitis symmetrica
dysmenorrhoica. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.)
Die von Mutzenauer und Polland mit dem Namen Dermatitis sym¬
metrica dysmenorrhoica bezeichnete Erkrankung ist als eine spontan,
auf hämatogenem Wege entstandene Dermatitis aufzufassen, die den
Menstrualexanthemen nahesteht.
P. Mathes-Graz: Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica. Be¬
merkungen zu Mutzenauer’s und Polland’s gleichnamigem Aufsatz
io Bd. 111, H. 2 dieses Archivs. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912,
Bd. 114, H. 1.) Auch Mathes meint, dass die Dermatitis symmetrica
dysmenorrhoica angioneurotischen Ursprungs sei.
R. Bernhardt-Warschau: Ueber die Behandlung des Lapis
vulgaris nach Herxheimer- Altmann (Salvarsan - Tuberkulinmethode).
(Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912, Bd. 114, H. 1.) Ulcerierte Formen
des Lupus vulgaris vernarben unter dieser Behandlung schnell. Ihre
Wirkung auf das lupöse Gewebe ist sehr evident. Manche Infiltrate
schwinden vollständig, andere unterliegen einer partiellen Resorption.
Die Kombination dieser Methode mit anderen schon erprobten Behandlungs¬
methoden ist zu empfehlen.
H. Sowade-Halle a. S.: Die Kultur der Spirochaete pallida und
ihre experimentelle Verwertung. (Archiv f. Dermatol, u. Syph., 1912,
Bd. 114, H. 1.) Die Züchtung der Syphilisspirochaete auf künstlichem
Nährboden in Mischkultur ist verhältnismässig leicht, die Isolierung ist
jedoch mit ziemlich grossen Schwierigkeiten verbunden. Bei den Tier¬
impfungen mit künstlich kultivierten Spirochäten ist es erforderlich,
grosse Mengen von Spirochäten zu verimpfen. Die Erscheinungen, welche
durch dieselben hervorgerufen werden, sind im wesentlichen dieselben,
wie sie mit syphilitischem menschlichen oder tierischen Material hervor¬
gebracht werden. Immer wahr.
E. Hoffmann-Bonn: Daier der Kontagiosit&t der Syphilis aad
Ehekonsens im Lichte der neuen Forschung. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 1.) Bei der nach H. durcbgeführten kombinierten
Hg-Salvarsankur (15 Hg-Salicylinjektionen, 4—6 Salvarsaninfusionen)
wird die Neigung zu Recidiven wesentlich beschränkt. Trotzdem ist
aber die Syphilis nicht frühzeitig als uninfektiös anzusehen, da Männer
beobachtet wurden, die keinerlei Symptome zeigten, wohl aber einige
Monate nach beendeter Salvarsankur ihre Frauen infizierten. Auch bei
scheinbar geheilten Fällen ist in den ersten Jahren die Infektion als
noch nicht erloschen anzusehen, ff. möchte, trotz der Fortschritte der
modernen Diagnostik und Therapie, an der alten Eheregel festbalten;
Patienten, die 5 — 6 Hg-Kuren oder 2—3 kombinierte Kuren durchgeführt
haben und während der letzten 1—2 Jahre frei von Erscheinungen ge¬
blieben sind, dürfen 3—5 Jahre post infectionem heiraten. Die Wasser-
mann’sche Reaktion beantwortet nach H. die Frage der Kontagiositat
nicht und kann deshalb bei der Erteilung des Ehekonsenses nicht maass¬
gebend sein. Nur bei syphilitischen Frauen ist die Wassermann’sch©
Reaktion insofern von Bedeutung, als der positive Ausfall während der
Gravidität stets Anlass zu energischer Behandlung gibt. Der Ueber-
gang der Spirochäte auf die Frucht findet wahrscheinlich auch bei ganz
geringen Krankheitsresten statt. Wolfsohn.
E. Freund-Triest: Ahortivkureu mit Salvarsan. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die Patienten, die frühzeitig in die
Behandlung traten, zeigten nach durchschnittlich l 1 /* Jahren keine
Symptome von Lues. F. exzidiert, wenn möglich, das Ulcus, macht
3—4 intravenöse Salvarsaniojektionen ä 0,4—0,5 kombiniert mit Queck¬
silberbehandlung. Dünner.
F. Zinsser und P. Philipp-Cöln: Ulens ernris varieosum aad
Syphilis. (Dermatol. Zeitschr., Dezember 1912.) Durch Rontgenphoto-
gramme wiesen die Verff. bei zahlreichen Fällen von typischen varicösen
Ulcera Knochenveränderungen und Periostitis nach; da in der Mehrzahl
dieser Fälle die Wassermann’sche Reaktion positiv ausfiel, so glauben
die Verff., dass möglicherweise der ganze varicöse Prozess auf syphi¬
litischer Grundlage beruht, besonders da eine antisypbilitische Behand¬
lung, vor allem mit Salvarsan, die Ulcera schnell zur Heilung brachten.
' B. Lipschütz-Wien: Ueber eine eigenartige Gesehwnrsform des
weihliehen Genitales. (Ulcus vulvae acutum.) (Archiv f. Dermatol, u.
Syph, 1912, Bd. 114, H. 1.) Es gibt eine bisher wenig bekannte
Geschwürsform des Genitales, die weitgehende klinische Aehnlichkeit mit
dem Ulcus venereum oder mit gangränösen Genitalgeschwüren besitzt
und, nach den bisherigen Beobachtungen, ausschliesslich Frauen und
namentlich ältere Mädchen und Virgines intactae befällt. Als Erreger
dieser eigenartigen Geschwürsform kommen grampositive Bacillen in
Betracht, die sowohl im Ausstrichpräparat als auch im Schnitt in
grossen Mengen nachgewiesen werden können. Dieser Geschwürsprozess
stellt trotz seiner infektiösen Natur keine durch den Geschlechtsverkehr
übertragene Krankheit dar. Der klinische Verlauf ist ein gutartiger.
Immer wahr.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
A. Dienst - Leipzig: Die Ursache für die Gerinunngsunfähigkeit
des Blutes hei der Menstruation. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 51.) Die zur Blutgerinnung nötigen Stoffe, das Fibrinogen und das
Fibrinferment, müssen in bestimmten Mengenverhältnissen vorhanden sein,
damit eine Gerinnung erfolgt: ein Teil Fibrinferment kann höchstens
215 Fibrinogen zur Gerinnung bringen. D. fand nun, dass im
Menstruationsblut im Verhältnis zum Fibrinogengehalt ein viel zu ge¬
ringer Fibrin fermentgehalt vorhanden ist. Das im sonstigen Kreislauf
der Menstruierenden vorhandene Fibrinferment vermag nur geringere
Fibrinogen mengen des circulierenden Blutes und noch geringere des
Menstrualblutes zur Gerinnung zu bringen. Diese Abschwächung des
Fibrinferments kann nur durch das Antithrombin erklärt werden, an
dem die Uterusschleimhaut besonders reich ist. Auch bei Myomkranken
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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fand D. in der hypertrophischen Uterusschleimhaut besonders grosse
Antithrombinmengen, die die Uterusblutungen bei Myomkranken ver¬
ständlich machen. Dünner.
M. F. En gm an-St. Louis: Einige Bemerkungen über die Patho¬
genese der Syphilis der Plaeenta. (Dermatol. Wochenschr., 1912,
Bd. 55, Nr. 44.) In der Placenta die Spirochäten nachzuweisen, ist sehr
schwer. Es ist aber durchaus möglich, dass viele Läsionen an der Pla¬
centa, welche man bisher als Aeusserungen der Syphilis gedeutet hat,
nicht auf dieses Leiden zurückzuführen sind. Schwangere Frauen können
sehr wohl auch andere Organismen ausser den Spirochäten in analoger
Weise beherbergen. 1mm er wahr.
A. Hengge-München: Hypophysenextrakt and Dämmerschlaf in
der praktischen Geburtshilfe. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 51.) H. kann im grossen und ganzen die guten Wirkungen von
Hypophysenextrakt bei Wehenschwäche bestätigen. Da sich nach der
Injektion oft die Wehen sehr stürmisch einstellen, gibt H. vorher
Scopolamiu-Morphium. Dünner.
Lambert und Oui-Lille: Direkte Bluttransfusion nach Blut-
▼erlist durch vorzeitige Lösung der Placenta. (Annales d. gyn. et
d’obst., November 1912.) In einem Fall von abundanter Blutung und
schwerstem Collaps infolge vorzeitiger Lösung der normal sitzenden
Placenta hatte Oui bereits 500 ccm Kochsalz, Campber usw. erfolglos
gegeben. Mehr Kochsalzlösung wollte Verf. nicht geben, da bei der
Patientin renale Insuffizienz bestand. Lambert maohte nun nachdem
Vorgang von Garrel eine direkte Transfusion, indem er die A. radialis
des Ehemannes circular mit der Vena mediana der Frau vernähte. Sechs
bis sieben Minuten nach Beginn der Transfusion erholte sich die Frau.
An der nachher berausgenommenen Gefässoahtstelle keine Gerinnsel-
bildung. F. Jacobi.
Violet: SeptikimiseheBeekenzellgewebsentzündnngen nach Wert-
koim’sehei Operationen. (Lyon mödical, Nr. 47 u. 48.) Verf. weist
darauf hin, dass häufig nach Wertheim’soher Operation Beckenzellgewebs¬
entzündungen septikämischen Charakters auftreten, die indessen für ge¬
wöhnlich einen günstigen Verlauf nehmen. A. Münzer.
Siehe auch Therapie: Wallace, Unterdrückung der Krämpfe
bei Eklampsie. — Chirurgie: Streissler, Behandlung der Douglas-
Abscesse. — Röntgenologie: Gottschalk, Röntgenbehandlung der
Myome. _
Augenheilkunde.
J. J. Kolominsky: Ein Fall von hyalin-amyloider Degeneration
der Conjuetiva. (Klio. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Auf
Grund des beobachteten mikroskopischen Bildes nimmt Verf. mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit an, dass in dem beschriebenen Falle eine
aogiomartige Geschwulst vorlag, in welcher sich alsdann eine hyalin-
amyloide Degeneration entwickelte, die sich nicht allein auf das Binde¬
gewebe beschränkte, sondern auch auf die Wandung der Gefässe und
auf den Inhalt der Gefässe und der Bluträume Übergriff.
0. Schnaudigel: Zur Radiambehandliing der CoBjnnctivitis
venalis. (Kiin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) In dem
vom Verf. beobachteten Falle hat die Entfernung der Wucherungen die
subjektiven Beschwerden gemildert, die Kauterisation verschlimmerte
den Zustand, die medikamentöse Therapie versagte ganz, und- trotz Ver¬
schlimmerung des Krankbeitsbildes, die jedes Jahr in der Intensität und
der zeitlichen Ausdehnung brachte, hat die Radiumbestrahlung radikale
Abhilfe gebracht.
W. Tschirkowsky: Klinische Beobachtungen über Vaceinotherapie
und Serantherapie der diplobacillären Conjunctivitis. (Klio. Monats¬
blatt f. Augenheilk., November 1912.) Sowohl die Vaccino- wie die
Serumtherapie geben bei der Heilung diplobacillärer Infektion günstige
Resultate, können jedoch als selbständige, die gewöhnliche Zinktherapie
vollkommen ersetzende Mittel noch nicht empfohlen werden. Eine
kombinierte Therapie: Vaccino- oder Serumtherapie bei gleichzeitiger
Anwendung der gebräuchlichen therapeutischen Mittel hat die besten
Resultate in schweren Fällen diplobacillärer Infektion aufzuweisen
T. Akatsuka-Japan: Fall von gürtelförmiger Hornhaattrfibung im
Anschluss an eine alte Horahaatnarbe. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk.,
November 1912.) Eine veränderte Ernährung der Hornhaut als Ursache
der gürtelförmigen Trübung kann angenommen werden. Die anatomische
Läsion besteht darin, dass eine ganz schmale und feste Narbe die Horn¬
haut durchsetzt.
C. Velhagen: Biadegewehsbildang an der hinteren Linseafläche
unter dem Bilde des Gliona retinae. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk.,
November 1912.) In Bulbis, welche auch noch so leicht missbildet
sind, ist an ein Gliom später zu denken als an Bindegewebswucherungen
der hinteren Linsenkapsel. Man soll sogar nicht schwankend werden,
wenn die verdächtig aussehenden Massen im Augeninnern zunehmen.
Auf die Tension darf nicht viel Gewicht gelegt werden, da bei kleinen
Kindern zu leicht Untersuchungsfehler Vorkommen können. Ein grosses
Unglück wird eine falsche Diagnose mit ihren Folgen wahrscheinlich
niemals sein, denn in den fraglichen Augen werden sich immer im
späteren Leben komplizierte Katarakte bilden, welche ohne Operation
ein sehr schlechtes Aussehen bedingen und mit einer solchen wohl
immer zum Ruin des Auges führen. Ein aus übergrosser Besorgnis
xarückgelassenea Gliom wird immer das grössere Versehen sein.
T. Akatsuka-Japan: Eigentümlicher Fall von Ciliarkörpersarkom.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Aus dem beschriebenen
Falle geht hervor, dass das Ciliarkörpersarkom klinisch auch das Aus¬
sehen von Geschwülsten des retinalen Epithels der Iris zu bieten ver¬
mag, dass es nämlich zwischen Pupillarrand und Linse in die vordere
Kammer wuchern und auch oberflächlich das Aussehen einer solchen
Epithelgeschwulst Vortäuschen kann.
H. G. A. Gjessing: Ein Fall von einseitiger Amaurose unter dem
Bilde einer Embolia arteriae centralis retinae im Anschluss an einen
kriminellen Abort mit auffällig guter Wiederkehr des Sehvermögens und
Gesichtsfeldes. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Kasuistik.
A. Bietti: Zur Kenntnis des centralen grünen Fleckes bei Myopie.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Bei dem 19jährigen
Patienten ist auf dem rechten Auge ausser einem Conus auch ein zum
Teil grüner und zum Teil schwarzer Fleck am hinteren Pol wahr¬
zunehmen. Er ist durch einen zum Teil schwarz pigmentierten Saum
scharf begrenzt und ist etwas grösser als die Papille. Er sieht zum
grossen Teil grün aus. Etwas in der Mitte und. mehr temporalwärts
sieht man einen schwarzen Fleck, den die macularen Blutgefässe nicht
erreichen. Verf. hält es nicht für ausgeschlossen, dass die genannten
Flecken pathologisch-anatomische Veränderungen derselben Art darstellen.
A. Biettti: Glaukomatöse Excavation der Papille und Nenritis
optiea. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) In dem ver¬
öffentlichten Falle konnten sowohl die glaukomatöse Excavation als auch
die Papillitis ophthalmoskopisch wahrgenommen werden, und zwar ging
die glaukomatöse Excavation der Entzündung des Sehnerven voran.
W. Wittich: Zur pathologischen Anatomie des intraocnlaren
Cysticercns. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Während
die meisten untersuchten Cysticerken entweder subretinal oder im Glas¬
körper lagen, befindet sich in dem veröffentlichten Falle der Parasit in
der Netzhaut selbst, ist also durch die Arteria central, retin. in das
Auge gelangt. Zu beiden Seiten des Herdes fand sich eine umschriebene
eigentümliche Umstülpung der Stäbchen- und Zapfenschicht und der
inneren Körnerschicht nach aussen, die wohl durch eine mechanische
Schädigung, Zerreissung dieser Schichten bei der ersten Ansiedelung des
Parasiten hervorgerufen wurde. F. Mendel.
F. Schieck - Königsberg i. Pr.: Die Bedeutung der Stauungspapille.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten im Verein
für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg am 25. November 1912.
Wolfsohn.
E. Guzmann: Ueber die Blutung zwischen Netzbant und Glas¬
körper. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., November 1912.) Zwischen
Glaskörper und Netzhaut besteht nur eine Membran, die Membrana
limitans interna. Diese bildet bei den meistens präretinalen Blutungen
die vordere Begrenzung. Mitunter bricht das Blut durch, auch ohne
sich im Glaskörper weiter auszubreiten, weil die Grenzschicht des
Glaskörpers ein festeres Gefüge hat. F. Mendel.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Halle - Charlottenburg: Ein praktisches Antiphon, (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Hergestellt aus Hartparaffin. Ein Wattekern
wird mit einer Seidenschleife armiert und in heisses Paraffin getaucht,
dann zur Kugel modelliert. Zu haben bei H. Pfau, Berlin.
Wolfsohn.
A. H. G. Mackeitosh - Sheffield: Ein Fall von akntem Nasen¬
katarrh. (Lancet, 14. Dezember 1912, Nr. 4659.) Der Verf. fand bei
einem akuten fieberhaften Nasenkatarrh in der dünnen schleimigen Ab¬
sonderung in grosser Menge einen Bacillus von folgenden Eigenschaften:
Er war graranegativ, variierte in der Grösse sehr von kokkenartigen Ge¬
bilden bis zu läd'gen, zeigte ausgesprochene Polfärbung. Die längeren
Formen waren oft gekrümmt und dünner als die kurzen; die längeren
lagen oft zu zweien mit den Enden aneinander. Er färbte sich mit allen
Farben; er war nicht beweglich. Er wuchs anaerob nicht so reichlich
wie aerob. Auf Kartoffeln färbte sich bei Körpertemperatur die Ober¬
fläche nach 24 Stunden braun, und es wuchsen darauf reichlich runde,
weisse Kolonien. Er war bei Meerschweinchen, intraperitoneal infiziert,
pathogen (Septikämie); subcutan machte er nur einen Abscess. Ka¬
ninchen Hessen sich durch kleine intravenöse Dosen immunisieren und
zeigten dann bei einer grossen Dosis den charakteristischen Nasenkatarrh,
erholten sich aber. Eine grosse anfängliche Dosis tötete die Kaninchen
rasch durch eine hämorrhagische Septikämie. Der Bacillus gehört
zweifellos zur Gruppe des Bacillus der hämorrhagischen Septikämie, die
Hu epp e 1886 aufgestellt hat.
E. G. Alles-Wien: Mucocele der vorderen Ethmoidalzellen.
(Lancet, 14. Dezember 1912, Nr. 4659.) Krankengeschichte und Sektions¬
befund eines Falles dieses seltenen Leidens. Die Ursache schien ein im
dritten Lebenjahre überstandener Scharlach gewesen zu sein; die Ope¬
ration wurde im 25. Lebensjahre vorgenommen. Die Operation wurde
von der Orbita aus gemacht, da dieser Weg einen geraden Zugang und
einen guten Ueberblick verschafft. Weydemann.
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UNIVERSUM OF IOWA
80
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Hygiene und Sanitätswesen.
Schroeter - Jena: Versuche mit einem Universal - Vakuom-
desinfektionsapparat der Apparatebauanstalt (A.-G.) Weimar. (Zeitschr.
f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 31.) Der genannte Apparat setzt sich
zusammen aus dem eigentlichen Desinfektionskessel, dem Formaldehyd¬
verdampfer, dem Formaldehydkondensator und der Luftpumpe. Bei den
Versuchen des Verf. arbeitete der Apparat bei der Dosinfektion mit
strömendem Dampf bei 100—102° C, bei der Formalintropfmethode unter
Vakuum und 65° C und bei der Desinfektion unter dauerndem hohen
Vakuum von 49° C, sowohl was die Schonung des Desinfektionsgutes als
auch die Abtötung der Krankheitskeirae anbelangt, zur Zufriedenheit.
Der Apparat erscheint somit praktisch brauchbar.
L. Lewin: SchutEvorriehtiiiigeii gegen die Aufnahme von Blei an
Bleisehmelzkesseln. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 161.)
An den Bleischmelzkesseln der Bleikabelpressen empfiehlt Verf eine Um¬
mantelung zum Schutz der Arbeiter gegen Bleieinatmung. Die Be-
haubung des Kessels wird mit einem Abzug versehen. Solche und
manche anderen Schutzraaassregeln haben die Erkrankungen durch Blei
in der Bleikabelfabrik der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft im Laufe
der letzten Jahre auf einem niedrigen Niveau gehalten.
L. Lewin: Die Bedingungen für die Bildung von Bleidampf in
Betrieben. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 154.) Durch ex¬
perimentelle Versuche konnte Verf. feststellen, dass Blei aus einem Blei¬
schmelzkessel bei Temperaturen von 500—520° C nicht in Dampfform
übergeht. Eine Verdampfung von Blei kommt erst bei Temperaturen
zwischen 850 und 900° C zustande. Bei der Verhüttung von Bleierzen,
vor allem bei der Röstreaktions- und Röstreduktionsarbeit kann Blei
verdampfen und unter ungünstigen Umständen kondensiert in den
Menschen eindringen. Auch bei niedrigeren Temperaturen kann Blei in
Arbeitsräume gelangen, wenn fremdstoffliche Begleiter des Bleierzes
dampf- oder gasförmig entweichen und Blei als solches oder als Blei¬
oxyd mitreissen.
L. Tchwarz und Aumann - Hamburg: Der TriBkwasserBterili-
sator nach Nogier-Triquet. Dritte Mitteilung: Ueber die Behandlung
von Trinkwasser mit ultravioletten Strahlen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912,
Bd. 73, H. 1, S. 119.) Trinkwassersterilisatoren für die Behandlung mit
ultraviolettem Licht (System Nogier) sind so zu konstruieren, dass sie
eine wirksame Bestrahlungsdauer von 7 Minuten sicher gewährleisten.
Der Trinkwassersterilisator NogierrTriquet Type M B liefert bei einer Be-
stahlungsdauer von 7 Sekunden unter Benutzung eines nicht sehr keim¬
haltigen klaren Wassers in der Stunde 150 Liter sterilen Wassers; bei
geringerer Bestrahlungsdauer findet selbst bei stark keimhaltigem klaren
Wasser eine sehr erhebliche Keimreduktion statt. Die Kosten sind mit
Rücksicht auf die Lieferung sterilen Wassers nicht als sehr hohe zu be¬
zeichnen. Weitere technische Verbesserungen sind zurzeit noch er¬
forderlich, bevor eine Einführung des Apparates in die Allgemeinpraxis
als empfehlenswert bezeichnet werden kann.
F. Go Idstein-Steglitz: Weiteres zur Bevölkerungsfrage. (Zeit¬
schrift f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 55.) Deutschland bedarf keiner
Forcierung der Geburten, sondern ihrer Verminderung, damit die Ver¬
schlechterung der Bevölkerung gehemmt werde. Die Lehre, dass auf
einer starken Volksvermehrung das Wohl des Staates beruhe, ist nach
den Ausführungen des Verf. erweislich falsch. -Europa krankt an der
Grösse seiner grossen Städte.“
L. Dien es-Budapest: Ueber Tiefenwirkoig des Formaldehyds.
(Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1, S. 43.) Das Formaldebyd wird
von porösen Körpern (Tonplatte, Schafwolle, Baumwolle) adsorbiert, aber
die Adsorption ist nicht so hochgradig, dass in das Innere der porösen
Körper Formaldehyd nicht in genügenden Mengen gelangen könnte. Die
Umwandlung des Formaldehyds in Trioxymethylen ist, wenn sie auch
stattfindet, nicht sehr bedeutend, so dass sie beim Eindringen in die
tieferen Schichten keine sehr grosse Rolle spielen dürfte. Für die Praxis
ergibt sich hieraus der Schluss, dass der zu beobachtende Mangel an
Tiefenwirkung nicht dem geringen Penetrationsvermögen des Formal¬
dehyds zuzuschreiben ist, sondern wahrscheinlich dem Umstand, dass aus
zum Teil unbekannten Gründen es bisher nicht gelingt, in dem zu des¬
infizierenden Luftraum eine genügende Menge von Formaldebyd zu er¬
halten.
D. Cesa-Bianehi - Mailand: 8taabinhalation und Lnngeitaberka-
lose. Experimentelle Untersuchungen. (Zeitschr. f. Hyg., Bd. 73, H. 1,
S. 166.) Die experimentelle, fortgesetzte Inhalation von verschiedenen
Staubarten oder wenigstens derjenigen, welche eine stärkere mechanische
Wirkung entfalten, können an und für sich keine schweren Verände¬
rungen der Luftwege und namentlich des Lungenparenchyms hervor-
rufen; jedoch ist die Inhalation imstande, die Widerstandsfähigkeit des
Lungengewebes gegen die Infektionsträger beträchtlich zu vermindern:
sie bereitet den Boden für die weitere Entwicklung der Infektions-
keime vor.
G. Bernhardt - Berlin: Beitrag zur Frage der FleischYergiftnngs-
erreger. Paratyphus B-Bacillen vom Typus Voldagsen als Erreger
menschlicher Fleischvergiftungen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 1,
S. 65.) Die Erfahrungen des Verf. sprechen dafür, dass man mehr als
bisher auf atypische Fleischvergiftungserreger achten muss. Bei den
bedeutenden Schwankungen der Bacillen der Paratyphusgruppe auch
hinsichtlich ihres agglutinatorischen Verhaltens erscheint es wohl ge¬
raten, polyvalente Paratyphussera zur Diagnose zu benutzen, daneben
aber auch andere spezifische Sera zur Aufdeckung des epidemiologischen
Zusammenhanges verschiedener Erkrankungen zur Verfügung zu haben.
In den Bacillen der Voldagsengruppe, die früher aus schweinepest-
kranken Schweinen und jetzt auch aus dem Menschen isoliert werden
konnten, haben wir erstaunlich labile Mikroorganismen vor uns, deren
Studium nicht nur unsere Anschauungen über die Variabilität der
Mikroorganismen zu fördern geeignet ist, sondern auch für praktisch¬
diagnostische Fragen von Bedeutung sein kann. Möllers.
Technik.
A. Müller-M.-Gladbach: Ein Massagetisek mit Beckenhochlagerung,
zugleich ein Uoiversaltisch für die Untersuchung und operativen Ein¬
griffe des praktischen Arztes. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 51.)
J. Michelsohn-Hamburg: Instramenteasterilisator und Universal-
instrumentiertisch. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 51.)
Dünner.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr F. Krause.
Vorsitzender: Rasch tritt der Tod den Menschen an. Das haben
wir jetzt wieder erlebt. Gestern ist Herr Dr. Bruno Bosse noch hier
in der Bibliothek gewesen und hat gearbeitet, und heute muss ich Ihnen
seinen Tod anzeigen. Ein junger Mann, ganz plötzlich dabingeschieden.
Er war einer der fieissigsten Besucher unserer Bibliothek. Er ist seit
dem Jahre 1895 uns*r Mitglied gewesen. leb bitte Sie, sich zu seinen
Ehren von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.)
Tagesordnung.
Hr. Carl Lewin:
Versuche über die Biologie der Tiergesehwülste, (Mit Projektionen.)
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Hans Hirschfeld: Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die
von mir aufgestellten mikroskopischen Blutpräparate lenken, welche von
tumorkranken Tieren stammen, und denen zum Vergleich Präparate von
normalen Tieren beigegeben sind. Dieselben sollen die hochgradigen
Blutveränderungen zeigen, welche sich unter dem Einfluss des Tumor¬
wachstums bei Ratten und Mäusen entwickeln.
Ich will vorausscbicken, dass bereits Clunet und Mercier Blut¬
veränderungen bei Carcinommäusen beschrieben haben, und dass auch
von Pappenheim und von mir über das Verhalten des Blutes bei
Carcinommäusen und Sarkomratten kurze Mitteilungen publiziert sind.
Die Veränderungen des Blutes, welche sich bei Ratten und Mäusen
unter dem Einfluss der Tumoren entwickeln, und die bei zahlreichen
Tieren im Institut für Krebsforschung von mir studiert wurden, sind bei
Ratten viel hochgradiger als bei Mäusen, was zum Teil wohl auf die
Natur der Tumoren, zum Teil aber auf individuelle Reaktionsverschieden¬
heiten beider Tierspezies auf Reize, welche Blut und Blutbildungsorgane
betreffen, zurückzuführen ist. Denn auch auf schädliche Reize anderer
Art, wie Injektionen von Terpentinöl oder bakterielle Infektionen, reagiert,
wie mir viele Versuche gezeigt haben, das Rattenblut stärker wie das
von Mäusen.
Die Blutveränderungen, welche nun diese Tiere, wenn sich bei
ihnen Tumoren entwickeln, aufweisen, bestehen einmal in Anämie und
zweitens in Leukocytose. Beide Veränderungen erreichen bei Mäusen
nur ausnahmsweise und bei sehr grossen Tumoren so hohe Grade wie
in dem aufgestellten Präparat. Im allgemeinen fand ich bei Krebs¬
mäusen gewöhnlich einen Hämoglobingebalt von etwa 60 bis 70pCt.
und Leukocytenzahlen von 20 000 bis 25 000. Bei Sarkomratten da¬
gegen sah ich den Hämoglobingehalt bis zu 20 und 30pCt., die rote
Blutkörperchenzahl bis zu 2 Millionen sinken, während sich die Leuko¬
cytenzahlen gewöhnlich bei grösseren Tumoren um 80 000 bis 60 000
bewegen. Einmal fand ich sogar 135 000 und einmal 200000 Leuko-
cyten. Normalerweise haben Ratten gewöhnlich 80 bis 100 pCt. Hämo¬
globin, 7 bis 8 Millionen Erythrocyten und 8000 bis 15 000 Leukocyten.
Bei Ratten wie bei Mäusen ist die Leukocytose vorwiegend durch eine
Vermehrung der polymorphkernigen spezialgranulierten Elemente be¬
dingt, doch scheint auch bisweilen eine gleichmässige Vermehrung aller
Leukocytenformen stattzufinden. Manchmal findet man auch unreife
Jugendformen der Leukocyten im Blute. Die Anämie, die gleichfalls
bei den Ratten weit hochgradiger ist, dokumentiert sich durch zahl¬
reiche abnorme, häraoglobinarme Elemento und vor allem durch eine
ungeheure Anzahl polychromatophiler Erythrocyten, wie man sie in
dieser Menge und Ausbildung beim Menschen niemals findet. Bei Ratten
pflegen auch bei ganz grossen Tumoren zahlreiche Normoblasten ins
Blut überzutreten.
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
81
Im allgemeinen nimmt die Schwere der Blutveränderungen etwa
parallel dem Wachstum der Tumoren zu. Ausdrücklich möchte ich
henrorheben, dass die beschriebenen Blutanomalien in ausgesprochenster
Weise auch bei solchen Tumoren Vorkommen, die keine ausgedehnten
Nekrosen enthalten. Sie sind aber dort ganz besonders schwer, wo
diese Nekrosen sehr ausgedehnt sind, und erreichen ganz .exzessive
Grade, wenn die Tumoren ulcerieren. Die Veränderungen des Ratten¬
blutes sind so schwere, dass schon makroskopisch das Blut durch seine
ganz enorme Blässe und Dünnflüssigkeit auffällt. Entsprechend dem
Grade der Anämie sind auch das spezifische Gewicht des Gesamtblutes
wie des Serums und der Trockenrückstand ganz erheblich herabgesetzt.
Fängt man das Blut einer normalen Ratte und einer Sarkomratte in
kleinen Reagenzgläsern auf, so ist der Unterschied im Aussehen ein
sehr deutlicher. Entsprechend den geschilderten Blutveränderungen
zeigen auch die Blutbildungsorgane sehr starke reaktive Veränderungen.
Ich hatte wiederholt Gelegenheit, das Blut von Ratten und Mäusen mit
malignen Spontantumoren zu untersuchen und konnte hier die gleichen
Veränderungen feststellen. Dagegen vermisste ich dieselben bei Tieren mit
gutartigen Geschwülsten, wie Fibromen, Adenomen und anderen Tumoren.
Exstirpiert man zu einer Zeit, wo die Blutveränderungen bereits
ausgesprochen sind, einem Tier den Tumor, so bemerkt man, falls kein
Recidiv eintritt oder Metastasen vorhanden sind, einen allmählichen
Rückgang der Blutveränderungen zum Normalen, und zwar scheint nach
den bisherigen, allerdings nicht sehr zahlreichen Versuchen dieser Art
zuerst die Anämie und später erst die Leukocytose zurückzugehen.
Zweifellos muss man in den geschilderten Blutveränderungen einen
Beweis dafür sehen, dass die tumorkranken Tiere sich in einem.Zustand
schwerer Kachexie befinden, deren Ursache nur im Tumor selbst gesucht
werden kann. So hochgradige Veränderungen des Blutes, wie wir sie
speziell bei den Sarkomratten, und zwar regelmässig finden, sieht man
bei menschlichen malignen Tumoren nur in einer relativ kleinen Zahl
von Fällen.
Hr. Meide er: Zur Frage der Antikörperbildung im geschwulst¬
kranken Organismus, auf die Herr Lewin in seinem Vortrage ja bereits
zu sprechen gekommen ist, möchte ich auf Grund tierexperimenteller
Studien an Ratten noch eine kurze Bemerkung machen. Ein wirklich
zwingender Beweis für das Vorhandensein von Geschwulstantikörpern bat
sich bisher noch nicht erbringen lassen. Allein, es gibt doch eine An¬
zahl von Beobachtungen, die in diesem Sinne gedeutet werden können
und auch gedeutet worden sind. Eine der wichtigsten ist die von
Uhlenhuth, Haendel und Steffenhagen gemachte Feststellung,
dass sich Ratten, denen ihr gut wachsendes, etwa drei Wochen altes
Sarkom recidivfrei fortoperiert wird, gegen Nachimpfungen mit demselben
oder einem anderen Tumor auf lange Zeit hinaas refraktär verhalten,
wohingegen Tiere, bei denen es zu einem Recidiv kommt, mit Erfolg
nachgeimpft werden können. Man sieht, dass ein solches Verhalten der
Lehre von der Athrepsie schlechterdings widerspricht. Apolant, der
mit Ehrlich athreptischen Einflüssen im Rahmen der Geschwulst¬
immunität eine dominierende Rolle zuschreibt, ist denn auch als erster
in eine Nachprüfung der Angaben Uhlenhuth’s und seiner Mitarbeiter
eingetreten, hat aber in mehreren Versuchsserien eine Nachimpftumoren¬
ausbeute von 50 pCt. und darüber bei recidivfrei operierten Tieren er¬
halten. Auch v. Graff und Ranzi haben, allerdings an der Hand von
nur wenig ausgedehnten Experimenten, die Gesetzmässigkeit der Beob¬
achtungen Uhlenhuth’s bestritten. Am Berliner Institut für Krebs¬
forschung habe ich die in Rede stehenden Verhältnisse an drei ver¬
schiedenen Rattensarkomstämmen untersucht. Im ganzen habe ich
46 tumorkranke Tiere operiert. Bei 32 gelang die Exstirpation recidiv¬
frei, bei 6 kam es zu wachstumsunfähigen, bald wieder der Resorption
anheimfallenden Recidiven und bei 8 zu bleibenden Recidivgeschwülsten.
Unter den 32 Ratten der ersten Kategorie wurden nur zwei gut wachsende
Xaehimpftumoren beobachtet, viermal höchstens bohnengrosse, nach
einiger Zeit wieder verschwindende Nachimpfgeschwülste. In der zweiten
Kategorie fielen die Nachimpfungen zweimal unter 6 positiv aus und in
der dritten, bei den bleibenden Recidiven, waren sie stets positiv, bis
auf einmal, wo die Nachimpfstelle vereiterte. Meine Versuchsergebnisse
zeigen also entgegen den Befunden Apolant’s, v. Graff’s und Ranzi’s
zwischen recidivfreien und recidivbehafteten Ratten bezüglich ihres Ver¬
haltens gegenüber Nachimpfungen einen ganz ähnlich markanten Unter¬
schied, wie ihn Uhlenhuth und seine Mitarbeiter festgestellt haben.
Uhlenhuth’s Deutungsversuch, dass im recidivfreien Zustande die zuvor
gebildeten Antikörper frei werden und mithin den Nachimpferfolg unter¬
drücken können, während sie von eventuellen Recidiven abgefangen
werden und also nicht disponibel sind, erklärt die vorliegenden Ver¬
hältnisse in befriedigender Weise und verträgt sich auch mit gelegent¬
lichen Ausnahmen. Immerhin kann ein ganz eindeutiger Beweis für das
Vorkommen von Geschwulstantikörpern darin nicht erblickt werden. Das
eine kann aus Uhlenhuth’s und meinen recht umfangreicheu Versuchs¬
reihen aber doch geschlossen werden, dass nämlich im tumorkranken
Rattenorganismus jedenfalls auch Abwehrbestrebungen irgendwelcher Art
mobil gemacht werden, die mit der Athrepsie im Sinne Ehrlich’s nichts
zu tun haben.
Hr. ▼. Hansemann: Es ist sehr merkwürdig, wie eine Anschauung
sich anders darstellt, wenn man sie selbst ausspricht oder wenn sie von
einem anderen citiert wird. Ich muss sagen, ich habe meine Ansicht,
die ich früher geäussert habe, in den Worten des Herrn Lewin eigent¬
lich kaum wieder erkannt. Ich habe, wie Herr Lewin selbst sagt, aus¬
drücklich anerkannt, dass es bei Mäusen und Ratten bösartige Ge¬
schwülste gibt und speziell auch richtige Carcinome. Meine ganze
Differenz in bezug auf die Geschwülste der Mäuse — von Ratten habe
ich meines Wissens überhaupt nicht in dieser Richtung gesprochen —
bezieht sich auf die bekannten Mäusetumoren, die verschiedene Namen
bekommen haben, die als Jensen’sche Tumoren gelten, die von der Ehr-
lich’schen Schule schlechtweg als Carcinome, und zwar speziell als
Mammacarcinome bezeichnet worden sind. Also diejenigen Tumoren, die
der grössten Mehrzahl nach die Grundlage für die zahllosen Experimento
bei Mäusen abgegeben haben. Von diesen Tumoren habe ich behauptet,
nicht etwa, dass sie keine bösartige Tumoren wären, sondern dass sie
nicht identisch wären mit Carcinomen des Menschen. Ich gebrauche in
dieser Beziehung überhaupt nicht mehr das Wort „Krebs“, weil das
Wort „Krebs“ durch die Propaganda verwässert worden ist. Heutzutage
verstehen die meisten Menschen unter „Krebs“ irgendeinen beliebigen
bösartigen Tumor. Das ist leider so geworden, und das ist nicht zu
ändern. Aber deswegen gebrauche ich nicht mehr den Ausdruck „Krebs“
für Carcinom.
Nun sagt Herr Lewin, es sei ganz gleichgültig, ob es ein endo¬
thelialer oder ein epithelialer Tumor sei; wenn er bösartig sei, sei es
Krebs. Mir ist es nicht gleichgültig, ob es ein endothelialer oder epi¬
thelialer Tumor ist. Wenn der Tumor mit einem menschlichen Carcinom
identisch sein soll, muss erst naebgewiesen werden, dass dieser Tumor
auch wirklich sich in einer solchen Weise verhält, wie ein menschliches
Carcinom. Das ist meiner Ansicht nach bisher nicht geschehen. Ich
meine wohl, dass gelegentlich Metastasen bei diesem Tumor Vorkommen.
Wenn mir jemals irgendwo in der Diskussion im Eifer des Gefechts der
Ausdruck „nie“ entschlüpft sein sollte, nehme ich ihn hier ausdrücklich
zurück. Das ist ein Lapsus gewesen. Ich erinnere mich nicht, dass ich
es gesagt habe. Ich glaube, dass ich von „meistens“ gesprochen habe.
Das würde mit dem stimmen, was in der Literatur feststeht. Jetzt ist
aber in der Literatur eine solche Konfusion entstanden, was bei den
Mäusen spontaner und was Impftumor ist, dass man gar nicht mehr
herauskommt. In vielen Arbeiten ist es gar nicht mehr angegeben, ob
die Herren mit spontanen oder Impftumoren gearbeitet haben. Der
Mehrzahl nach haben sie mit Impftumoren gearbeitet. Dann kommt
heraus, dass sie ihre Mäuse von London, Kopenhagen oder Frankfurt aus
den Instituten bezogen haben. Das sind alles Impftumoren gewesen.
Die Impftumoren verhalten sich aber in bezug auf die Metastasenbildung
ganz anders als die spontanen Tumoren.
Es kommt aber eine zweite Schwierigkeit hinzu. Das ist die, dass
man auch bei Mäusen, die man gar nicht aus den Instituten bezieht,
heutzutage nicht mehr sicher ist, dass es wirklich ein spontaner Tumor
ist. Denn die Händler fälschen die Tumoren. Die wissen ganz genau,
dass sie für Tumormäuse 2 Mark und 3 Mark und mehr bezahlt be¬
kommen. Dann impfen sie Mäuse und bringen sie einem als Primär¬
tumoren. Ich habe zweimal einen Händler dabei abgefasst, als er mir
den Impftumor für einen spontanen Tumor verhandeln wollte. Man
muss ganz genau informiert sein und seine Quellen kennen, wo man die
Primärtumoren herbezieht. Sonst kann man hineinfallen, wenn man
nicht geübt ist, das zu unterscheiden.
Nun möchte ich bemerken, dass es sehr wichtig ist, daran festzu¬
halten, dass bei diesen Primärtumoren der Mäuse sehr häufig multiple
Tumoren gleichzeitig an verschiedenen Stellen auftreten. Das ist auch
etwas, was diesen Tumoren eigentümlich ist. Ich habe natürlich nie
geleugnet, dass, wenn bei einer Maus ein Cancroid oder ein Sarkom
auftritt, das infiltrierend wachsen kann. Aber die Gründe, die Herr
Lewin für das infiltrierende Wachstum angeführt hat, sind doch un¬
möglich anzuerkennen, vor allen Dingen schon in bezug auf das, was er
über den Menschen gesagt hat, wo es absolut nicht stimmt. Ich müsste
da alle Worte, die Herr Lewin gesagt hat, wiederholen, was ich aus
dem Kopf nicht kann. Ich will nur das eine anführen, dass Herr Lewin
gesagt hat: in der Leber finden die Tumoren einen grösseren Wider¬
stand, und darum wachsen sie infiltrierend. Ja, warum wachsen die
Tumoren in der Leber nicht nach der Oberfläche der Leber ins Peri¬
toneum hinein, wo sie nicht den Widerstand finden? Das beweist gar
nichts. Sie sind mechanisch gar nicht gezwungen, in die Leber hinein-
zuwaebsen, und tun es doch. Es ist eben ihre Eigentümlichkeit, dass
sie infiltrierend in die Leber hineinwachsen. Aber das liegt nicht am
Widerstand, den sie finden. Damit hat das gar nichts zu tun. Von
diesen Mäusetumoren wird behauptet, es seien Mammatumoren. Die
Schüler von Ehrlich, Apolant speziell, sagen direkt: es sind Mamma¬
krebse, Milchdrüsenkrebse. Wo wächst denn jemals ein Milchdrüsen¬
krebs bei Menschen in der Weise zwischen die subcutanen Bindegewebs-
schiohten hinein, wie es diese Mäusetumoren tun, dass sie als ganz ab¬
geschlossene Geschwülste die Haut abheben? Herr Apolant hat
behauptet, man könne auf diese Tumoren die Plattenrekonstruktions¬
methode nicht anwenden. Herr De ton hat sie in meinem Institut an¬
gewandt. Was soll das nun heissen, wenn jemand sagt, dass sich das
nicht anwenden liesse? Das hat doch keine Bedeutung der Tatsache
gegenüber, dass durch diese Methode nachgewiesn worden ist, dass diese
Tumoren in gar keinem Zusammenhang mit der Milchdrüse stehen.
Ich will nur noch erwähnen, dass Herr Lew in behauptet hat, dass
kein Anatom den Unterschied zwischen diesen Tiergeschwülsten und
menschlichen Geschwülsten feststellen könne. Es gibt menschliche Ge¬
schwülste, die diesen Mäusegeschwülsten sehr ähnlich sehen. Ich habe
vielleicht drei- bis viermal in meinem Leben solche menschlichen Ge¬
schwülste gesehen. Das waren aber keine Carcinome. Das waren
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UMIVERSITY OF IOWA
82
Nr. 2.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Geschwülste, die sich innerhalb des Bindegewebes bilden und in
gar keiner Beziehung zu der Haut und ihren drüsigen Organeu
stehen. Das waren sicher keine Carcinomo. Ich kann die Prä¬
parate gelegentlich heraussuchen und sie vorzeigen. Die sehen
diesen Mäusetumoren sehr ähnlich. Aber ich glaube doch nicht,
dass Herr Lewin mich hereinlegen würde, wenn er mir einen Mäuse¬
tumor, ohne dass ich es wüsste, vorlegte und mir sagte, es wäre ein
menschlicher Tumor. Ich traue mir doch zu, dass ich ihn als Mäuse¬
tumor erkenne. Da kann Herr Lewin meiner Ansicht nach nicht be¬
haupten, dass kein Anatom imstande wäre, da 9 zu unterscheiden. Da
sollte er doch vorsichtig sein. Ich bin bereit, das Examen anzutreten.
Hr. C. Davidsohn: Ich möchte zwei rein anatomische Bemerkungen
machen.
1. Das Auftreten von Amyloid hat direkt nichts mit der Kachexie
zu tun.
Es findet sich entweder bei Gewebszerfall (Ulcerationen) nach
aussen, oder Erweichung im Innern mit Zerfall der Zellen und Zell¬
kerne.
2. Das hier gezeigte „infiltrative Wachstum“ der Rattensarkome
ist in Wahrheit eine interstitielle Wucherung, man sieht, wie die
Muskelsepten mit Geschwulstzellen gefüllt sind und die Muskelfasern
auseinander gedrängt werden. Die Muskelfasern sind schliesslich nur
noch in Resten vorhanden. Aber es ist nicht gezeigt worden und
bisher auch noch nicht beobachtet worden, was man beim Sarkom des
Menschen fast in jedem Falle sehen kann, dass die Zellen in die Muskel¬
schläuche hineinwachsen und die quergestreifte Substanz innerhalb
des Sarkolemms verdrängen und an ihre Stelle treten. Das ist ein
anatomisch prinzipieller Unterschied, auf den aufmerksam zu machen ist.
Hr. Paul Lazarus: Ein Wort zur Frage der Therapie. Herr
Lewin hat Stellung gegen die Flut der neuen Krebsheilmittel ge¬
nommen. Auf Grund eigener Erfahrung kann ich ihm vollkommen bei-
pfliebten. Aus der Literatur der jüngsten Jahre habe ich mehr als
67 Krebsheilmittel zusammenstellen können. Viele von diesen, Sera,
Iramunisierungsverfahren, Farbstoffe, Kolloide, Fermente, die strahlende
Energie, habe ioh jahrelang in systematischer Art in der Krebsstation
der Königl. Charite verwandt. Vorübergehende Besserungen, zeitweise
Stillstände habe ich gesehen. Aber noch nie ist es mir geglückt (aus¬
genommen bei Hautepitheliomen), einen inoperablen Krebskranken
dauernd gesund und erwerbsfähig zu machen. Es besteht, wie Herr
Lewin mit Recht hervorgehoben hat, eine grosse Differenz zwischen
den Ergebnissen der experimentellen Krebstherapie und den Vorgängen
im menschlichen Organismus. Namentlich der Krebs der Maus lässt
sich mit verschiedenen Verfahren, z. B._ mit destilliertem Wasser oder
mit auf 70—80° erhitzter physiologischer Kochsalzlösung zum Ver¬
schwinden bringen. Ich glaube also, dass man die verschiedenen Ver¬
fahren, die in den letzten Jahren empfohlen worden sind, niemals bei
einem noch operablen Krebskranken vor der Operation anwenden soll.
Die Operation ist gegenwärtig die einzige Lebensaussicht des Krebs¬
kranken, und deshalb können wir nichts Besseres tun, als den Krebs¬
kranken so rasch als möglich dem Chirurgen zuzuführen. Unmittelbar
nach der Operation können dann, in der Absicht ein Recidiv zu ver¬
hüten, die konservativen Verfahren angewandt werden. Ich speziell
unterziehe diese Kranken in Intervallen einem Cyklus von Röntgen¬
bestrahlungen und gebe ihnen in grossen Dosen Pankreatin (innerlich
teelöffelweise) und Atoxyl (subcutan).
Hr. G. Klemperer: Ich möchte nur in bezug auf die Bemerkung
von Herrn v. Hansemann ganz kurz präzisieren, worauf es uns eigentlich
aokommt. Als vor einem Jahre die denkwürdige Sitzung stattfand, wo
Herr v. Wassermann seine Serumerfolge beim Tiercarcinom demon¬
striert hat, hat Herr v. Hansemann mit Recht mit aller Schärfe betont:
Mäusekrebs ist kein Menscheokrebs. Wir haben seitdem eine Reihe
anderer Methoden kennen gelernt, mit denen es uns gelungen ist, das
Tiercarcinom in ausserordentlicherWeise zu beeinflussen. Es war ausser¬
ordentlich notwendig zu sagen, dass grosse Differenzen bestehen zwischen
Menschencarcinom und Tiercarcinom. Aber auf der anderen Seite kommt
es uns doch ausserordentlich viel darauf an, auch die Analogien hervor¬
zuheben und zu zeigen, dass die Verschiedenheiten zwischen Menschen-
oarcinora und Tierkrebs im allgemeinen nicht grösser als sie bei anderen
Krankheiten sind, die bei Menschen und Tieren Vorkommen, auch dass
sie eben in der Verschiedenheit der Gattungen begründet sind. Tier¬
pneumonie, Mäusepneumonie ist z. B. etwas anderes al 9 Menschen¬
pneumonie. Und wenn man wie wir den Gedanken festhält, dass die
Geschwulstkrankheiten parasitäre Krankheiten sind, müsste man sagen,
dass die Verschiedenheiten, einen ähnlichen Parasiten vorausgesetzt,
zwischen Menschenkrebs und Tierkrebs nicht grösser sind, als sie bei
diesen anderen Krankheiten gefunden werden. Es kam uns darauf an
zu zeigen, wie gross die Analogien sind. Wir haben im Krebsinstitut
die ganzen Jahre daran gearbeitet, diese Analogien zu vertiefen und zu
begründen. Und wir haben wohl allen Anlass, Herrn Lewin für die
schönen Präparate dankbar zu sein, die er vorgeführt hat, und die doch
die Analogie in solch hellem Licht zeigen, dass an ihrer weitgreifenden
Aehnlichkeit nicht zu zweifeln ist. Auch was Herr Hirschfeld und
Herr Meidner vorgetragen haben, sind alles nackte Tatsachen.
Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, weiter in diesem biologischen
Sinne zu zeigen, worauf die Verschiedenheiten beruhen. Weon das ge¬
zeigt werden kann, wird sich auch zeigen, warum die bisherigen Methoden,
die bei Tieren gewirkt haben, bei Menscheu nicht wirken, und wie es
vielleicht doch möglich ist, diese Methoden auf den Menschen weiter
auszubilden. Das ist natürlich ein sehr langwieriger Weg. Aber wenn
man sich auf den neuerdings beliebten Standpunkt stellen wollte, es
wäre toto coelo verschiedenartig, dann wäre der Weg abgeschnitten. In
dieser Beziehung sind wir Herrn v. Hansemann dankbar, dass er so
viel von seinen früheren Aeusserungen zurückgenommen und sich auf
einen anderen Standpunkt gestellt hat. (Grosse Heiterkeit.)
Hr. Lewin (Schlusswort): Ich möchte von dem, was in der Dis¬
kussion angeführt worden ist, nur noch auf das, wa9 Herr von Hanse¬
mann gesagt hat, eingehen. Im vorigen Jahre hat Herr von Hanse¬
mann wörtlich seine Stellung zu diesen Tumoren dahin präzisiert, sie
könnten nicht als Krebs angesehen werden, obwohl er es dahin ein¬
geschränkt bat, dass auch Krebse Vorkommen können; aber die Tumoren,
mit denen allgemein gearbeitet wird, wären keine Carcinome. Er bezieht
sich jetzt auf die sogenannten Jensen’schen Tumoren. Ich weiss nicht,
ob Herr von Hansemann das, was er heute gesagt hat, lediglich auf
den Tumor von Jensen bezogen wissen will. (Hr. von Hansemann:
Jawohl! Lediglich!) Dann wäre das allerdings bisher ein grosses Miss¬
verständnis gewesen. Denn wenn er es nur auf diese einzige Tumorart
beziehen will, so weise ich darauf hin, dass dieser Tumor absolut nicht
gang und gäbe bei den Mäusen ist, dass er zwar vielfach vorkommt,
dass aber die Mäusetumoren durchaus nicht durchgängig diesen Typus
zeigen, wie Herr von Hansemann meint. Ich kann über diesen Tumor
aus eigener Erfahrung überhaupt nicht viel sagen. Denn alle die Tumoren,
mit denen ich arbeite, sind nicht Jensen’sche Tumoren, sondern es sind
Tumoren, die ich hier aus Berlin bekomme.
Nun bat Herr von Hansemann gemeint, dass die Händler die
Primärtumoren fälschten. Wir haben aber ein ausgezeichnetes Mittel,
das festzustellen, und zwar folgendes: die meisten spontanen Tumoren
gehen nicht an. Wenn die Händler uns wirklich oft täuschen würden,
so würden wir ein viel besseres Resultat mit dem Ueberimpfcn der
Tumoren haben. Aber dass wir einen spontanen Tumor weiter impfen
können, gehört in unserem Iustitut zu den allergrössten Seltenheiten,
während wir doch die Impftumoren immer weiter impfen können.
Ich glaube also nicht, dass die Tumoren, die uns gebracht werden,
gefälschte Tumoren sind, im übrigen muss ich daran festbalten, dass
das infiltrative Wachstum bei jedem Tumor, auch bei dem Tumor vom
Jensen’scben Typus, erreicht werden kann, wenn man ihn nur in die
richtigen Wacbstumsbedingungen bringt. Ich muss auch daran fest-
halten, dass der Einfluss der Umgebung auf das Wachstum als mindestens
ebenso maassgebend angesehen werden muss wie die veränderte Biologie
der Tumorzellen, insofern, als kein Tumor infiltrativ wächst und wachsen
kann, wenn er in der Umgebung keinen Widerstand findet.
Laryngologische Gesellschaft za Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. November 1912.
Vorsitzender: Herr Killian.
Schriftführer: Herr Grabower.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Killian gedenkt des verstorbenen Mitgliedes Dr. Siegel, der
kurz nach erfolgter Appendicitisoperation an Embolie der Lungenarterie
verschieden ist. Ein ungewöhnlich trauriger Fall. Der Verstorbene hat
grosses Interesse für unsere Disziplin gehabt und es praktisch und
wissenschaftlich betätigt.
Die Versammlung ehrt das Andenken durch Erheben von den Sitzen.
Eingegangen ist ein Beileidssohreiben der Belgischen Gesellschaft
für Laryngologie aus Anlass des Todes Rosenberg’s.
Dem Komitee zur Errichtung eines Denkmals für Robert Koch
wird auf Antrag des Vorsitzenden ein Beitrag von 100 M. überwiesen.
Demonstrationen.
1. Hr. Grabower: M. HJ Ich kann Ihnen heute nur das Bild eines
interessanten Tumors zeigen, dessen Träger vor den Ferien hier zur
Stelle gewesen ist, damals aber wegen zu stark besetzter Tagesordnung
nicht hat vorgestellt werden können. Der Fall betrifft einen 45 jährigen
Schlosser, der in meine Poliklinik kam mit der Klage, geringe Be¬
schwerden beim Schlucken zu empfinden. Die Untersuchung ergab eine
über den harten und weichen Gaumen und Uvula ausgebreitete zottige
weiche Geschwulst von rötlicher Farbe. Sie sah so aus, wie wenn sie
den genannten Teilen gewissermaassen wie ein Filzdeckel ganz eng an¬
gepresst aufsässe. Am hinteren Ende war sie ein wenig überhäogend,
man konnte sie dort mit der Sonde etwas abheben. Im übrigen war sie
fest mit Gaumen und Uvula verwachsen. Sie machte beim ersten An¬
blick den Eindruck einer papillomatösen Wucherung. Als ich aber vom
Seitenrande ein Stück entnahm und mikroskopisch untersuchte, musste
ich sie als Carcinom bezeichnen, bei genauerem Zusehen als Platten-
epitbelcarcinom. Einige Präparate habe ich hier ausgestellt. Man sieht
in einiger Entfernung vom Epithel alveoläre Räume, welche mit grossen
runden, zum Teil verhornten Zellen ausgefüllt sind. Ab und zu sieht
man an den Zellen feine Riffelungen, die beweisen, dass die Zellen dem
Epithellager entstammen. Die sehr reichliche Kernmitose zeigt an, dass
der Tumor sich in lebhafterem Wachstum befindet. Die Nachbarteile,
Mundhöhle, Nasenhöhle, der gesamte Rachen und Kehlkopf waren frei
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
83
von Wucherungen. Nur am hintersten Rande des Sternocleidomastoideus
fühlte ich zwei minimale linsengrosse barte Knötchen. Bei der circum-
scriptcn Beschaffenheit des Tumors hoffte ich von der schnellen Aus¬
rottung Erfolg und überwies den Patienten zur sofortigen Operation
einem Krankenhause. Oer Patient zögerte aber ohne mein Wissen mit
der Aufnahme viele Wochen. Als er endlich daselbst ankam, waren
bereits Metastasen im Rachen vorhanden, und die Drüsen an der seit¬
lichen Halsgegend waren so gross, dass der betreffende Chirurg des
Krankenhauses von einer Operation wegen Aussichtslosigkeit Abstand
nahm. 2 l l z Monate darauf starb der Patient.
Was an diesem Tumor, dessen Abbildung ich mir herumzugeben
erlaube, und welche ich Herrn Prof. Martens verdanke, besonders
interessant ist, ist zunächst der Ort seines primären Auftretens. Es ist
hier ganz einwandfrei erwiesen, dass es sich um einen primären Gaumen¬
tumor handelt. Die primären Gaumencarcinome sind ausserordentlich
selten. Bei eioer Durchsicht der Literatur habe ich im ganzen etwa
8 Fälle gefunden, und von diesen kann ich eigentlich nur 6 die wirklich
sichere Bezeichnung eines primären Gaumencarcinoms zuerkennen. Dies
wäre dann der siebente Fall. Ausserdem ist interessant die eigenartige
Konfiguration des Tumors. Die primären Carcinome am Gaumen pflegen
sich so zu entwickeln, dass an irgendeiner Stelle, etwa in der Mitte des
Gaumens eine Wucherung vorhanden ist, welche dann in die Tiefe
wuchert. Ich habe Ihnen hier ein Bild mitgebracht, das ich ebenfalls
der Freundlichkeit des Herrn Prof. Martens verdanke, der diesen Tumor
beobachtet hat. Sie sehen, wie sich solch maligner Tumor entwickelt.
Die weiche filzige Flächenausdehnung über harten und weichen Gaumen
in dem von mir beobachteten Falle ist gewiss sehr selten; ich habe sie
weder in den einschlägigen Atlanten gesehen noch auch sonst be¬
schrieben gefunden.
Diskussion.
Hr. Killian: Ich möchte nur hinzufügen, dass ich gelegentlich ein
Plattenepithelcarcinom am weichen Gaumen gesehen habe, das ein Ab-
klatschcarcinom von einem am Zungengrunde sitzenden Carcinom war.
Dann möchte ich noch auf eine Form von Carcinom im Rachen
und am Gaumen aufmerksam machen, die selten ist und nicht eigentlich
als Carcinom imponiert. Die Chirurgen kennen diese Form sehr gut.
Es sind das ganz kleine flache Geschwürchen. Der Krebszerfall greift
nicht in die Tiefe. Man denkt an alles andere eher als an Carcinom,
macht die mikroskopische Untersuchung und findet, dass es sich um ein
Carcinom handelt. Diese Carcinome haben die Eigentümlichkeit, dass
sie sehr früh Metastasen machen. Die metastatischen Tumoren am Halse
sind gewöhnlich erst das, was die Patienten zum Arzt führt.
2. Hr. Davidsons: M. H.! Die Patientin, deren LarjDX anzusehen
ich Sie bitte, ist eine 42 jährige Frau, die schon ziemlich häufig das
Objekt näsen ärztlicher Eingriffe war. Vor 12 Jahren ist ihr von anderer
Seite die rechte Stirnhöhle operiert worden. Vor 6 Jahren habe ich ihr
die rechte Kieferhöhle eröffnet und habe ihr damals die linke Stirnhöhle
nach der Kuhnt’schen Methode operiert. Danach war sie 3 Jahre voll¬
kommen beschwerdefrei. Vor 3 Jahren bekam sie wieder Sekretion aus
der linken Stirnhöhle und anfallsweise auftretende Schmerzanfälle, sie
konnte sich aber begreiflicherweise nicht zu einem erneuten Eingriff ent¬
schlossen. Erst als in diesem Sommer die Sekretion sehr zunahm, auch
die Schmerzanfälle häufiger wurden, entschloss sie sich, die Radikal¬
operation der linken Stirnhöhle vornehmen zu lassen. Die Operation
wurde am 27. August ausgeführt, und zwar unter Wegnahme des Stirn-
höblenbodens. Die Höhle war nicht sehr hooh, so dass ich von der
vorderen Wand gar nichts wegnabm. Es wurde das Siebbein ausgeräumt
und die Operation typisch beendet. Die Narkose wurde mittels der
Kahnt’sehen peroralen Intubation von Herrn Kollegen Sturmann aus-
gefuhrt, der ja in bezug auf die Technik dieser Methode sehr zuverlässig
ist. Die Intubation gelang auch ausserordentlich leicht, die Einführung
des Rohres bereitete gar keine Schwierigkeiten. Am Tage nach der
Operation war die Patientin vollkommen stimmlos und klagte über
heftige Schluckschmerzen. Nach 8 Tagen untersuchte ich den Larynx
und fand in der Gegend des hinteren Endes des linken Stimmbandes
am linken Processus vocalis eine mässig starke Schwellung und Rötung,
weiter uichts. Wenige Tage darauf hörten auch die Schmerzen auf, und
die Patientin klagte gar nicht mehr über ihren Larynx. — Ich will noch
erwähnen, dass der Eingriff selbst gut verlief, desgleichen die Nach¬
behandlung. Die äussere Wunde heilte per primam, die Sekretion hörte
sehr bald auf, Schmerzen traten gar nicht mehr auf, kurz, die Be¬
schwerden waren vollkommen verschwunden. 2 Monate nach der Ope¬
ration, am 23. Oktober, klagte die Patientin, als sie wieder einmal zur
Besichtigung kam, über Fremdkörpergefühl im Larynx; sie sagte, dass
sie das in wechselnder Intensität schon längere Zeit hätte. Bei der
Untersuchung zeigte sich dann, dass an der Stelle der damals vor¬
handenen Schwellung ein Tumor entstanden war von über Linsengrösse,
gestielt aufsitzend, von ganz glatter Oberfläche, und zwar subglottisch
gelegen, der sich bei der Phonation unter das rechte Stimmband hin¬
unterschob, so dass die Patientin gar nicht heiser war. Am hintereu
Ende des rechten Stimmbandes sassen zwei ganz kleine Tumoren eben¬
falls subglottisch. Nach 8 Tagen etwa waren diese kleinen Tumoren
am rechten Stimmbande vollkommen verschwunden, am linken aber blieb
der Tumor genau so, wie Sie ihn heute noch sehen können. Er hat
sich in seiner Grösse gar nicht verändert. Es ist wohl mit Sicherheit
aozunehmen, dass dieser Tumor als Folge der Kuhnt’schen Intubation
entstanden ist. Soviel ich weiss, sind bisher solche Fälle noch nicht
mitgeteilt worden. Ich möchte glauben, dass es sich um ein Granulom
handelt; es kann kaum etwas anderes sein, wenngleich der Tumor nicht
recht so aussieht. Die mikroskopische Untersuchung steht noch aus, da
ich der Demonstration wegen den Tumor noch nicht entfernen wollte.
Sie wird noch nachgeholt werden.
Diskussion.
Hr. Peyser: Ich möchte Herrn Kollegen Davidsohn einen Bei¬
trag aus meiner eigenen Praxis beisteuern. Ich habe eine Patientin
einige Zeit hindurch wegen asthmatischer Beschwerden bronchosbopisch
behandelt — nebenbei bemerkt, mit recht gutem Erfolge. Eines Tages,
gegen Schluss der Behandlung, sah ich zu meinem Erstaunen, als ich
zum Zwecke der Cocainisierung auf indirektem Wege in den Larynx
hineinblickte, einen gestielten Tumor subglottisch an der Hinterwand.
Ich habe mir gleich dieselbe Erklärung zurechtgelegt wie der Herr
Kollege, nämlich dass es sich um eine leichte Erosion mit Granulations¬
bildung handele, und wollte den kleinen Tumor entfernen. Als die
Patientin nach 14 Tagen zu diesem Zwecke erschien, zeigte sich auch
nicht mehr eine Spur von dem Tumor. Ich zweifle nicht, dass den¬
jenigen, die häufig die direkte Methode anwenden, gelegentlich solche
Dinge passieren. Man sieht an dem Verschwinden des Tumors, wie
harmlos er eigentlich ist.
Hr. Ritter: Ich bin in der Lage, über einen dritten Fall der
gleichen Art zu berichten, der vollständig dem des Herrn Peyser ent¬
spricht. Nach einer Kuhnt’schen Intubation zur Narkose war ebenfalls
bei einer Dame ein kleiner Tumor au einem Stimmband entstanden,
der im Laufe einiger Wochen wieder spontan verschwand.
Hr. Killian: Ich habe das nie beobachtet trotz der zahlreichen
Bronchoskopien, die ich ausgeführt habe, und trotz der zahlreichen In¬
tubationen nach Kuh nt, die ich bei Nebenhöhlenoperationen schon seit
langem anwende. Allerdings gehe ich in der Weise vor, dass ich das
Instrument unter Leitung des Spiegels einführe. Das ist viel sicherer
und schonender als unter Leitung des Fingers.
3. Hr. Killian: M. H.! Ich möchte Ihnen zwei Falle kurz demonstrieren,
die demnächst zur Entlassung aus meiner Klinik kommen sollen. Bei
beiden Fällen handelt es sich um Pl&ttenepithelc&rcinome. In dem
einen Falle habeu wir wegen Carcinoms des Larynx die totale Ex¬
stirpation gemacht. Das Carcinom sehen Sie hier (Demonstration); die
Ausdehnung der Geschwulst ist derart, wie Sie gleich erkennen können,
dass nur vermittelst der Totalexstirpation geholfen werden konnte. Wir
haben vorher ein Probestück entfernt und uns die Diagnose gesichert.
Der Fall ist streng nach Gluck operiert und sehr glatt verlaufen. Wir
haben gar keine Scherereien mit nachträglichen Plastiken gehabt. Das
einzige war eine kleine Fistel hier oben, welche sich von selbst schloss.
Ich habe das dem Umstand zu verdanken, dass ich soviel wie möglich
Schleimhaut schonte und dann sorgfältig einen neuen Oesophagus bildete.
Der Patient kann brillant schlucken. Wir werden bald die Kanüle
weglassen können. Patient hat schon ein paar Sprechversuche gemacht
und wird jetzt unter Leitung des Kollegen Gutzmann noch weiter
üben, damit seine Sprache noch etwas verständlicher wird.
Der zweite Fall wird Sie mehr interessieren: da handelte es sich
um ein Carcinom, das an der rechten Rachenwand sass, und zwar unter¬
halb der Tonsille und von da abwärts zum Sinus pyriformis. Solche
Exstirpationen gelten für gefährlich wegen der leicht folgenden Schluck¬
pneumonien. Man muss daher die Operation mit der Tracheotomie be¬
ginnen und eine Tamponkanüle einlegen, welche eine Reihe von Tagen
liegen bleibt. Meine Tamponkanülen sind mit Gumraischwamm umhüllt,
was sich mir sehr bewährt hat. Mao muss übrigens die Tracheotomie
auch deshalb machen, weil sich nach solchen Operationen gewöhnlich
ein Oedem des Larynxeingangs bildet und die Patienten dann Er¬
stickungsnot bekommen. Es ist besser, dem zuvorzukommen. Die Ex¬
stirpation wurde von der Seite her ausgeführt — Sie sehen den Schnitt
den vorderen Rändern des Sternocleidomastoideus entlang — unter
lokaler Anästhesie. Nachdem vorher Scopolamin-Morphium in der
üblichen Menge eingespritzt war, konnten wir die Operation ohne Narkose
ausführen und von aussen her das Carcinom freilegen. Die Schleimhaut¬
wunde wurde sorgfältig vernäht, ging aber nach einigen Tagen wieder
auf. Es bildete sich eine grosse Fistel, die sich nach und nach von
selbst schloss.
4. Hr. A Meyer:
Operierter Fall von Carcinom der Kieferhöhle nnd des Siebbeins.
Die 52jährige Frau kam im August zu uns mit Nasenpolypen, die
ihr entfernt wurden. Als sie am 13. September wiederkam, wies sie
wieder multiple Polypen der Siebbeingegend auf; ich räumte ihr daher
auf endonasalem Wege das Siebbein aus. Hierbei wurde bemerkt, dass
erstens nicht wie gewöhnlich polypöse, sondern markige Masse heraus¬
kam, und dass zweitens die Zange, ohne knöchernen Widerstand zu
fioden, weit in das Siebbein eindringen konnte. Die mikroskopische
Untersuchung der entfernten Stücke ergab ein Carcinom. Ich hielt die
Geschwulst zunächst für einen einfachen Tumor des Siebbeins, auch das
Röntgenbild schien darauf hinzudeuten; Punktion und Spülung der
Kieferhöhle hatten negatives Ergebnis. Ich nahm die Radikaloperation
vor, und zwar auf eine Methode, die der Moure’schen angenähert ist, da
die Denker’sche mehr für Kieferhöhlencarcinome geeignet ist. Die
Operation wurde in Narkose vorgenommen; ich infiltrierte vorher sowohl
die Schnittlinie als auch die laterale Nasenwand mit Adrenalinlösung,
loh habe dadurch in der Tat .nur sehr geringe Blutung während der
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64
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
ganzen Operation gehabt Der Schnitt wurde im inneren Drittel der
Brauen und dann auf dem Processus ascendens abwärts geführt, bis er
die Apertura pyriforrais ungefähr in der Mitte ihrer Höhe traf. Dann
wurden die Weichteile abgeschabt. Es zeigte sich schon in der Fossa
lacrimalis, dass der Knochen vom Tumor durchwachsen war. Daraufhin
schnitt ich den Tränensack kurz ab. Dann wurde die Apertur freigelegt,
von der Apertur aus die Schleimhaut der lateralen Nasenwand sowohl
über wie unter der unteren Muschel, wie Denker angibt, vom Knochen
abgelöst, die Insertion der unteren Muschel unter dem Periost durch¬
schnitten und Tampons eingelegt. Dann trug ich den Processus
ascendens ab, das Tränenbein, die Papierplatte, das Siebbeinlabyrintb.
Im letzteren zeigte sich, dass die obere Partie ebenso wie der Eingang
zur Stirnhöhle und das Keilbein gesund waren, während die untere
Partie nach der Kieferhöhle zu Tumormassen enthielt. Nun eröffoete
ich die Kieferhöhle, indem ich die Crista pyriformis (wie Bönninghaus
sehr gut den vorderen inneren Strebepfeiler des Oberkiefers nennt) abtrug
und stiess nun auf einen festen grossen Tumor. Darauf verlängerte ich den
Schnitt, den ich anfangs gemacht hatte, nach unten und aussen quer
über die Wange hinüber bis zwischen den Processus jugalis und alveo-
laris und konnte nun in ausgezeichneter Weise die ganze faciale Wand
der Kieferhöhle nach oben und unten freilegen. Sie war zum Teil von
Carcinom durchwachsen. Ich trug sie in grosser Ausdehnung ab, ebenso
den zum Teil gleichfalls erkrankten Boden der Orbita. Wir bekamen
also eine grosse Knochenbresche, welche die vordere, innere und obere
Wand der Kieferhöhle und die innere und untere Wand der Orbita um¬
fasste. Die Schleimhaut der lateralen Nasenwand einschliesslich der
unteren Muschel wurde in einem Stück Umschnitten und herausgenommen.
Die Kieferhöhle war fast vollständig vom Tumor ausgelüllt, so dass
kaum ein Lumen vorhanden war. Es ist merkwürdig, wie die Spülung
der Kieferhöhle negativ ausfallen konnte, und dass das Spülwasser
bequem abfliessen konnte, kaum von Blut gefärbt. Die grosse Wunde
wurde nun von der Nase aus tamponiert, mit drei oder vier tiefgreifenden
Nähten vereinigt und dazwischen Klammernaht angelegt. Die Folgen
der Operation waren ausgezeichnet; Heilung per primam, kein Fieber,
keine Doppelbilder. Das kosmetische Resultat, wie Sie sich überzeugen
können, ist sehr gut. Es besteht noch ein ganz leichtes Oedem des
unteren Augenlids, das allmählich zurückgeht. Die Höhle ist immer
noch nicht vollständig epithelisiert, sie sezerniert wenig; man sieht noch
einige Granulationen von guter Beschaffenheit. Zur Untersuchung der
Höhle hat sich Hirschmann’s Antroskop ausgezeichnet bewährt. Die
Granulationen sehen gut aus, aber man muss darauf gefasst sein, dass
sich Recidive zeigen. Ich möchte die Patientin noch mit Röntgenstrahlen
behandeln lassen, um Recidive hintanzuhalten. Die Schnittführung
scheint mir zur Freilegung der einseitigen Nebenhöhlentumoren aus¬
gezeichnet geeignet zu sein, da sie ausgiebige Uebersicht gewährt. Das
Röntgenbild nach der Operation zeigt, wie die Nebenhöhlen der rechten
Seite, die Nase, Kiefer- und Siebbein in eine einzige grosse Höhle ver¬
wandelt sind.
Diskussion.
Hr. Hölscher: Darf ich den Herrn Vortragenden fragen, ob es
nicht einfacher gewesen wäre, den Oberkiefer in toto zu resezieren.
Das Resultat wäre doch wohl besser gewesen und die Operation
auch wohl einfacher.
Ich hatte nach Ihrer Schilderung das Gefühl, als ob es eine sehr
mühevolle Kleinarbeit gewesen wäre, während man sonst mit dem
radikalen Vorgehen viel rascher und gründlicher zum Ziele hätte kommen
können.
Hr. A. Meyer: Oberkieferresektion wäre wohl gründlicher gewesen,
aber blutiger. Besonders mühselig war die Operation nicht, ob Ober¬
kieferresektion schneller von statten gebt, kann ich nicht beurteilen.
Namentlich aber hätte diese die Patientin verstümmelt und eine Pro¬
these nötig gemacht, während sie so keinerlei Nachteile hat und mit
ihrem natürlichen Kiefer kaut.
Hr. Hölscher: Bei einem Tumor ist doch die Gründlichkeit auch
mit die Hauptsache.
Hr. Wagen er: Ich möchte den Herrn Vortragenden fragen, ob er
den Schnitt von aussen durch die Haut gelegt hat. (Herr A. Meyer:
Gewiss!) Ich darf bei dieser Gelegenheit eine Schnittführung angebeh,
über die ich in nächster Zeit noch genauer berichten werde. Ich führe
den Schnitt zunächst in der Augenbraue wie beim Killian’schen Schnitt,
gehe dann herunter am Nasenflügel entlang und bis ins Filtrum hinein
und schneide die ganze Lippe durch. In der Schleimhaut des Mundes
lege ich den Schnitt über den Zähnen des Oberkiefers von der Mittel¬
linie bis hinten hin. Ich habe dann einen grossen Lappen, den ich
zurückklappen kann, und gewinne auf diese Weise eine gute Uebersicht
über das Naseninnere. Finde ich bei Kieferhöhlen- oder Stirnböhlen¬
operationen unvermutet einen Tumor, so kann ich ohne Schwierigkeiten
den Schnitt in dieser Weise vergrössern. Man hat einen ausgezeichneten
Ueberblick über die ganze Nase. Ich habe z. B. in einem solchen Falle
von diesem Schnitt aus nicht nur ein Sarkom der einen ganzen Nasen¬
seite ausgeräurat, sondern nach Resektion des Septums auch die Kiefer¬
höhle und Stirnhöhle der anderen Seite eröffnet.
Ich glaube, dass sich diese Schnittführung auch für die typische
Oberkieferresektion eignen wird, und dass sie zweckmässiger ist als die
jetzt meist geübte Schnittführung der Clirurgen nach Dieffenbach.
Der Ueberblick, besonders über die Stirnhöhlen- und Siebbeingegend ist
zweifellos bei meinem Schnitt viel besser. Recidive. treten häufig hinten
im Siebbein auf, dessen ausgedehnte Ausräumung meines Erachtens un¬
bedingt erforderlich ist. Bei der angegebenen Scbnittführung kann man
auch, wenn sich zeigt, dass der barte Gaumen gesund ist, diesen er-
erhalten. Das ist in mehreren Fällen geschehen. Der Vorteil für den
Kranken ist gross. Es ist für mich keine Frage, dass bei Oberkiefer¬
resektionen häufig zu schematisch vorgegangen wird, dass häufig der
Oberkiefer total reseziert wird, wo die Gaumenplatte hätte erhalten
werden können.
Hr. Killian: Ich darf nur bemerken, dass ich diesen Schnitt auch
schon mehrfach ausgeführt habe, und dass ich ihn für sehr zweckmässig
halte, wenn es sich um Tumoren bandelt, die sich auf die Siebbein¬
gegend erstrecken.
5. Hr. West: M. H.! Ich möchte Ihnen drei Patienten vorstellen,
an denen ich vei der Nase aas dea Trlaeasaek »pariert labe. (Demon¬
stration.) Bei der einen Patientin ist eine Phlegmone operiert worden,
nachher ist eine Fistel entstanden. Diese war nicht auszuheilen. Ich
habe den Tränensack von der Nase aus eröffnet, und schon 3 Tage,
nachdem die Gaze aus der Nase herausgeholt war, war die Fistel in der
Tiefe zu. Ich habe sie dann von aussen gereinigt uud mit Heftpflaster
zugeklebt, und am nächsten Tage war sie vollkommen geheilt und ist
geheilt geblieben. Im Gegensatz zu dieser Phlegmone, die von aussen
operiert worden ist, zeige ich Ihnen hier einen anderen Fall, wo ich sie
zum ersten Male von der Nase aus operiert habe. Es ist sehr schwer
zu sagen, wo die Phlegmone gewesen ist; sie war ringsum vorhanden;
es war ein so geschwollenes Gewebe, dass man kaum den Punkt sehen
konnte. Ich möchte auch gleich sagen, es gibt nur eine gewisse Art
von Phlegmonen, wo man von der Nase richtig operieren kann. Wenn
das Oedem zu gross ist, dann ist es sehr schwierig. Man kann den
Tränensack aufmachen, aber es ist viel besser, wenn man durchspülen
kann. Und um durchspülen zu können, muss man die Tränenpunkte
finden.
Ich möchte dann diese beiden Fälle hier vergleichen, von denen
der eine von aussen operiert ist, der andere von ihnen ohne Narbe. Es
besteht eine Fistel in diesem Falle. Ich habe bis jetzt fünf Fisteln
operiert, einmal in Baltimore und hier in Berlin.
Man soll solche Operationen nur in der Nasenklinik vornehmen
oder muss sich das volle Instrumentarium mitbringen, wenn man sie in
der Augenklinik zu machen gezwungen ist.
Dann stelle ich Ihnen noch eine Patientin vor (Demonstration) mit
ausgesprochener Dakryocystitis. Hier ist der Tränensack beinahe in toto
operiert. Das halte ich nicht für gut. Man kann in vielen Fällen von
der Nase aus Vorgehen, aber es ist nicht gut, den Tränensack in toto
zu entfernen, weil man das Gewebe hier verletzt. Man soll sich darauf
beschränken, hier das Stück abzuschneiden. Die Entfernung hier ist
nur ausnahmsweise geschehen.
(Schluss folgt.)
Berliner otologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. November 1912.
Vorsitzender: Herr Passow.
Schriftführer: Herr Beyer.
Vorsitzender: Ich eröffne die erste Sitzung in der neuen Uni¬
versitäts-Ohren- und Nasenklinik und hoffe, dass die otologische Gesell¬
schaft sich in den neuen Räumen wohl fühlen wird.
Tagesordnung.
Wahl eines Mitgliedes der Aufnahmekommission an stelle
des ausscheidenden Herrn Dennert.
Herr Claus wird gewählt.
Ausserhalb der Tagesordnung.
Hr. Claas: Ich möchte eine Moulage von einer Patientin zeigen,
die ich vor ®/ 4 Jahren im Virchow-Krankenhause operiert habe. Sie hat
vor etwa drei bis vier Jahren allmählich eine Anschwellung hinter dem
Ohr bekommen, welche vor einem Jahre inzidiert wurde. In dem Zu¬
stande, den die Moulage zeigt, kam sie zu uns.
Nun werden Sie fragen, warum ich von einem Atherom eine Moulage
habe machen lassen. Die Geschwulst präsentiert sich scheinbar als in
der Haut liegend, man konnte die dünne Haut darüber nicht abheben,
oder wenigstens nur sehr schwer, und konnte die Spitze des Warsen-
fortsatzes nicht umgreifen. Bei der Punktion entleerte sich nicht Atherom¬
brei, sondern eine seröse Flüssigkeit.
Bei der Ausschälung gelang es sehr gut, die Cyste herauszupräpa¬
rieren, trotzdem sie mit derben Strängen an der Spitze des Processus
mastoideus verlötet war. Die pathologisch-anatomische Untersuchung bat
dann ergeben, dass es sich um einen bindegewebigen Sack handelte,
der nach der Oberfläche zu sehr dünn ausgezogen, im Innern glatt und
mit einem Plattenepithel ausgekleidet war. Herr Geheimrat v. Han se¬
in an n hielt diese Cyste für eine Kiemengangscyste.
Ich habe bisher noch nirgends gefunden, dass an dieser Stelle des
Ohres eine Kiemengangcyste beschrieben sei und wollte Ihnen deswegen
über diesen Fall berichten.
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
85
Diskussion.
Hr. Passow: Bei einer Patientin, die ich etwa vor 14 Tagen ope¬
riert habe, sah die Geschwulst genau so aus und sass etwa an derselben
Stelle. Es gelang mir nicht, die Geschwulst in toto herauszubefördern,
sie barst; wir hatten zunächst den Eindruck, dass es sich um Sarkom
handele- Im pathologischen Institut wurde ein Myxofibrom festgestellt,
eine Mischgeschwulst.
Hr. Peyser: Ich wollte Herrn Claus fragen, ob an der lateralen
Pharynxwand oder etwa in der Gegend des Sinus pyriformis die An¬
deutung eines Ganges oder eine Erhebung sich findet.
Hr. Claus: Die Untersuchung des Pharynx und Larynx hat nichts
Besonderes ergeben.
Hr. Halle*.
a) Fall mit schweren einseitigen Myalgien, dreimal angeblich wegen
Stirnhtihlenempyem operiert,
b) Fall mit Stirnhöhlenempyem, intranasal operiert.
a) Als ich im vorigen Jahre einen Vortrag hielt über „Myalgien
in der Ohrenheilkunde“, wies ich darauf hin, dass infolge Nichterkennens
dieser Affektion leicht einmal ein grösserer Eingriff am Ohr ohne dauernden
Erfolg gemacht werden könne. Auch wäre es nicht unwahrscheinlich, dass
man gelegentlich Stirnhöhlenempyeme vermuten und, durch Röntgenbilder
oder andere anscheinend ebenfalls die Diagnose stützende Symptome ge¬
täuscht, die Stirnhöhlenoperation ausführte. Ich berichtete, dass ich
verschiedene solcher Fälle gesehen zu haben glaubte, wo mir aus dem
nachträglichen Befund die Diagnose und Indikation zu der ausgeführten
Operation zweifelhaft erschienen wäre.
Damals wurden diese Angaben als unwahrscheinlich zum Teil leb¬
haft bekämpft.
Ich erlaube mir, Ihnen heute eine Patientin vorzustellen, die mir
ein einwandfreier Beweis für die Richtigkeit meiner damaligen Be¬
hauptung zu sein scheint. Sie sehen an der Patientin eine nicht sehr
auffallende Narbe, entsprechend der Killian’schen Schnittfübrung bei
Stirnhöhlenempyem. Sie ist auch in der Tat dreimal operiert worden,
und zwar zweimal von einem gut bekannten Rhinologen, einmal von
einem unserer besten Chirurgen. Ueber die Indikationsstellung weiss
ich nichts. Ich bin aber überzeugt, dass hinreichende Gründe für die
Operation Veranlassung zu geben schienen. Der Rbinologe hat unter
anderem ein Röntgenbild zur Entscheidung mit herangezogen. Trotz¬
dem glaube ich aus dem Nasen- und Narbenbefund schliessen zu dürfen,
dass keine nennenswerte Erkrankung der Stirnhöhle gefunden wurde.
Und was das wichtigste ist, die schweren einseitigen Kopf¬
schmerzen, der Druckschmerz über dem mittleren Augen¬
winkel, bestand kurz nach der Operation genau wie vorher.
Die Ursache sehe ich in schweren Myalgien, die besonders den linken
Sternocleidomastoideus und etwas weniger den Cucullaris betreffen.
Wie Sie nun diese Myalgien behandeln wollen, ob nach Cornelius,
nach Peritz oder sonstwie, mag gleich sein. Jedenfalls glaube ich
nicht, dass Sie die Patientin ohne diese Behandlung heilen können.
b) Diese Patientin ist wegen kombinierten Empyems von einem
Spezialkollegen vielfach intranasal operiert worden. Da die Schmerzen,
die von einem Stirnhöhlenempyem links herrührten, nicht zu beseitigen
waren, wurde zur äusseren Aufmeisselung geraten. Die Patientin lehnte
diese wohl indizierte Operation ab, und der Kollege brachte sie zu mir
behufs gemeinsamer intranasaler Behandlung.
Wir haben in einer Sitzung folgende Eingriffe ausgeführt: Der obere
Teil des Septums wurde submucös reseziert, um Platz für genügend
ausgiebige Freilegung des Siebbeins und der Stirnhöhle zu schaffen.
Das Siebbein beiderseits, die Kieferhöhle links wurden intranasal 'frei¬
gelegt und ausgeräumt und darauf die linke Stirnhöhle nach meiner
Methode intranasal eröffnet. Die Patientin war nach wenigen Tagen be¬
schwerdefrei und in 4—5 Wochen praktisch geheilt. Nur selten zeigt
sich ein kleiner Schleimstreifen im Spülwasser der linken Stirnhöhle.
Ich möchte heute den wiederholten Streit über die Möglichkeit
dieser intranasalen Eingriffe nicht wieder anregen. Jedoch hat auch dna
Vorgehen Ritter’s mit stumpfer Erweiterung der Stirnhöhlenöffnung
die Aufmerksamkeit wieder auf die konservativen Eingriffe gelenkt. In
der Tat leistet die Dilatation Ritter’s gutes, wenn sie auch nicht
immer ausführbar ist. Diesem Falle hier kann ich eine grössere Reibe
gleich erfolgreich operierter anschliessen.
Diskussion.
Hr. Grossmann: In der Diskussion über den damaligen Vortrag
des Herrn Kollegen Halle über Myalgien erwähnte ich, dass ich eine
Patientin in Halbnarkose mit Suggestion behandeln liess. Es ist die
zuerst gezeigte Patientin. Die zweite Operation, die gemacht worden sein
soll, ist gar keine Operation gewesen, sondern das war eben die Narkose
behufs Suggestion, und auch die Operation, von der die zarte Narbe
stammt, war keine richtige Operation. Es wurde das Periost gespalten
und die Stirnhöhle, obwohl ich wusste, dass sich wohl kaum etwas finden
würde, probatorisch eröffnet, sowie man bei Mastalgien ja auch manch¬
mal gesehen hat, dass durch Spaltung und Zurückkratzen des Periosts
die Schmerzen nachlassen.
Sie sehen, bei Urteilen über Operationen — ob berechtigt oder
nicht berechtigt — muss man manchmal etwas vorsichtig sein. Die
Sache ist damals duroh die Suggestion in Halbnarkose ziemlich eine
Woche lang gebessert worden; dann fingen die Schmerzen wieder an.
Die Patientin geht jetzt wieder herum und wird scbliesslioh viel¬
leicht bei einem Arzte landen, der eine dritte oder vierte Operation
machen wird.
Hr. Halle: Ich habe Herrn Kollegen Grossmann weder genannt,
noch seine Indikationsstellung angezweitelt. Im Gegenteil habe ich be¬
tont, dass er wohl genügend Grund für seinen Eingriff gehabt hätte.
Aber er selbst sagt ja hier, dass der lokale Prozess gering war, ja dass
er nur operiert und das Periost zurückgeschabt hatte.
Ganz gewiss ist von chirurgischer Seite die Diagnose auf Stirn¬
höhlenempyem gestellt und dementsprechend operiert worden. Ob
ich die Patientin durch die vorhin angedeutete Behandlung werde
heilen können, weiss ich nicht, doch hoffe ioh, sie Ihnen gesund zur Be¬
urteilung vorstellen zu dürfen.
Hr. Orossmann:
Auricularanhänge, gefensterte Gaumenbögen nnd kongenitales
Vitium eordis.
Ich wollte Ihnen einen Fall vorstellen, der beweist, dass durch uns die
inneren Kliniker doch in ihrer Diagnosenstellung gestützt werden können.
Bei der Ohruntersuchung eines Patienten, der wegen Schwerhörig¬
keit zu mir kam, fand ich einen ziemlich starken Arterienpuls an der
Temporalis, an der Maxillaris externa am Hals und im seitlichen Pharynx;
dann hatte er Auricularanhänge, und bei der Besichtigung des Mundes
zeigten sich gefensterte Gaumenbögen, besonders rechts in exzessiver
Weise. Es fehlte hier die Anamnese für erworbene Fenster in Gaumen¬
bögen, und da auch die Auricularanhänge da waren, konnte man an¬
nehmen, dass das eine Entwicklungsstörung sei, weil die Auricular¬
anhänge ja eine Entwicklungsstörung im Schluss der ersten Kiemenspalte
beweisen.
Ich schickte zur Diagnosenstellung wegen des Arterienpulses zu
einem namhaften Inneren, eigentlich in der Erwartung, dass er wohl ein
kongenitales Vitium diagnostizieren würde. Ich bekam aber den ein¬
fachen Bescheid: starkes diastolisches Geräusch, Aorteninsuffizienz. Ich
beruhigte mich nicht damit, sondern erlaubte mir, noch einmal besonders
darauf hinzuweisen, dass ich zwei Entwicklungshemmungen gefunden
hätte; ob das nicht bei der Diagnose irgendwelche führenden Richtlinien
geben könne? Darauf bekam ich den Bescheid, dass die erste Diagnose
aufgegeben ist, da eine Verbreiterung des linken Ventrikels nicht besteht,
der Spitzenstoss innerhalb der Mamillarlinie ist, was ja auch eigentlich zur
Aorteninsuffizienz nicht passt. Es handelt sich also um eine kongeni¬
tale Sache, jedenfalls um einen Defekt in der Anordnung oder Bildung
der Sehnenfäden an einer Klappe.
Die inneren Kliniker sind also quasi durch unsere Disziplin erst zur
richtigen Diagnose geführt worden.
Diskussion zum Vortrage des Herrn Blumenthal über Radikal-
Operationen des Ohres mit Wnndversehlnss ohne Plastik.
Hr. Passow: Wenn ich als erster das Wort ergreife, so habe ich
dazu vielleicht eine gewisse Berechtigung. Ich bin unter die Alten ge¬
raten und habe, wie wohl wenige von Ihnen, die Entwicklung der Oto-
chirurgie noch miterlebt. Kollege Schwabach ist mir allerdings wesent¬
lich über.
Der Vortrag war zunächst verblüffend. Ich muss gestehen, ich hatte
gewünscht, dass der Kollege Blumenthal darauf hingewiesen hätte,
dass die Methode, die er vorschlägt, nicht neu ist. Die Entwicklung der
Dinge war folgende: Küster und Bergmann — das dürfen wir nie
vergessen — haben den ersten Anstoss zur Entwicklung der Radikal¬
operation gegeben. Sie haben den äusseren Gehörgang so behandelt,
wie ihn der Herr Kollege Blumenthal behandeln will. Blättern Sie
die alten Berichte durch, sehen Sie im Jacobsohn-Blau nach. Da ist
als ganz besonderes Verdienst von Stacke hervorgehoben, dass er der erste
war, der eine Plastik des äusseren Gehörganges vornahm, der den
äusseren Gehörgang zur Auskleidung der Wundhöble mit verwandte.
Ich muss gestehen, dass dieser Fortschritt auch ganz zweifellos ein er¬
heblicher war. Vorher batte Zaufal diesen Fehler des ungeschützten
Schlauches eingesehen, der hinderlich ist für die schnelle und glatte
HeiluDg. Zaufal hatte den hinteren Teil des häutigen äusseren Gehör¬
gangs einfach herausgeschnitten. Es entspann sich eine Kontroverse
mit Stacke. Damals ging es noch nicht so milde zu wie zu unserer
Zeit, die Höflichkeit war noch nicht so weit vorgeschritten, und
Sch wartze’s Deutlichkeit liess nichts zu wünschen übrig und übertrug
sich auch auf seine Schüler, und auch Zaufal war manchmal recht
deutlich. Daher war die Kontroverse zwischen Stacke und Zaufal
heftig. Trotzdem erkannte aber Zaufal diesen Fortschritt Stacke’s
unumwunden an und hat auch demgemäss operiert, wie er selbst in der
Deutschen otologischen Gesellschaft erklärte.
Stacke hatte damals zunächst den Lappen geschlitzt bis an den
Knorpel heran, nicht bis in den Knorpel hinein.
Ich setze einen Lapsus voraus, wenn Kollege Blumen thal schreibt:
der perichondrale Raum. Einen perichondralen Raum gibt es nicht.
Dann sind die verschiedenen Plastiken gekommen, die ganz
zweifellos überschätzt wurden. Man hat geglaubt — und das ist mir
ganz ebenso gegangen, als ich meine erste Plastik veröffentlichte —,
dass man durch Hineinlegen von Haut in die Wundhöhle die Heilungs¬
dauer der Radikaloperation abkürzen könne. Mit der Zeit hat man
eiDgesehen, dass von der Plastik nicht soviel abhängt; auch wenn
wir die ganze Höhle mit lebensfähiger Epidermis ausfüllen könnten,
würden wir doch keine schnellere Heilung erzielen, als wir sie jetzt in
der Regel bei Radikaloperationen erreichen. Wir wissen, dass eine
Menge Faktoren — ich will darauf hier nicht eingehen — mitsprechen.
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UNIVERSUM OF IOWA
86
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Deswegen muss ich mich auch darüber wundero, wenn Kollege
Blumenthal so ganz ohne weiteres sagt, dass die zehn behandelten
Fälle zur Ausheilung 8—10 Wochen brauchten. Unter meinen Ope¬
rierten heilen auch eine ganze Reihe in 8—10 Wochen, manche noch
schneller, manche sehr viel langsamer, ganz unabhängig von der Plastik.
Aber so ohne weiteres zu sagen und quasi davon zu sprechen, dass wir
die Radikaloperierten in ganz bestimmter Zeit heilen können, davor
möchte ich doch eindringlich warnen. Wir kommen sonst wieder auf
vergangene und überwundene Zeiten zurück.
Nun sind zwar, wie Sie wissen, eine Menge Plastiken gemacht
'worden, die darauf hinzielen, sofort die Wunde hinter dem Ohr zum
Verschluss zu bringen, wenn nicht ganz besondere Gegengründe vorliegen,
ausserdem die Operationshöhle vom äusseren Gehörgang aus so zugäng¬
lich zu machen, dass wir die Nachbehandlung sicher und gut ausführen
können. Das können wir aber nur — ich spreche ganz besonders von
Kindern —, wenn der äussere Gehörgang wirklich weit ist, und wenn
wir wirklich hineinblicken können.
Ich erinnere noch daran, welcher Sturm der Entrüstung sich erhob,
als Siebenmann seine Plastik ausgeführt hat, der, wie Sie wissen, so
weit in die Concba hineinging, dass man förmlich über seine Kühnheit
erschrak. Mir schien es ganz unglaublich, dass man so operieren könnte.
Ich habe eine ganze Reihe von Siebenmann’schen Fällen gesehen und
bin erstaunt gewesen, wie trotz dieses kolossalen Einschnittes der Defekt
verhältnismässig klein und der kosmetische Erfolg eigentlich gar nicht
so übel war, wie man vorher erwarten musste. Ich muss sagen, dass
bei den Plastiken, die wir jetzt ausführen, wirklich der kosmetische
Erfolg günstig ist und die Aussichten auf Heilung wirklich gross sind,
wenn eben die Operationshöhle selbst heilt. Wenn Kollege Blumen-
thal jetzt wieder zu der alten Methode zurückkehrt, wo der Schlauch
nicht gespalten würde, dann müssten ganz besondere Gründe vorliegen,
vielleicht der Grund, dass wir die Knochenwunde jetzt besser anlegen
und besser operieren können. Ich glaube nicht, dass dieser Grund
stichhaltig ist. Wir müssen operieren, soweit wir es für nötig halten,
und wenn wir weit operieren müssen, dann können wir beim einfachen
Hineinlegen des Schlauches die Wunde nicht so übersehen, dass wir
wirklich sicher sind, einen guten Ueberblick zu haben.
Ich habe mir auch die Fälle vom Kollegen Blumenthal an¬
gesehen. Ich muss gestehen, es wird ihm da wohl so ergangen sein,
wie es uns geht, wenn wir Exostosen operieren, oder wenn wir reine
Stenosen operieren, um den äusseren Gehörgang zu erweitern. Wenn
wir dann den äusseren Gehörgang loslösen und nun nach hinten an¬
tamponieren — antamponiert muss doch selbstverständlich werden —,
dann weicht der äussere Gehörgang allerdings in der Tiefe auseinander
und reisst ein, und er reisst gewöhnlich auch ein bei der Operation
selbst; auch bei ausserordentlich vorsichtiger Ablösung.
Wenn Kollege Blumenthal nun einfach sagen würde: wir wollen
den äusseren Gehörgang spalten, aber wir wollen vermeiden, den Knorpel
zu spalten, dann würden wir zu der ersten Stacke’schen Operation
zurückkommen, und das würde ich immer noch in geeigneten Fällen
nicht für fehlerhaft halten — notabene, wenn wirklich der Wundtrichter
nach hinten sehr flach ist, und wenn wir ohne Bedenken nur eine kleine
Oeffnung im Knochen machen können.
Der Kollege betonte, dass es sich in einzelnen Fällen um Fisteln
im Bogengang und an der Labyrinthwand handelte. Das sagt natürlich
für die Heilung nichts.
Dann ist Kollege Blumenthal noch auf die Methode gekommen,
den äusseren Gehörgang von innen zu operieren. Ich muss bemerken,
dass er auch hier die Literatur nicht sorgfältig genug durchgearbeitet
hat, denn er ist Herrn Kollegen Thies nicht ganz gerecht geworden,
der grössere Veröffentlichungen über diese Methode im Archiv für Ohren¬
heilkunde herausgegeben hat. Thies hat schon sehr viele Operationen
in dieser Weise gemacht.
Der Kollege betonte dann, dass man die Wunde hinten offen lassen
könnte, ohne nachher eine weitere Plastik zu machen, dass man nachher
nur zunähen brauchte. Nun, das kann man bei der Methode vom
Kollegen Brühl und der von mir auch. Wenn wir Zweifel haben, ob
wir zunähen sollen oder nicht, dann machen wir es einfach so, dass wir
einen zungenförmigen Lappen anlegeD, den wir nur nicht wie gewöhnlich
hinten ins Periost hineinnähen, sondern herumnähen bis an die Ohr¬
muschel, aber nicht bis in die Haut der Ohrmuschel; dann kann man
später mit ein paar Nähten den Verschluss ebenso machen, wie Stacke
und Blumen thal verfahren wollen.
Hr. Brühl: Die Besichtigung der Fälle zeigt, dass dieselben, ganz
ähnlich wie nach Durchführung einer Plastik, ausgeheilt sind. Ich kann
mir dies bei den grossen Höhlen, die bei den Patienten vorhanden sind,
nur so erklären, dass der häutige Gehörgang bei der Operation oder
beim Tamponieren längs eingerissen ist. Wie sollen die Granulationen
einen Zug von vielleicht 2 cm Länge auf die hintere Gehörgangswand
ausüben, wenn dieselbe nicht eingerissen ist.
Kollege Blumen thal weist auf die Fälle hin mit Durchbruch der
hinteren Gehörgangswand, Spontanheilung des Cholesteatoms. In solchen
Fällen ist doch niemals eine hintere häutige Gehörgangswand vorhanden.
Mit dem Knochen schmilzt dieselbe ein. In Blumenthal’s Fällen ist
also entweder die häutige Gehörgangswand eingerissen, oder, wie wir es
auch häufig genug bei der Körnerischen Plastik sehen: es ist das tiefste
Stück der Gehörgangswand gangränös geworden. Dadurch erklärt sich
meines Erachtens die Uebersichtlichkeit in der Tiefe. Aussen ist die
Höhle nicht übersichtlich genug und die Taschenbildung aussen muss
durch eine geeignete Plastik vermieden werden. Ich habe Hunderte
von Fällen nach der Panse’schen Plastik behandelt, auch durch einen
Ohrtrichter. Das ist ein so grosser Nachteil, dass ich aus diesem Grunde
die Obrmuschelplastik binzugefügt habe. Die Gefahr einer Pericbon-
dritis ist so minimal, dass dieselbe keine Kontraindikation gegen die
Plastik darstellt. Ich glaube also, dass man nicht ganz grundlos die
wesentlichen Fortschritte, die wir bei der Radikaloperation gewonnen
haben, durch die Plastik, die bis in die Ohrmuschel hineingeht, wieder
aufgeben sollen, weil es auch ohne bewusste Plastik geht. Denn dass
das häutige Gehörgangsrohr in seiner ganzen Länge in den von Bl. ge¬
zeigten Fällen unverletzt geblieben sein sollte, kann ich mir nicht vor¬
stellen.
Hr. Wagen er: Die Verlängerung der Operation, auf die Herr
Blumen thal ein gewisses Gewicht legt, kann natürlich nicht in Betracht
kommen.
Die Gefahr einer Perichondritis ist nicht gross. Eine Entstellung
braucht nicht einzutreten.
Die Verdünnung der Lappen bei der Plastik hindert nicht die
sichere Epidermisierung der Wunde. Die Epidermis wächst genau so
gut auf dünner wie auf dicker Unterlage.
Es ist ganz richtig, die Radikaloperationshöhle möglichst klein zu
gestalten; hierauf ist schon von verschiedenen Seiten hingewiesen worden.
Bei kleinen Cholesteatomen kann man, wenn ein weiter Gehörgang vor¬
handen ist, auf eine ausgiebige Plastik verzichten. Wir inzidieren in
solchen Fällen oft auch nur die Tiefe des Gehörgangs und tamponieren
ihn nach hinten und oben. Die genügend weite Ohröffnung bei der
Plastik ist das Wichtige. Auf die Art der Lappenbildung kommt es
nicht so sehr an. Wir müssen uns bestreben, die Haut, die nachher
die Höhle auskleiden soll, unter Bedingungen zu setzen, die für die Epi¬
dermis gut sind. Die Epidermis wächst an Luft und Licht, und des¬
halb wollen wir durch Erweiterung der Oeffnung der Radikaloperations¬
höhle Luft und Licht zuführen. Dass diese Lüftung der Operationshöhle
von grosser Wichtigkeit ist, das sagt uns nicht nur die alltägliche Er¬
fahrung bei der Nachbehandlung der Radikaloperationsböhlen, sondern
wir können direkte Beweise dafür anführen. Schliesse ich bei einer
trockenen Radikaloperationshöhle mit enger Ohröffnung die retroauricu-
läre Oeffnung, so wird in kurzer Zeit diese Höhle feucht, die vorher
Jahre hindurch trocken war, und umgekehrt können wir eine sezer-
nierende Radikaloperationshöhle nur durch Erweiterung der Ohröffnung
trocken legen.
Wenn Fälle durch einen Trichter nachbehandelt werden müssen, so
halte ich das für einen Fehler. Ideal ist eine Plastik dann, wenn ich
die Nachbehandlung so ausführen kann, dass ich, ohne mit der linken
oder mit der rechten Hand die Ohrmuschel zu berühren, die ganze Höhle
überblicken und austamponieren kann, und das ist, wenn man eine
richtige Plastik ausführt, in einem ganz grossen Teil der Fälle möglich.
Wenn Herr Blumenthal hier die Kranken vorgestellt hat, um zu
zeigen, dass es in seltenen Fällen auch ohne Plastik geht, und wenn
er die Arbeit veröffentlicht hat, um noch einmal dringend davor zu
warnen, des öfteren auf die Plastik zu verzichten, dann, glaube ich, ist
er des Beifalls weiterer Kreise sicher.
Hr. Passow: Ich kann nicht zustimmen, wenn Herr Blumenthal
sagt: Es ist bekannt, dass die Epidermis, welche eine Radikaloperations¬
höhle auskleidet, wenig widerstandsfähig isf und leicht maceriert. Vom
äusseren Gehörgang gebildete Lappen macerieren nicht. Was maceriert,
sind die Cholesteatomlamellen oder die neugebildeten Narben, die die
Höhle auskleiden. Die Gehörgangslappen, die wir einlegeD, heilen immer
an, heilen fest an und macerieren nicht.
Hr. Blumenthal (Schlusswort): Es kam mir in der Arbeit darauf
an, darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht in allen Fällen
von chronischen Eiterungen, die wir radikal operieren, eine Plastik
zu machen brauchen. Ich habe selbst meine Kontraindikationen auf¬
gestellt und gesagt, dass ich es für unbequem halte, bei sehr engem
Gehörgang und sehr weiter Höhle keine Plastik zu machen. Anders
aber liegt es, wenn die Verhältnisse so sind, wie ich es als Indikation
aufstelle, d. h. wenn der Gehörgang weit und die Knochenhöhle nicht
zu gross ist. Das ist der Kernpunkt der Sache. Dann halte ich die
Plastik für überflüssig, wie die demonstrierten Fälle beweisen.
Was die Grösse der Knochenhöhle anbetrifft, so steht dieselbe nicht
im geraden Verhältnis zur Schwere der Erscheinungen. Der Warzen¬
fortsatz kann fast vollständig gesund sein, und wir haben doch in der
Tiefe eine Bodengangsfistel. Was die Uebersichtlichkeit der Höhle an¬
betrifft, so ist dieselbe bei weiten Gehörgängen ohne Plastik sehr gut.
Andererseits liegen bei der Plastik die Lappen nicht immer so fest
(Widerspruch), sie sind oft etwas geschwollen oder granulieren an den
Schnitträndern, und man muss etwas um die Ecke gucken.
Herrn Prof. Brüh Ts Zeichnung entspricht nicht den Verhältnissen.
Wenn das die Knocbenwundfläche und das die hintere häutige Gebör-
gangswand ist (Erläuterung an der Zeichnung), so ist bei massig grossen
Höhlen dazwischen nur ein enger Raum (Zuruf: So nahe steht es nie,
das ist ausgeschlossen!); gewiss, nach der Tamponade des Gehörgangs
und dem Zug der retroauriculären Naht steht es so nahe. Dieser
Zwischenraum füllt sich bald mit Granulationen, die, fibrös geworden,
den äusseren Gehörgang fest nach hinten retrahieren. Auch dass der
Gehörgang, weil er nach hinten retrahiert wird, nekrotisch werden soll,
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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stimmt nicht. Er wird bei meiner Versehlussmethode bei akuten
Mastoiditiden mit ausgiebiger Resektion der hinteren knöchernen Gehör¬
gangswand noch weiter retrahiert, ohne den geringsten Schaden zu
erleiden.
Ich habe in der Arbeit die Kontraindikationen genannt, und
ich betone noch einmal, dass ich nicht die Methode ohne Plastik für
alle chronischen Mittelohreiterungen benutzt haben möchte; ich möchte
Ihnen aber empfehlen, bei den Fällen die Methode anzuwenden, die ich
als geeignet bezeichnet habe. Da werden Sie gut mit derselben zum
Ziele kommen.
Berliner mikrobiologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Generalversammlung vom 12. Dezember 1912.
Vorsitzende: Herren Gaffky, Weber.
Schriftführer: Herr Friedberger.
I. Kassenbericht, Entlastung des Rechners.
II. Wahl des Vorstandes: Die Herren Flügge und Gaffky
lehnen eine Wiederwahl ab.
Hr. Neufeld spricht im Aufträge des Ausschusses den bisherigen
beiden Vorsitzenden den Dank der Gesellschaft aus und schlägt zur
Neuwahl die Herren Abel und Weber vor.
Die Wahl erfolgt durch Akklamation, ebenso die Wiederwahl der
übrigen Vorstandsmitglieder und des Ausschusses. An Stelle des aus-
soheidenden Herrn Kisskalt wird Herr Heymann und ferner Herr
Zvick neu in den Ausschuss gewählt.
III. Wissenschaftlicher Teil.
1. Hr. Aroasoi*.
Ueber die Qiftwirkang aormaler Orgai* aad Maske]extrakte.
(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Friedberger: loh möchte Ihnen kurz über die Ergebnisse
unserer eigenen Versuche mit Herrn Dr. Ichikawa berichten, deren
Resultate, wie Sie ersehen werden, zum Teil nicht mit denen des Herrn
Aronson übereinstimmen. Wir benutzten Extrakte von 1 Teil Organ auf
2 Teile Kochsalz- oder Tyrodelösung. Die vergleichende Toxicität verschie¬
dener Kaninchenorganextrakte beim Kaninchen (intravenös) zeigt Ihnen die
folgende Tabelle 1. In ihr ist zugleich die Gerinnungswirkung der
betreffenden Organextrakte auf Kaninchenblut nach einer von Dr. Ichi¬
kawa ausgearbeiteten Methode zusammengestellt. Es ist ohne weiteres
ein bedeutender Parallelismus ersichtlich.
Tabelle 1.
Extrakte von Kaninchenorganen bei
Kaninchen.
Organ
Giftigkeit
pro kg
Gerinnung
Lunge ....
0,05
VlO 000
Hoden ....
0,5
—
Niere ....
[0,5] *)
V1000
Herz.
< 2,5
Vbo
Muskel ....
> 4
Vso
Knochenmark . .
> 8
>Vb
Leber ....
> 12
VlO
Arterie ....
> 1
V 200
Rückenmark . .
—
V1000
Am giftigsten ist bekanntlich die Lunge. Wenn man ihre Toxicität
bei verschiedenen Tierspezies auswertet, so erhält man Resultate, wie
sie die folgende Tabelle 2 zeigt. Es ergibt sich, dass entgegen der all¬
gemeinen Abnahme die arteigenen Organe keineswegs immer die giftig¬
sten sind. Für das Kaninchen trifft es zu, nicht aber für das Meer¬
schweinchen.
Tabelle 2.
Giftigkeit der Lunge verschiedener Tierspezies.
Organspender
Geprüft bei
Giftigkeit
pro kg
Kaninchen
Kaninchen
0,05
Meerschweinchen
Meerschweinchen
5,0
Kaninchen
n
1,0
Meerschweinchen
Kaninchen
>1,5
Taube
»
>0,5
Auch bei entsprechender Vergleichung der Gerinnungswirkung der
Lange verschiedener Tierarten ergibt sich ein Parallelismus mit der
Giftigkeit, wie die folgende Tabelle 3 zeigt.
1) Tötet subakot.
Tabelle 3.
Gerinnung mit verschiedenen Blutarten.
Organspender
(Luuge)
Blutart
Gerinnung
Kaninchen
Kaninchen
V|0 000
Meerschweinchen
Meerschweinchen
/so
Kaninchen
VßOO
Meerschweinchen
Kaninchen
Vs 0
Die von Dold festgestellte wichtige Tatsache der Entgiftung durch
Serum gilt nicht nur, wie Herr Aronson angibt, gegenüber Kaninchen-
lungenextrakt beim Kaninchen, sondern bei genügend langer Zeit der
Einwirkung auch gegenüber Meerschweinchenlungenextrakten durch
Meerschweinchenserum für das Meerschweinchen, wie der untere Abschnitt
der Tabelle 4 zeigt.
Tabelle 4.
Entgiftung durch Serum.
Kaninchenlungen¬
extrakt
pro Tier ä ca. 1 kg
Kanineben¬
serum
Zeit
Stunden
Resultat
0,05
_
Tot in 2 Minuten
0,1
0,9
3
Lebt
0,1
0,9 inaktiv
3
Tot in 2 Minuten
0,1
0,1
3
Lebt
0,1
0,1 inaktiv
3
Tot in 2 Minuten
Meerschweinchen¬
lungenextrakt
pro Tier ä 200 g
Meerschwein¬
chenserum
Zeit
Stunden
Resultat
1,0
_
_
Tot in 3 Minuten
1,0
1,0
1
* „ 6
1,0
1,0
3
Lebt
Neben dem infolge Gerinnung in der Pulmonararterie bei intravenöser
Zufuhr tödlich wirkenden Extraktgift ist mindestens noch ein weiteres
Gift in den Organextrakten enthalten, welches am isolierten Darm in der
Versuchsanordnung von Magnus nachweisbar ist. Dieses Gift ist auch
in den Organen enthalten, die nach Dold kein intravenös tödlich
wirkendes Eitraktgift liefern, wie Knochenmark (Demonstration ent¬
sprechender Kurven mit Lunge-, Herz-, Niere-, Leber-, Knochenmark-,
Muskel-, Darmextrakt vom Kaninchen, Lungenextrakt vom Meerschwein¬
chen).
Es findet auch eine Entgiftung dieser Komponente durch Normal¬
serum statt (Demonstration von Kurven).
Die Identifizierung von Organgiften mit dem Anaphylatoxin ist ab-
zulebnen. Die Aehnlichkeit gewisser Symptome beweist nichts; denn alle
möglichen Substanzen rufen ja beim Meerschweinchen, intravenös in akut
tödlichen Dosen verabfolgt, bekanntlich ein der Anaphylaxie ähnliches
Krankheitsbild und einen entsprechenden Obduktionsbefund hervor. Wie
vorsichtig man mit der Bewertung der von Herrn Aronson angeführten
Blutdrucksenkung gerade bei den Organgiften sein muss, zeigen unsere Ver¬
suche. Es ist zwar richtig, dass die tödliche Dosis eine Blutdrucksenkung
beim Kaninchen macht, die gewisse Aehnlichkeit mit der bei der Ana¬
phylaxie aufweist (Demonstration einer entsprechenden Kurve). Während
aber bei der anaphylaktischen Vergiftung, wie wir erst jetzt wieder fcst-
gestellt haben, geringe Bruchteile der tödlichen Dosis noch Blutdruck¬
senkungen hervorrufen, ist bei der Organextraktvergiftung die untertöd-
licbe Dosis ohne Einfluss auf den Blutdruck. Denn der Einfluss der
tödlichen Dosis ist eben hier rein senkundär bedingt durch die Thrombose
der Pulmonalarterie.
Man darf aber nicht scbliessen, dass das Organgift in untertödlrchen
Dosen und von der Subcutis und vom Peritoneum aus indifferent wäre.
Untertödliche Dosen bewirken eine Temperatursenkung, noch kleinere
eine Steigerung, wie wir das ja bei allen die Temperatur beeinflussenden
Mitteln kennen. Ferner bewirken untertödliche Dosen, Lungenextrakt
beim Kaninchen, anfangs eine Leukopenie, die allmählich in eine Hyper
leukocytose übergeht (Demonstration von Kurven).
Hr. Aronson (Schlusswort): Die Wirkung der in gewöhnlicher
Weise hergestellten wässerigen Organextrakte auf Tiere anderer Spezies
habe ich absichtlich nicht untersucht, um diese Frage nicht noch mehr
zu komplizieren. Die intravenöse Einspritzung fremden nativen Eiweisses
ruft ja an sich schon Störungen hervor.
Gegenüber den Ausführungen des Herrn Vorredners muss ich daran
festhalten, dass das in den wässerigen Auszügen der Meerschweinchen-
Organe enthaltene Gift durch frisches Meerschweinchenserum nicht völlig
neutralisiert wird 1 ).
1) Nachträglicher Zusatz: Bei der Durchsicht meiner früheren
Versuchsprotokolle finde ich, in Uebereinstimmung mit dem oben von
Herrn Friedberger mitgeteilten Ergebnis, dass nach Injektion der
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
88
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Die völlige Uebereiastiramung des Vergiftungsbildes mit dem ana¬
phylaktischen Schock zeigt sich — ich glaube dies in dem Vortrage
deutlich hervorgehoben zu haben — nur bei der Anwendung von Ei¬
trakten, die durch Behandlung der zerkleinerten Organe mit physio¬
logischer Kochsalzlösung bei 100° (im strömenden Dampf) gewonnen
sind. —
Vortr. zeigt den Effekt einer solchen Vergiftung am Meerschweinchen.
Ein 200 g schweres Meerschweinchen bekam nach der intravenösen In¬
jektion Zuckungen, Krämpfe und starb in typischer Weise nach etwa
3 Minuten. Er demonstriert durch die Sektion die charakteristische
starke Lungenblähung bei noch schlagendem Herzen.
2. Hör. Bernhardt und Orenstein:
Beitrag zur Kenntnis der Veränderlichkeit von Bakterien.
(Ist in Nr. 1 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
3. HHr. Loewenthal und Seligmann:
Sin Paratyphusbaeilln8 ohne Gasbildnng.
(Erscheint unter den Originalen dieser Wochenschrift.)
Diskussion über beide Vorträge.
Hr. Haendeh Die Ausführungen der Herren Bernhard und Oren-
stein sind von ausserordentlichem Interesse. Ich freue mich, dass sie
im allgemeinen gut in Einklang stehen mit den entsprechenden Be¬
funden, über welche von Bärthlein hier wiederholt berichtet wurde
und auch bezüglich der verschiedensten Bakterienarten in der Literatur
Mitteilungen erfolgt sind. Auch kann ich den Herren Vortragenden, wie
ich dies hier bei anderer Gelegenheit bereits betont habe, darin nur bei¬
stimmen, dass auf dem zur Erörterung stehenden Gebiete der Frage der
Nomenklatur zunächst eine sekundäre Bedeutung zukommt und es in
erster Linie gilt, jetzt die tatsächlichen Erscheinungen und Befunde
exakt festzustellen und aufzuklären. Ich glaube aber, dass vorläufig
kein Grund vorliegt, von dem von uns benutzten Ausdruck Mutation
abzugehen, da diese Bezeichnung dem Wesen der Erscheinung doch wohl
am nächsten kommen dürfte.
Nach den heutigen Ausführungen der Herren Vortragenden könnte
man vielleicht den Eindruck gewinnen, als ob es sich bei den be¬
treffenden Erscheinungen um völlig unübersehbare und vollkommen
regellose Abspaltungsvorgänge handelt. Demgegenüber möchte ich
hervorheben, dass dies meines Erachtens in so allgemeiner Weise wohl
doch nicht der Fall ist. Bei einem grossen Teil der Vorgänge handelt
es sich jedenfalls um ganz gesetzmässig einsetzende, für alle Bakterien¬
arten gültige Erscheinung, die zu bestimmten, für sich wohl charakte¬
risierten Abspaltungsformen bei den einzelnen verschiedenen Bakterien¬
arten führt. Es erscheint mir gerade ein Verdienst der Arbeiten
Bärthlein’s das Gesetzmässige solcher Vorgäoge aufgedeckt und gezeigt
zu haben, dass diese Erscheinungen nicht nur bei einzelnen Bakterien
gleichsam in Ausnahmefällen, sondern bei jeder Kultur in der für
die betreffende Bakterienart charakteristischen Weise verfolgt werden
kann. Die Möglichkeit, dass auch noch andere als die von Bärthlein
beschriebenen Typen abgespalten werden können, soll damit natürlich
keineswegs als ausgeschlossen bezeichnet werden, es ist aber die Frage,
ob sich nicht auch für sie bestimmte Regel- und Gesetzmässigkeiten
werden finden lassen. Jedenfalls sind bei einzelnen Bakterienarten die
von Bärthlein beschriebenen Mutationsformen der Agarkolonien so
charakteristisch, dass schon aus ihrem Aussehen ein Schluss gezogen
werden kann, um welche Bakterienart es sich handelt. Ich möchte hier
kurz erwähnen, dass nach Untersuchungen, welche zurzeit von Gilde-
meister und Bärthlein in meinem Laboratorium ausgeführt werden,
eine ganze Gruppe inagglutinabler paratyphusähnlicher Stämme sich
nach dem charakteristischen Mutationsbild der Agarkolouien scharf von
der Paratyphusgruppe abtrennen lässt. Auch bei Diphtherie sind von
Bärthlein, übereinstimmend mit den Mitteilungen der Herren Vor
tragenden, Mutationserscheinungen festgestellt worden. Dieselben sind
namentlich auf der Serumplatte charakteristisch, indem hier eine
Mutationsform in gelben, citreusähnlichen Kolonien wächst. Diese Er¬
scheinung findet sich ganz regelmässig bei allen bisher untersuchten
Diphtheriestämmen, wenn auch der Farbenton der gelb wachsenden
Mutante bei verschiedenen Kulturen geringe Nüancen zeigen mag. Auch
Virulenzunterschiede Hessen sich bei den Mutationsformen einzelner
Stämme feststellen, doch sind hierüber die Untersuchungen noch nicht
abgeschlossen.
Mischung einer einfach tödlichen Extraktdosis -j- 2 ccm Meer¬
schweinchenserum (nach der zweistündigen Einwirkung einer Temperatur
von 37°) ein Versuchstier am Leben blieb. Ein neuerdings angestellter
Versuch ergab dasselbe Resultat. Btide Male wurden jedoch die Meer¬
schweinchen deutlich krank (länger dauernde starke Temperaturerniedri¬
gung). Selbst die einfach tödliche Dosis konnte also durch frisches
Meerschweinchenserum nicht völlig unwirksam gemacht werden. Bei der
Anwendung grösserer Dosen zeigte sich jetzt wie auch früher kein
hemmender Einfluss. Im Gegenteil starben die mit den serum¬
haltigen Gemischen injizierten Meerschweinchen schneller als die Kon¬
trolliere. Bei Kaninchen dagegen gelingt es leicht, mit 2 ccm Serum
selbst die achtfach tödliche Dosis zu neutralisieren. Auch diese Ver¬
suche sprechen dafür, dass deijenige Anteil des Giftes, der den Tod
durch Thrombosierung der Lungenarterien bewirkt, beim Meerschweinchen
nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt, während er bei Kaninchen
bei den gewöhnlich angewandten Dosen die einzige Ursache des akuten
Todes ist.
Zu den ebenfalls sehr interessanten Ausführungen des Herrn
Löwenthal möchte ich nur bemerken, dass ich es doch für wahr¬
scheinlich halte, dass auch bei der nicht gasbildenden Varietät seines
Paratyphusstammes wieder ein Rückschlag zur Gasbildung sich wird er¬
zielen lassen.
Hr. Sobernheim: Die heute vorgetragenen Beobachtungen be¬
stätigen aufs neue, dass kulturelle und biologische Eigenschaften der
Bakterien weitgehende Veränderungen erfahren können. Ob man hierbei
vop Mutation, Variation usw. sprechen soll, ist zunächst von unter¬
geordneter Bedeutung und um so schwieriger zu entscheiden, als gerade
die als artbestimmend angesehenen Merkmale bei gewissen Bakterien¬
gruppen (Typhus, Paratyphus, Gärtner) zu schwanken pflegen.
Noch vor wenigen Jahren wurden die Mitteilungen über biologische
Umwandlungen in der Enteritisgrupps mit grosser Skepsis aufgenommen;
heute wird die Tatsache kaum noch bezweifelt. Der Paratyphusbacillus
ohne Gasbildung stellt das Analogen zu dem früher beschriebenen
„Gärtnerbacillus ohne Gasbildung 1 * dar; wenigstens kann man als
solchen — abgesehen von einigen geringfügigen kulturellen Differenzen —
den Typhusbacillus auffassen, dessen Entstehung aus einem Gärtner¬
stamme von Sobernheim und Seligmann beobachtet worden war.
Hr. Weber: Ich möchte anregen, die Untersuchungen über
Mutation auch auszudehnen auf die Gruppe der säurefesten Bacillen.
Vielleicht ergeben sich dadurch neue Gesichtspunkte zur Beantwortung
der Frage nach den Beziehungen zwischen humanen und bovinen
Tuberkelbacillen.
4. Hr. Friedberger:
Ueber aseptisch erzeigte fleleakiekwellugei heia Kaninchen.
Entsprechend der von mir entwickelten Auschanung über das
Wesen der Infektion habe ich bereits früher ausgeführt, dass überall da,
wo im Orgauismus Antigen mit einem durch Präparierung entstandenen
Antikörper zusammentrifft, Entzüudungserscheinungen ausgelöst werden
und andere Symptome, die denen einer natürlichen Infektion entsprechen.
Auf diese Weise ist es mir und Mita gelungen, durch Inhalation von
Serum beim präparierten Tier aseptische Pneumonie der Lunge zu
erzeugen, was durch in etwas anderer Richtung unternommene Unter¬
suchungen von Busson sowie Ishioka bestätigt wurde.
Neuerdings habe ich nun in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Ceder-
berg auch aseptische Gelenkentzündungen bei präparierten Kaninchen
durch Injektion des homologen sterilen Antigens in das Kniegeleuk unter
aseptischen Kautelen erzeugt. Die Schwellung tritt bereits innerhalb
4—5 Stunden deutlich in Erscheinung. Es handelt sich also hier ge-
wissermaassen in Analogie mit der von mir erzeugten sterilen Pneumonie
um einen aseptischen „Gelenkrheumatismus“. (Demonstration eines so
behandelten Tieres.) Natürlich ruft die gleiche Dosis des Antigens
beim nicht präparierten Tier und die Injektion eines heterologen Antigens
keine entsprechenden Erscheinungen hervor.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater-
lftndische Kultur zn Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. November 1912.
Vorsitzender: Herr Minkowski.
Schriftführer: Herr Röhmann.
Hr. Minkowski demonstriert einen Fall von Hirsehsprnng’scher
Krankheit bei einem elfjährigen Knaben, der mit schweren ileusäbn-
lichen Erscheinungen in die Klinik aufgenommen wurde, nachdem er seit
sieben Wochen keine Darmentleerung mehr gehabt hatte. Der Knabe
litt seit seiner Geburt an Obstipation. In den ersten drei Lebensjahren
soll er überhaupt keine spontanen Entleerungen gehabt haben, später
nur selten. Bei der Aufnahme fand sich eine enorme Auftreibung des
Abdomens mit sichtbarer Peristaltik. Eine Röntgenaufnahme zeigte
neben einer sehr starken Gasauftreibung des ganzen Colons eine gewaltig
ausgedehnte, mit Kotmassen gefüllte, der Flexura sigmoidea entsprechende
Schlinge, die vom kleinen Becken fast bis an den Processus xiphoideus
hinaufreichte. Per rectum fühlte man eine diaphragmaähnliche Falte an
der Uebergangsstelle zur Flexur. Erst nachdem man diese Falte zur
Seite geschoben, gelingt es manuell und durch Spülungen allmählich den
Darm zu entleeren. Nach der Darmentleerung war das Körpergewicht
des Knaben um 5 kg — etwa Vs des Gesamtgewichts — gesunken. Gas¬
aufblähung und Wismutfüllung Hessen auch später noch die abnorme
Ausdehnung des Colons und besonders der Flexura sigmoidea er¬
kennen.
Redner bespricht die verschiedenen Ansichten, die über die sogenannte
Hirschsprung’sche Krankheit geäussert sind. Für den vorliegenden Fall
erscheint die Annahme einer angeborenen abnormen Länge des Colons
(Makrokolie), die durch Knickung und Faltenbildung zur Erweiterung
und Hypertrophie des Colons (Megacolon) geführt hat, sehr wahrschein¬
lich. Fortgesetzte Darmspülungen haben zunächst den Zustand des
Kranken bis zur vollkommenen Euphorie gebessert. Doch dürfte die
Gefahr der Wiederkehr schwerer Anfälle den Vorschlag eines operativen
Eingriffs — wohl am besten einer Resektion der Flexura sigmoidea —
in diesem Falle rechtfertigen.
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UNIVERSUM OF IOWA
13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
89
Diskussion.
Hr. Strasburger: Leichte Fälle von Hirschsprung’scher Erkran¬
kung, auch bei Personen, die über das Kiodesalter hinaus sind, sind
nicht allzu selten. Es handelt sich ebeu um fliessende Uebergänge von
denjenigen einfachen Obstipationen, welche mit abnormer Grösse und
Lagerung des Dickdarms Zusammenhängen. Diese, namentlich von
Curschmann näher gewürdigten anatomischen Anomalien des Darms
findet und erkennt man jetzt leicht mit Hilfe der Röntgenuntersuchung.
Meist bleibt es bei einfacher Verstopfung. Kommen aber, im Zusammen¬
hang mit der Kotstagnation, bestimmte Verlagerungen usw. des Darmes
hinzu, so dass sich oin mechanisches Hindernis, ein Ventilverschluss aus¬
bildet, so entwickelt sich ein Bild, das man zu der Hirschsprung’scben
Krankheit rechnen kann.
Hr. Goebel demonstriert die Organe eines Falles von Meg&sigmoidenin,
die sein Assistent, Herr Dr. Schlanzky, schon in der Sitzung der Bres¬
lauer chirurgischen Gesellschaft vom 13. November 1911 vorgezeigt hat.
Hr. Göbel berichtet über einen von ihm operierten Fall von
Hirschsprung’scher Krankheit.
Hr. Küttaer demonstriert fünf Fälle aus dem Gebiete der angeborenen
Elephantiasis:
1. Elephantiasis neuromatodes einer Gesichtshälfte (Frau).
2. Lappenelephantiasis des Halses mit Bildung von Rankenneu¬
romen.
3. Neurofibromatose mit Aussaat von weichen Fibromen und pig¬
mentierten Nervennaevi über den ganzen Körper (Mann).
4. Ausgedehnter Naevus promineus pigmentosus pilosus des ganzen
Vorderarms mit angeborenem Sarkom (Kind).
5. Diffuse tiefe und oberflächliche Hämangiombildung des Vorder¬
arms (Kind).
Hr. Rosenfeld: lieber fleisebliehe Ernährung. Nach Versuchen
von HHr. cand. med. R. Rosenfeld, Langer und anderen.
Diskussion.
Hr. Minkowski hebt hervor, dass die mitgeteilten Untersuchungen
doch eigentlich ebensowenig wie alle sonst irgendwie ausgeführten
exakten Prüfungen etwas ergeben hätten, was zuungunsten der
Fleischnahrung gedeutet werden könnte. Es sei vielleicht jetzt an
der Zeit, den vielfach übertriebenen Behauptungen von der Schäd¬
lichkeit der Fleischnahrung entgegenzufreten. Gewiss gebe es Krank¬
heitszustände, bei denen eine Einschränkung der Fleischnahrung geboten
erscheint. Aber der gesunde Mensch steht doch in seinem Körper¬
bau, wie in seinem Stoffwechsel, dem Fleischfresser näher als dem
Pflanzenfresser. Dass das Eiweissminimum, mit dem man leben
kann, geringer ist, als man früher aogenommen hat beweist noch
nicht, dass es vorteilhaft sei, mit dem Minimum auszukommen.
Die Natur arbeitet doch sonst nicht immer mit einem Minimum.
Es gebe auch zu denken, dass die Intelligenz des Fleischfressers im all¬
gemeinen höher stehe, als die des Pflanzenfressers. Man vergleiche nur
den Umfang der Bauchhöhle in ihrem Verhältnis zur Schädelhöhle beim
Menschen und beim Pflanzenfresser.
Hr. F. Röhmann stimmt den Ausführungen von Herrn Rosenfeld
bei, insofern auch er der Meinung ist, dass ein übertriebener Wert auf eine
reichliche Fleischzufuhr gelegt wird. Ueberschreitet die Eiweisszufuhr
ein gewisses Maass, so ist sie unökonomisch, da der „spezifisch-dynami¬
sche“ Wert nach Rubner für Eiweiss grösser als für Fett- und Kohle¬
hydrate ist. Im übrigen ist es quoad Eiweis gleichgültig, in welchen
Nahrungsmitteln Eiweiss zugeführt wird, ob in Form von Fleisch der
Säugetiere, Fischen oder pflanzlichen Nahrungsmitteln, wie Leguminosen
usw. Da der Urspruug des Menschen vom Affen hergeleitet wird, steht
er in seinem Stoffwechsel den Pflanzenfressern näher.
Hr. Rosenfeld (Schlusswort aus der Sitzung vom 22. November 1912
herübergenommen): Die Ausführungen über fleischlose Kost habe ich mich
bemüht. Ihnen so vorurteilslos zu geben wie nur möglich. Einer ihrer Vor¬
züge ist, dass sie ein leichteres Einhalten zweckmässiger Beschränkung in
der Nahrungsaufnahme gestattet. Die Frage, ob Fleischkost oder Pflanzen¬
kost, ist eine Frage des Quantum und des Quäle. Betreffs des Quantums hat
sich die Frage von früher, wie es möglich sein sollte, die Mengen von
118 g Eiweiss in der Pflanzenkost aufzubringen, damit lösen lassen, dass
in der Anforderung an Eiweissmengen eine Herabminderung auf 80 g als
Tagesdosis allgemein anerkannt »t, und dass sogar die Ghittenden’schen
Versuche gezeigt haben, dass mit 50 bis GOg Eiweiss pro die die grössten
Leistungen und das beste Wohlbefinden möglich ist. Ja, es zeigt sich
sogar dem aufmerkenden Beobachter, dass Eiweissüberfütterung oft Leistung
und Stimmung verschlechtert, ausserdem auch den Stoffwechsel und die
Nieren überlastet. In Rücksicht auf das Quäle bietet die fleischlose
Kost in den Ei weisskörpern keine Nachteile und den Vorteil der Purin-
freibeit. Von den anderen Stoffen erscheint es nicht unbedenklich, dass
so grosse Mengen von Kalk meistens eingeführt werden, da sie oft in
vielleicht störenden Mengen zurückgehalten werden. Die Arbeitskraft,
Dach der Ergographenleistung gemessen, ist bei der fleischlosen Kost im
allgemeinen normal hoch, nur im Falle R. Rosen fei d stark verringert
gewesen.
Zu den Bemerkungen von Herrn Minkowski meine ich, dass die
Intelligenz der Tiere vom anthropozentrischen Standpunkt und deshalb
wohl unrichtig beurteilt wird. Von diesem Standpunkt aus aber er¬
scheinen die Pflanzenfresser: Affe und Elefant allen Fleischfressern an
Intelligenz mindestens gewachsen. Und jede etwaige Prävalenz der
Raubtiere ist von ihrer Beschäftigung und nicht von ihrem Fleisohgenusso
abzuleiten.
Insofern besteht eine gewisse Aebnlichkeit in unseren Anschauungen,
als ich weder im Experiment noch bei praktischer Beobachtung von der
fleischlosen Kost bei Arteriosklerosis irgendeinen Vorteil gesehen habe.
Acrztllchcr Verein zu Essen-Rnlir.
(Wissenschaftliche Abteilung.)
Sitzung vom 19. November 1912.
Vorsitzender: Herr Schüler.
Hr. Morian gab folgende Demonstrationen (Autoreferat):
1. Carcinombehandlong mit Zeller’scher Paste. 60jähriger Mann
wegen iuoperablen handgrossen, bis auf den Unterkiefer und den Mund¬
boden und auf den Hals fortgewucherten Epithe 1 kr ebses mit Zeller’scher
Quecksilberarsenpaste und innerlich mit Natr. silic. vergeblich be¬
handelt, trotzdem am 10. IX. 1912 die Carotis externa unterbunden
und dort liegende Drüsen fortgenommen waren. Die Paste schmerzte
zu sehr und musste wieder weggelassen werden.
Diskussion. Hr. Steuernthal macht darauf aufmerksam, dass
die Behandlung mit dem eigeuen Serum verschiedentlich mit gutem
Erfolge ausgeübt sei.
2. Fall von extragenitaler Lies. 6jähriges Mädchen, 10. XU. 1912
aufgenommen. Keine hereditäre Belastung. Vom 1. VII. bis 4. IX. 1912
im städtischen Krankenhause wegen Scharlach behandelt. Seit der Ent¬
lassung rechts Ohrenfluss. Vor der Aufnahme ins Huyssensstift bemerkte
die Mutter an der Zunge ein rotes Bläschen, das immer mehr wuchs.
Bei der Aufnahme war der ganze Zungenrücken besetzt mit breit-
gestielten papillären Wucherungen. An beiden Mandeln befanden sich
Geschwüre mit weisslich durchscheinendem Belag, am weichen Gaumen
rechts und links bohnengrosse Plaques. Wassermann stark positiv.
Innerlich Calomel, später Jodkali mit Heilung der Geschwüre und
Papeln. Drüsenschwellungen am Halse und in der Leiste bestehen noch.
Die Eingangspforte für diese luetische Affektion nicht aufzufinden.
3. Traumatische Magenblotaog. 34jähriger Arbeiter, früher nie
krank, besonders nicht magenkrank, wurde durch einen schweren Balken,
der ihn auf den Rücken traf, am 1. X. 1912 mit Brust und Bauch gegen
eine Eisenschiene gedrückt. 2. X. aufgenommen. Er hatte nach der
Verletzung viel Blut erbrochen, was sich ausgiebig wiederholte am
3., 6., 19. und 22. X., so dass er beinahe verblutet wäro. Wachsbleich,
hatte fadenförmigen Puls. Gelatine, Chlorcalicurn, Ergotin, später
Geschwürsdiät, Kochsalzinfusionen und Einträufelung, Coffein, Morphium,
Nährklystiere, Adrenalin verschiedentlich angewandt, hatten keinen Er¬
folg. Die Naseudauersonde, um die Gasansammlung zu vermeiden, ver¬
trug der Mann nur eine Nacht. 14. XI. Gesamtacidität = 15, freie
Salzsäure = 0; Hämoglobingehalt am 19. XI. nur 30pCt.
Diskussion. Hr. Doevenspeok hat einen nahezu gleichen Fall
beobachtet, der aber ad exitum kam, ohne Sektion.
4. Pylorospasmts beim Säugling. Ein 7 wöchiger Knabe war bei
der Geburt sehr wohlgenährt, nur erbrach er viel Schleim. Im Laufe
der Wochen erbrach das Brustkind immer mehr und nahm ausser¬
ordentlich stark ab. Als er am 17. XL 1912 ins Krankenhaus gebracht
wurde, war er sehr stark abgemagert, fühlte sich kühl an, hatte keinen
fühlbaren Puls und angeblich seit 14 Tagen keinen Stuhlgang mehr.
Auf subcutane Kochsalzeinspritzungen hob sich der Puls, auf Einläufe
kam normaler Stuhl, und nun trichterte man Muttermilch durch den
After ein, spülte den Magen und versuchte neben Muttermilch auch
festere Nahrung. Für den Fall, dass das Kind sich nicht entsprechend
erholen sollte, wurde die Gastroenterostomie in Aussicht genommen.
Diskussion.
Hr. Steuernthal empfiehlt regelmässige Spülungen des Magens,
die als die souveräne Methode dieser Erkrankungen gelte. Meist käme
man mit diesen auch ohne Gastroenterostomie zum Ziel.
Hr. Levy macht darauf aufmerksam, dass breiige Kost oft vertragen
werde, wo noch flüssiges Erbrechen einlrete.
Hr. Knotte berichtet über einen ähnlichen Fall bei einem Säug¬
ling, bei welchem aber ein deutlicher Tumor zu fühlen was.
5. Zu postoperativen Verwachsungen.
a) 35jährige Frau, vor 3 Jahren Gallenblase im Huyssensstift heraus-
geschnitten, begann ein halbes Jahr später zeitweise an Schmerzen in der
Oberbauchgegend zu leiden. Juni 1912 vorübergehende Besserung,
20. X. laparotomiert und eine fingerlange und fingerbreite Verwachsung
des Bauchwandperitoneums mit dem linken Leberlappen und dem Pylorns
losgelöst und übernäht. Seitdem beschwerdefrei.
b) 39jäkriger Patient, vor 4 Jahren auswärts wegen Blinddarm¬
entzündung operiert und vor 2 Jahren in demselben Krankenhause wegen
vermuteter Gallensteine nochmals operiert, wobei man nur Verwachsungen
fand, wurde am 2. XI. wegen andauernder Schmerzen im Leibe, Durch¬
fällen und leichten Fiebererscheinungen relaparotomiert und Ver¬
wachsungen der Leber, des Magens, des Dickdarms und des Netzes von
der vorderen Bauchwand losgelöst und mit gesundem Netz übernäht..
Seitdem beschwerdefrei.
c) 44jähriger Bergmann, auswärts wegen Verdachts eines Magen¬
geschwürs vor iy 2 Jahren gastroenterostomiert und wegen andauernder
Beschwerden nochmals relaparotomiert, ohne dass man wesentlich Krank¬
haftes gefunden hätte, blieb bei seinen Klagen und wurde am 6. XI. 1912
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UNIVERSUM OF IOWA
90
Nr 2.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
nochmals in der Narbe des Querschnitts eingesehnitten. Man fand
breite Verwachsungen zwischen vorderer Bauchwand, Netz, Gallenblase,
Magen und Dickdarm. Sie wurden gelöst, die sonst gesunde Gallenblase
mit ihrem eigenen gesunden Peritoneum überkleidet, die übrigen Ver*
wachsungsstellen mit Netz bedeckt und der Leib wieder geschlossen.
Seine früheren Beschwerden hat der Mann angeblich verloren, klagt aber
jetzt über die linke Unterbaucbgegend.
d) 37jähriger Heizer hatte 1903 und 1904 7 Monate laDg Lungen-
und Rippenfellentzündung, war 1904 und 1905 10 Monate lang in drei
Lungenheilstätten, 1911 monatelang wegen Magenkrankheit im Städti¬
schen Krankenhause, wurde im August 1911 im Huyssensstift beider¬
seits nach Bassini am Leistenbruch operiert, erkrankte an Typhus, war
wiederum im Städtischen Krankenhause; im September 1912 kam er
wegen Achylia gastrica in der Huyssensstiftung zur Aufnahme und wurde
zuletzt wegen Verdachts auf Careinom eingewiesen, ohne dass man eine
Geschwulst hätte tasten können. Am 14. XL wurde, in der Annahme,
es könnten von der Bassini-Operation oder vom Typhus Verwachsungen
entstanden sein, weil der Mann hauptsächlich zuletzt in der linken
Unterbauchgegend Schmerzen empfand, links oberhalb der Narbe ein¬
gegangen. Man fand aber keinerlei Verwachsungen, nur eine eigen¬
tümliche Raffung des Mesosigmoideuras, die man für Verwachsungen an¬
sprechen musste und loslöste.
Ob die Operation in diesen Fällen für die Dauer die Beschwerden
beseitigt haben wird, bleibt erst abzuwarten. Vorerst waren in allen
Fällen die vermuteten Verwachsungen gefunden worden. Die Beschwerden
nach Verwachsungen sind ausserordentlich verschieden; oft findet man
ausgedehnte Verwachsungen ohne jegliche Beschwerden, während ein
andermal ganz kleine Adhäsionen zu unglaublich grossen Beschwerden
führen. Ob es möglich sein wird, durch die Peritonealisierung der Ver¬
wachsungsstellen die Beschwerden an den vorgelührten Fällen zu be¬
seitigen, muss erst abgewartet werden.
6. Snb akute Perityphlitis mit gesehwnlstartigem Charakter.
39jährige Frau erkrankte im Juli 1912 plötzlich an heftigen Leib¬
schmerzen und Fieber. Allmählich stellten sich Blasenbeschwerden ein.
Gynäkologisch und cystoskopisch fand sich nichts Abnormes. Erst im
November wurde ein Tumor zwischen vorderer Magenwand und Becken
gefunden, dabei blutiger Eiter bei der Rectoskopie. Wegen einer an¬
genommenen Perityphlitis wurde die Frau dann zur Beobachtung dem
Krankenhause überwiesen. Sie fieberte nicht, hatte wechselnde Leib¬
schmerzen, etwas Eiweiss im Urin, entleerte zuweilen viel Eiter im Stuhl.
Per rectum fühlte man einen harten, faustgrossen Tumor, der bis über
die Schamfuge hinausreichte und sich hart anfühlte.
Vortr. erklärte nach diesem Befund die Krankheit für eine subakute
Perityphlitis mit geschwulstartigem Charakter, ohne die Möglichkeit einer
Neubildung ganz auszuschliessen.
Diskussion.
Hr. Levy fragt an, ob der Tumor nicht von einem Fremdkörper in
der Blase ausgegangen sein könne, was verneint wird.
Hr. Doevenspeck fragt an, ob der Tumor von Anfang an vor¬
handen gewesen, was von Herrn Morian dahin beantwortet wird, dass
er anfangs nicht gefühlt worden ist.
7. Drei Frauen im Alter von 36—55 Jahren und ein junges Mädchen
wurden vorgestellt, die längere Zeit an Colitis membranaeea gelitten
hatten, zweien von ihnen war bereits wegen ihrer Beschwerden der
Wurmfortsatz herausgenommen wordeo, ohne Erfolg; bei zweien wurde
die Appendicostomie vorgenommen, bei den zwei anderen die Colostomie
mit einem dünnen Röhrchen. Allen wurde Höllensteinlösung 1 :1000
und Tanninlösung 2: 1000 300 ccm täglich eingespritzt, bei zweien mit
sehr gutem Erfolg, die beiden übrigen haben ihre Beschwerden noch
immer nicht verloren. Die Beobachtungszeit ist noch zu kurz.
Ueber den Nutzen der Appendicostomie bei Colitis sind die
Meinungen noch geteilt. Wenn man aber alle Mittel erschöpft hat, so
dürfte ein Versuch mit dieser Methode gerechtfertigt erscheinen.
Diskussion.
Hr. Schüler weist darauf bin, dass die Behandlung jeglicher Colitis,
auch der schweren Formen, zunächst eine interne bleiben muss, und be¬
spricht kurz die diätetischen und medizinischen Maassnahmen. Immer¬
hin gibt es .eine Reihe Fälle von Colitis gravis bzw. ulcerosa, die jeg¬
licher Behandlung trotzen. In diesen Fällen kann ein Versuch mit der
Appendicostomie gemacht werden. Sch. verspricht sich aber sehr wenig
davon, da das Hauptmoment, die Ruhigstellung des Darms, nicht durch
die Appendicostomie erreicht wird, indem die Fäces weiter den ge¬
schädigten Darm passieren und Einläufe schliesslich bei richtiger Hand¬
habung auch vom Anus aus ziemlich hoch hinaufgelangen. In den
schwierigen Fällen muss man doch wohl zur Colostomie mit völliger
Ausschaltung des Dickdarms greifen.
Zur Diskussion sprachen weiter noch die Herren Mälchers und
Doevenspeck.
8. Das Präparat eines in die Blase perforierten Krebses des
S romanim bei einem 56 jährigen Manne.
9. Pleuraverletzung durch Messerstich neben dem Sternum bei
einem 27 jährigen Bergmann. Einige Zeit später wölbte sich unter der
Narbe eine halbhühnereigrosse Geschwulst vor beim Ausatmen und
Pressen. Als er am 13. VIII. 1912 in die Huyssens-Stiftung aufgenommen
wurde, hatte er noch linkerseits eine grosse Eiteransammlung im Rippen¬
felle. Am 16. VIII. 1912 wurde die 8. und 9. linke Rippe fingerlang
fortgenommen. Am 3. XI. 1912 auch ein Stück der 7., 6., 5. und
4. Rippe, um die starre Höhle zu verkleinern. Die fingerdicke Schwarte
wurde durchgeschnitten. Der Messerstich hatte das Rippenfell verletzt,
die Lunge konnte nicht angewachsen sein, sonst würde sie sich nicht
vor- und rückwärts bewegen können. Der Stich vorn oben hatte aber
eine Infektion des Rippenfellraumes herbeigelührt, die dann der Eiterung
wegen die ausgedehnte Resektion nötig machte.
10. Empyem, nach aussen nnd durch das Diaphragma perforiert.
Ein 7 jäbriger Junge erkrankte an rechtsseitiger Lungen- und Rippen¬
fellentzündung. Am 26. VIII. 1911 wurde er in die Huyssens Stiftung
aufgenommen uud ein unter der Haut gelegener Abscess eröffnet, der
Streptokokkeneiter enthielt. Aus dem Abscess kam man unter das
Zwerchfell. Durch dieses führte eine Oeffnuug in den Rippenfellraum
hinauf. Die 9. Rippe wurde fortgenommen. Am 2. XU. 1911 wurde,
da die starre Höhle sich nicht verkleinern wollte und die Granulationen
einen deutlich tuberkulösen Charakter angenommen hatten, eine teilweise
Resektion aller Rippen rechterseits vorgenommen, die aber trotz der
Ausdehnung nicht zum Verschluss der Höhle lührte. Daher wurden am
22 V. 1912 die wiedergebildeten Rippen von der 10. bis zur 5. auf¬
wärts nochmals fortgenomraen, aber auch jetzt verschloss sich die Höhle
noch nicht. Am 11. XI. 1912 wurden nochmals von der 9. Rippe auf¬
wärts vier neugebildete Rippen fortgenommen. Nunmehr scheint sich
die Seite vollkommen anzulegen, das Röutgenbild beweist, dass alle
Rippen teilweise reseziert worden sind.
11. a) Lnngenabscess. Ein 13 jähriges Mädchen erkrankte vor einem
Jahre an Husten uud Nachtschweissen, dazu an häufigen Leibscbmerzen.
Ira Mai 1912 brachte ein Aufenthalt in Raflelberg keine Kräftigung, in
letzter Zeit hatte die Patientin viel Auswurf, der sehr übel roch. Die
v. Pirquet’sche Reaktion war negativ, der Auswurf zeigte keine Tuberkel-
bacilleo. Rechts hinten befand sich eine handhohe Dämpfung, in deren Bezirk
eine etwa gänseeigrosse Stelle amphorisches Atmen und klingende Rassel¬
geräusche darbot. Eine Punktion erbohrte in 6 cm Tiefe im 8. Zwiscben-
rippenraume stinkenden Eiter. Am 2. IX. 1912 wurde die 9. Rippe
reseziert, und nun drang man durch die verdickte ödematöse Pleura in
eine buchtige mit bröekel'g gangränösen, höchst übelriechenden Massen
gefüllte gänseeigrosse Höhle ein, die drainiert wurde. Am 17., 18.,
19. IX. und 2., 16., 18. X. 1912 trat Bluthusten ein, trotzdem bestand
die Mutter darauf, das heimwehkranke Kind am 21. X. nach Hause zu
uehmen. Am 29. X. 1912 wurde es wieder aufgenommen, da der Zustand
sich verschlimmert, Fieber und stinkender Auswurf sich vermehrt hatten.
Nun wurden am 30. X. 1912 die Rippe weiter fortgenommeu und der
Lungenabscess nochmals breiter zugängig gemacht. Seitdem hat der
üble Geruch uud der Auswurf abgenommen, ist weniger reichlich, das
Fieber ist fast dauernd geschwunden. Die Röntgenplatle zeigt in der
Gegend des Abscesses einen deutlichen handtellergrossen Schatten.
b) Langenseqnester. 15 jähriges Mädchen, am 18. VII. 1912 auf¬
genommen, war vier Wochen zuvor unter Typhusverdacht erkrankt und im
städtischen Krankenhause vor 3 Wochen aufgenommen. Dort war die Aggluti¬
nationsprobe negativ, die v. Pirquet’sche positiv ausgefallen. Der wechselnde
Auswurf enthielt keine Tuberkelbacillen. In der linken Brustseite von
der Herzdämpfung bis zur Achselliuie und von der Brustwarzenlinie ab¬
wärts bestand Dämpfung. Auf dem Röntgenbilde war ein umschriebener,
fast haodtellergrosser Schatten. Eine Punktion ira 4. Zwischenrippen-
raume ergab reinen Eiter, in dem vereinzelte Tuberkelbacillen nach¬
weisbar waren. Am 14. VII. 1911 wurde in lokaler Anästhesie ein
Stück der 4., 5. und 6. Rippe vorn fortgenoramen, die Pleura kreis¬
förmig auf die Lunge übernäht und nun mit dem Brenner in 3 cm Tiefe,
dem Oberlappen entsprechend, eine fast faustgrosse Eiterhöhle eröffnet,
deren Wandungen in Auflösung begriffen waren. Da das Fieber nicht
wich, wurde am 24. V111. 1912 die Wunde erweitert und ein zweiter
Abscess nach hinten oben eröffnet. Am folgenden Tage entfernte man
aus der Wunde einen hühnereigrossen Luugensequester, in dem zahl¬
reiche Tuberkelbacillen naebgewiesen werden konnten. Anfangs September
wurde das Mädchen sehr schwach, es traten Schwellungen an Händen
und Füssen auf, nach Anwendung von Herzmitteln jedoch erholte es
sich, die Esslust kehrte wieder, und nun ist sie schon wochenlang ausser
Bett. Die Wunde sieht sehr gut aus.
c) Traumatische Pneamoflie mit Empyem. Thrombose der linken
nnteren Extremität. Ein 18jähriger Jüngling wurde am 12. VIII. 1912,
als er einen Steinwagen auf den Aufzug geschoben hatte und dieser 50 m io
die Tiefe stürzte, mit binabgerissen und fiel mit der linken Rückseite
auf die Steinladung. Die 9. Rippe war gebrochen, es sammelte sich Luft
unter der Haut an, und es entstand eine solche Atemnot, dass man
einen Tag nach der Aufnahme, am 13. VIII. 1912, wegen eines Spannungs-
pneumotborax mit dem Potain’schen Apparate viel Luft aus der Pleura
saugen musste, danach besserte sich die Atemnot. 8 Tage nach der
Aufnahme jedoch entstand rechts hinten unten eine Lungenentzündung
mit ausgebreiteter Dämpfung, bronchialem Atmen und rostfarbenem Aus¬
wurf. Die Pneumonie wollte sich nicht lösen, die Dämpfung blieb, und
wegen der Annahme eines Ergusses nahm man mehrfache Punktionen
vor, so am 28. VIII. 1912, am 12., 24. und 30. IX., am 12. X. 1912.
Es kamen immer bloss einige Tropfen Blut, kein Eiter. Am 25. IX. 1912
schwoll durch Thrombose das linke Bein, am 27. IX. 1912 auch das
rechte. Am 24. X. 1912 warf Patient reichliche Mengen hellroten Blutes
aus. Am 6. XI. 1912 war wiederum eine Punktion negativ, und erst
am 16. XI. 1912 konnte man etwas Eiter aus grosser Tiefe im 8. Zwischen-
rippenraume und in der Schulterblattlinic rechterseits punktieren, dort,
wo auf einer handtellergrossen Stelle amphorisches Atmen und klingen-
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13. Januar 1913.
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91
des Rasseln gehört werden konnte, und wo nach der Röntgenplatte eine
handtellergrosse Verdichtung lag.
Auch bei diesem Patienten muss, durch die Lungenentzündung
herbeigeführt, eine Verschmelzung von Lungengewebe stattgefunden haben.
Sollte bei dem jugendlich elastischen Brustkörbe die Einziehung nicht
genügen, so wird man genötigt sein, die Höhle operativ anzugreifen, wie
in den beiden vorgehenden Fällen.
12. Staphylokokkeninfektionen.
a) Ein 25 jähriger Mann erkrankte am 10. IX. 1912 unter Schmerzen
nnd Schwellung und Rötung mitten auf dem Brustbein. Am 14. IX. 1912
vurde er aufgenommen, am 15. IX. 1912 das Brustbein an seinem Hand¬
griff aufgemeisselt, es fanden sich Staphylokokken. Da das Fieber nicht
nacblassen wollte, wurde am 21. IX. 1912 fast das ganze Brustbein von
oben nach unten fortgenommen bis auf das vordere Mediastinum und
bis auf die Rippenknorpelgelenke hinein. Danach trat Entfieberung ein
und der Patient erholte sieb, obwohl eine zeitlang wegen reibenden Ge¬
räusches eine Herzbeutelentzündung angenommen werden musste. Am
1. XI. 1912 wurde eine Ueberpflanzung nach Thiersch vorgenommen,
die Herr Dr. Lindemann nach einer Modifikation ausführte. Sie gelang
vollkommen, so dass die grosse Wunde heute schon bis auf zwei erbsen¬
grosse Stellen rechts und links am Rippenknorpel überhäutet ist.
b) Ein 13 jähriger Knabe wurde am 8. V. 1912 aufgenommen. Am
4. V. 1912 fiel er auf die rechte Gesässhälfte, an demselben Tage,
abends, Schüttelfrost, Fieber, heftige Beckenschmerzen. Der Hausarzt
schickte ihn wegen Beckenosteomyelitis ins Krankenhaus. Hier fand sich
zunächst eine Eiteransammlung in der rechten Beckenhälfte, die vom
After her angebohrt wurde. Sie enthielt Staphylokokken. Am 18. V. 1912
musste man den Parasacralschnitt machen. Am 24. V. 1912 eröffnete
man die Hüfte. Am 29. V. und 1. VI. 1912 wurden innen und aussen
am Oberschenkel Gegenschnitte erforderlich, am 8. VI. 1912 wurde ein
Abscess in der linken Axelböhle eröffnet. Am 1. VI. 1912 musste der
Hüftgelenk köpf herausgenommen werden. Die drei Wachstumslinien
klafften breit. Am 15. VI. 1912 wurde auf dem Handrücken ein Abscess
gespalten. Am 16. VII. 1912 holte man einige abgestorbene Knochen¬
stückchen aus der Pfanne und am 30. VIII. 1912 musste das rechte
Schultergelenk wegen Eiterung cröffoet werden. Trotz allem, was der
Knabe durchgemacht hat, befindet er sich jetzt auf dem Wege der
Besserung.
c) Ein 16 jähriger Knabe hatte vor drei Jahren am rechten Ober¬
schenkel Knocbenmarkentzündung. Als er am 4. XI. 1912 aufgenommen
wurde, war er seit acht Tagen wieder fieberhaft erkrankt mit Schmerzen
am rechten Oberschenkel. Als man 5. XII. 1912 das Hüftgelenk von
vorn eröffnete, weil man Eiter aus ihm punktiert hatte, kam man an
einer Stelle auf den vom Knochen entblössten Schenkelhals und meisselte
ihn auf. Es fanden sich Staphylokokken. Dem Patienten geht es gut,
er bat aber gestern abend wegen Eiterverhaltung im Hüftgelenke etwas
Fieber gehabt, das heute wieder verschwunden ist.
d) Ein 16jähriger Knabe wurde am 16. X. 1912 aufgenommen.
Vier Tage vor der Aufnahme bekam er plötzlich Schmerzen im rechten
Oberschenkel und in der rechten Hüfte. Als man am 23. X. 1912
punktierte und rötlich-gelber Eiter, der Staphylokokken enthielt, aus
dem Hüftgelenk kam, eröffnete man es von vorn und drainierte es. Das
Fieber blieb hoch, daher musste man am 25. X. 1912 den Schnitt ver¬
längern und den Schenkelhals aufmeisseln. Da der ganze Schenkelhals
ergriffen war, nahm man ihn samt dem Kopfe weg. Auch jetzt fiel das
Fieber noch nicht, daher meisselte man 27. X. 1912 von hinten her
hinter dem Biceps den ganzen Oberschenkel bis gegen das Kniegelenk
hinab auf und entleerte aus dem Knochenmark Eiter. Obwohl am
2S. X. 1912 beide Handgelenke geschwollen waren und das Herz ein
Geräusch aufzuweisen hatte, hat sich der Knabe bisher erholt, wenn er
auch noch nicht dauernd fieberfrei geworden ist.
e) Ein 3 jähriges Mädchen, das am 13. XI. 1912 aufgenommen
wurde, bekam 12. XL 1912 nach einem Stoss Schmerzen im rechten
Kniegelenk, hohes Fieber und Erbrechen. Am 13. XI. 1912 wurde das
Schienbein unterhalb des Kniegelenks aufgemeisselt und Eiter gefunden,
io dem sich Staphylokokken nachweisen Hessen. Am 14. XI. 1912
punktierte man Eiter aus dem rechten Kniegelenk. Am 15. XI. 1912
musste man das Kniegeleok drainieren und den Tibiaknauf bis dicht in
das Gelenk hinein aufmeisseln. Am 17. XI. 1912 blieb das Fieber immer
noch über 40°, nun wurde wegen einer Schwellung hinten am Ober¬
schenkel ein handtellergrosser Abscess hinter dem grossen Trochanter
gespalten. Am 18. XI. 1912 punktierte man Eiter aus dem Hüftgelenk,
man spaltete daher die Kapsel und meisselte den Schenkelhals auf und
fand Eiter in ihm. Gleichzeitig mussten etwa fünferbsengrosse Stellen am
linken Vorderarm aufgeschnitten werden, in denen sich unter der Haut
Eiterherde befanden. Das Kind ist hochgradig septisch und dürfte wohl
verloren sein.
13. VerletiMgen and Luxation des Os lunatum.
a) Ein 16 jähriger Fabrikarbeiter wurde am 6. XI. 1912 aufge¬
nommen, vor fünf Wochen hatte er sich, angeblich durch Fall auf
die rechte Hand, das rechte Handgelenk verstaucht. Den Tag vor der
Aufnahme war er nochmals auf die rechte Hand gefallen und batte nun
stärkere Schmerzen. Er suchte das Krankenhaus auf, weil er auch
Schmerzen in allen grösseren Gelenken der Extremitäten hatte. Dazu
kam Fieber und ein blasendes Herzgeräusch. Das geschwollene und
bewegungsbeschränkte rechte Handgelenk wurde geröntget, und es fand
sich, dass das Mondbein etwa auf die Hälfte seiner Höhe von oben nach
unten zusammengedrückt war.
b) Zwei Röntgenbilder yon einer Luxation des Mondbeins nach der
Beugeseite des Handgelenks zu, die durch Fall auf die Hand im Juni 1910
bei einem etwa 30jährigen Arbeiter erfolgt war.
Brüche und Verletzungen des Mondbeins entstehen viel seltener
als die Speichenbrüche, hauptsächlich dann, wenn Hand und Vorderarm
fast senkrecht auf den Boden aufschlagen, die Radiusbrüche bei mehr
stumpfwinkeliger Berührung mit dem Erdboden.
14. Ein 17 jähriger Fabrikarbeiter wurde am 11. XI. 1912 auf¬
genommen. Eisenplatte war ihm mit der Flachseite auf die Zehen des
linken Fusses aufgescblagen und hatte sie ihm teilweiso zertrümmert,
dabei war es zu einem Sehrägbruch des inneren Grosszehensesam-
beins gekommen, wie das Röntgenbild uachwies. Kenntlich war die
Fraktur an der unregelmässigen zackigen Linie.
15. Beckenbrüche.
a) Ein 61 jähriger Mann wurde von einem Kohlenwagen von
links nach rechts gegen eine Mauer gedrängt. Er konnte nicht mehr
gehen und wurde sofort am 17. VII. 1912 ins Krankenhaus gebracht. Das
verhältnismässig gut bewegliche rechte Hüftgelenk wies auf der Röntgen
platte eine Luxatio centralis des Schenkelkopfes auf. Der Kopf war
durch die Pfanne iu das kleine Becken hineingetrieben und hatte eine
Knochenspange vor sich her geschoben. Gleichzeitig war die rechte
Beckenschaufel handtellergross hinter dem vorderen, oberen Darmbein¬
stachel senkrecht gebrochen. Patient hinkt noch und klagt über
Schmerzen an der Innenseite des Oberschenkels.
b) Ein 39 jähriger Fabrikarbeiter fiel, als er in der Schmiede aus¬
rutschte, mit der linken Gesässhälfte auf ein Eisen, danach entstand eine
Ischias, die auf die verschiedensten Heilmittel, auch Novocainein-
spritzungeu in den Nervenstamm, nicht heilen wollte. Man machte
daher bei der vierten Krankenhausaufnahme am 19. VII. 1912 die
Nervendehnung, ebenfalls ohne Erfolg. Als man zuletzt ein Röntgenbild
aufnahm, entdekte man erst einen von der Pfanne bis zum Beckenring
hinaufreichenden, am Sitzbein hinabgehenden Bruch des Beckens, und
nun legte man am 28. IX. den Hüftnerven bis an den Beckenausschnitt
frei, löste ihn aus seiner narbigen Umgebung, zog einen Strang vom
Gesässmuskel unter demselben her und nähte diesen fest. Seitdem ist
der Schmerz verschwunden.
c) Eine ähnliche Beckenfraktur wird auf dem Röntgenbilde eines
42 jährigen Bergmannes demonstriert, der vom 30. III. bis 6. V. 1912
in der Huyssensstiftung lag und zwischen eine elektrische Lokomotive
und eine Mauer geraten war. Auch hier war eine Ischias entstanden,
die sich auf intraneurale Novooaineinspritzuugen besserte, doch bei der
Entlassung noch nicht dauernd verschwunden war.
16. Kniegelenkbrüehe.
a) Ein 28 jähriger Kaufmann fiel am 1. IV. 1912 in einen Treppen-
scbacht, so dass er mit dem rechten Bein oben blieb und mit dem
Körper herabstürzte. Er spürte ein Knacken im rechten Kniegelenk
und wurde am nächsten Tage im Krankenhause aufgenommen. Das
Röntgenbild zeigte, dass die Eminentia intercondylica abgebrochen und
nach hinten verschoben war. Gleichzeitig befand sich Blut im Gelenk.
Ein fixierender Verband, später Massage und Medicomechanik brachten
es zuwege, dass die Beweglichkeit des Kniegelenks jetzt von 170° bis
90° reicht, und dass der Mann jetzt wieder tätig sein kann.
b) Ein 28 jähriger Streckenarbeiter geriet am 3. VIII. 1912 mit dem
rechten Bein unter einen umkippenden Bahnwärterwagen und wurde von
aussen belastet. Im Krankenhause erwies sich im Röntgenbild die
Eminentia intercondylica abgerissen und nach vorn verschoben. Trotz
Streckverbänden und später medicomechanischer Behandlung reichte die
Beweglichkeit aktiv von 140° bis 160°. Er hatte grosse Schmerzen
beim Gehon, es soll daher ein operativer Eingriff bei ihm vorgenommen
werden.
c) Eine 18jährige Näherin wurde am 5. XI. 1912 aufgenommen.
Sie hatte Ostern dieses Jahres Scharlach, danach 6 Wochen Gelenk¬
rheumatismus durchgemacht. Am 4. VIII. 1912 stand sie in der Bade¬
wanne wollte gerade heraussteigen, drehte sich dabei rechts nach einem
Handtuch rasch um und spürte heftige Schmerzen im linken Kniegelenk.
Nach vierwöchiger Behandlung zu Hause befand sie sich 8 Tage im
städtischen Krankenhause, dann arbeitete sie 14 Tage im Sitzen und
kam am 5. XI. wieder wegen Schmerzen im Kniegelenk, die sich bei
jedem Schritt wiederholten. Auch hier wies ein Röntgenbild zwischen
den beiden Femurcondylen einen schmalen scharfen Schatten auf, der
als eine von der Eminentia intercondylica abgerissene Knochenscbicht
angesprochen wurde. Auch sie soll operiert werden.
17. Aneurysma spurium in der Nähe der Obersehenkelarterie.
Ein 25 jähriger Arbeiter wurde am 28. X. 1912 aufgenommen.
Vor 4 Jahren verlor er durch Hufschlag im Kaisermanöver sein linkes
Auge. In der Nacht zum 12. X., als er auf dem Heimwege über ein
dunkles Feld hinwegschritt, fiel ein Schuss, und er wurde in seinen
linken Oberschenkel getroffen. Als er in das Krankenhaus kam, sah
man eine Einschussöffnung in der Mitte des linken Oberschenkels, der
gegen das Knie zu geschwollen war, von einer pulsierenden, etwa halb¬
hühnereigrossen Geschwulst. Die Kugel wurde an der Grenze des
uuteren Unterschenkeldrittels nachgewiesen. Man nahm ein Aneurysma
arterio-venosum der Oberschenkelarterie und Vene an und nahm am
26. X. unter Blutleere die Operation vor. Die Kugel war jenseits des
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Arterienschlitzes zwischen Schlag- und Blutader hindurchgedrungen und
hatte beide aufgeschlitzt. Ein gänseeigrosses, längliches, mit schaligen
Blutgerinnseln ausgekleidetes Aneurysma spurium hatte sich in der
Nähe gebildet. Die 1 : 2 cm lange Oefinung in der Arterie wurde mit
Seide zugenäht. Die Vene war so zerfetzt, dass man sie unterbinden
musste. Die Hautwunde wurde vernäht. Trotz einer geringen Eiterung,
die sich aus der Einschussöffnung entleerte, heilte die Wunde primär
zu, und Patient soll jetzt das Bett verlassen.
Den 52 jährigen Patienten, den ich Ende vorigen Jahres wegen eines
durch einen Eisensplitter entstandenen Aneurysma arterio venosum der
Femoralis in gleicher Weise operierte und Ihnen dann vorstellte, batte
ich für heute wieder bestellt, er ist jedoch verzogen und daher nicht
erschienen. Er arbeitet aber seit jener Zeit wieder ununterbrochen.
Schüler.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
Sitzung vom 21. November 1912.
Hr. Anschütz demonstriert einen frisch eingelieferten Fall von Brnst-
wirbelsSnleifraktnr und empfiehlt sofortige Streckung und den Versuch
manueller Distraktion.
Hr. Anschütz: DieMarotdivertikal:
Von den wahren, den Meckel’schcn Divertikeln zu unterscheiden
sind die falschen, an der Flexura sigmoidea sitzenden Divertikel.
Dem Pathologen schon lange bekannt, sind sie von den Klinikern meist
nicht beachtet worden und ihre Kenntnis ist relativ jung. Die Dick¬
darmdivertikel finden sich meist bei Männern in fortgeschrittenem Alter,
seltener bei jungen Individuen. Sie entstehen in der Weise, dass an
einer schwachen Stelle des Darmes die Schleimhaut sich nach aussen
vorbuchtet und infolge irgendwelcher Schäden in die Muscularis herab¬
gezogen wird.
Diese „Schleimhauthernie“ kann bis zur Serosa Vordringen, letztere
buckelt sich an manchen Stellen vor, und es kann zu Kotanhäufung und
Kotsteinbildung in dem Blindsack kommen. An sich ist dieser Zustand
noch nicht gefährlich. Er kann es aber werden durch das Hinzutreten
einer Infektion.
Die daraus entstehenden Folgen sind verschiedener Art: 1. Durch
Narbenbildung kann es zu Verwachsungen, Verziehungen, Knickungen
oder Stenosebildungen des Darmes kommen. 2. Es kann sich ein Absccss
bilden, der wiederum in die freie Bauchhöhle durchbrechen kann.
3. Können appendicitisähnliche Attacken vorgetäuscht werden, oder es
können Fistelbildungen mit benachbarten Organen (Dünndarm, Nieren¬
becken usw.) zustande kommen.
Vortr. berichtet über derartige Fälle, von denen er einen in Breslau
und sechs in Kiel gesehen hat. Bei einem der Kranken wurde infolge
einer Kommunikation zwischen Dickdarm und Harnwegen stinkender Urin
und gleichzeitig Luft bei der Miktion entleert. Häufig sind im Abdomen
Tumormassen zu palpieren, die ganz als Darmcarcinom imponieren
können.
Als ätiologische Momente sind venöse Stauungen infolge von Herz¬
fehlern oder Lebercirrhose, von anderer Seite Schwund des Fettgewebes
herangezogen worden. Beide Erklärungen hält Vortr. für unrichtig.
Die Prognose ist Zweifelhaft. Abscessbildungen, namentlich Per¬
forationsperitonitis können das Leben gefährden.
Diskussion. HHr. Neuber, Hoehne, Stoeckel, Anschütz.
Hr. Banm spricht über renale Hämaturie und geht auf die ver¬
schiedenen Theorien der Blutung aus gesunden Nieren eiö, deren Be¬
rechtigung er nicht anerkannt wissen möchte. Alle die Fälle, in denen
eine anatomische Untersuchung unterblieben bzw. auf eine Probeexzision
sich beschränkte, müssen von vornherein als nicht beweiskräftig aus-
scheiden; in den meisten der Testierenden Beobachtungen fanden sieb,
mit wenigen noch der Klärung harrenden Ausnahmen, herdweise oder
über die ganze Niere verbreitete interstitielle Prozesse, die die Blutung
erklärten.
Gemeinsam ist diesen Fällen von Nephritis, dass Kolikschmerzen
und Hämaturie die einzigen Symptome darstellen, Veränderungen des
Harns und Erhöhung des Blutdrucks dagegen fehlen. Vortr. schildert
die hierhergehörige Krankengeschichte eines öS jährigen Mannes mit voll¬
kommen einseitigen Symptomen, die auf die Nephrotomie zurückgingen.
Bei dem etwa zwei Monate später erfolgten Tode an allgemeiner Sepsis
ergab die Autopsie gleicbmässige interstitielle und parenchymatöse Er¬
krankungen beider Nieren.
Aber nicht in allen Fällen, wo die Probeexzision einen Narbenherd
oder frischere interstitielle Prozesse au f gedeckt, dürfen diese mit der
Blutung in causalen Zusammenhang gebracht werden. Die Unter¬
suchung des Marks und der Papillen, die bei der üblichen Technik der
Probeexzision unterbleibt, soll nicht vernachlässigt werden. Vortr.
demonstriert zwei Patienten von 22 und 28 Jahren, bei denen wegen
der lebenbedrohenden Hämaturie vor zwei bzw. einem Jahr die blutende
Niere exstirpiert war. Auch hier war die Blutung das einzige Krank-
heitssymptora. In beiden Fällen lange Anamnese, makroskopisch ge¬
sunde Niere, mikroskopisch vereinzelte interstitielle Herde in der Rinde,
die Haupterkrankung aber in dem Markteil. Im ersten Fall eigeutiim-
türalicbe hyaline Veränderungen des Stromas zwischen den Ausführuogs-
gängen mit Verlegung der Gefässe und Stauungsblutungen oberhalb der
Herde; im zweiten Fall ein Angiom in einer Papille mit Zerstörung des
bedeckenden Nierenbeckenepithels, ein Befund, wie er in Deutschland
noch nicht beschrieben, in der englischen und französichen Literatur
dagegen öfters publiziert worden ist. Beide Patienten sind jetzt voll¬
kommen gesund und arbeitsfähig.
Wenn auch dank der verfeinerten Diagnostik bei einseitiger Hämaturie
Steine und Tuberkulose sich ausschliessen lassen, bleibt die Differential¬
diagnose zwischen Tumor renis und essentieller Hämaturie meist offen;
erst die Freilegung der Niere erklärt die Situation.
Hr. Noeske: Behandlung der SehnenseheideBphlegaane.
Vortr. empfiehlt zur Besserung der funktionellen Resultate bei vor¬
geschrittenen Sehnenscheidenphlegmonen die Extraktion der nekrose¬
verdächtigen Sehnen. Er unterscheidet zwei prinzipiell verschiedene
Stadien der Sthnenscheideiiphlegmone: die durch die bakterielle In¬
fektion hervorgerufeue eitrige Entzündung der Sehnenscheide und die im
Anschluss an die Zerstörung der letzteren eintretende demarkierende
Eiterung. Die letztere bringt bei längerem Bestände ernste Gefahren
für die befallene Extremität mit sich. Sie begünstigt hauptsächlich den
Einbruch in benachbarte gesunde Gewebe und führt besonders bei den
vom Daumen und Kleinfinger ausgehenden Phlegmonen häufig nur Ent¬
wicklung der sogenannten „V tt -Phlegmone.
In der möglichst frühzeitigen Coupierung der demarkierenden Eite¬
rung sieht Vortr. eine der wichtigsten Aufgaben der Behandlung dieser
Phlegmonen. Im allgemeinen ist beim Erwachsenen das Schicksal einer
Sehne schon nach vier- bis fünftägigem Bestände eiuer schweren Infektion
entschieden. Selbst wenn es durch entsprechende Inzisionen noch ge¬
lingt, einen Teil der in Sequestrierung begriffenen Sehnen zu erhalten,
ist ein solches Glied, infolge der anhaltenden Eiterung und entzündlichen
Infiltration der Umgehung, funktionell meistens ungünstiger daran als
ein Finger, bei dem frühzeitig die ganze Sehne entfernt wird und der
dadurch im Besitze normaler Gelenke und Bänder bleibt.
Vortr. demonstriert das günstige funktionelle Resultat nach früh¬
zeitiger Extraktion der Sehne des Flexor pollicis longus bei einem
62 jährigen Manne, bei dem die Phlegmone bereits in die radiale Bursa
vorgedrungen war und auf den Klciufinger überzugreifen drohte. Die
Sehne wurde oberhalb des Haudgelenks durchschnitten und über der
Grundphalam extrahiert. Der Daumen hat im Grundgelenk seine normale
Beweglichkeit behalten, und das Endglied ist passiv gut beweglich ge¬
blieben. Ebenso günstig gestaltete sich der Verlauf einer schweren, fort¬
geschrittenen „V“ Phlegmone bei einem älteren Diabeliker. Hier wurden
die Flexorensehnen des Kleinfingers und Daumens oberhalb des Hand¬
gelenks durchschnitten und im Handteller extrahiert. Aehnlicbe gute
Resultate wurden in mehreren anderen Fällen erzielt.
Bei der Inzision bedient sieh Vortr. fast ausschliesslich der queren
und schrägen Schnitte, die die besten Narben geben.
Für alle volaren Phlegmonen empfiehlt er als das technisch ein¬
fachste und zuverlässigste Anästhesierungsverfahren die Injektion von je
2—3 ccm einer 4 proz. Novocainlösung an den Medianu9-und Ulnaris,
unmittelbar am oder etwas oberhalb des Hangelenks und unter gleich¬
zeitiger Anlegung eines im Sinne der Stauung wirkenden Gummischlauches
dicht vor der Injektionsstelle. Die Anästhesie tritt nach etwa 15 Minuten
ein und ist stets komplett. Die Nachschmerzen sind auffallend gering.
In frischen Fällen von Sehnenscheidenphlegmonen ist die Bier’sche
Stauung, besonders bei jüngeren Patienten, ein ausgezeichnetes Unter¬
stützungsmittel der chirurgischen Behandlung.
Diskussion: Hr. Neuber.
Hr. Zoepprits:
Zar Frage der otcnlten Blilnng bei Msgeaerkrankaigei.
Bei gesundem Magen, bei chronischer Gastritis und Adbäsions-
beschwerden des Magens, bei Folgen von früherem Ulcus ventriculi,
unter der Voraussetzung, dass das Geschwür vernarbt ist, wurde nach
entsprechender Vorbehandlung niemals occulte Blutung beobachtet. Bei
Ulcus ventriculi Hess sich in 53 pCt. der Fälle occultes Blut nachweisen —
hierbei handelte es sich jedoch ausschliesslich um lange bestehende
„chirurgische“ Ulcera: durchschnittliche Krankheitsdauer zwölf Jahre.
Bei 190 Fällen von Magencarcinom (darunter 140 durch Operation sicher-
gestellt) war in 96 pCt. der Blutbefund regelmässig positiv, Abmagerung
in 90 pCt., Anacidität in 89 pCt, Salomon’scbe Probe positiv in S3 pCt.,
Milchsäure positiv in 67 pCt., lange Bacillen in 64 pCt., palpabler Tumor
war vorhanden in 64 pCt. der Fälle. Demnach ist der regelmässige
Blutbefund nicht nur das konstanteste, sondern auch das relativ ver¬
lässlichste der nicht spezifischen Symptome des Magencarcinoms. Gerade
bei den Erkrankungen, die differentialdiagnostisch am häufigsten mit dem
Careinom in Konkurrenz treten, bei der chronischen Gastritis, Adhäsions-
beschwerden usw. können alle anderen Begleiterscheinungen des Magen¬
carcinoms ebenfalls vorhanden sein, nur die occulte Blutung fehlt.
Regelmässiger occulter Blutbefund im Stuhl und Mageninhalt macht
daher bei auf den Magen hinweisenden Beschwerden eine maligne Er¬
krankung derselben sehr wahrscheinlich, indiziert jedenfalls eine Probe
laparotomie. Negativer Blutbefund spricht mit sehr grosser Wahrschein¬
lichkeit gegen Carcinom.
Diskussion.
HHr. Lüthje, Anschütz, Zoeppritz.
Hr. Konjetzny bespricht im Anschluss an den vorangehenden Vor¬
trag die für die anatomische Beurteilung der angeschnittenen Frage be¬
züglich der Blutungen beim Magencarcinom wichtigen histologischen
Grundlagen. Nicht so sehr die frühzeitige Ulceration des Magencarcinoms
an und für sich, als vielmehr ganz bestimmte, vor allem angioplastiscbö
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Gewebsreaktionen im Krebsstroma und in den Randpartien des Carcinoms
geben Veranlassung zu oft dauernden capillaren Blutungen im Bereich
des Magencarcinoms. Die hier in Betracht kommenden histologischen
Zustände werden an einschlägigen Präparaten demonstriert.
Hr. Bann empfiehlt in schweren Fällen von Unterkieferfraktor
sehr warm die Extensionsbehandlung, die er zuerst vor einem Jahr bei
doppelseitigem Bruch des aufsteigenden Astes, der durch zahnärztliche
Behandlung sich nicht reponieren Hess, mit bestem Erfolg in Anwendung
brachte. Seitdem wiederholt in schwereren Fällen verwandt, hat die
Methode ausgezeichnete Resultate ergeben. Ein Silberdraht wird um
zwei oder drei Zähne des zur Dislokation neigenden Fragmentes gelegt
und mit ein bis zwei Pfund belastet. In einem sehr schweren Fall von
doppeltem Bruch des linken Unterkieferastes musste der Draht subcutan
um den Kiefer herumgelegt werden. Eine Durchbohrung des Kiefers
wurde, weil unnötig, niemals vorgenommen. (Demonstration vou zwei
ideal geheilten Fällen.) E. Richter.
Klinischer Demonstrationsabend der Oberärzte des Allgemeinen
städtischen Krankenhauses Nürnberg.
28. November 1912.
Hr. J. Müller: 1. Ueber schwere Blasenblatungen.
60jähriger Mann, seit 27a Jahren Blasenblutungen ernsten Grades.
Eine Cystitis haemorrhagioa war auszusch Hessen, da alle Reizerschei-
uungen fehlten, mikroskopisch und chemisch kein Eiter nachzuweisen.
Der Nachweis von Eiter wird sehr einfach durch Zusetzen von Kalilauge
zum Harn geführt, es bilden sich durch Auflösung der Zellkerne
schleimig-flockige Ausscheidungen, und es tritt Blasenbildung auf der
Harnoberfläche auf. Mit dieser Probe werden noch 2000 Eiterkörperchen
auf den Kubikmillimeter nachgewiesen. Die cystoskopische Untersuchung
ergab am Blasenboden einen kugeligen Tumor, der bei Berührung mit
dem Schnabel des Cystoskops rollende Bewegungen ausführt. In der
rechten Bl äsen wand typischer carcinomatöser Tumor. Der am Boden
befindliche Tumor wird als sequestrierender Tumor aufgefasst. Patient
kann wegen frischer abundanter Blutungen nicht demonstriert werden.
Es soll Versuch mit Thoriumbehandlung gemacht werden, da operatives
Vorgehen bei dem Kräftezustand nicht tunlich ist.
2. Ueber Meningismus und Meningitis abortiva tuberculosa.
16 jähriger Arbeiter, aus tuberkulosebelasteter Familie, war selbst
schon in der Heilstätte Engelthal. Schon seit längerer Zeit hier und
da Kopfschmerzen, nie Erbrechen. Erkrankte am 16. X. mit sehr heftigen
Kopf- und Nackenschmerzen, aufgenommen ins Krankenhaus am 19. X.;
es bestanden Kopfsteifigkeit, Schmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule auf
Druck und bei Bewegungsversuchen des Kopfes, übrige Wirbelsäule nicht
sehr empfindlich, Temperaturen bis 40,2 °, Puls etwa 90. Mit Rückgang
der Temperatur wichen auch die Krankheitserscheinungen. Patient
klagte auch über Sebstörunge», die ophthalmoskopische Untersuchung
(Dr. Kraus) am 11. XI. 1912 ergab auf dem linken Auge zwei frische,
runde, chorioiditische Herde in der Peripherie, vou graugelber Färbung
und geringer Prominenz, die als sicher tuberkulöser Natur erklärt
wurden; sonst nichts Pathologisches. Lumbalpunktion ohne Besonder¬
heit. Die Diagnose lautet auf Meningitis tuberculosa abortiva.
3. Schwere Anaphylaxie bei Tnberknlininjektion.
15 jähriger Knabe, tuberkulös belastet. In früheren Jahren ausser
Drüsenscbwellungen angeblich nie krank. Jetzt kolossale Drüsen¬
schwellungen am Hals. E 9 wurde ausserhalb de9 Krankenhauses die
Pirquet’sche Reaktion angestellt und dann am rechten Arm eineintra-
eutane Tuberkuliniojektion (etwa 7s mg) gemacht. Nach 24 Stunden
hohes Fiebes (40,2°), Erbrechen, Durchfälle, Gesicht livid, Nase, Lippen,
Halsdrüsen stark aufgeschwollen. Am ganzen Körper, besonders am
Rücken hämorrhagisches Exanthem (bis linsengrosse Petechien), an der
Injektionsstelle starke Stichreaktion. An der Nasenspitze, dann an je
einer Zehe an beiden Füssen Hautgangrän. Der Junge und frühere
photographische Aufnahmen werden demonstriert. Früher noch nie mit
Injektionen behandelt, dagegen einmal mit Salbe (Moro’sche Salbe?).
4. Ueber Ankylosierende Wirbelgelenksentzündung.
50jähriger ManD, die ersten Erscheinungen Jannar 1910, jetzt
Ankylose hauptsächlich der Stammgelenke, kann Kopf nicht drehen,
Wirbelsäule starr, Thoraxstarre infolge Ankylosierung der Rippengelenke
.Röntgenphotogramm), Beugung der Vorderarme bis zum rechten Winkel
möglich, Bewegung im Schultergelenk stark eingeschränkt. Geben un¬
möglich. Medikamentöse und hydrotherapeutische Maassnabmen ohne
Erfolg; Einleitung einer Trinkkur mit Thorium X, beginnend mit
10 000 Mache-Eioheiten, steigend bis 50—100 000. Dadurch wurde eine
geringe Besserung erzielt, so dass Patient fast den halben Krankensaal
naomehr geben kann. Nachts werden auch Kompressen mit Thorium X
aufgelegt.
Hr. Epsteia: 1. Ueber Fevphigu.
Demonstration eines 65 jährigen Mannes, erste Pemphigusblase vor
einem halben Jahre links am unteren Rippenbogen, jedes typischer
Pemphigus am Penis und Oberschenkel, an den Randpartien Uebergang
in Pemphigus foliaceus. Salvarsan ohne Erfolg. Vortr. spricht dann
über Prognose und Therapie.
2. Ueber neurotische Haitgangrän.
Die vorgestellte Patientin batte vor 7 Jahren eine ganz ähnliche
Affektion der Haut am rechten Handrücken und rechten Vorderarm mit
Blasenbildung, die eich 27s Jahre lang wiederholten, danach fast 5 Jahre
frei. Ende Oktober au9 vollem Wohlbefinden Auftreten von drei grossen
Blasen am Unterschenkel. Nach Abstossung der Blasendecken traten
die Ulcerationen zutage, die nichts Charakteristisches boten. Patientin
ist hysterisch; Sensibilitäsprüfung ergibt normale Verhältnisse; arti¬
fizielle HautveränderuDg erscheint ausgeschlossen.
Hr. Burkhardt: Ueber Hepatodnodenostomie.
45jährige Patientin, operiert im Juli 1912, Exstirpation der Gallen¬
blase, die prall mit Steinen gefüllt ist, im Choledochus kein Stein. Nach
der Operation Gallenfluss, der jedoch allmählich versiegte, Fistel zu¬
geheilt. Patientin verliess das Krankenhaus. Einige Zeit Wohlbefinden,
von Ende September an allmählich zunehmender Icterus. 30. X. relaparo-
tomiert, das ganze Duodenum, Hepaticus in derbe, schwielige Massen
eingebettet, mit Mühe gelingt es, den Hepaticus vom freien Leberrand
ungefähr 1—H /2 cm herauszupräparieren, weiter gelang dies nicht, er
wurde hier durchtrennt, das Duodenum mobilisiert und der Hepaticus
durch Catgutnaht in dasselbe eingenäht. Heilungsverlauf gut, Patientin
wird vorgestellt.
Hr. v. Rad: 1. Ueber spinale Muskelatrophie bei Tabes.
57jähriger Patient; Beginn des Leidens vor 14 Jahren, zuerst
Atrophie, dann Lähmung, besonders in der Muskulatur der Arme, Hände,
Schulter, des Nackens, Rumpfes. Neben dieserErkrankung besteht Hy palgesie
in den Beinen, Impotenz, Blasenschwäche, Fehlen der Patellar- und
Achillessehnenreflexe, reflektorische Pupillen starre. Elektrische Erregbar¬
keit in den Beinen normal, dagegen nicht in den von der Atrophie be¬
fallenen oberen Körperpartien. Es erscheint mehr als fraglich, ob ein
Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen besteht. Demonstration
des Kranken.
2. Ueber traumatische Myelitis.
Demonstration eines 25 jährigen Patienten, der am 24. August 1912
aus einer Schiffsschaukel gefallen war. Anfangs benommen, Schwäche
in den unteren Extremitäten und im rechten Arm. Am 31. August konnte
sich der Verletzte noch mit der Elektrischen und teilweise zu Fuss ins
Krankenhaus begeben. Der Processus spinosus des 7. Halswirbels steht
weit vor und ladet nach links aus. 10 Tage nach dem Unfall kom¬
plette Lähmung im. rechten Arm und beiden Beinen. Blasen- und Mast¬
darmstörung, Priapismus (Vasomotorenlähmung). Im Laufe des Auf¬
enthaltes besserte sich die Blasenstörung, die Lähmung blieb fast un¬
verändert, am linken Bein kam es zu Kontrakturbildung. Störungen
der Sensibilität (Demonstration der Schemata). Prognose infaust, eine
weitere Besserung erscheint ausgeschlossen. Kraus.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Acaddmie de mddecine.
Sitzung vom 29. Oktober 1912.
Diskussion zur obligatorischen Krankenmeldung bei
Tuberkulose.
Hr. Reynier meint, der Arzt dürfe nie die Interessen seines
Patienten denen der Gesamtheit opfern. Die Familien und die Aerzte
sind Gegner der obligatorischen Meldung; übrigens wäre es unmöglich,
die durch die Meldung nötig gemachte Desinfektion zu Lebzeiten de9
Kranken durchzuführen, der sofort aus der menschlichen Gesellschaft
ausgestossen würde. Die Krankenmeldung ist mit dem ärztlichen Ge¬
heimnis nicht vereinbar. Ausserdem müssten auch die genitalen und
chirurgischen Tuberkulosen gemeldet werden. Herr Reynier ist der
Meinung, dass alle Maassregeln der Desinfektion und Tuberkulosen-
bebandlung ohne die obligatorische Meldung durchgeführt werden können,
und schlägt vor: 1. Gesetzlich alle Vermieter zu verpflichten, eine frei¬
gewordene Wohnung nur nach Desinfektion wieder zu vermieten. 2. Dem
Civilstandsarzt das Recht zu geben, nach Todesfällen die Desinfektion
anzuordnen. 3. In Anbetracht, dass der Alkoholismus der wichtigste
Faktor der Tuberkuloseentwicklung sei, darauf zu dringen, dass die
Gesetze betreffend Einschränkung der Wirtschaften und Ueberwachung
des Alkoholverkaufs richtig durchgeführt werden.
Hr. Lereboullet meint, wie vor 12 Jahren, dass der obligatorischen
Krankenmeldung der Infektionskrankheiten die Durchführung aller pro¬
phylaktischen Maassnahmen vorausgehen müsse, zu denen die Mittel
fehlen. Die Meldepflicht müsste nicht dem Arzt, sondern der Familie,
dem Fabrikberm, dem Arbeitgeber auferlegt werden, auf Anraten des
Arztes. Nach einem Bericht von Herrn Misman gehen von 100 Fran¬
zosen, die zwischen 20—39 Jahren starben, mehr als 42 an Tuberkulose
zugrunde. Die Gegenden, wo die Menschen am meisten an Tuber¬
kulose sterben, sind dort zu suchen, wo man am meisten trinkt. Er
meint, man dürfe nicht den Behördeu einfach von der Einführung der
obligatorischen Meldung abraten, sondern man müsse gleichzeitig be¬
tonen, dass die Bekämpfung des Alkoholismus, der ungesunden Wohnungen
und die Unterstützung unbemittelter Kranker vor der Krapkenmeldung
und Desinfektion durchzuführen seien.
Societe medicale des höpitaux.
Sitzung vom 11. Oktober 1912.
Hr. Milian zeigt einen 13 jährigen Knaben mit progressiver Para¬
lyse. Der Vater des Patienten stand vor der Geburt des Knaben in
Behandlung wegen Lues. Patient erkrankte mit 12 Jahren, zuerst an
Kopfschmerzen und Sprachstörungen, dann an psyschischen Störungen.
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94
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Es wurde traurig und jähzornig und verlor dann Gedächtnis und In¬
telligenz. Zurzeit bestehen Sprachstörungen, Zitterbewegungen der
Zunge und der Hände, Gehstörungen. Die Reflexe sind verstärkt, und
der Liquor enthält eine grosse Menge Lymphocyten.
HHr. Chöron und Rnbens-Duval melden die Heilung eines inope¬
rablen Cervixcareinoms durch die Bestrahlung mit ultrapenetranten
Radiumstrahlen. Die Basis des Lig. latum rechts war erkrankt und
ausserdem war das Neoplasma mit der Blase verwachsen. Nach zwei
Radiumbestrahlungen war klinisch nichts mehr nachzuweisen. Patientin
starb nach 15 Monaten an Gehirnerweichung, mikroskopisch als solche
festgestellt, nicht etwa Carcinommetastase. Ueberhaupt war nirgends
im Körper eine carcinomatöse Veränderung nachweisbar.
HHr. Gonget und Moreau beschreiben einen Fall von Pnenmo-
bacillen-Pneumonie. Es kann sich kaum um sekundäre lofektion
handeln, denn die zweite, seit 48 Stunde entzündete LuDge ergab reine
Pneumobacillenkulturen; ausserdem handelte es sich um eine bestimmte
lobäre und nicht lobuläre Infiltration, mit den für Pneumobacillen-
Pneumonie charakteristischen Symptomen. Anatomisch: schwache Fibrin¬
reaktion, daher glatte Schnittfläche der Lunge; schleimige Konsistenz
des abgestrichenen Saftes; Neigung zur Nekrose und Eiterung. Klinisch:
Fehlen des Initialfrostes, klebriger Auswurf, schwere Erscheinungen mit
oft raschem Exitus, trotz relativ geringen Fiebers. Ausserdem aber be¬
stehen mehr schleichende Formen, wie der vorliegende, welche in 3 bis
4 Wochen verlaufen.
HHr. Gonget und Moreau haben als Begleiterscheinung zur Re¬
sorption von Oedemen bei einem Herz-Nierenkranken rheumatische
Erscheinungen beobachtet, und zwar: heftigen Kopfschmerz, totale
Anorexie, Gallenbrechen und dann bei starker Absonderung eines eiweiss¬
haltigen Urins (8 Liter pro die, 7 g Eiweiss pro Liter) sehr starke Ge¬
lenkschmerzen ohne Geschwulst oder Rötung, verbunden mit leichtem
Fieber. Diese Schmerzen verschwanden nach 5—6 Tagen mit der totalen
Resorption der Oedeme. Da die Schmerzen bei starker Polyurie auf¬
traten, scheint Rheumatismus ausgeschlossen und die Erscheinung im
Zusammenhang mit der Resorption der Oedeme zu stehen. Diese Gelenk¬
erscheinungen sind denen der Serumkrankheiten ähnlich, ferner den Ge¬
lenkerscheinungen bei Resorption von Pleuritis oder bei paroxystischer
Hämoglobinurie.
Hr. Siredey und Frl. de Jong beschreiben einen Fall von Basedow
mit Hantpigmentation der Brust und des Abdomens, des Halses und
der Beine. Behandlung erfolglos; während derselben entstand ein
Pigmentfleck im Munde. Die Beziehungen zwischen Basedow und
Pigmentation sind wahrscheinlich durch eine Störung in mehreren
Drüsen mit innerer Sekretion zu erklären. In diesem Fall bestanden
keine Zeichen von Nebenniereninsuffizienz, wohl aber Insuffizienz der
Ovarien.
Budapester Brief.
Der 15. Kongress des Landesärzteverbandes fand diesmal hier in
Budapest statt. Mit Bedauern mussten wir die Tatsache konstatieren,
dass Regierung und Parlament, Komitatsstädte und Gemeindebehörden
— jede politische Macht — alle berechtigten Wünsche der Aerzte
nur mit einer leichten Handbewegung erledigten, ja sogar den die
Interessen der Aerzte einzig wahrenden Landesärzteverband mit der
Auflösung bedroht. Vielleicht werden sich doch diesmal die Aerzte zu¬
sammenscharen, nicht weiter so indolent bleiben und endlich sich doch
der geplanten wirtschaftlichen Organisation anschliessen, um, gehörig
organisiert, nicht immer bitten, sondern auch einmal fordern zu können;
denn Kraft kann nur durch gehörige materielle Macht ausgeübt werden.
Bei entsprechender wirtschaftlicher Organisation kann auch die Kranken¬
kassenfrage gebührend geregelt werden, denn bisher wursteln wir nur
weiter fort, und welcher Zukunft man entgegensieht, zeigen die Zahlen,
dass, während vor 10 Jahren 700 Mediziner an der hiesigen Universität
inscribiert waren, heuer schon das Vierfache überschritten ist; es sind
etwas mehr als 3000 eingeschrieben.
Mit einer Verordnung des Ministers des Innern wurde das im Ein¬
vernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht im Jahre 1910
herausgegebene Statut über die Nostrifikation der ausländischen Aerzte-
diplome dahin erweitert, dass die im § 1, alinea 2, der im Jahre 1898
herausgegebenen Verordnung über die Aufhebung der gegenseitigen
Gültigkeit der auf den Universitäten der beiden Staaten der österreich¬
ungarischen Monarchie erworbenen Aerztediplome enthaltenen Bestim¬
mung, wonach den in Oesterreich und in Ungarn vor dem 1. Januar 1899
zur ärztlichen Praxis Zugelassenen die Praxis, sei es in dem einen oder
in dem anderen Staate, erlaubt ist, auch für jene Aerzte gilt, die ihre
Studien am Schlüsse des Studienjahres 1897/98 schon beendigt oder
wenigstens ein medizinisches Rigorosum abgelegt, jedoch ihr Diplom erst
nach dem 1. Januar 1899 erhalten haben. Diese den Aerzten der ge¬
nannten Kategorie mit Rücksicht auf die Uebergangszeit eingeräumte
Begünstigung erlischt mit dem 31. Dezember 1912. Solche Aerzte können
daher in Ungarn bzw. Kroatien, Slavonien die Erlaubnis zur Ausübung
der ärztlichen Praxis nur dann erhalten, wenn sie ihr Diplom bis
spätestens 31. Dezember 1912 erworben haben; diejenigen, die später
diplomiert wurden, müssen es nostrifizieren.
In der Spitalsfrage ist abermals ein Stocken eingetreten. Die
Hauptstadt beschloss zwar, ein Spital für Lungenkranke mit einem
Kostenaufwande von 4 191 000 Kr. zu bauen, und dies wurde auch
seitens des Ministers genehmigt, nur will der Minister des Innern den
ihm gebührenden Beitrag erst nach Annahme des höheren 10 proz. Steuer¬
zuschlages für Krankenpflege (bisher 5 pCt.) durch das Parlament
bewilligen, und auch nur dann, wenn dem Staate eine entsprechende
Ingcrenz auf die Verwaltung und die Neubauten der Spitäler gegeben
wird. Sowohl gegen die damalige Steuererhöhuug als auch durch das Ein¬
greifen des Ministers in die Spitalsverwaltung ist eine grosse Opposition
entstanden, so dass leider bei unseren traurigen politischen Verhältnissen
zu befürchten ist, dass die ganze Spitalsfrage wieder für längere Zeit
hinausgeschoben wird.
Aus dem Legate des Alexander Nagy von Hidaskürt liess der
Kultusminister eine den modernen Anforderungen entsprechende Be¬
wahranstalt für blinde Kinder erbauen. Die Anstalt wird 50 Kinder
— im Alter von 5 bis 7 Jahren — beherbergen.
Der vom Dozenten Temesväry gegründete Landesverein für Mutter-
und Säuglingsscbutz hat im vorigen Jahre 337 Mütter und 213 Säug¬
linge unterstützt und 788 Wöchnerinnen in 1369 Fällen mit Lebens¬
mitteln, Heizmaterial, Pflegerinnen versehen, und jetzt eine Säuglings¬
abteilung eröffnet, in der Säuglinge für eine Monatsgebühr von 30 Kr.
in Pflege genommen werden, ln Verbindung damit wurde für intelligente
Frauen zur Aneignung der Säuglingspflege ein Nursekursus eröffnet.
Die Centralkommission für ärztliche Fortbildung arrangierte für
Amtsärzte einen Fortbildungskursus, in dem Prof. Liebermann und
Fenyvessy einige wichtige Kapitel der praktischen Hygiene vortrugen.
Der Oberphysikus der Hauptstadt Magyarevics demonstrierte die
öffentlichen Einrichtungen der hauptstädtischen Gesundheitspflege.
Die im vorigen Jahre in der Umgebung der Hauptstadt sporadisch
vorgekommenen Cholerafälle verursachten der Hauptstadt eine Kosten¬
ausgabe von 90 000 Kr. für Schutzmaassregeln.
Viele Kollegen müssen wir heute betrauern, denn eine ganze Schar
wurde durch den Tod dahingerafft, aber eine sehr grosse Lücke hinter-
liess der sehr verdienstvolle Begründer des Unterstützungsvereins
praktischer Aerzte und des Aerztekasinos, Jacob Schulhof, der
überall eine Zierde unseres Standes und im Kampfe für das ärztliche
Gemeinwesen immer als einer der ersten anzutreffen war.
Zu Ehren Prof. Friedrich’s 25jährigem Doktorjubiläum und der
stets rastlosen, für das Wohl der Krankenkassenärzte immer wohl¬
wollenden 20 jährigen Tätigkeit stifteten seine innigsten Anhänger einen
„Wilhelm Friedrich - Fonds“, von dessen Zinsen alljährlich die
besten sozialhygienischen Arbeiten prämiiert werden sollen.
Die Professoren Reczey und Ketly feierten fast zu gleicher Zeit
das 40- bzw. 50-jährige Doktorjubiläum und wurden mit Festschriften
ihrer zahlreichen Schüler beehrt. Der justizärztliche Senat, dessen Vize¬
präsident Prof. Reczey ist, und der Landesärzteverband, an dessen
Spitze Prof. Ketly steht, nahmen auch an der solennen Feier teil.
Die 5. Jahresversammlung der ungarisch chirurgischen Gesellschaft
tagte im vorigen Jahre unter dem Präsidium des — seit damals
mit der Baronie ausgezeichneten — Prof. Herczel. Baron
Herczel sagte in seiner Eröffnungsrede: „Die moderne Chirurgie
besitzt ein charakteristisches Stigma: sie will immer neue Ge¬
biete erobern. Die fieberhafte Arbeit der modernen Chirurgie be¬
schäftigt sich gegenwärtig mit der Gefässnaht, der Chirurgie des Ge¬
hirns und des Brustkorbes, und man hofft, dass diese neuen Gebiete
der Wissenschaft binnen wenigen Jahren eine ebenso stürmische Ent¬
wicklung aufweisen werden, wie man sie bei der Bauchchirurgie erlebt
hat. Man darf jedoch weder ausschliesslich Chirurg noch Internist sein,
sondern wir müssen in erster Reihe Aerzte sein. Die Arbeitsteilung ist
bei der Lösung wissenschaftlicher Probleme statthaft, am Krankenbett
brauchen wir aber den ganzen Mann, den vollkommenen Arzt. Wer
daher heilen will, darf die Einheit der medizinischen Wissenschaft nie
aus dem Auge lassen, und derjenige wird besser heilen können, der die
sogenannte „vue en göneral“ besitzt und in allen Details seines Faches
versiert ist.
Das Referat über „Die chirurgische Behandlung des Lungenemphy¬
sems und der Tuberkulose“ wurde vom Internisten Baron Alex,
v. Koränyi und vom Chirurgen Prof. Dollinger gehalten, während
H. Alapy „Ueber Behandlung der eitrigen Brustfellexsudate bei Kin¬
dern“ referierte.
„Die chirurgische Behandlung des peptischen Magengeschwürs“
ward durch Prof. Reczey und Borszöky erörtert.
Illyös referierte „Ueber Nieren-und Uretersteine“ und P. Steiner-
Kolozsvär behandelte „Die Chirurgie der Blasen-, Prostata- und Harn¬
röhrensteine“. Im Anschluss an dieses Referat wurde Referent damit
betraut, eine Landkarte zusammenzustellen, aus der die Verbreitungs¬
weise der Steinkrankheit in Ungarn ersichtlich sei. — J. Kertesz
demonstrierte an Patienten seine eigene Erfahrung über die chirurgische
Behandlung des Emphysems; GezaJung die Behandlung der Schuss-
und Stichwunden der Brusthöhle. — M. Chudovszky, K. Nagy,
E. Pölya, K. Vidakovics behandelten Fragen der Hals- und Hirn¬
chirurgie. — H. Hültl demonstrierte seine neue chirurgische Näh¬
maschine, die er zur Naht nach Magenresektiouen und Darm wunden mit
vorzüglichem Resultat anwendet. — S. Borbely, A. Baron, E. Holz¬
warth, F. Faykiss, Stefan Czukor, K. Schiller, T. Verebely
nahmen an der Debatte der von Andreas Makai entwickelten Frage,
ob nach der operativen Behandlung der allgemeinen akuten Bauchfell¬
entzündung die Bauchhöhle vollkommen geschlossen werden soll oder
nicht, teils zustimmend, teils ablehnend teil. — Johann v.Bökay
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13. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
gab eine statistische Darstellung der Harnooncremente im Kindesalter
aus den Aufzeichnungen des Stefanie-Kinderspitals. — S. Borbely,
E. Revesz, E. Fischer, E. Boross, L. Makara, P. Haberern,
F. Obal, P. Kubinyi, D. Raskai, E. Remote, F. Weisz, J. Farkas
besprachen einige wichtige Fragen der Chirurgie der Harn- und Ge¬
schlechtsorgane. — Ueber Chirurgie der Knochen und Gelenke sprachen
Eugen Kiraly, B61a Dollinger, L. Bakay, Adolf Läng, und
gynäkologisch-chirurgische Demonstrationen wurden von Eugen Szili
und Aleiander Pauncz vorgeführt.
Zum Präsidenten der nächsten Jahresversammlung wurde Moritz
Chudovszky-Sätoraljaujhely, zum Schriftführer Karl Borszeky und
zum Kassierer Heinrich Alapy gewählt.
Die bisherigen Präsidenten der Gesellschaft Dollinger, Röczey,
Makara, Ludvigb, Baron Herczel wurden zu Ehrenmitgliedern
gewählt.
Die XXXV. Wan der Versammlung der ungarischen Aerzte und Natur¬
forscher wurde in der Stadt Veszprem abgehalten.
Nach der Eröffnungsrede des Präsidenten, Bischof Baron Karl
Hornig, hielt Prof. Bela Lengyel seinen Josef-Koväcs-Gedenk-
vortrag: „Ueber Radioaktivität“. Er sagte, dass wir in Ungarn zahlreiche
Mineralquellen und Schlammlager besitzen, die seit altersher als heil¬
kräftig bekannt sind. Ganz überraschend radioaktiv erwies sich der
Schlamm von Heviz bei Keszthely, der viele berühmte ausländische
ähnliche Produkte weit übertrifft. Auch die Thermalquellen Buda¬
pests, die am Fusse des Blockberges entspringen, sind stark radio¬
aktiv. Die physiologische Wirksamkeit der Radiumemanation beruht
wahrscheinlich auf den während ihres Zerfalls freiwerdenden Energien
und wird mit der Zeit jedenfalls auch praktische Verwendung finden.
In seinem Rornel-Chyzer-Gedenkvortrag beschäftigte sich Prof.
Ladislaus Udränsky mit der allgemeinen naturwissenschaftlichen
Bildung des Arztes.
Universitätsdozent Max Schächter hielt seinen Festvortrag in der
Schlusssitzung „Ueber zwei hervorragende populäre Veszprömer Aerzte“.
Er schilderte den Lebenslauf und die Tätigkeit der Veszpremer Aerzte
Karl Haiszier und Benjamin Pillicz. Diese beiden hervorragenden
Aerzte verkörpern die Tugenden der praktischen Aerzte des 19. Jahr¬
hunderts. Umfassendes Wissen, grosser Fleiss und reiner Charakter
zeichnen diese Männer aus. Karl Haiszier war ein wahrer Künstler
auf dem Gebiete der medizinischen Praxis, ein ausgezeichneter Natur¬
forscher und Botaniker. Die Flora des Komitates Veszpröm und des
Bakonygebirges kannte er wie kein zweiter.
Im königlichen Aerzteverein hielt den Baiassa-Festvortrag Prof.
Ernst Jendrassik: „Ueber das Denken“. Unser Denken ist kein
komplizierterer Reflexprozess als die Einrichtung der tieferen Reflexe;
in diesem Reflexprozess jedoch hat die traurigste Rolle unser Bewusst¬
sein. Wie oft wird es enttäuscht! Statt Moleküle, Energiewellen denkt
es Stimme, Licht, Farbe zu bemerken, und die im Körper vollführte
Bewegung, die nur Folge der früheren äusseren Energie ist, nimmt es
als selbständige freie Willensäusserung. Alles dies ist eine Täuschung,
die Welt ist blos der Schauplatz von Gestaltungen mathematischer, physi¬
kalischer und chemischer Verhältnisse, und uns bewegen darin die Ge¬
setze vom Tropismus. Nur ein Trost bleibt uns: dass es uns leicht
fällt, Stimmen zu hören, Licht, Farben zu sehen und uns dabei doch
als freien Willen äussernde Wesen zu wähnen.
Die Preisarbeit „Ueber die Typhusepidemiologie von Budapest“ er¬
hielten Dozent Cornel Preisich und Alexander Furka.
In der Schlusssitzung wurde zum Präsidenten des königl. Aerzte-
Vereins Prof. Liebermann gewählt.
Ausländische korrespondierende Mitglieder wurden: J. Babinsky-
Paris, Eugen Bleuler-Zürich, Karl Bonhoeffer-Berlin, W. P. Her¬
ringham-London, Henry Swanzy-London. Franz Weisz.
Erwiderung
auf die Bemerkungen des Geh. Med.-Rat Prof. Dr. L. Brieger
zu meinem Vortrag: „Ueber die aktive Typhusschutzimpfung“
in Nr. 50 dieser Wochenschrift.
Von
0. BettM-Breslaa.
Herr Geheimrat Brieger macht mir mit Unrecht den Vorwurf, seine
und seiner Mitarbeiter Arbeiten über obiges Thema nicht mit hin¬
reichender Genauigkeit gelesen zu haben. Ich habe diese Arbeiten sehr
sorgfältig studiert und glaube sie ganz genau zu kennen. Mir ist es
auch nicht entgangen, dass mit kleinen Dosen des Brieger-Mayer’schen
SchütteltoxiDS gelegentlich ein hoher bakteriolytiseher Schutz erzielt
werden konnte. Vermisst habe ich nur einen Vergleich zwischen der
immunisierenden Wirkung minimaler Dosen der Brieger-Mayer’schen
Schüttelextrakte und der gewöhnlichen Hitzeextrakte. Nur ein derartiger
Vergleich kann über die Bedeutung der Brieger-Mayer’schen Schüttel-
«xtrakte entscheiden. R. Pfeiffer und ich 1 ) haben diesen Vergleich
eiperimentell durch geführt, indem wir nach der R. Pfeiffer’schen Me¬
thode der Bestimmung der kleinsten immunisierenden Dosis beide Vaccins
quantitativ auswerteten. Wir konnten feststellen, dass entsprechend
ihrer geringeren Giftigkeit die Brieger-Mayer’scben Schüttelextrakte auch
1) Central bl. I. Bakteriol., Abt. I, Orig.-Bd. 64, S. 172.
95
einen entsprechend geringen effectus immunisatorius besitzen. Die Auf¬
fassung, dass durch das Brieger-Mayer’sche Schüttelverfahren toxisches
und immunisierendes Prinzip der Typhusbacillen getrennt werden könne,
findet demnach in unseren Versuchen keine Stütze. Unsere Feststellungen
werden durch die Ausführungen vou Herrn Geheirarat Brieger in keiner
Weise berührt.
Ich brauche wohl nicht zu versichern, dass es mir selbstverständlich
ganz fern gelegen hat, einem so erfahrenen und hochverdienten Forscher
wie L. Brieger eine „Rüge“ erteilen zu wollen. Meines Erachtens hat
es sich in meinem Vortrag ebenso wie in der unmittelbar vorher er¬
folgten ausführlicheren Veröffentlichung von R. Pfeiffer und mir ledig¬
lich um die Feststellung von Tatsachen bzw. um Aufdeckung einer Lücke
gebandelt, deren Ausfüllung unser Ziel gewesen ist.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 8. Januar 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung Herr
Michael Cohn sporadischen Kretinismus bei Geschwistern. Hierauf
hielt Herr Huber den angekündigten Vortrag über Blutveränderungen
bei hämatolytischem Icterus (Diskussion: Herr Mosse) und Herr
Axhausen seinen Vortrag über das Wesen der Arthritis deformans
(Diskussion: die Herren v. Hansemann, Wollenberg und Axhausen).
— In der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesellschaft
am 6. Januar (Vorsitzender Herr Joachimsthal) sprachen, nach Wieder¬
wahl des bisherigen Vorstandes, Herr Edmund Falk über fötale Ent¬
wicklungsstörungen an Becken und Wirbelsäule, als Ursache von
Deformitäten (Diskussion: HHr. Joachimsthal, Böhm), Kölliker-
Leipzig, Falk), Herr Peltesohn über angeborene Verbildungen an
den unteren Gliedmassen und ihre operative Behandlung, endlich Herr
Casdamatis über anatomische Befunde bei Osteogenesis imperfecta.
— Die diesjährige Tagung der Deutschen pathologischen Ge¬
sellschaft findet am 31. März, 1. und 2. April zu Marburg a. L. im
Hörsaal des Pathologischen Instituts statt. Für den ersten Verhand-
lungstag ist das von Herrn F. Marchard - Leipzig übernommene Referat
über „Herkunft und weitere Schicksale der Lymphocyten bei
entzündlichen Prozessen“ in Aussicht genommen. Anmeldungen
von Vorträgen beim Vorsitzenden Herrn E. Fraenkel-Hamburg.
— Der nächste Cyklus der Ferienkurse der Berliner Dozenten-
Vereinigung beginnt am 3. März 1913 und dauert bis zum 5. April 1913
(mit Ausnahme des Karfreitags und der Osterfeiertage). Die unentgelt¬
liche Zusendung des Lektions-Verzeichnisses erfolgt durch Herrn Mel zer,
Ziegelstrasse 10/11 (Langenbeck-Haus), welcher auch sonst hierüber jede
Auskunft erteilt.
— In Strassburg i. E. ist am Sonntag, den 15. Dezember 1912, eine
dermatologische Gesellschaft gegründet worden, die den Zweck bat,
wissenschaftliche Bestrebungen auf dermatologisch-syphilitologiscben so¬
wie verwandten Gebieten durch Demonstrationen, Mitteilungen und Vor¬
träge zu fördern und kollegiale Beziehungen unter ihren Mitgliedern
zu pflegen. Der Vorstand setzt sich folgendermaassen zusammen:
Professor Wolff, Vorsitzender, Professor Adrian, stellvertretender
Vorsitzender, Dr. Mulzer, Schriftführer, Dr. Oppenheimer, Kassen-
fübrer, Dr. Hügel und Dr. Gunsett, Beisitzende.
— Am Donnerstag, dem 30. Januar 1913, nachmittags 3 Uhr, findet
im Kaiserin Auguste Victoria*Haus eine Konferenz der „Deutschen
Krippen vereine“ statt. Tagesordnung: Bildung einer Vereinigung
der deutschen Krippen im Anschluss an die Deutsche Vereinigung für
Säuglingsschutz. Referenten die Herren Dr. Boehm- Frankfurt a. M.
und Oberarzt Dr. Rott-Berlin. Am gleichen Tage, vormittags 10 Uhr,
findet ebenda eine Sitzung der „Grossen Kommission zur Festlegung von
einheitlichen Grundsätzen für die Ausbildung von Säuglingspflegerinnen“
statt. Tagesordnung: 1. Endgültige Beschlussfassung über die Leitsätze
betreffend die Ausbildung von Säuglingspflegerinnen. 2. Formulierung
eines Antrages an die zuständigen Centralbehörden über die Festlegung
eines Ausbildungsplanes für die Säuglingskrankenpflegerinnen. Referenten
die Herren Langstein-Berlin und Ibrahim-München.
— Wie aus einer Notiz der Saalezeitung zu entnehmen, haben sich
die in der Neujahrswoche in Halle versammelten Vertreter preussischer
Fakultäten auch mit der Frage der Zulassung von Ausländern be¬
fasst, die ja kürzlich in Halle zu dem Klinikerstreik geführt hatte. Es
wurde dabei festgestellt, dass es sioh in der Hauptsache um russische
jüdische Studenten handelt, denen ihre Regierung auf Grund de9 be¬
kannten, für Juden in Russland bestehenden numerus clausus das
Studium unmöglich macht. Da aber in Russland grosser Aerztemangel
besteht, so werden sie auch nach einem im Ausland bestandenen Examen
zur Ausübung der Praxis in Russland zugelassen. Deshalb wurde obigem
Bericht zufolge beschlossen, der russischen Regierung gerade mit Rück¬
sicht auf diesen Aerztemangel die Aufhebung des genannten Studien¬
verbotes zu empfehlen. Inzwischen wurden übrigens sowohl in Halle wie
anderwärts die Differenzen beigelegt.
— In der Schweiz ist eine neue Prüfungsordnung für Aerzte,
gleichzeitig auch für Apotheker und Tierärzte, eingeführt worden, die
mit dem 1. Januar d. J. in Kraft trat. Für das ärztliche Studium
werdeu vor allem jetzt 11 Semester verlangt, von denen 6 an einer
Schweizer Universität zu verbringen sind. Die naturwissenschaftliche
Ausbildung wird nach wie vor stark betont, soll aber von unnötiger
Gedächtnisbelastung möglichst befreit werden; sie ist in den ersten zwei
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96
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Semestern zu absolvieren und durch ein Examen zu belegen, dem dann
noch zwei weitere Examina folgen. An Stelle des deutschen praktischen
Jahres wurde nach langer Kontroverse auf Grund der „schlechten Er¬
fahrungen, die das Nachbarland mit dieser Institution gemacht hat“
(Neue Züricher Ztg.), bestimmt, dass der Student eines der klinischen
Semester ununterbrochen 5—6 Monate an einer vom Staat dafür quali¬
fizierten Krankenanstalt praktisch tätig sei. Die Unfallmedizin wird als
obligater Unterrichts- und Prüfungsgegenstand neu eingeführt. Im
Examen soll mehr Nachdruck auf Prüfung an praktischen Fällen gelegt
und dies auch für Kinderheilkunde, Dermatologie und Venerologie aus¬
gedehnt werden. Ob in diesem, die praktische Ausbildung des Mediziners
mit vollem Recht stark betonenden Studienplan die Bestimmung über
das praktische Semester wirklich besser ist als unser „praktisches Jahr“,
dürfte zweifelhaft sein. Das praktische Jahr ist ganz gewiss sehr ver¬
besserungsbedürftig; aber sein Hauptmangel liegt doch in seiner Ab¬
hängigkeit von der Gewissenhaftigkeit, mit der der Anstaltsleiter sich
des Praktikanten annimmt; und diese Fehlerquelle haftet dem praktischen
Semester der Schweizer Institution ganz in dem gleichen Maasse an.
Wenn unsere Praktikanten in unzweckmässigerWeise beschäftigt werden,
so werden sie etwa so beschäftigt, wie es künftig in der Schweiz mit
den Semesterpraktikanten geschieht; aber ein volles Jahr lang und auf
verschiedenen Stationen. Es gibt aber glücklicherweise eine ganz grosse
Anzahl, namentlich kleiner Krankenanstalten, in denen der Medizinal¬
praktikant im Geiste des Gesetzes ausgebildet wird. Dabei ist noch zu
erwähnen, dass die in der Schweiz obligate Funktion eines Semestral-
praktikanten bei uns von recht vielen Herren freiwillig als „Famulus“,
„Cosinus“, „Amanuensis“ usw. ausgeübt wird.
— Uns wird geschrieben: Die offenbaren Missstände auf dem Ge¬
biete des Prostitutionswesens haben schon seit Jahren den allgemeinen
Wunsch nach durchgreifenden Reformen der Prostitutionsüberwachung
laut werden lassen. Doch haben gerade die Bestimmungen des Straf¬
gesetzbuches über das Prostitutionswesen sich als uuübersteigbares
Hemmnis jeglicher Besserung erwiesen. Jetzt, wo der Erlass eines neuen
R.Str.G.B. in greifbare Nähe gerückt ist, scheint auch der Zeitpunkt
gekommen, dieser ganzen Frage, die in hygienischer, ethischer und
sozialer Beziehung von weittragender Bedeutung ist, erneute Auf¬
merksamkeit zu schenken, und wenn irgendmöglich eine auf Jahrzehnte
hinaus geltende und, soweit überhaupt denkbar, allseitig befriedigende
Ordnung der Dinge zu schaffen. Von diesen Erwägungen ausgehend,
hat die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten vor kurzem eine Kommission von sach¬
verständigen Persönlichkeiten einberufen, die das ganze Gebiet der mit
der Prostitution zusammenhängenden Fragen eingehend beraten soll.
Die Kommission, deren Mitglieder aus Aerzten, Hygienikern, Juristen,
Verwaltungsbeamten, Geistlichen und Frauen, die im öffentlichen
Leben stehen, zusammengesetzt ist, trat kürzlich zu einer Sitzung
zusammen, um den endgültigen Arbeitsplan aufzustellen. Wie wir
hören, werden sich die Arbeiten der Kommission, denen ein umfang¬
reiches Material aus ganz Deutschland zugrunde gelegt werden soll, über
ein Jahr erstrecken. Die Ergebnisse der Beratungen sollen dann den
gesetzgebenden Körperschaften als Material für die bevorstehende Gesetz¬
gebung vorgelegt und soweit tunlich der Oeffentlichkeit zugängig ge¬
macht werden. Es steht zu hoffen, dass die gemeinsame Arbeit aller
auf diesem Gebiete tätigen Faktoren zur endgültigen Sanierung der heute
geradezu unhaltbaren Prostitutionsverhältnisse beitragen wird.
— Das ärztliche Erholungsheim „Aerzteheim“ in Marienbad gibt
seinen Bericht über das zweite Betriebsjahr (1912) heraus. Es sind in
dem abgelaufenen Berichtsjahre 114 Anmeldungen eingelaufen, von
welchen 63 in zustimmendem Sinne erledigt werden konnten. In der
Zeit der Kursaison vom 1. Mai an bis 30. September haben 59 Aerzte,
mit ihren Ehefrauen zusammen 94 Personen im Aerzteheim Aufnahme
gefunden; davon waren 26 aus Oesterreich-Ungarn; 33 aus dem Deutschen
Reiche, von diesen letzteren 13 auf den Plätzen des Leipziger Verbandes.
Es darf dabei darauf hingewiesen werden, dass der Verein nur Freiplätze
vergibt und Zimmer gegen Entgelt nicht vermietet. Die finanzielle Lage
des Vereins entwickelt sich günstig. Das Marienbader Aerzteheim steht
im Jahre 1913 vom 1. Mai bis 30. September mit je 12 Zimmern pro
Monat den Kollegen zur Verfügung, wovon das Vergebungsrecht über
drei Freiplätze in jedem Monat dem Leipziger Verbände Vorbehalten
ist. Anspruch auf Aufnahme hat jedes Mitglied des Vereins, was man
durch Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens 5 Kronen werden kann.
— Nach einer Gegenüberstellung Robert Behla’s über die Sterb¬
lichkeit an Säuferwahnsinn in Preussen und Bayern während der
Jahre 1886—1910 starben an Säuferwahnsinn:
Durchschnittlich jährlich
Durchschnittlich auf 100 000
Jahrfünft
in diesem Jahrfünft
Einwohner
berechnet
Bayern
Preusen
Bayern
Preussen
1886-1890
128
865
2,3
2,95
1891 — 1895
110
599
1,9
1,94
1896—1900
in 1
651
1,8
1,99
2,40
1901—1905
112
856
1,8
1906-1910
111 !
1083
L7
2,82
Danach starben verhältnismässig mehr Personen an Alkoholismus in
Preussen als in Bayern, was auf den ersten Blick auffallend erscheint,
aber darin seinen Grund haben dürfte, dass in Bayern der Schnapskonsum
nicht so stark ist als in Preussen. In Bayern wird mit Vorliebe Bier
getrunken. Im allgemeinen drückt sich ein kleiner Rückgang in beiden
Staaten aus.
— Dem Sanitätsrat Jakob Wolf in Berlin, bekannt durch seine
literarische Bearbeitung des Carcinoms, wurde durch Verleihung des Pro¬
fessortitels eine wohlverdiente Auszeichnung zuteil.
Hochschulnachrichten.
Halle. Prof. Wulistein wurde als Nachfolger von Geheimrat
Löbker zum Chefarzt des Kuappschaftskrankenhauses Bergmannsheil in
Bochum berufen. — München, ao. Prof. v. Pfaundler, der kürzlich
einen Ruf nach Strassburg als Direktor der Kinderklinik abgelehnt hatte,
wurde zum Ordinarius ernannt. Die Privatdozenten DDr. Schlayer
und Spielmeyer erhielten den Titel von ao. Professoren. — Würz¬
burg. Zu ao. Professoren wurden die Privatdozenten DDr. Lüdke
und Helly ernannt. — Prag. ao. Prof, der Zahnheilkunde Nessel
wurde Ordinarius. Habilitiert: Dr. v. Guttraann für Laryngologie. —
Wien. Den Titel von ao. Professoren erhielten die Privatdozenten
DDr. W T ilhelrn Roth (Laryngologie), Emil Schütz (innere Medizin),
Siegmund Erben (innere Medizin), Heinrich Winterberg (Pathologie),
Gabriel Nobl (Dermatologie), Stephan Weidenfeld (Dermatologie),
Karl Ritter von Stejskal (innere Medizin), Otto Marburg (Nerven¬
heilkunde), Wilhelm Falta (innere Medizin), Josef Meller (Ophthal¬
mologie), Robert Doerr (Pathologie), AIfred Einer (Chirurgie), Egon
Ranzi (Chirurgie).
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Aegypten (14.—20. XII.) 7 und 4 +. Britisch-Ostindien
(24. XI.—7. Xll.) 5697 und 4439 +. — Cholera. Türkei (10. bis
16. XU.) 451 und 244 +. — Pocken. Deutsches Reich (29. XII. 1912
bis 4. I. 1913) 1. Oesterreich (15.—21. XII.) 1. Schweiz (15. bis
27. XII.) 4. — Genickstarre. Preussen (22.—28. Xll.) 1 +. Oester¬
reich (8.-14. Xll.) 2. Schweiz (15.—21. XII.) 1. — Spinale Kinder¬
lähmung. Preussen (22.—28. XII.) 2 und 1 f. Oesterreich (8. bis
14. Xll.) 4.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Charakter als Geheimer Medizinalrat:
Kreisarzt a. D., Med.-Rat Dr. A. Schnelle in Hildesheim; ordentl.
Professor Dr. A. Czerny, früher in Strassburg i. E., jetzt in Berlin.
Ernennungen: ordentl. Professor Dr. A. Czerny in Strassburg i. E.
zum ordentl. Professor an der Universität in Berlin.
Niederlassungen: Dr. A. Witkowski und Dr. J. Lewiuski in
Posen, Dr. E. Jerzycki in Pieschen.
Verzogen: San.-Rat Dr. B. Hentchel von Schönlanke, Dr. R. Ham¬
mer und Dr. WC Kapuscinski von Halle a. S. und Dr. E. Eck¬
stein von Kattowitz nach Posen, Dr. M. Fischer von Elbingerode
nach Jaratschewo, Dr. A. Frank von Charlottenburg und Dr. W.
Sesse von Dortmund nach Göttiugen, Dr. W. Fischer von Göttingen
nach Schanghai, Dr. E. Flinzer von Bremen nach Goslar, Dr. P.
Müller von Cassel nach Salzgitter, Dr. K. Baumeister von Tann
(Rhön) nach Niedersachswerfen, Arzt W. Schön rock von Lerbach
nach Luschwitz, Dr. W. Hartwich von Lengerich nach Eickelborn,
Dr. A. Benthaus von Dortmund nach Cöln, Dr. F. Linde von
Gelsenkirchen nach Dortmund, San.-Rat Dr. E. Poensgen von
Nassau nach Charlottenburg, Dr. A. Spanuth von Gross-Lengden
nach Neustadt i. Holst.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Aebert
und Dr. W. Gordon von Posen auf Reisen, Dr. J. H. Bauer von
Jaratschewo, Dr. 0. Hess von Göttingen, Dr. F. Weidner von Nieder-
saebswerfen, Dr. F. Schulze von Frankfurt a. M., Dr. F. Reuter
von Herschbach.
Gestorben: Dr. J. Lauenstein in Hedemünden.
Bekanntmachung.
Im Jahre 1912 haben nach abgelegter Prüfung nachbenannte Aerzte
das Befähigungszeugnis zur Verwaltung einer Kreisarztstelle erhalten:
Dr. A. Chemnitz in Neuraünster, Dr. 0. Ebert in Cassel, Dr. M.
Gentzen in Essen (Ruhr), Dr. E. Goetze in Glowno, Dr. A. Haehner
in Hanau, Dr. A. Hessler in Lötzen, Dr. H. Hutt in Sagan, Dr. J.
Huwe in Schulitz, Dr. W. Klimm in Landeshut i. Schl., Dr. A.Linde-
mann in Berlin, Dr. W. Loerch in Aachen, Dr. G. Luedicke in
Stettin, Dr. L. Mangold in Berlin, Dr. 0. Neuling in Schleswig, Dr.
R. Puppel in Königsberg i. Pr., Dr. Th. Rehberg in Angerburg,
Dr. G. Schönke in Preussisch-Sturgard, Dr. E. Schulze in Swine¬
münde, Dr. F. Selberg in Berlin, Dr. G. Simon in Münster i. W.,
Dr. K. Wendenburg in Osnabrück, Dr. 0. Wengel in Löbau, Dr. G.
Willführ in Idcr und Dr. W. Winckelmann in Sagan.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLINER
DU Strilotr Klinisch« Wochenschrift erseheint jeden
Monttr ln Nummern von ca. &—0 Bogen gr. 4. —
Preis rierteljlhrllch 6 Mark. Bestellungen nehmen
all« Buchhandlungen- und Poetanstalten an.
Alle Kinsendungen ftr die Redaktion und Kxpedta'ofi
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Lindau
Ho. 68, adressieren.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geb. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 20. Januar 1913.
JU 3.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origiialie« : Jones: Fortschritte in der Elektrotherapie. (Jubiläums¬
artikel.) S. 97.
Tietse: Beidseitige Resektion oder einseitige Exstirpation des
Kropfes? (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen-
hospitals zu Breslau.) (Illustr.) S. 99.
Holländer: Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. (Aus der
chirurgischen Privatklinik von Professor E. Holländer*Berlin.)
(Illustr.) S. 101.
Weichert: Ueber Mammaplastik. (Aus der chirurgischen Abteilung
des Allerheiligenhospitals in Breslau.) (Illustr.) S. 103.
Baer: Beitrag zur CavernenChirurgie. (Aus dem Sanatorium
Schweizerhof, Davosplatz.) (Illustr.) S. 107.
L. Rabinowitsch: Blutbefuüde bei Tuberkulose. (Aus dem patho¬
logischen Institut der Universität Berlin.) S. 110.
▼. Czyhlarz: Ueber Nystagmus bei fieberhaften Krankheiten. (Aus
der III. medizinischen Abteilung des k. k. Kaiser Franz Josef-
Spitals in Wien.) S. 112.
Bürger and Beumer: Zur Lipoidchemie des Blutes. (Aus der
inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses Charlottenburg-
Westend.) S. 112.
M. Rabinowitsch: Schutzimpfung mit abgeschwäohten Tuberkel¬
bacillen. (Aus der chemisch - bakteriologischen Abteilung des
Gouvernements-Semstwo-Kraukenhauses in Charkow.) S. 114.
Biekerbesp rech ungen: Fuchs: Physiologisches Practicum für Mediziner.
S. 115. (Ref. Loewy.) — Mouchard und Roger: Nouveau trait<5
de pathologie generale. S. 115. (Ref. Fischer.) — Vogt: Pathologie
des Herzens. S. 115. (Ref. Fleischmann.) — Bruck: Die Krankheiten
der Nase und Mundhöhle sowie des Rachens und des Kehlkopfes. S. 115.
(Ref. Albreeht.) — Motter und Wilbert: Digest of Comments on the
Pharmacopoeia of the United States of Amerika. S. 115. (Ref. Bachem.) .
— StargardtundOloff: Diagnostik der Farbensinnstörungen. |
S. 115. Gramer: Abriss der Unfall- und Invaliditätskunde des Seh¬
apparates. S. 116. Adam: Ophthalmoskopische Diagnostik an der
Hand typischer Augenhintergrundsbilder. S. 116. (Ref. v. Sicherer.) —
Stümpke: Die medizinische Quarzlampe. S. 116. (Ref. Schmidt.)
Literatnr-Auszüge: Physiologie. S. 116. — Pharmakologie. S. 117. —
Therapie. S. 117. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 117. — Diagnostik. S. 117. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 118. — Innere Medizin. S. 118. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 121. — Kinderheilkunde. S. 121. — Chirurgie.
S. 122. — Röntgenologie. S. 123. — Urologie. S. 123. — Haut-
und Geschlechtskrankheiten. S. 123. — Geburtshilfe und Gynäko¬
logie. S. 123. — Augenheilkunde. S. 124. — Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten. S. 124. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 124. —
Gerichtliche Medizin. S. 125. — Militär-Sanitätswesen. S. 125. —
Technik. S. 125.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Cohn: Sporadischer Kretinismus bei Geschwistern.
S. 125. Huber: Ueber BlutveränderuDgen bei hämolytischem
Icterus. S. 126. Alhausen: Ueber das Wesen der Arthritis de-
. formans. S. 126. — Laryngologische Gesellschaft zu Berlin.
S. 128. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 131. —
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 132. — Medi¬
zinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau. S. 133. — Breslauer psychia¬
trisch-neurologische Vereinigung. S. 135. — Verein der
Aerzte Wiesbadens. S. 137. — Aerztlicher Verein zu
Hamburg. S. 138. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
S. 139. — Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau. S. 139. —
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena.
S. 140. — Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M. S. 140. —
Aerztlicher Verein zu München. S. 141. — K. k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien. S. 141. — Gesellschaft für
innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. S. 142. —
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 142.
agesgesohiohtl. Notizen. S.143. — Amtl. Mitteilungen. S.144.
Fortschritte in der Elektrotherapie.
Jubiläumsartikel.
Von
H. Lewis Jones, M. D.,
ehemaligem ärztlichem Leiter der elektrotherapeutischen Abteilung des St. Bartholomew’s Hospital in London.
Das Jabilänmsjmhr der Berliner klinischen Wochenschrift gibt 1 and der thermischen Wirkung des elektrischen Stromes müssen
mir eine erwünschte Gelegenheit, die Stellung der Elektrizität in | wir die Elektrotherapie der Zukunft aufbauen,
der Medizin za untersuchen, da wir am Beginn einer neuen Aera Betrachten wir zunächst die chemische Seite der medi-
für diesen Zweig der medizinischen Wissenschaft stehen. zinischen Anwendung des elektrischen Stromes, indem wir seine
Während der allerletzten Jahre wurden unsere Ansichten über thermische Wirkung einer späteren Besprechung unterziehen werden,
den wirklichen Wert und die Wirkung der Elektrizität auf den Wir bemerken von vornherein, dass alle Strombewegungen
lebenden Organismus erheblich geklärt. Wir beginnen Einsicht in im Körper, mag es sich um direkte, intermittierende oder
die Prinzipien za gewinnen, auf welchen unsere Praxis beruht, und Wechselströme handeln, ganz ausschliesslich Ionenbewegungen sind,
infolgedessen unterliegen unsere Methoden einer grossen Verände- und dass ihre Wirkungen auf den chemischen Einfluss der erzeugten
rang, und unsere Erfolge werden sicherer. Verlagerung der Ionen zurückzuführen sind. Wir dürfen nicht
Zwei Faktoren sind es, welche diesen Wechsel hervorgerufen von Wirkungen sprechen, die neben oder unabhängig von der
haben. Erstlich die Erkenntnis von der Bedeutung der Ionen- lonenbewegung sind, denn solche gibt es eben nicht. Der Strom
theorie bei allen Dingen, welche die Bewegung des elektrischen im Körper ist einzig und allein die zwiefache Ionenbewegung.
Stromes in lebenden Geweben betreffen, — und zwar verdanken wir Die Behandlung mit elektrischen Strömen ist eine chemische Be-
dieset dem Genius Leduc’s; zweitens die Erkenntnis der thermi- handlung, und wir müssen alle erzielten Resultate durch ihre
sehen Wirkung von Hochfrequenzströmen: eine Wirkung, chemische Wirkung erklären. Wir dürfen in unseren Arbeiten
welche zwar nicht unbekannt war, aber anbeachtet blieb, bis über die Elektrizität in der Medizin unsere Zuflucht nicht mehr
Nagelschmidt sie nachdrücklich betonte. zu dem herrlichen Wort Katalyse nehmen.
Auf diesen beiden Grundlagen, der chemischen oder Ionen- Der Nerven- oder Muskelreil ist ein chemischer Reis durch
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Original frn-m
UNIVERSITÄT OF IOWA
Nr. 3.
98 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Verlagerung der Ionen. Nernst hat in der Tat die Formel für
den Nervenreiz in lonenzeichen ausgedrückt. Die Empfindung, die
wir in der Haut während des Stromdurchganges haben, ist allein
eine chemische Wirkung, und wenn wir die Zusammensetzung
der Salzlösung, mit welcher die Elektroden befeuchtet werden,
verändern, ändern wir auch deren Charakter und können, je nach
Belieben, stärkere Wirkungen an der negativen oder positiven
Elektrode hervorrufen. Mit Natr. carbonicum ruft die negative
Elektrode (Ione von C0 3 ) die stärkste Empfindung hervor; mit
Chlornatrium die positive Elektrode (Natriumione), und zwar in
mannigfacher Weise.
Wir können sofort eine praktische Lehre aus der Kenntnis
der Ionenwirkungen ziehen, dass wir nämlich nicht — wie
empfohlen wurde — eine Natr. carbonicum-Lösung zur Befeuchtung
unserer Elektroden zu diagnostischen Zwecken wählen dürfen, weil
bei diesem Verfahren eine kleine negative Elektrode mit hoher
Stromkonzentration angewendet wird und der Gebrauch des Car¬
bonats in Lösung dem Patienten unnötig Schmerz verursacht.
Andererseits bewahren wir, wenn wir Chlorionen wegen ihrer
sklerolytiscben Eigenschaft anwenden, den Patienten vor mancher
Unbequemlichkeit; wir setzen ihn in den Stand, starke Ströme zu
ertragen, wenn wir an Stelle des Natriums Salmiak für die
Polster verwenden, weil das Ammoniumion die sensiblen Haut¬
nerven in geringerem Grade reizt als das Natriumion.
Nach einer anderen Richtung hin hat die Erkenntnis der
Prinzipien der Ionen Bewegung die therapeutische Macht der Elek¬
trizität erweitert, nämlich in der Anwendung stärkerer Ströme
zur Behandlung. Blicken wir in die Lehrbücher der Elektro¬
therapie, so finden wir stets Ströme von 5 bis 30 Milliampere
vorgeschrieben. Bisher konnte man nur diese anwenden, wenn
man jede Schmerzhaftigkeit oder eine oberflächliche Verbrennung
verhüten wollte. Die mit einer dünnen Schicht von Sämischleder
bedeckten Elektroden und die kleinen Knöpfe oder Scheiben in
den Griffen, welche über die erkrankte Stelle geführt wurden,
gestatteten nicht die Anwendung starker Ströme. Leduc zeigte
uns, weshalb dieses der Fall ist: Mit solchen Elektroden
werden an den Metallplatten kaustische Ionen (Hydrogen und
Hydroxyl) erzeugt, welche schnell an die Hautoberfläche gelangen
und Schmerzen sowie Verbrennungen erzeugen. Diese Elektroden
sind jetzt veraltet. Ich habe sie, die ich bisher täglich gebraucht,
jetzt beiseite gelegt. An ihrer Stelle verwende ich gewöhnlich
Elektroden, bestehend aus dickem gefalteten Stoff, über welchem eine
Metallelektrode mit zwei oder drei Lagen von dickem Filz ange¬
bracht ist. Diese werden mit zweckmässigen Salzlösungen befeuchtet
und an dem Patienten befestigt, welcher auf diese Weise
schmerzlos Ströme von 50 Milliampere oder mehr verträgt, und
zwar 12 bis 20 Minuten oder noch länger, ohne dass sich eine
Verbrennung oder Blasenbildung der Haut zeigt. Es kann nicht
überraschen, dass diese Aenderung der Methode Resultate liefert,
welche denen der Vergangenheit überlegen sind. In der Tat,
wenn die Ionentheorie in der medizinischen Elektrizität nichts
anderes von Bedeutung gebracht hätte, so würde sie doch alles
Lob verdienen, da sie uns die Verwendung stärkerer Ströme und
kühnere Methoden gelehrt hat. Nehmen wir z. B. die Behand¬
lung der Lähmung, wie sie durch die Poliomyelitis anterior acuta
hervorgerufen wird. Bergoniö 1 ) teilt uns in einer neueren Vor¬
lesung mit, dass er die Elektrizität bei diesem Leiden allmählich
auf Perioden von einer Stunde, zweimal täglich, längs des ganzen
Gliedes mit rhythmischen Strömen von nicht weniger als 25 Milli¬
ampere angewandt habe, dass das Kind so wenig von dieser
Anwendungsweise gestört wurde, dass es während dieses Ver¬
fahrens spielte und schlief, dass ferner die Resultate einer so
intensiven Behandlnng durchaus gut waren und kein Zeichen von
Ermüdung oder Erschöpfung bei den kleinen Patienten her¬
vorriefen.
Wie die Ionentheorie der Elektrotherapie uns gelehrt hat,
starke Ströme zu verwenden, hat sie auch die Notwendigkeit der¬
selben bewiesen. Wenn die erzielten Resultate durch chemische
Veränderungen in den Geweben hervorgerufen werden, so ist es
einleuchtend, dass man hierzu eine Stromstärke verwenden
muss, welche imstande ist, eine deutliche Wirkung zu erzeugen.
Aus demselben Grunde muss auch die Dauer der Verwendung
verlängert werden. Die chemischen Umsätze, welche durch einen
Strom von 50 Milliampere während 20 Miuuten bewirkt werden,
sind zehnmal grösser als die durch 10 Milliampere während
1) Bergoni6, Medical Frangais, April 1911.
10 Minuten; sie sind deshalb zehnmal leichter imstande, einen
erkennbaren Effekt auszuüben. Die Resultate dieser Anschauung
und die Verstärkung des elektrischen Stromes ergeben natur-
gemäss die Differenz zwischen Erfolg und Misserfolg. Auf diese
Weise kann die Behandlung der Neuralgien wirksamer gestaltet
werden; das gleiche trifft auf die Behandlung mancher Gelenk-
affektionen zu. So gibt es einen Schmerzzustand in der Um¬
gebung des Ellenbogengelenks, welcher in England allgemein als
„Tennis-Ellenbogen“ bekannt ist. Er ist die Folge einer Art
Verstauchung, für welche ein bei gewissen Bewegungen des Ellen-
bogengelenks entstehender Schmerz charakteristisch ist. Er besteht
oft monatelang, geht jedoch rapide zurück, wenn man lang¬
dauernde und kräftige elektrische Ströme zur Anwendung bringt.
Bei der Ionentheorie der elektrischen Behandlung haben wir
zwei Faktoren zu berücksichtigen: Die chemischen Umänderungen,
welche in den Geweben selbst vor sich gehen, und die Einführung
der Ionen von aussen her. Der zweite dieser Faktoren ist be¬
sonders beachtenswert für die Zwecke der Elektrotherapie. Bei
der Behandlung oberflächlicher Krankheitszustände unterliegt es
gar keinem Zweifel, dass die äusseren Ionen wirklich in den be¬
handelten Teil eindringen. So hat denn die Einfuhr des Zink¬
ions an dem positiven, mit der Lösung eines Zinksalzes be¬
feuchteten Pol zu einer erfolgreichen Behandlung einer ganzen
Reihe von oberflächlichen ulcerösen Prozessen auf elektrischem
Wege geführt. Unter diesen wäre zu erwähnen: das einfache,
chronische Beingeschwür, der Decubitus, Ulceration und Fissur
des Rcctums und Anus, der Katarrh der Urethra und der Cervix
uteri, die Staphylokokkenulceration der Nasenwege, die oberfläch¬
lichen Ulcerationen des Mundes und der Zunge sowie die Pyorrhoea
alveolaria. Bei Lupus und frischem Ulcus rodens hat die Zink-
ionisation gleichfalls einige Erfolge aufzuweisen. Der Gebrauch
einer Zinknadel behufs Einführung des Zinkions bewährte sich
ferner als ein bequemer Weg zur Heilung von Warzen der Hände,
des Gesichts und Schädels und Penis sowie zur Hemmung des
Fortscbreitens der.Sykosis, des Furunkels und der Acne.
Bei all diesen Prozessen hat sich die Ionenbehandlung als
ein wertvolles Heilmittel bewährt, und es unterliegt keinem
Zweifel, dass diese Methode bestimmt ist, weitere Erfolge zu
zeitigen. Bei der Behandlung von Affektionen der tieferen Gewebe
bat die Einführung von Ionen durch mit zweckmässigen Lösungen
befeuchtete Polster gleichfalls Erfolge erzielt, besonders bei der
sogenannten Neuralgie, einem Prozesse, welcher fast stets auf
Neuritis oder Perineuritis beruht, so z. B. bei vielen schweren
Trigeminusneuralgien. Ausgenommen davon ist die Trigeminus¬
neuralgie, welche auf Herpes zoster folgt. In Fällen letzterer Art
scheint uns die Natur der den Schmerz erzeugenden Läsion und
ihr tiefgelegener Sitz keinen Ertolg bei der percutanen Ionisation
zu versprechen, und die Erfahrung hat gezeigt, dass das im all¬
gemeinen der Fall ist.
Bei einem Patienten mit Meralgia paraesthetica (Bernhardts
Perineuritis des Nervus cutaneus superficialis des Oberschenkels)
sah ich durch die lonenbehandlung mit Salicylionen eine schnelle
Heilung eintreten, nachdem die elektrische Behandlung der ge¬
wöhnlichen Art vollständig versagt batte.
Bei der chronischen Gicht ist das Salicylion gleichfalls
von grossem Wert. Das Chlorion, von Leduc wegen seiner
sklerolytischen Wirkung empfohlen, bewies seinen Nutzen auch
unter meinen Händen. Jod- und Lithiumione scheinen gleich¬
falls, wenn auch in geringerem Grade, bei Gichtszuständen nütz¬
lich zu sein.
Indem wir hiermit die chemischen Wirkungen der elektrischen
Ströme verlassen, wollen wir uns der Betrachtung der thermischen
Wirkungen zuwenden.
Die Verwendung der Elektrizität für thermische Zwecke er¬
fordert Ströme von grosser Stärke, und daraus geht hervor, dass
die lonenwirkungen auf ein Minimum reduziert werden müssen. Die
Hochfrequenzströme entsprechen diesen Anforderungen. Bei ihnen
ist die Dauer einer Stromwelle eine so kurze, dass die dadurch
entstandene Ionenbewegung unwahrnebmbar ist, die Verlagerung,
welche die Ionen in dem ganz kleinen Bruchteil einer Sekunde,
welche jede Welle andauert, erleiden, ist gering und stört nicht
die Elastizität des Protoplasmas, wenn man diese Phrase ge¬
brauchen darf. Deshalb können die verwendeten Ströme ein
Ampere oder mehr erreichen, und doch fehlen die gewöhnlichen
Ionenwirkungen der Ströme, wie Schmerz und Muskelkontraktion.
Die thermischen Wirkungen kommen proportional der Stärke der
angewandten Ströme zur Erscheinung. Die praktische Bedeutung
der thermischen Wirkung der Hochfrequenzströme blieb lange
Digitized b)
Google
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
20. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
99
Zeit unbeachtet, obwohl noch vor einiger Zeit die Behandlung
mit Hochfreqaenzströmen sich einer grossen Popularität erfreute.
Somerville gebührt das Verdienst, durch seine Arbeit, im
Jahre 1806: „Ueber die Fähigkeit der Hochfrequenzströme, die
Oberflächentemperatur des Körpers zu steigern“, die Aerztewelt
auf ihre mögliche Bedeutung aufmerksam gemacht zu haben.
Wenn wir auf die Fälle zurückblicken, von denen man be¬
richtet, dass sie durch Hochfrequenzströme geheilt worden seien,
so wissen wir jetzt, dass ein grosser Teil derselben dieses gerade
den thermischen Wirkungen und deren sekundärem Einfluss auf
die Vasomotoren verdankt. Die Wirkungen auf den Blutkreis¬
lauf, die Besserung verschiedener Krampf- und Kongestionszustände,
schmerzhafter Gelenkaffektionen, Neuritis und Neuralgie gehören
in diese Kategorie. Eine Förderung der Lymphcirculation kommt
auf Rechnung der Hochfrequenzströme bei Scheiden- und Gebär¬
mutterinfektionen und bei Urethritis beider Geschlechter, wenn
man Metallleiter in die Genitalwege einführt.
Auf einem anderen Gebiet der Hochfrequenzbehandlung,
nämlich bei Anwendung der Effluvien oder der elektrischen
Dusche bei Hautaffektionen haben wir es gleichfalls mit thermischen
Wirkungen zu tun, die zwar intensiv, aber genau lokalisiert sind.
Hier ist es indes möglich, dass bei diesen Fällen ein anderer
Faktor in Betracht kommt, nämlich der Einfluss des Ozons und
der Dämpfe von Salpetersäure, welche mit den elektrischen Licht¬
entladungen verbunden sind.
Wir sind jetzt zu der Annahme gezwungen, dass wir in der
Anwendung der Hochfrequenzströme ein Mittel zur direkten Er¬
wärmung der Gewebe haben, welche der Strom durcbfliesst, und
dass die zukünftige Entwicklung der Hochfrequenz einzig auf der
Bedeutung dieser thermischen Wirkungen und auf nichts anderem
beruht. Der Fortschritt, welcher von Nagel Schmidt und anderen
mit kräftigen Formen von Hochfrequenzapparaten gemacht wurde,
bekannt unter dem Namen der „Diathermie“, dient zur Empfehlung
dieser Seite der Hochfrequenzströme.
Bei der Elektrodiagnostik stehen wir jetit an der Schwelle
einer grossen Veränderung. Die lange und mühevolle Arbeit
vieler Untersucher über den Gebrauch der Kondensatorentladungen
hat begonnen, seine Früchte zu tragen. Es ist nunmehr klar,
dass wir von dem Koudensator eine weit bessere Aufklärung er¬
halten werden, als sie uns der Induktions- oder galvanische
Strom hinsichtlich des Grades der Abnormität in den Muskeln
bei Fällen von Lähmung zu geben vermögen; dass ausserdem das
Verfahren einfacher in seiner Anwendung und weniger schmerz¬
haft für den Patienten ist. Während wir uns bisher damit be¬
gnügten, die Muskeln in zwei Kategorien einzuteileD, solche mit
„normaler Reaktion“ und solche mit „Entartungsreaktion 11 , können
wir jetzt mit Hilfe des Kondensators eine grosse Anzahl von
Zwischenstufen erkennen. Viele von denjenigen Muskeln, welche
bisher als normal beschrieben wurden, weil sie nicht die Fähig¬
keit Verloren hatten, auf den Induktionsstrom zu reagieren, zeigen
uns jetzt verschiedene Grade der Abweichung von der Norm.
Ebenso können solche, welche zusammen eine Gruppe der Ent¬
artungsreaktion bildeten, nunmehr in verschiedene Gruppen ein¬
gereiht werden. Wenn man mit 100 Volt arbeitet, um den
Kondensator zu laden, so kann man eine Reihe von zehn oder
zwölf Kapazitäten anwenden, welche von 0,1 bis 2,0 Mikrofarad
rangieren und so Muskeln finden, welche fast auf jeder Skala¬
stufe ihre Minimalzuckung zeigen. Die Arbeiten von Boudet-
Paris, Hoorweg. Zanietowski, Doumer, Gluze und vielen
anderen eifrigen Forschern auf dem Gebiete der Kondensator¬
entladungen müssen in dieser Beziehung dankbar anerkannt
werden. Sie haben ihre Methoden durch die Laboratoriumsstadien
hindurch gebracht und zweckmässig für den täglichen klinischen
Gebrauch hergericbtet, so dass die Elektrodiagnostik in der
nächsten Zukunft sich in der Richtung der Kondensatorentladungen
entwickeln wird und die alten Methoden mit dem Induktions- und
konstanten Strom als obsolet arzusehen sind.
Unter diesen Zeichen des Fortschritts in der Praxis kann die
Elektrotherapie heutzutage viel hoffnungsvoller sich gestalten.
Sie ist nicht mehr an die alten routinierten Methoden gebunden
und erblickt vor sich den Beginn einer therapeutischen Methode,
die auf den Gesetzen der Chemie und Physik ruht.
Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen¬
hospitals zu Breslau (Prof. A. Tietze).
Beidseitige Resektion oder einseitige
Exstirpation des Kropfes?
Von
Alexander Tietze.
(Vortrag, gehalten am 29. November 1911 in der Breslauer chirurgischen
Gesellschaft.)
M. H.! Unter dem zu meinem kurzen Vortrag gewählten
Titel hat Kausch im 93. Bande von Langenbeck’s Archiv einen
interessanten Aufsatz veröffentlicht, in welchem er anerkennt,
dass sich die Mehrzahl der heutigen Chirurgen der halbseitigen
Exstirpation des Kropfes zugewandt habe, indem er aber gleich¬
zeitig warm für die Mikulicz’scbe Methode der beidseitigen
Resektion eintritt und diese als Methode der Wahl durcbzusetzen
versucht. Die Vorteile, welche Kausch für die Resektion ins
Feld führt, sind nach seiner Ansicht folgende:
1. Die Resektion (beidseitige) gibt einen Ueberblick über die
Beschaffenheit der ganzen Drüse.
2. Sie gewährt eine gründlichere Entfernuog des Kropfes,
da auch die scheinbar normale Hälfte meist nicht gesund ist.
3. Sie lässt auch bei wirklich gesunder zweiter Hälfte weniger
erkrankungsfäbiges Material zurück.
4. Sie gibt ein besseres kosmetisches Resultat.
5. Sie verhindert eine Verziehung der Trachea durch sym¬
metrische Gestaltung der zurückgelassenen Kropfreste.
6. Sie ermöglicht allein in einwandfreier Weise einen Einblick
in das Innere beider Strumabälfteo.
7. Leichtere, fast sichere Schonung der Nn. recurrentes und
8. der Epithelkörper.
9. Die Technik ist einfacher als bei der Exstirpation.
10. Die Methode ist im Gegensatz zu anderen allgemein an¬
wendbar.
Von den Nachteilen, die der Resektion nachgesagt werden,
lässt Kansch nur folgende bis zu einem gewissen Grade gelten:
die Operation ist blutreicher als die Exstirpation; sie ist nur
möglich, wenn der der A. tbyreoidea inf. benachbarte Teil der
Drüse gesund ist (was aber meist der Fall ist); sie ergibt leichter
ein Recidiv (da mit ziemlicher Sicherheit erkrankte Teile zurück-
gelassen werden). Den von Kocher erhobenen Ein wand, dass
die Wandheilung bei der Resektion gegenüber der Exstirpation
erschwert sei, dass es leichter zu Gewebsnekrosen komme, lässt
Kausch nur zu bei Anwendung einer offenbar von ihm als un¬
vollkommen angesehenen Technik (Anwendung von Quetsch¬
zangen, Massenligaturen, Seidenfäden).
Kausch nimmt an oder wünscht, dass die Methode von
Mikulicz allmählich einen breiteren Boden gewönne, und er hat
gewiss insofern recht, als sie unverdientermaassen zurückgesetzt
worden ist, ja, dass sie jetzt, nachdem die Bedeutung der Epithel¬
körperchen erkannt worden ist, eine erneute Prüfung verdient.
Trotzdem muss ich, obgleich selbst der Mikulicz’schen Schule an-
gehörend, sagen, dass ich gerade in den letzten Jahren, nachdem
ich selbst ein grösseres Kropfmaterial in die Hand bekommen
und mich auch auf anderen Universitäten nach Technik und
Methode umgeseben habe, mich nicht mehr ausschliesslich der
früher von mir allein angewandten Resektionsmethode bediene,
sondern im Gegenteil diese nur für bestimmte Fälle reserviere.
Auf die Vorteile und Nachteile der Resektion, Punkt für
Punkt geordnet, wie sie Kausch anführt, möchte ich nicht ein¬
geben. Gewiss lässt sich an manchem Kritik üben, so ist es
fraglich, ob eine so weitgehende Voraussicht, wie sie Punkt 3
fordert, am Platze ist — mit eben demselben Rechte, weil er
einmal erkranken kann, müsste man frühzeitig jeden Wurmfortsatz
exstirpieren —, aber sicher muss manche der Behauptungen von
Kausch unwidersprochen bleiben. Das gilt namentlich von der
Bemerkung über die kosmetischen Resultate. Auch nach Ex¬
stirpation nur einer Kropfhälfte schwillt namentlich bei grösseren
Kröpfen die zurückgelassene in der Regel ab — wahrscheinlich
einfach infolge Nacblassens der venösen Stauung —, selbst bei
übergrossen Kröpfen ist das schliesslicbe Resultat noch besser,
als man erwartet bat, aber schön ist es auf keinen Fall nnd gar
nicht zu vergleichen mit der symmetrischen Verjüngung des
Halses nach beidseitiger Resektion, and ich kann diesen Ans¬
gang durchaus nicht für gleichgültig halten; es ist dies nicht
eine Frage der Eitelkeit, sondern eine solche der Aesthetik. Für
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die Entscheidung der von Kausch gestellten Frage, wichtiger
aber fast als das, was er anführt, sind Momente, die er nicht er¬
wähnt oder nur kurz andeutet. Er spricht so gut wie gar nicht
über den postoperativen Verlauf, über die Chancen der Wund¬
heilung, und doch liegen hierin meines Erachtens gerade die
schwersten Argumente gegen die Resektion. Eine Neurose des
zurückgelassenen Strumarestes will Kausch nur bei Anwendung
einer verfehlten Technik für möglich halten, er selbst hat „noch
nicht nekrotische Strumafetzen herauskommen sehen“. Am Schluss
seiner Arbeit erwähnt Kausch beiläufig, dass nach der Resektion
die Temperatur meist erhöht sei, aber (bald) zur Norm zurück¬
kehre. Demgegenüber ist nun folgendes zu bemerken: Eine
Nekrose des bei der Resektion zurückgelasseneu Strumarestes ist
nach meinen Erfahrungen, die ich ja auch zum Teil an dem
Material der Mikulicz’schen Klinik gewonnen habe, die Regel.
Allerdings tritt dieselbe bei aseptischem Wund verlauf nie ein
(wenigstens kann ich mich auch nicht entsinnen, es gesehen zu
haben) in Form einer Demarkierung und Abstossung nekrotischer
Gewebssequester, sondern sie vollzieht sich autolytisch unter dem
Bilde der Nekrobiose, d. h. der Strumarest schrumpft allmählich
und ist so gut wie ausnahmslos schliesslich ganz erheblich kleiner
als nach dem unmittelbaren Abschluss der Operation. Unter den 1
von Kausch aus der Literatur besprochenen Fällen zeigt einer
(von Reichel, von Kausch aus anderen Gründen citiert) in
sehr deutlicher Weise das auch von mir so regelmässig beob¬
achtete Ereignis. Für die Wundheilung und den Zustaud des
Patienten nach der Operation ist das aber durchaus nicht gleich¬
gültig. Während nach halbseitiger Exstirpation die Wundheilung
in annähernd 8 Tagen in der Regel prompt erledigt ist, dauert
das bei der Resektion, wenigstens nach meinen Erfahrungen,
durchschnittlich viel länger. Ist auch die Wunde sonst tadellos
geheilt, lange Zeit bleibt am Drainloch eine Fistel übrig, aus
dem sich ein blutig-seröses Exsudat, gelegentlich auch wohl ein
Faden entleert, während dies letztere Ereignis bei den Exstir¬
pationen so gut wie nie eintritt, mag man nun Seide oder Catgut
zur Ligatur wählen: die Fadenschlinge heilt hier anstandslos
ein oder wird resorbiert oder abgekapselt, während die bei der
Resektion komplizierten Heilungsvorgänge der Einkapselung von
Fäden durchaus nicht so günstig sind, wie die einfachen Wund-
Verhältnisse der Exstirpation.
Allerdings muss man hierbei auf einen Punkt aufmerksam
machen, welcher die Technik betrifft. Kausch hat mit vollem
Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Resektionsmethode,
die Mikulicz zur keilförmigen Exzision umgestaltete, eine ganz
typische und saubere Methode geworden ist, deren Prinzip darin
besteht, dass der Kropf aus seinen oberen, unteren und seitlichen
Verbindungen gelöst wird, während seine Hinterwand in weiter
Ausdehnung und namentlich seine Verbindung mit den Vasa
inferiora, die ja auch von hinten in ihn eintreten, erhalten bleibt.
Ein Teil der der Resektion (keilförmigen Exzision) nachgesagten
Nachteile und Misserfolge beruht auf technischen Fehlern, d. h.
der tatsächlichen Unterbindung der A. thyreoid. inferior. Trotzdem
es auch dann noch bei der Exzision aus dem Kropf arteriell
blutet, so ist es dennoch kein Wunder, wenn dieser gewaltsamen
Störung der Circulation eine ausgedehnte Nekrose mit ihren
schädlichen Folgen sich zugesellt. Aber auch bei Vermeidung
dieses Fehlers ist man doch seiner Sache bezüglich Erhalten- 1
bleibens der Circulation im Kropfrest niemals ganz sicher, und
das liegt daran, dass man bezüglich der Unterbindung der ab¬
führenden Venen nicht genau entscheiden kann, wie weit man
gehen darf, ohne die Gefahr der blutigen Durchtränkung des
Kropfrestes, infolge Stauungsblutung, heraufzubeschwören. Diese
Suffusion stellt aber die Lebensfähigkeit des Kropfgewebes er¬
heblich in Frage und zeitigt die schon erwähnten und noch zu
beschreibenden Störungen. Ich möchte gerade diese Störungen
im venösen Abfluss für besonders verhängnisvoll halten.
Die Nekrobiose des Kropfgewebes führt nun, auch wenn sie
ganz aseptisch verläuft oder vielmehr gerade, wenn sie aseptisch
verläuft, zu ausgesprochenen Erscheinungen des akuten Hyper-
thyreoidismus. Es tritt Fieber ein, von dem auch Kausch
spricht, oft von ganz erheblicher Höhe, und es macht sich der
Einfluss der Resorption toxisch wirkender Schilddrüsensubstanzen
vor allen Dingen bemerkbar in einer oft bedeutenden und einiger-
maassen beunruhigenden Beschleunigung des Pulses. Ich habe
die letzten BO Fälle von Kropfexstirpation aus meiner Privat¬
klinik nach dieser Richtung hin zusammengestellt. Ziehe ich
12 Fälle von Basedow nicht in Betracht, so blieben 14 Fälle
typischer Resektion nach Mikulicz übrig, von denen ich an¬
nehmen kann, dass irgendwelche Komplikationen hier den Wund¬
verlauf nicht beeinflussten. Operiert wurde teils einseitig, teils
doppelseitig. Es ist auch nicht ein einziger Fall ohne Puls- und
Temperaturanstieg verlaufen, und die Kurven verliefen so ähnlich,
dass es vielleicht erlaubt war, wenn ich versucht habe, eine
Durchschnittspuls und Temperaturkurve zu zeichnen, die ich
hiermit vorlege. (Kurve 1.)
Dieselbe erreicht ihren höchsten Anstieg bezüglich der Tempe¬
ratur am Tage nach der Operation mit 88,3, ihre höchste Puls¬
zahl mit 107 am nächsten Abend. Dann folgt in beiden Be¬
ziehungen ein steiler Abfall. Bemerkt muss werden, dass von der
Verwertung zwei Fälle ausgeschlossen wurden, bei denen schon
vor der Operation eine deutliche Pulsbeschleunigung bestand. Ist
diese nämlich vorhanden — natürlich auch ohne ausgesprochenen
Basedow —, so reichen die Mittelwerte der Durchschnittskurve
nicht mehr ans, um ein entsprechendes und anschauliches Bild
des Wund Verlaufs zu geben. Auch ohne dass die Temperatur in
diesen Fällen die Mittelgrade erheblich überschreitet, nimmt die
Pulskurve einen höchst beunruhigenden und stürmischen Anlauf,
Pulse von 140 und mehr sind nichts Seltenes und auch subjektiv
fühlen sich die Patienten durch die lebhafte Herzaktion öfters in
hohem Grade belästigt (vgl. Kurve 2).
Alle von mir erwähnten Fälle sind aseptisch verlaufen, eine
Wundinfektion ist in keinem Falle eingetreten, die Entlassung der
Patienten erfolgte durchschnittlich am 12. oder 13. Tage, aller¬
dings bestand, worauf ich schon aufmerksam machte, bei manchen
noch eine Fistel am Drainloch, die nicht selten längere Zeit zu
ihrer HeiluDg brauchte. Für eine genaue wissenschaftliche Be¬
antwortung der zuerst von Reinbach angeschnittenen Frage, ob
die Schilddrüse ein toxisches, fiebererzeugendes und puls¬
beschleunigendes Ferment besitze, eine Ansicht, die schon bald
nachdem sie ausgesprochen war, von Lanz stark bekämpft wurde,
reichen natürlich die Beobachtungen nicht aus. Da so gut wie
alle meine Fälle mit Braun’scher Lokalanästhesie operiert worden
sind, so kann man namentlich die anfängliche Pulsbeschleunigung
als Adrenalinwirkung auffassen, und auch für die Erklärung der
Temperatursteigerungen finden sich manche Momente in der Er¬
schwerung der Expektoration nach der Operation, einer
Laryngitis und Tracheitis, also in Faktoren, die ausserhalb
der Schilddrüse gelegen sind, immerhin spricht zugunsten
der Anschauung, welche das schädigende Moment in den
thyreogenen Substanz sieht, der Umstand, dass ja die Fälle, von
denen Reinbach bei Begründung seiner Theorie ausging, über¬
haupt nicht in Lokalanästhesie operiert worden sind, und dass
wir dieselben Erscheinungen auch beobachtet haben, als Neben¬
nierenpräparate noch gar nicht angewandt, sondern zur Lokal¬
anästhesie die Schleich’schen Lösungen benutzt worden waren.
Das pulsbeschleunigende Moment kann auch in den Anforderungen
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liegen, welche teils psychisch durch die Situation, teils rein
mechanisch durch die Operation auf die nervösen Regulierungs¬
apparate des Herzens gestellt werden; also mit einem Wort, eine
einwandfreie Erklärung macht Schwierigkeiten; das kann man
aber mit Sicherheit sagen, dass einer Resektion einer Struma ein
sonst höchst ungewöhnlicher Wundverlauf folgt, und ferner, was
den Gegenstand vorliegender Besprechung bildet, ein Wundverlauf,
wie er den Exstirpationen nicht eigentümlich ist.
Zum Beweise gebe ich eine Durchschnittskurve 3 von 12 halb¬
seitigen Exstirpationen, die zweifellos, was Temperatur, aber vor
allen Dingen den Puls anbetrifft, viel glatter verläuft als die
Kurve der Resektionen. Auch hier haben wir in den ersten
Tagen einen leichten Anstieg, der aber seine höchste Erhebung
nur mit 37,8° erreicht, während der Puls über 92 nicht in die
Höhe steigt. Die Temperatursteigerung ist vielleicht bedingt
durch eine auch hier gewöhnlich beobachtete Laryngitis und
Tracbeitis. Ich halte dieses Ereignis nicht für zufällig, sondern
die Regelmässigkeit seines Erscheinens legt den Gedanken nahe,
dass es mit dem Eingriff an sich zusammenhängt. Nun spielt
ja die seröse Durchtränkung des Wundgebietes und seiner Nach¬
barschaft, ferner die erschwerte Expektoration infolge der in den
ersten Tagen etwas schmerzhaften Halswunde eine gewisse Rolle,
aber der Hauptumstand ist wohl darin zu suchen, dass mit der
Unterbindung des Stammes der A. thyreoidea superior gleichzeitig
auch die A. laryngea superior, welche die Kehlkopfschleimbaut
versorgt, mit unterbunden wird, was vielleicht Circulations-
störungen in der Kehlkopfschleimhaut hervorbringt.
Wenn ich nunmehr meine eigenen Fälle von halbseitiger
Exstirpation mit den Resektionsfällen vergleiche und namentlich
auch die Beobachtungen mit heranziehe, die ich an dem Material
anderer Kliniken anzustellen Gelegenheit hatte, so unterliegt es
für mich keinem Zweifel, dass die Exstirpation den schöneren
und glatteren Verlauf gibt, eine Anschauung, die vielleicht nicht
einmal so sehr durch den Anblick der gekennzeichneten Kurven
bewiesen wird, als sie sich auf die tägliche Beobachtung am
Krankenbett, durch die Bewertung der Beschwerden der Patienten
und ihres subjektiven Befindens mit Sicherheit gründet. Die
Schonung des Recurrens und der Epithelkörperchen lässt sich
auch bei der Exstirpation erreichen, mag man nun nach Kocher’s
Vorschriften verfahren oder sich an die Methode von de Quer¬
vain halten. Ich verweise in dieser Richtung auf die Diskussion
de« Chirurgenkongresses 1912. Ich glaube also, dass hieraus ein
triftiger Gegengrund gegen die Exstirpation ^nicht hergeleitet
werden kann.
Bei einer vorwiegenden Beteiligung der einen Seite wende
ich also die Exstirpation an. Ich habe bisher den Isthmus regel¬
mässig durchtrennt, werde aber mit Rücksicht auf die Bemerkungen
von de Quervain über diesen Punkt eventuell meine Technik
ändern. Die Resektion reserviere ich auf Fälle von diffuser
doppelseitiger Struma, wende sie aber, ganz wie Kausch, als
keilförmige Exzision an, d. h. die Gefässe des oberen Poles
werden unterbunden, die Struma mit einer Kropfzange gefasst und
hervorgezogen, luxiert und so weit freigemacht, dass es gelingt,
ein regelmässig begrenztes und erhebliches Stück heraus¬
zuschneiden und den Rest sicher (mit Catgut) zu vernähen. Die
Gefässe des unteren Poles werden nicht angerührt, der Isthmus
bleibt erhalten und wird nur gekürzt, wenn er knoten- oder
streifenförmig am Kehlkopf in die Höhe zieht.
Aus der chirurgischen Privatklinik von Professor
E. Holländer-Berlin.
Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik.
VOD
Eugen Holländer.
(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
11. Dezember 1912.)
Nach einem vollkommenen Verfall der plastischen Chirurgie
im 17. und 18. Jahrhundert beginnt die Renaissance der Rhino¬
plastik mit den Versuchen Carpue’s und Graefe’s in den
Jahren 1814 und 1816. Der Engländer richtete sich dabei genau
nach der indischen Vorschrift, aus der Stirnhaut die neue Nase
zu bilden. Die Kenntnis von dieser in Ostindien seit langen,
nicht mehr genau feststellbaren Zeiten einheimischen Kunst er¬
fuhr die wissenschaftliche Welt bekanntlich durch den im Jahre
1794 in Bombay erschienenen Kupferstich. Graefe wandte sich
mit seinen Operationsversuchen der italienischen Methode zu. Der
sizilianische Wundarzt Branca hatte zu Catania in der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Methode ersonnen, aus dem
Arme die zur Rhinoplastik erforderliche Haut zu nehmen. Die
Methode wurde von seinem Sohne und dessen Nachfolger ver¬
bessert und war offenbar zunächst ein Geheimverfahren. All¬
mählich jedoch wunderte die Kunst nach dem Festlande über und wird
dann im 16. Jahrhundert von einer Familie Vianeo ausgeführt.
Die wissenschaftliche Weihe erhielt das Verfahren durch die be¬
rühmte Publikation von Tagliacozza mit seinem 1697 er¬
schienenen Werke: De chirurgia curtorum per insitionem libri
duo. Das Verfahren und seine Erfolge machte in jener Zeit das
grösste Aufsehen bei einem sonstigen ziemlichen Tiefstand der
operativen Technik.
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Während nun Graefe dem italienischen Verfahren durch
Verkürzung und Zusammenziehung der einzelnen Opera¬
tionsakte zu neuer Lebensfähigkeit zu verhelfen suchte,
wandte sich bald der berühmteste deutsche Plastiker Dieffenbach
der indischen Rhinoplastik zu. Unter den Gründen, welche
G raefe veranlasst hatten, das indische Verfahren fallen zu lassen,
stand im Vordergründe die Befürchtung einer Meningitis oder
eines fortschreitenden Kopferysipels. Dieffenbach aber achtete
den Haupteinwand gegen die indische Methode, die Entstellung
der Stirn durch grosse Narben, gering gegenüber dem grossen
Vorzüge dieser Methode, der weitaus besseren plastischen Eigen¬
schaft der dicken Stirnhaut. Gegen diesen Vorzug der dicken,
fettarmen Haut, gegenüber der dünnen zusammenscbnurrenden und
fettreichen Haut des Armes sprachen andere Gründe, wie z. B.
die fehlende Unbequemlichkeit des anbandagierten Armes
weniger mit.
Die moderne Chirurgie hat nun sehr bald heraüsgefunden,
dass die so geschaffenen Neunasen nur schöne Augenblickserfolge
waren, wenn dieser Rekonstruktion die Schleimhaut und vor
allem das Knochengerüst fehlte. Wir haben diesem Fehler in
zielbewusster Arbeit allmählich gelernt abzuhelfen. Koenig’s
Hautknochenlappen gab hierfür das wissenschaftliche Sprungbrett
ab. Die letzte Etappe lieferte die in weiten Grenzen verwend¬
bare Knochenautoplastik.
Nachdem nun die Frage der soliden Nasenarchitektur der
Lösung nahe gebracht ist, wendet sich die Verbesserung der Me¬
thode wieder der Frage der Hautentnahme zu.
Figur 1.
Schema der Lappenbildung.
Mein Standpunkt bezüglich der Auswahl von indischer und
italienischer Methode ist folgender: Wenn bei dem betreffenden
Individuum ausser der fehlenden Nase noch sonstige Narbenver¬
änderungen im Gesicht sind, also namentlich bei lupösen De¬
fekten, ist die indische Methode die Operation der Wahl. Die
Haut stellt das beste Material vor und es ist, wenn der Untergrund
bereits gebildet ist, die Operation in der kürzesten Zeit erledigt.
Ueber die Vorakte der Operation, der Schaffung des knöchernen
Gerüstes, der Verwendung der vorhandenen Haut als Unterlage,
kann an dieser Stelle nicht verhandelt werden.
Wenn aber ein isolierter Defekt der Nase vorhanden ist und
keine übrigen Narben im Gesicht sind, so ist man verpflichtet, zu¬
nächst die Hautentnahme von anderen Körperstellen zu veran¬
stalten. Denn obwohl die einfache Hautentnahme aus der Stirn
ohne Knochen erheblich günstigere Narbenverhältnisse schafft,
wie die adhärenten und eingezogenen hässlichen Narben nach
Hautknochenlappen, so entspricht doch eine weitere Verwundung
des Gesichts keineswegs dem Ideale einer kosmetischen Operation.
Das italienische Verfahren mit all seinen geistreichen Verbesse¬
rungen hat aber in meinen Händen und bei meiner Kontrolle von
Operationsresultaten aus anderer Hand schlechte Resultate er¬
geben. Die dünne Cutis rollt sich auf, ohne Fett neigt sie zur
Nekrose, mit Fettentnahme zur schnellen Hautsenililät. Sie ver¬
liert danu leicht ihre Plastizität, und augesetzte Stücke haben
ausserdem eine grosse Neigung zum Schwund. Dies letztere gilt
namentlich von den geistvollen Versuchen, die auf dem Arm
selbst fertig modellierte Nase zu überpflanzen. Das italienische
Verfahren eignet sich nach meinen Beobachtungen am ehesten
noch zum Unterfüttern bei vollkommenem Defekt der Nase.
Ein wirklich gutes, einwandfreies Resultat liefert aber nur
ein einziger Hautlappen, der auch während seiner Ueberpflanzung
unter guten Ernährungsverhältnissen sich befindet. Aus diesem
Grunde kann eine freie Hautverpflanzung bei der totalen Rhino¬
plastik nicht in Frage kommen, umsoweniger, da ein solcher nicht
modellierfähig ist.
Das Bedürfnis aber nach anderen Methoden liegt vor. Es
bleibt, da Kopf und Extremitäten vergeben sind, der Rumpf übrig,
und es ist sonderbar, dass der von mir gewählte Weg bisher
nicht beschritten ist.
Eine Haut von beinahe derselben Qualität ist die Sternal-
haut. Auch sie liegt verschiebbar über flachen Knochen ohne
Interposition von Muskeln. Der Fettansatz hält sich auch hier in
bescheidenen Grenzen.
Diese Haut habe ich in Betracht gezogen und habe die Schnitt¬
führung in der Weise gelegt, wie dies die Illustration lehrt. (Figur 1.)
Es kann bei diesem Vorgang die Basis des Lappens auf die linke
oder die rechte Brustseite gelegt weiden. Die Methode ist beinahe
Figur 2.
Schema der Körperhaltung nach der Lappenbefestigung.
in allen Fällen technisch möglich, in denen die Sternalhaut
intakt ist. Bei Männern besteht gelegentlich eine Kontraindikation
in dem starken Haarreichtum dieser Gegend. Bei dieser Methode
fällt eine Drehung oder Faltung des Stiels vollkommen weg, wo
durch die Ernährung des Lappens natürlich begünstigt wird.
Nach Abpräparierung der Sternalhaut lässt man von der jetzt zu¬
nehmenden Fettfülle nach der Brust zu zunehmende Mengen zu
Ernährungszwecken am Lappen stehen. Sodann wird durch
Binden oder durch eine vorbereitete Brustkappe die Brust hoch¬
gebunden, nachdem durch eine gleichfalls vorbereitete, in nicht
forcierter Beugestellung des Kopfes angelegte Gipsstütze der Kopf
der Brust genähert ist; mit zahlreichen Knopfnähten wird sodann
der Lappen ohne jede Spannuug an die breitangefrischte Nasen-
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wurzel genäht. (Figur 2 ) Da die vorhandene Nasenhaut vom Nasen¬
rücken nach der Nasenspitze zu abpräpariert und heruntergeklappt
wird, so ist die Ernährung des Lappens von oben und von unten
garantiert. Man nehme aber auf alle Fälle die Hautbrücke
möglichst breit. Den oberen Teil der Wunde am Sternum ver¬
näht man; den unteren Teil bedeckt man mit einer flachen Mull¬
kompresse und fixiert den später für die Nase überflüssigen Teil
wieder in seine alte Lage. (Figur 3.)
Figur 3.
Pat. am fünlten Tage. - (Der Lappen soll durchtrennt werden.)
Da die Ausdünstungen des Mundes und der Atem die
Lappenwunde bestreichen, so ist es zweckmässig, den Lappen
durch leicht angefeuchtete Gaze zu umgeben und das Ganze
mit einem impermeablen Stoff einzuhüllen.
Cm die Methode anzuwenden, bedarf es einer vorhergehenden
Ausmessung der Entfernungen. Man messe als Index die Ent¬
fernung der Brustwarze von dem gegenüberliegenden Schlüssel¬
beinsternalgelenk. Ist diese Entfernung grösser, als die Ent¬
fernung der Brustwarze zu der Nasenwurzel bei gesenktem Kopf,
so ist die Operation ausführbar. Ich habe bisher bei allen von
mir ausgemessenen Frauen und Mädchen gefunden, dass der Ein¬
griff möglich ist. Bei hochsitzender fester Brust ist die Stellung
etwas unbequemer wie bei tiefsitzender grosser Brust. Bei
letzteier ist die Verschiebbarkeit der Teile oft so gross, dass die
Brustwarze die Nase berührt. Bei Männern mit ausgesprochenem
phthisischen Habitus stösst wegen des langen Halses der Eingriff
jedoch gelegentlich auf Schwierigkeiten.
In den von mir bisher operierten zwei Fällen habe ich einmal
die Brücke bereits nach 4 J / 2 Tagen durchschnitten. Ich wurde dazu
genötigt, weil ein vorhandener eitriger Nasenkatarrh eine Infektion
der Unterzellhaut des Transplantates herbeigeführt hatte. Figur 4
zeigt, dass trotzdem der Lappen vorzüglich angeheilt ist. ln
Figur 4.
Pat. am achten Tage mit aDgeheiltem Lappen.
beiden Fällen war das Gesamtresultat befriedigend. Doch hat das
ja mit dem Prinzip der Methode weiter nichts zu tun.
Die Vorzüge der neuen Methode gegenüber der
italienischen sind folgende:
1. Beiden Methoden gemeinsam ist die gebeugte
Fixierung des Kopfes gegen die Brust; die peinvolle
Armhaltung fällt bei meiner Methode weg.
2. Das wesentliche Moment aber beruht in der
plastischen Ueberlegenheit der Brustbeinhaut, die in
ihrer Qualität der Stirnhaut gleichkommt.
3. Die Nekrosengefahr ist bei meiner Methode eine
geringere, weil keine Stieldrehung bei ihr vorkommt.
4. DieUeberlegenheit der Methode vor der indischen
beruht in der Vermeidung weiterer Gesichtsentstel lung,
sowie in der Vermeidung eines Operationsaktes, der Ex¬
stirpation der Brücke.
Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen-
hospitals in Breslau (Prof. Dr. A. Tietze).
Ueber Mammaplastik. 1 )
Von
Dr. Max Weichert, Assistenzarzt.
M. H.! Der augenblickliche Standpunkt in der Chirurgie
der Maramatumoren ist besonders bei den malignen fast un¬
bestritten der, dass man so radikal wie irgend möglich operativ
Vorgehen muss.
Der Grund, warum man so ausserordentlich radikal bei den
malignen Tumoren vorgeht, beruht in der Erfahrung, dass, wenn
auch die Tumoren zunächst klein und die regionären Lymph-
drüsen nicht sämtlich beteiligt waren, eine unvollkommene
Operation bald von einem schweren Recidiv gefolgt ist.
In seltenen Fällen stellt sich zunächst eine anscheinende
Heilung ein, und die Metastasen zeigen sich erst nach einer Reihe
von Jahren, am häufigsten in den Knochen.
Wir exstirpieren also bei malignem Mammatumor, gleich¬
gültig, ob wir bereits Metastasen in den regionären Lymphdrüsen
fühlen oder nicht, stets die ganze Brustdrüse ohne Schonung der
Haut und die sternale Portion des Musculus pectoralis major;
der Pectoralis minor wird gespalten und in den verdächtigen
Fällen gleich mitentfernt und die Drüsen und das ganze, die
Achselhöhle füllende und die Drüsen umhüllende Fett als ein¬
heitlicher Klumpen im Zusammenhang mit der Brustdrüse selbst
bis unter die Clavicula in der Mohrenheim’schen Grube ausgelöst.
Wir vermeiden peinlich ein Hindurchgehen durch den Tumor,
weil wir uns vor einer Keimverimpfung fürchten. Die obere
Schlüsselbeingrube haben wir nur dann ausgeräumt, wenn wir ver¬
härtete Drüsen fühlten.
Da wir aber wiederholt Fälle beobachtet haben, in denen
bei sonst recidivloser Heilung der Mammaamputation nach zwei, drei
Jahren latente Herde in den Supraclaviculargruben sich ent¬
wickelten und diese Lokalisation gerade sehr häufig höchst un¬
angenehme Circulationsstörungen zur Folge hat, so ist es wohl
richtiger, auch prinzipiell die Supraclaviculargruben bei der
Amputation der krebsigen Mamma auszuräumen.
Wir verhalten uns bei schwerer Tuberkulose ebenso wie bei
den malignen Geschwülsten, schonen aber etwas mehr die Haut.
Zwischen den einzelnen bösartigen Geschwülsten selbst machen
wir keinen Unterschied.
Um auch äusserlichen Gründen gerecht zu werden, lehnen
wir uns in unseren Operationsmethoden an die bereits früher und
auch in der Jetztzeit sehr zahlreich veröffentlichten Plastiken an.
Den einfachen Ovalärschnitt mit medialer W T eiterführung in die
Achselhöhle haben wir völlig verlassen, da er mit seiner Narbe
so unglücklich fällt, dass er durch direkte Verwachsungen oft
schwere Circulationsstörungen macht.
Der von uns angewandte Schnitt umgibt die zu entfernende
Mamma in einem Oval und zieht dann in leichtem Bogen nach
oben innen, um etwa in der Mitte der Clavicula zu enden. Es
ist dies ein ähnlicher Schnitt wie der in der Literatur gewöhnlich
unter dem Namen des Kocher’schen Schnittes geführte. Wir
1) Vortrag, gehalten am 8. November 1912 im Allerheiligenhospital
am klinischen Abend der medizinischen Sektion der schlesischen Gesell¬
schaft für vaterländische Kultur.
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Nr. 3.
legen das Oval nicht quer, sondern schräggestellt (etwa Fall 3).
Derselbe bietet in der Tat einen sehr guten Ueberblick namentlich
in den letzten Stadien der Operation bei Ausräumung der lnfra-
claviculargrube und vermeidet so die spannende und störende
Narbe in der Achselhöhle.
Als Begrenzungslinien für den inneren Teil unserer Operation
nehmen wir: Sternum, Clavicula, Serratus ant,, Latissimus dorsi.
Nerven suchen wir nach Möglichkeit zu schonen, vor allen Dingen
den Thoracalis longus für den M. serratus und den Thoraco-
dorsalis für den M. latissimus dorsi.
Als Schnittführungen kommen im wesentlichen sonst noch
in Betracht: 1. die ovaläre Umschneidung am inneren Rande des
Pectoralis raajor, 2. Kocher’s, 3. Warren’s, 4. Meyer’s,
5. Beck und Pels-Leusden’s, G. Tansini’s Methode u. a. m.
Die letztere bildet gleichzeitig einen Uebergang auf die
mehr direkt plastischen Methoden, wogegen die anderen nur
den einfachen Schluss der durch die Operation gesetzten Haut¬
wunde erzielen wollen. Ist nämlich der gesetzte Defekt so
gross, dass eine direkte Nahtvereinigung der Wundränder nicht
möglich erscheint, so wird voraussichtlich kein Chirurg mehr den
ungenähten Teil der Heilung durch Granulationsbildung über¬
lassen, sondern er wird ihn entweder durch Thier’sche Trans¬
plantationen decken oder bei zu grosser Ausdehnung durch
Lappenplastik zu verscbliessen suchen. Tansini verwertet einen
gestielten Lappen vom Rücken mit einem Teil des Latissimus
dorsi. Payr versuchte sich plastisch dadurch zu helfen, dass er
gesunde Haut an der Operationsstelle sparte, und zwar so, dass
er eine kleine Hautfettpyramide bilden konnte, die einer Mamma
ähnlich sab.
Andere Autoren wiederum verwendeten, und das lag ja wohl
am nächsten, die zweite, gesunde Brustdrüse für die Deckung des
Defektes; einerseits schälten sie die Haut und Fett der gesunden
Brust von dem Drüsengewebe ab und versetzten es auf die
andere Seite, so dass auf diese Weise eine Art der Zweiseitigkeit
gewahrt wurde. Andere wieder teilten die gesunde Mamma in
zwei Teile und versuchten so ein kosmetisches doppelseitiges Re¬
sultat.
Wir haben mehrfach Gelegenheit gehabt, solche Mamma¬
plastiken auszuführen, und zwar ergab es die Eigenart der Fälle,
dass verschiedene Methoden in Anwendung kamen. Der eine
Fall betraf eine Sternum- und Thoraxresektion bei Carcinom-
recidiv. Die linke Mamma wurde über die rechts freigelegte
Lunge als Lappen aufgenäht. Die übrigen Fälle waren nur
Mammaamputationen. Von diesen wurde einer (Demonstration)
in derselben typischen Weise so operiert, dass die anderseitige
Mamma als gestielter Lappen in den Defekt eingesetzt wurde.
Diese Form gibt entschieden kosmetisch die besten Resultate,
hat aber vielleicht den Nachteil, dass die Ernährung des Lappens
manchmal etwas gefährdet erscheint. Deshalb kann man sich in
anderen Fällen durch Entspannungsschnitte helfen, welche eine
Lappenverziehung gestatten. Allerdings muss man dabei unter
Umständen, wie auch wir in einem Falle, die Form der Cyklopen-
mamma mit in Kauf nehmen, bei welcher die Brustwarze auf
die Mitte des Sternums geraten ist.
In einem Falle machten wir eine Plastik aus der ßauchhaut
nach Heidenhain mit breitgestieltem Lappen, weil die nicht sehr
grosse, wenig fettreiche, andere Mamma für die Deckung des
mächtigen Defektes nicht ausgereicht hätte.
Wir haben die erwähuten Arten der Defektdeckung deshalb
lieber angewandt, weil es uns bequemer war, an nur einer, wenn
auch grösseren, Partie des Körpers zu arbeiten, als zwecks Trans¬
plantation noch auf eine andere entferntere Körperstelle übergehen
zu müssen. Ausserdem äusserten diejenigen Fälle, die mit ein¬
fachen Plastiken behandelt waren, und wo wegen eines grösseren
Defektes die Transplantation nach Th iersch vorgenommen wurde,
bei ihrer Entlassung ständig Schmerzen an der betreffenden Stelle,
verbunden mit Druckgefühl und Atmungsbehinderung wegen Narben-
znges. Diese naturgemäss sehr dünDe Haut war ferner leicht
lädierbar und musste ständig unter Schutzverbänden gehalten
werden.
Auch bei solchen Fällen, deren Defekt nur mit grösserer
Spannung gedeckt werden konnte, zeigten sich nach (Lr Ver¬
narbung meist gröbere Beschwerden, die den vorher erwähnten
sehr ähnlich waren.
Durch die plastischen Methoden werden gerade diese Uebel-
stände am besten vermieden.
Als Vorbedingung freilich für das Gelingen aller Plastiken
mussten wir die primäre oder nahezu primäre Heilung verlangen.
Ich möchte Ihnen in Kürze nur einige Fälle zeigen, die
unsere Schnittführungen und deren Resultate demonstrieren sollen:
Von den bestellten Kranken ist nur eine erschienen, die
anderen bin ich leider genötigt an stereoskopischen Bildern und
schematischen Zeichnungen zu erläutern:
Die erste Zeichnung zeigt immer die Schnittfübrung um den
Tumor selbst, die zweite die endgültige Naht.
Die vier Fälle, die ich beschreibe, sind herausgegriffen aus
der ganzen Menge und bezeichnen sozusagen den Typus für vier
verschiedene Formen:
Fall 1. J. S., 43 Jahre. Ca. mamraae dext. recid. Aufgenommen
12. IX. 1908, entlassen 25. X. 190S.
Anfang vor etwa zwei Jahren. Ursache unbekannt. Juni 1908 aus¬
wärts Mammaamputation rechts wegen Carcinom. Kommt jetzt wieder
wegen Recidivs. Operation im Ueberdruckapparat nach Tiegel-Heule
(Operateur: Prof. Tietze). Da das Recidiv etwa in der Höhe der vierten
Rippe sitzt und fest mit der Haut und der dritten, vierten und
fünften Rippe verwachsen ist, werden diese Rippen mit der Pleura
costalis reseziert, so dass ein über handtellergrosser Knochendefekt ent¬
steht. Die Haut muss ebenfalls sehr weit Umschnitten werden. Zur
Plastik wird die linke Mamma durch Umschneidung von drei Seiten in
etwa Viereckform mit abgerundeten Ecken verwendet. Die freie Viereck¬
seite liegt als breiter Stiel nach oben rechts. Der breitgestielte Lappen
wird gelöst, sein Stiel unterminiert und er so um den Stiel als Mittel¬
punkt gedreht, dass er einen Kreisbogen beschreibt und rechts auf den
Defekt zu liegen kommt. Möglichst enge Naht, zwei Drains. Die
Spannung ist nur gering. Bei Nachlassen des Ueberdruckes nach
Figur L
Vor der Operation.
Figur 2.
Nach der Operation. Bei Ilustenstoss.
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
106
Figur 3.
Nach der Operation. Bei ruhigem Atmen.
Figur 4.
Schnittlührung.
Figur o.
vollendeter Naht massiges Einsinken der Haut und Mitbewegung bei der
Atmung. Art der Schnittführung, Zustand vor und nach der Operation
zeigen die Figuren 1 bis 5 am deutlichsten. Die Kranke wurde aus
unserer Behandlung völlig beschwerdefrei entlassen.
Bei diesem Falle erwies sich die erwähnte Plastik direkt
als absolute Notwendigkeit, um bei dem Pleuradefekt Lungen*
koroplikationen zu verhindern.
Fall 2. E. H., 38 Jahre. Sa. mammae dext. Aufgenommen 1. VI.
1912, entlassen 19. VI. 1912.
Anfang vor etwa einem Jahre, angeblich nach Stoss mit der Tür.
Es zeigt sich ein grosser, höckriger Tumor, der auf der Unterlage nur
massig beweglich ist und einen Hautsaum ringsherum bereits infiltriert
hat. Mikroskopisch: Sarkom. 5. VI. Operation mit weiterUmschneidung
und typischer Exsiirpation nach den oben erwähnten Gesichtspunkten.
Defekt etwa 30: 40 cm, Scbnittführung nach unserer gewöhnlich geübten
Art Die linke Brust wird zur Deckung ähnlich Umschnitten wie Fall 1
(s. Figur 6 bis 10) und mit breitgestieltem Lappen, der median rechts liegt,
auf den Defekt gesetzt. Es mussten noch einige Entspannungsschnitte
angelegt und die Umgebung, besonders nach dem Bauch hin, ziemlich
weit unterminiert werden. Ein Zwischenakt der Transposition ist zum
leichteren Verständnis durch Figur 9 erläutert. Völlige Nabt, ein
Drain unterhalb der Achselhöhle. Heilung bis auf zwei kleine Granu¬
lationsstellen per primam.
Figur fi.
Vor der Operation.
Figur 7.
Nacü der Operation.
Figur 8.
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UNIVERSUM OF IOWA
106
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Figur 9.
Fall 3. A. K., 35 Jahre. Sa. mammae dext., etwa kopfgross (s.
Figur 11). Aufgeoommen 29. VI. 1912, entlassen 29. VII. 1912.
Anfang etwa Februar 1911 mit kleinem Knoten. Ursache unbekannt.
Psychose. Uns aus der Irrenanstalt überwiesen. Die grosse Geschwulst
ist höckrig, an einigen Stellen weich, cystisch und nur wenig verschieb¬
lich. Achseldrüsen oder sonstige sind nicht zu fühlen. Mikroskopisch:
Sarkom. Operation 2. VII.: Schnittführung wie gewöhnlich mit Ende
über der Mitte der Clavikel. Der gesetzte Defekt etwa 25:40 cm.
Plastik aus der linken Mamma ähnlich wie oben. Da der Defekt kleiner
und die Haut beweglicher, ist die Transposition der linken Mamma nicht
ganz vollkommen nötig. Sie kommt daher fast median über dem Sternum
zu liegen, und es entsteht das Bild einer sogenannten „Cyklopenmamma“
(s. Figur 12, 13).
Figur 11.
Vor der Operation.
Figur 12.
Fall 4. F. H., 59 Jahre." Ca. mammae sin. Augenommen 4. VIII.
1911, gestorben 10. XL 1911 an Erysipel und Metastasen im Herz¬
muskel.
Angeblicher Beginn der Krankheit etwa Februar 1911 nach Stoss
mit der Türklinke. Der Tumor selbst ist nur klein, dagegen besteht
eine sehr grosse Infiltration mit entsprechender Hautveräuderung bis
weit in die Achselhöhle und nach der Clavikel hin. Zahlreiche Drüsen
(s. Figur 14). Operation 8. VIII.: Wegen der Schwere des Falles muss
ein sehr grosser Hautdefekt gesetzt werden. Zur Deckung wird ein
Lappen aus der Bauchhaut der linken Seite gebildet (Figur 15, 16) mit
Unterwühlung bis auf den Rectus bis fast zum Nabel. Der breite Stiel liegt
rechts. Drehung des Lappens am Stiel nach oben und Transposition
auf den Defekt. Es müssen noch mehrere Entspannungsschnitte angelegt
und die fettreiche Haut sehr weit unterminiert werden, um überhaupt
die Wunde schliessen zu können. Endlich gelingt es doch ohne wesent¬
liche Spannung bis auf eine kleine Stelle am Oberarm. Der Bauchdefekt
wird quer vernäht, was nach entsprechender Mobilisation ziemlich leicht
gelingt. Von der erwähnten Granulationsstelle am Oberarm aus bekommt
die Frau nach etwa sechs Wochen ein Erysipelas migrans, dem sie bei
gleichzeitig vorhandenen inneren Metastasen erliegt.
Figur 14.
Vor der Operation.
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
107
Figur 15.
Bemerkt sei noch, dass wir alle unsere Fälle mit Mamma¬
exstirpation, gleichgültig, ob wir radikal oder nicht radikal Vor¬
gehen konnten, sämtlich nach kurzer Zeit einer systematischen
Röntgenbestrahlung unterwerfen. Wir glauben darin noch ein
Mittel mehr gegen das Auftreten von Recidiven zu haben.
Was nun die obenerwähnten Plastiken überhaupt angebt, so
müssen wir immer wieder betonen, dass sie nur dann einen Vor¬
teil versprechen, wenn absolut aseptisch vorgegangen werden kann
und eine Heilung per primam zu erwarten ist. Dass wir dann durch
diese Plastiken gleichzeitig eine wesentliche Verkürzung des
Krankenbausaufentbaltes erreichen, können wir nur mit aufrichtiger
Freude begrüssen.
Aus dem Sanatorium Schweizerhof, Davosplatz (Chef¬
arzt: Hans Staub).
Beitrag zur Cavernenchirurgie.
Von
Dr. Gustav Bier,
Amt am Sanatorium Turban, Davosplatz.
Die Aussichten auf Spontanheilung bei grösseren Lungen-
cavernen sind im allgemeinen als sehr ungünstige zu bezeichnen.
Es gibt wohl auch Ausnahmen, wo wir Cavernen, die allerdings
nicht über mittelgroß sein dürfen, durch die Länge der Zeit
aasheilen sehen. Jedoch ist für den Träger der Caverne das
Risiko im Laufe der Jahre ein derartig erhebliches, dass nur
unter den günstigsten Bedingungen ein guter Ausgang erwartet
werden kann. Wir wissen, dass häufig die Prognose bei
Lungentuberkulose durch das Vorhandensein einer Caverne sehr
verschlechtert wird infolge der immanenten Gefahren von
Blutungen, Mischinfektionen, Eiterrerention und sekundären Aspi¬
rationspneumonien. Der moderne Standpunkt ist mithin durch¬
aus berechtigt, der grössere Cavernen malignen Tumoren gleich¬
ste^ und dementsprechend die chirurgische Inangriffnahme als
absolute Indikation aosieht. Die idealste Behänd lungsform ist
ohne Zweifel der künstliche Pneumothorax, vorausgesetzt, dass
keine klinischen Gründe seine Anlegung verbieten oder tech¬
nische Gründe sie unmöglich machen.
Es kann natürlich auch Vorkommen, dass selbst ein kom¬
pletter Pneumothorax die Caverne nicht zum Ausheilen bringt,
wenn nämlich die Cavernenwaud schon zu starr ist, als dass
sie durch den klinisch noch zulässigen Druck komprimiert
werden kann.
Für alle die Fälle, die für den Pneomothorax Ausscheiden,
kommen die besonders durch Friedrich und Wilms aus¬
gebildeten Methoden der Thoraxverengerung in Betracht.
Friedrich wählt die radikalere, die in möglichst aus¬
giebiger Verkleinerung des Thorax und dadurch bewirktem
Lungencollaps besteht, eine Methode, die aber den Nachteil bat,
dass sie ausser der Entstellung zu grosse Mortalitätsziffern auf¬
weist. Um den Collaps zu einem vollständigen zu machen, fügt
er bisweilen die sogenannte Apikolyse der Lungenspitzen hinzu.
Wilms sucht bei den Fällen, bei denen ausgesprochene
Schrumpfungstendenz vorhanden ist, dieser entgegenzukommen,
indem er die knöchernen Rippenringe sprengt und das Thorax¬
volumen dadurch verkleinert. Die Schrumpfung der Lunge kann
danach fortschreiten und zur Heilung führen.
Sehr grosse Cavernen, die in der Spitze liegen, sind aber
durch beide Methoden wenig oder gar nicht beeinflussbar, da so
ansgiebige Resektionen, wie sie nötig wären, um die Cavernen-
wftnde zum Zusammenfallen zu bringen, aus anatomischen Gründen
undurchführbar sind. Wenn Cavernen, wie wir in manchen
Fällen sehen, das ganze obere Drittel einer Lunge einnehmen,
wobei das Parenchym bis auf einen wenige Millimeter dicken
Lnngenmantel reduziert ist, der ganze übrige Raum aber durch
eine mit einer mehr oder weniger dünnen Wand begrenzte
Caverne ausgefüllt wird, so können uns Entknöcherungsverfahren
dem idealen Ziele kaum näher bringen. In solchen Fällen gibt
uns die moderne Therapie noch keine genügend fundierten Ope¬
rationsmethoden in die Hand. Die Caverneneröffnung, wie sie in
früherer Zeit geübt wurde, kann nur einer chirurgischen Forde¬
rung gerecht werden, nämlich der Eröffnung eines eitergefüllten
Hohlraums, während die völlige Ausschaltung der Caverne dabei
nicht erreicht wird. Zweifellos kann bei manchen Fällen auch
die blosse Eröffnung der Caverne Nutzen bringen, wenn ans ana¬
tomischen Gründen die natürliche Entleerung derselben schwierig
ist nnd dadurch ein Anlass zum Stagnieren des Inhaltes gegeben
wird. Hier wird durch Anlegen einer zweiten künstlichen Drai-
uageöffnuug dem Organismus genützt and die Mischinfektion in
weitgehendstem Maasse verhütet. Die Forderung, die wir aber
an eine ideale Cavernenbehandlung stellen müssen, ist das völlige
Collabiereo der Caverneuwände.
Es liegt daher der Gedanke nahe, dies durch maximale Ab¬
lösung der Caverne von der Thoraxwand zu versuchen. Diese
Methode schwebte Schlange vor, als er 1907 in einem Falle
von schwerer Cavernenblutung nach Resektion eines Stückes der
zweiten Rippe die darunferliegende Caverne ablöste und den da¬
durch entstandenen Hoblram mit Jodoformgaze tamponierte.
Ohne Wissen von diesem Falle verfolgte ich seit Jahren den
gleichen Gedanken und versuchte erst bei Tieren, später au
menschlichen Leichen 1 ), wieweit eine Auslösung der Lange mög¬
lich ist. B<*i Tieren musste ich bald einsehen, dass eine Ab¬
lösung der Pleura parietalis bei gesunder Pleura auf technisch
zu grosse Schwierigkeiten stösst und daher undurchführbar ist.
Hingegen gelang es mir in jedem Fall, bei menschlichen tuber¬
kulösen Lungen nach Resektion eines 4—5 cm langen Stückes
der zweiten oder dritten Rippe mit dem Finger eine ausgiebige
Ablösung der Plenra zu erreichen. Man kommt ohne Mühe bis
in die Pleurakuppel und kann hier, wofero nicht zu feste Ver¬
wachsungen vorliegen, die Pleura mit der daruuterliegendeo Lunge
von der Tboraxwand stumpf trennen, desgleichen nach hinten
und auch nach unten aussen. Wir waren in jedem Falle er¬
staunt, welche grosse Menge Verbandmaterial in den dadurch
entstandenen Hohlraum eingebracht werden konnte, und zwar,
was besonders betont sein soll, ohue stärkere Druckanwendung.
Da beim lebenden Menschen durch vorhergehenden Pneumotborax-
versuch wohl in den meisten Fällen das Vorhandensein eines
freien Pleuraraums ausgeschlossen werden kann, kommt die Ge¬
fahr einer Pleuraeinreissung dabei kaum in Betracht, und falls
sie doch sich ereignen sollte, würde sie ziemlich bedeutungs¬
los sein.
Eine technische Schwierigkeit ist dabei zu überwinden, näm¬
lich die Versorgung der künstlich geschaffenen grossen extra-
pleuralen Höhle. Aus obenerwähnten Gründen würde die Bnt-
knöcherung nur ein unvollkommenes Resultat ergeben. Es bleibt
1) Herr Geheimrat Orth-Berlin batte die Liebenswürdigkeit, mir
das nötige Material zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen.
3*
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UNIVERSITÄT OF IOWA
108
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
somit nur ein Weg übrig, nämlich die plastische Füllung des
Hohlraums. Man kann organisches Deckungsmaterial dazu be¬
nutzen, wie es Tu ff i er in vielen Fällen versucht hat, mit Ein¬
bringen von Lipomen in die erzeugte Höhle. Er hat diese ge¬
nommen, um bei Abscessen, die sich in den Bronchial raum ent¬
leert hatten, eine Wiederanfüllung zu verhindern. Garre äusserte
berechtigte Bedenken gegen diese Methode, denen ich mich an-
schliesse. Es bleibt uns somit nur die Einbringung einer Pro¬
these aus nicht resorbierbarem, sterilem Material übrig, wie wir es
im Paraffin und ähnlichen Präparaten bereits seit langem besitzen.
Durch mündliche Mitteilungen erfuhr ich durch Herrn
Dr. Bacmeister-Freiburg i. B , dass er bei seinen Tier-Pneumo¬
thoraxversuchen Paraffin intrapleural anwendet statt Gas. Es
hat die Einbringung des nicht resorbierbaren Materials den Vor¬
teil, dass Nachfüllungen, wie sie bei Gas nötig wären, in Wegfall
kommen.
Das Paraffin wird von den Tieren sehr gut vertragen.
Soweit waren die Vorversuche gediehen, als sich durch Zu¬
fall zum ersten Male Gelegenheit bot, die Operation am lebenden
Menschen zu versuchen. Ich möchte an dieser Stelle dem Chef¬
ärzte des Sanatoriums und Herrn Dr. Jaquet, Arzt am Sana¬
torium Turban, Dank sagen für ihre Bereitwilligkeit und das
volle Verständnis, mit der sie auf meine Idee eingegangen sind.
Es bandelt sich um einen 23 jährigen Patienten aus hereditär nicht
belasteter Familie. Er ist das vierte Kind von sieben. Das dritte ist
ebenfalls an Tuberculosis pulmonum erkrankt, das erste starb noch sehr
klein. Nie Lungenblutung, guter Esser. Gesundes Kind bis zu 14 Jahren,
rasches Wachstum, keine besonderen Erkrankungen, keine Scrophulose,
keine Rachitis. Regelmässige Lebensweise, keine Exzesse. Frühjahr 1908
Brustfellentzündung links mit Exsudat; Pat. wurde nicht punktiert.
Leichte Abmagerung, schlechter Appetit, Temperatur nicht genau be¬
stimmt, Pat. nicht bettlägerig; ohne besondere Kur Erholung, anscheinend
gesund bis Frühjahr 1911. Frische Pleuritis links, verbunden mit so¬
genannter Bronchitis. Fieber bis 38 axillar. Schmerzen im Rücken,
schlechter Appetit, Abmagerung, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, etwas Husten
und Auswurf. Keine regelrechte Kur, zum Teil Sport getrieben.
Mai 1911 wird die Diagnose auf linke Spitzenaffektion gestellt; sechs
Wochen Seebad Grado, Sonnenbäder, danach aufs Land in der Nähe
von Prossnitz. Besserung des Allgemeinbefindens, Husten und Auswurf
verschwinden. Mitte September fuhr Pat. nach dem Böhmerwald. Dort
frische Erkältung, Husten, Temperatur bis 38,4 axillar. Pat. wird nach
Davos geschickt. Hier Eintritt ins Sanatorium Schweizerhof am
30. Oktober 1911.
Eintrittsbefund: Grosser, junger Mann, schlechter Ernährungszustand,
Grösse 188.5, Gewicht 69,8 kg. Temperatur bis 38,6 rectal. In Pulm.
ausgedehnter Befund:
Beträchtliche Dämpfung links über dem ganzen Ober- und Unter¬
lappen, mit Bronchialatmen im Unterlappen, mit spärlichen mittleren
und eigenartig knarrenden Geräuschen im Oberlappen, mit reichlich
mittleren und groben Rhonchi über dem Unterlappen.
Rechts: Massige Dämpfung über der oberen Partie des Oberlappens
und in einer vom Hilus ausgehenden und in den Unterlappen hinein¬
ragenden Zone mit unreinem und rauhem Atmen und ziemlich reich¬
lichen mittleren Rhonchi.
Im Sputum spärliche Tuberkelbacillen, keine elastischen Fasern,
Urin ohne Befund, Pirquet ganz schwach positiv, Larynx ohne Besonder¬
heiten. Das Röntgenbild ergibt eine in den seitlichen oberen Partien
des linken Oberlappens sitzende gänseeigrosse Caverne. Die Temperatur,
die bei Ruhe zur Norm zurückgekehrt war, steigt nach wenigen Tagen
bis 38.5, fällt rasch wieder, steigt aber in unregelmässigen Intervallen
in Fieberschüben bis 39,6. Die Fieberschübe sind von wenigen Tagen
Dauer, klingen langsam ab, die Temperatur kehrt zur Norm zurück,
nach 14 Tagen bis 3 Wochen neue Attacken. Während der Auswurf in
der fieberfreien Zwischenzeit 10—15 ccm beträgt, steigt er in den
Attacken auf 100— 120_ccm.
In Rücksicht auf die Erkrankung der rechten Lunge wurde nach
einer Konsultation mit Dr. Baer von der Anlegung eines Pneumothorax
Abstand genommen und auch puncto operativen Eingriffs noch zu¬
gewartet. Da im Sputum pneumokokkenverdächtige Diplokokken ge¬
funden wurden, wurde ein Versuch mit Wolff Eisner’scher Mischvaccine
gemacht. Das Intervall zwischen den Anfällen scheint danach grösser
zu werden, trotzdpra tritt eine intensive Attacke mit hohem Fieber, viel
Auswurf und reichlichen elastischen Fasern auf. Das Röntgenbild nach
der Attacke zeigt eine gewaltige Vergrösserung der Caverne, die wohl
zwei Drittel des Oberlappens einnimmt (s. Figur). Es wird beschlossen,
bei dem Patienten die Wilms’sche Operation machen zu lassen. Beob¬
achtung in der Heidelberger Klinik. Die Operation wurde durch Pro¬
fessor Wilms am 9. Mai 1912 ausgeführt: Paravertebrale Resektion
kleiner Stücke der ersten bis siebenten Rippe. Zwei Tage hohes Fieber,
kein Herzshock, Allgemeinbefinden gut. In den nächsten Wochen leid¬
liche Erholung, am 25. Juni zweite Operation, Resektion von Stücken
der ersten bis fünften Rippe vorn. Temperatur bis 40, dann noch
3—4 Tage erhöht, sodann normal. Allgemeinbefinden besser, Husten
und Auswurf zunächst 150, einmal 50, sonst 70 und 80 ccm.
Am 10. Juli kehrt Patient nach Davos zurück. Schlechter Er¬
nährungszustand, Gewicht 60,6 kg. Auswurfmenge durchschnittlich 50 bis
70 ccm. Lokal: linke Thoraxhälfte stark eingezogen, aber über der
Lunge reichliche mittlere klingende Rasselgeräusche, vorn von oben bis
unten, hinten ebenfalls, dabei unten von Mitte Scapulae abwärts sehr
lautes Bronchialatmen, unten ausgedehnte Pleurageräuscbe. Rechts Be¬
fund ähnlich wie früher. Temperatur zunächst bis 38,4°, ging in
14 Tagen bis 37,5 zurück, stieg Anfang August bis 40,1, dabei massen¬
haft Auswurf mit zahlreichen Tuberkelbacillen, aber ohne elastische
Fasern.
Das Röntgenbild ergibt erhebliche Einengung des linken Thorax-
raumes, die Caverne zeigt sich jedoch nur in ihrer Lage ver¬
schoben, in ihrer Grösse kaum beeinflusst. Temperatur fällt
zwar wieder bis 37,4, steigt nach kurzer Zeit jedoch wieder bis 38.
Auswurf reichlich. Vom 18. August bis zum 13. September ist die Tempe¬
ratur normal, danach neuer Anstieg bis 38,3 bei stets reichlichem Aus¬
wurf. Da die Wilms’sche Operation keinen oder nur geringen Einfluss
gehabt hatte, wurde nach Konsultation mit Geheimrat Turban und
Dr. Baer an einen neuen operativen Eingriff gedacht.
Es wurde als Ultimum refugium die Eröffnung der Caverne in Aus¬
sicht genommen, und Prof. Tavel aus Bern dazu gebeten. Die Operation
wurde am 21. Sept. 1912 unter Lokalanästhesie begonnen, indem über
der zweiten Rippe ein Lappenschnitt gemacht und die Rippe in einer
Ausdehnung von 6 cm reseziert wurde, wonach wir eine Freilegung der
Pleura parietalis erreichten.
Dabei zeigte sich der überraschende Befund, dass die Pleuren nicht
verwachsen waren; deshalb fassten wir den Entschluss, von der Cavernen-
eröffnung abzustehen und die früher schon in den Grundzügen mit
Prof. Tavel vereinbarte neue Operationsmethode in Anwendung zu
bringen. Die Ablösung der Pleura costalis wurde spielend leicht, ohne
jede Blutung, jedoch wohl zu zaghaft vorgenommen und war, wie sich
weiterhin zeigte, ungenügend. Tamponade der Höhle mit Vioformgaze.
Als Reaktion der Caverne trat in den nächsten Tagen starke Sputum¬
sekretion ein.
Ara 4. Oktober waren zum letzenmal im Sputum Tuberkelbacillen
nachweisbar. Nach 8 Tagen wurde der Verband gewechselt. Die
Tampons waren fest verklebt, auf der Aussenseite der Pleura costalis
fibrinös plastisches Exsudat, die Höhle absolut steril. Es wird eine
nochmalige Ablösung vorgenommen. Weniger in der Circumferenz, sondern
mehr an der Vorderfläcbe der Caverne. Die Ablösung war diesmal
technisch schon viel schwieriger, da bereits ziemlich feste Verwachsungen
sich ausgebildet hatten. Temperatur am folgenden Tage bis 39, Sputum
70 ccm, baldige völlige Entfieberung, die Sputummenge geht zurück bis
auf 15 ccm.
Im Röntgenbild ist der Cavernenspiegel nicht verschwunden, des¬
halb wird versucht, durch stärkere Kompression das zu erreichen, was
durch nicht genügende Ablösung ver>äumt worden war. Infolge zu
starken Druckes trat jedoch trockene Nekrotisierung einer kleinen Partie
der ganz dünnen Cavernenvorderwand mit Fistelbildung ein, deshalb
wurde am 2. November 1912 die Caverne durch Tbermocauter breit geöffnet.
Die hintere Cavernenwand zeigt sich dabei von der vorderen etwa uoch
2 cm entfernt und enthält gelb-eitrige Flüssigkeit. Nach Austupfen
des Inhaltes zeigt sie sich schmierig eitrig, aber glattwandig, etwa in
der Mitte stark gewulstet, der Bronchus mündet im unteren Drittel der
Höhle.
Im weiteren Verlauf stossen sich die nekrotisierten Partien ab, die
Cavernenwand erscheint gut gereinigt, samta»tig rosa granulierend, ver¬
kleinert sich sehr erheblich und zeigt enorme Scbrumpfungstendenz. Die
Tboraxwand sinkt ein, wobei die vorangegangeDe Wilms’sche Operation
unterstützend wirkt. Der Patient erholt si<-h ausgezeichnet, das Sputum
zeigt ganz anderen Charakter als früher und enthält nie mehr Tuberkel-
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
.109
baoillen. Der Patient nimmt gut zu, bis jetzt 4,5 kg, ist fieberfrei und
zeigt gutes Aussehen, fühlt sich vorzüglich.
Als weitere Therapie ist in Aussicht genommen: Verbandwechsel
mit Tamponade der Caverne und der äusseren Höhle in immer grösseren
Intervallen, Licht- und Röntgenbehandlung der Caverne. Wenn es ge¬
lingt, sie zur Obliteration zu bringen, soll die plastische Füllung der
Höhle erfolgen mit sekundärer Nabt der äusseren Oeffnung. Eine Zeit¬
lang müsste Patient dann eventuell eine Pelotte tragen.
Wenn wir epikritisch den Fall betrachten, so können wir
eine Konstatierung vorwegnehmen, nämlich, dass wir uns mit der
von mir angegebenen Methode wohl anf dem richtigen Wege zu
dem Ziele befinden, grosse Cavernen zur Heilung zu bringen ohne
Gefährdung des Patienten, ohne entstellende Operation und im
Verlauf von relativ kurzer Zeit. Ob dies im einzelnen Falle mit
oder ohne Eröffnung der Caverne zu geschehen hat, wird uns
durch den anatomischen Situs jeweils vorgeschrieben. In unserem
Falle war die Eröffnung primär nicht beabsichtigt und hätte sich
vielleicht auch vermeiden lassen, wenn gleich zu Anfang eine
genügend ausgiebige Ablösung erfolgt wäre. Im Wiederholungs*
falle würde man dies zu vermeiden suchen. Wir hätten in
unserem Falle, auch wenn der Gang der Ereignisse uns nicht
dazu gezwungen hätte, die Caverneneröffnnng doch noch vor¬
genommen.
Fragen wir uns nun, was hatte uns bereits die partielle Ab¬
lösung der Caverne, vom klinischen und mechanischen Standpunkt
aus betrachtet, an Nutzen erbracht?
Es muss durch diese Operation eine tiefgreifende Aenderung
in dem Zustand der Caverne selbst stattgefunden haben, was mit
Sicherheit daraus zu schliessen ist, dass seit .dem 4. Oktober
die Tuberkelbacillen dauernd aus dem Sputum verschwanden.
Ferner trat durch Verkleinerung der Oberflächenwandung der
Caverne nach Abklingen der zuerst erfolgten reaktiven Reizung
ein bedeutender Rückgang der Sputummenge ein. Der Patient
erholte sich, die Temperatur wurde, abgesehen von den durch
den Verbandwechsel bedingten Erhebungen normal, das Gewicht
nahm zu, und die Caverne zeigte deutliche Schrumpfungstendenz.
Irrig war die Annahme, durch verstärkten Druck die un¬
genügende Ablösung kompensieren zu können. Die Cavernen-
wand ist sehr wenig elastisch und deshalb einem Druck nur
sehr wenig zugänglich. Die Annahme, dass die frühere Kon¬
vexität der Cavernenwand nach Ablösung dieser Wand vom
Thorax in eine der Ablösungsfläche entsprechende Konkavität
umgewandelt werden könnte, war irrtümlich. Vielmehr muss er¬
strebt werden, die Caverne soweit abzulösen, dass sie von selbst
in sich zusammensinken kann. Der auf die ungenügend abgelöste
Caverne ausgeübte Druck batte bei der mit Blutgefässen schlecht
versorgten Cavernenwand partielle Nekrotisierung zur Folge, was
in dem gegebenen Falle nicht als ungünstige Komplikation,
sondern als ein unserem Handeln in günstigem Sinne entgegen¬
kommendes Ereignis aufzufassen ist. Die Eröffnung der Caverne
brachte uns seitdem einen weiteren Fortschritt in dem Erfolge.
Die Caverne hat sich bereits gereinigt, granuliert, schrumpft er¬
heblich, die Cavernen wände berühren sich schon fast. Das All¬
gemeinbefinden hat sich noch weiter gehoben, die Sputummenge
beträgt meist 40 bis 45 ccm, Sputum dauernd ohne Tuberkel-
bacillen. Das noch vorhandene Sputum rührt wohl grösstenteils
von den übrigen erkrankten Herden in den Lungen her.
Nun noch einige Worte über die Technik und die dabei zu
beobachtenden Grundsätze.
Bei Cavernen, die in oder in der Nähe der Spitze liegen,
empfiehlt es sich, die zweite Rippe vorne durch Lappenschnitt
freizulegen. Die Rippe wird in einer Ausdehnung von 5 bis 7 cm
reseziert. Es ist hier einzufügen, dass eine zu ausgiebige Re¬
sektion für die Nachbehandlung und plastische Füllung ungünstig
wäre; es ist deshalb nnr soviel zu resezieren, als nötig ist, um
die Ablösung ohne besondere technische Schwierigkeiten durch¬
führen zu können. Nach der Resektion der Rippe wird die Inter¬
eostal musk ul atar längs durchtrennt und die Intercostales versorgt,
worauf die Pleura parietalis in genügend grosser Ausdehnung frei
zutage liegt. Hierauf wird das vorsichtige Ablösen der Pleura
parietalis von der Brustwand mit dem Finger vorgenommen,
eventuell auch mit einem geeigneten stumpfen Instrument bis zur
gewünschten Ausdehnnng. Die Höhle wird genügend fest tam¬
poniert und der Hautlappen so weit vernäht, dass die N§ch-
bebandlnng ohne Schwierigkeit möglich ist. Die Tamponade wird
nach etwa acht Tagen entfernt. Falls die Wundhöhle bereits
genügend trocken ist und keinerlei Blutung mehr besteht, könnte
nach Entfernung der Tamponade die Plombierung sofort erfolgen.
Unter Röntgenkontrolle ist festzustellen, ob die Caverne maximal
abgelöst ist. Wenn nicht, so kann noch eine Korrektur beim
Verbandwechsel vorsichtigerweise erfolgen. Die definitive Plom¬
bierung wäre dann natürlich noch einige Zeit zu verschieben.
Wie es auch in unserem Falle gelang, ist ein Aseptisch halten der
Wundhöhle wohl gut durchzuführeu. Die Sekretion der Höhle
ist auffallend gering gewesen. Zum Teile dürfte dies auf die
austrocknende Wirkung der Hochgebirgsluft zurückzuführen sein.
Wie weit dies im Tiefiande möglich ist, bei weniger günstiger
Qualität der Luft, müsste die Erfahrung zeigen.
Als Plombierungsmaterial ist eine sterile Mischung von Paraffin
(mit einem Schmelzpunkt von 42 bis 44°) mit Bism. carb.
und Vioform im Verhältnis 2:2:0,5 auf 100 Paraffin Vor¬
schlägen. Diesbezügliche Versuche ergaben uns ein gutes Resultat.
Die Emboliegefahr ist nach der Thrombosierung etwaiger ge¬
öffneter Blutgefässe wohl vollständig ausgeschlossen, ebenso die
Intoxikationsgefabr seitens des Bismuts, da dieses nur in relativ
geringen Mengen eingebracht wird. Die Möglichkeit einer Wande¬
rung der Plombe dürfte nur sehr gering sein, da erstens durch
voraufgegangene Tamponade ein Abschluss der Höhle in der
Circumferenz der Höhle infolge reaktiver aseptischer Pleuritis
geschaffen wird und zweitens der Schmelzpunkt der gewählten
Paraffinmischung das Auswandern kaum denkbar erscheinen lässt.
Als Beweis für die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorkommnisses
ist die Schwierigkeit anzuführen, die sich uns bot, als wir nach
acht Tagen die Pleura noch abzulösen versuchten.
Nun noch einige Worte über die Caverneneröffnnng und ihre
Aussichten:
Wie bereits oben augeführt, sind die Resultate bei Cavernen-
eröffnung ohne gleichzeitig vorgenommene einengende Operations¬
methoden nur sehr unbefriedigende. Wir sehen aber an unserem
Fall, dass die Caverneneröffnung zu einem sehr günstigen Resultat
führt, wenn gleichzeitig der Schrumpfungstendenz der grösstmög-
liehe Spielraum gewährt wird. Wir haben den Eindruck, dass
gerade durch den mechanischen Insult der Eröffnung der Caverne
die Schrumpfung erheblich angeregt wird infolge der reaktiven
Reizung, die auf die angrenzende Cavernenwand und von hier aus
auf die gesamte Caverne ausgeübt wird. Wir glauben, dass wir
durch diese Methode dem von Turban seit Jahren vertretenen
und neuerdings von Friedrich durchaus gebilligten Gedanken,
die Caverneneröffnung häufiger durchzuführen, weite Perspektiven
eröffnen können. Als Nachteil der Methode bleibt natürlich der
Uebelstand bestehen, dass für kürzere oder längere Zeit eine
Bronchialfistel resultiert, die für den Patienten gewisse Unbequem¬
lichkeiten mit sich bringt und deren definitive Schliessung wohl
nicht in allen Fällen gelingen dürfte.
Wenn wir nochmals znsammenfassen, so sind als Vorteile der
neuen Methode zu nennen:
In geeigneten Fällen von grossen Cavernen kann die extra¬
pleurale Pneumolyse mit sekundärer plastischer Füllung der ent¬
standenen Höhle Erfolg versprechen. Auch partielle Ablösung
genügt bereits, um Cavernen in günstigem Sinne zu beeinflussen.
Der Erfolg kann in solchen Fällen durch sekundäre Eröffnung
der Caverne gesteigert werden, und es ist wohl möglich, dass es
zu einem vollständigen Erfolge kommt, wenn der Verschluss der
Broncbialfistel gelingt mit nachfolgender plastischer Füllung der
Höhle.
Die Operation könnte auch für nicht rein cavernöse Fälle
in den oberen Partien der Lunge in Frage kommen. Wie weit
sie imstande sein wird, als Ersatz für die Wilms’sche Operation
oder die grosse Friedrich’sche Thoracoplastik einzntreten, diese
Frage muss den Fachchirurgen überlassen und soll hier nnr ge¬
streift werden. Als Vorteil hätte sie, besonders vor der letzteren
Methode, die Ausschaltung der Gefahren voraus, die darin be¬
stehen, dass durch Wegfall der 'knöchernen Thoraxschutzwand für
Herz und Lunge abnorme physikalische Bedingungen resultieren.
Last not least wird, wa9 schon hervorgehoben wurde, eine Ent¬
stellung vermieden, die in vielen Fällen von Bedeutung ist.
Nachtrag zur Korrektur: Das Befinden des Patienten hat
sich inzwischen noch weiterhin gebessert. Die Bronchialfistel ist
geschlossen, wie wir durch Einblasen von Methylenblau in die
Wundhöhle feststellen konnten. Es fanden sich danach keine
blaugefärbten Partien mehr im Sputum. Die Temperatur ist
dauernd normal, keine Tuberkelbacillen im Sputum, Gewichts¬
zunahme, blühendes Aussehen.
Inzwischen batte ich Gelegenheit, mit Prof. Wilms und Prof.
Jessen hier Meinungen auszutauseben hinsichtlich der Technik
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UNIVERSUM OF IOWA
110
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
meines Verfahrens. Ich halte es für zweckmässiger, nach er¬
folgter Ablösung die Plombierung sofort vorzunebmen, und zwar
mit festem sterilen Paraffin der angegebenen Mischung, das in
kleinen Stöcken in den entstandenen Hohlraum eingeführt wird.
Das Paraffin muss so zubereitet sein, dass es bei Zimmertemperatur
fest ist, bei 35 Grad anfängt, plastisch formierbar zu werden,
bei 37 bis 38 Grad etwa die Konsistenz von weichem Plastilin
bat, und das bei 42 Grad flüssig wird. Eine Emboliegefabr ist
dabei wohl ausgeschlossen, da das Paraffin ja erst im Laufe von
Stunden plastische Konsistenz annimmt und etwa eröffnete Blut¬
gefässe inzwischen sich geschlossen haben. Der Vorteil dieser
Modifikation liegt in erster Linie darin, dass die Operation in
einer Sitzung beendigt und die Wunde sofort definitiv ge
schlossen werden kann. Eventuell kann die Rippenresektion nur
als temporär ausgeföhrt werden. Sollte es sich bei weiterer Be¬
obachtung ergeben, dass die Kapazität des geschaffenen Hohlraums
plastisch nicht genügend ausgenutzt ist, so kann noch eine Nach¬
fällung erfolgen, entweder mit flüssigem Paraffin mit Nadel mittels
gewöhnlicher Paraffinspritze, oder es Hesse sich vielleicht sogar
an ein Nachfüllen mittels Stickstoff denken, falls die Wandungen
bereits gasdicht geworden. Ob dies möglich, müssen erst weitere
Versuche zeigen.
Literatur.
Die einschlägige Literatur ist in der „Lungenchirurgie von Garr6
und Quincke, 2. Aufl., Jena 1912, enthalten.
Aus dem pathologischen Institut der Universität
Berlin.
Blutbefunde bei Tuberkulose. 1 )
Von
Lydia Rahiaowitsch.
Eine grosse Anzahl von Arbeiten der letzten Jahre hat sich
dem Nachweis der Tuberkelbacillen im strömenden Blut zuge¬
wandt. Während derselbe früher nur in seltenen Fällen gelang,
hat sich dank der neueren Untersuchungsmethoden der Prozent¬
satz positiver Befunde immer mehr erhöht. Man entdeckte die
Tuberkelbacillen im Blut nicht nur bei vorgeschrittenen, sondern
noch im Anfang der Erkrankung befindlichen Fällen von Lungen¬
tuberkulose. Die Resultate wurden immer überraschender, inso¬
fern nicht nur bei Tuberkuloseverdäcbtigen, sondern auch bei
nicht nachweisbar Tuberkulösen die Tuberkelbacillen im Blut
allerdings nur mikroskopisch und nicht mittels des Tierversuchs
anfgefunden wurden. Es stiegen daher nicht unberechtigte Zweifel
auf, ob es sich in allen jenen Fällen, bei welchen der Tier¬
versuch nicht angestellt worden war, um echte Tuberkelbacillen
gehandelt habe. Auf diesen Punkt werde ich am Schluss meiner
Mitteilung zurückkommen.
Meine eigenen vor einigen Jahren gemeinschaftlich mit
Jessen 2 3 ) in Davos angestellten Untersuchungen ergaben in etwa
33 pCt. einen positiven Blutbefund, und zwar nicht nur bei Fällen
vorgeschrittener, sondern auch beginnender Lungentuberkulose.
Ich habe die Blutuntersuchungen beim Menschen nicht weiter
fortgesetzt, wohl aber bei meinen anderweitigen Tuberkulose
Studien häufig auf die Anwesenheit von Tuberkelbacillen im Blut
tuberkulöser Tiere geachtet und dieselbe experimentell zu erhärten
gesucht. Es war mir schon vor Jahren aufgefallen — und ich
habe dies 1909 in einer Publikation 8 ) nebenbei bemerkt —,
„dass ich wiederbolentlich Blut von hochgradig tuberkulösen
Meerschweinchen mit negativem Resultat auf Meerschweinchen
weiter verimpft habe“, während ich auch weiterhin nur selten
bei tuberkulösen Meerschweinchen Tuberkelbacillen im Blut auf¬
finden konnte 4 ). Das gleiche Verhalten boten mit Perlsuchtbacillen
infizierte Kaninchen. Ich machte nun ferner gelegentlich von
Heilungsversuchen bei experimenteller Tuberkulose — um mich
modern auszudrücken — bei chemotherapeutischen wie auch
1 ) Nach einer in der Gesellschaft der Chariteärzte am 9. Januar
d. J. gemachten Mitteilung.
2) Deutsche med. Wocheoschr., 1910, Nr. 24.
3) Zeitschr. f. Tuberkulose, Bd. 15, H. 3.
4) Vgl. auch die relativ seltenen positiven Blutbefunde bei rectal
mit Tuberkulose infizierten Tieren (Orth und Rabinowitsch, Ueber
experimentelle enterogepe Tuberkulose, Virchow’s Archiv, Bd. 194, Bei¬
heft 1908, S. 824.)
organotherapeutischen Versuchen die Beobachtung, dass bei tuber¬
kulösen Versuchstieren (Meerschweinchen und Kaninchen) Tuberkel-
bacillen, welche vor der Behandlung noch nicht im Blut nach¬
weisbar waren, während der Behandlung auftraten. Ich konnte
mich hiervon neben dem mikroskopischen Befund in verschie¬
denen Fällen noch durch Ueberimpfung des Blutes auf Meer¬
schweinchen überzeugen.
Zweifellos waren also infolge chemotherapeutischer Eingriffe
die Tuberkelbacillen im tuberkulösen Tierkörper „mobil gemacht
worden“ und in die Blutbahn in nach unseren heutigen Methoden
nachweisbarer Menge übergegangen.
Sie wissen, m. H., dass Rudolph Virchow das Wort von
den „mobil gemachten Tuberkelbacillen“ geprägt hat. Vor gerade
22 Jahren, am 7. Januar 1891, sprach Virchow in der Berliner
medizinischen Gesellschaft anlässlich der historischen Tuberkutin-
debatte auf Grund seiner pathologisch-anatomischen Beobachtungen
die Vermutung aus, dass das Tuberkulin fähig sei, die Tuberkel¬
bacillen im tuberkulösen Organismus mobil zu machen und ihre
Verbreitung im Körper auf dem Wege der Blutbabn zu be¬
günstigen.
Zu derselben Zeit hatte auch Orth 1 ) (seinerzeit in Göttingen)
sein Unter8ucbung8material zu der gleichen Annahme geführt,
„dass durch die reaktiven Vorgänge Tuberkelbacillennester mobil
gemacht worden und ins Blut gelangt seien“.
Eine Bestätigung dieser zuerst von Virchow und Orth
ausgesprochenen Auffassung schienen die von Liebmann-Triest 2 * )
vorgenommenen Blutuntersuchungen zu geben, welcher in einer
Reihe von mit Tuberkulin behandelten Fällen konstant Tuberkel¬
bacillen im Blut fand, während Kontrolluritersuchungen des Blutes
von nicht injizierten Tuberkulösen negative Resultate lieferten.
Der damalige Prosektor am pathologischen Institut, Oskar
Israel, legte der medizinischen Gesellschaft am 18. März 1891
ein derartiges von Lieb mann herrührendes mikroskopisches
Präparat zur Begutachtung vor. Diesen positiven Blutbefunden
standen negative von Ehrlich, P. Guttmann und seinem
Assistenten H. Kossel 8 ) gegenüber, welche in keinem einzigen
Fall Tuberkelbacillen im Blut von mit Tuberkulin behandelten
Fällen gefunden hatten.
Auch mir ist ein solcher Befund niemals geglückt, als ich
im alten Koch’schen Institut Blutpräparate von mit Tuberkulin
und später mit dem neuen Tuberkulin TR behandelten Fällen za
untersuchen Gelegenheit hatte. Wie selten es allerdings nach
den damaligen Methoden im Vergleich zu den heutigen gelang,
Tuberkelbacillen im Blut Tuberkulöser mikroskopisch nachzu¬
weisen, ist allgemein bekannt. Ich entsinne mich nur eines
Falles von Miliartuberkulose, in welchem dieselben auffindbar
waren.
Soweit ich die Literatur übersehe, ist die Virchow-Orth’sche
Annahme der gelegentlichen Mobilisierung der Tuberkelbacillen
durch Tuberkulin experimentell im Tierversuch bisher nicht er¬
härtet worden. Das von Robert Koch bei Bekanntgabe 4 ) seines
neuen Tuberkulinpräparates ausgesprochene Verlangen, „man
sollte doch endlich das törichte Vorurteil vom mobil gemachten
Tuberkelbacillus fallen lassen“, war daher vom Standpunkt
wissenschaftlicher Forschung sicherlich nicht unberechtigt.
Meine obigen, anlässlich chemotherapeutischer Versuche ge¬
machten Blutbefunde veranlassten mich natürlich, entsprechende
Tierversuche mit Tuberkulin vorzunehmen. Zuvörderst wurden
zwei vor 3 und 4 Wochen mit Tuberkulose infizierten Meer¬
schweinchen, welche in mikroskopischen Präparaten keine Tuberkel¬
bacillen zeigten, noch an demselben Tage 0,2 g, dem anderen
0.3 g alten Tuberkulins subcutan eingespritzt. Beide Tiere starben
innerhalb 24 Stunden und zeigten nunmehr vereinzelte, zum Teil
in Häufchen liegende Tuberkelbacillen im Blut. Die Unter¬
suchungsmethode war die jetzt allenthalben angewandte Stäubli-
Schnitter’sche mit nur kleinen Modifikationen; intra vitam wurde
den Tieren das Blut meistenteils aus der Ohrvene entnommen.
Diese unzweideutigen, durch eine letale Tuberkulineinspritzung
erzielten mikroskopischen Blutbefunde bedurften nicht erst einer
Weitenmpfung des Blutes. Es war nun weiter zu erforschen, ob
auch mit kleineren, nicht letalen Tuberkulindosen gleiche positive
Resultate zu erzielen wären. Ausser tuberkulösen Meerschweinchen
wurden nun auch mehreren tuberkulösen Kaninchen zum Teil
mehrmalige Dosen von 0,01 g alten Tuberkulins in verschiedenen
1) Klin. Jahrb., 1891, Ergänzungsband, S. 500.
2) Diese Wochenschr., 1891, Nr. 4.
3) Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch., Bd. 22.
4) Deutsche med. Wochenschr., 1897, Nr. 14.
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20. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
111
Intervallen injiziert. Und zwar war bei allen mit Tuberkulin
behandelten Tieren vor der Injektion der mikroskopische Nach*
weis nach langem Suchen negativ. Wenige Tage nach den
Tuberkulineinspritzungen wurden nunmehr von neuem Blutpräpa¬
rate angefertigt und bei einigen Tieren, wenn auch nach müh¬
seliger Durchmusterung der Präparate, vereinzelte Bacillen ge¬
funden. Ich habe mir selbst den Einwand gemacht, dass bei
Anfertigung zahlreicherer Präparate vielleicht auch vor der
Tuberkulinbehandlung schon Tuberkelbacillen nachweisbar ge¬
wesen wären, und habe daher vorläufig in zwei Fällen vor und
nach der Tuberkulinbehandlung das Blut auf Meerschweinchen
weiterverimpft. Vorerst ist nur einer dieser beiden Versuche,
und zwar beim Meerschweinchen, abgeschlossen und batte fol¬
gendes Ergebnis: Das mit Meerschweinebenblut (vor der Tuber-
kulinbehaudlung) gespritzte Meerschweinchen zeigte nach vier
Wochen keine Zeichen einer Impftuberkulose, während das mit
Tuberkulinblut gespritzte nach gleicher Frist eine erst gering¬
gradige Impftuberkulose aufwies.
M. HJ Die bisherige Versuchszahl ist zu gering, um weit¬
gehende Schlussfolgerungen bezüglich der Mobilisierung der
Tuberkelbacillen durch Tuberkulin zu ziehen, wenn ich auch die
seinerzeit von Virchow und Orth zuerst ausgesprochene An¬
nahme nunmehr experimentell durch den Tierversuch gestützt zu
haben glaube. Ich habe die bisherigen Ergebnisse schon heute
vorgetragen, um zu weiteren Untersuchungen in dieser Richtung
anzuregen; und zwar nicht nur zu Experimenten an tuberkulösen
Tieren in grösserem Maassstabe, zu denen es mir selbst an Zeit
und Mitteln gebricht, sondern vor allem der praktischen Wichtig¬
keit halber zu Blutuntersuchungen beim Menschen.
Soweit ich die zahlreichen Blutuntersuchnugen der letzten
Jahre überblicke, welche in mehr oder minder hohem Prozentsatz
positive Befunde bei Phthisikern ergaben, ist in keiner die Frage
angeschnitten worden, ob etwa eine vorherige diagnostische Tuber¬
kulinprüfung oder eine eventuelle Tuberkulinbehandlung von Ein¬
fluss auf den Tuberkelbacillenbefuud im Blut gewesen sein könnte,
leb selbst habe bei meinen erwähnten Untersuchungen mit
Jessen leider auch nicht einen möglichen Zusammenhang er¬
wogen, wenn auch die Mehrzahl unserer Fälle mit Tuberkulin
behandelt wurde. Ueber eine Tuberkulinbehandlung der unter¬
suchten Fälle kann ich in den neueren Arbeiten keine Angaben finden,
dagegen scheint die Mehrzahl derselben diagnostisch, und zwar
mittels der Pirquet’schen Methode geprüft zu sein. Nur eine
„Ueber die Beziehungen zwischen der v. Pirquet’scben Reaktion
und den Tuberkelbacillen im Blut“ betitelte Arbeit von Suzuki
und Z. Takaki 1 ) lässt auf den von mir angedeuteten Zusammen¬
hang sch Hessen. Die genannten Autoren fanden bei ihrem grossen
Material ein Parallelgehen der Pirquet’scben Reaktion und des
Vorhandenseins von Tuberkelbacillen im Blut. Aber noch mehr:
,Es war sehr interessant, dass sich bei denjenigen Kranken, deren
Blutuntersuchung anfangs negative Resultate ergeben hatte, trotz¬
dem schon im Sputum und in den Fäces Tuberkelbacillen nach¬
gewiesen waren und die Pirquet’sche Reaktion positiv war, bei
einem nochmaligen Versuche auch im Blut Tuberkelbacillen
nachweisen Hessen.“
Es wäre also bei weiteren Versuchen an Menschen sowohl
auf eine eventuelle Beeinflussung des Blutbefundes selbst .durch
die so wenig eingreifende Pirquet’sche Reaktion sowie bei An¬
wendung der jetzt meist üblichen minimalsten therapeutischen
Tuberkulindosen zu achten. Für derartige, in grösserem Umfange
anzustellende Versuche wären meines Erachtens besonders Privat¬
heilanstalten für Tuberkulöse, welche die Tuberkulintberapie zum
Teil durch Monate hindurch anwenden, geeignet, da sie ein
mannigfaltigeres und zum Teil auch schwereres Material als
Volksheilstätten aufzuweisen pflegen. Auch sind dieselben wohl
in der Lage, aus eigenen Mittelo, ohne Zuhilfenahme wissenschaft¬
licher Stiftungen, die nicht unbeträchtlichen Kosten für diese
Untersuchungen zu tragen und wissenschaftliche Untersucber in
ihren Laboratorien zu beschäftigen.
Ich habe schon eingangs erwähnt, dass die in der letzten
Zeit gehäuften Tuberkelbacillenbefunde im Blut auch bei an¬
scheinend nicht tuberkulösen Individuen nicht unberechtigte
Zweifel aufkommen Hessen, ob es sich in allen diesen Fällen um
echte Tuberkelbacillen gehandelt habe. Dieser Zweifel wurde be¬
sonders durch das Missverhältnis wachgerufen, welches zwischen
den zahlreichen positiven mikroskopischen Befunden und den ge-
1) Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Bd. 61.
ringen Ergebnissen der von einigen Autoren gleichzeitig vor-
genommenen Tierversuche zutage trat.
Dass der Meerschweinchenversuch zur Prüfung tuberkulose¬
verdächtigen Materials eines der besten Hilfsmittel ist, ist allge¬
mein bekannt; davon habe ich mich auch bei meinen jetzigen
Biutuntersuchungen wiederum überzeugen können. Ich glaube
aber auch, dass der geschulte, mit bakteriologischen Tuberkulose¬
untersuchungen vertraute Mikroskopiker in Blutpräparaten echte
Tuberkelbacillen von säurefesten Stäbchen oder anderen Gebilden
bakterioskopisch zu unterscheiden wissen wird. Was mir aller¬
dings von weniger Geübten im Laufe der Jahre in Sputum- und
anderen Präparaten zur Begutachtung auf Tuberkelbacillen vor¬
gelegt wurde, kann ich Ihnen hier nicht alles erzählen. Aber
dass Patienten mit solchen fraglichen säurefesten Gebilden im
Sputum ohne jeden klinischen Befund geängstigt und als tuber¬
kulös erklärt wurden, solche Fälle sind wohl auch Ihnen be¬
kannt.
Ich will mit diesem Einwand nicht etwa die von ver¬
schiedenen Autoren erhobenen mikroskopischen Blutbefunde be¬
mängeln, sondern lediglich zur Vorsicht und zur Anstellung mög¬
lichst zahlreicher Tierversuche mahnen, wie sie ja auch selbst
von Carl Fraenkel 1 ) und so geschulten Fachleuten wie
Rumpf 2 ) und Liebermeister 3 ) zum Vergleich mit ihren mikro¬
skopischen Befunden herangezogen wurden. Mit letzterem stimme
ich durchaus überein, dass der negative Tierversuch nicht be¬
weist, dass keine Tuberkelbacillen im Blute kreisen. So würde
ich bei sicherem, mikroskopisch positivem Befund und negativem
Tierversuch eine wiederholte Impfung empfehlen, und zwar die
subcutane Methode mit durch physiologische Kochsalzlösung ver¬
dünntem Blut ohne vorherige Behandlung mit Antiformin und
den anderen Reagentien. Selbstverständlich dient als Versuchs¬
tier für menschliches tuberkuloseverdächtiges Material ausschliess¬
lich das Meerschweinchen, da wir ja durch die vergleichenden
Untersuchungen über tierische und menschliche Tuberkelbacillen
in Erfahrung gebracht haben, dass Kaninchen für menschliche
Bacillen meistens wenig empfänglich sind. Es ist deshalb recht
verwunderlich, dass Bacmeister und Rüben 4 ) den Kaninchen¬
versuch angewandt und aus ihren negativen Impfungen den
Schluss gezogen haben, die in den verimpften 15 Fällen initialer
Tuberkulose vorher mikroskopisch im Blut nachgewiesenen säure¬
festen Stäbchen seien keine Tuberkelbacillen gewesen, wenn
anders eben die mikroskopisch sichtbaren Stäbchen von echten
Tuberkelbacillen nicht zu unterscheiden waren. Die Impf¬
versuche Bacmeister’s an Kaninchen setzen noch mehr in Er¬
staunen, als er selbst gegenüber Sturm 6 ) den Vorwurf erhebt:
„Bei der Neigung der Kaninchen zu vielen Protozoenkraukbeiten
genügt diese Untersuchungsmethode nicht“, obwohl Sturm, wie
er deutlich angibt, mit Meerschweinchen und nicht mit Kaninchen
gearbeitet hat.
Es wäre schliesslich noch zu erwähnen, dass ich bisher im
Blut ungeimpfter Meerschweinchen niemals säurefeste Bacillen
gesehen habe. Bei ungeimpften Kaninchen habe ich dagegen
früher einmal und jetzt bei eigens darauf gerichteten Unter¬
suchungen nur einmal säurefeste Stäbchen gefunden, die aber un¬
schwer von Tuberkelbacillen zu differenzieren waren. Es handelt
sich hierbei jedenfalls um die sogenannten Moeller’schen Gras-
und Mistbacillen, welche schon früher auch in Kaninchenfäces
gesehen worden sind. Wieso Bacmeister in jedem einzelnen
Fall im Blut gesunder Kaninchen typische säurefeste Bacillen
gefunden, muss durch weitere Beobachtungen geklärt werden;
möglich ist es, dass diese regelmässigen Befunde durch die
Nahrung der Kaninchen bedingt waren. Also auch aus diesem
Grunde wäre von der Verwendung des Kaninchens zu diagnostischen
Tuberkuloseuntersuchungen abzuraten.
Sie sehen, m. H., dass die Blutuntersuchungen bei Tuber¬
kulose noch ein grosses und dankbares Feld bakteriologischer
Forschung darbieten, da, wenn auch manches geklärt ist, doch
noch vieles der Aufklärung harrt.
Nachtrag. Nach Fertigstellung der Mitteilung werde ich
in dankenswerter Weise von der Redaktion dieser Wochenschrift,
Herrn Dr. Hans Kohn, auf den Sitzungsbericht der Freiburger
medizinischen Gesellschaft vom 19. November 1912 in der soeben
1) Centralbl. f. Bakteriol., Ref., 1912, Bd. 55, S. 100.
2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 86.
8) Med. Klinik, 1912, No. 25.
4) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 50.
5) Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., 1911, Bd. 21, S. 241.
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112
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3.
erschienenen letzten Jabresnummer (63) dieser Wochenschrift vom
30. Dezember 1912, S. 2500, aufmerksam gemacht, ln diesem
ganz kurzen Bericht über den Bacmeister’schen Vortrag findet
sich ein nicht nur für meine obige Mitteilung, sondern für die
ganze Frage bedeutungsvoller Passus, der in der von mir citierten
ausführlichen Arbeit dieses Autors merkwürdigerweise fehlt, ob¬
wohl in der Deutschen medizinischen Wochenschrift vom 12. De¬
zember 1912, Nr. 60, vermerkt ist: Nach einem Vortrag in der
Freiburger med. Ges. am 19. Nov. 1912.
Dieser Passus lautet: „Durch den Tierversuch konnten bei
15 initialen Tuberkulosekranken durchweg keine Bacillen im Blut
nachgewiesen werden. Dagegen wurde bei vier dieser Fälle die
Untersuchung positiv durch eine diagnostische Tuberkuliniujektion
mit deutlicher Lokalreaktion. Durch diesen Eingriff wurden
demnach virulente Tuberkelbacillen aus den erkrankten Organen
in die Blutbahn gebracht, was als recht bedenkliche Schädigung
aufgefasst werden muss.“
Es ist zwar nicht zu ersehen, ob bei der wiederholten Tier¬
impfung, welche in vier Fällen nach der diagnostischen Tuber¬
kuliniujektion ein positives Ergebnis hatte, Meerschweinchen oder
Kaninchen benutzt worden sind. Diese Angabe würde jedoch
eine experimentelle Bestätigung meiner bezüglich der Mobilisierung
der Tuberkelbacillen durch Tuberkulin lediglich im Tierversuch
erhobenen Befunde auch beim Menschen enthalten, welche
Virchow und Orth bereits vor 22 Jahren auf Grund ihres
Sektioosmaterials angenommen haben.
Aus der III. medizinischen Abteilung des k. k. Kaiser
Franz Josef-Spitals in Wien.
Ueber Nystagmus bei fieberhaften Krankheiten.
Von
Dr. Ernst y. Czyhlarz,
k. k. Primirarzt und Privatdozent.
Im Sommer des verflossenen Jahres wurde auf die Abteilung ein
Patient aufgenommen, der neben einer spastischen Parese der unteren
Extremitäten einen sehr deutlichen Nystagmus zeigte. Dieses
Zusammentreffen liess bei flüchtiger erster Untersuchung zuerst
an multiple Sklerose denken, da aber die anderen Symptome so¬
wie die Anamnese nicht stimmte, vielmehr alles für eine Quer¬
schnittsunterbrechung des Rückenmarks infolge tuberkulöser Caries
der Wirbelsäule sprach, blieb der Nystagmus aufzuklären. Die
Annahme, dass es sich um einen physiologischen Nystagmus, der
ja häufig vorkommt, handeln köune, war nicht von der Hand zu
weisen, andererseits kamen wir aber auf den Gedanken, da der
Patient infolge seiner ausgebreiteten Lungentuberkulose hohes
Fieber hatte, nachzusehen, ob nicht auch bei anderen fieberhaften
Erkrankungen Nystagmus sich nachweisen Hesse.
Schon die ersten Untersuchungen verschiedener fieberhafter
Patienten bestätigte diese Vermutung. Die grosse Mehrzahl hoch¬
fieberhafter Patienten zeigte deutlich Nystagmus. Wir hatten
nach Beobachtung eines sehr grossen Materials, das uns in
unserem Spital zur Verfügung steht, unsere Untersuchungen ab¬
geschlossen, als eine Publikation von Beck und Biach 1 ) er¬
schien, die unabhängig von uns dasselbe Thema behandelt.
Die Angaben von Beck und Biach stimmen mit den von
uns erhobenen Befunden im wesentlichen überein.
Beck und Biach geben an, dass das Auftreten des Nystag¬
mus in inniger Beziehung zum Fieber steht, in der Mehrzahl der
Fälle erfolgt das Auftreten und Verschwinden desselben gleich¬
zeitig mit dem Eintritt bzw. Aufhören der Temperatursteigerung.
Eine Minderheit gebe es allerdings, bei denen der Spontannystag¬
mus das Fieber überdauert. Das Persistieren des Nystagmus
kann verschiedene Zeit verfolgt werden, so dass ein Ueberdauern
des Fiebers um zwei Tage, aber auch ein vollkommenes Bestehen¬
bleiben des Nystagmus stattfinden kann.
Mit diesen Angaben Beck’s und Biach’s stimmen unsere
Befunde vollkommen überein. Wir wollen daher unsere be¬
stätigenden Befunde nicht weiter mitteilen. Das sehr häufige
Vorkommen, von febrilem Nystagmus erscheint also sicher fest-
gestellt.
1) Ueber Nystagmus bei Fieber von 0. Beck und P. Biach. Aus
der IV. med. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Prof. Dr. F. ßhvostek).
Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 46.
Nur in einem Punkte decken sich unsere Resultate nicht mit
denen von Beck und Biach. Diese Autoren fanden bei Typhus
und bei Tuberkulose (mit Ausnahme von Miliartuberkulose) keinen
Nystagmus. Wir jedoch sind speziell bei Typbus zu folgendem
Resultate gekommen:
Wohl fehlt bei Typhus gewöhnlich in den ersten zwei
Wochen der Nystagmus, er tritt aber dann später meist auf. Er
hat bei Typbus unserer Erfahrung nach besonders die Tendenz,
längere Zeit, öfter mehrere Wochen, nach der Entfieberung anzu¬
dauern, um daun erst allmählich zu verschwinden. Allerdings
sind diese Verhältnisse nicht konstant, wir sahen auch einen
Fall von Typbus, wo das Aufhören des Nystagmus mit dem Auf¬
hören der febrilen Temperatursteigerung zusammenfiel.
Was die Tuberkulose anlaugt, so sahen wir bei hochfiebern¬
den Fällen, auch ohne dass es sich um ausgesprochene Fälle
von Miliartuberkulose gehandelt hätte, öfter Nystagmus, wie auch
schon der oben erwähnte Fall zeigt. Allerdings stimmen wir mit
Beck und Biach insofern überein, als wir aunehmen, dass fieber¬
hafte Tuberkulose im allgemeinen dieses Symptom weniger oft
zeigt als andere febrile Erkrankungeu. Besonders häufig sahen
wir, wie auch die genannten Autoren, Nystagmus bei plötzlich
einsetzenden hochfieberhaften Erkrankungen, wie Erysipel (da
wohl in jedem Falle), typischen croupöseu Pneumonien, schweren
Fällen von Gelenkrheumatismus, Influenza. Beim Erysipel war
auch fast immer mit dem Fieberabfall der Nystagmus ver¬
schwunden.
Wenn wir uns zum Verständnis des febrilen Nystagmus nach
Analogien umsehen, so könnte man auf eine Art von Nystagmus
hinweisen, nämlich auf den, der nach Chiuiudarreicbung und der
bei akutem Alkoholismus auftritt. Es könnte sich auch beim
febrilen Nystagmus um ein toxisches Symptom handeln; wobei
noch darauf binzuweisen wäre, dass bei den beiden genannten
Vergiftungen, ebenso wie so oft beim Fieber Schwindelgefühl in
der Regel sich findet. Auch Beck und Biach sind geneigt, den
Nystagmus febrili« als ein toxisches Symptom aufzufassen.
Dass dem Symptom des Nystagmus febrilis unter Umständen
eine gewisse Bedeutung bei diagnostischen Erwägungen zukommen
kann, geht aus dem eingangs erwähnten Fall hervor.
Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses Charlottenburg-Westend (Prof. Dr. Umber).
Zur Lipoidchemie des Blutes.
1. Ueber die Verteilung von Cholesterin, Cholesterin¬
estern und Lecithin im Serum.
Von
Dr. M. Bürger und Dr. Beaner.
Seit den Untersuchungen Hürthle’s 1 ), der als erster fest¬
stellte, dass das Cholesterin in Form von Palmitin-, Stearin- und
Oelsäure-Estern im Blutserum sich findet, wird in späteren
Arbeiten die Anschauung vertreten, dass Cholesterin im Serum
nur in gebundener Form vorkomme. Nur von Leschke 2 ) wird
die Vermutung ausgesprochen, dass auch freies Cholesterin vor¬
handen sein kann. Erst der von Windaus 3 ) gefundene Cholesterin¬
nachweis mittels des Digitonins ermöglicht eine scharfe Trennung
des freien Cnolesterins von seinen Estern. Es erscheint der Nach¬
weis freien Cholesterins im Blutserum deshalb nicht unwichtig,
weil ihm im Gegensatz zu seinen Estern infolge seiner grösseren Re¬
aktionsfähigkeit eine biologische Bedeutung vindiziert wird. Wir
wollen nur hinweisen auf die eutgiftende Wirkung .freien
Cholesterins bei der Saponin- und Cobragifthämolyse; man hat
daran gedacht, dass ähnliche entgiftende Vorgänge im Körper
selbst gegenüber freien Toxinen z. B. bei Infektionskrankheiten
sich abspielen könnten. Auch zur Erklärung des Wesens der
Wassermann'schen Reaktion wurden Verschiebungen im Lipoid¬
gebalt des Serums herangezogen. So hat Röbmann 4 ) kürzlich
die Vermutung ausgesprochen, dass eine relative Vermehrung des
freien Cholesterins auf Kosten des gebundenen für Wassermann-
1) Hürthle, Zeitschrift für phys. Chemie, 1895/1896, Bd. 21.
2) Leschke, citiert nach Neuberg, Der Harn.
3) Windaus, Bericht d. deutschen chem. Gesellschaft, 1909, Bd.42.
4) Röhmann, diese Wochenschr., 1912, Nr. 42.
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20. Januar 1913.
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positive Sera charakteristisch sei, während Pighini 1 ) eine ab¬
solute Vermehrung des Cholesterins überhaupt für den positiven
Ausfall der Reaktion verantwortlich macht. Andererseits glaubt
Peritz 2 ) eine Vermehrung des anderen Lipoidkörpers, des Lecithins,
ioi Serum von Tabikern und Paralytikern als konstantes Merkmal
gefunden za haben und bringt dies mit einem positiven Ausfall
der Wa8sermann’schen Reaktion in Verbindung.
Ohne uns zunächst auf Betrachtungen über die mehr oder
weniger grosse Wahrscheinlichkeit der angeführten Hypothesen
einzulassen, haben wir einige gelegentlich anderer demnächst zu
veröffentlichenden Untersuchungen gewonnene Zahlen betr. die
Lipoidverteilung im Serum in folgendem zusammengestellt.
Die von uns ausgearbeitete Technik der Untersuchungen war
folgende:
Frisches Serum wurde im Faustischen Ventilationsapparat
bei 40° getrocknet, pulverisiert und einer je zweitägigen
Alkohol- und Chloroformextraktion unterworfen. Die gesammelten,
durch Filtration gereinigten Extrakte wurden getrocknet und ge¬
wogen. In ätherischer Lösung wird eine Acetonfällung gemacht,
das Filtrat in zwei Teile getrennt, weiter verarbeitet. In dem
einen Teil wird in alkoholischer Lösung das Cholesterin nach
Windaus mit Digitonin gefällt, in dem zweiten wird diese Fällung
nach vorausgegangener energischer Verseifung mit frischbereitetem
Natriumalkoholat gemacht. Bei dem Ausschütteln des Cholesterins
mit Aether aus der wässerigen Seifenlösung zeigte es sich,
dass es nur schwer gelingt, das Cholesterin quantitativ in den
Aether zu bekommen, weil anscheinend ein Teil des Cholesterins
von den Seifen festgebalten wird. Die Ausschüttelung gelang
dagegen leicht nach Ansäuern der Lösung, wobei das Cholesterin
mit den freien Fettsäuren zusammen leicht in den Aether ging.
Die Differenz zwischen erster und zweiter Bestimmung ergibt
das aus Estern freigemachte Cholesterin. Das gefundene Digi-
tonincholesterid wird durch Multiplikation mit 0,25 in Cholesterin
umgerechnet. Das Lecithin wurde aus dem Extraktphosphor be¬
rechnet; die PhospborBäure nach Neumann’s alkalimetrischem
Verfahren ermittelt.
Die Cholesterinester wurden als Ester der Oelsäure be¬
rechnet.
Die gefundenen Werte für je 1000 gr Serum finden sich in
der folgenden Tabelle vereinigt.
Diagnose
Gesamt¬
cholesterin
1
Freies Cholesterin j
freies Cholesterin j
in % vom Ge¬
samtcholesterin |
Cholesterin ester
Lecithin
Bemerkungen
1. Diabetes gravis,
Lipämie . . .
3,874
1,441
37,2
4,450
5,571
Wassermann-
scheL.-R.: 0
2. Diabetes gravis,
Lipämie . . .
3,375
1,652
48,9
3,148
3,751
3. Carcinoma bepa-
tis., Cholaem.grav.
3,226
2,469
76,0
1,385
5,866
4. Diabetes, Lip¬
ämie .
2,650
0.919
37,0
3,204
3,460
W. L.-R. : 0
5. Eklampsie . .
2,527
0.792
31,0
1,963
3,936
6. Diabetes gravis
2,027
0,728
35,9
2,376
2,514
W. L.-R.: 0
7. Lues III, Apo¬
plexie ....
1,985
0,770
38,8
2,220
1,233
W.L.-R. :+++
8. Morbus Basedow
1,464
0,712
48,6
1,375
1,409
W. L.-R. : 0
9. Chlorosis gravis
1,273
0,395
30,9
1,616
1,489
W. L.-R.: 0
10. Leukämie . .
0,969
0,791
81,5
0,327
2.223
W. L.-R. : 0
11. Sepsis. Icterus
0,939
0,798
84.9
0,257
2,577
12. Carcinoma uteri
0,921
0,509
67,0
0,753
2,033
13. Pneumonie . .
0,684
0,405
59,2
0,510
1,630
14. Pankreas-
atrophie ....
0,650
0,282
43,0
0,673
1,731
15. Diabetes levis .
0,511
0,357
70,0
0,280
1,437
W. L.-R. : 0
16. Secundäre An¬
ämie, Carcinoma
oesophagi . . .
17. Aoaemia pernio.
0,403
0,229
56,9
0,818
1,472
0.497
0,214
43,1
0,517
0,866
W. L.-R. neg.
IS. Aoaemia pernic.
0,881
0,221
58,0
0,293
0,195
W. L.-R. neg.
19. Tabes dorsalis
—
—
—
—
1,384
W.L.-R.:++ +
20. Tabes dorsalis
—
—
—
—
1,579
W.L.-R. : + ++
21. Lues III .. .
—
—
—
—
1,330
W.L.-R. :++ +
1) Pighini, Zeitschr. f. ges. Neurologie und Psychiatrie, 1911,
Bd. 4, H. 5.
2) Peritz, Vortrag, IL Neurol. Kongress, Heidelberg 1908.
Aus diesen Zahlen gebt hervor, dass die weitaus höchsten
Cholesterin- und Lecithinwerte im Serum bei der diabetischen
Lipämie und Cholämie Vorkommen. In einem Falle von Eklampsie
finden sich erhöhte Werte, wie andere Untersucher 1 ) bei und
nach der Schwangerschaft feststellen konnten. Als unter der
Norm sind die Werte bei zwei perniciösen Anämien, einer schweren
Chlorose, einer schweren Carcinomanämie und einem Inanitions-
zustand bei völliger Pankreasatrophie zu betrachten, ln ähn¬
lichen Fällen [perniciöse Anämie 2 ), Carcinomanämie, Leukämie 3 ),
Pankreasexstirpation 4 )], wurde von anderer Seite eine Erhöhung
des Cholesterinspiegels angegeben. Ein konstantes Verhalten
scheint also hier nicht zu bestehen und breite, vom Ernährungs-
nnd Kräftezustand abhängige Schwankungen über und unter
die Normallinie vorzukoramen. Das Sinken des Cholesterins
bei Erschöpfungszuständen scheint mit der verminderten
Konzentration des Serums überhaupt einherzugehen. Bei den
Fällen Nr. 14. 16, 17, 18 ist das spezifische Gewicht des Serums
auf 1015, 1019, 1024, 1019 g, die Trockensubstanz auf 7,6, 7,7,
7,0 pCt. gesunken.
Wir konnten weiterhin feststellen, dass in jedem Serum
ein wechselnder, immer beträchtlicher Teil des Gesamt¬
cholesterins in freier Form vorhanden ist. Im all¬
gemeinen scheinen die Werte des freien Cholesterins
unter 30 pCt. des Gesamtcholesterins nicht zu sinken.
Ob hier bei verschiedenen pathologischen Zuständen Gesetz¬
mässigkeiten bestehen, aus denen sich weitere Schlüsse auf Toxin¬
wirkungen und Abwehrmaassregeln des Organismus ziehen lassen
und beispielsweise ein hohes Gehalt an freiem Cholesterin als ein
günstiges Moment im Kampf gegen die Infektion anzusehen ist,
wagen wir aus unserem Material noch nicht zu entscheiden. Der
Höchstgehalt an freiem Cholesterin bei der schweren Cholämie
erklärt sich ungezwungen ans der Anreicherung des Blutes mit
Gallebestandteilen. Eine Veresterung des Gallencholesterins, das
in der Galle fast nur in freier Form vorkommt, tritt dabei also
scheinbar nicht ein.
Die Vermutungen Röhmann’s, dass sich die Wassermann¬
positiven Seren durch einen Mehrgebalt an freiem Cholesterin
relativ zum Gesamtcholesterin oder absolut auszeichnen, können
wir nicht bestätigen, denn unter den angeführten Seren finden
sich einige mit einem exzessiv hohen Gehalt an freiem Cholesterin,
bei denen der Wassermann aber negativ ist. Ebensowenig stimmen
unsere gefundenen Tatsachen mit den Schlüssen Pighini’s über¬
ein, dass bei Wassermann-positiver Reaktion der Gehalt des Serums
an Cholesterin überhaupt vermehrt sei.
Es wäre endlich noch in Kürze darauf hinzuweisen, dass der
Lecithingehalt im allgemeinen dem Cholesteringehalt parallel zu
gehen pflegt. In vielen Fällen überschreiten unsere Wassermann¬
negativen Seren in ihren Lecithin werten die Norm, während sich bei
zwei Fällen von Tabes mit -|—|—f- P 08 '^ vem Wassermann und
zwei Fällen von Lues III ebenfalls mit -|—\~(- positivem Wasser¬
mann verhältnismässig niedrige Zahlen finden. Wir glauben also
auch hier nicht an ein weder das Wesen der Wassermann’schen
Reaktion noch der Tabes und Paralyse charakterisierendes und
erklärendes Verhalten. Wir wollen noch hinzufügen, dass wir
ebensowenig bei den Blutkörperchen der Tabes und Paralyse einen
Lecithinscbwund feststellen konnten, wie ihn Peritz schildert.
Trotzdem auch wir einen Zusammenhang zwischen Lipoiden
und Wassermann’scher Reaktion für äusserst wahrscheinlich halten,
so scheint der Ausfall der Reaktion doch nicht allein von einem
einfachen Mehr an Cholesterin oder Lecithin abzuhängen. Wahr¬
scheinlich liegen der Reaktion kompliziertere Aenderungen in den
Mischungs- und Bindungsverbältnissen der vielartigen Lipoid¬
substanzen zugrunde, die chemisch zu fassen vorläufig noch nicht
als gelungen betrachtet werden können.
Für das Zellleben haben die neueren Forschungen die ausser¬
ordentliche Bedeutung der Lipoidsubstanzen erwiesen. Welche
Bedeutung ihnen im Serum zukommt, ist schwer zu sagen, solange
wir über die Herkunft der Serumlipoide noch so wenig
orientiert sind. Vom Cholesterin wissen wir, dass es in den Zellen
in „freier“ Form vorkommt. Das Auftreten von Cholesterinestern
erfolgt wahrscheinlich erst mit regressiven Veränderungen in der
Zelle. Vielleicht steht das Vorkommen von Cholesterinestern mit
1) Linossier, Archiv med. de l’app. dig., 1912. Ref. Centralbl.
d. exper. Med., 1912.
2) Klemperer, diese Wochensohr., 1908, Nr. 52.
3) Freund und Obermeyer, Zeitsehr. f. phys. Chemie.
4) Seo J., Exp. Archiv, 1909, Nr. 61.
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Nr. 3.
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physiologischen Abnutzungsvorgängen der Zellen in Zusammen¬
hang, so dass ein vermehrtes Auftreten derselben im Serum in
pathologischen Fällen auf einen gesteigerten Zellzerfall schliessen
lässt (Lipämie bei Diabetes und im Hunger, Narkose, Schwanger¬
schaft usw.). Eine Gesetzmässigkeit in dem Verhältnis von freiem
zu gebundenem Cholesterin können wir aus den vorliegenden
Zahlen nicht ableiten. Bei unserer Unkenntnis über Entstehung,
Kreislauf und Ausscheidung des Cholesterins können wir dem¬
gemäss auch vorläufig nicht sagen, welche Bedeutung dem so
wechselnden Vorkommen von freiem Cholesterin im Serum zu-
gemessen werden muss.
Aus der chemisch - bakteriologischen Abteilung des
Gouvernements-Semstwo-Krankenhauses in Charkow.
Schutzimpfung mit abgeschwächten Tuberkel¬
bacillen.
Von
Dr. Marens Rahinnwitsch,
Leiter der Abteilung.
Vor mehreren Jahren ist mir bei meinen experimentellen
Tuberkuloseuntersuchungen *) unter zahlreichen verschiedenartig
behandelten und wiederholt umgezüchteten Tuberkelbacillenkulturen
verschiedener Herkunft eine Kultur durch ihre ganz eigentüm¬
lichen Wachstumseigenschaften aufgefallen.
Als ich diese, aus dem Menschenblut gewonnene und nach
Behandlung mit einem differenten Stoff wiederholt umgezüchtete
Kultur, die seit längerer Zeit im Dunkelschrank gestanden hat,
auf ihre Virulenz naebgeprüft habe, da stellte sich heraus, dass
dieselbe für das Meerschweinchen ganz avirulent ist.
Und als ich die Meerschweinchen, die mit dieser avirulenten
Kultur vorbehandelt waren, zwei Monate nach der Vorbehandlung
mit tödlichen Dosen von virulenten Tuberkelbacillen geimpft habe,
da verhielten sich die Tiere dieser zweiten Impfung gegenüber
ganz refraktär.
Die überraschende Beobachtung von der grössten Wichtigkeit
hat gefordert, meine schon lange Zeit dauernden und zu Ende
geführten Untersuchungen in einer neuen Richtung weit auszu¬
dehnen, dazu fehlten mir aber die nötigen Mittel, und ich musste
mich deshalb mit einigen weiteren, zur Kontrolle angestellten
Versuchen begnügen und die Arbeit abschliessen.
Da die Zahl der Beobachtungen zu klein war, um irgend¬
welche Schlüsse aus denselben zu ziehen, so habe ich bei der
Schilderung meiner Untersuchungen von denselben nichts erwähnt,
in der Hoffnung, dass in der nächsten Zukunft ich zu den Unter¬
suchungen zurückkehren werde.
Es sind aber mehrere Jahre verflossen, bis ich überhaupt die
Arbeitsgelegenheit bekommen habe.
Und wenn ich mich jetzt entschlossen habe, die erwähnten
alten Beobachtungen genau zu schildern, so zwingt mich dazu der
Umstand, dass Friedmann in seiner Mitteilung über Heil- und
Schutzimpfung der menschlichen Tuberkulose 2 ) nichts darüber
mitgeteilt hat, was eigentlich sein Impfmaterial ist und wie er
seinen avirulenten Tuberkelbacillus erhalten hat.
Da nun die Mitteilung Fried man n’s das allgemeine Auf¬
sehen erregt hat, so will ich darauf hinweisen, wie man derartige
avirulente Tuberkelbacillen erhalten kann, um die Möglichkeit
zu ausgedehnten Nachprüfungen dieser sehr wichtigen Frage zu
geben.
Fried mann behauptet zwar, dass diese Avirulenz, dieses
Freisein von pathogener Kraft nicht erst durch irgendwelche ein¬
greifende Behandlung der Kulturen durch differente Zusätze u. dgl.
erreicht sein darf, es muss ein Bacillus von natürlicher Avirulenz
sein . . . ; dem widersprechen aber meine Beobachtungen, wo,
wie erwähnt, mit avirulent gemachten Tuberkelbacillen
geimpfte Meerschweinchen für die zweite Impfung mit
virulenten Tuberkelbacillen immun wurden.
Diese avirulenten Tuberkelbacillen habe ich bei meinen ex¬
perimentellen Untersuchungen erhalten, die sich auf die Identi¬
tätsfrage der Tuberkelbacillen verschiedener Herkunft be¬
zogen haben.
1) Zeitschr. /. Tuberkul., 1906, Bd. 9, H. 4—6.
2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 47, S. 2214.
Bei diesen Untersuchungen habe ich die verschiedenen Eigen¬
schaften der vom Mensch, Rind und Vogel gezüchteten Tuberkel¬
bacillen, durch die die letzteren sich voneinander unterscheiden
lassen, auf ihre Konstanz geprüft und dieselben künstlich zu ver¬
ändern gesucht.
Auf das letztere legte ich besonderen Wert, da seit Koch's
Vortrag auf dem Londoner Kongress bis zur letzten Zeit einige
Forscher sich damit beschäftigen, dass sie zahlreiche Kulturen
aus denselben Medien, z. B. aus dem Sputum, züchten, deren
Virulenz für das Kaninchen prüfen und dadurch die Konstanz der
verschiedenen „Typen“ der Tuberkelbacillen nachweisen zu
können glauben.
Wenn auch die vom Menschen gezüchteten Tuberkelbacillen
unzweifelhaft in der Mehrzahl der Fälle in ihren morphologischen,
kulturellen und pathogenen Eigenschaften von denen vom Rind
gezüchteten sich unterscheiden, so kann doch durch derartige
statistische Untersuchungen die Verschiedenheit wie die Identität
der Tuberkelbacillen verschiedener Herkunft wederbewiesen
noch widerlegt werden.
Es ist doch längst bekannt, dass dieselben Bakterien, an
verschiedene Nährböden angepasst, verschiedene morphologische,
kulturelle und pathogene Eigenschaften erwerben.
Und dass die Körper der verschiedenen Tiere als verschiedene
Nährböden in gleicher Weise die Bakterien verändern können,
das ist schon seit Jenner und Pasteur bekannt, die aus diesen
Eigenschaften der verschiedenen tierischen Organismen ihre erfolg¬
reiche Vaccination abgeleitet haben.
Von diesen Erwägungen ausgehend, habe ich bei meinen
Untersuchungen versucht, einerseits aus den verschiedenen Medien
(Sputum, Blut, Eiter, Ascites und Cerebrospinalflüssigkeit) des¬
selben Individuums oder von Erwachsenen und Kindern die
Tuberkelbacillen in Reinkulturen zu züchten, andererseits Rein¬
kulturen der Tuberkelbacillen vom Mensch, Rind und Vogel einer
gleichartigen direkten oder indirekten Wirkung von verschiedenen
differenten Stoffen zu unterziehen, nachher auf denselben ver¬
schiedenartigen Nährböden längere Zeit zu züchten und mit¬
einander zu vergleichen.
Auf diese Weise ist es mir gelungen, einerseits aus
denselben Medien (Ascites, Eiter) beim Kinde viel viru¬
lentere Tuberkelbacillen als beim Erwachsenen und
aus dem Blute von einigen Erwachsenen virulentere
Tuberkelbacillen als aus dem Sputum derselben Indi¬
viduen zu züchten. Andererseits ist es mir gelungen, Tuberkel¬
bacillen verschiedener Herkunft, die zuvor voneinander
abweichende Eigenschaften zeigten, zu denselben ganz
identischen Eigenschaften zu bringen.
Unter anderen Stoffen, die zur Behandlung der Tuberkel¬
bakterien herangezogen wurden, benutzte ich auch Formalin.
Die Behandlung der Tuberkelbacillen bestand darin, dass
entweder kleine Quantitäten von Formalin (0,1 bis 0,5 pro Mille)
den Nährböden, auf denen die Bacillen gezüchtet werden sollten,
zugesetzt wurden oder die Reinkultur der Tuberkelbacillen in der
zweiten oder dritten Woche nach der Impfung in der Weise der
Wirkung von Formalindämpfen ausgesetzt wurden, dass die Watte
unter den Gummikappen an den Reagensgläsern mit den Rein¬
kulturen mit 10 proz. Formalinlösung angefeuchtet wurde.
Die Kulturen wurden dieser Formalinwirkung verschieden
lange Zeit überlassen und dann auf frische, hauptsächlich Sera¬
nährböden weitergezüchtet.
Einige von in dieser Weise behandelten Tuberkelbacillen¬
kulturen haben überhaupt kein Wachstum gegeben, die anderen
wuchsen anfänglich kümmerlich, später reichlich und zeigten, be¬
sonders nach längerem Aufbewahren, einige Abweichungen im
Aussehen des Wachstums.
Eine von diesen Kulturen, bei der die erwähnte Abweichung
besonders auffallend war, wurde bei der Nachprüfung ihrer
Virulenz für das Meerschweinchen ganz avirulent gefunden, ob¬
gleich dieselbe, aus dem Blute eines Phthisikers gezüchtete, Kultur
vor der erwähnten Formalinbehandlung nicht nur für das Meer¬
schweinchen, sondern auch für das Kaninchen virulent war.
Nachdem diese Kultur unter dem Einfluss von Formalin sich
verändert hat, wurden zur Nachprüfung ihrer Virulenz zwei Meer¬
schweinchen von 390 und 410 g mit je 0,002 g im Thermostaten
24 Stunden getrockneten Bacillen subcutan in die Leistengegend
geimpft. Das eine der geimpften Meerschweinchen wurde fünf,
das andere etwa sechs Wochen nach der Impfung getötet, und
bei keinem konnten irgendwelche tuberkulöse Verände¬
rungen konstatiert werden.
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Dann wurden weitere sechs Meerschweinchen von 360 bis
520 g mit derselben Menge dieser avirulenten Kultur in gleicher
Weise subcutan und nach zwei Monaten wieder mit gleicher
Menge (0,002 g) sehr virulenteu, vom Menschen und Rind ge¬
züchteten Tuberkelbacillen geimpft.
Gleichzeitig wurden zur Kontrolle in gleicher Weise zwei
nicht vorbehandelte Meerschweinchen mit gleichen Mengen der¬
selben virulenten Tuberkelbacillen geimpft.
Nach der zweiten Impfung haben die Versuchstiere
dauernd an Gewicht zugenommen und etwa sechs
Wochen nach der Impfung getötet, zeigten sie keine
makro- und mikroskopisch nachweisbare Verände¬
rungen.
Von den Kontrollieren ist eins schon in der fünften Woche
nach der Impfung an Tuberkulose eingegangen, und beim zweiten,
das gleichzeitig mit den Versuchstieren getötet wurde, ist eine
ausgebreitete Tuberkulose sämtlicher innerer Organe konstatiert
worden.
Zusammenfassung.
1. Die Virulenz der Tuberkelbacillen ist keine
konstante Eigenschaft derselben und kann künstlich
abgeschwächt oder ganz zum Verschwinden gebracht
werden.
2. Die ganz abgeschwächten Tuberkelbacillen in
Mengen von 0,002 g, Meerschweinchen subcutan ver-
impft, erzeugen bei deuselben im Laufe von zwei Mo¬
naten keine wahrnehmbaren tuberkulösen Verände¬
rungen.
3. Mit den abgeschwächten Tuberkelbacillen vor¬
behandelte Meerschweinchen werden für eine zweite
Impfung mit sehr virulenten Bacillen unempfänglich.
Bücherbesprechungen.
R. F. Fuchs: Physiologisches Praeticum für Mediziner. Zweite ver¬
besserte und erweiterte Auflage. Mit 110 Abbildungen. 311 Seiten.
Wiesbaden 1912, Bergmann.
Das bekannte Fucbs’sche Praeticum der Physiologie hat in der
zweiten Auflage seine Vorzüge und bewährten Besonderheiten bei¬
behalten, insbesondere die Zuverlässigkeit der Darstellung und ein
solches Eingehen auf alle Einzelheiten und Kleinigkeiten, dass der
Studierende auch ohne dauernde mündliche Anleitung sich zurechtfindet.
Der Inhalt ist nicht unbeträchtlich erweitert, und die Zusätze betreffen
fast alle Kapitel. Schon die allgemeine Technik der Tierversuche ist
breiter dargestellt. Hinzugekommen ist die Spektraluntersuchung des
Blutes, die Beobachtung der Blutplättchen, der Pulsgeschwindigkeit beim
Menschen; die graphische Aufnahme der Darmbewegungen, der Muskel¬
ermüdungskurve des Menschen. Die physiologische Optik ist um eioe
ganze Reihe von neuen Versuchen bereichert. Vielleicht hätte es sich
empfohlen, das klinisch wichtig gewordene Saitengalvanometer und das
Elektrocardiogramm zu erwähnen. Hervorzuheben ist, dass viele Ver¬
suche speziell der Physiologie des Menschen aogepasst sind.
A. Loewy.
Nobtom traitd de pathologie göndrale, p&r Ch. Moochard und
G. H. Roger. Bd. 1. Paris 1912, Masson & Cie. 22 Frs.
Von dem neuen Handbuch der allgemeinen Pathologie, heraus¬
gegeben von Bouchard und Roger, liegt der erste Band vor. Er
enthält folgende Kapitel: Einführung in das Studium der allgemeinen
Pathologie (Roger); Vergleichende Pathologie des Menschen und der
Tiere (Roger und Cadiot); einen kurzen Abschnitt über Pflanzen¬
pathologie (Vuillemin); Allgemeine Pathologie des Embryo und Terato¬
logie (M. Duval und Mulon); Vererbung und Pathologie (P. le Gendre);
Immunität und Krankheitsdisposition (Gh. Achard); Anaphylaxie
(P. Courmont); Mechanische Krankheitsursachen (F. Lejars); ferner
einen Abschnitt über den Einfluss der Berufsarbeit auf den Organismus
(A. Imbert), über den Einfluss des atmosphärischen Drucks (Langlois),
über die pathogene Wirkung der Wärme, der Elektrizität, der verschie¬
denen Strahlungen (Bergonie), des Lichtes (Nogier), und endlich der
Caustica (le Noir). Was an dem Werke etwa im Vergleich mit den
deutschen Lehr- und Handbüchern der allgemeinen Pathologie besonders
auffallen wird, ist, dass die klinische Seite viel mehr berücksichtigt ist.
Man findet in den einzelnen Kapiteln — ich nenne hier vor allem das
ausgezeichnet geschriebene über mechanische Krankheitsursachen von
Lejars — eine Fülle von Tatsachen in zusammenfassender Darstellung.
Die Literatur ist in den einzelnen Kapiteln etwas verschieden berück¬
sichtigt. Dass die nichtfranzösische Literatur im allgemeinen wenig
berücksichtigt und dann noch grossenteils fehlerhaft citiert ist, wird
man gerne übersehen. Aber die historischen Daten in den einleitenden
Kapiteln erscheinen dem deutschen Leser doch wohl etwas zu dürftig,
und erfindet den Namen von Virchow und Rokitansky darin, glaube
ich, überhaupt nicht erwähnt. Erfreulich ist, dass der vergleichenden
Pathologie des Menschen und der Tiere ein eigenes Kapitel gewidmet
ist (60 Seiten). Die Pathologie des Embryo und die Teratologie, vor
allem aber die Pathologie der Vererbung sind sehr ausführlich be¬
handelt. Bei letzterem Kapitel würde mau eine kürzere Darstellung,
die vor allem etwas schärfere Kritik an den raitzuteilenden Tatsachen
übte, vorzieheD. Das Kapitel über die pathologischen Wirkungen der
Lichtstrahlen scheint uns dagegen den Stoff nicht genügend erschöpfend
zu behandeln. Die Ausstattung des Werkes ist recht gut, Abbildungen
finden sich in diesem Band nnr wenige, zum Teil etwas mangelhafte.
Der Kliniker und der Pathologe wird sicher bei der Lektüre des Werkes
vielfach Anregung und Belehrung finden. W. Fischer-Göttingen.
A. Vogt- Moskau: Pathologie des Herzens. Uebersetzung aus dem
Russischen von Julius Schütz-Marienbad. Berlin 1912, Verlag
von Julius Springer. 168 S. 20 Textfiguren. Preis 8 M.
Das Werk Vogt’s behandelt die allgemeine Pathologie des
Herzens. Die pathologischen Erscheinungen bei Herzkrankheiten werden
in ihrer Ursache, Entwicklung und Folgen für den Kreislauf geschildert.
Die Basis der Darstellung bilden, mit gleicher literarischer und prak¬
tischer Kenntnis herangezogen, die pathologische Anatomie, eindeutige
klinische Symptome, und vor allem Ergebnisse des Experiments, ln der
geschickten und kritischen Verwertung dieser Mehrzahl von Forschungs¬
richtungen zu einer einheitlichen Darstellung liegt die Eigenart und
der Reiz des Werkes. Wir erkennen, dass, wo irgend möglich, der
Autor durch eigene Experimente Lücken in unserer Erkenntnis auszu¬
füllen bestrebt war. Ganz besonders interessant scheinen mir die wohl¬
gelungenen Versuche, in denen durch wiederholte Embolisierungen der
Kranzarterien mittels semen Lycopodii eine Myocarditis interstitialis mit
beschleunigtem, unregelmässigem Puls bei Tieren, die mehr als ein
Jahr überlebten, hervorgerufen wurde. Andere wertvolle Versuche be¬
treffen z. B. die auch experimentell zum Ausdruck kommende Ver¬
schiedenheit infektiöser und nicht infektiöser (Terpentinöl-; Pericarditis
für die Funktion des Herzens. Der Stoff ist in acht Kapiteln bewältigt,
von denen das erste physiologische Daten enthält. Die weiteren Kapitel,
alle in Form von Vorträgen, behandeln die Pathologie des Herzbeutels,
des Myocards, des Coronarkreislaufs, des Endocards, die anatomischen
und funktionellen Störungen der Gefässe des grossen und kleinen Kreis¬
laufs als Ursache von Funktionsstörungen des Herzens, den Eutstehungs-
mechanismus der Herzhypertrophie und schliesslich Veränderungen der
Herztätigkeit infolge der Funktionsstörungen des neuromuskulären
Apparates. Der Kliniker und Forscher wird aus dem Werke manche
Anregung entnehmen können. Fleischmann.
Brack: Die Krankheiten der Nase and Hnndhöhle sowie des Rachens
nnd des Kehlkopfes. Zweite, wesentlich vermehrte und ver¬
besserte Auflage. Berlin und Wien 1912, Urban und Schwarzen¬
berg. Preis 14 M.
Die zweite Auflage des Bruck’schen Lehrbuches ist erschienen. Sie
umfasst 472 Seiten mit 252 zum Teil farbigen Abbildungen und 2 Tafeln.
Die neue Bearbeitung unterscheidet sich von der ersten Auflage nach
Iohalt und Form in einigen Kapiteln nicht unwesentlich: Besondere Um¬
gestaltung nach modernen Grundsätzen der Therapie und Diagnostik er¬
fuhr die Behandlung der Nebenhöhlenempyeme, ferner die Darstellung
der direkten Endoskopie und die Bearbeitung der Kehlkopftuberkulose.
Auch die Stimmstörungen wurden neu bearbeitet und einige neue Ope¬
rationsmethoden der alten Beschreibung eingefügt. Wie die erste Auf¬
lage trägt auch die zweite vorzugsweise praktischen Bedürfnissen Rech¬
nung, theoretische experimentell wissenschaftliche Arbeiten sind nur
berücksichtigt, soweit sie für die praktische Tätigkeit in Frage kommen.
Die Darstellung ist fliessend, und bei der klaren und übersichtlichen
Zusammenstellung ist das Werk, speziell den Studierenden, warm zu
empfehlen. Albrecht-Berlin.
Motter und Wilbert: Digest of Comments on the Pharmacopoeia of
the United States of America. Washington 1912, Hygienic
Laboratory Bulletin. 784 S.
Vorliegender Band bildet eine Zusammenstellung der in- und aus¬
ländischen Literatur pharmakologischer und pharmakognostischer Arbeiten
aus dem Jahre 1910. Dient auch das Werk in erster Linie dazu, bei
der Neuauflage einer Pharmakopoe der Vereinigten Staaten das nötige
Material zu liefern, so kann es andererseits mit Vorteil bis zu einem
gewissen Grade auch von uns als Literatur-Nachschlagewerk auf den
genannten Gebieten benutzt werden. Es entspricht etwa unserem „Jahres¬
bericht der Pharmazie“. Bachem-Bonn.
Stargardt und Oloff- Kiel: Diagnostik der Farbensinnsttirnngen.
Berlin 1912, Verlag von Julius Springer. 45 Seiten. Preis 1,80 M.
Unter Berücksichtigung der neueren Literatur gibt der Verf. nach
einer kurzen Besprechung des normalen Farbensinnes eine Darlegung
der verschiedenen Störungen desselben und eine Uebersicht über die
gebräuchlichsten Farbeoprüfungsmethoden. Er bezeichnet mit Recht die
5*
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116
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Nagerseben Prüfungstafeln als keineswegs einwandsfreie und zuver¬
lässige Methode, dagegen als sicherste Probe die Untersuchung mit dem
Anomaloskop.
Das Büchlein dient jedem, der die neueren Anschauungen über die
Farbenanomalien und Farbenprüfungsmethoden kennen lernen will, zur
raschen Orientierung.
Ehrenfried Cr am er - Cottbus: Abriss der Unfall- nnd Invalid Hftts-
knnde des Sehapparates. Stuttgart 1912, Verlag von Enke.
253 Seiten. Preis 7 M.
Einer im allgemeinen nach anatomischen Gesichtspunkten angeord-
neten Erörterung der einzelnen Augenverletzungen folgt ein Kapitel über
die Einwirkung von Giften und Infektionen als „Unfälle“, sodann eine
Zusammenstellung derjenigen anderweitigen Körperunläile, welche durch
die Augenuntersuchung näher diagnostiziert werden können. Verf. gibt
nunmehr eine Anleitung zur Abfassung des Gutachtens und zur Renten-
bereebnung, und zwar an der Hand praktischer Beispiele. Im Anschluss
daran wird noch der Simulation sowie der Begutachtung der Invalidität
nach Augenstörungen ein Abschnitt gewidmet. Das Buch wird nicht
nur dem begutachtenden Arzte willkommen sein, es dürfte sich auch
den Beamten der Berufsgenossenschaften und des Gerichts bei der Be¬
urteilung der Gutachten sehr wertvoll erweisen.
Adam - Berlin: Ophthalmoskopische Diagnostik an der Hand typi¬
scher Angenhintergrnndsbilder. Berlin und Wien 1912, Urban
& Schwarzenberg. 232 Seiten. Preis 21 M.
An der Hand von 86 Augenhintergrundsbildern, welche unter be¬
sonderer Berücksichtigung der Beziehungen der Augenerkrankungen mit
grossem Geschick ausgewählt sind, wird eine systematische Anleitung
zur Diagnosenstellung sowie zur klinischen Auffassung des Krankheits¬
bildes gegeben. Ganz besonders verdient hervorgeboben zu werden, dass
die farbigen Tafeln geradezu mustergültig ausgeführt und vorzüglich
reproduziert sind. v. Sicherer - München.
6. Sthmpke: Die medizinische Quarzlampe. (Band 3 der Bibliothek
der physikalisch-medizinischen Techniken. Herausgeber Heinz
Bauer.) 88 Seiten. 55 Abbildungen. Berlin 1912, Verlag von
Hermann Meusser.
Der Verfasser schildert anschaulich und ausführlich die Konstruktion
und Handhabung der Quarzlampe, berichtet dann in objektiver Weise
über die vorliegenden Untersuchungen, welche die Tiefenwirkung — be¬
sonders auch im Vergleich zu den Finsen-Apparaten — und die bak-
tericide Wirkung betreffen, und bringt schliesslich genaue Anweisungen
für die Anwendung bei den verschiedenen Hauterkrankungen. Jedem,
der mit der Quarzlampe arbeiten will, wird das Büchlein ein unentbehr¬
licher Ratgeber sein. Die Ausstattung ist wie bei den bisher er¬
schienenen Bänden der Bibliothek der physikalisch - medizinischen
Techniken über jedes Lob erhaben. H. E. Schmidt - Berlin.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
M. Gildemeister: Ueber die im tierischen Körper bei elektrischer
Dnrchströmnng entstehenden Gegenkräfte. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149,
H. 6—8.) G. bildete die von Galler (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, S. 156)
benutzte Methode weiter aus, die darin besteht, dass man den Körper
(Frosch) zugleich mit Gleich- und Wechselstrom durchströmt Man kann
dann feststellen, dass im Körper der Gleichstrom erhebliche elektro¬
motorische Gegenkräfte (Polarisation) auslöst, die beim Frosch 2 Volt,
beim Menschen 6 Volt übersteigen können. Der mit Gleichstrom ge¬
messene Widerstand weicht um so mehr vom wahren Werte ab, je
schwächer der Messstrom ist. Die Polarisation wächst mit steigender
Stärke des benutzten Gleichstroms.
N. K. Koltzoff: Ueber eine physiologische Kationenreihe. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) K.’s Versuche sind an einem marinen In-
fusorium (Zootbamnium alternans) ausgeführt. Er beobachtete an ihm
die Wirkung verschiedener Kationen auf den Zerfall des Protoplasmas
des kontraktilen Stieles. Es ergab sich folgende in ihrer Wirkung zu¬
nehmende Reihe: K—Rb—Na—Cs—NH 4 —Li—Sr—Mg—Ca. Das Mole¬
kulargewicht und die Wertigkeit sind für die physiologischen Wirkungen
nicht ausschlaggebend, speziell besteht zwischen ein-und zweiwertigen Ionen
kein grosser Zwischenraum. Diese Reihe stimmt sehr nahe überein mit der
des elektrolytischen Lösungsdruckes und mit Höber’s „physiologischer
Kationenreihe“ für die Fällbarkeit von Eiweiss durch Elektrolyteu.
K. nimmt aber nicht an, dass die verschiedene Giftigkeit der Ionen auf
ihrer differenten Fähigkeit der Eiweissfällung beruht, vielmehr auf ihrer
verschiedenen Absorbierbarkeit durch die Plasmahaut und damit auf ihrer
Wirkung auf die Oberflächenspannung. Jedes Kation der obengenannten
Reihe erniedrigt die Oberflächenspannung weniger als das folgende.
K. Hürth le: Die „Fehler“ meines Verfahrens bei der Bestimmung
der Eigenschwingungen der Manometer. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149,
H. 6—8.) Erwiderung auf Frank’s Angriffe, Nach H. sind die ihm
von Frank vorgeworfenen Fehler begründet in der Unbrauchbarkeit des
Frank’schen Prüfungsverfahrens von Manometern und der von Frank
herrührenden Ausdehnung der Frank’schen Theorie der elastischen Mano¬
meter auf Hebelmanometer. A. Loewy.
E. 0. P. Schultze und B. J. Behan - Berlin: Negativer Drack
in den langen Röhrenknochen der Hunde. Ein Beitrag zur Physio¬
logie des Venenkreislaufes. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.)
Die Ansicht, dass im Venensystem ein positiver Druck herrscht, der
noch vom Arteriensystem stammt, besteht zu Unrecht; denn die Verff.
beobachteten, dass bei der Messung mit einem 0,75 proz. Kochsalzmano¬
meter in der Markhöhle eines Hundes ein negativer Druck von 20 mm
herrscht, der, wie man wohl annehmen muss, durch die Ansaugung von
den Venen her erzeugt wird. Die Körperlage der Tiere bat einen Ein¬
fluss auf die Höhe des Druckes insofern, als sie bei Tieflagerung des
Kopfes um 6—8 mm geringer ist als bei umgekehrter Stellung usw.
Dass es sich nicht um die treibende Arterienkraft handelt, geht daraus
hervor, dass selbst beim Aufhören des arteriellen Kreislaufes durch
Esmarch’scbe Blutleere noch negativer Druck besteht, d. h. Aspiration
von Venenblut durch den Knochen stattfindet. Aus diesen gefundenen
Tatsachen ergeben sich wichtige Rückschlüsse therapeutischer Natur für
viele Spezialzweige der Medizin, z. B. Metastasentransport von malignen
Tumoren usw. Dünner.
T. Takamine und S. Takei: Ueber das Verhalten der durch¬
sichtigen Angenmedien gegen ultraviolette Strahlen. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 149, H. 6—8.) Die Verff. benutzten eine Quarzquecksilberlampe
und einen Quarzspektrographen und photographierten das Spektrum
nach Durchgang der Strahlen durch »Hornhaut oder Glaskörper oder
Linse des Menschen und verschiedener Tiere. Sie finden, dass die mini¬
male Wellenlänge der durch die Hornhaut hindurcbgelassenen ultra¬
violetten Strahlen 297 bis 280 ßß beträgt. Ebenso verhielt sich der
Glaskörper. Nur der von Hund und Katze liess Strahlen bis zu 265 ßß
hindurch. Die Linse verhielt sich verschieden; die schwächste Absorption
zeigten die Linsen von Hund und Katze (313 ///i-Strahlen gingen hin¬
durch), stärkere die vom Ochsen, Kaninchen, Eule und die von Tiefsee¬
fischen, noch stärkere die vom Menschen. Es sind also die Linsen der
nachts tätigen Tiere (Hund und Katze) am meisten durchlässig; ihnen
nahe sind die der Eule und der Tiefseefische, an deren Aufenthaltsort
die Lichtstrahlen nur schwer hindringen.
M. Gstettner: Ein Beitrag zur Kenntnis des Blinselreflexes
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) In über 1000 Versuchen an
Menschen verschiedensten Alters fand G., dass der Blinzelreflex (hervor¬
gerufen durch Berühren der Cilien) leichter von der medialen als von
der lateralen Partie der Cilien hervorgerufen werden kann; die Empfind¬
lichkeit der Cilien ist also am äussersten Lidwinkel am geringsten, um
gegen den inneren zuzunehmen. Aebnlich verhält sich die Haut der
Lider. Dabei kann das Blinzeln bei geöffnetem Auge weit leichter als
bei geschlossenem ausgelöst werden. Auch tritt es relativ selten am
offenen Auge auf, wenn das zweite, geschlossene, gereizt wird. Das
Reflexcentrum des Blinzelns ist ein bilaterales, und die Erregbarkeit
dieses Doppelcentrums wird durch den Lidschluss eines oder beider
Augen herabgesetzt.
W. Unger: Ueber den Wärmestillstand des Frosehherzens.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) U. hat den reparablen Wärme¬
stillstand der Kammer und der Vorkammern des Froschherzens gesondert
bestimmt. Für erstere lag er bei 22—37°, für letztere bei 36—40°
beim spontan schlagenden Herzen. Bei öfter hintereinander hervor¬
gerufenem Stillstand tritt er bei immer niedrigeren Temperaturen ein.
Einschaltung niedrigerer Temperaturen führt zu einer Vermehrung
der Resistenz gegen den Wärmestillstand, indem die Tendenz zum
Sinken der Stillstandstemperaturen fortfällt. Sauerstoffmaugel oder
-reichtum der das Herz umgebenden Ringerlösung war ohne erheblichen
Einfluss auf die Stillstandstemperatur. Die Vorhöfe kommen unter all¬
mählicher Abnahme ihrer Kontraktionen zum Stillstand, die Kammern
ohne solche plötzlich und früher als der Vorhof. Am durch Stannius-
sche Ligatur festgestellten und durch Reizung der Kammer zur Tätig¬
keit gebrachten Herzen steht umgekehrt zuerst der Vorhof still. Das
spricht dafür, dass der reparable Stillstand des zuerst stillstehenden
Herzteils auf elektiver, reversibler Wärmeschädigung des Reizleitungs¬
systems beruht.
K. Bürker: Vereinfachte Methode ;ur Bestimmung der Blut-
gerinnnngszeit. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) Vereinfachung
des früher von B. (Pflüger’s Archiv, Bd. 102 u. 118) beschriebenen Appa¬
rates und seiner Benutzung. •
A. v. Lehmann: Studien über reflektorische Darmbewegungen
beim Hände. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 6—8.) Versuche über das
Auftreten von Darmbewegungen an curaresierten Tieren, bei denen
sensible Rumpfnerven oder die Hypogastrici und Erigentes oder
Splanchnici und Vagi gereizt wurden. In allen Fällen traten Reflexe
auf die Dick- und Dünndarmbewegungen auf. Jeder der gereizten Nerven
wirkt entweder nur hemmend oder fördernd. Letzteres geschieht von
seiten des Vagus und der sensiblen Rumpfnerven, ersteres vom Splancbnicus
aus. Die Reflexe sind teils spinale, teils cerebrale, so dass Rückenmark-
und Kopfmarkcentren für die Darmbewegungen angenommen werden
müssen, deren erstere wesentlich von seiten der visceralen, letztere von
den Rumpfnerven aus beeinflusst werden.
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UNIVERSUM OF IOWA
20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
11?
F. Mares: Sind die endogenen Parinkörper Produkte der Tätig¬
keit der Verdinuogsdrüsen? (Eine Antwort auf die Frage Siven’s.)
(Pflüger’s Archiv, B. 149, H. 6—8.) Sehr eingehende Kritik der Aus¬
führungen und Versuche Siven’s, der im Gegensatz zu M. die über¬
schriftlich gestellte Frage verneint hatte. Nach M. nehmen an der
Bildung der endogenen Purine die Zerfallsprodukte der Kerne der Zellen
der Verdauungsdrüsen teil.
F. Smetanka: Zur Herkunft der Harnsäare beim Menschen.
II. Abhandlung. Antwort_auf die Kritik Siven’s. Pflüger’s Archiv,
Bd. 149, H. 6—8.) S. bringt neben einer Kritik der Versuche Siven’s
über die Abstammung der endogenen Purine beim Menschen neue
eigene Untersuchungen. Er kommt zu dem Ergebnisse, dass die Ein¬
nahme purin freier Proteine eine erhöhte Purinausscheidung bewirkt,
die von der angeregten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen herrührt. Die
Steigerung dauert 5—6 Stunden nach der Nahrungsaufnahme; findet
diese aber abends statt, so dehnt sich die Steigerung bis zum nächsten
Vormittag aus. Kohlenhydrate steigern gleichfalls die Purinausscheidung,
wenn auch in geringerem Maasse. A. Loewy.
Pharmakologie.
J. Pohl - Breslau: Ueber die experimentelle Bewertung der Santal-
priparate. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.) Die experimentelle
Prüfung der Santalpräparate mittels des Winternitz’schen Verfahrens
hat ergeben, dass die Handelspräparate physiologisch ganz verschieden
sind, dass reines Santalöl energisch wirksam, Kawazusatz ebenfalls
antiphlogistisch wirksam ist, Gurjumbalsam, Alloran, Arrhovin, Maticoöl
und Chlorcalcium ungenügend wirksam bis unwirksam blieben. Schliess¬
lich weist Verf. darauf hin, dass es ein durchaus ungerechtfertigtes Vor¬
urteil ist, in diesen Stoffen nur spezifische Mittel gegen gonorrhoische
Affektionen zu erblicken. Zum mindesten sollten mit ihnen neue
kritische klinische Versuche angestellt werden bei allen mit Exsudat¬
bildung einhergehenden Prozessen: Pleuritis, Pneumonie, Peritonitis,
Typhlitis, Meningitis, Bronchitis. Minderung der Entzündungsprodukte
der Menge nach ist ihre Wirkung und diese, wenn auch nur ein Symptom
treffend, doch für den klinischen Krankheitsablauf von Nutzen.
U. Knopf.
Siehe auch Therapie: Credö, Ein neues subcutanea und intra¬
muskuläres Abführmittel. — Haut- und Geschlechtskrankheiten:
Eichler, Arsenikvergiftung nach Salvarsaninjektion.
Therapie.
Th. Pertik • Budapest: Ueber Jodostarin und JodprBparate in
der Therapie der LaDgenschwiBdsaeht. (Deutsche med. Wochenschr.,
1918, Nr. 2.) Jodostarin ist schadlos und wirkt lange im Organismus.
Wolfsohn.
B. Crede-Dresden: Ein neues, subcutanes und intramuskuläres
Ahflhrmittel. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Sennatin
enthält alle wirksamen Prinzipien der Sennesblätter unter Ausschluss
derjenigen Körper, welche Nebenwirkungen hervorrufen. Es wird in
Dosen von etwa 2 g subcutan oder intramuskulär injiziert. Die Wirkung
ist eine sehr gute bei habitueller Obstipation, akuten Darmstörungen
mit und ohne Meteorismus, bedingt durch Magen-Darmentzündungen,
Peritonitis usw., als Propbylaktikum bei Laparatomien zur Vermeidung
von Adhäsionen. Besonders empfehlenswert ist das Mittel bei Geistes¬
kranken, Bewusstlosen und Widersetzlichen. Dünner.
G. V. Fletcher- Birkenhead: Adrenalin bei Keuchhasten. (Brit.
med. journ., 28. Dezember 1912, Nr. 2713.) Bei einer Dosis von 0,06 g
der Lösung 1: 1000, dreistündlich gegeben, hat der Verf. in etwa
40 Fällen eine Abnahme der Zahl der Anfälle und eine Abkürzung der
Krankheit auf 8 Wochen gesehen. Er empfiehlt weitere Versuche.
Weydemann.
V. Heinsberg-Breslau: Zur Beseitigung der Schlnckbeschwerden
bei Laryaxerkranknngen. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.)
Man schüttet 0,3—0,4 Anästhesin bzw. Orthoform trocken auf die
Zunge und lässt es trocken schlucken, ohne hinterher zu trinken.
Das Medikament lagert sich dann an der Stelle des Hindernisses, das
meist durch Infiltrate oder Ulcerationen am Larynxeingang — also an
Epiglottis, Aryknorpel und den aryepiglottischen Falten — gegeben ist,
ab. Der Patient kann dann schlucken. Bei schmerzhaften Anginen
oder peritonsillären Abscessen sowie nach Mandeloperationen bringt
dieses „Schluckpulver“ Erleichterung.
R. Fr a n z • Graz : Seramtherapie bei Melaena neonatorum. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 53) F. benutzte die Eigenschaft des Blut¬
serums, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu erhöhen, zu therapeutischen
Zwecken bei Melaena neonatorum. Er injiziert bei solchen Fällen
circa 20 ccm Nabelschnurblutserum subcutan. Eventuell ist eine mehr¬
malige Injektion erforderlich. Das Serum stellt er so her, dass bei
gesunden Kreissenden nach der Abnabelung des Kindes das Blut aus
der Nabelschnur steril aufgefangen wird, das Serum wird zentrifugiert,
in Fläschchen aus dunklem Glase mit einigen Tropfen Chloroform ver¬
mischt in einem kühlen, dunklen Ort luftdicht verschlossen aufbewahrt.
Nach den von F. gemachten Erfahrungen hält sich das Serum mindestens
4 Monate. Die Ergebnisse der Injektionen sind gute. Dünner.
W. Bruce-Sunderland: Behandlung der Blutung bei einen Bluter
mit galvanischen Nadeln. (Brit. med. journ., 21. Dezember 1912, Nr. 2712.)
Zweijähriges Kind (Bluter) mit leichter Zungenverletzung. Eine Nadel
wurde in der Mitte der blutenden Stelle eingestochen, die andere 3 mm
davon; Stromstärke 5 Milliampere. Nach 2 Minuten stand die Blutung,
das umgebende Gewebe war weiss und etwas geschwollen.
Weydemann.
A. Zografides - Athen: Beitrag zur Therapie der Otitis externa
farancalosa. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Z. hat in den
letzten Jahren die besten Resultate mit folgender Methode erzielt: er
macht — einerlei, ob es zur Abscessbildung gekommen ist oder nicht —
nach vorheriger gründlicher Desinfektion 3 bis 5 Längsschnitte an der
Stelle, wo die Schmerzen sitzen, und führt dann sofort sterile Gaze¬
streifen ein, die in eine lOproz. Carbollösung getaucht sind.
P. Hirsch.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
C. Hirsch und 0. Thorspecken-Göttingen: ExperimentelleJlnter-
8uchungen zur Lehre von der Arteriosklerose. (Deutsches Archiv
f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Verf. konnten an Kaninchen nach
Durchschneidung des N. depressor durch intravenöse Adrenalininjek¬
tionen bedeutend stärkere arteriosklerotische Veränderungen der Aorta
erzeugen als bei Tieren ohne Durchschneiduog des Nerven. Sie er¬
blicken die Ursache dieser Erscheinung in der dauernden und vermehrten
Inanspruchnahme der Aortenelastizität nach Depressorresektion. Die
chemische Adrenalineinwirkung setzt bei dem mehr angestrengten Ge-
fäss hochgradige Veränderungen. G. Eisner.
J. Sasaki: Zur experimentellen Erzeugung der Struma. (Deutsche
Zeitschr. f. Chirurgie, 1912, Bd. 119, H. 3 u. 4.) Dem Verf. ist es ge¬
lungen, nach längerer Zeitdauer durch Fütterung und Injektion von
Rattenkot bei Ratten Veränderungen der Schilddrüse zu erreichen, und
zwar meist eine diffuse Hyperplasie. Ein direkter Nachweis, welche Sub¬
stanz toxisch wirkt, ist nicht gelungen. Es wird aber vermutet, dass
die Ursache in giftigen Zersetzungsprodukten organischer Substanzen zu
suchen ist, und man muss annehmen, dass vielleicht mehrere derartige
Toxine oder Toxoalbumine in der gezüchteten Kotmasse enthalten sind.
Fritsch - Breslau.
McCarthy und Karsner: Adenocarcinom der Thyreoidea mit
Metastasen in den Cervicaldrüsen und der Hypophyse. (Ein Beitrag
zur anormalen Fettbildung.) Americ. journ. of med. Sciences, 1912,
Nr. 6.) Krankengeschichte und ausführlicher makroskopischer und
mikroskopischer Sektionsbefund eines 52 jährigen Patienten, der unter
den Erscheinungen einer Apoplexie 1903 erkrankte und 1908 unter
Dyspnoe starb. Er zeigte am Halse beiderseits gleichmässige Schwellung,
die als Fettablagerung gedeutet wurde. Sonst keine abnorme Fett¬
bildung. Sektion bestätigte den Befund nicht Schelenz.
Georgopulos- Athen: Ueber die entgiftende Tätigeit der Para¬
thyreoidea bei der Nephritis. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76, H. u. 4.)
G. hat untersucht, ob eine Steigerung der Epithelkörperchentätigkeit auf
die Entwicklung einer Uraunephritis bei Kaninchen einen hemmenden
Einfluss ausübt. Gleichzeitig wurde den Tieren, um eine Ueberfunktiou
der Epithelkörperchen hervorzurufen, die Schilddrüse extirpiert. Es
zeigte sich, dass in einer grösseren Versuchsreihe diejenigen Kaninchen
länger lebten, bei denen durch Exstirpation der Schilddrüse eine Ueber-
funktion der Epithelkörperchen ermöglicht war. Dass die Schilddrüsen¬
exstirpation als solche keinen Einfluss auf die Lebensdauer der uran¬
vergifteten Kaninchen ausübte, wurde durch Kontrollversuche gezeigt.
Folglich beruht die längere Lebensdauer uranvergifteter und tbyreoidekto-
mierter Kaninchen auf einer hemmenden Wirkung der Parathyreoidea
gegenüber den bei der Urannephritis entstehenden giftigen Stoffen.
H. Hirschfeld.
V. Kollert-Wien: Das skaphoide Sehalterblatt und seine
klinische Bedeutung für die Prognose der Lebensdauer. (Wiener klin.
Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Die skaphoide Schulterblattform ist eine
im intrauterinen Leben entstehende Abnormität; die Knochenform bleibt
während des extrauterinen Lebens im ganzen unverändert. Sie ist das
Zeichen einer angeborenen Minderwertigkeit des Individuums, meist sterben
die Träger in jungen Jahren, und zwar häufig an Tuberkulose.
P. Hirsch.
Siehe auoh Innere Medizin: Beumelburg, Aetiologie der
Hodgkin’schen Krankheit.
Diagnostik.
A. Friediger-München: Dimethylanidoazobenzol als mikro¬
chemisches Reagens auf Fett, insbesondere über seine Verwend¬
barkeit zu kombinierten Färbungen in der Mikroskopie des Magen-
und Darminhalts. (Münchener med. Wochenschr., Nr. 52.) F. be¬
nutzt da9 Dimethylamidoazobenzol zum Nachweis von Fett im Magen¬
inhalt und Fäces, das sich goldgelb färbt. Um das Gesamtfett durch
Gelbfärbung differenziert zu erhalten, setzt man etwas Essigsäure zu
und erhitzt etwas. F. fügt noch einige charakteristische Färbungen
erzeugende Chemikalien hinzu, um Stärke, Muskelreste usw. sichtbar zu
machen. Seine Mischung: konzentrierte alkoholisch Dimetbylamidoazo-
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UNIVERSUM OF IOWA
Nr. 3.
119 _ BERLINER KLINI SCHE WOCHENSCHRIFT.
bcnzol, Alkohol absol. 0,75 pCL, alkohol. Eosinlösung (70 pCt. Alkohol),
konzentrierte Essigsäure aa 20,0, Lugol’sche Lösung gtt XX, Mucicarmin
(konzentrierte, wässerige Lösung) gtt XX. Ausführliche Beschreibung der
Technik; es kommt immer darauf an, mit wasserfreiem Mageniuhait bzw.
Fäces zu arbeiten. Dünner.
V. Ewart-London: Die Diagnose der Appendicitis vor der Operation;
neue Methode der Untersuchung am Rücken. (Brit. med. journ., 28. De¬
zember 1912, Nr. 2713.) Bei Gesunden findet sich jederseits in der
Gegend der Uiosacralgelenke eine rechteckige Dämpfung, die mit einem
Sausam’schen Plessimeter leicht perkutiert werden kann. Die rechte
ist etwas intensiver als die linke, wahrscheinlich wegen des luft¬
leeren Wurmfortsatzes. Nach Entfernung des Wurmfortsatzes ver¬
schwindet die rechte Dämpfung oder macht in einigen Fällen einer ent-
sprecl md gestalteten Fläche mit tympanitischem Schall Platz. Jede
pathologische Verdickung der Gebilde in der Gegend der Uiocoeealver-
bindung vergrössert die rechte Dämpfung, während jede Aufblähung des
Coecums oder des ileums den Schall an der Stelle tympanitisch macht.
Eine Vergrösserung der rechten Dämpfung zeigt eine Appendicitis an,
auch wenn die sonstige Untersuchung noch keine Anzeichen dalür gibt.
Bei der Untersuchung steht der Patient am besten vornübergebeugt
und stützt sich mit den Händen auf einen Tisch; iin Bette sitzt er oder
liegt auf der linken Seite. Weydemann.
Parasitenkunde und Serologie.
P. Frosch - Berlin: Differenzierung fnchsingefärbter Präparate
durch Gegenfärbnng. (Centralbl. f. Bakt. usw., I. Aht., Orig., Bd. 64,
Loelfler-Festschrift, S. 118.) Um für fuchsingefärbte Bakterienpräparate
eine scharfe Differenzierung bzw. Gegenfärbung zu erhalten, benutzt Fr.
folgendes Verfahren, das sich ihm besonders bewährt hat: Voriärbuug
der Deckglas- oder Objektträg»*rausstriche mit wässeriger Fuchsinlösung,
unmittelbar darauffolgende Differenzierung in einer wässerigen, leicht
angesäuerten Lösung von Patentblau-Höchst, Abspülen in schwach
saurem Wasser (1—2 Tropfen Eisessig auf 20—30 ccm Aq. dest.),
Trocknen, Einlagen. Kerne und Bakterien erscheinen in diesen Prä¬
paraten leuchtend rot, alle übrigen Zellbestandteile blau bzw. grün.
H. Zipfel - Greifswald: Zur Kenntnis der Indolreaktion. (Central¬
blatt f. Bakt. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loetfler-Festschrift, S. 65.)
Die Möglichkeit der Indolbildung durch Bakterien hängt nach den
Untersuchungen des Verf.’s von der Anwesenheit der Tryptophangruppe
(Indol-a-aminopropionsäure) in dem Nährsubstrat ab. Z. hat eine Nähr¬
lösung mit Zusatz von Tryptophan in verschiedenen Konzentrationen
angegeben, die den Nachweis der Indolbildung durch Bakterien ebenso
gut wie eine Peptonlösung gestattet und verschiedene Vorteile dieser
gegenüber besitzt. Bierotte.
E. H. Ross: Ein intrazellulärer Parasit, der sich zu Spirochäten
entwickelt. (Brit. med. journ., 14. Dezember 1912, Nr. 2711.) Durch
die Gallertmethode der vitalen Färbung ist es gelungen, nachzuweisen,
dass die in den mononucleären Leukocyten der Meerschweinchen be¬
obachteten sogenannten KurlofTschen Körperchen Parasiten sind und
Spirochäten entwickeln. Weydemann.
Schütz-Berlin: Die rotzigen Lnngenerkranknngen der Pferde
nebst Bemerkungen über den serologischen Nachweis der Rotzkrankheit.
(Centralbl. f. Bakt. usw., I. Abt., Bd. 64, Loelfler-Festschrift, S. 87.)
Sch. unterscheidet neben dem in den verschiedensten Organen vor¬
kommenden Rotzknötchen, der wichtigsten anatomischen Veränderung
bei der Rotzkrankheit, folgende Formen von Lungenaffektionen rotzigen
Ursprungs: 1. Die rotzige zeitige oder zellig-übrinöse Lungenentzündung.
2. Die rotzige chronische indurative Pneumonie und Bronchopneumonie.
3. Die eitrige Bronchitis und Peribronchitis. Von serologischen Fragen
werden kurz Agglutinations- und Komplementbindungsmethode in ihrem
Wert für die Erkennung der Rotzkrankheit beim lebenden Pferd be¬
sprochen, sowie ausführlicher Mallein, Antimaliein und Malleioisation
behandelt.
H. Miessner - Bromberg: Ueber die Infektiosität von Organ¬
teilen rotziger Pferde und die Komplementbindnngsreaktion beim
Meerschweinchen, sowie einige Heil- und Immunisierungsversuche.
(Centralbl. f. Bakt. usw., L Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift,
S. 121.) Die Infektion von Meerschweinchen mit rotzigen Orgauteilen
von Pferden führt nur in */< der Fälle eine rotzige Erkrankung der Ver¬
suchstiere herbei. Am besfen geeignet zur Infektion sind frische Lungen¬
knoten, Milzknoten und die rotzig erkrankte Nasenschleimhaut. Der
Meerschweinchen versuch ist zur Rotzdiagnose nur mit grösster Vorsicht
verwertbar. Im Blute bzw. im Serum rotzkranker Pferde sind nur aus¬
nahmsweise durch den Meerschweinchenversuch Rotzbacillen nachzu¬
weisen. Die Kompleraentbindungsreaktion bei Meerschweinchen, die mit
rotzigen Organen bzw. mit Blut rotziger Pferde infiziert sind, ist als
diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung der Rotzkrankheit nicht zu
verwerten. Dem natürlichen Magensaft der Pferde ist eine besondere
baktericide Wirkung auf Rotzbacillen nicht zuzusebreiben. Durch ein-
bzw. zweimalige Vorbehandlung mit Antiformin-Rotzbacillenaufschwem-
mungen ist bei Meerschweinchen weder bei subcutaner noch bei intra¬
abdominaler Verabreichung ein wirksamer Schutz gegen eine Rotzbacillen¬
infektion zu erzeugen. Salvarsanbehandlung ist zur Bekämpfung des
Rotzes nicht geeignet. Bierotte.
E. F. Bashford - London: Das Krebsproblem. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 2 ) Leyden-Vorlesung, gehalten im Verein für
innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 21. Oktober 1912.
Wol fsoh n.
E. v. Dun gern - Heidelberg: Serodiagnostik der Geschwülste
mittels Komplementablenknngsreaktion. (Münchener med. Wochenschr.,
1912, Nr. 52.) Anstatt alkoholischer Tumorextrakte benutzt D. Aceton¬
extrakt von menschlichen roten Blutkörperchen zur Anstellung der
Reaktion. Während mit diesem Extrakt auch Syphilitiker und Tuber¬
kulöse reagieren, wird die Reaktion tumorspezifischer, wenn man Natron¬
lauge anwendet und zur Kontrolle verwässerte Sera benutzt. Genaue
Technikangabe. Dünner.
Barsony und Egan - Budapest: Ueber die diagnostische Ver¬
wertung der Echinokokkenkomplementbiading. (Zeitschr. f. klin.
Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) Bei den Versuchen, mit Hilfe der Komplement¬
bindung die Echinokokkendiagnose zu stellen, machte von jeher die Be¬
schaffung geeigneter Antigene Schwierigkeiten. Die Verfasser empfehlen
folgendes Verfahren: Frisch vom Schlachthof bezogene Rinderechino¬
coccuscysten werden gespalten und ihr Inhalt steril aufgefangen. Die
Flüssigkeit wird dann im Vaccuumexsikkator bei 37° so lauge eingeengt,
bis der Titer ca. 2 ccm beträgt. Dann setzt man so viel Phenol zu,
dass eine 0.5 proz. Konzentration besteht. Ein so hergestelltes Antigen
behält seinen Titer Monate hindurch. Die Verfasser erhielten mit einem
solchen bei acht Echinococcuskranken positive Komplementbindungs¬
reaktion, doch war die Hemmung in drei Fällen unvollständig. Leider
beobacht man unvollständige Hemmungen auch bei anderen Krankheiten.
Das begegnete den Verfassern achtmal. Sechsmal war hier auch die
Wassermann’sche Reaktion positiv, einmal wareine Taenia mediocanellata
vorhanden und in einem Falle lag Cholelithiasis mit schwerem Icterus
und chronischer Pankreatitis vor. Die Reaktion ist also nicht streng
spezifisch; bei unvollständiger Hemmung ist Vorsicht geboten, doch muss
mau bei stark positiver Reaktion stets an Echinococcus denken. Bei
negativem Ausfall ist Echinococcus nur mit Wahrscheinlichkeit auszu-
schliessen. H. Hirschfeld.
S. Ishioka - Tokio: Zur Histologie der anaphylaktisches Pneu¬
monie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Es ge¬
lingt bei anaphylaktisch gemachten Meerschweinchen durch Injektion des
betreffenden Serums in die Trachea anaphylaktische Pneumonien zu er¬
zeugen, die der menschlichen fibrinösen Pneumonie an die Seite gestellt
werden können. Es handelt sich um aseptische Lungenentzündungen
und nicht um sekundäre Bakterieninvasionen. In allen Lungen findet
man ferner Zeichen mehr oder weniger hochgradigen Emphysems, was
als Folge des anaphylaktischen Shocks aufzufassen sein dürfte. Der
lobäre Charakter der Pneumonie wird bei den Tierversuchen nicht immer
gewahrt. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Tiere in einem ver¬
hältnismässig frühen Stadium der Erkrankung getötet wurden und in
den ersten 1—2—3 X 24 Stunden zur Beobachtung kamen. Ob alle
Stadien der menschlichen fibrinösen Pneumonie überhaupt möglich sind,
ist zweifelhaft. Auch der Fibrinreichtum ist in den experimentellen
Pnenmonien gering. G. Eisner.
C. v. A n ge rer - Erlangen: Zar Epipkaiiareaktion. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.) Polemik gegen Korff-Petersen
und Brinkmann in Nr. 45 der Münchener med. Wochenschr. Schluss¬
sätze: Die Epipbaninreaktion wird durch die Kohlensäure der Luft und
der Ausatmung nicht beeinflusst. Messfehler könneu mittels geeigneten
Instrumentariums auf ein unschädliches Maass heruntergedrückt und durch
Doppelbestimmungen ausgeschaltet werden. Es ist unrichtig, dass bei
der Reaktion mit den Fehlern auch die Ausschläge schwinden und nur
durch Fehler bedingt sind. Dünner.
P. Esch - Marburg: Bewirkt das Kiad während des intranteriien
Lebens eine Ueberempflndlicheit bei der Matter? (Centralbl. f.
Bakt. usw., I. Abt., Orig, Bd. 64, Loeffler-Festschrift, S. 13.) E.
kommt auf Grund der Ergebnisse von zwei Versuchsreihen zu dem
Schluss, „dass eine Ueberempfindlichkeit der Mutter, bedingt durch das
Kind während des intrauterinen Lebens, einstweilen nicht nachzu¬
weisen ist.“ Bierotte.
Siehe auch Innere Medizin: v. Lindsi, Finkler’sches Heil¬
verfahren bei Impftuberkulose des Meerschweinchens. — Augenheil¬
kunde: Huntemüller und Paderstein, Chamydozoenbefunde bei
Schwimmbadconjunctivitis.
Innere Medizin.
A. Rolland - Heidelberg: Zur Frage des toxogenen Ei Weisszerfalls
im Fieber des Menschen. (Deutsches Archiv, f. klin. Med., Bd. 107,
H. 5 u. 6.) Es werden an zwölf Patienten mit fieberhaften Erkrankungen
Stoffwechselversuche angestellt, die die Frage nach der Existenz eines
toxogenen Eiweisszerfalls im Fieber klären sollten. Es gelang, mit einer
gerade ausreichenden Kost ein vollständiges oder nahezu vollständiges
Stickstoffgleicbgewicht zu erzielen. Nur bei Temperaturen, die um 40®
schwankten, trat manchmal ein geringfügiger Stickstoffverlust ein, der
wohl am richtigsten einem Ueberbitzungseiweisszerfall zur Last gelegt
wird. Es ist nicht notwendig, einen toxogenen Eiweisszerfall als Cha-
rakteristicum des Fieberstoffwechsels anzunehmen.
Fr. Nolly-Leipzig: Bemerkungen zu dem Aufsatz von F. G. Bene¬
dikt: Ein Universalrespirationsapparat. (Deusches Archiv f. klin.
Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Kontroverse gegen Benedikt.
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UMIVERSITY OF IOWA
20. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
119
0. Bruns - Marburg: Untersuchungen über den respiratorischen
Gaswechsel bei Erkrankungen der Lange and der luftzuführenden
Wege. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Beim ein¬
seitigen offenen Pneumothorax enthält die coilabierte Lunge weniger Blut
als die ausgedehnte. Der 0 2 -Gebalt des Blutes geht oft bis fast zur
Hälfte zurück; der CO,-Gehalt steigt beträchtlich an. Beim geschlossenen
Pneumothorax ist der respiratorische Gaswechsel normal. Bei rascher
Einengung der atmenden Lungenoberfläche (Pneumonie, Pleuritis ex¬
sudativa, Verstopfungsatelektase) sowie bei energischer Stenosierung der
luftzuführenden Wege (Trachealstenose) tritt 0 2 -Armut und C0 2 -An-
reicherung auch im arteriellen Blut ein. Der Einfluss der genannten
Lungenaffektionen auf den respiratorischen Gaswechsel hängt ab von der
Grösse des ausgesebalteten Lungenbezirks, von der Schnelligkeit der Aus¬
schaltung, von der Funktionsbreite der Kompensationsvorrichtungen über¬
haupt sowie von der individuellen und momentanen Leistungsfähigkeit
dieser Ausgleichvorrichtungen (Atemceutrum, Kreislauforgane, Kraft der
Atemmuskulatur, Thorax- und Lungenelastizität). E. Eisner.
W. Freymuth: Heilstättenerfahrungen über Tuberkuloseinfektion
und Schwindsuchtsentstebung mit besonderer Berücksichtigung der Römer-
schen Anschauungen. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4)
Yerf.’s Anschauungen nähern sich in vielen Punkten denen Römer’s,
weisen aber auch nicht unbeträchtliche Abweichungen auf. Häufigkeit
der Kindheitsinfektion wird zugegeben, ihre Bedeutung jedoch nach dem
Alter, in dem sie erfolgt, verschieden bewertet. In den ersten 2 Jahren
absolut letal, nimmt sie schrittweise an Gefährlichkeit ab. Zwischen
6. und 15. Jahr zeigt sie ausgesprochen gutartigen Charakter, daher
nicht als allgemein richtig zu erkennen, dass die erste Infektion mit
Tuberkulose gewöhnlich zu galoppierenden Tuberkuloseforraen führt.
Die Lungentuberkulose der Erwachsenen ist gewöhnlich nicht als die
einfache Fortsetzung einer Kindheits-Lungeninfektion anzusehen, sondern
als eine neue Erkrankung. Hierbei Bedeutung sozialer und persönlicher
Schädigungen. Eine besonders schwere Kindheitsinfektion ist wahrschein¬
lich nicht als Hauptgrundlage der Lungentuberkulose anzusehen, auch
nicht massive Reinfektionen als Ursache der Lungenphthise; dieselben
erzeugen vielmehr floride Lungentuberkulose der Erwachsenen.
E. Ebstein: Die Ausmessung der Krb’nig’schen Schallfelder und
ihre klinische Bedeutung. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.)
Verf. gibt seinen perkutorischen Befunden über der Lungenspitze einen
zahlen massigen Ausdruck mittels eines auf dem Stiele seines Perkussions¬
hammers angebrachten Zentimetermaasses.
Kennerknecht: Ueber das Vorkommen von Tuberkelbacillen im
stromernden Blute bei Kindern. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23,
H. 2.) Von 120 untersuchten Kindern hatten 109, also 91 pCt., Tuberkel¬
bacillen im Blut, 100 pCt. von 68 sicheren Tuberkulosen, 18 Fälle von
20 tuberkuloseverdächtigen, das sind 90 pCt., und 23 Fälle von 31 Kindern,
die nicht für tuberkulös gehalten worden waren, das sind 74 pCt. Der
direkte Nachweis der Bacillen im Blut ist von grösstem diagnostischen
Wert und übertrifft die Pirquet’sche und Moro’sche Reaktion. Die
Bacillen finden sich in den allerfrühesten Stadien im Blut. Tuberkel-
bacillen fanden sich bei den intraperitoneal infizierten Versuchstieren
stets im Blut, in der Lunge und den Bronchialdrüsen, auch in anderen
Organen kreisen Tuberkelbacillen dauernd im Blute, und es ist placentare
Uebertragung auf die Nachkommenschaft möglich. Bei einem trächtigen
Tier konnten in Placenta, Leber und Milz eines schon vorher ab¬
gestorbenen Fötus Bacillen nachgewiesen werden.
v. Lin den-Bonn: Die Ergebnisse des Finkler’schen Heilverfahrens
bei der Impftuberkulose des Meerschweinchens. (Beitr. z. Klinik d.
Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Versuche mit dem Chlor- und Jodwasserstoffsalz
des Methylenblaus, mit Jodmetbylenblau, mit Kupferchlorid in wässriger
Lösung und mit komplexen Kupferlecithinverbindungen in öliger oder
wässriger Emulsion. Während die Kontrolliere eine durchschnittliche
Lebensdauer von 15 Wochen und eine maximale von 18 Wochen haben,
leben die Methylenblautiere durchschnittlich 28 Wochen, und ihr Maxi¬
mum war 42 Wochen. Bemerkenswert ist, dass die Hälfte der be¬
handelten Tiere nicht an Tuberkulose, sondern infolge anderer Ursachen
eiogegangen ist. In 50pCt. der Fälle soll ein ganz offensichtlicher Heil¬
erfolg erzielt sein, darunter eine völlige Heilung. Auch die Kupfertiere
weisen eine erhebliche Lebensverlängerung auf, selbst in solchen Fällen,
in denen die Tiere ausserdem seuchenkrank waren und dieser Sekundär¬
infektion schliesslich zum Opfer fielen. Die Tuberkulose breitet sich
mehr lokal aus, nicht miliar.
E. Meissen-Hohenhonnef: Meine Erfahrungen bei Lungentuber-
kalose mit Jodmetbylenblau und Kupferpräparaten. (Beitr. z. Klinik
d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) 47 Lungenkranke, die gleichzeitig die ge¬
wöhnliche hygienisch-diätetische Kur im Sanatorium durchführten, wurden
behandelt. Die mittelschweren Fälle wurden fast sämtlich mit Kupfer¬
präparaten behandelt und sollen einen günstigeren Kurverlauf gezeigt
haben als nur die allgemein behandelten, die Besserung wurde aber
sehr langsam erzielt. Die schweren Fälle versagen und bei den leichteren
ist nicht festzustellen, ob der Erfolg nicht der allgemeinen Kur zuzu¬
schreiben ist.
A. S trau ss-Bar men: Meine Erfahrungen mit Jodmetbylenblau und
Kupferpräparaten bei äusserer Tuberkulose, speziell bei Lnpns. (Beitr.
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Behandelt wurden ca. 60 Fälle
von Lupus und anderer äusserer Tuberkulose mit mehr als 1600 In¬
jektionen. Die Mittel zeigten eine gute Wirkung, besonders bei ober¬
flächlichen und ulcerösen Hauttuberkulosen. Auch Fälle, die aller Be¬
handlung trotzten und nicht mehr operiert werden konnten, zeigten im
Anfang oft Tendenz zur Heilung.
0. Amrein-Arosa: Behandlung der Lungentuberkulose mit Eisen-
tuberkuliu. (Beitr. z. Klinik der Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Von zehn
Fällen des 1. Stadiums war der Erfolg der Behandlung mit TFe ein
positiver in 9 Fällen, ein negativer in einem Fall, von 28 Fällen des
II. Stadiums positiv iu 22 Fällen, negativ in 6 Fällen, in 3 Fällen des
III. Stadiums positiv in einem Fall, negativ in 2 Fällen. Verschlechte¬
rung fand in keinem Falle statt. Besonders beachtenswert sind zwei
Entfieberungen, die mit allerkleinsten Dosen (0,000 000 1—0,000 000 01)
gelangen. Verf. hat den Eindruck, dass das TA in seiner Wirksamkeit
dem TFe überlegen ist, empfiehlt das letztere aber für fiebernde Fälle
und da, wo grosse Vorsicht geboten ist.
0. Orszdg und I. Spitzstein: Therapeutische Erfahrungen über
das Koch’sche albumosefreie Tuberkulin. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 23, H. 4.) Die Erfahrungen mit den früheren über TA vergleichend,
wollen die Verfasser in dieser Arbeit sich mit der Tuberkulintherapie
nicht im allgemeinen und des näheren befassen. Sie begnügen sich, fest¬
zustellen, dass es ohne Zweifel steht, dass das TAF in Verbindung mit
der hygienisch diätetischen Behandlung mindestens so gute Erfolge er¬
gibt als das TA. Es hat den Vorteil, dass es Fieberreaktionen seltener
hervorruft und auch dann ohne unangenehme Allgemeioerscheinungen,
die nur selten und gering zu beobachten sind. Diese Eigenschaft macht
es empfehlenswert, dass das letzte Präparat Koch’s eher zu Heilzwecken
angewandt wird als die übrigen älteren des berühmten Forschers.
H. Berberich: Die cutaue Tuberkul inimpfung nach v. Pirquet.
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) Bestätigung, dass der Aus¬
fall der Pirquet’schen Reaktion in den ersten drei Lebensjahren, be¬
sonders aber im Säuglingsalter, als vollwertiges, sicheres diagnostisches
Hilfsmittel der Diagnose der Tuberkulose des Kindesalters angesehen
werden darf. Negativer Ausfall bei klinisch sicher Tuberkulösen gilt
als ungünstiges prognostisches Zeichen. J. W. Samson.
Cruicice: Auftreten von Purpura im Verlaufe der chronische!
Lungentuberkulose. (Americ. journ. of med. Sciences, 1912, Nr. 6.)
Auftreten von Purpura soll als Frühsymptom für Tuberkulose zu ver¬
werten sein. Jedenfalls ist ihr Erscheinen im Verlauf einer länger be¬
stehenden Tuberkulose prognostisch ungünstig zu betrachten und ist
danach immer ein weiteres Fortschreiten des Prozesses zu verzeichnen.
Krankengeschichten belegen die Beobachtung.
H. Königer-Erlangen: Ueber die Technik und Indikation des
künstlichen Pneumothorax. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.)
Verf. fasst sein Urteil über die Technik des künstlichen Pneumo¬
thorax dahin zusammen: Der operative Eingriff ist weder schwierig noch
gefahrvoll; die Durchführung der ganzen Behandlung aber verlangt eine
langdauernde sorgfältige klinische Beobachtung und stellt grosse An¬
forderungen an das klinische Urteil und an das Individualisierungs¬
vermögen des behandelnden Arztes. Bei sachgemässem Vorgehen besteht
begründete Hoffnung, dass es mittels der neuen Therapie in einer
steigenden Zahl von Fällen gelingen wird, schwere, sonst unheilbare
Lungenerkraokungen zum Stillstand zu bringen. Betreffs der Indi¬
kation werden die beiden wichtigsten Vorbedingungen der Therapie
(das Erhaltensein eines grossen, freien Pleuraraumes und die über¬
wiegende Einseitigkeit des Prozesses) am häufigsten von frischeren und
weniger ausgedehnten Erkrankungen erfüllt. Verf. ist daher geneigt,
für eine über das ultimum refugium hinausgehende Indikation einzu¬
treten und die Indikation nicht sowohl von der Ausdehnung als von der
unaufhaltsamen Progredienz abhängig zu machen. Scheienz.
Rösler und H. Jarczyk - Leipzig: Ueber die Wirkung von Atopban
bei chronischer myeloischer Leukämie. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Bd. 107, H. 5 u. 6.) Atophan bewirkt bei chronischer myeloischer
Leukämie eine vermehrte Harnsäureausscheidung; in einem Fall (von
zwei Fällen) war auch vermehrte Diurese nachweisbar. Entsprechend
der Dosis von 0,5—3,0 g Atophan beträgt die prozentuale Zunahme
der ausgeschiedenen Harnsäure 7—58,3 pCt. Der Gesamtstickstoffumsatz
erfahrt durch Atophan keine besondere Steigerung. Eine elektive Wirkung
auf die harnsäureausscheidende Funktion der Niere im Sinne Wein-
traud’s ist bei der Leukämie nicht anzunehmen. Vielmehr liegt es
nahe, die vermehrte Harnsäureausscheidung auf eine Störung der Urico-
lyse im Sinne Scbittenhelm’s zurückzuführen. Das Blutbild zeigte
während und nach der Atopbaneinwirkung keine deutliche Abnahme der
Leukocyten. Therapeutisch ist Atophan bei Leukämie unwirksam.
Grössere Dosen (3,0 g) verschlechtern das Allgemeinbefinden, machen
Verstopfung .und Leberschmerzen. G. Eisner.
H. E. Walther: Zur Kenntnis der Puls- und Blutdruekverände-
ruugen beim Pneumothorax. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., 1912, Bd. 119,
H. 3—4.) Verf. hat die Vermutung, dass es sich bei den Puls- und
Blutdruck Veränderungen beim Pneumothorax um Einflüsse von seiten
des Nervus vagus handelt, experimentell an Kaninchen und Hunden
nachgeprüft und kommt zu dem Schluss, dass beim offenen Pneumo¬
thorax eine Blutdrucksteigerung verbunden mit Verlangsamung und
Grösserwerden des Pulses auftritt. Wird der Vagus ausgeschaltet
(Atropiniojektion), so steigt der arterielle Blutdruck wie bei intaktem
Vagus. Wird Sauerstoff zugeführt, so bleibt der Druck annähernd auf
gleicher Höhe, während die Pulskurve das Bild des Vagusreizes darbietet.
Um die verschiedenen Grade des geschlossenen und offenen Pneumo-
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UNIVERSUM OF IOWA
120
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
thorax am gleichen Tier feststellen zu können, hat Verf. eine kompli¬
zierte Kombination von Apparaten angebracht, durch die es gelingt,
alle Abstufungen des geschlossenen Pneumothorax zu erzeugen. Bezüg¬
lich des Zusammenhanges zwischen intrapleuralem Druck und Vagus¬
tonus lässt sich auf Grund dieser Versuche feststellen, dass dem Minus¬
druck ein hoher, dem Pulsdruck ein geringer Grad von Vagustonus ent¬
spricht. Fritsch.
Deist: Ueber Albumosurie bei Tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d.
Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Albumosurie findet sich im Verlauf der Tuber¬
kulose einwandfrei ohne nachweisbare äussere Ursache nur bei Fällen
dritten Stadiums. Aetiologisch kommen dafür die Albumosen der
Bacillenleiber und der erhöhte Elweisszerfall im Herd in Betracht. Für
die Albumosurie nach Tuberkulininjektionen kommt ebenfalls der ge¬
steigerte Eiweisszerfall im Herd infolge einer — wenn auch nicht äusser-
lich nachweisbaren — Herdreaktion in Frage. Da diese Albumosurie
meist nach drei Tagen verschwindet, deutet länger anhaltende Reaktion
auf frischere entzündliche Erkrankung (aktiven Prozess) hin.
A. Pagenstecher-Braunschweig: Tabes nervosa (eine Kranken¬
geschichte von 1819). (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.)
Fall von allgemeiner Tuberkulose. J. W. Samson.
E. Behrenroth-Greifswald: Beiträge zur Klinik des Lungenechino-
C0CCU8. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Be¬
schreibung von 5 Fällen von Lungenechinococcus. Verf. hebt besonders
den Wert des Röntgenverfahrens für die Frühdiagnose und für die In¬
dikationsstellung eines chirurgischen Eingriffes hervor. G. Eisner.
Th. Sch renk-Heidelberg: Wirkung der Digitalis auf die ver¬
schiedenen Formen von Herzerkranknng. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 53.) Verf. bringt eine Statistik über die verschiedenen
Herzerkrankungen (inkl. Arteriosklerose und Nephritis), bei denen Digitalis
gegeben wurde. Schlechte Reaktion sah er zunächst in den Fällen, bei
denen man einen schlechten Zustand des Herzmuskels annehmen muss,
ferner bei vorwiegend einseitiger Kammerschwäche, z. B. bei Insuffizienz
des rechten Herzens infolge von Lungenerkrankung. Bei hepatischer
Stauung ist die Digitalis oft wirkungslos. Bei Arteriosklerotikern ist die
Diurese gefährdet, falls man grosse Dosen gibt. Die Digitalisdarreicbung
muss vorsichtig sein, weil sich sonst sehr leicht die Diurese verschlechtert.
Dünner.
Th. Lewis-London: Beobachtungen über die akustischen Erschei¬
nungen bei der Mitralstenose. (Brit. med. journ., 21. Dezember 1912,
Nr. 2712.) Durch das Studium gleichzeitiger Aufzeichnungen des Elektro-
cardiogramms und der Herztöne bei Mitralstenose kommt der Verf. zu
dem Schlüsse, dass das diastolische Geräusch zustande kommt durch den
raschen Strom des Blutes durch die verengte KlappenöffnuDg. Die Ge¬
räusche treten zu der Zeit der Diastole auf, während welcher die
Schnelligkeit des Blutstromes einen gewissen Grad erreicht. Wenn sich
der Vorhof zur rechten Zeit zusammenzieht und das Herz langsam
schlägt, wird die Stromgeschwindigkeit am grössten in der Präsystole.
Sonst ist sie gewöhnlich am grössten in der frühen Diastole; zu diesen
beiden Zeitpunkten hört man gewöhnlich die Geräusche.
Weydemann.
K. Beumelburg: Aetiologie der Hodgkin’schen Krankheit. (Beitr.
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 2.) In fünf Fällen ist mittels der
Antiforminmethode, in einigen Fällen auch bei Gramfärbung im Schnitt¬
präparat selbst, jedesmal das von Fraenkel und Much zuerst ent¬
deckte Stäbchen gefunden worden. J. W. Samson.
S. Kartulis-Alexandria: Ueber die sogenannte Banti’sche Krank¬
heit in Aegypten und ihre Aetiologie. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
1. Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift, S. 1.) Eine in Aegypten
endemisch vorkommende, mit Megalosplenie, Lebercirrhose und Ascites
einhergehende chronische Anämie ist nach Verlauf und Symptomatologie
identisch mit der sogenannten Banti’schen Krankheit. Aetiologisch spielt
bei der Entstehung dieser Krankheit Malaria eine grosse Rolle. Dia¬
gnostiziert kann die Krankheit durch die Untersuchung des Milzblutes
werden: in diesem finden sich bei einigen Kranken protozoenähnliche,
noch nicht sicher zu bestimmende Gebilde (degenerierte Malariaparasiten?).
Bierotte.
E. Kühnelt-Freiwaldau: Eine neue Methode zur Einverleibung
grösserer Emanationsmengen. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.)
Emanation kann im Körper nicht „angereichert“ werden. Durch die
Haut gelangt Emanation in den Körper und bleibt länger darin, als
wenn sic nur durch Inhalation aufgenommen wird. Eine Vermehrung
des Hämoglobingehaltes findet nicht statt, die Zahl der Leukocyten wird
vermindert.
J. Hatiegan und B. Döri-Kolozsvar: Ueber die klinische Ver¬
gleichung des Ewald-Boas- und des Mintz’schen Probefrühstücks.
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Die von Mintz angegebene
Methode hat insofern vielleicht eine Bedeutung, als durch sie der Begriff
der „Nivellierungsfähigkeit des Magens“ in die Diagnostik der Magen¬
erkrankungen eingeführt wird. Der Nutzen kommt aber nur den mit
Laboratorium ausgerüsteten Kliniken und Krankenhäusern zugute, in der
Praxis wird durch diese Methode das altbewährte Ewald-Boas’sche Probe¬
frühstück nicht verdrängt werden. P. Hirsch.
E. Schlesinger - Berlin: Weitere Aufschlüsse über den Befund und
die Genese der Gastroptose durch das Röntgenbild. (Deutsches Archiv f.
klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) Die neuen am Röntgenbild und nach
Beobachtungen des Krankheitsverlaufes gewonnenen Aufschlüsse mit den
bisherigen Erfahrungen zusammengehalten, geben zurzeit folgende Auf¬
fassung: Die Gastroptose ist eine Senkung des Magens, die zustande
kommt 1. durch Verlängerung der Magenwand infolge Dehnung; 2. durch
Senkung der Cardia und des oberen Magenpols; 3. durch Senkung des
Pylorus, meistens nach Aufrollung desselben. Meist sind alle drei ur¬
sächlichen Momente vertreten; die Verlängerung des Magens — Dila¬
tation — fehlt anscheinend nie. Die gemeinsame Grundlage sämtlicher
Veränderungen ist eine Hypotonie des Organismus, die angeboren
(Astbenia universalis congenita) oder erworben (Tuberkulose, Basedow¬
sche Krankheit, höheres Alter) sein kann. Der allgemeinen Hypotonie
entspricht die Hypotonie der Magenwandungen. Enge des Magenlumeos,
straffe Baucbdecken können sie etwas kompensieren; Hängebauch ver¬
schlechtert sie. Von erheblichem reflektorischen Einfluss auf den Tonus
der Magenwand sind psychische Alterationen. G. Eisner.
Ch. Singer-London: Ueber die sekretorische Tätigkeit des Magens
bei chronischer Appendicitis mit Magensymptomen. (Lancet, 21. De¬
zember 1912, Nr. 4660.) Analyse von 300 Fällen von Magenerkrankungen,
von denen 19 eine Appendicitiserkrankung aufwiesen. Beim Zusammen¬
treffen von Magen- und Appendixerkrankung, was sehr häufig ist, kann
ein Magen- oder Duodenalgeschwür vorhanden sein oder nicht, aber
immer ist der Magensaft nicht normal. Es besteht zu starke oder zu
geringe Sekretion, und es findet sich ein pathologisches Ferment. Es
handelt sich wahrscheinlich um Einwirkung toxischer Substanzen auf den
Magen und den Appendix. Die Entfernung des Appendix bringt nicht
immer Besserung. Weydemann.
J. M. Wo 1 pe - Smolensk: Die sekretorischen Störungen des Magens
bei der Basedowschen Krankheit (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Bd. 107, H. 5 u. 6.) Die Basedow’sche Krankheit ist meist von Hypo-
chylie bzw. Acbylie des Magens begleitet; die Anacidität und Apepsie
des Magensaftes bei Morbus Basedowii ist um so strikter und intensiver
ausgesprochen, je deutlicher das klinische Bild und der Symptomen-
komplex des betreffenden Falles ausgeprägt ist. In sämtlichen Fällen
von Morbus Basedowii wird ein systematischer Parallelismus zwischen
Salzsäuresekretion und der peptischen Kraft der Fermente, sowohl des
Pepsins als auch des Lab- und fettspaltenden Ferments, beobachtet.
Sowohl die freie als auch die gebundene HCl ist quantitativ stark herab¬
gesetzt, ebenso die Gesamtacidität des Magensaftes (entsprechend dem
Sinken der freien HCl) und die Quantität der Verdauungsfermente, be¬
sonders die des Pepsins. Die Störungen der Darmtätigkeit und der De-
fäkation sind meist als Ausdruck der erwähnten Anomalien gastrogenen
Ursprungs zu betrachten. Die Magenhypochylie (bzw. Acbylie) ist als
Ausdruck einer konstitutionellen Asthenie des Organismus, welche durch
das Basedowgift hervorgerufen wird, anzusehen. G. Eisner.
Gressot-Basel: Zur Lehre von der H&mophilie. (Zeitschr. f. klin.
Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) Es wird ein Fall von Hämophilie mitgeteilt,
bei dessen Eltern und Grosscltern keine ähnliche Erkrankung bekannt
geworden ist. Doch sind seine sämtlichen vier Brüder im Kindesalter
an Blutungen verschiedener Art gestorben, und von den Knaben der
Schwestern sind fast genau die Hälfte Bluter. Es bandelt sich also hier
um das erste Auftreten einer familiären Hämophilie. Der Patient starb
an einer tödlichen Blutung aus einem Magengeschwür. Morphologisch
war das Blut ausgezeichnet durch eine leichte Vermehrung der Lympho-
cyten und eosinophilen Zellen. Die Resistenz der roten Blutkörperchen
war herabgesetzt. Die Gerinnungszeit des Blutes schwankte zwischen
einer und 7 Stunden. Auch während der Blutung war entgegen den
entsprechenden Angaben Sahli’s die Gerinnungszeit des Blutes stark
herabgesetzt. Defibriniertes Blut erhöhte die Gerinnungsfähigkeit stärker
als Serum, frisches Serum intensiver als altes. Durch Tonfilter filtriertes
normales Menschenserum beschleunigte die Gerinnung des hämophilen
Blutes gar nicht. Organextrakte von Kaninchen wirkten stark gerinnungs¬
beschleunigend. Zusatz von Lehmemulsion beschleunigt die Gerinnung
des hämophilen Blutes, aber nicht in dem Maasse wie Organextrakte.
Kantharidenblasenserum des Hämophilen beschleunigt die Gerinnung in
gleichem Maasse wie normales Blutserum. Nach der Wohlgemuth’schen
Methode untersucht, enthält das Hämophilenblut weniger Fibrinferment
und Thrombokinase als das normale. Von besonderer Wichtigkeit ist,
dass Extrakte aus den Organen des verstorbenen Hämophilen in gleichem
Maasse gerinnungsbeschleunigend wirkten, wie gewöhnliche Organextrakte.
Die Hypothese des allgemeinen Thrombokinasemangels in der Patho¬
genese der Hämophilie muss also fallen gelassen werden. Vielmehr
fehlen diese Substanzen nur im Blute selbst. Injektionen von Menschen-
und Tierseren waren therapeutisch wirkungslos und beeinflussten auch
nicht die Gerinnbarkeit des Blutes. H. Hirschfeld.
W. A. Lane-London: Die chronische Darmstase. (Lancet, 21. De¬
zember 1912, Nr. 4660.) Lane weist wieder auf die Bedeutung der
Stagnation des Darminhaltes für die Entstehung verschiedener Krank¬
heiten hin und auf die Beseitigung dieser Stase durch Ausschaltung des
Dickdarms. Weydemann.
H. Voss: Zur Pathologie der Peritonitis tnberenlosa. (Beitr. z.
Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Die Entstehungsmöglichkeiten der
Peritonitis tuberculosa durch Perforation tuberkulöser Darmgeschwüre,
durch Durchwandern der Tuberkelbacillen durch die intakte Darmwand
und als Fortsetzung auf dem Lymphwege von anderen serösen Häuten
her haben wenig praktische Bedeutung. In der weitaus grössten Mehr¬
zahl der Fälle entsteht die tuberkulöse Entzündung des Bauchfells ent-
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UNIVERSUM OF IOWA
20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
121
weder hämatogen von einem anderen tuberkulösen Herde aus oder aber
von einer geplatzten Mesenterialdrüse oder einer verkäsenden Tuben¬
tuberkulose aus. Die eigenartige Tatsache des Zusammentreffens tuber¬
kulöser Entzündung des Peritoneums mit Lebercirrhose fand auch der
Verf. bestätigt. J. W. Samson.
0. Hausse» Christiania: Ueber einige Wirkungen grosser Dosen
Natriam biearbonieam bei Diabetes mellitus. (Zeitsohr. f. klin. Med.,
Bd. 76, H. 3 u. 4.) Verf. teilt interessante klinische Beobachtungen
über die Einwirkung grosser Dosen von Natrium bicarbonicum auf den
diabetischen Organismus mit. Bei den gewöhnlichen Dosen von 20 bis
30 g Natrium bicarbonicum pro die traten regelmässig Gewichtszunahmen
auf, bald am gleichen Tage, wo mit der Darreichung begonnen wird,
bald etwas später. Nach Aussetzen des. Mittels sinkt das Gewicht
wieder. Die Ursache dieser Gewichtszunahme ist Wasserretention, denn
bei Gewichtszunahme übersteigt die Trinkmenge bedeutend die Diurese,
während diese wiederum zunimmt, wenn das Gewicht zu fallen beginnt.
Auf die Albuminurie, welche namentlich häufig bei Acidose beobachtet
wird, bat die Alkalizufuhr einen günstigen Einfluss. Zur intravenösen
Injektion beim Coma verwandte Verf. 3—5 proz. Natrium bicarbonicum-
lösungen. Nur in einem Falle wurde vorübergehende Heilung erzielt,
einem erneuten Coma, zwei Monate später, erlag der Patient. In den
übrigen so behandelten Fällen trat der Tod unmittelbar oder innerhalb
10 Stunden nach den Transfusionen ein. Bei drei Patienten traten
Krämpfe auf. Im Gehirn wurden bei den Verstorbenen starke Hyper¬
ämie und Oedem der Pia gefunden, in fünf Fällen waren auch Blutungen
vorhanden, welche meistens in den Häuten sassen. Sowohl die Krämpfe
wie die Blutungen führt Verf. auf die Natrium bicarbonicuminfuskn zu¬
rück, die demnach keineswegs ungefährlich ist. H. Hirschfeld.
Hartzell: Lopm erythematosns and Raynaud’sche Krankheit.
(Americ. journ. of med. Sciences, 1912, Nr. 6.) Verf. spricht sich dafür
aus, dass ein unzweifelhafter Zusammenhang zwischen beiden Krank¬
heiten besteht, dessen Natur wir nicht kennen. Er beriobtet selbst
über einen Fall, dem er noch eine Zusammenstellung von 13 anderen
ähnlichen Fällen hinzufügt. Sehe lenz.
F. Port-Göttingen: flypertension und Blntzneker (Deutsche med.
Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) P. fand eine Erhöhung des Blutzucker-
gebalts häufig in den Fällen von Nephritis, die durch anämische Er¬
scheinungen oder eine frische Apoplexie bzw. Eklampsie kompliziert
sind. Bei gleichzeitig bestehender Blutdrucksteigerung darf deswegen
doch noch keine gemeinsame Ursache, eine Adrenalinämie, für die
Hypertension und Hyperglykämie angenommen werden.
Wolfsohn.
A. Schmitt: Schwere Lungentuberkulose, röntgenologisch vor-
getiuekt durch Niederschläge nach subcutanen Jodipininjektionen im
Kücken. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Die in Frage
kommenden Schatten liegen in den Weichtcilen ausserhalb des Thorax
und rübren von dem injizierten Jodipin her, während die helleren, mehr
verschwommeneren in der Gegend des rechten und linken Bilus und der
auf- und absteigenden Bronchien die Krankheitsherde anzeigen.
J. W. Samson.
J. Pick-Saaz: Hämorrhagische Diathese (Angiorhexie alimentaria).
(Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) Mitteilung über eine
Epidemie im Saazer Bezirk. Es wurden 33 Männer und eine Frau be¬
fallen. Dünner.
Siehe auch Chirurgie: Permioff, Versuche der Dauerdrainage
bei Ascites. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie: Georgopulos, Entgiftende Tätigkeit der Parathyreoidea
bei Nephritis. — Diagnostik: Friediger, Dimetbylamidoazobenzol als
mikrochemisches Reagens auf Fett.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
R. Bar äoy- Wien: Lokalisation in der Rinde von Kleinhirnhemi-
tphären. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) B. hat einen Fall
beobachtet, der bezüglich der Lokalisationsfrage in der Rinde der Klein-
birnhemisphärea einige neue Gesichtspunkte ergeben hat. Tuberkel in
der Substanz des Kleinhirns können ebenso wie in der motorischen
Kegion, in der inneren Kapsel und in der Brücke völlig latent verlaufen
und keine deutlichen Ausfallserscheinungen zeigen. Beim Fehlen deut¬
licher Ausfallserscheinungen darf man daher das Vorhandensein eines
Tuberkels nicht mit Bestimmtheit ablehnen, sondern die gar nicht
seltenen Fälle von fraglichen Tuberkeln sind mit den von B. ange¬
gebenen Methoden genau zu untersuchen. P. Hirsch.
A. Gregor und P. Schilder - Leipzig: Muskelstudien mit dem
Siitengalvanameter. (Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.)
(Nach einem Vortrag in der VI. Jahresversammlung der Gesellschaft
deutscher Nervenärzte.) Aktionsstromkurven von normalen Mensohen
und Individuen mit Affektionen des Nervensystems. Dünner.
H. Eich hör st-Zürich: Beiträge zu den Erkrankungen der Brücke.
'Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.) 1. Beschreibung
eiaes Falles von Cystenbildung in der Pons. Die klinische Diagnose
batte gelautet: Malacia pontina verisimiliier thrombotica syphilitica.
2. Beschreibung eines Falles von akuter, hämorrhagischer Brücken-
entzünduog. Aas Mangel aller Brückensymptome konnte im Leben
nicht die Erkrankung der Pons diagnostiziert werden. G. fiisner.
New mark: Erweichungen im Rückenmark eines Syphilitischen
nach Salvarsaninjeklion. (Americ. jouin. of med. science, 1912, Nr. 6.)
Krankengeschichte und Sektionsbefund eines Luetikers, der zwei Tage
nach iotramusculärer Gabe von 0,3 g Salvarsan eine völlige Paraplegie
beider Beine mit Blasenstörungen, eine Anästhesie bis zum Nabel be¬
kam. Auch oberhalb des Nabels Sensibilitätsstörungen. Die Verände¬
rungen des Rückenmarks waren uDgleicbmässig über Vorder- und Hinter¬
hörner verteilt. Verf. glaubt nicht, dass der sieben Wochen später ein¬
getretene Exitus auf das Salvarsan zu schieben ist, vielmehr eine Folge
der Lues (drei Jahre vorher erworben) sei. Sehe lenz.
P. Ebers-Baden Baden: Fall von operiertem Rfickenmarkstamor.
(Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) Beginn mit halbseitigen
Störungen, Nystagmus, an multiple Sklerose erinnernd. Allmähliche
Ausbildung einer Querschnittsläsion im Bereich des 3. bis 5. Dorsal¬
segments. Laminektomie (Garre): Sarkom. Exitus letalis.
Wolfsohn.
G. Stiefler-Linz ä. d. D.: Ueber einen Fall von primärer sym¬
metrischer Brachialplexnsnenritis als Symptom einer Spätsypbilis.
(Wiener klin. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) Bei dem 38jährigen Pa¬
tienten trat die Erkrankung 12 Jahre nach Acquisition der Syphilis
auf. Die Diagnose der „peripheren Neuritis“ war eine rein klinische,
es konnte daher eine Mitbeteiligung des Rückenmarks im Sinne einer
meningealen oder Wurzelerkrankung mit absoluter Sicherheit niebt aus¬
geschlossen werden. P. Hirsch.
Gjestland-Christiania: Ein Fall von Paralysis agitans mit be¬
deutender Vergrösserung der Glandulae paratbyreoideae. (Zeitscbr. f.
klin. Med., Bd. 76, H. 3 u. 4.) In einem Fall von Paralysis agitans
fand G. vier ausserordentlich grosse hypertrophische Nebenschilddrüsen.
Er lässt es dahingestellt, ob dieser Befund irgendetwas mit der Schüttel¬
lähmung zu tun bat, bespricht aber an der Hand der Literatur die von
vielen Autoren behaupteten Beziehuogen zwischen Nebenschilddrüsen
und Paralysis agitans. Einige Autoren führen die Krankheit auf eine
Hypofunktion, andere auf eine Hyperfunktion des genannten Organs
zurück. Was richtig ist, und ob überhaupt irgendwelche Beziehungen
der genannten Art bestehen, ist durchaus nicht sichergestellt.
C ursch mann-Mainz: Ueber intermittierende Basedowsymptome
(bei Tabes dorsalis und Bronchialasthma). (Zeitschr. f. klin. Med.,
Bd. 76, H. 3 u. 4.) Gurschmann beschreibt bei einem Tabiker im
Verlaufe schwerer Magenkrisen jedesmaliges Auftreten typischer Basedow¬
symptome. Wegen des intermittierenden und stets gleichzeitig mit den
Magenkrisen auftretenden Verlaufes ist dieser Fall für die Vago-Sym-
patbicuspathogenese des Tabes-Basedowkomplexes von entsprechender
Bedeutung. Er beobachtete ferner in zwei Fällen im Verlaufe wieder¬
holter Asthmaattacken jedesmal typische Basedowsymptome. Die
pharmakologische Prüfung ergab in diesen Fällen eine ziemlich bunte
Mischung von vagotonischen und sympathikotonischen Erscheinungen.
Auch durch diese Fälle ist der von Eppinger und Hess angenommene
diametrale Gegensatz zwischen Vago- und Sympatbikotonie widerlegt.
Von Interesse ist, das sieh gegen die gastrischen Krisen des ersten
Falles die Darreichung von Adrenalin in einer Dose von dreimal täglich
10 Tropfen der Lösung 1:1000 ausgezeichnet bewährt kat.
H. Hirschfeld.
0. Foerster - Breslau: Die analytische Methode der kompensa-
torischea Uebnngsbehandlung bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med.
Wochenscbr., 1913, Nr. 2.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn.
H. Guggenheimer-Berlin*. Ueber Ennnehoide. Zugleich ein Beitrag
zur Beeinflussung des Blutbildes durch Störungen der Drüsen mit
innerer Sekretion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107, H. 5 u. 6.)
Referat, vergl. Sitzungsbericht der Berliner Hufelandischen Gesellschaft
vom 13. Juni 1912 in Nr. 32 dieser Wochenschr. G. Eisner.
E. Hartung-Bernburg: Fall von Dementia paralytiea und Gebart.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Normaler Geburtsverlauf.
Gesundes Kind. Nach der Geburt auffallende Remission des Krankheits¬
verlaufs. Wolfsohn.
Siebe auch Chirurgie: Stoffel, Behandlung spastischer Zu¬
stände (2 Artikel).
Kinderheilkunde.
Meder-Cöln: Zwei Fälle von verspäteter Abheilung der Impfpnsteln.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 1. 33 Tage nach der Impfung,
nachdem die Pusteln längst eingetrocknet und vernarbt waren, trat in
einer der Narben ein VacciDrecidiv auf. 2. Vaccina serpiginosa, mit
flächenhafter Ausbreitung, 13 Tage nach der Impfung entstehend und
erst vom 22. Tage an abheilend. Wolfsobn.
A. Strangmeyer-Leipzig: Einfaches Instrument zur Entfernung
diphtherischer Membranen. (Münchener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 53.)
St. machte sieb aus einem 0,3 mm starken Stahldraht eine 4 cm lange
Spirale mit dichter Folge der Windungen und einem Durchmesser von
etwa 4 mm. Das eine Drahtende wurde etwas angespitzt und unter das
Niveau der letzten Windungen nach innen versenkt. Mit diesem Instru¬
ment konnte er Membranen entfernen. Dünner.
E. Benjamin and Tb. Goett-Müncheu: Zur Deutung des Thorax-
radiogramms beim Säugling. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 107,
H. 5 u. 6.) Die Röntgenuntersuchung des Thorax von Säuglingen mit
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Stridor congenitus zeigt oft eine Verbreiterung des Thoraxmittelschattens
oberhalb des Herzschattens. Verf. zeigen an mehreren Fällen, dass ihre
Verbreiterung nicht auf eine vergrösserte Thymus zu beziehen ist,
wie manche Autoren annahmen, sondern halten es für möglich, dass sie
durch die grosse Hohlvene verursacht wird, die unter dem Einfluss
der Atmung sehr bedeutenden Grössenschwankungen unterliegt.
G. Eisner.
L. Langstein und K. Kassowitz-Berlin: Geuilsekost im Säng-
lingsalter. (Therapeut. Monatsb., Dezember 1912.) Die Darreichung
von nach Friedenthal zerkleinertem Gemüse bedeutet für den Säug¬
ling eine Verbesserung der bisher geübten Diätetik. Das „Gemüse¬
pulver“ wird relativ frühzeitig gut vertragen und bietet dem Organismus
Bausteine in grosser Menge dar. Es wird zu erforschen bleiben, ob
nicht speziell die eisenreichen Gemüsepulver eine erfolgreiche Eisen¬
therapie ermöglichen. II. Knopf.
Siehe auch Innere Medizin: Kennerknecht, Tuberkelbacillen
im strömenden Blut bei Kindern. — Therapie: Fletscher, Adrenalin
bei Keuchhusten. Franz, Serumtherapie bei Melaena neonatorum.
Chirurgie.
W. Körte - Berlin: Einleitung zum 100. Bande von Langeubeck’s
Archiv für klinische Chirurgie. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100,
H. 1.) F. Härtel.
W. Neumann-Heidelberg: Der Heidelberger Stahldraht-Gipshebel,
ein einfaches, Zeit und Kraft sparendes Mittel zum Oeffnen fester Ver¬
bände. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) Direkt vor dem Anlegen
der Gipsbinden wird entlang der Vorderseite des Unterschenkels eine
Klaviersaite, die oben und unten über den Verband übersteht, aufgelegt.
Soll später der Verband aufgeraacht werden, rollt man den Draht auf
einer besonderen Vorrichtung auf und schneidet so mühelos den Gips-
verband auf. Sehrt.
F. Sohöneberger-Völklingen: Federextension aa der untere!
Extremität. (Münchener med. Wochensohr., 1912, Nr. 53.)
Dünner.
G. Nyström-Stockholm: Eine Saugspritze zum Betriebe mit einer
Hand. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) Verf. hat eine kleine Vor¬
richtung, die auf jede Rekordspritze aufzumontieren ist, konstruiert,
mittels deren man bequem mit einer Hand die Spritze saugen
lassen kann.
L. A. Di wo win-Russland: Ueber Pantopon-Scopolauiininjektionen
bei Operationen mit lokaler Anästhesie. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.)
Verf. gibt am Abend vorher 0,5 Medinal, 172—2 Stunden vor der Ope¬
ration (in Lokalanästhesie), eventuell kräftigen Männern 0,04 Pantopon
-f- 0,0004 Scopolamin, Frauen dagegen 0,02 Pantopon + 0,0003 Scopol-
amin. Der erste Einstich zur Lokalanästhesie ist dann schon nicht
fühlbar. Abbinden des Bruchsackes und des Mesenteriolums wird etwas
empfunden. Alkoholisraus-, Herz-, Lungenerkrankungen, vorgerücktes
Alter führt Verf. als Kontraindikation für die Pantopon-Scopolamin-
injektion an. Sehrt.
Jaklin - Pilsen: Zar Keimprophylaxis in der Chirurgie. (Wiener
klin. Wocbenschr., 1912, Nr. 5t.) J. unterzieht seine eigene grosse
Statistik und diejenige vieler anderer Autoren einer eingehenden Kritik
und kommt zu dem Ergebnis, dass die radikalste und zugleich einfachste
Keimprophylaxis in der vollkommenen Abstinenz von der septischen
Chirurgie besteht. Er fordert vollständige Trennung der septischen von
der aseptischen Chirurgie: Schaffung eigener septischer und aseptischer
Anstalten mit eigenen Chirurgen und Hilfsärzten, eigener Verwaltung
und Hilfspersonal. Die Aerzte der aseptischen Anstalten müssen sich
auch in der Privatpraxis von septischen Fällen fernhalten.
P. Hirsch.
A. Bier-Berlin: Beobachtungen über Knochenregeneration. (Archiv
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 91.) Siehe Gesellschaftsbericht
über die Sitzung der Chirurgischen Gesellschaft in Berlin in dieser
Wochenschrift, 1912, Nr. 48, S. 2292. F. Härtel.
K. Brohkmann: Lnxationen im Bereiche des Mittelfnsses.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Verf. bespricht
an der Hand einiger interessanter Krankengeschichten und Röntgenbilder
die Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Luxationen im Lis-
franc’schen Gelenk, der Luxation der Keilbeine und des Würfelbeins,
der Luxation des Kahnbeins und der Luxatio pedis sub talo.
Fritsch.
T. H. Openshaw und P. B. Roth-London: Behandlung der Pott-
schen Krankheit. (Lancet, 21. Dezember 1912, Nr. 46G0.) Dauernde
Lagerung des Kindes auf einer Schiene nach Thomas mit verstell¬
barem Kopf- und Fussteil. Der Pat. wird nur einmal die Woche heraus-
genoramen. Die Vorzüge dieser Schiene sind: absolute Ruhe der er¬
krankten Teile, die immer naebgesehen werden können, ohne dass die
Schiene abgenoramen zu werden braucht; Fisteln können verbunden
werden, das Kind kann täglich gewaschen werden; die Schiene passt für
Jahre, sie macht keine Druckgeschwüre und hindert nicht das Wachs¬
tum und die Brustentwicklung. Wenn das Kind genügend lange auf
der Schiene gelegen hat, kaun es mit einem paraplastischen Korsett
herumgeben. Wenige bleiben kürzere Zeit als zwei Jahre auf der
Schiene; drei Jahre gehen sie mit dem Korsett. Während der Behand¬
lung bekam kein Kind einen Abscess oder eine Kompressionsparaplegie.
Abscesse werden aspiriert, wenn sie nicht, was oft vorkommt, auf der
Schiene spontan heilen. — Analyse von 116 Fällen.
Weydemann.
E. Schottländer: Beiträge zur Diagnose und Therapie der Kinn-
flsteln. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Zur Dia¬
gnose gehört die genaue Feststellung des schuldigen Zahnes, dann wird
es dem Zahnarzt in allen Fällen gelingen, den Prozess zur Ausheilung zu
bringen bei Erhaltung des Zahnes. Fritsch.
A. Stoffel - Mannheim: Neue Wege und Erfolge der Behandlung
spastischer Znst&ide. (Therapeut. Monatsh., Dezember 1912.) Ergeb¬
nisse der Therapie. H. Knopf.
A. Stoffel - Mannheim: Die Technik meiner Operation zur Beseiti¬
gung der spastischen Lähnungen. (Münchener med. Wocbenschr., 1912,
Nr. 53.) St. gibt eine ausführliche Schilderung seiner geistreichen
Methoden, die den Zweck haben, das Muskelgleichgewicht wiederherzu¬
stellen bei spastischen Kontraktionen durch teilweise Ausschaltung der
Nervenbahnen, die dio betreffenden Muskeln versorgen. Muss im Original
nachgelesen werden. Dünner.
0. Heinemann: Der äussere Milzbrand des Menschen. (Deutsche
Zeitschr, f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3 — 4.) Das Resultat der inter¬
essanten Arbeit wird in folgenden Sätzen zusammengefasst: 1. Kon¬
servative und operative Milzbrandbehandlung sind beide ratiouell, doch
ist nach Theorie und Praxis die Operation die bessere Methode. 2. Die
Operation muss in radikaler Zerstörung des Karbunkels bestehen.
3. Die Lokaltherapie ist mit Seruro-Salvarsan-Collargoltherapie zu kom¬
binieren, wenn Allgemeiniufektion droht oder vorhanden ist. 4. Die
Behauptungen von der Schädlichkeit der Operation sind in allen Punkten
zu widerlegen. Nur eine unvollständige Operation kann schaden, eine
vollständige kann nur nützen.
A. Narath: Ueber operative Eingriffe bei der Pnennatoeele der
Parotis und des Ductus Stenonianus (Glasbläsergeschwulst). (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Als Operation kommt io
Betracht: 1. Verlagerung oder Verengerung der Mündung, so dass keine
Luft vom Munde mehr eindringen kann. 2. Vollständiger Verschluss
der Ausmüudung. Anlegung einer äusseren Fistel, durch die Gang und
Drüse behandelt werden kann. 3. Totale oder partielle Exstirpation
des Ganges und der Drüse. 4. Ligatur des Ausführungsganges. Das
erste Verfahren hat Verf. bei seinem Fall mit Erfolg angewandt, aller¬
dings trat später Sekretstauung ein, die wohl infolge des Vorstehens des
Ganges in die Mundhöhle und infolgedessen narbige Schrumpfung dieses
Stückes erzeugt war. Verf. empfiehlt deshalb lieber sorgfältige Schleim-
bautnaht zwischen Mucosa des Ganges und der Wange. Fritsch.
v. Eiseisberg-Wien: Zur Operation der Hypopbysisgeschwiilste.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1.) Bericht über 16 Ope¬
rationen von Hypopbysistumoren. Alle Fälle wurden nach der Technik
von Schloffer mit seitlicher Aufklappung der Nase nach rechts und
Ausräumung der Nasenhöhle operiert. Vorbereitung des Patienten mit
Urotropin. Narkose, in den letzten Fällen kombiniert mit Novocain-
Suprareninumspritzung. Bellocque’sche Tamponade. Bei der Aus¬
räumung der Nase muss die Schleimhaut zwischen den Muscheln stehen
bleiben, um Ozaena zu vermeiden. Orientierung an der Hand des
Röntgenbildes. Excochleation des Tumors. Cigarettendrain. Resultate:
12 Patienten genasen. Bei diesen Patienten wurden die Kopfschmerzen
ausnahmslos beseitigt, die Sehstörungen wesentlich gebessert, wofern
nicht durch zu langes Bestehen des Leidens irreparable Veränderungen
vorhanden waren. Die Akromegalie ging häu6g zurück, jedoch nicht
immer dauernd. Die Hypophysistumoren sind meist klinisch benigne, so
dass trotz der unvollständigen operativen Entfernung Dauerresultate zu
verzeichnen sind. Nachteile der Operation sind: dte kosmetische Störung
und bisweilen auftretende Ozaena. 4 Patienten starben an Meningitis.
F. Härtel.
A. Wagner: Beitrag zur Chirurgie des Herzens. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Chir., 1912, Bd 119, H. 3—4.) Die Diagnose der Herz¬
verletzung ist sehr schwierig. Sie fusst auf folgenden Symptomen: Die
Lage der äusseren Wunde. Abnorme Geräusche. Verbreiterung der
Herzdämpfung. Die Rose’sche Herztamponade. Die Anämie. Die sub¬
jektiven Erscheinungen, Präcordialangst, Schmerzen, Druckgefühl, Atem¬
not. Häufig stehen aber die Symptome mit der Schwere der Herz¬
verletzung in keinem Verhältnis. In Rücksicht darauf und in ErwäguDg
der Erfahrung, dass Schussverletzungen von vornherein prognostisch un¬
günstiger sind als Stichverletzungen, möchte Verf. keinen Unterschied
zwischen Stich- und Schussverletzungen bezüglich der Therapie machen
(Bircher), sondern auch bei letzteren die Freilegung des Herzens
empfehlen. Im Kriege allerdings wird man alle Herzverletzungen kon¬
servativ behandeln müssen. Es folgt die Mitteilung eines Falles, bei
dem mit Sicherheit ein Herzschuss angenommen wurde, und bei
dem die Operation ergab, dass das Herz nicht verletzt war.
Fritsch.
Ramstedt-Münster: Die Operation der angeborenen Pylorus¬
stenose. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 1.) Bei angeborener hyper¬
trophischer Pylorusstenose sind die üblichen Methoden: Gastroentero¬
stomie, offene Pyloroplastik, Dehnung des Pylorus nach Loretta ent¬
weder zu eingreifend oder unsicher. Auch die Weber’sche Pyloroplastik
(quere Vernähung des den Pylorus durchsetzenden Längsschnittes oha e
Eröffnung des Magenlumens) ist unsicher, ja durch Verlegung des
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UNIVERSUM OF IOWA
20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
123
Pylorus (SchleimhauHaltung!) eventuell gefährlich. Verf. hat zwei Fälle
mit brillantem Erfolg so operiert, dss er den Muskelring einfach ein-
kerbte, die Schleimhaut nicht einschnitt. Die Wunde wurde dann
nicht genäht. Deckung der Wunde mit Netz hält Verf. für überflüssig.
Die Operation dauert 15 Minuten! Sowie die Diagnose: angeborene
hypertrophische Pylorusstenose gestellt ist, sollte möglichst schnell diese
absolut nicht eingreifende Operation vorgenommen werden.
Hofmeister-Stuttgart: Die methodische Dilatation der Papilla
äiodenl and die Choledochodaodenaldrainage. (Centralbl. f. Chir.,
1913, Nr. 1.) Da man nie wissen kann, ob in der Leber noch Steine
(oder Ascariden) zurückgeblieben sind, die durch die Papilla Vateri
nicht hindurch können, erweitert Verf. mittels Urethralbougies aus Zinn
(Charr. 23—30) die Papilla. Durch die Papilla wird dann ein 6-8 cm
dicker Schlauch 4 cm weit ins Duodenum geführt; eventuell wird der¬
selbe durch eine kleine Inzision nach aussen geleitet. Der Hepaticus
wird durch ein ihn vollkommen ausfüllendes Kohr drainiert, das vor die
Wunde geleitet ist Zwischen Hepaticus und Duodenalschiauch wird
der Choledochus durch Celloidinquernähte, die langgeiassen werden
(um später herausgenommen zu werden), exakt genäht. Die Choledochus-
duodenaldrainage soll den Dilatationseffekt längere Zeit festhalten, sie
wirkt aber auch als prophylaktische Enterostomie und gestattet die Ein¬
führung von Nahrungsmitteln und Arzneistoffen. Die angegebene Methode
vermeidet jeden Gallen Verlust. Sehrt.
L. Arnsperger und N. Kimura: Experimentelle Versuche über
kfiastliche Choledochiisbildnng durch einfaches Drainrohr. (Deutsche
Zcitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 3—4.) Angeregt durch die Wilms-
schen Erfolge haben Verff. an Hunden und Katzen die bekannte Ope¬
ration mit gutem Erfolg ausgefübrt und kommen zu dem Resultat, dass
diese Versuche die Berechtigung einer derartigen Operation für Ausnahme-
fälle beweisen. (Diese Berechtigung war durch die Operationen Wilms*
am Menschen meines Erachtens eher bewiesen als durch die nachträg¬
lichen Versuche -an Katzen und Hunden. Ref.)
J. Mayesima: Zur Kasuistik der priaären eystisehen Erweite¬
rtes des Daetis choledochus. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912,
Bd. 119, H. 3—4.) Beschreibung eines Falles dieser seltenen Erkran¬
kung bei einem zwei Jahre alten Kinde. Die Operation stellte eine
grosse, fast die ganze Bauchhöhle ausfüllende Cyste fest, die bei der
fünf Tage später ausgeführten Sektion als vom oberen und mittleren
Teil des Ductus choledochus ausgehend erkannt wurde, ohne dass die
Ausmünduogsstelle desselben ins Duodenum verscblosseu war, also keine
Retentionscyste, sondern angeborene Schwäche der Wandelemente des
Choledochus. Fritsch.
S. Kof mann Odessa: üeber die Ausschaltung des Wurmfortsatzes.
(Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 51.) 20 Tage nach einem Blinddarm¬
anfall eines 14 jährigen Knaben fand sich, dass der Wurmfortsatz in
eine derbe Gewebsmasse („Fleischmasche“), die mit der hinteren
Coecalwand fest verbunden, eingelagert war. Eine Isolierung schien un¬
möglich, deshalb Früboperation des Wurmfortsatzes an der Basis, Ab¬
klemmen desselben; nun wird die gesamte affizierte Stelle der Coecal¬
wand durch eine einstülpende Diagonalnaht versenkt. Verf. glaubt, das
Verfahren für alle Fälle, in denen eine Isolierung des Processus zu
schwierig und für die benachbarte Darmwand zu gefährlich ist, empfehlen
zu können, da auf diese Weise jede Möglichkeit eines Reoidivs ge¬
nommen sei.
P. Len ge mann-Bremen: Ersatz der exstirpierten Harnblase
durch das Coeeum. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) In der ersten
Sitzung: Totale Ausschaltung des Coeeum und Colon ascendens und
30 cm Ileum. Das proximale Ileumende wird in das Quercolon im¬
plantiert, der Wurmfortsatz wird durch die Bauchdecken nach aussen
geleitet, die Spitze abgebogen. Nun findet .sich eine „neue Blase“,
die durch das an beiden Enden geschaffene Ileum-Colonstück dargestellt
ist, der Wurmfortsatz ist die „Harnröhre“ In einer zweiten Sitzung:
Exstirpation der carcinomatösen Harnblase, Inzision des Peritoneums,
durch die das ausgeschaltete Ileumende heruntergezogen wird, Im¬
plantation des mit den Uretermündungen versehenen Harnblasenstücks
in das Ileumende, wobei die Ureteren nicht herangezogen zu werden
brauchen. Von den Vorteilen dieser Methode sind besonders zu nennen:
Die neue Harnblase ist vollkommen kotfrei, die Ureterenmündung, die
in toto transplantiert ist, ebenso die Bauhini’sche Klappe verhindern
weitgehend eine Stauung oder Rückfluss in die Ureteren und das Nieren¬
becken. Mortalität der Operation ist geringer als die anderer. Voll¬
kommener Erfolg in einem Falle.
Perm io ff-Kasan: Ueber Versuche mit Danerdrainage bei Ascites.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 1.) Verf. hat in zwei Fällen von Ascites
die Dauerdrainage so ausgeführt, dass er am Bauch zunächst einen Haut¬
lappen bildete, entsprechend der Basis desselben, die Peritonealhöhle
eröffoete, Flüssigkeit abliess und dann ein silbernes Röhrchen von
1,5 cm Durchmesser iu die Peritouealwunde eiunähte. Darauf wurde
der Hautlappen wieder exakt angenäht. Auf diese Weise wurde die
Ascitesflüssigkeit dauernd unter die Haut geleitet. Die Erfolge waren in
beiden Fällen sehr gut. Sehrt.
Siehe auch Innere Medizin: Strauss, Jodmethylenblau- uud
Kapferpräpar&te bei äusserer Tuberkulose. — Diagnostik: Ewart,
Diagnose der Appendicitis. — Geburtshilfe und Gynäkologie:
Eberhart, Nekrose des Fettgewebes durch Naht. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten: Ebers, Operierter Rückenmarkstumor.
Röntgenologie.
Siehe auch Innere Medizin: Schlesinger. Befund und Genese
der Gastroptose durch das Röntgenbild. Schmitt: Schwere Lungen¬
tuberkulose, röntgenologisch vorgetäuscht durch Niederschläge nach sub-
cutanen Injektionen am Rücken. — Kinderheilkunde: Benjamin
und Goett, Thoraxradiogramm beim Säugling.
Urologie.
Siehe auch Chirurgie: Lengemann, Ersatz der exstirpierten
Harnblase durch das Coeeum.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
A. Jürgens-Warschau: Zur Skleromfrage in Russland. (Wiener
klin. Wochenschr., 1912, Nr. 51.) Io den russischen Ostseeprovinzen,
d. h. den Gouvernements Livland, Estland und Kurland, scheint in den
letzten 20 Jahren kein einziger Fall von Rhinosklerom bekannt geworden
zu sein. Aus dem Gouvernement Grodno sind dem Verf. in den letzten
drei Jahren zwei Falle zu Gesicht gekommen, beides hochgradige Fälle.
Auch das Warschauer pathologisch-anatomische Institut berichtet über
zwei Fälle mit tödlichem Ausgang an intercurrenten Erkrankungen.
P. Hirsch.
C. Bruck-Breslau: „Organismasanswasehang“ bei Hantkrank-
heiten. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Bemerkungen
zu der Arbeit von Heuck in der Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 48. Man kann bei solchen Hautkrankheiten einen Erfolg von der
Aderlass-Kochsalzinfusionsbehandlung erwarten, bei denen mit einiger
Wahrscheinlichkeit die pathogene Rolle von Giftstoffen angenommen wird,
z. B. bei Pruritus, Urticaria usw. Bei anderen Hautkrankheiten ist der
Erfolg von vornherein mindestens zweifelhaft. Dünner.
E. Jennings: Die neuerdings bei Syphilis gefundenen Parasiten.
(Brit. med. journ., 14. Dezember 1912, Nr. 2711.) Der Verf. hat die
von E. H. Ross beschriebenen Parasiten mit der Gallertmethode eben¬
falls beobachtet und die Entwicklung der Spirochäten aus ihnen gesehen.
Weydemann.
Eichler: Schwere Arsenikvergiftnng nach Salvarsaninfnsion.
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Nach 0,5 Salvarsan
traten Erscheinungen von Arsenikvergiftung auf (grüne Stühle, Nephritis,
Exanthem, Erbrechen usw.). 8 Tage vorher hatte der betreffende Patient
0,4 Salvarsan erhalten. Verf. glaubt, dass die Vergiftung durch Kumu¬
lation der beiden Dosen entstanden ist. Dünner.
M. Kaufmann-Wolf*. Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals
SyphiliskraDker und ihrer Familien. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 76,
H. 3 u. 4.) Verf., die über das gleiche Thema bereits geschrieben hat,
bringt eine Fortsetzung ihrer Untersuchungen. E9 wird das Schicksal
der Familien von 9 Patientinnen aus der Heidelberger Irrenklinik mit
progressiver Paralyse verfolgt. Diese 9 Frauen hatten zusammen
33 Aborte, Früh- oder Totgeburten und 33 lebend geborene Kinder.
Von diesen sind 20 gestorben, während 13 noch leben, von denen aber
nur 2 körperlich, geistig und moralisch völlig intakt zu sein scheinen.
Im ganzen ergibt sich aus den Untersuchungen der Verf., dass im
Gefolge der Syphilis besonders zahlreiche Erkrankungen des Nerven¬
systems Vorkommen, und dass die Beschaffenheit der Nachkommen eine
ausserordentlich traurige ist. Verf. glaubt an die Existenz einer Syphilis
nervosa. H. Hirschfeld.
H. Als ton-Trinidad: Salvarsan bei Frambösiegesehwüren. (Brit.
med. journ., 28. Dezember 1912, Nr. 2713.) Salvarsan 1, Xeroform 3
leicht aufgestäubt brachte rasche Heilung bei Frambösiegeschwüren, und
das Geschwür wird leicht mit Haut bedeckt und die Umgebung mit
Jodtinktur gepinselt. Rasche Heilung in 36 pCt., gute in 60pCt., Ver¬
sager 4pCt. Bei weichem Schanker war die Behandlung mit Salvarsan
sehr schmerzhaft. Weydemann.
Siehe auoh Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten: Rimini,
Einfluss des Salvarsans auf das Gehörorgan.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
V. Gussew-Moskau: Das Pitaitrin in der Geburtshilfe. (Centralbl.
f. Gynäkol., 1912, Nr. 52.) Der Erfolg war in allen Fällen ein glänzender.
Die Geburt trat in 5 Minuten bis 18 Stunden spontan ein, und zwar
in Fällen, wo früher öfter die Zange nötig war. Verf. glaubt, dass
Pituitrin bis zu einem gewissen Grade die Zange ersetzen kann und
auoh bei künstlicher Frühgeburt usw. mit Vorteil anzuwenden ist.
Siefart.
Rieck-Mainz: Wider und für Pitnitrin. (Münohener med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 52.) In jeder Phase der Frühgeburt und Fehlgeburt
ist Pituitrin zu widerraten, da zu leicht Dauerkontraktionen auftreten,
die ein späteres operatives Vorgehen wesentlich erschweren. Hingegen
ist am Ende der Gravidität das Pituitrin warm zu empfehlen.
Dünner.
R. Lampe - Salzburg: Bemerkungen, die Aetiologie der Plaeesfa
praevia betreffend. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. schliesst
sich der Ansicht derjenigen an, welche meinen, dass das Ovulum an
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
derjenigen Stelle implantiert wird, an welcher es sich zur Zeit der Be¬
fruchtung gerade befiudet, wenn er auch nicht leugnen will, dass die
Flimmerung des Epithels ebenfalls von Einfluss auf die Implantation ist.
Findet Implantation und vorherige Befruchtung in der Tube oder den
extrauterinen Partien des Genitaltractus statt, so kommt es zur ektopischen
Schwangerschaft, findet sie in den allerunterstnn Partien des Cervical-
kanals statt, so kommt es zur Bildung einer Reflexarplacenta und somit
zur Entstehung der Placenta praevia. Beim Zustandekommen der
Schwangerschaft sprechen Zeitintervall zwischen Menstruation und be¬
fruchtender Konjugation, Ort der Implantation, Tempo der Einwanderung
und der Spermienbewegung, Zeitintervall zwischen Befruchtung und
Reifung mit.
P. C. T. v. d. Hoevel - Leiden: Die Möglichkeit einer emeiten
Schwangerschaft nach dem klassischen Kaiserschnitt. (Centralbl. f.
Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. hat durch Umfragen bei den von ihm
operierten Patientinnen festgestellt, dass nach dem klassischen Kaiser¬
schnitt mehr als die Hälfte weiterhin kinderlos geblieben ist. Da nun
nach statistischen Angaben in Holland jede Frau aus dem Volke durch¬
schnittlich 7 Kinder zur Welt bringt, so müssten in seinen 17 Fällen
119 Kinder geboren sein, tatsächlich kamen aber vor dem ersten Kaiser¬
schnitt nur 43 zur Welt, nach demselben nur 17, unter denen nur
7 lebende waren.
F. Eberhart-Cöln: Nekrose des Fettgewebes durch Naht.
(Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 51.) Verf. ist der Ansicht, dass die
so häufig namentlich im Anschluss an Laparotomien auftretenden
Nekrosen des Unterhautfettgewebes nicht in Infektionen ihren Grund
haben, sondern in der ausserordentlich schwachen Blutversorgung des
Fettgewebes. Er hält es daher für richtig, bei der Versorgung der das
Fettgewebe durchziehenden Blutgefässe nicht zu gewissenhaft zu sein.
E. Vogt-Dresden: Strangulation der vorderen Matterrnnndslippe
durch ein Schalenpessar. (Centralbl. f. Gynäkol., 1912, Nr. 52.) 37 Jahre
alte Frau trug 10 Jahre lang ein Schalenpessar, ohne dass dies
gewechselt wurde. Allmählich stellte sich blutig-eitriger Ausfluss und
Schmerzen ein. Die Inspektion ergab, dass die vordere Muttermunds¬
lippe in die Pessaröffoung eingeklemmt war, so dass dieselbe völlig
stranguliert wurde. Heilung durch Amputation. Siefart.
A. Müller-München: Beziehungen der Appendicitis chronica za
den weiblichen Beckenorganen. (Münchener med. Wochenschr., 1912,
Nr. 52.) Vortrag im ärztlichen Verein zu München am 18. März 1912.
Siehe Gesellschaftsbericht in dieser Wochenschrift, 1912, Nr. 15, S. 721.
Dünner.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Esch, Bewirkt
das Kind während des intrauterinen Lebens eine Ueberempfindlichkeit
bei der Mutter? — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Hartung,
Fall von Dementia paralytica und Geburt.
Augenheilkunde.
Huntemüller und Paderstein-Berlin: Chlamydozotnbefaode
bei Sehwimmbadconjanctivili8. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 2.) Die Verfasser haben 14 Fälle von akuter Conjunctivitis beob¬
achtet bei Patienten, welche alle das gleiche Schwimmbad benutzt hatten.
Die Krankheit erinnerte ausserordentlich an leicht verlaufende Trachome.
In den meisten Fällen trat völlige Heilung ein, in einigen blieben je¬
doch einige leichte Zeichen zurück, wie Schwere im Oberlid, Verdickungen,
Ptosis. Narbenbildung wurde jedoch nie gesehen. In den frisch unter¬
suchten Fällen Hessen sich stets typische Zelleinschlüsse nachweisen,
die den von Halbcrstädter und Prowazek gefundenen Trachom-
chlamydozoen sehr ähnlich sind. Die Schwimmbadconjunctivitis erwies
sich als infektiös und auf Affen übertragbar. Sie ist wahrscheinlich eine
Krankheit sui generis, durch spezifische Erreger hervorgerufen.
C. Credc-Hörder-Berlin: Ueber niefafgonorrhoische Ophthalmo-
blennorrhöen der Neugeborenen nnd Säuglinge. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die nichtgonorrhoische Ophthalmoblennorrhoe
der Neugeborenen hat äusserlich mit der gonorrhoischen grosse Aebnlich-
keit, nur ist die Sekretion mehr serös und die Cornea nie beteiligt Der
Verlauf ist ein bedeutend milderer. Als Infektionserreger kommen in
Betracht: 1. harmlose grampositive Diplokokken, 2. Fraenkel’sche Pneumo¬
kokken, 3. Bacterium coli commune. Am schwersten verlaufen noch
die durch Pneumokokken hervorgerufenen Conjunctivitiden. Thera¬
peutisch kommen Borsäurelösungen in Betracht, in schwereren Fällen
Einträufelungen mit l,3proz. Argentum aceticum. Wolfsohn.
Siehe auch Physiologie: Gstettner, Zur Kenntnis des Blinzel¬
reflexes. Takamine und Takei, Verhalten durchsichtiger Augenmedien
gegen ultraviolette Strahlen.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
A. Zografides-Athen: Catarrhns chronicus bypertrophicus der
tonsilla lingualis. (Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Bei den
mit Katarrh der hypertrophischen Zungentonsillen behafteten Patienten
besteht sehr häufig ein anfallsweise auftretender Husten. Wahrschein¬
lich wirken die Tonsillen durch Druck oder durch innere Sekretion auf den
Ramus internus vagi, wodurch reflektorisch ein keuchhustenähnlicher
Anfallshusten ausgelöst wird. Eine Exulceration am Frenulum linguac
fehlt. Die Therapie besteht in der Zerstörung der Geschwülste, mitunter
genügt eine Pinselung mit 10 bis 15proz. Lapislösung.
P. Hirsch.
A. Re thi - Königsberg: Die Operationen an den Nasennascbela
nach neueren rhinologischen Prinzipien. (Thcrap. Monatsh., Dez. 1912.)
Technik und Erfolge der einzelnen Operationsmethodeo.
H. Knopf.
E. Ri mini-Triest: Ueber den Einflass des Salvarsais auf das
Oebörorgai. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Im Anschluss
an Salvarsaninjektionen, etwa 4—8 Wochen nach diesen, können schwere
Schädigungen des Gehörorgans auftreten, welche unverändert fortbesteben
bleiben: Schwerhörigkeit, Taubheit, Schwindel, Sausen, Nystagmus usw.
Verf. bat derartige Fälle 8 mal beobachtet. Er glaubt, dass leichte
syphilitische Prozesse im Obr, die auf Hg nicht reagieren, auf Salvarsan
mit reaktiven Entzündungen antworten, die dann zu dauernden Verände¬
rungen führen können, ähnlich der Lupusreaktion nach Tuberkulin. Er
rät zu besonderer Vorsicht bei Luetikern, die auch nur die geringsten
Ohrstörungen darbieten, insbesondere bei chronischem Mittelohrkatarrh,
Otosklerose, nervösem Ohrensausen u. dgl. Wolfsohn.
R. Kotz-München: Heilbarkeit der otogenen Meningitis. (Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 52.) Verf. teilt 3 Fälle von chronischer
Mittelohreiterung mit Cholesteatombildung mit, an die sich nach langer
Zeit des Wohlbefindens Meningitis anschloss. Operation brachte Heilung.
Sofort nach der Operation wurde lumbal punktiert. In allen 3 Fällen
enthielt das Punktat Eiter, aber keine Bakterien. Dünner.
Siehe auch Therapie: Zografides, Therapie des Otitis externa
furunculosa. Hinsberg, Beseitigung der Schluckbeschwerden bei
Larynxerkrankungen.
Hygiene und Sanitätswesen.
M. Holz: Die Arzneibücher über das Sterilisieren in den Apotheken.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loeffler-Festschrift
S. 81.) II. bespricht die in den verschiedenen Pharmakopoen des In-
und Auslandes enthaltenen Bestimmungen über Sterilisation von Arznei¬
lösungen usw. und weist auf die mancherlei Mängel wie auf die Wichtig¬
keit einer wirklich einwandfreien Sterilisierung in den Apotheken bin,
auf die oft nicht genügend Bedacht genommen wird.
F. Kornstaedt-Stralsund: Typhus, Kanalisation und Trink¬
wasser in Stralsund. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig.,Bd. 64,
Loeffler-Festschrift, S. 100.) K. fasst seine Ausführungen über die
Kanalisations- und Trinkwasserverbältnisse von Stralsund und deren Be¬
ziehungen zum Typhus in dieser Stadt dahin zusammen, wie an diesem
Beispiel der Beweis zu erbringen sei, dass der Typhus — abgesehen
von UebertraguDgen von Person zu Person und durch Lebensmittel —
in erster Linie durch das Trinkwasser übertragen und verbreitet wird,
wenn es aus Anlagen, seien es Brunnen oder Wasserleitungen, ent¬
nommen wird, welche ungenügend gegen Verunreinigungen von der Erd¬
oberfläche her geschützt sind. Durch die Kanalisation lässt sich die
Verunreinigung des Bodens und damit die Gefahr der Verseuchung des
Trinkwassers freilich berabmindern, gänzlich beseitigt wird sie erst durch
Schaffung einer einwandfreien Trinkwasserversorgung.
F. Hueppe: Ueber Trockenmilch. (Centralbl. f. Bakteriol., I. Abt,,
Orig., Bd. 64, Loeffier-Festschrift, S. 34.) U. tritt sehr für eine nach be¬
stimmten Grundsätzen hergostellte, einwandfreie Trockenmilch ein, die
nach verschiedenen Richtungen mit Vorteil zu verwenden ist. Nament¬
lich würde die Magermilch in Form der Trockenmilch oft vortrefflich
geeignet sein.
Fr. Scholz-Berlin: Probleme der Pest und der Pestbekämpfaog.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Loefller-Fest-
schrift, S. 44.) Sch. berichtet zusammenfassend über Ansteckungs¬
quellen, Epidemiologie und Bekämpfungsmaassnahmen der Pest.
Bierotte.
H. Conradi - Dresden: Ueber Typhasbaeillenträger. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Typbusbacillenträger sind gesunde
Personen, die Typhuskeime absondern, meist solche, die früher typhus¬
krank waren („Hauptträger“). Derartige Menschen können jahrzehnte¬
lang mit dem Urin und den Fäces virulente Bacillen aussebeiden und
endemische Infektionen hervorrufen. Die Ausscheidung kann auch in
Intervallen erfolgen, eine Tatsache, welche die Ermittelung der „Haupt-
träger“ und die Prophylaxe erschwert. Die chronische Bacillen-
ausscheidung durch den Darm beruht vornehmlich auf einer chronischen
Infektion der Gallenwege, die Absonderung durch den Harn ist auf
embolische Herde der Niere zurückzuführen. 5pCt. aller Typhuskranken
bleiben chronisch infiziert, meist sind es Frauen. Ein Heilmittel der
chronischen Infektion kennen wir noch nicht. Wir müssen uns daher
auf allgemein-hygienische Maassnahmen beschränken. Die Isolierung
der Bacillenausscheider dürfte meist auf soziale Hindernisse stossen.
Der Staat sollte derartige Personen materiell entschädigen.
Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Freymuth, neilstättenerfabrung
über Tuberkuloseinfektion und Schwindsuchtentstehung.
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Gerichtliche Medizin.
Florschütz-Gotha: Aus den Papieren einer Lebensversicherungs¬
gesellschaft. II. Herd oder Selbstmord? (Aerztl. S&chverst.-Ztg., 1912,
Nr. 24.) Um seiner Familie die Lebensversicherungsprämie zu retten,
hatte ein in Vermögensverfall befindlicher Versicherter Selbstmord be¬
gangen, aber mit Hille eines vertrauten Freundes Mord fingieren lassen.
M. Hirschfeld und Burchard: Zur Kasuistik des Verkleidungs-
triebs. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 24.) Mitteilung dreier sehr
interessanter Gutachten über Transvestiten, jene neueste, erst in der
letzten Zeit so recht bekannt gewordene Abart sexueller Perversion. Die
Autoren treten dafür ein, dass diesen Kranken nicht nur die Erlaubnis
zum Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts, sondern auch zur
entsprechenden Aenderung der Vornamen gegeben würde.
H. Hirschfeld.
Militär-Sanitätswesen.
H. Röder-Elberfeld: MilUärtaiglichkeit und Enteroptoso. (Mün¬
chener med. Wochenscbr., 1912, Nr. 52.) (Nach einem Vortrag auf der
84. Versammlung Deutscher Naturforscher in Münster i. W. 1912.)
Verf. machte bei seinen Militäruntersuchungen die Beobachtung, dass
Leute, die sich von vornherein als alkoholintolerant fühlten, oder die es
erst im Laufe der Jahre wurden, an Enteroptose leiden. Danach hält
er jeden Enteroptotiker für larviert alkoholintolerant. Enteroptose be¬
steht nach Quincke, wenn die Baucbform beim Liegen und Stehen ver¬
schieden ist, wenn der Nabel sich beim Husten hebt. Diesen Haupt¬
symptomen fügt Verf. einige, sich aus ihnen aber ergebende hinzu.
Dünner.
Technik.
E. Weisz - Pistyan: Einfacher Apparat zur Behandlung des ver¬
steiften Handgelenks. (Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 53.)
Dünner.
Siehe auch Chirurgie: Schöneberger, Federextension an der
unteren Extremität.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Landau.
Schriftführer: Herr Israel, später Herr v. Hansemann.
Vorsitzender: Ich eröffne die Sitzung, da Herr Orth heute am
Erscheinen verhindert ist, und begrüsse die Herren im neuen Jahre,
leh hoffe, dass unsere Arbeit erspriesslich sein wird.
Wir haben leider in den letzten Wochen den Verlust zweier Kollegen
zu beklagen: des Herrn Dr. Emil Cronbach, Frauenarzt in Scböneberg,
seit 1911 Mitglied, und des Herrn Dr. Felix Nathan, seit 1902 Mit¬
glied. Ich bitte Sie, sich zum ehrenden Andenken zu erheben. (Ge¬
schieht.)
Aus der Gesellschaft ausgetreten ist Herr Geheimrat Schwerin
wegen Zeitmangels, und weil er sich nicht mehr so fühlt, dass er die
Sitzungen besuchen könne.
ln der vorigen Sitzung der Aufnahmekommission im Dezember sind
aufgenommen werden die Herren DDr. Dubinsky, Julius Salinger,
Otto Heusler, Fernow, Albert Cronheim, Dagobert Flater,
G. Bucky, Alfred Moritz.
1. Vor der Tagesordnung.
Hr. Michael Coha: Sparadiseher Kretiaismas bei Geschwistern.
Die Mutter dieses Kindes, welches ich Ihnen vorstellen möchte, ist
hier nicht ganz fremd; sie ist schon einmal an dieser Stelle in unserer
Mitte mit einem ihrer Kinder erschienen. In der Sitzung vom 7. No¬
vember des Jahres 1900, also vor genau 127a Jahren, hatte ich mir er¬
laubt, im Anschluss an einen Vortrag, den der im vorigen Jahre ver¬
storbene Prof. Hugo Neumann, mein verehrter einstiger Lehrer und
Freund, über die „Ergebnisse der Schilddrüsenbehandlung bei spora¬
dischem Kretinismus* hier hielt, das erste Kind dieser Frau, ein Mädchen,
welches damals im Alter von Vf 4 Jahren stand, dieser Gesellschaft vor-
zuführen. Ich darf wohl aus jener Demonstration l ), die wohl sehr vielen
aoter Ihnen nicht bekannt geworden ist, den wenigsten jedenfalls noch
erinnerlich sein dürfte, kurz rekapitulieren, dass es sich um ein Kind
handelte, welches zur Zeit, da es, Anfang des 2. Lebensjahres, zum
ersten Male zu mir kam, den typischen Symptomenkomplex der Myx-
idiotie darbot, deren erste Anfänge der Anamnese nach zweifellos in
die früheste Lebenszeit zurückzudatieren waren. Das Kind zeigte die
1) Verhandlungen der Berliner medizinischen Gesellschaft aus dem
Gesellscbaftsjabr 1900, Bd. 81, S. 206, resp. diese Wochensohr., 1900,
S. 1105, sowie Deutsche med. Presse, 1901, Nr. 2.
typische StuhlverstopfuDg, die schon seit der 7. Lebenswoche bestand,
das gedunsene Gesicht, die charakteristische Makroglossie, die kühle und
trockene Beschaffenheit der Haut; es zeigte eine deutliche Hemmung des
Knochenwachstums in Gestalt einer unzureichenden Körperlänge, eines
verkleinerten Schädelumfangs und des Fehlens jedes Ossifikationskernes
in den Handwurzelknochen, und es zeigte vor allem einen hochgradigen
geistigen Stupor, der schon, als es l f 2 Jahr alt war, ärztlicherseits den
Verdacht des Vorliegens einer geistigen Anomalie erweckt hatte. Als
ich das Kind hier vorstellte, hatte ich es bereits 2 Monate lang mit
Schilddrüsentabletten füttern lassen, und es hatte auf diese Medikation
in so unverkennbarer Weise reagiert und eine so deutliche und erheb¬
liche Aufbesserung seines ganzen körperlichen und geistigen Befindens
erfahren, dass man sich zu den besten Erwartungen für seine weitere
Entwicklung berechtigt halten durfte.
Leider haben sich die Hoffnungen, die wir damals an die Schild¬
drüsentherapie knüpften, wie ich Ihnen beute bekennen muss, in diesem
Falle nur in sehr bescheidenem Maasse erfüllt. Das Kind ist am Leben
geblieben, es ist jetzt 1372 Jahre alt, und ich hätte es gern hier wieder
vorgestellt; allein es befindet sich nicht hier, sondern ausserhalb, und
zwar in einer — Idiotenanstalt. Ich hatte es viele Jahre lang aus den
Augen verloren und habe erst neuerdings über sein weiteres Schicksal
in Erfahrung gebracht, dass es trotz fortgesetzter Medikation doch erst
mit 5 8 /4 Jahren allein laufen lernte, und dass seine Erziehung zu Hause
so viel Schwierigkeiten darbot, dass es von dieser Zeit ab in die Anstalt
gebracht werden musste. Es war mit kurzen Unterbrechungen 5 Jahre
lang in der Potsdamer Anstalt, und seitdem weilt es in der Branden-
burgischen Idiotenanstalt in Lübben. Wie mia der dortige Oberarzt,
Herr Kollege Plaskuda, auf meine Anfrage die Freundlichkeit hatte
mitzuteilen, hat die körperliche Entwicklung des Mädchens, das übrigens,
von gewissen Zwischenräumen abgesehen, dauernd das ganze Jahr hin¬
durch Schilddrüsentabletten erhielt und noch erhält, zwar Fortschritte
gemacht, es sieht nicht pastös aus, und es hat eine Körperlänge von
130 cm, was ungefähr der eines 10- bis 11 jährigen Mädchens entspricht.
Geistig aber ist es sehr tiefstehend; es versteht ganz einfache Aufforderungen
und befolgt sie manchmal, äussert sich aber, von einzelnen einfachen Worten
abgesehen, nur in unartikulierten Lauten, hat also nicht sprechen gelernt.
Zweierlei interessante Tatsachen muss ich noch anführen: Zunächst, die
Patientin bedarf auch jetzt noch der ständigen Zufuhr von Schilddrüsen¬
substanz; für kürzere Zeit kann wohl das Mittel ohne Schaden aus¬
gesetzt werden; als es aber einmal mehrere Monate hindurch nicht ge¬
geben wurde, da verschlimmerte sich der Zustand noch derartig — es
zeigten sich Schwellungen zu beiden Seiten des Halses, die Zunge wurde
dick, das Schlucken war erschwert, und die geistige Stumpfheit nahm
erheblich zu —, dass die besuchenden Eltern selber den Arzt dringend
um weitere Verabfolgung des Mittels ersuchten, das aber offenbar vor¬
wiegend die Haut- und Knochen- und nur in sehr geringem Maasse die
cerebralen Symptome des Uebels bei der Kranken beeinflusst. Eine
weitere bemerkenswerte Tatsache ist die, dass, wie mir der Kollege aus
Lübben mitteilte, im Laufe des letzten Jahres sich bei dem Mädchen
eine erhebliche cystische Struma entwickelt hat, welche bereits bei stär¬
keren Bewegungen leichten Stridor bedingt und wahrscheinlich eine
Punktion nötig machen wird. Seinerzeit, als ich die Patientin in Be¬
handlung bekam, war bei ihr die Schilddrüse bereits deutlich zu fühlen,
wie auch bei der Demonstration hier von mehreren untersuchenden
Herren festgestellt wurde; die nachträgliche strumöse Degeneration der
Drüse bestätigt mithin jenen Befund, auf den ich übrigens noch einmal
am Schluss kurz zurückkomme.
Soviel über jenes erste Kind. Die Mutter hat dann zwei Jahre
nach diesem einen Knaben geboren, der jetzt 11 Jahre alt ist; er ist, wie
ich mich erst kürzlich überzeugte, körperlich und geistig recht gut und
völlig normal entwickelt und zeigt auch sonst bezüglich seiner Schild¬
drüse nichts Abnormes. Darauf folgten sechs Aborte, angeblich bedingt
durch eine Unterleibsschwäche infolge des jahrelangen Auf-dem-Arm-
tragen des ersten Kindes, und schliesslich wurde am 22. August 1912,
also vor 47s Monaten, der Knabe, den Sie hier vor sich sehen, geboren.
Als ich ihn am 18. November, also im Alter von 12 Wochen, zum ersten
Male zu Gesicht bekam, war ich nicht wenig überrascht; denn er er¬
weckte beim ersten Anblick in der Tat auch wiederum den Eindruck
eines Myxödems. Was zunächst auffiel, war neben, der Blässe eine ge¬
wisse Gedunsenheit des Gesichts. Und wirklich deckt die weitere Unter¬
suchung eine Reihe einschlägiger Symptome auf: Die Mutter hatte das
Kind zugefübrt, weil es in letzter Zeit an Stuhlverstopfung litt und
einen Nabelbruch bekommen hatte; die Haut zeigte eine besonders
starke Fettanhäufung am Halse, eine auffällig trockene Beschaffenheit
und am Rücken eine feine kleienförmige Schuppung. Es stellte sich
heraus, dass das Kind niemals eine feuchte Haut gehabt bat, dass Hände
und Füsse sehr leicht kühl wurden, so dass ständig warme Steine ins Bett
gelegt werden mussten; dabei war der Ernährungszustand keineswegs
ein ungenügender; es wog 5310 g. Die Kopfhaut war trocken und, wie
Sie an dem Bilde, das ich hier herumreiche, und das die Züge des
Kindes zu dieser Zeit widergibt, ziemlich reichlich mit dunkelblonden
Haaren bedeokt. Die Zunge, die Sie hier auf der Photographie zwischen
den Lippen sehen, trat nicht ständig, sondern nur gelegentlich aus dem
Munde heraus; sie schien immerhin ein wenig verdickt. Beim Schreien
entstand eine leichte Cyanose der Ober- und Unterlippe. Die Atmung
war immer etwas schnarchend. Der linke Testikel war nicht descendiert.
Ein sehr wichtiges Symptom fehlte vorläufig freilich, nämlich die Hem¬
mung des Knoohenwachstums; 56 cm Körperlänge und 40 cm Kopf*
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126
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
umfang waren dem Alter entsprechende Werte; allenfalls wäre vielleicht
zu bemerken, dass die Pfeilnaht noch in der hinteren Hälfte klaffte.
Hingegen war wiederum recht auffällig das Verhalten des Kindes in
geistiger Hinsicht. Zwar bestand kein völliger Stupor; so z. B. lachte
das Kind sogar ziemlich oft; aber die Mutter gab ganz spontan an,
dass sie Zweifel hege, ob das Kind denn höre, da auch laute Geräusche
keinerlei Eindruck auf es zu machen scheinen. Und die wiederholte
Prüfung ergab tatsächlich, dass es auch auf sehr starke akustische Reize
gar nicht oder doch nur sehr wenig reagierte. Auch die Schmerz¬
empfindlichkeit schien sichtlich verlangsamt; es dauerte eine ganze Zeit,
ehe das Kind beim Kneifen der Haut sich zu schreien bequemte, und
die Schreistimme hatte dann einen deutlich rauhen Klang. Die Schild¬
drüse schliesslich war zu fühlen. Sie können sich auch hier überzeugen,
dass die Trachea nicht frei liegt, sondern von einem mittleren Lappen be¬
deckt ist, ganz ähnlich, wie es damals bei der älteren Schwester der Fall war.
Trotzdem somit der Symptomenkoraplex noch nicht völlig ent¬
wickelt war, entschloss ich mich doch nicht länger zu warten, sondern
dem Kinde sofort Schilddrüsentabletten zu geben, vor allem mit Rück¬
sicht auf die ungünstigen Erfahrungen, die mit dem ersten Kinde, das
erst im zweiten Lebensjahre zur Behandlung gekommen war, gemacht
worden waren; auch musste die Wirkung des Mittels am ehesten er¬
geben, ob die Annahme der Myxidiotie gerechtfertigt war. So bekommt
denn das Kind seit Ende November Schilddrüsensubstanz, im ganzen
erhielt es bisher erst 22 Tabletten ä 0,1, und der Erfolg ist in der Tat
derart, dass ein Zweifel über den Charakter des vorliegenden Krank¬
heitszustandes jedenfalls nicht mehr möglich ist. Die Wirkung des
Mittels war ganz typisch lind evident: schon nach wenigen Tagen wurde eine
gewisse Abflachung im Gesicht in der Gegend der Augenbrauen und
über der Nasenwurzel konstatiert; vor allem fing die bisher trockene
Haut aufs stärkste zu sezernieren an; das Kind bekommt bis in die
letzte Zeit hinein bei Nacht und auch bei Tage im Schlafe derartige
Schweissausbrüche, dass Hemd und Kopfkissen regelmässig, mitunter
sogar mehrmals gewechselt werden müssen. Die Haut ist überhaupt
weicher, glatter, sie ist gleichmässig warm, künstliche Erwärmung ist
nicht mehr nötig, die Schuppung hat aufgehört. Besonders auffällig ist
die Reaktion der Kopfhaut; hier bildete sich in der Mitte als Zeichen
einer starken Talgdrüsensekretion eine seborrhoische Kruste, und ausser¬
dem zeigt sich seit etwa 14 Tagen ein sehr charakteristischer Haar¬
ausfall, wie er übrigens, und zwar noch viel eklatanter, auch seinerzeit
bei der Schwester auf das Mittel hin sich eingestellt batte. Sie sehen
zurzeit an beiden Seiten, von der Stirn nach hinten ziehend, zwei
breite kahle Streifen, auf denen übrigens bereits einzelne neue hellere
Haare nachzuwachsen beginnen. Die Zunge ist flacher geworden. Auch
in geistiger Hinsicht hat das Kind in den wenigen Wochen erhebliche
Fortschritte gemacht, es ist, wie die Mutter angibt, ganz etwas anderes
geworden. Es ist reger, bewegt sich weit mehr als früher, es vermag
jetzt den Kopf zu halten, es blickt lebhafter, sieht nach vorgehaltenen
Gegenständen, freut sich über diese, lacht die Mutter an, es hört jetzt
auf Geräusche, fährt, was es früher nie tat, bei Geräuschen zusammen,
dreht den Kopf beim Anruf, beim Händeklatschen nach der Schallquelle,
kurz es bestehen hinsichtlich seiner Hörfähigkeit keine Zweifel mehr, und
das Kind macht jetzt geistig den Eindruck wie ein normales des gleichen
Alters. Man muss mit der weiteren Prognose natürlich zurückhaltend sein,
darf aber doch vielleicht hoffen, dass die Besserung in diesem Falle in¬
folge des frühzeitigen Einsetzens der spezifischen Organtherapie eine
nachhaltige und ausreichende sein wird, und dass, wenn vielleicht nach
wiederum 12 Jahren Gelegenheit sein sollte, über dieses Kind zu be¬
richten, die Nachrichten günstiger lauten werden als die, welche ich
heute über die vor 12 Jahren vorgestellte Schwester geben konnte.
Gestatten Sie mir nur noch einige bemerkenswerte Punkte hervor¬
zuheben. Da ist zunächst das familiäre Auftreten des Kretinismus, das
bei der endemischen Form des Leidens zwar durchaus nichts Seltenes
ist, bei der sporadischen Form aber, mit der wir es hier doch zu tun
haben — beide Kinder sind in Neukölln geboren, die Eltern
stammen aus Elbing bzw. Magdeburg und waren sonst nirgends an¬
sässig —, etwas Ungewöhnliches darstellt. Immerhin liegen in der
Literatur einzelne derartige Beobachtungen vor, besonders io der eng¬
lischen, und auch aus Wien berichtete Eller vor nicht langer Zeit von
einer dort ansässigen Familie, in der sogar drei Geschwister von der
Krankheit betroffen sind. Weiterhin möchte ich des Umstandes ge¬
denken, dass in meinen beiden Fällen, in denen die Symptome schon
kurze Zeit nach der Geburt einsetzten, von vornherein eine Schilddrüse
vorhanden und nachweisbar gewesen ist. Auch das ist ungewöhnlich.
Gerade von dieser hier vorliegenden Form der angeborenen Myx¬
idiotie ist seitens verschiedener Autoren (Pineies, Siegert) behauptet
und zum Teil auch durch Sektionsbefunde nachgewiesen worden, dass
bei ihr fast ausnahmslos die Schilddrüse fehle, also ein angeborener
Bildungsfehler in Form eines totalen Defektes des Organs vorliege, und
man hat diese kongenitale Form deshalb geradezu gegenübergestellt der
infantilen, bei der das Krankheitsbild erst einige Jahre nach der Geburt
sich herausbildet, wo also die Schilddrüse ursprünglich vorhanden ist
und normal funktioniert, um erst späterhin zu erkranken. Angeborene
Myxidiotie, sagt Siegert, und angeborene Thyreoaplasie sind fast stets
gleichbedeutend. Für unsere Fälle trifft das nicht zu, es besteht keine
Athyreose, sondern offenbar eine Dysthyreose; die Schilddrüse ist von
Anfang an bei beiden Kindern vorhanden, aber sie ist offenbar von
Geburt an krankhaft verändert und funktioniert nicht, weshalb es zu
den Ausfallserscheinungen kommt.
Ferner möchte ich besonders darauf hinweisen, dass in beiden Fällen
die Krankheit sich bereits zu einer Zeit entwickelte, da die Kinder noch
mit der Brust genährt wurden; das erste Kind ist acht Monate gestillt
worden, dieses hier bekam drei Monate Dur Brust, seitdem Brust und
Flasche. Es ist das zwar auch schon wiederholt beobachtet worden,
dass Ernährung an der Brust nicht vor dem Ausbruch der Krankheit
schützt; indessen verdient es doch immer wieder hervorgehoben zu werden
gegenüber der Behauptung einzelner Autoren, dass dem Kinde durch die
Muttermilch Schilddrüsenstoffe zugeführt werden. Und schliesslich er¬
wähne ich noch zwei in ätiologischer Hinsicht — Wassermann wurde
bei dem älteren Kinde in der Anstalt negativ gefunden — recht inter¬
essante Fakten. Erstens: die Kiuder stammen aus einer Verwandten¬
ehe, Vater und Mutter sind Cousin und Cousine, es besteht also Kon-
sanguinität. Und zweitens, was noch bemerkenswerter ist: die Mutter
der beiden Kinder bekam vor zehn Jahren — im Anschluss an den ersten
Abort — eine Anschwellung ihres Halses, die noch heute unverändert
fortbesteht; es handelt sich, wie Sie sich überzeugen können, um eine
deutliche Struma. Auch das ist ein Verhalten, wie es eigentlich mehr
bei den endemischen als bei den sporadischen Fällen von Kretinismus
beobachtet wird. Bei ersteren ist Struma in der Ascendens so häufig,
dass z. B. Flinker-Czernowitz neuerdings erwähnte, er habe in 50 der¬
artigen Fällen bei einem der Eltern stets Kropf gefunden; 17 mal waren
beide Eltern, 32 mal nur die Mutter, 1 mal nur der Vater, also die Mutter
überhaupt 49 mal damit behaftet. Beobachtungen wie die hier ge¬
schilderten dürften nach alledem vielleicht geeignet sein, die Unter¬
schiede, welche einzelne Autoren in klinischer Hinsicht immer noch
zwischen sporadischen und endemischen Kretinismus zu konstruieren
geneigt sind, doch mehr und mehr zu verwischen.
II. Tagesordnung.
1. Hr. Haber: Ueber Blntveräadernnge* bei hänolytischen Icterus.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion: Hr. Mosse. (Erscheint unter den Originalien dieser
Wochenschrift.)
2. Hr. Axhausen: Ueber das Wesen der Arthritis deformans.
(Erscheint unter den Originalien von Nr. 5; hier folgt die Erklärung
der Präparate.)
Das erste Photogramm zeigt einen der Versuche der Patellaumnähung.
Sie sehen hier den Rand der Patella, und Sie erkennen, dass von der
Knorpeldecke der Patella nur ein Teil am Leben geblieben ist Sie
sehen in der Tiefe das Knorpelgewebe nekrotisch; dagegen am Rande
noch erhaltene Kernfärbung und ebenfalls in der oberflächlichen Schicht,
wohl durch die Ernährung von der Synovialis her.
Dies war das Bild nach einigen Wochen. Nach längerer Zeit be¬
ginnt die Wucherung der am Leben gebliebenen Knorpelzellen. Dies
sehen Sie am nächsten Bild — das einzige der ganzen Gruppe, das nach
einer Zeichnung hergestellt ist, weil mir das Präparat verloren gegangen
ist. Sie sehen, wie lebhaft die Wucherung der erhaltenen Knorpelzellen
ist und wie die wuchernden Zellen in den toten Knorpelanteil eindringen.
Die nächsten Photograrame entstammen den Präparaten von homo-
plastischer Ueberpflanzung ganzer Gelenkenden.
Hier ist ein solches Gelenkende; Sie sehen die Knorpeldecke, unten
die Spongiosa, hier die subchondrale Knochenschicht und hier das Mark¬
gewebe der subchondralen Spongiosa. Sie sehen, dass nur die ober¬
flächlichste Partie der Knorpelzellen am Leben geblieben ist, während
in der Tiefe der Knorpel der Nekrose verfallen ist. Das kommt daher,
weil die oberflächlichen Partien von der Nachbarschaft her rasch ernährt
werden können, erst durch Füssigkeitsdiffusion, nacher durch Heran¬
sprossung neugebildeter Gefässe.
Nun sehen wir am nächsten Bild die beginnende Wucherung der
lebengebliebeuen Knorpelzellen. Oben sehen Sie einige Knorpelkapseln,
in denen massenhaft Zellen liegen als Zeichen der Proliferation.
Schliesslich kommen Bilder heraus wie im nächsten Präparat, wo
nun der ganze Knorpel wieder reorganisiert ist; Sie sehen die Knorpel-
zellen in einer Masseuhaftigkeit uud in einer Dichte der Anordnung, die
er normaler Weise niemals bat.
Nun, auch bei der elektrolytischen Erzeugung von umschriebenen
Knorpelnekrosen haben wir als Reaktion auf die Nekrose Knorpelzell-
wucherungen. Das sehen Sie im nächsten Bild. Sie sehen das Gelenk¬
ende, den deckenden Knorpel, die subchondrale Knochenschicht und das
Markgewebe, hier den nekrotischen Knorpelanteil, dort den leben¬
gebliebenen Knorpel, in dem Sie auf das schönste den Beginn der Knorpel¬
zellwucherung erkennen können.
Das nächste Photogramm zeigt ähnliches. Hier sehen Sie, dass von
der Synovia her einige der oberflächlichsten Knorpelzellen am Leben ge¬
blieben sind. Wie lebhaft ist nun ihre Wucherung! Da liegen 15 Knorpel¬
zellen in einer Hülle.
Aber die hauptsächlichsten Veränderungen vollziehen sich im Mark¬
gewebe der subchondralen Knochenräume. Die Entwicklung dieser Vor¬
gänge zeigen die nächsten Bilder. Im ersten derselben sehen Sie die
Umwandlung des Markgewebes in stark faseriges Bindegewebe unter
gleichzeitiger Erweiterung durch laeunäre Resorption.
Dasselbe vollzieht sich nun in den benachbarten subchondralen
Markräumen. Sie alle dehnen sich aus und fiiessen so schiesslich ineinander.
Im nächsten Bild sehen Sie sämtliche Markräume der subchondralen
Knochenschicht zusammengeflossen, der Inhalt ist überall in stark¬
faseriges Gewebe umgewandelt. Die dabei erfolgende laeunäre Resorption
der zwischengelegenen Knochenanteile führt nun zur Bildung ganz eigeri-
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20. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
127
artiger Knochenrestspangen. Ich habe eine stärkere Vergrösserung einer
solchen Spange im nächsten Bild fixiert. Diese eigentümlich geformten,
dünnen, grob-lacunär konturierten Knochenrestspangen kennen wir von
der Arthritis deformans her. Ich habe sie bei allen meinen Knochen¬
studien nur bei der Arthritis deformans gefunden, konnte mir aber nie
erklären, wie sie entstehen, bis diese experimentellen Studien ihre Ent¬
stehung enthüllten.
Sie sehen in den nächsten Bildern die weitere Entwicklung. Nachdem
die Räume zusammengeflossen sind, wird der Knorpel selbst resorbierend
angegangen; dabei erfolgt hier und da ein Durchbruch der Knorpeldecke,
und so wird der deckende nekrotische Knorpel iu Inseln zerlegt. Nun
erfolgt ein höchst eigentümlicher Vorgang. Fast nie wird der nekrotische
Knorpel vollkommen resorbiert, sondern während des Resorptionsaktes
gelangen Teile des toten Knorpels zur vollkommenen Lösung von der
subchondralen Bindegewebsschicht.
Ein beweisendes Bild sehen Sie hier. Hier ist das deckende Knorpel¬
stück gelöst durch die Tätigkeit des subchondralen Bindegewebes. Sie
sehen, es hängt nur noch an einem dünnen Stiel und ist im übrigen
vollkommen von der Unterlage abgehoben. Wir haben das nicht etwa
artifiziell erzeugt, sondern schon bei der Gelenkeröffnung fiel uns dieses
au einem Zapfen hängende Knorpelstück sofort auf. Einige übrig ge¬
bliebenen lebenden Knorpelzellen machen, wie Sie sehen, für das Schick¬
sal des toten Knorpelstücks nichts aus.
Das ist, experimentell erwiesen, der Vorgang der spontanen Dis¬
sektion und Exfoliation von toten Knorpelstücken, der experimentelle
Beweis für die Richtigkeit der Koenig’schen Lehre von der Chondritis
dissecans!
Ist nun ein solches Knorpelstück disseziert und exfoliiert, so ent¬
steht eine Knorpelusur, die zunächst von dem stark faserigen Binde¬
gewebe in erheblicher Dicke gedeckt ist. Aber es dauert nicht lange,
so wird die Schiebt dünner, periostähnlicher, wie Sie in einem der
nächsten Bilder erkennen werden.
Sie sehen hier in diesem Bild in Reaktion auf die Knorpelnekrose
Vorgänge, die Sie im nächsten Bilde etwas stärker vergTÖssert finden werden,
Vorgänge, die Ihnen die Metaplasie des subchondralen Bindegewebes in
Knorpelgewebe zeigen. Dieser wuchernde Faserknorpel geht hinein in
die Tiefe, er bildet die bekannten Enchodrome, er bildet nachher bei
seiner Erweichung die Cysten. Selbst die Knorpeleinsprengungen, die wir
bei den sklerotischen Schleiffurchen sehen, nehmen hieraus ihren Ursprung.
Eine Knorpelusur mit dünner, periostähnlicher Decke sehen Sie
im nächsten Photogramm. Charakteristisch ist auch die leichte Er¬
habenheit am Rande, die neugebildeten Knochen einschliesst.
Solche Bilder finden wir überall, wo keine mechanische Inanspruch¬
nahme vorhanden ist. Wo aber eine solche vorhanden ist, finden wir
an der Usurstelle freiliegenden, sklerotischen Knochen.
Eine solche „Schleifstelle“ sehen Sie im nächsten Bilde. Interessant
ist auch die Auffaserung des benachbarten Knorpels.
Im nächsten Bilde sehen Sie sehr schön die starke Verdichtung des
freigelegten Knochens. Dss nächste zeigt Ihnen die schon erwähnten
Knorpeleinsprengungen innerhalb des sklerotischen Knochens der Schleif¬
stelle.
Schliesslich ein letztes Bild aus dieser Serie: die Entstehung einer
mächtigen Cyste. Sie sehen die mächtige Knorpelmasse in der Tiefe,
die grösstenteils nekrotisch, teilweise verflüssigt ist. So kommen schliess¬
lich grosse cystische Räume heraus.
Nun zeige ich Ihnen in einer weiteren Serie entsprechende Bilder
von Arthritis deformans.
Sie sehen im ersten Bilde bei einem beginnenden Falle die ober¬
flächliche Nekrose des Knorpels und in der Tiefe die Knorpelzellwuche¬
rungen; hier liegen die Knorpelzellen viel dichter als normalerweise.
Wir sehen die deutlichen Bilder der Knorpelzelleinwanderung, genau wie
in den Versuchen. Auf der anderen Seite sehen wir einen besonders
wichtigen Vorgang. Wenn die Knorpelnekrose einen gewissen Umfang
erreicht, so kann der celluläre Ersatz von der Tiefe her nicht aus¬
reichend geliefert werden. Dann kommt von der Nachbarschaft heran¬
gewuchertes subchondrales Bindegewebe und führt zur Dissektiou solcher
restierenden Knorpelanteile, genau wie im Experiment. Den ganzen Vor¬
gang können Sie an den einzelnen Stellen des Photogramms verfolgen.
Wo immer nach erfolgter Dissektion und Exfoliation das hervor¬
gewucherte, subchondrale Bindegewebe den erhaltenen Knorpel deckt,
finden wir, wie Sie hier und in den nächsten Bildern sehen, eine durch
dichtere Zel lau Ordnung erkennbare Grenzlinie zwischen beiden An¬
teilen. Das sehen Sie auch im folgenden Bild auf beiden Seiten. In
der Mitte fehlt die Grenzlinie; es fehlt aber überhaupt jeder Knorpel.
Hier, in der Mitte, hat eine totale Nekrose Vorgelegen; Sie sehen nun,
wie sich gerade nur an dieser Stelle in Reaktion auf diese Nekrose in
der subchondralen Knochenschicht ein mächtiger Hohlraum mit faserigem
Bindegewebe und teils nekrotischem, teils verflüssigtem Knorpel gebildet
hat, während an beiden Seiten die Struktur der subchondralen Mark¬
räume fast völlig normal ist.
Einen ähnlichen Vorgang sehen Sie im nächsten Bild. Achten Sie
aber besonders auf die hier deutlichen Vorgänge der beginnenden Dis¬
sektion kleinerer umschriebener Knorpelnekrosen, die fast die ganze
Dicke einnehmen.
Im nächsten Bild haben Sie solche nekrotischen Knorpelinseln völlig
disseziert an der Oberfläche liegen; sie sind ringsum eingeschlossen von
subchondralem Bindegewebe; an einer Stelle sehen Sie an der Lücke
die stattgehabte Exfoliation.
Im nächsten Bild sehen Sie die Metaplasie des subchondralen Binde¬
gewebes in Faserknorpel und weiter die Entstehung der Knochenrest¬
spangen, von denen ich Ihnen vorher sprach.
Das nächste Bild zeigt Ihnen eine solche Spange in stärkerer Ver¬
grösserung, und Sie sehen sofort die vollständige Uebereinstimmung mit
den gleichen Bildern bei der experimentellen Knorpelnekrose.
Das nächste Bild zeigt eine Knorpelusur grösseren Umfanges. Sie
sehen dort noch Reste von dem ursprünglich hier gelegenen nekrotischen
Knorpel, die vollkommen disseziert sind.
Schliesslich sehen Sie im nächsten Bild eine Schleifstelle, eine
Sklerose des Knochens bei Arthritis deformans, genau so, wie ich sie
Ihnen hei der experimentellen Knorpelnekrose gezeigt habe; und im
nächsten einen Knorpeleinschluss — genau wie dort!
Schliesslich, als Beweis, dass beim Trauma Knorpelnekrosen Vor¬
kommen, das nächste Bild, ein Schnitt von einer Radiusköpfchenfraktur,
entnommen von dem erhaltenen, nicht von dem abgesprengten Teil. Da
sehen Sie den lebenden, hier den toten Knorpel; an einer Stelle selbst
beginnende Knorpelzellwucherung.
Und dass auch bei milden Gelenkinfektionen solche Knorpelnekrosen
Vorkommen, sehen Sie im letzten Photogramm. Das Präparat entstammt
meinen Versuchen und zwar solchen, bei denen geringe Gelenk¬
schwellungen und ein trüber Erguss bei kaum wahrnehmbaren
Störungen des Allgemeinbefindens beobachtet wurden.
Sie sehen die oberflächliche Hälfte des deckenden Knorpels nekrotisch.
Diskussion.
Hr. v. Hansemann: Ich habe nur ein paar Worte zu den
schönen Untersuchungen des Herrn Axhausen zu sagen, nämlich dass
ich bei allen Betrachtungen, die bisher über die Arthritis deformans
angestellt worden sind, auf ein Bedenken stosse, das den Namen Arthritis
deformans selbst betrifft. Wie Herr Axhausen es auch schon gesagt
hat, umfasst dieser Name eino grosse Zahl verschiedener Krankheiten,
und ich möchte besonders darauf hinweisen, dass eine derselben, die
wir auch als Arthritis deformans bezeichnen, die sogenannte Altersgicht,
doch eine allgemeine Erkrankung ist, die sich nicht allein im Gelenk
abspielt, und die deswegen eigentlich mit Unrecht den Namen Arthritis
führt.
Wenn nun auch bei dieser Form der Erkrankung sich die Knorpel¬
nekrose findet, die Herr Axhausen eben geschildert hat, so ist doch
nicht für alle Erscheinungen, die bei dieser Erkrankung auftreten, es
möglich, dass die Knorpelnekrose oder auch die statischen Momente
allein maassgebend sind, denn man findet dabei Knochenwucherungen
auch da, wo diese Dinge nicht in Betracht kommen, z. B. an der Innen¬
fläche des Schädels. Das ist vielleicht die älteste Krankheit, die wir
überhaupt kennen, denn sie findet sich schon bei dem Neandertal-
schädel, der gerade deshalb zu so vielen Diskussionen geführt hat. Wir
finden die gleichen Veränderungen auch schon bei den alten Höhlen¬
tieren, die mit dem Neandertalmenschen zusammen gelebt haben, beim
Höhlenbär, beim Höhlenlöwen usw. Da findet man diese Knochen-
veräoderung auch schon, und zwar um die Gelenke herum in Form der
Osteopbyten, und < auch an den Schädeln dieser Tiere, wie bei dem
Neandertalmenschen selbst. Wir finden sie natürlich auch bei dem
rezenten Menschen — nicht bei jedem —, der die Krankheit hat, sondern
nur bei einzelneu dieser Individuen, und aus der Entstehung der Osteo-
phyten im Innern des Schädels in diesen Fällen können wir sehen,
dass doch noch etwas anderes mitspielen muss als die Nekrose der
Knorpel und als die statischen Momente. Denn gerade diese beiden
Momente fallen ja hier an diesen Stellen vollständig fort. Es muss sich
dort doch um allgemeine Ernährungsstörungen handeln.
Ich bezweifle gar nicht, dass sich das an dem Gelenk so äussert,
wie Herr Axhausen das geschildert hat. Das ist zweifellos vollkommen
zutreffend. Aber es geht doch von einem anderen Punkte aus, so dass
wir die Knorpelnekrose, wie ich meine, noch nicht als ätiologisches
Moment einführen dürfen, sondern nur als ein Zwischenglied einschieben
müssen, und dass die Ursache noch weiter zurückliegt, wenigstens für
diese Formen der sogenannten Arthritis deformans, nicht für alle
Formen.
Hr. Wollenberg: Ich möchte zu den Untersuchungen von Herrn
Axhausen nur wenige Worte sagen. Ich bezweifle nicht, dass für eine
grosse Zahl von Fällen die aseptische Knorpelnekrose tatsächlich das
auslösende Moment sein könnte. Aber es sind doch schon einige Ein¬
schränkungen zu machen. Ich habe schon auf dem Chirurgenkongress
darauf hingewiesen, dass gerade in ganz frühen Fällen von Arthritis
deformans sich derartige Wucherungen finden, im Bereiche des Knie¬
gelenkes zum Beispiel, am freien Knorpelrande, wo auch mikroskopisch
noch keinerlei Knorpelnekrose sichtbar ist.
In solchen Fällen von einer „Fernwirkung“ zu reden, scheint mir
nicht richtig, zumal sich die von Herrn Axhausen experimentell er¬
zeugten Knochen- und Markveränderungen stets nur in unmittelbarster
Nähe der Knorpelnekrosen abspielen.
Ferner möchte ich auf ein Moment hinweisen, das ist das Recidiv
nach radikaler Operation der Arthritis deformans. Sie wissen, dass
Müller in Rostock bekannt gegeben hat, dass sehr häufig diese Recidive
eintreten. Dieselbe Beobachtung habe ich gemacht in einer ganzen
Reihe von Fällen, die früher von Hoffa und auch von mir operiert
worden sind. Wir haben den Schenkelkopf total entfernt, sogar noch
einen Teil des Schenkelhalses mitgenommen. Trotzdem hat es nachher,
nach Jahren, ein Recidiv gegeben. Es hat sich gewissermaassen ein
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128
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Schenkelkopf neu formiert, indem weiche Knochenmassen über den Rest
des Schenkelhalses gewissermaassen pilzartig hinübergedrückt wurden, und
wir hatten einige Jahre nach der Operation ein ähnliches Bild wie vor
der Operation, nur dass jetzt der Schenkelhals sehr viel kürzer geworden
war. Eine solche Beobachtung weist doch darauf bin, dass der Knochen
selbst in einem erheblichen Umfange an und für sich erkrankt ist, da9s
diese Erkrankung auch nach der Entfernung des gesamten Knorpels un¬
abhängig von letzterem einer weiteren Entwicklung fähig ist. Damit ist
erwiesen, dass für diese Recidive die Knorpelnekrose kein veranlassendes
Moment sein kann.
Hr. Axhausen (Schlusswort): Zu den Bemerkungen von Herrn
v. Hansemann mochte ich nur eins sagen. Wenn an dem Schädel
solche Knochenwucherungen auftreten, so möchte ich bemerken, dass im
hohen Alter selbstverständlich auch an anderen Stellen Ernährungs¬
störungen nebst Reaktionserscheinungen vorliegen können. Die Verhält¬
nisse am Schädel und die Verhältnisse im Gelenk sind aber so
different, dass ein formaler Zusammenhang kaum angenommen werden
kann.
Auf die Bemerkungen von Herrn Wollenberg wollte ich sagen,
dass gerade die Fälle der beginnenden Arthritis deformans sehr
häufig nicht vollkommen durchuntersucbt werden. Ich habe solche Fälle
gesehen, bei denen auf grossen Schnitten der Knorpel normal erschien,
während bei weiterer Durchprüfung sich an anderen Stellen umschriebene
Knorpelnekrosen fanden. Das ist gerade das Auffallende, auch bei der
Arthritis deformans experimenteller Art, dass durch die Existenz von
umschriebenen Knorpelnekrosen geringer Grösse Fernwirkungen
(Randosteophyten, Zottenbildung) ausgelöst werden. Immer müssen
also die Gelenkenden auf Knorpelnekrosen sorgfältig durchuntersucht
werden, ehe man ihre Existenz ausschlicssen darf.
Das Auftreten von Randosteophyten in Fällen sogenannter „Arthritis
deformans recidiva“ kann bei der Existenz von Knochennekrosen an der
Resektionsstelle nicht wundernehmen.
Laryngologische Gesellschaft zu Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. November 1912.
(Schluss.)
Tagesordnung.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Gutzmau: Ueber habituelle
StimmbaudlähiBUDgen.
Hr. Killian: Der Vortrag liegt gedruckt vor und konnte eingehend
studiert werden, was sich als nützlich erwies, denn das Thema ist
schwierig. Es kann bei der Diskussion leicht zu Missverständnissen
kommen, so dass wir aneinander vorbeireden. Aus diesem Grunde bitte
ich Sie, mir zu gestatten, dass ich ein paar einleitende Bemerkungen
mache.
Jeder von uns, der diesen interessanten Vortrag gehört hat, wird
sich gefragt haben: Haben wir denn früher keine derartigen Fälle ge¬
sehen? — eigentlich müssen wir sie doch gesehen haben —, und wie
haben wir sie gedeutet? Die meisten von uns werden sich den Vorwurf
machen, dass sie diese Fälle wohl als hysterische gedeutet haben, und
da möchte ich einsetzen.
Es ist vor allen Dingen darauf hinzu weisen, dass es sich bei Gutz-
mann sehr oft um Kinder handelt. Kinder mit hysterischen Stimm¬
bandlähmungen sind aber etwas recht Seltenes. Hierin liegt also ein
ganz wesentliches Moment. Wie es scheint, hat Herr Gutzmann ein
grösseres Kindermaterial unter seinen Stimmstörungen wie der Laryngo-
loge für gewöhnlich. Also diese Fälle würden wir wohl schwerlich aus
unserer Erfahrung heranholen können, die kommen uns viel zu
selten vor.
Dann hat Herr Gutzmann eine zweite Kategorie von Fällen be¬
zeichnet: das sind Erwachsene, bei denen die Stimmstörungen seit
vielen Jahren bestehen und aus der Kindheit herzuleiten sind. Wenn
ich mich besinne, so habe ich ganz sicher vereinzelt solche Fälle ge¬
sehen. Das sind Patienten, die eine gewisse Trübung der Stimme haben,
leichte Heiserkeit, und bei denen man bei genauer Untersuchung des
Larynx sehr enttäuscht ist: man findet keinen Katarrh, keine gröbere
Veränderung, keine Lähmung, und doch lässt die Stimme zu wünschen
übrig. Derartige Fälle habe ich nicht als hysterisch gedeutet, sondern
ich hatte die Auffassung, dass es sich da tatsächlich um eine üble Ge¬
wohnheit handelt, um eine Art von unreiner Stimmbildung. Wir haben
jetzt von Herrn Gutzmann gehört, dass sich solche Fälle, die wir wohl
meistens gar nicht behandelt haben, auf mühsamem Wege durch Stimm¬
übungen noch in Ordnung bringen lassen.
Ferner müssen wir uns fragen: wie verhält es sich denn nun mit
dem eigentlich'hysterischen Material, das wir behandeln? Können sich
darunter solche Fälle befunden haben von Gewohnheitslähmung, wie sie
uns beschrieben worden sind — ein Krankheitsbild, das wir ja unbe¬
dingt anerkennen müssen, das sich in der Neurologie schon durchaus
Anerkennung verschafft hat? Was die Fälle angeht, die wir als
hysterische deuten, so müssen wir Laryngologen uns wohl alle den Vor¬
wurf machen, dass wir da nicht regelmässig die allgemeine Untersuchung
ausführen. Wenn der Laryngologe eine Stimmstörung findet von der
Art, wie sie gewöhnlich als hysterisch bezeichnet wird, so verzichtet er
meist auf weitere Untersuchung des Patienten, namentlich in der poli¬
klinischen Praxis, wenn es sehr schnell gehen muss. Wir haben die
allgemeine Untersuchung in vielen Fällen vernachlässigt, ich sage das
auch von mir selbst. Ich habe einmal früher in einer grösseren Reihe
von Fällen von Treupel recht genaue neurologische Untersuchungen
machen lassen, und da haben wir in einer ganzen Reihe von deutlichen
hysterischen Störungen, Anästhesie, Stigmata, auch gröbere Erschei¬
nungen von Hysterie usw. feststellen können. Die meisten Fälle aber ergaben
nichts derartiges, man konnte sie höchstens als monosymptomatische
Hysterie bezeichnen, eine Form, welche manche Neurologen nicht aner¬
kennen wollen. Die Untersuchung mag vielleicht unvollkommen gewesen
sein in bezug auf die Psyche; das ist etwas, was wir jedenfalls in Zu¬
kunft mehr beachten müssen. Es wäre sehr erwünscht, dass uns ein
grösseres Material von sogenannten hysterischen Stimmstörungen des
Larynx vorgelegt würde, bei dem die ganze neurologische Untersuchung
vorgenommen und auch das psychische Verhalten geprüft worden ist
Es befinden sich aber unter unserem hysterischen Material auch
zahlreiche Fälle, in denen sich Stimmstörungen im Anschluss an akute
Laryngitis entwickelt haben. Man trifft ja bei der akuten Laryngitis
manchmal Patienten, die im Verhältnis zu dem Kehlkopfbefunde eine
ungemein starke Stimmstörung zeigen oder gar aphonisoh sind. Bei
manchen handelt es sich darum, dass sie sich schonen wollen; sie haben
schmerzhafte Empfindungen in der Keblkopfgegend. Das lässt sich
natürlich sehr leicht feststellen. Bei anderen handelt es sich um einen
Zustand, den ich schon als einen hysterischen glaubte auffassen zu
müssen. Es mag sein, dass manchmal tatsächlich hysterische Individuen
in Betracht kamen; aber eine ganze Reihe war doch darunter, bei denen
ich eigentlich gar keinen Grund batte, eine Hysterie anzunebmen. Ich
habe sie nur so bezeichnet, weil sie nicht anders unterzubringen waren.
Ein solcher Patient ist mir gerade dieser Tage wieder vorgekommen. Er
hatte vor fünf Wochen eine Laryngitis und spricht jetzt noch mit ganz
leiser Stimme; er war fest davon überzeugt, er könne nicht lauter
sprechen. Ich habe einen ganz gesunden Larynx gefunden. Zeichen von
Hysterie fehlten. Es wurde ihm daher energisch gesagt: „Bitte, sprechen
Sie laut, Sie haben gar keinen Grund, leise zu sprechen !“ Von diesem
Moment an konnte er laut sprechen. Also die Situation war geklärt.
Aehnliche Fälle finden wir beim Militär. Die hysterischen Aphonien
beim Soldaten richtig zu klassifizieren, ist schwer. Es sind natürlich
tatsächlich hysterische Individuen darunter. Wenn Sie sich aber über
die Zahl informieren, so muss Ihnen auffallen, dass doch merkwürdig
viel Soldaten hysterisch sein müssten, wenn alle diese Aphonien auf
Hysterie beruhen sollen. Natürlich ist auch ein Teil der Fälle Simu¬
lation oder ein Uebergang zur Simulation. Aber ein guter Teil mag
wohl das sein, was uns Herr Gutzmann charakterisiert hat, d. h. aus
Katarrhen entstandene Gewohnheitsstimmstörungen.
Dann wollte ich noch anstatt des Gutzmann’schen Ausdruckes
Stimmbandlähmungen den Ausdruck Stimmläbmungen oder noch
besser Stimmstörungen gewünscht haben. Herr Gutzmann macht
uns darauf aufmerksam, dass rein psychische Gründe vorliegen. „Stimm¬
lähmungen“ ist sprachlich kein exakter Ausdruck. Die Stimme kann
als solche ja nicht gelähmt sein. Bei den Hysterischen handelt es
sich ebenfalls nicht um muskuläre Lähmungen; sie können ihre
Muskeln gebrauchen, sie bringen auch Töne hervor beim Husten, beim
Niesen, wie in dem Vortrage erwähnt wurde; nur die Stimme können
sie nicht entwickeln. Auf die Stimmbildung bezieht sich die Störung,
man könnte sagen: die Stimmbildung ist gelähmt. Um diesen Schwierig¬
keiten zu begegnen, wählen wir besser den Ausdruck Stimmstörung.
Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass die verschiedenen
Stellungen, die wir beim Hysterischen im Larynx sehen, physiologische
Stellungen sind, Stimrabandstellungen, welche in jedem Kehlkopf ge¬
sehen werden, wenn das betreffende Individuum in der Weise Flüster¬
geräusche oder Pressgeräusche entwickelt, wie es die Hysteriseben tun.
Also mit wirklichen muskulären Lähmungen im gewöhnlichen Sinne hat
das gar nichts zu tun. Ebenso möchte ich wünschen, dass die Be¬
ziehungen der Gewobnheitsstimmstörungen zu einzelnen Muskeln,
die Herr Gutzmann seiner Einteilung zugrunde legt, in Wegfall
kommen. Wenn manche Muskeln im Laufe der Jahre etwas schwächer
werden, so ist das etwas Sekundäres und trifft nicht das Wesen der
Sache.
Hr. Grabower: Nach dem, was der Herr Vorsitzende soeben aus-
gefuhrt hat, bleibt mir nur übrig, noch wenige Worte zu sagen über
den inspiratorischen Stridor. Herr Gutzmann leitet denselben von
einer Lähmung der Erweiterer ab und spricht von einer habituellen
Posticuslähmung. Ich kann mich dieser Anschauung nicht anschliessen,
denn die Inspirationsmuskeln sind ja in den von Herrn Gutzmann
angeführten Beispielen gar nicht gelähmt, sie sind vielmehr willkürlich
ausser Funktion gesetzt, weiter nichts. Dies erklärt sich meines Er¬
achtens am ungezwungensten durch eine Ermüdung des innervierenden
Centrums, die eine perverse Aktion der Stimmlippen zur Folge hat.
Durch das anhaltende Lallen des Kindes — um bei dem Beispiel des
Herrn Gutzmann zu bleiben — wird das Adduktionscentrum durch
Ueberanstrengung ermüdet, und die Folge davon ist eine verkehrte
Direktive, die das ermüdete Innervationscentrum austeilt. Statt dass
die Inspirationsmuskeln innerviert werden sollten, werden fälschlicher¬
weise die adduktorischen Muskeln innerviert, und daher der Stridor.
Wenn diese verkehrte Aktion längere Zeit anhält, dann, gebe ich zu.
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20. Januar 1913. BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 129
tritt eine Gewöhnung an diesen Zustand ein. Aber wir haben es dann
nicht au tun mit einer habituellen Lähmung, sondern vielmehr mit
einer gewohnheitsmässigen Verkehrtheit der lnnervationsgebung.
Hr. P. Hey mann: Die Beobachtungen, von denen Herr Gutz-
mann ausgegangen ist, waren mir, wie wohl auch den meisten der
Herren wohlbekannt. Ich habe in meinen Vorlesungen darauf aulmerk¬
sam gemacht, dass sich im Anschluss an einen akuten Kehlkopfkatarrh
sehr häufig Lähmungen, namentlich der Interni finden, die den Eindruck
des Hysterischen machen, und die man gewöhnt ist, wie der Herr Vor¬
sitzende schon gesagt hat, den hysterischen zuzurechnen. Bei diesen
Fällen, die sich aber doch im wesentlichen von den hysterischen unter¬
scheiden, ist es mir nie gelungen, in ähnlicher Weise, wie der Herr
Vorsitzende das soeben berichtet hat, durch momentanen psychischen
Einfluss Heilung zu erreichen. Es erfordert meist eine länger dauernde
Behandlung mit Adstringeutien und eveutuell mit Elektrizität. Ich
habe diese Formen immer als etwas Besonderes betrachtet und meine
Assistenten wiederholt aufgefordert, diesen speziellen Formen der Läh¬
mungen ihre Autmerksamkeit und eine Untersuchung zu widmen.
Herr Gutzmann fasst diese Lähmungen als habituelle auf. Dabei
ist mir nur eines zweifelhaft. Wie will er diese habituellen Lähmungen
der Muskeln unterscheiden von eiuer Erkrankung der Nervenendigungen
oder der Muskeln, die eventuell noch katarrhalische Veränderungen,
katarrhalische Zustände zeigen können, trotzdem die unserem Auge zu¬
gängliche Oberfläche abgeheilt ist? Ich habe mioh schliesslich, wenig¬
stens in der grossen Zahl der Fälle, dahin geneigt, zu glauben, dass
noch die tiefer liegenden Teile sich im Prozesse der katarrhalischen
Veränderung befunden haben. Häufig habe ich auch — und wahr¬
scheinlich die meisten von uns — die bestehenden Störungen nach
Adenotomie beobachtet, und ich habe sie mir eigentlich in gleicher
Weise erklärt, wie Herr Gutzmann, obwohl ich die gemeinsame Deu¬
tung dieser Erscheinungen nicht gefunden habe, deren Feststellung Herrn
Gutzmann’s unbestrittenes Verdienst bleibt. Ich habe den Eltern,
wenn sie sich beschwerten, immer vorgebalten: wenn jemend jahrelang
am Daumen eine Geschwulst hat und gewohnt ist, darum herumzugreifen,
so muss sich der Daumen, wenn die Geschwulst weggenommen wird,
erst an die veränderten anatomischen Verhältnisse gewöhnen. Das würde
eine ganz ähnliche Idee sein, wie sie Herr Gutzmann ausgeführt hat.
Was Herrn Gutzmann’s Vortrag auszeichnet, ist die ausserordentlich
klare Durchdringung und die Allgemeinheit der Aulfassung, die uns in
eine ganze Menge von wohl bekannten, aber nicht erklärten Tatsachen
Licht gebracht hat.
Hr. A. Kuttner: M. H.! Es ist wohl ohne Zweifel, dass der Vor¬
trag des Herrn Gutzmann eine Reihe von Tatsachen, deren Deutung
uns bisher manche Schwierigkeit bereitet hat, unserm Verständnis näher
gebracht hat. Da nun der in der Neurologie schon eingebürgerte Be¬
griff der habituellen Lähmung voraussichtlich nach diesem Vortrag und
nach dieser Diskussion auch in unserer Disziplin eine Rolle spielen
wird, so dürfte es, glaube ich, angebracht sein, recht genau zuzusehen,
wie weit sich dieser neue Begriff unserer Disziplin und den Tatsachen,
die uns hier begegnen, anpasseu lässt.
Die Erklärung des ganzen Phänomens findet Herr Gutzmann in
der Oppenheim’schen Hypothese, welche die vorgenannten habituellen
Lähmungen auf den Ausfall der betreffenden Erinnerungsbilder zurück¬
führt. Auch mir scheint diese Annahme für eine ganze Reihe von Fällen
zutreffend. Ein schlagendes Beispiel hat Ihnen Herr Gutzmann selbst
angeführt: das Verstummen ertaubter Kinder. Auf ein anderes Beispiel,
das uns Rhinologen noch viel geläufiger ist, hat eben Herr Hey mann
hingewiesen, auf das Persistieren der Mundatmung nach der Adenotomie.
Kindern, deren Nasenatmung durch die Hypörplasie der Rachenmandeln
verlegt war, wird durch die Adenotomie der Weg für die Atmung frei-
gemacht, aber trotz gelungener Operation atmen sie immer noch nicht
durch die Nase, sondern unentwegt, wie bisher, durch den Mund. Wes¬
halb? Weil ihnen die Erinnerungsbilder für die nasale Atmung verloren
gegangen sind, oder weil sie sich überhaupt noch nicht bei ihnen ent¬
wickelt haben. Aber, m. H., so befriedigend der von Oppenheim
formulierte Erklärungsversuch für diese Fälle passt, so ist es mir doch
zweifelhaft, ob er für alle hier in Betracht kommenden Fälle ausreicht.
Ganz besonders skeptisch gemacht hat mich gerade das Beispiel, an
dem Oppenheim selbst seine Annahme erläutert. Er benutzt als
Paradigma die Radialislähmung der Kinder: Ein Kind erleidet eine ein¬
seitige Radialislähmung; die Nervenleitung wird wiederhergestellt, aber
die Lähmung besteht weiter. Sind nun hier wirklich die Erinnerungs¬
bilder verloren gegangen? Das Kind hat doch die ganze Zeit mit dem
gesunden Arm alle möglichen Bewegungen ausführen könneD, also müssen
doch die Bewegungsbilder in dem Kinde gelebt haben. Oder sollen
wir annehmen, dass für die rechte und linke Extremität verschiedene
Bewegungsbilder vorhanden sind? Das scheint mir nicht recht wahr¬
scheinlich.
Weiter aber, m. H., und jetzt komme ich auf den Punkt, den Herr
Killian schon gestreift hat, der mir aber von so prinzipieller Bedeutung
zu sein scheint, dass ich noch näher auf ihn eingehen muss. Herr
Gutzmann sprach immer nur von habituellen Lähmungen. Ich kann
nicht ermessen, ob es sich in der Neurologie immer um wirkliche
Lähmungen handelt. Bei den Tatsachen, mit denen wir zu tun haben,
handelt es sich jedenfalls durchaus nicht immer um Lähmungs-
erscheinungen. Bei dem Verstummen der Kinder, die taub werden, beim
Persistieren der Mundatmung nach der Adenotomie, bei den dauernden
Stimmstörungen, die nach akuten Laryngitiden Zurückbleiben, sind die
in Frage kommenden Muskeln ja gar nicht gelähmt, der ganze motorische
Apparat, der centrale wie der periphere, ist aktionsfähig; aber die
Muskeln agieren nicht so, wie sie agieren sollen, sie versagen, aber sie
versagen nur mit Rücksicht auf eine bestimmte Funktion. Es handelt
sich also in diesen Fällen nicht um eine Lähmung, sondern um eine
Funktionsuntüchtigkeit, um eine Koordinationsstörung für
eine ganz bestimmte Funktion. Diese Funktionsuntüchtigkeit
genügt auch vollständig zur Erklärung des Krankheitsbildes, das Herr
Gutzmann als habituelle Posticuslähmung bezeichnet hat. Ich kann
mich mit dem Begriffe der habituellen Posticuslähmung ebensowenig be¬
freunden, wie Herr Grabower. Wo man von einer habituellen Posticus-
lähmung sprechen will, da muss doch zunächst eiumal eine veritable
Lähmung oder wenigstens Parese des M. posticus voraufgegangeu sein.
Diese ist aber vorher nie konstatiert worden; es fehlt jeder Anhalts¬
punkt für die Annahme, dass vorher eine isolierte Posticuslähmung oder
Posticusparese vorhanden gewesen ist. Gerade die Belege, die Herr
Kollege Gutzmann angelührt hat, um uns diese Posticuslähmung
plausibel zu machen, sind wenig überzeugend. Es handelt sieh immer
um Kinder. Bei diesen liegen aber ganz besondere Verhältnisse vor,
ihr Larynx ist sehr klein, die Glottis eng, das ganze Knorpelgerüst sehr
weich und nachgiebig. Ich erinnere Sie an das Verhalten junger Tiere
bei experimentellen Larynxoperationen; Eingriffe, die ein erwachsenes
Tier ohne jede nennenswerte Unbequemlichkeit übersteht, führen bei
jungen Tieren geradenwegs zum Erstickungstod. Weshalb? Nicht etwa,
weil der Posticus geschädigt worden ist, der ist bei der Operation ganz
intakt geblieben; die Gründe, die zur Suffokation führen, sind ganz
andere: eine leichte Anschwellung der Stimmbänder, die ein erwachsenes
Tier gar nicht geniert, ruft eine leichte Dyspnoe hervor. Durch die
Erregung des Tieres wird die Atmung pervers, und nun werden bei der
engen Glottis die Stimmbänder angesaugt und in dieser angesaugten
Stellung festgehalten, bis das Tier erstickt. Wenn wir diese Fälle,
ebenso wie die Gutzmann’schen Fälle als Funktionsstörungen auffassen
wollen, und zwar als eine Funktionsstörung, bei der das Zusammen¬
wirken der einzelnen Muskeln zuungunsten der Oeffner gestört ist, so
bin ich mit dieser Auffassung durchaus einverstanden.
Zum Schluss noch ein Wort über die Bewertung dieser Phänomene
für den Gesamthabitus des Patienten. Ich kann es wohl verstehen,
wenn Herr Gutzmann sich dagegen sträubt, solche Erscheinungen als
hysterische aufzufassen. Sicher kann man ein Kind, das nach der
Adenotomie nicht gleich durch die Nase atmet, nicht hysterisch nennen,
ebensowenig wie es ein Beweis für Hysterie ist, wenn ein Mensch, der
10 oder 12 Jahre lang geflüstert hat, auf ein Kommando wort nicht
plötzlich seine laute Stimme wiederbekommt. Aber mit diesen Fällen
ist doch der Umfang des Krankheitsbildes, das Herr Gutzmann uns
gezeichnet hat, nicht erschöpft. Wenn ein Kind nach einer akuten
Laryngitis, nachdem alle anatomischen Läsionen geschwunden sind, seine
gewöhnliche Sprechstimme durchaus nicht wiedergewinnen kann —
höchstens nach einem so energischen Zureden, wie es Herr Killian
ausgeübt hat —, wenn, wie es mir passiert ist, eine Sängerin, die sich
nach der Entfernung eines Stimmbandpolypen aus eigener Machtvoll¬
kommenheit eiue vierwöchige Flüsterkur auferlegt hatte, in dieser Zeit
die laute Sprache so vollständig verlernt, dass es grosser Anstrengungen
bedarf, bis sie wieder laut sprechen lernt, so kann ich es wohl be¬
greifen, wenn man auf Grund dieses einen Symptoms die Diagnose
Hysterie nicht stellen will. Aber als normal psychogen, wie es Herr
Gutzmann nennt, möchte ich dieses Verhalten doch auch nicht be¬
zeichnen. Normale Menschen bekommen eben, wenn die Laryngitis vor¬
über ist, ihre normale Stimme wieder, und gesunde Kinder, die infolge
einer Laryngitis oder infolge des Stotterns einige Wochen geflüstert
haben, bekommen auch, wie ungezählte Fälle beweisen, leicht ihre laute
Stimme zurück. Wenn sie ausbleibt, so mag dieses eine Symptom, wie
gesagt, vielleicht nicht genügen, um gleich die Diagnose auf Hysterie
zu stellen; aber dieses aussergewöhnliche Verhalten deutet doch meines
Erachtens ganz gewiss auf eine gewisse Schwäche, eine gewisse Ab¬
normität der Psyche hin.
Hr. Alexander: Auch ich habe im Laufe der Jahre eine Reihe
von Patienten gesehen, welche seit 10, 20 und mehr Jahren heiser
waren. Erkundigte ich mich eingehend nach der Anamnese, so ergab
sich fast immer, dass der Heiserkeit eine der kindlichen Infektions¬
krankheiten — Masern, Scharlach, Diphtherie — vorangegangen war,
dass die Heiserkeit im Anschluss an diese Krankheiten sich entwickelt
hatte. Bisweilen konnte ich bei scharfem Hinsehen feine lineare Narben
an den Stimmlippen entdecken, bisweilen war dies nicht möglich. Ich
habe in all diesen Fällen stets die Anscbauuug gehabt, dass der Muskel¬
apparat der Stimmlippe eine dauernde Schädigung davongetragen habe,
dass es sich um eine myopatbische Lähmung handle. Nie bin ich auf
den Gedanken gekommen, dass es sich hier um Hysterie handeln könne.
Gegen eine solche Vorstellung schützte mich schon die Tatsache, dass
der objektive Larynxbefuud jederzeit durchaus der gleiche blieb, während
er doch bei der Hysterie zu wechseln pflegt. Ich kann mir wohl vor-
stellen, dass auch diese Fälle, wenn sie rechtzeitig mit Sprachübungen
behandelt werden, gebessert werden können. Dagegen will mir der
Nutzen einer derartigen Therapie höchst zweifelhaft erscheinen, wenn
eine solche Heiserkeit bereits viele Jahre bestanden hat.
Hr. Barth: M. H.! Wir sind Herrn Gutzmann alle zu Dank ver¬
pflichtet, dass er diese Frage angeschnitten hat, die uns wohl alle schon
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130
Nr. 3.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
einmal beschäftigt hat. Es ist bedenklich, wenn wir nur ein einziges
Symptom sehen, mit diesem einen Symptom „Hysterie“ zu diagnosti¬
zieren. Deswegen hat man auch einen gewissen Ausweg gesucht und
die Störuug als funktiouell bezeichnet, d. b. man wollte das Wort
Hysterie nicht aussprechen. Neurologisch ist man jedoch gezwungen,
die funktiouelle Störung auf eine psychische Störung zurückzuführeu.
Die habituellen Lähmungen — darin sind wir wohl einig — sind als
psychogen zu betrachten; es kommt nur darauf an, dass wir uns klar
werden, ob alle diese Störungen zur Hysterie zu rechnen sind oder nicht.
Es wird aber nur wenig Fälle geben, bei denen wir nicht auch gewisse
psychische Alterationen finden. Dankenswerterweise hat Herr Killian
schon die Frage durch eingehende Beobachtungen prüfen lassen, uud
ich glaube, wir tun gut uud sind verpflichtet, jetzt diesen Störungen
etwas genauer auf die Spur zu gehen. Es genügen nicht oberflächliche
Untersuchungen, sondern wir müssen dazu das ganze Armamentarium
des Neurologeu heranziehen. Da werden wir sicher auch ürüude genug
finden, um zu sagen: die Psyche ist hier nicht intakt. Ich will nur
ein Beispiel anführen, was besonders deutlich spricht. Eine alte Dame,
die längere Zeit heiser ist infolge eines Polypen, der vom Taschenband
ausgeht und so gross ist, dass er in die Glottis vera herunterhängt,
kann infolge dieses Hindernisses für den Glottis phonatoria nur flüstern
und ist seit langer Zeit aphonisch. Sonst ist der Kehlkopf frei, körper¬
lich ist sie ganz gesund. Der Polyp wird entfernt ohue jede Reaktion.
Die Folge davon aber ist eine Aphouia spastica. Die Glottisschliesser
haben bisher wegen des Hindernisses sehr stark arbeiten müssen, nun
ist das Hindernis fort, sie schiessen aber weiter über das Ziel hinaus:
Aphonia spastica. Es bedurfte erst längerer erziehlicher Behandlung,
um diese Aphonia spastica zu beseitigen, was auch gelang. Ein anderer
Fall lag anatomisch ganz ebenso und betraf eine robuste Bäuerin. Ich
will nicht etwa sagen, dass Bäuerinnen frei von Hysterie sind. Aber
hier war nach Entfernung des Tumors sofort eine tönende Stimme da.
Diese hatte eben ein absolut gesundes Nervensystem, die andere war
irritabler. Wie weit wir den Begriff der Hysterie ziehen wollen, darüber
müssen wir uns mit den Neurologen auseinandersetzen.
Dass diese Störungen psychogener Natur sind, dafür sprechen auch
die bleibenden Atrophien; bei den reflektorischen Glottisbewegungen
machen sich weder Lähmungen noch Atrophien geltend. Die Internus¬
lähmung, die wir bei der Phonation beobachten, braucht nicht der Aus¬
druck einer Atrophie des M. internus zu sein, sondern ist wohl häutig
nur der Ausdruck einer Koordinationslähmung.
Beispiele von Stimmstörungen der in Frage stehenden Art geben
auch diejenigen Leute, welche immer heiser sprechen und dabei wunder¬
schön singen können. Zu meiner Beobachtung gehört eine Dame, eine
anerkannte, in der Oeffentlichkeit stehende Sängerin, die wunderschön
singt, aber auffallend heiser spricht. Sie hat zwar eine chronische
Pharyngitis, welche aber die Heiserkeit nicht erklärt. Der Kehlkopf ist
frei. Sie macht eben beim Sprechen falsche Bewegungen, presst und
drückt, wodurch der Anschein der Heiserkeit erweckt wird, während
diese Heiserkeit nur unzweckmässigen phonatorischen Bewegungen ent¬
springt.
Dass nicht bloss die Lähmungen, sondern vor allem auch die Krampt-
zustände funktioneller und wahrscheinlich auch hysterischer Natur sind,
wird viel weniger auf Widerspruch stossen. Ein Opernsänger von un¬
gefähr 30 Jahren, mit sehr schöner Stimme, bekommt zeitweilig während
des Singens auf der Bühne veritablen Velumkrampf, derart, dass er
kaum weitersingen bann. Der Krampf besteht ein paar Minuten und
verschwindet dann wieder. Nur dadurch, dass ich ihm mit allen Mitteln
der Ueberzeugung klargemacht habe, dass seine Nase ganz gesund ist,
ist er vor hier ganz überflüssigen Nasenoperatiouen bewahrt worden.
Genauere Untersuchung ergab aber auch psychische Stigmata.
Die von Herrn Killian erwähnten Stimmstörungen in der Armee
sind mir während meiner 20 jährigen Dienstzeit selten begegnet. Das
mag vielleicht an der Art des Ersatzes liegen. Herr Killian hat wohl
sein Material aus Freiburg, das sich aus Baden rekrutiert.
Hr. Killian: Die stimmgestörten Soldaten wurden mir immer in
Freiburg zugeführt. Ich habe aber auch die Statistik von Landgraf
im Auge gehabt, in der sich eine grosse Reihe von Hysterischen liudet.
Hr. Barth (fortfahrend): Nach der Kasuistik, die aus einer langen
Reihe von Jahren aus den Armeesanitätsberichten gesammelt ist, ist die
Zahl der Stimmkranken in der Armee erstaunlich gering. Die Hysterie
in der Armee ist nicht so selten; das möchte ich betonen.
Hr. Killian: Unter uuserera Material sind hysterische Männer mit
Stimmstörungen sehr selten.
Hr. Peyser: M. H.! Ich finde, dass man auf den Kernpunkt der
Sache zu wenig eingegangeu ist. Herr Gutzmann hat ja gerade als
differentialdiagnostisch zwischen „hysterischen Stimmstörungen“, wenn
wir sie so nennen wollen, und den von ihm sogenannten „habituellen
Lähmungen“ ein ganz klar zu erkennendes Moment hingestellt, nämlich
dass sich bei habituellen Lähmungen die Störung in einer bestimmten
Tonstrecke zeigt, die ziemlich gleich bleibt. Er drückt das so aus:
„Für die Entscheidung der Diagnose würde besonders darauf
zu achten sein, dass sich bei der Prüfung des Stimmumfangs,
wobei wir das Halten der einzelnen Töne in bestimmten Ton¬
lagen vornehmen lassen, bei den Formen der habituellen Heiser¬
keit bestimmte, stets gleichbleibende Grenzen zeigen, an denen
die Heiserkeit auffallend geringer wird oder auch ganz ver¬
schwindet.“
Mir ist sehr einleuchtend, dass man bei Hysterie etwas derartiges,
bei wiederholter Untersuchung immer Gleichbleibeudes nicht finden wird,
und wir müssen wohl alle gestehen, dass wir unter diesem Gesichtspunkt
bisher kaum Untersuchungen an Hysterischen angestellt haben. So
interessant die Diskussion also auch ist, ich glaube, wir können so lange
zu keinem Ergebnis kummen, als nicht die fehlenden Nachprüfungen an
nachweislich Hysterischen angestellt worden siud. Bis dahin muss die
Diskussion darüber, ob es sich in der Tat um eiu neues Kraukheitsbild
handelt, das nicht nur theoretisch aufgestellt, sondern auch praktisch
bestätigt ist, aulgeschoben werden.
Bei den Ausführungen des Herrn Gutzmann fiel mir ein Fall ein,
der vielleicht sicher hierher gehört. Ein Patient mit einem subglottisch
gelogenen gestielten Kehlkopltumor, der bloss dann zwischen die Stimm¬
lippen geschleudert wurde, wenn Patient laut und heftig sprach, wurde
von mir operiert. Die Stimme im Piano und in der mittleren Lage
der Sprechstimme war trotz der Operationswunde, die ja, da es ein ge¬
stielter Tumor war, besondere Schwellung nicht machte, sofort brauchbar,
Der Mann hat aber Wochen- und monatelang, genau so wie bei Bestehen
des Tumors, nicht laut und heftig sprechen können, ohne dieselben
Heiserkeitserscheinungen zu haben, die er hatte, als der Tumor noch
drin war. Ich habe mir das damals nicht recht erklären können,
höchstens durch Autosuggestion. Es ging so weit, dass der Patient
zweifelte, ob das Gewächs auch wirklich heraus wäre. Er hat sich dann
davon überzeugt und ist ganz allmählich zum vollen Gebrauch seiner
Stimme gelangt. Nach dem, was Herr Gutzmann sagt, wird mir diese
Erscheinung klarer: der Mann war gewohnt, bei bestimmter Art der
Koordination ein bestimmtes unangeuehmes Gefühl zu haben, und auch
cessante causa ist der efieetus nicht gewichen. (Hr. Kuttner: Keine
Lähmung?; Ich habe ja bereits bemerkt, dass ich damals auf lusutfi-
zienzen nicht besonders geachtet habe, und erwähne den Fall, weil
ich es für möglich halte, dass solche habitueller Natur vorhanden ge¬
wesen sind.
Hr. Stur mann: M. II.! Es scheint mir keine grosse Schwierigkeit
zu haben, die hysterischen Lähmungen von deu rein funktionellen ab¬
zutrennen. Herr Killian wies schon darauf hin, dass die Bilder bei
der Hysterie immer normale Stellungen der Stimmbänder zeigen. Ich
möchte Herrn Gutzmann fragen, ob er eine hysterische luternus-
lähmung oder Transversuslähmuug kennt. Die hysterische Lähmung um¬
fasst immer die ganze Gruppe der Glottisschliesser, so dass immer
gleichseitige Dreiecke von verschieden grosser Basis im Spiegel gesehen
werden. Diese Tatsache zusammen mit dem Schwanken der Erschei¬
nungen, dem plötzlichen Auftreteu uud dem Nachweis anderer hysterischer
Zeichen bestimmen die Diagnose „hysterische Stimmbandlähmung“. Viel
schwerer erscheint mir die Differentialdiaguosc zwischen rayopathischer
uud Gewohnheitslähmung. Zu diesen können wir ohne weiteres, wie der
Fall 1 des Vortragenden zeigt, die akuten Fälle von Katarrh rechnen,
bei denen die Stimmstörung nach Ablauf der Entzündung fortbesteht.
Wie steht es aber mit den chronischen Fälleu? Es gibt eine ganze
Menge Erwachsener, die seit der Kindheit heiser sind, aber nichts von
der Entstehungsursache wissen. Sie haben oder können in der Kindheit
eine Erkrankung durchgemacht haben, die den einzelnen Muskel, z. B.
den Internus, so geschädigt hat, dass er degeneriert bezw. atrophisch
geworden ist. Ihre Stimmstörung kann ebensowohl auf eine myopathische
Lähmung als auf falsche Gewöhnung bezogen werden. Besteht eine
Atrophie der Stimmbänder, so scheint es mir ebenso berechtigt zu sein,
auzuuehmen, dass die Atrophie eine Folge der Muskelerkraukung und
daher die chronische Heiserkeit entstanden ist, als umgekehrt, dass
infolge chronischer Heiserkeit eine Inaktivitätsatrophie zustaude ge¬
kommen ist. Wie soll man da unterscheiden? Der Spiegel gibt keine
Auskunft. Begrenzungen der Stimmstörung für eine bestimmte Lage
oder guten Glottisschluss bei hohen Tönen, schlechten in der Mittellage
oder bei tiefen Tönen finden wir, wenn die Muskeldegeneration nur eine
teilweise ist, wohl auch bei veritablen myopathischen Paresen. Auch der
Erfolg der Therapie scheint mir nicht beweisend zu sein, da auch die
myopathische Parese der Uebungsthcrapie zugänglich ist. So dürfte der
Fall 2 des Vortragenden mit gutem Recht ein Fragezeichen verdienen.
Nun möchte ich noch auf die Gaumensegellähmung eingehen. Die
Deutung des Vortragenden, dass bei adenolomierten Rindern durch
falsche Gewöhnung eine Rhiuolalia aperta auftritt, weil vorher der
Nasenrachenraum ausgefüllt war und daher das Gaumensegel nicht nötig
hatte, sich zu kontrahieren, ist zwar interessant, wird aber nur selten
zutreffen. Das Gaumensegel wird bei der Operation stets stark gezerrt.
Wir sehen in den meisten Fällen Gewebsblutungen oder Zeichen von
Quetschungen nach der Operation. Wir sehen ferner häufig, dass
Rhiuolalia aperta auftritt, wenn der Nasenrachenraum frei war und nur
an den Tonsillen operiert wurde. Es liegt daher die Deutung näher,
dass die Kinder das Gaumensegel nicht bewegen, weil es ihnen wehetut.
Meistenteils geht auch die offene Nasensprache sehr schnell mit der
Heilung der Wunde vorüber. Wenn sie einmal fortdauert, so kann man
wohl von einer Gewohnheitslähmung sprechen, die aus einer Schmerz¬
lähmung entstanden ist. Was uns für die Entscheidung, Gewohnheits-
lähmuug oder Muskellähmung fehlt, ist, dass wir die elektrische Erreg¬
barkeit der Muskulatur nicht recht prüfen können. Die Gewohnheits¬
lähmung an den Extremitäten wird diagnostiziert, wenn weder eine
organische Veränderung noch Entartungsreaktion nachweisbar ist. An
den Stirambäudern können wir beides nicht mit Sicherheit feststellen.
Hr. Katze ns fein: Der Beweis für GewohnheitslähmuDgen der
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
131
Kehlkopfmuskulatur erscheint mir nach den Darlegungen des Herrn Vor¬
tragenden nicht erbracht zu sein. Ehre ging davon aus, dass sich zu
materiell bedingten Lähmungen Gewobnbeitslähmungen gesellen. Oppen¬
heim, der das besonders an Entbindungsläbmungen exemplifizierte,
wies auch darauf hin, dass bei traumatischer Radialislähmung bei
Kindern die Vorstellungen für die auszuführenden Bewegungen verloren
gehen, trotzdem die elektrische Reizung wieder normale
Verhältnisse ze igte.
Auf den Kehlkopf angewendet, musste es sich also bei Gewobnheits-
lähmungen der Kehlkopfmuskulatur um folgende zwei verschiedenen
Läbmungsarten handeln: erstens um eine Gewohnheitslähmung eines
Kehlkopfmuskels, die im Anschluss an die organische Lähmung eines
anderen Kehlkopfmuskels entstanden ist, zweitens um eine traumatische
Lähmung eines einzigen Kehlkopfmuskels, der nach Wiedereintritt der
Nervenfunktion durch Ausfall der Erinnerungsbilder für die Ausführung
der entsprechenden Bewegung gewohnheitsgelähmt bleibt.
Diese zweite Art der Gewohnheitsläbmung eines Kehlkopfmuskels
hat der Herr Vortragende durchweg beobachtet, er spricht von Gewohn¬
heitslähmungen des Internus und Transversus oder der Postici. Das
Gehirn beeinflusst aber stets zusammengehörige Muskelkompleie zu
normaler zusammengehöriger Arbeit oder lässt sie auch zusammen aus-
fallen, z. B. alle Adduktoren bei der hysterischen Lähmung des Kehl¬
kopfes. Dass einer der drei Schliesser des Kehlkopfes durch den Mangel
einer Vorstellung gewohnheitsgemäss vom Gehirn aus ausser Funktion
gesetzt werden könnte, erscheint mir unwahrscheinlich. Anders ist das
natürlich z. B. bei peripheren organischen Lähmungen, da können
selbstverständlich einzelne Schliesser des Kehlkopfes betroffen sein.
Ferner hat der Herr Vortragende es versäumt, den klinischen Nachweis
für die Gewohnheitslähmungen der einzelnen Kehlkopfrauskeln zu er¬
bringen. Er hätte nachweisen müssen, dass die Reflexe, die Sensibilität
der Kehlkopfschleimhaut normal seien und die Keblkopfmuskeln und
-Derven auf elektrische Reize normal reagierten. Wir haben für die
Prüfung des elektrischen Verhaltens und einer eventuellen Entartungs-
reaktion der Kehlkopfrauskulatur jetzt so gut arbeitende Halsband¬
elektroden, dass bei ihrer Anwendung mit und besonders ohne Phonation
des Patienten Ausfälle oder Aenderungen der elektrischen Erregbarkeit
einwandsfrei nachzuweisen sind.
Auf die Bedenken gegen Gewohnheitslähmung der Postici ist Herr
Grabower eingegangen.
Schliesslich ist eingangs des Diskussion gesagt, es handele sich bei
den von dem Herrn Vortragenden angeführten Fällen nur um Stimm¬
störungen. Die Stimmstörung ist hier ganz nebensächlich. Die Stimme
ist in der Norm eine Funktion der Exspiration. Dass bei einem
Internusausfall z. B. diese Funktion gestört ist, ist selbstverständlich.
Hr. Gutzmann (Schlusswort): Ich muss Einspruch dagegen er¬
heben, dass man hysterische Lähmungen einzelner Muskel nicht zu sehen
bekomme; ich habe sie oft gesehen, und viele erfahrene Laryngologen
haben sie gesehen.
Was den Nachweis betrifft, den Herr Katzenstein verlangt, so
habe ich mich natürlich bemüht, ihn zu führen, ohne dass es mir gelang,
Aber hierzu muss ich sagen, dass ich immer noch den Standpunkt ver¬
trete, dass wir von einer degenerativen Lähmung nur reden können,
wenn das periphere Neuron ergriffen ist; dann bekommen wir eine Ent¬
artungsreaktion. Wo also eine Degenerationserscheinung unter dem
elektrischen Strome sich zeigt, da muss das periphere Neuron irgendwie
betroffen sein. Das ist allgemeines Gesetz.
Die andere Art der Atrophie aber, die nichtdegenerative
Atrophie, die Atrophie aus der Inaktivität, ist eine centrale,
psychische. Man kann natürlich über den Begriff „Lähmung“ ver¬
schiedener Meinung sein. Wenn ich darunter nur einen Bewegungs¬
ausfall mit degenerativer Atrophie verstehe, dann gibt es nur eine Art
der Lähmung. Wir kennen aber doch auch psyohogene Lähmungen und
solche, die auf organischer Läsion der corticalen Centren beruhen.
Auch kann es leicht sein, wie ich Herrn Hey mann zugebe,
dass im Anschluss an einen Katarrh sich noch Infiltrate in der Tiefe
vorfinden, die man nicht sehen kann, und die rein mechanisch ein
Hindernis der Bewegungen bedingen würden. Ich selbst kann das nicht
laryngoskopisch unterscheiden.
Was die Prüfung mit dem elektrischen Strom beim Larynx betrifft:
ich habe oft genug Versuche — manchmal auch während der Strobo-
skopie — gemacht. Wenn Sie nun wirklich die geeignete Reizstelle
streffen und den Patienten zum Stillsitzen bekommen, so dass die
Elektrode nicht abrutsebt, so bekommen Sie bei den habituellen
Lähmungen nicht ganz dasselbe Bild wie bei der normalen Stimme.
Lassen Sie den normal Sprechenden Stimme angeben, und leiten Sie
einen Strom von 2 Milliampere hinein, dann bekommen Sie z. B. bei
der Kathodenschliessung eine Tonunterbrechung. Das liegt daran, dass
die Innervation verstärkt wird. Die Stimmlippen klappen energisch zu¬
sammen, und der Ton hört in dem Moment auf; er setzt aber gleich
darauf wieder ein. Nehmen Sie P/a Milliampere — die Versuche sind
alle in der B. Fraenkel’schen Klinik vor über 20 Jahren gemacht
worden —, so bekommen Sie nicht eine Tonunterbrechung, sondern aus
dem gleichen Grunde eine Tonerhöhung. Wenn ich Reizversuche bei
einer habituellen Lähmung mache, dann finden Sie neben den normalen
Reaktionen, den reflektorischen Bewegungen bei zu starken Strömen usw.
bei Anwendung der vorher genannten kleinen Reizstärken die Tonunter¬
brechung nicht; nicht weil die Muskeln schwächer reagieren gegen den
elektrischen Strom, sondern weil die Weite der ganzen Glottis, z. B. bei
habitueller Internusläbmung, grösser ist; denn wenn Sie stroboskopieren,
scbliessen sich die Stimmlippen nicht. Wir können uns nicht wundern,
wenn es hier nicht zu einer Tonunterbrechung kommt. Das ist also
kein Zeichen von degenerativer Atrophie.
Ich weiss nun freilich, dass Reize, die wir zum Kehlkopf direkt
vom Nerv aus senden, im allgemeinen die gesamte Muskulatur sofort
zum Schliessen bringen. Aber es ist doch ein grosser Unter¬
schied zwischen einem psychogenen Reiz, der von Vor¬
stellungen ausgeht, und einem elektrischen Reiz, den ich
an den peripheren Nerv bringe, ein so gewaltiger Unterschied,
dass ich eigentlich bedauere, ihn hier überhaupt hervorheben zu müssen.
Es liegen so ganz andere Verhältnisse vor, dass die beiden Vorgänge
gar nicht miteinander zu vergleichen sind.
Mein Material betrifft namentlich Kinder; die Gewohnheitslähmungen
treten bei Kindern vorwiegend auf. Eine Entstehung derselben intra
partum kenne ich nicht. Ehrct’s erste Mitteilung bezieht sich auf die
nach einem Unfall entstehenden Lähmungen, die nach der Beseitigung
der eigentlichen Ursache weiter bestehen. Diese Lähmungen wurden
für gewöhnlich der Hysterie, der traumatischen Neurose zugezäblt; ob¬
gleich man nur bei Unfällen an hysterische Dtoge zu denken pflegt, so
nahm Ehret hier nur dann Hysterie an, wenn das Gesamtbild der
Patienten diese Diagnose erlaubte. Ehret behauptet sogar, dass es
Hysterien gebe, bei denen Gewohnheitslähmungen nebenbei bestünden.
Was die Erwachsenen betrifft, die ich hier angeführt habe, so sehen
Sie, dass bei ihnen die Störung im Kindesalter entstanden war. Mich
wundert es nicht so sehr, wenn jemand, der sozusagen von Kindesbeinen
an stimmkrank war, als Erwachsener nicht imstande ist, mit seinem
Kehlkopf richtig zu arbeiten. Untersuchen Sie ihn elektrisch, so werden
Sie nicht das wahrnehmen, was man „Entartungsreaktion“ nennt; und
ich weiss auch nicht, wie man das exakt nachweisen will. Aber Sie
werden jene Unterschiede öfters finden, die ich oben erwähnte.
Wenn ich nun auf einige der vielen Einwändo und Fragen nicht ge¬
antwortet habe, so bitte ich das nicht so aufzufassen, als ob ich das
nicht wollte oder könnte. In Rücksicht auf viele Auseinandersetzungen,
die in meinem Vortrage bereits stehen, kam es mir hier nur darauf an,
nochmals auf jene Erscheinungen aufmerksam zu machen, die oft genug
kurzerhand als Hysterie bezeichnet werden, und die ich nicht als
Hysterie angesehen wissen möchte. Psychogen sind natürlich auch
diese Erscheinungen, das gebe ich Herrn Barth zu, aber sie sind nicht
psychopathologisch. Alle die Dinge, die ich mitgeteilt habe, fand
ich bei sonst gesunden Kindern, die nur durch die längere Dauer
der Erscheinungen dahingebracht waren, die Bewegungen zu vergessen.
Dieses Norraalpsychogene wollte ich durch meine Darlegungen von
dem Hysterisch-Psychogenen oder Pathologisch-Psychogenen ab¬
trennen. Und im grossen und ganzen ging wohl auch Ihre Meinung
dahin, dass man die Dinge nunmehr zu trennen suchen soll.
Berliner Gesellschaft för Chirurgie.
Sitzung vom 13. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Schriftführer: Herr F. Krause.
I. Ordentliche Generalversammlung.
Vor Eintritt in die Tagesordnung verliest Herr Hildebrand das
Protokoll der letzten Sitzung.
Hr. Sonnen bürg beriohtet über die Aufnahme neuer Mitglieder,
teilt den Tod eines Mitgliedes, des Herrn Bruno Bosse, mit. Die
Versammlung erhebt sich zu Ehren des Verstorbenen.
1. Statutenberatung:
Hr. Sonnenburg teilt mit, dass das Königl. Amtsgericht eine
Aenderung in den Statuten verlange, damit die Gesellschaft in das
Vereinsregister aufgenommen werden könne.
Hr. F. Krause bemerkt zu der verlangten Statutenänderung: Es
handelt sich um Zusätze zu § 9 der Statuten, und zwar erstens, dass
der Vorsitzende an die Mitglieder des Vereins besondere gedruckte Ein¬
ladungen zu senden habe, zweitens, dass die Beschlüsse schriftlich auf¬
zuzeichnen und von dem Schriftführer oder dessen Stellvertreter zu
unterschreiben seien.
Die Statutenänderung wird angenommen.
2. Bericht des 1. Schriftführers, Herrn F. Krause:
Die Berliner Gesellschaft für Chirurgie ist aus der Freien Vereini¬
gung der Chirurgen Berlins am 10. Juni 1912 hervorgegaugen. Als
Gründer gelteu die Mitglieder der Freien Vereinigung, die bis 1. Januar
1913 keinen Einspruch gegen ihre Mitgliedschaft erhoben. Der jetzige
Bestand ist 362 Mitglieder.
Es fanden bisher drei Sitzungen statt mit neun Originalvorträgen,
einer Krankendemonstration und reger Diskussion.
3. Bericht des Schatzmeisters, Herrn Rotter:
Das Vermögen der Gesellschaft betrug am G. Dezember 1912
3691 M.
Zu Kassenrevisoren werden die Herren Kausch und Seefisch
ernannt.
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UNIVERSUM OF IOWA
132
Nr. 3.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Endlich erinnert Herr Sonnenburg nach einmal daran, die Original-
artikel der Deutschen medizinischen Wochenschrift, dem offiziellen Organ
der Gesellschaft, zu übergeben.
II. Wissenschaftliche Sitzung.
Demonstration: Hr. Klapp demonstriert einen Studenten, dem in
der Mensur die Nasenspitze abgeschlagen war. Nach guter alter Sitte
war sie im Munde aufbewahrt, dann in physiologischer Kochsalzlösung;
sie wurde angenäht und heilte primär an. K. meint, dass diese zweifel¬
hafte Art der Asepsis der Gefahr der Austrocknung immerhin vorzu¬
ziehen sei.
1. Hr. W. Körte: Demonstration einer typischen Fraktur des Ge-
siehtsscbädels. Es handelt sich um Verletzungen, die den Nasenrücken
und die Stirn treffen. Es entstehen Frakturen nach zwei Richtungen:
1. nach der Basis. Fraktur ins Siebbeiu hinein, die wegen Infektions¬
möglichkeit sehr geläbrlich ist; die Verletzten erliegen der Meningitis.
2. nach den Seiten, in die Orbitae; bis zum Processus pterygoideus des
Keilbeins. Der Oberkiefer wird aus seinen Verbindungen herausgesprengt.
Bei einem Patienten zeigte sieh als Hauptbeschwerde nach der Ver¬
letzung Erschwerung des Schluckens. Demonstration eines
Schädels. Der Patient war von einem Auto umgefahren. Er zog sich
eine komplizierte Fraktur des linken Stirnbeins zu, das Nasenbein war
gebrochen. Durch Infektion kam es zu Stirnhöhleneiterung, Stirnhirn-
abscess. Der Verletzte ist an Myelitis gestorben. Am Schädel sieht
man eine Schrägfraktur durch die Orbitae und Nasenbein, zwei seitliche
Frakturen, durch die die beiden Oberkiefer herausgr*.sprengt wurden.
Die Tagesordnung wird durch Vortrag und ausgiebige Demonstration
des Herrn Jonnescu- Bukarest unterbrochen, den Herr Sonnen bürg als
Gast in die Gesellschaft ein führt. Zuvor bemerkt Herr Sonnen bürg,
dass Herr Jonnescu seinen Vortrag über Rüekenmarksanästhesie
französisch halten werde. Wenn auch die Herren Kollegen dem Vortrag
sicher folgen könnten, wolle er doch zur Erläuterung den Hauptinhalt
des Jonnescu’scben Vortrages vorausschicken. Herr Jonnescu wende
sein Verfahren zur allgemeinen Anästhesie an. Zwei Punkte wären es,
auf die es besonders ankäme: 1. Die Punktion des Rückenmarkskanals
könne ohne Gefahr für den Patienten an jedem Punkte des Rückgrates
vorgenommen werden. 2. Sein Mittel würde in folgender Form an¬
gewandt: 1 ccm Wasser, dem Stovain und neutrales schwefelsaures
Strychnin beigemisebt sei. Die Anästhesie für die einzelnen Körper¬
regionen sei eine vollkommene. Es könnten dank dieser Methode sämt¬
liche Operationen von Kopf bis Fuss ausgefiihrt werden. Die Dosis des
Anaestheticums wurde dem Alter und dem Kräftezustand des Patienten
angepasst. Er wende diese Methode konsequent seit 4 Jahren an,
bei fast jeder Operationsgattung. Auf seine Veranlassung haben
25 rumänische Kollegen die Methode naehgeprüft. Er selbst hat
in diesen 4 Jahren damit 607 Operationen ausgefiihrt, davon 135
mit oberer, 472 mit unterer Anästhesie. Die obere wählt als
Stelle der Injektion die obere Brustwirbel.siiule, die untere die Grenze
zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule. Die anderen rumänischen
Kollegen verfügen über ein Material von 1958 Operationen. Die An¬
ästhesie ist in allen Fällen eine vollkommene, die Gefahr eine äusserst
geringe. Er selbst erlebte bei seinen Operationen nur zwei Todesfälle,
die zum Teil auf andere Ursachen zurückzuführen sind.
Es folgt nun eine sehr ausführliche Projektionsdemonstration. Die
Injektionsraittel in sterilen Ampullen, die Spritzen, Kanülen, die Orte
der Injektionen, die Haltung des Patienten werden im Bilde vorgeführt;
zuletzt eine umfangreiche Bilderreihe, die die Patienten während der
Operation zeigt, wie sie lächelnden Antlitzes der Operation zuschauen
und nach der Operation das Operationslokal verlassen. Der Rekord
ist ein junger rumänischer Kollege, der eine Operation am eigenen Körper
vollführt.
D isk ussion.
Hr. Freudenberg fragt, ob die unangenehmen Folgen der üblichen
Rückenmarksanästhesie ausblieben, vor allem der quälende Kopfschmerz.
Hr. Jonnescu behauptet es.
Hr. Sonnenburg: Die Jonnescu’sche Methode bedeutet einen Aus"
bau der von unserem Bier angegebenen Methode. Im Jahre 1908
batte S. Gelegenheit, in Brüssel den Vortrag Jonnescu’s über dieses
Thema zu hören. Seitdem sind vier Jahre verflossen; die Methode ist
allem Anschein nach sehr vervollkommnet. Es ist wohl Pflicht aller
Chirurgen, sie nachzuprüfen.
Hr. Bier: Auch er hat vor Jahren schon, als er sich mit den Vor¬
versuchen beschäftigte, die hohe Anästhesie ausgeprobt, allerdings an
Tieren. Das Resultat war, dass die Tiere sämtlich starben. Dadurch
ist B. von der hohen Anästhesie abgekommen. Als einziges Mittel zur
Anästhesie wurde dabei das Cocain angewandt. Es handelt sich darum,
zu dem Cocain und seinen Ersatzpräparaten einen Antagonisten zu
finden. Hoffentlich ist es Jonnescu gelungen, ihn in dem Strychnin
zu finden. Bier selbst hat die Methode Dicht erprobt, hat darüber
also keine Erfahrungen.
Durch die Jon nescu’sche Demonstration ist die Zeit sehr vorgerückt.
Es kommt nur noch zum Wort:
2. Hr. Harzbecker: Zur Entstehung der Hernia pectinea.
H. hatte an der Körte’schen Klinik am Urban Gelegenheit, einen
Fall zu beobachten und zu operieren. Es handelte sich um eine 76 jährige
Frau, die am 25. Oktober 1912 aufgenoramen wurde, seit 9 Tagen er¬
krankt war und seit 7 Tagen fäkulentes Erbrechen hatte. Man fühlte
einen kleinen Tumor des äusseren Schenkelringes, der keinen Anhalt für
die Schwere der Erscheinungen bot. Der Tumor erwies sich als Lipom.
Medial vom Schenkelkanal wurde eine Darmschlinge gefunden, die in den
M. pectineus eingedrungen war. Der Darm wurde reponiert, er war
nicht gangränös. 8 Stunden post Operationen! trat Collaps auf, 15 Stunden
danach erfolgte Exitus. Die Austrittsstelle des Bruches ist, wie er nach-
weisen konnte, nicht etwa eine mediale Lücke im Schenkelkanal, sondern
durch das Lig. Gimbernati, durch eine Lücke des Bandes. An schema¬
tischen Zeichnungen demonstriert H. den Weg, den die Hernia pectinea
nimmt. Von Bedeutung ist in solchen Fällen ein anormaler Ansatz der
Fascia pectinea am Lig. Pouparti. Dies ist die Anschauung, die Körte
schon im Jahre 1907 vertrat.
Zum Schluss der Sitzung teilt Herr Sonnen bürg mit, dass die
nächste Sitzung zusammen mit dem Verein für innere Medizin in 8 Tagen
statt findet. Tagesordnung: Diskussion über den Vortrag von Katzen-
stein. Holler.
Berichtigungen.
In dem Referat über die Berliner Gesellschaft für Chirurgie (Sitzung
vom 9. Dezember 1912) ist dem Herrn Berichterstatter ein Irrtum unter¬
laufen, den ich richtigstellen möchte. Er schreibt S. 2486 dieser Wochen¬
schrift :
„Die Härtel’sche Technik ist ihm (sc. Alexander) in 7 pCt. der
Fälle nicht gelungen, in 7 pCt. trat Keratitis ein.“ — Beides ist nicht
richtig. Ich habe gesagt: Die H.’sche Technik ist mir in den wenigen
Fällen, wo ich sie versuchte, bisher nicht gelungen; infolgedessen trat
auch keine Keratitis ein. Im Gegenteil habe ich ausdrücklich betont,
dass mir selbst noch niemals eine Schädigung bei der
Alkoholinjektion vorgekommen ist. W. Alexander.
Bei der von Holländer in der Sitzung der Gesellschaft für
Chirurgie vom 9. Dezember 1912 vorgestellten Patientin handelt es sich
um die Konstatierung der katastrophalen Wirkung von Paraffin-
injektionen in die Mammae und die Halspartien, die zu kosmetischen
Zwecken von anderer Seite vor 6 Jahren gemacht waren.
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 13. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Bumm.
I. Demonstrationen.
Hr. Nacke: Frühgeburt oder ausgetrageies Kind?
Es ist ausserordentlich schwer, aus Länge und Gewicht einen Unter- *
schied zwischen Frühgeburt und ausgetragenem Kind festzustellen.
Manche Frühgeburten weisen die Durchschnittslänge und -gewicht auf
und überschreiten dieselbe sogar. Darum ist in forensischen Fällen
grosse Vorsicht geboten, und man muss im Interesse der Klienten grosse
Schwankungen zugeben. Sicher ist, dass in den letzten Monaten des
intrauterinen Lebeus das Kind nur noch sehr wenig wächst, dass viel¬
mehr diese Monate dem Ausbau der inneren Organe dienen. N. stützt
seine Angaben auf ein Material von 1000 Geburten.
Diskussion. Hr. Bumm betont die Wichtigkeit der Frage mit
Rücksicht auf die bisher übliche Methode der Erkennung ausgetragener
Kinder und regt an, eine Enquete an einem grossen Material zu veran¬
stalten.
II. Diskussion zum Vortrage von Herrn Haeadly: Die thera¬
peutische Verwendung der Röntgenstrahlen iu der Gynäkologie.
Hr. Runge gibt .an der Hand grösserer Tabellen eine Uebersicht
übor die Erfolge der Röntgenbehandlung bei Blutungen aus dem Material
der Charite, speziell auch über die Schädigungen der Haut. Unter
4000 Applikationen hat er nur einmal Eczem und einmal Bläschen¬
bildung beobachtet.
III. Hr. Paul Meyer gibt einen kurzen Ueberblick über die Syphilis
innerer Genitalien.
Die Ausbeute aus der Literatur ist eine sehr geringe. Die modernen
Heilberichte haben für die Syphilisfrage in der Gynäkologie wenig Neues
gezeitigt, mehr noch für die Geburtshilfe. Man weiss von dem Estio-
mene de la vulve, dass es als SyphilisneubilduDg anzusehen ist, die sich
von den inneren Organen auf die äusseren Genitalien fortpflaDzt. Es ist
eine im ganzen seltene Affektion. Er verweist auf den in dieser Gesell¬
schaft gezeigten, vielfachen Deutungen unterworfen gewesenen Fall.
Ausserdem kann die Lues als Primäraffekt an der Portio auftreten.
Lang berichtete in den achtziger Jahren nur von dem Primäraffekt der
vorderen Lippe. Neumann-Wien hat in 15 pCt. aller Fälle den
Primäraffekt an der Portio, und zwar häufiger an der vorderen Lippe
gefunden. Nach ihm schwollen die Leistendrüsen nur beim Sitz an der
vorderen Lippe an. Sehr schwer ist oft die Differentialdiagnose zwischen
Syphilis und Carcinom. Dabei ist die Wassermann’sche Reaktion und
die spezifische Therapie zu beachten. In einem Falle von Neisser
wurde Sarkom statt Lues angenommen. Später trat Roseola auf. Ina
Uterus selbst kann der Sitz der Lues das Endometrium wie das Myo¬
metrium sein. Das Hauptsymptom sind Blutungen. Es tritt Angio-
sklerose und Degeneration der Gefässe auf. Die Blutungen hören nach
spezifischer Behandlung auf. Schaeffer sieht besonders die Endometritis
exfoliativa als luetisch an. Bei kongenitaler Syphilis sind auch schon
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
133
Spirochäten im Uterus selbst bei Neugeborenen gefunden worden. Cha¬
rakteristisch für den luetisch erkrankten Uterus ist die knorpelharte
Konsistenz, welche sich auch auf die Infiltrationen der Parametrie aus-
debnt. Es gibt eine ulceröse Form des Ulcus durum, die hauptsächlich
zu Verwechslungen mit Carcinom führen kann. Ausser Menorrhagien
und Metrorrhagien kann als Symptom auch Amenorrhoe auftreten, be¬
sonders bei schwerer, tertiärer Lues und Befallensein der Adnexe. Auch
bei zweifelhafter Aetiologie von Uterusruptur muss Lues herangezogen
werden (Weber). Sehr wichtig ist stets in zweifelhaften Fällen die
Serodiagnose und der Erfolg der Therapie.
Diskussion. Dabei ist nur erwähnenswert, dass Wegscheider
drei Fälle mitteilte, in denen die Diagnose zweifelhaft war und durch
serologische Untersuchung festgestellt wurde. Siefart.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Klinischer Abend im Allerheiligenhospital vom 8. November 1912.
Vorsitzender: Herr Brieger.
Hr. R. Lovy:
Weitere Ergebnisse der Chemotherapie der bakteriellen Infektion.
(Ist in Nr. 53 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
Hr. Pringsheim:
Ueber einen Fall von paroxysmaler Hämoglobinurie.
34 jähriger Schiffbauer, welcher seit zwei Jahren an typischen An¬
fällen von paroxysmaler Hämoglobinurie leidet. Die Anfälle treten selten
auf, nur im Winter im Anschluss an Erkältungen und Durchnässungen.
Die klinische Untersuchung ergab keinen Organbefund; massige Anämie,
Blut Wassermann positiv. Der Donath-Landsteiner’scbe Versuch fiel —
bei nachträglichem Zusatz von Komplement — positiv aus. Die Erytbro-
cyten waren gegen Temperaturwechsel empfindlicher als normale, nicht
aber gegen hämolytische Substanzen (Saponinlösung).
Die Behandlung bestand zunächst in einer energischen Schmierkur,
welche ohne Erfolg blieb. Darauf wurden intramuskuläre Injektionen
von lOproz. Cholesterinemulsion vorgenommen. Nach der fünften In¬
jektion von 0,5 g Cholesterin (im Laufe von elf Tagen) erzeugte der
gleiche Kältereiz, welcher vorher einen schweren Anfall ausgelöst hatte,
nur eine geringfügige Hämoglobinurie, nach einer weiteren Injektion
fehlte diese vollständig, während Schüttelfrost und Fieber auftraten.
Nachdem acht Tage keine Injektion gemacht war, liess sich wieder ein
typischer, schwerer Anfall auslösen. Das Verhalten des Serums und der
Erythrocyten während der Cholesterineinspritzungen zeigte dasselbe Bild
wie während der anfallsfreien Zeit.
Hr. Brieger demonstriert gemeinsam mit HHr. Miodowski und
Seifert die Sehwebelaryagoskopie.
Diskussion.
Hr. Klestadt: M. H.! Gestatten Sie mir im Anschluss an Herrn
Brieger’s Vortrag und Demonstration mitzuteilen, dass auch die
Erfahrungen, die an der laryngologischen Universitätsklinik bisher mit
der Schwebelaryngoskopie gemacht worden sind, durchaus befriedigten.
W r ir haben die Methode eigentlich nur bei ausgedehnten, aber dem
übrigen Befunde nach aussichtsreichen Larynxphthisen und -papillomen
angewandt. W T ir bedienten uns, den ursprünglichen Anweisungen K i 11 i an ’s
folgend, fast stets des Morphium-Skopolaroindämmerschlafes oder der
Narkose. Aber auch in einem unserer Fälle gelang schon in lokaler
Adrenalin-Cocainanästbesie leicht die Aufhängung. Ein Fall aus der
Gruppe der Papillome zeigte uns zufällig erst vor einigen Tagen wieder,
dass keine auch noch so kurze Narkose ohne die bekannten Gefahren
ist. Der Knabe — und in diesem Falle liess sich eine Narkose wohl
nicht umgehen — hat eine Bronchopneumonie acquiriert, befindet sich
aber schon auf dem Wege der Besserung.
Wie sich die Erfolge bei der Tuberkulose nach der Operation in
Schwebelaryngoskopie gestalten, können wir nach der kurzen Zeit unserer
Beobachtung — Maximum sechs Monate — endgültig nicht beurteilen.
Immerhin sei mitgeteilt, dass zwei Fälle nach der Prozedur kurzdauerndes,
höheres Fieber — einmal bis 39° — bekamen. Wir suchen die Er¬
klärung hierfür natürlich nicht in der Methode selbst, sondern in der
Grösse des Eingriffes, wie sie eben durch die Schwebelaryngoskopie er¬
möglicht wird. Beiden Patienten ist es des weiteren bisher recht gut
ergangen.
Nun, m. H., batten wir bereits Gelegenheit, die bedeutsamen Vor¬
züge der Methode für die Betrachtung und Passage des Hypopbarynx,
wie Herr Brieger sie Ihnen eben geschildert hat, in einem Falle
nutzbar zu machen. Es bandelte sich um eine ältere Frau, die uns
wegen einer zunehmenden Stenose des oberen Oesophagus bei gleichzeitig
starker Gewichtsabnahme zugesandt wurde. Bei der aus verschiedenen
Gründen schwer ösopbagoskopierbaren Patientin beschritten wir den Weg
der Sobwebeaufhängung, um die Oesophagoskopie erneut zu versuchen.
Der O-sopbagusraiind klaffte, und es gelang spielend, das starre Rohr
einzufübren. Schon nach einigen Millimetern sab man eine ringaitige,
stark gespannte Verengerung; von weiterer Exploration standen wir ab,
da zwei kleine blutende Einrisse an dieser Stelle entstanden. Von der
Gutartigkeit der Stenose batten wir uns überzeugen können. Die
Patientin — natürlich unter den üblichen prophylaktischen Maassregeln
gehalten — trug von dieser Untersuchung nur eine Besserung der
Schluckfähigkeit davon und wurde mit beträchtlicher Gewichtszunahme
entlassen.
Hr. Silberberg: Stereoskopisehe Röntgenbilder.
M. H.! Wenn ich mir erlaube, Ihnen einige stereoskopische Röntgen¬
bilder zu zeigen, so geschieht dies in der Absicht, mit einigen Worten
auf die Technik der Röntgenstereoskopie zu sprechen zu kommen.
Die Röntgenstereoskopie ist nichts Neues. Schon auf dem ersten
RÖDtgenkongress, also vor neun Jahren, bat Alban Köhler eine Reibe
sehr wohl gelungener Stereogramme von Lungen zeigen können. Bei
der Wichtigkeit, welche das Verfahren für die Frakturen lehre, für die
Fremdkörperbestimmung u. a. m. gewonnen hat, ist stetig über einer
Verbesserung der Technik gearbeitet worden. So entstand die Hildebrand-
sche Tunnelkassette, die noch heute in einez Reihe von Fällen mit gutem
Erfolge angewandt werden kann, so entstand die Snook’sche Kassette,
so entstand die Eiostellbarkeit der Kompressionsblende für Stereo¬
zwecke u. a. m. Seitdem man in die Lage gekommen war, Moment¬
aufnahmen zu machen, suchte man natürlich auch die Stereoskopie für
die Dienste der Momentaufnahmen nutzbar zu machen, d. h. man gab
sich Mühe, den Kassettenwecbsel und die Röhrenverschiebung ebenfalls
in möglichst kurzer Zeit vorzunehmen, womöglich beides zu gleicher Zeit.
So wurden von amerikanischer Seite Tunnelkassetten konstruiert, die
vermöge einer Federauslösung einen sehr raschen Wechsel der Innen¬
kassette ermöglichten. Neuerdings ist von der Firma Richard Seifert & Co.
in Hamburg die Auslösung mittels des elektrischen Stromes vorgenommen
worden.
Ich habe mir für meine Zwecke etwa folgenden Apparat konstruieren
lassen: In einer Tunnel kassette ist ein auf Schienen gleitender Wagen
angebracht, der mittels Federzug gespannt werden kann. In dem Wagen
ruhen zwei Kassetten. Die Tunnelkassette ist so eingerichtet, dass die
beiden äusseren Drittel mit Blei überkleidet sind, genau wie bei der
Hildebrand’scben Kassette. Bei Anspannung der Feder kommt zunächst
eine Kassette in das von Blei freie mittlere Drittel. Beim Loslassen
der Feder verschiebt sich der Wagen so, dass die belichtete Kassette
unter Blei kommt und die zweite bisher von Blei gedeckte, noch un¬
belichtete Kassette in das freie mittlere Feld gelangt. Die Federaus¬
lösung geschieht durch einen an der Aussenseite der Kassette ange¬
brachten Stift, welcher sich in eine Kette fortsetzt, die zu einem Fuss-
brettchen führt. Die Auslösung kann also durch einen Druck mit dem
Fusse geschehen. Eine analoge Sperrfederwirkung ist am Blendenkasten
des Wenckebach’schen Stativs angebracht. Auch deren Federauslösung
ist in eine Kette verlängert, die zu dem bereits beschriebenen Fuss-
brettchen führt. Es ist auf diese Weise möglich, mit einer einzigen Be¬
tätigung des Fusses Kassettenwechsel und Röhrenverschiebung vorzu¬
nehmen. Die ganze Aufnahme spielt sich daun so ab, dass man mit
der rechten Hand den Momentschalter einschaltet, im Augenblick des
automatischen Ausschaltens desselben die Fussauslösung betätigt und
sofort wieder den Momentscbalter zur zweiten Aufnahme einscbaltet.
Auf diese Weise spielt sich der ganze Vorgang in Bruohteilen einer
Sekunde ab.
Ich halte diese Art der Auslösung für einfacher als die Auslösung
durch elektrischen Strom, weil die hierzu notwendige Schaltung eine
sehr komplizierte ist, und auch die Kassetten wie die Röhrenverschie¬
bungsapparate schwer und unhandlich werden.
Das von mir benutzte und Ihnen hier vorgeführte Stereoskop ist ein
neuerdings von der Firma verbessertes Zeiss’sches Stereoskop. Dasselbe
gestattet Abzüge und Negative bis zu einer Grösse von 30:40 cm zu
besichtigen, gibt sehr plastische Bilder und ist ein ausserordentlich
leichter und handlicher Apparat.
Diskussion.
Hr. Ossig bemerkt zu der Vorlührung des Herrn Silberberg,
dass seiner Ansicht nach das in Zeichnung vorgeführte Instrumentarium
nicht schnell genug funktionieren werde, um bei Magen-Darmaufnahmeu
Bewegungen dieser Organe auszuschalten. Das vorgeführte Stereoskop
halte er nicht für so empfehlenswert wie ein gutes Spiegelstereoskop.
Hr. Silberberg: Was den Einwand des Herrn Ossig betrifft, dass
die nötige Schnelligkeit von Kassettenwechsel und Röhrenverschiebung
nur durch den elektrischen Strom möglich sei, erscheint mir das nicht
sehr wahrscheinlich. Ich glaube, dass sich hinsichtlich der Zeit beide
Auslösungen nicht viel nehmen werden, aber selbst wenn die elektrische
Auslösung eine in geringem Maasse schnellere sein sollte, so entsteht
doch die Frage, ob diese erhöhte Schnelligkeit der Auslösung notwendig
ist, oder ob man auch mit einer etwas längeren Zeit auskommt. Man
kann ja alle chirurgischen Aufnahmen (Frakturen, Knocbenerkran-
kungen usw.) ohne weiteres als Zeitaufnahmen machen, und dazu genügt
eine einfache Handauslösung, also die Hildebrand’sche Kassette. Für die
Momentauslösung kommen überhaupt nur Thorax- und Magen-Darm¬
aufnahmen in Frage. Hinsichtlich der Tboraxaufnahmen fallen bei beiden
Auslösungen die Herzaufnahmen ohne weiteres fort. Nehmen wir selbst
an, dass die Aufnahme in Vioo Sekunde, die Auslösung in einer weiteren
Vioo Sekunde und die zweite Aufnahme in der dritten Vioo Sekunde er¬
folgt, so ist ein stereoskopisches Bild des Herzenz doch nicht herauszu-
bekoramen, da die zweite Aufnahme in der dritten Vioo Sekunde eine
ganz andere Herzphase trifft; für Lungenaufnabraen sind solche kurze
Zeiten unnötig und für Magen-Darmaufnahmen nach den neuesten tech¬
nischen Erfahrungen unmöglich. Es genügt demnach die mechanische
Auslösung ohne Zuhilfenahme des Stromes für alle technisch in Frage
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134__ BERLINE R KLI NISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr._3.
kommenden Zwecke vollkommen, auch wenn dieselbe etwas langsamer
geschehen sollte als die Auslösung mit Zuhilfenahme des elektrischen
Stromes.
Was den Einwand hinsichtlich des Stereoskops betrifft, so möchte
ich wohl von vornherein annehmen, dass ein von einer technischen Firma,
zumal von der Firma Zeiss, gefertigtes Stereoskop dasselbe leistet, wie
das von einer elektrotechnischen Firma gefertigte. Ich für meinen Teil
kann auch an der Plastik der aufgestellten Bilder nichts aussetzen.
Das Zeiss’sche Stereoskop dürfte sogar noch den ausserordentlichen Vor¬
teil der Uandlichkeit haben; alle anderen mir bekannten Stereoskope
sind ausserordentlich gross, sehr schweY und ausserdem viel teurer als
das Zeiss’sche.
Hr. Asch: Zar operativen Behandlung puerperaler Sepsis.
Bei den wenig befriedigenden Resultaten der abwartenden Behand¬
lung schwererer puerperaler Infektionen ist jeder Erfolg chirurgischer
Eingriffe erfreulich. Unter den vielen Vorschlägen der letzten Jahre
steht die abdominale Radikaloperation und die Venenunterbindung nach
Trendelen bürg obenan. Konnte ich schon vor etwa 10 Jahren über
einige gute Erfolge durch Entfernung des Uterus und der Adnexe samt
den etwa vorhandenen parametranen Infiltraten berichten, so bezogen
sich diese doch mehr oder weniger auf solche Wöchnerinnen, bei denen
schon eine längere Zeit seit der Infektion bei der Entbindung ver¬
strichen war. Ganz frische Fälle konnten auch hierdurch nur selten
gerettet werden.
Die Unterbindung der Venen bei nachgewiesener Blutinfektion muss
aber, wenn sie aussichtsreich sein soll, möglichst frühzeitig ausgeiübrt
werden.
Strittig ist es noch, ob man sich mit der Unterbindung begnügen
soll oder vorhandene Thromben entfernen muss, und ob dieser Ein¬
griff in völlig befriedigender Weise ausführbar ist.
In dem hier vorgestellten Falle fand ich am vierten Tage post
partum praem. linkerseits eine tumorhafte Resistenz, die ich als Thrombose
der Spermaticalvenen deutete; der Peritonealraum schien noch nicht oder
wenig befallen.
In den Blutplatten fanden sich ausserordentlich reichlich hämo¬
lytische Streptokokken (30—70 Kolonien pro Platte). Die Hämolyse
der Streptokokken an sich wird ja neuerdings nicht als absolut infaustes
Symptom für die prognostische Beurteilung angesehen, doch dürfte bei
solcher Ueberschwemmung des Blutes über die ungünstigen Aussichten
kaum eine geteilte Meinung herrschen. In der Tat bot auch die Patientin
für alle Beurteilenden das Bild schwerer Sepsis; die Temperatur war
am dritten Tage post partum 40°, der Puls 140.
Das schnelle Fortschreiten des thrombotischen Prozesses liess ein
weiteres Abwarten nicht ratsam erscheinen.
Die Besichtigung bei der Operation rechtfertigte meine Ansicht, der
Ausgang mein Vorgeben.
Ich öffnete zuerst zur genaueren Orientierung über die Ausdehnung
des Prozesses in typischer Weise das Abdomen und fand das Peritoneum
noch frei. Nur auf der linken Seite in nächster Nachbarschaft der
retroperitonealen Thrombose fanden sich einige frische Adhäsionen um
Tube und Ovarium. Die rechten Adnexe, das Parametrium und die
Venen dieser Seite waren nicht befallen. Den Thrombus fühlte man
vom linken Parametrium aufsteigend bis in die Nierengegend. Nun
schloss ich, um die Vene oberhalb des Thrombus zu unterbinden und
den Thrombus 'selbst zu entfernen, das Peritoneum in der Mittellinie
und löste es seitlich von der Bauchwand ab, bis ich die thrombosierten
Venen freilegen konnte. Ich musste, um die obere Grenze zu erreichen,
bis zur Niere , vergehen. Die Unterbindung in der Tiefe, bei der der
Ureter zu vermeiden war, erfolgte kaum mehr unter Leitung des Auges;
mehr dem Gefühl folgend legte ich den Faden um. Beim Zuzieben riss
die morsche Venenwand ein; die darauf folgende Blutung zeigte, dass
ich bis oberhalb des Thrombus gekommen war. Da dies direkt an der
Einmündungsstelle in die Vena renalis war, musste ich diese statt zu
unterbinden zunähen; darauf stand die recht unangenehme Blutung.
Nun schälte ich den peripher an Dicke erheblich zunehmenden
Thrombus mit seinen schwartigen periphlebitischen Auflagerungen vor¬
sichtig von oben her nach dem Becken zu aus, bis tief ins Parametrium
an die Uteruswand gelangend. Jetzt tamponierte ich die grosse Höhle
mit Gaze und führte diese durch ein seitlich angelegtes Fenster durch
die Bauchdecken nach aussen; dann nähte ich das in der Mittellinie
wieder gelöste Peritoneum an seine Bauchwand an. Jetzt exstirpierte
ich unter möglichster Abdeckung der übrigen Intestina intraperitoneal
die linken Adnexe, exzidierte, den harten Thromben folgend, ein tiefes
Keildreieck aus der Uterussubstanz und zog dieses mit Adnex und dem
thrombosierten Konvolut aus dem Schlitz im Ligament. Den Defekt
vernähte ich sorgfältig und versenkte den Stumpf extraperitoneal. Darauf
Schluss der Bauchhöhle in typischer Weise.
Die Tupferprobe aus der Bauchhöhle hatte sowohl im Anfang wie
am Ende der Operation nur Bacterium coli ergeben. Unter starker
Sekretion aus der seitlichen Oeffnung entfieberte die Patientin und ging
ihrer jetzt erfolgten Genesung entgegen.
Eine kleine Strecke der Bauchwunde ging auf und heilt sekundär.
Ich operierte, wie stets bei infektiösen Prozessen, bei denen die Asepsis
allein ja im Stiche lassen muss, möglichst mit dem Paquelin.
Hr. Markus: Osteomalacie.
Nachdem Fehling den heilenden Einfluss der Kastration auf die
Osteomalacie nachgewiesen hatte, ist man endlich auch in der Kenntnis
dieser schweren Erkrankung ein wenig vorwärts gekommen. Man kann
demnach eine übermässige innere Sekretion der Ovarien als haupt¬
sächliches Moment ansehen und muss somit die von Fehling empfohlene
Kastration als eine kausale Therapie betrachten.
Die neuerdings von L. Frankel vorgenommenen Versuche, die sich,
auf der inneren Sekretion der Ovarien fussend, mit der Herstellung
eines Ovarialantikörpers befassen, brachten uns auch die Möglichkeit,
auf konservativem Wege der Osteomalacie beizukommen. Fränkel
ging dabei von der Herstellung des Antithyreoidins „Möbius“ aus und
bedachte dementsprechend, dass nach Entfernung eines Organs mit
innerer Sekretion die antagonistischen Sekrete im Serum vermehrt und
in grösserer Menge frei würden. In der Annahme, dass diese Anti¬
körper auch in die Milch übergehen könnten, kastrierte er Ziegen und
verwendete deren Milch. Die Erfolge waren zwar recht ermutigende,
aber nicht so sichere und rasche wie nach der Kastration.
Die in letzter Zeit weiterhin noch empfohlenen therapeutischen
Maassnabmen zur Heilung der Osteomalacie: die Behandlung mit Nebeu-
nierenextrakt, deren Hauptvertreter Bossi ist, und die Behandlung mit
Pituitrin sind noch nicht genügend einwandfrei nachgeprüft worden, um
in schweren Fällen Verwendung finden zu können.
Bei dem Fall, den ich heute zu demonstrieren beabsichtige, hat
mein Chef von einer konservativen Therapie absehen und die Kastration
in Anwendung bringen müssen, weil die Schwere des Krankheitsbildes,
der in letzter Zeit sehr rasch fortschreitende Verfall der Patientin, ein
schnelles und sicher heilendes Verfahren erheischte.
Der Erfolg der Kastration war nun in der Tat ein recht zufrieden¬
stellender.
Die Patientin, die Sie hier auf Krücken vor sich sehen, war seit
IV 2 Jahren vollkommen bettlägerig und war nicht einmal imstande,
sich spontan ohne grosse Schmerzempfindung auf die Seite zu legen.
Der Beginn des Leidens fällt in die Laktationszeit nach dem dritten
Partus im Jahre 1900. Er begann mit Schmerzen in den Gliedern,
Gefühl der Müdigkeit und Schwere im Kreuz. In der vierten Gravidität,
1902, verschlimmerte sich das Leiden dann so sehr, dass die Pat. sich
nicht mehr spontan fortbewegen konnte. Deformitäten scheinen damals
noch nicht bestanden zu haben, denn in der inneren und der Nerven-
klinik wurden die Schmerzen als rheumatische gedeutet und die Pat.
dementsprechend behandelt. Ende 1902 kam Pat. spontan nieder.
Nach dem Partus trat für nur kurze Zeit ein Stillstand ein; bald setzte
das Leiden mit erneuter Heftigkeit ein. Es bildeten sich Deformierungen
des Rumpfes und Beckens. Pat. merkte, dass sie kleiner wurde — die
Röcke wurden ihr zu lang —; sie bekam eine gebeugte Haltung, die
Schmerzen im Kreuz wurden immer stärker, die Beine verloren ihre
Stütze in den Hüften, und Pat. wurde bettlägerig.
Seit IV 2 Jahren brachte sie nun Tag und Nacht auf einem Sessel
in halb liegender, halb sitzender Stellung zu. Während der letzten
10 Jahre batte sie keinen Arzt konsultiert. Ein Ulcus cruris führte
sie ins Hospital, und hier wurde auch ihr Leiden entdeckt.
Die Untersuchung ergab damals die Knochendeformierungen, die
auch jetzt noch bei ihr zu sehen%ind: hochgradige Kyphose der Brust¬
wirbelsäule, starke Lordose der Lendenwirbelsäule, eingetriebenes Manu-
brium, vorgetriobenes Corpus sterni, die den Osteomalaciscben typische
Bauchfalte, die typischen Beckenveränderungen: das Kreuzbein ist von
oben ins Becken hineingedrückt, die Symphyse schnabelartig vorspringend,
die Tubera ossis ischii stark genähert, die Gelenkpfannen eingetrieben.
Ein Röntgenphotogramm, das damals angefertigt wurde, gab so schlechte
Knochenschatten, dass sich keine genaueren Knocbenkonturen differenzieren
liessen. Die Beine waren infolge von Kontrakturen im Knie gebeugt
und stark an den Rumpf angezogen. Die Abduktion der Beine war
unmöglich. Bei seitlichem Druck auf das Becken äusserte Pat. starke
Schmerzempfindung. Jede Berührung der Knochen des Rumpfes und
des Beckens wurde überhaupt sehr schmerzhaft empfunden.
Von einer vaginalen Totalexstirpation, die mein Chef zunächst
plante, musste in diesem Falle Abstand genommen werden, weil die Vagina
kaum für einen Finger passierbar war. Es wurde daher laparotomiert.
Die Lagerung auf den Operationstisch machte grosse Schwierigkeiten.
Erst in tiefer Narkose liessen sich die Beine etwas vom Rumpf abzieben
und so der Bauch besser zugänglich machen. Die Einstellung des
Genitale nach Eröffnung des Bauches war ihrerseits wieder erschwert
durch die starke Lordose der Lendenwirbelsäule, die über dem Becken¬
eingang lagerte. Sodann wurden beide Ovarien entfernt.
Dieselben zeigten makroskopisch keine Veränderungen. Mikro¬
skopisch siebt man an ihnen den für Osteomalacie angeblich typischen
Befund starker hyaliner Degeneration der Getässwände. Einen weiteren
für Osteomalacie angeblich charakteristischen Befund, Wucherung der
Theca interna konnte ich nirgends wahrnehmen.
Die Pat. machte eine glatte Rekonvaleszenz durch. Schon am Tage
nach der Operation war wie mit einem Schlage jede Schmerzhaftigkeit
in den Knochen geschwunden. Die Pat., die bis dahin jede Bewegung
vermied und eine kauernde Stellung einnahm, konnte sich schon spontan
ein wenig ausstrecken. Von Tag zu Tag war nun Besserung zu sehen.
Unter gleichzeitiger Nachhilfe mit Massage gewannen die Beine bald
wieder ihre Beweglichkeit zurück. Die Abduktiousmöglichkeit der Beine
besserte sich ebenfalls. Drei Wochen nach der Operation war die Kon¬
solidierung in den Knochen schon so weit gediehen, dass die Pat. sich
stehend neben dem Bett halten konnte. Ein in dieser Zeit gemachtes
Röntgenphotograrom gab schon bedeutend bessere Knochenschatten. Es
ist aber leider von der Pat. beim Aufliegen durch die stark vor-
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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springenden Sitzhöoker so zerdrückt worden, dass ich es nicht herum-
teigen kann.
Einige Tage später machte Pat. die ersten Gehversuche. Sie ist
bis jetzt soweit hergestellt, dass sie sich auf Krücken vorwärts bewegen
kann. Leider hatten Becken- und Wirbelknochen schon so sehr ge¬
litten, dass die Konsolidierung in diesen Knochen nur langsam Fort¬
schritte macht und die Pat. nooh nicht die vollkommene Festigkeit im
Kreuz wiedererlangt hat. Immerhin habe ich vor einigen Tagen schon
eine sehr gute Röntgenphotographie vom Becken erhalten, und ich hoffe,
dass der Heilungsprozess noch weitere Fortschritte machen wird.
Innerlich bekommt die Pat. ein Phosphorpräparat.
Ich demonstrierte den Fall hauptsächlich deshalb, um zu zeigen,
dass man auch in verzweifelten Fällen von Osteomalacie von der
Kastration noch Besserung erwarten kann.
Diskussion.
Hr. Rosenfeld: Die Beobachtung, dass die Osteomalacie dieser
Frau wieder durch Kastration geheilt ist, gibt mir Veranlassung, in
Rücksicht auf die Beziehung von Ovarium und Kalkumsatz eine Ver¬
suchsreihe zu erwähnen, die ich an einem Manne, Herrn Dr. Pringsheim,
mit Oophorintabletten — zu anderen Zwecken — angestellt habe. Es
ist dabei kein recht deutlicher Effekt hervorgetreten. (Während in
6 Vortagen in Urin und Kot ca. 720 mg CaO ausgeschieden wurden, er¬
schienen bei gleicher Kost und Oophorintabletten 677 mg, also nur eine
klebe Retention.)
Hr. Fritz Heimann: Ich möchte mir gestatten, kurz über einen
Fall von schwerer Osteomalacie zu berichten, den wir an der Frauen¬
klinik vor einiger Zeit zu beobachten Gelegenheit batten; er ist aus¬
führlich von Stern publiziert worden. Auf die Anregung von
Frankel und anderen hatten wir der Pat., die einen hohen.Grad der
Erkrankung zeigte, so dass sie kaum zu gehen vermochte, — eine
Röntgenaufnahme zeigte sehr deutlich das typische osteomalacische
Becken — viele Monate hindurch die Milch einer kastrierten Ziege
verabreicht. In der ersten Zeit war auch wirklich eine Besserung zu
konstatieren. Pat. konnte bereits wieder, allerdings mit Hilfe von zwei
Stöcken, etwas gehen, doch hielt diese Besserung nicht lange an, ja es
trat eine derartige subjektive und objektive Verschlimmerung des
Leidens ein, dass wir uns doch noch zur Kastration entschlossen. Und
diese hatte in der Tat einen auftälligen Erfolg. Pat. erholte sich aus¬
gezeichnet, die Schmerzen Hessen nach, sie verschwanden sogar völlig,
und auch das Gehen wurde bedeutend besser. Ich habe Pat. ca. V 2 J&hr
später wiedergesehen und konnte konstatieren, dass auch die Besserung
noch weiter fortgeschritten war, da jetzt die Pat., wie sie berichtete,
schon etwas tätig sein konnte, ohne allzusehr zu ermüden oder Schmerzen
zq empfinden. An dem objektiven Befund, namentlich am Becken, hatte
sieh natürlich nichts geändert.
Hr. L. Fraenkel: Die Milch der kastrierten Ziege, welche ich,
wie der Vortragende erwähnte, zur Behandlung der Osteomalacie empfohlen
habe, soll die Kastration nicht vollwertig ersetzen, sondern nur an¬
gewendet werden, wenn die Operation unausführbar ist. Denn es ist
klar, dass die Einführung der Gegenkörper, welche von anderen
innerlich sezernierenden Drüsen geliefert, nach der Kastration in Blut
und Milch das Uebergewicht bekommen, nicht vollwertig die bei
Osteomalacie pathologischen Eierstocksfunktion paralysieren kann.
Immerhin ist hier wie im Rhodagen der Versuch einer
rationelleren Organotherapie gemacht, als sie gewöhnlich
gehandhabt wird. Es ist selbstverständlich, dass die zu Präparaten
verarbeiteten endokrinen Drüsen nicht annähernd wirken können wie die
lebenden, in dem Blutkreislauf eingeschalteten Organe selbst, welche
chemische Laboratorien darstellen, aus denen dauernd die notwendigen
Stoffe in der richtigen Dosis, Form und Applikationsart an die ent¬
sprechende Stelle abgegeben werden. Es ist darum eine grosse (all¬
gemein auch anerkannte) Vorsicht mit organotherapeutischen Präparaten
am Platze, speziell in der wissenschaftlichen Verwertung ex juvantibus
bzw. nocentibus.
Das gilt besonders für die Versuche des Herrn Rosenfeld. Wenn
ich einem Mann einige Dosen Ovarialextrakt verabreiche, so dünkt es
mich unmöglich, damit Stoffwechselwirkungen hervorzurufen, ähnlich
denen des Eierstockes der Frau. Will man die Eierstockswirkung
gerade auf den nichtweibiichen Organismus prüfen, so muss man einem
männlichen Tier nicht irgendwelches kleines Quantum Ovarialsub-
stanz von einer anderen Tierspezies vorübergehend per os geben,
sondern den Eierstock der gleichen Gattung nach Kastration funktions¬
fähig implantieren, ein Versuch, der bereits gemacht worden ist. Im
übrigen ist die Wirkung des Eierstockes auf den Stoffwechsel, speziell
für Kalk und Phosphor, so vielfach und nicht nur bei Osteomalacischen
mittels exakter Methoden untersucht worden, dass diesen Experimenten
gegenüber Herrn Rosenfeld’s Versuchsanordnung jede Bedeutung ab-
wsprechen ist.
Hr. R 0 s e n f e 1 d: Es fehlt bei den Bemerkungen Herrn F r ä n k e 1 ’s die
Berechtigung, Stoffwecbselversuchen, welche mit ihrer Fragestellung zur
Klärung beitragen könnnen, a priori eine ungünstige Prognose zu stellen.
Ich erwarte gerade von solchen Versuchen die Klärung der bisher immer
noch sehr wenig ergebnisreichen Stoffwechselversuche, die durch Versuche
von Cruden neuerding? wieder sehr fraglich geworden sind. Die Ver¬
wendung artfremder Organe hat bei organotherapeutischen Stadien nicht
gestört.
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Hr. Asch macht noch besonders darauf aufmerksam, dass hier ein
Fall vorliege, in dem eine Heilung der Osteomalacie durch Wegnahme
der scheinbar nicht mehr funktionierenden Ovarien erreicht sei; die aus¬
gezeichneten Erfolge der Kastration in jugendlichem Alter seien ja zur
Genüge bekannt; diese Frau aber sei schon seit fünf Jahren in der
Menopause und 55 Jahre alt. Man müsse also wohl annehmen, dass
auch nach Aulhören der Ovulation und Menstruation die innersekre¬
torische Tätigkeit der Ovarien noch fortdauere und erst ihre Beseitigung
die Heilung des osteomalacischen Prozesses zulasse.
Hr. Tietze: Demonstrationen zur Nierenchirurgie.
Diskussion.
Hr. Hirt zeigt eine heute früh entfernte Niere, deren untere Hälfte
in ein kindskopfgrosses Hypernephrom umgewandelt ist. Auch die
oberen Partien sind von zahlreichen metastatischen Herden durchsetzt.
Trotzdem von der Niere noch erhebliche Teile des Parenchyms erhalten
sind, zeigte die funktionelle Nierenprüfung mit subcutaner ludigcarmin-
injektion, dass diese Teile funktionell wertlos sind, da sie ein völlig
farbloses Sekret absonderten. Die andere Niere dagegen gab einen
tief dunkelblau gefärbten Urin, so dass die Prognose bezüglich der
Nierentätigkeit post operationem eine sehr günstige ist.
Hr. Weiehert: Mammaplastik.
(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.)
Hr. Braendle stellt einen Fall von Boeck’schem Sarkoid vor. Die
Affektion begann bei dem Patienten vor vier Jahren mit Knotenbildung
in der Gegend der Nasenwurzel, jetzt ist fast das ganze Gesicht ergriffen.
Man fühlt die für das Boeck’sche Sarkoid charakteristischen derben
Knoten und Stränge in der Tiefe der Haut. Die Oberhaut ist über
diesen Sträügen teils unverändert, teils ist sie mit ihnen verwachsen
und zeigt dann einen rötlichen oder bräun lieh roten Farbenton.
Davon vielen Autoren das Boeck’sche Sarkoid zu den sogenannten
abgeschwächten Hauttuberkulosen gerechnet wird, wurden auch in dem
vorliegenden Fall diesbezügliche genaue Untersuchungen angestellt. Die
Untersuchungen ergaben für Tuberkulose keine Anhaltspunkte.
Bemerkenswert ist, dass das Boeck’sche Sarkoid durch Röntgen¬
behandlung bedeutend gebessert wurde.
Hr. Leopold stellt zwei Fälle von Folliclis vor. In dem einen
Falle finden sich auf der Bauchbaut und an den Extremitäten frische
linsengrosse, braunrote Knötchen, die im Centrum nekrotisch zerfallen
sind. Auf Brust und Rücken sind sehr schöne charakteristische Narben
von bereits abgeheilten Effloreszenzen sichtbar. Aehnliehe typische
scharfumrandete kreisrunde Narben weist der zweite Patient an den
Streckseiten der Arme und an den Ohren auf, deren Ränder wie zer¬
nagt ausseben. Die Diagnose Folliclis der auf den ersten Blick als ge¬
wöhnliche Staphylokokkenfurunkel imponierenden Effloreszenzen wird in
beiden Fällen noch durch den torpiden, über Jahre sich hinziehtnden
Verlauf mit Neigung zu Recidiven gesichert. Ferner finden sich in
beiden Fällen bei der inneren Organuntersuchung Anhaltspunkte für
bestehende Tuberkulose, und in dem einen Falle auch in der Anamnese.
Auf Alttuberkulin haben beide Patienten allgemein reagiert, lokal jedoch
nicht deutlich. Histologisch findet man bei Folliclis in der Cutis peri-
vasculäre Zellinfiltrate mit typischen Epitheloid- und Riesenzellen.
Aetiologisch bandelt es sich vielleicht um eine emholische Verschleppung
abgeschwächter Tuberkelbacillen von irgendeinem tuberkulösen Organ-
berd in die HautcapiHaren. Hier kommt es dann zu endo- uod peri-
arteriitischen Entzündungsprozessen, die zu typischer Tuberkelbildung
mti centralem Zerfall führen. Redner weist auf die im Archiv für Dermato¬
logie und Syphilis 1904 erschienenen sehr eingehenden Untersuchungen
von Hart tu ng und Alexander über Folliclis hin.
Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung.
Sitzung vom 2. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Hahn.
1. Hr. C. S. Freund demonstriert vor der Tagesordnung einen
86 jährigen Schaffer mit deutlichen eortiralei SensibüiYfttsstöruugen
und eben angedeuteten corticalen BeweguDgsstöruDgon; dieselben sind
ausschliesslich auf die linke Hand beschränkt und stehen in ursäch¬
licher Beziehung mit einem am 26. August 1911 nachts im Tanzsaal er¬
haltenen Messerstich in die rechte Schädelhälfte. Unmittelbar nach der
Verletzung keine Bewusstseinstrübung und keine merklichen Gehirn¬
symptome. Patient arbeitete in den nächsten Wochen wie früher. Nach
3—4 Tagen Reissen vorn an der rechten Schädelseite. Nach 14 Tagen'
leichtes Frösteln. Am 22. September 1911 erster, naoh 14 Tagen zweiter
Krampfanfall (beginnend mit Parästhesien an der linken Gesichtsbälfter
und im linken Kleinfinger. Schwindelgefühl; nach Rückkehr der Be¬
sinnung Ungeschicklichkeit und schlechtes Gefühl in der linken Hand).
Am 10. Oktober Aufnahme ins Krankenhaus. Am rechten Scheitel¬
bein vier Querfinger breit oberhalb des Ohrmuschelrandes eine 2 cm
lange verdeckte Hautnarbe, ebendaselbst auf dem Röntgenbilde ein
2 cm langer, die Tabula externa und interna durchdringender Fremd¬
körper, der sich nach Exzision der Hautnarbe ohne Erweiterung der
Wunde herausziehen lässt und als eine stark verrostete Messerspitze
darstellt. Hiernach cessierten die Krämpfe. Im Februar 1912 ver¬
einzelter schwerer Krampfanfall, von der linken Hand ausgehend. Seit
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136 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 3.
Anfang Mai alle 3—4 Wochen analoge Anfalle. Mitte August Antrag
auf Invalidenrente. Seither ausserdem wiederholt Anfälle von Herz¬
beklemmung und Erstickungsgelühl mit Zittern ohne Bewusstseins¬
trübung. Letztere Anfälle sind wohl funktioneller Natur. Yortr. empfiehlt
die Vornahme einer Nachoperation.
2. Hr. Stärker:
Gekreuzte Lähmung als Symptomenbild der multiplen Sklerose.
Es handelt sich um einen 27 jährigen Mann, der 3 Wochen vor
seiner Aufnahme mit Gefühl von Taubheit und Kälte sowie Schwäche
im rechten Bein erkrankte; nach 3 Tagen trat dasselbe Gefühl und
Schwäche im rechten Arm auf, weiterhin Zunahme der Parästhesien
und der Schwäche. Nach weiteren 8 Tagen Gefühl von Taubheit in der
linken Gesichts- und Mundhälfte, sowie auf der linken Zuugenbälfte;
gleichzeitig Erschwerung des Schluckens und Sprechens. Einen Tag vor
der Aufnahme Verschlimmerung aller Erscheinungen; starke Erschwerung
des Gehens; taumelte nach vorn und links, ln den letzten 14 Tagen
gelegentlich Schwindelanfälle; Flimmern vor den Augen, Rasseln und
Summen im Kopf. Die Gegenstände verschwimmen olt vor den Augen;
Gelühl von Müdigkeit und Mattigkeit. Keine Blasenbescbwerden.
Früher angeblich stets gesund; geschlechtliche Infektion wird in
Abrede gestellt.
Es fand sich: Beim Blick nach links kommt das linke Auge nicht
ganz in die Einstellung; ein im Gesichtsfeld weit nach links geführter
Gegenstand beginnt zu verschwimmen. Beim Blick nach den Seiten
und oben Nystagmus. Deutliche Facialisparese rechts im Mundast.
Zunge weicht etwas nach rechts ab. Racheurefiex links <. rechts. Ge¬
schmacksstörung auf den vorderen zwei Dritteln der linken Zungenhälfte.
Parese leichten Grades des rechten Arms; Fingerbewegungen sehr un¬
geschickt; Verlangsamung der Bewegungsfolge.
Spastische Parese des rechten Beins. Reflexe und Tonus rechts >
links; Fussklonus rechts, ebenso Babinski. Links ebenfalls sehr lebhafte
Reflexe. Starke Ataxie im rechten Arm und Bein. Cremasterreflex
fehlt rechts, ebenso Bauchdeckenreflexe; links Bauchdeckenreflex schwach
und leicht erscböpfbar.
Gang rechts spastisch-ataktisch; cerebellare Ataxie. Hat Neigung
nach links und taumelt.
Gekreuzte Sensibilitätsstörung: linke Gesichtshälfte, Mundschleim¬
haut und Zunge; rechts: übrige Körperhälfte, für alle Oberflächen¬
qualitäten. •
Sprache verwaschen, etwas nasal. Lageempfindung und Tasten nicht
gestört; Pupillen und Augenhintergrund ohne pathologischen Befund.
Weiterhin bildeten sich die Erscheinungen zunächst zurück bis auf
ein geringes Maass; auffällig war in der Rückbildung der starke Wechsel
in der Symptomatologie.
In den letzten Tagen wieder Verschlimmerung; es treten auch Par¬
ästhesien in der rechten Gesichtshälfte auf. Seitdem Wechseln der Sen¬
sibilitätsstörung im Gesicht bald rechts, bald links.
Keine Temperatursteigerungen.
Die Blut- und Liquoruntersuchung ergab: Wassermann negativ,
leichte Vermehrung der Zellen im Liquor, leichte Eiweissvermehrung.
Innere Organe und Urin ohne Besonderheiten.
Der Vortr. fasst das Leiden als multiple Sklerose auf. Für diese
Diagnose scheint ihm zu sprechen einmal das jugendliche Alter des
Patienten, ferner die Abschwächung der Bauchdeckenreflexe und die
Lebhaftigkeit der Reflexe links, ausserdem die rasche Rückbildung und
besonders der Wechsel der Symptome in der Rückbildung.
Ferner das Uebergreifen der Sensibilitätsstörung späterhin auch auf
die rechte Gesichtshälfte, die einen weiteren Herd in der rechten Brücke
zur Grundlage haben muss.
Eine Thrombose oder Blutung glaubt er ausschliessen zu dürfen auf
Grund des Fehlens irgendwelchen Grundleidens, es besteht kein Vitium
cordis, keine Nephritis, ebenso sind luetische Gefässveränderungen auf
Grund des negativen Ausfalls der Wassermann’schen Reaktion auszu-
schliessen. Entzündliche Vorgänge sind ebenfalls aut Grund des Lumbal¬
befundes auszuschliessen.
Eigenartig ist hier der Beginn des Leidens unter dem Bild eines
reinen linksseitigen hochsitzenden Ponsherdes.
3. Hr. Stertz:
Diplegia spastica als Symptomenbild einer cerebrospinalen Lnes.
(Eigenartiger Liquorbefund.)
J. B., 29 Jahre alt, hat vor 6 Jahren eine luetische Affektion durch¬
gemacht, wegen welcher er mehrfach spezifisch behandelt wurde. Vor
8 Monaten erkrankte er mit starken, nachts exacerbierenden Kopf¬
schmerzen. 2 Wochen später entwickelte sich ziemlich rasch ohne
Schmerzen eine Schwäche beider Arme und Beine. Im Laufe weniger
Wochen war er ganz hilflos, konnte nur den linken Arm etwas bewegen,
hatte Blasen- und Mastdarmstörungen, ln beiden Armen Parästhesien.
Auch das Gefühl am Körper sei, wenn auch nicht erheblich, gestört ge¬
wesen. Keine psychische Störung. Nach 3 Monaten trat allmählich
Besserung ein. Befund: Bild der Little’schen Krankheit. Haltung nach
vorn gebückt, Arme gebeugt und adduziert, Beine etwas nach innen
rotiert und ebenfalls adduziert. Der Gang ist spastisch-paretisch.
Paresen mässigen Grades in den Armen, in den Beinen nicht sehr er¬
heblich, die spastischen Erscheinungen von wechselnder Stärke. Allent¬
halben Steigerung der Sehoenreflexe, beiderseits Babinski. Bauchdecken¬
reflexe vorhanden. Faciolingualgebiet nicht beteiligt. Leichte Blasen¬
störungen. Störungen der Oberflächensensibilität bestehen nur an der
Ulnarseite der Unterarme und Hände in Gestalt leichter Abstumpfung.
Die Lokalisation ist ziemlich gut, die Bewegungsempfindung im kleinen
Fioger deutlich, sonst nur wenig herabgesetzt. Die Stereognosie ist nicht
ganz gleichmässig, bei der Demonstration für grobe Formen nicht wesent¬
lich gestört. Diese Störung ist in Hinblick auf die leichten Störungen
der elementaren Empfindungskomponenten und den grob gestörten moto¬
rischen Tastakt jetzt ohne Zuhilfenahme einer corticalen Afb-ktion su
erklären, doch machte diese Unterscheidung im Anfang Schwierigkeiten.
Bei Zielbewegungen besteht eine leichte Unsicherheit, eine gröbere bei
allen feinen Fiugerbewegungen. Eine geringfügige, an Athetose etwas
erinnernde Bewegungsunruhe der Finger ist wohl auf die bestehende
Ataxie zu beziehen. Sehr deutlich sind Mitbewegungen bei Kraft¬
anstrengung der liuken Hand in der rechten. Apraktische Störungen
fehlen ganz. Seitens der Hirnnerven ist nur eine leichte Herabsetzung
der Liehtreaktion der Pupillen zu bemerken. Der Liquor cerebrospinalis
ist schwach gdb gefärbt, zeigt eine geringe Zellvermehrung (14 pro cmm)
bei euormer Eiweissvermehrung (über 20 Teilstriche nach Nipl-Ess¬
bach), Nonne-Apelt positiv. Wassermann schwach positiv, im Blutserum
deutlich positiv.
Der gegenwärtige Zustand wird als die Folge einer Myelitis des
Halsmarks erklärt, die bei dem Fehlen von Muskelatrophien oberhalb
der motorischen Armkerne ihren Sitz haben müsste. Die gute Resti¬
tution der Sensibilität nähert, wie es oft der Fall ist, den späteren Be¬
fund dem einer spastischen Spinalparalyse. Die unter Umstäuden erheb¬
lichen Schwierigkeiten der Unterscheidung corticaler von mehr peripher
bedingter Taststörung werden durch den Fall illustriert, da zeitweise
trotz ziemlich geringfügiger Störung der einfachen Empfindungen eine
grobe Taststöruug zu konstatieren war. Der eigenartige Liquorbefund
lässt auf eiue Verklebung der Meningen und Absackung eines spinalen
Flüssigkeitsanteils schliessen. Er ähnelt sehr dem bei komprimierenden
Rückeumarkstumoren zuweilen gefundenen.
4. Hr. Nicolsner: Zar Frage der Spätkatatonie.
67 jährige Frau, seit dem 11. VIII. 1911 in der städtischen Heil¬
anstalt. Keine Heredität. In den letzten Jahren Zunahme der seit
langer Zeit bestehenden Kopfschmerzen, Arbeitete bis Neujahr 1911,
fühlte sich dann zu schwach, besorgte noch die Wirtschaft. Im letzten
Vierteljahr psychische Störungen: Selbstvorwürfe, Klagen über Angst,
Hitzegefühl, Schlaflosigkeit, nächtliche Unruhe. Gedächtnis angeblich bis
zuletzt gut. Früher nie geistig krank, soweit bekannt; stets gleich-
mässiger Stimmung.
Bei der Aufnahme gut orientiert, lebhafte Selbstanklagen, Klein¬
heitsideen, ängstliche Stimmungslage, Unruhe, Fortdrängen. Gedächtnis,
Merklähigkeit, soweit prüfbar, ohne wesentliche Störungen; körperlich
periphere Atheromatose. ln der nächsten Zeit wechselnde Erregung,
einzelne Verkennungen, ängstliche Missdeutungen, entsprechende
Haliucinationen, später Hess die Unruhe nach, ängstlich-starre Haltung,
zu den Selbstvorwürfen treten ängstlicb-phantastiche Vorstellungen im
Sinne nihilistischer Ideen, einzelne hypochondrische Sensationen; ausser¬
dem, erst vereinzelt, allmählich immer deutlicher motorische Symptome:
eintöniges Verbigerieren der gleichen Redensarten, monotones Singen,
rhythmisches Bewegen der vorgestreckten Zunge von rechts nach lioks.
Seit Anfang dieses Jahres gänzliches Zurücktreten des Affektes, Ent¬
wicklung eines gleichmässigen motorischen Krankheitsbildes: stereotype
Haltung, Hemmung, ausgeprägter Negativismus, Sperrung, Mutacismus
bis auf gelegentliches monotones Verbigerieren, einzelne stereotype Be¬
wegungen, zeitweise Unsauberkeit. Der Zustand blieb bis jetzt ziemlich
stabil, nur der Negativismus ist in letzter Zeit mitunter weniger deut¬
lich. Erwähnt sei noch, dass seit Monaten die Finger beider Hände
bis auf den Daumen in Beugekontraktur stehen, sich nicht strecken
lassen
Der in seinem Verlauf merkwürdige Fall, der als agitierte Melancholie
beginnt, um iu ein langes, ausgeprägt katatones Stadium überzugehen,
lässt sich klinisch schwer einreiben. Er erinnert an die sogenannte Spät¬
katatonie, deren Existenz neuerdings von Kraepelin mit Rücksicht auf
die anatomischen Ergebnisse, aber auch auf den klinischen Verlauf stark
angezweifelt wurden. Auch dieser Fall ist wohl nicht als echte Katatonie,
etwa mit depressivem Beginn anzusprechen: die sich über einige Monate
erstreckende Melancholie kann man nicht als ein depressives Vorstadium
bezeichnen. Am meisten hat er Aehnlichkeit mit der einen der Gruppen,
die Kraepelin aus dem Gebiet der präsenilen Psychosen herauszubeben
sucht, bei der sich depressive Wahnvorstellungen und Angstzustände ent¬
wickeln mit allmählichem Nachlass des Affektes, langsamer Verblödung
mit absonderlichen Haltungen, manierierten oder rhythmischen Bewe¬
gungen usw. Während aber bei diesen Fällen, wie Kraepelin gerade
als unterscheidendes Merkmal von der Katatonie hervorhebt, die kata-
tonen Züge erst spät und nur in Andeutungen auftreten, nicht den
Charakter von triebartigen Stereotypien und Negativismus tragen, sind
es gerade die letzteren beiden Symptome, die unserem Falle das eigen¬
artige Gepräge geben, mit den übrigen katatoncn Zeichen durchaus im
Vordergründe stehen. Gleichwohl werden wir den Fall am ehesten zu
den präseuilen Verblödungsprozessen rechnen können.
5. Hr. Chotzen: a) Fall von degenerativem Stnpor.
42järiger Mann. Io früherem Anfall (publiziert vonKutner, Kata-
tone Zustandsbilder bei Degenerierten, Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie,
Bd. 67) völlig katatones Bild mit Mutacismus, Negativismus, Stereotypien,
Nahrungsverweigerung und Unsauberkeit. Heilung nach 1 1 / 2 Jahren.
Rückfall wieder in Strafhaft; wieder psychogene Auslösung, ganz
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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monotones stereotypes Krankheitsbild von zehn Monaten Dauer;
wiederum plötzliohe Heilung in veränderter Umgebung, volle Einsicht
und angebliche Amnesie für die ganze Krankbeitsdauer und die Zeit der
Verurteilung, wie damals. Keine geistige Einbusse, keine hysterische
Stigmata.
b) Atypische Paralyse oder Laes cerebri ?
40jährige Frau. Infektion negiert. Von acht Kindern zwei älter,
die beiden letzten kurz nach der Geburt gestorben. Sonstige Anamnese
negativ. Längere Zeit vor Ausbruch der Psychose Schwäche und Zittern
in der linken Hand. Ausbruch mit Depression und Suicidversuch. Dann
Stupor mit Mutaoismus, Negativismus, Unsauberkeit. Danach stumpf,
manieriertes Sprechen, gibt keine Auskunft, verschlossen. Langes
euphorisches Stadium mit anfallsweisen Erregungen, offenbar durch
Hallucinationen bedingt, aber auch eintöniges, anhaltendes Schreien.
Dabei Krankheitsgefühl, Verständnis für Situation, Orientierung, schlechte
Urteils* und Kritikleistungen, aber Gedächtnis* und Merkfähigkeit noch
gut, weiterhin Wechsel zwischen stumpfen, läppisoh-eupboriscben, ge¬
reizt-depressiven und leidlich geordoeten Phasen. Wird aber zusehend
stumpfer. Ist häufig unsauber. Jetzt ganz apathisch, sehr dement,
kritiklos. Auffallend die noch leidliche Orientierung, ebenso Gedächtnis¬
leistungen und eine gute, allerdings rasch erlahmende Aufmerksamkeit.
Immer noch verschlossen bzgl. psychotischer Erlebnisse. Niemals Verände¬
rungen des Persönlichkeitsbewusstseins.
Körperlich zu Beginn: Träge Reaktion der Pupillen auf links,
Tremor und fibrilläre Zuckungen der Zunge. Kniegelenke schlaff. Patellar-
reflex nicht auszulösen. In linker Hand und Fuss vereinzelte Muskel-
zuckungen. Später zunehmende Ataxie, Intentionstremor, auch in der
Rübe grobschlägiger Tremor der linken Extremitäten, der bei allen Be¬
wegungen zunimmt; desgleichen Zunge, auch choreiforme Zuckungen in
der ganzen linken Seite. Nach einigen Monaten auch zuuehmende
motorische Schwäche links. Starker Sprachtremor und verschliffene
Sprache. Tonus der Gelenke schwankt. Patellarreflex bald auszulösen,
bald nicht Abblassung der Sehnervenpapille links total, rechts tempo¬
ral. Jetzt alle linksseitigen Erscheinungen sehr hochgradig; jetzt auch
Störungen der Tiefenempfindung und Tastlähmung; sonstige Sensibili¬
täten ohne grobe Störung. Rechts jetzt auch, aber viel geringere
motorische Schwäche, auch einzelne Zuckungen und geringe Ataxie.
Corneal-, Rachen- und Bauchdeckenreflex -f-, Pateltarreflex sehr schwer
auslösbar, aber +. Achillessehnenreflex —. Babinski —. Kein
Nystagmus, gelegentlich vorübergehender Strabismus. Sonstige Hirn-
nerven frei.
Lympbocytose, Eiweissvermehrung, Nonne - Apelt im Liquor
cerebralis -f-. Wassermann im Blut -f-, im Liquor früher —, jetzt -+*.
Auffallend die langdauernde und noch jetzt vorwiegende Halbseitig-
keit der Erscheinungen, aber doch auch rechtsseitige. Vermutlich diffuser
Prozess. Angenommen wird eine Gefässerkrankung auf luetischer Basis.
Für Paralyse ist neben dem psychischen Bilde auffällig die Konstanz
der Herdsymptome, das Fehlen aller insultartiger Erscheinungen, Fehlen
von Silbenstolpern; aber doch viele Erscheinungen ganz wie bei Paralyse
nnd ziemlich rasche Progredienz. Wassermann jetzt auch im Liquor -f-.
Vielleicht Kombination zwischen luetischer Erkrankung und Paralyse.
Andere Kombinationen werden ausgeschlossen. (Eigenberichte.)
Verein der Aerzte Wiesbadens,
(Offizielles Protokoll.)
Wissenschaftliche Sitzung vom 13. November 1912.
Vorsitzender: Herr R. Schütz.
1. Hr. Waizeidorff:
flisUristke Beaerkugei n dem Vortrage des Herrn PHf über den
Gebirtenrnekgang.
(Zu kurzem Referat nicht geeignet.)
Hr. 2. Lngeibikl:
Praktische Ergebnisse der neierei Forschungen über Sftaglings-
ernährnng nnd Ernfthrnngsstdrmgen.
Referat über die Finkelstein’schen Anschauungen und Versuch,
die Therapie der einzelnen Phasen der Ernährungsstörung in grossen
Zügen aus den vorgetragenen theoretischen Erkenntnissen berzuleiten.
Sitzung vom 4. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr G. Meyer.
1. Hr. Herxheimer*. Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
Vortr. demonstriert: a) Zwei Fälle von sogenannter Reck-
linghausen’scher Krankheit (multiple Fibromata nervorum).
Io dem ersten Falle betrafen die unzähligen Tumoren vor allem die grossen
Nerven (der Fall wurde schon früher demonstriert). In dem jüngst
sezierten gingen dieselben hauptsächlich von den Hautnerven, nur ver¬
einzelt von den grossen Nerven aus. In beiden Fällen führten Sarkome
das Ende herbei. Ein solches bestand in dem ersten Falle im Bereich
des Nervus peronaeus; in dem zweiten Falle ging dasselbe von dem
Plexus lumbalis aus und hatte sich besonders in dem Becken zu einem
kindskopfgrossen Tumor entwickelt Ueber die Geschichte und Auffassung
dieser Tumoren berichtet der Vortragende. Entgegen seiner kurzen
rüheren Bemerkung nach vorläufiger Untersuchung hält er das die Tu¬
moren in dem ersten Falle konstituierende Gewebe nicht mit Verocay
für einen Abkömmling der Schwann’schen Scheidenzellen, sondern für
einen solchen des Endoneureums bzw. Perineureums, also entsprechend
der alten Auffassung für bindegewebiger Natur. Erst recht in dem
zweiten Falle traf dies auch zu. Ganz in Uebereinstimmung mit
Verocay hält aber Vortr. die Gebilde für die Folgen einer kombinierten
Entwicklungsstörung, spricht sie also für Hamartome im Sinne Alb rechtes
bzw. Hamartoblastome an. Nachdem im Rahmen dieser kombinierten
Entwicklungsstörung auch auf das Nebennierenmark die Aufmerksamkeit
gelenkt war, hat Vortr. im zweiten Falle das Gebiet des Sympathicus
untersucht und auch an ihm mit der Gesamtkrankheit auf eine Linie zu
stellende Veränderungen gefunden.
b) Ein Neuroblastoma sympathicosum der Nebenniere
eines mehrwöchigen Kindes mit ausgedehnten Metastasen in der
Leber. Die den Tumor bildenden Zellen könnten bei oberflächlicher
Betrachtung als Sarkomzellen imponieren. Genauere Beobachtung zeigt
aber einmal typische Rosettenformen, andererseits ganz feine Fibrillen,
teils in Form eines Maschen Werkes, teils parallel gefasert. Diese konnten
zum grossen Teile mit der Bielschowsky-Methode als Neurofibrillen be¬
wiesen werden, eine Beweisführung, die in der Nebenniere wohl zum
ersten Male sicher geglückt ist. Es handelt sich hier also um von
Sympathicu9bildungszellen ausgehende maligne Tumoren, deren Diffe¬
renzierung bis zu Neurofibrillen zu verfolgen ist, während chromaffine
Zellen fehlen, nicht etwa um Blastome von der Glia ausgehend, so dass
die Auffassung Pick-Bielschowsky’s, Landau’s usw. sicher zu Recht
besteht. Diese Tumoren finden sich nur kongenital bzw. bei kleinen Kindern
und sind im höchsten Grade malign. Dass es sich in der Leber um Me¬
tastasen und nicht, wie von anderen Seiten vermutet wurde, um multiple
primäre Geschwülste handelt, ist daraus zu erscbliessen, dass die
Differenzierung des Tumors zu Nervenfibrillen in der Leber weit weniger
weit wie in der Nebenniere vor sich gegangen ist, also die Tumorknoten
der Leber offenbar jüngeren Datums sind.
2. Hr. Weintraud stellt einen 26 jährigen Schuhmacher vor, der
Bluter ist und seit seiner Kindheit an den noltiplen Gelenk affektionen
leidet, zu deren Behandlung er nach Wiesbaden geschickt worden ist.
Die Gelenkschwelluogen treten ganz spontan oder nach relativ geringen
körperlichen Anstrengungen auf; so in den Knien schon nach einem
kurzen Spaziergange, im Handgelenk nach einem ungeschickten Griff mit
der Hand. Die Gelenkgegend ist daun rundlich aufgetrieben und fühlt
sich heiss an, oft ist sie auch bläulich verfärbt. Die Schwellung geht
nach wenigen Tagen zurück. Chronische Verdickungen der Gelenkkapseln
sind aber bereits an vielen Gelenken zustande gekommen und bedingen
eine Einschränkung der Beweglichkeit. Bei seiner Ankunft hatte der
Kranke auch ein subcutanes Hämatom am Daumen. Er leidet ausserdem
seit seiner Kindheit oft an Nasenbluten, ln der Familie sind mehrere
Fälle von Hämophilie vorgekommen. Die Kenntnis des Krankheitsbildes,
das in vieler Beziehung dem gewöhnlichen chronischen Gelenkrheuma¬
tismus gleicht, ist wichtig, damit man die Badekur nicht mit anderen,
.hier wenig angebrachten physikalischen Maassnahmen, wie Massage und
Gymnastik, kombiniert.
Der zweite Fall ist ein 52jähriger Töpfer, bei dem sich vor zwei
Jahren an der linken und vor einem halben Jahr auch an der rechten
Hand eine ganz isolierte Lähnang bsw. ein Schwand des Masealas
extensor pollicis longa« eingestellt hat. Der Mann kann alle Bewe¬
gungen mit der Hand und den Fingern ausführen, er zeigt darin sogar
eine grosse Geschicklichkeit, nur ist er ausser stände, die Endphalanx
der Daumen zu strecken. Er ist dadurch in seinem Beruf, bei dem er
die Daumen beständig braucht, ganz unfähig. Die maximale Extension
des Daumens ist für den Töpfer die Ausgangsstellung für jeden einzelnen
Handgriff. Sie ist daher die Bewegung, die am häufigsten gemacht wird.
Es handelt sich um eine bisher noch nicht beschriebene professionelle
Lähmung, entsprechend der Trommlerlähmung, der Feilenhauer¬
lähmung usw. Dabei ist aber hervorzubeben, dass der Mann immer nur
als Former tätig war und nie Glasuren gemacht hat, bei denen er mit
Blei hätte in Berührung kommen müssen. Auch sind die Muskeln, die
sonst bei der Bleilähmung befallen werden, ganz intakt; nur der Extensor
pollicis longus fällt bei der elektrischen Untersuchung vollkommen aus.
Diskussion.
Hr. Stein: Die bei dem Patienten bestehende Lähmung der Ex¬
tensoren an beiden Daumen wird wohl durch Bäder und sonstige konser¬
vative Methoden therapeutisch nicht mit Erfolg zu beeinflussen sein. Es
wird aber zweifellos möglich sein, durch eine Sehneoplastik die aktive
Streckfäbigkeit der Daumenendglieder wieder völlig herzustellen. Es
kommt dabei entweder eine aufsteigende oder eine absteigende Plastik
in Betracht, d. h. entweder kann die Sehne des Extensors des Daumens
im unteren Drittel des Unterarms aufgesucht und an einen der anderen
Fingerstrecker, welche ja sämtlich normal sind, angehängt werden, oder
aber es kann vou einem der normalen Extensoren ein Stück abgespalten
und auf die gelähmte Strecksehne aufgepflanzt werden.
3. Hr. Hezel: Ueber KleinhirnbriUkenwiukeltimoren.
Vortr. bespricht im Anschluss an einen früher von ihm vorgestellten
Fall die im Kleinhirnbrückenwinkel vorkommenden Neubildungen und
erläutert deren Symptomatologie, besonders unter dem Gesichtspunkte
der diagnostischen und differentialdiagnostischen Bedeutung derselben.
In letzterer Hinsicht weist er auch auf die Möglichkeit hin, dass luetische
Hirnerkrankungen den Symptomenkomplex des Kleinhirnbrückenwinkel-
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188
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
tumors erzeugen können, wie ein von Nonne auf der diesjährigen Ver¬
sammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte vorgestellter Fall ge¬
zeigt hat.
4. Hr. Haymaoo demonstriert: a) Raptara titae bei 41 jähriger
Krau, kompliziert durch grossen Bauchbruch in der Operationsnarbe
einer vor 20 Jahren vorgenommenen Ovariotomie. Letzte rechtzeitige
Periode Ende August, im September um acht Tage verspätet eingetreten,
seitdem Blutungen mit kurzen Unterbrechungen bis zum Untersuchungs¬
tage (8. November). Seit 14 Tagen unstillbares Erbrechen.
Im Bauchbruch grosse adhärente Netzpartien zu tasten, die klein¬
fingerdicke Venenthromben bläulich durch die Haut durchscheinen lassen.
Wegen grosser Empfindlichkeit bimanuelles Tasten unmöglich.
Operation des Bauchbruches mit Resektion des fest adhärenten, zu
einem dicken Knäuel aufgerollten Netzes inklusive Venenthromben (nach
Graser-Gersuny).
In der Bauchhöhle etwa l 1 /* I flüssiges, zum Teil coaguliertes Blut.
Gut erhaltener Foetus von zwei Monaten.
Das gute Aussehen der Patientin, die ländlich gebräunten Teint
besass, hatte nur die Wahrscheinlichkeit einer Extrauteringravidität stellen
lassen, die sich besonders auf verspätetes Eintreten der Menses und
darauffolgende Metrorrhagie gründet.
b) Dagegen konnte mit Sicherheit die Diagnose Haematona taiae
ein. e gravidit. eitraaterin. gestellt werden bei einer 82 jähriger Opara,
seit zwei Jahren steril verheiratet, bei der die letzte Periode statt am
27. Oktober erst am 8. November eintrat; von da ab unter Schmerzen
geringe Blutungen. Die deutliche Grössenzunahme der linken Tube vom
5. bis 15. November Hess keinen Zweifel an der Ausbildung einer links¬
seitigen Tubengravidität, die bei der Operation am 16. November be¬
stätigt wurde. Sehr wenig Blut in der Bauchhöhle, dagegen kleinfinger¬
langes und dickes Hämatom, in dem mikroskopisch fötale Bestandteile
gesichert wurden.
Io beiden Fällen glatte Genesung in zehn Tagen.
c) 55jährige Patientin mit irregalürea Blutuagen bei Myonatosis
nteri. Vor einer Röntgenbehandlung sollte die Benignität durch Probe¬
abrasio gesichert werden. Dieselbe ergab hoch oben im Fundus das
Tastgefühl eines vorspringenden Myomknollens, im übrigen nichts Malignes.
Nach der Abrasio vermehrte Blutung. Deshalb Totalexstirpation des
kopfgrossen, mit grossen und kleinen Myomen durchsetzten Uterus per
vaginam. Im aufgeschnittenen Uterus zeigt sich in der linken Tuben¬
ecke ein submucöser Polyp, den die Curette getastet hatte, der aber
als vorspringender Knoten eines intramuralen Myoms gedeutet wurde.
Nach sehr mühsamer, über zweistündiger Operation glatte Rekonvaleszenz;
schon am Tage nach der Operation befindet sich Patientin wie eine ge¬
sunde Wöchnerin. G. Herxheimer.
Aerztücher Verein zn Hamburg.
Sitzung vom 8. Dezember 1912.
Demonstrationen.
1. Hr. Reinkilg demonstriert zwei Patienten, bei welchen er nach
einer früher von ihm angegebenen Methode (Brückenplastik) Fisteln
nach Ohroperation mit kosmetisch vorzüglichem Resultat geschlossen hat
2. Hr. Saenger: a) 32 jährige Patientin mit tiewohnheitslähmnng
des rechten Facialis, entstanden nach Ohroperation im zweiten Lebens¬
jahre. Bei der elektrischen Untersuchung fiel auf, dass die Muskeln der
gelähmten Gesichtshäfte auf galvanischen und faradischen Strom reagierten.
Nach dreiwöchiger elektrischer Behandlung jetzt schon sehr wesentliche
Besserung.
b) 50 jährigen Herrn mit Forme froste von Hypothyreoidismus.
Pat. war seit zwei Jahren an epileptiformen Anfällen, Photopsie, Kopf¬
schmerzen, psychischer Stumpfheit erkrankt; Nervensystem bot völlig
normalen Befund, Schilddrüse nicht nachzuweisen. Haut des Nackens
zeigt umschriebene Trockenheit und Härte. Nach kurzer Schilddrüsen-
bebandlung bedeutende Besserung. Hinweis auf die Wichtigkeit der Er¬
kennung solcher Fälle.
8. Hr. Kellner zeigt einen schwachsinnigen Jungen, einen typischen
Mongoloiden, der trotz Herzschwäche eine Diphtherie mit Stenosiernng
nnd Tracheotomie glücklich überstanden hat und spricht über die bei
Schwachsinnigen überhaupt herabgesetzte Widerstandskraft. Die Sterb¬
lichkeit der Schwachsinnigen (in den Alsterdorfer Anstalten) ist fast
sechsmal so gross als die in Hamburg; vor allem sterben viele an Tuber¬
kulose, Masern und Keuchhusten.
4. Hr. Kümmell zeigt eine Reihe von Patienten, die er, teilweise
vor langen Jahren, wegen genuiflor, traumatischer bzw. Tnmorepilepsie
operiert hat. Es wurden eine Reihe von Methoden verwendet, um die
durch späterhin auftretende Verwachsungen bedingten postoperativen
Schädigungen möglichst zu vermeiden: Feltimplantation nach Rehnjun.,
Heteroplastik mit Celluloidplatte, mit Condom u. a. Unterstützt wird
die chirurgische Behandlung der genuinen und Jackson-Epilepsie durch
kochsalzarme Diät und Bromverabreichung, am besten in Form des
Sedobrol (Roche). Insgesamt ergaben sieb 10 pCt. Heilung und etwa
10 pCt. dauernde Besserung.
5. HHr. Franke und Haeniscb: Röutgenbilder eines Falles von
Schass in die Orbita. Die Kugel hatte im Röntgenbild bei verschiedener
Kopflage und Blickrichtung ihren Sitz gewechselt. Enucleation des
Bulbus ergab, dass die Kugel nicht im Bulbus, sondern in der Orbita
lag. Besprechung der verschiedenen röntgenologischen Verfahren, um
Fremdkörper der Augenhöhle in ihrer Lage zum Bulbus zu lokalisieren.
6. Hr. Calmann bespricht das wechselnde Krankbeitsbild einer
32 jährigen II para, bei der vom Hausarzt künstliche Frübgebart ein¬
geleitet worden war; hierbei entstand unter plötzlichem Collaps eine
Uterisroptor; zwei Tage später kam Pat. wegen Darmlähmung in die
C.’sche Klinik. Bei Operation fand sich 5 cm langer Querriss im Uterus,
eitrige Peritonitis; Drainage, Spülung, Dünndarmfistel. Später Vereite¬
rung der Fistel, Darmprolaps, hohe Dünndarmfistel infolge Perforation
der Darmwand, Inanitionserscheinungen. Am 17. Tage Versuch, die
Fistel zu schliessen, dabei Eiter in beiden Beckenhälfteo vorgefunden,
schwere Peritonitis, aus der wieder aufgeplatzten Wunde prolabierte das
Fimbrienende der Tube. Diese wurde später exzidiert, auf der anderen
Seite reseziert. Völlige Heilung.
7. Hr. WiehHaoa demonstriert eine grosse Reihe von Kranken, bei
welchen durch äasserliche Bebaidltag Hit Mesothtriam vorzügliche
Resultate erzielt wurden: Drei Fälle von Lupus vulgaris, je ein skrofu¬
löses Ekzem, Lupus erythematodes der Wangen, Ulcus rodens der Stirn;
inoperabler cavernöser Tumor der Wange, Knochencaries bei Kindern;
ein tiefgreifendes Garcinom der Ohrgegend, ein Carcinom der Orbital¬
region u. a. m. Bei der internen Verwendung von Thorium ist darauf
zu achten, dass das Präparat frei von Radiothorium ist; eine Dosierung
in Mache-Einheiten ist durchaus unzuverlässig.
Hr. KühhcII: Nachruf auf Polizeiarzt Dr. Carl Lang.
Vortrag des Herrn Deaeke: Die syphilitische Aerteierkraakaag.
Die Zahl der an Spätfolgen der Lues Erkrankten ist eine ungeheure!
Nach der Statistik der Gothaer Lebensversicherungsgesellschaft haben
Syphilitiker eine „Uebersterblicbkeit“ von 68 pCt. Ira Krankenhause
St. Georg wurde 1909/1911 bei 54 Fällen eine syphilitische Aorten¬
erkrankung als Todesursache nachgewiesen gegenüber 29 Todesfällen in¬
folge anderer Luesspätfolgen. Insgesamt wurden in Krankenhaus und
Privatpraxis in den letzten vier Jahren 173 Fälle syphilitischer Aorten¬
erkrankung von Deneke beobachtet; auf dieses Material stützen sich
die folgenden Darlegungen.
Unter den 173 Fällen befanden sich 148 Männer (77 von ihnen
gaben Infektion zu) und 24 Frauen (nur 2 gaben Infektion zu); einmal
bestand hereditäre Lues. Erschwerend für die Anamnese ist der meist
grosse Zeitabstand zwischen Infektion und Auftreten subjektiver Krank¬
heitszeichen: Minimum 5 Jahre, Maximum 44 Jahre, Durschschnitt
20 Jahre.
Wassermannreaktion wurde bei 164 Fällen ausgeführt, davon waren
142 = 87 pCt. positiv, 6 mal ergab sich ein fraglicher, 16 mal negativer
Ausfall; 13 der letzten Fälle waren schon mit Hg behandelt worden.
In den letzten Jahren wurde — bei verfeinerter Technik — kaum mehr
ein negativer Ausfall beobachtet. Neben Syphilis spielen Alkohol,
Tabak, Beruf keine ausschlaggebende Rolle. Das Alter der Erkrankten
spricht meist schon gegen Arteriosklerose (im Durchschnitt 43. bis
45. Lebensjahr).
Nach Besprechung der pathologischen Anatomie geht Vortr. auf die
Symptome ein, die im Beginn sehr unbestimmt sein können: Herz¬
beschwerden bei blasser Gesichtsfarbe mit leicht gelblichem Hauch
müssen neben der Anamnese die Aufmerksamkeit darauf lenken. In
ausgeprägten Fällen lassen sich drei Gruppen unterscheiden: a) bei
Coronarsklerose: Angina pectorisartige Anfälle (19 Fälle); oft Mors
subitanea. b) Aorteninsuffizienz (78 Fälle + 46 Fälle von Aorten¬
insuffizienz + Aneurysma). Gegen polyarthitische Aorteninsuffizienz ist
im einzelnen Fall zu verwerten: positiver Wassermann, blasse Haut¬
farbe; Celerität des Pulses, Doppelton und diastolisches Geräusch weniger
ausgesprochen, der systolische Druck meist nicht erhöht, c) Aneurysmen
im engeren Sinne (19 Fälle) mit den bekannten Symptomen.
Von Komplikationen ist Tabes am häufigsten; unter 153 darauf¬
hin genau untersuchten Fällen hatten 63 = 40 pCt. Tabes, 17 weitere
Fälle waren tabesverdächtig.
Der Verlauf ist abhängig von der Schädigung der Kreislauforgane,
von der Malignität der Irischen Infektion und der Art der Behandlung;
meist erfolgt schon */*—I Jahr nach Beginn der subjektiven Beschwerden
der Tod (an anderweitigen Lueskomplikationen, an Tuberkulose, In¬
fektionskrankheiten, durch Ruptur eines Aneurysmas, im stenocardisohen
Anfall).
Die Prognose ist dauernd eine sehr trübe: von 140 bis 1. Januar
1912 in Behandlung gekommenen Fällen sind jetzt schon zwei Drittel
gestorben.
Therapie: Nur energische, nachhaltige, eventuell wiederholte anti-
luetische, wenn möglich bis zum Versohwinden der Wassermannreaktion
fortgesetzte Kur (Schmierkur, Ricord’sche Pillen, Zittmann-Dekokt) kann
nützen; Rückfälle lassen sich dann aber auch besser vermeiden als bei
Myocarditis. Salvarsan (bei nicht allzu schwer Kranken) hatte häufig
günstigen Erfolg. Je frühzeitiger die syphilitische Aortitis er¬
kannt wird, um so günstiger ist der Erfolg der Behandlung!
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 10. Dezember 1912.
1. Hr. Sehamu:
Die Untersaehaig der Spiaalflüssigkeit aaf Aetfaylalkohol.
Vortr. hat früher bereits, gemeinsam mit Herrn Schottmüller,
über Nachweis von Alkohol in der Spinalflüssigkeit von Alkoholikern be-
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20. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
139
richtet; er empfiehlt jetzt zum Nachweis der meist sehr geringen Alkohol¬
mengen eine von ihm angegebene Modifikation der Taylor - Buchheim-
schen Methode; damit lässt sich Alkohol noch in Verdünnung bis 1: 50 000
durch den oharakt Acetaldehydgeruch nachweisen; also noch 2 /s bis
Vs mg Alkohol in 10 ccm Spinalfiüssigkeit. Gleichzeitige Anwesenheit
von Aceton im Liquor kann stören.
2. Hr. Simmwndfl: Zar Pathologie der Hypepkysls.
Die physiologischen Untersuchungen von Schaeffer haben ergeben,
dass Reizung der Pars intermedia der Hypophyse starke Diurese, einen
Diabetes insipidus auslöst. Vortr. beobachtete folgenden Fall: eine
Frau wurde im Juni 1912 wegen Mammacarcinoms im Krankenhaus
St. Georg operiert Damals war der Urin völlig normal, durchschnitt¬
lich 1500 ccm mit 1014 spezifischem Gewicht. Zweieinhalb Monate
später wurde die Frau mit Recidiven und zahlreichen Metastasen wieder
aufgenommen; sie gab an, seit 14 Tagen sei eine sehr starke Harnflut
eiogetreten; im Krankenhaus war die Tagesmenge 11—14—18 Liter bei
spezifischem Gewicht von 1001. Kein Eiweiss, kein Zucker. Bei der
Obduktion fand Vortr.: Carcinommetastasen in Pleura und Leber;
die Nieren normal, ebenso Grosshirn, Kleinhirn und Medulla. Die
Gegend der Hypophyse erschien äusserlich ebenfalls unverändert; im
Läogsschnitt zeigte sich aber, dass die über alle Wirbelkörper zer¬
streuten Metastasen auch in der Sella turcioa sich eingenistet hatten
und, diese durch wachsend, auf die Hypophyse von hintenher übergegangen
waren. Die Neurobypophyse war gänzlich von Carcinom zerstört, da¬
gegen die Pars intermedia intakt, genau an letzterer hatte der Zer-
störuugsprozess Halt gemacht. Vortr. glaubt daher annehmen zu
dürfen, dass auf diese Weise ein Reiz auf die Pars intermedia ausgeübt
und hierdurch die Erscheinungen des Diabetes insipidus ausgelöst wurden
— man wird also künftig in allen Fällen von Diabetes insipidus die
Hypophyse einer genauen, auch mikroskopischen Untersuchung zu unter¬
ziehen haben.
Diskussion.
Hr. Unna: Der Ausdruck „Reizung“ ist ein vager Begriff, unter
dem man sich anatomisch nichts vorstellen kann. Aus dem Befund des
Herrn S. könnte man vielleicht eher schliessen, dass von der Neuro-
hypophyse normaliter eine Hemmung der Polyurie ausgelöst wird, die
nach Zerstörung der Neurobypophyse wegfällt.
Hr. Trömner fragt, wie der Blutdruck in Herrn L.’sFall sich ver¬
hielt, da derselbe von manchen ebenfalls mit der Pars intermedia in
Zusammen hang gebracht wird.
Hr. S im monds: Der Blutdruck war nicht wesentlich erhöht; Diuresen
von 19 Liter pro die können auch niemals durch einfache Blutdruck¬
steigerung bedingt sein.
3. Hr. L. Brauer: Beobachtungen bei extrapleuraler Thorakoplastik.
Prinzipiell zu trennen sind die einzelnen Formen der Thorakoplastik:
die alte Schede’sche Plastik bei alten Empyemen bezweckt, eine Höhle
zu schliessen und die Lunge zur Ausdehnung und Funktion zu bringen.
Im Gegensatz dazu soll bei tuberkulösen Lungenerkrankungen die Lunge,
ohne Eröffnung der Pleura, ausser Funktion gesetzt werden. Bei dieser
extrapleuralen Plastik ergeben sieb zwei Gesichtspunkte: 1. es soll der
Schrumpfung der Lunge entgegengewirkt werden; 2. es soll, wo ein
Pneumothorax nicht möglich ist, die Lunge trotzdem zum Collaps ge¬
bracht werden.
An Hand von fünf vorgestellten Fällen bespricht Vortr. die verschiedenen
hierbei sich ergebenden theoretischen und praktischen Fragen: die Me-
diastinalVerdrängung, das Mediastinalflattern, das in mehreren Fällen
ausserordentlich deutliche pelottenartige Einsinken des Schulterblaties.
An Röntgenbildern eines von Herrn Oeblecker kürzlich beobachteten
Falles von spontanem Hämopneumothorax wird die Ueberblähung des
Mediastinum illustriert.
Di skussion.
Hr. Ringel: Auffallend stark ist die in Herrn B rau er’s Fällen
erzielte Eindellung der Scapula; dies gelang bisher noch nicht in
diesem Maasse.
Hr. Rothfucbs fragt, ob bei der Thorakoplastik das Periost zu¬
rückgelassen wird. Lenhartz hatte seinerzeit erklärt, er nähme das
Periost mit weg.
Hr. Brauer (Schlusswort): Ueber den unteren Thoraxabschnitten
bat er das Periost auch vielfach mit weggenommen, über den oberen
lässt man es besser stehen. Soll die Eindellung der Scapula eine be¬
deutende werden, so müssen die Rippen möglichst nahe der Wirbel¬
säule abgekniffen werden. _ C. Hegler.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
Hr. Käppis berichtet an der Hand der Nieren Operationen der
chirurgischen Klinik über die Erfahrungen mit seiner Methode der
Leitaigsaaästhesie. Danach ist das Verfahren relativ einfach, sicher
im Erfolg und ungefährlich für den Kranken; auch die Einspritzung
selbst kann bei sofortiger Ausführung nicht als besonders unangenehm
bezeichnet werden.
Diskussion: HHr. Bauereisen, Anschütz, Stoeckel, Käppis.
Hr. Laares;
Bin aeae Methode der iatraperitoaealea Verkttrzaag der Ligaaieata
rotaada.
(Erscheint ausführlich im Centralblatt für Gynäkologie, 1912, H. 1.)
Dreiteilung des Ligamentum rotundum durch Anlegen von zwei
stumpfen Klemmen. Die dem Uterus näherliegende Klemme wird in die
Gegend des inneren Leistenringes geführt und die Ligamentschleife hier
zur Vermeidung etwaiger Gefässverletzungen etwas oben und lateralwärts
von dem durch den Leistenring austretenden Bande an der tiefen Bauch-
deckenfascie durch Seidenknopfnaht fixiert. Die andere Klemme wird
mit ihrer Ligamentschleife auf die Vorderfläche des Uterus gebracht und
das Band hier an der Abgangsstelle des Ligamentum rotundum vom
Uterus aogenäht. Dadurch werden aus dem einfachen Bande drei
parallel nebeneinander verlaufende Schenkel gebildet, die zum Schluss
durch einen fortlaufenden Catgutfaden vereinigt werden.
Die Vorteile der neuen Methode sind die Einfachheit der Technik,
Verstärkung (Verdreifachung) der Bänder in ihrem ganzen intraabdomi¬
nalen Verlauf und feste Fixatiou an der Bauchfascie und an physio¬
logischer Stelle.
Bisher sind sieben Fälle wegen fixierter Retroflexio nach dieser
Methode operiert worden und in zwei Fällen mit einseitigen Ovariotomien
wurde auf der gesunden Seite als Gegengewicht gegen den Narbenzug
des Adnexstumpfes auf diese Weise das Band verkürzt. Die Resultate
sind bisher gut.
Diskussion: Hr. Stoeckel.
Hr. Höher: Der Zustand der Salze im Iaiern von Zellen.
Vortr. demonstriert, dass die elektrischen Schwingungen, welche von
einer Poulsfen-Lampe aus in einem auf Resonanz eingestellteu Sekundär¬
kreis angeregt sind, gedämpft werden, wenn in die Spule des Sekundär-
kreises Blutkörperchen gebracht werden. Die Dämpfungsgrösse ist ein
Maass der im Innern der intakten Blutkörperchen vorhandenen elektro¬
lytischen Leitfähigkeit. Vortr. erörtert ferner Methoden, mit Hife deren
sich die innere Leitfähigkeit an kleinen Zellmengen, wie z. B. kleinen
Quanta von Muskeln, bestimmen lässt. Endlich wird die Anwendbarkeit
der Methoden zur Lösung physiologischer und pathologischer Fragen
(Genese der bioelektrisohen Ströme, regulativer Salzimport, Befruchtung,
Erkrankung von Zellen) besprochen.
Diskussion: HHr. Schlecht, Bauereisen.
Hr. Wagner-. Paratyphnsbakteriea im Limbalpnnktat.
Vortr. berichtet über einen Fall, in dem im hiesigen Untersuchungs¬
amt aus einem Lumbalpunktat Paratyphus B-Bacillen gezüchtet wurden.
Es handelte sich um einen 20 jährigen Mann, der unter meningitischen
Erscheinungen erkrankte. Klinisch Verdacht auf Tuberkulose oder
Meningokokkenmeningitis. Die diesbezügliche Untersuchung war erfolg¬
los, während etwa ein Dutzend einwandfreier Paratyphus B-Kolonien ge¬
züchtet wurden. Der Patient kam zur Genesung, ohne dass abdominelle
Erscheinungen aufgetreten wären.
Aerztllcher Bezirksverein zu Zittau.
Krankenhausabend vom 5. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Körner.
Schriftführer: Herr Klieneberger.
1. Hr. Dreyzehner (Demonstrationen): a) Patient, der sich in
selbstmörderischer Absicht vier Schüsse aus einem 6 mm Revolver in
den Schädel beigebracht hatte; davon drei nicht, einer ins rechte Stirn¬
hirn penetrierend: Einschuss nahe dem inneren Ende des rechten Augen¬
brauenbogens. Behandlung abwartend, am zweiten Tage Ausfluss von
Hirnbrei aus dem Einschuss, deshalb Erweiterung desselben. Fieber¬
freier Verlauf, aber nach 5 Wochen nooh feine Fistel, deshalb Operation
und Entfernung von 8 Knochensplittern verschiedener Grösse und des
6,5 cm hinter der Stirn, in der Gegend der Ala minor dextr. ossis
sphenoid. im Stirnhirn gelegenen stark deformierten Geschosses. Itn
ganzen Verlauf keine Hirn- und Nervenerscheinungen, nur in den ersten
Tagen grosse Unruhe.
b) Patient, der wegen eines in den weichen Gaumen und die seit¬
liche Pharynxwand gewucherten Ruidzellensarkoms der Haken Maudel
operiert worden ist. Wegen nächtlicher Erstickungsanfälle zunächst
Tracheotomie; 4 Tage später Spaltung des Mundes und Durchsägung
des Unterkiefers vor dem Masseteransatz nach v. Langenbeck. Exstir¬
pation des Tumors mit dem grössten Teile des weichen Gaumens, der
seitlichen Pharynxwand usw. Mobilisation der Rachenschleimhaut, Naht
derselben unter Heranziehen des Zungengrundes, Knochennaht des
Unterkiefers, Tamponade der äusseren Wunde; Ernährung mit Schlund¬
sonde. Glatter Verlauf.
c) Präparate von vier in der letzten Zeit naoh verschiedenen
Methoden operierten Carcinomen des Rectnms, ferner eines stenosierenden
Carcinoma coli desc. eines 33 jährigen Mannes, der unter akuten lleus-
erscheinungen seit drei Tagen erkrankt war (schwierige Mobilisation des
mit der hinteren Bauchwand verwachsenen Tumors; Vorlagerung des¬
selben vor die Bauchwunde, Naht der Bauchwunde. Tod nach zwölf
Stunden im Collaps), ferner von einem per laparat. gewonnenen Uterus
nebst Adnexen einer 66 jährigen Frau mit faustgrossem intraligamentär
entwickelten Myom der Gegend des inneren Muttermundes, einem ei¬
grossen Myom des rechten Ovariums und einem ebenso grossen carcinösen
Polyp der Gebärmutterhöhle.
2, Hr. Ktfraer: Die Collargoltehaidling nach Credd.
1875 war Credd bei seinen Versuchen über metallisohes Silber und
seine Salze zu der Ueberzeugung gelangt, dass metallisches Silber nur
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
in Lösungen wirksam sei. Die Firma Heyden, Dresden, stellte
colloidale Silberlösungen dar. Collargol-Credö ist nach Ansicht der
Darsteller nicht identisch mit Argentum colloidale. Collargol enthält
75 pCt. Silber und 25 pCt. Eiweisskörper. Lösungen in Wasser bis 1 zu 20
filtrieren vollständig, diffundieren wie alle kolloidalen Lösungen.
Collargol ist eine Suspension (Rählann - Jena). Diese Tatsache ist
für die Annahme einer elektrischen Wirkung des Collargols auf die Ei¬
weissmoleküle der Körpersäfte von Wichtigkeit. Collargol übt eine
antiseptische katalytische und Leukocyten stimulierende Wirkung aus.
Von Bedeutung für den Körper scheint nur die katalytische Wirkung zu
sein (Katalyse nach Oswald: Beschleunigung langsam verlaufender,
chemischer Vorgänge, durch die Gegenwart eines fremden in den End¬
produkten nicht erscheinenden Stoffes). Nach Schade bedingt das
Collargol in den Körpersäften elektrische Strömungen, als deren Folge
Sauerstoff frei wird. Der freiwerdende Sauerstoff wirkt abtötend aut
Toxine und Bakterien. Die Anwendungsweise des Collargols in Schmier¬
kuren ist unsicher, sie kommt höchstens in chronischen Krankheitsfällen
in Frage. Die Schmierkur verlangt zudem eine langwierige Einreibungs¬
prozedur. Am wirksamsten ist die intravenöse Injektion, 5 bis 15 ccm
einer 2 proz. Lösung. In der Praxis sind intravenöse Injektionen zu
vermeiden. Für den praktischen Arzt empfiehlt sich die rectale An¬
wendung, die an Wirksamkeit nichts zu wünschen übrig lässt (im
Gegensatz zu Vogel - Dortmund, der ausschliesslich für intravenöse
Applikation plädiert). Es ist zweckmässig, 50 bis 100 com eine 5 proz.
Collargollösung (bei leichteren Fällen 2 bis 3 pCt.) nach vorausgehendem
Reinigungsklystier einlaufen zu lassen. Diese Prozedur ist 2 mal täglich,
nach Eintritt der Besserung einmal zu wiederholen und 8 bis 14 Tage
lang fortzusetzen. Wenn die Klystiere nicht gehalten werden, so ver¬
teile man die Mengen auf kleinere Klysmen bzw. setze etwas Opium¬
tinktur zu. Die innerliche Anwendung in Pillen oder Lösung (Pillen zu
0,1 2 bis 10 mal, bzw. 2 proz. Lösung in Zuckwasser oder Kakao bis zu
1 g) hat sich nicht recht eingebürgert. Der Schwerpunkt der Collargol-
behandlung bei Sepsis, Pyämie, Erysipel, Phlegmone, schwerer
Furunkulose, bei Gelenkrheumatismus, der gegen die gewöhnliche
Therapie refraktär blieb, bei manchen gonorrhoischen Gelenkrheumatismen
liegt in der rechtzeitigen Anwendung, in der Verabfolgung genügend
grosser Dosen und genügend häufiger Wiederholungen.
Demonstration von Röntgenaufnahmen nach Collargoleinlauf, welche
die rasche Resorption vom Rectum aus zeigen.
Spezielle Kasuistik von drei Fällen, unter Beibringung der ent
sprechenden Kurven: zwei Fälle von puerperaler Sepsis, sowie ein Fall
von Scharlachsepsis, die durch systematische rectale Anwendung von
Collargol zur Heilung gebracht wurden. Die betreffenden Erkrankungen
waren besonders schwer und kompliziert durch Mittelobreiterung, Throm¬
bose usw.
3. Hr. Moser: a) 28jähriger Mann, der in elendem Zustand mit
13 Fisteln auf der linken Brustseite in Behandlung kam. Ausgedehnte
Rippenresektion am Rücken, wo die Mehrzahl der Fisteln mündete.
Es fand sich ein apfelgrosser, dem Mediastinum und der hinteren Herz¬
wand anliegender tuberkulöser Abscess mit schwartiger Verdickung der
Pleuren und der angrenzenden Lungentoile. Vollkommene Ausheilung
in lVj Jahren, nachdem sich schon wenige Wochen nach der Operation
die Fisteln dicht neben dem Sternum geschlossen hatten.
b) 62 jähriger Mann, der wegen Lungenabscess im linken Unter¬
lappen (Streptokokken und Pneumokokken) mittels Resektion einer
Rippe operiert war. Io diagnostischer Hinsicht betont Vortragender die
Wichtigkeit eines leichten Oedems an der kranken Seite (erste Be¬
handlung in der Wohnung des Kranken).
Im Anschluss daran berichtet Herr Moser über einen weiteren
Fall von Luugenabscess auch im linken Unterlappen. Der 61 jährige
Kranke hatte anfangs ein seröses Pleuraexsudat, das rasch zurückgiog.
Nach Eröffnung der klein-apfelgrossen Abscesshöhle mit Resektion zweier
Rippen fiel das Fieber ab. Der Kranke erholte sich aber nicht, starb
vielmehr, und zwar im ganzen nach siebenwöchigem Krankenlager durch
Verhungern. Schon von Anfang der Erkrankung ab hatte er nichts
Festes essen können, später machte sogar das Schlucken geringer
Flüssigkeitsmengen viel Mühe. Durch die Operation trat in dieser Be¬
ziehung gar keine Besserung ein. Ernährung mit Magenschlauch, der
leicht einzuführenTwar, lehnte der Kranke ab, ebenso die Gastrostomie.
Die Obduktion ergab keinerlei Veränderung am Oesophagus; der Abscess
war in Ausheilung begriffen, um die Gallenblase waren zahlreiche Ver¬
wachsungen, Steine 1 aber nicht zu finden. Tabische Symptome waren
nicht vorhanden^gewesen.
Diskussion'zu^dem Vortrage von Herrn Körner.
Hr. Dreyzehner sah nach intravenöser Collargolbehandlung mehr¬
fach nach 12 bis 14 Stunden Todesfälle (Injektionen von 10 ccm). Der
Tod erfolgte im Collaps ohne embolische Erscheinungen.
Hr. Tschötschel sah glänzende Erfolge von der intravenösen
Applikation (4 ccm, 2 pCt.) bei Milzbrand und gonorrhoischer Gelenk¬
entzündung.
Hr. Rudolp erinnert an seine Mitteilung vom 3. Oktober. Es
erfolgte der Tod nach Injektion von IV 2 ccm 2 proz. Lösung, infolge
von Embolie. Bei embolischen Prozessen ist von Collargolbehandlung
abzuraten.
Hr. Rühle sah/wiederholt Vnach der Injektion von 5 ccm, 2 proz.
Lösung Schüttelfröste mit anschliessendem hohen Fieber bereits nach
ein bis zwei Stunden auftreten. Die Behandlung an sich war erfolglos.
Hr. Moser bat plötzliche Todesfälle nach Collargolbehandlung ein-
treten sehen. Der Nutzen der Behandlung erscheint ihm fraglich; man
kann die rectale Anwendung versuchen.
Schlusswort: Hr. Körner empfiehlt dringend für die Praxis die
rectate Collargolanwendung bei allen septischen Prozessen.
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft za Jena.
Sitzung vom 12. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Lexer.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Heikel:
1. Röntgenologischer Nachweis einer Drillingsschwangerschaft.
Auf der Röntgenplatte sieht man im kleinen Becken und nach
rechts oben die drei den kindlichen Schädeln entsprechenden rundlichen
Schattenkreise, ausserdem liegt schräg zur Wirbelsäule der Mutter ver¬
laufend eine kindliche Wirbelsäule. An Blendenaufnahmen konnten
wenigstens bei einem der Schädel sogar Einzelheiten, wie die Keilbeine,
nachgewiesen werden.
2. Zwei Fälle von primärem Scheitenkrebs.
Erfolgreiche Operation durch abdominale Totalexstirpation, und zwar
Entfernung von Uterus mit Adnexen und der ganzen Scheide im Zu¬
sammenhang.
3. Uternsriptir.
Zwei Fälle, die in der Schwangerschaft entstanden und mit gutem
Erfolg durch Totalexstirpation operiert wurden.
Hr. Lindig:
Fermentreaktion nach Abderhalden bei Gravidität nnd Carcinom.
Vortr. berichtet über seine zu einem kurzen Referat nicht geeigneten
Untersuchungen, deren wichtigstes Resultat jedoch ist, dass die Ferment¬
reaktion in der Schwangerschaft scheinbar keine spezifische Reaktion
darstellt, sondern dass durch im Blute vorhandene Fermente verschiedenes
Eiweiss abgebaut werden kann.
In der Diskussion kann Hr. Wrede dies bestätigen.
Tagesordnung.
Hr. Henkel: Künstliche Nenbildnng der Seheide.
Vortr. berichtet kurz über die bisher gebräuchlichen Methoden und
referiert im Anschluss daran über zwei erfolgreich operierte eigene Fälle,
die nach der von Baldwin angegebenen Technik behandelt wurden:
Umschneidung des Hymenalsaumes und Vordringen mit der Pinzette
nach Ablösung eines strangartigen Gebildes in die Tiefe bis zum
Douglasperitoneum. Dies bleibt zunächst uneröffnet. Das Vordringen
bis dahin war leicht, und der Kanal für die neue Scheide konnte ohne
Nebenverletzung schnell gebildet werden. Dann Laparatomie, Resektion
eines etwa 25 cm langen Ileumstückes, dessen Enden sofort geschlossen
werden. Seit-zu-Seitanastomose der lteumenden. Eröffnung des Douglas¬
peritoneums und Herabziehen der isolierten Ileumschlinge mit einem
Bindenzügel durch den Kanal und Befestigung an der Haut der Vulva.
Nach einigen Tagen Eröffnung der Darmschlinge an der Konvexität und
Abquetscbung des Spornes zwischen den beiden Darmschlingen. Dauer
der Operation etwa 50 Minuten. In dem einen Falle gelang es nicht,
trotz vorhandenem Uterus, diesen mit der Scheide zu vereinigen wegen
eines parametritischen Exsudates.
ln der Diskussion schlägt Hr. Lexer vor, der Narbenschrumpfung
der neugebildeten Scheide dadurch vorzubeugeo, dass dieselbe in auto-
plastisch verpflanztes Fettgewebe von aussen her eingebettet wird.
Hr. Lommel: Haber paroxysmale Taehyeardie.
Der Krauke litt an unter subjektiven Störungen verlaufenden
paroxysmalen Arhythmien von aurikulärem Typus. Der io vielfacher
Beziehung interessante Fall ist besonders dadurch ausgezeichnet, dass
zwischen den Extrasystolen Perioden auftraten, die Vortr. als Pulsus
alternans deutet, was er an Kurven und Elektrocardiogrammen nach¬
weist. Der Kranke litt nicht an einem Nierenleiden.
Hr. Noll: Nachweis der Fe t taub 8 tanzen des Muskelgewebes.
Durch Pepsin-Salzsäureverdauung lässt sich an den verschiedensten
quergestreiften Muskelfasern nach Untersuchungen an verschiedenen Ver¬
tretern der Tierreihe granuläres und unter dem Einflüsse des Muskel¬
zerfalles durch die Verdauung zu Tröpfchen konfluierendes, einfach
brechendes mit Osmiumsäure und mit Sudan III färbbares Fett nach-
weisen, das ohne die Methode der künstlichen Verdauung nicht dar¬
stellbar ist. Vortr. hat duroh Phosphorbestimmung das Fett identi¬
fiziert und schliesst Lipoide durch Autolyse aus.
In der Diskussion weist Hr. Roessle auf die pathologisch-ana¬
tomische Bedeutung der Untersuchungen hin und stellt durch Nachfrage
fest, dass Fehlerquellen ausgeschlossen sind.
Aerztlicher Verein za Frankfurt a. M.
Sitzung vom 2. Dezember 1912.
1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische
Präparate.
2. Hr. Flesch demonstriert ein Uternsmyom, das mit breiter Basis
submucös im Fundus des Uterus sass. Die Pat. wurde wegen Abortus
eingeliefert, die Menses hatten 2 Monate sistiert. Durch den geöffneten
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UNIVERSITÄT OF IOWA
20. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
141
Muttermund gelaugte man in die Uterushöhle, im Fundus sass mit breiter
Basis das erwähnte Myom. Es liess sich gut ausschälen, nachdem der
Uterus heruntergezogen und vorn gespalten war.
3. Hr. Sippel demonstriert eine. 2 Stunden vor der Sitzung durch
Operation gewonnene geplatzte gravide Tabe.
4. Hr. Vo^t-Wiesbaden:
Theene and Praxis der Frend’schen Psychoanalyse.
Vortr. gibt auf Grund der Klärung, Welche durch die Diskussionen
der letzten Jahre herbeigeführt worden ist, einen Ueberblick über die
theoretische und praktische Seite der Freud’schen Psychoanalyse. Man
kann der Eigenart dieser Forschungsrichtung nur gerecht werden, wenn
man den Versuch macht, auf ihre chronologische Entwicklung zurück¬
xugehen. Gegen die ausgesprochene Originalität und die Richtigkeit
rieler Gedanken, die namentlich die ersten Freud’schen Arbeiten über
diesen Punkt gebracht haben, wird sich niemand verschliessen können;
die Bedeutung des Individuellen, die Rolle und der Mechanismus der
Abreagien, die Wirkung unlustbetonter Ereignisse, der Mechanismus der
Verdrängung, die Bedeutung von Reminiszenzen, Geheimnissen und unter¬
bewussten Residuen für die psychische Konstellation, die eigenartige
Definition des Unbewussten als des Bewusstseins Unfähigen sind Werte,
an denen wissenschaftliche Betrachtung und Forschung nie wieder werden
vorübergehen können. Was die ganze Richtung mit Recht diskreditiert
hat, ist die einseitige und ausschliessliche Hervorkehrung der sexuellen
Komplexe, die Willkür und Geschmacklosigkeit, mit der das Seelenleben
der Patienten durchwühlt wird, und die auf ganz unbewiesenen Voraus¬
setzungen begründete Herausnahme einzelner Geständnisse als Grundlage
für die Auffassung und Behandlung einer Krankheit. Die Symboldeutung,
die Lehre von den Knotenpunkten sind als unwissenschaftlich und als
unexakt abzulehnen. Es ist dem Vorschlag, der von Iserling und
H. Schultz gemacht ist, beizupflichten, dass der rein analytische, nicht
am Sexuellen haftende Teil der Freud’schen Lehre, der ja viel Ver¬
wandtschaft mit der hypermnestischen Hypnose besitzt, auch praktisch
wertvoll ist; die Sexualanalyse ist hiervon abzutrennen und zu ver¬
werfen. Aber auch unter Einhaltung dieses Gesichtspunktes ist nicht
zu vergessen, dass ein derartiges analytisches Verfahren uns höchstens
in Besitz einer Psychoanamnese setzt, in therapeutischer Beziehung ist
damit aber der Grundsatz nicht erfüllt, der in der Psychotherapie so
wichtig ist, dass man nicht nur etwas nehmen, sondern auch etwas
geben soll. Die Psychokatarrhsys kann daher immer nur Analyse und
Einleitung, anamnestische Erhebuog, niemals aber auch schon Therapie
sein, auch darauf beruhen, von allem anderen abgesehen, die mangel¬
haften therapeutischen Erfolge der Freud’schen Schule.
Diskussion: Die Herren L. Auerbach, Friedländer, Baum¬
stark.
Aerztilcher Verein zn München.
Sitzung vom 4. Dezember 1912.
1. Hr. G. v. Hösslin: a) Nachruf auf Prof. Dr. Carl Kopp.
b) Nachruf auf Dr. Sigm. Wertheimer.
2. Hr. Brvegel:
Demonstration von Bewegnngsvorgängen am pathologischen Magen
anf Grand rd'ntgen-kinematographischer Untersuchungen.
Die Magendarmuntersuchung vor dem Röntgenschirm ist unzuläng¬
lich, da dabei nur gröbere Veränderungen sichtbar gemacht werden
können. Um feinere Vorgänge studieren zu können, bedarf es der
kinematographischen Röntgenogramme, und zwar genügen, da ja die
Magenbewegungen ziemlich langsam verlaufen, in etwa 3—4 Sekunden
aufeinanderfolgende Aufnahmen. B. bedient sich eines von ihm und
Kästle konstruierten Apparates, bei dem auf einer grösseren Platte
9 verschiedene Teilaufnahmen (z. B. Pylorusaufnahmen) in rascher Auf¬
einanderfolge weniger Sekunden gemacht werden können. Er bespricht
dann eine Reihe von Fällen, die mit Hilfe dieses Verfahrens aufgenommen
worden waren, und bei denen sich Veränderungen am Pylorusteil in¬
sofern fanden, als die Antrumperistaltik vor dem mehr horizontal ver¬
laufenden Teil der Pars pylorica Halt machte; es zeigte sich an dieser
Stelle der Platte eine bewegungslose Querlinie. Der Verdacht auf
Fixation oder Verwachsung mit der Umgebung wurde in allen Fällen
durch Operation bestätigt. Es wurden die Verwachsungen durchtrennt,
und spätere Röntgenaufnahmen ergaben an den früher unbeweglichen
Partien deutliche regelrechte Antrumperistaltik.
Diskussion: Hr. Kästle.
3. Hr. R. Grashey: Demonstration von Röntgenbildern.
a) Vortr. macht aufmerksam auf Fälle säbelscheidenförmiger Ver¬
biegung der Tibia mit starker Durchbiegung nach vorn; der Knochen
selbst ist dabei stellenweise verdickt, daneben wieder aufgebellt und
mit kalkigen Einlagerungen durchsetzt. Früher bat mau derartige Fälle
auf Lues zurückgeführt, ohne dass dies jedoch nach neuerer Anschauung
für die Mehrzahl dieser Fälle zutreffend wäre; vorläufig fehlt eine ge¬
nauere Kenntnis der Grundlage dieser Veränderung.
b) Demonstration eines Falles mit Quetschung der äusseren Hälfte
des linken Fussrückens. Das Röntgenbild zeigt an Stelle des Os navi-
culare drei Knochenkerne, so dass der Schluss naheliegt, dass es sich
hier nicht um eine traumatische, sondern um eine kongenitale Ver¬
änderung handeln dürfte.
4. Hr. Petri: Biologische Diagnose der Schwangerschaft.
P. erwähnt die Schwierigkeiten der Frühdiagnostik der Schwanger¬
schaft. Es sind deshalb schon von Abderhalden Versuche einer
biologischen Frühdiagnostik gemacht worden, die auch P. aufgenommen
hat. Man kann von dem Gedanken ausgehen, dass in den Magendarm¬
kanal eingeführte Eiweisskörper durch proteolytische Fermente erst in
einfachere Spaltprodukte übergeführt werden, um in den Körperkreislauf
aufgenommen werden zu können, da gemeines Eiweiss nicht resorbiert
werden kann. Wenn nun dem Organismus artfremdes Eiweiss subcutan
oder intravenös einverleibt wird, so müssen im Blutserum proteolytische
Fermente auftreten, um dieses parenteral zugefübrte Eiweiss zu spalten,
ähnlich wie auch Tierversuche ergeben haben, dass auf Einspritzung
einer Rohrzuckerlösung in das Gefäßsystem dort ein invertierendes
Ferment gebildet wird. Es müssen also im Blute einer Schwangeren,
in welches von der Placenta aus placentares Eiweiss Übertritt, gleich¬
falls placentaeiweissspaltende Fermente auftreten. Auf dem Nachweis
dieser Fermente basieren die Versuche einer biologischen Schwanger¬
schaftsdiagnostik.
P. bereitet aus Placenta ein Placentarpepton, bringt 1 ccm einer
5proz. Lösung dieses Placentarpeptons in ein Röhrchen mit 1 ccm Blut¬
serum einer Nichtschwangeren, bringt diese Mischung in den Polari¬
sationsapparat, ohne dass hierbei eine Veränderung des polarisierten
Lichtes auftritt, während bei Mischung der Peptonlösung mit dem Serum
einer Graviden eine deutliche Linksdrehung des polarisierten Lichtes sich
ergibt.
Ein weiteres biologisches Verfahren ist das Dialysierverfahren; es
beruht darauf, dass Placentareiweiss durch die im Blute einer Schwangeren
sich bildenden Fermente in Spaltprodukte übergeführt wird und erst in
diesem Zustand diffundieren kann. Wenn man also 1 ccm Placentar¬
pepton mit 1,5 ccm Blutserum einer Schwangeren in eine Diffundier-
bülse zusammenbringt und diese in ein mit 20 ccm destillierten Wassers
gefülltes Erlmaier-Töpfchen stellt, so tritt nach einiger Zeit eine Diffusion
des gespaltenen Placentarpeptons in das destillierte Wasser ein, wie
sich dann durch die Biuretreaktion nachweisen lässt; der gleiche Ver¬
such mit Serum einer Nichtschwangeren ergibt negativen Ausfall der
Reaktion.
Die Biuretreaktion lässt sich durch die viel feinere Reaktion mit
dem Eiweissreagens Ninhydrin (= Triketohydrinhydrat) ersetzen, die bei
positivem Ausfall eine schön violette Färbung ergibt.
Hans Bachhammer - München.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 6. Dezember 1912.
(Eigener Bericht.)
Hr. G]ae88ner demonstrierte Pankreassteine, welche bei einer
69jährigen Frau abgegangen sind.
Die Kranke litt seit 5 Jahren anscheinend an Gallensteinkoliken,
welche jeder Therapie trotzten. Sie hatte Fettstühle, in denen sich
Muskelfasern und Muskelkerne fanden, Indikan fehlte; es bestand voll¬
ständige Achylie.
Der Ausfall der Probe auf alimentäre Glykosurie sowie die Analyse
der Symptome Hessen die Vermutung aufkommen, dass es sich um eine
Pankreasaffektion handle. Schliesslich entleerte die Kranke nach einem
langdauernden Kolikanfall kleine Concremente mit den Fäces, welche
aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestanden, während der
Kern organischer Natur war. Seither ist die Kranke gesund.
Hr. Ehrmann demonstrierte drei Fälle von diffuser Sklerodeniie.
Die Fälle betreffen ein 17jähriges Mädchen, einen 18jährigen Mann
und einen 14jährigen Knaben. In einem Falle waren tuberkulöse
Affektionen der Haut vorausgegangen.
Die Patienten zeigen stellenweise eine livide, infiltrierte Haut von
pastöser Beschaffenheit, die Finger können wegen Hautverdickung nicht
ganz gestreckt werden. An den Armen ist das subcutane Fettgewebe
fast geschwunden, an manchen Körperstellen finden sich Pigmentierungen.
Das Gesicht ist auffallend blass und gespannt, die Falten sind aus¬
geglichen.
Die Frage des Zusammenhanges der Sklerodermie mit Tuberkulose
ist noch nicht geklärt, auch die sonstige Aetiologie der Krankheit ist
unbekannt. Unter den Ursachen derselben hat man Veränderungen der
Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion angeführt. Die Aussicht auf
Heilung ist eine geringe im Gegensatz zur partiellen Sklerodermie; es
kommt schliesslich zum Uebergreifen des sklerosierenden Prozesses auf
die Sehnen, die Muskeln werden atrophisch, im Herzen, in der Milz und
in der Niere finden sich SehnenfleckeD, und auch das Knochensystem
wird von einer fibrösen Rarefizierung ergriffen.
Hr. Falte demonstrierte einen Mann, bei welchem eine schwere
Gicht mit Thorimn X erfolgreich behandelt wurde.
Die Erkrankung hat vor 13 Jahren begonnen, seither hatte er jedes
Jahr mindestens einen Anfall von 3 bis 6 Wochen Dauer, bei welchem
mehrere Gelenke, auch diejenigen der Halswirbelsäule, befallen wurden.
An den Ohrmusoheln sassen Gichtperlen, im Blute wurde Vermehrung
der Harnsäure nachgewiesen. Pat. bekam dreimal täglich drei elektro¬
statische Einheiten von Thorium X. Unter Fortsetzung der Therapie
sanken die Leukocyten auf 4000, der Zustand besserte sich auffallend,
Pat. hat jetzt nur noch eine leichte Schwellung des rechten Handgelenks
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142 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 3.
und eines Phalangealgelenks, im übrigen ist er vollständig beweglich.
Die meisten Ohrperlen sind aufgebrochen, im Blute findet sich Harn¬
säure nur in Spuren. Das Thorium X bleicht Farbstoffe, und zwar auch
dann, wenn es in einer Phiole eingeschlossen in die Farblösung gegeben
wird; es bandelt sich um eine Strahlenwirkung. Unter dem Einfluss
des Thoriums färbt sich Adrenalin binnen weniger Stunden rot und zer¬
setzt sich schliesslich. Brenzkatechin, Resorcin, Tyrosin werden ver¬
ändert, Galle wird grün gefärbt, ebenso Chinin, die Umwandlung von
Stärke in Zucker wird verzögert, und Eiweisslösungen werden verändert,
wahrscheinlich infolge von Hydrolyse. Harnsäure färbt sieh unter dem
Einfluss von Thorium bräunlich und nimmt an Menge ab, in der Lösung
ist Stickstoff nachweisbar. Die Harnsäure wird durch Thorium löslicher
gemacht, und schliesslich gibt die Lösung keine Murexidreaktion. Das
Thorium wirkt auch baktericid.
Hr. Koschier führte einen Mann vor, bei welchem er einen Fremd¬
körper aus der Trachea entfernt hatte.
Der Kranke war schon früher tracheotoraiert worden und bekam
vor 15 Monaten heftige Atembeschwerden. Da die Ursache derselben
in der Trachea sass, wurde diese gespalten und ein grosser eingekeilter
Knochen entfernt. Bemerkenswert ist, dass der Kranke neben dem
Fremdkörper noch die Kanüle trug.
Derselbe demonstrierte einen Fremdkörper, weloher in einem
Bronchus zweiter Ordnung sass.
Ein Kind aspirierte ein Stück einer Nuss; durch Tracbeoskopie war
der Fremdkörper nicht nachzuweisen. Das Kind starb; bei der Obduktion
fand man den Fremdkörper in einem Bronchus zweiter Ordnung fest
eingekeilt.
Hr. v. Eiseisberg stellte zwei Männer vor, bei welchen eine
chirurgische Mobilisierung eines versteiften Kniegelenks vorgenommen
wurde.
Im ersten Falle handelt es sich um einen 28jährigen Mann, welcher
nach Gonorrhöe eine vollkommene Versteifung eines Kniegelenks bekam,
die durch keine Behandlung gebessert wurde. Im Röntgenbild war ein
Gelenkspalt nachweisbar. Im März wurde das Gelenk eröffnet, alle
zwischen den Knochenflächen befindlichen Verwachsungen wurden frei¬
präpariert, dann wurde an der Aussenseite des Gelenks eine Inzision
gemacht, durch diese Oeffnung ein gestielter Lappen der Fascia lata in
das Gelenk hineingezogen, und mit dieser Fascie wurde die Gelenkfläche
des Femur bedeckt. Dann folgte die Naht der Hautwunde und An¬
legung eines Extensionsverbandes, damit der Fascienlappen nicht zu
stark gepresst werde. Die Wunde heilte per primam. Hierauf übte
Pat. an einem Pendelapparat fleissig die Beugung des Kniegelenks.
Der Erfolg ist sehr gut, die Kniebeugung ist fast in vollem Umfang
möglich.
Im zweiten Falle, welcher nach Aetiologie und Befund dem ersten
sehr glich, wurde dieselbe Operation ausgeführt. Pat. befindet sich
jetzt im Stadium der Nachbehandlung. Er kann das Kniegelenk passiv
beugen, aktiv gelingt dies nur in einem geringen Umfange. Wichtig
ist bei dieser Behandlung die eifrige Uebung des Pat. am Pendelapparat.
In neuerer Zeit wurde bei Gelenkversteifungen die Transplantation eines
ganzen Gelenks vorgenommen; die Dauerresultate sind bis jetzt noch
nicht bekannt. H.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien.
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
(Eigener Bericht.)
Hr. Nobel stellt ein sechsjähriges Kind mit paraxysnaler Hämo¬
globinurie vor.
Das Kind hatte in den beiden ersten Lebensjahren an Rachitis ge¬
litten; im Alter von 4 Jahren hatte es einen Anfall von paroxysmaler
Hämoglobinurie, vor 16 Tagen den zweiten Anfall. Der Harn war rot¬
braun, Wassermann stark positiv, das Blut bis auf eine leichte
Eosinophilie normal. Nach der Genesung gelang es, durch ein kaltes
Fussbad den Anfall zu provozieren.
Hr. Müller demonstrierte einen Fall von erfolgreicher Vaccine-
behandloug von StaphylokokkensepBis.
Der Kranke bekam im Mai Schüttelfröste, Fieber, Leukocytose,
Milzvergrösserung, ein Hautexanthem und wies im Blute hämolytische
Streptokokken auf. Zeitweise stellten sich Gelenkschmerzen ein, in
letzter Zeit auch Symptome von Meningismus; bradycardischer Puls,
Kernig’scbes Phänomen, Differenz der Reflexe. In der Lumbalflüssigkeit
konnten Staphylokokken nachgewiesen werden.
Es wurde nach vergeblicher sonstiger Therapie die Vaccinebehand¬
lung eingeleitet; die Vaccine wurde aus den im Blute des Kranken vor¬
kommenden Staphylokokken, welche gezüchtet und abgetötet wurden,
hergestellt. Nach zweimaliger Injektion von 15 und 20 Millionen Sta¬
phylokokken ist der Kranke vollständig genesen.
Derselbe demonstrierte einen Fall von Tuberkuliubehandlung bei
tuberculo-toxischer Nephritis.
Der 21jährige Kranke bekam im Anschluss an einen Mandelabscess
Schmerzen im Kreuz, Oedeme; im Harn traten Blut, Eiweiss und Cylinder
auf. Der Kranke hatte eine geringgradige Affektion der linken Lungen¬
spitze. Nach 1 mg Tuberkulin bekam er Fieber, Hämaturie, Cylinder-
ausschwemmung und starke Eiweissausscheidung, also eine starke Lokal¬
reaktion von seiten der Niere. Der abnorme Harn stammte aus beiden
Nieren. Es wurde ein toxischer Prozess der Niere angenommen und die
Tuberkulinbehandlung fortgesetzt. Erst als das verwendete Alttuber¬
kulin durch ein anderes Präparat ersetzt wurde, gelang es, die Kur
ohne stärkere Reaktionen durebzuführen; dann wurde wieder Alt¬
tuberkulin verwendet, ohne lokale Reaktionen zu erzeugen. Vollständige
Heilung.
Derselbe demonstrierte einen Fall von erfolgreicher Taberkalin-
behaadling des taberkalösen Geleakrheiisatisiiss bei einem 15 jäh¬
rigen Knaben.
Infolge der vorsichtig durchgeführten Tuberkulintherapie ist der
Patient derzeit in weitgehendem Maasse gebessert.
Hr. Zak; Stadien zar Lehre von der Blafgerinnang.
Die Versuche des Vortr. bezweckten, die grosse Wichtigkeit der
Plasmalipoide für das Zustandekommen der Fibringerinnuog zu studieren.
Durch quantitative Verschiebung de3 Lipoidgehaltes, durch qualitative
Aenderung desselben und durch physikalisch-chemische Beeinflussung
der Plasmalipoide wurden im Oxalatplasraa des Pferdes Gerinnungs¬
alterationeu erzeugt, die mit Notwendigkeit auf die unentbehrliche Rolle
der Lipoide als cymoplastische Substanz bei der Bildung des aktiven
Fibrinfermentes hinweisen. Zur Erzielung der Lipoidgehaltvermehrung
wurde eine Aufschwemmung von Rinderhirnphosphatiden in steigender
Menge zum Oxalatplasma zugesetzt und der Ablauf der Fibringerinnung
nach Kalkzusatz beobachtet. Rinderhirnphosphatide wirken exquisit
gerinnungsbeschleunigend auf die Gerinnung des Pferdeoxalatplasmas.
Verminderung der natürlich vorkoinmenden Plasmalipoide durch Petrol¬
ätherextraktion führt je nach der letzteren und der durch sie erzielten
Lipoidarmut zur Gerinnungsverzögerung, bzw. Aufhebung der Gerinnungs¬
fähigkeit. Jedoch kann ein solches durch Petrolätherextraktion lipoid¬
arm und ungerinnbar gemachtes Pferdeoxalatplasma wieder durch Zusatz
von Rinderhirnphosphatiden regeneriert und zur Gerinnung gebracht
werden. Zum Zustandekommen der Gerinnung des Oxalatpferdeplasmas
sind die in Petroläther löslichen Substanzen desselben unbedingt not¬
wendig, der funktionelle Weglall derselben kann durch Zufügung von
Rinderhirnphosphatiden ersetzt werden. Gemäss dem heute geltenden
Gerinnungschema ist die Thrombokinase durch Petroläther extrahierbar,
durch ein Phosphatid ersetzbar. Mit Rücksicht darauf wird die alte
Bezeichnung AI. Schmidt’s wieder zu Ehren gebracht: Das inaktive
Fibrinferment wird bei Gegenwart löslicher Kalksalze durch die Plasma¬
lipoide als zymoplastische Substanz aktiviert.
Qualitative Veränderung der Plasmalipoide durch fermentative Fett¬
spaltung führt zur Ungerinnbarkeit des Plasmas. Gewisse Alkaloide,
wie Chinin, Strychnin und Cocain, wirken gerinnungshemraend; die Ge¬
rinnungshemmung derselben geht ihrem Lecithinausflockungsverraögen
parallel. Lecithin nicht ausflockende Substanzen sind bei Einhaltung
der Versuchsbedingungen ohne Einfluss auf die Gerinnung. (Diese Ver¬
suche wurden im Archiv f. experim Pharmakol. u. Pathol., Bd. 70, aus¬
führlich mitgeteilt.) Cholesterin wirkt im Gegensatz zu Lecithin ge¬
rinnungshemraend. Das strömende Blut des lebenden Organismus ist
infolge eines ausbalanzierten Gleichgewichtes von hemmenden und för¬
dernden Substanzen flüssig; extravasculär wird de norma durch Ab¬
scheidung funktionell wirkender Lipoide ein Anstoss im Sinne der Ge¬
rinnungsbeschleunigung erzielt. H.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Soclöte mddicale des hdpitanx.
Sitzung vom 18. Oktober 1912.
Hr. Variot zeigt, dass die Mageidilatation auch bei unterernährten
Kindern vorkommt und nicht nur bei überernährten. Nach H. de Massary
kommt die gleiche Erscheinung bei Mädchen vor, welche an psychischer
Anorexie leiden.
HHr. Leri und Gntnann zeigen einen Fall von einfacher eongeai-
taler, familiärer and regionaler Speicheldrüseahypertrophie. Parotis,
Glandulae submaxillares und sublinguales sind symmetrisch hypertrophisch,
ohne Entzündungserscheinungen. Die Drüsen fühlen sich teigig an, haben
normale, leicht gelappte Form; darüber sind die Gewebe normal, und es
bestehen keine Lymphdrüsenschwellungen. Die Erscheinungen gleichen
denen der Krankheit von Mikulicz, nur sind die Tränendrüsen intakt.
Ausserdem ist die Aetiologie eine andere, hier bandelt es sieb um eine
congenitale und um eine hereditäre Affektion; Vater und vier Geschwister
von sieben haben die gleiche Hypertrophie, und die Affektion soll in der
Gegend, aus der Patient stammt, verbreitet sein (Tizi-Onzon in Algerien).
Eine ähnliche congenitale hereditäre Affektion wurde unter dem Namen
„Mangy“ von Herrn Fontoy non in Madagaskar beschrieben.
HHr. Avclair und Weissenbach erbringen zwei Beobachtungen von
typhöser Spoadylitis. Diese seltene Affektion hat folgende charakte¬
ristischen Zeichen: plötzliches Auftreten mit Fieber und starkem Leib¬
schmerz. Osteoartikuläre Symptome: Steifigkeit, Muskelkontraktur,
Schmerz bei Perkussion der Dornfortsätze der 3., 4., im anderen Falle
der 2., 3., 4. Lendenwirbel. Ferner Erscheinungen von Kompression:
Gürtelschmerz, Hyperästhesien mit radikulärer Ausbreitung oder Parese
mit verstärkten Reflexen und Fussclonus. Die Erscheinungen traten in
der Typhusrekonvaleszenz auf. Im Moment des Auftretens war die
Blutkultur negativ, Serodiagnose positiv; die Lumbalpunktion ergab
normalen Liquor mit Polyuucleose. Die Radiographie ergab in einem
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UNIVERSUM OF IOWA
20. Januar 1013.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
143
Falle nichts Besonderes, im anderen Verknöcherung des Diskus und
diffuse Ossifikation um den Wirbelknochen. In beiden Fällen trat nach
Immobitisation naoh 3—5 Monaten vollkommene Heilung ein.
Sitzung vom 25. Oktober 1912.
Hr. Sergeni betont von neuem die praktische Wichtigkeit der
Kekeinierenineaffizieaz für die Erklärung gewisser Symptome und
Komplikationen der Infektionskrankheiten, insbesondere auch des
Abdominaltyphus. Die gewöhnliche Depression, der kleine Puls bei
jedem typhösen Zustand können als Zeichen von Nebenniereninsuffizienz
gedeutet werden. Diese Symptome sind bei sohwerem adynamischen
Typhus ausgeprägter und erreichen in gewissen schweren Fällen, wo sie
Peritonitis und innere Blutung Vortäuschen, ihren Höhepunkt. Sie
heilen rasch durch die Nebennierenapotherapie. Vortr. empfiehlt, nach
seinen eigenen Beobachtungen, die systematische Adrenalinbehandlung
in allen Typbusfällen und bei schweren Nebenniereninsuffizienz¬
erscheinungen Behandlung mit Nebennierenextrakt. Diese Behandlung
io Verbindung mit der gewöhnlichen Typhustherapie ergibt sehr günstige
Resultate, wenn man im Notfall (unter Ueberwachung des Blutdrucks
und mit periodischen Unterbrechungen der Behandlung) die nötigen
grossen Dosen verwendet.
HHr. Carnot und Rathery beschreiben vier Fälle von Diabetes, bei
denen histologisch in der Schilddrüse einerseits sklerotische Er¬
scheinungen, andererseits deutliche Hyperplasie nachzuweisen waren;
es ist schwer zu sagen, ob es sich um Hyperplasie oder Dysplasie
handelt. Drei von den Patienten hatten keine klinischen Thyreoidal-
symptome. Die Autoren glauben, diese Reaktion in der Schilddrüse sei
bei Diabetes häufig.
Hr. Henri Claade bestimmt den Dnek der Cerebrospinalfiftsaigkeit
mittelst eines durch einen Schlauch mit der Punktionsnadel verbundenen
Aneroidmanometers; er ist so imstande, den Druck ohne Abfluss
von Flüssigkeit zu bestimmen. Mittelst eines Hahns wird nach der
ersten Druckmessung Flüssigkeit abgelassen, und nach deren Abfluss
kann durch Umstellen des Hahns der Druck von neuem bestimmt
werden. Der gleiche Apparat kann bei Punktion von Pleuritiden und
Ascites Dienste leisten.
HHr. F. Bezan$on und P. Braun beschreiben Fälle von heilbarer
tiberkni öser Pnenmonie, die zwischen die käsige Pneumonie und die
Splenopoeumonie einzureihen wären. Der akute Beginn, das hohe
Fieber, das Auftreten eines einseitigen, meist in den mittleren Partien
oder an der Basis gelegenen Herdes, Dämpfung, Rasselgeräusche, Bronchial¬
atmen und sogar rotgefärbtes Sputum machen, dass man meist an akute
Pneumokokkenpneumonie denkt Gegen alle Erwartung aber tritt die
Entfieberung nichfein, die Temperatur zeigt unregelmässige Schwankungen,
das Sputum wird eitrig, und die Herdsymptome dauern fort. Erst dann
denkt man an Tuberkulose, die durch Sputum Untersuchung bestätigt
wird. Dann denkt man an käsige Pneumonie, stellt eine ernste Prognose
und sieht wider Erwarten nach Monaten den Allgemeinzustand
besser werden, während die Lokalerscbeinuogen fortbesteben; die
Besserung kann derart sein, dass der Patient wieder arbeitsfähig wird.
Nach den Sputumuntersucbungen kann man schliessen, dass es sich um
Hepatisationsherde in splenisierten Lungenpartien handelt. Die Hepati¬
sation führt zu Nekrose, die Splenisation zu Sklerose oder zu Resorption.
Diese tuberkulösen pneumonischen Herde sind Folge von Aspiration
tuberkulöser Massen, es handelt sich um eine eigentliche bronchiale
Embolie.
Diskussion.
Hr. L. Bernard bat ebenfalls solche Herde beobachtet, die voll¬
kommen resorbiert werden oder einer Caverne Platz machen.
Hr. Barbier hält die Fälle für gefährlich; in zwei Fällen trat
Miliartuberkulose daraufhin ein.
Hr. Menetrier beobachtete Verbindung von Pneumokokkenpneumonie
und Granulie.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 15. Januar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr
S. Rosenberg eine Basedowerkrankung behandelt mit Epithelkörperchen-
extrakt, mit Krankenvorstellung (Diskussion: die Herren F. Krause und
L. Landau). Hierauf hielten die Herren Morgenroth und Ginsberg
den angekündigten Vortrag: Hornhautanästhesie durch China-Alkaloide
(Diskussion: Herr Unger) und die Herren H. Oppenheim und
F. Krause ihren Vortrag: Partielle Entfernung des Wurms wegen Ge-
sebwulstbilduDg unter breiter Eröffnung des 4. Ventrikels, mit Kranken¬
vorstellung (Diskussion: die Herren Rothmann, Oppenheim und
F. Krause).
— Mit Carl Binz, der im Alter von 81 Jahren dahingeschieden
ist, hat die deutsche Pharmakologie ihren Altmeister verloren. In ihm
verkörperte sich zuerst die fruchtbare Verbindung experimentell-physio¬
logischer Arbeit mit echt klinischem Geiste, welche diesem Fach die
gebührende Sonderstellung erwarb. Er selbst hat durch glänzende Ver¬
suche, von denen seine Beobachtungen über die Wirkung des Chinins
grundlegend geblieben sind, die biologische Richtung angebahnt; aber
als er daran ging, seine „Vorlesungen Uber Pharmakologie“ zu ver¬
öffentlichen, wählte er doch die klinische Einteilung, die ihn allein zur
Schaffung eines natürlichen Systems hinzuführen schien. Dieser ärzt¬
lichen Auffassung ist er zeitlebens treu geblieben und bat in Wort und
Schrift, als Lehrer und Forscher in diesem Sinne vorbildlich gewirkt.
Und wie sein Name in der Geschichte der deutschen Medizin fortleben
wird, so wird auch das Andenken au seine gütige, liebenswerte Persön¬
lichkeit bei niemandem erlöschen, der das Glück batte, in Beziehungen
zu ihm zu treten.
— Der Senior der Berliner Aerzte, Herr Geh. Sanitätsrat Friedrich
Körte, beging am 16. d. M. seinen 95. Geburtstag. Ein Freund und
Mitkämpfer Rudolf Virchow’s, war Körte bis ins höchste Alter ein
Führer der Berliner Aerzteschaft, der sich durch die Klarheit seines
Urteils und die Unbeugsamkeit seines Charakters des allergrössten und
allgemeinsten Vertrauens erfreut. Zu den Gratulanten, unter denen sich
die Spitzen der Reichs- und städtischen Behörden befanden, gesellt
sich heute auch unsere Wochenschrift mit den herzlichsten Wünschen
für den Lebensabend dieses vorbildlichen Arztes und Kollegen.
— Es wird uns geschrieben: Auf dem Gebiete der Krebs¬
forschung sind in den letzten Monaten mehrfache Fortschritte zu ver¬
zeichnen. Vor einiger Zeit wurde io Oldenburg ein Landeskomitee für
Krebsforschung begründet Nunmehr ist auch in den Thüringischen
Landen eine Zusammenfassung der betreffenden Bestrebungen erfolgt
und auch an einer anderen Stelle steht die Begründung eines Komitees
für Krebsforschung bevor. Ferner ist vor kurzem in Hamburg ein
Forschungsinstitut für Krebs und Tuberkulose begründet worden. Es
mehren sich also im deutschen Vaterlande die Stellen, von welchen aus
versucht wird, planmässig die Ursachen der Krebskraukheit weiter zu
klären und dadurch auf ihre Bekämpfung einzuwirkeo. Anregend und
fördernd für alle diese Bestrebungen wirkt seit mehr als einem Jahrzehnt
das deutsche Zentralkomitee zur Erforschung der Krebs¬
krankheit, au dessen Spitze die Herren Geheimräte Orth, Ministerial¬
direktor Kirchner, Geheimer Regierungsrat Wutzdorff, Direktor im
Kaiserlichen Gesundheitsamt, Exzellenz Paul Ehrlich, stehen. Es ist
daher zu hoffen und zu wünschen, dass das deutsche Zentralkomitee
seine segensreichen Bestrebungen immer weiterhin fortsetzt und ihm für
seine Zwecke die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen.
— Das Rettungswesen der Stadt Berlin wird vom 1. April
ab ueugeregelt werden: Es sollen demgemäss vom 1. April an auf jeder
Rettungsstelle eine beschränkte Anzahl von praktischen Aerzten, die
möglichst im Bezirk der Rettungsstelle wohnen sollen, im Aufträge der
Stadt den Dienst versehen. Die Aufsicht über den ärztlichen Dienst
übt auf jeder Rettungsstelle ein Aufsichtsarzt aus, während der gesamte
ärztliche Dienst der Ueberwachung eines oder mehrerer ärztlichen.
Direktoren unterstellt wird. Die jederzeitige ärztliche Hilfsbereitschaft
auf sämtlichen Rettungsstellen, auf denen auch ein ausgebildeter Heil¬
gehilfe zur Unterstützung des Arztes dauernd anwesend ist, ist natürlich
nach wie vor das Grundprinzip des Rettungswesens.
— An der Cölner Akademie für praktische Medizin werden
im Frühjahr d. J. nachstehende Fortbildungskurse für auswärtige prak¬
tische Aerzte abgebalten: ein Fortbildungskursus für Zahnärzte vom
16. bis 19. Februar; ein Röntgenfortbildungskursus vom 3. bis 13. März;
ein allgemeiner Fortbildungskursus für auswärtige praktische Aerzte vom
17. April bis 10. Mai.
— Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie hat auch
in diesem Jahre die Leitung der Ausstellung, welche mit dem dies¬
jährigen Chirurgenkongress verbunden ist, der Gesellschaft für Chirurgie-
Mechanik übertragen. Die Ausstellung findet statt in dem Ober¬
lichtsaal der Philharmonie, Berlin, Bernburgerstrasse 22/23, wo auch
die Sitzungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie abgehalteu werden.
Anmeldungen zur Ausstellung nimmt der Schriftführer der Gesellschaft
für Chirurgie-Mechanik, Herr Direktor Alfred Hirsch mann, Berlin N. 24,
Ziegelstrasse 30, entgegen.
— Auf Aufforderung der wissenschaftlichen Gesellschaft „Urania“
in Wien wird Herr Gehelmrat Ewald daselbst am 22. d. M. einen Vor¬
trag: „Ueber Altern und Sterben“ halten.
— Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten, Ortsgruppe Berlin, veranstaltet eine öffontliohe
Versammlung am Freitag, den 81. Januar, abends 8 Uhr, Architekten¬
haus, Wilhelmstr. 92/93. Herr Dr. Julian Marcuse aus München wird
über Bevölkerungsproblem und Geschlechtskrankheiten sprechen.
— Der in Nr. 53 v. J. von uns erwähnte und kritisierte Antrag
der Herren Arons und Genossen in der Berliner Stadtverordneten¬
versammlung, betreffend das Recht zu „experimentellen Eingriffen“
an Patienten der städtischen Krankenhäuser, wurde am 16. d. M. in der
Stadtverordnetenversammlung beraten. Der Wortführer der Antrag¬
steller, Herr Dr. med. Weyl, liess sich dabei zu solchen Aeusserungen
über den abwesenden Herrn Erich Müller, dessen Schutzimpfungen
mit Friedmann’s Tuberkulosemittel den Anlass zum Antrag gegeben
hatten, hinreissen, dass sie aus der Versammlung selbst energisch zurück¬
gewiesen wurden. Schliesslich wurde der Antrag zurückgezogen und so¬
mit unsere in Nr. 53 ausgesprochene Ansicht, dass er der Begründung
entbehre, von den Antragstellern selbst durch die Tat zugestanden.
— Zwischen Vertretern des Reichspostamtes und dem Deutschen
Aerztevereinsbunde hat eine Vereinbarung über den kassenärztlichen
Dienst bei den neuerrichteten Krankenkassen für Unterbeamte der Reichs-
post und der Telegraphenverwaltung stattgefunden. Auf Grund dieser
Vereinbarungen empfiehlt das Reicbspostamt, jeden Arzt zuzulasseu, der
unter den vereinbarten Bedingungen hierzu bereit ist. Der Abschluss
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UNIVERSUM OF IOWA
144
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
der Verträge soll von dem Vorstand der einzelnen Kassen entweder mit
den ärztlichen Organisationen oder den Aerzten eines Ortes abgeschlossen
werden. In beiden Fällen ist sämtlichen Aerzten des Ortes der Beitritt
offen zu halten. Die Honorierung der Aerzte erfolgt nach der Minimal-
taxe bei Patienten mit einem Einkommen von unter 2000 M., bei einem
höheren Einkommen nach Vereinbarung. Weitere Einzelheiten sind aus
den Veröffentlichungen unserer Standesorgane ersichtlich. Das Zu¬
standekommen dieser Vereinbarungen muss lebhaft begrüsst werden,
da sie ein weiterer Beweis dafür sind, dass die Ansprüche der Aerzte
sich mit den Interessen der Kassenpatienten sehr wohl vereinigen lassen,
und dass auch Beamten gegenüber, wofür ja in Süddeutschland schon
Präzedenzfälle vorhanden sind, die organisierte freie Aerztewahl sehr
wohl durchführbar ist.
— Am 16. Januar fand eine sehr zahlreich besuchte Delegierten Ver¬
sammlung des Zentralverbands Berliner Kassenärzte statt, in der ein
Entwurf von Grundsätzen für kassenärztliche Verträge zur Beratung ge¬
langte. Die Tatsache, dase hier gemeinschaftliche Entschliessungen
von kassenärztlichen Gruppen getroffen wurden, die insgesamt nach
zahlen massigen Belegen durch den Vorsitzenden mehr als 1 Million
Kassenkranke versorgen, beweist jedenfalls, dass die „Sanierung“
der hiesigen kassenärztlichen Verhältnisse in vollem Zuge ist. Bezüglich
des Erreichten besagten die Ausführungen Moll’s, in denen ein leiser
Ton der Resignation mitklang, dass hier nur die Mindestforderungen der
Aerzte fixiert und manche weitergehende Wünsche zurückgestellt sind,
um zunächst zu einheitlichem Zusammenschluss als Vertragsmacht
zu gelangen. Zuzugeben ist, dass bei Abschluss von Kollektiv¬
verträgen auf dem Boden des vorliegenden Entwurfs wenigstens die
schreiendsten Missstände beseitigt wären, die Berlin in deutschen Aerzte-
kreisen zum Gespötte gemacht hatten. Aber wenn auch Fortschritte
namentlich nach der ethischen Seite hin erzielt würden, bescheiden
bliebe der Erfolg doch, gemessen an den Grundsätzen, die der Leipziger
Verband für das Reich aufgestellt hat, und die zweifellos Geltung be¬
kommen werden. Betrachtet man aber das Vorliegende als Anfang, als
erste Etappe zu fernen Zielen, so kann man mit Genugtuung kon¬
statieren, dass in dem letzten halben Jahr für die Organisation der
Berliner Aerzte erreicht ist, was nach mehr als löjähriger Bemühung
als Chimäre galt. Wir werden demnächst ausführlicher auf den Inhalt
der Verhandlungen eingehen.
Hoch schul nachrichten.
Würzburg. Prof. M. B. Schmidt in Marburg erhielt einen Ruf
als Direktor des pathologischen Instituts. — Wien. Habilitiert: DDr.
Albert Müller und Wilhelm Neumann für innere Medizin. — Graz.
Der Privatdozent für innere Medizin Dr. Petry erhielt den Titel eines
ao. Professors.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Russland (2.—21. XII.) 41 f. Aegypten (21.—27. XII.)
4 und 2 f. Philippinen (21.—30. XI.) 5, davon 4+. Brasilien (X.)
2 +• — Cholera. Türkei (17.-30. XII.) 434 und 215t- — Gelb¬
fieber. Venezuela (1.—26. XI.) 10 und 3 +.— Pocken. Deutsches
Reich (5—11. I. 1913) 3. Schweiz (22.—28. XII.) 4. — Fleck¬
fieber. Oesterreich (22.—28. XII.) 15. — Genickstarre.
Preussen (29. XII. 1912 bis 4.1. 1913) 1 und 1 f. Schweiz (22. bis
28. XII.) 2. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (29. XII. 1912
bis 4.1. 1913) 5 und 1 +. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Berlin-Lichterfelde, Bottrop, Graudenz; an
Masern in Flensburg, Hagen, Oberhausen; an Diphtherie und
Krupp in Coblenz, Mülheim a. Rh., Ulm, Wanne; an Keuchhusten
in Landsberg a. W., Offenbach.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub:
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Dietrich, Vortragender Rat im Mini¬
sterium des Innern, Obergeneralarzt Dr. Hecker, Inspekteur der
4. Sanitätsinspektion; Wirkl. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner,
Ministerialdirektor im Ministerium des Innern.
Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Marinegeneralarzt
Dr. Bonte, Garnisonarzt in Kiel; Generalarzt Prof. Dr. Schumburg,
Korpsarzt des X. Armeekorps; Generalarzt Dr. Witte, Korpsarzt des
IX. Armeekorps.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: ordentl. Professor Dr. E. Schnitze in
Göttingen, San.-Rat Dr. v. Bardeleben in Bochum, Oberstabsarzt
im Leibdragonerregiment 24 Dr. Binder; Oberstabsarzt im Infanterie¬
regiment 57 Dr. Blanc; ausserordentl. Professor Geh. Med.-Rat Dr.
Bürkner in Göttingen; Oberstabsarzt im 4. Gardefeldartillerie-Regi¬
ment Dr. Burchardt; Oberstabsart im Infanterieregiment 51
Dr. Crampe; Kreisarzt Med.-Rat Dr. v. Fischer - Benzon in Flens¬
burg; Marineoberstabsarzt Dr. Fischer vom Gouvernement Kiautschou,
später von der Marinestation der Ostsee; Oberstabsarzt im Infanterie¬
regiment 114 Dr. Groskurth; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 65
Dr. Haberling; Geh. San.-Rat Dr. Hagemann in Hannover, Kreis¬
arzt Med.-Rat Dr. Helming in Ahaus, Oberstabsarzt im Husaren¬
regiment 13. Dr. Jacobitz; Oberstabsarzt im Feldartillerieregiment 7
Dr. Jeschke; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 158 Immig; Ober¬
stabsarzt im Ulanenregiment 4 Dr. Keller; Oberstabsarzt im Dra¬
gonerregiment 5 Dr. Karksieck; Oberstabsarzt im 4. Garderegiment
zu Fuss Dr. Kcyl; Oberstabsarzt im Infanterieregiment 88 Dr. Klein;
Oberstabsarzt im Feldartillerieregiment 15 Dr. Kob; Arzt Dr. Korn-
städt in Stralsund, Regierungs- und Med.-Rat Dr. Krause in Oppeln;
Oberstabsarzt im Infanterieregiment 56 Dr. Krueger; Oberstabsarzt
im Infanterieregiment 138 Dr. Krüger; Oberstabsarzt z. D. an der
Kaiser Wilhelms-Akademie Dr. Kuntze; Oberstabsarzt im Dragoner¬
regiment 16 Dr. Lobe dank; Oberstabsarzt im Feldartillerieregi¬
ment 51 Dr. Loos; Stabsarzt d. L. a. D. Dr. Lorenz in Münster¬
berg; ordentl. Professor Dr. Lüthje in Kiel; Oberstabsarzt im Feld¬
artillerieregiment 45 Dr. Meinhold; Stabsarzt d. R. Dr. Mutert in
Osnabrück; Oberstabsarzt im Dragonerregiment 6 Dr. Neu mann;
Marineoberstabsarzt vom Stabe S. M. grossen Kreuzers „Gneisenau“
Dr. Nohl; Kreisarzt Med.-Rat L)r. Riehn in Clausthal; Stabsarzt im
Kaiser Alexander-Garde-Grenadierregiment 1 Prof. Dr. Rumpel: Kreis¬
arzt Med.-Rat Dr. Sarganek in Köslin; Geh. San.-Rat Dr. Schaefer
in Lengerich; Marineoberstabsarzt von der Marinestation der Ostsee
Dr.Schepers; Oberstabsarzt im Garde-Grenadierregiment5 Dr. Schley;
San.-Rat Dr. Schmalfuss in Hamburg; Oberstabsarzt an der Kaiser-
Wilhelras-Akademie, kommandiert zur Akademie für praktische Medizin
in Cöln Dr. Stuertz; Oberstabsarzt im Ulanenregiment 14 Dr.
Stumpff; Oberstabsarzt im 5. Garderegiment zu Fuss Dr. Sydow;
Arzt Dr. Tiemann in Osnabrück; Geh. San.-Rat Dr. Timm in
Koblenz; Marineoberstabsarzt vom I. Seebataillon Dr. v. Ulatowski;
Marineoberstabsarzt vom Stabe S. M. grossen Kreuzers „Hansa“ Dr.
Wiens.
Königl. Kronen-Orden 2. KL: Generalarzt Dr. Leopold, Korps¬
arzt des VI. Armeekorps.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Generaloberarzt Dr. Altgelt,
Divisionsarzt der 11. Division; Generaloberarzt Prof. Dr. Dautwig,
Divisionsarzt der 4. Division; Generaloberarzt Dr. Gill et, Divisions¬
arzt der 31. Division; Reg.- und Med.-Rat Dr. Griesar in Koblenz;
Geh. San.-Rat Dr. Hartmann in Hanau; Marine-Generaloberarzt,
Werftoberarzt in Wilhelmshaven Dr. John; Oberstabsarzt bei der
Medizinalabteilung des Kriegsministeriums Dr. Niehues; Marine-
Generaloberarzt, Geschwaderarzt des Kreuzergeschwaders Dr. Pichert;
Marine-Generaloberarzt, Chefarzt des Marinelazaretts Kiel-Wik Dr.
Ricbelot; Generaloberarzt, Garnisonarzt in Strassburg i. E. Dr.
Sehrwald.
Prädikat Professor: San.-Rat Dr. J. Wolff in Berlin.
Niederlassungen: Dr. H. Opitz in Thorn, Aerltin Dr. 0. Hoff-
mann, geb. Eisleben, Dr. K. Roscher und Dr. J. Schwartz in
Berlin, Arzt G. Lütcke in Charlottenburg, Dr. S. Cornelius in
Berlin-Lichterfelde, Dr. W. van Lessen in Leer, Dr. H. Sebald in
Weyhers.
Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei
dem Medizinaluntersuchungsamte in Gumbinnen. Jahresremuneration
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann
auch einem noch nicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen
Ablegung der Prüfung verpflichtet.
Verzogen: Stabsarzt Dr. H. Hübner von Düsseldorf nach Osterode
i. Ostpr., Dr. J. Deblitz von Hammerstein nach Zippnow, Dr. 0.
Alberts von Jeschewo, Dr. H. Brinkmann von Dramburg, Dr. M.
Callam von Kosen, Dr. W. Egloff von München, Dr. G. Hergesell
von Kotopp, Arzt K. Heuser von Charlottenburg, Arzt E. Jeske,
von Friedenau, Arzt R. Klokow von Beelitz, Dr. G. Lange von
Berlin-Wilmersdorf, Dr. 0. Liebe von Melsungen, Arzt A. Malinowski
von Posen, Dr. A. 0 eh ler von Dresden, Dr. H. Pinn er von Char¬
lottenburg, Dr. H. Preusse von Reisen, Arzt E. Schlesinger
von Nimptsch, Dr. P. Schrey von Gnesen, Dr. J. Schulze
von Darmstadt und Dr. E. Wittich von Dresden nach Berlin.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Der als unbekannt
von Berlin verzogen gemeldete Dr. M. Kunreuther ist von Berlin
nicht verzogen; Dr. H. Hergens von Berlin, Dr. E. Milarch von
Neukölln auf Reisen, Arzt A. Kiel von Weyhers.
Praxis aufgegeben: Geh. San.-Rat Dr. J. Schulte-Herbrüggen in
Borbeck, jetzt in Essen.
Gestorben: Geh. San.-Rat Dr. F. W. Benicke und Dr. P. Schenk
in Berlin, Dr. R. Meilitz in Charlottenburg, Dr. F. Nathan in
Berlin-Schöneberg, Kreisarzt Med.-Rat Dr. R. Hey er in Augermünde,
San.-Rat Dr. Heidenhain in Berlin-Steglitz, San.-Rat Dr. R. Beenen
in Möckern, Dr. R. Koch in Cassel.
Berichtigung.
In dem Artikel von Dr. Marx: Zur Lehre von den Erstickungs¬
blutungen in Nr. 1, S. 26, Spalte 1, Zeile 22 von unten muss es statt
naturgemäss unterhalb, naturgemäß oberhalb heissen.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF fOWA
IM« Berliner Klio lache Wochenschrift erscheint Jeden ^ g v *y id » m All« Slnsendnngen Iflr di« ftedsktlon and txpedßfon
Montag In Nummern tob ea. & —6 Bogen gr. 4 — II I ll I 1 I I l^j III II volle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
Freia vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen M rv I ,1 I ml M rC August Hirachwald in Berlin NW., Unter den Linden
alle Bnehhandlungan and Poetanstalten an. 1 ^ | J | |j No. 68, adressieren.
KLINISCHE TTOCHENSCHRIET.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen«
Redaktion: Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr uad Dp. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 27. Januar 1913.
Mi.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origtsaliea: Veit: Die Eklampsie and ihre Behandlung. S. 145.
Lewin: Versuche über die Biologie der Tiergeschwülste. (Aus dem
Köuigl. Institut für Krebsforschung der Charitö.) (Illustr.) S. 147.
Boas: Beitrag zur Methodik und Technik der okkulten Blutunter¬
suchung des Magendarmkanals. S. 154.
Betke: Resektion von tuberkulösen Bifurkationslymphdrüsen wegen
Trachealstenose. (Aus der chirurgischen Klinik des städtischen
Krankenhauses zu Frankfurt a. M.) (Illustr.) S. 157.
Hörz: Transduodenale üepaticusdrainage. (Aus der chirurgischen
Klinik zu Breslau-) (Illustr.) S. 160.
Harttun g: Ueber SpontangangTän des Zeigefingers und symmetrische
Gangrän. (Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen-
Hospitals zu Breslau.) S. 161.
Nagelschmidt: Ueber die elektrische Behandlung der Fettleibig¬
keit. (Aus dem Fiusen-Institut in Berlin.) S. 162.
Plosch: Zur Frage der chemischen Einwirkungen des Thorium X
auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure. (Aus
der 11. medizinischen Klinik zu Berlin.) S. 165.
Saalfeld: Ueber Radium- und Mesothoriumbehandlung bei Haut¬
krankheiten. S. 166.
Alexander und Unger: Zur Behandlung schwerer Gesichtsneur¬
algien. Alkoholinjektion ins Ganglion Gasseri.) S. 167.
Treitel: Klinische Erfahrungen mit Adamon bei den Reizzuständen
der akuten Gonorrhöe. (Aus dem dermato-urologischeu Institut
von Dr. Bab und Dr. Treitel.) S. 168.
Schmidt: Neuerungen im Bereiche der preussischen Heeressanitäts¬
verwaltung während des Jahres 1912. S. 168.
BieKerkesprechoDgea : Höckendorf: Der Kohlebydratstoffwechsel und
die innere Sekretion. S. 172. (Ref. Bickel.) — Thumm: Ueber
ADstalts- und Hauskläranlagen. S. 172. (Ref. Globig.) — Sudhoff:
Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur aus
den Jahren 1495 und 1496. S. 172. (Ref. Sticker.) — Siegel:
ALT.
Das Asthma. S. 173. (Ref. Knopf.) — Pescatore: Pflege und
Ernährung des Säuglings. S. 173. (Ref. Weigert.) — Daniel: Le
post partum normal. S. 173. (Ref. Schaeffer.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 173. — Pharmakologie. S. 173. —
Therapie. S. 173. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 174. — Diagnostik. S. 174. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 174. — Innere Medizin. S. 174. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 175. — Chirurgie. S. 176. — Röntgenologie.
S. 176. — Urologie. S. 176. — Haut- und Geschlechtskrankheiten.
S. 176. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 176. — Augenheil¬
kunde. S. 177. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 178. —
Hygiene und Sanitätswesen. S. 178. — Unfallheilkunde und Ver¬
sicherungswesen. S. 178. — Technik. S. 179.
Verhandlnngea ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Rosenberg: Krankenvorstellung. S.179. Morgen-
roth und Giesberg: Horobautanästhesie durch Chinaalkaloide.
S. 180. Oppenheim und Krause: Partielle Entfernung des Wurms
wegen Geschwulstbildung unter breiter Eröffnung des vierten Ven¬
trikels. S. 180. — Gesellschaft der Charitö-Aerzte. S. 181.—
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
S. 184. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 184. —
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 186. — Wissenschaft¬
licher Verein der Aerzte zu Stettin. S. 188. — Natur-
historisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. S. 189. —
Göttinger medizinische Gesellschaft. S. 190. — Medi¬
zinische Gesellschaft zu Basel. S. 190. — Aerztlicher
Verein zu München. S. 191. — Gesellschaft für Morpho¬
logie und Physiologie zu München S. 191.
Port mann: Eine neue Modifikation der Wassermann’schen Reaktion.
(Aus dem Laboratorium für medizinische Diagnostik, Berlin.) S. 191.
Tagesgeschichtl. Notizen. S. 191. — Amtl. Mitteilungen. S.192.
Die Eklampsie und ihre Behandlung.
Von
J. Veit.
Das Gift der Eklampsie stammt von dem Eiweiss der Peri¬
pherie der Placenta.
Dieser Satz wird wohl bald allgemein angenommen sein.
Eine der Methoden, dnreh die ich ihn zur Anerkennung bringen
wollte, war der Versuch der Diagnostik der Schwangerschaft ans
den Veränderungen des Bintes der Schwangeren. Bei jeder
menschlichen Schwangerschaft tauchen die Zotten in das Blut
des intervillösen Raumes. Kommt das Gift der Eklampsie also
von der Peripherie der Zotten und gelangt es im intervillösen
Raum in das mütterliche Blut, so muss auch von den Zotten bei
jeder Schwangerschaft in das Blut etwas gelangen und dieses
muss andeutungsweise Veränderungen darbieten, die in irgend¬
welchen Beziehungen zum eklamptischen Gifte stehen.
So erklärt es sich, dass viel Fleiss und viel Scharfsinn
gerade im letzten Jahrzehnt auf die Untersuchung des Blutes
Schwangerer aufgewendet wurde, und dass stets die Rücksicht
aaf die Genese der Eklampsie dabei eine Rolle spielte. Schon
spricht man von Schwangerschaftstoxikosen und dergleichen. Da
iram die Serodiagnostik der Schwangerschaft; nicht, wie ich zu¬
erst meinte, auf Grund von Ehrlich’s Antikörpern oder Prä-
cipitinen, sondern mit der optischen Methode durch Abderhalden,
und wesentlich erweitert wurde dieser Einblick in die Physio¬
logie der Schwangerschaft durch seine chemischen Reaktionen.
Aber dieser Nachweis ist nicht an das Eintauchen der Zotten
in das Blut gebunden. Bei Tieren, bei denen die Zotten ihre
Verbindung mit dem Uterus nur in den Drüsen finden, stimmt die
Serodiagnostik ebenfalls. Trotzdem gewinnen wir für das Ver¬
ständnis der Eklampsie sehr viel; denn eklamptische Konvulsionen
bei der Geburt kommen nur bei der menschlichen Frau vor, und
da die Zotten ausser bei ihr unter den Lebewesen der ver¬
gleichenden Anatomie nnr bei dem Igel und Tarsus Spectrum in
das mütterliche Blut tanchen, so bleibt die Annahme der Her¬
kunft des eklamptischen Blutes von dem Eiweiss der Zotten be¬
stehen; ja, sie gewinnt an Kraft, weil nur das Eintauchen in das
Blut die Erklärung dafür geben kann, dass plötzlich ohne jedes
Trauma eine sehr starke Steigerung dieser Aufnahme erfolgt, so
stark, dass gegen sie die Schutzmaassregeln des Körpers versagen.
Solche theoretischen Arbeiten werden zur Grundlage für die
Verbesserung unserer Eklampsiebehandlnng werden. Gegen die
Eklampsie als Vergiftung muss es ein Gegengift geben. Wir
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UMIVERSITY OF IOWA
146
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
kennen es bis jetzt noch nicht so sicher, dass schon genügend Er¬
fahrungen darüber vorliegen.
Aber bis wir es kennen, wollen die Eklamptischen doch auch
geheilt werden. Jeder, der auf diesem Gebiete arbeitet, versucht
ausser der praktischen auch eine theoretische Begründung seiner
Vorschläge zu geben, und da die Sicherheit darüber, an welcher
Stelle das Gift ansetzt, nicht sehr gross ist, so gehen manche
therapeutischen Maassregeln nur gegen eine Erscheinung vor, die
man epikritisch als Folge und nicht als Wesen der Vergiftung
ansehen kann. So werden manche als Heilverfahren vorge¬
schlagene Methoden sich keiner Anerkennung erfreuen können,
weil sie entweder auf falscher Theorie über die Genese beruhten
oder weil sie sich gegen eine Veränderung richten, die nur als
Folge und nicht als das Wesen der Vergiftung gelten kann.
Aber schon der Umstand, dass solche auf unsicherer Basis
aufgebaute Vorschläge gemacht werden konnten, zeigt die
Schwierigkeit der Kritik unserer Therapie. Hätte man mit der
Amputation der Brustdrüsen oder mit der Trepanation des
Schädels nicht Erfolge gesehen, so würde man solche Vorschläge
nicht veröffentlicht haben, und dass man Erfolge sah, beruht eben
darauf, dass es so schwer ist, die Prognose der Eklampsie zu stellen.
Mancher Fall heilt, und wenn man auch denkt, dass er durch
die Therapie genas, so muss man annehmen, dass es bei der
Therapie dazu kam.
Die Heilverfahren, die jetzt bei der Eklampsie allgemeiner
verbreitet sind, versuchen sich gleichfalls theoretisch und prak¬
tisch zu rechtfertigen: Theoretisch die Entfernung der Giftquelle,
nämlich der Placenta, also die Schnellentbindung; die Haupt¬
wirkung des Giftes die Konvulsionen, also ihre Beseitigung durch
Narkose; Vergiftung des Blutes, also partielle Entfernung des
Blutes, der Aderlass mit oder ohne nachfolgende Kochsalz¬
infusion. Den praktischen Nachweis soll dann die Statistik liefern.
Von diesen drei Verfahren, welche heutzutage Empfehlung ver¬
dienen, ist theoretisch die schnelle Entbindung am besten be¬
gründet; da von der Placenta das Gift geliefert wird, muss die
völlige Entleerung des Uterus den Beginn der Heilung darstellen.
Nur was vorher schon im Körper war, wird dann noch schaden
können und beseitigt werden müssen.
In moderner Zeit hat wohl Halbertsma zuerst die Meinung
ausges .ochen, dass man bei der Eklampsie die Frau so schnell
wie möglich entbinden solle, weil mit dem Aufhören der Geburt
die Anfälle von selbst verschwinden. Der abdominale Kaiser¬
schnitt, den er empfahl, war aber damals bei weitem nicht so
ungefährlich als jetzt, und so sind nur wenige dem Rat von
Halbertsma gefolgt. Die überwiegende Mehrzahl lehnte damals
den abdominalen Kaiserschnitt aus dieser Indikation ab, und nicht
viel anders erging es dem Vorschlag von Dührssen, als er den
vaginalen Kaiserschnitt für die Eklampsie empfahl. Die In¬
zisionen der Vulva, die Eröffnung des Uterus durch Zerschneidung
der vorderen und hinteren Wand ohne Rücksicht auf Eröffnung
des Peritoneums war nicht imstande, die Zustimmung der Geburts¬
helfer zu finden. Das Mittel schien gefährlicher als die Krankheit,
und aus diesem Grunde gewann die Schnellentbindung bei der
Eklampsie zuerst wenig Freunde. Erst als Bumm den vaginalen
Kaiserschnitt durch die Umwandlung in die „Hysterotomia anterior“
auf das notwendigste Maass des Operierens beschränkte und die
Operation dadurch gefahrlos machte, änderte sich mit einem
Schlage die Sachlage. Die Erfolge schienen der Empfehlung
Recht zu geben, und so bat sich die Hysterotomia anterior in der
Behandlung der Eklampsie Freunde erworben; sie ist heute die
am weitesten verbreitete Methode der Schnellentbindung geworden.
Ohne Rücksicht auf die Vorbereitung der Weichteile gelingt es,
die Cervix sofort so zu erweitern, dass die Hand zur Wendung
eingeführt oder die Zange an den Kopf angelegt werden kann.
Die operative Hilfe durch die vaginale Schnellentbindung hat
an sich gar keine Mortalität. Wir können mit voller Sicherheit
behaupten, dass derjenige Arzt, der die Methode kennt und ihre
Technik beherrscht, durch die Hysterotomie keine Patientin ver¬
liert, wenn er nur genügende Assistenz und sichere Antiseptik
besitzt. Die erste Bedingung ist die auf Erfahrung .beruhende
Geschicklichkeit. Wenn einzelne Kliniken ehrlich ihre sämtlichen
Fälle mitteilen und dabei berichten müssen, dass ein gewisser
Bruchteil von Fällen an der Operation zugrunde ging, so erklärt
sich dies durch die geringere Uebung einzelner jüngerer Aerzte.
Sie vermieden nicht alle technischen Fehler. Hierzu rechne ich
das Anschneiden oder Anreissen des Peritoneums oder grösserer
Aeste der Art. uterina, das Weiterreissen der Schnitte und die
Verletzung der Blase. Das alles lässt sich leicht vermeiden.
Jeder, der dies noch nicht kann, soll einen etwaigen Misserfolg
nicht der Methode, sondern sieb selbst zur Last lagen. Natürlich
ist es wünschenswert, dass alle Geburtshelfer in der Technik so
ausgebildet werden, dass solche Verletzungen nicht Vorkommen
können, oder man muss eben noch einfachere Methoden ersinnen.
Diesen Vorwurf teilt die Schnellentbindung natürlich mit
jeder Operation, und gerade in der Geburtshilfe fehlt manchem
Geburtshelfer die Selbstkritik. Er glaubt, weil Glänzendes von
der Schnellentbindung berichtet ist, dass jeder ohne weiteres
diese Methode beherrscht; das ist ein bedenklicher Irrtum.
Die zweite Vorbedingung ist genügende Assistenz. Der er¬
fahrene Arzt braucht von wirklich geübter Hilfe nur die instru¬
mentierende Schwester oder Hebamme. Die Hände, welche die
Hakenzangen und das Speculum halten, brauchen nur mit einem
reinen Handschuh bekleidet zu sein und haben sonst nur still¬
zuhalten. Aber selbst diese Voraussetzungen treffen natürlich für
alle Aerzte, aber schon nicht für alle Hebammen zu. So ist es
erklärlich, dass über die technischen Schwierigkeiten der Hystero¬
tomia anterior so verschiedene Meinungen verbreitet sind. Der
eine will sie nur in der Klinik, der andere in jeder Hütte vor¬
nehmen. Ich glaube, dass für den Durchschnitt der Fälle und
für die durchschnittliche Geschicklichkeit der Assistenz die Ver¬
legung der Eklamptischen in die Klinik zu bevorzugen ist.
Die Wahrung der Antiseptik ist selbstverständlich. Sie ist,
wenn man sich ernstlich bemüht, trotz aller Schwierigkeiten sicher
zu erreichen.
Hat man alle diese Vorbedingungen für die Erfolge der
Schnellentbindung erfüllt, so kommt bei der Eklampsie noch die
Eigentümlichkeit zur Geltung, dass die Fälle so ausserordentlich
verschieden schwer sind.
Je länger die Eklampsie unbehandelt dauerte, desto schlechter
die Prognose. Es gibt weiter Fälle, die von vornherein sich als sehr
schwer charakterisieren. Schwere Nephritis, bei der die Eklampsie das
Endstadium darstellt, intensive Zersetzung des Blutfarbstoffes,
sehr schlechte Beschaffenheit des Herzens. Es ist ausserordent¬
lich schwierig, die schweren Fälle als solche sofort zu erkennen.
Selbst die Hämoglobinurie braucht nicht immer tödlich zu sein.
Darin liegt die Schwierigkeit der Kritik für unsere Methoden.
Früher war jede Operation gefährlich. Natürlich, dass mit dem
Abnehmen der Gefahr der Operation auch die Eklampsie leichter
heilte. Es lag daher an sich nahe, ganz ungefährliche Heilver¬
fahren zu versuchen. Hierzu gehören die Narkotica. Ihre
theoretische Begründung gab G. v. Veit. Er meinte, die Schäd¬
lichkeit liege nur im Anfall. Man unterdrücke den Anfall, und
man heilt die Patientin. Seine Erfolge mit den grossen Morphium¬
dosen waren ausgezeichnet. Aber man musste es erleben, dass
die verschiedensten Kliniken, welche das Verfahren nachprüften,
nichts Gutes berichten konnten. Es ist dies erklärlich, weil das
Morphium in so grosser Dosis an sich eine Gefahr darstellt. In
neuester Zeit hat nun Stroganoff die Narkose wiederum warm
empfohlen. Er vermeidet die grossen Dosen von Morphium; er
will dieses Mittel mit Cbloral kombinieren bzw. miteinander ab¬
wechseln lassen, sowie die Anfälle eventuell durch Chloroform
coupieren. Das Verfahren erwarb sich Freunde, hatte aber auch
theoretische Bedenken gegen sich. Als es jüngst in deu Berliner
Kliniken erprobt wurde, starben von den ersten 18 so be¬
handelten Frauen 8! Begreiflich daher, dass man Bedenken gegen
das Verfahren haben muss.
So würde das aktive Verfahren jetzt unbedingt allgemein
anerkannt sein, wenn nicht jüngst Zweifel und Lichtenstein
durch die prinzipielle Empfehlung des Aderlasses und seine Kom¬
bination mit dem Stroganoff’schen Verfahren von neuem tarn
Nachdenken veranlassen mussten. Für die theoretische Basis
hebt Zweifel mit Recht hervor, dass das Blut Eklamptischer
wasserärmer ist als in der Norm. Von besonderem Interesse sind
aber die Erfolge, über die Lichtenstein berichtet. Unter
80 Eklamptischen hat er nur 6 verloren. Noch mehr. Er hat
die letzten 60 Fälle hintereinander geheilt.
Das sind natürlich Zahlen, die zu denken geben. Aber io
ihnen liegt sofort da$ Bedenken: unter 80 starben 5, unter den
letzten 60 keine, also unter den ersten 20 starben 5; das gibt
eine recht hohe Mortalität, auf diese 20 bezogen.
Daher meine Mahnung zur Vorsicht mit der Statistik. Prak¬
tisch kommt es ja auf einen Vergleich der Schnellentbindung
mit dieser Methode an. Mein Material ist viel kleiner als das
der Leipziger Klinik. Vom 1. April 1904 bis 14. Februar 1906
habe ich hintereinander 21 Fälle mit der Hysterotomia anterior
zur Genesung kommen sehen. Knapp berichtet unter anderen
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
147
aus v. Rosthorn’s Klinik, dass er mit der aktiven Therapie von
22 Eklamptischen nur 1 Patientin verlor.
Man kann also mit der Schnellentbindung tatsächlich Gutes
erreichen. Kommen aber ungünstige Fälle in die Klinik, so geht
es schlechter: Im Jahre 1912 habe ich 18 Fälle von Eklampsie
gesehen; von diesen starben 5, darunter 2, die in ganz desolatem
Zastand eingeliefert wurden, und 2 weitere starben am elften Tage
oach der Geburt, die eine war die ganzen elf Tage ohne Kon¬
vulsionen bewusstlos geblieben, und die andere starb an ihrer
schweren chronischen Nephritis, in der die Eklampsie nur eine
Episode dargestellt hatte. Auch die fünfte Patientin, die übrigens
am zweiten Tage starb, war von vornherein sehr schwer erkrankt.
Im Beginn des Jahres 1906 batte ich die feste Ueberzeugung von
der stets günstigen Wirkung der schnellen Entbindung. Fast
glaubte ich, ein Todesfall träte nur ein, wenn man zu spät ope¬
rierte. Dann kam ein Todesfall, dann eine längere Reihe von
Heilungen, dann die Todesfälle des Jahres 1912. Ich halte die
Behandlung der Eklampsie mit dieser schnellen Entbindung trotz¬
dem für richtig. Mein Schluss ist cur der, dass es schwere und
leichte Fälle von Eklampsie gibt. Vermeidet man Infektion und
Pneumonie, sieht man die Fälle früh, so kann man jetzt eine
Reihe von Fällen hintereinander durchbringen, bis einzelne un¬
glückliche Fälle eingeliefert werden.
Am günstigsten stellen sich die Fälle dar, in denen
es möglich ist, sofort nach dem ersten Anfall die Frau
zu entbinden. Es scheint mir daher sehr wünschenswert, dass
in dem neuen preussischen Hebammenlehrbuch in dem § 454 die
schriftliche Meldung oder der Bote zum Arzt durch eine
dringende Telephonmeldung ersetzt wird; der § 312, der
dies im allgemeinen erlaubt, müsste bei der Eklampsie besonders
in Erinnerung gebracht seio. Ausserdem ist es wünschenswert, dass
jede Untersuchung einer Eklamptischen in Narkose vorgenommen
wird. Sie ist an sich überhaupt nicht nötig. Ist die Diagnose
Eklampsie gestellt, so kann die Patientin sofort operiert werden; auf
die Verhältnisse der Cervix kommt es technisch gar nicht mehr an.
Zweifel legt bei seiner Empfehlung der Narkotica besonderen
Wert darauf, dass die operative Entbindung eine möglichst
schonende sei. Ich habe mir daher die Frage vorgelegt, ob die
io Narkose ausgeführte Hysterotomia anterior als schonendes Ver¬
fahren angesehen werden darf, oder aber ob man zu fürchten bat,
dass nach der Entbindung Schmerzen bestehen bleiben, die etwa
einen Reiz zum Andauern der Krämpfe darstellen können. Ich
wende die Methode bei der Placenta praevia der Multiparen ganz
ohne Narkose an; sie klagen hinterher gar nicht. Entbinde ich
andere Frauen mit diesem Verfahren in Narkose und frage ich
die eben Erwachte nach Schmerzen, so erhalte ich regelmässig
die Angabe, dass keine Schmerzen bestehen. Ich bin daher nicht
im Stande, einen wesentlichen Unterschied in der Nervenreizung
zwischen der Entbindung durch die Hysterotomia anterior bei
engem Muttermund und der Anlegung der Zange bei völlig er¬
weitertem Muttermund zu sehen. •
Es ist vielleicht zweckmässig, dass man das Urteil über die
Schnellentbindung und den Aderlass mit Narcoticis dahin zusammen¬
fasst, dass beide Methoden gut sind, und es scheint mir sehr gut
möglich zu sein, beide miteinander zu vereinigen. Wirdeine
Eklamptische in die Klinik gebracht, so entbinde man sie sofort,
und hat sie bei der Entbindung wenig Blut verloren, so füge
man einen Aderlass von 500 g hinzu. Erwacht dann die Patientin
aus der Narkose, so gebe man ihr eine Dosis Morphium, auf die
man bei weiterer Unruhe entsprechend dem Vorschlag von
Stroganoff das nächste Mal Chloralbydrat folgen lassen kann,
um dann von neuem Morphium in mittleren Dosen zu geben.
Auf der anderen Seite kann man bei jeder Eklamptischen
mit dem Aderlass beginnen und wenn darauf noch ein Anfall
kommt, die Frau sofort entbinden.
Ich sehe in der Kombination der beiden Verfahren kein Un¬
glück. Ich selbst werde jedenfalls die Eklamptische weiter wie
bisher sofort entbinden und dann bei Andauer der Krämpfe durch
Aderlass und Narkotica zu helfen suchen. Denn dass Aderlass
und Narkotica wirksame Mittel gegen Eklampsie sind, kann man
aus den Veröffentlichungen der Leipziger Klinik schliessen.
Gegenüber diesen beiden Methoden treten, wenigstens zurzeit,
alle übrigen an Bedeutung zurück. Gewiss werden einzelne Fälle
besondere Maassregeln verlangen. So kann bei Anurie, welche
doch auch bei Eklampsie ausnahmsweise beobachtet werden kann,
der Gedanke an die Nierenenthülsung oder an die Niereninzision
nicht von der Hand gewiesen werden. Die allgemeine Eklampsie-
behandlung kann aber in diesen Verfahren nicht gefunden werden.
Welches von beiden Verfahren man prinzipiell wählt, wird
ja Sache des einzelnen Arztes sein. In der Kombination beider
Methoden wird wahrscheinlich mancherlei Nutzen gefunden werden
können. Dass dies aber nur ein vorläufiges Urteil ist, das möchte
ich zum Schluss ganz besonders betonen. Wir haben die^ sichere
Aussicht, das Gegengift gegen das eklamptische Gift herzustellen;
wir wollen hoffen, dass es in nicht zu ferner Zeit gelingt, es
praktisch zu erproben. Bis dahin haben wir sowohl in der Schnell¬
entbindung wie in dem Aderlass vereint mit Narcoticis gute Ver¬
fahren, welche vielleicht in ihrer Kombination besonders gute
Erfolge zeigen werden.
Aus dem Königlichen Institut für Krebsforschung der
Charite (Prof. Dr. G. Klemperer).
Versuche über die Biologie der Tiergeschwölste.
Von
Prof. Dr. Carl Lewin.
(Nach einem Vortrage in der Berliner med. Gesellschaft vom 18. Dez. 1912.)
M. H.! Von allen Problemen, welche die Krebsforschung uns
bietet, steht naturgemäss die Krebsheilung im Vordergrande des
Interesses. Wir haben gesehen, welche Fortschritte die experi¬
mentelle Krebsforschung im Tierversuch gerade auf diesem Gebiete
im letzten Jahre zu verzeichnen batte, dank den Arbeiten von
v. Wassermann, Neuberg und Caspari, neuerdings auch von
Werner. Inwieweit diese Versuche auf die menschlichen Ver¬
hältnisse anwendbar sind, muss erst weitere Arbeit lehren. Diese
Arbeit aber kann sich nur auf die vergleichende Biologie der
malignen Tumoren beim Menschen und beim Tier stützen. Nur
von dieser Grundlage aus kann sich ein Fortschritt anbahnen für
die Aetiologie, diesem noch ganz unbekannten Gebiete der Krebs¬
forschung, wie für die Diagnostik und Therapie der menschlichen
Tumoren, dem Problem, das unser aller Interesse beherrscht. Es ist
natürlich, dass eine solche Arbeitsrichtung erst einsetzen konnte, seit¬
dem uns in den bekannten Tiertumoren, namentlich denen der Mäuse
und Hatten, ein geeignetes Versuchsmaterial zur Verfügung steht.
Aller Fortschritt, den die Krebsforschung iu den letzten Jahren
gemacht bat, beruht im wesentlichen auf der Arbeit mit diesen Tier-
geschwülsteo. Es ist daher unerlässlich, dass über die Natur der
Tiertumoreo, über ihre Pathologie und Biologie Klarheit herrscht,
damit unsere Arbeit nicht eine vergebliche und zwecklose ist.
I Wir wissen, dass bei Ratten und Mänsen Geschwülste vor-
j kommen, welche sich von Tier zu Tier übertragen lassen. Sie
| ähneln in ihrer mikroskopischen Struktur vollkommen denen des
| Menschen, und kein pathologischer Anatom ist imstande, bei Be¬
trachtung des mikroskopischen Bildes eine Entscheidung zu treffen,
ob wir einen Tumor vom Tier oder vom Menschen vor uns haben.
Indessen zeigt sich in dem Vorkommen der Geschwülste bei beiden
Tierarten ein fast prinzipieller Unterschied. Während i'ie bös¬
artigen Geschwülste der Ratte fast ausschliesslich bis auf wenige
Ausnahmen den Typus des Sarkoms zeigen, sehen wir 1 • i den
Mäusen vorwiegend Tumoren mit epithelialer Struktur. Dieser
fast konstante Befund lässt sich nur so erklären, dass die En ^fäng-
lichkeit der verschiedenen Zellarten, der Bindegewebs- und Epithel¬
zellen, bei Ratten und Mäusen für die zur spontanen Tumorbildung
führenden, uns unbekannten Schädlichkeiten durchaus verschieden
sein muss. Dass hier embryonale Anlagen Ursache der Geschwulst¬
bildung sind, erscheint jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Es er¬
hebt sich nun die Frage, wie wir diese Tumoren der Ratten und
Mäuse zu bewerten haben. Nach ihrem mikroskopischen Bau
i können wir sie nicht anders als bösartige, als Sarkome bzw.
Carcinome, bezeichnen. An der Sarkomnatnr der Rattentumoren
ist bisher kein Zweifel geäussert worden. Ihre biologische Be¬
wertung muss aber die gleiche sein wie diejenige der trans-
plantabien Mänsegescbwülste mit epithelialem Bau, die Apolant
in aasgedehnten und mühevollen Untersuchungen als Carcinome,
d. h. also als epitheliale bösartige Geschwülste charakterisiert hat
Apolant weist die besonders von Eberth und Spude ge-
äosserte Ansicht zurück, dass diese Mäusetumoren von Endothelien
abstammen. Die Tumoren kommen fast ausschliesslich bei weib¬
lichen Mäusen vor, sie zeigen durchweg drüsigen Bau und sitzen
zu 3 / 9 auf der Bauchseite. Alle diese Momente lassen es als un«
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UNIVERSUM OF IOWA
148
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
möglich erscheinen, sie von Endothelien herzuleiten, da doch
kaum ein Unterschied nicht nur zwischen den Endothelien männ¬
licher und weiblicher Mäuse, sondern sogar zwischen denen des
Bauches und Rückens bei weiblichen Tieren angenommen werden
kann. Ihr drüsiger Bau lässt vielmehr auf ihre Abstammung von
drüsigen Organen mit Bestimmtheit schliessen. Als solche kommen
weder Talg- noch Schweissdrüsen in Frage, sondern einzig und
allein die Mamma, die, wie besonders von Apolant und Murray
und Haaland nachgewiesen ist, über die ganze Bauchseite vom
Knie bis zu den Genitalien verstreut in Läppchen angeordnet ist
und sich teilweise auch auf der Rückseite der Tiere findet. Dieser
Anschauung haben sich Jensen, Bashford, L. Michaelis und
Löwenthal und alle die anderen Forscher, die sich mit diesen
Tumoren beschäftigen, angeschlossen und auch fast alle Patho¬
logen, die mit Mäusetumoren arbeiten, wie Lubarscb, Henke,
v. Gierke, Schwalbe, Thorei, Stahr und viele andere, er¬
kennen die epitheliale Natur dieser Mäusegeschwülste an und
bezeichnen sie daher folgerichtig als Mäusekrebs.
Gegen diese Bezeichnung hat nun v. Hanse mann immer
von neuem Widerspruch erhoben. Obwohl er zugibt, dass echte
Carcinome bei den Mäusen Vorkommen, leugnet er für die meisten
transplantabien Mäusegeschwülste ihre Abstammung von Epithelien
der Mamma und will sie lediglich als Endotheliome angesohen
wissen. Als solche sind sie, wie v. Hansemann weiterhin aus¬
führt, von relativ gutartiger Natur, jedenfalls in ihrer Biologie
von den menschlichen Carcinomen so sehr verschieden, dass ein
Vergleich beider gänzlich unmöglich ist. Zu dieser Anschauung
glaubt v. Hansemann zunächst deswegen berechtigt zu sein,
weil ihm wie seinem Schüler Deton der Nachweis der Abstammung
dieser Tumoren von den Epithelien der Mamma auch mit dem
sogenannten Plattenmodellverfahren bei der Maus nicht gelungen
ist. Apolant hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass bei
den besonderen Verhältnissen der Maos dieses Verfahren, die
Histogenese der Tumoren nachzuweisen, gänzlich ungeeignet ist.
Obwohl ich nun in der Beurteilung der Histogenese und der
Morphologie dieser Mäusegeschwülste durchaus die Anschauungen
Apolant’s vertrete, also diese Tumoren für epitheliale Geschwülste
der Mamma halte, wurde ich mich doch gegen eine Uebertragung
der mit diesen Tumoren erzielten Forschungsergebnisse auf die
menschlichen Verhältnisse aussprechen, wenn die Anschauung
v. Hansemann’s berechtigt wäre, dass diese Tumoren keine
bösartigen sind, also mit dem menschlichen Carcinom nichts
gemein haben. Darin stimme ich v. Hansemann vollkommen
bei, dass auf die Morphologie und Histogenese dieser Tumoren
kein entscheidendes Gewicht zu legen ist. Von wesentlicher Be¬
deutung für ihre Beurteilung ist lediglich ihre Biologie. Bio¬
logisch aber sind diese Tumoren, wie v. Hansemann hier aus-
geföhrt hat, wesentlich vom menschlichen Krebs verschieden.
Denn sie wachsen abgekapselt gegen das übrige Gewebe, zeigen
also kein infiltratives Wachstum, sie machen nur ausnahmsweise
Metastasen und verursachen endlich nicht das uns beim Menschen
geläufige Bild der Krebskacbexie.
In der Tat ist der maligne Charakter einer Geschwulst ja wesent¬
lich an diese bekannten drei Faktoren der Bösartigkeit geknüpft.
Was zunächst das infiltrative Wachstum der Mäuse- und
Rattentumoren betrifft, so ist auf den ersten Blick ihr Verhalten
von dem der menschlichen Tumoren verschieden. Die Tumoren
wachsen meistens abgekapselt im subcntanen Bindegewebe, ohne
in die umgebenden Gewebe hineinzuwuchern; man kann sie einfach
ausschälen, und es bleibt dann kein Gewebsdefekt zurück. Liegen
hier nun prinzipielle, in der geringeren Bösartigkeit der tierischen
Tumorzellen begründete biologische Unterschiede vor? Um diese
Frage zu entscheiden, müssen wir uns klarmachen, wie das in¬
filtrative Wachstum der bösartigen Geschwülste zustande kommt.
Die Bösartigkeit einer jeden Geschwulst hängt nicht nur ab
von der besonderen biologischen Veränderung der Zellen, die wir
als maligne bezeichnen. In gleich hohem Grade sind konstitu¬
tionelle Zustände des befallenen Organismus, also das, was wir
Disposition nennen, für das Zustandekommen der bösartigen
Wucherung raaassgebend. Das haben wir aus allen unseren ex¬
perimentellen Arbeiten mit Sicherheit erkannt, und ich will
darauf hier nicht weiter eingehen. Für die Frage des Wachstums
der Geschwulst aber ist die Beschaffenheit des Gewebes, in dem
der Tumor entsteht, von ausschlaggebender Bedeutung. Die bös¬
artigen Zellen mit der ungeheuren Proliferationskraft — bei den
transplantablen Tiergeschwülsten wächst ja der Tumor in drei
Wochen fast zur Grösse des Tieres heran — werden natürlich
bald mit den natürlichen Widerstandskräften ihrer Umgebung in
Konflikt kommen müssen. So lange sie bei ihrer Vermehrung
ein Gewebe finden, in dem sie ungehindert wachsen können,
werden sie natürlich in der Richtung der geringsten Widerstands¬
kraft sich ausdehnen. Geht das nicht mehr, dann kommt es zum
Kampfe zwischen Tumorzelle und Nachbargewebe. Will der
Tumor nicht zugrunde gehen, dann muss er den Widerstand
brechen, er wächst daher in die Spalten und Lücken der Um¬
gebung hinein, vernichtet die Zellen, und so kommt das bekannte
Bild des infiltrativen Wachstums ja zustande. Wenigstens sehen
wir das beim Menschen gewöhnlich so. Ein Tumor, der in der
Haut entsteht oder an der Portio uteri oder im Lumen eines
Hohlorgans, wächst mit seinem grössten Teil in der Richtung des
schwächsten Widerstandes, also an die freie Oberfläche, sein
Tiefen Wachstum in die Nachbargewebe ist verhältnismässig gering.
Der maligne Tumor, der in einem kompakten Organ entsteht,
etwa im Gehirn, in der Leber, Niere usw., muss bei seinem
Wachstum von Anfang an die Nacbbarzellen vernichten, infiltrativ
wachsen, wenn er überhaupt wachsen will. Wie liegen nun die
Dinge bei der Ratte und der Maus? Sowohl die spontanen wie
die geimpften Tumoren liegen meistenteils im subcutanen Binde¬
gewebe des Bauches oder des Rückens. Der kleine Drüsenlappen,
von dem ein spontaner Tumor ausgeht, ist bald durch das Tumor¬
gewebe ersetzt, und man findet dann keine Spur mehr von ihm
vor. ln dem lockeren weichen Gewebe der Unterbaut kann die
spontane oder geimpfte Geschwulst zu enormer Grösse heran¬
wachsen, ohne dass sie auf den geringsten Widerstand der um¬
gebenden Gewebe trifft. Denn man kann ja die Haut der Tiere
mit dem Finger mehrere Zentimeter weit abheben, so locker und
weich ist das darunterliegende Bindegewebe. Die Geschwulst
kann gar nicht infiltrativ wachsen, weil die Möglichkeit dazu
vollkommen fehlt. Erst wenn sie nicht mehr Platz findet, dann
muss sie, um überhaupt weiter zu existieren, infiltrativ wachsen,
und das tut sie auch, wie ich bald demonstrieren werde, stets.
Die Abhängigkeit des malignen Wachstums von der Lage der
Geschwulst und von der Beschaffenheit der Nachbargewebe ist
eine Tatsache, die auch für den Menschen durchaus anerkannt
wird. Ernst Schwalbe hebt das in seinem Lehrbuch der
allgemeinen Pathologie ebenfalls hervor und tritt diesen An¬
schauungen durchaus bei. Als beweisend dafür führt er
eine Beobachtung an, wo ein grosses Carcinom der Brustdrüse
einer Frau, das die regionären Lymphdrüsen mit affiziert hatte,
vollkommen abgekapselt und verschieblich in einem ausserordent¬
lich lockeren subcutanen Gewebe wuchs und hier fast stumpf
berauspräpariert werden konnte. So wie hier im Einzelfalle beim
Menschen liegen die Dinge bei den Tieren gewöhnlich. Auf
eine geringere Bösartigkeit der Tumoren darf deswegen durchaus
nicht geschlossen werden. Ich kann dafür experimentelle Be¬
weise liefern. Sobald Sie den Tumor der Mäuse und Ratten in
die inneren Organe impfen, wächst er von Anfang an infiltrativ,
er muss es nach den vorausgegangenen Ausführungen. Aber
auch bei der subcutanen Impfung kann ich in jedem Falle und
mit jedem übertragbaren Tiertumor infiltratives Wachstum er¬
zielen, wenn ich z. B. in die Haut des Oberschenkels nahe der
Weiche und ein wenig in die Muskulatur hineinimpfe. Dann
finde ich ausnahmslos ein infiltratives Wachstum des Tumors in
die umgebende Muskulatur, ja bis in den Knochen hin, wie das
ja auch von Apolant, Henke, Bashford u. a. vielfach be¬
obachtet worden ist. Auch hier kann natürlich nur ein kleiner
Teil des Tumors infiltrativ wachsen; denn der grössere Teil schiebt
sich ja weiter nach der Bauch- oder Röckenseite vor, weil er
hier geringeren Widerstand findet. Ich kann Ihnen hier eine
Reihe von Bildern demonstrieren, welche diese Ausführurgen er¬
läutern. Die Photogramme, welche ich der meisterhaften Technik
des Herrn Prof. Scheffer verdanke, zeigen Ihnen infiltratives
Wachstum fast sämtlicher transplantablen Tumoren von Ratten und
Mäusen, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte. (Figur 1—5.)
Manche von diesen Tumoren transplantiere ich durch viele Jahre. Die
demonstrierten Bilder sind keine Ausnahmebeobachtungen, sondern
fast in jeder Impfgeneration finde ich diese Vorgänge, über die
ich eben berichte. Das mangelnde infiltrative Wachstum dieser
Tumoren liegt also nicht daran, dass es sich um Endotheliome,
um minder bösartige Geschwülste handelt. Denn auch bei den
unzweifelhaften Carcinomen, den Cancroiden, die doch unter
keinen Umständen von Endothelien herzuleiten sind, finden Sie
ganz genau dasselbe Verhalten. Sie haben das Bild des Cancroids
am Kiefer gesehen. Hier wächst der Tumor infiltrativ, weil er
nicht anders wachsen kann. Impfe ich ein Cancroid aber
subcutan, so wächst es, wenn ich nicht die geeigneten Be-
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UNIVERSITY OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
14Ö
Figur 1.
Rattensarkom in Muskulatur einwachsend.
dingungen schaffe, wie die gewöhnlichen Mäusetumoren. Nur bei
Impfungen also in die inneren Organe oder an Stellen, wo ein
ungehindertes lediglich die Nachbargewebe verdrängendes
Wachstum unmöglich ist, wachsen diese Tumoren infiltrativ. So¬
weit wir also epitheliale Zellen, die infiltrativ wachsen, als
«Carcinomzellen, Bindeg^webszellen, die das gleiche tun, als
Sarkomzellen und damit als bösartige Tumorzellen bezeichnen,
muss daran festgehalten werden, dass alle transplantablen Mäuse-
und Rattengeschwülste bösartige Tumoren sind, dass wir sie also
als Krebs resp. Sarkom aufzufassen haben. Abweichungen von
dem Verhalten, wie wir es bei den menschlichen Tumoren finden,
erklären sich nicht durch eine geringere Bösartigkeit der Tumor¬
zellen, sondern durch die besonderen Wachstumsbedingungen, die
bei Mensch und Tier eben ganz verschieden sind.
Nun wird weiteihin behauptet, dass diese Tumoren deswegen
nicht bösartige und mit dem menschlichen Krebs vergleichbar
sind, weil sie selten oder überhaupt keine Metastasen machen.
v. Hansemann hat sogar gemeint, dass Metastasen bei
Spontantumoren der Mäuse überhaupt fehlen und beiden Impftumoren
nur als Folge von künstlicher Hineinbringung von Tumorzeilen in die
Gefässe bei der Impfung von Turnoremulsionen zustande kommen.
Von den in der Literatur beschriebenen Metastasen sagt v. Hanse¬
mann, dass es sehr schwierig sei, zu verfolgen, ob es sich dabei
Figur 3.
Mäusecarcinom infiltrativ in die Muskulatur wachsend.
Figur 4.
Mäusecarcinom infiltrativ in den Oberschenkel wachsend.
um spontan entstandene Geschwulstfälle oder um solche handelt,
die durch Impfung enstanden sind. Dem ist nun entgegenzuhalteu,
dass Apolant unter 221 Spontantumoren 6 mal Metastasen,
Murray unter 87 Fällen 37 mal und Haaland unter 237 Spontan¬
tumoren 103 mal Metastasen in der Lunge, 4 mal in der Leber,
1 mal in der Niere usw. festgestellt hat.
Henke hat mitgeteilt, dass er unter 5 resp. 7 Spontan¬
tumoren in zwei Fällen Lungenmetastasen beobachten konnte.
Allen diesen und anderen Angaben fügen sich meine Beobach¬
tungen an. Ich habe Metastasen von Spontantumoren — und
zwar nur makroskopische, die mikroskopischen sind nach den
Erhebungen des Londoner Instituts viel häufiger — in Leber,
Milz und Lunge gesehen und zeige Ihnen hier kurz die Photo¬
gramme. (Figur 6 und 7.)
Es geht daraus unzweifelhaft hervor, dass diese spontanen
Geschwülste der Ratten und Mäuse genau wie die menschlichen
Tumoren metastasieren können, wenn die besonderen biologischen
Verhältnisse der Tiere selbstverständlich auch hier wie beim
infiltrierenden Wachstum mancherlei Besonderheiten bedingen. Die
relativ seltenen Metastasen der Spontantumoren der Tiere gegen¬
über den Erfahrungen bei Tumoren des Menschen können nur
unter Berücksichtigung einiger biologischen Tatsachen erklärt
werden.
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UNiVERSUY OF IOWA
150
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Figur 5.
Primäres Cancroid der Maus in die Kieferknochen einwachsend.
Figur 6.
Primärer Mäusekrebs. Lebermetastase.
Einmal ist ja das infiltrative Wachstum, wie wir schon ge¬
sehen haben, bei den Tiergescbwülsten weniger ausgeprägt. Und
ohne infiltrierendes Wachstum gibt es keine Metastasen. Dann
aber metastasieren die Tumoren offenbar infolge eines nur mangel¬
haft ausgebildeten Lymphgefässsysteras nicht oder doch nur sehr
selten auf dem Wege der Lymphbahnen, sondern fast aus¬
schliesslich durch die Blutgefässe. Dass aber im Blute die Tumor¬
zellen irgendwie geschädigt werden, das geht schon aus den Be¬
obachtungen von M. B. Schmidt am Menschen hervor, der bei
Uteruscarcinomen relativ häufig Geschwulstemboli in den Lungen
fand, die nicht zu Tumoren auswuchsen. Daher finden wir
bei den Tieren relativ mehr mikroskopische als makroskopische
Metastasen und zwar meistenteils in den Lungen. Diese mikro¬
skopischen Metastasen aber wachsen gewöhnlich nicht zu sicht¬
barer Grösse aus. Woher das kommt, dafür bietet uns das
Studium der transplantierten Tumoren ein sehr interessantes
Material. Es ist zunächst durchaus nicht richtig, dass die
Metastasen bei Impftumoren häufiger sind als bei Spontantumoren,
wie Herr v. Hansemann behauptet. Denn das Zustandekommen
der Metastasen hängt nicht rein mechanisch davon ab, ob man,
wie Herr v. Hansemann meint, bei der Impfung Gefässe oder
Lymphbahnen verletzt und dadurch das Impfmaterial zur
Metastasenbildung geeignet macht. Das geschieht ja regelmässig
bei jeder Impfung. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass lediglich
die Bösartigkeit der Zellen Voraussetzung der Bildung von Metastasen
ist, dass also sehr bösartig und mit ungeheurer Proliferationsenergie
wuchernde Tumoren vorwiegend zu Metastasenbildungen führen.
Maassgebend sind vielmehr konstitutionelle Einflüsse, die uns die
experimentelle Geschwulstforschung aufgedeckt hat. Es verhält
sich nämlich fast umgekehrt. Die grossen schnell wuchernden
Tumoren machen im allgemeinen sehr selten Metastasen. Ich verfüge
über folgende Beobachtung. Ein nur bohnengrosser Spontantumor
in der Nackengegend der Maus, der ausserordentlich langsam wächst,
wird nach monatelanger Beobachtung, in der er im wesentlichen
unverändert bleibt, überimpft. Bei der Sektion der erkrankten
Maus findet sich eine grosse Metastase in der Leber, eine
kleine in der Milz und in der Lunge. Unter ca. 50 geimpften
Mäusen entwickelt sich bei zweien ein Tumor von ausserordentlich
geringer Wachstumskraft. Vom Dezember bis April erreicht er
nur Bohnengrösse. Bei der Ueberimpfung dieser Geschwulst zeigt
sich wieder eine grosse Metastase des Tumorträgers in der Leber.
Nun entwickelt der Tumor, ein Carcinom, eine ungeheure Pro¬
liferationskraft, die sich in deu weiteren Impfgenerationen noch
steigert. In 10—12 Tagen wird der geimpfte Tumor wallnuss¬
gross und zu gleicher Zeit zeigt sich mikroskopisch, dass aus
dem vorher carcinomatösen Tumor ein Sarkom geworden ist, eine
Beobachtung, die uns noch beschäftigen wird. Aber Metastasen
habe ich niemals mehr gefunden. So lange also der Tumor nur
langsam und zu geringer Grösse heranwächst, macht er
Metastasen. Als seine Wachstumspotenz eine Uebertragungsziffer
von fast 100 pCt. und eine ausserordentlich schnelle und grosse
Proliferationskraft zeigt, macht er keine Metastasen mehr.
Wrzosek hat über die Bedingungen der Entstehung von makro¬
skopischen Metastasen bei carcinomatösen Mäusen experimentelle
Untersuchungen angestellt. Er kam zu dem sehr interessanten Er¬
gebnis, dass, wenn er zwei sehr bösartige Mäusetumoren in den
Schwanz impfte, die Bildung makroskopischer Metastasen in
enormer Weise gesteigert werden konnte. Dieselben Tumoren,
welche bei der subcutanen Impfung in 1,4 pCt. resp. 5,9 pCt.
Metastasen machten, zeigten bei der Impfuug in den Schwanz in
43,8 pCt. resp. 48 pCt. makroskopische Metastasen. Die Ursache
dieser Erscheinung sieht Wrzosek darin, dass die in den Schwanz
geimpften Geschwülste eine geringere Impfausbeute geben und
eine längere Latenzzeit haben. Vor allem aber — und das er¬
scheint mir als das wichtigste — zeigen sie geringere Wachs¬
tumsenergie und erreichen bei weitem geringere Dimensionen
als Geschwülste, welche subcutan in den Rücken oder Bauch ge¬
impft waren.
Hier haben wir also denselben Vorgang wie den von mir
eben beschriebenen.
Eine Erklärung für diesen auffallenden Befund könnte zu¬
nächst dahin versucht werden, dass man das Nichtauftreten der
Metastasen bei den stark wuchernden Primärgeschwülsten als
Folge einer Antikörperbildung ansieht, die zwar zur Vernichtung
des ersten Tumors nicht ausreicht, jedoch die Bildung eines
zweiten Tumors verhindert. Wächst der erste Tumor jedoch lang¬
sam und erreicht er nur eine geringe Grösse, dann ist die Anti¬
körperbildung so geringfügig und verläuft so langsam, dass sie
die Bildung von Metastasen nicht verhindern kann. Besser frei¬
lich und einleuchtender erscheint für die Erklärung dieser Ver¬
hältnisse die atreptische Immunität von Ehrlich. Ehrlich
glaubt bekanntlich das Ausbleiben der Metastasenbildung bei den
Tiertumoren dadurch erklären zu können, dass er annimmt,
der erste, stark wuchernde Tumor verbraucht alles spezifische
Nährmaterial, das er ausser der gewöhnlichen Nahrung zu seinem
Wachstum nötig hat, und verhindert so das Wachstum eines
neuen Tumors, der aus Mangel an geeignetem Nährraaterial da¬
her sich nicht entwickeln kann. Die Atrepsie von Ehrlich hat
vielfache Angriffe erfahren. Ich habe selbst mich von ihrer An¬
wendbarkeit auf alle Erscheinungen der angeborenen Immunität
bei den bösartigen Tumoren, so wie sie Apolant vertritt, nicht
überzeugen können. Auch experimentelle Untersuchungen, welche
diese Lehre stützen sollten, sind nicht eindeutig ausgefallen.
Aber für die Bildung oder das Ausbleiben von Metastasen
scheint mir doch in Anbetracht der von mir und Wrzosek
beobachteten Erscheinungen die Theorie von Ehrlich sehr be¬
stechend. So lange der Tumor langsam wächst, so lange ßeine
Virulenz, die sich in der Proliferationskraft, Wachstums¬
geschwindigkeit und Ueberimpfbarkeit äussert, nur sehr gering
ist, kann es zur Ausbildung von Metastasen kommen, ln dem
Augenblick jedoch, wo alle diese Faktoren eine schnelle Ver-
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
151
Figur 7.
Primärer Mäusekrebs. Lungenmetastase.
mehrung erfahren, der Tumor also zu erheblicher Grösse in
kurzer Zeit heranwächst, bleibt die Metastasenbildung aus, weil
für einen zweiten Tumor das spezifische Nährmaterial nicht aus¬
reicht. Das Zusammentreffen der eben geschilderten Faktoren
der Malignität (Angangsziffer bei der Ueberimpfung, Wachstums¬
geschwindigkeit, Proliferätionskraft und Metastasenbildung) oder
das Fehlen des einen oder anderen dieser Momente Hesse sich
dann also aus den Gesetzen der atreptischen Immunität im Sinne
von Ehrlich erklären. Inwieweit wir diese Gesetze auch auf
die Verhältnisse beim Menschen anwenden können, erscheint noch
schwierig zu sagen. Indessen haben wir doch nicht selten
gesehen, dass relativ grosse und schnell wachsende Primärtumoren
weniger ausgedehnte Metastasenbildung zeigen als anscheinend
kleine und wenig bösartige Geschwülste. Wie oft sehen wir
kleine Carcinome, besonders im Magendarmkanal, mit ungeheuren
Metastasen in der Leber, wie oft wieder grosse Carcinome des
Uterus oder der Mamma mit ausserordentlich wenigen Metastasen.
Noch kürzlich beschreibt Askanazy einen Fall von massenhaften
Hautraetastasen, die alle nur geringe Grösse erreichen, weil das
Vorhandensein so vieler Geschwülste jede einzelne an der Ent¬
faltung besonderer Wachstumskraft hindert.
Auch wird den Chirurgen die Erfahrung bekannt sein,
dass fast in unmittelbarem Anschluss an die Operation
kleiner und unscheinbarer Primärtumoren eine furchtbare Aus¬
saat von Metastasen erfolgt. Dass hier Vorgänge ähnlich den
bei den Mäusetumoren beobachteten im Spiele sein können, er-
scheint durchaus wahrscheinlich nach dem, was wir bei den j
malignen Tiergeschwülsten gesehen haben. Ich möchte nicht
glauben, dass in diesen Fällen erst durch die Eröffnung der
Lymphbahnen die Metastasenbildung hervorgerufen wird. Die
Metastasen sind vielmehr mikroskopisch längst da, wachsen aber
erst nach Entfernung des primären Tumors, weil jetzt der
spezifische Nährstoff zur Verfügung steht.
Der dritte wichtige Faktor, der bei den malignen Ge¬
schwülsten des Menschen nicht fehlt, ist die Krebskachexie. Wir
fassen sie auf als Folge der Einwirkung bestimmter aus dem
Krebsgewebe stammender toxischer Stoffe oder von heterolytischen
Fermenten. Ihre Erscheinungen sind die forschreitende Zersetzung
von Körpereiweiss mit alleu ihren deletären Folgen. Wie steht
es nun mit der Kachexie bei den malignen Tiergeschwülsten?
Es wird behauptet, dass sie hier vollkommen fehlt, und das gilt
wiederum als ein Beweis, dass diese Tumoren als bösartige im
Sinne der beim Menschen beobachteten nicht angesehen werden
können. Merkwürdigerweise ist die Anschauung, dass bei den
Tieren mit malignen Tumoren Erscheinungen von Kachexie nicht
oder nur in geringem Grade auftreten, auch in den Kreisen derer,
die sich mit ihnen besonders beschäftigen, weit verbreitet. Die
Frage ist aber nicht damit zu erledigen, dass man nur die rein
äusserlicben Erscheinungen der Kachexie, wie Abmagerung, Hin¬
fälligkeit und kürzere Lebensdauer als maassgebend ansieht, ob¬
wohl auch diese vielfach vorhanden ist. Eine exakte Beobachtung
ist das aber nicht. Denn es kann eine Kachexie vorhanden sein,
ohne dass sie rein äusserlich in dem Habitus des Tieres sinn¬
fällig wird. Will man das Vorhandensein oder Fehlen einer
Kachexie feststellen, so muss man exakte Stoffwechselunter¬
suchungen anstellen, die ja bei der Kleinheit der Versuchstiere
sehr schwierig sind. Aber einen wichtigen, uns doch leicht zur
Untersuchung zugänglichen Indikator der Kachexie hat man bis¬
her gar nicht oder doch nur wenig berücksichtigt, das ist die
Blutuntersuchung.
Pappenheim und H. Hirschfeld haben diesen Verhält¬
nissen ihre Aufmerksamkeit zugewendet, und sie haben gefunden,
dass bei den Mäusen, noch mehr aber bei den Ratten ausser¬
ordentlich schwere Blutveränderungen im Verlaufe der Geschwulst¬
entwicklung eintreten. Gleiche Beobachtungen haben auch
Clunet und Mercier gemacht, und damit ist der exakte Beweis
geliefert, dass auch die Kachexie bei den malignen Tier¬
geschwülsten in gleicher Weise vorhanden ist wie bei den mensch¬
lichen Tumoren. Herr Hirschfeld wird noch Gelegenheit
nehmen, darüber ausführlicher zu sprechen. Auch die von
Lubarsch gefundene schwere amyloide Degeneration in der
Leber und Milz der Tumortiere ist ein objektiver Beweis für das
Bestehen einer Kachexie.
Nach allen diesen Ausführungen kann somit nicht gezweifelt
werden, dass die transplantabien Tiergeschwülste durchaus denen
der Menschen gleichen und dass Abweichungen im Verhalten
beider lediglich in den besonderen biologischen Differenzen von
Mensch und Tier begründet sind, nicht aber prinzipielle Unter¬
schiede bedeuten. Die Tumoren sind demnach mit Recht
als Krebs und Sarkom zu bezeichnen.
Von diesen sich auf einwandsfreie Beobachtungen bei den
Tiertumoren stützenden Tatsachen ausgehend will ich nunmehr
eine Erscheinung besprechen, welche mir für die Aetiologie der
malignen Tumoren von ausserordentlicher Bedeutung zu sein
scheint. Das ist die Entstehung histogenetisch neuartiger Ge¬
schwülste nach der Impfung mit einem Tumor. Bekanntlich
haben Ehrlich und Apolant zuerst die bedeutungsvolle Tat¬
sache festgestellt, dass nach der Verimpfung eines Carcinoms der
Maus im Verlaufe vielfacher Impfungen ein Sarkom auftrat. Die¬
selbe Tatsache wurde von L. Loeb, Basliford und Haaland,
Liepmann, Lubarsch, Stahr und anderen noch mehrfach bei
den verschiedensten Mäusetumoren festgestellt, und ich konnte bei
dem bisher einzigen Rattencarcinom, welches längere Zeit über¬
tragen werden konnte, ebenfalls eine Sarkomentwicklung kon¬
statieren, welche im Laufe der Zeit, ähnlich wie bei den Mäuse-
carcinomen, zu einer vollkommenen Vernichtung des carcinoma-
tösen Anteils führte, so dass nach der elften Impfgeneration der
Tumor nur noch den Typus des reinen Sarkoms zeigte.
Dass es sich in diesen Fällen nicht um eine Metaplasie
von Carcinomzellen zu Sarkomzellen handelt, scheint mir festzu¬
stehen. Eine solche Metaplasie von Epithelien in Bindegewebs¬
zellen wird zwar auch von angesehenen Pathologen durchaus als
möglich angesehen, die Mehrzahl aber, vor allem Orth und
v. Hansemann, lehnen sie strikte ab. Dass nicht eine einfache
Veränderung in dem Sinne vorliegt, dass etwa ein Endotheliom
bald einmal als Carcinom bald als Sarkom wächst, glaube ich
schon deswegen zurückweisen zu können, als ja auch bei meinem
Rattencarcinom, dessen echte Carcinomnatur bisher noch nicht
bestritten ist (ich habe ja auch Cancroidbildung beobachtet),
dieselbe Erscheinung wie bei den Mäusetumoren aufgetreten ist.
Ueberdies haben Bashford, Haaland, Lubarsch und Stahr
klar nachweisen können, dass die Sarkomentwicklung nicht durch
Umwandlung von Carcinomzellen vor sich geht, sondern dass das
neu gebildete Sarkom aus den Bindegewebszellen des Stromas
entsteht. Demnach besteht die Deutung von Ehrlich-Apolant
zu Recht, dass diese Sarkome unter dem Einflüsse des Reizes der
überimpften malignen Epithelzellen auf die vorher gutartigen
Bindegewebszellen des geimpften Tieres neu entstanden sind, also
histogenetisch neuartige Tumoren darstellen. Meinerseits
habe ich zwei neueFällegleicher Beobachtung vor kurzem beschrieben.
In dem einen Falle trat eine Sarkombildung im Verlaufe der
Transplantation eines fast 7 Jahre von mir überimpften Mäuse-
carcinoms ein. In dem anderen Falle, über den ich bereits ge¬
sprochen habe, wurde aus einem sehr langsam wuchernden
Metastasen bildenden Carcinom der Maus in der dritten Impf¬
generation unter ausserordentlicher Steigerung der Virulenz ein
Spindelzellensarkom, das immer weiter als solches transplantiert
wurde — etwa 14 Impfgenerationen hindurch —, bis der Tumor
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152
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
infolge einer Seuche einging. Aus alledem geht klar hervor,
dass wir es mit experimentell neu gebildeten Sarkomen zu tun
haben, welche unter dem Einfluss von verimpften Carcinomen
entstehen, und zwar nunmehr in so grosser Zahl, dass wir von
einem durchaus gesetzroässigen Verhalten sprechen können. Für
die Aetiologie der malignen Tumoren jedoch wichtiger noch sind
die Beobachtungen, welche für eine experimentelle Erzeugung von
Carcinomen nach der Impfung von Tumoren sprechen. Eine
solche Beobachtung habe ich bei meinem mehrfach erwähnten
Rattencarcinom machen können. Hier kam es im Verlaufe der
Transplantation des Adenocarciuoms zur Bildung eines Carcinoms
vom Typus des Cancroids, und ich habe aus den mikroskopischen
Bildern gefolgert, dass die Haut des geimpften Tieres der Mutter¬
boden dieses Cancroids ist, dass also hier ein histogenetisch neu¬
artiges Carcinom gebildet wurde. Bashford, Murray und
Haaland haben demgegenüber behauptet, dass hier ein Tumor
vorliegen könnte, dessen Zellen in verschiedener Richtung sich
ausdifferenzieren, die von der Wachstumsgeschwindigkeit abhängig
ist, einmal als Adenocarcinom, das andere Mal als Cancroid.
Ich habe umgekehrt den von Bashford beschriebenen Fall so
erklärt, dass bei ihm ein primäres Hautcarcinom vorlag, welches
sekundär zur Entstehung eines Mammacarcinoms Veranlassung
gab. In neuerer Zeit erschien nun eine Beobachtung, welche für
die Richtigkeit oder sagen wir die Wahrscheinlichkeit meiner
Anschauungen spricht. L. Loeb hat nämlich unter dem Einfluss
des Kontaktes mit einem Adenocarcinom in einer laktierenden
Mamma der Maus das durch den Saugprozess zu beiden Seiten
der Brustwarze gereizte, zum Teil defekte und Regenerations¬
prozesse aufweisende Deckepithel der Haut in eine krebsige
Wucherung übergehen sehen. Er nennt das einen Kontakt-Kom¬
binationstumor. Nun sind allerdings die Carcinome deswegen
ungeeignet zur Entscheidung dieser ganzen Frage der experimen¬
tellen Neuentstehung eines epithelialen malignen Tumors, weil
ja der Einwand metaplastischer Vorgänge, des Uebergangs einer
Epithelart in die andere, nicht leicht zurückgewiesen werden
kann, obwohl ich selbst ihn nicht als berechtigt anerkenne.
Jeder Einwand aber ist hinfällig, wenn es uns gelingt, das Carci¬
nom zu erzeugen durch die Verimpfung eines sarkomatösen
Tumors. Denn eine Entstehung von epithelialen Zellen, von
Krebszellen, aus Bindegewebszellen, wie sie ja noch Virchow
annahm, ist nach dem gegenwärtigen Stande unserer Histologie
sehr unwahrscheinlich.
Nun bin ich aber in der Lage, auch diesen Vorgang zweifels¬
frei nachweisen zu können. Ich konnte vor 3 Jahren schon
in Gemeinschaft mit Ehrenreich eine Beobachtung mitteilen,
wo nach der Impfung eines Sarkoms der Ratte ein Carcinom
von adenomatösem Typus auftrat. Gleich darauf hat Sticker
beim Hunde nach Verimpfung einer Mischung von Menschen-
und Hundesarkom ein Carcinom der Mamma beim Hunde entstehen
sehen, und Nicholson teilt neuerdings mit, dass nach der
Figur 8.
Primäres Spindelzellensarkom der Ratte.
Impfung mit einem Spindelzellensarkom der Ratte offenbar von
der Haut ausgehend ein Cancroid aufgetreten ist.
Ich bin nun in der Lage, über einen neuen einschlägigen
Fall dieser Art berichten zu können.
Vor ca. 3 Jahren überimpfte ich ein primäres Spindelzellen¬
sarkom der Ratte, welches bis jetzt seinen mikroskopischen Typus in
gleicher Weise beibehalten hat. (Figur 8.) In der 37. Impfgeneration
zeigt es denselben Bau wie zu Anfang. Bei der Verimpfung
eines Tumors aus der 38. Impfgeneratiou fiel nun auf, dass der
Tumor nicht anging, obwohl im allgemeinen die Geschwulst sehr
virulent ist und eine hohe Impfausbeute gibt. Es wurde deshalb
ein neuer Tumor der 38. Impfgeneration verimpft, der auch wie
immer sonst weiterwuchs.
Die mikroskopische Untersuchung ergab nun, dass der nach
der Impfung des Sarkoms der 37. Impfgeneratiou entstandene,
nicht weiter transplantable Tumor ein typisches Adenocarcinom
ist, der transplantable dagegen wie in allen früheren Impfgenera¬
tionen sarkomatösen Bau zeigt und sich so auch weiter verhält.
Hier ist also ein Adenocarcinom nach der Verimpfung
eines Spindelzellensarkoms entstanden. (Figur 9 und 10.)
Der Ein wand, dass schon ein primärer Mischtumor vorlag,
ist ohne weiteres hinfällig. Wie soll man sich erklären, dass
Figur 9.
Io der fc 38. Impfgeneration des (Fig. 8) Sarkoms entstandenes Carcinom
der_Mamraa_bei der Ratte.
Figur 10.
Typus des ursprünglichen Tumors in derselben 38.Impfgeneration. Sarkom.
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27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
dann die carcinomatöse Komponente erst in der 38. Impfgeneration
mm Vorschein kommt. Ueberdies ist der primäre Tumor sorg¬
fältig mikroskopisch untersucht worden, er ist ein reines typisches
Spindelzellensarkom. Ein weiterer Einwand ist der, dass bei
dem geimpften Tier zufällig ein spontanes Carcinom schon bei
der Impfung vorhanden war. Das ist ausgeschlossen. Sichtbar
and fühlbar war er nicht. Alle unsere Erfahrungen sprechen
auch dagegen. Das Carcinom bei Ratten gehört zu den grössten
Seltenheiten. Das geimpfte Tier war eine junge männliche Ratte.
Spontantumoren finden sich nur bei ganz alten Tieren und dann
nur bei Weibchen. Und endlich ist das Carcinom in wenigen
Wochen zu gewaltiger Grösse berangewachsen, während die
Spoutantumoren nach unseren Erfahrungen nur eine sehr geringe
Wachstumstendenz haben. Es ist deshalb nicht zweifelhaft, dass
wir es hier mit der Neuentstehung eines Adenocarcinoms der
Mamma nach der Implantation eines Spindelzellensarkoms der
Ratte zu tun haben.
Diese Beobachtungen, die Entstehung von Sarkomen nach
Carcioomimpfung und umgekehrt von Carcinomen nach Sarkom-
impfungen sind nun von grösster Wichtigkeit für die Aetiologie
der malignen Tumoren. Sie beweisen klipp und klar die Be¬
deutung der Reiztheorie als der einzig und allein wahrschein¬
lichen kausalen Erklärung des bösartigen Wachstums.
Welcher Art dieser Reiz in dem vorliegenden Falle ist, lässt sich
nicht sagen. Ehrlich-Apolant nehmen einen von den Tumor¬
zellen ausgeübten chemischen Reiz als die Ursache der neuen
Geschwulstbildung an. Es kann aber auch ebensogut an eine
parasitäre Beeinflussung, die ja ebenfalls eine Reizwirkung sein
muss, gedacht werden. Seitdem Peyton Rous ein Hühnersarkom
durch das zellfreie Filtrat einer zerriebenen Zellemulsion hat über¬
impfen können, ist die parasitäre Aetiologie maligner Tumoren
durchaus in den Bereich ernsthafter Erwägungen gerückt. Ich
habe immer hervorgehoben, dass nicht notwendig spezifische
Parasiten im Spiele sein müssen. Auch andere Parasiten be¬
kannter oder unbekannter Art können in irgendeinem Zusammen¬
hänge mit der Geschwulstentstehung gedacht werden. Hauser
und Orth haben die Möglichkeit einer parasitären Aetiologie zu¬
gegeben, wenn eB gelänge, durch die Impfung von Tumoren neue
histogenetisch vom Impfmaterial verschiedene Geschwülste aus
den Geweben des geimpften Tieres zu erzeugen. Das ist nach
alledem, was ich Ihnen hier gezeigt habe, einwandfrei geschehen.
Carcinome sind nach Impfung von Spindelzellensarkomen, Sarkome
nach der Transplantation von Carcinomen gewachsen. Das sind
durchaus Grundlagen für eine ätiologische Geschwulstforschung.
Ich komme nunmehr zu dem uns alle wohl am meisten be¬
schäftigenden Problem der Krebsheilung. Alle nicht
operative Therapie der malignen Tumoren beim Menschen, sei es
nun Serum- oder Chemotherapie, sei es Radiotherapie, ist vor¬
läufig nur von sehr geringem Erfolge begleitet. Mag hier und
da ein einzelner Fall günstig beeinflusst worden sein, im all¬
gemeinen kann ich aus meinen langjährigen Erfahrungen heraus
sagen, dass keine einzige der jetzt angewandten Methoden der Krebs-
tberapie auch nur mit Wahrscheinlichkeit einen nennenswerten
Effekt Voraussagen lässt. Gelegentliche Heilungen kann man mit
den verschiedensten Mitteln in einzelnen Fällen erreichen. Ich
erinnere an die Erfolge mit dem Coley'sehen Serum, dem
Scbmidt’schen Antimeristem, dem Arsen, Jodkali und zahllosen
anderen Chemikalien, der Bestrahlung mit Röntgen, Radium,
Mesothorium usw., ebenso wie an die jetzt so viel gepriesene
Zeller’sche Methode der Arsenätzpaste, die vom Verfasser
auf Grund von Heilungen, überwiegend von Hautkrebsen,
die noch nicht einmal alle mikroskopisch untersucht worden
sind, als eine Lösung des Problems der Krebsheilung ausgegeben
wird. Dabei sind von den geheilten 38 Patienten mit Hautkrebs
35 über 57 Jahre, davon 82 über 60 und die meisten davon
noch über 65 und 70 Jahre alt, wo an und für sich der Haut¬
krebs eine Tendenz zu langsamer, relativ gutartiger Entwicklung
zeigt. Alle solche Methoden sind niemals als Krebsbehandlungs¬
methoden anzusehen, und es ist Selbsttäuschung, wenn immer
wieder behauptet wird, dass wir in der nichtoperativen Therapie
des Krebses auch nur eine Spur weiter gekommen sind. Mit den
allerverschiedensten Mitteln, mit harmlosen Sonnenlichtbestrah-
luogen wie mit der kompliziertesten Strahlentherapie, mit Aetzungen
wie mit innerlichen Mitteln und mit sämtlichen, angeblich
spezifischen und unspezifischen Seruminjektionen, überall werden
gleichmäS8ig Erfolge berichtet, und man sollte, weun man die
Literatur studiert, meinen, es gibt gar nichts Einfacheres als die
Behandlung des Krebses. Leider wissen wir es besser. Wer eine
163
Lösung des Problems der Krebsheilung versucht, darf uns nicht
mit geheilten Cancroiden kommen. Die können durch alle
möglichen Behandlungsmethoden geheilt werden. Aber die grösste
Zahl der Geschwülste innerer Organe, besonders der Metastasen,
die Mamma-, Uteruscarcinome usw., sind bisher so gut wie immer
ohne jeden Erfolg behandelt worden. Danerheilungen kenne ich
überhaupt nicht. Wenn in einzelnen Fällen auf die eine oder
andere Therapie hin Verschwinden von solchen Tumoren be¬
richtet wird, so ist sicher bei den einen die Diagnose falsch,
oder es handelt sich um ganz wenige, relativ gutartige
Tumoren, welche hier und da einmal unter dem Einflüsse jeder
Behandlungsmethode die Tendenz zu vorübergehender Rückbildung
zeigen. Das hat Coley sowohl mit seinem Serum wie Doyen,
Otto Schmidt und viele andere berichtet. Das wird von inner¬
lichem Gebrauch von Jodkali wie von Arsen, Chinin, Methylen¬
blau wie von der äusserlichen Anwendung vieler Aetzmittel, wie
Arsen, Chlorzink usw. behauptet, ebenso wie von Röntgen- und
Radiumbestrahlung. Und dass es mit so verschiedenartigen
Mitteln erreicht wird, beweist eben, dass es sich dann immer um
besondere Zufälle, niemals aber um irgendeine Gesetzmässigkeit
handelt. Auch die experimentelle Geschwulstforschung bat uns
für die Therapie der menschlichen Tumoren vorläufig noch nicht
weiter gebracht. Wenn wir aber weiter kommen wollen, können
wir vorläufig nichts auderes tun, als die Versuche an den
Tumoren der Ratten und Mäuse mit aller Energie fortzusetzen.
Zwei Wege stehen uns hier offen. Einmal die biologische Therapie,
zum anderen die Chemotherapie. Diesen letzteren Weg haben, wie Sie
alle wissen, zuerst v.Wassermann, alsdannNeuberg und Caspari
mit grossem Erfolge beschritten. Neuerdings will auch R. Werner
auf diesem Wege weiter gekommen sein. Ich habe vorläufig
immer meine Versuche auf therapeutische Beeinflussung der Tier¬
geschwülste mit den Methoden der Immunotberapie gerichtet.
Ich habe dabei nicht die schlagenden Erfolge von v. Wasser¬
mann und Neuberg und Caspari, aber ich habe auch nicht
die Misserfolge, die Herr v. Wassermann seinerzeit hier ger
schildert hat.
Meine therapeutischen Arbeiten knüpfen an die Vorgänge
der Immunität bei den bösartigen Geschwülsten der Tiere an.
Bekanntlich ist von Ehrlich die fundamentale Tatsache ge¬
funden und von allen Forschern bestätigt worden, dass eine
künstliche Immunisierung gegen Tumorimpfungen gelingt. Das
Wesen dieser Immunität ist noch nicht klargestellt. Ich habe
immer auf dem Standpunkt gestanden, den auch Uhlenhuth
vertritt, dass es sich hier um echte celluläre Antikörperbildung
bandelt. Diese Anschauung gründet sich, wenn auch der Nach¬
weis der Antikörper bisher nicht geführt werden konnte, auf eine
Reihfe von Immunitätserscheinungen, über die ich an dieser Stelle
nicht weiter berichten will.
So habe ich angenommen, dass vielleicht im Blute vonTieren, bei
welchen eine spontane Resorption eines Tumors eintritt, Antikörper
gefunden werden können, und habe demgemäss das Serum solcher
Tiere zu Heilzwecken verwendet. Solche Versuche sind schon
von Clowes Gaylord und Baeslack mit positivem Erfolge ge¬
macht worden. Auch ich habe in manchen Fällen auf diese
Weise Heilungen bei Ratten und Mäusen erzielen können, wenn
ich das Serum von Tieren etwa 14 Tage nach einer negativ ge¬
bliebenen Impfung zu therapeutischen Injektionen verwendete.
Obwohl hier ein gesetzmässiges Verhalten nicht konstatiert werden
konnte, habe ich doch den Eindruck, dass in der Tat das Serum
solcher Tiere Immunstoffe enthält. Noch bessere Ergebnisse
Hessen sich erzielen, wenn, wie ich in Gemeinschaft mit Meidner
feststellte, nach dem Vorgänge von Braunsteiu die Milz im¬
munisierter Tiere zu den therapeutischen Versuchen verwendet
wurde.
Braunstein fand nämlich, wenn er zwei oder mehrere Male
im Verlaufe weniger Tage Mäusen oder Ratten Geschwulstbrei
intraperitoneal injizierte und die Tiere nach einigen Tagen tötete,
bevor das Tumormaterial zur Entwicklung gelangt, alsdann die
Milz dieser Tiere eine deutliche Heilwirkung bei Tumorträgern
entfaltet. Wir haben dieselben Versuche in grossem Umfange
unsererseits gemacht und konnten unter 33 Tumoren 16 mal, also
in 50 pCt. glatte Heilungen, in 11 Fällen, also in pCt. weit¬
gehende Wachstumsrückgänge zum Teil bis auf kleine Spuren er¬
zielen. Gewiss lässt sich die Methode in dieser Form schwer auf
<fen Menschen übertragen. Aber sie zeigt uns doch, dass im
Körper des Tumorträgers Immunitätsreaktionen vor sich gehen,
welche vielleicht auf diese oder die andere Weise für die Therapie
des Menschen nutzbar gemacht werden können. Besser freilich
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
kann dies geschehen bei der Nutzbarmachung eines dritten thera¬
peutischen Versuches bei Tumortieren, v. Leyden und Blumen¬
thal haben seinerzeit schon vorgeschlagen, Tumoren mit Ein¬
spritzungen von zerkleinertem Tumormaterial zu behandeln. Dieser
Gedanke ist von einer Reihe von Chirurgen, vor allem Del bet
in Paris und Rovsing in Kopenhagen zur Verhütung von Recidiven
praktisch erprobt worden. Sie haben den exstirpierteo Tumor
gleich nach der Operation oder erst nach einigen Tagen injiziert,
um so eine aktive Immunisierung herzustellen. Blumenthal
schlug nun vor, wie schon Jensen und Fichera, zu
diesen Versuchen autolysiertes Tumormaterial zu verwenden, um
die Gefahr einer etwaigen Neubildung durch die injizierten in¬
takten Tumorzellen zu verhüten. Um das zu vermeiden, wird der
Tumor erst 24—72 Stunden oder noch länger der Autolyse im
Brutschrank überlassen, wobei alle Zellen sicher abgetütet werden.
Mit der Einspritzung solcher Autolysate bat nun Blumenthal
bei Ratten Heilung recht grosser Tumoren erzielen können. Ich
habe diese Angaben Blumenthal’s bestätigt gefunden. Bei der
Verwendung von Autolysaten fand ich eine deutliche Heilwirkung
bei dtn Geschwulsttieren, und zwar am meisten bei Verwendung
desselben Tierstamraes. Wenn ich Rattensarkome mit dem Auto¬
lysat desselben Tumorstammes behandelte, konnte ich in 35 pCt.
Heilungen, in SOpCt. überhaupt deutliche Hemmung des Wachstums
bzw. Rückgänge erzielen. Bei der Verwendung eines Antolysates
einer anderen Geschwulst von anderem Stamm war zwar auch
ein Erfolg deutlich, doch war hier nur io 10 pCt. Heilung und
in 35 pCt. Hemmung des Tumorwachstums zu erzielen. Diese
Resultate sind ausserordentlich bemerkenswert, und sie fordern
die Chirurgen dringend zur Verwendung dieser Methode zur Ver¬
hütung von Recidiven auf. Rovsing in Kopenhagen hat wenigstens
bei Sarkomen den Eindruck einer deutlichen Einwirkung, und in
jüngster Zeit sind Versuche von Ranzi und v. Graff aus der
Klinik v. Eiselsberg’s erschienen, welche ebenfalls auf
Grund einiger anscheinend günstiger Erfolge die Methode zur
Verhütung von Recidiven bei den menschlichen Geschwülsten |
empfehlen.
M. H., ich halte die biologischen HeilbeBtrebungen durchaus
einer weiteren Prüfung und Erforschung für wert. Gewiss fehlt
ihren Erfolgen bisher noch das Gesetzmässige. Wir wissen nicht,
wann und wie die Wirkung eintritt, und ob sie überhaupt eintritt.
Die chemotherapeutischen Erfolge v. Wassermann’s sowie von
Neuberg und Caspari sind schlagender insofern, als, wenn
auch die Heilung im einzelnen Falle ausbleibt, doch die Wirkung
jedesmal wenigstens deutlich wird. Aber wir wissen nicht mit
Bestimmtheit, ob die Methoden der Chemotherapie, so wie sie bis¬
her geübt werden, auch auf den Menschen anwendbar sind. Das
betonen v. Wassermann und Neuberg und Caspari selber mit
unzweideutiger Klarheit. Wir wissen nicht, ob es wirklich so ist,
dass die verwendeten Zellgifte die Tumorzellen schädigen, weil
sie eine grössere Affinität zu ihnen haben als zu anderen Körper¬
zellen, oder ob nicht die Wirkung auf die Tumorzellen so vor
sieh geht, dass in den Tiertumoren infolge der vielfachen Nekrosen¬
bildung im Inneren und des Mangels an Lymphgefässen die sicher
sehr verlangsamte Circulation nur ein Anlass zur längeren Ver¬
weildauer dieser Substanzen wird, sie gleichsam wie ein Filter
zurückhält und so die Möglichkeit zu intensiverer Giftwirkung
auf die Tumorzellen schafft. Der Wert des Experimentes an und
für sich wird dadurch gewiss nicht beeinträchtigt, und die Erfolge
v. Wassermann’s und von Neuberg und Caspari behalten
die grosse Bedeutung, ob die Wirkung so oder so erklärt werden
kann. Aber die Anwendung dieser Mittel beim Menschen wird
natürlich dann wesentliche Umgestaltungen erfahren müssen, da
ja die Circulationsbedingungen hier andere sind und die Ein¬
beziehung des Tumors in den Gesamtkreislauf eine wesentlich
bessere ist als die der eingekapselten, einen Körper im Körper
des Tieres bildenden Tiertumoren. Es muss deshalb bei den
weiteren chemotherapeutischen Versuchen vor allem darauf ge¬
achtet werden, dass möglichst menschenähnliche Zustände ge¬
schaffen werden durch die von mir vorgeschlagene Technik zur
Schaffung des infiltrativen Wachstums, namentlich durch Impfung
in die inneren Organe, wie sie H. Citron vorschlägt, und end¬
lich durch Schaffung von Metastasen etwa nach dem Vorschläge
von Wrzosek.
Alle diese Schwierigkeiten gäbe es bei der biologischen
Methode nicht. Hier beruht die therapeutische Wirkung auf der
Verwendung von Stoffen, welche durch die Wechselwirkung von
Tumorzelle and Organismus geschaffen werden und die also ganz
unabhängig von den Oirculationsverhältnissen immer in spezifischer
Weise auf die Tumorzellen wirken müssen, wenn sie nur über¬
haupt im Körperkreislauf circulieren. Wir dürfen daher die bio¬
logischen Versuche bei der Therapie der Tumoren nicht deswegen
aufgeben, weil sie vorläufig noch schlechtere Resultate gibt als
die Chemotherapie. Das kann durch eine bessere Technik nnd
Vervollkommnung der Methoden geändert werden, und wir erwarten
von unseren Biologen, dass sie diese Fragen über der zurzeit das
Interesse naturgemäss mehr in Anspruch nehmenden Chemotherapie
nicht vernachlässigen, vor allem nicht, weil die Frage der spezi¬
fischen Diagnostik, die, wie Boas bemerkt, fast noch brennender
ist als die Therapie, noch ihrer Lösung harrt. Viele Wege führen
zum Ziel, wir müssen jeden Weg betreten, der überhaupt Aussicht
bietet, zum Ziele zu führen.
Aus meinen Darlegungen werden Sie ersehen haben, dass die
Mäuse- und Rattengeschwülste infiltratives Wachstum,
Metastasenbildung zeigen und Kachexie hervorrufen,
dass sie also echte Carcinome und Sarkome sind. Unter¬
schiede gegenüber den menschlichen Tumoren sind nur gradueller
Natur und erklären sich durch die Differenz der biologischen
Verhältnisse bei Mensch und Tier, die auch bei anderen Krank¬
heiten sich geltend macht.
Die experimentelle Forschung bei diesen Tumoren bat
die für die Aetiologie der Geschwülste wichtige Feststellung ge¬
bracht, dass durch Ueberimpfung von Carcinomen Sarkome, um¬
gekehrt durch die Transplantation sarkomatöser Tumoren echte
Carcinome entstehen können.
Endlich gibt uns das Studium der Tiergeschwülste eine Grund¬
lage für biologische und chemische therapeutische Studien, die
ich im einzelnen geschildert habe. Sie geben die Aussicht, in
dieser oder jener Modifikation auch für die menschliche Patho¬
logie nutzbar gemacht zu werden.
Beitrag zur Methodik und Technik der okkulten
Blutuntersuchung des Magendarmkanals.
Von
I. Boas in Berlin.
Vor kurzem hat E. Fuld 1 ) in dieser Wochenschrift auf die
Notwendigkeit hingewiesen, die Methoden des Blutnachweises aus
dem Magendarmkanal mehr und mehr der Aerztewelt zugänglich
zu machen und demgemäss eine einfache Ausfübrungsweise der
bekannten Guajakprobe beschrieben.
Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, wenn ich
mich durchaus auf den Standpunkt Fuld’s stelle, zumal der
okkulte Blutnachweis, wie dies heutzutage kaum mehr dargelegt
zu werden braucht, zu einem für die Beurteilung zweifelhafter
Magen- und Darmaffektionen geradezu unentbehrlichen diagnosti¬
schen Hilfsmittel geworden ist.
Um so notwendiger ist es aber, dem Praktiker Methoden
in die Hand zu geben, die ihm ohne grössere chemische Schulung
die Möglichkeit gewähren, innerhalb kurzer Zeit sich im gegebenen
Falle über das Vorliegen oder die Abwesenheit endogenen Blutes
in den Fäces Gewissheit zu schaffen.
Zu denjenigen Fehlerquellen, welche offenbar der Populari¬
sierung der katalytischen Methoden bisher im Wege gestanden
haben, gehört in erster Linie die naheliegende Verwechselung mit
alimentärem, von aussen eingeführtem Blut. Zwar ist die auch
von Fuld vertretene Anschauung im allgemeinen richtig, dass
gekochtes, weisses Fleisch keine grosse Gefahr der Verwechse¬
lungen bietet, besonders nicht mit der Guajakprobe in ihrer
bisherigen Ausführung, aber verlässlich ist die Probe nach
meinen Erfahrungen auch unter diesen Umständen nicht. Auf
der anderen Seite ist unter zahlreichen Bedingungen die allseitig
anerkannte geringe Schärfe der Guajakprobe in ihrer bisherigen
Anwendungsweise doch auch wieder insofern ein Fehler, als sie
uns der Möglichkeit beraubt, minimalste Blutungen, wie sie
bei Ulcus ventriculi oder duodeni bzw. im Verlauf der Heilung
dieser Affektionen mir fast täglich entgegentreten, zu erkennen und
diagnostisch und therapeutisch zu verwerten.
Nach meinen sich nunmehr auf 12 Jahre emsigster Be¬
schäftigung mit dem Nachweise der okkulten Blutungen er¬
streckenden Erfahrungen ist es für den praktischen Arzt doch
1) E. Fuld, Die Untersuchung auf Blutungen aus dem Magendarm-
kanal. Diese Wochenschr., 1912, Nr. 44.
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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das Geratenste, sich der Verwechselungsmöglichkeit mit alimen¬
tärem Blut nicht auszusetzen, sondern prinzipiell in jedem Falle,
bei dem er sich aus dem Fehlen oder Vorhandensein von okkultem
Blut etwas für die diagnostische Förderung verspricht, eine
mindestens 3—4 tägige Fleisch- und Fischkarenz strikte zu ver¬
langen und sich ausserdem noch durch Anfertigung einiger
mikroskopischer Präparate von der An- oder Abwesenheit von
Muskelfasern im Stuhle zu überzeugen.
Lässt man diese Rautelen aus dem Auge, so kann man mit
einem positiven Blutbefunde gar nichts anfangen. Ein negativer
Blutbefund hat allerdings eine grössere Wichtigkeit, aber um
ganz sicher zu gehen, erfordert auch dieser eine wiederholte
Kontrolle, besonders in Fällen mit schweren Motilitätsstörungen
am Magen oder Darm.
Für die Klinik habe ich 1 ) nun vor kurzem ein Verfahren
angegeben, weisses Fleisch und Fisch durch Behandeln mit H 2 0 2
vom Hämoglobin zu befreien („bämoglobinfreies Fleisch“) und
etwaigen Ueberschuss von H 2 0 2 sorgfältig ausznwaschen. Das
betreffende Fleisch oder Fisch kann dann zweckmässig als Cro-
quette oder gehacktes Kalbfleisch gereicht werden. Dieses Ver¬
fahren hat sich mir in meiner Privatklinik ausserordentlich be¬
währt und erleichtert ohne Zweifel die doch recht lästige mehr¬
tägige Fleisch-Fischkarenz. Für die tägliche Praxis ist sie bei
intelligenten .Patienten, falls man sie mit genauen Vorschriften
versieht, wie ich mich überzeugt habe, zweifellos durchführbar,
immerhin glaube ich nicht, dass bei der grossen Masse ein solches
Verfahren wirklich exakt und zuverlässig zur Ausführung kommen
dürfte.
Bis wir demnach nicht ein einfaches Verfahren besitzen,
exogenes von endogenem Blut zu unterscheiden, muss die oben¬
genannte Forderung einer mehrtägigen Fleisch-Fischkarenz un¬
bedingt auch für den Praktiker die Vorbedingung für eine wirk¬
lich zuverlässige Anstellung der Blutprobe bilden.
Was weiter die Ausführung der Blutproben selbst betrifft,
so führen zweifellos hier viele Wege nach Rom, also auch der
von Faid angegebene. Und dennoch scheint es mir dringend an
der Zeit, dass nicht bloss für die Praktiker, sondern auch für
das Laboratorium eine Normalmethode für den Blutnacbweis all¬
gemein akzeptiert würde, die uns zugleich die Möglichkeit geben
würde, die vielfach noch bestehenden Unstimmigkeiten, die zum
Teil ohne Zweifel auf Abweichungen oder willkürliche Aende-
rungen der Methodik zurückzuführen sind, endlich aus der Welt
zu schaffen.
Die Männer der Praxis werden den Vertretern der
Wissenschaft um so leichter Gefolgschaft leisten, wenn
erst bei letzteren einmal eine Einigung über die
schwebenden methodologischen Fragen erzielt sein wird.
Nach dieser Richtung hin haben sich Untersuchungen, die
ich io den letzten Monaten im Verein mit meinen Mitarbeitern
(den Herren Dr. Wartensleben und Dr. Fort, denen ich für
ihre Mühewaltung meinen besten Dank ausspreche) angestellt
habe, bewegt.
Diese Untersuchungen gipfelten in folgenden einfachen Frage¬
stellungen: Welches von den chemischen Mitteln, mit denen
wir die Fäces oder den Magensaft herkömmlich behandeln, ist für
das Blut das beste Extraktionsmittel? Ferner: Welches ist hierbei,
ohne dass di© Schärfe der Proben darunter leidet, entbehrlich?
Wenn wir an die Beantwortung dieser Fragen herangehen,
so ist es notwendig, uns einmal mit der ursprünglichen Weber-
schen Vorschrift (1893) zu beschäftigen, um so mehr, als sie in
den wesentlichsten Punkten auch noch heute verwendet und mit
kleinen Modifikationen auch von Fuld gutgeheissen wird.
Diese Vorschrift 2 ) lautet im Original folgendermaassen:
r Man zerreibt eine möglichst reichliche Probe der Fäces mit
Wasser, dem man etwa Vs Volumen Eisessig zugesetzt hat, und
schüttelt mit Aether aus. Von diesem sauren Aetherextrakt
werden nach der Klärung einige Kubikzentimeter abgegossen und
mit etwa 10 Tropfen Guajaktinktur und 20—30 Tropfen Terpentin
versetzt. Bei Anwesenheit von Blut wird das Gemisch blau¬
violett, fehlt Blut, so wird es rotbraun mit einem Stich ins
Grünliche.“
1) Boas, Ueber die Ausschaltung exogenen Blutes beim Nachweis
okkulter Magen- und Darmblutungen. Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 44.
2) H. Weber, Ueber den Nachweis des Blutes in dem Magen- und
Darminhalt. Diese Wochenschr., 1893, Nr. 19,
Von dieser Vorschrift ist nun im Laufe der letzteu 20 Jahre
soviel abgebaut bzw. modifiziert worden, dass beinahe nur
noch das Gerüst übrig geblieben ist. So begegnet man schon
vielfach in der Literatur Vorschriften, nach denen der Stuhl ein¬
fach mit Eisessig und Aether (also ohne Wasserzusatz) behandelt
wird. Des weiteren hat man bereits seit langem die gewöhnlich
in den Apotheken käufliche und in der Tat wenig haltbare
Guajaktinktur durch jedesmal frisch hergestellteGuajakbarzlösungen
in Alkohol oder Aether ersetzt. Weiter ist als Katalysator statt
des nicht immer zur Hand befindlichen alten (ozonisierten)
Terpentinöls das Wasserstoffsuperoxyd empfohlen worden. Endlich
haben zuerst Rossel 1 ), dann v. Kocziczkowsky 2 ) und in be¬
sonders eingehender Weise Schümm 3 ) eine zweckmässige Vor¬
behandlung der Fäces mit Aether und Alkohol behufs Eliminierung
der störenden Kotfarbstoffe empfohlen, erstere beide für die Aloin-,
letzterer für die Guajakprobe.
Auf weiteren Modifikationen und Modifikatiönchen möchte ich
hier nicht eingehen, da sie keine wesentlichen Vereinfachungen,
vor allem aber keine Verbesserungen der Methode darstellen.
Die ebengenannten, ganz besonders aber die von Schümm an¬
gegebene sind aber nach meinen Erfahrungen unbedingt als Ver¬
besserungen der früheren Weber’schen Vorschrift anzuseben.
Trotzdem haben sie sich in der Praxis nicht eingebürgert und
werden sich wohl auch in Zilkuuft nicht einbürgern, weil sie
(abgesehen von den grossen und kostspieligen Mengen von Aether
und Alkohol, deren es hierzu bedarf) sehr viel mehr Zeit er¬
fordern als die einfache Ausschüttelung des essigsauren Extraktes
mit Aether nach der ursprünglichen Vorschrift von Weber.
Bei den von mir angestellten Versuchen, die katalytischen
Proben zu vereinfachen, habe ich mir vor allem die Frage vor¬
gelegt, ob der von Weber zur Hämatinlösung empfohlene Aether
wirklich das beste Extraktionsmittel darstellt?
Dass dies, wie man bis jetzt fast allgemein annahm, nicht
der Fall ist, konnte einmal dadurch nachgewiesen werden, dass
man mit anderen Extraktionsmitteln eine erheblich grössere Aus¬
beute an Hämatin erhielt, sodann, dass nach der Extraktion schwach
bluthaltiger Fäces mit essigsaurem Aether ein weiterer hämatin¬
haltiger Rest zurückblieb, der noch eine ausgezeichnete Guajak-
reaktion ergab. Als ein dem Aether wesentlich über¬
legeneres Extraktionsmittel erwies sich mir der essigsaure Alkohol
und zwar im Verhältnis von 1: 8 (Acid. acetic. glaciale 25,
Alcohol. absol. 76).
Schon Weber (1. c.) ist es nicht entgangen, dass, wenn man
Lösungen von Säuren in Alkohol verwendet, erheblich mehr
Blutfarbstoff in das Filtrat übergeht. Er nahm aber vom Alkohol
deshalb Abstand, weil zugleich hiermit „schwer trennbare
Farbstoffe, speziell Gallenfarbstoffe in den Alkohol übergeben,
welche das Erkennen des Blutfarbstoffes im Spektrum unmöglich
machen“.
Zweifellos ist ja der letztere Umstand für die spektro¬
skopische Untersuchung auf Blutfarbstoff störend (wenn man nicht,
wie dies Schümm tut, vor der Behandlung der Fäces mit Eis¬
essig, die Gallen- und anderen Farbstoffe mit Alkohol extrahiert),
für die katalytischen Proben dagegen, besonders für die hier in
Frage stehende Guajakreaktion gibt die Extraktion des Blutfarb¬
stoffes mittels Eisessigalkohol nach meinen Untersuchungen un¬
bedingt eine günstigere Ausbeute an Hämatin als die mit Eisessig¬
äther. Die Anwesenheit von Kotfarbstoffen beeinträchtigt, wie
ich mich an zahllosen Versuchen überzeugt habe, die Schärfe der
Guajakprobe nicht nur nicht, sondern die letztere ist im Gegen¬
teil der Eisessigätherreaktion an Prägnanz und Farbenschöuheit
bei weitem überlegen. Während man z. B. bei Fäces mit
mittlerem Blutgehalt mit der Eisessigätherextraktion eine schwach
violette Färbung und auch diese erst nach längerem Schütteln
des Extraktes erhält, ergibt die Behandlung mit Eisessigalkohol
eine bereits während des Zusatzes von Guajak und H 2 0 2 eintretende
intensive Blaufärbung. Desgleichen erhält man bei ganz negativer
Eisessigätherprobe mit der Eisessigalkoholprobe noch mehr oder
weniger deutlich violetten Farbenumschlag. Nur bei minimalstem
Blutgehalt, der natürlich bei der Eisessigätherextraktion über¬
haupt keine Farbeuveräoderung aufwies, erhält man eine grünliche
Verfärbung der Guajaklösung, die dann wohl die Grenze der
Reaktion anzeigt.
Diese Modifikation bedeutet gegenüber dem ursprünglichen
1) Rossel, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1903, Bd. 76, S. 505.
2) v. Kooziozkowsky, Deutsche med. Wochenschr., 1904, Nr. 33.
3) 0. Schumm, Die Untersuchung der Fäces auf Blut. Jena 1906.
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156
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Weber’scben Verfahren nicht bloss eine Vereinfachung, sondern
eine erbebliche Verbesserung, insofern Blutspuren, diebei jenem
vollkommen unerkannt blieben oder in zweifelhaften Reaktionen
zum Ausdruck kamen, nunmehr in voller Schärfe und Deutlichkeit
zu erkennen sind. Damit ist aber auch die Guajakreaktion den
anderen erheblich schärferen wesentlich näher gerückt.
Im einzelnen gestaltet sich die von mir modifizierte Guajak-
probe nach meinen Erfahrungen folgendermaassen: Man nimmt
mit einem Glasstabe von festen Fäces aus der Mitte mehrere,
etwa bohnengrosse Partikel, zerreibt sie in der Porzellanschale
unter allmählichem Zusatz der obengenannten Eisessigalkohol¬
mischung und filtriert durch gewöhnliches kleines Filter. Ist
das Filtrat stark braun gefärbt, so kann man noch 2—3 ccm
Alkohol zusetzen. Sodann stellt man sich durch Auflösen von
feinpulverisiertem Guajakharz eine eben schwach gelbe
alkoholische Lösung her, fügt hiervon 10 bis 15 Tropfen
zum Filtrat und ohne Umschütteln 15 bis 20 Tropfen
3 proz. H 2 0 2 -Lösung hinzu. Man erhält dann je nach dem ßlut-
gebalte schon während des Zusatzes von H 2 0 2 einen tiefblauen
bis stark violetten Farbenumschlag. Eine charakteristische
Reaktion erhält man auch, wenn man sie auf dem Filter nach
Trocknen desselben anstellt. Jedenfalls ist diese Filtrierpapierprobe
den vielfach angegebenen [z. B. der neuerdings von Zöppritz 1 )]
an Einfachheit und Farbensicherheit, wie ich glaube, überlegen.
Bei minimalsten Blutspuren habe ich sogar mit der Papierprobe
bisweilen noch eine eben noch erkennbare Blaufärbung erzielt,
während die Reagenzglasprobe undeutlich ausfiel.
Handelt es sich um dünnflüssige oder breiige Fäces, so über¬
giesst man sie einfach in eine Porzellanschale oder Reagenzglas
und verfährt im übrigen in gleicher Weise.
Obgleich ich mich an zahlreichen Kontrollversuchen davon
überzeugt habe, dass die Guajakprobe, in der eben angegebenen
Weise angestellt, entschieden distinkter ausfällt als bei An¬
wendung der ätherischen Lösung, so dass man nunmehr auch bei
minimalem Blutgehalt noch einen deutlichen Farbenumschlag er¬
hält, reicht sie auch in dieser Modifikation angestellt an die von
mir empfohlene Phenolphthalinprobe 2 3 ) an Schärfe, nicht heran.
Da diese Probe anscheinend in Kreisen der Wissenschaft, mehr
noch aber der Praxis, offenbar noch wenig Freunde gefunden hat
— auch Fuld scheint ihr kein besonderes Vertrauen entgegenzu¬
bringen —, so möchte ich nochmals auf die grosse Sicherheit und
Schärfe dieser Probe hinweisen. Zwar hat Kober 8 ) gegen die
Zuverlässigkeit dieser Probe vom theoretisch chemischen Stand¬
punkte aus verschiedene Einwände erhoben. Diesen Einwänden
gegenüber muss ich auf Grund einer mehr als zweijährigen Er¬
fahrung das vollständig aufrecht erhalten, was ich in meiner
Publikation dargelegt habe: dass das Phenoiphthalinreagens, wenn
es genau nach der von mir vorgeschriebenen Methode angefertigt
wird 4 ), nur bei Blutanwesenheit in den Fäces eine positive
Reaktion gibt, während es bei Blutabwesenheit stets negativ aus¬
fällt. Dieser Beweis ist von mir einmal an sicher blutfreien
Fäces mit Blutzusatz geführt worden, sodann ist an Fäces mit
und ohne Blutanwesenheit die Probe mit der Gnajak- und
Benzidinprobe wiederholt verglichen worden. Wenn man demnach
die Skepsis nicht auf die Spitze treiben will, so wird jeder, der
über diese Probe Erfahrungen gesammelt hat und nicht bloss
theoretisch urteilt, die grosse Ueberlegenheit dieser Probe über
alle anderen bekannten zugeben müssen.
Auf eine „Fehlerquelle“ der Phenolphthalinblutprobe hat weiter
kürzlich Bernhard Vas 5 ), der im übrigen durchaus die grossen
Vorzüge der Probe anerkennt, hingewiesen. Er fand nämlich in
einer Stuhlprobe eine deutliche Rosafärbung bei Zusatz des
Phenoiphthalinreagens, und zwar schon ohne H 2 0 2 , während die
übrigen katalytischen Proben ein negatives Resultat ergaben. Als
Ursache dieser Fehlerquelle fand Vas, dass der Patient, von
welchem der Stuhl stammte, die bekannten Purgentabletten ge¬
nommen hatte, d. h. reines Phenolphthalein, das zum grössten
1) Zöppritz, Münchener med. Wockenschr., 1912, Nr. 4.
2) Boas, Deutsche med. Wochenscbr., 1911, Nr. 2.
3) Kober, Deutsche med. Woohenschr., 1911, Nr. 32.
4) Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das Phenolphthalinreagenz
in den Apotheken häufig nicht sorgfältig genug zubereitet wird. Sonst
wären einzelne, mir von Aerzten gemachte, sehr auffallende Angaben
über positive Reaktion des Reagens mit Wasser oder Alkohol gar nicht
zu verstehen. Ein zuverlässiges Phenolphthalinpräparat (unter dem
Namen „Blutreagens“) kann man aus Lucae’s Apotheke, Berlin, Unter
den Linden 53, beziehen.
5) Bernhard Vas, Deutsche med. Wochenscbr., 1912, Nr. 80.
Teil unverändert mit dem Kot ausgeschieden wird. Es liegt klar
auf der Hand, dass, wenn man zu einem phenolphthaleinbaltigen
Kotextrakt in alkalischer Lösung befindliches Phenolphthalin zu¬
setzt, ersterer sofort eine starke Rotfärbung ergeben muss. Ich
habe übrigens kürzlich die gleiche Beobachtung wie Vas an einer
Patientin machen können, die gleichfalls als Abführmittel eine
phenolphthaleinhaltige Substanz, nämlich Aperitol, seit langem zu
gebrauchen pflegte.
Ich kann aber eine solche leicht nachzuweisende Täuschungs¬
möglichkeit, auf die hingewiesen zu haben übrigens verdienstlich
ist, nicht als eine Fehlerquelle ansehen, so wenig man es etwa
als Fehlerquelle der bekannten Acetessigsäurereaktion mit Eisen¬
chlorid bezeichnen kann, wenn jemand vorher mit Salicyl-
präparaten behandelt war.
Weitere Untersuchungen haben nun ergeben, dass sowohl die
Phenolphthalinprobe als auch die Benzidinprobe, in der oben¬
genannten Weise angestellt, gleichfalls ausgezeichnete und, was
speziell die erstgenannte Probe betrifft, noch intensivere Reaktionen
ergibt als die früheren, mit Eisessigäther augestellten. Man kann
demnach in Fällen, wo es sich um besonders subtilen Nachweis
okkulter Blutungen handelt, an demselben alkoholischen Extrakt
auch die übrigen Blutproben anstellen.
In gleicher Weise, wie bei der Untersuchung der Fäces kann
man auch bei der Untersuchung des Mageninhaltes auf okkulte
Blutungen vorgehen, nur dass man hier, wie dies schon Schümm
auch bei der Eisessigätherprobe empfohlen hat, gut tut, vor An¬
stellung der Probe die Magensäure durch einige Tropfen Soda¬
lösung oder Natronlauge zu neutralisieren.
Der einmal oder besser mehrere Male festgestellte Nachweis
okkulter Blutungen ist in einer grossen Reihe von Fällen für die
Diagnose zweifelhafter Fälle — besonders von Ulcus ventriculi
bzw. duodeni — in Verbindung mit den übrigen klinischen Zeichen
bekanntlich von ausschlaggebender Bedeutung. Dasselbe gilt auch
für den wiederholt geführten negativen Nachweis. Aber — und das
kann nicht eindringlich genug betont werden — in zahlreichen
anderen Fällen reicht dieser ein oder mehrere Male geführte positive
oder negative Nachweis keineswegs aus. Es ist vielmehr notwendig,
den Gang der Blutung systematisch und womöglich
täglich zu verfolgen. Erst hieraus ersehen wir, was z. B. für
die Unterscheidung von Carcinom und Ulcus von fundamentalster
Bedeutung ist, ob die Blutung die Tendenz zeigt, unter dem Ein¬
fluss einer entsprechenden Kur abzunehmen, ganz zu schwinden
oder umgekehrt, zu persistieren. Dasselbe gilt auch für
die Diagnose Ulcus carcinomatosum, das, soweit ich sehe, nur
auf dem Wege einer solchen systematischen Verfolgung der
okkulten Blutabscheidung der Erkenntnis näher gerückt werden
kann. In gleicher Weise geben uns nur fortlaufende Unter¬
suchungen der okkulten Blutungen die Möglichkeit oder richtiger
Sicherheit in unseren therapeutischen, speziell diätetischen Maass¬
nahmen.
So habe ich mich bei der Behandlung des Ulcus ventriculi
und duodeni an der Hand der okkulten Blutungen davon über¬
zeugen können, dass der Heilungsprozess bei verschiedenen In¬
dividuen ein ganz verschieden langer ist, und daraus folgt, dass,
wie ich mir später genauer darzulegen Vorbehalte, die heutige,
recht schematische Behandlungsmethode unbedingt einer Revision
bedarf.
Endlich habe ich noch zu bemerken, dass nicht bloss die
Tatsache der okkulten Blutung als solche von diagnostischer
Wichtigkeit ist, sondern auch der schätzungsweise Gehalt an Blut¬
farbstoff. Da eine quantitative Bestimmung desselben wenn auch
sicher möglich 1 ), doch noch klinisch nicht genügend erprobt ist,
so müssen wir uns vorderhand mit einer approximativen Be¬
urteilung der Intensität der okkulten Blutungen begnügen. Sorg¬
fältiges Arbeiten immer unter gleichen Bedingungen, das Ver¬
trautsein mit dem Ausfall und der Stärke der Reaktionen gibt
dem Kundigen und Geübten schon wichtige Hinweise für die Be¬
urteilung der Intensität der Blutungen, die ihrerseits naturgemäss
diagnostisch und therapeutisch von grosser Bedeutung ist.
Wie man aus dem Vorhergehenden ersieht, ist die Technik
des okkulten Blutnachweises speziell durch die oben angegebene
Modifikation des Verfahrens eine so einfache geworden, dass sie
etwa dem qualitativen Zuckernachweis oder dem Indikannachweis
nahe an die Seite gestellt werden kann. Trotzdem glaube ich,
dass nur derjenige Arzt aus dem Nachweis der okkulten Blutungen
1) H. Citron, Ueber den Nachweis kleinster Blutmengen in der
klinischen und forensischen Medizin. Diese Wochenscbr., 1910, Nr. 22.
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UNIVERSUM OF IOWA
2*1. Januar 1913.
15?
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
richtige diagnostische Schlüsse und richtige therapeutische In¬
dikationen wird ableiten können, welcher sich mit allen den zahl¬
reichen, an sich nicht schwierigen, aber immerhin sehr bedeutungs¬
vollen Kautelen des okkulten Blutnachweises gründlich vertraut
gemacht hat.
Aus der chirurgischen Klinik des städtischen Kranken¬
hauses zu Frankfurt a. M. (Direktor: Geh.-Rat Prof.
Dr. Rehn).
Resektion von tuberkulösen Bifurkationslymph-
drüsen wegen Trachealstenose.
Von
Stabsarzt Dr. Betke,
kommandiert zur Klinik.
Die Eröffnung des Mediastinums ist trotz aller neueren Hilfs¬
mittel zur Verhütung eines Pneumothorax immer noch eine Operation,
welche nicht ohne dringende Indikation vorgenommen werden wird.
Die Berechtigung zur Eröffnung ist, abgesehen von den ein¬
schlägigen chirurgischen Herz- und Lungenerkrankungen, gegeben bei
1. entzündlichen Prozessen im Mediastinum,
2. Tumoren des Mediastinums,
3. Hyperplasien des Thymus, wenn sie bedrohliche Er¬
scheinungen hervorrufen,
4. Erkrankungen der Lymphdrüsen.
Die entzündliche Mediastinitis kann sowohl das vordere wie
das hintere Mediastinum betreffen und entsteht meist als Fortleitung
von Entzündungen aus den benachbarten Organen, indem sie entweder
den Weg entlang den Gelässscheiden der Carotis und Jugularis nimmt
oder aus Abscessen der Schilddrüse, des Kehlkopfes und des Oesophagus
entsteht, welche sich in dem vor diesen Organen gelagerten prävisceralen
Raum gebildet hatten und ihren Weg in dem lockeren Gewebe, dem
Gesetze der Schwere und Bequemlichkeit folgend, nach abwärts nahmen.
Ort sind es Verletzungen des Oesophagus, Abscesse und Gangrän der
Lungen, vereiternde Carcinome und Lymphdrüsen sowie entzündliche
Erkrankungen der Pleura und des Pericards, welche entweder direkt
oder durch Fortleitung zur Mediastinitis Veranlassung geben.
Seltener sind es Traumen des Mediastinums, in deren Gefolge
die Mediastinitis auftritt. Sie entsteht dann nach den Ausführungen
von Hoffmann, welcher übrigens nur über sieben traumatische Fälle
berichten kann, entweder von der infizierten Wunde aus, z. B. einem
Degenstich, oder durch die Vereiterung eines durch stumpfe Gewalt ent¬
standenen retrosternalen Hämatoms bei Fractura sterni.
Schliesslich kann eine eitrige Mediastinitis auch metastatisch bei
akuten Infektionskrankheiten, z. B. dem Erysipel, entstehen.
Der erste, welcher zur Entleerung eines im vorderen Mediastinum
gelegenen Abscesses zur Eröffnung des Mittelfellraumes schritt, war — wie
uns Riedin ger und Kümmel in ihrer Chirurgie des Thorax berichten —
Galen, welcher mit Erfolg eine Trepanation des Sternums ausführte.
Unter den Tumoren des Mediastinums werden die gutartigen
nur dann Veranlassung zur Operation geben, wenn sie infolge ihres
Sitzes oder ihrer Grösse grössere Beschwerden verursachen. Es ist mög¬
lich, dass sie durch Druck auf die Trachea, das Herz, die Lungen, die
grossen Gefässe, Nerven oder den Oesophagus stürmische, die Operation
heischende Erscheinungen hervorrufen. Dass die malignen Neubildungen
durch ihr rasches, oft infiltrierendes Wachstum meist heftigere Be¬
schwerden verursachen werden, ist selbstverständlich.
Die malignen Tumoren können wir in primäre und metastatisoh
entstandene eiuteilen.
Als pri märe, bösartige Neu bi 1 dun gen finden wir im Mediastinum
beschrieben vor allem Endotheliorae, Carcinome und Sarkome ver¬
schiedenster Form, welche zwar recht selten auftreten, aber immerhin
den grössten Anteil aller Tumoren in diesem Gebiete ausmachen, wenn
wir ihnen die, streng genommen, nicht hinzugehörigen Tumoren der
bronchialen und trachealen Lymphdrüsen hinzurechnen. Klinisch be¬
zeichnet man als Mediastinalturaoren mehr die Teratome und Dermoide
des Mediastinums und die Lymphosarkome des Thymus, die auch die
Bezeichnung Thymone erhalten haben. Von den Dermoiden, welche ich
wegen ihrer nicht seltenen Kombination mit Sarkom hier beschreiben
möchte, geben uns Ekehorn und Pflanz eine gute Beschreibung. Es
sind im ganzen 26 Fälle veröffentlicht. Ihr Ursprung ist embryonal,
and sie werden entweder auf Inklusionen von Epidermis beim Thorax¬
schluss oder auf bigerminale Implantationen oder auf den Thymus zurück-
gefübrt, als dieses Organ noch epithelialen Charakter trug (Marchand).
Sie sind deutlich an ihrem Inhalt erkenntlich und meist oystische oder
gelappte multilokulare Gebilde, die — wie schon gesagt — mit Lympho-
sarkomeu kombiniert sein können.
Die Thymustumoren unterscheiden sich von den meist knolligen,
lappigen Lymphosarkomen der mediastinalen Lymphdrüsen nach Kauf¬
mann durch ibr diffuses Wachstum und ihre glatte, homogene Schnitt¬
fläche. Die Thymomdiagnose steht fest, falls es gelingt Hassal’sche
Körperchen im Tumor nachzuweisen.
Dass Flimmerepithelcysten im Mediastinum beobachtet sind,
möchte ich nicht unerwähnt lassen, sie nehmen nach Chiari ihren Ur¬
sprung von Divertikeln der Trachea oder nach Stillung und Zahn von
kongenitalen Absprengungen vom Bronchialbaum.
Unter den gutartigon Tumoren, die noch seltener anzutreffen sind
als die bösartigen, ist ein Lipom von v. Langenbeck operiert worden.
Es ging vom Intercostalraum aus und war in das Mediastinum ein¬
gewachsen. Ferner operierte Gussenbauer mit Erfolg ein subpleurales
Lipom, das links vom Sternum durch den zweiten Intercostalraum her¬
vorgewuchert war.
Fibrome zählt Hoffmann nach der Literatur nur sieben auf, von
denen er nur die von Pastau und Barclay beschriebenen als echte
Fibrome angesehen wissen will.
Fügen wir nun noch die äusserst selten vorkommenden Echino¬
kokken des Mediastinums hinzu, von denen bisher vier Fälle bekannt
geworden sind (Hoffmann) und gedenken wir der endothorakalen
Strumen, so sind bis auf die Thymushypertrophie und die nicht durch
Neubildung bedingten Erkrankungen der Lymphdrüsen die differential-
diagnotisch bei Mediastinaltumorverdacht in Frage kommenden Möglich¬
keiten erschöpft.
Der Thymushypertrophie, der in neuerer Zeit lebhaftes
chirurgisches Interesse zugewandt wird, müssen wir noch einige Worte
widmen. Sehr eingehende Beschreibung aller in Frage kommenden
Tbymuserscheinungen und ihrer Behandlungsarten finden wir bei Klose.
Nach ihm ist eine absolute Indikation zum chirurgischen Eingriff ge¬
geben bei kompressiven Erscheinungen des hyperp las tischen Thymus auf
die grossen Gelasse und Vorhöfe. De necke ist nach ihm der erste,
welcher einen derartigen Fall mit Erfolg operiert hat. Wegen Tracheo-
stenosis thymica hat zuerst Siegel im Jahre 1896 mit günstigem
Resultat eine Dislokation des Thymus, König 1897 eine halbseitige
Resektion vorgenommen. Rehn schlug im Jahre'.1899 als erster vor,
die vergrösserte Basedow-Tbymusdtüse mitzuentfernen. Garrö hat zu¬
erst 1911 bei Basedow mit gleichzeitig vergrössertem Thymus ein Stück
des Thymus reseziert. In der Rehn’schen Klinik ist jetzt in acht
Fällen von Basedowscher Krankheit mit gutem Erfolg die hyperplastische
Thymusdrüse reseziert.
Die Erkrankungen der mediastinalen Lymphdrüsen sind aus¬
führlich von Barclay und Wiederhofer und Bieder und Litting
behandelt worden. Es muss hier an gewöhnliche, lokale Lymphome
sowie an die allgemeine Vergrösserung der Lymphdrüsen bei der
Hodgkin’schen oder Sternberg’schen Krankheit gedacht werden, welche
zu enormer Vergrösserung der Lymphdrüsenpakete Veranlassung geben
können. Ferner können wir uns eine klinisch bemerkbar werdende
krankhafte Vergrösserung oder Veränderung der mediastinalen Lymph¬
drüsen, welche teils der Thoraxwand auliegen (Gl. parietales), teils ober¬
flächlich oder tief liegen (GL viscerales) oder aber um die Trachea und
Bronchien gefunden werden (Gl. tracheales und bronchiales), vorstellen,
welche hervorgerufen sein kann durch akute Infektionskrankheiten, Lues
oder auch Tuberkulose, und wir werden dann die verschiedenen Formen
von latent geschwollenen, entzündlich vergrösserten, erweichten, ver¬
kästen und verkalkten Lymphdrüsen vorfinden.
Diese Form der Drusensch Wellungen wird, wie auch Ried io ger
und Kümel aussprechen, nur ausnahmsweise Veranlassung zu
chirurgischen Eingriffen geben. Soweit ich ans der Literatur ent¬
nehmen konnte, ist ein operatives Vorgehen bei tuberkulös er¬
krankten Bifurkationslymphdrüsen, abgesehen von Tracheotomien,
bisher nicht beschrieben. Jedenfalls weiss Hoffmann in seinen
Erkrankungen des Mediastinums nichts darüber zu berichten, und
auch die chirurgischen Handbücher und Einzelarbeiten, soweit ich
sie einsehen konnte, erwähnen keine derartige Operation.
Es wird daher des allgemeinen und speziell des chirurgischen
Interesses nicht entbehren, wenn ich es unternehme, den Verlauf
einer operierten, durch tuberkulöse Bifurkationsdrüsen hervor-
gerufenen Broncho-Trachealstenose wiederzugeben.
Aus der Anamnese sei folgendes bemerkt: Vater starb an Lungen¬
entzündung, Mutter und Geschwister sind gesund. Seit 2 Jahren hat
die Pat Atembeschwerden. Am 5. X. 1911 suchte sie deshalb die
medizinische Klinik des städtischen Krankenhauses Frankfurt a. M. auf.
Hier fand sich eine tuberkulöse Affektion beider Lungenspitzen. Am
1. II. 1912 wurde sie von dort, nachdem ihr noch polypöse Wuche¬
rungen der Nase entfernt waren, wesentlich gebessert entlassen. All¬
mählich nahmen die Atembeschwerden wieder zu, und sie suchte, wegen
Verdachts eines mediastinalen Tumors eingewiesen, am 25. Vll. 1912 die
chirurgische Klinik auf.
Der Aufnahmebefund besagt von der Patientin: Blasse, 29jährige
Frau in mittlerem Ernährungszustand. Die Lippen und sichtbaren
Schleimhäute sind leicht cyanotisch verfärbt. Am Hals und auf
der Brust sind die Venen erweitert deutlich sichtbar. Am Herzen
weder auscultatorisch noch perkutorisch oder röntgenologisch Verände¬
rungen nachweisbar. Die Lungen zeigen normale Grenzen, leichte
Dämpfung über beiden Spitzen und über den untersten hinteren Ab¬
schnitten der linken Lunge. Ueber der rechten Lunge Atemgeräusch
etwas abgeschwächt. Es besteht starker, quälender „Reizhusten“.
Zahlreiche bronchitische Geräusche über beiden Lungen. Im Sputum
sind Tuberkelbacillen nachweisbar. Der Thorax ist leicht fassförmig.
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Nr. 4.
BERLINER KLINISCHE WOCH ENSCH RIFT.
Beim Inspirium deutliches Einziehen des Jugulums. Ex-
spirium sehr stark verlängert, gequält und etappenweise.
Aber auch das Inspirium ist deutlich über die Norm ver¬
längert, die Anzahl der Atemzüge beträgt 24 in der Minute. Pat.
hat starken Lufthunger. Keine Dämpfung an der Thoraxapertur und
über dem Sternum. Es besteht Dysphagie. Sie gibt an, dass beim
Schlucken die festen Bissen in der Speiseröhre auf einen Wider¬
stand stossen und erst allmählich in den Magen gelangen. Oesophagus
für Sonde durchgängig. Schlechter Appetit mit Heisshunger
abwechselnd. Die Stimme ist etwas heiser und leicht tonlos.
Eine Untersuchung auf der hiesigen Ohrenklinik ergibt folgenden
Befund: „Im Larynx eine Affektion des N. recurrens beiderseits. Bei
der Phonation ist der Glottisschluss unvollständig und bei der In¬
spiration weichen die Stimmbänder nur um die Hälfte des Normalen
auseinander. Diagnose: Parese der Musculi interni und mangelhafte
Funktion der postici.“
Sonst besteht bei der Pat. kein krankhafter Befund. Die Röntgen¬
aufnahme (s. Figur 1) zeigt ovale, etwa walnussgrosse Schatten ober¬
halb der Abgangsstelle des rechten Bronchus (Gland. tracheo-
bronch. sup. dext.) längs der Trachea und in der Gegend der ganzen
Bifurkation. Ferner heben sich die bronchialen Lymphdrüsen deutlich
als vergrössert und verändert ab. In den Lungen einige tuberkulöse
Herde. Deutlich erkennbar ist die Verengerung des Lumens des rechten
Hauptbronchus durch die epibronchialen und die Bifurkationslymphdrüsen.
Nach dem erhobenen Befund wird eine Einengung der Trachea in
ihrem mediastinalen Abschnitt durch einen Tumor unbestimmbarer —
wahrscheinlich tuberkulöser — Art angenommen.
Figur 1.
Da die Atemnotbeschwerden zunehmen und die Gefahr einer
Erstickung auftritt, wird am 27. VII. in Mischnarkose von Geheim¬
rat Rehn die Operation — Mediastinotomia longitudinalis nach
Sauerbruch und'[Schumacher — vorgenommen: Es wird
durch einen SchnittTdicht oberhalb des Oberrandes des Sternums
der Zugang zum Mediastinum freigelegt, die Ansätze des Musculus
sternocleidomastoideus werden scharf durchtrennt. Der tastende
Finger fühlt tief unten im Mediastinum harte, etwa walnussgrosse
Tumoren. Durchschneiden des zweiten rechten Rippenknorpels
nahe seinem Sternalansatz, Durchsägung des Manubrium sterni
an der rechten Seite. Man kann nunmehr den ganzen oberen,
vorderen Mediastinalraum übersehen. Es zeigt sich, nachdem die
grossen Gefässe — Vena anonyma und Arteria carotis communis
dextra — vorsichtig beiseite gezogen sind, dass die harten, tumor¬
artigen Knollen längs der Trachea, besonders rechts sitzeu und
bis zum Abgang des rechten Hauptbronchus reichen. Es gelingt,
eines der harten Pakete, welches oberhalb des rechten Bronchus,
ira Winkel zwischen Trachea und Bronchus liegt, nach Beiseit-
drängung der Arteria und Vena anonyma auszuschälen (s. Figur 2).
Bei dem Versuch, ein weiteres Drüsenpaket zu entfernen, fängt
ein kleiner Nebenast der Vena cava superior oder Vena anonyma
dextra zu bluten an, und es wird deshalb von einer weiteren
Operation Abstand genommen, zumal die Atmung freier geworden
ist. Die Wundhöhle wird tamponiert. Keine Kuochennalit.
Muskelnähte und Hautnaht. Ueberdruck ist nicht erforderlich
geworden.
Die entfernte knollige Masse erwies sich als ein 3,5 cm
langes, 2 cm breites, verkalktes Lymphdrüsenpaket, welches nach
seinem Sitz dem Gland. tracheo-bronch. superior dextra angehört
hat (s. Figur 2).
Figur 2.
Schematische Zeichnung der Bifurkation (nach Corning).
Ara Tage nach der Operation, 28. VII., stieg bei leidlichem Allge¬
meinbefinden die Temperatur auf 38,9°, um dann allmählich abzukliugen.
Seit dem 5. VIII. ist Patientin fieberfrei.
Am 29. VII. wird der Tampon entfernt, das Allgemeinbefinden ist
gut. Patientin hat nach ihren eigenen Angaben viel besser
Luft. Die Atmung ist frei, kein verlängertes Ex- und Inspirium mehr.
Husten nicht mehr quälend.
Im Laufe der unkomplizierten Rekonvaleszenz hebt sich der Allge¬
meinzustand, die Atmung bleibt dauernd frei, die bronchitischen Er¬
scheinungen gehen zurück.
Bei der Entlassung am 20. VIII. 1912 wird folgender Befund er¬
hoben: Oberhalb und parallel zum oberen Rande des Brustbeines eine
12 cm lange, feste, reizlose Narbe. Vom rechten Sternoclaviculargelenk
abwärts eine etwa 9 cm lange, senkrecht zur vorigen verlaufende Narbe,
neben der rechts in der Höhe der zweiten Rippe eine kleiuhaudteller-
grosse, flache Einziehung besteht. Der Brustkorb bewegt sich symme¬
trisch und ruhig. Die Atmung ist völlig frei, Exspirium und
Inspirium erfolgt beschwerdelos, ohne Anstrengung und
ohne Verlängerung. 20 Atemzüge in der Minute. Sehr geringer,
lockerer Husten mit spärlichem Auswurf. Unterhalb der Schlüsselbeine
einige brummende und giemende Geräusche.
Die Patientin hat sich dann noch einmal im Oktober vorgestellt.
Der Befund war der gleiche wie bei der Entlassung. Die Patientin ist
sehr zufrieden, so gut atmen zu können. Sie hat sich jetzt zur Behand¬
lung ihrer Lungentuberkulose in ein Sanatorium begeben.
Gehen wir die Krankengeschichte noch einmal durch, so
lassen sich die Symptome, welche vor der Operation bestanden,
jetzt leicht erklären.
Es ist bekannt — und wird besonders von Hoffmann her-
vorgehohen —, dass die vergrösserten, die Trachea einengenden
Lymphdrüsen an der Bifurkation zu heftigem Hustenreiz Ver¬
anlassung geben. Der Husten kann so stark werden, dass er
demjenigen beim Keuchhusten gleicht, wie es auch bei unserer
Patientin der Fall war. Die Erklärung hierfür wird verschieden
angegeben. Hoffmann will den Reizhusten reflektorisch von der
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27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
159
Schleimhaut ausgelöst wissen, sumal die Gegend der Bifurkation
eine ganz besonders reizbare, „tussigene“ Form besitzt, wie er
sich aasdrückt. In unserem Fall erscheint es wahrscheinlicher,
dass der Laryngospasmus durch eine Zerrung oder Druck des
Nervus recurrens hervorgerufen ist. Ersehen wir doch aus dem
Röntgenbild, dass neben der Trachea noch zahlreiche vergrösserte
und wahrscheinlich durch Kalkeinlagerungen verhärtete Lymph¬
drüsen liegen, die durch ihre Nachbarschaft sehr wohl eine
Reizung des Nervus recurrens dexter hervorrufen konnten. Durch
die Entfernung der grossen, verkalkten Drusen in der Ecke ober¬
halb des rechten Bronchus und der Trachea mag eine Entlastung
des Nervus vagus mit Nervus recurrens stattgefunden haben, und
somit das Aufhören der krampfhaften Hustenanfälle nach der
Operation seine Erklärung finden. Denn betrachten wir den
Verlauf des rechten Nervus vagus und recurrens, von denen der
Nervus vagus die Arteria subclavia kreuzt und den Nervus re¬
currens dextra um die Arterie nach oben hin abgibt, welcher
dann in der durch Trachea und Oesophagus gebildeten Rinne
verläuft, so ist uns die Möglichkeit einer Druckparese durch die
verkalkten epibronchialen Drüsen an der Trachea einleuchtend
(s. Figur 2).
Auch die Respirationsbeschwerden und ihr Aufhören
nach der Operation können wir uns erklären. Es ist bekannt,
dass der rechte Hauptbronchus häufiger Kompressionen ausgesetzt
ist als der linke, da um den rechten Bronchus herum zahlreichere
und grössere Drüsen liegen als links. Diese haben nun im Ver¬
ein mit den übrigen, ebenfalls vergrösserten und verhärteten
Bifurkations- und unteren tracheo bronchialen Drüsen — wie es
auf dem Röntgenbild sehr gut zu erkennen ist — zu einer Kom¬
pression des rechten Bronchus und der Trachea geführt und deren
klassisches Bild hervorgerufen: Dyspnoe, mühsame, gequälte
Atmung, welche im Vergleich zur Dyspnoe bemerkenswert
langsam ist (24 in der Minute). Die Dyspnoe ist eine inspira¬
torische und exspiratorische Atmungserschwerung. Schon
Hoff mann führte aus, dass durchaus nicht nur inspiratorische
Atmungserschwerung — wie vielfach angenommen wird — zu
bestehen brauche, sondern dass auch exspiratorische häufig beob¬
achtet ist. Unser Fall ist ein weiterer Beweis für die Möglich¬
keit einer sowohl in- wie auch exspiratorischen Dyspnoe bei
Trachealstenose. Dass auch spontanes Ausheilen einer durch
tuberkulöse Lymphdrüsen verursachten Dyspnoe infolge Bronchus¬
stenose voikommt, zeigt uns die Veröffentlichung von Misch-
land, welcher durch Bronchoskopie beobachtete, dass durch
Durchbruch erweichter, tuberkulöser Bronchialdrüsen in den
Bronchial bäum eine vorher bestehende schwere Stenose zur
Heilung kam.
Dass in unserem Falle die Dyspnoe nicht durch die auf der
Obrenklinik festgestellte Recurrensaffektion — woran man natür¬
lich denken muss — hervorgerufen ist, erhellt ans dem Operations¬
erfolg. Nach der operativen Entfernung des Atmungshindernisses
schwindet die Dyspnoe völlig, während die doppelseitige Re-
currensstörung bestehen bleibt. Diese letztere lässt sich, wie
schon erwähnt, durch Reizung des Recurrens durch andere
tuberkulös veränderte Drüsen erklären.
Dass bei Vergrösserung der mediastinalen Lymphdrüsen
Dysphagie auftritt, wissen wir aus den Veröffentlichungen von
Köner, Tchamer und Hoffmann. Sie ist — wie auch in
unserem Falle — charakterisiert durch geringe Symptome, so
dass man an hysterische und nervöse Zustände zu denken geneigt
ist, und dadurch, dass die Sondenuntersuchung keine Verengerung
des Oesophagus an sich ergibt. Ihre Erklärung findet die Er¬
scheinung durch Schwellung der Drüsen, welche Druck oder
Zerrung auf den Oesophagus ausüben. Man könnte auch daran
denken, dass der Vagus oder seine Aeste in Mitleidenschaft ge¬
zogen sind. Aus den genannten Veröffentlichungen geht hervor,
dass die Dysphagie schwindet, wenn der Reiz ausfällt, so z. B.
wenn die komprimierenden Drüsen nach Verkäsung in den Oeso¬
phagus durchbrechen oder durch therapeutische Maassnahmen zur
Verkleinerung gebracht sind. Bei unserer Patientin ist durch die
Operation die Dysphagie behoben, sie isst und schluckt ohne
Beschwerden.
Um schliesslich noch ein auch bei unserer Kranken vor¬
handenes Symptom zu besprechen, so lässt sich auch für die
Cyan ose des Gesichts, besonders der Lippen, eine Erklärung
finden. Man wird zunächst an dyspnoische Cyanose denken, doch
ist sie auch durch Stauung zu erklären, zumal wir erweiterte
Venen auf der Brustwand und am Halse gesehen haben. Die Er¬
klärung ist dann durch eine Kompression der Venae anonymae
durch die vergrösserten Drüsen gegeben.
Cyanose und Venenerweiterung sind nach der Operation ge¬
schwunden.
Die Therapie bei tuberkulösen Erkrankungen der mediastinalen
Lymphdrüsen war bisher keine chirurgische und wird es auch
nur für Ausnahmefälle bleiben. Die im allgemeinen angewandte
Heilmethode wird zunächst das Grundleiden, die Tuberkulose, in
üblicher Weise in Angriff nehmen. Es sind ferner empfohlen
worden Abreibungen, Duschen, Priessnitz’sche Umschläge mit
morgendlichen Uebcrgiessungen, Einreiben mit grünen Seifen,
Massieren und Drücken der ßrnstwand und Wirbelsäule (Er-
schütteruogsmassage). Es sind gerade von der letzten Manipulation
günstige Wirkungen gesehen, doch erscheint sie mir nicht ungefähr¬
lich. Es ist doch sicher möglich, dass durch eine derartige Maass-
nähme eine Zerquetschung und Mobilisation der infektiösen Massen
verursacht wird, die dann zu einer Allgemeininfektion, zu einer Miliar¬
tuberkulose führen kann. Aus den Weigert’schen, Albrech t’schen
und anderen Veröffentlichungen wissen wir, wie leicht ein Ein¬
bruch verkäster Lymphdrüsen in die arrodierten Venen statt¬
findet, und es ist einleuchtend, dass die Gefahr durch eine direkte
Massage der Drüsen nur erhöht werden kann. Es bleiben dann
noch die internen zahllosen Mittel, wie Eisen, Arsen, Jod, Phos¬
phate usw. übrig, so wie der bei Kindern gewiss vorzügliche
Lebertran, um die bisherigen Heilmittel zu erschöpfen. Die beim
malignen Lymphom angeblich mit Erfolg verwandte Röntgen¬
bestrahlung lässt bei Tuberkulose der Drüsen im Stich.
Der Erfolg bei der Operation, der, um es noch einmal kurz
zu wiederholen, in Aufhören der Dyspnoe, Schwinden der Cyanose,
Fortfall der Dysphagie, Besserung des Hustens mit seinen Be¬
schwerden bestand, lässt den chirurgischen Eingriff, der sicher
nicht ohne Gefahr ist, bei einem Fall mit schwerer Stenose der
Trachea oder der Bronchien durch die einengenden tuberkulösen
Lymphdrüsen nicht nur gerechtfertigt erscheinen, sondern fordert
zu weiteren Versuchen operativer Behandlung auf. Unsere Beob¬
achtungen am Sektionsmaterial, sowie zahlreiche Veröffentlichungen
(A. Schmidt, v. Schrötter u. a.) zeigen uns, dass dieTracbeal-
oder Bronchialstenose, verursacht durch hyperplastische, tuber¬
kulöse Lymphdrüsen in der Bifurkationsgegend, durchaus nicht zu
den Seltenheiten gehört. Meist werden nach den vorliegenden
Berichten die schweren Stenoseerscheinungen durch Tracheotomie
bekämpft, oder sie gelangen auch, wie schon erwähnt, durch
Perforation in Trachea oder Bronchus zur Entlastung. Dass die
Tracheotomie oft nicht ausreichend sein wird, besonders für einen
Dauererfolg, zeigt uns die Veröffentlichung von Knöpfelmacher.
Es war hier bei einem 2 l j 2 jährigen Kinde, welches sich wegen
Diphtherie seit 8 Tagen in Behandlung befand, wegen plötzlicher
hochgradiger Dyspnoe die Tracheotomie ausgeführt. Trachea
zeigte sich frei, Dyspnoe und Lungenblähung blieben bestehen.
Bei der Sektion bestätigte sich die Vermutung, dass der rechte
Hauptbronchus durch eine tuberkulöse Drüse verlegt war.
Es bedarf wohl keiner Auseinandersetzung, dass es zweck¬
mässiger und für den Kranken günstiger ist, eine Entfernung der
erreichbaren, vergrösserten, komprimierenden Lymphdrüsen vor¬
zunehmen als abzuwarten, bis die Natur sich selbst zu helfen
versucht, indem die verkästen Drüsen in die Luftwege durch¬
brechen und von hier im günstigsten Falle ausgehustet werden,
oder — was oft beobachtet ist — durch Aspiration zu einer oft
tödlichen Verschlimmerung des Leidens führen.
Literatur.
Al brecht, Sektionsordnung. Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.
Bd. 3, H. 4. — Barety, Adenopathie trachöobronchique. These de
Paris, 74. — Biedert und Litting, Festschrift für Uenoch, 1890.,
— Den ecke, Accidents de compression attribuables au thymus. Semaine
mödicale, 9. Juni 1909. — Ekehorn, Die Dermoidcysten des Mediasti¬
num anticum. Archiv f. klin. Chir., 1898, Bd. 56. — Kaufmann,
Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. — Knöpfelmacher,
Anatomisches Präparat von Verlegung der Trachea durch eine verkäste
Bronchialdrüse. Wiener med. Wocbenschr., 1907, Nr. 28. — Klose,
Chirurgie der Thymusdrüse. Neue deutsche Chirurgie, 1912.— Köner,
Ueber Dysphagie bei Erkrankungen von Bronchialdrüsen usw. Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. 87. — König, Exstirpation der Thymusdrüse.
Centralbl. f. Chir., 1897, Nr. 21. — Marchand, Festschrift für Virchow.
1891. — Mischland, Zwei kasuistische Beiträge für die Wichtigkeit
der direkten Rohruntersuchung. Zeitschr. f. Laryngol. usw., Bd. 2, H. 4.
— Schmidt, Ueber Perforation anthrakotisch erweichter Bronchial¬
drüsen in den Bronchialbaum und ihre klinische Diagnose. Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. 90, H. 1 u. 2. — v. Schrötter, Stenosierung
beider Hauptbronchien. Wiener klin. Wochenschr., 1907, Nr. 27. —
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 4.
Sternberg, Zeitscbr. f. Hyg., 1898, Nr. 19. — Stilling, Virchow’s
Archiv, 1888, Bd. 114. — Rehn, Die Tbymusstenose und der Tbymus-
tod. Archiv f. Cbir., 1908, Bd. 80. — Derselbe, Die Fortschritte der
Brustchirurgie. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1908, H. 5. — Tchamer,
Zur Kasuistik der Dysphagie bei Kindern infolge von Erkrankung der
Bronchialdrüsen. Jahrb. f. Kinderheilk., Neue Folge, Bd. 28. —
Warn ecke, Ueber Hodgkin’sche Krankheit. Mitteil. a. d. Grenzgeb.,
1904, H. 14. — Weigert, Venentuberkel und ihre Beziehungen zur
tuberkulösen Blutinfektion. Virchow’s Archiv, 1882, Bd. 88. — Zahn,
Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 22.
Aus der chirurgischen Klinik zu Breslau (Direktor:
Geheimrat Prof. Dr. Küttner).
Transduodenale Hepaticusdrainage. 1 )
Von
Dr. Hö’rz,
Assistenzarzt der Klinik.
Bei der Operation von Erkrankungen der Gallenwege kann
es Vorkommen, dass wir in die Notwendigkeit versetzt sind, eine
neue Verbindung der grossen Gallengänge mit dem Darmkanal
herzustellen.
Ich denke dabei an solche Fälle, in denen der duodenale
Teil des Choledochus durch irgend einen Prozess undurchgängig
geworden ist. Dies kann geschehen entweder durch Vorgänge im
Choledochus selbst oder durch Veränderungen in der Nachbar¬
schaft. So kann eine lange Zeit der Papilla Vateri eingeklemmter
Stein ein Dekubitalgeschwür bervorrufen, das zu einem narbigen
^Verschluss der Papille führen kann. Andererseits können ent¬
zündliche Prozesse oder Neubildungen in der Umgebung zu einer
derartigen Kompression des duodenalen Cboledocbusteiles führen,
dass er für den Gallenabfluss ungenügend wird. Endlich kann es
in schwierigen Fällen, namentlich bei Recidivoperationen, Vor¬
kommen, dass man aus Versehen den Choledochus durchtrennt.
In allen diesen Fällen ergibt sich für uns die Notwendigkeit,
einen neuen Abflussweg der Galle nach dem Darm zu schaffen.
In Betracht kommt einmal die Cbolecystenteroanasto-
mose, die aber oft deshalb nicht ausführbar sein wird, weil ent¬
weder die Gallenblase durch vorangegangene Cbolelitbiasis-
attacken geschrumpft oder aber — bei Recidivoperationen — be¬
reits bei der ersten Operation entfernt worden ist.
Deo normalen Verhältnissen viel näher kommt die Her¬
stellung einer direkten Anastomose zwischen Choledochus und
Duodenum, die Choledochoduodenoanastomose. Um sich
diese technisch nicht einfache Operation zu erleichtern, kann man
die Anastomose über einem eingelegten Guromidrain anlegen, in
der Hoffnung, dass das Drain durch den Darm abgehen werde.
Ein unsicheres und nicht ungefährliches Verfahren, denn einmal
lässt sich dadurch nicht die Galle eine Zeitlang nach aussen ab¬
leiten, wie dies bei infizierter Galle so wünschenswert ist,
andererseits kann es Vorkommen, dass das Drain eben nicht ab¬
geht, wie ein von Völcker mitgeteilter Fall zeigt.
Für derartige Fälle hat uns Völcker 2 ) eine sehr schöne
Methode angegeben, die transduodenale Hepaticusdrainage.
Völcker batte bei einer 47jährigen Frau ein Carcinom der Gallen¬
blase entfernt. Eine nach der Operation zurückbleibende komplette
Gallenfistel nötigte ihn 3*/2 Wochen naoh der ersten Operation zu einem
zweiten Eingriff. Dabei zeigte sich, dass der Ductus choledochus voll¬
ständig durchtrennt war. Die Distanz zwischen duodenalem und hepa¬
tischem Choledochusende betrug anfangs 3 cm, konnte aber mit Hilfe
der Kocher’schen Mobilisation des Duodenums soweit verringert werden,
dass eine circulare Nabt möglich war. Völcker wandte nun eine
Methode an, die v. Stubenrauch auf Grund von Tierexperimenten
empfohlen hatte.
Durch das duodenale Choledochusende wurde eine Sonde ins Duo¬
denum eingeführt und über dem an der Vorderwand der Pars descendens
duodeni vorgedrängten Sondenknopf das Duodenum incidiert. Nun
wurde an die Sonde ein langes Gummidrain angebunden und dieses
durch Zurückziehen der Sonde quer durchs Duodenum aus duodenalen
Cheledoohusstumpf herausgeleitet. Dann wurde das Drain einige Centi-
meter weit in den hepatischen Cboledochusstumpf eingelegt und über
ihm die Anastomose mittels einer Reihe von Catgutnähten hergestellt.
1) Auszugsweise vorgetragen in der Breslauer chirurgischen Gesell¬
schaft, Sitzung vom 9. Dezember 1912.
2) Völcker, Transduodenale Drainage des Ductus hepaticus bei
Plastik des Ductus hepato-choledochus. Bruns’ Beitr., 1911, Bd. 72,
S. 581.
Die Einmündungsstelle des Drains auf der Vorderseite des Duodenums
wurde durch Bildung eines WitzePschen Sohrägkanals geschützt.
Der Heilungsverlauf war glatt; das Drain wurde am füuften Tage
entfernt, am 16. Tage verliess die Patientin mit geheilter Wunde das
Krankenhaus.
Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand: einmal ist
die Technik der Herstellung der Anastomose über dem als Unter¬
lage dienenden Drain sehr vereinfacht, zweitens lasst sich die
Galle für einige Zeit nach aussen ableiten, und drittens schliesst
sich die Fistel nach der Entfernung des Drainrohrs sehr rasch.
An der Küttner’scben Klinik hatten wir in den letzten zwei
Jahren dreimal Gelegenheit, die transduodenale Hepaticusdrainage
auszaführen.
Ich bringe zunächst kurz die Krankengeschichten.
1. Pauline Sch., 30 Jahre alt, aufgenommen 14. XI. 1910.
Am 10. IX. 1910. Cholecystektomie und Hepaticusdrainage wegen
Cholelithiasis. Patientin kommt wieder, weil die Gallenfistel sich noch
nicht geschlossen hat.
Befund: Guter Allgemeinzustand. Innere Organe ohne Besonder¬
heiten. Leber nicht nachweisbar vergrossert. An der alten Drainage¬
stelle eine feine Fistel, aus der reichlich Galle abfliesst. Stuhlgang
uugefärbt.
Am 7. XII. 1910. Operation (Geheimrat Küttner): Kebr’scher
Wellenschnitt. Man findet ausgedehnte narbige Verwachsungen der Leber
mit dem Duodenum und Mesocolon transversum, die schrittweise scharf
durchtrennt werden müssen. Hinter dem Duodenum sieht man in
derbem Narbengewebe eine schlitzförmige Gallenlistel. Diese wird nach
der Leber zu verfolgt, worauf man in den auf Daumendicke erweiterten
Hepaticus kommt. Der Hepaticus ist nach oben zu frei: das duodenale
Choledochusende dagegen ist durch Narbengewebe völlig verschlossen.
Es wird nun an der Vorderseite des Duodenums unter Bildung eines
WitzePschen Schrägkanals ein Drainrohr eingeführt, auf der gegenüber¬
liegenden Seite wieder heraus- und in den eröffneten Hepaticus ein¬
geleitet und über dem Drain eine Hepaticoduodenoanastomose angelegt.
Glatter Verlauf. Am achten Tage wird das Drain entfernt; kein
Gallenablluss mehr. Bei der Entlassung am 23. XU. ist der Stuhl
gefärbt.
2. Emilie Sch., 55 Jahre alt, aufgenomraco am 25. III. 1911. Seit
3—4 Jahren öfters Magenschmerzeo. Im März 1910 heftige Schmerzen
oberhalb des Nabels. Erbrechen, Icterus, Stuhlgang weiss. Nach einigen
Tagen Besserung. Im Laufe des nächsten Vierteljahres noch zahlreiche
solche Anfälle, dann Nachlassen der Beschwerden. Am 3. HI. 1911
erneuter Schmerzanfall, eine Nacht dauernd, nachher Icterus.
Befund: Leicht ictcrische, sehr heruntergekommene Frau. Innere
Organe: Leise Herztöne, sonst ohne Besonderheiten. Leber und Gallen¬
blase nicht fühlbar, nicht druckempfindlich. Am 28. III. Operation
(Dr. Fritsch): Kehr’scher Wellenschnitt. Leber mit dem Duodenum
durch llächenhafte Adhäsionen verwachsen, Gallenblase nicht sichtbar.
Beim Durchtrennen der Adhäsionen kommt man auf ein in Schwielen
eingebettetes steingefülltes Gebilde, das für die Gallenblase gehalten
wird. Es zeigt sich aber später, dass es der Choledochus ist. Eine
Fortsetzung des Ganges nach dem Duodenum ist nirgends zu finden.
Anlegen einer Choledochoduodeuoanastomose über einem Drain, welches
nach oben in den Hepaticus eingelegt wird, während es nach unten
quer durchs Duodenum geleitet wird. An der Austrittsstelle auf der
Vorderseite wird ein WitzePscher Schrägkanal angelegt.
Pat. hat sich von der Operation nicht wieder erholt, sondern ist
am anderen Morgen gestorben.
Obduktion: Das Drain liegt an richtiger Stelle. Von der Gallen¬
blase ist nichts zu sehen. Der Ductus cysticus endigt blind in einem
schwieligen Gewebe, in welchem man den Rest der geschrumpften Gallen¬
blase erblicken muss.
3. Henriette G., 50 Jahre alt, aufgenomraen am 18. VII. 1912. Im
Herbst 1909 und Mai 1910 Leibschmerzen und Gelbsucht, die jedesmal
etwa 4 Monate lang anhielt. Seit Juni 1912 besteht wiederum Icterus.
Befund: Leidlich genährte Frau mit sehr starkem Icterus. Herz,
Lungen ohne Besonderheiten. Leber vergrössert und überall druck¬
empfindlich. In Gallenblasengegend ein walnussgrosser, besonders druck¬
empfindlicher Tumor. Stuhlgang grauweiss.
Am 20. VII. 1912 Operation (Dr. Hörz): Kehr’scher Wellenschnitt.
Gallenblase und Choledochus sehr stark gefüllt, nach Inzision des
letzteren entleert sich sehr reichlich eitervermischte Galle. Duodenales
Ende des Choledochus weder für den Finger, noch für Steinlöffel und
Sonden durchgängig. Wegen der eitrigen Beschaffenheit der Galle ist
temporäre Ableitung nach aussen dringend erwünscht. Es wird deshalb
transduodenale Hepaticusdrainage beschlossen. Zunächst Cholecyst¬
ektomie. Dann wurde zuerst an der der Choledochusincision am nächsten
liegenden Stelle des Duodenums Serosa und Muscularis durchtrennt und
mit feinen Nähten die untere Hälfte der Choledochusincision mit der
entsprechenden Serosa muscularis-Lippe vernäht (Figur 1).
Dann wurde an der gegenüberliegenden vorderen Duodenalwand
mittels Witzelfistel ein Drain ziemlich weit ins Duodenum nach dem
Pylorus zu eingeführt (Figur 2).
Nun erst wurde an der Stelle der beabsichtigten Anastomose die
Duodenalschleimhaut durchtrennt, das überschüssige Drainende heraus-
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27. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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gesogen und durch die Choledochuswunde in den Hepaticus eingeführt
(Figur 3). Dann wurde die Choledochoduodenoanastomose dadurch ge¬
schlossen, dass über dem Drain die noch freie Seite der Duodenal-
incision mit der entsprechenden Choledochusseite durch zwei Nahtreihen
vereinigt wurde (Figur 4).
Heilungsverlauf durch eine Pneumonie kompliziert. Drain am achten
Tage entfernt, einige Tage lang Abfluss von Duodenalinhalt, die
Sekretion lässt jedoch bald nach, und am 19. Tage nach der Operation
wird die Pat. aus der Klinik entlassen.
Fisrur 2.
Figur 1.
Während die beiden ersten Fälle genau nach der Völcker-
schen Methode operiert wurden, wandte ich im dritten Fall eine
kleine Modifikation an, die darin besteht, dass zunächst ohne Er¬
öffnung de» Darmlumens die hintere Anastomosenwand hergestellt
wird, analog der Anlegung der hinteren Wand bei der Gastro¬
enterostomie mit Naht. Dann erst wird das transduodenale Drain
eingeführt and an der Stelle des Duodenums, an der vorher
Serosa muscularis durchtrennt worden war, das Lumen eröffnet.
Rasch wird non das überschüssige Drainende aus dieser Oeffnung
herausgeleitet und durch die Choledochusincision einige Centi-
meter weit in den Hepaticus eingeführt. Den Schluss der Ope¬
ration bildet die Herstellung der vorderen Anastomosenwand
mittels einfacher oder doppelter Nahtreihe.
Die Vorteile der angegebenen Modifikation sind darin zu
suchen, dass die Zeit, während welcher Darmlumina eröffnet sind,
auf ein Minimum reduziert ist. Dadurch wird nach Möglichkeit
die Gefahr der Infektion durch austretenden Duodenalinhalt ver¬
ringert. Ein zweiter Vorzug liegt darin, dass auch die hintere
Wand der Anastomose in aller Ruhe sorgfältig ausgeführt werden
kann, da während dieses Aktes der Operation das Darmlumen
noch nicht eröffnet ist und noch kein Drain in der Anastomose
liegt, das bei der gewöhnlichen Methode die Anlegung der hinteren
Nahtreihe erschwert. Auf diesen beiden Faktoren, möglichste
Verminderung der Infektionsgefahr und sorgfältige Herstellung
der Anastomose, beruht der Erfolg der Operation.
Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen-
Hospitals zu Breslau (Primärarzt: Prof. Dr. A. Tietze).
Ueber Spontangangrän des Zeigefingers und
symmetrische Gangrän.
Von
Dr. Heinrich Harttang,
Assistenzarzt der chirurgischen Abteilung.
(Nach einer Demonstration in der medizinischen Sektion der vaterländi¬
schen Gesellschaft zu Breslau am 6. Dezember 1912.)
M. H.! Ich erlaube mir, Ihnen einen interessanten Fall von
Spontaogangrän des rechten Zeigefingers zu demonstrieren, um
kurz darauf noch einen anderen Fall von früherer symmetrischer
Gangrän zu besprechen, bei dem es sich jetzt anscheinend um
ein Recidiv handelt.
Der 66jährige Maler W. stammt aus gesunder Famile. Er hat im
Jahre 1870 mit einem Gewehrkolben einen Schlag aufs Hinterhaupt be¬
kommen und ist seit dieser Zeit schwerhörig, ebenso leidet er seit
jenem Trauma an leichten epileptiformen Anfällen. Er ist, wie gesagt,
Maler, und hat seinen Beruf bis vor acht Jahren ausgeübt, ohne jemals
die Erscheinungen einer Bleiintoxikation gehabt zu haben. Seit acht
Jahren hat er mit Bleifarben nichts mehr zu tun.
Vor etwa drei Wochen erkrankte Pat. an einer schweren Bronchitis,
die aber abheilte, und am 20. November stellte sich ein pelziges,
dumpfes Gefühl im Zeigefinger der rechten Hand ein, nachdem vorher
ein phlegmonöser Prozess an der rechten Hand zwei Inzisionen auf der
Volarseite und auf dem Dorsum von seiten des behandelnden Arztes
nötig machte.
Anamnestisch ist noch hervorzuheben, dass Pat. ein starker Raucher
ist, der bis zu 9 Zigarren pro die konsumiert, ausserdem noch Pfeife
geniesst, Zigaretten dagegen nie geraucht hat. Im Trinken ist Pat. stets
sehr mässig gewesen, eine Infect. sex. hat er nie gehabt. Als der Pat.
am 26. XI. 1912 in unsere Behandlung kam, konnte folgender Befund
erhoben werden.
Es bandelt sich um einen sehr kräftigen Mann in gutem Ernährungs¬
zustände. Die Pupillen sind gleich weit, reagieren prompt auf Licht¬
einfall. Halsorgane: o. B. Auf der Haut keine Exantheme. Das Herz
zeigt starke Verbreiterung nach links, die Töne sind sehr leise, die
Aorta ascendens perkutorisch nachweisbar und breit, röntgenologisch
aneurysmatisch ausgebuchtet. Das periphere Gefässsystem sehr rigide,
der Puls ziemlich hart. Blutdruck nach Recklinghausen syst. 145,
diast. 105. Die Lungen: o. B., die Patellarreflexe erhalten. Lumbal¬
punktion: Liquor fliesst unter normalem Druck ab. Wassermann: —.
Nonne-Apelt: —. Keine Lymphocytose. Ebenso Wassermann im Blut: —.
Der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. Eine genaue Untersuchung
des Nervensystems ergibt, dass dieses vollkommen intakt ist, namentlich
ist die Sensibilität für alle Qualitäten an den oberen und unteren Ex¬
tremitäten wie am Stamm gut erhalten. An der rechten Hand wurde
folgender Befund erhoben: Das Endglied des rechten Zeigefingers ist
auf der radialen Seite bis zum 1. Interphalangealgelenk, auf der ulnaren
Seite fast bis zum Metacarpo-Phalangealgelenk vollkommen schwärzlich
verfärbt, d. h. es besteht eine typische Mumifikation der beiden End¬
phalangen, zum Teil der Grundpbalanx. Dann kommt eine Zone, welche
eitrig belegt ist und den Uebergang zu dem übrigen noch gut ernährten
Gewebe darstellt. Der Handrücken ist in toto stark geschwollen, sehr
entzündlich gerötet und zeigt über den Köpfchen der Metacarpi 2 und 3
ein grosses, im Grunde schmierig belegtes Ulcus. Eine ähnliche Ulce-
ration findet sich radialwärts am Grundglied des Mittelfingers und ist
wohl durch Kontaktinfektion von der oben erwähnten eitrigen Grenz¬
zone entstanden. Auch volarwärts findet sich im Bereich der Meta¬
carpi 2 und 3 die Palma manus entzündlich gerötet und geschwollen.
Nach diesem Befunde bandelt es sich um eine typische
trockene Gangrän, welche die beiden Endglieder des rechten
Zeigefingers ergriffen bat und zum Teil auf die Grundphalanx
übergegangen ist. Eine Aetiologie in diesem Falle zu finden, ist
ausserordentlich schwierig. Zunächst, glaube ich, können wir
mit Sicherheit die sogenannte Raynaud’sche Krankheit aus-
schliessen; diese tritt ja meist symmetrisch auf; sie beginnt mit
starken Schmerzen, welche minuten-, stunden-, ja tagelang,
manchmal andauern und darch die sogenannten angioskleroti-
schen Anfälle bedingt sind. Diese fehlten aber vollkommen in
unserem Falle, nur ein taubes, pelziges Gefühl zeigte den Be¬
ginn der späteren Gangrän an. Ausserdem fehlt das symmetrische
Auftreten.
ln zweiter Linie kam natürlich eine Gangrän auf Grund
einer Carboisäureverätzung in Frage. Die genauen Erkundigungen
bei dem behandelnden Arzte in dieser Richtung sind ebenfalls
vollkommen ergebnislos gewesen; der anfangs entzündliche Pro¬
zess ist mit Umschlägen von Kamillentee und später mit ganz
schwacher essigsaurer Tonerde behandelt worden. Also auch
diese Aetiologie ist für unseren Fall auszuschliessen.
Aus der Anamnese nnn haben wir gehört, dass Patient vor
Einsetzen der initialen Prodrome eine schwere doppelseitige
Bronchitis durchgeraacht hat. Es Hegt natürlich nahe, den ent¬
zündlichen Prozess in den Bronchien mit der Gangrän in Zu¬
sammenhang zu bringen. Man könnte sich den Vorgang so
denken, dass es auf Grund der Entzündungen im Gefässsystem
der Lunge zu entzündlichen Thrombosen gekommen ist, die später
durch irgendeinen Insult in die Blutbahn gelangten und nunmehr
die Arterien des rechten Zeigefingers verlegten. Es wäre ja
diese Möglichkeit wohl zuzugeben, allerdings wäre immerhin
ausserordentlich auffallend die Lokalisation am rechten Zeige¬
finger. Interessant ist in dieser Beziehung die Mitteilung von
Wandel aus dem Jahre 1909 in der medizinischen Gesellschaft
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102
Nr. 4.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zu Kiel, der einen 22jährigen Gerber vorstellte, bei welchem sich
im Anschluss an eine Pneumonie das charakteristische Bild der
symmetrischen Gangrän in den Fingern beider Hände entwickelt
hat. Es waren aber in diesem Falle Zeichen einer Hysterie vor¬
handen) ausserdem begann das Leiden mit sehr starken, heftigen
Schmerzen in den betreffenden Gliedern, welche durch heisses
Wasser kupiert werden konnte. Aetiologisch spielt aber doch
nach Wandel zweifellos die Pneumonie eine gewisse Rolle, denn
es ist uns ja bekannt, dass die Pneumonie mit ihren spezifischen
Giften einen grossen scbädigendenEinfluss auf die Vasomotoren ausübt.
Ferner käme Lues in Frage. Anamnestisch hat sich gar
kein Anhaltspunkt für eine frühere Lues ergeben, auch die jetzige
Untersuchung in diesem Sinne ist vollkommen negativ ausgefallen,
Wassermann im Blut wie im Lumbalpunktat negativ, das Nerven¬
system vollkommen intakt.
Nach unserer Meinung kommt für unseren Fall am wahr¬
scheinlichsten als Aetiologie die Arteriosklerose in Betracht.
Patient bat klinisch eine nachweisbar schwere Sklerose seiner
Gefässe, und so wäre es immerhin denkbar, dass durch eine
Endarteritis obliterans das Lumen der Gefässe allmählich verlegt
worden ist und somit zur Gangrän geführt hat. Die Annahme
der Arteriosklerose gewinnt für unseren Fall noch mehr Be¬
rechtigung, wenn wir den Beruf unseres Patienten mit verwerten.
Der Patient ist Maler, und wie er selbst angibt, wird beim Streichen
am meisten der rechte Zeigefinger in Anspruch genommen und
ermüdet. Nun aber wissen wir, dass auf Grund neuerer An¬
schauung die Arteriosklerose als eine Abnutzungskrankheit zu
betrachten ist. Wenn die Muskulatur des rechten Zeigefingers
mehr in Anspruch genommen wird, so ist natürlich dadurch
ebenfalls eine grössere Inanspruchnahme des zugehörigen Gefäss*
Systems bedingt, und so kann es uns verständlich werden, dass
gerade in den Arterien des rechten Zeigefingers schon frühzeitig
ein endarteritischer Prozess eingesetzt hat, der jetzt zu völligem
Verschluss der Arterien geführt hat. Allerdings könnte diese
unsere Annahme nur durch mikroskopische Untersuchung gesichert
werden.
Es ist ferner hervorzuheben, dass Patient ziemlich starker
Raucher ist und er vor allen Dingen das Rauchen schon sehr
frühzeitig begonnen bat. Erb legt auf diesen frühzeitigen chro¬
nischen Nikotinabusus besonderen Wert, weil er gerade bei diesen
Leuten am meisten das Auftreten von spontaner Gangrän beob¬
achtet hat. Gewiss muss auch in unserem Falle dieses Moment
als ätiologisch mit herangezogen werden.
Im Anschluss an diesen Fall, den ich zu den sogenannten
Spontangangränen rechnen möchte, erlaube ich mir, ganz kurz
noch einen anderen Fall von früherer symmetrischer Gangrän
zu demonstrieren, welcher schon einmal von Strümpell be¬
sprochen wurde.
Die jetzt 38 jährige Pat. bekam im Anschluss an einen Partus im
Jahre 1903 eine croupöse Pneumonie und wurde damals auf der inneren
Universitätsklinik behandelt. Nach Ablauf der Pneumonie traten, wie
aus der Krankengeschichte ersichtlich ist, grössere Purpuraflecken auf
den Handrücken und an den distalen Enden der Vorderarme auf. Einige
Tage darauf stellten sich ähnliche Flecken an beiden Knien ein.
Wiederum nach einiger Zeit begann eine Blaufärbung der Endglieder
beider Finger, Parästhesien, Sensibilitätsstörungen, ausserdem ausser¬
ordentlich starke Schmerzen in den Händen, die nach und nach sehr
hochgradig wurden, stellten sich ein. Gleichzeitig mit der Blaufärbung
der Finger trat ein auffallendes Oedem beider Hände, besonders auf
der Rückseite, auf. Die Cyanose in den betreffenden Endgliedern nahm
zu. Nach einigen Tagen gesellten sich Parästhesien und Cyanose in
den Zehen hinzu, und am 28. Mai 1903 war die Mumifikation sämtlicher
Endphalangen der Finger beendigt. Am 8. Juni waren die Endglieder
der Zehen, und zwar rechterseits der 2., links der 2. und 3. Zehe mumi¬
fiziert. Der Verlauf war nun weiter der, dass nach der Demarkation
sich an der rechten Hand die End- und Mittelglieder sämtlich spontan
abstiessen, linkerseits nur die Endglieder, ebenso die genannten Glieder
an den Füssen. Die Sensibilität war schon damals in den erhaltenen
Gliedern vollkommen intakt. Die Pat. war nunmehr seit etwa einem
Jahr wegen eines Fussleidens in Behandlung und wurde vor einigen
Wochen auf unsere Abteilung aufgenommen. An den Händen sieht man
rechterseits nur noch die Grundpbalange erhalten, linkerseits Grund-
phalange und Mittelphalange, am rechten Fuss fehlt das Endglied der
2. Zehe, linkerseits die Endglieder der 2. und 3. Zehe. Hierselbst sieht
man ein ziemlich schmieriges Ulcus in der Gegend über dem 2. Meta-
tarsopbalangealgelenk linkerseits. Zu erwähnen ist, dass die Sensibilität
für alle Qualitäten an den Extremitäten sehr gut erhalten ist, dass Pat.
vor ihrer Aufnahme wiederum ausserordentlich heftige Schmerzen in der
Gegend der ulcerierten Partien empfunden hat, dass das Nervensystem
vollkommen intakt ist, die Wassermann’sche Reaktion im Blut dagegen
positiv, der IJrin frei von Zucker.
Es bandelt sich also in diesem Falle um eine typische
symmetrische Gangrän an den Händen sowohl wie an den Füssen,
die aber sozusagen in Heilung übergegangen war. Nach 8 Jahren
nun treten unter Schmerzen in der Gegend des Grundgliedes der
2. Zehe wiederum Veränderungen auf, die natürlich zunächst
abermals an eine Gangrän erinnern mussten. Allerdings hat der
Prozess noch keine Neigung zur Demarkierung, es kommt hinzu,
dass Sensibilitätsstörungen gar nicht vorhanden sind, und dass
wir vor allen Dingen doch einen gewissen Anhaltspunkt für einen
luetischen Prozess haben, denn die Wassermann'sche Reaktion im
Blut ist positiv ausgefallen. Jedenfalls ist es in diesem Falle
vorläufig noch schwierig, die Aetiologie für den ulcerösen Prozess
am linken Fuss festzustellen, es ist vor kurzem eine antiluetische
Behandlung eingeleitet. Der Effekt wird uns zeigen, ob es sich
um einen luetischen oder um einen anderen Prozess handelt
Arteriosklerose können wir in diesem Falle vollkommen aus-
schliessen. Es ist eine 38 jährige Frau, deren Herz- und Gefäss-
system vollkommen normale Verhältnisse bietet. In Frage kommt
noch eine sogenannte Arteritis obliterans, eine Erkrankung, die
schon in mehreren Fällen zu Spontangangrän, namentlich an den
Zehen, geführt hat. Sie unterscheidet sich im wesentlichen von
der Arteriosklerose dadurch, dass es sich um Wucherungen, von
der Intima ausgehend, handelt, die allmählich das Lumen des
Gefässes verlegen. Es fehlen in vielen Fällen jedenfalls die Ver¬
fettungen und Verkalkungen in der Media, wie wir sie bei der
Arteriosklerose doch regelmässig finden. Jedenfalls muss diese
Aetiologie in diesem zweiten Falle mit in Erwägung gezogen
werden. Allerdings kann auch hier nur eine mikroskopische
Untersuchung sicheren Aufschluss geben.
Natürlich liegt es, wie ich schon oben erwähnte, nabe,
wiederum an den Beginn einer symmetrischen Gangrän zu denken,
und dafür sprechen ja die ausserordentlich starken und heftigen
Schmerzen, mit welchen der Prozess von neuem bei der Patientin
einsetzte.
Auffallend ist in unseren Fällen die Tatsache, dass die
Gangränen im Anschluss an akute Prozesse der Lungen auf¬
getreten sind. Ich erwähnte schon den Fall von Wandel, wo
es auch im Anschluss an eine Pneumonie zu einer symmetrischen
Gangrän gekommen war, und es ist wohl Wandel zuzustimmen,
wenn er behauptet, dass diese Prozesse zweifellos wohl doch eine
gewisse Rolle für das Zustandekommen der Gangrän spielen;
denn, wie gesagt, üben die toxischen Stoffe, die bei pneumo¬
nischen Prozessen der Lunge sich entwickeln, bekanntermaassen
einen ziemlich erheblichen schädigenden Einfluss auf die Vaso¬
motoren aus. Kommen nun noch andere Momente hinzu, wie
gerade in unserem ersten Falle, so ist es leicht verständlich,
dass bei so disponierten Individuen im Anschluss an Infektions¬
krankheiten, speziell Lungenprozessen, derartige Gangränen ent¬
stehen können.
Aus dem Finsen-Institut in Berlin.
Ueber die elektrische Behandlung der Fett¬
leibigkeit.
Von
Dr. Franz Nagelschmidt.
(Demonstrationsvortrag in der Berliner medizinisehen Gesellschaft am
27. November 1912.)
Das gemeinsame Prinzip der meisten Behandlungsmethoden
der Fettleibigkeit ist Reduktion der Ernährung bei gleichbleibendem
und, wenn möglich, erhöhtem Verbrauch. W T enngleich mit der
Herabsetzung der Ernährung allein in einfachen Fällen gute Er¬
folge erzielt werden, so lässt sich nicht verkennen, dass diese
Erfolge zumeist nur vorübergehender Natur sind, und dass sie oft
nur bis zu einem gewissen Grade erreichbar sind. Häufig scheitert
die Durchführung einer strengen Diät an der Unfähigkeit, das
Hunger- und Durstgefühl zu überwinden, und in einer ganzen
Reihe von Fällen gelangen die Patienten nach einer anfänglichen
Körperabnahme zu einem Punkt, wo die weitere Wirkung der
Nahrungsentziehung zu keinem Einschmelzen der Fettreservoire
mehr führt, während in anderen Fällen die Unterernährung Herz¬
insuffizienz verursacht und deshalb nicht durchführbar ist. Häufig
gelingt es nun, die reine diätetische Behandlung durch Erhöhung
der Arbeitsleistung des Körpers zu unterstützen. Vermehrter Ver¬
brauch deckt sich mit erhöhten Verbrennungen, und diese werden
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27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
163
durch Muskelarbeit erzielt. Hier liegt nun die Hauptschwierig¬
keit, an der häufig die Kur scheitert. Zunächst vertragen viele
unterernährte Menschen die Erhöhung der willkürlichen Körper¬
arbeit ausserordentlich schlecht. Wenn sie auch imstande sind,
. in der Ruhe strenge Diät einzuhalten, ohne wesentliche Störungen
des Allgemeinbefindens zu erfahren, so treten doch sofort bei
körperlicher Betätigung Schwindelgefühl, Herzklopfen, Ohnmachts¬
anfälle und andere Störungen auf. Dazu kommt, dass bei fett¬
leibigen Menschen, die schon lange entwöhnt sind, körperliche
Betätigung zu üben, die Muskulatur schlaff und die Muskelfasern
mehr oder weniger fettig degeneriert sind. Um diese geschwächte
Muskulatur zur Arbeit zu zwingen, ist ein ungeheurer Verbrauch
an Willensenergie notwendig, die nur auf kurze Zeit in genügender
Intensität aufgebracht werden kann und einer ausserordentlich
rasch einsetzenden Ermüdung Platz macht Bei einer Anzahl von
Kategorien fettleibiger Individuen sind lokale organische Störungen
vorhanden, die die Vornahme körperlicher Exercitien erschweren,
ja vielfach unmöglich machen. In erster Linie spielt hierbei die
eine Teilerscheinung der allgemeinen Adipositas bildende Herz¬
verfettung eine bedeutende Rolle, so dass schon bei sehr gering¬
fügigen Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit
Störungen von seiten der Circulation auftreten, welche nicht nur
die weitere Betätigung hindern, sondern zu schweren, irreparablen
Folgezuständen führen können. Bei anderen Fettleibigen spielt
Emphysem neben asthmatischen Zuständen eine störende Rolle:
bei der geringsten körperlichen Betätigung geraten diese Patienten
in hochgradige Dispnöe, so dass trotz bestens Willens schon nach
wenigen Sekunden oder Minuten Oppression, Cyanose, quälender
Luftmangel eintritt und die Patienten zu sofortiger Einhaltung
absoluter Ruhe zwingt. Bei anderen sind es Gelenkaffektionen,
Muskelläbmungen, lokale arteriosklerotische, phlebitische Be¬
hinderungen, welche das Gehen sowie viele andere systematische
Muskelbetätigungen unmöglich machen. Endlich haben wir es
in einer grossen Reihe von Fällen mit asthenischen Patienten zu
tun, welche, ohne dass irgendeine organische Läsion klinisch
nachweisbar wäre, unfähig sind, willkürlich nennenswerte Muskel¬
anstrengungen zu machen. Diese Patienten ermüden bei der ge¬
ringsten Betätigung und sind infolgedessen nicht imstande, die
diätetische Kur durch Muskelarbeit zu unterstützen.
Alle diese Schwierigkeiten sind zur Genüge bekannt, und
man hat auf mancherlei Mittel und Wege gesonnen, Ihnen abzu¬
helfen. Wie gross das Bedürfnis nach hierfür geeigneten Methoden
ist, geht aus der ungeheuren Verbreitung hervor, welche die
Massage und Medicomechanik in der Medizin spielt. Wir müssen
hierbei die passiven von den aktiven Methoden trennen. Den
passiven Methoden der Massage und Medicomechanik stehen selten
unüberwindliche Hindernisse im Wege. Nur der Grad, die Dauer
und die Häufigkeit der Applikation bedürfen der Regulierung.
Bei den aktiven Methoden, der Widerstandsmassage und der will¬
kürlichen Ueberwindung von Widerständen an medicomechanischen
Apparaten, bestehen aber dieselben Hindernisse, welche im wesent¬
lichen auf der schnellen Erschöpfung der zur Arbeitsleistung not¬
wendigen Willensenergie basiert sind. Es unterliegt nun keinem
Zweifel, dass für die Wiedergewinnung körperlicher Leistungs¬
fähigkeit und für die Regeneration von beschädigten oder ge¬
schwächten Muskelgeweben die aktive Bewegung und Uebung der
passiven Knetung, Dehnung und Verkürzung bei weitem über¬
legen ist.
Die Versuche der Eleklrophysiologie, durch wiederholte und
systematische elektrische Reizung, z. B. einer Extremität, das
Muskelvolumen und die Muskelkraft dieser Extremität gegenüber
der anderen nicht geübten und gereizten erheblich zu vermehren,
sind bekannt. Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, diese
Erfahrungen klinisch zu verwerten, ohne dass in systematischer
und ausgiebiger Weise ein praktisch anwendbares Verfahren
daraus resultiert wäre. Ich betrachte es daher als ein grosses
Verdienst von Prof. Bergoniö in Bordeaux, im Jahre 1909 seine
Methode der generalisierten Muskelübungen mittels elektrischer
Reizung bekannt gegeben zu haben. Diese Versuche, die zum
Teil schon zwölf Jahre zurückliegen, bezwecken, den grössten Teil
der Muskulatur des menschlichen Körpers in rhythmisch regulierte
Aktion zu versetzen und unter völliger Ausschaltung der Willens-
eoergie eine möglichst intensive Arbeit verrichten zu lassen.
Bergoniö und seine Schüler berichten über gute Resultate in
einer grösseren Reihe von Fällen, die allerdings unter Zuhilfe¬
nahme einer strengen Diät erzielt wurden. Die Autoren heben
hervor, dass unter dem Einfluss dieser Muskelübungen auch die
psychische Energie des Patienten schnell wächst, so dass die
Diätvorschriften schon nach zwei bis drei Tagen wesentlich leichter
durchgeführt werden als bei allgemeiner Diätkur. Sie haben
ferner in den länger kontrollierten Fällen nachgewiesen, dass die
erzielten Resultate ohne weitere Diät und elektrische Kur auf
Monate und Jahre konstant bleiben können.
Ich habe seit etwa \ l f 2 Jahren einen Apparat ähnlicher
Konstruktion, denjdie Firma Sanitas in Berlin nach meinen An¬
gaben hergestellt bat, in Betrieb und kann im wesentlichen die
Resultate Bergoniö’s bestätigen. Da auch an anderen Orten
Frankreichs sowie in England die Methode seit längerer Zeit an¬
gewandt wird, so ist es zunächst erstaunlich, dass das ausser¬
ordentlich einleuchtende Prinzip, das Ihnen der hier vor Ihren
Augen in Betrieb vorgeführte Apparat an einer Patientin demon¬
striert, nicht bereits zu einer grossen Verbreitung der Methode
geführt bat. Das hat aber seine guten Gründe. Die Haupt¬
schwierigkeit für die Durchführung der Methode der generalisierten
Muskelübungen liegt nämlich in der Erzeugung eines Stromes, der
geeignet ist, möglichst ausgiebige Muskelkontraktionen, auch durch
dicke Fettpolster hindurch, bei möglichst ganz fehlender sensibler
Reizung auszulösen. Bergoniö bat nach langen Versuchen einen
Induktionsapparat konstruiert, der vermöge besonderer Wickelung
und mit einer sehr exakt regulierbaren Unterbrechungsvorrichtung
versehen diese Erfordernisse seiner Ansicht nach gut erfüllt. Sie
sehen hier einen derartigen, von einer Pariser Firma konstruierten
Apparat, der bei 50 —60 Unterbrechungen pro Sekunde und etwa
25 Volt primärer Spannung sekundär einen Strom von 8—12 Volt
Spannung liefert. Leider aber sind die sensiblen Reizungen bei
diesem Apparat doch noch so hochgradig, dass ich keine Patienten
finden konnte, welche die Kur länger als 14 Tage mit diesem
Apparat durchführen wollten. Immerhin aber arbeitet er noch
günstiger als der sinusoidale oder gar der galvanische Strom.
Wesentlich angenehmer ist der Leduc’sche Strom, aber auch dieser
erzeugt ein stechendes Gefühl bei den notwendigen Intensitäten.
Während also bei diesen Strömen die elektrolytische Reizung die
Anwendbarkeit erschwert, ist bei Kondensatorentladungen, die ja
an sich ein hervorragendes Mittel zur Erzeugung intensiver Muskel¬
kontraktionen darstellen 1 ), das Plötzliche und Ruckweise der
Reizung auf die Dauer unerträglich und verbietet hierdurch,
wenngleich stechendes Gefühl vollständig fehlt, die Anwendung.
Ich habe daher, nachdem ich die verschiedenen zur Ver¬
fügung stehenden Stromarten geprüft habe, den in dieser
Wochenschrift, 1912, Nr. 39, von mir beschriebenen Wechselstrom
angewandt, der alle Erfordernisse eines derartigen Stromes zu er¬
füllen scheint. Ich stelle den Apparat so ein, dass er bei ca. 90
Unterbrechungen in der Sekunde und einer Stromflussdauer von
V 1200 Sekunde etwa zur Verwendung gelangt. Die Empfindungen
bei der Anwendung dieses Stromes sind sehr minimale. Der
Charakter der Muskelzuckung ist bei lnnehaltnng dieser Be¬
dingungen eiu genügend milder, um die stundenlange Anwendung
zu gestatten. Die Patienten fühlen keinen Ruck bei der durch
ein Metronom bewirkten rhythmischen Ein- und Ausschaltung,
und doch ist die Kontraktion eine so ausgiebige bei genügender
Stromintensität, dass eine äusserst kräftige Zusammenziehung er¬
folgt. Eine Schmerzerapfindung wird durch diesen Strom, der
bei sehr hohen Intensitäten eine hochgradige Anästhesie, bei
schwacher Anwendung eine leichte Herabsetzung der Haut¬
sensibilität herbeiführt, nicht ausgelöst, und so kommt es, dass
Patienten, die zum ersten Male auf dem elektrischen Arbeitsstuhl
mit diesem Strom behandelt werden, angeben, keinerlei un¬
angenehme Empfindungen dabei zu haben, während Patienten, die
vorher mit dem französischen Apparat behandelt worden sind,
jetz von geradezu angenehmen Empfindungen sprechen. Sie
sehen hier die praktische Anwendung der Methode. Der in be¬
stimmtem Neigungswinkel konstruierte Lagerungsstuhl ist mit
ausserordentlich grossen Kontaktflächen, die voneinander isoliert
sind, ausgestattet. Die Grösse dieser Flächen gestattet, ins¬
gesamt hohe Stromintensitäten zu verwerten, da die Stromdichte
pro Quadratcentimeter eine relativ kleine ist. Die Elektroden-
flächen werden mit passenden Filzstücken belegt, welche mit
warmem Salzwasser getränkt sind. Das komplizierte Schaltbrett
verteilt den von dem danebenstehenden Motorunterbrecher er¬
zeugten eigenartigen Strom mittelst zahlreicher Rheostate auf
die einzelnen Elektroden, und das Metronom, dessen Rhythmus
reguliert werden kann, öffnet und schliesst den Gesaratstrom für
sämtliche Elektroden in gewünschter Schnelligkeit und mit
1) Wie ich dies in meinem Vortrag im Verein für innere Medizin
am 3. Juni 1907 demonstriert habe.
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UNIVERSUM OF IOWA
164
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
regulierbarer Stromschlussdauer vermittelst Quecksilberkontakten.
Die paarweise (links und rechts) symmetrisch angeordneteu
Elektroden können nun in verschiedener Weise geschaltet werden,
so dass wir den Strom in jeder gewünschten Richtung durch
den Körper passieren lassen können. Wir können z. B. den
Strom in der linken Körperhälfte eintreten, durch die rechte aus¬
treten lassen oder die Rückenelektroden an den einen und sämt¬
liche anderen Elektroden an den anderen Pol anschliessen. Wir
können auch die eine oder die andere Elektrode ganz ausschalten,
so dass die entsprechenden Muskeln nicht arbeiten, oder auch
nur ein einziges Paar, z. B. die Bauchelektroden, allein wirken
lassen. Es ist nun Sache der klinischen Erfahrung, für jeden
Patienten individuell das Optimum an Richtung und Intensität
für die einzelnen Muskelgruppen einzustellen, so dass wir den
verschiedensten Indikationen mit Sicherheit gerecht werden können.
Auch Stromschlussdauer und Intensität müssen der Leitfähigkeit
der Gewebe, der Dicke des Fettpolsters, der Erregbarkeit der
Muskulatur (welche sich während der Kur ändern kann) an¬
gepasst werden. Auch die Dauer der einzelnen Sitzung, ihre
Häufigkeit (ein- oder zweimal pro Tag), die Anordnung der Ruhe¬
tage und die Anpassung der Diät machen sorgfältigste dauernde
Kontrolle des Arztes erforderlich. Ausserdem ist es aber auch
notwendig, dass der Patient auch nicht eine Minute allein ge¬
lassen wird, denn durch geringfügige Lageänderungen oder
sonstige Umstände können Stromschwankungen eintreten, die die
dauerde Kontrolle eines geschulten Assistenten (Schwester oder
Wärter) für den Ausgleich derartiger Schwankungen unerlässlich
machen. Die Patientin, welche die Freundlichkeit hat, sich hier
vorstellen zu lassen, leidet seit vielen Jahren an Myocarditis
und hat zu Beginn der Kur 206 Pfund gewogen. Sie sehen,
welche intensive Muskelarbeit sie hier vor Ihren Augen leistet.
Der ganze Körper hebt sich rhythmisch und mit grosser Energie.
Es können mit der unteren Rumpfmuskulatur ausser dem Eigen¬
gewicht Lasten von 40 bis 60 Pfund um mehrere Centimeter bei
jeder Kontraktion gehoben werden. Man hat den Eindruck, als
ob sämtliche Muskeln des Körpers intensiv arbeiteten. Die
Patientin würde allein mit ihrem Willen nicht eine Minute lang
imstande sein, diese Arbeit zu leisten, welche sie in dieser W 7 eise
eine volle Stunde ohne Ermüdung durchführt. Es ist sehr inter¬
essant, zu sehen, welche enorme Arbeitsleistung die Rörper-
muskulatur zu vollbringen vermag, wenn sie unter Ausschaltung
des Willens zur Arbeit gezwungen wird. Wir erkennen, dass der
wesentliche Faktor des Auftretens von Ermüdung in der Er¬
schöpfung der Willensenergie liegt, während das rhythmische
Abwechseln einer kurzen Erregungsphase und einer relativ langen
Ruhepause die Erschöpfung der Muskelenergie, wenigstens auf
lange Zeit hinaus, verhindert. Wenn man indessen das Metronom
zu schnell arbeiten lässt, so dass die Ruhepause zur Erholung
der Muskeln nicht ausreicht, so tritt auch hier vorzeitige Er¬
müdung und Schädigung des Muskels ein. Dieses Vorkommnis
ist durch richtiges Einstellen des Apparates absolut vermeidbar.
Ich kann auch die Beobachtung Bergoniö’s vollauf bestätigen,
dass nach der Sitzung so wenig ein Ermüdungsgefühl eintritt,
dass sogar ein erhöhter körperlicher Betätigungsdrang von den
Patienten selbst beobachtet wird. So teilte mir eine Patientin,
welche wegen eines anderen Leidens vorher bei mir in Behand¬
lung war, mit, dass sie, wenn sie aus meinem Hause kam, nicht
schnell genug ein Automobil finden konnte, um nach Hause zu
fahren, während sie nach der Behandlung auf dem elektrischen
Arbeitsstuhl das Bedürfnis bat, zu gehen und sich geradezu auf
das Treppensteigen auf der Untergrundbahn freut. Auch die
Patientin, die Sie hier vor sich sehen, und die trotz vielfacher
Behandlung (Sanatoriumskuren usw.) unfähig war, auch nur kurze
Zeit ohne starke Ermüdung zu gehen, legt jetzt grössere Spazier¬
gänge mit einem deutlichen Gefühl der Frische zurück.
Natürlich kann man die Patienten nicht von vornherein
gleich eine Stunde lang mit maximaler Energie arbeiten lassen,
sondern man wird erst in den ersten Sitzungen vorsichtig die
verfügbare Muskelenergie taxieren und, von einer Viertelstunde
ansteigend, allmählich die normale Dauer der Sitzung (60 Minuten)
erreichen. Weiterhin ist es manchmal notwendig, zwei Sitzungen
von je einer Stunde an einem Tage vorzunehmen.
Wie eingangs erwähnt, ist es erforderlich, den Patienten eine
genaue Diät vorzuschreiben. Denn die grösste Arbeitsleistung ist
wertlos, wenn durch Ueberernährung der erhöhte Verbrauch auf
Kosten der Nahrungszufuhr kompensiert wird, während die Fett¬
depots geschont werden. Immerhin habe ich aber auch ohne
Diät, wenn die Patienten sich nur einigermaassen in der Er¬
nährung einschränkten, Gewichtsabnahme gesehen. So hat die
vor Ihnen befindliche Patientin in den letzten sechs Sitzungen
ohne Veränderung ihrer Kost eine Gewichtsabnahme von
100 kg 400 g auf 98 kg 400 g, d. h. durchschnittlich 330 g pro
Sitzung, erfahren. Hierbei ist nicht an Wasserverluste zu denken,
da die Patientin schon 14 Tage sich in der Kur befindet und
während der Sitzungen nicht erkennbar transpiriert. Zudem
nimmt sie täglich \ 1 J 2 Liter Flüssigkeit zu sich. Unter Ein¬
haltung erheblich reduzierter Diät habe ich Gewichtsabnahme bis
zu 1000 g, Bergonie bis zu 800 g pro Sitzung gesehen, ln
anderen Fällen kann die Abnahme eine wesentlich geringere sein.
Immer aber werden wir dafür sorgen müssen, falls der Haupt¬
zweck der Applikation Gewichtsabnahme sein soll, dass die
Nabrungs- und Flüssigkeitszufnhr auf ein bestimmtes Maass unter¬
halb des Bedarfs herabgedrückt wird, und dass z. B. bei Störungen
der Nierenfunktion durch Diuretica oder entsprechende Maass-
nahmen eine genügende Flüssigkeitsausscheidung erzielt wird.
Durstkuren sind jedoch nicht indiziert.
Von ganz besonderer Bedeutung — und das möchte ich aus¬
drücklich betonen — scheint es mir aber zu sein, dass die
Methode noch ein viel weiteres Feld der Anwendbarkeit besitzt,
und ich möchte mir erlauben, einige diesbezügliche Indikationen
anzuführen. So habe ich durch lokale Kontraktionen vermittelst
alleiniger Einschaltung der Bauchelektroden eine günstige Beein¬
flussung der chronischen Obstipation, selbst in schweren Fällen,
gesehen. Vermutlich spielt hierbei nicht nur die Aktivierung der
Banchdeckenmuskulatur eine Rolle, sondern es findet wahrschein¬
lich auch eine direkte Reizung der Darmmuskulatur durch die
Bauchdecke hindurch statt. Ich möchte auch an dieser Stelle
auf den Unterschied hinweisen, den die passive Knetung der
Bauchdecken und der Därme gegenüber der aktiven Kontraktions¬
anregung durch den elektrischen Strom darbietet. Vielleicht
eignet sich gerade diese Kur auch zur Nachbehandlung nach
Brunnenkuren in Kissingen oder ähnlichen Orten, sowie nach
Hormonalbehandlungen zur Erhaltung und Festigung der ezielten
Resultate x ).
Dasselbe sehen wir bei Muskelatrophien. Die rhythmisch
aktive Gymnastik führt zu schnellen und guten Resultaten. So
kommt es mitunter vor, dass wir bei Fettleibigen nach einigen
Wochen Gleicbbleiben des Gewichts trotz deutlicher Abnahme des
Fettpolsters beobachten. Vergleichen wir die Umfangsmaasse,
z. B. der Wade, mit der zu Beginn der Behandlung, so erklärt
sich diese Gewichtskonstanz dadurch, dass an Stelle des Fett¬
polsters der nunmehr gekräftigte Muskel die verlorengegangene
Fettmasse ersetzt hat. Die Patienten selbst geben auch mit
Regelmässigkeit an, dass ihre vorher schlaffen Muskelpartien dicker
und fester geworden sind. Von Bedeutung ist es, dass wir selbst
bei Gelenkaffektionen, die die normale Muskelbewegung bindern,
durch die elektrische Gymnastik bei fixiertem Gelenk der Muskel¬
atrophie entgegenzuwirken imstande sind.
Ganz besonders wichtig ist aber die Methode zur Behandlung
von Herzkranken und Asthmatikern, von Patienten, denen ein
Bein amputiert wurde, die eine einseitige oder doppelseitige Para¬
lyse erlitten haben, oder sonst an der Betätigung ihrer Musku¬
latur, z. B. durch lange Nachbehandlung von Operationen ver¬
hindert worden waren. Alle diese Patienten, die entweder gar
nicht oder unter erheblichen subjektiven Beschwerden mitunter
nur wenige Minuten geben oder sich aktiv körperlich betätigen
können, ertragen die richtig dosierte und rhythmisierte elektrische
Arbeitskur in ausgezeichneter Weise, und häufig sehen wir z. ß.
bei Herzkranken, dass sie nach wenigen Sitzungen zu aktiven
Uebungen, Spaziergängen usw., übergehen können. Erwähnen wir
noch, wie wichtig z. B. es für Diabetiker ist, eine genügende
Muskelarbeit zu leisten, so haben wir hiermit eine ganz erheb¬
liche Anzahl von Indikationen aufgezählt, bei denen die Abnahme
des Körpergewichts entweder nicht im Vordergrund des Interesses
steht oder überhaupt nicht gewünscht wird, bei denen aber die
Methode wesentliche Dienste zu leisten berufen sein wird. Die
angeführten Beispiele Hessen sich leicht um ein vielfaches (lokale
Gicht, Claudicatio intermittens, phlebitische Zustände usw.) ver¬
mehren.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf die physio¬
logischen Untersuchungen über die Wirkungen der Kur einzu-
1) Wie mir Herr Prof. Kutner, der durch die Ankündigung meiner
Demonstration dazu veranlasst wurde, heute telephonisch mitteilte, hat
er mit einem ähnlichen Apparat, ebenso wie der französische, mit einem
von Herrn Prof. B. modifizierten Induktionsstrom betrieben wird, gute
Resultate bei der Behandlung der Obstipation gesehen.
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
165
gehen. Wir möchten nur erwähnen, dass Respiration und Puls,
sobald die Patienten an die Arbeit gewöhnt sind, sich nicht etwa
io so hohem Grade beschleunigen, wie dies bei willkürlicher
Leistung auch nur eines Teiles dieser Arbeit zu erwarten wäre,
sondern dass sie nur der produzierten Wärme entsprechend sich
steigern. Ich bin überzeugt, dass der Apparat in dieser jetzigen,
Ihnen hier demonstrierten Form für die praktische Anwendung
reif ist und dass seine Applikation erst durch die Benutzung
meines neuen Wechselstromes eine für den Patienten nicht nur
erträgliche, sondern keineswegs unangenehme geworden ist.
Aus der II. medizinischen Klinik zu Berlin (Direktor:
Greheimrat Prof. Kraus).
Zur Frage der chemischen Einwirkungen des
Thorium X auf organische Substanzen, besonders
auf die Harnsäure.
Von
Priv.-Doz. J. Piesch.
In der Nr. 12, 1912, dieser Wochenschrift bat W. Falta und
L. Zehner aus der v. Noorden’schen Klinik unter ähnlichem Titel
eine Arbeit publiziert, laut welcher „dem Thorium X ganz be¬
deutende chemische Wirkungen auf organische Substanzen zu¬
kommen und dass insonderheit durch Thorium X-Lösungen die
Löslichkeit der barnsauren Salze erhöht und die Harnsäure
in weitgehender Weise chemisch verändert wird 11 . Da dieses
Resultat, wenn es sich bewahrheiten sollte, von weittragender
Bedeutung wäre, fühle ich mich veranlasst, die Bedenken, die sich
gegen diese Publikation erheben lassen, hier mitzuteilen und den
betreffenden Autoren nahezulegen, ihre Befunde zu revidieren.
Demarcay und P. Curie 1 ) haben gefunden, dass in der
Umgebung von stark aktiven Radiumpräparaten Ozon entsteht.
Ramsay 2 ) hat unter der Einwirkung des Radiums eine Zersetzung
desWassers beobachtet. Dasselbe bat Debierne mit M. Curie 8 )
bei dem Polonium finden können, und Debierne 4 ) hat die Ent¬
stehung von Wasserstoffsuperoxyd in stark aktiven Lösungen be¬
schrieben.
Es war nach diesen Befunden selbstverständlich, dass wir
auch das Mesothorium und Thorinm X auf die Fähigkeit, Ozon
bzw. Wasserstoffsuperoxyd zu bilden, untersucht haben.
Karczag und mir ist es auch gelungen sowohl das Ozon
wie die Bildung von Wasserstoffsuperoxyd unter Einwirkung von
stark aktiven Substanzen nachzuweisen, and dies war die
Ursache, weshalb wir es vorderhand unterlassen haben, die Ein¬
wirkung des Thorium X auf leicht oxydable, organische Sub¬
stanzen zu prüfen.
Leider haben Falta und Zehner bei ihren Arbeiten an das
Ozon und H 2 0 2 nicht gedacht, and so darf man die publizierten
Reaktionen so lange nicht als einen direkten Effekt des Thorium X
ansehen, bis nicht gezeigt wird, dass die Reaktionen, die
Falta and Zehner anführen, nicht Wirkungen des ent¬
standenen Ozons und H 2 0 2 sind. Es ist daher die Ein¬
wirkung des Thorium X in der Weise, wie dies von den
Autoren gedeutet wurde, zunächst zweifelhaft. Denn
sämtliche Reaktionen, die Falta und Zehner anführen,
werden durch 0 8 und H 2 0 2 ebenfalls hervorgerufen,
und deshalb können wir diese Versuche nicht als
schlüssige Versuche ansehen.
* Ich habe die von Falta nnd Zehner angeführten Versuche
mit den Anilinfarbstoffen, mit H 2 0 2 wiederholt, indem ich den
Lösungen eine Spur eines Metallsalzes hinzufügte, und bin zu
demselben Resultat wie die genannten Antoren mit dem Thorium X
gekommen.
Dass die übrigen Versuche ebenfalls mit H 2 0 2 ausführbar
siod, dafür liegen in der Literatur ausgiebige Angaben vor. Neu¬
berg und Kikkoji 5 ) konnten in einer Arbeit aus dem pathologi¬
schen Institut zeigen, dass hydroxylierte Benzolderivate (unter
anderem Tyrosin, Brenzkatechin, Resorcin, Adrenalin, mit welchen
1) Comptes rendus, 1899, B. 129, S. 823.
2) Ramsay, Journ. chem. soc., 1907, Bd. 91, S. 931.
3) Comptes rendus, 1910, Bd. 150, S. 386.
4) Debierne, Comptes rendus, 1909, Bd. 148, S. 703.
5) Bioohem. Zeitschr., 1909, Bd. 20, S. 523.
Falta und Zehner gearbeitet haben) sich bei Einwirkung von
H 2 0 2 genau so dunkel färben wie bei Thorium X-EinWirkung!
Weiterhin haben Neuberg und Blumentbal im Jahre 1901
in einer Reihe von Untersuchungen festgestellt, dass H 2 0 2 Eiweiss¬
körper mit grosser Leichtigkeit hydrolysiert. Ansserdem haben
Neuherg und Miura 1 ) im Jahre 1911 diese Versuche auf zahl¬
reiche Ei weisskörper, Stärkearten, Polysaccharide und
Lecithin ausgedehnt and für alle diese Körper die leichte und
weitgehende Spaltbarkeit durch H 2 0 2 nachgewiesen.
Die leichte Zersetzbarkeit der Harnsäure durch 0 3 und
H 2 0 2 ist eine seit Jahrzehnten bekannte und vielfach erhärtete
Tatsache.
Die Gndzent’sche Auffassung, laut welcher die Harnsäure
bei Einwirkung von Radium und besonders durch das physikalisch
fast inaktive RaD in eine leichtlöslichere Form umgewandelt
wird, ist durch die Arbeiten von Kerb und Lazarus 2 ), v. Knaffl-
Lenz und Wiechowsky 3 ), Brasch 4 ), Brugsch 5 ), Schultz 8 )
and vielen anderen vollständig widerlegt. In nenester Zeit
hat Mesernitzky zu fiuden geglaubt, dass die Harnsäure durch
sehr hohe Aktivitäten von Ra (er benutzte zu seinen Versuchen
150000000 M.-E.!) gelöst wird. Auch Mesernitzky scheint bei
seinen Versuchen, so wie Falta und Zehner, die Bildong von
H 2 0 2 und 0 3 nicht berücksichtigt zu haben und schrieb die
Wirkung dem Radium zu.
Die Enttäuschung, dass das Radium keinen direkten Einfluss
auf die Löslichkeit der Harnsäure ausübt, bat die Radiumtherapie
in unverdienter Weise in einen Misskredit gebracht. Um das
Thorium vor gleichem Schicksal zu bewahren, habe ich mein
Bedenken geäussert, und es scheint mir notwendig, diese Versuche
so lange nicht als beweiskräftig zu erklären und ihr Eindringen
in die Literatur zu verhindern [Herr v. Noorden 7 ) hat sich be¬
reits in seinem neulichen hiesigen Vortrag, auf die Angaben
seiner Schüler gestützt, in gleichem Sinne ausgesprochen], solange
nicht, wie gesagt, von Falta und Zehner der Nachweis erbracht
wird, dass die angeführten Reaktionen auch unter Ausschluss der
0 3 - und H 2 0 2 -Wirkung zustande kommen. Wenn übrigens Analogie¬
schlüsse in der Wissenschaft erlaubt sind, so ist es nicht zu
erwarten, dass dieser Nachweis gelingen wird, denn wir haben
stets gefunden und auch diesen Standpunkt vertreten, dass die
Wirkungen der verschiedenen radioaktiven Stoffe prinzipiell nicht
verschieden sind. Wa9 also das Radium nicht vermag, wird
auch durch das Thorium nicht gelingen. Alle Versuche, das
Gegenteilige zu beweisen, sind bisher nicht gelungen; so konnten
Neuberg und Karczag 8 ) die beobachtete Hämolyse durch
Thorium X, die v. Knaffl-Lenz und Schwarz auf eine
chemische Spaltung des Lecithins im Blute bezogen haben,
chemisch nicht nachweisen.
Aber selbst wenn sich die Befunde von Falta und Zehner
bewahrheiten sollten, würden diese die Wirkungen in vivo nicht
erklären, denn die zu den in vitro gebrauchten Aktivitäten sind so
unendlich hoch, dass sie therapeutisch nicht in Betracht gezogen
werden können.
Es wäre falsch, wollten wir die Wirkung des Thorium X
auf die Gicht bezweifeln, weil eine Einwirkung auf die Harnsäure
in vitro nicht nacbgewiesen werden kann. Im Gegenteil! Die
klinische Beobachtung, wie wir dies in unserer ausführlichen
Publikation 9 ) über die biologischen und pathologischen Wirkungen
des Thorium X ausführlich dargetan haben, zeigt unzweifelhaft,
dass wir im Thorium X ein hervorragendes Mittel gegen die Gicht
besitzen. Die Wirkung liegt aber sicherlich nicht in der Be¬
einflussung der Löslichkeit der Harnsäure, sondern auf einem ans
noch unbekannten Gebiet, wobei die Mobilisierung der Harn¬
säure nur ein Symptom der Einwirkung des Thorium X auf die
Gicht ist und nicht die Besserung selbst bedeutet, genau so wie
die Harnsäure nicht die Krankheit selbst, sondern nur ein fass¬
bares Krankheitszeichen darstellt.
1) Biochem. Zeitschr., 1911, Bd. 36 u. 37.
2) Biochem. Zeitschr., 1912, Bd. 42.
3) Hoppe-Seyler’s Zeitschr., 1912, Bd. 77.
4) Brasch, Diese Woohenschr., 1912, S. 1108.
5) Brugsch, Diese Wochenschr., 1912, Nr. 34.
6) Schultz, Biochem. Zeitschr., 1913.
7) v. Noorden, Fortbildungsvortrag im Kaiserin Auguste Viktoria-
Hause, 13. Dezember 1912; Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, Jahrg. 10,
Nr. 2, S. 41.
8) Radium in Biologie und Heilkunde, 1913, H. 1.
9) Piesch, Karczag, Keetmann, Maass und Pappenbeim,
Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 1.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Ueber Radium- und Mesothoriumbehandlung bei
Hautkrankheiten. 1 )
Von
Sanitätsrat Dr. Edmund Saatfeld-Berlin.
M.H.! In Ergänzung meiner kutzen Diskassionsbemerkungen
gelegentlich des Vortrages des Herrn Sticker in der letzten
Sitzung vor den Sommerferien möchte ich mir erlauben, Ihnen
einige Fälle, die ich mit Mesothorium und Radium behandelt
habe, vorzustellen. Versuche mit Mesothorium anzustellen er>
möglicbte mir die Königlich Preussische Akademie der Wissen¬
schaften, die mir eine Kapsel mit Mesothoriumbromid, äquivalent
15 mg Radiumbromid, überliess. Ich erlaube mir auch an dieser
Stelle der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften
für das gütige Entgegenkommen meinen ehrerbietigsten Dank
auszusprechen.
Wenn ich Ihnen einige Patienten demonstriere, die an
Cancroid litten, und die ich als geheilt betrachten möchte, so
bitte ich Sie, diese Heilung nur als eine relative aufzufassen.
Einerseits ist die Zeit seit Abschluss der Behandlung noch recht
kurz, andererseits ist es ja nur zu bekannt, dass Krebskranke,
die scheinbar mehrere Jahre geheilt sind, auch nach dieser Zeit
noch ein Recidiv aufweisen können.
Frl. A. H., jetzt 54 Jahre alt, aufgenoramen am 13. IV. 1907.
Cancroid etwa erbsengross auf der rechten Seite der Oberlippe, nässte
etwas und zeigte geringe Borkenbildung, bestand seit ungefähr einem
halben Jahre. Vom 13. IV. sieben Radiumapplikationen (5 mg) von je
einer halben Stunde am 20. IV., 23. V., 13. VI., 24. VI., 1. VII., 8. VII.
Am 23. VIII. 1907 ist das Cancroid geheilt. Jetzt weisse, ein wenig
vertiefte, weiche Narbe.
Frau E. M., jetzt 61 Jahre alt, aufgenommen am 8. XII. 1910 wegen
Cancroids; über erbsengrosse, nässende, mit einer Borke bedeckte Stelle
am linken Nasenflügel unten, nahe der Wange, bestand seit etwa einem
halben Jahre.
Nach acht Radiumapplikationen mit einer 10 Milligrammkapsel je
eine halbe Stunde am 8. XII., 18. XII., 29. XII. 1910, 9. I., 19. I.,
30. I., 13. II., 27. II. 1911 war die erkrankte Partie völlig trocken,
weich und war am 13. III. 1911 anscheinend geheilt; ebenso am 10. V. 1911,
wo die Stelle eine vertiefte Narbe zeigte; es war keine Härte nach¬
weisbar.
Die Heilung war aber nur scheinbar, denn als sioh Pat. nach sechs
Wochen, am 20. VI. 1911, vorstellte, zeigte die Stelle seit acht Tagen
wieder geringe Schorfbildung, so dass von neuem drei Radiumapplikationen
zu je 3 / 4 Stunden vorgenommen wurden, und zwar am 20. VI., 30. VI.
und 10. VII. 1911. Wiederum erschien am 15. VII. 1911 das Cancroid
geheilt. Der Sicherheit halber wurde jedoch die Partie an diesem Tage
einmal mit Röntgen bestrahlt. Vier Wochen später, am 14. VIII. 1911,
zeigte sich am Locus affectus eine vertiefte, weiche Narbe, die weder
Empfindlichkeit noch Härte aufwies, und heute können Sie denselben
Status konstatieren,, so dass die Pat. zurzeit als geheilt betrachtet
werden kann.
Frl. K. R., 58 Jahre alt, zeigte bei der ersten Konsultation am
9. V. 1912 auf der linken Nasenseite oben ein erbsengrosses, flaohes,
leicht ezulceriertes Cancroid, das seit mehreren Jahren bestand und
bereits vor drei Jahren mit Höllenstein behandelt war. Seit März d. J.
ist es stärker hervorgetreten. Mesothorium wurde am 11. V. 1912
Va Stunde, am 21. V. 8 / 4 Stunden, am 4. VI. */* Stunde appliziert. Der
Erfolg ist, dass die Neubildung als geheilt angesehen werden kann, und
zwar zeigt die ursprünglich kranke Stelle eine flache, jetzt kaum noch
sichtbare Narbe.
Um den Verlauf während der Behandlung zu illustrieren, füge ich
die ausführliche Krankengeschichte dieses sowie des nächsten Falles
hinzu.
11. V. 1912. Mesothorium V 2 Stunde. 15. V. Schorfbildung, massige
Entzündung der Umgebung. 21. V. Der Schorf ist abgefallen. Meso¬
thorium 8 / 4 Stunden. 29. V. Entzündung stärker als das erstemal; die
Stelle war auch schmerzhaft, jetzt ist noch die ganze Umgebung ge¬
rötet. Der Schorf über dem Cancroid hebt sich allmählich ab. 4. VI.
Nach Abhebung des Schorfes Applikation von Mesothorium während
Va Stunde. 8. VI. Geringe Entzündung der Umgebung, das Cancroid
ist flacher geworden. 15. VI. Massiges Jucken, Borke liegt noch,
Cancroid anscheinend flacher. 22. VI. Schorf liegt noch. 29. VI. Schorf
kleiner, Entzündung der Umgebung geschwunden. 6. VII. In der Mitte
der kranken Stelle noch stecknadelkopfgrosser Schorf. 20. VII. Schorf ab¬
gefallen, blasse, glatte Narbe. 8. VIII. Die Mitte der ursprünglich er¬
krankten Stelle weiss. 7. IX. Kaum noch sichtbar. 28. IX. Flache,
kaum sichtbare Narbe. 22. X. Status idem. 3. XII. Ebenso.
Fr. M. D., 33 Jahre alt. Auf dem linken Processus zygomaticus
besteht ein kirschkerngrosses, nässendes, am Rande mit Schorf bedecktes
Cancroid, das vor einem Jahre aufgetreten war. Pat. erhielt am
1) Vortrag, gehalten in der Sitzung der Berliner medizinischen
Gesellschaft am 11. Dezember 1912.
16. IV. 1912 die Mesothoriumkapsel für */ 4 Stunden aufgelegt. Nach¬
dem die Entzündung geschwunden war, legte ich am 4. V. auf die noch
mit einer Borke bedeckte Stelle die Kapsel noch einmal auf. Wie sich
später herausstellte, hatte sich die Kapsel verschoben und war während
®/ 4 Stunden unterhalb des Cancroids liegen geblieben. Auf dieser Stelle
bildete sich nun eine Entzündung heraus. Am 4. VU. war vom Cancroid
der Schorf vollkommen geschwunden, es zeigte sich eine glatte, vertiefte
Narbe. Es besteht keine Härte mehr, und vorläufig kann das Cancroid
als geheilt angesehen werden. — Genauere Beschreibung:
16. IV. 1912. Mesothorium ®/ 4 Stunden. 17. IV. Schwellung und
stärkeres Nässen, seit der Nacht vom 19. sum 20. IV. Schwellung und
Nässen geringer. 20. IV. Honigfarbige Borke. 23. IV. Borkenauflagerung
höher, Umgebung stärker gerötet und geschwollen. 26. IV. Reizung
geringer, Schorf kleiner, Rötung um den Schorf noch vorhanden. 3. V.
Entzündung geringer, trockener. 4. V. Mesothorium 8 / 4 Stunden. (Wie
sich später herausstellte, war die Kapsel nach unten verschoben.)
14. V. Schorf sitzt fest auf beiden Stellen. 29. V. Auf der unteren
(gesunden) Stelle noch Schorf, Cancroid überhäutet, zeigt in der Peripherie
noch einen kleinen Schorf. 5. VI. Auf dem Cancroid minimaler gelber
Schorf, darunter, wo die Applikation verschoben ist, weisse, flache Narbe
mit bräunlichem Rand. 21. VI. An der linken Seite des Cancroids noch
geringer Schorf. 4. VII. Glatt, ohne Schorf, vertiefte Narbe, letztere
besonders auf der artificiellen Stelle deutlich hervortretend. 23..VII.
Glatt, Cancroid weiss, weicb, vertieft; zweite Stelle weiss, leicht vertieft.
23. VIII. Status idem. 28. IX. Beide Stellen leicht vertieft, weich,
latt. 15. X. Ebenso. 3. XII. Desgleichen, die weisse Verfärbung an
en beiden bestrahlten Stellen nähert sich mehr der normalen Hautfarbe 1 ).
Dieser Fall zeigt, so unaugenehm die Applikation des Meso¬
thoriums an einer anderen Stelle war, dass es möglich ist, ein
Cancroid mit einer Mesothoriumauftragung zur Heilung zu bringen.
Bei dem 63 jährigen Patienten J. M. trat vor ungefähr zehn Jahren
ein Canoroid am oberen Teil der linken Wange auf, das sich allmählich
vergrösserte. Die subjektiven Beschwerden des Patienten waren nur
gering. Bei der Aufnahme am 1. VII. 1912 konstatierte ich etwa 2 1 /* cm
unterhalb der Mitte des linken Auges, etwas mehr median gelegen, eine
etwa zehnpfennigstückgrosse erkrankte Partie, die in der Mitte vertieft
und deren Rand wallartig erhaben war. Die Stelle nässt und ist mit
Borke bedeckt. Härte ist nur in geringem Maasse vorhanden. Nach
fünf Mesothoriumapplikationen von je 8 / 4 Stunden (1. VII., 8. VII., 17. IX.,
17. X., 19. XI. 1912) an verschiedenen Stellen des Cancroids ist die
Stelle zum grössten Teil, wie Sie sioh überzeugen können, verheilt, nur
noch die Mitte ist mit einer Borke bedeckt. Der Patient bleibt noch
in weiterer Behandlung.
Frl. H. G 22 Jahre alt, leidet seit ihrem achten Lebensjahre an
ausgedehntem Lupus vulgaris des Gesichtes und der Halsgegend. Sie
ist früher mehrfach behandelt worden, von mir zuletzt mit Röntgen¬
strahlen. Die übrig gebliebenen einzelnen Knötchen behandelte ich nun
mit Mesothorium, und zwar wurde die Kapsel, je nachdem es sich um
eine mehr oder weniger stärker infiltrierte Stelle handelte, für s / 4 bis
V 2 Stunde aufgelegt. Im ganzen wurde das Mesothorium 15 mal appli¬
ziert, und zwar auf die entsprechende Stelle ein- bis zweimal; der Erfolg
ist als ein guter zu bezeichnen.
Bei einem 14 jährigen Mädchen bestand auf der linken Gesichtsseite
ein grösserer Naevus flammeus, der von mir vielfach, so unter anderem
auch mit Kohlensäure, jedoch ohne wesentlichen Erfolg, behandelt wurde.
Ich sah mich jetzt veranlasst, Mesothorium auf die einzelnen Stellen zu
applizieren, und zwar zuerst 30 Minuten und später, da die Reaktion
nach dem Mesothorium zu lange dauerte, 20 Minuten. Sie sehen als
Erfolg der Behandlung eine Reibe von weissen Stellen, deren Farbe, wie
ich annehme, mit der Zeit immer mehr der der normalen Haut gleich¬
kommen wird.
Gestatten Sie mir, m. H., noch einige Bemerkungen; zuerst
bezüglich des Hautcarcinoms. Für die Radium- und Mesothorium-
bebandlung geeignet möchte ich diejenigen Krebse halten, welche
ganz langsam wachsen und mit der Unterlage nicht fest verlötet
sind, die nach längerem Bestehen in unsere Behandlung kommenden
Fälle, welche klinisch in gewissem Sinne — ich bitte mich nicht
falsch zu verstehen — als weniger bösartig betrachtet werden-
können. Hier gelingt es nach wenigen Radium- oder Mesothorium¬
applikationen — ja, wie Sie in einem Falle gesehen, schon nach
einer einzigen — Heilung zu erzielen, welche ich darin erblicke,
dass die Geschwulst sich verkleinert und schliesslich auch für
die Palpation völlig verschwindet; dass ferner Geschwüre sich
überhäuten und mit einer weichen Narbe sich schliessen. Frei¬
lich müssen wir, wie erwähnt, berücksichtigen, dass uns die in
Frage stehende Behandlungsmethode überhaupt erst kurze Zeit
zu Gebote steht. Des weiteren ist ein Versuch — ob erfolgreich
ist eine andere Frage — gestattet bei inoperablen Hautcarcinomen,
Fällen, bei denen chirurgische Hilfe aussichtslos ist. Für kontra¬
indiziert möchte ich nach meinen obigen Darlegungen die Radium-
1) Anmerkung bei der Korrektur: Die Farbe der bestrahlten Stellen
weicht jetzt nur noch wenig von der der normalen Haut ab.
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27. Januar 1918.
BERLINERjKLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
167
und Mesothoriombehandlang bei den Haatkrebsen halten, die ein
schnelles Wachstum and dementsprechend einen mehr bösartigen
Charakter zeigen. Hier soll man nicht lange mit Radium oder
Mesothorium Versuche machen, es wurde sonst der richtige Zeit¬
punkt für das Messer des Chirurgen verpasst werden.
Für indiziert möchte ich des weiteren die Radium- und Meso-
thoriumbehandlung bei Keloiden halten, bei denen wir mit unseren
übrigen Behandlungsmethoden nicht immer ein gutes Resultat er¬
zielen. Ferner bei einzelnen, den sonstigen Behandlungsmethoden
trotzbietenden Plaques von Lichen ruber planus und Lichen ruber
verrucosus und einzelnen verdickten, hartnäckigen Psoriasisplaques.
Dass ich io einem Falle einige Infiltrationen bei einer im zweiten
Stadium befindlichen Mycosis fungoides unter Radium- sowohl wie
Mesothoriumapplikation schwinden sah, möchte ich der Voll¬
ständigkeit halber erwähnen, ohne auf dieses Resultat besonderen
Wert zu legen, zumal es bei einer ausgedehnten Mycosis fungoides
schon aus äusseren Gründen nicht möglich ist, den ganzen Körper
in dieser Weise zu behandeln. Unter derselben Therapie sah ich
auch mehrere Male das Xanthoma palpebrarum schwinden, doch
möchte ich von dieser Behandlung abraten, da erstens die Appli¬
kation der Kapsel sehr unbequem ist, ausserdem aber die re¬
sultierenden Narben kein gutes Aussehen ergeben. Für einzelne
Lupusknötchen und kleine Lupusplaques ist, wie Sie aus der
Demonstration gesehen haben, ein Versuch gestattet; ebenso ver¬
hält es sich bei denjenigen Fällen von Angiomen, in denen wir
mit unseren übrigen Methoden nicht zum Ziele kommen, aber
nur für solche Fälle. Es stehen uns zur Aogiorabehandlung
eine Reihe erprobter Verfahren, so namentlich die Kohlensäure¬
behandlung zur Verfügung, so dass wir die Radium- und Meso-
tboriumkapsel nar in ganz resistenten Fällen anwenden sollen.
Die Angiombehandlung führt mich zur Besprechung der An¬
wendung des Radiums und Mesothoriums für kosmetische Zwecke.
Ich möchte, wie überhaupt vor der Verallgemeinerung der Röntgen¬
behandlung, so auch vor der kritiklosen Applikation des Radiums
und Mesothoriums für Hautaffektionen, die wir als kosmetische
Leiden bezeichnen, dringend warnen. Es muss berücksichtigt
werden, dass wir bei diesen Leiden durch unsere Therapie einen
Effekt erzielen sollen, der ein besseres Aussehen darbietet als das
ursprüngliche Leiden, und dass gegen diesen obersten Grundsatz
bei der kosmetischen Behandlung nicht selten gefehlt wird, ist
eine bedauerliche Tatsache. Nicht minder ist es Tatsache, dass
entstellende Resultate durch Röntgen-, Radium- und Mesothorium¬
applikationen leicht erreicht werden können und leider auch
schon bisweilen erreicht worden sind. Der Grund hierfür liegt
darin, dass trotz der grössten Vorsicht und trotz exaktester
Dosierung, wie wir sie bei den Röntgenstrahlen einhalten können,
hier und da in diesem oder jenem Falle eine Schädigung herbei¬
geführt werden kann. In solchen Fällen besteht eben eine Idio¬
synkrasie gegen Röntgen-, Radium- und Mesothoriumstrahlen, eine
Tatsache, die nicht von der Hand zu weisen ist.
Wie ich früher bereits kurz erwähnte, möchte ich hier der
Vollständigkeit halber noch einmal mitteilen, dass zur Verstärkung
des Effektes der Radium- und Mesothoriumapplikation in einigen
besonders hartnäckigen Fällen die entsprechende Hautstelle vor¬
her für 5—10 Sekunden mit Kohlensäureschnee vereist wurde.
Da ich, wie bereits mehrfach hervorgehoben, Radium und Meso¬
thorium nur bei ganz strikte gestellten Indikationen an wende, war
die Zahl der mir für die Behandlung zur Verfügung stehenden
Fälle bisher nur gering. Ich mache Ihnen von der Kombination
jetzt schon deshalb Mitteilung, weil ich den Eindruck gewonnen
habe, dass das Verfahren wirksam ist, und weil ich darum bitten
möchte, mit dieser Kombination Nachprüfungen anzustellen. Dass
ich zum Schutz der Umgebung bei kleinen zu bestrahlenden
Stellen belgische und japanische Münzen, welche in der Mitte
durchlöchert sind, benutze, sei heute noch einmal angeführt.
M. H.I Ich habe versucht, Ihnen im Anschluss an die de¬
monstrierten Fälle in Kürze einige Indikationen und Kontra-
iodikationen für die Radium- und Mesothoriumbehandlung bei
Hautkrankheiten aufzustellen, ich hoffe Sie davon überzeugt zu
haben, dass beide Präparate energisch wirkende Substanzen dar¬
steilen, welche wir nicht wahllos anwenden dürfen, sondern nur
dann wenn ganz präzise Indikationen vorliegen, da sonst sehr
leicht gegen den ersten Grundsatz in der Medizin verstossen
werden könnte, den Grundsatz: primum non nocere.
Zur Behandlung schwerer Gesichtsneuralgien.
Alkoholinjektion ins Ganglion Gasseri. 1 )
Von
Dr. W. Alexander und Dr. E. Unger-Berlio.
Der eine von uns (A.) hat in mehrfachen Publikationen die
These aufgestellt, dass alle extracrauiellen Operationen bei Trige¬
minusneuralgie durch Alkoholinjektionen zu ersetzen sind, die
periphere Resektion durch die periphere und die basale Resektion
durch die basale Einspritzung. Die Alkoholinjektion leistet das¬
selbe, ist weniger eingreifend und gibt bei Recidiven bessere
Chancen. Als Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Methode
zeige ich Ihnen diesen Patienten. (Demonstration.)
Der damals 55 jährige Mann kam am 9. II. 1909 zu mir mit einer
schweren, 11 Jahre bestehenden Neuralgie im zweiten Ä9t des rechten
Trigeminus mit typischen Anfällen, die jetzt auch in Zunge und Unter¬
kiefer ausstrahlten. Alle erdenkliche Therapie vergeblich angewandt
Eine periphere Injektion ins Foramen infraorbitale von 1 ccm Alkohol.
Schmerzen sofort beseitigt.
Recidiv am 5. X. 1912 (3 Jahre 8 Monate): abermals eine In¬
jektion an derselben Stelle. Sofort geheilt. Sie überzeugen sich jetzt
nach 5 Wochen von der Analgesie im Gebiete des zweiten Astes.
Stets wurde aber betont, dass anch die Alkoholinjektion,
ebenso wie die extracranielle Resektion, nicht alle Fälle
dauernd heilt; dass vielmehr einige wenige Fälle übrigbleiben,
bei denen nur noch die Exstirpation des Ganglion Gasseri Erfolg
verspricht. Diese Operation gilt aber allgemein als technisch
äusserst schwierig und gefährlich; bat sie doch selbst in der
Hand ihrer geübtesten Vertreter noch eine grosse Mortalität, ab¬
gesehen von ihren unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die auch
bei erfolgreicher Operation die Freude an dem Erfolg wesentlich
beeinträchtigen können. Diese lassen sich trotz aller neueren
Fortschritte (Lokalanästhesie usw.) noch nicht mit einiger Sicher¬
heit ausschalten. Es war daher unser Bestreben, bei dieser fast
siebzigjährigen Frau (Demonstration), die in einem solchen Zu¬
stand zu uns kam, dass wir ihr die Exstirpation des Ganglion
Gasseri nicht mehr zumuten konnten, womöglich einen Ersatz
für diese Operation zu finden.
12. VII. 1910. Vor 10 Jahren Zahnschmerzen oben rechts. Alle
Zähne gezogen. Alle Medikamente. Blaulicht, Röntgenbestrahlungen,
Galvanisation, elektrische Bäder. Seit 9 Jahren Anfälle auch in Zunge
and Unterkiefer. Vor einem Jahre Durchschneidung des Infraorbitalis
ohne jeden Erfolg. Seit 2 Jahren zweimal täglich eioe 8 proz. Morphium¬
spritze, Morphiumtropfen nach Belieben, abends Chloralhydrat. 50 Pfund
Abnahme. Arteriosklerose. Am zweiten Ast eine basale und mehrere
periphere Alkoholinjektionen, am dritten Ast mehrere periphere. Nach
14 Tagen schmerzfrei und morphiumfrei entlassen.
Recidiv nach 5 Monaten nur im dritten Ast; eine basale und meh¬
rere periphere Injektionen. Schmerzfrei (Januar 1911).
Recidiv September 1911. Einige Injektionen. Nicht ganz schmerz¬
frei, aber anfallsfrei entlassen, mit der Weisung, sich bei Verschlimme¬
rung zur Operation sofort zu melden. Die auswärts auf dem Lande
wohnende Frau kam aber erst, nachdem sie lange Zeit Anfälle hatte
und ausserordentlich heruntergekommen war.
Wir fragteu uns nun, wie wir die Ganglionexstirpation um¬
gehen könnten. Mehrere Versuche, durch das Foramen ovale
(nach Härtel) Alkohol in das Ganglion zu spritzen, misslangen;
es gelang nicht, das Foramen ovale zu entrieren. Wir stellten
nun folgende Ueberlegung an:
Die Gefahren der Ganglionexstirpation liegen an vier Punkten:
1. der langen Dauer der Operation an sich, dem langen Spatel¬
druck beim Anheben des Gehirns, 2. der durch Unterbindung der
Arteria meningea media gesetzten Circulationsstörung, die sich
zu den Schädigungen durch Spateldruck hinzuaddiert, 3. der
venösen Blutung, 4. der Gefahr der Keratitis neuroparalytica.
Es ist uus bekannt, dass alle die angeführten Momente in
letzter Zeit einen Teil ihrer Schrecken verloren haben: die Lokal¬
anästhesie beseitigt die Narkosengefahr, das Adrenalin mässigt
die venöse Blutung, durch sorgfältige Nachbehandlung lässt sich
der Verlust des Auges fast stets vermeiden; durch gute Assistenz
sind die Folgen des Spateldrucks weniger häufig geworden.
Aber alle diese Punkte zusammen lassen sich nicht im ein¬
zelnen Falle mit Sicherheit ausschalten, nnd die Mortalität der
Operation ist immer noch gross.
Lässt man nun das Ganglion an Ort nnd Stelle und zerstört
es nur durch Alkohol, so ist damit viel gewonnen. Gerade bei
1) Naoh einer Demonstration in der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft am 18. November 1912.
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UNIVERSUM OF IOWA
168
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
der Auslösung des Ganglions ist die venöse (manchmal auch
die arterielle) Blutung am störendsten, sie zwingt zu wiederholten
Tamponaden und Verlängerung der Operation. Während der
Auslösung tritt besonders stark der Spateldruck in Aktion, nach¬
dem er schon vorher zur Anspannung der zu unterbindenden Arteria
meningea media dauernd gewirkt hat. Die Unterbindung selbst
erfordert Zeit, bei Störungen irgendwelcher Art (Abrutschen der
Ligatur usw.) oft sehr viel Zeit. Die Widerstandskraft der an¬
ästhetischen Hornhaut ist auf jeden Fall hochgradig herabgesetzt
und bildet eine ständige Gefahrsquelle.
Will man nach Eröffnung des Schädels (nach Krause)
Alkohol in das Ganglion spritzen, so bedarf es nicht der Unter¬
bindung der Meningea media, weil man das Ganglion sehr gut
auch bei ihrem Erbaltenbleiben soweit zu Gesicht bringen kann,
wie es nötig ist (s. unten). Da man in dem beschränkten Raum
nicht mehr mit grösseren Instrumenten, wie bei der Abtragung
des Ganglion, zu arbeiten bat, sondern nur eine feine Nadel in
die Tiefe der Wunde einzuführen hat, braucht man sich nicht
durch Unterbindung der Meningea Platz zu schaffen.
Endlich braucht man sich nicht das ganze Glanglion, son¬
dern nur seinen vorderen Rand zu Gesicht zu bringen, nm hier
den Alkohol zu injizieren: der Spateldruck dauert nur wenige
Minuten. Betrifft die Neuralgie, wie sehr häufig, nur den zweiten
und dritten Ast, so kann man den ersten Ast (für die Hornhaut)
ganz schonen, indem man den Alkohol nur in die Partien des
Ganglion spritzt, die dem zweiten und dritten Ast entsprechen.
Es müsste so gelingen, 1. die Operationsdauer erheblich
herabzusetzen, 2. den Blutverlust auf ein Minimum zu be¬
schränken, 3. die Gefahr der Hirnquetschung wesentlich zu
verringern, 4. die Hornhaut sicher zu schonen.
Nach diesem Plan legten wir am 2. X. 1912 das Ganglion Gasseri
soweit frei, dass der dritte und zweite Ast sowie ein etwa 1 cm breites
Stück vom vorderen Rand des Ganglion zu Gesicht kamen. Der erste
Ast blieb ganz unberücksichtigt. Die Arteria meningea media blieb
unversehrt liegen. Die Operation wurde bis zur Alkoholinjektion in
Lokalanästhesie schmerzlos ausgeführt. Um den Alkohol nicht durch
vorherige Einspritzung von Novocainlösung in das Ganglion selbst zu
verdünnen, machten wir vor der Injektion einen kurzen Aetherrausch.
Dann wurden mit einer langen Nadel je einige Tropfen 80 proz. Alkohols
in den zweiten und dritten Ast intracraniell und in die Partien des
Ganglion eingespritzt, die dem Gebiete dieser beiden Aeste entsprechen.
Der Blutverlust war minimal. Patientin erwachte nach wenigen Minuten.
Ein Gazestreifen wurde auf das Ganglion eingeführt, die Wunde sonst
ganz vernäht.
Der Verlauf war reaktionslos. Patientin stand am vierten Tage
auf, klagte an den ersten Tagen über Kopfschmerzen und Parästhesien
im Gesicht. Kein Erbrechen usw.
Befund am fünften Tage nach der Operation: Das Gebiet des zweiten
und dritten Astes ist total analgetisch, gröbere Berührungen werden ge¬
fühlt. Es besteht leichter Lagophthalmos rechts durch Schädigung des
oberen Facialisastes beim Haut-Muskelschnitt. Der Hornhautreflex ist
vollkommen erhalten, die Hornhaut ist ohne jede therapeutische Ver¬
sorgung klar und ist es auch bis heute (6 Wochen nach der Ope¬
ration) trotz bestehendem Lagophthalmos geblieben. (Laut Nachricht
auch am 4. XII.) Trotz einer intercurrenten Angina mit hohem Fieber
befindet sich Patientin, wie Sie sehen, in leidlichem Ernährungszustand
und ist ohne Medikamente schmerzfrei.
Laut brieflicher Nachricht befindet sich Patientin Mitte Januar
völlig gesund.
Der Fall zeigt, dass unser Vorgehen einen vollen Erfolg hatte.
Freilich muss die Frage nach dem Recidiv vorläufig unbeant¬
wortet bleiben. Dass der zweite und dritte Ast der Degeneration
anheimfallen, ist sicher. Ebenso sicher dürfte es sein, dass die
vom Alkohol getroffenen Teile des Ganglion sich nicht wieder
regenerieren. 0. May 1 ) hat im Experiment gezeigt, dass es nicht
gelingt, mit einer einzigen Alkoholinjektion das Ganglion zu
durchtränken und zur Nekrose zu bringen. Deshalb haben wir
mit feinster Nadel an vielen Stellen das Ganglion gewissermaassen
mit Alkohol scarifiziert, d. h. zahlreiche kleinste Alkoholdepots
so nahe beieinander angelegt, dass die Nekrosen confluieren
dürften und sich so doch eine Totalnekrose der vorderen (dis¬
talen) Partien ergäbe. Es ist auch fraglich, ob die Gebiete der
einzelnen Aeste im Ganglion selbst noch in verschiedenen Ab¬
schnitten getrennt vertreten sind. Jedenfalls geht aus unserem
Fall hervor, dass der erste Ast erhalten werden kann, wenn man
die hinter ihm liegende Partie des Ganglion schont, und dass
die injizierten Teile einstweilen zerstört sind.
Wir wollen demnach vorläufig nicht behaupten, dass kein
Recidiv auftreten wird. Das bleibt abzuwarten, und wir werden
1) Brit. med. journ., 81. August 1912,
nicht verfehlen, bekannt zu geben, was wir über den Fall weiter
erfahren. Sollte er recidivfrei bleiben, so dürfte unser Vorgehen
weitere Nachprüfung verdienen und bei weiteren Erfolgen die
Exstirpation des Ganglion Gasseri ersetzen und damit verdrängen.
Aber auch, wenn nach vielen Monaten ein Recidiv eintritt,
dürfte unser Vorgeben sich für besonders Geschwächte empfehlen.
Man kann diese Patienten zunächst einmal auffüttern und vom
Morphium befreien. Sie kommen dann in einer besseren Ver¬
fassung zur Ganglionexstirpation, und so kann die Prognose auch
dieser Operation eventeil weiter gebessert werden. Dieser Vor¬
schlag soll nicht eine Rückkehr zu der mit Recht verlassenen
zweizeitigen Operation bedeuten; der grundsätzliche Unterschied
liegt wohl klar auf der Hand.
Da man, wie wir glauben, wenigstens mit einer Recidiv-
freiheit von einigen Jahren wird rechnen können, ist auch noch
der Umstand in Rechnung zu setzen, dass gerade die schwersten
Formen der Trigeminusneuralgie hochbetagte Menschen betreffen,
und dass diese nicht selten durch unseren relativ unerheblichen
Eingriff für den Rest ihres Lebens schmerzfrei gemacht werden
könnten.
Aus dem dermatourologischen Institut von Dr. Bai»
und Dr. Treitel.
Klinische Erfahrungen mit Adamon bei den
Reizzuständen der akuten Gonorrhöe.
Von
Dr. Treitel.
Nach der Publikation des Herrn Dr. Ernst R. W. Frank über
die Einwirkung des Adamons auf sexuelle Reizzustände in Nr. 49 der
Deutschen medizinischen Wochenschrift und den Mitteilungen der Herren
Dr. v. Rad 1 ) und Dr. Bogner-) über Adamon als Sedativum möchte
auch ich kurz über meine Erfahrungen mit diesem neuen Mittel be¬
richten, die sich aber nur auf ein beschränktes Gebiet erstrecken, näm¬
lich das der akuten Gonorrhöe. Besonders bei der frischen Gonorrhöe
machen ja die Pollutionen und nächtlichen Erektionen oft die heftigsten
Beschwerden und bedürfen der sorgfältigsten Behandlung, da sie zu den
unangenehmsten Komplikationen Anlass geben.
Seit Anfang Mai vorigen Jahres habe ich das Adamon bei 40 Fällen
von akuter Gonorrhöe angewendet, die mit nächtlichen Erektionen und
Pollutionen verbunden waren. Da sich 16 Patienten der genauen
dauernden Beobachtung entzogen, so stehen mir 24 genau beobachtete
Fälle zur Verfügung, darunter 2 von akuter weiblicher Gonorrhöe, die
mit starken Reizerscheinungen und gestörter Nachtruhe verbunden wareu.
Ich liess das Adamon durchweg in Tablettenform nehmen, und zwar in
folgender Weise: zwei Tabletten von je 0,5 g zwischen 5 und 6 Uhr
abends, zwei weitere l f 2 Stunde vor dem Schlafengehen, stets mit etwas
Wasser aufgeschwemmt. Ich möchte vor allem hervorheben, dass die
Tabletten ausnahmslos gut vertragen wurden und in keinem Falle Auf-
stossen oder Magenbeschwerden irgendwelcher Art hervorriefeu. In einem
Falle, io dem ich bereits zahlreiche andere Medikamente verwendet hatte,
versagte auch das Adamon, es handelte sich dabei um einen sehr starken
Neurastheniker. In den übrigen Fällen trat bereits in der Nacht nach
der ersten Anwendung eine wesentliche Verringerung der Beschwerden
ein. Die oft sehr zahlreichen Erektionen verloren ihre Schmerzhaftigkeit
und nahmen auch an Zahl ab. Die Patienten, die vor Anwendung des
Adamons unter heftigen Beschwerden erwacht waren, bekamen ruhigen
Schlaf. In den ersten Tagen trat manchmal nach dem Erwachen am
Morgen noch eine Erektion ein, die aber ohne wesentliche Beschwerden
und von kurzer Dauer war. Bei einer Anzahl der Patienten konnte ich
trotz noch bestehender Gonorrhöe nach 10—14 tägiger Anwendung das
Adamon aussetzen, ohne dass neuerdings Beschwerden auftraten, bei
anderen dagegen stellten sich nach Aussetzen des Adamons die schmerz¬
haften Erektionen wieder ein. Gab ich dann wieder das Adamon, so
trat aber wieder ruhiger Schlaf ein. Auf Grund meiner Erfahrungen
kann ich daher das Adamon als eine wertvolle Vermehrung unseres an
solchen Mitteln armen Arzneischatzes empfehlen.
Neuerungen im Bereiche der preussischen
Heeressanitätsverwaltung während des
Jahres 1912.
Von
Stabsarzt Dr. Georg Schmidt*Berlin.
1. Kriegssanitätsdienst und Feldsanitätsausrüstung.
Während des Balkankrieges sind, um praktische Erfahrungen
in dem Feldsanitätsdienste sowie in der Kriegschirurgie zu sammeln,
1) Therapie d. Gegenw., 1912, Nr. 21.
2) Med. Klinik, 1912, Nr. 2.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
27. Jannar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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die chirurgisch vorgebildeten Stabsärzte der Kaiser Wilhelms-
Akademie Dr. Goldammer and Dr. Lotsch, ersterer zam
griechischen, letzterer zam bulgarischen Heere entsendet. Einen
Teil der Kosten hat die v. Langenbeck-Stiftung übernommen.
Von neu erschienenen Dienstvorschriften kommen in Be¬
tracht:
a) Zusammenstellung von militärisch wichtigen, in Genf und
den beiden Haager Konferenzen beschlossenen Abkommen und
Erklärungen. Vom 12. Dezember 1911. (Das Haager Abkommen
über die Gesetze und die Gebräuche des Landkrieges vom 18. Ok¬
tober 1907 ist ausserdem als Anlage II in die Felddienstordnung
anfgenommen worden.)
b) Transportführervorschrift (Transp. F. V.). Vom 1. Juli 1912.
(Ersatz für die Ausgabe vom 16. November 1899.)
c) Behandlung der Sanitätsaasrüstung (Beh. San. A.). Vom
5. November 1912. (An Stelle der ersten Ausgabe dieser Vor¬
schrift. Vom 6. Dezember 1908.)
d) Verladung des Etappensanitätsdepots (Vlad. Etpsand.).
Vom 9. Dezember 1912. (Ersatz für die Verladeordnung des
Etappensanitätsdepots. Vom 29. April 1907.)
Auch für Unterärzte und Unterapotheker ist jetzt die feld¬
graue Uniform festgesetzt worden.
Den Krankenträgern der Sanitätskompagnie will man eine
andere Mutze geben, deren Form bei Feldsanitätsübungen erprobt
wurde.
Im Mobilmachungsfalle sollen alle Heeresangehörigen gegen
Pocken wiedergeimpft werden, sofern sie nicht in den letzten vier
(bisher zwei) Jahren mit Erfolg geimpft wurden.
In der Beschaffung von Feldküchen für die Sanitätskom¬
pagnien und von Feldröntgenwagen für die Etappensanitätsdepots,
von Acetylenbeleuchtungsgerät für Sanitätskompagnien und Feld¬
lazarette, von Lagerungsvorrichtungen für Hilfslazarettzüge, in
der Bereitstellung des zweiten Verbandspäckchens für jeden An¬
gehörigen des Feldheeres, in der Umänderung der Truppenbestecke
nach den jetzigen chirurgischen Gesichtspunkten wurde fort¬
gefahren. In Etappensanitätsdepots werden fahrbare Trinkwasser¬
bereiter nunmehr mit Hilfe besonderer Geldmittel eingestellt.
Im Zusammenhänge mit den Herbstübungen der Truppen
waren je eine Sanitätskompagnie und der erste Zug eines Feld¬
lazaretts diesmal beim VI., VII. und XVII. Armeekorps in An¬
wesenheit von Vertretern des Grossen Generalstabes and des
Kriegsministerinms, Medizinalabteilung, kriegsmässig tätig. Es
wurden die Gliederung und Verwendung der Feldsanitätsforma¬
tionen nach besonderen neueren Gesichtspunkten sowie zahlreiche
Ausrüstungsstücke erprobt. Dabei ergaben sich, wie in den Vor¬
jahren, viele wichtige Erfahrungen.
Der Reichshaushalt enthält zum ersten Male Mittel zur Unter¬
stützung von Vereinen, die Hunde im Aufsuchen von Verwundeten
ausbilden.
Im Februar wurde bei starkem Froste versuchsweise in
Spandau innerhalb von 2—3 Tagen aus den Beständen des dort
lagernden Etappensanitätsdepots sowie mit beigetriebenem Gerät
ein Kriegslazarett in Zelten eingerichtet und von Angehörigen
der verschiedensten Dienststellen, von Delegierten der freiwilligen
Krankenpflege usw. besichtigt.
Es werden die veralteten schweren, nur zwei Lagerplätze auf¬
weisenden Krankenwagen 72/74 der Sanitätskompagnien durch
Krankenwagen 95 sowie der Rest der noch mit schweren vier¬
spännigen Geräte wagen ausgestatteten und daher weniger beweg¬
lichen Feldlazarette durch Feldlazarette mit zweispännigen Geräte¬
wagen ersetzt. An Stelle der bisher ungenügenden Bespannung
werden schwere Zugpferde zunächst für die Infanteriesanitätswagen,
dann auch für die Sanitätswagen der Sanitätskompagnien und
Feldlazarette eingefübrt.
Im Anschluss an die Beratungen einer besonderen, aus erfahrenen
Sanitätsoffizieren und Militärapothekern zusammengesetzten
Prüfungskommission fanden die umfangreiche Umgestaltung und
Anpassung der Feldsanitätsausrüstung an den heutigen Stand der
ärztlichen und der pharmazeutischen Wissenschaft, auch an das
neue Deutsche Arzneibuch, sowie an die neuzeitige Krankenpflege
zum grössten Teil ihren Abschluss dadurch, dass die Neuerungen,
für das Taschenbesteck 1 ) der Sanitätsoffiziere, für die Sanitäts-
1) Muster des Taschenbesteckes und entsprechender Behältnisse:
Georg Schmidt, Feldarzttasche in Fernglasbehälterform. Deutsche
militärärztl. Zeitschr., 1912, S. 441. — v. Tobold, Sanitätstasche für
Sanitätsoffiziere. Ebenda, S. 625. — Krause, Die Unterbringung der
für den Gebrauch im Felde vorgeschriebeneu Arzneimittel und Instru¬
mente. Ebenda, S. 629.
tasche der Sanitätsmannscbaften und der Krankenträger der In¬
fanterie usw., für den Sanitätstornister, für die Sanitätspacktasche,
für den Sanitätskasten, für die Krankentragen tasche, für den In¬
fanterie- und für den Kavalleriesanitätswagen, für den Sanitäts¬
vorratswagen der Kavalleriedivision, für die Sanitätskompagnie,
für das Feldlazarett, für den Lazarettzug, für den planmässigen
Hilfslazarettzug und für das Etappensanitätsdepot bekanntgegeben
wurden. Diese Neuerungen werden in Grenzen der verfügbaren
Mittel mit tunlichster Beschleunigung durchgefübrt. Da auch die
Ausrüstung des Güterdepots der Sammelstation eben erst geregelt
wurde, erübrigt sich nur noch eine Durchsicht der Ausstattung
der Festungssanitätsdepots. Mit allen diesen Maassnahmen in
Verbindung steht dann noch der in Angriff genommene Neudruck
des Ausrüstungsteiles der „Anlagen zur Kriegssanitätsordnung“
(vom 27. Januar 1907) sowie des „Verzeichnisses der für die
medizinisch-chirurgische Sanitätsausrüstung des Heeres zahlbaren
Höchstpreise“ (vom 21. Februar 1907).
Die Hauptpunkte der erwähnten Neuerungen in den Feld¬
sanitätsbehältnissen usw. sind:
Ausmerzung veralteter, Einführung neuerer Instrumente, ins¬
besondere bei den Truppen-, Kavallerie-, Haupt-, Sammelbestecken;
Ersatz des bisherigen Heftpflasters durch im Heeresbetriebe nach
vielfachen Erprobungen zu allgemeiner Zufriedenheit angefertigtes
Zinkkautschukpflaster und Zugverband-Kautscbukpflaster; Ein¬
führung abgeteilter Borsalbe in Zinnröhren mit Schraubver¬
schluss (Selbstherstellung im Heere), von besonders sorgfältig
geprüftem und aufgefrischtem Narkosecbloroform in 50 g-Flaschen
mit Zinkleimverschluss, von Pyramidoners&tz-, Urotropinersatz-,
Veronalersatz-, Tannalbintabletten; zugeschmolzener Glasröhren
mit gebrauchsfertiger keimfreier Lösung von Coffeinum-Natrium
salicylicum, Morphinum bydrocbloricum, Scopolaminum bydro-
bromicum, Suprarenio (1 prom., zu 1 und zu 5 ccm), g-Stropban-
tinum cristallisatum (das sich, 2 Jahre lagernd, als haltbar er¬
wiesen hatte); Unterbringung des Acidum hydrochloricum dilutum
zu 10 g und des Jods (zum Bereiten frischer Jodtinktur) mit
Jodkaliumzusatz, sowie des Novocains und des Tropacocains —
beides mit Snprarenin — als Pulver (zur Bereitung von Lösungen
zur örtlichen und zur Rückenmarksbetäubung) in zugescbmolzenen
Glasröhren; Verzicht auf zurzeit weniger übliche Arzneimittel
oder Herabsetzung ihrer Menge; Beigabe sonstiger bewährter
neuerer oder zurzeit mehr gebräuchlicher Arzneimittel, z. B. auch
von Liquor Albuminii acetico-tartarici, der, 2 Jahre lagernd, halt¬
bar war; Anbringung von Inhaltsverzeichnissen, zum Teil auch
von Umrisszeicbuungen in allen Behältnissen, Bestecken usw.;
Beigabe von je zwei gedruckten Packordnangen an jeden Sani-
täts-, Pack-, Gerätewagen. Eine verbesserte „Einheits“-Harn-
röhrenspritze, Haarschneidemaschinen, eiserne Fussteller — an
Stelle hölzerner — und Pfahlheber — an Stelle der Klauenhebel
— zum Verbindezelte 06 der Saoitätskompagnie, neue Muster
des Harnglases (Ente) und des Nachteimers mit zusammenleg¬
barem Gestelle wurden eingeführt. Der grosse Reagentienkasten
des Korpsstabsapothekers beim Korpsarzte und beim Etappenarzte
erhielt nach dem neuen Deutschen Arzneibuche die zum Unter¬
suchen der Arzneimittel auf Reinheit erforderlichen Reagentien,
sowie die Geräte für maass- und gewichtsanalytische Prüfungen,
zum Teil in einem besonderen Wagenkasten.
Die Sanitätstaschen der unberittenen Sanitätsmannschaften
and der Krankenträger der Infanterie U9w. bestehen io Zukunft
aus naturfarbenem Leder.
Das für das Feld vorgeschriebene Verfahren der Dampf¬
sterilisierung der in Filterpapier und Schutztaschen paarweise
verpackten Operationsgummihandschuhe erwies sich bei der
bakteriologischen Nachforschung als einwandfrei.
Zur weiteren Vereinheitlichung und zeitgemässen Verbesse¬
rung der verschiedenen Spritzenmuster sind auskochbare und
nicht auskochbare Spritzen zu 1 ccm und „Einheits“-0hren8pritzen
im Versuche.
Ob eine andere Trageweise des Thermometers der Sanitäts¬
mannschaften mehr Vorteile bietet, wird geprüft.
Neue Nadelkästcben und Beckenbänkchen, „Einheits“-Bein-
schienen, Tafeln für den Hauptverbandsplatz, Haltbarkeit der
Truppenbesteckkästeo, Leinenbeutel mit Putzlappen für Bestecke,
Auslöscherlöffel für den Spiritusbrenner des Feldsterilisiergerätes,
Eisbeutel aus dunklem Stoffe mit Schraubverschluss, Ergänzungen
des Werkzeugkastens für Bebelfsarbeiten, neue Sanitätsverband¬
zeuge und Sanitätstornister, eine Abänderung der elastischen Binde,
die Umhüllung der Verbandpäckchen, auch Verbandpäckchen in
Pappschachteln, der Mastixverband nach v. Oettingen, Knochen-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
brucb-Distraktionsklammern nach Hackenbruch, Operations-
tücher von Köper (statt von Schirting), Verbesserungen an den
Kavalleriesanitätspacktaschen und an den kleinen Reagentien-
kästen für Wasseruntersuchungen, das Keimfreimachen der Ope¬
rationsgummibandschuhe mit 5 proz. Schwefelsäure nach Arnd
und Rusca, Chlorkresoltabletten „Grotan“ als Carbolsäureersatz,
Formaldehyd-Schiebedosen mit Paraffin verschloss, Seideröhrchen
mit Lackverschluss, Kästchen für die in den Krankentragentaschen
statt der Essigsäure eingefübrten Weinsäuretabletten, Kranken¬
tragen als Schleifbahren, neue Cylinderlaternen für den Feld-
apothekerdienst, das Acetylen- und sonstige Beleuchtungsgerät,
verwendungsbereite und schützende Packung der Wäsche nach
Betteinbeiten auf den Feldlazarettgerätewagen, Verbesserungen
im Handhaben des Verbindezeltes 06, Fleischbackmaschinen,
Aluminiumesslöffel, zweckmäßigere Leibbinden, aufrollbare Zeit¬
pläne am Krankenwagen, der Ersatz der gewöhnlichen Handtücher
durch feine wurden erprobt.
Weitere Versuche erstrecken sich darauf, inwieweit die
Acetylenentwickler des Beleuchtungsgeräts der Feldsanitätsforma-
tionen sowie die in Glasröhren eingeschmolzenen gebrauchs¬
fertigen Arzneilösungen der Feldbebältnisse Winterkälte ver¬
tragen.
Für den Sanitätskasten wird ein leichteres, handlicheres
Muster erwogen. Die Angelegenheit einer Einheitsschiene schwebt
noch.
Die Annahme der vielfach erprobten „Einbeits u -Krankentrage
steht unmittelbar bevor.
Als für den deutschen Heeressanitätsdienst nicht geeignet er¬
wiesen sich die Riggenbach’sche Rollbahre, die von Gocbt
empfohlenen Papierstoffbinden, gelochte Aluminiumscbienen,
Blecher’s Spiralschlauch, Nicolai’s Messingdrahtbinde, Henle r s
Spiraldrahtleinenbinde — sämtlich für Blutleere —. Doch wird
die Henle’sche Binde noch weiter versucht.
Ein Teil der obigen arzneilichen Neuerungen fusst auf den
Ergebnissen einer Sitzung (9. Januar 1912), in der der Wissen¬
schaftliche Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie darüber
beriet, welche Arzneimittel für die Anregung der Herztätigkeit
(Digitalis-, Strophantus- usw.-Präparate) sich nach dem heutigen
Stande der Wissenschaft für die Sanitätsausrüslung eignen, und
in welcher gebrauchsfertigen Form sie insbesondere in das Feld
mitgefübrt werden können.
Die Aufbewahrungsräume der Lazarette für Truppensanitäts-
ausrüstnng dürfen unter sorgfältiger Sicherung gegen Feuersgefahr
in Zukunft mit Beleuchtungseinrichtungen (Gas, Elektrizität) ver¬
sehen werden, die ein Arbeiten auch während der Dunkelstlinden
gestatten.
2. Fortentwicklung des Sanitätskorps im Frieden.
Für das Sanitätskorps bedeutsam war, dass am 15. März 1912
Seine Majestät der Kaiser die Kaiser Wilhelms-Akademie besuchte,
um einen Vortrag Seiner Exzellenz des Generalstabsarztes der
Armee von Schjerning entgegenzunehmen, sowie dass am
24. Oktober 1912 die Kaiserin, die Kronprinzessin, die Prinzessinnen
Eitel Friedrich und Viktoria Luise erschienen, um, geführt vom
Herrn Generalstabsarzt, in der Akademie, im Garnisonlazarett II
Berlin und im Traindepot des Gardekorps dort lagernde Feld¬
sanitätseinrichtungen oder Sammlungsgegenstände zu besichtigen.
Vom 15. bis 27. Juli 1912 waren wieder Generalärzte uud
Generaloberärzte zu einem Fortbildungskurse nach Berlin kom¬
mandiert.
Sanitätsoffiziere haben, falls sie im Bereiche der Militärluft¬
fahrt Schaden leiden, auf die Wohltaten der Kaiser Wilhelm-
Luftfahrerstiftung Anspruch, nehmen in Berlin zusammen mit
Offizieren und Unteroffizieren an Kochlebrgängen teil, stehen der
hinfort durch Sanitäts- und sonstiges Heeresunterpersonal auszu¬
führenden Desinfektion militärischer Räume vor.
Die Vorstände (Militärapotheker) der chemischen Abteilungen
der hygienisch-chemischen Untersucbungssfellen am Sitze des Sani,
tätsamtes unterrichten Offiziere und obere Beamte der Bekleidungs¬
ämter in der Leder-, Leinen- usw. Prüfung.
Die Kaiser Wilhelms Akademie umfasste am 1. April 1912
10 Halbjahrsabteilungen zu je 41 Studierenden für das Heer und
je 6 für die Marine, d. b. 470 Studierende. Die Zahl um weitere
100 zu vermehren ist beabsichtigt.
Infolge der Heeresverstärkung und -neugliederung traten
zahlreiche Sanitätsoffizier- und Militärapothekerstellen hinzu. Von
den wichtigeren Neuerungen seien erwähnt: die 5. Sanitätsinspektion
in Danzig mit einem Obergeneralarzt an der Spitze, das General¬
kommando des XX. Armeekorps in Allenstein and des XXL Armee¬
korps in Saarbrücken mit Korpsarzt (Generalarzt) und Korpsstabs-
apotbeker, Sanitätsamt, Sanitätsdepot, hygienisch-chemischer Unter¬
suchungsstelle, die 41. Division in Deutsch-Eylau und die 42. Divi¬
sion in Saarburg mit Divisionsarzt (Generaloberarzt) und hygieni¬
scher Untersuchungstelle.
Infolge Errichtung der 5. Sanitätsinspektion bat sich die
Zuteilung der Sanitätsämter zu den Sanitätsinspektionen geändert.
Im preussischen und im württembergischen Sanitätskorps
werden Sanitätsoffiziere regelmässig ausgetauscht.
Für die Uebungen des Beurlaubtenstandes sind die Gebühr¬
nisse erhöht worden, so das Uebungsgeld für Ober-, Assistenz-
und Unterärzte, der Ober- und Unterapotheker. Einjährig-freiwillige
Aerzte erhalten auf Märschen und in der Ortsunterkunft Feld¬
webelquartier.
Braune Schnürschuhe und Gamaschen, mit und ohne An¬
schnallsporen, sind erweitertem Maasse gestattet worden.
Die Stellen für Sanitätsfeldwebel bei grossen Garnisonlazaretten,
für Sanitätsunteroffiziere bei einzelnen Sanitätsämtern und bei dem
Militärkurhause Landeck i. Scbles., für Militärkrankenwärter in
Garnisonlazaretten wurden vermehrt.
An der Erhöhung der Mannschaftslöhnung nehmen auch die
Sanitätsmannschaften und Militärkrankenwärter teil.
Das Pflegepersonal der Lazarettabteilungen für Geisteskranke
erhält Löbnungszuscbüsse.
3. Friedenslazarett-und Krankenpflegedienst. Friedens-
sanitätsausrüstung.
Von neu herausgegebenen Dienstvorschriften beziehen sich
auf den Sanitätsdienst:
a) Der Personenkraftwagen der Heeresverwaltung. Vom
18. Mai 1912. (Mit Bezugnahme auf die Heeres-Krankenkraft¬
wagen.)
b) Vorschrift für das Fechten auf Hieb und Stoss. (Gültig
für Offiziere aller Waffengattungen.) Vom 22. Februar 1912.
(Neue Geräte zum Schutze gegen Verletzungen.)
c) Turnvorschrift für die berittenen Truppen (Turnv. f. Beritt.).
Vom 17. Oktober 1912. Entwurf. (Freiere Erweiterung des
Turnens und Spielens.)
Die auch für den Friedensbetrieb sehr wichtige Vorschrift:
Behandlung der Sanitätsausrüstung, vom 5. November 1912, wurde
bereits unter 1. erwähnt.
Die Krankenlöbnung ist entsprechend der Verbesserung der
Mannschaftslöhnung erhöht worden.
Die Chefärzte der Lazarette stellen fortan für die im letzteren
verstorbenen Personen die zu einem Leichenpasse über Preussens
Grenzen hinaus erforderliche Bescheinigung über die Todesursache
usw. aus, was bisher den Kreis- und Gerichtsärzten Vor¬
behalten war.
Neu- und Erweiterungslazarettbauten sind fertiggestellt in:
Coblenz, Saarbrücken, Schrimm, Wiesbaden, Helsa (Genesungs¬
heim für das X. und XL Armeekorps).
In Ausführung befinden sich reiebseigene Neu- und Erwei¬
terungslazarettbauten in: Darmstadt, Gera, Metz III, Trier,
Wreechen, Wünsdorf, Ohrdruf, sowie Mietbauten in: Heide,
Pr. Stargard, Swinemünde.
Die in diesem Jahre ausgeführte und weiter fortdauernde
Heeresverstärkung führte zu einer Erweiterung der Krankenunter¬
kunft in vielen alten und neueren Standorten sowie zur Errich¬
tung der oben erwähnten Sanitätsämter, Sanitätsdepots, hygienisch-
chemischen und chemischen Untersuchungsstellen,
Zu den fachärztlich geleiteten, für mehrere Armeekorps be¬
stimmten Geisteskrankenabteilungen der Garnisonlazarette Posen
und Strassburg 1 gesellte sich eine 3. Abteilung im Garnison¬
lazarett Mainz.
Sonstige Sonderabteilungen, insbesondere die Lazarettabtei¬
lungen für Zahnkranke, erfuhren weitere Ausgestaltung.
In der Kaiser Wilhelms-Akademie werden die bisherigen
reichhaltigen Sammlungen ergänzt durch ein pathologisch - ana¬
tomisches Museum, das aus allen Lazaretten usw. beschickt werden
soll. Die physikalische Abteilung des Medizinischen Unter¬
suchungsamtes der Akademie untersuchte, auch im Vergleiche
mit Präparaten von Menschenaffen, die von Hauser gefundenen
Menschenknochen aus der Moustärien- und Aurignaczeit mit
Röntgenstrablen.
Wieder erhielten mehrere Standorte bespannte Krankenwagen.
Hierfür wurden nicht mehr kriegsbrauchbare Krankenwagen 72/74
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1013.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
171
der Feldsanitätsformationen umgebaut. Die Vermehrung der
Kranken kraft wagen ist im Gange.
Bei einigen Lazaretten ist, zunächst versuchsweise, die Selbst¬
bewirtschaftung in der Verpflegung mit Bauschsummen angeordnet
worden.
Fflr Hilfeleistungen bei Leichenöffnungen und sonstigen
Arbeiten im Leichenhause hat das Sanitätsunterpersonal Schürzen
und Aermel von wasserdichtem Unterlagenstoff erhalten.
Eingeführt wurden verbesserte stellbare Krücken, Sauerstoff-
atmung8geräte in grösseren Lazaretten, Metallsockenhalter an den
Lazarettbetten (an Stelle von Strumpfnetzen).
Ob es zweckmässig ist, auf Märschen Hitzschlagkranken
Nebennierenmittel zu verabreichen, wurde weiterhin geprüft.
Erprobungen des Demosirrigators der Thermos-Aktiengesell-
schaft, des Dölger’schen Stimmgabelerregers, von Fango ver¬
schiedener Herkunft, neuer Lazarettkrankeokleidung, von Bade¬
mänteln aus Kräuselstoff, zweckmässiger Augensalbengrundlagen
fanden statt.
Infolge zweifelloser Erfolge, die im Gardekorps bei der Be¬
handlung der Krätze mit Schwefelsalben erzielt wurden, ist all¬
gemein auf dieses anscheinend dem Perubalsam an Wirkung
gleichwertige, aber erheblich billigere Mittel hingewiesen und zu
Vergleichsprüfungen aufgefordert worden. Andererseits wurde
eine Umfrage nach den Ursachen des seit 1900/1901 ständig
steigenden Zuganges an Krätzekranken eingeleitet.
Die Fürsorge für erkrankte Unteroffizierangehörige wird fort¬
gesetzt erweitert. Sie dürfen, auch wenn sie auswärtigen Stand¬
orten aogehören, unter gewissen Bedingungen auf den Lazarett¬
abteilungen für Zahnkranke behandelt werden.
Die unter der unablässigen, warmherzigen Fürsorge des Herrn
Generalkonsuls Mappes-Frankfurt a. M., sowie des Herrn und
der Frau Fabrik- und Apothekenbesitzer Schering-Berlin stehen¬
den Frauen- und Kindergenesungsheime in Schloss Idstein, Taunus,
und Seeheim Osternothafen bei Swinemünde, dieses als Ein¬
richtung der unter dem Vorsitze Ihrer Exzellenz der Frau General¬
stabsarzt v. Scbjerning stehenden Abteilung X des Volksheil¬
stättenvereins vom Roten Kreuz, werden immer mehr von An¬
gehörigen der Unteroffiziere in Anspruch genommen.
Die neuzeitlichen Bestrebungen in der Säuglingspflege werden
planmässig auch auf Unteroffizierfamilien ausgedehnt.
4. Gesundheitsdienst.
Der Wissenschaftliche Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie
beratschlagte am 9. Januar 1912 über die während des Sommers
und des Herbstes 1911 beim Heere beobachteten Seuchen-
ginge an y-Ruhr, sowie am 16. Juli 1912 über die Regelung der
Schotzpöckenwiederimpfung der Truppen bei Beginn eines Feld-
zages und die Verwendung von Speisefetten bei der Ernährung
der Soldaten.
Infolge des häufigen Vorkommens von Ruhr auf Truppen¬
übungsplätzen sind eingehende bakteriologische Nachforschungen,
u. a. nach Keimträgern, auch in der bürgerlichen Umgebung
angeordnet worden. Sie sollen planmässig auch in seuche¬
freien Zeiten ausgeführt werden. Auch im übrigen sind die
Vorschriften für den Gesundheitsdienst auf Truppenübungsplätzen
zeitgemäss erneuert worden.
Die Desinfektion militärischer Räume und Gebäude, die bis
jetzt meist vertraglich privaten Gesellschaften übertragen war,
wird in Zukunft unter Aufsicht von Sanitätsoffizieren von Sanitäts¬
und sonstigem Unterpersonale des Heeres ausgeführt, was den
Vorteil grösserer Sicherheit sowie der Verbilligung hat und neue
Ausbildungsgelegenheiten schafft.
Im medizinischen Untersuchungsamte (physikalische, chemisch-
pbarmakologiscbe, hygienisch-bakteriologische Abteilung) der
Kaiser Wilhelms-Akademie sowie in den hygienisch-chemischen
Ontersuchungsstellen bei den Sanitätsämtern am Sitze der General¬
kommandos wurden — zum Teil in Verbindung mit praktischen
Erprobungen im Truppensanitäts- und im Lazarettdienste — unter
anderen folgende Fragen geprüft: Steigerung der Haltbarkeit der
Pockenschutzlymphe bei Wahrung ihrer Wirksamkeit, Ersatz der
Garbolsäure durch Chlorkreosoltabletten „Grotan“, wirksame Des¬
infektion tuberkulös verseuchter Räume mit den neueren Formal-
debydverfahren, Staubmasken für Kraftfahrpersonal, bakterio¬
logische Trockennährböden, Keimgehalt und Schutzhüllen der
Verbandpäckchen, Quecksilbercyanid und Quecksilberoxycyanid
als Snbliroatersatz bei der Desinfektion, Liermann’s Haut-
deginfektion and Wundversorgung mit Bolusseife und Boluspaste,
physikalisch-pharmakologische Brauchbarkeit des Noviforms als
Jodoformersatz, Zuverlässigkeit der Dampfsterilisation der Ope¬
rationshandschuhe, Zweckmässigkeit ihrer Sterilisation mit 5 proz.
Schwefelsäure nach Arndt und Rusca, Nachprüfung von Honig,
Speisefetten und Speiseölen usw. (Entwürfe des Reichs-Gesund¬
heitsamtes). Bei den chemischen Abteilungen der eben erwähnten
hygienisch-chemischen Untersuchungsstellen werden in Zukunft
alle 2 Jahre Offiziere und obere Beamte der Bekleidungsämter
in Prüfungsverfahren ausgebildet, die für den Betrieb dieser
Aemter wichtig sind (Leinen-, Tuch-, Lederuntersuchung usw.).
Der Fettanteil in der Verpflegung der Militärgefangenen wurde
erhöht.
Den bei den verschiedenen Truppen beobachteten Vergiftungen
nach Verwendung von Seefischen in der Mannschafts Verpflegung
sowie den immer wiederkehrenden, anscheinend häufig durch
y-Bacillen träger, auch der Zivilbevölkerung, verursachten Ruhr¬
seuchen auf Truppenübungsplätzen widmete man besondere Nach¬
forschungen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse steht noch aus.
Die Hilfeleistung bei Hitzschlagfällen ist durch Deckblätter
zur „Belehrung über Hitzschlag und Erfrierung“ neuzeitlich ge¬
regelt worden.
5. Heeresersatz, Entlassung und Versorgung.
Die „Pensionierungsvorschrift für das preussische Heer (P. V.),
vom 16. März 1912“ trat an die Stelle des Entwurfes vom
4. August 1906.
Ara 23. November 1912 beriet der Wissenschaftliche Senat
bei der Kaiser Wilhelms-Akademie nach Referaten von Kraus,
Landgraf, Keitel, Bonhoeffer über die Beziehungen zwischen
Dienstunfähigkeit und Dienstbeschädigung einerseits, Arteriosklerose,
Tabes dorsalis, Paralysis progressiva andererseits.
Die Ergebnisse des Heeresergänzungsgescbäftes 1911 finden
sich in den vom Kaiserlichen statistischen Amte herausgegebenen
Vierteljabrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches, 1912, H. 4,
5. 244.
Von den sich zum Dienste bei den Schutztruppen meldenden
Heeresangehörigen werden die Oberklassen allgemein, die Unter¬
klassen in zweifelhaften Fällen nunmehr in Berlin auf Tropendienst¬
fähigkeit untersucht.
Auf das für militärische Luftfahrer erlassene Fürsorgegesetz
wurde bereits bingewiesen.
Stabsarzt Hetsch veröffentlicht eine „NachWeisung derjenigen
Leute, welche im Jahre 1911 im Bereiche der Königlich preussischen
Armee, des XII. und XIX. (I. und II. Königlich Sächsischen)
Armeekorps bei militärärztlichen Untersuchungen als der Ein¬
leitung eines Heilverfahrens bedürftig ermittelt worden sind“.
Hiernach hatten 7945 eine Behandlung nötig, 353 lehnten es ab,
den bürgerlichen Behörden usw. hierzu namhaft gemacht zu
werden, 4073 nahmen die Behandlung an. Sie hatte in 2485 Fällen
Heilung oder Besserung zur Folge.
Nach Ministerialverfügungen, die bisher nur in Württemberg,
Hessen, Oldenburg, Eisass-Lothringen noch nicht ergangen sind,
teilen die Gemeinden und die Leiter staatlicher Erziehungs¬
anstalten im Januar jedes Jahres dem Zivilvorsitzenden der Ersatz¬
kommissionen, in deren Bezirken sich minderjährige Fürsorge-
und Zwangszöglinge befinden, zutreffendenfalls mit, dass bei diesen
der Irrenarzt geistige Minderwertigkeit festgestellt hat.
6. Statistik.
Es erschien: Sanitätsbericht über die Königlich Preussische
Armee, das XII. und XIX. (1. und 2. Königlich Sächsische) und
das XIII. (Königlich Württembergische) Armeekorps für den Be¬
richtszeitraum vom 1. Oktober 1909 bis zum 30. September 1910.
Bearbeitet von der Medizinalabteilnng des Königlich Preussischen
Kriegsministeriums. (B. S. Mittler & Sohn, Berlin.)
Ein vorläufiger Jahreskrankenrapport über vorstehende
Heeresteile für das Berichtsjahr vom 1. Oktober 1910 bis
30. September 1911 wurde in der Deutschen militärärztliqhen
Zeitschrift, 1912, S. 219, bekanntgegeben. Hiernach betrugen
bei einer Kopfstärke von 552940 der Krankenzugang in Lazarett
und Kaserne 589,1 pM. (im Vorjahre 563,8 pM.) und starben
(innerhalb militärärztlicher Behandlung) 720 = 1,5 pM. (im Vor¬
jahre 604 = 1,9 pM.). Insgesamt starben 1071 = 1,9 pM. der
Kopfstärke, d. b. um 0,2 pM. mehr als im Vorjahre; an der
Steigerungsindalle Ursachen, Krankheiten, Unglücksfälle, Selbst¬
morde beteiligt.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
7. Sonstige Veröffentlichungen.
Die vom Kriegsministerium, Medizinalabteilung, heraus¬
gegebenen „Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militärs&oitäts-
wesens“ (A. Hirschwald, Berlin) wurden fortgesetzt durch
Heft 50. W. Haberling, Sonnenbäder.
Heft 51. Landgraf und Kraus, Ueber Sauerstoffatmungs¬
geräte im Heeressanitätsdienste. Berichte, erstattet am 11. No¬
vember 1911 in der Sitzung des Wissenschaftlichen Senats bei
der Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungs¬
wesen.
Heft 52. Arbeiten aus den hygienisch-chemischen Unter¬
suchungsstellen. Zusammengestellt in der Medizinalabteilung des
Königlich Preussischen Kriegsministeriums (Arbeiten von Strunk,
Amort, Rothe, Biernath, Crato, Budde).
Heft 53. Otto Holbeck, Die Schussverletzungen des
Schädels im Kriege. Beobachtungen und Erfahrungen während
des russisch-japanischen Krieges 1904/1905.
Bearbeitet werden zusammenfassende Veröffentlichungen über
„Kraftwagen im Heeressanitätsdienste u , über „die antiseptische
und die aseptische Durchtränkung der Verbandstoffe (Sublimat
und seine Ersatzmittel)“ sowie über „Krankentragen, insbesondere
die neue Eiuheitskrankentrage“.
In der Bibliothek v. Coler-v. Scbjerning (A. Hirsch¬
wald, Berlin) kamen hinzu
Band XXXIV. H. Bischoff, W. Hoffmann, H. Sch wie-
ning, unter Mitwirkung von H. Findel, H. Hetsch, K. H. Kut¬
scher, 0. Martineck, B. Möllers, Lehrbuch der Militär¬
hygiene. IV. Band. Infektionskrankheiten und nicbtinfektiöse
Armeekrankheiten.
Band XXXVI. Karl Wezel, Robert Koch. Eine bio¬
graphische Studie.
Ferner erschien: Walter v. Oettingen, Leitfaden der prak¬
tischen Kriegschirurgie. (Th. Steinkopf, Dresden und Leipzig.)
In Virchow’s Jahresbericht der gesamten Medizin, 1911,
2. Band (A. Hirschwald, Berlin) bearbeiteten A. Köhler: „Kriegs¬
chirurgie“, F. Paalzow: „Militärsanitätswesen, Armeehygiene und
Armeekrankbeiten“.
Weitere fach wissenschaftliche Mitteilungen finden sich in der
„Deutschen militärärztlichen Zeitschrift“ (mit Roth’s Jahres¬
bericht) und im „Militär-Wochenblatt“ (E. S. Mittler & Sohn,
Berlin) sowie in den regelmässigen Buch- und Zeitschriften¬
besprechungen dieser Wochenschrift.
8. Freiwillige Krankenpflege.
Seine Majestät der Kaiser genehmigte eine neue Felduniform
für Delegierte der freiwilligen Krankenpflege. Die seit mehreren
Jahren zu Berlin stattfindenden Ausbildungskurse für Delegierte
der freiwilligen Krankenpflege erfreuen sich einer stets wachsen¬
den Beliebtheit. Am letztjährigen Kurse (5.-9. Februar 1912)
nahmen ausser den beteiligten Dienststellen 178 Delegierte, An¬
gehörige der Johanniter- und Malteserritterorden sowie der Ver¬
eine vom Roten Kreuz teil. Bei der Dienststelle des Kaiserlichen
Kommissars und Militärinspekteurs der freiwilligen Krankenpflege
wurden an Stelle des bisherigen vertraglich angenommenen Ge¬
schäftszimmerpersonals zwei hinzugekommene Beamte (ein Ge¬
heimer Kanzleisekretär und ein Kalkulator) des Kriegsministeriums
eingestellt.
ln der Kaiserparade zu Berlin am 1. September 1912 standen
3450 Mitglieder der Sanitätskolonnen vom Roten Kreuz.
Das Deutsche Rote Kreuz beteiligte sich an der Verwundeten-
fürsorge im italienisch-türkischen und im Balkankriege durch
mehrere Entsendungen von Aerzten und Pflegepersonal und von
Sanitätsmitteln.
Es erschien: Anhalt für die Einrichtung und den Betrieb
von Verband- und Erfrischungsstellen durch Vereinigungen des
Preussischen Roten Kreuzes (Verband- und Erfrischungsstellen-
Anhalt). Herausgegeben vom Centralkomitee des Preussischen
Laudesvereins vom Roten Kreuz. Berlin, 1. Dezember 1912,
Norddeutsche Buchdruckerei und Verlagsanstalt.
Seine Majestät der Kaiser verlieh am 16. März 1912 den
Schwestern, Hilfsschwestern und Helferinnen der Vereine und
Mutterhäuser im Bereiche des Preussischen Landesvereins vom
Roten Kreuz und des Vaterländischen Frauen Vereins in Preussen
einheitliche Diensttrachten, die sich an die schon früher Aller¬
höchst genehmigte Kleidung der in den Garnisonlazaretten tätigen
ArmeescbWestern anlehnen.
Die „Bestimmungen über die Ausbildung von Helferinnen
und Hilfsschwestern vom Roten Kreuz vom 2. Juli 1908“ wurden
von dem Zentralkomitee des Preussischen Landesvereins vom
Roten Kreuz und dem Haupt Vorstände des Vaterländischen Frauen¬
vereins am 27. Januar 1912 neu herausgegeben. Die Ausbildung
ist vertieft worden.
Bücherbesprechungen.
Paal Höckeidorf: Der Kehlehydratstoffwechsel aad die ianere
Sekretion. Berlin 1912, Verlag August Hirschwald. 2,40 M.
Die Monographie Höckendorfs ist eine lesenswerte Studie, in der
unter Berücksichtigung der neuesten Ergebnisse der experimentellen
Erforschung der mit der inneren Sekretion in Beziehung stehenden Drüsen
von einheitlichem Gesichtspunkte aus versucht wird, den Ablauf des
Kohlebydratstoffwechsels zu erklären und darzustellen. Im Wesen einer
solchen Arbeit liegt es begründet, dass der Verfasser zur Konstruktion
des Gesamtbildes eine theoretische Verbindung der vorhandenen Einzel¬
tatsachen, wie sie das Experiment zutage gefördert hat, geben muss.
Aus einer solchen Betrachtung fliessen dann neue Probleme und speziell
auch neue Fragestellungen, die durch die Experimentalforschung lösbar
sind. Insofern bietet die vorliegende Schrift auch vielfältige Anregung
demjenigen, der selbst auf den behandelten Gebieten im Laboratorium
tätig ist. Besonders gelungen scheint mir das Kapitel über die nervösen
Beeinflussungen des Kohlebydratstoffwechsels; ihm schliessen sich an
die Kapitel über die Zuckerbildung aus Eiweiss und Fett, die Bedeutung
der Thyreoidea für die Eiweissspaltung, der Hypophysis für die Fett¬
spaltung u. s. f.; und den Beschluss des Buches bildet die Theorie des
Diabetes mellitus, bei der der Verfasser von der Naunyn’sohen Lehre
von der Dyszoamylie ausgeht. Bickel.
K. Timm: Ueber Aastalts- nid Hansklirtilagen. Ein Beitrag zur
Abwässerbeseitigungsfrage. Zweite, vermehrte Auflage. Mit 61 Ab¬
bildungen im Text. Berlin 1913, Verlag von August Hirschwald.
Gross 8°. 88 S. Preis: geheftet 2,60 M.
Zu den Obliegenheiten des leitenden Arztes einer Krankenanstalt,
eines Genesungs- oder Erholungsheims gehört nicht bloss die Mitwirkung
bei der Auswahl und Einrichtung der Abwässerbeseitigung und -behand-
lung, sondern auch die ständige Beaufsichtigung des Betriebes. Voraus¬
setzung dabei ist die Kenntnis dessen, was gegenwärtig auf diesem Ge¬
biete geleistet wird, und was deshalb verlangt werden kann, zumal da
hier nicht ein Schema zur Anwendung kommen darf, sondern da es sich
darum bandelt, das gerade für die besonderen Verhältnisse des einzelnen
Falles passendste Verfahren herauszufinden und mit möglichst geringen
Kosten die erforderliche Reinigung zu erreichen.
Als ein vortrefflicher Helfer und Ratgeber hierbei ist das oben ge¬
nannte kleine Werk von Thumm zu empfehlen. Wie sehr es dem vor¬
handenen Bedürfnis entspricht, ist daraus zu ersehen, dass schon nach
einem Jahr eine neue Auflage notwendig geworden ist.
Ohne auf technische Einzelheiten einzugehen, erörtert es zunächst
die Grundlagen der Abwasserbehandlung überhaupt, die sich von der der
Anstalten und Häuser im Wesen nicht unterscheidet. Es betrachtet die
Art, die Menge, die Zusammensetzung der Abwässer, ihre Ableitung und
in einem besonderen Abschnitt ihre Desinfektion. Dann werden die
Reinigungsverfahren besprochen, und swar zuerst die mechanischen
(Rechen- und Absitzanlagen) und die mit chemischen Mitteln arbeitenden
(Kohlebreiverfahren), dann die biologischen, bei welchen Faulanlagen,
Fischteichanlagen, künstliche biologische (Füllkörper, Tropfkörper) und
natürliche biologische Anlagen (die verschiedenen Arten der Berieselung)
unterschieden werden. Ein eigener Abschnitt ist der getrennten Schlamm¬
faulung (Emscherbrunnen, Travisbecken) gewidmet.
Die neue Auflage bringt ausser Erweiterungen mancher Kapitel und
einer Vermehrung der Abbildungen am Schluss noch ein alphabetisches
Verzeichnis und eine kurze Kennzeichnung von 65 Abwässerreinigungs¬
verfahren und erleichtert durch ein Namen- und Sachregister die Mög¬
lichkeit, schnell über bestimmte Fragen Auskunft zu erhalten.
Globig- Berlin.
Karl Sndhoff: Graphische aad typographische Erstlinge der Syphilis-
literatar aas den Jahren 1495 and 1496. Grossfolio. 24 Tafeln,
28 Seiten Text. München 1912, Verlag von Carl Kuhn.
Hier liegt mehr vor als ein Stoss verstaubter Blätter und Bilder
zur Geschichte der Syphilis. Hier dräogt sich in einem Spiegel ein be¬
wegtes Bild aus dem politischen, sozialen und geistigen Leben Europas
um das Jahr 1495. Hier werden Stimmen des Kaisers Maximilian und
seiner Räte vom Wormser Reichstage laut, dräuen Ahnungen dunkler
Geheimwissenschaften, klagen Gebete zu himmlischen Fürsprechern in
der schweren Not der Zeit, schwer durch äussere und innere Kriege,
schwer durch Unsitte und Aberglauben, schwer durch Willkür und
Widersetzlichkeit, schwer durch Eigennutz, Teuerung und Krankheiten,
schwer durch das Bangen vor einer neuen furchtbaren Seuche, deren
Herankommen von Astrologen verkündet worden war, und deren Eintreffen
durch einen kaiserlichen Erlass versichert wird.
Diese Seuche wurde damals die bösen Blattern, auch die Franzosen,
benannt. Ueber ihre Entstehung hat sich zu Ende des fünfzehnten und
zu Anfang des folgenden Jahrhunderts eine Legende gebildet, die etwa
folgendermaassen_ lautet: Im Jahre 1494 entstand für Europa eine bis
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
173
dahin unbekannte grosse Gescblechtspest, die von den neuentdeckten
Inseln Westindiens durch Begleiter des Columbus nach Spanien gebracht,
von hier ein Jahr später durch ausgestossene Juden nach Neapel ge¬
tragen, unter den französischen Belagerern Neapels ira Jahre 1495 mit
entsetzlicher Wut sich verbreitete und von ihnen über Italien und weiter¬
hin über Europa verschleppt wurde. In den grossen Städten Mailand,
Paris, London wurde sie durch geschlechtliche Ansteckung weiter ver¬
vielfältigt und von hier aus in kurzer Zeit über ganz Europa und alle
mit den damaligen Kulturstaaten in Verkehr stehenden östlichen Länder
bis zum fernen China verbreitet. Sie bewahrte ihre ursprüngliche Heftig¬
keit durch ungefähr vier Jahrzehnte; dann trat eine Milderung ihrer
Ansteckungskraft und ihrer Symptome ein. Sie blieb das endemische
Uebel, das heute unter dem Namen der Syphilis auf der ganzen Erde
verbreitet ist.
Ist das historische Wahrheit, ist es ein Hirngespinnst, eine müssige
oder absichtliche Erfindung, wie etwa das Märchen Fracastor’s von der
Entstehung der Syphilis oder wie die mit allen Mitteln der kaufmänni¬
schen und literarischen Reklame gepriesene Heilkraft des Guajakholzes
gegen die neue Pest?
Die Frage gilt heute fast allgemein als entschieden. Sudhoff
fühlt sich durch ein paar zufällige Funde zu neuen gründlichen Unter¬
suchungen über den Wert jener Legende gezwungen. Je weiter er forscht,
um so morscher werden ihre Grundlagen. Sicher war die Syphilis schon
vor dem Jahre 1495 in Europa einheimisch, vielleicht schon viele Zeit
vorher. Sie wurde erst ein Portentum ac monstrura in den Edikten
und Chroniken, nachdem die Astrologie und das Edictum contra blas-
phemos so dräuend auf eine neue unerhörte Geschlechtskrankheit hin¬
gewiesen hatten. G. Sticker - Bonn.
Wolfgang Siegel-Bad Reichenhall: Das Asthma. Jena 1912, Gustav
Fischer.
Die vorliegende Broschüre des bekannten Reichenhaller Arztes, den
kürzlich ein plötzlicher Tod unerwartet im Alter von nur 38 Jahren
dahinraffte, ist unstreitig die beste, modernste und erschöpfendste Mono¬
graphie über den Gegenstand, der aktuell ist und immer aktuell war.
Bekanntlich wird das Wort „Asthma“ vielfach von Laien, aber auch
nicht ganz selten von Aerzten angewandt, um allerlei Krankheitszustände
zu bezeichnen, die mit Atemnot einhergehen. Da bei diesen Zuständen
häufig die Erscheinungen seitens der Bronchien fehlen, die dem echten
Asthma zukommen, hat man dieses als Asthma bronchiale bezeichnet,
und spricht im Gegensatz dazu von nervösem, urämischem, uterinem,
toxischem Asthma; nooh unsinnigere Benennungen seien ganz unerwähnt
gelassen. Verf. definiert das Asthma, in dem er mit Recht ein genau
umschriebenes Krankheitsbild erblickt, als eine Reflexneurose, charak¬
terisiert durch den typischen asthmatischen Anfall. Dieser Anfall mani¬
festiert sich durch sein plötzliches Auftreten, durch die Lungen¬
blähung mit sekundärem Zwerchfelltiefstand, die hauptsächlich exspira-
torische Atemnot und die sibilierenden Geräusche. Dagegen wäre nur
eiüzuwenden, dass der sekundäre Zwerchfelltiefstand nicht die einzige
abnorme Bewegung der Atmungsmuskulatur ist, welche das Asthma
charakterisiert; andere unzweckmässige — paradoxe — Bewegungen, die
sich in der Atmungsmuskulatur des Halses, der Brust und des Bauches
abspielen können, kommen mindestens ebenso oft vor. Die Benennung
Asthma stomachicum oder dyspepticum, sowie Asthma cardiale möchte
S. durch die weniger leicht misszuverstehenden Ausdrücke dyspepti-
sches Asthmoid und Herzasthmoid ersetzt sehen. Hoffentlich
findet dieser Wunsch Anklang.
S. erblickt in dem Zusammentreffen von Asthma mit Herzleiden
einen Zufall, das heisst, nach der Schopenhauer’schen Erklärung „ein
zeitliches Zusammentreffen zweier Ereignisse, ohne ursächlichen Zusammen¬
hang“. Zweifellos hat Verf. darin insofern recht, als ein primär Herz-
leidender echtes Asthma nur in ganz seltenen Ausnahmefällen erwirbt.
Dagegen ist von ihm übersehen worden, dass Asthmatiker, die häufige
Anfälle zu überstehen hatten, zuerst Hypertrophie und Dilatation des
Herzens, und zwar beider Ventrikel, erwerben, woraus später myokardi-
sche Degeneration resultiert, welche nicht selten zur direkten Todes¬
ursache wird. In diesem Falle ist das Herzleiden zweifellos Folge des
Asthmas, allerdings könnte man hier nicht von Asthma cardiale, sondern
von einer Cardiopathia asthmatica reden.
Die Klinik, und besonders die Therapie des Asthmas ist von S.
mit grossem objektiven Interesse behandelt, ohne dass man den sub¬
jektiven Einschlag vermisst, der das Buch besonders interessant macht
und beweist, dass sich der Autor mit fast allen einschlägigen Fragen
durch eigene Beobachtungen, Versuche und Reflexionen eingehend be¬
schäftigt hat. Sollte jemand vielleicht die Erwähnung der einen oder
anderen Publikation vermissen, so kann man daraus dem ausgezeichneten
Buch keinen Vorwurf machen. Es ist so unendlich viel Wertvolles und
Wertloses über Asthma geschrieben worden, dass der Einzelne kaum
imstande ist, alles Brauchbare zusammen zu suchen. Jedenfalls wird
der angehende und der relativ fertige Arzt, der sich über die schwierige
Frage des Asthmas belehren will, zurzeit in keiner Schrift so eingehende
Belehrung finden wie in der vorliegenden Monographie.
Der früh verstorbene Autor hat sich damit ein schönes Denkmal
gesetzt. H. E. Knopf-Frankfurt a. M.
M. Pescatore: Pflege and Ernährung des Säuglings. Ein Leitfaden
für Pflegerinnen und Mütter. Fünfte erweiterte Auflage bearbeitet
von Leo Langstein-Berlin. Berlin 1912, Julius Springer.
Preis 1 M.
Das Büchlein, über das bei Gelegenheit der früheren Auflagen in
dieser Wochenschrift empfehlend berichtet wurde, wurde in der neuen
Auflage durch Ratschläge für die Hygiene des Säuglings in der heissen
Zeit zweckmässig erweitert. Der Abschnitt über medikamentöse Bäder
bzw. über Kochrezepte enthält gleichfalls Verbesserungen.
R. Weigert-Breslan.
Constantia Daniel-Bukarest: Le postpartum normal. 1 . Fascicule:
Gencralites — Organes genitaux. Paris 1912, Maloine, editeur.
137 S.
Verfasser hat die Beobachtungen, die er an 5000 normalen
Wöchnerinnen hat machen können, zu einer zusammenfassenden Studie
verarbeitet. Er schildert, dass der Post-partum-Zustand bei gesunden
Wöchnerinnen zwar ein physiologischer ist, dass er aber eine Reihe von
Erscheinungen aufweist, die man ausserhalb des Wochenbettes als direkt
pathologisch bezeichnen würde. Während die Gravidität und die Geburt
ihre festen Grenzen haben, hat das Post-partum (Wochenbett) keinen
bestimmten Endtermin. Es erreicht sein Ende, wenn die Organe wieder
in den Zustand zurückgekehrt sind, die sie vor der Schwangerschaft be¬
sessen haben. Die einzelnen Kapitel der Monographie lauten: 1. De-
scription generale du post-partum. 2. Etüde anatomique. Hier werden
aus eigenen und fremden Beobachtungen eine Reihe von Maassen an¬
gegeben, die der Uterus an den einzelnen Tagen des Wochenbetts auf¬
weist. 3. Etüde clinique. Hier werden die Involution des Uterus,
die Beschaffenheit der Lochien, die uterinen Schmerzen (tranchees) mehr
oder minder ausführlich besprochen.
Uns deutschen Lesern ist es verdriesslich zu beobachten, mit welcher
Vernachlässigung der deutschen Rechtschreibung französisch schreibende
Autoren ihre Werke veröffentlichen. In den sparsamen deutschen Literatur¬
angaben lassen sich mehrere Dutzende Druck- oder Schreibfehler nach-
weisen. R. Schaeffer.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
K. v. Frisch-München: Farbensinn der Bienen nnd die ßlnmen-
farben. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Vortrag, gehalten
in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München am
26. November 1912. Cf. Gesellschaftsbericht diese Wochenschrift, 1913,
Nr. 1.) Dünner.
Pharmakologie.
Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie: Lehnert, Tödliche Vergiftung mit chlorsaurem Kali.
Therapie.
H. Fl oer - Essen: Ueber die Behandlung der Lungen tuberkulöse
durch Einatmen von Fnmiformdämpfen. (Therapie d. Gegenw., De¬
zember 1912.) Die Behandlungsmethode besteht darin, dass die Kranken
ein- bis zweimal täglich 1—2 Stunden lang Asphaltdämpfe einatmen,
die durch Verdampfen von sogenannten Fumiforintabletten in Verdarapf-
apparaten erzeugt werden. Der Erfolg besteht darin, dass die Ex¬
pektoration erleichtert und der Hustenreiz gemildert wird. Acht
Krankengeschichten. Eine Reinkultur von Tuberkelbacillen zeigte schon
nach 5 Minuten langer Einwirkungszeit eine deutliche Entwicklungs¬
hemmung.
R. Ammann - Zürick: Die ßrombehandlung der Epilepsie.
(Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.) Verf. wandte mit Erfolg das
Sedobrol (Hoffmann, La Roche u. Co.) an, ohne dass irgenwelche
Nebenwirkungen sich zeigten. Das Sedobrol ist ein Bromnatrium, welches
mit würzigen Extraktivstoffen aus dem Pflanzenreiche kombiniert ist.
Das Präparat würzt die Suppe und erinnert in nichts an das Einnehmen
einer Arzenei.
H. Prager - Heinrich: Vaginale Behandlung mit Xerase
(Hefe-Bolusgemisch). (Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.) Verf. be¬
richtet über günstige Erfahrungen mit der Trockenbehandlung. Meistens
handelte es sich um Fluor albus infolge einer veralteten Gonorrhöe,
oder um Lageveränderungen des Uterus oder um Chlorose. Die Portio
wurde ira Speculum eingestellt, diese sowohl wie die Scheidenwände mit
trockener Watte gereinigt. Darauf wurde das Pulver in das Speculum
gebracht und dieses dann mit einer mit Watte armierten Kornzange an
die Portio und die Scheidenwände gebracht. Meistens waren 10 bis
20 Sitzungen zur Beseitigung des veralteten gonorrhoischen Fluor nötig.
R. Fabian.
W. Kölle: Weiteres zur Behandlung der Sklerodermie mit Coeliacin.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) K. berichtet weiter über
einen schon früher publizierten Fall von Sklerodermie, den er mit
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Mesenterialdrüsenextrakt behandelte. Die Patientin erhielt die von
Merck, Darmstadt, fabrizierten Coeliacintabletten dreimal täglich 0,3. Der
Erfolg war ein guter.
A. Caan-Frankfurt a. M.: Behandlung maligner Tumoren mit
radioaktiven Substanzen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.)
Berichte über die im Samariterhaus in Heidelberg mit Mesothorium und
Thorium X behandelten Fälle. Die Erfolge sind günstige.
Dünner.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Frankel,
Behandlung der multiplen Sklerose mit Fibrolysin.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
S. B. de Groot: Kritische und experimentelle Untersuchungen
über das Entstehen und Verschwinden von Lymphdrüsen. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Ueber die Fragen, ob
Lymphdrüsen unter bestimmten Umständen an Zahl zunehmen können
und auch eine Vermehrung lymphoiden Gewebes im postembryonalen Leben
stattfinden kann, sind die Meinungen noch geteilt. Verf. gelangt auf
Grund seiner Experimente zu dem Schluss, dass sich nach einer Ex¬
stirpation von Lymphdrüsen in dem umgebenden Fettgewebe lymphoides
Gewebe entwickeln kann, welches wenigstens eine der Funktionen der
Lymphdrüse erfüllen kann. Man kann also Lymphdrüsen als mehr oder
weniger labile Organe betrachten, die unter dem Einfluss bestimmter
Reize sich entwickeln können, um nachher wieder zu verschwinden.
Fritsch.
Chorrojeff: Ueber zwei Fälle von seltenen Magentumoren.
(Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf. beschreibt einen Fall von Poly-
posis ventriculi, bei dem die polypösen Wucherungen stellenweise eine
carcinoraatöse Metaplasie erfahren hatten; ferner einen Fall von Magen-
endotheliom, der klinisch unter dem Bilde starker Magenblutungen ver¬
lief, histologisch keine Metastasen gesetzt hatte.
Franke: Ueber die Anthrakose retroperitonealer Lymphdrüsen
und die Möglichkeit direkter Metastasen von den Brustorganen zu diesen
Drüsen. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) An 20 Leichen Erwachsener
wurden die retroperitonealen Lymphdrüsen auf ihren Gehalt an Kohlen¬
pigment untersucht. Während die mesenterialen Drüsen immer frei
waren, führt das fast regelmässige Befallensein der übrigen Drüsen Verf.
zu dem Schluss, dass die retroperitonealen Drüsen an der Art. coeliaca
und von da an abwärts bis zur Bifurkation der Aorta, ferner die Drüsen
bis zum Hilus der Milz, Leber, Niere in direkter Verbindung mit dem
Lungenlymphgefässsystem stehen.
Saltykow: Ueber die Genese der „carcinoiden Tumoren“ sowie
der Adenomyome des Darmes. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf.
beschreibt sieben Fälle von Carcinoiden des Darmes (vier des Dünn¬
darms, drei des Dickdarms) und fünf Fälle von Adenomyomen des
Dünndarms (Trappe’s Adenomyome). Er setzt beide Tumorarten zu¬
einander in Beziehung und leitet sie beide von versprengten Pankreas¬
keimen ah. Es schlägt für beide zusammen den Namen Tumor
pancreaticus intestini vor, wobei einerseits der Typus der Ausführungs¬
gänge (Adenomyome) und andererseits der der Zellinseln (carcinoide
Tumoren) zu unterscheiden sei.
Kermanner: Das Fehlen beider Keimdrüsen. (Ziegler’ Beitr.,
Bd. 54, H. 3.) Kritische Studie über die in der Literatur beschriebenen
Fälle von Defekt beider Keimdrüsen, deren Ergebnis lautet, dass wirk¬
licher anatomischer Defekt beider Keimdrüsen äusserst selten vorkomme
und wahrscheinlich ganz unabhängig von den typischen Missbildungen
des Rumpfes und der Nieren sei.
E. J. Kraus: Die Lipoidsnbstanzen der menschlichen Hypophyse
und ihre Beziehungen zur Sekretion. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.)
Verf. hat von 185 Hypophysen 40 zum Studium des kapsulären und
pericapsulären Fettgewebes verwandt, 145 zum Studium der Zelllipoide.
Er fand, dass in den Zellen der Hypophyse isotrope Lipoide kombiniert
mit einer albuminoiden Substanz Vorkommen; daneben jedoch in einzelnen
Fällen anisotrope Substanz, die aus Cholestearinestern bestehe. Das
Sekret, das die Zellen der Hypophyse sezernieren, ist bestimmt, auf
dem Wege durch den Hinterlappen und das Infundibulum dem Gehirn
zugeführt zu werden.
Fauth: Ueber die Beziehungen zwischen Trauma und Syringo-
myelie. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 3.) Verf. bespricht drei Fälle von
Höhlenbildung im Rückenmark nach Trauma. Er nimmt an, dass am
häufigsten röhren- oder herdförmige Blutungen zu den Veränderungen
im Mark führen, dass aber auch die einfache heftige Erschütterung und
auch die sich an Kompression des Rückenmarks infolge Trauma an¬
schliessende Lymphstauung derartige Syringomyelien im Gefolge haben
könne. Benn.
G. Bösch - Prag: Ein Fall von primärem Melanosarkom des
Centralnervensystem8 bei multipler Sklerose. (Centralbl. f. innere
Med., 1912, Nr. 37.) Bericht über einen Fall von primärem Spindel-
zellenmelanosarkom, das bei der Sektion eines Falles von multipler
Sklerose als Nebenbefund erhoben wurde. Der Tumor fand sich zwischen
Medulla oblongata und dem Kleinhirn, der Basis des letzteren auf¬
sitzend. Als Ausgangspunkt sind die Chromatophoren der Leptomeninx
anzunehmen. C. Kays er.
H. Virchow • Berlin: Ein Herzklappenebeneapräparat. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr, 3.) Vortrag im Verein für innere Medizin
und Kinderheilkunde in Berlin am 18. November 1912.
Wolfsohn.
Lehnert: Ueber tödliche Vergiftung mit chlorsanrem Kali bei
einer Gravida. (Ziegler’s Beitr., Bd. 54, H. 8.) Verf. beschreibt den
Fall einer Schwangeren im 5. Monat, die wahrscheinlich als Abortivum
einen Teelöffel chlorsaures Kali genommen hatte. Am meisten ge¬
schädigt waren die Nieren und zwar die gewundenen Kanälchen und die
dicken Henle’schen Schleifen. Hier war das Hämoglobin in Form von
kleinen Tröpfchen zur Abscheidung gelangt und hatte intensive Zell¬
schädigung verursacht. Benn.
Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen:
Lubarsch, Geschwülste und Unfall.
Diagnostik.
H. Opitz -Thorn: Feststelluag der freieu Salzsäure im Magen¬
inhalt ohne Mageuschlaueh. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.)
In eine ovale Kapsel, die auseinandergeschraubt werden kann und viele
Löcher hat, wird Kongo- und Lackmuspapier gelegt. Die Kapsel wird
mit einem Seidenfaden armiert und in einer Oblate gereicht. An der
Veränderung des Kongo- und Lackmuspapiers kann man dann feststellen,
ob der Mageninhalt sauer reagiert und ob er freie Salzsäure enthält.
D. Kulenkampff-Zwickau: Zur Frühdiagnose der akuten Magen¬
perforation. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) An der Hand
eines einschlägigen Falles macht K. darauf aufmerksam, dass bei akuter
Magenperforation eines der ersten Symptome eine Druckempfindlichkeit
der Douglas’scben Falte sein kann. Dieses Symptom ist diagnostisch
verwertbar. Es kann schon vorhanden sein, wenn andere Zeichen, wie
Flankendämpfung, Verschwinden der Leberdämpfung, noch fehlen.
Wolfsohn.
Parasitenkunde und Serologie.
L. Rabinowitsch - Berlin: Untersuchungen zur Tuberkulosefrage.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Die Gallenblase ist ein ge¬
fährliches Bacillendepot für Tuberkelbacillen, dessen Bedeutung noch
nicht zur Genüge anerkannt wird. In der Galle Tuberkulöser finden
sich fast ebenso häufig und konstant Bacillen wie im Blute Tuberkulöser.
Die Fäces können leicht von dort aus infiziert werden (vielleicht noch
häufiger als durch verschlucktes Sputum). Viermal wurde aus der Galle
der Typus humanus gezüchtet, zweimal der Typus bovinus, der letztere
also relativ häufig. Eine „Transmutation“ der beiden Arten kann nach
R. nicht geleugnet werden. Im Kindesalter findet man meist den bovinen,
gutartigen Typus; er kann sich später wahrscheinlich in den Typus
humanus verwandeln. In hygienischer Hinsicht resultiert aus R.’s Unter¬
suchungen, dass neben der Sputumvertilgung auch den mit der Galle
durch die Fäces ausgeschiedenen Tuberkelbacillen grössere Beachtung
zu schenken sei als bisher. Besonders gilt dieser Satz auch für die
Veterinärmedizin. Kühe, welche lediglich auf Tuberkulin reagieren, ohne
nachweisbare klinische Erkrankung, können eine Milch liefern, die ent¬
weder spontan oder auch durch die Fäces infiziert ist. Daher ist in
solchen B’ällen besondere Vorsicht geboten. Wolfsohn.
Innere Medizin.
W. Sternberg: Temperatnr der Schmeckstoffe und Gennss.
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) St. bespricht
die Bedeutung der richtigen Temperatur für den Wohlgeschmack der
Genussmittel. Der Transport von Küche und Keller im Sanatorium
oder Krankenhaus zum Tisch bedarf darum besonderer Berücksichtigung
seitens des Baumeisters und seitens des Diätetikers.
W. Krebs: Beitrag zur Technik der Bäder und des Badens.
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Gegen manche
Einrichtung von Badezimmern und die Konstruktion vieler Badewannen
sind erhebliche Bedenken zu erheben. Die Installierung des Klosetts
im Baderaum ist geschmacklos. Die Form der Badewannen, ihre Auf¬
stellung ist verbesserungsbedürftig. Auf Gelegenheit zum Ruhen nach
dem Bade wird zu wenig Wert gelegt. Kopfkühlung ist bei allen Arten
von Bädern am Platze.
Waledinsky: Einfluss der Kohlensäurebäder auf das Elektro-
cardiogramm. Experimentelle Untersuchung. (Zeitschr. f. physikal. u.
diätet. Therapie, Januar 1913.) Das erste Kohlensäurebäd bewirkt stets
eine ziemlich stark ausgeprägte Abnahme der Höhe sämtlicher Zacken
des Elektrocardiogramms. Die folgenden Kohlensäurebäder gehen zwar
gleichzeitig mit einer Abnahme der Zackenhöhe einher, dieselbe ist aber
unbedeutend und jedenfalls nicht stärker ausgeprägt als die gewöhnliche
Zackenhöhe. Die herabsetzende Wirkung auf die Höhe der Zacken des
Elektrocardiogramms hält auch in den auf das Experiment folgenden
Tagen an. E. Tobias.
Grober-Jena: Selbstheilung von Basedowscher Krankheit. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) (Vortrag in der Gesellschaft
mitteldeutscher Neurologen und Psychiater in Halle 1912.) G. beob¬
achtete eine Patientin, bei der die Erscheinungen der Basedow’schen
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27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Krankheit rasch entstanden, was die Prognose für den weiteren Verlauf
nicht günstig erscheinen liess. Nach 5—6 Jahren waren nun bis auf
wenige Reste die Symptome soweit geschwunden, dass man die Diagnose
nicht mehr stellen konnte. Eine in der Zwischenzeit aufgetretene und
fortschreitende Lungenerkrankung kann als Ursache dieser Besserung
wenigstens vermutet werden. Ein sicherer Nachweis, dass hier eine
ursächliche Beeinflussung einer Krankheit durch die andere stattgefunden
bat, kann natürlich nicht geliefert werden.
E. Romberg-München: Digitalis. (Münchener med. Wochenschr.,
1918, Nr. 1.) Nach einem Vortrag im Münchener ärztlichen Verein am
6. November 1912. cf. Gesellschaftsbericht, diese Wochenschr., 1912,
Nr. 50, S. 2388.
W. Schultz-Charlottenburg: Technik und Ergebnisse meiner Blnt-
gerinnungsmethode. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Sch.
schildert eingehend seine Methode, die er bei den verschiedensten Krank¬
heiten an wandte; bei den meisten war die Gerinnungszeit innerhalb der
normalen Grenzen. Nur bei Hämophilie fand sich eine beträchtliche
Verzögerung der Coagulation, die nach 55 Minuten beendigt war (normal
etwa 18 Minuten). Bei Leukämie erfolgte die Gerinnung schneller. Die
Untersuchung der die Gerinnung angeblich beschleunigenden Mittel er¬
gab, dass Kalksalze, Citronensäure keinen Einfluss haben. Nach Gelatine-
iojektionen trat in einem Teil der Fälle eine ausgesprochene Gerinnungs-
beschleuoigung ein. Dünner.
0. Bruns - Marburg: Die Blntcireulation in atmenden und atelekta-
tiiel.fi Langen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vortrag,
gehalten im Aerztlichen Verein zu Marburg. Wolfsohn.
A. Schmidt-Halle: Chronische diphtherische Infektion der Langen.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Krankengeschichte einer
62jährigen Frau, die seit 10 Jahren an Husten, eitrig-schleimigem Aus¬
wurf mit periodischen Fieberbewegungen leidet. Im Auswurf findet sich
stets eine Reinkultur von Diphtheriebacillen, während der Tonsillen¬
abstrich frei davon ist. Tuberkelbacillen fehlen. Die Patientin hat
niemals ihre Umgebung mit Diphtherie infiziert. Die aus dem Sputum
gezüchteten Kulturen verhalten sich bei subcutanen Injektionen Meer¬
schweinchen gegenüber avirulent. Dünner.
Siehe auch Therapie: Floer, Behandlung der Lungentuber¬
kulose durch Einatmen von Fumiformdämpfen. — Chirurgie: Leriche,
Primärer akuter Magenduodenal Verschluss. — Unfallheilkunde und
Versicherungswesen; Rubin, Trauma bei Pneumonie. Thiem,
Traumatische Lungenentzündung. Mohr, Diabetes insipidus nach Schädel¬
grundbruch. Lossen, Pankreasapoplexie. — Diagnostik: Opitz,
Feststellung der freien Salzsäure im Mageninhalt ohne Magenschlauch.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Goldscheider: Die Anwendung der physikalischen Heilmethoden
zur Behandlung von centralen Erkrankungen. Fortbildungsvortrag.
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) G. bespricht
in grossen Zügen den Stand der modernen physikalischen Therapie der
Erkrankungen der nervösen Centralorgane. Bei den centralen Lähmungen
ist zunächst Ruhetherapie am Platze und sofortige Vorsorge gegen Kon¬
trakturen, nach zwei Wochen soll dann die Bewegungsbehandlung be¬
ginnen, desgleichen die kinetotherapeutischen Bäder. Die spinalen und
poliomyelitischen Lähmungen werden ebenso behandelt. Ausführlich
wird die Förster’sche Operation besprochen, die auch bei den Magen¬
krisen des Tabikers angewandt wird. G. bespricht dann die Therapie
der tabischen Schmerzen, die Arsonvalisation, die Uebungsbehandlung,
die Behandlung der Arthropathie, das Mal perforant, die Behandlung
der multiplen Sklerose, der spinalen Kinderlähmung, der ankylosierenden
Spondylitis.
0. Hassmann und H. Zingerle: Beitrag zur Kenntnis der Ver-
laafaformei der progressiven Paralyse. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.)
Es finden sich in den letzten Jahren Schwankungen im Verlauf und in
der Symptomatik der progressiven Paralyse, die zweifellos nicht einheit¬
lichen Charakters und nicht einheitlich begründet sind. So macht sich
z. B. das Anwachsen der einfach dementen Form gegenüber der klassischen
Form deutlich bemerkbar. Daneben sind atypische Formen häufiger
geworden. In kursorisch wiedergegebenen Krankengeschichten werden
Fälle mitgeteilt, bei denen das Auftreten von Schwankungen des Be¬
wusstseinszustandes, kurzen Absencen, Dämmerzuständen oder deliranten
Phasen mit oder ohne Verbindung mit Krampfanfällen das charakte¬
ristische Moment bildet. Das Auftreten derartiger Zustände ist ein
prognostisch ungünstig zu wertendes Moment. Solange Schwachsinn
nicht ausgebildet ist, prägen sich in den geschilderten Fällen keine be¬
sonderen Merkmale aus, die zwingend auf paralytische Grundlage hin-
weisen würden, weün nicht besondere charakteristische körperliche Er¬
scheinungen vorliegen. Die exogenen Reaktionstypen sind auf ein
toiisches Zwischenglied zurückzu führen, das durch eine sekundäre Ver¬
änderung im Körper entstanden ist.
Conto: Ueber einen Fall von Hydrocephalns idiopathicns unter
der Maske des Weber’schen Symptoinenkomplexes. Sofortige Heilung
durch Lumbalpunktion. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) Ein 24jähriger
Tagelöhner erkrankt akut nach einer rheumatischen Erkrankung mit
folgenden Symptomen: Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Lähmung des
linken Pyramidalstranges und des rechten Oculomotorius, d. h. Para¬
lysis altern ans snperior (Weber’scher Typus). Es wurde an einen
schnell verlaufenden Gehirntumor gedacht, aber durch Lumbalpunktion
wurde sofortige Heilung herbeigeführt. Es handelte sich um einen
Hydrocephalus idiopathicus acquisitus, wahrscheinlich infolge einer Grippe.
H. Oppen heim-Berlin: Klinische Eigentümlichkeiten kongenitaler
Hirnge8chwiil8te. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) In dem ersten
der geschilderten Fälle handelt es sich um eine gutartige angeborene
Neubildung — wahrscheinlich ein Angioma cavernosum des Gehirns, die
sehr geringe Wachstumstendenz besitzt, aber durch temporäre Schwellung
oder Blutung ausgesprochene Herdsymptome verursacht. Seit 8 Jahren
hat der 26jährige Landwirt den dritten Anfall. In zwei weiteren Fällen
nimmt 0. eine in den centralen Ganglien der rechten Hemisphäre
sitzende gutartige Neubildung von gutartigem Charakter, die zweimal
Epilepsie und Lähmungserscheinungen verursacht hat, bzw. ein inneres
Hirnhautangiom an. Auch der vierte Kranke bietet ein Bild, das auf
eine kongenitale Hirngeschwulst hinweist. Besonders wenn ein äusseres
Angiom der Gesichts- oder Schädelhaut vorliegt, wird man auf die Hirn¬
diagnose speziell hingewiesen. Auch die Heredität kann bedeutungsvoll
sein. Beachtenswert für die Diagnose sind in solchen Fällen kongenitale
Entwicklungsanomalien, angiopathische Diathese, Neigung zu kongestiven
Zuständen, Symptomatologie eines Hirnleidens, besonders mit epileptischen
Anfällen von mehr corticalem Typus, Lähmungszustände bzw. Ausfalls¬
erscheinungen in einer Körperseite, die sich in apoplektiformer Weise
entwickeln. Hirndrucksymptorae fehlen oder treten nur im Geleit der
Läbmungsattacken auf. Wichtig sind der schleppende Verlauf, die über
Decennien sich erstreckende Dauer, der zuweilen kongenitale Beginn,
die langen Intervalle. Das Leiden wird oft erst im Anschluss an
Traumen oder körperliche Ueberanstrengung oder psychische Erregungen
manifest. Bei KalkablageruDg oder Verknöcherung ist röntgenologische
Diagnose möglich. E. Tobias.
R. Langbein - Leipzig: Kasuistischer Beitrag zur Diagnose perfo¬
rierender Aneurysmen der Hirnarterien. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 1.) Mitteilung von zwei Fällen, die zum Teil die
Symptome darboten, wie sie von Wiehern (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1911, Nr. 51) als charakteristisch für Aneurysma der Hirnarterien
geschildert wurden: allgemeine cerebrale Erscheinungen, Schwindel, Er¬
brechen, Bewusstseinsstörungen, eventuell Herdsymptome und Hirndruck¬
symptome. Die Krankheit setzt gewöhnlich plötzlich ein. Es besteht
oft Sausen im Kopf und häufig ein hörbares systolisches Geräusch am
Kopf. Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Lumbalpunktion, die
einen blutigen, nicht gerinnenden Liquor ergibt. Die Symptome treten
schubweise auf. Dünner.
S. Loeb - Stuttgart: Hemicanities bei Hemiplegie. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Plötzliches, halbseitiges Ergrauen der Kopf-
und Barthaare nach einer Hemiplegie. Wolfsohn.
J. Marimön - Barcelona: Ein Fall von symmetrischer tropho-
nenrotischer Lipombildung im Anschluss an eineRüekenmarksverletzang.
(Revista de ciencias medicas de Barcelona, Dezember 1912, Nr. 12.)
64jäbriger Mann. Sturz vom Wagen, Wirbelbruch im Bereich des 1. und
2. Brustwirbels mit konsekutiver Rückenmarkskompressiou, Paralyse der
oberen, Parese der unteren Extremitäten, vasomotorische Störungen,
keine Störungen in den Funktionen von Blase und Mastdarm. Die
motorischen Störungen gingen im Verlauf von 4 Wochen allmählich
zurück, Auftreten von sensiblen Reizerscheinungen in den oberen und
unteren Extremitäten. Ein Jahr nach dem Unfall trat unter geringen
Schmerzen im Nacken hinter dem linken Ohr ein gut abgrenzbarer
lipomatöserTumor auf, der ungefähr Faustgrösse erreichte; einen Monat
später unter denselben Erscheinungen ein Lipom auf der rechten Seite
an der entsprechenden Stelle. Hieran schlossen sich teils solitäre, teils
diffuse Lipombildungen im Nacken in der Mittellinie, an den Schultern,
den Armen, am Knie und in den Schlüsselbeingruben, mit Ausnahme
des Tumors im Nacken sämtlich genau symmetrisch. M. ist der An¬
sicht, dass es sich um trophoneurotische Störungen bei dem Zustande¬
kommen dieser Lipombildung handele.
Hannes - Ham bürg-Eppendorf.
M. Fraenkel: Erfahrungen über Behandlung der multiplen Sklerose
mit Fibrolysin. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 1.) Die Behandlung der
multiplen Sklerose mit intramuskulären Fibrolysineinspritzungen ist ein¬
fach und ungefährlich. In seltenen Fällen kommen gelegentlich leichte
Temperatursteigerungen vor. Die Einspritzungen können beliebig lange
fortgesetzt werden. Die Wirkung ist rein hypothetisch. Von Kranken¬
hauspatienten wurden 65 pCt., von Privatpatienten nur 33 pCt. gebessert,
was vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass Krankenhauspatienten
durch den Aufenthalt im Krankenhaus in günstigere Lage kommen, was
bei Privatpatienten fortfällt. F. empfiehlt darum möglichst generell
stationäre Behandlung. Es wurden teils gradweise Besserungen, teils
fast vollständige Heilungen erzielt, teils schwanden nachweisbar einzelne
Symptome. E. Tobias.
0. Foerster-Breslau: Die analytische Methode der kompensa¬
torischen Uebungsbehandlong bei der Tabes dorsalis. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Klinischer Vortrag.
E. Behrenroth - Greifswald: Die sexuelle psychogene Herzneurose
(„Phrenoeardie“). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Die Arbeit
ist im wesentlichen eine Bestätigung des von Herz aufgestellten Krank¬
heitsbildes. Herzschmerz, Atemsperre und Herzpalpitation sind die Haupt-
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Nr. 4.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Symptome dieser Affektion, welche auf sexuell-psychogenem Wege ent¬
steht und einer causalen Therapie recht zugänglich ist.
Wolfsohn.
Siehe auch Augenheilkunde: Lundsgaard, Erworbene Augen¬
muskellähmung. — Therapie: Amman, Brombehandlung der Epi¬
lepsie. — Technik: Auerbach, Praktische Untersuchungselektrode.
— Pathologie: Fauth, Trauma und Syringomyelie. Kraus, Lipoid¬
substanzen der Hypophyse und ihre Beziehungen zur Sekretion. —
Unfallheilkunde und Versicherungswesen: Mohr, Poliomyelitis
und Unfall. Grub er: Unfall als paralytischer Anfall. Speck, Amyo-
trophische Lateralsklerose nach Trauma.
Chirurgie.
A. Schlesinger-Berlin: Ueber latentes Erysipel. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vortrag in der Berliner Gesellschaft für
Chirurgie am 25. November 1912. Wolfsohn.
Moli ne us: Die Amputation bei Gangrän, (v. Bruns 1 Beitr. z.
klin. Chir., 1913, Bd. 82, H. 1.) Der Bier’sche Heizkasten ist ein vor¬
zügliches Mittel, um bei fehlender Demarkationszone festzustellen, bis
zu welcher Höhe gute Blutversorgung vorhanden ist, da die genügend
durchblutete Haut sich rosarot färbt. Die Prüfung des Pulses ist nicht
massgebend. Bei der Operation ist jede Taschenbildung zu vermeiden,
also keine komplizierten Schnittführungen. Nach der Amputation ist
ein Extensionsverband empfehlenswert, der die Retraktion des Weich¬
teilkegels und sekundäre Gangrän verhindert. W. V. Simon.
Wieting: Die erfolgreiche Behandlung der angiosklerotischen
Ernährungsstörungen durch die arteriovenöse Anastomose. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. verficht nach wie
vor gegen alle Angriffe die Berechtigung seiner Operation und teilt als
Beweis drei von ihm mit Erfolg operierte Fälle und etwa 16 ebensolche
aus der Literatur mit. Er steht auf dem Standpunkt, dass ganz allein
die klinische Erfahrung die Berechtigung der Operation beweisen kann.
F. Bähr: Fractura malleoli interni non sanata. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Kasuistische Mitteilung.
Straube: Ueber die Behandlung der Spondylitis tuberculosa in
Leysin und die damit erzielten Resultate. (Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
1912, B. 119, H. 5 u. 6.) Die Arbeit umfasst den Zeitraum von 1904
bis 1912.) Die Technik der Sonnenbestrahlung weicht auch bei dieser
Lokalisation der Tuberkulose im wesentlichen nicht von der bei anderem
Sitze der Krankheit ab, wird aber in der Arbeit wieder bis ins kleinste
wiederholt. Die Resultate sind glänzende, wie die Krankengeschichten und
dir beigefügten Photographien und Röntgenbilder beweisen.
Uffenorde: Nachtrag zu einer Mitteilung: Ueber die otogene
Meningitis. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Ge¬
naue Beschreibung der Methode des Verf. zur Aufdeckung des inneren
Ohres.
R. Le rieh e: Ueber einen Fall von primärem aknten Magen-
daodenalverschlass. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5
u. 6.) Mitteilung eines einschlägigen trotz Operation ad exitura ge¬
kommenen Falles, dessen Pathogenese Verf. in einer lange Zeit bestehenden
Aerophagie findet. Der Magen dehnt sich aus, forciert seinen Sphincter
pylori, dilatiert sein Duodenum, bis es auf dem arteriellen und venösen
Streifen abgespalten wird. Die Therapie besteht in Bauchlagerung oder
Knieellenbogenlage, in Notfällen in Gastroenterostomie oder Gastrostomie
oder sogar beiden. Fritsch-Breslau.
E. Pagenstecher-Wiesbaden: Gastropexie vermittels des Liga-
mentnm teres. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Man
trennt das Ligamentum teres direkt am Nabel und löst dann den
unteren Teil des Ligamentum Suspensorium, dessen freien Rand es
bildet, ein Stück längs der vorderen Bauchwand, sodann bis an den
vorderen Leberrand ab. Dadurch entsteht ein Lappen, vorn breiter als
hinten, welcher sich bequem nach hinten hinüberlegen und am Magen
befestigen lässt, und zwar so, dass er möglichst breit der Magenvorder¬
wand aufliegt. Dadurch wird die Pars pylorica gehoben.
Dünner.
Th. Haagen*. Zur Technik der Appendektomie. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. schaltet die Infektions¬
gefahr von seiten des Stumpfes nach Abtragung des Wurms aus, indem
er vorher eine Tabaksbeutelnaht in die Coecalwand um den Appendix
legt, die sofort, den Stumpf versenkend, zugezogen wird, wenn der Wurm
abgetragen ist.
0. Warschauer: Ein Beitrag zur Chirurgie des Daetns thor&clcas.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Bei einem an Pseudo¬
leukämie leidenden Mädchen wurde bei der Entfernung eines Drüsen¬
tumors in der Nähe des Ductus thoracicus, um diesen nicht unbemerkt
zu verletzen, der Ductus doppelt unterbunden und durchschnitten ohne
nachteilige Folgen. Es sei demnach die Scheu der Chirurgen vor einem
Eingriff am Ductus unbegründet.
L. Süssenguth: Traumatische Ruptur der Urethra mit voll¬
ständiger Ablösung der Blase von der Symphyse. (Deutsche Zeitschr.
f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Kasuistische Mitteilung.
Fritsch-Breslau.
Röntgenologie.
Th. Nogier - Lyon: Die Radioskepie der Niere. (Lyon med.,
1912, Nr. 50.) Verf. beschreibt die Technik der Radioskopie der Niere
und hebt die Vorzüge dieser Uotersuchungsmethode hervor, welche haupt¬
sächlich in der Einfachheit und Schnelligkeit ihrer Auwendung zu
suchen sind.
Th. Nogier und J. Reynard - Lyon: Pyelographie in einem Fall
von Nierensteinen und in einem zweiten von Ureterstein. (Lyon med.,
Nr. 51, 1912.) Zur genauen topographischen Fixierung von Nieren- und
Uretersteinen wenden die beiden Verfasser die Methode der Pyelographie
an. Sie führen zunächst eine dunkle Sonde durch den Ureter in das
Nierenbecken ein und entscheiden dann durch das Röntgenbild, ob über¬
haupt ein Stein vorhanden und wie er zur Sonde gelegen ist. Sodann
wird mit Hilfe der Sonde Collargol in das Nierenbecken injiziert, bis
der Kranke einen Schmerz in der Nierengegend verspürt. Mittels eines
zweiten Röntgenbildes kann dann eine exakte Lokalisation erreicht
werden. Beschreibung zweier Fälle. A. Münzer.
Siehe auch Innere Medizin: Hausmann und Meinertz, Radio¬
logische Kontrolluntersuchung betreffend die Lageuntersuchung des
Magens und Dickdarms usw.)
Urologie.
Ph. Erlach er-Graz: Kausale and symptomatische Behandlung
gonorrhoischer Prozesse des Mannes mit besonderer Berücksichtigung
der Original-Gonokokkenvaccine Menzer. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 3.) E.’s spärliches Material sucht die therapeutische Wirkung
des Gonokokkenvaccins bei Urethritis zu beweisen. Mit dem Vaccin
wird dabei erst begonnen, wenn nach energischen Protargol- und
Albargineinspritzungen die Gonokokken nicht mehr vorhanden sind!
Weiterhin hatte E. bei fünf Komplikationen der Gonorrhöe mit der
Vaccintberapie gute Erfolge. Er sah stets Herdreaktion ohne wesentliche
Temperatursteigerung bei Anwendung des Menzer’schen Vaccins. Als
diagnostisches Mittel ist nach E. die Vaccinmethode allen anderen weit
überlegen. Kontraindikationen gegen die Anwendung des Menzer’schen
Vaccins bestehen nicht.
E. Pfister-Cairo: Ueber Prostataelemente bei Urethrorrhoea ex
libidine. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) 62 jähriger
Patient. Urethrorrhoe. Im Sekret Schleimfäden, Epithelien und Corpora
amylacea. Wolfsohn.
Siehe auch Chirurgie: Süssenguth, Traumatische Ruptur der
Urethra. — Röntgenologie: Nogier und Reynard, Pyelographiebei
Nierenstein und Ureterstein.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Fr. Bering - Kiel: Ueber die Spätformen der Erbsyphilis. (Therapie
d. Gegenw., Dezember 1912.) Vortrag, gehalten auf der Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster i. W. 1912.
R. Fabian.
G. Wolfsohn-Berlin: Ueber eine Modifikation des Staphylo¬
kokken vaeci ns. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Unter dem
Namen „Vivo-Vaccin“ hat W. ein polyvalentes Staphylokokkenvaccin
hergestellt, das ausser den toten Bakerienleibern auch die lebenden
Kul tu rill träte bei der Immunisierung berücksichtigt. Mit diesem Vivo-
Vaccin hatte W. bessere Resultate als mit der gewöhnlichen Vaccination,
besonders bei chronischen Ekzemen, Furunkulose, Acne, Sykosis. An
der E nspritzungsstelle tritt häufig eine leichte Infiltration bzw. ein
Erythem auf, das nach 12—24 Stunden vorübergeht. Bei allgemeiner
Furunkulose wurde gelegentlich eine Art negativer Phase beobachtet.
Im übrigen sind üble Nebenwirkungen bei der Behandlung nicht vor¬
handen. Das Vivo-Vaccin wird von der Kaiser Friedrich-Apotheke,
Berlin, in den Handel gebracht. Wolfsohn.
Siehe auch Therapie: Kölle: Behandlung der Sklerodermie mit
Coeliacin. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Loeb, Hemi-
canities bei Hemiplegie.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Kehrer - Heidelberg: Zur Teratogenie. (Archiv f. Gyn., Bd. 98,
H. 2.) Verf. gibt eine gedrängte Uebersicht über die chemischen und
physikalischen Einflüsse, die im Experiment zu Missbildungen führen,
und fordert die Aerzte auf, in Fällen, in denen Monstra geboren wurden,
durch möglichst genaue Aufnahme der Anamnese zu versuchen, ätio¬
logische Beiträge zu deren Entstehung zu liefern.
K och - Giessen: Zur Behandlung schwerer Menorrhagien bei akut
entzündlichen Adnexerkrankungen durch Portioinjektionen (Pituitrin,
Secale). (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 2.) Die Wirkung derartiger In¬
jektionen äussert sich bei Secacornin in einem fast sofortigen, bei
Pituitrin in einem nach einigen Stunden einsetzenden Aufhören oder
einer starken Verminderung der Blutung. Der Effekt hört nach ein-
bis zweimal 24 Stunden auf, worauf die Injektion mit gleichem Er¬
folg wiederholt werden kann. Die Secaleinjektionen führten aber
zu so häufigen und schweren toxischen Erscheinungen, dass sie in
letzter Zeit zugunsten des Pituitrins ganz aufgegeben wurden. Von
letzterem kam als Einzeldosis je 1 ccm zur Anwendung. L. Zuntz.
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
177
Beyer -Hanau: Ein Fall von spontaner Uternsrnptur in der
Schwangerschaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Kasuistik.
C. Crede-Hörder-Berlin: Spätinfektion der Opbthalmoblennor-
rhSe. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Neugeborene können
selbst dann an Ophthalmoblennorrhoe erkranken, wenn sie sofort post
partum von der Mutter entfernt und gesondert verpflegt werden. C. glaubt,
dass in solchen Fällen Gonokokken während der Geburt ins Auge gelangen,
sich in den Meibom’schen Drüsen einnisten, und dass von hier aus nach
einigen Tagen die weitere Infektion erfolgt. Kasuistik, die diese Ansicht
rechtfertigt. Dünner.
Augenheilkunde.
H. Dorff: Ueber Conjunctivitis durch Askariden (Askarisconjuncti-
vitis). Klinische und experimentelle Untersuchungen. (Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Cölomflüssigkeit der Askariden
enthält eine Substanz, die bei besonders dazu disponierten Individuen
beim Einbringen in den Bindehautsack sehr lebhafte entzündliche Er¬
scheinungen hervorbringen kann. Die entzündlichen Veränderungen
nehmen bei Wiederholung der Instillation von Askarissaft an Intensität
ab; es tritt Angewöhnung auf, analog der Wirkung des Dionins. Die
Empfänglichkeit ist verschieden nach Tierspezies und auch bei einzelnen
Individuen derselben Art. Es finden sich alle Uebergänge von voll¬
ständiger Immunität bis zu den höchsten Graden von Ueberempfindlich-
keil Diese Disposition lässt sich durch Kalkzufuhr oder Kalkentziehung
nicht beeinflussen. Die entzündlichen Erscheinungen werden nicht reflek¬
torisch ausgelöst; Anästhesierung der Bindehaut verhindert nicht die
entzündlichen Erscheinungen. Der Angriffspunkt der Cölomflüssigkeit
liegt mit grosser Wahrscheinlichkeit in der Gefässwand, da die Wirkung
des Askarissaftes sich durch Adrenalin unterdrücken lässt. Die Cölom¬
flüssigkeit gehört demnach mit einer Reihe von tierischen und pflanz¬
lichen Giften in die Gruppe der spezifischen Gefässgifte, die durch die
gemeinsame Eigenschaft charakterisiert sind, dass sie nur wirksam sind
bei speziell disponierten Individuen. Es handelt sich wahrscheinlich um
eine Alkaloidwirkung. F. Mendel.
Marenholtz - Nürnberg: Ein Beitrag zur Aetiologie, Pathologie und
Therapie des Pemphigus eonjnnctivae. (Zeitschr. f. Augenheilk., De¬
zember 1912.) Mitteilung eines Falles von Pemphigus conjunct., der
sicherlich luetischen Ursprungs war, Wassermann stark positiv, Sattel¬
nase, Hutchinson’sche Zähne, Gaumennarben. Ein Bulbus, der enucleiert
wurde, zeigte eine glanzlose Cornea, mit gelblichen Borken bedeckt,
unter denen sich ein pergamentartiges, die Cornea bedeckendes Gebilde
vorfand. Die Scleralbindehaut war zum grossen Teil in weisslich-
trockenes Narbengewebe verwandelt. Der untere Bindehautsack fehlte
ganz. Pathologisch-anatomisch untersucht wies vor allem die Hornhaut
interessante Befunde auf. Das Cornealepithel war papillenführend, un¬
regelmässig verdickt und von einer Keratohyalinschicht bedeckt. Nach
Adam wuchert das papillenführende Lidepithel auf die epithelentblösste.
Hornhaut und ersetzt einen Defekt. Die Bindehautschrumpfung entsteht
durch chronische Entzündung des subepithelialen und adenoiden Gewebes
der Bindehaut mit Ausgang in Vernarbung und Schrumpfung. Die
Hornhaut wird durch Ueberwucbern von Lidepithel und Bindehaut ge¬
deckt. Therapeutisch ist nicht viel auszurichten. Verf. erzielte mit
monatelangen Fibrolysineinträufelungen wenigstens ein Durchsichtiger¬
werden einer Wucherung am weniger schlechten Auge.
G. Erlanger.
L. Pick-Königsberg: Die Behandlung des Tränens. (Therapeut.
Monatsh., Dezember 1912.) Besprechung der verschiedenen Ursachen
des Tränens. Aufzählung und kritische Darlegung der gebräuchlichsten
und zweckmässigsten Behandlungsarten. H. Knopf.
S. Takashima-Japan: Ueber die Cnrocnsakane als Erreger von
Aageileiden (Conjunctivitis automotoxica). (Klin. Monatsbl. f. Augen¬
heilkunde, Dezember 1912.) Die Scotmophora vermiculata ruft sowohl
durch ihren Körpersaft als auch durch den Körper selbst eine Augen-
schädiguog hervor, deren Hauptsymptom ein Oedem an Lid und Binde¬
haut ist. Hernach erfolgt Rötung. Injektion der Bindehaut, hoch¬
gradiger Tränenfluss und schleimig-eitrige Absonderung; die Sub-
cvojunctivalblutung und die Hornhautaffektion tritt nur bei starken
Schädigungen auf. Die Erscheinungen im klinischen Bilde zeigen von
deoen bei den Tierexperimenten keine Verschiedenheit.
K. K. K. Lundsgaard-Kopenhagen: Einige Fälle von erworbener
Augenmuskel läbmnng bei Kindern (Poliomyelitis anterior, Heine-Medius-
Kraokbeit.) (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In der
Zeit vom September bis November 1911 hatte Verf. Gelegenheit, 5 Fälle
von erworbener Augenmuskellähmung bei kleinen Kindern zu beobachten,
deren Krankengeschichten genau besprochen werden. Da Diphtherie
und Influenza als Ursache ausgeschlossen werden können, nimmt Verf.
Heine-Medius-Krankheit an, eine Infektionskrankheit, welche wegen ihrer
gewöhnlichen Lokalisation * Poliomyelitis anterior acuta* genannt wird.
F. Mendel.
Attias München: Arcus juvenilis nnd Areas senilis corneae
(Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Kurze Zusammen- und Gegen¬
überstellung der wesentlichen Eigenschaften beider bei älteren und juDgen
Leuten auftretenden randständigen Hornhauttrübungen. Als hauptsäch¬
liche Unterscheidungsmerkmale heben wir hervor: Arcus juvenilis kann
einseitig vorhanden sein, ist oft asymmetrisch und ungleich gross in
beiden Augen, bildet selten einen geschlossenen Kreis; wenn eine Sichel
da ist, befindet sie sich meist unten. Der Arcus senilis ist gut abge¬
grenzt. Beim Arcus senilis, der meist beiderseitig auftritt, ist die
Trübung symmetrisch und gleich gross in beiden Augen; wenn zwei
Sicheln da sind, ist die obere grösser, ist eine Sichel da, befindet sie
sich oben. Die Abgrenzung ist besonders nach der Mitte der Hornhaut
zu unscharf. G. Erlanger.
G. Attias: Hintere Venae vorticosae, Myopie, Amblyopie. (Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In den sieben beobachteten
Fällen fand Verf. den anormalen Gefässverlauf in kurzsichtigen Augen,
und das Auge, welches die Anomalie aufwies, war fast immer bedeutend
kurzsichtiger als sein Partner, der sogar emmetropisch oder hyperopisch
war. In einigen Fällen waren auch im Partner die Chorioidealgefasse
leicht zu verfolgen und besassen einen normalen Verlauf. Verf. fand in
allen diesen Augen nicht nur eine höhere Refraktion als in seinem
Partner, sondern ihre Sehschärfe war auch beträchtlich herabgesetzt, und
häufig bestand Schielen. In allen diesen Fällen finden sich zwei
Momente, welche mit Sicherheit für eine angeborene Anomalie des
Auges sprechen, einmal die durch die Kurzsichtigkeit nicht ausreichend
zu erklärende Schwachsichtigkeit und zweitens der anormale Verlauf
der Gefdsse. F. Mendel.
H an dm an n - Döbeln: Ueher temporäre Myopie bei orbitalen Neu¬
bildungen. (Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) In drei Fällen
von Orbitatumoren konnte der Autor eine Myopie feststellen, die mit
der Beseitigung der krankhaften Veränderungen verschwand. Wahrschein¬
lich wurde der Bulbus durch die sehr weit vorn sitzenden Geschwülste
in der Weise verdrängt, dass der äquatoriale Durchmesser verkleinert
und der sagittale vergrössert wurde. Diese Befunde aber im Sinne der
Theorie Galen’s, der das Wachstum des Bulbus unter Muskeldruck für
die Myopieentstehung verantwortlich macht, zu verwenden, ist sicherlich
vorläufig nicht angängig, da stichhaltige Beweise für eine solche Theorie
noch nicht vorliegen. G. Erlanger.
W. P. B. Zeemann: Das Sehen der Einäugigen. (Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Gleichförmigkeit der Arbeit wirkt
in hohem Maasse fördernd auf eine baldige Anpassung, und der Berufs¬
wechsel wird sehr ungünstig sein. Keine Methode zur Messung des
monocularen Tiefensehens und keine Apparate können über die Arbeits¬
fähigkeit eines einäugigen Patienten Aufschluss geben. Auch bei der
anscheinend meist vollkommenen Anpassung wird immer ein bedeutender
Unterschied zwischen dem Einäugigen und dem Zweiäugigen bestehen
bleiben, da sogar eine grobe Tiefenschätzung, welche dem Zweiäugigen
io V200 Sekunde möglich ist, von dem Einäugigen nicht innerhalb
V 2 Sekunde gemacht werden kann. F. Mendel.
Gennet und Bussy-Lyon: Bemerkungen über eine bisher nicht
beobachtete Phase der Enueleatio bnlbi bei Augenphlegmone. (Lyon
med., 1912, Nr. 49.) Bei einzelnen Fällen von Phlegmone des Auges
finden sich zwischen der Hinterfläche des Augapfels und der Tenon’schen
Kapsel starke Verwachsungen, welche die zur Enucleation notwendige
Luxation des Bulbus erheblich erschweren. A. Münzer.
Y. Koyanagi: Experimentelle Untersuchung über die Netzhant-
verändernng durch Blutinjektion in den Glaskörper. (Mn. Monatsbl.
f. Augenheilk., Dezember 1912.) Beim Kaninchenauge bewirkt die Blut-
iDjektion in dessen eigenem Glaskörper keine entzündlichen Erscheinungen
am Uvealtractus. Dagegen erleidet die Netzhaut gewisse Veränderungen,
die sich wesentlich nach zwei Arten unterscheiden lassen, die gliöse
Wucherung und die primäre Degenerationserscheinung der Netzhaut.
Das neugebildete Gewebe, welches aus der Papille tief in den Glas¬
körper, und zwar in die injizierte Blutmasse hineinwuchert, ist das Pro¬
dukt echten Bindegewebes. Diese Neubildung verursacht die Netzhaut¬
ablösung, die erst viel später nach der Blutiüjektion — vielleicht durch
wiederholte Injektion — auftritt. Wenn man diese Versuchsergebnisse
auf das menschliche Äuge überträgt, so ist Verf. der Meinung, dass die
Netzhaut- und Glaskörperblutungen für die Entstehung der Retinitis
proliferans eine ätiologische Bedeutung haben.
H. Schmidt-Rimpler: Blendung nnd Nyktalopie. (Klin. Monats¬
blatt f. Augenheilk., Dezember 1912.) Die Ursache der Blendungs¬
erscheinungen liegt darin, dass die Netzhautperipherie im Verhältnis zum
Netzhautcentrum, auf dem sich das fixierte Bild befindet, zu stark be¬
leuchtet ist. Es muss ein gewisses Verhältnis zwischen dem Grad der
peripheren und centralen Beleuchtung bestehen, um eine entsprechende
Sehschärfe für das central fixierte Objekt zu bekommen und damit so¬
genannte Blendungserscheinungen zu vermeiden. F. Mendel.
P. Stoewer-Witten: Ueber tuberkulöse Netzhanterkrunknngen.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64, S. 18, Löffler-Fest¬
schrift.) Bei Netzhautablösungen ist, ganz abgesehen von Solitärtuberkeln,
an Tuberkulose als mögliche Ursache des Leidens zu denken. Ausser
zum Teil vorübergehenden Veränderungen der Netzhautgefässwandungen,
die zu Blutungen in die Netzhaut oder den Glaskörper führen können,
und weissen Herden der Netzhaut kommen auch Abhebungeu derselben
als Folge der Tuberkulose vor. Diese Netzhautabhebungen, die sich
klinisch vielleicht besonders durch ihre geringe Höhe auszeichnen,
scheinen vor allem im Anschluss au eine Tuberkulinbehandlung eine
entschiedene Neigung zur Ausheilung unter dem Bilde der Striae retinae
zu haben. Ob diese Striae bei Tuberkulose sich auch ohne vorher¬
gehende Ablatio retinae bilden können, ist fraglich. Verf. rät für Dia-
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UNIVERSUM OF IOWA
178 BERLINER KUNISHIE WorilEXSniRlKT. Nr. 4.
gnose und Therapie auch bei tuberkulösen Netzhauterkrankungen sehr
die Verwendung des Tuberkulins an. Bierotte.
J. Ginzburg: Beitrag zur Behandlung des pulsierendem Exophthal¬
mus. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Der beschriebene
Fall gehört zu denjenigen Fällen, wo das ganze Krankheitsbild infolge
eiues Contrecoups sich auf der der Verletzung entgegengesetzten Seite
entwickelt hat. Bemerkenswert ist es, dass die Verletzung gleichzeitig
auf derselben Seite zwei Risse der Aderhaut zur Folge hatte im Auge,
welches bei weiterer Betrachtung keine Abweichungen von der Norm
zeigte. Der Exophthalmus entwickelte sich am nächsten, die Pulsation
und Geräusche am 9. Tage nach der Verletzung, gleichzeitig mit einer
heftigen Pulsation der Netzhautgefasse. Da die Kompression und die
Unterbindung der Carotis ohne Erfolg waren, und da die Carotisunter-
bindung auf der anderen Seite mit Lebensgefahr verknüpft war, entschloss
sich Verf. zu einer orbitalen Operation, die gänzliche Heilung zur Folge
hatte. F. Mendel.
Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen:
Harms, Embolie der Arteria centralis retinae und Unfall.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhelten.
Elsaesser-Hannover: Heisslaftinhalation. (Deutscheraed. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 3.) Apparat zum Inhalieren von beisser Luft und
von Medikamenten in Gasform. Elektrisch betriebener Heizkörper.
Wird empfohlen bei Bronchitis, Laryngitis, Tuberkulose, Asthma u. a.
Wolfsohn.
Hygiene und Sanitätswesen.
L. Brieger: Ueber die Bedeutung der Hydrotherapie für die
Hygiene. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Der
Mensch schützt sich gegenüber den Schwankungen der ihn umgebenden
Lufthülle am besten durch Abhärtung. Abhärtung muss planmässig
und systematisch von Jugend an erfolgen und individualisiert werden.
Einseitige Abhärtungen sind zu verwerfen. B. bespricht insbesondere
die Abhärtung von Kindern. E. Tobias.
Rupprecht-München: Die Prostitution jugendlicher Mädchen in
München. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Dünner.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
Knepper - Düsseldorf: Ein Beitrag zu dem Kapitel „Gewöhnung
an Unfallfolgen'. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Zu dem
wichtigen Kapitel „Gewöhnung an Unfall folgen“ trägt Verf. durch Be¬
sprechung folgender 6 Fälle bei: 1. Verlust des rechten Armes im
Schultergelenk,;höherer Lohn wie vor dem Unfälle. 2. Verlust des linken
Armes im Schultergelenk, weit höheres Einkommen wie vor der Ver¬
letzung. 3. Verlust des rechten Armes im Schultergelenk, lange Jahre
.hindurch voller Verdienst. 4. Verlust des linken Beines im oberen
Drittel des Oberschenkels, nach 8 Monaten nur 45 pCt., nach weiteren
6 Monaten nur 25 pCt. Einbusse an Einkommen. 5. Verlust des rechten
Armes und der oberen Hälfte des Vorderarmes, keine Einbusse an Lohn.
6. Verlust des rechten Armes und zugleich des linken Zeigefingers,
keinerlei Behinderung in der früheren Röntgen- und Photographen¬
tätigkeit.
Schüle - Freiburg i. B.: Ueber die unklaren Begnt&ehtungsfälle.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Es werden Fälle besprochen,
in denen sich für die subjektiven .Beschwerden der Patienten keine ob¬
jektiven Unterlagen finden lassen. Es wäre falsch, in solchen Fällen
kritiklos das wirkliche Vorhandensein von Beschwerden zu leugnen. Man
soll unter diesen Umständen eine Rente bewilligen, es sei denn, dass
zuverlässige Zeugen übereinstimmend feststellen, dass der Betreffende
tatsächlich seine Arbeit leisten kann.
E. Bloch - Kattowitz: Traumatische Neurosen ohne Rentenansprnch.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 24.) Neuerdings hat man den Vor¬
schlag gemacht, die traumatische Neurose nicht für eine entsebädigungs-
pflichtige Unfallsfolge anzuerkennen, mit der Begründung, dass es ohne
Unfallgesetz keine traumatische Neurose gäbe. Hiergegen macht Verf.
Front und teilt fünf Fälle mit, in denen es nach einem Unfall zum
typischen Symptomenkomplex einer traumatischen Neurose gekommen
war, obwohl die Verletzten gar keine Rentenansprüche stellen konnten.
Marcus - Berlin: Zur Frage der Linkshändigkeit in der Unfall¬
versicherung. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Da die Ent¬
schädigungen für rechtsseitige Arm- und Handverletzungen durchschnitt¬
lich um 10 pCt. höher sind wie die linksseitigen, ist es für die Unfall¬
heilkunde von Wichtigkeit, Linkshänder und Rechtshänder voneinander
zu unterscheiden. Es kann Vorkommen, dass Linkshänder mit links¬
seitigen Verletzungen höhere Renten verlangen, es gibt Berufe, in denen
auch bei Rechtshändern die linke Hand bei der Arbeit eine führende
Rolle spielt und schliesslich ist es auch möglich, dass Linkshänder bei
Verletzung der rechten oberen Extremität dissimulieren, ihre tatsächlich
bestehende Linkshändigkeit verschweigen und auf diese Weise sich in
den Besitz einer Rente setzen, die sie gar nicht verdienen. Verf. be¬
rechnet, dass auf 170 000 rechtshändig verletzte Rentenempfänger 5100
Linkser kommen dürften. Die bisher zur Entdeckung der Linkshändig¬
keit angegebenen Methoden von Käppel, Brüning und Engel werden
geschildert. Doch sind dieselben noch nicht eindeutig in ihren Er¬
gebnissen.
Lu barsch: Geschwülste und Unfall. (Monatsschr. f. Unfallheilk.,
1912, Nr. 9 u. 10.) Lubarsch erörtert in einem gelegentlich der Er¬
öffnung des III. internationalen medizinischen Unfallkongresses gehaltenen
Vortrag die Beziehungen zwischen Geschwülsten uud Unfall. Da wir
über die Ursache der Geschwülste überhaupt noch nichts wissen und
keine der aufgestellten Theorien bewiesen ist, steht auch die trauma¬
tische Aetiologie noch auf schwankenden Füssen. Ein sicherer wissen¬
schaftlicher Beweis dafür, dass einmalige Gewalteinwirkungen die Ent¬
stehung von krankhaften Gewächsen direkt auszulösen vermögen, ist
bisher nicht gebracht. Als beweisend angeführte klinische Beobachtungen
und Statistiken sind deswegen nicht beweiskräftig, weil die anatomische
Erfahrung immer mehr gezeigt hat, dass alle Arten von krankhaften
Gewächsen e>ne lange Latenzzeit besitzen und zunächst auch nur lang¬
sam wachsen. Experimentelle Untersuchungen an Tiergewächsen, sowie
Erfahrungen über den Einfluss selbst wiederholter Reizungen an mensch¬
lichen Gewächsen sprechen zum mindesten nicht für einen wachstums-
beschleunigenden Einfluss einmaliger Unfälle. Nach L. ist ein ursäch¬
licher Zusammenhang zwischen einmaligem Trauma und maligner Ge¬
schwulst uur dann als einigermaassen wahrscheinlich anzusehen, wenn
das Trauma derartig stark und so lokalisiert war, dass es eingreifende
und länger dauernde Veränderungen an der Stelle hervorzurufen geeignet
war, an der späterhin die Entwicklung des Gewächses beobachtet wurde,
und wenn der zwischen Trauma und Manifestwerden des Tumors liegende
Zeitraum ein derartiger ist, dass er mit Grösse, Art und histologischem
Bau der Neubildung in Einklang gebracht werden kann. Eine Ver¬
schlimmerung uud eine Wachstumsbeschleunigung durch ein Trauma
ist nur dann anzunehmen, wenn die Gewalteinwirkung geeignet war,
eine starke Störung im Gewächs hervorzurufen, das Wachstum nach dem
Trauma ein ungewöhnlich beschleunigtes war und die histologische Unter¬
suchung des Gewächses deutliche Spuren einer Gewalteinwirkung und
Zeichen ungewöhnlichar Wachstumsbeschleunigung aufdeckt.
G. Hirsch: Ueber Folgezustände nach Schädeltraumen und ihren
Einfluss auf die Rentenfestsetzung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 23.)
Verf. macht auf die grosse Wichtigkeit spezialohrenärztlicher Unter¬
suchungen bei Schädelverletzten aufmerksam. Unsere Methoden sind
jetzt so verfeinert, dass man in vielen Fällen die Diagnose einer trauma¬
tischen Schädigung des inneren Ohres stellen kann. Ausführlich be¬
spricht er drei Fälle: vollkommene Taubheit und schwerste Gleichgewichts¬
störungen infolge doppelseitiger Labyrinthzerstörung; doppelseitige Mittel¬
ohrschwerhörigkeit verbunden mit doppelseitiger Labyrintherschütterung,
vestibuläre Funktion erhalten; schwere Kommotionsneurose und drittens
eine Erschütterung des rechten Ohrlabyrinths.
Gr über-München: Angeblicher Unfall als paralytischer Anfall
mit tödlichem Ausgange erklärt. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912,
Nr. 11.) In dem mitgeteilten Falle fiel die Wassermann’sche Reaktion
an der Leiche positiv aus, und die Untersuchung des Gehirns ergab pro¬
gressive Paralyse. Aeussere Zeichen eines Schädeltraumas wurden nicht
gefunden. Auch hatte das Benehmen des Verletzten bei dem angeb¬
lichen Unfall durchaus für einen paralytischen Anfall gesprochen. Nach
Annahme des Verf. hat der paralytische Anfall als solcher zum Tode
geführt.
Harms - Tübingen: Ein- und doppelseitige Erblindung bzw. hoch¬
gradige Sehstörung unter dem ophthalmoskopischen Bilde des plötzlichen
Verschlusses (der sogenannten Embolie), der Arteria centralis retinae
nnd Unfall. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 23.) Es werden vom
Verfasser drei Fälle von Embolie der Arteria centralis retinae vom Stand¬
punkte der Unfallheilkunde besprochen. Es wird gezeigt, dass sowohl
körperliche Anstrengungen wie Fremdkörperverletzung zu dieser Augen¬
affektion Veranlassung geben können. Es sind das wohl die ersten Fälle
dieser Art, weiche zur Begutachtung gekommen sind.
Mohr-Bielefeld: Dauernder Diabetes insipidus rach Schädelgrund-
brach. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.) Zwei bis drei Wochen
nach einem Schädelbasisbruch trat bei einen 47 jährigen Steinbruchs¬
arbeiter ein enormes Durstgefühl auf, und die Urinmenge stieg schliess¬
lich auf 11—13 Liter in 24 Stunden. Dieser Zustand, ein zweifelloser
Diabetes insipidus, bestand noch 14 Jahre nach dem Unfall, während
die übrigen, direkten Folgeerscheinungen des Schädelbruches längst ge¬
schwunden waren. Trotz des Diabetes insipidus konnte der Verletzte
aber andauernd schwere Arbeit verrichten. Der Körper kann sich also
in weitgehendstem Maasse an die Polyurie gewöhnen.
Mohr-Bielefeld: Poliomyelitis aaterior acata nnd Unfall. (Monats¬
schrift f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.) Den vier in der Literatur be¬
schriebenen Fällen von traumatischer akuter Poliomyelitis anterior fügt
Verf. einen fünften hinzu, einen 20jährigen Mann betreffend, bei dem
nach einen Sturz von 3 m Höhe von einer Leiter am darauffolgenden
Tage Rückenschmerzen und 2 Tage später unter Kopfschmerzen, Er¬
brechen und Fieber eine vollständige Lähmung beider Arme auftrat.
Die Lähmungen gingen nur teilweise zurück, so dass dauernd eine
recht erhebliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit beider Arme
zurückblieb.
Speck-Leipzig: Amyotrophische Lateralsklerose nach Trauma.
(Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Den zehn bekannten Fällen
von traumatischer amyotrophischer Lateralsklerose fügt Verf. einen
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27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
179
elften hinzu. Nach einem ziemlich heftigen Fall auf die linke Schulter,
dessen Folgen eine medico-mechanische Behandlung erforderten, ent¬
wickelte sich etwa im Verlaufe von 8 Wochen zunächst ein Schwund
der linken Armmuskulatur, kurz darauf Schwäche und Spannungsgefübl
im linken Bein, dann ähnliche Erscheinungen in der rechten Körper¬
hälfte und schliesslich Schluckbeschwerden und Sprachstörungen. Der
Muskelschwund und die starke Reflexerhöhung führten zur Diagnose:
amyotrophische Lateralsklerose.
Ru bin-Essen: Zur Kritik des Tranmas bei der Pnenmonie durch
körperliche Anstrengung. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1912, Nr. 12.)
In dem mitgeteilten Fall handelt es sich um die Frage, ob eine trau¬
matische Pneumonie zustande kommen kann ohne direkte Gewaltein¬
wirkung auf den Thorax lediglich infolge starker körperlicher Anstrengung
durch heftige Anspannung aller Muskeln hei gleichzeitigem Glottisver¬
schluss. Die Möglichkeit dieses Mechanismus einer traumatischen Pneu¬
monie ist von Litten und Plehn zugegeben worden. Der Fall des
Verf. liefert insofern einen wichtigen Beitrag für diese Streitfrage, als
hier bei der Sektion starke Blutungen in dem rechten Rectus abdominis
stattgefunden hatten. Auf solche Gefäss- und Muskelverletzungen in
den Bauchmuskeln wird man in zukünftigen Fällen von traumatischer
Pneumonie achten müssen.
Thiem-Cottbus: Traumatische Lungenentzündung. (Monatsschr.
f. Unfallheilk., 1912, Nr. 11.) Am 29. November 1911 erlitt ein 41 jäh¬
riger Former beim Tragen eines schweren Kastens einen Stoss an der
rechten Brustseite. Er klagte sofort über Schmerzen und erbrach am
Nachmittag schon Blut. Abends bestand bereits Fieber und blutiger
Auswurf und über der rechten Lunge waren zahlreiche kleinblasige
feuchte Rasselgeräusche zu hören. Schon am Abend des folgenden
Tages trat Lungenödem ein, und Patient starb. Die Sektion ergab eine
croupöse Pneumonie des rechten Oberlappens, ein schlaffes Herz und ein
pleuritisches Exsudat. Th. erklärt diese Beobachtung für einen Schul¬
fall traumatischer Lungenentzündung: Schmerzen nach dem Stoss, wieder¬
holte Klagen über Brustschmerzen im Laufe des Tages und Arbeits¬
unlust, Bluthusten schon 6 Stunden nach der Verletzung, kein beginnen¬
der Schüttelfrost, sehr frühzeitiger und heller blutiger Auswurf, schneller
Tod.
Lossen - Coblenz: Zur traumatischen Entstehung der Pankreas-
apnplexie. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1912, Nr. 22.) Pankreasapoplexien
treten am häufigsten nach direkter Gewalteinwirkung auf die obere
Bauchregion ein, weit seltener erfolgen sie im Anschluss an eine schwere
Körperanstrengung. Einen Fall letzterer Art beschreibt Lossen. Ein
30jähriger Kutscher empfindet beim Heben einer schweren Last plötz¬
lich äusserst heftige Schmerzen in der linken Bauchseite, die ihn sofort
zur Niederlegung der Arbeit zwingen, innerhalb zwei Tagen verschlechtert
sich der Zustand rapide, es kommt unstillbares Erbrechen hinzu, der
Leib wird aufgetrieben und sehr druckschmerzhaft, der Puls wird hoch¬
frequent und sehr klein, und der Tod erfolgt. Die Sektion ergibt eine
Hämorrbagie, welche den Schwanzteil des Pankreas zertrümmert hat und
in das retroperitoneale Gewebe eingedrungen ist. Man findet ferner
zahlreiche Fettgewebsnekrosen und eine Peritonitis.
H. Hirschfeld.
Siehe auch Pathologie: Fauth, Trauma und Syringomyelie.
Technik.
E. Plate: Ueber einen nenen Vibrator mit erhöhter Erschüttertings-
zahl. (Zeitschr. f. pbysikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) Mit
den schnell aufeinanderfolgenden Reizen der Vibration gelingt es einmal,
eine der Massage ähnliche resorptionsbefördernde Wirkung zu erzielen,
die sich auch auf tiefe Gewebsschichten erstreckt, ausserdem lindert die
Vibration Schmerzen. P. hat einen „Rapidvibrator“ konstruiert, der
eine erhöhte Erschütterungszahl ermöglicht. Die verschiedensten thera¬
peutischen Versuche sind damit im Gange.
S. Auerbach: Eine praktische Untersnchongselektrode. (Zeit¬
schrift f. pbysikal. u. diätet. Therapie, Januar 1913.) A. bespricht zu¬
nächst den Vorzag, den abgeklemmte Elektroden vor geraden haben:
Schatten fallen fort, man ermüdet nicht so leicht ... Er hat diese
Elektrode nun noch weiter modifiziert und an der rechteckigen Ab¬
biegung ein Kugelgelenk hergestellt, in welchem die Elektrode nach
allen Richtungen bin beweglich ist. Durch einen kleinen Schraubstift
kann sie in jeder beliebigen Stellung fixiert werden. E. Tobias.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr F. Krause.
Vorsitzender: Ausgetreten ist krankheitshalber Herr Geheimrat
Prof. Dr. Küster, seit 1866 Mitglied.
Vor der Tagesordnung.
Hr. S. Rasenkerg: Die Erkenntnis von der ausserordentlichen Be¬
deutung der endokrinen Drüsenprodukte für die Oekonomie des Körpers
hat dazu geführt, in immer steigendem Ausmaasse diese Hormone bzw.
die Drüsen selbst der Therapie zugängig zu machen, und es gibt heute
wohl wenig Aerzte, die nicht schou Gelegenheit gehabt hätten, den Aus¬
fall von Schilddrüsen- oder Ovarialfunktion durch Verfütterung der ent¬
sprechenden Drüsen auszugleichen. Nun können wir aber eine derartige
direkte Therapie allemal nur da in Anwendung bringen, wo die Funktion
der Drüse herabgesetzt oder aufgehoben ist, nicht aber in jenen Fällen,
wo ein Krankheitszustand die Folge einer Ueberfunktion einer Drüse ist,
wie das bei der Basedow’schen Krankheit der Fall ist. Unter solchen
Umständen müssen wir andere Bahnen einschlagen, und da kommt uns
zustatten, dass manche Drüsen in anderen drüsigen Gebilden ihre Anta¬
gonisten finden, so dass man daran denken kann, diese Antagonisten
für die Therapie nutzbar zu machen. Die Basedow’sche Krankheit be¬
ruht, wie das ja allgemein bekannt ist, auf einer Ueberfunktion der
Thyreoidea. Andererseits ist durch die wissenschaftliche Forschung fest¬
gestellt worden, dass die Thyreoidea in den Beischilddrüsen, den Para¬
thyreoideae oder Epithelkörperchen ihre Antagonisten findet. So lag der
Gedanke sehr nahe, einmal den Versuch zu machen, durch Epithel¬
körperchenbehandlung die Basedow’sche Krankheit zu beeinflussen.
Als ich an diese Frage herantrat, war mir nicht bekannt, dass sie
von anderer Seite schon in Angriff genommen war. Ich 'habe später
beim Studium der Literatur gefunden, dass einige Autoren sich mit
dieser Therapie bereits beschäftigt hatten, und dass andere Autoren so¬
gar soweit gegangen sind, den Nutzen des Moebius’schen Serums und
des Rodagens auf zufällige Beimengungen von Epithelkörperchenextrakt
zu beziehen, eine Auffassung, die sicher weit über das Ziel hinaussebiesst.
Immerhin ist aber diese Therapie bisher sehr wenig geübt und vielleicht
noch weniger bekannt geworden. Ich glaubte daher, dass es für Sie als
Praktiker von Interesse sein würde, einmal zu sehen, was man mit dieser
Therapie erreichen kann.
Dieses junge Mädchen, das jetzt 18 Jahre alt ist, erkrankte vor zwei
Jahren mit starken Herzpalpitationen, Schwellung des Halses und Vor¬
wölbung der Augen. Sie wandte sich an die hiesige chirurgische Poli¬
klinik, wo man ihr sagte, dass sie basedowkrank sei. Dann ging sie in
das Krankenhaus Westend, wo man kurzerhand, wie Sie das aus den
Narben am Halse sehen können, die ganze rechte Hälfte der Thyreoidea
entfernte. Der Erfolg dieser Operation war absolut gleich null, auch in
bezug auf die subjektiven Beschwerden. Obwohl dann die Patientin
nachher vom Krankenhaus noch iü ein Erholungsheim kam, wo sie fünf
Wochen vollständig ohne jede Anstrengung leben konnte, liess sich nicht
der geringste Einfluss auf ihren subjektiven und objektiven Zustand er¬
kennen. Sie litt in den folgenden zwei Jahren ausserordentlich unter
Herzbeschwerden, so dass die Aerztin, welche sie behandelte, Frau
Dr. Cronheim, die mir die Patientin auch zugewiesen hat, sie dauernd
unter Herzmitteln halten musste. Im November des eben vergangenen
Jahres kam die Patientin dann zu mir, und ich hatte nun Gelegenheit,
die Epithelkörpercheotherapie bei ihr zu versuchen.
Was das Präparat anlangt, so kann man Epithelkörperchen in
Tablettenform hier in Berlin sehr wohl bekommen. Ich habe mich aber
bei physiologischen Untersuchungen von der ausserordentlichen Ueber-
legenheit injizierbarer Präparate gegenüber den innerlich verwendeten
überzeugen können, und so hatte ich den Wunsch, auch bei dieser
Patientin ein flüssigos, injizierbares Präparat anzuwendeo. Ein solches
war aber nirgends zu haben; daher wandte ich mich an die Firma
Hoffmann, La Roche & Co. in Basel und Grenzach mit der Anfrage, ob
man mir ein derartiges Präparat hersteilen könnte. Die Herren von der
wissenschaftlichen Abteilung dieser Firma gingen mit der grössten Bereit¬
willigkeit auf meinen Wunsch ein, und ich bin ihnen zu ausserordent¬
lichem Danke für die viele Mühe verpflichtet, die sie sich gegeben haben,
und für ihr Entgegenkommen, durch das sie es mir ermöglichten, diese
Therapie zu üben und mich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Die
Herren stellten mir also die Präparate, deren ich benötigte, her und
Hessen sie gleich von ihrem eigenen Physiologen untersuchen. Da
stellte sich eine ausserordentlich bemerkenswerte Tatsache heraus. Es
fand sich nämlich, dass die Epithelkörperchen in bezug auf ihr physio¬
logisches Verhalten ausserordentlich unter sich differieren. Es gibt
Epithelkörperchenextrakte, die, wenn man sie an der Uterusmuskulatur
der Ratte oder der Dünndarmmuskulatur des Meerschweinchens prüft»
den Tonus der Muskulatur herabsetzen, und es gibt andere, die dent
Tonus erhöhen. Entsprechend dieser physiologischen Differenz habe ich
denn auch in bezug auf die therapeutische Wirkung Unterschiede fest¬
stellen können.
Es wurde mir zunächst ein Präparat geschickt, welches von Schafs¬
drüsen gewonnen war, und welches den Tonus herabsetzte. Dieses
Präparat prüfte ich zunächst an einem Falle von Spasmopbilie und fand
es absolut unwirksam. Dann wurde mir ein anderes Präparat geschickt,,
welches von Schweinedrüsen gewonnen worden war, und welches im
Gegensatz zu dem ersten Präparat den Tonus der Muskulatur erhöhte.
Auch dieses Präparat prüfte ich an einem Falle von Spasmopbilie und
fand es wirksam. Dieses Präparat, „Paraglandol Roche“, wie die Fabrik
es genannt hat, ist auch das Präparat, das ich bei dieser Patientin mit
gutem Erfolg angewandt habe. Ich machte der Patientin zunächst
12 Injektionen, täglich eine von 1 ccm, entsprechend 0,1 frischer
Epithelkörperchensubstanz. Dann war ich gezwungen, die Therapie zu
unterbrechen, weil mein Material ausgegangen war. Erst nach zehn¬
tägiger Pause konnte ich die Behandlung wieder aufnehmen.
Nun machte sich aber eine ausserordentlich unangenehme Er¬
scheinung bemerkbar. Unmittelbar nach der ersten Injektion der zweiten
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UNIVERSUM OF IOWA
180
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Serie schwoll der Arm der Patientin, in den ich injiziert batte, sehr
stark an und wurde dunkelblaurot. Es sprossen Urticariaquaddeln auf,
und die Patientin wurde von heftigem Jucken und heftigen Schmerzen
geplagt. Die Erscheinungen dauerten bis zum nächsten Morgen, dann
klangen sie wieder ab. Als ich am Nachmittag eine neue Injektion
machte, traten die gleichen Erscheinungen wieder auf, und das ging die
nächsten 10 Tage so fort; allerdings in der Weise, dass die genannten
Symptome immer mehr abnahmen und nach der zehnten Injektion der
zweiten Serie nicht mehr zur Beobachtung kamen.
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um eine
Erscheinung der Anaphylaxie gehandelt habe. Und wenn diese anaphy¬
laktische Erscheinung lokalisiert blieb und nicht der Patientin einen
schweren Allgeraeinschaden zufügte, so ist das vielleicht einem be¬
sonderen Umstand zuzuschreiben. Ich hatte nämlich von Anfang an der
Patientin neben dem Epithelkörperchenextrakt innerlich noch Calcium¬
chlorid gegeben, und zwar dreimal täglich 1 g, um die Erregbarkeit des
Nervensystems herabzustimmen und um tonisierend auf das Herz zu
wirken. Sie wissen, dass nach beiden Richtungen hin das Chlorcalcium
empfohlen worden ist. Nun ist aber auch bekannt, dass das Calcium¬
chlorid ein wirksames Antianaphylakticum sein soll. Vielleicht ist es
diesem Umstand zuzuschreiben, dass die Patientin von schweren all¬
gemeinen Erscheinungen verschont geblieben ist.
Was den Effekt der Behandlung anbelangt, so wird er deutlich
werden, wenn ich nebeneinanderstelle, wie das Befinden der Patientin
vor und nach der Behandlung war. Als die Kranke in meine Behand¬
lung eintrat, klagte sie über sehr heftige Herzpalpitationen; sie litt bei
der geringsten Bewegung an heftiger Atemnot und war von Schweiss
bedeckt; ihr Schlaf war unruhig, weil sie dauernd von wüsten, lebhaften
Träumen geplagt wurde. Diese Erscheinungen sind vollkommen ge¬
schwunden. Die Patientin hat jetzt subjektiv keine Spur von Herz¬
klopfen mehr, sie schläft ausgezeichnet, und sie hat mir erst vorgestern
gesagt, dass sie jetzt mit der grössten Bequemlichkeit 3 Treppen hinauf¬
laufen kann und erst bei der 4. Treppe kurzatmig wird. Die Schweiss¬
ausbrüche sind zurückgegangen, sie merkt bei der Arbeit so gut wie gar
nichts mehr davon.
Was die objektiven Symptome anbelangt, so zeigte die Patientin
einen ausserordentlich hochgradigen Exophthalmus, so dass sie die Vor¬
wölbung des Auges als heftige Spannung in den oberen Augenlidern
empfand, und dass sie im Schlaf die Augen nicht vollkommen schliessen
konnte, wie ihre Mutter konstatierte. Die Augen blieben halb offen,
weil die oberen Augenlider nicht imstande waren, den Bulbus zu be¬
decken. — Die Augenlidspalten waren sehr ungleich, derart, dass die
rechte Spalte erheblich weiter war als die linke. Die Patientin, die
diese Erscheinung beobachtete und nicht richtig deutete, glaubte, ein
schiefes Gesicht zu haben. Der Glanz der Augen war verstärkt, Stell-
wag’sches und Graefe’sches Symptom waren positiv. Nun, diese Er¬
scheinungen sind zurückgegangen. Die Protrusion der Bulbi ist jetzt
nur noch ausserordentlich gering. Die Patientin schläft, wie ihre Mutter
feststellte, mit geschlossenen Augen, sie empfindet nicht mehr die
Spannung in den oberen Augenlidern, die Lidspalten sind beinahe gleich
geworden; Stellwag’sches Symptom ist ganz negativ, Graefe’sches Sym¬
ptom ist nur noch hin und wieder positiv. Moebius’sches Symptom ist
negativ. Ich habe leider bei Beginn der Behandlung versäumt, darauf
zu achten, ob es damals positiv war.
Was die Verhältnisse des Halses angeht, so hörte man früher über
der Struma der linken Halsseite bei leichtestem Ansatz des Stethoskops
ein ausserordentlich lautes Brausen und Rauschen. Das ist so zurück¬
gegangen, dass man bei leisem Auskultieren überhaupt nichts mehr
hört und bei festem Aufsetzen des Stethoskops nur noch leise Geräusche
wahrnimmt.
Der Halsumfang ist um 1 cm zurückgegangen. Das ist an und für
sich wenig, aber sie müssen bedenken, dass sich dieser Rückgang nur
auf die linke Halsseite bezieht, und dass auf der rechten Seite
Thyreoideamasse, die hätte zurückgehen können, gar nicht mehr vor¬
handen ist. — Bei Beginn der Behandlung zeigte die Patientin an den
ausgestreckten Händen einen ausserordentlich lebhaften, kleinwelligen
Tremor. Wenn die Patientin jetzt die Hände ausstreckt, so sehen
Sie, dass davon in irgendeiner pathologischen Weise gar nicht mehr die
Rede ist.
Das einzige Symptom, das völlig unbeeinflusst geblieben ist, sind
die Verhältnisse am Herzen. Die Patientin hatte, als sie in die Be¬
handlung eintrat, eine Pulsfrequenz von 134 Schlägen im Sitzen und
124 im Liegen. Im Anfang der Behandlung ging diese Pulsfrequenz bis
auf 118 Schläge zurück, dann stieg sie wieder an und liegt jetzt ge¬
wöhnlich zwischen 125 und 130. Heute ist sie besonders hoch. Die
Patientin ist gerade menstruiert, vielleicht hat sie sich auch wegen der
Vorstellung etwas aufgeregt. Ich habe vorhin 140 Schläge im Sitzen
und 136 Schläge im Liegen gezählt. Das ist das einzige Symptom, das
durch die Behandlung nicht gebessert wurde.
Was die Prognose des Falles anlangt, so müssen wir von der Tat¬
sache ausgehen, dass die Patientin eine Uebererregbarkeit des sym¬
pathischen Systems heute noch zeigt. Das dürfte es sehr wahrschein¬
lich erscheinen lassen, dass, wenn mit der Therapie vollkommen auf¬
gehört wird, dann wohl auch ein Recidiv nicht ausbleiben wird. Aber
ich bitte Sie zu bedenken, dass hier ein ungewöhnlich schwerer Fall
vorliegt, der durch eine ausgedehnte Operation nicht im geringsten be¬
einflusst worden ist. Schliesslich können wir Aerzte auch nicht jede
Krankheit, die uns zugeht, vollkommen heilen, sondern müssen uns oft
zufrieden geben, wenn es uns gelingt, das Los der Patienten zu er¬
leichtern, ihre Beschwerden zu mindern und ihre Arbeitsfähigkeit zu
erhöhen. Und dass dies bei der Basedow’schen Krankheit auf dem ein¬
geschlagenen Wege möglich ist, das wird Ihnen der vorgestellte Fall
wohl bewiesen haben.
Diskussion.
Hr. F. Krause: Darf ich zunächst fragen, wann die Operation aus¬
geführt ist, und wann die Injektiousbehandlung angefangen wurde?
Hr. S. Rosenberg: Die Operation ist vor 2 Jahren ausgeführt
worden, die Injektionsbehandlung habe ich Ende November 1912 be¬
gonnen. Die erste Injektion habe ich am 25. November 1912 gemacht
und bis heute 32 mal wiederholt.
Hr. F. Krause: Dann ist es allerdings wohl unzweifelhaft, dass
die Injektionstherapie den Nutzen gestiftet hat. Sonst, wenn die Operation
näher an der Iojektionstherapie herangelegen hätte, würde man zweifeln
können, von welcher Art der Behandlung der Nutzen ausgegangen wäre.
Denn an sich ist die Exstirpation der halben Struma bei schwerer
Basedowerkrankung rationell, und wir sehen davon zuweilen ausgezeichnete
Erfolge. Aber so gut wie niemals sofort, sondern wir müssen monate¬
lang warten, weil es sich um eine schwere Intoxikationskrankheit
handelt, die erst sehr langsam abklingt. Da der Herr Kollege erst
2 Jahre nach der Operation mit der Injektionstherapie begonnen hat,
muss ich doch gestehen, dass diese hier den Nutzen geschaffen zu haben
scheint.
Tagesordnung.
1. HHr. Morgenroth und Giesberg:
Homhaatanästhesie dnreh Chinaalkaloide.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Ernst Unger: Herr Morgenroth hat mir vor mehreren
Wochen eine 2 prom. Lösung des Isoamylhydrocupreinchlorhydrat zur
Verfügung gestellt, um es au einem chirurgischen Material zu probieren.
Ich habe in meiner Klinik uud in der Klinik des Herrn Ludwig Meyer
an einer Anzahl Hernien, Varicen, Tumoren usw. das Mittel als Lokal-
anästheticum benutzt. Man kann — uud das ist vielleicht ein Vorzug
dieses neuen Präparats — sehr grosse Mengen verwenden, sicher bis
500 g. Wir sind bei den übrigen bisher gebräuchlichen Anästhetica ja
an gewisse Mengen gebunden, um nicht die toxische Dosis zu erreichen,
z. B. bei dem 1 J 2 proz. Novocain bis 300 g. Nimmt man das Präparat
ohne Adrenalin, so tritt eine störende Hyperämie auf. Nimmt man es
dagegen mit Adrenalin, das sich vollkommen damit verträgt, so ist die
Blutung gering. Das Präparat wirkt aber später wie Novocain, die
Anästhesie tritt mehrere Minuten später ein, scheint aber länger vorzu¬
halten.
Einen Vorteil glaube ich konstatieren zu können — das Material
ist natürlich noch nicht gross —, dass die Nachschmerzen geringer sind
als bei Novocain-Adrenalin.
Wenn auch eigentlich unser Bedarf an neuen Anästhetica für die
Chirurgie nicht gerade so sehr gross ist, so glaube ich doch, dass es
sich verlohnt, das Präparat einmal an einem grösseren Material zu
prüfen. Wir können gar nicht wissen, welche Vorteile es uns gibt, be¬
sonders bei solchen Operationen, bei welchen grosse Mengen Flüssig¬
keiten notwendig sind. Ich würde also empfehlet), es an einem grossen
Material zu prüfen.
2. HHr. H. Oppenheim und F. Krasse:
Partielle Entfernung des Wnrms wegen Oeschwnlstbildong unter
breiter Eröffnung des vierten Ventrikels. (Mit Krankenvorstellung.)
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.
Diskussion.
Hr. Max Rothmann: Der schöne Fall, den die Herren Oppen¬
heim und Krause heute vorstellten, ist nach mancher Richtung be¬
sonders bemerkenswert. Zunächst, weil er wiederum zeigt, dass in der
menschlichen Hirnchirurgie die an den höheren Tieren gewonnenen
Erfahrungen der Hirnpbysiologie ausserordentlich beachtet werden
müssen, da die Verhältnisse in weitgehendem Maasse gleichartige
sind. Denn das, was hier so neu und überraschend erscheint — die
Freilegung des vierten Ventrikels —, ist eine Operation, die seit langem
in der Hirnphysiologie geübt wird. Der Vater der modernen Kleinhirn¬
physiologie, Luciani, hat an Affen den ganzen Kleinhirnwurm in toto
entfernt, nicht nur die Rinde, sondern auch die Kerne, und hat, was
ausserordentlich bemerkenswert ist, nachweisen können, dass schon am
dritten oder vierten Tage die Lokomotion und das Greifvermögen mit
gewissen Schädigungen, aber doch weitgehend erhalten war und sich
sehr schnell beinahe zur Norm restituierte.
Nun ist, wenn man diesen Fall hier wissenschaftlich verwertet,
daran zu erinnern, dass wir heute genau wissen, dass wir bei der Klein-
hirnfunktion die Rinde und die Kerne streng unterscheiden müssen.
Wenn man den Wurm ausgedehnt exstirpiert, so muss man den medianen
Kern, den Nucleus fastigü, mit zerstören. Das scheint mir nun in
diesem Fall nicht geschehen zu sein; nur der dorsale Abschnitt der
Rinde des Kleinhirnwurms ist geschädigt, die Kerne sind völlig intakt
geblieben. Das erklärt sehr gut die verhältnismässig schnelle voll¬
kommene Restitution in diesem Falle. Ich glaube, dass man auch bei
einer Geschwulst, die weiter nach vorn reichte, die also tatsächlich den
Wurm bis in die Kernregion hinein ergriffen hätte, eine Exstirpation
vornehmen dürfte. Nach den Versuchen, die am Affen vorliegen, sind
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UNIVERSITÄT OF IOWA
27. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
181
auch so weitgreifende Operationen ohne Schädigung für die Atmung und
die Pulsfrequenz, ohne Glykosurie usw. gut ausführbar. Abor sowie die
Kleinhirnkerne mit befallen sind, ist die funktionelle Schädigung ausser¬
ordentlich schwer, während bei Intaktsein derselben sich Ausfalls¬
erscheinungen sehr schnell zurückbilden.
Zum Schluss möchte ich nur noch eine Frage an die Herren Vor¬
tragenden richten: ob in diesem Fall auf die modernen Untersuchungen
von Bäräny geachtet worden ist? Sie wissen, dass Bäräny ausser¬
ordentlich wertvolle Untersuchungen angegeben hat, einmal um Ausfalls¬
erscheinungen im Gebiet der Kleinhirnhemisphären nachzuweisen durch
die spontanen und vestibulär ausgelöston Ausfallserscheinungen in den
Zeigerichtungen der Arme, eventuell auch der unteren Extremitäten,
dass er aber ausserdem neuerdings darauf hingewiesen hat, dass solche
Störungen der Zeigerichtung sich auch am Kopf nachweisen lassen, und
zwar speziell bei Wurmschädigungen. In diesem Falle, in dem die
ganze vordere Wurmpartie intakt war, ist es nicht wahrscheinlich, dass
sich solche Zeigestörungen des Kopfes fanden. Da aber die linken
Extremitäten sicher geschädigt waren, da sich eine Adiadochokinesis fand
— die bekannte von Babinski angegebene Erscheinung des Ausfalls
der Antagonistenbewegungen —, so ist es sehr wahrscheinlich, dass in
diesem Fall bei darauf gerichteter Untersuchung vor der Operation sich
solche Zeigestörungen der Extremitäten nachweisen Hessen. Wenn auch
zuzugeben ist, dass in diesem Falle die diagnostische Bedeutung nicht
beträchtlich ist, weil sowohl die Kopfregion des Wurms als auch die
Hemisphären intakt geblieben sind, so ist doch immer wieder zu be¬
tonen, dass diese Baräny’schen UntersuchungsmethodeB, wie ich mich
selbst oft überzeugt habe, von ausserordentlich grosser diagnostischer
Bedeutung sind. Ich glaube, dass wir heute — und darin wird Herr
Oppenheim mit mir vollständig übereinstimraen — diese Untersuchungen
bei Kleinhirnaffektionen nicht mehr entbehren können.
Hr. H. Oppenheim (Schlusswort): Ich will mit der letzten Frage zu¬
erst beginnen. Natürlich haben wir an die Bäräny’schen Versuche ge¬
dacht, wenn auch in der Zeit, als die Kranke zu uns kam, über die
Zeigeversuche noch nichts bekannt war. Es lagen aber die Unter¬
suchungen vor, welche sich auf den kalorischen Nystagmus beziehen,
und dessen Einfluss auf das Verhalten des Patienten. Wir haben uns
aber bei einem so sensiblen Individuum, wie es die vorgestellte Dame
ist, gescheut, diese Untersuchung vorzunehmen, zumal sie durch ihr
Leiden überaus gequält war. Wir haben uns jetzt darauf beschränkt,
den spontanen Zeigeversuch zu machen. Der ist ganz normal aus¬
gefallen. Ich habe es aus dem angeführten Grunde immer noch hinaus¬
geschoben, die etwas eingreifenderen Ausspritzungsversuche, deren Wert
ich sehr hoch stelle, bei ihr vorzunehmen.
Dann hat Herr Rothmann darauf hingewiesen, dass die Physio¬
logen seit langem den Boden des vierten Ventrikels freilegen, ohne dass
dadurch eine Schädigung des Versuchstieres bedingt wird. Aber die
Verhältnisse, wie sie hier vorliegen, dürfen damit nicht vollkommen ver¬
glichen werden. Han kann sich doch nicht vorstellen, dass die Aus¬
räumung einer solchen Geschwulst mit alledem, was dazu gehört, ganz
spurlos an dem vierten Ventrikel vorübergeht. Sie wissen und haben
es aus der Darstellung vorhin entnommen, dass im Anschluss daran eine
lebhafte Vermehrung des Liquor cerebralis entstanden ist. Es muss
doch dabei zu Veränderungen in der Umgebung kommen, und gerade das hat
uns so befremdet, dass diese sich nicht durch alarmierende Symptome
geäussert haben.
Hr. F. Krause (Schlusswort): Ich möchte bloss noch ein Wort
über den vierten Ventrikel auf Grund der Aeusserungen des Herrn
Rothmann hinzufügen. In diesem Falle habe ich zunächst gar nicht
gewusst, dass ich den vierten Ventrikel geöffnet hatte. Ich habe, als
die Geschwulst herausgenommen war, wegen der Blutung einen Tampon,
natürlich zart, aufgedrückt, und erst als ich den Tampon wegnahm, sah
ich zu meinem Erstaunen die Rautengrube vor mir. Also ist in diesem
Falle ein gewisser mechanischer Reiz, wenn auch geringer Art, auf den
Boden des vierten Ventrikels, in dem ja diese gefährlichen Kerne liegen,
ausgeübt worden. In unseren späteren Fällen, die der Herr Kollege
Oppenheim erwähnt hat, namentlich in dem letzten, wo ich, um dem
Knaben wegen seiner grossen Qualen zu helfen, in ausgedehnter Weise
den vierten Ventrikel und den Aquaeductus Sylvii freilegte, habe ich
gleichfalls jede Schädigung der Rautengrube vermieden. Das Dach des
vierten Ventrikels kann man fortnehmen, aber die Basis, wo die Kerne
liegen, darf man nicht verletzen. In dem letzten Fall, bei dem zwölf¬
jährigen Knaben, habe ich niemals den Finger oder einen Tupfer auf
den Boden des vierten Ventrikels, auf die Rautengrube gebracht; diese
Vorsicht halte ich für durchaus notwendig.
Ich stimme auch mit Herrn Oppenheim darin überein, dass eine
dauernde Tamponade, in dieser Gegend angelegt, unzweifelhaft den Tod
infolge der sekundären traumatischen Einflüsse herbeiführen würde.
Daran ist ja mein erster so operierter Kranker gestorben, ein neun¬
jähriger Knabe. Damals habe ich wegen der venösen Blutungen, die ich
nicht sofort stillen konnte, einen Tampon eingelegt und liegen lassen.
Der Knabe hat sieben Tage im besten Wohlbefinden gelebt. Als ich
an diesem Tage den Tampon entfernte, ging es ihm noch gut. Bald
darauf bekam er einen Krampfanfall und starb unter den Erscheinungen
der Erstickung. Ich bin fest überzeugt, dass die Tamponade, auch wenn
sie aseptisch ist, eine traumatische Erweichung, und sei sie auch mini¬
mal, hervprzubringen vermag. Das ist der Grund, weshalb ich immer
betone: aseptische Hirn wunden sollen nicht tamponiert werden, auch
wenn grosse Höhlen Zurückbleiben. Es soll kein Drain und kein Tampon
im Gehirn zurückgelassen werden.
Gesellschaft der Charitö-Aerzte.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Franz.
Schriftführer: Herr Buth.
Tagesordnung.
1. Hr. Ascliheim:
Demonstration eines retroperitonealen Sarkoms.
M. H.! Das Präparat, das ich Ihnen hier vorstelle, betrifft einen
Fall von primärem retroperitonealen Sarkom. Es stammt von einer
54 jährigen Frau, aus deren Krankengeschichte ich nur folgendes hervor¬
hebe: Die Patientin ist sechsmal entbunden worden. Innerhalb der
letzten sechs Jahre sind ihr von ihrem Hausarzt dreimal Polypen am
Uterus entfernt worden. Sie kam in die Charite, weil sie in den letzten
acht Wochen dauernd Schmerzen im Unterleib hatte und über Ver¬
stopfung sowie Mattigkeit klagte. Bei der Untersuchung zeigte sich der
Uterus unerheblich vergrössert; aus dem äusseren Muttermunde ragten
Polypen heraus. Rechts neben dem Uterus war ein über faustgrosser
Tumor zu fühlen. In Narkose wurden die Polypen abgetragen. Dann
wurde durch Querschnitt der Leib eröffnet. Es zeigte sich, dass Uterus
und Adnexe normal waren, während rechts auf dem Psoas ein über
faustgrosser Tumor sass. Dieser war mit den Dünndarmschlingen und
dem Netz fest verwachsen. Nach Lösung der Adhäsion zeigte sich ein
grosser weicher, stark blutender, leicht zerreissender Tumor. Schon bei
der Operation konnte man sehen, dass es sich um einen malignen Tumor
handelte. Er war mit der Scheide der Ureteren und der grossen Ge-
fässe in grossem Umfange fest verwachsen. Von diesen wurde er vor¬
sichtig abgetrennt. Dann liess er sich ziemlich in toto entfernen.
Einige kleine Reste wurden noch herausgenommen, so dass am Schlüsse
der Operation im Wundbett nichts von Tumor mehr zu sehen war. Da
aber Malignität vorlag und auch der Verdacht bestand, dass der ent¬
fernte Polyp malign war, so wurde die Totaloperation des Uterus und
der Adnexe angeschlossen.
Das Präparat stellt nun den Uterus dar, an dem man noch an der
Hinterwand im Corpus die Basis des Polypen sieht. Mit dem Uterus
im Zusammenhänge sind die linken Adnexe, die nichts Besonderes auf¬
weisen. Der Tumor selbst ist über faustgross, sehr stark zerrissen und
zerklüftet, mit Netzadhäsionen bedeckt. An ihm haften noch, deutlich
von ihm durch Teile des Ligamentum latum getrennt, das rechte Ovarium
und die rechte Tube. Mikroskopisch erweist sich der Haupttumor als
Sarkom, und zwar überwiegen im mikroskopischen Präparat die Spindel¬
zellen; bei einigen Partien sind auch reichliche Mengen Riesenzellen zu
sehen, in anderen wiederum Rundzellen. Es handelt sich also um ein
gemischtzelliges Sarkom mit überwiegenden Spindelzellen oder um ein
Spindelzellensarkom mit Einschluss von Riesenzellen. Von dem übrigen
mikroskopischen Befunde ist hervorzuheben, dass der Polyp ein fibro-
adenomatöser ist; er zeigte an der Basis einige zellreichere Partien.
Jedoch sind in diesem die Kerne alle gleichmässig gestaltet und gefärbt,
so dass nicht eine sarkomatöse Degeneration in Betracht kommt. An
der Tube ist nichts Besonderes zu bemerken. Ich hebe nun noch hervor,
dass an dem einen Ovarium sehr hübsch zwei gestielte Corpora lutea
zu sehen sind.
Die Neubildungen im Beckenbindegewebe sind nicht gar so selten.
Wir unterscheiden vier Arten, nämlich die im Bindegewebe primär ent¬
standenen, Fibrome, Sarkome, Lipome, dann die aus embryonalen Organ¬
resten bervorgegangenen, aus dem Parovarium entstandenen Parovarial-
cysten, Cysten des Gärtnerganges; ferner die aus Urnierenresten und
versprengten Nebennierenteilen entstandenen Gebilde. Weiter kommen
im Ligamentum latum Tumoren vor, die aus der Nachbarschaft hinein¬
gewachsen sind, also Myome, die sich im Ligamentum latum entwickelt
haben, Ovarialtumoren, solide oder cystische, die in das Ligamentum
hineingewachsen sind; endlich metastatische Tumoren, die entweder per
continuitatem oder auf dem Lymphwege vom Uterus, Rectum, von der
Blase oder von den Ovarien in das Ligament metastasiert sind. Die
Ausbreitung der Tumoren im Beckenbindegewebe erfolgt entweder in
die freie Bauchhöhle unter Entfaltung des Peritoneums oder gegen den
Beckenboden zu, in unserem Falle war die Entwicklung mehr über dem
Psoas zu entstanden, und hier war es r zu einer starken Verwachsung
mit den Ureterengefässen gekommen.
Die Prognose der bösartigen Tumoren, der Sarkome, ist recht
schlecht. In der Literatur sind etwa 30 Fälle beschrieben, von denen
über 13 näheres berichtet ist. Diese sind entweder primär bald nach
der Operation an Peritonitis oder Shock oder kurze Zeit nach der Ope¬
ration an Recidiven gestorben. Besonders bieten diese markigen Tumoren
wie der unsrige eine schlechte Prognose. Wenn auch unsere Patientin
bei der Entlassung noch keinen Recidivtumor hatte, so dürfen wir die
Prognose nicht gut stellen.
Ueber die Therapie ist man sich einig. Es muss abdominal vorge¬
gangen werden, am besten gleich die Totalexstirpation des Uterus mit
Exstirpation des Tumors ausgeführt werden. Beim vaginalen Vorgehen
wird entweder nicht radikal operiert, oder die Gefahr der Nebenver-
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UNIVERSUM OF IOWA
182
BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
Nr. 4.
letzung der Ureteren und der grossen Gelasse, die mit dem Tumor ver¬
wachsen sind, ist ausserordentlich gross.
Demonstration der mikroskopischen Präparate und einer Lumiere-
platte des Sarkoms.
2. Hr. Franz: Ich stelle Ihnen hier eine Frau vor, die im Mai
wegen eines Carcinoms des Uterns abdominal operiert worden ist. Sie
kam im November mit einem Recidiv herein, einem Knoten, der beweg¬
lich über dem Scheidengewölbe sass und die Grösse eines Hühnereies
hatte. Wir haben das Recidiv abdominal entfernt und dabei gefunden,
dass es sehr fest mit der Blase verwachsen war. Es war vorher cysto-
skopisch bereits festgestellt worden, dass das Recidiv in die Blase hinein-
gewuohert war. Zunächst wurden die Ureteren freigelegt, wie man das
immer tun muss, weil man nicht weiss, wie weit sie in die Carcinom-
entwicklung hineingezogen sind, und es nicht geraten ist, aufs Gerade¬
wohl einen solchen Tumor herauszuschneiden. Wir waren darauf gefasst,
dass ein grosser Teil der Blase mit reseziert werden müsste. Das ge¬
schah auch, und zwar ist der ganze Blasenboden von dem einen Ureter
bis zum anderen und bis zur Hälfte der hinteren Blasenwand aufwärts
reseziert und vernäht worden. Die Patientin ist am 20. Tage entlassen
worden. Ich bitte die Herren, die sich dafür interessieren, das cysto-
skopische Bild anzusehen. Sie können darin sehr schön die Blasennaht
sehen.
Ueber den Wert der Recidivoperationen bestehen keine allgemein
gültigen Anschauungen. Die Meinungen sind sehr geteilt. Es gibt
überhaupt nicht viele, die Recidivoperationen ausführen, entweder weil
sie von der Wertigkeit dieser Operation nicht überzeugt sind, oder weil
sie sich technisch nicht an diese Fälle heranwagen. Es mag gesagt
sein, dass die Technik dieser Operationen ausserordentlich schwierig ist.
Ich glaube, ich bin der einzige, der eine grössere Erfahrung in diesen
Operationen hat. Es sind von niemand grössere Serien von Recidiv¬
operationen mitgeteilt worden. Ich habe jetzt 25 solcher Operationen
gemacht. Sie müssen zum Teil mit ausgedehnten Resektionen der Or¬
gane, der Blase, der Ureteren, des Darms, ausgeführt werden. Ich bin
der Meinung, dass man jedes operable Recidiv angehen soll. Es kommen
Fälle vor, wo Frauen auch nach ausgedehnten Resektionen sehr lange
gesund bleiben. Ein Fall, der bereits siebenmal operiert war, und wo
ich im Jahre 1905 die Primäroperation gemacht habe, war im Mai
dieses Jahres noch gesund. Eine zweite Frau, bei der die Recidiv-
operation vier Jahre zurückliegt, war ebenfalls im Mai noch gesund.
Im erstgenannten Falle ist eine Ureterresektion gemacht worden und
eine Dünndarmresektion. Bei der zweiten sind die halbe Blase und
beide Ureteren reseziert, die Ureteren wurden in den Blasenrest einge¬
näht, die Frau ist kontinent und gesund. Jedenfalls beweisen diese
Fälle, dass man solche Recidivoperationen machen muss. Ueber Indi¬
kation und Ausführung will ich heute nicht reden; es handelt sich zu¬
nächst nur darum, Ihnen den Fall zu demonstrieren. (Demonstration.)
3. Hr. Wolff:
Ueber Heilkunde, Geburtshilfe uud Männerkindbett in China.
Wenn ich mir erlaube. Ihnen am heutigen Abend einiges über
ärztliche Erfahrungen und Beobachtungen zu erzählen, die ich im Laufe
einer mehr als dreijährigen Tätigkeit in China habe machen dürfen, so
bin ich mir wohl bewusst, dass diese Ausführungen, rein ärztlich ge¬
nommen, nur von geringem Interesse sein können. Um so eher dürfen
sie aber auf ein gewisses ethnologisches Interesse rechnen, und dies um
so mehr, als ja die Art und Weise, in der die Heilkunst in China von
Chinesen betrieben wird, charakteristisch ist für die sonderbaren Wege,
die das ganze Denken und Fühlen der Chinesen genommen hat. Es ist
der Heilkunst ähnlich gegangen wie allen anderen Wissenschaften in
China: sie alle sind charakterisiert durch einen gewissen Prozess der
Versteinerung. Wenn man sich überlegt, dass China eines der ersten
Länder gewesen ist, in dem die Heilkunst gepflegt wurde, dass in China
schon vor mehr als 3000 Jahren die Natur zahlreicher Krankheiten er¬
kannt und bekannt war, so erscheint es um so unbegreiflicher, wie ein
so vollständiger Stillstand aller Forschungen hat eintreten können, dass
eine Nation, deren Bevölkerung fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung
der Erde ausmacht, heute — wenn ich von den letzten 10 bis 15 Jahren
absehe — noch auf demselben Standpunkt steht wie zu Beginn unserer
Zeitrechnung.
Sektionen sind in China in früheren Zeiten nur selten, in den letzten
200 Jahren überhaupt nicht mehr gemacht worden. Das erscheint be¬
greiflich in einem Lande, in dem ja die Verehrung der Verstorbenen
und der Ahnenkult einen der integrierendsten Bestandteile der Religion
bildet. So kommt es, dass alle anatomischen und physiologischen Vor¬
stellungen der chinesischen Aerzte ausserordentlich dürftig sind. Alle
ärztlichen Theorien sind — ebenfalls chinesischen Anschauungen ent¬
sprechend — das Produkt leerer, zum Teil spitzfindiger Grübeleien und
einer ungezügelten Einbildungskraft. Um nur einiges herauszugreifen
und zu zeigen, wie absurd teilweise alle diese Vorstellungen sind, möchte
ich erwähnen, dass sich chinesischer Vorstellung zufolge der Körper aus
fünf Elementen zusammensetzt, aus Erde, Feuer, Holz, Metall und
Wasser. Die wichtigste Stelle des menschlichen Körpers ist miDg men,
nämlich die Eintrittspforte des Geistes, welche sich bezeichnenderweise
bei der Frau in tsu kung, der Gebärmutter, beim Manne im linken
Hoden befindet. Der Geist circuliert in allen Organen, seine Menge ist
proportional der Menge des Samens. Allen Organen verleiht er eine
spezifische Kraft. Durch die Atmung wird dieser Geist vom Himmel
angesogen. Wenn er im Körper in die Höhe steigt, so bringt er Freude
oder Zorn mit sich; dringt er herab, so verursacht er Furcht; stösst er
hinab, so verursacht er Schreck, wodurch der unwillkürliche Abgang
von Exkrementen bei derartigen Gelegenheiten erklärt wird. Bei allzu
starkem Nachdenken verursacht der Geist Milzkrankheit. Der Sitz der
Seele ist nach chinesischer Vorstellung die Leber, während alles Denken
und Empfinden im Magen seinen Ursprung hat. Der Magen ist gleich¬
falls der Sitz des Atemcentrums und ebenso der Sitz der Freude,
während der Mut seinen Sitz in der Gallenblase hat. Die Eingeweide
hängen in irgendeiner Weise mit Herz und Lungen zusammen, wie, das
ist dem chinesischen Arzt nicht näher bekannt. Von der Existenz
unseres Blutkreislaufs wissen die chinesischen Aerzte nichts, trotzdem
das Pulsfühlen fast die einzige Arzt der ärztlichen Untersuchung ist.
Dabei ist es keineswegs gleich, ob sie den Puls links oder rechts, ob
am Arm oder Bein fühlen. Es ist das ein wesentlicher Unterschied
für Diagnose wie Prognose. Die Krankheiten werden im allgemeinen
verursacht durch Mangel oder Ueberfluss an Wärme und Kälte. Dem¬
entsprechend bezweckt auch die Therapie, das Blut entweder zu er¬
wärmen oder abzukühlen, ferner, den Atem zu stärken, das Phlegma zu
vertreiben und die Harmonie der fünf Elemente wieder herzustellen. —
Alle diese Theorien sind durch ausserordentlich spitzfindige und für ein
europäisches Gehirn manchmal sehr schwer verständliche Kombinationen
und Gedankengänge in bestimmte Systeme gepresst worden, und diese
Systeme, von Generation zu Generation weiter vererbt, sind die Grund
läge dessen, was der chinesische Arzt wissen muss. Alle diese Systeme
sind übrigens in zum Teil von den Kaisern selbst herausgegebenen
chinesischen klassischen Werken niedergelegt worden, und es gibt
keinen im Reiche der Mitte, der gegen diese Ideen anzukämpfen gewagt
hätte.
Ebenso ist es auch mit allen geburtshilflichen Vorstellungen. Diese
sind ein merkwürdiges Sammelsurium von teils verstandenen, teils un¬
verstandenen Naturbeobachtungen, von spekulativen Betrachtungen und
von meist echt chinesisch ausgefallenen Versuchen, das Beobachtete zu
erklären. Es ist für einen europäischen Arzt nicht leicht, in China
Geburtshilfe zu treiben bei der ausserordentlichen Scheu der chinesischen
Frauen und der abergläubischen Furcht, die sie dem Fremden entgegen¬
bringen. Die wenigen Untersuchungen, die man zu machen Gelegenheit
hat, gelingen einem eigentlich nur bei Frauen, deren Männer europäisch
aufgeklärt sind, während jede wirkliche Chinesin schon die blosse Zu¬
mutung einer ärztlichen Untersuchung als eine Beleidigung empfindet.
Dem chinesischen Arzt gegenüber bedient sie sich im allgemeinen einer
Elfenbeinfigur oder eiaer in Elfenbein geschnitzten Darstellung der
Genitalien, und auf dieser Darstellung deutet sie dem Arzt den an¬
geblichen Sitz ihrer Erkrankung an. Ich selber habe also wenig
Gelegenheit gehabt, bei Geburten zugegen zu sein; es ist mir vielleicht
im ganzen fünfzehn- bis zwanzigmal geglückt. Das meiste von dem,
was ich Ihnen über Geburtshilfe in China erzählen will, verdanke ich
Ermittelungen, die der frühere Gesandtsohaftsarzt Stabsarzt Gau pp in
verdienstvoller Weise dadurch gemacht hat, dass er noch jetzt in Geltung
befindliche chinesische geburtshilfliche Schriften hat übersetzen lassen.
Die chinesischen geburtshilflichen Anschauungen basieren in der
Hauptsache auf zwei Voraussetzungen, die beide nicht zutreffen: einmal
der Voraussetzung, dass sich das Kind im Mutterleibe bis zum Eintritt
der Wehen in senkrechter Stellung, also nach unserer Nomenklatur in
Fusslage befindet, und zweitens, dass der gesamte Geburtsmechanismus
ein willkürlicher Akt des Kindes ist, welches durch sein Bestreben, die
Gebärmutter zu verlassen, die Wehen erregt. Die ersten Wehen — bei
den Chinesen Probewehen genannt — sind nichts anderes als eine
Uebung des Kindes in Bewegungen. Dann dreht sich erst das Kind in
die Schädellage, in der es im allgemeinen geboren wird. Es kann bei
dieser Umdrehung auf halbem Wege stehen bleiben, und auf diese Weise
entsteht die Querlage. Es gibt gleich ein gutes Mittel, dieser Querlage
abzuhelfen: man fordert die Kreissende auf, kräftig mitzupressen; dann
kann aus der Querlage die gewünschte Schädellage werden. Woran man
erkennen kann, ob das Kind in Querlage steht oder nicht, ist nicht
gesagt. Im übrigen aber wird von allen chinesischen Geburtshelfern
besonders vor zu frühem Mitpressen gewarnt, denn dadurch entstehen
eben nach chinesischer Anschauung Geburten in Fusslage oder Früh¬
geburten. Die chinesische Mutter soll sich im Gegenteil möglichst still
und ruhig verhalten und soll, ohne überhaupt zu pressen, das Ende
ihrer Entbindung abwarten. Dadurch wird auch die vermeintlich
leichtere Entbindung unehelicher Mütter erklärt. Die uneheliche Mutter
verhält sich nämlich ruhig und still, weil sie ihre Schande vor der
Welt verheimlichen will; deshalb hat sie eine leichtere Entbindung.
Wenn eine chinesische Mutter in Wehen kommt, so wird zunächst die
Hebamme gerufen. Die Hebamme hat auf ihrem Türschilde den be¬
zeichnenden Namen „flinkes Ross“ oder „leichtes Gefährt“. Sie kommt
also an und lagert zunächst die Kranke auf dem Kang, dem Ofenbett, und
bringt sie dort in eine sitzende Lage. In früheren Jahrhunderten sollen
nach Ploss auch Gebärstühle in China vorhanden gewesen sein; ich
habe keinen gesehen. Eine Desinfektion wird nicht vorgenommen. Doch
kann man wohl annehmen, dass im allgemeinen die Chinesinnen, die
auch in den kleinsten Dörfern Badeanstalten haben, von denen sie recht
ausgiebig Gebrauch machen, bis zum Ende ihrer Schwangerschaft regel¬
mässig wenigstens wöchentlich einmal gebadet haben. Ist das Kind geboren,
so erfolgt die Abnabelung dadurch, dass die Nabelschnur an vier ver¬
schiedenen Stellen mit Seide oder mit zusammengedrehten Papierröllchen
abgebunden, dann mit glühenden Eisenstäbchen durchsengt oder mit
Alaunkristallen durchgeätzt wird.
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Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
183
Sehr gering ist die chinesische operative Geburtshilfe entwickelt.
Eine Zange gibt es nicht, ich habe nie eine gesehen, habe auch in
Büchern nichts finden können, was für das Vorhandensein einer Zange
spricht. Wie Lau ff er beschreibt, ist in Tibet eine Zange schon seit
Jahrhunderten vorhanden und im Gebrauohe. Ebenso ist eine Wendung
nicht bekannt. Die chinesische Hebamme ist gehalten, beim Vorfall
kleiner Teile oder der Nabelschnur die kleinen Teile nach Möglichkeit
zurückzudrängen; gelingt ihr das nicht, so darf sie die kleinen Teile
abschneiden. Nachgeburtsblutungen werden so behandelt, dass die
sitzende Stellung der Kreissenden noch verstärkt wird; in dieser Stellung
wird sie dann durch zwei Frauen auf ihrem Lager, auf dem sie ange¬
bunden ist, gehalten. Ebenfalls eine Folge des zu frühzeitigen Mit-
pressens ist nach chinesischer Vorstellung die Retention der Placenta.
Beim Geburtsakt öffnen sich nämlich nach chinesischer Vorstellung die
Beckenknochen. Der Arzt, der zur Chinesin gerufen wird, gibt Pulver
ein, um die Backenknochen in ergiebiger Weise zu eröffnen, und wenn
die Patientin zu frühzeitig mitgepresst hat, so wird das Kind heraus¬
getrieben, die Placenta hat aber nicht folgen können. Man hilft sehr
zweckmässig dem dadurch ab, dass man ein Gewicht an die freihängende
Placenta hängt und so lange wartet, bis die Placenta geboren ist.
Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass die Entbindungen in
China leichter sind als in Europa. Das liegt wohl daran, dass die
Chinesen doch noch mehr Naturvolk sind als die verweiohlichteren
Europäer. Gaupp sagt, er wenigstens habe oft versichern hören, dass
äusserst selten Todesfälle bei der Geburt Vorkommen. Man dürfe aller¬
dings derartigen Versicherungen bei der Indifferenz der Chinesen und
der geringen Wertschätzung, die sie dem Menschenleben, speziell dem
Frauenleben, entgegenbringen, nicht allzu viel Geltung beilegen. Eins
ist sicher, die Beckenmaasse sind dieselben wie bei den Europäerinnen.
Gaupp, der Gelegenheit hatte, einige neugeborene Kinder zu messen,
meint, der chinesische Neugeborene könne vielleicht etwas kleiner sein
als das europäische Kind.
Ist die operative Geburtshilfe nur eine ausserordentlich beschränkte,
so ist natürlich um so grösser das Heer der diätetischen und rituellen
Vorschriften für die Mutter nach der Geburt, und man findet da die
allerabsurdesten Vorschriften. Zum Beispiel Grube und v. Martius
erzählen, dass die Frischentbundene nach der Geburt nicht schlafen
darf, sondern mit angezogenen Beinen auf dem Kang liegend wach-
gehalten werden muss. Die ersten fünf Tage nach der Geburt bekommt
sie dreimal Wein mit warmem Knabenurin gemischt zu trinken. In
manchen Gegenden bekommt sie gleich am ersten Tage ein Spitzglas
warmen Knabenurins. Gefährlich für die Mutter sind nach v. Martius
die Besucher, welche zu ihr kommen. Diese Besucher müssen am ersten
bis dritten Tage dagewesen sein; kommen sie später, so gerät die
Mutter in Gefahr, dass ihr die Milch weggetrampelt wird. Besonders
gefährlich ist ein vieräugiger Besuch, nämlich eine Schwangere; die
trampelt ihr die Milch so lange weg, bis sie selber niederkommt. Auch
der Arzt darf nicht, wenn er nicht bis zum dritten Tage dagewesen ist,
später wiederkommen. Die Nachgeburt wird von der Mutter selbst am
dritten Tage in ein Loch gegraben, wenn nicht Unglück über die Familie
kommen soll. Gaupp erzählt aus seinen eigenen Beobachtungen, dass
von chinesischen Wochenbettpfiegerinnen, die Europäerinnen zu pflegen
hatten, streng darauf gehalten wurde, dass die Nachgeburt von der
Wöchnerin eingegraben wurde. In vielen Fällen sei allerdings auch die
Nachgeburt verschwunden, und dann sei sie wahrscheinlich gestohlen
worden, um Arznei daraus zu fabrizieren. Ich komme noch später darauf
zu sprechen. Das Kind wird am dritten Tage nach der Entbindung ge¬
waschen, am zweiten Tage wird es wie bei uns angelegt. Die chinesi¬
schen Mütter stillen im allgemeinen ihre Kinder selber, und zwar setzen
sie das Stillgeschäft — wenigstens die ärmeren Volksklassen — bis zum
dritten, vierten Lebensjahre des Kindes fort. Man kann häufig in Peking
sehen, wie eine Chinesin in hockender Stellung sitzt und vor ihr ein
grosser drei- bis vierjähriger Junge steht, der in aller Gemütsruhe seine
Mahlzeit einnimmt. Dementsprechend sind Mastitiden ziemlich häufig.
Allerdings wird als Aetiologie für Mastitis ein eigentümlicher Grund an¬
geführt. Die Chinesen nehmen an, dass das Kind Luft in die Warze
puste.
Eine grosse Rolle spielt natürlich auch bei einem abergläubischen
Volke, wie es die Chinesen sind, die Frage der Vorherbestimmung des
Geschlechts. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das lautet: Eine
Matter, welche einen Knaben gebiert, gehört ins Bett, eine Mutter,
welche ein Mädchen gebiert, gehört unters Bett. Bei dieser Missachtung
des weiblichen Geschlechts kann es natürlich für eine Mutter nicht ganz
gleichgültig sein, was sie zu erwarten bat. Es gibt da eine ganze Reihe
von Theorien, die in Geltung sind. Weit verbreitet ist in China ein
Buch, welches für alle Mädchen zwischen dem 15. uud 50. Lebensjahr
für jeden Empfängnismonat in diesen Jahren das Geschlecht voraussagt.
Wenn also z. B. ein junges Mädchen 18 Jahre alt ist und im fünften
Monat empfangen hat, so ist das Kind männlichen Geschlechts. Einzelne
Jahre sind danach besonders günstig, sie haben vorwiegend Kinder
männlichen Geschlechts, andere sind wieder besonders ungünstig gestellt.
Eine andere Theorie regelt das kommende Geschlecht nach dem Tage
des die Empfängnis mit sich bringenden Beischlafs: am ersten, dritten
und fünften Tage nach der Menstruation werden Knaben, am zweiten
und vierten Tage Mädchen erzeugt. Der Beischlaf nach dem sechsten
Tage ist nicht nur zwecklos, sondern sogar schädlich, und vom sechsten
Tage ab hat der Beischlaf überhaupt keine konzeptionellen Folgen. Be¬
sonders günstig ist der erste Tag nach der Menstruation, und besonders
empfehlenswert an diesem Tage wiederum die frühe Morgenstunde. Die
Hebammen haben es besonders gut mit der Bestimmung des Geschlechts;
sie können schon in dem Moment, wo der kindliche Kopf durch¬
geschritten ist, sagen, welchen Geschlechts das Kind ist: sieht das Kind
zur Erde, sieht es somit das weibliche Prinzip an, so ist es ein Junge,
sieht es zum Himmel — das ist das männliche Prinzip —, so ist es ein
Mädchen.
Ausserordentlich gross ist natürlich der Arzneischatz, der im
Woohenbett und bei der Geburt seine Verwendung findet. Ich brauche
darauf wohl nicht weiter einzugehen. Es ist bekannt, dass die
chinesische Pharmakopoe eine grosse Reihe von pflanzlichen Stoffen ent¬
hält und dass daneben auch die absurdesten und für einen Europäer
widerwärtigsten und ekelhaftesten Substanzen darin enthalten sind.
Gerade für die Geburtshilfe sind derartige Substanzen vorhanden. Es
werden z. B. empfohlen getrocknete Seidenwürmer, getrocknete Regen¬
würmer, Tausendfüssler, auch schlimmere Dinge, getrocknete Placenta.
Ein merkwürdiges Rezept ist: 17 Pillen aus männlichem Rattenkot auf
einmal zu nehmen. Ferner gibt es Pillen aus Kopfgrind, dann die
Zehennägel schwangerer Frauen und ähnliche unappetitliche Dinge mehr.
Allgemein ist auch bekannt, dass z. B. das Blut Hingerichteter eine aus¬
gezeichnete Medizin bei Verdauungsschwäche ist. Der Verkauf dieser
kostbaren Arznei ist eine der Einnahmequellen des Henkers.
Ich möchte nicht sohliessen, ohne noch auf einen sehr merkwürdigen
Geburtsgebrauch hinzuweisen, einen Gebrauch, der allerdings nur bei
einigen im Innern von China wohnenden, von aller Kultur abgeschlossenen
Stämmen in den Provinzen Jünnan, Kuangtung und Kuangchi im
Schwange ist, aber ein Gebrauch, der darum von so ausserordentlichem
ethnologischen Interesse ist, weil er vielleicht im Zusammenhänge steht
mit sozialen Einrichtungen, die im Kindesalter des Menschengeschlechts
bestanden haben. Es ist das sogenannte Männerkindbett. Wenn eine
Frau niederkommt, so muss sich der Ehemann in einen dunklen Raum
zurückziehen. Er legt sich sofort nieder. Hat die Frau geboren, so
wird das Kind zum Manne ins Bett gelegt, die Frau steht wieder auf,
und der Mann, der sich nun jämmerlich anstellen und so gebärden muss,
als ob er das Kind bekommen habe, bleibt 40 Tage im Bett liegen.
Während dessen arbeitet die Frau und kocht dem Manne seine Lieblings¬
speisen. Dieses Männerkindbett ist nicht nur bei den Urvölkern Chinas,
die sich von den Miaotse herleiten, sondern auch bei anderen Volks¬
stämmen, z. B. bei den Drawidas in Indien, den Karaiben in Südamerika
und vor 50 Jahren noch bei den Basken der Pyrenäen in Gebrauch ge¬
wesen. Dort wurde es Convade genannt. Die Ethnologen nehmen nun
an, dass dieses Männerkindbett ein Ueberbleibsel des uralten Matriarchats
sei, also der Mutterfamilie, in der der Mittelpunkt und Repräsentant der
Familie nicht der Vater, sondern die Mutter ist. Während in den Zeiten,
die dem Zustande des Matriarchats vorangingen, also auf der Primär¬
stufe menschlicher sozialer Entwicklung, bei dem freien Geschlechtsverkehr
der Mädchen und Männer, die Kinder vaterlos waren, sei diese Sitte ein¬
geführt worden, um beim Uebergange zum Matriarchat die Männer an
die Mutterfamilie zu fesseln und vom Männerhause fern zu halten. Diese
Sitte sei also der Anstoss dazu gewesen, dass mit dem alten Prinzip
des freien Geschlechtsverkehrs gebrochen worden sei und mit dem
Matriarchat jedes Kind seinen eigenen Vater bekommen habe und da¬
durch zum ersten Male die Familie in unserem heutigen Sinne geschaffen
worden sei.
Ich bin am Schlüsse meiner Ausführungen angelangt. Ich möchte
nur noch eins hinzufügen. Heutzutage, namentlich in den letzten zwölf
Jahren, die in China ebenso wie im ganzen fernen Osten einen gewaltigen
Umschwung herbeigeführt haben, ist vieles anders geworden, namentlich
in den Küstenstädten, und dass es anders geworden ist, ist nicht zum
wenigsten dem deutschen Einfluss zu verdanken, der in Shanghai eine
Medizinschule gegründet und in Tsingtau eine Universität, die allerdings
noch in der Entwicklung begriffen ist, errichtet hat.
Diskussion.
Hr. Runge: Ich möchte Herrn Wolff fragen, wie sich denn die
Chinesen bei Querlage verhalten. (Hr. Wolf: Sie machen gar nichts!
Sie riskieren, dass es zu einer Ruptur kommt!) Zweitens wollte ich
mitteilen, dass sich in dem Werke von Ploss über die Frau eine Ab¬
bildung findet, welche darstellt, wie eine Chinesin ihre Schwiegermutter
an den Brüsten weiternähren muss, wenn die Schwiegermutter keine
Zähne mehr hat.
Hr. Gottschalk: Ich wollte mir nur die Frage erlauben, ob der
Kaiserschnitt in China bekannt ist. (Wird vom Vortragenden verneint.)
Hr. Zinsser: Die Anschauung, dass das Kind am Geburtsakt be¬
teiligt sei und sich im Moment der Geburt aus einer Fusslage in die
Schädellage herumdreht, ist keine rein chinesische, sie findet sich auch
bei abendländischen Völkern, so bei Hippokrates. Auch in dem ältesten
deutschen Hebammenlehrbuoh, das existiert und, ich glaube, 1215 er¬
schienen ist, ist dieser Geburtsmechanismus zugrunde gelegt. Der so¬
genannte Kindssprung ist in einem sohönen Holzschnitt dargestellt.
Ich finde überhaupt, dass wir nicht berechtigt sind, über die chi¬
nesischen geburtshilflichen Dinge, die uns Herr Wolff erzählt hat, so
mit dem souveränen Lächeln des gebildeten Mitteleuropäers hinwegzu¬
gehen. Wenn wir daran denken, dass bei uns z. B. in Ostpreussen
20 pCt. aller Geburten von Pfuscherinnen geleitet werden, so ist das
doch eiu recht bedauerliches Kultursymptom, und wenn man erst das
zusammenstellen wollte, was auch bei uns noch an Aberglauben in den
geburtshilflichen Dingen herrscht, so könnte man allein über das Kapitel
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184
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
der Vorausbestimmung des Geschlechts einen abendfüllenden Vortrag
halten. Die moderne Geburtshilfe, auf die wir hier so stolz sind, ist eine
ganz auffallend junge Kunst; ihre Anfänge stammen erst aus dem ganz
späten Mittelalter, eigentlich erst aus der Neuzeit. Die geburtshilflichen
Bücher, auch Hebammenlehrbücher, die man noch im 18. Jahrhundert
findet, enthalten zum Teil ganz haarsträubende Dinge. Ich möchte nur
als Pendant zu den chinesischen Arzneien, die uns Herr Wolff ange¬
führt hat, mitteilen, dass ich in einem Hebammenlehrbuch, das ein
Herr Korfmann in Erfurt im Jahre 1725 hat erscheinen lassen, die
Empfehlung gefunden habe, bei Wehenschwäche den Kreissenden den
ausgepressten Saft eines frischen Pferdeapfels zu trinken zu geben. Die
grossen Fortschritte, die bei uns die geburtshilfliche Kunst gemacht hat,
kamen erst auf, als sich die Aerzte systematisch mit der Geburtshilfe
beschäftigten, als sie erst an das Kreissbett herangelassen wurden. Dass
die Geburtshilfe solange im Argen gelegen hat, ist darauf zurückzu¬
führen, dass die Aerzte überhaupt nicht in die Kreissstube hineingelassen
wurden.
Ich möchte mir an Herrn Wolff die Frage erlauben, wie in China
die Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme ist, wie weit der Arzt
überhaupt die normale Geburt sieht.
Hr. Wolff: Der Arzt kommt hinzu, fühlt im allgemeinen nur den
Puls und stellt sowohl die Diagnose wie die Prognose aus dem Puls
und aus dem Aussehen des Gesichts. Dann verschreibt er das becken-
öfinende Pulver und verlässt den Schauplatz seiner Tätigkeit. Der Arzt
muss dann zwischen dem ersten und dritten Tage wiederkommen. Im
allgemeinen kommt er aber nicht wieder. Mir selber ist es wiederholt
passiert, dass, als ich am zweiten Tage zur Wöchnerin kam, die Tür
verschlossen war. Ich klopfte, und da hiess es: Wer ist da? Antwort:
Der Arzt. — Was will er? — Ich will die Wöchnerin sehen. — Dann
werde ich fragen gehen, wurde mir geantwortet. Die Leute waren gar
nicht daran gewöhnt, dass der Arzt sich um die Wöchnerin kümmert.
Die Hebamme bleibt bei der Kreissenden und leitet die weitere Geburt.
Hr. Eckert: Es ist, wie Herr Wolff schon auseinandergesetzt hat,
ausserordentlich selten, dass ein europäischer Arzt in rein chinesischem
Milieu zu einer Entbindung zugezogen wird. Ich darf deshalb vielleicht
hier eine von mir selbst in Tientsin erlebte Episode kurz schildern. Es
handelte sich um die Frau eines armen Kulis. Ich ritt hin mit meinem
Boy als Hebamme — Waschbecken, Seife und Bürste wurden mit¬
genommen. Die niedrige Lehmhütte war von Männern und Frauen, jung
und alt gefüllt. Es wurde das erste Kind erwartet, und das musste ja
ein Junge sein. Die Frau selbst lag auf dem niederen, estradenähn¬
lichen Ofen, dem Kang, mit ihren dick wattierten Hosen bekleidet. Zu
ihren Häupten sassen die beiden Hebammen — um mich des Ausdrucks
des Herrn Wolff zu bedienen: die beiden springenden Rosse. Von Zeit
zu Zeit schlugen sie der Frau mit der flachen Hand auf die Stirn, sie
behaupteten, dass dies das vorzüglichste Mittel sei, um Wehen zu er¬
zeugen. Eine innere Untersuchung machten sie nicht. Das hielten sie,
wie sie mir versicherten, für sehr gefährlich. Sie beschränkten sich
darauf, die Sekrete mit unbearbeitetem Papier zu entfernen, das in
Holzkübeln vor ihnen stand. Dieses Papier kann ja praktisch als steril
angenommen werden. Ich stellte einen vorzeitigen Blasensprung fest,
gab eine Morphiumspritze und hatte den Erfolg, dass in einer halben
Stunde der Schädel des Kindes sichtbar wurde. Alles staunte, und ich
war der grosse Arzt. Als aber das Kind geboren war, war es ein
Mädchen. Es ist ja bekannt, dass der Chinese als erstes Kind unbedingt
einen Jungen wünscht. Das für uns in mehr als in dieser Hinsicht be¬
wundernswerte Volk der Chinesen hat eben das für uns so schwierige
Problem der Alter- und Invaliden-Staatsversicherung schon seit Jahr¬
hunderten durch das einfache Sitteugesetz der kindlichen Pietät gegen
die Eltern gelöst: die Eltern müssen einen Jungen haben, der für sie
im Alter sorgt. So ist die Enttäuschung bei der Geburt eines Mädchens
nur natürlich. Dass das aber geradezu als Verbrechen betrachtet wird,
war mir doch etwas überraschend. Als ich die Hütte verliess, war
niemand mehr im Zimmer ausser der Mutter, meinem Boy und mir.
Es herrschte nach dem vorhergehenden Lärm eine unheimliche Stille,
als sei ein Verbrechen geschehen, nur die Mutter schrie: Mein Vater
wird mich verprügeln! Ich wollte ihr das Kind geben, aber sie stiess
mich zurück, sie wollte es nicht haben. Am nächsten Tage kam ich
wieder. Sie lag auf dem Kang, drehte sich um, zeigte auf die Stelle,
wo ich ihr die Morphiumeinspritzung gemacht hatte, und sagte: Wenn
Du mir das nicht eingespritzt hättest, wäre es ein Junge geworden.
Ich bin in 5 Jahren nie wieder zu einer chinesischen Entbindung gerufen
worden.
Hr. Franz: Nur eine kurze Bemerkung. Ich kann das bestätigen,
was Herr Zinsser gesagt hat, dass bereits Hippokrates die Vor¬
stellung von dem Selbstgebären des Kindes, der Drehung des Kindes
am Ende der Schwangerschaft hatte und so auch den Vorgang bei der
Geburt eines toten Kindes erklärte. Wenn das Kind tot ist, so kann
es sich nicht aus der Gebärmutter herausdrücken, und die Geburt dauert
lange. Er hat natürlich Wirkung und Ursache verwechselt.
Eine Bemerkung des Herrn Zinsser kann ich nicht unwidersprochen
lassen, nämlich die, dass unsere Geburtshilfe so jung sei. Das stimmt
nicht ganz. Die geburtshilfliche Kunst ist nur vergessen worden; sie
ist wieder gut geworden von dem Augenblick an, wo die Geburtshilfe
in die Hände der Aerzte gekommen ist. Bereits die Alexandriner, also
Ende des 6., 7. Jahrhunderts, kannten die Wendung; sie haben ganz
gewiss auch zangenähnliche Instrumente besessen, mit denen sie imstande
waren, ein am Beckenausgang stehendes Kind bei erweitertem Mutter¬
munde zu extrahieren. Erst später sind mit dem Wechsel der Anschau¬
ungen diese Kenntnisse vergessen worden. Man könnte boshaft sein und
sagen: von dem Augenblicke an, wo die Geburtshilfe eine rein weibliche
Tätigkeit gewesen ist, ist sie 1000 Jahre ungefähr stehen geblieben, was
gut war, ist vergessen worden, und von der Zeit an, wo die Aerzte sich
wieder mit Geburtshilfe beschäftigt haben, wo also nicht nur die Chir¬
urgen hinzugezogen wurden, um ein im Uterus steckendes, nicht zur
Geburt kommendes Kind zu zerstückeln, da hat man aogefangen, wieder
Geburtshilfe zu treiben im Sinne des modernen Geburtshelfers. Was im
Laufe der Jahrhunderte neu hinzugekommen ist, ist nichts anderes als
die Asepsis. Die Zange war bereits Anfang des 17. Jahrhunderts er¬
funden worden, und Ambroise Pare hat Mitte des 16. Jahrhunderts
die Wendung auf die Füsse der Geburtshilfe wiedergegeben.
(Schluss folgt.)
Verein für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zn Berlin.
Sitzung vom 13. Januar 1913.
Demonstrationen vor der Tagesordnung.
1. Hr. Dorner:
Sehr seltene Komplikation eines Aortenaneurysmas.
Es wird ein Fall von Aortenaneurysma geschildert, einen 61jährigen
Mann betreffend, bei dem jedes Schlucken fester oder flüssiger Speisen
einen sofortigen Hustenreiz auslöste. Die Diagnose schwankte zwischen
Oesophaguskrebs, Mediastinaltumor und Aortenaneurysma. Die Sektion
ergab, dass ein Aortenaneurysma vorlag, welches zu einer Usur mehrerer
Wirbelkörper, zu einem Decubitalgeschwür und einer Fistel zwischen
linkem Bronchus und Speiseröhre geführt hatte. Vortr. hat nur zwei
ähnliche Fälle in der Literatur gefunden.
2. Hr. Ewald: Ein Fall von Milztnmor mit tödlicher Blutung.
Vortr. beobachtete einen 48jährigen Mann, der über leichte dys¬
peptische Beschwerden klagte und eine grosse Geschwulst im Leibe
fühlte. Die klinische Untersuchung ergab einen gewaltigen Milztumor,
Achylie, fehlende Patellarreflexe, llOpCt. Hämoglobin, 5 280 000 rote
und 20 000 weisse Blutkörperchen bei normaler Leukocytenzahl. Der
Patient starb plötzlich nach heftigem wiederholten Bluterbrechen. Die
Obduktion ergab eine kanalisierte Pfortaderthrombose, aber keinerlei
Veränderungen an der Darm- und Magenschleimhaut, die für Quellen
der Blutung hätten angesprochen werden können. Lues lag nicht vor.
Man muss daher annehmen, dass eine parenchymatöse Magenblutung
stattgefunden hat.
Diskussion.
Hr. Fürbringer berichtet von einem Fall, der klinisch ähnlich
verlief, dessen Sektion aber ergab, dass ein latenter Magenkrebs in die
Milz perforiert und eine Milzarterie arrodiert hatte.
Hr. A. Fränkel erinnert an eine Demonstration, die er vor 20 Jahren
in diesem Verein veranstaltet hatte. Es handelte sich damals um ein
junges Mädchen, das unter heftigstem Bluterbrechen zugrunde gegangen
war, und dessen Sektion eine kolossale Dilatation des Magens ergab.
Infolge einer atonischen Dilatation war es zu zahlreichen kleinen
capillären hämorrhagischen Erosionen der Magenschleimhaut gekommen.
Aus diesen hatte offenbar die Blutung stattgefunden. Rein parenchy¬
matöse Blutungen könne man sich eigentlich nicht vorstellen.
Hr. Ewald meint, dass die menstruelle Blutung doch auch als
parenchymatöse aufgefasst werde.
Tagesordnung.
HHr. C. Posner und W. Sehelfer (a. G.):
Zar klinischen Mikroskopie nnd Mikrophotographie.
Herr Posner will die Aufmerksamkeit weiterer Kreise darauf lenken,
dass einige neuere optische Methoden, insbesondere die Dunkelfeldmikro¬
skopie, bei der Untersuchung des Harns eine Reihe interessanter, mit
anderen Methoden nicht sichtbarer struktureller Einzelheiten zur Dar¬
stellung bringen. Besonders lassen sich aber Dunkelfeldbilder ausser¬
ordentlich gut und scharf photographieren. Er demonstriert Dunkelfeld¬
photographien von Nubeculae, Urethralfäden, Cylindern und Cylindroiden,
hämorrhagischer Cystitis, gewöhnlicher Cystitis, Cytolyse der Eiterkörper
im ammoniakalischen Urin, verschiedene Formen von Epithelien, auch
solche von Blasencarcinom und endlich einige Sedimente. Bemerkens¬
wert ist, dass manche Cylinder bei Dunkelfeldbeleuchtung eine eigen¬
tümliche wurzelartige Auffaserung an einem Ende zeigen, die man bei
gewöhnlicher Mikroskopie nicht sieht. Vielleicht wird es möglich sein,
über die Beziehungen zwischen Cylindern und Cylindroiden mit dieser
neuen optischen Methode Aufklärung zu bekommen.
Diskussion: HHr. Fürbringer, Kraus, Posner.
H. Hirschfeld.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 20. Januar 1913.
Gemeinsame Sitzung mit dem Verein für innere Medizin.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Hr. Sonnenburg: Es handelt sich heute um ein Thema der Grenz¬
gebiete äusserer und innerer Medizin. Das Thema ist so umfangreich,
dass es in einer Sitzung nicht erschöpft werden kann. Die einzelnen
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UNIVERSITÄT OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
185
gemeldeten Redner müssen daher, da die Zeit bemessen ist, sich kurz
fassen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung teilt Hr. Kraus mit, dass Herr
Heubner zur Feier seines 70. Geburtstages zum Ehrenmitgliede des
Vereins für innere tfedizin gewählt sei.
1. Hr. Kateensteia:
Beitrag zur Entstehug aad Behandlung des Uleas ventriculi.
Zweierlei gedenkt er heute vorzutragen: 1. Die Experimente über
Entstehung des Ulcus ventriouli, die er seit mehreren Jahren angestellt
hat 2. Die Konsequenzen, die er daraus gezogen im Hinblick auf die
Erfahrungen der inneren Hedizin.
Das Ulcus ventriculi entsteht vor allem durch eine Schleimhaut-
Schädigung irgendwelcher Art. Notig zur Entstehung ist die Anwesen¬
heit von Magensaft, von Verdauungssaft. Das Ulcus ventriculi ist dem¬
nach ein Verdauungsgeschwür. Es ist oft die Frage aufgeworfen und er
selbst hat sich experimentell damit beschäftigt: Warum ist die eigene
Schleimhaut des Magens der Verdauung nicht unterworfen? Warum
verdaut sich der Magen nioht selbst?
Seit 5 Jahren hat er experimentell festgestellt: Wenn Darm und
Milz in den Magen eingepflanzt werden, werden sie verdaut. Magen
selbst, auch tote Magenschleimhaut, wird nicht verdaut. Es muss also
ein Unterschied zwischen Magenschleimhaut und anderem tierischen Ge¬
webe bestehen. Der Grund ist in der Beschaffenheit der Schleimhaut
selbst zu suchen, ihrer antiseptischen Wirkung. Die wirksame Substanz
selbst ist das Antipepsin, das nur in alkalischer Lösung wirksam ist,
also die Magenschleimhaut vor Verdauung schützt. Es muss eine An¬
häufung von Antipepsin angenommen werden, damit die Verdauung nicht
zustande kommt. Seine Resultate sind von anderen leider nicht be¬
stätigt worden.
In weiteren 20 Experimenten hat er zunächst den Effekt bei Atropin¬
wirkung studiert. Ein eingepflanzter Processus vermiformis wurde bei
gleichseitiger Anwendung von Atropin nicht verdaut, ohne Atropin
wurde eine eingenähte Darmschlinge verdaut.
Dann hat er Magen bzw. Duodenum und Dünndarm zugleich ein¬
gepflanzt; dabei fand sich, dass Duodenum nioht, Darm aber verdaut
wurde. Beim Ulcus bandelt es sich um eine Schleimhautstörung, bei
der gleichzeitig der Antipepsingehalt herabgesetzt ist So kommt die
Verdauung der verletzten Schleimhaut zustande.
In einer weiteren Versuchsreihe hat er eine Abschwäohung des
Antipepsins durch Einspritzen von Säure bewirkt. Er erzielte so
typische Uloera. (Demonstration.) Ein typisches Ulcus callosum war
bis ins Pankreas durobgedrungen.
Endlich erzielte er eine Schädigung der Magenschleimhaut durch
den Paquelin, der bis zur Schleimhaut per os eingeführt und durch
elektrischen Strom zum Glühen gebracht wurde. Nach 10—12 Tagen
entstanden typische Ulcera. Der Verbrennungsschorf selbst ist arm an
Antipepsin. Die Folge ist, dass auch er verdaut wird und ein reines
Ulcus erscheint.
Vergleichs versuche hat er nach zwei Richtungen gemacht (6 positiv,
1 negativ): 1. Der Schleimhautdefekt, der nicht mit Säure geätzt war,
war nach 7 Tagen geheilt. Nach Aetzen mit Säure blieb ein Defekt
länger bestehen. 2. Die Defekte wurden teils mit Säure, teils mit
Lauge eingespritzt. Die Lauge zeigt zunächst stärkere Aetzwirkung,
der Laugenschorf bleibt erhalten; es kommt aber nie ein Ulcus zu¬
stande, da der Antipepsingehalt nicht gestört wird. Bei Säureschorf ist
der Antipepsingehalt zerstört. (Demonstration.)
Dieselben Resultate ergaben sich auch bei Anwendung von */ 10 Natron¬
lauge: kein Ulcus, Vio Salzsäure: Ulcus.
Was die Lokalisation betrifft, so waren bei 120 Versuchen nur
präpylorische Ulcera zu erzeugen, also dort, wo die Säure- und
Antipepsin Wirkung am ausgesprochensten ist.
Drei Faktoren sind also bei der Entstehung der Ulcera maassgebend:
1. die verletzte Schleimhaut, 2. wirksamer Magensaft, 3. das Antipepsin
der Magenschleimhaut.
Das Kaninchen hat im Magensaft kein Pepsin. Wenn Pepsin vor¬
handen und der Antipepsingehalt gestört ist, kommt ein Ulcus zustande.
Der Magensaft des Kaninchens enthält kein Pepsin, also auch kein Anti-
pepsin. Nur wenn Magensaft vom Hunde zugeführt wurde, entstand ein
Ulcus callosum. Die Wirkung des Pepsins tritt ein bei Substanzen, die
Antipepsin nicht enthalten. Als Körte vor Jahren seine Versuche
machte, verwandte er cur Säure, erzielte daher kein Ulcus. Es muss
eben Pepsin dazugetan werden. Hätte Körte dies getan, so hätte er
damals sicher auch Ulcera erzeugt.
Zur Therapie ist zu sagen: Die Behandlung des Ulcus mit internen
Mitteln kann auf zwei Wegen angestrebt werden: 1. durch Abschwächung
der Säure, 2. durch Stärkung des Antipepsiugehalts. Letzteres ist ver¬
sucht durch Diät, ferner durch Darreichung von Antipepsin per os.
Sowohl die Diät von Lenhartz, die eiweissreich ist, als die von Leube
(Bouillon) sind unzureichend, weil einseitig. Die Bouillon regt viel zu
sehr die Magensaftsekretion an. Er schlägt darum eine gemischte Diät,
Gemüse und Fett, vor, die nicht reizt.
Beim Ulcus der Chlorotischen ist die Behandlung der Chlorose
selbst die Hauptsache. Das Antipepsin per os zu geben, haben die
Engländer versucht, indem sie Pferdeblutserum verabreichten.
Die interne Therapie bat im allgemeinen nicht gute Resultate.
In einer grossen Zahl treten Recidive auf. Vielfach handelt es sich da¬
bei jedoch nicht um Recidive, sondern wohl um nioht geheilte Ulcera,
die dann später wieder Erscheinungen machen.
Die chirurgische Therapie soll eingreifen, wenn alle interne The¬
rapie erfolglos war. Er hat in 72 Fällen, die er operierte, keinen Todes¬
fall, dann bei 4 folgenden ebensoviele Todesfälle.
An Komplikationen der Operation können auftreten:
1. Circumscripte Atonie bei Durchschneidung des Pylorus oder der
kleinen Curvatur. Es ist zu berücksichtigen, dass dabei viele Nerven
durchschnitten werden. In einem Falle mit Pylorusdurchschneidung trat
nach 6 Stunden Atonie ein, Rückfluss, kein Circulus vitiosus, da der
Pylorus durchschnitten war. In einem anderen Falle war der Grund
der Atonie eitrige Infiltration der Magenwand, 90 dass nach 12 Tagen
nochmals operiert werden musste.
2. Herzschwäche. Darum hat in jedem Falle eine funktionelle
Prüfung voranzugehen.
3. Embolie. Es muss eine genaue Gerinnungsprüfung vor der Ope¬
ration vorgenommen werden.
4. Pneumonie.
Am aktuellsten ist die Frage: ob nur Gastroenterostomie oder Re¬
sektion zu wählen sei. Er bat 4 Fälle von Circulus vitiosus chronicus
(d. h. spät auftretend) gesehen. Die Pylorusausschaltung ist daher meist
auszulühren, da die anfänglichen Stenosen nach der Gastroenterostomie
oft zurückgehen. Bei sohweren Fällen, bei Ulcus pylori, das in9 Duo¬
denum übergeht, Ulcus der kleinen Curvatur ist besser die Gastroentero¬
stomie mit Pylorusausschaltung zu vereinen. Eventuell kommt die Re¬
sektion des Pylorus in Frage.
Hr. E. Schlesinger:
Ergebnisse der Röntenantersnchnng beim Ulens ventriculi.
Zunächst sind durch das Röntgenverfahren einfache Schleim-
hautulcera nicht darstellbar; callöse auch nicht immer. Nur bei
tieferer Zerstörung, beim Ulcus penetrans, sind die Resultate gute;
auch beim Sanduhrmagen. Die einen bewerten die Röntgendiagnose
sehr hoch, meinen, dass das Röntgenbild allein schon genüge, alles
andere, Anamnese U9W. überflüssig mache. Die anderen halten den Wert
nur für klein. Die Röntgenuntersuchung muss genau sein, um ein ob¬
jektives Bild zu geben. Durch den Speisebrei wird der Spasmus all¬
mählich gehoben. Darum soll man in Abständen je ein Viertel des
Breies nacheinander geben und durchleuchten, beim vierten Viertel Kon¬
traktionen der Bauchdecken machen lassen, danach den Patienten auf
die rechte Seite drehen. Hierauf legt Schl, besonderen Wert. Erst wenn
die Durchleutung nicht zum Ziele führt, sollen Aufnahmen gemacht
werden in drei Richtungen: 1. dorso-ventral; 2. frontal; 3. in rechter
Seitenlage. Bei letzterer wird der Ausfluss aus der Pars pylorica deut¬
lich; es gelingt, den Unterschied zwischen maligner und benigner Stenose
zu erkennen. Es ist möglich, das Verfahren zu individualisieren und
abzukürzen.
Die Palpation ist bei Verwachsungen sehr zweckmässig; S. wendet
sie aber nicht mehr an, weil er Verbrennungen am eigenen Arm dabei
erlebte.
Ein Unterschied zwischen offenem und geheiltem Ulcus (beim
offenen: Pylorospa9mu9) ist nicht zu diagnostizieren. S. hat ihn fallen
lassen, da er bei frischen Ulcera das Gegenteil sah, andererseits Kon¬
trakturen auch nach der Heilung bestehen.
Für Ulcus duodeni ist die Antiperistaltik von Bedeutung, Steilheit
und Hypertonie des Magens, nach links gerichteter Pylorus.
Nach Untersuchung mehrerer Hundert Ulcera kommt S. zu folgenden
Resultaten:
1. Die Röntgenuntersuchung ist erst naoh Erledigung aller klinischen
Untersuchungen vorzunehmen.
2. Sie kann dann dazu dienen, eine zweifelhafte Diagnose sicher¬
zustellen.
Es ergeben sich 4 Gruppen von Symptomen:
1. Die typischen Symptome; deren Zahl ist grösser, als an¬
genommen wird.
2. Ein oder zwei atypische Symptome.
3. Völlig negativer Befund.
4. Zweifelhafte Symptome; zweifelhaft deshalb, weil sie nicht scharf
ausgeprägt sind, ferner weil die pathologischen Funktionen röntgenologisch
noch gar nicht klargestellt sind. (Demonstration.)
Diskussion.
Hr. Boas will nur einige wenige Gesichtspunkte hervorheben. Die
Aetiologie ist eine komplizierte, es ist kein einheitliches Moment an-
zuführon. Die Anwesenheit von Magensaft überhaupt, nioht von über¬
schüssigem, ist von Bedeutung. Bei Anacidität sind Ulcera selten, ob¬
wohl hierbei gerade die Magenwand leicht vulnerabel ist Die Ulcera
heilen schnell und symptomlos.
Auch für die Therapie ist der Gehalt an Säure von Wichtigkeit.
Wichtig sind ferner die okkulten Blutungen. Aus ihnen allein
kann man schon eine Diagnose stellen, wie Boas seit 12 Jahren
betont.
Die Therapie ist quoad Heilung des Ulous durchaus günstig. Es
verschwinden die Begleiterscheinungen. Nach Gastroenterostomie und
Resektion treten häufig Blutungen auf. Die Hypersekretion war bisher
keiner Therapie zugänglich. Hier hat die Therapie einzugreifen. Payr
hat hier an dieser Stelle vor einigen Jahren angegeben, dass die Be¬
handlung sich nioht in einer Operation erschöpfen köune, sondern dass
naohher eine Weiterbehandlung nötig sei. Die Operation ist indiziert
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UNIVERSUM OF IOWA
186
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
bei kompliziertem Ulcus. Beim Ulcus simplex ist die soziale Stellung
vor allem maassgebend. Die Operation ist dann am Platze, wenn der
Patient sich nicht den Luxus einer lange dauernden Diät leisten kann.
Hr. Bier: Eine Atonie tritt nach Operation eines Ulcus an der
kleinen Curvatur ein, nach Exstirpation des Ulcus. Wenn man ein
kleines Ulcus herausschneidet, weitet sich plötzlich die Oeffnung, so dass
man die Faust hindurcbstecken kann, weil man die ganzen Narben¬
kontrakturen mit fortgeschnitten hat. Bei Naht in Längsrichtung kommt
es dann zum Sanduhrmagen, in Querrichtung zum Beutelmagen. Der
Circulus vitiosus wird vermieden, wenn man eine ganz kurze Schlinge
des obersten Jejunum wählt, nicht etwa im Sinne der Isoperistaltik
dreht, eine breite Anastomose mit einer tiefen Stelle der hintern Magen¬
wand herstellt. Die Diagnose ist meist mit grosser Schärfe zu stellen.
Der Chirurg kann sich selbst am besten kontrollieren. Die Diagnose
muss vielseitig sein, auch die Röntgenstrahlen zu Hilfe nehmen. Eine
geschickte Anamnese führt oft schon zur Diagnose. Wichtig sind die
okkulten Blutungen nach Boas. Die Säurebestimmung ist zweifelhaft,
lässt oft im Stich.
Hr. Kraus: Die Frage der Pathogenesis der Ulcera hat schon viele
beschäftigt. Er hat sich selbst bei einer Anzahl von Versuchen davon
überzeugt, dass Herr Katzenstein wirklich Ulcera macht. Daran ist
kein Zweifel. Er glaubt aber nicht, dass Katzenstein eine allgemein
gültige Formel gefunden hat, vor allem nicht für menschliche Ulcera.
Wichtig sind die Untersuchungen von Payr und Aschoff, die das
mechanische Moment bei Entstehung der Ulcera betonen. Es steht
dahin, ob der Satz richtig ist, dass das Ulcus callosum als ein werdendes
Carcinom angelegt ist. Die innere Therapie leistet nach Katzen¬
stein nicht sehr viel. Demgegenüber muss gesagt werden: Was uns
Internen die Chirurgen zurückgeben, ist auch nicht allemal das, was wir
wünschen. Der Behauptung, die Leube’sche und die Lenhartz’sche Diät
taugen beide nichts, muss Redner widersprechen. Er urteilt vor allem
als Hospitalarzt. Im Hospital sind beide als zweckmässig erprobt, im
allgemeinen ist das Lenhartz’sche Schema vorzuziehen. Wenn beide die
Hyperacidität nicht herabsetzen, so wäre Kraus Herrn Katzenstein
dankbar, wenn er ihm eine sichere Methode angäbe, die dies bewirkte.
Für die Diagnose sind die okkulten Blutungen und die Röntgen¬
untersuchung wichtig. Das Lenhartz’sche Schema ist darum wertvoll,
weil Eiweiss das beste Bindungsmittel für die Säure ist. Es ist als gut
erprobt, die Patienten fühlen sich wohl dabei, das ist die Hauptsache.
Für die Behandlung nach den Blutungen gibt es kein Schema. Es ist
ein glücklicher Gedanke, den Magensaft herauszusuchen, der sich am
besten für den ganzen weiteren Succursus morbi eignet. Was die
chirurgische Therapie betrifft, so ist er sich mit den Chirurgen immer
einig gewesen; zu spät hat er sicher niemals einen Patienten dem Chir¬
urgen zugeschickt, eher zu früh. Es ist aber zu verlangen, dass die
Chirurgen uns die Kranken nachher zurückschicken zur weiteren Unter¬
suchung und Behandlung. Wenn Herr Bier die Säurebestimmung für
die Diagnose für wertlos erachtet, so ist zu erwidern, dass doch die
fortdauernde Untersuchung für die Beurteilung der ganzen Krank¬
heit von Wichtigkeit ist. In der Aetiologie spielt in letzter Zeit das
Trauma eine grosse Rolle. Bei traumatischer Läsion ist Insuffizienz des
Pylorus oft beobachtet, auoh durch Sektion bestätigt.
Hr. Sultan spricht zur Frühdiagnose des perforierten Magen¬
geschwürs. Diese kann bei genügender Anamnese sehr leicht sein,
bei benommenen Patienten mit ausgebreiteter Peritonitis sehr schwer.
Ein wichtiges klinisches Symptom ist die Gasansammlung zwischen Leber
und Zwerchfell, die, ausser dem Verschwinden der Leberdämpfung, auch
röntgenologisch nachgewiesen werden kann. Gasansammlung auch in
der linken Zwerchfellkuppe. Das Verschwinden der Leberdämpfung kann
durch Meteorismus vorgetäuscht werden, andererseits kann sie vorhanden
sein trotz Gasansammlung. Dabei ist der positive Röntgenbefund ver¬
wendbar. Demonstration von 2 Fällen (Röntgenbilder). Bei dem zweiten
Falle war Gasansammlung nicht nachweisbar, weder perkutorisch, noch
röntgenologisch. Die Sektion ergab, dass breite Verklebungen nach der
Leber zu die Gasansammlung verhinderten. Selbst geringe Gasmengen
sind im Röntgenbilde erkennbar, so in einem Falle, wo Ventrofixatio
üteri ausgeführt war, die dabei eingedrungene Luft konnte man unter
dem Zwerchfell nachweisen. (Demonstration.)
Hr. Federmann: Das Ulcus simplex geht nur bis zur Sub-
mucosa, bildet also eigentlich nur eine oberflächliche Erosion, die leicht
ausheilt. Es ist nicht Gegenstand der chirurgischen Behandlung, weil
dies unnötig und zwecklos ist. Das beweisen zwei seiner Fälle, die
keine Besserung post operationem zeigten. Die Blutungen blieben be¬
stehen. Das Ulcus callosum ist, im Gegensatz zum Ulcus simplex,
meist solitär; es ist interner Behandlung nicht zugänglich. Soll nur
Gastroenterostomie ausgeführt werden? Wichtig für diese Frage ist die
Kraus’sche Statistik, nach der von 12 so operierten Fällen 5 geheilt,
3 recidiviert, 4 gestorben sind. Es empfiehlt sich also dringend, den
Pylorusverschluss gleichzeitig vorzuoehmen. Operationstabelle von Feder¬
mann: Bei Ulcus pylori, des Fundus, duodeni, superficiale, Sanduhr¬
magen: 27 Gastroenterostomien, 16 mit, 11 ohne Pylorusverschluss,
8 Resektionen, 4 quere, 4 Pylorusresektionen. Nachuntersucht 25, davon
21 völlig geheilt; 12 von diesen zeigten Hyperacidität; 1 Fall gebessert,
2 ungeheilt, 1 Fall in Care, übergegangen. 2 Todesfälle = 5,7 pCt
Mortalität (1 nach drei Wochen an Parotitis, 1 Alterschwäche). Seine
Indikationen sind: Bei callösem Ulcus pylori, praepylorischem Ulcus:
Pylorusrcsektion ohne Gastroenterostomie. Bei Ulcus des Körpers und
Sanduhrmagen: quere Resektion oder Billroth. Bei narbiger Stenose des
Pylorus: Gastroenterostomie; wenn daneben ein Ulcus: Gastroenterostomie
und Pylorusverschluss.
Hr. Fuld: Für die Aetiologie ist die direkte Schädigung durch
die Nahrung nicht hoch anzuschlagen, da sie als dünner Speisebrei den
Pylorus verlässt. Demnach ist das chemische Verhalten von grösserer
Bedeutung. Zur Frage des Antipepsins ist zu sagen: Pepsin und Lab
gehen zusammen, also ist statt des Pepsins Lab zu setzen. Antilab
hat das Kaninchen nicht. Die jungen Tiere haben nur einen geringen
Antilabtiter. Anders beim Menschen. Nach Finkelstein u. a. ist
gerade das Ulcus duodeni bei Kindern recht häufig. Zur Therapie ist
Belladonna in grossen Dosen zu verwenden. Die Diät ist von
Wichtigkeit. Von internen Mitteln kommen in Frage: das Neutraion;
es gehört zu den Absorbentien, wirkt ähnlich wie Tierkohle; es bindet
Salzsäure. Antipepsin haben bereits die Engländer in Gestalt des Pferde¬
serums gegeben. Ein ähnliches Präparat hat Vortr. selbst angegeben,
das Amynin, das aus Schweineserum hergestellt wird.
Hr. Körte: Für die Frühdiagnose ist eins von nioht zu be¬
streitender Wichtigkeit, der Patient selbst, der eben nioht frühzeitig zum
Arzt mit seinen Beschwerden kommt, lange Zeit nicht behandelt wurde
und womöglich erst nach Perforation des Ulcus sich in Behandlung be¬
gibt. Nach Gastroenterostomie werden neue Ulcera beobachtet, auch
nach Resektion, ln einem Falle von Resektion konnte Vortr. nach
10 Jahren ein neues Ulcus pylori und starke Verengerung konstatieren.
Die Normaltherapie ist die Gastroenterostomie. Die Carcinom-
entwicklung bei Ulcus callosum ist doch relativ selten, wie Obduktionen
beweisen. Die Resektion ist weit gefährlicher. Auch der Pylorus¬
verschluss ist ein erheblicher Eingriff und nur bei Ulcus duodeni an¬
zuraten.
Hr. Schmieden: Seltener Sitz eines Ulcus ventriouli im
Fundus; Perforation ins Pankreas. (Demonstration.) Schm,
weist auf die Multiplizität der Ulcera hin. So kann bei der Operation
ein solches übersehen werden. Die Säurebestimmung ist in den
Fällen von Wichtigkeit, wo sich langsam ein Carcinom ans dem Ulcus
entwickelt. Hierbei gibt das Aufhören des Salzsäuregehaltes einen Hin¬
weis. Diese Entwicklung ist selten; nicht, wie behauptet wird, in 30 bis
40 pCt der Fälle. Bei gewaltiger Dilatation mit Salzsäuremangel ist
auf Carcinom zu schliessen. Die quere Resektion ist beim Sanduhr¬
magen und bei Ulcus der kleinen Curvatur dringend anzuraten. Die
Röntgenuntersuchung lässt bei Adhäsionen im Stich.
Hr. Cohnheim: Gegen Hyperacidität ist die Oe 1 kur empfohlen.
Er wendet sie oft an, nicht in so grossen Mengen als früher: dreimal
täglich je eine Stunde vor dem Essen einen Esslöffel Süssmandelöl in
100 g warmen Wassers.
Hr. Katzenstein: Schlusswort. Holler.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Gemeinsame Sitzung der medizinischen und der staats- und rechtswissen¬
schaftlichen Sektion vom 15. November 1912.
Vorsitzender: Herr Minkowski.
Schriftführer: Herr Rosenfeld.
Hr. Julias Wolf: Der Geburtenrückgang und seine Bekämpfung.
(Der Vortrag ist in Nr. 49 und 50, 1912, dieser Wochenschrift bereits
abgedruckt.)
Diskussion.
Hr. Küstner: Die Beobachtungen eines einzelnen müssen hinter
den umfänglichen statistischen Erhebungen, welche vom Herrn Vor¬
tragenden in seiner Monographie niedergelegt und in seinem Vortrage
dargestellt sind, zurücktreten. Nichtsdestoweniger sind sie vielleicht
nicht ganz bedeutungslos.
Obschon Hasse-Mensinga sein Okklusivpessar bereits vor Jahr¬
zehnten empfahl und diese Empfehlung in den breitesten Schichten mit
Interesse aufgenommen wurde, wurde damals im gynäkologisch-geburts¬
hilflichen Unterricht über neomalthusianistische Regungen kaum oder
überhaupt nicht gesprochen. Höchstens dass vielleicht die Aeusserung
Hegar’s dazu in Beziehung steht, dass es der Norm entspräche, wenn
eine Frau im zeugungsfähigen Alter, also zwischen dem 20. und 40. Lebens¬
jahre, unter Berücksichtigung der Zeit für Wochenbett und Stillgeschäft
etwa 8 Kinder gebären müsse; höchstens dass ich mich darauf besinne,
dass gewisse anticonceptionelle Gepflogenheiten den Nervenapparat von
Mann und Frau schädigen und mit Rücksicht darauf unterbleiben müssen.
Das hat sich geändert. Heute wird im gynäkologisch-geburtshilflichen
Unterricht gelegentlich über die Vermeidung von Conception gesprochen,
und das geschieht auch von mir, aber doch nur insofern, als wir heut¬
zutage mit Nachdruck betonen, dass für gewisse krankhafte Zustände
eine Schwangerschaft eine Steigerung, Verschlimmerung und mithin eine
Vergrösserung der Gefahr bedeutet. Das gilt in erster Linie für die
Tuberkulose. Wir halten uns für verpflichtet, darauf unsere Schüler
hinzuweisen und ihre Pflegebefohlenen unter genannten Verhältnissen
vor dem Zustandekommen von Schwangerschaft zu schützen zu versuchen.
Wir gehen noch weiter; wir erzwingen gelegentlich, wenn andere Mittel
erfolglos sind, die Zeugungsunfähigkeit der Frau duroh eingreifende
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UMIVERSITY OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
187
Operation. Andere Gelegenheiten gibt uns oder gab mir bisher unsere
Disziplin, neomalthusianistische Bestrebungen zu berühren, nicht. Eine
gelegentliche Bemerkung, wie ich sie erst heute morgen in der Klinik
maohte, wo eine Frau mit bereits unoperierbarem Magenkrebs, welche
bereits 8 lebende Kinder hat und jetzt mit lebensfähigen Drillingen
□iedergekommen war, indem ich sagte: »Und das in einer Zeit, in
welcher der Geburtenrückgang in Deutschland aller Kreise Interesse auf
das lebhafteste in Anspruch nimmt“, kann als belanglos gelten. Ich
kann sonach die Aeusserung des Herrn Vortragenden, nach welcher
aoticonceptionelle Bestrebung der stille Gast der gynäkologischen
Kliniken sei, auf meine Klinik und meinen Unterricht nicht beziehen.
In einem anderen, und das ist im Kernpunkte der Fragestellung,
pflichte ich dem Herrn Vortragenden unbedingt bei. Die Rationalisierung
des Sexuallebens ist es, was den Geburtenrückgang in erster Linie ver¬
schuldet, der Umstand, dass in vielen Ehen nicht mehr als eine be¬
stimmte Anzahl von Nachkommen gewünscht wird. Wenn ich auch in
Betracht ziehe, dass dem älteren Arzte darauf bezügliche Wünsche und
Aeusserungen häufiger zugehen als dem jüngeren, so glaube ich dennoch,
dass auch besonders aus privatärztlicher Tätigkeit die Zunahme anti-
eonceptioneller Verfahren ersiohtlich wird. Dass die marktschreierische
Anpreisung wirkungsvoller und auch indifferenter Mittel im gleichen
Sinne von Einfluss ist, bezweifle ich keinen Augenblick. Ob die straf¬
rechtliche Verfolgung derartiger Anpreisungen, wie sie in den Vereinigten
Staaten geplant ist, Erfolg verspricht, weiss ich nicht. Eine gewisse
Gruppe von Mitteln, die als anticonceptionell angepriesen werden,
würde schon naoh bestehendem Gesetz einer richterlichen Beurteilung
xogängig sein. Das sind alle diejenigen, welche in die Gebärmutter
selbst eingelegt werden. Sie alle verhindern im allgemeinen die Con-
ception Dicht. Es gehört eine beträchtliche Naivität dazu, anzunehmen,
dass z. B. die kleine, wenige Centimeter Durchmesser haltende Platte
eines sogenannten Steriletts die mehrhundertmillionenfache Möglichkeit
einer Conception verhindern könnte. Alle diese Mittel sind in viel
höherem Maasse Abortivmittel. Sie erzeugen Abort mit beträchtlicher
Sicherheit, nachdem eben eine Gravidität zustande gekommen ist. Wir
Aerzte haben, fühlen und erfüllen auch die Aufgabe, vor diesen Mitteln
auf das nachdrücklichste zu warnen. Denn nicht nur dass sie meist
Abort erzeugen, so veranlassen sie auch häufig Infektion, welche schwere,
ja lebensgefährliche Erkrankung der inneren Generationsorgane der Frau
zur Folge haben kann.
Der Herr Vortragende hat den statistischen Beweis geliefert, dass
in einer Population dem Fortsohreiten der Emanzipation von der Kirche
ein Rückgang der Geburtenzahl entspricht. Die Aufzeichnungen, welche
man in ärztlicher Tätigkeit zu machen pflegt, würde ich, soweit es sich
um solche eines einzelnen handelt, nicht für belangreich halten. Das
eine aber ist für uns, die wir vielfach auch von Kranken aus dem
russischen Reiche in Anspruch genommen werden, auffallend, dass eine
Bevölkerungsschicht, in welcher die Tenacität am Glauben der Väter
offensichtlich ist, von den Ideen der Beschränkung der Kinderzabl noch
völlig unberührt geblieben ist Das sind die orthodoxen russischen
Juden. Es ist nichts Seltenes, wenn eine Frau dieser Bevölkerungs-
gruppe, obwohl sie vielleicht 10 Kinder geboren hat, lediglich deshalb
konsultiert, weil sie einige Jahre lang nicht concipiert bat.
Hr. Partsch: Wenn ich mir erlaube, zu dem heutigen Vortrage
das Wort zu ergreifen, so geschieht es deshalb, weil ich als Vertreter
der schlesischen Aerztekammer die Verhandlungen der wissenschaft¬
liehen Deputation über den Gegenstand mitgemacht habe und mir aus
denselben .Tatsachen bekannt geworden sind, welche einigen Auf¬
fassungen des Herrn Vortragenden zu widersprechen scheinen.
Der Herr Vortragende stellte einen Gegensatz auf zwischen den
Gebieten, wo Centrumswähler vorhanden sind, und den sozialdemokratisch
wählenden Bezirken, indem er meinte, dass in ersteren die Verminderung
der Kinderzabl nicht so erheblich sei als in den letzteren. Bei dieser
Behauptung müsste doch in Rücksicht gezogen werden, dass die
katholische Richtung in allen Schichten der Bevölkerung vertreten ist,
während die sozialdemokratischen Wähler hauptsächlich in den Arbeiter¬
kreisen zu finden sind. Es könnte demgemäss die Anschauung Platz
greifen, dass gerade in den Arbeiterkreisen die Beschränkung der Kinder¬
zahl eine besonders hohe ist. Eine umfangreiche Statistik darüber, wie
sich auf die einzelnen Gesellschaftsschichten die Verminderung der
Kinderzahl verteilt, besteht noch nicht. Sie ist nur vorliegend für eine
Stadt, und zwar für Halle a. S. Dort sind statistische Erhebungen über
die Geburtenzahl unter Berücksichtigung der Stellung des Vaters im
Beruf angestellt worden; es ergab sich, dass 1909 und 1910 die Zahl
der Geburten in Familien von Selbständigen 17,2 und 17,8pCt., bei An¬
gestellten 15 und 14,9 pCt., bei Arbeitern 38,9 und 37,6 pCt. war, das
würde gegen die Annahme spreohen, dass in Arbeiterkreisen die gewollte
Beschränkung der Kinderzahl stärker sei als in den wirtschaftlich besser¬
gestellten Schichten der Gesellschaft.
Zu der Frage der Wege, auf denen man dem beklagenswerten Uebel-
stande der Verminderung der Geburtenzahl am besten begegnen könnte,
möchte ich bemerken, dass der deutsche Aerztetag es gewesen ist, der
seit vielen Jahren auf die geradezu schamlose Reklame in der An¬
kündigung anticoDceptioneller und abtreibender Mittel hingewiesen hat
und auf die schweren Schädigungen, die gerade auf diesem Gebiete dem
Voikswohl aus der Tätigkeit der Kurpfuscher erwachsen. Durch die
Sammlung eines die Ausdehnung dieser Reklame in erschreckender
Weise beleuchtenden Materials, durch Veranstaltung von Ausstellungen
dieses Materials hat der Aerztestand auf eine Einschränkung des Krebs¬
schadens unausgesetzt hingewiesen und sie gefordert. Lebhaft zu be¬
klagen bleibt, dass der im vorigen Jahre dem Reichstag vorgelegte Ent¬
wurf eines Gesetzes, betreffend die Ausübung der Heilkunde durch nicht-
approbierte Personen und den Geheimmittelverkebr, der in seinem § 7
die Ankündigung und Anpreisung von Mitteln und Gegenständen, die
Verfahren, die zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Geschlechts¬
krankheiten, zur Behebung geschlechtlicher Schwäche oder zur Hervor-
rufung geschlechtlicher Erregung, sowie zur Verhütung der Empfängnis
oder zur Beseitigung der Schwangerschaft dienen sollen, mit Gefängnis
bis zu 6 Monaten und mit Geldstrafe bis zu 1500 M. bedroht, im
Deutschen Reichstag eine Behandlung erfahren hat, die einerseits die
mangelnde Kenntnis der grossen Schäden, die das Kurpfuschertum am
Volkswohl anrichtet, verriet und andererseits die Hoffnung nicht auf-
kommen lässt, dass dieser Entwurf bald Gesetz werden wird.
Es lässt sich darüber streiten, ob ein Verbot der Ankündigung
conceptionsverhindernder Mittel und Verfahren eine durchgreifende
Wirkung haben würde, aber darüber kann kein Zweifel sein, dass mit
dem Verschwinden der verblümten und unverblümten Anzeigen schon
dadurch viel genutzt werde, dass nicht immer die breite Oeffentlichkeit
auf diese Dinge dauernd hingewiesen und gleichsam ihr Gebrauch als
eine allgemein geübte Sitte hingestellt würde.
Ein Verschwinden dieser Reklame ist im Interesse unseres Volks¬
lebens dringend wünschenswert. Schon seit langem auf die aus ihr er¬
wachsenden Schäden aufmerksam gemacht zu haben, bleibt ein Verdienst
des Aerztestandes.
Hr. M. Chotzen: Der vorgerückten Stunde wegen will ich heute
nur auf den einen vom Herrn Vortragenden erwähnten Punkt eingehen,
wonach er die Zunahme der Geschlechtskrankheiten als erwiesen an¬
nimmt. Diese Annahme halte ich nicht für richtig. Ueber die Häufigkeit
der Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung gibt es nur eine
Feststellung, die auf Ersuchen des preussischen Kultusministers am
30. April 1900 von den Aerzten vorgenommen wurde. Die bei dieser
Momentaufnahme gewonnenen Ziffern haben aber bisher noch keine
Wiederholung gefunden, d. h. die Medizinalabteilung hat sich seit 1900
noch nicht entschlossen, eine erneute Feststellung der Verbreitung der
Geschlechtskrankheiten vornehmen zu lassen. Nach dieser Richtung
fehlt also die Unterlage für die Annahme einer Vermehrung der Ge¬
schlechtskranken.
Anders liegt es bei der Armee und Marine. Hier besteht seit
ca. 1880 eine dauernd fortgeführte Statistik. Diese ergibt, dass die
Geschlechtskranken ganz wesentlich abgenommen haben und im letzten
Jahrzehnt sich auf einer verhältntsmässig niedrigen Stufe halten. Dieser
Befund gestattet aber auch einer! Rückschluss auf die Häufigkeit der
Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung. Es ist einwandsfrei er¬
wiesen, dass die in der Armee während der Dienstzeit erworbenen
venerischen Erkrankungen weniger auf frische Infektionen zurückzuführen
sind, sondern dass sie in überwiegender Menge von den Rekruten vor
Eintritt in die Armee erworben werden, also noch aus dem Zivilleben
stammen. Aus dem Sinken oder Stehenbleiben der Geschlechtskrank¬
heiten in der Armee ist also auf ein Sinken oder Stehenbleiben der
Geschlechtskrankheiten in der Zivilbevölkerung zu schliessen. Diese
Schlussfolgerung findet ihre Bestätigung in den Statistiken der Kranken¬
kassen, wonach auch bei solchen ein Stillstehen oder geringes Hin- und
Herschwanken der Gescblechtskrankenziffer festzustellen ist, aber durch¬
aus nicht eine Zunahme.
Aber ganz abgesehen davon, ob eine Zunahme, ein Stillstehen oder
ein Sinken der venerischen Erkrankungen angenommen wird, ist es nur
sehr fraglich, ob den Geschlechtskrankheiten für den Rückgang der
Geburten die Bedeutung beizumessen ist, die der Herr Vortragende
annimmt. Meinem Ermessen nach ist die Geburtenabnahme weit weniger
eine gesundheitliche als eine wirtschaftliche Folge.
Hr. S. Wolffberg hält ebenfalls den für die neuere Zeit fest¬
gestellten Geburtenrückgang für bedrohlich. Um aber diesen Rückgang
quantitativ zu bewerten, erscheine es in wissenschaftlicher Betrachtung
noch zweifelhaft, ob man berechtigt sei, die neueren Geburtenzahlen
mit denen des Jahrzehnts 1871/1880 zu vergleichen. Die Geburtsziffer
haben in den 70er Jahren eine ganz besondere Höhe erreicht, wodurch
sie aus dem Rahmen der Geburtenzahlen hervortrete. Dies gelte ebenso
für das Deutsche Reich wie für einzelne grosse deutsche Städte, z. B.
Breslau. In Breslau waren von 1821 ab bis 1870 die Geburtsziffern im
allgemeinen nicht höher als nach 1880 bis gegen Ende des Jahrhunderts.
Redner verweilt kurz bei den vermutlichen Ursachen des Geburten¬
anstiegs in den siebziger Jahren und hebt insbesondere die ungewöhn¬
liche Zahl von Eheschliessungen hervor, die in Breslau (ebenso auch in
Berlin) von 1872 ab bis einschliesslich 1877 stattfanden. Diese Zahl
von Eheschliessungen ist in Breslau in keinem folgenden Jahre auch nur
annähernd erreicht worden. Man kann hier zu den von dem Herrn
Vortragenden sogenannten »organischen“ und »physiologischen“ Ursachen
des Geburtenrückganges eine »autonome“ Regulierung der Geburten¬
zahlen hinzufügen, die lediglich durch die Ereiguisse in der Bevölke¬
rungsbewegung ohne krankhafte Einflüsse und unabhängig von der
willkürlichen Beschränkung der Geburtenzahl — hervorgerufen wird.
Diese ursächliche Betrachtung dient für Breslau wesentlich zur Be¬
ruhigung, da der Geburtenrückgang gegenüber früheren Zeiten viel
geringer ist, als wenn die siebziger Jahre zum Vergleiche benutzt
werden, und — wenigstens in Breslau — nach den vorliegenden Zahlen
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UNIVERSUM OF IOWA
188
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
erst seit kaum 20 Jahren, erheblicher aber erst in diesem Jahrhundert
zur Beobachtung kommt.
Im übrigen aber teilt Redner die Befürchtungen des Vortragenden,
dass die gewollte Einschränkung der Kinderzahl weiterhin dem Vater¬
lande zum Schaden gereichen müsse. Man müsse offen aussprechen,
•dass gerade in den gebildeteren Kreisen das Zweikindersystem seit
längerer Zeit viel verbreitet sei; erst in neuerer Zeit gewinne die ge¬
wollte Beschränkung auch in der ärmeren Bevölkerung an Boden. Den
Präventiv verkehr hält Redner für schädlich und unsittlich. Grossen
Schaden hätten gewisse Erzeugnisse der „naturheilkundlichen“ Literatur
gestiftet wie das so überaus verbreitete Buch von Bilz. Besonders aber
wirkten neuerdings die zahllosen Zeitungsankündigungen von „Rat
und Hilfe, die öffentlichen Ausstellungen von Schutzmitteln und
„hygienischen Artikeln“, die gelegentlich geradezu als Abtreibemittel zu
bezeichnen wären, schädlich. Redner glaubt, dass gegen diese Aus¬
wüchse behördliche Maassnahmen notwendig und möglich sind.
Hr. Oettinger erinnert an die bekannte Forderung der Statistik,
Geburtenziffern nicht in Prozenten der Gesamtbevölkerung anzugeben,
sondern sie auf die Zahl der gebärfäbigen Frauen zu beziehen. Wenn
diese 'Forderung auch für die Geburtenzahlen ganz Deutschlands ohne
Belang sein dürfte, so kann sie geradezu entscheidende Bedeutung haben,
wenn man einen bestimmten, engumschriebenen Bezirk herausgreift.
Wenn also in Schöneberg die Geburtenzahl in den letzten 40 Jahren
von 500 bis auf 140 (auf 10 000 Einwohner) zurückgegangen ist, so
drückt sich darin wohl die Tatsache aus, dass der Zuzug von aussen,
der die Entwicklung Schönebergs aus einer kleinen Dorfgemeinde zur
Grossstadt bewirkte, eine ganz andere Alterszusammensetzung hatte, als
die ursprüngliche Bevölkerung. Diese Zahlen aber mit Herrn Wolf dahin
zu interpretieren, dass Schöneberg einen Geburtenrückgang um 75 pCt. er¬
fahren habe, ist kaum zulässig; und ebenso unberechtigt ist es, die
Geburtenziffern dieser oder irgendeiner anderen deutschen Gemeinde mit
irgendeinem französischen Departement von gleichfalls unbekannter Zu¬
sammensetzung zu vergleichen. Aus diesem Vergleich noch den Schluss
zu ziehen, dass die Entwicklung in Deutschland sich nicht nur den
französischen Zuständen näherte, sondern sie teilweise bereits erreicht
oder sie übertroffen hätte, entbehrt mithin gleichfalls der sicheren Be¬
gründung. Dagegen wendet Herr Wolf allerdings ein, auch an mehreren
Stellen seines Buches, dass die Alterszusammensetzung der Bevölkerung
sich gerade im entgegengesetzten Sinne geändert habe. Der Rückgang
der Mortalität sei in den fortpflanzungsfähigen Altersstufen viel stärker
gewesen als in den nichtfortpflanzungsfähigen, und daraus sei zu folgern,
dass sich der Anteil der Fortpflanzungsfähigen an der Gesamtbevölkerung
gegen früher vergrössert habe. Der Rückgang der Geburtenzahl sei
daher in Wirklichkeit noch grösser als er in der Statistik erscheint.
Aber ganz abgesehen davon, dass das für einzelne Gebietsteile oder
Gemeinden gar nicht in Betracht kommt, beruht diese Behauptung auf
einem statistischen Trugschluss. Da sie anscheinend in der Literatur
bisher ohne Widerspruch geblieben ist, sei das hier kurz dargelegt.
Richtig ist, dass die Mortalität der fortpflanzungsfähigen Altersstufen in
viel höherem Maasse zurückgegangen ist als die der Nichtfortpflanzungs¬
fähigen. Daraus folgt aber durchaus nicht, dass sich das Mischungsver¬
hältnis zugunsten der ersteren verschoben hätte. Wenn z. B. die Mortalität
der Fortpflanzungsfähigen im Jahre 1895 6 pM. betrug und bis 1900
um lOpCt. zurückging, so bewirkte dieser Rückgang einen jährlichen
Zuwachs von 6 auf 10 000 Fortpflanzungsfähige. Die Mortalität der
Nichtfortpflanzungsfähigen verringerte sich nun zwar im gleichen Zeit¬
raum in viel geringerem Maasse, etwa um 4pCt. Da sie aber vorher
viel grösser war, etwa 40 pM. jährlich, so bewirkte die prozentual ge¬
ringere Abnahme einen viel grösseren Zuwachs, etwa von 16 auf
10 000 Nichtfortpflanzungsfähige. Es muss also — wie auch vorher
das Mischungsverhältnis zwischen Fortpflanzungsfähigen und Nichtfort¬
pflanzungsfähigen war — der Anteil der letzteren gestiegen sein. Im
übrigen sind die statistischen Nachweise — wenigstens so weit sie von
Herrn Wolf benutzt sind — entschieden korrekturbedürftig. In diesen
kommt nämlich der behauptete kontinuierliche, seit 40 Jahren fort¬
schreitende Geburtenrückgang gar nicht zum Ausdruck. Denn die
deutschen Geburtenzahlen, die auf Seite 2 des Wölfischen Buches für
die Jahrfünfte 1871—75 und 1891—95 angegeben sind, sind wesentlich
kleiner, als die auf Seite 3 mitgeteilten deutschen Geburtenzahlen der
Jahrzehnte 1871—80 und 1891—1900. Danach müsste jedesmal in der
zweiten Hälfte des Jahrzehnts eine starke Vermehrung der Geburten ein¬
getreten sein. Aber eine weitere Tabelle, in der die Zahlen für die
einzelnen Jahre mitgeteilt sind, zeigt davon nichts und ergibt sowohl
für die Jabrfünfto, als auch für die Jahrzehnte ganz andere Durchschnitts¬
zahlen als die erst erwähnten Tabellen.
Aber noch nach einer anderen Richtung scheint die Statistik einer
Erweiterung zu bedürfen. Dass die Tatsache des Geburtenrückgangs
eine so verschiedene Beurteilung erfährt, von den einen als verderblich,
von den anderen als segensreich bezeichnet wird, beruht offenbar darauf,
dass er sich aus zwei ganz verschiedenen Vorgängen zusammensetzt, die
ganz verschiedene Bewertung verdienen. Zum Teil beruht er zweifellos
darauf, dass das Zwei-Kinder- und Ein-Kind-System nicht mehr auf die
Kreise der Gebildeten und Wohlhabenden beschränkt bleibt, sondern in
immer weiteren Kreisen zur Herrschaft gelangt; zum Teil dürfte es aber
auch darauf beruhen, dass die Ehen mit besonders grosser Fruchtbarkeit,
mit exzessiv hohen Geburtenzahlen seltener werden. Während der erste
Vorgang allgemein mit schwerer Sorge erfüllen dürfte, muss der zweite
als ausserordentlich zweckmässig und günstig bezeichnet werden. Wir
sehen darin nichts anderes als den Versuch, Energie zu sparen, den
grössten möglichen Effekt mit dem geringsten möglichen Aufwand zu
erzielen. Eine richtige Bewertung des Geburtenrückgangs wird erst dann
möglich sein, wenn statistisch festgestellt wird, wie weit jeder dieser
beiden Vorgänge daran beteiligt ist.
Der Rückgang der Säuglingssterblichkeit scheint von Herrn Wolf
in seiner Bedeutung etwas unterschätzt zu werden. Würden alle Kinder
gerettet werden, die bei vollster Lebensfähigkeit vermeidbaren Schädlich¬
keiten erliegen, so würde der dadurch erzielte Gewinn etwa l /s bis 2 / 5
des gesamten Geburtenrückgangs der letzten 40 Jahre ausgteichen.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zn Stettin.
Sitzung vom 5. November 1912.
Vorsitzender: Herr Haeckel.
Schriftführer: Herr Richter.
Hr. Gehrke: a) In den 4 Wochen vom 6. Oktober bis zum 2. No¬
vember v. Js. — 41. bis 44. Jahreswoche — sind in Stettin sanitäts¬
polizeilich gemeldet worden:
219 (176) Fälle von übertragbaren Krankheiten und zwar:
G.-A.i)
Pol.-Präs. 2 )
1912 | 1911
62
83
120
Fälle von Diphtherie
97
127
1 31
„ „ Scharlach
1
6
19
„ „ Typhus
2
2
6
„ „ Kindbettfieber
1
1 1
—
„ „ Kinderlähmung
11
15
25
Todesfälle an Tuberkulose
b) Statistische Erhebugen über die Verbreitnng der Geeehlechta-
krankheiten.
Ueber die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten, ihre Verbreitung
in den einzelnen Alters- und Berufsklassen sind wir bisher nur sehr
mangelhaft unterrichtet. Das Gesetz, betreffend die Bekämpfung der
übertragbaren Krankheiten, hat aus sehr begreiflichen Gründen die
Meldepflicht für diese Krankheiten nicht gebraoht. So sind wir denn
bisher nur auf die Zahlen des Jahres 1900 angewiesen, die in Preussen
dadurch gewonnen sind, dass die Aerzte über die Zahl der an einem
bestimmten Tage in ihrer Behandlung befindlichen Geschlechtskranken
befragt wurden. Diese Statistik hat ihre sehr grossen Mängel gehabt.
Eine für das Jahr 1912 beabsichtigte erneute allgemeine Erhebung ist
nicht zur Ausführung gelangt.
Um wenigstens für die Grossstädte einigermassen richtige Zahlen zu
erlangen, hatte die Vereinigung der statistischen Aemter deutscher
Grossstädte beschlossen, eine solche Erhebung zu veranstalten. Die Er¬
hebung soll im März 1913 stattfinden. Da solche Erhebungen nur
einen Erfolg versprechen, wenn die Aerztoschaft der Sache ihr volles
Interesse entgegen bringt, ist es notwendig, die bestehenden Aerzte-
vereinigungen für die Frage zu gewinnen.
c) Forderung des Selbststilleis durch Anwendung einer lenen Milch-
pnnpe.
In der Säuglingsfürsorge hat sich häufiger die Notwendigkeit er¬
geben, Müttern, die glauben, nicht stillen zu können, da sie keine
Nahrung hätten, den Beweis zu führen, dass sie doch genügend Nahrung
haben. Die im Handel vorhandenen Milcbpumpen, die, soweit erhältlich,
demonstriert werden, waren dazu nicht geeignet. Vortragender hat sich
daher selbst eine Milcbpumpe konstruiert, die sich vorzüglich bewährt
hat, zuletzt auch in einem Falle, wo ein mit doppelseitiger Hasenscharte
und Gaumenspalte geborenes Kind, das absolut unfähig war, zu saugen,
bis fast zum 7. Monat durch die mit der Milcbpumpe gewonnene
Muttermilch ernährt wurde. Im Anfang wurde noch ein kräftiger Säug¬
ling mit angelegt, das erwies sich später als unnötig; die in drei,
später zwei Sitzungen aus beiden Brüsten gewonnene Milchmenge betrug
bis über ein Liter.
Die Milchpumpe besteht aus einem birnenförmigen Hohlkörper, der
graduiert ist, und ca. 70 ccm fasst. Am spitzen Teil der Birne setzen
in einem stumpfen Winkel an: das Ansatzstück, das auf die Brustwarze
gesetzt wird, gegenüber ein Ansatzrohr, an dem ein kräftiger Gummiball
angebracht ist. Am stumpfen Ende der Birne ein Glasstutzen, der für
gewöhnlich durch Gummischlauch und Quetschhahn verschlossen ist und
zum Abfliessenlassen der Milch dient 8 ).
Glasbläser Greiner-Stettin, Paradeplatz, liefert die sehr kräftig ge¬
arbeitete Milchpumpe zum Preise von 6 M.
1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschriftlich
mitgeteilten Anzeigen.
2) Zusammengestellt auf Grund der Wochennaohweise des Königl.
Polizei- Präsidiums.
3) Im hiesigen Säuglings- und Mütterheim (Dr. Freund) hat sich
der Milcbpumpe inzwischen vorzüglich bewährt.
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
189
Diskussion.
Hr. Richter macht darauf aufmerksam, dass durch unzweckmässige
Anwendung (zu starkes Ansaugen der Warzen) der Milchpumpen öfter
so erhebliche Einrisse in zarte Warzen erfolgen, dass dadurch ein
weiteres Nähren unmöglich wird. Ferner weist er darauf hin, dass die
im Handel erhältlichen Saugpfropfen für Milobflaschen nicht nur durch
die zu grossen Löcher, sondern auch durch viel zu grosse Länge den
physiologischen Bedingugen nicht entsprechen.
Hr. Freund jun. rät, das Absetzen des Säuglings und die An¬
wendung der Milchpumpe nur im Notfälle vorzunehmen, um ein Ver¬
siegen der Brust zu vermeiden.
Hr. Bo eck jun. bemerkt, dass die vom Vortragenden besonders ge¬
lobte Milchpumpe nicht neu sei, sondern schon 1909 von Jaschke in
Wien angegeben und empfohlen sei. Nur mit dem Unterschiede, dass
dieser statt des Gummiballs eine gewöhnliche Strauss’sche Luftpumpe
mit einem besonders konstruierten Kugelventile verwandt habe, um das
störende öftere Abnehmen der Milchpumpe, welches zum längeren
Funktionieren nötig sei, zu vermeiden. Für besser hält er aber ein
Modell, welches von Scherbak in Brünn angegeben sei, und zwar aus
dem Grunde, weil das Kind direkt aus dieser Milchpumpe trinken kann;
aber auch hier soll statt des Gummiballs eine Luftpumpe mit Ventil
benutzt werden.
Zu dem Gummihütchen „Infantibus“ bemerkt er, dass er einmal
bei nur einer kleinen Fissur an der Warze das Stillen nicht habe durch¬
führen lassen können, da die Schmerzen mindestens ebenso gross waren
wie beim Anlegen direkt. Nach Erkundigung soll dies an der Hebammen¬
lehranstalt ähnlich gewesen sein, weshalb man von dem Brusthütchen
dort Abstand genommen habe.
Hr. Schwarzwäller macht darauf aufmerksam, dass man bei
Milchpumpen, bei denen mit dem Münde die Milch angesogen wird, das
EinÜiessen von Speichel in die Milch verhindern müsse, und beschreibt
ein in seiner Klinik übliches Modell, bei dem dies verhindert wird.
Hr. Kalb demonstriert drei Fälle von Fremdkörpern im Magen¬
darmkanal. Er erwähnt zunächst die Möglichkeit der Entstehung von
Fremdkörpern im Darmkanal selbst (Magensteine, Kotsteine) oder in
dessen Umgebung (Gallensteine) und weist auch hin auf die Möglichkeit
des Durchwanderns von intraperitonealen Fremdkörpern, z. B. zurück¬
gelassenen Tupfer in den Darmkanal. Sodann wird die wichtigste
Gruppe von Fremdkörpern besprochen, soweit sie per os oder per rectum
in den Darm gelangen, die Einteilung derselben nach ihrer Form und
Grösse in bezug auf ihre Gefährlichkeit erwähnt und die Prädilektions¬
stellen der Einklemmung, sowie die Indikationen zu chirurgischen Ein¬
griffen besprochen. Mitteilung der Krankengeschichten, Demonstration
von Röntgenbildern und Fremdkörpern, welche in zwei Fällen durch
Enterostomie mit Erfolg entfernt worden waren.
Hr. Gehrke: In den 4 Wochen vom 3. November bis zum 30. No¬
vember d. Js. — 45. bis 48. Jahreswoche — sind in Stettin sanitäts¬
polizeilich gemeldet worden.
170 (194) Fälle von übertragbaren Krankheiten und zwar:
G.-A.i)
Pol.-Präs. 1 2 )
1912
1911
54
61
101
Fälle von Diphtherie
95
107
79
„ „ Scharlach
1
1
10
„ „ Typhus
1
1
3
„ „ Kindbettfieber
—
—
1
„ „ Körnerkrankheit
20
22
24
Todesfälle an Tuberkulose
Natnrhistorisch-medizinischer Verein za Heidelberg.
Sitzung vom 10. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Bett mann.
Schriftführer: Herr Fi sch ler.
Demonstrationsabend der chirurgischen Klinik.
1. Hr. Krall:
a) Lnigei- iad Zwerehfellstieh. b) Stremitis substernalis. Spaltung
des Manabrinm sterni.
Es ist verhältnismässig selten, dass bei intrathoracalen Operationen
ein Unter- oder Ueberdruckapparat unbedingt nötig ist. Doch gibt es
eine Reihe von Fällen, bei denen die Verwendung des Druckdifferenz¬
verfahrens für den Patienten von grossem Nutzen ist, z. B. zur Auf¬
blähung der Lunge nach der eigentlichen Operation zwecks Vermeidung
des Pneumothorax, der eine Infektion begünstigt. Ausserdem werden
durch Aufblähen der collabierten Lunge nach der Operation die Ge¬
fahren der etwaigen Pneumonie der intakten Lunge vermindert. Auch
1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen abschriftlich
mitgeteilten Anzeigen.
2) Zusammengestellt auf Grund der Wochennacbweise des Königl.
Polizei- Präsidiums.
können bei Anwendung des Ueberdruckapparates erstickende Personen
so lange am Leben erhalten werden, bis das Atemhindernis beseitig ist,
wie es bei einem der vorgestellten Patienten der Fall war.
Vortr. bespricht den Unterdruckapparat von Sauerbruoh, die
Ueberdruckapparate von Engelken, Brauer und Tiegel und den der
Drägerwerke und beleuchtet die Vor- und Nachteile jedes dieser
Apparate. Besonderen Vorteil scheint ihm der Apparat der Drägerwerke
zu bieten, der zugleich eine Vorrichtung für künstliche Atmung besitzt.
Es wird im Anschluss daran ein Lungen- und Zwergfellstich demoustiert,
bei dem die Blähung der Lunge vor Schluss der Brusthöhle den Vorteil
brachte, dass trotz der Infektion nur ein partielles Empyem zustande
kam. Die Lunge hat sich nach Beendigung der Eiterung gut ausgedehnt.
Bei dem zweiten Fall bestand infolge eines von der Schilddrüse aus¬
gehenden Tumors grosse Erstickungsgefahr, doch gelang es, die Pat. durch
den Sauerstoffüberdruck so lange am Leben zu erhalten, bis die Atmung
durch Sternumspaltung wieder frei geworden war. Die direkt an¬
schliessende, schwere Eiterung sowie das klinische Bild lassen eine
Strumitis substernalis wahrscheinlicher erscheinen, als eine Struma
maligna substernalis. Die Exstirpation des Tumors war technisch wegen
Verwachsungen und des Zustandes unmöglich.
2. Hr. Neonaan bespricht das Prinzip des Ueberdruckapparates und
im Anschluss daran den Dräger’schen Kombiaationsapparat. Die Kom¬
bination von Sauerstoff- und Luftzufuhr durch einen einzigen Mechanismus
erscheint ihm besonders günstig. Er selbst hat eine Vorrichtung an¬
bringen lassen, durch die die Luftzufuhr bei Arbeiten im Lungencollaps,
bei dem reiner Sauerstoff nötig ist, in beliebiger Menge variiert bzw.
ganz abgestellt werden kann.
Diskussion.
Hr. Cohn heim fragt an, ob das Meltzer’sehe Insufflationsverfabren
beim Menschen angewendet worden sei, das bei Tieroperationen so gute
Dienste leistet.
Hr. Wilms glaubt, dass die Insufflation grössere Gefahren bringe
als die Anwendung des so bequemen Dräger’schen Apparates. Derselbe
hat’ gegenüber den grösseren Ueberdruckkammern unbedingt den Vor¬
zug, da man die Lage des Patienten bei etwa eintretender Störung noch
ändern kann. Die Behinderung bei Anwendung der grösseren Kammern
ist für den Operateur sehr störend.
3. Hr. Willis: a) Hyperästbetisehe Zonen bei Sehnss Verletzung
des Gehirns.
Vortr. führt das Auftreten hyperästhetischer Zonen auf Verletzung
des Sympathicus zurück. Die Ausbreitung der Zonen entspricht nicht
dem Ausbreitungsgebiet einzelner Nervenäste, sondern hat einen seg-
mentalen Charakter (Demonstration).
b) Pat. mit Stenose des Oesophagus, deren benigne Natur durch
digitale Palpation von einer Gastrotomie aus festgestellt werden konnte.
Vortr. hat diese digitale Untersuchung, bei der der Finger in die Gastro-
tomieöffoung eingebunden wird, besonders auch für die Entfernung von
Fremdkörpern am unteren Oesophagus empfohlen.
c) Pat. mit Knochentransplantation: Ersatz des oberen Humerus-
drittels durch das obere Drittel der Fibula nach Entfernung eines Riesen¬
zellensarkoms des Numerus.
d) Pat. mit Knochentransplantation: Ersatz des mittleren Drittels
beider Vorderarmknochen wegen Spindelzellensarkoms durch zwei Stücke
der Fibula. In beiden Fällen heilten die transplantierten Stücke ein.
Konsolidation ist in letztem Falle noch nicht eingetreten.
e) Pat. mit Palliativtrepanation bei Tumor cerebri unbekannten
Sitzes. Besserung der Stauungspapillen, Verschwinden aller subjektiven
Beschwerden, Arbeitsfähigkeit (2 Fälle).
f) Kind mit Blaeenektopie, bei dem die Einpflanzung der Ureteren
in den Mastdarm gemacht wurde, da die Operation der Blasenektopie
nach Trendelenburg wegen Mangels des Sphincter vesicae nicht mehr
möglich war (2 Operationen waren vorher auswärts gemacht worden).
Für die häufigere Anwendung der Trendelenburg’schen Operation spricht
die Tatsache, dass die guten Erfolge der übrigen Methode keine Dauer¬
erfolge sind, denn die Pyelitis hat doch meist nach wenigen Jahren den
Exitus der Kinder bedingt. Im allgemeinen plädiert Vortr. für die ideale
Methode der Blasenektomie nach Trendelenburg. Die Beckendurch-
trennung ist nicht schwierig, man verwendet zur Kompression des Beckens
in der Nachbehandlung den schon früher vom Vortr. angegebenen Kom¬
pression sapparat, bei dem ein Decubitus ausgeschlossen und die Heilung
wesentlich vereinfacht ist.
g) Pat. mit Ischaria paradox» bei Prostataatrophie wahrscheinlich
kongenitalen Ursprungs, wobei das Hauptgewicht der Störung weniger
auf die Atrophie als vielmehr auf den spastischen Zustand der Prostata
gelegt werden muss. Partielle Entfernung der Prostata.
h) Totalexstirpation der Blase wegen Carcinou bei einem Anilin¬
arbeiter auf pararectalem Wege mit Voelcker’scbem Schnitt. Es gelang,
die Blase mit Prostata extraperitoneal auszuschälen. Die Ureteren
müssen noch in einer zweiten Sitzung in den Lendengegenden her¬
ausgeleitet werden. Die erste Operation wurde sehr gut überstanden.
Diskussion. Hr. Voelcker: Wenn ein Ueberdruckapparat nicht
zur Verfügung steht, zieht man bei Lungenverletzungen am besten die
verletzte Lunge vor und näht sie in die Wunde ein, wodurch das
Mediastinalflattern bekämpft und die Tamponade der Lungenwunde
ermöglicht wird. V. hat dieses Verfahren in drei Fällen zweimal mit
gutem Erfolg angewandt. — V. hat auf pararectalem Wege ebenfalls Blasen¬
resektionen ausgeführt. In anderen Fällen ist er auf ventralem Wege
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UMIVERSITY OF IOWA
190 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ Nr. 4.
vorgegangen und hat Totalexstirpationen der Blase ausgeführt, nachdem
er die Blase zunächst durch Herabnähen des Peritoneus gegen den
Douglas aus der Peritonealhöhle ausgeschaltet hatte. Bei Anilintumoren
hat er auch auf unblutigem Wege durch Aetzung Erfolge erzielen können.
Papillome empfiehlt er auf endovesikalem Wege mit der Schlinge ab¬
zutragen. Kolb-Heidelberg.
Göttinger medizinische Gesellschaft.
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
Hr. Lichtwitz:
Entstehnng von Niederschlägen nnd Concrementen im Harn nnd in
den Harn wegen.
Der Harn stellt eine übersättigte Lösung der als Steinbildner in
Betracht kommenden Stoffe (Harnsäure, oxalsaurem Kalk, phosphorsaurera
Kalk) dar. Die Löslichkeit dieser Stoffe wird von der Reaktion des
Harns beeinflusst, jedoch ist letztere, wie Vortr. an verschiedenen Bei¬
spielen zeigt, nicht allein maassgebend für das Auftreten dieser Stoffe
als Sedimente im Ham (Demonstration von Mikrophotogrammen). Der
Grund für die Entstehung eines Sediments liegt vielmehr in einer all¬
gemeineren physikalisch-chemischen Veränderung des Harns, welche die
kolloidalen Stoffe des Harns betrifft. Ein Sediment entsteht durch eine
Verschlechterung des Lösungszustandes der Schutzkolloide, wodurch der
Harn einer wässrigen Lösung ähnlicher wird.
Vortr. spricht sodann über die Beschaffenheit des Harns bei den
sogenannten steinbildenden Diathesen. Bei der Phosphaturie besteht
eine Steigerung der Kalkausscheidung in der Niere und eine Ver¬
minderung derselben durch den Darm. Er sieht in der Phosphaturie
eine Sekretionsneurose der Niere (Minkowski), d. h. eine Störung in
der Ausscheidung der Wasserstoffionen, die er als eine der verschieden¬
artigen Partialfunktionen der Niere auffasst. Das Verhalten der Kalk¬
ausscheidung erklärt er von dem Gesichtspunkt des allgemeinen Ionen¬
gleichgewichts. Uraturie und Oxalurie sind keine selbständigen Kränk-
heitsbilder. Die Uratsteindiathese hat keine Beziehung zur gichtischen
Diathese und ist von dieser zu trennen. Bei der Oxalurie ist das Aus¬
fallen des oxalsauren Kalks in weiten Grenzen unabhängig von der
Harnreaktion. Die Nahrung ist von grossem Einfluss auf das Auftreten
von oxalsaurem Kalk im Urin. Leim erhöht nach Lichtwitz’ Unter¬
suchungen die Oxalsäureausscheidung, dagegen tut dies nicht Glykokoll,
wie Klemperer und Tritschler behaupten. Bei Icterus war nach
des Vortr. Untersuchungen die Oxalsäureausscheidung in mehreren Fällen
erhöht.
Schliesslich verbreitet sich Vortr. über die Verhältnisse bei der
Steinbildung, die mit der Sedimentbildung nicht identisch ist. Ein
Steinkern entsteht durch Haften eines Sediments an einer fremden Ober¬
fläche; eine solche ist gegeben durch Veränderungen in der Beschaffen¬
heit der ableitenden Harnwege. Normaler Harn benetzt die normalen
Harnkanälchen nicht. Das Wachsen eines Steins darf nicht dem eines
Kristalls gleichgesetzt werden; es geschieht dadurch, dass gleichzeitig
Kristalloide und Kolloide an einer solchen Oberfläche festgehalten
werden, doch können bei der sekundären Steinbildung auch Steinbildner
in die an solchen Oberflächen gefällten Kolloidschichten hineiudiffundieren.
Auf diese Weise lässt sich die eigentümliche Struktur mancher Steine
erklären. In ätiologischer Hinsicht unterscheidet Vortr. mit Asch off
und Kleinschmidt entzündliche und nicht entzündliche Steinbildung,
doch äussert er grosse Bedenken gegen die Kriterien, nach denen letztere
die Bildungsarten abgreuzen.
Hr. Goeppert:
Die Bedeutung der Darmbefnnde bei foudroyant verlaufenen In¬
fektionskrankheiten.
Bei foudroyant verlaufenen Fällen von epidemischer Genickstarre
fand Vortr. im Darm eine starke Erweiterung der Schleimhautcapillaren
ohne Entzündungserscheinungen, ausserdem eine Schwellung der
Mesenteriallymphdrüsen. Die gleichen Darmbefunde lassen sich bei
Meerschweinchen durch Abrin-, Sepsin- und Arsen Vergiftung, also durch
ausgesprochene Capillargifte, hervorrufen; auch sie bewirken eine starke
Schwellung der Mesenterialdrüsen, die durch eine Sinusitis bedingt ist.
Diese Anhäufung von Zellen in den Sinus hält Vortr. für eine entzünd¬
liche Erscheinung. Ebenso wie bei der Genickstarre fanden sich auch
bei anderen Infektionskrankheiten (Pneumonie, Diphtherie, Scharlach) in
foudroyanten Fällen diese Drüsenveränderungen. Auch die Erscheinungen
der Capillarlähmung in der Haut, die sich bei den foudroyant ver¬
laufenden Fällen von Genickstarre und Scharlach finden, berechtigen zu
dem Vergleich mit den Wirkungen der Capillargifte. Vortr. glaubt,
dass bei jeder foudroyant verlaufenden Infektionskrankheit die Vergiftung
durch denselben Vorgang wie bei der Bildung des Anaphylatoxins, also
durch ein wesentlich unspezifisches Gift, bedingt wird. Bei Genickstarre-
kranken, die erst später starben, fand Vortr. noch Reste der be¬
schriebenen Darmveränderungen; er glaubt, dass in solchen Fällen die
Giftwirkung zu gering war, um den Tod herbeizuführen.
Hr. Blübdorn'
Die Stillung von Oberflächenblutungen im Säuglinggal ter.
(Ist als Originalartikel in Nr. I, S. 14 dieser Wochenschr. erschienen.)
Medizinische Gesellschaft zn Basel.
Sitzung vom 12. Dezember 1912.
Hr. Leueiberger:
Ueber die bei der synthetischen Farbenindnstrie beobachteten B lasen-
geschwülste.
Aus statischen Erhebungen — Vergleich der gesamten männlichen
Bevölkerung in einem bestimmten Zeitraum mit der Zahl der Farb-
arbeiter und Gegenüberstellung der Todesfälle an Harnblasentumoren —
gebt hervor, dass diese Arbeiter 33 mal häufiger an Blasentumoren starben.
Die Hälfte der in 50 Jahren in der Baseler chirurgischen Klinik
beobachteten Harnblasentumoren gehörten Anilinarbeitern und Tuch¬
färbern an.
18 Fälle kamen zur Beobachtung, papilläre Epitheliome, Carcinome,
Sarkome, Carcinomsarkom. (Demonstration.)
Klinische Symptome: Dysurie und Hämaturie. Diese Symptome
bei Anilinfarbarbeiten oder Färbern erfordern genaue Inspektion der
Harnwege. 14 wurden operiert, 5 mal partielle Blasenexstirpation, 6 mal
Tumorexstirpation, 2 mal Probelaparotomie, 2 mal Sectio alta. 9 mal
konnte radikal operiert werden, davon leben noch sechs. Drei Papillom¬
kranke 8, 8, 7 Jahre postoperationem gesund. Ein Papillomfall recidivierte
mit UebergaDg in Carcinom, lebt aber noch 8 Jahre nach der ersten
Operation. Zwei Carcinomfälle leben Quarantäne noch zu kurz.
Prognose muss als infaust bezeichnet werden.
Prophylaxe: besondere Arbeitskleider, Vollbäder, Ventilation, Schutz¬
masken. Anstellung von gesunden Leuten, Entfernung aus dem Betrieb
bei Krankheitsverdacht.
Von bis jetzt noch nicht bekannten tumorerregenden Substanzen
kommen in Betracht: Safranin, Dehydrothioxylidin, Kongorot und Benzo-
purpurin. Das Studium der tumorerregenden Substanzen führte zu der
These: Die Geschwulstbildung in den Harnwegen der Anilinfarbarbeiter
und Stoffiärber wird durch ein- und mehrkernige, bydroxilierte aroma¬
tische Amidoverbindungen hervorgerufen.
Ein gehäuftes Auftreten der Tumorbildung war in Basel im Zu¬
sammenhang mit der Verwendung von Paramidophenol und Dinitrooxydi-
phenylamin in der Färbeindustrie zu erkennen.
Hr. Iselin:
Die Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch Röntgenbestrahlung.
An Hand der in der Baseler Poliklinik behandelten Fälle bespricht
Ref. nach kurzen theoretischen Erörterungen seine therapeutischen Er¬
fahrungen. Röntgenbestrahlung des tuberkulösen Herdes hat günstigen
Einfluss auf Allgemeinbefinden, das sich in Gewichtszunahme äussert.
In 70—80pCt. der Fälle initiale Gewichtszunahme, in €0 pCt. der Fälle
andauernde Zunahme des Körpergewichtes, nimmt bei 70—80 pCt. nach
jeder Bestrahlung zu. Chirurgische Tuberkulosen, welche sonst nicht
geheilt werden können, werden durch Röntgentherapie günstig beein¬
flusst. Röntgenbestrahlung jedenfalls intensivere Wirkung als Sonnen¬
licht. Bei leichten Fällen wiederholte Bestrahlung mit schwächeren
Dosen, bei schweren stärkere Dosen, welche zu Gefässschädigung und
Heilung unter Narbenbildung führen. Zweimal wurde die vorher negative
Pirquet-Reaktion positiv, Steigerung der Tuberkulinisierung durch Be¬
strahlung.
Einmal Erscheinungen von miliarer Tuberkulose durch Bestrahlung,
welche trotzdem in Heilung überging. Ref. kommt zu der Ansicht, dass
bei seinem ambulanten Material, welches draussen unter relativ un¬
günstigen Verhältnissen lebte und arbeitete, gute Resultate erzielt
wurden.
Hr. de Quervain:
Ueber die Knickungen des unteren Dfinndarmendes.
Erörtert die von Lane beschriebenen Dünndarmknickungen, speziell
die im unteren Ileum, welche nach Lane Stase bedinge und durch un¬
nötige Resorption Körper und Allgemeinbefinden (Tuberkulose) schädige,
deshalb auch der therapeutische Vorschlag von Lane: Dünndarm in
S romanum einzupflanzen, de Quervain suchte 120Röntgenbilder vom
Darme 5—9 Stunden nach Einnahme der Kontrastmahlzeit auf diese
Knickung durch. Dreimal war sie vorhanden, in 12 Fällen Vorhanden¬
sein möglich und in 9 Fällen war sie nicht sicher auszuschliessen. Ref.
mahnt zur Vorsicht bei Stenosendeutungen, Kontrollen.
Schuld an dieser speziellen Knickung sind: 1. Kongenitale abnorme
Veranlagungen. 2. Ptose, Sinken des Coecums. 3. Residuen alter Ent¬
zündungen, Narbenstränge.
Demonstration der Platten eines Falles bei einem 22 jährigen Mann,
welcher an chronischen Appendicitisbeschwerden ohne typischen Anfall
litt. Resistenz innen vom Coecum. Röntgenbild ergab Knickung.
Knickung war bedingt durch drei verkäste tuberkulöse Drüsen, eine
zweite Knickung weiter oben war ebenfalls durch verkäste Drüsen be¬
dingt. Lane’sche Knickung infolge tuberkulöser Prozesse. Ebenfalls
könnten tuberkulöse Geschwüre Ursache davon werden. Durch diese
Knickungsform können die Fälle vermehrt werden, welche chronische
Appendicitis Vortäuschen.
Hr. Bieder gibt Daten über die jüngst gesehenen Zwillings¬
schwestern Blazek. Wo 1 fer - Basel.
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UNIVERSUM OF IOWA
27. Januar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
191
Aerztlicher Yereln zu München.
Sitzung vom 18. Dezember 1912.
1. Hr. Kiellenthner:
(Jeher den Wert der endovesiealen Operatiovsmethoden.
Für die endovesicale Operation kommen vor allem die Blasensteine
in Betracht, deren Entfernung bei Anwendung stärkerer Instrumente als
die früher gebräuchlichen meist in einer Sitzung gelingt. Zunächst
Cystoskopie, dann durch vorbereitende Asepsis und Antisepsis erleichtert
Lithotripsie, hierauf Evakuation und schliesslich Cystoskopie, um das
Zurückbleiben von Splittern auszuschliessen. Die Genesungsdauer be¬
trägt nur wenige Tage. Grösse und Härte des Steins, seine Lage in
Divertikeln und in dem Recessus hinter einer hypertrophischen Pro¬
stata, Enge des Orificium urethrae ezternum können Hindernisse bilden;
Kleinheit der Blase, Erkrankung der Nieren, starke Entzündung der
Harnwege sind Gegenindikationen.
Fremdkörper, die meist auf natürlichem Wege eingeführt werden,
lassen sieb bei besonderer Kleinheit aspirieren, sehr häufig können sie
mit dem Operationscystoskop oder dem Lithotriptor gefasst und ex¬
trahiert werden. Bei Frauen genügt manchmal eime schmale Fass¬
zange.
Für Tumoren ist die endovesicale Operationsmethode erst neueren
Datums. Theoretisch kämen natürlich nur gutartige Papillome in Be¬
tracht, doch lässt die Besichtigung allein kein Urteil über die Benignität
oder Malignität eines Papilloms zu. Die Grösse soll die einer Walnuss
nicht überschreiten, am besten geeignet sind gestielte Tumoren.
2. Hr. Y. Kutschera- Innsbruck (a. G.):
Gegen die Wasserätiologie des Kretinismos und des Kropfes.
Kretinismus kommt nur da vor, wo auch Kropf vorkommfc. Das
strumigene Agens noch unbekannter Art wirkt auf dem Umwege über
das Nervensystem auf die Schilddrüse ein und wird bei Kindern zum
kretinoiden Agens, während es bei älteren Leuten nur zu allgemeiner
Neuropathie oder häufig zur Kropfentwicklung führt. Die Annahme so¬
genannter Kropfgegenden, ein Hauptstützpunkt der Wassertheorie, ist
unrichtig, denn Kropf kann in neue Gegenden ein wandern und aus
Gegenden verschwinden, in denen er lange geherrscht hat. Ferner ist
der Kropf in sogenannten Kropfgegenden und an gewisse Häuser und
Wohnungen gebunden. Kropf und Kretinismus kommen meist familiär
vor, indessen spielt die Heredität keine grosse Rolle, denn aus kretini-
schen Familien entfernte Kinder bleiben gesund, während gesunde, in
solche Familien aufgenommene Kinder oft kropfig bzw. kretinisch werden.
Dass die Kropfbäuser im Gegensatz zu den kropffreien von einer be¬
sonderen getrennten Wasserversorgung abhängig gewesen wären, konnte
nie beobachtet werden. Die „Dortenhuben“, schon in alter Zeit so ge¬
nannte Kropfwohnungen in Endemiegegenden konnte der Vortr. jetzt
meist frei yoo Kropf finden, und zwar dann, wenn diese Wohnungen
nach Bränden neu aufgebessert waren oder lange Zeit leer gestanden
hatten, obwohl noch jetzt das gleiche Wasser Verwendung findet.
Andererseits kann durch Kropfträger die Uebertragung von Kropf in
Gegenden oder Wohnungen beobachtet werden, wo er vorher nicht vor¬
handen gewesen war. Alle diese Momente sprechen für Kontaktinfektion.
Dass gerade abgelegene Gebirgstäler und Inseln häufig endemischen Kropf
aufweisen, erklärt sich durch die Abgeschlossenheit solcher Orte und
den äusserst geringen Wohnungswechsel. Aehnlich sind in Bosnien die
streng abgeschlossen lebenden Mohammedaner sehr stark mit Kropf und
Kretinismus behaftet, gar nicht dagegen die Serben und eingewanderten
Oesterreicher.
Die sogenannten Kropfbrunnen kennt man gewöhnlich an Ort und
Stelle überhaupt nicht und Kropf ist dort meist gar nicht endemisch.
Die Kropfepidemien sind an sich schon ein Beweis gegen die Wasser¬
theorie, denn sie betreffen immer eine Wohnungs-, nie eine Wasser¬
gemeinschaft. Was die experimentellen Versuche betrifft, so ist auf¬
fallend, dass Versuche mit Kropfwasser in kropffreien Gegenden nie ge¬
lingen.
In der Kagaskrankheit in Brasilien kennt man eine Kropfkrankheit,
die durch Trypanosomen übertragen wird, vielleicht kommt auch für
den Kropf in unseren Breiten eine ähnliche Aetiologie in Frage.
Diskussion. HHr. Littmann, Madlener (a. G.).
H. Bachhammer - München.
Berichtigung zum Referat yom 4. Dezember 1912.
2. Hr. Carl Sraegel demonstrierte Serien röntgenkinemato-
grapfcisefcer Anfnahmen eiaer Groppe Yen pathologischen Mägen.
Diese Untersuchungen waren dadurch ausgezeichnet, dass bei sämtlichen
Fällen einige Tage später die Laparotomie ausgeführt und so eine
Kontrolle der röntgenologischen Diagnose vorgenommen worden
war. Es zeigte sich auf allen Phasenbildern ein gemeinsames,
charakteristisches diagnostisches Merkmal: eine breite, scharfe,
horizontale Begrenzungslinie im antralen Magenteil gegen den
Pylorus zu. Die Autopsie in vivo ergab callöse Ulcera, Wandinfiltrate
oder grössere Narben, meist verbunden mit Verwachsungen. Ein Fall
verdient besonders erwähnt zu werden. Auf Grund der Serienaufoahmen
hatte der Vortr. die Diagnose: präpylorisches callöses Ulcus an der
kleinen Curvatur gestellt. Bei der Operation fand sich im präpylorischen
Magenteil weder ein Infiltrat noch sonst eine Wandveränderung. Es
bestanden lediglich flächenhafte Verwachsungen mit Gallenblase und
Duodenum. Dieselben wurden gelöst, der Magen war somit wieder
mobilisiert. Eine Gastroenterostomie wurde mangels der Notwendigkeit
nicht ausgeführt. Wenn nun Verwachsungen allein imstande sind,
die Antrumsilhouette so zu verändern, dass diese breite, horizontale
Abschlusslinie gegen den Pylorus zu entsteht, so muss die letztere
logischerweise jetzt nach Lösung der Verwachsungen verschwunden sein.
Und so war es auch, wie eine neue kinematographische Aufnahme
nach der Operation und 14 Tage später eine dritte einwandfrei be¬
stätigte. Die ursprünglich auf allen Phasenbildern vorhanden gewesene,
breite Begrenzungslinie war verschwunden. Bruegel konstatiert
auf Grund seiner durch Kinematogramme belegten Untersuchungen
erstens, dass dieser breiten, bewegungslosen Abschlusslinie gegen den
Pylorus zu erhebliche diagnostische Bedeutung zukommt, zweitens, dass
die Methode der Serienaufoahmen infolge ihrer Objektivität, ihrer Zu¬
verlässigkeit und ihrer Präzision alle anderen radiologischen Unter¬
suchungsarten über trifft. Er stellt die Forderung auf, dass die Kine¬
matographie in allen Fällen, bei denen die anderen Methoden nicht
Klarheit verschaffen, Verwendung finden muss. Eine wirkliche Früh¬
diagnose und die Diagnose feinerer anatomischer Veränderungen sind
nur mittels Serienaufnahmen möglich.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München.
Sitzung vom 14. Januar 1913.
Fräulein you Sehustow:
Zellteilungen in der Wurzel des Lauchs (Allium cepa).
Eine Chromosomenachse konnte nie wahrgenommen werden. Die
Prophase enthält keinen Teilungsvorgang.
Hr. Escher (a. G.):
Gelbe Pigmente der Pflanzen, des Eidotters und des Corpns latenm.
Historisch-kritische Uebersicht über die bisherigen Forschungen über
die Luteine. Die Stellung zu Bilirubin und Hämatoidin wird erörtert.
Das Carotin scheint ein mehrkerniger Terpenkohlenwasserstoff zu sein.
K. Süpfle-München.
Aus dem Laboratorium für medizinische Diagnostik,
Berlin (Dr. Koenigsberger).
Eine neue Modifikation der Wassermann’schen
Reaktion.
Von
Josef Portmann.
Infolge gewisser theoretischer Ueberlegungen kam ich auf den
Gedanken, dass bei der Wassermann’schen Reaktion der hämolytische
Amboceptor durch destilliertes Wasser ersetzt werden könne.
Es wurden von Dr. Koenigsberger und mir daraufhin über
100 Sera untersucht. Die Methode ist folgende: Die Wassermann’schc
Reaktion wird wie gewöhnlich angestellt, jedoch nimmt man statt des
hämolytischen Amboceptors 1 / 2 ccm destillierten Wassers bei einer Serum¬
menge von 0,1 ccm, Gesamt flüssigkeitsmenge 2,5 ccm. Wir stellten
hierbei fest, dass unsere Resultate mit denen der Originalmethode über¬
einstimmten.
Differenzen fanden sich nur in vier Fällen: zwei Sera reagierten bei
uns negativ, die nach der Originalmethode positiv waren; hierbei könnte
aber ein Irrtum unterlaufen sein, so dass wir glauben, diese beiden Fälle
unberücksichtigt lassen zu dürfen. Die beiden anderen Sera waren
nach der Originalmethode negativ und ergaben bei uns schwach positive
Reaktion. Ferner wurde eine Lumbalflüssigkeit bei uns positiv, die
nach der Originalraethode negativ reagierte. Das Blutserum dieses
Falles war nach beiden Methoden positiv.
Herr Professor L. Michaelis, dem ich diese Tatsache vortrug,
stellte mir in Aussicht, seine Ansicht über die theoretische Erklärung
selbst zu berichten. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die oben
geschilderte Modifikation eine Reihe wichtiger Konsequenzen in sich birgt.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 22. Januar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Kraus
Mediastinaltumoren. (Diskussion: die Herren Orth, Kraus, Fuld.)
Hierauf hielt Herr Engel den an gekündigten Vortrag: Wirkung der
Venenstauung auf die Pulskurven Herzkranker, und Herr Frenkel-
Heiden seinen Vortrag über die Behandlung schwerster Formen von
Ataxie bei Tabes. (Diskussion: die Herren Leo, Eckstein, Frenkel-
Heiden.)
— Drei bekannten Berliner Aerzten, Kalischer, Tb. Landau
und H. Wossidlo, wurde der Professortitel verliehen.
— Der Senior und Führer der deutschen Kinderärzte, Otto
Heubner, beging am 21. d. M. fern von Berlin seinen 70. Geburtstag
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UNIVERSUM OF IOWA
192
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
— noch einmal ein Tag der Freude für seine zahlreichen Schüler und
Verehrer, die in kurzem den Rücktritt des Meisters von seiner Lehr¬
tätigkeit mit Wehmut werden begleiten müssen. Ihnen gesellt sich diese
Wochenschrift hinzu mit dem herzlichen Wunsche, dass es dem Jubilar
noch lange Jahre vergönnt sein möge, sich seiner bisherigen ungewöhn¬
lichen Frische und Gesundheit zu erfreuen.
— Drei neue Privatdozenten haben sich in der medizinischen
Fakultät unserer Universität habilitiert: Dr. Friedrich Gudzent
(Antrittsvorlesung: Ernährung und Stoffwechselkrankheiten), Dr. Ludwig
F. Meyer (Die Bedeutung des Wassers für den wachsenden Organismus),
Dr. Joh. Eckert (Das Problem der Pathogenese der Ernährungsstörungen
im Kindesalter).
— Der 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie findet vom 26. bis 29. März 1913 unter dem Vorsitz von
Geheimrat v. Anger er im Beethovensaale der Philharmonie statt. Als
Hauptthemata sind aufgestellt: 1. Ulcus duodeni (Referent: Küttner-
Breslau), 2. Hirn- und Rückenmarkschirurgie (Referenten: v. Eiseisberg
und Ranzi-Wien), 3. Die Behandlung der Gelenk- und Knochentuber¬
kulose (Referent: Garre-Bonn).
— Einen Tag vor der Eröffnung des Chirurgenkongresses, also am
25. März, tagt im Langenbeckhaus der 12. Kongress der Deutschen
Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, dem Prof. Spitzy-
Graz präsidieren wird. Zum Hauptthema „Die Behandlung der
chronischen Arthritis (Arthritis deformans)“ wird Friedr. Kraus-
Berlin einleitend über „Symptomatologie, Pathogenese und interne Therapie
der chronischen Arthritis“ sprechen, im Anschluss daran Ibrahim-
München über „die chronische Arthritis im Kindesalter“ sowie
Preis er - Hamburg über „die orthopädische Behandlung der
chronischen Arthritis“.
— Für den IV. Internationalen Kongress für Physio¬
therapie (26.—30. März) ist neben zahlreichen Referaten als Thema
für die allgemeine Sitzung bestimmt: Die physikalische Behand¬
lung der Kreislaufsstörungen (Referenten: 0. Müller - Tübingen;
Vaquez - Paris; Wide - Stockholm''. Die zahlreichen übrigen Referate
und Vorträge müssen im Programm eingesehen werden, das vom
Generalsekretär Herrn Dr. Immelmann, Berlin, Lützowstr. 72, zu er¬
halten ist.
— Die Bauarbeiterhygiene auf der Internationalen Bau¬
fachausstellung Leipzig 1913. Wir erhalten folgende Zeilen mit
der Bitte um Veröffentlichung: Es wäre undenkbar, wenn auf einer
Internationalen Baufachausstellung nicht auch auf die gesundheit¬
lichen Verhältnisse der Bauarbeiter Rücksicht genommen würde. Aller¬
dings ist es nicht leicht, diesem Gedanken in der umfassenden Weise, in der
es jetzt geschehen soll, Geltung zu verschaffen, und zwar liegen hierfür
Gründe innerer und äusserer Art vor. Daher werden alle Herren
Kollegen, die in irgendeiner Weise einen Beitrag zu der Gruppe „Bau¬
arbeiterschutz“ und besonders zu der Abteilung „Bauarbeiterhygiene“ zu
liefern imstande sind, höfiichst gebeten, sich mit Dr. med. Wilh.
Kühn-Leipzig, zweiter Vorsitzender der Gruppe „Bauarbeiterschutz“
und Leiter der Abteilung „Bauarbeiterhygieue“ auf der Internationalen
Baufachausstellung Leipzig, in Verbindung zu setzen, der sehr gern den
Arbeitsplan sowie nähere Erörterungen umgehend übersenden wird. In
der Hauptsache wird es sich um anatomisch-pathologische Präparate,
Abbildungen, Photographien, auch Röntgenaufnahmen, Moulagen,
Statistiken usw. handeln, ferner um in das betreffende Gebiet schlagende
praktische Vorführungen und Instrumente aus der Hygiene und Physio¬
logie.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Der Privatdozent für Dermatologie, Dr. Frank Schulz,
ist gestorben. — Leipzig. Geheimrat Hofmann, Direktor des
hygienischen Instituts, tritt vom Lehramt zurück. — Kiel. Der
Privatdozent für Chirurgie, Prof. Noesske, ist in Greifswald ge¬
storben. — Würzburg. Prof. M. B. Schmidt in Marburg hat den
Ruf als Direktor des pathologischen Instituts angenommen. — München.
Die Professoren v. Angerer, Döderlein, Romberg und Richter
wurden zu Mitgliedern des Obermedizinalausschusses ernannt. —
Heidelberg. Prof. Schoetensack, der bekannte Anthropologe, ist
gestorben.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Aegypten (28. XII. 1912 bis 3.1. 1913) 12 und 10 f.
Britisch-Ostindien (8.—21. XII.) 6671 und 5062 f. Brasilien
(3.—23. XI.) 6 und 2 +. Peru (17.—23. XI.) 5 und 2 +. — Cholera.
Straits Settlements (18. XI.—13. XII.) 9. Japan (seit 25. XI.) 36
und 30f. — Pocken. Schweiz (29. XII. 1912 bis 4. I. 1913) 2.
Hongkong (24. XI.—14. XII.) 4 und 4 f. — Fleckfieber. Oester¬
reich (29. XII. 1912 bis 4.1. 1913) 28. — Genickstarre. Preussen
(5.—11. I.) 2. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (5.— 11.1.) 1.
— Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und
Röteln in Gladbeck, Kaiserslautern, Oberhausen; an Diphtherie und
Krupp in Erfurt, Hildesheim.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Geh. San.-Rat Dr.
0. Boden in Schönbeck (Kreis Kalbe).
Prädikat Professor: San.-Räte Dr. Th. Landau in Charlottenburg
und Dr. H. Wossidlo in Berlin-Schöneberg, Aerzte Dr. N. Gierlich
in Wiesbaden und Dr. 0. Kalischer in Berlin.
Niederlassungen: Arzt P. Siegfried in Königsberg, Dr. B. Zabel
in Danzig, Dr. F. Friedland in Cottbus, Dr. W. Unruh in Barth,
Dr. R. Pipenberg in Rankau (Kreis Nimptsch), Aerztin Dr. A.
Clausen in Sonderburg, Dr. C. A. E. L. Schlitt in Laboe, Dr. J.
Müller in Sievershausen, Dr. F. Wehl in Celle, Dr. H. Klein in
Walsrode, Dr. G. Quellhorst in Scharnebeck, Arzt C. Palm in
Amelinghausen, Dr. W. Brauss in Dortmund, Dr. F. Jaspert in
Soest, Dr. K. Voss in Werl.
Verzogen: Dr. A. v. Danarus von München, Dr. J. Meyer von
Heide und Dr. K. Steindorff von Berlin nach Charlottenburg, Dr.
R. Czwiklitzer von Berlin nach Neukölln, Dr. L. Adler und
Dr. G. Erlanger von München, Dr. K. Laffert von Stargard i. P.
und Arzt H. Priebatsch von Berlin nach Berlin-Scböneberg, Dr.
0. Elch lapp von Berlin und Dr. F. Thomme von Charlottenburg
nach Hamburg, Dr. W. Liepmann von Berlin nach Berlin-Wilmers¬
dorf, Dr. R. Lutz von Berlin nach München, Dr. B. v. Petersenn
von Berlin nach Russland, Arzt J. Naumann von Levern und Dr.
A. Neumann von Schivelbein nach Karlshorst, Arzt K. Schweinitz
von Orzesche nach Eberswalde, Dr. F. Löffler von Berlin nach Nauen,
Dr. W. Gross und Dr. A. Rosenberg von Berlin nach Berlin-
Friedenau, Dr. S. Löwen stein von Hoym nach Berlin-Steglitz, Prof.
Dr. W. Röpke von Jena, Arzt F. Osthoff von Elberfeld und Dr.
G. Coester von Bödinghausen nach Barmen. Dr. P. Bergerhoff
von Bonn nach Bedburg, Dr. H. G. Hauser von Rheydt, Dr. E. Bay
von Hannover, Dr. 0. Blank von Nürnberg und Dr. C. Men de von
Berlin nach Düsseldorf, Dr. H. Decius von Heiligenhaus nach Bor¬
beck, Oberstabsarzt a. D. R. Grass mann von Metz nach Wesel, Dr.
F. Bierschenk von Düsseldorf nach Chemnitz, Privatdozent Dr. L.
Borchardt von Heidelberg und Dr. G. Kecker von Nordenburg
nach Königsberg, San.-Rat Dr. F. Barczewski von Thiergart nach
Elbing, Oberstabsarzt Dr. B. Kahle von Ratzeburg nach Marienburg,
Dr. K. Ulmer von Hamburg nach Dühringshof a. Ostb., Dr. F. Pio-
trowski von Jutroschin nach Hamburg, Dr. A. Sommerfeld von
St. Petersburg und Dr. W. E. Menne von Zehden N.-M. nach Posen,
Dr. H. Golla von Reisen nach Breslau, Dr. G. Richter von Bischofs¬
werda i. S. nach Wölfeisgrund (Kreis Habelschwerdt), Dr. H. K.
Schubert von Hattorf nach Kunzendorf (Kreis Habelschwerdt), Dr.
H. Ch. Reifenstuhl von Grosslogisch (Kreis Glogau) nach Carolath
(Kreis Freystadt), Dr. A. Tschierske von Görlitz nach Kotzenau
(Kreis Lüben), Arzt E. H. A. Rein icke von Leipzig und Stabsarzt
Dr. K. Münnich von Berlin nach Erfurt, Arzt E. Saatmann von
Erfurt nach München, Dr. H. Schlathölter von Langensalza nach
Heidelberg, Dr. 0. Kleider von Nordhausen nach Klingenthal i. V.,
Arzt P. Gosch von Flensburg nach Altona, Arzt W. Kallina von
Flensburg und Dr. K. Heinemann von Altona nach Hamburg, Arzt
R. Bech von Niebüll nach Langenhorn b. Hamburg, Oberarzt Dr. H.
Puck von Schwerin nach Lockstedter Lager, Dr. J. F. Th. Piening
von Rendsburg nach Elmshorn, Marinestabsarzt Dr. B. Nerger von
Breslau und Dr. J. Hermanns von Bonn nach Kiel, Dr. E. Osann
und Dr. W. Stahl von Frankfurt a. M., Dr. F. Colemann von
Leipzig und Kreisarzt a. D. Med.-Rat Dr. A. Ri eck von Springe nach
Hannover, Oberstabsarzt a. D. Dr. G. Fuchs von Merseburg nach
Springe, Dr. W. Gordon von Posen nach Hildesheim, Dr. H. Lucca
von Gehrde nach Hamburg, San.-Rat Dr. K. Kalkschmidt von Stre-
litz nach Ibbenbüren, Dr. H. Paal von Bonn nach Münster, Dr. W.
Arenhövel von Dielingen nach Legden, Stabsarzt Dr. A. Pfennig
von Fraulautern-Saarlouis nach Hervest-Wenge, Dr. E. F. Heeger von
Mesum nach Telgte, Dr. F. Niedieck von Münster nach Werne, Dr.
W. Wiemann von Duisburg-Ruhrort und Dr. F. Udewald von
Berlin nach Dortmund, Dr. E. Fischer von Leipzig nach Gelsen-
kircheD, Dr. F. Obländer von Karlsruhe nach Altena, Dr.H.Schmits
von Cöln nach Hellersen, Dr. F. Keetmann von Abbehausen in
Oldenburg und Dr. J. Risch von Giessen nach Cassel, Arzt Ch. Both
von Marburg nach Oberkaufungen.
Praxis aufgegeben: Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. A. Noeth-
lichs in Heinsberg.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Junglöw
von Wölfeisgrund (Kreis Habelschwerdt), Dr. V. Saal mann von
Breslau auf Reisen als Schiffsarzt, Dr. K. Scharff von Sievers¬
hausen.
Gestorben: Dr. H. Goldschmidt in Breslau, San.-Rat H. Postler
in Rankau (Kreis Nimptsch), San.-Rat Dr. W. Cohnheim in Lieg-
nifz, San.-Rat Dr. P. Lange in Warmbrunn, San.-Rat Dr. 0. Holm
io Eckernförde, Geh. San.-Rat Dr. H. Litzmann in Altona, Dr. L.
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Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Hohn, Berlin W., Bayroather Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geb. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Haus Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 3. Februar 1913.
Jlli 5.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origiaaliei: Brunton: Funktionelle Krankheiten der Arterien. S. 193.
Hess: Der Einfluss des Druckes auf den Koeffizienten der Blut-
viscosität. S. 197.
Hahn und Heim: Die Bestimmung der Kohlensäurespannung
in der Alveolarluft mittelst des Interferometers. (Aus dem
hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.) (Ulustr.)
S. 197.
Glaser: Das histologische Blutbild in schweren Fällen von in¬
fantilem Skorbut (Möller-Barlow’sche Krankheit) und das Auf¬
treten dieser Krankheit im schulpflichtigen Alter. (Aus der
zweiten inneren Abteilung des Auguste Viktoria-Krankenhauses,
Berlin-Schöneberg.) (Illustr.) S. 200.
Seefelder: Zur Kenntnis der degenerativen Hornhauterkrankungen.
(Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig.) (Illustr.) S. 204.
Schischlo*. Ueber die Heilung des Juckens mit autogener Vaccine.
S. 209.
Beckers: Ueber Dosierung von Arzneimitteln in Tropfenform. S.210.
Bleherbespreehnngen : Obersteiner: Arbeiten aus dem neurologischen
Institut an der Wiener Universität. S. 211. Rädl: Neue Lehre
vom centralen Nervensystem. S. 211. Bury: Diseases of the
nervous System. S.211. (Ref. Rothmann.) — Boruttau und Mann:
Handbuch der gesamten medizinischen Anwendung der Elektrizität,
einschliesslich der Röntgenlehre. S. 211. (Ref. Nicolai.) — Sud¬
hoff: Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur
aus den Jahren 1495 und 1496. S. 212. (Ref. Holländer.) —
Ferrarini: La Teoria tossica nella patogenesi della morte in seguito
ad ustioni. S. 212. (Ref. Fischer.) — Stier: Ueber Linkshändigkeit
in der deutschen Armee. S. 212. (Ref. Schnütgen.) — Born¬
träger: Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Bewertung
und Bekämpfung. S. 213. Medizinalstatistische Nachrichten. S. 213.
Grotjahn und Kriegei: Jahresbericht über soziale Hygiene, Demo¬
graphie und Medizinalstatistik. S. 213. (Ref. Weinberg.)
ALT.
Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 213. — Pharmakologie. S. 213. —
Therapie. S. 214. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 214. — Diagnostik. S. 214. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 214. — Innere Medizin. S. 216. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S.218. — Kinderheilkunde. S.218. — Chirurgie.
S. 219. — Röntgenologie. S. 220. — Urologie. S. 221. — Haut-
und Geschlechtskrankheiten. S. 221. — Geburtshilfe und Gynäko¬
logie. S. 222. — Augenheilkunde. S. 222. — Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten. S. 223. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 224. —
Technik. S. 224.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Kraus: Demonstration einer Frau mit intra¬
thorakalem Tumor. S. 224. Engel: Demonstration der Wirkung
der Venenstauung auf die Pulskurven Herzkranker. S.224. Frenkel-
Heiden: Die Behandlung schwerster Formen von Ataxie bei Tabes.
S.224. — Gesellschaft derCharit6- Aerzte. S.225. — Berliner
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 230. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 231. —
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 233. — Hygie¬
nische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau. S. 233. — Aerztlicher Verein
zu Hamburg. S.234. — AerztlicherVerein zu Frankfurt a. M.
S. 235. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poli¬
klinik. S. 286. — Freiburger medizinische Gesellschaft.
S. 237. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 237.
Bier: Erklärung zu dem Tuberkulosemittel von F. F. Friedmann. S. 238.
v. Düngern: Zu Edzard’s Mitteilung: Ueber die Serodiagnostik des
Carcinoms nach v. Düngern. S. 238. — Hahn und Edzard: Er¬
widerung zu Vorstehendem. S. 239.
Zaloziecki: Bemerkungen zu J. Portmann’s Notiz in Nr. 4 d. W. S. 239.
— Portmann: Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen. S. 239.
Tagesgeschichtl. Notizen. S.239. — Amtl. Mitteilungen. S.240.
Funktionelle Krankheiten der Arterien.
Von
Sir Lauder Brunton, Bart. M. D., F. R. S., London.
Der Reichtum der Literatur über die organischen Krankheiten
des Herzens, des Blutes und der Gefässe ist ein sehr grosser. Ab¬
gesehen von den organischen ist aber auch sehr viel über die
funktionellen Herzkrankheiten geschrieben worden; die funktio¬
nellen Krankheiten der Arterien haben jedoch eine relativ geringe
Beachtung gefunden. Sie sind indes wahrscheinlich nicht nur
sehr viel häufiger, sondern auch die Ursache viel grösserer Leiden
als die funktionellen Krankheiten des Herzens, und auf eine
Person, welche an Herzpalpitationen leidet, kommen wenigstens
drei, die an Kopfschmerzen leiden. Das ganze Arteriensystem,
von der Aorta abwärts bis zu den kleinsten Arteriolen, besitzt
die Fähigkeit zur Kontraktion; die Aorta hat jedoch eine grössere
Elastizität und eine geringere Kontraktilität als die Arteriolen,
deren Kontraktilität gross and deren Elastizität relativ gering ist.
Das ganze System ist reichlich mit Nerven versehen, von
welchen die einen, die vasomotorischen Nerven, die Kontraktion
herbeiföhren, während die anderen, die Vasodilatatoren, eine ent¬
gegengesetzte Wirkung haben.
Die Arterien haben drei Funktionen: Erstens mittels ihrer
Elastizität die Energie aufzuspeichern, welche der linke Ventrikel
während seiner Systole entwickelt und sie wieder abzugeben,
indem sie den Blatfluss während der Diastole aufrecht erhalten,
wo der Ventrikel vollständig von der Aorta durch den Schluss
der Sigmoid&lklappen abgesperrt ist. Die zweite Funktion besteht
in der Regulierung des Blutstroms zu denjenigen Teilen, welche
seiner bedürfen, durch diejenigen Gefässe, welche die tätigen
Organe versorgen, indem sie sich erweitern, während diejenigen
anderer Körperteile sich kontrahieren. Die dritte Funktion, welche
weniger allgemein bekannt ist, besteht darin, das Blut aus den
Arterien mittels Peristaltik in die Venen zu treiben, eine Tätig¬
keit, die bewirkt, dass die Arterien nach dem Tode leer sind,
und die dahin geführt hat, dass die Arterien den Namen erhalten
haben, welchen sie tragen. Obwohl die Aorta viel elastisches
Gewebe, weniger Muskelfasern besitzt, so hat sie doch die Fähig¬
keit, sich zu kontrahieren. Denn im Falle einer Hinrichtung,
welche 1854 in Würzburg vollzogen wurde, fand man, dass sie
sich bei Anwendung von Elektrizität kurze Zeit nach dem Tode
kontrahierte.
Wahrscheinlich besteht eine tonische Kontraktion der Aorta
auch im gesunden Zustande, und ihr Fehlen ist wohl die Ursache
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
des sonderbaren Phänomens der Abdominalpulsation. Dieses
Leiden findet sich ganz allgemein bei Frauen, selten bei Männern.
Bei diesem Zustande kann man fühlen, dass die Aorta heftig
pulsiert, oft so stark, dass es sichtbar wird, sobald der Patient
auf dem Rücken liegt. Oft führt es zu der Annahme, dass ein
Aneurysma besteht.
Dieser Zustand war wahrscheinlich Hippokrates bekannt,
und Morgagni hat einen ungewöhnlichen Fall davon be¬
schrieben, in welchem die Pulsation sich vom Herzen bis zum
Nabel erstreckte und ftusserlich sichtbar war. Bei der Sektion
wurden das Herz, die Baucheingeweide und grossen Gefässe alle
in vollkommener Gesundheit befunden, und Morgagni selbst
war der Ansicht, dass das arterielle Leiden durch Nervenreizung
bedingt sei. Dr. AIbers-Bremen beschrieb einen sehr beachtens¬
werten Fall, bei welchem der Patient wahrscheinlich an Duodenal¬
geschwür litt, da Melaena ein hervorstechendes Symptom war,
und Dr. Allen Bruns besprach das Leiden und war der Ansicht,
dass es von einer nervösen Affektion der Aorta selbst abhängig
Wäre. Es wurde mit bekannter Klarheit von Sir James Paget
beschrieben, welcher erwähnte, dass man hier bei der Aus¬
kultation oft ein Geräusch über der Aorta hören könne. Bei
der Palpation fühlt sich die Arterie weit und voll, aber weich
und kompressibel an. Der Puls schreitet nur nach einer Richtung
vorwärts, wie der einer tätigen atheromatösen Arterie des Hand¬
gelenks, anstatt sich nach allen Richtungen zu verbreiten, wie es
beim Aneurysma der Fall ist. Das ist ein diagnostisch wichtiger
Punkt zur Unterscheidung der pulsierenden Aorta vom Aneurysma;
andere sind, dass keine seitliche Ausbuchtung besteht, und dass sie
Finger und Daumen nicht trennt, wenn sie sie seitlich komprimieren.
Die geraden Linien können an den Seiten der Aorta verfolgt
werden, und die Pulsation hört ganz oder nahezu ganz auf, sobald
der Patient vornüber geneigt sitzt.
Die Pathologie der Erscheinung ist unsicher, ich glaube je¬
doch, dass Morgagni recht hat, wenn er sie einer Nerven¬
reizung zuschreibt. Natürlich war zu jener Zeit nichts über
vasomotorische oder vasodilatatorische Nerven bekannt, und ich
bin der Ansicht, dass man jetzt mit ziemlicher Sicherheit diesen
Zustand auf einen Tonusverlust der vasomotorischen Nerven der
Bauchaorta zurückführen kann. Dieser wird wahrscheinlich durch
einen Reiz hervorgerufen, der zu einer reflektorischen Hemmung
durch die Ganglien des Plexus solaris führt. Er schien mir oft
mit einer Reizung im Magen und Duodenum in Zusammenhang
zu stehen und besonders in solchen Fällen vorzukommen, wo
ein Verdacht auf ein Ulcus in diesen Organen bestand. Dies
trifft auch auf den von AIbers beschriebenen Fall zu, wo, wie
ich erwähnte, die Melaena ein hervorstechendes Symptom war.
Eine abnorm grosse Pulsation beschränkt sich nicht immer
auf die Bauchaorta, sondern kann auch andere Arterien ergreifen.
So beobachtete sie Morgagni in der Carotis, den Temporal- und
Radialarterien. Sir James Paget beobachtete sie in den Arteriae
subclaviae und innominatae, ebenso in den Carotiden, wo sie auch
Anlass zum Verdacht auf ein Aneurysma geben kann. Es besteht
hier aber keine seitliche Dilatation, und die Pulsation pflegt
aufzuhören, wenn die Arterie erschlafft ist. In einigen Fällen ist
das Pulsieren gleichzeitig an mehreren Arterien zu fühlen: in der
Innominata, Carotis und Subclavia. Bei der Basedowschen Krank¬
heit besteht häufig ein abnormes Pulsieren der grossen Arterien.
Bisweilen scheint auch eine Erweiterung der Arterien durch
den ganzen Körper sich zu erstrecken, wobei die Haut ungewöhn¬
lich warm und zugleich feucht ist. ich habe diesen Zustand bei
langem Gebrauch von Schilddrüsentabletten als Mittel gegen
Myxödem auftreten gesehen. Es muss das mehr oder weniger als
Symptom einer Vergiftung angesehen werden.
Ich bin nicht der Ansicht, dass das Klopfen der Carotiden
beim Basedow durch eine Streckung der Arterie in die Länge
bedingt sei wie bei der Aortenpulsation, weil die Arterien, wenn
auch nicht immer, so doch wenigstens oft während der Pulsation
seitlich erweitert sind. Ich habe einen ähnlichen Zustand in der
Carotis auf einer Seite bei Migräne beobachtet, ein Zustand, auf
welchen ich später zurückkommen werde. Diese lokale Pulsation
einer Carotis zeigt, dass der Zustand wenigstens zum Teil von
dem Nervensystem abhängig ist, obwohl auch ein gewisser Grad
von Toxämie möglicherweise vorliegt. Dasselbe trifft auch wahr¬
scheinlich auf die Pulsation beim Basedow zu. Es gibt aber
Zustände von GefässerWeiterung, die, wie es scheint, nur vom
Nervensystem, nicht von einer Toxämie abhängig sind. Wenn die
peripheren Gefässe einer Seite dilatiert sind, so besteht auch die
Neigung der grossen, diesen Teil versorgenden Arterie, sich zu
dilatieren und zu pulsieren. So habe ich bei mir selbst beob¬
achtet, dass, wenn ich meine Füsse in ein heisses Bad stellte,
so dass die Gefässe des Fusses sich erweiterten und die Haut
rot wurde, dann auch die Pulsation der Femoralarterie grösser
und stärker als zuvor zu fühlen war.
Die Wirkung der Gemütsbewegung auf die Arterienerweiterung
ist als Erröten wohlbekannt. Das war auch Harvey gut bekannt,
welcher sagt: „Bei der Bescheidenheit sind die Wangen mit roten
Flecken übergossen, bei der Furcht und unter dem Gefühl der
Schmach und Schande wird das Gesicht bleich, die Ohren jedoch
brennen ob des Bösen, welches sie hören oder hören sollen; wie
schnell schwillt das Glied bei der Wollust durch das Blut und
wird aufgerichtet.“
Obwohl das Erröten oft nur vom Nervensystem abhängig ist,
kann es auch künstlich durch Inhalation von Amylnitrit hervor¬
gerufen werden. Diese Droge hat eine zweifache Wirkung auf
die Gefässerweiterung, indem sie zunächst auf das Erweiterungs¬
centrum im Gehirn wirkt, alsdann auf die peripheren Gefässe
selbst.
Ihre centrale Wirkung wurde von Fi leb ne bewiesen, welcher
fand, dass die Ohrgefässe des Kaninchens sich nicht erweitern,
wenn das Amylnitrit enthaltende Blut durch sie hindurchgebt,
jedoch durch die Ligatur der Hirnarterien verhindert wird, das
Gehirn zu erreichen. Andererseits wurden sie erweitert, wenn
das Blut, welches sie durchströmte, rein war, jedoch Amylnitrit
enthaltendes Blut das Hirn durchströmt hatte. Die Fähigkeit
dieses Mittels, eine periphere Erweiterung hervorzurufen, war
schon durch einige Experimente bewiesen worden, welche ich im
Jahre 1869 in Ludwig’s Laboratorium ausführte. Ich fand,
dass der Blutdruck sank, wenn das vasomotorische Centrum von
dem übrigen Körper mittels Durchscbneidung des Rückenmarks
getrennt wurde. Diese Experimente und die von Fi lehne zeigen,
dass die Erweiterung der Arterien einen mehrfachen Ursprung
haben kann, einen centralen oder peripheren oder auch einen
kombinierten.
Bei manchen Personen tritt das Erröten so schnell und in
solcher Ausdehnung ein, dass es denjenigen, welche darunter
leiden, die grösste Unannehmlichkeit bereitet. Es ist sehr be¬
kannt bei jungen Frauen, kommt jedoch auch bei jungen Männern
vor. Bei manchen besteht es das ganze Leben hindurch, wenn
auch solche Fälle selten sind. Das Erröten bängt gewöhnlich
von einer Gemütsbewegung irgendwelcher Art ab und besonders
bei Bescheidenheit und Schüchternheit; bei der Menopause jedoch
tritt das Erröten plötzlich ohne jede Gemütsbewegung und oft
auch ohne jede wahrnehmbare Ursache auf. Sowohl beim Er¬
röten als auch bei den Kopfkongestionen in der Menopause ist
die Gefässerweiterung von einem Hitzegefühl begleitet; das ist
jedoch nicht unweigerlich der Fall. Die Kopfkongestionen, wie
sie oft von den Patienten bezeichnet werden und in der Meno¬
pause Vorkommen, sind wahrscheinlich bedingt durch eine Art
von Toxämie, die ihren Ursprung in einer Störung der inneren
Sekretionen in dieser Periode hat. Die funktionellen Störungen
des arteriellen Systems, welche zu Erweiterung führen, sind
jedoch weniger häufig und von geringerer Bedeutung als die
durch Kontraktion der Arterien. Der erste, welcher die Be¬
deutung der arteriellen Kontraktion als eine Ursache von Schmers
betonte, war der verstorbene Prof. E. duBois-Reymond, in
dessen Laboratorium ich den Vorzug hatte, im Jahre 1868 zu
arbeiten. Er litt sehr an Migräne, und der Schmerz wurde bisher
als durch Neuralgie bedingt erklärt. Er bemerkte jedoch, dass
während des Schmerzanfalls, welcher die rechte Kopfseite betraf,
das Gesicht blass und eingesunken, das rechte Auge klein und
gerötet und die Pupille erweitert war. Der Schmerz wurde durch
alles gesteigert, was den Blutdruck im Kopfe erhöhte, wie Bücken
oder Husten. Er wurde mit jedem Herzschlag grösser, und die
Arterie in der Schläfe glich einem barten Strang auf der rechten
Seite, während sie auf der linken von normalem Kaliber war.
Daraus schloss er, dass seine Migräne durch einen Tetanus der
Muskelwand der Gefässe in dem Gebiete des Halssympathicos
der rechten Seite bedingt war. Den Schmerz bei diesem Tetanus¬
zustande der Gefässe schrieb er dem Druck auf die sensiblen
Nerven in ihrer Muskelwand zu.
Einige Autoren haben diese Ansicht bestritten, weil sie bei
der Migräne die Temporalarterie erweitert und pulsierend fanden,
nicht kontrahiert, wie sie du Bois-Reymond beschrieben hatte.
Leider litt ich selbst ebensosehr an Migräne, und aus Beobachtungen
an meinem eigenen Kopfe kann ich nicht nur die Behauptung
du Bois-Reymonds bestätigen, sondern auch die scheinbaren
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3. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Widersprüche bei denen der anderen erklären. Bisweilen fand
ich, wenn ich an Kopfschmerzen litt, die Temporalarterie quer
über dem Temporalmuskel wie einen Strang kontrahiert, so wie
es du Bois-Reymond beschrieb. Andere Male, wenn der
Schmerz genau denselben Charakter hatte, fand ich die Arterie
an dieser Stelle weit dilatiert und pulsierend; wenn ich jedoch
den Lauf ein wenig weiter verfolgte, bis sie zur Stirn aufzu¬
steigen begann längs der rechten Seite des Stirnbeins, fand ich,
dass sie kontrahiert und vollkommen hart war, so dass sie einer
Klaviersaite glich. In anderen Fällen, wo der mittlere Teil der
Temporalarterie kontrahiert war, fand ich, dass die entsprechende
Carotis, wenn man sie am Halse fühlte, auf nahezu ihren
doppelten Durchmesser erweitert schien und heftig pulsierte.
Die Richtigkeit der du Bois Reymond’schen Idee betreffs der Ur¬
sache des Schmerzes wird durch meine Beobachtung bestätigt,
dass, wenn ich auf meine Carotis so drückte, dass ich den Ab¬
fluss des Blutes in die Temporalarterie hemmte, der Schmerz so¬
fort wie durch einen Zauber verschwand. Leider konnte ich
jedoch die Carotis nicht komprimieren, ohne zugleich auf den
Nervus vagus zu drücken, und das brachte ein solches Angst¬
gefühl in der Brust hervor, dass ich gezwungen war, den Druck
zu mässigen. Unmittelbar nach Rückkehr der Circulation kehrte
der Schmerz mit plötzlichem Klopfen zurück und schien weit
grösser zu sein als die vorhergehende Besserung. Ich konnte in
meinem Falle weder die deutliche Blässe, noch die Erweiterung
der Pupille beobachten, wie das bei du Bois-Reymond der
Fall war. Mit Recht aber verlegt er die Ursache des Gefäss-
krampfes in die Ciliospinalgegend, und seine Ansicht erfährt
durch die Beobachtung, welche ich bei mir selbst machte, dass
der Schmerz bisweilen plötzlich die Stirngegend verlassen nnd
im Hinterhaupt auftreten kann oder umgekehrt, eine kräftige
Stütze.
Die Aetiologie solcher Kopfschmerzen ist, wie ich glaube,
eine zwiefache: 1. besteht ein gewisser Grad von Toxämie, be¬
dingt durch die Anhäufung von Toxinen in der Leber durch Diät-
fehler oder mangelnde Darmtätigkeit, 2. ist eine lokal be¬
stimmende Ursache vorhanden. Am meisten kommt hierfür in
Betracht Ueberanstrengung des Auges infolge von Ungleichheit
beider Augen hinsichtlich der Fokaldistanz oder Astigmatismus
oder in einigen Fällen mangelhafte Konvergenzkraft. Wird das
schwächere Auge durch das Bestreben, mit dem kräftigeren
Schritt zu halten, angestrengt, so tritt gewöhnlich auf der Seite
des schwächeren Auges der Schmerz auf. Zuweilen jedoch be¬
fällt der Kopfschmerz erst die eine Seite und darauf die andere,
ln einigen Fällen dürfte ein cariöser Zahn oder eine Reizung der
Nasen- oder Ohrenschleimhaut die Seite bestimmen, auf welcher
die Migräne auftritt. Uebermässige Anstrengung beim Sehen ruft
oft Migräne hervor, so z. B. bei einer Eisenbahnreise, wenn der
Fahrgast aus dem Fenster blickt und beständig die Augen vor-
und rückwärts auf Gegenstände der Landschaft, welche in schneller
Folge vorüberziehen, richtet, oder wenn die leichte Vibration die
Augen anstrengt, sobald der Reisende zu lesen versucht. Augen¬
überanstrengung kommt auch oft vor, wenn man Gemälde in
einer Gallerie besichtigt oder die Schauspieler im Theater eifrig
beobachtet. Es spielt jedoch auch der toxische Faktor eine Rolle
bei der Migräne. Denn wenn der Anfall vorüber ist, besonders
wenn er von Diarrhöe, Erbrechen oder beidem begleitet wird, so
ist die betreffende Person eine Zeitlang immun und kann unge¬
straft alles das tun, was sonst den Anfall auslösen würde. Seh-
scbwäcbe und eigentümliche Lichterscheinungen begleiten oft die
Migräne. Letztere führt du Bois-Reymond auf ein Sinken des
Blutdrucks im Gehirn infolge der Kontraktion der Arterien zurück.
Diese Erscheinungen sind sehr genau von Hubert Airy in den
Philosophical transactions of the Royal society 1870 be¬
schrieben und abgebildet worden. Sie haben gewöhnlich die
Gestalt einer Sichel, welche an dem einen Ende verbreitert ist
und sich nach dem anderen hin spitz verjüngt. Das Blatt der
Sichel besteht aus zickzack förmigen- Lichtlinien, die oft stellen¬
weise rot oder grün gefärbt sind und beständig flackern. Im
Centrum der Sichel befindet sich oft ein Stern. Die Erscheinung
spielt sich jedoch nicht in der Netzhaut ab. Denn ich fand,
dass Druck auf den Augapfel, welcher die Sehaxe verschiebt und
das Aussehen der realen Objekte verändert, keine Wirkung auf
diese subjektiven Lichter ausübte.
Nicht selten besteht an Stelle derselben oder zusammen mit
ihnen vollständige Hemianopsie und zuweilen, wenn aueh selten,-
totale Blindheit. Der Geschmack und der Geruch sind seltener
beteiligt; ich habe jedoch einen Fall gesehen, bei welchem
während des Anfalls von Kopfschmerz weder Geschmack noch
Geruch vorhanden waren, um jedoch ganz schnell wiederzukehren,
sobald der Anfall vorüber war. Das Tastgefühl in den Fingern
ist auch bisweilen vermindert. Diese Symptome sind wahr¬
scheinlich bedingt durch eine Kontraktion der Gefässe, welche
die sensiblen Hirnpartien versorgen.
Die Amblyopie wurde oft und sehr wahrscheinlich mit Recht
auf einen Spasmus der Netzhautarterien zurückgeführt; die zick¬
zackförmigen Lichtlinien und die Hemianopsie sind fast sicher
cerebralen Ursprungs und die Folge der Kontraktion der Arte¬
rien, welche die Sehcentren und besonders den Hinterhauptslappen
versorgen.
Die motorischen Hirncentren dürften gleichfalls durch den
Krampf der Blutgefässe, welche sie versorgen, affiziert werden.
Das erkannte du Bois-Reymond, welcher der Ansicht war,
dass die Krämpfe bei Epilepsie höchstwahrscheinlich durch den
Krampf der die motorischen Centren versorgenden Gefässe bervor-
gerufen würden, welche ihre ßlutversorgung abschneiden und eine
ähnliche Wirkung ausüben, wie sie Kussmaul und Tenner
nach Ligatur der Hirnarterien beobachteten. Epilepsie und
Migräne seien, wie er meinte, nahe verwandt und unterscheiden
sich nur dem Grade, nicht der Art nach.
Aphasie ist keineswegs unbekannt bei Migräne, nnd jüngst
bat Dr. Russell Fälle nicht nur von Aphasie, sondern auch von
Monoplegie und selbst Hemiplegie beschrieben, welche aller
Wahrscheinlichkeit nach durch den Krampf der die motorischen
Gebiete versorgenden Gefässe bedingt waren.
Die Wirkung der peripheren Arterienkontraktion kann an
den Extremitäten des Körpers beobachtet werden, wenn sie
schwerer Kälte ausgesetzt werden. Wenn die sie versorgenden
Gefässe sich kontrahieren, werden die Finger und Zehen anfäng¬
lich weiss wegen Mangels an Blut und aldann blau durch Stauung
desselben in den venösen Capillaren. Darauf kann eine Dilatation
aller Gefässe eintreten, und es zeigt sich eine hellrote Färbung
der Haut, gewöhnlich mit Hitze und bisweilen mit heftigen
Schmerzen verbunden. Ist die Kälte sehr streng, so bleibt die
Kontraktion der Gefässe bestehen, die Gewebe selbst werden
durch die Kälte geschädigt, und es tritt die Form der Gangrän
ein, welche als Frostgangrän bekannt ist. Die Empfindlichkeit
für Kälte ist bei den verschiedenen Personen sehr verschieden;
denn manche zeigen eine grosse Widerstandskraft gegen dieselbe,
während andere darunter sehr zu leiden haben. Bei manchen
Individuen treten ähnliche Symptome ohne jede erkennbare
Ursache auf.
Dieses Leiden wurde 1862 von Raynaud beobachtet und
trägt seinen Namen. Ich selbst sah, dass die Fingerspitzen bei
einer Frau weiss und runzelig wurden, so dass sie denen einer
Leiche glichen. Wie ich sah, schritt die Blässe und das Runzelig¬
werden langsam auf die Hand bis znm Handgelenk fort, welches
sie in weniger als zehn Minuten erreichten. In schweren Fällen
von Raynaud’scher Krankheit kann der Prozess in Gangrän über¬
gehen wie bei der Erfrierung. Die Schwere der Kontraktion kann
an verschiedenen Teilen der Haut verschieden sein. So beschrieb
Osler einen Fall, bei welchem ein Finger weiss und die be¬
nachbarten rot und blau waren.
Er erwähnte auch, dass einige der bereits beschriebenen
Symptome, wie Amblyopie infolge von Krampf der Netzhaut-
gefässe, temporäre Aphasie und Hemiplegie in Fällen von
Raynaud’scher Krankheit Vorkommen können. Ebenso erklärt er,
dass Epilepsie sehr gewöhnlich dabei sei, und dass sie in einem
Falle nur im Winter zu derselben Zeit wie die anderen Symptome
der Raynaud’schen Krankheit auftrat. 1866 beschrieb Noth¬
nagel ähnliche Fälle, bei welchen der periphere Gefässkrampf
Verlust der -Sensibilität, Steifigkeit, Kältegefühl und schwere
neuralgische Schmerzen bervorrief. Im Verfolg dieser Beob¬
achtungen kam er zu dem Schluss, dass eine Anzahl von Fällen
von Angina pectoris primär von einem Krampf der kleinen
Arterien herrühre, und dass die Herzsymptome mehr sekundäre
wären.
Während die Anfälle von echter Angina pectoris gewöhnlich
durch Ueberanstrengung oder Aufregung bervorgerufen werden,
entstanden die von Nothnagel beschriebenen fast stets dadurch,
dass sich die Patienten der Kälte ausgesetzt hatten. Sie waren
auch oft von Schwindel begleitet, und in einem Falle wurden
Konvulsioneo beobachtet. Diese Symptome führte er auf eine
Kontraktion der Hirnarterien zurück. In einem Falle von Angina
pectoris, welchen ich Gelegenheit hatte, im Winter 1866/67 su
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
behandeln, and bei welchem ich zuerst Amylnitrit als Heilmittel
anwandte, fand ich, dass während des Anfalls der Puls sehr
schnell wurde und seine Spannung sehr beträchtlich anstieg.
Wenn man sieht, wie die Gefässe des Kopfes und der Ex¬
tremitäten so leicht zum Krampf neigen, wäre es verwunderlich,
wenn die Abdominalgefässe nicht auch bisweilen davon befallen
würden.
Im Jahre 1899 beschrieb ich einen Fall von plötzlichem
Schmerz im Abdomen und benannte ihn, aus Mangel an etwas
Besserem, zu jener Zeit als „Kopfschmerz im Bauche u und führte
ihn auf eine krampfartige Kontraktion der Arterien im Bauche
zurück in derselben Weise wie im Kopf bei Migräne. Eine
Beobachtung, welche ich machte, und welche diese Annahme zu
bestätigen scheint, ist die, dass bisweilen der Schmerz vom Kopf
zum Bauche übertragen werden kann, wenn man Phenacetin
nimmt.
In meinem eigenen Falle beobachtete ich, dass, wenn ich
0,6 g Phenacetin nahm, der Schmerz im Kopfe sich besserte, aber
fast zu gleicher Zeit, wie der Schmerz aus dem Kopfe verschwand,
er im Bauch auftrat: eine Uebertragung von Schmerzen, die
auffällig dem ähnelt, was ich bereits erwähnte, dass nämlich
beim Kopfe der Schmerz von der Stirn nach dem Hinterhaupt
wandert.
Fast zu derselben Zeit beschrieb Huchard solche Fälle
unter dem Namen „Angina pectoris pseudogastrica“, und fast drei
Jahre später gab Baccelli ihnen den Namen „Angina abdominis u .
Pal beobachtete eine Anzahl Fälle von Tabes, bei welchen dieses
Symptom vorhanden war. Er teilte diese Fälle in zwei Klassen:
eine solche, bei welcher Erbrechen mit oder ohne Schmerzen,
aber ohne Blutdrucksteigerung bestand, und eine zweite, bei
welcher Schmerz und hoher Blutdruck bestand und der Schmerz
durch Amylnitrit geradeso wie bei Angina pectoris gehoben
wurde.
Ich habe in diesen Fällen nicht Ueberanstrengung als Ur¬
sache der Schmerzen erwähnt gefunden, aber in einem von
Dr. E. W. Williams und mir beschriebenen Falle traten Schmerzen
in der Nabelgegend auf unmittelbar darauf, wenn der Patient zu
gehen begann. Der Schmerz wurde sofort durch Nitroglycerin
beseitigt, wie das bei Angina pectoris der Fall gewesen wäre.
Ich glaube, es besteht Grund zur Annahme, dass in vielen
Fällen ein Gefässkrampf Vorkommen und die bereits beschriebenen
cerebralen, abdominalen und peripheren Symptome erzeugen kann,
obwohl die Gefässe gesund sind. In manchen Fällen schwindet
vielleicht die Tendenz zu Krämpfen, weil die Arterien mit zu¬
nehmendem Alter weniger elastisch werden. Denn man findet
oft, dass Menschen, welche in ihrer Jugend sehr von Migräne
geplagt waren, mit zunehmendem Alter weit weniger darunter
zu leiden haben.
Andererseits wird, wenn die Arterien, zum Teil durch Atherom,
verengt sind, die Wirkung des Spasmus viel ausgesprochener sein
und in Fällen, in welchen solche Symptome wie Schwindel, transi¬
torische Aphasie, Monoplegie oder Hemiplegie bei Patienten,
welche an Atherom leiden, Vorkommen, wird es sehr schwer oder
unmöglich sein, zu bestimmen, wie weit die Hemmung der Circu-
lation in einem der Cerebral gefässe Folge des bestehenden Spasmus
und wie weit die Verengerung durch Atherom oder durch Embolie
atberomatöser Massen bedingt ist.
Was die Behandlung des Kopfschmerzes betrifft, so ist zu¬
nächst jede Reizquelle, wie Ungleichheit der Fokallänge, Astigma¬
tismus oder Konvergenzfehler der Augen, durch eine passende
Brille zu beseitigen, ein cariöser Zahn zu extrahieren oder zu
plombieren und jede lokale Reizquelle in der Nase und im Ohr
zu entfernen. Beim Migräneanfall sind die Mittel, welche am
schnellsten Heilung bringen, Phenacetin oder Antipyrin, allein
oder mit Coffein kombiniert. Sie sollen genommen werden, so¬
bald das erste Anzeichen von Kopfschmerz sich einstellt, und,
wenn irgend möglich, soll der Patient wenigstens 20 Minuten
nach dem Einnehmen liegen. 0,6—1,2 Natr. salicylicum und die¬
selbe Menge Bromkalium werden gleichfalls oft Besserung bringen,
und Personen, welche oft morgens mit Kopfschmerzen aufwacben,
können einem Anfall Vorbeugen, wenn sie das Mittel nachts ein¬
nehmen. In Fällen, in welchen die Migräne mit Erbrechen ver¬
bunden ist, werden die Mittel, per os gereicht, wenig oder gar
keinen Erfolg erzielen. Gibt man sie per os, nachdem der Anfall
eingetreten ist, so werden sie vom Magen aus nicht resorbiert.
Eine Resorption tritt aber vom Rectum aus selbst auf der Höbe
des Anfalls ein, und verabfolgt man die Mittel per Klysma, so
kann man Besserung erzielen.
Bei manchen Personen geht dem Kopfschmerz Reizbarkeit,
Schläfrigkeit und Müdigkeit oder das Gegenteil, nämlich starke
Aufregung, einige Stunden voraus. Gibt man Bromkalium und
Natr. salicylicum, sobald diese Symptome sich einstellen, so werden
sie nicht nur gehoben, sondern man beugt auch dem Kopfschmerz
vor. Ja diese Medikamente bessern oft das reizbare Temperament,
mag es von Kopfschmerz begleitet sein oder nicht. Trägheit,
Mattigkeit und Appetit Verlust werden bisweilen bei Personen,
welche an Kopfschmerzen leiden, ein oder zwei Tage, bevor sie
eintreten, beobachtet. Diese prämonitorischen Symptome sind
wahrscheinlich die Folge einer Anhäufung von Toxinen in der
Leber und können durch Darreichung eines merkuriellen Abführ¬
mittels zur Nacht mit nachfolgendem Salinum des Morgens be¬
seitigt werden, so dass der Kopfschmerz ausbleibt.
Wallungen in der Menopause sind oft ausserordentlich schwer
und mühsam zu behandeln. Bromide werden in den verschiedensten
Formen reichlich angewendet; Jaborandi, Pulsatilla und Ovarial-
extrakte sollen erfolgreich sein, wenn die anderen Mittel ver¬
sagen. Bei der Bauchpulsation muss die Diät bland und reizlos
sein, Magen und Darm sollen durch Wismut und Natr. bicarb.,
wenn nötig in Verbindung mit einem leichten Laxans, beruhigt
und die Refiexerregbarkeit durch Bromide und Baldrian herab¬
gesetzt werden. Bei peripherem Gefässkrampf, der zu Frostbeulen
führt oder die Symptome der Raynaud’schen Krankheit hervor¬
ruft, fand ich, dass Natr. salicylicum, entweder allein oder in
Verbindung mit Bromiden, eins der besten von allen Heilmitteln
war, welche ich anwandte. Bei Angina pectoris ist ein anderes
Mittel sehr nützlich, um die Tendenz zum Muskelkrampf herab¬
zusetzen, nämlich die Schilddrüse, sei es in Form von Tabletten
oder der getrockneten Drüse oder eines der zahlreich daraus her¬
gestellten Extrakte. Gibt man das Mittel in kleinen Dosen, wie
etwa 0,06 g der getrockneten Drüse, so verhütet man das Auf¬
treten von Frostbeulen bei vielen Personen, die sonst sehr daran
litten. Ich glaube auch bei älteren Personen, welche an Arterio¬
sklerose mit hohem Blutdruck litten, damit Besserung erzielt zu
haben. Man muss jedoch seine Wirkung sorgfältig überwachen,
und eine der ersten Indikationen zum Aussetzen desselben ist das
Auftreten von Nervosität und Reizbarkeit.
In Fällen von Angina pectoris, welche mit einer Steigerung
des Blutdrucks beim Anfall verbunden sind, ist es ratsam, ihn
niedrig zu erhalten, indem man den Patienten empfiehlt, sich
ganz des Fleiscbgenusses und kräftiger Brühen zu enthalten,
mässig Alkohol zu sich zu nehmen und jede körperliche oder
geistige Anstrengung zu vermeiden. Natr. nitricum, Nitroglycerin,
Nitroerythrit, Nitromannit und bippursaures Natrium und Ammonium
sind alle zweckmässig. Jodide, entweder in der Form von Jod¬
natrium oder Jodkalium, oder ihre organischen Verbindungen sind
gleichfalls sehr gute Heilmittel.
Guipsin ist sehr empfohlen worden, gab jedoch unter
meinen Händen einige Enttäuschung. Vielleicht liegt es an der
fehlerhaften Verabreichung und nicht an der Güte des Mittels.
In jedem Fall ist es sehr wichtig, eine Anhäufung von Toxinen
in der Leber zu verhüten, und sehr zweckmässig, eine Queck-
silberpille, zwei- oder dreimal die Woche, mit einem nachfolgenden
salinischen Abführmittel des Morgens mit den anderen Heilmitteln
zu verbinden.
Bleibt der Blutdruck trotz des Gebrauchs von Arzneimitteln
hoch, so ist eine gelegentliche Blutentziehung, wie ich sie in
meiner Arbeit über Angina pectoris im Jahre 1887 empfohlen
habe, sehr nützlich.
Bei fortgesetzter Beobachtung einer sorgfältigen Diät und
täglichem Gebrauch von gefässerweiternden Mitteln, wie Nitrate
und Jodide, kann der Blutdruck bei älteren Leuten bisweilen in
mässigen Grenzen gehalten werden.
Die Hirnblutung, welche sonst leicht eintreten würde, kann
auf diese Weise abgewendet und das Leben auf Jahre hinaus ver¬
längert werden.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
3. Februar 1913._BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 197
Der Einfluss des Druckes auf den Koeffizienten
der Blutviscosität.
Von
W. R. Hess- Zürich.
Id Heft 42, Jahrg. 1912 dieser Wochenschrift erschien eine Arbeit
von I. Glaubermann (aus dem chemisch-bakteriologischen Institut von
Dr. Ph. Blumenthal in Moskau), welche sich mit der Divergenz der
Angaben des Determann’schen Viscosimeters und des von mir kon¬
struierten beschäftigt. Glaubermann führt den Unterschied darauf
zurück, dass beim Blut (wie auch bei anderen untersuchten Suspensionen)
die den Wandungen zunächstliegende Flüssigkeitsschicht nicht in Ruhe
verbleibe, wie bei homogenen Flüssigkeiten, sondern eine Verschiebung
gegenüber der Wand erfährt. Fine solche Verschiebung hebt natürlich
die Gültigkeit des Poiseuill’schen Gesetzes auf, woraus wiederum
Glaubermann folgert, dass der Verwertbarkeit meines Viscosimeters
Beschränkungen aufzuerlegen sind, da bei diesem mit ziemlich erheb¬
lichen Druckdifferenzen gearbeitet wird.
Die der Deduktion zugrunde gelegte Annahme ist entschieden un¬
begründet, und Glaubermann bleibt den Beweis schuldig, dass Gleit¬
erscheinungen in messbaren Beträgen unter den in Frage kommenden
äusseren Umständen auftreten.
Da nach den Arbeiten verschiedener Autoren der Druck bei dem
Zustandekommen der Differenz eine erhebliche Rolle spielt, so ist es
das naheliegendste, Serienversuche auszuführen mit variablem Druck, um
durch die Variation des als Ursache aDgesprochenen Momentes seinen
Einfluss zu studieren.
Bei dieser Grundbedingung für eine einwandfreie Klärung der Ver¬
hältnisse sind die Druckbestimmungen, die Glaubermann fast aus¬
schliesslich anwendet: „starkes Ansaugen“ und „schwaches Ansaugen“
ungenügend.
Dementsprechend bringt er experimentelle Belege nur für die schon
zur Genüge bekannte Tatsache, dass zwischen den Resultaten der Vis-
cositätsbestimmungen Differenzen auftreten, wenn niedrige und hohe
Druckwerte in Anwendung gebracht werden, und dass die Differenzen
im allgemeinen steigen mit zunehmendem Visoositätsgrad der unter¬
suchten Blutprobe. Darüber, welche Werte — die bei den hohen Druck¬
differenzen oder bei den niedrigen gewonnenen Werten — als die rich¬
tigen anzusehen seieD, können die Experimente Glaub er man n’s keinen
Aufschluss geben. Hätte Glaubermann bereits vorhandene eingehende
Untersuchungen gerade über dieses Thema nicht ausser acht ge¬
lassen, so wäre er vielleicht zu einer anderen Auffassung gelangt. Zur
Erhärtung meiner Worte gebe ich nachstehend eine Versuchsserie wieder,
welche ich mit anderen zusammen publiziert habe 1 ).
Die aufgefubrten Zahlen beziehen sich auf Kaninchenblut, das durch
Centrifugieren an Blutkörperchen bereichert wurde, da die Differenzen
am grössten bei hochviscösem Blute ausfallen. Die Viscosität dieser
Blutprobe wurde unter verschiedenen Druckverhältnissen (Angaben in
Centimeter Quecksilber) auf seine Viscosität geprüft.
Versuchstemperatur 22°.
Druckdiff.-+65,0 +42,4 +28,0 + 17,6 + 10,6* +5,6 1+60,6
Viscosität 6,84 6,84 6,84 6,90 7,14 7,64 1 6,64
Die Resultate zeigen einmal den eben in Frage stehenden Unter¬
schied der Viscositätswerte, welche z. B. beim grössten und geringsten
Drucke gemessen wurden. Wenn wir aber auch die Werte ins Auge
fassen, die bei den dazwischenliegenden Druckdifferenzen gefunden sind,
so erkennen wir die wichtige Tatsache, dass es gerade die grossen
Druckdifferenzen sind, welche unter sich übereinstimmende Werte
liefern, und dass diese Konstanz der Werte verloren geht, sobald wir
uns in das Gebiet der niedrigen Druckdifferenzen begeben. Die be¬
deutenden Differenzen der bei niedrigen Druckwerten gewonnenen Zahlen
sind so eklatant, dass man gar nicht daran denken darf, einem solchen
Wert eine andere als eine accidentelle Bedeutung beizumessen. Dass
als Ursache der Differenz nicht eine Veränderung des Blutes im Sinne
der Gerinnung verantwortlich gemacht werden darf, zeigt die letzte Zahl,
welche einem am Schlüsse eingefügten erneuten Versuch mit wieder
hoher Druckdifferenz entspricht. Das Resultat bei diesen schliesst sich
wieder den ersten bei hohen Druckdifferenzen gewonnenen niedrigen
Viscositätswerten an.
Nicht minder deutlich sprechen ferner die Resultate, welche bei
einer aoderen Versuchsanordnung gewonnen wurden. Ich entnehme die¬
selben meiner Publikation: Der Strömungswiderstand des Blutes gegen¬
über kleinen Druckwerten 2 ).
Diese neue Versuchsordnung bestand darin, dass bei drei neben¬
einander gelagerten parallelen Capillaren A, B und C Durchflusszeiten
bestimmter Volumina gemessen wurden, wieder bei wechselnden Druck¬
werten.
Die für ein bestimmtes Durchflussvolumen notierten Durchfluss¬
zeiten wurden mit dem jeweilig angewandten Druck multipliziert, also
das Produkt: Druck x Zeit gebildet. Nach dem Poiseuill’schen Gesetz
muss dieses Produkt für konstante Durchflussvohimina selbst kon¬
stant sein.
1) Reibungswiderstand des Blutes und Poiseuill’sches Gesetz. Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. 71, H. 5 u. 6.
2) Archiv für Anatomie und Physiologie, physiologische Abteilung
1912.
Druck X Zeit pro Maasseinheit
Druck
A
B |
C
80
122
97
62 0
79
121
94
38-8
78
121
94
27-2
80
123
96
22*8
82
129
| 99
14-7
87
133
; 104
10-8
91
141 i
111
6-8
102
153
125
4 2
115
170 !
141
2-25
85
130 !
103
61-9
Diese Tabelle zeigt wieder für alle drei Capillaren A, B und C das
Hervortreten einer Differenz der bei hohen und der bei niedrigen Drucken
gewonnenen Resultate (Produktzahlen). Da das Poiseuill’sche Gesetz
eine Gleichheit der Produktzahlen fordert, so muss also von einer Un¬
stimmigkeit des Poiseuill’schen Gesetzes gesprochen werden. Die zwischen
der höchsten und niedrigsten Druckdifferenz eingeschalteten Werte
zeigen wieder, dass diese bedeutende Unstimmigkeit besteht, wenn wir
uns im Gebiete der niedrigen Druckwerte befinden. Für die grossen
Druckwerte dagegen, und dies ist hier das Ausschlaggebende,
gilt das Poisseui 1 l’sche Gesetz. Zu diesem selben Resultat sind
auch Münzer und Bloch auf Grund ihrer eingehenden Experimente ge¬
kommen !).
Endlich sei noch erwähnt, dass bei einem Vergleich der drei ver¬
schiedenen Capillaren ein quantitativ übereinstimmendes Verhalten zutage
tritt, ein Verhalten, das wieder mit der Glaubermann’schen Hypothese
unvereinbar ist. Denn nach dieser müsste wegen der Aenderung des
Verhältnisses Querschnitt zu Oberfläche eine Aenderung des Ausschlages
eintreten.
Genauere Angaben über die Versuchsanordnung, über die Kontrolle
der benutzten Apparate und über die von mir vermutete Ursache finden
sich in den angegebenen Arbeiten. Nur so viel will ich hervorheben,
dass das erwähnte Verhalten des Blutes zu erwarten ist bei allen den¬
jenigen „Flüssigkeiten“, die infolge von Kohäsionserscheinungen im Innern
der Flüssigkeit eine gleiche oder ähnliche Stabilität in der Nähe des
Rubepunktes aufweisen wie eine sehr dünnflüssige Gallerte. Stärkeren
Krafteinflüssen gegenüber gebahren sich solche wie eigentliche Flüssig¬
keiten. Bei geringen Krafteinwirkungen dagegen kommen
neben den Reibungswiderständen messbare Kohäsionskräfte
zum Ausdruck.
Doch Theorie beiseite; wir wollen uns nur an Tatsachen halten,
und diese zeigen, dass bei Viscositätsuntersuchungen des Blutes
erhebliche Druckdifferenzen nicht nur zulässig sind, sondern ge¬
fordert werden müssen. Denn die Gültigkeit des Poiseuill’schen
Gesetzes ist bei Blut nicht nur wie bei allen Flüssigkeiten (durch die
sogenannte kritische Geschwindigkeit Reynold’s) nach oben begrenzt,
sondern auch nach unten. Die Gültigkeit des Poiseuiil’schen Ge¬
setzes und damit die Berechtigung von Apparaten, welche auf dasselbe
begründet sind, existiert nur io einem dazwischen liegenden Gebiet, in
welchem jeder brauchbare Viscosimeter arbeiten muss, um
richtige Resultate zu geben, eine Bedingung, welche beim Deter-
mann’schen Apparat nicht erfüllt ist.
Aus dem hygienischen Institut der Universität
Freiburg i. B. (Direktor: Prof. Dr. M. Hahn).
Die Bestimmung der Kohlensäurespannung in
der Alveolarluft mittelst des Interferometers.
Von
Martin Hahn und Rudolf Heim.
Seit längerer Zeit wird in der analytischen Chemie, besonders
in der Nahrungsmittelchemie die Bestimmung des Brechungs¬
index von Flüssigkeiten und leicht schmelzbaren Körpern bereits
dazu verwandt, um ihre Reinheit oder den Prozentgehalt an be¬
stimmten Körpern oder schliesslich die gleichmässige Zusammen¬
setzung zu ermitteln. Für die Gase sind solche Refraktometer
erst in neuerer Zeit auf Veranlassung von Haber und Löwe*)
durch die Firma Zeiss konstruiert worden, die neuerdings
dabei im wesentlichen einer von Lord Rayleigb gegebenen Ver¬
suchsanordnung folgten und einen Interferenzapparat herstellten,
das sogenannte Interferometer. Dieses Instrument findet bereits
1) Weitere Beiträge zur Kritik der Viscositätsbestimmungsmethoden.
Zeitschr. f. experim. Pathologie u. Therapie, 1912.
2) Zeitschr. f. angewandte Chemie, 1910. Physikal. Zeitsohr., 1910.
Zeitschr. f, Instrumentenkunde, 1910.
2
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198
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
zur Untersuchung von Industriegasen vielfache Verwendung,
namentlich, seitdem es in neuester Zeit in eine tragbare Form 1 )
umgewandelt ist, die zwar keine so grosse Genauigkeit wie der
ältere Laboratoriumsapparat ermöglicht, aber dafür eine
ambulante Ausführung der Analyse, auch direkt am Kranken-
bette, gestattet. Es war naheliegend, das Instrument nunmehr
auch für die biologische Gasanalyse zu verwenden, und die
folgenden Untersuchungsresultate beweisen, dass der Apparat in der
Tat für die Bestimmung der Kohlensäure in der Alveolarluft, der
gerade jetzt von seiten der Kliniker grosse Bedeutung beigemessen
wird, vollkommen genügende Genauigkeit besitzt. Zum besseren
Verständnis sei hier das Prinzip und die Konstruktion des
Apparates kurz auseinander gesetzt.
Das Prinzip des Interferometers beruht auf der Interferenz
zweier Beugungsspektren, die bekanntlich dadurch zustande
kommen, dass man Lichtstrahlen durch einen Spalt treten lässt.
Bei einfarbigem, z. B. rotem Licht erhält man so auf einem Schirm
eine Lichterscheinung, die sich abwechselnd aus hellen und dunklen
Streifen zusammsnsetzt und dadurch erzeugt wird, dass die ein¬
zelnen Strahlen Gangunterschiede zeigen, welche die Lichtwirkung
bald verstärken, bald aufheben. Die Breite dieser Streifen ist
bei Anwendung von rotem Licht grösser als bei blauem Licht.
Wird weisses, also gemischtes Licht verwandt, so überlagern sich
die den verschiedenen Farben zugehörigen Streifensysteme. Wären
diese letzteren gleich breit, so müssten aus ihrer Uebereinander-
lagerung schwarze und weisse Streifen entstehen. Da aber die
Streifen breite für die verschiedenen Farben different ist, so ent¬
stehen auch verschieden gefärbte Streifen, die das Beugungs¬
spektrum darstellen.
Ersetzt man nun den einfachen Spalt durch zwei parallele
Spalte von genau gleicher Breite und schickt durch diese beiden
weisses Licht hindurch, so entstehen zwei Beugungsspektren,
die miteinander interferieren. In einem Punkte, in dem der
Gangunterschied der Strahlen gleich Null ist, verstärken sich die
weissen Spaltbilder und bilden das Maximum Oter Ordnung.
Jn zwei symmetrischen Punkten zu beiden Seiten dieses Maximums
beben sich die beiden Spaltbilder auf und erscheinen als zwei
schwarze Linien, die sogenannten Minima Oter Ordnung. Die
nächstfolgenden Streifen und Linien erscheinen farbig, weil nicht
mehr völlige Deckung bei der Interferenz erreicht wird. Da
dieses Interferenzbild sich wie ein reelles Bild verhält, kann es
im Fernrohr durch eine Lupe betrachtet werden. Ist das Auge
auf unendlich akkommodiert, so sieht es die Erscheinung so, wie
sie sich auf einem im Brennpunkt der Lupe befindlichen Schirm
darstellen würde.
In dem von Löwe konstruierten, von Zeiss hergestellten
tragbaren Interferometer wird der Lichtstrahl durch ein Osram¬
lämpchen geliefert, dessen Licht durch einen Spiegel, der sich
am unteren Ende des Apparates befindet, wieder in den Apparat
zurückgeworfen wird. Das Strahlenbündel der Lampe wird in
drei Teilen zum Beobachtungsfernrohr geleitet. Der eine obere
Teil geht dauernd und ungehindert durch eine Doppelblende in
das Fernrohr und zum Auge des Beobachters, das die in der
Brennebene des Fernrohrobjektivs entstehende Interferenzerschei¬
nung durch eine Cylinderlinse als Ocular betrachtet: dieCylinder-
linse vergrössert nur den Abstand und die Breite, aber nicht die
Länge der Streifen, wodurch deren Helligkeit beeinträchtigt
werden würde. In dieser feststehenden Interferenzerscheinung,
welche bei der Betrachtung die eine Hälfte des Gesichtsfeldes
einnimmt, ist eine 0 Marke gegeben, ähnlich wie durch den
Strich einer Mikrometerteilung. Der untere Teil des Strahlen¬
bündels wird, nachdem er die Doppelblende passiert hat, durch
zwei Messingkammern geleitet. Dadurch wird die bisher ein¬
heitliche Interferenzerscheinung in zwei Hälften geteilt, deren eine
dem oberen frei durch die Luft gehenden Strahlenbündel entspricht,
während die andere von dem durch die Messingkammern gehenden
Strahlenbündel erzeugt wird. Sie sind getrennt durch eine
schwarze Linie, welche durch die undurchsichtigen oberen Längs¬
wände der beiden Kammern hervorgerufen wird. Solange in den
beiden Messingkammern, durch welche das untere Strahlenbündel
geht, das gleiche Gas oder das gleiche Gasgemisch vorhanden
ist, wird das in der einen Hälfte des Gesichtsfeldes erscheinende
Beugungsspektrum sich in keiner Weise von dem anderen, durch
das obere Strahlenbündel erzeugten, unterscheiden: die beiden
Minima Oter Ordnung werden sich in beiden Spektren als zwei
deutlich schwarze Streifen genau einander gegenüberstehen, sich
1) Klemperer, Chemikerzeitung, 1911.
gegenseitig verlängern. Befindet sich aber in der einen Kammer
ein Gas von anderer Konzentration oder Zusammensetzung wie in
der anderen, ist also der Brechungsexponent verschieden, so
differiert auch die optische Weglänge, und die Deckung der ver¬
schiedenfarbigen Strahlen kann in dem einen Beugungsspektrum,
welches dem unteren Strahlenbündel entspricht, nicht mehr am
gleichen Punkte stattfinden wie vorher. Die Maxima und Minima
Oter Ordnung wandern also in diesem Spektrum zur Seite, während
das dem oberen Strahlenbündel entsprechende Spektrum völlig
unverändert bleibt und fest steht.
Gelingt es die zur Seite gewanderten Minima Oter Ordnung
wieder zurück in die Stellung, genau gegenüber den schwarzen
Streifen des feststehenden Beugungsspektrums zu bringen, so ist
damit offenbar eine Messmethode gegeben: denn der Weg, der
hierfür zurückgelegt werden muss, ist durch die Differenz der
Brechungsexponenten bedingt. In dem Zeiss’schen Interferometer
wird dies durch einen optischen Kompensator bewirkt, bestehend
aus zwei planparallelen Glasplatten, die sich vor den Messing-
kammern befinden und deren eine durch eine Mikrometerschraube
um eine Achse quer zur Achse des Fernrohrs gedreht, damit in
ihrer Neigung verändert werden kann und somit auch den Licht¬
strahlen einen Glasweg von veränderlicher Länge entgegensetzt.
Durch die Drehung der Mikrometerschraube, die an einer Trommel¬
teilung messbar ist, kann man also den optischen Weg, den die
Strahlen in den Medien von verschiedenen Brechungsexponenten
zu durchwandern haben, wieder gleicbgestalten, und die Grösse
der Drehung, die hierfür erforderlich ist, ist ein Maass für die
Differenz der Brechungsexponenten, also auch der Zusammen¬
setzung der beiden Gase, die sich in den Messingkammern be-
fiuden. Ist diese Differenz ausgeglichen, so stehen sieb wie in
der O-Lage des Instrumentes die schwarzen Streifen der beiden
Beugungsspektren genau gegenüber und sind in Ruhe. Will man
also z. B. den Gehalt an schwefliger Säure in einer Luft be¬
stimmen, so muss man zunächst die Nulllage des Apparates durch
Füllung der Kammern mit gleichen Gasen oder Gasgemischen
z. B. gewöhnlicher Luft festlegen. Dann kann man die eine
Kammer mit der S0 2 haltigen Luft, die andere mit der gleichen,
aber durch Absorption von SO a befreiten Luft füllen und bat nun
nichts weiter zu tun, als die Mikrometerscbraube so lange zu
drehen, bis die beiden Minima Oter Ordnung sich wieder genau
gegenüberstehen.
Wegen der Möglichkeit von Wasserdampfkondensation ist es
notwendig, alle zu untersuchenden Gase vorher zu trocknen. Da
die ganze Funktion des Instrumentes auf den Unterschieden der
Brechungsindices verschiedener Gase oder Gasgemische, die sich
in den Kammero befinden, beruht, so ist es leicht verständlich,
iTr
Laboratoriums-Interferometer im Aufriss und Grundriss: Das aus dem
Kollimator Kl austretende parallelstrahlige Büschel geht zum Teil durch
die Kammern L, G und die Kompensatorplatten PI, Pg, zum Teil über
den Kammern hin durch dia Hilfsplatte H in das Fernrohr F, das mit
einem Cylinderokular Ok ausgerüstet ist. Tr ist die 100 teilige Trommel
der Mikrometerschraube des Kompensators. Die Doppelblende ist auf
das Objektivende des Fernrohres aufgeschoben. Die Cylinderachse steht
parallel der Längsrichtung des Spaltes und der Doppelblende.
Figur 2.
l~ö~Pn
B
Querschnitt durch die Gaskammer G und die Luftkammer L (etwa l /*nat.Gr.),
Figur 1.
Kl
FT E T =, T^fiir
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
199
Figur 3.
Blick durch die Hülse des herausgezogenen Okulars in das Innere des
Fernrohres auf dessen Objektiv. Der Querschnitt der Kammern ist
punktiert, soweit sie durch die rechteckige Doppelblende verdeckt sind.
0 0 sind die Querschnitte der oberen durch Luft gehenden Strahlen-
büscbel, L und G diejenigen der die Luft- und die Gaskammer durch¬
setzenden Strahlenbüschel.
Figur 4.
Tragbares Interferometer (Schema).
Der ßeleuchtungsapparat B ist in einem kleinen Tubus neben dem Fern¬
rohre angebracht. Das auf den Spiegel S nahezu senkrecht auffallende
Licht wird zurückgeworfen und durch das Objektiv zu einem Interferenz¬
bilde vereinigt, das dicht neben dem Spalte liegt und mittels des Oku¬
lares Ok betrachtet wird. Der Kompensator K ragt nur mit dem oberen
Ende des Hebels und mit der Mikrometerschraube mit Trommel M und
Umdrehungszähler Z aus dem Gehäuse heraus. Die Schutzkappe bat
einen kräftigen Bügel zum Tragen.
Figur 5.
Tragbares Interferometer (ohne Schutzkappe dargestellt).
dass man 1. nur eineu Bestandteil eines Gasgemisches gleich¬
zeitig genau bestimmen kann, 2. der Apparat die Ermittelung
der betreffenden Komponente mit um so grösserer Genauigkeit
gestatten wird, je grösser die Weglänge, d. h. die Länge der
Gaskammern ist, 3. dass für jedes Gas, auf welches untersucht
werden soll, der Apparat eine besondere Eichung erfordert, da
natürlich der Ausschlag (den man nach Eichung für ein Gas
allerdings auch für andere vorher berechnen kann), d. h. die
Zahl der Tromraelteile, die z. B. einem Prozent Kohlensäure ent¬
sprechen, ganz wesentlich verschieden sein muss von derjenigen,
die einem Prozent Sauerstoff entsprechen.
Die Eichung des Apparates wurde für unseren Zweck mit
Kohlensäure vorgenommen und derart ausgeführt, dass Luft¬
kohlensäuregemische von verschiedener Konzentration, meist Atem¬
luft zunächst in Absorptionsröhren durch Bimsstein und Schwefel¬
säure getrocknet in die Kammer eingeführt und dann durch
Pettenkofer Röhren, die mit Barytwasser gefüllt waren, aspiriert
wurden. Die nunmehr von Kohlensäure befreite Luft wurde
direkt von den Pettenkofer-Röhren in die andere Kammer des
Apparates geleitet und diente als Vergleichsgas. Die Kontrolle
durch die Pettenkofer-Bestimmung ergab, dass im Bereiche von
1 bis 8 pCt. 1 pCt. Kohlensäure in trockener Luft 20 Teilstrichen
der Trommel entsprachen, so dass die Eichungskurve für diesen
Bereich durch eine Gerade darzustellen ist. Daraus ergibt sich,
dass ein Teilstrich = 0,05 pCt. Kohlensäure und die Empfindlich¬
keitsgrenze des Apparates damit erreicht ist. Diese Genauigkeit
liess den Apparat in der vorliegenden Konstruktion nicht, wie
anfangs gehofft wurde, als geeignet für die Kohlensäurebestimmung
in der Zimmerluft erscheinen; denn die mit viel einfacheren
Hilfsmitteln leicht auszuführende Bestimmung von Lunge-
Zeckendorf gestattet schon eine Genauigkeit von 0,02 pCt., und
das Interferometer würde höchstens den Vorzug bieten, dass man
mit Schnelligkeit feststellen könnte, ob der Pettenkofer’sche
Grenzwert von 1 pM. in der Zimmerluft bereits überschritten ist.
Das Interferometer würde damit nicht viel mehr leisten als der
Wolpert’sche Luftprüfer, eine Vereinfachung der Lunge-Zecken-
dorf’schen Methode.
Die hier ermittelte Genauigkeit von 0,05 pCt. Kohlensäure
kann aber sehr wohl mit derjenigen konkurrieren, welche durch
die gewöhnlich für diese Zwecke gebrauchten gasanalytischen
Methoden erreicht wird, und damit wird das Interferometer auch
für die Untersuchung der Respirationsluft brauchbar. Für eigent¬
liche Respirationsversuche kann es freilich mit den obengenannten
Methoden deshalb nicht in Wettbewerb treten, weil eine gleich¬
zeitige genaue Bestimmung des Sauerstoffs mit dem tragbaren
Interferometer vorliegender Form nicht auszuführen sein würde.
Man kann berechnen, dass die Genauigkeit der Sauerstoffbestimraung
bei der geringen Verschiedenheit des Brechungsindex von Sauer¬
stoff und Stickstoff nur ungefähr 0,3 pCt. betragen und damit
nicht genügend sein würde. Die Untersuchungen von Plesch 1 )
sowie von Leimdörfer und seinen Mitarbeitern 2 ) haben nun
aber ergeben, dass bei mannigfachen Krankheitszuständen, wie
z. B. bei Diabetes, cardialer Dyspnoe, Carcinom, die Bestimmung
der Kohlensäurespannung in der Alveolarluft beim Menschen von
grossem Interesse sein kann, weil sie ein Bild von der Alkalescenz
des Blutes gibt und damit auch von einer eventuellen Vermehrung
der sauren Valenzen im Blute. Die H-Ionenkonzentration des Blutes
reguliert nach Haldane, Leiradörfer usw. die Spannung, reizt
die Atmung zu vermehrter Tätigkeit, wodurch eine kompensa¬
torische Herabsetzung der Kohlensäurespannung in der Atemluft
und damit auch der sauren Valenzen im Blute eintritt. Bezüglich
der näheren theoretischen Darlegungen sei auf die Arbeiten von
Haldane und Priestley 3 ) und Poulson sowie von Leim¬
dörfer und seinen Mitarbeitern verwiesen. Wir haben uns zu¬
nächst darauf beschränkt, die Angaben der genannten Autoren
über die Kohlensäurespannung in der Alveolarluft bei Gesunden,
Graviden sowie bei mit Carcinom behafteten Patienten nach¬
zuprüfen, was uns durch das Entgegenkommen der klinischen
Direktionen ermöglicht wurde.
Die Entnahme der Alveolarluft erfolgte nach dem Verfahren
von Plesch, das von Leimdörfer und seinen Mitarbeitern
genau geprüft und dauernd angewandt worden ist. Der Patient
atmet bei geschlossener Nase durch ein Mundstück 20—25 Se¬
kunden lang mehrere Male in einen Gummisack ein und aus,
bis sich der Ausgleich zwischen der Kohlensäurespannung des
venösen Blutes und derjenigen der geschlossenen Alveolarluft
hergestellt hat. Da zur Erzielung richtiger Werte eine ruhige
Atmung vor dem Versuch unerlässlich ist, so wurde der Ver¬
schluss der Nase erst unmittelbar vor dem Versuch und statt
mit einer Nasenklemme mit der Hand vorgenommen, da erstere
bei empfindlichen Personen unangenehme Sensationen hervorruft,
die den Atemtypus beeinflussen können.
1) Zeitschr. f. experirnent. Pathol. u. Therapie, 1909.
2) Zeitschr. f. blin. Med., Bd. 73 u. 75. Biochem. Zeitschr., Bd. 22 u. 40.
3) Journ. of pbysiol., Bd. 32 u. 37.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. ß.
200
Die Bestimmung mit dem Interferometer erfolgte dann in
der Weise, dass der Gummisack an den Apparat angeschlossen
wurde, wobei die daraus aspirierte Atemluft zunächst einen Ab*
Sorptionsapparat mit Bimsstein und Schwefelsäure, dann die eine
Gaskammer, hierauf erst einen Absorptionsapparat mit Natron¬
kalk, sodann einen mit Bimsstein und Schwefelsäure, schliesslich
die andere Gaskammer zu passieren hatte. Die Aspiration wurde
durch ein kleines Gummigebläse bewerkstelligt und die Ab¬
sorptionsapparate — schlangenförmig gebogene U Röhren — so
klein gewählt, dass für die Durchspülung des gesamten Systems
eine etwa fünf- bis zehnmalige Füllung des etwa 100 ccm fassenden
Gummigebläses genügte. Die Absorptionsapparate können bequem
zusammen in einem kleinen Kästchen neben dem Apparat unter¬
gebracht werden. Die ganze Handhabung des Apparates erwies
sich als so einfach, dass die eigentliche Analyse nur 2 bis
3 Minuten dauerte, und der ganze Versuch inklusive der Samm¬
lung der Alveolarluft in ca. 15 Minuten dreimal wiederholt werden
konnte, was für die Genauigkeit der Bestimmungen, wie schon
Plesch hervorgehoben hat, eigentlich unbedingt erforder¬
lich ist. Das Resultat wurde erst dann als gültig angesehen,
wenn mindestens drei Versuche fast völlig übereinstimmten, und
unter den gewonnenen Werten wurde der höchste ausgewählt.
Kinder und andere leicht erregbare Personen atmen mitunter
recht unregelmässig, und weniger intelligente Personen müssen
die Technik des Ein- und Ausatmens gewissermaassen erst er¬
lernen, so dass schon aus diesen Gründen eine öftere Wieder¬
holung der Versuche notwendig wird. Welchen Wert diese
Möglichkeit, in kurzer Zeit die Versuche zu wieder¬
holen, für die Sicherheit der Resultate besitzt, braucht
kaum besonders betont zu werden.
Da das Interferometer nur das Verhältnis von kohlensäure-
freier zu koblen8äurehaltiger Luft angibt, unabhängig von Druck
und Temperatur, so ist stets nur zu berücksichtigen, dass die
Gase in den beiden Kammern unter gleichem Druck und
gleicher Temperatur stehen müssen. Der Temperaturausgleicb
zwischen den beiden Kammern wird dadurch beschleunigt, dass
die beiden Kammern mit Silber verlötet sind. Einen etwaigen
durch die Aspiration entstandenen Unterdrück kann man leicht
beseitigen, wenn man zum Schluss noch einen kurzen Druck mit
der Hand auf den Gummisack ausübt. Bei der Berechnung ist
zu berücksichtigen, dass die Werte für die getrocknete Atem¬
luft erhoben werden und demgemäss für die feuchte Atemluft ent¬
sprechend der Wasserdampfsättigung bei 37° (47 mm) reduziert
werden müssen.
Schon die Erhebung der Werte bei normalen Personen zeigte,
dass die Einflüsse, welche Haldane und Leimdörfer mit ihren
Mitarbeitern in bezug auf Ernährung und Arbeit festgestellt haben,
sich in der Tat auch hier wieder fanden. Den Einfluss des Ge¬
schlechts haben wir nicht ermitteln können, weil unsere Unter¬
suchungen fast ausschliesslich an Frauen vorgenommen wurden.
Da sich herausstellte, dass selbst relativ kleine Anstrengungen
den Kohlensäurewert durch Erhöhung der Lungenventilation herab-
setzen, dass ferner, wie schon von Leimdörfer usw. ermittelt,
die Verdauung die Werte etwas steigert, haben wir als Normal¬
werte nur diejenigen betrachtet, die von in vollkommener Ruhe,
meist Bettruhe, befindlichen, nüchternen Frauen erhoben wurden,
die sich nach kleinen Operationen, wenig eingreifenden Behand¬
lungen usw. in voller Rekonvaleszenz befanden, keinerlei Be¬
schwerden, namentlich zur Zeit der Untersuchung keine Schmerzen
aufwiesen und nicht mit irgendwelchen chronischen, allgemeinen
Leiden behaftet waren. (Tabelle.)
C0 2 -Spannung in der feuchten Alveolarluft.
Maximum
Minimum
Mittel
pCt.
pCt.
pCt.
1
Normale, nüchterne Frauen
7,23
6,23
6,66
2
{«ÄS.:
6,37
6,37 !
5,20
5,70
5,43
5,82
3
Wöchnerinnen, nüchterne . .
6,84
6,04 ‘
6,50
4
Carcinomkranke Frauen . . .
6,28
4,08 !
5,74
0
Myomkranke Frauen ....
7,13
1
5,62
6,38
Bei 15 derartig ausgewählten Personen erhielten wir als
Kohlensäurespannung in der feuchten Alveolarluft im Mittel
6,66 pCt., ein Wert, der den von Leimdörfer gefundenen Mittel¬
wert von 6,05 pCt. nur wenig, den von Haldane und Fitz¬
gerald 1 ) ermittelten für Frauen 4,78 pCt. aber erheblich über¬
schreitet. Dabei ist aber zu bedenken, dass eigentlich nur die
Leimdörfer’schen Werte, bei denen die Alveolarluft in derselben
Weise entnommen wurde, mit den unsrigen vergleichbar sind,
nicht aber die mit einer anderen Methode festgestellten Haidane¬
schen. Die Abweichung von den Leimdörfer’schen Werten ist
vielleicht dadurch zu erklären, dass wir erstens dreimal hinter¬
einander untersucht haben, zweitens alle Personen mit auch nur
leichten Schmerzen ausgeschaltet haben. Es stellte sich heraus,
dass die durch Schmerzen bewirkte höhere Lungen Ventilation den
Kohlensäurewert nicht unbeträchtlich berabsetzen kann.
Bei Graviden und Carcinomatösen 2 ) hatten Leimdörfer und
seine Mitarbeiter eine Herabsetzung der Kohleusäurespannung in
der Alveolarluft gefunden, für deren theoretische Begründung auch
auf die Originalarbeiten verwiesen sei. Auch dieses Resultat
konnten wir bestätigen. Wir fanden bei 11 Erstgebärenden im
8. bis 10. Monat der Schwangerschaft einen Mittelwert von
5,70 pCt., bei 10 Mehrgebärenden in der gleichen Schwanger¬
schaftszeit einen solchen von 5,82 pCt. Auch den von Leim¬
dörfer usw. angegebenen Anstieg der Kohlensäurewerte im
Wochenbett konnten wir ermitteln. 10 derartig untersuchte Fälle
ergaben vor der Geburt im Mittel einen Wert von 5,83 pCt.. nach
der Geburt von 6,49 pCt., der sich also dem normalen Mittel¬
werte wieder stark nähert. Die Untersuchungen wurden am 4 bis
13. Wochenbettstag angestellt. 6 Carcinome mit vollkommen
sicherer Diagnose ergaben bei zum Teil wiederholter Untersuchung
an verschiedenen Tagen insgesamt einen Mittelwert von 6,74 pCt.
Aber die Untersuchung von 6 Myomen zeigte, dass auch hier die
Kohlensäurespannung recht beträchtlich herabgesetzt sein kann,
so dass die diagnostische Verwertbarkeit dieses Faktors in Zweifel
gezogen werden muss. Dagegen erscheint es durchaus nicht aus¬
geschlossen, namentlich nach dem Anstieg, den der Kohlensäure¬
wert im Wochenbett erfährt, dass man die Untersuchung der
Alveolarluft prognostisch insofern verwerten kann, als sich da¬
durch der günstige Einfluss bestimmter Behandlungsmethoden
(Operation, Bestrahlung) feststellen lassen müsste.
Untersuchungen hierüber sind im Gange, und ebenso solleu
auch die oben bezeichneten Mittelwerte noch durch weitere Unter¬
suchungen, über die der eine von uns eingehender berichten wird,
vervollständigt werden. Wenn unsere absoluten Werte bei Nor¬
malen, Carcinomatösen und Graviden auch höher ausgefallen sind,
so bewegen sich die Abweichungen von der Norm bei den letzt¬
genannten beiden Gruppen doch annähernd innerhalb der gleichen
Grenzen wie bei Leimdörfer und Beinen Mitarbeitern.
Jedenfalls haben die bisherigen Untersuchungen bewiesen,
dass wir in dem tragbaren Interferometer ein äusserst hand¬
liches Instrument vor uns haben, um ambulant, namentlich für
klinische Zwecke, die Kohlensäurespannung in der Alveolarluft
bequem, schnell und mit genügender Genauigkeit zu
ermitteln. Es sei noch hinzugefügt, dass die Ablesung schon
nach kurzer Uebung gar keine Schwierigkeiten mehr bietet. Aber
auch für theoretische Untersuchungen, namentlich pharmakologi¬
scher Art, erscheint das Instrument geeignet, und auch nach dieser
Richtung bin haben wir Versuche in Gemeinschaft mit Herrn
Prof. Straub in Aussicht genommen.
Aus der zweiten inneren Abteilung des Auguste
Viktoria-Krankenhauses, Berlin-Schöneberg.
Das histologische Blutbild in schweren Fällen
von infantilem Skorbut (Möller-Barlow’sche
Krankheit) und das Auftreten dieser Krankheit
im schulpflichtigen Alter. 3 )
Von
Dr. F. Glaser,
Oberarzt der inneren Abteilung.
Das sieben Monate alte Mädchen, das ich mir erlaube. Ihnen hier
vorzustellen, fällt durch seine wachsähnliche Blässe besonders auf. Die
Blutarmut bei Säuglingen ist ja ein häufiges Erkrankungssymptom, neigt
doch das Blut im frühen Kindesalter ebenso häufig zu Erkrankungen
wie das Knochengewebe (Rachitis) und das Nervensystem (Spasmophilie).
1) Journ. of Physiology, Bd. 32.
2) Beitr. z. Carcinomforsch., H. 8.
3) Nach Krankenvorstellungen auf Demonstrationsabenden im Auguste
Viktoria-Krankenhause zu Berlin-Schöneberg.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1013.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
201
Dass es sich in unserem Falle nicht etwa um eine sogenannte „Schein¬
anämie“, wie sie bei allgemeinen Ernährungsstörungen oder neuropathi-
scben Kindern vorkoramt, handelt, dafür spricht, dass der Häraoglobin-
gehalt bis auf 40 pCt. herabgesetzt ist. Auch um eine Säuglingschlorose,
die von französischen Autoren besonders als „Anemie des nourissons ä
type chlorotique“ beschrieben wurde und auf zu lange fortgesetzte ein¬
seitige Milcbernährung, zum Teil wohl auch auf besondere Momente
konstitutioneller Art zurückzuführen ist, kann es sich nicht nach dem
erhobenen Blutbefund handeln, da neben dem stark verminderten Hämo-
globingehalt eine exzessive Herabsetzung der Zahl der roten Blut¬
körperchen konstatiert wurde. 800 000 Erythrocyten wurden in einem
Kubikmillimeter gefunden. 12 000 Leukocyten wurden ausserdem ge¬
zählt. Das gelärbte Blutpräparat ergab 40 pCt. Polynucleäre, 60 pCt.
Lymphocyten, 1 pCt. Eosinophile. Geringe Poikilocytose und Poly-
chromatophilie. Zahlreiche Megaloblasten und Normoblasten und Kern¬
teilungsfiguren *). Wir haben es also mit einer äusserst schweren Blut¬
erkrankung zu tuD, und würde es sich um ein älteres Individuum handeln,
so müssten wir unbedingt an eine pernieiöse Anämie denken, fordern
doch die Megaloblasten, die Poikilocytose, der erhöhte Färbeindex zu
der Annahme einer Birmer’schen Erkrankung gerade heraus. Nur die
fehlende Leukopenie müsste auch beim Erwachsenen etwas gegen eine
derartige Annahme sprechen. Nun kommen im Säuglingsalter echte
pernieiöse Anämien fast nie vor, und deswegen wäre diese Diagnose
a priori abzulehnen; aber auch diejenige Bluterkrankung des Säuglings¬
alters, bei der besonders zahlreich die Megaloblasten auftreten, die An-
aemia pseudoleucaemia infantum, kommt nicht in Frage, da das Haupt¬
symptom dieser Krankheit bei unserem Kinde fehlt, d. h. der Milztumor.
Eine sogenannte dyspeptische Anämie lässt sich aussebeiden, da unsere
Patientin keinen schweren Darmkatarrh durchgemacht hat. An Rachitis
leidet unsere Kleine auch nicht; dies ist besonders hervorzuheben, da
bei der englischen Krankheit kernhaltige rote Blutkörperchen selbst mit
Kernteilung'figuren häufig gefunden werden. Auch die hereditäre und
erworbene Syphilis kann ähnliche Blutbilder wie bei unserem Säugling
in diesem Kindesalter hervorrufen.
Die negative Wassermanu’sche Reaktion spricht in unserem Falle
gegen eine derartige Aetiologie; auch eine Tuberkulose kommt nicht in
Frage, da die Pirquet’sche Reaktion negativ ausgefallen ist. Schwere
Blutveränderungen sieht man im Säuglingsalter nur bei langdauerndeu
Eiterungen entstehen, und bei unserem Kinde hat mau ausserhalb des
Hospitals an eine derartige Grundkrankheit gedacht. Da der linke Unter¬
schenkel stark anschwoll und schmerzhaft wurde, dachte man an eine
Osteomyelitis; aber der 5 cm lange, bis auf die Tibia geführte Schnitt
zeigte keinen Eiterherd, sondern eine Blutgeschwulst. Häufig kommt es
ja vor, dass im Säuglingsalter die Diagnose auf eine lokale entzündliche
Knochenerkrankung gestellt wird, wenn es sich gerade um eine allge¬
meine Erkrankung des Skelettsystems, nicht um Rachitis, sondern um
Barlow handelt. An dieser Krankheit leidet unsere Patientin; diese
Krankheit hat die schwere Blutveränderung gesetzt.
Die genaue Krankenvorgeschichte ergibt, dass das acht Monate alte
Kind etwa acht Wochen vor der Krankenhausaufnahme an Appetit¬
losigkeit und Blasse erkrankte. Die Blutarmut nahm immer mehr und
mehr zu, vier Wochen vor der Aufnahme in das Hospital bildete sich
eine Geschwulst am linken Unterschenkel. Zehn Tage vor der Kranken¬
bausaufnahme wurde das Kind wegen der Geschwulst operiert. Dieselbe
stellte sich angeblich als Bluterguss heraus. Was die Ernährung des
Kindes betrifft, so hatte dasselbe bis zum sechsten Lebensmonate
*/j Milch und ] /a Theinhardtmischung erhalten, allmählich wurde zu
2 /a Milch übergegangen, vom siebenten Lebensraonat an erhielt das Kind
Vollmilch. Die Milchraischungen wurden im Soxhlelapparat drei Minuten
gekocht. Frühere Krankheiten hat das Kind sonst nicht durchgemacht
und stammt aus gesunder Familie.
Die Untersuchung des acht Monate alten Kindes ergab folgendes:
Temperatur 37—38°, Gewicht 5700 g, auffallende Blässe von ex¬
tremstem Grade, Respiration 72, Puls 116. An den zwei unteren
Schneidezähnen frische Zahnfleischblutungen, an Zungenspitze und linkem
Augenlid desgleichen kleine blutunterlaufene Stellen. Herz: Töne rein,
keine Verbreiterung. Lungen: reines vasiculäres Atmen, kein Katarrh,
keine Schallabschwächung. Leber, Milz nicht vergrössert. Keine Drüsen¬
schwellungen. Bewusstsein klar, Pupillen reagieren auf Licht, Patellar-
reflexe wegen zu starker Schmerzhaftigkeit nicht zu prüfen. Stuhlgang
von gelber Farbe und normaler Konsistenz. Urin: Spuren Eiweiss, zahl¬
reiche rote Blutkörperchen, viele Blutkörperchencylinder und granulierte
Cyliuder. Das auffallendste Symptom ist das starke Wimmern, sobald
man nur an das Bett des Kindes herantritt. Beide untere Extremitäten
liegen wie vollkommen gelähmt auf der Unterlage, und sowohl beide
Ober- als Unterschenkel sind stark geschwollen. Bei Berührungen der
unteren Drittel der Oberschenkel tritt eine starke Zuckung im ganzen
Körper auf (Hampelmannsymptom von Heubner). Auch die oberen
Extremitäten werden spontan nicht bewegt, da die distalen Enden der
Vorderarme deutlich geschwollen und schmerzhaft sich erweisen. Gelenk¬
schwellungen sind nicht vorhanden.
Der Umfang des linken Oberschenkels beträgt 25 cm, der des rechten
23 cm. An der Innenseite des linken Unterschenkels befindet sich in
der Mitte eine 5 cm lange, 2 cm breite und 1 cm in die Tiefe führende
Wunde, welche den blossliegendcn Knochen zeigt. Die grosso Fontanelle
1) Normoblasten finden sich beim gesunden Kinde nur in den ersten
LebenswocbeD in spärlicher Anzahl.
ist drei Qucrtinger gross, an den Rippen ist kein Rosenkranz wahrzu-
nehraen. Die Röntgenuntersuchung ergibt an den Dia-Epiphysengrenzen
beider Oberschenkel (sowohl distal als auch proximal), an beiden Tibien
und beiden Fibulae und an den distalen Dia-Epiphysengrenzen der Ulna
und des Radius die typischen Schatten (Figur 1 und 2), welche in der
Mitte breiter erscheinen und nach den Seiten zu sich verschmälern. Die
Blutuntersuchung ergab den schon oben erwähnten Befund. Die Dia¬
gnose konnte demnach mit Sicherheit auf Barlow’sche Krankheit gestellt
werden, und es wurde eine antiscorbutische Diät eingcleitet, welche in
roher Milch, Apfelsinensaft, Fleischsaft, Spinat und Kartoffelbrei bestand.
Drei Tage, nachdem das Kiud im Krankenhause war, fing es an, die
Hände zu bewegen, die Zahrifleischblutungen verschwanden. Nach einer
Woche war die Schwellung der unteren Extremitäten bedeutend zurück¬
gegangen, und der Häraoglobingehalt hatte sich von 40 auf 55 pCt. ver¬
mehrt Ara zwölften Tage der antiscorbutischen Therapie fing das Kind
wieder an, die Beine zu bewegen, Normoblasten und Megaloblasten
waren jedoch im Blute noch nachweisbar. Zwölf Tage später betrug
der Hämoglobingehalt 75 pCt., kernhaltige rote Blutkörperchen konnten
nicht mehr gefunden werden, die unteren und oberen Extremitäten
wurden jetzt deutlich ohne Schmerzen bewegt. Die starke Blässe ist im
Rückgang begriffen.
Figur 1.
Figur 2.
In der vierten Beobachtungswoche ergaben die Röntgenbilder, dass
die Trümmerfeldzonen beider Vorderarme fast vollkommen geschwunden
waren, die der Oberschenkel, Tibien und Fibulae hatten an Inten¬
sität abgenommen. Die Zahl der roten Blutkörperchen betrug zwei
Millionen, die der Leukocythen 10 000. Sechs Wochen nach der Kranken¬
hausaufnahme wurde das Kind gebessert entlassen. Der Hämoglobin¬
gehalt betrug 90 pCt., die Erythrocyten betrugen 2 300 000, die Leuko¬
cyten 10 000, kernhaltige rote Blutkörperchen konnten nicht mehr ge¬
funden werden. Eine Verdickung oder Schwellung oder Schmerzhaftig¬
keit der unteren und oberen Extremitäten (Umfang der Oberschenkel
3
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202
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
18 cm) war nicht mehr vorhanden. Das nicht mehr blass aussehende
Kind bewegte ohne Schmerzen die Glieder. Die Wunde war gut geheilt.
Dass es sich in der Tat bei unserem Kinde um einen typischen
Barlow handelte, dafür sprechen 1. die Schleimhautblutungen,
2. die starken Schmerzen bei Bewegung der Glieder, 3. die starke
Anschwellung der unteren Extremitäten bei Freibleiben der Ge¬
lenke, 4. die Hämaturie, 5. der typische Röntgenbefund, d. h. die
E. Fränkel’scben Trümmerfeldschatten an der Knorpelknochen¬
grenze der Unterschenkel, Oberschenkel und Vorderarmknochen,
6. die schnelle Abheilung der Krankheitssymptome unter roher
Milch.
Ich habe mir erlaubt, Ihnen diesen Fall von Barlow’scher
Krankheit wegen des eigenartigen Blutbefundes zu zeigen. All¬
gemein bekannt ist das Symptom der hochgradigen Blässe. Auch
mannigfache Blutveränderungen werden von den Autoren be¬
schrieben, aber nicht allgemein bekannt ist die Tatsache, dass
im Verlaufe des Morbus Barlowii histologische Blutbilder auf-
treten, wie wir sie bei den schwersten Blutkrankheiten beob¬
achten. So fand Heubner 1 ), dass man bis jetzt am Blutbild
irgendwelche erhebliche Abweichungen von der Norm nicht beob¬
achten konnte. Auch an einem eigenen Fall, wo diese Unter¬
suchung in der Klinik möglich war, konnte er dies bestätigen.
Ritter 2 3 ) konnte keine Erkrankung des Knochenmarks feststelien,
da Myelocyten, Makrocyten, Megaloblasten in seinem Falle fehlten.
Senator fand es im Jahre 1903 auffällig, dass bisher beim
Barlow keine Blutuntersuchungen gemacht waren; er fand keine
kernhaltigen roten Blutkörperchen, dagegen nur 14 pCt. Poly-
nucleäre, und ist geneigt, diese Erscheinung mit einer primären
apiastischen Umwandlung des Knochenmarks in Verbindung zu
bringen. Auch Pfaundler 8 ) führt die kernhaltigen roten Blut¬
körperchen nicht als Befund des Barlow’schen Blutbildes an, er
konstatiert als anämische Zeichen in einer Minderzahl der
Fälle Veränderungen des Blutes, wie Oligochromämie, Oligo
cytose, Poikilocytose und relative Lymphocytose. Finkei¬
stein 4 ) beschreibt den Blutbefund als den einer einfachen
Anämie, deren Grad von der Dauer der Krankheit und der je¬
weiligen Gegenwart und Stärke von Blutverlusten abbängt. Das
Verhalten der Lenkocyten scheint, abgesehen von einer relativen
Lymphocytose nach Finkeistein der Norm zu entsprechen.
Auch v. Starck 5 ) sah nicht das Auftreten von kernhaltigen roten
Blutkörperchen beim Morbus Barlowii. Die Untersuchung des
Blutes nach v. Starck ergibt Herabsetzung des Hämoglobin¬
gebaltes (bis 40 pCt.) mässige Verringerung der Zahl der Ery-
throcyten, geringe Poikilocytose und Leukocytose mit starker
Vermehrung der einkernigen Formen zuungunsten der polymorph¬
kernigen; also verhältnismässige unbedeutende Blutveränderungen
mit Ausschluss abnormer Zell formen. Dagegen führt Freund 6 )
de Bruin, Rotch und Lehndorf an, die bei Blutuntersuchungen
kernhaltige rote Blutkörperchen fanden. Der einzige Autor, der
in neuester Zeit auf das Auftreten von Knochenmarkselementen
aufmerksam macht, ist Eugen Fränkel 7 ). Er fand bei den
lokalen Blutuntersuchungen — wie ein dänischer Autor Meyer
— neben einer mehr oder weniger ausgesprochenen Poikilocytose
die Anwesenheit meist nicht sehr zahlreicher kernhaltiger Elemente
vom normo- und megaloblastischen Typus. Dass die meisten
Autoren die kernhaltigen Elemente bis jetzt nicht gesehen haben,
liegt vielleicht an fehlenden Untersuchungen, wahrscheinlich
werden bei genaueren Prüfungen schwererer Fälle sich häufiger
Erythro- und Megaloblasten im Blute nachweisen lassen. Auf¬
fallend ist es jedoch jedenfalls, dass die Reaktion des Knochen¬
marks beim Morbus Barlowii sehr gering ist, besonders wenn
man die Reaktionsfähigkeit des kindlichen Alters in Rechnung
zieht. Denn nach den Sektionsresultaten Eugen Fränkel’s
bleiben grosse Teile des Skeletts ganz normal und sowohl inner¬
halb dieser, als auch in jenen von Krankheitsherden freien Re¬
gionen sonst kranker Knochen erweist sich das hier vorhandene
Mark als unverändert. Jedenfalls beweist das Auftreten von
kernhaltigen roten Blutkörperchen, dass die Erkrankung mit einer
apiastischen Umwandlung des Knochenmarks, wie Senator es
ausgesprochen hat, nichts zu tun hat, und ich komme zu dem
1) Lehrb. d. Kinderkraokh., 1911.
2) Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch., 1903.
3) Lehrb. d. Kinderkrankh. von Feer.
4) Lehrb. d. Säuglingskrankh., 1912.
5) Handb. d. Kinderkrankh. von Pfaundler-Schlossmann, 1910.
6) Zur Kenntnis der Barlow’schen Krankheit. Deutsches Archiv f.
klin. Med., Bd. 86.
7) Die Möller-Barlow’sche Krankheit, 1908.
Schlüsse, dass io schweren Fällen von Morbus Barlowii
Knochenmarkselemente, d. h. abnorme Zeitformen, wie Normo-
blasten, Megaloblasten, Kernteilungsfiguren im Blote aoftreten
können, und dass demnach auch im histologischen Blutbilde er¬
hebliche Abweichungen von der Norm beim infantilen Scorbut
beobachtet werden können 1 ).
Den zweiten Fall von Möller-Barlow’scher Krankheit erlaube
ich mir Ihnen deswegen zu zeigen, weil er erst im siebenten
Lebensjahre in Erscheinung trat. Im allgemeinen ist ja diese
Krankheit auf das erste und zweite Lebensjahr beschränkt, am
häufigsten tritt sie in den letzten vier Monaten des ersten Lebens¬
jahres auf. Fälle im schulpflichtigen Alter gehören zu den ex¬
tremsten Seltenheiten, ln der gesamten Literatur sind bis jetzt
nur vier derartige Beobachtungen beschrieben worden. In
Amerika 2 ) wurde ein Fall von Möller-Barlow’scher Krankheit bei
einem neunjährigen Jungen gesehen; Eugen Fränkel 8 ) verfügt
über zwei Beobachtungen, bei denen die Kinder das sechste
Lebensjahr überschritten batten, und schliesslich demonstrierte
Knöpfelmacher 4 ) im Wiener Verein für innere Medizin und
Kinderheilkunde kurz die Knochen eines sechsjährigen Knaben,
der an Barlow’scher Krankheit zugrunde ging. Mein Patient
würde demnach den fünften beobachteten Fall von Barlow’scher
Krankheit im schulpflichtigen Alter darstellen.
Der sechsjährige Junge erkrankte 6 Wochen vor der Aufnahme
unter Schmerzen, die zuerst im rechten Unterschenkel auftraten und
dann auch auf das linke Bein Übergriffen; schliesslich hatte der Knabe
in allen Gliedern Schmerzen. Ein hinzugezogener Arzt verordnete
Aspirin und Rheumasan. Das Leiden verschlimmerte sich jedoch, eine
Zahnfleischentzündung trat hinzu, und da die Schmerzen und der All¬
gemeinzustand immer bedrohlicher wurden, empfahl der Arzt Kranken¬
hausaufnahme. Aus der Anamnese geht nun hervor, dass dieser sechs¬
jährige Junge bis zur Hospitalaufnabrae nur von gekochter Milch und
Semmel ernährt wurde, jede andere Nahrung, wie Fleisch, Eier, Suppen,
Gemüse, Obst, Butter wurden refüsiert. Da der Junge nur Milch und
Semmel haben wollte, begnügte sich die etwas beschränkte Mutter mit
dieser einseitigen Ernährung. Von früheren Krankheiten seien Brech¬
durchfall und Masern erwähnt. Hereditäre Belastung liegt nicht vor.
Bei der Untersuchung am 13. V. konnte folgendes konstatiert werden:
1. eine mässige Blässe des Kindes, 2. eine hämorrhagische Schwellung
und Auflockerung des Zahnfleisches, 3. Hämaturie, 4. Schmerzen bei
Berührungen der unteren Extremitäten und der Vorderarme, besonders
in der Dia-Epiphysengegend, keine Gelenkschwellung. Auch das Brust¬
bein und die Rippen sind auf Druck empfindlich.
Die Diagnose wurde auf Barlow gestellt, und schon am 15. V.
konnte unter roher Milch und Zitronensaft eine bedeutende Besserung
konstatiert werden. Am 16. V. konnte der Junge auf Aufforderung beide
Arme hochheben, auch die Beine konnten wieder auf Verlangen bewegt
werden. Bei Versuch, sich aufzusetzen, tritt noch lebhaftes Schreien
auf. Die Zahnfleischwucherung ist im Rückgang begriffen. Im Urin
nur vereinzelt rote Blutkörperchen. Blutpräparat (wie am 13. V.)
4 Millionen rote, 6200 weisse Blutkörperchen, Bämoglobingehalt 75pCt. 5 ).
Die Röntgenaufnahmen ergeben die unten näher beschriebenen Schatten¬
zonen an der Knorpelknochengrenze, besonders der Vorderarmknochen.
18. V. Die Bewegungsfähigkeit der Beine bat sich bedeutend gebessert,
die unteren Extremitäten werden nur unter ganz geringen Schmerzen
bewegt. Das Betasten der Knochen ist heute viel weniger empfindlich
als an den vorhergehenden Tagen; Aufsetzen ist noch nicht möglich,
jedoch kann der Junge sich im Bett nach links und rechts umdrehen.
20. V. Wassermann negativ. 21. V. Der Knabe sitzt allein im Bett.
28. V. Zahnfleischaffektion abgeheilt. 29. V. Der Junge spielt den
ganzen Tag im Bett, bewegt Arme und Beine ohne Schmerzen, kann
jedoch Doch nicht stehen. 5. VI. Kind steht auf, fängt an, umher¬
zulaufen. 10. VI. Vergnügte Stimmung, kann auf Aufforderung im Bett
schon hopsen. 12. VI. Der Junge fängt an der Hand an zu laufen.
14. VI. Trümmerfeldzonen an dem Vorderarmknochen und Fibulae ge¬
schwunden. 19. VI. Der Junge läuft allein, gute Gewichtszunahme.
5. VII. Heilung, Mundhöhle vollkommen normal, im Urin wie schon seit
Ende Mai keine pathologischen Bestandteile mehr nachweisbar. 14. VIII.
Geheilt entlassen. Blutbild ohne Veränderungen.
Die Diagnose lautete in unserem Falle auf Möller-Barlow’sche
Krankheit. Vielleicht wäre noch die Frage aufzuwerfen, ob es
sich etwa um einen Fall von Skorbut handelte. Die Diskussion
über diesen Gegenstand erübrigt sich, da sowohl durch die
Forschungen von Eugen Fränkel als auch besonders durch die
1) Noböcourt, Hämatologie und Knochen Veränderungen bei Barlow-
soher Krankheit (cit. nach Med. Klinik, 1912, S. 2006), kommt xu ähn¬
lichen Resultaten.
2) Arch. of pediatr., 1898.
3) E. Fränkel, Die Möller-Barlow’sche Krankheit.
4) Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 27.
5) Das gefärbte Blutpräparat ergab 60pCt. Polynucleäre, 40pCt,
Lymphocyten, vereinzelte Normoblasten.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
203
neuesten schönen Untersuchungen von Hart 1 ) nachgewiesen wurde,
dass „beim Skorbut und der Möller-Barlow’schen Krankheit die
gleichen Knochenveränderungen auftreten und so die Identität für
beide Affektionen erbracht wurde. Hart schlägt vor, an Stelle
des nichtssagenden Verlegenheitsausdruckes Möller-Barlow’sche
Krankheit nur vom kindlichen Skorbut zu sprechen.
Pathologisch-anatomisch beruht der Skorbut der Kinder auf
einer Knochenmarkserkrankung besonders an der Dia-Epiphysen-
gegend. An Stelle des zellreichen lymphoiden Marks tritt ein
gefäss- und zellarmes Gerüstmark auf. Infolge Verschwindens
der Osteoblasten tritt eine Brüchigkeit der Knochen ein; in
unserem Falle konnten derartige Infraktionen nicht beobachtet
werden. Auch die infolge der Brüchigkeit auftretenden sub¬
periostalen Hämatome wurden im Röntgenbilde nicht gesehen.
Dagegen traten bei der Durchleuchtung Schatten an der Grenze
der Dia-Epiphyse, an der sogenannten Trümraerfeldzone auf, welche
von E. Fränkel zuerst beschrieben wurden und ira allgemeinen
als schmale, unregelmässig begrenzte Schatten auftreten sollen,
die in der Mitte etwas breiter und an den Seitenteilen schmäler
erscheinen. Dieselben finden ihre Erklärung in der anatomischen
Tatsache, dass gerade an diesem Abschnitte der Diaphyse nach
den Untersuchungen von E. Fränkel ein wirres Durcheinander
von regellos angeordneten Kalkbälkchen, Knochentrabekeln, Kalk-
und Knochentrümmern sowie von Blut- und Pigmentmassen durch¬
setztem Gerüstmark besteht, und dass die hier befindlichen
Trabekeln meist eng aneinander gedrängt und gepresst erscheinen.
In unserem Falle konnten nun auch an den distalen Ab¬
schnitten der Vorderarmknochen und der Fibulae derartig schmale
Schatten an der Knorpelknochengrenze nachgewiesen werden
(Figur 3 bis 6). Wie aus der Abbildung hervorgeht, unter¬
scheidet sich der von uns beobachtete Schatten etwas von den
Figur 3.
15. Mai 1911.
Figur 4.
15. Mai 1911.
1) Hart, Ueber die experimentelle Erzeugung der Möller-Barlow’schen
Krankheit und ihre endgültige Identifizierung mit dem klassischen Skorbut.
Virchow’s Archiv, Bd. 208.
Figur 5.
15. August 1911.
Figur 6.
15. August 1911.
typisch bei Säuglingen beobachteten Trümmerfeldzonen. Bei
Säuglingen wurde der Schatten meist in der Mitte breiter als an
den Seitenteilen beschrieben. Ein welliger, auch nach der Dia¬
physe hin unregelmässiger Verlauf wurde meist beobachtet. In
unserem Falle sind diese Schatten gradliniger, schärfer begrenzt
und in der Mitter nicht breiter.
Schattenbildungen in diesen Gebieten sind nun im Kindes¬
alter besonders bei zwei Krankheiten noch beobachtet worden:
bei der kongenitalen Lues und bei Rachitis. Eine Osteochondritis
syphilitica kommt nicht in Frage, da erstens die Wassermann’sche
Reaktion negativ war, zweitens ohne luetische Therapie die
schwere Knochenaffektion abheilte und drittens die Osteochondritis
syphilitica in den ersten Lebenswochen auftritt.
Um eine schwere Form von Rachitis kann es sich sicherlich
nicht gehandelt haben: dagegen spricht erstens die schnelle Ab¬
heilung der akuten Erkrankung unter antiskorbutischer Diät; bei
Rachitis zieht sich der Prozess über Monate und Jahre hin.
Zweitens fehlten bei unserem Patienten, abgesehen von einem
geringen Rosenkranz, schwere Zeichen von englischer Krankheit,
und drittens sehen die Röntgenbefunde bei florider Rachitis anders
aus als in unserem Falle.
Bei schwerer englischer Krankheit beobachtete E. Fraenkel
eine Auffransung der proximalen oder distalen Schaftenden;
ausserdem konstatierte er ein absolutes Fehlen jeder röntgeno¬
logisch erkennbaren Kalkmenge in dem nur Andeutung an die
Struktur darbietenden, an die Epiphyse grenzenden Schaftteile.
Derartige Befunde Hessen unsere Röntgenbilder nicht erkennen.
Aber auch um eine heilende Rachitis im Beginn kann es sich
nicht handeln. Abgesehen davon, dass der Junge auf der Höhe
der Krankheit in das Hospital kam, haben die durch die Wieder¬
ablagerung von Kalksalzsn auftretenden Schatten bei Rachitis
einen unregelmässigen, vielfach gewellten, zickzackförmigen Verlauf
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204
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
im Gegensatz zu den Schalten, die wir beobachtet haben, die
sich gerade durch ihren regelmässigen und scharf begrenzten
Rand auszeiebneten. Ausserdem wird bei der Heilung der Rachitis
das Kalkband immer breiter und dichter, im Gegensatz zum
Möller-Barlow, bei dem der Schatten, wie in unserem Falle, wenn
Heilungsprozesse auftreten, verschwindet. Die an den distalen
Enden der Vorderarniknochen und der Fibulae von uns beob¬
achteten Schattenbildungen bildeten sich, wie die Abbildungen
beweisen, unter der antiskorbutischen Therapie im Verlauf von
3—4 Wochen zurück, und schon diese Tatsache spricht dafür,
dass es sich um Knochenveräuderungen handeln musste, die auf
infantilem Skorbut beruhten. Nur die Veränderungen an den
distalen Knorpelknochengrenzen der Oberschenkel machten eine
Ausnahme, und ich stehe nicht an, die hier beobachteten Ver¬
änderungen für leicht rachitische zu erklären. Der gewellte Ver¬
lauf des Schattenbandes, die etagenweise Schichtung der Kalk¬
streifen, wobei der distale breiter erscheint als die proximale
Schattenbildung, spricht für eine rachitische Actiologie. Auch
das Fortbestehen dieser Schatten nach Ablauf der klinischen
Krankheitssymptome kann dafür verwertet werden, dass diese
Knochenveränderungen keine skorbutische waren. Aus dem
Röntgenbefund geht demnach hervor, dass in unserem Falle der
infantile Skorbut bei einem leicht rachitischen Individuum auf¬
trat. Auch andere Beobachter fanden, dass diese Erkrankung
häufig mit Rachitis kombiniert aufiritt. Die amerikanische
Sammelforschuug ergab, dass in 45 pCt. der Fälle beide Krank¬
heiten zusammen vorkamen, und E. Fraenkel konnte in 17
anatomisch untersuchten F'ällen von Möller-Barlow’scber Krankheit
8 mal rachitische Zeichen finden. Auch die Betrachtung der
Knochenkerne der Handwurzelknocheu spricht dafür, dass rachi¬
tische Symptome bei dem Jungen zu konstatieren siud. Von den
im siebenten Lebensjahre normalerweise vorhandenen 6 — 6 Ver¬
knöcherungskernen der Handwurzelknochen waren bei dem
Kranken nur 2 angelegt. Ein normales einjähriges Kind hat
schon ebensoviel Knochenkerne an den Handwurzelknochen wie
unser Kranker.
Ich komme daher zu dem Schlüsse, dass bei unserem im
siebenten Lebensjahre stehenden Knaben ein echter Fall von in¬
fantilem Skorbut vorlag. Die Schwellung des Zahnfleisches, die
starke Knochenempfindlicbkeit bei Freibleiben der Gelenke, der
Blutnachweis im Urin, die einseitige Milch-Semmelnahrung
während der vorhergehenden Jahre und die schnelle Abheilung
unter roher Milch sprechen mit absoluter Sicherheit für die
Diagnose von infantilem Skorbut. Auch die Röntgenaufnahmen, d. h.
die Schattenbildungen in der sogenanuten Trümmerfeldzone, an
den Vorderarmknochen und den Fibulae sprechen besonders des¬
wegen für diesen Charakter der Erkrankung, weil die Schatten¬
bildungen in 6 Wochen unter antiskorbutischer Ernährung ver¬
schwanden. Daneben konnten leichte rachitische Veränderungen
aufgedeckt werden.
Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig (Direktor:
Geheiinrat Prof. Dr. H. Sattler).
Zur Kenntnis der degenerativen Hornhaut¬
erkrankungen.
Von
Stabsarzt Dr. R. Seefelder-Leipzig, Privatdozent.
Die vorliegende Mitteilung verfolgt den Zweck, einem grösseren
und vor allem nichtophtbalmologischen Leserkreise über zwei
degenerative Hombauterkrankungen zu berichten, die auch
uns Ophthalmologen erst verhältnismässig kurze Zeit genauer
bekannt sind und es meines Erachtens verdienen, auch weiteren
ärztlichen Kreisen bekannt zu werden, da es sich bei ihnen durch¬
aus nicht immer um leichte und gleichgültige, sondern vielfach
um ernste Veränderungen handelt, die sowohl die Funktion als
den Bestand des betreffenden Auges schwer gefährden können.
Ich beginne mit dem zurzeit besser bekannten und, wie es
scheint, häufigeren Krankheitsbilde, der
Randdegeneration der Hornhaut.
(Randsklerose und Randatrophio [Fuchs], chronische peri¬
phere Rinnenbildung und Atrophie der Hornhaut, Dystrophie
marginale de la cornee [Terrien]).
Das Verdienst, die Randdegeneration der Hornhaut zuerst
richtig gedeutet zu haben, gebührt Terrien (2) und Fuchs (3).
Es liegt zwar eine ältere Mitteilung von Frank (1) vor, in der
die Veränderungen der Randdegeneration beschrieben worden
sind, doch ist das Wesen der Erkrankung von Frank nicht richtig
erkannt worden.
Während Terrien (2) nur über einen einzigen Fall zu be¬
richten wusste, liegen der Fuchs’schen Mitteilung (3) mehrere
Fälle zugrunde, von denen der eine sogar anatomisch untersucht
werden konnte und die Diagnose einer degenerativen Hornhaut-
erkrankung erhärtete. Es blieb dann mehrere Jahre still, bis
im Jahre 1905 die Arbeit Lauber’s (4) und 1906 die Aibeit
von Seefelder (6) erschien, auf die dann vom Jahre 1907 ab
in rascher Aufeinanderfolge eine Flut von Mitteilungen folgte,
durch die unsere Kenntnisse von dem ganzen Krankheitsbilde
derartig gefördert und erweitert wurden, dass ich mich in die
Lage versetzt fühle, im folgenden eine fast in allen Stücken er¬
schöpfende Schilderung seines klinischen und anatomischen Ver¬
hallens bieten zu können.
Ohne äussere Veranlassung und besonders ohne nennenswerte
Entzündungserscheinungen entwickelt sich in der Hornhautperi¬
pherie, und zwar zumeist zuerst am oberen Hornhautrande eine
konzentrisch zum Limbus verlaufende rinnenförmige Vertiefung
der Hornhaut. Die Oberfläche der Rinne sowie der ganzen
übrigen Hornhaut ist stets glatt und spiegelnd. Der centrale
Rand der Rinne ist gewöhnlich scharf von dem Übrigen Hornhaut-
gewebe abgesetzt und steigt steil stufenförmig au, wogegen der
periphere ganz allmählich in die äusserste Hornhaulperipberie
übergeht. Die Hornhaut ist im Bereich der Rinne stets reichlich
vascularisiert, und zwar handelt es sich in der Hauptsache um
oberflächliche Gefässe, die von der Bindehaut und Episklera in
die Rinne hineinziehen und sich dort vielfach verästeln. Am
centralen Rande der Rinne, manchmal auch an dem peri¬
pheren, ist gewöhnlich eine mehr oder weniger dichte bogen¬
förmige, gerontoxonähnliche Trübung der Hornhaut nach¬
zuweisen. Nicht selten, zumal bei alten Leuten, liegt die Rinne
inmitten eines Greisenbogens. Im Gegensatz dazu ist das den
Boden der Rinne bildende Hornbantgewebe verhältnismässig
klar und durchsichtig und dies um so mehr, je tiefer die
Rinne bzw. je dünner das dort befindliche Hornbautgewebe ist.
Die Ausdehnung der Rinne ist verschieden gross
gefunden worden. Neben sehr seichten und sehr wenig aus¬
gedehnten Rinnen, die man nur bei aufmerksamer Untersuchung
findet, sind grosse und tiefe Substanzverluste beobachtet worden,
die die ganze llornliautperipberie einnebmen und eine solche
Breite besitzen, dass nur ein kleiner unverdünnter centraler Horn¬
hautbezirk erbalten geblieben war, der gewöhnlich [z. B. in
Fällen von Seefelder (8), Markus (25) und Passera (14)]
selbst krankhafte Veränderungen (Trübungen) aufwies.
In solchen schweren F'ällen gelingt es übrigens nicht immer,
eine rinnenförmige Vertiefung nachzuweisen, vielmehr war z. B.
in einem Falle Seefelder’s (8) die Rinne vollkommen ver¬
strichen und das unverdünnte Hornhautcentrum derart bervor-
getrieben, dass die ganze Hornhaut ein keratokonusähnliches Aus¬
sehen zeigte.
ln einer Reihe von Fällen ist aber an der Stelle der ver¬
dünnten Hornhautzone weder eine riunenförmige Vertiefung noch
das zuletzt beschriebene Verhalten, sondern eine scharf um¬
schriebene Ektasie der Hornhaut nachzuweisen. Es ist dies
in stark vorgeschrittenen Fällen eine sehr auffällige Verände¬
rung, die einen höchst eigenaitigen Anblick gewährt. Wir finden
hier die Hornhaut in einer gewissen Ausdehnung, die anscheinend
nie ein Viertel der Hornhautperipherie überschreitet, von einer
glänzenden blasigen Vorwölhung eingenommen, in deren Bereich
die Hornhaut eine ganz auffällige Transparenz aufweist, während
sie am centralen Rande der Ektasie wie bei der Rinnenbildung
intensiv getrübt zu sein pflegt. Im übrigen verhält sich das
Hornhautgewebe im Bereiche der Ektasie genau so wie im
Bereiche der Rinne, insbesondere ist es hier wie dort stark
vascularisiert. Die starke Verdünnung der Hornhaut im Bereiche
der Ektasie gibt sich sehr deutlich dadurch kund, dass sich die
ektatische Zone schon bei Ausübung eines schwachen Druckes
auf ihre Oberfläche, z. B. mit einem Glasstäbchen, leicht ein-
drücken lässt.
In manchen Fällen war auf einem Auge eine rinnen¬
förmige Vertiefung, auf dem anderen dagegen eine
Ektasie der Hornhaut nachzuweisen.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
205
Solche Beobachtungen lehren ohne weiteres, dass die Ektasie
ans einer rinnenförmigen Vertiefung hervorgegangen ist.
Die Entstehung der Ektasie haben wir uns dabei so vorzu¬
stellen, dass die Ausdehnung des Hornhautdefektes an einer um
scbriebenen Stelle sowohl der Fläche als der Tiefe nach so weit
fortschreitet, dass die stark verdünnte Horuhautzone dem intra-
ocularen Drucke nicht mehr standzuhalten vermag und sich nach
Art einer Descemetocele blasenförmig vorwölbt.
Eine in verhältnismässig vielen Fällen beobachtete Begleit¬
erscheinung der Randdegeneration [Fälle von Axenfeld (11),
Fleischer (13), Passera (14), Seefelder (5 und 8) usw]
besteht darin, dass die Bindehaut nach Art eines Ptery-
giums über die Rinne hinüberwächst und einen Teil von ihr und
der angrenzenden Hornhaut überkleidet (siehe Figur). Diese
Pterygien unterscheiden sich klinisch von den sogenanten echten
Pterygien dadurch, dass ihr Kopf, wenigstens in stark vor¬
geschrittenen Fällen, sehr breit ist, und dass ihre seitlichen
Ränder nicht umgeschlagen sind. Im übrigen haben sie mit jenen
manches gemeinsam, so z. B. das Vorhandensein von Hornhaut¬
trübungen vor dem Kopfe des Pterygiums, die langsame Entstehung,
die enge Verwachsung mit der Hornhaut in ihrer ganzen Aus¬
dehnung und die Bevorzugung des lateralen Lidspaltenbereichs
und eines etwas darunter befindlichen Bezirkes. Es überwiegen
also die gemeinsamen Merkmale über die unterschiedlichen, eine
Tatsache, die mir auch einen Hinweis auf die Genese der echten
Pterygien zu enthalten scheint.
Dagegen unterscheiden sich die beiden Pterygien von den
sogenannten Narbenpterygieu prinzipiell dadurch, dass es unmög¬
lich ist, unter ihrem Halse eine Sonde hindurchzuschieben, weil
sie überall mit ihrer Unterlage fest verwachsen sind.
Der Verlauf des Leidens ’ ist im allgemeinen ein sehr
chronischer. So habe ich Rinnen jahrelang verfolgt, ohne eine
merkliche Aenderung feststellen zu können. Andererseits haben
aber sowohl Fleischer (13) als auch ich Fälle beobachtet, bei
denen innerhalb weniger Jahre infolge einer Zunahme des Horn¬
hautastigmatismus eine wesentliche Verschlechterung des Sehens
eingetreten war.
Was die Häufigkeit des Leidens anbetrifft, so kommt so
ziemlich io allen Publikationen die Meinung zum Ausdruck, dass
es sich um eine sehr seiiene Hornhautveränderung bandelt.
Diese Meinung ist, was die schwereren Grade des Leidens anbe¬
trifft, sicherlich zutreffend. Hingegen möchte ich die leichteren
Fälle von Rinnenbildung nicht mehr zu den seltenen
Hornhautveränderungen zählen. Wenn man nämlich alte Leute
mit Greisenbogen systematisch daraufhin untersucht, so ist man
überrascht, wie verhältnismässig häufig innerhalb der Greisen
bogen kleine Substanzverluste gefunden werden.
Der Zeitpunkt der Entstehung der Rauddegeneration
fällt aber nicht ausschliesslich in das Senium, sondern unter
Umständen bereits in das jüngere oder mittlere Lebensalter.
So standen die jüngsten von Fleischer (13) und Frank (1)
beobachteten Fälle im Alter von 24, 28 und 29 Jahren. Im all¬
gemeinen überwiegen aber begreiflicherweise die Fälle im höheren
Lebensalter.
Bezüglich der Verteilung auf die Geschlechter hat Gil¬
bert (12) ein beträchtliches Ueberwiegen des männlichen Ge-
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schlechts (22:8) über das weibliche festgestellt, doch bemerkt
dieser Autor selbst mit Recht, dass die Zahl der publizierten
Fälle noch zu klein ist, um irgendwelche wichtige Schlussfolge¬
rungen zu gestatten. Dies gilt meines Erachtens auch heute noch,
obwohl mittlerweile ungefähr die doppelte Anzahl von Fällen
bekannt geworden ist.
Wie leicht hier der Zufall eine Rolle spielen kann, sieht
man z. B. an den sechs in der Statistik Gilbert’s nicht eiube-
griffenen Fällen Fleischer’s, von denen die Hälfte weiblichen
Geschlechts ist.
Wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, stellt die
Randdegeneration durchaus keine gleichgültige Veränderung
dar, sondern kann eine Reihe von Unannehmlichkeiten
und Gefahren zur Folge haben.
Eines der ersten Symptome, das den Patienten zum Arzt
führt, ist das Auftreten eines Hornhautastigraatismus
und einer entsprechenden Herabsetzung des Sehver¬
mögens. Der Astigmatismus ist fast durchgehends ein perverser,
weil das Leiden fast immer in der oberen oder unteren (hier viel
seltener) Hornhautperipherie beginnt und somit zu eiuer Ab¬
flachung des vertikalen Hornhautmeridians führt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine zuerst von Pfalz 1 )
und später auch von mir 2 ) beschriebene häufige A Itersveränderung
der Hornhaut aufmerksam machen, die dann besteht, dass sich der
vertikale Hornhautmeridian ohne sonstige sichtbare Ilornhautveranderungen
abflacht, woraus naturgemäss eine je nach der Stärke der Abflachung
verschiedene Aenderung des Brechungszustandes des betreffenden Auges
resultiert. Die Abflachung der Hornhaut kann so beträchtlich sein, dass
ein schwacher regulärer Hornhautastigmatismus in einen perversen über¬
gehen kann. Da ferner der dadurch entstehende perverse Totalastigma¬
tismus infolge eines gleichzeitigen perversen Linsenasiigmatismus ge¬
wöhnlich noch grösser ist als der Uornhautastigmatismus allein, so leuchtet
ein, dass die genannte Abflachung der Hornhaut mit einer recht be¬
trächtlichen Verminderung der Sehleistung einhergehen kann. Die bereits
Brillen tragenden Patienten kommen dann mit der Klage, dass ihr Glas,
das ihnen jahrelang gute Dienste getan habe, nicht mehr passe, und
zwar habe ich diese Klagen besonders häufig von Personen am Ende
der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre gehört, die infolge ihres
Berufes (z. B. Offiziere) oder ihrer Passionen (z. B. Jäger) aut ein be¬
sonders gutes Sehvermögen angewiesen waren. In solcheu Fällen genügt
nun häufig die Korrektion des erworbenen perversen Astigmatismus, um
die Sehschärfe wieder auf die frühere Höhe zu bringen. Man kann da
vielfach schon mit schwachen Cylindergläsern ausgezeichnete Erfolge er¬
zielen. So gehören Besserungen der Sehschärle von e / 12 auf 6 /* nach
meinen Beobachtungen nicht zu den Seltenheiten. Ganz besonders an¬
genehm wird die Korrektion eines solchen erworbenen perversen Astigma¬
tismus auch beim Arbeiten in der Nähe empfunden, worauf schon
Siegrist 8 ) aufmerksam gemacht hat.
Zu beachten ist ferner, dass in Fällen von erworbenem perversen
Totalastigmatismus manchmal kein perverser, sondern sogar noch ein
ganz schwacher regulärer Hornhautastigmatismus uachweUbar ist. In
solchen Fällen besteht eben ein stärkerer perverser Linsenastigmatismus,
der vorher durch einen stärkeren regulären Hornhautastigmatismus kom¬
pensiert war, durch die Abflachung des vertikalen Hornhautmeridians
aber manifest geworden ist. Dementsprechend ist auch, wie schon ge¬
sagt, beim Vorhandensein eines perversen Hornhautastigmatismus der
Totalastigmatismus sehr häufig, wenn auch nicht immer, höher als der
Hornhautastigmatismus allein.
Ich habe mir aus diesen Erfahrungen die Lehre gezogen, dass ich
bei allen Patienten der vierziger Jahre und darüber, die keinen regulären
Totalastigmatismus aufweisen, nach der Korrektion einer vorhandenen
Ametropie noch ein schwaches Cylinderglas in der der Regel entgegen¬
gesetzten Richtung Vorhalte und mich davon überzeuge, ob damit besser
gesehen wird oder nicht.
Nun hat Hand mann die Ansicht ausgesprochen, dass die
beschriebene Abflachung des vertikalen Hornhautmeridians im
Alter vielleicht nur als eine Vorstufe der Randdegeneration
zu betrachten sei. Ich glaube ihm darin beipflichten zu dürfen
und erblicke eine Stütze für diese Anschauung vor allem in der
neuerdings von Attias 4 ) festgestellten Tatsache, dass die Horn¬
haut bei der anatomischen Untersuchung bereits die Anzeichen
der sowohl für die Randdegeneration als den Greisenbogen cha¬
rakteristischen Fettdegeneration aufweisen kann, während sie kli¬
nisch noch vollkommen klar und durchsichtig erscheint.
Der Astigmatismus erreicht allerdings bei der
Randdegeneration der Hornhaut wesentlich höhere Grade
als bei der einfachen Altersabflachung.
1) Zeitscbr. f. Augenheilk., 1900, Bd. 3.
2) Klio. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45.
3) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1906, Beilageh., Jahrg. 44.
4 ) v. Graefe’s Archiv f. Ophthalmol., 1912, Bd. 81.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF IOWA
206
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Seine Höhe geht gewöhnlich mit der Schwere der sichtbaren
klinischen Veränderungen Hand in Hand, und sie ist am beträcht¬
lichsten in den Fällen von Ektasie der Hornhaut Hier findet
man Astigmatismen, die mit dem Ophthalmometer von Javal
unter Umständen gar nicht mehr messbar sind und z. B. in ein¬
zelnen Fällen von Lauber (4), Vogel (22) und mir schätzungs¬
weise gegen 20 D. betrugen. Dass so exzessive Anomalien der
Hornhautkrümmung durch Gläser nicht mehr völlig ausgeglichen
werden können, liegt auf der Hand. Die Gebranchsfähigkeit der¬
artiger Augen ist also unter allen Umständen schwer beein¬
trächtigt.
Die enorme Verdünnung des Hornhautgewebes im
Bereiche der degenerierten Zone birgt aber auch für die be¬
treffenden Augen eine grosse Gefahr in sich, da die sonst so
widerstandsfähige Hornhaut an der exzessiv verdünnten Stelle
schon bei geringen Insulten einreisst, wodurch das Auge allen
Gefahren einer perforierenden Verletzung ausgesetzt wird.
Und in der Tat ist ein derartiges Vorkommnis verhältnis¬
mässig häufig beobachtet worden, wie die folgenden Beispiele be¬
weisen :
Fall 2 der zweiten Publikation Seefeld er’ s (S) erlitt durch eioen
Stoss mit einer Türklinke eine perforierende Verletzung des linken
Auges, die eine allmähliche Schrumpfung dieses Auges zur Folge hatte.
Der gleiche Patient erlitt 22 Jahre später eine perforierende Horn¬
hautverletzung des anderen Auges dadurch, dass ihm beim Holzhacken
ein 10 cm langes Stück Holz gegen das Auge flog. Die Wunde befand
sioh innerhalb der verdünnten Hornhautzone. In diesem Falle trat
glatte Heilung ein. S = 6 /ioo
Im Falle 4 der gleichen Publikation genügte nach der Angabe des
Pat. ein leichter Stoss mit der Hand des Kindes, um die verdünnte
Hornhaut zum Bersten zu bringen, ln der Wunde lagen die Iris und
getrübte Linsenmassen. Trotz Abtragung des Irisprolapses und Deckung
der Hornhautwunde vermittels Kuhnt’scher Plastik kam das Auge nicht
zur Ruhe und musste schliesslich wegen sympathischer Entzündungs¬
erscheinungen auf dem anderen Auge enucleiert werden.
In dem Falle der dritten Publikation Seefel der’s (10) war auf
einem Auge im Verlauf einer die ganze Hornhautperipherie einnehmen¬
den tiefen Rinne oben ein grosser vernarbter Irisprolaps eingeschaltet,
über dessen Entstehung der Mann keine bestimmten Angaben zu machen
wusste. Er erinnerte sich nur, dass ihm vor drei oder vier Jahren Sand
in die Augen gefallen war.
In dem Falle Vogel’s (22) wurde eine Perforation der verdünnten
Hornbautzone dadurch herbeigeführt, dass der betreffende Pat. beim
Bücken mit dem rechten Auge gegen den Stiel eines Holzlöffels ge-
stossen war.
In der Wunde lagen Blutgerinnsel, Iris und Glaskörper. Da bei
der Schwere der Verletzung keine Aussicht auf Erhaltung des Bulbus
vorhanden war, wurde sofort die Enucleation ausgeführt.
Bei der Patientin Komoto’s (18) hatte ein Stoss mit einem Buche
gegen das Auge eine lange Wunde am oberen Hornhautrande zur Folge.
Eine Verdünnung war uuf diesem Auge zwar nicht nachweisbar, aber
auf dem anderen deutlich ausgeprägt. Man wird deshalb wohl auch hier
nicht fehlgehen, wenn man die Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit
der Hornhaut des verletzten Auges auf den gleichen Prozess zurückführt.
In diesem Falle erfolgte eine Heilung ohne schädliche Folgen.
Die Arbeit von Schultz (27) war mir leider nicht zugänglich, doch
lässt schon ihr Titel darauf schlossen,* dass hier ebenfalls eine Per¬
foration im Bereiche einer Hornhautektasie stattgefunden hat.
Eine bemerkenswerte Ausnahme macht lediglich ein Fall von
Passera (24). Hier führte eine Kuhhornstossverletzung zu einer typi¬
schen Scleralruptur, trotzdem auf dem betreffenden Auge eine ziemlich
weit vorgeschrittene Rinnenbildung vorhanden war.
Ueber eine sehr unerwünschte, wenn auch nicht gerade
folgenschwere Komplikation bei einer Staroperation berichtet
Axenfeld (11).
Die Operation war bei einer 65jährigen Dame ausgeführt worden,
deren Hornhautperipherie beiderseits eine fast circuläre Rinne aufwies.
Nach der glatt verlaufenen Operation bildete sich ein Zustand heraus,
der zu den ernstesten Befürchtungen Anlass gab. „Die Hornhaut wurde
matt, grau, undurchsichtig; entlang dem Rande, besonders unten, nahm
die Trübung in erheblicher Breite einen Stich ins Gelbliche an, und hier
bildete sich eine Anzahl schnell zu einem Ring konfluierender Infiltrate,
der in den nächsten Tagen oberflächlich exulcerierte.“ Vom sechsten
Tage ab gingen zwar die Veränderungen zurück, ohne ernstere Folgen
zu hinterlassen, doch lag die Gefahr, dass der ganze Hornhautlappen
nekrotisierte, nahe genug. Axenfeld ist der Ansicht, dass diese Gefahr
lediglich durch die ungünstigen Ernährungsverhältnisse des Hornhaut¬
lappens heraufbeschworen war, „weil nach Abtrennung der einen Hälfte
durch den Starschnitt die anhaftende Hälfte infolge der peripheren
Rinnenbildung nicht genügte, um die Ernährung ungestört weiter¬
zuführen “.
Wir haben aus diesem Falle die Konsequenz gezogen, bei
der Extraktion eines Falles von hochgradiger Ektasie der
oberen Hornhautperipberie [Fall meiner ersten Publikation (5)]
den Lappenscbnitt nach unten anzulegen und dadurch die von
Axenfeld’* Patientin glücklich überstandenen Gefahren ver¬
mieden.
Schliesslich wäre noch der Vollständigkeit halber ein eben¬
falls staroperierter Fall von Hand mann (13a) zu erwähnen, bei
dem mir allerdings der Zusammenhang zwischen Randdegene-
ration und Komplikation nicht so klar auf der Hand zu liegeo
scheint.
In diesem Falle drängten sich unmittelbar nach der Vollendung des
Lappenschnittes Iris und Glaskörper in die Wunde, so dass die Ex¬
traktion schwierig und kompliziert gestaltet wurde, wenn auch keine
schädlichen Folgen für den Endausgang eintraten. Hand mann glaubt,
dass ausser der Randdegeneration auch noch anderweitige Degenerations¬
vorgänge im Auge vorhanden waren und zu dem komplizierten Verlaufe
Veranlassung gegeben haben.
Die geschilderten unangenehmen und gefährlichen Folge¬
erscheinungen der Randdegenerationen lassen es begreiflich er¬
scheinen, dass einige Autoren auch zu therapeutischen
Maassnahmen und Vorschlägen angeregt worden sind, die
bei der Art des Leidens nur operative sein können, weil eine
friedliche Therapie, z. B. Salbenmassage u. dgl., von vornherein aus¬
sichtslos erscheinen muss. Leider liegen in dieser Beziehung bis¬
her nur sehr spärliche Erfahrungen vor, doch genügen bereits
die bisherigen Versuche, um zu beweisen, dass wir dem Leiden
nicht ganz wehrlos gegenüberstehen. Unser therapeutisches
Streben wird dabei in erster Linie darauf gerichtet sein, dadurch,
dass wir an der Stelle des verdünnten Bezirkes eine feste Narbe
erzeugen, die hochgradige Krümmungsanomalie der Hornhaut zu
beseitigen.
Dies gelang Terrier (2) durch wiederholte Kauterisationen des
ektatischen Bezirkes iu so ausgezeichneter Weise, dass der auf einem
Auge vorhandene perverse Astigmatismus von 11 D. in einen regulären
von 1 D. übergeführt wurde, und dass die Sehschärfe von Vao auf Vs
stieg.
Das gleiche Verfahren wurde auch von Adamantiades (19) mit
einigem Erfolg angewendet. Der Astigmatismus ging von 15 D. auf
9 D. zurück, die korrigierte Sehschärfe stieg von Vs auf Vs-
In unserem bereits oben erwähnten Falle (10), in dem der obere
Abschnitt einer circular verlaufenden Rinne durch einen alten Iris¬
prolaps eingenommen war, haben wir dadurch einen sehr guten Erfolg
erzielt, dass der Irisprolaps abgetragen und auf die defekte Stelle Binde¬
haut (nach Kuhnt) überpflanzt wurde. Die Sehleistung dieses Auges
stieg vom Fingerzählen in P/s m auf ®/eo und liess sieb durch kombi¬
nierte Gläser noch auf 6 /is korrigieren. Der vorher nicht messbare per¬
verse Astigmatismus betrug nach den Operationen noch 12 D.
Ein ähnlicher Effekt dürfte von einer Exzision im Bereiohe der
ektatischen Hornhautzone zu erwarten sein [Lauber (4)], doch wäre
ein solcher Eingriff nach unserer Ansicht unbedingt mit einer Kuhnt-
schen Bindehautplastik zu kombinieren, um die operierte Hornhautpartie
unter günstigere Ernährungsbedingungen zu versetzen und einen rascheren
Wundschluss zu erzielen.
Auf diese Unterlassung möchten wir es auch zurückführen, dass die
Heilung in dem von Fisher (17) nach dieser Methode operierten Falle
sehr langwierig verlaufen ist. Immerhin war auch hier ein gutes End¬
resultat zu verzeichnen, da die Sehschärfe von < Veo vor ä 0r Operation
auf */i« nach der Operation gestiegen ist, und mit —4,0 Cyl. feinster
Druck (Jäger I) gelesen wurde, während vorher nur grössere Druck¬
schrift (Jäger XII) entziffert werden konnte.
Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge dürfte eine Operation
doch erst in den Fällen anzuraten sein, in denen eine dringende
Veranlassung zur Herstellung günstigerer optischer Bedingungen
(z. B. bei hochgradiger doppelseitiger Randdegeneration) vor¬
handen ist.
Die richtige Diagnose der Randdegeneration dürfte nach
den vorstehenden Ausführungen keine nennenswerten Schwierig¬
keiten bereiten. Differentialdiagnostisch kommen höchstens Rand¬
geschwüre der Hornhaut in Betracht, mit denen die Randdegene¬
ration früher (z. B. von Franke 1896) auch tatsächlich zu-
sammengeworfen worden ist. Es ist auch zuzugegeben, dass
Randgeschwüre auch zu tiefgreifenden und ausgedehnten Substanz-
verlusten der Hornhautperipherie führen können, doch kann eine
Verwechslung mit ihnen schon aus dem Grunde nicht leicht
Vorkommen, weil sie doch stets mit mehr oder weniger heftigen
Entzündungserscheinungen einhergehen, während bei der degene-
rativen Rinnenbildung höchstens leichtere Reizerscheinungen und
zumeist nicht einmal diese beobachtet worden sind. Wir haben
auch nie aus Randgeschwüren, selbst wenn sie noch so tief
waren und noch so lange bestanden hatten, einen solchen bleibenden
Substanzverlust hervorgehen sehen, der nicht von den degene-
rativen Defektbildungen zu unterscheiden gewesen wäre. Die
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
207
Dich geschwürigen Prozessen zurückgebliebenen Substanzverluste
waren durchweg sehr seicht, nicht so typisch durch einen grauen
Raum von der übrigen Hornhaut abgegrenzt, und vor allem war
die Hornhaut stets in ihrem Bereiche diffus getrübt, während die
starke Transparenz eines der wesentlichsten und augenfälligsten
Symptome im Bereiche der degenerativen Substanz verloste bildet.
Immerhin kommen in der Peripherie der Hornhaut ober¬
flächliche Geschwürsbildungen vor, die einen sehr torpiden und
chronischen Verlauf zeigen und eine gewisse Aehnlichkeit mit
rein degenerativen Prozessen besitzen können. In derartigen
Fällen vermag ein einfaches diagnostisches Hilfsmittel, dessen
Einführung wir E. v. Hippel 1 ) verdanken, rasch aus jeder Ver¬
legenheit zu helfen. Bringen wir einen Tropfen einer kon¬
zentrierten Fluorescinlösung in den Bindehautsack, so färbt sich
die Hornhaut im Bereiche von epithelialen oder geschwürigen
Sabstanzverlusten grün. Im letzteren Falle nehmen gewöhnlich
auch noch die angrenzenden infiltrierten Hornhautteile eine schön
grüne Färbung an. Im Gegensatz dazu erfolgt in den Fällen von
rein degenerativer Defektbildung keine GrüDfärbung der Horn¬
haut, weil über ihnen das Epithel stets vollkommen erhalten ist.
Die sichere Erkenntnis des Wesens der beschriebenen Er¬
krankung verdanken wir in erster Linie pathologisch¬
anatomischen Untersuchungen. Sie allein konnten die
Frage entscheiden, ob der graue Grenzsaum zwischen der ver¬
dünnten Zone und der normal erscheinenden Hornhaut auf eine
Narbenbildung oder eine dem Greisenbogen analoge Trübung zu¬
rückzuführen sei. Was diesen betrifft, so war uns durch die
Untersuchungen von de Lieto Vollaro, Fuchs und Takayasu
schon lange bekannt, dass sein wesentlichstes pathologisch¬
anatomisches Substrat in einer fettigen Degeneration der Horn-
bautgrundsubstanz bestehe. Ich habe infolgedessen schon bei
dem ersten mir von Herrn Geheimrat Sattler zur anatomischen
Untersuchung überlassenen Falle von Rinnenbildung der Hornhaut
mein Hauptaugenmerk auf den Nachweis von Fett gerichtet und
konnte denn auch sowohl in diesem verhältnismässig jugendlichen
Falle (37jähriger Mann) als auch später bei einem älteren In¬
dividuum (21) sowohl im Bereiche der DefektbilduDg als in der
angrenzenden trüben Hornhautzone eine ausgesprochene Fett¬
degeneration des Hornhautgewebes nachweisen. Der
degenerative Charakter des Leidens war somit einwandfrei er¬
wiesen und fand eine Bestätigung durch die von anderer Seite
teils vorher (Rupprecht [6]), teils nachher (Vogel [22], Coats
[26]) ausgeführten anatomischen Untersuchungen, wenn auch bei
diesen der Nachweis von Fett auf Grund der angewandten Ein¬
bettungstechnik nicht gelingen konnte. Dafür wurde aber auch
von diesen Autoren das Fehlen von solchen Entzündungserschei-
nungen konstatiert, die mit der Defektbildung der Hornhaut in
einen causalen Zusammenhang zu bringen gewesen wären. Er¬
wähnenswert düifte hier ferner noch sein, dass die Hornhaut in
den stark vorgeschrittenen Fällen von Vogel (22), Rupprecht (6)
und Coats (26) im Bereiche der Defektbildung so exzessiv
verdünnt war, dass vor der Descemet’schen Membran nur eine
minimale Schiebt von Hornhautgrundsubstanz vorhanden war.
Die Descemet’sche Membran wies in den Fällen von Rupprecht
und Coats Kupturen auf.
Noch weiter in das Wesen dieses eigenartigen und, wie mir
scheint, interessanten Krankheitsbildes einzudringen, ist uns bis
jetzt leider nicht gelungen. Insbesondere ist uns die eigentliche
Ursache der Degeneration selbst noch unbekannt geblieben, zomal
auch der naheliegende Gedaoke (Eversbusch citiert von Gilbert),
sie in arteriosklerotischen Veränderungen der Limbusgefässe zu
suchen, weder durch klinische noch durch anatomische Befunde
eine wesentliche Stütze erfahren konnte.
Die Dystrophia epithelialis corneae (Fuchs).
Das Krankheitsbild der Dystrophia epithelialis corneae ist
vor kurzem (1910) von Fuchs in die ophthalmologische Diagnostik
eingeführt und gleich so vollständig beschrieben worden, dass
die folgenden Autoren bis jetzt nichts prinzipiell Neues binzu-
zufügen hatten.
Die Dystrophia epithelialis corneae ist eine ernste Erkrankung
der Hornhaut, die nach unseren bisherigen Kenntnissen langsam,
aber sicher und unaufhaltsam zu einer intensiven Hornhauttrübung
führt und dadurch das Sehvermögen des betreffenden Auges schwer
beeinträchtigt.
1) v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm., Bd. 19.
Die klinischen Erscheinungen und der Verlauf dieser eigen¬
artigen Hornhauterkrankung sind von Fuchs (1) am Schlüsse
seiner ausführlichen Mitteilung in so präziser und vollkommener
Weise zusammengefasst worden, dass ich dem Leser am besten
zu dienen glaube, wenn ich diesen Abschnitt der Fuchs’schen
Arbeit wörtlich citiere:
„Die Dystrophia epithelialis corneae ist eine degenerative
Erkrankung, welche nur ältere Personen l ) und zwar vorwiegend
weiblichen Geschlechts befällt. Bald sind beide Augen, bald
nur eins erkrankt. Die Krankheit beginnt mit Abnahme der
Empfindlichkeit der Hornhaut gegen Berührung. Später kommt
eine Trübung der Hornhaut hinzu, welche bald mit leichten
Reizerscheinungen auftritt, bald ohne solche, in welch letzterem
Falle der Kranke erst durch die Sehstörung auf sein Leiden auf¬
merksam wird. Die Trübung der Hornhaut ist oberflächlich
und für das freie Auge diffus. Sie ist am stärksten im
Pupillarbereich der Hornhaut und verliert sich ohne scharfe
Grenze nach dem durchsichtigen Rande. In der Regel erstreckt
sich die Trübung nach unten am weitesten, während der obere
Rand der Hornhaut am meisten klar bleibt. Am stärksten ist
das Epithel verändert. Die Oberfläche desselben ist matt und
grob uneben, es ist trüb und sieht wie gequollen aus und zeigt
deutliche Blasen oder feine, mit der Lupe erkennbare dunkle
Punkte, welche kleinen Hohlräumen innerhalb des Epithels ent¬
sprechen. Diese und die grösseren Blasen erscheinen, gegen die
Pupille als Hintergrund gesehen, schwarz, woraus man schliessen
kann, dass die Trübung der Hauptsache nach im Epithel sitzt.
Nach Entfernung desselben zeigt aber die Hornhaut gewöhnlich
auch eine sehr zarte, oberflächliche feinfleckige Trübung. Die
Oberfläche der Hornhaut ist gegen Berührung ganz unempfindlich,
und in den einseitigen Fällen zeigt auch die anscheinend normale
Hornhaut des anderen Auges einen hohen Grad von Unempfind¬
lichkeit. Die tiefen Teile des Auges sind normal bis auf jene
Fälle, welche mit Drucksteigerung kompliziert sind. In der
Mehrzahl der Fälle bleibt aber der intraoeulare Druck dauernd
normal. Die Trübung der Hornhaut nimmt im Laufe der Jahre
langsam, aber stetig zu. Zuletzt bildet sich im Pupillarbereich
der Hornhaut eine etwas schärfer abgegrenzte, starke graue
Trübung, welche etwas über das Niveau der nur zart getrübten
Randteile erhaben ist und einer Auflagerung neugebildeten Binde¬
gewebes auf die Hornhaut, zwischen der Bowman'schen Membran
und dem Epithel, entspricht. Das Sehvermögen ist dann auf
Fingerzäblen in ganz kurzer Distanz gesunken. — Die Ursache
der Krankheit ist ebenso unbekannt wie eine wirksame Therapie.“
Der Arbeit von Fuchs (1) liegt die für einen einzelnen
Beobachter stattliche Anzahl von 13 Fällen zugrunde. Je ein
weiterer Fall ist von Knapp (2), Pfalz (8), Bergmeister (4),
Hoppe (6), Koapp (6) und Troncoso (7) beschrieben worden,
zu denen ich heute noch zwei eigene Beobachtungen hinzuzufügen
vermag, so dass im ganzen 21 Fälle bekannt sind, falls mir nicht
irgendein Fall in der Literatur entgangen ist.
Das Verhalten der nach Fuchs beschriebenen Fälle ent¬
spricht dem von Fuchs gegebenen Symptomenkomplex in allen
wesentlichen Punkten.
Ich beschränke mich deshalb hier darauf, einige Abweichungen
bzw. Besonderheiten dieser Fälle hervorzubeben.
Als solche wäre zu erwähnen, dass Hoppe (5) in seinem
Falle, einem 70 jährigen Manne, den er 10 Jahre hindurch beob¬
achtete, im Anfang der Beobachtung keine Unterempfindlichkeit
der Hornhaut gegen Berührung, ja sie auf dem rechten Auge
sogar erst 1 1 / 2 Jahre später feststellen konnte.
Im Falle Troncoso’s (7) verdient das jugendliche Alter
(28—30 Jahre) der Patientin hervorgehoben zu werden, da die
sonstigen Fälle durchwegs betagte Individuen gewesen sind.
Tn dem Falle Bergmeister’s (4) ist das gleichzeitige Vor¬
handensein einer anderen degenerativen Hornhautveränderung, der
sogenannten gürtelförmigen Hornhauttrübung, bemerkenswert,
ferner in dem Falle von Hoppe (6) eine eigenartige Veränderung
im Aussehen des ganzen Augapfels, „gekennzeichnet durch grau¬
gelbe Verfärbung des Augapfels, fast vollständiges Verschwinden
der unter gewöhnlichen Verhältnissen an seiner Oberfläche sicht¬
baren Gefässe, matten Glanz der Bindehaut und herabgesetzte
Empfindlichkeit gegen Berührung mit feinen Reishaaren“.
Ueberraschend ist auch bei diesem Material das beträcht¬
liche Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts über
das männliche (5: 1), wie denn auch die beiden von mir be-
1) Vergleiche den Fall Troncoso (?).
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208
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
obachteten und im folgenden etwas näher zn beschreibenden
Fälle weiblichen Geschlechts waren.
Fall 1. Marie J., 62 Jahre alt, kam in die Klinik, um auf Grund
ihres schlechten Sehens ein Invaliditätszeugnis zu erhalten. Sie gab an,
dass ihr rechtes Auge bereits seit 21 Jahren trübe sei, und dass die
Trübung im Anschluss an ihre letzte Entbindung aufgetreten sei.
An der etwas dürftig genährten, im übrigen aber nicht kränklich
aussehenden Patientin fiel ohne weiteres das eigenartige Aussehen des
rechten Auges auf. Das Auge befindet sich in starker Divergenzstellung,
die Hornhautoberfläche war im ganzen grob chagriniert, völlig glanzlos, ja
beinahe xerotiscb, die Grundsubstanz ebenfalls diffus getrübt, so dass
die ganze Cornea und damit das ganze Auge einen eigentümlichen
matten, fast leblosen Eindruck erweckten. An der Lupe löste sich die
Trübung der Hornhautgrundsubstanz, soweit das stark veränderte Epithel
genauere Feststellungen erlaubte, in zahllose feine Punkte auf, deren An¬
ordnung an die punktförmige Zusammensetzung der bekannten Trübung
des Greisenbogens erinnerte. Ferner erstreckte sich noch eine strich¬
förmige, nicht ganz scharf begrenzte Trübung in schräger Richtung von
aussen oben nach unten innen über die ganze Hornhaut hinüber, die
den tieferen Hornhautschichten angehörte. Die Hornhaut erschien voll¬
kommen gefässlos.
Der matte und leblose Ausdruck des Auges wurde noch gesteigert
bzw. im wesentlichen mit bedingt durch das vollständige Fehlen jeder
entzündlichen Reaktion im Bereiche der angrenzenden Conjunctiva und
Episclera.
Die Regenbogenhaut war zwar nur undeutlich zu sehen, reagierte
aber prompt auf Lichteinfall und Konvergenz.
Die Spannung des Augapfels erwies sich bei der Palpation so
niedrig, dass der anfängliche Verdacht auf Glaukom sofort fallen gelassen
und selbst auf die Anwendung des Schiötz’schen Tonometers ver¬
zichtet wurde.
Abweichend von dem Fuchs’schen Symptomenkomplex war die
Sensibilität erhalten, ja nicht einmal stark herabgesetzt.
Die Sehschärfe dieses Auges betrug Finger in 1 m, die des
anderen vollkommen normal erscheinenden Auges e /s*
Unser Fall ist im Januar 1910 zur Beobachtung gelangt,
die Fachs'sehe Mitteilung war also damals noch nicht erschienen.
Trotzdem waren wir uns nach der ganzen Lage des Falles darüber
klar, dass es sich nur nm degenerative Veränderungen handeln
konnte, und trugen als Diagnose im Krankenbuch „Totale degene¬
rative Hornhauttrübung“ ein, weil auch die Hornhautgrundsubstanz
in ganz offenkundiger Weise stark beteiligt war. Trotzdem wir uns
von einer Therapie keinen Erfolg versprachen, haben wir doch
versuchsweise Diouin angewendet, aber, wie erwartet, ohne jeden
merklichen Erfolg.
Fall 2. Bald nach dem Erscheinen der Fuchs'schen Mit¬
teilung hatte ich Gelegenheit, einen zweiten Fall, und zwar
diesmal ein Frühstadium der Erkrankung zu beobachten.
Die 60 jährige Patientin stammt aus meiner Privatklientel und wurde
mir von ihrem Hausarzt zur Untersuchung des Augenhintergrundes zu-
gescbickt. Die Frau gab an, seit elf Jahren zuckerkrank zu sein (8 bis
9 pCt. Zucker im Urin) und seit vier Monaten eine derartige Abnahme
der Sehkraft erlitten zu haben, dass sie nicht mehr gewöhnliche Druck¬
schrift lesen könne. Im übrigen fühle sie sich durchaus wohl, eine An¬
gabe, die durch den frischen und rüstigen Eindruck der Patientin be¬
stätigt wurde.
Beide Augen erschienen vollkommen reizlos und auf den ersten
Blick 1 ) ohne Besonderheit. Auch beim Skiaskopieren, durch das beider¬
seits eine Myopie von 6 D. festgesteilt wurde, fiel keine stärkere Unregel¬
mässigkeit in der Scbattenbildung auf. Hingegen erwies sich die Hornbaut-
.oberfläche bei der Untersuchung mit der Zeiss’schen Lupe beiderseits
matt und chagriniert, stellenweise waren sogar kleine Bläschen zu kon¬
statieren, die, wie in einigen Fuchs’schen Fällen, im Pupillargebiet rein
schwarz erschienen, ein Beweis, dass die Durchsichtigkeit der Hornhautgrund¬
substanz nicht gelitten batte. Die ganzen Veränderungen waren auf
das Hornhautoentrum beschränkt, nahmen aber einen ziemlich
grossen Bezirk ein, so dass nur eine schmale periphere Zone vollkommen
intakt erschien. Die an und für sich nicht scharfe Abgrenzung des
normalen und krankhaft veränderten Hornbautbezirkes wurde wesentlich
deutlicher nach der Einträufelung von Fluoreszin, durch das der
matte Hornhautbezirk intensiv grün gefärbt wurde. Die Grün¬
färbung beschränkte sich auf die Hornhautoberfläcbe bzw. das Epithel.
Die Sensibilität der Hornhaut erwies sich beiderseits stark
herabgesetzt, aber nicht ganz aufgehoben.
Da sich die beschriebenen Hornhautveränderungen bei dem Ver¬
suche, zu spiegeln doch ziemlich störend bemerkbar machten, träufelte
ich Cocain (5pCt.) und Homatropin (1 pCt.) ein, sah mich aber ge¬
zwungen, um eine genügende Erweiterung der Pupille zu erzielen, zum
Atropin (1 pCt.) zu greifen, worauf eine starke Mydriasis erfolgte. Ich
erwähne diese Beobachtung deshalb, weil diese Resistenz gegen die
schwächeren pupillenerweiternden Mittel kein Zufall zu sein scheint, da
1) Die Untersuchung wurde des Abends im künstlich erleuchteten
Raum ausgeführt.
auch Hoppe in seinem Fall die gleiche Tatsache aasdrüoklioh her¬
vorhebt.
Im Augenhintergrunde fanden sich die für Diabetes typischen re¬
tinalen Veränderungen, kleine Blutungen und weissglänzende Herde regellos
über den Fundus verstreut, besonders zahlreich aber in der Gegend der
Macula lutea, in der auch eine Andeutung der bekannten Sternfigur zu
sehen war.
Der Sehnerv erhielt sich normal, vor allem fehlte eine glaukomatose
Excavation.
Der Druok erwies sich bei der Palpation wie in meinem ersten
Falle so niedrig, dass ich ihn viel eher für herabgesetzt als für gesteigert
halten musste.
Da unter diesen Umständen jeder Glaukomverdacbt ausgeschlossen
war und insbesondere die Hornhautmattigkeit keinesfalls glaukomatöser
Natur sein konnte, habe ich auch in diesem Falle von der Anwendung
des Schroetz’schen Tonometers abgesehen.
Die Sehschärfe betrug mit den korrigierenden Gläsern rechts Ä /t 5 »
links '/iS-
In der Nähe wurde eigentümlicherweise auch gröbere Druckschrift
nicht gelesen.
Am nächsten Tage war die Ausdehnung des krankhaft veränderten
Hornhautbezirks zu meiner Ueberraschung beiderseits viel kleiner ge¬
worden, ja auf dem linken Auge auf ein Minimum zurückgegangen.
Trotzdem war der Fernvisus unverändert, während in der Nähe links
Jäger 9 und rechts Jäger 14 fliessend gelesen wurden.
Ich habe auch bei dieser Patientin mit Salbenmassage und Dionin
eine Besserung herbeizuführen versucht, sie aber von vornherein auf die
voraussichtliche Erfolglosigkeit aller therapeutischen Bemühungen auf¬
merksam gemacht. Diese Vorhersage hat sich leider nur zu sehr be¬
stätigt, so dass ich schon nach ganz kurzer Zeit von jeder Behandlung
Abstand genommen habe.
Im weiteren Verlaufe zeigten die Hornhautveränderungen ständige
Schwankungen.
Als mich die Patientin zum letztenmal in der Sprechstunde be¬
suchte, betrug die Sehschärfe rechts e / 38 , links 9 j H . Immerhin kann der
Rückgang der Sehschärfe nicht als Maassstab für die Verschlimmerung
des Hornhautleidens gelten, weil der Fall durch die Augenhintergrunds¬
veränderungen kompliziert ist.
Ich habe dann die Patientin fast ein ganzes Jahr lang nicht mehr
gesehen, sie aber vor wenigen Tagen in ihrer Wohnung besucht, um mich
von dem jetzigen Stande des Leidens zu überzeugen. Zu meiner Ueber¬
raschung waren mit blossem Auge fast gar keine Veränderungen nach¬
weisbar, ein Fortschreiten des Leidens also nicht zu konstatieren. Doch
lehrten die Angaben der Patientin, dass das Sehen zeitweilig schlechter
sei, dass dann ein grauer Nebel vor dem Auge liege, sowie die jetzt
vollständige Unempfindlichkeit der Hornhaut in eindringlicher
Weise, dass von einer Heilung des Leidens keine Rede sein konnte.
Wie schon ein flüchtiger Vergleich mit der wörtlich an¬
geführten Fuchs’schen Beschreibung zeigt, stimmen die Symptome
meiner Fälle fast in allen Punkten mit ihr überein. Eine wesent¬
liche Abweichung bietet lediglich mein erster Fall dadurch, dass
bei ihm die Sensibilität der Hornhaut, trotz des langen Bestehens
des Leidens, nicht nennenswert beeinträchtigt war. Trotzdem
kann er, was seine übrigen Veränderungen anbetrifft, geradezu
als Typus eines stark vorgeschrittenen Falles von Dystrophia
epithelialis corneae gelten. Selbst die von Fuchs in einigen
Fällen erwähnte eigentümliche streifige Trübung der Hornhaut¬
grundsubstanz, die ich in dieser Art bei keinem anderen Horn¬
hautleiden gesehen habe, ist bei ihm vorhanden.
Mein zweiter Fall ist vielleicht dadurch von Interesse, dass
er gleichzeitig diabetische Veränderungen aufweist. Da es sich
bei Diabetes um eine schwere Stoffwechselerkrankung bandelt,
könnte der Fall als Stütze für die Anschauung gelten, dass dem
ganzen Prozesse Ernährungsstörungen der Hornhaut zugrunde
liegen. Auch mein erster Fall scheint in dieser Hinsicht eine
Handhabe zu bieten, da ein den ganzen Organismus schwächender
Einfluss einer Entbindung immerhin denkbar ist. Unerklärlich
bleibt aber in diesem Falle die Einseitigkeit des Prozesses, und
gegen eine eventuelle Bedeutung der diabetischen Erkrankung
meines zweiten Falles ist der schwerwiegende Einwand zu er¬
heben, dass es so viele Diabetiker ohne Dystrophia epithelialis
corneae gibt, dass ein Spiel des Zufalls nicht ausgeschlossen ist,
sowie dass die Fuchs’schen Patienten zum grössten Teil gesunde,
kräftige Leute waren. Nur ein Fall litt an einer arteriosklero¬
tischen Schruropfniere und an sogenannter Retinitis albuminurica.
Wir tasten also, was die Entstehungsursache des Leidens an¬
betrifft, noch vollkommen im Dunkeln, und auch seine patho¬
logisch-anatomische Grundlage bedarf noch trotz der Mitteilungen
von Fuchs der Aufklärung. Für zweifellos halte ich, dass in den
vorgeschrittenen Fällen die Hornhautgrundsubstanz stark betei¬
ligt ist, und zwar vielleicht weniger in der Form von auffälligen
Strukturveränderungen als in Gestalt einer Fettdegeneration wie
beim Gerontoxon. Wenigstens scheint mir. das Aussehen der
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8. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Hornhauttrübung, zumal ihre punktförmige Zusammensetzung sehr
darauf hinzuweisen, und es dürfte sich bei künftigen anatomischen
Untersuchungen gewiss verlohnen, bei der Fixierung und Härtung
des Präparates auf die Möglichkeit des Nachweises von Fett be¬
dacht zu sein.
Wichtig ist im Interesse der Autorität des Arztes und des
Wohles des Patienten, dass das Leiden frühzeitig erkannt wird.
Vor einer Verwechslung mit Glaukom und eventuellen dies¬
bezüglichen operativen Eingriffen schützt ja heutzutage in zweifel¬
haften Fällen die Untersuchung mit dem Schioetz’schen Tono¬
meter, das ja jedem Augenarzt auch sonst unentbehrlich sein
wird, doch ist nicht ausser acht zu lassen, dass das Leiden zu¬
weilen mit Glaukom kompliziert sein kann. Haben doch von den
bis jetzt bekannten 23 Fällen nicht weniger als 5 Drucksteigerung
gezeigt.
Es scheinen demnach, wie schon Fuchs bemerkt, zwar Be¬
ziehungen zwischen der Dystrophia epithelialis corneae und dem
Glaukom zu bestehen, doch keinesfalls in dem Sinne, dass die
Hornhautveränderungen dieser beiden Krankheiten von derselben
Art wären. Ihre markantesten Unterschiede werden von Fuchs
in mehreren Sätzen zusammengefasst, auf deren Anführung ich
an dieser Stelle verzichten zu dürfen glaube, weil die Stellung
der Differentialdiagnose in so schwierigen Fällen doch wohl aus¬
schliesslich Sache des spezialistiscb ausgebildeten Arztes ist. Aus
dem gleichen Grunde glaube ich auch von der Besprechung der
Differentialdiagnose gegenüber anderen Erkrankungsformen der
Hornhaut, z. B. der Keratitis disciformis und profunda, der
Keratitis vesiculosa usw., abseben und mich in dieser Hinsicht
mit einem Hinweis auf die grundlegende Fuchs'sche Arbeit be¬
gnügen zu dürfen.
Wichtig ist vor allem auch, zu wissen, dass die übliche
Therapie zur Aufhellung von Hornhauttrübungen bei diesem Leiden
vollkommen versagt. Auch die von Knapp ausgeführte energische
Massage der Cornea hat nur rasch vorübergehende und demnach
bedeutungslose Erfolge gezeigt.
Geradezu tragisch mutet es aber an, wenn man liest, dass
die Patientin Troncoso’s auf Anordnung ihres zuerst zu Rate
gezogenen Arztes (in Mexiko) lange Dunkelkuren durchzumachen
hatte und dabei eine schwere Anämie, aber keine Besserung
ihres Leidens erzielte, so dass sie in ihrer Verlegenheit die weite
Reise nach der Hauptstadt antrat und sich dort Rat holte.
Vor solchen diagnostischen und therapeutischen Irrwegen zu
warnen und zu schützen, soll, wie schon eingangs erwähnt, der
Hauptzweck meiner heutigen Mitteilung sein.
Literatur.
I. Randdegeneration der Hornhaut.
1. Frank, Beiträge zu den Erkrankungen der Hornhaut. Chro¬
nische periphere Furchenkeratitis usw. Inaug.-Diss., Würzburg 1896. —
2. Terrien, Dystrophie marginale symEtrique des deux cornEes, avec
astigmatisme regulier conseoutif et guärison par la cautErisation ignöe.
Archives d’ophtalmologie, 1900. — 8. Fuchs, Ueber Randsklerose und
Randatrophie der Hornhaut, v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm., 1901,
Bd. 52. — 4. Lauber, Ueber periphere Hornhautektasie. Klin. Monats¬
blätter f. Augenheilk., 1905, Bd. 43. — 5. Seefelder, Zur Entstehung
der peripheren Hornhautektasie. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1906,
Bd. 44. — 6. Rupprecht, Pathologisch-anatomische Beiträge zur
Kenntnis der peripheren Hornhautektasie. Klin. Monatsbl. f. Augenheil¬
kunde, 1907, Bd. 45. — 7. Isohreyt, Ein Fall von peripherer Horn¬
hautektasie infolge von Trachom. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907,
Bd. 45. — 8. Seefelder, Klinisches und Anatomisches über periphere
Rinnen bi Idung und periphere Ektasie der Hornhaut. — 9. Früchte,
Klinische Mitteilungen über einige seltene Hornhauterkrankungen. Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 10. Seefelder, Nochmals
über periphere Rinnenbildung und periphere Ektasie der Hornhaut.
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 11. Axenfeld, Zur
chronischen peripheren Rinnenbildung der Cornea. Klio. Monatsbl. f.
Augenheilk., 1907, Bd. 45. — 12. Gilbert, Ueber die Beziehungen der
peripheren Rinuenbildung und peripheren Ektasie der Hornhaut zum
Arcus senilis und zur chronisch-peripheren Furchen keratitis. Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., 1908, Bd. 46. — 13. Fleischer, Ueber peri¬
phere Ektasie bzw. Atrophie der Hornhaut. Ophthalm. Klinik, 1908,
12. Jabrg. — 13a. Handmann, Klinischer Beitrag zur Aetiologie der
chronischen peripheren Rinnenbildung der Hornhaut. Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk., 1908, Bd. 46. — 14. Vaudetti e Passera, Contributo
elinica alle conoscenza dell* assottigliamento cronico periferico e delP
ectasia marginale della cornea. Ophthalmologica, 1909, Vol. I, Fase. II.
— 15. H. Laub er, Randatrophie der Cornea und hochgradige Kerat-
ektasia peripherica. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1909, Bd. 47.
— 16. Holodenkowa, Periphere Hornhautektasie. Ref. Klin. Monats¬
blätter f. Augenheilk., 1909, Bd. 47 . — 17. Fisher, Case of marginal
&)9
keratektasia bilateral. Transact. of the ophth. Soc. of the United
Kingdora, 1909—1910. — 18. Korooto, Zur Kasuistik und Differential¬
diagnose der peripheren Rinnenbildung der Hornhaut. Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk., 1909, Bd. 47. — 19. Adamantiadis, Un cas d’6ctasie
circonscripte de la cornee. Archives d’ophtalmologie, 1910, T. XXX. —
20. Van Duyse, DegcnErescence marginale des cornEes (Dystrophie
marginale symetrique de Terrien). Archives d’opht., 1910, T. XXX. —
21. Seefelder, Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Rand¬
degeneration der Hornhaut. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1910, Bd. 48.
— 22. Vogel, Anatomischer Beitrag zur Kenntnis der chronischen peri¬
pheren Hornhautektasie. Inaug.-Diss., Tübingen 1910. — 23. Zent-
mayer, Entartung des Hornhautrandes. Annals of Ophthalm., 1910.
Ref. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., 1911, S. 286. — 24. Passera,
Contributo clinico allo studio della degenerazione marginale della cornea.
Giornale di medicine militare, 1911, Fase. IV. — 25. Markus, Case of
peripheral and central bulging of the cornea bilateral. Transsact.
ophth. soc. of the United Kingdom, 1911, S. 1. — 26. Coats, Exami-
nation of specimen of marginal keratectasia. Ophthalm. soc. of the United
Kingdom, 1911. Diskussion hierzu: Treacher Collins, Fisher. —
27. Schultz, Bilateral marginal thinning and keratectasia with Per¬
foration on one side. Archives of ophthalmology, Vol.XI. — 28. Zent-
mayer, Entartung des. Hornhautrandes. Annals of ophthalm., 1910.
Ref. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., 1911. — 29. Junius, Dystrophia
marginalis corneae bei einem jugendlichen Manne. Zeitschr. f. Augen¬
heilk., 1912, Bd. 28.
II. Dystrophia epithelialis corneae.
1. Fuchs, Dystrophia epithelialis corneae, v. Graefe’s Archiv f.
Ophthalm., 1910, Bd. 76. — 2. Knapp, Kasuistischer Beitrag zur Frage
der Dystrophia epithelialis corneae, v. Graefe’s Archiv f. Ophthalm.,
1911, Bd. 78. — 3. Pfalz, Vorstellung eines Falles von Dystrophia
epithelialis corneae. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1911, 49. Jahrg. —
4. Bergmeister, Vorstellung eines Falles von Dystrophia epithelialis
corneae. Zeitschr. f. Augenheilk., 1911, Bd. 25. — 5. Hoppe, Klinischer
Beitrag zur Kenntnis der Dystrophia epithelialis corneae (Fuchs). Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., 1912, 50. Jahrg.* — 6. Knapp, Dystrophia
epithelialis corneae (Fuchs) with raport of case. Archives of ophthalmo¬
logy, 1911, Bd. 60. — 7. Troncoso, Sur un cas de dystrophie Epi¬
theliale de la cornee. Annal. d’ocul., 1912, T. 130.
Ueber die Heilung des Juckens mit autogener
Vaccine.
Von
A. Sehischlo -Wladiwostok (Marinehospital).
In der umfangreichen Literatur über die Vaccinetherapie bei ver¬
schiedenen Erkrankungen finden wir nirgends einen Hinweis auf die Mög¬
lichkeit ihrer Anwendung beim Jucken (Pruritus cutaneus). Allem An¬
scheine nach aber kann diese Heilmethode in manchen Fällen von hart¬
näckigem Jucken das einzige Rettungsmittel sein. Der Erfolg einer Kur
des Juckens hängt natürlich von der Erkenntnis seiner Aetiologie ab;
das ist aber oft eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Darum
dürfte die Beobachtung, die ich zu machen Gelegenheit hatte, einer
Publikation wert sein, da sie gerade vom ätiologischen Gesichtspunkte
aus ein besonderes Interesse darbietet.
Unter dem Ausdruck „Pruritus cutaneus“ versteht man eine selb¬
ständige Neurose der Haut, die gewöhnlich ohne jede andere Haut¬
verletzung einhergeht. Dieses Jucken, das bald allgemein, bald örtlich
ist, findet sich oft bei Parasiten, chronischen Verstopfungen, Tripper,
Hämorrhoiden. Grosse Bedeutung haben im Sinne des ätiologischen
Moments die neuropathische Vererbung, die Intoxikationen bei Verdauungs¬
störungen. Diabetes, Leberkrankheiten, Nierenentzündung, Podagra,
Leukämie, Krebs, Pseudoleukämie, Schwindsucht werden, wie bekannt,
häufig von heftigem Jucken begleitet. Endlich können Opium, Morphium,
Kaffee, Tabak, Alkohol, Fleisch, Gewürze, Wärme und Kälte auch manch¬
mal Grund des Hautjuckens sein. Diese kurze Darstellung zeigt, wie ver¬
schiedenartig die Ursachen der Krankheit sein können. Daher ist es
selbstverständlich, dass der Kranke häufig gezwungen ist, viele Mittel
durchzuprobieren, ehe er die Heilung erreicht. Mein Fall erscheint als
beredte Bestätigung der angeführten Erwägungen.
Es handelt sich um einen 31 Jahre alten, kräftig gebauten Infanterie¬
offizier. Der Ernährungszustand ist gut; seitens der inneren Organe
sind keine Abweichungen von der Norm wahrzunehmen; der Magen¬
darmkanal ist in Ordnung; das Nervensystem ist leicht erregbar. Im
Jahre 1900 erkrankte er an zahlreichen Furunkeln der Brust- und
Bauchhaut, die von Jucken begleitet waren; die Furunkel verschwanden
unter dem Einfluss der Behandlung, aber das Jucken blieb be¬
stehen und wurde allmählich schlimmer. Auf dem behaarten Teil des
Kinns entstanden kleine Eiteransammlungen, welche noch gegenwärtig
mehr od^r weniger fortdauern. Bei Zunahme der Eiterblattern ver¬
stärkt sich das Jucken; ausserdem ist die Intensität des Juckens von
Aufregung, Kälte und Wärme abhängig. In der letzten Zeit wird Pat. reiz¬
bar, wenig mitteilsam; es stellen sich trübe Gedanken und Sohwermut ein.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Er kurierte sich selbst mit Hydrotherapie, Schwefelbädern in Japan
und im Kaukasus, mit Röntgenstrablen, mit ultraviolettem Licht, mit
Seebädern im Schwarzen Meere, mit galvanischem Hochspannungs¬
strom (d’Arsonval), mit den verschiedensten Salben und Einreibungen.
Es wurde auf dem behaarten Teil des Kinns eine Epilation ausgeführt.
Innerlich nahm er Brom, Arsenik, Phenol und viele andere Mittel ein.
Nachdem alle Versuche feblgeschlagen waren, wandte sich Pat. auf den
Rat eines Spezialisten an mich mit der Bitte, ihn mit Autovaccin zu be¬
handeln. Ich entnahm steril aus einer der frischen Eiterbildungen ein
Tröpfchen Eiter zur Aussaat auf eine neutrale Seetanggallerte. Am
folgenden Tage wuchsen viele Kolonien feiner Diplokokken, die sich nach
Gram färbten. Dann wurde die Vaccine angefertigt, 100 Millionen Mikroben
in einem Kubikzentimeter enthaltend (die Bestimmung der Vaccine ist
nach Wright hergestellt), die durch Erwärmung bei 60° C im Laufe einer
Stunde getötet wurden. Die Kur bestand aus 10 Einspritzungen. Diese
wurden alle drei Tage subcutan zwischen den Schulterblättern gemacht.
Zuerst wurden 10 Millionen Mikroben injiziert, dann wurde die Dosis um
je 5 Millionen bis zur Grenzdosis von 55 gesteigert. Nach der ersten
Vaccineeinspritzung traten Kopfschmerzen und allgemeine Zerschlagen¬
heit ein. Auf dem behaarten Teil des Kinns entstanden zahlreiche
Eiterbläschen. Bei fortgesetzten Einspritzungen war keine weitere all¬
gemeine Reaktion vorhanden; der Ausschlag wurde geringer; nach der
fünften bis sechsten Einspritzung fingen die bis dahin hartnäckigen Eiter¬
bildungen allmählich an einzutrocknen und sich zu verlieren. Am Ende
der Behandlung waren die Eiterbildungen auf dem Kinn total ver¬
schwunden. Der opsonische Index fiel gewöhnlich nach der Einspritzung,
um am dritten Tage wieder bedeutend höher als die Norm zu steigen;
jedes nachfolgende Fallen des Indexes war schwächer als das vorher¬
gegangene, jedes nachfolgende Steigen des Indexes war dagegen stärker
als das vorherige.
Nach der dritten Vaccination gab der Kranke an, dass das Jucken
sich beträchtlich gemindert hätte, besonders in den Achselhöhlen und in
der Analgegend. Bei weiterer Behandlung wurde das Jucken immer
geringer, und nach 7 Einspritzungen verschwand es vollständig.
Man kann mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit an¬
nehmen, dass bei unserem Patienten das Hautjucken durch Toxine von
Mikroben bedingt war, die aus dem beständigen Herde auf der Haut
des Kinns ins Blut gelangten und die empfindliche Hautneurose an den
mehr von dem Jucken betroffenen Stellen (Achselhöhlen, die Haut um
die Afteröffnung) hervorriefen. Infolge der Vaccinekor heilte der pustu-
löse Prozess am Kinn a^, so dass auch keine neuen Toxine mehr ins
Blut gelangen konnten. Dass es sich nur um eine psychische Therapie
dabei handelte, glaube ich ausschliessen zu können, da die Vaccine¬
therapie ausschliesslich die Entfernung der Eiterbildungen im Auge hatte.
Jedenfalls mochte ich auf Grund meiner Erfahrung die Kollegen
anregen, im entsprechenden Falle einen Versuch mit autogener Vaccine
zu machen.
Ueber Dosierung von Arzneimitteln in
Tropfenform.
Von
Wilhelm Beckers* Aachen, Chemiker und Apotheker.
Bei Ausführung nachfolgender ärztlicher Ordination: Oleum Cheno-
podii anthelmintic. gtt. VIII, Menthol 0,05 fiat caps. gelatinosa, dent. tal.
dos. VI konnte ich die Beobachtung machen, dass die zur Herstellung
der Kapseln benutzte Menge Oleum Chenopodii nicht etwa 2,4 g wog,
sondern nur 1,2 g. Sie betrug nur die Hälfte derjenigen Menge, die ich
nach den allgemeinen Bestimmungen der Deutschen Arzneitaxe zu be¬
rechnen verpflichtet und berechtigt war. Als Ursache dieser Ungleich-
mässigkeit konnte ich die mangelhafte Beschaffenheit des sogenannten
Normaltropfenzählers bezeichnen, der nach dem Brüsseler Ueberein-
kominen 20 Tropfen von fetten und ätherischen Oelen gleich 1 g geben
soll; Zum Abtröpfeln des Wurmsamenöles hatte ich einen solchen
Normaltropfenzähler benutzt. Die nähere Untersuchung mit diesen
Normaltropfenzählern hat gezeigt, dass diese Instrumente fast niemals
exakt gearbeitet sind. Dieselben werden als normal bezeichnet und von
den Glashütten als solche abgegeben, sind aber in Wirklichkeit die un¬
genauesten Instrumente. Ich habe nun den Versuch gemacht, die Unter¬
schiede zwischen Normaltropfenzählern und Pipetten, wie sie für die
Applikation von Augentropfen in Betracht kommen, unter gleichzeitiger
Berücksichtigung der Anzahl Tropfen, die man aus den Standgefässen
in der Apotheke erhält, festzulegen. Ich bin dabei auf so grosse Unter¬
schiede gestossen, dass ich es für meine Pflicht halte, meine Versuche
in einer medizinischen Zeitschrift zu veröffentlichen im Interesse der
Aerzte und der Patienten. Nachfolgende Tabelle lässt die Unterschiede
leicht erkennen, welche sich bei Anwendung der verschiedenen Tropf-
vorrichtungen in bezug auf die Anzahl der Tropfen ergeben.
Zunächst ist aus der Tabelle ersichtlich, dass die Art des Tröpfelns
von grossem Einfluss auf das Gewicht der Tropfen ist. Jedenfalls ist es
nötig, dass man bei Benutzung eines Normaltropfenzählers sowie der
Augenpipetten stets senkrecht die Tropfen ablaufen lässt. Aus der
Tabelle ergibt sich ferner, dass man in bezug auf die Anzahl und das
Gewicht der Tropfen auf grosse Unterschiede stösst. Die Gründe hierfür
Anzahl der Tropfen
Name der Flüssigkeit
«Q
‘5
Normal-
Pipette mit Durchmesser
®
o
tropfen-
1
1 mm ,
1,5 mm
i
2 mm
1
Aus d.
Zähler
Stand-
gefäss
Aqua dest.
1,0
24 gtt.
s. 36
s. 23
1
s. 19
14
senkrecht
getropft
i
15 gtt.
wagerecht
getropft
w. 27
!
w. 14
w. 14
Tinctura Opii spl.
1,0
s. 48
s. 50
s. 38
s. 35
26
w. 36
w. 33
w. 30
w. 28
Tinctura Jodi
1,0
s. GS
s. 66
s. 50
s. 49
34
w. 46
w. 52
w. 49
w. 38 |
Oleum Menth, pip.
1,0
s. 58
s. 54
s. 42
s. 30 ,
29
w. 38
w. 42
w. 30
w. 22 !
Acid. Carbol. liq.
1,0
s. 40
s. 38
s. 32
s. 27 ;
22
w. 25
w. 28
w. 26
w. 22 ;
Extr. Beilad. sol. 1 + 1
1,0
s. 25
s. 38
s. 80
s. 28 i
20
w. 20
w. 27
w. 23
w. 22 1
i
Tinctura Strychni
1,0
s. 58
s. 76
s. 58
s. 46 i
| 30
w. 44
w. 64
w. 40
w. 34
1
Tinctura Pimpinellae
1,0
s. 62
s. 62
s. 49
s. 42
! 32
w. 44
w. 41
w. 35
w. 34
I
Tinctura Belladonnae
1,0
s. 56
s. 58
s. 53
s. 49
| 36
w. 40
w. 42
w. 40
w. 36
Acid. Muriat. offic.
1,0
s. 22
s. 24
8. 21
s. 18
! io
w. 16
w. 16
w. 13
w. 10
i
1 proz. Cocain- und Zink¬
1,0
s. 24
s. 28
s. 23
8. 21
| —
sulfatlösung
w. 15
w. 18
w. 15
w. 14
Liquor Kalii arsenicosi
1,0
s. 35
s. 35
s. 28
s. 24
15
w. 22
w. 22
w. 20
w. 17
1
liegen zum Teil darin, dass das Gewicht der Tropfen nicht allein ab¬
hängig ist von der Grösse der Tropfen und dem spezifischen Gewichte
der betreffenden Flüssigkeit, sondern, und das hauptsächlich wohl, von
der Grösse der Ausflussöffnung. Die Anzahl der Tropfen ist umgekehrt
proportional der Grösse der Ausflussöffnung, während die Grösse der
Tropfen proportional ist der Grösse der Ausflussöffnung; je grösser die
Öffnung, je grösser die Tropfen, um so weniger Tropfen sind dann
nötig, um ein bestimmtes Gewicht auszumachen. Es ist daher anzu¬
streben und zu verlangen, dass genau hergestellte, exakt gearbeitete
Normaltropfenzähler von stets gleichbleibender Tropfengrösse in den
Handel gebracht werden, welche einen vom Arzte gewünschten .Zusatz
eines Arzneimittels zu einer Mixtur in genau dosierter Form gestattet.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch auf einen anderen Uebel-
stand aufmerksam machen, der unter Umständen grosse Bedeutung er¬
langen kann. Ich habe einmal die Patenttropfgläser von verschiedener
Grösse auf ihre Richtigkeit und Gleichmässigkeit in bezug auf Anzahl
der Tropfen studiert und dabei gefunden, dass keineswegs diese Tropf¬
gläser den Anforderungen entsprechen, die an dieselben gestellt werden
können und gestellt werden müssen. Nachstehende Zahlen mögen die
Unterschiede deutlich erkennen lassen:
Inhaltsgrösse des
Tropfglases
Anzahl der Tropfen
Gewicht der Tropfen
Tropfglas von 10 g
14
1,0 g
* ■ 15 g
16
1,0 g
* ■ 20 g
15
1,0 g
„ » 50 g
13
1,0 g
Dass auch Patenttropfgläser gleichen Rauminhaltes unter sich in
bezug auf Gewicht und Anzahl der Tropfen sehr verschieden sind, er¬
hellt aus folgender Zusammenstellung. Bei fünf Patenttropfgläsern von
10 g Inhalt kamen auf 1,0 g destilliertes Wasser: 12, 13, 2 mal 14 und
1 mal 15 Tröpfen. Bei vier Tropfgläsern von 20 g Inhalt erhielt ich
folgende Werte: 11, 13, 15 und 18 Tropfen = 1,0 g destilliertes Wasser.
Bei sechs Tropfgläsern von 30 g konnte ich konstatieren: In zwei Fällen
kamen 12 Tropfen auf 1,0 g, in einem Falle 13, dann 14, ferner 15
und in einem letzten Falle 16 Tropfen = 1,0 g. Mit 50 g Patent¬
tropfgläsern erzielte ich folgende Resultate: Im ersten Falle kamen auf
1,0 g Aqua dest. 13 Tropfen, im zweiten Falle 15 Tropfen und bei
einem dritten Glase 13 Tropfen. Bei einem vierten Tropfglase konnte
ich die Beobachtung machen, dass 9 Tropfen schon 1,0 g wogen, also
weniger als die Hälfte des normalen Zustandes. Bei dem Versuch, die
Ursache zu eruieren, bemerkte ich, dass die Verschlussöffnung nachlässig
angefertigt war, so dass die Tropfen erst noch etwas tiefer am Flaschen¬
hals herunterliefen und dann erst abtropften. Also auch bei diesen
Tropfenzählern kann man grossen Unterschieden begegnen, und es
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
211
müsste darauf gedrängt werden im Interesse des arzneibedürftigen
Publikums, dass diese Tropfgläser in stets gleichmässiger Beschaffenheit
von den Glashütten geliefert würden; diese müssen den Abmachungen
der Brüsseler Konvention möglichst genau entsprechen.
Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist auch die Tatsache,
dass die Anzahl der Tropfen, welche ein bestimmtes Gewicht ausmachen
sollen, auch verschieden ist, je nachdem man aus einer wenig oder halb
oder ganz gefüllten Flasche tropft. So konnte ich feststellen, dass ein
Tropfglas von 10 g Inhalt folgende Zahlen ergab: Füllte ich 2,5 g
Aqua dest. in ein solches Glas, so kamen auf 1,0 g 13 Tropfen, füllte
ich 5 g Aqua in dasselbe, so gaben 16 Tropfen 1,0 g, bei 7,5 g Wasser
kamen 15 Tropfen auf 1,0 g; füllte ich das Gläschen mit 10 g Wasser,
so waren 18 Tropfen = 1,0. Ganz gefüllt waren 15 Tropfen = 1,0 g.
Ein 20 g-Glas gab gefüllt 17 Tropfen = 1,0 g
» 20 „ „ halb „ 14 „ =1,0«
„ 20 „ „ viertel „ 16 „ = 1,0 g.
Diese Versuche lehren also, dass wir in bezug auf die Herstellung
der Tropfgläser noch nicht auf der Höhe sind, da erfahrungsgemäss diese
Gläser nicht bloss in bezug auf Anzahl der Tropfen unter sich verschieden
sind, sondern auch noch an dem ganz besonderen Uebelstande leiden,
dass 20 Tropfen, welche durch diese Tropfgläser abgezählt werden, nicht
etwa annähernd 1,0 g wiegen, wie man annehmen müsste, sondern
meistenteils mehr, sogar oft fast das Doppelte. Nun ist es aber noch
lange nicht einerlei, ob man von einer stark wirkenden Lösung grössere
oder kleinere Tropfen einnimmt bzw. in die Augen oder Ohren träufelt.
Wenn auch schliesslich ein einzelner Fall keine besondere Wirkung
hervorrufen kann, so ist doch die Möglichkeit nicht ausser acht zu
lassen, dass bei einem länger oder anhaltend gebrauchten Arzneimittel
die Erscheinung der Kumulativwirkung hinzukommen kann, so dass auf
die Dauer die unangenehmsten Wirkungen durch ungleichmässige Be¬
schaffenheit der Tropfgläser ausgelöst werden könnten. Nehmen wir
als Beispiel folgendes Rezept, welches mir kürzlich zur Anfertigung vor¬
gelegt wurde: Morphin, mur. 0,5, Aqua dest ad 15,0, S. 3 mal täglich
10 Tropfen zu nehmen, so müssten 10 Tropfen nach dem Brüsseler
Uebereinkommen 0,016 Morphin entsprechen. Aber hier wäre in dem
Falle, wo schon 10 bzw. 9 Tropfen gleich 1,0 g waren, die Maximal¬
dosis schon überschritten, ohne dass der Arzt eine Ahnung davon hätte.
Man sieht also, dass derartige Ungleichmässigkeiten von ganz eminenter
Wichtigkeit sein können. Ich rate daher, stark wirkende Arzneien nie¬
mals in Tropfenform zu verordnen, weil eben die Patentgläser niemals
in gleichmässiger Beschaffenheit geliefert werden. Erst wenn dies er¬
reicht ist, wird man jedes Bedenken gegen die Verordnung eines Arznei¬
mittels in Tropfenform fallen lassen können. Was den tropfenweisen
Zusatz eines starkwirkenden Arzneimittels zu einer Mixtur anbelangt, so
halte ich es für viel richtiger, wenn die Aerzte derartige Substanzen
stets nach Gewicht verordnen würden. Am praktischsten wäre es, wenn
starkwirkende Arzneimittel in Pulver- oder Pillenform verordnet würden,
da diese Arten der Medikation eine sehr genaue Dosierung der Arznei¬
stoffe gestatten.
Bücherbesprechungen.
Heinrich Obersteiner: Arbeiten ans den neurologischen Institut an
der Wiener Universität. Bd. 19, H. 2 und 3. 1912. Franz
Deuticke.
Anatomische, physiologische und pathologische Arbeiten auf dem
Gebiete des Nervensystems werden auch in diesen Heften in seltener
Reichhaltigkeit geboten. Die Arbeiten von Leszlönyi über die ver¬
gleichende Anatomie der Lissauer’schen Randzone des Hinterhorns, von
Kr umholz zur Frage der hinteren Grenzschicht des Rückenmarks,
von Wakushima über den Kielstreifen des Ammonshorns, von Roth-
feld zur Kenntnis der Nervenfasern der Substantia gelatiuosa centralis
haben rein anatomisches Interesse. Bauer und Arnes setzen die Studien
über Quellung von Nervengewebe fort, indem sie am menschlichen Gehirn
festste!len, dass die Quellung in Säuren von der Konzentration Viooo D
aufwärts geringer als in Wasser ist, mit Ausnahme der Borsäure. Io
schwachen NaOH- und KOH Lösungen ist die Quellung stärker als in
Wasser. Die graue Substanz hat geringeres Quellungsvermögen als die
weisse, die Hirnrinde des Säuglings quillt weniger als die des Er¬
wachsenen. Die Quellung von Nervengewewebe ist ein grösstenteils
reversibler Prozess. Die Kleinbirnrinde quillt etwas stärker als die
Grosshirnrinde. Muraohi’s Arbeit über die titrierbare Acidität und die
Quellungsfähigkeit des urämischen Gehirns zeigt das urämische Nerven¬
gewebe gegen Wasser in seiner Quellungsfäbigkeit herabgesetzt, gegen
starke Säuren sogar gesteigert. Die titrierbare Acidität nimmt bei der
Urämie nicht zu. Murachi zeigt dann zur Frage der Autolyse des
Rückenmarks, dass die Fasern der Wurzeleintrittszone des Hinterstrangs,
des sulcomarginalen Gebiets des Vorderstrangs u. a. m. rascher zugunde
gehen als andere Gebiete. Physiologisch wichtig ist die Arbeit von
Bauer und Leidler über den Einfluss der Ausschaltung verschiedener
Hirnabschnitte auf den vestibulären Augenreflex. Zur Pathologie leitet
die Untersuchung Zappert’s über die Spinalganglien im Kindesalter
über, bei der neben den normalen Befunden Veränderungen bei heredi¬
tärer Lues, Tetanie, meningitischen Prozessen usw. geschildert werden.
Klinisch wichtig ist die Arbeit Marburg’s zur Klinik und Pathologie
der Myatooia congenita und die von Zutelli zur Klinik der familiären,
frühinfantilen, spinalen progressiven Muskelatrophie (Werdnig-Hoff-
mann), in denen die Stellung dieser Krankheitsformen zueinander und
zur Poliomyelitis ausführlich behandelt werden. Endlich seien die Unter¬
suchungen Sakai’s zur Pathologie der Arachnoidea cerebralis mit Be¬
rücksichtigung der Epitbelzellen, des Bindegewebes und der freien Elemente
an einem reichen pathologischen Material und die experimentelle Studie
Spitzer’s zur Pathogenese der Trigeminusneuralgie, bei der schwere
Veränderungen in den Trigeminusästen bis zum Ganglion Gassen nach
toxischen Läsionen der Zabnpulpa beim Hunde erzielt wurden, besonderer
Berücksichtigung empfohlen.
Em. MdI: Nene Lehre vom centralen Nervensystem. Leipzig 1912,
Wilh. Engelmann.
Den gegenwärtig herrschenden Anschauungen, welche die anato¬
mische Entwicklung des Nervensystems und seiner Teile auf der Grund¬
lage physiologischer und psychologischer Forschungen zu erklären suchten,
stellt Radi eine rationelle Morphologie gegenüber, die, frei von phylo¬
genetischen Spekulationen als selbständige Wissenschaft nach den Gründen
der Formen sucht, indem sie über die einzelnen materiellen Erschei¬
nungen hinaus ihren Plan zu ermitteln bestrebt ist. Die nach Begriffen
eingeteilte exakte Morphologie muss Gesetze aufstellen, die für alle
Organismen gelten. Die Ermittlung der Strukturelemente des organischen
Körpers, die Lehre von der Koordination und Subordination der Eigen¬
schaften, die Analyse der Symmetrie des Körpers sind wichtige Ab¬
schnitte der Morphologie. Die vergleichende Methode ist hier das einzige
Mittel der Forschung. An den Augen der Tiere im Bereich der Wirbel¬
losen und der Wirbeltiere und den Typen der Sehcentren bei den
Würmern, den Mollusken, den Spinnen, den Wirbeltieren führt Verf.
seine Anschauungen durch. Die Kaskaden fasern, die invertierten Nerven¬
bahnen und Ganglien, die lichtempfindliche Schicht des Auges werden
geschildert. Verf. geht dann auf die Frage nach der Ursache der Nerven-
kreuzungen ein, weist die Theorien von Ramön y Cajal und Spitzer
zurück und sucht die Kreuzungen durch eine Umkehrung der Orientierung
eines Ganglion zu erklären, indem die frühere Innenseite zur Äussen-
seite wird und so die Nervenbahnen zur Kreuzung gezwungen werden.
Verf. kommt zu dem Schluss, dass es bestimmte morphologische Gesetze
gibt, die die äussere Konfiguration des Körpers sowohl als auch die
Lagebeziehungen seiner feinsten Bestandteile beherrschen. Die Identität
der strukturellen Gesetze bedingt die Einheit des Plans der gesamten
Tierwelt. Verf. betrachtet die Sinnesorgane nicht als von der Aussen-
welt dem organischen Körper aufgepräpt, sondern als Produkte des
Organismus selbst, aus der inneren Gesetzlichkeit des organischen Wesens
geprägt. Allerdings dürfte Verf. bei seinen Anschauungen die Bedeutung
der Funktion für die morphologische Ausgestaltung des Centralnerven¬
systems unterschätzen.
Judson S. Bnry: Diseases of the nervons System. Manchester 1912,
University press.
Nach einer kurzen anatomischen und physiologischen Einteilung
werden die einzelnen Symptome der Nervenkrankheitep behandelt. Es
folgen die spastischen Lähmungen, dann die schlaffen und atrophischen
Lähmungen bei den verschiedenen peripheren und spinalen Affektionen.
Die eigentlichen Rückenmarksaffektionen, Myelitis und Syringomyelie,
Kompressionsmyelitis, Tabes dorsalis, hereditäre Ataxie, kombinierte
Strangerkrankung folgen. Die verschiedenen Formen der Muskelspasmen,
dann die Ermüdungszustände der Muskulatur werden zusammengefasst.
Dann kommen als intermittierende und paroxysmale Neurosen Neuralgien,
Migräne, Epilepsie, Raynaud’scheKrankheit, Erythromelalgie, rekurrierende
Lähmung. Es folgen Aphasie und Apraxie. Den Erkrankungen der
Hirnnerven folgen die verschiedenen Formen der Meningitis. Die cere¬
bralen vascnlären Läsionen, Hämorrbagie, Thrombose und Embolie der
verschiedenen Hirnabsobnitte, Sinusthrombosen und Hirnaneurysmen
werden zusammengefasst. Es folgen die Hirntumoren in ihren ver¬
schiedenen Lokalisationen, die Hirnabscesse, die Dementia paralytica.
Nach kurzer Schilderung von Hysterie und Neurasthenie macht die
cerebrospinale Syphilis den Schluss. Das in seiner Anordnung originelle
Werk ist anregend und präzis geschrieben; zahlreiche, teils schematische,
teils nach klinischen Fällen und pathologischen Präparaten angefertigte
Abbildungen erhöhen die praktische Brauchbarkeit.
M. Rothmann.
H. Boro Han und L. Mann: Handbuch der gesamten medizinischen
Anwendung der Elektrizität, einschliesslich der Rdntgenlehre.
Bd. II, zweite Hälfte. Leipzig 1911, W. Klinkhardt.
Von dem schon mehrfach angezeigten Handbuch ist die zweite Hälfte
des zweiten Bandes erschienen, welche die elektrotherapeutischen Methoden
umfasst. In einem einleitenden Kapitel behandelt J. K. A. Wertheim
Salomonson die allgemeine Elektrotherapie, es folgen dann die An¬
wendung der Elektrotherapie bei den einzelnen Organerkrankungen von
Maurice Mendelsohn, Ludwig Mann, Giovanni Galli, Arthur
Alexander, 0. Fehr, Gustav Brühl, A. Laquierriere. Ohne
auf Einzelheiten einzugehen, kann man wohl sagen, dass hier der
Praktiker alles findet — von der eigentlichen Elektrotherapie bis zur
elektrischen Epilation —, was er in einem solchen Buch sucht.
Zwei Kapitel über die Franklinisation von A. von Luzenberger
und über Hochfrequenzströme von J. Bergoniö, die beide auch vom
5*
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212
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
physikalisohen Standpunkt aus sehr gut geschrieben sind, beschliessen
diesen Abschnitt.
In demselben Band schreibt dann noch H. Boruttau über Be¬
leuchtung, Heizung und Elektromotoren, P. Meissner über Elektrolyse,
Katapborese und Galvanokaustik und R. Steiner über Phototherapie.
Hiermit ist das eigentliche Werk über die Elektrizität in gewissem
Sinne abgeschlossen, denn der dritte Band soll nur die Röntgenkunde
behandeln.
Bei Durchsicht des ganzen stattlichen Buches wird man dem Ver¬
fasser gern zugestehen, dass sein im Beginn des Erscheinens ausge¬
sprochener Wunsch, ein Werk zu schaffen, welches die Beziehung der
Elektrizität zur Heilkunde, vor allem vom praktischen Gesichtspunkte
aus in vollständiger Form und erschöpfender Weise behandeln will, in
vollem Maasse gelungen ist. G. F. Nicolai.
Graphische uad typographische Erstlinge der Syphilisliterator ans
den Jahren 1495 nnd 1496. Zusammengetragen und ins Licht
gestellt von Karl SodholT. (Januar 1912.) Mit 24 Tafeln.
München 1912, Druck und Verlag von Carl Kuhn.
Das vierte der Gross-Foliohefte aus der Gustav Klein’schen Faksimile¬
ausgabe liegt vor uns, und Karl Sudhoff hat diesen ebenso seltenen
wie berühmten Blättern eine Begleitschrift mitgegeben, welche jeden
Arzt auf das höchste interessieren muss. Sudhoff beschränkt sich auf
die Jahre 1495 und 1496 und glaubt unter anderem auch einige nicht
datierte religiöse Flugblätter in diese Jahre ansetzen zu müssen, so das
Gebet zum heiligen Minus von Wolfgangk Hamer gegen die grausam-
liebe Krankheit der Blattern, in Welisch genannt Mala frantzosa, ferner
das Gebet zum heiligen Dionysius und das gleichfalls undatierte Einblatt
„für die Blattern mala frantzosa mit der Darstellung der Krankheit des
biblischen Job“. Diese und ähnliche Inkunabeldrucke in das Jahr 1495
bis 1497 anzusetzen, sucht Sudhoff innerlich zu begründen, ohne aber
meines Erachtens hierfür andere als Wahrscheinlichkeitsgründe und
-beweise zu erbringen. Es ist klar, dass ein Mann von Sudhoff’s Art
sich nicht damit begnügt, diese Dokumente nebeneinander zu stellen,
sondern er sucht sie durch einen Faden zu einer Perlenschnur zu ver¬
einigen. Er benutzt diese ersten graphischen und typographischen Doku¬
mente zur Unterstützung seiner Zweifel betreffs der dominierenden Auf¬
fassung der amerikanischen Einschleppung der Syphilis in ein jungfräu¬
liches Europa mit dem Beginn einer wirklichen Syphilisepidemie in
Neapel. Da es wesentlich zeitliche Dissonanzen sind, die diese Zweifel
stützen und nähren, so wären natürlich nur sicher datierte Dokumente
eine wünschenswerte Unterlage. Das Gotteslästerungsedikt des Kaisers
Maximilan vom 7. August 1495 ist für Sudhoff der Ausgangspunkt
kritischer Ueberlegung. In diesem Edikt wird zunächst daran erinnert,
dass ein Vorfahr des Kaisers, nämlich Justinianus, bei Strafe gefäng¬
licher Einziehung und Hinrichtung alle lästerlichen Worte und Schwüre
beim Namen Gottes verboten habe, mit dem Hinweis, dass der schwer
ergrimmte und beleidigte Gott den Menschen als Strafe schon allerlei
Pestilenz, Erdbeben, Hungersnöte usw. geschickt habe. In diesen Tagen
habe er die „bösen Blattern“ geschickt, die vorher seit Menschengedenken
nie gewesen. Es ist immerhin auffällig genug, dass der Redakteur des
Kaisererlasses sich der Konjunktur einer so jungen Krankheit bedient
habe; eine nachdrückliche Wirkung konnte doch nur angenommen werden
in der Voraussetzung, dass die Krankheit damals schon ziemlich verbreitet
und bekannt gewesen war. Auch die Enarratio satyrica des Georgio
Sommariva (Summarippa) vom Dezember 1496 überrascht durch die
genaue und eingehende Erfahrung des Veroneser Patriziers in der ganzen
Sy phi lissy mptom ato logie.
Es ist von kulturhistorischer Bedeutung und namentlich in medizin¬
historischer ein erfreulicher Beweis ihrer Lebenskraft, dass heute nach
Entdeckung des Syphiliserregers nicht mit einem Schlage der alte
Streit ad acta gelegt ist, nachdem auch das letzte Fetzchen praktisch¬
epidemiologischen Interesses weggeblasen ist. Jetzt hat die rein histo¬
rische Forschung das Wort und nimmt es gleich mit einer so monumen¬
talen Veröffentlichung der ersten Dokumente. Obwohl diese durch die
Arbeit von Fuchs 1853 bekannt waren, war bisher ihre vergleichende
Betrachtung erschwert oder unmöglich, denn zum Teil handelt es sich
hier um einzige Dokumente, zum Teil ist ihr Erwerb auch für öffent¬
liche Sammlungen unerschwinglich. Hier wenigstens ist der amerikanische
Einfluss unleugbar. Die vorzüglichen Kopien ersetzen uns die Originale.
Das Studium der 24 Tafeln und ihre klare Erklärung und Deutung
für die historische Syphilisforschung sei auch den Praktikern empfohlen,
sie werden Anregung genug finden zur eigenen Belehrung und Weiter¬
arbeit. Holländer.
Gnido'.Ferrarini: La Teoria tossica nella patogenesi della morte
in segnito ad nationi. Ricerche e studi critiche e sperimentali.
(Die Theorie des Verbrennungsgiftes als Ursache des Todes in¬
folge von Verbrennungen.) Mailand 1912 (86 Seiten). (Aus der
Glinica chirurgica, Jahrgang 1912.)
Verf. gibt in dieser Arbeit zunächst eine sehr umfassende und
detaillierte Uebersicht über die zahlreichen Theorien, welche die ver¬
schiedensten Autoren über die Ursache des Todes nach Verbrennungen
aufgestellt haben, speziell über die Theorien des supponierten „Ver¬
brennungsgiftes“. Ueber die Natur dieses Giftes, über den Ort
seiner Bildung und die Art und Weise, wie es sich bilden soll, herrschen
die widerstrebensten Ansichten, ebenso wie über die Art und Weise seiner
Wirksamkeit, und nicht zuletzt über — den Nachweis dieses Giftes. Die Auf¬
zählung dieser unendlich vielen verschiedenen Anschauungen legt schon von
vornherein die Vermutung nahe, dass dieses Verbrennungsgift etwas recht
Hypothetisches sein müsse. F. weist gleich darauf hin, dass auch die
Symptome nach Verbrennungen und der pathologisch-anatomische Befund
bei Verbrannten keineswegs einen Anhaltspunkt dafür gebe, dass hier
Vergiftungsprozesse im Spiele seien. F. bespricht ferner die zahl¬
reichen experimentellen Arbeiten, die sich mit dem Nachweis und der
Wirkung dieses hypothetischen Verbrennungsgiftes beschäftigt baben. Er
hat jeweils die wichtigsten Versuche an zahlreichen Tieren (Meer¬
schweinchen) nachgeprüft. Er findet: 1. Wird bei Meerschweinchen eine
tödliche Verbrennung gesetzt, so lässt sich im Extrakt aus den der Ver¬
brennung ausgesetzten Weichteilen keinerlei Toxin nachweisen, das,
intravenös oder subcutan, irgendwelche Vergiftungserscheinungen be¬
wirkte. 2. Aus diesen Geweben lassen sich weder mit der Brieger’schen,
noch mit der Stas-Otto’schen Methode Substauzen extrahieren, die nicht
auch in normalen Geweben vorhanden wären: der Nachweis der
Ptomainbildung durch Verbrennung ist demnach nicht zu erbringen.
3. Auch das Blut von Tieren mit tödlich endigenden experimentellen
Verbrennungen enthält keinerlei spezifisches Gift. 4. Ebensowenig ge¬
lingt es, mit dem Urin von Versuchstieren (8 bis 14 Stunden nach Ver¬
brennung) bei anderen Tieren derselben Spezies irgendwelche Ver¬
giftungssymptome hervorzubringen. 5. Ebensowenig liess sich nachweisen,
dass beim Verbrennungstode es sich um eine anaphylaktische Reaktion
bandle.
Nach F. ist demnach der Nachweis eines „Verbrennungsgiftes“ in
keiner Weise bis jetzt erbracht, und die sämtlichen experimentellen
Untersuchungen F.’s sind in dieser Hinsicht negativ ausgefallen; auch
der pathologisch-anatomische Befund bei Verbrennungen liefert keinerlei
Beweis für die Annahme eines solchen Giftes. Trotzdem will F. keines¬
wegs ausschliessen, dass, vielleicht nur in manchen Fällen, vielleicht
nur in geringen Mengen, irgendwelche giftige Stoffe infolge des Eiweiss¬
zerfalls nach Verbrennungen entstehen können.
W. Fischer - Göttingen.
Stier-Berlin: Ueber Linkshändigkeit ii der deatsckei A mm. Auf
Grund amtlichen Materials. Mit 2 Abbildungen im Text und
3 farbigen Tafeln. (Sonderabdruck des Anhanges von „Unter¬
suchungen über Linkshändigkeit und die funktionellen Diffe¬
renzen der Hirnhälften“.) Jena 1911, Verlag von Gustav Fischer.
55 Seiten.
Von 266270 Mann wurden 10292 als Linkshänder angesprochen.
Die Zahl ist ausserordentlich gross. Die Zählung geschah nach Frage¬
bogen (Angabe). Die geeignetsten Fragen zur Erkennung und Ab¬
grenzung der Linkshänder sind die nach Schuheputzen und Brot¬
schneiden, bei den sozial besser gestellten Volksschichten nach Stein*
werfen, doch sind auch geeignet die nach Nähen, Einfädeln, Peitschen¬
knallen und Kartenmischen. Die Unterschiede in der Geschicklichkeit
der Hände sind dabei bei den Ersatzrekruten am grössten, bei den Ein¬
jährig-Freiwilligen etwas, bei den Mehrjährig-Freiwilligen deutlich und
bei Unteroffizierschülern erheblich geringer, somit erhöht sich die Diffe¬
renzierung mit dem Lebensalter auch noch nach der Pubertät. Die
Unterschiede der Händedruckkraft sind am grössten bei den Ersatz¬
rekruten, am geringsten bei den Unteroffizieren und Mehijährig- Frei¬
willigen, wohl als Zeichen der mit dem Alter zunehmenden Differen¬
zierung. Linkshändigkeit ist am häufigsten in Süddeutscbland (speziell
in Württemberg), am seltensten in Ostpreussen und überhaupt im Nord¬
osten Deutschlands zu finden. Aus der Beantwortung des Fragebogens
erhellt, dass das männliche Geschlecht fast doppelt so häufig Links¬
händigkeit aufweist als das weibliche. Die Linkshändigkeit ist eine ex¬
quisit erbliche Eigentümlichkeit. Der Linkshänder ist um so weniger
zum Soldaten geeignet, je mehr seine Familien und sein Heimatland mit
Linkshändern durchsetzt ist. Der Einfluss der Mutter scheint für die
Vererbung grösser zu sein als der des Vaters. Die Zahl der körper¬
lichen Degenerationszeichen ist bei Linkshändern doppelt so gross als bei
Rechtshändern.
Zum Nachweis der Geschicklichkeit der Beine sind die Fragen nach
dem beim Weitspringen, Schlittern und Ballstosseu vorgeworfenen bzw.
bevorzugten Bein geeignet. Die letzte von diesen Fragen lässt die
grössten, die erste die geringsten Unterschiede erkennen. Die grösseren
Geschicklichkeitsunterschiede findet man dabei bei den Ersatzrekruten,
die geringsten bei den Mehrjährig- Frei willigen und Unteroffizierschülern.
Hiernach nehmen also auch die corticalen Centren der Beine an der
funktionellen Differenz der Hirnhälften teil, und auch hier steigert sich
die Differenzierung mit den Jahren.
Einen gleichsinnigen, aber erheblich geringeren Unterschied hat die
Untersuchung des Mundfacialis (Fähigkeit, den Mund nach rechts oder
links zu verziehen) ergeben; für den Augenfacialis konnte dieser Beweis
nicht mit Sicherheit geführt werden. Sprachstörungen fanden sich bei
linkshändigen Soldaten fast viermal und auch bei ihren Verwandten
drei- bis viermal so häufig als bei den Rechtshändern. Die Einjahrig-
Freiwilligen waren kaum mehr als halb so oft beteiligt. Stottern tritt
dabei viermal so häufig bei Männern als bei Frauen auf. Ein kleiner
Prozentsatz linkshändiger Soldaten konnte auch mit der linken Hand
besser, ebensogut oder fast so gut schreiben als mit der rechten.
_____ Schnütgen.
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
213
Beratrüger: Der Gehnrtoarüekgaag ia Deitsehlaad, seine Bewertung
■ad Bekämpfaag. Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Medizinal-
Verwaltung. I. Band, 13. Heft.
Der Verfasser schildert mit grossem Eifer die Wirkungen der
malthusi&nischen und neomalthusianischen Lehren auf die Geburtenziffer
des deutschen Volkes und macht eine grosse Reihe von Vorschlägen zu
ihrer Bekämpfung. Wenn man auch über einzelne Punkte anders
denken mag, so wird man doch im ganzen anerkennen müssen, dass er
die Quellen dieser traurigen und zweifellos gefährlichen Erscheinung ohne
Nachsicht aufdeckt. Symptomatisch ist es als erfreulich zu bezeichnen,
dass die Staatsverwaltung, die an dem Eindringen malthusianischer Ideen in
die Beamtenkreise nicht ohne Schuld ist, nunmehr zu einer anderen
Auffassung des Problems übergeht. Möge sie damit nicht zu spät
kommen.
Mediziaalstattatigeke Nachricht©«. Im Aufträge des Herrn Ministers
des Innern herausgegeben vom Königl. preussischen statistischen
Landesamte. IV. 1912/13, 1. Heft.
I. Bewegung der Bevölkerung in Preussen unter Hervorhebung der
wichtigsten Todesursachen in den einzelnen Vierteljahren für 1910
und 1911.
II. Die Heilanstalten im preussischen Staate 1910.
III. Die Sterblichkeit in der Kreisbevölkerung des preussischen
Staates nach Todesursachen und Altersklassen 1911.
IV. Geburten, Ebesohliessungen und Todesfälle mit Hervorhebung
wichtiger Todesursachen im preussischen Staate, Regierungsbezirken und
Stadtkreisen für das 1. Vierteljahr 1912.
V. Verschiedenes. Von Dr. Robert Behla, Regierungs- und
Geheimer Medizinalrat. 1. Taubstumme und Blinde in Preussen 1900
und 1905. 2. Die Säuglingssterblichkeit in Ostafrika. 3. Diphtherie*
erkrankungen und Sterbefälle im preussischen Staate und Stadtkreise
Berlin 1901—1911. 4. Die in Preussen an der Zuckerkrankheit Ge¬
storbenen nach Zahl und Beruf sowie nach Altersklassen und Geschlecht
für 1908—1910.
Das Vorwort weist auf eine bereits eingeführte und weitere be¬
absichtigte Neuerungen hin.
ad I. 1911 ist die Zahl der Lebendgeborenen mit 1 186 000 =
29,5 pM. der Bevölkerung gegen das Vorjahr um 30 585 gesunken,
während die Ehen auf 321 183 = 7,99 pM., also um 10 804 stiegen.
Gestorben sind 696 372 = 17,32 pM., 58 517 mehr als im Vorjahr. Die
Todesfälle im ersten Lebensjahr stiegen von 31019 auf 211182 =
186,49 pM. gegen 156,31 pM. der Lebendgeborenen im Vorjahr. Die
Hauptschuld an diesem ungünstigen Ergebnis trägt die grosse Sommer¬
hitze des Jahres 1911, im 8. Quartal starben 1911 311,7 pM. der
Lebendgeborenen gegen 184,65 pM. des Vorjahres. Dementsprechend ist
auch die Häufigkeit des Brechdurchfalls gestiegen.
ad II—IV siehe Original.
ad V, 1. Eine Zunahme der Blinden und Tauben trat nicht ein.
ad V, 2. Die Sanitätsdienststellen verzeichnen 1910/11 in Pro¬
zenten der Lebendgeborenen 83,3 pCt. Todesfälle bis zum ersten,
58 pCt. bis zum zehnten Lebensjahr, die Missionsstatistiken 41,4 pCt.
bzw. 54,5 pCt.
ad V, 3. Im Staate findet sich eine Zunahme der Meldungen bei
Abnahme der Zahl der Todesfälle, während in Berlin die Todesfälle
weit stärker Zunahmen als die Meldungen.
ad V, 4. Die Zahl der Todesfälle an Zuckerkrankheit bat in
Preussen wie auch sonst erheblich zugenommen. Ob sie deshalb, wie
Behla meint, im Wachsen begriffen ist, erscheint trotzdem fraglich. Die
Unterschiede in der Belastung verschiedener Berufe sind so gross, dass
sie teilweise nach Berücksichtigung des Altersaufbaues, der hier wiederum
fehlt, nicht ausgeglichen würden. Trotz der vorauszusehenden Unvoll¬
kommenheiten einer Sammelforschung über Zuckerkrankheit will Behla
doch einer solchen das Wort reden. Der Misserfolg der deutschen
Krebsenquete scheint ihn also nicht belehrt zu haben. Selbst¬
verständlich taucht auch hier das Wort Fürsorge auf, wie wenn nicht
schon jetzt alles geschehen könnte, wenn die Herren Zuckerkranken
darauf Wert legen wollten. Dass man in der Zuckerkrankheit auch gesetz¬
geberisch nur ein Symptom statt des Grundübels bekämpfen würde,
wird nicht berücksichtigt.
Hrotjah* und Kriegei : Jahresbericht über soziale Hygiene, Deno-
graphie and Medizinalstatistik. XI. 1911. 877 S. Preis 13 M.
Der Jahresbericht ist für die Interessenten auf den genannten Ge¬
bieten nachgerade unentbehrlich geworden und zeichnet sich wiederum
durch grosse Reichhaltigkeit der angeführten Literatur aus. Er verdient
daher auch einen möglichst grossen Absatz.
Da es nicht möglich ist, alles zu referieren, dürfte es sich empfehlen,
Unwichtiges ganz unreferiert zu lassen, auch wenn dabei einige treffende
Bemerkungen von erfreulicher Schärfe verloren gehen. Auch durch zu¬
sammenfassende kurze Uebersichten mit Hervorhebung des wichtigsten
statt der Eiozelreferate, bei denen die Titel unverhältnismässig viel
Platz wegnehmen, könnte der verfügbare Raum noch ergiebiger aus¬
genutzt werden. Bei den Kongressen würde neben dem Titel die Stelle
genügen, wo der Bericht erscheint.
Allen sehr willkommen wird die Bibliographie Gottstein’s sein.
We i n b e r g - Stuttgart.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
L. Kirchheim-Marburg: Ueber den Schatz der Darmwaad gegen
das Trypsin des Paakreassaftes. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharma¬
kologie, Bd. 71, H. 1, S. 1—22.) Eine organspezifLcbe, antitryptische
Immunität des Darmes gegenüber dem Trypsin ist nicht anzunehmen.
Schützt sich die Blase und der Oesophagus durch mangelude Resorption,
so der Darm vielleicht bei schneller Resorption durch prompten Ab¬
transport. Auch epithelloses, lebendes Gewebe ist relativ sehr resistent,
wenn es das Ferment von der Oberfläche her langsam aufnimmt. Wird
Pankreatin direkt injiziert, erfolgt typische Schädigung io jedem Gewebe.
Dünndarminhalt, wie er physiologisch mit der Darmwand in Berührung
kommt, ist auch injiziert ohne Wirkung. Der Darm bedarf gegen seinen
Inhalt keines Schutzes.
A. y. Konsohegg-Graz: Ueber die Zackerdichtigkeit der Niereu
nach wiederholten Adrenalininjektionen. (Archiv f. experim. Pathol.
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 311—322.) Die nach Adrenalininjektion
auftretende Diurese ist von der Glykosurie unabhängig. Auch durch
aufgesetzte Salzdiurese gelingt es nicht, bei Tieren, die durch wieder¬
holte Adrenalininjektionen zuckerdicht gemacht worden sind, Glykosurie
zu erzeugen. Im Blute solcher Tiere ist eine abnorme Blutzucker¬
verteilung nicht nachweisbar, die Nieren enthalten mehr Zucker als in
der Norm. Die Glykosuriehemmung ist demnach nicht dadurch bedingt,
dass die Nieren unfähig geworden wären, Zucker aus dem Blut aufzu¬
nehmen. Jacoby.
Pharmakologie.
K. Schübel-Würzburg: Zur Biochemie der Termitea. (Archiv f.
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 303—310.) Pharma¬
kologisch interessante Substanzen Hessen sich nicht nachweisen.
C. Cervello und C. Varvaro-Palermo: Ueber das Oxydations-
v er mögen einiger Schwermetalle in Verbindung mit Eiweiss und einige
physikalisch-chemische Eigenschaften derselben. II. Mitteilung. (Archiv
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 369—374.) Fort¬
setzung der früheren Untersuchungen der Verfasser. Das Oxydations-
vermögen der untersuchten Metalle wird durch die Verbindung mit
Eiweiss nicht gestört.
0. Gros-Leipzig: Ueber den Wirkungsmechanismus kolloidaler
Silberhalogenide. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70,
H. 6, S. 375—406.) Kolloidales Chlorsilber und colloidales Jodsilber
wirken intravenös beim Kaninchen stark toxisch. Das Chlorsilber ist
giftiger als das Jodsilber, obwohl die Silberionenkonzentration einer ge¬
sättigten Lösung von Chlorsilber und Jodsilber im Plasma die gleiche
ist. Im Plasma bildet sich mit den Chloriden des Plasmas eine kom¬
plexe Chlorsilberverbindung, wodurch der Transport zu den silber-
empfindlichen Zellen beschleunigt wird. Entsprechend erhöht die gleich¬
zeitige intravenöse oder subcutane Injektion für sich allein unschäd¬
licher Jodnatriummengen stark die Giftigkeit des Jodsilbers. Auch hier
ist Koraplexbildung das maassgebende. Mit der Komplexbildung hängt
auch die schnellere hämolytische Wirkung des Chlorsilbers gegenüber
dem Jodsilber zusammen. Zusatz kleiner Mengen von Jodnatrium ver¬
stärkt die Wirkung des Jodsilbers auf das Nervensystem. Die Wirkung
des Jodsilbers auf die roten Blutkörperchen in vitro wird auch durch
Jodnatrium beeinflusst. Hierbei ist eine Reihe von Faktoren zu berück¬
sichtigen. — Der pharmakodynamische Grenzwert einer Substanz ist
gegeben durch die Grenzkonzentration, bei welcher diese Substanz gerade
auf die betreffende Zelle, Organ oder Organismus nicht mehr schädigend
wirkt, d. b. nicht mehr damit reagiert.
0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie and Pharma¬
kologie des Herxvagas. I. Mitteilung. Ueber den Einflnss von Chloral-
hydrat aaf dea Erfolg der Vagnsreiznag. (Archiv f. experim. Pathol.
u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 323—342.) Intravenöse Injektion von
Chloralbydrat in so kleinen Dosen, dass Pulsfrequenz und Blutdruok
nicht oder kaum beeinflusst werden, hemmt zunächst hochgradig oder
total das Wiederschlagen des Herzens während der Vagusreizung. Dann
wird die Wirkung der Vagusreizung abgeschwächt, sie kann aber jetzt
durch erneute Injektion von Chloralbydrat wieder wie vorher gesteigert
werden. Grosse Dosen heben die Vaguserregbarkeit dauernd auf.
Caropher hebt ohne gleichzeitige Beeinflussung der Pulsfrequenz oder
des Blutdrucks den Erfolg der Vagusreizung ganz oder teilweise, aber
immer nur vorübergehend auf. Chloralbydrat beeinflusst ähnlich die
Wirkung von Pilocarpin und Muscarin. Die Intensität der Reizbildung
des Herzens kann geändert werden, ohne dass es in einer Frequenz¬
änderung zum Ausdruck kommen müsste. Die Ursache des Wieder¬
beginnes der Herztätigkeit während fortdauernder Vagusreizung ist eine
wachsende durch die Hemmung gesetzte, Intensitätssteigerung der Funk¬
tion der reizbildenden Apparate.
0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie aad Pharma¬
kologie des Herzvagas. II. Mitteilung. Ueber die Bedeutung des
Caleiam8 für die Vagoswirkuag. (Archiv f. experim. Pathol. u.
Pharmakol., Bd. 70, H. 5, S. 843 — 350.) Geringgradige Calciument¬
ziehung durch kleine Oxalatmengen steigert im Gegensatz zu hoch¬
gradiger oder totaler Caloiumentziehung beim Warmblüter die Erregbar¬
keit für elektrische Reizung, am stärksten die des Nervus vagus. Diese
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Erregbarkeitssteigerung ist durch Calcium nicht zu hemmen. Die Mus-
carinwirkung am Froschherzen kommt auch am kalkfreien Herzen zu¬
stande. Die Pilocarpin- und Muscarinvaguslähmung bei Säuger und
Frosch wird durch Calcium nicht beeinflusst.
0. Loewi-Graz: Untersuchungen zur Physiologie nad Pharma¬
kologie des Herzvagas. III. Mitteilung. Yagaserregbarkeit and
Vagusgifte. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 5,
S. 351—368.) Pilocarpin steigert wie Muscarin in sehr kleinen Mengen
die Erregbarkeit des Vagus beim Frosch. Im Stadium der Vagus¬
lähmung während Muscarin- oder Pilocarpinwirkung existiert weder beim
Frosch noch beim Kaninchen Ventrikelautomatie, Sinus, Atrium und
Ventrikel werden gleichmässig von der Vaguslähmung betroffen. Eine
aufgesetzte Muscarin- und Pilocarpindose kann den Effekt der elek¬
trischen Vagusdauerreizung steigern oder ohne Wirkung bleiben, je nach
Stadium und Intensität der Dauerreizung und Grösse der aufgesetzten
Giftdose. Superposition von Pilocarpin oder Muscarin auf Pilocarpin
oder Muscarin wirkt ganz analog wie Superposition von elektrischer
Vagusreizung auf eine bereits bestehende elektrische Vagusreizung.
Physostigmin sensibilisiert im Gegensatz zu der elektrischen Vagus¬
reizung nicht für die Wirkung des Pilocarpins oder des Muscarins. Die
Wirkung von Pilocarpin oder Muscarin ist als Reizung des Vagus mit
Sitz au der myoneuralen Verbindung aufzufassen.
A. Holste-Strassburg: Systole nad Diastole des Herzeas unter
dem Einfluss der Digitalinwirknng. (Archiv f. experim. Pathol. u.
Pharmakol., Bd. 70, H. 6, S. 439—446.) Die kolloidalen Bestandteile
des Blutes verhindern bei der Durchspülung des Herzens den Durchtritt
der Digitaliskörper durch die Herzwand. Bei künstlicher Durchspülung
muss man kolloidale Substanzen der isotonischen Flüssigkeit zufügen,
damit sie auch isoviscös ist.
A. Holste-Strassburg: Ueber den Einfluss der Giftnenge und
Giftkoazeatration der Stoffe der Digitaliagrappe auf die Wirkung am
Froschherzen. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 6,
S. 435—438.) Das wesentliche für die Herzwirkung der Digitaliskörper
ist die Giftkonzentration. Jacoby.
L. Arzt und W. Kerl-Wien: Zur Kenntnis der parasitotropea
Wirkuag des Atoxyls und Neosalvarsans. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 1.) Die parasitotrope Wirkung des Atoxyls kann durch Ver¬
mengung mit Lecithin erhöht werden, in geringerem Grade auch durch
Versetzung mit Glykogen. Dagegen wird die parasitotrope Wirkung des
Neosalvarsans durch diese Zusätze herabgesetzt. P. Hirsch.
A. R. Cushny: Zur Arbeit von E. Hug: „Ueber die Wirkung des
Seopolamias“. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 70, H. 6,
S. 433—434.) d-Hyoscin ist praktisch unwirksam. Daher ist i-Hyoscin
quantitativ ebenso wirksam wie l-Hyoscin. Jacoby.
Siehe auch Augenheilkunde*. Horovitz, Einfluss von Cocain
und Hermatropin auf Akkommodation und Pupillengrösse.
Therapie.
0. A. Kowanitz-Wiener Neustadt: Unsere Erfahrungen mit Hexal.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Das Hexal (Riedel) stellt eine
Kombination des Hexamethylentetramins mit der Sulfosalicylsäure dar,
soll also ein Blasenantisepticum und Analgeticum sein. Seine Wirkung
ist nach K.’s Erfahrungen eine promptere als die des Hexamethylen¬
tetramins allein, ist auch angenehmer zu nehmen. P. Hirsch.
Siehe auch Innere Medizin: Roepke, Mesbe bei Lungen- und
Kehlkopftuberkulose. Möllers und Wolff, Das Zeuner’sche Tuber¬
kulosepräparat „Tebesapin“. — Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten: Bäumer, Behandlung der Syphilis mit Hg-Glidine. Lob,
Heilung der Verrucae planae mit Salvarsan. Klausner, Behandlung
der Syphilis mit Kontraluesin. Bruck und Glück, Wirkung von Aurum
kalium cyanatum bei Tuberkulose und Lues.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
G. Kelling-Dresden: Neue Versuche zur Erzengang von Ge¬
schwülsten mittels arteigener and artfremder Embryonalzellen.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1 u. 2.) K. kommt durch seine
Versuche zu folgenden Sätzen: Artfremde Stoffe können Wucherungs¬
reize abgeben für embryonale Zellen, und die Wucherungen können er¬
folgen sowohl im arteigenen als auch im artfremden Organismus, voraus¬
gesetzt, dass die Gegenreaktion nicht zu stark ist. Die ganze Ge¬
schwulstwucherung basiert nach des Verf. Ansicht auf einer bestimmten
Reaktionsfähigkeit der einer selbständigen Verdauung fähigen embryo¬
nalen Zellen gegenüber gewissen Nährstoffen, in erster Linie wahrschein¬
lich artfremden Eiweissstoffen. Der Mensch kann sich gegen Geschwulst¬
krankheiten schützen, wenn er artfremde embryonale Zellen vom Körper
fernhält: man vermeide rohes Fleisch wegen der darin enthaltenen Para¬
siten, dann rohe Eier, unsaubere Gemüse, unreines und madiges Obst
und unreines Wasser. Eingeweidewürmer sind abzutreiben, stechende
Insekten nach Möglichkeit vom Körper fernzuhalten.
P. Hirsch.
Ferguson-Kairo: Veränderungen bei Bilharzia. (Glasgow med.
journ., 1913, Nr. 1.) Mit vorzüglichen Tafeln zeigt F. die pathologischen
Veränderungen bei Bilharzia. In der Einleitung gibt Verf. interessante
Notizen über die geographische Verbreitung der Krankheit, die nach
Befunden an Mumien zu urteilen, bereits in den frühesten Zeiten im
Niltal heimisch war und wahrscheinlich sowohl dem Heere Alexanders
des Grossen wie Napoleons verhängnisvoll wurde. Sehe lenz.
P. Zander: Zur Histologie der Basedowstrana. (Mitteil. a. d.
Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4 .) Die verschiedenartigen histo¬
logischen Ergebnisse, zu denen die verschiedenen Autoren bei der Unter¬
suchung von Basedowkröpfen kommen, erklären sich wohl zum Teil aus
der häufig mangelhaften Anamnese, die dem Pathologen manche „Base¬
dowstruma“ liefert, welche gar keine ist, und aus Vernachlässigung der
Forderung, dass die Untersuchung sich nicht nur auf einen Teil der
Drüse erstreckt. Untersucht man aus kropffreien und kropfreichen
Gegenden stammendes Material in dieser Weise, so ergibt sich, dass sich
zwar eine einheitliche, für Morbus Basedowii charakteristische Form
nicht aufrollen lässt, aber doch Unterschiede zwischen Basedowstruma
und gewöhnlichen Strumen bestehen: Proliferations- und Hyperplasie¬
zustände der Schilddrüsenbläschen und ihrer Epithelien, Verflüssigung
des Kolloids wurde stets, Vermehrung der lymphatischen Elemente
meistens gefunden, während bei 500 basedowfreien Sohilddrüsen diese
Befunde nicht erhoben werden konnten.
G. B. Grub er: Zur Kasuistik der Pfortaderthroartose. (Mitteil. a.
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Krankengeschichte einer
49 jährigen Frau, die schon längere Zeit wegen unbestimmter Schmerzen
im Bauch in ärztlicher Behandlung stand uud nach mehrtägigem ge¬
steigerten Uebelbefinden mit Erbrechen, starker Druckempfindlichkeit
im Epiga9trium und Stuhl Verhaltung erkrankte. Nach kurzdauernder
Besserung trat plötzlich Exitus im Collaps ein. Bei der Obduktion
zeigte sich Hyperplasie des Lobus Spigeli bei Persistenz des Lobus
posterior der Leber und abnormer Pfortaderbildung. Die Venae coro-
nariae ventriculi und ein abnormer Querast dieser Vene, der zur Leber¬
pforte führte, waren ausserordentlich varicös und thrombosiert; die
Thrombosierung reichte rückläufig bis in die äusseren Pfortaderäste, die
Milzvene und die Venae mesaraicae. Ein causaler Zusammenhang
zwischen der abnormen Leberbildung, die als atavistische Erscheinung
zu deuten ist, und der abnormen Ausbildung eines Gefässastes, aus der
Vena coronaria des Magens zu dem genannten Lappen führend, ist
nicht zu konstruieren. Chronische Stauungszu*tände mögen für die
Thrombosierung in Frage gekommen sein. Zwei Zeichnungen des Verf.
illustrieren den abnormen Situs. Tb. Müller.
Siehe auch Parasitenkundc und Serologie: Izar, Wirkung
des kolloidalen Schwefels auf Rattensarkome. Citron, Zur Biologie des
Mäusecarcinoms. — Chirurgie: Luce, Sogenannte primäre Carcinome
(Schleimhautnaevi nach Asch off) und primäre Carcinome des Wurm¬
fortsatzes. — Röntgenologie: Frattin, Myositis ossificans progressiva.
Diagnostik.
Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Fischer
und Klausner, Cutanreaktion der Syphilis.
Parasitenkunde und Serologie.
A. Josefson - Stockholm: Experimentelle Untersuchungen über die
Möglichkeit einer Uebertragang der Kiaderlähmang dureh tote Gegen¬
stände nad Fliegen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Es
gelang J. mit einem Taschentuch und Handarbeit, die mit einem Polio¬
myelitiskranken in Berührung gekommen waren, durch Ueberimpfen auf
Affen Poliomyelitis zu erzeugen. Auch durch Ueberimpfen von Staub,
der aus dem Zimmer von Poliomyelitiskranken stammt, gelingt es, die
Krankheit experimentell hervorzurufen. Das Virus haftet also an t toten
Gegenständen. An Fliegen gelingt der Nachweis nicht.
Dünner.
“ C. Kling-Stockholm: Die Aetiologie der Kiadorlähinnng. (Wiener
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Vortrag, gehalten in der 15. allgemeinen
Aerzteversammlung zu Stockholm. Im akuten Stadium der Kinder¬
lähmung kommen die Mikroben mit grosser Wahrscheinlichkeit konstant
vor im Sekret der Mund , Nasen- und Rachenschleimhaut, ferner im
Darminhalt und, wie Leichenuntersuchungen gezeigt haben, auch im
Tracheal- und Bronchialsekret. Sie wurden auch nachgewiesen bei ganz
gesunden Personen in der nahen Umgebung von Poliomyelitiskranken
(Mikrobenträger). Es ist praktisch unmöglich, einen Kranken so lange
zu isolieren, bis er mikrobenfrei ist, denn die Mikroben bleiben nach
Ablauf des akuten Stadiums noch längere Zeit auf den Schleimhäuten,
wenn sie auch nicht mehr sehr virulent sind. P. Hirsch.
R. Gon der-Frankfurt a. M.: Experimentelle Studien mit Trypaae-
somen und Spironemen (Spirochäten). (Zeitschr. f. Immunitätsforsch.,
Bd. 15, H. 2 u. 3.) Normale Trypanosomen färben sich mit gewissen
orthochinoiden Substanzen bereits vital, arsenfeste dagegen färben sich
erst nach dem Tode. Durch bestimmte Färbesubstanzen wird der
Blepharoplast mancher Trypanosomen zum Verschwinden gebracht. Eine
Autooxydation scheint dabei nicht stattzufinden. Trypanosomen, welche
in vitro mit Trypoflavin, Arsenophenylglycin und Salvarsan behandelt
werden, können Mäuse nicht mehr infizieren. Das Serum der mit
Salvarsan intravenös injizierten Tiere ist bald nach der Injektion auch
noch in vitro auf Spirochaete recurr. und gallinar, wirksam-
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
915
H. Bontemps-Altona: lieber Auflösnngsversiclie vom Tuberkel-
baeillea ia Neurin und verschiedenen anderen Alkalien und Säuren.
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Durch Weinsäure,
Zitronensäure, Milchsäure (50proz.) werden trockene Tuberkclbacillen
bei 56° stark zerstört, makro- und mikroskopisch, desgleichen durch ein
Pepsin-Salzsäuregemiscb, während alkalisches Trypsingemisch so gut wie
wirkungslos blieb.
K. Meyer-Stettin: Ueber antigene Eigenschaften von Lipoiden,
Immunisierungsversuche mit Tuberkelbacillen, Tuberkelbacillenlipoiden
und lipoidfreien Tuberkelbacillen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15,
H. 2 u. 3.)
H. Ritz-Frankfurt a. M.-. Ueber die Inaktivierung des Komple¬
ments dnreh Schütteln. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2
und 3.) Es gelingt, durch Schütteln im Kinotherm Meerschweinchen¬
serum in relativ kurzer Zeit zu inaktivieren (Jakoby, Schütze), am
besten bei zehnfacher Verdünnung des Serums. Das inaktive Serum
kann durch Endstück und Mittelstück reaktiviert werden. Die Frage
des Phänomens nach einer Erklärung durch Alkali- bzw. Säurewirkung
oder durch Oxydation wird diskutiert.
J. Husler-München: Ueber die Inaktivierung hämolytischer Kom¬
plemente durch Erwärmen. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15,
H. 2 u. 3.) H. konnte, ebenso wie Ritz, Meerschweinchenserum durch
Erwärmen derart inaktivieren, dass seine Mittelstück- und Endstück-
wirkuDg nicht mehr ausgeübt wurde, wohl aber die komplementierende
Kraft des durch Kobragift inaktivierten Meerschweinchenserums erhalten
blieb. Es wurde dies durch Va ständiges Erwärmen auf 54° oder
Vi ständiges auf 55 0 am besten erreicht. Bei weniger starken Wärme¬
eingriffen gelang noch ein gewisser Nachweis der Mittelstück Wirkung.
Das Mittelstück besitzt demnach eine relative Thermostabilität.
W. Pfeiler und G. Weber - Bromberg: Ueber die Herstellung von
Bacillenextrakten zu Ablenkungszwecken. (Zeitschr. f. Immunitäts¬
forsch., Bd. 15. H. 2 u. 3.) Bei der Herstellung von Antigenextrakten
aus Bacillen kann man die umständlichen Schüttelprozeduren entbehren.
Ein blosses Extrahieren der Bacillen mit Kochsalzlösung erfüllt den¬
selben Zweck. Einfache Extrakte und Kochextrakte aus Rotzbacillen
sind als vollkommener Ersatz für Schüttei ex trakte anzusehen. Das lässt
sich auch auf die anderen pathogenen Erreger übertragen.
E. Friedberger und T. Ito-Berlin-Tokio: Die Beeinflussung der
Körpertemperatur durch Salze nach Untersuchungen am Meerschweia-
Chei. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Die Verff.
haben Meerschweinchen verschiedene Salze intraperitoneal einverleibt
und dann die Einwirkungen auf die Körpertemperatur studiert. Zu¬
fuhr von 3 ccm artgleichem Serum lässt die Temperatur unbeeinflusst.
Destilliertes Wasser (0,5—8,0) bewirkt Fieber. Ausser dem Kochsalz
kommen noch andere Salze als fiebererregend in Betracht. Sie erregen
in grösseren Dosen akuten Tod bzw. Temperatursturz, io mittleren Dosen
erst Temperatursturz, dann Fieber, in kleineren Dosen sogleich Fieber.
T. Ito-Tokio: Ueber die Konzentration der Seromqaalitäten darch
Gefrieren und über den Einfluss hoher Kältegrade (flüssige Luft) auf
die Antikörper. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 u. 3.)
Untersuchungen über das Verhalten des Komplements, der Agglutinine,
Hämolysine, Präcipitine und der anaphylaktogenen und Anaphylaxie aus¬
lösenden Komponente des Serums beim Erfrieren, sowie über das Ver¬
halten gegenüber flüssiger Luft.
G. Bayer - Innsbruck: Beitrag zur Frage nach der Bedeutung des
Komplementes für das Agglntinationsphänomen. (Zeitschr. f. Im¬
munitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2 u. 3.) Die Globulinfraktion des Komple¬
ments (Mittelstück) hat eine agglutinationsbefördernde Wirkung. Durch
Erwärmen auf 56° geht diese Einwirkung verloren, desgleichen bei Auf¬
bewahren in Salzmedien. Für sich allein (ohne Endstück) behält das
Mittelstück die Wirkung lange Zeit (3 mal 24 Stunden mindestens).
E. Friedberger-Berlin: Anaphylaxie und Anaphylatoxinver-
(Zeitschr. f. Immuuitätsforscb., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Entgegen
den Ausführungen von Biedl und Kraus hält F. an der Identität von
Anaphylaxie und Vergiftung mit Anaphylatoxin fest. Die Versuche der
beiden Autoren sind nicht beweisend, da sie die quantitativen Verhält¬
nisse nicht genügend berücksichtigen.
A. Biedl und R. Kraus-Wien: Die Kriterien der anaphylakti-
achea Vergiftaag. (Zeitsohr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.)
Nach B. und K. sind die Vergiftungen durch Rinderserum, Kaninchen,-
Hammelserum und Friedberger’s Anaphylatoxin keine echten ana¬
phylaktischen Zeichen. Es fehlt bei den Meerschweinchen der Broncho¬
spasmus (durch künstliche Atmung auslösbar), bei Hunden die Blutdruck¬
senkung und Ungerinnbarkeit des Blutes. Die echte anaphylaktische
Vergiftung wird durch ein Gift ausgelöst, das im Pepton vorhanden ist,
ohne mit diesem identisch zu sein. Am wahrscheinlichsten ist das Gift
identisch mit dem /i-Imidoazolyläthylaminchlorhydrat, da diese Substanz
in minimalen Dosen bei Tieren eine Vergiftung hervorruft, die der Ana¬
phylaxie vollkommen gleicht.
N. Pokschischewsky - Berlin: Ueber vergleichende Immani-
aieraagsversaehe mit Toxopeptideu (Anaphylatoxin) und künstlichen
Aggressiven. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, TT. 2 u. 8.) Die
schützende Wirkung des Toxopeptids und Aggressins ist vollkommen
gleich. Es bietet demnach keinen Vorteil, zum Zweck einer aktiven
Immunisierung Komplement hinzuzufügen. Wolfsohn.
H. Schlecht und G. Schwenker - Kiel: Ueber die Beziehungen
der Eosinophilie zur Anaphylaxie. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Bd. 108, H. 5 u. 6.) Wird intraperitoneal sensibilisierten Tieren Serum
in die Luftwege inhaliert, so wird Anaphylaxie erzeugt. Dabei entsteht
eine eosinophile Infiltration der Lungen, die auf eine allgemeine Blut¬
eosinophilie zurückzuführen ist. Bei intraperitonealer Erst- und Re-
injektion tritt auch Eosinophilie im Peritonealexsudat auf. Beim experi¬
mentell erzeugten Artbus’schen Phänomen bestehen die Zellen des ent¬
zündlichen Oedems in der Hauptsache aus eosinophilen Zellen. In der
Darmschleimhaut der Hunde mit Enteritis anaphylactica ist ebenfalls
eine lokale Eosinophilie in der Submucosa nachweisbar. Eine lokale
hisiiogene Entstehung der Eosinophilen kam bei allen diesen Zuständen
nicht zur Beobachtung. Es kommt also der eosinophilen Zelle bei der
Anaphylaxie eine gewisse Rolle zu. Wahrscheinlich entstehen bei dem
parenteralen Eiweissabbau irgendwelche Abbauprodukte, die auf die
eosinophilen Zellen chemotaktisch wirken. Diese werden aus dem Blut
und Knochenmark angelockt. Die Natur der Abbauprodukte ist noch
unbekannt. G. Eisner.
v. Gonzenbach und Hirschfeld - Zürich: Untersuchungen über
die Rolle des Komplementes bei der Anapbylatoxinbildnng. (Zeitschr.
f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.)
J. Felländer und C. Kling-Stockholm: Untersuchungen über die
Bildungsstätten des anaphylaktischen Reaktionskörpers. (Zeitschr. f.
Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4 u. 5.) Der anaphylaktische Reaktions¬
körper lässt sich ausser im Blutserum auch in polymorphkernigen Ex-
sudatleukocyten von sensibilisierten Kaninchen durch passive Ueber-
tragung auf Meerschweinchen nachweisen. Auch im roten Knochenmark
gelingt der Nachweis, nicht aber in Gehirn, Rückenmark, Milz, Leber,
Niere und Nebenniere.
Fr. Graetz - Hamburg: Sind die bei Punktionen oder Rupturen
von Hydatidencysten aaftretenden Shockzastände als Anaphylaxie zu
deuten? (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Die Flüssigkeit
von Hydatidencysten erweist sich im Tierexperiment selbst in grossen
Dosen als ungiftig, auch bei intravenöser und intraperitonealer Injektion.
Das Tierexperiment ist allerdings nur mit grösster Vorsicht zu ver¬
werten, da der menschliche Organismus bedeutend empfindlicher zu sein
scheint. G.’s Versuche, verschiedene Cystenflüssigkeit durch Präcipitation,
Komplementbindung und Anaphylaxie zu analysieren, ergaben keine bio¬
logischen Unterschiede vom Einweiss des Cystenträgers. Es erscheint
ihm demnach auch nicht bewiesen, dass bei der Echinokokkenerkran¬
kung die Anapbylaiie eine Rolle spielt. Möglich wäre indes wohl ein
anaphylaktischer Vorgang, der sich gegen das eigene Eiweiss des Cysten¬
trägers richtet, bzw. eine anaphylaxieartige Vergiftung durch Eiweiss¬
spaltprodukte, die in der Cystenflüssigkeit entstehen und gelegentlich
bei Punktionen oder Rupturen resorbiert werden. Mittels der Kyrin-
inethode (Siegfried) gelingt es in der Tat, Eiweissspaltprodukte zu
isolieren, welche im Tierversuch ein der Anaphylaxie ähnliches Bild aus-
lösen.
W. Barikine - Kasan: Untersuchungen über die Toxia-Antitoxin-
re&ktioa bei Diphtherie. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 4
u. 5.) Der Heilwert des Diphtherieserums ist unabhängig von seinem
Antitoxingehalt. Man muss auch die Avidität bestimmen, eine Eigen¬
schaft, dank welcher das Serum Toxin aus seiner Verbindung mit der
toxinbaltigen Zelle extrahiert. Die möglichst schnelle Bindung liegt in
den Grenzen einer bestimmten Konzentration der beiden Komponenten.
Ein Ueberschuss an Antitoxin kann zuweilen die Reaktion hemmen. Die
Bindung ist eine reversible Reaktion. Auf diese Tatsache können viel¬
leicht die postdiphtherischen Lähmungen zurückgeführt werden.
H. Dold und K. Aoki-Strassburg: Weitere Studien über das
Bakterieaanapbylatoxia. (Zeitscbr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, H. 2
u. 3.) Die Verff. fanden bei Vorbehandlung von Paratyphus B-Bacillen
mit 40 proz. Formaldehyd eine geringe Beeinflussung der Anaphylatoxin-
bildung, bei Behandlung mit 10 proz. Sublimat gar keine, ebensowenig
mit 15 proz. Salpetersäure, hingegen waren die mit 15 proz. Natronlauge
vorbehandelten Bacillen kaum mehr imstande, Anaphylatoxin zu bilden.
Monatelanger Aufenthalt in 70 proz. Alkohol stört die Anaphylatoxin-
bildung nicht, wohl aber Schütteln der Bacillen in Oelen. In vielen
Fällen unterbleibt dann die Giftbildung überhaupt. Wolfsohn.
E. Manoiloff: Asthma bronchiale als anaphylaktische Erschei¬
nung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Originalien, Bd. 63, H. 7,
S. 564.) M. hält nach dem Ergebnis eigener Untersuchungen und dem
anderer Autoren Asthma bronchiale höchstwahrscheinlich für eine tempo¬
räre anaphylaktische Erscheinung. Bierotte.
S. Abramow-Moskau: Pathologisch-anatomische Studien über ex¬
perimentelle Diphtherieintoxikation and Diphtherieimmnnität. (Zeit¬
schrift f. Imraunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Das Diphtherietoxin ist ein
exquisites Gift für die chromaffine Substanz der Nebennieren. Unter
dem Einfluss grosser Toxindosen versiegte die Adrenalininjektion. Nach
subletalen Dosen und bei der Immunisierung nimmt sie zu. Der Tod
bei akuter Vergiftung ist durch Adrenalinmangel bedingt, der eine hoch¬
gradige Störung der Circulation nach sich zieht. Der Tod bei subakuten
Erscheinungen ist durch regressive Veränderungen des Herzmuskels in¬
folge von Adrenalinmangel bedingt. Die entzündlichen Veränderungen
im Endocard und Myocard hingegen sind direkt durch das Diphtherie¬
toxin hervorgerufen.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
B. Galli - Valerio und M. Bornaud - Lausanne: Untersuchungen
über Präcipitation mit Sonnenblomensamen. (Zeitschr. f. Immunitäts¬
forsch., Bd. 15, H. 2 u. 3.) Mit dem Eiweiss von Sonnenblumensamen
ist es möglich, ein spezifisches präcipitierendes Serum zu bereiten; aber
dies Serum gibt ein geringeres uud sich langsamer bildendes Präcipitat
auch mit Eiweiss von Pflanzen derselben Familie. Mit dem Serum ist
es nichts möglich, Sonnenblumensamenöl zu identifizieren.
C. Hosenthal-Budapest: Differenzierung von Eiweissarten liit
der Epiphaninreaktion. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.)
Immununisiert man Meerschweinchen mit homologer Niere, so lassen sich
mit Hilfe der Epiphaoinreaktion im Immunserum spezifische Nieren¬
eiweissantikörper nachweisen. Auch wenn das eigene Nierenparenchym
zerfällt und resorbiert wird, gelingt dieser Nachweis. Die entsprechenden
Versuche mit Meerschweinchenleber fielen negativ aus. Nach Immuni¬
sierung mit Tumormaterial zeigt die Epiphaninreaktion spezifische, gegen
Tumoreiweiss gerichtete Antikörper im Blutserum der Meerschweinchen.
G. Izar - Catania: Wirkung kolloidalen Schwefels auf Ratten-
sarkome. (Zeitschr. f. Immunitätsiorsch., Bd. 15, H. 2 u. 3.) Einmalige
intravenöse Injektion von 0,5 ccm ungiftigem Schwefelkolloid bewirkt
bei Sarkomratten, je nach der Grösse der Geschwulst, vollständigen oder
partiellen Rückgang, Wachstumshemmung, Einschmelzung des Tumors.
H. Citron-Berlin: Ein Beitrag zur Biologie des Mäosecareinoms.
(Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 1.) Bei der von C. an¬
gegebenen Technik wird die Maus laparotomiert, der Magen durchbohrt
und mit einem Catgutfaden durchzogen, der mit Tumormasse imprägniert
ist. Mit Hilfe dieser Methode gelang es, in 30 pCt. der Fälle einen
Magentumor zu erzeugen. Ein positiver Palpationsbefund war in einigen
Fällen schon nach 12 Tagen vorhanden. Die Sektion zeigte in den
inneren Organen (besonders Leber) öfter richtige Metastasen.
Tb. Messerschmidt:Strassburg i. E.: Die ehemotherapentische
Beeinflassiug der Hiilinerspiroehätenkranklieit durch die im Handel
befindlichen Jodpräparate. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2
u. 3.) M. konnte eiuen günstigen Einfluss nur erzielen mit Sozojodol-
Natrium, bei präventiver und nachfolgender kurativer Behandlung von
Tieren. Nur kurativ, d. h. post infeotionem angewandt, hat das Prä¬
parat keinen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlanf.
H. Reiter-Königsberg: Beeinflusst das S&lvarsaa die Intensität
der Antikörperkildnag? (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, Nr. 2
und 3.) Ein deutlicher Einfluss besteht nicht. Die Wirkung des
Salvarsans scheint demnach eine direkte zu sein. Wird die Salvarsan-
einspritzung mit Injektion bakterieller Substanzen kombiniert, so wird
die Giftigkeit des Salvarsans manchmal erheblich vermehrt. Es gibt
Tiere, die besonders zur Bildung von Antikörpern neigen.
Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Haupt, Wirkung des Tuberkulins
gegen die Tuberkulose des Meerschweinchens und Kaninchens.
Innere Medizin.
Berlin: Klinische Erfahrungen mit der Longensangmaske. (Beitr.
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 3.) An 52 klinisch bis zur Dauer
von 107? Monaten beobachteten und auch röntgenologisch genau fixierten
einwandfreien Fällen von Lungentuberkulose ist die Saugmaskenbehand¬
lung angewandt und nach allen Richtungen hin eingehend geprüft
worden mit nachstehenden Resultaten: Die Maskenbehandlung wird sub¬
jektiv von der Mehrzahl der tuberkulösen Lungenkranken gut vertragen
und gern übernommen. Jedoch ist sie bei warmem Wetter für die
Patienten keine angenehme Behandlungsart, weil dieselben namentlich
unter Schweissausbruch und unter Umständen unter einem dadurch
hervorgerufenen lästigen Ekzem sehr zu leiden haben. Das Allgemein¬
befinden der mit Maske behandelten Kranken hat sich bei der grossen
Mehrzahl wesentlich gebessert, jedoch nicht mehr, als infolge der Kranken-
hausbehandlung sonst der Fall zu sein pflegt. Die schlafmachende
Wirkung der Saugmaske hat sich nicht in allen Fällen bewährt, ebenso¬
wenig die appetitvermehrende Wirkung. Entfieberung ist während der
Maskenbehandlung nicht in allen Fällen erfolgt. Die Wirkung der mit
Liegekur vereinigten Maskenkur ist in dieser Beziehung nicht grösser
als die Wirkung der Liegekur allein. Husten und Auswurf sind bei
einer Reihe von Kranken während der mit Liegekur einhergehenden
Maskenbehandlung vollkommen verschwunden, bei zahlreichen anderen
mehr oder weniger verringert, nur in vereinzelten Fällen unbeeinflusst
geblieben. Scheinbar hat die Maskenbehandlung bei einer Reihe von
Fällen Husten und Auswurf schneller beseitigt als die einfache Kranken¬
hausbehandlung in Verbindung mit Liegekur. Jedoch war diese Besserung
keine anhaltende. Eine bacillenvernichtende oder -vermehrende Wirkung
der Maske hat sich nicht nachweisen lassen. Katarrhalische Geräusche
werden in den meisten Fällen des 2. und 3. Stadiums der Zahl nach
vermindert, in denen des 1. Stadiums nur sehr selten. Jedoch ist bei
einer Reihe von Fällen in allen drei Stadien deutliche Verschlimmerung
beobachtet worden. Der Auffassung, dass die Maske in jedem Falle
unschädlich sei, kann der Verf. nicht beitreten. Bei allen Kranken,
die Einschmelzungserscbeinungcn haben, ist die Maske kontraindiziert.
Gegen Lungenblutungen ist die Maske kein sicheres Hilfsmittel; in
einzelnen Fällen sind während der Maskenbehandlung Blutungen auf¬
getreten, bei welchen vorher keine bestanden hatten. Der Hämoglobin¬
gehalt steigt in der grossen Mehrzahl der Fälle, die Vermehrung der
Erythrocyten und der Leukocyten ist unsicher. J. W. Samson.
L. M. Breed - Pomona: Klinische und experimentelle Beobach¬
tungen an Saccharomyceten. (Arch. of interoat. med., Bd. 10, Nr. 2.)
Der Nachweis von Saccharomyceten konnte bei einer Anzahl von
Patienten, die an Lungenleiden erkrankt waren, im Sputum geführt
werden. Ferner wurden Saccharomyceten gefunden in Fällen von
membranöser Tonsillitis, im Vaginalsekret und im Eiter eines Haut-
abscesses. Meist handelte es sich dabei um MischinfektiODen. In ver¬
einzelten Fällen schienen sie die alleinigen Krankheitserreger zu sein,
und hier war ihr Schwinden auch von einer Besserung resp. Heilung
gefolgt. Während durch Autobakterioe in drei Fällen Besserung erzielt
wurde, trat in einem vierten Falle Verschlimmerung ein. Grosse Jod¬
dosen schienen den besten Erfolg zu haben. Durch einen aus diesen
Saccharomyceten hergestellten Extrakt konnte bei zwei Patienten eine
leichte Cutanreaktiou hervorgerufen werden. Das Serum von vier
Patienten gab mit diesem Hefepilze eine positive Agglutinationsprobe.
C. Kayser.
T. Sasaki und J. Otsuka-Tokio: Experimenteller Beitrag zur
Kenntnis des patriden Sputums. (Deutsche med. Wochenscbr., 1913,
Nr. 4.) Bei putrider Bronchitis riecht das Sputum zuweilen fast ganz
nach reinem Skatol. Die Veiff. haben einen derartigen Fall beobachtet.
Die experimentelle Untersuchung des Sputums ergab ihnen, dass unter
mehreren Bakterien, die sich aus dem Sputum rein züchten Hessen, nur
der Bacillus pyocyaneus imstande war, aus 1-Tryptophan Skatol zu
bilden. Wolfsohn.
H. Haupt: Untersuchungen über die therapeutische Wirkung des
Tuberkulins gegen die Tuberkulose des Meerschweinchens und
Kaninchens. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 23, H. 4.) Durch
Tuberkulinkuren konnte bei den behandelten Versuchstieren gegenüber
Kontrollmeerschweinchen weder das Lebensalter verlängert noch die
Ausbreitung der Tuberkulose gehemmt noch der Ernährungszustand ge¬
bessert bzw. gut erhalten werden. Bei den Sektionen konnte niemals
gesteigertes Heilbestreben des Organismus festgestellt werden. Eine
heilende Wirkung von Tuberkulinkuren konnte bei künstlich infizierten
Meerschweinchen nicht beobachtet werden. Das gleiche gilt von Kaninchen.
J. W. Samson.
B. Möllers und G. Wo 1 ff-Berlin: Experimentelle Untersuchungen
mit dem Zeuner’schen Tuberkulosepräparat „Tebesapin“. (Deutsche
med. Wochenscbr., 1913, Nr. 4) Zeuner’s Tebesapin ist eine Emulsion
von Tuberkelbacillen, die durch siebentägige Einwirkung von ölsaurem
Natrium und einstüudiges Erhitzen auf 70—72° abgetötet sind. Die
Verff. konnten durch ihre Tierversuche nicht die Ueberzeugung gewinnen,
dass das Tebesapin mehr leistet als andere Tuberkulinpräparate. Ins¬
besondere ist der immunisatorische Effekt bei infizierten Tieren kein
sehr ausgeprägter. Ein in Pillenform verabreichtes Tebesapin, das
„Molliment“ (Deutsche Schutz- und Heilserum-Gesellschaft), dürfte sich
ebenso verhalten. Die stomachale Anwendung von Tuberkulinpräparaten
ist zudem überhaupt nicht zu empfehlen, da sie noch weniger wirkungs¬
voll ist als die subcutane bzw. intravenöse.
0. Roepke-Melsungen: Erfahrungen mit Mesbd bei Lungen- und
Kehlkopftnberknlo86. (Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 4.)
Mesbe ist das Extrakt einer amerikanischen Malvaceenart. Eine genaue
Analyse fehlt bisher, auch seine Wirkungsweise ist unbekannt. Es ist
kein Tuberkuloseheilmittel, überhaupt kein wirksames Tuberkulosemittel.
Inhalationen und Trinkkuren gaben Verf. bei Lungentuberkulose durch¬
aus negative Resultate. Auch die lokale Applikation bei Kehlkopf¬
tuberkulose bringt keine Besserung, bedingt jedoch häufig Verschlechte¬
rungen. Die Mesliöbehandlung ist demnach für Tuberkulöse in Heil¬
stätten energisch abzulehnen. Wolfsohn.
Schnitter: Klinische Beobachtungen über das Verhalten des
Blutdrncks während der Lungentuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 23, H. 2.) Während der akuten und chronischen Lungentuberkulose
ist das Absinken des systolischen und diastolischen Blutdrucks in der
Mehrzahl der Fälle, besonders bei den unter dem Bilde schwerer Tox¬
ämien verlaufenden febrilen Erkrankungen, eine so regelmässige Er¬
scheinung, dass sie diagnostisch verwertet werden kann. Der Blutdruck
sinkt aller Wahrscheinlichkeit nach schon ganz im Frühstadium der
Tuberkulose und hält sich fast immer, einerlei, ob die Erkrankung
tödlich verläuft oder gutartig ist und Heilungstendenz aufweist, auf der¬
selben Höhe. Gesetzmässig feste Beziehungen zwischen Blutdruck und
Fieberverlauf bestehen nur ausnahmsweise. Man findet auch beim
gleichen Falle hohen Blutdruck bei niedriger Temperatur wie umgekehrt.
Gleiches gilt von Blutdruck und Pulsfrequenz und von Blutdruck und
Schweissen. Bei akuter Miliartuberkulose kann der vorher normale oder
erniedrigte Blutdruck stark ansteigen. Lungenblutungen werden nicht
durch absolut oder relativ hohen Blutdruck begünstigt.
J. W. Samson.
M. C. Wintunitz - Baltimore: Ueber Miiztuberkulose. (Arch.
of internat. med., Bd. 9, Nr. 6.) Bericht über einen Fall von primärer Milz¬
tuberkulose bei einem 34 jährigen Mann. Es sind bisher 50 derartige
Fälle in der Literatur niedergelegt. Das Alter der Erkrankten schwankt
zwischen 1—80 Jahren, die relativ grösste Häufigkeit liegt zwischen der
3. und 4. Lebensdekade. Klinisch zeigen die Patienten in chronischen
Fällen Milzvergrösserung und Schmerzhaftigkeit der Milzgegend, ferner
bisweilen Störungen von seiten des Digestions- wie Respirationstractus.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
217
3. Februar 1913.
Gleichseitig besteht Mattigkeit und Gewichtsabnahme. In den akuten
Fällen beobachtet man ausserdem Fieber mit Schüttelfrost und Rücken-
scbmerzen. Im Blutbilde sind die Veränderungen inkonstant. Die
Therapie besteht einzig in Milzexstirpation, deren Mortalität 41 pCt. be¬
trag. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist gleichzeitig
eine Leber-, in 40 pCt. eine Lungentuberkulose nachweisbar gewesen,
nur ein Fall isolierter Milztuberkulose existiert bis jetzt
C. Kayser.
Schlayer-München: Quellen dauernder Blatdrickateigernng.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Verf. bespricht haupt¬
sächlich die dauernde Blutdrucksteigerung bei Nierenschädigung. Aller¬
dings gehen die autoptischen Befunde der Niere nicht immer mit der
Höbe des Blutdrucks parallel. Die Cohnheim-Traube’sche Theorie, die
die Blutdruckerböhung auf mechanischem Wege durch die Erhöhung des
Widerstandes der Blutcirculation in dem verödeten Nierengewebe zu er¬
klären sucht, passt also nicht für alle Fälle. Gegen diese Theorie
spricht auch die klinische Erfahrung, dass ein sehr hoher Druck nach
einiger Zeit bedeutend niedriger sein kann. Inwieweit das Adrenalin
am Zustandekommen der Blutdruckerhöhung beteiligt ist, kann zurzeit
nicht entschieden werden; wohl aber kann man eine vermehrte Empfind¬
lichkeit der Angriffsorgane, der Gefässe und des Herzens vermuten; es
bestünde dann also eine erhöhte Reizbarkeit des sympathischen Systems.
Für die Praxis soll man jedenfalls daran festhalten, dass jede dauernde
Hypertension über 160 mm Hg den Verdacht auf eine Nierenbeteiligung
wachrufen muss. Dünner.
W. Kaess: Untersuchungen über die Viscosität des Blotes bei
Xerbus Basedowii. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 82, H. 1.)
Bei 16 untersuchten Fällen fand Verf. in 19 pCt. normale, in 50pCt.
verminderte und in 31 pCt. vermehrte Viscosität. Er schliesst daraus,
dass in den meisten Fällen von Morbus Basedowii eine Veränderung der
Viscosität, und zwar hauptsächlich im Sinne einer Verminderung statthat;
diese Verminderung kommt nach Ansicht des Verf. den sympathico-
tonischen Formen zu, während bei Vorherrschen der vagotonischen
Erscheinungen die Viscosität nur gering herabgesetzt, normal oder (bei
ausgesprochener Vagotonie) sogar gesteigert ist, wahrscheinlich durch
den bei dieser Form des Morbus Basedowii eintretenden Wasserverlust.
Da meist beide Formen gemischt Vorkommen, dürften die durchschnitt¬
lichen Viscositätswerte nahe der Norm gefunden werden mit einer deut¬
lichen Tendenz zur Herabminderung. Wenn der Morbus Basedowii ein
Hyperthyreoidismus wäre, so müsste nach Ansicht des Verf. eine ge¬
steigerte Viscosität angetroffen werden. Der Einfluss der Basedow¬
schilddrüse auf die Blutviscosität ist noch nicht geklärt; vielleicht wird
durch den gesteigerten Eiweissabbau eine stärkere Verflüssigung des
Blutes verursacht. Drei Wochen nach der Operation nähern sich die
Viscositätswerte wieder der Norm; besonders ist dies bei den vago¬
tonischen Fällen zu konstatieren.
M. Flesch: Ueber den Blntznckergeh< bei Morbus Basedowii
und über thyreogene Hyperglykämie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1913, Bd. 82, H. 1.) Spontane Hyperglykämie gehört nicht zum Bilde
des Morbus Basedowii. Doch war in 60,7 pCt. der Fälle nach Zufuhr
von 100 g Traubenzucker eine Hyperglykämie nachweisbar. Diese
alimentäre Hyperglykämie, die diagnostischen Wert hat, steigt noch
kurze Zeit nach der Operation an, um dann langsam zur Norm zurück-
zukebren. Ein auffallend rasches Absinken der alimentären Hyper¬
glykämie zur Norm wurde in 5 Fällen von sekundärem Basedow beob¬
achtet. Zwei Fälle, die vor der Operation normal waren, zeigten nach
derselben hyperglykämische Werte; eine Erklärung hierfür steht noch
aus. Zwei Myxödemfälle zeigten ebenfalls eine alimentäre Hyperglykämie;
dies spräche vielleicht dafür, dass auch das Myxödem wie der Basedow
als Dysthyreoidismus aufzufassen ist. Nach Tbyreoidinzufuhr konnte
Verf. auch an sieb selbst eine alimentäre Steigerung des Blutzucker¬
gebalts feststellen. Zum Schluss macht Verf. darauf aufmerksam, dass
bei hoher Glykämie geringe Lymphocytose und umgekehrt starke Lympho-
eytose bei niedrigem Blutzuckergehait bestand.
Fr. Schulze: Ueber die alimentäre Glykosnrie nid Adrenalin-
glykosnrie beim Morbus Basedow und ihre operative Beeinflussung,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Bei 16 Fällen
warde in 25 pCt. nach Gabe von 100 g Traubenzucker eine alimentäre
Glykosurie festgestellt, bei der jedoch eine gewisse Inkonstanz der
Intensität zu konstatieren war. Nach der Operation war jedesmal das
Verschwinden der Glykosurie e saccharo zu konstatieren. Bei Adrenalin-
Injektion reagierten alle bis auf 3 Fälle mit einer Glykosurie, besonders
stark die Fälle mit alimentärer Glykosurie, die als die schwersten Fälle
anzusehen sind. Schwere des Falles und Intensität der Glykosurie
stehen in direktem Verhältnis zueinander. Die Glykosurie ist nicht
durch eine vermehrte Adrenalinämie zu erklären, sondern einmal durch
ein Ueberwiegen des Sympathicustonus über den Vagustonus (Unterschied
zwischen vagotonischem und sympathicotonischem Basedow), wodurch
zunächst eine relative Pankreasinsuffizienz resultiert; ausserdem durch
eine spezifische bei Morbus Basedow noch gesteigerte Eigenschaft des
Schilddrüsensekretes, das die Verarbeitung überschüssig mobilisierten
oder eingefübrten Zuckers in den Körper hemmt, welch letztere Tat¬
sache auch bei der Ablehnung des Morbus Basedow als Hyperthyreoidismus
zu erklären ist. Baldige chirurgische Therapie, durch die eine Ent¬
lastung des Pankreas erreicht wird, ist angebracht, da mit Zunahme der
thyreogen bedingten Störungen im Koblehydratstoffwechsel auoh die
Operatioosgef&hr steigt. W. V. Simon.
P. Grosser und G. Schaub: Zur Pathologie des Morbus Banti.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Zehnjähriges Kind im
ersten Stadium der Krankheit. Lebervergrösserung und Urobilin im
Urin waren nicht nachweisbar. Exstirpation der Milz brachte Heilung.
Die angestellten Stoffwechsel versuche zeigten, dass kein Eiweisszerfall
besteht; es ist nur vor der Operation der Stickstoff, Phosphorsäure und
Kalkansatz geringer als nach der Operation. Dieser Befund steht im
Gegensatz zudem von Umber, der eine Stickstoffunterbilanz bei seinen
Fällen konstatierte. Die Verff. glauben, dass dieser Befund von Umber
so zu erklären ist, dass es sich bei seinen Fällen um schon vor¬
geschrittene handelt, dass der toxische Ei weisszerfall für das zweite
Stadium der Krankheit charakteristisch ist. Daraus lässt sich auch der
Schluss ziehen, dass die Erkrankung der Milz das Primäre und Essentielle
ist, dass die Lebererkrankung ein sekundäres Symptom der Banti’schen
Krankheit ist. Dünner.
A. F. Hess-New York: Beobachtungen am Pankreas and seinem
Ausführungsgange bei kongenitaler Obliteration der Gallenwege. (Arch.
of internat. med., Bd. 10, Nr. 1.) Es handelte sich um ein 4 Monate
altes Kind, das bei angeborener GallengaDgsobliteration auf dem Ob¬
duktionstische einen Verschluss des Ductus Wirsungianus und einen
offenen, accessorischen PaDkreasausfübrungsgaDg zeigte. Klinisch hatte
starker Icterus, Leber- und Milzschwellung bestanden, sowie subcutane
und intestinale Hämorrbagien. Im Duodenalinhalt war intra vitam
Trypsin, Amylase und Lipase nachgewiesen worden. Trotz vollständigen
Choledochusverschlusses enthielten Stuhl und Mageninhalt Gallenfarbstoff,
der, möglicherweise aus dem Blut stammend, durch die Darmwand ge¬
treten war. C. Kayser.
E. Maliwa- Greifswald: Der kongenitale familiäre Icterus. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Vortrag, gehalten im Medizinischen
Verein zu Greifswald, Juni 1912. Der kongenitale Icterus ist eine
primäre Bluterkrankung, die mit Anämie und typischen Veränderungen
der roten Blutkörperchen einhergeht (Herabsetzung der Resistenz, Auf¬
treten von vital verschieden färbbaren Elementen). Der Icterus dabei
ist als pleiochromer, der Milztumor als spodogener aufzufassen.
Wolfsohn.
L. Baumann und C. P. Ho ward - Iowa City: Stoffwechsel-
Untersuchung bei Skorbut. (Arch. of internat. med., Bd. 9, Nr. 6.)
Die zum ersten Male ausgeführten exakten Stoffwechseluntersuchungen
bei einem an Skorbut leidenden erwachsenen Menschen ergaben, dass
bei Zugabe von Fruchtsaft (Citrone und Apfelsine) eine bessere
Nahrungsausnutzung stattfindet. Während der Fruchtsaftperiode kam es
zu starker Retention von Chlor und Natrium, die vorher überreichlich
ausgeschieden worden waren. Ebenso liess sich, während der Patient
Fruchtsaft erhielt, eine Retention von Kalium, Calcium und Magnesium
nachweisen. Der Gesamtschwefelstoffwechsel war dauernd abnorm.
C. Kayser.
Th. Hausmann und J. Mein er tz - Rostock: Radiologische Kon-
trolluntersuchungen, betreffend die Lageb«Stimmung des Magens nnd
Dickdarms mittels der topographisehen Gleit- nnd Tiefenpalpation.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verff. zeigen in
objektiver Weise durch radiologische KontrollUntersuchungen, dass die
Gebilde, die bei der topographischen Gleit- und Tiefenpalpation als
Curvatura major, Pylorus, Colon transversum, Coecum, S. romanum ge¬
tastet und gedeutet werden, tatsächlich diese Teile sind. Bei richtiger
Ausübung des Tastverfahrens ist eine Verwechslung des einen Teils mit
einem anderen nicht zu befürchten und auch hei erheblichen Verlage¬
rungen durchaus vermeidbar. Die Lage von Magen und Darm sowie
ihre Verlagerungen können nicht nur mit Hilfe des Röntgenverfabreus,
sondern auch mit der Tastmethode sioher festgestellt werden.
Th. Hausmann - Rostock: Die topographische Gleit- und Tiefen-
palpation des Verdannngsschlanches und ihre Ergebnisse. (Mit 8 Ab¬
bildungen.) Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Die
Prinzipien der topographischen Gleit- und Tiefenpalpation beruhen auf
folgendem: 1. Die einzelnen Abschnitte des Gastrointestinalkanals
kommen in plastischer Weise zu tasterischer Wahrnehmung mit Hilfe
von quer zur Achse des betreffenden Abschnittes gerichteten Gleit¬
bewegungen. Der Moment des aneinander Vorbeibewegens der
Finger und des zu tastenden Teils spielt eine wesentliche Rolle beim
Tastbarwerden der letzteren. Während die Finger beckenwärts gleiten,
steigen die Organe im Exspirium nach oben. 2. Die Tiefenpalpation
will auch tiefer gelegene und der hinteren Baucbwand anliegende Teile
tastbar machen. Dazu versenkt man bei der im Exspirium erfolgenden
Bauchwanderschlaffung die Haud allmählich in die Tiefe und führt dann
die obengenannten Gleitbewegungen aus. 3. Die topographische Pal¬
pation bezweckt, alle der Tastung zugänglichen Teile des Gastro¬
intestinalkanals in ihrer Lage und in ihrem Verlauf zu bestimmen. So
werden die palpatorischen Befunde nicht nur bei normaler Lagerung der
Bauchorgane, sondern auch hei Lageabnormitäten richtig gedeutet.
Gastroptose, Coloptose, Coecum mobile, Tumoren werden mit grosser
Sicherheit lokalisiert. Die Methode gestattet es ferner, den oft irre¬
führenden Mac Burney’schen Punkt zu vernachlässigen und viel sicherer,
als es auf andere Weise möglich wäre, eine chronische oder larvierte
Appendicitis zu diagnostizieren. Die palpatorisch erkennbaren Eigen¬
schaften des Gastrointestinaltractus sind: 1. Akustische Phänomene
(Plätschern, Quatschen, feuchtes und trockenes Gurren). 2. Konsistenz-
und Volumenwechsel. 3. Respiratorische Verschieblichkeit. 4. Passive
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Verschieblichkeit. 5. Spontane Verschieblichkeit. Als einzig brauchbare
Kontrollmethode für die palpatorisch testgestellte Lage des Verdauungs¬
schlauches gilt die Röntgenuntersuchung. G. Eisner.
Ch. H. Sandford und J. Rosenbloom - New-York: Die Glycyl-
tryptophan- and die Tryptophanreaktion beim Mageneareinom. (Arcb.
of internat. med., Bd. 9, Nr. 4.) Die Autoren haben die von Neu¬
bauer und Fischer angegebene Reaktion, die auf der Zerlegung des
Glycyltryptophans durch carcinomatösen Magensaft beruht, nachgeprüft,
ferner die von verschiedenen anderen Seiten angegebenen Modifikationen
einer Kritik unterzogen und ausserdem das Vorhandensein von Trypto¬
phan selbst als diagnostisches Hilfsmittel zu verwerten gesucht.
Zwischen Tryptophanprobe und Glycyltryptophanspaltung haben sich,
soweit aus den Tabellen der Verff. hervorgeht, keine nennenswerten
Unterschiede ergeben (?). Abgesehen davon, dass die Autoren sich
nicht an die Vorschriften von Neubauer und Fischer streng gehalten
haben, konnte Ref. teils einige der hier erhobenen Einwände in einer
ungefähr gleichzeitig erschienenen Arbeit (Deutsche med. Wochenschr.,
1912, Nr. 12) widerlegen, teils gelangte er zu besseren Resultaten.
Die Verff. sprechen der Reaktion eine Zuverlässigkeit nicht zu, Ref.
fand sie bei sicherem Carcinom fast stets positiv. C. Kays er.
P. Schaefer - Frankfurt a. M.: Malaria tertiana und deren
Heilung durch Neosalvarsan. Mit 2 Kurven. (Deutsches Archiv f. klin.
Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verf. beschreibt einen Fall von Malaria
tertiana, der bereits 3 Wochen lang Chinin bekommen hatte, aber mit
nur vorübergehendem Erfolg. Er bekam 0,6 g Neosalvarsan intravenös
mit der Wirkung, dass das Fieber nach der Injektion nicht wieder auf¬
trat. Das Blutbilld zeigte an den Tagen nach der Neosalvarsangabe
keine Zeichen für noch latente Malariainfektion, also keine Eosinophilie
und Mononucleose, sondern normale Verhältniszahlen der Leukocyten.
Zehn Tage nach der ersten Injektion wurde eine zweite von 0,9 g ge¬
macht. Bis 3 Monate nach der Behandlung ist kein Recidiv mehr auf¬
getreten; das Blutbild ist weiter normal, so dass man an einen Dauer¬
erfolg glauben kann. G. Eisner.
J. B. Herrick - Chicago: Ueber die Beeinflussung eines Falles von
Diabetes insipidas durch die Lumbalpunktion. (Arch. of internat.
med., Bd. 10, Nr. 1.) Es handelt sich um einen 43 jährigen Mann, der
täglich zwischen 7500—11 000 ccm Urin bei einem spezifischen Gewicht
von 1001 ausschied. Das Leiden bestand seit 4 Jahren. Nach einer
Lumbalpunktion, bei der 5 ccm Flüssigkeit unter niedrigem Druck ent¬
leert wurden, trat zunächst für einige Tage eine schmerzhafte Pro¬
station auf, doch schwand dann der Durst, und die Menge des aus¬
geschiedenen Urins betrug während 4 Wochen nicht mehr als 1800 ccm
pro die, bei einem spezifischen Gewicht von 1015. Verf. glaubt, dass,
zum mindesten für diesen Fall, die Theorie von Erich Meyer, der in
der Unfähigkeit der Niere, einen konzentrierten Urin abzusondern, die
Ursache des Diabetes insipidus sieht, keine Geltung behalte.
C. Kays er.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Manoiloff,
Asthma bronchiale als anaphylaktische Erscheinung. — Röntgenologie:
Kienböck, Sigma elongatum mobile. Lippmann und Quiering,
Röntgenuntersuchung der Aortenerkrankungen, speziell der Aortenlues. —
Geburtshilfe und Gynäkologie: Schickele, Pyelitis und Nieren¬
beckenerweiterung während und ausserhalb der Schwangerschaft.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 45, H. 4
bis 6, enthält das Protokoll der sechsten Jahresversammlung der Ge¬
sellschaft deutscher Nervenärzte in Hamburg am 27. bis 29. Sep¬
tember 1912 (bereits referiert in dieser Wochenschr., 1912, Nr. 43 u. 44.)
K. Kroner.
J. Reich: Ueber Gelbfärbnng der Cerebrospinalflüssigkeit. (Mit¬
teilungen a. d. Grenzg. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) R. fand in drei
Fällen von Hirngeschwülsten diese Färbung der Cerebrospinalflüssigkeit
und vermehrt damit die eingangs der Arbeit referierten anderweitigen
Beobachtungen von einer Gelbfärbung der Cerebrospinalflüssigkeit bei
Hirntumoren. Diese eigentümliche Verfärbung ist durch Blutbei¬
mischungen bedingt und tritt bei Prozessen auf, die zu Hämorrhagien
in den Liquor geführt haben, am häufigsten bei Tumoren des Hirns und
Rückenmarks und da vornehmlich bei solchen, die mit ihrer Oberfläche
mit dem Liquor in Berührung sind und so leicht Blutfarbstoff an ihn
abgeben können. Th. Müller-Augsburg.
Sarbo-Budapest: Klinisch reiner Fall von spastischer Spinal¬
paralyse (Erb) als Unfallfolge. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilb.,
Bd. 46, H. 1.) Die einzige Ursache war eine mehrmalige ausserordent¬
lich starke Ueberanstrengung der Beine, die nach Verf. auch ohne An¬
nahme einer angeborenen Minderwertigkeit der Pyramidenbahn zu einer
fortschreitenden organischen Störung führen kann.
B. Doinikow - Frankfurt a.M.: Zur Histopathologie der Neuritis
mit besonderer Berücksichtigung der Regenerationsvorgänge. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 1.) Beim Zerfall markhaltiger
peripherer Nervenfasern erscheinen verschiedenartige Fettsubstanzen
(Fettsäuren, Glycerinester und schliesslich Cholesterinester). Mikro¬
skopisch sieht man an Fibrillenpräparaten dünne marklose Axonen, die
zum Teil sicherlich auf Regenerationserscheinungen hinweisen (durch
Sprossung aus erhalten gebliebenen Fasern). K. Kroner.
Bierm an n-Heidelberg: Ueber metapneumoniseke Braehialplexus-
neuritis and -polynenritis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.)
Drei kasuistische Mitteilungen. Die neuritischen Symptome entwickelten
sich nach Ablauf der Pneumonie. In den beiden ersten Fällen waren
hauptsächlich die Arme und Schultergürtel befallen, im dritten |Falle
die Unterschenkel und Füsse. Schwere sensible und motorische Störungen
sowie Atrophien. Allmähliches Zurückgehen der Erscheinungen. In
Fall 3 waren auch Hirnnerven mitbeteiligt. Wolfsohn.
Margulis - Moskau: Die pathologisch-anatomischen Veränderungen
bei Cysticerken des Grosshirns. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.,
Bd. 46, H. 1.) Die Reaktionserscheinungen sind in der Hirnrinde die
gleichen wie in den centralen Partien. Der Parasit befindet sich in
einem mit Bindegewebe ausgekleideten Hohlraum, das an der Peripherie
in Form von Zügen liegt. Die reaktive Kapsel kommt zustande durch
Nekrose der angrenzenden Hirnsubstanz und durch chronisch entzünd¬
liche Reizung. Die Bindege webskapsel geht aus Granulationsgewebe
hervor, das bei toten Cysticerken schmäler ist als bei lebenden. Eine
Ependymitis granularis konnte Verf. nicht beobachten.
Rönne und Wimmer - Kopenhagen: Akute disseminierte Sklerese.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 1.) Verff. treten für die
Abgrenzung dieses Krankheitsbildes von der akuten Myelitis ein, wenn
auch bistopathologisch alle Charakteristika der Entzündung gegeben sind.
Sie weisen besonders darauf hin, dass auch bei der typischen dissemi-
nierten Sklerose in den frischeren Plaques dieselben Veränderungen sich
finden. Besonders besprochen werden die neuerdings immer mehr be¬
achteten Augenerscheinungen bei dieser Krankheit. K. Kroner.
E. Schlesinger-Berlin: Ueber den Schwellenwert der Popillen-
reaktion and die Ausdehnung des papille-notorischen Bezirkes der
Retina. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Vortrag, gehalten
auf der 6. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte in
Hamburg, am 29. September 1912. Wolfsohn.
Behr-Kiel: Die Bedeutung der Pnpillenstornngen für die Herd-
diagnose der hononymen Hemianopsie und ihre Beziehungen zur Theorie
der Pnpillenbewegang. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46,
H. 1.) Auf Grund mehrerer genau analysierter Fälle kommt Verf. zu
folgendem Ergebnis: Besteht bei einer homonymen Hemianopsie eine
ausgesprochene Pupillendifferenz mit der weiteren Pupille auf der dem
Herd gegenüberliegenden Seite, ist ausserdem auf diesem Auge die direkte
Lichtreaktion weniger ausgiebig und die hemianopische Starre weniger
deutlich bei monocularer Prüfung als auf dem anderen Auge, und findet
sich ausserdem eine gleichsinnige Lidspaltendifferenz, dann kann mit
grosser Wahrscheinlichkeit eine Tractusläsion als Ursache der Hemianopsie
angenommen werden. Es ergibt sich daraus, dass die in einem Tractus
vereinigten von zwei homonymen Netzhauthälften ausgehenden Bündel
central als geschlossener Faserzug eine Kreuzung vornehmen und in das
Oculomotoriuskerngebiet der gegenüberliegenden Seite einstrahlen.
K. Kroner.
Siehe auch Augenheilkunde: Rönne, Pathologische Anatomie
der Sehnerven-Chiasmaleiden bei akuter assiminierter Sklerose. Cramer,
Neuritis bulbaris bei infektiöser multipler Neuritis. — Chirurgie:
Leriche, Durchschneidung der hinteren Wurzeln. Härtel, Leitungs-
anästbesie und Iojektionsbehandlung des Ganglion Gasseri und der
Trigeminusstämme. — Röntgenologie: Köhler, Vollständige proximale
Metacarpalepipbysen.— Innere Medizin: Bier mann, Metapneumonische
Brachialplexusneuritis und Polyneuritis.
Kinderheilkunde.
v. Planta: Akklimatisation und Hygiene des kranken Kindes
in den Hochalpen. (Zeitschr. f. Balneologie, Klimatologie und Kurort¬
hygiene, 5. Jahrg., Nr. 18.) Verf. konnte in seinem Kinderheim in
St. Moritz die Erfahrung machen, dass die Kinder ein ausgesprochenes
Anpassungsvermögen haben und keine namhafte Akklimatisierungs¬
schwierigkeiten zeigen. Trotzdem sollen schwächliche Kinder, besonders
in gewissen Krankheitsfällen, den schroffen Uebergang von der Tiefe
nach der Höhe durch eine Zwischenstation mildern, die auch für die
Rückreise zu empfehlen ist. Erst wenn Akklimatisation erfolgt ist, soll
der Unterricht der Kinder beginnen, der besonders in den Morgenstunden
stattfinden muss. . Von den Sportarten ist für das Kind das Eisläufen,
dann das Rodeln zu nennen. Auch Bewegungsspiele haben vorzüglichen
Einfluss. E. Tobias.
R. Lawatsshek - Prag: Zur Prognose der Säuglingstuberkulose.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die Prognose der Tuberkulose
ist abhängig vom Alter, in welchem die Infektion erfolgt. Dieser Satz
gilt besonder für die Säuglingszeit. Angeborene oder im ersten Lebens¬
vierteljahre erworbene Tuberkulose gibt natürlich die grösste Mortalitäts¬
ziffer; die meisten Autoren geben sie mit 100 pCt. an. In der deutschen
Universitätskinderklinik an der Landesfindelanstalt in Prag wird jedes
tuberkulosebelastete, tuberkuloseverdächtige und dystrophische Kind der
Pirquet’sehn Cutanreaktion unterworfen; die früheste positive Reaktion
wurde am 38. Lebenstage erhalten. P. Hirsch.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Josefson,
Uebertragung der Kinderlähmung durch tote Gegenstände. Kling,
Aetiologie der Kinderlähmung. — Innere Medizin: Bauraann und
Howard, Stoffwechseluntersuchung bei Skorbut. — Chirurgie:
Schubert, TrachealVerdrängung bei Thymus hyperplasticus.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
219
Chirurgie.
Lin zenmeier und Brandes: Extraehoriale Fruchtentwiekluug
und ihre Bedeutung für die Entstehung kongenitaler Deformitäten,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Die Verff. machen
auf die Notwendigkeit aufmerksam, einerseits nach der Geburt miss-
bildeter Früchte eine genaue Eruierung etwa vorhanden gewesener patho¬
logischer Schwaogerschaftszustände vorzunehmen, andererseits fordern sie
die genaue Beschreibung aller nach extraohorialer Schwangerschaft mit
rolligem Fehlen des Fruchtwassers geborenen Kinder. Denn gerade
diese Schwangerschaftsanomalie ist am ehesten zur Erforschung des Ein¬
flusses des Fruchtwassermangels und des abnormen intrauterinen Druckes
auf die Entwicklung von Missbildungen geeignet. In ihrem Gefolge
kommen auffallend oft meist multiple typische Deformitäten (Klump-
füsse, Starre der Gelenke, Kontrakturen usw.) vor. Zusammenstellung
der bisher publizierten Fälle.
P. Kranz: Innere Sekretion, Kieferkildnng nnd Dentition.
(t. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. beweist an
Hand der Literatur und eigener experimenteller Erfahrungen und klini¬
scher Beobachtungen den Zusammenhang zwischen innerer Sekretion und
Dentition und Kieferbildung. Er beweist vor allem die ursächliche
Wirkung der angeborenen Schwäche auf die Dentitionsanomalien. So
wird gesondert der Zusammenhang von krankhafter Veränderung von
Schilddrüse, Epithelkörperchen, Thymus, Keimdrüsen, Hypophysen,
Pankreas und Nebennieren zu den Dentitionsanomalien besprochen.
Verf. stellt weitere spezielle Arbeiten über dieses interessante Gebiet in
Aussicht. W. V. Simon.
A. W. Meyer: Zur Behandlung der Clavieularluxationen. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Verf. empfiehlt ein bei
einem Fall von sternaler Luxation erprobtes Verfahren, das, nachdem
die Clavicula reponiert ist, dieselbe durch eine Naht der sternalen Partie
des Pectoralis mit dem sternalen und olavicularen Ansatz des Hals¬
nickers an ihrer richtigen Stelle fixiert. Danach wird auch der Schlitz
zwischen beiden Partien des Sternocleido geschlossen. Fritsch.
W. Kauert: Zur Therapie der Pseudarthrosen dnrch Osteoplastik,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Mitteilung eines
Falles von Tibiapseudarthrose aus der Freiburger Klinik, bei dem mit
Erfolg eine Autoplastik aus der Fibula desselben Beines vorgenommen
wurde, und zwar so, dass das transplantierte Knochenstückchon mit den
Weichteilcn locker verbunden blieb, welche Methode bessere Aussicht
auf Erfolg hat als die freie Autoplastik. Auch bei der angegebenen
Operationsmethode kommt es zur völligen Resorption des Implantats
und Ersatz desselben durch neugebildete Knochen.
S. Ponomareff: Ueber die Behandlung infizierter Verletzungen
ie« Kniegelenks mit Bier’seher Staanngsbyperämie. (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Von 54 Kniegelenkverletzungen des
Obuchow-Krankenhauses wurde 34 mal Bier’sche Stauung angewandt, die
jedoch nach Ansicht des Verf. nicht allein zur Behandlung genügt. Es
soll auf jeden Fall das Glied immobilisiert werden (Gips, Schiene). Die
Eröffnung des vereiterten Gelenks und paraartikulärer Abscesse darf bei
der Staubehandlung (was auch die Bier’sche Schule stets fordert. Ref.)
nicht vernachlässigt werden. Passive Bewegungsversuche sind erst nach
Ablauf aller entzündlichen Erscheinungen vorzunehmen, da sonst er¬
hebliche Verschlimmerungen eintreten können. Deutlich war fast stets
die schmerzstillende Wirkung der Stauung. W. V. Simon.
G. Perthes-Tübingen: Ueber die Behandlung der Knocken- nnd
Gelenktuberkulose. (Schluss.) (Therapie d. Gegenw., Dezember 1912.)
Nach Ansicht des Verf. ist es unmöglich, für die Entscheidung zwischen
operativem und konservativem Verfahren bestimmte Regeln aufzustellen.
Es kommen nur einige Gesichtspunkte für die Indikationsstellung in
Betracht. 1. Bei Kindern wird die konservative Methode bevorzugt,
weil die Heilungstendenz hier eine grössere ist als bejm Erwachsenen
und die Resultate der Gelenksresektionen besonders ungünstige sind.
2. Die Entscheidung richtet sich auch nach dom Gelenk. Beim Knie¬
gelenk ist am ehesten zur Resektion zu raten, während beim Hüft- und
Handgelenk besser konservativ zu behandeln ist. 3. Eine wesentliche
Rolle bei der Indikationsstellung spielt der Zustand der erkrankten Ge¬
lenke, über den die Röntgendurchleuchtung Aufschluss gibt. Eine rein
synoviale Form der Tuberkulose eignet sich im allgemeinen für die
konservative Methode, während grössere tuberkulöse Knochenherde
operiert werden müssen. 4. Bei ungünstigen sozialen Verhältnissen
schreitet Verf. von vornherein zur Operation. R. Fabian.
R. Pürckhauer-München: Verletzungen der Ligamenta ernciata
des Kniegelenks. (Münchener med. Wochensehr., 1913, Nr. 2.) 3 Fälle,
von denen der eine entstand durch Hyperextension, der zweite durch
Hyperfiexion, wobei gleichzeitig beim Beugen des Knies sich der andere
Fuss als Keil in die Kniekehle legte. Der dritte Fall kam durch Ueber-
streckung und gleichzeitige hochgradige seitliche Abduktion zustande.
Dünner.
V. Schmieden und F. Erkes-Berlin: Klinische Studien über die
Keibildugavorginge am Hüftgelenk im Anschluss an die Resektion.
(Archiv f. klin. Chir., 1912, Bd. 100, H. 1, S. 114.) Es ergab sich die
überraschende Tatsache, dass auch bei sehr ausgedehnter Resektion unter
bestimmten Bedingungen eine vielfach an normale Verhältnisse erinnernde
Wiederbildung der Gelenkpfanne, namentlich des femoralen Teils, ein-
tritt, und dass io anderen Fällen der Körper imstande ist, der Funktion
in bester Weise dienende, neuartige Knochenformen entstehen zu lassen,
die ihr Analogon in normalen Verhältnissen finden. Gelegentlich kehrt
sich der Mechanismus in wunderbarer Weise um, so dass eine Art Pfanne
am Femur, eine Art Gelenkkopf am Becken ausgebildet wird, vielfach
bildet sich der Trochanter minor in einen Processus articularis um. —
Bei jugendlichen Personen sind die Regenerationsvorgänge c. p. inten¬
siver und hinsichtlich der Funktion erfolgreicher. Funktion und anato¬
mische Gestaltung gehen nicht immer parallel; von wesentlicher Be¬
deutung ist eine auf aktive und passive Beweglichkeit gerichtete Nach¬
behandlung und eine frühzeitige Belastung. Die Verff. erblicken nicht
nur in dem Funktionsreiz, sondern auch in der Einwirkung des Muskel¬
zuges, der Inanspruchnahme durch Druck und Zug usw. die wichtigsten
Faktoren für eine Wiederbildung brauchbarer Knochenforraen. Aus den
Ausführungen ergibt sich der Rat für die praktische Durchführung der
Hüftresektion, dass sich der Operateur von vornherein klar sein muss,
ob er ein bewegliches oder ein ankylosiertes Hüftgelenk anstreben will.
Diese Frage entsteht weniger bei Fällen von Tuberkulose, wo das Augen¬
merk in erster Linie auf die Ausrottung des Krankheitsherdes gerichtet
sein muss, sondern namentlich bei Fällen von Arthritis deformans, ver¬
alteter Schenkelhalspseudarthrose u. dgl.; hier ist vor allen Dingen ein
mittlerer Zustand zu vermeiden, der zu beständigen Reizerscheinungen
und sekundärer Arthritis deformans Anlass gibt. F. Härtel.
E. Hesse: Ueber die klinische Anwendung der Gefässnaht auf
Grund eines Materials von 60 Fällen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1912, Bd. 82, H. 1.) Das Hauptmaterial des Verf. (Obuchow-Kranken-
haus) betrifft die Ausführung der Delbet’schen Operation bei Varicen,
die bei jedem Fall mit positivem Trendelenburg ausgefübrt wird und
deren Dauerresultate während drei Jahren vorzüglich seien. Dagegen
lehnt H. die Wieting’sche Operation bei angiosklerotischer Gangrän in
Uebereinstimmung mit den Erfahrungen der Küttner’schen Klinik ab;
die Unterbindung der Vene müsse den gleichen Erfolg wie die Anasto-
mosenbildung haben. Bei der Aneurysmaoperation wird häufig die Ge-
fässnaht unmöglich sein. Kommt es nach einer solchen zu einer Arterien¬
thrombose, so ist die Venenunterbindung indiziert. Bei Verletzungen
grösserer Gefässe soll die Naht versucht werden, ausser bei infiziertem
Terrain. Von 33 Herznähten genasen 10. W. V. Simon.
F. Härtel-Berlin: Die Leitnngsanästhesie nnd Injektionsbehaud-
lnng des Ganglion Gasseri nnd der Trigeminisst&mnie. (Archiv f.
klio. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 193.) Die Arbeit entstammt der Bier-
schen Klinik, der anatomische Teil wurde im Waldeyer’schen Institut
bearbeitet. Ausführliche Darstellung der Anatomie der Trigeminus¬
stämme und des Ganglion Gasseri unter steter Berücksichtigung der
Injektionstechnik. Des Verf. Methode der Ganglienpunktion wird ana¬
tomisch begründet und ihre klinische Verwendbarkeit dargetan. Sie
eignet sich für alle grossen Operationen im Trigeminusgebiet, doppel¬
seitige Injektion erhöht die Verwendbarkeit. Besonders geeignet ist sie
für die Operation von grossen, auf die Schädelbasis übergreifenden Ober¬
kiefertumoren und Orbitaltumoren, während bei der ZuDgenexstirpatioo,
wo ausser dem Trigeminus noch andere Nervengebiete in Frage kommen,
die bisherigen Methoden ebensoviel leisten. Versager sind selten, Neben¬
erscheinungen vermeidbar. In einer Reihe von Fällen schwerer Trigeminus¬
neuralgie wurde mit gutem Erfolg die Alkoholinjektion in das Ganglion
ausgeführt. Dabei ist Vorsicht geboten wegen der Keratitis neuro-
paralytica. Für die endoneurale Punktion des N. maxillaris im Foramen
rotund. wird ein neuer, durch die Orbita führender Weg angegeben, der
jedoch wegen der Hämatomgefahr nur in Ausnahmefälleu anzuwenden
ist. Alle bisher geübten Verfahren der Trigerainuspunktionen werden
einer eingehenden Kritik unterzogen und in ihrer klinischen Verwendbar¬
keit gezeigt. Cf. Gesellschaftsbericht der Chirurgischen Gesellschaft zu
Berlin in dieser Wochenschr., 1912, Nr. 49 u. 51. F. Härtel.
R. Leriche: Ueber einige neue Indikationen der Dnrchschneidung
der hinteren Wurzeln. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119,
H. 5 u. 6.) Ausgehend von der Behauptung, dass der Herpes inter-
cosialis eine Entzündung der Nervenwurzeln ist, hat der Verf. in einem
Fall von schwerem Herpes, bei dem der Thorax wie infiltriert war, jede
Berührung heftige Schmerzen auslöste und lanzinierende Paroxysmen
die Patienten andauernd belästigten, die vierte und fünfte Dorsalwurzel
der entsprechenden Seiten durchschnitten und damit Heilung erzielt.
Verf. empfiehlt deshalb, die Operation vorzunehmen bei hartnäckigen peri¬
pheren Läsionen, die sich als Erscheinungen von seiten der Wurzeln
und Nerven ergeben, z. B. ausser dem Herpes intercostalis bei Mal
perforant der Planta pedis und hartnäckiger Hyperchlorbydrie.
Fritsch.
H. Lucas-Trier: Zur Herzchirurgie. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 4.) 1. Herzverletzung mit einem Brieföffner. Längsschnitt
neben dem Sternum. Durch trenn ung der dritten bis sechsten Rippe.
Blutcoagula im Epicard. 2 cm langer Schnitt im linken Ventrikel.
Kein Pneumothorax. Naht der Herzwunde. Direkte Herzmassage.
Heilung. 2. Schussverletzung der Atrioventrikulargrenze. Naht. Starke
Blutung; steht auf Kompression des Atrium venosum dextrum. Aus¬
schussöffnung an der Rückwand. Naht. Perforation durch das Zwerch¬
fell in die Leber, woselbst die Kugel stecken blieb. Ausgang in Heilung.
3. Stichverletzung des Herzbeutels, 3 Tage alt, mit eitriger Pericarditis.
Trotz Inzision Tod an Sepsis. Verf. empfiehlt stets die Drainage des
Pericards, am besten der hinteren Pericardhöhle.
C. Melchior-Breslau: Ueber die erhöhten Gefahren operativer
Blutverluste hei angeborener Enge des Aortensystems. (Deutsche med.
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UNIVERSUM OF IOWA
220
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Zwei beachtenswerte „Uuglückfälle“ aus der
Breslauer chirurgischen Klinik: 1. 23 jähriger Mann mit Struma vasculosa.
Hemi8trumektomie. Mehrfache parenchymatöse Nachblutungen, 10 Stunden
post operationem beginnend. Exitus letalis. 2. 18jähriger Patient mit
Kniegelenkstuberkulose. Knieresektion. Parenchymatöse Nachblutung
massigen Grades. Exitus letalis trotz Kochsalzinfusion. In beiden
Fällen ergab die Sektion eine abnorme Enge der Aorta und der peri¬
pheren Arterien. M. weist auf den Zusammenhang dieses Befundes mit
dem tödlichen Ausgang hin. Derartig gebildete Individuen besitzen
wahrscheinlich eine mangelnde Widerstandsfähigkeit auch gegen mässige
Blutverluste. Vielleicht ist bei ihnen auch eine abnorme Zerreisslichkeit
der kleineren Arterien vorhanden. Von der Hämophilie sind derartige
Zustände jedenfalls zu trennen. Der Chirurg muss in Fällen, in denen
eine abnorme Enge der Gefässe vermutet wird, mit seiner Indikations¬
stellung besonders vorsichtig sein. Wolfsohn.
A. Schubert: Ueber TrachealverdräagBBg bei Thymi hyper-
plastiens. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Mit¬
teilung eines Falles, bei dem röntgenologisch neben der starken Mittel¬
schattenverbreiterung als weiteres wichtiges Symptom eine deutliche
Verschiebung der Trachea nach der rechten Seite zu konstatieren war.
Verf. geht näher auf die röntgenologische Diagnose der vergrösserten
Thymus ein, die bei Kindern wahrscheinlich ist, wenn der Mittelschatten
nach der linken Seite vergrössert ist, während die Verschiebung nach
rechts verschiedene Deutungen zulässt. Die TrachealVerschiebung, die
sich am leichtesten durch das Röntgenbild erkennen lässt, siebt Verf.
als wichtiges Symptom für die mechanische Druckwirkung der hyper¬
plastischen Thymus an und als erklärendes Moment für das Zustande¬
kommen des Thymustodes analog dem Kropftod. Hervorzuheben ist
noch, dass bei dem Kinde eine Lymphocytose bis 75 pCt. bestand, die
nach der Enucleation des hypertrophischen Tbymuslappens langsam zu
sinken scheint. W. V. Simon.
H. v. Haberer-Innsbruck: Ueber «Bilaterale Pylorusaisschaltung.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 1, S. 161.) Verf. empfiehlt, die Gastro¬
enterostomie mit der Ausschaltung des Pylorus nach v. Eiseisberg
auszufübren in allen Fällen von Ulcus duodeni und in denjenigen Fällen
von Ulcus ventriculi, wo die Resektion aus technischen Gründen un¬
ausführbar ist. Besonders bei Komplikation des Ulcus mit Perigastritis
ist die Pylorusausscbaltung der einfachen Gastroenterostomie vorzu¬
ziehen. 24 eigene Operationsberichte zeigen den Erfolg der Operation.
F. Härtel.
E. Hesse: Ueber den Wert der freien Netttransplantation im
Dienste der Banehchirnrgie nach den Erfahrungen des Obuchow-Kranken-
hauses. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. be¬
tont den grossen hämostatischen Wert der freien Netztransplantation,
deren Hauptanwendungsgebiet als „lebende Tamponade“ in der Leber¬
chirurgie (Verletzungen, Resektionen), dann auch in der Chirurgie der
Gallenblase (Exstirpation) und Milz liegt. Bei der Magen-Darmchirurgie
scheint die gestielte Netztransplantation eher am Platze zu sein.
W. V. Simon.
H. J. Lam£ris: Zur Behandlung der iBdirekteB Leistenhernie.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.) Auf Grund seiner
Beobachtungen an einem grossen Material kommt Verf. zu folgenden
Schlüssen: In statistischen Zusammenstellungen, die den Zweck haben,
die Erfolge von Hernienoperationen zu studieren, müssen die direkten
und indirekten Brüche streng auseinandergehalten werden. Für die
Heilung indirekter Hernien genügt die alleinige und möglichst voll¬
ständige Eistirpation des Bruchsackes. Die Torsionsligatur erfüllt am
besten diesen Zweck. Jede Radikalnaht oder plastische Operation im
Leistenkanal ist als überflüssig zu betrachten. Fritsch.
G. Luce: Ueber sogeaaBBte primäre Carcinome („Schleimhaut¬
naevi“ nach Asch off) und primäre Carrioome des Warmfortsatzes.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. fordert eine
scharfe Unterscheidung zwischen den sehr seltenen echten malignen
Krebsen des Wurmfortsatzes und den relativ häufigen, angeborenen
benignen carcinoiden Tumoren der Appendix, für welche er in Ueber-
einstimmung mit Aschoff den Namen „Scbleimhautnaevi“ vorschlägt.
Den eventuellen Zusammenhang zwischen diesen beiden Arten denkt er
sich derart, dass die Naevi später unter Umständen maligne degenerieren
können, wie man es auch von Hautnaevi her kennt. Es ist wahrschein¬
lich, dass in einzelnen Fällen Coecumcarcinome von Appendixkrebsen
ihren Ausgang nehmen können, doch ist dies bisher für die Mehrzahl
der Fälle fraglich. Was die Frage der Entzündung angeht, so bilden
die Naevi in einer Reihe von Fällen ähnlich wie Stenosen usw. eine
Prädisposition dafür; andererseits ist es auch nicht unwahrscheinlich,
dass auf dem Boden dieser wiederholten Entzündungen der Naevus zu¬
weilen maligne werden kann. Mitteilung zweier Naevusfälle und zweier
echter Krebsfälle, welch letztere der Verf. von der Appendix ausgehend
betrachtet. W. V. Simon.
A. Fromme: Soll im Iotermediärstadiom der akaten Appendieilis
operiert werden? (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 119, H. 5 u. 6.)
Verf. kommt auf Grund seiner Statistik der Jahre 1910/1911 zu dem
Resultat, dass das bis jetzt an der Göttinger Klinik geübte Verfahren
bei Appendicitis im Intermediärstadium das richtige ist: Im Intermediär¬
stadium, also am 3., 4. und 5. Tage, ist die Therapie streng konservativ,
und Operation findet nur aus vitaler Indikation statt, d. b. wenn diffuse
Peritonitis besteht oder mau bei abgekapseltem Exsudat eventuell nach
kurzer Beobachtung den Eindruck gewinnt, dass der Prozess im Fort¬
schreiten ist. Fritsch.
W. Gundermann: Ueber Ectopia testia periaealis. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Verf. kommt zu folgenden
Schlüssen: Die Ectopia testis perinealis ist eine Unterart der Ectopia
proc. vagin. perineal., die als primäre innere Anomalie vorkommt und
vielleicht eine atavistische Bildung darstellt. Auch eine fötale Peri¬
tonitis kann wahrscheinlich perineale Richtung des Scheidenfortsatzes
zur Folge haben. Ectopia perinealis und Retentio testis können durch
die gleiche Ursache hervorgerufen werden, doch besteht sonst zwischen
beiden kein Zusammenhang. Nie ist die Ectopia perinealis eine Folge
der Retentio testis. Die Fragen, ob die Haltung der Frucht in den
letzten Monaten der Gravidität einen Einfluss auf die Richtung des
Proo. vagin. hat, und ob eine primäre falsche Insertion des Leisten¬
bandes vorkommt, sind noch nicht geklärt. — Mitteilung eines Falles
aus der Witzel’schen Klinik. W. V. Simon.
J. E. Schmidt: Beiträge zur Bewertung der koBflcrvativcB Hodea-
Chirurgie, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 1.) Der
reife Hoden, gleichgültig ob er mit oder ohne Tunica vag. comm. ver¬
lagert wird, degeneriert und regeneriert sich nicht wieder; der jugend¬
liche Hoden entwickelt sich zunächst weiter bis zur Ausbildung von
Spermatocyten, um dann gleichfalls zu degenerieren. Nach Total-
exstirpatiou des Nebenhodens wird das Wachstum des Hodens nicht ge¬
stört, beim reifen Hoden bleibt die Spermatogenese erhalten. Die Unter¬
suchungen über die Wirkung der Explorativspaltung des Hodens ergaben,
dass beim Sektionsschnitt nur eine relativ geringe, beim jugendlichen
Hoden eine sehr geringe Schädigung des Gesamtparenchyms resultiert.
Bei den Anastomosieruugsversuchen zwischen Duct. deferens und Hoden
gelang es niemals, eine Kommunikation zwischen ersterem und den Hoden¬
kanälchen zu erzielen. Der Spermabefund im unteren Deferensende, auch
nach längerer Zeit, ist kein Beweis einer noch bestehenden Anastomose.
Nach der Kastration ergab sich sowohl für Nebenniere als Hypophyse
ein relatives Gewichtsplus gegenüber den Kontrollieren. Bei Zerstörung
nur des generativen Hodenanteils (durch Röntgenbestrahlung) ergab sich,
dass die Nebennieren an Gewicht nicht Zunahmen, sondern nur die Hypo¬
physen, wonach der Schluss nahe liegt, dass auch der regenerative An¬
teil mit zu den Organwechselbeziehungen beiträgt, was noch weiter zu
prüfen ist. W. V. Simon.
Flath-Königsberg: Zur Kasuistik der sabcataaea Leberraptar.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Dünner.
Siebe auch Augenheilkunde: Liebrecht, Schädelbruch und
Sehnerv. _
Röntgenologie.
M. Levy-Dorn: Ein universelles Uatersaehaagsstativ und die
Gesichtspunkte bei seinem Bau. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr.,
Bd. 19, H. 4.) Levy-Dorn hat ein neues Untersuchungsstativ kon¬
struiert, das sich einerseits an sein früheres anschliesst, aber die auch
von anderen Autoren erkannten Vorzüge der weiten Benutzung des
Holzes anstatt der Metalle ausnutzt. Die Hilfsapparate, welche benutzt
werden, sind sehr einfach. Es genügt eine Wand, an welche sich der
Patient im Stehen oder Sitzen anlehnen kann. Ein Blendenhalter für
stehende oder sitzende Patienten empfiehlt sich ebenfalls. Besondere
Apparate für Fernaufnahmen hält der Autor für entbehrlich.
F. Oehlecker: Zur AafnihmeteehBik der Halswirbetaftale. (Fort¬
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4) Oehlecker hat, in
der Erkenntnis, dass die gebräuchlichen Kassetten sich schwer bei Auf¬
nahmen der Halswirbelsäule verwerten lassen, eine neue Kassette kon¬
struiert, die einen Schulterausschnitt enthält und dadurch gestattet,
die Kassette in eine bessere Lage zur seitlichen Fixation der Halswirbel¬
säule zu bringen. Man kann bei Verwendung dieser Kassette stets eine
Uebersichtsaufnahme über die sieben Halswirbel und den ersten Brust¬
wirbel bekommen.
A. Köhler: Vollzählige proxiaiale Metacarpalepiphysen. (Fort¬
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.) Bei einem Fall von
infantilem Myxödem fand sich eine vollständige Missbildung der proxi¬
malen Metacarpalepiphysen. K. bespricht sehr eingehend die ver¬
gleichende Anatomie der in Frage kommenden Tiere mit dem hier be¬
obachteten Phänomen und findet eine Aehnlichkeit mit den Wasser¬
säugern, die ähnliche Epiphysen haben; er sieht darin eine Anpassungs¬
erscheinung an das Wasserleben. Die Beobachtung des seltenen
Röntgenbefundes bei den Myxödempatienten sieht er deswegen nicht als
einen geringen Zufallsbefund an.
J. Frattin: Beitrag zur Kenntnis der Myositis ossifieaas pro¬
gressiva. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.) F. be¬
spricht die verschiedenen Theorien. Er glaubt selbst, dass es sich um
eine relative Unzulänglichkeit im Metabolismus der Gewebselemente
handelt, die von ursprünglicher lokaler oder allgemeiner Entwicklungs¬
hemmung des Mesenchyms herrührt, derartig, dass, sobald in einem
gewissen Zeitpunkt das Gewebe mit den Forderungen des allgemeinen
Zunehmens des Organismus nicht mehr standhalten kann, sich ein Zustand
mangelhafter Ernährung einstellt, der sieh im Beginn entzündlicher
Phänomene kundgibt, woraus dann die Atrophie und die fibröse Re¬
traktion und schliesslioh die Verknöcherung resultiert.
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
221
A. Li pp mann und W. Quiering: Die Röntgenuntersuchung der
Aorteiorkrankmngen mit spezieller Berücksichtigung der Aortenlues.
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4) Zur exakten Fest¬
stellung beginnender Aortenerkrankungen genügen nicht Durchleuch¬
tungen, sondern es sind Momentaufnahmen, und zwar Teleaufnahmen im
ersten schrägen Durchmesser erforderlich. Es gelingt hierbei, die Aorta
ascendens, Arcus und die descendens ungefähr in natürlicher Grösse und
isoliert darzustellen. Die Aorta ascendens ist ausmessbar. Die normale
Aorta nimmt mit zunehmendem Alter nicht erheblich an Breite zu. Die
luetische Aorta zeichnet sich durch Zunahme der Breite und Schatten¬
tiefe aus. Die luetische Erkrankung ist eine der häufigsten, wenn nicht
die häufigste Erkrankung der Aorta. Es ist daher auch bei gering ab¬
weichenden Aortenbefunden stets an Lues zu denken.
F. Schultz: Die Röntgentherapie der malignen Hanttumoren und
der Grenzfälle. (Fortsohr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 4.)
Schultz weist mit Recht darauf hin, dass die Literatur über das
behandelte Gebiet einen enormen Umfang angenommen hat und zum
grossen Teil kasuistisches Material enthält, und dass trotzdem noch
grosse Unterschiede in der Bewertung der Heilmethode liegen. Er führt
das darauf zurück, dass keine einheitlichen Methoden angewandt würden.
Es ist bei jeder Bestrahlung wünschenswert, zu wissen, wie viel Strahlen
gegeben werden, welchen Härtegrad die Hauptmenge der Strahlen hat,
ob das Strahlengemisch neben den Hauptstrahlen viel oder wenige andere
Strahlen enthält. Ferner kann es von Bedeutung sein, in welcher Zeit
eine bestimmte Dosis erreicht wird, und wie weit das Objekt vom Focus
der Röhre entfernt ist. Unter Beobachtung dieser Voraussetzung be¬
spricht er die Chance der Röntgentherapie bei den verschiedenen Haut¬
erkrankungen. Gutes wird erreicht beim Epitheliom, Wechselndes beim
Sarkom; weniger Befriedigendes bietet die Therapie der Tuberkulose,
der Lepra und des Xeroderma pigmentosum. Das Röntgencarcinom
darf natürlich nicht mit Röntgenstrahlen behandelt werden.
M. Cohn.
R. Kienböck-Wien: Sigma elongatam mobile. (Münchener med.
Wochenschrift, 1913, Nr. 2) 42 jähriger Mann, bei dem Verdacht auf
Perityphlitis bestand. Bei der Röntgenaufnahme sah man, dass ein sehr
langes Colon sigmoideum besteht, welches sich auf der rechten Seite des
Abdomens als langgestreckte Schlinge bis unter die Leber und nahe an
die rechte Zwerchfellkuppe erstreckt, dann bis zur Nabelgegend zurück¬
geht Hier ist die Uebergangsstelle des Colon descendens, das von der
linken Flexur nach unten medial verläuft. Die Beschwerden des Patienten
werden wohl durch Lageveränderungen des Sigma hervorgerufen worden sein.
Dünner.
Urologie.
Siebe auch Therapie: Kowanitz, Erfahruogen mit Hexal. —
Geburtshilfe und Gynäkologie: Schickele, Pyelitis und Nieren¬
beckenerweiterung während und ausserhalb der Schwangerschaft. Bret-
schneider, Dystopie der Niere.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
P. G. Unna und L. Golodetz - Hamburg: Zur Chemie der Haut.
Ueher Granoplasma und eine allgemeine Methode zur mikrochemischen
Erforschung eiweissartiger Zellbestandteile. (Dermatol. Wochenschr.,
1913, Bd. 50, Nr. 1.) Granoplasma ist ein in den meisten Zellen, be¬
sonders den voluminöseren, mehr oder minder reichlich vorhandener,
sauerer Eiweisskörper, welcher es möglich macht, dass wir den Zelleib
intensiv mit basischen Farben färben können. Das Granoplasma ist,
wie aus seinen LöslichkeitsVerhältnissen in heissem Wasser usw. hervor¬
geht, eine aus Akroalbumose hervorgegangene Denteroalbumose, und zwar
eine Cyste.
A. Nanta - Toulouse*. Studium der Lymphodermien und derMyelo-
dermien (Hautmanifestationen der leukämischen und aleukämischen Zu¬
stände). (Aanales de dermatol. et de sypbiligr., Oktober, November u.
Dezember 1912.) Die entzündlichen Lymphodermien und die Lympho¬
granulomatose sind infektiöse Prozesse mit Lokalisationen in den
Drüsen und auf der Haut. Sie haben ein entzündliches Aussehen und
stellen histologisch eine lymphatische Hyperplasie vor. Die Lympho¬
matösen sind Krankheiten, welche in multiplen Lymphdrüsen lokalisiert
sind, sie sind nicht entzündlicher Natur und haben histologisch den
Charakter einer reinen lymphoiden Hyperplasie. Die Hauterscheinungen
sind meist sekundärer Natur. Das Lymphosarkom ist eine Neubildung mit
sekundären Hauterscheinungen. Die Mycosis fungoides ist eine Haut-
erscheinung vielleicht entzündlicher, vielleicht neoplastischer Natur;
histologisch handelt es sich um eine bindegewebige und eine lymphoide
Hyperplasie. Immerwahr.
0. Fischer und E. Klausner - Prag: Ein Beitrag zur Catan-
nakliei der Syphilis. Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr 2.) Die mit dem Extrakt aus syphilitischen Lungen
ausgeführte Cutanreaktion nach Noguchi (Journ. of experim. med.,
1911, Bd. 14, Nr. 6) fiel positiv aus bei allen Fällen von tertiärer
Syphilis und Lues hereditaria tarda. Es hat also den Anschein, dass
dieser Reaktion eine klinische Spezifität zukommt. P. Hirsch.
E. Bäum er-Berlin: Die Behandlung der Syphilis mit Hg-
filidiie. (Dermatol. Wocheoschr., 1912, Bd. 55, Nr. 51b.) Das Hg-
Glidine ist als ein ausgezeichnetes, prompt, aber milde wirkendes Queck¬
silberpräparat für Zwischenkureu und zur Abheilung von Schleimhaut¬
papeln zu empfehlen.
J. Almkvis t - Stockholm: Ueber die Bedeutung des 8alvarsans
und Neosalvarsans bei der Behandlung der Syphilis. (Dermatol.
Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 2.) Die Kombination von Quecksilber
und Salvarsan bzw. Neosalvarsan repräsentiert einen bedeutenden thera¬
peutischen Fortschritt.
L. Brocq-Paris: Wie wir meinen, dass man augenblicklick das
Salvarsan an wenden kann und soll. (Annales de dermatol. et de
syphiligr., Dezember 1912.) Es bedarf noch viele Jahre einer genauen
Beobachtung, um die Indikationen für Salvarsan festzusetzen, für seine
Anwendung, seine Dosierung usw. in den verschiedenen Stadien der er¬
worbenen und der vererbten Syphilis. Immerwahr.
H. Loeb -Mannheim: Heilnng der Verrucae planae durch Sal-
varsaD. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) In zwei Fällen
heilten Verrucae planae nach einmaliger Salvarsaninjektion aus, in
einem Fall trat deutliche Rückbildung ein. Verrucae vulgares werden
nicht beeinflusst. L. empfiehlt die intravenöse Salvarsanbehandlung.
Wolfsohn.
F. Lube - Braunsohweig: Ueber epileptiforme Anfälle nach Sal¬
varsan. (Dermatol. Zeitschr., Januar 1913.) Die bisher in der Literatur
beschriebenen Fälle von epileptiformen Anfällen nach intravenösen Sal-
varsaninjektionen stimmen untereinander und mit Lube’s Fall in allen
wesentlichen klinischen und anatomischen Kriterien so überein, dass man
von einem typischen Krankheitsbiid und einem typischen Sektions¬
befunde sprechen kann. Es findet sich bei der Autopsie ein hoch¬
gradiges Oedem der weichen Hirnhäute und des Gehirns selbst nach
mehr oder weniger starke Hyperämie und Blutungen. Immer wahr.
R. Fried: Toxische Erscheinungen nach wiederholten subeutanen
Embarininjektionen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Nach
der 5., 6. und 7. Embarininjektion entstand jedesmal Schüttelfrost,
hohes Fieber, starke Kopf- und Gliederschmerzen, nach einigen Stunden
vorübergehend. Trotz dieser Erscheinungen hat sich F. zu einer noch¬
maligen Injektion verstanden (!!) mit dem Erfolg, dass „das be¬
ängstigende Bild eines schwersten Collapses“ hervorgerufen wurde, mit
40° Fieber, starken Kopfschmerzen, vollständiger Bewusstlosigkeit.
Jedesmal trat auch eine Art Herxheimer’scher Reaktion an den sicht¬
baren Papeln auf. Es handelt sich demnach um „Embarinüberempfind-
lichkeit“. Wolfsohn.
E. Klausner - Prag: Die Behandlung der Syphilis mit Kontra-
luesiu (Richter), einem molekular zerstäubten Quecksilber. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Das Richter’sche Kontraluesin ist nach
den Erfahrungen K.’s ein sehr gutes Antilueticum, das die luetischen
Krankheitserscheinungen aller Stadien der Syphilis zur Abheilung bringt
und wegen seiner bequemen, schmerz- und gefahrlosen Applikation zur
ausgebreiteten Anwendung in der Behandlung der Syphilis empfohlen
werden kann.
C. Bruok und A. Glück - Breslau: Wirkung von intravenösen In¬
fusionen mit Aurum kaliam cyanatnm (Merck) bei äusserer Tnberkalose
and Lues. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Die Verff.
wandten Aurum calium cyanatum bei Lupus nicht lokal als Salbe ao,
sondern injizierten es intravenös. Die Erfolge, die sie mit dieser Chemo¬
therapie erreichten, sind sehr gute. Sie injizierten hei Erwachsenen
0,02—0,05 pro dosi jeden 2.-3. Tag, im ganzen 12 Injektionen.
Schädigungen beobachteten sie nie. Nach den Erfahrungen erscheint
eine Behandlung von Lungentuberkulose mit Aurum calium cyanatum
vielversprechend. In einer weiteren Versuchsreihe haben die Verff.
das Medikament mit Tuberkulin kombiniert. Sie "gingen dabei von der
Vorstellung aus, das Tuberkulin als „Leitschiene“ für das Gold zu be¬
nützen oder wenigstens die nach Tuberkulin eintretende, mit starker
Durchblutung des erkrankten Gewebes einhergehende Lokalreaktion zur
Hinlenkung des Goldes nach dem Krankheitsherd zu verwerten. In der
Tat zeigte sich bei diesen Fällen schnellere Besserung als bei einfacher
Goldbehandlung. Schliesslich wandten B. und G. das Aurum calium
cyanatum bei Lues an; auch hier sind Erfolge zu verzeichnen, die zeigen,
dass das Aurum als Antisyphiticum anzusehen ist. Dünner.
K. Soheven - Dresden: Die ethischen Wirkungen der Reglemen¬
tierung. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 1 u. 2.) Verf. er¬
blickt in der Reglementierung ein durch und durch unethisches Prinzip,
das nach den verschiedensten Richtungen hin verhängnisvolle Wirkungen
ausstrahlt, das auf beide Geschlechter in verschiedener Weise kor¬
rumpierend einwirkt und deshalb das allgemeine sittliche Niveau eines
Volkes herabdrücken muss. Das System der Reglementierung demorali¬
siert alle, die mit ihm in Berührung kommen, nicht nur die Prosti¬
tuierten, sondern auch die Beamten, die es handhaben, die Aerzte, die
ihm dienen und, last not least, die Männer, zu derem Schutze es er¬
funden ist. Immerwahr.
V. Klingmüller • Kiel: Die Behandlung der Dermatomykosen.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
Siehe auch Pharmakologie: Arzt und Kerl, Parasistotrope
Wirkung des Atoxyls und Salvarsans. — Parasitenkunde und Sero¬
logie: Reiter, Beeinflusst Salvarsan die Intensität der Antikörper? —
Röntgenologie: Schultz, Röntgentherapie der malignen Hauttumoren.
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UNIVERSUM OF IOWA
222
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Schickele Strassburg: Beitrag zur Kenntnis der Pyelitis und
Nierenbeckenerweiterongen während und ausserhalb der Schwanger¬
schaft. (Archiv f. Gynäkol., B. 98, H. 2.) Die Pyelographie, d. h. die
Röntgenaufnahme des mit Collargollösung gefüllten Nierenbeckens und
Ureters zeigte in manchen gynäkologischen Fällen, in denen die sub¬
jektiven Beschwerden auf die mögliche Beteiligung einer Niere hinwiesen,
Erweiterung des Nierenbeckens und des zugehörigen Ureters, manchmal
auch Torsion und Schlängelung des letzteren. Da der Urin keine Leuko-
cyten, Epithelien oder Bakterien enthielt, waren die Schmerzen nicht
durch eine Entzündung, sondern durch die Stauung hervorgerufen. Aehn-
liches konnte auch für die pyelitischen Beschwerden im Verlauf der Gravi¬
dität und des Wochenbettes nachgewiesen werden. In bezug auf die
Aetiologie der wirklichen Infektionen der oberen Harnwege konnte fest¬
gestellt werden, dass für die ascendierende Infektion, die meist durch
Bacterium coli bedingt wird, eine Insuffizienz des Ureterostiums anzu-
nebmen ist, bedingt durch topographische Verlagerung der Blase und
besonders des Trigonums, wie sie im Verlauf der Gravidität und von
gynäkologischen Erkrankungen nachweisbar ist. Eine hämatogene Ent¬
stehung kann für die während und bald nach der Geburt auftretenden
Pyelitiden angenommen werden. Endlich ist bei Obstipation eine Ver¬
schleppung von Bacterium coli aus dem Colon ascendens in das rechte
Nierenbecken auf dem Wege der Lymphgefässe eher wahrschein leih.
Rübsamen - Bern-Dresden : Ueber SchilddriseierkrankuBgen in
der Schwangerschaft. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Bei Frauen
mit Cachexia strumipriva verstärkt die Schwangerschaft die Symptome;
Kretinoide werden unter dem Einfluss der Schwangerschaft zu Kretinen
und bessern sich nach Ablauf der Schwangerschaft wieder. Morbus
Basedowii wird durch Gravidität nicht verschlimmert, so dass derselbe
keine Indikation zur Unterbrechung der Gravidität bildet. Unter 718
graviden Frauen der Berner Klinik — also in ausgesprochener Kropf¬
gegend — hatten 643, d. h. 89,5 pCt. eine deutliche Vergrösserung der
Thyreoidea, 246 = 34,2 pCt. eine ausgesprochene Erkrankung der
Thyreoidea. Nur 7 von diesen Frauen zeigten erhebliche Störungen
unter der Geburt; bei einer musste wegen schwerster Dyspnoe bei
Struma substernalis die Zwillingsschwangerschaft im siebenten Monat
durch vaginalen Kaiserschnitt unterbrochen werden. Von 14 vor der
Schwangerschaft wegen Struma operierten Frauen kam es bei 8 Erst¬
gebärenden zweimal, bei sechs Mehrgebärenden viermal in der Gravidi¬
tät zum Recidiv. Neun Kinder wurden mit Struma congenita geboren,
zwei von ihnen in Gesichtslage.
Persson-Sundsvall: Eelampsia gravidarum nadParesis paerperalis.
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Die Paresis puerperalis der Kühe
und die Eklampsie werden wahrscheinlich durch im Blute retiuierte,
milchbildende Substanzen hervorgerufen. Wiederholte Ausmelkungen
der Mamma können bei drohender Puerperaleklampsie als Prophylakticum,
bei ausgebrochener heilend wirken. Auch die Jodkaliumzufuhr scheint
günstig zu wirken; diese beruht darauf, dass die Viscosität des Blutes
herabgesetzt wird. Zufuhr von Chlornatrium ist, als die Viscosität
steigernd, contraindiziert. L. Zuntz.
R. Th. Jaschke - Giessen: Verwendung des Narkopbins in der
GebDrtshilfe. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) In den
meisten Fällen trat Stunde nach der Injektion Schläfrigkeit ein; die
Frauen überkam eine angenehme Schlaffheit; schon nach einer halben
Stunde wurden die Wehen weniger schmerzhaft und die Frauen äusserten
keinerlei Schmerzen. Die Wehen blieben unverändert kräftig, aber
weniger sehmerzbaft. Nachblutungen oder Störungen im Wochenbett
kamen nicht zur Beobachtung. Dünner.
Bretschneider - Leipzig: Beitrag zur kongenitalen Dystopie der
Niere (Beckennierc). (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Bei der be¬
treffenden Patientin wurde die Laparotomie unter der Diagnose Ex¬
trauteringravidität vorgenommen. Es fand sich ein retrouteriner Tumor.
Bei dem Versuch der Ausschälung kam es zu einer so profusen Blutung,
dass man ihrer nur durch schnellste Ausschälung des Tumors und Unter¬
bindung des Stiels Herr werden konnte. Die Untersuchung des Tumors er¬
gab eine Niere mit beginnender Hydronephrose. Da die andere Niere
normal war, war die Exstirpation unbedenklich. Man muss aber mit der
Exstirpation von Beckennieren sehr zurückhaltend sein, da häufig die
andere Niere verändert ist oder fehlt. Die Diagnose auf Beckenniere
kann eventuell erleichtert werden durch Röntgenphotographie bei in die
Uretheren eingeführten Kathetern mit Metallmandrins. L. Zuntz.
A. Theilhaber - München: Die Prophylaxe der Cardnome.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Als häufigste Ursache für die
Entstehung des Krebses ist wohl eine hochgradige Atrophie des sub-
epitbelialen Bindegewebes mit Schrumpfung der Bindegewebszellen, Ver¬
minderung ihrer Zahl und Stenose der Blutgefässe anzusehen. In der
Mehrzahl der Fälle wird diese Bindegewebserkrankung bedingt durch
Traumen, Narben und chronische Entzündungen. Wenn es möglich ist,
die Erkrankung des Bindegewebes rechtzeitig zu heilen, seine Ernährung
zu bessern, so wird man häufig die „carcinoraatöse Degeneration“ ver¬
hindern können. So z. B. ist jede Verletzung der Mamma so lange
energisch zu behandeln (Massage, Saugglocke, Heissluft, Diathermie), bis
jede Spur von Schwellung und Empfindlichkeit geschwunden ist. Um
Reoidive nach Carcinomoperationen zu verhindern, sind die durch das
Messer bedingten Narben auch als traumatische Narben aufzufassen und
ebenso zu behandeln, P. Hirsch.
E. Bumm: Zur Frage der WindverflOrgBBg bei der Radikal-
operation des Carcinoma colli nteri. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913,
Nr. 1.) Die Mortalität bei dieser Operation war früher unter 128 Fällen
29,7 pCt., Verf. schiebt dies wenig gute Resultat zumeist auf die un¬
günstige Einwirkung der Tamponade. Nachdem er diese fortliess, sank
die Mortalität bei 131 Fällen auf 21 pCt. Er ging nun dazu über, einen
möglichst festen Abschluss der Bauchhöhle durch doppelte Peritoneal¬
naht gegen die Vagina zu bewirken, eine gründliche Blutstillung und
Bedeckung aller Wunden mit Peritoneum durchzuführen, und so gelang
es, die Mortalität auf 6 pCt. herabzudrücken, was man noch vor wenigen
Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Bakteriologische Untersuchungen
wiesen nach, dass das Peritoneum sogar mit Streptokokken fertig wird,
und dass alles darauf ankomrat, dass diese, wie sonstige Infektionskeime
keinen günstigen Nährboden finden, wie er ihnen in Sekretstauung durch
Nachblutungen usw. geliefert wird. Dazu kommen noch viele andere
Dinge, auf welche peinlichst zu achten ist, wie namentlich der Wund¬
schutz und die Vorbereitung, bei welcher besonders wichtig ist, dass das
Carcinom abgeschabt oder excidiert und mit Paquelin verschorft wird,
sowie, dass die Scheide mit Sublimatalkohol abgespült und mit lOproz.
Argent. nitr.-Lösung geätzt wird so lange, bis sie eine graue Farbe an-
nirnmt. Endlich werden noch eingehende Vorschriften darüber gegeben,
wie man sich während der Operation vor Infektion des Operationsgebietes
zu schützen hat, und wie die extraperitonealen Wunden zu schützen
sind, und wie Neben Verletzungen zu vermeiden sind. Siefart.
F. Orthner - Ried i. I.: Zur Kasuistik der PfihliBgsverletZBBgei.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) 0. hat einen Fall von
Pfählungsverletzung bei einer 19 jährigen Patientin beobachtet, wobei es
zur Perforation in den hinteren Douglas kam. Die Patientin wurde
durch Spülungen vom Mastdarm aus und Drainage geheilt. Der Fall
zeigt, dass die Bakterienflora des gesunden Darmes für das Peritoneum
nicht so gefährlich* ist, als man im allgemeinen annimmt, und dass ein
expektatives Verhalten mitunter gerechtfertigt ist. P. Hirsch.
Augenheilkunde.
A. Vogt - Aarau: Einige Messungen der Diatkermansie des mensch¬
lichen Augapfels und seiner Medien, sowie des menschlichen Oberlides,
nebst Bemerkungen zur biologischen Wirknng des Ultrarot. (Graefe’s
Archiv, Bd. 83, H. 1.) Untersuchungen an fünf noimalen, bald p. m.
enucleierten menschlichen Augen mittels der Thermosäule und einem
hochempfindlichen Engelmann’schen Galvanometer. V. fand, dass der
grösste Teil des zur Retina gelangenden Glühlampenlichtes, nämlich 80
bis 90pCt., dunkle Wärmestrahlen sind; von dieser Strahlung absorbiert
Glas nichts, wohl aber einen sehr beträchtlichen Teil des langwelligeren,
das Auge nicht penetrierenden Ultrarot. Von der gesamten den Bulbus
treffenden Strahlung der Glühlampe erreichen etwa 28 pCt. die Retina.
Von den die Cornea durchdringenden 20—25 pCt. sind 4 /$ dunkel, und
das Kammerwasser absorbiert 30—20 pCt. des Lichts, das die Cornea
passierte. Cornea, Iris und Linse lassen nur noch etwa 6 pCt. der auf
den Bulbus auffallenden Strahlung durch. Die Iris absorbiert 60 pCt.
des zu ihr gelangenden Lichts, die Linse 30 pCt., der Glaskörper doppelt
so viel wie Cornea, Kammerwasser, Iris und Linse zusammen, die Sclera
so viel wie die Cornea, der Tarsalteil des Oberlids 6 pCt. Isolierte Be¬
strahlung der Lider, besonders der Haut, temporal vom Lidcanthus er¬
zeugt Pupillenreaktion, reines Ultrarot aber nicht. Den Frübjahrs-
katarrh hält V. für eine Wärme-, nicht für eine Lichtaffektion. Von der
auffallenden Strahlung gelangt 1 pCt. in die Orbita, 90 pCt. davon sind
ultrarot. Das unsere Augenmedien durchdringende Ultrarot ist um so
reichlicher vorhonden, je höher die Temperatur der Lichtquelle ist.
Höhere Intensitäten langwelligen Ultrarots wirken toxisch auf die äusseren
Augenteile, kurzwelligen auf die Iris.
Clausen: Aetiologische, experimentelle und therapeutische Beiträge
zur Kenntnis der Keratitis iflterstitialis. (Graefe’s' Archiv, Bd. 83,
H. 3.) Von 82 Fällen parenchymatöser Keratitis hatten 69 (84,15 pCt)
positive Wassermann-Reaktion; von den Testierenden 13 sind noch 5 auf
hereditäre Lues zurückzuführen. Die Lues war bei 9 Patienten acqui-
riert = 10,98 pCt., bei 65 = 79,27 pCt. ererbt. Bei den letzteren
handelt es sich 5 mal um Recidive, 17 mal war die positive Wassermann-
Reaktion das einzige die Lues beweisende Symptom. Die Iris war in
12 Fällen mitbeteiligt, Chorio-Retinitis fand sich 3 mal, Störungen und
Hemmungen im Körperwachstum 18 mal, Hutchinson’sche Zähne 10 mal,
Anomalien in Gesichts- und Schädelbildung 9 mal usw. Die Hutchinson-
sche Trias fand CI. nur 3 mal; er erwähnt noch zahlreiche andere Kom¬
plikationen. Im Kammerwasser fand CI. keine Spirochäten — ein Be¬
weis gegen die Endothelialtheorie von der Entstehung der Keratitis
interstitialis. Die Verimpfung menschlichen Kammerwassers Luetischer
auf Kaninchenaugen erzeugt keine luetischen Veränderungen. In der
Cornea finden sich keine Spirochäten bei Keratitis interstitialis, die also
den sogenannten metasyphilitischen Erkrankungen zuzurechnen ist.
Wenn auch nach Ueberimpfung syphilitischen Materials in die Cornea
bzw. vordere Kammer bei Kaninchen und Affen eine Keratitis inter¬
stitialis mit positivem Spirochätenbefund zur Folge haben, so ist diese
doch mit der menschlichen Keratitis interstitialis nicht in Parallele zu
setzen. Die Keratitis interstitialis beruht auf einer durch Peri- und
Endovasculitis der Gefässe des Randschlingennetzes bedingten Ernäh¬
rungsstörung der Cornea. Auch in den durch Tuberkulose hervor-
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
223
gerufenen Fällen von Keratitis interstitialis ist es nicht die Einwande¬
rung der Erreger in die Cornea, die die Entzündung verursacht, sondern
es sind ihre Toxine. In den seltenen Fällen, in denen Salvarsan die Ent¬
zündung günstig beeinflusst, ist es nicht die spezifische Therapie, sondern
die roborierende Wirkung der im Salvarsan vorhandenen As-Komponente,
die den Erfolg bedingt. Vor allem ist für günstige LebeusbedingungeD,
Kräftigung und Hebung des Allgemeinzustandes zu sorgen, dann erst
tritt die antiluetische bzw. antituberkulöse Kur in ihre Rechte. CI. sah
Aufhellung sehr derber Narben durch Keratoplastik.
K. Steindorff.
Höhl - München: Zur Kenntnis der Neosalvarsauwirkiug bei
Keratitis pareuchymatasa. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.)
Die von Rosenmeyer angewandte lokale Behandlung der Keratitis
parenchymatosa wurde von H. in 7 Fällen nachgeprüft; er träufelte
zweimal täglich 1—2 Tropfen einer 2Y*proz. Neosalvarsanlösung ein.
Io keinem der Fälle war eine günstige Beeinflussung bzw. Beschleuni¬
gung des Heilungsprozesses nachweisbar. Dünner.
Horovitz-Berlin: Der Einfluss von Ceeaia and Homatropin auf
Akkommodation and Popilleugrösse. (Zeitscbr. f. Augenheilk., Dezember
1912.) An einem gesiebten Material wurde die Wirksamkeit der genau
dosierten Tabloids (Burroughs, Wellcome and Co.) von Cocain und
Homatropin geprüft. Es handelte sich hauptsächlich um die Feststellung
der zeitlichen Beziehungen zwischen Beginn, Maximum und Abklingen
der Mydriasis uod der Akkommodationslähmung. Das Akkommodometer
von Adam wurde verwendet. Das Cocain führt immer eine Akkommo¬
dationslähmung herbei, die bei grossen Dosen total sein kann. Die
Mydriasis setzt nach kurzer Latenz mit der Akkommodationslähmung
ein, erreicht nach ihr den Höhepunkt und besteht noch, wenn die
Akkommodationslähmung abnimmt. Die Mydriasis ist bei starker Dosis
dem Maximum genähert, erreicht es jedoch nicht. Homatropin bringt
eine Lähmung der Akkommodation bis zu 25 Stunden hervor. Bei
grösserer Dosis wird immer totale Akkommodationslähmung erzeugt. Die
Mydriasis beginnt ebenfalls wie bei Cocain mit der Akkommodations¬
lähmung, reicht aber über das Ende derselben um 1—2 Stunden hinaus.
Die Versuche ergaben auch die Möglichkeit der Erhöhung der Akkommo¬
dationsbreite durch intensive Uebung. Der Zusammenhang zwischen
Akkommodationsbreite und Refraktion ist nur kurz gestreift.
G. Erlanger.
B. Stoelting: Ueber die innere Seleralruptur nebst Bemerkungen
über den Riugabseess. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.)
Veröffentlichung von zwei Fällen.
A. Lutz: Ueber einen Fall von Mitbeweging des Oberlides, die
auch willkürlich hervorgerufen werden kann. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬
heilk., Januar 1913.) Der vom Verf. veröffentlichte Fall des 27jährigen
Patienten hat 1. gemein mit der Mehrzahl der bisher beschriebenen
Fälle, a) dass es sich wahrscheinlich um ein angeborenes Leiden handelt,
b) dass Ptosis und Paresis eines anderen Hirnnerven vorhanden ist,
und dass die Prinzipalbewegungen keinen Einfluss besitzen, c) die reflex¬
artige, nicht zu unterdrückende Auslösung der Mitbewegung; 2. unter¬
scheidet er sich von allen bisher beschriebenen durch die Fähigkeit, die
Mitbewegung willkürlich hervorzurufen.
Landolt: Behandlung der Divergenz durch überkorrigierende
Konkavgläser. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Weit
bessere Erfolge als mit den Prismenbrillen lassen sich mit Konkavgläsern
erzielen, welche stärker sind, als der Refraktion der Augen entspricht,
und die durch die dadurch vermehrte Akkommodationsanstrengung auch
einen stärkeren Konvergenzimpuls zur Folge haben. Diese Behandlung
kann vollen Erfolg haben, nicht nur bei Insuffizienz der Konvergenz,
sondern auch bei Strabismus divergens. Das Tragen der überkorrigierten
Gläser brachte keinen Schaden. Eine Emmetropie wird dadurch nicht
in Myopie verwandelt, eine Myopie durchaus nicht vergrössert.
G. Weill*. Ueber Operation des Altersstares mit der Lause. (Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Auf Grund von 50 mit der
Lanze extrahierten Staren rät Verf., das Verfahren nachzuprüfen. Die
Wundlippen waren meist nach einigen Stunden glatt angelegt, die
vordere Kammer normal, das Auge nach wenigen Tagen vollkommen
reizlos. Die Lanze wird an der Grenze zwischen Hornhaut und Leder¬
haut angesetzt und möglichst weit in die vordere Kammer eingefübrt.
Daon wird die Lanze nicht mehr auf demselben Wege herausgezogen,
sondern es wird beim Ausziehen der Schnitt in der Hornhautbasis so
weit verlängert, bis er die gewünschte Ausdehnung hat.
F. Mendel.
G. Bebr: Besteht beim Menschen ein Abfluss aus dem Glaskörper
in den Sehnerven? (Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 3.) Injektionen von
Tusche und Methylenblau in den Glaskörper menschlicher Augen, die
der Enucleation verfallen waren, zwingen zu der Annahme, dass beim
Menschen eine Kommunikation zwischen N. opt. und Corpus vitreum
fehlt. Auch Injektionsversuche an Leichen und klinische Beobachtungen
sprechen gegen die Existenz eines solchen Abflussweges.
Liebrecht: Sehädelbrueh und Sehnerv. (Graefe’s Archiv, Bd. 83,
H. 3.) In 5 Fällen sah L. Papillenschwellung nach Schädelbrucb; sie
erscheint meist erst eine Reibe von Tagen nach dem Unfall. Sehr häufig
zeigen sich ausgedehnte Blutungen und weisse Herde auf und neben der
Papille nach längerem Bestehen der Stauungspapille. L. beobachtete
ferner in 3 Fällen doppelseitige Schädigung des Sehnerven bzw. des
Chiasma naeh Schädelbruch. K. Steindorff.
A. Purtseher: Thrombose der Centralvene und metastatische
Ophthalmie. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Bei der
70 jährigen Patientin war eine Thrombose des unteren Astes der Central-
vene auf dem linken Auge eingetreten. Später erkrankte sie an einer
croupösen Pneumonie des linken Unterlappens, und im Anschluss daran
entwickelte sich auf dem linken Auge eine regelrechte Panopbthalmie,
zu welcher sich ein ganz typischer Ringabscess der Hornhaut gesellte.
Cramer-Cottbus: Neuritis bnlbaris mit achttägiger Amaurose und
schwersten Gehirnerscbeinungen als Folge von infektiöser multipler
Neuritis. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Der 36jährige
Patient hatte Erbrechen, heftigste Kopfschmerzen, die temporalen
Pupillenhälften waren erheblich abgeblasst, keine Spur von Sehnen¬
reflexen, vollständiges Fehlen des Knie- und Achillessebnenreflexes. Die
Krankengeschichte ergibt die Gewissheit, dass die Annahme einer rasch
wachsenden Gehirngeschwulst eine irrige war, da alle sichtbaren Seh¬
nervenerscheinungen fehlten. Verf. glaubt den Fall für einen solchen
von mit ungewöhnlich schweren Gehirnerscheinungen verbundener multipler
Neuritis zu erklären, bei dem die Herde in den Sehnerven am längsten
Bestand hatten und daher dauernde Störungen zurückliessen.
F. Mendel.
H. Rönne: Zur pathologischen Anatomie der Sehnerven-Chiasma-
leiden bei akuter disseminierter Sklerose. (Graefe’s Archiv, Bd. 83,
H. 3.) Die wichtigste Augenkomplikation bei akuter Myelitis und bei
multipler Sklerose ist eine akute retrobulbäre Sehnervenentzündung,
deren besondere Eigentümlichkeiten bei beiden Nervenleiden dieselben
sind; die Differenzen spielen demgegenüber keine Rolle. Das Sehnerven¬
leiden ist in beiden Fällen eine Lokalisation des Prozesses in der Seh¬
bahn und nicht etwa eine Komplikation. Die Identität oder wenigstens
nahe Verwandtschaft der Opticusaffektion bei beiden Nervenkrankheiten
rückt diese auch in der neurologischen Systematik einander näher.
Löh lein: Ueber Blntuntersuchungen hei Glaukomkraukeu.
(Graefe’s Archiv, Bd. 83, H. 3.) Weder mit den chemischen Methoden
noch mit der Froschbulbusreaktion fand L. bei 20 verschiedenartigen
Fällen von primärem Glaukom den Adrenalingehalt des Blutserums
verändert. Klecykowski’s entgegengesetzte Ergebnisse beruhen auf
Nichtberücksichtigung der vielen Fehlerquellen, die bei diesen Unter¬
suchungen unterlaufen können. K. Steindorff.
Birch-Hirschfeld - Leipzig: Zum Kapitel der Sonneublenduig.
(Zeitschr. f. Augenheilk., Dezember 1912.) Im Original zu lesen.
G. Erlanger.
W. Reitsch: Zur Lagebestimmung im Augenhintergrund. (Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Verf. hat einen Apparat, der
ähnlich gebaut ist wie ein Perimeter, konstruiert.
B. Agricola und 0. Thies: Zur Kenntnis der seknnd&ren Netz-
hanttnberkulose. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Januar 1913.) Verf.
stellt sich die Vorgänge — schematisiert — etwa folgendermaassen vor:
ln der äussersten Peripherie findet ein Uebergreifen des Prozesses von
der Aderhaut oder dem Ciliarkörper aus auf die Netzhaut statt. In
leichten Fällen werden die anatomischen Veränderungen auf die Stelle
der Uebertragung beschränkt bleiben. Aber die von dem Herd während
der Dauer seiner Aktivität abgeschiedenen Toxine werden ihre schädigende
Wirkung in weiterem Umkreis entfalten, und zwar hauptsächlich an den
feinsten, leicht lädierbaren Gefässendigungen. In Fällen schwererer
Infektion mit reichlicherer Produktion von Toxinen werden diese nicht
nur in die Saftlücken der Peripherie abströmen, sondern bald von dem
Lymphstrom der Gefässwandungen erfasst und centralwärts geführt werden.
F. Mendel.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Behr,
Bedeutung der Pupillenstörungen für die Herddiagnose der homonymen
Hemianopsie und ihre Beziehungen zur Theorie der Pupillenbewegung.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Herzog-München: Kritisches zur Verkürzung der Knochenleitnng
bei normalem Gehör. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1 u. 2.)
Der Symptomenkomplex „Verkürzung der Knochenleitung bei normalem
Gehör“ ist weder pathologisch-anatomisch noch klinisch genügend be¬
gründet. Verkürzung der Knochenleitungsdauer vom Scheitel (für tiefe
Stimmgabel A) mag nach Schädeltraumen Vorkommen. Bei ihrer dia¬
gnostischen Verwertung für intracranielle Erkrankungen, insbesondere
in Fällen mit mangelnden objektiven Symptomen des Central nerven-
systems, ist Vorsicht geboten, da derartige Verkürzungen der Leitungs¬
dauer nach kürzerer oder längerer Zeit vollkommen verschwinden können,
da die Verkürzung der Knochenleitung ein Frübsymptom einer Erkran¬
kung des inneren Ohres (labyrinthäre Schwerhörigkeit) darstellen kann.
Dünner.
A. Zografides-Athen: Bilaterales Ecchondrom der Ohrmuschel.
(Wiener klin. Wochenschrift, 1918, Nr. 1.) Bei dem 12 jährigen Mäd¬
chen trat ein Jahr vor Z.’s Beobachtung symmetrische Abscessbildung
an den Ohrmuscheln auf, nach deren Inzision sich die etwa taubenei¬
grossen Tumoren bildeten. Der Fall ist sehr selten.
P. Hirsch.
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UNIVERSUM OF IOWA
224
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Hygiene und Sanitätswesen.
Siehe auch Kiuderheilkuude: v. Planta, Akklimatisation und
Hygiene des kranken Kindes in den Hochalpen. Lawatsshek, Prognose
der Säuglingstuberkulose.
Technik.
Harmsen: Radfahren unter aktiver Beteiligung eines Beines mit
steifem Kniegelenk. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.)
Dünner.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr Hotter.
Vorsitzender: lob habe der Gesellschaft mitzuteilen, dass gestern
unser Mitglied, Herr Heubner, seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Es
ist ihm eine Glückwunschdepescbe gesandt worden, da er Berlin ver¬
lassen batte.
In der vorigen Sitzung der Aufnahmekommission sind folgende
16 Doktoren aufgenommen: Bernhard Berliner, Erich Leschke,
Willy Katz, Frank, Adolf Levy, Neumann, Mai Wunsch,
A. Weber, Geh. Regierungsrat, Hans Sachs, Erich Stern, Max
Ehrenreich, Albert Kowarsky, Kirchberg, Georg Eisner,
Rudolf Schilling, Richard Peters.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Krane:
Demonstratio! einer Frnn mit intrathorakalem Tnmor.
54jährige Arbeiterfrau. Wassermann’sche Probe mit drei Plus¬
zeichen. Sechsmal abortiert. Schon seit 10 Jahren krank, häufig Luft¬
mangel, trockener Husten; sehr wechselndes Befinden. Bedenkliche Zu¬
nahme der Beschwerden im Juli 1912. Seither auch auffallendes
Schwanken des Körpergewichts: 10 kg Abnahme, dann wieder Zunahme
um 6 kg, usw.
Die Betrachtung der Patientin lehrte sofort, dass ein wachsendes
Etwas im Thoraxinnern sein müsse. Bei der Aufnahme fand sich sehr
ausgeprägt der sogenannte Stokes’sche Kragen, jetzt ist dieses Symptom
etwas zurückgegangen. Unverändert besteht eine collaterale Ausdehnung
auch der subcutanen Bauch- (teilweise der Oberschenkel-) Venen, ent¬
sprechend dem Gebiet der uuteren Hohlader. Also (der Intensität nach
wechselnd) starke Kompression der Venae cavae im Thorax. Der Druck
in der Brachialvene beträgt bei der Patientin 190 Aq. (gegenüber 40
bis 80 der Norm). Keine Vorwölbung, keine pulsierende Stelle an der
Brust. Kein Oliver-Cardarelli. Stimmbänder normal. Rigide Ar¬
terien, ziemlich stark erhöhter arterieller Druck. Perkussorisch: Um¬
schriebene relative Dämpfung rechts vorn und hinten. Leber weder
verlagert noch vergrössert, kein Tumor in hepate. Während der kli¬
nischen Beobachtung ist ein kleiner pleuraler Erguss rechts aufge¬
treten; die Probepunktion wurde zur Ursache, dass noch eine Luftblase
hinzukam.
Sehr aufklärend ist nun in diesem Falle die Röntgenuntersuchung
gewesen. (Demonstration.) Die sagittane Durcbstrahlung von vorn nach
hinten ergab nicht viel mehr wie die Perkussion. Viel lehrreicher waren
die schrägen Durchleuchtungen.
Im ersten schrägen Durchmesser (Holzknecht) sieht man sofort
die Geschwulst. Sie erkennen auch gleich die Kugelform; die Schirm¬
untersuchung überzeugt uns, dass eine bei der Respiration schwach
„erzitternde“ Blase vorliegt. Der Tumor liegt ganz unten im hellen
Mittelfeld neben und hinter dem Herzschatten, oben ist das Helle des
Mittelfeldes erhalten, man sieht da etwas wie eine Adhäsion. Die Kugel¬
geschwulst scheint einen „Stiel“ (?) zu haben, der zum Zwerchfell
(Leberschatten) geht. „Stiel“ ist natürlich Deutungssache. Die Kugel
ist bei verschiedenen Durchleuchtungen in nicht völlig denselben Durch¬
messern entsprechenden Richtungen immer bestimmter hervorgetreten.
Das Aortenband lässt sich gut zur Darstellung bringen, es sieht ganz
normal aus, zum Tumor hat es keine Beziehung. Die „Blase“ pulsiert
nicht. Man gewinnt ferner den Eindruck, dass die fragliche Kugel an
verschiedenen Tagen den Platz und die Form ein wenig wechselt (fort¬
laufende Durchleuchtungen). Die „Blase“ ist gewöhnlich in dieser An¬
sicht etwas platt gedrückt; ihr Schatten ist central viel weniger dicht
als am Rande.
Auch die Durchleuchtung im vierten schrägen Durchmesser (Holz-
knecht), den ich für viele Dinge (besonders für die Oesophagusunter-
suchung im untersten Abschnitt) bevorzuge, ergibt das Vorhandensein
der Blase, nur der Blase, nichts vom „Stiel“. Der Herzschatten (das
Herz) nach vorn, rechts verlagert, schwimmt im Schatten des Ergusses.
Es ist nicht zu erkennen, dass die ganz eigenartig begrenzte „Blase“
(kugelige Geschwulst) zum Herzen Beziehungen hat. Den (mit Bismut
gefüllten) Oesophagus sehen Sie an dem Turaorschatten (links) ge¬
schlängelt herablaufen; die Speiseröhre im oberen Abschnitt ist diffus
dilatiert. Ein Zusammenhang ist ausgeschlossen. Der Schatten der
kugeligen „Blase“ ist nicht gleich dicht; unten (Sedimentierung?) ist er
viel dichter. Das Zwerchfell sieht eingedrückt aus.
Es gibt natürlich im Thorax auch „kugelrunde“ (nach dem Röntgen¬
schatten beurteilt) solide Tumoren. Beispiele: (sekundäre) Sarkome
(Demonstration), Dermoide. Die Lungen- (Bronchial-)Carcinome sehen aber
(gewöhnlich) ganz anders und recht charakteristisch aus. Die Geschwulst
unserer Patientin, die der Hauptsache nach im Mitlelfellraum (hi) liegen
wird, macht den bestimmten Eindruck einer hohlen Kugel („Blase“).
Für ein Aortenaneurysma spricht nichts. Die Speiseröhre kann auch
nicht in Betracht kommen. Dass ein Aneurysma cordis (rechte Kammer)
vorliegt, ist nach Krankheitsgeschichte, physiologischem Befund und
Röntgenuntersuchung unwahrscheinlich. Dermoide kenne ich bloss im
oberen Abschnitt des vorderen Mediastinums. Die kugelige „Blase“,
der eigentümliche Kontur und die „zitternde“ Beweglichkeit beim Atmen
usw. lassen am ehesten an Echinococcus denken.
Ich zeige Ihnen hier andere Platten von verschiedenen intrathora¬
kalen Echinokokken, die in meiner Klinik beobachtet worden sind (De¬
monstration eines von Herrn Hildebrand erfolgreich operierten Echino¬
coccus der rechten Lunge und eines solchen mit ausgehusteten Blasen
in der linken Lunge, glücklich geheilt durch eine Operation v. Berg-
mann’s). Ich sah übrigens auch einen Leberechinococcus mit tödlichen
Lungenblutungen. Die rechte Lunge schien frei. Links an der Basis
eine Dämpfung und ein nicht scharf konturierter Schatten. In den
ersten beiden Fällen ist, wie Sie erkennen, das Röntgenbild höchst
charakteristisch.
Wir haben natürlich versucht, dem Vorhandensein eines Echino¬
coccus noch in anderer Weise näherzukommen. Das Blut enthält
6pCt. Eosinophile. Damit ist nichts anzufangen. Die Probe von Wein¬
berg und Ghedini (Komplementbindung) ist mit dem Blute negativ,
was natürlich nichts entscheidend beweist. Als die Patientin das Ex¬
sudat bekam, wurde dieselbe Probe mit dem Erguss gemacht. Da fiel
sie unzweifelhaft positiv aus. Mangels Erfahrungen mit Exsudaten usw.
ist dieser positive Ausfall leider nicht zu verwerten.
Die Diagnose muss in unserem Fall forciert werden, denn es hängt
vielleicht das Schicksal der Patientin davon ab. Zieht man alle Schlüsse
aus dem Befunde, muss der Echinococcus diagnostiziert werden. Aber
bitte: dekapitieren Sie mich nicht, wenn nicht alles so genau stimmt.
Bei denen, die Aehnliches gesehen, möchte ich gern hier ein Consilium
profitieren.
Diskussion.
Hr. Orth: Ist schon an die Operation gedacht, Herr Kollege
Kraus?
Hr. Kraus: Ja freilich; aber bevor sie mit Zustimmung der
Patientin gemacht ist, möchte ich lieber nichts darüber sagen.
Hr. Fuld: Es ist im Jahre 1908 von de Renzi publiziert worden,
dass innerliche Darreichungen von Extractum filicis auch bei Echino¬
coccus erfolgreich ist. Ich möchte Herrn Kraus fragen, ob er diese
Behandlungsweise in Aussicht genommen hat?
Hr. Kraus: Ich werde vielleicht der Anregung des Herrn Fuld
folgen.
Tagesordnung.
Hr. C. S. Engel:
Demonstration der Wirknng der Venenstanung auf die Palsknrven
Herzkranker. (Kurzer Vortrag mit Projektionen.)
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Hr. Frevel -Heiden:
Die Behandlong schwerster Formen von Ataxie hei Tabes.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Leo: Hat Herr Frenkel bei seinem grossen Tabesmaterial
den Eindruck gewonnen, dass eine im Anfangsstadium der Tabes vor¬
genommene gründliche antiluetische Kur den Ausbruch schwerer Ataxie
verhüten kann?
Hr. Eckstein: Ich möchte nur ein paar Worte zu der Behandlung
mit orthopädischen Apparaten sagen. Was Herr Frenkel da gesagt hat,
war mir aus der Seele gesprochen. Ich glaube, dass diese Behandlung
sich ausserordentlich nützlich erweist, vor allem bei Hypotonie der
Gelenke.
Ich möchte aber bemerken, dass diese Behandlung keineswegs ganz
neu ist. Ich erinnere mich eines Falles aus der Praxis des verstorbenen
Orthopäden Beely. Es handelte sich da um einen General mit schweren
Genua recurvata, die fast bis zum rechten Winkel gestreckt werden
konnten, der vollkommen gehunfähig geworden war und durch ortho¬
pädische Apparate, die er von Beely vor Jahrzehnten erhielt, und mit
denen er immerhin 78 Jahre alt geworden ist, wieder recht gut zum
Gehen gebracht werden konnte.
Ich glaube, dass speziell bei den Knie- und Fussgelenken die
Schädigungen durch die übertriebenen Bewegungen sich auf diese Weise
leicht vermeiden lassen. Aber auch bei den anderen spezifisch tabischen
Gelenkerkrankungen — die allerdings in das Thema der Herrn Vortr-
tragenden nicht hineingehören, und die ich deswegen nur ganz kurz
streifen möchte — nämlich bei den tabischen Arthropathien haben sich
alle chirurgischen Eingriffe, die man zur Beseitigung der oft kolossalen
Ergüsse und Deformitäten angewandt hat, als vergeblich erwiesen, wo¬
gegen sich die Behandlung mit orhopädischen Apparaten ausgezeichnet
bewährt hat.
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UNIVERSUM OF IOWA
3 Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
225
Herr Frenke 1 hat sich gewundert, dass das Genu recurvatum, wenn
er es in Apparaten behandelt hat, sich nachher besserte. Ich finde das
weniger auffällig, finden wir dabei doch eine ausserordentliche Schlaffheit
der Gelenkkapsel, die zu gleicher Zeit auch kombiniert sein muss mit
einer Ueberdehnung der Muskulatur, die die Kniegelenke beugt. Wenn
wir hier ähnlich so, wie wir es in der Orthopädie bei der Korrektur der
Deformitäten speziell an den Füssen durch Redressement machen, den
überdehnten Muskeln gestatten, sich wieder entsprechend zu kontra¬
hieren, dann sehen wir eine Besserung der Deformitäten, die sich dann
aufrecht erhalten lässt. So wird wohl auch beim tabischen Kniegelenk,
dem man längere Zeit hindurch keine pathologischen Exkursionen ge¬
stattet, eine Schrumpfung der Kapsel und eine Verkürzung und damit
kräftigere Funktion der Beugemuskeln ein treten, die im Sinne einer
Heilung wirken muss.
Hr. Frenkel-Heiden (Schlusswort): Ich möchte nur auf die
Frage des Herrn Leo antworten, dass er damit ja die schwierigste von
allen Tabesfragen angeschnitten hat. Ich muss sagen, ich weiss es nicht;
ich glaube aber, dass eine antiluetische Behandlung mit Mitteln, wie
wir sie bis jetzt angewandt haben, nämlich mit Jod und Quecksilber,
dem Ausbruch der Ataxie nicht Vorbeugen kann, und zwar auf Grund
ron ein paar Fällen, die jahrelang von dem Moment der Infektion an
von Fournier, also gewiss einem strengen Mercurialisten, ununter¬
brochen behandelt worden sind, und bei denen ich die schwersten
ataktischen Zustände habe entstehen sehen. Ob sich die Erfolge nun
bei der Salvarsantherapie bessern werden, weiss ich nicht, aber jeden¬
falls ist jede prinzipielle Ablehnung dieser Therapie meiner Ansicht nach
nicht zu verantworten.
Gesellschaft der Charltd-Aerzte.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Dezember 1912.
(Schluss.)
4. Hr. Ohse:
Eatxfiadliehe Adnexerkraakoagea, ihre Behaadlaag nad Resultate.
Der gewaltige Aufschwung der operativen Technik hatte in der
Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zum weit¬
gehendsten Radikalismus in der operatiren Behandlung entzündlicher
Adnexerkraukungen geführt. Die erzielten Erfolge entsprachen jedoch
nicht den gehegten Erwartungen, und die Veröffentlichungen der folgenden
Jahre brachten den auch heute allgemein gültigen Standpunkt zur
Anerkennung, dass neben operativem Vorgehen auch andere therapeu¬
tische Maassnahmen konservativer Natur eine sehr gewichtige, ja wohl
die wichtigste Rolle als Heilfaktor spielen.
Auf Grund der gemachten Erfahrungen bat sich eine strengere In¬
dikationsstellung für das operative Handeln zugunsten der organschonen¬
den konservativen Therapie herausgebildet
Der in der Frage der Behandlung entzündlicher Adnextumoren an
hiesiger Klinik vertretene Standpunkt ist folgender:
Zwingen nicht Symptome allgemein peritonitischer ReizuDg oder der
Verdacht auf eine gleichzeitig bestehende Appendicitis zur sofortigen
Operation, so ist die Behandlung zunächst eine konservative.
Erst das Versagen oder die Unmöglichkeit der Durchführung einer
sachgemässen konservativen Krankenhausbehandlung gibt die Indikation
zur Operation ab.
Die Ursachen, welche die Durchführung einer konservativen Kur
hindern, sind häufig sozialer Natur; jedoch spielt auch die Ungeduld der
Patientinnen und der bei der Grossstadtbevölkerung nicht allzu selten
beobachtete Arztwechsel eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Bezüglich der Frage der Gefährlichkeit der Operation ist es von
ausschlaggebender Bedeutung, ob in den erkrankten und zu entfernenden
Adoexen noch virulenter Eiter oder virulente Keime vorhanden sind, und
in diesem Punkte bewegt sich unser diagnostisches Können noch in sehr
bescheidenen Grenzen.
Die Leukocytenzählung hat den gehegten Hoffnungen nicht ent¬
sprochen. Sie versagt völlig, wenn der Eiter längere Zeit in der Tube
eingeschlossen und das herumliegende Gewebe weniger beteiligt ist. Im
allgemeinen wird man sagen können, dass ein positiver Leukocytenbefund
die Anwesenheit virulenter Eiteransammlung vermuten lässt, während
ein negativer Befund das Vorhandensein von infektiösem Eiter nicht
ausschliesst und nicht zur Annahme von Avirulenz berechtigt.
Die von anderer Seite vorgeschlagene Probepunktion zwecks bak¬
teriologischer Untersuchung muss als nicht ganz ungefährlich abgelehnt
werden; denn niemals kann die Gefahr der sekundären Injektion oder
peritonealer Ausbreitung eines vorhandenen infektiösen Prozesses sicher
ausgeschaltet werden.
Ob auf serologischem Wege oder durch Einspritzung von Bakterien¬
vaccinen zur Hervorrufung von Herdreaktionen in dieser Beziehung
Fortschritte gemacht werden können, wage ich zurzeit nicht zu ent¬
scheiden.
Der einzige Anhaltspunkt ist für uns die genaue Beobachtung der
Körpertemperatur. Bleibt diese in einer Reihe von Tagen trotz mehr¬
facher Untersuchungen und bei körperlicher Bewegung regelrecht, so
wird man Avirulenz vermuten dürfen, wenngleich es auch in vereinzelten
Fällen naobzuweisen ist, dass eine infektiöse Beschaffenheit des Eiters
ohne Temperaturerhöhung möglich ist. Vielleicht gibt die während der
Periode exakt durebgeführte Temperaturmessung einen Fingerzeig.
Diese Unsicherheit in der Virulenzbestimmung muss uns veranlassen,
besonders bei den aus relativer Indikation ausgeführten Operationen
eine sich auf mehrere Tage erstreckende Krankenbausbeobachtung mit
zuverlässiger Temperaturmessung, die völlige Fieberfreiheit ergeben muss,
zu fordern.
Eine gesonderte Stellung unter den entzündlichen Adnextumoren
nehmen die grösseren Pyosalpingen ein, die ihrer fieberfreien Trägerin
häufig keine Beschwerden machen, aber doch stets die Gefahr des
Platzens in sich tragen. Dass dieselbe nicht allzu gering einzuschätzen
ist, geht aus einer Statistik des Wiener pathologischen Instituts hervor
(Mandl und Bürger), wonach unter 10955 Gestorbenen bei 18 ge-
schlechtsreifen Frauen zerplatzte Pyosalpinx als Todesursache ver¬
zeichnet ist. Eine klinische Arbeit von Lamourouse stellt 78 Fälle
rupturierter Pyosalpingen zusammen. Hiervon wurden 47 operiert, mit
einer Mortalität von 75 pCt.; 31 Nichtoperierte starben.
Aus diesem Grunde dürften grössere eitrige Lactosalpingen, auch
wenn sie ihren Trägerinnen keine Beschwerden macheD, zumal man nach
einem mehrmonatigen Abwarten und bei Fieberfreiheit ihre Avirulenz
annehmen kann, eine Indikation zu ihrer Entfernung abgeben.
Allzu langes Abwarten empfiehlt sich in diesen Fällen nicht, da er-
fahrungsgemäss die Verwachsungen mit der Zeit zunehmen und kompli¬
zierende Durchbrüche nicht mit Sicherheit vermieden werden können.
Noch offen ist die Frage, inwieweit eine eventuelle Mitbeteiligung
des Appendix bei Adnextumoren die Indikationsstellung beeinflussen
kann. Während einzelne Autoren gleichzeitig beobachtete entzündliche
Erscheinungen an dem Appendix nur als ein zufälliges Zusammentreffen
ansehen, glauben andere dies Moment in ätiologischer Beziehung be¬
sonders hoch bewerten zu müssen. Die Frage dürfte so ihre Lösung
finden, dass in allen Fällen, in denen eine Erkrankung des Appendix
als das Primäre vermutet wird, nach chirurgischen Grundsätzen zu ver¬
fahren ist. Die sekundäre Beteiligung durch Hineinziehen des Appendix
in den rechtsseitigen Entzündungsprozess könnte dann zu einem aktiven
Vorgehen Veranlassung geben, wenn zahlenmässig nachgewiesen ist, dass
die Entzündung der Adnexe durch Uebergreifen auf den Appendix unter¬
halten wird oder zu einer chronischen Wurmfortsatzentzündung mit allen
ihren Schädigungen, Beschwerden und Gefahren führt oder ihr Auftreten
begünstigt. Die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit muss zugegeben
werden; die Schwierigkeit liegt in der Diagnosenstellung.
Das Material, das meinem heutigen Vortrag zugrunde gelegt ist,
umfasst alle entzündlichen Adnexerkrankungen, die in den letzten zwei
Jahren, vom 1. Oktober 1910 bis 30. September 1912 auf der Frauen¬
klinik der Königlichen Charitö zur Aufnahme kamen. Es sind ins¬
gesamt 271 Fälle, von denen 190 konservativ, 81 operativ behandelt
worden sind.
Ehe ich auf eine Besprechung der Ergebnisse der Behandlung ein¬
gehe, will ich kurz die geübten Methoden besprechen.
Was die konservative Behandlung anlangt, so ist im akuten
Stadium eine Hauptbedingung für den Erfolg zunächst absolute Bettruhe
uud eine Regelung der Darmtätigkeit, die am besten durch zweck¬
mässige Diät und leichte Abführmittel erreicht wird. Gegen die selten
fehlenden Schmerzen wirkt die Eisblase in günstiger Weise, vergesell¬
schaftet mit Stuhlzäpfchen von Morphium, Opium und Belladonna. Nach
dem Abfall des Fiebers, was gewöhnlich in einigen Tagen eintritt, wird
die Eisblase durch allmählich immer heissere Priessnitz-Umschläge er¬
setzt, die in Form von Halbpackungen angewendet werden. Als lokale
Behandlung finden heisse Scheidenspülungen von 40° Wärme Verwendung.
Weiterhin wird die Wärme, die sich bei der Behandlung der entzünd¬
lichen Adnexerkrankungen in besonderer Weise bewährt hat, ausser
durch Priessnitz-Umschläge, elektrisch durch den Heizbügel und durch
elektrische Heizplatten appliziert. Unter dem Heizbügel, der täglich
zweimal eine halbe Stunde gegeben wird, sind Temperaturen bis 130°
gemessen worden. Die Oberhaut muss zur Vermeidung von Ver¬
brennungen durch ein Flanelltuch geschützt werden. Die Heizplatte,
die durch elektrische Widerstandswärme erhitzt wird, erreicht Tempera¬
turen bis 90°. Sie wird täglich 3—4 Stunden lang auf den Leib auf¬
gelegt. Ein kleiner Rheostat, der von der Patientin selbst ohne
Schwierigkeit bedient werden kann, sorgt für Regulierung.
Bei alten starren Exsudaten, Schwielen und Verwachsungen leistet
die Belastungstherapie gute Dienste, die in Form des Quecksilber-
colpeurynters Verwendung findet und sehr zweckmässig zu gleicher Zeit
mit der Heizkörperbehandlung kombiniert wird.
Hin und wieder wird auch von der bimanuellen Massage Gebrauch
gemacht, deren Ausführung besondere Sorgfalt erfordert. Vorhandene
Eiterherde bilden eine Kontraindikation.
Dass nebenbei der Besserung und Hebung des Allgemeinbefindens bei
den im allgemeinen sehr heruntergekommenen Patientinnen besondere
Aufmerksamkeit zugewendet wird, braucht wohl nicht besonders hervor¬
gehoben zu werden.
Bezüglich des operativen Verfahrens möchte ich vorausschicken, dass
die Operation im allgemeinen unter Rückenmarksanästhesie ausgeführt
wird, das«, wenn nicht besondere Gründe vorhanden sind, der abdominale
Weg gewählt wird unter Anwendung des Fascicnquerschnittes.
Die Frage, ob abdominal oder vaginal operiert werden soll, hat leb¬
haft zur Diskussion gestanden; unter Zunahme des Konservativismus in
der Behandlung und der dadurch bedingten Ausschaltung der akuten,
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UNIVERSUM OF IOWA
226
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
infektiösen Fälle hat sich die abdominale Methode mit ihrer besseren
Uebersiohtlichkeit immer mehr Anhänger erworben.
Von der Verwendung des Fascienquerschnittes abzugehen, haben
wir bisher keine Veranlassung gehabt.
Selbst zugegeben, dass derselbe mit seinen zahlreichen Wundnischen
bei unreinen Fällen für eine Infektion günstigere Bedingungen schafft
als der glatte Medianschnitt, so ist trotz einmal eingetretener Infektion
die Gefahr eines Bauohbruches nur gering.
Das Wesen des an der Klinik geübten operativen Vorgehens liegt
darin, die Operation auf die Entfernung der siehtbar Kranken zu be¬
schränken, unter möglichster Schonung eines oder beider Ovarien oder
wenigstens eines kleinen Stückes funktionierender Ovarialsubstanz. Zu
diesem Vorgehen haben die besonders bei jugendlichen, in der Ge¬
schlechtsreife stehenden Frauen nach Kastration beobachteten nervösen
Ausfallserscheinungen geführt. In zahlreichen Fällen waren radikal
operierte Frauen durch diese nervösen Störungen in ihrem Allgemein¬
befinden mehr beeinträchtigt als durch ihre häufig recidivierende Adnex¬
erkrankung vor der Operation.
Die Erfahrungen, die in der Olshausen’schen und Rehns’schen Klinik,
am Material der Leipziger und Jenaer Klinik gemacht sind, geben dieser
konservativen Methode recht.
Man sucht auf diese Weise jugendlichen Personen Heilung zu
schaffen unter Erhaltung der Menstruationsmöglichkeit und unter Ver¬
meidung nervöser Ausfallserscheinungen.
Zur Verhütung nachfolgender Adhäsionsbeschwerden und sogenannter
Stumpfexsudate wird auf exakte Blutstillung und Peritonealisierung des
Wundbettes sowie auf Verwendung von resorbierberem Naht- und Unter-
bindungsmaterial, unter möglichster Vermeidung von Massenligaturen
geachtet.
Ausschlaggebend für eine eventuelle Drainage, die im allgemeinen
durch das hintere Scheidengewölbe hindurchgeführt wird, ist nicht allein
der Umstand, dass während der Operation Eiter in die Bauchhöhle ge¬
flossen ist; massgebend hierfür ist der Zustand des Peritoneums im
Wundgebiet. Ist die Peritonealisierung gut gelungen und sind durch
Nachblutungen keine Sekretanbäufungen mit ihren für Bakterien günstigen
Nahrungsbedingungen zu befürchten, so wird die Bauchhöhle völlig ge¬
schlossen. Von einer Drainage durch die Bauch wunde wird nur selten
Gebrauch gemacht, meist sind es Fälle, in denen grosse, durch Eiter
verunreinigte Wundflächen vom Peritoneum unbedeckt bleiben, oder
grössere Reste von der Tumorwandung, die wegen inniger Verwachsung
mit anderen Organen sich nicht haben entfernen lassen.
Wende ich mich nun den Ergebnissen der Behandlung zu, so sind
190 Fälle konservativ behandelt worden. Davon standen 18,4 pCt. im
2. Lebensdezennium, 64,7 pCt. im 8. Lebensdezennium, 11,6 pCt. im
4. Lebensdezennium und 5,3 pCt. hatten das 40. Lebensjahr über¬
schritten.
Die Mehrzahl der Erkrankungen, wie dies auch die Zusammen¬
stellungen von anderen Autoren ergeben haben, fallt also in das ge¬
nerationsfähige Alter. In den meisten Fällen handelte es sich um erst¬
malig behandelte Patientinnen; nur in 12pCt. war bereits anderweitig
der Versuch konservativer Behandlung gemacht worden.
Was die Aetiologie anlangt, so wurde in 30 Fällen Gonorrhöe
nachgewiesen, 24 mal trat die Erkrankung im Anschluss an Geburten,
33 mal im Anschluss an Abort, 6 mal im Anschluss an Curettage auf;
33 mal machten sich die ersten Beschwerden im Anschluss an die Periode
bemerkbar.
Die angegebene Zahl, in denen der Gonococcus als Erreger gefunden
wurde, entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Sicherlich
spielt er bei der Entstehung entzündlicher Adnextumoren die Hauptrolle,
wie dies die eingehenden Untersuchungen Pankow’s ergeben haben,
der in 43 pCt. der Fälle (einschliesslich der tuberkulösen) gonorrhoischen
Ursprung nachgewiesen hat.
Die Dauer der Behandlung betrug im Durchschnitt 24 Tage.
Der erzielte Erfolg wird durch folgende Zahlen registriert: 46,5 pCt.
unserer Kranken waren am Ende der Behandlung fieber- und grösstenteils
beschwerdefrei (d. h. also im allgemeinen auch arbeitsfähig), ohne
dass eine wesentliche objektive Aenderung im Genitalbefund nachweis¬
bar war. 36,3 pCt. waren fieber- und beschwerdefrei; bei ihnen war
auch eine Verkleinerung der Adnextumoren festzustellen. 1,6 pCt. waren
völlig geheilt, bei ihnen war der Touohierbefund ein regelrechter.
15,3 pCt. blieben von der Therapie unbeeinflusst.
Diese 15,3 pCt. machen diejenigen Fälle aus, die nur durch Operation
geheilt werden können.
Zu ähnlichem Resultat kommt Gerlach an dem Material der Jenaer
Klinik, der durch konservative Behandlung in 82,7 pCt. der Fälle
Arbeitsfähigkeit erreicht hat, und unsere Zahlen nähern sich den von
Prochownik gefundenen Daten, der in 20pCt. der Fälle eine Operation
für nötig hält.
Man wird also im allgemeinen nicht fehlgehen, wenn man annimmt,
dass etwa 20 pCt. aller Fälle von entzündlicher Adnexerkrankungen nur
durch Operation heilbar sind.
Worauf das Versagen der konservativen Therapie in diesen Fällen
beruht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Prochownik nimmt an, dass es sich teils um Fälle handelt, bei
denen der Wurmfortsatz mitbeteiligt ist, teils um Mischinfektion von
Gonorrhöe und Tuberkulose. Unser Material gibt in dieser Hinsicht
keine Anhaltspunkte.
Operativ behandelt wurden in der gleichen Zeit 81 Falle.
Bezüglich des Lebensalters gehörten 8,7 pCt. dem 2. Lebens¬
dezennium, 39,5 pCt. dem 3. Lebensdezennium, 33,3 pCt dem 4 . Lebens¬
dezennium, 23,5 pCt. dem 5. und späteren Lebensdezennien an.
Wir sehen also, dass unterhalb des 20. Lebensjahres nur selten
operiert wird, und dass im dritten Lebensdezennium besonders die kon¬
servative Therapie zu ihrem Recht kommt, dass im vierten Dezennium
die Zahl der Operationen zunimmt.
Gestorben sind von den 81 Operierten 6.
Bei den sechs Gestorbenen — was einer Mortalität von 7,4 pCt
entspricht — war 4 mal abdominal, 1 mal vaginal operiert worden. Ein¬
mal war die Operation vaginal begonnen und abdominal beendet worden.
Wollte man geneigt sein, dem abdominalen Vorgeben die Schuld an den
tödlichen Ausgängen beizumessen, so muss dem entgegengehalten werden,
dass bei den vier abdominalen Operationen 2 mal Serosaverietzungen des
verwachsenen Darmes vorkamen und dass 1 mal der schwer veränderte
Wurmfortsatz mitentfernt werden musste, beides Umstände, die bei
vaginalem Operieren wohl sicher die nachträgliche Eröffnung vom Ab¬
domen her erheischt hätten.
Bei zwei der Gestorbenen bestanden neben Adnextumoren Uterus¬
myome, die in einem Fall die Totalexstirpation der Gebärmutter, im
anderen die Enucleation des Myoms nötig machten.
Bei einer Gestorbenen fand sich neben doppelseitiger schwer ver¬
wachsener Pyosalpinx ein Ovarialdermoid und chronische Appendicitis,
die die Appendektomie nötig machte.
In einem Falle musste wegen Rectumverletzung der Mastdarm
reseziert werden. Die heruntergeholte Flexur wurde durch den Analring
hindurchgezogen. Infolge Durchschneidens der Haltefäden in den'gangränös
gewordenen Randzonen schlüpfte das durchgezogene Darmstück zurück,
und es kam zur Peritonitis mit Exitus letalis.
In den beiden letzten Todesfällen waren eitergefüllte Tubensäcke
bei ihrer Ausspülung zerplatzt und hatten zur allgemeinen, tödlichen
Bauchfellentzündung geführt.
Durch die Vagina war in 5 Fällen, in 2 Fällen ausserdem durch
die Bauchdecken vermittels des Mikulicz-Beutels drainiert worden.
Fünfmal war reichlich Eiter in die Bauchhöhle geflossen.
Vergleichen wir unsere Mortalität mit den Zahlen anderer Kliniken,
so finden wir gleiche Zahlen bei Esoh. Amberger stellt an dem von
ihm untersuchten Material eine Mortalität von 10,3 pCt fest. Andere
Veröffentlichungen weisen niedrigere Sterblichkeitsziffern auf, wie die
aus der Zweifel’schen, Sohauta’schen und Rosthorn'sehen Klinik.
Franz bat in der Jenaer Klinik bei 136 operierten Fällen an entzünd¬
lichen Adnexerkrankungen eine Mortalität von 2 pCt. gehabt
Der Umstand, dass bei vier der Gestorbenen der Beginn der Er¬
krankung 19, 9, 8, 8 Jahre zurüokliegt und bei allen Eitertuben vor¬
handen waren, dürfte vielleicht eine Stütze abgeben für die auch von
Zinsser vertretene Ansicht, dass man bei sicherer Pyosalpinx, die
konservativer Behandlung trotzt, mit der Operation nicht allzu lange
zögern soll. Je früher — relativ gesprochen — wir operieren, desto
geringere Veränderungen werden wir finden, um so schonender werden
wir operieren können.
Vielleicht wäre bei frühzeitiger Operation der Verlauf dieses oder
jenes Falles ein günstigerer gewesen.
Folgende Operationen wurden im einzelnen ausgeführt: einseitige
Salpingektomie 5 mal, doppelseitige Salpingektomie 16 mal, einseitige
Salpingo-Oophorektomie 9 mal, doppelseitige Salpingo-Oophorektomie 4mal,
Entfernung beider Adnexe unter Belassung von Ovärialresten 39 mal,
Totalexstirpation des Uterus mit Adnexen 5 mal, Totalexstirpation mit
einseitiger Adnexentfernung 1 mal, Totalexstirpation mit beiderseitiger
Adnexentfernung unter Belassung von Ovarialstücken 2 mal.
Als Nebenoperationen wurden ausgeführt: 11 mal Appendektomie,
10 mal Alexander-Adams, 1 mal Mastdarmresektion.
74 mal wurde abdominal, 7 mal vaginal operiert. Bei den 7 vagi¬
nalen Operationen ist ein Todesfall zu verzeichnen. Grund für vaginales
Vorgehen gab in 2 Fällen Myombildung des Uterus; die Adnextumoren
wurden als Nebenbefund erhoben, in 3 Fällen Metritis uteri, die seine
Entfernung angezeigt erscheinen liess.
Die Dauer der Behandlung betrug bei den Operierten im Durch¬
schnitt 16 Tage. Sie ist also um 50pCt. kürzer als bei konservativer
Methode.
39 Patientinnen, also annähernd die Hälfte, machten eine völlig
fieberfreie Rekonvaleszenz durch. Abgesehen von den Gestorbenen hatte
nur eine Patientin länger dauerndes Fieber durch Exsudatbildung; in
den übrigen Fällen finden wir 1—3—4 Tage dauerndes Fieber verzeichnet.
Die meisten Operierten verliessen die Klinik besohwerdefrei, meist
noch erholungsbedürftig.
3 mal stand der Uterus in Retroflexionsstellung, 17 mal in Mittel¬
stellung, die übrigen Male in Anteflexion. Gerade die Retroflexio uteri
wird für die späteren Beschwerden nach der Operation verantwortlich
gemacht. In dieser Beziehung war der Zustand unserer Operierten also
sehr günstig.
17 mal finden wir verzeichnet, dass der Douglas schwielig verdickt
war. Davon waren 12 mal vaginal tamponiert, 1 mal war ein Mikulicz-
Beutel eingelegt Diese Schwielen dürfen also in der Mehrzahl der Fälle
nicht als entzündliche Nachschübe der ursprünglichen Erkrankung an¬
gesehen werden, sondern für die nachträgliche Folge der Drainage.
Nach einiger Zeit versohwinden dieselben, nachdem die ursächliche
Schädigung, der Tampon, beseitigt ist, völlig.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
227
Einmal ist eine walnussgrosse Verdickung des Parametriums fest¬
gestellt, dreimal war Verdickung des Parametriums und des Douglas
verzeichnet. Hiervon waren 2 Fälle vaginal drainiert, und in einem
Falle war eine ausgedehnte Serosanaht am Rectum ausgeführt worden.
ln 5 Fällen fand sich ein geringes Stumpfezsudat.
Die Nachuntersuchungen Zinsser’s am Jenaer Material haben er¬
geben, dass diese Schwielen und Stumpfexsudate bei der Nachunter¬
suchung nicht mehr vorhanden waren.
Unter dieser Voraussetzung dürfte unser operatives Ergebnis als
günstig zu bezeichnen sein.
Um Nachuntersuchungen über die Späterfolge anzustellen, ist die
seit der Operation verstrichene Zeit zu kurz. Im allgemeinen kann man
sagen, dass während des ersten Jahres nach der Operation die Rück¬
fälle eintreten. Von diesem Gesichtspunkte aus käme nur die Hälfte
unserer Fälle in Betracht, eine Zahl, die wohl nicht ausreicht, um ein
definitives Urteil zu fällen.
Als Ergebnis meiner Untersuchungen möchte ich folgende Schluss¬
folgerungen ziehen:
1. Die Behandlung entzündlicher Adnexerkrankungen soll im all¬
gemeinen zunächst eine konservative sein, sofern nicht akute, allgemein
peritonitisehe Symptome zur sofortigen Operation drängen.
2. Erst die ergebnislose, sachgemäss durchgeführte konservative
Behandlung indiziert die Operation, die, nach Möglichkeit konservativ,
sich auf die Entfernung alles Kranken beschränken soll mit Erhaltung
der Menstruationsmöglicbkeit und unter Vermeidung von nervösen Aus¬
fallserscheinungen.
3. In etwa 20pCt. der Fälle versagt die konservative Behandlung;
diese von vornherein zu erkennen, ist bisher nicht möglich.
4. Eine Sonderstellung nehmen die grösseren Pyosalpingen ein, mit
deren Operation beim Versagen der konservativen Behandlung zur Ver¬
meidung innigerer Verwachsungen mit Nachbarorganen nicht allzu lange
gewartet werden soll.
5. Bei Verdacht auf Mitbeteiligung des Appendix wird man sich
leichter zur Operation entschliessen, da sie in der Regel auf abdominalem
Wege ausgeführt wird.
5. Br. ZiMser:
Kriniieller Abtreibaigsversneh bei Extrauteringravidität.
M. H.! Ich zeige Ihnen hier eine Kranke, an der ausser einem
primär verheilten Querschnitt nichts zu sehen ist. Was sie von Interesse
bietet, ist besser in absentia der Patientin zu erörtern. Es ist eine
32 jährige Frau. Sie hat im Jahre 1899 im Februar einmal geboren und
ist dann nie wieder in andere Umstände gekommen. Sie hat gemeint,
wie sie mir erzählte, dass sie überhaupt nicht mehr in die Lage kommen
würde, ein Kind zu gebären. Ende Oktober dieses Jahres stellte sich
die erwartete Menstruation nicht wieder ein, und etwa acht Tage nach
dem fälligen Menstruationstermin trat eine ganz geringe Blutung ein,
gleichzeitig mit einem Gefühl des Unbehagens im Leibe. Am dritten
und vierten Tage dieser Blutung fanden sich einige Gerinsel dabei, und
die Patientin besprach sich über diesen Fall mit einer Nachbarin, die
meinte, es wäre wohl ein Abort gewesen; sie selbst hätte die Gewohnheit,
dass sie jedesmal, wenn die Menstruation überfällig würde, sich mit einer
Spritze namens Frauenwohl eine Injektion in den Uterus mache, sich
dann zwei Tage zu Bett lege, und der gewünschte Effekt bleibe nie aus.
Unsere Patientin tat darauf dasselbe, sie lieh sich die Spritze und machte
sich am 10. November eine Einspritzung mit SeifenlÖsung. Io der folgenden
Nacht erkraukte sie mit sehr heftigen kolikartigen Schmerzen, mit Er¬
brechen und einem Ohnmachtsanfall. Die Leibschmerzen hielten an, die
Ohnmachtsanfälle wiederholten sich. Am 12. November holte sie einen
Arzt, dem sie offen erzählte, was sie gemacht hatte. Er nahm einen
kriminellen Abort an, der zu peritonitischen Reizen geführt hatte, und
verordnete nur Eisblase. Am 13. November verschlimmerte sich der
Zustand, es traten wiederholte Ohnmachtsanfälle auf. Der Arzt über¬
wies uns die Patientin. Sie kam herein mit stark aufgetriebenem Leibe,
einer Temperatur von 38°, einem Puls von 130, der schliesslich auf
140 in die Höhe ging. Sie hatte einen Tumor neben und hinter dem
Uterus. Der Tumor hinter dem Uterus wuchs nach zweitägiger Beob¬
achtung, bis er schliesslich den Douglas erreichte. Bei der Probepunktion
ergab sich reines Blut. Es handelte sich um extrauterine Schwanger¬
schaft, eine Diagnose, die sich bei der Laparotomie am 16. bestätigte.
Die Operation wurde typisch ausgeführt; die Patientin ist mit leicht
fieberhaftem Verlauf genesen. Das Besondere bei dem Falle ist, dass
die Frau der Meinung war, sie wäre intrauterin schwanger und daher
einen Abtreibungsversucb unternommen hat, dass jedoch bei ihr eine
ertrauterine Gravidität, d. h. Schwangerschaft der linken Tube vorgelogen
hat Wahrscheinlich war schon ein tubarer Abort im Gange, als die
Frau den Versuch mit der intrauterinen Injektion vornahm. Der tubare
Abort ist dadurch beschleunigt worden und die Frau mit einer schweren
abdominellen Blutung, gleichzeitig aber auch mit peritonitischen Reiz¬
erscheinungen schwer erkrankt. Wenn man bedenkt, wie gewohnheits-
mässig und wie schamlos hier in Berlin ahgetrieben wird, dann kann es
einen nicht wundern, dass dieser Versuch auch einmal am untauglichen
Objekt wie in diesem Falle, vorgenommen wird, ln der letzten Zeit
lind eine ganze Reihe von Fällen veröffentlicht worden, wo Frauen in der
Meinung, schwanger zu sein, Abtreibungsversuche gemacht haben, ohne
dass überhaupt eine Schwangerschaft Vorgelegen hat, und wo sie sich
selbst an ihrer Gesundheit schwer, in einem Falle sogar tödlich ge¬
schädigt haben.
Z Fälle von Abtreibungsversuchen bei extrauteriner Gravidität sind
ebenfalls gar nicht selten. In der letzten Zeit hat Hirsch vier der¬
artige Fälle aus Berlin veröffentlicht Wir können diesen Fall als
fünften hinzufügen. Der Fall bietet ausserdem noch das Besondere,
dass der Patientin ihr offenes Eingeständnis eines kriminellen Vorgehens
beinahe zum Verhäognis geworden ist. Sie hat dem sie behandelnden
Arzt offen gesagt, dass sie die Injektion gemacht hätte, und infolge¬
dessen lag die Diagnose eines uterinen Abortes mit entzündlicher Ver¬
änderung an den Adnexen wesentlich näher als die einer extrauterinen
Gravidität. Der Kollege hat das auch angenommen und bat die Resistenz
im Douglas für einen Douglasabscess gehalten; er hatte die Absicht,
ihn draussen aufzumachen, hat aus rein äusseren Gründen darauf ver¬
zichtet und die Patientin zu uns geschickt, wo sie auoh erst mit zweifel¬
hafter Diagnose lag und durch die Punktion erst die Diagnose gesichert
wurde. Wäre der vermeintliche Douglasabscess draussen aufgemacht
worden, so wäre bei der sehr stark intraabdominellen Blutung, die die
Patientin hatte, der Eingriff ihr vielleicht verhängnisvoll geworden.
6. Hr. Dahlmann: Aknte postoperative Magendilatation.
M. H.! Ich will Ihre Aufmerksamkeit nur für kurze Zeit auf ein
relativ seltenes und sehr interessantes Krankheitsbild richten, das wir
im August dieses Jahres hier auf der Woebenbettstation beobachten
konnten. Eine 31jährige Erstgebärende war von ihrem toten Kinde
durch Perforation entbunden worden. Bei der Perforation, die die
übliche Zeit dauerte, war Chloroformnarkose angewandt und bei dieser
auch die üblichen Mengen. Die Vorbereitung für den Darm zu dieser
Operation besteht in einem Einlauf, wie ihn alle Frauen erhalten. Da¬
bei wurde nur massige Menge von Stuhl entleert. Die Perforation
wurde nachmittags um 5 Uhr ausgeführt. Am folgenden Tage war kein
Stuhl erfolgt und keine Blähung abgegangen. Am nächsten Tage bot
die Kranke ein ziemlich apathisches Bild. Mittags um 12 Uhr setzte
ein sehr heftiger Brechreiz ein und nicht sehr reichliches Erbrechen.
Zwei Stunden später war das Abdomen ausserordentlich druckempfind¬
lich, und es bot sich ein eigentümliches Bild: ein mächtig meteoristisch
aufgetriebener Bauch, auf dem vor allen Dingen die Konturen des Magens
sehr deutlich bis zwei Querfinger unterhalb des Nabels siohtbar waren.
Das Abdomen war äusserst schmerzhaft, die Temperatur nicht erhöht,
Puls um 120. Die Frau lag jetzt im Collaps und bot ein schwer-
krankes Bild. Die Diagnose schwankte zwischen einer peritonitischen
Reizung und einem Ileus. Zur Klärung des Bildes zog ich in Ab¬
wesenheit des Herrn Geheimrat Franz vor, Herrn Professor Fromme
zu fragen. Dieser erklärte, es sei einer jener relativ seltenen Fälle von
akuter Magendilatation und empfahl Einnahme der Knieellenbogenlage.
Dieser einfache Eingriff wirkte fast Wunder. Nach ungefähr 10 Minuten
gingen ausserordentlich grosse Mengen Gas per os ab. Die Kranke
fühlte sich subjektiv stark erleichtert Abgang von Blähungen oder
Stuhl wurden nicht beobachtet. Ebenso ging nur seröse schleimige
Masse aus dem Magen ab, keine blutigen oder fäkulenten Massen. Ich
muss noch hinzufügen, dass in dem Erbrochenen zuerst weder chemisch
noch mikroskopisch Blut nachzuweisen war. Als die Knieellenbogenlage
eine halbe Stunde eingehalten war, liess es der Puls ratsam erscheinen,
mit der Lage aufzubören; die Patientin sollte in Rückenlage zurück¬
gebracht werden. Bemerkenswert ist noch, dass in einer Zwischenlage,
als die Symphyse vielleicht handbreit von der Unterlage entfernt war,
nochmals ausserordentlich viel Luft aus dem Magen und Darm entleert
wurden. Nach dieser Therapie war der Magen als solcher nicht mehr
nachweisbar, das Abdomen war vollständig weich. Immerhin bestand
noch ein erhöhter Puls und geringer Collaps. Eine Stunde später war
bei Auscultation des Abdomens schon deutlich Darmgeräusch zu hören,
und es gingen Blähungen ab. Am nächsten Morgen bot die Frau wieder
ein ziemlich apathisches Bild, und eigentümlicherweise zeigte sich drei
Tage nach der Perforation — zwei Tage nach der beobachteten akuten
Magendilatation — sehr heftig einsetzender Icterus, acholischer Stuhl
und Gallenfarbstoff im Urin. Ileus ist bei akuten Magendilatationen
nicht naebgewiesen. Es hat sich also in diesem Falle um einen leichten
Fall von sicher vorliegender akuter Magendilatation gehandelt. Als aus¬
lösendes Moment darf man wohl sicher die Perforation ansehen, und der
Ausdruck postoperativ ist wohl auch berechtigt, wenn auch andere Be¬
obachter diesen Ausdruck nur in den Fällen angewandt wissen wollen,
wo am Peritoneum operiert ist. Da die Funktion des Darmes schon
einige Stunden nach dieser Komplikation nachweisbar war, hatte man
zuerst geglaubt, es würde zu dem sich an die akute Magendilatation
sehr häufig anschliessenden oder gleichzeitig vorkommenden oder durch
sie ausgelösten akuten arteriomesenterialen Duodenalverschluss nicht
kommen. Es ist aber doch dazu gekommen. Das zeigt die Störung,
die im Duodenum hervorgerufen ist, und die ihrerseits wieder die Stö¬
rung in der Lymphbewegung und Blutströmung der Leber hervor¬
gerufen hat.
Es ist sehr schwer zu sagen, was das Primäre und was das Sekun¬
däre an diesem Krankheitsbilde ist, ob primär die akute Magendilatation
oder der arteriomesenteriale Duodenal Verschluss ist. Im ersten Falle
müsste man annehmen, dass ein Splancbnicusreiz ausgeübt ist, vielleicht
durch die Chloroformnarkose. Es ist aber wieder naebgewiesen, dass
Chloroform allein als solches nicht derartige Reize auf die Nerven der
Eingeweide ausübt, dass auch andere Narkosemittel, also Soopolamin
oder Aether, dasselbe tun können. Für die Annahme, dass es sich
primär um einen arteriomesenterialen Duodenalverschluss gehandelt hat,
müsste man die Ueberlegung so führen, dass es durch die bei der Per-
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228
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
foration sehr schnell zustande kommende Eatleerung der Bauchhöhle
und durch die Veränderung der Druckverhältuisse in derselben zu einer
Zerrung des Netzes durch die Dünndarmschlinge gekommen ist und da¬
durch das Duodenum temporär verschlossen ist. Ob überhaupt beides
zusammengehört, und ob der Icterus nicht eine ganz zufällige Kompli¬
kation ist, ist ja schliesslich auch noch zu erwägen. Zum Glück ist es
in diesem Falle nicht zur Erhebung eines pathologischen Befundes auf
dem Sektionstisch gekommen. Es wäre dann auch nicht leicht gewesen,
zu entscheiden, was das Primäre war.
Die Hauptsache in diesem Falle ist der eklatante Erfolg der einge¬
schlagenen Therapie, die von Schnitzler angegeben ist, allerdings in
der Annahme, dass durch die veränderte Lage die Dünndarmschliogen
aus dem kleinen Becken nach oben fallen, dadurch, dass das Duodenum
entlastet und wieder für die Passage durchgängig gemacht wird. In
diesem Falle ist absichtlich keine andere Therapie als diese eingeschlagen
worden. In anderen Fällen hat die Magenspülung ausgezeichnete Er¬
folge gehabt. Es ist zu bemerken, dass dieser Fall gegenüber anderen
als sehr leicht zu betrachten ist; denn das Krankheitsbild mit dem
schweren Eindruck hat nur wenige Stunden gewährt, während bei
anderen Krankheitsbildern das Erbrechen bis zu zehn Tagen beobachtet
worden ist.
Diskussion.
Hr. Gottschalk: Ich habe vor einigen Jahren in konsultativer
Praxis einen Fall im Wochenbett beobachtet, der unter ganz ähnlichen
Erscheinungen verlaufen ist. Er beruhte aber auf einem Ileus, der durch
retrovertierte Lage des puerperalen Uterus bedingt war. Die Frau er¬
brach seit drei, vier Tagen, hatte einen ganz elenden Puls, dabei nor¬
male Temperatur. Auch hier half die Knieellenbogen läge sofort. Inner¬
halb einer Stunde ging Flatus ab, und das ganze Krankheitsbild war
mit einem Schlage am nächsten Tage gut. Also ich meine, aus dem
Erfolge, den die Ellenbogenlagerung hatte, darf man nicht immer auf
eine Magenatonie schliessen, sondern es kann auch gerade im Puerperium
ein direkter obturierender Ileus vorliegen durch retrovertierten Uterus.
Wendet man die Knieellenbogenlage an, so fällt der Uterus nach vorn,
und es kann die Passage wie in diesem Falle frei werden.
7. Hr. Braeht: Hoher Geradstand.
M. H.! Bei dem hohen Geradstand handelt es sich um eine eigen¬
tümliche, etwas seltene Einstellung des Kopfes oberhalb des Becken¬
eingangs. Vielleicht ist aber diese Abweichung vom Normalen nicht so
selten, wie es nach den ganz spärlichen Aufzeichnungen in der Literatur
zu sein scheint. Einmal wird man darauf schon durch die Zahl gelenkt,
die jeder der Autoren, der darüber überhaupt veröffentlicht hat, beob¬
achten konnte. Meistens handelt es sich um mehrere, drei, ja sechs
Fälle, die in kurzer Zeit von demselben Untersucher beobachtet wurden.
Die erste Veröffentlichung über dieses Thema reicht bis zur Mitte des
vorigen Jahrhunderts zurück. Es ist nicht uninteressant, dabei zu er¬
wähnen, dass die ursprüngliche Anschauung von dem Eintritt des
Schädels in das Becken die war, dass der Kopf mit geradgerichteter
Pfeilnaht in das Becken hineindrang, und es war noch Smellie, der
mit der herrschenden Anschauung zu kämpfen hatte und selbst seinen
Lehrer Levret nicht davon zu überzeugen vermochte, dass der Kopf
querstehend den Beckeneingang passiere.
Um die Einstellung im geraden Durchmesser des Beokeneingangs
genau zu charakterisieren, so handelt es sich zunächst darum, dass der
längsovale Schädel in gerader Richtung auf den querovalen Becken¬
eingang zu stehen kommt. Es ergaben sich hier die beiden Möglich¬
keiten, dass einmal das Hinterhaupt nach vorn, zweitens, dass es nach
hinten gerichtet ist. Das wissen wir von den übrigen Scbädellagen
auch, dass die Inkongruenz der vorderen und hinteren Beckenhälfte eine
ganz wesentliche Rolle spielt, und so finde ich auch in der Literatur
nicht besonders darauf hingewiesen, welch gewaltiger Unterschied im
klinischen Verlaufe der beiden Bilder sich zeigt. Betrachten wir zu¬
nächst den einfachsten dieser beiden Mechanismen, denjenigen, bei dem
das Hinterhaupt nach vorn gerichtet ist, so sollte eigentlich der Eintritt
des Kopfes in dieser Richtung unmöglich erscheinen. Denn wenn wir
wissen, dass ein Becken nur um wenige Zentimeter in seinen Aus¬
messungen reduziert zu sein braucht, um einem selbst quer sich stellen¬
den Kopf die Passage zu verwehren, so scheint wohl zunächst — an¬
genommen, es handelt sich um normale Maasse des Kopfes und
Beckens — ein Geradstand oberhalb des Beckens den Eintritt voll¬
kommen zu verhindern. Ueberlegen wir uns, welche Stellung der Kopf
wohl einnehmen müsste, um jetzt eintreten zu können, so scheint als
das Plausibelste, dass er sich vielleicht den Diameter suboccipito-breg-
maticus zunutze macht, der relativ gering ist, nämlich 9*/2 cm im
Durchmesser beträgt. Falls es ihm gelingt, diesen zur Einstellung in
die Conjugata zu bringen, so müsste wohl ein Durchtritt in dieser merk¬
würdigen Stellung möglich sein. Und das ist in der Tat der Fall. Bei
der Mehrzahl der Fälle, bei denen ein spontaner Verlauf beobachtet ist,
ist der Hergang so, dass das Hinterhaupt unter starker Abflachung
hinter der Symphyse sich nach abwärts drängt, dann meistens unter
einer kleinen Exkursion zur Seite, die zu gleicher Zeit dem Stirn- und
Gesichtsschädel ein Tiefertreten in der Sacroiliacalgegend der gegenüber¬
liegenden Seite gestattet, nach dieser kurzen Drehung sich alsbald wieder
gerade richtet und gewöhnlich normal den Austritt vollführt. Das ist
wohl der häufigste Verlauf, der bei dieser Positio occipitalis pubica, wie
man sie nennt, beobachtet wird.
Bedeutend ungünstiger stellt sich die zweite Modifikation dieser
Lage, die Positio occipitalis sacralis. Hier tritt zunächst das Hinter¬
haupt tiefer, findet aber alsbald in der Beckenhöhle am Sacrum einen
Widerstand und kann jetzt nicht der Stirn, die hinter der Symphyse
tiefer treten will, Platz schaffen, indem es etwa naoh hinten ausweicht
In diesem Falle kann nur unter einer ganz aussergewöhnlioh starken
Konfiguration des Kopfes, einer Verkürzung des frontooccipitalen Durch¬
messers der Kopf in das Becken eintreten. Es kommt erschwerend
hinzu, dass diese Lage meistens Erstgebärende betrifft und hier ins¬
besondere platte Becken bevorzugt, im Gegensatz zur ersterwähnten
Lage, die Mehrgebärende mit sehr weitem Becken trifft
Was die Aetiologie einer solchen merkwürdigen Einstellung anlangt,
so sind darüber im allgemeinen nur Vermutungen angegeben worden.
Der einzige, der näher darauf eingebt, ist Olshausen. Er macht diese
merkwürdige Einstellung des Kopfes mit gerade gerichteter Pfeilnaht
oberhalb des Beokeneingangs geltend für seine Lehre über das Ab¬
hängigkeitsverhältnis der Stellung des Kopfes von der des Rumpfes.
Wenn er auch sonst mit dieser Lehre wenig Anklang gefunden hat, so
pflichten ihm doch für den Kopf oberhalb des Beckens eine grosse
Anzahl Autoren bei. Auch ich kann sagen, dass die vier Fälle, die ich
an dem poliklinisoben Material zu beobachten Gelegenheit hatte, auch
für diese Aetiologie angeführt werden können. Es handelt sich nämlich
in dreien von diesen um einen ausgesprochenen Hängeleib. Olshausen
nimmt an, dass in dem Hängeleib der kindliche Rücken mit seiner Kon¬
vexität am geeignetsten Platz findet, dass das Hinterhaupt mit ihm
nach vorn geht und die Positio occipitalis pubica auf diesem Wege zu¬
stande kommt, ln manchen Fällen glaube ich wohl, dass auch ein
Wechsel der Lage, wie er sonst anderwärts beobachtet worden ist, von
der ersten zur zweiten mit eine Rolle spielt, indem nämlich der Kopf
gewissermaassen bei einem Stande mit gerade gerichteter Pfeilnaht ober¬
halb des Beckeneingangs plötzlich von dem Blasensprung überrascht
und jetzt fixiert wird. Für die andere Aetiologie spricht auch noch ein
weiterer von mir beobachteter Fall, der eine Erstgebärende betraf. Es
handelte sich um ein aussergewöhnlich starkes Hydramnion, das, auch
was die Konfiguration des Leibes anlangt, die Parturiens einer Mehr¬
gebärenden gleichmachte.
Entsprechend dieser grossen klinischen Verschiedenheit der beiden
Typen des hohen Geradstandes muss sich auch die Therapie ganz ver¬
schieden verhalten. Vielleicht geht Liepmann etwas weit, wenn erden
grössten Teil der Positiones occipitales pubicae ganz spontan verlaufen
lassen will. Jedenfalls hatten wir in dem grösseren Teil der Fälle Ein¬
griffe notwendig. Wir wurden auoh gerufen, weil die Geburt nicht
voranging. In unseren Fällen handelte es sich zweimal um eine Korrektur
dieser Lage, der dann selbstverständlich auch eine Korrektur der Lage
des kindlichen Rumpfes folgen musste. Io einem dritten Falle, wo das
vergessen worden war, war in der Tat die Stellung des Kopfes in Gerad¬
stand oberhalb des Beckens wieder von neuem eingenommen, da, wie
gesagt, die Korrektur der Lage des kindlichen Rumpfes nicht die des
Kopfes begleitet hatte. Ein vierter Fall verlief spontan.
Es ist wohl ganz zweifellos, dass diese seltene Einstellung ein etwas
grösseres Interesse verdient und nicht diese Vernachlässigung, die sie
oft über Jahre hinaus erfahren hat. Es fragt sich dann, ob sich durch
die Mehrung des Materials der Versuch als berechtigt erweist, für diesen
Durchtrittsmeohanismus einen bestimmten Typus aufzustellen, der ähn¬
lich wie der der engen Becken ganz für sich eigentümlich verläuft, einen
bestimmten Eintrittsmechanismus, eine bestimmte Konfiguration des
Kopfes und bestimmten Sitz der Kopfgeschwulst in sich schliesst.
Diskussion.
Hr. Schäfer: Im Anschluss an die interessanten Ausführungen des
Herrn Bracht möchte ich über einen Fall von Positio occipitalis
sacralis berichten, den ich auf dem Gebärsaal der Charite-Frauenklinik
zu beobachten Gelegenheit hatte.
Es bandelte sich um eine 20jährige Erstgebärende, die ihre letzte
Menses am 15. März 1911 gehabt batte. Die Schwangerschaft war ohne be¬
sondere Störungen verlaufen. Am 9. November 1911 wurde ihr von
einem Mitarbeiter eine grosse Eisenplatte kräftig gegen den Leib ge¬
worfen. Sie wurde ohnmächtig und hatte beim Erwachen heftige
Schmerzen im Leib, die im Laufe des Nachmittags nachliessen, um
abends wieder stärker zu werden. Am nächsten Morgen bemerkte sie
eine leichte Blutung und hatte Kreuzschmerzen. Sie blieb deswegen
zu Bett liegen und suchte am 11. November 1911 vormittags, da sich
ihr Befinden nicht änderte, ihren Arzt auf, der sie der Klinik überwies.
Status bei der Aufnahme am 11. November 1911, 3 Uhr 30 Min.
nachmittags: Graziles Mädchen mit bleicher Gesichtsfarbe. Temperatur
37,7, Puls 96. Bauchdecken straff gespannt. Durch die äussere Unter¬
suchung wurde eine I. Schädellage festgestellt. Kindliche Herztöne links,
etwas unterhalb des Nabels, 144 pro Minute.
Beckenmaasse: Dist. spin. 26,5, Dist. rist. 29,5, Dist. troch. 32,
Conjug. extern. 21. Das Promontorium war nioht zu erreichen. Bei
der inneren Untersuchung fanden sich in der Scheide einige grössere
Blutgerinnsel. Die Portio war verstrichen, der Muttermund dreimark¬
stückgross, die Blase gesprungen. Placentargewebe war nicht zu fühlen.
Der Kopf war mit gerader Pfeilnaht auf den Beckeneingang aufgepresst,
die grosse Fontanelle unter der Symphyse zu fühlen. •—
Es wurde versucht, mit der inneren Hand den Kopf quer zu stellen,
jedoch ohne Erfolg.
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
‘229
Nachdem unter kräftigen Wehen, die alle 5—7 Minuten einsetzten,
die Kreissende während des ganzen Abends immer etwas geblutet hatte,
wird um 2 Uhr 25 Minuten morgens (12. XI. 1911) ein grosses Blut*
coagulum ausgestossen. Der Muttermund war jetzt handtellergross, der
Kopf war konfiguriert und stand genau wie am Nachmittag vorher fest
auf den Beckeneingang aufgepresst. Kindliche Uerztöne gut. Bei
weiteren Untersuchungen um 8 Uhr 80 Minuten vormittags und 3 Uhr
SO Minuten nachmittags war trotz kräftiger Wehen der Kopf nicht merk¬
lich tiefer getreten. Der Muttermund war handtellergross erweitert.
Kreissende war äusserst matt, ln letzter Zeit hatten auch die Wehen
an Stärke nachgelassen. Um 6 Uhr 30 Minuten nachmittags verliert
Kreissende dauernd etwas dunkles Blut. Kindliche Uerztöne wechselnd.
Es werden erst 96, dann 80, dann wieder 156 gezählt. Von aussen war
noch ein Teil des Kopfes zu fühlen. Bei der inneren Untersuchung ist
eine starke Kopfgeschwulst zu fühlen, so dass die Pfeilnaht nicht mehr
zu tasteo ist. Die grosse Fontanelle ist unverändert unter der Symphyse
zu fühlen. Der Kopf reicht bis an die Spinallinie.
In Chloroformnarkose wird, um die Geburt zu beenden, die
Tarnier’sche Achsenzugzange im queren Durchmesser an den im Becken¬
eingang stehenden Kopf angelegt. Es gelingt nur unter grosser Kraft¬
anwendung, den Kopf zu entwickeln. Auch im Beckenausgang liegt
die Zange dabei noch völlig quer. Der Schädel ist turmartig aus¬
gezogen, die Kopfgeschwulst liegt zwischen grosserund kleiner Fontanelle.
Die Druckmarken der fest zugeschraubten Zangenlöffel befinden sich
symmetrisch über beiden Ohren. Das Kind, ein Knabe, ist aspbyktiscb,
wird auf Hautreize zum Leben gebracht; er ist 47 cm lang, wiegt
2340 g. Wegen Blutung wird nach 7 Minuten die gelöst in der Scheide
liegende Placenta exprimiert. Mit der Placenta folgen mehrere grosse
Blutcoagula. Die Placenta wiegt 700 g, ist 3 cm dick, 13:29 cm breit
und zeigt etwas vou der Mitte entfernt eine deutliche wellenförmige
Impression, in der ein altes Blutgerinnsel dem Gewebe fest anhaftet.
Das Wochenbett verlief ohne Störung; Mutter und Kind konnten
gesund aus der Klinik entlassen werden.
Wodurch in meinem Falle die abnorme Einstellung des kindlichen
Kopfes bedingt war, konnte nicht festgestellt werden. Eine Becken¬
verengerung, die als Hauptursacbe angegeben wird, lag nicht vor.
Da der Kopf schon fest auf den Beckeneingang aufgepresst war,
kam eine Wendung nicht mehr in Frage. Auch der Versuch, den Kopf
in den queren Durchmesser zu drehen, eine Korrektion, die Henckel
mit Erfolg ausführte, erwies sich nicht mehr als möglich. Es blieb also
nichts weiter übrig, als abzuwarten und schliesslich nach 24 stündiger
Webentätigkeit aus kindlicher Indikation und im Interesse der Mutter
die Geburt künstlich zu beenden. Dass in meinem Falle die hohe
Zange gelang, findet wohl seine Erklärung darin, dass es sich um kein
grosses Kind mit weichen und leicht verschiebbaren Schädelknochen
handelte. Es musste aber wie io den meisten anderen beobachteten
Fällen mit äusserater Kraftanwendung gezogen werden.
8. Hr. Klages: Lebeisbed rohliehe Blatnagen in Spät Wochenbett.
Es ist stets ein alarmierendes Ereignis, wenn nach einer normal
verlaufenen Geburt, nach einem in den ersten Tagen ganz normalen
Wochenbett ganz plötzlich, ohne alle Vorboten, Blutungen auftreten,
die in einzelnen Fällen das Leben der Wöchnerin unmittelbar bedrohen
können. Treten diese Blutungen nach dem achten Tage des Wochen¬
bettes auf, so werden sie nach v. Winokel als Blutungen im Spät¬
wochenbett oder einfach Spätblutungen bezeichnet. Glücklicherweise
sind sie ein nicht allzu häufiges Vorkommnis. Braun-Fernwald sah
unter 20 000 Geburten nur 3 Fälle von akut lebensgefährlichen Blutungen.
Wir hatten in letzter Zeit in der Klinik zwei Fälle zu beobachten
Gelegenheit; ich habe daraufhin unser Geburtsmaterial der letzten zwei
Jahre, vom 1. Oktober 1910 ab, durebgesehen und finde unter 6026 Ge¬
burten 4 Fälle von abundanten lebensbedrohlichen Blutungen ver¬
zeichnet.
Wie gesagt, können diese Blutungen ganz plötzlich, wie aus heiterem
Himmel auftreten; meist aber senden sie doch ihre Vorboten voraus:
die Lochien bleiben über die Normalzeit hinaus blutig, sind stärker, als
es der Norm entspricht, der Uterus involviert sich schleobt, er bleibt
weicher, behält eine mehr kugelige Gestalt, der Cervicalkanal ist länger
geöffnet, auch nach dem achten Tage noch für den Finger durchgängig,
kurz, es geben solchen Hämorrhagien die Zeichen mangelhafter Involution
voraus. In manchen Fällen traten auoh wohl in gewissen Intervallen
weniger heftige Blutungen auf, deren Summierung jedoch genügt, um
Zeichen der Anämie bei der Wöchnerin zu zeitigen; Wiederholung würde
auch hier ernste Gefahren mit sich bringen können.
Die Aetiologie der Spätblutungen ist eine recht mannigfache.
Als letzte, als Grundursache ist jedoch in den allermeisten Fällen mangel¬
hafte Rückbildung des Uterus anzusehen, die ihrerseits entweder in
krankhaften Veränderungen des Uterus selbst bzw>. seiner Anhänge oder
in abnormem Inhalte der Uterushöhle sich begründet findet.
Dass Lagereräoderungen des Uterus, eine im Wochenbett sich aus¬
bildende Inversio uteri, Tumoren des Uterus, Myome, Carcinome usw.,
Spätbildungen machen können, liegt auf der H^nd. Ebenso dass Erosionen
der Portio, Venenektasien, Arrosionen von Gefässen der Uteruswandungen
solche Blutungen veranlassen können. Als seltenere Ursachen findet
man in der Literatur geplatzte Aneurysmen. Und in einem Falle wurde
Loslösung eines Bronchus aus einem Cervixriss beobachtet.
Die maogelhafte Rückbildung des Uterus, wohl die häufigste Ursache
von Spätblutungen, kann wieder bedingt sein durch andauernde Füllung
von Blase und Mastdarm oder durch Muskelschwäche des Organs
selbst.
Entzündungsprozesse an und in der Nähe des Uterus stören seine
normalen Rückbildungsvorgänge in ganz besonders hohem Maasse. In
erster Linie aber ist es abuormer Inhalt, der jede normale Rückbildung
hintanhält, also zurückgebliebene Eiteile.
Nun machen retinierte Eihäute und auch grössere Deciduamassen
für gewöhnlich keine Blutungen, anders dagegen Placentarreste. Sie
machen fast regelmässig Störungen.
Allerdings kann man wohl die spontane Ausstossung von Placentar-
teilen während des Wochenbettes auch ohne giössere Blutung erleben,
aber in der Mehrzahi der Fälle geht es nicht so gut ab.
Die Folge der Retention von Placentarleilen ist also mangelhafte
Rückbildung, die ihrerseits wieder läogerdauernde und stärker blutige
Lochien zeitigt. Und hieraus entwickelt sich dann eine weitere Erschei¬
nung, die in ganz besonders hohem Maasse die Involution des Uterus
hintanhält, das ist die Bilduog eines Placentarpolypen. Sie geschieht,
um es kurz anzudeuten, in der Weise, dass sich Blutmassen an den auf
der Oberfläche des Uterus haftenden Placentarresten niederschlagen und
durch immer neue Apposition sein Wachstum fördern.
Welches ist nuu aber die unmittelbare Veranlassung zu den er¬
wähnten abundanten Blutungen? Die schlechten Rückbildungsver¬
hältnisse des Uterus, die mangelhafte Involution, bringen es mit sich,
dass die Gefässlumina sich nicht durch unmittelbares Aufeinanderlegen
ihrer Wände schliessen, sondern durch Thrombenbildung. Diese Thromben
können, falls sie nicht konsolidiert werden, bei Rückbildung des Uterus
in seine Höhle ausgestossen werden. Die Folge eines solchen Er¬
eignisses ist dann eben die Blutung. Aber noch eine andere zeitigt die
Subinvolutio uteri, eine Folge, die uns die Wahl unserer therapeutischen
Maassnahmen sehr erschweren kann, das ist die Begünstigung der In¬
fektion. Die Cervix bleibt, wie ich schon erwähnte, länger geöffnet,
und so haben Bakterien jedweder Herkunft die beste Gelegenheit in den
Uterus ungehindert einzudringen, wo sie dann in dem Vorgefundenen In¬
halt die besten Vorbedingungen für ihre verderbenbringende Fortent¬
wicklung finden. So sehen wir auch nicht allzu selten Spätblutungen
mit Infektionsprozessen parallel laufen.
Es ist nicht immer leicht, im Einzelfalle die Ursache der Blutung
festzustellen, meist bleibt nicht genügend Zeit für eine eingehendere Unter¬
suchung. Der Zustand der Wöchnerin drängt zu eiligstem Handeln.
Und unser äusserstes und letztes diagnostisches Hilfsmittel, nämlich das
Eingehen des Fingers in die Uterushöhle, fällt schon mit den therapeuti¬
schen Maassnabmen zusammen. Wir können uns also in der Mehrzahl
der Fälle, wenn wir Lageveränderungen ausgeschlossen haben, nur durch
direktes Betasten der Innenfläche des Uterus einige Klarheit verschaffen.
Aber auch dann noch kann uns der Grund der Blutung verborgen bleiben,
wenn wir den Uterus leer oder höchstens mit frischen Blutgerinnseln
angefüllt finden.
Die Therapie hat die Aufgabe, die Involutionsverhältnisse des
Uterus zu bessern, wochenlang also krankhaften Inhalt zu entfernen und
danach kräftige Kontraktionen anzuregen, wie es durch heisse Spülungen,
Kälteapplikation, Massage und kräftige Secalegaben geschehen kann.
Ich möchte hier in aller Kürze unsere beiden letzthin beobachteten
Fälle charakterisieren.
Im ersten Falle trat bei einer 38 jährigen Primipara 19 Tage nach
ganz normaler Geburt und bis dahin fast normalem Wochenbett — die
Lochia cruenta batten etwas länger angedauert — ganz plötzlich morgens
nach dem Aufstehen eine abundante Blutung auf, die in wenigen Minuten
die Patientin pulslos und auch sonst ernsteste Erscheinungen schwerer
Anämie machte. Sie ist fieberfrei, wie überhaupt während .des ganzen
Wochenbetts. Blutverlust etwa l 1 /* Liter schätzungsweise. In Narkose
wird unverzüglich in den Uterus eingegaDgen, nachdem Lageverände¬
rungen, Tumorbildungen, Entzündungsprozesse ausgeschlossen sind. Es
finden sich keine Placentarreste vor, doch ist die Placentarstelle deutlich
an leichten knotig buckeligen Hervorragungen kenntlich, die, äusserst derb
und hart, sich ohne Gefahr, die Uterusw&nd zu perforieren, nicht ent¬
fernen lassen. Nach dem Eingehen mässige Blutung aus dem Uterus,
nach reichlicher Alkobolspülung werden wegen Fortdauer der Blutung
der Uterus und die Vagina fest tamponiert, darauf Bekämpfung der
Anämie. Danach steht die Blutung, ln den nächsten Tagen hohes
Fieber mit Schüttelfrösten, dann Abfall. Infolge Lungeninfarktes Pneu¬
monie, langwierige Rekonvaleszenz.
Im zweiten Falle trat bei einer 22 jährigen Primipara am 13. Tage
nach der Geburt ganz plötzlich, nach nur an einem Tage, und zwar am
sechsten, durch Temperatur gestörten Wochenbett, ganz plötzlich eine
schwere Blutung auf. Verlust etwa 1 1 / 4 Liter. Auoh hier wird aus¬
getastet. Auch in diesem Falle ist der Uterus, abgesehen von frischen
Blutgerinnseln, ganz leer, seine Innenfläche glatt. Am 1. und 2. Tage
nach der Austastung hohes Fieber, dann Abfall. Rekonvaleszenz durch
leicht pleuritiscbe Reizung gestört.
Also in beiden Fällen fand sich nichts im Uterus vor, was als
Grund und Ursache der Blutung hätte entfernt werden müssen.
War nun unser Eingehen nutzlos, vergeblich? Gewiss nicht!
Einmal gelangten wir so zu einer Diagnose: Keine Placentarreste,
keine Lageveränderungen usw., also mangelhafte Retraktionsverhältnisse,
Lösung von Thromben. Zum anderen hat unsere Manipulation ganz
sicherlich den Effekt gehabt, energische Kontraktionen anzuregen und so
die Gefahr erneuter Blutung zu beseitigen.
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UMIVERSITY OF IOWA
230
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Aber unser Eingehen ist seitens der Patientinnen mit Fieber be¬
antwortet worden. Zweifelsohne befanden sich zu dieser Zeit Iofektions-
keime im Genitaltractus, die wir durch unser Hantieren in die BLutbahn
eingeimpft haben. Sie waren jedoch von nicht allzu hoher Virulenz,
so dass es also zu ernsteren Erscheinungen nicht kam.
Wie aber wäre der Ausgang gewesen, wenn septische Prozesse im
Genitalkanal bestanden hätten?
Hätten wir der Frau nicht doch mit einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit eine Sepsis, eine Pyämie einimpfen können?
In solchem Fällen würde unsere Therapie doch zwischen zwei
Feuern schweben: Gehen wir ein, droht die Gefahr der Infektion, gehen
wir nicht ein, verbleibt im Uterus der verderbliche Inhalt, kann eine
Wiederholung der Blutung das Leben der Wöchnerin vernichten.
Diese Sachlage hat den Vorschlag gezeitigt, in Fällen von Spät¬
blutungen bei gleichzeitig bestehender Infektion die Totalexstirpation
des Uterus vorzunehmen. Ich erinnere mich eines solchen Falles, wo
von anderer Seite bei einem 18jäbrigen Mädchen aus dem eben ge¬
nannten Grunde der Uterus entfernt wurde.
Da müssen wir uns denn doch fragen: Ist eine solche verstümmelnde
Operation wirklich der einzige Weg zur Rettung? Die Veranlassung zu
dem genannten Vorschläge gab wohl eine Statistik Winter’s. Und
wenn man nur diese Statistik durchsieht, so mag die Idee der Operation
nicht so absurd erscheinen. Es bandelt sich um 15 Fälle manueller
Entfernung retinierter Placentarreste: In 7 Fällen trat mehr oder weniger
schweres Resorptionsfieber auf, 4 mal Parametritis, 4 mal Pyämie, davon
endeten 2 Fälle tödlich. Winter nimmt auf Grund seiner Statistik
an, dass relativ häufig nach Entfernung von Placentarstücken und
leichten fieberhaften Zuständen schwere, ja nicht selten tödliche In¬
fektionen enstehen können.
Demgegenüber steht eine Statistik Hörmann’s aus der Münchener
Klinik mit weit grösserem Material. Hörmann teilt die pessimistische
Anschauung Winter’s nicht, gibt nur das gelegentliche Vorkommen
von Infektion nach Ausräumung von Placentarresten zu.
Puppel rät zwar auf Grund seiner Untersuchungen an dem Königs-
berger Material zu einer möglichsten Beschränkung der Ausräumung von
Placentarresten, für Fälle von Blutung und schwerem Fieber lässt er
sie jedoch ohne weiteres zu. Aus den Puppel’schen Mitteilungen ver¬
dient als interessant hervorgehoben zu werden, dass bei tödlichem Puer¬
peralfieber nur in 8,7 pCt. Placentarreste gefunden wurden und dass,
wenn Fieber bei Retention auftrat, es sich zumeist um Resorptionsfieber
handelte.
Unsere Fälle in der Klinik geben der Hörmann’schen bzw.
Puppel’schen Auffassung recht. Wir haben in unseren vier Fällen
stets sofort digital ausgetastet und in keinem Falle einen schwereren In¬
fektionsprozess erlebt. Und dabei bestand in zwei Fällen vorher Fieber,
das als vom Genitale ausgehend angesehen werden musste, zwei Fälle
waren fieberfrei.
Somit glaube ich, dass die Totalexstirpation sich zunächst noch auf
solche Fälle beschränken wird, wo alle Versuche, eine Blutung zum
Stehen zu bringen, fehlschlugen, ln Fällen aber, wo bereits septische
Allgemeinerscheinungen bestehen, wird auch einerseits eine Totalexstir¬
pation den im Vordergrund stehenden Infektionsprozess nicht aufhalten.
Auf der anderen Seite wird eine digitale Ausräumung ihn kaum ver¬
schlimmern können. Und dann werden wir doch auch Fälle erleben,
wo der völlig hinfällige Zustand der Patientin eine vaginale Totalexstir¬
pation nicht mehr zulässt und wir somit zu äusserstem Konservatismus
gezwungen sind.
Es ist ohne weiteres klar, dass uns hier eine gute Prophylaxe vor
diesen gefahrvollen Ereignissen, wenn nicht in vollstem Umfange, so
doch in hohem Maasse schützen kann. Sie hat schon während der Ge¬
burt einzusetzen: strenge Ueberwachung der Nacbgeburtsperiode muss
hier erstes Erfordernis sein, um so jeder Störung der Placentarlösung
vorzubeugen. Gleich wichtig ist die Nachschau der Placenta auf Voll¬
ständigkeit; sie wird hier in der Klinik aufs Peinlichste und Sorgfältigste
ausgeführt, und schon bei Verdacht auf Retention wird unmittelbar nach
Geburt der Placenta eingegangen und die Uterushöhle ausgetastet.
Es ist dies eine Operation, die zu dieser Zeit des Wochenbetts als
relativ harmlos angesehen werden kann. Wir haben in der Klinik trotz
nicht allzu seltenen Eingehens in den Uterus sofort nach der Geburt
kaum jemals irgendwelche Wochenbettskomplikationen, beobachtet.
Von ebensolcher Wichtigkeit ist eine strenge Ueberwachung der
Rückbildungsvorgänge des Uterus.
Es scheint so, als ob Atonien für Spätblutungen eine gewisse ätio¬
logische Bedeutung zukäme, da nach ihnen meist die Rückbildung des
Uterus mangelhaft ist; in solchen Fällen, ebenso bei Infektions¬
verdächtigen, bei reichlich blutigem Lochialfluss, längerer Dauer der
blutigen Ausscheidungen pflegen wir frühzeitig durch Anwendung von
Kälte, eventuell durch Secalegaben die Involution des Uterus zu unter¬
stützen, um so dem Auftreten der so gefürchteten Spätblutungen zu be¬
gegnen; und zwar dadurch, dass wir einen Verschluss der Gefässe
durch Thromben, wenigstens in allzu ausgedehntem Maasse, ver¬
hindern.
Zu diesem Zwecke und auch, um akute schwerere Blutungen zu
stillen, habe ich vor Zeiten Versuche angestellt mit einer Kombination
von Secale und hypertonischen Cblornatriumlösungen, die ich in einem
bestimmten Mischungsverhältnis intravenös injizierte. Ich habe in
einigen Fällen von Blutungen, z. B. bei entzündlichen Adnexerkran¬
kungen, bei chronischen Motritiden, im Klimakterium usw. frappierende
Wirkung gesehen. Ich würde deshalb nicht abgeneigt sein, auch bei
Spätblutungen mit diesen Injektionen einen Versuch zu machen. Ich
glaube, es könnte doch in manchen Fällen gelingen, einer Blutung
Herr zu werden und vielleicht auch bisweilen eine Auskratzung zu um¬
gehen. _
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Liepmann-
Schriftführer: Herr Henneberg.
Vor der Tagesordnung.
1. Hr. 0. Maas demonstriert Präparate von einem Fall, in dem das
klinische Bild einer spastischen Spinalparalyse bestand. Die histo¬
logische Untersuchung des Rückenmarks ergab einen normalen Befund.
Als Kind Gehirnhautentzündung (?), danach Vergrösserung des Kopfes,
Krämpfe und Gehstörung, in der Schule leicht gelernt. Bei der Unter¬
suchung im 46. Lebensjahre: spastisch paretischer Gang, Steigerung der
Reflexe, Babinski, keine Atrophien, Sensibilität intakt, keine Ataxie,
Zittern der Hände, Pupillenreaktion normal, Kopfumfang 61,5 cm, Tod
an Hirnblutung. Befund: Hydrocephalus, frisches Blut in den Ven¬
trikeln, Rückenmark normal bei allen angewandten Methoden.
Vortr. demonstriert weiter einen 55jährigen Patienten, der nach
Apoplexie dauerndes typisches Stottern zeigt. Keine aphasischen
Störungen, geringe Schwäche des linken Beines. Der Fall ist bemerkens¬
wert wegen der organischen Grundlage des Stotterns und des rechts¬
seitigen Sitzes der Gehirnläsion.
Vortr. zeigt sodann die Photographie eines im 81. Lebensjahre ge¬
storbenen Mannes Bit sehr stark entwickelten Brüsten. Die Behaarung
war schwach, die Hoden etwas klein, Anomalien von seiten des Nerven¬
systems bestanden nicht.
Ferner demonstriert Vortr. einen 32jährigen Mann, bei dem nach
Exstirpation beider Hoden wegen Tuberkulose Verringerung des Bart¬
wuchses und Haarlosigkeit der Brust aufgetreten war, sodann zwei
Eunuchoide. Bei dem einen liess sich Vergrösserung der Sella turcica,
Aufhebung des Geruchvermögens und Fettleibigkeit konstatieren. Der
andere, 61jährige Patient zeigt Hochwuchs, Schwachsinn, Kleinheit der
Hoden, mangelhafte Behaarung, relativ lange Extremitäten, ovale Pupillen,
die rechte Pupille liegt exzentrisch.
Diskussion.
Hr. L. Jacobsohn stellt die Frage, ob sich in dem ersten von
Herrn Maas besprochenen Falle vielleicht Stauungserscheiuungen im
Gehirn oder Rückenmark gezeigt hätten. Dadurch könnte ein leichter
Druck auf das Rückenmark ausgeübt worden sein, der, ohne anatomische
Veränderungen zu bewirken, doch die spastischen Erscheinungen hervor¬
gerufen haben könnte.
Hr. Stier fragt, ob das Stottern im Fall 2 sich direkt an den
Insult angeschlossen oder erst später sich eingestellt habe.
Hr. Lewandowsky hat einen Fall beobachtet, in dem nach einem
doppelseitigen Stirnschuss Aphasie und danach Stottern auftrat. Das
Stottern wurde für organisch erachtet, es stellte sich jedoch weiterhin
eine zweifellos hysterische Störung des Farbensinnes heraus, so dass
auch die organische Natur des Stotterns zweifelhaft wurde. Er fragt,
ob in dem Falle Maas’ die organische Natur des Stotterns gesichert sei.
Hr. Kempner: Da mir das Stottern des von Herrn Maas demon¬
strierten Patienten den Eindruck einer funktionellen und nicht einer
organischen Störung macht, möchte ich fragen, ob Linkshändigkeit bei
dem Patienten oder in dessen Familie vorgekommen ist.
Hr. Maas (Schlusswort): In dem Fall .von organischem Stottern
scheint Linkshändigkeit nicht vorzuliegen. Man muss annehmen, dass
für die Sprache in dem vorliegenden Falle die rechte Hemisphäre nicht
ohne Bedeutung war. Eine hysterische Grundlage des Stotterns ist un¬
wahrscheinlich. In dem Fall von spastischer Spinalparalyse ohne Rücken¬
marksbefund fanden sich keine Anzeichen von Stauung im Rückenmark.
2. Hr. Bonhoeffer stellt eine Patientin mit periodischer tirftbel-
sneht vor. Die Zwangsvorstellungen beziehen sich u. a. auf das Atmen,
Gehen, Schlucken usw. Der zurzeit bestehende Anfall schloss sich an
eine Bemerkung an, die jemand über die Frisur der Patientin machte.
Die Vorstellungen haften manchmal sehr, manchmal besteht eine An¬
deutung von Ideenflucht. Aehnliche Anfälle hatte Pat. mit 16 und
22 Jahren. Besonders zu beachten ist in dem Falle die Periodizität
und der depressive Affekt, beide Erscheinungen weisen auf die Zugehörig¬
keit des Falles zum manisch-depressiven Irresein hin. Sexuelle Kom¬
plexe im Sinne Freud’s spielen dabei keine Rolle.
Diskussion.
Hr. Liepmann fragt, ob die Patientin im Klimakterium stehe,
und ob ein besonderer Anlass den Anfall ausgelöst habe.
Hr. Bonhoeffer (Schlusswort): Ein äusserer Anlass lag nicht vor.
Pat. ist jetzt 50 Jahre alt, die Menopause trat bereits im 40. Jahre ein.
8. Hr. Oppenheim:
Ueber klinische Eigentümlichkeiten kongenitaler Hirngeschwfilste.
(Krankendemonstrationen.)
(Der Vortrag ist bereits ausführlich im Neurologischen Centralblatt,
1918, S. 8, erschienen.)
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
231
Diskussion.
Hr. H. Roth mann fragt, ob in dem letzten Falle, in dem der
Vortr. ein Fehlen der Pyramidenkreuzung vermutet, eine Linkshändigkeit
besteht. In den wenigen in der Literatur vorhandenen derartigen Fällen,
x. B. in dem Falle vod Charcot und Pitres, ist hierauf nicht ge-
achtet worden. Bei der grossen Seltenheit dieser Abnormität wird man
aber doch mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die cerebrale
Gefässveränderung die gekreuzte Hemisphäre betroffen hat.
Hr. K. Mendel fragt den Vortr., ob im ersten Falle Hemicranie in
der Familie des Patienten zu eruieren ist, oder ob Pat. selbst Anzeichen
von Migräne bot. Es ist ja bekannt, dass in hemieranischen Familien
oder bei an Hemicranie Leidenden ähnliche — teils vorübergehende,
teils bleibende — halbseitige Störungen, wie sie Pat. zeigt, Vorkommen.
Hr. Oppenheim (Schlusswort) ergänzt seine Mitteilungen und er¬
widert, dass der Patient rechtshändig sei. Ueber Hemicranie in der
Ascendenz hat er nichts in Erfahrung gebracht.
Tagesordnung.
1. Hr. Lewandowsky:
Die aeiere Entwicklung userer K enteis vem sympathischen Nerven¬
system.
Vortragender gibt einen Ueberblick über den Stand der allge¬
meinen Physiologie und Pathologie des sympathischen Systems.
Er bespricht zuerst die cerebrale Beeinflussung, die corticalen und
subcorticalen Centren und die Bahnen, welche das Gehirn mit den Ur¬
sprüngen der sympathischen Nerven im Rückenmark und Hirnstaram
verbinden. Er wendet sich dabei gegen die Anschauungen, die L. R.
Müller entwickelt hat. Vortragender wendet sich dann zur Besprechung
der Sensibilität des sympathischen Systems. Eine Sensibilität
der inneren Organe steht fest. Die Leitung erfolgt ebenso durch die
hinteren Wurzeln und die sensiblen Hirnnerven wie die aller anderen
Sensibilität. Die Wirksamkeit der Foerster’schen Operation beruht bei
der Tabes darauf, dass sie an einer Stelle vorgenommen wird, wo der
centrale Teil des sensiblen Neurons degeneriert. Nach der Bosse-Einer-
schen Operation am Vagus, die peripher vom Ganglion jugulare aus¬
geführt wird, ist das nicht der Fall. Es werden dann die Head’schen
Zonen erwähnt, die durch Irradiation zustande kommen, und speziell
auch auf die Head’schen Kopfzonen hingewiesen, die vielleicht das Sub¬
strat für manche Reflexneurosen sind, und vielleicht auf einer Irradiation
vom sensiblen Vagus auf das Trigeminusgrau beruhen. Nach einer Dar¬
stellung der grundlegenden Forschungen Gaskeils undLangleys über
die vier Ursprungsstätten der sympathischen Fasern im Hirnstamm
und Rückenmark (mesencephaler, bulbärer, lumbodorsaler, sacraler An¬
teil) wird die Bedeutung der sympathischen Ganglien besprochen,
denen wohl auch die sympathischen Zellgeflechte zuzureebnen sind.
Trotzdem eine Unterbrechung der Fasern hier durch die Nikotinmethode
naebgewiesen ist, scheint es, dass die Erregung im Ganglion keine wesent¬
liche Veränderung erleidet. Auch scheinen sich Reflexe in den eigent¬
lichen Ganglien nicht zu schliessen, für die Geflechte ist das noch nicht
auszuschliessen. Indessen ist es z. B. für die Blase nachgewiesen, dass
sich die geregelte Reflextätigkeit nur im Rückenmark abspielt, da nach
Durchschneidung aller Blasennerven diese geregelte Tätigkeit aufhört.
Für die rhythmisch arbeitenden Organe — Herz, Darm — kommt den
Ganglien indessen wahrscheinlich die Aufgabe der Erzeugung der rhyth¬
mischen Reize zu. Eine Art der Funktionsbeeinflussung, die beim quer¬
gestreiften Muskel nicht vorkommt, ist die aktive Hemmung, d. h.
die Hemmung nicht durch Nachlass eines centralen Tonus, sondern durch
Zuführung spezifisch hemmend wirkender Erregungen zur Peripherie —
Darm, Herz, Blase usw. Das bängt zusammen mit einer Selbständig¬
keit der Peripherie, wie sie sich am cerebrospinalen System nicht
findet. Diese Selbständigkeit ist zwar bei den einzelnen Organen sehr
verschieden gross, lässt sich aber bei allen, z. B. durch Denervierung,
steigern, und eine solche Uebererregbarkeit spielt vielleicht bei einer
grossen Anzahl von Krankheitszuständen (Spasmen, Anfällen) auf dem
Gebiete der Organneurosen und vasomotorischen Neurosen eine Rolle.
Weiter erklärt sich dadurch z. B. die Tatsache, dass nach Nervendurch¬
schneidung je nach der Grösse des einwirkenden Reizes die bezüglichen
Organe bald eine Unter-, bald eine Ueberfunktion zeigen (z. B. Gefässe
nach Sympathicusdurchschneidung). Vortragender wendet sich dann
zur Besprechung der sogenannten Vagotonie und Sympathicotonie.
Der Begriff der Vagotonie beruhe auf einer scharfen Gegenüberstellung
des dorsolumbalen Teils des sympathischen Systems gegen die Gesamt¬
heit der drei anderen Unterabteilungen. Diese Gegenüberstellung sei
weder vom anatomischen, noch vom physiologischen, noch vom allgemein
klinischen Standpunkte aus berechtigt. Vielmehr handelt es sich dabei
um pharmakologische bzw. toxikologische Einheiten, die speziell mit
den anatomischen nicht übereinstimmten. Die Theorien, welche den rein
pharmakologischen Charakter der Vagotonie nicht anerkennen wollen,
sind falsch. Die Anwendung dieser Einheiten sei daher nur gerecht¬
fertigt, wo es sich um die Wirkung von Giften oder das Fehlen von
Tonicis im Körper handele (Addison’sche Krankheit, vielleicht ana¬
phylaktischer Shock u. a.). Für alle anderen Probleme, speziell für die
Einteilung der centralen Neurosen wäre diese pharmakologische
Einteilung von vornherein zurüokzuweisen. Denn selbst den einfachsten
psychischen Vorgängen entsprächen sehr viel differenziertere Zustände
des sympathischen Systems, als sie durch die Begriffe Vagotonie und
Sympathicotonie bezeichnet werden, und die Neurosen sind psychische
Krankheitseinheiten. Man könne rieb daher auch nicht wundern, dass
weder der Begriff einer vagotonischen Disposition und einer sympathico-
tonischen im Bereich der normalen Persönlichkeiten ihre Bestätigung
finden, noch auch, dass die pharmakologischen Versuche noch dazu mit
den Mitteln, welche wesentlich auf die Peripherie wirken (Adrenalin
und Pilokarpin), zu brauchbaren Resultaten auf diesem Gebiete geführt
haben. Der Vortrag erscheint in der Zeitschr. f. d. ges. Neurologie u.
Psychiatrie. (Autoreferat.)
Die Diskussion wird vertagt.
Berliner otologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Passow.
Schriftführer: Herr Beyer.
Der Vorsitzende berichtet, dass ein Aufruf zur Teilnahme an der
Sammlung für ein Robert Koch-Denkmal eingegangen ist. Im Zu¬
sammenhänge damit empfiehlt er die Errichtung eines Denkmals für
Schwartze.
Die Angelegenheit wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung
gesetzt.
Auch die Frage der etwaigen Ernennung von korrespondierenden
Mitgliedern, die duroh eine Anfrage aus Paris angeregt worden ist,
soll in der nächsten Sitzung verhandelt werden.
Desgleichen wird auf die nächste Sitzung verschoben die Verhand¬
lung über ein Anerbieten der Laryngologischen Gesellschaft, über das
Herr Blau berichtet, dahingehend, dass Mitglieder der Otologischen und
der Laryngologischen Gesellschaft berechtigt sein sollen, auch die der
anderen Gesellschaft gehörenden Bücher mit nach Haus zu nehmen.
Hr. Blau teilt mit, dass nach einer Mitteilung der allgemeinen
Ausstellung, die in Verbindung mit dem Internationalen medizinischen
Kongress in London veranstaltet werden soll, die Otologen und die Mit¬
glieder der Sektion für Hautkrankheiten und Syphilis davon ausgeschlossen
sein sollen. Der Vorsitzende wird beauftragt, nach den Gründen für den
Ausschluss der Otologen zu fragen.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Wagener demonstriert ein Instrameit zur Erleichterung der
Intabatioisnarkose.
Die Einführung des Kuhn’schen Intubationsrohres in den Kehlkopf
stösst oft auf Schwierigkeiten, ebenso das Heraasnehmen des starren
Mandrins aus dem Rohre. W. gebraucht als Mandrin eine biegsame
Kupfersonde mit verdickter und durchbohrter Spitze, die für alle drei
Rohrgrössen passt. Die Einführung des Intubationsrohres in den Kehl¬
kopf geschieht unter Leitung des Auges mittels des Röhrenspatels oder
eines ähnlichen Instrumentes. Auch das Herausziehen der biegsamen
Sonde bereitet nicht die geringsten Schwierigkeiten. Das Instrument
ist zu kaufen bei Pfau-Lieberknecht, Berlin N.W. 6, Luisenstr. 49.
Diskussion.
Hr. Sturmann: Ich wende die Kuhn’sohe Tubage sehr oft an und
weiss, dass sie recht schwer ist und von verschiedenen Kollegen nach
den ersten missglückten Versuchen aufgegeben wurde. Es gehört eben
einige Uebuog dazu, um die Tubage sicher auszuführen. Nach meiner
Meinung ist die starke Krümmung des Instrumentes unbedingt nötig.
Ich mache die Tubage immer in Narkose, weil ich die Vorstellung
habe, dass man einem Patienten nicht gut vor einer Operation, be¬
sonders wenn es sich nicht um eine Halsoperation handelt, zumuten
kann, sich erst cocainisieren zu lassen; jedenfalls wird dadurch die
Aufregung bedeutend gesteigert. Wenn man aber das Instrument ein¬
führt, nachdem der Patient tief narkotisiert ist, dann liegt er so, dass
der Kehldeckel der hinteren Rachenwand dicht anliegt. Man muss daher
ein Instrument haben, das, nachdem es über den Kehldeckel gelangt
ist, ihn stark nach vorn drängt, sonst kommt man an der hinteren
Rachenwand entlang in den Oesophagus hinein. Das Instrument von
Wagen er verbiegt sich aber, wenn man den erforderlichen Druck
ausübt.
Der Patient muss so tief narkotisiert sein, dass er wirklich reflex¬
frei ist. Die Zeit, während deren er nicht atmen kann, bedeutet nichts.
Man kann die Einführung ganz langsam machen und braucht keine
Sorge zu haben. Tatsächlich wird neben dem Tubus immer noch ge¬
atmet. Ich habe nur ein Instrument, das ich anwende, und zwar die
stärkste Nummer, und finde, dass es auch bei zarten Frauen, die einen
kleinen Kehlkopf haben, ihn niemals ganz verschliesst. Im Gegenteil
muss man immer, besonders wenn man Nebenhöhlen operiert, noch den
Hals abdiebten, indem man ein Viertel meterstück Gaze in den Rachen
bineinsohiebt, damit nicht Sekrete oder Blut neben dem Tubus in die
Trachea fiiessen.
Da die Tubage grosse Schwierigkeiten macht, so beschäftigen sich
verschiedene Kollegen, wie mir bekannt ist, mit Verbesserungen, loh
habe auoh allerlei Versuche gemacht, bin aber bis jetzt noch nicht
damit zustande gekommen. Es ist möglich, dass man mit dem Rinnen¬
spatel bequemer einen Tubus einführen kann.
Hr. A. Bruck: Bieneiwachs als Fremdkörper im Gehörgaag.
Die stark nervöse Dame, die ich Ihnen vorstelle, hat sich vor
§ Tagen — in Anlehnung an die Notiz eines Wocbenunterhaltungsblattes —
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UNIVERSUM OF IOWA
232
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
eine Art Antiphone aus Bienenwachs gefertigt und diese vor dem
Schlafengehen in die Ohren, wenn ich so sagen darf, hineinmodelliert.
Es handelte sich um eine minderwertige, ausserordentlich weiche Sorte,
die schon in der warmen Hand butterartig weich wurde. Ich erwähne
nebenbei, dass der Schmelzpunkt des reinen gelben Bienenwachses
zwischen 61° und 64° C liegt. Die Wachsverschlüss9 funktionierten denn
auch zunächst zur Zufriedenheit, ln der Nacht indessen wachte die
Patientin von einem heftigen Sausen und Klingen in beiden Obren auf;
rasch entfernte sie die Wachsverschlüsse, wobei sie sich einer Locken¬
nadel bediente. Links gelang ihr das auch mit dem Erfolg, dass die
Geräusche hier alsbald schwanden; rechts blieb dagegen etwas von der
Masse zurück. Bei dem wiederholten Extraktionsversuch hatte die
Patientin Schmerzen, und es blutete ein wenig aus dem Ohr. Ein am
nächsten Tage aufgesuchter Arzt spritzte das Ohr zweimal mit warmem
Wasser aus; allein die Ohrgeräusche wurden eher heftiger. Als ich die
Patientin sah, fand ich in der Tiefe des Gehörgangs — ausser einer
minimalen Erosion nahe dem Eingang — eine graugelbliche homogene
Masse, die da9 Trommelfell vollkommen verdeckte, bis auf einen winzigen
Saum au der hinteren Circumferenz. Dass es sich hier um eine Wachs-
ablagerung bandelte, konnte man ohne weiteres an den eigenartigen
weissen Rillen erkennen, die sich mit einer Sonde ziehen Hessen. Da
Bienenwachs als ein fettähnlicher Körper löslich in Chloroform, Schwefel¬
kohlenstoff, warmem Benzin und ätherischen Oelen ist, so benutzte ich
gereinigtes Terpentinöl. Ich konnte mit einiger Mühe auch soviel ent¬
fernen, dass die hinteren Randpartien des Trommelfells sichtbar wurden.
Die stärkere Reizung schob allerdings weiteren Versuchen der Art einen
Riegel vor. Man sieht jetzt noch die vordere Partie mit einer grauen
Masse bedeckt, deren Farbstoff durch das Oel mehr oder weniger extrahiert
worden ist. Es wäre mir lieb, zu hören, ob einer von Ihnen etwas
Aehnlicbe9 gesehen und welche Erfahrung er bezüglich der Behandlung
gemacht bat. Ich selbst will noch Instillationen von angewärmten
Benzin machen, in welchem sich das Wachs in der Tat gut zu lösen
scheint. Auf alle Fälle dürfte der vorliegende Fall zur Vorsicht mahnen
bezüglich der Verwendung derartiger Weichwachsantiphone, wie sie ja
gelegentlich auch beim Baden zum Schutze persistenter Trommelfell¬
perforationen benutzt werden.
Diskussion.
Hr. Passow: Ich würde die Ohrmuschel vorklappen und die fremden
Massen berausnebmen.
Hr. Halle: Vor dem Gebrauch von Benzin für das Ohr möchte
ich sehr warnen. Benzin verursacht im äusseren Gehörgange manchmal
furchtbare Schmerzen, selbst beim vorsichtigen Auswischen mit Watte.
Mehrfach musste ich stundenlang spülen und Eingiessungen machen
lassen, um den Schmerz herabzusetzen.
Was die Antiphone anlangt, so hat sich mir seit Jahren das Hart¬
paraffin sehr bewährt. Ich befestigte an einem Wattekern eine Schleife
aus einem Seidenfaden, tauchte diesen in erhitztes Paraffin und formte
Kugeln von entsprechender Grösse.
Dieses Antiphon formt sich beim Erwärmen im äusseren Gehörgang
etwas nach diesem und schliesst ausgezeichnet ab. An dem Seiden¬
faden ist er leicht zu entfernen.
Wachs ist allerdings für diesen Zweck sehr unzweckmässig, und
auch das Sprengerische patentierte Antipbon, das au9 weichem Paraffin
hergestellt wird und in eine Seidenhülle geschlossen ist, erscheint nicht
sehr geeignet. Denn erstlich fettet es, und wenn, was möglich ist, die
Hülle platzt, die das Paraffin umgibt, könnte das leicht Vorkommen,
was soeben Kollege Bruck beschrieben hat.
Hr. Passow: Von den Antiphonen, die ich kenne, ist das aller-
zweckraässigste der Gummipfropfen vom Perkussionshammer, der mit
einem Seidenfaden durchzogen wird und den man ein wenig mit Oel
anfeuchtet.
Hr. Beyer: Ich möchte die Bemerkung des Kollegen Bruck
wegen der Gefährlichkeit dieser Antiphone bestätigen, da auch wir im
letzten halben Jahre zweimal solche Fälle gesehen haben. Wir haben
das Antiphon das erste Mal durch kontinuierliche Warmwasserspülungen
herausbekommen. Das zweite Mal wurde bei einem Kollegen durch eine
Ausspülung ein sehr grosser Trommelfellriss gemacht.
Hr. Sonntag: Kontinuierliche Spülungen mit 50 gradigem Wasser,
eventuell eine Stunde oder zwei Stunden fortgesetzt, würden vielleicht
Erfolg haben, da das zur Verwendung gekommene Wachs ja bei Körper¬
temperatur seinen Schmelzpunkt haben soll.
Hr. A. Bruck: Es ist mir nicht gelungen, die Wachsmasse durch
Ausspritzungen mit hoch temperiertem Wasser zu lösen und zu entfernen.
Tagesordnung.
Hr. Beyer: Fall von Cholesteatoma venm.
Bei Patienten, der nie ohrenkrank gewesen, bildete sich im Laufe
eines Vierteljahres allmählich eine wenig schmerzhafte Anschwellung
hinter dem rechten Ohr oberhalb des Planums. Trommelfell getrübt
und Herabsetzung der Hörfähigkeit beiderseits im Sinne einer Interna.
In der Anschwellung eine ältere Inzisionswunde, bei deren Sondierung
man auf rauhen Knochen stösst. Keine fieberhaften oder cerebralen Er¬
scheinungen. Die Operation deckt ein Cholesteatom von kolossaler
Grösse auf, das die ganze Vitrea usuriert hat, so dass die in toto ver¬
dickte Dura nach oben bis zum Schläfenlappen, nach hinten über die
Mittellinie hinaus, nach unten bis zum Foramen magnum, nach vorne
bis an die knöcherne Gehörgangswand freiliegt. Im Kuppel- und Pauken¬
raum kein Cholesteatom, keioe Granulationen, Hammer und Amboss
nicht cariös. Es handelte sich also wohl um ein Cholesteatoma verum,
das ohne vorbergegangene oder folgende Ohreiterung sich im Winkel
von Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptbein unter allmählicher Usur
der Tabula vitrea entwickelt hat.
Diskussion.
Hr. Passow: Kollege Lehmann hat vor einiger Zeit einen Fall
vorgestellt, den ich eine Stunde, bevor der Vortragende seinen Fall
operierte, operiert hatte, bei dem das Cholesteatom die ganze Spitze des
Felsenbeins vollständig zerstört hatte. Es schien mir, dass es sich auch
da um ein wahres Cholesteatom handelte. Es steht nun noch die Frage
aus, wie der Verschluss des Defektes geschehen soll.
Hr. Schwabach: Ich habe nicht recht verstanden, wie Kollege
Beyer die Entstehung dieses Cholesteatoms erklärt?
Hr. Beyer: Ich habe schon gesagt, dass es 9ich meiner Meinung
nach um ein Cholesteatoma verum handelt, wofür auch der Ort des
Wachstums am Asterium spricht. Inbetreff der Frage des Verschlusses,
die der Herr Vorsitzende anregte, muss erwähnt werden, dass eine Fett¬
transplantation beschlossen wurde, die aber wegen der grossen Aus¬
dehnung der freiliegenden Dura nach Ansicht von Prof. Schmieden
doch ausgeschlossen erscheint. Er plädiert mehr dafür, den Knochen
zu frakturieren und eine Knochennaht anzulegen. Bis jetzt sind wir
der Frage vollständig enthoben, da sich der Patient absolut gegen
jeden Verschluss seiner Schädelhöhle wehrt. Bis jetzt sind zweimal
Säcke von Cholesteatomen entfernt worden, die ungefähr die Grösse von
Handtellern hatten; nunmehr ist die Wunde absolut trocken.
Hr. Brühl:
Demoistratioa mikroskopischer Apparate am Projektionsapparat.
(Mikroskopische Demonstration eines in vivo diagnosti¬
zierten Falles von beiderseitiger Otosklerose.)
B. demonstriert eine Reihe von Präparaten mit dem Projektions¬
apparat über Otosklerose, die an einer 39 jährigen Patientin zu Lebzeiten
mittels der Funktionsprüfung diagnostiziert worden war. Die aus¬
gezeichneten Präparate, deren Abbildungen in der M. f. 0. miss¬
lungen sind, beweisen die Richtigkeit der Diagnose. Ausserdem zeigt
B. noch acht von ihm untersuchte Fälle von Knocbenalterationen im
Felsenbein: fünf ohne Otosklerose (Stapesankylose), drei mit Otosklerose.
Von letzterer waren zwei taub (alte Leute), einer schwerhörig
(jugendlich); auch in diesem Fall wurde in vivo die richtige Diagnose
gestellt. Die Prädilektion der Knochenalterationen an dem Vorhofs¬
fenster erklärt B. mit der schweren funktionellen Belastung dieser Stelle;
dieselbe zeigt sich daraus, dass erst beim hörenden Menschen das Ring¬
band des Steigbügels vorn breiter wird wie hinten, während es beim
nicht hörenden neugeborenen vorn und hinten gleich lang ist.
Diskussion.
Hr. Wagener: Fast bei allen Präparaten, die eben demonstriert
wurden, konnte man erkennen, dass der hintere Teil des Steigbügels, ob
er nun ankylosiert war oder nicht, weiter ins Vestibulum hineingerückt,
der vordere herausgehebelt war. Ich habe es mir so erklärt, dass der
Zug des Musculus stapedius dies bewirkt. Besonders wichtig ist, dass
dies auch an den Präparaten zu verfolgen ist, wo die Ankylosierung
stattgefunden hat. Da siebt man hinten in9 Vestibulum den Buckel
vorspringen, während der Steigbügel vorn berausgehebelt ist. Dieses
Heraushebeln erklärt mir auch die grössere Länge des Bandes vorn.
Hr. Beyer: Der Stapedius wird nach hinten beruntergezogen, und
die obere Kante der Stapesplatte dreht sich dabei ins Vestibulum so,
dass zu gleicher Zeit eine Rotation und Einsenkung des hinteren Pols
resultiert. Deswegen ist auch der vordere Teil des Ligamentums immer
länger.
Hr. Wagener: Es ist sehr merkwürdig, dass sich dieser Befund
histologisch so häufig findet.
Hr. Boyer: Weil die Erkrankung an diesem Teil anfängt.
Hr. Wagener: Dies findet sich auch fast regelmässig bei normalen
Felsenbeinen. Das ist mir schon seit vielen Jahren aufgefallen, und ich
habe mich immer gefragt, wie diese Stellung des Steigbügels am histo¬
logischen Präparat zu erklären ist. Ist dies durch die Totenstarre des
Musculus stapedius hervorgerufen? Am Lebenden scheint ja die Zug¬
wirkung des Stapedius wesentlich die Steigbügelsteliung zu bewirken.
Ich glaube aber, dass hier noch andere mechanische Momente in Betracht
kommen, über die wir noch nicht genauer orientiert sind.
Hr. Brühl: Ich habe am menschlichen Embryo gezeigt und halte
es für wertvoll, das genauer zu untersuchen, dass eine funktionelle An¬
passung des Ligamentum annulare an das Hören wahrscheinlich die Ur¬
sache von der grösseren Länge des Ringbandes ist. Durch die all¬
mählich eintretende Funktion des Steigbügels und durch die einseitige
Drehung des Steigbügels durch den Steigbügelmuskel wird vorn das
Ligamentum annulare gezerrt und gedehnt. Ich habe ja selbst versucht,
die Aetiologie gewisser Formen der Stapesankylose auf die funktionelle
Belastung der Gegend vor dem Vorhofsfenster zurückzuführen, lege aber
keinen Wert auf die Hypothese. Eine funktionelle Anpassung des Liga¬
mentum annulare vorn beim Hören scheint mir aber dafür zu sprechen.
Auf Verschiebungen des Steigbügels lege ich keinen Wert; die normale
Lage des Steigbügels im Vorhoffenster ist mir ein Kriterium für ein
gutes Gelingen der Präparate. Man findet nicht selten auch die Basta
des Steigbügels vollkommen artificiell verbogen.
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UMIVERSITY OF IOWA
3. Februar 1Ö13.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
233
Gynäkologische Gesellschaft za Berlin.
Sitzung vom 10. Januar 1913.
Vorsitzender Herr Bumm widmet den verstorbenen Mitgliedern
Beoecke und Bosse einen Nachruf. Das Andenken der Toten wird
in üblioher Weise geehrt. Es werden ferner an die neu aufgenommenen
Mitglieder die Diplome überreicht.
Demonstrationen.
1. Hr. Siefart demonstiert eine von ihm exstirpierte schwangere
Take (mit Ovarien). Am abdominalen Ende sieht man eine trichter¬
förmige Erweiterung. Dies ist das Bett des Eies. Dieselbe ist von
einem mitexcidierten Stück Uterusgewebe umgeben. An der hinteren
konvexen Fläche der Tube sieht man ein von ausgezacktem Rande um¬
gebenes Loch. Dieses ist die Rupturstelle. Aus Lage und Befund muss
man scbliessen, dass es sich um eine interstitielle Gravidität handelt.
Es ist dies eine ausgesprochene Seltenheit. So gibt Werth an« dass er
unter 120 Fällen von ektopischer Schwangerschaft nicht einen Fall von
interstitieller gesehen bat, und dass Martin unter 77 Fällen bis zum
Jahre 1895 nur einen Fall sah. Da die Tube 1 cm weit innerhalb der
Uteruswand verläuft und das Ei mehr nach dem Cavum uteri oder mehr
nach den Ostien abdominale zu liegen kann, so ergibt sich daraus, dass
mehrere Spielarten möglich sind. Vortr. verbreitet sich ferner über die
anatomische Untersuchung und Therapie sowie über den Verlauf des
betreffenden Falles und kommt zu dem Schluss, dass es ein grosser
Fehler ist, wenn immer wieder in der Literatur die Ansicht auftaucht,
man solle mehr exspectativ verfahren. Im Gegenteil dazu steht er auf
dem Standpunkte, dass jede diagnostizierte ektopische Schwangerschaft
nicht früh genug operiert werden kann und jede Stunde einen Verlust
bedeutet, und sogar ein geringes Hinzögern schon den Exitus herbei¬
fuhren kann.
2. Hr. Heiusius demonstriert a) eine Cystenniere. Bei einer Kreissenden
wird rechts vom Uterus eine grosse Geschwulst gefunden. Urin ent¬
hält viel Albumen. Am fünften Tage war der Urin leicht blutig ge¬
färbt. Nach einigen Tagen Temperatursteigerung bis 39,8°, Schwellung
des rechten Beins und der rechten Lendengegend. Die Geschwulst
reichte bis Nabelhöhe. Man nahm Pyonephrose an. Statt der Fett¬
kapsel nur Stränge und Verwachsungen vorhanden. Es handelt sich um
Cystenniere. Exstirpation, nach 24 Stunden Exitus. Die Sektion ergab
auch Cystenniere der anderen Seite und cystische Degeneration der
Leber. Die Ursache ist in angeborenen Abnormitäten zu erblicken. Die
Kombination mit Gravidität ist selten, die Diagnose wird meist erst bei
der Operation gestellt. Im ganzen ist der Fall selten. Die Erfolge sind
schlecht.
b) Niereaexstirpatioi bei Pyelonephritis, Ureterfistel, sekundäre Er¬
krankung der anderen Niere.
Eine 87 Jahre alte Frau, die siebenmal entbunden ist, zuletzt
vor drei Monaten, ein leicht fieberhaftes Wochenbett durcbgemacht
hat, bemerkte, dass sie nachts stets nass war. Es wurde eine Fistel
konstatiert, aus der sich Urin entleerte. Cystoskopisch als Ureterfistel
erkannt. Die Füllung der Blase war trotzdem normal. Der von der
gesunden Seite entleerte Urin betrug nur 500 ccm. Es trat Schüttel¬
frost und erhöhte Temperatur ein. Die tägliche Urinuntersuchung wies
granulierte Cylinder nach. Es wurde linksseitige Pyelitis angenommen
und die linke Niere exstirpiert. Die rechte Niere übernahm nun all¬
mählich die Funktion der linken Niere mit. Es trat Heilung ein. Es
mahnt dies zur Vorsicht bei Implantation des Ureters. Die Exstirpation
war lebensrettend, obwohl nacbgewiesenermaassen die andere Niere
auch erkrankt war. Die Rettung war nur durch die Exstirpation
möglich.
Diskussion.
Hr. Gottschalk hat einen ähnlichen Fall von doppelseitiger Pyelo¬
nephritis nach Verletzung eines Ureters bei Laparotomie gesehen. Die
nicht verletzte Seite war ebenfalls erkrankt. G. hat dieselbe nicht ex¬
stirpiert, sondern abgewartet. Es kam schliesslich zum Verschluss des
Ureters und zur sekundären Atrophie. Die andere Niere heilte völlig
aus. Er hat die Ueberzeugung, dass die Exstirpation für die Patientin
den Tod bedeutet hätte. Ein solches Prinzip kann man jedenfalls nicht
allgemein aufstellen.
Hr. Heinsius gibt zu, dass ein solcher Fall selten ist. Maass¬
gebend ist, dass die Erkrankung der anderen Niere sekundär ist. Ist
dies der Fall, so ist die Operation berechtigt.
Hr. Schülein zeigt ein 18 Pfund schweres Myom. Stammt von
einer 48 jährigen Patientin. Schwierigkeit bot nur die Unterbindung der
Adnexe.
Hr. Moliiari: Zar Aelielogie der Narkosen! ähm ungen.
Der Name stammt von Braun, der eine doppelte Plexuslähmung
der Arme sah. Er nahm als Ursache die Haltung der Arme über den
Kopf hinweg an. Viele andere sehen als Ursache den Druck der Clavi-
cula an, welche auf die Nerven zwischen 5. und 6. Halswirbel drückt
und andere wieder Druck auf den Erb’schen Punkt. Rudinger ver¬
legt die Druckstelle zwischen Clavicula und 2.-3. Wirbel. Er stellte
auch Versuche an Skeletten mit dazwischen gelegtem Papier an. Barden-
heuer dagegen legt mehr Wert auf die Üeberdehnung. Gaupp brachte
Klarheit in die Sache durch direkte Untersuchungen der Armbewegungen
und zeigte, dass bei höchster Erhebung des Armes die Clavicula gar
nicht io die Lage kommt, eine Kompression auszuüben. Andere wieder
legten Wert auf den Schwund des Fettgewebes. Ausser den Lähmungen
des ganzen Plexus treten auch Lähmungen einzelner Nerven auf, sowohl
an den oberen, wie an den unteren Extremitäten. Vieles hierbei auch
unerklärt. Das Resultat ist: Die Narkosenläbmungen sind mechanische
Lähmungen, hervorgerufen durch die Haltung des Armes. Der Einfluss
der Narkose ist nur sekundär. Prädisponiert sind Frauen, namentlich
magere. Das Wahrscheinlichste ist, dass die Quetschung, soweit sie in
Betracht kommt, zwischen Clavicula und erster Rippe statthat. Ganz
sicher ist aber, dass auch die Üeberdehnung mitspricht. Er hat selbst
6 Falle beobachtet. In 3 Fällen fand Totallähmung statt, in 3 Fällen
nur Lähmung des 5. und 6. Cervicalnerven. Bei den 3 Fällen von
Totallähmung war sogar die übermässige Dehnung vermieden und nur
eine mässige Hebung des Armes gemacht. Manchmal ist das Verschwinden
des Pulses ein Vorbote von zu starker Erhebung und nachfolgender
Lähmung. In den ersten 3 Fällen glaubt Vortragender an Druck-, in
den drei anderen an Dehnungslähmung. Er macht an einer Pat. die
Haltung der Arme vor und zeigt photographische Aufnahmen von Pat.
und anatomischen Präparaten. Endlich spricht er darüber, wie die
Lähmung zu vermeiden ist. Am besten ist es, die eine Hand unter
das Gesäss der Pat zu legen, die andere auf die Brust der Pat. Pro¬
gnose ist im allgemeinen gut. Nötig ist zeitige Faradisation, danach
fast stets Genesung.
Diskussion.
Hr. Gottschalk hat 2 Fälle gesehen, in denen sicher die hohe
Extension über den Kopf hinweg schuld war.
Hr. Saniter hält die Quetschung zwischen zwei Knochen für ganz
unmöglich, sondern als Aetiologie nur die Herumspannung um einen
Knochen für zulässig.
Hr. Strassmann hält ebenfalls nur die Dehnung für maassgebend.
Besondere Vorsicht ist bei Mammaoperationen nötig. Zu verwerfen sind
vor allem die schmalen Tische. Für die untere Extremität kommt der
Druck durch die Assistenz in Betracht. Er sah einen solchen Fall, der
nicht heilte.
Hr. Gerstenberg hat eine partielle Unterschenkellähmung bei
einer sehr kurzen Operation gesehen.
Hr. Molinari hält an der Möglichkeit der Quetschung fest.
Hr. Bumm bemerkt, dass die NarkosenIähmung oft zu gericht¬
lichen Verhandlungen führt. Es h$t, wenn man dann als Sachverständiger
vernommen wird, keinen Zweck, zu leugnen, dass die Lähmung ihre
Ursache in der Operation hat. Es ist ohne weiteres zuzugeben, jedoch
ist es nicht als Schuld oder Versehen zu betrachten, sondern liegt eben
im Bereich des Risikos, das jeder bei einer Operation übernimmt. Er
ist mit dieser Deduktion vor Gericht stets durchgekommen.
Hygienische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Pfeiffer.
Hr. Koeiigsfeld:
Ueber den Darehtritt von Infektionserregern durch die Hant
Manche Erfahrungen sprechen dafür, dass Mikroorganismen durch
die unverletzte Schleimhaut in den menschlichen Organismen dringen
können. Doch auch die äussere Haut bietet in unverletztem Zustande
keine absolut sicher schützende Decke gegen die Invasion gewisser Krank¬
heitserreger, wie zuerst von Garrö durch seine klassischen Versuche
mit Staphylokokken nachgewiesen wurde. Auch für viele andere
Bakterien wurde gezeigt, dass sie die unverletzte Haut zu durchdringen
vermögen, worunter besonders die Versuche mit Pestbacillen wegen
ihrer epidemiologischen und diagnostischen Wichtigkeit hervorzuheben
sind. Eine grosse Anzahl Autoren beschäftigte sich mit Versuchen über
Tuberkelbacillen. Die Versuche ergaben fast stets einen positiven Aus¬
fall, doch ist die Versuchsanordnung in den meisten Fällen nicht ge¬
nügend einwandfrei. Vortr. hat daher neue Versuche angestellt, unter
möglichster Vermeidung früherer Fehlerquellen. Durch diese Experi¬
mente wurde festgestellt, dass die Tuberkelbacillen imstande sind, die
unverletzte Haut von Meerschweinchen auf dem Wege der Haarfollikel
und Lymphspalten zu durchdringen. Siebeneinhalb Stunden nach der
Impfung befinden sie sich bereits im Unterhautzellgewebe, nach vier
Tagen sind sie in den regionären Drüsen nachzuweisen. Von 12 Tieren,
die mit Perlsuchtbacillen geimpft wurden, zeigten 6 nach kürzerer oder
längerer Zeit Tuberkulose der inneren Organe, von 9 mit humanen
Bacillen geimpften Tieren wurden 8 tuberkulös. Eine Versuchsreihe
mit einem Sputum, das nur spärliche Bacillen enthielt, fiel völlig negativ
aus; von 6 Tieren, die mit einem bacillenreichen Sputum cutan geimpft
wurden, wurden 5 tuberkulös. Die Tiere nahmen während der ganzen
Beobachtungszeit fast stets, manchmal beträchtlich an Gewicht zu, und
machten durchaus keinen kranken Eindruck. Die Sektion ergab immer
eine ganz beträchtliche Vergrösserung der regionären — inguinalen —
Lymphdrüsen, nächst diesen scheinen zuerst die Iliacaldrüsen befallen
zu werden, dann die Mesenterial- und Netzdrüsen, die Lungen und oft
auch die Leber. Niemals zeigten sich an der Haut tuberkulöse Verände¬
rungen. Dieser letztere Befund steht in Widerspruch zu einigen früheren
Beobachtungen und zu Baumgarten’s Lehre, dass die Tuberkelbacillen
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UNIVERSUM OF IOWA
234
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. S.
nirgends in den Körper eindringen können, ohne an der Eintrittstelle
tuberkulöse Veränderungen zu hinterlassen. Nach Ansicht des Vor¬
tragenden dringt das tuberkulöse Virus in den Körper ein, ohne Spuren
an der Eintrittsstelle zu hinterlassen, wenn diese intakt ist. Ist die
Eintrittsstelle dagegen lädiert, so stören die Tuberkelbacillen die
Prima intentio und rufen spezifische tuberkulöse Veränderungen
an der Eintrittspforte hervor. Mit der Annahme der Möglich¬
keit eines Durchtritts von Tuberkelbacillen durch die unverletzte
Haut auch beim Menschen wird das Verständnis für die Entstehung
mancher isolierter Drüsentuberkulosen sehr einfach. Gerade bei Kindern,
deren zarte Haut die Tuberkelbazillen leicht durchtreten lässt, tritt die
Scrophulose auf, und besonders bei Kindern tuberkulöser Eltern der
ärmeren Bevölkerung, wo die Kinder durch Herumspielen auf dem Boden
leicht Gelegenheit haben, sich mit tuberkulösem Sputum zu infizieren.
Auch stellt die Scrofulose eine sehr benigne tuberkulöse Erkrankung dar,
ebenso wie in den vorgetragenen Versuchen die sonst für Tuberkulose so
empfindlichen Meerschweinchen ein sehr benignes Krankheitsbild boten.
Weitere Versuche wurden mit Lyssavirus angestellt. Dieses ist an¬
scheinend nicht imstande, die unverletzte Haut zu durchdringen, dagegen
kommt es zu einer Infektion von Skarifikationswunden der Haut aus.
Es gelingt auch mit verfaultem Material, bei dem eine Diagnose durch
mikroskopische Untersuchung oder durch intramuskuläre Tierimpfungen
wegen der dabei oft auftretenden Sepsis nicht möglich ist, durch cutane
Impfung zu einer Diagnose zu kommen, indem das Lyssavirus die
Haut durchdringt und eine Wuterkrankung des Tieres hervorruft,
während die Begleitbakterien zurückgehalten werden.
Hr. Eisenberg:
Ueber die Vererbing erworbener Eigenschaften bei Bakterien.
Die Frage nach der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften, eine
der vielumstrittenen in der modernen Biologie, muss für die Bakterien
zweifellos bejaht werden. Das fast immense Beobachtungsmaterial, das
die Wandelbarkeit fast aller morphologischen und physiologischen Merk¬
male dartun soll, leidet aber an dem Umstand, dass in den meisten
Fällen Auslesevorgänge, bewirkt durch den angewandten Umwandlungs¬
faktor, nicht streng ausgeschlossen werden können. Vortr. hat eins der
klassischen Beispiele, die durch dysgenetische Faktoren erzielte Asporo-
genie der Milzbrandbacillen, einer Revision im Sinne der exakten Forde¬
rungen der modernen Vererbungslehre unterzogen. Voruntersuchungen
haben nun hier ergeben, dass in den Laboratoriumskulturen mehr oder
minder konstante sporogene und asporogene Rassen nebeneinander
existieren können sowie dass Auslesevorgänge je nach den Versuchs¬
bedingungen eine Unterdrückung der asporogenen oder sporogenen
Anteile herbeiführen können. Um nun derartige Vorgänge beim Um¬
wandlungsversuch sicher ausschliessen zu können, müsste als Ausgangs¬
punkt eine „reine Linie“ der sporogenen Rasse gewählt werden. Von
einer Plattenaussaat einer solchen Rasse wurde Material einer einzelnen
gut sporogenen Kolonie entnommen und in NaCl-Lösung zehn Minuten
lang auf 80° erhitzt, damit wieder Platten bestrichen — von einer ein¬
zelnen Kolonie Material wieder erhitzt, ausgesät und so fort. Diese
strenge Auslese wurde 18 mal wiederholt, von der 18. Aussaat wurde
eine Kolonie als Ausgangspunkt der Passagen gewählt. Eine grosse
Plattenaussaat von dieser Kolonie zeigt, dass unter 1000 untersuchten
Einzelkolonien alle sich als sporogen erwiesen und durchschnittlich
93 pCt. versporter Stäbchen enthielten. Diese Kultur wurde nun einer¬
seits jeden Tag von einem Glycerinagarröhrohen auf ein frisches (bei
35° G) übertragen, anderseits ebenfalls täglich Passagen auf gewöhn¬
lichem Agar, aber bei 42° C, unterworfen. In beiden Reihen wurde der
Verlauf des Versuchs durch Plattenaussaat auf gewöhnlichem Agar bei
35° C und Untersuchung einer Reihe von Einzelkolonien auf ihre Sporo-
genität kontrolliert. Bereits bei der 13. Passage in der ersten Reihe,
bei der 16. in der zweiten erwies sich die Kultur als ganz asporogen.
Zur Kontrolle wurde bei Abschluss des Versuches von der 20. Glycerin¬
agarpassage sowie von der 33. 42°-Agarpassage eine grosse Aussaat vor¬
genommen und je 1000 Kolonien von jeder Reihe untersucht — in beiden
Reihen waren alle asporogen. Zur Bekräftigung dieser Resultate wurde
in jeder Reihe an 100 Kolonien durch deD Erhitzungsversuch bewiesen,
dass keine Dauerformen in ihnen enthalten waren.
Die so erhaltenen asporogenen Kulturen erwiesen sich bis jetzt als
konstant asporogen — je 50 Agarpassagen und 7 bis 10 Mäusepassagen
vermochten nicht, ihnen die Sporogenität wiederzugeben. Es erscheint
somit für das Sporenbildungvermögen (in Analogie mit dem berühmten
Hansen’schen Versuch bei Hefen) der exakte Nachweis einer Umwand¬
lungsmöglichkeit und Vererbbarkeit der so erhaltenen Umwandlung
erbracht.
Aussser diesen konstant erblichen Umwandlungen können durch ver¬
schiedene dysgenetische Faktoren auch beschränkt erbliche Umwand¬
lungen erzeugt werden, die eine Reibe von Generationen sich erhalten,
um dann allmählich oder plötzlich zum Arttypus zurückzukehren. Solche
vorübergehende Einbusse an Sporenbildungsvermögen wird bei Milzbrand¬
bacillen oft durch langes Aufbewahren von trockenem Sporenmaterial,
durch Temperaturen, die der Abtötungstemperatur für Sporen oder
Bacillen nahekommen, u. a. erzeugt. Eine Häufung solcher Einwirkungen
festigt natürlich die hervorgebrachte Aenderung des betreffenden Merk¬
mals. Mit der Asporogenie geht meist, wenn auch nicht immer, eine
Aenderung vieler morphologischer und physiologischer Eigenschaften
Hand in Haud, darunter die wiohtgiste, die Herabsetzung der Patho¬
genität.
Besondere Beachtung verdient die Schnelligkeit, mit der so tief¬
greifende Aenderungen des Arthabitus erzielt werden — einzelne
asporogene Kolonien werden schon nach einigen Glyoerinargar- oder
42°-Passagen beobachtet. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass
bei Bakterien Soma und Keimplasma nicht so streng geschieden sind,
wie bei höheren Lebewesen, dass also leicht eine „Parallelinduktion des
Keimplasmas“ vor sich geht bei allen Einwirkungen, die das Soma treffen.
Nun sind zwar bei 3 bis 4 Passagen gleich 60 bis 100 Bacillengenera¬
tionen, aber es ist zu bedenken, dass eine Bakteriengeneration derjenigen
eines höheren Metazoons durchaus nicht gleichwertig ist, sondern eigent¬
lich einer Zellgeneration in so einem Zellstaate. Es wächst ja hier ein
„Halbindividuum“ zu einem „Ganzindividum“ innerhalb der Generations¬
dauer heran. Man kann also eine Bakterienkultur einem ausgewachsenen
Tier, den Einzelkeim oder die wenigen Keime, aus denen sie heran¬
gewachsen ist, einer Keimzelle gleichsetzen. Auf diese Weise betrachtet,
entspräche eine Agarpassage einer Generation der höheren Lebewesen —
wir ständen also vor der Tatsache, dass innerhalb einiger Generationen
durch äussere Einflüsse höchst bedeutsame Aenderungen an den Bakterien
vor sich gehen können — ein Beweis für grosse Plastizität des Keim¬
plasmas auf dieser Entwicklungsstufe.
Die Tatsache der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften und die
Leichtigkeit, mit der manche Merkmale beeinflusst werden können, muss
natürlich bei der Beurteilung der Artkonstanz und der Artunterscbeidung
mit berücksichtigt werden. Verschiedene Merkmale zeigen bei Bakterien
eine verschiedene natürliche Variationsbreite und eine verschiedene Be-
einflussbarkeit durch äussere Faktoren. Pathogenität, Farbstoffbildung,
manche Ferment- und Stoffwechselfunktionen scheinen im allgemeinen
leicht zu variieren und leicht beeinflussbar. Manche Merkmale wieder
werden starr festgehalten und lassen sich nur mit grosser Mühe, wenn
überhaupt, umwandeln. So bedürfte Twost zweier Jahre, um dem
Typhusbacillus das Vermögen der Milchzuckervergärung anzuerziehen.
So sah Vortr., dass Typhusbacillen bei langem Fortzüchten bei 42° die
auftretende Hypagglutinabilität mit der Zeit überwinden und normal
agglutinabel werden. Eine eingehende Analyse der differentialdiagnostisch
wichtigen Merkmale nach dieser Richtung hin ist für praktische wie die
theoretische Bakteriologie von allergrösster Bedeutung.
Aerztllcher Verein zu Hamburg.
Sitzung vom 17. Dezember 1912.
Demonstrationen.
1. Hr. Lackmui: 7 jähriger Junge mit doppelseitiger Coxa Taiga
congenita. Im Röntgenbild starke Steilstellung des Schenkelhalses und
Drehung des oberen Femurabschnittes um die Längsachse. Notwendig
sind stets zwei Röntgenbilder: eines in Mittelstellung und eines in Innen¬
rotation. Die Pfannenstellung lässt sich berechnen aus dem „Becken¬
index“, dem Verhältnis zwischen Distanz der Cristae und Distanz der
Spinae.
2. Hr. Lauenstein : a) 17 jähriger Klempner mit BlosenEorreissiiBg
nach Quetschung des Leibes. In der Bauchhöhle Blut und Urin. Schluss
des Blasenrisses, Heilung.
b) Junger Mann, der sich im November eine 7 mm-Kogel in die
rechte Schläfe geschossen hatte. Nach 14 Tagen wurde die Kugel,
über dem linken Scheitelbein oberflächlich liegend, extrahiert Be¬
schreibung des Weges, den die Kugel vermutlich durch das Gehirn hin¬
durch genommen hatte.
3. Hr. Roedelins zeigt einen erfolgreich wegen Rhinophyms operierten
Patienten (Decortikation in Narkose mit Rasiermesser).
4. Hr. Simmonds demonstriert die Mikrophotogramme dreier Fälle
von Myoearditis lnica hei congenitaler Lnes. Makroskopisch zeigt das
Herzfleisch diffus oder in Flecken fahlgelbe Färbung, histologisch besteht
eine schwere diffuse interstitielle Myositis mit grossen Mengen von
Spirochäten darin, und zwar nur in den erkrankten Partien.
5. Hr. Thost zeigt Bilder einer älteren Patientin mit MyxSdent.
Seit 15 Jahren in seiner Behandlung, befindet sie sich unter Schild¬
drüsenbehandlung ausgezeichnet.
6) Hr. Nonne: 43jähriger Mann, seit dem 14. Lebensjahr Potator
strenuus, war sechsmal wegen Delirium tremens in Eppendorf auf N.’s
Abteilung, immer mit ungewöhnlich schweren halluzinato¬
rischen Angstzuständen und Selbstverstümmelungen (durch¬
stach sich beide Trommelfelle mit Nadeln, schnitt sich den Penis ab,
riss sich sechs gesunde Backen- und Vorderzähne aus); dabei keinerlei
Schmerz; nacbberige Erinnerung an das im Delirium Verübte. Diese
seltene Form des Deliriums findet sich im allgemeinen nur bei belasteten
Alkoholisten; dies trifft hier jedoch nicht zu. Auch keine Komplikation
mit Syphilis.
7. Hr. Paschen zeigt Bilder von zwei im Eppendorfer Krankenhause
zur Beobachtung gekommenen Fällen von Infektion mit echten origi¬
nären Knbpocken.
a) 59jährige Frau eines Landmannes, mit Diagnose „Milzbrand am
Finger“ aufgenommen. In der Tat konnte zunächst an Anthrax gedacht
werden. Am Anus eine Anzahl Impfpusteln, die in ihrem Aussehen
sehr an breite Condylome erinnerten. Anamnese ergab, dass der Mann
einige Zeit vorher eine Kuh mit einer Erkrankung des Euters gekauft
hatte; Patientin hatte diese Kuh gemolken und sich dabei an der Hand
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UMIVERSITY OF IOWA
3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
235
infiziert; sekundäre Uebertragung auf die Analgegend. Blutbild: 8000
Leukocyten, 15 pCt. Mononucleäre.
b) Tochter dieser Patientin, wurde einige Zeit später wegen „Pana-
ritiums an beiden Zeigefingern u aufgenommen. Guarnieri’scher Versuch
von den Vaccinepusteln ergab positives Resultat.
Im Anschluss daran werden Bilder einer 51jährigen Frau gezeigt,
die, an Diabetes und Pruritus vulvae leidend, die Genitalien mit einem
Taschentuch abgewischt hatte, mit dem sie soeben die Impfpusteln
ihres zuvor geimpften Enkelkindes „gereinigt“ hatte. Typische Vaccine¬
eruption.
Diskussion zum Vortrag des Herrn Deneke: Die syphilitische
Aertenerkranknng.
Hr. Schottmüller: Die Wasserraann’sche Reaktion hat für die
Diagnose der luischen Gefässerkrankung sehr Wesentliches geleistet. Bei
1194 männlichen Patienten wurde in den letzten drei Jahren 1014 mal
Wassermannprobe gemacht, sie war 189 mal positiv (18,6 pCt.); von
diesen 189 positiven Fällen hatten 28 = 14pCt. eine Aortitis luioa,
6 = 3 pCt. Tabes, 7 = 4 pCt. Paralyse, 10 = 5 pCt. Lues cerebri
und 18 = 9 pCt. Lues anderer Organe. Unter 2150 Patienten fanden
sich 134 Herzkranke; von letzteren litten 40 pCt. an Aortitis luica!
Hellklingender II. Aortenton ist häufig im Initialstadium zu beobachten.
Die Prognose möchte er ernster stellen als Herr Deneke. Die Hilfe
liegt nicht in der Behandlung, sondern in der Prophylaxe. Positive
Wassermannprobe findet sich in 86 pCt der Fälle von Gefässlues; so¬
lange sie positiv ist, sollte immer wieder aufs neue antiluisch behandelt
werden.
Hr. Nonne: Unter 114 Tabes- und 79 Paralysefällen seiner Privat¬
praxis (1. Januar 1910 bis 31. Oktober 1912) hatten 32 = 17 pCt.
Aortenerkrankung! 3 mal bestand Nikotin-, 1 mal Alkoholabusus; nur
in 8 Fällen war die Lues überhaupt, nur 2 mal war sie gut behandelt.
Von 125 Tabes- und 96 Paralysefällen im Krankenhaus hatten 24 pCt.
der ersteren, 0 pCt. der letzteren Aortitis. Die Wassermannreaktion des
Blutes war in sämtlichen Fällen von Kombination der spinalen und Ge¬
fässerkrankung positiv, während sie bei Tabes allein in 30 bis 40 pCt.
negativ ist.
Hr. Gerstein weist neben einigen klinischen Bemerkungen auf ein
abnorm lautes, oft musikalisohes, singendes Distanzgeräusch über der
Aorta hin, das sich oft früh bei der Aortenlues nachweisen lässt.
Hr. Weygandt berichtet über das Material der Friedrichsberger
Irrenanstalt. Es ergibt sich, dass die Aortitis b6i den syphilidogenen
Psychosen klinisch keine grosse Rolle spielt.
Hr. Preis er erwähnt einen Fall von Aortenaneurysma mit Arrosion
des 3. und 4. Brustwirbels.
Hr. Hahn berichtet ebenfalls über einen solchen Fall. Er beob¬
achtete im letzten Jahre 5 Fälle von Aortenlues. Bei der Behandlung
lässt die Wassermannreaktion oftmals im Stich.
Hr. Allard bespricht die Differentialdiagnose bei Aortitis luica.
Hr. Jacobsthal berichtet über die Resultate der verfeinerten
Wassermannreaktion, die fast immer positive Resultate gibt, auch bei
behandelten Patienten.
Hr. Delbanco: Positive Wassermannreaktion besagt nur, dass der
Körper einmal mit dem Luesgift in Berührung kam; prognostisch und
therapeutisch ist kein Schluss daraus zu ziehen. Delbanco würde
demgemäss auch trotz positiven Wassermanns den Heiratskonsens geben,
wenn sonst die alten klinischen Bedingungen einer ausgeheilten Syphilis
erfüllt sind. Er schlägt vor, zu berufen: 1. eine Kommission aus Sero¬
logen, welche die Standardliste der Kontrollen usw. festlegt; 2. eine
Kommission von Klinikern, Syphilidologen und Serologen, welche sich
mit der Frage der Bewertung der Wassermannreaktion befasst, damit
die Hamburger Behörden, Gerichte usw. zu einem einheitlichen Stand¬
punkte kommen.
Hr. Fraenkel kommt auf Grund der auch an Leichenmaterial sehr
gut ausführbaren Wassermannreaktion ebenfalls zu dem Schluss, dass
die Lues bei allen Aortenerkrankungen die häufigste Ursache ist.
Hr. Deneke: Schlusswort.
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 7. Janaur 1913.
1. HHr. Saeiger und Bernstein:
Ueber des Tremor and dessen Untersuchung mittels des Saiten-
galvanometers.
Die mechanische Registrierung der verschiedenen Tremorformen, wie
sie seinerzeit Charcot zuerst versuchte, ist eine zu grobe; mittels des
Saitengalvanometers von Einthoven lassen sich die Muskelaktions¬
ströme von verschiedenen Stellen der verschiedenen Muskeln ableiten.
Hiermit ist eine bedeutend bessere Uebersicht der Kontraktionsvorgänge
möglich. An zahlreichen Diapositiven werden die dabei erhaltenen
Kurven der normalen Willkürkontraktion, bei Paralysis agitans, Chorea
electrica, Hysterie, Alkoholismus, multipler Sklerose usw. erläutert. Bei
jeder Tremorbewegung handelt es sich um einen Tetanus. Beim
Patellarreflex, Fussclonus usw. ergeben sich ziemlich regelmässig wieder¬
kehrende Bilder.
Diskussion.
Hr. Fraenkel fragt, ob aus den Kurven sioh schon ein Sohluss
auf die Natur des Tremors ziehen lasse?
Hr. Weygandt begrüsst die neue Methode als Bereicherung unserer
noch recht geringen Kenntnisse über die Formen des Tremors; speziell
für Unterscheidung des Aggravationstremors u. a. dürften sich wichtige
Schlüsse noch ergeben.
Hr. Saenger (Schlusswort): Die Untersuchungsreihen sind vorläufig
noch zu klein, um sicheres daraus zu schliessen; der tierexperimentelle
Weg (Vergiftungen usw.) soll beschritten werden. Wichtig sind die
Unterschiede des peripher und des central bedingten, sowie des hyste¬
rischen und organischen Tremors.
2. Hr. Simmonds: Ueber Carcinosarkom der Schilddrüse.
Die histologische Untersuchung des bei einer älteren Dame ex-
stirpiertpn Tumors der Schilddrüse ergab zum Teil echtes Adeno-
carcinom mit Schläuchen, dazwischen ein Stroma mit Spindelzellen, teil¬
weise aber auch reines Sarkoragewebe. Am wahrscheinlichsten erscheint,
dass hier eine echte Kombinationsgeschwulst vorliegt, indem von vorn¬
herein beide Tumoren vertreten sind. Für diese Annahme spricht auch
ein kürzlich von S. beobachteter Fall: Nach Röntgenschädigung der
Hand kam es gleichzeitig und unabhängig voneinander zum Auftreten
eines Carcinoms und Sarkoms.
3. Hr. Schmielinsky*.
Ueber doppelte Gastroenterostomie beim Sandahrmagen.
Eine seit langer Zeit magenleidende 63 jähiige Frau erkrankte Früh¬
jahr 1912 neuerdings mit Bluterbrecben, Nachtschmerz. Es fand sich
ein Tumor im Epigastrium, Anacidität; Sonde stösst bei 50 ccm auf
Widerstand. Röntgenbild bestätigt die Diagnose: Ulcus callosum mit
Sanduhrmagen, vielleicht in carcinomatöser Umwandlung. In Anbetracht
des hohen Alters, der Anacidität und der Gefahr der Eröffnung des
Ulcus callosum führte Sch. nicht die Querresektion, sondern eine doppelte
Gastroenterostomie mit Erfolg aus.
Diskussion.
Hr. Haenisch weist darauf hin, dass die Perforation eines Ulcus
callosum häufiger in das Pankreas als in die Leber erfolgt und wirft
die Frage auf, wieviel von der im Röntgenbild sichtbaren Sanduhrform
organisch bzw. durch Spasmus bedingt sei.
Hr. Fraenkel hat ebenfalls häutiger ein Vordringen (nicht „Per¬
forieren“) in das Pankreas als in die Leber gesehen. Der viel ver¬
breiteten Ansicht, dass die meisten Ulcera callosa krebsig entartete
Geschwüre seien, widerspricht seine Erfahrung; nur die histologische
Untersuchung kann hier entscheiden.
Hr. Simmonds schliesst sich dieser Auffassung vollkommen an,
er fand bei den früher von ihm untersuchten Ulcera callosa nie Car-
cinom.
Hr. Sohmielinsky (Schlusswort). C. Hegler.
Aerztliclier Verein zu Frankfurt a. M.
Sitzung vom 16. Dezember 1912.
1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische
Präparate, u. a. a) eine 38 g wiegende Thymus eines einhalbjährigen
Kindes, das plötzlich zu Tode kam. Die eigentliche Ursache des Thymus¬
todes ist bis heute nicht geklärt.
b) Fibromyom des Duodenums, das durch Druck von aussen eine
Stenosierung dieses Darmabschnittes verursacht batte.
2. Hr. Franz M. Groedel:
Seltenere Befunde bei der Röntgenuntersuchung des Schädels.
G. demonstriert zahlreiche Schädelaufnahmen und zeigt Schuss¬
verletzungen des Schädels, mehrere Aufnahmen von Abflachung
derSella turcica bei Hypophysentumoren, Gummata der Schädel-
decke und Variationen in der Grösse der Stirn-, Keilbein- und
Kieferhöhlen. Als besonders seltener Befund ist ein Fall zu er¬
wähnen, bei dem entlang dem aufsteigenden Unterkieferast mehrere tiefe
Schatten, wie von Fremdkörpern herrührend, gefunden wurden. Der
Pat. bekam vor langen Jahren bei einem Ohrenleiden medikamentöse
Einträufelungen in das Ohr. Es ist anzunehmen, dass es Depots von
Medikamenten (Jod, Hg?) sind, ähnlich wie man sie bei Jodipin-
injektionen gesehen hat. Mehrere Fälle von Tumoren in der Hypo¬
physengegend werden demonstriert, in denen das Röntgenbild'wichtigen
Aufschluss über Sitz und Beschaffenheit des Tumors gegeben hat. In
einem Falle, der von Knoblauch publiziert worden ist, war der Tumor
(eine Cyste in der Hypophysengegend) selbst gut sichtbar, da er eine
verkalkte Cystenwand hatte. In anderen Fällen musste aus Abflachung
der Sella turcica oder sonstigen Deformitäten an der Schädelbasis auf
Sitz des Tumors geschlossen werden.
3. Hr. Ridolf Oppenheimer: Die Pyelitis.
Auf Grund von 96 beobachteten Fällen bespricht Vortr. ausführlich
das Krankheitsbild der Pyelitis. Die Pyelitis entsteht stets durch In¬
fektion, in 80— 85 pCt. durch B. coli. In 2 Fällen konnte das B. faecal.
aloaligenes nachgewiesen werden. Auf experimentellem Wege gelang es nie,
vom Blut aus Bakterien ins Nierenbecken zu bringen. Zur Entwicklung
einer Pyelitis sind zwei Faktoren notwendig, einmal eine lokale Disposition
(Stauung, Hyperämie, Gravidität, Menstruation) und zweitens eine all¬
gemeine Disposition. Der Entwicklung und dem Verlauf nach unter¬
scheidet man akute und chronische Falle. Die Diagnose ist aus Fieber¬
verlauf und Harnanalyse unschwer zu stellen. Differentialdiagnostisch
in Betracht kommen Blinddarmentzündung und Gallenblasenaffektionen
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UNIVERSUM OF IOWA
236
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Die Prognose ist bei B. coli quoad vitam günstig, weil das B. coli
nicht ins Gewebe eindringt. Eine Restitutio ad integrum ist selten.
Was die verschiedenen Formen der Pyelitis anbetrifft, so ist sehr häufig
die gonorrhoische Pyelitis, die vom Vortr. nicht besprochen wird, da
sie vor einiger Zeit Gegenstand eines Spezialvortrags im Verein war.
Häufig ist die Pyelitis nach Darmstörungen. Normale Darmwand
lässt B. coli nicht durch, dagegen entsteht die Pyelitis häufig bei
chronischen Darmobstipationen und Darmkatarrhen. Die Deflorations¬
und Kinderpyelitis ist von geringerer Bedeutung. Die Schwanger-
schaftspyelitis entsteht durch Stauung des Ureters infolge Drucks des
Uterus auf den rechten Ureter am Beckeneingang. Ein grosses Kontingent
stellte die Wochenbettspyelitis. Zur Therapie bemerkt. Vortr.:
Jede Pyelitis soll konservativ behandelt werden. Bettruhe, Flüssig¬
keitszufuhr und Harnantiseptiea! Salol pro die 4—5,0 (!) reichte in fast
allen Fällen aus, sonst wurde Urotropin gegeben. Vergiftungs¬
erscheinungen wurden nie beobachtet. In den Fällen, in denen man
mit dieser Therapie nicht auskam, wurde Ureterenkatbeterismus bzw.
Dauerdrainage ausgeführt. Zu einem operativen Eingriff (Nierenspaltung)
sah sich Vortr. nie genötigt. Er bezeichnet dieses Vorgehen als fast
überflüssig und nicht ungefährlich.
Diskussion: Hr. Sippel.
Sitzung vom 6. Januar 1913.
1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch - ana¬
tomische Präparate, darunter einen Fall von malignem Granulom,
das kombiniert ist mit frischer Miliartuberkulose der Lunge. Der
Fall wird vom Vortr. als Beweis für seine Ansicht der nahen Verwandt¬
schaft zwischen Tuberkulose und malignem Granulom angesehen.
2. Hr. A. Bloch demonstriert:
a) Totale Nieren-Ureterexstirpation bei Nieren-Uretertuberkulose
mit Ureterstriktur.
b) Ureterplastik uni Pyelotomie bei infizierter Hydronephrose.
Die Hydronephrose war in diesem Falle durch abnormen Verlauf zweier
zur Niere laufenden Arterien, die den Ureter gabelförmig umfassten, ent¬
standen. Durch Unterbindung und Durchschneidung dieser Arterien und
gleichzeitiger Pyelotomie konnte Dauerbeilung erzielt werden.
c) Perforation einer Hydronephrose.
3. Hr. W. Hanauer: Abnahme der Geburten in Frankfort a. M.
Die Geburtenziffer hat schon einmal am Anfang des 19. Jahrhunderts
einen starken Rückgang erfahren. Im Jahre 1800 betrug die Geburten¬
ziffer in Frankfurt a. M. 30 pro Tausend. Sie fiel in den nächsten
50 Jahren konstant bis auf 19,116 im Jahre 1850, hob sich sodann bis
zum Jahre 1900 auf 30 und fiel dann in den letzten 10 Jahren wieder
bis auf 24. Frankfurt a. M. bat überhaupt im Verhältnis zu anderen
Städten eine sehr niedrige Geburtenziffer. Während die Geburtsziffer
bei Verheirateten von 21 auf 15 gefallen ist, ist sie bei den Unehelichen
von 1.8 auf 2,5 gestiegen. Was die verschiedenen Bevölkerungsschichten
anbetrifft, so muss man sagen, dass sowohl in den Arbeitervierteln wie
in der westlichen Aussenstadt die Ziffer gesunken ist, in den Arbeiter¬
vierteln ist die Geburtsabnahme noch stärker als im Westen. So sank
die Geburtsziffer in den letzten 10 Jahren in der „ Altstadt“ von 32 auf 24,
in „Bernheim“ von 40 auf 31, in „Oberrad“ von 46 auf 23, dagegen in
der „westlichen Aussenstadt“ von 17,2 auf 9,8. Den Einfluss der Kon¬
fession zeigt die Abnahme bei den Katholiken von 25 auf 23, bei den
Protestanten von 23 auf 20, bei den Juden von 19 auf 13.
Die Ursache der starken Geburtenabnahme scheint in Frankfurt ä. M.
einmal auf dem Ueberwiegen der evangelischen und jüdischen Bevölkerung
zu liegen, dann in der Abnahme der Ebeschliessungen, vor allem aber
an den sozial-wirtschaftlichen Verhältnissen, Steigerung der Lebens¬
mittelpreise, hohe Wobnungsmieten, Zunahme der Frauenarbeit. Viel¬
leicht spricht auch die Zunahme des Stillens eine Rolle. Die Geburten¬
abnahme beruht auf freiwilliger Abstinenz und den allgemeinen sozialen
Verhältnissen, nicht aber auf einer physischen Degeneration der Be¬
völkerung. Vortr. beleuchtet dann noch die Stellung des Arztes zui
Abnahme der Geburten.
4. Hr. Boehnke:
Kombinationsmethode der Pnenmokokkeninfektion (Sero- und Chemo¬
therapie).
Die mangelhaften Erfolge der experimentellen Therapie der Pneumo¬
kokkeninfektionen durch das Pneumokokkenserum haben den Vortr.
veranlasst, einen Versuch mit der Kombination der Serumtherapie mit
der Chemotherapie zu machen. Die Arbeiten von Morgenroth und
Kaufmann haben die recht günstigen Erfolge des Aethylcupreins
bei Pneumokokkeninfektion gezeigt. Doch zeigte sich das Aethyl-
cuprein in einem grossen Prozentsatz unwirksam. Desgleichen liess sich
nur bei 60pCt. der mit Serum behandelten Tiere'^Heilung erzielen. Die
Kombination der Sero- und Chemotherapie führte in fast allen Fällen
zur Heilung. L.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
Sitzung vom 12. Dezember 1912.
Hr. J. Steinhardt demonstriert ein zwei Monate altes Kind mit
spontan cur Heilung gekommenen Missbildungen.
Die Hasenscharte ist vollkommen noch intrauterin zur Verheilung
gekommen, der kosmetische Effekt ist besser als der der bestgelungensten
Operation. Der Wolfsrachen ist gleichfalls zur Verheilung gekommen bis
auf einen kleinen Teil des weichen Gaumens und der Uvula, die Ränder
liegen aber sehr nahe aneinander.
Hr. Grtinbanm: Die Fehldiagiose der Extranteringraviditttt.
Vortr. behandelt das Thema an der Hand nachfolgender Fälle:
1. 39 jährige Frau, zunächst zwei Geburten normal, danach fünf bis
sechs Aborte. Ursache derselben linksseitige Ovarialcyste, die operiert
wurde. Danach zwei normale Geburten. Juni 1912 Menses ausgeblieben,
Beschwerden im Unterleib, fuhr zum Arzt, der Retrofiexio uteri kon¬
statierte. Nach der Untersuchung stellten sich Schmerzen ein, 24 Stunden
danach Collaps. Vortr., gerufen, stellt die Diagnose auf Tubenruptur,
Operation IO 1 /« Uhr nachts in einem Bauernhaus. Genesen.
2. In diesem Falle wirkte die Anamnese verwirrend. 32 jährige
Frau, die zwei Kinder hat, geht, da Periode ausgeblieben, zum Arzt.
Derselbe fand den Uterus vergrössert und nahm Gravidität an. Patientin
verlangte vom Arzt, er solle den Abort einleiten, sie wolle unter keinen
Umständen mehr eine Schwangerschaft durchmachen« Vom Arzte ab¬
gewiesen, machte sie selbst intrauterine Einspritzungen mit Seifenlösung,
danach Blutung nach aussen. Vier Tage danach Leib aufgetrieben,
druckempfindlich, subfebrile Temperaturen. Patientin gibt an, ausser
Blut sei noch etwas abgegangen, was sie nicht für Blut gehalten habe.
Es wird das Krankheitsbild für einen Abort gehalten. Nach zwei Tagen
derselbe Befund, doch hat Patientin apathischen, kleinen, flatternden Puls.
Bimanuelle Untersuchung wegen Schmerzen nicht möglich. Operation:
Tubenruptur, das Ei sass im interstitiellen Teil. Resektion der Tube.
Genesung.
In den folgenden Fällen war intakte Extrauteringravidität nicht er¬
kannt worden.
Bei der ersten Patientin wurde wegen vermeintlichen Aborts
Dilatatio und Abrasio uteri ausgeführt. Nach diesem Eingriff collabiert
Patientin, hinter dem Uterus grosser, weicher Tumor. Operation.
Genesung.
Die zweite Patientin blutet seit acht Tagen und behauptet, es sei
etwas abgegangen. Untersuchung ergibt Uterus vergrössert, descendiert,
Parametrien frei. Abrasio uteri wegen angenommenen inkompletten
Aborts. Nach drei Wochen Adnextumor, subfebrile Temperaturen.
Die dritte Patientin wurde über drei Monate ärztlich beobachtet,
ohne dass die Diagnose gestellt wurde. 29 Jahre alt; vor fünf Jahren
einmal geboren. Periode war acht Tage ausgeblieben, Auftreten von
Schmerzen im Leibe, Meteorismus. Nach einiger Zeit wieder Blutung
aus den Genitalien, die wieder verschwindet. Magen-Darmerscbeintmgen.
Abgang von Membranen mit dem Stuhl führen sie zu einem Spezialarzt
für Magen-Darmkranke. Aufnahme in die Klinik. Heilung der Colitis
membranacea. Als sie zum ersten Male in den Klinibgarten ging, bekam
sie einen Ohnmachtsanfall. Dem rasch herbeigerufenen nächsten Arzte
erzählte sie, sie erwarte ihre Periode, der Ohnmaohtsanfall und die
Schmerzen im Leibe kämen daher. Der Nothilfe leistende Arzt gab ihr
eine Morphiuminjektion. Zunehmender rascher Collaps. Als Vortr. zu-
gezogen, befand sich Patientin in sehr desolatem Zustand. Sofortige
Operation. Intakte Frucht vom dritten Schwangerschaftsmonat, Ruptur
entlang der ganzen Placenta. Patientin starb vier Stunden nach der
Operation an den Folgen des allzu grossen Blutverlustes.
Zum Schluss berichtet Vortr. noch über drei Fälle, in denen MRgen-
Darmstörungen im Vordergründe standen und nie die Diagnose Extra¬
uteringravidität gestellt wurde.
1. Vortr. wurde gerufen, weil Geburt nicht von statten ging. Oedeme
der Beine, aufgetriebener Leib, keine kindlichen Herztöne, kleiner Uterus,
daneben grosser Tumor. Vortr. nahm Ovarialtumor an, Operation ergab
Extrauteringravidität. Vor der vermeintlichen Geburt bestanden nur
Störungen von seiten des Magens und Darms.
2. Frau, sechsmal geboren, eine Fehlgeburt, letzte Menses vor acht
Wochen. Vor vier Wochen schwollen die Krampfadern. Der konsultierte
Chirurg schlug Operation vor und führte sie auch aus. Drei Wochen
danach 38,5*. Diffuse Schmerzen im ganzen Leib. Es wurde Appen-
dicitis vermutet, Operation verweigert. Nach zwei Tagen blasser, Puls
kleiner. Vortr. zugezogen, bis dahin Collaps.
3. 32 jährige Frau. 1904 Blinddarmentzündung, 1909 Recidiv,
operiert. Im Anschluss an letzte Periode Blutung, die nicht mehr auf¬
hörte. Doppelseitiger Adnextumor, zwecks Operation in die Klinik auf¬
genommen. ln den nächsten Tagen Stuhlverhaltung, ileusartige Er¬
scheinungen. Operation in der Meinung einer doppelseitigen Pyosalpinx,
es ergab sich aber links Pyosalpinx, rechts Hämatocele.
Hr. Zaeharias demonstriert das durch Operation gewonnene Pr¶t
einer Tnbargravidität.
Fötus 1 cm lang. Der Hausarzt (Herr Kreitmair) war wegen
peritonitischer Attacken konsultiert worden, die alle vier Wochen auf¬
traten. Bei der innerlichen Untersuchung konstatierte er einen kleinen
Tumor seitlich des Uterus. Wegen Verdachts von Extrauteringravidität
wurde Vortr. hinzugezogen, trat der Diagnose bei und operierte.
Hr. Kraus: .
Ueber Pnpiilenstornngen, ihre diagnostische Bedenting and die
Methodik ihres Nachweises.
Kraus,
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
237
Freiburger medizinische Gesellschaft.
Sitzung vom 17. Dezember 1912.
1. Hr. Kahler: Die Sckwebelaryagoskopie nach Killian.
Die neue Killian’sche Methode ist eine direkte Laryngoskopie. Vor¬
tragender demonstriert die Apparate und zeigt ihre Anwendung an
einem besonders darauf eingeübten nur cocainisierten Patienten. In
andern Fällen ist die Methode nur in Narkose oder unter Morphium-
Scopolamin anzuwenden. Die Methode ist für endolaryngeale Operationen
(Aetzungen, Excochleationen usw.), besonders an der hinteren Comissur,
zu reservieren, für die sie einen vorzüglichen Ueberblick über den Kehl¬
kopf gewährt. Ferner ist sie geeignet zu vorbereitenden Eingriffen bei
grösseren Operationen (Laryngofissur und Totaleistirpation).
2. Hr. Fühaer:
Demonstration der Morphinm-Scopolamin Wirkung im Tierversuch.
Drei Mäuse, die 2 mg Scopolamin, 2 mg Morphin und die dritte je
1 mg Scopolamin und Morphin erhalten haben, werden in dieselbe Aether-
atmosphäro gebracht, die zur Narkose einer normalen Maus nicht genügt.
Die Scopolaminmaus bleibt munter, die Morphinmaus wird ebenfalls
wenig alteriert, während die Morphin-Scopolamin-Maus in tiefe Narkose
verfällt. Dieser Versuch demonstriert die Potenzierung zweier Gifte,
die durch Hemmung der Sekretion oder Oxydation oder durch Be¬
schleunigung der Resorption erklärt werden kann.
3. Hr. Mangold:
Willkürliche Kontraktionen des Tensor tympani nnd die Aufzeichnung
toi Drnekschwaikungen im äusseren tiehürgang (Mit Demonstrationen).
Der Vortragende demonstriert an einer Versuchsperson die während
ihrer willkürlichen Tensorkontraktionen sichtbaren Schwankungen in
einem in den Gehörgang eingeführten, mit Methylenblaulösung gefüllten
Manometer. Die photographische Registrierung dieser Druckschwankungen
hatte eine überraschende Fähigkeit der Abstufung der Dauer und Stärke
der willkürlichen Tensorkontraktionen ergeben, die ebenso wie die
Unabhängigkeit der beiderseitigen Innervation durch Uebung beträchtlich
gesteigert werden kann. Bei längeren Versuchsreihen Hess sich die Er¬
müdung an der Abnahme der Kurvenböhe beobachten, entsprechend
auch die Erholung nach kurzer Pause. Der Grad der Unabhängigkeit
der beiderseitigen Innervation wurde zum Teil auch mit gleichzeitiger
Registrierung der Druckschwankungen von beiden Ohren aus untersucht.
Anderweitige Druckschwankungen im äusseren Gehörgange, wie sie durch
positiven oder negativen Valsalva, Schluck-, Ohr- oder Kopfbewegungen
bedingt wurden, ergaben ebenfalls bei der manometrischen Registrierung
charakteristische Bilder. Auch mittels der Marbe’schen Russringmethode
wurden die durch die willkürlichen Tensorbewegungen verursachten
Druckschwankungen aufgenommen. Während der Tensorkontraktionen
waren auch Einziehung des Trommelfells, Herabsetzung der Hörschärfe
und Dämpfung der musikalischen Töne zu beobachten.
Diskussion.
Hr. Schilling zieht die Möglichkeit einer Mitwirkung des Stapedius
in Erwägung in dem Falle, wo durch willkürliche Bewegung der Ohr¬
muschel ein positiver Ausschlag des Manometers erfolgte. Ferner beim
Hinhorchen auf das Ticken einer Uhr bei der Hörprüfung während einer
willkürlichen Tensorkontraktion, wobei eventuell die Wirkung des Lausch¬
muskels gehemmt wird. Er bezeichnet ferner die kurze Dauer der will¬
kürlichen Tensorkontraktionen und die rasche Ermüdbarkeit des Muskels
gegenüber der geringen Ermüdbarkeit bei reflektorischer Kontraktion als
bemerkenswert.
Hr. Mangold erklärt, bei seiner Versuchsmethode könne er über
eine Mitwirkung des Stapedius nichts aussagen. Fromherz.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 13. Dezember 1912.
(Eigener Bericht.)
Hr. Freud berichtete über die Wirkung des Radiums auf die
dareh Adreaalia anämisch gemachte Halt.
Durch das Anämisierungsverfahren wird erreicht, dass die Röntgen¬
strahlen von der Haut weniger absorbiert werden, demnach weiter in
die Tiefe dringen. F. hat je einer Person eine Adrenalinlösung bzw.
destilliertes Wasser unter die Haut injiziert. Die Wirkung des Radiums
war bei den unbehandelten Patienten stärker als bei den nicht un¬
behandelten.
HHr. Redlich und v. Eiseisberg demonstrierten ein 15jähriges
Mädchen, bei welchem ein Rückeamarkstamor operativ entfernt wurde.
Pat. bekam vor ungefähr 2 Jahren Schwäche in der linken Hand,
Schmerzen und Parästhesien, dann kam es zur Anästhesie des Rumpfes
und der Extremitäten sowie zur spastischen Parese zuerst des linken
und dann des rechten Beines. Die Symptome wiesen auf einen extra¬
medullären Tumor in der Höhe des 8. Cervicalsegmentes hin (Progredienz
der Symptome, Beginn links, dann Uebergang auf die linke untere und
die rechte untere Extremität, Verengerung der linken Lidspalte, Hyp-
ästhesie am linken Arm mit Ausnahme der Ulnarseite, geringere Hyp-
ästhesie am rechten Arm, Atrophie der kleinen Handmuskeln mit Krallen¬
stellung der Finger). Für einen Tumor sprachen weiter die Erschei¬
nungen einer Querschnittsunterbrechung des Rückenmarkes: Spastische
Parese beider Beine, Sensibilitätsstorung der unteren Extremitäten und
des Rumpfes. Es wurde in der Gegend des 5.-7. Halswirbels die Dura
freigelegt, nachdem die Operationsstelle mit V 2 proz. Novocainlösung um¬
spritzt worden war; dadurch wurde die Blutung wesentlich eingeschränkt.
Nach Laminektomie war durch die Dura ein grosser Tumor sichtbar,
dieser Hess sich leicht aussebälen. Die Dura mater wurde vernäht, dann
wurde ein Glasdrain in die Wunde eingefübrt. Der Heilungsverlauf war
reaktionslos, und die Wunde ist gegenwärtig verheilt. Schon am nächsten
Tage nach der vor 5 Wochen vorgenommenen Operation waren die Sen¬
sibilitätsstörung und die Spasmen geringer, dann besserten sich auch
die motorischen Erscheinungen, so dass Pat. gegenwärtig alle Bewegungen
mit den Händen ausführen und mit Unterstützung geben kann. Es ist
noch ein geringer Grad von Spasmus der unteren Extremitäten vorhanden,
die Patellarreflexe sind noch gesteigert. Die Aussichten auf Heilung
sind bei extramedullären Tumoren sehr günstig. — Auf der Klinik
Eiseisberg wurden bisher 6 Rückenmarkstumoren operiert, von welchen
5 geheilt wurden, ein Fall ist schon vor 3 Jahren operiert worden. In
einem Falle sass der Tumor intramedullär, die ersten Zeichen der
Besserung traten erst 8 /4 Jahre nach der Operation auf, Pat. ist gegen¬
wärtig geheilt. In 5 Fällen, welche unter der Diaguose Rückenmarks¬
tumor operiert wurden, Jag kein Tumor vor, sondern Adhäsionen oder
eine circumscripte Meningitis serosa. Auch in diesen Fällen erfolgte
Heilung. Ungünstiger sind die Resultate bei Tumoren der Wirbelsäule,
von 4 Fällen sind 3 gestorben. Sehr wenig günstig wirkt die Operation
bei Wirbelverletzungen, denn man operiert entweder zu spät, und es ist
schon eine Infektion eingetreten, oder es ist das Rückenmark hochgradig
verletzt.
Hr. Loewi führte einen 28 jährigen Mann mit einem Osteoidfibrn-
sarkom der rechte! Fibala vor.
Pat. bekam vor 6 Jahren heftige Schmerzen im rechten Bein, welche
stetig Zunahmen. Vor IV 2 Jahren trat an der rechten Fibula eine Ge¬
schwulst auf, gleichzeitig stellte sich trockener Husten ein. Der Tumor
war hart und druckempfindlich. Das Röntgenbild zeigte, dass die Fibula
durch eine Tumormasse ersetzt war, und dass die Geschwulst auch auf
die Tibia Übergriff. Die Lungen zeigten circumscripte, dichte Schatten,
besonders zahlreich an der Basis. Pat. hat Trommelschlägelfinger.
Die Probeexzision ergab, dass der Tumor ein Osteoidfibrosarkom ist,
welches von einer Knochenschale umschlossen ist. Bemerkenswert ist der
ziemlich benigne Verlauf.
Hr. Albrecht stellte einen 15jährigen Knaben aus Bosnien mit
Elephantiasis des Penis nnd des Serotnms vor.
In der Scrotalhaut sitzen Lympbocyten, die Lymphstauung ist auch
am rechten Bein deutlich zu erkennen.
Derselbe demonstrierte eine 32jährige Frau mit Lymphocavernom
der Mamma.
Nach einer kleinen Verletzung nahm der Umfang der linken Mamma
zu; bei Probeinzisionen wurde das Ausfliessen einer gelblichen, wässerigen
Masse beobachtet. Die Venen der linken Mamma sind ausgedehnt, die
Mamma ist weich und lässt sich durch Druck auf die Hälfte verkleinern.
Die Drüsen in der linken Axilla sind vergrössert.
Hr. Ktinigstein demonstrierte einen Mann mit einem syphilitischen
Primär affekt auf dem rechten oberen Augenlide.
Man siebt einen schmierig-eitrig belegten Substanzverlust, dessen
Grund und Umgebung stark infiltriert sind. Zur Seite des linken
Masseters ist eine vergrösserte indolente Lymphdrüse tastbar.
Hr. v. Eiseisberg demonstrierte einen Apparat xar Trepanation.
Der Antrieb erfolgt in ähnlicher Weise wie bei den zahnärztlichen
Maschinen, die Trepanation wird binnen kürzester Zeit durch einen
Trepan ausgeführt, wobei eine Verletzung der Dura ausgeschlossen ist,
da der Trepan selbsttätig zu rotieren aufhört, sobald der Knochen
durchbohrt ist Vorher wird natürlich der Knochen freigelegt. Zur
Durchscbneidung der Knochenbrücken zwischen den einzelnen Trepan-
löchern dient eine Fräse, welche in derselben Weise wie der Trepan an¬
getrieben wird. Vortr. hat mit diesem Apparate bereits 4 Sohädeltrepa-
nationen ausgeführt.
Hr. Haudek sprach über die klinische Diagnose des nach hinten
übergreifenden Magengeschwürs.
Eine 54 jährige Frau hatte seit mehreren Monaten Magenbeschwerden,
die Röntgenuntersuchung ergab einen atonischen Magen und eine mit
Wismut gefüllte Nische über der kleinen Curvatur; es handelte sich
also um ein tiefgreifendes Magengeschwür. Die Beobachtung zahlreicher
Fälle von Magengeschwüren, von denen mehrere operiert wurden, ergab
dem Vortr. folgende Symptome für ein nach hinten übergreifendes Magen¬
geschwür: Häufig links im Rectus einen exquisiten Druckpunkt, oft
daselbst Defense musculaire, Boas’schen Druckpunkt und, wenn der
Ulcus auf die Leber übergreift, eine Head’sche Zone. Es handelt sich
vorwiegend um Personen über 40 Jahre, in der Mehrzahl Frauen. Das
Nischensymptom kann auch verschwinden; es entsteht dadurch, dass
durch spastische Kontraktion der umgebenden Muskulatur die Ränder
des Geschwürs einander genähert werden, so dass über dem Geschwür
ein Raum entsteht, in welchem eine Gasblase und Wismut zurück-
gehalten werden. Hört der Krampf auf, so wird das Wismut frei und
vom Mageninhalt entfernt. Das Nischensymptom ist für die Operation
allein nicht entscheidend.
Hr. Ullmana:
Zar Parasitotropie and Toxicität des Salvarsaas (Neosalrarsans).
Vortr. hat schon in früheren Versuchen nachgewiesen, dass Arsen
hauptsächlich in der Leber und in der Niere aufgespeicbert wird, aus
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UNIVERSUM OF IOWA
238
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
letzterer wird es bald abgegeben. Im Gehirn und in den Nerven wird
es nur in geringen Spuren abgelagert. Der grösste Teil des durch intra¬
venöse Injektion einverleibten Salvarsans wird schon in den ersten Tagen
ausgeschieden. Unter Parasitotropie versteht Ehrlich einen Vorgang,
bei welchem das Salvarsan bzw. seine Derivate sich mit den Parasiten
von Spirillencharakter binden. Die Untersuchungen mehrerer Autoren
zeigen, dass Parasiten durch Salvarsan beeinflusst werden. Vortr. hat
durch längere Zeit einschlägige Versuche über die Parasitotropie und
die Toxicität des Salvarsans angestellt. Zum Nachweis des Arsens in
den Organen hat er einen modifizierten Marsh’schen Apparat angewendet;
der Arsenspiegel schlägt sich in sehr dünnen Röhrchen nieder, er wird
mit Arsenspiegeln verglichen, welche durch eine genau bestimmte Menge
Arsen hervorgerufen wurden. Es war auf diese Weise möglich, selbst
die minimalsten Mengen von Arsen ziemlich genau nach dem Gewichte
zu bestimmen. Die Versuche ergaben, dass naoh Einverleibung von
Salvarsan Arsen im Blutserum, aber auch in den roten Blutkörperchen
zu finden ist; bei Tieren, welche mit Spirillen infiziert sind, enthalten
die Blutkörperchen grössere Mengen von Arsen als das Serum. Arsen
wird ferner im luetischen Primäraffekt aufgespeichert, während es sonst
in der normalen Haut und auch in gewöhnlichen Entzündungsprodukten
nicht zu finden ist. Der normale Testikel speichert kein Arsen, dagegen
ist dies beim luetischen Testikel der Fall. Im Rückenmark und in der
Nebenniere erfolgt keine Speicherung, dagegen erfolgt solche im Opticus,
in der Sclera und Retina, in geringerem Grade in der Urea, während
das Rammerwasser und die Linse des Auges fast kein Arsen enthalten.
Die Leber und die Niere speichern stark Arsen. Durch die Unter¬
suchungen des Vortr. ist nachgewiesen, dass das Salvarsan parasitotrop
wirkt. (Der Vortrag wird in der nächsten Sitzung fortgesetzt werden.)
H.
Erklärung zu dem Tuberkulosemittel von
F. F. Friedmann.
Von
A. Bier.
(Verlesen in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 29. Januar 1913.)
M. H.! Ich bin gezwungen, folgende Erklärung abzugeben: Fort¬
gesetzt bekomme ich Briefe aus dem Auslande, besonders aus Amerika
und aus Spanien, in denen ich gefragt werde, ob wirklich das Fried -
mann’sehe Mittel gegen die Tuberkulose eine so hervorragende Erfindung
und so vortrefflich sei, wie ich nach den Zeitungsberichten der betreffenden
Länder öffentlich bestätigt habe. Vorgestern wurde mir nun von einem
spanischen Offizier aus Huelva, der mich persönlich in derselben An¬
gelegenheit mit seiner tuberkulös erkrankten Tochter hier aufsuchte,
ein Artikel des „Diario de Huelva“ übergeben; darin steht in bezug auf
meine Person:
„Bier versichert vor seinen Kollegen, dass eine grosse Zahl seiner
Klienten, die an Tuberkulose in den verschiedenen Formen litten, und
die er Herrn Dr. Friedmann geschickt hat, geheilt wurden. Er ver¬
sichert, er sei sehr angenehm berührt von dem bei seinen Patienten er¬
haltenen Resultat.“ Im nächsten Satze heisst es dann allerdings: „Wenn
ich auch nicht versichern kann, bemerkte Bier, dass Dr. Fried mann
die Tuberkulose heilt, so kann ich es auch nicht verneinen, solange
nicht andere Aerzte die Gelegenheit hatten, seine Resultate zu bestätigen.
Hoffen wir also, mit der Zeit unser Urteil abgeben zu können.“
Der Laie wird natürlich aus solchen Artikeln lesen, dass ich das
Mittel empfehle. Das beweist auch schon die Menge der mir zugehenden
Anfragen.
M. H.! Sie alle, die Sie bei der Diskussion über Friedmann’s
Vortrag zugegen gewesen sind, wissen, dass das ungefähr das Gegenteil
von dem ist, was ich wirklich geäussert habe. Ich sagte damals: „Ich
habe eine Anzahl der von Herrn Friedmann behandelten Fälle ge¬
sehen. Sie stammen zum Teil aus unserer Poliklinik, zum Teil aus der
Praxis des Herrn Dr. Friedmann selbst. Ich muss gestehen, dass ich
den Eindruck bekommen habe, dass eine Heilwirkung entschieden vor¬
handen ist, aber einen beweisenden Fall habe ich nicht gesehen. Es
handelte sich meist um fistulöse, zum grössten Teile schon operierte
Fälle, die heilen aber, wie wir alle wissen, häufig ganz von selbst sehr
schnell aus.“ Ferner sagte ich: „Einstweilen kann ich also, wie ich
Herrn Friedmann auch schon persönlich gesagt habe, als Zeuge für
eine besondere Wirksamkeit des Mittels nicht auftreten.“
Ich habe also ausdrücklich betont, dass ich eine besondere Heil¬
wirkung des Friedmann’schen Mittels nicht bezeugen könnte. Ich
habe nur zugestanden, dass ich den Eindruck von einer Heilwirkung
bekommen habe. Was besagt das aber? Man tue doch nicht so, als
ob wir gegen die chirurgische Tuberkulose machtlos seien. Wir haben
eine ganze Menge von Mitteln, mit denen wir bei ihr vortreffliche Heil¬
wirkungen erzielen. Und dass Friedmann mit seinem Mittel mehr oder
auch nur dasselbe leistet als diese, bat er mir nicht bewiesen, zumal er
nach Aussage meiner Assistenten ihm angebotene Fälle von schwerer
Tuberkulose, die wir doch mit unserem bisherigen Mittel in einem sehr
grossen Prozentsatz der Fälle heilen oder bessern, abgelehnt bat. Dazu
ist noch zu bemerken, dass eine Heilwirkung noch keineswegs eine
Heilung ist.
M. H.! Es ist gewiss bedauerlich, dass ein noch nicht genügend er¬
probtes Mittel in der ausländischen Tagespresse als grosse Erfindung
und hervorragendes Heilmittel gepriesen wird. Bisher hat es doch seine
Probe noch keineswegs bestanden, zumal es sich nur in der Hand eines
einzelnen Arztes befindet und eine genügende Nachprüfung noch nicht
möglich gewesen ist. Sollte es sich, wie in vielen früheren ähnlichen
Fällen, nun her ausstellen, dass das Mittel sich nicht bewährt, so bedeutet
es einen grossen Schaden für das Ansehen der deutschen medizinischen
Wissenschaft und des deutschen Aerztestandes, wenn überall in der
ausländischen Presse unwidersprochen gestanden hat, dass in der grössten
deutschen medizinischen Gesellschaft von bekannten Berliner Aerzten
für das Mittel ein günstiges Zeugnis abgelegt sei. Denn, dass in unserer
Gesellschaft die angesehensten Aerzte gewichtige Bedenken gegen das
Friedmann’sche Mittel geäussert haben, scheint nicht in die aus¬
ländische Presse gelangt zu sein. Wenigstens habe ich im „Diario de
Huelva“ vergeblich danach gesucht.
Ich muss deshalb öffentlich Verwahrung dagegen ein legen, dass
mein Name missbraucht wird, um ein Mittel zu empfehlen, von dessen
Wirksamkeit ich noch keineswegs überzeugt biu.
Ich hoffe, dass diese Erklärung ihren Weg ebenso schnell und
ebenso verbreitet in die ausländische Tagespresse finden möge, wie meine
angebliche Empfehlung des Mittels.
Es würde mich auch der Mühe überheben, fortgesetzt Briefe dahin
beantworten zu müssen, dass ich bisher keine Beweise für die hervor¬
ragende Heilwirkung des Friedmann’schen Mittels gesehen habe.
Natürlich soll diese Erklärung keinerlei Urteil über den Wert des
Mittels sein.
Zu Edzard’s Mitteilung: Ueber die Serodiagnostik
des Carcinoms nach v. Düngern.
Von
Prof. v. Dangen.
Edzard hat versucht, meine Methode der Serodiagnostik des Car.-
cinoms nachzuprüfen und berichtet in Nr. 53, 1912, dieser Wochenschrift
über Resultate, die meinen Angaben durchaus widersprechen. Die
Reaktion ist in Freiburg aber so vorgenommen worden, dass sie der
meinigen nicht entspricht. Wenn man unspezifisebe Hemmungen ver¬
meiden will, so müssen selbstverständlich alle Kontrollen Lösung zeigen.
Nach den Angaben von Edzard war dies aber nur ausnahmsweise der
Fall. Er gibt an, dass unter 18 untersuchten normalen Sera nur eines
in den Kontrollen überall Lösung zeigte. Dieses war also das einzige
Serum, das nach meiner Methode untersucht worden ist. Alle anderen
Sera zeigten in der Kontrolle ohne Extrakt und ohne Natronlauge
Hemmungen; bei einem Teil derselben wurde die Hemmung durch
Natronlaugezusatz aufgehoben. Edzard rechnet nun in allen Fällen,
wo die Serumkontrolle mit Natronlauge gelöst hat, dagegen unter den
gleichen Bedingungen mit Extrakt Hemmung eingetreten ist, die Tumor¬
reaktion für positiv, während tatsächlich alle seine Versuche unbrauchbar
sind und nur so viel beweisen, dass die Reaktion nicht richtig ein¬
gestellt worden ist. Es handelt sich immer um Additionswirkungen.
Additionswirkungen können auch eintreten, wenn die Serum- und Extrakt-
koutrollen gerade noch Lösung ergeben, wenn aber die Kontrollen
Hemmungen aufweisen, dann sind solche beim Hinzufügen von Extrakt
fast selbstverständlich.
Aus Edzard’s Angaben geht ferner hervor, dass seine Resultate
unregelmässig waren. Ein normales Serum, das vorher positiv reagierte,
reagierte bei nochmaliger Prüfung am dritten Tage negativ, und auf¬
fallend ist es auch, dass bei schwerer Tuberkulose mehr negative
Resultate verzeichnet werden als bei Gesunden. Es ist daher an¬
zunehmen, dass die Reaktion zeitweise richtiger eingestellt war. Im
allgemeinen hat er zu starke Hemmungen gehabt. Im Anfang hat in
Freiburg das Extrakt schon für sich allein gehemmt, so dass die Re¬
aktion, wie Prof. Hahn mir mitteilte, nicht ausgeführt werden konnte.
Prof. Hahn ist dann mit Herrn Edzard nach Heidelberg gekommen
und hat sich überzeugt, dass bei uns die Reaktion meinen Angaben
entsprechend funktioqiert, und seitdem haben schon viele Aerzte und
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3. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
289
Studenten die Reaktion in meinem Laboratorium geübt und ohne auf
Schwierigkeiten zu stossen die Brauchbarkeit konstatiert. Zur Erklärung
der Misserfolge in Freiburg haben wir damals angenommen, dass das
Komplement der in Freiburg benutzten Meerschweinchen aus irgend¬
welchem Grunde unbrauchbar war, da die Hemmung des Extraktes auch
stattfinden sollte, wenn mit meinem Amboceptor sensibilisiert wurde
und mein Extrakt zur Verwendung kam. Ich habe auf diese Fehler¬
quelle bisher noch nicht hingewiesen, da sie sich in unseren so zahl¬
reichen Versuchen noch niemals gezeigt hat. Wir haben, wenn wir
richtig sensibilisieren, niemals Hemmungen durch das Extrakt allein, noch
auch durch die Sera allein, weder mit noch ohne 2 /io Natronlauge. Ich habe
aber von anderer Seite erfahren, dass man auch bei Anstellung der Wasser-
mann’schen Reaktion unbrauchbare Meerschweinchensera beobachtet hat.
Es ist daher wohl möglich, dass wenigstens zeitweise solches Serum in Frei¬
burg benutzt worden ist. Es braucht dies aber nicht der einzige Fehler zu
sein, den Edzard bei seinen Untersuchungen gemacht hat. Die Sensi¬
bilisierung muss, wie ich angegeben habe, so vorgenommen werden, dass
die Lösung in den Kontrollen nicht nur überhaupt zu irgendeiner Zeit,
sondern rechtzeitig, d. h. mindestens nach einer Stunde bei Zimmer¬
temperatur erfolgt, damit Additionswirkungen vermieden werden. Wir
brauchen dazu im allgemeipen die doppeltlösende Dose, und wer weiss,
ob nicht bei weniger gutem Amboceptor oder bei leicht modifiziertem
Komplement eine grössere Dose notwendig ist. Edzard hat nach seiner
Angabe nur die ein- bis eineinbalbfache Dose benutzt und daher, selbst
wenn er gutes Komplement verwandte, zu schwach sensibilisiert. Bei
mir ist die Reaktion so eingestellt, dass die Sera erwärmt >/ 10 noch mit
V« Meerschweinchenserum Lösung ergeben. Bei Edzard trat im all¬
gemeinen nicht einmal mit Vzo Lösung ein. Seine Reaktionen ent¬
sprechen daher ebensowenig der meinigen, wie wenn man die Wasser-
mann’schen Reaktion mit Vso bis 1 f 40 Meerschweinchenserum vornehmen
wollte. Selbstverständlich darf auch die Menge der Natronlauge nicht
herabgesetzt werden. Es ist nicht erlaubt, einen Fehler durch einen
zweiten auszugleichen. Dadurch erklärt sich wohl der geringe Prozent¬
satz (70 pCt.) der positiven Fälle bei Garcinom. Ich muss daher der
Prüfung Edzard’s jede Beweiskraft absprechen und hoffe, dass meine
Reaktion in der vereinfachten Form, die ich in Nr. 52 der Münchener
medizinischen Wochenschrift, 1912, mitgeteilt habe, bei der Nachprüfung
nicht mehr so vielen Fehlerquellen ausgesetzt sein wird.
Erwiderung zu Vorstehendem.
Von
V. Haha und D. Edzard.
1. Wir haben in unserer Arbeit ein Versuchsschema gegeben, nach
welchem die Resultate der Untersuchungen als positiv oder negativ be¬
urteilt worden sind. Gegen dieses Schema erhebt Herr
v. Düngern keine Einwendungen. Damit entfällt sein Einwurf,
dass wir Sera und Extrakte zur Beurteilung der Reaktion herangezogen
haben, die mit oder ohne Natronlauge allein gehemmt haben. Nur bei
vier normalen Seren, in denen die Kontrollen nicht gestimmt hatten
und die wir als negativ berechnet, also für eine günstige Beurteilung
der Reaktion herangezogen haben, könnte dieser Vorwurf stimmen.
Wenn in der Arbeit von Edzard gesagt ist, dass nur eines der Sera
von 18 in allen Proben glatte Lösung zeigte, so bezieht sich das selbst¬
verständlich auf die eigentlichen Reaktionsproben, nicht auf die
Kontrollen, die in allen überhaupt erwähnten Fällen mit
Ausnahme der obigen vier glatt gelöst waren, und zwar nicht zu
irgendeiner Zeit, wie v. Düngern ganz willkürlich annimmt,
sondern entsprechend seinen Vorschriften spätestens nach einer
Stunde.
2. v. Düngern bemängelt die geringe Menge (1—lVsfach) des
zur Sensibilisierung benutzten Amboceptors: Wir haben diese Menge
auf seine ausdrückliche mündliche Angabe hin verwandt, übrigens haben
auch vielfache Versuche mit höheren (2—8 fachen) Amboceptordosen
keine Aenderung der Resultate gebracht.
3. Ebenso wurde die Dosis der Natronlauge herabgesetzt, nachdem
Herr v. Düngern uns mündlich mitgeteilt hatte, dass einer seiner aus¬
wärtigen Korrespondenten die gleiche Hemmung mit hohen (0,2 ccm)
Dosen beobachtet hatte, wie wir, und mit niederen (0,1) günstigere
Resultate erhalten hätte.
4. Was unter „brauchbarem Meerschweinebenserum“ in diesen
Fällen, wo selbstverständlich die komplementäre Wirkung des Serums
in Vorversuchen kontrolliert wurde, zu verstehen ist, dürfte schwer zu
definieren sein — oder aber auch sehr leicht: brauchbar ist es, wenn
die v. Dun gern’sehe Reaktion beim Carcinom positiv, beim Normalserum
negativ ausfallt
5. Wir haben uns ebenso, wie „viele Aerzte und Studenten“, die
Herr v. Düngern anführt, überzeugt, dass die Methode im v. Dungern-
schen Laboratorium seinen Angaben entsprechend in einigen Fällen
funktionierte. Eine Erklärung dafür abzugeben, weshalb dies in unserem
Laboratorium trotz Benutzung der v. Dun gern’sehen Reagentien und
strikter Innebaltung der durch mündliche Mitteilungen ergänzten Vor¬
schriften nicht der Fall war, sind wir leider nicht in der Lage. Wir
trösten uns, bis bessere Vorschriften kommen, in dem Bewusstsein,
dass es auch anderen Nachuntersuchern, die nicht im v. Dungern’schen
Laboratorium gearbeitet haben, ebenso gegangen ist: Wolfsohn hatte
auch nur 76,8 pCt. positive Reaktionen bei klinisoh sioheren und suspekten
Carcinomen (wir bei klinisch sicheren 70 pCt.) und, wie wir einem Referate
in der Zeitschr. f. Chemotherapie, Bd. 1, H. 12, entnehmen, sind die
Resultate von Isabolinsky und Dichno gleichfalls ungünstige gewesen.
Eine volle Bestätigung der v. Dungern’schen Beobachtungen ist uns
in der Literatur bis jetzt nicht entgegengetreten.
Wir benutzen die Gelegenheit, zwei Druckfehler zu korrigieren: In
dem Versucbsschema fällt bei Probe 13 die Erhitzung auf 56° weg; im
letzten Absatz der Arbeit muss es heissen: „Praktisch weniger be¬
deutungsvoll, aber recht unbefriedigend ist die Tatsache, dass nicht
alle Carcinome die Reaktion geben.“
Bemerkungen
zu J. Portmann’s Notiz: Eine neue Modifikation der Wasser-
mann’schen Reaktion.
Von
Alex. Zalozieeki (medizinische Klinik, Leipzig).
P. teilt in Nr. 4 dieser Woohenschrift mit, dass er „infolge ge¬
wisser theoretischer Ueberlegungen“ den Immunamboceptor bei der
Wassermann’schen Reaktion durch destilliertes Wasser ersetzt und hierbei
in 96 von 100 Fällen Uebereinstimmung der Resultate mit der Original¬
methode erzielt habe.
Es kann niemandem, der mit den einschlägigen Verhältnissen ver
traut ist, zweifelhaft sein, dass in der vorgeschlagenen Versuchsanordnung
die Lösung der Hammelblutkörperchen durch die in den meisten mensch¬
lichen Seren vorhandenen Normal am boceptoren erfolgt und dass
der Zusatz des destillierten Wassers bestenfalls dem Versuch nichts
schadet, auf alle Fälle aber überflüssig ist. Da die Lumbalflüssigkeit
Hammelbluthämolysine nicht oder nur in Spuren enthält, muss sie bei
der angegebenen Anordnung ein positives Resultat Vortäuschen, wie dies
auch der Autor in einem Falle fand.
Es handelt sich also nicht um irgendeinen Ersatz des Immun-
amboceptors, sondern einfach nur um ein Fortlassen desselben, d. h. um
denselben Vorgang, der kurz nach der Entdeckung der Wassermann-
Reaktion von Bauer als eigene Modifikation vorgeschlagen wurde, auf
den aber bereits vorher von M. Neisser und Sachs bei der Bordet-
Gengou’schen Komplementbindungsreaktion hingewiesen worden war.
Portmann’s Vorschlag steht also auf gleicher Stufe mit dem
Brieger und Renz 1 )« die den Amboceptor durch eine Kalichloricum-
lösung 1:150 ersetzen wollten, und dem von Manoiloff 2 ), der ihn gar
durch Hundemagensaft (!) 1:100 ersetzte, weil er beobachtet hatte,
dass man syphilitischen Kranken, die an Magenstörung litten, mit Erfolg
natürlichen Magensaft verordnen könne, was ihn an einen chemischen
Zusammenhang zwischen Magensaft und Luestoxin denken liess (!!). —
Brieger und Renz mussten vier Wochen nach ihrer ersten Publikation
diese zurücknehmen 8 ), über Manoi loff’s Arbeit ist man, soweit ich die
Literatur übersehen kann (wohl mit Recht), stillschweigend zur Tages¬
ordnung übergegangen.
Schürmann’s Farbenreaktion und deren Fiasko ist noch in aller
Erinnerung.
Angesichts all dieser Tatsachen, die keineswegs geeignet sind, das
Ansehen unserer Wissenschaft zu heben, dürfte es wohl berechtigt sein,
den Wunsch auszusprechen, dass sich die Autoren erst mit den
theoretischen Grundlagen und der Geschichte jenes Gebietes vertraut
machen, das sie mit neuen Methoden zu bereichern gedenken. Dies war
ehedem selbstverständlich.
Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen.
Von
Josef Portmani.
Die Deutung der Wirkung des destillierten Wassers ist nach einer
Auffassung, die Herr Professor L. Michaelis mir mündlich mitteilte
und zu veröffentlichen mich ermächtigt hat, in einer Kombination zweier
hämolytischer Agentien zu suchen: des natürlichen Amboceptors und
der Anisotonie. Jeder einzelne dieser Faktoren reicht bei der gegebenen
Versuchsanordnung nicht aus, um selbst in negativ reagierenden Fällen
die Hämolyse hervorzurufen, wohl aber die Kombination beider. Die
Auffassung, dass diese Modifikation mit der Bäuerischen im Wesen ver¬
wandt ist, ist daher berechtigt, auch die Auffassung, dass die Methode
für Cerebrospinalflüssigkeit nicht angewendet werden kann. Dagegen
trifft es nicht zu, dass man bei der beschriebenen Anordnung das
destillierte Wasser auch weglassen könne.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell
schaft vom 29. Januar gab vor der Tagesordnung Herr Bier eine Er¬
klärung über das.Friedmann’sche Mittel gegen Tuberkulose ab (s. oben).
1) Deutsche med. Woohenschr., 1909, Nr. 50.
2) Central bl. f. Bakteriol., I., Orig., Bd. 57, S. 4G3 f.
3) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 2.
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UNIVERSUM OF IOWA
240
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Herr M. Wolff demonstrierte eine Pneumothoraxoperation bei Tuberkulose.
Hierauf hielt Herr Abel den angekündigten Vortrag: Die Elektrokoagu-
lation bei der operativen Behandlung des Krebses, speziell des Gebär¬
mutterkrebses (Diskussion: die Herren Holländer, Hammerschlag,
Buoky, James Israel, Falk, Borohardt, Abel).
—* In der Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft vom
23. Januar erstattete nach Verlesung des Protokolls der vorjährigen
Generalversammlung Herr Karewski den Jahresbericht, Herr M. Cohn
den Kassenbericht, dessen Richtigkeit von den Kassenrevisoren, den
Herren Gust. Simon und Hirsch, bestätigt wurde. Zum 1. Vorsitzenden
wurde Herr Strauss, zu stellvertretenden Vorsitzenden die Herren
Oppenheim, Ewald und v. Hansemann gewählt, zu Schriftführern
die Herren Patschkowski, J. Ruhemann und Stornier wieder¬
gewählt, in die Aufnahmekommission die Herren Gust. Simon, Hirsch,
Alb. Cohn, Casper, Bein, Finkeistein und W. Alexander, zu
Kassenrevisoren die Herren Hirsch und Gust. Simon. Ein Antrag,
die Sitzungen künftig schon um VzS Uhr beginnen zu lassen, wurde ab¬
gelehnt. Herr Kraus sprach über Lungenabscess (Diskussion: Herr
Strauss). Herr Brugsch beleuchtete die Differentialdiagnose der
chronischen Gelenkentzündungen (Diskussion: die Herren Goldscheider,
Hildebrand, Umber, Oppenheim, Buttermilch). Herr Citron
empfahl die externe Behandlung der Plaut-Vincent’scben Angina mit
Salvarsan (Diskussion: Herr S. Hirsch). Herr Peritz demonstrierte
aus dem Gebiete der Hypophysiserkrankungen (Diskussion: die Herren
Gottschalk, Kraus, Hänisch, E. Schlesinger, Goldscheider,
Oppenheim, Strauss, Mosse). Herr Plesch entwickelte das Krank¬
heitsbild der Hemipathie (Diskussion: die Herren Peritz, Förster,
Goldscheider, Kraus, W. Alexander).
— In der ordentlichen Generalversammlung der Berliner uro-
logischen Gesellschaft am 28. d. M. wurden anstelle des statuten-
mässig ausscheidenden Vorsitzenden, Herrn Posner, Herr L. Casper
und an dessen Stelle HerrWossidlo zum stellvertretenden Vorsitzenden
gewählt. Die übrigen Mitglieder des Vorstandes und Ausschusses wurden
wieder- und in letzteren Herr C. Ben da neugewählt. Vor der Tages¬
ordnung demonstrierte Herr Rumpel einen Fall von operierter Pyo-
nephrose; sodann hielt Herr A. Lewin den angekündigten Vortrag über
Blasenkrebs bei Anilinarbeitern (Diskussion: die Herren Rumpel, Man-
kiewicz, J. Israel, Casper). Herr Strauss sprach über die Prognose
der Nephritis (Diskussion: die Herren Roth, Schneider-Brückenau,
Casper). Zum Schluss demonstrierte Herr W. Israel eine Reihe von
Präparaten zur Nierenchirurgie.
Giessen. Unter dem Vorsitz des Geheimen Medizinalrats Professor
Dr. Vossius - Giessen hat sich am Sonntag, den 19. Januar a. c., eine
Vereinigung der hessischen und hessen-nassauischen Augen¬
ärzte konstituiert, der bisher 60 Herren beigetreten sind. Es ist eine
zweimalige Zusammenkunft der Mitglieder im Jahre zu wissenschaftlichen
Sitzungen beabsichtigt, die abwechselnd in Giessen, Marburg und den
grösseren Städten des Bezirks abgebalten werden sollen.
— Ara 1. Februar feiert Hofrat Ottokar Chiari, der gegenwärtig
den Lehrstuhl der Laryngologie an der Wiener Universität bekleidet,
seinen 60. Geburtstag. Am Vormittage findet in der Klinik eine Feier
statt, bei der ihm eine Festschrift von seinen Schülern überreicht wird,
und der Abend wird seine zahlreichen Freunde und Verehrer zu einem
Bankett im Riedehof vereinigen.
— Als Nachfolger des verstorbenen Pädiaters Soltmann in
Leipzig war an erster Stelle Finkelstein vorgeschlagen. Wie wir
heute hören, ist aber Thiemisch - Magdeburg berufen. Dass Herr
Finkeistein seinem Berliner Wirkungskreis erhalten bleibt, wird in
den Kreisen seiner Kollegen und Klienten sicherlich mit Freuden be-
grüsst werden.
— In der ordentlichen Mitgliederversammlung des Aerzte-Vereins
des Berliner Retttungswesens, am 28. Januar, wurde zuuächst der
Jahresbericht erstattet, hierauf der Kassenbericht und der Bericht über
die Tätigkeit der Rettungswachen. Im laufenden Jahre wurden die Ein¬
richtungen des Aerzte-Vereins in 20 863 Fällen (einschliesslich Kranken¬
transporte) in Anspruch genommen, von denen 15 607 auf die sechs
vom Verein verwalteten Berliner Hilfswachen entfallen. Seit dem
1. Dezember 1897 bis 81. Dezember 1912 ist seitens des Aerztevereins
in 193 879 Fällen (einschliesslich Krankentransporte) Hilfe geleistet
worden. Der bisherige Vorstand wurde durch Zuruf wiedergewählt, und
zwar die Herren Geheimräte L. Alexander (Vorsitzender), Henius
(stellvertretender Vorsitzender), Professor George Meyer (ärztlicher
Direktor), Dr. 0. Salomon (Kassenführer), Dr. P. Jacobsohn (Schrift¬
führer), ferner die Herren Dr. Baron, Geheimrat Phil. Herzberg,
H. Rosenberg, Thiele als Beisitzer. Eine lebhafte Erörterung fand
bei der Frage der Verstadtlichung des Rettungswesens statt. Es wurden
gegen die Durchführbarkeit einzelner Punkte der Vorlage für die Stadt¬
verordnetenversammlung, besonders gegen einen dreistündigen Wacht-
dienst und gegen das festgesetzte Stundenhonorar lebhafte Bedenken in
der Versammlung geäussert. — Seitens der Stadtverordnetenversammlung
wurde übrigens die Vorlage am 20. Januar angenommen.
— Dem Orchesterverein Berliner Aerzte wird sich nun auch
ein Chorverein von Aerzten zugesellen. Recht so! Lange Zeit ge¬
nossen die Berliner Kollegen wegen ihrer Zerrissenheit eines wenig
freundlichen Rufes in der deutschen Aerztewelt. Jetzt hat die Not
sie nicht bloss gemeinsam beten, sondorn auch geigen und singen ge¬
lehrt. Der genannte Orchester verein veranstaltet übrigens am 14. Februar
im Thiergartenhof sein erstes Konzert, mit dem er zunächst in Form eines
„Familienabends“ vor eine engere Oeffentlichkeit tritt. Ein Tanz und
musikalische Vorträge heiteren Charakters nach der Don Juan-Ouvertüre,
Mozart’s D-Moll-Konzert für Klavier (Dr. Vollmann) und Orchester und
Mozart’s Symphonie Nr. 40 sind in das Programm mitaufgenommen.
— Wie sich aus einer von der „Frau in Haus und Beruf“ ver¬
anstalteten Umfrage ergibt, sind von 125 Aerztinnen (die übrigen 50 unter-
liessen eine Antwort) 47 verheiratet, von denen fast alle (43) auch in
der Ehe ihren Beruf weiter ausüben und 28 mit Aerzten verheiratet sind.
— Im deutschen Reichstag wurde am 28. Januar über die Aus¬
übung des Krankenpflegeberutes verhandelt und damit eine Ange¬
legenheit berührt, die schon lange die Aufmerksamkeit der Aufsichts¬
behörden verdient; denn wer in grösseren Krankenhäusern tätig war,
kennt die maasslosen Anforderungen, die an unsere Krankenschwestern
bei miserabler Bezahlung gestellt werden. Mit Recht wies der Präsi¬
dent des Reichsgesundbeitsamtes, Geheimrat Bumm, auf das hohe Maass
körperlicher Leistungen und Pflichterfüllung hin, die vor diesem Beruf
die grösste Hochachtung abnötigt. Auch ist beizustimmen, dass die
weiblichen Krankenpfleger im allgemeinen schlechter gestellt sind als
die männlichen. Arbeitszeiten von 12, 13, ja 16 Stunden kommen vor,
und, wie wir hinzufügen können, Nachtwachen von 3-, 4- und 6 wöchiger
Dauer, wobei überdies, zum Teil mangels geeigneter Räume, uicht einmal
in ausreichender Weise für die nötige Erholung und Ruhe bei Tage ge¬
sorgt ist. Diese aufopferungsvollen jungen Damen sind im allgemeinen
viel schlechter gestellt als Dienstmädchen, und die Zustände erheischen
dringend der Abhilfe. Aus den Ausführungen von Gebeimrat Bumm
ist mit Genugtuung zu entnehmen, dass nunmehr Vorschläge zur Rege¬
lung des Dienstes seitens der Reichsbehörde gemacht worden sind. Ob
dies durch Reichs- oder Landesgesetze erfolgen wird, hängt noch von
den Aeusserungen der Einzelstaaten ab.
— Eine Neuordnung des Oberamtsarztdienstes in Württem¬
berg tritt am 1. April d. J. in Kraft, wonach eine grosse Anzahl von
höher besoldeten Aerzten angestellt werden.
— Ein eigenartiges Testament hat ein dänischer Arzt gemacht:
Dr. Roh me II stiftete 10 000 Kronen, aus deren Zinsen für die armen
Insassen der Irrenanstalt Roskilde und des „Allgemeinen Krankenhauses“
Kautabak gekauft werden soll.
Hochschulnachrichten.
Dresden. Der frühere Direktor der Universitäts-Frauenklinik in
Königsberg, Geheimrat Dohrn, feierte hier sein goldenes Professoren¬
jubiläum. — Breslau. Der Privatdozent Dr. Forschbach erhielt den
Titel Professor. — Frankfurt a. M. Zum Prosektor am Senckenberg-
schen pathologischen Institut wurde Dr. E. Goldschraidt in Bern er¬
nannt. — Wien. Dr. Mitlacher, ao. Prof, der Pharmakologie, ist
gestorben.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl.: ausserordentl. Pro¬
fessor, Geh. Med.-Rat Dr. K. Sudhoff in Leipzig.
Stern zum Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Leibarzt S. M. des
Königs von Sachsen, Generalarzt z. D. Dr. W. S e 11 e in Dresden.
Königl. Kronen-Orden 2. Kl. mit dem Stern: Ministerialdirektor,
Geh. Rat Dr. Rumpelt in Dresden.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Privatdozent, Geh. San.-Rat Dr. K.
Seeger in Kiel, Geh. Med.-Rat Dr. A. Tenholt in Münster i. W.
Königl. Kronen-Orden 4. Kl.: Oberarzt Dr. H. Koeppen an der
Militärtechnischen Akademie.
Charakter als Geheimer Medizinalrat: Kreisärzte, Med.-Räte Dr.
Moritz in Halberstandt, Dr. Hesse in Lüneburg, Dr. Hunnius in
Wandsbek, Dr. Lernmer in Alfeld, Dr. Platten in Berlin-Schöneberg,
Dr. Kühn in Calbe a. S., Dr. Racine in Essen, Dr. Ziehe in Hom¬
burg v. d. H. und Dr. Wolff in Elberfeld.
Prädikat Professor: Privatdozent Dr. J. Forschbach in Breslau,
Oberstabsarzt Dr. Sinnhuber in Königsberg i. Pr.
Niederlassungen: Dr. S. Meyersohn in Schivelbein.
Verzogen: Generaloberarzt a. D. K. Plagge von Giessen nach Bad
Homburg v. d. H., Dr. P. B. Schulz von Freiburg nach Saarbrücken,
Dr. F. Weins von Gross-Tychow nach Neumagen, Dr. F. Lüttig
von Bochum und Dr. X. F. Steber von Nürnberg nach Aachen, Dr.
H. Lessing von Reisen als Schiffsarzt und Dr. E. Meyer von Frei¬
burg i. Br. nach Berlin, Dr. B. Lewin von Amerika nach Belgard
a. Pers., Dr. W. Urtel von Bielschowitz nach Neudorf, Dr. M. Zehbe
von Breslau nach Kattowitz, Arzt A. Solger von Kattowitz nach
Rostock, Arzt F. Meyer von Neuheiduk nach Chemnitz, Arzt E.
Janik von Breslau nach Orzesche, Dr. R. Obst von Neuheiduk nach
Mikultschütz, Dr. F. Neumann von Lützen nach Mühltroff i. S., Dr.
W.Zedelt von Karlsruhe nach Merseburg, Dr. K. 0. Weidenmüller
von Eisleben nach Schkeuditz, Dr. F. Aussendorf von Loschwitz
nach Artern, Dr. F. Möller von München nach Halle a. S., Dr. E.
Przygode von Halle a. S. nach Stuttgart, Dr. A. Laabs von Halle
a. S. nach Bremen, Dr. F. Maier von Zeitz nach Weissenburg in
Bayern, Dr. H. Kölle von Breslau nach Cassel.
Gestorben: San.-Rat Dr. L. Falk in Hamm.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Hohn, Berlin W., Bayreutlier Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Dl« B«r!ln«r KlloUcb« Wo«h«n5ohrifl erscheint Joden
Montag In Nummern von ea. ft—6 Bogen gr. 4. —
Preis TierteIJihrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Bachhandlungen und Postanstalten an.
BERLINER
Alle Binsendungen für die Redaktion and Sxperfftfofl
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linder
No. 68, adressieren.
KUN ISCHE WOCHENSC HBIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen«
Redaktion : Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 10. Februar 1913. JK6.
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Origiaaliei: Rehn: Die Chirurgie des Herzens und des Herzbeutels.
S. 241.
Klieueberger: Ueber Narkolepsie. (Aus der psychiatrischen und
Nerrenkiioik zu Königsberg. (Illustr.) S. 246.
Behrend: Ein Fall von isolierter traumatischer Lähmung des Nervus
suprascapularis. (Aus dem Kreis-Krankenhaus in Frauendorf bei
Stettin.) S. 249.
Loewenthal und Seligmann: Ein Paratyphusbacillus ohne Gas¬
bildung. (Aus der bakteriologisch-hygienischen Abteilung des
Untersuchungsamtes der Stadt Berlin.) S. 250.
Rabinowitsch: Leprabacillen im kreisenden Blute der Lepra¬
kranken und im Herzblute eines Leprafötus. (Aus der chemisch¬
bakteriologischen Abteilung des Gouvernements Semstwo-Kranken-
hauses in Charkow.) S. 252.
Aronson: Ueber die Giftwirkung normaler Organ- und Muskel¬
extrakte. (Aus dem Laboratorium des Kaiser und Kaiserin
Friedrich Kinder-Krankenhauses in Berlin.) S. 253.
Segäle: Ueber die biochemische Differentialdiagnose bei Toxi-
peptiden- und Methylalkoholvergiftungen. S. 255.
Bly: Gelenktuberkulose. (Illustr.) S. 256.
Pilf: Ueber die Ursachen des Geburtenrückganges in Deutschland.
S. 261.
Bficherbesprechugen: Abderhalden: Fortschritte der naturwissen¬
schaftlichen Forschung. S. 264. Pinoussohn: Medizinisch-chemi¬
sches Laboratoriums - Hilfsbuch. S. 264. (Ref. Wohlgemuth.) —
Cornet: Die Scrofulose. S. 264. (Ref. Klotz.) — Pfeiffer: Ueber
den Selbstmord. S. 264. Levy-Suhl: Die Prüfung der sittlichen
Reife jugendlicher Angeklagter und die Reformvorschläge zu § 56
des Deutschen Strafgesetzbuches. S. 265. (Ref. Marx.) — Neisser
und Jaoobi: Iconographia dermatologica. S. 265. (Ref. Joseph.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 265. — Pharmakologie. S. 267. —
Therapie. S. 267. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 268. — Diagnostik. S. 269. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 269. — Innere Medizin. S. 269. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 271. — Chirurgie. S. 272. — Röntgenologie.
S. 273. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 273. — Geburts¬
hilfe und Gynäkologie. S. 273. — Augenheilkunde. S. 274. — Hals-,
Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 274. — Hygiene und Sanitätswesen.
S. 275. — Gerichtliche Medizin. S. 275. — Unfallheilkunde und
Versicherungswesen. S. 275. — Militär-Sanitätswesen. S. 275. —
Technik. S. 275.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Bier: Erklärung über das Friedmann’sche Mittel
gegen Tuberkulose. S. 276. Wolff: Pneumothoraxoperation bei
Tuberkulose. S. 276. Abel: Die Elektrocoagulation bei der ope¬
rativen Behandlung des Krebses, speziell des Gebärmutterkrebses.
S. 277. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin. S.279. —
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur zu
Breslau. Medizinische u. staats- u. rechtswissenschaft¬
liche Sektion. S. 279. — Verein der Aerzte Wiesbadens.
S. 282. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 283.
Leo: Carl Binz +. S. 284.
Hoffmann: Ueber die Notwendigkeit der besseren Ausbildung der
deutschen Studierenden in Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 285.
Goldstein: Erwiderung auf die Artikel des Herrn Geheimrats Wolf in
Nr. 49 und 50, 1912, dieser Wochenschrift. S. 286. — Wolf: Ent¬
gegnung auf vorstehende Erwiderung. S. 287.
Samson: Zur Entfieberung Lungentuberkulöser mittels kleinster Tuber¬
kulindosen. S. 287. '
Tagesgeschiohtl. Notizen. S.287. — Amtl. Mitteilungen. S.288.
Die Chirurgie des Herzens und des Herzbeutels.
Von
Hi* Rehn.
Dar Zweck dieser Zeilen ist, dem Leser einen kurzen Ueber-
blick über den derzeitigen Stand der Herz- nnd Herzbeutel-
Chirurgie zu geben, ferner hier und da darauf binzudeuten, was
für die nächste Zeit erstrebenswert ist. Die Hoffnungen, welchen
•ich v. Micnlicz hingegeben hat, haben sich nicht verwirklicht.
Nach wie vor stehen die Herzklappenfehler als ein Noli me
tangere da. Auch die neuesten Bestrebungen einiger amerikani¬
scher Chirurgen, das Herzinnere operativ anzugreifen, werden
daran nichts ändern. Sehr wohl aber könnte gelegentlich die Ent¬
fernung einer Kugel aus den Herzkammern in Betracht kommen,
veil hier die Gefahr einer tödlichen Embolie besteht. Derartige
Embolien sind einige Male beobachtet worden von Schlofer nnd
anderen. Bei kleinkalibrigen Geschossen wird ein Znwarten
vielleicht weniger Gefahren in sich schliessen als ihre Ent¬
fernung ans den Ventrikeln. Wie wir durch Trendelenburg
wissen, werden Kugeln wie Schrote lebhaft in der Herzkammer
kin- und hergeworfen. Mit der Zeit werden diese Fremdkörper
durch Fibrinniederschläge eingekapselt nnd fixiert
Gewisse Hersverletznngen finden noch nicht die genügende
Aufmerksamkeit der Aerzte. Die Art ihrer Entstehung und die
Seltenheit ihres Vorkommens machen dies erklärlich. Doch sind
zweifellos Fälle darunter, die gerettet werden könnten. Es sind
einmal die Verletzungen des Herzens durch stumpfe Gewalt, die
in ihrer Art sehr wechseln. Platzrupturen mit grosser Zerreissung
der Herzmuskulatur kommen nicht auf den Operationstisch, sie
enden zu rasch tödlich. Allein es sind eine Anzahl Verletzungen
des Herzens durch stumpfe Gewalt beschrieben worden, die sehr
wohl einen rettenden Eingriff erlaubt hätten. Zum anderen habe
ich Fälle im Auge, wo verschluckte Nadeln vom Oesophagus aus
in den Herzbeutel eingedrungen sind und durch Verletzung des
Herzens oder durch eitrige Pericarditis den Tod herbeiführten.
Auch hier kann eine Operation sehr wohl lebensrettend wirken.
Ganz gewiss sind weitere Fortschritte hinsichtlich der ent¬
zündlichen Prozesse des Pericards wünschenswert und zu erwarten.
Ich verweise hier zum Studium auf die vortreffliche Arbeit des
verstorbenen Curschmann in der deutschen Klinik. Noch sterben
zu viele Fälle von Pericarditis ohne Diagnose, d. h. ohne einen
Versuch, zu helfen. Die Erkrankung ist allerdings nicht so
häufig, dass der einzelne Arzt imstande wäre, sich eine reichere
Erfahrung zu sammeln. Auch bei richtig und zeitig gestellter
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UNIVERSITY OF (OWA
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
242
Diagnose der Pericarditis bleibt bezüglich der Behandlung noch
manches za wünschen und manches Wichtige strittig. Bezüglich
der Stellen, wo ein Herzbeutel punktiert und nicht punktiert
werden darf, ist wohl jetzt Klarheit geschaffen. Strittig bleibt,
ob bei serösen und hämorrhagischen Exsudaten nicht statt der
Punktion öfter die Pericardiotomie angewendet werden soll. Noch
in letzter Zeit ist, wie früher schon Brentano, v. Walzel,
gestützt auf Fälle aus der v. Eiselsberg’schen Klinik, für eine
erweiterte Anwendung des Schnittes eingetreten. Bemerkenswert
sind Wenckebach’s Versuche, durch Einführung steriler Luft in
den Herzbeutel eine raschere Ausheilung der exsudativen Peri¬
carditis berbeizuführen. Es ist in der Tat keineswegs gleich¬
gültig, ob ein Pericardialexsudat längere oder kürzere Zeit be¬
steht, ganz abgesehen von etwaigen Bewegungshemmungen des
Herzens durch das Exsudat oder von den Gefahren des Herz¬
druckes. Jede entzündliche Affektion im Pericard zieht, wie wir
schon von Virchow wissen, das Myocard mehr oder weniger io
Mitleidenschaft. Wir fanden bei unseren Experimenten eine Be¬
stätigung dieser längst bekannten, aber therapeutisch zu wenig in
Betracht gezogenen Tatsache. Je länger ferner eine Pericarditis
besteht, desto sicherer müssen wir auf spätere ausgedehnte intra-
pericardiale Verwachsungen, sowie auf eine Beteiligung der
Pleurae mediastinales am Entzündungsprozess rechnen. Ais End¬
produkt der letzteren entsteht die schwielige Mediastinopericar-
ditis. Es muss ein Hauptziel unserer Bestrebungen sein, diese
fatalen Folgezustände der Pericarditis zu vermeiden oder auf ein
möglichst geringes Maass zu beschränken. Wir haben bei unseren
Experimenten in dem Jodipin ein Mittel kennen gelernt, welches
in dieser Beziehung Erfolg verspricht.
Wir kommen nun zur Sache selbst und beginnen mit den
Verletzungen des Herzens.
Die erste glückliche Herznaht hat der operativen Behand¬
lung der Herzverletzungen den Weg gebahnt. Die Notwendigkeit,
blutende Herzwunden, gleichviel welcher Art, operativ anzu¬
greifen, ist wohl zurzeit allgemein anerkannt. Es ist zwar richtig,
dass gewisse Herzwunden einer Spontanheilung fähig sind, allein
auf einen so seltenen, glücklichen Zufall dürfen wir uns nicht
verlassen. Die Statistik, zuletzt von E. Hesse bearbeitet, lehrt
uns, dass von 219 operativ behandelten Herzverletzungen 47 pCt.
heilten und 53 pCt. starben. Es ist begründete Hoffnung vor¬
handen, dass die Mortalität noch weiter herabgesetzt werden
wird. Die Misserfolge bei Herzoperationen beruhen wesentlich
auf zwei Ursachen, dem Blutverlust und der Infektion. Diesen
beiden Gefahren haben wir vor allen Dingen zu begegnen. Was
den Blutverlust während der Operation betrifft, so haben wir ge¬
lernt, durch eine Kompression der Hoblvenen fast blutleer am
Herzen zu operieren. Dass während einer Herzoperation die
allersorgfältigste Asepsis am Platze ist, versteht sich von selbst.
Wenn irgend möglich, sollte unter Druckdifferenz operiert werden.
Die Diagnose und Behandlung der Herzwunden.
Wir unterscheiden Stich-, Schnitt-, Schusswunden des Herzens
und Verletzungen durch stumpfe Gewalt. Borchardt hat eine
Pfählungsverletzung geheilt. Die Herzwunden können penetrierende
und niebtpenetrierende sein. Ein Projektil, eine Messerklinge
kann die Scheidewand des Herzens durchbohren, ohne die Herz¬
kammern zu eröffnen. Es gibt Rinnenschüsse der Ventrikel,
welche nicht perforieren. Allein bei weitem die meisten Herz¬
wunden sind penetrierende. Am häufigsten sind die Stich- und
Schnittwunden des Herzens. Die Statistik zeigt weiter, dass die
Verletzungen der Herzkammern bei weitem überwiegen. Zuweilen
betrifft die Verletzung nur eine Wand des Herzens, nicht selten
aber durchsetzen ein langes Messer oder eine Kugel die vordere
und hintere Herzwand. Auf dieses Vorkommnis muss jeder ge¬
fasst sein, der ein verletztes Herz freilegt. Ebenso muss man
wissen, dass eine Herzwand durch eine Kugel durchbohrt werden
kann, ohne dass der Herzbeutel eine Schussöffnung aufweist.
Praktisch wichtig ist ferner, zu wissen, ob ein Instrument abge¬
brochen ist und im Herzen steckt. Niemals darf der Arzt das
steckengebliebene Instrument eher entfernen, bis das Herz zur
Naht freiliegt, weil bei der Entfernung des Instruments aus dem
Herzen momentan eine vehemente Blutung einsetzt, die den Tod
herbeiführt ehe wir helfen können.
Die Symptome der Herzverletzungen.
In der Regel ist die Herz Verletzung mit einem ausgesprochenen
Shock verbunden. Die weiteren Erscheinungen sind durchaus
wechselnde. Die Verwundungen des Herzens haben an sich
durchaus kein charakteristisches Zeichen, es sei denn, dass das
verletzte Herz stossweise direkt nach aussen blutet oder ein
systolisches Spritzgeräusch zu hören ist. Beides ist äusserst
selten. Die Blutung beherrscht das Symptomenbild. Mit dem
Moment der Eröffoung einer Herzkammer schiesst systolisch ein
Blutstrahl hervor. Es entsteht eine momentane Blutdrucksenkung,
und es erfolgt ein Shock. Der Shock ist vielleicht auch als
Reflexwirkuog von seiten des Epicard aufzufassen. Er kann
vollkommen febleo, wenn die Herzwunde nicht blutet, so, wenn
der Herzmuskel schief durchbohrt ist. Es ist natürlich auch
ein Unterschied, ob das Herz durch ein feines, schmales Messer
gewissermaassen nur punktiert wurde, oder ob ein Schnitt die
Herzmuskelfasern ausgiebig getrennt bat. Abgesehen davon ist
die Blutung nach dem Sitz der Herzwunden verschieden. Aus dem
rechten dünnwandigen Ventrikel blutet es bei einer Verletzung
stärker als aus dem linken, dessen kräftige Muskulatur sich besser
zusammenschliesst. Die Verletzung der Vorhöfe macht stärkere
Blutung als eine Ventrikelverletzung. Eine Verletzung derArteria
coronaria kann je nach ihrem Sitz zu starken Blutungen Veran¬
lassung geben. Man hat aber sogar durch Verletzung der Coronar-
venen pralle Füllung des Herzbeutels mit Blut enstehen sehen.
Das aus dem Herzen strömende Blut verursacht sehr häufig
Herzgeräusche. Es kann sich ergiessen je nach der Verletzung
in den Herzbeutel, in den Pleuraraum, in das Abdomen, in das
Mediastinum oder nach aussen. Am häufigsten finden wir das
ergossene Blut im Herzbeutel und im Thorax. Ausserordentlich
charakteristisch wird das Bild der Herzverletzungen, wenn das
Blut aus der Herzwunde ausschliesslich oder vorwiegend in den
Herzbeutel fiiesst. Es kommt dann zu den Erscheinungen des
Herzdruckes, der Herzkompression oder der Herztamponade.
Dieses Bild sollte jeder praktische Arzt kennen. Es tritt blitz¬
ähnlich auf, wenn eine starke Blutung in den geschlossenen Herz¬
beutel erfolgt, wie z. B. beim Platzen eines Aneurysma. Auch
durch eine Herzverletzung kann ein Patient in kürzester Frist
durch Herzdruck zugrunde gehen. Je derber der Herzbeutel, je
rapider die Blutung, desto eher kommt es zu einer verhängnis¬
vollen Spannung im Pericard, die schon an sich die Herz¬
bewegungen mächtig erschwert. Sobald aber der Druck im Peri¬
card den Druck in den grossen Venen und den beiden Vorhöfen
übersteigt, wird der Blutzufluss zum Herzen aufgehoben, das Herz
pumpt leer und steht still. Das sind die grfnz schlimmen Fälle.
Es gibt andere, die sich über Stunden, über Tage, ja über Wochen
und Monate hinausziehen, bevor sie tödlich endigen (chronischer
Herzdruck, Fischer). Verschiedene Ursachen wirken dahin, das
Krankheitsbild zu variieren. Einmal kann es langsam in den
Herzbeutel bluten, so dass der Herzbeutel Zeit hat, sich ent¬
sprechend zu dehnen. Zum anderen kann die Wunde im Pericard
sich der Spannung nachgebend erweitern. Das Blut bat einigen
Abfluss, so dass der Herzdruck nur eine gewisse Höhe erreicht.
Endlich ist es möglich, dass durch die Spannung im Herzbeutel
die Blutung aus dem Herzen gemässigt wird. Es bildet sich ein
Thrombus in der Herzwunde. Die Blutung aus dem Herzen steht
definitiv oder, wie es die Regel ist, für kurze Zeit. Das gefähr¬
liche Spiel wiederholt sich.
Woran erkennen wir nun die Spannung im Herzbeutel? Wo
es möglich ist, muss eine Röntgendurchleuchtung vorgenommen
werden. Es gibt aber auch klinische Symptome, die vollwertig
sind. Die Spannung des Herzbeutels verursacht Oppressionsgefühl
und Schmerzen in der Herzgegend, die in den linken Arm und
in die Oberbauchgegegend ausstrablen. Die Muskeln der Ober¬
bauchgegend sind gespannt. Die Leber schwillt an. Die Halsvenen
sind stark gefüllt. Der Puls ist dünn, aussetzend. Es ist Atem¬
not vorhanden. Es kommt zu heftigen Angstzuständen, ja Kon¬
vulsionen. Perkutorisch erkennt man die wachsende Herzdämpfung.
Wenn der Herzdruck fehlt, und E. Hesse hat ihn in 40 pCt.
seiner Fälle vermisst, dann sind wir bei einer Herzverletzung,
abgesehen von etwaigen Herzgeräuschen, auf die Zeichen der an¬
dauernden, inneren Blutung hingewiesen. Wir richten unser
Augenmerk in erster Linie auf einen wachsenden Hämothorax.
Nach E. Hesse’s Berechnung aus dem relativ grossen Material
des Obuchow-Krankenhauses in Petersburg werden etwa 30pCt.
aller Herzverletzten in bewusstlosem Zustande dem Krankenhause
zugeführt. Solche Patienten machen den Eindruck eines
Sterbenden, aber man braucht an ihrer Rettung nicht zu ver¬
zweifeln. Für die Diagnose einer Herzverletzung kommt endlich
die Lage der äusseren Wunde und die Art der Verletzung sehr
in Betracht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in 62 pCt. der
Stich- und Schusswunden des Herzens die äussere Wunde der
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
243
Herzgegend entsprach. Relativ selten finden wir bei Herz-
verletzungen die Symptome eines Hämopneumopericards (Mühlen¬
geräusch). Die Verletzung der Pleura, die in etwa 80 pCt. der
Fälle vorhanden ist, verläuft meist symptomlos. Wir müssen
aber gestehen, dass eine Anzahl Hersverletzungen nach wie vor
bezüglich der Diagnose unsicher bleiben wird. Bei sicherer Dia¬
gnose ist ein sofortiger Eingriff geboten.
Allerdings wird es Verhältnisse geben, z. B. auf dem Lande,
die gebieterisch ein Zu warten verlangen. Wendel freilich hat
auf dem Lande unter beschränkten Verhältnissen eine lebens¬
rettende Operation vorgenommen, und ich muss zugestehen, dass
uns die Notwendigkeit auch auf dem Lande zu einem Eingriff
iwiogen kann, will aber zugleich betonen, dass zunehmende
Herzbeutelspannung mit gefährlichen Herzdrucksymptomen besser
durch eine Herzbeutelpunktion beseitigt werden sollte. Wir ge¬
winnen dann eine kostbare Zeit zur Ueberführung des Patienten
in ein Krankenhaus. Ich würde im allgemeinen lieber das Be¬
denkliche eines Transportes anf mich nehmen, als die Gefahren
einer Operation auf dem Lande. Man erhöht wesentlich die Aus¬
sichten einer Herzoperation, wenn man den Patienten in der
Klinik bei peinlichster Asepsis, genügender Assistenz und unter
Druckdifferenz operieren kann. Wie soll man sich bei zweifel¬
haften Fällen verhalten? Kranke mit Verdacht auf eine Herz¬
verletzung bedürfen einer andauernden, ärztlichen Ueberwacbung.
Alles muss zur Operation vorbereitet, der Kranke in der Nähe
des Operationsraumes untergebracht sein. Bei zunehmender
Anämie, bei wachsendem Hämothorax wird sofort zur Operation
geschritten. Bin Bluterguss im Herzbeutel indiziert in gleicher
Weise einen Eingriff, auch wenn die Herzdrucksymptome gering
Bind. Im längeren Zuwarten liegt eine grosse Gefahr für den
Patienten. Wir wissen durch die Veröffentlichung Fischer’s,
dass es Fälle gibt, in denen eine Herzwunde durch lang an¬
haltende Blutung nach monatelangem Verlauf unter der Er¬
scheinung der Herzinsuffizienz zum Tode führte. Unser Stand¬
punkt, möglichst frühzeitig zu operieren, wird endlich noch
dadurch gestützt, dass ein Patient mit gut vernähter Herzwunde
für die Zukunft besser daran ist, als ein Patient mit spontan
geheilter Wunde. Die experimentellen und anatomischen Unter¬
suchungen lehren uns, dass der Herzmuskel nur in ganz be¬
scheidenem Maasse befähigt ist, sich zu regenerieren. Die Defekte
werden durch Granulations- und Narbengewebe geschlossen, dessen
Neigung zur Aneurysmabildung mit der Breite der bindegewebigen
Narbe zanimmt.
Welche allgemeinen Grundsätze lassen sich für die Operation
einer Herzverletzung aufstellen?
Ich hebe hervor, dass es keine Methode gibt, die allen Herz¬
verletzungen gerecht wird. Der einzelne Fall entscheidet über
die Art des Eingriffes. Hat die äussere Verletzung ihren Sitz
in der Herzgegend, so wird man die Wunde erweitern und dem
Wnndkanale folgend weiter Vordringen. Auf diese Weise kommt
man mit Sicherheit zu dem verletzten Herzteil. Je dringender
der Fall ist, desto weniger Rücksicht kann auf die Pleura ge¬
nommen werden. Bs gilt dann nur ein Gebot: „Rasches Vor¬
dringen auf den Herzbeutel, genügend Platz schaffen für die
Herznaht! u Dann erst soll der Herzbeutel angeschnitten werden.
Gibt ein grosser lntercostalschnitt nicht genügend Raum, und
das ist öfters der Fall, so müssen die Rippen am Sternum ab¬
getrennt werden, eventuell sind Stücke des Brustbeines zu ent¬
fernen. Es gibt Fälle, die ein anderes Vorgehen erheischen. Bs
sind die zweifelhaften Fälle, welche wohl den Verdacht auf eine
Herzverletzung nahelegen, aber keine Zeichen eines erheblichen
Hämothorax aufweisen. Hier scheint mir eine Operationsmethode
ata Platze, die sehr rasch und einfach auszuführen und relativ
wenig verletzend ist. Die Pleurahöhle muss geschont werden. Es
soll sich um eine probeweise Eröffnung der Pericardialhöhle handeln.
Pericardiotomie im Angulus costo-xyphoideus.
Ein Hautschnitt verläuft in 8—10 cm Ausdehnung parallel
dem linken Rippenbogen über die Basis des Processus xyphoideus.
Durchtrennung der Bauchmuskulatur dem Hautschnitt entsprechend.
Indem man direkt subcostal und substernal weiter vordringt,
kommt man auf den Zwerchfellansatz und die sogenannte Larrey-
zche Spalte. Die Zwerchfellfasern müssen genügend weit getrennt
werden, dann liegt die Basis des Herzbeutels frei von Pleura vor.
Man muss wissen, dass der gefüllte Herzbeutel recht erheblich
in das Abdomen hineinrückt und die Leber herabdrängt. Je ge¬
füllter also der Herzbeutel, desto leichter ist die geschilderte
Operation. Mao kann nun den Herzbeutel an seiner vorderen
, . i!
Basis abtasten, bei emporgedrängtero Herzen punktieren und be¬
liebig weit quer einschneiden. Man hat den Herzbeutel an seinem
tiefsten Punkt eröffnet. Die Operation kann unter Lokalanästhesie
in wenigen Minuten ausgeführt werden. Findet man Blut im
Herzbeutel und will unter Schonung der Pleura das Herz weit
blosslegen, so werden durch einen zweiten Schnitt dem linken
Rande des Sternums entlang die Knorpelansätze der Rippen bis
etwa zur vierten Rippe aufwärts blossgelegt. Indem man sich
mit einem Blevatorium dicht an die hintere Brustbeinfläche hält,
löst man die unteren Zacken des Mnaculus transversus thoracis
vom Brustbein und schiebt die Pleura vorsichtig nach aussen.
Unter dem Schutze des Fingers werden die einzelnen Rippen von
unten nach oben hin vom Sternum abgetrennt, bis man genug
Platz hat. Ist bisher die Schonung der Pleura gelungen, so
deckt man mit Kochsalztampons die abgelöste Pleura, drängt sie
weiter zurück und trennt zwischen dritter und vierter Rippe Haut
und Intercostalmuskulatur, so dass man bequem den Knochen-
weichteillappen nach aussen ziehen kann. Wenn es nötig ist, so
kann man durch Resektion des Sternums sich leicht weiter Platz
schaffen. Der Herzbeutel liegt in grosser Ausdehnung frei, und man
kann ihn getrost öffnen. Bs wird alles zur Herznaht vorbereitet sein.
Ausser zur Probepericardiotomie eignet sich die extrapleurale
Operation besonders für die Fälle, welche vorwiegend die Zeichen
einer Blutung in das Pericard aufweisen. Bin einfacher Pneumo¬
thorax bildet keine Kontraindikation. Die Methode ist aber
kontraindiziert, wenn anderweitige Verletzungen im Thorax oder
im Abdomen nicht mit Sicherheit auszuschliessen sind.
Die meisten Lappenmethoden, die zur Freilegung des
Herzens in verschiedenster Form empfohlen worden sind, wurden
in letzter Zeit mehr und mehr verlassen. Pleurahöhle und Peri¬
card sind nach der Herznaht von Blut zu reinigen und ohue
Drainage zu verscbliessen.
Eine besondere Würdigung verdienen endlich die Herz- und
Herzbentelverletzungen durch stumpfe Gewalt. Infolge der
Unfallgesetzgebung bat man ihnen grössere Aufmerksamkeit ge¬
schenkt. Für das Verständnis derselben muss man dm Auge be¬
halten, dass die Elastizität des Thorax eine grosse Rolle
spielt. Bei einem jugendlichen, elastischen Brustkorb kann man
das Brustbein derartig nach hinten drücken, dass es die Wirbel¬
säule berührt. Auf diese Weise kann bei einem Unfall das Herz
zwischen Brustbein und Wirbelsäule gequetscht werden. Bei
einem starren Thorax wird diese Art der Verletzung kaum zu¬
stande kommen, dagegen können durch eine Fraktur des Brust¬
beines oder durch Kippensplitter Herzbeutel und Herz verletzt
werden.. Nach Einwirkung von stumpfer Gewalt auf die Herz¬
gegend, seltener indirekt, wie durch einen Fall auf dass Gesäss,
hat man die verschiedenartigsten Läsionen des Herzens bis zu
den schwersten Platzrupturen entstehen sehen. Direkt im An¬
schluss daran kann sich ein Hämopericard entwickeln. Es ist
ein Fall mitgeteilt, wo ohne jede Verletzung der Weichteile und
Knochen ein Riss im rechten Herzohr zustande kam.
Es ist selbstverständlich, dass bei beginnenden Symptomen
von Herzdruck unverzüglich die Spannung im Herzbeutel zu be¬
seitigen eventuell eine Herzwunde zu schliessen ist. Es ist auch
zu betonen, dass seröse, hämorrhagische und eitrige Entzündungen
des Herzbeutels, die im Anschluss an solche Verletzungen ent¬
stehen können, zur rechten Zeit einer chrirurgiscben Behandlung
unterworfen werden müssen. Es soll hier nur mit wenigen Worten
auf die isolierten Verletzungen der Herzklappen und des Myocards
hingewiesen werden, die durch stumpfe Gewalteinwirkungen zu¬
stande kommen. An den Klappen können Hämatome, vorzugs¬
weise an der Aorta, sowie Blutungen unter das Endocard zustande
kommen, Klappenzipfel können abreissen. Im weiteren Verlauf
kann sich eine Thromboendocarditis ausbilden, so dass richtige
Klappenfehler entstehen. Neuerdings wurde mehrfach die Ent¬
wicklung von Aortenaneurysmen beobachtet. Heller nimmt an,
dass unter dem Einfluss der Kompression des Thorax und einer
plötzlichen Erhöhung des intraventriculären Druckes eine Ueber-
dehnung der Aorta zustande komme, und dieser Ueberdehnung
folge die Entwicklung des Aneurysmas. Praktisch ebenso wichtig
sind auch die Fälle, wo nach Brustkontusion mehr oder weniger
ausgedehnte Blutungen in das Myocard erfolgen, welche weiterhin
zu Narbenbildungen mit den entsprechenden Folgezustäuden
führen. Külbs hebt hervor, dass, je elastischer der Brustkorb
ist, um so eher Herzschädigungen zustande kommen können. Er
bat bei seinen Experimenten kleinere und grössere Verletzungen
im Myocard hervorbringen können. Er sowie Eppinghaus
stellten mikroskopisch fest, dassi sich mehr oder weniger grosse
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244
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Mengen roter Blutkörperchen zwischen die Muskelfibrillen ein-
schieben und diese oft in grosser Ausdehnung verdrängen. Folge-
zustände sind myocarditische Schwielen. Die in Rede stehenden
Verletzungen zeichnen sich nun dadurch aus, dass sich mehr oder
weniger lange Zeit nach der Verletzung Herzstörungen bemerkbar
machfen, welche nnr durch eine Schädigung des Myocards zwang¬
los zu erklären sind. Eine ganze Reihe von Soldaten, die mit
absolut leistungsfähigem Herzen eingestellt waren, wurden infolge
von Herzschädigungen nach Brustkontusionen dauernd dienst¬
unfähig. F. W. Schulze hat 31 Fälle aus den Sanitätsberichten
in der preussischen Armee gesammelt. Nach Kontusionen der
Herzgegend trat Unregelmässigkeit und Beschleunigung der Herz¬
tätigkeit ein, und schliesslich entwickelte sich eine mehr oder
weniger hochgradige Herzstörung, die meist die Entlassung der
Soldaten veranlagte. In 15 Fällen bandelte es sich um einen
Stoss mit dem Bajonettiergewehr auf die Herzgegend, in 7 Fällen
wurde ein Hufschlag auf die linke Brustseite Grund zu der Er¬
krankung, in 7 Fällen ein Fall auf die liuke Brustseite. Be¬
zeichnenderweise wurden nur dreimal Rippenläsionen gefunden. Die
jungen Soldaten erfreuen sich eben eines sehr elastischen Brustkorbes.
Die chirurgische Behandlung der Pericarditis, der
Lungenarterienembolie und'd^r Herzsynkope.
Es steht fest, dass eine Pericarditis leichteren Grades, die
meistens auf tuberkulöser Basis beruht, ohne chirurgische Ein¬
griffe mehr oder weniger völlig zur Ausheilung kommen kann.
Etwa bei 80 pCt. aller Sektionen findet man Residuen dieser
Erkrankung, die nie Beschwerden im Leben verursacht haben
(Aschoff). Je länger aber der Entzfindungsprozess anhält, je
intensiver er war, desto sicherer werden Residuen Zurückbleiben,
die zu sekundären Cardiopathien führen. Das Myocard wird bei
einer Pericarditis mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen,
so dass sich bei schwereren Formen der Pericarditis nach Ablauf
der Entzündung Zeichen einer Herzmuskelerkrankung, even¬
tuell eine Dilatation des Herzens einstellen. Man kann zwei
grosse Gruppen von Herzstörungen als Folgeerschei¬
nung einer Pericarditis unterscheiden, und zwar
1. Herzmuskelschädigungen, welche durch den Entzündungs¬
prozess im Pericard und durch das die Herzbewegung er¬
schwerende Exsudat hervorgerufen werden,
2. Behinderung der Herzbewegungen und der Füllung des
Herzens durch pericardiale Verwachsungen und mediastino peri-
cardiale Schwielen.
Wie ich bei unseren Tierexperimenten sehen konnte, zeigen
die pericardialen Verwachsungen die verschiedensten Abstufungen.
Wir konnnten experimentell nachweisen, dass sich das Fibrin in
dickeren Schichten zuerst an der Basis des Herzbeutels, sodann
im Sinus transversus pericardii und präarteriellen Raum anbäuft.
Hiermit stimmen die Erfahrungen bei Sektionen überein, dass wir
an diesen Stellen die ersten Verwachsungen finden. Derartig
lokalisierte Verwachsungen können unter Umständen zu schweren
Folgeerscheinungen Veranlassung geben, so wenn die Cava inferior,
oder seltener die Cava superior, durch Verwachsungen beengt
wird (Pick’sche Krankheit). Wenn ein Teil des Pericards oblite-
riert und im anderen Teil der exsudative Prozess weiter besteht,
so kommt es zu partieller Ausbuchtung der Herzbeutelwand, zu
einer Art Cystenbildung mit oft hämorrhagischem Inhalt. Ein
weiterer Ausgang der exsudativen Pericarditis ist gekennzeichnet
durch die Obliteratio sive concretio pericardii totalis. Endlich
zieht eine Pericarditis entzündliche Prozesse in der Umgebung des
Herzbeutels nach sich. Es bilden sich im Mediastinum binde¬
gewebige Narben und Schwarten. An diesem Prozess kann auch
das Zwerchfell und die Leber teilnehmen. Es ist in letzter Zeit
besonders durch Pick darauf hingewiesen, dass infolge von peri-
carditischen Verwachsungen eine Stauung im Pfortadergebiet her¬
vorgerufen wird, so dass eine täuschende Aehnlicbkeit mit der
bekannten Lebercirrhose gegeben ist. Die Beengung der Vena
cava im Herzbeutel durch Narbenstränge braucht aber nicht die
einzige Entstehungsart für die pericarditische Pseudolebercirrbose
zu sein. Es gibt Fälle, wo die Leber primär mit in den Ent¬
zündungsprozess hineingezogen wird in Form der Zuckergussleber.
Die Krankheit findet sich nach Pick besonders bei jungem Indi¬
viduen. Die Leber ist anfänglich vergrössert, bei längerer Dauer
der Erkrankung auch geschrumpft. Es besteht nur Ascites ohne
Oedeme. Bald wurde die Milz vergrössert, bald normal gefunden.
Die geschilderten Erscheinungen haben als Gemeinsames die
Stauung im Pfortadergebiet. Die grosse Bedeutung der Pick-
schen Arbeit liegt, wie mir scheint, darin, dass es Folgezustände
einer Pericarditis gibt, die sich nur im Stromgebiet der Pfortader
bemerkbar machen.
Aus den geschilderten Verhältnissen ergeben sich unsere
Aufgaben in therapeutischer Beziehung. Sie zerfallen in zwei
Teile, und zwar erstens in die Behandlung der Pericarditis
exsudativa. Wir wollen vorwegnehmen, dass die eitrige Form
der Pericarditis nach allgemeiner Uebereinstimmung mittels Schnitt
und Drainage behandelt werden muss. Bei Pericarditis serosa,
serofibrinosa, eveotuell haemorrhagica (Pericardialexsudate haben
relativ häufig eine mehr oder weniger stark blutige Beimischung,
offenbar infolge der Herzbewegungen; man darf in diesem Falle
nicht gleich an eine maligne Grundlage denken) bedient man sich
meist der Pericardiocentese. Als Indikation gelten einmal gefähr¬
liche Drucksymptome von seiten des Pericardialexsudates (indicatio
vitalis), zum anderen, wenn die Aufsaugung eines Exsudates zu
lange auf sich warten lässt.
Bei der Entleerung eines Pericardialexsudates muss die Ver¬
letzung des Herzens unter allen Umständen vermieden werden.
Es ist sicher, dass ein Kranker durch Punktion des Herzens so¬
fort getötet werden kann. Zweifellos sind weit mehr Todesfälle
nach Herzpunktion vorgekommen, als publiziert wurden. Es
scheint ein Widersprach darin zu liegen, dass nach einem Stieb
der Punktionsnadel io das Herz ein rascher Tod eintritt, während
dies bei Stich- und Schussverletzungen nur in einer Anzahl sehr
schwerer Herzwunden vorkommt. Die Erklärung liegt darin,
dass es sich in einem Fall um gesunde, im anderen um schwer
geschädigte Herzen handelt. Eine kleine Blutung in den Herz¬
beutel genügt, uro ein schwer krankes Herz zum Stillstand zu
bringen. Wir wissen, dass die Hauptmasse des Herzens bei einem
Pericardialexsudat an ihrem normalen Platz bleibt, dass ferner
das Herz der vorderen Brustwand dicht anliegt Als ich vor
Jahren auf diese wichtige Tatsache hinwies, erhob sich vielfacher
Widerspruch. Es wurden zahlreiche Versuche angestellt. Jetzt
kann über die Lage des Herzens bei pericardialen Exsudaten
nicht mehr gestritten werden. Wir dürfen also nicht an den
Stellen punktieren, wo das normale oder das vergrösserte Herz
getroffen werden kann. Diese kritischen Stellen müssen unbe¬
dingt vermieden werden. Drei Stellen eignen sich vor¬
nehmlich zur Entleerung den Herzbeutels:
1. Eine Stelle ausserhalb des Spitzenstosses, bzw. wenn dieser
nicht zu ermitteln ist, ausserhalb der' linken Mammillarlinie
(Curschmann).
2. Eine Stelle an der Basis des Herzbeutels, und zwar in
dem Winkel, den der Ansatz der siebenten linken Rippe mit der
Basis des Processus xyphoideus bildet.
3. Kann man den linken grossen Recessus des Herzbeutels
von der hinteren Thoraxwand aus anstechen (von Cursch¬
mann jun. ausgefübrt).
Der letzte Einstich kommt besonders dann in Frage, wenn
durch die massige Anfüllung des Herzbeutels der linke untere
Lungenlappen komprimiert ist. Bei den unter 1 und 3 genannten
Punktionsstellen wird die Pleura bzw. die komprimierte Lunge
unter allen Umständen durchstochen, was bei eitrigen pericardialen
Exsudaten vermieden werden muss. Bei Punktionsstelle 2 wird
die Pleura sicher vermieden. Im Einzelfall wird man sich über¬
legen müssen, welche Einstichstelle gewählt werden soll. Bei
Zweifel bezüglich der Natur des Exsudates empfiehlt es sich, den
Herzbeutel blosszulegen und dann erst zu punktieren. Das kann
leicht unter Lokalanästhesie geschehen. Es sind im allgemeinen
nicht die Fälle mit grossem Exsudat, die uns bei der Pericardio¬
centese Schwierigkeiten bereiten. Es empfiehlt sich, stets zuerst
mit einer dünnen Nadel zu punktieren, ehe man einen Troicart
einsticht. Saugapparate sind unzweckmässig und unnötig. Man
lässt das Exsudat unter den üblichen Kautelen abfiiessen, indem
man den Troicart mit einem Schlauch armiert und das untere
Schlauchende in ein Gefäss mit steriler Kochsalzlösung eintaucht.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir auf das
Eifrigste danach streben müssen, einen entzündlichen Prozess im
Pericard möglichst rasch zu beseitigen, und es fragt sich, ob eB
Mittel und Wege gibt, dies zu erreichen.
Die Pericardiocentese bedeutet gewiss, sofern man genau die
gebotenen Vorsichtsmaassregeln innehält, einen geringen Eingriff.
Sie hat aber auch ihre Nachteile. Ihre Anwendung ist beschränkt
auf die grossen Exsudate, d. h. auf die Fälle, bei denen der Herz¬
beutel weit über die Herzgrenzen hinaus erweitert und gefüllt ist.
Die Punktion bei mässig gefülltem Herzbeutel ist gefährlich, weil
das Herz allzuleicbt verletzt werden kann. Die Pericardiocentese
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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mit Durchbohrung der Pleura ist bei Exsudaten zweifelhafter
Natur, d. b. wenn es sich um einen eitrigen Prozess bandeln
kann, kontraindiziert. Sie muss öfters wiederholt werden, bis sie
zur Heilung fuhrt. Sie ist also zeitraubend und überhaupt in
ihrer Wirkung oft ungenügend. Wenckebach hat deshalb ein
kombiniertes Verfahren eingeschlagen, indem er der entleerten
Plüssigkeitsmenge entsprechend sterilisierte Luft in den Herz-
beutel eintreten liess. Das Verfahren sollte weiterhin geprüft
werden. Die Pericardiocentese muss endlich mit ganz besonderer
Vorsicht ausgeführt werden, wenn der Herzbeutelerguss durch
Verwachsungen eine atypische Form angenommen hat.
Die geschilderten Nachteile machen es begreiflich, dass er¬
fahrene Autoren auch bei nicht eitrigen Ergüssen im Pericard für
eioe ausgedehntere bzw. absolute Anwendung der Pericardiotomie
eintreten. Die Methode, welche wir bevorzugen, haben wir bereits
beschrieben. Die Vorteile einer Pericardiotomie sind in der Tat
nicht gering einzuschätzen. Natürlich ist Vorbedingung, dass sie
anter Schonung der Pleura ausgeführt wird. Der Schnitt kann
frühzeitig, d. h. also bei kleinen Exsudaten in Anwendung kommen.
Eioe Verletzung des Herzens ist ausgeschlossen. Er garantiert
eine weit bessere Entleerung des Herzbeutels und erlaubt eine
Reinigung von Blut- und Fibringerinnseln durch Ausspülen mit
physiologischer Kochsalzlösung. Er bietet deshalb weit günstigere
Aussichten für eine raschere Ausheilung der Erkrankung. Diesen
Vorteilen gegenüber stehen auch Schattenseiten. Der Schnitt
führt zu einem Pneumopericard. Entsprechend der Entleerung
des Exsudates tritt Luft in den Herzbeutel ein. Die Gefahr einer
sekundären Eiterung ist nicht auszuschHessen, um so weniger,
wenn durch eine Drainage der Herzbeutel offengehalten wird. Es
gibt freilich Mittel, die erwähnte Gefahr auf ein geringes Maass
herabzusetzen, v. Walzel (v. Eiseisberg) hat darauf hin¬
gewiesen, dass bei Verwendung von Ueberdruck der angeschnittene
Herzbeutel sehr gut entleert wird. Das kommt daher, dass die
Lungen durch den Ueberdruck wie Luftkissen dem Herzbeutel
angepresst werden. Wenn das Drainrohr mit einem Condom ver¬
sehen wird, so kann man auch späterhin das Eindringen von
Luft verhüten. Die ersten Verbände sind unter Ueberdruck zu
wechseln!
E#9 ist weiter vorgeschlagen, ein solches Pericard nach der
Bauchhöhle hin zu drainieren, und der Gedanke hat etwas für
sich. A. v. Bergmann hat darauf hingewiesen, wie rasch sich
ein Herzbeutelerguss, der nach der Pleura zu Abfluss hat, dort
resorbiert. Dasselbe wird wohl auch bei dem Peritoneum der
Fall sein.
Wir haben bei unseren Tierversuchen in dem Jodipin ein
Mittel gefunden, welches, in den Herzbeutel eingeführt, imstande
ist, Verwachsungen im Herzbeutel zu bindern, bzw. sie auf ein
geringes Maass herabzusetzen. Bei Menschen ist das Mittel noch
nicht zur Anwendung gekommen. Wenn es hält, was es ver¬
spricht, so würden wir einen guten Schritt weiterkommen.
Der zweite Teil unserer therapeutischen Aufgabe hat die
Beseitigung der schlimmen Folgen einer Pericarditis, der intra-
und extrapericardialen Verwachsungen, zum Gegenstand. Wir
müssen feststellen, dass wir dieser Aufgabe zurzeit gar nicht oder
nur sehr unvollkommen gerecht werden können. Freilich, die
Möglichkeit, einzelne schnürende Stränge, sowohl im Pericard als
ausserhalb desselben zu durchscbneiden, ist gegeben. Ein in
bindegewebige Schwarten eingemauertes Herz können wir nicht
befreien. Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass die schwere Er¬
krankung auch einen grossen Eingriff rechtfertigt. So will
Delorme das Herz aus seinen Verwachsungen ausschälen. Die
Operation ist teils undurchführbar, teils nutzlos, wenn es nicht
gelingt, neuen Verwachsungen vorzubeugen. Dazu könnte wohl
eine Fettplastik von Nutzen sein. Soviel mir bekannt ist, hat
man von Resultaten der Delorrae’schen Operation bisher noch
nichts gehört. Wir müssen dankbar sein, dass uns Brauer
wenigstens für einen Teil der Fälle ein Verfahren angegeben hat,
das bereits recht gute Erfolge erzielte (Küttner u. a.). Brauer
nannte seine Operation eine Cardiolysis. Der Name ist vielleicht
nicht ganz zutreffend, aber man kann ihn schliesslich gelten
lassen. Kocher hat den Namen Thoracolysis praedardiaca vor¬
geschlagen. Die Fälle, bei denen die Operation am Platze ist,
kennzeichnen sich durch eine mehr oder weniger starke systolische
Einziehung der Brustwand mit entsprechendem diastolischen
Zurückfedern. Diese Erscheinung kann nur dadurch Zustande¬
kommen, dass erstens das Herz mit dem Herzbeutel verwachsen,
zweitens der Herzbeutel an die vordere Brustwand gezogen und
dort straff angeheftet ist. Wenckebach macht in diagnostischer
Beziehung darauf aufmerksam, dass bei der Inspiration die der
Herzgegend entsprechende Thoraxpartie wenig oder gar nicht be¬
wegt wird.
Wir haben hier stets mit einem erkrankten Herzmuskel zu
rechnen, dessen Diastole und ganz besonders dessen Systole er¬
schwert ist. Die Ventrikel können sich nur dadurch kontrahieren,
dass sie die Brustwand mit nach innen ziehen. Es ist klar, dass
eine Befreiung des Herzens von dieser Mehrarbeit in geeigneten
Fällen von grossem Vorteil ist. Darüber ist nicht mehr zu
streiten. Es ist aber begreiflich, dass auch Misserfolge beob¬
achtet wurden. Sie beruhen darauf, dass der Herzmuskel ent¬
weder schon zu weit geschwächt war, oder dass anderweitige
Krankheitsprozesse es nicht zu einer Erholung des Herzens kommen
Hessen.
Die Brauer’sche Operation besteht darin, dass durch eine
Rippenresektion, welche die Grenzen der systolisch eingezogenen
Thoraxpartie gehörig weit überschreitet, die Thoraxwand nach¬
giebig gemacht wird. Die Einziehung der Weichteile macht
fortan dem Herzen wenig oder gar keine Schwierigkeiten. Man
hat früher grossen Wert darauf gelegt, das Rippeoperiost sorg¬
sam zu entfernen, um späterer Knochenneubildung vorzubeugen.
Eine Erfahrung von Fritz König hat bewiesen, dass man das
hintere Rippenperiost zurücklassen kann, ohne den Zweck der
Operation zu gefährden. Dadurch wird das Verfahren sehr viel
einfacher und gefahrloser. Man kann sich ganz gut der Lokal¬
anästhesie bedienen.
Einen Weg, reich an Schwierigkeiten und noch zu lösenden
Aufgaben, bedeutet die Operation der Lungenarterien¬
embolie nach Trendelenburg. Der Gedanke Trendelen-
burg’s, die verstopfte Arteria pulmonalis von ihrem Gerinnsel
zu befreien, ist genial. Wir müssen aber zunächst dahin streben,
eine präzise Diagnose zu stellen. Busch berichtet aus Körte’s
Klinik über zehn Fälle mit den Erscheinungan der Lungenarterien-
embolie. Eine Operation wäre möglich gewesen. Vier Fälle er¬
wiesen sich auf dem Sektionstisch als Fehldiagnosen. Ritz¬
mann kam zu ähnlichen Resultaten. Küttner operierte, und es
fand sich kein Embolus. Ein anderes Bedenken besteht darin,
dass in der Tat eine Anzahl schwerer Lungenembolien
ohne Operation genesen. Garre hat ans verschiedenen Zu¬
sammenstellungen einen Heilungsprozentsatz von mindestens
17 pCt. berechnet. Es wäre wahrlich der Mühe wert, wenn man
einen Teil der 83 pCt. Verlorenen retten könnte.
Der Gang der Operation ist kurz folgender: Das Ostium der
Arteria pulmonalis liegt hinter dem Sternalansatz der 3. linken
Rippe. Durch einen geeigneten Schnitt — zur Orientierung für
den praktischen Arzt will ich hier nur das wesentliche er¬
wähnen — wird der Herzbeutel eröffnet. Mit Hilfe einer ge¬
bogenen Sonde, welche durch den Sinus transversus pericardii
geführt werden muss, wird ein Gummischlaucb um Aorta und
Arterie pulmonalis gelegt. Der Schlauch wird kräftig angezogen
und das Blut nach dem Herzen hin abgestaut. Die Arteria pul¬
monalis wird rasch eingestochen und die Thrombuszange ein¬
geführt. Man sucht den Embolus zu fassen und zu extrahieren.
Es genügt, den Hauptembolus zu entfernen. Auf keinen Fall
darf die Abstauung des Blutes länger als */« Minute dauern,
eventuell soll man das Blut wieder einströmen lassen und den
Versuch, den Embolus zu entfernen, wiederholen. Ueber einer
Klemmzange wird schliesslich die Arteria pulmonalis durch Nähte
geschlossen. Die grosse Gefahr der Operation beruht auf dem
Versagen des Herzens. Als rein mechanisches Moment kommt
die Ueberdehnung des Herzens in Betracht, wobei zu berück¬
sichtigen ist, dass bereits die Embolie in diesem Sinne wirkt.
Den Folgen der Kohlensäurevergiftung in dem versagenden Herzen
muss durch künstliche Sauerstoffatmung begegnet werden.
Es will mir scheinen, dass es besser ist, die Arterienkom-
pression ganz aufzugeben und durch Abklemmen der Hohlvenen
das Blut vom Herzen abzustauen. Die Kompression der Hohl¬
venen wird besser vertragen als die Abklemmung der grossen
Arterien. Will man nach diesem Vorschlag operieren, so bedarf
es allerdings einer ausgedehnteren Freilegung des Herzens, als
sie der Trendelenburg’sche Schnitt gibt.
In der medizinischen Tagespresse wird in der letzten Zeit
öfter über die direkte Herzmassage geschrieben. Die An¬
gaben über den Nutzen dieses jetzt wieder in den Vordergrund
getretenen chirurgischen Eingriffs am Herzen sind so wider¬
sprechend, dass der Praktiker sich kaum ein Urteil bilden kann.
Die direkte Herzmassage soll nach meinem Dafürhalten nur in
verzweifelten Fällen versucht werden. Ganz besonders betone
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
ich, dass die Massage des Herzens durchaus keinen gleichgültigen
Eingriff darstellt. Schwere Herzveränderungen, wie Blutungen in
das Myocard, sind danach festgestellt worden (Roessle). Man
bat demnach die Herzmassage sehr schonend auszuführen.
Von den verschiedenen Verfahren ist die subdiaphragma¬
tische Methode von Lane am einfachsten und am wenigsten
gefährlich. Das Abdomen wird über dem Nabel durch einen
Längsschnitt geöffnet. Der Operateur geht mit der Hand unter
das Zwerchfell nach dem Herzboden hin, umfasst das Herz und
komprimiert es rhythmisch. Zum Gelingen gehört eine Er¬
schlaffung des Zwerchfells. Ich habe in einem Falle ein völlig
starres Zwerchfell gefunden, so dass ein Umgreifen des Herzens
unmöglich war. Wenn man in einem solchen Falle nicht zum
Ziele kommt, so empfiehlt es sich, das Zwerchfell einzuschneiden
und den Herzbeutel von der Bauchhöhle aus zu eröffnen.
Mauclaire schneidet das Zwerchfell in seiner Mitte ein (trans-
diaphragmatische Methode). Es ist einfacher, den Herzbeutel
quer an der vorderen Brustwand einzuschneiden, wie ich es bei
der Pericardiotomie empfohlen habe.
Eine dritte Methode geht transthorakal vor. Man wird
sich ihrer bedienen, wenn während eines Eingriffs am Herzen
selbst oder bei geöffneter Pleurahöhle Herzstillstand eintritt. Der
Intercostalscbnitt genügt, um vom Thorax aus auf das Herz vor¬
zudringen. Der Herzbeutel braucht in diesem Falle zur Herz¬
massage nicht eröffnet zu werden.
v. Cachovic hatte unter seinen 46 Fällen 10 Erfolge zu
verzeichnen, wobei der Hauptanteil auf die subdiaphragma¬
tische Methode fällt. Je früher die direkte Massage des
Herzens beginnt, desto eher ist ein Erfolg zu hoffen. Wann soll
nun die Massage beginnen? Zweifellos sind erst die übrigen
Methoden zur Wiederbelebung anzuwenden. Es empfiehlt sich
jedoch keinesfalls, länger wie 10 Minuten damit zu verbringen.
Tritt die Synkope ein bei einem Bauchschnitt, so geht man, wenn
künstliche Atmung nicht zum Ziele führt, sofort zur Herz¬
massage über.
Ich fühlte in einem solchen Falle von Synkope durch das
Zwerchfell hindurch das schlaffe, völlig unbewegliche Herz.
Nach einigen sanften rhythmischen Kompressionen kam die Herz¬
tätigkeit wieder in Gang, und die Operation konnte ruhig be¬
endet werden. Der Kranke blieb am Leben. Dieser Fall ist
jedoch nicht beweisend, da ich bei der Bauchoperation sofort nach
Eintreten der bedrohlichen Symptome zur Herzmassage Oberging.
Aus der psychiatrischen und Nervenklinik zu Königs¬
berg (Direktor: Prof. Dr. Ernst Meyer).
Ueber Narkolepsie. 1 )
Von
Privatdozent Dr. Otto Klieoeberger.
M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen einen Kranken zu
demonstrieren, der eine Reihe eigenartiger und nicht gerade
häufiger Erscheinungen bietet. Es handelt sich um einen jungen,
zwanzigjährigen Menschen mit narkoleptischen Anfällen, der am
11. Oktober 1912 in die hiesige städtische Krankenanstalt auf¬
genommen und am 29. Oktober von Herrn Professor Hilbert der
Nervenklinik überwiesen wurde.
Gestatten Sie, bitte, dass ich Ihnen vor der Demonstration
kurz mit einigen Worten über Geschichte und Klinik der
Narkolepsie berichte.
Der Name Narkolepsie ist vor etwa 30 Jahren von dem
Franzosen Gelineau geprägt worden. Er verstand darunter ein
Schlafbedürfnis, das sich vom natürlichen Schlaf wesentlich da¬
durch unterscheidet, dass es plötzlich sich einstellt, dass es in
kurzen oder längeren Pausen sich wiederholt und dass sich ihm
der Kranke in keiner Weise zu entziehen vermag; die Anfälle
kamen ohne vorhergehende Ueberanslrengungen oder längeres
Wachen, oft aber im Anschluss an Gemütsbewegungen, sie über¬
mannten den Kranken in allen Stellungen mit zwingender Gewalt,
dauerten Sekunden, Minuten, selten länger und waren meist leicht
zu unterbrechen. Gölineau unterschied diese Anfälle, die übri¬
gens bereits früher von Westphal beobachtet und als „eigen¬
tümliche Schlafzustände“ beschrieben worden waren, sehr wohl
von der Epilepsie und Hysterie und kennzeichnete sie als eine
spezifische Neurose, eine Erkrankung sui generis. In der Folge¬
zeit wurde eine Reihe meist kasuistischer Mitteilungen veröffent¬
licht, es wurden aber allmählich nicht mehr nur diese kurzen
Schlafanfälle, sondern überhaupt alle möglichen pathologischen
Schlafzustände der Narkolepsie zugerecbnet, es wurden immer
wieder Gründe für und gegen Gelineau ins Feld gestellt, es
wurde gestritten, ob die Narkolepsie wirklich eine selbständige
Erkrankung oder nur ein Symptom darstellt; Verfechter der
letzteren Anschauung subsumierten sie bald der Hysterie, bald
der Epilepsie, bald brachten sie sie in Zusammenhang mit kata¬
tonischen uud anderen psychischen Störungen oder mit Stoff¬
wechselerkrankungen.
In dieses Chaos brachte erst 1905 der Mannheimer Nerven¬
arzt Friedmann 2 ) Ordnung, indem er ausführte, dass „insbe¬
sondere bei jüngeren Personen und bei Kindern kurze eigentüm¬
liche Anfälle“ Vorkommen, „welche dem petit mal der Epileptiker
ähnlich sind, aber doch symptomatisch weder diesem ganz
gleichen, noch in der Regel ätiologisch mit der Epilepsie zu-
1) Erweiterte Ausführung eines am 9. Dezember 1912 im Verein
für wissenschaftliche Heilkunde gehaltenen Demonstrationsvortrages.
2) Ueber die nicht epileptischen Absencen oder kurzen narko¬
leptischen Anfalle. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. SO.
sammenhängen. Die Anfälle sind im allgemeinen als kurze, oft
nur Bruchteile einer Minute dauernde einfache psychische Starre¬
zustände zu beschreiben, welche sich vom nervösen Schwindel durch
das Fehlen einer wirklichen Gleichgewichtsstörung-unter¬
scheiden, vom epileptischen petit mal dagegen durch das wohl¬
erhaltene Bewusstsein während der Anfälle“. Fried mann ver¬
fügte über 15 eigene Beobachtungen, 11 bei Erwachsenen, 4 bei
Kindern, und konnte aus der Literatur 9 weitere zugehörige Fälle
beibringen. Es bandelt sich in allen diesen Fällen nicht um
eigentliche oder scblafähnliche Schlafzustände, „sondern vielmehr
um eine kurzdauernde und unvermittelt einsetzende Hemmung
der Herrschaft über die Sprache und die Glieder“. Für diese
Zustände, die er als eine vorübergehende Hemmung der Hirn¬
rindenfunktion auffasst, will Friedmann die Bezeichnung narko-
leptisch gewahrt wissen, und diese Einschränkung und Um¬
grenzung des Krankheitsbildes hat sich denn in der Tat seit der
ausführlichen und kritischen Veröffentlichung Friedmann’s in
der Literatur eingebürgert.
In ganz vereinzelten Ausnahmen glaubt Friedmann Be¬
ziehungen der Narkolepsie zur Epilepsie feststellen zu sollen; in
der weitaus überwiegenden Mehrheit seiner Fälle stellt die Narko¬
lepsie eine selbständige Neurose dar, oder sie ist endlich nur
Ausdruck, Symptom einer bestehenden allgemeinen Nervosität
oder Neurasthenie. Sie entsteht häufig auf dem Boden der er¬
erbten nervösen Disposition; familiäre Belastung durch ähnliche
Anfälle, durch Epilepsie und nervöse Störungen ist durchaus nicht
ungewöhnlich. Ihre Prognose ist immer günstig; und gerade die
günstige Prognose rechtfertigt die Einräumung einer Sonderstellung
für das den petit mal-Anfällen der Epilepsie so ähnliche Krank-
beitsbild und lässt seine Kenntnis in weiteren Kreisen als
wünschenswert erscheinen. Niemals führt die Narkolepsie zu
irgendwelchen Störungen des Allgemeinbefindens oder zur Beein¬
trächtigung der geistigen Funktionen. Tritt sie als eine selb¬
ständige Neurose auf, so kann sie sich zwar über Jahre er¬
strecken, sie pflegt aber auch dann in der Regel noch auszuheilen.
Ist sie nur Symptom einer bestehenden Neurasthenie, so klingt
sie ab, wenn es gelingt, den Allgemeinzustand zu heben und die
Nervosität zu bessern. Von der Hysterie unterscheidet sie sich
darch die Gleichartigkeit und Einförmigkeit der einzelnen Anfälle
sowie durch das Fehlen aller sonst für Hysterie charakteristischen
Erscheinungen; von der Epilepsie durch die Beeinflussbarkeit der
Anfälle im Auftreten und Verschwinden, durch ihre Vorliebe, in
bestimmten Situationen (vorwiegend bei Beschäftigungen, Essen,
Anziehen, sowie nach Aufregungen) aufzutreten, durch ihre Gleich¬
förmigkeit und die stets erhaltene Erinnerung sowie durch das
Fehlen der bei so gehäuften epileptischen petit mal-Anfällen stets
nachweisbaren psychischen Alteration im Sinne der epileptischen
Cbarakterveränderung. Die Anfälle sind vorwiegend bei Jugend¬
lichen, Kindern und jungen Leuten unter 80 Jahren, beobachtet
worden; sie kommen nur selten vereinzelt vor, meist treten sie
gehäuft, oft bis über 100 an einem Tage auf. Eine besondere
Therapie hat sich bisher nicht bewährt.
Auch nach der Klärung der Narkolepsiefrage durch Fried¬
mann sind die Veröffentlichungen über Narkolepsie ausserordent-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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lieh spärlich geblieben. Weiteie analoge Fälle sind erst einige
Jahre später von Heilbronner 1 ) mitgeteilt worden} aus den
letzten Jahren sind, soweit ich die Literatur übersehe, nur eine
Beobachtung von Bonhoeffer 2 ), zwei von L. Mann 3 ) und einige
weitere von Friedmann 4 ) hinzugekommeu. Mann konnte in
seinen Fällen eine ausgesprochene Steigerung der elektrischen,
insbesondere der galvanischen Erregbarkeit nach weisen und ist
daher geneigt, „das Krankheitsbild der Narkolepsie in eine Be¬
ziehung zu den tetanoiden bzw. spasmophilen Zuständen zu
bringen“. Die Beobachtung von Mann konnte bisher nur in
zwei Fällen nachgeprüft werden; in einem Fall von Friedmann
wurde sie bestätigt, in dem Fall von Bonhoeffer war eine
Steigerung der elektrischen Erregbarkeit nicht nachzuweisen.
Ich möchte Ihnen nunmehr über den Kranken berichten, der
in unserer Klinik zur Beobachtung gekommen ist.
Anamnestisch erfuhren wir vom Vater des Patienten, dass der
nun 20jahrige Otto K. der älteste von 7 Geschwistern ist; er wurde
einige Jahre vor der Verheiratung seiner Eltern geboren, da sein Vater
zunächst der Militärpflicht genügen musste, unbemittelt war und nicht
vorher heiraten konnte. Eine erbliche Belastung ist nicht nachweisbar;
insbesondere könuen Epilepsie, Nervenleiden und Konstitutionskrankheiten
in der Familie ausgeschlossen werden. Bereits bei Geburt des Patienten
fiel auf — und Sie werden es wohl auch schon bemerkt haben (Figur 1)
—, dass die linke Lidspalte enger war als die rechte, dass das linke
obere Augenlid herabhing. Er entwickelte sich normal, lernte aber erst
gegen Ende des zweiten Lebensjahres sprechen und laufen. Ausser
Keuchhusten und Masern während der Schulzeit war er nie krank. In
der Schule hat er nur mittelmässig gelernt; nach der Schulzeit war er
zuerst in einer Zuckerfabrik, die letzten 6 Jahre in einer Möbelfabrik
tätig.
Figur 1.
Vor einem Jahre erkrankte Patient an einer Lungenentzündung, er
lag etwa vier Wochen zu Bett, sei aber auch danach noch einige Monate
lang matt und kränklich gewesen. Seit dieser Zeit klagte er ab und
zu über Kopfschmerzen und Frost und zeitweise auch über Schwindel¬
gefühl. Dann sei er allmählich anders, stiller und wortkarg geworden,
weinte auch mitunter. Seit etwa dreiviertel Jahren ist den Eltern auf¬
gefallen, dass er langsamer wurde, zeitweise, besonders beim Anziehen,
wie in Gedanken versunken stehen blieb, mitten in einer Bewegung.
Es habe ausgesehen, als ob er manchmal ein Kleidungsstück nicht finde.
Auch beim Essen habe er plötzlich Pausen gemacht. Vor etwa einem
halben Jahre sei er wegen Misshelligkeiten im Geschäft, die ihn be¬
greiflicherweise sehr aufregten (es war ihm Unterschlagung vorgeworfen
worden), entlassen worden. Seitdem haben die Anfälle beträchtlich zu-
genoramen, so dass er keine neue Tätigkeit habe finden können. Die
Anfälle seien an Häufigkeit sehr wechselnd. Wenn er im Zuge sei,
gehe es besser; wenn er einmal irgendwo angestossen habe, an Tisch
oder Schrank, gehe es gleich wieder schlechter. Zweimal sei er morgens,
kurze Zeit nach dem Aufwachen, offenbar in solchen Anfällen, mit Urin,
einmal mit Stuhl unsauber gewesen. Irgendwelche epileptischen
Antecedentien waren nicht zu eruieren. Der Patient wird von seinem
Vater als ein in jeder Beziehung sehr ordentlicher und solider Mensch
geschildert; er habe sich auch seit seiner Krankheit nicht verändert, sei
nicht reizbarer noch leichter erregbar geworden.
Die uns von dem Patienten selbst gemachten Angaben
decken sich im wesentlichen mit den anaranestischen Erhebungen. Er
berichtet zudem, dass er bereits vor drei Jahren eine Zeitlang sehr
häufig und sehr stark an Schmerzen im Hinterkopf und der Stirn ge¬
litten habe. Seit etwa einem Jahre hätten sich diese Schmerzen wieder
eingestellt, sie treten einige Wochen hindurch wöchentlich etwa einmal
auf, dauern wenige Stunden bis zu zwei Tagen, bleiben dann gewöhn¬
lich einige Wochen aus, um in der gleichen Art wieder zu kommen.
Flimmern vor den Augen, Uebelkeit, Erbrechen u. a. seien dabei nicht
vorgekommen. An den erwähnten Anfällen leide er seit etwa einem
Jahre; seit Ostern, d. h. seit der Entlassung aus dem Geschäft, seien sie
wesentlich häufiger geworden. Sie kommen ohne alle Vorboten, ganz
plötzlich, aber nur, wenn er sich bewege, nicht beim Sprechen. Oft
denke er noch, er wolle sich anstrengen, es müsse doch gehen; aber
dann gehe es doch nicht. Besonders häufig seien sie beim Anziehen,
namentlich morgens, sodann beim Essen und überhaupt bei allen Be¬
wegungen. Oft, wenn er aus dem Bett gehe, vom Stuhl, vom Klosett
aufstehe, stocke er auf einmal mitten in einer Bewegung und komme
nicht weiter. Während des Anfalls sei ihm schwindlig, die Augen sehen
gar nicht dahin, wo sie hinsehen sollen; er habe die Hände und Augen
gar nicht in Gewalt, „die gehen immer weg“; er komme sich mit einem
Male ganz blöd vor. In einem solchen Anfälle könne er nichts tun,
da sei mit einem Male „Halt“, dann könne er nicht mehr weiter, müsse
warten, bis es vorbei sei. Besonders gern kommen die Anfälle, wenn
über ihn geredet werde oder wenn ihm jemand zusehe. Während des
Anfalls habe er auch oft ein Gefühl von Zucken in den Gliedern und
könne nur schwer denken; ja, er habe überhaupt im Anfall ganz andere
Gedanken, oder die Gedanken seien auf einer anderen Stelle. Das Be¬
wusstsein verliere er im Anfall nie, wisse vielmehr immer, was um ihn
vorgehe, merke auch stets, dass der Anfall da sei. Er sei nie um¬
gefallen, habe sich nie auf die Zunge gebissen, auch nie etwas, das er
gerade in den Händen hielt, fallen lassen. Einige Male sei es ihm,
wenn er morgens habe aufstehen und schnell zum Klosett gehen wollen,
passiert, dass er nicht mehr habe einhalten können und mehrmals Urin
und einmal auch Stuhl unter sich habe gehen lassen; damals habe er
gerade an Durchfall gelitten; es sei aber jedesmal nur ganz wenig ge¬
wesen, nach dem Anfall habe er vielmehr sein Bedürfnis normalerweise
zu Ende verrichtet.
Gleich im Anfang des Anfalls könne dieser, wenn ihn jemand an-
rufe oder anstosse, unterbrochen werden; wenn der Anfall schon einige
Zeit dauere, nutze Rufen und Anstossen nichts mehr. Nachts habe er
nie Anfälle gehabt.
Die Anfälle nun, über die uns von verschiedener Seite be¬
richtet wurde, sind auch von uns unzählige Male beobachtet
worden. Beim An- und Ausziehen, beim Schreiben wie beim
Essen und anderen Bewegungen verharrt der Patient plötzlich in
beliebigen Stellungen einige Sekunden ganz regungslos oder zu¬
weilen die Hände in leicht deliranter Unruhe bewegend. Die
Anfälle treten täglich auf, ausserordentlich gehäuft, bis zu 100
und mehr, und zwar, wie bereits vermerkt, bei allen möglichen
Bewegungen, nicht aber bei rhythmischen Bewegungen, z. B. bei
Versuchen mit dem Ergographen u. a.; auch beim Lesen wurden
Anfälle nicht beobachtet. Es gelang sehr häufig, aber durchaus
nicht immer, den Anfall zu koupieren, sowohl durch die Auf¬
forderung, in der Bewegung fortzufahren oder irgendwelche andere
Bewegungen auszuführen oder auf Fragen zu antworten, als auch
zuweilen durch einfaches Anrufen. Das ganze Bild des Anfalls
erweckt den Anschein, als ob der Patient plötzlich den Impuls
zu einer bestimmten Bewegung verliere und eines neuen Impulses
oder kurzer Ruhe bedürfe, um fortfahren zu können. Dadurch
zeigen diese Zustäude eine gewisse Aehnlichkeit mit den bei
Arteriosklerotikern beobachteten Schwankungen der Hirnrinden¬
funktion.
Wir haben vier verschiedene Arten von Anfällen bei unserem
Kranken beobachten können:
1. Zuweilen sieht es aus, als ob der Kranke plötzlich in einer
Bewegung langsamer wird, um sie nach kurzer Zeit wieder in
schnellerem Tempo fortzusetzen.
2. Der Kranke hält plötzlich mitten in einer Bewegung inne,
verharrt mehrere Sekunden regungslos in derselben und fährt
dann fort, als ob nichts gewesen sei (Figur 2).
3. Der Kranke wiederholt plötzlich nach kurzem Stocken
mehrmals die zuletzt ausgeführte Bewegung in kurzen ruckweisen
Absätzen, ohne dass es zu einem Fortschreiten in der Bewegung
kommt.
1) Ueber gehäufte kleine Anfälle. Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk., Bd. 31.
2) Ein Fall von Narkolepsie. Diese Wochenschr., 1911, Nr. 27,
Sitzungsbericht.
3) Erregbarkeitssteigerung bei narkoleptischen Anfällen. Zeitschr.
f. med. Eiektrol., 1911, Bd. 13.
4) Zur Kenntnis der gehäuften nicht epileptischen Absencen im
Kindesalter. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, 1912, Bd. 9.
4. Der Krauke verharrt plötzlich in einer Bewegung und
macht mit den Fingern leicht delirante Bewegungen, umfährt
z. B. spielend mit Daumen und Zeigefinger einen Knopf oder
macht feine Tastbewegungen mit den Fingern oder streckt die
Finger eigentümlich spreizend aus, wie es auf Figur 3 und 4 sehr
deutlich zum Ausdruck kommt, u. a. m.
Eine Veränderung der Farbe des Kranken im Anfall oder
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Nr. G.
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Figur 2.
des Aussehens überhaupt, Zuckungen und dergleichen konnten
nicht festgestellt werden. Zuweilen bemerkte man ein aus¬
gesprochenes Grimassieren, eine zunehmende Unruhe der Mund-
muskulatur, die auch sonst in der Ruhe häutig eine leicht
vibrierende Bewegung zeigte, und ein lebhafteres Vibrieren und
Zwinkern der Augenlider, eine Erscheinung, die übrigens auch
Heilbronner beobachtet hat. Die Pupillen, die stets weit
waren, die rechte weiter als die linke, schienen zuweilen im An¬
fall sich noch mehr zu erweitern; die Lichtreaktion war nach
dem Anfall und so oft die Prüfung ira Anfall gelang, stets vor¬
handen. Auch Schmerzreize wurden im Anfall ebenso gefühlt
wie sonst.
Bemerken möchte ich noch, dass geistige Störungen bei dem
Patienten nicht nachzuweisen sind. Er will übrigens auch selbst
keine Aenderung an sich bemerkt haben; vielleicht sei er ver¬
gesslicher geworden, auch gehe es mit dem Denken nicht mehr
so wie früher; er fühle sich nicht mehr sicher und denke viel
darüber nach, wie er sich werde anziehen können und wie alles
Figur 4.
andere werde funktionieren. Meikfähigkeit und Gedächtnis sind
gut. Die Stimmung war stets gleichraässig.
Ich möchte mir jetzt erlauben, Ihnen den Kranken zu de¬
monstrieren, indem ich ihn auffordere, sich aus- und dann wieder
anzuziehen 1 ).
M. H.l Dass es sich bei dem Kranken nicht um epileptische
pctit mal-Anfälle handelt, ist nach dem, was ich anfangs aus¬
geführt habe, wohl ohne weiteres einleuchtend. Es spricht da¬
gegen die Beeinflussbarkeit der Anfälle und vor allem die Tat¬
sache, dass sich der Kranke dieses Zustandes als krankhaft deut¬
lich bewusst und zwar immer bewusst ist. Es liegt ferner
keine eigentliche Bewusstseinstrübung, sondern nur
eine Bewegungshemmung vor. Die Anfälle sind weiterhin
ausserordentlich häufig und haben trotzdem und trotz ihres langen
Bestehens noch zti keiner epileptischen Charakterveränderung ge¬
führt. Sie sind endlich durch Brom nicht zu beeinflussen.
Ebensowenig liegen Anhaltspunkte vor, die Anfälle als
psychogen oder gar als hysterisch aufzufassen, wenngleich sie
offenbar ira Anschluss an eine psychische Erregung sich ein¬
gestellt oder zum mindesten sich beträchtlich vermehrt haben
und obwohl sie eine grosse Beeinflussbarkeit zeigen. Nicht nur
dass sonst hysterische Stigmata fehlen, und dass das ganze Wesen
des Patienten nicht das eines Hysterikers ist, auch die grosse
Regelmässigkeit der Anfälle, von denen Sie sich ja selbst
haben überzeugen können, ihre Eigenart, die gelegentliche In¬
kontinenz, die übrigens auch bei dem Kranken von Bonhoeffer
beobachtet wurde, rechtfertigen die Annahme einer spezifischen
Neurose im Sinne des von Friedmann aufgestellten Krankheits¬
bildes der Narkolepsie. Die Erkrankung stellt bei unserem
Patienten auch nicht etwa ein Symptom bestehender Nervosität
dar, sie muss vielmehr als ein selbständiges Leiden angesprochen
werden.
Ob die einzigen subjektiven Beschwerden, über die der Kranke
zu Zeiten klagt, die in gewissem Sinne periodisch auftretenden
Kopfschmerzen, mit der Narkolepsie ira Zusammenhang stehen,
lasse ich dahingestellt. Jedenfalls scheint es mir nicht angängig,
sie etwa als epileptische Aequivalente zu deuten; sie bieten an
sich nichts Charakteristisches, auch zeigt Patient zurzeit der
Kopfschmerzen, wie wir wiederholt feststellen konnten, weder im
geistigen noch im körperlichen Befund irgendwelche Aenderungen.
Auch in unserem Falle, und das macht ihn noch besonders
interessant, ist die Narkolepsie, wenngleich eine erbliche Be¬
lastung nicht nachgewiesen werden konnte, doch wohl auf dem
Boden einer psychopathischen Veranlagung gewachsen. So deutet
nicht nur die Tatsache, dass Patient in der Schule schlecht ge¬
lernt hat, auf eine angeborene Schwäche der Hirnfunktion hin,
dafür spricht auch der einleitende Depressionszustand (vergleiche
den Kranken von Bonhoeffer), ferner die bei dem Patienten
1) Bei der folgenden Demonstration, während des Anziehens, konnten
deutliche Anfälle von Typus 2 und 4 der geschilderten Art gezeigt
werden.
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vorhandene leichte Asymmetrie des Kopfes, die geringe Diffe¬
renzierung der Ohren, das Angewachsensein der Ohrläppchen,
vor allem aber eioe seit Geburt bestehende linksseitige Ptosis
mit gleichseitiger Pupillenverengerung und Enophthalmus geringen
Grades, also der bekannte Homerische Symptomenkomplex, der
auf eioe (hier angeborene) Sympathicuslähmung 1 ) hinweist, die
auch nach Ansicht der hiesigen Augenklinik (Prof. Schi eck)
ihren Grund in einer kongenitalen Aplasie bat; auf dem rechten
Auge besteht zudem eine Andeutung von Keratokonus und eine
latente Divergenz, und endlich treten beiderseits bei seitlicher
Blickrichtung nystaktische Zuckungen auf.
Es fällt weiterhin eiue Blässe der Haut auf, der Hämoglobin¬
gehalt beträgt 70 pCt. (nach Sahli gemessen), der Blutdruck
(nach Riva-Rocci) 105; die mikroskopische Betrachtung des
Blutes ergibt normalen Befund. Blot und Liqnor verhalten sich
serologisch nach .Wassermann negativ, der Liquor zeigt nor¬
malen Druck-, Zell- und Eiweissgehalt. Der Urin ist frei von
Eiweiss und Zucker, auch alimentäre Glykosurie ist nicht vor¬
handen.
Es finden sich weiterhin bei dem Kranken eine Neigung zu
Zittern, Lidflattern, Lebhaftigkeit der Reflexerregbarkeit und vor
allem eine Steigerung der mechanischen Muskelerregbarkeit, die
wenigstens gelegentlich auch in einer Andeutung von Facialis-
phänomen zum Ausdruck kam und somit vielleicht geeigoet ist,
die von Mann behauptete Anschauung zu stutzen. Hingegen
konnte die von Mann gefundene Steigerung der elektrischen Er¬
regbarkeit auch bei wiederholten Untersuchungen in unserem
Falle nicht nachgewiesen werden.
Auf vasomotorische Störungen, die gleichfalls als Ursache
der narkoleptischen Anfälle angesprochen worden sind, deuten
bei unserem Kranken eine Neigung ?u Kopfkongestionen, eine er¬
hebliche Steigerung der Herzerregbarkeit schon nach kleinen An¬
strengungen, zu der sich alsdann zugleich eine leichte Unregel¬
mässigkeit der Herztätigkeit gesellt, sowie die Beobachtung, dass
sich bei und nach längerem Bucken die Anfälle zu häufen scheinen.
Sonst sind von seiten des Nervensystems oder der inneren
Organe krankhafte Veränderungen nicht nachzuweisen.
Therapeutisch (Brom, Bettruhe, Suggestivbehandlung) konnten
bisher Erfolge nicht erzielt werden; mit Rücksicht auf den viel¬
leicht bestehenden Zusammenhang mit vasomotorischen Störungen
wurde eine entsprechende Behandlung (Nitroglycerin, später Pilo¬
carpin) eingeleitet; auch diese blieb zunächst ohne Erfolg.
Aus dem Kreis-Krankenhaus in Frauendorf bei Stettin.
Ein Fall von isolierter traumatischer Lähmung
des Nervus suprascapularis.
Von
Chefarzt Dr. Bohrend.
Im Januar 1911 wurde der Arbeiter Otto W. in das hiesige Kranken¬
haus aufgenommen mit folgender Anamnese: im Sommer 1910 — den
Tag weiss er nicht genau ansugeben, da er dem Unfall zunächst
keine Bedeutung beimass — war er dabei beschäftigt, in der Schmiede
auf eine ihm hingehaltene Eisenstange zu hämmern. Dicht neben ihm
standen an der Wand mehrere andere Eisenstangen von 3 m Länge und
2 */* Zoll Dicke. Eine derselben fiel durch Zufall um und fiel dem W.
angeblich von hinten auf die rechte Schulter, und zwar ungefähr auf
die Mitte der Spina scapulae und die Mitte der Fossa supraspinala bis
dieht an das Schlüsselbein heran. Die gestroffenen Teile schwollen
angeblich an und schmerzten, W. blieb eine Woche zu Hause.
Späterhin klagte er zwar noch über Schmerzen an der Schulter,
diese Schmerzen behinderten ihn zunächst aber nicht nennenswert in der
Arbeit. Erst nach einiger Zeit trat eine Schwäche des rechten Armes
auf, so dass W. den Hammer nicht mehr ordentlich heben konnte.
Wegen dauernder Zunahme dieser Schwäche des rechten Armes wurde
W. endlich im Januar 1911, also ein halbes Jahr nach dem behaupteten
Unfall, dem hiesigen Krankenhause überwiesen.
Befund bei der Aufnahme: Es handelte sich um einen mittel¬
grossen, massig kräftig gebauten Mann mit gesunden inneren Organen.
Bei Besichtigung des Pat. fiel sofort auf, dass die Fossa infraspinata
dextra stark abgefiaeht war. Betastung ergab, dass die äussere Haat
1) Andere Sympatbicusstörungen wurden bei dem Patienten nicht
beobachtet; nach subcutaner Injektion von 2proz. Pilocarpin kam es zu
gleichmässigem Schwitzen des ganzen Körpers, auch des Gesiehts; nach
wiederholter Einträufelung von 1 prom. Adrenalin ins Auge trat keine
nennenswerte Papillenerweiterung auf.
über der Fossa dem Knochen in ganzer Ausdehnung der Fossa dicht
anlag, dass also Teile des M. infraspinatus nicht mehr fühlbar waren.
Auch die Fossa supraspinata erschien etwas abgeflaoht, wenn auch nicht
in hohem Maasse. Alle übrigen Muskeln des Schultergürtels erschienen
völlig intakt. Erheben des Armes fiel dem W. schwer und machte ihm
anscheinend Schmerzen; der Arm konnte selbsttätig nur bis 45° über
die horizontale Ebene erhoben in dieser Stellung aber längere
Zeit festgehalten werden. Aus- und Einwärtsdrehung des Armes
im Schultergelenk wurden völlig in normalen Grenzen ausge¬
führt, doch geschahen diese Bewegungen langsam und lösten an¬
scheinend erhebliche Schmerzen aus. Das Eintreten einer Subluxation
im Schultergelenk beim Erheben des Arms war nicht nachweisbar, eben¬
sowenig wurden knackende Geräusche beim Erheben des Armes wahr¬
genommen. Störungen der Sensibilität an der Schulter lagen nicht vor.
W. wurde ein Vierteljahr mit Massage und Elektrizität behandelt,
mit sehr geringen Erfolge.
Wichtig für die Beurteilung des Falles nun ist die Tatsache, dass
bei einer jetzt im November 1912 erfolgten Nachuntersuchung der gleiche
Befund erhoben wurde wie im Januar 1911. Nach wie vor handelt es
sich nur um eine Lähmung der Mm. supraspinatus und infraspinatus.
Alle übrigen benachbarten Muskeln sind völlig intakt. Dies wurde be¬
stätigt durch eine genaue elektrische Untersuchung; diese ergab im
M. supraspinatus völlige Entartungsreaktion, der M. infraspinatus re¬
egierte auf^ elektrische Reize überhaupt nicht mehr. Alle übrigen be¬
nachbarten Muskeln aber reagierten völlig normal auf elektrische Reize.
Es handelt sich also um eine isolierte Lähmung der von dem
N. suprascapularis dexter versorgten rechtsseitigen Mm. supraspinatus
und infraspinatus. Begonnen haben dio Krankheitserscheinungen Ende
des Jahres 1910, nachdem im Sommer 1910 ein zunächst wenig be¬
achteter Unfall, bestehend in Fall einer Eisenstange von hinten auf
die Spina scapulae und die Fossa supraspinata, stattgefunden. Die
Folgen der Verletzung sind: Schwäche des rechten Armes, die sich be¬
sonders beim Erheben schwerer Gegenstände bemerkbar macht, Unfähig¬
keit, den Arm selbsttätig mehr wie 45° über die horizontale Ebene zu
erheben, Verlangsamung der Aus- und Einwärtsdrehung des Armes im
Schultergelenk, verbunden mit Schmerzen bei diesen Bewegungen.
Dass besagte Krankheitserscheinungen Folgen des im Sommer 1910
stattgehabten Unfalls sind, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Die Eisen¬
stange ist auf die Fossa supraspinata gefallen, kann also durchaus das
Endstück des N. suprascapularis getroffen und gequetscht haben. Ganz
allmählich nach dem Unfall hat sich die Muskelschwäche eingestellt.
Bei der Aufnahme des W. im Krankenhaus wurde das Bestehen eines
Unfalls erst nach Befragen angegeben, W. hatte noch keine Schritte ge¬
tan, um eine Rente zu bekommen, Ünfallmeldung geschah erst auf meine
Veranlassung nach genauer Feststellung des Befundes.
Eine Erkältung war anamnestisch nicht feststellbar.
Angaben über die isolierte Lähmung des N. suprascapularis
habe ich gefunden erstens im Lehrbuch der Nervenkrankheiten
von Professor Dr. H. Oppenheim im 1. Band, S. 507 der 5. Auf¬
lage und zweitens in einer vorzüglichen ausführlichen Arbeit, ent¬
haltend Beschreibung dreier Fälle dieses Leidens, in der Revue
d’orthopödie, 1912, S. 213, La paralysie du nerv susscapulaire
par le Dr. M.Guibe. Ich möchte nur einige, mir am wichtigsten
erscheinende Punkte aus diesen Arbeiten hervorheben: veröffent¬
licht sind im ganzen 26 Fälle, davon betreffen 22 Männer, vier
Frauen. Als Ursache der Erkrankung wird meist ein Trauma
bezeichnet, in einigen Fällen soll es sich um eine Neuritis handeln,
hervorgerufen z. B. durch Alkohol oder Erkältung, doch scheint
eine derartige Aetiologie des Leidens nicht sicher bewiesen.
Glaubhafter erscheint das Vorhandensein einer Neuritis in den
Fällen, wo ein chronischer Reiz auf den Nerven ausgeübt
wird, z. B. durch konsequentes Tragen schwerer Lasten auf dem
hinteren Teil der Schulter.
Das Trauma soll zur Lähmung führen in erster Reihe durch
gewaltsame Senkung der Schulter und dadurch verursachte
Zerrung bzw. Zerreißung des kurzen und ziemlich straff ge¬
spannten Nerven.
Die Motilitätsstörungen sind überaus variabel, schon deshalb,
weil die Funktionen der beiden gelähmten Muskeln nicht so
wichtig sind, dass sie nicht von anderen gesunden Muskeln über¬
nommen werden könnten. In einer grossen Zahl von Fällen kann
der Arm selbsttätig völlig bis zur Senkrechten erhoben werden,
in einer kleineren Zahl von Fällen (wie im obigen) ist dieses
selbsttätige Erbeben mehr oder minder beschränkt, der Arm kann nur
bis 40 bis 50° über die Horizontale erhoben werden. Am aus¬
geprägtesten ist stets die Schwäche beim Erheben des Armes, wie
ja auch unserem Patienten zuerst auffiel, dass er den Hammer
nicht mehr recht erheben konnte.
Was die Beschränkung der Aussenrotation betrifft (die beiden
Muskeln werden ja hauptsächlich als Auswärtsroller bezeichnet),
so besteht in den meisten Fällen, genau wie in dem unseren,
keine Einschränkung des Bewegungsradius, sondern nur eine Ver¬
minderung der Kraft der Bewegung und Schmerzen bei der Aus-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
führung der Bewegung. Ganz vereinzelt ist, wie auch in unserem
Falle, eine Verminderung der Kraft bei der Innenrotation des
Armes beobachtet worden, doch wird diesem Symptom keine Be¬
deutung beigelegt, es wird als Ausdruck einer traumatischen
Hysterie erachtet.
ln einigen Fällen ist eine Subluxation im Schultergelenk
beim Erheben des Armes beobachtet worden, angeblich wegen
Ausfall der Fuuktion des M. supraspinatus, der den Oberarm¬
kopf fest gegen die Gelenkpfanne drucke, ln meinem Falle habe
ich, wie gesagt, derartiges nicht beobachtet. Die Atrophie des
M. infraspinatus ist meist so ausgeprägt wie im vorliegenden Falle,
die Atrophie des M. snpraspinatus nicht so ausgeprägt, weil der
M. trapecius über ihm liegt.
In vereinzelten Fällen soll Besserung, in zweien sogar Heilung
erfolgt sein.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass Herr Dr. Guibe
für Fälle mit hochgradigen funktionellen Störungen die operative
Therapie empfiehlt, die in vereinzelten Fällen mit mehr minder
zweifelhaftem Erfolge eingeleit etworden ist. Diese Therapie besteht
entweder in Intervention am Nerven oder an den Muskeln. Bei
Intervention am Nerven kommt in erster Reihe die Neurolysis,
die Befreiung aus Narbensträngen, in Betracht, in zweiter Reihe
Naht des durchgerissenen Nerven oder Plastik aus einem anderen
Ast des Plexus cervicalis. Bei Intervention an den Muskeln
handelt es sich um Plastiken aus den Mm. trapecius und latissimus
dorsi. Am meisten empfohlen wird, wenn der Nerv nur gequetscht
ist, die Neurolysis, bei durchrissenero Nerven Plastik aus einem
anderen Ast des Plexus; für Anwendung des letzteren Verfahrens
wird aber darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht einen
Ast nehme, der andere wichtige Muskeln versorgt.
Mir scheint nach kritischer Betrachtung meines Falles und
nach Durchsicht von 28 in der französischen Arbeit referierten
Krankengeschichten, dass derartige komplizierte Operationen wenig
angebracht sind bei einem Leiden, das doch so relativ geringe
Funktionsstörungen hervorruft wie das beschriebene.
Aus der bakteriologisch-hygienischen Abteilung (Abt.-
Vorst.: Prof. Dr. Sobernheim) des Untersuchungsamtes
der Stadt Berlin (Dir.: Geh. Reg.-Rat Prof. Proskauer).
Ein Paratyphusbacillus ohne Gasbildung.
Von
Dr. Waldemar Loewenthal und Dr. Erich Seligmaan.
(Vorgetragen am 12. Dezember 1912 in der Berliner mikrobiologischen
Gesellschaft.)
Die Bezeichnung „Paratyphusbacillus ohne Gasbildung“ er¬
scheint vielleicht paradox. Denn eines der Hauptmerkmale, das
allen Paratyphus- und paratyphusähnlichen Bakterien gemeinsam
zukommt, ist gerade ihre Fähigkeit, aus Traubenzucker Gas zu
bilden; und wenn ein Bakterienstamm, der keinerlei eingreifenden
Prozeduren unterworfen war, diese Fähigkeit nicht besitzt, dann
ist er nach bisheriger Anschauung kein Paratyphusstamm. Trotz¬
dem halten wir uns für berechtigt, den hier zu beschreibenden
Organismus als Paratypbus B-Bacillus anzusprechen.
Es handelt sich um ein bewegliches, gramnegatives Stäbchen,
das auf der Conradi-Drigalskiplatte io durchscheinenden, blauen
Kolonien wächst. Das Verhalten in den gebräuchlichen Diffe¬
rentialnährböden nach 24 Stunden ist aus der folgenden Tabelle
(Tabelle 1) ersichtlich, in der zum Vergleich neben dem hier
interessierenden Stamm („Müggelsee gaslos“) die durch Typhus- und
Paratyphus B-Bacillen hervorgerufenen Reaktionen angeführt sind.
Der Vergleich ergibt nach 24 Stunden vollständige Ueber-
einstimmung mit dem Verhalten von Typhusbacillen. Trotz¬
dem ist es nicht möglich, die Diagnose Typhusbacillus zu stellen.
Dagegen spricht nicht nur die mangelnde Agglutinierbarkeit
durch Typhusimmunserum, sondern auch das abweichende Ver¬
halten bei länger fortgeführter Beobachtung. Denn auf der
Gelatineplatte zeigt der Stamm im Gegensatz zu den charakte¬
ristischen, weinblatttörmigen Typhuskolonien kreisrunde, erhabene,
undurchsichtige Kolonien, und auf der Agarplatte tritt nach etwa
5 Tagen exquisite Schleimwallbildung auf, wie sie für Paratyphus¬
bacillen beschrieben wird. Auch in den Differentialnährböden
treten pach 8—40 Tagen mehrere der für Paratyphus B-Bacillen
charakteristischen Veränderungen auf (Tabelle 2) (Umschlag in
Lackmusmolke, Aufhellung der Milch und der Grönlösung 2);
immerhin sind aber die kulturellen Abweichungen, die fehlende
Gasbildung aus Traubenzucker und aus Mannit, gewichtig genug,
um den Organismus nicht als Paratyphusbacillus erscheinen zu
lassen.
Für die diagnostische Tätigkeit, bei der Züchtung aus einem
Krankheitsfall oder aus einem Tier, würde solch ein Bakterien-
stamm, der sich keiner bekannten Art einwandfrei einordnen
lässt, erhebliche Schwierigkeit verursachen. Auch die Aggluti¬
nationsprüfung ist nicht imstande, sichere Aufklärung zu bringen.
Die Prüfung mit einer grösseren Anzahl von Paratyphus B-Sera
(ein Teil derselben ist in Tabelle 4 verzeichnet) ergibt freilich
in den meisten Fällen Agglutination bis zur Titergrenze; doch
können wir angesichts der starken kulturellen Abweichungen
daraufhin immer noch nicht den Stamm mit Sicherheit als Para¬
typhus B-Bacillus ansehen; wissen wir doch, aus den Unter¬
suchungen über „Paragglutination“ [Kuhn und Woithe 1 ), Rim-
pau 2 ), Ditthorn und Neumark 3 )], dass selbst Colibacillen
durch verschiedene heterologe Sera bis zur Titergrenze agglutiniert
werden können.
Näheren Aufschluss gibt die Herkunft des Stammes. Er
wurde im Jahre 1908 im Städtischen Untersuchungsamt als Er¬
reger einer grösseren Fleischvergiftungsepidemie gefunden und
seither in den Sammlungen fortgeführt, in denen er alle 6 bis
8 Wochen auf Schrägagar überimpft wurde. Der Stamm hatte
sich immer als Paratyphus B-Bacillus erwiesen, wie aus den ver¬
schiedenen Tabellen bei Sobernheim und Seiigmann 4 ) hervor¬
geht, wo er unter der Bezeichnung „Müggelsee“ aufgefübrt ist.
Seit Mitte 1911 wurde dieser Paratyphusstamm für den täglichen
diagnostischen Dienst verwendet, indem mehrere Unterkulturen
angelegt wurden, die in den einzelnen Laboratorien des Unter¬
suchungsamtes etwa zwei- bis dreimal wöchentlich überimpft
wurden. Wiederholte Kontrollen ergaben nie etwas Auffälliges,
bis im Juli 1912 bei erneuter Prüfung der eine von uns (L.)
fand, dass sämtliche Kulturen des täglichen Gebrauchs
aus Traubenzucker kein Gas bildeten, während die
drei seltener überimpften Sammlungsstämme kräftige
Gasbildung zeigten. Es wurden von den gasbildenden Samm¬
lungsstämmen neue Unterkulturen angelegt, zwei davon hatten
nach wiederholter Ueberimpfung innerhalb von 6 Tagen das Ver¬
mögen der Gasbildung wieder verloren, die anderen besitzen es
trotz häufiger Ueberimpfung noch heute unvermindert Ans den
gasbildenden Stämmen konnten durch Plattenaussaat und Prüfung
von je 20—30 Einzelkolonien keine Tochterstämme mit ver¬
minderter oder fehlender Gasbildung herausgezüchtet werden,
ebensowenig nach Tierpassage.
Die Stämme ohne Gasbildung wurden ebenfalls durch Tier¬
passage (Maus, Meerschweinchen, Kaninchen) in keiner Weise
verändert. Dies steht in gewissem Gegensatz zu den Befunden
von Bernhardt 5 ), der Ruhrbacillen, die ein Spaltungsvermögen
für eine Zuckerart (Maltose) neu erworben batten, durch Tier¬
passage zur Norm zurückkehren sah.
An eine Verunreinigung der Kulturen kann man nicht wohl
denken, sondern muss annehmen, dass der Stamm ohne Gas¬
bildung sich aus dem gasbildenden Paratyphusbacillus entwickelt
hat. Diese Annahme findet eine Stütze in den Versuchen von
Penfold 6 ), in denen Paratyphusbacillen durch Züchtung auf
cbloressigsäurehaltigem Agar ihr Traubenzucker-Vergärungsver¬
mögen verloren, dagegen im Unterschied zu unserem Stamm aus
Mannit noch Gas bildeten. Während jedoch bei Penfold’s
Kulturen die Gasbildung durch einen Gewalteingriff unterdrückt
wurde, ging sie bei unserem Stamm trotz optimaler Bedingungen
verloren. Penfold erwähnt freilich auch eine andere Kultur,
die ihm von Dr. Bainbridge überlassen wurde, und die von
vornherein kein Gas bildete. Eine genauere Untersuchung dieses
„Aertryk-Stammes“ hat er jedoch nicht veröffentlicht, so dass ein
Urteil über seine Eigenschaften und besonders über ihre Konstanz
(Tierpassage usw.) nicht möglich ist.
1) Kuhn und Woithe, Centralbl. f. Bakteriol., 1909, Referate,
Bd. 44, Beiheft.
2) Rimpau, Arbeiten a. d. Kaiser]. Gesundheitsamt, 1911, Bd. 38.
8) Ditthorn und Neumark, Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Referate,
Bd. 54, Beiheft.
4) Sobernheim und Seligmann, Zeitsohr. f. Immunitätsforsch.,
1910, Bd. 6.
5) Bernhardt, diese Wochensohr., 1912, Nr. 15. Verhandlungen
der Berliner mikrobiol. Gesellsch.-vom *7. Marz 1912.
f 6) Pefifold, Journ. ofhygietoe, 1911, Bd. li, Nr. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
251
Tabelle 1.
Differentialnährböden nach 24 Stunden.
Trauben¬
zucker
Barsi
Milch¬
zucker
iekow
Lackmns-
molke
Milch
Mannit-
Bouillon
Löffler- Grünlösung
mit | ohne
Traubenzucker
Trauben¬
zuckeragar
Neutralrot¬
agar
Müggelsee gaslos
Rötung und
Gerinnung
unverändert
rot
unverändert
kein Gas
klare Aus-
fällung, grün
unverändert
kein Gas
unverändert
Typhus .
Rötung und
Gerinnung
unverändert
rot
unverändert
kein Gas
klare Aus¬
füllung, grün
unverändert
kein Gas
unverändert
Paratyphus B . .
Rötnng und
Gerinnung
unverändert
rot
unverändert
Gas
schmutzige
Gerinnung,
Scbaumring
unverändert
Gas
Gas, geringe
Entfärbung
Tabelle 2.
Differentialnährböden nach 10 Tagen.
Trauben¬
zucker
Barsi
Milch¬
zucker
iekow
-1
Lackmus¬
molke
Milch
1
Mannit-
Bouillon
Löffler-Grünlösung
mit | ohne
Traubenzucker
Trauben-
zuokeragar
Neutralrot¬
agar
Müggelsee gaslos
Rötung und
Gerinnung
unverändert
blau,
Kahmhaut
aufgehellt
kein Gas
klare Aus¬
füllung,
gelblich
gelb
kein Gas
unverändert
Typhus .
Rötung und
Gerinnung
unverändert
rot
unverändert
kein Gas
klare Aus¬
fällung, grün
unverändert
kein Gas
unverändert
Paratyphus B . .
Rötung und
Gerinnung
unverändert
blau,
Kahmhaut
aufgebellt
Gas
schmutzige
Gerinnung,
gelblich
gelb
Gas
Gas,
Entfärbung
Es bietet sich aber noch ein weiterer, ziemlich schlüsssiger
Beweis dafür, dass unser gasloser Stamm ein echter Paratyphus¬
bacillus ist: das mit ihm erzeugte Immunserum ist ein
Paratyphus B-Serum, wie die Tabelle 3 zeigt. Es agglutiniert
nicht nur den homologen und den Ausgangsstamm, sondern in
genau der gleichen Weise eine ganze Reihe von Paratyphus B-
Kulturen; drei solcher Stämme haben wir als Beispiel heraus¬
gegriffen.
Tabelle 3.
Stamm
Serum Müggelsee gas
los
NaCl
500
| 1000
2000 |
4000
Müggelsee gaslos
+4-4-
+++
1
4-
_
Müggelsee Ausgangsstamm
+++
+++
1 _+
—
Paratyphus B, 1
1 +++
++
+ i
4-
—
* . 2
+++
++(+)'
++ 1
+
—
, „ 3
+++
++ 1
+
4-
Wir haben also einen Stamm vor uns, der sich durch den
Mangel der Gasbildung kulturell wesentlich vom Paratyphus B
unterscheidet (das abweichende Vei halten in der traubenzucker-
haltigen Löffler’schen Grünlösung steht wohl hiermit in Zusammen¬
hang), in seinen agglutininbindenden und -bildenden
Eigenschaften aber vollkommen mit ihm übereinstimmt. Be¬
rücksichtigt man dazu die Herkunft des Stammes, so wird ein
Zweifel an der Diagnose „Paratyphus B-Bacillus ohne Gasbildung“
kaum noch möglich sein. Es ist hier, vielleicht ausgelöst durch
häufiges Ueberimpfen, ein neuer Typus entstanden, der sich bisher
konstant gehalten hat.
Demnach muss sich der Ausgangsstamm in einem Zustand
besonderer Labilität befunden haben. Für diese Labilität hat
sieb später ein weiterer Beweis geboten. Es war im Juli 1912
auf die gasbildendeo SammluDgskulturcn des Stammes Müggelsee
zurückgegriffen und neue Unterkultoren für den täglichen dia¬
gnostischen Gebrauch angelegt worden. Nach etwa 3 Monaten
stellte der eine von uns (S.) fest, dass seine Kultur agglutinatorisch
nicht mehr einheitlich war und beim Ausstrich auf der Agar- oder
Conradi-Drigalski-Platte neben zahlreichen typischen, d. b. durch¬
sichtigen, ruüden Kolonien einzelne undurchsichtige, granulierte,
zackige Kolonien mit trockener Oberfläche enthielt, die aber auf
den Differentialnährböden weitere Abweichungen vom Verhalten
normaler Paratyphusbacillen nicht aufwiesen. Ihre Besonder¬
heiten bestanden vielmehr im agglutjnatorischen Verhalten; sie
wurden nur schwach von ParatyphuBserum, beträchtlich dagegen
durch Gärtnersera beeinflusst, entsprachen daher jenen eigentüm¬
lichen Variationsformen, die Sobernheim und Selig mann
früher bereits beschrieben und als „Doppelstämme“ bezeichnet
hatten. Hier wie dort Abschwäcbung der Agglutinierbarkeit für
Paratypbus B-Sera; hier wie dort gesteigerte Agglutinabilität
durch Gärtnersera. Auch das antigene Verhalten war ent¬
sprechend; das Serum des „Doppelstammes Müggelsee“ beeinflusste
gut und bis zur Titergrenze nur Doppelstämme, mässig und ver¬
schieden hoch die meisten echten Paratyphen, gar nicht Typhus-,
Gärtner- und andere Kulturen. Also ein zwar abgeschwächtes,
aber doch reines Paratyphusserum; genau wie bei den früher be¬
schriebenen Doppelstämmen.
Die geschilderten Eigenschaften blieben auch nach Tier¬
passage unverändert.
Tabelle 4.
Müggelsee
Para¬
typhus B
Doppel-
stamm
Gärtner
Serüm
Ausgangs¬
stamm
Müggelsee
Gaslos
Doppel¬
stamm
Para¬
typhus
/ Ausgangsstamm
\ (Titer 40 000)
40 000
5 000
40 000
40 000
) Gaslos
\ (Titer 4000)
4000
4 000
0
4 000
I Doppelstamm
[ (Titer 2000)
500
0
2 000
(1 000)
/ Hulda
(Titer 3000)
3 000
2 000
3000
8 000
1 Halle
J (Titer 3000)
3000
3 000
0
3 000
) Königsberg
1 (Titer 2000)
2000
2 000
0
2 000
f Saarbrücken
V (Titer 3000)
8 000
3000
(500)
3 000
/ Mäusetypbus 28 a
1 (Titer 3000)
3000
(100)
3000
3 000
I Schottmüller VI
\ (Titer 1000)
(100)
(100)
1000
100
/ Aertryk
[ (Titer 3000)
(1000)
100
1
3 000
(2 000)
/ Drigalski
\ (Titer 2000)
(500)
!
(100)
2 000
(500)
Die Zahlen bezeichnen die Serumverdünnungen, bis zu denen die ein¬
zelnen Stämme agglütiniert werden; die Klammer bedeutet atypische,
> 1.’ lunvollkodimene Agglutination.
3*
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252
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Es war nun interessant, die beiden aus demselben Ausgangs¬
stamm hervorgegangenen Abänderungsformen, den gaslosen und
den Doppelstamm, biologisch miteinander zu vergleichen. Tabelle 4
enthält nur Beispiele der verschiedenen von uns geprüften Sera;
zum Vergleich ist in der letzten Rubrik ein sicherer Paratyphus B-
Stamm anderer Herkunft aufgeführt.
Wie ersichtlich, ist der Ausgangsstamm Müggelsee in seinem
agglutinatorischen wie agglutinogenen Verhalten ein Paratyphus B-
Stamm, der nichts Auffälliges bietet. Der Stamm ohne Gas¬
bildung und der Doppelstamm bilden stark ausgeprägte biologische
Gegensätze: das Serum des einen agglutiniert den anderen gar
nicht, und jedes Serum, das den einen gut beeinflusst, zeigt sich
dem anderen gegenüber weniger wirksam. Die beiden Stämme
sind also biologisch sowohl wie kulturell toto coelo verschieden.
Dabei ergibt sich die merkwürdige Tatsache: der kulturell so
stark abweichende gaslose Stamm steht der Ausgangskultur
biologisch sehr nahe, er ist agglutinatorisch durchaus als
Paratyplius B anzusprechen; der kulturell mit dem Ausgangs¬
stamm fast identische Doppelstarom zeigt dagegen weit¬
gehende biologische Abweichungen; nur wenige Para¬
typhussera beeinflussen ihn typisch; eines dieser wenigen ist
auffallenderweise gerade das Serum der Ausgangskultur Müggelsee.
Die kulturelle Differenziertheit des gaslosen Stammes zeigt
sich auch noch in einer anderen Hinsicht: nur er besitzt die
Fähigkeit der Schleimwallbildung, die dem Doppelstamm und
der AusgangskultQr mangelt. Die Schleimwallbildung soll nur
echten Paratyphusbacillen, nicht aber Fleischvergiftern zukommen
und bei längerer Fortzüchtung verloren gehen; hier sehen wir sie
im Gegenteil neu auftreten bei einem länger fort¬
gezüchteten Fleischvergifter.
Aus der chemisch-bakteriologischen Abteilung des
Gouvernements Semstwo-Krankenhauses in Charkow.
Leprabacillen im kreisenden Blute der Lepra¬
kranken und im Herzblute eines Leprafötus.
Von
Dr. Marens Rabinowitsch,
Leiter der Abteilung.
Die Forschungen der letzten Jahre haben den Beweis dafür
geliefert, dass zahlreiche Infektionskrankheiten, wie Unterleibs¬
typhus, Pneumonie, chronische Tuberkulose u. a. m., die bis
dabin als lokale Erkrankungen betrachtet wurden, allgemeine
Erkrankungen sind, da der entsprechende Erreger im Blute der
Kranken circuliert.
Was die chronische Lungentuberkulose anbelangt, so habe
ich zuerst bei meinen Untersuchungen über die Identität der
Tuberkelbacillen verschiedenster Herkunft den experimentellen
Beweis dafür geliefert, dass in den meisten Fällen die Tuberkel¬
bacillen im Blute der Kranken kreisen. Es ist mir gelungen, die
Tuberkelbacillen in einigen Fällen aus dem Blute in Reinkultur
zu züchten, in anderen durch Verimpfung des Krankenblutes an
Meerschweinchen und Kaninchen dieselben naebzuweisen 1 ).
Diese, zuerst von mir festgestellte Tatsache wurde, wie
bekannt, wiederholt von zahlreichen Autoren mit Hilfe des Uhlen-
hutb'sehen Antiformin verfahrene bestätigt.
Diese Beobachtungen bei der Tuberkulose ins Auge fassend,
drängte sich der Gedanke auf, dass auch bei der Lepra, die aus¬
nahmslos als eine chronische Allgemeinerkrankung verläuft, die
Leprabacillen im Blute kreisen müssen. Einige Leprakranke, die
im Laufe der letzten 2 Jahre ins Krankenhaus aufgenommen
wurden, boten mir Gelegenheit zur Nachprüfung dieser Ver¬
mutung.
Im ganzen wurden das Blut von acht Kranken und einem
Fötus, der während der Sektion im Uterus einer verstorbenen
Leprakranken gefunden worden war, untersucht.
Nähere Angaben über den klinischen Befund dieser Kranken
sind folgende:
1. Patient B., 23 Jahre alt. Die Stirn, Augenbrauen, Wangen,
Ohren, der Hals, Rumpf und Extremitäten sind überall mit bräunlichen
Flecken und Knoten von verschiedener Grösse bedeckt. Stellenweise
Ulcerationen und Narben. Sattelnase. Die Fingerenden kolbig an-
1) Zeitscbr, f. Tuberku!., 1906, Bd. 9, H. 4, 5 u. 6.
geschwollen und ulceriert, an einigen Fingern fehlen ganze Phalangen.
Ulcerationen der Enden der Zehen. Im Rachen zahlreiche Narben und
Ulcerationen. Die Zunge stark geschwollen und mit Knoten bedeckt.
Uvula fehlt. Stellenweise vollständige Anästhesie. Stimme heiser.
2. Patient T., 54 Jahre alt. Das Gesicht, der Rumpf und die Ex¬
tremitäten sind mit zahlreichen Flecken von livider Farbe und Schuppen
bedeckt. Stellenweise Anästhesie.
3. Patient M., 13 Jahre alt. Das ganze Gesicht und die Ohren
sind von zahlreichen erbsen- bis bohnengrossen Knötchen und Flecken
von bräunlicher Farbe bedeckt. An den Nasenflügeln und der Gluteal-
gegend sind Ulcerationen vorhanden. Die Hautdecken sind überall stark
verdickt und mit Flecken und ScbuppeD, die Extremitäten ausserdem
mit kleinen Knötchen bedeckt. Kleine Knötchen befinden sich auch am
harten und weichen Gaumen, von denen einige ulceriert sind. Eine
bohnengrosse Ulceration befindet sich an der Uvula. Der Zungengrund
ist stark verdickt und gerötet, die hintere Rachenwand ist angeschwollen
und intensiv rot verfärbt.
4. Patientin K., 41 Jahre alt. Die Gesichtshaut ist wulstig ver¬
dickt, am stärksten an den Augenbrauen, die haarlos sind, wodurch
der Gesichtsausdruck ein böser geworden ist. Aehnliche Wülste, wie
auch Narben und bräunliche Flecke sind zahlreich über die Hautober-
fläche des Rumpfes und der Extremitäten zerstreut; diese Stellen der
Haut sind vollständig anästhetisch. Die Schleimhaut des Mundes und
der Nasen-Rachengegend ist stellenweise wulstig verdickt.
5. Patientin B., 49 Jahre alt. An den oberen und unteren Ex¬
tremitäten sind gelblich-bräunliche Flecken und Schuppen von Zehn¬
pfennig- bis Dreimarkstückgrösse zerstreut. Sensibilität an diesen Stellen
vorhanden.
6. Patientin S., 26 Jahre alt, schwanger. An Stirn, Nase,
Wangen und Kinn zahlreiche dunkelrote, erbsen- bis baselnussgrosse
Knötchen. Aehnliche Knötchen und bräunliche Flecke sind überall an
Rumpf, oberen und unteren Extremitäten zerstreut, wie auch im Rachen,
am harten und weichen Gaumen. Augenbrauen haarlos, verdickt. An¬
ästhesie stellenweise.
7. Fötus der Patientin 6. Gefunden im Uterus während der
Sektion, Alter ca. 6 Monate. An der Hautoberfläche, an den Schleim¬
häuten wie auch in den inneren Organen sind weder lepröse noch irgend¬
welche anderen Veränderungen bei der makroskopischen Untersuchung
konstatiert worden.
8. Patient Sch., 34 Jahre alt. An Stirn, Wangen, oberen und
unteren Extremitäten wie auch an Bauch- und Rückenhaut sind dunkel¬
rote Flecke, die mit zahlreichen bis erbsengrossen Knötchen bedeckt
sind, wahrzunehmen.
9. Patientin W., 57 Jahre alt. Zahlreiche bis bohnengrosse
Knötchen an Stirn, Wangen und Kinn. Verdickung der Ohrmuscheln.
Sattelnase. Aehnliche Knötchen und livide Flecke an Rumpf und Ex¬
tremitäten. Einige Finger und Zehen sind ulceriert, an anderen fehlen
schon Phalangen. Die Haut der beiden Unterschenkel ist ulceriert,
atrophisch und anästhetisch. Ulcerationen der Mund- und Nasenschleim¬
haut. Uvula fehlt, an deren Stelle Ulceration. Stimme heiser, kaum
hörbar.
Das Blut wurde zur Untersuchung bei den Kranken aus der
Armvene und beim Fötus aus dem Herzen mit einer sterilen
10 ccm-Rekordspritze entnommen und sofort in ein Erlenmeyer-
Kölbchen mit 10 ccm destilliertem Wasser, dem 1 pCt. Natrium
citricum und 1 pM. Sapotoxin zugesetzt wurde, gebracht.
Nach kräftigem Schütteln wurde diese Mischung in Centri-
fugengläser gegossen und 15 Minuten in der elektrischen Centri-
fuge centrifugiert.
Der erhaltene Niederschlag wurde mit destilliertem Wasser
gewaschen und wieder centrifugiert.
Nach Abgiessen des Wassers wurde in jedes Centrifugen-
gläschen zum Niederschlag je 5 ccm lOproz. Antiforminlösung
zugesetzt, tüchtig mit einem sterilen Glasstab umgerührt und eine
Stunde im Thermostaten bei 37° gelassen. Aus dem Thermostaten
kamen die Gläschen auf 20 Minuten in die elektrische Centrifuge,
dann wurde die Antiforminlösung abgegossen, der Niederschlag
mit destilliertem Wasser gewaschen und wieder centrifugiert.
Dieser zuletzt erhaltene gewaschene Niederschlag wurde auf
Objektträger ausgestrichen, mit Carboifuchsin unter Erwärmen
gefärbt, kurz mit 3proz. Salzsäurealkohol entfärbt und mit
Methylenblau nachgefärbt.
In der beschriebenen Weise wurde das Blut von den Patienten 1,
2, 3, 4 und 6 im Laufe von 3 bis 4 Monaten je dreimal und
von den Patienten 5, 8 und 9 und vom Fötus je einmal unter¬
sucht.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind folgende:
1. Von den Kranken, bei denen das Blut wieder¬
holt untersucht wurde, sind die Leprabacillen bei den
Kranken 1, 3 und 6 jedesmal, beim Kranken 2 keinmal und beim
Kranken 4 nur einmal naebgewiesen worden.
2. Von den Kranken, bei denen das Blut nur einmal
untersucht worden ist, sind die Leprabacillen nur bei den
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10. Februar 1U13.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Kranken 8 und 9 wie auch im Herzblute des Fötus beobachtet
worden.
Im ganzen sind also von den untersuchten 8 Kranken
und einem Fötus die Leprabacillen im kreisenden Blute
von 6 Kranken und im Herzblute des Fötus nach¬
gewiesen worden.
Aus den Ergebnissen der Untersuchung kann man, wie mir
scheint, mit Recht den Schluss ziehen, dass die Leprabacillen
im Krankenblute kreisen und auf hämatogenem Wege
von der Mutter dem Kinde intrauterin übertragen
werden können.
Aus dem Laboratorium des Kaiser und Kaiserin
Friedrich Kinder-Krankenhauses in Berlin (Direktor:
Geheimrat Prof. Dr. A. Baginsky).
Ueber die Giftwirkung normaler Organ- und
Muskelextrakte.
Von
Dr. Hans Aronson.
(Nach einem am 12. Dezember 1912 in der Berliner mikrobiologischen
Gesellschaft gehaltenen Vortrage.)
Ueber die Giftigkeit normaler Organextrakte sind in den
letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen, die viele
interessante Tatsachen zutage förderten, ohne dass in manchen
wichtigen Fragen eine Einigkeit erzielt wurde. Cesa Bianchi
hat sich wohl zuerst eingehender mit diesem Problem be¬
schäftigt. Seine Versuche sowie die zahlreicher französischer
Autoren (Roger, Champy et Gley, Lambert, Ancel et Bouin),
auch diejenigen von Do Id beziehen sich in der grossen Mehrzahl
auf Kaninchen. Dies ist nicht wunderbar, da bei keiner anderen
Tiergattung der toxische Effekt ein so akuter ist und mit so
kleinen Dosen erzielt wird. Hierdurch ist jedoch eine gewisse
Einseitigkeit in dieses Forschungsgebiet gebracht worden.
Bianchi stellte fest, dass die mit physiologischer Kochsalz¬
lösung aus normalen Kaninchenorganen (speziell Lunge; Roger
fand auch den Processus vermiformis sehr wirksam) gewonnenen
Auszüge Kaninchen nach intravenöser Injektion schon in Dosen
von etwa l j 2 ccm sehr akut unter Krämpfen töten. Die Wirkung
der Extrakte aus verschiedenen Organen zeigte nur quantitative
Unterschiede. Bei der Sektion fand er, dass das Herz noch
schlägt und die Blutgerinnung bedeutend verzögert ist. Er stellte
ferner fest, dass mit untertödlichen Dosen vorbebandelte Kaninchen
schon nach einer halben Stunde anstandslos die einfache bis
doppelte sonst tödliche Giftmenge vertrugen, ein Vorgang, für
den französische Autoren besondere Worte (Tachyphylaxie, Skepto-
phylaxie) geprägt haben. Diese so schnell eintretende beträcht¬
liche Resistenzerhöhung war auch gegen den Extrakt eines
anderen Organes gerichtet, wie des zur ersten Injektion gebrauchten.
Eine echte Immunisierung gegen dieses Toxin konnte Bianchi
nicht erzielen, ebensowenig trat eine Ueberempfindlichkeit ein.
Das Serum eines Kaninchens, das, auf die eben geschilderte Weise
vorbehandelt, schliesslich eine mehrfach tödliche Dosis vertrug,
entfaltete bei anderen Kaninchen keine Schutzwirkung.
Im wesentlichen dieselben Ergebnisse hatte Dold bei seinen
Untersuchungen, der weiter die interessante Tatsache fand, dass
das Gift durch Einwirkung von frischem Kaninchenserum un¬
wirksam gemacht wird; mit inaktiviertem Serum gelang dies
nicht. In einer neuen Arbeit konnte Bianchi die Giftneutrali¬
sierung durch das Serum nicht bestätigen. Er ist geneigt, diese
Wirkung auf eine einfache Verdünnung zurückzuführen.
Meine eigenen Versuche bestätigten durchaus die Resultate
Dold’s Ich fand, dass durch 2 x j 2 stündige Einwirkung von 2 ccm
Serum bei 87° selbst ein grosses Multiplum bis zur fünfzehn¬
fach tödlichen Dosis (10 ccm Lungenextrakt, tödliche Dosis
1 / 2 — 3 / 4 ccm) unwirksam gemacht wird. Die negativen Resultate
Bianchi ’s beruhen wohl auf einer zu kurzdanerden Einwirkung
des Serums und auf der Anwendung zu niedriger Temperatur,
eine Ansicht, die unterdes auch von Dold ausgesprochen
worden ist.
Ebenso wie Dold führe ich den nach intravenöser Injektion
akut eintretenden Tod der Kaninchen auf eine Thrombosierung
der Lungenarterien zurück. Bei schnell vorgenommener Sektion
fand ich diese Arterien stets durch Thromben verstopft, dagegen
253
beobachtete ich keine Gerinnsel im rechten Herzen und in der
Vena cava.
Dieser Befund ist ausserordentlich merkwürdig, da das sonst
bei der Sektion gewonnene Blut, besonders nach der Einspritzung
einer mehrfach tödlichen Dosis, 24 Stunden und länger flüssig
bleibt. Wie diese Thrombosierung gerade in den Lungen¬
arterien bei der im übrigen eintretenden fast kompletten Auf¬
hebung der Blutgerinnung entsteht, ist noch völlig unaufgeklärt;
diese Erscheinung bedarf weiterer Studien.
Bei intraperitonealer Injektion vertragen Kaninchen selbst
das zehnfache der vom Blut aus tödlichen Dosis. Auch hieraus
geht hervor, dass bei Kaninchen die Gerinnselbildung in den
Lungenarterien die hauptsächlichste Ursache des Todes nach intra¬
venöser Injektion der Organextrakte ist.
Im Einklänge hiermit steht es, dass nach vorhergehender
Injektion eines frischen Extralftes von Blntegelköpfen, wie schon
andere Autoren (Blaizot, Gley, Dold und Ogata) festgestellt
haben und ich bestätigen kann, eine folgende Einspritzung der
einfachen bis doppelten sonst tödlichen Dosis vertragen wird.
Ein grösseres Multiplum führt jedoch stets den Tod herbei.
Ebenso ist die so schnell nach Beibringung einer untertöd¬
lichen Menge des Organextraktes auftretende Widerstandsfähigkeit
meiner Ansicht nach zu erklären; denn auch hierdurch wird die
Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabgesetzt. Bei der neuen Ein¬
spritzung kommt es dann nicht so leicht zur Thrombenbildung
in den Lungenarterien wie bei normalen Kaninchen.
Es ist nicht wunderbar, dass Peptonlösungen, wie ich ge-
gefunden habe, in gleicher Weise wirken wie Extrakte von Blut¬
egeln (bzw. Hirudin).
Injiziert man einem Kaninchen (etwa 1000 g Gewicht)
5—6 ccm einer 10 proz. Lösung von Witte’schem Pepton, so kann
man nach kurzer Zeit die einfache bis doppelte Menge, die
Kontrolltiere tötet, intravenös einspritzen, ohne dass das Tier
stirbt. Der Schutz des Peptons ebenso wie der des Hirudins geht
aber weiter. Auch Mischungen von 5 ccm einer 10 proz. Pepton¬
lösung mit der ein- bis zweifachen sonst tödlichen Dosis des
Organextraktes werden nach meinen Feststellungen von Kaninchen
vertragen.
Ganz andere Resultate ergaben meine Versuche an Meer¬
schweinchen. Die Lösungen wurden, ebenso wie bei Kaninchen,
durch zweistündige Extraktion der steril entnommenen, mit der
Schere möglichst fein zerkleinerten Organe mit der gleichen oder
doppelten Menge physiologischer Kochsalzlösung gewonnen; die
Gemische wurden durch mehrfache Lagen sterilen Mulls gegossen,
der zurückbleibende Brei mit einer kleinen Presse ausgepresst,
die gesammelten Auszüge durch Papier filtriert. Die Giftwirkung
zeigt bei Meerschweinchen eine ganze Reihe prinzipiell wichtiger
Unterschiede:
1. Der Tod nach intravenöser Injektion selbst grosser Dosen
von Organextrakten (auch hier zeigt sich die Lunge am wirk¬
samsten) tritt nie so akut ein wie bei Kaninchen, sondern
frühestens nach 7—10 Minuten. Untertödliche Dosen verursachen
Temperaturerniedrigung; bei Kaninchen fehlt dieser Effekt.
2. Wenn sich auch oft bald nach der Einspritzung Zuckungen
und krampfartige Erscheinungen zeigen, beobachtet man doch
stets vor dem Tode einen lähmungsartigen Zustand bei tiefem
Temperatursturz.
3. Das Serum der Meerschweinchen zeigt keine ausge¬
sprochene giftneutralisierende Wirkung.
Nach Injektion einer Mischung der einfach tödlichen Extrakt¬
dosis -f- 2 ccm Meerschweinchenserum (nach einer 2—2 1 / 2 ständigen
Einwirkung bei 37°) blieben bei drei Versuchsreihen die Tiere
allerdings am Leben. Selbst diese einfach tödliche Menge wurde
jedoch durch frisches Serum nicht völlig unwirksam gemacht;
denn die Meerschweinchen wurden sehr schwer krank und zeigten
eine längerdauernde starkeTemperaturerniedrigung. In zwei anderen
Experimenten konnte die einfach tödliche Dosis durch 2 ccm
Serum nicht neutralisiert, d. h. auch der Tod nicht verhindert
werden.
Bei Anwendung selbst nur der doppelten tödlichen Giftmenge
konnte ich niemals einen hemmenden Einfluss des Serums im
Gegensatz zu meinen oben erwähnten Versuchen an Kaninchen
konstatieren. Nach meiner Ansicht spielt diejenige Quote des
Giftes, die bei Kaninchen durch Thrombosierung der Lungen¬
arterien akut tödlich wirkt, bei Meerschweinchen nur eine unter¬
geordnete Rolle. Diese allein aber ist es, die durch das Serum
neutralisiert wird.
4
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UNIVERSUM OF IOWA
254
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 0.
Es Ist also durchaus nicht angängig, allgemein von einer
entgiftenden Wirkung des Serums auf wässrige Organ¬
extrakte zu sprechen. Dieselbe tritt vielmehr aus dem eben
angegebenen Grunde deutlich nur bei Kaninchen in Erscheinung.
4. Extrahiert man kleine Mengen von Meerschweinchen¬
organen (es genügt schon 0,1 g Lunge) 2 Stunden bei 37° statt
mit physiologischer Kochsalzlösung mit frischem Meerschweinchen¬
serum, so erhält man gleichfalls ein tödliches Gift. Behandelt
man in gleicher Weise Kaninchenorgane mit Kanincbensernm, so
zeigen sich die Auszüge bei der Prüfung an diesen Tieren
völlig unwirksam. Dies stimmt mit der von mir konstatierten
geringen Wirkung des Meerschweinchenserums auf den tödlichen
Effekt der Organextrakte von Meerschweinchen überein.
5. Nimmt man die Extrahierung der Organe mit physio¬
logischer NaCI* Lösung nicht bei gewöhnlicher Temperatur, sondern
bei 100° (in strömendem Dampf) vor, so erhält man, anders wie
bei gleichen Versuchen an Kaninchen, giftige, ja vielleicht noch
wirksamere Lösungen (vgl. unten). In scheinbarem Gegensatz
hierzu steht es, dass die in gebräuchlicher Weise hergestellten
wässerigen Organauszüge durch Kochen bedeutend an Wirk¬
samkeit verlieren. Dies liegt jedoch darin, dass die hierbei ent¬
stehenden Ei weissniederschläge die wirksame Substanz mechanisch
mit niederreissen, was durch Erfahrungen mit anderen Nieder¬
schlägen bestätigt wird.
6. Nach Ueberstehen einer Vergiftung mit untertödlicher
Dosis zeigt sich zunächst keine Widerstandsfähigkeit bei er¬
neuter Injektion, selbst nur der einfach tödlichen Giftmenge.
Wartet man mit der erneuten Beibringung des Organextraktes, bis
die nach der vorhergehenden Einspritzung stets eintretende Tempe-
raturernidrigung gerade geschwunden ist (2—3 Stunden), so findet
sich keine Resistenz.
Anders ist es, wenn man die Reinjektion am nächsten Tage
vornimmt. Dann zeigen sich die Tiere widerstandsfähig gegen
eine sonst sicher und schnell tödliche Organextraktmenge. Dieser
Schutz ist um so grösser, je schwerer die frühere Erkrankung
war. Es kommt vor, dass Tiere, die 1—2 Stunden bei verlang¬
samter Atmung und tiefem Temperatursturz völlig bewegungslos
auf der Seite liegen, sich doch noch erholen; sie sind am
nächsten Tage völlig munter und können dann die erneute In¬
jektion sogar symptomlos vertragen. Tiere, die zuerst weniger
schwer erkrankt waren, zeigen nach der Reinjektion am folgenden
Tage Temperatursturz, bleiben jedoch am Leben.
Das Verhalten der Meerschweinchen ist also völlig ent¬
gegengesetzt dem der Kaninchen, bei denen der Schutz gegen
eine erneute Einspritzung so schnell (schon nach J / a Stunde) ein*
tritt und am nächsten Tage schon fast völlig geschwunden ist.
7. Bei Meerschweinchen ist das Gift auch bei intraperitonealer
Injektion, natürlich in etwas erhöhter Dosis, wirksam, bei
Kaninchen nicht (vgl. oben).
8. Weder eine vorhergehende Peptoneinspritzung noch eine
solche des Extraktes von Blutegelköpfen bewirkt eine Resistenz
gegen eine nachfolgende Vergiftung mit Organextrakten, gleich¬
gültig, ob die zweite Injektion bald darauf oder am folgenden
Tage vorgenommen ist. Die Unwirksamkeit der Peptonlösung
in dieser Hinsicht ist schon von Busson festgestellt worden.
Gleich nach der intravenösen Injektion einer tödlichen Gift¬
dosis zeigen die Meerschweinchen krampfartige Zuckungen
(manchesmal Sprünge), die sehr an die beim anaphylaktischen
Anfall auftretenden erinnern. Es tritt jedoch nie selbst bei An¬
wendung grösserer Giftmengen ein ganz akuter Tod ein, sondern
es vergehen bis zum Tode, wie schon oben erwähnt, mindestens
7—10 Minuten, meist ein bis mehrere Stunden. Die Tiere liegen
dann unter starkem Sinken der Temperatur und verlangsamter
Atmung bewegungslos auf der Seite. Einige Zeit vor dem Tode
entleert sich oft eine schaumig-blutige Flüssigkeit aus dem Munde.
Bei der Sektion schlägt das Herz noch, die Lunge ist stark ver-
grösser! und starr, zeigt jedoch stets eine ödematöse Durcb-
träokung und zahlreiche Blutextravasate, Unterschiede gegenüber
dem Verhalten bei anaphylaktischem Tode, auf die auch Busson
aufmerksam gemacht bat.
Die Entstehung der Organextraktgifte beruht nicht etwa auf
autolytischen Vorgängen; denn die ganz frisch hergestellten
Auszüge sind mindestens ebenso wirksam wie die nach längerem
Stehen der Organe (unter Toluolzusatz) bereiteten.
In gleicher Weise wie die Organextrakte wirken auch
Muskelextrakte sowohl bei Kaninchen wie bei Meerschweinchen
giftig und tödlich. Bei Kaninchen tritt der oben geschilderte
akute Tod ein, beim Meerschweinchen erfolgt der Tod unter
Lähmungserscheinung und Temperatursturz meist erst nach
mehreren Stunden. Extrakte, mit der halben Menge (ent¬
sprechend dem Gewicht der angewandten Muskeln) physiologischer
Kochsalzlösung gewonnen, oder Muskelpresssäfte wirken fast
gleichmässig. Die erhaltenen Lösungen müssen zur Entfernung
der Milchsäure, der Fleiscbbasen usw. vor der Anwendung sorg¬
fältig dialysiert werden.
Bei Gelegenheit dieser Versuche nahm ich eine vergleichende
Prüfung der Auszüge resp. Presssäfte von Muskeln normaler
Meerschweinchen und solcher Tiere vor, die an künstlich herbei¬
geführter Ermüdung gestorben waren. Der Tod an Ermüdung
wurde nach der Methode von Weichardt (durch Zurückziehen
der Meerschweinchen auf rauhem Kokusteppich, eventuell noch
mit nachfolgender Faradisierung) erreicht.
Wider Erwarten zeigten sich sowohl io der Giftwirkung
(Lähmungserscheinung, Temperatursturz) als auch in dem töd¬
lichem Effekt bei Anwendung normaler Muskeln und der er¬
müdeten nur ganz geringfügige Unterschiede. Es sind von
mir mit demselben Resultat vier solche vergleichende Untersucbs-
reihen ausgeführt worden. In der letzten z. B. tötete unter
typischen Erscheinungen und in fast genau gleicher Zeit 4% ccm
frischer Presssaft von normalen Muskeln (die Kontrolliere wurden
sowohl vorher als bei der Tötung durch Kopfschlag vor Muskel¬
bewegungen möglichst geschützt), wie 4 ccm eines, der von einem
an Ermüdung gestorbenen Meerschweinchen stammte. —
Auch bei intraperitonealer Injektion von Mäusen zeigte sich
kein Unterschied in der Wirkung der beiden Presssäfte.
Der tödliche Effekt der forcierten Ermüdung beruht wohl
sicher, wie auch Weichardt annimmt, auf einer Vergiftung mit
Eiweissspaltprodukten (darauf deuten auch die klinischen Er¬
scheinungen, Temperatursturz usw.). Meine Versuche ergeben
aber, dass es bei der Ermüdung zu keiner Anhäufung der
Spaltprodukte in den Muskeln selbst kommt. Das nach
Weichardt’s Methode aus ermüdeten Muskeln hergestellte und
von ihm Kenotoxin genannte Gift ist vielmehr in fast genau
derselben Menge auch in normalen Muskeln vorhanden und wird
nicht erst durch die Ermüdung gebildet. Es gleicht in seiner
physiologischen Wirkung durchaus und völlig dem durch Ex¬
traktion aus anderen Organen gewonnenen Gift.
Nach meinen Versuchen ist die Gewinnung eines Antitoxins
gegen das in ermüdeten und ebenso in normalen Muskeln ent¬
haltene Gift auf dem bekannten serumtherapeutischen Wege
nicht möglich.
Wie ich oben erwähnt habe, wirken auch Lösungen, die
durch Extraktion der Meerschweinchenorgane mit der gleichen
oder doppelten Menge physiologischer Kochsalzlösung bei 100°
(im strömenden Dampf) hergestellt sind, bei intravenöser In¬
jektion stark giftig und verursachen akuten Tod. Da das native
Eiweiss hierbei zerstört wird, so wurden aus naheliegenden
Gründen zur weiteren Untersuchung dieses Toxins auf dieselbe
Weise gewonnene Extrakte von Organen grösserer Tiere (speziell
Rindern) benutzt.
Die mittels Fleischhackmaschine zerkleinerten frischen Organe
werden mit derselben Menge schwach angesäuerter physiologischer
Kochsalzlösung eine Stunde im Dampfapparat behandelt. Durch
den vorhergehenden Zusatz einer geringen Menge Salzsäure oder
Salpetersäure wird das Eiweiss beim Erhitzen völlig entfernt und
die nachfolgende Filtration sehr beschleunigt. Durch eine zweite
gleiche Behandlung der auf dem Filter zurück bleibenden Massen
erhält man nochmals dieselbe Menge einer fast ebenso wirk¬
samen Flüssigkeit.
Die durch Filtration gewonnenen Lösungen werden vor der
Injektion schwach alkalisch gemacht. Die wirksamsten Extrakte
erhält man aus Lungen. Weiter folgt dann in der Reibe der
Giftigkeit Milz, Pankreas, Thymus, Gehirn, Nieren, Muskeln. Am
wenigsten giftig sind die aus def Leber gewonnenen Extrakte.
Wir finden hier genau die gleiche Reihe wie bei den in gewöhn¬
licher Weise bergestellten wässrigen Organauszügen; auch hier ist
die Leber weitaus am geringsten wirksam.
2—3 ccm eines so hergestellten Lungenextraktes töten Meer¬
schweinchen nach intravenöser Injektion unter den typischen
Erscheinungen des anaphylaktischen Anfalls. Es treten
Zuckungen und charakteristische Springkrämpfe ein; nach wenigen
Minuten sterben die Tiere. Bei der Sektion schlägt das Herz
noch, die Lungen sind ad maximum gebläht, überlagern weit das
Herz und sehen genau so aus, wie bei anaphylaktischen Tieren.
Die Blutgerinnung ist nicht verzögert. Auch die mikroskopische
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UNIVERSITÄT OF IOWA
10 Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
255
Untersuchung der Schnitte in Paraffin eingebeiteter Lungen zeigt
in allen Punkten völlige üebereinstimmung mit dem Befuuil
bei Tieren, die an einem anaphylaktischen Sbock gestorben sind
(Demonstration zweier mikroskopischer Präparate).
Untertödliche Dosen bewirken Temperaturerniedrignng. Nach
Ueberstehen einer solchen Vergiftung findet sich keine Resistenz
gegen eine erneute Injektion mit der tödlichen Minimaldosis, auch
keine Resistenz gegenüber der Serumreinjektion vorher sensibili¬
sierter Meerschweinchen.
Kaninchen sind diesem Gift gegenüber, selbst auf das Körper
gewicht berechnet, weniger empfindlich als Meerschweinchen*
Kleine Tiere (etwa 600 g schwer) sterben akut nach intravenöser
Einspritzung von 8 ccm einer guten Lösung. Auch hier schlägt
das Herz noch, die Lunge ist deutlich gebläht, wenn auch nicht
so stark wie bei Meerschweinchen; die Blutgerinnung ist nicht
verlangsamt.
Nach Injektion des vierten Teiles bis der Hälfte der töd¬
lichen Giftmenge sieht man bei Kaninchen stets eine deutliche
Anregung der Peristaltik (am besten zu beobachten bei laparoto-
mierten Tieren in einem Bade von 38° warmer physiologischer
Kochsalzlösung). Diese Wirkung eines aus Därmen hergestellten
Extraktes hat zuerst Zülzer beobachtet und sie als Ausdruck
eines spezifischen Hormons angesehen. Die gleiche Eigenschaft
zeigten später ans Milz gewonnene Lösungen. Es handelt sich
jedoch hierbei weder um ein Hormon noch um ein typisches Zell¬
produkt der Milz; denn die aus anderen Organen (speziell aus
der Lunge) hergestellten Lösungen sind mindestens ebenso wirksam
wie die eben genannten.
Popielski hat gezeigt, dass die Extrakte aus normalen
Organen nach intravenöser Injektion bei Hunden Blutdruck¬
erniedrigung erzeugen. Er gab der in diesen Extrakten ent¬
haltenen wirksamen Substanz den Namen Vasodilatin. Der Körper,
der bei Hunden die Blutdruckerniedrigung bewirkt, und derjenige,
der nach meinen Befunden bei Meerschweinchen das Krankheits¬
bild des anaphylaktischen Shocks erzeugt, sind wahrscheinlich
identisch.
Durch die bei der Extraktion der Organe angewandte erhöhte
Temperatur (100°) wird die wirksame Substanz, die sich bei den
gewöhnlichen Organauszügen in komplexer Bindung befindet, ge¬
spalten. Hierfür spricht die Tatsache, dass die Giftigkeit der
Lösungen, die durch Extraktion der Organe bei gewöhnlicher
Temperatur gewonnen sind, selbst durch langdauernde Dialyse
nicht wesentlich herabgemindert wird, während das Gift der
zuletzt besprochenen Extrakte wenigstens bei Anwendung dünner
Membranen (am besten guter Condoms) fast völlig in das
Dialysat übergeht.
Ob die Hemmung der Blutgerinnung, die, besonders bei
Kaninchen und Hunden, ein typisches Symptom der Vergiftung
mit den bei niedriger Temperatur hergestellten Organextrakten ist,
nur der komplexen Verbindung als solcher, die durch Anwendung
der erhöhten Temperatur gespalten wird, zukommt oder ob es
sich um zwei verschiedene Substanzen, von denen nur die eine
bitzebeständig ist, handelt, ist noch ungewiss.
Die wirksame Substanz der zuletzt geschilderten Organ¬
extrakte ist jedenfalls eine giftige organische Basis. Die physio¬
logische Wirkung derselben gleicht in jedem einzelnen Punkte
derjenigen des /l-Imidazolyläthylamins (Histamin). Ich habe ge¬
funden, dass auch dieser Körper, in einem viertel bis halben
Teile der tödlichen Dosis Kaninchen intravenös eingespritzt,
genau dieselbe Anregung der Peristaltik hervorruft, wie der
beim Menschen therapeutisch angewandte Milzextrakt (Hormonal).
Es ist daher wahrscheinlich, dass auch der im Hormonal und
in den Extrakten anderer Organe wirksame Körper das /9-Imid-
azolylätbylamin oder eine ähnlich konstituierte organische Basis
ist, eine Frage, die nur durch chemische Untersuchungen, mit
denen ich im Verein mit Dr. Sommerfeld beschäftigt bin, gelöst
werden kann. Wir haben schon jetzt aus Organextrakten Lösungen
erhalten, die in geringer Menge den oben geschilderten akuten
Tod der Meerschweinchen und die Anregung der Darmperistaltik
bei Kaninchen erzeugen, ohne dass sie eine Biuretreaktion
geben, Lösungen, die also frei von Albumosen, Pepton, Poly¬
peptiden und ähnlichen Körpern sind.
Die in den wässrigen Organauszügen enthaltenen Gifte spielen
sicher auch eine Rolle in der Pathologie des Menschen. Gewiss
beruhen auf ihnen jene schweren Störungen, die wir nach dem
Zugrnndegehen von Teilen innerer Organe oder von Muskeln ein-
trcten sehen, sei es nun, dass dieses auf traumatischem oder
anderem Wege zustande kommt, wie z. B. bei der Behandlung
der leukämischen Milz mit Röntgenstrahlen, die ja, wenn sie
rapide vorgenommen wird, sogar zu Todesfällen Veranlassung
gegeben hat.
Ueber die biochemische Differentialdiagnose bei
Toxipeptiden- und Methylalkoholvergiftungen.
Von
Dr. Mario Segäle,
Privatdozent der ailgemeinen Pathologie an der Universität Genua.
In der Praxis bestehen bekanntlich bei der Unterscheidung
akuter Metbylalkobolvergiftungen von Intoxikationen in der Art
der Toxipeptiden (Pepton, verdorbenes Fleisch, Botalismus, per¬
akute Cholera) grosse Schwierigkeiten sowohl wegen der ähnlichen
Symptomatologie als auch wegen der manchmal vorhandenen
Unmöglichkeit, die Aetiologie aufzndecken, falls die bakeriologi-
schen Proben misslingen. Deshalb habe ich als Fortsetzung
einiger meiner früheren Arbeiten, die auf Grund physikochemischer
Befunde des Serums das Peptonintoxikationsbild zu erklären an¬
streben, untersucht, ob diese Methoden, bei welchen man mit
kleinsten Mengen arbeiten kann, zur Erklärung obiger Frage
heraugezogen werden können. Ich erinnere beiläufig, dass das
pharmakodynamische Studium der Aetbyl- und Methylalkohole
aus den Arbeiten Sabbataoi’s hervorgiug, welcher in scharf¬
sinniger Weise das bedeutende Missverhältnis zwischen dem
chemischen Verhalten der Aetbylalkoholmolekülen und der von
ihnen erzeugten schweren pharmakologischen Wirkungen feststellte.
Er vermutete und bewies, dass die pharmakologische und toxische
Wirkung des Alkohols nicht wesentlich von chemischen Eigen¬
schaften, seinen Molekülen oderOxydationsprodukten abhängen könne,
sondern davon, dass sich infolge des Vorhandenseins dieser Sub¬
stanzen im Serum ganz neue physikochemische pathogenetische
Momente auslösen, nämlich starke Erhöhung der molekularen Kon¬
zentration, bedeutende Verringerung der elektrischen Leitfähigkeit 1 )
und dadurch Schwankungen des physikochemischen Zustandes
der Kolloide and der Beschaffenheit des Protoplasmas wegen der
veränderten Verhältnisse der Löslichkeit in hydroalkoholischer
Flüssigkeit anstatt in normaler wässeriger Flüssigkeit des Blutes.
Ich verabreichte' bei meinen Versuchen Hunden per os eine
gewisse, dem Tiergewichte entsprechende Quantität reinen, in
zwei Teilen Wasser verdünnten Methylalkohol.
Die Tiere wiesen grösstenteils sehr schwere Erscheinungen
akuter Intoxikation auf und starben meistens in weniger als
12 Stunden. Einige wiesen zwar bei den gleichen oder ver¬
hältnismässig höheren Dosen nur vorübergehende Erscheinungen
nach der ersten Verfütterung auf, zeigten sich aber grösstenteils
für eine zweite sehr empfindlich. Manches Tier war wiederaro
ausserordentlich widerstandsfähig. Es bestehen eben individuelle,
in der Literatur wohlbekannte Verschiedenheiten, bei denen ich
nicht verweilen will (Tabelle 1).
Ans den Werten der Tabelle 1, welche einige typische Ver¬
suche zusammenfasst, erhellt die gewaltige und rasche Erhöhung
des osmotischen Druckes nach Verabreichung von Methylalkohol;
es ergeben sich auch Veränderungen der elektrischen Leitfähigkeit,
welche, wenn sie beständig sind und Wert für den Einzelfall be¬
sitzen, doch nicht solche Tragweite haben, um als absolut be¬
weisend augesprochen werden zu können, wenn der Anfangswert
unbekannt ist, wie das praktisch beim Menschen vorkommt 2 ).
Im refraktometrischen Index kommen auch noch klare und
bestimmte Schwankungen vor hinsichtlich der Verdünnung des
Serums 8 ) und Veränderungen, die in der Wasserstoffionen¬
konzentration (17 H) kaum wahrnehmbar sind.
1) Die Versuche von Sabbataui, Buglia und Simon (Arch. fisiol.,
Vol. 5 und 7, Lincei Vol. 1907) beweisen Erhöhung des J bis zu — 1,12
und — 2,35, sowie bemerkenswerte Veränderungen der elektrischen Leit¬
fähigkeit (Aetbylalkohol von = 141 bis X™-» = 134).
2) Ueber die Sohwankungsgrenzen der normalen Werte und über
die Vorsicht, die ich vor der Annahme von Schwankungen in Fällen für
geboten erachte, in denen die stets individuellen Anfangswerte un¬
bekannt sind, verweiseich auf: M. Segäle, Bull, accad. med. Genova, 1906.
3) Die Veränderungen des refraktometrischen Index abhängig zu
machen von der ausschliesslichen Schwankung des Eiweisses halte ich
nicht für passend; meine Untersuchungen über die Reaktionsgeschwindig¬
keit der autolytischen Prozesse haben dies genau festgestellt. (Siehe
Congr. soc. ital. progresso della scienze, Firenze, und Cougr. Ass. fran<?.
p. l’Avanc. des Sciences, Lille 1911.)
4*
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UMIVERSITY OF IOWA
250
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 0.
Tabelle 1.
Vergiftungen auf gastrischem Wege mit Methylalkohol.
J
n o 37°
7/H
Xi"-4
37°
I.
Gesund.
-0,62
1,34454
0,140
148,7
Nach 20 Minuten . .
— 0,95
1,34354
0,162
141,6
Tot.
— 1,10
1,34291
0,158
146,4
II.
Gesund.
— 0,62
1,34506
0,180
—
Nach 45 Minuten . .
— 1,02
1,34364
—
—
Nach 48 Stunden . .
— 0,80
1,34349
0,175
—
Wiedervergiftung:
Nach 1 Stunde . . .
— 1,14
| 1,34233
0,172
Tot.
— 1,33
1,34241 j
0,170
III.
Gesund.
— 0,60
1,34415
0,168
156
Tot.
— 0,98
1,34366
0,161
144
IV.
Gesund.
— 0,57
1,34390 ’
—
—
Tot.
- 2,07
1,3422
— !
—
V.
Gesund.
— 0,58
1,34431
_
145
Tot.
- 0,98
1,34349 !
—
136
VI.
Gesund.
-0,56
1,34502
0,175
—
Nach 1 Stunde . . .
— 1,16
1,34412 :
—
—
Tot.
— 1,04
1,34420 |
0,167 |
—
Hinsichtlich der Prüfungstechnik weicht diese im wesentlichen nicht
von der von Ostwald-Luther empfohlenen ab; die refraktometrischen
Bestimmungen wurden mit einem Refraktometer Pulfrich-Zeiss, grosses
Modell bei 37 0 ausgeführt, die Bestimmungen der Wasserstoffionenkonzen¬
tration mit dem von C. Foä vorgeschlagenen Apparat zur Bestimmung
der Gasketten, den ich besonders vorziehe. Als Wasserstoffionenkonzen¬
trationswert beschränke ich mich, das mit der Kompensationsmethode
gemessene Kontaktpotenzial anzugeben; von ihm kann der absolute Wert
leicht berechnet werden, der indes praktisch nur relative Wichtigkeit
besitzt, da es sich um Vergleichungswerte handelt. Der Wasserstoff ist
mittels eines besonderen von Grandis erdachten Apparates elektro¬
lytisch vollständig rein hergestellt worden. — Weitere technische Einzel¬
heiten finden sich in: Segäle, Tecnica di esame ecc. Accad. raed. di
Genova, Bd. 21, H. 2, und Pathologica, 1912, Nr. 76, S. 12.
Beim Vergleiche dieser Bestimmungen mit jener experimentell
beim Hunde darch Intoxikation mit Toxipeptiden (Peptone,
Anaphylaxie) erhaltenen and mit der Kurve der beim Menschen
während einer schweren, rein toxipeptischen Vergiftung, wie die
Cholera, beobachteten Schwankungen, finden wir wichtige und
wesentliche Unterschiede 1 ). (Tabelle 2.)
In der Tabelle Nr. 2 sind nur die Ausgangswerte verzeichnet;
die Zwiscbenwerte interessieren hinsichtlich des Refraktionsindex,
der in umgekehrtem Sinne in den ersten Perioden schwankt.
Dieser Punkt wurde übrigens von mir schon an anderer Stelle
ausgeführt (Pathologica, Nr. 76).
Bei Zusammenfassung der beobachteten Tatsachen kann man
sagen, dass bei akuter Vergiftung mit Toxipeptiden der
osmotische Druck, die Konzentration der Ionen 2 3 * ) und der Re¬
fraktionsindex zunehmen, die elektrische Leitfähigkeit sich wenig
verändert, und dass bei akuter Vergiftung mit Methylalkohol
der osmotische Druck äusserst hohe Werte erreicht, die Kon¬
zentration der Ionen sich nicht verändert, der Refraktionsindex
sich verringert, die elektrische Leitfähigkeit sich wenig verändert.
Diese Momente geben einer Reihe von Schlüssen und Be¬
stimmungen Raum über die Gründe des verschiedenen Verhaltens
des Serums in den beiden Gruppen von Fällen. Bezüglich der
Toxipeptide glaube ich, dass eine explosive Spaltung der Eiweiss-
Moleküle anzunehmen sei, wie es vernünftigerweise durch die
Unterscheidung der gefundenen physikochemischen Werte und
einiger unmittelbarer Bestimmungen der Aminsäuren im Serum
und der Stickstoffausscbeidung im Harn 8 ) zugegeben werden kann.
1) Da es sich um schon veröffentlichte Werte handelt (M. Segäle,
Pathologica, Nr. 62, 64, 67, 76), beschränke ich mich, einige typische
Fälle anzuführen. Bezüglich der Cholera hatte ich besonders Gelegenheit,
von diesem Gesichtspunkte aus 60 Fälle bei Erwachsenen und Föten
zu studieren (siehe Pathologica, 1912, Nr. 77, und 1913, Nr. 105).
2) Die Wasserstoffionenkonzentration nimmt zu, d. h. die Reaktion
neigt zur Säure, folglich verringert sich der Wert der 77 H (Kontaktpotential
zwischen dem mit Wasserstoff gesättigten palladierten Goldstift und der
Flüssigkeit).
3) Atti del J. Congr. della Soc. Ital. chimica biolologica, 1911, und
Pathologica, Nr. 76.
Tabelle 2.
J
| ni 37®
77 H
X10-4
37*
Hunde.
I
I. Anaphylaxie vor d. endo-
1
i
venösen Einspritzung .
-0,61
1,34447
—
—
Tot . .
— 0,80
1,34806
! —
—
II. Anaphylaxie vor d. endo-
1
venösen Einspritzung .
— 0,60
1,34349
—
147
Tot . .
- 0,67
j 1,34546
—
142
III. Anaphylaxie vor d. endo-
I
venösen Einspritzung .
- 0,64
! 1.34597
0,158
—
Tot . .
- 0,72
: 1,34764
0,092
—
IV. PeptonWittevord.endo-
i
venösen Einspritzung .
— 0,61
! 1,34555
0,183
156
Tot . .
— 0,68
! 1,34848
0,137
145
Menschen-Cholera.
Normale Grenzwerte . . .
f —0,56
l —0.60
/ 1,35103
\ 1,34939
j 0,140
\ 0,170
o o
(M
Fall Scotto: gefährlich . .
- 0,75
1,35610
0,064
114
rekonvaleszent
— 0,54
1,34597
0,164 1
131
„ Papis: gestorben . . .
— 0,78
1,35490
0,076 i
120
„ Pasqui: sehr schwer
— 0,73
1,35970
0,078
117
„ Bavari Blitzcholera 1 ) .
— 0,79
1,35188
0,034 |
142
Betreffs des Methylalkohols steheu wir vor einer ganz ver¬
schiedenen Ideenreihe und ohne näher in die Materie einzugehen,
scheint es mir, dass die unter gleichen Versucbsbedingungen an-
gestellten, den meinen analogen Untersuchungen von Grignolo 2 )
grossen Wert besitzen. Aus ihnen erhellt, dass sich die wirksame
Substanz bei den Toxipeptidvergiftungen nicht bis zum Auge
verbreitet, dagegen jene wirksame Substanz bei den Intoxikationen
durch Methylalkohol äusserst diffusibel ist 2 ).
Bis jetzt konnte ich noch nicht auf hinreichend breiter Basis
die spontanen Vergiftungen beim Menschen studieren; ich ver¬
danke jedoch meinem Kollegen, Prof. Tomellini, eine Blut¬
probe einer Person, welche nach der Krankheitsgeschicbte und
den gesammelten Daten an ganz akuter Methylalkoholvergiftung
verstorben war. Ich konnte in diesem Falle die refraktometrische
Prüfung nicht machen, da das Serum sehr hämolytisch war; die
Vorgefundenen Werte waren d —0,98, 77 H 0,141.
Aus diesen Tatsachen (der starken Schwankung des d und
der unveränderten Wasserstoffionenkonzentration) zog ich die später
bestätigte Vermutung, dass nicht eine Vergiftung toxipeptischer
Art die Todesursache gewesen war.
Diesen Werten und Bestimmungen muss Rechnung getragen
werden, im Falle sich der zu untersuchende Organismus bei der
Obduktion gesund erweist, nämlich keine solchen anatomischen
Läsionen zeigt, welche auf Veränderungen der physikochemischen
Konstante des Organismus zurückgeführt werden müssten; endlich
noch in den Fällen, bei denen der Einfluss von Verwesnngs-
erscheinungen ausgeschlossen werden kann.
Gelenktuberkulose.
Vod
Dr. Leonard W. Ely-Denver (Colorado).
In den meisten Lehrbüchern und Zeitschriften wird zu viel
Nachdruck auf die klinische Beobachtung im Vergleich zu den.
pathologisch anatomischen Verhältnissen gelegt. So gehen die An¬
schauungen verschiedener Autoren mit den meinigen weit auseinander,
nicht bloss im Bereiche der Pathologie, sondern auch was die Dia¬
gnose, Aetiologie, Prognose und Therapie anbelangt. Ich begann etwa
vor vier Jahren meine eingehenden Arbeiten auf diesem Gebiete,
die mir so manche Aufklärung und Belehrung brachten, und die
ich in vorliegendem Artikel veröffentlichen will.
Meine Methode war folgende: Ich sammelte etwa 100 Fälle
von tuberkulösen und tuberkulös verdächtigen Gelenken.
1) Typischer Fall eines gesunden Cholerabacillenträgers; in einer
halben Stunde mit heftigem funktionellen Emphysem gestorben.
2) Klin. Monatsbl. f. Augenbeilk., 1913.
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Einen Teil bildeten die von mir selbst operierten Fälle, den
anderen lieferten mir Kollegen. Soweit möglich erhielt ich die
Krankengeschichten und beobachtete auch den Heilungsverlauf,
nachdem die Patienten das Spital verlassen hatten. Es liegt auf
der Hand, dass ich bei Untersuchung dieser Objekte kein Vor¬
urteil in bezug auf eine der angewandten Behandlungsmethoden
fasste; gingen ja die Ansichten der verschiedenen Operateure
über Pathologie und Therapie vielfach weit auseinander. Die
Objekte wurden mir zur Untersuchung in die Laboratorien der
Universität von Columbia, später von Denver gesandt, wo genaue
makroskopische und mikroskopische Untersuchung ausgeführt
wurde (etwa 400 Schnitte in Hämatoxylineosinfärbung). Kurze
Zeit schon nach Beginn dieser meiner Arbeiten verwarf ich eine
ganze Reihe von Ansichten, die ich in Jahren an Kliniken ge¬
sammelt hatte, und kam zur Ueberzeugung, dass viele Irrtümer
zu korrigieren wären. Erstens ist es falsch anzunehmen, dass
man von blosser klinischer Beobachtung zu positiven Schlüssen
kommen kann in bezug auf Aetiologie, Symptomatologie, Patho¬
logie und Diagnose der Gelenktuberkulose. Zweitens ist es falsch,
eine korrekte Pathologie nur auf makroskopischer Untersuchung
der Objekte zu begründen.
Nach dieser kurzen Einleitung will ich nun zur eigentlichen
Besprechung meines Themas übergehen.
Definition. Gelenktuberkulose ist eine Reihe von Erschei¬
nungen in den Gelenken, die durch Tuberkelbacillen und deren
Toxine hervorgerufen werden.
Aetiologie. Der positive Krankheitserreger ist. zweifellos
der Tuberkelbacillus, der auf dem Wege der Blutbahn die Gelenke
infiziert. Ob der Bacillus frei in den flüssigen Bestandteilen des
Blutes schwimmt, oder ob er in den weissen Blutzellen transportiert
wird, ist ungewiss, keinesfalls aber ist anzunehmen, dass die In¬
fektion im Sinne einer Embolie, der Verstopfung einer Endarterie
mit einem tuberkulösen Pfropfen, erfolgt.
Pathologie. Der primäre tuberkulöse Herd ist entweder im
Mark der Knochenenden oder in der Synovia zu suchen. Im Kindes¬
alter ist der Lieblingssitz der Knochen, später in ziemlich gleicher
Frequenz Knochen und Synovia, in seltenen Fällen allerdings auch
die innere Lage des Periosts. Solange keine sekundäre Infektion
hinzutritt, wird kein anderes das Gelenk bildende Gewebe er¬
griffen. Knochen, Ligamente und Knorpel spielen eine nur passive
Rolle im Verlaufe der Krankheit. Allerdings greift die Erkran¬
kung bald von dem eigentlichen Herde auf das Nachbargewebe
über, namentlich wenn der Herd im Knochenmarke liegt.
Der Knochen. Bei primärer Tuberkulose des Knochen¬
markes zeigen die Knochentrabekel deutlich die Zeichen der pro¬
duktiven oder rarefizierenden Osteitis. Wuchern Granulationen in
grossen Massen, dann wird die Ernährung der Trabekel gehemmt,
und sie zerfallen in kleinere oder grössere Stücke, aber von einer
Tuberkulose des Knochens selbst kann nicht die Rede sein.
(Figur 1—8.)
Figur 1.
a = 2 Tuberkelknötchcn im Knochenmark.
257
Figur 2.
Tuberkulose der Mctaearpophalangea.
Figur 3.
Nekrotische Wandung eines Knochenabscesses.
Der Knorpel. Im Gegensatz zu König fand ich, dass
der Knorpel niemals von Exsudaten in den Gelenken infiziert
wurde. Nie kann der Knorpel vom Gelenk aus erkranken.
Die von einzelnen Autoren erwähnten Fibrinauflagerungen auf der
Knorpeloberfläche beruhten meist nur auf Täuschung. Ich konnte
sie nie finden. Die Ruhigstellung des Gelenks bedingt eine
Faserung des Knorpels, und diese Faserung wurde dann fälschlich
als Fibrinauflagerung gedeutet. Auch der erkrankten Synovia
schreibt man bei Gelenkstörungen zu, sie überwuchere den Knorpel
im Sinne eines Pannus und verzehre ihn. Die tuberkulöse Synovia
tut dies aber meiner Ansicht nach in keinem Falle, ln einem
immobilsierten Gelenke substituiert die Synovia die Knorpelränder
gerade im Sinne eines Pannus. Ist die Beweglichkeit wieder her-
gestellt, so dehnt der Knorpel wieder seine Ränder aus und drängt
die Synovia wieder zurück. Die Synoviafalten verdecken oft den
Knorpel, ohne aber die Struktur desselben zu verändern oder mit
dem Knorpel zu verkleben. Selbst wenn jahrelang ein tuber¬
kulöses Exsudat im Gelenk vorhanden ist, findet man doch die
Gelenksknorpel glatt und glänzend, vorausgesetzt, dass die Be¬
wegungsfreiheit des Gelenks erhalten blieb. Die einzige wirkliche
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Tuberkulöse Synovialis. Die Entzündung sistiert bei_dein Bindegewebs-
lager der Kapsel.
Figur 7
Knochentuberkulose. Auffaserung und Degeneration des Knorpelgewebes.
Aufzehren des Knorpels durch die vorwuchernden Granulationen.
Figur 5.
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Original fro-m
UNIVERS1TY OF IOWA
Schädigung des Knorpels erfolgt nur durch Ernährungsstörung,
bedingt durch Granulationsbildung im darunterliegenden Knochen¬
mark, was man mikroskopisch an der Knorpelgrenze beobachten
kann. (Figur 4.) Diese tuberkulösen Granulationen heben den
Knorpel manchmal wie ein Blatt oder eine Flocke ab, bisweilen
durchbrechen sie ihn auch und bedingen eine Usur. (Figur 5.)
Figur 4.
Tuberkulöse Synovialis.
Figur G.
Tuberkulose des Knochenmarks. Degeneration und Abhebung des ge¬
samten Knorpels.
Die Synovia erscheint verdickt, gewuchert und gefaltet,
meistens mit Zotten bedeckt. Die Tuberkel findet man im Gewebe,
einzelne schon im Zerfalle. Bisweilen lässt sich mit grosser
Sicherheit das Fortschreiten der Erkrankung aus der Masse
des fibrösen Gewebes in der Synovia demonstrieren. Langsam
schleichende Fälle sind charakterisiert durch die Bildung reich¬
lichen Bindegewebes und die Tendenz der Tuberkel, sich einzu
kapseln; rasch verlaufende Fälle durch die Neigung zu Abscess-
bildung, die Einkapselungen beobachtet man selten. (Figur G u. 7.)
Oft sieht man in einem Teile des erkrankten Gelenks die
Krankheit im Fortschreiten, in einem anderen im Aus¬
heilen begriffen. Daraus ergibt sich, dass es keinen Zweck hat,
im Verlaufe der Krankheit verschiedene Stadien zu unterscheiden
und dieselben mit verschiedenen Namen zu belegen, wie „Gelenk¬
fungus“, „Caries sicca“ usw. Ebenso findet man an einzelnen
Objekten, ich selbst beobachtete es mehrere Male, dass eine
Region des Gelenks tuberkulös erkrankt ist, während eine andere
vollständig intakt ist. Die verschiedentlich gebrauchten Namen
sind nur Ueberreste aus Zeiten, da die genaue Kenntnis der Krank¬
heit noch beschränkt war. In der Tat sind alle nur Formen der
Tuberkulose. Die vielen verschiedenen Namen erzeugen nur
Konfusion.
Die Ligamente sind bisweilen verdünnt, bisweilen ver¬
dickt. Bildet sich im Gelenk ein kalter Abscess, so bahnt sich
derselbe seinen Weg durch das Ligament nach aussen. Geht
die Erkrankung vom Knochenmark auf die Synovia über, so er¬
folgt dieser Durchbruch entweder an der Anheftungsstelle der
Synovia am Rande des Knorpels oder häufiger durch die Usur
im Knorpel, entstanden durch die durchwuchernden tuberkulösen
Granulationen.
Reiskörperchen. In einem der von mir beobachteten Fälle
fand ich die Reiskörperchen in grösserer Anzahl eingeschlossen
in eine Kapsel, wie die Samen in einem Granatapfel. Die Reis-
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCIIRIFT.
259
10. Februar 1913.
körperchen finden sich besonders in verhältnismässig gutartigen
Formen der Erkrankung, bei denen Tendenz zur Heilung besteht.
(Figur 8.)
Tuberkulöse Sinuse. Die allgemeine Ansicht ist, dass
in den Wandungen tuberkulöser Sinuse sich Tuberkeln finden.
Dies trifft zwar zu, doch ist das Antreffen von Tuberkeln immer
nur Folge einer sekundären Infektion, eine Tatsache, die von
grösster Wichtigkeit ist in bezug auf die Therapie.
Figur 8.
Reiskörperchen in gemeinsamer Kapsel. (Schwache Vergrösserung.)
(40 mm-Objektive.)
Kran k hei tsver lauf. Der ganze Krankheitsprozess in Ge¬
lenken zeigt deutlich die Absicht der Natur zu heilen, und zwar
auf dem Wege der Biudegewebsneubildung. Bei Kindern kommt es
auch wirklich oft zur vollständigen Wiederherstellung mit nur
geringer Bewegungseinscbränkung. Knöcherne Ankylose entsteht
in wenigen Fällen, und da nur infolge sekundärer Infektion. Bei
Erwachsenen kommt es wohl selten zu spontaner Heilung, auch
ist wenig von konservativer Therapie zu erwarten. Knöcherne
Ankylosen sieht man nur nach Resektionen.
Grunde für das Auftreten der Gelenktuberkulose.
Bis vor kurzem kannte man keinen stichhaltigen Grund, warum
die Erkrankung nur in den Enden der Röhrenknochen und nicht
auch in den Schäften bei Erwachsenen auftritt. Einige dieser
Theorien will ich hier erörtern.
1. Aktive Blutcirculation in der unmittelbaren Nachbarschaft
der Epiphysen. Nun kann aber aktive Circulation nie Grund für
Tuberkulose sein, im Gegenteil gerade die Körperpartien mit
aktiver Circulation sind am meisten widerstandsfähig gegen die
Erkrankung.
2. Kongestionen im Anschluss an Verletzungen. Traumen
bilden auch keinen Grund für das Auftreten der Tuberkulose,
und Kongestionen werden als Therapeuticum gegen Tuberkulose
angewandt. Das Knochenmark wiederum ist gegen Verletzungen
leichterer Natur wohl geschützt.
3. Mangel an Anastomosen in den Endgefässen der Epiphysen.
Dieser Grund mag berechtigt sein für Fälle, bei denen die Erkrankung
darch Embolie von tuberkulösem Material bedingt ist; allerdings
nur im Kindesalter, später entwickelt sich eine vollständige
Anastomose. Und selbst angenommen, dass mangelhafte Anastomose
eine gewisse Disposition bilden würde, so müsste man auch in
anderen Organen, wo sich Endarterien vorfinden, z. B. im Gehirn,
derartige primär tuberkulöse Herde entdecken, was aber nicht
der Fall ist. Aus demselben Grunde müsste man auch Herde
von akut infektiöser Osteomyelitis und anderer Krankheiten auf¬
finden in den Knochenenden.
4. Das gleiche gilt für schwammigen Zustand der Knochen¬
enden mit verlangsamter Blutcirculation. Nach dieser Theorie
müsste die akute infektiöse Osteomyelitis speziell in den Knochen¬
enden auftreten. Und wäre der Grad der Circulationsgeschwindig-
keit von Bedeutung, so müsste man erwarten, dass die Krank¬
heit schliesslich auch in dem Knochenschafte auftreten werde.
Dies kommt aber nur im Kindesalter vor, wo die Röhrenknochen
rotes Mark enthalten oder wo in jedem Alter eine sekundäre In¬
fektion stattfindet.
Die Ursache für das Auftreten der Krankheit in der Nachbar¬
schaft der Gelenke ist in*der geringen Widerstandsfähigkeit der
Synovia und des roten oder lymphoiden Knochenmarkes gegen
den Tuberkelbacillus zu suchen. Binde- und Fettgewebe, Knochen
und Knorpel sind immun, und nur eine sekundäre Infektion
kann diese Gewebe verletzen. Nur Knochen, welche lymphoides
Mark führen, werden von der Tuberkulose ergriffen. Die Knochen¬
schäfte enthalten gelbes Fettmark und sind deshalb immun. Des¬
halb findet man die Krankheit in den Knochenenden und in den
kurzen und flachen Knochen, im Brustbein, den Wirbeln, Rippen,
der Scbädeldiploe usw.
Die Untersuchung der resezierten Gelenke führte mich zu
dem Schlüsse, ganz gleichgültig, was der Operateur vorhatte, ob
er nun versucht hatte, jede Spur des erkrankten Gewebes zu ent¬
fernen oder weniger, oder ob er sich um die Masse des erkrankten
Gewebes gar nicht gekümmert hat, dass, wenn er nur das Gelenk
reseziert und eine primäre Ausheilung der Wunde erzielt hätte,
die Krankheit geheilt wurde. Die einzige Ausnahme bildete
die verminderte Lebenskraft einzelner Patienten, die Knochen¬
enden heilten nicht zusammen, die Gelenke vereiterten und eine
Amputation der Extremitäten war geboten. Ich fand ferner,
dass es manchmal unmöglich war, alles erkrankte Gewebe
zu entfernen. Es gibt eben noch keine Methode, die uns genaue
Aufschlüsse darüber gibt, wie weit tuberkulöse Granulationen
in das Mark hineinwuchern. Und trotzdem wäre es zur Ausheilung
gekommen, wäre nur das Gelenk operativ zerstört worden.
Das möge folgendes Beispiel illustrieren: Wenn ein Knie¬
gelenk reseziert wird, so entwickelt sich schliesslich eine Anky¬
lose. Die gesamte Struktur des beteiligten Knochens verändert
sich nach Mauclaire, Ollier und anderen Autoren in der Weise,
dass der spongiöse Knochen dicht wird, das lymphoide Mark sich in
gelbes Fettmark umwandelt und die Synovia bindegewebig degene¬
riert. (Figur 9.) Mit anderen Worten: Die einzigen Gewebe, die
Figur 9.
Knöcherne Ankylose als Effekt einer vor 2 Jahren vorgenommenen
Gelenkresektion. Beachte die Dichte des Knochens.
im Gelenk zur Tuberkulose inklinieren, verschwinden, und damit
verschwindet auch die Erkrankung. Die Krankheit endigt, nach¬
dem ihr die Lebensbedingungen abgeschnitten wurden. Wir haben
daher bei Gelenkresektion uns nur zwei Endziele zu stellen:
knöcherne Vereinigung und Vermeidung einer sekundären Infektion.
Im Kniegelenk erzielt man beides am leichtesten. Dasselbe
Prinzip hat man auch bei allen anderen Gelenken zu befolgen.
Beim Hüftgelenk erzielt man Ausheilung entweder durch eine
reine Ankylose oder durch Resektion eines genügend grossen An¬
teiles des Femurkopfes, um eine Dislokation herbeizuführen. Bei
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UNIVERSUM OF IOWA
260
Nr. 6.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Erkrankung der Carpus- und Tarsusknochen erhält man nur gute
Resultate, wenn man sehr bald operiert und wirklich auch jede
Spur erkrankten Gewebes entfernt; sonst wird eine Amputation
unvermeidlich.
jp:t Was nun die Wirbelsäule bei Etwachsenen angeht, so war
die Prognose in Fällen, wo tiefe Gewebszerstörung stattfand,
immer eine schlechte, da wir keine richtige Methode hatten, alles
tuberkulös erkrankte Gewebe zu entfernen und die erwünschte
Veränderung der Synovia und des lymphoiden Markes herbeizu¬
führen. Erst in letzter Zeit eröffnete die Methode der Knochen¬
transplantation bessere Aussichten auf die Ausheilung.
All das bisher Gesagte bezieht sich nur auf die Gelenk¬
operationen bei Erwachsenen. Bei Kindern erzielt man oft
glänzende Resultate mit konservativer Therapie. Wenn möglich,
vermeide man die Operationen. Diese sind geradezu kontra¬
indiziert, bedingen Verkrüppelungen und Wachstumsstörungen und
selten eine wirkliche Heilung, da ja auch in den Schäften der
Röhrenknochen noch lymphoides Mark sich findet. Die einzige
berechtigte Radikaloperation an dem Gelenke eines Kindes ist
Figur 10.
Alter, abgekapselter Tuberkelknoten im Bindegewebe eines resezierten
Sprunggelenkes.
Figur 11.
Alter, eingekapselter Tuberkulose-Herd im Knochen,^unter dem Knorpel,
a = Knorpelinseln. (Beaohte das dichte fibröse Gewebe und die Ver¬
dickung der Knochentrabekel!)
die Amputation, und diese nur, wenn es sich darum handelt, das
Leben des Kindes zu erhalten. So lange also nicht jede Hoffnung
geschwunden ist, ein Gelenk zu erhalten, oder der Patient er¬
wachsen ist, beschränke man sich auf die konservative Be¬
handlung.
Auf Grund eingehenden Studiums im Laboratorium und am
Krankenbette kam ich zu dem Schlüsse, dass die konservative
Therapie bei Erwachsenen nur in ganz leichten Synovialerkran¬
kungen am Platze ist. Nach meiner Ansicht waren die angeblich
tuberkulösen, durch konservative Therapie ausgeheilten Gelenke ent¬
weder überhaupt nicht tuberkulös, oder aber sie kamen in ein Ruhe¬
stadium, um später wieder aktiv zu werden. (Figur 10 u. 11.) Die
Statistik der resezierten, angeblich tuberkulösen Gelenke zeigt nach
genauer mikroskopischer Untersuchung, dass in ca. 35 pCt. der Fälle
überhaupt keine Tuberkulose vorlag. Diese Erkenntnis muss uns
aber sehr skeptisch machen in bezug auf die Möglichkeit einer positiv
sicheren klinischen Diagnose, namentlich in den sogenannten ab¬
geschlossenen Fällen. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der
Diagnose ist es daher ratsam, zunächst ca. 6 Monate konservativ
zu behandeln, in der Zwischenzeit alle zu Gebote stehenden dia¬
gnostischen Hilfsmittel, auch das Tierexperiment, anzuwenden,
um die Diagnose zu sichern. Sollte nach Ablauf dieser Zeit sich
keine deutliche Besserung einstellen, und wir halten noch an der
Diagnose Tuberkulose fest, dann möge man zur Radikaloperation
schreiten. Nur in Fällen der Tarsal- und Carpalgelenkerkrankung,
wo jedes Abwarten ein Risiko wäre, das Glied zu verlieren,
operiere man so bald als möglich.
Kurze Zusammenfassung.
Reine primäre Gelenktuberkulose tritt nur auf in der Synovia
und dem lymphoiden Mark.
Das Vorhandensein dieser zwei Gewebe steht in Wechsel¬
beziehung mit der Funktion des Gelenkes: hört diese auf, ver¬
schwinden beide Gewebe.
Mit dem Verschwinden dieser Gewebe erstirbt auch die Er¬
krankung. Daher ist die Hauptsache in der Therapie der Gelenk¬
tuberkulose, die Funktion des Gelenkes aufzuheben. Bei Kindern
genügt konservative Behandlung, bei Erwachsenen ist die Ge¬
lenksfunktion durch Radikaloperation vollständig aufzuheben.
Gesellt sich zur Tuberkulose eine sekundäre Infektion,
werden auch die sonst immunen Gewebe ergriffen, dann tritt an
die Stelle einer rein lokalen und verhältnismässig harmlosen Er¬
krankung eine sich ausbreitende und gefährliche.
Daher gilt als zweiter Grundsatz: Vermeide sekundäre Infektion.
Pathogenesis: Meine Ausführungen werden von jedem wohl
als richtig angesehen, der genügend klinische Erfahrung hat und
sich die Mühe nimmt, die resezierten tuberkulösen Gelenke
mikroskopisch zu untersuchen. Wenn wir un9 auch das Auf¬
treten der Erkrankung im lymphoiden Gewebe und das Sistieren
derselben nach Verschwinden dieses Gewebes erklären können, so
kommen wir doch endlich zu einem Manko. Es ist schwer zu
verstehen, gerade mit Rücksicht auf die vorherrschende Idee der
Beziehung der Lymphzelle zum Tuberkelbacillus, warum die Krank¬
heit verschwinden sollte nach Schwinden des Gewebes im Gelenke,
das geradezu die Bestimmung hat, sich gegen die Krankheit zu
wehren. Meine Ausicht ist so grundverschieden von allen bis¬
herigen Theorien, dass ich sie nur mit Vorbehalt jetzt veröffent¬
lichen will, bis ich sie vollständig wissenschaftlich begründen
kann. Sollte mir dies gelingen, so bin ich auch imstande, eine
ganze Reihe von Hindernissen, die sich noch derzeit dem Ver¬
ständnis über das Wesen der Gelenktuberkulose entgegenstellen, aus
dem Wege zu räumen. Ich vermute, dass die bestehende An¬
schauung über die Wechselbeziehung zwischen Lymphzelle und
Tuberkelbacillus unrichtig ist. Die Lymphzelle ist nicht der an¬
greifende Gegner, sondern das Opfer. Mit anderen Worten: Die
Lymphzelle steht im selben Verhältnis zum Tuberkelbacillus wie
die rote Blutzelle zum Plasmodium der Malaria. Das lymphoide
Gewebe bildet im ganzen Körper die Eingangspforte für die Er¬
krankung. Wäre die alte Theorie richtig, warum, so müsste
man fragen, tritt die Erkrankung gerade in demjenigen Gewebe
zuerst auf, dessen Zellen eigentlich die Bestimmung haben, die
Erkrankung abzuwehren? Und warum sollte die Krankheit nicht
auch auftreten (unvermischt) in Geweben, die keine solchen
Zellen führen?
Unter Zugiundelegung dieser meiner Hypothese lassen sich
die meisten Phänomene der Gelenktuberkulose erklären.
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UMIVERSITY OF (OWA
10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
201
Ueber die Ursachen des Geburtenrückganges
in Deutschland.
Von
Kreisarzt Trangott Pilf-Wiesbaden.
(Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte Wiesbadens am 16. Oktober 1912.)
M. H., der Minister des Innern in Preussen hat in einem
Erlass vom 1. April 1912 den Wunsch ausgesprochen, über die
Ursachen des Geburtenrückganges unterrichtet zu sein; er hat die
Behörden beauftragt, die nötigen Feststellungen vorzunebmen und
sich zu diesem Zwecke mit verschiedenen Schichten der Bevölke¬
rung in Verbindung zu setzen, besonders auch mit Aerzten, Geist¬
lichen, Lehrern, Standesbeamten, Anwälten usw.
Der Magistrat der Stadt Wiesbaden hat die Fragen des
Ministers unserem Verein der Aerzte zur Aeusserung vorgelegt,
und Sie, m. H., haben mir den ehrenvollen Auftrag erteilt, einen
zusammen fassenden Bericht zu erstatten. Ich will versuchen,
Ihrem Aufträge wenigstens einigermaassen gerecht zu werden;
ich weise jedoch schon jetzt darauf bin, dass ich keineswegs in
der Lage sein werde, Ihnen etwas Neues zu sagen; ich werde nur
das zusammen fassen können und das in Ihre Erinnerung zurück-
rufen, was Sie längst wissen. Der Hauptzweck unserer heutigen
Zusammenkunft soll ja der sein, dass Sie nachher selbst Ihre Er¬
fahrungen und Ansichten äussern.
Damit Sie, m. H., unterrichtet sind, lese ich Ihnen zu¬
erst die für uns in Betracht kommenden Fragen des Herrn
Ministers vor;
„Es wird festzustellen sein,
a) ob und in welchen Bevölkerungsschichten eine gewollte
Beschränkung der Kinderzahl schon früher üblich war oder
erst neuerdings hervorgetreten ist oder zugenommen hat,
b) ob sie auf soziale Ursachen und auf welche zurückzuführen
ist; insbesondere, ob sie im Interesse der Eltern (Abneigung
gegen allznviel Geburten, Bequemlichkeit und Luxus der
Lebenshaltung, Berufstätigkeit der verheirateten Frau) oder
im Interesse der heranwachsenden Generation (Vergrösserung
des Erbteils, Ermöglichung einer besseren Erziehung und
ähnliches) geübt wird;
c) ob etwa die Propaganda der Ideen des Neumalthusianismus
oder die Anpreisung von Anticonceptionsmitteln in der
Presse nach dieser Richtung gewirkt haben.
Besonderes Augenmerk ersuchen wir darauf zu richten,
ob der Rückgang der Geburten sich wesentlich in den
Schichten des sogenannten Mittelstandes oder auch in den
arbeitenden Klassen zeigt. u
Noch eine kurze persönliche Bemerkung: Wenn ich fast gar
keine Fremdwörter gebrauche, so bitte ich, trotzdem meine Aus-
drucksweise nicht für unwissenschaftlich zu halten; ich habe mich,
meiner Dienstanweisung für die Kreisärzte folgend, nach der die
Sprache frei von entbehrlichen Fremdwörtern sein soll (§ 116),
bereits so sehr an mein „geliebtes Deutsch“ gewöhnt, dass ich
kaum noch anders kann. Die in den soeben gelesenen Fragen
enthaltenen, sehr entbehrlichen Fremdwörter kommen nicht auf
meine Kappe.
Dass seit etwa 30 Jahren ein ganz erheblicher Rückgang
der Gebarten in allen Kulturstaaten vorliegt, ist unbestreitbar.
Der Reichsanzeiger gibt für Deutschland folgende Zahlen:
Auf 1000 Lebende kamen Geburten
1870-1880 .
. 40,7
1881—1890 .
. 38,2
1891-1900 .
. 37,4
1903
. 83,0
1909
. 31,9
1910
. 30,7
Ein Vergleich mit anderen Staaten während der letzten
30 Jahre ergibt folgendes:
Auf 1000 Einwohner kamen im Jahre 1909
Lebendgeboren
Geburtenrückgang in den
letzten 30 Jahren
Russland . . .
48,0
1
pCt.
Oesterreich . .
33,6
13
»i
Italien . . . .
32,4
13
n
Finnland . . .
31,3
13
n
Deutsche Reich
31,0
18
n
Niederlande . .
29,1
19
Dänemark . . .
28,3
12
Lebendgeboren
Geburtenrückgang in den
letzten 30 Jahren
Schweiz . . .
26,3
12
pCt.
Norwegen . . .
26,2
16
n
Schweden . . .
26,6
14
England . . .
25,6
25
»
Belgien ....
24,9
21
Frankreich . .
19,6
21
n
Dass diese Abnahme eine für unser Volk sehr bedenkliche
Erscheinung ist, kann kaum bezweifelt werden; jedem, dem daran
gelegen ist, dass Deutschland im Wettbewerb der Völker, ohne
den es doch nun vorläufig noch nicht geht, vorwärts kommt,
muss diese Tatsache mit grosser Sorge erfüllen. Es würde noch
viel bedenklicher seiD, wenn nicht die Sterblichkeit in den letzten
30 Jahren um ein Drittel gesunken wäre. Das ist neben der
geringeren Kinderzahl in den französischen Familien mit ein
Grund, dass die Bevölkerungszahl Deutschlands die Frankreichs
so ausserordentlich überholt bat, denn während Frankreich 1840
noch 33,4 Millionen Einwohner und Deutschland nur 32,8 Millionen
hatte, waren die Zahlen 1844 schon gleich, nämlich 34,0 Millionen.
1910 betrug der Geburtenverlust schon 650 000.
1870 hatte Deutschland 46,8 Mill., Frankreich 36,8 Mill.
1890 „ „ 49,2 „ „ 38,8 „
1910 „ „ 64,6 „ „ 39,3 „
Es ist leider mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass das nicht
so günstig für uns bleiben wird; verschiedene Anzeichen deuten
darauf hin, dass Frankreich durch die vielen und zweckmässigen
Maassregeln sich bereits etwas zu erholen beginnt, während
Deutschland dazu bestimmt zu sein scheint, vielleicht noch tiefer
zu sinken, mit der dem Deutschen eigenen Gründlichkeit, mit der
er alles betreibt, auch das für ihn Verderbliche.
Auf wie eigenartige Weise Frankreich seine Bevölkerungs¬
zahl zu heben versucht, geht aus einer Mitteilung der Zeitschrift
für Säuglingsschutz, 1912, H. 10, hervor:
„Aus den Bergmannsdörfern Spiessen und Elversberg sind
sieben Bergarbeiter mit ihren Familien nach Frankreich ausge¬
wandert. Die Leute erhalten bei dreijähriger Verpflichtung freie
Reise; an Verdienst ist ihnen ein Schichtlohn von 10 bis 12 Frcs.
in Aussicht gestellt. Die abziehenden Bergleute haben sich alle
verpflichten müssen, sich in Frankreich zu naturalisieren. Für
die Kinder erhalten die Auswanderer eine jährliche Prämie von
100 M. Wie einer der französischen Agenten mitteilte, legen die
französischen Behörden Wert darauf, viele deutsche Arbeiter¬
familien mit möglichst grossem Kinderreichtum zu gewinnen.
Diesen werden daher auch wesentliche Vorteile gewährt, ln allen
Bergmannsdörfern der Saar und der Pfalz sollen die Agenten
eifrig tätig sein.“
Für den Geburtenrückgang in Grossstädten sind recht be¬
zeichnend die Zahlen, die Landsberg für Magdeburg festgestellt
hat. Auf 1000 Ehefrauen unter 45 Jahren entfielen eheliche
Geburten:
1890/1891 . . 272,3
1895/1896 . . 238,0
1900/1901 . . 205,9
1905/1906 . . 174,1
1910/1911 . . 144,1
Das ist ein ganz ungeheuerlicher Rückgang!
Ich gebe Ihnen jetzt einige Uebersichts- und Zahlentafeln
herum, aus denen Sie mancherlei ersehen werden. Beachten Sie
beispielsweise, dass in Frankreich 1911 auf 1000 Einwohner nur
18,9 Kinder geboren wurden. Ganz auffallend ist eine Tatsache,
auf die ich besonders hinweiscn möchte: Das ist der auffallende
Rückgang bei den Juden. Die Juden haben 1910 mit 17,6 Ge¬
burten auf 1000 Einwohner den niedrigsten Stand erreicht, und
wenn das so weitergeht, kann man sich der Annahme nicht ver-
schliessen, dass das jüdische Volk im Aussterben begriffen ist.
Die erste Frage, ob und in welchen Bevölkerungsschichten
eine gewollte Beschränkung der Kinderzahl schon früher üblich
war oder erst neuerdings hervorgetreten ist oder zugenommen
hat, ist gerade die, über die ich in erster Linie die Herren aus
der Praxis, aus dem tätigen ärztlichen Leben bitten möchte, sich
gründlich auszusprechen und ihre eigensten persönlichen Er¬
fahrungen nachher hier bekanntzugeben. Ich selbst kann nach
meinen theoretischen und praktischen Erfahrungen sagen, dass
die absichtliche Beschränkung der Kinderzahl früher besonders in
den sogenannten besseren Ständen — man sollte sie richtiger die
wohlhabenderen oder mehr begüterten nennen — um sich ge-
6
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
2G2
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
griffen hat; in diesen Ständen hat sie in der letzten Zeit merk¬
lich zugenommen, und ich glaube kaum fehlzugehen, wenn ich
behaupte, dass in diesen Bevölkerungsschichten Familien mit
mehr als drei Kindern recht selten sind. Vielleicht fangen wir
einmal im eigenen Hause an und betrachten den Kinderreichtum,
richtiger leider die Kinderarmut des Aerztestandes. Es wäre eine
sehr interessante Aufgabe, för grössere Landesteile festzustellen,
wieviele Kinder in den Aerztefamilien zu linden sind. Man wurde
zweifellos zu der sicheren Feststellung kommen, die man jetzt
nur vermutungsweise treffen kann, dass die Kinderzahl der Aerzte
verhältnismässig recht gering ist. Ich bin in den mehr als
20 Jahren meiner Tätigkeit in vielen Gegenden des Reiches in
zahlreiche Aerztefamilien hineingekommen und habe rundum
Nachfragen gestellt, da ich für diese Sache stets Teilnahme hegte;
selten habe ich mehr als zwei Kinder gefunden, oft eins oder
keins. Die Gründe dieser Tatsachen können nachher gemeinsam
im zweiten Abschnitt erörtert werden. Leider ist es mir bei der
verhältnismässigen Kürze der mir zur Verfügung stehenden Vor¬
bereitungszeit und bei meinem stetigen Ueberfluss an Zeitmangel
nicht möglich gewesen, festzustellen, ob sichere Angaben über die
Kinderzahl einzelner Stände und Berufeklassen vorhanden sind,
und ich wäre sehr dankbar, wenn nachher einige der Anwesenden
mit bestimmten Angaben aushelfen könnten. Meine eigenen,
allerdings nicht zahlenmässigen Beobachtungen haben ergeben,
dass beispielsweise bei der Geistlichkeit, die bisher als Hochburg
der Fruchtbarkeit galt, ein bemerkenswerter Rückgang zu sehen
ist, ebenso auch im Lehrerstande, und das arme Dorfschulmeister¬
lein, das trotzdem zehn bis zwölf Kinder hat, ist längst eine
Fabel. Nur über einen Beruf kann ich sichere Angaben machen.
1911 geriet mir ein Heft in die Hände von Dr. med. Eisen¬
stadt und Dr. phil. H. Guradze: Beitiäge zu den Krankheiten
der Postbeamten, mit Angaben über die Kinderarmut der mittleren
Postbeamten. Der Verband mittlerer Reichs-, Post- und Tele¬
graphenbeamten hatte durch Zählkarten einwandfrei festgestellt,
dass die durchschnittliche Kinderzahl der verheirateten mittleren
Postbeamten 1,62 bis 1,77 beträgt; das ist also eine sehr geringe
Zahl. Eine ähnliche Statistik war 1908 bereits hinsichtlich der
Kinderzahl der Postassistenten und Oberassistenten aufgestellt,
und auch hier kam man nur bis zu 1,77 Kinder auf ein Ehe¬
paar. Was die bäuerliche Bevölkerung und die Arbeiterbevölke¬
rung auf dem Lande anbetrifft, so hat mir mein jahrelanger
ärztlicher Verkehr deutlich gezeigt, dass eine gewollte Beschrän¬
kung der Kinderzabl schon vor etwa 20 Jahren auch da begonnen
und allmählich immer mehr zugenommen hat, und bei der
Arbeiterbevölkerung in den Städten, besonders in den Gross¬
städten, scheint das Zeitmaass noch viel geschwinder zu sein.
Hierüber möchte ich ganz besonders die Herren nachher um
Aeusserung bitten, wozu Sie durch täglichen Verkehr mit diesen
Schichten hervorragend befähigt sind. Dass es sich in den weit¬
aus meisten Fällen um eine gewollte Beschränkung der Kinder¬
zahl handelt, darüber sind wir uns wohl alle einig, und ich
brauche die Zeit darum nicht mit Erörterungen zu verlieren;
ausserdem steht diese Frage nicht zur Verhandlung. Jedenfalls
steht bei den verhältnismässig sehr günstigen allgemeinen Ge¬
sundheitsverhältnissen, bei der allgemeinen Aufklärung über ge¬
schlechtliche Zzstände, der weitverbreiteten Gelegenheit zu ärzt¬
licher Behandlung und zur Abhilfe der Unfruchtbarkeit, und be¬
sonders bei der hochgesteigerten ärztlichen Leistungsfähigkeit auf
diesem Gebiete die krankhafte, nicht absichtliche, die körper¬
liche Unfruchtbarkeit in keinem Verhältnis zu der absichtlichen,
die man hiernach auch die seelische, geistige, moralische Un¬
fruchtbarkeit nennen könnte. Auf eine eigenartige Tatsache
möchte ich hier noch aufmerksam machen, dass vielfach in
Kreisen mit vorwiegend katholischer Bevölkerung die Geistlich¬
keit als wichtiger Faktor bei der Zunahme der Geburten in Be¬
tracht kommt. Es ist mehrfach sicher festgestellt, dass die
Geistlichen durch ihre Predigten und Ermahnungen zu ehelicher
Fruchtbarkeit Erfolg haben; in Anrath, einer Bürgermeisterei im
Bezirk Düsseldorf, stieg die Geburtenziffer 1909 von 28,5 auf
33,0 pCt., nachdem 1908 die Missionare dort gepredigt hatten;
diese Betrachtungen sind auch an vielen anderen Orten gemacht
worden, ln evangelischen Kreisen findet man oft das Gegenteil.
Ganz auffallend nimmt, wie erwähnt, die Geburtenzahl bei den
Juden ab, und man prophezeit deshalb den Juden in Deutsch¬
land einen baldigen sicheren Untergang.
Die zweite Frage lautet, ob die gewollte Beschränkung der
Kinderzahl auf soziale Ursachen, und auf welche, zurückzu¬
führen ist; insbesondere, ob sie im Interesse der Eltern (Ab¬
neigung gegen allzuviel Geburten, Luxus der Lebenshaltung und
Bequemlicbheit, Berufstätigkeit der verheirateten Frau) oder ira
Interesse der heran wachsenden Generation (Vergrösserung des
Erbanteils, Ermöglichung einer besseren Erziehung und ähnliches)
geübt wird.
Man kann im allgemeinen diese Frage, die die Antworten
schon in sich birgt, mit ja beantworten, denn alle diese an¬
geführten Ursachen kommen mehr oder weniger, nur nach den
einzelnen Verhältnissen verschieden in Betracht.
Die sozialen Ursachen dürfen wir in keiner Weise unter¬
schätzen. Ich erinnere hier kurz an den Boden- und Mietwucher,
an die unmässige Steigerung der nötigen Lebensbedürfnisse. Nie¬
mand kann bestreiten, dass an die Lebensführung Ansprüche ge¬
stellt werden, denen viele nicht ohne die äussersten Anstrengungen
genügen können, so dass tatsächlich in vielen Fällen ein gewisser
Zwang vorliegt, die Kinderzabl zu beschränken, wenn nicht die
Eltern und die schon vorhandenen Kinder geradezu in einen Not¬
stand geraten sollen. Es gibt ja zum Glück noch viele über
dem Durchschnitt stehende Menschen, die sich den Einflüssen des
Zeitgeistes entziehen können, aber wir können das von der
grossen Masse nicht verlangen. Die grosse Menge lässt sich von
dem Strome treiben und von dem Zeitgeist beherrschen, und
dieser jetzige Geist der Zeit steht im Zeichen der äusseren, der
technischen Kultur, der Kultur der Oberfläche, und die echte
Kultur des Geistes, der Seele, des Gemütes steht in einem
bedauerlichen Missverhältnis dazu, denn sie entwickelt sich viel
langsamer und zeigt stellenweise sogar beschämende Rück¬
schritte.
Ein Vorwurf kann dem Staate nicht erspart werden. Der
Staat klagt über die abnehmende Kinderzahl seiner Bürger, aber
was tut er denn zur Abhilfe? Man hört viele Worte, Vorträge,
man erfährt von Versammlungen und erhält Drucksachen ge¬
schickt, aber die Taten fehlen. Warum verbessert der Staat
nicht die soziale Lage der Familien, die sich durch Kinder¬
reichtum auszeichnen? Warum werden z. B. die verheirateten
und die kinderreichen Beamten, denn die Beamten machen sicher
einen bedeutenden Teil des Staates aus, in den Einkünften nicht
besser gestellt als die unverheirateten, kinderlosen und kinder¬
armen? Liegt denn nicht ein gewisser Widersinn darin, dass der
Staat einem unverheirateten Beamten beispielsweise 4000 M. be¬
zahlt und von einem gleichalterigen, der 6 Kinder hat, verlangt,
dass er ebenfalls mit 4000 M. standesgemäss leben soll? Muss
da nicht in dem Sinne dieses kinderreichen Beamten eine ge-
wissermaassen berechtigte Missstimmung auftauchen, wenn er
sehen muss, wie sich sein kinderloser Amtsgenosse sein Leben
sorglos und behaglich einrichtet, während er selbst für seine
Kinder vielleicht sechsmal soviel Schulgeld bezahlt als jener
Steuern? Wir können eben leider bei diesen Leuten jene höheren
ethischen Anschauungen nicht voraussetzen, die eine grosse
Kinderzahl als etwas Erstrebenswertes erscheinen lassen. Be¬
achtenswert ist auch die Tatsache, dass der Geburtenrückgang
besonders vorliegt in äusserlich hoch kultivierten, dicht be¬
völkerten, industriellen Landesteilen, auch in solchen, die als
stark sozialdemokratisch und politisch freisinnig bekannt sind.
Wolf sagt: „Die Sozialdemokratie übt sich in der Abstinenz. 1 *
Es ist natürlich hier nicht meine Sache., die Maassregeln zu
erörtern, die der Staat zur Abhilfe oder wenigstens zur Besse¬
rung tun könnte; es ist zu hoffen, dass hier Berufenere am Werk
sind. Ich möchte nur erwähnen, dass ich schon vor 6 Jahren
in einer allerdings wenig gelesenen, halb volkstümlich, halb
ärztlich wissenschaftlichen Zeitschrift empfohlen habe, die Jung¬
gesellen, die kinderlosen und die kinderarmen Ehen kräftig zu
besteuern, ebenso vielleicht auch die nicht zum Soldatendienst
tauglichen Männer. In Frankreich teilweise schon jetzt zur Aus¬
führung gelangt, sind diese Maassregeln auch für uns beachtens¬
wert. Der bereits bestehende Steuernachlass, den der Staat für
eine gewisse Kinderanzahl gewährt, ist so lächerlich gering, dass
er nachgewiesenermaassen auf die Geburtenzahl ohne jeden Er¬
folg geblieben ist. Mit solchen Spielereien erreicht man nichts.
Man sollte sein Augenmerk auch auf die Bestrebungen auf dem
Gebiete der Boden- und Wohnungsfürsorge richten und hier den
kinderreichen Familien wirklich merkliche Erleichterungen
schaffen. Ich hoffe, Sie nicht zu sehr zu langweilen, wenn ich
hier ganz kurz meine eigenen, überaus bezeichnenden Erfahrungen
in der Stadt Wiesbaden andeute. Ich musste vom Frühling 1908
bis Frühling 1910 zweimal wegen meiner 6, echt kindlichen,
natürlich lebhaften, gesunden Kinder umziehen, was mit grossen
Kosten und Nachteilen verbunden war. Die Hausbesitzer setzten
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2G3
uns einfach an die Luft, und der eine zwang mich sogar zu
einem erheblichen sogenannten „Schadenersatz“. Danach wurden
wir von zahllosen Hausbesitzern abgewiesen. „Was, 6 Kinder
haben Sie? Ja, wenn es 2 waren!“ Ich war gezwungen, ein
Landhaus vor der Stadt zu mieten, weil es unmöglich war, in
der Stadt selbst eine passende Wohnung zu finden. Ein wunder¬
sames, recht bezeichnendes Ereignis soll hier noch angeführt
werden: Eine Landesversicherungsanstalt verweigerte die Her¬
gabe einer Hypothek auf ein Haus, in dem Familien wohnten,
die zusammen ungefähr 20 Kinder hatten, und zwar so lange:
„bis die Zahl der Kinder auf ein erträgliches Maass herab¬
gesetzt worden sei“. Ich enthalte mich hierzu jeder Be¬
merkung.
Diese Wohnungsnot ist neben der allgemeinen Teuerung
ganz gewiss ein sehr wichtiger Grund in der Beschränkung der
Kinderzahl.
Ausser diesen sozialen Ursachen, die zum grössten Teil be¬
gründet sind, verdienen aber auch ebenso viel Beachtung die
übrigen bereits in der zweiten Frage erwähnten, und diese sind
zum grössten Teil nicht begründet, wenigstens nicht vom all¬
gemein menschlichen, vom vaterländischen, vom sittlichen Stand¬
punkte aus. Die Eltern wollen in ihrem eigenen Interesse keine
Kinder mehr; manche junge, gesunde Frau, die, natürlich im
Dämmerschlafe, weil sie zu feige war, die natürlichen Schmerzen
auszuhalten, ihr erstes Kind geboren bat, sagt im Einverständnis
mit ihrem ebenso weichlichen Gatten: „Ich will kein Kind
mehr.“ Diese seelische Schlaffheit, diese Unmoralität und Weich¬
lichkeit, diese Bequemlichkeit, diese Kraftlosigkeit, irgendwelche
Entbehrungen auf sich zu nehmen, diese Unfähigkeit, in die
eigene Zukunft und in die des ganzen Volkes zu sehen, sie alle sind
Stützen der gewollten Kinderlosigkeit. Es gilt für unanständig
und dumm, viele Kinder zu haben. Es ist die Selbstsucht des
Einzelnen, die ihn Volk und Vaterland vergessen lässt, dieses
„punktförmige Dasein des Einzelnen, der nur auf sein eigenes
bisschen zwischen Geburt und Tod eingeschlossenes Leben sieht“,
wie Siebert in München sich ausdrückt, die vollkommene Kraft¬
losigkeit, die die Kinder ungeboren lässt und ihnen das Leben
nicht gönnt; diese Selbstsucht und Kraftlosigkeit ist es, die sich
in so bedauernswerter Weise äussert. Ich muss nun hier offen
gestehen, dass ich es für keinen so grossen unwiederbringlichen
Schaden für unser Land, für unser Volkstum halten kann, wenn
sich diese selbstsüchtigen Schwächlinge nicht oder wenigstens
nicht genügend fortpflanzen; sie bedenken es meist selbst nicht,
dass sie entweder sogleich oder sehr bald aussterben, oder, wie
der bayerische Bezirksarzt Grassl sagt, „ansgeboren“ werden.
Noch nie ist ein Name, eine Familie zugrunde gegangen wegen
zu grosser Kinderzahl, stets wegen zu kleiner. Kein Stamm,
keine Familie „stirbt aus“, sondern wird „ausgeboren“. Diese
Weichlinge also, die keine Kinder wollen, brauchen sich nicht
fortzupflanzen, sie brauchen keine Kinder zu haben, die doch
ebenso meist wieder solche Weichlinge werden. Es ist gut, wenn
diese lebenverneinenden Familien möglichst bald von der Bild¬
fläche verschwinden; sie machen dann den Kindern der leben¬
bejahenden Familien den erwünschten Platz. Dann wird sich
Deutschland wieder erholen, wenn diese Menschen, aus Genuss¬
sucht und Mehlbrei geformt, verschwunden sind.
Ob die Berufstätigkeit der verheirateten Frau, die übrigens
mehr zu den sozialen Ursachen zu rechnen ist, eine bedeutsame
Rolle bei der Beschränkung der Kinderzahl spielt, weiss ich
nicht; ich bitte nachher auch darüber um Aeusserungen. Im
allgemeinen ist es wohl sicher, dass Frauen, die durch einen
Beruf in Anspruch genommen werden, weniger Neigung zur Ehe
haben; Kinder hindern ausserdem die Erwerbstätigkeit.
Mehr in den Hintergrund zu treten scheint das Interesse der
Kinder selbst, wenn auch nicht bestritten werden kann, dass es
vielen Eltern mit unrichtigen oder falsch gedeuteten Erziehungs¬
grundsätzen sehr wünschenswert erscheint, ihre wenigen Kinder
von vornherein möglichst sicherzustellen, ihnen durch ein grosses
Gelderbteil den Kampf ums Dasein zu erleichtern und ihnen das
zu schenken, zu erwerben, was sich ein echter Mensch lieber
selbst erwirbt, weil nur das wirklichen Wert hat, was man sich
selbst erkämpfte. Die Bestrebungen dieser zärtlichen Eltern ge¬
hören in dasselbe bereits betretene Gebiet der Kraftlosigkeit und
Bequemlichkeit. Der schon erwähnte Grassl sagt an einer
anderen Stelle: „Die aus einer grossen Kinderscbar hervorgehende
Bevölkerung ist von Jugend auf an Entbehrungen gewöhnt und
daher viel konkurrenzfähiger im Kampf ums Dasein der Völker
als Völker mit geringer Kinderzahl.“
Dass die Grundgedanken des Neumalthusianismus einen wesent¬
lichen Anteil an der gewollten Beschränkung der Kinderzahl
haben, lässt sich nicht bestreiten; ob hier in Wiesbaden diese
Gedanken besonders verbreitet worden sind, weiss ich nicht; ich
möchte es von Ihnen hören. Ich darf aber wohl darauf hin-
weisen, dass, nachdem der ursprüngliche Malthusianismus im
grossen und ganzen überwunden ist, dieser Neumalthusianismus
viele Anhänger zählt. Es ist hier keineswegs erwünscht und
möglich, dass ich mich über diese Grundgedanken mit Für oder
Wider verbreite, wir haben uns heute mit der Tatsache ab¬
zufinden, dass die Beschränkung der Nachkommenschaft durch
Ehelosigkeit oder „kluge Vorsicht nach der Heirat“, wie die Liga
sich schon 1877 ausdruckte, zahlreiche bewusste oder unbewusste
Anhänger hat. Eine Tatsache ist es, dass in allen Schichten der
Bevölkerung die Kenntnis der empfängnisverhindernden Mittel
immer mehr zun imrat und damit natürlich auch ihre Verwendung;
ich brauche Ihnen keine Uebersicht über alle diese zahlreichen
Arzneimittel und Gebrauchsgegenstände zu geben, die von dem
bekannten Mensinga an eine lange Reihe bilden. Sogar die
Röntgenstrahlen müssen berhalten: in Paris ist das Unfruchtbar¬
machen durch Röntgenstrahlen nicht ganz selten. Meyerhoff
hat schon 1899 in der Deutschen medizinischen Wochenschrift
(Nr. 36) lesenswerte Auseinandersetzungen über den Präventiv-
verkebr gegeben; er weist nach, dass schon in den achtziger
Jahren unter der Landbevölkerung empfängnishindernde Mittel
üblich waren. Bei der ungarischen Landbevölkerung ist der
unterbrochene Beischlaf geradezu als Volkssitte anzusehen; Ver¬
lobte verkehren auf diese Weise jahrelang vor der Ehre geschlecht¬
lich, ohne Kiuder zu erzeugen, und in einer etwaigen späteren
Ehe wird dann dieser geheiligte Brauch, der von manchen
Spöttern als eine Art von verbesserter Onanie aufgefasst wird,
wohl vielfach weitergepflegt.
Vor einigen Tagen ist ein Buch des Regierungs- und Geheimen
Medizinalrats Born träger in Düsseldorf erschienen, „Der Ge¬
burtenrückgang in Deutschland“, das den ganzen Stoff in sehr
angemessener und erschöpfender Weise behandelt und deshalb
eine allgemeine Würdigung verdient, die ich ihm leider heute
nicht mehr zuteil werden lassen kann. Eine gewisse Einseitig¬
keit seiner Betrachtungsweise ist gegenüber einer überwältigenden
Tatsachensammlung belanglos.
ßornträger hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass
Damen der besten Gesellschaft von ihren Badereisen ihren Ehe¬
männern grosse Vorräte von Condoms mitbringen, und dass
selbst Theologen eifrige Käufer dieser Gebrauchsgegenstände sind.
Dass die Kurpfuscher, die Naturheilkundigen, besonders die weib¬
lichen, durch Vorträge usw. für die nötige Aufklärung auf diesem
Gebiete sorgen, ist allseitig bekannt.
Selbstverständlich kommt der grossen Verbreitung der An¬
zeigen empfängnisbindernder Mittel durch die Presse eine grosse
Wirkung zu; Sie wissen ja alle, dass man kein Zeitungsblatt in
die Hand nehmen kann, ohne auf solche Anzeigen zu stossen,
die in offener und verblümter Art behandelt sind. Ganz besonders
ist die sozialdemokratische Presse bestrebt, durch Broschüren und
in den Zeitungen selbst zur Beschränkung der Kinderzahl auf¬
zufordern. Bornträger erwähnt eine in vielen Tausenden ver¬
breitete sozialdemokratische Broschüre: „Kindersegen und Arbeiter¬
klasse“, oder „Wie schütze ich mich vor starkem Familienzuwachs?
Für junge Eheleute des Arbeiterstandes.“ Der Haupinhalt ist
folgender:
„Durch das Zwei- bis Dreikindersystem wird es
a) viel soziales Elend nicht geben.
b) Die Tuberkulose wird bekämpft.
c) Die Mutter wird weniger gezwungen, um das tägliche Brot
zu arbeiten.
d) Die Zahl der jugendlichen Verbrecher wird stark herab¬
gemindert.
e) Die Degeneration der Frau wird herabgemindert.
f) Schwierigkeiten bei Wohnungsbeschaffungen werden ver¬
mieden.
Diese Gründe sind der geistigen Höhe der Leute, für die sie
bestimmt sind, entsprechend; sie erinnern vielfach an unseren
gemeinsamen Freund und Kollegen Doktor Eisenbart.
Damit noch nicht genug: Reisende ziehen mit Mitteln und
Spritzen von Haus zu Haus. Gelegentlich eines Abtreibungs¬
prozesses hier ist bekannt geworden, dass eine einzige Frau
innerhalb eines halben Jahres 900 Spritzen zur Abtreibung oder
mindestens zur Verhinderung der Empfängnis allein in Wiesbaden
verkauft hat. Brautpaare oder junge Ehepaare, Eheleute erhalten
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 0.
nach Geburt des ersten Kindes Angebote über empfängnis¬
hindernde Mittel; in manchen Landesteilen hat sich die Behörde
deshalb bereits veranlasst gesehen, die Veröffentlichung der
standesamtlichen Geburtslisten zu verbieten. Auch Sie werden
vielleicht mancherlei Erfahrungen aus Ihrer Tätigkeit roitteilen
können und bestätigen, wieviel Abtreibungen Vorkommen, wie das
keimende Leben und die Mutterschaft immer mehr entwertet
werden.
Bertillon schätzt die Zahl der in Paris vorgenommenen
Abtreibungen jährlich auf 50 000. Hebammen und Aerzte sind
hauptsächlich daran beteiligt. Es gibt in Paris sogar eine Ver¬
sicherungsgesellschaft für junge Eheleute, die auf mehrere Jahre
kinderlos bleiben wollen; ein augestellter Arzt besucht monatlich
die Familien. In Elberfeld wurden in den letzten drei Jahren
241 Verfahren wegen Abtreibung eingeleitet.
Ob der Rückgang der Geburten sich wesentlich in den
Schichten des sogenannten Mittelstandes oder auch in den so¬
genannten arbeitenden Klassen zeigt, darüber möchten wir Ihre
Aeusserungen und die Bekanntgabe Ihrer Erfahrungen hören; ich
selbst neige auf Grund meiner Beobachtungen zu der Ansicht,
dass der Mittelstand besonders stark dabei beteiligt ist, während
in dem sogenannten Arbeiterstande die absichtliche Beschränkung
noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat.
BQcherbesprechungen.
Enil Abderhalden: Fortschritte der naturwissenschaftlichen For¬
schung. Sechster Band. Mit 20 Textabbildungen. Berlin-Wien
1912, Urban & Schwarzenberg. 300 S. Preis 15 M.
Dieser Band enthält eine Reihe hochinteressanter Aufsätze, von
denen namentlich die Abhandlungen von Bumke-Freiburg: „Zur Frage
der funktionellen Psychosen“, von Barfurth-Rostock: Regene¬
ration und Verwandtes“, von Hahn und Meitner-Berlin: Grund¬
lagen und Ergebnisse der radioaktiven Forschung“ dem
Mediziner lebhaft interessieren dürften.
Die Abhandlung von Bumke führt uns mitten hinein in die noch
immer umstrittene Frage, ob der Begriff „funktionelle Psychosen“ auf¬
recht erhalten werden soll oder nicht. Verf. kommt auf Grund ein¬
gehender Reflexionen zu dem Resultat, dass man heute „weiter als je
davon entfernt ist, den Begriff der funktionellen Psychosen aufzugeben“.
Zu dieser Gruppe von Krankheiten gehören die Krankheitsformen, welche
die moderne Nomenklatur als Manien, Melancholien oder mechanisch¬
depressives Irresein, als Paranoia, als Querulantenwahn, als Hysterie
oder Entartungsirresein im engeren Sinne bezeichnet. Bei keiner von
ihnen darf man eine pathologische Anatomie im Sinne der paralytischen
Hirnveränderung erwarten. Darin aber liegt ein durchgreifender Unter¬
schied gegenüber den organischen Psychosen; denn es ist etwas anderes,
ob die materiellen Zustandsänderungen, die alle seelischen Vorgänge
begleiten, etwas zu- oder abnehmeD, oder ob ein fremder Krankheits¬
prozess nervöses Gewebe zerstört oder verändert.
Für den Biologen und den Chirurgen dürften von besonderem Inter¬
esse sein die Ausführungen Barfurth’s über Regeneration und Ver¬
wandtes. Sie beziehen sich nicht allein auf die Tierwelt, sondern auch
auf die entsprechenden Vorgänge bei Pflanzen und niederen Lebewesen.
Auch die Regenerationserscheinungen an Kristallen, festen sowohl wie
flüssigen, werden eingehend besprochen. Näher auf alle diese Dinge ein¬
zugehen, ist hier nicht möglich. Nur soviel sei gesagt, dass es dem
Verf., dessen grundlegende Arbeiten auf diesem Gebiet allgemein be¬
kannt sein dürften, in schönster Weise gelungen ist, uns einen Ueber-
blick über den augenblicklichen Stand der Forschung zu geben.
Nicht weniger biologisches Interesse verdient der Artikel von Haus¬
mann, der sich mit tierischen und pflanzlichen Sensibilisatoren befasst.
Unter diesen Substanzen versteht man solche, bei deren Anwesenheit
Lichtstrahlen Wirkungen zu entfalten vermögen, die sie an sich nicht
besitzen. Als solche sind bisher erkannt worden Hämatoporpbyrin,
Chlorophyll, alkoholische Auszüge etiolierter Pflanzen, fluorescierender
Farbstoff aus dem Bacterium pyocyaneum, alkoholische Auszüge des
Bacillus prodigiosus, ferner Aescuiin, Chinin u. a. m. An der Hand von
Beispielen wird gezeigt, wie diese Körper unter physiologischen und
pathologischen Bedingungen imstande sind, ihre Wirkung zu entfalten.
Endlich sei dem Leser noch die lehrreiche Abhandlung von Hahn
und Meitner empfohlen, in der alles theoretisch Wissenswerte über
das Radium und die ihm verwandten Stoffe Uran, Jonium, Thorium und
Aktinium klar und übersichtlich dargestellt sich findet.
Ausser diesen den Mediziner interessierenden vier Beiträgen enthält
der Band noch eine interessante Abhandlung von Halbfass-Jena:
„Der gegenwärtige Stand der Seenforschung“ und eine nicht
minder lesenswerte, durch zahlreiche Illustrationen geschmückte Ab¬
handlung von Rühl-Berlin: „Eine neue Methode auf dem Gebiete
der Geomorphologie“.
L. Piaeissobs: Medizinisch-chemisches LoboratoriimsHilfsbnch.
Mit 75 Figuren und einer Spektraltafel. Leipzig 1912, F. C. W.
Vogel. Preis 13,50 M.
Das vorliegende Buch stellt sich die Aufgabe, dem Mediziner, der
sich mit physiologisch-chemischen Untersuchungen befassen will, zur
Hand zu gehen. Dem Neuling soll es ratend zur Seite stehen, und dem
weiter Fortgeschrittenen soll es als Nachschlagebuch dienen. Man kann
wohl sagen, dass der Verf. sich dieser nicht ganz leichten Aufgabe mit
vielem Geschick entledigt bat. Denn es ist kein so einfaches Unter¬
nehmen, das ungeheure Gebiet der biochemischen Arbeitsmethoden in
einem so engen Rahmen zur Darstellung zu bringen. Dass dabei das
eine oder andere Kapitel etwas zu kurz gekommen ist, ist nur zu natür¬
lich. Im grossen und ganzen aber ist es dem Verf. doch gelungen, den
wesentlichsten Anforderungen, die man an ein solches Hilfsbuch stellen
muss, gerecht zu werden. Die Einteilung und Anordnung des Stoffes
ist durchaus zweckmässig und übersichtlich, die Art der Darstellung
klar und präcise. Eine grosse Reihe wichtiger Tabellen mathematischen,
physikalischen und chemischen Inhalts vervollständigen das Buch in
erfreulicher Weise. Wohlgemuth.
Cornet: Die Serofnlose. Wien und Leipzig 1912, Alfred Holder.
520 Seiten. 12 M.
Cornet definiert die Scrofulose als eine, unter dem Einflüsse einer
besonderen Diathese entstandene pyogene, tuberkulöse oder Misch¬
infektion. W r ir haben daher zwischen einer tuberkulösen Scrofulose,
einer nichttuberkulüsen pyogenen Scrofulose und einer kombinierten
Form zu unterscheiden. Die Prädilektion der Scrofulose für das jugend¬
liche Alter erklärt sich durch die auf anatomischen Grundlagen ruhende,
Haut, Schleimhaut und Lymphbahnen betreffende Krankheitsbereitschaft
(Steigerung der schon normalerweise erhöhten Durchlässigkeit, grössere
Weite der Lymphwege). Cornet nennt diesen Zustand „gesteigerten
Infantilismus oder besser Embryonalismus“.
In den einleitenden Worten spricht Cornet die Ansicht aus, dass
die zahlreichen Widersprüche der klinischen, statistischen und experi¬
mentellen Angaben es nicht leicht machen, sich zu einem klaren Bild
durchzuarbeiten, dass wir aber diesem Ziele Schritt für Schritt näher¬
zukommen scheinen.
Der Referent bezweifelt diese Hoffnung des Autors. Es dürfte
kaum ein Problem der Pathologie geben, über welches die Ansichten
so auseinander gehen, wie bei der Scrofulose. Cornet versucht, dem
altehrwürdigen Begriff neues Leben zu verleihen. Die eingangs wieder¬
gegebene Auffassung des Wesens der Scrofulose ist die Quintessenz des
bedeutsamen Werkes, in welchem der Autor mit ausserordentlicher Ge¬
schicklichkeit und eminentem Fleisse — umfasst das Literaturverzeichnis
doch allein 87 Seiten — das klinische Beobachtungsmaterial, die ex¬
perimentellen Ergebnisse usw. kritisch sichtet und zu seiner Auffassung
der Scrofulose in Beziehung bringt.
Zur Definition Cornet’s an diesem Ort Stellung zu nehmen, ist
einerseits unmöglich, da diese komplizierte Frage eine breite Aus¬
sprache verlangt, und wäre andererseits wenig vereinbar mit der Achtung,
die man einer Zeile für Zeile durchdachten und durchfeilten, muster¬
gültigen Arbeit, wie es Cornet’s Monographie ist, schuldig ist. Es wird
endlich auch für den Leser wenig Interesse haben, ob der Referent die
Cornet’sche Auffassung teilt oder nicht.
Ist man am Schluss des grossen Werkes angelangt, dann wollen
auf der einen Seite die Skrupel und Zweifel nicht verstummen und anf
der anderen Seite wirkt die Kompliziertheit des Lehrgebäudes nieder¬
drückend. Ist denn wirklich in unserer Wissenschaft jede Erkenntnis
nur nach Erklimmung mühseliger Höben möglich? Fast mit Sehnsucht
dachte ich während der Lektüre des Cornet’schen Buches an die Vor¬
lesungen, in welchen Ad. Czerny seine Auffassung der Scrofulose vor¬
trug. Eine Auffassung, welche klar und durchsichtig und unendlich
einfach ist, welche zwischen exsudativer Diathese und Tuberkulose
unterscheidet und den Namen Scrofulose mit guten Gründen ignoriert.
Die Lehre von der oxsudativen Diathese ist noch jungen Datums, aber in
ihrer Simplizität steckt eine gewaltige Werbekraft, und Referent will
ein schlechter Prophet sein, wenn die Czerny’sche Lehre, die bisher nur
bescheiden in der Provinz blühte, jetzt sich nicht verdientermaassen die
Welt erobern wird. Klotz - Schwerin.
Hermann Pfeiffer - Graz: Ueber den Selbstmord. Eine pathologisch¬
anatomische und gerichtlich-medizinische Studie. Mit 7 Tafeln
und 3 Textfiguren. Jena 1912, Gustav Fischer. 195 S. Preis
6,50 M.
Pfeiffer hat ein Material von 595Fällen bearbeitet, und zwar bat
er als Erster da9 Material nach den Geschlechtern getrennt. Es handelt
sich um 443 männliche und 152 weibliche Leichen, die im gerichtlich¬
medizinischen Institut in Graz zur Obduktion gekommen sind. Zugleich
führt er eine Einteilung nach Altersklassen ein.
Das Beobachtungsmaterial Pfeiffer’s ist ausserordentlich lehrreich
und interessant, es führt ihn zu der Bestätigung der Ansichten, die
wohl zum ersten Male von Heller ausgesprochen sind, dass nämlich
die Selbstmörder fast ausnahmslos kranke Menschen sind, so dass der
Satz ausgesprochen werden kanD, dass der Selbstmord so gut wie aus¬
nahmslos im Zustande geistiger Störung geschehen ist. Zu der Tätig¬
keit des Obduzenten muss selbstverständlich eine anamnestiscbe Er-
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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gänzung hinzutreten, die allerdings, streng genommen, nicht in den
Tätigkeitsbereich des Obduzenten gehört, die uns aber erst, wie das bei
Ueberlebenden vonStelzner und Gaupp ähnlich schon ausführlich ge¬
schehen ist, manche Fälle richtig erkennen lässt und uns davon über¬
zeugt, dass sie in das Gebiet der Psychosen zu verweisen sind. Den
Beschluss des wertvollen, lebendig geschriebenen Buches bilden warm¬
herzige Ausführungen des Verf. über die Prophylaxe des Selbstmordes.
Anthropologisch betrachtet Pfeiffer den Selbstmord als eine der vielen
Formen der Selbstreinigung des Menschengeschlechts von konstitutionell
geschädigten und erkrankten, also sozial unbrauchbaren Individuen.
Die beigegebenen vortrefflichen Tafeln illustrieren eine Anzahl be¬
sonders seltener Arten der Selbsttötung, so einen Selbstmord durch
Beilhiebe, einen Selbstmord durch elektrischen Starkstrom, kombinierten
Selbstmord durch Schnitt und Erhängen, durch Ertrinken mit Selbst¬
fesselung, durch Einstechen eines Zimmermannsnagels.
X. Levy-Snhl - Berlin-Wilmersdorf: Die Prüfung der sittlichen Reife
jugendlicher Angeklagter and die Reformvorsehlüge zu § 56
des Deutsch®» Strafgesetzbuches. Stuttgart 1912, Ferdinand
Enke. 41 S.
Es ist jetzt wohl allgemein anerkannt, dass die von dem § 56 des
geltenden Strafgesetzbuches geforderte formale Einsicht in die Strafbar¬
keit einer vom Gesetz verbotenen Handlung ein durchaus unzulängliches
Kriterium ist für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
eines Jugendlichen.
Man ist immer mehr zu der Ueberzeugung gelangt, dass die ge¬
samte Persönlichkeit des jugendlichen Rechtsbrechers in den Kreis der
Untersuchung einzubeziehen ist, und dass vor allen Dingen die sittliche
Reife, das sittliche Anschauungsvermögen des zu Untersuchenden zu
prüfen und zu bewerten ist.
Der Verf. hat nun durch Ausfrageversuche bei 120 Jugendlichen das
Vermögen an sittlichen Anschauungen zu ermitteln versucht. Er ist da¬
bei zu dem Resultat gekommen, dass die ethischen Motivierungen für
das Handeln um so seltener zum Vorschein kamen, je jünger die be¬
treffenden Individuen waren. So fand er ethische Motivierungen im Alter
von 11 bis 13 Jahren nur in 17V 2 pCt. der Fälle, während sie für die
beiden nächst höheren Jahre in 40 pCt. vorkamen und in den Stufen
von I 6 V 2 bis 18 Jahren ein Aufstieg bis zu 52 pCt. an sozial ethischen
Motivierungen hervortrat. Im Konfirraationsalter sinkt der Anteil der
reinen Egoisten, weil um diese Zeit in starkem Maasse religiöse Moti¬
vierungen hinzutreten.
Als besonders charakteristisch für das Material seiner Untersuchungen
bezeichnet der Verf. im übrigen eine Mangelhaftigkeit in religiösem
Wissen und Fühlen.
Auf Grund seiner Erfahrungen kommt der Verf. zu dem Schluss,
dass die Wiedereinführung der relativen Strafunmündigkeit für die über
14 Jahre alten Jugendlichen und die obligatorische Mitberücksichtigung
des sittlichen Reifegrades berechtigt und notwendig sei. Es sei nicht
nur der Verstand, sondern auch das Gemüts- und Willensleben des
Jugendalters ganz allgemein von ärztlicher wie von richterlicher Seite
zu erforschen. Marx-Berlin.
Jeanographia dermatologica. Atlas seltener, neuer und diagnostisch
unklarer Hautkrankheiten. Herausgegeben von A. Neisser und
Ed. Jaeabi. 1912, Bd. 6 , 85 Seiten. Urban & Schwarzenberg,
ln dieser neuesten Lieferung beschreiben de Beurmann und
Gougerot einen seltenen Fall von Sporotriohosis verrucosa.
Dieselben Verff. haben früher schon über eine andere neue Mykose, die
Hemisporose berichtet, davon geben Schramek und Weidenfeld
nunmehr ein Beispiel aus der Riehl’schen Klinik. Eine eigentümliche
Art von Tuberkulid beschreibt Bruck als Dermatitis nodularis
necrotica suppurans et ulcerosa. Das von Boeck zuerst ge¬
zeichnete multiple benigne Sarkoid der Haut wird in seinen Be¬
ziehungen zur Tuberkulose in je einem Falle vonNobl und Wolfheim
skizziert. Einen akuten Rotz bildet Low ab, und Pernet beschreibt
ein ungewöhnliches morphaeaähnliches Ulcus rodens. Zum Schluss
veröffentlicht Sowade eine Hautatrophie mit symmetrischer Hy-
perkeratose der Handteller und Fusssohlen. Max Joseph-Berlin.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
J. Schneller- Erlangen: Zur Methode der Harnsäurebestimmung
ia Urin and im Blut. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12,
H. 2, S. 341—347.) Die von Ruhemann und Röthlisberger an¬
gegebenen einfachen Harnsäurebestimmungen sind zu ungenau. Es wird
empfohlen, die Harnsäure durch ihre Ueberführung in die Formaldehyd¬
verbindung der quantitativen Darstellung zugänglich zu machen, und eine
entsprechende Methode beschrieben.
K. Retzlaff-Berlio; Die Atophanwirknng beim Gesunden und
Giebftikar. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12 , H. 2,
S. 307 —816.) Die Wirkung des Atopbans ist nicht als elektive Nieren¬
wirkung, sondern als direkte Beeinflussung des Purinstoffwechsels
aufzufassen. Das Atophan bringt die harnsäurebildenden Substanzen
zum Zerfall und mobilisiert die Harnsäure und ihre Vorstufen.
Jacoby.
K. Sakaguchi: Ueber den Fettgehalt des normalen und patho¬
logischen Harns. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 1.) Der Fettgehalt
des 24 ständigen Harns gesunder Erwachsener beträgt im Durchschnitt
0,0085 g. Nach reichlicher Fettaufnabme ist die Fettausscheidung ver¬
mehrt. Bei Nepbritikern ist die Fettmenge im Harn sehr verschieden,
es werden Fälle beobachtet, in denen viel Fett, und solche, in denen
überhaupt kein Fett ausgeschieden wurde. Bei Diabetes, Lungentuber¬
kulose, Lebercirrhose und Icterus konnte eine deutlich vermehrte Fett¬
ausscheidung im Harn nicht nachgewiesen werden. Wohlgemuth.
G. E wald - Erlangen: Ueber intravenöse Verabreiehang von
Nacleinsüure und ihren Abbauprodukten beim Hund. (Zeitsohr. f. ex¬
perimentelle Pathol. u. Therapie, Bd 12, H. 2, S. 348—359.) Bei intra¬
venöser Einverleibung von Nucleinsäure kommt es zu einer sehr starken
Leukocytose und beträchtlicher Zunahme des Purinstickstoffs im Harn.
Die Zunahme betraf in erster Linie den Allantoinstickstoff. Auch auf
die intravenöse Injektion von Xanthin und Guanin folgt eine Leuko¬
cytose. Es kommt zu einer erheblichen Steigerung der Stickstoffaus¬
scheidung, so dass also eine Alteration des Stoffwechsels sich einstellen
muss. Auch hier ist am Purinstickstoff in der Hauptsache das Allantoin
beteiligt. Ganz ähnliche, wenn auch geringere Ausschläge verursacht
die intravenöse Harnsäureinjektion, selbst Piperazin, das als Lösungs¬
mittel benutzt wurde, machte allein eine nachweisbare Stoffwechselstörung.
Jacoby.
E. Reale: Untersuchungen über den Kohlenstoffwechsel. Labiler
und stabiler Kohlenstoff des Harns. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 355.)
Unter labilem Kohlenstoff des Harns versteht Verf. den Anteil, der sich
mittels H 2 0, verbrennen lässt, unter stabilem Kohlenstoff den Rest.
Diese Bezeichnung lehnt sich an die für den Eiweissschwefel gebräuch¬
liche an. Es gibt nun im Harn eine Fraktion des in dem Harnstoff
nicht gebundenen C, die sich vom Sauerstoff in statu nascendi angreifen
lässt und sich deutlich vom übriggebliebenen C, der sich nur durch die
vollständige Verbrennung des Harns ermitteln lässt, unterscheidet.
Wohlgemuth.
A. Schittenhelm und R. Ullmann-Erlangen: Ueber den Nuclein-
stoffwechsel unter dem Einflüsse des Atophans. (Zeitschr. f. experim.
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 360—379.) Die Arbeit bringt
Material zu der Frage der Harnsäureausscheidung und der Ausscheidung
der übrigen Purinkörper bei der Behandlung von Patienten mit Atophan.
Interessant ist, dass ein Patient während der Atophankur einen akuten
Gichtanfall bekam.
H. Jastrowitz-Halle: Experimentelle Untersuchungen über die
therapeutische Wirkungsweise des Hafermehls. (Zeitschr. f. experim.
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S 207—220.) Beim Pankreasdiabetes
findet sich gelegentlich unter Haferfütterung Glykogen in der Leber; bei
diesen Tieren steigt nach der Haferfütterung der Blutzucker. Bei
Phloridzin- und Pankreastieren tritt nach Haferfütterung eine Erhöhung
des Zuckergehalts der Pfortader ein. Bei Pankreashunden wird ein Teil
des Hafers oxydiert. Jacoby.
L. Michaelis und P. Rona: Ueber die Umlagerang der Glukose
bei alkalischer Reaktion, ein Beitrag zur Theorie der Katalyse.
(Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 447.) Die Geschwindigkeit der Um¬
wandlung der Glukose durch Alkali ist proportional der Hydroxylionen-
konzentration oder umgekehrt proportional der Wasserstoffionenkonzen¬
tration. Ferner wird die Säurenatur der Glukose erwiesen und ihre
Dissoziationskonstante = 5.10 —13 gefunden. Daraus wird gefolgert,
dass die katalytische Wirkung der OH 1 -Konzentration darauf beruht,
dass sie die Konzentration der Zuckerionen nach dem Massenwirkungs¬
gesetz erhöht und diese Zuckerionen sich spontan umlagern.
H. Elias: Ueber die Rolle derSänre im Kohlenhydratstoffwechsel.
Ueber Säurediabetes. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 120.) Auch ver¬
hältnismässig geringe Säuremengen sind imstande, Glykogen aus der
Leber in grösseren Mengen zu mobilisieren. Die Folge davon ist Hyper¬
glykämie und Glukosurie. Die Nebennieren sind dabei nicht beteiligt,
auch das Adrenalin hat an diesen Wirkungen keinen Anteil. Vielmehr
ist der Angriffspunkt der Säurewirkung die Leber selbst. Bei der
Glykogenmobilisierung durch Säure tritt das Glykogen mindestens zum
grossen Teil ungespalten als solches aus der Leberzelle aus.
P. Rona und F. Arnheim: Beiträge zur Frage der Glykolyse.
III. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 35.) Verdünnt man defibriniertes
Blut mit physiologischer Kochsalzlösung, so ist die Glykolyse mehr oder
weniger stark vermindert. Setzt man dagegen bestimmte Mengen eines
Phospbatgemisches zu, so erleidet die Glykolyse trotz der Verdünnung
keine Einbusse. An der Glykolyse beteiligen sich in dem gleichen
Maasse wie die roten Blutkörperchen auch die weissen. Das konnte in
getrennten Versuchen einwandfrei nachgewiesen werden. Für das Ge¬
lingen dieses Nachweises war von grosser Wichtigkeit eine geeignete
Reaktion des Mediums und eine ausreichende Konzentration an Phosphaten.
Wohlgemuth.
H. E. Hering-Prag: Zur Erklärung des Herzalternans. (Zeitschr.
f. eiperim. Pathol. u. Ther., Bd. 12, H. 2, S. 325—327.) Kritik der
von H. Fredericq geäusserten Ansichten. Jacoby.
A. Saraojloff: Ueber einige Punkte des Saitengalvanometers.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Eine ausführliche Kritik der Ein-
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Nr. 6.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wände, die Cybulski gegen früher von S. mitgeteilte Versuche und
Anschauungen über das Saitengalvanometer vorgebracht hat.
A. Loewy.
J. fl olmgreen - Stockholm: Ueber den Einflass der weissen Blnt-
körperchtn anf die Viscosität des Blntes. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 5.) Nach Gelatineinjektionen beobachtete Verf. das
Auftreten einer Leukocytose mit vornehmlicher Beteiligung der poly-
nucleären Leukocyten. Dieser Befund regte ihn dazu aD, die Beziehungen
der weissen Blutkörperchen zur Viscosität des Blutes zu bestimmen.
Es ergab sich dabei die äusserst interessante Tatsache, dass die Yis-
cosität unabhängig ist von der absoluten Zahl der Leukocyten, wohl
aber in direktem Abhängigkeitsverhältnis steht zu dem Quotienten Poly-
nucleäre: Lymphocyten; d. h. je grösser die Prozentzahl der Poly-
nucleären, desto grösser die Viscosität. Wolfsohn.
J. Rihl-Prag: Ueber anfallsweise auftretende regelmässige Kammer-
tachysystolie in Fällen von lrregnlaris perpetons. (Zeitschr. f. experim.
Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 303—306.) Bei Patienten mit
Pulsus irregularis perpetuus kann es auch zu tachycardischen Anfällen
kommen, bei denen die Kammern ganz regelmässig schlagen. Gelegent¬
lich gelang es, lange andauernde tachycardische Anfälle durch Vagus¬
druck zum Verschwinden zu bringen, wobei der Anfall meistens erst
einige Sekunden nach Beendigung des Druckes aufhörte. Die Anfälle
sind als paroxysmale Kammertachysystolien aufzufassen. Jacoby.
E. S. London und M. A. Wersilowa: Zur Lehre von der Re¬
sorption des Fettes and der Lipoide. (St. Petersburger med. Zeitschr.,
1912, Nr. 22.) In der oberen Hälfte des Dünndarms wird die Stearin¬
seife eher resorbiert als ihre Fettsäure. Die resorbierte Seife passiert
wohl die Darmwand teilweise in uogespaltcnem Zustande; zum Teil
wird sie gespalten, wobei freie Salzsäure entsteht, welche in Neutral fett
synthetisiert wird. Cbolestearin wird wohl bis zum Ende des Dünndarms
weder gespalten noch resorbiert. Warten sieben.
H. M. Vernon: Die Abhängigkeit der Oxydasewirknng von Lipoiden.
(Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 374.) Wenn man zerhackte Niere —
oder ein anderes Gewebe — V 2 Stunde lang in einem Gemisch mit
einem Narkoticum von irgendwelcher, bis zu einer gewissen Stärke an¬
steigenden Konzentration verweilen lässt, so findet man nach dem
Auswaschen des Narkoticums aus dem Organ die oxydierende Kraft der
Gewebe entweder unbeeinträchtigt oder etwas erhöht. Bei grösserer
Konzentration erleidet die Oxydase Schädigungen. Die Konzentrationen
der Narkotica, welche die Anfangswirkung verursachen, sind nur wenig
höher als diejenigen, welche rote Blutkörperchen lackfarben machen.
Hieraus schliesst Verf., dass die Wirkung der untersuchten Indophenol¬
oxydase von Lipoiden abhängig ist, vielleicht von Lipoidmembranen,
welche die Gewebsoxygenase und Peroxydase Zusammenhalten und ihre
gemeinsame enzymatische Tätigkeit ermöglichen. W T ohlgemutb.
E. Zander jr.-Berlin': Zur Frage der Salzwirkung auf die Funktion
insnffizienter Nieren. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12,
H. 2, S. 317—324.) Sowohl bei der Stauungsniere des Herzkranken wie
bei der nephritischen Niere hat das Kochsalz einen ausgesprochen anti¬
diuretischen Effekt. Den Chloriden scheinen antidiuretische Wirkungen
zuzukommen. Jacoby.
B. P. Babkin: Sekretorische und vasomotorische Erscheinungen
in den Speicheldrüsen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) B. fütterte
Hunde mit Speicbelfisteln mit Fleischpulver oder goss ihnen dünne Salz¬
säurelösungen ins Maul. Die Mengen waren derart gewählt, dass an¬
nähernd in beiden Fällen die gleiche Menge Speichel sezerniert wurde.
Dabei enthielt der „Fleischspeichel“ etwa vier- bis fünfmal soviel
organische Stoffe wie der „Säurespeichel“. Die Blutdurchströmung der
Drüse war dabei nach beiderlei Speichelanregung gesteigert, und zwar
annähernd in gleichem Maasse. Eine Verengerung der Speichel-
gefässe, wie sie vielfach noch angenommen wird für die Bildung des
Speichels, der reich an organischen Substanzen ist, besteht also nicht.
B. P. Babkin: Die Arbeit der Speicheldrüsen beim Hunde nach
Entfernung des Ganglion cervicale superior sympathici. (Pfliiger’s
Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Die Absonderung des Speichels nach Menge
und Zusammensetzung ist, wie B. weiter findet, die gleiche wie in der
Norm, wenn das zugehörige sympathische oberste Halsganglion exstirpiert
ist, nur dass die Menge der organischen Substanzen nach der Ex¬
stirpation häufig vermehrt ist. Da nach Fortnahme des Ganglions die
sympathische Innervation fortfällt und damit die trophischen Fasern
Heidenhains, dürfte die Lehre des letzteren von der doppelten
Innervation der Speicheldrüsen (sekretorisch und trophisch) nicht mehr
haltbar sein. Es scheint, als ob nur die Chorda tyrapani die Sekretion
anregt, und dass sie qualitativ verschiedene Impulse vermitteln kann.
A. Loewy.
W. E. Ringer und H. van Trigt: Einfluss der Reaktion anf die
Ptyalinwirknng. (Zeitschr. f. pbysiol. Chemie, Bd. 82, S. 484.) Es
wurde die Lage der für Ptyalin optimalen Reaktion in Phosphat-, Citrat-
und Acetatgemischen bestimmt und festgestellt, dass Phosphat- und
Acetatgemische die Ptyalinwirkung in gleicher Weise hemmen, die
Hemmung der Citratlösungen aber eine weit stärkere ist. Für die beiden
erstgenannten Mischungen wurde als Optimum bei einer Digestionszeit
von 20 Minuten bei 37° gefunden pH = 6,00. Iu Citratlösungen zeigte
sich die Lage der optimalen Reaktion von der Concentration des Riffer-
systems abhängig. Wohlgemuth.
E. Babak: Einfluss des Lichtes auf die Vermehrnng der Hait-
ehromatophoren. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) Im Anschluss
an frühere Versuche über Pigmentverschiebungen in den Haut-
chromatophoren bei Ambystomalaiven unter dem Einfluss von Liebt und
Dunkelheit hat B. jetzt feststellen können, dass dauernde Expansion
der Chromatophoren, sei sie an normalen Larven durch Dunkelheit
oder an geblendeten durch Belichtung hervorgebracht, zu Vermehrung
des Pigmentes der Haut führt. Dagegen bewirkt dauernde Kontraktion
der Chromatophoren bei normalen Larven im Licht oder bei geblendeten
in Dunkelheit meist Piementabnahme. Licht bzw. Dunkelheit üben
also einen trophischen Einfluss auf die Hautchromatophoren aus.
J. S. Szymanski: Ein Versuch, die für das Liebesspiel charakte¬
ristischen Kb'rperstellangen and Bewegungen bei der Weinbergschnecke
künstlich hervorzurufen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) S. be¬
schreibt zunächst die für das Liebesspiel der Weinbergschnecke charakte¬
ristischen Bewegungen der Tiere. Es gelang ihm, durch taktile Er¬
regungen der Haut (Berühren mittels Pinsels) reflektorisch jede der
einzelnen Bewegungen zu produzieren und durch geeignete Folgen von
Berührungen willkürlich alle beim Liebesspiel in Betracht kommenden
zu erzeugen. Instinktive Bewegungsausführungen konnten also in eine
Reihe von Reflexen zerlegt werden.
J. Rothfeld: Ueber die Wirkung eiliger Körper ans der Gruppe
des Chloroforms anf die vestibulären Angcureflexe. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 149, H. 9 u. 10.) Beobachtungen an Kaninchen über den während
der Narkose auftretenden Nystagmus. Chloroform und Aether bewirken
spontanen rotatorischen Nystagmus nach rückwärts. Rotatorischer
Nystagmus nach rückwärts tritt auch nach Koptbewegungen ein. Der
Nystagmus verschwindet nach dem Erlöschen der Cornealrcflexe. Nach
Chloralbydrat findet sich kein spontaner Nystagmus, nur aasuahmsweise
einer nach Kopfbewegungen. Nach Paraldebyd kommt horizontaler,
diagonaler, vertikaler Nystagmus zustande nach Kopfbewegungen, zuweilen
spontaner rotatorischer nach rückwärts.
R. Magnus und C. G. L. Wolf: Weitere Mitteilungen über den
Einflass der Kopfstellnngen anf den Giiedertonns. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 149, H. 9 u. 10.) Wie M. und W. finden, lassen sich auch an
einzelnen freipräparierten Muskeln der Katze die tonischen Erregungen
und Hemmungen durch Aenderung der Kopfhaltung hervorrufen, die M.
früher an decerebrierten, aber sonst unversehrten Tieren beobachtet
hat. Bei Vergiftung mit Strychnin lassen sich, selbst wenn die Ver¬
giftung zu heftigen Krämpfen geführt hat, die durch die Kopfdrehungen
hervorgerufenen Hemmungen nicht in Erregungen umkehren.
A. Loewy.
T. Sasaki: Abbau einiger Polypeptide durch Bakterien. II. Mit¬
teilung. (Biochemische Zeitschr., Bd. 47, S. 402.) Die nicht ver¬
flüssigenden Bakterien spalten Glycyl-l-Tyrosin und Glycylglyein hydro¬
lytisch in ihre Komponenten Tyrosin und Glykokoll. Wahrscheinlich
kommt ihnen deshalb diese Fähigkeit zu, weil sie ein crepsinartiges
Enzyera besitzen.
A. Schulz-Briesenitz: Zur Kenntnis der Fermente der Pnrinreihe.
(Biochem. Zeitschr., Bd. 48, S. 86.) Die Tätigkeit der harnsäurebilden¬
den Fermente der Rindermilz wird durch Radiumemanation gesteigert.
Diese Wirkung trat deutlich hervor bei der Harnsäurebildung aus binzu-
gesetzten Amidopurinen und bei der autolytischen Harnsäureentstebung.
Bei der Autolyse addiert sich die spezifische Wirkung der Emanation
auf die Fermente der Purinreihe zur allgemeinen Aktivierung der pro¬
teolytischen Fermente, die ihren Ausdruck in einer Vermehrung des
nicht coagulierbaren Gesamtstickstoffs findet. Die Versuche, am Kanin¬
chen durch Einverleibung von uricolytischem Ferment ein Antiferraent
zu erzeugen, fielen trotz langdauernder und recht intensiver Behandlung
durchaus negativ aus.
N. Ssobolew: Ueber die Milchsänrebildung bei der antiseptischen
Organautolyse. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 367.) Die Milchsäure¬
bildung bei der Autolyse ist zweifellos ein Vorgang, der unabhängig von
jeder Mitwirkung von Mikroorganismen vor sich geht. Die sich in dem
autolysierenden Organ vollziehende Milchsäureanbäufung schreitet lang¬
sam und kontinuierlich fort und erreicht ihr Maximum meist erst nach
Ablauf von 4 bis 7 Wochen. Bei allen Versuchen von langer Dauer ist
im Brutschrank eine ausgesprochene Milchsäureabnahme wahrnehmbar,
die nicht etwa durch eine vermehrte Milchsäurebindung durch Eiweiss
vorgetäuscht wird. Wohlgemuth.
v. Bergmann-Altona: Zur Wirkung der Regulatoren des Intestinal-
tracles. — G. Katsch und E. Borchers: Beiträge zum Studium der
Darmbewegungen. 1. Mitteilung: Das experimentelle Baachfenster.
— II. Mitteilung: Ueber physikalische Beeinflussung der Darmbewe-
gangen. — 111. Mitteilung: G. Katsch: Pharmakologische Einflüsse
auf den Darm. — IV. Mitteilung: Psychische Beeinflussung der Darm-
molililät. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, D. 2,
S. 221—294.) v. Bergmann gibt als Einleitung eine Darlegung der
leitenden Gesichtspunkte der zusammenhängenden Arbeiten. Katsch
hat eine Methode ersonnen, durch ein experimentelles Celluloidfenster
die MagendarmbcweguDgen direkt zu beobachten. Dieses ausgezeichnete
Verfahren ermöglicht es, den Einfluss von Agentien unter wahrhaft
physiologischen Bedingungen zu studieren. Jacoby.
L. Pollini: Die katalytische Wirkung der Eisensalze hei der
Leberantolyse. (Biochem. Zeitschr., Bd. 47, S. 396.) Durch Zusatz
von kleinen und grossen Mengen von Eisenoxydulsulfat und Eisenchlorid
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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zu einem der Autolyse überlassenen Kalbsleberbrei wird die Bildung
des Gesamtstickstoffs, des N der Monoaminosäuren, der Albumosen und
der Purinbasen gefördert. Kleine Mengen von Eisencitrat üben eine
schwach hemmende Wirkung, mittlere Mengen hingegen eine begünsti¬
gende aus, während starke Mengen die Autolyse wieder hemmen. Eisen-
lactat in ausserst geringen Mengen fordert die Autolyse, hemmt aber
bei Zusatz wachsender Mengen.
E. S. London und N. A. Dobrowolskaja: Zur Chemie des
Pfortaderblutes. I. Mitteilung. Eine Pfortaderflstel. (Zeitscbr. f.
pbysiolog. Chemie, Bd. 82, S. 415.) Die Pfortaderlistel wird in der
Weise angelegt, das3 man durch die Vena lienalis eine kurze Glaskanüle
in die Pfortader einführt, die Kanüle in das Gelass einbindet und an
das freie Ende der Kanüle einen dickwandigen Gummischlauch befestigt,
den man durch die Hautwunde nach aussen leitet. Die Oeffnung des
Schlauches verschliesst man mit einen Glasstopfen. Will man nun Blut
aus der Pfortader entnehmen, so eutfernt man den Stopfen und das im
Schlauch sitzende Gerinnsel und kann nun Pfortaderblut nach Belieben
bekommen. Die Methode gestattet auch, fremde Substanzen direkt in
die Pfortader einzuführen. Wohlgemuth.
H. Pech stein-Berlin: Zur Frage des experimentellen Diabetes.
I. Mitteilung. Znekermobilisation durch Adrenalin in Leberdnrch-
blitungsversuchen. (Zeitschr. f. cxperim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12,
H. 2, S. 380—388.) Adrenalin zeigt bei der Leberdurchblutung eine
den Glykogenabbau erhöhende Wirkung. Nikotin wirkt bei dieser Ver-
snchsanordnung dem Adrenalin nicht entgegen, was damit übereinstimmt,
dass nach anderen Versuchen das Nikotin auf die Zuckerdurchlässigkeit
der Niere ein wirkt.
K. Basch-Prag: Beiträge zur Physiologie und Pathologie der
Thymus. III. Die Beziehung der Thymus zur Schilddrüse. (Zeitschr.
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, II. 2, S. 180—206.) Die Schild¬
drüse steht der Thymus nahe. Beide Organe haben funktionelle Be¬
ziehungen zum Knochensystem, Nervensystem und dem Pupillarsystem
des Auges. Die Ausfallserscheinungen nach Tbymusexstirpation treten
nur nach frühzeitiger und vollständiger Wegnahme des Organs auf und
scheinen mit den Kalkstoffwechsel zusammenzuhängen. Die Thymus hat
auch innige Beziehungen zum Lymphapparat des Körpers. Nach Ent¬
fernung der Schilddrüse schwindet, wie Blumreich und Jacoby vor
langer Zeit fanden, und wie es neuerdings allgemein bestätigt worden
ist, die Thym'is. Umgekehrt scheinen auch die Organe in bezug auf
Hyperplasie parallel zu gehen. Wahrscheinlich kommt es so beim Morbus
Basedowii parallel zur Vergrösserung der Schilddrüse und zur Hyperplasie
der Thymus. Jacoby.
E. Starkenstein und M. Henze: Ueber den Nachweis von
Glykogen bei Meeresmoilnsken (speziell den Cephalopoden und
Aplysien). (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 417.) Die Cephalo¬
poden uad Aplysien, die bisher als glykogenfrei galten, besitzen reich¬
lich Glykogen. Dieses lässt sich unter gewissen Bedingungen rein dar¬
stellen. Eia Unterschied zwischen den beiden Glykogenarten besteht nicht.
M. Kashiwabara: Ueber den Einfluss des Jods auf die Antolyse.
(Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 425.) Jod ist nur in geringem
Maasse imstande, die Autolyse zu fördern, mag man mit alkalischen
oder neutralen Gemischen arbeiten. Von einer starken Beeinflussung
der autolytischen Vorgänge durch Jod kann keine Rede sein.
G. Buglia und A. Constantino: Beiträge zur Mnskelehemie.
IV. Mitteilnng. Der Extraktivstolf und der frei durch Formol titrier¬
bare Aminostickstoff in der Muskulatur verschiedener Tierarten. (Zeit¬
schrift f. physiol. Chemie, Bd. 82, S. 439.) Es bestehen beträchtliche
Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung des Muskelgewebes
höherer Tiere im allgemeinen (Vertebraten) und desjenigen der niederen
Tiere (Invertebraten). So wurde unter anderem gefunden, dass die
Menge des freien, durch Formol titrierbaren Aminostickstoffs wie auch
die des Extraktivstoffs in Muskelextrakten von Invertebraten bedeutend
höher ist als bei den Vertebraten. Wohlgemuth.
Pharmakologie. *
C. L. v. Lhota: Versuche über die Fixation des Digitoxins (Merck)
im Organismus des Kaninchens nach intravenöser Injektion nebst ver¬
gleichenden Versuchen mit Strophantin g. (Biochem. Zeitscbr. Bd. 48,
S. 144.) Injiziert man Digitoxin (Merck) intravenös einem Kaninchen,
so verschwindet dasselbe sofort aus dem Blut, selbst in der zehnfach
letalen Dosis. Es wird fast momentan von den Organen, speziell dem
Herzen und den Gefässen fixiert, doch müssen die Organe unversehrt
funktionieren. Ist das nicht der Fall, so kann man schon die doppelte
letale Dosis des Digitoxins im Blute nachweisen. Nach grossen Dosen
begegnet man dem Digitoxin ausser im Herzen auch in der Leber.
Intravenös injiziertes Strophantin g verschwindet aus dem Blute sofort
nur in sehr geringfügiger Menge. Wohlgemuth.
R. Kaufmann - Hamburg: Ueber den Einfluss des Schmerzes und
der Digitalis auf die Herzarbeit des normalen Menschen. (Zeitschr. f.
experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2, S. 165—179.) Intravenöse
Digaleninjektionen bewirken beim gesunken Menschen Herabsetzung der
Pulsfrequen z, Steigerung des Blutdrucks, Herabsetzung des Minuten¬
volumens bei gleichbleibendem Schlagvolumen und Erhöhung der Herz¬
arbeit pro Schlag bei gleichbleibender Herzarbeit pro Minute. Die Ver¬
suche sprechen datfür, dass auch beim normalen Menschen eine aus¬
gesprochene Herzwirkung der Digitalis vorhanden ist. Jacoby.
Semibratoff-Kronstadt: Zur Frage über die baktericiden und
antiparasitären Eigenschaften des Phosgens (fOCI*). (Centralbl. f. Bak-
teriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 479 ) Phosgen, ein
farbloses Gas von erstickendem Geruch und starker Reizwirkung auf die
Schleimhäute, ist als Mittel zur Vernichtung von Ratten, eventuell auch
als Desinfektionsmittel vorgeschlagen worden. Wenn es auch nach den
Untersuchungen des Verf. in bestimmten Konzentrationen einige bakteri-
cide Eigenschaften besitzt und selbst in schwachen Lösungen Nagetiere
tötet, so ist es doch weder zur Desinfektion noch zur ltattenvertilgung
praktisch geeignet, einmal wegen seines hohen Preises, sodann wegen
seiner höchst schädlichen Wirkung auf deu menschlichen Organismus.
Bierotte.
S. Ogawa-Heidelberg: Ueber die Resorption wirksamer Bestand¬
teile aus Digitalisblättern und Digitalispräparaten. (Deutsches Archiv
f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Die Glykoside werden im Magen
überhaupt nicht, im Darm nur relativ langsam resorbiert. Auf der
langsamen Resorption beruht jedenfalls ein grosser Teil der Verzögerung
der Digitaliswirkung bei interner Einführung. Es ist möglich, dass
manche Misserfolge der internen Digitalismedikation bei abdominaler
Stauung auf abnormer Verlangsamung in der Resorption der wirksamen
Bestandteile und auf ihre allmähliche Zerstörung bei allzu langdauern¬
dem Kontakt mit den Darmfermenten zurückzuführen sind.
G. Eisner.
M. Steiger und A. Döll-Bcrn: Desinfektionkraft des Sublimats.
(Zeitschr. f; Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 324.) Die bisher geltende An¬
nahme, dass Sublimat in wässeriger Lösung von 1: 1000 innerhalb
kurzer Zeiträume die pathogenen Bakterien abtötet, ist nach den Unter¬
suchungen der Verff. nicht mehr aufrecht zu erhalten. Da das Sublimat
in Gegenwart von Eiweiss viel weniger wirksam ist als in rein wässerigen
eiweissfreien Medien, so ist trotz der Anschauung, dass es eins der
wirksamsten Desinfektionsmittel in der chirurgischen Praxis sei, die Des¬
infektion mit Quecksilberbichlorid jedenfalls da, wo Blut, Eiweiss usw.
vorhanden ist, nicht sehr hoch einzuschätzen. Möllers.
A. Bickel und M. Pawlow: Untersuchungen zur pharmakologischen
Wirkung des p-Oxyphenylaethylamins. (Biochem. Zeitschr. Bd. 47,
S. 345.) Die intravenöse Iojektion einer schwachen Lösung von p-Oxy-
pheoylaethylamin bewirkt beim Kaninchen und beim Hund nach einer
rasch vorübergehenden leichten Blutdrucksenkung eine Steigerung des
arteriellen Blutdruckes, die sich einige Zeit unverändert hält, dann aber
wieder zur Norm zurückkehrt. Diese Blutdrucksteigerung wird bedingt
durch eine Stauung im Arteriensystem infolge einer Verengerung der
Capillaren und einer Blutverarmung des Venensystems, was durch die
Messung des aus einer Vene abfliesseoden Blutes mit Sicherheit fest¬
gestellt werden konnte. Mit dieser BlutverarmuDg geht einher eine
Volumabnahmo aller derjenigen Organe, die von Venen stark durch¬
blutet sind. An der Niere konnte da9 durch Messung des Volumens
direkt konstatiert werden. Wohlgemuth.
H. Hirsch: Alkohol nnd Nerven. (St. Petersburger med. Zeit¬
schrift, 1912, Nr. 21.) Ein aus der Literatur über Alkohol zusammen-
gestelltes Referat. Verf. kommt zu dem Schluss, dass Alkohol möglichst
zu vermeiden ist, als Genussmittel aber, in mässigen Mengen aufgenommen,
nicht schadet.
K. Dehio: Der Alkohol und der menschliche Organismus.
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1912, Nr. 20.) Der Alkohol schadet
fast immer dem Körper. Es werden experimentelle Untersuchungen und
die pathologischen Veränderungen der Organe angeführt. Der Alkohol
als Genussmittel ist nur in massigem Quantum und bei nicht gewohn-
heitsmässiger Aufnahme zu gestatten. Wartensleben.
M. Kochmann - Greifswald: Beiträge zur Pharmakologie der
Mischnarkose. I. Wirkuog von Narcoticagemischen auf poikilotberme
Wassertiere. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 2,
S. 328—340.) Chloralhydrat und Urethan addieren sich bei ihrer Kom¬
bination in ihrer Wirkung auf Fische und Kaulquappen. Bei der Kom¬
bination des Morphins mit Urethan, Chloralhydrat und besonders mit
Scopolamin ist ein potenzierter Synergismus zu konstatieren. Aeltere
Tiere werden schneller narkotisiert als jüngere. Kochmann lehnt die
Bürgi’sche Hypothese über die Mischnarkosen ab. Jacoby.
Therapie.
R. Rendu: Inhalationen mit heisser Lnft io der Behandlung der
Diphtherie. Technik. Resultate. (Lyon möd., 1913, Nr. 2.) Empfehlung
von Heissluftinhalationen bei Diphtherie, die mit der Serumtherapie zu
kombinieren sind. Schilderung der Technik und der klinischen Re¬
sultate. A. Münzer.
H. Passler - Dresden: Radikale Tonsillektomie oder konservative
Behandlung der chronischen Tonsillitis. (Therapeut. Monatsh.,
Januar 1913.) 1. Die chronische Tonsillitis führt in der Mehrzahl der Fälle
nach kürzerer oder längerer Zeit zu erheblichen allgemeinen Gesund¬
heitsschädigungen. 2. Die Beseitigung der chronischen Tonsillitis ist in
den meisten Fällen die Vorbedingung für eine dauernde Heilung der
von ihr abhängigen sekundären Krankheitszustände. Wo Heilung aus¬
bleibt, ist nach dem Bestehen noch anderer chronischer Infektions-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
zustande (Nebenhöhlen, Rachenmandel, Zähne) zu forschen. 3. Die
einzig sichere Methode zur Heilung der chronischen Tonsillitis ist die
radikale Tonsillektomie. Weder die sogenannten konservativen, noch die
verstümmelnden operativen Behandlungsmethoden lassen einen Erfolg
mit nur einiger Sicherheit erwarten. 4. Kontraindikationen der
radikalen Tonsillektomie ergaben sich weder aus praktischen,
noch aus theoretischen Gründen.
H. Putzig - Berlin: Zur Behandlung des Pylorospasmus (Pylorus-
sondierung). (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Die Methode der
Pylorussondierung verdient bei diätetischer Behandlung des Pyloro-
spasmus den Vorzug vor anderen Maassnahmen. Auf Grund der vom
Verf. beobachteten geringen Anzahl von Fällen lässt sich noch kein
abschliessendes Urteil darüber gewinnen, ob sie bei jedem Fall gelingt.
Die Betrachtung anatomischer Präparate der Mägen von an dieser
Affektion gestorbenen Kindern macht das nicht wahrscheinlich.
C. Bruck - Breslau: Die Behandlnog der Gonorrhöe und ihrer
Komplikationen. (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Nach den Er¬
fahrungen der Neisser’sehen Klinik in Breslau stellt Verf. folgende
Prinzipien für die heutige Tripperbehandlung auf: 1. Rein antiseptische
Behandlung: Abtötung der Gonokokken auf der Oberfläche uud möglichst
in der Tiefe ohne Unterdrückung der Entzündung (Silbereiweissverbin¬
dung: Protargol, Argonin usw.). 2. Uebergang zu einer antiseptischen
und leicht adstringierenden Behandlung: Vernichtung etwa noch übrig
gebliebener Gonokokken und massige Eindämmung der Entzündung
(Arg. nitr., Ichthargan, Albargin, Argentamin usw.). 3. Beschluss der
Behandlung mit nicht mehr antiseptiseber, sondern rein adstringierender
Therapie (Zinc. sulf., Wismut, Alaun). H. Knopf.
L. Zweig-Dortmund: Die Behandlung der Foranknlose und der
Sycosis coecogenes mit dem Stapfaylokokkenvacein „Opünogen“.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Gute Erfolge in 9 Fällen.
(Die Wright’schen Anschauungen und Experimente betr. die Opsonine
sind vom Verf. unrichtig wiedergegeben. Die OpsoDine sind Serum¬
stoffe! Ref.) Wolfsohn.
Jarosch-Friedrichsheim: Blesbd bei Lnngentnberknlose. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Von einer Heilwirkung des Mesbe bei
Tuberkulose ist nicht die geringste Rede. Das Mittel scheint eher zu
schaden als zu nützen.
M. Joseph-Berlin: Die WassermaDn’aehe Histopintherapie iu der
Dermatologie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Das Histopin
wird empfohlen zur Verhütung neuer Furunkel in der Umgebung eines
Herdes, weiterhin als Heilmittel bei Impetigo, Pemphigus vulgaris,
Ekzem und anderen Stapbylokokkeninfektionen. Der Preis des Mittels
ist leider viel zu hoch. Wolfsohn.
Butzengeiger-Elberfeld: Erfahrungen mit MeBbä in der Behand¬
lung chirurgischer Tuberkulosen. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 3.) B. wandte Mesbö, das aus einer zentralamerikanischen Mal-
vacee gewonnen wird, bei sieben Fällen von fistulösen Knochentuber¬
kulosen an, und zwar lokal als reines Mesbe oder als 50 proz. Salbe.
Bei vier Patienten erfolgte eine eklatante günstige Beeinflussung.
W. Schüffner und H. Vervoort-Deli: Das Oleom Chenopodii
gegen Aokylostomiasis und eine neue Methode der Wertbestimmung
von Wurmmitteln. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Das
Oleum Chenopodii ist als Wurmmittel stärker wirkend als Thymol,
Eukalyptus -f- /LNapblbol. Es ist gleich kräftig gegen Ankylostoraeu
und gegen Askariden. Es ist sehr angenehm zu nehmen; man lässt am
besten hinterher Ricinusöl trinken. Es ist allerdings relativ teurer als
die anderen Wurmmittel. Die Vorschrift lautet: Zweistündlich dreimal
hintereinander je 16 Tropfen Oleum Chenopodii mit Zucker; zwei Stun¬
den nach letzter Dosis 17 g Ricinusöl + 3 g Chloroform.
B. Hildebrand-Freiburg: Beitrag zur Behandlung der Erkrankung
an Oxyoris vermieularis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.)
Um eine Reinfektion durch Berührung der Hände mit den Oxyuren, die
sich in der Analgegend festsetzen, zu verhindern, empfiehlt H. eine
Salbe, die aus Campher, Chiuin und Thymol besieht. Sie wird unter
dem Namen „Vermiculin“ in den Handel gebracht. Sie wird morgens
und abends, womöglich nach dem Stuhlgang, in der Umgebung des
Afters (nach voraufgegangener gründlicher Reinigung mit Seife und
Wasser) eingerieben. Nach jeder Mahlzeit ist die Prozedur zu wieder¬
holen. Vor jeder Mahlzeit sind Hände und Nägel gründlich zu reinigen.
Diese Maassnahmen müssen 2—3 Wochen täglich fortgesetzt werden.
Zur Heilung genügen meist 1—2 Tuben. Dünner.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Fieux, Sero¬
therapie gegen unstillbares Erbrechen.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
A. Fröhlich und E. P. Pick-Wien: Die Folgen der Vergiftung
durch Adrenalin, Histamin, Pituitrin, Pepton, sowie der anaphylak¬
tischen Vergiftung in bezug auf das vegetative Nervensystem. (Archiv
f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1, S. 23—61.) Durch
intravenöse Applikation von Histamin, Adrenalin und Witte-Pep toD,
sowie als Folgeerscheinung des anaphylaktischen Shocks erfahren die
vegetativen Nervenendapparate eine Verminderung der Erregbarkeit.
Bei Anwendung verschiedener auf die Nervenendigungen einwirkender
Agentien spielt die Reihenfolge der Applikation eine grosse Rolle. Vor¬
behandlung mit einer Base schwächt auch die Erregbarkeit gegenüber
anderen Basen ab. Es muss hier eine Gemeinsamkeit der Wirkung vor¬
liegen, die von den elektiven Wirkungen auf die nervösen Endapparate
verschieden ist. Nach Vorbehandlung mit Histamin ist Adrenalin und
Pilocarpin ohne Wirkung auf den puerperalen Uterus, während andere
Basen nicht gegeneinander abstumpfen. Nach Vorbehandlung mit Pepton
verlieren Pituitrin, Thyramin und Adrenalin ihre Wirksamkeit, Adrenalin
beruhigt den durch Pepton erregten Uterus. Jacoby.
L. Loeb-St. Louis: Quantitative Untersuchungen über Immunität
gegen Tumoren bei Mäusen. I. Ueber die gegenseitige Beeinflussung
des Wachstums zweier Tumoren mit variabler Wachstumsenergie. Von
Moyer S. Fleisher, E. P. Corson White und L. Loeb. (Centralbl.
f Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 450.) Aus den
Untersuchungen der Verff. ergibt sich, dass es möglich ist, die Immunität
gegen Tumoren quantitativ zu untersuchen und auf diesem Wege Wider¬
sprüche zu klären. Ganz eiakt lässt sich feststellen, dass nur bei Er¬
füllung gewisser quantitativer Bedingungen das Wachstum eines Tumors
das eines anderen verhindert. Die Verff. stellen es ferner als sehr wahr¬
scheinlich hin, dass Tumoren zweierlei Einwirkungen auf das Resultat
einer vorangehenden oder nachfolgenden Inoculation ausüben können,
eine begünstigende oder hemmende, je nach der Kombination der
Tumoren; doch sollen diese Resultate vorläufig nur als bedingungsweise
betrachtet werden. Eodlich ergibt sich aus den Versuchen, dass die
mit der Rückbildung der Tumoren verbundene Immunität gegen das
Wachstum eines anderen Tumors verschieden ist, je nach der Ab¬
schwächung, die der sich zurückbildende Tumor vor der Inoculation er¬
fahren hatte. Bierotte.
K. Ulesko - Stroganowo: Die epithelialen Geschwilite der Mänse.
(Zeitschr. f. Krebsforscb., Bd. 12, H. 3.) Zusammenstellung der Lite¬
ratur, besonders der russischen, über das Mäusecarainom uud seine Be¬
obachtungen an 200 Mäusen.
U. Wells und R. E. Long: The pnrines and pnrine metabolism of
timore and the Chemical relations of priraary and secondary tumors.
(Zeitschr. f. Krebsforscb., Bd. 12, H. 3.) Die leider in englischer Sprache
abgedruckte Arbeit enthält Untersuchungen über den Gehalt bösartiger
Geschwülste an Purinkörpern und die Beziehungen der Primär- zu den
Sekundärturaoren in bezug auf diesen Puringehalt. Der Puringehalt der
Tumoren ist der gleiche wie im normalen Gewebe, auch scheinen die
Enzyme, die auf Purinkörper wirken, dieselben zu sein wie im normalen
Gewebe. A. W. Pinner.
E. G. Oser und E. E. Pribram - Wien: Ueber die Bedeutung der
Milf in dem an malignem Timor erkrankten Organismus und die Be¬
einflussung von Tumoren durch Milzbrei. (Zeitschr. f. experim. Pathol.
u. Therapie, Bd. 12, II. 2, S. 295—302.) Splenektoraierte Ratten zeigen
ein rascheres Tumorwachstum. Bei Sarkomratten kann durch Injektion
von Milzbrei eine Rückbildung oder ein Wacbstumsstillstand des Tumors
bewirkt werden. Injektionen in die malignen Tumoren selbst sind zu
vermeiden. Das von Oestreicb angegebene Antituraan, das aus
Chondroitinschwefelsäure besteht, entfaltet keine Heilwirkungen. Be¬
merkenswert ist aber, dass die Patienten etwa noch eine Stunde nach
der Injektion über Schmerzen im Tumor klagen und Temperatursteige-
rungen und Pulsbeschleunigung zeigen. Jacoby.
F. W. Strauch: Uebertragnngsvergnch von Mänsecarcinom aif
Kaninchen. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Trotz der be¬
kannten Tatsache, dass Mäuse sich gegen die Impftumoren fremder, z. B.
ausländischer Mäusestämme, refraktär verhalten, ist der Beweis geliefert
worden, dass sich das Mäusecarcinom auf das artverwandte (Nagetier),
aber phylogenetisch fernerstehende Kaninchen übertragen lässt. Damit
ist die Behauptung Sticker’s widerlegt, dass Gescbwulstgewebe im
Körper eines artfremden Individuums nicht weiterwaebsen, sondern
höchstens als Fremdkörper entzündliche Wucherungen erzeugen könne.
Der histologische Bau des Kaninchentumors wich von dem der Maus er¬
heblich ab, ebenso wurde der bei der Maus gutartige Tumor beim Kanin¬
chen bösartig.
M. Landau: Zur onkologischen Stellung der sogenannten ver¬
kalkte! Epitheliome. . (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Be¬
schreibung der Geschwulst und Betrachtung ihrer Stellung im System
der Tumoren. A. W. Pinn er.
A. J. Hall - Sheffield: Zwei Fälle von Kolloidgeschwnlst des
dritten Ventrikels, die den Tod verursachten. (Lancet, 11. Januar
1913, Nr. 4663.)
A. Keith - London: Geschichte und Natur einiger Präparate, die
von der Sektion der Leiche Napoleons I. stammen sollen. (Brit. med.
journ., 11. Januar 1913, Nr. 2715.) Es handelt sich um zwei Stücke
Dünndarm mit kleinen Tumoren im Museum des Royal College of Sur-
geons, die nach einer Bemerkung von Sir Astley Cooper von der
Leiche Napoleons des Ersten stammen sollen. Die Tumoren sind ge¬
schwollene Peyer’sche Plaques. Man hat die Identität der Darmstücke
angezweifelt auf Grund des offiziellen Sektionsberichts, nach dem der
Darm Napoleons gesund gewesen ist. Keith weist in ausführlicher Dar¬
legung nach, dass die Stücke sehr wahrscheinlich echt sind und dass
Napoleon ausser an Magenkrebs auch an einer Infektionskrankheit ge¬
litten hat, die vermutlich chronisches Maltafieber oder etwas Aebnliches
gewesen sein muss. Wey dem an n.
R. Bayer-Bonn: Zur Histologie des BasedowthymuB. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Verf. liefert zu der aktuellen
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UNIVERSUM OF IOWA
10 Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
269
Frage des Basedowthymus an Hand eines beobachteten Falles einen
wichtigen Beitrag. Zu kurzem Referat nicht geeignet.
W. V. Simon.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Todyo, Ein
junges pathologisches menschliches Ei.
Diagnostik.
Bütte er-Wobst: Die v. Pirquet’sehe Catanreaktion im Dienste
der SehwiBdsBchtsprophylaxe. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 3.) Bei einem 26 jährigen Manne, an dem oft die Pirquet’scbe
Reaktion positiv ausgefallen war, wurde sie plötzlich negativ. Bald
darauf trat bei ihm eine tuberkulöse Erkrankung der Lunge auf. Verf.
empfiehlt nun, bei Tuberkuloseverdächtigen die Pirquet’sche Reaktion
systematisch durchzufübren und eine entsprechende Therapie einzuleiten,
sobald die Reaktion negativ wird. Dünner.
Parasitenkunde und Serologie.
P. Nits che-Dresden: Verwendung kolloider Metalle an Stelle
der Tusche bei ßnrri-Präparaten. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1,
Orig., Bd. 63, H. 7, S. 575.) Collargol, in destilliertem Wasser gelöst,
hat sich dem Verf. noch besser für die Anfertigung von Präparaten be¬
währt als das Burri’sche Tuscheverfahren. Bierotte.
C. J. Martin-London: Insekten als Träger von Bakterieninfek¬
tionen. I. (Lancet, Nr. 4662, und Brit. med. journ., Nr. 2714, 4. Januar
1913.) Die Stubenfliegen, deren Entwicklung und Anatomie der Verf.
kurz darstellt, kommen in Betracht bei der Uebertragung der Darm-
infektionen. Wenn sie auch diese Krankheiten übertragen können, so
spielen sie doch bei der Verbreitung von Cholera, Typhus, Ruhr usw.
keine grosse Rolle. Anders scheint es zu sein in militärischen Lagern.
Im spanisch-amerikanischen und im Bauernkriege hat man beobachtet,
dass beim Eintritt kühleren Wetters und mit den ersten Frostnächten
die Fliegenplage aufhörte und bald nachher auch die typhösen Erkran¬
kungen. Die Sommerdiarrhöe der Kinder scheint aber in engem Zu¬
sammenhang mit der Menge der Fliegen zu stehen, denn beide haben
zu derselben Zeit ihr Maximum. Die Epidemie nimmt aber früher ab
als die Zahl der Fliegen.
Cb. J. Martin-London: Iisektea'als Träger von Bakterieiinfek-
tioBCB. II. (Lancct, Nr. 4663, und Brit. med. journ., Nr. 2715, 11. Ja¬
nuar 1913.) Weydemann.
D. H. Cuvrie, M. T. Clegg und H. T. Hollmann-Honolulu:
Züehtaag des Leprabacillas. (Lepra, Bibliotheca internationale, 1913,
Bd. 13, fl. 2.) Den Verif. ist es gelungen, einen dem Leprabacillus
morphologisch gleichen, säurefesten Bacillus in Reinkultur zu züchten,
den sie für den Leprabacillus ansprechen müssen.
R. Stunziale-Neapel: Neue Untersuchungen über die Einiatpfaag
voa Lepramaterial in die vordere Aogenkammer von Kaninchen.
(Lepra, Bibliotheca international«, 1913, Bd. 13, H. 2.) Verf. erreichte
eine Vermehrung der Leprabacillen, Entwicklung von Granulomen in der
Cornea und auf der Oberfläche der Iris. Ausserdem gelang die Weiter¬
impfung von Kaninchen auf Kaninchen. In diesen letzteren Fällen war
die Wassermann’sohe Reaktion positiv.
E. Marchouse und F. Sorel-Paris: Die Lepra der Ratten
(Lepra murium). (Lepra, Bibliotheca international«, 1913, Bd. 13, H. 3.)
Die Lepra der Ratten ist ubiquitär. 5 pCt. der Ratten sind Träger des
Stefansky’schen Bacillus, aber nur 0,6 pCt. Ratten sind leprös. Die
Inguinaldrüsen sind zuerst befallen. Die Stefansky’sche Rattenlepra ist
eine nur bei Ratten beobachtete Erkrankung. Mäuse können infiziert
werden, aber nicht so leicht als Ratten. Immerwahr.
Y. Ternuchi und 0. Hi da-Tokio: Beitrag zur bakteriologischen
Choleradiagnostik. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63,
H. 7, S. 570.) Die Verff. empfehlen als einen hochelektiven Nährhoden
für Choleravibrionen ein von ihnen naoh umfangreichen Versuchen er¬
probtes „Caseintrypsinpeptonwasser", dessen genaue Herstellung sie an¬
geben.
E. Hailer und E. Ungermann-Berlin: Ueber die Empfänglichkeit
der Ziege für die Infektion mit TyphasbaeilleB. (Centralbl. f. Bakteriol.
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 337.) Versuche, Ziegen per os
oder intravenös mit Typhusbacillen zu infizieren, wie sie Scordo nach
seinen Mitteilungen gelungen sein sollen, schlugen den Verff. vollständig
fehl: in keinem Falle gelang es, die Bacillen im Ziegenorganismus zum
Haften zu bringen; ebensowenig konnte eine Ausscheidung derselben
durch Kot, Urin oder Milch festgestellt werden. Bierotte.
L. S. Dudgeon, W. 0. Meek und H. B. Weir-London: Eine vor¬
läufige Untersuchung über den Wert der KomplemeBtbindBBgSBnter-
siekiagei bei Tuberkulose. (Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.)
In weitaus den meisten untersuchten Fällen von Tuberkulose war die
Reaktion positiv; die Stärke der Reaktion stand aber in keinem Ver¬
hältnisse zur Schwere und Dauer der Krankheit. Weydemann.
P. Esch: Experimentelle Untersuchungen über den beschleuBigtea
Nachweis tob Taberkelbacilleu durch dea MeerschweiBcheBvenuch.
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Verf. bringt
das zu untersuchende Material duroh intraoardiale Infektion der Ver¬
suchstiere direkt in die Blutbahn, um möglichst schnell eine generalisierte
Tuberkulose bei diesen zu erreichen. Zur Erkennung des tuberkulösen
Prozesses beim Versuchstier in seinem Frühstadium verwendet er die
intracutane Injektion von 0,02 ccm Tuberkulin, deren Ueberlegenheit
über die subcutane Infektion an einer Reihe von Tabellen nachgewiesen
wird; sie ist bei weitem die brauchbarste und zuverlässigste der bis¬
herigen Methoden, den Tierversuch möglichst abzukürzen.
Th. Müller.
T. Germ an-Budapest: Ueber die KreatiniobildaBg der Bakteriea
(als differentialdiagDOstisches Merkmal mancher Bakterien). (Centralbl.
f. Bakteriol. usw., Abt. 1. Orig., Bd. 63, H. 7, S. 545.) 6. untersuchte
eine ganze Reihe verschiedener Bakterien auf ihre Fähigkeit, in pepton¬
haltigen Nährböden Kreatinin zu bilden, und benutzt dieses Verhalten
in differentialdiagnostischer Hinsicht. Der Nachweis des Kreatinins er¬
folgte mit der Weyl’schen Reaktion, in Zweifelsfällen mit der Salkowsky-
chen Reaktion, die noch empfindlicher ist.
B. Kl ein-Kiew: Zur Beobachtung der Zersetzung von Kohle¬
hydrates durch Bakterien. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig.,
Bd. 63, H. 4—6, S. 321.) Um die Zersetzung von Kohlehydraten durch
Bakterien innerhalb möglichst kurzer Zeit feststellen zu können, impfte
der Verf. grosse Mengen von Kulturen des Bacterium coli, bzw. Bacillus
typhi, paratyphi und dysenteriae in relativ kleine Quantitäten des Nähr¬
mediums und konnte so in wenigen Stunden zu einem Ergebnis kommen,
was unter Umständen, z. B. zu einer schnellen Differenzierung von Kul¬
turen, recht vorteilhaft ist. Bierotte.
E. Küster und Rothaub-Freiburg i. B.: Verlauf des Adsorptions¬
prozesses bei der Einwirkung des Phenols aaf Bakteriea. (Zeitschr. f.
Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 205.) Der Aufnahmeprozess des Phenols
durch Bakterien erfolgt rasch in den ersten Stunden der Einwirkung
(steiler Abfall der Kurve), sehr langsam in den folgenden Stunden.
Eine bestimmte Menge Phenol, sowie ein Minimum des Konzentrations¬
grades ist unbedingt erforderlich, um den Tod der Bakterien herbei-
zufübren. Bei Behandlung vorher abgetöteter Bakterien mit Phenol¬
lösung wird eine bestimmte Menge des Phenols von den toten Bakterien
adsorbiert und nicht wieder abgegeben. Möllers.
J. v. Zubrzycki und R. Wolfgruber-Wien: Nonaale Hämagglu-
tifliae iB der Frauenmilch und ihr Uebergang auf das Kind. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Normale Hämagglutinine sind in der
Frauenmilch vorhanden, und zwar besonders in den ersten Tagen post
partum. Die Agglutinationskraft verhält sich verschiedenen Blutkörper¬
chen gegenüber verschieden. Im Serum der Säuglinge sind diese Agglu-
tinine in den ersten 14 Tagen post partum nicht nachzuweisen.
Ellermann - Kopenhagen: Quantitative Ansflocknngsreaktionen
bei Syphilis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.)
Wolfsohn.
H. Handovsky und E. P. Pick-Wien: Ueber die Entstehung
vasokonstriktorischer Substanzen durch Veränderung der Serum-
kolloide. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1,
S. 62—88.) Lässt man Sera unter Verhinderung bakterieller Zer¬
setzungen einige Tage stehen, so nehmen ihre vasokonstriktorischen
Fähigkeiten beträchtlich zu. Ebenso wird Serum verändert, wenn man
es mit Kieselgur, Kaolin oder Fibrin schüttelt. Die Wirkung ist in
erster Linie an die löslichen kolloiden Bestandteile gebunden. Auch
das Anaphylatoxin besitzt eine gefässverengernde periphere Wirkung.
Die Serumveränderung scheint in einer Desaggregation (Entmischung)
kolloider Komplexe zu bestehen. Die Wirkungsart der veränderten
Sera ist vielfach dem Mechanismus des Adrenalis ähnlich.
_ Jacoby.
Innere Medizin.
N. D. Bardswell - Midhurst: Einige Beobachtungen über die Be¬
handlung der Lungentuberkulose mit kleinen Taberkulingaben. (Lancet,
4. Januar 1913, Nr. 4662.) Versuche an 30 Patienten, die nach Wright
mit kleinen Tuberkulingaben (Viooo—Veoo m K trockenes Tuberkelbaclllen-
pulver) behandelt wurden. Es fand sich naoh jeder Injektion eine be¬
friedigende Steigerung des opsonischen Index, aber keinerlei Heilwirkung
auf die klinischen Erscheinungen.
E. E. A. T. Rigg-London: Ueber den angeblichen diagnostischen
Wert provokatorischer Injektionen vob Alttuberkuliu in Fällen, die
auf geschlossene Lungentuberkulose verdächtig sind. (Lancet,
11. Januar 1913, Nr. 4663.) Nach sorgfältigen Untersuchungen an
61 Fällen stellt der Verf. fest, dass von derartigen Injektionen nach
keiner Richtung hin für die Diagnose geschlossener Lungentuberkulose
etwas zu erhoffen ist.
E. F. Maynard - London: Salvarsaa bei pernieiöser Anämie.
(Brit. med. journ., 11. Januar 1913, Nr. 2715.) Io dem kurz mitge¬
teilten Falle von pernieiöser Anämie hat Salvarsan völlig versagt.
Weydemann.
S. Isaac und E. Handrick-Wiesbaden: Beziehungen anämischer
Zustände sam Kohlehydratstoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin.
Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) In fünf Fällen von pernieiöser Anämie
stellen die Verff. fest, dass die Durchschnittszuckerwerte für das Gesamt¬
blut sowohl wie für das Blutplasma beträchtlich überschritten werden.
Bei leichteren Anämien konnte keine wesentliche Erhöhung des Blut¬
zuckerspiegels konstatiert werden. -j ■
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UNIVERSUM OF IOWA
270
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
K. Oczesalski und St. Sterling-Warschau: Experimentelle Unter¬
suchungen über den Einfloss der Blateatziehangen und subperitonealen
Blotinjektionen auf die Zahl und Resistenz der roten Blutkörperchen.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Blutentziehungen,
sogar grosse, aber in nicht zu kleinen Zeitabständen ausgefübrt, bringen
dem tierischen Organismus nicht nur keinen Schaden, sondern rufen
noch eine Vermehrung der Erythrocytenresistenz hervor. Die Aderlässe
in Verbindung mit Injektionen des eigenen Blutes bringen dem gesunden
Tiere keinen Schaden, steigern dagegen die Resistenz und die Zahl der
roten Blutkörperchen.
A. Spuler und A. Schittenbelra - Erlangen: Ueber die Herkunft
der sogenannten „Kern“- bzw. „Zellschollen bei lymphatischer Lenk-
ämie und die Natur der eosinophilen Zeilen, zugleich ein Beitrag zur
diagnostischen Knochenmarkspunktion. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Bd. 109, H. 1 u. 2.) Die als „Zellschollen“ bezeichneten Gebilde, 'wie
man sie namentlich im Blute lymphatischer Leukämien findet, entstehen
aus Lymphocyten mit relativ pyknotischen Kernen. Auch zeigt sich
deutlich der Zusammenhang von Blutzerfall mit Bildung von eosinophilen
Leukocyten; diese entstammen also nicht dem Knochenmark.
G. Eisner.
R. Strisower - Wien: Beitrag zur Kasuistik hochgradiger Blnt-
eosinophilie bei einer Carcinomatose und einem Lymphogrannlom.
(Wiener kin. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Kasuistik.
A. Pappenheim - Berlin: Benseibehanfllang der Leukämie und
sonstiger Blutkrankheiten. (Vorläufige Mitteilung.) (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 2.) P. hat das von Koranyi empfohlene Benzol nach¬
geprüft und auch das besser verträgliche Benzin angewendet und ge¬
funden, dass die bei Menschen ohne Schaden gereichten Dosen zu klein
sind, um einen therapeutischen Effekt im Sinne einer Unterdrückung der
Knochenmarkszellenbildung zu haben, dass aber bei grösseren Dosen die
Gefahr einer schweren Leber- und Nierenschädigung besteht. Beide
Mittel sind in ihrer Wirkung minderwertig gegenüber den radioaktiven
Substanzen. P. Hirsch.
C. H. Treadgold-London: Myeloide Leukämie bei einem Kinde
mit dem Blutbilde der sogenannten megaloblastisehen Degeneration.
(Lancet, 11. Januar 1913, Nr. 4663.)
Sir B. Moynihan: Gallensteine. (Brit. med.journ., 4. Januar 1913,
Nr. 2714.) Klinische Vorlesung nach den persönlichen Erfahrungen des
Verfassers. Wey dem an n.
F. Schultze-Bonn: Ueber heilbare aknte Hepatitis. (Deutsches
Archiv f. klin. Med, Bd. 108, H. 5 u. 6.) Beschreibung eines Falles
von akuter Hepatitis. Die Diagnose konnte erst durch die Probelaparo¬
tomie gestellt werden, bei der sich ein abnorm grosser, geschwollener
Leberlappen fand. Stein und Abscess war auszuschliessen gewesen.
Die mikroskopische Untersuchung des herausgeschnittenen Leberstück¬
chens ergab interstitielle Entzündungsherde. Auffallend war die nach
der Laparotomie einsetzende und fortschreitende Heilung.
F. Fischler und F. Grafe: Der Einfluss der Leberausschaltung
auf den respiratorischen Stoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verff. schalteten an Hunden die Leber vollständig
aus dem Kreislauf aus, indem sie in der ersten Sitzung eine Eck’sche
Fistel anlegten, in einer zweiten Sitzung, einige Wochen später, die
Leberarterie unterbanden und durch trennten. Eine sichere der Leber-
arterienunterbindung direkt folgende Veränderung des Organs konnte
nicht konstatiert werden. Der Einfluss auf den respiratorischen Gas-
wechsei ist in den einzelnen Stunden nach der Operation ein ganz ver¬
schiedener. Die Oxydationsfähigkeit für Eiweiss und Fett hat nach Aus¬
schaltung der Leber nicht in erheblicher Weise gelitten. Die Wärme¬
produktion sinkt in ungewöhnlich starkem Maasse (30—70pCt.) ab. Es
scheint, dass die Leberausschaltung auf indirektem Wege zu der schweren
Schädigung der Wärmeproduktion führt, möglicherweise durch den
Fortfall der entgiftenden Wirkung der Leber. G. Eisner.
H. M. Cargin-Birmingham: Ein Fall von diphtherischer Enteritis.
(Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Im Anschluss an eine Rachendiph¬
therie trat eine Darmerkrankung auf, wobei membranartige Ausgüsse
des Darmes entleert wurden, aus denen sich Diphtheriebacillen züchten
Hessen. Wey dem an n.
R. Rössle: Das rnnde Geschwür des Magens nnd des Zwölffinger¬
darmes als „zweite Krankheit“. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u.
Chir., Bd. 25, H. 4.) Die beiden Affektionen erscheinen sehr häufig als
„zweite Krankheit“ nach irgendwelchen anderen Schädigungen der Ge¬
sundheit, und zwar soll nicht auf dem Wege der Blutbahn, sondern
durch reflektorische Nervenreize (Vagusgebiet!) die Schädigung derMagen-
bzw. Duodenalschleimhaut zustande kommen. Die makroskopisch ver¬
schiedenen Bilder, von der einfachen Erosion bis zum tiefgreifenden Ge¬
schwür sind nur Stadien desselben Prozesses. Krämpfe in der Muscularis
mucosae sollen besonders Anlass zur Ausbildung von Erosionen sein,
insofern durch sie Gefässchen abgeklemmt werden, was wiederum hämor¬
rhagische Infarcierung oder Ischämie des versorgten Bezirkes zur Folge hat.
Th. Müller.
L. Rogers: Behandlung von Amöbenrnhr mit subcutanen Ein¬
spritzungen von Emetine. (Therapeutic Gazette, 1912, Nr. 12.) Ent¬
gegen der älteren Behandlung der Amöbenruhr mit Ipecacuanba zieht
Verf. subcutane Injektionen von Emetine (dem Alkaloid der Ipecacuanha)
in salzsaurer Lösung yor, un<| zwar meist iöh-0,5 gTDosen zweimal täglich.
Er berichtet von sehr guten Erfolgen nicht nur bei der Amöbenrubr,
sondern auch den hierbei auftretenden Hepatitiden und Leberabscessen.
Schelenz.
E. Schum ach er-Trier: Eine Gruppe von sechs klassischen Botl-
lismaserkrankungen in der Eifel und der Naohweis ihres Erregers, des
Bacillus botulinus. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Neu
ist, dass es io einem der sechs Fälle gelang, aus dem bei der Sektion
des Patienten erhalteuen Milzblut den Botulinusstamm zu züchten.
Dünner.
H. Hemsted*. Eine gebellte infektiöse Endocarditis. (Lancet,
4. Januar 1913, Nr. 4662.) 21jährige Frau mit monatelang dauernder
Endocarditis, die durch den Streptococcus salivarius von einem Zabn-
abscess aus verursacht war. Sehr viele Lungeninfarkte machten die
Diagnose sehr schwierig gegenüber einer Lungentuberkulose. Erst die
Kultur des Streptococcus aus dem Blute klärte die Diagnose. Völlige
Heilung durch monatelange, kombinierte Behandlung mit einer autogenen
Vaccine und einem eigens mit dem gefundenen Streptococcus bergestellten
Serum. Weydemann.
E. Schott- Cöln: Die Erhöhung des Dnckes im venösen System
bei Anstrengung als Maass für die Funktionstüchtigkeit des mensch¬
lichen Herzens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.)
Herzgesunde Individuen erfahren bei Anstrengung keine oder nur eine
sehr geringe Drucksteigerung im venösen System. Erklärung schwierig.
Verf. neigt am meisten der Ansicht zu, dass kranke Herzen, selbst wenn
sie niemals dekompensiert gewesen sind, nicht imstande wären, ein
Stromvolumen zu garantieren, welches dem bei der Anstrengung nötigen
entspräche, dass also in der Zeit der Anstrengung eine relative Ver¬
minderung des Stromvolumens statthätte.
R. Kaufmann und Popper-Wien: Beiträge zum Studium der
Pulsarhythmien. I. Mitteilung: Analyse des Mechanismus der Her*-
aktion in einem Falle von atrioveotriculärer paroxysmaler Tacfay-
cardie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Be¬
schreibung eines Falles von paroxysmaler Tachycardie und Beibringung
eines grossen Kurvenmaterials, welches eine genaue Analyse des Herz¬
mechanismus darstellt. G. Eisner.
G. Baer-Davos: Das Perkussionsqnantimeter. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Muss im Original gelesen werden.
Dünner.
Pol latschek: Diätsebema'für Diabetiker. (Zeitsohr. f. Balneol.,
5. Jahrg., Nr. 19.) E. Tobias.
G. v. Bergmann und Fr. W. Strauch - Altona: Die Bedeutung
physikalisch feia verteilter Gemüse für die Therapie. (Therapeut.
Monatsh., Januar 1913.) Io lange fortgesetzten Stoffwecbselversucben
ergab sich bei Verwendung von Bohnenpulver im Vergleich zu frischem
Bohnengemüse eine doppelt so gute Ausnutzung des Pulvers. Nicht nur
die Ausnutzung auf Grund der Kotuntersuchungen beurteilt, sondern
auch die Stickstoffbilanz zeigte die Möglichkeit ausgiebigen Stickstoff¬
ansatzes durch Zulage von Bohnenpulver. Die gereichten Mengen über¬
treffen das, was in der Norm in 24 Stunden an Gemüse sonst genossen
werden kann. Damit ist die Möglichkeit gegeben, an Gemüsestickstoff,
Gemüsesalzen usw. wesentlich mehr zu reichen, als sonst möglich ist
Die Zellulose in den Gemüsepulvern wurde dreimal so gut ausgenutzt
wie bei frischem Gemüse. Die untersuchten Gemüsepulver sind auch in
Mengen von 300 g entsprechend 3 kg frischen Gemüses absolut unschäd¬
lich. Die Zuführung geringer Quantitäten ist fast bei jedem Kranken
diätetisch durchführbar. In Fällen von Magen- und Darmkrankheiten,
in denen Gemüse nicht vertragen werden, können die Gemüsepulver
ohne Nachteil gegeben werden. Endlich in Krankheitsfällen, in denen
die Anwendung von viel Gemüsesubstanz besonders erwünscht ist, kann
man ohne Schädigung des Magen-Darmkanals erheblichere Quantitäten
bei kleineren Volumen zuführen.
v. Noorden - Wien: Ueber die Wahl von Nahrungsstoffen in
Krankheiten. (Therapeut. Monatsh., Januar 1913.) Referat, erstattet
in der Sektion für Diätetik auf dem Hygienekongress in Washington am
26. September 1912. H. Knopf.
M. Cloetta-Zürich: In welcher Respirationsphase ist die Lange
am besten darchblntet? (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol.,
Bd. 70, H. 6, S. 407—432.) Die durch die Respiration bedingten Volum¬
veränderungen der Lunge haben, abgesehen von den im Thorax dabei
erzeugteu Druckunterschieden, einen ausgesprochenen Einfluss auf dieBlut-
durchströmung der Lunge. Auf der Höhe der Inspiration ist die Durch¬
blutung am schlechtesten, viel besser bei der Exspiration, am voll¬
kommensten beim Beginn der Inspiration. Jacoby.
0. Bruns - Marburg: Blutcirculation in der atelektatisebea Lange.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.) Verf. zeigt an
Tierexperimenten, dass in der ausgedehnten atmenden Lunge sich in
einem gegebenen Augenblick mehr Blut befindet als in der collabierten,
atelektatischen Lunge, und dass die physiologisch gedehnte Lunge in
der Zeiteinheit ausgiebiger durchblutet wird als die atelektatiscbe Lunge.
Noch viel mehr als beim frischen Lungencollaps wird die Durchblutung
der Lunge bei der heute üblichen Art der Pneumothoraxtherapie ein¬
geschränkt, bei der man bestrebt ist, im Pneumothoraxraum dauernd
einen leichten Ueberdruck zu erhalten. Die Capillarschlingen einer luft¬
leeren Pneumothorax!upge sind, fast völlig blutleer. Diese energische
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
271
Einengung des kleinen Kreislaufs kann leicht zu Hypertrophie des rechten
Herzens fuhren. G. Eisner.
G. M. Balboni: Behandlung der Lungentuberkulose mit künst¬
lichem Pnenmothorax. (Boston med. journ., 1912, Nr. 22—26.)
Historische Einleitung und Beschreibung der Technik. Bericht über
21 eigene Beobachtungen; in der Mehrzahl offensichtlicher Erfolg, wobei
die Patienten während der Behandlung ihrer Arbeit nachgingen. In
einem Falle worden 50 Insufflationen von im ganzen 35000 com N ge¬
macht — Literaturverzeichnis. Sehe lenz.
C. Stäubli-Basel: Zur Kenntnis und Therapie des Asthma.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Therapeutisch bewährt
sich besonders Adrenalin, zu dessen Applikation er einen besonderen
Spray-Apparat verwendet, oft kombiniert mit Atropin und Cocain.
Dünner.
E. Pagenstecher: Da9 Verhalten traumatischer Blutergüsse,
speziell in den Gelenken und der Pleura. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d.
Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Die Flüssigkeit die man bei Punktion
eines Hämarthros gewinnt ist kein reines Blut, sondern ein Gemisch
ton ungeronnenem Blut Blutkörperchen und Plasma einerseits und Serum
und Synovia andererseits. Gewisse, noch unbekannte physikalische Ver¬
hältnisse spielen beim Flüssigbleiben des Blutergusses in Gelenkhöhlen
eine wesentliche Rolle. Die Resorption dieser Flüssigkeit geht sehr
langsam vor sich; als Regel folgt daraus, einen grösseren Bluterguss ins
Gelenk aseptisch zu punktieren. Das gleiche gilt für Hämatothorax-
flüssigkeit.
E. Jacobsohn: Arthritis bypertrophicans. (Mitteil, a- d. Grenzgeb.
d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Dieses Krankheitsbild und das verwandte
der Arthritis atrophicans müsste nach Ansicht des Verf. das verschwommene,
nicht scharf umgrenzte Bild der „ Arthritis deformans“ ersetzen.
Th. Müller.
H. Lüdke und L. Schüller-Würzburg: Untersuchungen über
Nephrelysine. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 108, H. 5 u. 6.)
Injiziert man normalen Hunden ein nephrolytisches Serum, das durch
wiederholte Injektionen einer Hundenierenemulsion von Kaninchen ge¬
wonnen wird, so treten echte nephritische Störungen auf, bestehend in
tage- und wochenlang anhaltender Albuminurie und Cylindrurie, ferner
in ausgesprochener Schwäche und Abmagerung des Versuchstieres. Der
anatomische Nierenbefund bestätigte die klinische Diagnose. Eine Ein¬
wirkung des Nephrolysins auf das Blut im Sinne von Hämolyse war
stets vorhanden; weiter Giftwirkung auf das Nervensystem und mässige
Steigerung des Blutdrucks. Die Herzgrösse wurde nur in geringfügigem
Maasse verändert (Verbreiterung). G. Eisner.
Gay et und Boulud: Die Ambard’scbe Konstante der Harnstoff¬
sekretion. Einige klinische Anwendungen in der Chirurgie der Harn¬
wege. (Lyon mödical, 1913, Nr. 3.) Die Ambard’scbe Methode, welche
eine exakte Wertbestimmuog der Harnstoffsekretion der Niere ermög¬
licht, wird auseinandergesetzt und an klinischen Beispielen erläutert.
A. Münzer.
E. Sommer: Ueber Emanationsperlbäder. (Zeitschr. f. Balneol.,
5. Jahrg., Nr. 19.) Die Wirkung der Radiumemanationsbäder kommt
zustande durch Absorption oder Resorption der Emanation durch die
unverletzte Haut des Badenden, durch die Inhalation der aus einem
Emanationsbad io den Luftraum des Badezimmers austretenden Ema¬
nation, ferner durch die Beteiligung der durch innere Umsetzung der
Emanation entstehenden strahlenden Körper. Dies alles sei nur im
Emanationsperlbad zu erreichen. E. Tobias.
R. S. Frew und A. E. Garrod - London: Glykosnrie bei tuber¬
kulöser Meningitis. (Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Beobachtungen
an 41 Fällen, davon 15 mit 0,25—1 proz. Dextrose, 11 mit weniger,
15 mit keiner. Der Zucker trat in weitaus den meisten Fällen 48 Stunden
vor dem Tode auf und blieb bis zum Ende vorhanden.
Weydemann.
M. Simmonds-Hamburg: Hypophysis und Diabetes insipidus.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Vorgetragen in der bio¬
logischen Abteilung des ärztlichen Vereins zu Hamburg am 10. Dezember
1912. Cf. Gesellschaftsbericht in dieser Wochenschr., 1913, Nr. 3, S. 139.)
Dünner.
Kloidt: Wintersport und Kurarzt. (Zeitschr. f. Balneol., 5. Jahrg.,
Nr. 18.) Die modemässigen, reklamehaften Uebertreibungen des Sports
sind zu verwerfen. Den Bobsleighsport lehnt K. gänzlich ab — als
Hygieniker und Arzt, er unterscheidet sich von anderen Sportbetätigungen
durch die Passivität der Ausübenden. Kranken sollte der Kurarzt spezielle
Anweisungen geben, ob sie Zuschauer sein müssen oder inwieweit sie
sich selbst sportlich betätigen dürfen. Meist ist Wioterkur richtiger als
Wintersport. E. Tobias.
Sherman: Ein Fall von Pellagra. Cohoon: Pellagra. (Boston
med. journ., 1913, Nr. 2.) Kasuistische Beiträge der früher in Amerika
unbekannten Krankheit. In der Arbeit von Cohoon (17 Fälle) genaue
Angaben über Blutuntersuchungen und Lumbalpunktat. Schelenz.
Siehe auch Physiologie: Retzlaff, Atopbanwirkung bei Ge-
sonden und Gichtikern. ■ Zander, Salzwirkung auf die Funktion in¬
suffizienter Nieren. — Therapie: Jarosch, Mesb6 bei Lungentuber¬
kulose. Hildebrand, Behandlung der Oxyuris vermicularis. Schüffner
und Vervoort, Oleum chenopodii gegen Ankylostomiasis. — Dia¬
gnostik: Büttner-Wobst, Die Pirquet’sche Reaktion im Dienste der
Schwindsuchtsprophylaxe.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sinn-Neu-Babelsberg: Beitrag zur Kenntnis der Mednlla oblongata
der Vögel. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.)
Roth mann - Berlin: Elektrische Erregbarkeit der Central-
Windungen. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.)
Verf. konnte in verschiedenen Versuchen beim Affen eine schwache, aber
deutliche elektrische Erregbarkeit der hinteren Central Windung 2 l /a bis
3 Monate nach der Totalexstirpation der vorderen Centralwindung fest-
steilen, was er dahin deutet, dass die Restitution der motorischen
Funktion von wesentlicher Bedeutung für den Umfang der Wiederkehr
der elektrischen Reizeffekte ist. Bei der vorderen Central Windung über¬
wiegt der motorische, bei der hinteren der sensorische Anteil, aber nach
Ausschaltung der vorderen Windung werden nach und nach deren
motorische Funktionen von der hinteren Windung übernommen.
E. Loewy-Berlin: Beitrag zum Verhalten des Cremasterreflexes
bei funktionellen und organischen Nervenkrankheiten inklusive Psychosen.
(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Verf. kommt zu
folgenden Schlüssen: Das Reflexcentrum liegt im ersten bis dritten
Lumbalsegment. Diagnostisch wichtig ist nur doppelseitiges Fehlen.
Der Reflex hat ungefähr dieselbe Bedeutung wie der Bauchdeckenreflex,
er verschwindet bei der multiplen Sklerose noch häufig früher als dieser.
Er ist auch in normalen Fällen oft von der Planta aus erregbar. (Aus¬
führliche Literatur.)
M. Hirschfeld und E. Burchard-Berlin: Zu Dr. Stier’s Artikel:
„Ueber die Aetiologie des konträren Sexualgeffihls“. (Monatsschr. f.
Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Polemik gegen Stier und die
Psychiater überhaupt, die durch ihr eigenartiges Beobachtungsraaterial
fälschlich zur Ansicht kommen, dass die Homosexualität ein „exogen
bedingtes Produkt pathologischer Entwicklung oder psychosexueller Dis¬
harmonie“ sei.
Heilbronner-Utrecht: Zur Psychologie der Alexie. (Monatsschr.
f. Psych. u. Neurol., Dezemberheft 1912.) Bei einem Luetiker wird eine
rechtsseitige Hemiplegie mit aphasisch-agraphisch-alektischen Störungen
trotz negativem Wassermann für luetisch bedingt gehalten, „zumal da
damals nicht ausgewertet wurde“, Für die Annahme eines Herdes in
den lateralen Partien des Scheitel-Hinterhauptlappens sprach eine gleich¬
zeitige Quadrantenhemiopie. Genauere Abgrenzung dieses Falles von
„Alexie und Agrapbie“ und theoretische Betrachtungen. Zurzeit müsse
ein Versuch genauerer anatomischer Lokalisation aussichtslos erscheinen.
E. Loewy-München.
J. Cluzet, J. Froment und Mazet: Ein Fall von Thomsen’scher
Krankheit. (Lyon med., 1912, Nr. 52.) Der Fall zeigte folgende Be¬
sonderheiten: Fehlen des familiären Charakters, der Muskelatrophie und
der mechanischen Erregbarkeit der Muskeln. Anderseits war Dauer¬
kontraktion der Muskulatur nicht nur wie gewöhnlich durch die elek¬
trische Reizung des Muskels, sondern auch durch diejenige des Nerven
zu erzielen. Hinsichtlich der Pathogenese wird die Möglichkeit einer
intoxikation, vielleicht ausgehend von den Drüsen mit innerer Sekretion,
In Betracht gezogen. A. Münzer.
Röper-Jena: Zur Aetiologie der multiple! Sklerose. (Monatsschr.
f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) (Vortrag in Halle, Oktober 1912.)
Verf. kommt bei reichem eigenen Material und nach Durchsicht der
Literatur zu dem Schluss, dass eine angeborene oder erworbene ver¬
ringerte Widerstandsfähigkeit des Centralnervensystems mit einer exogenen
Schädigung zur Aetiologie der multiplen Sklerose notwendig ist. Zu
diesen Schädigungen rechnet er Infektionskrankheiten, Traumen jeder Art,
Partus, Graviditäten, auch Erkältungen. Er glaubt, dass man die
Edinger’sche Aufbrauchtheorie gut auf diese Krankheit anwenden kann.
Das Leiden sei bei Geschwistern nicht allzu selten!
Kutzinski-Berlin: Ueber die Beeinflussung des Vorstellungs-
ablaufes durch Geschiehtskomplexe bei Geisteskranke!. (Monatschr.
f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) Schluss folgt.
Schöenhals-Jena: Ueber einige Fälle vo! indiziertem Irresein.
(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Januarheft 1913.) Verschiedene Fälle
aus der Jenenser Klinik, wo „eine suggestive Beeinflussung mehrerer dis¬
ponierter, geistig minderwertiger Individuen durch den — Autorität und
Einfluss geniessenden — Geisteskranken stattfand, dessen krankhafte
Wahnideen als solche zu erkennen, ihre kritische Veranlagung als solche
nicht ausreichte“. E. Loewy-München.
J. Burgart: Ein Beitrag zur Frage der Behandlung gastro¬
intestinaler Krisen bei Tabes dorsalis durch Resektion hinterer
Dorsalwirxeln. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25,
H. 4.) In zwei Fällen von Tabes mit schweren Krisen trat nach der
Operation ein voller Erfolg ein, der dritte blieb auch von gastro¬
intestinalen Beschwerden verschont, litt aber sehr an dem laDgen
Krankenlager, das hartnäckigen Decubitus verursachte.
„ . Th. Müller.
Weddy-Po-enieke-Breelau: Zu* 'Differentialdiagnose der Tabes
nnd Lies spinalis. (Monatsschr. /. Psych. u. Neurol., Dezember¬
heft 1912.) 5 Fälle mit der anatomischen Diagnose Lues spinalis, die
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
klinisch nur in einem Fall gestellt werden konnte, da neben den meningo-
myelitischen Prozessen noch tabiforme Entartungen in den Hinter¬
strängen'vorhanden waren, die klinisch als echte Tabes imponierten.
Verf. kommt wegen der diagnostischen Schwierigkeit und der Häufigkeit
der Koinzidenz der Tabes mit echt luetischen Begleiterscheinungen — mit
Erb — zu dem Schlüsse, bei jeder Tabes eine energische spezifische
Kur einzuleiten. E. L oewy- München.
Schumacher und Roth: Thymektomie bei einem Fall von
Morbns Basedowii mit Myasthenie. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med.
u. Chir., Bd. 25, H. 4.) Bei einer an schwerem Basedow mit aus¬
geprägten Motilitätsstörungen erkrankten Patientin brachte Ligatur der
A. thyreoidea nur vorübergehende lokale Besserung; man machte mit
Rücksicht auf den behaupteten Zusammenhang zwischen Myasthenie und
Thymushyperplasie die Thymektomie und erzielte damit dauernde
subjektive wie objektive Besserung. Im Blutbild fand diese Besserung
dadurch Ausdruck, dass die anfangs beträchtliche Lymphocytose, die im
Anschluss an die Operation einige Tage einer neutrophilen Hyper-
leukocytose Platz gemacht hatte, bei Nachuntersuchung nach 8 bzw.
14 Monaten einem völlig normalem Blutbild gewichen war.
Th. Müller.
W. Geisler-Stettin: Bl nt in der Spinalfliissigkeit. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Zum Referat nicht geeignet.
D ü n n er.
Siehe auch Innere Medizin: Frew und Garrod, Glykosurie
bei tuberkulöser Meningitis. Simmonds, Hypophysis und Diabetes
insipidus. — Militär-Sanitätswesen: Bernstein, Kleinhirnblutung
als Ursache plötzlichen Todes.
Chirurgie.
W. Keppler und F. Breslauer - Berlin: Zur Frage der intra¬
venösen Narkose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.)
Von den gebräuchlichen Gruppen der intravenösen Narkose kommen im
wesentlichen drei Formen in Betracht: Erstens die Totalanästhesie
durch Injektion von Cocain ins Blut nach Ritter, die bis jetzt nur am
Tier erprobt wurde; zweitens die. Narkose, von Chloroform oder Aether
intravenös nach Burkhardt; drittens die Narkose durch Injektion ge¬
löster Schlafmittel aus der Gruppe der Harnstoffderivate (Urethan,
Hedonal). Allen diesen Gruppen haften noch grosse Mängel an, die eine
allgemeinere Anwendung nicht haben aufkommen lassen. Von allen
Mitteln, die sie auf die gestellten Forderungen hin untersuchten, ent¬
spricht das Pantopon, intravenös angewandt, am ehesten den An¬
forderungen. Sie konnten in 50 Versuchen beim Hund ideale Resultate
erzielen, vor allem ist die toxische Breite des Mittels eine grosse.
Versuche beim Menschen ergaben Versager. Es trat nur leichte Be¬
nommenheit und lange dauernder (2 Tage!) postoperativer Schlaf auf.
A. de Cortes - Bergamo: Die angebliche Orchitis par effort vor
der Pathologie, der Klinik und dem Unfallgesetz. (Deutsche Zeitschr. f.
Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Das von französischer Seite aufgestellte
Krankheitsbild wird zunächst theoretisch-ätiologisch besprochen. Einzel¬
heiten hierüber müssen im Original nachgelesen werden. Die Orchitis
par effort charakterisiert sich durch hochgradige akute Schmerzhaftigkeit
und durch verschiedengradige Anschwellung. Es fehlen stets gesteigerte
Temperatur und Allgemeinerscheinungen. Das Scrotum beteiligt sich
nicht an dem Prozess, es dehnt sich nur entsprechend der Vergrösserung
des Hodens aus. AusgaDg besteht stets in Heilung mit restitutio ad
integrum. Pathologisch-anatomisch beruht die Orchitis auf Kongestion
oder auf endo- oder peritestikulären Blutungen infolge Anstrengung.
Die Prognose ist gut, die Behandlung hat symptomatisch zu erfolgen.
Als Unfallfolge ist die Orchitis par effort anzuerkennen und zu ent¬
schädigen. J. Becker- Halle a. S.
R. Bayer: Einiges über das Sarkom der Schleimhaut des Hodens
nnd des Samenstranges. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82,
H. 2.) Bei der Beurteilung der Frage, von wo der Tumor ausgegangen
ist, scheint es dem Verf. gerechtfertigt, die Forderung zu erheben, dass
sioh bei den Sarkomen des Samenstranges wegen des lockeren Gewebes
desselben makro- oder mikroskopisch neoplastische Vorgänge in dem
ober- oder unterhalb der Geschwulst liegenden Strangabschnitt oder in
dem Gewebe des mit dem Funiculus in engster Beziehung stehenden
Nebenhoden finden. Die neoplastischen Vorgänge fehlen eher, wenn es
sich um Sarkome der Hodenscheidehaut handelt. Bei diesen müssen da¬
gegen wieder Wucherungen an der Tunica selbst Vorkommen. Verf. be¬
leuchtet von diesem Gesichtspunkt aus bisher veröffentlichte Fälle und
teilt zwei neue, von den Samenstranghüllen ausgehende Sarkome mit.
Weitere Beobachtungen müssen ergeben, ob den oben angegebenen
pathologischen Betrachtungen Beweiskraft für die Genese der Samen¬
strangtumoren zugesprochen werden kann. W. V. Simon.
S. Pringle - Dublin: Radikale Operationen bei Hodenerkranknngen.
(Lancet, 4. Januar 1913, Nr. 4662.) Entfernung sämtlicher mit dem
Hoden in Verbindung stehender Lymphgefässe und -Drüsen bis zu den
Nierengefässen hinauf auf extraperitonealem Wege. Krankengeschichte
und Beschreibung der Operationstechnik. Weydemann.
Krabbel - Bonn: Tuberkelbaeillen im strömenden Blnt bei
chirurgischen Tnberknlosen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120,
H. 3 u. 4.) Es wurden in 18 Fällen sicherer Knochentuberkulose 12 mal,
in 5 Fällen von Drüsen tuberkulöse 1 mal, in 4 Fällen von Weich-
telltuberkulose 1 mal Tuberkelbacillen im Blut nachgewiesen. Es lässt
der positive Bacillennachweis keinen Schluss auf die Prognose zu. Der
positive Bacillenbefund sichert nur in den Fällen die Diagnose, bei
denen klinisch eine Lungentuberkulose noch nicht nachweisbar ist.
J. Becker - Halle a. S.
R. Hage mann: Ueber die Diagnose chirnrgischer Tnberknlosen
ans den pathologischen Ausscheidungen mit Angabe eines neuen Ver¬
fahrens im Tierversuch, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82,
H. 1.) Selbst bei positivem Ausfall des Kulturverfahrens oder Tier¬
versuches ist der direkte Nachweis von Tuberkelbacillen in den Aus¬
scheidungen chirurgischer Tuberkulosen oft unmöglich: die besten
Resultate lieferte das Chloroformverfahren. Nach Besprechung der ver¬
schiedenen Färbe- und Kulturverfahren schlägt Verf. zur Stellung der
Diagnose die intracutane Impfung des zu untersuchenden Materials auf
hochempfindliche tuberkulöse Meerschweinchen vor; schon nach 24 bis
spätestens 78 Stunden reagieren diese in positivem Falle mit einer
spezifischen Entzündung der Haut an der Injektionsstelle, die ganz der
nach intracutaner Impfung von kleinsten Tuberkulindosen beobachteten
Reaktion gleicht. Die vorgeschlagene Methode ist sehr scharf und gibt
gute Resultate.
A. Weiter: Beitrag zur Kenntnis und Kasuistik der Eehinokokkei-
kraakheit. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Mit¬
teilung zweier Fälle von primärem Leberechinococcus mit Durchbruch in
die rechte Pleurahöhle.
E. Sonntag: Beitrag zur Semmdiagnostik der Eehiioeoeens-
infektion mittels der Komplementbindungsmethode, (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Die Serumdiagnostik der Echino-
coccuskrankheit mittels der Komplementbindungsmethode ist spezifisch.
Die Cystenflüssigkeit von Organen erkrankter Tiere ist ein brauchbares
Antigen, dagegen eignet sich Blasenwand-Alkoholextrakt weniger, da
auch luetische Seren reagierten und daher auch Paralleluntersuchungen
mit Cystenflüssigkeiten und Luesantigenen sowie mit luetischen Seren
anzustellen sind.
H. Köttner: Beiträge zur Kenntnis und Operation der Struma
suprarenalis eystica haemorrhagica. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
Bd. 82, H. 2.) Bei der 43 jährigen Frau bildete sich in der rechten
Bauchseite eine Geschwulst aus, die zuerst langsam, dann rapide bis
Mannskopfgrösse anwuchs. Es handelte sich um eine Struma supra¬
renalis cystica haemorrhagica, die mit Erfolg total exstirpiert wurde;
der Tumor war an der Nebenniere so fest adhärent, dass diese — das
erste Mal in der Literatur — mitentfernt werden musste. Glatte Re¬
konvaleszenz. Sehr interessant ist ferner an dem Fall, dass beiderseits
cystoskopisch und röntgenologisch je zwei Ureteren festgestellt wurden,
die alle annähernd normal funktionierten. Nach dem mikroskopischen
Befund hat es sich in dem mitgeteilten Fall zuerst um eine echte Struma
suprarenalis gehandelt, aus der sich durch wiederholte Blutungen eine
grosse Blutcysto gebildet hat. Verf. geht auf die wenigen bisher publi¬
zierten Fälle ein (12, davon 9 operiert). Therapeutisch soll die Mar¬
supialisation nur ganz ausnahmsweise beim Misslingen der Totalexstirpation
angewandt werden, welch letztere die Methode der Wahl ist, deren
Mortalität sogar geringer ist als bei der Marsupialisation. Die — im
Gegensatz zu sämtlichen publizierten Fällen — glatte Rekonvaleszenz
führt Verf. auf die Operationsmethode (kombinierte extra- und intra-
peritoneale Operation von dem Lumbalscbnitt aus gegenüber der sonst
angewandten vorderen Laparotomie) zurück, die er für alle noch so
schwierigen Exstirpationen aller seitlich gelegenen retroperitonealen Ge¬
schwülste empfiehlt.
K. Kolb: Ein Beitrag zu den Knocheitamoren thyreogener Nntar.
Cf. Originalartikel dieser Wochenschr., 1912, Nr. 38, S. 5160: F. Regens¬
burger: Schilddrüsenraetastasen im Knochen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin.
Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Bei allen sarkomähnlichen Knochentumoren,
besonders des Kopfes, soll man an die Möglichkeit eines thyreogenen
Tumors denken, auch wenn die Schilddrüse nicht vergrössert ist. Aetio-
logisch spielt das Trauma scheinbar eine Rolle, vielleicht selbst zuweilen
eine vorangegangene Strumaoperation. Die Metastasierung findet auf
dem Blutwege statt, zuweilen wohl auch retrograd (Schädel). Die Vor¬
liebe der Knochenlokalisation ist bisher ungeklärt. Solitäre thyreogene
Knochentumoren sind frühzeitig radikal zu operieren, für multiple ist
Röntgenbehandlung empfehlenswert. Die Prognose ist wegen der lang¬
samen Recidivierung nicht ganz ungünstig.
H. Lindner: Ueber Leberresektion. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1912, Bd. 82, H. 2.) Bemerkungen zur Indikationsstellung und OperatioDS-
technik bei ausgedehnten Leberresektionen wegen Tumorbildung.
P. Bull: Thrombosen und Embolien nach Appendieitisoperatioien.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Unter 185 Appendek¬
tomien hatte Verf. 22 (11,7 pCt.) Thrombosen, unter diesen 15 (8 pCt.)
Lungenembolien. 13 Fälle gehörten zu den nicht palpablen Thrombosen.
Das Alter der Patienten spielt eine wesentliche Rolle insofern, als vor
dem 20. Jahr keine Thrombose, von 21 bis 30 Jahren häufiger, von 81
bis 50 Jahren am häufigsten Thrombosen Vorkommen. Frauen über¬
wiegen scheinbar etwas. Zwischen Appendektomien ä froid und im
akuten Anfall ausgefübrten scheinen keine wesentliche Unterschiede zu
bestehen, doch scheint andererseits bei den akuten Fällen die Zahl der
Thrombosen mit ihrer Schwere zu wachsen; auch ihr klinischer Verlauf
scheint ernster zu sein. Es folgt die Besprechung der Symptome der
palpablen und nicht palpablen Thrombosen sowie der Diagnosenstellung
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BERLINER KLINISC! IE WOC’HKNSCH RI ET.
10. Februar 1913.
und Prognose, irobei die Lungenembolie stets besonders berücksichtigt
wird. W. V. Simon.
Dobbertin - Berlin-Oberschönweide: Sehnittlänge, Bauchspttlnug,
fiekämpffcug der Darmlähmung bei Appendieitis-Peritonitis. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Verf. hat die Länge des Riedel’schen
Wechselschnitts für alle Appendicitisfälle auf 4—5 cm reduziert und
trotz ausgedehnter Schwielenbildung auch im Intermediärstadium den
Wurmfortsatz fast ausnahmslos primär exstirpiert. Gegen Darmlähmung
bevährt sich Glycerin (25—50 ccm) ins Coecum oder den Dünndarm.
Wolfsohn.
S. Jourdan: Erfahrungen über den transperitonealen Weg bei
Operationen an der Wirbelsäule, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912,
Bd. 82, H. 2.) Die Rostocker Klinik verfügt nunmehr über 9 in der an¬
gegebenen Weise operierte Fälle (darunter 2 Tumoren), über die Verf.
Bericht erstattet. Der transperitoneale Weg eignet sich bei Lokalisation
von tuberkulösen Herden in den drei untersten Lenden* oder zwei
obersten Kreuzbeinwirbeln, wenn beginnende Abscessbildung besteht
und alle Reizsymptome des Rückenmarks fehlen, die auf Sitz der Herd¬
erkrankung im hinteren Abschnitt der Wirbelkörper schliessen lassen.
Bei vorgeschrittenen Fällen, besonders mit sekundär infizierten Fisteln,
sind die Aussichten schlechter. Die transperitoneale Freilegung ist
zwar mit Gefahren verknüpft, gibt aber auch unter Umständen über¬
raschend gute Erfolge. Die Indikation bei Tuberkulose wird natürlich
nur ausnahmsweise gestellt werden dürfen, besonders bei Kindern, wo
ja ziemlich gute Tendenz zur Spontanheilung besteht.
W. V. Simon.
Saal mann - Breslau: Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Spiua
bifida. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Röntgeno¬
logisch wird eine Spina bifida festgestellt, nachdem man vorher an einen
tuberkulösen Prozess gedacht hatte.
Nobe - Cuxhaven: Ein seltener Fall von Laxation im Talonavi-
ealargelenke. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.)
Kasuistische Mitteilung eines weiteren in der Literatur immerhin seltenen
Falles obiger Verletzung. J. Becker-Halle a. S.
E. Pagenstecher: Zur Klinik und Histologie schwerer Rtintgen-
vcrbrennangeo. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.)
Verf. fordert bei allen Röntgenverbrennungen vierten Grades die gründ¬
liche frühe Exzision alles Kranken mit sofort nachfolgender Thiersch’scher
Transplantation. Kasuistik.
C. Licini: Ein floss der Magensäfte auf lebende Gewebsorgane
mit gesundem oder zerstörtem Peritonealüberzng. (v. Bruns’ Beitr. z.
klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.) Mit Hilfe einer neuen Versuchs¬
anordnung tritt Verf. der Frage der verdauenden Wirkung der Magen¬
säfte auf Netz, Milz, Pankreas und Magendarmkanal näher und kommt
zu dem Schluss, dass alle lebenden Organgewebe ebenso widerstands¬
fähig gegen die Verdauungssäfte sind, als die sie erzeugenden oder die
beständig von ihnen bespülten Gewebe. Der Magensaft, der mit lebendem
Organgewebe in Berührung kommt, maceriert zuerst die ganze ober¬
flächliche Schicht. Gleichzeitig tritt aber eine entzündliche Reaktion
des darunter liegenden Gewebes auf, das zur Bildung einer binde¬
gewebigen Scheidewand führt, welche die darunter liegenden Schichten
gegen die weitere Magensaftwirkung schützt. Nach 5—6 Wochen bildet
sich darauf eine Epithelschicht. Die Serosa schützt das Organ nicht,
veil sie von den Magensäften maceriert und als die ihnen zuerst aus¬
gesetzte Gcwebsschicht zerstört wird. W. V. Simon.
P. Klemm: Indikationen zur Operation beim Ulcus ventrienli.
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1912, Nr. 20.) Der Eingriff ist be¬
rechtigt, wenn quälende Schmerzen sich durch keinerlei Maass¬
nahmen beseitigen lassen; wenn häufiger geringfügige Blutungen oder
lebensgefährliche Hämorrhagie auftreten. Ferner indiziert bei Magen¬
perforation, bei Ulcus callosum und bei stenosierenden Prozessen im
Magen. Ferner soll gegebenenfalls Laparotomie zur Stellung der Diagnose
gemacht werden. Wartensleben.
E. Scott - Carmichael-Edinburg: Primäres Sarkom beider Biceps-
maakell. (Brit. med. journ., 4. Januar 1913, Nr. 2714.) Symmetrisch
sitzende Sarkome der beiden Bicepsmuskeln. Sie wurden mit einem
grossen Ruck von den Muskeln entfernt und der Patient dann mitCaley’scher
Flüssigkeit behandelt. Nach 4 Monaten gute Funktion und kein An¬
zeichen eines Recidivs. Weydemann.
L. Kredel-Hannover: Zar Behandlung der Kieferspalten aad
Hasenscharten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Be¬
merkungen zu W. Neumann (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52).
Die Neumann’sche Methode ist entbehrlich und für die Naht nicht ganz
ungefährlich. Wolfsohn.
Geb eie: Ueber die deutsche ärztliche Studienreise nach Amerika
im Jahre 1912. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 82, H. 2.)
W. V. Simon.
Siebe auch Innere Medizin: Moynihan, Gallensteine. Pagen¬
stecher, Verhalten traumatischer Blutergüsse, speziell in Gelenken und
in der Pleura. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Burgart,
Behandlung gastrointestinaler Krisen bei Tabes durch Resektion der
hinteren Wurzeln. Schumacher und Roth, Thymektomie bei einem
Fall von Basedow und Myasthenie. — Therapie: Butzengeiger,
Mesbe in der Behandlung chirurgischer Tuberkulose.
273
Röntgenologie.
Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Hufnagel, Röntgenauf¬
nahmeverfahren.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Has, Schwefelbehandlung
der Krätze. — Therapie: Zweig, Behandlung der Furunkulose und
der Sycosis coccogenes mit dem Stapbylokokkenvaccin Opsonogen.
Joseph, Die Wassermann’sche Histopintherapie in der Dermatologie.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Todyo-Dresden: Ueber ein junges pathologisches menschliches Ei.
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2 .) Das wenige Millimeter messende
Eichen zeigt die ersten Stadien der Blasenmolenbildung. Dabei laufen
nicht nur degenerative Prozesse am Zottenstroma ab, sondern auch pro¬
liferative, und es finden sich sehr hochgradige Wucherungen an der
epithelialen Bekleidung der Zotten, insbesondere an der Syncitialschicht.
L. Zuntz.
P. E. Goulliond-Lyon: Missbildnng des Uterus und ihre Behand¬
lung durch Laparotomie. (Annales d. gyn. et d’obst., November—
Dezember 1912.) Technik der verschiedenen Missbildungen.
Pin grd-Paris: Eugenetik. (Aonales d. gyn., et d’obst., Dezember
1912.) Ueberblick über die Selektionstheorie. Die Zivilisation befördert
mehr die Erhaltung des Individuums als die der Art. Erste Anfänge
zur Zuchtwahl finden sich schon im Altertum (Aussetzungen bei den
Spartanern). Die Eugenie (Galton) umfasst das Studium derjenigen
Faktoren, die geeignet sind, die sozialen Fähigkeiten — geistige und
körperliche — der zukünftigen Geschlechter zu mehren oder zu be¬
einträchtigen. P. verlangt Berücksichtigung dieser Fragen in jedem
Lehrbuche der Geburtshilfe. F. Jacobi.
Stroganow: Zar Frage über das frühe Aafstehen nach der Ge¬
hurt. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Seit
Jahren stehen die Mehrgebärenden am dritten, die Erstgebärenden am
fünften, neuerdings auch am dritten Tage auf. Das Aufsitzen im Bett
wird schon am ersten Tage erlaubt. Der Einfluss auf Mutter und Kind
erwies sich als sehr günstig; die Rückbildung der Genitalien wird be¬
schleunigt, Verlagerungen vorgebeugt. Kontraindikationen sind erhöhte
Temperatur, Infektionskrankheiten, starke Blutverluste, Eklampsie, Herz¬
fehler und Risse des Genitalkanals.
Weill - Bad Elster: Zur Entwicklungsmechanik des Geschlecht».
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Das Geschlecht
wird entschieden durch einen Kampf zwischen männlicher und weib¬
licher Generationszelle.
Below - Charkow: Glandula latea und Ovarian in ihrem Ver¬
halten zu den normalen physiologischen und pathologischen Vorgängen
im weiblichen Organismus. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol.,
Dezember 1912.) Extrakte aus gelben Körpern (Lutcovar) und solche
aus der eitrigen Masse der Eierstocke (Proprovar) haben in vieler Be¬
ziehung entgegengesetzte Wirkungen. Erstere setzen den Blutdruck und
die Assimilationsprozesse herab, letztere steigern beides. Unter dem
Einfluss der ersteren steht der weibliche Organismus während der
Menstruation, der Gravidität und der Lactatiön; das Proprovarin be¬
herrscht den weiblichen Organismus während der Intermenstrualzeit.
Hypersekretion der Ovarioluteine führt zu Uebelkeit und Erbrechen,
Harniukontinenz, bei stärkeren Graden zu Eklampsie, Hypoluteinismus
bedingt Amenorrhoe, Sterilitas oder frühzeitige Aborte. Hyperovariismus
bedingt Lebhaftigkeit der Empfindungen bis zur Nymphomanie, Ab¬
magerung, Sexualpsychosen, Hypoovariismus trägen Stoffwechsel, Impotentia
coeundi. Durch Injektionen der betreffenden Stoffe bzw. ihrer Anti¬
körper lassen sich therapeutisch Erfolge erzielen.
Elten - Charlottenburg; Das Placentarangiom — eine echte Ge¬
schwulst. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Verf.
stützt diese seine Auffassung, die sich in Uebereinstimmung mit den
meisten anderen Autoren, aber im Gegensatz zu der neuerdings von
Gräfenberg aufgestellten befindet, durch Beschreibung zweier Fälle.
Barchet-Hamburg: Gravidität in einem Uterusdivertikel. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) Der Fall wurde als
rupturierte Tubar- oder Nebenhorngravidität operiert.
Rüh 1 - Dillenburg: Uterusperforationen bei Ausräumung von Aborteu
und Vorschläge zu deren Verhütung. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol.,
Dezember 1912.) Aerzte sind in solchen Fällen zivil- und strafrechtlich
haftbar zu machen, wenn sie die Perforationen verschulden bei Aus¬
führung von Operationen, wozu sie nicht die erforderliche Technik und
Erfahrung besitzen. L. Zuntz.
G. Fieux-Paris: Seratherapie gegen uustillhares Schwaiger-
schaftserbrechen. (Annales d. gyn. et d’obst., Dezember 1912.) Zwei
neue Fälle von Heilung, die F. einmal durch Einspritzung mit Pferde-
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UNIVERSUM OF IOWA
274
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
serum (nach dem Vorgang von Freun d - Berlin), einmal durch je eine
Einspritzung von Pferdeserum und Serum einer Schwangeren der ersten
Monate erreicht hat. F. Jacobi.
M. Stolz-Graz: Hypereuesis gravidarum. (Centralblatt für
Gynäkol., 1913, Nr. 3.) Therapeutisch kommen in Betracht: 1. Causale
in Form der Aborteinleitung oder 2. symptomatische Behandlung durch
Zufuhr grosser Dosen von Narcotica, und zwar: Opium, Pantopon,
Chloral, Morphium per rectum, bis eine grössere Toleranz erreicht und
die Ueberempfindlicbkeit des Organismus beseitigt ist.
M. Sperling-Königsberg i. Pr.: Ein Fall von unstillbarem Er*
brechet bei Retroflexio Uteri puerperalis. (Centralbl. f. Gynäkol.,
1913, Nr. 2.) 23 Jahre alte Patientin, im dritten Monat der Gravidität
unstillbares Erbrechen, bald nach der Untersuchung spontaner Abort.
Wegen Nachblutung naoh 3 Wochen Curettement. Die anfänglich ver¬
schwundenen Blutungen kehrten wieder; jetzt Uterus sehr schlaff be¬
funden, um 1,5 cm verkürzt und retroflektiert. Uterus liess sich jetzt
gut aufrichten, und bei ruhiger Rückenlage schwand das Erbrechen
völlig. Verf. hält dies für einen Beweis dafür, dass das Erbrechen nicht
immer eine Autointozikation zur Voraussetzung hat, sondern auch auf
rein reflektorischem Wege entstehen kann. Siefart.
Esch-Marburg: Verhalten der Harngiftigkeit in der Schwanger¬
schaft, in der Gebart und im Wochenbett, mit Berücksichtigung der
Eklampsie. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, H. 2.) Die intracardiale In¬
jektion von Harn, der teils von gesunden, nicht graviden und von uterus-
carcinomkranken Frauen, teils von normalen Schwangeren, Kreissenden,
Wöchnerinnen und von Eklamptischen stammte, erzeugte bei Meer¬
schweinchen je nach dem Grade der Harntoxizität mehr oder weniger
schwere Symptome eines anaphylaktischen Shooks. Die Giftwerte des
Harns waren bei gesunden Schwangeren kaum erhöht, bei Kreissenden
im allgemeinen herabgesetzt und bei Wöchnerinnen anscheinend etwas
gesteigert. Bei zwei Fällen von schwerer Eklampsie war der Harn
exorbitant toxisch, in einem leichten Falle war die Toxizität nicht ge¬
steigert. L. Zuntz.
Plenz - Charlottenburg: Zur Entstehung von Dermoidkngeln.
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Dezember 1912.) In seltenen
Fällen, deren einen Verf. beschreibt, finden sich im Innern von Dermoid¬
cysten aus Fett bestehende Kugeln. Für die Entstehung derselben ist
notwendige Voraussetzung das Eindringen von seröser Flüssigkeit, wie
sie durch Stieltorsion (Stauungsödem) oder durch Einbruch einer ein¬
fachen Cyste erklärt werden kann. Es muss ein Teil des Fettes ver¬
seift worden sein, entweder vorher oder durch lipolytische Eigenschaften
des Transsudates. Mechanische Einwirkungen auf die so in der Flüssig¬
keit suspendierte Fettmasse führen dann zur Kugelbildung, wie man
experimentell nachahmen kann. L. Zuntz.
H. Rotter-Budapest: Verfahren zur Heilung enger Becken. (Central¬
blatt f. Gynäkol., 1913, Nr. 2.) Bei einer Frau, die mehrfach schwere
Geburten durchgemacht hat, betrug die Conj. diagon. 9,3, die vera 7,8 cm.
Das Promontorium ragte stark hervor. Nach Eröffnung der Bauchhöhle
und Beiseiteschieben der Därme wurde das Peritoneum durchtrennt, die
rückwärts liegenden Gefässe in toto unterbunden, dann das Promontorium
mit einem scharfen Meissei abgemeisselt. Nach 17 Tagen verliess die
Pat. die Klinik geheilt. An Stelle des Promontoriums fand sich eine
glatte Fläche. Siefart.
P. Baumm - Breslau: Erfahrungen über den extraperitonealen
Kaiserschnitt. (Deutsche med. Woohenschr., 1913, Nr. 5.) Der extra¬
peritoneale Kaiserschnitt bzw. Suprasymphysärschnitt ist dreimal lebens¬
sicherer als der transperitoneale. Leider lässt sich das extraperitoneale
Vorgehen nicht immer durchführen. In ca. Vs der Fälle reisst das
Peritoneum ein, besonders bei der Extraktion des Kindes. Mit diesem
Faktor müssen wir, bei dem jetzigen Stande der Technik, immer rechnen.
Es eignen sich deswegen für den Suprasympbysärschnitt nur Frauen
ohne höheres Fieber und ohne zersetzten Uterusinhalt. Operiert man
trotz dieser Zeichen suprasymphysär, so beträgt die mütterliche Mortalität
ca. 8 pCt. Für die Kinder gibt der gut ausgeführte Suprasymphysär¬
schnitt dieselben Resultate wie die Sectio caesarea. Nur soll man
nicht zu spät operieren. Auch von Lumbalanästhesie der Mutter ist im
Interesse der Kinder abzuraten.
S. Herzberg• Greifswald: Klinische Versuche mit den isolierten
wirksamen Substanzen der Hypophysen. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 5.) Versuche mit „Hypopbysin“ an der Greifswalder Klinik
in 32 Fällen. Wirkung nach intramuskulärer Injektion schon nach
2—3 Minuten, bestehend in der Erzeugung regelmässiger kräftiger Wehen.
Auch zur Einleitung von Geburten erwies sich „Hypophysin“ als sehr
geeignet. Bei schwerer Uterusatonie waren Injektionen durch die Bauoh-
decke hindurch, direkt in die Uterusmuskulatur, von gutem Erfolg.
Wolfsohn.
Eckstein - Teplitz: Scbntzpessare. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913,
Nr. 3.) Verf. empfiehlt zur Verhütung der Schwangerscheft ein Pessar,
welches die Patienten sich selbst ein legen können. Er lässt über ein
Hodgepessar ein Gummicondom ziehen. Es ist dies aber nur eine Modi¬
fikation des viel besseren Enletpessars. Wir möchten meinen, dass
Apparate, die die Frauen sich selbst einlegen können, nicht gerade be¬
sondere Verbreitung verdienen. Ganz abgesehen davon, dass dieser
Apparat nach der hier gegebenen Beschreibung diese Aufgabe absolut
nicht besser erfüllt als andere ähnliche, würde damit der leider sobon
so verbreiteten künstlichen Verhütung der Schwangerschaft ohne be¬
rechtigten Grund Vorschub geleistet werden. Und mit welchem Recht
sollen wir Aerzte diese auf Schwangerschaftsverhütung abzielenden
Machenschaften der Kurpfuscher bekämpfen, wenn wir selbst dem
Publikum einen Apparat in die Hände geben, den es ohne Zutun des
Arztes handhaben kann? Aber es wird wohl dahin kaum kommen, denn
lücklicherweise lässt sich bei den physiologischen Vorgängen die Natur
och nicht so ohne weiteres ins Handwerk pfuschen.
M. Krüger-Cottbus: Ueber eine seltene Erkrankung eines neu¬
geborenen (akute Tetanie). (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 2.)
Zwillingsgeburt bei einer 33 Jahre alten Erstgebärenden. Es wurde ein
mazeriertes Kind durch Extraktion am Steiss entleert. Das zweite Kind
kam durch innere Wendung lebend zur Welt Es war aber gleich eigen¬
tümlich somnolent und schrie nicht. Aus Mund und After entleerte
sich stark übelriechende Flüssigkeit, und das Kind bekam tetanische
Zuckungen. Nach zwei Tagen Exitus. Es wurde keine vollständige
Sektion gemacht, sondern nur ein Stück Dünndarm entnommen. In
diesem wurden massenhaft Streptokokken gefunden. Verf. ist der An*
sicht, dass das Kind diese bei der Geburt aspiriert hat, und meint, dass
eine so rapid verlaufende Erkrankung septischer Natur bei Neugeborenen
noch nicht beschrieben ist. Siefart.
Jianu-Bukarest: lntraabdominale Myorrhaphie des Mige. levator
ui bei Uternsvorfällea. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., De¬
zember 1912 ) Die Prolapse sind Hernien des Beckenbodens. Zu ihrer
Heilung ist daher die Naht des Levator ani und gleichzeitig die Ver¬
kürzung der Ligamenta rotunda notwendig. Beides lässt sich am besten
auf abdominalem Wege vornehmen. L. Zuntz.
Augenheilkunde.
Igersheimer-Halle: Ueber das Verhalten der Körpertemperatur
bei Erkranknngen des Aiges. (Zeitschr. f. Augenheilk., Januar 1913.)
Bei eitrigen Hornhautgesohwüren kommt es häufig zu einer typischen
subfebrilen Temperatur, die mehrere Tage anhält und Allmählich mit
der Heilung des Geschwürs normal wird. Alle anderen Hornhaut-
afiektionen führen zu keiner Temperatursteigerung. Eine solche haben
noch im Gefolge Panophthalmie, eventuell Infektionen nach Star¬
extraktionen, die Parinaud’sche Conjunctivitis. Interessant ist, dass
gerade tuberkulöse Entzündungen des Auges keine Temperaturerhöhung
aufweisen.
Dalmer-Giessen: Ueber einen Fall von Pseudokeratoconus. (Zeit¬
schrift f. Augenheilk., Januar 1918.) Während beim echten mensch¬
lichen Keratoconus eine Verdünnung des Hornbautgewebes vorhanden ist,
konstatiert man beim experimentellen Kaninchenkeratoconus und in
einigen seltenen Fällen eine Verdickung. Beschreibung eines derartigen
Falles. Es handelte sich um eine Ruptur der Descemet’schen Membran
mit kegelförmiger Aufquellung der Hornhaut. Die Vorwölbung ging
unter Eserin und Druckverband zurück. Eine bestehende zarte Trübung
nahm dagegen zu.
G uzmann-Wien: Ueber epibulbire Tuberkulose. (Zeitschr. f.
Augenheilk., Januar 1918.) Bei einer an Miliartuberkulose verstorbenen
Patientin fand sich während der Erkrankung „auf der temporären Hälfte
des Bulbus im Bereich der Sclera nahe dem Limbus ein erbsengrosses,
blass rötliches Knötchen mit oberflächlichem Zerfall,“ das pathologisch-
anatomisch untersucht wurde und neben Exsudatbildung und Leukocyten,
epitheloide Zellen, zwei Riesenzellen und Tuberkelbacillen enthielt.
Kaelin-Benziger-Zürich: Beiträge zur Behandlung der Stauungs¬
papille, insbesondere bei Hirntnmoren, durch Dekompressiv( Palliativ-)
Trepanation mit temporärer extracranieller Drainage eines Seiten¬
ventrikels. (Zeitschr. f. Augenheilk., Januar 1913.) Der Verf. steht auf
dem Standpunkt, dass die Ophthalmologen die Palliativtrepanation bei
Stauungspapille selbst ausführen sollten, da dadurch der Charakter des
Palliativen beträchtlich gewahrt bliebe. So wie die Dinge jetzt liegen,
erblinden viele an Stauungspapille leidende Patienten deshalb, weil sie
nicht rechtzeitig zur Operation gelangen.
Salzmann-Graz: Ueber den anämischen Fnndns. (Zeitschr. f.
Augenheilk., Januar 1918.) Leichte Grade von Anämie lassen sich
ophthalmoskopisch nicht feststellen. Dies ist erst möglich, wenn der
Hämoglobingehalt ungefähr die Hälfte des normalen beträgt.
G. Erlanger.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
C. Lüders-Wiesbaden: Die syphilitische Mittelohrentzündung.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Vortrag, gehalten in der
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohrenärzte in Köln a. Rh. am
17. November 1912. Wolfsohn.
L. Haymann-München: Zur Pathologie und Klinik der otogenen
Grosshirnah8ces8e. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2 u. 3.)
Dünner.
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
275
Hygiene und Sanitätswesen*
Aumann - Hamburg: Ueber ein Berkefeldfilter mit automatischer
Heiligung. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 2G0.) Das „Berke-
feldfilter mit automatischer Reinigung D. R. P.“ gewährleistet in Ver¬
bindung mit der Sterilisierung eine einfache und saubere Reinigung
unter Wiederherstellung der vollkommenen Filtrierfähigkeit. Gebrauchs«
fahigkeit etwa 24 Stunden. Anwendungsgebiet aber wegen bakteriologi¬
scher Kontrolle beschränkt.
N. Mur ata - Port Arthur: Die epidemiologischen Beobachtungen
anlässlich der Pestseuche in der Südmandsehurei, und zwar im Kaiser¬
lich japanischen Verwaltungsdistrikte. (Zeitschr. /. Hyg., 1912, Bd. 78,
R 2, S. 245.)
G. Hödrcn - Stockholm: Pathologische Anatomie und Infektions¬
weise der Tuberkulose der Kinder, besonders der Säuglinge. (Zeitschr.
/. Hyg., 1912, Bd. 78, H. 2, S. 278.) Zwischen Säuglingen und Kindern
der ersten Kindheit bestehen keine grösseren prinzipiellen Verschieden¬
heiten hinsiohtlich der Tuberkuloseinfektion. Die wichtigste Infektions-
weise der Tuberkulose ist auch bei Kindern die Aspirationstuberku¬
lose. Bei dieser zeigen in der Regel die Lungen primäre Lokalisation
der tuberkulösen Infektion. Das häufigste und typische pathologisch-
anatomische Bild der Tuberkulose der Säuglinge und Kinder aus der
ersten Kindheit ist demnach nicht Bronchialdrüsentuberkulose, sondern
Lungen-Bronchialdrüsentuberkulose. Erweichungsherde der tuberkulösen
Lungenherde mit Cavernenbildunk kommen bei Kindern häufig vor, be¬
sonders gerade im Säuglingsalter. Schon bei Säuglingen liegt natürliche
Resistenz in gewissem Grade vor, die bei älteren Kindern noch deut¬
licher hervortritt. Möllers.
Gerichtliche Medizin.
Nippe - Königsberg: Ueber die gerichtsärztliche Bedeutung neuerer
Methoden für die Unterscheidung mütterlichen und fötalen Blutes.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 1.) Nach den Untersuchungen des
Verf. ist weder die von Neumann und Herrmann angegebene Methode,
nach welcher die Lipoide des kindlichen und des hocbgraviden Blutes
in bezug auf die Menge von Cholesterinester und Neutralfett stark diffe¬
rieren, noch die Methode von Abderhalden, nach welcher das Serum
von Schwangeren das Placentaeiweiss abbaut, für die Zwecke der ge¬
richtlichen Medizin praktisch zu verwerten.
H. Marz und H. Arnheim - Berlin: Halshlutuugen hei Er¬
trunkenen. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 1.) Die Verff. teilen
weitere 14 Palle mit, in denen sie die schon früher von ihnen be¬
schriebenen Halsblutungen an den Leichen Ertrunkener gefunden haben.
Sie fassen dieselben als Erstickungsblutungen auf und sehen in den¬
selben eia sicheres Zeichen einer dem Tode kurz voran gegangenen Er¬
schwerung der Atmung. Sie sind ein wertvolles Zeichen für den Tod
durch Ertrinken. Auch Blutungen in die Brustmuskulatur, die schon
von Paltauf und Reuter beobachtet wurden, haben sie wiederholt ge¬
sehen.
Dyrenfurth-Berlin: Ueber Simulation im Gefängnis. (Aerztl.
Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 2.) Beschreibung verschiedener Fälle.
H. Hirsohfeld.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
A. Ra dtke -Berlin: Die Reiehsversieherungsordnung. Unfall¬
versicherung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.) Kurze Zusammen¬
fassung der wichtigsten neueren Bestimmungen.
Weiss - Zwickau: Eine den Symptomen der Klnmpke’scken
Lähmung ähnliche Unfallfolge. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.)
Weiss schildert bei einem durch Kohlen verschütteten Arbeiter eine an
Klumpke’sche Lähmung erinnernde Störung. Es besteht reohterseits eine
starke Miosis, eine Verkleinerung der Lidspalte, eine starke Rötung der
rechten Ohrmuschel und ferner eine Alteration der sensiblen Aeste der
achten Cervical- und der ersten Dorsalwurzel.
Engels-Saarbrücken: Unfall und progressive Paralyse. (Aerztl.
Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 2.) .l a / 4 Jahre naoh Unfall eines Syphiliti¬
schen Tod an Paralyse.
P. Fürbringer - Berlin: Zur Kenntnis des Hirnubscesses als
Unfallfolge. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 1.) Die Bedeutung des
Unfalles lür die Entstehung von Hirnabscessen wird nach F. zu wenig
gewürdigt. Er teilt deshalb aus seiner eigenen Erfahrung auszugsweise
zehn Gutachten mit, welche er über derartige Fälle erstattet hat. In
allen wurde die Entschädigungspflicht anerkannt. H. Hirschfeld.
Militär-Sanitätswesen.
Brunslow: Die Vereiiignng „Jungdeutsehland“ und die Sauitäts-
oflsiero. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 22.) Der jetzt
maassgebenden Generation, auch der Sanitätsoffiziere Aufgabe ist es,
den bösen Mächten des modernen Lebens entgegenzutreten und eine
körperlich and seeliseh gesunde, stahlharte, zähe Jungmannschaft heran-
zuzieheo, das Ziel und die Arbeit des Jungdeutschlandbundes zu unter¬
stützen.
Schoen hals-Spandau: Eine Kriegslazarettanlage in Zelten.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 22.)
Hufnagel-Trier: Die Verwendbarkeit des direkten Räntgenanf-
nahneverfahrens (ohne Trocken platten) im Felde. (Deutsche militär¬
ärztliche Zeitschr., 1912, H. 20.) Ein Stück Bromsilberpapier mit glatt¬
matter Oberfläche wird wie die Trockenplatte in die Aufnabmekassette
gelegt, exponiert, entwickelt, fixiert und gewässert. Das Negativ ist
gleich auf Papier. Winke zur Herstellung. Man kann so rasch und
billig in den Besitz eines Bildes gelangen zu jeder Tageszeit und bei
dunklem Wetter. Man kann zwei Aufnahmen gleichzeitig herstellen usw.
Pöhn: Einfacher, zusammenlegbarer Instramententisch. (Deutsche
militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 23.)
v. Tobold-Berlin: Zur Frage der Eichung von Spritzen zu Ein¬
spritzungen unter die Haut (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912,
H. 21.) Eine Prüfung derartiger Spritzen hat ergeben, dass der Raum¬
inhalt, namentlich der kleinsten Spritzen, in zum Teil recht erheblichem
Grade (10—SOpCt.) vom Sollwert abweicht. Es war deshalb vorge¬
schlagen, die Spritzen einer amtlichen Eichung zu unterziehen.
Schöppler-Münohen: Ans den Feldzugsbriefen (1870/71) eines
bayerischen Sanitätsoffiziers. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912,
H. 21.) Es geht daraus hervor, dass die Militärärzte von den Gefechten
und den Mühsalen eines Feldzuges nichts weniger als eine besondere
Schonung zu verzeichnen hatten.
Blau: Ueber Krankheitsvortänscknng und Selbstverstümmelung.
Sammelreferat .111. (Deutsche miltärärztl. Zeitschr., 1912, H. 20.)
(Sammelreferat I und II Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1909, H. 13,
bzw. 1910, H. 14.)
Tüshaus-München: Die Zahnpflege im Heere. (Deutsche militär-
ärztliche Zeitschr., 1912, H. 20.)
K. E. Mayer: Die Frage der Zunahme der Nerven- und Geistes¬
kranken. (Eine kritische Studie über die Statistik unter Benutzung
von Krankenblättern des XIII. Armeekorps.) (Deutsche militärärztl.
Zeitschr., 1912, H. 23.)
Bernstein: Kleinhirnblntnng als Ursache plötzlichen Todes.
(Deutsche militärärztli. Zeitschr., 1912, H. 22.) Mitteilung eines ein¬
schlägigen Falles, in dem eine chronische parenchymatöse Nephritis vor¬
handen war.
Has-Oranienstein: Eine noch einfachere Schwefelbehandlnng der
Krätze. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 20.) Erzielung vor¬
züglicher Resultate. Halbstündiges warmes Vollbad mit Schmierseifen-
abbürstung. Einreiben mit: Sulf. praecip. 160,0 + Menthol 4,0 -f- Kali
carbon. 40,0 + Lanolin und Ad. suill. ü ad 1000,0. Auf 2 Stunden
Einpackung ins Bett. Wiederholung der Salbeneinreibung. Nochmals
auf 2 Stunden Einpackung ins Bett. Ein halbstündiges Reinigungsbad.
Einpinselung mit Zinc. oxydat. -f- Talcum -f- Glycerin -+- Aqua dest. a&.
Eventuell empfiehlt sich noch zur Vermeidung der Reinfektion Aus¬
bügeln der am Leibe befindlichen Wäsohe und der Uniform mit heissem
Bügeleisen.
Graf-Düsseldorf: Wasserbruch nnd Unfall. (Deutsche militärärztl.
Zeitschr., 1912, H. 20.) Der in der Armee beobachtete Wasserbruch ist
häufig (42,2 pCt.) ein traumatischer. Der Reitdienst bringt keine grösseren
Gefahren wie der Fussdienst. Er ist rechterseits häufiger als linkerseits.
Wahrscheinlich hat in einer grossen Zahl traumatischer Wasserbrüche
ein leichter Grad von Hydrocele schon vor dem Unfall bestanden. Das
Trauma ist in 53,8pCt. direkt. Schnütgen.
Technik.
K. Bürker: Ueber eine angebliche Verbesserung der Blnftmisch-
pipette. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 9 u. 10.) B. wendet sich gegen
die Kritik, die Roerdansz (Pflüger’s Archiv, Bd. 145) seiner neuen
Methode der Blutkörperohenzählung mit Hilfe von zwei Pipetten an¬
gedeihen liess. Diese Kritik ist nach B. unberechtigt und die eigenen Blut-
misohpipetten, die Roerdansz angab, sind ungeeignet A. Loewy.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 29. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr v. Hansemann.
Vorsitzender: M. H.l Es ist ein Dankschreiben von Herrn Ge¬
heimrat Heubner eingegangen, der sich für die Glückwünsche zu seinem
Geburtstag bedankt.
Als Gast begrüsse ioh Herrn Dr. Margolin aus Russland.
Ich habe dann eine geschäftliche Mitteilung zu machen. Es ist an
den Vorstand ein Antrag eingegangen von Herrn Lazarus, der lautet:
„Die letzte Sitzung in jedem Monat soll für Demonstrationen aller
Art reserviert werden. Deren Dauer darf 5 bis höchstens nach Ermessen
des Vorsitzenden 10 Minuten betragen. Bei Mangel an Demonstrationen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
können kurze Vorträge, 10 bis 12 Minuten lang, angesetzt werden. Die
Diskussionsreden dürfen nur bis 5 Minuten dauern.“
Statutengemäss ist dieser Antrag von dem Vorstande in Verbindung
mit dem Ausschuss besprochen worden; sie haben beschlossen, der Ge¬
sellschaft die Ablehnung auzuraten, teils aus inneren Gründen, teils,
weil bereits einmal unter Herrn v. Bergmann der Versuch gemacht
worden ist, derartige Abende einzurichten, der Versuch aber aufgegeben
werden musste, da er sich als undurchführbar erwies.
In unseren Statuten heisst es: „Beschiiesst der Vorstand und Aus¬
schuss, der Gesellschaft die Ablehnung anzuraten, so wird in der nächsten
Sitzung der Gesellschaft“ — das ist heute — „darüber abgestimmt, ob
der Antrag zur Verhandlung kommen soll“; also keine Diskussion, son¬
dern nur Abstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Vorstand und Ausschuss zustimmen,
die Hand zu erheben. (Geschieht.) Das ist zweifellos die Majorität.
Damit ist der Antrag erledigt.
Für die Bibliothek sind eingegangen: Von Herrn P. Hey¬
mann: Festschrift gewidmet den Teilnehmern der 84. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Aerzte in Münster i. Westf. Münster 1912.
— Von Herrn J. Hirschberg: Frankreichs Augenärzte 1800 — 1850.
Leipzig 1912. — Von Herrn Kurt Mendel: Die Paralysis agitans.
Berlin 1911. — Von Herrn M. Mosse: Berichte der Deutschen chemi¬
schen Gesellschaft 1901—1903. Krankheit und soziale Lage. Heraus¬
gegeben von M. Mosse und G. Tugendreich. Lief. 2 u. 3. München.
— Von Herrn A. Silberstein: Lehrbuch der Unfallheilkunde. Berlin
1911. — Von Herrn E. Simonson: Der Organismus als kalorische
Masohine und der zweite Hauptsatz. Berlin-Cbarlottenburg 1912. — Von
Herrn J. Kastan: Plaut, Theodor, Der Gewerkschaftskampf der deut¬
schen Aerzte. Karlsruhe i. B. 1913. — Von Karger’s Verlag: Ameri¬
can Gynecology, Vol. 1, 1902 u. Vol. 2, 1903. — British Gynaecological
journ., Vol. 13, 16, 18—21. — Archives general de Chirurgie, 1907 u.
1908 fehlen Titel und Register. — Annali di Ostetricia e Ginecologia,
1897. — Compt. rendus de la sociötö d’Obstetrique de Gynöcol., T. 2,
1900 bis T. 8, 1906. T. 1, 1899 fehlt F. 1; T. 9, 1907 fehlt F. 8 bis
Schl. — Gynaecologia Helvetica, 1906, 1910. — La clioica ostetrica,
1901; Vol. 4 fehlt Tit. u. Reg. — Journ. de med. legale psych., 1906.
— Hygia, 1896, 1897, 1898. — Saint Bartholomew’s Hospital reports,
Vol. 40, 1904; Vol. 42, 1906, 1908, 1909 u. 1911. — Nederlandsch Tijd-
schrift voor Verloskunde en Gynaecologie, 1896—1899; 1900 fehlt No. 4;
1901 fehlen Titel u. Register. — Von Börsenverein der Deutschen
Buchhändler zu Leipzig: Deutsche Bücherei des Börsenvereins der
Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Leipzig 1912.
Vor der Tagesordnung.
1. Hr. Bier:
Erklärung aber das Friedm&nn’sche Mittel gegen Tuberkulose.
(Ist in Nr. 5 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
2. Hr. M. Wolff:
Pneumothoraxoperation bei Tuberkulose. (Demonstration.)
Die Collapstberapie bei Lungentuberkulose durch künstlichen
Pneumothorax soll bekanntlich durch Kompression und Ruhigstellung
der erkrankten Lunge zur Heilung führen. Die verlangsamte Blut-
durchströmung, die Hemmung der Lymphbewegung und die damit ver¬
bundene verminderte Fortschwemmung der Toxine aus dem Erkrankungs¬
herd in den allgemeinen Kreislauf — die erhöhte Tendenz zur Binde¬
gewebsbildung und Abkapselung der tuberkulösen Herde in der
retrahierten Lunge — schliesslich die verminderte Sekretion in den
Bronchien und dadurch die verminderte Gefahr der Sputumaspiration
und neuer Krankheitsherde —, das sind mit Wahrscheinlichkeit die
wirksamen Momente, die die tuberkulöse Erkrankung günstig beein¬
flussen.
Ich habe im Laufe des letzten Jahres 27 Fälle von Lungentuber¬
kulose mit künstlichem Pneumothorax zu behandeln Gelegenheit gehabt,
und zwar 15 Fälle nach der einfachen Forlanini’schen Methode, 12 Fälle
nach Brauer durch Schnitt bis auf die Pleura und stumpfe Sprengung
derselben und dann nachfolgende Injektion von Stickstoff.
Bei allen Fällen ist mit besonderem Gewicht auf die Manometor-
schwankungen geachtet worden. Nur dann, wenn nach Einführung der
offenen Kanüle zunächst ein negativer Druck und dann die bekannten
negativen und positiven Atemschwankungen in ausgiebiger Weise er¬
folgten, Hessen wir die Injektion von Stickstoff nachfolgen; denn nur
dann hatten wir die Sicherheit, dass wir uns in einem freien Pleura¬
spalt befanden. Sind die Schwankungen nicht deutlich, dann injizierten
wir an dieser Stelle nicht den Stickstoff, sondern versuchten die Punktion
an anderer Stelle.
Der Druck in allen Fällen ist stets ein sehr geringer gewesen, ein
Druck von 1 bis 3 bis 4 mm; nur einige Male stieg er auf 10 bis 15 mm.
Höher zu steigen habe ich nicht gewagt wegen der Gefahr der Luft¬
embolie; denn dieselbe steigert sich ja mit der Steigerung des Druckes.
Die Dosen, die in diesen Fällen injiziert wurden, waren stets 800
bis 1000 ccm zu Anfang, später wurden sie geringer und gingen auf
400 ccm herab. Wir sind aber doch im Laufe der Nachfüllung zu
grossen Gesamtdosen bis zu 12 000 und 18 000 ccm Stickstoff gelangt,
wobei selbstverständlich immer zwischen den einzelnen Nachfüllungen
Resorption stattgefunden hatte. Die Intervalle zwischen den einzelnen
Nachfüllungen waren anfangs 2—4 Tage, je länger hinaus, um so grösser,
zwischen 7—21 Tagen.
Was den klinischen Verlauf bei diesen Fällen anbetrifft, so haben
wir niemals nach einem künstlichen Pneumothorax das Schreckbild ge¬
sehen, das Sie bei dem spontanen Pneumothorax bei Lungenphthise ja
alle kennep. Wir haben niemals den hochgradigen Schmerz, den die
Leute nach spontanem Pneumothorax an der Durchbruchsstelle emp¬
finden, wir haben niemals die bis zur Orthopnoe gesteigerte Atemnot,
niemals die Cyanose, den kleinen Puls und auch niemals bis jetzt
glücklicherweise den Tod gesehen, der ja bei natürlichem Pneumothorax
nicht selten bereits nach einigen Tagen eintritt. Der Verlauf nach
künstlichem Pneumothorax war ein verhältnismässig milder. Plötzlicher
Tod durch Luftembolie, wie solcher mehrere Male sicher beobachtet ist,
haben wir bei dem geringen Druck, unter dem wir arbeiteten, bisher
glücklicherweise niemals gesehen. Meine früheren dahingehenden Be¬
fürchtungen auf Grund von eigenen Kaninchenversuchen sind beim
Menschen bisher nicht eingetreten.
Von besonderer Wichtigkeit ist die stete Kontrolle durch Röntgen¬
untersuchungen, um den Effekt und die Notwendigkeit der Nachlüllung
konstatieren zu können, und ich möchte mir erlauben, von diesen
Kranken, die hier mitgebracht sind, einige Röntgenbilder zu demonstrieren.
1 . Der erste Fall betrifft eine Patientin, die Husten und Auswurf
mit reichlichen Tuberkelbacillen hatte. Sie sehen in dem ersten Röntgen¬
bilde vor der Operation rechts in der Scapulargegend einen Schatten¬
herd und einen zweiten grösseren Schattenherd ebenfalls rechts mehr
nach der Lungenbasis zu. Ueber beiden Schattenherden Dämpfung,
Bronchialatmen und feuchter Katarrh hörbar. Die Operation wird nach
Brauer ausgeführt, rechts in der mittleren Axillarlinie. Es sind bis
jetzt im Laufe von 6 Monaten 14 Nachfüllungen gemacht, im ganzen
dabei 13 200 ccm N eingeführt. Die 6 Röntgenaufnahmen, die ich Ihnen
hier zeige, ergeben eine zunehmende Grösse des Pneumothorax, eine zu¬
nehmende Kompression der Lunge und eine zunehmende Verdrängung
von Mediastinum und Herz nach der linken, gesunden Seite.
Das letzte Bild, 6 Monate nach der Operation, ergibt: sehr grossen
rechten Pneumothorax, rechter Lungenschatten schmal, blass, gegen die
Wirbelsäule komprimiert, mit einzelnen Vorsprüngen in den rechten
Pneumothoraxraum hinein. Mediastinum und Herz stark nach links
verschoben
Dem Röntgenbefund entspricht auch der klinische Befund. Rechts
überall, vorn und hinten, tiefer, lauter Schall; nur neben der Wirbel¬
säule schwaches Atmen hörbar, sonst kein Atemgeräusch. Spitzenstoss
im 5. Intercostalraum in der Axillarlinie.
Was das Allgemeinbefinden nach 6 V 2 monatiger Behandlung betrifft,
so ist Patientin völlig Symptom los geworden; sie hat keinen Husten,
keinen Auswurf, also auch keine Tuberkelbacillen mehr, ist fieberfrei und
völlig arbeitsfähig. Nichtsdestoweniger werden wir den Pneumothorax noch
nicht der Selbstresorption überlassen und die Patientin noch in Behand¬
lung behalten. Es ist besser, man erhält den Pneumothorax durch
Nachfüllung etwas länger als zu kurze Zeit. Ich glaube, dass die
mittlere Zeit, in der mau die Behandlung festsetzen soll, s / 4 bis 1 Jahr
sein wird. Wenn Ihnen das zu lang erscheint, möchte ich bemerken,
dass man auch aus Davos so schwere Patienten nicht viel früher zurück-
schickt als nach einem Jahre.
2. Der zweite Fall betrifft einen 12jährigen, hereditär belasteten
Knaben mit Infiltration des rechten Oberlappens (Dämpfung, Bronchial¬
atmen, Katarrh). Starke Abmagerung, Husten, Auswurf, reichlich
Tuberkelbacillen. Links Katarrh in der Spitze.
Das erste Röntgenbild vor der Operation zeigt Ihnen, der In¬
filtration entsprechend, rechts vorn oben eine starke Schaitenbildung.
Operation nach Brauer.
Das zweite Bild, 4 Tage nach der Operation, bei der 800 ccm N
beigebracht wurden, ergibt bereits rechts einen ziemlich breiten, hellen
Luftraum, beinahe von der Spitze bis zur Basis reichend, die Rippen¬
schatten aufgehellt, deutliche Kompression der Lunge medianwärts, Herz
noch nicht verschoben.
Die weiteren Bilder 3 bis 5, die nach der ersten, dritten, sechsten
Nachfüllung aufgenommen sind, zeigen fortschreitende Kompression der
Lunge und stark zunehmende Verschiebung von Mediastinum und Herz
nach links und, dem Röntgenbilde entsprechend, die bekannten klinischen
Symptome des Pneumothorax: tiefen, lauten, vollen Schall, über dem¬
selben stark abgeschwächtes bzw. ganz aufgehobenes, stellenweise schwach
amphorisches Atmen.
Bild Nr. 6 , das nach der 12. Nachfüllung, 5 Monate nach der Operation,
aufgenommen ist, zeigt, dass der Pneumothoraxraum kleiner ge¬
worden ist. Es ist nämlich neu hinzugekommen rechts unten
in den abhängigen Partien der befallenen Thoraxhälfte ein pleu-
ritisches Exsudat mit dem bekannten pleuritischen Exsudatschatten,
der bei jeder Körperlage immer eine absolut horizontale obere Grenze
beibehält, und der beim Schütteln des Patienten deutlich Wellen¬
bewegungen zeigt.
Das letzte Bild, Nr. 7, das nach der 13. Nachfüllung, 6 V 2 Monate
nach der Operation, im ganzen nach Beibringung von 7300 ccm N auf¬
genommen ist, zeigt, dass das pleuritische Exsudat etwas gestiegen,
der Pneumothoraxraum infolgedessen etwas kleiner geworden ist. Der¬
selbe reicht klinisch und im Röntgenbilde etwas unterhalb des Angulus
scapulae.
In bezug auf das pleuritische Exsudat wollte ich bemerken, dass
ich solche ganz fieberlos oder nur mit sehr geringem Fieber verlaufende
seröse Exsudate mehrfach nach künstlichem Pneumothorax gesehen habe.
Ein purulentes oder jauchendes Exsudat habe ich bisher nie gesehen.
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10. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Dasselbe schädigt auch nicht die Therapie mit Hilfe des Pneumothorax;
im Gegenteil, die Flüssigkeitsschioht unterstützt durch Ruhigstellung der
Lunge den therapeutischen Zweck des Pneumothorax.
Auch dieser Patient ist bisher, 67s Monate nach der Behandlung,
in bezug auf seine Erscheinungen symptomlos: kein Fieber, kein
Husten, keine Tuberkelbacillen mehr, auch nicht bei wiederholter Unter¬
suchung des Sputums mit Antiformin; er befindet sich im übrigen wohl,
bleibt aber noch in Behandlung.
Diese beiden Fälle sind nach Brauer operiert worden. Ich möchte
Ihnen jetzt ganz kurz einen Fall zeigen, der nach Forlanini, also mit
einfacher Punktion, behandelt worden ist.
8. Patientin, 29 Jahre alt, erkrankt im Anschluss an Influenza.
Links hinten Infiltration vorwiegend in der Scapulargegend, Dämpfung,
Katarrh, der aber auch noch weiter nach abwärts reicht.
Links vorn supra- und infraclavicular Verkürzung und spärlicher
Katarrh.
Reichlich Tuberkelbacillen, viel Husten, sehr matt. Rechte Lunge frei.
Das erste Röntgenbild vor der Operation: in der linken Spitze zwei
dunkle Schatten knoten, in der linken Scapulargegend marmorierte
Schattenbildung.
Operation nach Forlanini.
Es werden im ganzen innerhalb etwa 3 Monate 8 Nachfüllungen
gemacht, in Einzeldosen von 800—1000 ccm N., die stets ohne Schwierig¬
keit hineingingen. Gesamtdosis 7600 ccm N.
Das Bild Nr. 5 nach der achten Nachfüllung zeigt Ihnen einen aus¬
gedehnten Pneumothorax, sehr schmalen an die Wirbelsäule angedrückten
Lungen schatten, die in den vorher demonstrierten Bildern sichtbare
Adhäsion an das Diaphragma lösgelöst, ebenso eine Adhäsion in der
Scapulargegend nur noch al9 ganz feinen Schattenstrich sichtbar. Klinisch
ist der linke Pneumothorax in grosser Ausdehnung nachweisbar.
Patientin gibt regelmässig an: viel besseres Allgemeinbefinden als vor
der Operation. Es besteht kein Fieber, kein Husten, kein Auswurf, keine
Tuberkelbacillen mehr.
Zum Schluss möchte ich nur noch bemerken, dass man so schnell
und sicher, wie in den mitgeteilten Fällen, den Pneumothorax nicht
immer erreichen kann; es gibt eine Reihe von Fällen, bei denen die
Verwachsungen so stark sind, dass man immer und immer wieder in¬
jizieren kann, und nur ganz allmählich ein Pneumothorax nachweisbar
wird und schliesslich auch solche, in denen man gar keinen Pneumo¬
thorax bekommt trotz wiederholter Injektionen.
Die Pneumothoraxoperation bei Lungentuberkulose ist in Deutsch¬
land noch ziemlich neu; erst in der letzten Zeit mehren sich die Mit¬
teilungen. Ich bin auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen der
Meinung, dass das Vorfahren berechtigt ist, bei einseitiger tuberkulöser
Lungenerkrankung und auch dann, wenn die andere Lunge nicht aktive
oder ausgedehnte tuberkulöse Prozesse aufweist
Tagesordnung.
Hr. Abel:
Die Elektroeoagnlatioa bei der operativem Behaidlang des Krebses,
speiiell des Gebärmatterkrebses.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.-
Hr. Holländer: Ich möchte mir erlauben, einige prinzipielle Be¬
merkungen zu machen.
Ich habe mich seit langer Zeit mit der chirurgisch-thermischen Be¬
einflussung befasst und so war es mir von vornherein sehr interessant,
die damaligen Ausführungen des Herrn Nagelsohmidt über Diathermie
zu hören, und ich reiste auch zu Doyen, um die von ihm bi9 in das
Letzte verfeinerte operative Technik der unipolaren Elektrocoagulation
kennen zu lernen. Dann habe ich die Methode ein Jahr angewandt.
Wenn wir nun eine neue Methode kritisieren wollen, so müssen wir
sie zunächst mit den alten vergleichen und uns fragen: leistet diese
Methode mehr und leistet sie etwas Anderes?
Die Pyrotechnik, die jahrhundertelang Triumphe gefeiert hat, leistet
verschiedenes. Das eine ist die zerstörende Kraft der Hitze, und auch
diese Methode gehört ohne Zweifel unter den Begriff des Cauterium
actuale. Das andere ist die umstimmende Kraft des Feuers.
Wenn wir zunächst die zerstörende Kraft der Hitze betrachten, auf
die Herr Abel ja auch aufmerksam gemacht hat, so hatten die alten
Aerzte — und viele von Ihnen werden das selbst noch gesehen haben,
namentlich beim inoperablem Uteruscarcinom — sich mit Vorteil des
Ferrum candens bedient. Der sehr schwächliche Erbe desselben ist der
Paquelin, und es muss sofort zugegeben werden, das9 der Paquelin
lange nicht das kann, was das Ferrum candens leistet. Mir fällt dabei
immer ein Wort von Nussbaum ein, der, wenn er ein Uteruscarcinom
ausbrannte, sagte: „Ich habe auch immer den Paquelin daneben, aber
bloss zur Beleuchtung der Vagina, brennen tue ich mit dem Ferrum
candens“; denn tatsächlich ist das kompakte Glüheisen in seiner Wir¬
kung hervorragend allen anderen derartigen Maassnahmen überlegen.
Vor allem ist durch den Paquelin, wie das Herr Abel ja auch be¬
gründet hat, die zerstörende Kraft des Feuers in Misskredit gekommen.
Nach dieser Richtung leistet die neue Methode entschieden erheblich
mehr. Es ist zwar kein Verschorfen, sondern eine Verkochung, doch
auf Einzelheiten will ich hier nicht eingehen. Auch die hämostatische
Kraft, die bei dem Ferrtim candens in Betracht kommt,' tritt bei der
Blektrocoagulation ia gahz anderer Form in Erscheinung. ’ >
Was nun dieser Fortschritt der neuen Methode bedeutet, so wird
er wohl von den Chirurgen nicht sehr erheblich eingeschätzt werden,
da unsere neue, moderne, operative Technik mit den Wucherungen an
der Portio und an anderen Stellen ohne technische Schwierigkeiten
fertig wird.
Es bleibt also übrig da9 Prinzip der Umstimmung. Die älteren Aerzte,
bis in das 19. Jahrhundert hinein, hatten vielfach gesehen, dass, wenn Ge¬
schwüre ausgebrannt waren, seien es nun schankröse, tuberkulöse, sep¬
tische oder andere, die Basis gesund wird; da nahmen sie an, dass durch
Nervenreiz eine Umstimmung des Geschwürs durch das Ferrum candens
erfolge. Es sind dabei um die Mitte des 19. Jahrhunderts grössere
Arbeiten gemacht worden über die Tiefenwirkungen, die vom Ferrum
candens ausgehen, und auf diese Studien muss man zunächst zurück¬
kommen, wenn man jetzt, bevor man weitere theoretisch gewagte
Schlüsse zieht, die Prinzipien einer solchen thermischen Tiefenwirkung
erprobt.
Denn es handelt sich bei dieser ganzen Frage um das zweifelsohne
sehr wichtige Prinzip der elektiven Kraft. Bei mykotischen Pro¬
zessen und parasitären infiltrierenden, aber oberflächlich gelegenen Krank¬
heiten hat sich durch meine Heissluftkauterisation unzweifelhaft die elektive
Kraft der Hitze bewiesen, d. b.: innerhalb einer wohl bei den einzelnen
Krankheitserregern verschieden liegenden Breite gibt es ein Maass von
thermischer Beeinflussung, bei welchem der Erreger abstirbt, das Gewebe
aber, wenn auch geschädigt, doch lebendig bleibt. Bei dem Lupus z. B.
liegen erfahruDgsgemäss die Verhältnisse so, dass sowohl der Tuberkel¬
bacillus als auch das durch ihn produzierte Gewebe der Tuberkel weniger
Hitze erträgt, als das gesunde Zwischengewebe. Die Folge davon ist,
dass nach diffuser Erhitzung ein durchaus tuberkulös verändertes Gewebe
wie mit einem Schlage nach der Erhitzung gesund regeneriert. Die Vor¬
aussetzung der Krebsbeeinflussung durch die zehnmal grössere Tiefen¬
wirkung der Elektrocoagulation ist eine geringere Widerstandsfähigkeit
der Krebszelle bzw. des fraglichen Krebserregers gegen Hitze als das
gesunde Gewebe. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so müsste allen tech¬
nischen Schwierigkeiten zutrotz die thermische Operation die Operation
der Wahl beim Carcinom sein. Es fragt sich nun, ob diese elektive
Kraft der Hitze, welche sich durch viele Tausende von Heissluftkauteri¬
sationen bei anderen parasitären Krankheiten bewährt hat, auch beim
Krebs wirksam ist. Doyen behauptet das, indem er angibt, dass die
tödliche Hitzedosis für seinen Micrococcus neoformans und für die Krebs¬
zelle selbst zwischen 52 und 55 0 liegt, dass aber die gesunden Zellen
60° ertragen. Nachdem ich zunächst zum Nachprüfen dieser Verhält¬
nisse an inoperablen Mastdarmcarcinomen die Technik ausprobiert hatte,
ging ich daran, frei zutage liegende ausgedehnte Carcinome und Epi¬
theliome zu kochen; um einen genauen Status zu haben, Hess ich die
Fälle vorher photographieren und reiche Ihnen die Bilder herum. An
der Ausdehnung der Erkrankung ersehen Sie schon, dass keine Aussicht
war, einen Fall zu heilen. Es kam nur darauf an, ob es durch
die grosse Tiefenwirkung der Hitze gelingen würde, an
irgendeiner Stelle, namentlich am Rande die carcinösen
Geschwüre „umzustiramen“ und gesunde Granulationen zu
erzielen. Ich muss leider bekennen, dass mir das an keiner
einzigen Stelle gelungen ist. Auch nicht, nachdem ich die ge¬
kochten Massen ausgelöffelt und wiederum elektrocoaguliert hatte. Bevor
man also auf das Prinzip der elektiven Wirkung der Hitze bei Carcinomen
Operationen baut, muss zunächst das Prinzip als solches weitere Prüfungen
erfahren. Obwohl durch meinen Apparat Kochungen zustande kamen,
erfüllte er doch wie auch der hier demonstrierte, nicht die Ansprüche von
Doyen, der mit 20 Ampere arbeitet.
Die Ueberlegenheit der Methode gegenüber der Heissluftkauterisation
erprobte ich auch beim Lupus. Einen Lupus des Fussrückens heilte
ich in einer Sitzung. Aber trotz angewandter Vorsicht lagen nach Ab-
stossung des Gekochten die ganzen Strecksehnen frei; ich habe deshalb
Abstand genommen, mit dieser Methode der thermischen Tiefenwirkung
weiter zu arbeiten, bis eine genaue Dosierbarkeit erreicht ist. Der
Methode selbst aber verspreche ich nach ihrem technischen Ausbau eine
grosse Zukunft.
Hr. Hammerschlag: Ich möchte mir erlauben, vom Standpunkt des
Gynäkologen zu den Ausführungen des Herrn Abel das Wort zu nehmen.
Er hat als Hauptindikation für sein Verfahren den Schutz gegen die
Impfrecidive angegeben und hat sich dabei auf die Lehre meines früheren
Chefs Winter in erster Linie gestützt. In der hiesigen gynäkologischen
Gesellschaft hat etwa vor einem Jahre Herr Schäffer einen oder zwei
Fälle von wirklichem Impfrecidiv besprochen, und in der darauffolgenden
Diskussion, in der auch ich mir erlaubte, das Wort zu nehmen, trat
ganz allgemein die Ansicht hervor, dass Impfrecidive zwar Vorkommen,
aber ausserordentlich selten sind, jedenfalls nur einen ganz minimalen
Bruchteil der Recidive darstellen, die wir nach Carcinomoperationen
sehen. Damals konnte ich anführen, dass auch mein früherer Chef
Winter, der die Frage des Impfrecidivs gerade beim Uteruscarcinom
als einer der ersten bearbeitet hat, von den Ansichten, die er urspüng-
lich über die Häufigkeit der Impfrecidive hatte, ganz bedeutend zurück¬
gekommen ist. Wir sind ganz allgemein der Ansicht, wenigstens was
das Uteruscarcinom anbetrifft, dass alle anderen Recidive viel häufiger
Vorkommen als das Impfrecidiv. Wenn wir darüber einig sind, so dürfen
wir, glaube ich, aus Furoht vor dem Impfrecidiv keine Maassnabmen
aufbauen, die irgendwie different sind, und different 9ind die Maass¬
nahmen des Herrn Abel ganz entschieden, und zwaf aus folgenden
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Gründen. Einmal, man mag die Technik der Diathermie beherrschen,
wie man will, es wird dadurch die Operation nicht unbedeutend ver-
längert, und ich brauche nicht auseinanderzusetzen, dass das natürlich
eine Erhöhung der Gefahr bedeutet. Zweitens, das, was ich hier gehört
und gesehen habe, zeigt mir doch, dass bei vorgeschrittenen Carcinomen,
etwa bei solchen, die das Parametrium und das Paracolpium infiltriert
haben, es ausserordentlich schwer sein würde, die Diathermie anzu¬
wenden. Aber diese/technischen Fragen mögen ja vielleicht zukünftig
gelöst werden. Etwas, was aus den Ausführungen des Herrn Abel
schon jetzt hervorgeht, spricht direkt gegen die Operation mit der Dia¬
thermie, wenn er nämlich anführt, dass der Uterus so morsch und weich
wird, dass alle eingesetzten Haltezangen ausreissen. Wie man in
schwierigen Fällen den Uterus, den man nicht anfassen kann, von der
Bauchhöhle aus exstirpieren will, wenn das Parametrium infiltriert ist,
wenn man die Ureteren freipräparieren muss, das kann ich mir nicht
vorstellen.
Ich muss also sagen: einmal die technischen Schwierigkeiten,
zweitens die geringe Häufigkeit der Impfrecidive beim Uteruscarcinom
lassen mir doch die Wichtigkeit der Methode für die Uteruscarcinom-
operationen noch zweifelhaft erscheinen.
Hr. Bucky: Der letzte Herr Redner hat die Wichtigkeit der Methode
für chirurgische Zwecke in Frage gestellt. Nicht mit Recht, wie mir
scheint, namentlich da ein Punkt heute Abend relativ wenig betont
worden ist; das ist der Umstand, dass man unter absoluter Blutleere
arbeitet. Wenn man wirklich etwas mehr Zeit brauchen sollte, um die
Coagulation auszuführen, so wird der Zeitverlust dadurch wieder aus¬
geglichen, dass man sich um die Blutstillung durchaus nicht in dem
Maasse zu bemühen braucht, wie es beim Messer der Fall ist.
Ich möchte dann auf die Ausführungen des Herrn Dr. Abel betreffs
der Durchkochung eines Tumors zurückkommen. Es ist technich un¬
möglich, und es wird auch in Zukunft trotz der Verbesserung der
Apparate unmöglich sein, beim lebenden Menschen einen grossen Tumor
vollkommen zu coagulieren; und zwar aus folgenden Gründen: Herr
Abel ist leider von dem Techniker etwas schlecht beraten worden. In
der Tat ist der Verlauf der Stromlinie kein absolut gerader von Elektrode
zu Elektrode, sondern die Streuung der Stromlinien ist eine ziemlich
erhebliche; wir haben also auch noch Stromlinien, die gebogen verlaufen,
ähnlich den magnetischen Kraftlinien. Diese Streuung ist so erheblich,
dass die Stromlinien bei lokaler Applikation durch den ganzen Körper
des Menschen hindurcbgehen. Die Folge davon ist, dass die Hitze nicht
etwa entsprechend der ganzen Elektrodenfläche in gleicher Weise den
Körperteil durchsetzt, sondern die Hitzeentwicklung schreitet nach der
Mitte zu kegelförmig vor, und zwar liegt die Spitze des Kegels ungefähr
in der Mitte des Querschnittes bei gleich grossen Elektroden.
Betrachten wir dann die Verhältnisse im Tumor, so haben wir auch
hier wieder den Fortgang der Hitzeentwicklung kegelförmig. Wir würden
also im Innern keine vollkommene Coagulation haben, sondern die
Coagulation wird in der ganzen Elektrodenbreite nur eine gewisse Tiefe
erreichen. Das stimmt überein mit den erwähnten histologischen Be¬
funden, wonach sich in den Schnitten Gewebe gefunden hat, das nicht
coaguliert war. Man könnte diesem Uebelstande abhelfen, indem man
sehr grosse Elektroden anwendet. Diese sehr grossen Elektroden ge¬
statten eine sehr grosse Strommenge hindurchzuschicken. Kleine Elek¬
troden gestatten es nicht. Wenn man kleine Elektroden nimmt, so be¬
kommt man schliesslich eine so grosse Erhitzung, dass das Gewebe an
den Auflagestellen verkohlt, und wenn es verkohlt ist, haben wir einen
sehr hohen Widerstand: es findet eine Funkenbildung statt, es gibt
Nekrosen, und diese Nekrosen machen natürlich den Stromverlauf voll¬
kommen unkontrollierbar.
Allerdings könnte man grosse Elektoden auflegen und dem Tumor
dadurch erheblich grössere Strommengen zuführen. Theoretisch ist das
ohne weiteres möglich. Man würde auch die Coagulation der Tumoren
ohne weiteres bekommen, aber es tritt dann eine weitere Gefahr auf,
die auch noch nicht genügend betont worden ist. Die Gefahr besteht
darin, dass bei diesen grossen Stromraengen eine grosse Hitzeentwicklung,
eine plötzliche Zufuhr einer grossen Menge Calorien auftritt, und dass
damit auch die Körpertemperatur stark in die Höhe geht. Man würde
also den Patienten überhitzen; das scheint meiner Meinung nach doch
Gefahren in sich zu bergen, die zu beachten sind.
Aber ich sehe auch gar nicht den Grund ein, warum man einen
Tumor mit einem Schlage durchkochen soll. Man kann ja viel besser
und viel sicherer stufenweise Vorgehen, indem man einfach die Ober¬
fläche zunächst coaguliert, dann stumpf abträgt, dann wieder coaguliert
und wieder stumpf abträgt und so durch den ganzen Tumor durch. Auf
diese Weise würde man die Gefahren vermeiden, die unbedingt bei einer
zu grossen, plötzlichen Erwärmung auftreten müssen und doch keine
Lyrapb- oder Blutbahnen eröffnen.
Hr. Israel: Ich begreife vollständig den hohen Wert der Diathermie
für Tumoren, welche man nicht exstirpieren kann. Dagegen ist es mir
nicht ganz klar geworden, welcher Wert der präliminaren Verkochung
einer Geschwulst zukommen soll, welche man chirurgisch entfernen kann,
denn das Mangelhafte unserer Resultate bei der Exstirpation maligner
Tumoren liegt doch im wesentlichen, abgesehen von bereits vorhandenen
Metastasen, darin, dass wir Gefahr laufen, selbst in ziemlicher Entfernung
von dem Tumor Geschwulstkeime zurückzulassen, welche wir nicht er¬
kennen können. Gegen eine derartige Eventualität, welche doch unter
100 Fällen 'mindestens 99 mal die Schuld d6f Lokalrecidive ist, kann nun
eine präliminare Coagulation des Tumors in keiner Weise schützen. Das,
was wir coagulieren, fällt ja ohnedies bei der Operation fort.
Ich halte ferner, selbst die Voraussetzungen des Herrn Abel als
richtig zugegeben, technisch ein derartiges Verfahren nur für diejenigen
Fälle möglich, wo es sich um ein abgegrenztes Organ handelt, welches,
wie z. B. Uterus oder Niere, leicht in toto vom Strome zu durebfliessen
ist; dagegen bei einem Carcinom von diffusen Grenzen, wie z. B. einem
Mammacarcinom, ist ja doch ein derartiges Verfahren vollkommen aus¬
geschlossen oder erst dann möglich, wenn wir bereits operativ das Carcinom
losgelöst haben, damit wir von allen Seiten den Strom heranbringen
können. Dann brauchen wir es aber nicht mehr.
Also ich meine, zweifellos hat die Diathermie eine sehr grosse Zu¬
kunft, und wir sind ja auch auf dem Wege, Tumoren in Hohlorganen,
z. B. Blasentumoren usw. damit anzugreifen. Aber der Nutzen der
diathermischen Coagulation einer Geschwulst ist meines Erachtens immer
nur für die Fälle zuzugeben, wo man mit dem Messer entweder nicht Vor¬
gehen kann, oder nicht vorgehen soll. Dagegen wäre es denkbar, dass sich
die Diathermie nützlich erweisen würde für die Zerstörung mancher in
und jenseits der Exstirpationsfläche zurückgebliebener Geschwulstkeime.
Hr. Falk: Wenn auch die Impfrecidive nicht so häufig sind, wie
Herr Abel annimmt, so ist doch absolut sicher, dass derartige Impf¬
recidive nach Carcinomoperation Vorkommen. In der Diskussion in der
Gynäkologischen Gesellschaft besprach ich selbst einen Fall, in dem nach
einem paravaginalen Schnitt nach Carcinomoperation ein Recidiv in der
Narbe aufgetreten war, und ich habe vor 8 Tagen einen ganz analogen
Fall, der von sehr bekannter Seite operiert worden, gesehen, bei dem
in der ganzen Ausdehnung des paravaginalen Schnittes sich drei isolierte
Carcinomknoten fanden. Also haben zweifellos sämtliche Bestrebungen,
welche darauf hinausgehen, derartige Impfrecidive zu verhüten, ihre Be¬
rechtigung. Es fragt sich nur, ob das Verfahren von Herrn Abel in
der Art, wie er es an wenden will, das erreichen kann, was Herr Abel
vorhat. Es ist unzweifelhaft ein Fortschritt, wenn Herr Abel das
carcinomatöse Gewebe, in dem infektiöse Keime sitzen, mittels Diathermie
radikal entfernt. Was will er aber damit bezwecken, wenn er den ganzen
Uterus, der bei diesen leichten Fällen keine Keime in der Muskulatur
enthält, verschorft? Er setzt dadurch nur gewisse Gefahren für die
Operation und macht die Operation viel schwieriger, da eventuell tiefer¬
gelegene Keime, die ja bei der Methode nicht verschorft werden, erst
recht naoh aussen gelangen. Die Gefahr liegt ja in den infektiösen
Keimen im Parametrium und im Paracolpium; diese Teile sind sehr
schwer ohne Verletzung des Ureters zu verschorfen; wenn es aber wirk¬
lich gelingt, muss Herr Abel doch noch lateral von diesen Teilen die
Parametrien unterbinden, er muss mit der Nadel durch das Gewebe
hindurch und hat dann natürlich wieder genau dieselben Gefahren, wie
wenn er dieses ganze Gewebe nicht verschorft hätte.
Ich stehe also auch auf dem Standpunkt des Herrn Israel, dass
wir bei inoperablen Tumoren mit allen denjenigen Methoden, welche
eine energische Verbrühung resp. Verschorfung hervorrufen, vor allem
auch mit der Diathermie viel erreichen können, dass wir wahrscheinlich
auch durch Vorbereitung des Carcinoms mittels Diathermie bei Radikal¬
operationen gutes erreichen können, für die eigentlichen Operationen
aber bedürfen wir derselben nicht.
Wenn ich noch ein Wort zu dem Thermokauter sagen soll, so
stimme ich mit Herrn Holländer vollständig überein, dass das Glüh¬
eisen viel bessere Wirkung hat wie der Thermokauter. Ich habe seit
langer Zeit das alte Glüheisen wieder eiDgeführt und kann Ihnen ein
kleines technisches Hilfsmittel empfehlen. Man musste früher einen
grossen Blasebalg haben, um das Glüheisen in Glut zu halten. Ich
nehme einfach meinen Sauerstoffapparat, den ich zur Narkose benutze,
verbinde diesen mit einem doppelläufigen Bunsenbrenner und erreiche
hierdurch das Glühen des Glüheisens.
Hr. Borchardt: Ich habe mich auch seit langer Zeit mit der
Methode beschäftigt und eine Reihe von Fällen mit Herrn Kollegen
Nagelschmidt und Herrn Bucky zusammen operiert. Ich würde es
für falsch halten, wie es Herr Israel auch schon betont hat, wenn man
ein operables Carcinom in der Weise vorbehaudeln würde, wie es hier
vorgeschlagen wird. Dazu brauchen wir Chirurgen, meine ich, die
Methode nicht. Ich stehe übrigens auf demselben Standpunkt, den einer
meiner Vorredner, Herr Hammerschlag, schon betont hat, dass ich
Impfrecidive bei vorher gut operablen Carcinomen für verhältnismässig
selten halte. Denken Sie doch an die zahllosen Recidive, die wir leider
nach der Mammaamputation zu sehen bekommen; wie wenig sind da
echte Impfrecidive. Ich habe mich also auch immer auf den Standpunkt
gestellt, nur inoperable Fälle mit dieser Methode zu behandeln, und
zwar deswegen, weil sie meiner Ueberzeugung nach in bezug auf
Coagulation und Zerstörung mehr leistet als irgend eine andere, in den
letzten Jahren empfohlene Methode, die ich fast alle durchprobiert habe.
Zu meinem Bedauern muss ich aber bekennen, dass ich auch in
keinem einzigen Falle eine überraschende Dauerwirkung gesehen habe.
Alle die Fälle, die ich operiert habe, sind schliesslich doch recidiviert.
Es mag das ja an der Ungunst der Fälle gelegen haben. Aber ich
schätze an der Methode eines sehr, und das ist die blutstillende Wirkung;
weniger für das Carcinom; denn da haben wir im allgemeinen mit
Blutungen ja gar nicht so sehr viel zu tun als z. B. bei den Cavernomen.
Ich habe mit Herrn Kollegen Nagelschmidt schon vor länger als einem
Jahr ein ungeheuer blutreiches Cavernoto der, Nade exstirpiert.*; Dabei
wurde zuerst das Cavernom vollkommen coaguliert, dann die Coagulations-
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
279
masseo mit dem scharfen Löffel ausgekratzt und die ganze Operation
bei minimaler Blutung vollendet, was sonst nur unter sehr starker
Hämorrhagie möglich gewesen wäre. Dafür schätze ich die Methode und
werde sie auch weiter bei inoperablen Carcinomfällen anwenden, da sie
meiner Ueberzeugung nach bisher das beste Zerstörungsmittel ist, welches
wir haben; aber grosse Hoffnung, dass wir mit ihrer Hilfe Recidive ver¬
hindern werden, habe ich nicht.
Hr. Abel (Schlusswort): Ich möchte an die letzten Worte von
Herrn Borchardt anknüpfen, dass mit der Elektrocoagulation eine sehr
starke oder vielleicht die stärkste Zerstörung erreicht werden kann, die
man bisher kennt. Dies hat mich ja dazu bewogen, gerade für operable
Fälle diese Methode vorzuschlagen. Inoperablen Fällen gegenüber sind
wir leider in einer sehr traurigen Lage. Da können wir nur symptomatisch
etwas helfen. Deshalb habe ich gar nicht von den verschiedenen in¬
operablen Fällen gesprochen, die ich mit dieser Methode operiert habe.
Dass wir ein Mammacarcinom zum Beispiel in der gesunden Haut um-
schneiden können, das habe ich auch gewusst. Ich glaube nur, dass
wir auch dann noch sehr leicht durch Druck Krebskeime in die durch
den Schnitt geöffneten Gefässe hineinbringen können, und deshalb fordere
ich eben, dass vorher das carcinomatöse Gewebe vernichtet wird. Wenn
man hier die Herren hört, so macht es beinahe den Eindruck, als wenn
die Operation des frühen Garcinoms eine sichere Heilung gewährt.
Darüber wollen wir uns aber doch nicht täuschen, dass bis jetzt die
Resultate, die wir bei unseren Carcinomoperationen haben, recht schlecht
und im voraus unberechenbar sind. Woran liegt das? Ist das Garcinom
über den Ort seiner Entstehung hinaus, dann wird nur die Methode den
betreffenden Kranken heilen, die durch ein internes Mittel elektiv die
Carcinomzellen tötet; wenn aber das Garcinom ursprünglich eine lokale
Erkrankung ist und, fortgenommen, doch wieder Recidive gibt, dann
muss dies eine Ursache haben, und ich habe eben geglaubt, dass diese
Ursache darin liegt, dass wir direkt Krebskeime in die Schnittlinie über¬
impfen, ferner aber, dass wir bei der Operation Keime in den Blut¬
kreislauf hineinbringen.
Was die Impfrecidive betrifft, trifft das doch nicht ganz zu, was
Herr Hammerschlag gesagt hat. Wenn auch Winter, wie ich eben
höre, seine ursprüngliche Meinung geändert bat, so glaube ich doch,
dass seine frühere Ansicht nicht unberechtigt war. Ich erinnere an die
Peritonealcarcinose, bei der nach der Punktion Garcinom an der Punktions¬
stelle entsteht. Bei Gelegenheit der Fulgurationsbebandlung exstirpierte
ich vor mehreren Jahren einen Uterus nach Erweiterung des Operations¬
gebietes durch den Schuchardt’sehen Schnitt. Obgleich das Garcinom
vorher ausgekratzt und ausgebrannt war, traten schon nach gar nicht
langer Zeit Garcinomknoten genau im Verlauf der Schnittlinie auf. Das
war ein Impfrecidiv, wie es im Buche steht.
Nun, der Zweck meiner Mitteilung war tatsächlich nicht, die Methode
etwa für inoperable Fälle zu empfehlen, sondern sie nach möglichst früh¬
zeitig gestellter Diagnose anzuwenden. Ist das Garcinom, dessen Grenzen
wir noch erkennen können, vernichtet und operieren wir dann in einem
absolut toten Gewebe, dann haben wir die Möglichkeit, durch die ein
Recidiv entstehen kann, meines Erachtens erheblich herabgesetzt.
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Januar 1913.
1. Hr. Rothnami: Weitere Beiträge zur Kleinhirulokalisation.
(Erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.)
2. HHr. L. Michaelis und Rona:
lieber die Wirkung der Alkalien auf Glukose. (Ein Beitrag zur Theorie
der Katalyse.)
Glukose hat nach den Untersuchungen von Lobry de Bruyn die
Neigung, in alkalischer Lösung sich zum Teil in Fruktose und Mannose
umzuwandeln. Dieser Vorgang kann als eine durch OH-Ionen hervor¬
gerufene Katalyse betrachtet werden. Es wird nuu experimentell er¬
wiesen, dass die Geschwindigkeit dieser Umwandlung der OH'-Konzen-
tration der Lösung genau proportional, d. h. der H'-Konzentration
umgekehrt proportional ist. Der Vorgang wird unter folgenden An¬
nahmen verständlich. Glukose ist eine schwache Säure. Dies wird zu¬
nächst durch Messung ihrer Dissoziationskonstanten auf elektrometrischem
Wege erwiesen; sie wird = ca. 5.10~ 13 gefunden. Infolgedessen
existieren neben der gewöhnlichen Glukose in der Lösung stets auch
Glukose-Anionen, in einer Konzentration, die der H-Konzentration um¬
gekehrt proportional sein muss. Bei dem auch im chemischen Gleich¬
gewicht stets vor sich gehenden Prozess: Glukose ^ Glukose-Ion -{- H-Ion
muss nun bei der Reaktion im Sinne von links nach rechts nicht immer
wieder Glukose entstehen, sondern es können auch andere Zucker ent¬
stehen, weil das Ion wahrscheinlich eine Enolkonstitution besitzt und
diese identisch für Glukose, Mannose und Fruktose (naoh Neuberg und
Wohl) ist. Die Umlagerung der Glukose geht also über das Ion der¬
selben, muss daher der Konzentration dieser Zucker-Ionen proportional
sein, und diese sind der H*-Konzentration umgekehrt proportional. Die
katalytische Wirkung der Alkalien auf Zucker wird so in letzter Linie
auf die, wenn auch sehr geringe Elektrolytnatur derselben zurückgeführt,
und diese Annahme auch für andere Katalysen durch Säuren und
Alkalien wahrscheinlich gemacht. - ^ ^
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau.
Medizinische und staats- und rechtswissenschaftliche Sektion.
(Offizielles Protokoll.)
Fortsetzung der gemeinsamen Sitzung am 22. November 1912.
Vorsitzender: Herr Vierhaus.
Schriftführer: Herr Rosen feid.
Auf den Wunsch des Vorsitzenden gibt Herr J. Wolf nochmals ein
Resumö seines Vortrages unter Hinzufügung einer Anzahl weiterer Daten
und antwortet gleichzeitig auf die am ersten Abend von den Diskussions¬
rednern gebrachten Fragen und Einwände.
Gegen Herrn Wolffberg führt er an, dass die Entwicklung der Ge¬
burten nicht „aus sich“ und in diesem Sinne „autonom“ erklärt werden
könne, als Zufalls- oder irreguläre Erscheinung. Gegen eine solche
Deutung spreche die Konstanz des Rückgangs und die Tatsache, dass in
der bisher statistisch kontrollierten Zeit sich eine so niedrige Geburten¬
quote wie gegenwärtig niemals gezeigt habe. Zur Acusserung des Herrn
Partsch macht er darauf aufmerksam, dass man Arbeiter und Sozial¬
demokraten nicht identifizieren dürfe, Deutschland habe eine grosse Zahl
Arbeiter, die nicht Sozialdemokraten seien, und die, wie eine Auszählung
der in den Reichstagswahlen abgegebenen Stimmen zeige, eine wesentlich
höhere durchschnittliche Geburtlichkeit haben als die der spezifisch so¬
zialdemokratischen Bezirke. Die Feststellung Herrn Chotz en’s, wonach
die Frequenz der Geschlechtskrankheiten abnehme, vermag der Referent
nur für die Städte und auch da nicht für alle zuzugeben, im Reichs¬
und Landesdurchschnitt dagegen steige zweifellos fürs erste noch die
Krankheitafrequenz in Zusammenhang mit der Wanderung vom Lande
in die Städte und mit der ungeheuer viel grösseren Krankheitsfrequenz
der ersteren. Auf die Aeusserungen Herrn Oettinger’s erwidert
Ref., dass die von ihm vorgebrachte Annahme, der Rückgang der Ge¬
burten führe sich im Wesen auf eine Verschiebung in der Alters¬
schichtung zuungunsten der fortpflanzungsfähigen Klassen zurück, längst
widerlegt sei, das Gegenteil sei in Wirklichkeit der Fall. Die Bezug¬
nahme auf Schöneberg war durchaus berechtigt, da dieser Fall zur Be¬
leuchtung einer Sonderentwicklung herangezogen und gleichzeitig mit¬
geteilt wurde, dass der Reichsdurchschnitt der Geburten — nicht etwa
wie in Schöneberg um 75 pCt. —, sondern um etwa 25 pCt. gesunken
sei. Zu dem beispiellosen Geburtenabsturz habe die Verschiebung des
Altersaufbaus nur sehr wenig beigetragen. Es sei überaus gewagt, jenen
mit letzterer zu erklären. Insgesamt wäre Ref. aber besonders dankbar,
wenn in diesem Kreise ein Austausch ärztlicher Erfahrungen erfolgen wolle,
da er mit Rücksicht auf diese Möglichkeit als Nichtarzt in diesem Kreise
erschienen sei. Er bitte die Herren darum, der Mitteilung von Wahr¬
nehmungen, die sie in ihrem ärztlichen Berufe gesammelt hätten, in der
Debatte die erste Stelle einräumen zu wollen.
Hr. Kayser: Die Hauptursache des willkürlich herbeigeführten
Geburtenrückganges bilden wirtschaftliche Motive, die Herr Wolf in
seinem Vortrage nur kurz gestreift, in seinem Buche ausführlich erwähnt
hat. Mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die ärmsten Klassen, die
Pauperes, immer eine unbeschränkt grosse Zahl von Kindern erzeugen,
lässt sich das wirtschaftliche Motiv etwa so präzisieren: Sobald die
Masse des Volkes zu einer höheren Wirtschaftslage, mit einem gewissen
Lebenskomfort gelangt und die Aufrechterhaltung der erreichten Lebens¬
haltung durch eine grössere Kinderzahl empfindlich erschwert wird, tritt
der Wille zur Verminderung der Geburten zutage. Hiermit ist aufs
engste ein ideelles Moment verbunden, von Herrn Wolf treffend als das
rationalistische bezeichnet, die rationelle Denkweise und Lebensführung.
Aus der bei einer gewissen Kulturhöhe nahezu notwendigen Verknüpfung
beider Momente lassen sich die Besonderheiten des Geburtenrückganges
leicht ableiten. 1. Der Zeitpunkt des Beginnes im letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts, wo die Entpauperung des industriellen Proletariats
in erheblichem Maasse begonnen hat, 2. die Progressivität, 3. die Diffe¬
renzen der einzelnen Länder, 4. die Differenzen zwischen Stadt und Land.
Dazu kommen noch als wichtig in Betracht: die Besitzverhältnisse der
Bauern auf dem Lande, die rapide Steigerung der selbständigen Berufs¬
arbeit der Frauen zugleich mit einer ideologischen Veränderung der
weiblichen Lebensauffassung. Dinge, die Herr Wolf auch in seinem
Buche erwähnt. Meine Differenz mit ihm erstreckt sich auf folgendes:
Herr Wolf hat in seinem Vortrag mit besonderer Ausführlichkeit und
Betonung einen ursächlichen Zusammenhang zwischen religiös-politischer
Gesinnung und Geburtenziffer zu statuieren versucht. Ich halte diese
Ansicht für nicht richtig bzw. für enorm übertrieben. Religiöspolitische
Gesinnung bestimmter Art und die erwähnten wirtschaftlichen Momente
fallen aus verschiedenen Gründen häufig zusammen, da tritt ein Zu¬
sammenhang scheinbar zutage. Die wirtschaftlich - ideellen Momente
äussern sich auch z. B. in der von Herrn Wolf erwähnten Abnahme
des Analphabetismus oder in der Verkürzung der Arbeitszeit, die man
aber doch nicht als direkte Ursachen des Geburtenrückganges ansehen
wird. Die statistischen Beweise des Herrn Wolf sind nicht stichhaltig.
Als Hauptbeispiel gilt ihm das protestantische und stark sozialdemo¬
kratische Königreich Sachsen gegenüber dem katholischen und wenig
sozialdemokratischen Bayern. Sachsen hatte 1910 eine Geburtenziffer
von 27,2, Bayern von 32,4. Aber im Jahre 1900, wo doch die gleichen
religiös-politischen Gegensätze hätten wirksam sein müssen, hatte nach
S. 20 und 21 des Wolt’schen Buches Sachsen 39,4 und Bayern 37,9
als Geburtenziffern. Die Intensität de» Geburtenrückganges ist aller¬
dings in Sachsen in den 10 Jahren viel grösser: vnrt 39,3 auf 27,2,
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
während die Geburtsziffer in Bayern von 37,9 nur auf 32,4 zurückgeht.
Aber das erklärt sich einfach aus der ökonomischen Verschiedenheit.
In Sachsen, mit seinem sehr zahlreichen industriellen Proletariat, muss
dessen Entpauperung viel intensiver wirken als in dem industriell viel
schwächeren Bayern. (Man kann zugeben, dass die katholische Kirche
unter besonderen Umständen vereinzelt die Erhöhung der Geburtenziffer
begünstigen kann. Aber das ist für das Gesamtresultat verschwindend.)
Herr Wolf hat selbst auf Frankreich hingewiesen. Ein anderes Beispiel
ist Oesterreich. (S. 79 des Wolfschen Buches steht Oesterreich an der
Spitze der „Völker katholischen Bekenntnisses mit anerkannter Kirch¬
lichkeit der Masse“. Und doch erklärt Herr Wolf S. 226 und 229, dass
der Geburtenrückgang in Oesterreich in gleicher Weise vor sich gehe wie
in Preussen und: „es bestehe nicht die geringste Berechtigung zur An¬
nahme, dass die Geburtenziffer in Oesterreich einen wesentlich anderen
Gang gehen werde als im Deutschen Reich“.) Wendet man die von
Herrn Wolf geübte Zahlengrugpiernng auf die Sterblichkeitsziffer an,
die durch ähnliche wirtschaftlich-ideelle Momente bestimmt mit der Ge¬
burtenziffer parallel sinkt, so kommt eine entgegengesetzte Bewertung
heraus. Sachsen hatte 1810 eine Sterblichkeitsziffer von 16,1, Bayern
dagegen 20,0. ln Herrn Wolf’s Buch (S. 75) wird als besonders „über¬
raschende“ Uebereinstimmung bezeichnet, dass Berlin bei 66 pCt. sozial¬
demokratischer Wahlstimmen eine Geburtenziffer von 23,9, dagegen die
Provinzen Westpreussen und Posen bei 7 bzw. 9 pCt. sozialdemokratischer
Stimmen Geburtenziffern von 58,5 bzw. 39,7 aufweisen. Nimmt man
aber die Sterbeziffern pro 1910 hinzu, so lauten sie für Berlin 16,3, für
Posen 20,2, für Westpreussen 21,3, also eine noch genauere Ueberein¬
stimmung. Man könnte auch hier eine Phantasierechnung anstellen, wie
viel Hunderttausende von Menschenleben dem Vaterlande durch die
protestantisch - sozialdemokratischen Grossstädte wie Berlin, Hamburg,
Dresden usw. erhalten würden im Vergleiche mit Westpreussen und
Posen. Die von Herrn Wolf so in den Vordergrund gehobene Zahlen¬
gruppierung mit ihren Konsequenzen bietet eine gewisse Gefahr. S. 154
des Wolfschen Buches wird auf eine Skala hingewiesen, welche die
einzelnen politischen Parteien Deutschlands nach der Geburtenfrequenz
ordnet. S. 202 wird als Mittel zur Bekämpfung des Geburtenrück¬
ganges, „nach den hier gepflogenen Untersuchungen“, die Entwindung
„des rationalistischen Arguments“ und „die Pflege der Kirchlichkeit“
besonders hervorgehoben. Auf der rationellen Denkweise beruht aber
im wesentlichen die moderne Kultur, die also bedroht wird, um Jahr¬
hunderte zurückgeschraubt zu werden.
Der von Herrn Wolf an die Aerzte gerichtete Appell ist acceptabel,
soweit die Aerzte in Wort und Schrift die Wöchnerinnensterblichkeit,
die Geschlechtskrankheiten mit ihren Folgen für die Fortpflanzungs¬
fähigkeit, die gesundheitsgefährlichen Abortivmittel usw. bekämpfen
sollen, was ja schon seit langem in grösserem Umfang geschieht. Der
Appell will aber offenbar weitergehend, dass die Aerzte in der Familie
und öffentlich auf eine grössere Geburtenzahl in der Ehe hinwirken.
Das ist aber undurchführbar. Jeglichen Präventivverkehr überhaupt als
krankmachend hinzustellen, ist unzulässig, weil dessen gesundheits¬
schädliche Wirkungen doch sehr problematisch sind. (Dass recht zahl¬
reiche Geburten für die Lebensdauer, die Gesundheit und das Wohl¬
ergehen der Mütter und Kinder besonders günstig sind, ist unmöglich
zu behaupten.)
Schliesslich könnte jede Arbeiterfrau die Frage entgegenhalten:
wie es dann mit dem Kinderreichtum bei den Aerzten selbst stehe?
Nach S. 119 des Wolfschen Buches haben Aerzte und Apotheker die
geringste Anzahl Kinder. Bei den anderen höheren Berufsarten steht es
aber ganz ähnlich. S. 43 des Wolf’schen Buches wird die geringe
Fruchtbarkeit der Ehen von Universitätslehrern und Lehrern an höheren
Anstalten erwähnt und S. 135 gesagt, dass bei Lehrern und kleinen
Beamten „die Kinderzahl vielleicht die grösste Verminderung erfahren
hat“. Der Appell müsste sich also an alle höheren Klassen richten.
Bei der Bekämpfung des Alkoholismus und der künstlichen Ernährung
der Säuglinge ist für den Erfolg das Beispiel der Aerzte selber resp.
ihrer Frauen von Einfluss. Auch in bezug auf die Geburtenziffern muss
dem Beispiel, speziell der sogenannten intellektuellen Klassen eine er¬
hebliche Bedeutung zuerkannt werden.
Hr. Carl Alexander: Die Frage, wie wir uns zu dem Geburten¬
rückgang zu stellen und inwieweit wir ihn zu beklagen haben, wird
nicht eindeutig beantwortet. Dem fanatischen Standpunkte Born-
träger’s stehen Ansichten anderer Männer gegenüber, darunter solcher,
die, wie z. B. Elster, im Hinblick auf ihre Stellung der Verantwort¬
lichkeit ihrer Aeusserungen bewusst sind und doch offen aussprechen,
dass das Dogma von Kindersegen in jedem Falle nicht haltbar ist, und
dass nicht bloss die Quantität, sondern auch die Qualität der Nach¬
kommen in Betracht zu ziehen ist (siehe Eröffnungssitzung der „Ver¬
einigung für staatswissenschaftliche Fortbildung“). Die durch zu viele
Kinder bewirkte Verelendung der Massen und die bei den heutigen
schweren Erwerbsverhältnissen durch zu viele Kinder eintretende Pro¬
letarisierung des Mittelstandes kann gerade auch vom nationalen Stand¬
punkte aus nicht gleichgültig sein, weil es sich dann um Vermehrung
des Volkes durch Elemente handelt, deren durch Not unterbliebene Er¬
ziehung und deren aus einer freudlosen Jugend entsprungene staats¬
feindliche Gesinnung sie zu gefährlichen Gegnern der Gesellschaft macht.
Zudem sterben in sehr kinderreichen Ehen prozentual viel mehr Kinder
als in denen mit weniger Kindern (Untersuchungen von Hamburger -
Berlin in Arbeiterfamilien). Es handelt sich also bei zu vielen Ge¬
burten um nutzlose Verschwendung mütterlicher Energie und erhöhte
gesundheitliche Gefahren. Schliesslich kann zur Zeit die Gefahr des
Geburtenrückganges nicht allzu gross sein, weil vor noch nicht langer
Zeit, als es sich um Förderung der Kolonialbewegung handelt, sogar die
Gefahr der Uebervölkerung Deutschlands als wesentliches Moment in den
Vordergrund gerückt worden ist.
Auch das Gutachten der „Wissenschaftlichen Deputation für das
Medizinalwesen in Preussen“ besagt im Leitsatz V, „dass die Abnahme
der Geburtenziffer mit Rücksicht auf die ausgleichende Erniedrigung der
Sterbeziffer nicht bedrohlich ist“.
Aber diese ausgleichende Erniedrigung der Sterbeziffer wird, wie
das Gutachten weiter sagt, „ihre natürliche Begrenzung erreichen.“
„Deshalb erfordert es das Staats- und Volkswohl, auf geeignete Maass¬
nahmen rechtzeitig Bedacht zu nehmen.“
Und so werden auch diejenigen, welche sich der Wucht der Gründe
für die Zweckmässigkeit einer relativen Beschränkung der
Kinderzahl beugen, sich doch der Einsicht nicht verschliessen
können, dass diese eine Grenze finden muss und nicht zu
weit gehen darf; Unheil erwächst uns hieraus nicht bloss in bezug
auf unsere Kriegsbereitschaft, sondern auch noch aus einem anderen
nationalen Grunde: das Fehlen von Arbeitern würde den leider schon
jetzt bei Landwirtschaft und Industrie starken Import ausländischer
Arbeiter (Polen usw.!) zum Schaden des Deutschtums noch weiter
steigern.
Zur Bekämpfung des Geburtenrückganges sind verschiedene Mittel
angegeben worden; aber nicht genügend bekannt ist die Notwendigkeit
des Vorgehens gegen gewisse kurpfuscherisch-naturheilkundliche Bücher
und Schriften, die Anweisungen zum Präventivverkehr und zur Ab¬
treibung angeben, wie z. B. das „Bilz’sche Naturheil verfahren“, das in
mehr als einer Million Exemplaren verbreitet ist (worauf die Herren
WoIffberg und Partsch in der Diskussion schon hingewiesen haben).
Ebenso schlimm, vielleicht noch schlimmer sind die zahlreichen eigen¬
artigen Annoncen in gewissen Tagesblättern — so z. B. im
Breslauer General - Anzeiger Nr. 319 vom 20. November 1912 und
an anderen Tagen wiederholt nicht weniger als zehn derartiger
Annoncen in einer Nummer — in denen Frauen durch bestimmte
Personen angelockt und auf Mittel und Methoden zur Verhütung der
Conception und zur Abtreibung aufmerksam gemacht werden. Der
Wunsch zur Verhütung der Conception und zur Abtreibung würde gar
nicht in solchem Umfange sich geltend machen oder zum mindesten
nicht so häufig in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, wenn
nicht durch die grosse Zahl derartiger Annoncen die Frauen auf diese
Frage hingelenkt werden würden und sich die Kenntnis der ent¬
sprechenden Mittel und Methoden verschaffen könnten.
Wie skrupellos die betreffenden Zeitungen in der Aufnahme der¬
artiger Annonoen sind, geht u. a. aus einem Berichte des „Gesundheits¬
lehrers“ (Organ der „Deutschen Ges. z. Bek. d. Kurpf.“, November-
Heft 1912) hervor, wonach in Hannover der Aerzteverein dortige
Zeitungsredaktionen auf die Gefahr derartiger Annoncen aufmerksam
gemacht, aber nicht den mindesten Erfolg damit erzielt hat, da trotz
der Aufklärung der Redakteure diese Annoncen weiter erschienen. Des¬
halb ist ein Verbot derartiger Annoncen — wie es im Kur¬
pfuscherei-Gesetzentwurf vorgesehen war — durchaus nötig, eventuell
durch landesgesetzliche Regierungs-Polizeiverordnungen, die sich auf
§ 10, II, 17 des Allg. Land-R., bzw. d. Allg. Polizeiverwalt.-Gesetz
vom 11. März 1850 stützen; noch besser wäre ein Verbot der Be¬
handlung aller Leiden und Störungen an den Geschlechts¬
organen durch Nichtärzte, weil sonst die Abtreiberinnen die Aus¬
rede geltend machen könnten, dass sie die betreffenden Mittel nur „zur
Behandlung“ von Frauenleiden angewandt hätten. Jedenfalls sollte
man zur Beeinflussung des allzu schnellen Geburtenrückganges derartige-
gesetzliche Maassnahmen versuchen und sie nicht von vornherein als
erfolglos ablehnen.
Hr. Asch: In klarster Weise hat Herr Küstner schon seine
Stellungnahme als klinischer Lehrer zur Frage des Geburtenrückganges
beleuchtet. Wenn nun auch Herr Kayser die Stellung des Praktikers
nach vielen Richtungen hin klargelegt hat, so glaube ich doch, dem
noch einige aus meiner Erfahrung und unserer Stellung zu den praktischen
Aerzten hinzufügen zu dürfen. Wir sind ja doch vom Herrn Vortragenden,
direkt als Hilfstruppe aufgerufen.
Die Aerzte empfinden ihre Pflicht zum Eingreifen schon lange, er¬
kennen aber auch recht wohl ihre Verpflichtung als Berater der Frau
und der Familie nach einer Richtung hin, die von mancher Seite kaum
als Kampf gegen den Geburtenrückgang aufgefasst werden kann. Es
vergeht wohl kein Aerztekurs, in dem ich nicht von einigen Aerzten
gefragt werde, welche Präventivmittel als sicher und unschädlich zu
empfehlen sind. Nun, diese ernsten, strebsamen Kollegen, die auf ihre
Fortbildung nach jeder Richtung bin bedacht sind, wollen ihrerseits
keineswegs die Geburtlichkeit bekämpfen; sie stehen der Tatsache des
Willens der Betreffenden gegenüber, ohne ihn beeinflussen zu können;
es leitet sie der Drang des hygienisch denkenden Arztes, an Stelle der
die Gesundheit schädigenden Maasnahmen, anstatt der unsicheren Mittel
sicher wirksame zu setzen. Nicht eine Folge der Präventivmittel ist
der Geburtenrückgang, sondern der mehr und mehr zunehmende Wunsch
nach Einschränkung der Kinderzahl hat das Erfinden von Präventiv¬
mitteln zur Folge gehabt, deren Anwendung nicht an die Stelle der
Conception, sondern an Stelle des von alters her geübten Coitus resoivatu»
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
281
hu interraptus trat. Kann der Arzt den festentschlossenen Mann nicht
anders von der Ausübung der nervenzerrüttenden Maassnahme abbringen,
so muss er ihm Mittel zeigen, seinen Vorsatz ohne Schaden zu er¬
reichen. Eine zeitliche Begrenzung des Fortpflanzungsgoschäfts wird
immer Platz greifen müssen. Mit zunehmender Kultur sind unsere
Frauen tatsächlich nicht mehr tauglich, alljährlich Kinder zu bekommen.
Kein Geburtshelfer, kein Gynäkologe, kein Arzt kann auf die Dauer
aoch der sonst gesunden Frau das zumuten, seit die Frau nicht mehr
durch körperliche Muskelarbeit gestählt, durch körperliche Vollendung
io den geistigen Erziehungsjahren zur unentwegten Fortpflanzung ge¬
eignet ist. Damit ist der Präventivverkehr aber im Prinzip als schwer
rermeidlich anerkannt. Wohl soll Enthaltsamkeit an Stelle der Vor¬
beugung treten, doch wird auch diese nur für gewisse Zeiten verlangt;
eine irgend erhebliche Sicherheit ist damit nicht gegeben.
Der Kulturfortschritt, das Zusammenschieben der Bevölkerung in
die grossen Städte hat auch der Frau geistige Waffen zum Kampfe ums
Dasein aufgezwungen und damit ihren Körper weniger tauglich zum
fortwährenden Fortpflanzungsgeschäft gemacht. Er ist wohl fähig zur
Fortpflanzung, aber die dauernde Betätigung macht die Frau unfähig,
andere, nicht weniger notwendig erscheinende Lebensaufgaben zu erfüllen.
Nicht aus Luxus, nicht aus Bequemlichkeit neigen die Frauen zu immer
grösseren Pausen in der Gebärarbeit, sondern aus Not des Lebens,
wenigstens das Gros der Frauen, die bei grossen statistischen Nach¬
weisen in Betracht kommen. So sehen wir, dass der Geburtenrückgang
sich nicht erst an das Auftauchen der Präventivmittel anschliesst; die
Möglichkeit, der Gonception vorzubeugen, besteht, so lange es Menschen
mit Willensbetätigung gibt, das gebräuchlichste Mittel zur Erreichung
des Zwecks seit über 200 Jahren. Der Geburtenrückgang aber ist ein
Zeichen neuerer Kulturentwicklung, höherer Anforderungen auch an die
Frau. Weil sie ihre Mutterpflichten erfüllen muss (Kindererziehung in
körperlicher wie geistiger Beziehung), dem Manne eine Hilfe im Berufs¬
leben sein muss und dabei die Gebärlicbkeit früherer Zeiten nicht ohne
Schaden beibehalten kann, muss der Arzt oft dem Individuum gegenüber
auf die Erfüllung seiner nationalen und sozialen Wünsche verzichten.
Wir Aerzte haben auf der anderen Seite genug zu tun, um dem Geburten¬
rückgang zu steuern: Bekämpfung der Sterilität, der Einkindsterilität
durch prophylaktische Pflege, durch Bekämpfung der Verbreitung der
Geschlechtskrankeiten, ihre Heilung und Verhütung ihrer Folgen sind
Aufgaben, die wohl geeignet sind, eine hygienische Tätigkeit auf oben
gekennzeichnetem Gebiet für die Allgemeinheit wieder wett zu machen.
Gegen die physiologischen und pathologischen Gründe des Geburten¬
rückganges finden Sie die Aerzte allezeit auf dem Kampfplatz, gegen
die sozialen Gründe, gegen die gewollte, aus Not gewollte Einschränkung
der Minderzahl sind andere Trappen aufzubringen. Darüber noch einige
Worte:
Ein gut Teil der Gründe des Geburtenrückganges liegt in dem Zu-
nehmen der Eheschliessungen in höherem Alter. Die Frau fühlt sich
nicht mehr so geeignet, viele Kinder in die Welt zu setzen, der Mann
fürchtet, die Erziehung der Kinder nicht mehr erleben zu können.
Daher hat auch bei Unehelichen der Geburtenrückgang sich nicht so,
meines Wissens gar nicht, bemerkbar gemacht, wo junge Mütter in Frage
kommen. Hier aber zeigt sich die Sterblichkeit am grössten; hier wird
es Aufgabe aller Schichten der Bevölkerung sein, das, was in aus¬
reichender Zahl geboren wird, am Leben zu erhalten. Zu Unrecht ist
dem Deutschen Bund für Mutterschutz der Vorwurf gemacht worden,
er unterstütze durch seine Bestrebungen die Geburtlichkcit. (Man
könnte ebensogut der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger vorwerfen,
dass sie Schiffbrüchen Vorschub leiste.) Wohl aber hat der Bund durch
eine Petition an den Reichstag eine Forderung gestellt, die wohl ge¬
eignet wäre, dem Geburtenrückgang zu steuern. Er will durch eine
ausgedehnte Mutterschaftsversioherung einen Teil der Ursachen des
Geburtenrückganges aus der Welt schaffen und greift damit das Uebel
an der Wurzel an. Ich muss mir hier das nähere Eingehen auf dieses
Thema versagen und will nur noch kurz auf einen anderen Punkt hin-
weisen, auf den mich mein spezieller Beruf und meine Tätigkeit am
Krankenhause lenkt.
Nicht sowohl die Einschränkung der Gonception hat den Geburten¬
rückgang zur Folge als zum guten Teil die vorzeitige kriminelle Unter¬
brechung der eingetretenen Schwangerschaft. Der kriminelle Abort
nimmt in wahrhaft erschreckender Weise zu. Nicht allein die von Herrn
Küstner geschilderten sogenannten anticonceptionellen Mittel, wie
Sterilet usw., sind in Wahrheit Abortiva, sondern es werden ganz offen
Spritzen überall feilgeboten, die nur zum Zweck der Abtreibung dienen
nnd dienen können. Ich möchte den dankenswerten Mitteilungen von
Herrn Wolffberg nur noch hinzufügen, dass in Leipzig der Kampf
hiergegen mit Erfolg aufgenommen worden ist. Dazu bedarf es keines
gesetzlichen Verbots anticonceptioneller Mittel, dazu genügen ge¬
eignete Maassnahmen der Verwaltungsorgane. Bilz’ Buch, aus dem
unzählige Frauen lernen, sich die Frucht selbst abzutreiben, in dem
sogar die Bezugsquellen angegeben werden, das Feilhalten von Mutter¬
spritzen kann man verbieten, den Goitus interraptus und den Gebrauch
des Gondoms nicht.
Ob aber überhaupt durch belehrende, geistliche oder religiöse Ein¬
flüsse ein Erfolg zu erzielen ist, dafür müsste eine spezielle Statistik
Aufschluss geben. Nicht der Vergleich der Zahlen des Geburtenrück¬
ganges in vorwiegend katholischen Ländern oder Landesteilen mit anders
bewohnten vermag ausschlaggebendes Material zu liefern, weil hier noch
eine Menge anderer Faktoren (Landbevölkerung, Industriearbeiter usw.)
mitsprechen; aber es wäre vielleicht möglich, festzustellen, ob in Landes¬
teilen, in Städten, wo gemischt religiöse Bevölkerung zusammenwohnt,
der Geburtenrückgang bei Katholiken ein wesentlich niedrigerer ist, als
bei den Angehörigen anderer Konfessionen. Dieser Nachweis muss durch
die Standesämter möglich sein und erbracht werden. Vielleicht gibt
der Herr Vortragende darüber noch nähere Aufschlüsse.
Hr. Vier ha us führte aus: Wenn der Herr Berichterstatter in einigen
Beziehungen auch auf Abhilfe durch die Gesetzgebung verwiesen habe,
so dürfe man hiervon nicht zu viel erhoffen. Dabei kämen steuerliche
Maassnahmen (Bevorzugung der Verheirateten und der Väter von Kin¬
dern, Benachteiligung Ehe- und Kinderloser) nicht in Frage, sondern
nur Aenderungen der Rechtsordnung. Aber es bewahrheite sich stets,
dass Gesetze zwar eine vorhandene Volksanschauung weiter zu ent¬
wickeln und auszugestalten vermöchten, nicht aber eine allgemeine
Ueberzeugung erst schaffen könnten.
Gesetzgeberische Maassnahmen allgemeiner Art, durch die die Recht¬
stellung der Verheirateten und Väter von Kindern besser gestellt würden,
seien schwer durchführbar. Ein grosses Beispiel biete die Rechts¬
geschichte in der Gesetzgebung des Kaisers Augustus, der Lex Julia et
Papia Poppaea, die er übrigens erst nach langem Widerstande des
Senats durchzuführen vermocht habe.
Ausser öffentlich-rechtlichen Nachteilen für Ehelose (caelibes) und
Kinderlose (orbi) sei insbesondere deren Fähigkeit, Erbschaften und Ver¬
mächtnisse zu erwerben, eingeschränkt worden. Was sie nicht hätten
erwerben können, sei in demselben Testament bedachten Vätern von
Kindern oder dem Fiskus zugefallen. Diese Gesetzgebung habe 300 Jahre
bestanden, wesentliche Wirkungen aber nicht gehabt. Auch beruhe sie
auf Voraussetzungen, an denen es bei uns fehle.
Eine mittelbare Hilfe der Gesetzgebung gegen die geschilderten
Missstände sei möglich durch strafrechtliche Maassnahmen gegen Prä¬
ventiv- und Abortivmittel. Aber man solle sich hiervon nicht zu viel
versprechen. Zunäohst würden solche Gesetze als sogenannte Polizei¬
gesetze bei der parlamentarischen Beratung lebhaftem Widerstand be¬
gegnen; leider sei man bei uns gewohnt, die Möglichkeit einer miss¬
bräuchlichen Anwendung einer Polizeivorschrift stets als das grössere
Uebel gegenüber der Verhütung von Schäden in zahlreichen anderen
Fällen anzusehen. Einen Beleg biete das leider gescheiterte Kur¬
pfuschereigesetz. Dann werde es schwer halten, den Tatbestand, den
man bestrafen wollte, genau genug und umfassend genug zu formulieren.
Endlich falle schon nach der Natur der zu bestrafenden Handlungen
der Beweis der Tatbestandsmerkmale im einzelnen Strafverfahren ausser¬
ordentlich schwer.
Damit solle einem Vorgehen der Gesetzgebung keineswegs wider¬
raten werden; man solle sich nur darüber klar werden, dass man damit
nur beschränkte Erfolge erzielen könne.
Eine Abhilfe der von den Vorrednern geschilderten Nachteile sei
nur von einer Aenderung der Anschauungen und Sitten zu erwarten;
auf diese einzuwirken, sei die zu lösende Aufgabe.
Hr. M. Chotzen: Die Auffassung des Herrn Vortragenden von der
Gefahr, die der bisherige Geburtenrückgang in sich birgt, weicht wesent¬
lich ab von der, die die Wissenschaftliche Deputation in ihren Schluss¬
sätzen bekundete: sie hält die Abnahme der Geburtenziffer nicht für
bedrohlich. Auch die Annahme des Herrn Vortragenden, dass wir
uns mit Riesenschritten französischen Verhältnissen nähern, dass z. B.
in Sachsen, wie er sagt, wir in 50 Jahren schon den jetzt in Frankreich
bestehenden Zustand haben werden, wird von anderer maassgeblicher
Seite nicht geteilt: Würzburger berechnet bei unveränderter Andauer
der Geburtenabnahme in Sachsen erst in 150 Jahren einen Stillstand.
Die willkürliche Unterbrechung der Schwangerschaft ist in Amerika,
wo sie gesetzlich nicht verboten ist, für den Geburtenrückgang von
immer steigenderer Bedeutung, bei uns von nur geringer.
Geschlechtskrankheiten können nur nach zwei Richtungen für die
vorliegende Frage ins Gewicht fallen: durch vorzeitiges Aufhören der
Schwangerschaft oder durch Entwicklung dauernder Unfruchtbarkeit.
Die Wissenschaftliche Deputation erklärt aber in ihren Schlusssätzen
ausdrücklich, dass eine Abnahme der Fortpflanzungsfähigkeit beider
Geschlechter in Preussen und Deutschland sich nicht sicher beweisen
lässt.
Von den zur Bekämpfung des Geburtenrückganges vorgeschlagenen
Maassnahmen halte ich die Einführung einer allgemein unentgeltlichen
Behandlung von geschlechtskranken Personen für überflüssig. Bei der
zurzeit gültigen Krankenkassenversorgung und bei der Ausdehnung, die
sie vom 1. Januar 1914 ab erreichen wird, gibt es in den breiten Volks¬
schichten kaum noch Menschen, die gegen persönliches Entgelt behandelt
werden. Für die untersten Schichten und für den Mittelstand, der von
Geschlechtskrankheiten ergriffen sein sollte, ist also bereits hinlänglich
gesorgt; ärztliche Beratung und Heilmittellieferung steht ihnen aus-
giebigst zur Verfügung. Ueberdies gibt es in jeder grösseren Stadt —
und nur in diesen ist infolge des Ansteigens der Industriearbeiterschaft
zeitweise ein Anschwellen der venerischen Erkrankungen wahrzunehmen —
staatliche oder städtische oder private Polikliniken für Geschlechtskranke,
die jetzt schon jeden ohne Unterschied, selbst wenn er nicht einer
Krankenkasse angehört, unentgeltlich behandeln.
Eine Einschränkung der absichtlichen Befruchtungsverhütung ist von
polizeilichen Maassnahmen, die die Ankündigung von Präventivmitteln
verhindern sollen, nicht zu erwarten. Es muss mit der Tatsache ge¬
rechnet werden, dass der Präventiwerkehr von breiten Schichten der
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Bevölkerung ausgeübt wird, die nicht erst durch öffentliche Ankündigung
der Präventivmittel dazu angeregt werden. Es sind nicht die untersten
Schichten, die sich dazu entschlossen, etwa ungelernte Tagearbeiter,
sondern gerade bessere, gelernte Arbeiter, untere Privatbeamte, untere
Staatsbeamte. Sie entschlossen sich dazu nicht aus Uebermut oder
Laune, sondern aus bitterer Not. Sie wissen, dass eine Steigerung
ihres Einkommens nicht zu erwarten ist, dass sie mit den vorhandenen
Mitteln eine zahlreiche Nachkommenschaft selbst im Rahmen ihrer bis¬
herigen bescheidenen Lebensführung nicht erhalten und zu einem Auf¬
wärtsschrauben vieler Kinder in eine höhere Bildungsstufe und bessere
Erwerbsklasse es nicht bringen können. Wirtschaftliche Sorgen sind es,
die sie zum Präventivverkehr bestimmen, und nur wirtschaftliche Maass¬
nahmen können — wie auch die Herren Pistor und Dilturch in der
Wissenschaftlichen Deputation betont haben — Abhilfe schaffen.
Durch die gesetzgebenden Körperschaften wird jenen unteren
Schichten eine wirtschaftliche Hilfe, die die Aufziehung zahlreicher
Kinder ermöglichen würde, kaum gewährt werden. Eine Volksvertretung,
die bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung die beantragte
Wochenbettpräraie ablehnt, beweist, dass ihr das Verständnis für die
Notwendigkeit eines Schutzes der untersten Schichten zum Zwecke der
Hebung der Bevölkerungsziffer fehlt.
Hr. Bondy: Gegen die Berechnung der Zahl der Fruchtabtreibungen
durch den Herrn Vortragenden muss ein Eiuwand gemacht werden. Er
legt derselben die bekannte Schätzung Hegar’s u. a., wonach auf 8 bis
10 Geburten ein Abort kommt, zugrunde und berechnet danach die Zahl
der Fruchtabtreibungen mit etwa 200 000 für Deutschland. Hier liegt
aber augenscheinlich eine Verwechselung von Abort und Abtreibung
vor, und wenn man auch zugeben muss, dass besonders in Grossstädten
ein grosser Teil der Aborte krimineller Natur ist, so bleibt doch noch
eine genügend grosse Zahl von spontanen Schwangerschaftsunter¬
brechungen übrig, um die angenommene Zahl von 200 000 wesentlich
zu reduzieren.
Hr. S. Wolffberg stellt gegenüber der von dem Vortragenden
gegebenen Zusammenfassung der bisherigen Erörterung fest, dass er die
künstliche Beschränkung der Geburtenzahl keineswegs bestritten habe;
das Gegenteil sei richtig. Nur hält Redner daran fest, dass es noch nicht
feststehe, ob man berechtigt sei, den Geburtenrückgang durch Vergleich
mit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu messen. Die
hohen Geburtsziffern der siebziger Jahre beweisen keineswegs eine be¬
sonders hohe Fruchtbarkeit dieser Jahre. Redner wolle an dieser Stelle
lediglich die Verhältnisse in Breslau besprechen. Für Breslau liegen
zuverlässige statistische Feststellungen vor, die für unsere Frage wichtig
sind. So hat beispielsweise in Breslau die Zahl der älteren Frauen
zugenommen: im Jahre 1880 gab es 193 von 1000 Frauen, die älter
als 45 Jahre waren, im Jahre 1910 aber 224, also 31 pM. mehr; und
Prof. Ncefe, dessen Untersuchung diese Zahlen entnommen sind, fügt
selbst hinzu, dass hierauf neben anderen Gründen der Rückgang der
Geburtsziffer zurückgeführt werden kann. Geht man also in vergleichender
Beurteilung der heutigen Geburtsziffer bis auf 1880 zurück, so spielen —
im Gegensätze zu der gewollten Einschränkung der Kinderzahl — die
„autonomen“ Einflüsse sicher eine gewisse, anscheinend nicht unerhebliche
Rolle. Andererseits aber kann man in Breslau für das Ende des Jahr¬
hunderts und weiterhin aus statistischen Beziehungen zwischen Geburtsziffern
und der Zahl der jungen Ehefrauen mit Wahrscheinlichkeit auf störende
Einflüsse schliessen, welche dio Zahl der Geburten herabsetzen. Hierbei
sei bemerkt, dass in Breslau, wie die Zahlen sicher zeigen, der Geburten¬
rückgang ausschliesslich die eheliche Geburtsziffer betrifft. Also auch
die Verhältnisse in Breslau geben uns alle Veranlassung, der Geburten¬
verminderung unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Abgesehen von dem
absoluten Verluste an Nachwuchs sind die üblen Nebenerscheinungen
besonders zu beklagen, die Vergiftung der öffentlichen Sittlichkeit, die
sich in der öffentlichen Anpreisung und Ausstellung von sogenannten
Schutzmitteln und in der Zunahme der verbrecherischen Aborte kundgibt.
Hr. J. Wolff gab in seinem Schlusswort zu erkennen, dass die
Diskussion den mit ihr verfolgten Zweck erfüllt habe. Sie habe gezeigt,
dass der Neomalthusianismus in der Tat ausserordentliche Verbreitung
habe und in die Volkspsyche dermaassen eingedrungen sei, dass ein
Kampf mit ihm auf ganzen Erfolg nicht rechnen könne. Das sei be¬
dauerlich, weil hier wirklich nationale Werte auf dem Spiele stehen.
Insgesamt sei bei der Beurteilung der Frage der nationale und soziale
Standpunkt zu unterscheiden. Beide Standpunkte seien hier zum Worte
gekommen. Der Neomalthusianismus bedeute eine einseitige Ueber-
spannung des sozialen Standpunkts auf Kosten des nationalen.
Was die dem Referenten im einzelnen vorgelegten Fragen betreffe,
so antwortete er dem letzten Redner, Herrn Wolffberg, dass der
Hochstand der Ehescbliessungen und der Geburten in den siebziger
Jahren und der darauffolgende Niedergang den Zusammenhang mit der
wirtschaftlichen Konjunktur verraten. Eine Hochkonjunktur sei damals
von einer Zeit tiefer wirtschaftlicher Depression abgelöst worden.
Letztere habe den Stein des Geburtenrückgangs ins Rollen gebracht.
Die Aeusserungen Herrn Kays er’s hätten eine politische Färbung ge¬
habt und müssten in dem Bilde, das sie von den Ansichten des Re¬
ferenten gaben, als eine Karikatur derselben bezeiohnet werden. Er
stelle es so dar, als ob die Symptome der Rationalisierung vom Re¬
ferenten als Ursachen des Geburtenrückgangs bezeichnet worden seien.
Referent habe sich aber deutlich dahin ausgesprochen, dass die Rationali¬
sierung und nicht die Symptome derselben die Ursachen seien. Es sei
danach auch ganz falsch, zu meinen, dass Referent die durch die Religion
repräsentierte Weltanschauung im wesentlichen allein die Höhe der Ge-
burtlichkeit bestimmen lasse, in seinem Buche „Der Geburtenrückgang“
werde vom Referenten vielmehr einem reichlichen Dutzend Faktoren ein
Einfluss beigemessen; wenn aber die Ziffern den Katholizismus dem
Protestantismus bei ungefähr gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen im
Punkte der Geburten überlegen zeigen und etwa auch noch den Pro¬
testantismus gegenüber dem Atheismus, so sei der Vortragende nicht in
der Lage, diese Ziffern zu „korrigieren“. Der entgegengesetzte Tat¬
bestand würde auf seine Anerkennung genau so zu rechnen gehabt
haben wie der Vorgefundene. Im übrigen habe Referent sehr scharf
zwischen blosser äusserlicher Religionszugehörigkeit und gläubiger An¬
hängerschaft unterschieden und nur letzterer eine Bedeutung bei¬
gemessen, womit sich fast alle der von Herrn Kayser gebrachten Ein¬
wände widerlegen. Was die Zukunft betrifft, so wird sie auch von
anderen Männern für nichts weniger als gesichert angesehen. Wir be¬
finden uns nun einmal auf der schiefen Ebene und ein baldiges Ende
der Abwärtsbewegung sei in hohem Grade unwahrscheinlich. Insgesamt
habe die Diskussion aber weiteren Kreisen einen teilweise überraschen¬
den Einblick in die Situation eröffnet unter Bestätigung der Annahmen,
von deneu der Referent ausgegangen sei, so dass er sich den Diskussions¬
teilnehmern zu Dank verpflichtet fühle.
Sitzung der medizinischen Sektion vom 22. November 1912.
Vorsitzender: Herr Rosen fei d.
Schriftführer: Herr Röhmann.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Somner:
Ueber das Ehrmanrsche Froschaugenphäiomen in Blutserum bei
Psoriasis.
(Ist in Nr. 2 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
Tagesordnung.
1. Die Wahlen für die Präsidialdelegierten werden durch Akkla¬
mation vollzogen, alle früheren Delegierten werden wiedergewählt; es
sind die Herren Küttner, Neisser, Partsch, Tietze, Uhthoff.
2. Diskussion zum Vortrage des Herrn Rosenfeld: Ueber fleischlose
Ernährung.
Hr. Rosenfeld (Schlusswort). (Schon in der Sitzung vom 1.November
wiedergegeben.)
3. Hr. Tietze: Ueber llens.
(Ist in Nr. 53 [1912] dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
Yerein der Aerzte Wiesbadens.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr R. Schütz.
Hr. Christ stellt einen Fall vor, welcher verschiedene, bis jetzt
ganz selten beschriebene angeborene Abnormitäten aufweist, ausserdem
aber auch einige an sich oder in ihrem Zusammentreffen mit den
anderen vorhandenen Hemmungsbildungen als Nova zu bezeichnende
pathologische Verhältnisse zeigt.
Es handelt sich um einen 13 1 /* jährigen Jungen, welcher unzweifel¬
haft bei seiner Geburt kongenitale Lues hatte und bei welchem die
Schweissdrüsen gänzlich fehlten, desgleichen die Haarkeimanlage
völlig fehlte, mit Ausnahme des Trigeminusgebietes; ausserdem besass er
sowohl im Milchgebiss als im bleibenden nur für die beiden mittleren
oberen Incisivi keilförmig zugegespitzte Zähne, während im übrigen
sämtliche Zahnkeime (Röntgenbild) nicht angelegt sind.
Die Wassermann’sche Serumuntersuchung ergab negatives Resultat,
ebenso wie eine zwei Jahre vorher vorgenommene.
Da sowohl bei einem verstorbenen Brüderchen sowie in einer weiblichen
Seitenlinie bei einem Knaben dieselbe Anomalie vorlag, so scheidet die
Lues als Ursache aus; es liegt ein familiäres Auftreten der Hemmungs¬
bildung mit deutlicher Korrelation zum männlichen Geschlecht vor.
Neu war das deutlich nachweisbare vicariierende Auftreten von
Pigment für Haarbildung an zwei symmetrischen Stellen innerhalb des
Trigeminusgebietes und ausserdem das gleichzeitige Vorhandensein von
Xeroderma pigmentosum congenitale in der Augengegend. Eine dabei
vorhandene Ozaena lässt mit Rücksicht auf das mehrfache Vorkommen
der Ozaena in den bisher beschriebenen Fällen von gleichzeitigem Fehlen
der Schweissdrüsen, Haar- und Zahnkeime den Vortragenden zu dem
Schluss kommen, dass die Ozaena als eine auf kongenitaler Anlage be¬
ruhende Neigung zu einer Umwandlung des Flimmerepithels in Platten¬
epithel aufzufassen sei.
Christ führt ausserdem den Nachweis, dass unter Berücksichtigung
der komplementären Ausfallserscheinungen bei den ektodermalen Hem¬
mungsbildungen die Pigmentbildung der Haut als physiologisch gleich¬
wertig mit der Bildung der anderen Epithelialprodukte zu betrachten sei.
(Der Vortrag soll anderweit veröffentlicht werden.)
Diskussion.
Hr. Blumenfeld: Eine vor der Sitzung vorgenommene Uuter-
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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sucbuog ergab, dass typische Ozaena vorhanden ist, die Schleimhaut des
Rachens und Kehlkopfs ist atrophisch.
Hr. Vogt weist darauf hin, dass Störungen wie die vom Vortr. er¬
wähnten, dass der feinere Bau der Missbildungen überhaupt sehr häufig
einen Fingerzeig dafür geben, zu welcher Zeit eine Entwicklungsstörung
eingesetzt hat. Da sich vom äusseren Keimblatt zuerst das Central¬
nervensystem abspaltet, und da erst später die sekundären Hautprodukte
angelegt werden, so muss die Störung notwendigerweise in diese Zeit
fallen. Auch am Centralnervensystem sieht man sehr häufig, dass
scheinbar unentwirrbare Verhältnisse auf diese Weise eine Klärung finden.
Hr. Dünschmann: Aus dem Schweigen des Herrn Vortragenden
über pathologisch-anatomische Befunde bei der interessanten Hem¬
mungsbildung, die wir heute zu sehen Gelegenheit haben, darf wohl
geschlossen werden, dass diesbezügliche Beobachtungen bisher nicht vor¬
liegen. Es wäre wohl wünschenswert, dass bei künftigen Nekropsien
derartiger Fälle ein besonderes Augenmerk auf diejenigen Organe ge¬
richtet würde, bei denen wir, nach dem heutigen Stande unserer Kennt¬
nisse, zufolge dem Gesetze von der Korrelation der Teile, eine korrelative
sei es Hypoplasie, sei es andersartige Abweichung von der Norm er¬
warten oder für möglich halten dürfen. Dies sind zunächst die Neben¬
nieren, deren Beziehungen zum Hautorgane durch die Befunde, z. B. bei
Addison’scher Krankheit erwiesen sind; sodann die Schilddrüse, bei der
ein Gleiches durch das Myxödem dargetan ist; endlich die Hypophyse,
deren Zusammenhang mit der Hauteroährung sich aus den pathologisch¬
anatomischen Befunden bei Akromegalie ergibt. Da es sich bei der
Korrelation dieser sogenannten endokrinen Drüsen mit der Haut¬
ernährung nicht lediglich nur um humorale Einflüsse, sondern viel¬
mehr ausserdem namentlich um solche trophische Einwirkungen
handeln dürfte, bei denen das sympathische Nervensystem das ver¬
mittelnde Band darstelit, eine Auffassung, die bei der Nebenniere, so¬
weit sie den wesentlichsten Teil des chromaffinen Systems ausmacht,
wohl allgemein anerkannt ist, so würde man bei der Autopsie derartiger
Fälle namentlich auf die Entwicklung des Sympathicus und die Ver¬
teilung des mit ihm zusammenhängenden chromaffinen Systems achten
müssen. Der Herr Vortragende hat in seinen interessanten Ausführungen
diese Auffassung bereits gestreift, indem er im vorliegenden Falle auf
die Beziehungen der Hypoplasie der Hautanhangsgebilde zum Trigeminus
binwies. Unter allen Rirnnerven sind bekanntlich dem Trigeminus die
zahlreichsten trophischen Fasern beigemischt, deren ausschliessliche
Abstammung aus dem Halssympathicus wohl nicht mehr bezweifelt
werden dürfte. Die Untersuchung des Sympathicus und der eventuellen
Abweichung in der Entwicklung und Verteilung des in ihn sozusagen
eingestreuten chromaffinen Systems, dessen Korrelation zur Haut und
den HautanhaDgsgebilden uns in dem vorliegenden Fall wohl am
meisten interessieren dürfte, scheint freilich zur Zeit noch auf grosse
Schwierigkeiten zu stossen, während diejenige der anderen genannten
Drüsen mit innerer Sekretion nicht besonders schwer sein kann, wenn
man von vornherein ein besonderes Augenmerk darauf richtet.
Hr. Herxheim er: Wenn auch die Bedeutung der Drüsen mit
innerer Sekretion im extrauterinen Leben, soweit es sich um reale be¬
wiesene Verhältnisse — was bei einem grossen Teile der Annahmen
nicht der Fall ist —- handelt, sicherlich nicht zu unterschätzen ist, so
glaube ioh doch, dass der eben angeregte Gedankengang uns nicht
weiter brächte. Ueber die Korrelationen der einzelnen Organe (ins¬
besondere der Drüsen mit innerer Sekretion) untereinander, soweit die
intrauterine Entwicklung in Betracht kommt, ist uns so gut wie nichts
Positives bekannt. Eine Autopsie ist auch noch in keinem der Fälle,
um welche es sich bei der Vorstellung des Herrn Vortragenden handelt,
vorgenommen worden. Es liegt hier sicher eine entwicklungsgeschicht¬
liche Missbildung im Sinne einer Hemmungsbiidung vor.
Ich habe Gelegenheit gehabt, durch die Güte des Herrn Christ
Schnitte des exzidierten Hautstückchens herzustellen und zu unter¬
suchen. Die Schweissdrüsen fehlen hier, und dem klinischen Bilde
nach ebenso am ganzen übrigen Körper, vollständig. In der Gegend,
wo die Exzision vorgenommen wurde, findet sich auch keinerlei An¬
deutung eines Haares oder Haarfollikels oder von Talgdrüsen. Auch
die Arrectores pilorum fehlen vollständig, und es lässt dieser letztere
Pankt eine in verschiedener Hinsicht interessante Deutung zu. Die
Papillen sind unternormal entwickelt, ebenso die feinen in die Papillen
hineinführenden Capillaren. Auch die elastischen Fasern, speziell das
feine Netz, dicht unterhalb der Palissadenzellen ist, soweit ich dies
mit normaler Haut derselben Stelle und desselben Alters bisher ver¬
gleichen konnte, unterentwickelt. Zusammengenommen mit der Zahn¬
anomalie liegt hier sicher eine Hemmungsbildung des Ektoderms
aber nur in besonderer Richtung -7 die Entwicklung der Palissaden¬
zellen zu Stachelzellen, die Verhornung usw., also überhaupt die
Epidermis selbst, entspricht durchaus der Norm — vor, deren
teratogenetiscbe Terminationsperiode ich ebenso wie Herr Vogt für eine
relativ späte halten möchte.
Hr. Christ: Schlusswort.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 20. Dezember 1912.
(Eigener Bericht.)
demonstrierte ein Kind mit Hirsehsprnng’seher
den ersten Lebenswochen eine vollständig normale
Hr. Salzer
KraaUeit.
Es hatte in
Stuhlentleerung, allmählich bildete sich eine hartnäckige Obstipation
aus, so dass Stuhl nur auf Klysma oder Abführmittel erfolgte. Seit vier
Tagen hatten sich bedrohliche Erscheinungen eingestellt, es bestand
vollständige Verhaltung von Stuhl und Winden. Jn der Narkose wurden
aus dem Rectum Kotballen entfernt, der Zustand ist aber weiter unver¬
ändert geblieben, das Abdomen ist kolossal aufgetrieben. Vielleicht ist
noch von einer chirurgischen Therapie eine Besserung zu erwarten, die
Aussichten sind aber nicht günstig.
Hr. Demmer beschrieb einen Apparat für tiefe Inhalationen mit
welchem er seit zwei Jahren Versuche anstellt.
Er besteht aus einem Vernebelungsrezipienten, es strömt Sauerstoff
durch einen schmalen Spalt nach oben in Form eines Kegelmantels aus,
der Gasstrom reisst Flüssigkeit mit sich und zerstäubt sie äusserst fein,
der Wasserdampf kann mit einem Medikament imprägniert werden, z. B.
mit Adrenalin. Die Versuche ergaben, dass durch Inhalation mit
adrenalinhaltiger Flüssigkeit akute katarrhalische Erkrankungen inner¬
halb eines Tages zum Verschwinden gebracht werden können. Bei ent¬
zündlichen infiltrierenden Prozessen erfolgt die Heilung in 2 bis 3 Tagen.
Die Wirkung beruht auf dem Sauerstoff, auf der äusserst feinen Zer¬
stäubung der Flüssigkeit, welche bis in die feinsten Bronchien eindringt,
und auf dem Zusatz von Adrenalin zum Spray, welches die Bronchial¬
schleimhaut anämisch macht. Die Inhalation wird dreimal 3 Minuten in
einer halben Stunde vorgenommen. Das Fieber fällt ab, die Geräusche
verschwinden, und der objektive Befund wird normal. Vortr. demon¬
striert Kurven von Bronchitiden und Pneumonien, welche mittelst In¬
halation behandelt wurden. Bei einer traumatischen Bronchitis (Rippen¬
fraktur und Hämatothorax) wurde unter dem Einfluss der Inhalationen
die Temperatur am dritten Tage normal. Dasselbe war der Fall bei
einer Bronchitis, die infolge der Inaktivität der Lunge wegen Schmerzen
nach Gastrotomie eingetreten war; die schwere Dyspnoe wurde behoben,
und der hohe Puls wurde normal. Ein gutes Resultat hatte die Me¬
thode auch in einem Falle von diffuser Bronchitis und Unterlappenpneu¬
monie nach Narkose, ferner bei Aspirationspneumonie.
Hr. Koffer demonstrierte zwei Kinder, bei welchen Fremdkörper
ans dem Bronchus entfernt wurden.
Ein IV 2 jähriges Mädchen hatte eine Bohne aspiriert und bekam
darauf Husten und Aterabeschwerden. Da die Einführung des Kilian-
schen Rohres nicht gelang, so musste das Kind tracheotomiert werden,
worauf die Asphyxie verschwand. Die Bronchoskopie ergab jetzt, dass
die Bohne im rechten Hauptbronchus eingekeilt war; sie wurde mittelst
einer Pinzette entfernt. Die bessere Atmung nach der Tracheotomie
wäre vielleicht dadurch zu erklären, dass die Luft jetzt einen kürzeren
Weg zur Lunge zurückzulegen hat, oder vielleicht, dass die Passage
durch die Stimmritze ausgeschaltet ist, welche reflektorisch auf die An¬
wesenheit des Fremdkörpers reagiert.
Der zweite Fall betraf einen 4 jährigen Knaben, welcher eine Glas¬
perle aspiriert hatte. Er hatte wohl Husten, aber keine Atemnot. Die
Perle sass im rechten Bronchus und wurde mittelst einer gebogenen
Sonde herausgezogen.
Hr. Albrecht demonstrierte das Lymphocavernom der Mamma,
welche durch Operation der in der vorhergehenden Sitzung vorgestellten
Patientin gewonnen wurde.
Hr. Finsterer zeigte ein durch Operation gewonnenes Präparat von
Darmverklebnng nach Hernienoperation.
Eine 70 jährige Frau wurde wegen incarcerierter Hernie operiert,
der eingeklemmte Darm war lebensfähig. Der Verlauf nach der Operation
war einen Tag gut, dann aber trat fäkulentes Erbrechen auf, und eine
Stuhlentleerung konnte nicht mehr erzielt werden. Es wurde die
Laparotomie ausgeführt, bei welcher die Bruohpforte frei gefunden wurde.
Es war jedoch mit der eingeklemmt gewesenen Schlinge ein benachbartes
Darmstück durch Adhäsionen verklebt und abgeknickt. Die Darm¬
schlinge wurde reseziert und eine seitliche Anastomose angelegt. Seither
ist Pat. gesund.
Hr. Ullmami:
Zar Parasitotropie nid Toxizität des Salvarsans. (Schluss.)
Vortr. hat nacbgewiesen, dass das Salvarsan parasitotrope Eigen¬
schaften hat, welche auf einen biochemischen Vorgang zwischen den
Spirochäten und den Arsenresten des Salvarsans beruhen. Wenn man
Tiere mit Spirillen infiziert, das mit Spirillen beladene Blut derselben
in die Bauchhöhle eines gesunden Tieres einspritzt und diesem Salvarsan
injiziert, so werden die Parasiten agglutiniert und sterben ab. Bei Pro¬
zessen, welche durch andere Erreger als durch Spirillen hervorgerufen
werden (Eiterungen, Sporotrichose, Ulcus venereum, Tuberkulose) findet
keine Aenderung der Mikroben durch das Salvarsan statt. Infiltrate
einer anderen als einer luetischen Provenienz werden durch Salvarsan
nicht beeinflusst. Vortr. hat auch die Schädigungen studiert, welche
durch das Salvarsan hervorgerufen werden. Sie ergaben, dass Tiere viel
höhere Dosen von Salvarsan vertragen als Menschen, dass es aber auch
bei diesen Ausnahmen von der Toleranz gibt wie auch bei Menschen.
Intoleranzerscheinungen sind Spätexantheme, Polyneuritis, Zustände von
Gastricismus, Schwäche, leichter Icterus, Diarrhöe, sogar Icterus gravis;
es sind auch Fälle bekannt, in denen der Tod an akuter gelber Leber¬
atrophie erfolgte. Die Neurorecidive am Opticus, Acusticus und Facialis
stehen im Zusammenhänge mit der Lues, da sie durch vorsichtige anti¬
luetische Behandlung beseitigt werden können. Es ist fraglich, ob das
Arsen dabei eine Rolle spielt. Zu den Neurorecidiven sind wohl auch
Gehirnerscheinungen zu rechnen, unter ihnen Encephalitis haemorrhagica.
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284
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Manchmal findet man auch Krämpfe, Nackensteifigkeit und Blasen¬
beschwerden. Die vom Vortr. beobachteten unangenehmen Folgen nach
Salvarsaninjektionen bestanden nur in vorübergehendem Gastricismus
und Exanthem. Die nach intravenöser Injektion manohmal eintretenden
Erscheinungen, welche auf eine Reizung der Vasomotoren, des Rücken¬
marks und der Medulla hinweisen (Parästhesien, Kopfschmerz, Tempe¬
ratursteigerung, Polyurie, Herpes zoster usw.) sind nicht auf Arsen¬
vergiftung zurückzuführen. Eine rasche Abspaltung einer erheblichen
Menge Arsens aus dem Arsenobenzol ist nicht wahrscheinlich, da die
grösste Menge mit dem Harn ausgeschieden wird. Nach den Tier¬
versuchen det Vortr. zeigt das Salvarsan keine Organotropie. Vielleicht
spielt das Benzol bei der Salvarsanwirkung eine Rolle. Die Unter¬
suchung des Auges der mit Salvarsan behandelten Tiere ergab, dass
der Opticus und die Retina in bemerkenswerter Weise Arsen speicherten;
es ist daher unmöglich, dass bei einer unvorsichtigen Behandlung mit
grossen Dosen der Opticus geschädigt werden kann. Das Salvarsan hat
eine neurotrope Wirkung bezüglich der peripheren Sinnesnerven, viel¬
leicht haben auch sonstige periphere Nerven eine erhöhte Affinität für
das Arsen. H.
Carl Binz f.
Am 11. Januar ist der Geh. Med.-Rat und emeritierte Ordinarius
der Pharmakologie Dr. Carl Binz im 81. Lebensjahre nach lange
dauernder Krankheit gestorben. Damit ist der älteste Vertreter und
einer der Mitbegründer der modernen Pharmakologie dahingeschieden.
Der grösste Teil seines Lebens, seine ganze akademische Laufbahn
hat sich in Bonn abgespielt. Ein Sohn der Rheinlande, geboren am
1 . Juli 1832 in dem an der Mosel gelegenen Bernkastel, kam er, nach¬
dem er die ersten Semester in Würzburg studiert hatte, nach Bonn,
um seine medizinischen Studien fortzusetzen und im Jahre 1855 zum
Doktor promoviert zu werden.
Er wandte sich anfangs der praktischen Medizin zu, erst als Assistent
der Bonner medizinischen Klinik, später, bis 1861, als Arzt der deutschen
Kolonie in Neapel Nachdem er hierauf in Berlin in den Vorlesungen
und Kliniken von Virchow, Frerichs und Henoch sich weiter aus¬
gebildet hatte, kehrte er nach Bonn zurück, um sich im November 1862
als Privatdozent für innere Medizin und „Materia medica“ zu habilitieren.
Im Jahre 1868 wurde er Extraordinarius, 1873 Ordinarius, und er ist,
trotzdem zweimal Berufungen an andere Universitäten an ihn herantraten,
der rheinischen Alma mater bis zu seinem Tode treu geblieben. Erst ein
paar Monate sind verstrichen, seitdem er, bald nach Vollendung des
80. Lebensjahres, auf eine 50 jährige Dozentenlaufbahn zurückblicken
konnte.
Während dieser langen Zeit hat er eine sehr erfolgreiche Tätigkeit
als Forscher und Lehrer entfaltet.
Der Umstand, dass Binz anfänglich mehrere Jahre als Arzt am
Krankenbett tätig gewesen, kam seiner späteren Tätigkeit, besonders als
akademischer Lehrer, sehr zugute. Er blieb dadurch andauernd in
Fühlung mit den Bedürfnissen der Praxis, die er durch viele seiner
Arbeiten zu fördern suchte, und war immer bestrebt, der Tatsache
gerecht zu werden, dass seine Zuhörer nicht zu Pharmakologen, sondern
zu praktischen Aerzten herangebildet werden, also ausser den theoretischen
Ergebnissen der pharmakologischen Forschung besonders auch die Grund¬
sätze für die praktische Anwendung der Arzneimittel kennen lernen sollten.
Sein Lehrtalent prägte sich nicht nur in seinem Unterricht selbst
aus, den er durch Vorführung vieler Experimente möglichst anschaulich
zu gestalten suchte und der auf seine Zuhörer überaus anregend wirkte,
sondern auch in seinen beiden grösseren Einzelwerken: „Vorlesungen
über Pharmakologie“ und „Grundzüge der Arzneimittellehre“.
In dem erstgenannten Werke (2. Aufl. 1890) verfolgte er den Zweck,
abgerundete* und möglichst demonstrative Bilder des pharmakologischen
Wissens zu geben. Er hat das erreicht durch ansprechende, vielfach mit
historischen Rückblicken und mit interessanten kasuistischen Mitteilungen
verflochtene Schilderungen der Wirkungsweise und Anwendung der ein¬
zelnen Pharmaca und durch die Beschreibung höchst instruktiver, zur
Demonstration sehr geeigneter Vorlesungsversuche. Die „Grundzüge der
Arzneimittellehre“ erschienen zuerst im Jahre 1866 und haben 14 Auf¬
lagen sowie die Uebersetzung in 7 fremde Sprachen erlebt, so dass ausser
durch seine Forschungen auch hierdurch der Name von Binz in der
ganzen medizinischen Welt bekannt wurde.
Was seine Forschertätigkeit betrifft, so war dieselbe zu der Zeit,
als Binz seine akademische Laufbahn begann, mit ungleich grösseren
Schwierigkeiten verbunden, als das heutzutage der Fall ist. Denn die
Pharmakologie fing erst an, eine wirkliche Wissenschaft zu werden, und
pharmakologische Institute gab es damals, wenn man von Dorpat ab¬
siebt, bei uns überhaupt nicht.
Wie die Verhältnisse vor 50 Jahren hier und wohl auch an den
anderen Hochschulen lagen, davon macht man sich heutzutage nur schwer
einen Begriff. Binz hat darüber in der Eröffnungsrede seines neuen
Institutes im Jahre 1890 höchst drastische Mitteilungen gemacht.
Freilich bestand seit Gründung der Universität (1818) ein Ordinariat
der Pharmakologie. Es war auch ein sogenannter „pharmakologischer
Apparat“ vorhanden, mit einem Etat von 50 Talern. Dieser pharma¬
kologische Apparat bestand aus einer Sammlung von pharmaceutischen
Präparaten und einigen Büchern und war in einem Hörsaal des Uni¬
versitätsgebäudes untergebracht, in dem ausser pharmakologischen
auch theologische, juristische und philosophische Vorlesungen gehalten
wurden.
Das mochte bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gegangen sein,
wo die Tätigkeit des Pharmakologen nur darin bestand, in referierenden
Vorlesungen die ärztlichen Erfahrungen über die Anwendung der ein¬
zelnen Medikamente, eventuell unter Vorzeigung der betreffenden Prä¬
parate, vorzutragen.
Als aber die Pharmakologie begann, sich zu einer wirklichen Wissen¬
schaft zu entwickeln, als das Experiment als wichtigstes Mittel zur Er¬
forschung der Arzneiwirkung an die Seite der klinischen Erfahrung trat,
da war ein Wandel unbedingt notwendig.
Binz, der (selbst Autodidakt auf experimentellem Gebiete) zu den
Männern gehörte, die durch ihre experimentelle Tätigkeit zur Schaffung
der modernen Pharmakologie das Fundament legten, erkannte von
vornherein die absolute Unzulänglichkeit der damaligen Verhältnisse und
die Notwendigkeit, Arbeitsräume zu experimenteller Forschung und
Demonstration zu schaffen.
Nachdem ihm 1867 als Nachfolger von Albers die Leitung des
pharmakologischen Apparates übertragen worden war, gelang es ihm 1869,
die Begründung eines wirklichen pharmakologischen Instituts an der
hiesigen Universität, des zweiten in Deutschland (das erste war 1867 in
Marburg errichtet worden) durchzusetzen, und er hat sich auch dadurch
ein bleibendes Verdienst erworben. Das Institut war anfangs allerdings
noch in durchaus unzureichenden Räumen untergebracht. Nach lang¬
dauernden barten Kämpfen erreichte er es, dass das Institut verlegt
wurde, zuerst 1876 in den ehemaligen Convictsflügel des Universitäts¬
gebäudes und schliesslich 1890 in das jetzige Gebäude, das früher das
pathologisch-anatomische Institut beherbergt hatte.
Bis zum Jahre 1908, wo er sich vom Lehramte zurückzog, hat das
von ihm begründete Institut seiner Leitung unterstanden. Hier bat der
Verstorbene in unermüdlichem Schaffen vielseitige Gebiete der Heil¬
mittel- und Giftlehre bearbeitet, teils allein, teils mit zahlreichen
Schülern, denen er auch ebenso wie anderen Gelehrten die Möglichkeit
zu eigenen experimentellen Arbeiten in grösster Liberalität darbot
loh erwähne die Namen Schulz, Bod länder, Ungar, v.Noorden,
Geppert. v. Behring, Dreser, Wendelstadt, A. Peters, A.Binz,
Laar, Bachem. In einem, ihm gelegentlich seines 50jährigen Doktor¬
jubiläums 1905 gewidmeten Festbande der Arch. internst, de Pharmaco-
dynamie et de Thörapie sind die Titel von gegen 300 Arbeiten zu¬
sammengestellt, die aus seinem Institut hervorgegangen sind.
Was seine eigenen Arbeiten betrifft, so war es zunächst die Chinin¬
wirkung, deren Erforschung ihn viele Jahre intensiv beschäftigte. Er
wies nach, dass Chinin ein Protoplasmagift ist und noch in starken Ver¬
dünnungen ab tötend auf Protozoen ein wirkt. Hierauf fussend, stellte er
1867 die Hypothese auf, dass auch die Heilwirkung des Chinins bei
Malaria auf einen analogen Vorgang zurückzuführen sei, und sprach des¬
halb die Ansicht aus, dass die Malaria durch die Invasion kleiner tierischer
Parasiten hervorgerüfen werde. Er hatte dann die Freude, dass diese
Annahme durch die glänzenden Untersuchungen von Laveran 1882
als tatsächlich zu Recht bestehend erwiesen wurde.
Gross ist auch die Zahl seiner Arbeiten über den Alkohol. Er
zeigte, dass derselbe fast vollständig im Körper verbrannt wird und
dabei Eiweiss, Fett und Kohlehydrate spart Er nannte ihn deshalb ein
„respiratorisches Nährmittel“ und trat für seine therapeutische Anwendung
bei fieberhaften Krankheiten ein.
Sein in zahlreichen Arbeiten geführter Nachweis, dass Atropin und
Morphin in mancher Beziehung antagonistisch wirken, war von praktischer
Bedeutung für die Bekämpfung der Vergiftungen durch diese beiden
Alkaloide.
Von seinen vielen sonstigen Arbeiten erwähne ich die Untersuchungen
über Campher und ätherische Oele, über Jodide, Coffein, Amylnitrit,
Narcotica, Salicylsäure, Arsenverbindungen, Halogene usw. Auch durch
diese Arbeiten hat er wichtige Tatsachen über die Wirkungsweise der
Heilmittel und Gifte erschlossen und zur Förderung der experimentellen
Pharmakologie wesentlich beigetragen.
Seit 1879 war er Mitglied der ständigen Kommission zur Bearbeitung
des deutschen Arzneibuches und bat auch dadurch auf die Entwicklung
der Arzneimittellehre günstig eingewirkt. Im Jahre 1900 wurde er zum
Mitglied des neubegründeten Reichsgesundheitsrates ernannt.
Die literarische Tätigkeit von Binz beschränkte sich aber nicht auf
die Pharmakologie. Besonders fühlte er sich hingezogen zur Geschichte
der Medizin. Die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Studien hat er in zahl¬
reichen Publikationen niedergelegt. Ich erwähne seine Arbeiten über
die Einschleppung der Syphilis in Europa, über die Seekrankheit, über
die Genfer Konvention. Ferner seine Monographien über den Traum
(Bonn 1870, A. Markus) und wider den Hexen wahn (1888), sowie seine
biographischen Veröffentlichungen über den Clever Leibarzt Joh. Weyer
(2. Aufl., Berlin 1896), den tapferen Bekämpfer des Hexenwahns, über
seinen Landsmann Nie. Cusanus und über A. Lerchheimer. Im
Alter von 70 Jahren veröffentlichte er über „Heinrich Heine als Patriot“
einen kleinen Aufsatz („Deutsche Stimmen“, 1902, Nr. 19), in dem er
mit förmlich jugendlicher Begeisterung die Angriffe auf die deutsche
Vaterlandsliebe des vielgeschmähten Dichters zurückwies.
In diesen seinen historischen Schriften prägt sich auch für den
Fernstehenden in besonders ausgesprochener Weise das hohe Rechtlich¬
keitsgefühl und das Streben nach Erforschung der Wahrheit aus, das
den Verstorbenen bei allen seinen Arbeiten beseelte. Die ihm Näher-,
stehenden, speziell seine Schüler, empfanden das in noch höherem Maasse.
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Auf sie übte die ganze, durob grosse Liebenswürdigkeit und vornehme
Gesinnung ausgezeichnete Persönlichkeit von Binz einen bezwingenden
Reiz aus.
So ist es denn verständlich, dass dem Verstorbenen nicht nur die
höchsten Ehren zuteil wurden, die ein Universitätsprofessor erlangen
kann, sondern dass ihm auch von allen Seiten die Zeichen höchster
Verehrung dargebraoht wurden, und dass die Tausende von Aerzten, die
als Studenten zu seinen Füssen gesessen, ihm in Dankbarkeit und
wahrer Zuneigung für das Leben zugetan geblieben sind.
H. Leo-Bonn.
Ueber die Notwendigkeit der besseren Aus¬
bildung der deutschen Studierenden in Haut-
und Geschlechtskrankheiten.
Von
Prof. Dr. Erich Hoffmann,
Direktor der Hautklinik an der Universität Bonn.
Die Frage, ob die gegenwärtig in Deutschland vorgeschriebene Aus¬
bildung der deutschen Studierenden in Haut- und Geschlechtskrankheiten
ausreichend ist und der Bedeutung dieser Fächer für die Praxis und
Volkswohlfahrt entspricht, hat schon mehrfach die Dermatologen ein¬
gehend beschäftigt; zuletzt haben im Juli 1909 alle Vertreter dieser
Disziplin an deutschen Universitäten in einer Eingabe an den Reichs¬
kanzler auf die Notwendigkeit einer wirklichen Fachprüfung
biogewiesen und um die Gleichstellung der Dermatologie mit der längst
voll anerkannten Ophthalmologie nachgesucht. Der Umstand, dass
gerade jetzt die Schweiz, dem Beispiel der meisten europäischen
Länder folgend, ein der' modernen Entwicklung der Dermatologie ent¬
sprechendes Reglement für die ärztlichen Prüfungen ausgegeben hat,
macht es zur Pflicht, diese für die Volksgesundheit wichtige Frage von
neuem zu erörtern und einen Vergleich mit den Bestimmungen anderer
europäischer Staaten anzustellen, um so mehr, als gerade jetzt wieder
Erwägungen über die Umgestaltung des nicht bewährten praktischen
Jahres schweben, die vielleicht Anlass zu einer AenderuDg der Prüfungs¬
ordnung geben können.
Gewiss darf die vorliegende Frage nicht einseitig und rein vom
spezialistischen Standpunkte aus betrachtet werden, sondern es muss
nacbgewiesen werden, dass die Dermatologie auch für die allgemeine
Praxis erhebliche Bedeutung besitzt und Krankheiten umfasst, deren Er¬
kennung und saobgemässe Behandlung für die Erhaltung der Volks¬
gesundheit besonders wichtig ist, und ob zutreffenden Falles die jetzt
gültige Prüfungsordnung diesen Umständen Rechnung trägt.
Die grosse Bedeutung der Dermatologie für die allgemeine Praxis
kann heute kein Sachverständiger mehr leugnen; umfasst sie doch nicht
nur die ungeheure Zahl mannigfachster und zum Teil sehr häufig vor¬
kommender Hautkrankheiten, verschiedene Harnleiden und
Störungen der Geschlechtsfunktion, sondern auch die Strahlen-
therapie (Licht-, Röntgen- und Radiumbehandlung) und vor allem die
ausserordentlich verbreiteten Geschlechtskrankheiten, die bei Ver¬
kennung und unzureichender Behandlung die schwersten Folgen nach
sich ziehen. Es entspricht daher nicht den tatsächlichen Verhältnissen,
wenn die ärztliche Prüfungsordnung die Dermatologie zum Spezialfach
stempelt, die Augenheilkunde aber nicht so bezeichnet; eher ist
das Gegenteil richtig: Ophthalmologie und Otorhinologie sind
wirkliche Spezialfächer, sie handeln nur von den Krankheiten der
betreffenden Organe und erfordern zur Diagnose und Therapie vielfach
besondere schwierige spezialistische Methoden, die der praktische Arzt
nicht leicht beherrschen kann; die Dermatologie aber umfasst neben den
zum Teil sehr verbreiteten Hautleiden mehrere allgemeine In¬
fektionskrankheiten von grösster Bedeutung (Syphilis, Gonor¬
rhöe, Lepra, Pocken), und einfache jedem Praktiker zugängliche
Methoden genügen im allgemeinen zu ihrer Erkennung und Behandlung.
Nirgends kann ferner der Studierende eine so unmittelbare Anschauung
von den wichtigsten allgemein-pathologischen Vorgängen erhalten wie im
dermatologischen Unterricht; alle Formen akuter und chronischer Ent¬
zündung, der Gewebszerstörung vom kleinsten Geschwür bis zum
schwersten Brand, alle Arten von gutartigen und bösartigen Neu¬
bildungen kann er hier am Lebenden verfolgen und sich einprägen.
Hier wird sein Auge am besten in der Beobachtung krankhafter Pro¬
zesse geübt, so dass ihm später auch die Erkennung der exanthemati-
schen Krankheiten (Masern, Scharlach, Pocken, Windpocken) keine
Schwierigkeit bereitet.
Dazu kommt, dass auf diesem Gebiete mehrere glückliche
und wichtige Entdeckungen gemacht worden sind, die besonders
die frühzeitige Erkennung und wirksame Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten in ganz anderer Weise wie früher ermöglichen, und die uns
andererseits darüber aufgeklärt haben, wie sehr verbreitet diese Seuchen
sind, und wie sie, oft schleichend und fast unmerklich beginnend, am
Marke der Volkskraft zehren. Wie der ungemein häufige Tripper die
Arbeitsleistung des Volkes vermindert, Frauen oft Monate und Jahre
siech und bettlägerig macht, die Geburtenzahl durch Erkrankung der
Zfeugungsorg&ne stark herabsetzt, Blindheit und Versteifung der Gelenke
nach sich ziehen kann, ist nun allgemein bekannt. Noch grösser aber
sind die Gefahren der Syphilis, vor deren verhängnisvollen Wirkungen
kein Organ des Körpers sicher ist, und die selbst die Frucht im Mutter¬
leibe nicht verschont. Zahllos sind die Opfer, die sie heute immer noch
in der Blüte der Jahre dahinrafft; neben Leber-, Nieren-, Herz- und
Gefässkrankheiten sind besonders die Hirn- und Nervensyphilis, die
Rückenmarksschwindsuoht und Gehirnerweichung ihre verderblichsten
Folgen.
Und doch stehen uns heute gegen diese die Volksgesundheit unter¬
grabenden Seuchen wirksame Mittel zur Verfügung. Ja, mit Hilfe
einfacher mikroskopischer Untersuchung können wir sie von
ihren allerersten Erscheinungen an sicher feststellen, die
Kranken absondern und sogleich eine wirksame Behandlung ein¬
leiten, um der weiteren Verbreitung vorzubeugen. Durch die Ent¬
deckung des Gonococcus, den Ausbau der antiseptischen
Tripperbehandlung, die Entdeckung der Syphilisspirochäte,
der Wassermann’schen Reaktion uud des Ehrlich’schen Sal-
varsans und den Ausbau der kombinierten Quecksilber-
salvarsanbehandlung hat die Wissenschaft alles getan, um der
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten Einhalt zu gebieten. Was aber
fehlt, ist die genügende Ausbildung der Aerzte. Noch immer er¬
leben wir es Tag für Tag, dass die ersten Zeichen dieser Leiden für
harmlos angesehen und das unheilvolle Gift in die Familie und Um¬
gebung des Kranken verschleppt wird und unsagbares Elend nach sich
zieht; noch immer müssen wir es mitansehen, dass die günstigste
Chance der Frühbehandlung versäumt, die volle Ausheilung dadurch
erschwert oder in Frage gestellt und die weitere Verbreitung nicht ver¬
hindert wird. Hier kann und wird erst Wandel geschaffen werden, wenn
alle Aerzte die elementaren Kenntnisse von diesen Seuchen
erwerben und in der Prüfung nachweisen müssen.
Wie steht es nun aber hiermit nach den jetzt geltenden Bestim¬
mungen? Die Prüfungsordnung für Aerzte schreibt in §25,2 vor,
dass dfer Kandidat ein Semester in einer Hautklinik praktizieren muss
und darüber eine Bescheinigung vorzulegen bat, und fügt in § 35 und 39
hinzu, dass er vor einem Examinator der Chirurgie — eventuell an
seiner Stelle vor einem solchen der inneren Medizin — „die für einen
praktischen Arzt erforderlichen Kenntnisse in der Erkennung und Be¬
handlung der Haut- und venerischen Krankheiten darzutun“ hat. Da¬
nach scheint die Dermatologie im Staatsexamen Berück¬
sichtigung zu finden; tatsächlich ist das aber nicht der
Fall. Denn erstens ist der Umfang der Chirurgie und inneren Medizin
so gross, dass die Prüfung in allen ihren Zweigen während der kurzen
Examenszeit nicht möglich ist, zweitens ist die Dermatologie so weit
ausgebaut und so umfangreich, dass der Chirurg oder interne Mediziner
sie nicht beherrscht, drittens ist es im Interesse eines gedeihlichen
Unterrichts notwendig, dass der Fachlehrer auch die Prüfung abhält,
und viertens fehlen an den meisten Universitäten dem chirurgischen und
internen Examinator entsprechende Krankheitsfälle, da diese in die Haut¬
klinik aufgenommen oder verlegt werden.
Dementsprechend findet an den meisten deutschen Universitäten
eine Prüfung in Dermatologie und Syphilidologie entweder gar nicht
oder doch nur ganz nebenbei und oberflächlich statt, und es muss offen
ausgesprochen werden, dass heute in Deutschland die staatlich
geprüften Aerzte keine Gewähr bieten, dass sie so verderb¬
liche Volksseuchen, wie Tripper und Syphilis, und so ver¬
breitete Krankheiten, wie viele Hautleiden, genügend sicher
zu erkonnen und sachgemäss zu behandeln vermögen 1 ). Daher
rührt das Misstrauen, das weite Volkskreise den Aerzten in dieser Hin¬
sicht entgegenbringen, daraus folgt die grosse Inanspruchnahme der
Spezialärzte, und dadurch wird auch die Tatsache, dass so viele Haut-
und Geschlechtskranke zu Kurpfuschern ihre Zuflucht nehmen, bis zu
einem gewissen Grade verständlich.
Endlich ist nicht zu verkennen, dass allein der Prüfungszwang
den Studierenden zur gewissenhaften Durcharbeitung einer Disziplin an-
bält, da er ja noch gar kein Urteil über die praktische Bedeutung eines
Faches haben kann und seine Wichtigkeit lediglich danach einzuscbätzen
pflegt, wie weit es im Examen Berücksichtigung findet. Daher kommt
es, dass die Studierenden die Klinik für Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten wohl gern und zahlreich besuchen, weil sie der Gegenstand inter¬
essiert, aber es an häuslicher Arbeit fehlen lassen und beim Praktizieren
gewöhnlich grosse Unkenntnis verraten; die Praktikantentätigkeit aber in
eine Art Prüfung während des Unterrichts zu verwandeln und die Er¬
teilung des Praktikantenscheins von deren Ergebnis abhängig zu machen,
entspricht nicht den Gepflogenheiten und dem Wesen des klinischen
Unterrichts und würde mit Recht von den Studierenden abgelehnt
werden. Auch die Stellung des Dermatologen als klinischer Lehrer wird
bei dem jetzigen Modus den Studenten gegenüber herabgesetzt, wenn er
erfährt, dass wohl Privatdozenten der inneren Medizin und Chirurgie als
Examinatoren berufen werden, der etatsmässige Professor und Leiter
einer grossen Hautklinik aber zurückstehen muss.
Neuerdings sind übrigens doch einige Anzeichen wahrzunehmen, die
die Hoffnung auf eine baldige Beseitigung dieser Missstände
erwecken. Soviel mir bekannt, haben bisher zwei deutsche medizinische
Fakultäten den Dermatologen in die ärztliche Prüfungskommission ge¬
wählt, und zwar die Rostocker und Breslauer, deren auf die
modernen Errungenschaften Rücksicht nehmendes Verhalten von allen
1) Uebrigens werden auch die Spezialärzte nioht geprüft und haben
zum Teil eine ganz unzureichende Ausbildung. *
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UNIVERSITY OF IOWA
286
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
deutschen Dermatologen mit grösster Dankbarkeit begrüsst worden ist.
Ergibt sich doch daraus die äusserst wichtige Schlussfolgerung, dass
schon jetzt Fakultät und Ministerium wenigstens an einzelnen Universi-
täten die Notwendigkeit der dermatologischen Prüfung durch
den Fachprofessor anerkennen, und dass im Rahmen der gegenwärtig
gültigen gesetzlichen Bestimmungen eine ausreichende Prüfung sich er*
möglichen lässt, wenn die Fakultät das Bedürfnis anerkennt und ent*
sprechende Vorschläge macht.
Noch verheissungsvoller ist aber die Tatsache, dass naoh der
neuen Prüfungsordnung für Zahnärzte yom 15. März 1909 die
praktische Prüfung „in der Erkennung von Haut- und syphi-
litischen Krankheiten“ vorgeschrieben ist, und dass dement¬
sprechend der Dermatologe an Universitäten, wo er die Vollmediziner
nicht prüfen darf, in die zahnärztliche Prüfungskommission be¬
rufen worden ist 1 ). Damit ist aber, wie jeder zugeben muss, ein un¬
haltbarer Zustand geschaffen; denn so bedeutungsvoll die Kenntnis
der Syphilis und der mit Munderscheinungen eiuhergehenden Hautleiden
für den Zahnarzt auch sein mag, ungleich wichtiger ist sie doch für den
allgemeinen Arzt, dem allein ihre Behandlung anvertraut bleibt. Staats¬
behörden, Fakultäten und die Aerzte selbst können es nicht zulassen,
dass die Zahnheilkundigen künftig eine besser garantierte Ausbildung
in der Dermatologie erhalten oder doch zu bekommen scheinen als die
Vollmediziner.
Endlich kommt aber noch ein Umstand hinzu, der eine Reform
ebenso dringend notwendig und unaufschiebbar macht. Fast alle
unsere Nachbarländer, alle grösseren Staaten Europas haben eine
bessere Ausbildung und die Fachprüfung iii Dermatologie als
notwendig erkannt und eingefübrt, wie ich durch Fragebogen, die
ich an die hervorragendsten Dermatologen aller Kulturnationen gesandt
habe, feststellen konnte.
In Oesterreioh findet längst eine Prüfung in Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten am Krankenbett durch den Fachprofessor statt;
dieser ist ferner meist Ordinarius, und in Wien gibt es deren gar zwei.
In Frankreich hören die Studierenden zwei Semester Dermato¬
logie und werden durch den Fachvertreter, der meist vollberechtigtes
Mitglied der Fakultät ist, geprüft.
Italien hat für die Dermatologie an allen Universitäten Ordinariate
geschaffen und schreibt neben einjährigem Hörzwang eine gründliche
Prüfung durch den zuständigen Professor vor.
ln Russland ist der Dermatologe ebenfalls vollberechtigtes Mit¬
glied der Fakultät und gehört der Prüfungskommission an; diese ist
streng und hat die Vorlegung von zwei Praktikantenscheinen zur Voraus¬
setzung.
Für Griechenland gilt das gleiche; auch hier sind zwei Certifikate,
darunter ein Praktikantenschein, vorgeschrieben.
In Norwegen ist der Dermatologe den übrigen Professoren gleich¬
gestellt; die Studierenden hören drei Semester die Hautklinik und haben
einen Praktikantenschein beizubringen. Die Prüfung ist gründlich und
sowohl eine praktische wie theoretische.
Endlich bestimmt das für die Schweiz jetzt eingeführte neue
Reglement, dass nach genügender Vorbildung (also ein Semester Aus¬
kultieren) die Studierenden ein Semester praktizieren und darüber einen
Nachweis vorlegen müssen; sie werden alsdann durch den Fachprofessor,
der an einzelnen Universitäten Ordinarius ist, theoretisch und praktisch
geprüft, und dies Examen wird mit einer Facbnote berechnet. Auf
diese Weise ist die Dermatologie der Augenheilkunde völlig gleich¬
gestellt.
Auch in einigen anderen Ländern, wie Schweden, Rumänien, den
Vereinigten Staaten von Nordamerika, Argentinien, bestehen ähnliche
Bestimmungen; indessen erübrigt es sich, darauf weiter einzugeben.
Was ist nun das Ergebnis meiner Ausführungen?
Es besteht die Tatsache, dass nach der jetzt geltenden ärztlichen
Prüfungsordnung die deutschen Studierenden der Medizin in
dem für die Praxis und Erhaltung der Volksgesundheit gleich wichtigen
Fach der Haut- und Geschlechtskrankheiten nicht genügend aus¬
gebildet und entweder gar nicht oder nur flüchtig und neben¬
bei geprüft werden, während in fast allen Nachbarländern un'd
den grösseren Kulturstaaten die Dermatologie die ihr ge¬
bührende Stellung in der Fakultät völlig oder nahezu er¬
rungen bat und hinsichtlich des Examens der Ophthalmologie meist
gleichgestellt worden ist. Wenn binnen kurzer Zeit die neue Prüfungs¬
ordnung für Zahnärzte zur Geltung kommt, werden die Studierenden
der Zahnheilkunde in Dermatologie und Syphilidologie
praktisch und theoretisch geprüft werden, während das bei Voll¬
medizinern nicht geschieht. Vereinzelte deutsche Fakultäten (Breslau,
Rostock) haben, den Forderungen der Zeit in verständnisvoller Weise
Rechnung tragend, den Dermatologen neben dem Chirurgen oder
dem inneren Mediziner in die Prüfungskommission berufen.
Da dies nur mit Genehmigung des Ministeriums geschehen kann, ist klar
erwiesen, dass nach den gegenwärtig gültigen Bestimmungen
ein solches dem Zeitbedürfnis wenigstens einigermaassen entsprechendes
Verfahren statthaft und leicht durchführbar ist.
Die hier geschilderten Missstände lassen cs unumgänglich notwendig
erscheinen, dass die deutsche Prüfungsordnung für Aerzte, die
auch die Otorhinologie za wenig berücksichtigt, baldigst ergänzt
wird und der Dermatologie dieselbe Stellung einräumt wie der Ophthalmo-
1) Z. B. in Bonn.
logie; denn es ist ein unhaltbarer Zustand, dass nach den gegen¬
wärtigen Bestimmungen die Zahnärzte künftig als in Haut- und
Geschlechtskrankheiten besser ausgebildet angesehen werden müssen
als die allgemeinen Aerzte, und dass unsere Nachbarländer fast
durchweg in dieser Hinsicht uns vorangeschritten sind und überholt
haben.
Dazu kommt, dass an zwei preussischen Universitäten, nämlich
Göttingen und Greifswald, nicht einmal ein Fachdozent für Dermatologie
vorhanden ist, und auch an anderen deutschen Universitäten selbstständige
Kliniken und Polikliniken für Haut- und Geschlechtskrankheiten fehlen,
so dass selbst der vorgeschriebene Unterricht sehr erschwert ist.
Die gewaltigen Fortschritte, weiche die Dermatologie dank
den Forschungen eines Neisser, Schaudinn, Wassermann, Ehr¬
lich u. a. in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, werden unter den
bestehenden Verhältnissen gerade in ihrem Ursprungsland, dem Deutschen
Reich, der allgemeinen Aerzteschaft nicht genügend zugänglich gemacht
und können deshalb zur Bekämpfung der so verbreiteten und folgen¬
schweren ansteckenden Geschlechtskrankheiten nicht voll aus¬
genutzt werden. Die deutsche Wissenschaft hat das Ihre getan und
die Waffen zum Kampf gegen diese Volksseuchen geschmiedet und bereit¬
gestellt; mögen nun die Staatsbehörden, die gesetzgebenden Körper¬
schaften und die medizinischen Fakultäten dafür sorgen, dass durch
diese schleichenden Uebel, die auch die Fruchtbarkeit und Aufzucht
kräftiger neuer Geschlechter untergraben, die Volksgesundheit nicht ferner¬
hin schweren Schaden leidet.
Erwiderung
auf die Artikel des Herrn Geheimrats Wolf: Ueber den
Geburtenrückgang.
Von
Dr. Ferdiaand GoMsteii.
Da mir die Redaktion nur einen kleinen Raum zur Verfügung stellen
konnte, so kann ich zu meinem lebhaften Bedauern auf die Ausführungen
von Herrn Geheimrat Wolf in Nr. 49 und Nr. 50 der vorliegenden
Wochenschrift (1912) nicht so ausführlich antworten, wie ich möchte,
und muss mich auf einige Punkte beschränken.
Zunächst muss ich berichtigend bemerken, dass ich kein Schüler
Brentano’s bin. Herr Geheimrat Wolf hat mich vermutlich mit
Josef Goldstein - Moskau verwechselt
Wolf begründet die Notwendigkeit, den Geburtenrückgang zu be¬
kämpfen, mit dem Verlust sittlicher Werte, den wir erleiden müssten,
wenn die Kinder aus den Familien verschwänden, ferner mit der Nach¬
barschaft Russlands, das heute schon vor Deutschland einen Vorsprung
von 100 Millionen Personen hat.
Der erste Grund ist vollständig hinfällig, denn selbstverständlich
bedeutet Einschränkung der Kinderzahl nicht ihr Verschwinden. Davor
schützt uns schon die Kindersehnsucht der Frauen. Aber natürlich
wollen sie durch deren Befriedigung nicht sich und ihre Kinder ins Ver¬
derben stürzen. Auf solch tiefes Niveau wird niemals ein Mensch frei¬
willig hinabsteigen, dazu ist der Zwang des Gesetzes notwendig.
Das Wettgebären mit Russland schmeckt erstens nach den demo¬
graphischen Vorschlägen Berger’s und Bornträger’s und ist zweitens
zwecklos, da Russland ja schon einen Vorsprung von 100 Millionen
Menschen hat. Ich richte aber.an Herrn Geheimrat Wo 1 f die Frage, wo
er die Tauschwerte hernehmen will, um im Falle eines Krieges die in¬
ländische Bevölkerung zu ernähren, da hier doch mit einem Moratorium
nicht zu rechnen ist. Ein militärischer Industriestaat ist eine Monstrosi¬
tät, die nur ein Gewaltsmensch wie Fürst Bismarck erzeugen konnte.
Eine ähnliche Monstrosität ist das Anwachsen der deutschen Bevölke¬
rung auf 100 Millionen. Graf Posadowsky hat eine solche Volksmenge
schon vor Jahren das denkbar grösste Unglück genannt, und eine Reibe
führender Nationalökonomen und Staatsmänner haben sich ihm jetzt an¬
geschlossen, so Elster, Schmoller, Adolf Wagner.
Herr Geheimrat Wolf hält es für sehr unwahrscheinlich, dass fast alle
Frauen des Verbrechens gegen § 218 StGB, schuldig sind, wie ich ge¬
sagt habe, obgleich er zugibt, dass die Schwangerschaftsunterbrechung
sehr weit verbreitet ist. Aber es wird doch nicht nur die erfolgreich
durebgefübrte Entfernung der Frucht sondern auch der Versuch be¬
straft, und welches geschwängerte Mädchen und welche Frau, für die
eine Empfängnis eine Last ist, hat wohl nicht den Versuch gemacht,
„ihre Periode wiederzuerlangen!“
Aber das Reichsgericht ist ja noch viel weiter gegangen. Es hat
den Zweck des Strafrechts vollständig beiseite gesetzt und die Stimme
des Volkes vollständig überhört und entsohiedeu, dass auch eine Nicht¬
schwangere, die sich für schwanger hält, gegen § 218 verstösst, wenn
sie selbst mit ganz harmlosen Mitteln sich ihrer vermeintlichen Last zu
entledigen trachtet. Das ist wieder eine Monstrosität, hervorgerufen
durch die cirkulierenden demographischen Irrlehren, und dass durch
solche Bestimmungen so gut wie alle Frauen zu Verbrecherinnen im
Sinne des Gesetzes gemacht werden, wird mir Herr Geheimrat Wolf
vielleicht selber zugeben.
Die Berufung auf die Bibel ist in der Wissenschaft überhaupt und
in der Bevölkerungskunde besonders unstatthaft; denn der Noachiscbe
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10. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
287
Segensspruch: „Seid fruchtbar und mehret euch" ist erstens für poly¬
gamische Völker getan und zweitens durch die Warnung des Apostels
Paulus vor der Ehe (l. Cor. VII, 88) paralysiert worden. Der Klerus
richtet sich nach den Paulioisohen Vorschriften aufs strengste. Kerner
findet sich in der Bibel nirgends ein Verbot der Schwangerschaftsunter¬
brechung. Der Gebärzwang ist also keine geoffenbarte sondern eine
priesterliche Vorschrift.
Entgegnung anf vorstehende Erwiderung.
Von
Prof. Jaliu Wolf, Geh. Regierungsrat.
Herrn Dr. Ferdinand Goldstein muss ich erwidern*
1. Dass ich es nach wie vor für unwahrscheinlich halte, dass „fast
alle deutschen Frauen", wie er behauptet, des Verbrechens gegen
§218 StGB, sohuldig sind,
2. dass ich ein Anwachsen der Bevölkerung Deutschlands auf
100 Millionen nicht kommen sehe, wir vielmehr, wie ich wiederholt an
anderen Stellen ausgesprochen habe, bei 75 bis 80 Millionen die Grenze
finden dürften, von wo aus dann aber wieder ein Rückgang, ein Ab¬
bröckeln beginnen dürfte, während
8 . Russland seine Bevölkerung auch auf 250 und 300 Millionen zu
steigern vermag. Ich sehe darin in der Tat eine nationale Gefahr,
während ich
4. keine Schwierigkeiten darin finden kann, selbst im Falle eines
Krieges auch mehr als 80 Millionen Deutsche aus einem Volksvermögen
von dann sicher über 300000 Millionen Mark — soviel ist es heute! —
und einem Nationaleinkommen von über 30000 Millionen Mark — so viel
ist dieses gegenwärtig — zu erhalten.
Näheres über meine Auffassung der Dinge findet sich in meiner
Broschüre „Das Zweikindersystem im Anmarsch und der Feldzug da¬
gegen", welche die von Herrn Dr. F. Goldstein herangezogenen Vor¬
träge etwas ausführlicher und mit Anmerkungen wiedergibt.
Zur Entfieberung Lungentuberkulöser mittels
kleinster Tuberkulindosen.
Erwiderung auf die Bemerkung des Herrn Geheimrat Aufrecht
in Nr. 52, 1912, dieser Wochenschrift.
Von
Dr. J. W. Sansoi-Berlin.
Aus den Bemerkungen Aufreoht’s auf der Naturforscherversammlung
in Meran, 1905, wo er „schon nach zweimaliger Injektion von 0,0002 mg
Alttuberkulin" bei einem 57 Tage lang ohne Unterbrechung fiebernden
Manne einen Temperaturabfall bis zur Norm beobachtete, sowie aus der
Bezugnahme anf einen Fall Cornet's (Tuberkulose, 1899, S. 542)
musste man den Eindruck gewinnen, dass es sich hier trotz der
„minimalen" Dosis um Tuberkulinmengen handelte, die angesichts der
hohen Empfindlichkeit des Kranken noch zu gross waren und infolge¬
dessen zu dem bekannten Temperatursturz führten. Bestärkt wurde
man in dieser Auffassung durch die der Aufrecht’schen „Pathologie und
Therapie der Lungenschwindsucht" (1905) beigegebenen Kurventafeln,
wo auf Kurve 1 nach der zweiten Injektion von 0,0002 mg rapider Ab¬
fall erfolgt, auf Kurve 3 vor dem rapiden Abfall zunächst am Tage
nach der Injektion eine Reaktion von 37,8 auf 38,6 ein tritt, um dann
steil auf 36,8 zu fallen. Gerade diejenigen Autoren aber, die diese
Form der Entfieberung mit relativ hohen Dosen und mit plötz¬
lichem Temperatursturz, eventuell unter vorherigem Fieber¬
anstieg ausüben, habe ich absichtlich nicht in meine Arbeit mit hinein¬
genommen, weil sie nicht in den Rahmen der von mir gemachten Mit¬
teilungen hineingehörten und weil ich sie nicht für ganz gefahrlos halte,
wie ich das früher auch schon betont habe (vgl. Med. Klinik, 1910,
Nr. 47, und Deutsche med. Wochenschr., 1911, Nr. 9, Verein f. innere
Medizin). Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber, dass Aufrecht in
der neuesten Auflage des genannten Werkes (1913), die bei der Ab¬
fassung meiner Arbeit noch nicht vorlag, sich auch gegen eine Ent¬
fieberung mit einer einmaligen grösseren Dosis ausspricht. Zu meiner
Freude darf ich nunmehr also auch die Erfahrungen des hervorragenden
Magdeburger Klinikers als Stütze für meine Behauptungen anführen.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 5. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr
Schönstadt: Kontinuitätsresektion des Humerus wegen Sarkoms mit
Kranken Vorstellung; dazu Vorlegung eines Bulbus, den ein Geisteskranker
sieb selbst herausgerissen hat; ferner Vorlegung einer Affenniere
(nekrotisch), die einem sublimatvergifteten Mädchen an die Arteria und
Vena brachialis transplantiert war. In der Tagesordnung hielt 1. Herr
Ernst R. W. Frank den angekündigten Vortrag: Ueber seltene Ver¬
letzungen der Harnblasenschleimhaut, und 2. Herr v. Hansemann
seinen Vortrag über das Schicksal von Gallensteinen (Diskussion: die
Herren Arthur Frankel, Kraus, v. Hansemann).
— In der von Prof. Dr. L. Pick geleiteten Sitzung der Vereinigung
zur Pflege der vergleichenden Pathologie vom 30. Januar 1913
gab Herr Max Koch unter Vorlegung der Präparate eine Uebersicht
der von Dr. Schaf und ihm unter 500 methodisch untersuchten
Hunden gefundenen 35 Neubildungen der Schilddrüse (28 gut¬
artige) und erörterte die Wege der Metastasierung (Diskussion: Herr
Schmey). Herr Erwin Christeller zeigte an vortrefflichen Projektions¬
bildern die in der Natur idiopathisch vorkommenden Missbildungen
der Schmetterlinge und verglich sie mit den von ihm vermittels
eines neuen eigenen Verfahrens experimentell erzeugten. Er zeigte, dass
die Einwirkung des äusseren Druckes die mannigfachsten pathologischen
DefektbilduDgen bei denLepidopterenauslöst (Diskussion: Herr van Hofft).
Herr L. Pick erörterte die verschiedenen Formen des Riesenwuchses
beim Menschen und zeigte einen bisher noch nie beschriebenen
halbseitigen Riesenwuchs des Kopfes und der Wirbelsäule
eines Kalbes. Herr Schmey sprach über die aus pathologischen
Präparaten vom Menschen (Cystenniere) und vom Pferde (Hamartome)
sich ergebenden Schlüsse für die Theorie der Nierenentwicklung. Herr
Felix Pinkus schilderte unter Demonstration von Plattonmodellen und
Abbildungen die von ihm beim Menschen und einer ganzen An¬
zahl von Tieren entdeckten Haarscheiben.
— Der nächste Kongress der Deutschen dermatologischen Gesell¬
schaft findet in Wien am 19. und 20. September unmittelbar vor der
Naturforscherversammlung statt. Angemeldete Vorträge, die auf dem
Kongress nicht zur Verhandlung kommen, können in den Sektions¬
sitzungen der Naturforscherversammlung gehalten werden. Etwaige An¬
fragen sind zu richten entweder an Prof. Ehr mann, Wien IX, Kolin-
gasse 9, oder Geheimrat Neisser, Breslau 16, Fürstenstr. 112.
— Die XXXVIII. Wanderversammlung der südwestdeutsohen
Neurologen und Irrenärzte wird in diesem Jahre am 24. und 25. Mai in
Baden-Baden im Konversationshause abgehalten werden.
— Die Ferienkurse der Berliner Dozentenvereinigung
finden in diesem Jahre in der Zeit vom 3. März bis 5. April statt (mit
Ausschluss der Osterfeiertage vom 21. bis 24. März). Im Anschluss hieran
vom 7. bis 12. April wird ein Gruppenkurs über „Magendarmkrank¬
heiten" stattfinden, zu dem sich zusammengeschlossen haben: die Herren
Bickel, Brugsch, L. Kuttner, Ehrmann, Strauss, Ewald,
Albu, Umber, Bessel - Hagen, Zinn, Mühsam, Benda, Roth-
mann, Rosenheim, Nicolai, Finkeistein, Klapp und Schmieden.
Das Honorar für diesen Kurs, der volle 6 Tage in Anspruch nimmt und
Vorträge, Demonstrationen und praktische Uebungen umfasst, be¬
trägt 30 M.
— Ein interessanter Ferienkurs findet vom 17. März bis 1. April
im Hotel Dieu in Paris statt, in welchem unter Leitung von Professor
M. A. Gilbert und Mitwirkung hervorragender Fachgenossen die Krank¬
heiten der Leber, des Pankreas und der Niere systematisch durch¬
genommen werden. Meldungen unter Einsendung von 200 Mark an
M. Deval, Hotel Dieu.
— Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬
pfuschertums. Wechsel des Sitzes. Einem sohon früher ge-
äusserten Wunsche der Dresdner Ortsgruppe folgend, dass der Sitz der
D. G. B. K. wechseln möge, hat die am 18. d. M. abgehaltene General¬
versammlung entsprochen und für die nächsten Jahre Dresden zum
Vorort gewählt. Die bisherige Vorstandschaft hatte, da der bisherige
erste Vorsitzende, Dr. Siefart, seine schon wiederholt geäusserte Ab¬
sicht, den Vorsitz niederzulegen, nach zehnjährigem Ausharren auf seinem
mühevollen Posten nicht mehr rückgängig machen liess, den Vorschlag
sich zu eigen gemacht. Nach warmer Anerkennung der unermüdlichen
Arbeit des bisherigen Vorsitzenden wurde die neue Vorstandschaft ge¬
wählt, der in Dresden unter anderen die Herren Wirkt. Geh. Rat Exzellenz
Prof. Dr. Fiedler, Geh.-Rat Prof. Dr. Schmorl, Prof. Beythien,
ifed.-Rat Thiersch angeboren. Zum provisorischen Vorsitzenden mit
Leitung der Geschäfte wurde Dr. Neustätter - Dresden-Hellerau ge¬
wählt, an den bis auf weiteres alle für die Deutsche Gesellschaft zur
Bekämpfung des Kurpfuschertums bestimmten Zuschriften, Sendungen
und Anfragen zu richten sind.
— Am 28. Januar fand eine Verbandssitzung der Centralstelle
für das Rettungswesen an Binnen- und Küstengewässern statt
— Der ausgezeichnete Kieler Pathologe Arnold Heller ist in
diesen Tagen im 73. Lebensjahre gestorben. Heller hatte gleich seinem
Lehrer F. A. v. Zenker sein besonderes Interesse immer den tierischen
Parasiten des Menschen zugewandt. Zahlreiche andere Arbeiten be¬
treffen das Gebiet der Entzündung, der Syphilis, die Pathologie des Ge¬
hirns und die Lehre von der Tuberkulose, speziell mit Rücksicht auf
deren intestinalen Ursprung. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit legte
er auf den Unterricht, den er in ausgezeichneter Weise geleitet hat.
— Herr Prof. Hermann Kümmell, der Chirurg des Eppendorfer
Krankenhauses in Hamburg, ist zum Geheimen Sanitätsrat ernannt.
— Der Direktor der Königl. chirurgischen Universitätsklinik zu
Breslau, Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Küttner, wurde zum Marine-
Generalarzt ä la suite des Marine-Sanitätskorps ernannt.
— Die Adelheid Bleichröder-Stiftung hat auch im laufenden
Jahre Unterstützungen in der Gesamthöhe von 5790 M. für wissenschaft-
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Original frum
UNiVERSmf OF IOWA
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
288
liebe Arbeiten auf dem Gebiete der Medizin und der angrenzenden
naturwissenschaftlichen Fächer zu vergeben. Gesuche sind in fünf Ab«
Schriften bis spätestens 31. März 1918 an den Vorstand der Gesellschaft
deutscher Naturforscher und Aerzte, zu Händen des geschäftsführenden
Sekretärs Prof. Dr. B. Rassow, Leipzig, Stephanstr. 8, zu richten. Von
dieser Stelle können auch die Satzungen der Stiftung kostenlos bezogen
werden. Die Verleihung der Subventionen geschieht auf der 85. Versamm¬
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wien am 25. September 1913.
Hochschulnachrichten.
Strassburg. Prof. Salge in Freiburg hat den an ihn ergangenen
Ruf als Direktor der Kinderklinik angenommen. — Heidelberg. Habili¬
tiert: Dr. Lust für Pädiatrie. — Würzburg. Zum Ordinarius für
Ophthalmologie wurde der bisherige Privatdozent an der hiesigen Uni¬
versität, Prof. Dr.Wessely, ernannt. — Prag. Prof. R. Schmidt in Inns¬
bruck wird Direktor der medizinischen Klinik. — St. Petersburg.
Podwyssozky, der experimentelle Pathologe, ist gestorben.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Russland (5.—12.1.) 9. Britisch-Ostindien (29. XII.
1912 bis 4.1.1913) 5621 und 4561 f. China. Auf der Iosel Hainan
ist die Pest ausgebrochen. Brasilion (16.—30. XL) 1 undSf. —
Cholera. Türkei (7.—20.1.) 51 und 32 f. — Pocken. Oester¬
reich (5.—18.1.) 18. Brasilien (XI.) 65f. — Fleckfieber. Oester¬
reich (5.—18.1.) 110. — Genickstarre. Preussen (19.—25.1.) 4 und 2f.
Oesterreich (5.—11.1.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen
(19.—25. I.) 1+. Oesterreich (29. XII. 1912 bis 11. I. 1913) 6. —
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln
in Oberhausen; an Diphtherie und Krupp in Dortmund, Heilbronn.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Stern zum Roten Adler-Orden 2. Kl. mit
Eichenlaub: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R. v. Olshausen in Berlin.
Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: ordentl. Professor,
Geh. Med.-Rat Dr. L. Hermann in Königsberg i. Pr.
Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Kreisarzt a. D.,
Geh. Med.-Rat Dr. 0. Risel in Halle a. S.
Roter Adler-Orden 4. KL: Arzt, Prof. Dr. H. Hoeftmann in Königs¬
berg i. Pr., Privatdozent, Prof. Dr. L. Langstein in Berlin-
Wilmersdorf.
Königl. Kronen-Orden 3. KL: Geh. San.-Rat Dr. A. Cohn in
Berlin.
Rote Kreuz-Medaille 2. Kl.: Generalarzt z. D. Dr. G. Körting
in Berlin, Arzt Dr. G. Brauner in Guben, Oberstabsarzt I. Kl. a. D.
Dr. R. Kühne in Charlottenburg, Arzt, Stabsarzt d. R. Dr. P. Baehr
in Erfurt, Stabsarzt d. R. a. D. Dr. A. Lieven in Aachen, Geh. San.-
Rat Dr. J. Kribben in Brühl, Landkreis Cöln, Oberarzt Dr. H. G.
Luce in Hamburg.
Rote Kreuz-Medaille 3. Kl.: Arzt Dr. F. Gehrke io Danzig,
Prof. Dr. R. Kutner in Berlin, Arzt Dr. J. Schwieder in Kalk¬
berge, San.-Rat und Oberstabsarzt I. Kl. a. D. Dr. 0. Freund in
Pankow, Arzt Dr. K. Boseck in Stolp i. Pomm., Arzt, Stabsarzt d. L.
I. Aufgebots Dr. P. T sch marke in Magdeburg, Oberstabsarzt Dr. P.
Oberbeck in Gnesen, Kreisarzt, Med.-Rat Dr. F. Neu mann in Leob-
schütz, Arzt Dr. N. Maassen in Heide, Kreis Norderditbmarschen,
Arzt Dr. F. Wahrendorf in Hannover, Arzt, Stabsarzt d. L. II. Auf¬
gebots Dr. A. Flügge in Gronau, Arzt Dr. J. Wibel in Wiesbaden,
Arzt Dr. A. Henrichsen in Schwanheim a. M., Arzt Dr. W. Mentler
in Hörde, San.-Rat und Kreiskommunalarzt Dr. M. Borchmeyer in
Recklinghausen, Arzt Dr. E. Klug in Westhofen, Arzt Dr. J. Hünten
in CöId, Reg.- und Med.-Rat Dr. J. Demuth in Speyer, Arzt Dr. C. A.
Fröhlich in Lengsfeld i. Erzgeb., Arzt Dr. E. Zürn in Lichtenstein,
Oberstabsarzt Dr. K. Th. Mantel in Karlsruhe, Arzt Dr. G. Lenz in
Homberg, Amt Triberg, Professor, Direktor des zahnärztl. Iostituts,
Stabsarzt a. D. Dr. G. A. J. Port in Heidelberg, Kammerherr, Kreis¬
arzt Freiherr Schenk zu Schweinsberg in Alzey, Arzt Dr. L.
Orth in Darmstadt, Arzt Dr. W. Sch aller in Obermassfeld.
Charakter als Geheimer Sanitätsrat: den San.-Räten Dr. G.
Belke in Essen a. d. Ruhr, Dr. H. Burgmann in Lennep, Dr. J.
Eichhoff in Elberfeld, Dr. F. W. Fabricius, Direktor der Provinzial-
Heilanstalt in Düren, Dr. W. Fey in Cassel, Dr. K. Gerster in
Braunfels, Dr. M. Kaufmann in Aachen, Dr. H. Köhler in Ebers¬
walde, Dr. W. Lenzmann in Kamen, Dr. H. Löwenthal in Berlin,
Dr. A. Schmitz in Bernkastel-Cues, Dr. P. Semrau in Danzig-Lang-
fuhr, Dr. K. Stein in Ehringshausen, Dr. M. Strauss in Königs¬
steele, Dr. E. Thalheim in Norderney, Dr. A. Voormann in Hagen,
dem Prof. Dr. H. Kümmel 1, Oberarzt des Allgemeinen Krankenhauses
in Hamburg-Eppendorf, dem Prof. Dr. G. Spiess, Direktor der städti¬
schen Hals- und Nasenklinik in Frankfurt a. M., und dem Arzt Dr.
0. Hieber in Königsberg i. Pr.
Charakter als Sanitätsrat: den Aerzten Dr. E. Althen in Wies¬
baden, Dr. Chr. Bahn in Cöln, Dr. 0. Bahr in Hirschberg i. Scbl.,
Dr. M. Bayer in Esch, Dr. G. Beyer io Branitz, Dr. J. Bodenbach
in Coblenz, Dr. G. Böttcher in Wiesbaden, Dr. B. Bruhn in Mel-
dorf, Dr. M. Bukoffzer in Königsberg i. Pr., Dr. E. Cahen in
Frankfurt a. M., Dr. W. Claus in Mörs, Dr. J. Cohn in Berlin-
Schöneberg, Dr. A. Dan ne io Altenbrucb, Dr. F. Demmer in
Kirchen, Dr. K. Ebermaier in Düsseldorf, Dr. J. Eekerlein in
Königsberg i. Pr., Dr. A. Ehrenberg in Stettin, Dr. W. Einhaus in
Ratiogen, Dr. H. Eysel in Cassel, Dr. F. Fallmeier in Hessisch-
Oldendorf, Dr. F. Fischer in Halle a. S., Dr. H. Flatow in Berlin-
Schöneberg, Dr. M. da Fonseca -Wollheim in Altona, Dr. B.
Gabel in Ossig, K. Geissler in Grimmen, Dr. J. Gerland in
Dingelstädt, Dr. K. Gerling in Elmshorn, Dr. H. Gerth in Dort¬
mund, Dr. B. Gödde in Hovestadt, Dr. M. Haagen in Gerdauen,
Dr. E. Hagel weide in Lunow, Dr. Th. Harke in Friedeburg, Dr. 0.
Hauchecorne in Berlin-Schöneberg, Dr. H. Heckei in Breslau, Dr.
K. He er lein in Beuel, Dr. J. Herting, Direktor der Provinzial-Heil¬
anstalt in Galkhausen, Dr. R. Hildebrand in Frankfurt a. M., Dr.
S. Hirschland in Essen a. d. Ruhr, Dr. E. Honcamp in Catern-
berg, Dr. F. Hünnemeier in Münster i. W., Dr. A. Jacobowitz
in Berlin-Schöneberg, Dr. W. Jänicke in Körlin a. P., Dr. J.
Jürgensmeyer in Bielefeld, Dr. J. Kaloff in Warendorf, Dr. J.
Katz in Beuthen O.-S., D. W. Kaute in Charlottenburg, Dr. J.
Kemper in Geseke, Dr. W. Höhne in Weidenau, Dr. R. Kukulus
in Gross-Schönebeck, Dr. L. Lazarus in Berlin, Dr. J. Littauer in
Berlin-Schöneberg, Dr. A. Löwe in Bunzlau, Dr. L. van de Loo in
Coblenz, Dr. R. Lorenz in Berlin-Wilmersdorf, Dr. E. Martini in
Hagen, Dr. A. van Meenen in Wiesbaden, Dr. F. Michaelsen in
Görlitz, Dr. K. Michels in Suhl, Dr. F. Mönnikes in Nieheim, Dr.
M. Morris in Berlin, Dr. W. Müller in Vlotho, Dr. E. Mürau in
Stettin, Dr. M. Neubauer in Pobethen, Dr. J. Ne über in Neisse,
Dr. V. Neumann in Wormditt, Dr. J. Odenthal in Cöln, Dr. R.
Pfeiffer in Düsseldorf, Dr. 0. Podlewski in Berlin-Schöneberg, Dr.
A. Proske in Bobrek, Dr. W. Recken in Münster i. W., Dr. M.
Salomon in Hirschberg i. Schl., Dr. H. Sch edel in Bad Nauheim,
Dr. H. 0. Sohedtler, Direktor der Laodesbeilanstalt in Merxhausen,
Dr. J. Schmalmack in Altona, Dr. W. Schubert, Direktor der
Provinzial-Heilanstalt in Kreuzburg O.-S., Dr. A. Schürhoff in Soest,
Dr. R. Schütz in Stettin, Dr. A. Schroers in Crefeld, Dr. J. Stern¬
berg in Cöln, Dr. F. Strunden in Horst-Emscher, Dr. B. Wiecher-
kiewicz in Posen, Dr. 0. Wigand in Fronhausen, Dr. E. Zabel
in Halle a. S.
In den Ruhestand getreten: Kreisarzt Med.-Rat Dr. L. Denck-
mann in Burgdorf; Vorsteher des Medizinaluntersuchungsamts in
Gumbinnen, Kreisarzt Dr. A. Kehler.
Versetzt: Gerichtsarzt Dr. Klein von Essen a. d.Ruhr nach Gleiwitz;
Gorichtsarzt Dr. Leers von Gleiwitz nach Essen a. d. Ruhr; Kreis¬
arzt Dr. Gun dl ach von Ueckermüode nach Wernigerode; Kreisarzt,
Med.-Rat Dr. E. Wolff von Cosel nach Neisse; Kreisarzt Dr. D ec kn er
von Heydekrug nach Cosel.
Ernennungen: Kreisassistensarzt Dr. Stoll in Charlottenburg zum
Kreisarzt in Heydekrug; Kreisassistenzarzt Dr. Boege in Sierakowitz
zum Kreisarzt in Ueckermünde; Kreisassistenzarzt Dr. W. Moeller in
Saarbrücken zum Kreisarzt in Burgdorf; Kreisassistenzarzt Dr.
Schablowski in Gumbinnen zum Kreisarzt und Vorsteher des Medi-
zinaluntersuchungsamtes daselbst; Wissenschaftl. Hilfsarbeiter an der
Königl. Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Ab¬
wässerbeseitigung Dr. V. Grimm in Charlottenburg zum Kreisassistenz¬
arzt daselbst; Arzt Dr. 0. Wen ge 1 in Löbau (Westpr.) zum Kreis¬
assistenzarzt in Sierakowitz.
Niederlassungen: Dr. V. Kasior in Filehne, Dr. H. Luyken in
Niedersessmar.
Verzogen: Dr. F. Domanski von Usch nach Kletzko, Dr. K. Schrö¬
der von Altscherbitz nach Uchtspringe, Dr. M. Poppel von Vohburg
(Bayern) nach Vallendar, Dr. P. G. H. Eltze von Hannover nach
Coblenz, A. M. Keller von Berlin nach Lutzerath, Dr. 0. Maren¬
bach von Dierdorf nach Andernach, Dr. B. Füchte von Ahlen i. W.
nach Goch, Dr. H. Fischer von München nach Düsseldorf, Dr. F.
Conzen von Cöln und Dr. F. Knotte von Berlin nach Essen, Dr. W.
Macke von Herschbach nach Burgwaldniel, Arzt W. Krüger von
Prenzlau nach Oberhausen, Dr. E. Eisenlohr von Barmen nach
Würzburg, Dr. W. Deissler von Wiesdorf nach Iffezheim, Dr. K. F.
Seer von Ohligs nach Laichlingen, Dr. A. Ruete von Strassburg i. E.
und Dr. W. Hilgers von Hamburg nach Bonn, Dr. K. Weih von
Aachen und Dr. M. Westenberger von Manderscheid nach Cöln, Dr.
E. Hoestermann von Bonn nach Heidelberg, Dr. H. Schricker
von Mülheim a. Rh. nach Erlangen, Dr. F. Eyles von Cöln nach
Bonn.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Uhl von
Bockenem, Dr. A. Ostermann von Boppard, Dr. B. Mutterer von
Coblenz, Dr. F. Carnap von Barmen auf Reisen als Schiffsarzt, Dr.
H. Rubin von Oberhausen auf Reisen.
Gestorben: Dr. A. Ohlmer in Hildesheim.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Konti« in Nummern von ea. 5—6 Bogen gr. 4. — II I fl II ■ I IV ] Ifl II volle man portofrei in die Verlagsbuchhandlung
Prell TiortoIJihrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen l\ M |\ I .1 w M «"C August Hlrschvald in Berlin NW., Unter den Linden
alle Buchhandlungen und Poatanstalten an. IllJl il lil 1 1 j J | jj No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Rohn.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin
Montag, den 17. Februar 1913.
M 7.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origiiftliei : Fibiger: Ueber eine durch Nematoden (Spiroptera sp. n.)
hervorgerufene papillom&töse und carcinomatöse Geschwulst¬
bildung im Magen der Ratte. (Aus dem pathologisch-anatomischen
Institut der Universität Kopenhagen.) (Illustr.) S. 289.
Axhausen: Ueber das Wesen der Arthritis deformans. S. 298.
Wolff: Beitrag zur Fäcesuntersuchung auf Parasiteneier. (Aus dem
Institut für Hygiene und Bakteriologie Gelsenkirchen.) S. 301.
Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. S. 302.
Aron: Zur Pneumothorax-Therapie. (Illustr.) S. 305.
Manoiloff: Ueber die Magensaftanaphylaxie. (Aus dem hygienischen
Laboratorium des klinischen Institutes der Grossfürstin Helena
Pawlowna zu St. Petersburg.) S. 307.
Ros enstein: Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik. (Aus der
chirurgischen Abteilung des jüdischen Krankenhauses in Posen.)
(Illustr.) S. 309.
Weisz: Beitrag zur Behandlung versteifter Fussgelenke. (Aus
Dr. E. Weisz’ Heilanstalt in Pöstyön.) (Illustr.) S. 309.
Klausner: Ueber einen haltbaren Gramfarbstoff für Gonokokken-,
Pilz-, und Spirochätenfärbung. (Aus der deutschen dermato¬
logischen Klinik in Prag.) S. 310.
Wolff-Eisner: Zur Vaccinationstherapie. S. 310.
BfiehertesprechangeB: Fehling: Die operative Geburtshilfe der Praxis
und Klinik. S. 311. (Ref. Liepmann.) — Keller und Klumker:
Säuglingsfürsorge und Kinderschutz in den europäischen Staaten.
S. 311. (Ref. Tugendreich.) — Klotz: Die Bedeutung der Getreide¬
mehle für die Ernährung. S. 312. (Ref. Ewald.) — Dannemann:
Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem
Zusammenhang. S. 312. (Ref. Buttersack.) — Löhner: Die
Sehschärfe des Menschen und ihre Prüfung. S. 312. (Ref.
Steindorff.)
ALT.
Literatur-Auszfige: Physiologie. S. 312. — Pharmakologie. S. 313. —
Therapie. S. 313. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 313. — Diagnostik. S. 313. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 313. — Innere Medizin. S. 315. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 315. — Kinderheilkunde. S. 316. — Chirurgie.
S. 316. — Röntgenologie. S. 317. — Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten. S. 817. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 318. — Augen¬
heilkunde. S. 318. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 318.
— Hygiene und Sanitätswesen. S. 318. — Technik. S. 318.
VerhandlnngeB ärztlicher Gesellschaften : Berliner medizinische
Gesellschaft. Schönstadt: Kontinuitätsresektion des Humerus
wegen Sarkoms, mit Krankenvorstellung, dazu Vorlegung zweier
anderer Präparate. S. 318. Frank: Ueber seltene Verletzungen
der Blasenschleimhaut. S. 318. v. Hansemann: Ueber die Auf¬
lösungsfähigkeit von Gallensteinen. S. 320. — Laryngologische
Gesellschaft zu Berlin. S.320. — Hufe ländische Gesell¬
schaft. S. 323. — Berliner mikrobiologische Gesellschaft.
S. 325. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 826. —
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinal¬
statistik zu Berlin. S. 327. — Berliner ophthalmologische
Gesellschaft. S. 328. — Medizinische Sektion der schlesi¬
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau.
S. 328. — Verein der Aerzte Wiesbadens. S. 329. — Aerzt-
licher Verein zu Essen-Ruhr. S. 329. — Aerztlicher Verein
zu Hamburg. S.330. — Naturwissenschaftlich-medizinische
Gesellschaft zu Jena. S.330. — Aerztlicher Verein zu
München. S. 331. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu
Wien. S. 331.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 331.
Amtliche Mitteilungen. S. 332.
Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Kopenhagen (Dir.: Prof. Dr. Johannes Fibiger).
Ueber eine durch Nematoden (Spiroptera sp. n.) hervorgerufene papillo¬
matöse und carcinomatöse Geschwulstbildung im Magen der Ratte. 1}
Von
Dr. Johannes Fibiger,
ordentl. Professor der pathologischen Anatomie an der Universität Kopenhagen.
Bei Untersuchungen von Geschwülsten und geschwulst-
ähnlichen Neubildungen hat man zuweilen im Geschwulstgewebe
selbst oder in dessen Umgebungen hochstehende, tierische Para¬
siten, namentlich Helminthen, nachweisen können. Man hat daher
vermutet, dass solche Schmarotzer in einem causalen Verhältnis
zu der Geschwulstentwicklung stehen und auf gleiche Weise
wirken könnten wie chronische Irritamente anderer Art, die eine
bisweilen von Geschwulstbildung begleitete Entzündung hervor-
nifen. So ist bekanntlich die Fähigkeit, maligne Geschwulst-
bilduyg hervprzurufen, dem Bilharziapärasiten (Distomum haema-
tphium) zagescbrieben worden. Die Berechtigung difeser An-
1) Als Vortrag in der Sitzung der 'medizinischen Gesellschaft zu
Kopenhagen am 7. Januar 1913 mitgeteilt. Ausführliche Mit¬
teilung erfolgt später in der Zeitschrift für Krebsforschung.
schauung kann keinem Zweifel unterliegen, nachdem nachgewiesen
ist, dass nicht nur die Bilharziagescbwülste in der Harnblase im
Bau mit Carcinomen und Sarkomen übereinstimmen können
(Kartulis, Goebel u. a.), sondern dass auch diese primären
Blasengeschwülste häufig metastasieren (Ferguson).
Pathogenetische Bedeutung für die Entwicklung von Ge¬
schwülsten bei Menschen sind ferner anderen Trematoden(Opistorchis
felineus, Distomum japonicum) zugeschrieben worden, ohne dass
es doch als ausgeschlossen betrachtet werden kann, dass es sich
io den einzelnen beschriebenen Fällen um etwas anderes als ein
zufälliges Zusammentreffen von Geschwülsten und Parasiten bei
demselben Individuum gehandelt habe.
Im Institut Pasteur ist endlich von Borrel eine Hypo¬
these aufgestellt worden, die hochstehenden tierischen Parasiten
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UNIVERSUM OF IOWA
290
Nr. 7.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
eine weitgehende Bedeutung in bezug auf den Ursprung der Ge¬
schwülste beimisst.
Dass die Krebsleiden des Menschen mit wechselnder Häufigkeit
Vorkommen und zuweilen, wie Krebs bei Mäusen, endemisch auftreten
können, macht es, nach Borrel, wahrscheinlich, dass äussere, dem
Organismus fremde Ursachen ihre Entwicklung bedingen können.
Borrel vermutet, dass Schmarotzer, wie Sarkoptiden, Demo¬
dex, Nematoden und Cysticercen ein unbekanntes Virus über¬
tragen können, das Geschwulstbildung hervorruft. Borrel gründet
diese Hypothese darauf, dass Parasiten, wie die genannten,
bei verschiedenen Tieren, namentlich bei Mäusen, die an Ge¬
schwülsten verschiedener Art (Carcinomen, Sarkomen, Lymphomen)
leiden, nicht selten in dem Geschwulstgewebe selbst oder in seiner
unmittelbaren Nähe nachgewiesen werden können, und dass man
bei Menschen in Epitheliomen der Gesichtshaut sowie bei Brust¬
krebs häufig Demodex in grösserer Menge findet als unter
normalen Verhältnissen.
BorreTs Hypothese ist unzulänglich begründet. Die not¬
wendigen Kontrolluntersuchungen in bezug auf die Häufigkeit der
genannten Parasiten bei gesunden Tieren sind nicht hinreichend
oder fehlen ganz, und Orth und Tsunoda haben Demodex ebenso
häufig und auf dieselbe Weise lokalisiert in der Mamilla bei
Frauen mit und ohne Carcinoma mammae gefunden.
Die Vermutung, dass Nematoden den Anstoss zu der Ent¬
wicklung von Mammakrebs bei Mäusen geben, ist ebenfalls von
Haaland auf Grund von in „the Imperial cancer fund’s Labora¬
torium“ (Bashford) vorgenommenen Untersuchungen aufgestellt
worden. Haaland vermutet, dass die Nematoden als Irritamente
wirken, die Entzündung bzw. Sklerose des die Brustdrüsen umgebenden
subcutanen Gewebes, sowie cystische und hypertrophische Ver¬
änderung desselben hervorrufen, die Vorstadien zu wirklicher
Geschwulstentwicklung sein können.
Ausser diesen Beobachtungen enthält die Literatur einzelne zer¬
streute Mitteilungen (Loewenstei n, Wasielewsky u.a.) über den
Befund von Nematoden inGeweben mit gcschwulstartigerUmbildung.
Es Ist jedoch weder durch diese noch durch die oben¬
erwähnten Untersuchungen festgestellt worden, dass in solchen
Fällen etwas anderes als ein zufälliges Zusammentreffen von
Parasiten und Neubildungen vorzuliegen braucht, selbst wenn die
Beobachtungen, namentlich falls sie mit unserer Kenntnis von
den Wirkungen des Bilharziaparasiten zusammengestellt werden,
darauf hindeuten, dass Nematoden wirklich einen pathogenetischen
Einfluss auf die Entwicklung von Geschwülsten besitzen könnten.
Es ist aber auf alle Fälle berechtigt, in Uebereinstimmung mit
Haaland und Wasielewsky die vorliegenden Beobachtungen
als Basis für eine Arbeitsbypothese zu betrachten.
Der Zweck der Untersuchungen, die hier in verkürztem Aus¬
zuge mitgeteilt werden sollen, ist der Nachweis, dass Nematoden
wirklich die pathogenetische Bedeutung haben können,
die ihnen beigelegt wird.
Der Ausgangspunkt für diese Untersuchungen waren einige
Beobachtungen, die ich zu Ende des Jahres 1907 anzustellen
Gelegenheit hatte. Bei der Sektion von 3 wilden Ratten (Mus
decumanus), die ursprünglich zu subcutaner Injektion von Tuberkel¬
bacillen benutzt waren und die später in dem gleichen Käfig gelebt
hatten* ergab es sich, dass der Fundusteil des Magens (des
Vormagens) der Sitz gewaltiger papillomatöser Veränderungen
war, so dass die Wand des Ventrikels ausserordentlich verdickt
und sein Hoblraum fast ganz obliteriert oder sehr stark ver¬
kleinert war. Der übrige Teil des Verdauungskanals war normal.
Auch in den anderen Organen fanden sich keine krankhaften
Veränderungen, ausgenommen, dass die Lungen pneumonische
Partien enthielten. Von Tuberkulose war keine Spur vorhanden.
Metastasen waren nicht nachzuweisen.
Das Magenleiden machte bei allen drei Tieren den Eindruck
einer fibro-epitbelialen Geschwulst von ganz der gleichen,
möglicherweise malignen Natur. Dieser Eindruck ward nicht ab¬
geschwächt durch eine vorläufige mikroskopische Untersuchung.
Um zu erforschen, ob sich die Geschwulst transplantieren liess,
wurde nun im Anschluss an die Sektionsuntersuchung eine Reihe
von Versuchen vorgenommen, bei denen Geschwulstgewebe teils
subcutan, teils intraperitoneal gesunden Ratten verschiedener Art
(Mus decumanus, Mus rättus, bunten Laboratoriumsratten) ein¬
geimpft wurde. Ausserdem wurden vier von diesen Ratten mit
Geschwulstgewebe gefüttert.
Keiner von diesen Versuchen ergab jedoch ein positives Re¬
sultat. Auch kamen keine Geschwulstbildungen bei Ratten vor,
die in verschiedenen Zeiträumen (Maximum ein Jahr) in dem un¬
gereinigten Käfig eingesperrt gehalten wurden, in dem die Ratten
mit Magenleiden gehalten worden waren.
Die mikroskopische Untersuchung des Magens der drei
Ratten ergab, dass die bedeutende Verdickung der Magenwände
hauptsächlich durch epitheliale Hyperplasie und Papillombildung, in
geringerem Grade durch akute und chronische Entzündung hervor¬
gerufen war. Unregelmässig verzweigte, röhren-, platten- oder
kraterförmige bindegewebige Ausläufer der Submucosa bildeten
zusammen mit spärlichen Muskelfasern der Muse, mucosae den
Grundstock der mit dicken Schichten von Plattenepithel be¬
kleideten Papillome. Mächtige Epithelzapfen drängten von der
Oberfläche hiuab, die Muse, mucosae vor sich herschiebend.
Die Muse, mucosae war an einzelnen Stellen durchbrochen
und die Submucosa enthielt dann Zapfen und Inseln von Platten¬
epithel. Bei Proliferation des heterotopisch gelagerten Epithels
wurden stellenweise mit verhornten Zellen gefüllte Cysten ge¬
bildet. Die grössten Cysten komprimierten Submucosa und Muscu-
laris stark, so dass diese Häute atrophisch waren. Die Cysten
ragten dann auf der Aussenseite des Ventrikels hervor, nur be¬
deckt von Serosa und Resten von Muscularis und Submucosa.
Das Bindegewebe der Submucosa war überall der Sitz schwächerer
oder stärkerer Entzündungserscheinungen (Proliferation der festen
Bindegewebselemente, Anhäufung von Leukocyten und Plasma¬
zellen), auch in der Schleimhaut und dem Epithel sah man hie
und da Leukocyteninfiltrationen.
Infiltratives, carcinomatöses Wachstum wurde nicht nach¬
gewiesen. Die pars pylorica war normal. Metastasen fanden sich
in keinem Organ.
In dem Epithel fanden sich hier und dort runde oder ovale
Löcher unmittelbar unter dem Stratum corneum gelagert. Andere
dieser Hohlräume enthielten Körperchen von einer komplizierten
Struktur, die den Gedanken auf hochorganisierte, eihaltige Para¬
siten lenkten. Durch Schnittserien gelang es alsdann naebzu-
weisen, dass es sich wahrscheinlich um eine Nematode bandelte,
und durch Rekonstruktion einer grösseren Serie wurde festgestellt,
dass dies wirklich der Fall sein und dass die Länge der an¬
wesenden Nematode nach der Rekonstruktion auf etwa 1,6 cm,
ihr Durchmesser auf höchstens 0,25 mm geschätzt werden müsse.
Die Eier waren doppelt konturiert und enthielten einen
schleifenförmig aufgerollten Embryo. Sie fanden sich
nicht selten freigelagert zwischen den obersten Schichten des
Plattenepithels.
Bei weiteren Untersuchungen gelang es später, aus einem der
fixierten Ventrikel drei Nematoden herauszupräparieren, die zu
eingehenderem Studium benutzt werden konnten.
Infolge des oben Entwickelten lag es nahe vorauszusetzen,
dass diese Nematoden die Ursache der krankhaften Verände¬
rungen des Ventrikels sein könnten; es konnte sich aber selbst¬
redend auch um ein zufälliges Zusammentreffen handeln.
Um diese Fragen genauer zu ergründen, sind eine Reihe von
Untersuchungen angestellt worden, über die in dem folgenden, so
kurz wie möglich, Bericht erstattet werden soll.
Ein Magenleiden, wie das hier besprochene, ist, so weit es
sich übersehen lässt, früher nicht bei Ratten beobachtet worden.
Um die Häufigkeit des Leidens festzustellen und Material zu
weiterer Bearbeitung zu gewinnen, nahm ich dann eine Reibe von
Versuchen vor, bei denen eine genaue Untersuchung der Magen¬
schleimhaut von 1144 Ratten (Mus decumanus, Mus rattus, Mus
alexandrinus und bunte Laboratoriumsratten) angestellt wurde.
Es wurden hierbei — im ganzen bei elf Ratten (Mus
decumanus) — naebgewiesen: ganz kleine, begrenzte Epithelhyper¬
plasien, minimale Ulcerationen (zuweilen um in die Schleimhaut
eingebohrte Haare gelagert) oder vereinzelte, stecknadelkopf¬
grosse papillomatöse Excreszenzen, am häufigsten auf der Grenze
zwischen dem Fundusteil und der Pars pylorica.
Ein Leiden, wie das oben beschriebene, wurde aber bei diesen
Ratten nicht gefunden, und Nematoden waren nicht nachweisbar.
Bei 12 Ratten enthielt das Epithel der Schleimhaut eine
Nematode, die sich jedoch, namentlich durch den Bau der Eier,
als weit verschieden von der gesuchten erwies, und die von Mag.
scient. Ditlefsen, Assistenten an dem zoologischen Museum der
Universität, t als wahrscheinlich dem Genus Trichosoma zugehörig
bestimmt wurde. Bei zehn anderen Ratten fand sieb, frei im
Magen gelagert, eine dicke Nematode, die ebenfalls keine
Aehnlichkeit mit der gesuchten aufzuweisen hatte und als eine
Ascaride angesehen werden musste.
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
291
Das Ergebnis dieser Untersuchungen war ja insofern ein
negatives, als der Magen nur bei einer sehr kleinen Anzahl
von Ratten minimale krankhafte Veränderungen enthielt, bei
keinem einzigen Tier jedoch solche Papillomatosen oder Nema¬
toden, auf die gefahndet worden war.
Es war also festgestellt worden, dass das beschriebene
papillomatöse Magenleiden nicht allgemein bei Ratten hierzulande
vorkommt. Versuche, die Krankheit auf dänische Ratten zu über¬
tragen, waren ferner, wie oben bereits erwähnt, misslungen, und da
die ursprünglich untersuchten Tiere, soweit dies nachgewiesen werden
konnte, aus Dorpat eingeführt waren, lag die Annahme nabe, dass
dänische Ratten überhaupt unempfänglich für die Krankheit waren.
Ging man davon aus, dass die nacbgewiesene Nematode die
Ursache der Krankheit war, so war auch eine andere Erklärung
naheliegend, nämlich, dass der Parasit nicht direkt übertragbar
war, sondern eines Zwischenwirtes bedurfte, in dem die in
den Eiern enthaltenen Embryonen ein für die Ratte infektiöses
Entwicklungsstadium durchmachen mussten.
Zufolge einer Mitteilung Galeb’s 1 ) war die Annahme gegeben,
dass der Zwischenwirt in der gewöhnlichen Küchenschabe (Peri-
planeta orientalis) zu suchen sei, indem Galeb nach der Fütterung
von Ratten mit diesen Tieren in dem Magen der Ratten eine
Nematode batte nachweisen können, die mit der von Deslong-
champs beschriebenen Filaria rbytipleurites, die in den Fett¬
körperchen der Periplaneta orientalis schmarotzt, übereinstimmte.
Ich verschaffte mir nun wilde Ratten (Mus decumanus) aus
einer Lokalität in Kopenhagen, wo die Periplaneta orientalis in
grossen Mengen vorkam, aber es gelang weder Nematoden noch
geschwulstähnliehe Bildung bei nur einer einzigen dieser Ratten
naebzuweisen. Versuche mit Fütterung von Ratten (Mus decu-
manus, bunten Laboratoriumsratten) ergaben gleichfalls negative
Resultate, obwohl zur Fütterung jedes einzelnen Tieres Schaben
in grosser Anzahl verwendet worden waren.
Einen ganz anderen Ausfall ergaben Untersuchungen
von Ratten, die aus einer anderen Lokalität (einer grossen
Zuckerraffinerie) berrührten, obwohl hier nicht die von Galeb be¬
sprochene Periplaneta orientalis, sondern die Periplaneta ameri-
cana mit im Spiele war.
In dem Zeitraum vom 2. März bis 12. Dezember 1911 wurden
in dieser Lokalität 61 Ratten (Mus decumanus) eingefangen, von
denen ca. 25 gleich nach dem Einfangen getötet wurden, während
der Rest im Institut isoliert gehalten und erst untersucht wurde,
wenn sie spontan starben.
Bei 21 von diesen 61 Ratten war der Fundusteil des Magens
normal und enthielt keine Parasiten. Bei 40 fanden sich dahin¬
gegen in dem Epithel des Fundusteils Nematoden, die in bezug
auf Grösse und Form den gesuchten entsprachen, und deren
Eier ganz mit denjenigen dieser Parasiten übereinstimmten. Bei
18 von diesen 40 Ratten fanden sich im Magen krank¬
hafte Veränderungen, die in 9 Fällen Geschwülste von
demselben Typus waren wie die oben erwähnten, und
in den übrigen Fällen als Vorstadien zu diesen be¬
trachtet werden mussten.
Der Ausfall dieser Untersuchungen deutete natürlich in hohem
Grade darauf hin, dass bei diesen Ratten kein zufälliges Zu¬
sammentreffen von Gescbwulstbildung und Nematoden vorlag, und
dass die Periplaneta americana der Zwiscbenwirt war. Um dies
festzustellen und um, wenn möglich, maligne epitheliale Neu¬
bildungen hervorzurufen, wurden nun Versuche angestellt, indem
Ratten mit Schaben aus dieser Lokalität gefüttert wurden. Hierbei
wurden in einem Versuch 4 wilde Ratten (Mus decumanus) ver¬
wendet, in anderen 4 Versuchsreihen im ganzen 53 bunte Labora¬
toriumsratten, die hier in dem neuen pathologisch-anatomischen
Institut der Universität, in dessen bisher nicht benutzten Tierställen
keine Schaben gewesen, geboren und grossgezogen waren.
Die Ratten wurden ein- oder zweimal, jedesmal im Laufe
von 5 bis 25 Tagen mit Schaben in verschiedener Anzahl ge¬
füttert Eine Ratte erhielt 94, die übrigen weniger. Die Ratten
wurden isoliert gehalten und nicht getötet, falls nicht der Todes¬
kampf eingetreten war. Sie haben also alle so lange gelebt, wie
sie konnten. Die fünf Versuchsreihen (1. Februar 1911 bis 9. Juli
1912) ergaben im ganzen folgende Resultate:
Bei 3 Ratten fand sich nichts Abnormes im MageD, und
namentlich keine Nematoden. Nematoden wurden dahin¬
gegen bei 54 Ratten naebgewiesen. Bei 18 von diesen
war der Vormagen normal, bei 36 aut dieselbe Weise
1) Compt. rend. des s&ances de l’&cad. des Sciences, 1878.
wie bei den oben erwähnten Ratten krankhaft ver¬
ändert. Bei einem Teil fanden sich gleichzeitig Parasiten und
schwächere Veränderungen derselben Art in der Speiseröhre und
bei einzelnen ausserdem in dem Epithel der Zunge und der Mundhöhle.
Bei 7 Ratten fand sich im Ventrikel bedeutende Ge¬
schwulstbildung von demselben Typus wie die früher be¬
schriebene. Die Nematoden entsprachen an Grösse und Form
den früher naebgewiesenen, wie auch das Aussehen der Eier das
gleiche war.
ln der folgenden Tabelle 1 ist die ganze Untersuchungsreihe
zusammengestellt.
Tabelle 1.
Zahl
Die ge¬
suchte Ne¬
matode
fand sich
bei
Die ge¬
suchte Ge¬
schwulst
fand sich
bei
Vorstadien
zu Ge¬
schwulst¬
bildung
fanden sich bei
Wilde Ratten ....
867)
I
Bunte Laboratoriums¬
Sl 144
0 1
0
0
ratten .
277 J
Wilde Ratten aus einer
i
Lokalität mit Peri¬
1
planeta americana
61
40 i
9
9
Laboratoriumsratten, mit
1
Periplaneta americana
i
aus obenerwähnter
l
Lokalität gefüttert
57
54
7
29
Hiernach konnte kein Zweifel herrschen, weder
darüber, dass die Geschwulstentwicklung von dem Vor¬
handensein der Nematoden abhängig war, noch darüber,
dass diese durch die Periplaneta americana übertragen
wurden.
Wie bereits früher erwähnt, war bei der Untersuchung der
ursprünglich untersuchten 3 Ratten naebgewiesen, dass das Platten-
epitbel in den papillomatös ungebildeten Mägen nicht selten
freie embryohaltige Eier enthielt. Dies wurde ferner bestätigt
durch Untersuchungen von Ventrikeln der zuletzt erwähnten
Ratten, und ausserdem wurde naebgewiesen, dass die Eier, ohne
anscheinend eine weitere Entwicklung durchgemacht zu haben,
fast konstant in den Exkrementen der infizierten Tiere nach¬
gewiesen werden können. Es zeigte sich ebenfalls, dass die Eier
selbst nach Verbleiben in feuchten Rattenexkrementen im Labo¬
ratorium während eines Zeitraums von 1 j 2 Jahr sich nicht im
mindesten veränderten, und dass die Fäces auch dann keine freien
Embryonen enthielten.
Bei Fütterung mit embryohaltigen Eiern gelang es ebenfalls
nicht, Nematoden auf gesunde Ratten zu übertragen.
So unterlag es denn keinem Zweifel, dass die Peri¬
planeta americana der Zwischenwirt in des Wortes
eigentlicher Bedeutung sein musste. In diesem Falle
aber musste der Parasit in ihrem Körper nachgewiesen werden
können.
Mikroskopische Untersuchungen sowohl von den Fettkörperchen
der Schaben wie von ihrem Magendarmkanal ergaben negative Resul¬
tate, wohingegen es mir ohne Schwierigkeit gelang, in der quer¬
gestreiften Muskulatur der Extremitäten und im Prothorax
spiralförmig aufgerollte, trichinenähnliche Nematoden nachzu¬
weisen, die oft von einer ganz feinen Bindegewebskapsel umgeben
waren und der Grösse und Form nach sehr wohl, weiterentwickelte
Stadien von den in den Eiern des Parasiten enthaltenen Em¬
bryonen sein konnten.
Um darzulegen, dass es sich hier um keinen anderen Para¬
siten handelte, wurde ferner eine Reihe von Versuchen ange¬
stellt, deren Zweck es war, den Parasiten auf Schaben zu über¬
tragen, von deren Muskulatur man mit Sicherheit annehmen
konnte, dass sie vor der Ueberführung keine Nematoden enthielt.
Zu den Versuchen benutzte ich Periplaneta orientalis, die
teils mit Eiern von Nematoden, teils mit eihaltigen Ratten¬
exkrementen gefüttert wurden. Die Schaben wurden 42 bis
60 Tage nach der Fütterung untersucht. (Tabelle 2.)
So gelang es denn ohne Schwierigkeit, durch die. Fütterung
eine Ablagerung von Nematoden in der Muskulatur zu erzielen.
Diese wichen in keiner Hinsicht von den bef der Periplaneta
americana gefundenen ab.
Es musste folglich als äusserst wahrscheinlich angesehen
1 *
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292
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Tabelle 2.
_
Nematoden
Zahl
wurden
gefunden in
Die Schaben wurden mit Eikrementen gefüttert
18
17
Die Schaben wurden mit Eiern gefüttert . . .
9
9
Nicht gefütterte Kontrollschaben.
101
0
werden, dass die bei Ratten nacbgewieseneNematode als Zwischen¬
wirt nicht nur die Periplaneta americana, sondern auch die Peri-
planeta orientalis benutzen kann. Dies wurde ferner durch den
unten angeführten Versuch bestätigt, bei dem gesunde, im Institut
gezüchtete bunte Ratten mit Schaben (Periplaneta orientalis) ge¬
füttert wurden, die ebenso wie die oben erwähnten Schaben 6 bis
7 Wochen zuvor mit Exkrementen von infizierten Ratten oder mit
Eiern von Nematoden gefüttert worden waren. Bei 11 bisher unter¬
suchten Ratten, die mit durch Rattenexkremente infizierten Schaben
gefüttert waren, fanden sich bei 7 Nematoden, bei 3 ausgesprochene
Epithelhyperplasien und Verdickung der Schleimhaut des Fundus¬
teils, von derselben Art wie die früher beschriebenen. Bei
12 Ratten, die mit durch Eier infizierten Schaben gefüttert waren,
fanden sich Parasiten bei 3, bei 1 ausserdem ausgesprochene ana¬
tomische Veränderungen von derselben Art, wie bei den vorher¬
gehenden. Zur Fütterung von 6 von diesen Ratten war für eine
jede nur die Muskulatur von der Hälfte des Prothorax einer ein¬
zelnen Schabe benutzt worden 1 ).
Als Kontrollversucbe wurden 43 Laboratorienratten mit
Schaben derselben Art und Herkunft, die aber mit Nematoden
nicht künstlich infiziert waren, gefüttert. Jede Ratte bekam
11—60 Schaben. Bei keiner dieser Ratten wurden Nematoden
oder krankhafte Veränderungen des Magens vorgefunden.
Die üebertragung von Nematoden durch die Periplaneta
orientalis verursacht folglich keine Mühe, und wird jetzt ganz
regelmässig hier im Laboratorium bewerkstelligt.
Dass die Ratten infiziert sind, kann leicht dadurch festgestellt
werden, dass ihre Exkremente 6—8 Wochen nach der Fütterung
anfangen, die leicht erkennbaren Eier der Nematoden zu enthalten.
Die Entwicklungsgeschichte der Nematode muss also
folgendermaassen zusammengefasst werden. Sie lebt in dem Platten¬
epithel des Rattenmagens und der Speiseröhre, in seltenen Fällen
auch in dem Epithel der Zunge und der Mundhöhle, erlangt in
diesen Organen Geschlechtsreife und scheidet embryohaltige
Eier aus, die mit abgestossenem Epithel abgehen nnd mit den
Exkrementen entleert werden. Wenn die Schaben (Periplaneta
americana und orientalis) diese verzehren, entwickeln sich die
Eier, und freie Embryonen wandern in die quergestreifte Musku¬
latur des Prothorax und der Extremitäten der Schaben, wo sie
nach etwa 6 Wochen oder nach Verlauf eines längeren Zeit¬
raumes als trichinenähnliche, spiralförmig aufgerollte Larven
nacbgewiesen werden können. Werden nun die Schaben von den
Ratten gefressen, so werden die Larven aus ihren Kapseln be¬
freit und wandern nun in den Fundusteil des Rattenmagens (zu¬
weilen auch in die Speiseröhre, in das Epithel der Mundhöhle
und der Zunge), wo die Weibchen ungefähr nach Verlauf von
2 Monaten anfangen, embryohaltige Eier auszuscheiden.
Das Maass der Nematoden im vollentwickelten Zustand:
Das Männchen V 2 —1 cm lang; Diameter 0,1—0,16 mm
,, Weibchen 4—6 „ „ „ 0,2—0,26 „
Die Eier sind oval, klar, von einer doppeltkonturierten
Membran umgeben, die an den Polen ein wenig dicker ist als
an dem übrigen Teil des Umfangs.
Sie messen 0,06x0,04 mm und enthalten einen schleifen¬
förmig aufgerollten Embryo mit ringgeteilter Cuticula.
Die zoologische nähere Untersuchung der Nematoden ist von
mir Herrn Mag. scient. P. H. Ditlefsen, Assistenten am zoologi¬
schen Museum der Universität Kopenhagen, übertragen worden.
Er hat die Nematoden der Ratten aus Dorpat, der Ratten aus
der Zuckerraffinerie und der Ratten der verschiedenen Versuchs¬
reihen untersucht und festgestellt, dass es sich um ein und die¬
selbe Art aus dem Genus Spiroptera handelt. Das Männchen
ist ausgestattet mit einer grossen Bursa, zwei Spikein von ver¬
schiedener Länge und vier präanalen sowie vier postanalen
Papillen an jeder Seite. Es unterscheidet sich hierdurch so-
1) Wenn nur eine geringere Zahl dieser letzten Ratten infiziert wurde,
so hatte das wahrscheinlich seinen Grund darin, dass die verwendeten
Schaben nur mit einer geringen Zahl reifer Eier gefüttert worden waren.
wohl von der Spiroptera obtusa wie von der von Galeb be¬
schriebenen Filaria rhytipleurites und ist eine bisher nicht be¬
schriebene Art, über deren nähere Morphologie später ein aus¬
führlicher Bericht erscheinen wird.
So war es denn gelungen, die ursprünglich nach¬
gewiesene Nematode wiederzufinden. Dass diese in cau-
salem Verhältnis zu den Geschwulstbildungen stand, ging nicht
nur daraus hervor, dass Geschwülste nur zusammen mit Para¬
siten gefunden waren, sondern auch daraus, dass es gelungen
war, Geschwülste von ganz demselben Typus hervorzurufen, indem
man den Parasiten auf gesunde Laboratoriumratten übertrug.
Unter den im ganzen untersuchten 118 Ratten (61 wilde
aus der Zuckerraffinerie, 67 mit Schaben gefütterte Ratten) befanden
sich 94, deren Magenfundusteil Spiroptera enthielt. Bei 40 war
der Parasit die einzige Abnormität des Magens, bei 64
fanden sich gleichzeitig anatomische Veränderungen. Es zeigte
sich, wie bereits erwähnt, dass sich der Parasit auch in der
Speiseröhre vorfinden kann, in einzelnen Fällen ausserdem in
dem Epithel der Zunge und der Mundschleimhaut.
Unter 34 mit Schaben gefütterten Laboratoriumratten fanden
sich 22, bei denen nicht nur der Magen, sondern auch die
Speiseröhre Nematoden enthielt, bei 4—6 fanden sich solche auch
in dem Zungenepithel, bei einer ferner in dem Epithel der Mund¬
höhle. Im Pylorusteil des Magens sowie im Darmkanal ist der Parasit
nie nachgewiesen worden, ebensowenig wie in einem einzigen der
inneren Organe. Folglich schmarotzt der Parasit nur in
dem obersten mit Plattenepithel bekleideten Teil des
Verdauungskanals. Man findet ihn so gut wie konstant zwischen
dem Stratum corneum und Stratum granulosum gelagert, wo er
unregelmässig gewundene Kanäle zwischen den Zellen hervor-
bringt. In seltenen Ausnahmefällen habe ich ihn ein wenig tiefer
im Epithel angetroffen, ein einziges Mal habe ich ihn in einer
Vene in der Schleimhaut gesehen.
Die anatomischen Veränderungen im Magen sind allein
auf den Fundusteil lokalisiert, wo auch allein die Parasiten sich
vorfinden; die Pars pylorica ist immer normal.
Sie können der Uebersicht halber eingeteilt werden in erstens
leichte Veränderungen, zweitens beginnende und ausgesprochene
Papillomatosen, drittens starke Papillomatosen und Geschwulst¬
bildungen. Diese Gruppen gehen glatt ineinander über, ohne
scharfe Grenzen. Sie weichen makroskopisch nur quantitativ ab,
bei mikroskopischen Untersuchungen wurden hingegen andere Ab¬
weichungen gefunden, die später besprochen werden sollen.
Leichte Veränderungen fanden sich bei 15 Ratten vor. Die
Schleimhaut ist leicht verdickt, weniger durchsichtig als in
normalen Ventrikeln. Die Verdickung tritt fleckweise oder diffus
ausgebreitet auf, in ersterem Falle auf Partien lokalisiert, deren
Epithel Nematoden enthält.
Ausgesprochene Veränderungen fanden sich bei 23 Ratten
vor. Die Verdickung der Schleimhaut ist stärker und diffus ver¬
breitet. Die Oberfläche ist uneben, faltig, mit kraterförmigen,
wallförmigen oder längslaufenden Vorsprüngen und kleinen
Papillomen.
Auch zwischen dieser und der dritten Gruppe ist der Ueber-
gang ganz glatt.
Als starke Papillomatosen und Geschwulstbildungen
können die Veränderungen bei 16 Ratten bezeichnet werden. Die
Schleimhaut ist mit einer Unmenge von kleineren und grösseren
Papillomen bedeckt. Die Ventrikelwand ist ausserordentlich ver¬
dickt (sie maass bei mehreren Ratten über 1 cm).
Mächtige fibroepitheliale Excrescenzen ragen in der Höhle
des Fundusteiles auf und verkleinern sie stark. In vier Fällen
war die Höhle vollkommen obliteriert von mächtigen, unregel¬
mässig verzweigten papillomatösen Vorsprüngen und Wällen, die
die Mündung der Speiseröhre ganz oder teilweise absperrten und
von dem Fundusteil in die Pars pylorica hineinragten. (Figur 1.)
Der Magen war in allen diesen Fällen gross, schwer, dick
und fest, seine Aussenseite war buckelig, mit gelblichweissen,
flachen Prominiscenzen, in ein paar Fällen ausserdem mit ge¬
stielten kleinen Knoten besetzt. In drei Fällen fand sich
ein etwas abweichendes Bild, indem der Ventrikel bei diesen
Ratten nicht von multiplen Papillomen, sondern von einer ein¬
zelnen kolossalen, fast walnussgrossen, knollenförmigen, von der
Umgebung der Cardia ausgehenden Bindegewebsgeschwulst ; aus¬
gefüllt war,, die sich von hier aus nicht nur in den Fundusteil
hinein erstreckte, sondern auch den grössten, Teil des Pylorueab-
Schnitts ausfüllte. Veränderungen im Oesophagus mussten auf alle
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
293
Figur 1.
Kolossale Papillomatose des Magens. (Natürl. Grösse.)
Fälle als leichte oder raässige bezeichnet werden; nur bei einer
Ratte wurde hier bedeutende Papillomatose gefunden.
Bei mikroskopischer Untersuchung fand sich, dass
die Verdickung der Schleimhaut des Fundusteils ihren Grund nur
in Proliferation des Oberflächenepithels, namentlich des Stratum
corneum hatte. In den meisten Fällen fanden sich gleichzeitig
entzündliche Veränderungen, die in einer Anhäufung teils von
eosinophilen Leukocyten in der Tunica propria der Schleimhaut,
teils von Plasmazellen, eosinophilen wie spärlichen neutrophilen
Leukocyten und Lymphocyten in der Submucosa bestanden, die
in einigen Fällen zugleich auch ödematös war.
Solche Veränderungen waren oft ausschliesslich auf Stellen
lokalisiert, wo das Epithel Nematoden enthielt, die in diesen
Fällen häufig nur in sehr geringer Anzahl nachgewiesen werden
konnten.
In Fällen mit ausgesprochenen Veränderungen wurden
teils dieselben Erscheinungen, nur stärker entwickelt, teils Ent¬
zündungsprozesse von mehr chronischer Art nacbgewiesen.
Das Epithel war ungeheuer verdickt, es war eine sehr starke
Proliferation vorhanden, nicht nur der Hornschicht, sondern auch
der tieferen Schichten, namentlich des Stratum spinosum. Die
oberste desquamierende Hornschicht war häufig ödematös und ent¬
hielt nicht selten polymorphkernige Leukocyten wie kleine Abscesse,
zwischen nekrotische Hornlamellen gelagert. Die Epithelzapfen
wuchsen in die Tiefe und drängten die Muscularis mucosae vor
sich her.
Nicht selten war diese Haut so durchbrochen, dass sich
Epithelinseln unterhalb der Muskelfasern gelagert fanden, mit dem
Oberflächenepithel durch einen Epithelstrang verbunden.
In vereinzelten Fällen wurden starke Epithelproliferation und
heterotopes Tiefenwachstum als einzige krankhafte Erscheinungen
gefunden. Entzündliche Veränderungen wurden dabei nicht beob¬
achtet. In anderen Fällen traten die Entzündungserscheinungen
nur wenig hervor.
In einem einzigen Magen glich die Ausbreitung des Epithels
in der Submucosa ganz dem infiltrativen Wachstum einer be¬
ginnenden malignen Neubildung, aber in den übrigen Fällen
bildete das heterotop wachsende Epithel geschlossene und von dem
Bindegewebe abgegrenzte Massen. (Figur 2.)
Der Uebergang zwischen den Fällen dieser Gruppe und der
letzten wird von Fällen vertreten, in denen sich durch starke
Proliferation des Epithels und des Bindegewebes der Submucosa
kleinere Papillome entwickeln.
Der Grundstock in diesen besteht hauptsächlich aus dem
Bindegewebe, dessen fixe Elemente in lebhafter Neubildung be¬
griffen und oft mit eosinophilen Leukocyten und Plasmazellen in¬
filtriert sind. In der Regel enthält der Grundstock zugleich
mehr oder weniger Muskelfasern der Muscularis mucosae.
Bei weiterer Entwicklung dieser verschiedenen Prozesse treten
die gewaltigsten Veränderungen auf, teils enorme Papillom¬
bildungen (bis zu 1^2 cm Höhe), teils Bildung sehr grosser
Epithelkrypten. Diese entstehen dadurch, dass das heterotop
gelagerte Epithel unter weiterer starker Proliferation, nament¬
lich der Zellen der Hornschicht, die Fasern der Muscularis
musco8ae zersprengt, das Bindegewebe der Submucosa zusammen¬
drückt und es nach den Seiten schiebt, bis die wachsenden
Epithelmassen an Steilen gelangen, wo das Bindegewebe selbst
Figur 2.
Heterotopes Tiefenwachstura des Epithels, die Muse, mucos. durchbrechend.
Im Stratum corneum zahlreicbe^Nematoden. (Starke Vergr.)
in starkemjWachstum begriffen ist. Hier werden den Epithel¬
massen laterale Grenzen gesetzt, sie werden von dem ringsherum¬
liegenden proliferierenden Bindegewebe eingeschlossen. Schreitet
die Proliferation fort, so leiden die tiefsten Bindegewebsbündel
in der Submucosa gleich wie die Fasern der Muscularis. Diese
Elemente werden atrophisch, können vollständig schwinden, und
die Magenwand besteht dann aus cystischen divertikelähnlichen
Epithelkrypten, die nach innen zu mit dem Lumen des Magens
kommunizieren, nach aussen nur durch Serosa begrenzt werden
und sich auf der Aussenseite des Magens als gelblichweisse
Knoten oder Erhöhungen abheben. In Schnittpräparaten sieht
man die Krypten oft als abgeschlossene Cysten (bis zu 5 mm
Durchmesser) mit concentrischen Lagen verhornter flacher, kern¬
loser Zellen angefüllt und mit einer Wandbekleidung von Zellen,
die zu den tiefen Schichten des Oberflächenepithels gehören.
Bei den erwähnten drei Ratten, deren Ventrikel nur eine
vereinzelte knollenförmige Geschwulstbildung enthielt, fanden sich
entsprechende histologische Abweichungen, die dadurch verursacht
waren, dass die Neubildung des Bindegewebes in diesen Fällen
ganz dominierte, während die Epithelproliferation und das hetero-
tope Tiefenwachstum weit weniger hervortrat. Das Bindegewebe
des Grundstocks war fibrös, an einzelnen Stellen auch hyalin ver¬
ändert. Die Struktur erinnerte an ein paar Stellen an Sarkom,
doch Hessen sich keine sicheren sarkomatösen Veränderungen
nachweisen.
Diese Fälle wichen also in Wirklichkeit nur in geringerem
Maasse von den übrigen der obengeschilderten Typen ab. Rechnet
man diese drei Fälle mit, so sind es bisher im ganzen zwölf.
Auch die Ventrikel der Ratten aus Dorpat zeigten dieselbe
Struktur.
Alles in allem können dieseVeränderungen zusammen¬
gefasst werden als gewaltige Papillomenbildungen mit
akuter und chronischer Entzündung sowie Epithel-
heterotopie.
Absolut gutartig kann der Prozess jedoch nicht genannt
werden, insofern als durch die heterotope Epithelproliferation eine
bedeutende Destruktion der Magenwand bedingt ist. Von echtem,
infiltrativ carcinomatösem Epithel wachstum war jedoch
keine Rede, und Metastasen wurden nicht gefunden, trotz
systematischer Untersuchung aller Lymphdrüsen und
aller Organe.
Anders war dahingegen das Verhältnis in vier
weiteren Fällen.
Es handelte sich in diesen allen um ursprüglich gesunde, bunte
Laboratoriumratten, die im Institut mit Schaben (Periplaneta
americana) aus der Zuckerraffinerie gefüttert waren (Tabelle 3).
Bei diesen vier Ratten, bei denen das makro¬
skopische Aussehen des Magens nicht von dem der
2
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Gck igle
Original frnm
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Beginnende Carcinomentwicklung. Links zwei quergeschnittene Nematoden.
(Starke Vergr.)
£Eigur 5.
1. 30. VIII. bis 20. IX. 30. XL. 1911 bis 4. II. 1. VI. 1912 (275
1911 mit 25 bis 1912 mit 34 Schaben Tage nach Anfang
26 Schaben d. erst. Fütterung)
2. 21. IX. bis 30. IX. 30. XL 1911 bis 4. II. 28. V. 1912 (250
1911 mit 42 bis 1912 mit 40 Schaben Tage nach Anfang
44 Schaben d. erst. Fütterung)
3. wie obenstehend wie obenstehend 30. V. 1912 (252
Tage nach Anfang
d. erst. Fütterung)
4. wie obenstehend wie obenstehend 22. IV. 1912 (214
Tage nach Anfang
d. erst. Fütterung)
wie obenstehend
wie obenstehend
wie obenstehend
übrigen in dieser Gruppe abwich (s. Figur 3), fand
sich auf begrenzten Partien ein infiltratives Wachs¬
tum des heterotop gelagerten Epithels von ganz
demselben Typus, wie es beim gewöhnlichen
Plattenepithelcarcinom beobachtet wird.
Figur 3.
Digitized fr,
Gougle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Magen mit Papilloraatose'und metastasierendem Carcinom, durch Fütterung
mit nematodenhaltigen Schaben hervorgerufen. (Ratte 3.) (Natürl. Grösse.)
Bei Ratte 1 waren diese Erscheinungen jedoch nur in ver¬
einzelten Stellen eines Papilloms vorhanden, bei den übrigen war
der Prozess von grösserer Ausdehnung und nicht allein an
Papillome gebunden. (Figur 4.)
In der Schleimhaut und der Submucosa fanden sich hier, von
dem hyperplastischen Oberflächenepithel ausgehend, Inseln und
Züge von Plattenepithelzellen sowie isolierte Epithelzellen, unge¬
ordnet verbreitet und innig vermischt mit feinen Fibrillen des
Bindegewebes, das in allen Fällen mehr oder weniger verändert
und der Sitz von ausgesprochenen Entzüodungserscheinungen
war (Anhäufung von Leukocyten, Plasmazellen, jungen Binde¬
gewebszellen, epitheloiden Zellen und einzelnen Riesenzellen).
Die Epithelzellen waren in grosser Ausdehnung verhornt. An
zahlreichen Stellen fanden sich typische Zwiebelschalenbildungen
zwischen den Zellenhaufen, die im übrigen annähernd von dem¬
selben Typus wie im Stratum spinosum und germinativum waren.
Von Muscularis mucosae ward keine Spur gefunden, von den
Elementen der Submucosa nur Reste. Das carcinomatöse Tiefen¬
wachstum nahm die Submucosa in ihrer ganzen Ausdehnung ein,
während Muscularis und Serosa keine Epithelzellen enthielten
und annähernd normal waren. (Figur 5, 6 und 7.)
Bei sehr sorgfältiger mikroskopischer Untersuchung von sämt¬
lichen Lymphdrüsen und Organen fanden sich keine Metastasen
bei Ratte 1. Bei Ratte 2 fanden sich Veränderungen, die
wahrscheinlich Metastasen waren, bei den Ratten 3
und 4 wurden dahingegen Metastasen mit Sicherheit
nachgewiesen.
Carcinom in der Schleimhaut und Submucosa des Magens der Ratte Nr. 3.
Bei Ratte 2 enthielt die Harnblase eine blumenkohlförmige,
papillomatöse Geschwulst, die von der Schleimhaut im Vertex
und den angrenzenden Partien ausging. Die Geschwulst war im
ganzen etwa von der Grösse einer Erbse, sie ragte ungefähr 5 mm
in die Höhlung der Blase hinein und verringerte diese fast um die
Hälfte ihrer ursprünglichen Grösse. (Figur 8 und 9.)
Bei sagittalem Schnitt durch die Blase zeigte sich die Geschwulst
aus einem unregelmässig verzweigten Bindegewebsgrundstock auf¬
gebaut, aus dem Bindegewebe der Schleimhaut und der Submucosa
hervorgegangen und bekleidet mit einem verhornten Plattenepilhel von
demselben Bau wie das Epithel in den Papillomen des Ventrikels. An
mehreren Stellen fand sich Zwiebelschalenbildung.
Die Blasenschleimhaut war in beträchtlicher Ausdehnung vollkommen
normal und mit dem gewöhnlichen Uebergangsepithel bekleidet, au
anderen Stellen fanden sich Anhäufungen von Lymphocyten in der
Schleimhaut und kleine polypöse Eicrescenzen. Die Geschwulst zeigte
kein infiltratives Wachstum, in dem Grundstock fanden sich aus¬
gesprochene Entzündungserscheinungen (Lymphocyten und Plasmazellen
in beträchtlicher Menge), doch nirgends heterotopes Epithel. Auch die
Muscularis enthielt solches nicht. Entzündung fand sich ebenfalls in
dem obersten Teil der Uretra.
17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
295
Figur 6.
Die Geschwulst in der Harnblase machte ganz den Eindruck,
als sei sie von derselben Natur wie das Carcinom des Magens
wenn man davon absah, dass kein infiltratives Wachstum nach¬
gewiesen werden konnte.
Es schien an und für sich natürlich, diese Geschwulst als
eine Metastase aufzufassen, es konnte sich aber auch um eine
entzündliche Metaplasie des Blasenepithels handeln. Dagegen
sprach jedoch, dass die Blasenschleimhaut, wie besprochen, in
grosser Ausdehnung ganz normal war. Trichosoma (Löwen-
stein) fand sich nicht vor.
Dasselbe Präparat. (Starke Vergr.)
Figur 7.
Carcinom in der Schleimhaut und Submucosa des Magens dei Ratte Nr. 4.
Papillomatose (wahrscheinlich metastatisches Epitheliom) der Harnblase
bei Ratte Nr. 2. (Zweimal. Vergr.)
Von Interesse war ferner, dass in beiden Vesiculae semi-
nales Veränderungen ähnlicher Art nachzuweisen waren wie in der
Harnblase. Das normale Epithel war an zahlreichen Stellen von
einem verhornten Plattenepithel verdrängt. An einer einzelnen
Stelle waren typische Hornperlen vorhanden.
Keinem Zweifel aber unterliegt es, dass bei den Ratten 3
und 4 Metastasen gefunden wurden. Bei Ratte 4 fand sich bei
der mikroskopischen Untersuchung in der linken Lunge ein ovaler
Knoten, der in der grössesten Ausdehnung etwa 0,8 mm maass
und aufgebaut war aus konzentrischen Schichten verhornter Zellen,
die von Plattenepithel umgeben waren, dessen Bau genau dem
der Zellen im Stratum spinosum und germinativum entsprach.
(Figur 10.)
Bei Ratte 3 enthielt eine l 1 / 2 cm lange, 8 mm breite und
v 2 cm dicke retroperitoneale Lymphdrüse, die in der Nähe der
Milz beim Ansatz des Omentums gelegen war, zwei ungefähr
kugelförmige, weisse, feste Knoten, von l 1 /* bis l 1 ^ mm Durch¬
messer. (Figur 11 und 12.)
Diese Knoten, die schon bei der Sektion nacbgewiesen wurden,
ergaben bei der mikroskopischen Untersuchung, dass sie auf ganz
dieselbe Weise aus centralen, konzentrischen Hornscbichten auf-
I „ gebaut waren, die, von typischem Platteuepithel um¬
geben, den tieferen Schichten des Ventrikelepithels ent¬
sprachen.
Bei keinem dieser Tiere wurden anderswo Metastasen
nachgewiesen.
In diesen vier Fällen fand sich also wirk¬
lich ein Carcinom, das in einem Fall wahrschein-
lich, in zwei Fällen sicher metastasierend war.
Von besonderem Interesse ist es, dass die übrigen
Veränderungen in diesen Fällen, wenn auch sehr be¬
deutend, so doch keineswegs so gewaltig, wie in mehreren
anderen Fällen waren, in einem Falle sogar schwächer
als in den anderen Magen dieser Gruppe.
Auch enthielten diese vier Ventrikel nicht mehr
Parasiten als die übrigen, wie auch die Parasiten nicht
an anderen Stellen gelagert waren als in den übrigen
Magen.
Von ganz besonderem Interesse ist es, dass keine
Nematoden in den Metastasen gefunden wurden.
Von der Harnblase von Ratte 2 wurde eine ununter¬
brochene Serie von ca. 800 Schnitten (ä 10 //) an¬
gefertigt. Die Serie umfasste das Organ in toto, kein
Schnitt ging verloren. Von der Lungenraetastase von
Ratte 4 wurde ebenfalls eine Schnittserie untersucht,
die jedoch nicht komplett werden konnte, und endlich
wurde die retroperitoneale, geschwulsthaltige Lymph¬
drüse von Ratte 3 sowie eine Nachbardrüse in Serien¬
schnitt vollständig zerlegt.
Die Serie zählte 967 Schnitte (ä 10 //). Ein Schnitt
ging verloren. Es fanden sich weder bei den zuerst erwähnten
Untersuchungen noch bei der Untersuchung der Lymphdrüse
Parasitenteile oder Eier in einem einzigen Schnitt.
Hiermit ist festgestellt, dass Metastasen in des
Wortes strengster Bedeutung Vorlagen.
In der Magenschleimhaut kommen die Spiropteren in sehr
wechselnder Anzahl vor, in acht Ventrikeln fand sich nur eine
einzige, in zahlreichen nur einige wenige, in einem Teil 15—20,
in anderen so viele, dass sich die Zahl nicht bestimmen liess.
Uebersieht man aber die gesamte Reihe der Ratten, die mit
Schaben gefüttert sind, so zeigt es sich, dass als allgemeine
Regel ein einfaches proportionales Verhältnis zwischen der Anzahl
von Würmern, der Zeit, die diese im Magen schmarotzt haben,
und dem Grad der anatomischen Veränderungen besteht. Dies
geht aus folgender Tabelle 4 hervor, in der eine Reihe von mit
Schaben gefütterten bunten Ratten zusammengestellt ist, die zu¬
fällig spontan ungefähr zu denselben Zeitpunkten nach der Fütte¬
rung gestorben sind.
Auch eine Zusammenstellung der ganzen Versuchsreihe er¬
gibt dasselbe Resultat, doch müssen drei Fälle ausgenommen
Figur 8.
2 *
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Original fro-m
UNIVERSUM OF IOWA
296
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Figur 9.
Dasselbe Präparat. (Mikrosk. Schnitt.)
Tabelle 4.
Anzahl von
Parasiten
Zeitraum zwisrh.
dem Anfang der
ersten u. letzten
Fütterung u. dem
Eintreten d.Todes
Veränderungen
im Magen Speiseröhre
Bunte
Hatte
1
42*)
0
0
do.
2
75-54
schwache
0
do.
1
78-57
0
0
do.
einzelne
80-59
0
0
do.
einzelne
80-59
schwache, lokale
0
do.
1
82-61
0
0
do.
ein Teil
82-61
aus-
mässige
do.
zahlreiche
82-61
gesprochene
sehr
massige
do.
3
83-62
bedeutende
schwache
0
do.
einzelne
84- 82
0
0
do.
zahlreiche
84-80
sehr
?
k do.
1
100*)
bedeutende
0
0
do.
3
266-108
leichte
0
do.
5-6
294-136
leichte
0
do.
6
304—146
leichte
0
do.
4
307-147
0
0
do.
zahlreiche
276—116
Geschwulst
0
do.
1
277-50
schwache, lokale
0
*) Nur einmal gefüttert.
Figur 10.
Carcinommetastase in der Lunge der Ratte Nr. 4. (Starke Vergr.)
Figur 11.
werden, in denen der Ventrikel trotz ausgesprochener Verände¬
rungen nur einige wenige Parasiten enthielt, und ausserdem ein
Fall, in dem eine Anzahl Parasiten nur schwache Veränderungen
hervorgebracht hatten.
In den sieben Fällen, in denen die stärksten Papillomatosen
auftraten, waren diese entwickelt 344—214 Tage und 118 bis
77 Tage nach dem Beginn bzw. der ersten und letzten Fütterung.
Auffallend ist, dass in einigen von diesen Fällen der Magen,
nach den Schnittpräparaten zu urteilen, offenbar nur eine relativ
geringe Zahl Würmer (ca. 20—25) enthielt. In einem der
Ventrikel der ursprünglich untersuchten Ratten aus Dorpat ge¬
lang es überhaupt nicht, in grossen Partien der Schleimhaut
Würmer nachzuweisen, und bei einer anderen von diesen Ratten
fanden sich in ca. l / 3 der ganzen Schleimhaut im ganzen nur
drei männliche Parasiten. Auch der Nachweis von Parasiten in
Schnittpräparaten dieser 3 Ventrikel hatte ursprünglich Schwierig¬
keiten bereitet.
Dies braucht jedoch keine wirkliche Abweichung von dem
einfachen Verhältnis zu bedeuten, das im allgemeinen zwischen
der Menge von Parasiten und dem Entwicklungsgrad der
Papillomatosen zu bestehen scheint. Man könnte die Erklärung
natürlich in einer besonderen Empfänglichkeit dieser Ratten für
die Wirkungen des Parasiten suchen, die Abweichung könnte aber
auch ganz einfach eine Folge davon sein, dass die Magen bei der
Untersuchung nach dem Tode des Tieres weniger Nematoden ent¬
hielten als in einem früheren Stadium der Geschwulstentwicklung.
Falls diese Annahme richtig ist, muss man freilich voraussetzen,
dass eine beginnende oder entwickelte Papilloraatose sich fortsetzt
und nicht etwa abnimmt oder aufhört, weil ein Teil der Parasiten
den Magen verlassen hat; wenn man aber bedenkt, dass die Epithel-
zellen desVentrikels, wie oben nachgewiesen, ohne Hilfe des Para¬
siten in fremden Organen proliferieren und Metastasen bilden
können, so ist es wenig wahrscheinlich, dass die
Zellen nicht auch im Magen selbst die Fähigkeit
erlangen sollten, selbständig weiter zu wachsen,
und dass sie, nachdem sie zu einem gewissen
Zeitpunkt den nötigen Impuls empfangen haben,
nicht imstande sein sollten, ihre abnorme Prolife¬
ration auch unabhängig davon fortzusetzen,ob ein
Teil der Parasiten den Magen verlässt oder nicht.
Der Beweis für die Richtigkeit dieser An¬
nahme muss natürlich geführt werden, indem
man feststellt, dass die anatomischen Verände¬
rungen nicht gehemmt werden oder gar völlig
aufhören, sobald die Parasiten vertrieben werden.
Es ist mir jedoch vorläufig nicht möglich gewesen,
ein Antbelminthicum zu finden, das die Parasiten
beeinflusst, ohne gleichzeitig die Ratten zu töten.
Es muss infolge der hier und in dem
Vorgehenden mitgeteilten Untersuchungen als
nachgewiesen betrachtet werden, dass die Entwicklung der ge¬
schilderten Ventrikelaffektion abhängig ist von der gefundenen
Spiroptera. Eine genauere Erklärung dieses Vorganges kann jedoch
vorläufig nicht gegeben werden.
Retroperitoneale Lymphdrüse mit metastatischem Carcinom der Ratte Nr. 3.
(Schwache Vergr.)
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
297
Figur 12.
Dasselbe Präparat. (Stärkere Vergr.)
Wenn man bedenkt, eine wie grosse Bedeutung man in der
neueren Zeit der Produktion von toxischen Stoffen durch die
Helminthen beimisst, so liegt es nahe, auch für die Wirkung der
hier beschriebenen Spiroptera die Erklärung in einer Gift¬
produktion zu suchen.
Hierfür spricht das einfache Verhältnis, das, wie oben ge¬
zeigt, zwischen der Anzahl von Parasiten, ihrem Aufenthalt im
Ventrikel und der Entwicklung der anatomischen Veränderungen
in der Regel nacbgewiesen werden kann.
Auch die lokale Eosinophilie, die sich konstant in der
Schleimhaut nachweisen lässt, kann in Analogie mit Eosinophilie
beim Schmarotzen anderer Helminthen durch eine Giftproduktion
erklärt werden.
Einer Bakterieninfektion grössere Bedeutung beizulegen,
scheint aus verschiedenen Gründen kaum berechtigt. Es ist nicht
wahrscheinlich, dass eine Proportionalität wie die nachgewiesene
vorhanden sein würde, falls eine bakterielle Infektion den Ver¬
änderungen zugrunde läge. Nur eine einzelne oder ganz wenige
Nematoden dürften genügen, um auf Grund ihrer im Verhältnis
zum Ventrikel kolossalen Grösse hinreichend gute Bedingungen
für eine Bakterieninvasion zu schaffen und da mit auch für die Ent¬
wicklung bedeutender Veränderungen; aber, wie bereits erwähnt, be¬
dingen wenige Parasiten in der Regel nur schwache Veränderungen 1 ).
Von grösserer Bedeutung als diese Betrachtungen ist jedoch
die Tatsache selbst, dass es durch mikroskopische Untersuchungen
von etwa 30 Ventrikeln mit anatomischen Veränderungen ver¬
schiedenen Grades nur in zwei Fällen möglich war, Bakterien
anderswo als in den oberflächlichsten Schichten des Epithels nach¬
zuweisen. In dem einen Fall fanden sich einzelne Bakterien im
Stratum germinativum und in der Submucosa, in dem anderen
allein in der letzteren. Diese Fälle unterschieden sich in keiner
Beziehung von den übrigen.
Ich halte es daher vorläufig für wahrscheinlich, dass die In¬
vasion von mikroskopisch nachweisbaren Bakterien in der Regel
keine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der patho¬
logischen Veränderungen spielt; es lässt sich jedoch natürlich
nicht leugnen, dass gelegentlich Infektionen Vorkommen.
Weitere Untersuchungen werden angestellt werden, um so mehr,
als die Möglichkeit, dass ultramikroskopische Mikroben vielleicht
eine Rolle spielen könnten, nicht von der Hand zu weisen ist, ob¬
wohl auch diese Möglichkeit mir nicht gerade wahrscheinlich ist.
1) Wie bereits mitgeteilt, fand sich im Magen bei einem Teil wilder
Ratten (M. decumanus) eine Nematode, die infolge des Baues der Eier
als zu dem Geschlecht der Trichosoma gehörig bestimmt werden musste.
Die Vorgefundene Art ist ungefähr von derselben Grösse, wenn auch ein
wenig kleiner als die hier besprochene Spiroptera und wurde in einzelnen
Ventrikeln in zahlreichen Exemplaren gefunden. Dessenungeachtet war
die Schleimhaut in diesen Fällen ganz normal. Auch dies scheint dafür
zu sprechen, dass die Spiroptera eine besondere Wirkung ausüben muss,
da die Fähigkeit, gute Invasionsbedingungen für Bakterien zu schaffen,
offenbar ungefähr dieselben für diese beiden Nematodenformen sein müsste.
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Erwähnt werden muss noch ein Faktor, der vielleicht in ge¬
wissen Fällen zu der Destruktion der Ventrikelwand beigetragen
haben kann, nämlich die Rattenbaare, die fast immer in den
Wänden der kranken Ventrikel vorhanden sind. Haare sind
jedoch auch unter normalen Verhältnissen ein äusserst gewöhn¬
licher Befund in dem Magen der Ratte, sind jedoch nur aus¬
nahmsweise imstande (wovon ich mich durch Fütterungsversuche
überzeugt habe), die Schleimhaut zu verletzen, falls diese normal
ist. Anders stellt sich natürlich das Verhältnis in Ventrikeln mit
bedeutender Geschwulstbildung, deren Kontraktionsfähigkeit sicher
gehemmt ist und die sich infolgedessen schwieriger von Haaren
zu befreien vermögen. In solchen Fällen werden die Haare
mehr oder weniger die Häute der Magenwand durchbohren.
Dass hierdurch Beschädigungen oder Entzündungen hervorgerufen
werden können, unterliegt keinem Zweifel. Dass diese Verände¬
rungen eine wesentliche Rolle spielen, ist jedoch nicht anzunehmen.
Das Tiefenwachstum des Epithels und seine heterotope Pro¬
liferation vollziehen sich ebenso wie seine infiltrative epithelio-
matöse Verbreitung unabhängig von den Haaren, und wenn in
grossen Epithelkrypten ganz allgemein Haare gefunden werden,
so wird dies sicher am häufigsten durch eine Retention bedingt
und darf nicht als ätiologisches Moment aufgefasst werden, das
eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der Krypten ge¬
habt hat, selbst wenn es in einzelnen Fällen zu der Destruktion
der Wände beigetragen hat.
Nach den hier mitgeteilten Untersuchungen halte ich es,
alles in allem, vorläufig für das Wahrscheinlichste, dass die Ur¬
sache der erwähnten Magenveränderungen in einer Giftproduktion
seitens der Vorgefundenen Spiroptera zu suchen ist.
Dass die Veränderungen in einzelnen Fällen Abweichungen
von dem gewöhnlichen Bilde aufweisen, könnte seinen Grund in
Variationen der Giftproduktion haben, analog den Variationen,
von denen man angenommen hat, dass sie Verschiedenheiten in
der Wirkung anderer Helminthen (wie Botriocephalen), über deren
Giftproduktion kein Zweifel herrschen kann, bedingen können.
Man muss natürlich auch annehmen, dass die Empfänglichkeit
der Ratten variieren kann.
Es liegt kein zwingender Grund vor zu der Annahme, dass
in den Fällen, wo sich Epitheliome mit infiltrativem Wachstum
und Metastasen entwickelten, andere spezielle Ursachen Vorgelegen
haben als die hypothetische Giftwirkung der Nematoden. Freilich
wurde in der Submucosa dieser Ventrikel eine besonders stark
ausgesprochene Entzündung akuten und chronischen Charakters,
sowie hyaline Degeneration vorgefunden, aber auch hier Hessen
sieb, ausser in den oberflächlichen Epithelschichten, nirgends
Bakterien nachweisen. Es ist ja möglich, dass gerade die starken
Veränderungen des Bindegewebes eine mitwirkende Rolle bei der
Entwicklung der malignen Heterotopie des Epithels gespielt
haben, es erscheint aber doch ebenso berechtigt, die bedeutenden
Umbildungen des Epithels wie des Bindegewebes als nebengeord¬
nete und untereinander unabhängige Aeusserungen einer besonders
intensiv toxischen Beeinflussung zu betrachten. Eine sichere Deutung
gestatten die vorliegenden Beobachtungen selbstverständlich nicht.
Die anatomische Untersuchung der Organe dieser Ratten er¬
gab keinen Anhaltspunkt zu der Annahme von irgendeiner Kon¬
stitutionsanomalie. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass diese
Tiere demselben Wurf angehörten oder von derselben näheren
Abstammung waren.
Die Ergebnisse der ganzen Untersuchungsreihe können
folgendermaassen zusammengefasst werden:
1. Eine endemisch auftretende, bisher unbekannte Krankheit
im Vormagen und der Speiseröhre der Ratte (Mus decumanus)
wird hervorgerufen durch eine bisher nicht beschriebeneN ematode,
die dem Genus Spiroptera angehört, und die in entwickeltem
Zustand in dem Plattenepithel der Schleimhäute der genanntenörgane
schmarotzt. Der Zwischen wirt bei der Entwicklung der Nema¬
tode ist die Schabe (Periplaneta americana, Periplaneta orientalis).
2. Die Krankheit wurde beobachtet teils als endemisch unter
wilden Ratten (Mus decumanus) in einer einzelnen, begrenzten
Lokalität auftretend, teils wurde sie bei bunten Laboratoriums¬
ratten experimentell hervorgerufen, indem man die Nematoden
mittels Fütterung mit dem Zwischenwirt auf diese Ratten übertrug.
3. Die Krankheit besteht in ihren initialen Stadien aus
Epithelhyperplasie und Entzündung, in ausgesprochenen
Fällen schliesst sich hieran PapiII ombildung, die eine kolossale
Entwicklung erlangen und fast den ganzen Ventrikel ausfüllen kann.
Die Papillomatose kann das Vorstadium zur Entwicklung
3
Original fram
UNIVERSITÄT OF IOWA
298
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
maligner Epitheliome mit infiltrativem heterotopen
Wachstum des Epithels sein, so wie es bei mindestens
vier durch Schaben infizierten Laboratoriumsratten
beobachtet wurde.
Die maligne Geschwulstbildung scheint verhältnismässig spät
nach der Einführung der Nematoden zur Entwicklung zu kommen,
und es ist daher möglich, dass maligne Geschwülste sich bei
noch mehr Versuchstieren entwickelt haben würden, wenn nicht
eine grössere Anzahl derselben schon kürzere Zeit nach der
(Jebertragung der Nematode intercurrenten Krankheiten anderer
Art erlegen wäre.
4. Bei mindestens zwei, wahrscheinlich bei drei
von den mit Schaben gefütterten Laboratoriumsratten
mit malignem Epitheliom liessen sich in anderen Or-
anen Metastasen nachweisen. Es ist somit durch diese
ntersuchungen zum ersten Male gelungen, experi¬
mentell bei gesunden Tieren metastasierendes Carcinom
hervorzurufen.
5. ln den Metastasen wurden keine Parasiten oder
Parasiteneier gefunden. Die Entwicklung der Metastasen ist
daher zurückzuführen auf eine Fähigkeit der Epithelzellen des
Magens, sich selbständig, ohne Hilfe eines Parasiten, in fremden
Organen weiterentwickeln zu können.
6. Soweit es sich nach den vorliegenden Untersuchungen
beurteilen lässt, kann man annehmen, dass sämtliche anatomische
Veränderungen durch Giftproduktion der Nematoden hervorgerufen
werden. Die Genese der malignen Neubildung lässt sich vorläufig
nicht genauer erläutern.
7. Die von Borrel und Haaland aufgestellte Hypothese,
dass Nematoden Entwicklung von malignen Geschwülsten
bei Mäusen und Ratten hervorrufen können, muss durch
diese Untersuchungen als bewiesen betrachtet werden,
ebenso wie
8. Börrel’8 Hypothese über die Bedeutung der
Nematoden für das endemische Auftreten von Geschwülsten
unter Mäusen wahrscheinlicherweise richtig ist.
Auch Beobachtungen anderer Forscher müssen nach dem
Ausfall der hier mitgeteilten Untersuchungen in einem anderen
Licht betrachtet werden. Es ist schwer anzunehmen, dass in
Fällen, wo im Geschwulstgewebe Nematoden oder andere Hel¬
minthen nachgewiesen sind, es sich nur um ein zufälliges Zu¬
sammentreffen handeln sollte. Eher muss man von der Annahme aus-
geben, dass die Parasiten wirklich pathogenetische Bedeutung haben.
Dies gilt ausser den früher erwähnten, von Borrel zu¬
sammengestellten Beobachtungen, 1 ; von Wasielewsky’s Nachweis
einerDispharagusart bei papillomatöser Geschwulstbildung im Magen
der Taube, Tsukioka’s Beobachtung von Epitbelheterotopie bei
Parasitismus von Ascariden im Ventrikel von zwei Affen, und
Löwenstein’s Mitteilung von Epithelbyperplasie und Papillo-
matose beim Schmarotzen von Trichosoma in der Harnblase von
Ratten, ferner von dem Auftreten primärer Carcinome in der
Leber bei Kühen, die an Distomatose leiden (Haaland, Bashford),
sowie von mehreren anderen Beobachtungen.
Auch die Pathologie des Menschen enthält solche Beobach¬
tungen. Diese gelten in erster Reihe den Trematoden. Die Be¬
deutung des Bilharziaparasiten muss, wie bereits früher erwähnt,
als bewiesen betrachtet werden. Es lässt sich ferner kaum be¬
zweifeln, dass Opistorchis felineus, wie von Askanazy angenommen,
pathogenetische Bedeutung für das primäre Carcinom in der
Leber hat, und dass dieselbe Bedeutung, auf Grund von Be¬
obachtungen von Katsurada, Fuzii, Yamagi wa und Watanahe,
dem Distomum spatulatum und Distomum japonicum gebührt.
Zweifelhafter erscheint es, ob man den Nematoden bei
Menschen eine pathogenetische Rolle für die Entwicklung von
Geschwülsten zuschreiben kann. Es muss jedoch daran erinnert
werden, dass bereits Klopsch im Jahre 1863 sich die Mög¬
lichkeit eines causalen Zusammenhanges zwischen Trichinen
und Carcinom vorstellte, und dass die Literatur eine Reihe von
Beobachtungen enthält (Langenbeck, Klopsch, Linstow,
Babes, Groth, Strandgaard), die darlegen, dass bei In¬
dividuen mit ausgesprochen chronischer Trichinose Carcinom in
Organen gefunden wurde, die den trichinenhaltigen Muskeln nahe¬
liegen, namentlich in der Mamma.
Alles in'allem ist es wahrscheinlich, dass auch in der Pathologie
des Menschen den Helminthen ein, wenn auch bescheidener Platz
unter den Erregern der Geschwülste zukommt. Ebenso ist es nicht
ausgeschlossen, dass auch bei Krebsendemien unter den Menschen es
sich herausstellen wird, dass das verbindende Glied zwischen den
in Gruppen auftretenden Fällen bisweilen Helminthen sein können.
Ueber das Wesen der Arthritis deformans.
Von
Prof. Alhausen-Berlin.
(Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
8. Januar 1913.)
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Arthritis de¬
formans um ein enorm verbreitetes und durch seine schweren
Folgezustände verhängnisvolles Leiden handelt, muss es wunder¬
nehmen, dass wir bisher eine überzeugende Erklärung des Zu¬
standekommens dieser markanten Krankheit nicht besitzen; und
dies um so mehr, als die Erkrankung nicht nur den Pathologen,
sondern auch den Kliniker — den inneren Mediziner in gleicher
Weise wie den Chirurgen, Orthopäden und Röntgenologen —
interessieren. Das Verlangen nach einer Klärung ist heutzutage
um so dringender, als wir — nicht zum letzten durch die Ent¬
wicklung der Röntgenlehre — das klinische Bild in allen Einzel¬
heiten auf das genaueste kennen.
Wir kennen die degenerativen Zustände am Knorpel bis zum
Knorpelverlust, die Knorpelusur, die den Gelenkfläcben beginnen¬
der Fälle das bekannte unregelmässig-höckrige Aussehen ver¬
leiht. Wir kennen die atrophischen Zustände des unterliegenden
Knochens bis zur Ausbildung grosser Hohlräume und im Gegen¬
satz dazu die Proliferationsbilder des Markes der subchondralen
Knochenschicht bis zur Ausbildung kleiner Enchondrome und
fibröser Herde im Inneren und der rasch verknöchernden Aus¬
wüchse am Rande, der Randosteophyten. Wir kennen im Gegen¬
satz zur Atrophie an den belasteten Stellen umfangreicherer
Knorpel Verluste die Sklerose des freigelegten Knochens bis zur
Bildung der makroskopisch sofort auffälligen Schleiffurchen. Wir
kennen die Abnutzung des freiliegenden Knochens unter der
ständigen Friktion bis zur makroskopischen schweren Deformie¬
rung der Gelenkenden.
Angesichts dieser in der Form reichen, aber woblumgrenzten
und durchaus gesetzmässigen Veränderungen muss die Frage
urgent erscheinen: Worin liegt die letzte Ursache der Um¬
wandlungen, oder wenigstens, was ist das auslösende
Moment und die weitere Triebkraft für alle diese Er¬
scheinungen?
Aus der klinischen und makroskopischen Betrachtung werden
wir allein die Lösung nicht erwarten können. Wenden wir uns
aber den histologischen Bildern zu, so finden wir eine über¬
raschende Reichhaltigkeit und eine scheinbare Ordnungslosigkeit
der histologischen Bilder.
Ist es möglich, eine auf dem Kausalitätsbedürfnis sich auf¬
bauende Ordnung in den bunten histologischen Bildern festzu¬
stellen, und was vor allem ist das Primäre des histo¬
logischen Zustandes?
Ich glaube in der Lage zu sein, auf Grund eingehender
histologischer und experimenteller Studien alle diese Fragen einer
befriedigenden Lösung entgegenzuführen, und ich werde mir er¬
lauben, Ihnen beweisende Präparate in Diapositiven zu demon¬
strieren.
Ich brauche wohl nicht erst zu betonen, dass selbstverständ¬
lich Vermutungen über das Wesen der Arthritis deformans schon
häufig ausgesprochen wurden — ihre Zahl ist Legion; nur von
zwei Seiten aber ist der Versuch einer wissenschaftliche Stütze
gemacht worden. Ich meine die Anschauungen, die sich in der
vasculären Theorie Wollenberg’s und der statischen Theorie
Preiser-Walkhoff’s verdichtet haben.
Ich übergehe die Theorie Wollenbergs, nach der die
regressiven und progressiven Vorgänge bei der Arthritis defor¬
mans die Folge einer Unter- bzw. Ueberernährung sind, die ihrer¬
seits sich wiederum von einer Ischämie bzw. Hyperämie der Ge*
fässe ableitet. Nach den Feststellungen, die ich in einer etwa
vorJahresfrist erschienenen Arbeit 1 ) niedergelegt habe, und nach
den bestätigenden Angaben Walkhoff’s 2 ) ist die vasculäre
1) Axhausen und Pels, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 110.
2) Walkhoff, Ewald und Preiser, Zeitschr. f. orthopäd. Chir.,
Bd. 28.
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
299
Theorie vom pathologisch*anatomischen Standpunkt aus nicht
mehr als haltbar anzusehen.
Auch die statische Theorie Preiser-Walkboff’s, nach der
alle Erscheinungen bei der Arthritis deformans einem statischen
Missverhältnis, das der Körper auszugleichen bestrebt sei, ihre
Entstehung verdanken, auch dieser Theorie stehen gewichtige
Bedenken entgegen. Erstlich haben wir, was Wollenberg bereits
betonte, in manchen Fällen — so z. B. bei difform geheilten
Oberschenkelschaftfrakturen — trotz schwer gestörter Statik
keine Arthritis deformans der anstossenden Gelenke, und in
anderen Fällen haben wir ausgesprochene Arthritis deformans
ohne statisches Missverhältnis — so z. B. bei unkomplizierten
und frisch reponierten Schulterluxationen und nach milden Gelenk¬
entzündungen.
Vor allem aber bedenklich muss die Stellung erscheinen, die
Preiser in seiner Lehre zu gewissen regelmässigen histologischen
Befunden bei der Arthritis deformans einnimmt, nämlich zu den
Knorpelnekrosen. Ihre Entstehung leitet er ebenfalls von der
Statik ab; nach ihm sollen.solche Knorpelteile, die sich normaler¬
weise berühren, durch die fehlerhafte Stellung des Gelenkes aber
ausser Kontakt kommen, demzufolge der Nekrose verfallen. Irgend¬
einen Einfluss auf das Gelenk leitet Preiser aus der Existenz der
Knorpelnekrosen nicht ab; sie sind ihm, wie allen übrigen Unter¬
suchern, Nebenbefunde.
Es ist aber nach allgemein-pathologischen Vorstellungen
kaum angängig, aus einem statischen Missverhältnis in einem
sonst unveränderten Gelenk einen umfangreichen Gewebs-
tod abzuleiten. Die Anschauung, dass grössere Gewebs-
abschnitte, weil sie nicht mehr untereinander in Berührung
stehen, dem Tode verfallen, findet in unseren sonstigen allgemein¬
pathologischen Gesetzen kein Analogon. Und welch fundamentale
Bedeutung allein die Existenz von Knorpelnekrosen für die ana¬
tomische und histologische Gestaltung eines Gelenkes hat, das
werden Sie alsbald aus meiner Demonstration entnehmen.
Nach meinen Untersuchungen muss ich gerade in den
Knorpelnekrosen den Angelpunkt der gesamten ana¬
tomischen und histologischen Veränderungen, das
Primäre des gesamten histologischen Vorganges er¬
blicken, der selber in allen Einzelheiten nur die natürliche
und gesetzmässige Konsequenz jener primären Knorpel¬
nekrosen, d. h. die Reaktion des umgebenden lebenden
Gewebes auf die Existenz der Knorpelnekrosen dar¬
stellt.
Auch ich muss der Statik eine Bedeutung zuerkennen,
nicht aber als auslösendes, sondern nur als formgebendes
Moment. Das auslösende Moment ist die Existenz nekrotischer
Knorpelabscbnitte. Oder mit anderen Worten: Die Existenz von
nekrotischen Knorpelabschnitten in einem Gelenk führt gesetz-
mässigerweise zu reaktiven Erscheinungen in der Umgebung, die
anatomisch und histologisch das Bild der Arthritis deformans
ausmachen; die Statik beeinflusst nur die äussere Form der
weiteren Umwandlungen. Und der zweite wichtige Punkt: Auch
die Ursache für die Entstehung der Knorpelnekrosen werden
wir in anderen als statischen Momenten finden!
Ich bin zu diesen Tatsachen auf einem indirekten Wege ge¬
kommen.
Im Anschluss an die systematischen experimentellen Studien,
die mich vor einigen Jahren zur Aufstellung der heute allgemein
anerkannten feineren Gesetze der freien Osteoplastik führten, bin
ich einem Vorgänge der Knocbenpathologie nachgegangen, dessen
Bedeutung noch nirgends hinreichende Würdigung gefunden bat.
Es ist dies die einfache Knochennekrose.
Sehr zu Unrecht finden wir den Begriff der Knochennekrose
immer wieder identifiziert mit Knocbeninfektion und Sequester¬
bildung. Knochennekrose und Sequester sind zwei verschiedene
Begriffe! Nirgends finden wir die Tatsache genügend betont, dass
es auch eine einfache Knochennekrose gibt, ohne Infektion und
ohne Sequestrierung. Nun, sie existiert nicht nur, sondern
sie ist sogar häufig und spielt für die Pathologie des Knochens
eine ausserordentlich wichtige Rolle. Ich werde hierauf in einem
Vortrage anderen Ortes näher einzugehen haben. Uns interessieren
hier nur die gesetzmä9sigen Folgeerscheinungen der Knochen¬
nekrose.
Gleich welcher Genese — ob bei der Knochentrans-
plantation, ob bei Fraktur, ob bei Knochentumor oder bei
Knochensypbilis —: Wo eine Knochennekrose vorhanden ist,
bildet sie einen mächtigen Anreiz auf das umgebende ossi¬
fikationsfähige Gewebe zu intensiver Wucherung und Knocben-
nenbildung, wobei dann das neugebildete Knocbengewebe sich
nicht jiur als Mantel dem toten in organischer Verbindung auf¬
lagert, sondern ihn auch allseitig durchdringend ersetzt.
Nach der Aufdeckung dieser mächtigen Wirkung der ein¬
fachen Knochennekrose innerhalb des lebenden Organismus musste
mit Rücksicht auf die Befunde von nekrotischen Knorpelpartien
bei der Arthritis deformans notwendigerweise die Frage auf¬
tauchen, was denn die Wirkung der Knorpelnekrose auf
die umgebenden lebenden Gelenkanteile sei, und ob nicht
den bisher als Nebenbefunden registrierten Knorpelnekrosen bei
der Arthritis deformans eine bedeutungsvolle Rolle im Ablauf der
histologischen Vorgänge zokäme.
Zur Prüfung der Wirkung der Knorpelnekrose auf das um¬
gebende Gewebo benutzte ich drei Wege.
Der erste ist durch die von Wollenberg eingeschlagene
Technik der Patellarumnähung gegeben. Hierbei wird die
Patella von Versuchstieren nach Ablösung der deckenden Haut
ringsum von einer kontinuierlichen Reihe von durchgreifenden
Seidenknopfnäbten umgeben. Gelingt die Umnähung, werden alle zur
Patella herantretenden Gefässe ausgeschaltet, so muss die Patella
ausser Girculation gesetzt werden. Sie werden aber sehen, dass
der Patellarknorpel nur teilweise der Nekrose verfällt. Die
Gewebe der Umgebung uod die Synovia erhalten Teile des
Knorpels am Leben, und so können wir den Einfluss der nekrotischen
Anteile auf die lebengebliebenen gut studieren.
Der gleichmässige Befund ist nun der, dass die leben¬
gebliebenen Knorpelzellen in zunehmender Intensität, zuletzt in
exorbitantem Grade zu wuchern beginnen und gegen den toten
Knorpelanteil substituierend Vordringen.
Genau die entsprechenden Befunde erhalten wir bei der
zweiten Versuchsanordnung, bei der homoplastischen Ver¬
pflanzung ganzer Gelenkenden.
Ueberpflanzt man ein Gelenkende oder eine Patella des einen
Tieres auf ein anderes gleicher Spezies irgendwo in die Weich¬
teile, so geht das Knochengewebe vollkommen zugrunde, während
das Knorpelgewebe sich in den oberflächlichen Partien am Leben
erhält. Nur die tiefer gelegenen Teile verfallen der Nekrose.
Auch hier ist also die Prüfung der Einwirkung der- Nekrose auf
die lebengebliebenen Zellen möglich.
Auch hier sehen Sie, wie Sie meiner Demonstration ent¬
nehmen werden, eine zunehmende, zuletzt manchmal abundante
Proliferation der am Leben gebliebenen Knorpelzellen. Und was
schon nach den Umnähungsversuchen wahrscheinlich war, wird
hier zur Gewissheit: der tote Knorpelanteil wird durch die Ein¬
wanderung der wuchernden Zellen ersetzt oder, wenn man will,
reorganisiert. Es handelt sich also um eine celluläre Sub¬
stitution des toten Knorpels vom lebengebliebenen her
unter Persistenz der Grundsubstanz. Auf die feineren
Vorgänge gehe ich nicht ein; ich habe über sie an anderem Orte
berichtet 1 ).
Gleichwohl aber gestatten diese Befunde noch keinen unein¬
geschränkten Rückschluss auf die Verhältnisse bei der Arthritis
deformans. Denn in diesen Versuchen stand als einziges aktions¬
fähiges Material, an dem sich die reaktiven Einwirkungen des
nekrotischen Knorpels äussern konnten, eben die lebengebliebenen
Knorpelzellen zur Verfügung, da der unterliegende Knochen und
vor allen Dingen das Markgewebe der subchondralen, d. h. an
den Knorpel angrenzenden Knochenspongiosa in den Versuchen
selbst nekrotisch war. Um eine experimentelle Analogie zu den
Knorpelnekrosen zu erzeugen, die bei der Arthritis deformans ge¬
funden werden, musste also die Wirkung der einfachen Knorpel¬
nekrose an einem sonst intakten Gelenkende, d. h. bei lebendem
unterliegenden Knochen und lebendem subchondralen Markgewebe
studiert werden.
Dies ist in einer umfangreichen Versuchsreihe geschehen, in
der ich an dem normalen Kniegelenk von Hunden mit Hilfe des
elektrolytischen Verfahrens umschriebene Knorpelnekrosen von
Linsen- bis Kleinbohnengrösse erzeugte und dann die Befunde
nach kürzerer, nach langer und nach sehr langer Zeit nachprüfte.
Hierbei habe ich eine bis ins kleinste Detail gehende
Uebereinstimmung der erzielten histologischen Bilder
mit denen der Arthritis deformans feststellen können.
Auch hier finden wir, wie Sie sehen werden, die Wucherung
der lebengebliebenen Knorpelzellen in der Umgebung des Toten.
Weitaus im Vordergründe aber stehen die Veränderungen in dem
an den Knorpel angrenzenden Markgewebe, dem Markgewebe der
1) Axhausen, Langenbeck’s Archiv, 1912, Bd. 99, S. 1.
3*
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Nr. 7.
subchoDdralen Knochenspongiosa. Hier geht das Markgewebe
alsbald in starkfaseriges Bindegewebe über, und von diesem sich
ausdehnenden subcbondralen Bindegewebe gehen, genau wie bei
der Arthritis deformans, die weiteren Veränderungen aus. Wir
sehen unter der Wirkung dieses subchondralen Bindegewebes
Resorptions- und Dissektionsvorgänge des deckenden nekrotischen
Knorpels; wir sehen die Entstehung der Knorpelusur mit der
periostähnlichen Decke und an anderen Stellen grösserer mecha¬
nischer Inanspruchnahme die Sklerose des freiliegenden Knochens
bis zur Ausbildung richtiger „Scbleiffurcben“ zuweilen mit Knorpel¬
einsprengungen, genau wie bei der Arthritis deformans. Weiter
sehen wir die Metaplasie des wuchernden subchondralen Binde¬
gewebes im Knorpel- und Knochengewebe bis zur Bildung der
von der Arthritis deformans her bekannten Rnchondrome in der
Tiefe. Weiter sehen wir den Zerfall und die Verflüssigung dieses
metaplastischen Knorpels bis zur Bildung grosser cystischer
Räume. Wir sehen schliesslich auch durch eine Fernwirkung
Zottenbildung der Synovialis und die Bildung ausgesprochener
Randosteophyten. Kurz, wir sehen eben den ganzen Ablauf des
histologischen Bildes der Arthritis deformans in allen Einzel¬
heiten. Alles dies werde ich Ihnen sogleich demonstrieren.
Es bliebe noch eine vierte Versuchsmöglichkeit, nämlich
die Schaffung oberflächlicher Knorpelnekrosen durch Injektion
ätzende? Flüssigkeiten in das Gelenk. Auch hier würde sich die
Reaktion der tiefer gelegenen Teile auf den durch Aetzung
nekrotischen Knorpel gut studieren lassen. Diesbezügliche Ver¬
suche sind im Gange, aber noch nicht beendigt. Doch finden wir
in der älteren Literatur eine in dieser Hinsicht interessante An¬
gabe. Bei den zahlreichen Versuchen, die Riedel in den
achtziger Jahren zur Feststellung des Schicksals von Blut, Fremd¬
körpern und dergl. in Gelenken anstellte, machte er eine be¬
merkenswerte Beobachtung. Er sagt folgendes: „Ganz ab¬
weichende Resultate gab die Anwendung von Liquor ammon.
caust, auf das Gelenk. Das Tier, dessen Gelenke nach je 0,2 ccm
alsbald stark geschwollen waren, behielt permanent die Schwel¬
lung, und es ergab sich bei der erst 1 / 2 Jahr später vorgenommenen
Obduktion, dass die Gelenke schwer gelitten hatten und in einen
der Arthritis deformans ähnlichen Zustand übergeführt waren.
Knochen und Knorpel vielfach geschwunden, letzterer aufgefasert,
ebenso die Bandscheiben, leichte Randwucherungen zur Seite der
Fossa patellaris usw.“ Ich zweifle nicht, dass unsere Versuche
das gleiche Resultat haben werden.
Kehren wir zu meinen eigenen Versuchen zurück, so finden
wir als wichtige Tatsache, dass eine Knorpelnekrose im sonst
intakten Gelenk in der Umgebung als Reaktionswirkung die
wohlbekannten histologischen Bilder der Arthritis deformans
hervorruft.
Ich füge hinzu, dass es mir in einer weiteren Versuchsreihe
gelungen ist, durch Herstellung mehrerer, über das Gelenk ver¬
streuter Knorpelnekrosen nach einem Jahre das ausgesprochene
klinische, röntgenologische und anatomische Bild der
menschlichen Arthritis deformans genu zu erzeugen, bis auf
die samtartige Auffaserung erhaltener Knorpelteile, bis auf be¬
ginnende Scbleiffurchen und gestielte und ungestielte Gelenk¬
körper.
Um nun den Ring der Tatsachen zu schliessen, muss der
strikte Beweis geführt werden, dass erstens Knorpelnekrosen bei
der menschlichen Arthritis deformans in hinreichender Anzahl
und Häufigkeit existieren, und zweitens dass in der Umgebung
dieser Nekrosen im einzelnen die gleichen reaktiven Bilder ge¬
funden werden, die wir nach den geschilderten experimentellen
Erfahrungen erwarten müssen.
Dass dieser Beweis lückenlos geführt werden kann, werde
ich Ihnen in einer weiteren kleinen Serie von Präparaten demon¬
strieren.
Und um auch der kausalen Klärung des Krankheitsbildes,
der Frage nach der Genese der Knorpelnekrosen bei der
Arthritis deformans gerecht zu werden, so kann ich Ihnen zu¬
nächst an einigen Präparaten demonstrieren, dass tatsächlich zwei
Momente, die klinisch als Ursache der Arthritis deformans an¬
erkannt sind, nämlich das Trauma und die milde Entzündung,
umschriebene resp. ausgedehnte oberflächliche Knorpelnekrosen
erzeugen. Und schliesslich kann ich Sie auf Tatsachen binweisen,
die auch zur Erklärung der Entstehung der Knorpelnekrosen bei der
sogenannten genuinen Arthritis deformans eine gesicherte Basis
abgeben.
Damit wird der Ring geschlossen; und nun zur Demonstration
selber!
Ich möchte nur noch erwähnen, dass alle 32 Diapositive, die
ich zeige, mit einer einzigen Ausnahme Mikrophotogramme dar¬
stellen, dass also an ihrer Beweiskraft wohl nicht zu zweifeln
ist. [Demonstration.] 1 )
Ich glaube, dass nach diesen Präparaten weder ein Zweifel
an der Existenz der Knorpelnekrosen bei der Arthritis deformans
bestehen wird, noch auch ein Zweifel daran, dass wir tatsächlich
in der Umgebung solcher Nekrosen bei Arthritis deformans alle
die Bilder vorfinden, die wir experimentell als die reaktiven
Folgeerscheinungen der Knorpelnekrosen — einzig und allein nur
durch die Existenz der Nekrosen bedingt — vorher kennen ge¬
lernt haben; ebenso wie wir in den vorgerückten Stadien der
Arthritis deformans Bilder antreffen, die wir als Endausgang der
experimentellen Kuorpelnekrose kennen gelernt haben.
Danach dürfte wohl der Schluss sich von selbst ergeben,
dass die typischen histologischen Bilder bei der Arthritis
deformans in der Tat der Existenz der Knorpelnekrosen
als ursächliches Moment allein ihre Entstehung ver¬
danken.
Damit hätte das vielgestaltige Bild der Arthritis deformans
nach der formalen Seite hin seine volle Aufklärung gefunden.
Können wir eine gleich befriedigende Aufklärung auch für die
Entstehung der Knorpelnekrosen geben, d. h. können wir auch
das Krankheitsbild nach der causalen Seite hin aufhellen?
Leicht ist dies für die Arthritis deformans nach Trauma
und Gelenkentzündung. Hier ist die Knorpel nekrose, von der ich
Ihnen Bilder demonstriert habe, sofort erklärt: das eine Mal
durch die Gewaltwirkung resp. die Unterbrechung der Circu-
lation, das andere Mal durch die Bakterientoxine.
Aber auch bei der sogenannten genuinen Arthritis deformans
ist die Entstehung der Knorpelnekrosen verständlich. Wir haben
es ja bei dem Gelenkkuorpel mit einem Gewebe zu tun, bei dem
die Ernährung trotz erheblicher Dicke ausschliesslich durch
Diffusion erfolgt. Es dürfte also a priori begreiflich sein, dass
es unter den herabgesetzten Ernährungsbedingungen des höheren
Alters gelegentlich zu oberflächlichen und auch tiefer greifenden
Knorpelnekrosen kommen kann. Doch nicht genug damit!
Mit einer solchen Auffassung befinden wir uns sogar auf der
Basis feststehender Tatsachen. Denn durch die schönen Unter¬
suchungen Weichselbaum’s über die senilen Veränderungen des
Gelenkknorpels ist sichergestellt worden, dass eine bis zurNekrose
gehende Degeneration der oberflächlichen Knorpelzellagen zum
Ablauf der physiologischen Greisenveränderungen gehört. Sogar
gewisse Knorpelzellwucherungsbilder in den unterliegenden, leben¬
gebliebenen Knorpelschichten, analog meinen experimentellen Be¬
funden, wurden von ihm festgestellt. Immer aber blieb die
Nekrose bei den physiologischen Greisengelenken auf
die oberflächlichste Schicht beschränkt. Dass solche Er¬
nährungsstörungen aber in manchen Fällen graduell gesteigert
sein können, ist selbstverständlich. Bestehen aber tiefergehende
Nekrosen, so müssen nach meinen experimentellen Erfahrungen
die ausgesprochenen Bilder der Arthritis deformans entstehen.
So bleibt die pathologischerseits oft betonte Kontinuität der
Bilder von den Greisengelenken bis zur ausgesprochenen Arthritis
deformans gewahrt. Gerade von Weichselbaum wurde es klipp
und klar ausgesprochen, dass die Arthritis deformans in anato¬
mischer Beziehung nichts anderes darstellt als einen höheren
Grad der einfachen senilen Veränderungen. Bedeutungs¬
voll auch erscheint in dieser Richtung, dass von klinischer Seite
immer wieder auf den Zusammenhang der präsenilen Arthritis
deformans mit solchen konstitutionellen Erkrankungen hingewiesen
wird, die erfahrungsgemäss die Ernährung der einzelnen Gewebe
schwer gefährden, die Arteriosklerose und die Syphilis.
Aus der neuen Erkenntnis heraus begreift sich auch die schon
lange bekannte, früher überraschende Tatsache, dass das formal ein¬
heitliche Krankheitsbild der Arthritis deformans ätiologisch so viel¬
gestaltig ist, dass wir als klinische Aetiologie desselben Gelenk¬
leidens die verschiedensten Faktoren: Trauma, akute Gelenk¬
entzündung, konstitutionelle Allgemeinerkrankungen und Seninm
— von selteneren abgesehen — anerkennen müssen. Das Binde¬
glied in allen diesen Fällen sind eben die Knorpel¬
nekrosen.
Ich erinnere schliesslich zum Verständnis der Vorgänge bei
der genuinen Arthritis deformans an ein anderes Gebilde, bei
1) Der stenographische Text der Demonstration findet sich im
Sitzungsbericht (s. Nr. 3 dieser Wochenschrift); die Mikrophotogramme
▼erden alsbald in einer pathologisch-anatomischen Zeitschrift reprodu¬
ziert werden.
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dem ähnliche Ernährungsbedingungen wie beim Knorpel vorhanden
sind. Es ist dies die Linse im Auge. Auch hier sehen wir
eine mit dem Alter zunehmende Veränderung des von den Er-
nährnngsfiüssigkeiten am weitesten entfernt liegenden Abschnittes,
des Kernes, die bei weitem nicht bei allen, aber bei manchen
Menschen bis zu Zerfall und Nekrose (Verlust der Kernfärbung)
fortschreitet. Und in noch weitergehender Analogie finden wir,
wie ich nebenbei erwähnen möchte, auch bei solchen „Starlinsen“
in Reaktion anf die EruährungsstÖrungen der Linse selbst reaktive
Vorgänge, Zellwucberung an der Linsen kapsel.
M. H.! Mit der eben gegebenen Auffassung soll keineswegs
Ober den Einfluss der. statischen Momente der Stab gebrochen
werden; das möchte ich doch ganz besonders betonen. Es geht
ja auch aus meinen Experimenten hervor, dass das Schicksal
des Knorpeldefektes sich ganz verschieden verhält, je nachdem
er mechanischer Inanspruchnahme ausgesetzt war oder nicht.
Selbstverständlich wird sich auch bei allen weiteren Vorgängen
des Umbaues, und nicht zum wenigsten in der Gestaltung der
Randosteophyten, der Einfluss der Statik geltend machen.
Es wird weiter sicher die allmähliche Abnutzung des frei¬
gelegten Knochens, die zum langsamen, aber stetigen Schwund
des ganzen Gelenkendes führt, in allererster Linie nach den Ge¬
setzen der Belastung, des Druckes und der Reibung erfolgen.
Aber es ist ein wesentlicher Unterschied, ob die statischen
Einwirkungen die Gestaltung des Vorganges beein¬
flussen oder erst die Entstehung des ganzen Prozesses
veranlassen. Die entere Einwirkung werde ich nie bestreiten,
ich halte sie im Gegenteil für sicher erwiesen und für sehr be¬
deutungsvoll. Die Auslösung des ganzen histologischen Vor¬
ganges und damit das erste Moment für die Entstehung der Er¬
krankung kann ich aber nach den vorliegenden Untersuchungen
in statischen Momenten nicht finden, sondern nur in dem Auf¬
treten von Knorpelnekrosen und in ihren gesetzmässigen Folge¬
erscheinungen.
Ich halte mich nach allen diesen Tatsachen für voll be¬
rechtigt, die Klärung des Krankheitsbildes der Arthritis deformans
in der Auffassung zu erblicken, dass die Arthritis deformans
einen Symptomenkomplex darstellt, der hervorgerufen
wird durch die Anwesenheit mehr oder weniger aus¬
gedehnter Knorpelnekrosen nnd der in seiner äusseren
Gestaltung bestimmend beeinflusst wird durch die Ge¬
setze der Statik.
Ich halte diese Auffassung nach meinen histologischen und
experimentellen Untersuchungen für die zurzeit am besten ge¬
stützte. Ob sie in der Tat der Wahrheit entspricht, das festzu¬
stellen wird die Aufgabe weiterer Forschung sein.
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie
Gelsenkirchen (Direktor: Prof. Dr. H. BrunsJ.
Beitrag zur Fäcesuntersuchung auf
Parasiteneier.
Von
Dr. P. Wolff,
' Aui.tM.uxt .m Institut
Der Nachweis von Parasiteneiern in Fäces mit Hilfe der
direkten mikroskopischen Untersuchung ist nicht immer leicht,
besonders, wenn solche nur spärlich vorhanden sind, und doch
gibt uns oft genug erst die Auffindung derselben die Richtlinie
für die einzuschlagende Therapie. Man hat darum nach Verfahren
gesucht, die uns die sichere Diagnose erleichtern helfen.
Das von Tele mann 1 ) in Nr. 85 der Deutschen med. Wochen¬
schrift, 1908 angegebene Verfahren: „Auflösen der zu untersuchenden
Fäces in einem Reagensglas mit einer Mischung von reiner Salzsäure und
Aether, Filtrieren der Lösung durch ein Haarsieb und Mikroskopieren des
erhaltenen Sediments“ hat verschiedene Nachteile. Durch die reine Salz¬
säure wird das natürliche Aussehen der Parasiteneier zum Teil be¬
einflusst und durch den immerhin nooh relativen Reichtum des Sedi¬
ments an Nahrungsresten leidet die Durchsichtigkeit, und der Nachweis
der Eier wird dadurch erschwert. Yaoita*) schob diese Nachteile auf
die von Tele mann verwandte Salzsäure; er suchte sie durch ein anderes
Auflösungamittel zu ersetzen und benutzte zu diesem Zweck das Änti-
formin. "Die Wirkung des Antiformins liegt wohl in seiner chemischen
)) Telemann, Deutsche med. Wochenschr., 1908.
2) Yaoita, Deutsche med. Wochenschr., 1912.
Zusammensetzung (Alkalihydrat + Natriumhypochlorat); höchst wahr¬
scheinlich beruht sie auf der dauernden Entwicklung von Chlorgas (und
Sauerstoff?) in Statu nasoendi. Das von mir benutzte Antiform ergab
bei der Austritierung einen Gehalt an freiem Chlor von 4,183 bis
5,87 pCt. Die im hiesigen Institut ausgeführten Fäcesuntersuchungen
gaben mir Gelegenheit die Yaoita’sohe Methode nachzuprüfen. Seine
Ausführung unserscheidet sich kaum von der von Telemann an¬
gegebenen; sie ist kurz folgende: Von fünf verschiedenen Stellen der
möglichst frischen Fäces entnimmt man je eine erbsengrosse Partie;
diese werden dann in einem Reagensglas mit einer Mischüog von 25proz.
Antiformin (reines Antiformin zerstört die Eier) und Aether zu gleichen
Teilen stark geschüttelt. Die Fäces lösen sich in diesem Reagens unter
starker Gasbildung auf. Alsdann wird die Lösung durch ein Haarsieb
filtriert, um die gröberen Nahruogsschlacken zurückzuhalten, das
Filtrat wird eine Minute lang centrifugiert und da9 im Eudconus des
Centrifugiergläschens verbleibende Sediment enthält nun neben den un¬
löslichen Teilen der Fäces (Zellulose, Epithelien, Salze, elastische Binde¬
gewebs- und Muskelfasern) die Parasiteneier.
Es wurden bis jetzt nach diesem Verfahren 500 Untersuchuogen aus-
geführt. Neben ein bie zwei Präparaten aus dem Sediment wurden
stets drei bis sechs frische, mikroskopische Präparate zur Kontrolle
untersucht. In diesen 500 Fäces fanden sich:
Yaoita
positiv
Mikroskop
. positiv
A8oarislumhr.-Eier
50
48
Trich.
178
62
Taenia nana . .
1 (lEii.Gesichtsf.)
1 (sehr reichlich)
Oxyuris ....
3
I
Ankylostom. duo¬
denale ....
8
5
Zu erwähnen ist, dass die mikroskopische Untersuchung 11 mal ein
positives Resultat ergab, wo das Yaoita’sche Verfahren im Stich liess,
während andererseits die direkte Untersuchung 132 mal negativ war, wo
mit der Yaoita’schen Methode ein positives Ergebnis erzielt wurde. Aus
den angestellten Versuchen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die
Yaoita’sehe Methode eine recht brauchbare ist, und dass die beiden ein¬
gangs erwähnten Nachteile des Telemann’schen Verfahrens weit geringer
sind. Auf diese Nachteile wurde übrigens schon von L. Qu ad flieg 1 )
aufmerksam gemacht, der die Methode Telemann ’s im hiesigen In¬
stitut bei 600 Untersuchungen nachprüfte. Er fand in den 600 Fäces-
proben:
Mikroskop
positiv
Zentrifugat
positiv
Trich.
161
348
Ascarideneier . .
103
74
Oxyureneier. . .
3
3
Tänieneier . . .
—
2
Ankylostom. . .
41
56
Qu ad flieg hebt dann weiter hervor, dass nicht in allen Fällen,
wo die mikroskopischen Präparate ein positives Ergebnis lieferten, es
auch in den Zentrifugaten der Fall war. Er hält ferner das Verfahren
für wenig günstig für die Auffindung von Ascarideneiern. 44 mal
konnten Ascarideneier in den frischen Präparaten nachgewiesen werden,
wo das zugehörige Sediment negativ austiel. 18 mal dagegen ergab das
Sediment ein positives Resultat, wo in den frischen Präparaten nichts '
gefunden war. Das negative Ergebnis führt Qu ad flieg auf die ge¬
ringe Resistenz der Eischalen gegenüber dem Salzsäureäthergemisch zu¬
rück. Wir fanden öfter die äussere gefaltete Hülle in dem Sediment zum «
Teil geschwunden, zum Teil schleierartig neben den Eiern liegend oder -
ihnen noch stückweise anhäogend. Auch hellt Salzsäureäther die Farbe
etwas auf, wodurch das Ascaridenei oft seine braune Farbe verliert und .
nach Verlust der äusseren Hülle einem in der Furchung weit fort¬
geschrittenen Ankylostomumei sehr ähnlich wird, wovon sie jedoch durch
die doppelte Kontur des Randes leicht unterschieden werden können.
Diese Nachteile treten also bei dem neuen Verfahren nicht so hervor.
Nur in elf Fällen mit positivem mikroskopischen Befund versagte das
Sediment; sonst konnte ich stets eine gute Anreicherung konstatieren.
Auffallend ist der Befund bei dem zufällig zur Beobachtung gelangten
Fall von Taenia nana; während sich in den mikroskopischen Präparaten
ungezählte Eier fanden, konnte man mit beiden Anreicherungsverfahren
stets höchstens ein Ei im Gesichtsfeld feststellen. Vielleicht liegt dies
daran, dass die Eier dieses in Deutschland sehr selten beobachteten
Parasiten wenig widerstandsfähig sind. Besonderes Interesse hatten
natürlich die Befunde von Ankylostomaeiern in den Fäces. Auch hier
gab die Yaoita’sche Methode gute Resultate; dass Qu ad flieg bei seinen
.Untersuchungen bedeutend mehr positive Resultate hatte, liegt e^en
.daran, dass mein verarbeitetes Material von Personen stammt, die einen
geringeren Prozentsatz -an Parasiteneiern aufwiesen. Viel bessere Re-
1) L. Qu ad flieg, Deutsche med. Woshenschr., 1909.
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802
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
sultate erzielten wir natürlich auch wieder mit dem von Loos an¬
gegebenen Kulturverfahren, dessen wir uns stets bedienen. Nach der
mikroskopischen Untersuchung wird der Kot mit Knochenkohle verrieben,
in den Brutschrank von 25° für 4 bis 5 Tage verbracht; die Kultur-
schalen werden mit Wasser gefüllt und 10 bis 80 Minuten stehen ge¬
lassen. Die Larven wandern nun in das darüber stehende Wasser und
können hierin leicht nachgewiesen werden. Mit Hilfe dieses Verfahrens
fanden wir unter den 500 Untersuchungen 16 positive Resultate, denen
8 nach Yaoita und 5 bei der direkten mikroskopischen Untersuchung
gegenüberstehen.
Fasse ich zum Schloss zusammen, dann kann ich das
Verfahren von Yaoita besonders für die Klinik und die Präzis
empfehlen, denn es erleichtert die Auffindung der Para-
8iteneier, die Präparate sind klar, die Besichtigung ist
mühelos und die Anreicherung ist eine recht gute. Aller¬
dings möchte ich nicht diese Methode ausschliesslich anwenden,
sondern stets einige direkte mikroskopische Präparate mit zur
Untersuchung heranziehen.
Innere Sekretion und Nervensystem.
Von
Dr. Arthur Münzer -Berlin-Schlachtensee.
Wer staunend je vor einer kunstvoll gefügten Maschine ge¬
standen, hineingeschaut in der Räder schnelles Getriebe, den
wird Bewunderung erfüllen für die reine, durch das ganze System
hindurcbklingende Harmonie; und nicht genug wird er die strenge
Ordnung rühmen, die das scheinbar regellose Gewirr fest und
ßicher beherrscht. — Häufig schon ist der menschliche Organismus
mit einer Maschine verglichen worden, und das neuerdings ge¬
prägte Wort „Maschinenorganismus“ verleiht dem Vergleiche
einen charakteristischen Ausdruck. Ueber die Berechtigung dieser
Auffassung ist gestritten worden, nicht mit Unrecht. Trotz aller
Einwendungen aber ist sie, von einem rein äusserlichen Stand¬
punkt, zulässig. Denn auch der menschliche Körper repräsentiert
ein kompliziertes Gefüge von Teilen, deren planmässige Arbeit in
einheitlichem Zusammenwirken die Aufrechterbaltung des indi¬
viduellen Daseins gewährleistet. Nirgends als im menschlichen
Organismus herrscht eine genauere Präzision der einzelnen Arbeits¬
leistung, nirgends eine uneingeschränktere Unterordnung aller
Teile unter das leitende Prinzip. — Wie aber wir bei der Maschine
vor allem jene Kraft bewundern, welche alle feinen und feinsten
Rädchen zur gemeinsamen Arbeit aneinanderscbliesst, so fesselt
uns bei der Betrachtung des menschlichen Körpers zunächst jene
starke Macht, welche seine Teile zu einem harmonischen Ganzen
bindet, sie einspannt in den regelmässigen Gang der Maschine,
das Nervensystem. Das Nervensystem erst schafft ans einem
planlosen Nebeneinander von Arbeitswerkzeugen den lebensfähigen
Organismus, erst seiner Triebkraft gelingt es, das grosse Werk in
Bewegung zu setzen.
Dem Nervensystem ist neuerdings ein mächtiger Konkurrent,
in der inneren Sekretion erstanden. Die von Brown-Söquard be¬
gründete Lehre basiert bekanntlich auf der Annahme, dass die ein¬
zelnen Organe des Körpers gewisse chemische Produkte ausscheiden,
welche, vom Blutstrom mitgeführt, auf andere Organe bestimmte
Wirkungen ausüben. Somit fände also eine gegenseitige Be¬
einflussung der Körperorgane nicht nur durch das Nervensystem,
sondern auch durch Vermittlung eben jener Sekrete — Hormone,
wie sie Bayliss und Starling genannt haben — statt. — In
schnellem Siegeslauf hat sich die Lehre von der inneren Sekretion
zu allgemeiner Anerkennung durcbgerungen; zu einem mächtigen
Wissensgebiet ist sie in kurzer Zeit angewachsen und beherrscht
als eines der führenden Probleme die Medizin der Gegenwart
So hoch nun auch die eminenten Fortschritte, die wir der
neuen Lehre verdanken, zu veranschlagen sind, so sehr müssen
wir uns bemühen, ihren Gesetzen die scharfe 1 Grenze zu ziehen.
Sie darf, indem sie den Bannkreis der inneren Sekretion stets
und ständig erweitert, doch niemals die Funktionen des Nerven¬
systems ausser acht lassen, darf nicht in'eine unfruchtbare
Einseitigkeit verfallen. Erst aus neuerer Zeit datieren systematische
Versuche, den Zusammenhang beider Systeme klarzulegen, und
hier sind es besonders die ausgezeichneten Untersuchungen der
Wiener Schule, die eitie Fülle wertvoller Ergebnisse beigebracht
haben. :
Nervensystenf und innöre Sekretion sind physiologisch gleich¬
wertige Faktoren; ihnen beiden liegt die Uebertragung von
Reizen ob. Beider Funktionen verflechten sich in Erfüllung dieser
Aufgabe vielfach miteinander, sind voneinander abhängig. Im
folgenden wird versucht werden, diese wechselseitigen Beziehungen
zur Darstellung zu bringen. Das ganze grosse Gebiet zu durch¬
wandern, scheint kaum möglich; nur kurze Wegstrecken zurück¬
zulegen wird uns vergönnt sein, um dann, an diesem oder jenem
Meilenstein rastend, Ausschau zu halten io entlegenere Fernen.
Der eigentlichen Besprechung seien einige Bemerkungen über
das Wesen der inneren Sekretion vorausgeschickt. Es ist an-
zunebmen, dass alle Organe des Körpers, ganz abgesehen von
ihrer spezifisch-physiologischen Stellung, mit der Fähigkeit einer
inneren Sekretion ausgestattet sind, ln besonderem Maasse wird
dieses Vermögen gewissen Drüsen ohne Ausführungsgang zu¬
gesprochen, welche die Physiologie mit Rücksicht auf die Gleich¬
artigkeit ihrer Funktionen zu der besonderen Gruppe der Drüsen
mit innerer Sekretion (Blut- oder Stoffwechseldrüsen) vereint hat.
Die Tätigkeit der Blutdrüsen kann nur und ausschliesslich unter
dem Gesichtswinkel der inneren Sekretion verstanden werden.
Da einerseits die einzelne Drüse eines Ausführungsganges er¬
mangelt, da andererseits an ihrer überragenden Bedeutung Klinik
und Experiment nicht mehr zweifeln lassen, so bleibt nur die
Annahme übrig, dass die Sekrete direkt in den Kreislauf über¬
geführt werden und alsdann ihre Wirksamkeit entfalten.
Wenn wir von irgendeiner bestimmten Reaktion behaupten,
dass sie durch innere Sekretion einer Drüse erzielt sei, so kann
und darf diese Reaktion nach Maassgabe unserer Theorien nur
durch die Ausscheidung der spezifischen Drüsenstoffe in das
Circulationssystem zustande kommen; jeder andere Faktor muss
ausgeschaltet bleiben. Andererseits muss, wenn die betreffenden
Drüsenstoffe in den Kreislauf gelangen, jedesmal die gleiche
Reaktion wieder erzielt werden. Wir sind, um zu einwandfreien
Resultaten zu gelangen, gezwungen, an diesen Postulaten un¬
bedingt festzuhalten. Ob die von den einzelnen Drüsen produ¬
zierten Substanzen als Hormone in positivem (produktivem) Sinne
wirksam sind, oder ob sie der Entfernung bzw. Entgiftung
toxischer Stoffwechselprodukte dienen (negative innere Sekretion),
ist für unsere Betrachtung zunächst gleichgültig.
Legen wir uns jetzt, ohne auf die bekannten klinischen
Krankbeitsbilder vorerst Rücksicht zu nehmen, die Frage vor,
nach welcher Richtung die innere Sekretion einer Gefäss-
drüse gestört sein kann, so sind hier mehrere Möglichkeiten in
Betracht zu ziehen. Zunächst kann eine quantitative Ver¬
änderung in der Produktion vorliegen; und zwar kann es sich in
solchen Fällen um eine vermehrte oder verminderte Ausscheidung
der Drüsensekrete handeln — Hyper- und Hyposekretion. Zweitens
kann ihre Qualität geschädigt sein — Dyssekretion. Schliess¬
lich kann man sich eine vermehrte oder verminderte Absonderung
qualitativ veränderter Sekrete vorstellen — Hyperdyssekretion
oder Hypodyssekretion; indessen haben diese Variationen mehr
theoretische Bedeutung. Wir haben also im wesentlichen drei
Modifikationen der inneren Sekretion zu unterscheiden, vermehrte,
verminderte und qualitativ veränderte Absonderung — Hyper-,
Hypo- und Dyssekretion.
Wenn wir nun weiter, der Ergebnisse der Klinik vorläufig
nicht gedenkend, zu erforschen streben, ob und in welcher Weise
eine Beseitigung der vorerwähnten Sekretionsstörungen möglich
sei, so scheint die theoretische Lösung des Problems nicht schwer.
Findet sich eine Sekretionsverminderung, so wird durch Zufuhr
wirksamer Drüsensubstanz die pathologische Störung völlig be¬
hoben werden. Eine Sekretionssteigerung wäre entweder durch eine
Volumenreduktion der erkrankten Gefässdrüse zu bekämpfen
oder durch Substanzen, die, in entgegengesetztem Sinne
wirksam, die überschüssigen Sekretmengen zu neutralisieren im¬
stande sind. Alle diese Möglichkeiten sind a priori wohl denk-
und vorstellbar.
Die Schwierigkeit beginnt erst — immer in theoretischem
Sinne — bei der Bekämpfung einer Dyssekretion. Denn nun, da
nicht mehr die Möglichkeit einer einfach quantitativen Regulation
gegeben ist, stellen sich der absoluten Behebung der Störungen
naturgemäss schwer zu überwindende Hindernisse entgegen 1 ). — Bei
allen diesen Erörterungen haben wir, wie ich besonders betone,
die Gefässdrüsen als chemisch funktionierende Glieder des
1) Durch die bahnbrechenden Forschungen Abderhalden’s wird
vielleicht auöh das Wesen der Dyssekretion geklärt:, es handelt sieh
hier möglicherweise um Ausscheidtitog thangelhaft abgebauter Drüsen¬
produkte. Mit dieser Erkenntnis wäre dann auch die Möglichkeit einer
Behebung der Störung gegeben.
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17. Febroar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Organismus betrachtet; die mechanische Rolle, die ihnen
v. Cyon vindizierte, wurde ausser acht gelassen.
Wie erfüllt nun aber die Praxis die hier gestellten theoreti¬
schen Forderungen? Mit welchen Argumenten stützen Physiologie
und Pathologie die herrschenden Anschauungen, und erweisen sie
auch tatsächlich, dass es sich immer und ausschliesslich um eine
rein innersekretorische Tätigkeit der Gefässdrüse handelt? Den
Postulaten einer strengen Kritik hält eigentlich nur ein einziges
Organ stand, und das ist die Schilddrüse. Die Pathologie der
Thyreoidea hat die allgemeine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf
drei Krankheitsbilder gelenkt, Basedow, Myxödem und Kretinismus;
sie hat die Entstehung des ersteren aus einer Hypertrophie,
die der beiden letzteren aus einer Atrophie der Schilddrüse
hergeleitet. Sie lehrte uns Kretinismus und Myxödem durch Ver¬
abreichung von Schilddrüsensabstanz heilen; sie erwies die Heil¬
barkeit bzw. Milderung der Basedowerscheinungen durch die
operative Reduktion der hypertrophischen Drüse einerseits, durch
wirksame, das Uebermaass der Gifte neutralisierende Stoffe
(Antithyreoidin Moebius) andererseits. Durch eine einfache
quantitative Regulation der Drüsenprodukte werden demnach die
krankhaften Erscheinungen beseitigt und hiermit der einwandfreie
Beweis für die innersekretorischen Funktionen der Gefässdrüse
erbracht.
Schon hier sind wir an der Grenze des exakten Wissens an¬
gelangt, und nnr unsichere Pfade leiten zu der Erkenntnis des
Funktionsmechanismus der übrigen Blutdrüsen. Für keine einzige
anter ihnen kann in gleicher Weise wie bei der Schilddrüse eine
ausschliesslich innersekretorische Tätigkeit so klar ad oculos
demonstriert werden. Hypophyse und Zirbel sind nicht nur Blut¬
drüsen, sondern auch Hirnteile: hier muss von vornherein mit
zwei maassgebenden Faktoren gerechnet werden, deren Wirkungs¬
grösse daher auch schwerer zu beurteilen sein wird. Weiter ist
die Physiologie des Pankreas, der Nebennieren, der Nebenschild¬
drüsen, der Thymus, der Keimdrüsen in ihren Einzelheiten noch
längst nicht geklärt; vielfach stimmen hier klinische und experi¬
mentelle Ergebnisse nicht überein. Auch dort, wo langjährige
Arbeit die Annahme einer Hyper- bzw. Hyposekretion wahrschein¬
lich machte, ist es häufig nicht gelungen, durch die quantitative
Regulation der Sekretstörung die Norm wiederherzustellen. Und
wenn wir auch mit Biedl betonen, dass die Wirkungslosigkeit
der Substitutionstherapie nicht als Beweisgrund gegen die inner¬
sekretorische Tätigkeit eines Organs angesehen werden darf, so
kann eben diese Tatsache doch als gewichtiges Argument gegen
das ausschliessliche Vorwalten einer inneren Sekretion heran¬
gezogen werden. Es bleibt, um das Wesen gewisser vitaler Er¬
scheinungen zu deuten, nichts übrig, als das Inkraftreten eines
zweiten Mechanistnus anzunehmen, und als solcher kommt nur
das Nervensystem in Betracht. Eine Schilderung der Beziehungen
zwischen beiden Systemen muss einesteils die vielfachen Be¬
rührungspunkte, in welchen sie beide Zusammentreffen, einfach
registrieren, wobei sowohl das centrale wie das sympathische
Nervensystem zu berücksichtigen sind. Andererseits müssen alle
Phänomene, welche aus einer innersekretorischen Tätigkeit der
Gefässdrüsen allein nicht zu erklären sind, besonders hervor¬
gehoben werden. ~
Langjährigen klinischen Erfahrungen danken wir die Lehre,
dass speziellen Funktionsstörungen der Thyreoidea drei wichtige
Krankheitsbilder, Basedow, Myxödem und Cretinismus, entsprechen.
Ihnen reihen sich in weiterer Folge, jedoch ohne die gleiche
schwerwiegende Bedeutung, die Adipositas dolorosa, manche
Formen des Infantilismus, Hypothyreoidie bönigne chronique
(Hertoghe) u. a. an. Die genannten Krankheiten lassen sich in
eine Reihe von Symptomengruppen bzw. Einzelsymptomen auf-
lösen, aus deren Charakter wir die Wirkungsweise des Schild¬
drüsensekretes erscbliessen können. Da hierbei eine Influenzierung
so wohl des Gehirns wie auch des autonomen und sympathischen
Systems zutage tritt, so muss, wie Epp in ge r und Hess schon
betont haben, mit einer Polyvalenz des Schilddrüsensekretes
gerechnet werden.
In prägnantester Weise lässt sich der Einflass der Schild¬
drüse auf den Ablauf psychischer Funktionen an den Symptomen-
bildern des Basedow und des Myxödems erläutern 1 ). Gerade hier,
wo der Antagonismus der Symptome ein derart ausgeprägter ist,
gelingt es leicht, den Normaltypus der Drüsenwirkung festzu-
--- • •' I I £ >) 4
1)p€L hierzu auch die neuerdings erschienene Arbeit v. Frankl-
Hochwart, „Ueber den Einfluss dqr iqperen Sekretion auf die Psyche“
(Med. Klinik, 1912, Nr. 48), die leider im Text nicht mehr berücksichtigt
werden konnte.
stellen. Auf der einen Seite sehen wir Unruhe, Hast, unstätes
Wesen, auf der anderen Apathie, Schwerfälligkeit und Teilnahms¬
losigkeit. Sind hier alle Empfindungen gesteigert, wird die ge¬
samte Aktion der Kranken von einer unverkennbaren Rastlosigkeit
beherrscht, drückt dort eine müde Trägheit dem Gebaren des
Kranken ihren charakteristischen Stempel auf. Kann hier die
Unruhe sich steigern bis zu den höchsten Graden der Exaltation
und ihren typischen Ausdruck finden im Krankheitsbilde der
Manie, seltener der Melancholie, so wächst dort unter Umständen
die Apathie und Indolenz des Kranken mehr und mehr und geht
schliesslich in einen Zustand vollständiger gemütlicher Erstarrung
über. Schlaflosigkeit oder aufgeregten Schlaf finden wir beim
Basedowkranken, Schlafsucht und Schläfrigkeit beim Myxödem.
In einer früheren Arbeit über die Einwirkungen der Blut¬
drüsen auf die Psyche hatte ich bereits Gelegenheit, darauf hin¬
zuweisen, dass nach unseren klinischen Erfahrungen die Schild¬
drüse in erster Linie die gemütlichen Funktionen beeinflusse.
Schon früher haben Löopol-Levi und H. v. Rothschild
diese Tatsache gebührend bervorgehoben und die Schilddrüse als
Glande de l’ömotion bezeichnet. Das Affektleben ist nun, wie
von altersher gelehrt wird, an das Grosshirn gebunden. Es muss
also, wie ich mich früher ausdrückte, die Schilddrüse diejenigen
Grosshirnpartien, an welche der Ablauf der Affekte geknüpft ist,
in einem beständigen Tonus erhalten; dieser wird natürlich bei
Sekretionsstörungen der Thyreoidea beeinträchtigt, wodurch im
weiteren Verlauf schwerere Hirnerscheinungen entstehen müssen.
Nun sehen wir aber bei einzelnen Erkrankungen der Schild¬
drüse, z. B. beim Cretinismus, beim Infantilismus, die Altera¬
tionen der Psyche über einfache Affektstörungen hinausgreifen.
Indessen liegen hier die Verhältnisse wesentlich anders. Einer¬
seits wurde in fast allen diesen Fällen schon im jugendlichen
Alter die Entwicklung der Schilddrüse gehemmt. Gerade die
Thyreoidea aber nimmt an der natürlichen Reifung des Orga¬
nismus so wohl in somatischer wie io psychischer Hinsicht regen
Anteil; daher müssen auch bei mangelhafter Ausbildung derselben
umfassendere Schädigungen eintreten.
Andererseits kommen vielfach komplementäre Störungen
anderer Blutdrüsen hinzu, es werden polygianduläre Symptomen-
komplexe geschaffen, so dass zweifellos eine einheitliche Auf¬
fassung des Krankheitsbildes erschwert wird.
Die engen Wechselbeziehungen zwischen Schilddrüse und
nervösem Centralorgan sind weiterhin aus dem Umstande ersicht¬
lich, dass psychische Insulte nicht selten den Anlass zur Ent¬
stehung eines Basedow oder eines Myxödems herbeiführen. Diese
aus der Klinik geschöpfte Erfahrung ist übrigens nicht nnr wichtig,
um das gegenseitige Abhäogigkeitsverhältnis beider Organe vor
Augen zu führen, sie zeigt auch, dass in demselben, gleich wie
bei zwei miteinander in Korrelation stehenden Blutdrüsen, bald
das eine, bald das andere Glied die führende Rolle übernehmen
kann. In letzter Linie ist sie, speziell für die Lehre vom Basedow
und Myxödem, befähigt, die allbeherrschende Stellung der
Thyreoidea zu erschüttern. Denn es kommen tatsächlich Fälle
vor, in denen der cerebrale Ursprung des Leidens fast unab¬
weisbar und die Funktionsstörung der Schilddrüse als sekundär
anzusehen ist. (Oppenheim^ Neurosentheorie des M. Basedowii.)
Aeltere Theorien vermuteten io der Schilddrüse ein Regula¬
tionsorgan für die Hirncirculation. Neuerdings hat v. Cyon diese
Lehre wiederum zu stützen versucht. In dem er die Wirkungen
des Jodothyrins auf den Circulationsapparat genauer analysierte
— wir werden davon weiter unten noch handeln — erkannte er
der Thyreoidea die mechanische Rolle zu, bei plötzlichen
Drucksteigerungen im Gehirn durch ihre Gefässe grössere
Blutungen abzuleiten und dergestalt das gefährdete Centralorgan
sicher und schnell zu entlasten. Im Sinne des Autors müssten
also für Störungen der psychischen Funktionen bei Schilddrüsen-
erkrankuogen zuvörderst Unregelmässigkeiten der Hirncirculation
verantwortlich gemacht werden. Ganz abgesehen von der all¬
gemeinen Berechtigung oder Nichtberechtigung einer mechanischen
Theorie der Scbilddrüsenfunktion, ist es schwer, die in Rede
stehenden cerebralen Störungen auf Unregelmässigkeiten der
Hirncirculation zurückzuführen. Gerade der Antagonismus der
Hauptsymptome bei Morbus Basedow und Myxödem drängt geradezu
zu der Hypothese rein cerebraler Prozesse, deren Kontrastwirkung
niqbt nur durch grob mechanische Momente — Ve^mebrungjbzw.
Verminderung der Blutzufuhr — bedingt, sondern nur aus einer
feinen Abstufung chemisch wirksamem, Störungen der Hirnfunk*
tionen erklärt werden kaon,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Wir schliessen hiermit die Diskussion über die Hirnwirkungeo
des Schilddrüsensekrets auf die cerebralen Prozesse. Eine nicht
'minder weittragende Bedeutung gewinnen die Produkte der Drüsen
für dasjenige Nervensystem, welches die vegetativen Funktionen
des menschlichen Organismus, also Blutkreislauf, Thoprik und
Wachstum der Körpergewebe beherrscht; sie sind für dessen Wirk¬
samkeit unumgänglich notwendig. Das vegetative Nervensystem
gliedert sich in zwei Abschnitte, einen sympathischen und einen
autonomen Anteil. Der Einfluss der Schilddrüse macht sich in
erster Linie im Gebiet des sympathischen Nervensystems geltend.
Klinik und Experiment haben in gleicher Weise dessen Wesen zu
klären versucht. Von früheren Untersuchern bat sich v. Cyon
intensiv mit diesem Problem befasst. Nach seiner Ansicht ist
Jodothyrin, der aktive Körper der Schilddrüse, dazu bestimmt, die
Erregbarkeit der regulatorischen Herznervenapparate auf normaler
Höhe zu erhalten. Im Bereich des sympathischen Systems
manifestiert sich diese Wirkung dadurch, dass die Tätigkeit
der Nn. accelerantes und der Vasokonstriktoren herabgesetzt wird.
Demgemäss soll durch Exstirpation der Schilddrüse die Aktion
der herzbeschleunigenden und gefässvereDgernden Nerven erhöht
werden. Diese Ergebnisse stimmen indessen nicht mit den Er¬
fahrungen der Klinik überein, wie noch gezeigt werden wird.
Mancherlei Fortschritte brachten in der Erkenntnis der
Sympathicusfunktionen die künstlichen Hyperthyreoidisationsver*
suche an Tieren. Durch fortgesetzte Zufuhr von Schilddrüsen¬
präparaten wird oft Pulsbeschleunigung hervorgerufen. Es
wird Erweiterung der Lidspalte, Hervortreten des Bulbus, Re¬
traktion der Membrana nictitans und Pupillenerweiterung beob¬
achtet 1 ). Bei normalen und schilddrüsenlosen Hunden haben
Eppinger, Falta und Rudinger durch fortgesetzte Behandlung
mit Schilddrüsensaft Adrenalinmydriasis erzeugt. Die letzt¬
genannten Autoren beurteilen die Symptome des Hyperthyreoi-
dismus als Ansdruck eines erhöhten Erregungszustandes des
Sympatbicus.
Der Wegfall der Schilddrüse beim Tier bedingt eine Ver¬
minderung des Sympathicustonus, dessen Aeusserungen wir in
der trägen Circulation und in einer Reihe von tropischen Störungen
erkennen. Eppinger, Falta und Rudinger haben nacbgewiesen,
dass beim schilddrüsenlosen Hund Adrenalin keine Glykosurie
verursacht, ein Symptom, welches hei normalen Tieren durch Ver¬
mittelung des Sympathicus in der Regel aufzutreten pflegt.
Wichtige Stützpunkte für die engen Zusammenhänge zwischen
Schilddrüse und sympathischem Nervensystem liefert in der
menschlichen Pathologie der Morb. Basedowii. Ist doch diese
Krankheit überhaupt als eine Affektion des sympathischen Nerven¬
systems aufgefasst worden. Und wenn wir auch von dieser An¬
schauung zum Teil zurückgekommen sind, so finden zweifellos
eine Reihe von Einzelsymptomen ihre Begründung in Funktions¬
störungen des Sympathicus. Da haben wir die Tacbycardie, da
die äusserst gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit. Wir ge¬
denken ferner der sekretischen Störungen, die sich insbesondere in
starker Hyperidrosis äussern, der Protrusio bulbi, bedingt durch
Kontraktion des sympathisch innervierten Müller’schen Muskels,
wir verweisen auf die vermehrte Wärmebildung, auf die Tendenz
zu Körpertemperatursteigerungen, alles Symptome, die nach
Biedl auf einen erhöhten Sympathicustonus bezogen werden
können. Auch die von 0. Löwi gefundene Adrenalinmydriasis
bei Basedow kann als Sympathicusreizsymptom gelten. Alle auf
das sympathische Nervensystem zu beziehenden Störungen
können bei verschiedenen Individuen naturgemäss in wechselnder
Intensität auftreten; prävalieren sie bei einem Patienten gegen¬
über anderen Krankheitserscbeinungen, so handelt es sich um
den sympathicotonischen Typus der Basedowschen Krankheit
(Eppinger und Hess), während die vorwiegende Beteiligung
des autonomen Nervensystems die vagotonische Gruppe der
Krankheitsfälle charakterisiert. Auch Ascher hat im Tierversuch
nachweisen können, dass es individuell vsrschieden sei, ob bei
intravenöser Injektion von Jodthyreoglobulin das autonome oder
sympathische Nervensystem stärker beeinflusst wird. Für diese
Differenzen, die also in der menschlichen wie tierischen Patho¬
logie deutlich genug hervortreten, lassen sich unserer Auffassung
nach drei Momente verantwortlich machen: 1. Die Beschaffenheit
des Schilddrüsensekrets (es ist möglich, dass geringgradige indi¬
viduelle Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der
Drüsenprodukte bestehen). 2. Die Gesamtkonstitution des Körpers,
genauer die Summe aller in der Organisation der Individums ge-
1) Kraus und Friedenthal, cit. nach Biedl,
legenen Momente (abgesehen von der Schilddrüse), welche es eben zu
einem mehr vagotonischen oder sympathicotonischen disponieren:
Blutbeschaffenheit, Zustand des Gesamtnervensystems sowie der
anderen Blutgefässdrüsen üsw. 8. Der momentane Erregbarkeits¬
zustand des sympathischen bzw. des Vagussystems zu Beginn der
Krankheit bzw. der Injektion 1 ).
Der verminderte Erregungszustand des Sympathicus findet
in klinischer Beleuchtung seinen prägnantesten Ausdruck im Myx¬
ödem. Der langsame Puls, die Kälte der Körperoberfläche mit
dem Fehlen jeglicher Blutwallungen, die Trockenheit, das Rauh¬
werden und Abschilfern der Haut, das Ausfallen der Nägel und
Haare, die unter die Norm sinkende Temperatur sprechen deut¬
lich genug. Augenscheinlich ist der Kontrast zu den entsprechen¬
den Basedowsymptomen.
Der vollgültige Beweis dafür, dass es sich beim Basedow
bzw. Myxödem tatsächlich um Sympathicussymptome handelt,
wurde durch die experimentelle Reizung bzw. Durchschneidung
des Halssympathicus erbracht. Erstere bewirkt Erweiterung der
Pupille und Lidspalte, Protrusio bulbi, Schwitzen der entsprechen¬
den Kopfbezirke; bezüglich der Gefässerscheinungen divergieren
die Ansichten der Autoren insofern, als teilweise Gerfässverenge-
rung mit Temperaturherabsetzung, teils Gefässerweiterung der
betreffenden Gesichtshälfte angegeben wird.
Die experimentelle Durcbschneidung des Halssympathicus be¬
wirkt nach Claude Bernard (cit. nach Oppenheim) Erweite¬
rung der Blutgefässe mit Temperaturerhöhung der Haut, Verenge¬
rung der Pupille und Lidspalte, zuweilen auch Zurücksinken des
Bulbus. Bei klinischer Lähmung des Sympathicus cervicalis wird
an Stelle der Gefässerweiterung zuweilen Gefässverengerung beob¬
achtet. Als ganz inkonstantes Symptom kommt bei Sympathicus-
lähmung Anidrosis der entsprechenden Gesicbtshälfte vor (Oppen¬
heim).
Mit Rücksicht auf neuerdings mehrfach geäusserte Be¬
hauptungen ist schliesslich noch die Frage zu erwägen, ob die
beim Hyperthyreoidisraus hervortretenden Sympathicussymptome
wirklich auch auf das vermehrte Schilddrüsensekret oder nicht
vielmehr auf Adrenalin, dessen Vermehrung beim Basedow nacb¬
gewiesen wurde, zu beziehen seien. Die Schilddrüsenprodukte
würden also in diesem Falle lediglich das sympathische System
sensibilisieren und es somit der Adrenalinwirkung zugänglich
machen. Hier ist wiederum mit vollem Nachdruck auf den Anta¬
gonismus der Hauptsymptome bei Myxödem und Basedow hinzu¬
weisen, der seine ungezwungenste Erklärung findet in dem
scharfen Kontrast der Schilddrüsensekretion einerseits, in dem
gegensätzlichen Verhalten des Sympathicustonus andererseits. Im
übrigen ist zwar beim Basedow eine Steigerung des Adrenalin¬
gehalts im Blut festgestellt worden, nicht aber, soweit mir be¬
kannt, eine Verminderung derselben beim Myxödem. Schliesslich
wurde erst neuerdings wieder von Kahn betont, dass die biologi¬
schen Methoden des Adrenalinnachweises im Blute noch keines¬
wegs mit der wünschenswerten Schärfe und Präzision arbeiten;
es können daher auch bezüglich einer Aenderung des Adrenalin¬
gehalts noch keine einwandfreien Feststellungen erwartet werden.
Also bleibt für die Aenderung des Sympathicustonus bei Basedow
und Myxödem bisher nur der Einfluss der Schilddrüsenabsonde-
rung als zureichender Grund bestehen.
Eine Reihe von Symptomen, die bei Erkrankungen der
Schilddrüse auftreten, müssen als Reizerscheinungen des autonomen
Nervensystems aufgefasst werden. Allerdings treten die Vagus¬
symptome für gewöhnlich in den Hintergrund, und nur bei den
besonders disponierten vagotonischen Individuen beherrschen sie
von Anbeginn der Krankheit die Szene.
Wie bereits hervorgehoben, hat v. Cyon dem Jodothyrin einen
mächtigen Einfluss auf die regulatorischen Nerven der Herztätig¬
keit — vor allem auf Vagus und Depressor — zugesprochen; das
Schilddrüsensekret soll die Erregbarkeit der centralen und peri¬
pheren Endorgane, wahrscheinlich auch die der Stämme des Herz¬
vagus und des Depressor erhöhen. Es war nämlich v. Cyon ge¬
lungen, durch intravenöse Injektionen von Jodothyrin bzw. Jod-
1) Der Begriff der Vagotonie und Sympathicotonie wird in jüngster
Zeit vielfach angefochten. Auch mir scheint es, als ob die Autoren die
Ursache für diese Differenzen zu einseitig in eine spezielle Disposition
der Erfolgsorgane projizierten, dabei aber die veränderte Arbeits¬
leistung, die aus der Störung des polyglandulären Systems resultiert,
ausser acht Hessen. Gerade das Wechseln und Intermiltieren der Basedow
Symptome z. B. zeigt, dass für bestimmte Kradkheitsersebeinungefa nicht
nur die spezielle Disposition eines Nerven, sondern auch cfie jeweilige
Arbeitsleistung des gestörten Systems ausschlaggebend ist.
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17. Februar 1913.
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thyreoglobulin eine Blutdrucksenkung und eine Verlangsamung
sowie Verstärkung der Herzaktion (Aktionspulse) herbeizuführen.
Io mannigfachen Untersuchungen ist die Einwirkung des
Jodothyrins auf das Herznervensystem nachgeprüft worden; doch
ist bisher noch keine volle Einigung, erzielt worden. Von den
einen wurde eine Steigerung des Blutdrucks, von den anderen
wiederum eine Senkung beobachtet; eine Reihe von Experimenta¬
toren faod Pulsbeschleunigung, andere hingegen Pulsverlang-
samnng. Eine charakteristische Wirkung des Jodothyrios auf den
Circulationsapparat von Hunden und Kaninchen ist nach den
heutigen Erfahrungen nicht sichergestellt (Biedl). Nur das
Kreislaufsystem der Katze scheint in typischer Weise durch Jodo-
thyrin beeinflusst zu werden: deutliche Biutdrucksenkung sowie
Auftreten grosser, langsamer Vaguspulse (Biedl); letztere
kommen durch eine Reizung des Vaguscentrums in der Medulla
oblongata zustande. Spätere Untersuchungen lehrten indessen,
dass diese Symptome nicht als spezifische Wirkungen des Jodo-
thyrius aufzufassen, sondern auch durch Injektion jodierter
Eiweisskörper hervorzurufen seien (Biedl). Das Thierexperitnent
hat uns mithin noch nicht zu einer sicheren Erkenntnis der Beein-
flassuog des Vagussystems durch das Schilddrüsensekret ver¬
boten.
Auch die klinischen Befunde bringen noch keine feststehenden
Ergebnisse. Ist doch gerade die Tachycardie, also ein Sympathicus-
symptom, eine Kardinalerscheinung der Basedowschen Krankheit,
durch welche möglicherweise die Vagusreizung verdeckt wird.
Auch die Blutdruckbestimmungen haben nicht zu einheitlichen
Resultaten geführt; Oppenheim fand meist Blutdrucksteigerung.
Wenngleich auch bei der Basedowschen Krankheit die Be¬
teiligung des autonomen Herznervenapparates nicht so deutlich
bervortritt, so bleiben immerhin noch eine ganze Reibe von
Symptomen, welche wahrscheinlich auf eine Reizung des auto¬
nomen Nervensystems bezogen werden können (Eppinger und
Hess). Da werden die Erweiterung der Lidspalte, da die Diar¬
rhöen (vermehrte Vagustätigkeit), da Störungen der Atmung,
welche sich gelegentlich in Dyspnöe äussern können, erwähnt;
vielleicht ist auch das Gräfe’sche Phänomen als eine Reix-
encheinung des autonomen Systems zu deuten. Hingegen werden
wir andere Erscheinungen, welche Eppinger und Hess — wohl
etwas willkürlich, wie Biedl sagt — als Vagussymptome auf¬
gefasst haben, vermehrte Schweisssekretion, Kongestionen und
circum8cripte Oedeme eher auf Rechnung des modifizierten Sym-
pathicustonus setzen.
Auch bei Athyreosis finden sich einzelne Symptome, die auf
einen veränderten Tonus des autonomen Nervensystems sch Hessen
lassen. Als solche sind nach Biedl anzusprechen die Trägheit
der Darmbewegungen, die geringen Wirkungen des speziell den
Vagus beeinflussenden Pilocarpins und die gesteigerte Wirkungs¬
intensität des Atropins auf das 'Auge schilddrüsenloser Tiere.
Eine kurze Diskussion über die Aetiologie der Basedow’scben
Krankheit möge das Schilddrüsenkapitel schliessen. Im Mittel¬
punkt des Basedow steht nach wie vor die Hypersekretion der
Schilddrüse. Mit dieser Erkenntnis aber ist der alte Streit, ob
denn die letzte Ursache des Leidens in der Schilddrüse selbst
oder ausserhalb derselben gelegen sei, noch nicht geschlichtet.
In seinem schon oft erwähnten Buch hat Biedl wiederum der
schon früher geltenden Anschauung Ausdruck verliehen, dass die
Ursache der Sekretionsanomal re der Schilddrüse möglicherweise
in einer primären Erkrankung des Sympatbicus oder seiner Ur¬
sprungsgebiete im Nervensystem zu suchen, dass also eine neurogen-
thyreogene Theorie des Basedow denkbar sei.
Hierzu bemerke ich folgendes:
Unter den auslösenden Ursachen der Krankheit stehen an
erster Stelle heftige Gemütserschütterungen. Besonders exponiert
ist das weibliche Geschlecht, das von vornherein psychischen
Insulten gegenüber weniger widerstandsfähig ist. Das häufige
Einsetzen des Leidens im Anschluss an die Menstruation und
nach Geburten, also Perioden, in denen die psychische Energie
erheblich vermindert ist, verdient besonders hervorgehoben zu
werden. Die genannten Momente deuten auf die schon früher
geäusserte Wahrscheinlichkeit hin, dass die eigentliche Ursache
des Leidens häufig cerebral bedingt sei. Gewiss mag es eine
Reihe von Fällen geben (Kocher), in denen die Schilddrüse
direkt angegriffen wird (Jodbasedow, Basedow im Anschluss an
Infektionskrankheiten). Aber für eine grosse Reihe von Fällen
scheint unserer Auffassung nach der cerebrale Ursprung ziemlich
gesichert. Kaum möglich erscheint es nach Lage der Dinge,
eine primäre Erkrankung des sympathischen Systems anzunehmen.
Psychische Traumen köonen ibter Natur nach nur aof das
Centralorgan einwirken, nicht aber . am sympathischen
Nervensystem angreifen. Wir schljessen folgendermaassen; Der
Basedowschen Krankheit liegt eine Hypersekretion der Schild¬
drüse zugrunde, welche einen spezifisch reizenden Einfluss einer¬
seits auf das Gehirn, andererseits auf das vegetative Nerven¬
system ausübt und im weiteren Verlauf die Tätigkeit bestimmter
anderer Blutdrüsen modifiziert; das vegetative Nervensystem wird
hauptsächlich in seinem sympathischen, zum Teil auch in seinem
autonomen Anteil betroffen. Die Ursache der Schilddrüsenhypetv
Sekretion liegt entweder in der Schilddrüse selbst (Fäjle von
Jodbasedow, Basedow nach Infektionskrankheiten), in einer grossen
Anzahl von Fällen aber scheint das Leiden cerebralen Ursprungs,
die vermehrte Sekretion der Schilddrüse erst sekundär bedingt
zu sein. .
(Fortsetzung folgt.)
Zur Pneumothorax-Therapie.
Von
Dr. E. Aron,
Leitender Arzt an) Krankenhaus der JQdiQchen Gemeind# zu Berlin.
Während in früheren Jahren nur selten die Gelegenheit ge¬
boten wurde, Messungen des intrapleuralen Druckes und graphische
Aufzeichnungen desselben am Menschen auszufübren, ist es heut¬
zutage häufiger möglich, derartige, nicht uninteressante Unter¬
suchungen vorzunehmen. Dies ist in allen den Fällen ausführ¬
bar, welche mit Stickstoffinsufflationen in die Brusthöhle behandelt
werden. Was früher nur im Tierexperimente statthaft war, ist
heute infolge der Pneumothorax-Therapie am Menschen naebzu-
ahmen zulässig. Ich selbst habe vor längerer Zeit 1 ) eingehend?
Stadien über den Pneumothorax bei Kaninchen aogestellt und
veröffentlicht und habe such beim Menschen, so weit dies an¬
gängig war und sich mir die Gelegenheit dazu bot, Bestimmungen
des Pleuradruckes und graphische Aufzeichnungen bei den verr
sebiedenen Pneumothoraxformen publiziert. Später habe, ich dies?
Studien in einem kleinen Buche „Die Mechanik und Therapie des
Pneumothorax 11 (Berlin 1902) zusammengefasst« Ich möchte be¬
sonders auf die Tafel II in diesem Buche hiuweisen, welche uns
über den intrapleuralen Druck beider Brusthöhlen und über den
Blutdruck hei den verschiedenen Formen des Pneumothorax Auf¬
schluss gibt.
Ich bin auf Grund meiner Tierversuche zu der Ueberzeugung
gekommen, dass es für den Tierkörper gefährlich wird, wenn wir
den Pleuradruck einseitig (durch immer neue Lufteiublasungen)
positi v gestalten. Wird der Pleuradruck stärker positiv, so dass
die Atmung dieser Seite ganz aufhört, so treten sehr bald all¬
gemeine Krämpfe ein, der Blutdruck fällt und weist bedrohliche
Schwankungen auf. Die Atmung wird beängstigend langsam und
tief. (Die näheren Angaben finden sich auf Seite 19, 25 und 26
meines Buches.) Diese Erfahrungen, welche ich vielfach kn Tier¬
experiment gesammelt habe, sollten wir bei der Pneumothorax-
Therapie beherzigen. Dann werden weniger zahlreiche Unglücks¬
fälle sich bei dieser Art Therapie ereignen. ' Sobald der Druck
in der Brusthöhle infolge der N-Einführung positiv wird, muss
man mit der Fortsetzung derselben/sehr vorsichtig sein. Hat
man sich davon überzeugt, dass der Patient die N-lnsufflation
gut verträgt, so kann man gradatim damit weiter gehen und
kann den Pleuradruck nach und nach sogar stärker positiv
machen. Man muss jedoch stets den Blutdruck, die Atmung un<J
das Allgemeinbefinden des Patienten im Auge behalten. Sobald
sich irgendwelche Störungen einstellen, muss man sofort die Ein¬
blasungen unterbrechen. Man darf unter keinen Umständen die
Collapstberapie von vornherein so weit treiben, dass die be¬
handelte Lunge bei der Atmung absolut stille steht. Das wäre
im höchsten Grade gefährlich. Das Allgemeinbefinden und der
Kräftezustand des Herzens sind von sehr wesentlicher Bedeutung
und bestimmen, wie weit in jedem Falle mit der Pneumothorax-
Therapie gegangen werden darf. Man muss hierbei streng indi¬
vidualisieren. Das Manometer muss unter allen Umständen
stets bei den N-Einblasungen unser Berater und Führer sein. Ich
halte es für fehlerhaft und gefährlich, auf das Manometer bei
1) Vifohow’s Archiv, 1896, Bd. 145. Experimentelle Studien über
den Pneumothorax.
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806
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
der Collapstherapie za verzichten, wie dies verschiedentlich vor-
geschlagen worden ist. Es liegt aach gar kein ersichtlicher
Grund dazu vor. Die Therapie als solche wird dadurch in keiner
Weise kompliziert.
Ich habe die Stickstoffinsufflation dazu benutzt, um in ähn¬
licher Weise, wie ich es seinerzeit beim Kaninchen ausgeführt
habe, nun auch beim Menschen den normalen Druck in der Pleura¬
höhle zu messen und Kurvenzeichnungen des normalen Pleural¬
druckes herzustellen, sowie Messungen und Zeichnungen des Pleura¬
druckes beim geschlossenen Pneumothorax am Menschen auszu-
fÖhren. Die hierför erforderliche Technik war eine recht ein¬
fache. Statt des Wassermanometers, welches bei den Stickstoff¬
einblasungen meistens gebraucht wird, verwendete ich ein Glycerin¬
manometer mit Schwimmer und Zeichenfeder, so dass auf einer
rotierenden Kymographiontrommel sich die Schwankungen des
Druckes in der Brusthöhle in Form einer Kurve aufzeichnen.
(Unsere Kurven sind von rechts nach links zu lesen. Bin Queck¬
silbermanometer zu verwenden, empfiehlt sich nicht, da dann die
Ausschläge und Kurven zu niedrig werden.) Bevor ich mit den
N-Einblasungen anfing, habe ich eine Kurve der Schwankungen
des Pleuradruckes bei meinem Phthisiker gezeichnet Als Mittel¬
wert ergab sich:
för die Inspiration — 7,49 mm Hg
„ „ Exspiration — 6,83 „ „
Schon fröher 1 ) habe ich einmal den intrapleuralen Druck
bei einem lebenden, normalen Menschen bestimmt und damals
folgende Mittelwerte erhalten:
för die Inspiration — 4,64 mm Hg
und „ „ Exspiration — 3,02 „ „
Wenn meine heutigen Werte des Pleuradruckes nicht un¬
wesentlich grösser ausgefallen sind als bei dem früheren Versuche,
so werden wir in Betracht ziehen müssen, dass ein gesunder
Mensch im allgemeinen oberflächlicher atmet als ein lungenkrankes
Individuum.
Dann wurde N in die Pleurahöhle hineingelassen. Ich liess
jedesmal, wenn 100, später 200 ccm N in die Brusthöhle hinein¬
getreten waren, die N-Zufuhr unterbrechen und verzeichnete eine
neue Kurve des Pleuradruckes bei meinem Patienten. Im ganzen
wurden 1000 ccm N insuffliert. Ich bekam also Kurven des
Pleuradruckes bei einem geschlossenen Pneumothorax von einem
Menschen, und zwar näherte sich der Pleuradruck bei dem Ver¬
suche allmählich immer mehr der Nullhöhe. Ich hörte mit der
N-Einblasung auf, bevor der Pleuradruck positiv wurde. Ich
lasse die Werte des Pleuradruckes, welche sich bei der Aus¬
messung der Kurven bei dem Pneumothorax ergeben haben,
folgen:
Inspiration
mm Hg
Exspiration
mm Hg
Tiefe der
Respiration
Normaler Pleuradruck . .
- 7,49
— 6,88
0,66
100 ccm N injiziert . .
-7,00
-5,94
1,06
200 „ „ n . •
! - 5,85
-4,55
0,80
400 , „ *
! — 4,18
— 8,44
0,74
600 , „ „
— 2,25
— 1,53
0,72
800 „ „ „
i -2,12
— 1,26
0,86
1000 nt) n
i - wi
-0,66
0,75
Auch am Ende der N-Insufflation zeigt die Lunge der be¬
handelten Seite noch deutliche Ausschläge des Manometers, d. h.
sie nimmt noch an der Atmung teil. Wird die Collapstherapie
(bei späteren Nachfullungen) sehr weit getrieben, so wird schliess¬
lich ein Stadium erreicht werden, in dem die behandelte Lunge
gar nicht mehr mitatmet. Dann verzeichnet das Manometer eine
annähernd horizontale Linie, wie ich dies seinerzeit bei den
Tierversuchen gesehen habe (cf. cit. Buch, Tafel II, nach Injektion
von 90 ccm Luft). Einige Kurven finden sich am Ende der
Arbeit.
Was die Indikationsstellung der Collapstherapie betrifft,
so will ich hierauf nur insoweit eingehen, als ich hierför aus
meinen früheren Tierexperimenten gewisse Anhaltspunkte erhalten
habe. Wir bezwecken bekanntlich mit der Stickstoffinsufflation,
die kranke Lunge möglichst ruhig zu stellen, um so die Möglich¬
keit för die Ausheilung des krankhaften Prozesses zu schaffen.
1) Der intrapleurale Druck beim lebenden, gesunden Menschen.
Virchow’s Archiv, 1900, Bd. 160. Die Kurve selbst findet sich in
Virchow's Archiv, 1902, Bd. 170, S. 269.
Es wurde ursprünglich beabsichtigt, nur einseitige Erkrankungen
dieser Behandlungsart zu unterwerfen. Später sind die Indikationen
dieser Therapie weiter gefasst worden, und man hat auch Fälle
von Lungentuberkulose zugelassen, welche doppelseitige Erkran*
kungen derart aufweisen, dass die eine Seite wesentlich stärker
affiziert ist. Man hat behauptet, dass auch die andere, nicht be¬
handelte Seite ausheile, bzw. sich bessere. Wie das zustande
kommen soll, auch dafür bat man sich Theorien zurechtgemacht
Wenn man sich jedoch vor Augen führt, was mit der anderen
Lunge geschieht, wenn man eine Lunge ausser Funktion stellt
so scheinen mir die Aussichten für eine Ausheilung auch der
anderen Seite recht wenig verheissungsvoll zu sein. Auch aof
diese wichtige Frage geben meine früheren Tierexperimente eine
eindeutige Antwort (cf. Monographie, Tafel II). Die Exkursionen
der anderen Lunge werden grösser, die andere Lunge atmet tiefer,
je mehr wir die eine Lunge durch Lufteinspritsungen von der
Atmung ausscbalten. Dies prägt sich klar und deutlich an jener
Kurve 11 aus. Während die Ausschläge des Pleuradruckes infolge
der Luftinjektion auf der behandelten Seite successive immer kleiner
und oberflächlicher werden, vertiefen sich die Druckschwankungen
der anderen, nicht injizierten Seite. Mit anderen Worten: die
nichtbehandelte Lunge atmet um so tiefer, je mehr die behandelte
Lunge von der Atmung ausgeschaltet wird. Am ausgeprägtesten
und deutlichsten trifft dies zu, wenn wir den Pneumothorax durch
immer erneute Lufteinspritzung in die Brusthöhle so weit steigern,
dass die Lunge dieser Seite gar nicht mehr atmet; dann führt
die andere Lunge bei der Atmung besonders tiefe Exkursionen
aus. Dieses Stadium ist für das Fortbestehen des Lebens der
Kaninchen besonders gefährlich. (So weit sollte nach meinem
Dafürhalten die Pneumothorax-Therapie beim Menschen niemals
getrieben werden. Zum mindesten ist dann grosse Vorsicht ge¬
boten.) Wenn wir uns die Frage vorlegen: was besagen diese
tiefen Exkursionen der nicht injizierten Seite? Für eine gesunde
Lunge mag diese tiefe Respiration keine besondere Bedeutung
haben. Wie verhält es sich jedoch, wenn diese Lunge gleichfalls
erkrankt ist? Für eine kranke Lunge bestehen bei exzessiver
Atmung derselben grosse Gefahren. Es ist sehr wahrscheinlich,
dass durch diese forcierte Atmung die Lungensekrete in tiefere,
bisher vielleicht gesunde Teile der Lunge aspiriert werden und diese
infizieren. Wenn wir die Kompressionstherapie deshalb empfehlen,
um die kranken Teile ruhig zu stellen und so die Chancen für
eine Ausheilung anzubahnen, so werden wir uns logischerweise
wohl vorstellen müssen, dass auf der anderen Seite infolge der
vertieften Atmung eine Ausheilung geradezu undenkbar wird.
Wenn es also erlaubt ist, aus diesen experimentellen Beobachtungen
einen praktischen Schluss zu ziehen, so darf man zur Pueumo-
thoraxbehandlung nur wirklich einseitige Lungenprozesse aas¬
wählen, da man sonst Gefahr läuft, dass die andere Seite kränker
wird. Wenn wir die Indikation für die Collapstherapie der
Lunge wirklich streng ziehen und nur schwere, fieberhafte, ein¬
seitige, herabgekommene, progrediente Fälle, welche allen
anderen Mitteln getrotzt haben, zulassen, so werden diese Fälle
nicht eben zahlreich sein. Bei derartigen Patienten wird eben sehr
oft schon die andere Lunge miterkrankt sein.
Wenn die Pneumothoraxtherapie sich nur recht langsam ein¬
bürgert, so liegt das an verschiedenen Ursachen. Zunächst liegt
dies daran, dass die Indikationsstellung bis heute noch eine recht
strittige ist. Für den in dieser Therapie noch Unerfahrenen
wird es daher schwer, sich wirklich aussichtsvolle Fälle heraus-
zusueben. Für den inneren Arzt bietet die Pneumothoraxtherapie
insofern einige Schwierigkeiten, als die Technik nicht so ganz
einfach erscheint. Sie ist jedoch nicht schwer zu erlernen. Aller¬
dings gebraucht man Assistenz und die Einrichtungen eines
Krankenhauses oder Sanatoriums mit Röntgeninstitut. Trotz
genauer vorheriger Untersuchung wird man nie mit absoluter
Sicherheit Voraussagen können, dass die N-Einblasung auch
wirklich gelingen wird. Es werden immer mal Versager Vor¬
kommen, in denen unvorhergesehene Verwachsungen den Erfolg
unmöglich machen. Dann sind Unglücksfälle bei dieser Behand¬
lungsart berichtet worden, und gerade dieser Umstand mag wohl
manchen Arzt jabgeschreckt haben. Ich glaubo jedoch, dass sich
die Unglücksfälle im allgemeinen vermeiden lassen, wenn man
nie ohne Manometer arbeitet und mit den Stickstoffeinblasungen
nur dann beginnt, wenn man sich an dem Manometer vergewissert
hat, mit der Hohlnadel wirklich in der Brusthöhle zu sein. Das
Manometer muss sowohl in- wie auch exspiratorisch einen
negativen Stand haben. Schliesslich hat wohl auch die Vor¬
stellung, dass ein Pneumothorax eine unheilvolle Komplikation
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
807
der Lungentuberkulose sei, manchen Arst von dieser Therapie
abgeschreckt. So begreiflich auch diese Anschauung nach dm
Erfahrungen am Krankenbette sein mag, so wenig ist sie gerecht¬
fertigt, wenigstens in diesem weiten Sinne. Was wir bei unseren
Tuberkulösen zu sehen gewöhnt sind, das ist fast stets ein Ventil¬
pneumothorax mit seinen allerdings bedeutenden Gefahren. Ganz
anders liegen jedoch die Verhältnisse, wenn wir bei unseren
N-Insufflationen einen geschlossenen Pneumothorax mit
nicht hohem Pleuradruck etablieren. Der Ventilpneumothorax
wirkt deshalb so verhängnisvoll, weil bei ihm ein hoher positiver
Pleuradruck entsteht mit seinen deletären Konsequenzen fQr die
Atmung und den Blutdruck. Deshalb werden wir bei unseren
therapeutischen Bestrebungen den Pleuradruck niemals so hoch
treiben dürfen. Wenn wir v aber dies als Regel beherzigen, so
brauchen wir die Anlegung eines geschlossenen Pneumothorax mit
niedrigem Pleuradruck nicht zu fürchten.
Die ganze Pneumothoraxtherapie basiert bekanntlich auf den
freilich nicht gar zu häufigen Erfahrungen, welche besagen, dass
das Entstehen eines Pneumothorax im Verlaufe einer Lungentuber¬
kulose zuweilen keine Verschlimmerung der Krankheit be¬
deute, sondern direkt die Krankheit im günstigen Sinne beeinflusse.
Diese Beobachtung ist schon ziemlich alten Datums (Stokes,
Wintrich). So konnte es nicht fehlen, dass die künstliche
Herstellung eines Pneumothorax zu Heilzwecken auch schon vor
Forlanini vorgeschlagen worden ist. Weil 1 ) kritisiert diesen
Vorschlag freilich als „Kuriosität“. Heute stehen wir diesen
Dingen doch etwas anders gegenüber. Wir ahmen mit der
Pneumothoraxtherapie also nur das nach, was uns die Natur
gelehrt hat. Wenn die Natur diese Heilung bei einem Phthisiker
in die Wege leitet, indem ein Pneumothorax entsteht, so ist diese
Naturheilung meist mit so grossen Gefahren verbunden, dass die
Kranken oft an den Folgen des Pneumothorax zugrunde gehen.
Es musste daher das Bestreben sein, diese Naturheilmethode,
möchte ich sagen, derart zu gestalten, dass sie ihrer vitalen
Gefahren beraubt wurde. Und dies ist wohl dank der Arbeiten
vieler Forscher, besonders Forlanini’s und Brauer’s, zum
grössten Teil gelungen.
Kurve 1 ist gewonnen, bevor mit den N-Einblasungen be¬
gonnen wurde; sie ist also eine Kurve der Druokschwankungen
des normalen Pleuradrucks unseres Patienten.
Kurve 2 drückt die Schwankungen des Pleuradrucks aus,
nachdem 400 ccm N injiziert waren.
Kurve 8 wurde gezeichnet, nachdem 1 1 N in die Brusthöhle
eingeführt war. Die horizontale Linie ist die Nuliinie sämtlicher
Kurven.
Zusammenfassung.
Die Pneumothoraxtherapie soll nur Verwendung finden bei
einseitigen, progredienten Fällen von Lungentuberkulose, welche
jeder anderen Therapie getrotzt haben. Mit den N-Insufflationen
darf nur begonnen werden, wenn man sicher ist, wirklich in der
Pleurahöhle mit der Nadel zu sein. Man darf die Einblasungen
nie forcieren und soll stets ein Manometer verwenden. Sobald
der Pleuradruck sich der Nuliinie nähert, ist besondere Vorsicht
erforderlich.
1) Zur Lehre vom Pneumothorax. Leipzig 1882, S. 166.
Aus dem hygienischen Laboratorium des klinischen
Institutes der Grossfiirstin Helena Pawlowna zu
St Petersburg (Vorstand: Prof. Dr. G. W. Chlopin;
Leiter der bakteriologischen Abteilung; Assistent
Privatdozent Dr. G. D. ßelanowsky.)
Ueber die Magensaftanaphylaxie.
Von
Dr. E. Manoiloff.
Anaphylaxie oder Ueberempfindlicbkeitsreaktion ist ein bio¬
logisches Phänomen, welches im Laufe der letzten Jahre näher
studiert und erkannt wurde. Dieses neue biologische Phänomen
hat man für die biologische Eiweissdifferenzieruog verwertet.
Aus den bisherigen Forschungen ist bekannt, dass auf jede fremde
Eiweissart, die nicht durch den Magendarmkanal geht, der Orga¬
nismus antwortet mit der Bildung spezifischer Substanzen — der
Antikörper, die bestimmt sind, diese Eiweisse zu verarbeiten und
sie assimilierbar zu machen.
Ublenhuth hat zuerst auf Grund diesbezüglicher, in Gemein¬
schaft mit Haendel angestellter Versuche auf die allgemeine
Bedeutung der Reaktion für praktische Zwecke, speziell auch für
die forensische Praxis zur Differenzierung von Blut- und Fleisch¬
sorten hingewiesen, dabei zugleich auch auf ihre Nachteile auf¬
merksam gemacht 1 ). Den Gedanken einer praktischen Verwertung
der Reaktion haben ferner Hermann Pfeiffer, Thomson und
Sleeswick bei ihren Untersuchungen verfolgt. Die praktische
Anwendung der Reaktion ist jedoch bisher nur auf einzelne Ver¬
suche beschränkt geblieben; allgemeine Anwendung hat die Re¬
aktion in der Praxis noch nicht gefunden. In den bisher er¬
schienenen allgemeinen Uebersichten (Doer, Otto, Besredka,
Levaditi) über die Anaphylaxie finden sich daher in dieser
Hinsicht auch noch keine näheren Angaben. Sleeswick,
Hermann Pfeiffer und Thomson haben die Reaktion zunächst
nur in forensischer Hinsicht zur Untersuchung von Blutarten zu
verwenden versucht.
Thomson 1 ) gelang es mit Hilfe der Reaktion, 2—8 Monate
alte, an Leinwandstücken angetrocknete Blutflecke von Menschen-,
Affen-, Hühner-, Tauben-, Schaf- und Ziegenblut bezüglich ihrer
Herkunft zu identifizieren.
Von gewisser Bedeutung für die Beurteilung der Verwertbar¬
keit der Reaktion in forensischer Hinsicht ist aber die Beob¬
achtung, dass auch mit normalem, nachweislich nicht eiweiss¬
haltigem menschlichen Urin vorbehandelte Meerschweinchen bei
Nachprüfung mit menschlichem Serum, nicht aber bei Nach¬
prüfung mit Urin passiv reagierten.
Eine umstrittene Frage bildet noch die Organspezifität der
Tumorzellen. Nach v. Düngern und Coca*), Jamanouchi 8 }
sollen tumortragende Menschen und Tiere anaphylaktischer gegen
ihr Tumoreiwei88 sein; dieses müsste sich also biologisch von dem
übrigen Körpereiweiss unterscheiden. Hermann Pfeiffer und
Finsterer 4 ) glauben durch diese Methode der passiven Ana¬
phylaxie im Serum von Krebskranken Antikörper gegen Krebs¬
gewebe nachgewiesen zu haben. Diese Angaben werden aber
von Apolant 6 ), Ranzi*), Elias 7 ) u. a. bestritten.
Spiro Levierti konnte in geistreichen Versuchen mittels
Magensaftes von Krebskranken die passive Anaphylaxie auf Tiere
übertragen. Dieser Forscher spritzte subdural den Meerschweinchen
Carcioomsaft ein und reinjizierte nach bestimmter Zeit den Ver-
1) Uhlenhuth und Weidanz, Praktische Anleitung zur Aus¬
führung des biologischen Eiweissdifferenzierungsverfährens. 1909.
2) v. Düngern und Coca, Ueber Massensarkome, die in Kaninchen
wachsen, und über das Wesen der Geschwulstimmunität. Zeitschr. f.
Immunitätsforsch., Bd. 2, S. 891.
8) Jamanouchi, Sur la Diminution de l'excitabilitö des nerfs ches
les animaux preparös aveo le s£rum d’une espeoe 6trangere. Ann.
Pasteuri, 1909, Bd. 28, S. 7.
4) Hermann Pfeiffer und Finsterer, Ueber den Naohweis eines
gegen das eigene Caroinom gerichteten Antikörpers im Serum von Krebs¬
kranken. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., 1910, Bd. 45.
5) Apolant, Ueber die Empfindlichkeit von Krebsmägen gegen
intraperitoneale Tumorinjektionen. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 8.
6) Ranzi, Zur Frage des Nachweises eines spezifischen ana¬
phylaktischen Reaktionskörpers im Blute von Tumorkranken. Wiener
klin. Woohenschr., 1909, Nr. 28.
7) Elias, Die temperaturherabsetzende Wirkung von Gewebspress-
säften und Lipoiden und ihre Bedeutung für die Pfeiffersche Reaktion
Beitr. z. Caroinomforsch., Bd. 1, H. 2.
5*
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308
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
suchstieren Magensaft von Krebskranken. Als Resultat stellte
sich heraus, dass die vorbereiteten Tiere allgemeine anaphylak¬
tische Erscheinungen zeigten mit charakteristischem Sinken der
Temperatur.
Auf Grund seiner Versuche zieht Levierti folgende Schluss¬
folgerungen:
1. dass der Magensaft von Krebskranken, bei denen der Krebs
in anderen Organen bsw. Gegenden als dem Magen lokali¬
siert war, gesunden Tieren (Meerschweinchen) subdural ein¬
gespritzt, bei diesen, selbst io der Dose von 1 ccm keine
toxische Wirkung entfaltet;
2. dass der Magensaft von Krebskranken (drei seiner Patienten)
mit extrastornachalem Krebs bei durch Mammacarcinom-
extrakt vorbereiteten Tieren, subdural eingespritzt, selbst
in der Dosis von 1 ccm keine anaphylaktischen Erschei¬
nungen hervorrief;
3. dass hingegen der Magensaft eines Magenkrebskranken,
gesunden Tieren subdural eingespritzt, selbst in der Dosis
von 0,05 ccm, eine starke Giftwirkung entfaltete, welche
den Exitus letalis zur Folge hat;
4. dass derselbe Magensaft bei durch Mammaoarcinomextrakt
vorbereiteten Tieren, subdural eingespritzt, selbst in der
minimalen Dosis von 0,2 ccm, ganz deutliche anaphylak¬
tische Erscheinungen herbeiführt.
Aus seinen Versuchen ging hervor, dass der Magensaft der
drei von ihm untersuchten Krebskranken mit extrastomachaler
Lokalisierung des Carcinoms sich in derselben Weise verhielt
wie der Magensaft normaler Individuen. Dagegen rief der Magen¬
saft Krebskranker bei vorbebandelten Tieren deutliche anaphylak¬
tische Erscheinungen hervor, ;
Spiro Levierti ist deshalb der Ansicht, dass die durch
Magensaft der Magenkrebskranken hervorgerufenen anaphylak¬
tischen Erscheinungen streng spezifisch sind für Magencarcinom.
In den letzten Jahren habe ich' Gelegenheit gehabt, einige
Patienten zu beobachten, die teils an Magencarcinom litten, teils
Geschwülste an anderen Organen trugen. Ich stellte mir die
Aufgabe, zu untersuchen, ob es möglich wäre, mittels Magensaftes
von Krebskranken passive Anaphylaxie bei Tieren hervorzurufen
und zugleich die Levierti’schen Versuche über Magensaftanaphylaxie
zu prüfen* _ ... ■
Der Zweck der vorliegenden Arbeit, ist also in erster Linie
der, unsere^ Beobachtungen bezüglich der Magensaftanaphylaxie
als serodiagnoslisches Mittel in den von mir beobachteten Fällen
Magenkrebskranker bekannt zu machen.
Eigene Untersuchungen.
Im ganzen habe ich 11 Personen untersucht, und zwar:
8 Carci nomkranke, davon 4 Magenkrebskranke, eine Mamma-
qarcinompatientin, 3. Uteruscarcinomkranke und 2 Patienten mit
Ulcus yentriculi.
' ' Herstellung der einzelnen Magensäfte.
In der Herstellung der Magensäfte habe ich mich im allgemeinen an
die Angaben von Spiro Levierti gehalten. Da es aber auf die
Methodik der Versuche viel ankommt, so muss sie eingehend beschrieben
werden.
Von 8 Uhr. abends an bis zum nächsten Morgen hatten meine
Patienten nichts genossen. Um V 2 3 Uhr morgens verabreichte ich den¬
selben das bekannte Ewald’sche Probefrühstück, was ich nach dreiviertel
Stunden wiederholte.
Bei der Gewinnung des Magensaftes befolgte ich selbstverständlich
alle'möglichen Maassregeln der Asepsis. Die Sonde sowie die Gläser
sind sterilisiert worden. Das gewonnene Material wurde zweimal durch
das sterile Filterpapier filtriert und danach durch Zusatz einiger Tropfen
von gesättigter Sodalösung neutralisiert und etwas leicht alkalisiert.
Der Magensaft wurde nur von solchen Magenkrebskranken genommen,
bei. denen die Diagnose durch die Feststellung der klinischen find
chemischen Untersuchungen sichergestellt war. Ausserdem wurde zu
Kontrollversuohen Magensaft von gänzlich normalen Individuen- ge¬
nommen. und ferner von zwei Patienten, eines mit Gastritis chronica
byperacid. und eines mit Gastritis chronica... .
. Herstammung und Herstellung des Krebssaftes.
Das Material, mit welchem ich meine Tiere vorbereitete, stammte
von einem typischen Larynxcarcinom, dessen Diagnose durch die histo¬
logische Untersuchung sichergestellt war, und wurde mir in freundlicher
Weise von Herrn Marinestabsarzt Dr. Krawtschenko aus dem hiesigen
Obuchow-Hospital nach der Operation (herausgenommen) gleich über¬
geben. Aus dieser Geschwulst stellte ich ein wässeriges Extrakt in
steriler physiologischer Kochsalzlösung her. Die Gescbwult wurde zuerst
mit einer, sterilen Schere zerschnitten, dann mit einem sterilen Glas¬
stäbchen fein zerrieben. Dieser Extrakt wurde duroh steriles Filterpapier
zweimal filtriert, auf verschiedene 5 ccm haltige Fläschchen verteilt,
zugeschmolzen und in den Eisschrank gestellt.
Allgemeine Technik der subduralen Injektion des Magen¬
saftes.
Ich bediente mich eines gewöhnlichen Trepans und ging ganz genau
so vor, wie man bei rotiatischen Zwecken vorgeht.
Aus meinen Versuchsprotokollen will ich folgende Tatsachen dar¬
stellen:
1. Magensaft von N. P., Unteroffizier, 49 Jahre alt, leidet seit einem
Jahre an Magencarcinom.
Es wurde drei gesunden Meerschweinchen subdural Carcinomsaft
eingespritzt. Meerschweinchen Nr. 1 bekam 0,15, Nr. 2 0,8 und Nr. 8
0,75 ccm des Saftes.
Nach 14 Tagca wurde den Meerschweinchen intravenös in steigenden
Dosen Magensaft eingespritzt (Meerschweinchen Nr. I 0,2, Nr. 2 0,5 und
Nr. 3 1 ccm). Das Versuchstier Nr. 1 blieb gesund ohne jedes Symptom,
jedoch die Meerschweinchen Nr. 2 und Nr. 3 zeigten sofort typische
anaphylaktische Erscheinungen. Temperatur vor Reinjektion 33,6 stand
nach der Injektion auf 36,5.
2. Magensaft von Frau A. P., 51 Jahre alt, leidet seit einem
Jahre an Magencarcinom.
Es wurde drei gesunden Meerschweinchen (Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 8)
subdural 0,2 (Nr. 1), 0,3 (Nr. 2) und 0,5 (Nr. 3) Carcinomsaft eingespritzt.
Nach 48 Stunden wurde intravenös in steigenden Dosen Magensaft
als Reinjektion 0,05 (1), 0,15 (2) und 0,50 (8) eingespritzt. Resultat:
Sowohl bei Meerschweinchen Nr. 2 als auch Nr. 3 bildeten sich typische
anaphylaktische Erscheinungen. Nach wenigen Minuten erfolgte Exitus.
Meerschweinchen Nr. 1 gab anaphylaktische Erscheinungen, jedoch mit
schwachen Krämpfen. Temperatur vor Reinjektion 39, sank nach der
Injektion auf 37,2.
3: Magensaft von K. J., 58 Jahre alt, leidet seit 8 Monaten an
Magencarcinom, stark kachektisch.
Drei gesunde Meerschweinchen erhielten Nr. 1 0,03, Nr. 2 0,1 und
Nr. 3 0,75 ccm Carcinomsaft.
Nach 14 Tagen wurde als Reinjektion den Meerschweinchen in
Dosen Nr. 1 0,3, Nr. 2 0,75 und Nr. 3 1 ccm Magensaft intravenös
eingespritzt. Die Temperatur sank von 38,8 auf 86,7.
Resultat: Es bildeten sich ganz deutliche anaphylaktische Erschei¬
nungen bei Meerschweinchen Nr. 1, bei den übrigen Meerschweinchen
(Nr. 1 und 2) erfolgte in wenigen Sekunden Exitus.
4. Magensaft von Frau D. L., 42 Jahre alt, leidet seit l 1 /* Jahren
an Magencarcinom.
Es wurde drei gesunden Meerschweinchen Krebssaft je 0,5 «cm sub¬
dural eingespritzt.
Nach 14 Tagen wurde Magensaft in Dosen 0,2, 0,8 und 1,0
intravenös eingespritzt. Resultat: Bei allen drei Meerschweinchen
bildeten sich typische anaphylaktische Erscheinungen. Temperatur, vor
dem Versuch 38,4, sank lach der Reinjektion auf 37.
5. Magensaft von Lina H., 50 Jahre alt, leidet seit 7 Monaten an
Uteruscarciuom.
Es wurde ganz genau dasselbe vorgenommen wie oben. Resultat:
Die Versuchstiere blieben vollständig gesund.
6. Magensaft von Herrn Max J., 51 Jahre alt, leidet seit 1 */* Jahren
an Zungenepiteloma.
Drei gesunden Meerschweinchen wurde Caroinomsaft in steigenden
Dosen 0,3, 0,5 und 0,75 ccm subdural injiziert. Nach 48 Stunden
wurde Magensaft in steigenden Dosen 0,5, 0,75 und 1 ccm intravenös
reinjiziert.
Resultat: Keine krankhaften Symptome, Temperatur unverändert.
7. Magensaft von Sophie T., 61 Jahre alt, leidet seit einem Jahre
an Mammacarcinom.
Es wurde dasselbe vorgenommen wie in den Fällen Nr. 4 und 5.
Resultat dasselbe; keine anaphylaktischen Erscheinungen, die Temperatur
unverändert.
8. Magensaft von Herrn P. G., 70 Jahre alt, leidet seit 9 Monaten
an Peniscarcinom.
Es wurde dasselbe vorgenommen wie in den Fällen 4, 5, 6 und 7.
Resultat dasselbe: Keine anaphylaktischen Erscheinungen, die Tempe¬
ratur unverändert.
9. Magensaft von Frau D. D., 39 Jahre alt, leidet seit einem Jahre
an Magencarcinom.
Es wurde dasselbe vorgenommen wie oben. Resultat: Keine
anaphylaktischen Erscheinungen.
10. Magensaft von S. J., 36 Jahre alt, leidet seit Jahren an Gastritis
chronica hyperacid. Der untersuchte Magensaft gab freie Salzlösung
0,06 pCt. Gesamte Säure 37.
Es wurde dasselbe vorgenemmen wie oben. Resultat: Keine
anaphylaktischen Erscheinungen.
11. Magensaft von R., leidet seit längerer Zeit an Gastritis chronica.
Magensaft zeigte freie Salzsäure 1,12 pCt., gesamte Säure 48.
Zu Kontrollversuchen wurden zwei Patienten mit vollständig normalem
Magensaft untersucht und in Versuchsprüfung gezogen.
Bei Meerschweinchen, die mit Carcinomsaft vorbehandelt waren, und
nach 48 Stunden oder 14 Tagen als Reinjektion mit Normalmagensaft
injiziert wurden, traten keine anaphylaktischen Erscheinungen auf.
Aus meinen Beobachtungen geht deutlich hervor: 1. Mit Carcinom¬
saft vorbehandelte Meerschweinchen geben bei Reinjektion mit Magensaft
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
von Carcinomkranken extrastomaohalen Ursprungs keine anaphylak¬
tischen Erscheinungen. 2. Mit Carcinomsaft vorbehandelte Meer¬
schweinchen geben wohl bei Reinjektion (nach 14 Tagen, ja selbst
24 Stunden) mit Magensaft von Kranken, die an Magenkrebs leiden,
anaphylaktische Erscheinungen.
Schlussfolgerungen.
Die Angaben von Spiro Levierti, dass Magenanaphylaxie
bei Magencarcinomkranken eine streng spezifische ist, ist richtig.
Aus meinen Versuchen geht hervor, dass man mittels Magensafts
der Magencarcinomkranken bei den mit Krebssaft vorbehandelten
Tieren anaphylaktische Erscheinungen hervorrufen kann, dass
aber keine anaphylaktischen Erscheinungen bei Reinjektion mit
Magensaft der extrastomachalen Krebskranken entstehen.
Aus der chirurgischen Ateilung des jüdischen Kranken¬
hauses in Posen.
Ein dritter Weg zur totalen Rhinoplastik.
Bemerkungen zu der Arbeit von E. Holländer in Nr. 3 dieser
Wochenschrift.
Yon
A. Roseistein.
Es ist Holländer entgangen, dass vor etwa zwölf Jahren
Steinthal in den Beiträgen zur klinischen Chirurgie, Bd. 29, eine
Arbeit: „Rhinoplastik aus der Brusthaut“ veröffentlicht hat.
Ein Wanderlappen von der Brust wurde auf den Arm, von dort
in das Gesicht verpflanzt.
Schon vor Steinthal’s Veröffentlichung hatte ich Gelegen¬
heit, eine totale Rhinoplastik mit Material aus der Brustbein
gegend in der Weise auszuführen, dass der umgeklappte Lappen
(um dem Kranken die stets unangenehme Immobilisierung des
Armes zu ersparen) in einen Querschnitt der Submentalgegend
eingepflanzt und von dort in einer zweiten Sitzung an die Stelle
des Defektes geführt wnrde.
Figur 1. Figur 2.
Der zu* Nasenbildung benutzte Teil des Lappens kann aus
Haut oder Haut mit Periost bzw. auch mit Knochen bestehen.
Die Nase kann in situ oder am Bestimmungsort modelliert werden.
An der Einpflanzungsstelle der Unterkinngegend — median, oder
etwas seitlich, um das Herabhängen des Lappens vor dem Munde
zu vermeiden — lässt sich durch Exzision und Naht eine lineäre
Narbe erzielen, die bei Männern noch durch den Bart ver¬
deckt wird. Auf der Brust bleibt eine Narbe genau in der
Mittellinie. .
Die Wanderlappenmethode gestattet die Brosthaut auch m
denjenigen Fällen zu benutzen, in denen, wie dies bei Männern
häufig der Fall seiin wird, das H.’sche Verfahren wegen zu grosser
Länge des Halses nsw. nicht angewandt werden kann.
In der geschilderten Ausführung ist das Maass der Kopf¬
fixierung und der damit verbundenen Belästigung des Kranken
das denkbar geringste.
Aus Dr. E. Weisz’ Heilanstalt in Pöstyen.
Beitrag zur Behandlung versteifter Fuss-
gelenke.
Von
Dr. Eduard Weis*- Bad Pöstyen.
Versteifungen der verschiedenen Fussgelenke werden selbst
bei äusserüch normalem Aussehen des Fusses ausserordentlich
lästig empfunden. Das Fussgewölbe wird auf Schritt und Tritt
durch die ganze Körperlast in Anspruch genommen; und ist ein¬
mal die Dehnbarkeit und Widerstandsfähigkeit, mit einem Wort
die Elastizität des Bandapparates dahin, muss die Belastung die
entsprechenden Punkte gewissermaassen als Angriffsstellen treffen
und dort Spannungen, Ueberdehnungen, also mehr oder minder
grosse Schmerzen hervorrufen.
Bei Terrainschwierigkeiten ist dies noch mehr der Fall.
Sind die Fussgelenke nicht geschmeidig, wird vorzüglich das
Bergsteigen, das Gehen auf schiefer Ebene, das Treppensteigen,
namentlich abwärts, ausserordentlich schmerzhaft empfunden.
Dies gilt in erster Reihe für die Versteifungen des Sprunggelenks.
Allein auch andere Versteifungen, sie mögen wo immer im Ge¬
füge des Fusses sitzen, machen sich durch Störung der normalen
Fussmechanik recht unangenehm bemerkbar.
Die Ursachen der VeiSteifung sind bekanntlich sehr mannig¬
faltig. Traumen, allerlei Gelenkerkrankungen, die entzündlichen
Formen von Plattfuss usw. können über kurz oder lang die Be¬
weglichkeit an der einen oder anderen Stelle mehr oder minder
auf heben.
Der Kranke will nun alles aufbieten, um seine Beschwerden,
die ihn nicht selten im Berufe stören, los zu werden. Und der
Arzt muss sich oft alle Mühe geben, mit passiven manuellen
Uebungen, Pendelapparaten, Herz’schen und Zander’schen Maschinen
Hilfe zu schaffen.
Wer mit vielen derartigen Fällen zu tun hat, empfindet zwei
Momente recht störend. Zunächst können sowohl die manuellen
wie maschinellen Uebungen gewöhnlich nur verhältnismässig
kurze Zeit täglich gemacht werden. Dann ist auch die Art und
Weise der Behandlung, die aus ruckweisem Her- und Hinbewegen
besteht, gewöhnlich mit recht empfindlichen Schmerzen ver¬
bunden.
Es entsteht das Bedürfnis, den Kranken möglichst auch zu
Hause im Sinne der Mobilisierung zu beschäftigen und die Kraft
statt in raschem Nacheinander in mehr kontinuierlicher Art
wirken zu lassen. Kein Zweifel, dass die gleichmässige Steige¬
rung der Kraft in derselben Richtung besser vertragen wird
— und dies gilt für sämtliche Versteifungen — als in raschem
Wechsel von Beugung und Streckung.
Ungefähr aus diesen Prinzipien ging die zu beschreibende
Schiene hervor, die ich nun schon seit längerer Zeit in einer
Reihe schwerster Fälle mit bestem Erfolge angewandt habe, aller¬
dings mit Zuhilfenahme von Massage und unserer, in puncto
Resorption und Schmerzlinderung hervorragend wirkenden Schlamm-
bäder.
Figur 1 zeigt die Schiene mit zwei Bügeln, die, in ent¬
sprechendem Abstande zueinander, den Fuss zwischen sich auf-
nebmen. Figur 2 zeigt deo centralwärts wirkenden Zug der
Figur 1.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Gnmmibinde im Sinne der Dorsalflexion, Figur 3 den peripher-
wärts wirkenden Zug im Sinne der Plantarflexiou.
Diese einfache Einrichtung hat vielen anderen Apparaten
gegenüber auch noch den Vorzug, dass sie nicht allein das Sprung-
gelenk, vielmehr auch das Tarsometatarsalgelenk usw. in Angriff
nehmen kann. Ja, man kann auch die einzelnen Teile des Fusses
in seitlicher Richtung zueinander verschieben, indem man die
eine Binde an der rechten, die andere Binde an dem linken
Teile je eines Bügels befestigt. Auf diese Weise ist man in der
Lage, auch die komplizierten drehenden Bewegungen der ärzt¬
lichen Hand singemäss nachzuabmen resp. zu ersetzen.
Aus der deutschen dermatologischen Klinik in Prag
(Vorstand: Prof. C. Kreibich).
Ueber einen haltbaren Gramfarbstoff für Gono¬
kokken-, Pilz- und Spirochätenfärbung.
Von
Dr. E. Klausner.
In Nr. 35, 1912, dieser Wochenschrift berichtet Jensen über eine
Modifikation der Gramfärbung, die der Hauptsache nach darin besteht,
dass auf den Zusatz einer Beize zum Farbstoff verzichtet und statt der
Vorfärbung mit dem schlecht haltbaren Anilinwasser-Gentianaviolett eine
Va proz. Methylviolettlösung verwendet wird.
Ieh selbst habe in dieser Wochenschrift, Nr. 4, 1911, über eine
Schnellfärbung der Spirochaeta pallida mit einer von mir zu diesem
Zwecke angegebenen Anilinwasser-Gentianaviolettmisohung berichtet. Im
Laufe von zwei Jahren habe ich mit dem inzwischen von der Firma
Dr. Grübler & Cie. in Leipzig hergestellten Farbstoff eine Beobachtung
gemacht, die mir angesichts der Modifikationsvorschläge Jensen’s der
Veröffentlichung wert erscheint. Es zeigte sich nämlich, dass diese
geringe Modifikation des Gramfarbstoffes, welche sich hauptsächlich auf
das Verhältnis zwischen Anilinwasser und alkoholischer Gentianaviolett-
lösung bezieht, imstande ist, den sonst in wenigen Wochen unbrauch¬
baren Gramfarbstoff viele Monate lang haltbar zu gestalten. Damit wäre
die Frage eines haltbaren Gramfarbstoffes gelöst, und ich erwähne des
Interesses halber, dass sich der Farbstoff weiter zur Schnittfärbung,
speziell zur Darstellung von Hyphomyceten im Schnittpräparate nach
Wae 1 sch sehr gut eignet. Zur Färbung der Pilze in den Schuppen
verfahre ich folgendermaassen: Auf einen Objektträger gebe ich einige
Tropfen des Farbstoffes und färbe darin die zu untersuchende Schuppe
etwa eine Minute, differenziere hierauf in 96 proz. Alkohol bis keine
Farbwolken mehr abgehen; dann Xylol, Kanadabalsam. Die Mycelien
und Conidien der Pilze erscheinen distinkt violett gefärbt, die Hornzellen
sind entfärbt. Ferner erwähne ich nochmals, dass sioh der Farbstoff zur
Schnellfärbung der Spirochaeta pallida verwenden lässt und sich uns in
Hunderten von Fällen, besonders bei der Untersuchung von auf Sklerosen
verdächtigen Geschwüren, bewährt hat. Die Färbung geschieht in der
Weise, dass der mit dem Reizserum beschickte Objektträger über Osmium
fixiert und hierauf über der Flamme, in der Wärme, eine Minute gefärbt
wird. Dann wird mit Wasser abgespült und das Präparat zwischen
Filterpapier getrocknet. In dem leicht rosa gefärbten Serum erscheint
die Spirochaeta pallida in allen ihren Feinheiten als zartviolettes Ge¬
bilde und ist von der viel intensiver gefärbten Spirochaeta refringens
gut zu unterscheiden.
Nach diesen Erfahrungen glaube ich das unter dem Namen „Halt¬
barer Gramfarbstoff“ von der Firma Dr. Grübler & Cie. in den
Handel gebrachte Anilinwasser-Gentianaviolett al9 dauerhaften und
mannigfach verwendbaren Laboratoriumsfarbstoff empfehlen zu dürfen.
Zur Vaccinationstherapie.
Von
Dr. Wolff-Eisner-Berlin.
Die Bemerkungen des Herrn Bockenheimer (vgl. diese Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 50), die mir nicht in allen Punkten von einer richtigen
Voraussetzung auszugehen scheinen, geben mir Veranlassung, auf die
Vaccinationstherapie und auf die von Herrn Bockenheimer angezogenen
Fälle etwas ausführlicher einzugehen, als es im Rahmen meiner kurzen
Diskussionsbemerkung in der Berliner medizinischen Gesellschaft mög¬
lich war.
Ich habe dort ausgeführt, dass nach meinen Erfahrungen der Vacci¬
nationstherapie auch in Fällen Erfolge beschieden sind, wo der Vor¬
tragende, Herr Dr. Wolfsohn, ausdrücklich solche niemals hat sehen
können, z. B. in Fällen von Osteomyelitis und von recidivierender
Mastitis. Herrn Wolfsohn gegenüber habe ich hervorgehoben, dass die
von ihm gewählten Anfangsdosen von Vaccinen, z. B. bei Stapbylokokken-
vaccin, ca. 5 Millionen Keime noch eine ausserordentlich hohe Dosis
darstellen, und dass sich die Erfolge verbessern lassen, wenn man noch
wesentlich kleinere Dosen nimmt loh führe wohl mit Recht die von mir
in einer ganzen Anzahl von Fällen erzielten Erfolge auf die gewählten
viel kleineren Dosen zurück.
So habe ich schon in der betreffenden Diskussion einen Fall von
subakuter Staphylokokkensepsis angeführt, bei welchem schon vor einem
Jahr nach der minimalen Injektion von 500 000 Keimen hohes Fieber
auftrat. Da inzwischen klinische Heilung eingetreten war, wurden die
weiteren Injektionen — nicht meinen Intentionen entsprechend — unter¬
lassen. Nach etwa Jahresfrist stellte sich ein Recidiv ein. Bei diesem
Recidiv erfolgte wieder nach der Injektion von 100 000 Keimen eine
Temperaturerhöhung auf 38,5°, die eine Woche anhielt, und erst die
später verabreichte Dosis von nur 20000 Keimen wurde reaktionslos
vertragen.
Es muss nun mit aller Entschiedenheit hervorgehoben werden, dass
eine solche Vaccinationsbehandlung, welche die Entstehung eines Reci-
divs verhindern soll, lange Zeit, etwa 1V*—2 Jahre, fortgesetzt werden
muss. Es hat eine solche Fortführung der Behandlung auch keinerlei
Bedenken, da bei reaktionsloser Durchführung den Patienten keinerlei
Schaden oder Unbequemlichkeit aus den Injektionen erwächst; wir haben
das beste Analogon für die Notwendigkeit einer so langen Dauer der
Behandlung in der Tuberkulinbehandlung, bei welcher nach meinen Er¬
fahrungen, die sich mit denen vieler maassgebenden Autoren decken,
eine reaktionslose Behandlung ebenfalls, eventuell mit ganz kurzen
Unterbrechungen, jahrelang hindurch fortgeführt werden muss.
Ebenso wie Sahli iür die Tuberkulinbehandlung das Postulat einer
Behandlung aufgestellt hat, welche absolut klinische Reaktionen ver¬
meidet, so muss das gleiche Postulat mit der grössten Sorgfalt bei der
Vaccinationstherapie erfüllt werden. Ich muss es hier zum Aus¬
druck bringen, dass in den von Wolfsohn angeführten Fällen dieses
Postulat nicht in allen Fällen durchgeführt worden ist, da er mehrfach
über klinisch wahrnehmbare Allgemein- oder Lokalreaktionen berichtet
hat. loh sehe hier einen Widerspruch zu dem von ihm selbst ausge¬
sprochenen Grundsatz, bei der Vaccinationstherapie negative Phasen der
Opsoninkurve im Sinne Wright’s zu vermeiden. Zwar hat Wolfsohn
ausdrücklich hervorgehoben, dass sich an diese von ihm beobachteten
Reaktionen niemals Schädigungen des Patienten angeschlossen haben.
Aber auch im Anschluss an Tuberkulinreaktionen sehen wir häufig, dass
erkennbare Schädigungen nicht in Erscheinung treten und trotzdem ver¬
meiden heute die zahlreichen Anhänger der reaktionslosen Tuberkulin¬
behandlung mit grösster Sorgfalt jede Reaktion. Als solche Reaktion
hat Sahli auch mit Recht die „subjektiven“ Reaktionen, die sich nicht
in Temperatursteigerungen usw., sondern in Abgesohlagenheit, Herz¬
klopfen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit usw. äussern, gerechnet. Wer
nun die biologischen Reaktionen der Vaccinationstherapie an den Kurven
des opsonischen Index prüft, wird mir zustimmen, wenn ich ausspreche,
dass negative Phasen und Beeinflussung der opsonischen Kurve in nicht
gewünschtem Sinne schon eintreten können, ohne dass subjektive oder
objektive Reaktionserscheinungen auftreten, dass aber solche Stö¬
rungen der Opsoninkurve sich mit Konstanz finden, wenn
subjektive oder objektive Reaktionen beim Patienten als
Folge der Vaccineinjektion sioh zeigen.
Ich stimme mit Wolfsohn darin überein, dass es praktisch nicht
durchführbar ist, in allen Fällen die opsonische Kurve zu bestimmen,
weil sonst die Vaccinationstherapie, von wissenschaftlichen Versuchen
abgesehen, nur für sehr wohlhabende Patienten in Betracht kommen
könnte, die in der Lage sind, den grossen, mit der Aufstellung der
opsonischen Kurve verbundenen Zeitaufwand zu bezahlen. Aber trotz¬
dem glaube ich, das9 Vaccinationstherapie nur derjenige Arzt treiben
sollte, der sich längere Zeit mit der Bestimmung des opsonischen Index
vertraut gemacht hat, weil nur der Arzt, der diese Erfahrungen ge¬
sammelt hat, in der Lage ist, sich ein Bild davon zu machen,
dass minimale Mengen eines Vaccins im Körper sehr erheb¬
liche biologische Umsetzungen zu schaffen in der Lage sind.
Bei schwierigen Fällen, d. h. bei solchen, wo Fieber besteht, und die
Frage, ob eine Vaccinationstherapie indiziert ist, nicht mit absoluter
Sicherheit zu beantworten ist, wird es immer noch von Zeit zu Zeit
nötig sein, den opsonischen Index zu bestimmen.
Es ist nach meiner Ansicht die Vaccinationsbehandlung trotz dieser
in der Sache selbst liegenden Schwierigkeiten ein wichtiges Gebiet, auf
welchem der praktische Arzt Erfolge erringen kann. Der Praktiker sollte
sich unter keinen Umständen diese Therapie vollkommen aus der Hand
nehmen lassen, da er hier in der Lage ist, eine häufig von Erfolg be¬
gleitete aktive Therapie bei seinen Patienten durchzuführen. Demgegen¬
über ist es aber andererseits dem Praktiker dringend anzuraten, dass
er besonders bei schweren und mit grosser Verantwortung belasteten
Fällen von Zeit zu Zeit für die Bestimmung der Dosierung die Unter¬
stützung eines Arztes io Anspruch nimmt, welcher auf diesem Gebiet
spezialistische Erfahrungen besitzt.
Zum Beweise, dass sehr kleine Dosen zur Herbeiführung eines Er¬
folges ausreichen, ja unter Umständen diese minimalen Dosen schon die
Maximalgrenze dar9tellen, kann auch der von Herrn Bockenheimer
angeführte Fall dienen. Die gewählten Injektionsmengen waren in etwa
fünftägigen Abständen 250 000, 250000, 500 000, 500 000, 750000,
700 000, 1 Million, 1 Million, 1 »/ # Millionen, 27a Millionen, 2*/* Millionen,
5 Millionen, l l j 2 Millionen Keime. Der opsonische Index stieg unter
der Behandlung von 1 auf 1,8.
Die hier gewählten minimalen Dosen waren für den vorliegenden
Fall nooh eher etwas zu gross als zu klein, denn regelmässig 5 Stunden
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nach der Injektion trat eine leichte Temperaturerhöhung, Kopfschmerzen
und leichtes Uebelbefinden ein, das in kurzer Zeit wieder vorüberging.
Ich glaube sicher, dass bei der Wahl einer grösseren Dosierung ein Er¬
folg im vorliegenden Fall nicht eingetreten wäre. Gegenüber den Aus¬
führungen des Herrn Bookenheimer sei die Krankengeschichte des
betreffenden Falles etwas ausführlicher erwähnt.
Es handelte sich tatsächlich um eine doppelseitige recidivierende
Mastitis puerperalis phlegmonosa. Es war mehrere Wochen lang eine
chirurgische Behandlung eiDgeleitet und diese nach allen Regeln der
Kunst von Herrn Kollegen Bockenheimer durchgeführt worden. Es
waren an beiden Brüsten 10 bis 12 sehr ausgedehnte Inzisionen durch¬
geführt worden, und die Brüste der Patientin boten ein schreckliches Bild
dar. Der Zustand der Patientin war ein durchaus ernster, und es war nicht
su ersehen, weshalb eine noch häufigere Wiederholung der Inzisionen den
fortschreitenden Prozess zum Stillstand bringen sollte. Nach Einleitung
der Vaccinationsbehandlung war io den ersten Tagen noch eine kleine
Inzision in den Axillardrüsen erforderlich, seitdem wurde bei der
Patientin kein operativer Eingriff mehr vorgenommen. Nach einigen
Wochen stellte sich noch eine Thrombophlebitis in beiden Oberschenkeln
ein, die jedoch ohne jede schwerere Störung des Allgemeinbefindens ein¬
herging. Die Temperatur war nur vorübergehend auf 38* erhöht, und
es kam zu keinerlei Metastasen an irgendeiner Stelle des
Körpers.
Ich bin allerdings der Ansicht, dass hier in der Vaccinations-
bebandlung die Ursache zu sehen ist, dass die durch das Vaooin ge¬
setzte Umstimmung des Körpers im Sinne einer Immunität die Ursache
dafür gewesen ist, dass die so gefährliche Thrombophlebitis bei diesem
Prozess uninfiziert geblieben und somit diese gefährliche und ge¬
fürchtete Komplikation ohne Nachteile für die Patientin verlaufen
ist. Ich sehe in diesem Verlauf allerdings den Beweis dafür, dass
eine richtig durchgeführte Vaccinationstherapie in der Lage ist,
ausserordentlich günstige Erfolge zu erzielen, denn es handelte sich
offenbar um einen Fall, wo die chirurgische Tätigkeit allein einen Erfolg
zu erzielen nicht in der Lage war.
In der Berliner medizinischen Gesellschaft, in der ich kurz über
meine Erfolge mit Vaooination berichtete, handelt es sich nun um erfahrene
Aerzte, und keiner dieser Aerzte wird angenommen haben, dass ich in
jedem Fall einer einfachen Mastitis an Stelle der chirurgischen Behand¬
lung die Vaccinationstherapie empfohlen habe, und kein Arzt wird
daraus entnommen haben, dass mir die sonst geübte chirurgische
Therapie überflüssig erscheint. Denn ihrem ganzen Wesen nach
ist die Vaccinationstherapie nicht in der Lage, einen vor¬
handenen Eiterherd zur Ausheilung zu bringen und den
bewährten chirurgischen Grundsatz ubi pus, ibi evacua
ausser Kraft zu setzen, sondern sie ist nur in der Lage,
durch Herbeiführung eines Immunitätszustandes metasta¬
sierenden und propagierenden Prozessen eine Schranke zu
setzen. Und weil es so ist, darum sollte häufiger von den
Möglichkeiten, welche die Vaccinationstherapie bei richtiger
Durchführung bietet, Gebrauch gemacht werden, und gerade
darum habe ich mir erlaubt, in der betreffenden Sitzung
der medizinischen Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen,
da ein so moderner und erfahrener Kollege wie HerrBocken-
beimer diese Therapie nicht in Deutschland, wie man er¬
warten sollte, sondern zuerst in Indien zu sehen Gelegen¬
heit hatte.
In dem zweiten Fall handelt es sich, wie Herr Bockenheimer
ausführte, um eine chronische recidivierende Osteomyelitis bei einem
etwa 8 jährigen Knaben, bei dem mehrere Knochen der Reihe nach er¬
krankt und verschiedene operative Eingriffe notwendig waren. Die Vacci¬
nationstherapie bedeutete selbstverständlich nur einen unterstützenden Ein¬
griff in dem von mir erwähnten Sinne, um durch Herbeiführung eines
Immunitatszustandes weitere Metastasen der Infektion zu verhüten und
weitere Eingriffe unnötig zu machen. Auch dies ist im vorliegenden
Fall gelungen, da zwischen dem 8. Oktober 1909 und dem 20. Mai 1910
keine Eingriffe mehr nötig wurden. Die Weiterführung der Behandlung
wurde aber wegen des guten Befindens des Knaben von den Eltern ab¬
gelehnt, obwohl ich den obigen Ausführungen entsprechend darauf hin¬
wies, dass eine längere Behandlung unbedingt erforderlich sei. Erst aus
der jetzigen Mitteilung des Herrn Kollegen Bockenheimer erfahre ich,
dass nach Aussetzen der Behandlung ein Recidiv aufgetreten ist. Gerade
dieses Recidiv beweist die Richtigkeit meiner Erfahrung
über die Notwendigkeit, die Behandlung bei anscheinend
schon vollkommener klinischer Ausheilung fortzusetzen,
weon ein endgültiges Resultat erzielt werden soll. Es ist zuzugeben,
dass dies bei den Patienten stets auf Schwierigkeiten stösst, die natür¬
lich geneigt sind, sich der Behandlung zu entziehen, wenn sie sich im
Zustand völliger Gesundheit glauben. Aber ebenso wie bei der Pneumo¬
thorax- und der Tuberkulinbehandlung* es eine lohnende Aufgabe für
den Arzt ist, mit Hilfe seiner Autorität die Weiterführung der Behand¬
lung so lauge zu ermöglichen, als es nach den theoretischen Voraus¬
setzungen und den praktischen Erfahrungen erforderlich ist, gilt das
gleiche für die Vaccinationsbehandlung. Gerade dem Hausarzt, der sich
mit dem Wesen der Vaccinationstherapie vertraut gemacht bat, dürfte
es möglich sein, am ehesten die Therapie bis zu dem erforderlichen
Ende durebzuführen.
Bücherbesprechungen.
H. Fehling: Die operative Gebnrtehilfe der Praxis and Klinik.
In 22 Vorträgen. Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann.
Dieses 220 Seiten starke Buch bringt dem Praktiker mehr, wie es
verspricht. In klarer Darstellung und sehr anregender Weise gibt es
nicht nur die Technik der vom Praktiker und Spezialisten zu leistenden
Kunsthilfe, sondern behandelt auch noch eingehend die Indikationen der
verschiedenen Methoden, und der Autor gibt am Ende noch zusammen¬
fassende Betrachtungen über die wichtigsten Geburtsanomalien:
Eklampsie, Placenta praevia und das enge Becken. Sehr erfreulich ist,
dass der Verfasser immer versucht, die Grenzen zu ziehen zwischen
Praxis und Klinik und nioht durch einen unberechtigen
Optimismus den Praktiker Methoden im Privathause aus¬
führen lassen will, welche entschieden der Klinik und dem
Operateur gehören.
Der Stil ist überall klar und frisch, und obwohl in der Wahl der
Methoden der Verfasser natürlich subjektiv ist, was bei seiner Erfahrung
für den Leser grossen Wert hat, wird er doch den anderen Methoden
in der Darstellung ihrer Leistungsfähigkeit im Grossen und Ganzen ge¬
recht. Es hat daher keinen Wert, das Buch in seinen Einzelheiten zu
besprechen und von dem Autor abweichende Ansichten, welche übrigens
nur wenige unwichtige Punkte betreffen, zu erwähnen. In der Ein¬
leitung behandelt der Autor die Desinfektion, Instrumente und Narkose
und vergisst bei der Zusammenstellung des Inhalts des Geburtskoffers
auch das Pituitrin nicht, dessen Gebrauch er auch bei dem Kaiser¬
schnitt empfiehlt. In der Handschuhfrage sind wir nicht ganz seiner
Meinung und glauben, dass der Gebrauch von Handschuhen bei jeder
geburtshilflichen Untersuchung und Eingriff einen wesentlichen Fortschritt
bedeutet.
Der erste Teil handelt von den Entbindungen, Operationen der prak*
tischen Geburtshilfe: F. bespricht nacheinander die Extraktion, die
Zange und die verkleinernden Operationen. Dass der Autor hierbei die
Möglichkeit, für den Praktiker gezwungen zu sein, gelegentlich die Per¬
foration des lebenden Kindes auszuführen, annimmt, wird wohl nicht
allgemein gewürdigt werden. Weiter behandelt er in diesem Teil noch
die künstliche Früh- und Fehlgeburt, die Behandlung des Aborts und
die Blutungen in der Nachgeburtsperiode.
Im zweiten Teil bespricht er die Hilfsoperationen der praktischen
Geburtshilfe, um im folgenden Teil die mehr klinischen Methoden, den
Kaiserschnitt, wobei er sich für den cervikalen Kaiserschnitt ausspricht,
die Symphyseotomie und Hebosteotomie zu behandeln. Er bespricht
alsdann die wichtigsten Komplikationen der Schwangerschaft und Geburt,
die Tumoren, die Extrauteringravidität und die Uterusruptur und gibt
im vierten Teil zusammenfassende Darstellungen über die Eklampsie,
wobei er der Schnellentbindung energisch das Wort redet, die Placenta
praevia und das enge Becken.
So ist dies Buch mit seinen 80 sehr instruktiven Bildern eine wirk*
liehe Bereicherung und durch die Klarheit und Frische der Darstellung
sowohl dem Praktiker wie dem Spezialisten aufs wärmste zu empfehlen.
W. Liepmann- Berlin.
A. Keller und Chr. J. Klomker: Sänglingsftirsorge und Kinder-
sehntz in den europäischen Staaten. Unter Mitarbeit zahlreicher
Fachgenossen. I. Bd., Spezieller Teil, 2 Hälften. XI und 1578 S.
Mit 79 Textfiguren. Berlin 1912, Julius Springer. 62 M.
Die Bedeutung der Säuglings- und Kinderfürsorge wird von Tag zu
Tag mehr gewürdigt als die natürliche Grundlage der Fürsorge für die
späteren Altersklassen. Das Anschwellen der einschlägigen Literatur
ist nur ein getreues Spiegelbild davon. Die deutsche Literatur hat sich
naturgemäss wesentlich mit deutschen Zuständen und Einrichtungen be¬
fasst und nur gelegentlich auf das Ausland hingewiesen. Dabei bestand
schon beim Beginn der modernen Säuglingsfürsorge das Bedürfnis, auch
die Erfahrungen der anderen Länder zu vernehmen und geeigneten falls
zu verwerten. Das beweisen die bisher abgehaltenen drei internationalen
Kongresse für Säuglingsschutz.
Wenngleich die Verhandlungsberichte dieser Kongresse ein recht
umfangreiches Material über die Einrichtungen fast aller Kulturländer
enthalten, so war es doch ein begrüssenswertor Gedanke der Herren
Keller und Klumker, uns im speziellen Teil ihres gross angelegten
Handbuchs in systematischer Weise die Maassnahmen des Säuglings¬
und Kindersohutzes in den europäischen Staaten vor Augen zu führen;
und zwar so, dass jedes Land einen namhaften einheimischen Mit¬
arbeiter stellte. Um die Uebersetzung der fremdsprachlichen Beiträge
hat sich Emmy Keller-Schwangart verdient gemacht. So haben,
um nur einige Namen herauszugreifen, mitgearbeitet: Berend-Budapest,
Dotti-Florenz, Graanboom-Amsterdam, Hagenbach-Bnrckhardt-
Basel, Johannessen-Kristiania, J. Meier-München, Moll-Wien, News-
holme-London, Violi-Konstantinopel. Deutschland bat Keller
selbst bearbeitet.
Der spezielle Teil zerfällt in 2 Hälften. Die 1. Hälfte, von Keller
redigiert, behandelt die sozialhygienischen Einrichtungen, diezweite
Hälfte, redigiert von Klumker, die sozialrechtlichen Maassnahmen.
Diese 2. Hälfte ist nicht so vollständig wie die erste, da z. B. Belgien,
Spanien fehlen und England nur ganz dürftig behandelt ist.
Ueberhaupt ist die Beschränkung auf europäische Staaten bedauer-
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UNIVERSUM OF IOWA
312
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7.
lieh. Die sozialhygienischen Einrichtungen der Vereinigten Staaten (ihre
sozialrechtlichen sind ausnahmsweise kurz geschildert) oder Australiens,
um nur einige Beispiele zu nennen, hätten sicherlich viel Interessantes
für deutsche Leser.
Alles in allem jedoch bildet dieser Band eine notwendige Ergänzung
der kinderfürsorgerischen Bibliothek.
Wir werden auf das Werk noch zurückkommen, wenn es abge¬
schlossen vorliegt. Der 2. Band soll im Frühjahr 1913 erscheinen.
_ Tugendreich-Berlin.
M. Klotz: Die Bedeutung der tietreidemehle für die ErnäbroBg.
Berlin 1902, J. Springer. Gr. 8. 119 Seiten. Preis 4,80 M.
Diesem Buch und seinem Verfasser darf man eine sehr gute Pro¬
gnose stellen. Dem Autor gegenüber will ich nicht prophezeien, ich
kenne ihn nicht und seine Ambitionen, aber seine Monographie wird
sicherlich eine weite Verbreitung finden. Sie gibt eine gründliche, durch
eigene Arbeiten auf dem fraglichen Gebiete legitimierte und durch eine
begründete Kritik wertvolle Darstellung der in Betracht kommenden Ver¬
hältnisse. Sie versucht, wie der Verf. sagt, zum ersten Male die Be¬
deutung der Getreidemehle für den Stoffhaushalt des Menschen und der
höheren Organismen zu einem abgerundeten Bilde zusammenzufassen.
Dass dabei die Säuglings- und Kinderernährung und ihr Stoffwechsel
den breitesten Raum einnehmen, ist bei der Rolle, die die Getreide¬
mehle gerade in diesem Alter spielen, nicht verwunderlich. Das Buch
wird daher auch in erster Linie die Kinderärzte interessieren, aber es
hat darüber hinaus für jeden Arzt seinen Wert. Denn es behandelt
Fragen, die erst in neuerer Zeit in ihrer Wichtigkeit erkannt und dem¬
entsprechend in grösserem Umfange bearbeitet sind. Hierher gehört vor
allem das verschiedene Verhalten der einzelnen Getreidemehle, als deren
Repräsentanten das Weizen- und Hafermehl anzusehen sind, sowohl
untereinander als in ihren Beziehungen zur Milch und dem Eiweiss-,
Fett- und Aschegehalt der Nahrung.
Als Ausgangspunkt dient dem Verf. dabei der geistreiche Versuch
0. Rosenfeld’s über die Oxydationswege der Kohlehydrate, wonach der
Zucker einerseits und die Kohlebydratsäuren andererseits sich verschieden
verhalten. Der erstere geht den hepatischen, glykogenen Weg durch die
Leber, die letzteren den anhepatischen aglykogenen Weg, denn per os ge¬
gebene Dextrose vermag die Phlorieinfettleber zu verhüten, indem sie als
Glykogen in der Leber abgelagert wird, was mit den Abbauprodukten
des Zuckers von dem Charakter einer Säure, Glykonsäure, Glykosamin,
Zuckersäure nicht der FalL ist. Dasselbe Verhalten hat K. für Weizen-
und Hafermehl festgestellt und leitet daraus u. a. den Nutzen der Hafer¬
kur ab.
Es werden ferner die Beziehungen' der Darmfiora zum Mehlabbau ein¬
gehend erörtert, wobei sich dem Verf. die Ueberzeugung aufdrängt, dass
die Aktion der Darmflora von grösserer Bedeutung für den Ablauf der
Darmverdauung als die Fähigkeit der diastasierenden Fermente sei.
Er betont besonders auch die Verschiebungen in der Fähigkeit der
Sacharolytischen und amylopbilen Bakterienflora und die dadurch be¬
dingte Allergie gewissen Nahrungsmitteln gegenüber und illustriert dieses
Verhalten durch die Ergebnisse der Ernährung mit einer Kombination
von hepatischem (Zucker) und anhepatischem Kohlehydrat (Mehl).
Freilich sagt der Verf. selbst, dass die Rolle des Mehls bei der Säug¬
lingsernährung noch keineswegs klargestellt ist, aber er darf es als ein
Verdienst für sich in Anspruch nehmen, auf die springenden Punkte
dieses Problems mit Schärfe hingewiesen und selbst an ihrer Lösung
sich beteiligt zu haben. Eingehend werden auch die Gärungsprodukte
und die Verwertung der Cellulose besprochen. Ersteren misst der Verf.
einen „über die subalternen Beziehungen zur Peristaltik“ weit hinaus¬
gehenden Einfluss auf die proteolytischen und amylolytischen Vorgänge
im Darmkanal zu und meint, dass die Anschauung, welche in den
Gärungssäuren nur Abfallsprodukte sieht, nicht mehr an der Zeit
ist. Sie sind nicht nur an und für sich keineswegs nutzlos für den
Energiebestand des Organismus, sondern sie gewinnen durch ihre (im
Original genauer dargelegten) Wechselbeziehungen zum Stoffwechsel an
allgemeinem Nutzungswert. Recht niedrig werden die „Kindermehle“
bewertet, für die K. dem Ausspruch von Roux beistimmt: il n’y a
aucune raison pour les pröferer aux farines simples“, aber doch hinzu¬
fügt, sie (sc. die künstlichen Präparate) ganz auszuschalten wird nie
erreicht werden, so lange Uneinigkeit selbst in ärztlichen Kreisen über
ihren Wert oder Unwert herrscht und eine rücksichtslose Reklame für
die Fabrikanten arbeitet. Man wird aus diesen wenigen Angaben er¬
sehen, dass die Schrift ven Klotz ein lesenswerter und schätzbarer
Beitrag zu dem Kapitel der Ernährungslehre und wie schon gesagt nicht
nur den Kinderärzten zum Studium zu empfehlen ist. Ewald.
Friedrich Dannemann: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung
und in ihrem Zusammenhang. Leipzig, W. Engelmann. 3 Bände
ä 9 M.
Gegenüber der politischen und der Kulturgeschichte ist die Ge¬
schichte der Naturwissenschaften bis jetzt bedauerlich zu kurz gekommen.
Wir benutzen tagtäglich wie etwas Selbstverständliches das Barometer,
die Eisenbahn, den Telegraph, die Brille und das Fernglas und können
uns die Welt kaum mehr ohne Dynamomaschine vorstellen. Aber in
welch hartem Ringen alle diese Dinge erworben werden mussten, daran
denkt kaum jemand. Und doch dürfte kaum einer anderen Entwicklungs¬
geschichte — der biologischen ausgenommen — gleichviel Interesse
entgegengebracht werden und gleichviel erzieherischer Gehalt innewohnen.
Wir erkennen, dass manche Probleme ebenso wie uns, so auch schon
früher gescheite Menschen beschäftigt haben, und lernen uns bescheiden
in dem Gedanken, dass auch wir nur eine Stufe auf dem Weg des Fort¬
schritts darstellen. Das vorliegende Werk ist der erste Versuch einer
Encyklopädie des Werdens und Wachsens der Naturwissenschaften. Es
führt in 3 Bänden bis zur Renaissance, bis zur Mitte des XVIIL Jahr¬
hunderts und bis zum Energie-Prinzip. Der 4. Band wird dann der
neuen und neuesten Zeit gewidmet sein. Buttersack-Trier.
Leopold Lühier: Die Sehschärfe des Measchea lud ihre Prüfug.
(Eine physiologisch-ophthalmologische Studie.) Leipzig-Wien 1912,
Verlag von Franz Deuticke.
Verf. sucht zunächst den Begriff der Sehschärfe zu umgrenzen und
zu definieren. Die Erörterung des einzelnen Komponenten führt zu
einer recht allgemeinen Fassung des Begriffs, unter dem er die Seh¬
leistung des dioptrisch normalen Auges versteht. Keine der gebräuch¬
lichen Methoden der Sehschärfeprüfung erfüllt alle idealen Anforderungen
des Theoretikers, die eine berücksichtigt zu sehr diesen, die andere jenen
Faktor, deren Summe die Sehschärfe ist. In das Lob, das der Verf.
den „Internationalen Lehrproben“ zollt, kann Ref. keineswegs einstimmen.
Punkt- und Buchstabenprnben sind nicht einander gleichwertig, jene
decken manche Variationen der Sehschärfe auf, die dem, der nur mit
Buchstabenproben untersucht, entgehen. Kurt Steindorff.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
Tb. Schwartze: Die nathematische Methode der Physio-Psyeho-
logie. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) Mathematische Ab¬
leitungen, die der Erkenntnis der Mechanik des Geistes dienen sollen.
S. Samkow: MaskelaktionastrÖBO bei einigen pathologisches
Zaständen des Ceatralflervensystems. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149,
H. 11. u- 12 ) Bei Kranken mit Muskelrigidität konnte S. feststellen,
dass der Muskeltonus sich unabhängig von der Kontraktionsfunktion
ändern kann. Bei Schlag auf den rigiden Muskel konnte man eine ganze
Reihe von rhythmischen Zuckungen hervorrufen, während der Muskel¬
tonus zunahm. Das Elektromyogramm wies regelmässige Wellen (11 bis
12 pro Sekunde) auf. Bei reflektorisch hervorgerufener Kontraktion des
hypertonischen Muskels traten Aktionsströme mit zweipbasischen Wellen
auf, die länger sind als die normalen und unbeständig ( l l n bis Vso Se¬
kunde).
E. Mangold: Willkürliehe Koatraktioien des TeBSor tynpasf
und die graphische Registrierung von Druckschwankungen im äusseren
Gehörgang. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) M. hat an zwei
Personen, die ihren Tensor tympani willkürlich kontrahieren konnten,
die Folgen dieser Kontraktionen untersucht, speziell auch die zustande
kommenden Druckschwankungen im äusseren Gehörgang graphisch dar¬
gestellt. Subjektiv wurde ein brausendes, dem Muskelgeräusch ähn¬
liches Geräusch wahrgenommen, dabei besteht vermehrte Speichelsekretion.
Auscultatorisch (mittelstSchlauch) ist bei kurzer Tensorkontraktion
nur eine schnelle Trommelfellbewegung zu spüren, bei längerer ein
Geräusch wie von fernem Donner. Otoskopisch sieht man eine, be¬
sonders nach voraufgegangenem Valsalva’schen Versuch deutliche, Ein¬
wärtsbewegung des Trommelfells. Es besteht während der Tensorkon¬
traktion Verminderung der Hörfähigkeit. An einem mit dem Gehörgang
verbundenen Manometer traten charakteristische Schwankungen auf, die
zeigen, dass bei Uebung willkürlich Dauer und Stärke der Tensorkon¬
traktion in weiten Grenzen variiert werden können. Die längste Kon¬
traktionsdauer war 15 Sekunden, die Druckschwankungen betrogen 5 bis
9 mm Wasser.
H. E. Hering: Ueber die vorhofdiastolisehe WeUe ad, eine neue
Welle des Venenpulses. (Pflüger’s Archiv, Bd. 149, H. 11 u. 12.) Bei
den grösseren Säugetieren und beim Menschen kann man am Venen-
pulse eine gewöhnlich am absteigenden Schenkel der a-Welle auftretende
kleine Welle beobachten, die in die Vorhofdiastole fällt und von HL
als ad-Welle bezeichnet wird. Sie hängt nicht mit der Tätigkeit der
Kammer zusammen; sie ist eine Rückstosswelle, die dadurch entsteht,
dass das aus dem Vorhol in die Kammer tretende Blut vorübergehend
zurücktritt. A. Loewy.
Fernau, Schranek und Zarzycki-Wien: Ueber die WirkiBg
vob »dozierter Radioaktivität. (Vorläufige Mitteilung.) (Wiener klin.
Wochensehr., 1913, Nr. 3.) Kaninchen versuche ergaben, dass kleine
Dosen induzierter Aktivität Leukocytose, grössere Dosen Leukopenie be¬
wirken. Dabei tritt in beiden Fällen relative Lymphocytose auf. So¬
bald die Dosis eine gewisse Höhe überschreitet, ist der Grad des Ab¬
falls der weissen Blutkörperchen der Dosis nicht mehr proportional.
P. Hirsch.
Di 1 ger - Heidelberg: Ueber GewebskaltoreB in vitro unter be¬
sonderer Berücksichtigung der Gewebe erwachsener Tiere. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 3 u. 4.) Nach Harrison’s und Carrel’s
Vorgang Versuche mit embryonalem Gewebe. Carrel glaubte in seinen
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UNIVERSUM OF IOWA
17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
313
Präparaten ProliferationsVorgänge der Zellen gesehen zu haben, die er für
Bindegewebs- und Epithelzellen halten zu können glaubt. D. konnte sich
hiervon nicht überzeugen, sah vielmehr Degeneration an den Zellen auf-
treten. „Es ist somit bisher noch von keiner Seite der Nachweis eines
echten Wachstums von Gewebskulturen erwachsener Tiere gebracht worden.
Vielmehr deutet alles auf einen mehr passiven Prozess hin, bei welchem
vielleicht die lockeren Zellen bei der Gerinnung des Plasmas mechanisch
aus dem Gewebe herausgepresst werden, vielleicht aber auch fermentative
Prozesse, vielleicht auch rein osmotische Prozesse im Spiele sind.“
J. Becker - Halle a. S.
Siehe auch Kinderheilkunde: Dubois und Stolte, Abhängig¬
keit der Kalkbilanz von der Alkalizufuhr. C. Meyer, Mineralstoffwechsel
bei Bachitis.
Pharmakologie.
C. Reibel-Berlin: Erfahrungen mit dem Erystypticam „Roche“
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Erystypticum „Roche“ wird
als vollwertiges, weit billigeres Ersatzmittel gegen Hydrastin empfohlen.
Keine üblen Nebenwirkungen.
M. Kaufmann-Mannheim: Beobachtungen über Arsenüberempflnd-
Hchkeit. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Verf. hat nach
Kakodylinjektionen an der Einspritzungsstelle mehrmals lokale Re¬
aktionen gesehen, die erst bei der zweiten bis vierten Einspritzung auf¬
traten und von ihm als Ueberempfindlichkeitssymptom gedeutet werden.
Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Reichmann, Blutbefund bei
Schwefelsäure- und Kupfersulfatvergiftung.
Therapie.
J. v. Zubrzycki und R. Wölfsgruber-Wien: Beitrag zur Be-
ktapfug der Aaämien durch intramuskuläre Injektionen von de-
übriniertem Menschenblnt. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3.)
Die nach Esch (Münchener med. Wochenschr, 1911, Nr. 41.) ausgeführten
intramuskulären Injektionen wurden in sechs Fällen zur Anwendung
gebracht. Es handelte sich um sehr ausgeblutete Frauen; der Erfolg
war ein vorzüglicher. Die intramuskulären Injektionen sind absolut un¬
gefährlich, schmerzlos und einfacher als intravenöse Transfusionen,
P. Hirsch.
E. Härtel -Breslau: Salvarsan bei Chorea gravidarum. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Ein Fall von Chorea gravidarum wurde
durch Salvarsan geheilt. Verf. empfiehlt daher, erst einen Versuch mit
Salvarsan zu machen, bevor die Schwangerschaft unterbrochen wird.
G. Eisner.
F. Johannessohn-Berlin: Klinischer Beitrag zur Bewertung von
Ureabramin (Bromcalciumharnstoff). (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 6.) Günstige Wirkung bei epileptiformen Krämpfen, nervösen Er¬
regungszuständen, nervösen Tacbycardien und Arhythmien, nervöser
Schlaflosigkeit, Hysterie und Neurasthenie. Wolfsohn.
E. Eich mann-Osnabrück: SchwangersehaftsUxikodermien durch
Ringer’sche Lösung geheilt. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 4.) Drei Fälle von Schwangerschaftstoxikodermien wurden durch
subcutane Injektion von Ringerlösung geheilt. Daneben wurde streng
vegetarische Diät gegeben, da Verf. die Toxikodermien zum grossen Teil
auf alimentäre Intoxikation zurückfübrt. G. Eisner.
Schurig - Berlin: Zur therapeutischen Verwendnng der Hoeh-
frefuenutröme. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Sch. hatte
gute Erfolge bei. Neurasthenie, Ischias, Klimax, psychischer Impotenz,
Arteriosklerose, Herzneurosen, Hämorrhoiden, Hämophilie.
Wolfsohn.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
R. H. Jaffe und W. Löwenfeld: Versuch einer Anwendung der
Uina*PappeBheim r sehen Färbnog an drüsigen Organen. (Virchow’s
Archiv, Bd. 210, H. 3.) Die Verff. haben Pankreas, Speicheldrüse, Neben¬
niere, Epithelkörperchen, Ovarien, Hoden, Thymus, Thyreoidea, Magen,
Hypophyse nach Unna-Pappenheim gefärbt. Die Präparate waren
vorher in einem Gemisch von zwei Teilen Müller’scher Flüssigkeit und
einem Teil XOproz. Formalins fixiert worden. E9 ergab sich, dass sich
stark alkalische Zellarten und Sekrete rot färbten, während Gehalt an
freiem Sauerstoff Blau- bis Grünfärbung bewirken,
Chiari: Zur Kenntnis der „senilen“ grnbigeu Atrophie an der
Anssenflftehe des Sehädels. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Verf.
beschreibt einige Schädel mit grnbiger Atrophie und kommt zu dem
Schluss, dass die gleiche Grubenbildung, wie sie als „senile“ „sym¬
metrische“ Atrophie der Scheitelbeine in der Literatur geführt wird,
auch in weiterer Ausdehnung an der Aussenfläche des Schädels Vor¬
kommen kann, und dass sie sich auch auf die Plana temporalia er¬
strecken kann.
H. Heidkamp: Zur Tnherknlose der Hypophyse. (Virchow’s
Archiv, Bd. 210, H. 8.) Verf. fügt den sieben in der Literatur be¬
schriebenen Fällen von Hypophysen tuberkulöse einen achten hinzu, be¬
schreibt ihn ausführlich und kommt zu dem Schluss, dass die tuber¬
kulöse Erkrankung des Hirnanhanges eine sehr seltene sei. Die Gründe
dafür seien wohl hauptsächlich anatomische (Durakapsel, geringe
Kommunikation). Spezifische klinische Erscheinungen bei dieser Krank¬
heit seien nicht bekannt.
H. Korn: Ueber die Bedeutung des Fibrins im Gallenstein.
(Virehow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Bei der Concrementbildung der Gallen¬
steine spielt das Fibrin eine wichtige Rolle. In dem Bilirubinkalkstein
bildet das Fibrin ein organisches Stützgewicht für die amorphen Pigment¬
kalkmassen, bei dem reinen Choiestearinstein bildet es eine dünne
Kapselschicht.
Geipel: Beitrag zur Kenntnis der BlutgefÜsserkranknng der Milz.
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Zwei Fälle jener merkwürdigen Er¬
krankung des Gefässsystems der Milz, die Blutungen mit sekundärer
Höhlenbildung in dem Organ darzustellen scheinen. In der Literatur
sind nach Verf. Angaben nur zwei derartige Fälle noch beschrieben.
Verf. sieht in einer Varicositas der Milz den Ausgangspunkt für die
Blutungen.
B. Wolff: Ueber ein Blastom bei einem Aal (Anguilla vulgaris)
nebst Bemerkungen zur vergleichenden Pathologie der Geschwülste.
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Verf. beschreibt einen Tumor, der
sich bei einem Aal fand, der nicht domestiziert, sondern in voller Frei¬
heit gewesen war. Verf. schildert den Tumor als ein Fibrosarkom,
dessen Ausgangspunkt vom mesenterialen Gewebe hinter dem Darm an¬
zunehmen sei. Metastasen waren hier, wie bei allen bekannten Fisch¬
tumoren, nicht vorhanden. Jedoch war das Tier stark abgemagert, was,
wie Verf. meint, vielleicht für die bösartige Natur der Neubildung spricht.
Hässner: Ueber Chordome unter gleichzeitiger Mitteilung eines
Falles von seltener Grösse. (Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 8.) Verf.
bespricht kurz die nicht sehr umfangreiche Literatur über Chordome,
beschreibt dann einen Fall von Chordom, das im Durchmesser 5,5 bis
6,5 cm maass. Sein Sitz war ein atypischer insofern, als die meisten
beschriebenen Chordome von der Mitte des Clivus und der Sella turcica
ausgiDgeo, während dieses von der Oberfläche der Sphenooccipitalfuge
seinen Ausgang nahm.
Geipel: Ueber metastatische Geschwulstbildang in der Milz.
(Virchow’s Archiv, Bd. 210, H. 3.) Drei Fälle von allgememeiner Carcino-
matose bzw. Sarkomatose, wo er in der Milz, die makroskopisch völlig
intakt erschien, eine dichte Füllung der Billroth’schen Capillaren mit
Gesehwulstmassen fand. Als Entstehungsweg sieht Verf. die retrograde
Einschwemmung von der Pfortader her an. Benn.
R. Mareseh-Wien: Lipoidgehalt der sogenannten Appendixcarci-
nome. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Es muss als fest¬
stehend angesehen werden, dass der Lipoidgehalt der sogenannten
Appendixcarcinome eine diesen Geschwülsten charakteristische Erscheinung
darstellt, die sie vor anderen Dickdarmcarcinomen auszeiohnet.
Dünner,
Th. v. Marohaikö und D. Veszprömi-Kolozsvar: Histologische
und experimentelle Studien über den Salvarsanted. (Archiv f. Dermatol,
u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 2.) Die sogenannten Enoephalitistodes-
fälle nach Salvarsaninfusionen sind durch die toxische Wirkung des
Mittels bedingt. Der sogenannte Wasserfehler spielt bei diesen Intoxi¬
kationen keioe Rolle. Vielmehr scheint diesen Vergiftungen eine zu
hohe und unvorsichtige Dosierung zugruode zu liegen. Es ist demnach
dringend geboten, zu kleineren, vorsichtigeren Dosen überzugehen, be¬
sonders bei den erstmaligen intravenösen Infusionen. Immer wahr.
Siehe auch Kinderheilkunde: Lebedev, Seltene Kombination
von angeborenen Anomalien.
Diagnostik«
Siehe auch Parasitenkuude und Serologie: Esch, Tuber¬
kulosenachweis durch beschleunigten Tierversuch.
Parasitenkunde und Serologie.
E. J. Marzinowsky-Moskau: Biologische Färbung der Schimmel¬
pilze. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 78, H. 2,-S. 191.) Die Schimmel¬
pilze können den Pigmentbakterien den Farbstoff entziehen und ver¬
schiedene Farben aus dem Nährboden in sich aufsaugen. Damit kann
die Mutation ihrer Verfärbung erklärt werden, die in der Natur so
häufig beobachtet wird.
F. K. Kleine und W. Fischer-Udjidji (Deutsch-Ostafrika): Schlaf¬
krankheit and Tsetsefliegen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2,
S. 253.) Verff. stehen auf Grund ihrer Untersuchungen bei der Schlaf¬
krankheitsbekämpfung in Deutsch-Ostafrika bis auf weiteres auf dem
Standpunkt, dass in Afrika unter geeigneten klimatischen Bedingungen
jede der bekannten Trypanosomenarten, wie Trypanosoma brucei, gara-
biense, congolense, cazalboni, nanum, sich in jeder Glossinenspezies ent¬
wickeln kann. Die Art der Seuchenbekämpfung in Deutsch-Ostafrika
wird durch diesen veränderten Standpunkt nicht berührt, denn praktisch
ist in der Kolonie die Schlafkrankheit in überwiegender Wichtigkeit
durchaus an die Anwesenheit der Glossina palpalis gebunden.
Möllers.
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UNIVERSUM OF IOWA
314
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
C. Kling, W. Wernstedt und A. Petterson-Stockholm: Ver-
breitongsmodos der epidemischen Kinderlähmung. (Zeitschr. f. Im¬
munitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Untersuchungen an 9 Rekonvaleszenten.
In 8 Fällen konnten die Verff. noch mehrere Wochen und Monate nach
Ablauf des akuten Stadiums in den Sekreten das Virus durch Tier¬
versuch nachweisen. Es ändert aber bald seinen Charakter derart, dass
es bei den Tieren keine Entzündung mH zellulärem Exsudat, sondern
nur Entartung der Nervenzellen hervorrief (Abschwächung des Virus).
Wolfsohn.
K. Dohi und S. Hidaka-Tokio: Sind die Spirochäten den Proto¬
zoen oder den Bakterien verwandt? (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis,
1913, Bd. 114, H. 2.) Die Versuche, welche auf serologischem Wege
die Frage entscheiden sollten, ob die Spirochäten zum Tierreich oder
zum Pflanzenreich gehören, sprechen für verwandtschaftliche biologische
Beziehungen zwischen dieser Gruppe von Krankheitserregern und den
Protozoen. Zwischen Bakterien und Spirochäten lassen sich mit Hilfe
der Immunitätsreaktionen Beziehungen nicht nachweisen.
Immerwahr.
W. Knoll-Unterägeri: Morphologische Beiträge zu den Beziehungen
zwischen Organismus und Tnberknloseerreger. (Deutsches Arohiv f.
klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Durch Versuche mit Tuberkelbacillen¬
kulturen, tuberkulösen menschlichen Sputis, tuberkulösen Sekreten und
Schnittpräparaten tuberkulöser Organe hat Verf. gezeigt, dass eine granu¬
läre Form des Tuberkulosevirus tatsächlich existiert und sicher einen
Zusammenhang mit den Koch'schen Stäbchen hat. G. Eisner.
Deycke und Much: Einiges über Tuberkulin und Tnberknlose-
immuiität. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Muss im
Original nachgelesen werden.
P. Esch - Marburg: Zur Frage des Tnberknlosenachweises durch
beschleunigten Tierversuch. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.)
Weitere Polemik gegen R. Oppenheimer. Dünner.
E. J. Marzinowsky-Moskau: Zur Frage über die bakterielogische
Diagnostik der Diphtherie. (Zeitschr. f. Hyg. 1912, Bd. 73, H. 2,
S. 185.) Verf. stellt das Vorhandensein einer nicht virulenten Form des
Diphtheriebacillus zwar nicht in Abrede, spricht sich aber doch zu¬
gunsten des Vorhandenseins von Mikroben aus, die den Diphtherie¬
bacillen vollkommen ähnlich, aber mit denselben nicht identisch sind,
und welche vielleicht in der Pathologie des Menschen eine grosse Rolle
spielen, indem sie entweder selbst als Erreger einzelner Krankheits¬
formen auftreten oder andere Erkrankungen komplizieren.
Möllers.
F. So-Tokio: Ueber die Verwertbarkeit der modifizierten Präei-
pitation8methode nach Porges. (Gentralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt.,
Orig., Bd. 63, H. 4—6, S. 442.) Die Porges’sche Präcipitationsmethode
ist nach den Untersuchungen des Verf., soweit es sich um die Zahl der
positiven Resultate bei Luesseris handelt, der Wassermann’schen Reaktion
entschieden nicht gleichwertig; näher kommt ihr schon die neue Modi¬
fikation mit Cholesterin, doch vermag auch diese nicht die Wasser-
mann’sche Reaktion zu ersetzen. Vorsioht ist auch besonders deshalb
geboten, weil bisweilen anscheinend nioht luetische Sera mit der
Präcipitationsmethode deutlich positiv reagieren bei negativem Wasser¬
mann. Bierotte.
H. Pfeiffer und A. Jarisch-Graz: Zur Kenntnis der Eiweiss-
cerfallstoxikosen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, H. 1.) Mittels
Abderhalden’s Dialysiermethode lassen sich sowohl der anaphylaktische
Temperatursturz des Meerschweinchens als auch der nach Einverleibung
aktiven Normalhämolysins mit den übrigen Krankheitsersoheinungen durch
prophylaktische Darreichung von Chlorbaryum aufheben. Bei beiden
Vergiftungen kommt es auch unmittelbar nach der Einverleibung zu
einem Emporschnellen des antitryptischen Serumtiters, also zu einer
Steigerung der parenteralen Zerfalls Vorgänge am Eiweissmolekül. Witte¬
pepton, Ergamin und giftige Harnrückstände setzen im Gegensatz dazu
den antitryptischen Serumtiter primär herab. Bei der Anaphylaxie und
Hämolysinvergiftung muss demnach zunächst die Bildung eines Giftes
(Pepton) angenommen werden, welches seinerseits durch die Auslösung
der schweren Krankheitsersoheinungen den weiteren Eiweisszerfall bremst
und so gewissermaassen einen automatischen Selbstschutz des Organis¬
mus bedingt (sekundäre, negative Phase der Antitrypsinkurve). Man
muss zwischen primären und sekundären Eiweisszerfallstoxikosen unter¬
scheiden. Unter ersteren wird die primäre Vergiftung darch die torische
Substanz der Zerfallsgifte verstanden, unter letzteren toxische Erschei¬
nungen derselben Art, die aber erst dadurch zustande kommen, dass
im Tierkörper durch vermehrten Eiweisszerfall das Gift sich bindet.
Durch genaue Beachtung der antitryptischen Serumkurve können beide
scharf getrennt werden.
Z. Szymanowski-Krakau: Können eiweissfällende Mittel ana¬
phylaxieähnliche Erscheinungen erzeugen? (Zeitschr. f. Immunitäts-
forschuog, Bd. 16, Nr. 1.) S.’s Versuche ergaben, dass Sublimat, Tannin
und Phosphormolybdänsäure nach intravenöser Einspritzung beim Meer¬
schweinchen einen dem anaphylaktischen Shock sehr ähnlichen Zustand
hervorrufen. Es entsteht auch eine typische Temperatureinwirkung
(Senkung bei grossen, Steigerung bei schwächeren Dosen) sowie Verlang¬
samung der Blutgerinnung.
Z. Szymanowski-Krakau: Zur Frage des Bakterienanaphyla-
toxins. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Im Anaphylaxie¬
versuch von Friedberger ist der Peptongehalt des Nährbodens keine
unumgängliche Bedingung für das Giftigwerden des Meerschweinchen-
serums. Wolfsohn.
W. Spät-Prag: Untersuchungen über die Wirkungsweise des
Sehweinerotlanf-IniMansernnis. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2,
S. 224.) Verf. vertritt auf Grund von neuen Reihen von Erschöpfungs-
Versuchen, entgegen der Behauptung von Neufeld und Kandiba, die
Anschauung, dass absorbierte Sera trotz ihrer Entblössung von den ge¬
wöhnlichen Immunkörpern ihr Schutzvermögen unverändert beibehalten.
Die erschöpften Sera erzeugen sogar in der Regel einen erhöhten Schutz,
welcher auf den Gehalt der Sera an Extraktstoffen der Bacillenleiber
zurückzuführen ist. Diese Tatsache wäre ein Fingerzeig für ein neues
Immunisierungsverfahren (eine kombinierte wiederholte Behandlung mit
Immunserum und starken Bakterienextrakten), welches für die geimpften
Tiere und ihre Umgebung vollkommen gefahrlos wäre. Der Schutzwert
des Schweinerotlaufserums beruht auf seiner antiaggressiven Eigenschaft
Möllers.
H. Miessner-Bromberg: Die Bedeutung der Agglutinations-KoH-
pleMentbindungsnethode nid Coijanctivalprobe für die Diagnose des
Rotzes. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 63, H. 4—6,
S. 482.) Bei einer grossen Zahl von Untersuchungen von Pferden auf
Rotz lieferte die besten Resultate die Komplementbindungsmethode: kein
gesundes Pferd wurde der Krankheit verdächtigt, umgekehrt wurden
sämtliche rotzigen Pferde als solche erkannt Die Agglutinationsmethode
war weniger sicher: ein kleiner Prozentsatz der untersuchten Pferde
musste danach als rotzverdächtig angesprochen werden; andererseits
wurden aber nicht sämtliche kranken Pferde ermittelt. Die Conjunctival-
probe war bei allen gesunden Tieren negativ, versagte jedoch in einem
kleinen Prozentsatz bei kranken. Besonders bewährt hat sich dem Verf.
zur Sicherstellung der Diagnose die gleichzeitige Anwendung der Agglu-
tinations- und Komplementbindungsmethode. Bierotte.
Th. Engwer-Berlin: Beiträge zur CheMO- ««4 Serotherapie 4er
Pneunokokkeninfektionen. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 2, S. 194.)
Das Aethylhydrocuprein (Morgenroth) zeigt seine chemo-therapeutische
Wirkung nicht nur bei der Pneumokokkensepsis der Maus, sondern auch
bei der experimentellen Pneumonie des Meerschweinchens; je nach der
Schwere der Infektion wird, während die Kontrolliere regelmässig sterben,
ein grösserer oder kleinerer Prozentsatz der behandelten Tiere gerettet.
Unter geeigneten Bedingungen verstärken sich die Wirkungen des Aetbyl-
hydrocupreins und des Pneumokokkenimmunserums gegenseitig. Die
Wirkung des Aethylhydrocupreins beruht nicht aut Anregung der Phago-
cytose, sondern auf extracellulärer Abtötung der Pneumokokken.
Möllers.
J. C. Riquier-Pavia: Das „606“ bei der experimentellen Infektion
durch Trypanosoma Bracei und durch Trypanosoma eqaipedam. (Zeit¬
schrift f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 1.) Nach Einführung von „606*
wirkte das Blut des infizierten Kaninchens in einer Zeitperiode von 1 bis
6 Tagen auf die Ratte nicht infizierend. Das Wiederauftreten der In¬
fektion im Kaninchen kann nur von Knochenmark, Lymphdrüsen und
Milz ausgehen. In den Bindegewebs- und Endothelzellen dieser Organe
konnte R. kugelförmige Gebilde nachweisen, welche bei infizierten und
nichtbehandelten Tieren auch in anderen Organen sich finden. Typische
Trypanosomen sind weder in Ausstrichpräparaten noch an Schnitten der
drei genannten Organe vorhanden. Die intracellulären Kugeln stellen
möglicherweise eine Entwicklungsphase der Trypanosomen dar, auf welche
„606* nicht einwirken kann. Uebergangsformen hatR. jedoch nie gesehen.
H. Wern er-Hamburg: Ueber menschliche Trypanosomiasis mit
Schlafkrankheitssymptomen ans Portugiesisch-Ostafrika, verursacht
durch Trypanosoma rhodesiense, und über Lumbal pnnktatsbefnnde,
insbesondere die Nonne-Apelt’sehe Phase I-Reaktion, bei Schlafkrank¬
heit. (Deutsche raed. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) In einem durch
Trypanosoma rhodesiense verursachten Fall wurden gegen Ende der
Krankheit ausgesprochene Symptome von Schlafkrankheit beobachtet.
Es bestand absolute Resistenz gegen Atoxyl und Tartarus stibiatus.
18 Stunden vor dem Tode verschwanden die Trypanosomen völlig aus
dem Blute und der Lumbalflüssigkeit. In drei weiteren Fällen von
Trypanosomiasis erwies sioh die Nonne-Apelt’scbe Phase l-Reaktion des
Lumbalpunktats als parallel gehend mit der klinischen Beteiligung des
Centralnervensystems. Die Lymphocytenreaktion und die Wasser-
mann’sche Reaktion zeigten diesen Parallelismus nicht. Eine Ver¬
mehrung der Eosinophilen im Blute wurde nicht gefunden. Das Lumbal¬
punktat erwies sich auch in diesen Fällen vor dem Tode als bakterienfreL
H. Ziemann - Charlottenburg: Uetier die künstliche Weiter¬
entwicklung (in vitro) des Tertian-Malariaparasiten. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Um Tertiana-Malariaparasiten aus dem Blute
in vitro zu kultivieren, muss man, nach Bass, möglichst frisches, vor
Abkühlung streng zu hütendes Blut verwenden, und zwar von Patienten,
welche noch kein Chinin erhalten haben. Das Blut wird bei 39,5°, nach
Beimengung bestimmter Dextrosemengen, unter Luftabschluss aufbewahrt.
Es gelang Z. in einem Falle von Tertian-Malaria eine deutliche Weiter¬
entwicklung der Parasiten in den roten Blutkörperchen zu beobachten.
M. Oker-Blom-Helsingfors: Ueber den Einfluss der chronischen
Quecksilber-, Blei- und Alkoholvergiftung auf die natürlichen Abwehr-
vorrichtnngen des Tierkörpers. (Zeitsohr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16,
Nr. 1.) Chronische Blei- und Quecksilbervergiftung beeinflusst die Abwehr¬
vorrichtungen des Meerschweinchens nur wenig, abgesehen von einer ge-
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
315
wissen Leukooytose. Unter dem chronisohen Einfluss des Alkohols
leiden die blutbildenden Organe derart, dass eine Hyperleukocytose
(s. B. im Kampfe gegen Staphylokokken) herabgesetzt wird.
Wolfsohn.
Innere Medizin.
L. Kurt-Wien: Zur dorsalou Auskultation des Honens «ad der
Qeflsse. (Wiener klin. Wochensohr., 1913, Nr. 3.) Die dorsalen Herz-
und Gefässerscheinungen sollten mehr berücksichtigt werden, denn in
manchen Fällen kann deren genaue Beobachtung die Diagnose erleiohtern.
Die Herztöne sind dorsal — unter normalen Verhältnissen — im Kindes¬
alter in der Regel zu hören, in vorgeschritteneren Lebensperioden sel¬
tener. P. Hirsch.
Th. Groedel und Fr. Groedel-Nauheim: Kombinierte röntgen-
kiaematographiseho und elektrokardiographisehe Horinntersuchnugen.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Kombination des
RöotgenkinematogTamms mit dem Elektrokardiogramm, um so zu er¬
mitteln, welcher Phase der Herzbewegung die einzelnen Aufnahmen der
kinematographisohen Serie angehören, und um aus der feinsten Zergliede¬
rung der Herzbewegungsvorgänge Rückschlüsse auf das Elektrokardio¬
gramm selbst ziehen zu können. Die Ergebnisse sind folgende: 1. Die
Annahme anderer Autoren, dass die A-Zacke (Vorhofszacke) der Vorhofs¬
kontraktion entspricht, wird bestätigt. 2. Die Kontraktion des Herz¬
muskels ist an dem Zustandekommen der I-Zacke (Initialzacke) beteiligt.
Es lässt sich jedoch nicht sicher entscheiden, welche Faktoren sonst
daran beteiligt sind (Erregungsleitung, chemische Umänderung, Wärme¬
bildung und mechanische Kontraktion). 3. Im Verlauf der F-Zacke
(Finalzacke) steigert sich die Ventrikelkontraktion zu maximaler Höhe.
Mit dem Ende der F-Zacke setzt sofort die Ventrikeldiastole ein. Es
zeigt sich also aus den Untersuchungen, dass die Potentialscbwankungen,
wie sie sich im Elektrokardiogramm zu erkennen geben, synchron mit
der Herzaktion einhergehen.
H. Stursberg und H. Schmidt - Bonn: Ueber Blutdruckmessung
nach Körperarbeit und ihre Bedeutung für die Beurteilung der Arbeits¬
fähigkeit. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Ein Kranker,
der unter unbedeutenden körperlichen Anstrengungen eine beträchtliche
Blutdrucksteigerung erleidet, wird duroh schwere Arbeit leichter ge¬
schädigt werden als ein Kranker, bei dem die gleiche Leistung keine
oder nur eine unbedeutende Blutdrucksteigerung auslöst. Als besonders
schonungsbedürftig sind Kranke zu betrachten, bei denen starke Erreg¬
barkeit des Blutdruckes und des Pulses gefunden wird.
G. Eisner.
A. Bauer-Roemhild: Skrofulöse Erwachsener. (Beitr. z. Klinik
d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Trotz gewisser allgemeiner Unterschiede sind
die infantile Skrofulöse und die der Erwachsenen ihrem innersten Wesen
naeh gleich. Auch für die Skrofulöse Erwachsener gilt der Satz: „Stets
muss man mit Tuberkulose rechnend
Werner: Die Sterblichkeit der Bevölkernag der Bauerscbaften
Schlangen und Kohlstädt an Tuberkulose von 1801 bis 1908 inklusive.
(Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.)
Dietl und Hamburger: Ueber tuberkulöse Ezacerbatien. Ex¬
perimentelle Studie. (Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Ist im
Original nachzulesen.
Meyerstein: Experimentelle Untersuchungen über die Resorption
und Ezsndation bei künstliche« Pnenaothorax. (Beitr. z. Klinik d.
Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Flüssigkeit und Luft im Pleuraraum hat für die
Resorption ungefähr gleichen Effekt. Kleinere und mittlere Mengen ver¬
ändern die Resorption nicht, grössere verschlechtern sie, desgleichen ein
offener Pneumothorax. Die Exsudation bleibt bei offenem und ge¬
schlossenem Pneumothorax unbeeinflusst, durch Kompression der Lungen
wird sie vermindert. Die Einführung von Luft oder Gas in die Pleura
macht an und für sich keine Trans- bzw. Exsudation. Für die Praxis
ergibt sich für grosse, recidivierende Pleuritiden nachträgliche Gas¬
einfüllung, also Ersatz durch künstlichen Pneumothorax, worüber schon
von verschiedenen Autoren günstige Berichte vorliegen, gleiohes gilt für
die einfache Punktion von Empyemen.
Bochalli: Zur Pneumothoraxbehandluiig schwerer Lungentuber-
kalase. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkulose, Bd. 24, H. 1.) Verf. hat aus¬
schliesslich ganz desolate Fälle in Behandlung genommen, die alle schon
längere Zeit mit anderen Mitteln erfolglos behandelt waren. Zwei Fälle
davon waren trotz der Pneumothoraxbehandlung nicht zu halten, in dem
einen Fall bandelt es sich um Komplikation mit schwerer Kehlkopftuber¬
kulose, in dem anderen Fall war wohl die nicht kollabierte Seite zu
stark ergriffen. Von den anderen 4 Fällen ist einer „praktisch“ geheilt,
drei beachtenswert gebessert, wie aus deo mit genauen Druoktabellen
und vorzüglichen Röntgenbildern versehenen Krankengeschichten her¬
vorgeht.
Neumann und Matson: Ueber LkBgeataberknlosefoniea mit aus¬
schliesslichem Vorkommen Mack’seher Granula. (Beitr. z. Klinik der
Tuberk., Bd. 24, H. 1.) Die Granula finden sioh mit der Doppelfärbung
nach Much-Weiss, wo die übrigen Bacillenfärbungen und Antiformin
versagen. Die Infektion ist meist sehr gutartig und verläuft unter dem
klinischen Bilde einer Bronchitis mit Asthma und Emphysem, eventuell
Bronohiektasien (Phthisis fibrosa). Die Granula sind virulent für Meer¬
schweinchen. Ihre Erkennung ist wiohtig, weil diese Sputa sonst nicht
besonders beachtet werden. Die Erkrankungen sind nicht durch die
spezifischen Reaktionen erkennbar.
F. Tobiesen: Ueber akute hänorrbagisehe Nephritis bei Lungen¬
tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 24, H. 1.) 21 Fälle, da¬
von nur 2 im ersten, die übrigen im dritten Stadium. Die Erkrankung
nimmt schleichenden Verlauf und wird meist nur zufällig entdeckt. Aus¬
gesprochene Tendenz zur Heilung, gelegentlich Uebergang in Amyloid¬
entartung (drei Fälle). J. W. Samson.
E. Pflanz-Marienbad: Zur Balneotherapie von Nierenleiden.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Bei 129 Fällen kam es unter
dem Gebrauch des Marienbader Wassers in 30 Fällen zum vollkommenen
Verschwinden und in 59 Fällen zur Verminderung des Eiweisses; in
54 Fällen konnten nach beendeter Kur Cylinder nicht mehr nachge¬
wiesen werden, in 89 Fällen nur noch in verminderter Anzahl. Der
durch die Kur erreichte günstige Harnbefund blieb noch längere Zeit
unverändert. Unter dem Gebrauch von Glaubersalz wässern scheint eine
Ausscheidung von Abfallstoffen, welche sonst der Niere zukommt, durch
den Darm zu erfolgen („Ableitung auf den Darm“). P. Hirsch.
Albu: Die Wirkungsweise und die Heilfaktorea der Triakkaren.
(Zeitschr. f. Balneol., Klimatologie u. Kurorthyg., Jahrg. V, Nr. 20.) A.
beschäftigt sich in seinen Ausführungen mit den „spezifischen“ Wirkun¬
gen der Heilquellen. Erwiesen ist ein spezifischer Einfluss einzig und
allein bei den Stahlquellen. Sonst kommt die überwiegende Zahl der
Heilwirkungen lediglich auf mechanischem Wege zustande, d. h. durch
Auswaschung, AuslauguDg, Durchspülung der Schleimhäute, der Hohl¬
kanäle, der Gewebe. Das Prinzip oder Kennzeichen der meisten Mineral¬
wässer ist in der Vermehrung der Diurese zu sehen. Mit einer ver¬
stärkten Auslaugung der Körpergewebe geht eine erhöhte Ausscheidung
der Stoffwechselendprodukte Hand in Hand. Unter diesem Gesichtspunkt
verschwindet die „spezifische“ Wirkung. Nicht zu vergessen ist, dass
es Kontraindikationen für Trinkkuren gibt, dass in manchen Fällen z. B.
Sanatoriumsbehandlung vorzuziehen ist.
G. Mayer: Die Anforderungen an Fleisehkoiserven. (Zeitschr. f.
Balneol., Klimatologie u. Kurorthyg., Jahrg. V, Nr. 20.) M. stellt eine
Reihe von Forderungen auf, die Konservenfabriken erfüllen müssen, um
einwandfreie Ware zum Markt zu bringen. E. Tobias.
G. v. Bergmann - Altona: Das spasmogene Ulcus peptienn.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Sehr häufig findet man
bei Patienten mit Ulcus ventriculi Zeichen von Vagotonie. Zeichen all¬
gemeiner Neurosen sind nicht gegen, sondern gerade für die Diagnose
eines Ulcus zu verwenden. Patienten mit Ulcus ventriculi und duodeni
haben fast stets allgemeine Zeichen gestörter Harmonie zwischen Sym-
pathicus und autonomem (erweitertem Vagus-)System oder im vegetativen
Nervensystem überhaupt. Daneben sind am Magen und Duodenum
selbst die vom vegetativen Nervensystem beherrschten Funktionen gestört,
und zwar im Sinne von übererregter Drüsen- und Muskelfunktion.
Speziell das Pylorusverhalten ist disharmoniert. Der Magenschmerz
fällt nachweislich oft mit einem Krampf der Muscularis propria zeitlich
zusammen. Eine vermehrte Neigung zu Spasmen der Muscularis ist bei
den Individuen vorhanden, die am Magen und Duodenum auch andere
Zeichen gestörter motorischer und sekretorischer Funktion bieten, die
ausserdem sonst im vegetativen System stigmatisiert sind. Ausser dieser
Störung im Nervensystem bedarf es zur Entstehung des Ulcus noch
eines „ersten Krankseins“, eines „primum movens“, das reflektorisch den
Spasmus auslöst. Spastische Zustände am Magen führen durch Ab¬
klemmung der zuführenden Gefässe zu lokaler Ischämie. Die von der
Ernährung ausgeschalteten Schleimhautpartien werden angedaut, Re¬
sultat: Erosionen und Ulcera. Vagusreizmittel können im Tierexperiment
Ulcera und Erosionen des Magens erzeugen (Westphal). Therapeutisch,
ergibt sich aus alledem: energische und systematische Atropi nkur
V. Reichmann - Jena: Kurze Mitteilung über eine akute Schwefel¬
säure- und Kupfersulfatvergiftnng mit besonderer Berücksichtigung des
Blutbefundes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Verf. be¬
richtet über einen Fall von Schwefelsäurevergiftung und über einen Fall
von Kupfersulfatvergiftung; beide Male erhebliche Leukocytose und
charakteristische Veränderung des Blutbildes. Genaueres siehe Original¬
arbeit. G. Eisner.
0. Jacobson-Berlin: Zur Diagnostik der Brouehostenose. (Dtsch.
med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bei Bronchostenose lässt sich eine
inspiratorische Verschiebung der Mediastinalorgane und des Herzens in
die kranke Seite perkutorisch und röntgenologisoh nach weisen. Dieses
Symptom hält J. für pathognomonisch und konstant. Wolfsohn.
Siehe auch Physiologie: Hering, Die vorhofdiastolische Wello
ad, eine neue Welle des Venenpulses. — Hygiene und Sanitäts¬
wesen: Louis und Combe, Typhusvacoination.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
H. Deutsch-Brünn: Alkohol und Homosexualität. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) D. hat einen Fall latenter Homosexualität
bei einem 80jährigen Mann beobachtet. Die homosexuellen Neigungen
(einmal kam es nur zur Betätigung) zeigten sich ausschliesslich nach
dem Genuss massiger Alkoholmengen, duroh welche die Hemmungen des
sehr intelligenten Patienten beseitigt wurden. P. Hirsch.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
E. Loewy: Die plaütAre Relexzone für den ITusculus quadriceps.
(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Bei Beklopfen bestimmter Stellen der
Planta pedis tritt in vielen Fällen eine reflektorische Kniestreckung ein;
die Stellen sind als reflexogene, unter bestimmten Umständen wirksame
Zonen (plantare bzw. distale Zone) für den Patellarreflex anzusehen.
Bei über die Norm gesteigerten Kniereflexen kann die plantare Zone
zwar vereinzelt fehlen, meist ist sie aber vorhanden. Bei normalen
Fällen und Fällen mit nicht gesteigertem Kniereflex ist sie nie mit
Sicherheit beobachtet worden. Beiderseitiges Fehlen der Plantarzone ist
diagnostisch nicht zu verwerten. Bei Pyramidenbahnerkrankungen ist
sie oft nachweisbar, aber nicht immer. Als alleiniges Zeichen ist sie
nicht zu verwenden, mit anderen unterstützt sie die Diagnose.
0. Sittig: Ueber eine besondere Reflexerscheinung (dorsaler Fass
eloiis). (Neurol. Centralbl., 1913, Nr, 2.) Fasst man den Fuss und
streckt man ihn kräftig plantarwärts, so kommt es zu rhythmischen Kon¬
traktionen der Dorsalflektoren des Fusses (M. tibialis anticus und
M. extensor digitorum communis) und zu ähnlichen Bewegungen wie
beim Fussphänomen. Der Reflex ist gewissermaassen das Negativ vom
Fussphänomen. S. fand den Reflex in der Pragor psychiatrischen Klinik
nur in zwei Fällen von Paralyse, nie bei spastischen Zuständen wie
Hemiplegien und multipler Sklerose. In den beiden Fällen befanden
sich analoge Reflexerscheinungen an anderen Muskelgebieten.
K. Boas: Zur Kasuistik des pontobalbüren Typus der multiplen
Sklerose. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Ungewöhnlicher Fall von
multipler Sklerose: Schubweise progredienter Verlauf, spastisch-paretischer
Gang, beiderseitiger Nystagmus, leichte euphorische Demenz, Vorhanden¬
sein der Bauchreflexe, beiderseitiger Babinski und Oppenheim, Fehlen
des rechtsseitigen Patellar- und beider Achillesreflexe, vorübergehende
Läsion des rechten Facialis und Acusticus, Schluckbeschwerden.
Karplusund Kreidl: Ueber experimentelle reflektorische Pnpillea-
starre. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Es gelang, bei Katzen und
Affen experimentell eine andauernde und isolierte reflektorische Pupillen¬
starre hervorzurufen, und zwar gelangten sie dazu im Laufe von syste¬
matischen Untersuchungen über die Bahn der centripetalen Pupillar¬
fasern. Nach Durchschneidung beider vorderer Vierhügelarrae ist die
Lichtreaktion der Pupillen vollkommen aufgehoben. Der Affe zeigt acht
Monate nach der Operation bei gutem Sehvermögen, prompter Konvergenz¬
reaktion der Pupillen linksseitige Lichtstarre, rechts träge, unausgiebige
Reaktion.
Gregor und Schilder: Zur Theorie der Myotonie. Vorläufige Mit¬
teilung. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 2.) Wir haben in der Ableitung
der Aktionsströme zum Saitengalvanometer ein Mittel zur Entscheidung
darüber, ob eine Muskelkontraktion durch Innervation zustande kommt
oder rein myogener Natur ist. Untersuchungen an einem Falle aus¬
geprägter Myotonie mit dem Saitengalvanometer haben nun ergeben,
dass die Myotonia congenita keine rein muskuläre Erkrankung ist.
E. Tobias.
Siehe auch Chirurgie: Stoffel, Rationelle Nervenchirurgie.
Kinderheilkunde.
Dm. Lebedev - Moskau: Eine seltene Kombination von angeborenen
Anomalien — Urachusfistel, Nabelstrangbrach nnd Cryptorchismns —
bei einem Kind. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 233.)
R. Weigert.
D. Fraenkel-Borgsdorf bei Berlin: Ueber die nomale Körper¬
temperatur der Kinder nnd ihr Verhalten bei Bewegung and Rahe.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Körperbewegung ruft bei
allen Kindern eine Temperatursteigerung bis 38° und mehr hervor, die
bei Ruhe wieder zur Norm herabsinkt. Die Steigerung ist unabhängig
von der Aussentemperatur. Bei nenropathischen Kindern ist die Be¬
wegungstemperatur im allgemeinen höher als bei nicht neuropathischen.
Die normale Temperatur in der Ruhe überschreitet in der Regel
nicht 37,2°. Wolfsohn.
A. Molodenkoff - Moskau: Das Fleckfieber bei Kindern nach
dem Material des Morosoff’schen Kinderkrankenhauses in Moskau während
der Epidemie des Jahres 1911. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59,
S. 199.) 118 Fälle. Obwohl die Erkrankung in einer Reihe von Be¬
obachtungen durch andere akute Infektionskrankheiten (Scharlach,
Diphtherie, Pertussis, Dysenterie) kompliziert war, was nach früheren
Autoren nie beobachtet war, blieben alle Patienten am Leben.
J. Takeno - Tokio (z. Z. Berlin): Verhalten des Blutes bei den
Rheumatosen. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 53.) Unter
dem Namen Rheumatosen fasste T. den Rheumatismus, die Chorea und
die Endocarditis zusammen. „Die Zahl der Erythrocyten und die Hämo¬
globinmenge bewegt sich in gleichem Verhältnis wie die Schwere der
Erkrankung; verschlechtert sich das klinische Bild, so sinkt die Hämo¬
globin- und Erythrocytenkurve; bessert sich der klinische Zustand, so
beobachten wir ihr Ansteigen.“ (Bei einem Fall von Pseudochorea (post-
hemiplegisch) war dieses Verhalten des Blutes nicht zu beobachten.)
Bei Verschlimmerung des Leidens tritt eine Vermehrung der Leuko-
cyten, besonders des Prozentsatzes an Neutrophilen ein, die bei Besserung
der klinischen Erscheinungen wieder zurückgeht.
D. Rabinowitsch - Kischinew: Die Leakocyten verschiedener
Altersstufen. Untersuchungen über die Leukocyten gesunder Kinder.
(Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 161.) Gesunde Kinder beiderlei
Geschlechts im Alter von 1—15 Jahren haben 6—7000 Leukocyten.
Die Zahl der neutrophilen Leukocyten beträgt in den ersten Lebens¬
jahren ca. 30 pCt. aller Leukocyten und erreicht mit 15—16 Jahren,
allmählich ansteigend, 70 pCt. Die Lymphocyten betragen im ersten bis
zweiten Jahre 60 pCt. und sinken auf 30 pCt. Die eosinophilen Zellen
betragen durchschnittlich 4—6 pCt., die Uebergangsformen 2—3 pCt., die
Mastzellen 0,3—0,6 pCt., die grossen Mononuoleären 1—3,3pCt. bei
Kindern aller Altersstufen.
C. Meyer-Rummelsburg b. Berlin: Zur Kenntnis des MiaeralstolT-
weehsels bei Rachitis. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 28.)
Stoffwechselversuche an Säuglingen mit Raohitis, die mit molken¬
adaptierter Milch ernährt wurden, zwei von ihnen unter Zugabe von
Lebertran. Die Untersuchungen erstrecken sich auf Stickstoff, Fett,
Gesamtasche, Kalk, Magnesia, Alkalien, Phosphor und Chlor. Die
Stickstoff- und die Cl-Bilanz und die Fettresorption wurde in allen
Fällen leidlich gut, die Gesamtaschenretention wenig befriedigend ge¬
funden. Die Kalkbilanz balancierte in den lebertranfreien Fällen um
Null; durch den Lebertran wurde sie ausserordentlich gebessert, dabei
war die Wirkung von Lebertran und Phosphorlebertran fast gleich.
Magnesia wurde stets genügend retiniert, sie ging mit Kalkretention
durchaus nicht parallel. Die Alkalibilanz zeigt einen Antagonismus zu
der der Erdalkalien. Der Phosphor verhielt sich ähnlich wie der Kalk.
M. Dubois und K. St ölte-Strassburg: Abhängigkeit der Kalk-
bilanz von der Alkalizafahr. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77,
S. 21.) Stoffwechsel versuche, die dartun, dass der Gewinn des Körpers
an Kalk bei Zugabe von Malzextrakt und Gemüse oder Obst zur Nahrung
wahrscheinlich auf dem Alkaligehalt dieser Nahrungsmittel beruhe.
0. Heubner - Berlin: Ueber chronische Nephrose im Kindesalter.
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1912, Bd. 77, S. 1.) Ausführung eines auf der
Naturforscherversammlung in Müuster gehaltenen Vortrages (cf. diese
Wochenschr., 1912, S. 2156). R. Weigert.
W. Braun-Berlin: Die Bedeutung und Durchführbarkeit von Pro¬
phylaxe and Frühbehandlung der Diphtherie. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 6.) B. hat schon früher den Beweis geführt, dass
übergrosse Serumdosen bei der Diphtheriebehandlung unnötig sind. Mit
1500—3000 I.-E. kommt man stets aus. Viel wichtiger ist eine mög¬
lichst frühzeitige Behandlung. Kranke, welche innerhalb der ersten
36 Stunden mit Serum behandelt wurden (775 Fälle), gaben eine Mor¬
talität von nur 6,7 pCt., während die durchschnittliche Sterblichkeit
15,5 pCt. betrug. In Berlin ist die Frühbehandlung noch immer nicht
hinreichend durchgeführt. Auf Grund mehrfacher trauriger Erfahrungen
warnt B. dringend davor, die Seruminjektion lediglich von der bakterio¬
logischen Untersuchung abhängig zu machen. Weiterhin wird auf die
prophylaktische Spritzung von Familienangehörigen besonderer Wert ge¬
legt. 600—1000 I.-E. sind hierfür ausreichend. Auch unter schwierigen
lokalen und sozialen Verhältnissen lässt sich das durchführen, voraus¬
gesetzt, dass die Stadt eine relativ geringe Summe dafür bewilligt, und
dass die gesamte Aerzteschaft entschlossen zusammen dahin wirkt.
Wolfsohn.
W. Beyer - Rostock: Beweist der Aufsatz von Kleinschmidt (im
Heft vom 3. Juli dieser Wochenschrift) etwas „Zur Frage der Wirk¬
samkeit des Diphtherieserams bei Beteiligung des Nervensystems
an der Erkrankung?“ (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913,. Bd. 77, S. 65.)
H. Kleinschmidt: Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen.
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 69.) Polemik.
L. M. Pussep: Operative Behandlung des Hydroeephalus
internus bei Kindern. (Archiv f. Kinderheilk., 1912, Bd. 59, S. 172.)
Trepanation in der Regio occipitoparietalis-Oeffnung ca. 3 cm Durch¬
messer; Ausschneidung eines zungenförmigen Lappens aus der Dura
mater: Punktion mit einer 3 mm starken, aus 3 je 3 cm langen Teilen
bestehenden Nadel, bis die Flüssigkeit abfliesst; Entfernung des über¬
flüssigen Teiles der Nadel; Vernähung der Hautdecken oberhalb der
Nadel. Das Röhrchen kann nach 2—4 Monaten entfernt werden, da
sich dann ein stabiler Kanal von gliösem Gewebe gebildet hat. Verf.
berichtet dann ausführlich über 14 von 18 operierten Kindern mit chronischem
und akutem Hydroeephalus und Hirntumoren. Soweit Erfolge zu er¬
reichen waren, waren sie nur palliativer, nicht curativer Art.
R. Weigert.
Chirurgie.
Becker: Der neue Myomotor. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31,
H. 1 u. 2.) Beschreibung des Apparats und seiner Anwendung.
Galeazzi: Neuer Artrogoniometer. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir.,
Bd. 31, H. 1 u. 2.) Beschreibung des Instruments.
Hadda: Der totale angeboreoe Rippendefekt. (Zeitschr. f. ortho¬
pädische Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der totale Defekt einer oder
mehrerer Rippen wird häufiger festgestellt werden, wenn prinzipiell von
alten Skoliosen Röntgenaufnahmen gemacht werden; er ist fast stets mit
anderen Missbildungen kombiniert und demnach als Teilerscheinung einer
ausgedehnten Missbildung zu betrachten.
Kauffmann: Zur Kasuistik der kongenitalen 8koliose. (Zeitschr.
f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Drei Fälle. Trotz aller Neben¬
erklärungen wird man auch bei der kongenitalen Skoliose wohl dauernd
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17. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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an der Annahme einer abnormen eigentümlichen Keimbeschaffenheit,
einer bestimmten Keimvariation als aer vorherrschenden Ursache der
morphologischen Anomalien festhalten müssen.
Doerr: Beitrag zur statische! Skoliosen frage. (Zeitschr. f. orthopäd.
Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der Prozentsatz der statischen Skoliosen
betrug beim Material der Lange’schen Klinik 7 pCt. Das Vorkommen
der statischen Skoliose ist häufiger, als von vielen Seiten angenommen
wird. Um einer Fehldiagnose aus dem Wege zu gehen, ist bei jeder
Skoliose eine genaue Messung des Beckenstandes erforderlich.
Bai sch: Die kongenitale radio-ulnare Synostose. (Zeitschr. f.
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1—2.)
Trillmich: Beitrag zur Madelnng’schen Deformität. (Zeitschr. f-
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Die Entstehung der Madelung’schen
Deformität geschieht auf mechanischer Basis. Voraussetzung zur Ent¬
stehung wird immer eine verringerte Knoohenfestigkeit sein müssen, sei
-es eine verringerte physiologische Knochenfestigkeit zur Zeit der
Pubertät, sei es Rachitis oder Osteomalacie.
Könne: Die Kombination der „angeborenen" Luxation des Radius-
köpfebeus mit der Little’schen Krankheit. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir.,
Bd. 31, H. 1 u. 2.) Zwei Fälle von Luxation des Radiusköpfchens bei
Little. Diese Verrenkungen sind nicht angeboren, sondern haben ihre
Ursache in einer Innervationsdifferenz antagonistischer Muskelgruppen;
es handelte sich also um „spastische" Luxationen.
Reiner: Beiträge zur Architektur des Galcanens. (Zeitschr. f.
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Ohne Rücksicht auf die Ursache
folgt einer Aenderung von Grösse und Richtung der Belastung auch eine
Veränderung von Form und Architektur des Caloaneus. Die Architektur
ist kein von Anfang an festgesetztes unverrückbares Gebäude, sie ist
einem ständigen Wechsel unterworfen, je nach der Inanspruchnahme
und der Funktion des betreffenden Knochens.
Bai sch: Bau und Mechanik des normalen Fasses nnd des Platt-
fassen. (Zeitsohr. f. orthopäd. Chir., Bd. 81, H. 1 u. 2.) B.’s kon¬
sequente Röntgenuntersuchungen haben den Fortschritt in der Röntgeno¬
logie des Plattfusses gebracht, dass nunmehr von einer Röntgendiagnose
des Plattfusses gesprochen werden kann. Pes valgus und Pes planus
sind röntgenologisch scharf zu trennen. Die Untersuchungen haben er¬
geben, dass beim normalen Fuss unter der Belastung ein Zusammen¬
schluss des Fusses ©intritt, wodurch die Wölbung erhalten wird; beim
Plattfuss tritt ein Auseinanderweichen mit gesetzmässigen Faktoren ein.
Möhring: Zur Technik des Klnmpfussverbaades. (Zeitschr. f.
orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Zur Erhaltung der Redressions¬
stellung bedient sich M. eines Trikotscblauchzügels.
Wo h lauer: Beitrag zur Frage der Kb’hler’schen Erkrankung des Os
■aviculare pedif. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.)
Drei Fälle. W. fasst das Wesen der Köhler’schen Krankheit so auf,
dass eine primäre fehlerhafte Bildung des Os naviculare vorliegt, während
die Beschwerden durch ein leichtes Trauma ausgelöst werden.
Schoenenberg: Beitrag zur Arthrodese des Fassgelenks. (Zeit¬
schrift f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Durch die Cramer’sche
Methode hält S. die Technik der Fussarthrodese für verbessert; es ist
möglich, den Fuss durch Ueberpflanzung eines Periostknochenlappens
zu ankylosieren-, diese Methode ergibt knöcherne Ankylose auch bei
Kindern unter 8 Jahren. S. glaubt, dass der Gang bei ankylosiertem
Fuss um so leichter wird, je kleiner die den Boden berührende Fläche
der Planta pedis ist, vorausgesetzt, dass diese Stelle sich zum Auftreten
eignet. Was die Steilstellung des Calcaneus betrifft, so glaubt S., dass
ein feststehender steiler Calcaneus das Resultat der Arthrodese nicht
beeinträchtigt. Egloff-Berlin.
Molineus: Das Endresultat bei doppelten Knb'ckelbrüchcn.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Die doppelten
Knöchelbrüche bedürfen spezialistischer Behandlung in einem Kranken¬
hause. Die Prognose richtet sich nach der Behandlung, die vor allem
in einer guten Reposition durch Ueberkorrektionsstellung in gutsitzendem
Verbände zu bestehen hat. Der Pes abductus pronatus planus, der
auch nach langer Zeit noch eintreten kann, muss vermieden werden.
Es ist stets mit dem Vorhandensein eines dritten Fragments und der
Diastase zwischen Tibia und Fibula zu rechnen. Fritsch.
Galeazzi: Ueber die unblutige Behandlung der kongenitalen
flüftgelenkverrenkung. (Zeitsohr. f. orthopäd. Chir., Bd. 81, H. 1 u. 2.)
Io allen Fällen, die man als Subluxation bezeichnet, empfiehlt G. eine
einfache Detorsion des Femur; Gips in Innenrotation, leichter Flexion
nnd Abduktion.
Mosental: Fixation von Oberschenkel und Hüfte im Kniependel¬
apparat. (Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Beschreibung
der Methode. Egloff-Berlin.
E. Fritzsche: Ueber die Frakturen des Zabnfortsaties des
Epistrophevs. Neue röntgenographische Darstellung des Processus
odontoideus. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.)
Durch einen in den Epipharynx eingeführten Film, der nun unmittelbar
vor dem Dens, epistr, lag, konnte F. die Bruchlinie am Epistropheus
röntgenologisch darstellen. , , < Fjitscb.
W. Körte - Berlin: Typische Fraktur des Gesichtsschädelfi..
(Deutsche me& "Wochenschr., 1918 t Nf. 6).' r Vortrag in der Berliner Ge¬
sellschaft für Chirurgie am 13. Januar 1913. Wolfsohn.
Chlumsky: Therapeutische Mitteilnngen. (Zeitschr. f. orthopäd.
Chir., Bd. 31, H. 1—2.) Bei der Behandlung von Hernien rät Chi., bei
Kindern unter drei Jahren mit dem Operieren nicht zu eilig zu sein; bei
Patienten bis zu 20 Jahren ist eine Verkleinerung der Bruchpforten eventuell
möglich, Operation aber ratsamer. — Zur Behandlung der Hammerzehe
empfiehlt er eine modifizierte Thiersch’sche Einschubsohle. — Zur Kopf¬
extension benutzt er eine von ihm konstruierte Schlinge. — Bei älteren
angeborenen Hüftluxationen empfiehlt er vor der Einrenkung acht Wochen
Extension mit 4—5 kg. Egloff-Berlin.
R. Sievers: Übertragung gestielter Hautlappen aus der Haut des
vorderen Brustkorbes auf Fingerdefekte. (Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Inhalt ergibt sich aus der Uebersohrift.
Fritsch.
W. Kausch - Schöneberg: Erfahrungen über Tuberkulin Rosen¬
bach. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag in der
Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 9. Dezember 1912.
Wolfsohn.
H. Finsterer-Wien: Seltene Komplikation nach der Herniotomie
einer eingeklemmten Leistenhernie. (Wiener klin. Wochenschr., 1912,
Nr. 3.) Demonstration in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte
zu Wien am 20. Dezember 1912; Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Gärtner: Primäres Lymphosarkom des Dünndarms. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.) Kasuistische Mitteilung.
Rittershaus: Zur Kasuistik der Herzverletzungen. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. I u. 2.) Mitteilung einer Herznaht
nach Herzschuss. Der Patient, bei dem auch die Pleura verletzt war,
ging unter septischen Erscheinungen am zweiten Tage zugrunde. Verf.
empfiehlt deshalb bei Pleuraverletzungen stets Drainage und würde die¬
selbe nur fortlasseo, wenn extrapleurales Operieren möglich war.
E. Lange: Stanungsblutungen infolge traumatischer Rumpf¬
kompression. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., 1912, Bd. 120, H. 1 u. 2.)
Bei traumatischen Rumpfkompressionen kann die durch sie infolge
Druckes hervorgerufene rückläufige Blutwelle Stauungsblutungen erzeugen.
Die Verteilung der Hautecchymosen hängt dabei von den Venenklappen
ab, die bei sehr grosser Höhe der rückläufigen Blutwelle insuffizient
werden können. Die relative Seltenheit der intraoculären und intra¬
cerebralen Blutaustritte ist bedingt durch den infolge des dort normalen
bestehenden Druckes hervorgerufenen Gegendruck und durch eine ventil¬
artige Vorrichtung an der Einmündungsstelle des Sinus sigmoideus in
die Vena jugularis.
R. Bayer: Ein peritheliomartig gebauter Tumor der Glutäal-
gegend. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 1 u. 2.) Kasuistische
Mitteilung. Fritsch.
A. Stoffel-Mannheim, früher Heidelberg: Beiträge zu einer ratio¬
nellen Nervenchirnrgie. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.)
Die Fehlschläge der Nervenchirnrgie beruhen auf nicht genügend aus¬
gebildeter Technik und auf noch mangelhaften Kenntnissen über den
Bau und die Physiologie der peripheren Nerven. Zu beiden Punkten
werden vom Verf. Beiträge geliefert, die zur Hebung der Nervenchirurgie
dienen. Näheres ist im Original selbst nachzulesen. G. Eisner.
Siehe auch Kinderheilkunde: Pussep, Operative Behandlung
des Hydrocephalus internus.
Röntgenologie.
E. B r u e g e 1-München: Bewcgnngsvorgänge am pathologischen Magen
anf Grund röntgenkinematographischer Untersuchungen. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Verf. empfiehlt die Methode der Serien¬
aufnahmen und zeigt an der Hand von 4 Fällen, dass sie alle anderen
einschlägigen Untersuchungsmethoden übertrifft. Eine wirkliche Früh¬
diagnose kann nur mit Serienaufnahmen gestellt werden. In verdächtigen
und diagnostisch unklaren Fällen ist die Methode stets anzuwenden.
G. Eisner.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Go Idstein: Zur Behandlung von Hautkrankheiten in Kurorten.
(Zeitschr. f. Balneol., Klimatol. u. Kurorthyg., 5. Jahrg., Nr. 20.) Gold¬
stein bespricht die bisher nicht genügend gewürdigte Bedeutung der
Kurorte für die Behandlung von Hautkrankheiten. Das Epitheliom, der
Lupus vulgaris, Hauttuberkulosen sind die Domäne für die Allgemein¬
behandlung in klimatischen Kurorten, besonders zur Winterszeit, auch
in prophylaktischer Hinsicht. Für klimatische Winterstationen eignen
sich auch die Kombinationen von Organtuberkulose mit Lues. Wichtig
ist Klimatotherapie für Dermatosen, bei denen die nervöse Komponente
eine grosse Rolle spielt. E. Tobias.
K. Herxheimer-Frankfurt a. M.: Ueber Carboneol. (Archiv f.
Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 115, H. 2.) Carboneol ist ein relativ
reizloser Teer, aer eine vielfältige Verwendung bei entzündlichen und
juckenden Hautkrankheiten gestattet. ]Jj;
Kreibich-Prag: Zur Aetiologie des Molluscum contagiosum. (Archiv
f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 115, H. 4.) In, den Mollusoum-
körperchen finden sich kleinste Gebilde, welche mit Dunkelfeldbeleuch-
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
tung sichtbar zu machen sind, dieselben entsprechen dem Strongylo-
plasma hominis von Lipschütz und sind vielleicht als Erreger des
Molluscum contagiosum aDzusprechen.
K. Ullmann-Wien: lieber Ansscheidnngswerte and Speicherungs-
Verhältnisse nach Einfahr von Salvarsan in den menschlich-tierischen
Organismus. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 2.) Das
Salvarsan ist eine im Verhältnis zu anderen organischen Arsen- und
insbesondere Quecksilberverbindungen schwer zersetzliche bzw. schwer
resorptionsfähige Substanz. Unter den einzelnen Organen kommt bei
Entgiftung und Ausscheidung, Leber und Nieren, in Betracht, welche
stets relativ geringe Mengen organischen, wie auch anorganischen Arsens
fixiert enthalten. Relativ viel As gelangt durch den Magendarmtrakt
zur Ausscheidung. Das Gehirn enthält jedoch selten und nur minimale
Mengen. Diese Tatsache spricht gegen die Neurotropie des Salvarsans.
Im Blute finden sich nach der intramusculär-subcutanen Einführung
stets nur sehr geringe Mengen von As; nach intravenöser Einführung
anfangs recht grosse, bald aber nur mehr minimale Mengen. Das Blut
stellt also nur eine Durchgangsstation für mobilisiertes As dar.
Immerwahr.
K. Herxheimer - Frankfurt a. M.: Nachtrag zu meiner Mitteilung
„Heilung eines Falles von Hantsarkomatose durch Thorium X“. (Mün¬
chener racd. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Der Erfolg, den H. bei einem
seinerzeit mitgeteilten Falle von Hautsarkoraatose mit Injektionen von
Thorium X erzielt hatte, war nur ein vorübergehender. Es entstanden
bald neue Metastasen, denen schliesslich der Patient erlag.
Dünner.
Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie: Marschalkö und Veszpremi, Salvarsantod.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
A. Hippel - Frankfurt a. M.: Ueber differentiell-diagnostische
Schwierigkeiten in der Gynäkologie. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 6.) Die Diagnose „Hysterie“ wird bei Schmerzen in der weib¬
lichen Genitalsphäre viel zu häufig gestellt. Um sich vor Irrtümern
nach dieser Hinsicht zu schützen, empfiehlt S. die Einleitung einer
leichten Narkose bis zum Schwinden der Reflexerregbarkeit. Auch
Untersuchung in steiler Beckenhochlagerung kann gelegentlich wichtige
Anhaltspunkte geben. So hätte in einem mitgeteilten Fall, bei dem
eine Gravidität im Uterushorn vermutet wurde, das bewegliche Eier¬
stocksteratom schon vor der Laparotomie leicht diagnostiziert werden
können.
S. Gottschalk-Berlin: Ueber die Ursachen und die Behandlung
des Ausflusses ans dem weiblichen Genitale. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 6.) Klinischer Vortrag. Wolfsohn.
Siehe auch Therapie: y. Zubrzycki und Wolfsgruber, Be¬
kämpfung von Anämie durch intramuskuläre Injektionen von defibriniertera
Menschenblut. Härtel, Salvarsan bei Chorea gravidarum. Eichmann,
Sohwangerschaftstoxikodermien durch Ringer’sche Lösung geheilt.
Augenheilkunde.
E. Bachstez-Wien: Ueber lokale Behandlung der Keratitis par-
enehymatosa mit Neosalvarsan. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 3.) Es wurden zwei Applikationsmethoden versucht: Das Einträufeln
einer 2,5 proz. Lösung in Aqua destillata und das Einlegen einiger
Körnchen in Substanz. Bei neun Fällen sicherer Keratitis parencbyma-
tosa wurde ein günstiger Erfolg nicht erzielt. P. Hirsch.
Siehe auch Technik: Büoky, Augenelektrode und Augenirri-
gationsgefäss.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Siehe auch Physiologie, Mangold, Willkürliche Kontraktionen
des Tensor tympani.
Hygiene und Sanitätswesen.
Akademie der Wissenschaften in Paris: Die Anzeigepflicbt
der Tnberknlose. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 11.) Cf. Pariser Gesell¬
schaftsbericht in dieser Wochenschr., 1913, Nr. 1, S. 43, und Nr. 3,
S. 93. Viereck.
H. Pondet: Einige Betrachtungen über die verschiedenen Arten
der Infektion beim Typhns. (Lyon med., 1913, Nr. 1.) Uebertragungs-
erfolge entweder durch Trinkwasser oder durch die Hände. Dement¬
sprechend müssen die Maassnahmen sein, die auch auf die Bacilleuträger
auszudehnen sind. Nicht durch die neuerdings inaugurierte Vaccination,
sondern nur durch eine geeignete Belehrung des Volkes werden sichere
Erfolge errungen werden. A. Münzer.
J. Louis und E. Combe: Indikationen und Technik der Typhns-
vaeoination mit dem pplyvalenten Vaccin von Vincent. (Revue d’hyg.,
Bd. 34, Nr. 12.) Der Impfung dürfen ausnahmslos nur g^uz Gesunde
unterworfen werden, vor allem kein Tuberkulöser, da die Impfung wie
eine Tuberkulinimpfung wirkt. Fieberfreie Malariakranke dürfen geimpft
werden, ebenso nicht kachektische Syphilitiker, während der Menstruation
ist die Impfung zu unterbrechen. Bei der Impfung soll es nicht zu
einer negativen Phase kommen. Das Vaccin kommt in Ampullen von
2, 5, 10, 20 ccm in den Handel, es muss kalt und dunkel aufbewahrt
werden und darf nicht älter als drei Monate sein. Die Injektion wird
hinter dem hinteren Ende des Deltoideus zwei Querfinger oberhalb der
Achselfalte gemacht. Um jede Erhitzung des Vaccins zu vermeiden,
versehen die Autoren den Hals der Ampulle mit einem Jodanstrich, den
sie antrocknen lassen, ehe sie dieselbe öffnen. Auch auf die Stich-
Öffnung kommt ein Jodanstricb, Massieren der Stelle ist zu vermeiden.
Es werden in einwöchigen Zwischenzeiten vier Injektionen von je J /*>
1, 1 Vs- 2Va ccm gemacht, die beste Zeit ist abends zwischen 4 und
6 Uhr: Anstrengungen und Alkohol sind an den Tagen zu vermeiden,
gegen Kopfschmerz und Fieber empfehlen sie Antipyrin. Alle vier In¬
jektionen werden an derselben Seite gemacht. Der Schutz beginnt drei
Wochen nach der letzten Injektion und währt 2 Vs Jahr wenigstens.
Verff. haben 1366 Mann geimpft mit keinem Erkrankungsfall, während
von 637 nicht Geimpften 155 erkrankten und 21 starben.
Mosny und Märtel: Die Trinkwasserversorgung von Tonlos und
Staubecken von Dardenne. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 12.) Beschreibung
mit Bildern und Begutachtung.
A. Man au d: Meteorologische nnd klimatische Faktoren in der
Aetiologie der Pest. (Revue d’hyg., Bd. 34, Nr. 11.) Verf. geht von
der Feststellung aus, dass in den warmen Ländern und im Sommer die
Bubonenpest vorwiege, in kalten Ländern und im Winter die Lungen¬
pest. An der Hand der Seuchen geschieh te führt er aus, dass die
Bubonenpestepidemien sich bei einer Temperatur zwischen 10 und 30°
entwickelten, in der gemässigten Zone im Hochsommer, in den heissen
Klimaten im Februar, März, April, je nach der Lage des Ortes. Der
Regen hat keinen Einfluss. Die Lungenpest hat dagegen stets einen
winterlichen Charakter gezeigt. Die Ursache dieser Erscheinung sieht
er darin, dass die Bacillen sowohl wie die Flöhe (bzw. deren Eier) sich
bei dieser Temperatur am besten entwickelten. Die winterlichen Pest¬
pneumonien vergleicht er mit den winterlichen Pneumokokkenepidemien.
Erkältungskrankheiten begünstigten ihre Entstehung, er will auch dem
Einfluss der Kälte auf die Bacillen und die Phagocytose noch eine Be¬
deutung zuschreiben. Viereck.
Siehe auch Innere Medizin: Werner, Sterblichkeit der Be¬
völkerung der Bauernschaften Schlangen und Kohlstädt an Tuberkulose.
— Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Deutsch, Alkohol und
Homosexualität.
Technik.
Wolff - Karlsruhe: Eine einfache, neue Bestrahlnngslampe für
Gleich- und Wechselstrom. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.)
G. Bucky - Berlin: Kombinierte Angenelektrode nnd Angen-
irrigationsgefäss. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 4.)
Dünner.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr F, Krause.
Für die Bibliothek ist eingegangen: Von Herrn Ridder:
F. Kraus und Ridder, Die Erkrankungen der Speiseröhre. 2. Auflage.
Wien und Leipzig 1913.
yor der Tagesordnung.
Hr. Sehönstadt:
Kontinnitätsresektion des Hamerns wegen Sarkoms, mit Krankenvor-
stellung, daza Vorlegung zweier anderer Präparate.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Tagesordnung.
1. Hr. Ernst R. W. Frank:
Ueber seltene Verletzungen der Blasenschleimhant.
Das Lebenswerk Nitze’s ist so sehr unser aller Gemeingut ge¬
worden, dass es eines Hinweises auf die Bedeutung desselben heute
nicht mehr bedarf. Haben wir doch gerade von dieser Stelle aus
Nitze’s Munde erfahren und gelernt, ein wie bedeutsamer Spiegel die
Blasenschleimhaut ist für wichtige pathologische Prozesse und inter¬
essante klinische Zusammenhänge im Organismus. In diesem Sinne und
diesem Zusammenhänge bitte ich, Ihnen im Bilde eine Anzahl von
Läsionen der Blasenschleimhaut vorführen zu dürfen, deren nicht alltäg¬
liches Vorkommen Ihre Aufmerksamkeit für kurze Zeit in Anspruch zu
nehmen berechtigt. , , ,
Indem ich beginne mit einigen Bildern aus £em interessanten.
Kapitel der Schleimhauterkrankungen <}jds Blasenbodenj, weise ich darauf
hin, dass nach Ernst Zuckerkandl die A. vesic. inf., entspringend aus
dem Verzweigungsgebiet der A. hypogastrica, die untere Blasenhälfte
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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versorgt, und dass dieselbe sehr häufig gemeinsam mit der A. haemorrhoid.
med. bzw. mit der Uterina entspringt.
Ferner stehen die um das Orific. vesic. besonders reichlich ent¬
wickelten Venen der Schleimhaut im Zusammenhang mit denen der
P. prostatic. urethr. Ausserdem ist die Schleimhaut in der Umgebung
des inneren Blasenmundes reich an drüsigen Bildungen, teils in Form
von soliden Epithelzapfen, teils in der von sekrethaltigen Hohlräumen.
Daneben kommen auch wirkliche Drüsen vor, bestehend aus mit
Cylinderepithel ausgekleideten Hohlräumen, welche sich zu einem Aus-
fübrungsgang vereinigen.
Dies vorausgesetzt, zeige ich Ihnen hier ein Bild des Blasengrundes,
auf welchem Sie neben einer erheblichen venösen Hyperämie der ver¬
dickten Uebergangsfalte eine Reihe erweiterter und strotzend gefüllter
Gefasse des Blasengrundes erkennen. Solche Zustände sieht man über¬
aus häufig bei Personen, welche lange Zeit hindurch missbräuchlich das
bestehende Urinierbedürfnis gewaltsam unterdrückt haben.
Eine ganz eigenartige Form der Gefässinjektion zeigt Ihnen das
nächste Bild: Die Schleimhaut bis zum Lig. interureteric. ist von einem
überaus feinen Netz injizierterGefässe übersponnen, an rotes Chagrinleder er¬
innernd. Solche Bilder habe ich häufig bei Menschen gefunden, welche
längere Zeit hindurch den Coitus interruptus ausgeübt hatten. Die ge¬
machten anatomischen Vorbemerkungen erklären Ihnen ohne weiteres
den ursächlichen Zusammenhang dieser Zustände.
Wird die Sohleimhaut des Blasenbodens von infektiösen oder ent¬
zündlichen Vorgängen getroffen, so entwickeln sich wiederum ent¬
sprechend der anatomischen Grundlage äusserst vielgestaltige Bilder,
welche zu einer umfangreichen Einteilung des Kapitels „Cystitis“ ge¬
führt haben. Dasselbe erfährt eine erhebliche Vereinfachung durch den
von Orth gewählten, leider in die Urologie noch zu wenig eingeführten
Begriff der „produktiven Cystitis“.
Das folgende Bild charakterisiert eine, besonders bei der Frau
überaus häufige Erkrankung des Blasenausganges. Es ist ein Fall von
sogenannter proliferierender Cystitis, deren Ursache vielfach auf Adnex-
«rkrankungen zurückzuführen ist. Dass hier neben der Entzündung die
Stauung eine Rolle spielt, erkennen Sie an der varicös erweiterten Vene,
welche sich wie eine Schlange über den Blasenboden windet.
Auch beim Manne spielen derartige Gefässerweiterungen eine Rolle.
Sie sehen solche hier, wie sie bei der Prostatahypertrophie eine häufige
Quelle schwerer Blutungen bilden.
In manchen Fällen beherrschen die verdickten und vermehrten
Lymphknötchen das Bild. Solche sehen Sie auf diesem Bilde, das von
der Blasenschleimhaut eines elfjährigen Mädchens stammt, bei welchem
Stauungsverhältnisse in der Blase dadurch geschaffen waren, dass ein
bohnengrosses gestieltes Papillom den Blasenausgang ventilartig ver¬
schloss, und in dem folgenden Bilde, in welchem eine Adnexentzündung
das ursächliche Moment für die Blasenerkrankung bildet, wie Sie das
auch aus der starken Verziehung und Deformierung des Blasendaches
erkennen können.
Bestehen die genannten entzündlich infektiösen Prozesse des Blasen¬
bodens längere Zeit hindurch, so können sich zahlreiche papilläre Ver¬
änderungen der Schleimhaut entwickeln. Solche zeigt Ihnen in grösserer
Ausdehnung das nächste Bild. Dieselben haben durch Epithelverdickung
ein eigentümlich warzenartiges Aussehen erhalten.
Zu schweren Ernährungsstörungen der Blasenschleimbaut führen in
unmittelbarer Nachbarschaft der Blase sich abspielende, entzündliche
und infiltrative Vorgänge. Dabei kommt es zu einem Exsudat, durch
welches das Schleimhautepithel blasig emporgehoben wird, dem zuerst
von Kolischer so bezeichneten „Oedema bullosum“. Sie sehen ein
solches hier veranlasst durch ein kurz vor dem Durchbruch in die Blase
stehendes Uteruscarcinom.
Als Pendant dazu zeige ich Ihnen gleichfalls durch schwere Er¬
nährungsstörungen bedingte, überaus groteske Veränderungen am männ¬
lichen Blasenscheitel, verursacht durch ein soeben durcbgebrochenes
Darmcarcinom.
Die Ihnen soeben gezeigten Lymphknötchen, welche zu der Be¬
zeichnung der „Cystitis granulosa“ geführt haben, sind häufig irrtüm¬
licherweise als Manifestationen der tuberkulösen Erkrankung auf der
Blasenschleimhaut angesprochen worden. Ich zeige Ihnen deshalb zum
Vergleich das Bild einer ganz frischen tuberkulösen Erkrankung, eine
Gruppe kleinster Tuberkeln, von denen einige durch den gelblichen
Schimmer den käsigen Zerfall verraten, der zum tuberkulösen Geschwür
fuhrt. Die kleinen Knötchen sitzen endständig an den feinen Gefäss-
schlingen, so das hämatogene Vordringen dieser Form der Blasentuber-
kulose deutlich kennzeichnend. Es kann Vorkommen, dass die Luftblase
sich in vielfache kleinste Bläschen teilt, und solche können, wenn sie,
wie hier, zufällig über Gefässschlingen sitzen, bei oberflächlicher Be¬
trachtung Knötchen Vortäuschen.
Besteht der Prozess längere Zeit, so kommt es zu dem charakte¬
ristischen Geschwürszerfall, welcher häufig der befallenen Schleimhaut
ein honigwabenartiges Aussehen verleiht. '
Auch bei einer anderen Infektionskrankheit ist die hämatogene Ver¬
breitung ihrer Erreger gerade auf der Blasensohleiiqhaut überaus schön
zu erkennen, bei der Syphilis. Sie sehen hier gleichfalls an Gefäss-
endigungen sitzend charakteristische luetische Schleimhaqtpapeln im
Beginn ge%öhwürigen Zerfalls. 1
Das nächste Bild zeigt Ihn&i eih stark zerfalleneis syphilitisches
Geschwür von deutlich serpiginösem Charakter. Dass beide Fälle (ich
habe im ganzen sechs solcher beobachtet) duroh den positiven Ausfall
der Wassermann’schen Reaktion und den rapiden Erfolg der Salvarsan-
therapie diagnostisch sichergestellt wurden, sei nebenbei erwähnt.
Aus dem grossen Kapital der Cystitis führe ich Ihnen ein Bild vor,
das der rein gonorrhoischen Cystitis des Corpus vesicae, welche im
Gegensatz zur Trippererkrankung des Blasenhalses nach meiner Er¬
fahrung als seltene Erkrankung zu bezeichnen ist. Sie sehen ohne
weiteres das charakteristische inselförmige Auftreten der Entzündungs¬
herde im Gegensatz zu der mehr flächenhaften Ausbreitung fast aller
übrigen Formen des Blasenkatarrhs. Die scharf umschriebenen Fleckchen
und Pünktchen ergeben ein Bild, welches etwa mit dem der Petechien
einer Purpura zu vergleichen wäre. Im stark sauren Urin fanden sich
bakteriell ausschliesslich Gonokokken. %
Das folgende Bild ist ein typisches Specimen der Einwirkung einer
im Zeitraum von zwei Jahren fast täglich erfolgten Applikation einer
starken Höllensteinlösung auf die infolge von schweren Harnröhren-
strikturen stark veränderte Blasenschleimhaut. Das tief graublaue
Kolorit zeigt Ihnen, dass es sich um eine Argyrose der Blasenschleimhaut
handelt.
Zum Schluss dieser Kategorie von Schleimhautveränderungen noch
zwei Bilder einer Blasenschleimhauterkrankung, welche bei uns zu den
seltenen gehört. Sie sehen auf dem einen Bilde eigenartige Inkrustationen
der verdickten, stellenweise mit feinsten zottigen Granulationen be¬
deckten Blasenschleimhaut, hervorgerufen durch die Eier des Distomum
haematobium. Es ist das typische Bild der „Sandybladder“. An ein¬
zelnen Stellen haben dieselben zur Bildung von hahnenkammartigen
Excrescenzen von breit aufsitzenden Tuberositäten und Knötchen ge¬
führt, aus welchen sich, wie Sie sehen, kleine Geschwülste entwickelt
haben.
Die nächste Abbildung zeigt Ihnen dann in einem weiteren Stadium
die charakteristische Tumorbildung der Bilbarziakrankheit.
Als Uebergang zu den traumatischen Verletzungen der Blasen¬
schleimhaut zeige ich Ihnen ein Bild, welches uns älteren Kystoskopikern
als Ulcus kystoscopicum wohl bekannt war aus der Zeit, in der die so¬
genannten „kalten Lampen* 5 noch nicht existierten. Stoeckel hat diese
Form, welche man häufig in kystoskopischen Kursen zu sehen Gelegen¬
heit hatte, nicht mit Unrecht als Testimonium paupertatis für die
Untersuchungstechnik bezeichnet. Charakteristisch für die Geschwüre
ist ihr Vorkommen auf völlig intakter Blasenschleimhaut. Die Geschwürs¬
fläche ist mit einem festhaftenden weissen Brandschorf bedeckt. In ihrer
Umgebung ist die Schleimhaut leicht ödematös. Die kleine Stelle zeigt
Ihnen deutlich das Abbild der mit unverständiger Energie in die Blasen¬
schleimhaut hineingedrückten Kystoskoplampe.
Das folgende Bild zeigt Ihnen eine seltene Form des Blasen¬
geschwürs, welche von Nitze als „Cystitis totalis circumscripta“ be¬
zeichnet worden ist, charakterisiert durch wenig ausgedehnte, aber fast
die ganze Blasen wand durchsetzende scharfrandige Geschwürchen mit
meist schiefriggrauem torpiden Grunde und einer eigenartig geröteten
Umgebung, die aussieht wie mit rotem chinesischen Lack bestrichen.
Typisch ist auch die Ausheilung mit Narbensträngen, deren Ausdehnung
im Verhältnis zu den Geschwürchen eine sehr beträchtliche ist. Die
fast ausschliesslich traumatische Aetiologie konnte ich auch in meinem
Falle feststellen.
Das folgende Bild zeigt Ihnen einen eigenartigen Befund bei einem
Manne von 52 Jahron, welcher mich wegen Blasenblutungen aufsuchte.
Anamnestisch war nichts von ihm zu ermitteln. Ich fand dann bei der
kystoskopischen Untersuchung dieses tiefe Geschwür mit aufgeworfenen
Rändern, dessen mit gangränösen Fetzen bedeckter Grund und dessen
stark ödematöse Umgebung mir den Verdacht einer krebsigen Neu¬
bildung erweckten. Derselbe wurde allerdings hinfällig, als unter ge¬
eigneter Spülbehandlung der Prozess vollständig ausheilte. Mehrere
Monate darauf ersohien der Patient wiederum mit dem Zeichen einer
frischen Blasenblutung, für die er auch diesmal einen Grund nicht zu
kennen behauptete. Ich fand nun unterhalb der rechten Harnleiter¬
mündung dieses kleine, scharfrandige Geschwürchen mit anhaftendem
Schorf und oberhalb der Mündung des linken Harnleiters diese eigen¬
artigen, petechienähnlichen Fleckchen, während die übrige Blasen¬
schleimhaut völlig intakt war. Mehrfache Untersuchungen führten mich
zu dem Verdacht, besonders da die Läsionen in der Umgebung der
Harnröhrenachse lagen, es könne sich um Verletzungen durch per
urethram eingeführte spitze Gegenstände handeln. Als ich dies dem
Patienten auf den Kopf zusagte, gestand er sehr betroffen derartige
Manipulationen ein. Die weitere Untersuchung stellte fest, dass es sich
um einen sadistisch veranlagten Menschen handelte, welcher sich zu
onanistischen Zwecken spitze Holzstäbchen eingeführt hatte.
Zum Schluss zeige ich Ihnen einige Bilder, welche ätiologisch zu
der gleichen Gruppe gehören.
Der erste dieser Fälle betraf ein 20 Jahre altes Hausmädchen,
welches wegen einer Cystitis mit terminaler Hämaturie im städtischen
Krankenhause in der Gitschiner Strasse aufgenommen worden war. Von
Herrn Kollegen Bleichröder um eine kystoskopische Untersuchung
gebeten, fand ich eigenartig flache, unregelmässige Geschwüre an fast
symmetrischen Stellen der Blasenschleimhaut, welche in der Umgebung
derselben stark blutig verfärbt war. Besonders das eine der Geschwürchen
gewährte fast den Anblick einer klaffenden Risswunde. In der Uiif-
gebung beider war die Schleitnbat0i cystitisch verändert, und man sah
eigenartige rote Punkte, kleinen Petechien ähnlich, umgeben von Gefäss¬
schlingen. Da das Symptom der terminalen Hämaturie duroh diesen
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320
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Befund nicht genügend aufgeklärt war, untersuchte ich die Harnrohre
mit dem Irrigationsurethroskop und fand die Schleimhaut der Ueber-
gangsfalte stark hyperämisch geschwollen und eigenartig zerrissen, als
ob sie von den Zinken eines Kammes verletzt worden wäre. Sie sehen
in dem Irrigationsstrom unzählige feine Schleimhautfetzen flottieren und
dazwischen anhaftende kleine Blutgerinnsel. Tuberkulose, Gonorrhöe,
Lues und andere Infektionen waren anamnestisch auszuschliessen. Als
einzige Möglichkeit gab die Patientin zu, sich erkältet zu haben. Nach
dem Grund dieser Erkältung befragt, gab sie an, sich dieselbe nach
einem sehr heissen Bade zugezogen zu haben. Das veranlasste mich,
ihr zu sagen, dass dann wohl die Menstruation ausgeblieben war, und
als sie dies zugab, sagte ich ihr in der Rückerinnerung an den vor
Jahren beobachteten, Ihnen vorher demonstrierten Fall auf den Kopf zu,
dass sie sich ein spitzes Instrument selbst eingeführt haben müsse.
Darauf gestand die Patientin tatsächlich, dass sie durch das mehrfache
Ausbleiben der Menstruation in die Furcht gesetzt, in anderen Um¬
ständen zu sein, in einem Buch aus der Bibliothek ihres Dienstherrn,
der Arzt war, nachgelesen und sich daraufhin, auf einem Stuhl sitzend,
eine hölzerne Reihnadel eingeführt habe. Dabei hätte sie dann starke
Schmerzen gespürt, und als es zu bluten angefangen hätte, habe sie er¬
schreckt von weiteren Manipulationen Abstand genommen. Als sie die
in den nächsten Tagen sich einstellenden, immer stärker werdenden
Beschwerden nicht mehr ertragen konnte, suchte sie ärztliche Hilfe auf.
Wie Sie aus den beiden folgenden Abbildungen, die ich ohne
weitere Beschreibung Ihnen im Bilde vorführe, ersehen, ähneln sich der¬
artige Fälle durch ihr charakteristisches Aussehen. Besonders fehlen
nie die teils durch Holzstäbchen, teils durch Stricknadeln hervor¬
gebrachten kleinen Verletzungen. Ich habe 5 Fälle dieser Art mit
gleicher Aetiologie beobachtet, für welche ich in der Literatur kein
Analogon gefunden habe, und ich glaube, dass solche Blasenbefunde
für die forensische Beurteilung von Abtreibungsversuchen von Bedeutung
sein können.
2. Hr. D. v. Hansemann:
Ueber die Aafldsangsfähigkeit von Galleasteiaea.
Schon Frerichs hatte behauptet, dass Galleusteine in der Gallen¬
blase löslich seien. Auf Veranlassung von Naunyn wurden wiederholt
Versuche aDgestellt, z.B.vonLawes, menschliche Gallensteine in dieGallen-
Blase von Hunden zu bringen, um dadurch ein Kristallationscentrum für die
bildung von Gallensteinen abzugeben. Es stellte sich jedoch heraus,
dass dabei die Gallensteine aufgelöst wurden und verschwanden.
Naunyn aber und alle folgenden Autoren bis in die neueste Zeit, sind
der Meinung, dass zwar eine Auflösung von Gallensteinen möglich sei,
eine solche aber praktisch nicht in Betracht käme, da sie zu selten vor¬
komme. Nur Löwy konnte zeigen, dass mit Galle berieselte Gallen¬
steine sich auflösen.
Durch Versuche an Hunden konnte ich zeigen, dass menschliche
Gallensteine, die operativ in die Gallenblase von Hunden gebracht
werden, einer ziemlich schnellen Lösung entgegengehen und zwar 10 bis
15 mg Substanz pro Tag. Alle mit Cholestearin behafteten Gallensteine
verhalten sich in dieser Beziehung gleichartig. Nur die reinen Pigment¬
steine und die sehr seltenen reinen Kalksteine sind vielleicht unlöslich
in normaler Galle. Ich bin der Ansicht, dass diese durch das Tier¬
experiment aufs neue bestätigte Lösung der Gallensteine für die mensch¬
liche Pathologie eine erhebliche Rolle spielt und zwar deswegen, weil
Lösungserscheinungen an menschlichen Gallensteinen sehr viel häufiger
sind, als von allen Autoren bisher angegeben wurde. Offenbar wurden
die Lösungsformen der Gallensteine bisher nicht richtig als solche er¬
kannt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr unregelmässige,
abgerundete oder abgeflachte Formen haben, Dellenbildung bis zur Per¬
foration. Auch können Gallensteine, die schon natürliche Spalten in
ihrem Inneren haben, bei der Auflösung ihrer Randschichten in der
Gallenblase durchbrechen. Solche durchgebrochenen Gallensteine werden
ebenfalls nicht selten gefunden. Dass es sich hierbei wirklich um
Lösungsformen handelt, geht aus zweierlei hervor. Wenn man Schliffe
von solchen Gallensteinen herstellt, so kann man sehen, dass die Dellen
an der Oberfläche bis in die tieferen, konzentrischen Schichten des
Gallensteines hineingehen, während bei nicht gelösten Gallensteinen
diese Schichten mit der Oberfläche parallel laufen. Natürliche Schliffe
von Gallensteinen, die durch gegenseitiges Reiben entstehen, kommen
auch vor und lassen sich von den gelösten Formen sehr leicht unter¬
scheiden. Sie führen nicht zu sehr wesentlichen Verkleinerungen der
Steine.
Zweitens kann man nachweisen, dass es sich hier um Lösungs¬
formen handelt, dadurch, dass man eiförmige Zuckerstücke in grösserer
Zahl in wenig Wasser auflöst. Dann bekommt man die gleichen
Lösungsformen, wie an den Gallensteinen, die Dellenbildung, unregel¬
mässige Formen, auch platte und solche, die kleine stumpfe Vorsprünge
an der Oberfläche haben, ebenso, wie man es bei der natürlichen Lösung
von Gallensteinen auch findet.
Bei der Häufigkeit solcher in Lösung befindlichen Gallensteine
muss man der Therapie der Gallensteine mit der Aussicht auf Auf¬
lösung derselben optimistischer gegenüberstehen, als dies augenblicklich
geschieht. Die Indikation zu Operationen wird durch diese Befunde
nioht tangiert.
Die Untersuchungen werden ausführlich mit Abbildungen in
Virchow’s Archiv erscheinen.
Diskussion.
Hr. Arthur Fränkel: In dem Schicksal der Gallensteine gibt es
eine Möglichkeit, die der Auflösung gerade entgegengesetzt ist, nämlich
die Kalkeinhüllung. Herr v. Hansemann bat schon betont, dass bei
den kalkhaltigen Gallensteinen die Auflösungsmöglichkeit nicht vorliegt.
Wenn nun die Feststellungen des Herrn Vortragenden einem gewissen
Optimismus für diejenige Therapie Raum geben, die auf die Auflösung
gerichtet ist, so wäre es ein praktischer Fortschritt, wenn wir im lebenden
Körper die sicher unauflöslichen Gallensteine als sicher unauflöslich
erkennen könnten. Denn die so ausgesonderten Fälle würden dann von
vornherein kein Objekt der Lösungstherapie sein können. Ein solches
Unterscheidungsmittel haben wir; es ist das Röntgenbild. Jeder ge¬
wöhnliche Gallenstein besteht zunächst aus organischer Substanz. Die
Mehrzahl bleibt auch so und ist röntgenologisch nicht darstellbar. WeDn
aber die Gallenwege auf dem Gallenstein, den sie umschliessen, Ent¬
zündungsprodukte ablagern, so kann sich daraus im Wege der regressiven
Metamorphose um den organischen Kern herum eine Kalkschale bilden.
Diese Kalkschale ist im Körper unlöslich und gibt bei geeigneter Technik
einen deutlichen Röntgenscbatten. Jeder mit Röntgenstrahlen
naebgewiesene Gallenstein ist also ein unlösbarer Gallen¬
stein. Da nun der organische Kern des Gallensteins im wesent¬
lichen Kugelgestalt hat, und da der Kalkmantel eine Kugelschale dar¬
stellt, so erscheint das Röntgenbild eines solchen Gallensteins in der
Form eines Kranzes. Es finden nämlich die Röntgenstrahlen beim Durch-
dringen des Steins an der Kugelperipherie mehr Kalkmaterial vor sich
als beim Durchdringen der Kugelmitte (Zeichnung). Die eigenartige Ent¬
stehung des Kalkmantels der Gallensteine bewirkt also ein für Gallen¬
stein charakteristisches Röntgenbild (Projektion). Wir haben dem¬
nach in der Röntgenuntersuchung ein differenzialdiagnostisches Hilfsmittel
für die Concremente der rechten Oberbauchgegend und, was im heutigen
Zusammenhänge wichtiger ist, ein Erkennungsmittel für sicher unlösliche
Gallensteine.
Hr. Kraus: Wir besitzen in der inneren Medizin leider keine
Mittel, die* Gallensekretion des kranken Menschen therapeutisch plan-
mässig zu steigern und gerade in der Hinsicht normal zu machen, dass
die Bildung der Cholesterinsteine unmöglich würde oder deren
Lösung mit angebbarer Sicherheit resultieren müsste. Die Beeinflussung
der Infektion der Gallenwege gehört auf ein anderes Gebiet. Solange
wir die Lösung der Concremente (Cholesterin) den von Herrn v. Hanse¬
mann dargelegten, praktisch allerdings hoffnungerweckenden, natür¬
lichen Bedingungen zu überlassen genötigt sind, wird, fürchte ich, die
chirurgische Behandlung sehr oft maassgebend bleiben.
Hr. v. Hanse mann (Schlusswort): Ich habe nur wenige Worte
hinzuzufügen: Als den Schwerpunkt meiner Auseinandersetzungen be¬
trachte ich nicht, dass ich die Tierversuche nachgemacht habe, die be¬
stätigten, dass sich Gallensteine auflösen, auch nicht, dass ich zeigen
konnte, dass es sich wirklich um Lösungsformen handelt, sondern der
Schwerpunkt liegt für mich darin, dass diese Lösungsformen so überaus
häufig sind, dass es also ein Irrtum ist, wenn man annimmt, die Wieder¬
herstellung des guten Gallcnflusses sei schwer zu erreichen. Ich glaube,
das ist eine Täuschung. Denn es kommt bei Leuten, die vielleicht gar
nicht behandelt sind, so häufig vor, dass Gallensteine tatsächlich in
Lösung übergehen, dass man das sicherlich durch Kunsthilfe auch erreichen
muss. Ich bitte, dass Sie alle, die Sie Gelegenheit haben, Gallensteine
zu sehen, doch einmal darauf achten, wie häufig das in Wirklichkeit
vorkommt.
Laryngologtache Gesellschaft za Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Dezembor 1912.
Vorsitzender: Herr Killian.
Schriftführer: Herr Grabow er.
Vor der Tagesordnung.
Antrag des Herrn A. Kuttner: Die Gesellschaft wolle folgende
Abänderung der Geschäftsordnung beschliessen: „Bei Demonstrationen
und in der Diskussion zu Demonstrationen und Vorträgen dürfen die
Redner die Zeit von 5 Minuten nicht überschreiten.*
Der Antrag wird nach kurzer Begründung durch den Antragsteller
angenommen.
Eingegangen ist ein Dankschreiben des Komitees für Errichtung
eines Robert-Koch-Denkmals für die dem Komitee überwiesene Spende.
Demonstrationen.
1. Hr. Hölseher: M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen einen
Fall von Kehlkopftnberkiilose vorzustellen, der dadurch ein besonderes
Interesse gewinnen dürfte, dass er mit den Friedmann’schen In¬
jektionen, über die in der letzten Zeit in der medizinischen Gesell¬
schaft mehrfach verhandelt worden ist, behandelt wurde. Der Patient
litt seit einer Reihe von Jahren an Lungenkatarrh und war deswegen
im Jahre 1905 in der Lungenheilstätte Grabowsee. Dann is^ es ihm
längere Zeit gut gegangen. Vor fünf Jahren hat er T sich wieder er¬
kältet, und im Anschluss daran traten Erscheinungen seitens des Kehl¬
kopfes auf. Der Zustand verschlechterte sich ohne Behandlung bei ihm
rasch. Am 11. November v. J. kam er dann in die Behandlung eines
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
321
hiesigen Spezialkollegen, der ihn am 8. Februar 1912 zum erstenmal
mit dem Friedmann’sehen Mittel behandeln Hess. Nach der Angabe des
Patienten seien auf diese erste Einspritzung vorübergehende subjektive
Besserungen des Zustandes eingetreten. Eine zweite Injektion wurde am
20. April d. J. gemacht. Nach dieser Injektion will er keine Besserung,
sondern eine erhebliche Verschlechterung verspürt haben; insbesondere
seien Atembeschwerden und Luftbeklemmungen bei ihm aufgetreten.
Der Patient wurde mir am 26. September zugewiesen. Der Kehl¬
kopfbefund war damals: erhebliche Schwellung der linken Keblkopfseite,
die die linke Stimmlippe vollständig verdeckte. Die linke Kehlkopfseite
stand vollständig unbeweglich; die Schleimhaut zeigte über der Ary-
gegend keine Ulceration, sie sah etwas uneben und höckrig aus, so dass
ich beim ersten Anblick des Patienten glaubte, es bandle sich bei ihm
um einen malignen Tumor, um ein Carcinom. Die rechte Keblkopfseite
war beweglich, die Schleimhaut über der Arygegend und über der
Taschenfalte zeigte eine massige Rötung und Infiltration; an der Stimm¬
lippe waren einige Ulcerationen und Granulationen zu erkennen. Es
bestand hochgradige Atemnot. Am 28. September machte ich in der
Nord-West-Klinik einen grösseren operativen Eingriff in Schwebelage.
Ich entfernte die Granulationen auf der rechten Stimmlippe und kratzte
die Ulcerationen aus. Auf der Schwebe sah man auch, wie der Kehl¬
kopf etwas auseinander gedrückt wurde, dass die linke Stimmlippe von
ausgedehnten typischen tuberkulösen Ulcerationen und Granulationen
eingenommen war. Es wurde die ganze Masse entfernt. Da ich, wie
vorhin erwähnt, bei der Spiegeluntersuchung den Verdacht auf eine
maligne Neubildung gehabt hatte, übergab ich das gesamte entfernte
Material dem pathologischen Institut zur Untersuchung. Dort wurde ein
maligner Tumor ausgeschlossen und erklärt, dass man eine absolut
sichere Diagnose auf Tuberkulose stellen könne. Der Lungenbefund war
nach der Mitteilung der ersten medizinischen Klinik: diffusses bronchi-
tisches rauhes Atmen, besonders über dem Oberlappen, keine Dämpfung,
keine Rasselgeräusche. Nach dem verhältnissmässig ziemlich grossen
Eingriff ging es dem Patienten recht gut. Er bekam bedeutend besser
Luft und konnte nach etwa 8 Tagen aus der Klinik entlassen werden.
Ich bekam ihn dann wieder Ende Oktober zu sehen. Der Zustand hatte
sich in der Zwischenzeit wieder erheblich verschlechtert. Die Schwel¬
lungen waren besonders auf der linken Seite stärker geworden, so dass
die Atmung durch den Kehlkopf nahezu unmöglich geworden war. Ich
machte deshalb am 29. Oktober eine Tracheotomie. Diese hat bis jetzt
bei dem Patienten einen sehr guten Einfluss gehabt; er hat sich
wesentlich erholt und sieht weit besser aus. Er hat noch etwas Schluck¬
beschwerden, und zeitweise klagt er noch über spontan auftretende
Schmerzen im Kehlkopf. (Demonstration des Patienten.) Er atmet jetzt
durch seine Kanüle recht gut; er hat gelernt, sie sich zuzuhalten, und
spricht dann auch ganz deutlich. Wer den Patienten vor dem Eingriff
gesehen hat und ihn jetzt sieht, wird überrascht sein über den günstigen
Erfolg, den der verhältnismässig einfache Eingriff hier gehabt hat. Der
örtliche Befund im Kehlkopf zeigte noch keine wesentliche Besserung,
insofern die Schwellung noch nicht zurückgegangen ist und die linke
Seite noch unbeweglich ist. Ulcerationen und Granulationen sind da¬
gegen zur Zeit nicht mehr vorhanden.
Ich habe den Patienten deshalb hier vorgestellt, um zu zeigen, dass
die Behandlung mit den Friedmann’schen Injektionen in diesem Falle
eigentlich vollständig wirkungslos geblieben ist, und dass wir uns bei der
Kehlkopftuberkulose noch nicht auf eine Heilung durch das neue Mittel
verlassen können.
2. Hr. Halle: M. H.! Das junge 19 jährige Mädchen, das ich mir
erlaube. Ihnen vorzustellen, wurde am 27. Oktober von mir wegen eines
Uberknldsen Infiltrats and Ulcus an der hinteren Larynxwand
operiert. Es wurde mit der Landgraf-Krause’schen Curette nur ziemlich
oberflächlich das nicht tiefgreifende Infiltrat entfernt und die Wundfläche
mit dem Galvanokauter an verschiedenen Stellen kauterisiert. Die
Diagnose des Infiltrats und Ulcus auf Tuberkulose ist durch mikro¬
skopische Untersuchung sichergestellt. Patientin ging es anfangs sehr
gut Aber ungefähr drei Wochen nach der Operation traten Erschei¬
nungen einer scheinbaren doppelseitigen Posticusparalyse auf. Beide
Stimmbänder waren absolut einander genähert, bewegten sich nicht,
auch nicht bei vertiefter Atmung, die Patientin atmete stark stridorös.
Der Zustand wurde durch die Borkenbildung, die schon vorher be¬
standen batte, verschlimmert, so dass man unbedingt vor der Frage
einer Tracheotomie stand. Diese wurde verweigert. Wir behandelten
die Patienten längere Zeit mit Inhalationen, Jod innerlich, Lugol usw.;
ich habe sie auch lange elektrisiert — alles ohne Erfolg. Sie wurde
dann von der Mutter nach Hause genommen und mir am 19. Juni d. J.
in einem elenden Zustande wiedergebracht; sie machte den Eindruck
eines Menschen, der an Lufthunger in kurzer Zeit zugrunde zu gehen
droht. An Tracheotomie war in dem Moment kaum zu denken, weil
man den Verlust jedes Blutstropfens fürchten musste. Um sie vor Er¬
stickung zu bewahren, führte ich eine grosse O’Dwyer’sche Kanüle ein,
die ich 8 Tage liegen Hess. Patientin erholte sich langsam. Als ich
zum ersten Male die Kanüle entfernte, sah ich mit einiger Uebcrraschung,
dass die Stimmbänder etwas auseinander gewichen waren und in dieser
Stelluog stehen blieben. Nun versuchte ich, mit Schrötter’schen Bougies
die Stimmbänder weiter auseinander zu drängen, allerdings mit massigem
Erfolg. Jedoch genügt der mässige Spalt, der seit Monaten sich
nicht verengt bat, der Patientin zur Atmung vollständig, wenn sie sich
nicht überanstrengt, und sie hat sich seither glänzend erholt. Man
braucht zur Zeit wohl kaum zu befürchten, dass die Glottis sich soweit
schliessen wird, dass ein gefahrdrohender Zustand heraufbeschworen wird,
und kann sie deshalb aus der Beobachtung entlassen.
Ich möchte Sie bitten, den Fall anzusehen.
Diskussion.
Hr. Schötz: Eine Posticusparalyse kann meines Erachtens hier
gar nicht in Frage kommen. Wenn man aber die hintere Larynxwand
sehr tief curettiert und die Wunde nachher noch kräftig brennt, so
entsteht natürlich eine konstringierende Narbe, die wohl dazu an¬
getan ist, die Stimmbänder in Adduktion zu bringen.
Hr. Grabe wer: Der Fall ist meines Erachtens so zu erklären,
dass nach dem Curettement und der Galvanokaustik der hinteren Larynx¬
wand sich daselbst ein Entzündungsherd gebildet, welcher sich nach
beiden Cricoarytenoidgelenken fortgesetzt und dort durch ein um die
Basis der Aryknorpel gesetztes Exsudat eine Ankylose der Arygelenke
mit consecutiver Medianstellung der Stimmlippen bewirkt hat. Man sieht
auch die Basis der Aryknorpel in ihrer ganzen Circumferenz stark ge¬
schwellt.
8. Hr. Killian: Ich wollte Ihnen kurz einen Patienten vorstellen,
bei dem ich den Schnitt ausführte, von dem Herr Wagner in der letzten
Sitzung gesprochen hat. Die Operation ist zehn Tage her, die Haut¬
wunde ist primär geheilt. (Demonstration.) Der Patient hatte zehn
Jahre lang an Nasenpolypen gelitten, auf Grund von chronischen Neben¬
höhlenkatarrhen, und ist vielfach operiert worden. In letzter Zeit hat
sich in der rechten Nase ein maligner Tumor eingestellt. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergab, dass es sich um ein Carcinom handelte.
Es war notwendig, radikal vorzugehen. Da eine genaue Untersuchung
ergab, dass der Tumor hauptsächlich in der Siebbeingegend sass, konnte
man von einer totalen Resektion des Oberkiefers Abstand nehmen. Es
schien zweckmässiger, unter Benutzung der erwähnten Schnittführung
die Wange nach aussen zu klappen, den Bulbus nach der Seite zu ziehen
und das ganze erkrankte Gebiet zu exstirpieren.
So bin ich denn auch vorgegangen. Der Schnitt wurde wie bei meiner
Stirnhöhlenoperation innerhalb der Augenbraue begonnen, im Bogen an
der Nasenseite nach abwärts und dann um den Nasenflügel herum und
durch die Mitte der Oberlippe geführt. Dann wurde die Oberlippe mit¬
samt der Wange nach aussen geklappt, wobei natürlich die Mundschleim¬
haut durchschnitten werden musste. Wir hatten danach das ganze Ge¬
biet der Oberkieferhöhle, der Siebbeinzellen und der Stirnhöhle frei vor
uns. Nun wurde nach Denker von dem Rande der Aperturapyriformis
aus mit der Knochenzange aufgebrochen. Im medialen Teil des Antrum
maxillare fand sich Tumor, im lateralen nur ödematöse chronisch ent
zündete Schleimhaut. Dann ging ich auf das Siebbein über, entfernte
dieses ganz mitsamt der Lamina papyracea, nachdem die Periorbita ab¬
geschoben war. Es zeigte sich, dass der Tumor nicht bis an die Schädel¬
basis reichte. Wir hatten oben überall die Sieb beinzellen nur angefüllt
mit ödematöser Schleimhaut. Nun ging ich auf die Stirnhöhle ein vom
Stirnhöhlenboden aus. Es zeigte sich, dass die Stirnhöhle sehr gross
war; sie erstreckte sich noch bis weit auf die linke Seite hinüber.
Auch sie war nur mit ödematöser Schleimhaut ausgekleidet. Aus
der temporalen Bucht kam ein ganzer Schuss Eiter. Ich musste
eine Spange bilden und die vordere Stirnhöhlenwand resezieren. Dann
konnte der Tumor mit dem scharfen Löffel herausgehoben werden. Als
er entfernt war, zeigte sich, dass auch der obere Teil der Nasen¬
scheidewand befallen war, welcher der Siebbeingegend entsprechend
nach oben hin bis dicht an die Lamina cribrosa ging und von dem
Tumor sogar nach der anderen Seite hinübergewachsen war. Nun
wissen Sie, dass dies eine gefährliche Gegend ist: alle Olfaktoresäste
haben weite, mit dem Subduralraum kommunizierende Lymphscheiden,
welche leicht infiziert werden und dann Meningitis herbeiführen. Man
musste auch hier mit dieser Möglichkeit rechnen, denn es war Infektions¬
material und Eiter genug vorhanden. Wir haben deswegen die ganze
Wunde zunächst mit Wasserstoffsuperoxyd mehrfach gründlich desinfiziert,
dann das Operationsgebiet am Septum mit Jodtinktur bepinselt und
möglichst radikal alles an der Schädelbasis abgeschnitten. Dann wurde
das ganze Gebiet der Lamina cribrosa noch einmal mit Jodtinktur be¬
strichen und sorgfältig abtamponiert. Dass das nützlich war, sehen Sie:
Der Patient hat keine Meningitis bekommen. Die Heilung nimmt einen
regulären Verlauf.
4. Hr. West: Demonstration zweier Patieatinaen, denei der
Tränensack operiert worden ist. Eine ist jetzt über ein Jahr geheilt
geblieben. Ein Beweis dafür, dass der Fluorescinversuch positiv ist.
Bei der zweiten Patientin wurden gestern in einer Sitzung die Scheide¬
wand reseziert und beide Tränensäcke eröffnet. Wie mansehen kann,
ist die Operation ohne Reaktion verlaufen.
Tagesordnung.
Hr. Halle:
Die Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren und deren Bekämpfung.
Die Tonsillenexstirpation ist seit einer Reihe von Jahren in den
Vordergrund des Interesses getreten. Es gibt eine grosse Reihe von
Autoren, die sie prinzipiell ausfübren, andere verlangen strikte Indika¬
tionen dafür, noch andere behaupten, immer mit konservativen Methoden
auskommen zu können. Die prinzipielle Operation ist durchaus abzu¬
lehnen. Denn wenn man auch nach Entfernung der Tonsille keine greif¬
baren Ausfallserscheinungen nachweisen kann, so steht es doch ausser
Zweifel, dass der Tonsille eine nicht unwesentliche, allerdings noch
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322
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
nicht sicher festgestellte physiologische Aufgabe zufällt. Anderseits ist
durch zahlreiche klinische Beobachtungen und pathologisch-anatomisehe
Untersuchungen als bewiesen anzunehmeD, dass eine Reibe ernster All-
gemeinerkrankungen von den Tonsillenaffektionen ihren AusgaDg nehmen
können. Durch konservative Behandlung ist man jedoch nicht imstande,
diese Krankheiten zu heilen oder wenigstens Recidive zu verhindern.
Deswegen muss für viele Fälle eine Exstirpation der Tonsille als wohl
indizierter Eingriff gelten.
Für die Operation wird eine grosse Anzahl von Methoden empfohlen.
Vortr. hat alle wesentlichen durcbgeprobt. Er hält für die besten die¬
jenigen, welche möglichst schnell und sicher zu operieren gestatten und
keine grossen Reaktionen hervorrufen. Von diesem Standpunkt hat sich
ihm am besten die Methode nach West bewährt und eine vom Vortr.
selbst seit Jahren erprobte, die er kurz beschreibt.
In den sehr seltenen Fällen, wo eine Exstirpation bei Kindern an¬
gezeigt ist, bewährte sich als einfachstes und bestes Verfahren das
nach Sluder.
Eingehend bespricht Vortr. dann die Gefahren, die aus der immer
als nicht gleichgültigen Eingriff zu betrachtenden Operation erwachsen
können. Verletzungen der Gaumenbögen können ernste Beschwerden
veranlassen und müssen durchaus vermieden werden.
Die erheblichste Gefahr geht von Blutungen bei der Operation und
von Nachblutungen aus. Wiederholt sind Todesfälle beobachtet worden.
Vortr. selbst sah auch bei scheinbar geringer, unbemerkter Nachblutung
sehr ernste Gefahr entstehen. Er verlangte deswegen aufs nachdrück¬
lichste, dass man sich nie auf Stillung der Blutung durch Tamponade
verlassen dürfe. Vielmehr müsse jede blutende Stelle mit langen
Anterienklemmen gefasst und durch Torsion gestillt werden. Eine Um¬
stechung hat er nie nötig gehabt. Die hauptsächlichsten Blutungen
kommen am oberen Pol, in der Mitte der Wunde und an der hinteren
Wand des Arcus palatoglossus vor. Diese müssen deswegen durch Vor¬
ziehen ganz sichtbar gemacht werden.
Fernerhin wird die Gefahr der Wundinfektion und deren Verhütung
besprochen.
Zum Schluss betont Vortr., es stehe unzweifelhaft fest, dass die
Tonsillenexstirpation einen segensreichen Eingriff vorstellen könne. Doch
erwartet er, dass die Berliner laryngologische Gesellschaft warnend ihre
Stimme erhebe sowohl gegen die prinzipielle als auch gegen die nicht
indizierte Tonsillenexstirpation.
(Erscheint ausführlich in der Deutschen med. Wochenschrift.)
Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird die Diskussion nach drei
Gesichtspunkten getrennt: 1. Indikation und Kontraindikation, 2. Me¬
thodik, 3. Gefahren.
1. Indikation und Kontraindikation.
Hr. M. Senator: Wenn immer gesagt wird, dass bis jetzt von der
Totalexstirpation keine Nachteile gesehen worden und die Patienten voll¬
kommen bei Wohlbefinden geblieben sind, so möchte ich demgegenüber
doch das Bedenken aussprechen, ob die Zeit der Beobachtung bisher
ausgereicht hat. Die Tonsillenexstirpation ist doch erst jüngeren Datums,
und unsere Beobachtungen reichen nur über wenige Jahre. Jedenfalls
ist das, was Herr Halle gesagt hat, dass die Tonsillen irgendeine
Funktion haben müssen, ein vollkommen berechtigter Standpunkt.
Dass man die Tonsillen, wenn sie total vereitert oder septisch er¬
krankt sind, zugunsten des Allgemeinzustandes opfern muss, wobei man
namentlich Rheumatismus, septische Infektion im Auge hat, ist als
Grundsatz einleuchtend, und auch ich bekenne mich dazu. Ich meine
aber, man kann diese Frage nicht ohne das Urteil der inneren Mediziner
entscheiden. Interessant war es mir daher, als ich Anfang dieses Jahres
im hiesigen Verein für innere Medizin einen Vortrag 1 ) über ein ähnliches
Thema, über Rheumatismus in ätiologischer Beziehung zur Nase, hielt,
dass in der Diskussion auch die Frage der Tonsillenexstirpation gestreift
wurde, und dass sich überraschenderweise sämtliche inneren Kliniker
der Totalexstirpation gegenüber ablehnend verhielten. Uebereinstiramend
begründeten sie diesen Standpunkt damit, dass sie keinen Erfolg gesehen
hatten; einzelne hatten sogar von der Tonsillenexstirpation eine Ver¬
schlimmerung des Allgemeinleidens beobachtet. Die Angaben müssen
hingenommen werden, eine Möglichkeit der Nachprüfung ist uns nicht
gegeben, die Herren haben auch ihre Ansicht nur im allgemeinen be¬
gründet. Wir können aber jedenfalls nur durch ein Handinhandgehen
mit den inneren Medizinern die Frage lösen.
Hr. Hölscher: Ich kann mich der Auffassung des Herrn Halle,
dass die Tonsillektomie ein erheblicher Eingriff ist, dessen Indikation in
jedem einzelnen Falle sorgfältig gestellt werden muss, nur anschliessen.
Was das Verhalten der inneren Kliniker zu der Frage der Tonsill¬
ektomie betrifft, so möchte ich bemerken, dass, soviel ich weiss, eine
grosse Anzahl von inneren Klinikern auf dem Standpunkt steht, dass
man die Tonsillektomie machen soll. Ich erinnere mich z. B. daran,
dass mir während meiner Tätigkeit in Ulm von inneren Klinikern Fälle
zur Tonsillektomie zugewiesen wurden, und dass bei diesen, die schon
ziemlich laDge zurückliegen, der Erfolg in bezug auf das Allgemeinleiden,
dessentwegen der Eingriff gemacht wurde, sehr zufriedenstellend war.
Man soll selbstverständlich für den einzelnen Fall auch mit der
Prognose etwas vorsichtig sein.
1) Deutsche med. Wochensohr., 1912, Nr. 9, oder Verhandl. d. Vereins
f. innere Med., 1911/12, Jahrg. 31.
Hr. Levy: Was die recidivierende Peritonsillitis betrifft, so möchte
ich aus meiner persönlichen Erfahrung erklären, dass ich dafür die totale
Tonsillektomie nicht für erforderlich halte. Wir wissen doch alle, dass
in diesen Fällen die Infektion gewöhnlich von der Fossa supratonsillaris
ausgeht. Mir bat sich in solchen Fällen immer die Entfernung des oberen
Lappens vollständig bewährt, ich habe nie nötig gehabt, die ganze Ton¬
sille zu entfernen.
Hr. Sobernheim: Ich wollte nur betonen, dass mir die Indikations¬
stellung bei der Nephritis eigentlich immer zweifelhaft erschienen ist und
auch heute noch so erscheint. Wenn die Infektion, die zu einer Nephritis
geführt bat, von der Tonsille ausgegangen ist, dann wird die Nephritis
nicht dadurch heil werden, dass man die Tonsille entfernt, und sollte
die Nephritis zur Heilung gekommen sein, dann besteht noch lange
keine Indikation für eine so eingreifende, etwa vorbeugende Operation.
Bei der chronischen Nephritis scheint mir der sichere Beweis bisher
nicht erbracht zu sein, dass Exacerbationen durch das Bestehen oder
die Verschlimmerung einer chronischeu Tonsillitis bedingt sind.
Hr. Hölscher: Noch einige Worte zu der eben gehörten Ein¬
schränkung der Indikation. Ich erinnere mich eines Falles aus meiner
früheren Privatpraxis: Eine Dame, die häufig an recidivierender peri-
tonsillitischer Entzündung und Tonsillitiden litt, die in allen möglichen
Bädern gewesen war, jahrelang behandelt worden war, entschloss sich
endlich, die Tonsillektomie machen zu lassen. Es fand sich zwischen
der Tonsille und dem umgebenden Gewebe auf beiden Seiten ein Abscess
von erheblicher Ausdehnung. Eine Heilung war in solchem Falle nur
möglich durch gänzliche Entfernung, durch Tonsillektomie. Derartige
Beobachtungen habe ich mehrfach gemacht.
Hr. Schötz: Ich möchte Herrn Hölscher fragen, weshalb eine
Heilung da nur möglich war durch vollständige Entfernung der Tonsille?
Ich habe neulich einen ganz ähnlichen Fall geheilt durch einfaches
breites Aufschlitzen des Abscesses mit dem Mandelschlitzer. (Herr
Hölscher: Er sass ganz in der Tiefe!) Der meine auch.
Hr. Hölscher: Aussen war gar nichts zu merken, was auf das
Vorhandensein eines Abscesses hindeutete. In dem Falle, den ich eben
erwähnte, wäre es also gar nicht möglich gewesen, die Stelle des
Abscesses zu finden, wenn man Dicht die Tonsillektomie gemacht hätte.
Hr. Schötz: Genau so ist es mir gegangen. Trotzdem absolut
nichts Besonderes zu sehen war, klagte Patient, ein kräftiger jünger
Mann, über fortdauernde heftige Schmerzen in der linken Mandelgegend.
Ich suchte nach Concrementen und fiel dabei ganz in der Tiefe zwischen
Mandel und vorderem Gaumenbogen in einen ansehnlichen Abscess, der
sich durch keine Rötung usw. verraten hatte. Ich erweiterte die Oeffnung,
und bald war Patient geheilt. Warum soll denn auch ein Abscess nicht
heileD, wenn man ihn weit eröffnet?
Hr. Hölscher: Ich glaube sehr gern, dass in einem solchen Falle
der Abscess heilt; aber es scheint mir Zufall zu sein, dass man gerade
in einen derartigen Abscess hineinkommt, der verhältnismässig klein
ist. Um solchen Abscess zu suchen, müsste man doch die Mandeln
nach allen möglichen Richtungen durchstechen, um den Herd nachher
doch nicht zu finden.
Hr. Wagen er: Das Auftreten von Peritonsillitiden ist ganz sicher
nicht in eine Linie zu stellen mit dem Auftreten von Gelenkrheumatis¬
mus und ähnlichen Erkrankungen. Das Auftreten von Peritonsillitiden
wird mit grosser Sicherheit durch eine Tonsillenexstirpation zu verhüten
sein. Wir wissen aber durch pathologisch-anatomische Untersuchungen,
dass nicht allein die Tonsillen die Aufnahmestellen bilden für die
Bakterien, die z. B. den Gelenkrheumatismus hervorrufen, sondern dass
es in genau der gleichen Weise die Rachenmandel ist, der ganze lym¬
phatische Rachenring. Wir können also gar nicht von vornherein die
Forderung stellen und dem Patienten versprechen, durch die Tonsill¬
ektomie das Wiederauftreten dieser Erkrankung zu verhindern. Nur für
Peritonsillitiden können wir eine gewisse Garantie übernehmen.
Hr. Levy: Ich wollte nur zur Klarstellung bemerken, dass ich für
manche Fälle von recidivierender Peritonsillitis die Berechtigung der
totalen Tonsillektomie wohl anerkenne, nur muss man nicht wahllos in
allen Fällen die ganze Tonsille wegnehmen. Wenn man den oberen
Pol als Ausgangspunkt erkennt, wenn man die Pfropfe auch nachher
noch nachweisen kann, so ist es doch genügend, wenn man den Sitz
des eigentlichen Krankheitsherdes beseitigt; da haben wir nicht nötig,
die ganze Tonsille herauszunehmen.
Hr. Killian: Zunächst möchte ich mit Genugtuung konstatieren
dass man sich bei uns betrebt, nur nach strenger Indikationsstelluog
an diese Operation heranzugehen. Wenn man es wie ich im Auslande
gesehen hat, wie weit man kommt, wenn die strenge Indikationsstelluog
aufhört, freut man sich doppelt darüber, dass bei uns noch gewissen¬
haftes Abwägen Geltung hat. Ich habe draussen tatsächlich sagen
hören: die Tonsillen sind schädlich, deswegen müssen sie heraus.
Danach müsste jeder Mensch operiert werden. Ich möchte die Herren
dazu anregeD, dass Sie alle helfen, eine gute wissenschaftliche Basis für
die Indikationsstellung der Tonsillektomie zu schaffen, indem Sie Ihre
Krankengeschichten recht genau führen, die Anamnesen genau erbeben
und kritisch naebprüfen, dann Arbeiten veröffentlichen, in denen in
ganz kurzer Form recht viele Krankengeschichten enthalten sind. Bei
den Diskussionen fällt mir immer auf, dass mehr im allgemeinen ge¬
sprochen wird; auch bei den Arbeiten, die wir lesen, ist es meist so.
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Mao mochte mehr wissenschaftliches Beweismaterial zu sehen bekommen.
Auf diesem sollen sich unsere Schlüsse aufbauen.
2. Methodik.
Hr. Hölscher: Ich darf mit wenigen Worten auseinandersetzen,
wie ich mir allmählich auch eine Methode für die Tonsillektomie ge¬
macht habe. Ich operiere fast immer in Lokalanästhesie ( l / 2 proz. Novo-
cainiösuDg mit Suprarenin) und vermeide nach Möglichkeit auch heute
noch in der Tiefe scharfe Instrumente. Ich ziehe die Tonsille möglichst
stark vor und treuoe sie mit dem spitzen Messer, das Herr Halle eben
vorgezeigt hat, vorsichtig vom Rande des Gaumenbogens ab, möglichst
ohne den Gaumenbogen zu verletzen. Dann führe ich ein kleines ge¬
knöpftes Messerchen (Demonstration), das Ihnen ja allen bekannt ist,
zwischen die Tonsille und den Gaumenbogen ein und trenne mit der
Schneide alle Stränge, die sich anspannen, durch. Ich mache das, von
oben angefangen, zuerst auf der vorderen Seite, dann gebe ich am
hinteren Gaumenbogen entlang. Hängt dann die Tonsille frei in der
Nische, so lässt sie sich mit Leichtigkeit mit der Brünings’schen Schlinge
fassen und abtragen. Ich ziehe auch heute noch die Schlinge zur Ent¬
fernung der Tonsille dem Messer vor. Ich mache stets eine gründliche
Desinfektion der Höhle mit konzentriertem Wasserstoffsuperoxyd. Dann
ist fast nie eine Blutung da.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Tonsillektomie nie ambulant,
sondern grundsätzlich nur klinisch gemacht werden darf.
Hr. Wagen er: Nach sorgfältiger Ablösung vom vorderen und
hinteren Gaumenbogen ziehe ich die Tonsille stark mit einer Fasszange
heraus und gehe mit grossem scharfen Löffel hinter die Tonsille. Ich
drücke ihn einfach stark herunter und kann in den meisten Fällen die
Tonsille leicht herauslösen, ln der letzten Zeit habe ich das Instrument
noch in der Weise abgeändert, dass ich den Löffel in eine scharfe
Curette umgewandelt habe. Wenn ich die Curette auf die vordere
Kante stelle, kann ich am vorderen Gaumen entlangschneiden, stelle
ich sie auf die hintere, kann ich am hinteren Gaumenbogen entlang¬
gehen, durch seitliche Bewegung kann ich auch hinten schneiden. Ich
kann also die Curette wie ein Messer benutzen.
Hr. Peyser: M. H.J Ich benutze nach Hopmann eine über die
Fläche abgebogene Schere, sie dient gleichzeitig als Elevatorium und
zom Durchtrennen von festeren Verwachsungen. Das Wichtigste ist,
wie es der jüngere Hop mann noch in seiner letzten Publikation mit
Recht betont, das tiefe Fassen der Tonsille mit einer dreizinkigen Zange.
Wenn man tief genug fasst, reisst das Gewebe auch gewöhnlich nicht
aus. Um zuletzt kleine Gewebsreste zu entfernen, bediene ich mich
einer Doppelourette in etwa dreieckiger Form.
Hr. Claus: M. H.! Ich wollte zunächst fragen, ob einer oder der
andere von Ihnen Erfahrungen mit der Auslösung der Tonsille mit dem
Finger besitzt. Ich habe bisher auch immer die Tonsille stets scharf
herausgenommen, in den letzten, vielleicht sechs Fällen aber die Aus¬
lösung mit dem Finger versucht Die Vorbereitung ist natürlich genau
dieselbe, auch die Ablösung. Ich habe gefunden, dass die Heraus¬
schälung ausserordentlich schnell und glatt geht. Man kann vorzüglich
fühlen, hat ein ähnliches Gefühl, wie wenn man einen Abort ausräumt;
man fühlt sehr deutlich die Wandung. Dagegen ist zu sagen, dass es
vielleicht für die Patienten unangenehmer ist, wenn man ihnen mit der
Hand in dem Munde herumarbeitet. Warnen möchte ich davor, es mit
der unbekleideten Hand zu machen. Ich habe stets einen dicken
Gummihandschuh genommen. Ein mir befreundeter Kollege hat diese
Vorsicht ausser acht gelassen und sich eine schwere Infektion dadurch
zugezogen; er hat schon die Endphalange seines Zeigefingers opfern
müssen. Es hätte leicht noch schlimmer enden können.
Sodann möchte ich mich noch der Meinung des Herrn Hölscher
anschliessen, dass man die Exstirpation der Tonsille, die doch nach
unser aller Meinung einen erheblichen Eingriff darstellt, nur klinisch,
und zwar mit mehrtägigem Aufenthalt, ausführen solle.
Hr. West: Die Methode der Exstirpation mit dem Finger ist eine
alte Methode, die vor etwa 2 Jahren schon von Mathews in New York
empfohlen worden ist.
Zuerst mache ich hinter der Mandel einen Schnitt in 5—10 Sekunden.
Damit ist dann der gefährlichste Teil (hintere Gaumenbogen) schon von
derTonsilla getrennt, als erstes Stadium der Operation, bevor der Patient
blutet. Der Punkt, von dem die stärkste Blutung dann kommt, liegt
nahe am Zungengrund. Deswegen wird als zweites Stadium der Operation
die Tonsilla vom Zungengrund getrennt und dieser zweite Schnitt um
die Tonsilla nach oben verlängert, bis die ganze Tonsilla Umschnitten
ist Nur wenn die ganze Schleimhaut durchgeschnitten worden ist, ist
es ganz gleich, ob es stark oder wenig blutet, die Tonsilla kann in den
Mund gezogen und die peritonsillären Bindegewebe durchgeschnitten
werden. Die ganze Operation dauert 40—50 Sekunden. Der Vorteil des
scharfen Messers liegt nur darin, dass im grossen und ganzen ein mit
einem scharfen Messer hervorgebrachter Schnitt besser heilt, als ein mit
einem stumpfen Instrument ausgeführter. Wenn er besser heilt, dann
haben wir weoiger Reaktionen, und je weniger Reaktion, desto weniger
Infektion.
Hr. A. Meyer: Als ich einmal in der ophthalmologischen Gesell¬
schaft über eine Methode sprach, die 20 Jahre alt sein sollte, stand
Herr Geheimrat Hirschberg auf und sagte*. Methoden, die angeblich
20 Jahre alt sind, sind gewöhnlich 200 Jahre alt, und wenn man glaubt,
sie sind 200 Jahre alt, dann sind sie gewöhnlich 2000 Jahre alt. So
ist es auch mit der Methode, von der Herr West sagte, dass sie 2 Jahre
alt sei; sie ist schon von Celsus vor 2000 Jahren ausgeübt worden, und
dann ist sie vor etwa 50 Jahren ausgegraben worden. — Herrn Claus
möchte ich erwidern, dass auch ich die Fingermethode versucht und gute
Erfahrungen damit gemacht habe.
Hr. Killian: Ich darf auch bemerken, dass wir gelegentlich nötig
haben, eine Operation in Narkose auszufübren. Denken Sie nur an die
Kinder: da gibt es manchmal Fälle mit recidivierenden Anginen, wo
nichts anderes zu machen ist als die Tonsillektomie und die Operation
in Narkose, von der heut wenig gesprochen wurde. Im Ausland, nament¬
lich in England und Amerika, wendet man fast immer die Aethernarkose
an und operiert am hängenden Kopf. Da spielt auch der Finger eine
grosse Rolle. Nun fragt es sich: wie sollen wir uns dazu stellen?
Sie erinnern sich, dass ich in meiner Arbeit über Schwebelaryngoskopie
am Schlüsse erwähnte, man könnte vielleicht auch die Tonsillektomie
mit Vorteil in Narkose in der Schwebe ausführen. Das haben Al brecht
und ich auch gemacht. Wir haben das narkotisierte Kind an den Haken
gehängt, und zwar wurde dazu eine einfache Zungenplatte wie beim
Türk’scheu Spatel verwandt. Darauf wurde ein nelatorischer Katheter
durch die Nase gesteckt und mit dem Gebläse weiter chloroformiert.
Natürlich ist die Situation umgekehrt, der untere Pol der Tonsille oben,
der obere unten. Aber ich kann versichern, dass sich die Operation in
dieser Lage sehr nett und mit Sicherheit durchführen lässt. Man geht
natürlich am besten langsam vor, was ich überhaupt dem Rekordoperieren
bei der Tonsillektomie vorziehe. Man löst dann am besten stumpf.
Wenn man langsam operiert, sieht man auch die Arterien und Venen,
man kann sie fassen, ehe man sie durchschneidet. So lässt sich die
Operation sehr gut ausführen. Ich möchte Ihnen das doch empfehlen.
Vielleicht kommen Sie gelegentlich in die Lage, diese Methode anwenden
zu müssen.
Hr. Hölscher: Ich hatte vergessen, das Zusagen, was Herr Geheim¬
rat Killian jetzt noch besonders erwähnt hat. Ich kann aus meiner
eigenen Erfahrung auch nur bestätigen, dass es sehr leicht und sehr
angenehm ist, in Narkose auf dem Schwebeapparat die Tonsillektomie
und andere Operationen an den Mandeln und Gaumenbögen zu machen.
(Die weitere Diskussion wird vertagt.)
Hofelandisclie Gesellschaft
(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin).
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 12. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Brieger.
Schriftführer: Herr J. Ruhemann.
Tagesordnung.
1. Hr. M. Litthiaer:
Exstirpation einer im Becken liegenden Steinniere.
Wenn Nieren an dem Orte der primären Anlage liegen bleiben, so
entstehen die angeborenen Dystopien derselben, welche meist durch
Sektionen gefunden werden, da bei Lebzeiten keine Störungen entstehen;
diese treten erst auf, wenn sich Raumbeengung geltend macht, Geburts¬
hindernis verursacht wird usw. In den verlagerten Nieren kann sich
Tuberkulose, Eiterung, Steinbildung entwickeln wie in normal liegenden.
21 jähriger Patient, hatte seit seinem 6. Lebensjahre linksseitige
Schmerzanfälle. Januar 1912 Blässe, Schmerzen in der linken Unter¬
bauchgegend, blut- und eiterhaltiger Urin. Schmerzhafte Stelle an der
dem rechten Mc Burney’schen Punkt entsprechenden Partie. Das
Röntgenbild ergab nach Einführung des Ureterenkatbeters einen sehr
stark gewundenen Ureter. Bei der gewöhnlichen Schnittführung wurde
die Niere nicht erreicht, erst als bis zu der Mittellinie eingeschnitten
wurde, traf man auf die im Becken liegende Steinniere, welche einen
Ureter und zwei Gefässe besass. Seit der Operation blieben alle Stö¬
rungen fort.
Diskussion.
Hr. Zondek: Zu dem ebenso lehrreichen wie überaus seltenen Fall,
in dem der Herr Vortragende bereits vor der Operation die richtige
Diagnose gestellt hat, bitte ich, mir nur ganz kurz folgende Bemerkung
zu gestatten: Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, eine intermittierende
Hydronephrose einer kongenital heterotropeu Niere zu diagnostizieren,
und zur Diagnose der kongenitalen Verlagerung der Niere
führten mich zwei Momente, die ich als besonders charakteristisch hier¬
für angegeben habe: die tiefliegende Niere ist hochgradig medialwärts
und nach vorn verlagert.
Dementsprechend ist auch die Lage des Ureters verändert. Durch
Collargoleinspritzung in den Ureter und darauffolgende Radiographie
kann man deu Verlauf des Ureters erkennen.
Ferner habe ich in diagnostischer Hinsicht darauf hingewiesen:
Wenn die kongenitale Verlagerung nicht nur für eine, sondern für beide
Nieren festgestellt wird, so kann man daraus mit Wahrscheinlichkeit die
Diagnose auf eine Hufeisenniere stellen; von besonderem Nutzen für
diese Diagnose ist die Feststellung des Verlaufs der Ureteren.
2. Hr. Piorkowski: Heber biologische Reaktioiea.
Der Vortragende erörtert einleitend die Schutzkräfte des Blutserums,
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Nr. 7.
die er nach der Theorie von Ehrlich rubriziert. Besonders interessieren
die Präcipitine, mittels deren man biologische EiweissdifferenzieruDgen,
Identitätsbestimmungen der Sera, namentlich auch eine grosse Reihe von
Infektionskrankheiten erkennen kann. In neuerer Zeit ist auch die Milz-
braoddiagoose besonders gestützt worden, da man imstande ist, nach
As coli mit einem von Kaninchen oder Eseln durch Injektion von miti¬
gierten Milzbrandbacillen gewonnenen Serum und Organextrakt binnen
weniger Minuten einen spezifischen Präzipitationsvorgang hervorzurufen.
Auch die Trübungsreaktion von Freund-Kaminer und die Staramler-
sche Tumorenreaktion gehören hierher. Gut praktisch hat sich ferner
die Meiostagrainreaktion von Ascoli erwiesen, wobei mit dem Traube-
schen Stalagmometer beim Zusammenbringen von aufeinander einge¬
stelltem Antigen und Antikörper eine verminderte Oberflächenspannung
und daher eine vermehrte Tropfenzahl gegenüber normalen Flüssigkeiten
sich konstatieren lässt.
Io jüngster Zeit haben die Abdcrhalden’schen Untersuchungen
grosses Interesse erweckt. Der Vortragende hat sowohl die optische wie
auch die Dialysiermethode für die Frühdiagnose der Schwangerschaft
verwendet und konnte die Uebereinstimmuug der Methoden bestätigen.
Es war bereits nach 3 Wochen eine sichere Diagnose zu stellen, und
zwar gelang eine solche in ungefähr 9G pCt. der Fälle. Wie hei der
Gravidität, so gelingt es auch bei Carcinora, indem coagulierte Krebs¬
organe zur Verwendung gelangen, Diagnosen zu stellen, und wird dies
wahrscheinlich auch bei einer Anzahl anderer pathologischer Zustände
möglich sein, da bei dem ausserordentlich weitgehenden Abbau des Ei-
weisses die praktische Diagnosestellung gute Ausblicke erwarten lässt.
Diskussion.
Hr. Evler (Berlin-Friedenau): Es ist ein grosses Verdienst von
Abderhalden, aus den verschiedenen Schutzstoffen des Körpers die
Schutzfermente herausgehoben und die Versuchstechnik für biologische
Reaktionen vereinfacht zu haben. Aber selbst diese einfache Versuchs¬
anordnung gibt noch zu vielen Fragestellungen und Deutungen Anlass.
Wenn man Schwangerenplasma oder Serum und Placenta 24 Stunden
aufeinander einwirken lässt, wobei es gleich ist, ob mit oder ohne Dia¬
lyse, so wird nicht nur Placentaeiweiss abgebaut, sondern es zeigt auch
das Serum hochgradige Veränderungen.
Die für die einzelnen Bausteine des Eiweisskörpers typischen Reak¬
tionen fallen vor- und nachher erheblich anders aus. Dasselbe tritt ein,
wenn wir statt Schwangerenserum tuberkulöses oder carcmoraatöses,
luetisches und Basedow-Serum nehmen und statt Placenta das ent¬
sprechende Antigen.
Bleiben wir auf dem Boden der Abderhalden’schen Anschauungen,
dass das spezifische Plasma spezifisches Organgewebe abbaut, nehmen
wir also einen cytolytischen Prozess an, dann könnte der Abbau des
Plasmas durch die giftigen Zerfallsprodukte der Placenta bzw. des ent¬
sprechenden Antigens nach Art der Endotoxinwirkung stattfinden.
Da krankes Serum gegenüber gesundem mehr oder weniger Aeude-
rungen im Kohlehydratkomplex, Cystin- oder Tryptophanbaustein usw.
zeigt, ist es erforderlich, eine Kontrollprobe des zu prüfenden Serums
vor Zusatz des entsprechenden Antigens vorzunehmen.
Diese Reagensglasversuche deuten uns den toxischen Ei weisszerfall
des Körpers, den wir bei Infektionskrankheiten oder malignen Erkran¬
kungen täglich sehen, und auch sie führen uns vor Augen, dass ein
krankes Serum weniger ein geschütztes, vielmehr ein geschädigtes ist.
(Demonstration.)
8. Hr. Kloninger: Adipositas dolorosa.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Patschkowski hält es für angezeigt, bei dem Leiden Ovarial-
extrakt zu geben.
Hr. Ewald hat einen ähnlichen wie den vorgestellten Fall beob¬
achtet, der gut beeinflussbar war, und zwar mit Thyreoidinpräparaten,
die andauernd gegeben wurden. Das spricht wieder für die Correlation
mit inneren Sekretionsanomalien. Die Franzosen haben den starken
Gegensatz, der sich aus dem Freibleiben der Hand- und Fussgelenke zu
den hypertrophischen Partien der Extremitäten ergab, in den Eindruck
zusammengefasst, als hätten die betreffenden Patienten Manschetten und
Beinkleider an.
Hr. Kloninger: Ausser Thyreoidin sind alle anderen Extrakte,
auch die der Ovarien, ohne Erfolg versucht worden. Die Manschetten¬
form war hier nicht vorhanden.
Hr. Wiszwianski bemerkt, dass man mit der Diagnose Adipositas
dolorosa, der sog. Dercum’schen Krankheit, sehr vorsichtig sein müsse.
Die Krankheit sei überaus selten, als ein ernstes Leiden des Nerven¬
systems aufzufassen und ende meist letal, so dass man die richtige Dia¬
gnose eigentlich erst post mortem stellen könne. Viele Fälle seien be¬
schrieben worden, die durchaus nicht dem von Dercura aufgestellten
Krankheitsbild entsprächen. Meist handelte es sich um eine von den
schwedischen Massageärzten beschriebene Schmerzhaftigkeit des Fett¬
gewebes, der sog. „Cellulitis“ oder „Panniculitis“, welches Symptom der
dänische Arzt Dr. Erik E. Faber in der Zeitschrift f. physikalische u.
diätet. Therapie als „Adiposalgie“ bezeichnet hat. Herr Wiszwianski
fragt den Vortragenden, ob er bei der Patientin das subcutane Fett¬
gewebe auf jene bei Panniculitis charakteristischen Konsistenzverände¬
rungen untersucht habe, was Vortr. verneint.
Hr. Ewald betont, dass die Dercum’sche Krankheit nur intra vitam
zu diagnostizieren wäre, da die Schmerzhaftigkeit doch nur bei den
Lebenden besteht.
Hr. Wiszwianski: Er wollte nur auf die Seltenheit der Erkran¬
kung und den deletären Verlauf hinweisen. An dem Namen liege ihm
gar nichts; schliesslich sei auch die Adipositas dolorosa eine Adiposalgie.
Eine Diagnose der Dercum’schen Krankheit könne man aber nur dann
stellen, falls ausser den Schmerzen und der Schwellung des Fettgewebes
auch schwere Schädigungen des Nervensystems und psychische Störungen
vorhanden wären. Letztere vermisse er auch in dem eben vorgestellten
Falle.
4. Hr. A. Laqneur- Berlin:
Ueber den Einfluss physikalischer Maassaahaen anf die natürlichen
Abwehrkräfte des Blntes.
Bei Patienten, die den verschiedenen hydrotherapeutischen und
sonstigen physikalischen Prozeduren unterzogen wurden, untersuchte Vor¬
tragender das Verhalten derjenigen Eigenschaften des Blutserums, die
als Maassstab für die Schlitzkraft des Blutes Infektionen gegenüber
angesehen werden können (Komplementgehalt, Agglutination, Phago-
cytose). Es ergab sich, dass der Komplementgehalt durch allgemeine
Wiirmeanwenduugen nur unwesentlich verändert wird, nur nach russisch-
römischen Bädern fand sich das (hämolytische) Komplement erhöht.
Von lokaleu Wärmeprozeduren führten Fango Umschläge eine leichte
Komplementverstärkung herbei. Die Agglutination Typhusbacillen
gegenüber wurde sowohl nach heissen Vollbädern wie auch (in geringerem
Maass») nach kühlen Bädern mit Uebergiessungen öfters erhöht ge¬
funden; auch eine Serie von 3 Lichtbädern erhöhte den agglutinieren¬
den Titer bei einem Rekonvaleszenten nach Paratyphusinfektion. Die
Phagocytose der Leukocyten wurde durch Lichtbäder fast stets
erhöht, unter der Anwendung kalter Duschen blieb sie unver¬
ändert. Fangoumschläge erhöhten die phagocytären Eigenschaften
der Leukocyten; weniger deutlich und regelmässig fand sich diese Er¬
höhung auch nach lokalen Heiss luftbädern und nach Thermo-
penetration. Besonders bemerkenswert ist ferner die Erhöhung der
Phagocytose nach Inhalation von Radiumemanation.
Sind die gefundenen Veränderungen auch zum Teil nur gering und
haben sich auch keine solche Ausschläge gefunden, wie bei Wärme-
anWendungen an künstlich immunisierten Tieren im Tierexperiment, so
weisen die Resultate der Untersuchungen des Vortragenden doch darauf
hin, dass die verschiedenen Maassnahmen der physikalischen Therapie
auch direkt die Schutzkräfte des Blutes im günstigen Sinne beeinflussen
können, und zwar kommt diese Eigenschaft wohl weniger der einzelnen
Applikation, als vielmehr der zweckentsprechenden öfteren Wieder¬
holung der Prozeduren zu.
5. Hr. A. Flpstenberg-Berlio:
Ueber Körper- und tiewebetenperatar des Hinsehen.
Eichler, Schemel und Vortragender haben das Verhalten der
Körper- und Gewebetemperatur des Menschen unter dem Einfluss ver¬
schiedener physikalischer Prozeduren studiert. Dabei hat sich gezeigt,
dass hydrotherapeutische Maassnahmen sowie die Diathermie die Körper-
und Mageninneutemperatur in beträchtlichem Umfange verändern. Be¬
nutzt wurde ein Registrierapparat von Siemens und Halske, der sehr
exakt arbeitet.
Diskussion.
Hr. Max Levy-Dorn-Berlin: Ich möchte mir die Frage erlauben,
ob der Herr Vortragende entscheiden kann, unter welchen Bedingungen
in seinen Beobachtungen die Wärmeerhöhung oder -erniedrigung durch
unmittelbare Uebertragung oder durch Reflexe hervorgerufen wurde.
Sind diesbezügliche Experimente angestellt worden und bejahendenfalls
welche?
Hr. Ewald spricht seine Bewunderung für den auf diesem Gebiete
ermöglichten technischen Fortschritt aus; seine vor vielen Jahren in
gleicher Richtung vorgenommenen Versuche mit Thermoelektroden und
Galvanometer waren zu umständlich, um zu Resultaten zu führen.
Hr. Bucky: Bei Diathermie des Auges wurde die Temperatur des
Glaskörpers konstant gefunden.
Im Schlusswort bemerkte Herr Fürstenberg, dass Herr Prof.
Levy-Dorn ihn missverstanden haben müsse. Nur bei der Diathermie,
nicht bei den hydrotherapeutischen Prozeduren zeigen sich die auf¬
fallenden Temperaturkurven. Die Körper- und Mageninnentemperatur
steigt nämlich bei der Thermopenetration nicht parallel mit der ge¬
gebenen Stromintensität. Herr Bucky darf die Resultate, die sich am
Auge bei der Diathermie zeigten, nicht auf den Thorax und das Ab¬
domen übertragen, wo ganz andere Verhältnisse vorliegen. Es sei dabei
nur an die Grössenunterschiede der Elektroden erinnert.
6. Hr. Brieger:
Physikalische Behandlung der chronischen Versteifung der
Wirbelsäule.
Hr. Brieger stellt einen Patienten vor, bei dem sich seit 9 Jahren,
uöd einen anderen, bei dem sich seit 6 Jahren eine völlige Versteifung
und Starrheit der gesamten Wirbelsäule trotz anderweitiger Behandlung
entwickelt hatte. Daneben waren auch Hüften, Knie, Schulter- und
Ellenbogcngelenk schmerzhaft ergriffen. Die Atmung war auffallend ver¬
langsamt und mühevoll. Boreits nach 9 Wochen wurde der erste Patient
und nach 6 Wochen der zweite, die bisher hilflos und von Schmerzen
arg geplagt, ans Bett gefesselt waren, soweit hergestellt, dass sie wieder
herumgeken konnten und jetzt bereits seit mehreren Monaten sich wieder
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völlig bis sur Erde mit ausgestreckten Händen zu buoken imstande sind,
sich aufreoht halten und frei nach Belieben bewegen. Die Behandlung
bestand in konsequent durchgeführter Applikation des Dampfstrahls,
kombiniert mit dem von Brieger angegebenen Bewegungsbad, dem sich
leichte Streichmassage der Wirbelsäule und später auch noch gymnasti¬
sche Uebungen anschlossen. Bei einer Reihe anderer Patienten mit
dieser sog. Bechterewschen Erkrankung hat diese Behandlung uns schon
seit Jahren sich bewährt. Die neuerdings von Birschberg für solche
Erkrankungen empfohlene kalkarme Diät lässt sich mit dieser physi¬
kalischen Behandlung natürlich ohne weiteres verbinden. Wie die von
Levy-Dorn angefertigten und demonstrierten Röntgenaufnahmen des
Brustbildes zeigen, sind bei dem ersten Patienten die Rippenansatzstellen
nicht verknöchert.
Diskussion.
Hr. Max Levy-Dorn-Berlin: Zur Demonstration der Veränderun¬
gen, welche sich bei der Erkrankung des vorgestellten Patienten, bei
der Spondylarthritis im Röntgenbilde verraten, habe ich einige Auf¬
nahmen mitgebracht. (Demonstration.) Man sieht, dass sich an den
Ecken der Wirbel knöcherne Vorsprünge bilden. Die unteren und oberen
Prominenzen benachbarter Wirbel wachsen sich entgegen, bis sie Zu¬
sammenflüssen und eine knöcherne Brücke entsteht. In selteneren
Fällen kommt es zu reichlichen paravertebralen Verknöcherungen, welche
in ihrer Art sehr an die ausgeprägtesten Formen der Arthritis deformans
der grossen Gelenke, insbesondere bei Tabes erinnern. Bei den vorge¬
stellten Patienten fehlen die Verknöoherungen an den Wirbelgelenken.
Die Prognose wird hierdurch als nicht ungünstig bezeichnet werden
dürfen.
Hr. Alfred Lindemann - Berlin berichtet über einen auf der
I. inneren Abteilung des Rudolf Virchow*Krankenhauses (Professor L.
Kuttner) beobachteten, durch Röntgenuntersuchung bestätigten Fall
von Versteifung des unteren Teils der Wirbelsäule und der Beckenkreuz-
bein- und Hüftgelenksverbindung. Derselbe betrifft eine 27 Jahre alte
Patientin, die seit ihrem 6. Lebensjahre auffallende blutende, schwer
heilende, blitzfigurenartige Hautveränderungen an den Beinen und eine
fortschreitende Versteifung des unteren Teils der Wirbelsäule zeigte.
Die Periode setzte im 12. Lebensjahre ein, kehrte regelmässig wieder,
brachte aber jeweilig eine weitere Verschlechterung des Zustandes. Die
Stoffwechselüntersuchung ergab eine ziemlich starke Retention von Kalk
sowie eine Retention der Harnsäure im ektogenen Stoffwechsel. Die
gleichzeitige Störung des Kalk- und des Harnsäurestoffwechsels, vor
allem in Verbindung mit der auch jetzt noch zu beobachtenden je¬
weiligen akuten Verschlechterung zur Zeit der Periode lässt als Grund¬
ursache eine Störung der inneren Sekretion vermuten. Durch wechselnde
Verfütterung einer kalkarmen und purinfreien Diät wurde eine auffallende
wesentliche Besserung erzielt Die Untersuchung eines zweiten ein¬
schlägigen Falles ist noch nicht bis zu Ende durobgeführt, doch wird
dieselbe in gleioher Weise in Bezug auf Kalk- und Purinstoffwechsel
vorgenommen werden. Die zweite Patientin ist 50 Jahre alt und datiert
ihre ersten Beschwerden 12 Jahre zurück (Präklimakterium).
7. Hr. Hertaeil:
DeatMtratlei der Direhleaehtug des Aigeahiitergriades vom
Rachen ans.
Vortragender bespricht das* Wesen der vor 4 Jahren in dieser
Wochenschrift, 1908, Nr. 47, von ihm angegebenen Durchleuchtungs¬
methode des Augenhintergrundes und erläutert an der Hand von Licht¬
bildern die neuerdings von Langenhan-Berlin mit dieser Methode er¬
haltenen Resultate (Zeitschr. f. Augenheilk., Bd. 24, S. 94 u. 512). Die
Technik der Methode wurde an normalen Fällen gezeigt.
8. Hr. Jolowicz stellt einen 51jährigen Patienten (Maler) vor, der
an einer schweren Bleigieht leidet. Es fanden sich ausserdem an den
Pupillen, an den Reflexen und im Liquor cerebrospinalis Zeichen, die
auf eine abgelaufene Lues cerebri oder Tabes binwiesen. Ferner bestand
bei dem Patienten eine doppelseitige, chronische, spontan entstandene
Luxatio humeri, für die eine ausreichende Erklärung (auch im Röntgen¬
bilde) nicht gefunden werden konnte.
Berliner mikrobiologische Gesellschaft*
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Abel.
Schriftführer: Herr Friedberger.
Der Vorsitzende führt zu Beginn der Sitzung aus, dass die Gesell¬
schaft auf ein erfolgreiches erstes Arbeitsjahr zurüokblioken könne, das aller¬
dings vielleicht etwas einseitig gewesen sei, indem sie bisher überwiegend
wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Gebiete der menschlichen und
tierischen Pathologie behandelt habe. Vorstand und Ausschuss schlügen
vor, künftig den Arbeitsbereich der Gesellschaft weiter auszudebnen. Bei
der Bedeutung, die der Mikrobiologie auf botanischem und zoologischem
Gebiete, für Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe und Industrie und vieles
andere mehr zukomme, erscheine es wünschenswert, auch diese Gegen¬
stände zu berücksichtigen. Es könne für alle Beteiligten nur nützlich
sein, wenn die Vertreter der verschiedenen Zweige der Mikrobiologie sich
persönlich näher träten und über die oft so ganz spezifische Unter¬
suchungsmethodik, die Richtlinien und Resultate ihrer Arbeit sich gegen¬
seitig belehrten. Sohon die heute auf der Tagesordnung stehenden Vor¬
träge bedeuteten eine Ausdehnung des bisherigen Arbeitsfeldes der Ger
Seilschaft, und auch für die ferneren Sitzungen sei in gleichem Sinne
bereits vorgesorgt worden. Nützlich könnte es weiterhin sein, wenn die
Gesellschaft neben wissenschaftlichen Gegenständen auch mehr praktische
Fragen, die zur Mikrobiologie in Beziehung ständen, in den Bereich ihrer
Verhandlungen ziehe, derart, dass sie geeignete Themata auswähle und
Referenten für sie zu gewinnen suche. Daran könnten sich dann ge¬
legentlich Besichtigungen interessanter Einrichtungen, Institute usw. an-
schliessen.
Die Versammlung erklärte ihr Einverständnis zu dem skizzierten
erweiterten Programm.
Demonstrationen vor der Tagesordnung.
Hr. Friedberger:
1. lieber intravenöse Timorimpfuig bei der Mats.
Im Anschluss an die Versuche von Herrn Dr. H. Ci ton, der in unserem
Institut durch Einimpfuog von Krebsmaterial in die Magenwand multiple
Carcinome in den verschiedensten Organen und auch echte Metastasen
erzeugt hat 1 ), habe ich durch Injektion von mit Kochsalzlösung fein
zerriebenem und durch starkes Gentrifugieren von den gröberen Partikeln
befreitem Tumormaterial in die Schwanzvene bei der Maus das gleiche
zu erreichen versucht.
Ich demonstriere Ihnen hier zwei Mäuse, von denen die eine zahl¬
reiche Tumorknoten bis übererbsengross in der Leber und kleine Knötchen
in der Milz zeigt. Bei der zweiten Maus haben Sie eine ganz andere
Lokalisation. Hier sitzt ein etwa klein bohnengrosser primärer Tumor
im hinteren Mediastinum, und Sie sehen, wie die Pleura über dem
Sternum eine Reihe stecknadelkopfgrosser Knötchen aufweist.
Herr Prof. Westenhöfer hatte die Freundlichkeit, die Tumor¬
massen bei der letzteren Maus zu untersuchen. Nach seinem Urteil
handelt es sich um typischen Mäusekrebs.
Bei Gelegenheit der intravenösen Injektion der Emulsion aus diesem
Tumor wurden Beobachtungen über die Giftigkeit des Tumorextraktes
gemacht. Es ergab sich, dass der Tumorextrakt für normale Mäuse von
der Blutbahn aus eine erhebliche Giftigkeit besitzt. Beim Meerschweinchen
ist sie geringer.
Nach den Versuchen, die Herr Dr. Poor in unserem Laboratorium
angestellt hat, beträgt die Toxicität des Tumorextraktes l J l0 für Mäuse 0,2,
für Meerschweinchen > 2,0.
Diskussion.
Hr. Gaspari fragt an, mit welcher Regelmässigkeit ein Angehen
derart übertragener Tumoren erfolgt, ob sich also diese Art der Ueber-
impfung mit einiger Sicherheit bei experimentellen Garciomstudien ver¬
wenden lässt.
Hr. Friedberger beantwortet die Anfrage des Herrn Caspari
dahin, dass es bei intravenöser Injektion offenbar viel länger dauert,
als bei der subcutanen Impfung, bis sich die Tumoren entwickeln.
Ueber die Häufigkeit der positiven Impfung können noch keine be¬
stimmten Zahlenangaben gemacht werden. Aber jedenfalls scheint der
Tumor seltener anzugehen als bei Hautimpfung. (Kleine Menge des
Impfmaterials!)
Hr. Friedberger:
2. Die Uebereapfindlichkeit bei neogeborenen Meerschweiichei.
Wenn man die Fälle von schwerer Serumkrankheit bei erstmaliger
Tabelle.
Tödliche Reinjektionsdosis bei Tieren verschiedenen Alters. Alle Meer¬
schweinchen vor 18 Tagen mit 0,01 Hammelserum subcutan vorbehandelt.
Gewicht
Reinjektions-
dosis
Resultat
275 . *
0,005
lebt
315 äS
0,01
lebt (krank)
Dosis let. f.
d. frr. Tiere
330 '§"
0,01
tot 4'
0.01 pro Tier
248 ||
0,02
tot 5'
= 0,03
„ kg
345 * *
0,02
tot 372'
275 W §,
0,02
tot 4'
Die jungen Tiere er-
tragen Multipl. der obigen
Dosis let.
pro Tier
pro kg
143
j
0,03
lebt
3
7
112-5
0,04
tot 4'
—
—
137 -2
0,04
tot 4'
—
—
127 |
0,04
lebt
4
10
114
0,05
lebt
5
15
0,05
lebt (krank)
5
10
128 -5 co
0,07
lebt (krank)
7
17
120
0,07
tot 4'
—
—
114 2
0,1
tot 3'
—
—
155 £
0,1
tot 4'
—
—
117
0,1
tot 8'
_
1) Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 15, H. 1.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
oder wiederholter Zufuhr von Diphtherieheilserum betrachtet, so fallt es
auf, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle um ältere Kinder oder um
Erwachsene handelt. Das gab uns Veranlassung, einmal die Ueber-
empfindlichkeit bei ganz jungen Meerschweinchen im Vergleich mit
älteren zu untersuchen. Die Versuche wurden in Gemeinschaft mit
Herrn cand. med. Simmel angestellt. Er wurden 3—5 Tage alte
Meerschweinchen zugleich mit älteren mit Hammelserum präpariert, und
dann wurde nach einer bestimmten Zeit bei beiden Gruppen die tödliche
Reinjektionsdosis ermittelt. Die Resultate zeigt die hier demonstrierte
Tabelle, aus der sich ergibt, dass die Meerschweinchensäuglinge
pro Tier bis zum 7fachen, auf das Körpergewicht berechnet
sogar bis zum 17 fachen der für ältere Tiere tödlichen Dosis
vertragen. Diese Versuche sind geeignet, uns entsprechend der von
mir vertretenen Auffassung der Infektion als eine mildere protrahierte Form
der Anaphylaxie Aufschluss zu geben, wieso die Säuglinge bei manchen
Krankheiten, wie ich das speziell bei der Cholera gesehen habe, besonders
häufig Bacillenzwisohenträger sind ohne irgendwelche Krankheits¬
symptome.
Tagesordnung.
1. Hr. Magnus: Ueber pflanzliebe Tumoren.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
2. Hr. Lindner: Ueber gärungsbakterialogische Methoden.
Einleitend gab Vortr. an der Hand von zahlreichen Mikro¬
photogrammen einen Ueberblick über die allgemeine Naturgeschichte
der Gärung und der Gärungsorganismen. Bei der ausserordentlichen
Mannigfaltigkeit der GärungslHissigkeiten verstehe es sich von selbst,
dass eine jede derselben besondere Arten begünstige, andere ausschliesse.
Die gehopfte Bierwürze z. B. sei für viele Bakterien kein günstiger
Nährboden infolge der antiseptischen Wirkung des Hopfens. Die
gärungsbakteriologischen Methoden dienten zum Teil dem Nachweis von
Infektionskeimen, dann aber zur Herstellung von Reinkulturen. Im
Gegensatz zur medizioischen Bakteriologie bediene man sich bei diesen
Methoden fast ausschliesslich flüssiger Nährmedien, die jedoch den
Mikroben nur in kleinsten Mengen geboten werden, wie bei der
Tröpfchen- und Adhäsionskultur, die Vortr. eingeführt, und die im
Gärungsgewebe eine allgemeine Verbreitung gefunden haben. Zum
Studium pathogener Mikroben ist die erstere auch schon von Dr. Dreuw
als sehr zweckmässig empfohlen worden. Das eigenartige dieser
Kulturen besteht darin, dass in den dünnen Flüssigkeitsschichten, die
auf ein trockenes Deckglas mit einer Zeichenfeder aufgetragen oder
gleichmässig auf der ganzen Fläche verteilt werden, die Nachkommen¬
schaft sich um die Mutterzelle sammelt und zu einer scheibenförmigen
Kolonie heranwächst, in der jede Zelle mikroskopisch betrachtet und
photographisch fixiert werden kann. Gerade die Mikrophotographie
kommt hier zur Geltung, und die erhaltenen Bilder sind durchaus natur¬
getreu, da keine Zellen verletzt und aus ihrem natürlichen Zusammen¬
hang herausgerissen erscheinen. Es kommen sehr charakteristische
Habitusbilder zum Vorschein, die diagnostisch sehr gut zu verwerten
sind. Wissenschaftlich besonders wertvoll sind beide Methoden deshalb,
weil sie es ermöglichen, die in den natürlichen Säften des tierischen
und pflanzlichen Körpers vorkommenden Mikroben in diesen Säften selbst
heranwachsen zu lassen. Will man z. B. die Vegetation des Zungen¬
speichels studieren, so genügt es, ein entfettetes Deckgläschen auf die,
vielleicht vorher etwas mit sterilisiertem Wasser angefeuchtete Zunge zu
drücken und dieses Deckgläschen auf einem hohlen Objektträger mittels
Vaseline aufzukitten.
Am folgenden Tage bereits werden wir Hunderte von einzelnen
Kolonien entwickelt sehen in ganz flachen Scheibchen mit spezifisch
verschiedener Anordnung der einzelnen Individuen. Eine besondere Be¬
deutung haben diese Methoden beim Unterricht erlangt, da sie den
Schüler auf eigene Füsse stellen und ihm zur fortlaufenden Beobachtung
der sich entwickelnden Vegetationen Gelegenheit geben. Was im Unter¬
richt bereits mit diesen Methoden erreicht ist, davon geben am besten
die Abbildungen in dem „Atlas der mikroskopischen Grundlagen der
Gärungskunde“, Verlag Paul Parey, Berlin, eine Vorstellung, da ein
grosser Teil derselben von Schülerpräparaten herstammt. Bei der
biologischen Analyse, z. B. von Wein oder Bier oder sonstigen gärenden
oder vergorenen Getränken, genügt es meist schon, das vorliegende
Material, so wie es ist, zu verarbeiten, ohne Zugabe von sterilen Flüssig¬
keiten, mit Ausnahme vielleicht von Wasser, um eine gute Verdünnung
zu haben. Bei aller Einfachheit der Methoden muss aber doch gesagt
werden, dass manche kleine Tricks dabei zur Geltung kommen, die (sich
nicht gut schildern lassen, die man eben am Laboratoriumstisch selbst
in Augenschein nehmen muss. Zum Schluss des Vortrages wurden
auch eine Anzahl Momentaufnahmen von verschiedenen beweglichen
Organismen wie Oscillaria, Beggiatoa, Infusionstierchen, Rädertierchen,
Mückenlarven, Schneckenembryonen und farbige Aufnahmen von Pilz¬
rosenkulturen vorgeführt und auf die Symbiose der Hefen in ver¬
schiedenen Tieren, wie Blatt- und Schildläuse, Corethralarven usw.,
hingewiesen. Die letztere Entdeckung ist von hervorragendem all¬
gemeinen Interesse und verspricht ganz neue Aufschlüsse über die Be¬
deutung der Hefen in der Natur und für den tierischen Organismus.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 10. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Schriftführer: Herr Hermes.
1. Hr. Maass: Kranken verstell Mg:
a) Kongenitale Vorderarnsynostose. (Kind.) Es handelt sich um
eine äusserst seltene kongenitale Erkrankung, die nicht nur den Ortho¬
päden interessiert, sondern auch den Chirurgen. Es sind von Mikulicz,
Helferich u. a. Fälle veröffentlicht, neuerdings von Joachimsthal.
Vorstellung eines Kindes von 11 Monaten. Aus der Vorgeschichte ist
zu sagen: das Kind stammt von gesunden Eltern ab. Die Geburt war
leicht. Nach Aussage der Hebamme war bei der Geburt der linke Arm
in der Ellenbeuge stark gebeugt, die linke Hand lag dem Gesicht an,
der linke Handteller war in abnormer Weise nach vorn gekehrt. Demon¬
stration: Der rechte Arm ist normal. Links besteht ausgesprochene
Pronationsstellung. Passive Supination ist fast unmöglich. Hand- und
Schultergelenk sind frei. Der linke Vorderarm ist um 1V 2 —2 cm kürzer
als der rechte. Bei der Palpation fühlt man eine Auftreibung am
oberen Teile des Vorderarmes; das Capitulum radii ist nicht durcbzu-
fühlen. Die kongenitale Synostose betrifft immer den proximalen Teil
des Vorderarmes. Bevor man durch Röntgenstrahlen die Aetiologie
kannte, bezeichnete man das Leiden als angeborene Supinations-
behinderung.
Demonstration der Röntgenbilder, die im achten Monat aufgenommen
wurden.
Das Röntgenbild macht es wahrscheinlich, dass die Knochenneu¬
bildung hauptsächlich von der Ulna ausgeht Es handelt sich um ab¬
norme mechanische Wachstumsstörungen der Ulna, die in ihrem Längen¬
wachstum behindert wird, jedoch in die Breite wächst. Als Ursache ist
intrauterine Belastungsdeformität anzusehen, nicht durch Reizzustand
verursachte Knochenwucherung. Therapeutisch ist zunächst die Durch-
meisselung der Knochenbrücke versucht worden, die aber keine guten
Resultate ergeben hat. Die Synostose hat sich mehrfach wiederhergestellt,
die Funktionsbehinderung wurde dieselbe wie zuvor. Vortr. will in
diesem Falle jedoch versuchen, durch Osteotomie ein besseres funktio¬
nelles Resultat zu erzielen.
Diskussion.
Hr. Joachimsthal: Demonstration und Bericht über zwei Fälle,
von denen bei dem zweiten ein familiäres Auftreten zu konstatieren ist.
Die Vererbung erfolgte vom Vater auf die Kinder. Sämtliche Defekte
betrafen nur Vorderarm und Hand. Also im Gegensatz zu Herrn Maass
ist hier eine endogene Ursache anzunehmen. J. rät von jeder Operation
ab. Bei dem yorgestellten Kinde ist die Brauchbarkeit des Armes eine
ziemlich gute; die fehlende Funktion des Vorderarmes wird durch andere
Bewegungen ausgeglichen.
Hr. Klapp hat in einem Falle das obere Radiusende reseziert,
orthopädisch nachbehandelt und so schliesslich ein leidlich gutes
funktionelles Resultat erreicht.
Hr. Maass (Schlusswort): Er will nicht für alle Fälle die endogene
Entstehung ausschliessen. Für seinen Fall scheint nur die intrauterine
Belastungsdeformität in Betracht zu kommen. Diese Erklärung stimmt
auch mit den Resultaten überein, die er durch Tierexperimente gewonnen.
Hr. Maass: b) Seltene Geschwulst im Kindesalter.
Fibromyxom bei einem 3*/2 jährigen Kinde. Der Tumor machte
klinisch einen malignen Eindruck, hat sich mikroskopisch als benigner
herausgestellt. Entstanden ist er im siebenten bis achten Lebensmonat.
Als das Kind ein Jahr war, wurde eine Probeexzision gemacht (linke
Halsseite). Ueber die damalige Diagnose ist nichts Genaues bekannt.
Nach der Exzision ist der Tumor in excessiver Weise gewuchert. Ende
November 1912 schien er inoperabel zu sein. Er sass mit breitem Stiel
an der linken Halsseite, nach aufwärts bis zum Ohr, abwärts bis auf die
Schulter reichend, so dass der Kopf des Kindes nach rechts geneigt war.
Der Tumor wurde an der Basis mit Paquelin abgetragen; das benigne
Aussehen des Stumpfes veranlasste Totalexstirpation, die überraschend
leicht gelang; nur mit der Haut waren Verwachsungen. Demonstration
eines mikroskopischen Präparates.
2. Hr. M. Cohn: Die Appendix im Rfintgenbilde.
Die systematische Darstellung des Wurmfortsatzes ist bisher ein
frommer Wunsch der Radiologen gewesen. Das änderte sich, als es,
häufiger als früher, gelang, bei schattengebenden Eingiessungen vom
Mastdarm aus den Wurmfortsatz mit dem Kontraststoff zu injizieren.
Was man bisher erreichte, war die Darstellung der Appendix in wenigen
seltenen Fällen, ein Zufallsbefund, und so nicht geschaffen, Anatomie
und Funktion genauer zu untersuchen.
Die neuere Untersuchung der Appendix ist gewissermaassen eine
Entdeckung: Dr. Grigorieff, Arzt in Charkow, der früher im Institut
des Vortragenden arbeitete, besitzt eine ausserordentlich röntgenempfind¬
liche Retina. Er nimmt alles wahr, was man sonst nur auf photo¬
graphischer Platte fixieren kann. So sah er in jahrelangem Bemühen
mit Aufopferung seiner Gesundheit, dass sich der Wurmfortsatz füllt und
entleert, dass er eine lebhafte Eigenbewegung hat und sehr vielseitig
seine Lage verändert. Er bediente sich eines Apparates, ähnlich einem
Spezialtrochoskop und legte grosses Gewicht auf das mechanische Moment,
die Massage des Coecums.
Vortr. ist den Mitteilungen Grigorieff’s gefolgt, hat aber von der
Massage des Coecums Abstand genommen. Die Untersuchung geht so
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Tor sich: Der Patient nimmt die schattengebende Speise am Morgen,
nach 4 Stunden (wo sich das Coecum zu füllen beginnt) wird mit der
Untersuchung begonnen; wiederholte Durchleuchtung, Blendenaufnahme
bei genauer Einstellung der Appendixregion in der Mitte des Blenden¬
feldes. Der Patient liegt auf dem Rücken, leicht nach rechts gedreht.
Die Resultate bei Operationen sind nicht maassgebend, da die Mani¬
pulationen die topographischen Verhältnisse stören. Es ergibt die
Röntgenuntersuchung, dass die Lage des Organs sich verändert mit der
horizontalen oder vertikalen Lage des Individuums. Der Wurmfortsatz
bevegt sich zusammen mit dem Coecum, er führt andererseits Be¬
wegungen um das Coecum, als Fixpunkt gedacht, aus. Die Bewegungs¬
möglichkeit in weiten Grenzen ist ein Novum. Man kann Schlüsse
ziehen, ob der Wurmfortsatz verwachsen ist oder mit dem Coecum selbst
durch Verwachsungen verbunden ist. Eine wichtige Frage ist, ob bei
negativem Ausfall geschlossen werden darf, dass der Wurmfortsatz
obliteriert ist. Grigorieff behauptet, dass die Füllung in allen Fällen
gelingt, wo ein Lumen frei ist.
Die Füllung der Appendix vollzieht sich meist erst nach 7 bis
8 Stunden, während das Coecum schon nach 4 Stunden bedeutende
Ingesta aufweist. Nicht selten kommt es vor, dass erst am Tage nach
der Untersuchung ein Schatten im Wurmfortsatz auftritt. Ebenso bei
der Entleerung. Wir können den Wurmfortsatz schon wieder leer finden,
wenn das Coecum noch gefüllt ist, und wir . können den Wurmfortsatz
noch tagelang gefüllt sehen, wenn die Wismutmahlzeit schon den Darm
verlassen hat. In einem Falle (chronische Appendicitis, coecale Schmerz¬
haftigkeit und Obstipation) blieb der Wurm 120 Stunden von einer
einzigen Wismutmablzeit aus gefüllt. Grigorieff sah ihn während
eines Verdauungsaktes verschiedentlich sich füllen und wieder entleeren.
Wir müssen an nehmen, dass die Ingesta, die in ihn gelangen, wieder
durch seine Eigenbewegung aus ihm herausbefördert werden. Für die
Anschauung, dass die Füllung der Appendix meohanisch, aber die Ent¬
leerung durch Eigenbewegung zustande kommt, spricht eine Beob¬
achtung bei einer Patientin mit einer Coecalfistel: bei dieser entleerte
sich nach Verabreichung einer Wismutmahlzeit der Kot aus dem künst¬
lichen After nicht konform mit der Coecumfüllung, sondern erst, nach¬
dem das Colon transversum etwa bis zur Hälfte gefüllt war. Dies ist
ein Hinweis, dass die Antiperistaltik des Colon von ausserordentlicher
Bedeutung für die Funktion des Wurmfortsatzes ist. Der Wurm wird
oft ohne Veränderungen bei der Operation gefunden; denn die voran¬
geschickte Darmentleerung entleert auch die Appendix. Völlige Heilung
der Beschwerden wird dann nicht erzielt, wenn sie nur Teilersoheinung
einer Colitis sind, was Herr Sonnenburg immer betonte.
Der Wurmfortsatz im Röntgenbilde zeigt uns ein überaus beweg¬
liches Organ. Die Bewegungen sind teils Veränderung seiner Lage
in toto, teils veränderte Konfiguration des Organs. So erscheint er ein¬
mal langgestreckt, ein andermal in Windungen gekrümmt, auch in Post¬
hornform. Aus der Formveränderung darf man aber nicht auf pathologische
Verhältnisse schliessen. Andererseits kann man aus einer konstanten
abnormen Form mit einer ziemlichen Sicherheit auf adhäsive Verände¬
rungen schliessen, die das Organ in einer bestimmten Lage festhalten.
Von den Bewegungen, die der Wurmfortsatz in sich macht, spielt
diejenige eine besondere Rolle, die der haustralen Segmentation des
Colon gleichkommt. Man sieht dann drei- bis vierfache Einschnürungen
des Organs, die manchmal so tief sein können, dass der Wurmfortsatz
auf dem Röntgenbilde ein Aussehen gewinnt wie die voneinander ge¬
trennten Glieder eines Bandwurms. Man muss längere Zeit beobachten;
es wäre ein Kunstfehler, wenn man aus einem Bilde eine Diagnose oder
gar eine Indikation stellen würde.
Vortr. unterbreitet sein Material mit der Bitte, die Resultate nach¬
zuprüfen und sich durch die Schwierigkeiten der Technik nicht ab-
schrecken zu lassen. (Demonstration einer grossen Zahl vorzüglicher
Röntgenbilder.)
Diskussion.
Hr. A. Frankel (als Gast): Er betont die volle Uebereinstimmung
seiner Resultate mit denen des Vorredners; namentlich legt auch er
sieh in der Beurteilung der Röntgenbilder, was Pathognomie und Indi¬
kation betrifft, volle Reserve auf. Das lange Verweilen der Ingesta im
Wurmfortsatz hat er in einem Falle beobaohtet, der klinisch als chro¬
nische Appendicitis diagnostiziert war. Der Fall wurde von Herrn
Hermes operiert, die Diagnose bestätigt, ln anderen Fällen (z. B. ein¬
mal 11 mal 24 Stunden) ist gleichfalls langes Verweilen sicher konsta¬
tiert, ohne dass klinisch eine Erkrankung nachweisbar war. Also aus
dem langen Verweilen kann kein sicherer Schluss auf Erkrankung ge¬
zogen werden. Eines aber scheint festzustehen, dass eine schnelle Ent¬
leerung für einen gesunden Wurmfortsatz spricht.
Hr. Cohn: Schlusswort.
3. Hr. B. Unger: Totale Migenresektion.
Er hatte in letzter Zeit Gelegenheit, eine totale Magenresektion mit
gutem Erfolge auszuführen. Es handelte sich um eine 42 jährige Frau,
die längere Zeit Magenbeschwerden hatte. Es war ein deutlicher Tumor
zu fühlen. Die chemische Untersuchung des Mageninhaltes ergab keinen
sicheren Anhalt für die Natur des Leidens. Bei der Operation zeigte
sich, dass der ganze Magen in einen wustförmigen Tumor umgewandelt
war, der knollig in das Lumen hineinragte. Es waren wenig Drüsen in
der Pylorusgegend zu fühlen; in der Umgebung keine Verwachsungen,
nach dem Zwerchfell hin leidliche Beweglichkeit. Der Magen wurde
vom Pylorus her reseziert, der Uebergang in den Magen liess sich leicht
mobilisieren. Der Magen wurde in toto reseziert. Dass nichts vom
Magen stehen geblieben, kann mit Sicherheit gesagt werden; der Ueber¬
gang von Magen in Oesophagus konnte aus der Verschiedenheit des
Epithels erkannt werden. Es war kaum möglioh, Duodenum an Oeso¬
phagus, wegen der Spannung, anzunäben. Es wurde aber dennoch ver¬
sucht; die Naht hat glücklicherweise gehalten. Nur trat nach 10 Tagen
eine Bauchdeokenfistel auf, die sich nach einigen Tagen wieder schloss.
Jetzt, d. h. nach 7 Monaten, ist Patientin fast beschwerdefrei, sie
kann alle Speisen essen. Bei der Durchleuchtung sieht man, wie
der Speisebrei in senkrechter Richtung nach unten fällt und sich
schnell im Dünndarm verbreitet. Pepsin und Lab sind im Urin nicht
nachzuweisen, auch nicht in kleinsten Mengen, ein Beweis, dass keine
Spur sezemierender Magenschleimhaut mehr vorhanden sein kann.
In der Literatur sind 26 Fälle von totaler Magenresektion mit 13 Todes¬
fällen verzeichnet, die wenigsten aber sind totale zu nennen, meist bleibt
doch ein Stüok Magenschleimhaut zurück. Ein einziger Fall von
Moynihan scheint einwandsfrei zu sein, der nach 3v 2 Jahren an
chronischer Anämie zugrunde ging. Bei der Operation wurden beide
Vagi durchschnitten. Das scheint unumgänglich zu sein, trotz gegen¬
teiliger Berichte anderer Autoren. Als Folge davon machte sich in der
ersten Zeit Meteorismus des Darmes geltend, der aber bald verschwand,
ganz analog den Beobachtungen bei Tierexperimenten. Bei diesen ist
Unger transpleural vorgegangen, andere (Moynihan) transperitoneal.
Er hat neuerdings auch transperitoneal operiert, was er, bei Anwendung
des Druckdifferenzverfahrens, empfehlen kann.
Diskussion. Hr. Zeller: Er hatvor kurzem im Moabiter Kranken¬
hause eine Magenresektion vorgenommen, die aber keine totale war. Im
Röntgenbild zeigte sich ein grosser Defekt, der auf einen grossen Tumor
schliessen liess. Bei der Operation fand sich ein grosser Tumor des
Corpus, es wurde ein Stück des cardialen Teiles erhalten, der Pylorus
und ein Stück des Querkolon, auf dass der Tumor übergegangen, gleich¬
falls reseziert. Der Magenstumpf wurde mit Duodenum vereinigt. Der
Tod trat nach ganz kurzer Zeit ein. Bei der Sektion fand sich, dass
am Fundus eine kleine Nahtstelle perforiert war. Vortr. hat den Stand¬
punkt, dass trotz grosser Tumoren immer die Resektion zu versuchen
sei, da die Magencarcinome wenig zu Metastasen neigen und es Tat¬
sache ist, dass auch die schwer zu exstirpierenden oft recidivfrei bleiben.
Er wandte den Scbrägschnitt längs des linken Rippenbogens ah, liess
eine Rolle unterlegen, so dass der Körper in Dorsalflexion lag, und
hatte so eine genügende Uebersicht. Bei zu grosser Spannung soll
man aber doch nicht Magenstumpf oder Oesophagus mit Duodenum,
sondern mit einer freieren Schlinge vereinigen. Herr Unger könne von
Glück sagen, dass in seinem Falle die Naht gehalten hat.
4. Hr. E. Joseph: Zar Technik der Gastroenterostomie.
Demonstration eines Instrumentes, das er schon früher angegeben,
das aus zwei halbrunden Branchen, mit Charnier gegeneinander beweg¬
lich, besteht. An der einen sitzt ein Messer auf, das iu einer Führung
hin und her bewegt werden kann. Nach der ersten Serosanaht wird
das Instrument durch zwei seitliche Oeffnungen beiderseits parallel der
Nahtlinie unter die Schleimhaut geführt, das Instrument durch eine
zweite Serosanaht eingestülpt und nun in der Tiefe die Anastoraose
durch das hin und herbewegte Messer hergestellt. Vortr. rühmt die
Vorzüge seiner Methode. Holler.
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik
zu Berlin.
Sitzung vom 29. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Gottstein.
Schriftführer: Herr Lennhoff.
Tagesordnung.
1. Diskussion über den Vortrag des Herrn Theilhaber: Neue sta¬
tistische Berechnungsmethoden der Fortpflanzung.
Hr. Grotjahn: Wie wichtig das Problem, eine Norm für die Fort¬
pflanzung aufzustellen, ist, erhellt aus der Unterscheidung der beiden
Typen der Volksvermehrung, der primitiven und der rationellen. Der
primitive besteht darin, dass man so viel Kinder zur Welt kommen
lässt, als die natürliche Fruchtbarkeit zulässt; er ist nur erträglich unter
rein agrarischen Verhältnissen und bei allgemeinem Stillen der Säug¬
linge, das die Kinderzahl in gewisser Weise beschränkt. Demgegenüber
steht der rationelle Typus vermittels der Geburtenprävention. Hierfür
die richtigen Regeln aufzustellen, sind statistische Unterlagen, wie sie
Theilhaber vorgeschlagen, unerlässlich, denn das Zweikindersystem
reduziert nach den Berechnungen des schwedischen Statistikers Fahl-
beok die Bevölkerung nach ungefähr 77 Jahren auf die Hälfte. Ebenso¬
wenig als Regel brauchbar ist das von Hamburger aufgestellte Drei-
oonceptionssystem. Grotjahn hat als Regel in seiner „sozialen Patho¬
logie“ folgenden Satz aufgestellt: Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine
Mindestzahl von drei Kindern über das fünfte Lebensjahr hinauszubringen,
und jedes Ehepaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeiohnet, hat
das Recht, die Mindestzahl drei um das Doppelte zu überschreiten und
für jedes überzählige Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu
nehmen, die von allen Ledigen oder Ehepaaren, die hinter der Mindest¬
zahl Zurückbleiben, beizusteuern ist Auf Grund der Thei 1 habet*’sehen
Berechnungsmethoden hat er seine Regel geprüft und für geeignet be-
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UNIVERSITÄT OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
funden, dem Volke einen erheblichen Bevölkerungszuwachs zu gewähr¬
leisten.
Hr. Guradze: Die Mortalitätsstatistik ist nicht absolut unabhängig
von der Geburtlichkeit und wird auch von den Wanderungen stark be¬
einflusst. Bei der von Theilhaber angegebenen zweiten Methode, die
Fortpflanzung nach der Geburtenfolge zu berechnen, hält er die Art
der Berechnung für nicht ganz einwandsfrei.
Hr. Gottstein hält die Theilhaber’sche Formel für falsch und
praktisch unbrauchbar.
Hr. Crzellitzer hält im Gegensatz zu Gottstein den Vorschlag
von Theilhaber für prinzipiell nützlich und macht auf einige rechne¬
rische Fehler aufmerksam, die zweite Methode der Berechnung sei da¬
gegen verfehlt.
Hr. Blaschko macht darauf aufmerksam, dass infolge der sinkenden
Säuglingssterblichkeit trotz der Abnahme der Geburten der Bevölkerungs¬
zuwachs im Jahre 1910 um 200 000 grösser ist als im Jahre 1875, und
dass im Jahre 1910 142 036 Todesfälle von Kindern im ersten Lebens¬
jahre erspart geblieben sind. Vielleicht zielt die Tendenz der Bevölke¬
rungspolitik dahin, dass ein Teil der Bevölkerung, die ländliche, die
Geburtenvermehrung übernimmt, während anderen Teilen andere Auf¬
gaben zufallen. Die Theilhaber’schen Zahlen ergeben nicht die Fest¬
stellung der Fruchtbarkeit, sondern eines Ergänzungswertes, d. h. der
Ziffer, die ausreicht, die Bevölkerung konstant zu erhalten.
Hr. Tugendreich: Geburtenziffer und Säuglingssterblichkeit gehen
nicht immer parallel. Der Rückgang der Sterblichkeit findet einmal
eine Grenze, während der Rückgang der Geburtenziffer theoretisch auf
0 gehen kann.
Hr. Theilhaber (Schlusswort).
2. Hr. Mamlock:
Aztliches aus dem Versicherungsgesetz für Privataugestellte.
Vortr. beschränkt sich nur auf einige wichtige Fragen, die sich auf
die ärztliche Tätigkeit beziehen. Eine der Hauptaufgaben für die Aerzte ist
die Entscheidung über die Berufsunfähigkeit, die im Anfang sehr schwierig
sein wird, da das Gesetz die verschiedensten Berufe umfasst, soweit sie
ein Einkommen bis zu 5000 M. haben. Im Gegensatz zur RVO., wo
Invalidität als Folge von Krankheit oder anderen Gebrechen anzunehmen
ist, tritt Berufsunfähigkeit des neuen AVG. nicht nur ein im Gefolge
körperlicher Gebrechen, sondern auch wegen Schwäche der körperlichen
und geistigen Kräfte. Dieser Zustand kann eine Alterserscbeinung sein
und ist auch dann als Grund der Berufsunfähigkeit zu berücksichtigen,
wenn eine Krankheit als solche nicht objektiv feststellbar ist. Als
dauernd gilt die Berufsunfähigkeit, wenn ihre Beseitigung in absehbarer
Zeit nach menschlicher Voraussicht unmöglich ist. Für den Eintritt der
Berufsunfähigkeit ist maassgebend der Zeitpunkt, von dem an die Pro¬
gnose der Unheilbarkeit objektiv begründet war, nicht deijenige, in dem
sie zuerst gestellt war.
Die Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Arbeitsunfähigkeit
auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig ge¬
sunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kennt¬
nissen und Fähigkeiten herabgesetzt ist, während der Arbeiter nach der
RVO. als invalide angesehen wird, der ausserstande ist, ensprechend
seinen Kräften und Fähigkeiten unter billiger Berücksichtigung seiner
Ausbildung und seines bisherigen Berufes ein Drittel dessen zu erwerben,
was geistig und körperlich Gesunde derselben Art mit ähnlicher Aus¬
bildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Der
Arbeiter ist dann invalide, wenn er zur Ausübung irgendeiner Tätigkeit,
die ihm billigerweise zugemutet werden kann, nicht fähig ist, während
der Angestellte Anspruch auf Rente hat, wenn er für seinen Beruf un¬
fähig ist oder für einen derjenigen Berufe, für die das AVG. bestimmt
ist. Dadurch ist die Frage viel komplizierter als in der RVO. Hinzu
kommt, dass Berufsunfähigkeit nicht begründet ist bei Krankheiten, die
zwar die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen, dagegen die Möglichkeit
zur Erlangung von Arbeitsgelegenheit beschränken, z. B. zahlreiche
Dermatosen, Ozaena, entstellende Affektionen.
Zur Verhütung der Berufsunfähigkeit kann ein Heilverfahren ein¬
geleitet werden, doch besteht kein Anspruch darauf. Für gewisse Fälle
ist die Zustimmung des Kranken erforderlich, doch darf sie nur ver¬
weigert werden, wenn die Heilbehandlung mit einem operativen, das
Leben oder die Unversehrtheit des Körpers beeinträchtigenden Eingriff
verbunden ist oder eine durch das Heilverfahren bedingte Aussetzung
der Berufstätigkeit für den Erkrankten unwiederbringliche Nachteile im
Gefolge haben würde, oder wenn dem Erkrankten bei dem Heilverfahren
eine seiner sozialen Stellung nicht entsprechende Lebensweise zugemutet
wird, oder wenn es ihm mehr Beschränkungen und Unbequemlichkeiten
auferlegt, als der erstrebte Heilzweck solche unbedingt erfordert.
Hierdurch wird die Tätigkeit des Arztes noch mehr erschwert, be¬
sonders wenn die Angestellten zugleich dem AVG. und der RVO. unter¬
stehen. Zu wünschen ist, dass für die Gutachtertätigkeit keine Mono¬
polisierung geschaffen wird und der Kreis der zur Begutachtung zu be¬
stellenden Aerzte nicht zu eng gezogen wird.
(Die Diskussion wird vertagt.) J. Lilienthal.
Berliner^ophthalmologlsche Gesellschaft.
Sitzung vom 21. November 1912.
1. Hr. Fehr: Zar operatives Behandlung der Netzhautablösung.
F. kombiniert Skieralpunktion und Druckverband. Bei der Punktion
fliesst nur so viel subretinale Flüssigkeit ab, wie unter dem Druck der
Bulbushüllen steht, der Rest wird durch einen exakt angelegten und
während dreier Tage erneuerten Druckverband ausgesperrt; am vierten
und fünften Tage folgen leichte Verbände, dann bleibt das Auge frei.
Bei 47 so behandelten Fällen sah er 30 pGt Dauererfolge (Beobacbtungs-
zeit 1 Vs Monate bis 4 Jahre), 86 pCt. Besserungen, 33 pCt. blieben
unverändert.
Diskussion.
Hr. F. Schoeler sah von Birch-Hirschfeld’s Verfahren Erfolg in
zwei Fällen.
Hr. Halben empfiehlt wiederholte Punktionen, weil die Netzhaut
die Punktionswunde verlegen könnte.
Hr. Hirschberg hält dieses Bedenken Halben’s für unbegründet.
2. Hr. Liepaann berichtet über zwei Fälle von Rindeihliidheit und
demonstriert Gehirnschnitte von denselben, aus denen hervorgeht, dass
bei beiden die centrale Sehstrablung völlig zerstört war. Beide Patienten
zu Lebzeiten stockbl\nd, bei beiden war der Pupillenreflex auf Belichtung
erhalten.
Hr. Levinsohn teilt mit, dass in einem Falle der Blinzelreflex auf
Belichtung mit relativ schwacher Lichtquelle geschwunden, in dem
anderen Falle erhalten war. Und zwar handelte es sich nicht um die
geringe Bewegung des Unterlides, die L. früher beobachtet und als sub-
corticalen Blinzelreflex beschrieben hat, sondern um einen typischen
Lidschlussreflex bei Belichtung. Der Fall beweist somit, dass auch der
typische Blinzelreflex bei Belichtung nicht immer an den Cortex oerebri
gebunden zu sein braucht, also für das Vorhandensein von Sehen nicht
geltend gemacht werden kann.
In der Diskussion widerlegen die beiden Vortragenden, Liep-
mann durch Beziehung auf Versuche von Eckhard, Levinsohn in¬
dem er auf eigene Experimentaluntersuchungen hinweist, die Vermutung,
dass in dem demonstrierten Falle der Blinzelreflex durch Vermittelung
des Trigeminus zustande gekommen wäre. Kurt Steindorff.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr A. Neisser.
Schriftführer: Herr Rosenfeld.
Vor der Tagesordnung demonstriert Hr. Heiarieh flarttung einen
Fall von Sputangaugrän des Zeigefingers.
(Ist in Nr. 4 dieser Wochenschrift bereits abgedruokt.)
Tagesordnung.
Hr. Peafiek:
Ueber Merkas Brightii von Erwachsenen and Kindern, dessen Ent¬
stehung und Ausgänge. (Mit Demonstration.)
Sitzung vom 10. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Rosenfeld.
Schriftführer: Herr Partsch.
Hr. J. Pohl: 1. Demonstration ftber die Wirkung der Balsamiea.
(Vgl. Therapeutische Monatshefte, 1912, H. 12.)
2 . Ueher Kombination des Methylalkohols mit anderen Alkoholen.
Die letzten Massenvergiftungen mit Methylalkohol haben aufe neue
die Aufmerksamkeit auf diesen durch Eigenart, Dauer und Schwere seiner
Wirkung besonders verhängnisvollen Stoff gelenkt Da die Berliner
Asylisten meist notorische Gewohnheitstrinker, Schnapsbrüder gewesen,
so wäre an dem so rasch zum Tode führenden Verlauf vielleicht die
Kombination mit anderen Alkoholen schuld. Herr cand. med. Asser
hat deshalb eine Reihe von quantitativen Versuchen über die variierende
Oxydation des Methylalkohols nach gewissen Zusätzen ausgeführt, ins¬
besondere mit Bestimmung der Formiatausscheidung im Harn. Ueber-
raschenderweise ergab es sich, dass Aethylalkohol, Amylalkohol, Aceton
die Formintausscheidung im Harn herabdrücke, die Alkoholoxydation
also steigert. Gegenüber der beliebten Verallgemeinerung, dass Alkohol
die Oxydationen hemme nach Analogie mit der durch ihn bedingten
Störung der Benzoloxydation zu Phenol, ein nicht uninteressanter Be¬
fund! Die analytischen Belege sowie die Erfahrungen mit an Alkohol
gewöhnten Tieren werden in der Dissertation des Genannten veröffent¬
licht werden.
Hr. Hetze: Sehädelhusisfraktur ui Gehirnnervenverletzug.
Vortragender bespricht den Mechanismus der Schädelbasisbrüche
und schildert an der Hand von Zeichnungen eine Reihe von Experi¬
menten, die er bezüglich dieser Frage vorgenommen hat. Die Wirkung
einer auf den Schädel gerichteten Gewalt wird leicht verständlich, wenn
man sich dieselbe nach dem Gesetz von dem Parallelogramm der Kräfte
in ihre Komponenten aufgelöst denkt. Die Richtung, in welcher die
Gewalt wirkt, bildet dann die Achse eines Kraftkegels, dessen Kraft¬
linien nach allen Seiten ausstrahlen. Besonders wertvoll wird diese
Vorstellung zur Erklärung der am Gegenpol beobachteten Erscheinungen,
d. h. also zur Erklärung und Demonstrationen „der Frakturen duroh
Contrecoup“. Vortragender hat zu diesem Zwecke folgendes Experi-
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
329
ment angestellt: Um die Wirkung der „Kraftlinien“ sichtbar zu machen,
wurde ein mit gefärbter Gelatine bis zu dem offenen Hals (bei ge¬
schlossenem explodiert er) gefüllter Kolben beschossen. Tesching 6 mm
82 Schritt. Der Schuss traf den Kolben fast genau in der Mitte, die
Kugel prallte ab und perforierte das Glas nicht, vielmehr fand sich an
der Aufschlagstelle eine zierliche Sternfraktur mit mehlartig zerstäubtem
Centrum, durch welches nur eine feine Präpariernadel in die Gelatine
eindringen konnte. Genau in geradliniger Verlängerung durchsetzte ein
Sprung die Gelatine bis zur gegenüberliegenden Glaswand. An dieser
fand sich nun, nur etwas vergröbert, ein fast genaues Spiegelbild der
gegenüberliegenden Fraktur, aber hier fand sich im Centrum ein etwas
grosseres Loch, die Glassplitter waren leicht nach aussen gebogen.
Ausserdem fanden sich einige grobe Sprünge in der Glaswand, nament¬
lich an der Rückwand, und einige Risse in der Gelatine abseits von dem
medialen Kraftstrahl. Der Stoss, den eine unipolare Kraft auf den
Schädel ausübt, ist also nicht am Angriffspunkt erschöpft, sondern setzt
sich noch weiter durch den Schädel fort, eventuell bis zur Gegenwand.
Ob eine Leistung durch diese Kraft erzielt wird, bängt von ihrer Stärke
ab. Es werden dadurch besonders die Hirnverletzungen am Gegenpol
verständlich: Das Gehirn prallt an den starreren Schädel an. (Demon¬
stration von Abbildungen des Experiments in natürlicher Grösse.) Uebri-
gens ist ja jede Kugel, die in den Schädel eindringt, eine deutliche
Marke für die Richtung und Wirkung der „Kraftstrahlen“. Redner ver¬
weist auf die experimentellen Arbeiten von Ti 1 mann.
Im zweiten Teil seines Vortrages gibt Redner einen Ueberblick über
Art der Entstehung, pathologische Anatomie und Symptomatologie der
Gehirnnervenverletzungen bei Schädelbasisbrüchen. Letztere wird an der
Hand von Abbildungen namentlich für den Opticus und Facialis er¬
läutert. Unter 130 Schädelbasisbrüchen des Allerheiligenhospitals fanden
sich in 40 Fällen Verletzungen eines oder mehrerer Gehirnnerven. Auch
hier waren Opticus und Facialis am häufigsten betroffen.
Diskussion.
Hr. Ubthoff geht vom ophthalmologischen Standpunkte auf die
Schädigungen des Opticus und Augenbewegungsnerven bei den Schädel¬
frakturen näher ein und verweist besonders auf eine jüngst erschienene
Bearbeitung des Themas durch seinen Assistenten Herrn Dr. Boehm
(Inaug.-Dissertation), in der ein grösseres Material von Schädelfrakturen
aus der Breslauer chirurgischen Universitätsklinik und aus der Universitäts-
Augenklinik sorgfältig verarbeitet worden ist. Er verweist ferner auf
seine früheren Mitteilungen über Sehnervenscheidenhämatom und tempo¬
rale Hemianopsie bei Schädelfrakturen, die zum Teil schon weit zurück¬
liegen. Auch auf die Lähmung der Augenbewegungsnerven bei Schädel¬
brüchen geht Redner noch etwas näher ein und speziell auf die
Abducenslähmung als die häufigste der hierbei vorkommenden Augen-
muskelläbmungen.
Verein der Aerzte Wiesbadens.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr G. Meyer.
1. Hr. Herxkeimer: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
Vortr. demonstriert 5 Carcinome des Verdauungstractus:
a) Careinom des Oesophagus in der Höhe der Trachealbifurkation mit
stenosebewirkender Metastase, dicht oberhalb der Gardia; so be¬
wirkte die Metastase den Tod, während der Primärtumor noch klein war.
Dass es sich um eine echte Metastase, nicht etwa um sogenannte Impf¬
metastase handelte, liess sich deutlich verfolgen. Vortr. weist hierbei
auf die Untersuchungen, vor allem Borrmann’s, hin.
b) Oesophagoalcarcinom und uoabhäogig hiervon Careinom der
8ehilddrnse, also zwei benachbarte Primärcarcinome. Dos Tbyreoidal-
earcinom war vor einigen Monaten exstirpiert worden und erwies sich
bei mikroskopischer Untersuchung als Adenocarcinom. Das nunmehr im
Oesophagus und Sinus pyriformis auftretende Careinom wurde klinisch
für ein Recidiv des Schilddrüsencarcinoms gehalten, erwies sich aber bei
der Sektion als zweiter Primärtumor, mikroskopisch als Cancroid mit
enormer Verhornung. Von Interesse ist, dass das Oesophaguscarcinom
nach Exstirpation des anderen Tumors sich erst entfaltet zu haben und
rapide gewachsen zu sein scheint
c) Es werden drei Fälle demonstriert, in welchen relativ kleine
Careiiome des Magefls, an der kleinen Curvatur gelegen, zum Teil
offenbar auf Grund peptiseber Geschwüre zu enormen Leber-
metastasen führten. Gerade die Magen carcinome mit diesem Sitz
scheinen in der Regel keinerlei Symptome zu machen und wurden auch
in den vorliegenden Fällen niemals klinisch diagnostiziert, andererseits
aber sehr schnell zu besonders ausgedehnten Metastasen in der Leber
zu führen.
2. Hr. Vagt: Ueber isoliert« seelische Defekte.
Vortr. berichtet über einen 11jährigen Jungen, der körperlich und
geistig wohl entwickelt ist and eine mehr als durchschnittliche Intelligenz
för sein Alter besitzt, der aber nicht imstande ist, Lesen und Schreiben
ordentlich za lernen. Während der Junge kaum richtig abschreibeu
kann, nach Diktat nur mangelhaft schreibt, ist er aber imstande, gut
zd zeichnen; namentlich die abstrakte Wiedergabe gewonnener Ein¬
drücke, das koitotruktive Zeichnen steht im Vordergrund, wie überhaupt
ein ausserordentlioh grosses Interesse für Konstruktionen und Maschinen
vorhanden ist. Dabei besteht natürlich keine Seelenblindbeit, so dass
etwa unter Anwendung der Bitdchenschrift oder anderer komplexer Ein¬
drücke auch beim Lesen and Schreiben eine Störung wohl nicht zu er¬
kennen wäre. Was gestört ist, ist hauptsächlich der literale Teil der
Sprache, die Zusammenfügung und Zerlegung des Wortes aus Buchstaben.
Der Junge lernt leicht, wenn ihm vorgelesen wird, durch eigenes Lesen
ist es ihm sehr schwer. Eine Lokalisation dieser Störung erscheint kaum
möglich.
3. Hr. Ohlemana:
Ueber Aogeiverletzongeii durch sogenannte water core und Zodiak
Golfbälle.
Im Oktoberheft 1912 des Ophthalmie record in Chicago berichtet
Casey Wood über schwere Augenverletzungen durch sogenannte water
core Golfbälle, Bälle, deren Kern nicht wie bei den bisher benutzten und
auch in Deutschland gebrauchten aus reinem Gummi besteht, sondern,
angeblich wegen grösserer Elastizität, flüssig ist. Dieser flüssige Kern ist
aber nicht Wasser, wie der Name sagt, sondern eine Flüssigkeit mit
stark ätzenden Eigenschaften und von hohem spezifischem Gewicht.
Sie ist in einem kleinen hohlen Gummiball, der mit Gummibändern
fest umwickelt wird, enthalten. Darüber kommt ein weisser Ueberzug.
Diese Bälle werden maschinell und fabrikmässig hergestellt. Wird ein
solcher Ball, berichtet Casey Wood, angeschnitten oder sonst irgendwie
geöffnet, dann spritzt der Inhalt explosionsartig heraus und verletzt
Gesioht und Augen iu erheblicher Weise. Starke Chemosis der Binde¬
häute, Hornhautentzündung und -trübungen, Iritis, Iridocyclitis, selbt
mit HypopyoD, sind die Folgen, die viele Wochen dauern. Eine andere
Ursache des explosiven Vorgangs ist nicht genannt. Einige Wochen
später berichteten ähnliche Vorkommnisse die Mitteilungen vom College
of physicians in Philadelphia, nur dass es sich hier um sogenannte
Zodiak Golfbälle handelte. Sie unterscheiden sich von den vorigen da¬
durch, dass der Kern nicht aus einer Flüssigkeit besteht, sondern aus
einer kittartigen grauen Paste von stark alkalischer Reaktion. Auch
hier konnte über die Ursache des explosiven Vorgangs nichts weiter
mitgeteilt werden.
Es besteht nun aber die Möglichkeit, dass künftig derartige Golfbälle
unter wiederum anderen Namen in den Handel kommen, ähnlich wie
dies auch bei den Metbylalkobolintoxikationen der Fall war, der anfangs
als Wood-Alkohol, dann als Spirits of Columbia, später als Essence of
peppermint, Essence of Jamaica u. a. m. bezeichnet wurde, wie ich schon
1903 mitteilte.
Sicherstes Schutzmittel würde sein, wenn beim Import ein halbierter
Ball der Sendung beigefügt würde, ähnlich wie man dies beim Handel
mit Apfelsinen sieht. G. Herxheimer.
Aerztlicher Verein zn Essen-Ruhr.
(Wissenschaftliche Abteilung.)
Sitzung vom 3. Dezember 1912.
Vorsitzender: Herr Schüler.
1. Hr. Gminder: Bericht über zwei weitere Nierendekapsnlationen
wegen Eklampsie post partum. Bei beiden Frauen gingen die Anfälle
weiter; beide Frauen kamen ad eiitum.
5 Dekapsulationeu, 5 Todesfälle. Bei einem vor kurzem beob¬
achteten Eklampsiefalle (Sectio caesarea Ende des 8. Monats) Dekapsu-
lation unterlassen. Exitus.
2. Besprechung der Operation eines grossen Banehbraches im An¬
schluss an Kaiserschnitt (längs) nach Menge-Grauer. Resultat nicht
ganz gut. Es blieb ein Loch in der Fascie übrig, in das sich der Uterus
(nach Tubenunterbindung, die rechte fehlend!) wie eioe Pelotte einnähen
liess. Glatte Heilung. Ende der 4. Woche Abortus mensis I, der wegen
starker Blutung ausgeräurat werden musste. (Frau batte 3 Tage vor
der Krankenbausaufnahme noch die Menses gehabt!) An der Stelle der
Uteruseinnähung ist nun wieder ein markstückgrosses Locb, das wohl
auf den Abort zurückzu führen ist.
8. Demonstration einer 40jäbrigen Frau; vor 2 Monaten Kaiser¬
schnitt wegen engen Beckens (7 ccm vera!). Verlauf glatt. Fall
dadurch interessant, dass er vor 2 Jahren von anderer Seite hebotomiert
und das Kind dann nach 7 Stunden noch perforiert worden war. Aus
den demonstrierten Röntgenbildern ergibt sieb, dass damals nur der
variceutrale Schambeinast durch trennt war; der Schnitt war zu weit
nach aussen gelegt worden.
Präparate.
1. Gut faustgrosser Adaextnmor (Hämatosalpiux, Stieldrehung).
Diagnose war auf Extrauterine gestellt. Querschnitt. Glatte Heilung.
2. Zwei Cervixearciaoue, erweiterte Operation nach Wertheim.
Glatte Heilung.
Bei dem einen Fall nach 7 Wochen Fadeneinwanderung in Blase
(Seide!). Cystoskopie: kirschgrosser Stein. Wurde spontan mitsamt
dem Faden ausgestossen.
3. Ein manuskopfgrosser solider Ovarialtamor (Fibrom), stammt
von 70jähriger Frau. Ein bestehender Ascites war durch Stiefdrehung
hervorgerufen. Glatte HeiluDg.
r 4 i Kiudskopfgrosses glanduläres Ovarialkystom, stammt von
69jähriger Frau. (Vor 20 Jahyen Totalexstirpation des Uterus wegen
Myoms!) Glatte Rekonvaleszenz.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
5. Vier kindskopfgrosse Uteri uyomatosi. Radikaloperationen.
Glatte Heilungen.
6. Faustgrosser Uterus mit multiplen kleinen Myömcben durch¬
setzt. Auslösung schwer wegen der Verwachsungen. War vor 5 Jahren
von mir operiert wegen Perforationsperityphlitis. Links auf Beckenboden,
direkt über Ureter, ein gut bohnengrosses, hartes Gebilde mitgenommen
(erweist sich als Knocbendermoid). Glatte Heilung.
7. Grosses, stielgedreht gewesenes Ovarialkystom (wegen Perityphlitis,
Peritonitis eiugeliefert). Es fand sich auch ein steif entzündeter Wurm,
in dessen Spitze ein grösserer Emaillesplitter (Demonstration). Glatt
geheilt.
8. Verschiedene, bei jungen Frauen doppelseitig vorhanden gewesene
Ovarialkystome. Es wurde eine kleine Platte Ovarialgewebes zurück-
gelassen (Resektion nach Menge). Drei Operationen liegen 10 Wochen
zurück. Hatten keine Menses wieder.
9. Zwei roptnrierte Tnbensäcke (Gravidität 9. Woche). Quer¬
schnitte mit glatter Heilung. (Autoreferat.)
Diskussion.
Hr. Linde mann berichtet über Steinbildung an Seidenfäden in
der Blase nach Carcinomoperation und empfiehlt daher für solche Fälle
die Naht mit Catgut.
Sodann fragt er an, ob es eine Hämatosalpini ohne Gravidität gebe,
was von Herrn Gmindcr bejaht wird, da er nach Stauung, Drehung
und Verwachsungen entstehen könne. Diese Frage ist wichtig für eine
eventuelle Unfallsentschädigung. Schüler.
Aerztlicher Verein za Hamborg.
Sitzung vom 14. Januar 1913.
Demonstrationen.
1. Hr. Werner stellt einen jungen Mann mit Verrnga peraviana
vor. Derselbe war Frühjahr 1912 durch das Ohajathal (Peru) gewandert
und an typhusähnlichem Fieber erkrankt, lag 80 Tage in Lima krank,
wurde damals ohne Erfolg mit Chinin behandelt. Gebessert entlassen
trat später sechswöchiges Fieber auf, mit grosser Prostration, gleich¬
zeitig ein Hautausschlag, dessen Reste jetzt noch zu sehen sind. Pat.
wurde vor 4 Wochen in das tropenhygienische Institut aufgenommen
und bot (neben einer auf Chinin prompt zurückgehenden Tertiana) die
typischen Hautveränderungen der Verruga peruviana (Demonstration der
Moulage), warzige Effloreszenzen von Stecknadelkopf- bis Walnussgrösse,
häufig gestielt, mit starker Neigung zu Blutungen, an den Streckseiten
des Unterarms und der Unterschenkel lokalisiert. Kurze Besprechung
der Aetiologie und des klinischen Bildes. Uebertragungsversuche auf
Tiere gelangen hier nicht.
2. Hr. Kropeit: 43 jährige Frau, welcher er einen apfelgrossen
Blasentamor (breit aufsitzendes Papillom) mittels kalter Schlinge partien¬
weise endovesikal entfernt hat.
3. Hr. Albanns zeigt mehrere Kranke mit Hetero- and Aotoplastik
(Paraffininjektion, Hautperiostlappen, künstliche Nasen aus Hartgummi
und Celluloid).
4. Hr. Plate: 63 jähriger Mann, vor 2 1 j 2 Jahren mit Kreuzschmerzen
und linksseitiger Ischias erkrankt, bot damals geringe Reflexanomalien,
Wassermann negativ. Vor 2 Jahren ist spontan eine Fistel am Sternum
entstanden. Eude 1912 in St. Georg aufgenommen: Senil, indolente
Bubonen, Fistel am Sternum (im Eiter keine Tuberkelbacillen, keine Akti-
nomycose), Wirbelsäule steif, nicht klopfempfindlich, Reflexstörungen,
Wassermann wiederum negativ. Im Röntgenbilde der Lendenwirbelsäule
zwei Wirbelkörper zusammengefallen. Später Fieber, Schüttelfröste, An¬
schwellung der Leber. Auf Hg schon am zweiten Tage Fieberabfall und
völlige, dauernde Genesung! Das ganze Krankheitsbild muss doch wohl
(obwohl Infektion strikte negiert und Wassermann zweimal negativ aus¬
fiel) als auf luischer Basis entstanden angesehen werden.
5. Hr. Rittershaus : Puella publica in mittlerem Alter, die seit
3 Jahren, angeblich nach einem Kopftrauma, eine Hemiparese hat, ohne
dass sie hierdurch im Erwerb beschränkt wurde.
6. Hr. Deseniss demonstriert ein Uterascarcinom, welches nur
warzengross lediglich auf die Muttermundlippe beschränkt war. Es
wurde sehr frühzeitig operiert (Wertheim’sche Operation), trotzdem fand
sich schon ein grosses Drüsenpaket an der Hypogastrica, das sich histo¬
logisch als Carcinom erwies.
Hr. Rieck:
Zar Therapie übermässig starker menstrueller Blutungen.
Nach einem Hinweis auf die oftmals schwer zu erlangenden ana¬
mnestischen Angaben bezüglich übermässiger Regeln bespricht R. im
einzelnen die zu Gebote stehenden Mittel. Für eine Reihe von Fällen,
in welchen die Abrasio kein Dauerresultat liefert und die Röntgen¬
bestrahlung nicht in Betracht kommt, empfiehlt er die von ihm kürzlich
empfohlene teilweise Wegnahme des Corpus uteri (schräge Resektion des
Fundus samt Fundushöhle), die sogenannte Defundatio. Dadurch lässt
sich die Menorrhagie vermindern, eventuell fast ganz einschränken. Das
Problem einer Dosierung der Regel scheint ihm damit gefunden zu sein,
gleichgültig, welches die Aetiologie der Menorrhagie war. Nachteil:
die Patientin ist zugleich sterilisiert. Vorteil gegenüber Totalexstir¬
pation: leichterer Eingriff, die Menses bleiben erhalten.
Indikation: a) Alle Fälle, bei welchen bisher die Totalexstirpation
wegen zu starker Blutung gemacht wurde, b) Mittelschwere Fälle im
mittleren Alter (30—40 Jahre), bei welchen bisher Abrasio ausgeführt
wurde, falls durch Fortbestehen der Menorrhagien Arbeitsfähigkeit und
Lebensfreude allzusehr beeinträchtigt wird. — Bei schon im Klimakterium
stehenden Frauen ist Röntgenbestrahlung als einfacher vorzuziehen.
Diskussion.
Hr. Kümmell: Wegnahme eines Stückchens Schleimhaut durch
Defundation ist doch wohl etwas zu teuer verkauft! Vorher ist die
Röntgenbehandlung zu versuchen; neuerdings ist dabei eine Dosierung
möglich, so dass die Menses normal werden, ohne dass es zur Sterili¬
sation kommt.
Hr. Mathäi hält die Defundation im fortpflanzungsfähigen Alter
nicht für angezeigt; die Röntgentherapie muss jetzt mehr herangezogen
werden. Vielfach liegt der Grund für dauernde Menorrhagien in ent¬
zündlichen Prozessen der Umgebung des Uterus.
Hr. Rüder hatte ebenfalls bisher keine Veranlassung gehabt, eine
Defundation auszuführen; er kam stets mit einer in Narkose vorge¬
nommenen gründlichen Auskratzung aus. Wie sind die Dauerresultate
der Defundation? Da der Eingriff immerhin ein ziemlich grosser ist,
wird sich im speziellen Falle doch die Totalexstirpation mehr empfehlen
(Gefahr eines späteren Carcinoms usw.).
Hr. Hänisch: Die Röntgentherapie, die jetzt nur noch eine Oligo¬
menorrhoe (nicht mehr, wie anfangs, eine Amenorrhoe) erstrebt, ist ein¬
facher und ungefährlicher, besonders bei der vorsichtigen Hamburger
Technik (80—100 Einheiten insgesamt).
Hr. Grube empßehlt in Narkose genaueste Untersuchung; dann
Abrasio mit nachfolgender mikroskopischer Untersuchung; ungeheilt
blieben dann nur ganz wenige Fälle, er selbst batte drei solche inner¬
halb 11 Jahren. Als Ersatz für die Totalexstirpation kann die Defun¬
dation in einzelnen, wohl ausgewählten Fällen in Betracht kommen.
Hr. Lomer hat, im Gegensatz zu allen übrigen Diskussionsrednern,
die Operation selbst mehrmals ausgeführt, sie ist technisch leicht und
empfiehlt sich als Mittelding zwischen Abrasio und Totalexstirpation.
Hr. Rieck (Schlusswort) betont, dass die Endikationsstellung, wie
er auch hervorhob, eine vorsichtige sein muss; bei jungen Mädchen
empfiehlt er die Defundation nicht. Er hat die Operation in den letzten
3 Jahren sechsmal ausgeführt. C. He gl er.
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft za Jena.
Sitzung vom 16. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Lex er.
1. Hr. Reha: Ueber Oesophagusplastik.
R. demonstriert einen Hund, bei welchem die Resektion des cardialen
Abschnittes der Speiseröhre mit bestem Erfolg ausgeführt wurde. Der
Eingriff fand vor 14 Tagen statt und wurde gut vertragen. Vortr.
schreibt diesen Erfolg dem Umstand zu, dass er auf die direkte Ver¬
einigung der Resektionsstürapfe verzichtete und die Speiseröhre in toto
(Schleimhautschlauch) entfernte, ein Verfahren, welches er mit wesent¬
lichen Abweichungen und unabhängig von ähnlichen 1897 von Levy
ausgeführten Hundeversuchen mittels zahlreicher Experimente ausgearbeitet
hat. Vortr. verspricht sich bei der experimentell begründeten ausge¬
zeichneten Brauchbarkeit und Modifikationsfähigkeit der Methode gute
Erfolge von ihrer Uebertragung in die klinische Anwendung.
Diskussion. Hr. Lex er hat bei vier Operationen sehr ausgedehnter
Speiseröhrenkrebse trotz des schliesslich ungünstigen Ausgangs die feste
Ueberzeugung gewonnen, dass mit Hilfe der Durchziehmethode Rehn’s
jedes nicht allzu grosse Carcinom radikal zu entfernen ist. Auf jeden
Fall bedeutet das Rehn’sche Verfahren einen Fortschritt Nach der
Heilung ist die Bildung einer neuen Speiseröhre nach der Lexer’scben,
bereits in einigen Fällen erprobten Methode möglich.
2. Hr. Lexer: Mammaplastik bei Mammahypertrophie.
Wiedervorstellung der am 7. November 1912 gezeigten Patientin
zur Demonstration des guten Erfolges der ausgeführten Resektion bzw.
Plastik.
3. Hr. Hesse: Prothese bei halbseitiger Oberkieferresektion.
Durch eine kleine Modifikation der gebräuchlichen Prothesen wird
ein besserer kosmetischer Erfolg erzielt. Die ohne Prothese unverständ¬
liche Sprache wird nach ihrer Einführung ganz verständlich.
4. Hr. diese: a) Differeatialdiaguose zwischen Tod durch Er¬
hängen and Erwürgen.
Nach einem übersichtlichem Referate über Sitz, Verlauf und Form
der Druckfurchen am Halse Erhängter und Erdrosselter berichtet G.
über einen Fall aus seiner gerichtsärztlichen Praxis, bei dem durch ein
unklares gerichtsärztliches Protokoll verschleiert war, ob Mord oder Selbst¬
mord vorlag. Durch umsichtige nachträgliche Erhebungen gelang es,
das Protokoll zu ergänzen, den Fall zu klären und einen Mord aufzu¬
decken.
b) Perforationsperitonitia nach Stampfer Banchverletznng.
Der aus der Gutachtertätigkeit stammende Fall lehrt, dass ein
leichtes Trauma, das den Bauch betrifft, und das zu äusserlich wahr¬
nehmbaren Verletzungen nicht führt, gelegentlich durch ftarmperforation
eine tödliche Peritonitis hervorrufen kann. Die klinischen Symptome
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17. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
331
waren so gering, dass eine Peritonitis nicht vermutet werden konnte.
Auch dieser Fall demonstriert den Wert einer eingehenden gerichtsärzt-
licheo Obduktion.
5. Hr. Gumprecht:
S&nglingssterbliehkeit im GrosBherzogtnm Sachsen-Weimar.
Der an interessanten Einzelheiten reiche Vortrag eignet sich nicht
für ein kurzes Referat. Zweifellos haben regionäre Eigentümlichkeiten
Einfluss auf die Säuglingssterblichkeit. Die auf den ersten Blick para¬
doxe Erscheinung, dass in dem für den Vortrag berücksichtigten Bezirke
die Zahl der unehelichen Geburten sehr gross, die Säuglingssterblichkeit
unehelicher Rinder aber gegenüber dem Durchschnitt auffallend gering
ist, erklärt sich aus den Gebräuchen der ländlichen Bevölkerung vor
der Hochzeit.
6. Hr. Berger: Mensag der Reflexzeit.
Durch graphische Registrierung des reflexauslösenden Reizes und
des Reizerfolges maass Vortr. die Zeitdauer des Drohreflexes (Lidschluss
bei einer Drohbewegung in das fixierte Gesichtsfeld.) Er ist ein aus¬
gesprochen corticaler Reflex. Bei gesunden Individuen und zwei Para¬
lytikern ergab sich kein Unterschied, so dass die klinische Bedeutung
der Bestimmung der Reflexveränderung sehr gering ist.
7. Hr. Ahrens: Fall von Hiroabscess.
Im Anschluss an einen Vortrag Binswanger’s wird ein Gehirn
eines Epileptikers gezeigt, das verschiedene Herde in centralen Ab¬
schnitten aufweist. Der Fall stützt die von Binswanger vertretene
Ansicht, dass corticale Herde zu clonischen, centrale Herde zu tonischen
Krämpfen führen.
Aerztlicher Verein zu München.
Sitzung vom 15. Januar 1913.
1. Hr. Mader*. Demonstration eines Falles mit doppelseitiger Atresie
des Gehdrganges.
2. Hr. Spiel meyer:
Spastische Lähmangen bei intakten Pyramidenbahnen.
Vortr. beobachtete spastische Lähmungen bei Intaktsein der Pyra¬
midenbahnen zunächst bei einer Patientin, die an Epilepsie litt und im
Status epilepticus länger und kürzer dauernde spastische Hemiplegien
zeigte. Nach dem in einem solchen Anfall von Hemiplegie erfolgten
Tode fanden sich keine Veränderungen im ganzen Verlauf der Pyramiden¬
bahnen, sondern primäre Prozesse atrophischer Art in den obersten Hirn¬
rindenschichten, besonders in der Körnerschicht vorzugsweise der Central¬
windungen einer Hemisphäre, ohne Zerstörung oder Veränderung der
tieferliegenden Pyramidenzellen. Also Veränderungen jenseits des centralen
motorischen Neurons; Zugrundegehen der die Pyramidenzellen um¬
flechtenden Gliafasern und Ausläufer der weiter peripher liegenden
Riodenzellen, eine Art Isolierung der Pyramidenzellen aus ihren corti-
ealen Verbänden.
Zwei weitere Fälle spastischer Lähmungen, und zwar spastischer
Paraplegien, ergaben ebenfalls corticale suprapyramidale Läsionen, d. h.
ausschliessliche Rinden Veränderungen der geschilderten Art bei Intakt¬
sein der Pyraraidenzellen und -bahnen.
3. Hr. Isserlin: Psychoanalyse.
Nach Darlegung der historischen Entwicklung der Lehre von der
Psychoanalyse und ihrer verschiedenen Stufen bringt Vortr. eine ein¬
gehende Kritik der Methode. Er betont vor allem die Bedenklichkeit
des Verfahrens und erkennt ihm weder grösseren wissenschaftlichen
Wert noch genügende therapeutische Bedeutung zu.
Hans Bachhammer-München.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 10. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. BArAny demonstrirrte eine Frau mit einer Ohraffektion infolge
LifaeraiMmmlBBg im Kleinhirnbriickenwinkel.
Pat. hatte im Jahre 1911 eine Mittelohreiterung, welche ausheilte.
Dann bekam sie Schmerzen im Hinterkopf, rechts Ohrensausen und
Schwerhörigkeit sowie Schwindel; der Zeigeversuch ergab Vorbeizeigen
im rechten Handgelenk. Unter der Annahme, dass es sich um eine
seröse Meningitis im Bereiche des Kleinhirn-Brückenwinkels handle,
wurde eine Lumbalpunktion ausgeführt. Als diese keinen Erfolg hatte,
wurde die Dura in der rechten Schädelgrube vom Warzenfortsatz aus
freigelegt, worauf die krankhaften Erscheinungen verschwanden. Hierauf
traten dieselben Erscheinungen auf der linken Seite auf. Es wurde daher
vor einigen Monaten die Lumbalpunktion und hierauf die Durafreilegung
in der linken hinteren Schädelgrube ausgeführt, als jedoch die Krank¬
heitssymptome fortbestanden, wurde die Dura inzidiert. Hierauf trat
eine wesentliche Besserung ein, nur die Schwerhörigkeit blieb weiter
bestehen. Plötzlich stellte sich vor 14 Tagen das Gehör ein, dann trat
wieder vorübergehend Schwerhörigkeit auf und hierauf wieder Genesung.
Pür Hysterie bestehen keine Anzeichen. Es dürfte sich um eine Liquor¬
ansammlung in, den Gisternae pontis laterales infolge Verklebungen der
Meningen handeln. Die Behandlung derartiger Fälle besteht in Lumbal¬
punktion, eventuell in der Freilegung der Dura in der hinteren Schädel-
grube.
Vortr. hat bisher 35 Fälle mit diesem Symptomenkomplex gesehen,
unter ihnen waren zwei rudimentär; in dem einen Falle bestand anfangs
nur Ohrensausen, dann gesellten sich die anderen Symptome hinzu, im
zweiten Falle hörte Pat. tiefe Töne schlecht, auf Lumbalpunktion er¬
folgte Heilung.
Hr. Fleschner führte einen Mann vor, welcher eine traumatische
intraperitoneale Blasenrnptnr erlitten hatte.
Pat., welcher vor einem Jahre durch einen Unfall beide Beine ver¬
loren hatte, stürzte auf das Abdomen und konnte spontan nicht urinieren,
dann entleerte er blutigen Harn. Das Allgemeinbefinden war gut, es
bestanden nur eine leichte Druckschmerzhaftigkeit in der linken Bauch¬
seite und eine Dämpfung über der Symphyse. Nach 24 Stunden ging
jedoch der Puls auf 54 herunter, und es stellte sich Schüttelfrost ein.
Es wurde daher die Blase freigelegt, an ihr fand sich ein 10 cm langer
Riss, in der Bauchhöhle waren etwa n /2 Liter blutigen Harns, aber
keine Zeichen von Peritonitis. Nach Reinigung der Bauchhöhle wurden
das Peritoneum und die Blase genäht, es folgte reaktionslose Heilung.
An der Klinik wurden in der letzten Zeit drei derartige Fälle beobachtet,
von welchen zwei gestorben sind.
Hr. Teleky stellte zwei Feilenhauer mit isolierter Atrophie kleiner
Handmnskeln vor.
Bei dem ersten Pat. ist links der Flexor pollicis brevis stark und
der Adductor pollicis brevis leicht atrophisch. Beim zweiten Pat. sind
an der rechten Hand der untere Teil des Adductor pollicis brevis und
ein Teil des Opponens pollicis atrophisch. Hinsichtlich der Aetiologie
ist das Leiden bei dem ersten Pat. auf Ueberanstrengung der atrophischen
Muskeln beim Halten des Meisseis und auf Bleivergiftung zurückzuführen,
beim zweiten auf die Anstrengung der Muskeln der rechten Hand bei
der Führung des Hammers. Dieser ist etwa 5 kg schwer und wird im
Tag ungefähr 25 000 mal gehoben. In Oesterreich arbeiten gegenwärtig
die Feilenhauer ohne Bleiunterlage.
Hr. Sternberg demonstrierte Präparate von eigentümlichen
Körperchen in der Milz und den Lymphdrüsen bei Pemphigus.
Diese Körperchen hat B. Lipschütz vor einiger Zeit beschrieben.
Die vom Vortr. demonstrierten Ausstrichpräparate stammen von einem
Säugling, welcher an Pemphigus gestorben ist. Die mikroskopischen
Körperchen haben einen Kern und Protoplasma, sie liegen manchmal in
kleinen Häufchen beieinander. Vortr. lässt die Entscheidung offen, ob
diese Körperchen als Protozoen anzusehen sind, und ob sie mit der
Aetiologie des Pemphigus etwas zu tun haben.
Hr. Koeh:
Ent8tehnng8ursache der Meningitis tnbercnlosa bei Kindern.
Diese Krankheit gehört in die Gruppe der akuten Miliartuberkulose.
Vortr. hat 350 Fälle der Klinik Escherich und 50 Fälle aus der Ab¬
teilung Moser zusammengestellt. Die Häufigkeit der Krankheit zeigt in
den einzelnen Jahren keine besonderen Unterschiede, dagegen steigt die
Häufigkeitskurve innerhalb eines Jahres zu Beginn des Winters an und
erreicht den höchsten Stand im April, um dann wieder abzusinken. Es
zeigt sich hier ein Parallelisraus mit der Häufigkeit der Lungenkrank¬
heiten. Die Meningitis tuberculosa ist eine Erkrankung der frühesten
Kindheit, am häufigsten kommt sie im'zweiten Lebensjahre vor, und ihre
Häufigkeit sinkt allmählich in den späteren Lebensjahren ab. Dieses
Verhalten dürfte mit dem Grade der Resistenz des kindlichen Organismus
gegen die Tuberkuloseinfektion Zusammenhängen, diese Resistenz nimmt
mit dem Körperwachstum zu. Die Zusammenstellung von Tuberkulose¬
todesfällen ergab, dass der Tod im ersten Lebensjahre in 40 pCt. an
Meningitis tuberculosa, in 60 pCt. an anderen tuberkulösen Affektionen
erfolgte, im zweiten Lebensjahre stieg der Anteil der Todesfälle an
Meningitis auf 58 pCt. In 70 pCt. der Fälle fand sich hereditäre Be¬
lastung, das Geschlecht zeigte betreffs der Erkrankungshäufigkeit keinen
Unterschied. Bei 10 pCt. der Kinder war ein guter Ernährungszustand
vorhanden, ein schlechter Ernährungszustand bildete die Regel. Sechs
Kinder erkrankten an der Brust der Mutter. Unter Erkrankungen,
welche der Meningitis vorausgingen, waren am häufigsten (in 130 Fällen)
Masern, ferner Keuchhusten, LungenkrankheiteD, Diphtherie, Scharlach
und verschiedene tuberkulöse Erkrankungen zu finden, ln einigeu Fällen
war ein Hirntuberkel vorhanden, in anderen war ein Trauma voraus¬
gegangen. Der primäre tuberkulöse Herd fand sich vorwiegend in der
Lunge, sekundäre Herde waren in den Drüsen und Knochen. Die Herde
waren verkäst, also aktiv, nur in sieben Fällen waren sie verkalkt. Die
miliare Aussaat der im Körper vorhandenen Tuberkelbacillen kann durch
verschiedene Umstände herbeigeführt werden. H.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Unsere Leser finden an erster Stelle dieser Nummer einen
Bericht über die ausserordentlich bedeutungsvollen Carcinomforschungen
des Herrn Prof. Fibiger, Direktors des pathologischen Instituts in
Kopenhagen. Ausgehend von dem zufälligen Befunde von Parasiten in
einer papillomatösen Geschwulst im Magen Yon Ratten, hatte er nach
mühsamen Versuchen diesen Parasiten näher festgestellt, den Zwischen¬
wirt für ihn gefunden und endlich durch Fütterung des Zwischenwirts
mit Parasiteneiern und von Ratten mit den Zwischenwirten künstlich
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332
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
mit grosser Sicherheit Papillome und echte Carcinome erzeugt. So ist
es hier zum ersten Male gelungen, experimentell echte Carcinome zu er¬
zeugen, nicht bloss zu transplantieren, wie es bisher immer nur möglich
war, und zwar mittels eines Contagium vivum. Wer diese Mitteilung
aufmerksam durcbgelesen, dem wird sich unwillkürlich die Erinnerung
aufdrängen an die Methodik, mit der Robert Koch für alle Zeiten die
Grundlagen der ätiologischen Forschung geschaffen hat. Und er wird
bei voller Würdigung der Zurückhaltung des Verfassers und seiner
wohl berechtigten Abneigung gegen weitgehende Verallgemeinerung doch
die Arbeit nicht aus der Hand legen ohne den Gedanken, dass mit ihr
die Krebsforschung um neue wichtige Tatsachen bereichert worden ist.
H. K.
— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 12. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr
Eugen Joseph cystoskopische Bilder von Bilharzia der Blase. Hierauf
hielt Herr Rothmann den angekündigten Vortrag: Gegenwart und Zu¬
kunft der Rückenmarkschirurgie. (Diskussion: die Herren Stadelmann,
Borchardt, Oppenheim, Maass.)
— In der unter Vorsitz des Herrn v. Hansemann tagenden
Hufelandischen Gesellschaft vom 13. Februar sprach Herr Klapp
über ein Verfahren der Tonsillektomie, Herr Schmieden demonstrierte
an einem Patienten den Ersatz eines grossen Mundschleimhautdefektes
durch Stiellappenbildung vom Oberarm aus (Diskussion: Herr v. Hanse¬
mann). Herr v. Hansemann berichtete über das Vorkommen von Ge¬
schwülsten, besonders den bösartigen in den Tropen, unter Zugrundelegung
eines reichen pathologisch-anatomischen Materials (Diskussion: Herr
König). Herr Adler brachte Demonstrationen zur Chirurgie der
Gallenblase (Diskussion: Herr'Ewald). Die Herren H. Strauss und
S. Brandenstein resümierten die Ergebnisse von Röntgenuntersuchungen
bei chronischer Obstipation. Die Herren Hiltmann und Weinberg
legten Material vor, das sich auf Perforationsprozesse bezog. Herr
v. Milecki zeigte das Präparat von Magengeschwüren bei einem Neu¬
geborenen.
— In der Sitzung der Berliner dermatologischen Gesell¬
schaft vom 11. Februar 1913 demonstrierte Herr Blaschko eine neue
juckende Hautkrankheit; Herr Löhe einen Mann mit Acrodermatitis
chronica atrophicans, verbunden mit sklerodermieähnlichen Streifen und
Verdickungen der Hände; Herr Heller einen Fall von Erythema sycosi-
forme. Herr G. Fritsch hielt einen Vortrag mit Projektion vieler Photo¬
graphien über die Besonderheiten des Haupthaares der menschlichen
Rassen und seine Bildungsstätte.
— Der neunte Kongress der Deutschen Röntgen-Gesell¬
schaft findet am Sonntag, den 30. März 1913, morgens 9 Uhr pünktlich,
in Berlin im Langenbeckhause statt. Demselben wird, wie im vorigen
Jahre, am Tage vorher, also am Sonnabend, den 29. März, abends 8 Uhr,
ein Demonstrationsabend vorausgehen, an welchem diejenigen Verträge,
bei welchen Diapositive projiziert werden müssen, vorweggenommen
werden sollen, um den Sonntag nach Möglichkeit zu entlasten.
— Am 7. und 8. Mai findet in Stuttgart unter Vorsitz von
Prof. Siebenmann - Basel die 20. Tagung des Vereins Deutscher
Laryngologen statt. Vorträge oder Demonstrationen sind bis zum
1. April beim Schriftführer, Dr. Richard Hoffmann, Dresden 1,
Grunaerstrasse 8, l, anzumelden. An diesen sind auch Meldungen zur
Mitgliedschaft zu richten.
— In Berlin hat sich eine „Aerztliche Gesellschaft für
Sexualwissenschaft“ konstituiert, als deren Vorstand die Herren
Geheimrat Prof. Dr. Eulen bürg, Dr. Iwan Bloch, Dr. Magnus
Hirschfeld, Sanitätsrat Dr. H. Koerber, Dr. Herrn. Rohleder,
Dr. Otto Adler und Dr. Otto Juliusburger fungieren. Die erste
öffentliche Monatssitzung der neuen Organisation findet in dem kleinen
Saale des Langenbeckhauses am Freitag, den 21. Februar d. Js., abends
8 Uhr statt. Auf der Tagesordnung steht ein Vortrag von Dr. Iwan
Bloch: „Die Aufgaben der ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissen¬
schaft“ und Demonstrationen von Dr. M. Hirschfeld: Hermaphroditen-
Moulagen.
— Der neunte Internationale Physiologenkongress wird
vom 2. bis 6. September d. J. in Groningen unter dem Vorsitz vön Prof.
H. J. Hamburger abgehalten werden.
— In New York wurde eine „Gesellschaft zur Erleichterung
klinischer Studien“ gebildet, die in der Academy of Medicine,
19 West 43. Street ein Auskunftsbureau für fremde Aerzte ein¬
gerichtet hat.
— Die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde ver¬
anstaltet am Donnerstag, den 20. Februar, vormittags 9 1 /» Uhr, im
grossen Saale des Künstlerbauses, Berlin, Bellevuestrasse 3, anlässlich
des Regierungsjubiläums Sr. Majestät des Kaisers eine Festversammluug,
zu der der Vorsitzende der Gesellschaft, Königl. Oekonomierat Hoesch-
Neukirchen, die festliche Ansprache halten wird. Zwei bedeutsame Vor¬
träge werden dann folgen. Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Rubner,
Vorsteher des physiologischen Institutes der Berliner Universität, wird
über das Wesen des Wachstums, und der landwirtschaftliche Sach¬
verständige Dr. Frost - Stockholm über die Herkunft der skandinavischen
Rinder und deren noch heute vorkommende Urformen, mit Lichtbildern,
sprechen. Mitglieder, Freunde und Gönner der Gesellschaft, Landwirte,
Tierzüchter, Naturforscher werden um ihr Erscheinen gebeten. Die Ver¬
sammlung wird gewiss alle Teilnehmer befriedigen und der vorwärta-
strebenden Gesellschaft, die mit ihren 2500 Mitgliedern heute auf dem
ganzen Erdball die grösste Vereinigung zur Förderung tierzüchterischer
Fragen geworden ist, neue Freunde und Mitarbeiter zuführen. Auskunft
über Mitgliedschaft gibt die Geschäftsstelle, Berlin-Halensee, Halber¬
städterstrasse 3.
— Prof. Dr. Erich Hoffmann, Direktor der Universitäts-Haut¬
klinik in Bonn, ist von der Dermatologischen Sektion der American
Medical Association zu ihrer vom 17. bis 20. Juni stattfindenden Jahres¬
versammlung in Minneapolis als Ehrengast geladen und aufgefordert
worden, einen Vortrag zu halten.
— Herr Dr. Peter Röna, Leiter der chemischen Abteilung des
städtischen Krankenhauses Am Urban in Berlin, erhielt einen Ruf als
Professor der medizinischen Chemie in San Paolo.
— Die Möbius-Stiftung gibt soeben ihren zweiten Bericht heraus.
Es erhellt daraus, dass neben einem Geldpreis eine'kunstvolle, von Bild¬
hauer Prof. Max Lange entworfene und gestiftete Plakette demjenigen
verliehen wird, der eine für würdig befundene Preisarbeit einschickt.
Sie ist an Herrn Prof. v. Strümpell-Leipzig in der üblichen Weise
(das Kuvert trägt ein Motto) bis zum l. Oktober d. J. einzusenden.
— Auch in Berlin hat sich jetzt eine Klinikerschaft gebildet,
wie sie seit längerer Zeit schon an anderen Hochschulen bestehen.
Gerade in Berlin mit seiner grossen Studentenschaft könnte eine solche
Vereinigung viel zur Ueberbrückung unnötiger Gegensätze beitragen und
bei Einigkeit manche Missstände beseitigen, unter denen die Studenten
hier zu leiden haben.
— Mit Genehmigung des bayerischen Kultusministeriums wird an
der Königlichen Landesturnanstalt in München ein Labora¬
torium zu Untersuchungen und Messungen bezüglich der Wirkung
der Turnarten und Sportspiele errichtet, das der Privatdozent für
Chirurgie Hans v. Baeyer leiten wird.
H och schul nachr ich ten.
Königsberg. Habilitiert: Dr. Meyer-Betz für innere Medizin.—
Rostock. Habilitiert: Dr. Burchard für Röntgenologie. — Freiburg.
Der Privatdozent für innere Medizin, Dr. Samueli, erhielt den Titel
Professor. — Marburg. Der ao. Professor Römer, Abteilungsvorsteher
am hygienischen Institut der hiesigen Universität, wurde vom Kultus¬
ministerium für die Dauer eines Jahres zu einem Studienaufenthalt an
die hygienischen Institute der Universitäten Bonn und Berlin beurlaubt.
— Prag. ao. Prof, der Anatomie Dr. Weigner wurde Ordinarius.
Habilitiert: Dr. Sertoli für externe Pathologie. — Privatdozent J. Lovrich
wurde zum Direktor der Hebammenanstalt in Budapest ernannt.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl.: Rittergutsbesitzer
und Arzt Dr. Lange in Lonkorrek (Westpr.)
Roter Adler-Orden 3. Kl. mit der Schleife: Generalarzt Dr.
Schlacke, Divisionsarzt der 1. Division.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Bludau in Guttstadt, Direktor
der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Allenberg, San.-Rat Dr.
Dubbers, Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Forstreuter und San.-Rat Dr.
Ebel in Königsberg, Stadtverordnetenvorsteher, San.-Rat Dr. Gr über
in Marggrabowa, ordentl. Professor Dr. Henke in Königsberg, Erster
Oberarzt an der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Kortau, San.-
Rat Dr. Lullies, Reg.- und Med.-Rat Dr. Meyen in Allenstein,
San.-Rat Dr. Michalik in Marggrabowa, Direktor der chirurgischen
Abteilung des städtischen Krankenhauses in Königsberg, Prof. Dr.
Samter, Aerzte Dr. Theodor und Dr. Wollenberg in Königsberg,
San.-Rat Dr. Van gehr in Tilsit, Oberstabsärzte Dr. Grässner im
Infanterie-Regiment 18, Dr. Melot de Beauregard im Infanterie-
Regiment 151 und Dr. Lackner im Grenadier-Regiment 3, Ober¬
stabsarzt Dr. A. Thalmann im Grenadier-Regiment 100.
Königl. Kronen-Orden 2. Kl. mit dem Stern: Obergeneralarzt
Dr. B. Müller in Dresden.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: ordentl. Professoren, Geh. Med.-Räte
Dr. Friedrich und Dr. Winter, ausserordentl. Professor, Geh. Med.-
Rat Dr. Schreiber, Generaloberarzt Dr. Krause und Oberstabs¬
arzt z. D. Dr. Körner, sämtlich in Königsberg.
Königl. Kronen-Orden 4. Kl.: Aerzte Dr. Hundsdörffer in Tapiau
und Dr. Will in Königsberg.
Charakter als Geheimer Sanitätsrat: San.-Rat Dr. 0. Schel-
long in Königsberg, Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt
in Kortau, San.-Rat Dr. Stoltenhoff, Arzt, Prof. Dr. Unterberger
in Königsberg.
Charakter als Medizinalrat: Kreisarzt Dr. v. Petrykowski in
Orteisburg.
Charakter als Sanitätsrat: Arzt Dr. Eckermann in Königsberg.
Ernennungen: Arzt Dr. St. Leonhard in Bonn zum Kreisassistenz¬
arzt io Saarbrücken.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Haus Rohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLINER
Dta Berliner KUnfeehe Woebenaehrift enehelnt Jeden
MnU( in Nummern von ea. 5—6 Bogen gr. 4. —
Piek TiertelJihHieh 6 Mark. Bestell nagen nehmen
alle Bnehhaadlungen und Poetanaulten an.
Alle Btnaenduagen (Br die KedaMon und Bxpedftfoa
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Mischwald in Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
6eh. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung iu Berlin.
Montag, den 24. Februar 1913. M 8.
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT. '
Ofigiaaliei: Oppenheim und Krause: Partielle Entfernung des Wurms
wegen Geschwulstbildung unter breiter Eröflnung des vierten
Ventrikels. S. 833.
Roth mann: Zur Kleinhirnlokalisation. (Aus dem physiologischen
Laboratorium der Nervenklinik der Konigl. Charitö.) S. 386.
Wohlgemuth: Pankreas, Leber und Kohlehydratstoffwechsel. (Aus
der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. pathologischen
Instituts der Universität zu Berlin.) (Illustr.) S. 339.
Morgenroth und Ginsberg: Hornhautanästhesie durch China*
alkaloide. (Aus der bakteriologischen Abteilung des Pathologischen
Instituts der Universität Berlin.) S. 343.
Sieskind, Wolffenstein und Zeltner: Ueber externe Salicyl-
Präparate. S. 346.
Bickel: Weitere Beiträge zur Thorium X-Therapie hei Anämie,
Leukämie und rheumatischen Erkrankungen. (Aus der experi¬
mentell-biologischen Abteilung des Königl. pathologischen Instituts
der Universität Berlin.) S. 846.
Theilhaher: Zur Frage von der operationslosen Behandlung des
Carcinoms. S. 348.
Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. (Fortsetzung.) S. 349.
Künne: Die angeborene Hüftgelenkverrenkung. S. 353.
Bleherbesprechangen : v. Bruns, Garrö und Küttner; Handbuch der
praktischen Chirurgie. S. 355. Albert: Diagnostik der chirurgi¬
schen Krankheiten. S. 855. Lewy: Die ärztliche Gipsteohnik.
S. 355. Th öle: Die Verletzungen der Leber und der Gallenwege.
Weil. Hoffa: Technik der Massage. S. 355. (Ref. Adler.) —
Lagleyze: Du str&bisme. S. 355. (Ref. Seefelder.)
Litoratar-Anszüge : Anatomie. S. 856. — Physiologie. S. 356. —
Pharmakologie. S. 356. — Therapie. S. 856. — Allgemeine Patho¬
logie und pathologische Anatomie. S. 356. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 357. — Innere Medizin. S. 858. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 859. — Kinderheilkunde. S. 359. — Chirurgie.
Partielle Entfernung des Wurms wegen Ge¬
schwulstbildung unter breiter Eröffnung des
vierten Ventrikels.
Von
H. öppeahei* und F. Krame.
(Vortrag mit Demonstration der Operierten, gehalten in der Berliner
medizinischen Gesellschaft am 15. Januar 1913.)
I. Neurologischer Teil.
Von
H. Oppeaheim.
M. H.f Wir wollen Ihnen heute an der Hand der Demon¬
stration über einen Krankheitsfall berichten, der zwar schon in
Krause’s Chirurgie des Gehirns und Rückenmarks 1 ) erwähnt ist,
aber ein besonderes Interesse durch die nachträgliche Beob¬
achtung, durch den weiteren decursns morbi erhalten hat. Es
handelt sich, nm das Wesentliche gleich vorwegzunehmen, um
eine Patientin, bei der ich im April 1911 die Diagnose eines
Tnmor cerebelli hemisphaereos sinistrae gestellt habe
und Gebeimrat F. Kranse dann im Juni 1911 bei der Radikal¬
operation den Tumor zwischen linker Kleinhirnhemisphäre und
1) Bd. ff, S. 598.
S. 860. — Röntgenologie. S. 860. — Urologie. S. 860. — Haut- und
Geschlechtskrankheiten. S. 860. — Geburtshilfe und Gynäkologie.
S. 361. — Augenheilkunde. S. 362. — Hals-, Nasen- und Ohren¬
krankheiten. S. 362. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 362. —
Technik. S. 363.
Verhandlangei ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Joseph: Demonstration cystoskopischer Bilder
von Bilharzia der Blase. S. 368. Rothmann: Gegenwart und
Zukunft der Rückenmarkschirurgie. S. 363. — Physiologische
Gesellschaft zu Berlin. S. 365. — Gesellschaft der Charit6-
Aerzte. S. 365. — Berliner orthopädische Gesellschaft.
S. 368. — Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde
zu Berlin. S. 869. — Berliner urologisohe Gesellschaft.
S.370. — Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 370. —
Medizinische Sektion der sohlesisohen Gesellschaft für
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 871. — Aerztlicher
Verein zu Hamburg. S. 872. — Medizinische Gesellschaft
zu Kiel. S. 378.— Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau.
S. 874. — Naturwissenschaftlich - medizinische Gesell¬
schaft zu Jena. S. 874. — Aerztlicher Verein za Frank¬
furt a. M. S. 375. — Naturhistorisch-medizinischer Verein
zu Heidelberg. S. 375. — Nürnberger medizinische Gesell¬
schaft und Poliklinik. S. 376. — Freiburger medizinische
Gesellschaft. S. 376. — Medizinische Gesellschaft zu
Basel. S. 377. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
S. 377. — Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde zu Wien. S. 878.
Schreiber: Wilhelm Ebstein f» S. 378.
Gebele: In eigener Sache. S. 379. — Adler: Erwiderung auf vor¬
stehende Erklärung. S. 379.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 379.
Amtliche Mitteilungen. S. 380.
Vermis cerebelli gefunden and exstirpiert hat unter Eröffnung
des Raumes des vierten Ventrikels.
Sie begreifen, dass eine derartige Beobachtang viel Lehr¬
reiches bietet und eine gewisse Bedeatang hat.
Die Krankheitsgeschichte gebe ich kurz.
Das 30jährige Fräulein wurde mir am 28. April von ihrem Haus¬
arzt Dr. Baender zur Begutachtung in die Sprechstunde geschickt.
Sie gab über die Entwicklung ihres Leidens folgendes an:
Vor ca. 3 Jahren erkrankte sie naoh Genuss kalten Getränkes mit
Magenschmerzen, Erbrechen und Kopfschmerzen; diese Symptome wurden
als gastrische gedeutet; es trat auoh unter entsprechender Behandlung
Besserung ein.
Vor l 1 /* Jahren kehrten Kopfschmerz und Erbrechen wieder,
letzteres besonders am frühen Morgen; diese Erscheinungen blieben nun,
wenn auoh unter Intermissionen, bestehen. Dazu kam vorübergehende
Diplopie und ein an Heftigkeit zunehmender Schwindel; zeitweilig
Singultus und Ohrensausen, letzteres besonders links, in letzter Zeit
Abmagerung.
Ueber meinen Befand bei der ersten Untersuchung gibt der
Bericht Aufschluss, mit dem ich die Patientin an ihren Hausarzt
zurücksandte:
„Der objektive Befund ist doppelseitige Stauungspapille,
leichter Exophthalmus, Hypalgesie in der linken Gesichtshälfte (?),
Adiadochokinesis im linken Arm und auch im linken Bein,
Druckschmerzhaftigkeit der linken Hinterbauptsgegend. Das Ver¬
halten des Cornealreflexes ist zwar kein eindeutiges, aber es fällt
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UNIVERSUM OF IOWA
384
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
jedenfalls auf, dass sich in der rechten Seitenlage eine Areflexie
der linken Cornea einstellt. Es besteht auch ein Schwanken bei
Augenschluss, das aber hysterischen Charakter hat 1 ).
Die geschilderte Symptomatologie macht es wahrscheinlich,
dass ein Tumor im Bereich der linken Cerebel larhälfte vorliegt.
Es lässt sich aber eine Meningitis serosa chronica nicht mit
Sicherheit aasschHessen.
Ich würde deshalb zunächst noch eine Mercnrialknr empfehlen.
Wenn diese jedoch innerhalb eines Zeitraums von 8 bis 4 Wochen
nicht zu einer evidenten Besserung führt, oder wenn die Sehkraft
rasch nachlassen sollte, ist die operative Behandlung indiziert.
Ich bitte Sie, die Patientin mit diesem Bericht Herrn
Geheimrat Krause zu überweisen. u
Die weiteren Untersuchungen, die ich dann in den ersten
Tagen des Mai in der Poliklinik vornahm, hatten im ganzen
dasselbe Ergebnis; aber es wurde die Sicherheit der topischen
Diagnose dadurch etwas in Frage gestellt, dass bei der Konstanz
der allgemeinen Hirndrucksymptome die Herderscheinungen un¬
beständig waren. Insbesondere gilt das für die Hypalgesie der
linken Gesichtsbälfte, die Hyporeflexie der linken Cornea, die
Deviation des Unterkiefers nach links; diese Symptome waren
bald vorhanden oder wenigstens angedeutet, bald fehlten sie.
Nimmt man dazu, dass das Kardinalsymptom der Kleinhirn¬
erkrankungen, die cerebellare Ataxie — nachdem das hysterische
Schwanken suggestiv zurückgetreten war — und der Nystagmus,
fehlte, so wird man begreifen, dass ich mich eine Zeitlang im
Stadium der diagnostischen Unsicherheit befand.
Indes erwiesen sich in der ganzen Zeit doch zwei Symptome
als konstant oder nahezu konstant: die Areflexie der linken
Cornea in der rechten Seitenlage und die Adiadochokinesis
der linken Hand bzw. der linken Extremitäten.
Dazu kamen als unsicher, schwankend oder subjektiv: Schmerzen
in der linken Gesichtshälfte, Schwindel, Ohrensausen links, leichte Hyp-
ästhesie in der linken Wange, Deviation des Unterkielers nach links,
geringe Parese des linken Gaumens; einige Male liess sich Patientin
nach links leichter aus dem Gleichgewicht bringen wie nach rechts.
Als nun auch dem Einfluss der Mercurialbebandlung diese
KraDkbeitser8cheiuungen standgehalten hatten, die Sebstörung und
die allgemeine Entkräftung zunahm, war ein längeres Zuwarten
nicht mehr berechtigt, und ich musste die Trepanation über der
linken Kleinhirnhemisphäre empfehlen.
Am 28. und 80. Juni wurde diese Operation in meiner
Gegenwart von Krause ausgeführt. Den Bericht wird er Ihnen
selbst geben. Ich beschränke mich darauf, auszuführen, dass er
die Geschwulst — ein Lymphangiosarcoma plexiforme —
zwischen linker Kleinhimbäifte und Vermis cerebelli sowie im
Velum medulläre posticum gefunden hat, und dass bei dieser
Gescbwulstexstirpation der vierte Ventrikel eröffnet wurde.
Was nun den weiteren Verlauf anlangt, so ist es zunächst
besonders bemerkenswert, dass die schweren Folgeerscheinungen,
die man auf den vierten Ventrikel und die Medulla oblongata
zu beziehen gewohnt ist, weder sofort nach der Operation noch
während des ganzen weiteren Krankheitsverlaufs hervorgetreten
sind; insbesondere wurden Respirationsstörungen sowie schwere
Störungen der Girculation dauernd vermisst; jedenfalls ging die
Pulsfrequenz nur ausnahmsweise über 100 hinauf, nur bei den
ersten Versuchen des Sichaufrichtens, Stehens und Gehens wurde
der Puls frequenter. Wohl stellte sich periodisch Singultus ein,
ebenso Uebelkeit, Erbrechen, Parästhesien in der linken Körper¬
hälfte, Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, auch folgten
dem Eingriff naturgemäss zunächst die der Kleinbirnläsion ent¬
sprechenden Reiz- und Ausfallserscheinungen: Nystagmus,
Schwindel, besonders beim Aufrichten, Gleichgewichts¬
störung, Zunahme der Adiadochokinesis, Bewegungsataxie
der linken Hand usw.; ferner kam es temporär zu Temperatur-
Steigerung durch Liquorverhaltung. Auch hatte Patientin, die
ein sich auf Monate erstreckendes schweres Krankenlager durch¬
zumachen hatte, eine am fünften Tage auftretende und einige
Wochen dauernde Psychose (akute Hallucinose) zu überstehen 2 ).
1) Dieses Schwanken konnte dann auch suggestiv beseitigt werden.
Auch die Diplopie, über welche die Patientin klagte, erwies sich als
eine Polyopia monocularis.
2) Es ist schwer zu entscheiden, ob der traumatische Eingriff oder
die lnanition oder die Liquor Vermehrung den Anstoss zur Entwicklung
der Psychose gegeben hat. Jedenfalls lag eine Disposition vor (Hysterie).
Auffallenderweise hat es sich in allen den Fällen (8 oder 4), in denen
wir eine Psychose nach Hirnoperation beobachteten, um Operationen in
der hinteren Schädelgrube gehandelt, aber alle waren zu Psychosen
disponierte Individuen.
Dann aber folgt schon Ende Juli, besonders aber in den
nächsten Monaten, eine fortschreitende Besserung, zuerst
Rückbildung der Stauungspapille, dann des Nystagmus, der Comeal-
reflex kehrt wieder, die Ataxie in den linken Gliedmaassen bildet
sich zurück, Patientin lernt erst stehen, dann gehen, nach und
nach verliert sich die Unsicherheit usw.
Im November 1911 kann sie sich schon in meiner Poliklinik
vorstellen, ist beim Gehen nicht mehr wesentlich behindert. Die
Menses kommen wieder, bleiben in der Folgezeit regelmässig.
Sie nimmt andauernd an Gewicht zu.
Immer kehren noch zeitweilig die Klagen über Kopfschmerz
und VnmitU8 matutinus wieder, aber diese Beschwerden haben
ebenso wie die Polyopia monocularis, über die sie noch im Januar
dieses Jahres klagt, anscheinend hysterischen Charakter.
Der Puls wird normal. Der Prolaps verkleinert sich.
Ich kann nun zur Vorstellung der Patientin übergehen und
lasse gleichzeitig das Präparat circulieren.
Sie sehen ein blühend aussehendes Mädchen, das seit der
Operation 25 Pfund an Gewicht zugenommen hat. Augenhinter¬
grund und Sehschärfe normal, ebenso die Augenbewegungen; kein
Nystagmus. Cornealreflex normal, auch in der Seitenlage. Steht
und geht sicher, auch bei Augenscbluss.
Keine Bewegungsataxie in den Gliedmaassen, keine Adiadocho¬
kinesis. Kopfbewegungen frei.
Subjektiv im ganzen Wohlbefinden, nur in der Frühe noch
einmal nach dem Aufstehen Würgen von Schleim, auch noch
schmerzhafte Empfindungen in der rechten Hinterhauptsgegend.
Ob diese Beschwerden noch organisch bedingt sind durch den
Narbenprozess und den Prolaps, oder auf ihrer Hysteroneurasthenie
beruhen, ist nicht ganz sicher zu entscheiden. Sie ist auch noch
leicht ermüdbar, empfindlich, kann noch nicht unter vielen
Menschen sein, so dass sie sich erst einmal ins Theater gewagt
bat. Alle objektiven Krankheitserscheinungen sind ge¬
schwunden.
Auf die B&räny’schen Untersuchungen mit Ausspritzen des
Ohres haben wir gerade wegen der Empfindlichkeit der Patientin
verzichtet; der spontane Zeigeversuch ist aber normal.
Die Hirnbernie ist mässig gross und nicht gespannt, sie
misst von rechts nach links 65, von oben nach unten 60 mm
und ist über dem umgebenden normalen Niveau der Kopfhaut
l l f 2 Querfinger breit erhaben. Sie hat sich in den letzten neun
Monaten während unserer Beobachtung in keiner Weise ver¬
ändert.
Auf die diagnostische Seite will ich nicht mehr eingehen,
zumal ich 1 ) vor einigen Monaten in der Hufei an dischen Gesell¬
schaft bei einer ähnlichen Demonstration diese Frage berührt habe.
Beachtenswert ist es aber jedenfalls, dass eine Geschwulst
im Wurmgebiet so geringfügige Lokalsymptome verursacht und
sich weder durch Nystagmus noch durch die cerebellare In¬
koordination kundgegeben hat.
Der besondere Wert dieses Falles beruht aber darin, dass
eine Geschwulst dieses Sitzes mit einem derartigen Heilerfolg hat
enucleiert werden können, und dass selbst die Entfernung des
Daches vom vierten Ventrikel und die Freilegung dieses Raumes
das Leben nicht gefährdet hat. Die alte Vorstellung, dass dies
ein „Weg ins Unbetretene, nie zu Betretende“ sei, muss also
definitiv aufgegeben werden.
Die Kühnheit der modernen Chirurgie hat auch mit diesem
Vorurteil aufgeräumt. Ich hatte Gelegenheit, noch in drei
weiteren von Kollegen Krause und Heymann operierten Fällen,
in denen ich einen Tumor des Vermis cerebelli oder vierten
Ventrikels bzw. einen verwandten Prozess (Cysticercus) dieses
Sitzes diagnostiziert batte, Zeuge davon zu sein, dass der Boden
des vierten Ventrikels freigelegt und in seiner nächsten Nachbar¬
schaft, z. B. im Bereich des Corpus restiforme, Eingriffe vor-
geuommen worden.
Wir haben dabei nicht nur den ganzen Boden des vierten
Ventrikels übersehen, sondern auch in den stark • erweiterten
Aquaeductus Sylvii hineinsehen können. Zwei dieser Patienten
haben nicht nur die Operation überstanden, der eine, beute vor¬
gestellte, mit Heilerfolg, der andere mit Erhaltung des Lebens
für viele. Monate, der dritte für 7—8 Tage —, was mich und
meine Mitarbeiter noch mehr überrascht bat, ist, dass von den
Folgezuständen, die wir auf Grund unserer physiologischen und
klinischen Schulung zu erwarten und zu fürchten hatten, nichts
1) Ueber einen Fall operativ behandelter Kleinhirngeschwulst mit
Heilerfolg. Diese Woohensohr., 1912, Nr. 50.
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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eintrat, weder schwere Störungen der Respiration and Circalation
noch Glykosurie.
Wenn man bedenkt, dass doch in der unmittelbaren Nach¬
barschaft der Vaguskerne, der Atemcentren, der vasomotorischen
Centren, wenn auch mit aller Vorsicht, manipuliert worden ist,
und dass doch auch sicher die diesen Eingriffen folgenden reaktiven
Prozesse gewisse Veränderungen in den lebenswichtigen Centren
hervorgerufen haben müssen, so muss die relative Geringfügigkeit
der klinischen Folgeerscheinungen Befremden erregen.
Ich will gewiss nicht daraus die Folgerung herleiten, dass
wir unseren alten eingewurzelten Respekt vor dieser geweihten
Stätte verlieren sollen. Aber wir dürfen doch so viel sagen,
dass die Chirurgie mit ihren Indikationen vor diesem Gebiet nicht
Halt zu machen braucht, so dass z. B. der schon von Bruns ge¬
machte Vorschlag, den Cysticercus des vierten Ventrikels operativ
anzugreifen, in diesen unseren Erfahrungen eine tatsächliche Unter¬
lage erhält. _
II. Chirurgischer Teil.
Von
F. Krause.
Am 23. Juni 1911 nahm ich die Trepanation über der linken
hinteren Scbädelgrube, etwas auf die rechte Seite hinübergreifend,
also einschliesslich der Crista occipitalis, vor. Am 30. Juni
folgte die zweite Zeit. Nach Herabscblagen des Hautknochen¬
lappens zeigte sich die linke Hemisphäre sehr stark gespannt,
so dass beim Umschneiden der Dura in typischer Weise das
Kleinhirn sich mit äusserster Gewalt in die obere Schnittfläche
vorpresste und die Arachnoidea und Pia einrissen. Als der
mediane Duraschnitt mit der Schere gebildet wurde, entleerte
sich in starkem Strahl Liquor unten aus den Arachnoideal-
mascheD, schätzungsweise 150 ccm. Der Duralappen wurde schnell
vollendet und nach uuten geschlagen. Dabei zeigte sich im
Oberwurmgebiete hinten unten ein kleinkörniger, gelblichroter
Tumor, dessen Oberfläche vom Aussehen einer Brombeere war.
Um die Geschwulst in allen Grenzen freizulegen, wurde nach
Verlängerung des oberen Schnittes und Ablösung der Weichteile
von der rechten Schuppe noch ein Randteil von 2 cm fort-
genommen, da ja die in der Mitte liegende Crista schon in der
ersten Zeit herabgeschlagen worden war. Nun wurde zur Unter¬
bindung der Falx cerebelli und des Sinus occipitalis die Dura
der rechten Kleinhirnhemisphäre oben unter dem Sinus transversus
quer inzidiert. Die Spannung war vollkommen verschwunden,
uod das Gehirn lag der Dura nicht mehr an. In typischer Weise
wurde der Sinus occipitalis samt der Falx cerebelli zwischen zwei
Ligaturen durch trennt, so dass das ganze Wurmgebiet frei zu¬
gänglich war.
Genau in der Mittellinie unten, nach der Medulla oblongata
zu, lag der von grauweisslicher Arachnoidea bedeckte Tumor. Er
hatte jetzt in situ eioe freiliegende Oberfläche von 2 cm Breite;
seine Höbe konnte noch nicht genau bestimmt werden, da er
pach der Medulla oblongata zu tief berabreichte, maass aber
mindestens 3 cm. Nach Entfernung der Arachnoidea wurde ver¬
sucht, die Geschwulst von unten her auszulösen, damit die ein¬
tretende Blutung die Uebersicht nicht störte, und zwar stumpf
mit kleinen in anatomische Pinzetten gefassten Tupfern. Dabei
kam links unten ein auffallend grosses geschlängeltes Gefäss von
2 mm Durchmesser zum Vorschein, wahrscheinlich eine Arterie.
Dieses Gefäss wurde mit Descbamps’scher Nadel doppelt unter¬
bunden und zwischen den Ligaturen durchtrennt; hierbei entleerte
sich noch etwas Liquor aus den Arachnoidealmaschen. Der Tumor
liess sich in ganzer Breite übersehen, nachdem die beiden Klein¬
hirnhemisphären mit stumpfen Hebeln vorsichtig auseinander¬
gezogen waren. In der oben angegebenen Weise wurde er vor¬
sichtig ausgelöst, was sich gut auRführen liess, weil er ab¬
gekapselt uod io seiner Konsistenz erheblich härter als die
umgebende Hirnsubstanz war. Die Maasse der exstirpierten Ge¬
schwulst betrugen: Länge, vonoben nach unten, reichlich 40 mm,
Dicke, von vorn nach hinteu, 25 mm, Querdurchmesser 30 mm.
Die Neubildung hatte zwischen Unterwurm und linker Hemi¬
sphäre gelegen und besass die Grösse einer sehr grossen Wal¬
nuss. Die geringe Blutung aus dem Geschwulstbett stand auf
leichte Tupferkompression. Nach Entfernung der Tupfer zeigte
sieb der vierte Ventrikel breit offen, so dass man die
Rantengrube an ihrer charakteristischen Form er¬
kannte und in voller Deutlichkeit Übersah.
Somit batte der Tumor im Dach des vierten Ventrikels
seinen Sitz gehabt und dieses, d. b. das Velum medulläre poste¬
rius, war mitentfernt worden. Die Rautengrube wurde genau auf
Tumorreste revidiert, indem die Crura cerebelli ad medullam ob-
longatam mit zwei kleinen Hirnspateln vorsichtig auseinander-
gezogen wurden. Dabei zeigte sich, dass die Geschwulst voll¬
kommen entfernt war.
Zum Schutz und zur Deckung der Rautengrube wurden die
beiden Kleinhirnhemisphären, die ja vollkommen unverletzt waren,
zusammen mit den Pedunculi cerebelli ad medullam oblongatam
von beiden Seiten her über sie zusammengelagert, so dass vom
vierten Ventrikel nur ein schmaler Spalt zu sehen blieb. Die
kleine Knochenplatte, die von der linken hinteren Schädelgrube
herstammte, wurde entfernt und die Dura folgendermaassen nach
oben gelagert. Die durchschnittene Falx cerebelli schlug ich zu¬
nächst herauf, so dass sie die schmale offene Stelle der Rauten¬
grobe vollkommen deckte, und liess sie oben mit der Haken¬
pinzette festhalten. Ebenso wurden die beiden seitlichen Dura¬
lappen nach oben gehalten und in dieser Stellung bei hinten¬
übergeneigtem Kopf der Hautmuskellappen ohne Drainage ein-
genäbt.
Trotz der Freilegung der Rautengrube kam es nach der
zweiten Operation weder am Tage selbst noch im weiteren Ver¬
laufe zu Störungen von seiten der Atmung oder des Herzens. Die
Temperatur erreichte einmal, am sechsten Tage nach der Ope¬
ration, abends 38,2°, wie sie auch nach der ersten Operation am
zweiten Abende bis 37.6° gestiegen war, hielt sich aber im
übrigen in den ersten zehn Tagen zwischen 36,5° und 37,9°, um
dann normal zu werden. Geringfügige Pulsschwankungen waren
gleichfalls festzustellen, jedoch überschritt seine Frequenz nie¬
mals 100, blieb vielmehr durchschnittlich auf 80—90 Schlägen.
Die Wunde verheilte nach der zweiten Operation glatt. In den
ersten Tagen floss eine mässige Menge Liquor ab, so dass der
Verband in den ersten vier Tagen täglich gewechselt werden
musste. Am achten Tage waren nur die auf der Haut selbst
liegenden Gazeschicbten durchtränkt, der Verband konnte daher
nach Herausnahme der meisten Nähte drei Tage liegen bleiben.
Der Rest der Nähte wurde am zwölften Tage entfernt.
Infolge der von Oppenheim erwähnten psychischen
Störungen nahm sich die Kranke in der neunten Nacht nach der
Operation in einem unbewachten Augenblick den Verband ab,
wie sie sagte, „auf Wunsch des Tapezierers“; da aber die Wunde
bereits primär verklebt war, hat dieses Unterfangen keinen
Schaden angerichtet. Später schwanden die psychischen Störungen
wieder.
Am 15. Juli 1911 hatten sich alle subjektiven Beschwerden
der Kranken wesentlich vermindert; der Verband war trocken
geblieben. Die Kranke erschien in besserer Stimmung und klagte
nur noch über geringfügige Störungen.
In der Zeit vom 15. Juli bis zum 9. August änderte sich
das Allgemeinbefinden der Kranken insofern, als der Appetit
sich vermehrte, der Kopfschmerz nnd das Schwächegefühl ab-
nahmen und in der Nacht meistens Schlaf ohne Betäubungs¬
mittel erzielt werden konnte. Im linken oberen Wundwinkel
hatte sich vom 20. Juli ab ein anfangs erbsengrosser Hirnprolaps
gebildet, der bis zum 9. August die Grösse einer Haselnuss er¬
reichte. Auf der Höhe dieser Vorwölbung bildete sich ein deut¬
lich sichtbarer Punkt, aus dem Liquor heraustropfte. Sobald auf
den eingeheilten Hautlappen ein mässiger Druok ausgeübt wurde,
spritzte Flüssigkeit im Strahl hervor. Der Verband musste in¬
folge des Liquorflusses jeden zweiten Tag gewechselt werden.
Blieb er gelegentlich zwei Tage trocken, so nahmen die Kopf¬
schmerzen an Heftigkeit zu, und die Kranke erbrach dann wieder
morgens und abends. Sie klagte bisweilen über wechselndes
Kälte- und Hitzegefühl am ganzen Körper, über Schwäche im
linken Arm und linken Bein und empfand jede stärkere Licht¬
einwirkung als schmerzhaft. An einigen Tagen konnte die Kranke
das Bett für eine halbe Stunde mit dem Lehnstuhl vertauschen,
fühlte sich aber noch zu schwach, um längere Zeit aufzusitzen.
Die Temperaturkurve zeigte vom 22. Juli ab zunächst Zacken
und Remissionen, die zwischen 36,6 und 39,0° schwankten; vom
6. August war die Temperatur wieder normal (abends nicht über
37,2°). Die Kranke konnte sich allein ohne jedes Schwindel¬
gefühl im Bett aufsetzen.
Seit dem 10. August besserte sich der Zustand wesentlich,
Stimmung und Appetit wurden gut, Kopfschmerzen und Schwindel¬
gefühl schwanden, ebenso wurde das Blendungsgefühl gering.
Die Pulszahl sank auf 76, die Temperatur auf 86,8°. Diese auf-
fallende^Besserung ging mit Verschwinden des Liquorflusses und
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
starker Verkleinerung des Prolapses einher and schritt im weiteren
Verlauf ständig fort.
Die Tatsache, dass der vierte Ventrikel ohne unmittelbare
Lebensgefahr breit eröffnet werden kann, verdient um so grössere
Beachtung, wenn man bedenkt, welche lebenswichtigen Nerven-
elemente dem Boden der Rautengrube eingelagert sind.
Das gute Ergebnis ist meines Erachtens nur dadurch erreicht
worden, dass ich nach Beendigung der Exstirpation die Rauten¬
grube durch Deberlagerung mit den beiden Kleinhirnhemisphären
und der Dura sofort vollkommen geschlossen habe. Auf diese
Weise ist einer sekundären postoperativen Erweichung vorgebeugt
worden, die doch auch in mildester Form an dieser Stelle un¬
zweifelhaft den Tod herbeigeföhrt haben würde. In einem früheren
Falle, in dem ich wegen einer ähnlichen Neubildung den Aquae¬
ductus Sylvii eröffnen musste, habe ich wegen der nicht unbe¬
trächtlichen Blutung einen kleinen Gazetampon zurückgelassen,
und, während der Verlauf in den ersten fünf Tagen ausgezeichnet
war, den elfjährigen Knaben sieben Tage nach der Operation
unter allgemeinen Krämpfen plötzlich verloren, nachdem ich zwei
Tage zuvor die Bindengaze herausgezogen hatte. Offenbar sind
hier Erweichungen die Folge der Tamponade gewesen, die durch
ihren auf Pyramide und Medulla oblongata ausgeübten Reis zu
den tödlichen Krämpfen geführt haben. Nach meinen Erfah¬
rungen muss ich immer wieder mit aller Schärfe betonen, dass
die operativen Hirn- und auch Rückenmarkswunden, natürlich im
Vertrauen auf eine streng durchgeführte Asepsis und nach ge¬
nauester Blutstillung ohne jede Drainage oder Tamponade, sofort
durch die primäre Naht geschlossen werden sollen.
Aus dem physiologischen Laboratorium der Nerven*
klinik der Königl. Charite (Dir.: Geh.-Rat Bonhoeffer).
Zur Kleinhirnlokalisation. 1 )
Von
Max Rcthmana.
In früheren Demonstrationen, die zum Teil in der Physio¬
logischen Gesellschaft stattfanden, hatte ich einige Tatsachen
mitteilen können, die auf eine weitgehende Lokalisation der
Funktion in der Rinde des Kleinhirns hinwiesen und nach dieser
Richtung die auf vergleichend-anatomischen Untersuchungen sich
aufbauenden Schlösse Bolk’s sowie die ersten Exstirpations¬
versuche van Rijnbeck’s bestätigen konnten (1). Es zeigte
sich tatsächlich, dass beim Hunde im Crus primum des Lobus
ansiformis (Lobus quadrangularis) des Kleinhirns ein Centrum
für die vordere Extremität der gleichen Seite, im Crus secundum
des Lobus ansiformis (Lobus semilunaris superior) ein Centrum
für die hintere Extremität nachweisbar ist. Ganz in Ueberein-
Stimmung damit liessen sich auch beim Affen durch Läsionen im
Gebiet des Lobus quadrangularis Störungen im gleichseitigen Arm,
durch Läsionen im Gebiet des Lobus semilunaris Störungen im
gleichseitigen Bein erzielen.
Während die früheren Untersucher, vor allem vanRijnbeck
und Hulshoff-Pol bei den Läsionen des Lobus ansiformis eine
Dysmetrie der Bewegungen der betreffenden Extremität, Habnen-
sehritt, Hochheben der Pfote bis zum Salute militare beobachtet
hatten, konnte ich feststellen, dass bei auf die Rinde des be¬
treffenden Kleinhirnabschnittes lokalisierten Exstirpationen der¬
artige Symptome durchaus uicht regelmässig und nur in der
ersten Zeit der Beobachtung auftraten. Dagegen findet sich als
konstantes Symptom der Ausschaltung des Lobus quadrangularis
beim Hunde die Verstellbarkeit der vorderen Extremität der
gleichen Seite nach allen Richtungen, am stärksten nach hinten
und aussen, verbunden mit der Möglichkeit, das Bein am Tisch¬
rand zu versenken. Wenn auch diese Symptome bei längerer
Lebensdauer wesentlich an Intensität abnehmen, so lassen sich
doch noch nach Monaten deutliche Residuen derartiger Störungen
nachweisen.
ln der gleichen Weise wie durch Ausschaltung der Rinde
des Lobus quadrangularis (Cras I des Lobus ansiformis) Störungen
der vorderen Extremität, waren durch die Zerstörung der Rinde
des Grus II des Lobus ansiformis des Hundes die gleichartigen
Ausfallserscheinungen in der gleichseitigen hinteren Extremität
1) Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am
16. Januar 1913 gehaltenen Vortrag.
zu erzielen. Die Erscheinungen erinnern weitgehend an die Lage¬
gefühlsstörungen in den gekreuzten Extremitäten nach Aus¬
schaltung der Extremitätenregion der Grosshirnrinde, nur dass
bei dieser Grosshirnläsion die Schädigung des Lagegefühls sich
durch abnorme Stellung der Glieder, Stehen auf dem Fussrücken
usw. bereits spontan auffälliger bemerkbar macht. Auch ist der
Versenkungsversuch bei Fortfall der Grosshirnkomponente von
einer ausgesprochenen Streckstellung der Extremitäten begleitet,
während der cerebellare Ausfall mit einer Flexionsstelluog der
versenkten Extremitäten einhergeht. Immerhin schien es mir
berechtigt, bei diesen cerebellaren Ausfallserscheinungen von
Störungen des Lagegefühls zu sprechen, die auf dem Fortfall
einer unter der Schwelle des Bewusstseins gelegenen Komponente
des Muskelsinus beruhten. Die weitgehende Regulierung der
Haltung der Extremitäten bei dem Hunde ohne Grosshirn weisen
ja auch auf eine derartige Funktion des Kleinhirns hin.
Es lag nun nahe, anzunehmen, dass im Gebiet dieser Extre¬
mitätenregionen der Kleinhirnrinde eine weitergehende Lokali¬
sation besteht, derart, dass die Regulierung bestimmter Muskel¬
gruppen von bestimmten Abschnitten des cerebellaren Vorderbein-
bzw. Hinterbeincentrums abhängig ist. Auf eine solche feiner
ausgearbeitete Lokalisation weisen auch die Ergebnisse der elek¬
trischen Reizung im Gebiet der vorderen Kleinhirnpartien hin,
indem mit dem faradischen Strom von der unteren Partie des
Lobus quadrangularis eine Aufwärtsbewegung der Zehen, gefolgt
von einer Vorwärtsbewegung des ganzen gleichseitigen Vorderbeins,
von der oberen Partie ein Auseinanderspreizen der Zehen mit
Hochbeben des gleichseitigen Vorderbeines erzielt wurde, während
Reizung des Lobus anterior eine Abwärtsbewegung der Zehen
beider Vorderbeine mit Zurückziehen derselben auslöste. Trotz
darauf gerichteter Aufmerksamkeit war es mir aber in früheren
Versuchen nicht gelungen, eine weitergehebende Lokalisation im
Gebiet des Lobus quadrangularis nachzuweisen. Nur fiel es auf,
dass bei Läsionen der dorsalen oberen Abschnitte des Lobus
quadrangularis eine besonders starke Beugekontraktur des Vorder¬
beines in den ersten Tagen auftrat, die an den Salute militare
erinnerte.
Inzwischen hat Barany (2) in der Fortsetzung seiner Ver¬
suche über die Beziehungen des Vestibularisapparates zu den
Kleinhirnfunktionen und vor allem zu den Zeigefunktionen der
Arme bzw. des Kopfes beim Menschen eine weitgehende Lokali¬
sation im Gebiet der cerebellaren Centren für die Extremitäten¬
bewegungen angenommen. Kommt es beim normalen Menschen
bei Ausspülung eines Ohrs mit kaltem Wasser zum Vorbeizeigen
des gleichseitigen Armes nach aussen, so treten bei Läsion einer
Kleinhirnhemisphäre solche abnormen Zeigereaktionen des Armes
bald nach aussen, bald nach innen spontan auf, während die
Ohrausspülung sie nicht mehr auslöst. Bäräny konnte nun bei
Menschen, deren Cerebellum nach osteoplastischen Operationen
hinter dem Ohr von dem Knochen entblösst und nur von der
Haut bedeckt war, durch die Trendelenburg’sche Abkühl ungs-
metbode nachweisen, dass Abkühlung bestimmter Stellen der
unteren Partien der Kleinbirnhemisphären mit dem Aethyl-
chloridspray zum Vorbeizeigen des gleichseitigen Armes in be¬
stimmter Richtung führte. Bärany schloss aus seinen Er¬
gebnissen, dass an der Unterfiäche des Kleinhirns lateral das
Centrum für die Bewegungen des Armes nach einwärts, etwas
nach innen davon das Centrum für die Handgelenksbewegung
nach einwärts gelegen wäre, und dass demnach die Hemispbären-
rinde des Kleinhirns mit Centren für die einzelnen Gliedabschnitte
in den verschiedenen Richtungslinien besetzt wäre. So müssen
nach Bäräny für jedes Gelenk im Kleinhirn vier selbständige
Centren für die Bewegung nach rechts, nach links, nach oben
und nach unten vorhanden sein.
Bei Versuchen, die ich in letzter Zeit wieder aofgenommen
habe, um im Gebiet des Lobus quadrangularis des Hundes bald
nur den medialen Teil, bald den lateralen Teil, bald die obere
und bald die untere Hälfte der Kleinhirnrinde zu zerstören, ist
es nun auch beim Hunde gelungen, zu positiven Resultaten hin¬
sichtlich einer weitergehenden cerebellaren Lokalisation im Gebiete
der Extremitätenfunktionen zu gelangen.
Wird bei einem Hunde nach Freilegung des Lobus quadran-
gularis von vorn her nur der lateral gelegene Teil dieses
Kleinhirnabschnittes zerstört, so zeigt ein solcher Hund bei dem
im übrigen ungestörten Laufen eine etwas schleudernde Bewegung
des gleichseitigen Vorderbeins, das bei der Vorwärtsbewegung
etwas nach aussen geht. Es lässt sich aber weiterhin feststellen,
dass das betreffende Vorderbein weit nach aussen bzw. nach
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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aussen and hißten verstellt werden kann, ohne dass diese ab¬
norme Stellung korrigiert wird. Bisweilen gelingt es sogar, das
Bein dabei auf den Fussrücken zu stellen. Auch vermag man
das Vorderbein nach aussen und vorn zu verstellen; dasselbe
verharrt einige Zeit in dieser abnormen Stellung, die dann aber
doch korrigiert wird. Versucht man jetzt das Vorderbein nach
inoen zu verstellen, so gelingt das absolut nicht; im Moment der
Innenbewegung tritt eine starke Innervation der Abduktoren des
Vorderbeins auf, die dasselbe in die Normalstellung zurückführen.
Sehr prompt gelingt nach dieser Operation auch der Versenkungs¬
versuch, bei dem das Vorderbein in der typischen cerebellaren
Beugestellung am Tischrand berabhängt. Wird die Intensität dieser
Erscheinungen auch allmählich geringer, so lassen sich doch noch
nach Monaten die Störungen des Vorderbeins deutlich nachweisen.
Wird bei einem Hunde der mediale, dem Lobus anterior
unmittelbar benachbarte Teil des Lobus quadrangularis zer¬
stört bei lotaktlassen der äusseren Lamellen desselben, so ist das
betreffende Vorderbein absolut nicht nach aussen verstellbar. Bei
jedem Versuch hierzu macht sich die starke Innervation der Ad¬
duktoren bemerkbar, die das Bein sofort in die Normalstellung
zurück führen. Dagegen gelingt es jetzt, das gleichseitige Vorder¬
bein nach innen zu verstellen, am besten nach innen und hinten,
weniger sicher auch nach innen und vorn. Dabei macht sich
häufig eine Neigung, das Vorderbein böcbzuheben, bemerkbar;
man muss dann das Abklingen derselben abwarten, um die Ver¬
stellung des Beins nach innen deutlich in die Erscheinung treten
zu sehen. Es gelingt nun auch, bei dem gleichen Hunde links
den lateralen Teil des Lobus quadrangularis, rechts den medialen
Teil desselben zu zerstören und so am gleichen Tier das Ver¬
stellen des einen Vorderbeins nach, aussen, des anderen nach
innen so demonstrieren. Der Versenkungsversuch gelingt auch
bei der Zerstörung des medialen Abschnitts des Lobus quadran¬
gularis in den ersten Tagen; doch kommt es allmählich zur
Restitution, so dass das versenkte Bein wieder gehoben wird.
Ueberhaupt sind die Folgen der medialen Zerstörung schwächere
als die der lateralen Partien. Die Verstellung des Beines nach
innen nimmt schon nach wenigen Tagen an Intensität ab; doch
ist sie auch nach mehreren Wochen noch deutlich vorhanden.
Aber selbst in der ersten Zeit nach der Operation lässt sich die
Intensität des Verstellens des Beins nach innen nach medialer
Ausschaltung mit der nach aussen- nach lateraler Ausschaltung
gar nicht vergleichen; es bängt dies offenbar mit der bereits
unter normalen Verhältnissen grösseren Exkursionsbreite derBein-
beweguDg nach aussen zusammen.
Es wurde nun weiterhin versucht, den oberen bzw. den
unteren Teil des Lobus quadrangularis isoliert zu zerstören.
Der obere Teil macht bei der Operation Schwierigkeiten, weil
dabei leicht der hinterste, am Sulcus intercruralis (Sulc. sup.
post.) gelegene Teil des Lobus quadrangularis stehen bleibt. Greift
die Zerstörung etwas tiefer, so kommt es häufig zu einer abnormen
Hebung des gleichseitigen Vorderbeins (Pagano’s Pose, Salute
militare), die aber bei reioer Rindenläsion höchstens angedeutet
ist. Trotzdem besteht eine Neigung des betreffenden Vorderbeins
zu abnormer Hebung, die sich aber bisweilen nur nachweisen
lässt, indem man bei nach hinten geneigtem Kopf des Hundes
den Vorderkörper hebt und dann wieder langsam senkt. Dann
kommt das gesunde Vorderbein in normaler Stellung als Stütz¬
bein auf die Tischplatte zu stehen, während das Vorderbein der
operierten Seite in gebeugter Stellung lange Zeit verharrt. Hier
macht sich der Einfluss der Kopfhaltung auf die Gliederstellung,
der bei den ßäräny’schen Prüfungen am Menschen und bei den
Tierversuchen von Magnus und de Rleijn (3) eine so grosse
Rolle spielt, in deutlicher Weise bemerkbar. Ein Verstellen der
Extremität nach den Seiten ist in den ersten Tagen nach der
Operatiou in der Regel schwach nachweisbar, bildet sich aber in
der Folgezeit rasch zurück. Ebenso ist der Versenkung«versuch
nur io der ersten Zeit schwach positiv, während in der Folge das
Bein prompt gehoben wird.
Wird der uotere Teil des Lobus quadrangularis zerstört,
so macht sich gleichfalls nur eine Andeutung von Verstellen nach
deu Seiten bemerkbar, die rasch zurückgeht. Dagegen ist das be¬
treffende Vorderbein auffallend stark versenkbar, hängt schlaff
in leichter Beogestellung herab ohne jeden Versuch der Korrektur.
Fassen wir noch einmal die Ergebnisse dieser partiellen
Exstirpationen im Gebiet des Lobus quadrangularis zu¬
sammen, so macht sich ein deutlicher Unterschied der Ausfalls¬
erscheinungen, je nach der Lage des exstirpierten Rindengebiets,
bemerkbar. Nach Zerstörung der lateralen Hälfte ist das gleich¬
seitige Vorderbein nach aussen bzw. nach aussen-hinten, weniger
nach aussen-vorn verstellbar und am Tischrand zu versenken;
nach Zerstörung des medialen Teils besteht Verstellen des Beins
nach inneu bzw. innen-hinten in etwas geringerer Intensität mit
leichter Neigung zur Hebung des Beins und der Möglichkeit des
Versenkens. Wird nur der obere Abschnitt zerstört, so besteht
ausgesprochene Neigung zur Hebung des Vorderbeins bei nur an¬
gedeutetem Verstellen und Versenken desselben; wird der untere
Abschnitt zerstört, so ist das betreffende Vorderbein stark zu ver¬
senken, obwohl es nach der Seite kaum verstellbar ist. Andere
Ausfallserscheinungen werden bei diesen partiellen Exstirpationen
des Lobus quadrangularis nicht beobachtet.
Ganz in der gleichen Weise ergeben nun beim Hunde die Ver¬
suche an dem als cerebellares Hinterbeincentrum festgestellten Grus
secundum des Lobus ansiformis (Lobus semilunaris superior). dass
Zerstörung der lateralen Hälfte desselben zum Verstellen des gleich¬
seitigen - Hinterbeins nach aussen bzw. nach aussen vorn und
aussen-hinten führt; zugleich wird beim Laufen das betreffende
Hinterbein etwas geschleudert und ungeschickt aufgesetzt. Auch
ist der Versenkungsversuch positiv. Wird der mediale Teil des
Crus II zerstört, so ist das gleichseitige Hinterbein nach innen
verstellbar. Auch hier besteht zugleich eine Neigung des Hinter¬
beins, gehoben zu werden; erst nach Abklingen dieses Reizes tritt
die abnorme Innenstellung des Beins deutlich hervor. Der Ver¬
senkungsversuch ist dabei nur angedeutet. Dieses Verstellen des
Hinterbeins nach innen ist nicht so stark ausgeprägt wie das ent¬
sprechende Verhalten des Vorderbeins und ist nach einigen Wochen
nur noch angedeutet nachweisbar. Dagegen ist die Verstellung
des Hinterbeins nach aussen nach Zerstörung des lateralen Ab¬
schnitts des Crus secundum noch nach Monaten deutlich zu de¬
monstrieren.
Auch hier kann man bei Kombination der Zerstörung des
lateralen Abschnitts des Crus secundum der einen Seite und des
medialen Abschnitts der anderen Seite die laterale Verstellbarkeit
des einen und die mediale des anderen Hinterbeins an dem
gleichen Hund demonstrieren. Endlich gelingt es auch, durch
kombinierte Partial Zerstörungen eines cerebellaren Vorderbein¬
centrums und eines cerebellaren Hinterbein centrums, gleichseitig
oder gekreuzt, Auswärtsstellung eines Vorderbeins und Einwärts¬
stellung eines Hinterbeins am gleichen Tier zu erhalten. Stets
kann man die streng lokalisierte, auf bestimmte Muskelkombi¬
nationen einer gleichseitigen Extremität begrenzte Störung nach
diesen Zerstörungen im Gebiet eines cerebellaren Extremitäten¬
centrums konstatieren.
Ist nach diesen Ergebnissen an einer weitergehenden Lokali¬
sation im Gebiet der als Extremitätencentren der Kleinhirnrinde
anzusprechenden Regionen nicht zu zweifeln, so gestatten uns
diese Resultate ausserdem, die Ausfallserscheinungen im Gebiet
der Extremitäten nach Ausschaltung der betreffenden Rinden-
centren der Kleinhirnhemisphäre etwas anders als bisher aufzu¬
fassen. Sb errington (4) bat neben den oberflächlichen Re-
ceptorenorganen, die teils von der äusseren Oberfläche als Extero-
ceptoren, teils von der intestinalen Oberfläche als Interoceptoren
wirken, ein proprioceptives System der tiefen Reizwirkungen
aufgestellt, das primär durch den Organismus selbst und höchstens
sekundär durch die Umgebung gereizt wird. Die Proprioceptoren
unterhalten den Reflextonos der Glieder, der aber auch vom
Labyrinth abhängig ist. Das Labyrinth gehört zum propriocep-
tiven System, indem es durch Wirkung auf die Kopfstellung das
ganze System beeinflusst. Endlich ist das Kleinhirn als ein
centrales Organ des proprioceptiven Systems aufzufassen, das den
Tonus der Skelettmuskulatur beherrscht.
Verstellen wir einem normalen Hunde eine Extremität aus
der Ruhehaltung nach aussen oder innen, so treten sofort die
Reflexe der antagonistischen Muskelgruppen als Proprioceptoren
in Aktion und führen da9 Glied in die statotonische Normal¬
stellung zurück. Wird ein ganzes Extremitätencentrum im Gebiet
der Rinde der Kleinhirnhemisphäre zerstört, so kommt es zur
weitgehenden Ausschaltung des ganzen proprioceptiven Systems
der betreffenden Extremität, die daher nach allen Seiten zu ver¬
stellen ist. Doch stellen sich die proprioceptiven Reflexe allmäh¬
lich bis zu einem gewissen Grade, wahrscheinlich mit Hilfe des
Grosshirns, wieder her. Wird nur der laterale Abschnitt des
Vorderbeincentrums exstirpiert, so kommt es zum Fortfall der
proprioceptiven Antagonistenreflexe der Adduktoren; das Bein
kann nach aussen verstellt werden. Wird der mediale Abschnitt
zerstört, so fallen die „proprioceptiven^ Reflexe der Adduktoren
fort; das Bein kann nach innen verstellt werden. In gleicher
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Weise erklären sich die Lagestörungen bei Fortnahme der oberen
bzw. der unteren Partie des Vorderbeincentrnms durch Fortfall
bzw. Abschwächung der entsprechenden Antagonistenreflexe.
Bei dieser Auffassung ist es nicht erforderlich, mit einem
unter der Schwelle des Bewusstseins gelegenen Muskelsinn oder
Lagegefuhl zu arbeiten. Die reflektorische Regulierung des Stato-
tonus (Edinger) der betreffenden Extremität, indem bestimmte
Rindenabschnitte bestimmten Proprioceptoren derselben vorstehen,
die bei Zerstörung der ersteren zum Fortfall kommen, genügt
vollkommen zur Erklärung der Lokalisation hinsichtlich der
Funktion der cerebellaren Kleinhirnhemisphären.
Damit wird aber auch eine Brücke geschlagen zu den Beob¬
achtungen beim Menschen, bei dem eigentliche Muskelsinnstörungen
bei cerebellaren Herdaffektionen niemals zur Beobachtung kommen.
Auch beim Menschen ist die normale Haltung und die Sicherheit
der Bewegung der Extremitäten an die auf dem System der
Proprioceptoren aufgebauten Antagonistenreflexe geknüpft. Daher
kommt es bei bestimmten Defekten der Kleinhirnhemisphären oder
bei den von Bär an y bewirkten temporären Abkühlungen der
Kleinhirnrinde zu den eigenartigen Abweichungen des Armes bzw.
der Hand in einer bestimmten Richtung. Es lässt sich aber er¬
warten, dass bei der weit höheren Entwicklung der Extremitäten¬
funktionen beim Menschen, vor allem im Gebiet des Armes, und
bei der im Vergleich zum Hunde enormen Ausbildung der mensch¬
lichen Kleiohirnhemisphären hier ein viel komplizierterer und viel
weitergehender lokalisierter Apparat derartiger Antagonistenreflexe
vorhanden ist. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der
menschlichen Kleinhirnforschung, hier zu sicheren Ergebnissen zu
kommen.
Weiterhin erfährt ein wichtiges cerebellares Symptom, dessen
Kenntnis wir Babinski (5) verdanken, durch diese Erkenntnis
von der Störung der Antagonistenreflexe bei cerebellaren Affektionen
weitgehende Aufklärung. Das ist die Adiadochokinesis,
d. h. die Unmöglichkeit, vor allem der Arme, antagonistische Be¬
wegungen, wie Flexion und Extension, Supination und Pronation,
mehrmals schnell hintereinander auszuführen. Zu der schnellen
Aufeinanderfolge dieser antagonistischen Bewegungen ist ein be¬
sonders gutes Funktionieren der Antagonistenreflexe erforderlich;
eine auch nur geringe Unsicherheit derselben führt zur Unfähig¬
keit, derartige Bewegungen rasch hintereinander auszuführen. Es
ist daher vollkommen verständlich, dass dieses Symptom bei
cerebellaren Prozessen häufig zur Beobachtung gelangt. Nur wird
man erwarten dürfen, dass bei genauer Beobachtung, je nach dem
Sitz der cerebellaren Affektion, nur bestimmte antagonistische Be¬
wegungen die Adiadochokinesis zeigen werden und man hierdurch
Anhaltspunkte für eine feinere cerebellare Rindenlokalisation ge¬
winnen wird.
Auch beim Affen, dessen cerebellare Einrichtungen denen
des Menschen weitgehend angenähert sind, habe ich bei Eingriffen
in das Kleinhirn wiederholt neben ataktischen Störungen ein Vor¬
beigreifen an vorgehaltenen Gegenständen beobachtet. So griff
ein Affe, dem Rindenzerstörungen in beiden Lobi quadranguläres
gesetzt waren, mit den Armen stets unter die vorgehaltenen
Gegenstände; ein Affe, dem auf einer Seite vorderer und hinterer
Kleinbirnschenkel durchtrennt waren, fuhr öfter am Vorgebaltenen
vorbei. Endlich griff ein Affe mit doppelseitig durchtrennten
vorderen und hinteren Kleinhirnschenkeln stets über die Gegen¬
stände hinaus. Hier müssen weitere, streng lokalisierte Rinden¬
exstirpationen im Gebiet der Kleiohirnhemisphären zeigen, inwie¬
weit auch beim Affen feste Beziehungen bestimmter Kleinbirn-
rindenläsionen zu bestimmten Richtungsstörungen der Extremitäten
beim Greifen bestehen.
Diese feinere Lokalisation im Gebiet der Kleinhirnrinde ist
aber keinenfalls auf die Extremitätencentren der Hemisphären
beschränkt. Hatte Luciani bereits bei Wurmläsionen das „Nein¬
schütteln“ des Kopfes (Ropfastasie) beobachtet, so konnte
van Rijnbeck (6) dasselbe durch eine isolierte Exstirpation im
Gebiet des Lobus simplex, das er als ein Halsmuskelcentrum an-
sprach, erzielen. Doch zeigten die anatomischen Untersuchungen
von Binnerts (7), dass nur beiderseitige tiefgreifende Läsionen
des Lobulus simplex das Kopfscbütteln hervorrufen, während es
bei oberflächlichen Läsionen nicht zu beobachten ist. Demgegen¬
über erzielte Louriö (8) bei Läsionen im Gebiet des Lobus
anterior dicht oberhalb des Velum medulläre anterius einen Kopf¬
tremor, der Monate hindurch zu beobachten war und im wesent¬
lichen in einer *Ja w -Bewegung des Kopfes bestand. Also auch
hier scheinen durch Läsion zweier verschiedener Stellen der Klein¬
hirnrinde zwei in ihrer Anordnung voneinander wesentlich ab¬
weichende Störungen der Kopfhaltung ausgelöst zu werden, die
auf Differenzen in der Lokalisation der Innervation der Nacken¬
muskulatur im Gebiet des Lobus anterior bzw. Lobulus simplex
hinzuweisen scheineu.
Endlich möchte ich noch mit einigen Worten auf die von
Katzenstein und Rothmann (9) festgestellte Lokalisation der
Kehlkopfinnervation im Lobulus centralis des Lobus anterior
eingehen. Ausgehend von der von Bolk ausgesprochenen Ver¬
mutung, dass im Lobus anterior eine Vertretung für die Innervation
von Kehlkopf und Zunge vorhanden sein dürfte, fanden wir bei der
planmässigen Durchforschung der Kleinhirnrinde des Hundes, dass
Zerstörung des im unteren Teil des Lobus anterior gelegenen Lobulns
centralis regelmässig zu einer eigenartigen Störung der Kehlkopf¬
innervation führt, die sich in einem nicht festen Stimmlippen¬
schluss und einer sakkadierenden Auswärtsbewegung der Stimm¬
lippen äussert. Zugleich gehen die Stimmlippen nach aussen
nicht wesentlich über die Cadaverstellung hinaus. Neben dieser
Erschlaffung und Ataxie der Stimmlippen, die auch mit einem
Fortbleiben des Beilens für l 1 /»—2 Monate und einer eigentüm¬
lich hohen, blechernen Stimme verbunden ist, kommt es regel¬
mässig bei Zerstörung des ganzen Lobus anterior oder des Lobulus
centralis allein zu einer ausgesprochenen Schwäche der Kiefer¬
muskulatur. Die Kiefer setzen der Oeffnung des Maules keinen
Widerstand entgegen; ja oft bängt der Unterkiefer direkt etwas
herab. Zugleich macht häufig auch die Zunge einen schlaffen,
zurückgesunkenen Eindruck. Wurde nur der obere Teil des Lobus
anterior zerstört, so traten diese Störungen gar nicht oder nur
schwach und vorübergehend auf. Auch die Läsionen der übrigen
Kleinhirnrinde führten niemals zu gleichartigen Störungen. So
konnte ich wiederholt bei völliger Rindenzerstörung des Lobus
medianus posterior normale Keblkopfbewegung und kräftiges
Bellen nach wenigen Tagen feststellen. Demgegenüber bat nun
Grabower (10) in einer Reihe von Versuchen den „vordersten
und nach unten in die Ventrikelhöhle hineinsebauenden“ Teil des
Lobus anterior mit einem scharfen Löffel oder mit einer Haken¬
pinzette zerstört und danach keine Störung der Stimmlippen¬
innervation naebgewiesen. Da er aber wiederholt Innervations¬
störungen der Stimmlippen durch die Narkose allein bedingt sab,
so nahm er an, dass Rothmann und Katzenstein bei ihren
Versuchen den Einfluss der Narkose unbeachtet Hessen. Zu dieser
Annahme konnte Grabower nur gelangen, weil er unsere Publi¬
kation nicht abwartete, sondern unsere Angaben einem kurzen
Autoreferat entnahm. Er hätte sonst leicht feststellen können,
dass wir die Stimmlippenbewegungen in der Narkose vor der
Operation stets sorgfältig kontrollierten, ferner aber, dass es
sich bei den von uns beobachteten Kehlkopfstörungen nicht
um vorübergehende Erscheinungen in der Narkose nach der Ope¬
ration, sondern um Monate hindurch anhaltende Abweichungen
von der Norm handelte. Bei der abnormen Kieferschwäche der
von uns derart operierten Hunde gelang es ausserdem, eine grosse
Zahl derselben in den Tagen nach der Operation ohne Narkose
zu autoskopieren und so die Abweichungen der Stimmlippen von
der Norm ganz unbeeinflusst von der Narkose zu beobachten.
Nun ist es aber sehr auffällig, dass Grabower auch die Kiefer-
schwäcbe bei seinen Versuchen nicht feststellen konnte. Bei
dem einzigen Versuch, bei dem ein von ihm operierter Hund die
Operation zwei Tage überlebte, bellte der Hund am Tage nach
der Operation kräftig; die Kiefer konnten nur mit grosser Mühe
auseinandergehalten werden, auch die Zunge zeigte kräftige Inner¬
vation.
Nach diesem Ergebnis Grabower’s lässt sich mit Bestimmt¬
heit sagen, dass seine Experimente nicht mit den unsrigen über¬
einstimmen. In einigen Präparaten von operierten Hunden, die
mir Herr Grabower zeigte, und an denen er unsere Angaben
widerlegt haben wollte, konnte ich ihm das Erhaltensein des
Lobulus centralis demonstrieren. Die weiteren Präparate habe
ich nicht gesehen; aber es ist mir nach den vorliegenden klinischen
Resultaten nicht wahrscheinlich, dass die Exstirpationen in aus¬
reichender Weise diese Gebiete des Lobus anterior zerstört haben.
Jedenfalls muss ich auch nach meinen weiteren Erfahrungen an
der Beeinflussung der Kehlkopfinnervation von den unteren Ab¬
schnitten des Lobus anterior des Kleinhirns (Lobulus centralis)
aus unbedingt festhalten*).
1) In einem Referat von van Rijnbeck (11) ist die Frage auf¬
geworfen worden, warum ich die Angabe Louri6’s, dass die Hunde
nach Exstirpation des Oberwurms nicht mehr bellten und Cadaver-
t Stellung des Kehlkopfes zeigen (Pflüger’s Archiv, Bd. 133, S. 282), nicht
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
339
Wenn es gelangen ist, die Lehre von der Lokalisation in
der Kleinhirnrinde durch die vorliegende Versuchsreihe zu be¬
festigen und zu erweitern, so sehen wir hier im Bereich des
Kleinhirns dieselben anatomischen und physiologischen An¬
schauungen zur Herrschaft gelangen, um die der Kampf im Gebiet
der Grosshirnrinde so lange und heftig getobt hat. Hatte mein
soeben dahingegangener verehrter Lehrer Hermann Munk von
Anfang seiner Tätigkeit auf diesen Gebieten an die Lokalisation
der Funktionen in der Grosshirnrinde als ein physiologisches
Postulat bezeichnet, dessen Befestigung er seine Lebensarbeit
widmete, so ist diese Erweiterung der Lehre von der Hirnlokali¬
sation durch die moderne Kleinhirnforscbung die schönste Be¬
stätigung dafür, dass der lokalisatorische Grundgedanke das ganze
Centralnervensystem beherrscht und für Physiologie und Patho¬
logie in gleicher Weise ausserordentlich fruchtbringend ge¬
worden ist.
Die Arbeit ist mit Unterstützung der Gräfin Bose-Stiftnng
ausgeführt worden. Dem Kuratorium derselben sage ich meinen
verbindlichsten Dank.
Nachtrag bei der Korrektur. Nach Abschluss der Arbeit
erhalte ich Kenntnis von einer neuen Arbeit Bäräny’s, „Lokali¬
sation in der Rinde der Kleinhirnhemisphären des Menschen“ 1 ),
in der Bäräny auf Grund seiner reichen Erfahrung bereits bestimmte
Centreu für den „Auswärtstonus“, „Einwärtstonus“, „Abwärts¬
tonus“ der verschiedenen Gelenke des Arms bzw. des Beins auf der
Kleinhirnrinde des Menschen bezeichnet. Kann man in der all¬
gemeinen Auffassung eine erfreuliche Uebereinstimmung der Er¬
gebnisse beim Menschen mit den Resultaten der experimentellen
Kleinhirnphysiologie, die ja Bäräny reiche Anregung verdankt,
feststellen, so halte ich es doch für wahrscheinlich, dass in den
Einzelheiten die „Foci“ beim Menschen noch Korrekturen erfahren
werden. Wenigstens ist es mir unwahrscheinlich, dass Centren
für Armgelenk und Hüftgelenk derart benachbart in dem gleichen
Kleinbirnabschnitt lokalisiert sind, wie Bäräny dies angibt. Bei
den komplizierten Verhältnissen der menschlichen Pathologie ist
es ja auch durchaus verständlich, dass hier grosse Schwierigkeiten
zu überwinden sind. Jedenfalls haben wir diese ersten positiven
lokal isatorischen Ergebnisse Bäräny’s beim Menschen als einen
grossen Fortschritt in der Erkenntnis der menschlichen Klein-
hirnfunktion zu begrüssen.
Literatur.
1. Max Rothmann, Ueber die Funktion der Rinde der Kleinhirn¬
hemisphären. VerhandJ. d. Berliner physiol. Gesellschaft. Med. Klinik,
1910, Nr. 25. Derselbe, Zur Funktion des Kleinhirns. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 41, S. 105. — 2. Bäräny, Ueber Lokali¬
sation in der Kleinhirnrinde. Wiener med. Wochenscbr., 1911, Nr. 34.
Derselbe, Funktionelle Prüfung des Vestibularapparats. Ref. Verband!,
der Deutschen otolog. Gesellschaft, 1911, S. 1. — 8. R. Magnus und
A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von
der Kopfstellung. Tflüger’s Archiv,Bd. 145, S.455. — 4. C.S.Sherrington,
On the proprioceptive System, especially in its refiex aspect. Brain,
1906, Bd. 29, S. 467. — 5. J. Babinski, Quelques documents relatifs
ä l’histoire des foncthms de l’appareil cäröbelleux et de leurs per-
turbations. Rev. mensuelle d. mäd. interne et de therapeutique, 1909. —
6. G. van Rijnbeck, Over functioneele Localisatie in het cerebellum.
Rotterdam 1906. — Derselbe, Das Lokalisationsproblem im Kleinhirn.
Ergehn, d. Physiol., 1908, Bd. 7, S. 653—698. — 7. A. Biunerts, Over
localisatie von funoties in het cerebellum. Amsterdam 1908. — 8. A.
Louriä, Partielle Kleinhirnexstirpation. Verhandl. d. Berliner physiol.
Gesellsch., Jabrg. 34, 1910, S. 92. — 9. J. Katzenstein undM. Roth¬
mann, Zur Lokalisation der Kehlkopfinnervation in der Kleinhirnrinde.
Beitr. z. anatom. Physiol. usw. des Ohres, der Nase u. des Halses, 1912,
Bd. 5, S. 880. — 10. Grabo wer, Zur Frage eines Keblkopfcentrums in der
Kleinhirnrinde. Archiv f. Laryngol. u. Rhinol., Bd. 26, H. 1. — 11. van
Rijnbeck, Weitere Beiträge zum Lokalisationsproblem im Kleinhirn.
Folia neurobiol., 1912, Bd. 6, Ergänzungsheft.
berücksichtigt habe. Hierauf kann ich nur erwidern, dass Louriä, der
damals im gleichen Laboratorium wie wir arbeitete, nicht richtig zu¬
gehört hat; sonst hätte er die Stimmlippen nicht in Cadaverstellung
stehen lassen, sondern sie, wie Katzenstein und Rothmann fest-
stellten, niobt wesentlich über die Cadaverstellung sich hinausbewegen
lassen. Im übrigen ist mir von einer „Arbeit“ des Herrn Louriä
über die cerebellare Kehlkopfinnervation nichts bekannt.
1) Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 52.
Aus der experimentell-biologischen Abteilung des
Kgl. pathologischen Instituts der Universität zu Berlin.
Pankreas, Leber und KohlehydratstoffwechseL
Von
Prof. Dr. J. WohlgCMth,
Assistent am Institut.
Seit der Entdeckung von v. Mering und Minkowski, dass
totale Pankreasexstirpation einen schweren Diabetes des Tieres
zur Folge hat, ist man allgemein davon überzeugt, dass dem
Pankreas im Kohlehydratstoffwechsel eine dominierende Stellung
zukommt. Wie man sich aber die Wirkung des Pankreas zu er¬
klären bat, darüber sind die Ansichten noch sehr geteilt; ja man
kann ohne Uebertreibung sagen, dass man heute mehr denn je
von einer einheitlichen Auffassung der Pankreasfunktion entfernt
ist. Denn je tiefer man in das Problem eindringt, um so kom¬
plizierter und verwickelter erweisen sich die Verhältnisse. Das
haben besonders deutlich die Arbeiten der letzten Jahre gezeigt,
die einen nahen Zusammenhang zwischen Pankreas, Nebenniere
und Schilddrüse sehr wahrscheinlich machen konnten. Es würde
zu weit führen, auf diese und ähnliche Punkte, die, wenn man
sie auch als ganz einfach darzustellen sucht, doch noch recht
dunkler Natur sind, des näheren einzugehen. Ich kann mir das
um so eher ersparen, als erst vor kurzem eine ausgezeichnete
kritische Darstellung aller dieser Verhältnisse von S. Rosen¬
berg in der Medizinischen Klinik, Jahrgang 1912, Nr. 42, 43, 45,
erschienen ist.
Zu den Organen, die zu dem Pankreas in enger Beziehung
stehen, gehört zweifelsohne auch die Leber. Darauf deutet ein¬
mal schon die Tatsache hin, dass alles Blut, welches aus dem
Pankreas kommt, auf dem Wege über die Pfortader erst die Leber
passieren muss, ehe es in die Vena cava gelangt. Sodann hat
gerade das Studium des experimentellen Diabetes ergeben, dass
die Leber die Fähigkeit der Glykogensynthese einbüsst, sobald
man das Pankreas aus dem Körper entfernt hat.
Es war nun von Interesse zu untersuchen, wie der Glykogen¬
bestand der Leber bzw. der Kohlehydratstoffwechsel überhaupt
sich gestalten würde, wenn man, statt das Pankreas aus dem
Körper auszuschalten, im Gegenteil noch dafür sorgt, dass ausser
dem sogenannten inneren Sekret auch das durch die Pankreas¬
gänge sonst nach aussen in das Darmlumen abfliessende Sekret
in den Blutkreislanf Übertritt, wenn man also den tierischen
Organismus mit Pankreassekret gleichsam überschwemmt. Hierfür
haben wir ein bequemes und sicheres Mittel in der Unterbindung
der Pankreasgänge.
Versuche mit Einführung von Fremdkörpern in den Aus-
führungsgang der Pankreasdrüse zwecks Verschluss derselben bzw.
mit Unterbindung der Pankreasgänge waren schon früher ans¬
geführt worden in der Absicht, eine Verödung der Drüsensubstanz
zu erzielen, und um festzustellen, ob bei allmählichem Eintritt
einer Atrophie der Drüse sich ein ähnlicher Diabetes entwickelt
wie nach einer Pankreasexstirpation. Demnach war auch die
Aufmerksamkeit bei diesen Versuchen, an denen sich namentlich
französische Autoren wie Wedon, Gley und Thiroloix be¬
teiligten, fast ausschliesslich auf das Auftreten von Zucker im
Harn gerichtet, ohne dass sie einen Anhaltspunkt für einen ge¬
störten Znckerabban gegeben hätten.
Lepine und Bonlud gingen einen Schritt weiter and fanden,
dass der Blutzuckergebalt solcher Tiere vermindert und ihre
glykolytische Kraft verstärkt war. Ich muss gestehen, dass mir
die Arbeit von Lepine and Boulud völlig entgangen war, und
dass ich erst Kenntnis von ihr erhielt, als meine Versuche bereits
abgeschlossen waren. Ich bedauere das aber keineswegs, zumal
ich zu Resultaten gekommen bin, die von den ebengenannten
wesentlich differieren.
Ueberdies habe ich auch von ganz anderen Gesichtspunkten
ans meine Untersuchungen angestellt, nnd zwar liess ich mich
von folgender Ueberlegung leiten:
Dass das diastatische Ferment an dem Kohlehydratstoffwechsel
aktiv beteiligt ist, dürfte wohl kaum einem Zweifel unterliegen.
Wenn man nun für einen Uebertritt von Pankreassekret in die
Blutbahn sorgt, so bewirkt man damit gleichzeitig, dass sich im
Blute ungeheure Mengen an diastatischem Ferment ansammeln.
Die Mengenverhältnisse gestalten sich nach meinen Erfahrungen
so, dass beispielsweise beim Hand, der normaliter in seinem Blut
einen Diastasegehalt von D^° = 320 hat, nach erfolgtem Ueber-
2 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
340
tritt von Pankreassaft ins Blut Diastasewerte amotreffen sind,
welche den Normal wert um das 20- bis 30 fache, ja 60 fache über¬
steigenkönnen = 6120—10 240—20 480). Ganz ähnliche,
wenn auch nicht ganz so grosse Differenzen gegenüber der Norm,
findet man auch beim Kaninchen nach Uebertritt von Pankreas-
sekret ins Blut. Dass nun so gewaltige Verschiebungen im Ferment¬
gehalt des Blutes für den Glykogen- bzw. Kohlehydratbestand
des tierischen Organismus nicht gleichgültig sein konnten, lag
auf der Hand, und es war um so verlockender, diesem Gedanken
experimentell nachzugehen, als das bisher noch von keiner Seite
geschehen war.
Zu meinen Untersuchungen, die ich in Gemeinschaft mit
den Herren Lenard - Budapest, Geyelin-Villa Nova (Penn¬
sylvania), Minami-Tokio vornahm, und über die hier nur ganz
kurz, an anderer Stelle aber ganz ausführlich berichtet werden
soll, benutzte ich ausschliesslich Hunde und Kaninchen. Um
das Pankreassekret in das Blut überzuleiten, wurden den Tieren
die Paukreasausführungsgänge unterbunden. Schon wenige Stunden
darauf erfolgte der Uebertritt des Sekrets ins Blut, ln der Mehr¬
zahl der von mir beobachteten Fälle konnte ich schon nach
6 Stunden, in manchen bereits nach 4, bisweilen sogar schon
nach 3 Stunden das Auftreten der ersten Mengen von Pankreas-
sekret im Blut mit Sicherheit feststellen. Nach Verlauf von
24 Stunden ist die Fermentmenge im Blut für gewöhnlich schon
so gross, dass der Diastasegehalt des Blutes um das zehnfache
des ursprünglichen Wertes gestiegen ist, nach 48 bzw. 72 Stunden
erreicht er meist seinen Höhepunkt, uud nachdem er sich einige
Tage auf dieser Höhe gehalten, geht er allmählich nieder zurück
und erreicht schliesslich nach 10—12—14 Tagen wieder seine
normale Grösse. Meist begannen wir mit unseren Versuchen
24 Stunden nach der Pankreasgangunterbindung, nachdem wir uns
zuvor am normalen Tier über die uns interessierenden Punkte
eingehend orientiert hatten.
Um Aenderungen im Kohlebydratstoffwechsel mit Sicherheit
zu erkennen, hat man verschiedene Mittel und Wege. Man kann
den Glykogengehalt der Leber feststellen, die Wirkung des
Zuckerstichs verfolgen, den Blutzucker quantitativ bestimmen, die
Toleranz für Traubenzucker prüfen und endlich den respira¬
torischen Quotienten vorher und nachher ermitteln. Wir be¬
gütigten uns nun nicht damit, nur die eine oder die andere
Methode zur Anwendung zu bringen, sondern um einen möglichst
klaren Einblick in die Verhältnisse zu bekommen, vor allem
aber, um keiner Täuschung zum Opfer zu fallen, bedienten wir
uns sämtlicher der hier ebengenannten Methoden.
Zunächst ermittelten wir, welchen Effekt der Claude Bernard-
sche Zuckersticb hat bei Tieren, denen die Pankreasgänge zuvor
unterbunden worden waren. Zu diesen Versuchen verwandten
wir in erster Reihe Kaninchen. Es zeigte sich nun, dass, wenn
man 24 bzw. 48 bzw. 72 Stunden nach Unterbindung der Pankreas¬
gänge den Zuckerstich ausführte, in der Mehrzahl der Fälle kein
Zucker im Urin auftrat, und zwar war die Piqüre bei 18 Fällen
13 mal negativ, 5 mal positiv. Aber auch der positive Ausfall
war meist nicht positiv im Sinne von Claude Bernard, denn
für gewöhnlich trat in diesen Fällen der Zucker sehr verspätet
und nur sehr spärlich im Urin auf.
Was besagt nun dieses Resultat? Claude Bernard hat
bekanntlich gezeigt, dass bei Tieren, die gut ernährt sind und in
ihrer Leber einen reichen Glykogenvorrat besitzen, der Zucker¬
stich stets positiv ausfällt, bei Tieren dagegen, die durch längeres
Hungern ihr Leberglykogen zum grössten Teil eingebüsst batten,
der Zuckerstich regelmässig negativ ausfällt. Diese Erfahrung
auf unsere Versuche übertragen, würde somit besagen, dass die
Tiere nach Pankreasgangunterbindung sich wie Hungertiefe ver¬
halten, d. h. kein oder fast kein Glykogen in ihrer Leber ent¬
halten. Um möglichst sicher zu gehen, hatten wir einen Teil
der Tiere mehrere Tage unmittelbar vor dem Versuch reichlich
mit Traubenzucker gefuttert; auf diese Weise war eine starke
Glykogenanreicherung in der Leber garantiert. Trotzdem fiel
auch bei diesen Tieren nach vorhergegangener Unterbindung des
Pankreasganges der Zuckerstich meist negativ aus.
Das gleiche Verhalten wie Kaninchen zeigten auch Hunde.
Hier untersuchten wir nur 6 Tiere und führten bei ihnen, nach¬
dem wir ihnen zuvor die Pankreasgänge unterbunden hatten, den
Zuckerstich nach der Vorschrift von Eckard aus. Bei 4 Tieren
war die Piqüre negativ, bei einem positiv.
Wenngleich aus diesen Versuchen an Hunden und Kaninchen
mit fast überzeugender Sicherheit hervorging, dass die Pankreas-
gangunterbindung in der Mehrzahl der Fälle einen Glykogen-
schwund in der Leber zur Folge bat, so konnte uns diese Beob¬
achtung allein nicht genügen. Wollten wir volle Gewissheit
haben, mussten wir das Lebergtykogen solcher Tiere direkt
bestimmen. Za dem Zweck wurde eine Serie von 12 Kaninchen,
die unter gleichen Ernährungsbedingungen gehalten waren, reich¬
lich mit Traubenzucker gefüttert, 9 von ihnen wurde der Pankreas¬
gang unterbunden, und die anderen 3 dienten als Kontrolliere.
24 Stunden nach der Unterbindung wurden 3 der operierten
Tiere gleichzeitig mit einen) Kontrollier getötet, 48 Stunden
später, während die Ernährungsbedingungen unverändert bei¬
behalten wurden, wiederum 3 operierte Tiere mit einem Kontroll¬
ier und 72 Stunden post operationem die letzten 3 Tiere mit
dem letzten Kontrollier und jedesmal unmittelbar nach Eintritt
des Todes die Leber der Tiere quantitativ auf Glykogen nach
Pflüger verarbeitet. Schon bei der Feststellung des Gewichts
der Lebern zeigte sich ein wesentlicher Unterschied insofern, als
die Lebern der operierten Tiere viel leichter an Gewicht und
auch von viel schlafferer Konsistenz waren als die der Kontroll¬
iere, und bei der Analyse der Organe ergab sich, dass die
Kontrolliere 10 mal so viel Glykogen und noch mehr in ihrer
Leber besassen als die operierten. Bei 3 der operierten Tiere
waren überhaupt nur noch Spuren von Glykogen in ihrer Leber
nachweisbar. Andererseits beobachteten wir auch Tiere, die trotz
der Gangunterbindung noch reichliche Glykogenmengen in ihrer
Leber aufzuweisen hatten. Damit ist unsere oben ausgesprocheneVer-
mutung einwandfrei bewiesen, dass Tiere, denen man den Pankreas¬
gang unterbindet, in der Mehrzahl der Fälle einen grossen Teil
ihres Leberglykogens schon nach kurzer Zeit verlieren können.
Von grosser Wichtigkeit für den Ausfall der Resultate ist
die Wahl des Zeitpunktes, in dem man die operierten Tiere tötet
und ihre Leber auf Glykogen untersucht. Geschieht das, wie
hier angegeben, 1—2—3 Tage nach Unterbindung der Gänge, so
kann man im grossen und ganzen sicher sein, eine mehr oder
weniger grosse Abnahme des Leberglykogens konstatieren zu
können. Wartet man aber mit der Untersuchung 6, 8 oder gar
10 Tage, so wird man meistens Glykogenwerte finden, die von
denen der Kontrolliere wenig differieren. Das gleiche gilt auch
für den Zuckerstich. Am ersten, zweiten oder dritten Tage nach
der Gangunterbindung fällt er meist negativ aus; nimmt man ihn
aber erst später, etwa 6—6—8 Tage post operationem vor, so
ist er immer positiv. Diese Tatsache findet ihre Erklärung darin,
dass, wie schon oben auseinandergesetzt, unmittelbar nach der
Gangunterbindung die Diastase im Blut rapid ansteigt, 2—3 Tage
sich auf der Höhe hält, dann absinkt und allmählich wieder zur
Norm zurückkehrt. Solange nun viel Diastase im Blute kreist,
wird Glykogen aus der Leber in grossen Men'gen ausgeschwemmt,
und erst wenn die Werte sich der Norm nähern, ist auch die
Leber wieder imstande, grosse Mengen an Glykogen in ihren
Zellen aufzuspeichern.
Bei den Glykogen versuchen machten wir noch folgende inter¬
essante Beobachtung. Hatten wir den Versuchstieren die Gänge
unterbunden und fütterten sie in der gleichen Weise mit Trauben-,
zucker wie vor der Unterbindung, so schieden die Tiere nunmehr
grosse Mengen an Traubenzucker durch den Urin ans, während
sie vorher die dargereichte Traubenzuckermenge glatt verbrannt
batten. Das deutete darauf hin, dass infolge der Gangunter¬
bindung bei den Tieren auch die Toleranz für Traubenzucker ge¬
litten hatte. Um das exakt festzustellen, wurden mehrere
Kaninchen eine bestimmte Zeit unter stets gleichen Ernährungs¬
bedingungen gehalten uod ihre Toleranz für Traubenzucker er¬
mittelt. Alsdann wurde ihnen der Pankreasgang unterbunden
und nun unter genauer Innehaltung der nämlichen Ernährungs¬
bedingungen wie vor der Operation wieder die Zuckertoleranz
ermittelt. Dabei stellte Bich in der Tat heraus, dass die Tiere,
die früher 12 — 16—20 g Traubenzucker restlos verbrannten, nun¬
mehr schon nach 6 g, manchmal sogar bereits nach 8 g Glukose
eine deutliche Glukosurie zeigten. Ein Resultat, das nach den
Erfahrungen, die wir bei den Glykogen versuchen gesammelt
hatten, nichts Ueberraschendes für uns hatte, und das seine Er¬
klärung eben darin fand, dass unter dem Einfluss der grossen im Blute
kreisenden Diastasemengen die Leber die Fähigkeit eingebüsst hatte,
Zucker in grösserer Menge als Glykogen in sich aufzuspeichern.
Die Beobachtung, dass schon 24 Stunden nach Unterbindog
des Pankreasganges mitunter die Hauptmenge des Glykogens aus
der Leber verschwinden kann, legte den Gedanken nahe, dass
gleichzeitig auch in dem Gehalt des Blutzuckers wesentliche Ver¬
schiebungen gegenüber der Norm zutage treten müssten. Wir
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
341
untersuchten deshalb bei einer Reihe von Tieren den Blutzucker¬
gehalt zunächst in der Norm und dann nach Unterbindung der
Pankreasgänge. Und zwar verwandten wir für diese Versuche
ausschliesslich Hunde, da wir für jede Blutuntersuchung — wir
führten stets Doppelbestimmungen aus — ca. 60 ccm Blut be¬
nötigten. Es würde viel zu weit führen, wenn ich über jeden
Versuch einzeln berichten wollte, das soll an anderer Stelle aus¬
führlich geschehen. Hier will ich mich damit begnügen, nur an
zwei Beispielen die Wirkung der Pankreasgangunterbindung auf
den Blutzucker zu demonstrieren, und ich glaube, dass mir das
am besten gelingen wird, wenn ich statt der Zahlen die ent¬
sprechenden Kurven bringe.
Kurve 1.
mg Glukose ■ ■ Blutzucker Diastase-
in 20 ccm konz. im
BIat - Diastase im Blut Blut
® Unterbindung zweier
Pankreasgänge
Aus dieser Kurve 1 ist ersichtlich, wie sich vor der Opera¬
tion Zucker- und Diastasegehalt des Blutes in normalen Grenzen
bewegen, und wie unmittelbar nach Unterbindung der Pankreas¬
gänge die Diastase rapid ansteigt und parallel mit ihr der Blut¬
zucker. Einen Tag später ist eine weitere Zunahme der Diastase
und des Zuckers im Blut zu konstatieren, dann aber sinken beide
Werte und kehren allmählich zur Norm zurück.
Mit noch grösserer Schärfe tritt dieser Parallelismus zwischen
Blutzucker und Blutdiastase zutage bei dem nächsten Versuch.
Hier wurden dem Tier nicht sofort die Pankreasgänge unterbunden,
sondern zuDächst erst eine Drüsenpartie durch Ligatur abgeschnürt,
dann nach Ablauf der Wirkung wieder eine Drüsenpartie abge¬
bunden und zum Schluss die Pankreasgänge unterbunden. Der
Effekt war folgender (Kurve 2).
Es führte somit jedes neue Hindernis, welches man dem zum
Darm zustrebenden Pankreassekret entgegenstellte, zu einer Ver¬
mehrung der Diastase im Blut und gleichzeitig zu einem Anstieg
des Blutzuckers, und in dem Maasse, wie die Blutdiastase
sich wieder der Norm näherte, nahm auch der Blutzucker
wieder ab.
Beide Fälle illustrieren also ganz unzweideutig, dass jede
Steigerung der Diastase im Blut eine Steigerung des Blutzuckers
zur Folge hat, und in dem gleichen Sinne sind auch alle anderen
Versuche ausgefallen. Woher dieser Zuwachs an Blutzucker
stammt, darüber kann nach dem, was wir über das Verhalten des
Leberglykogens bei Verschluss der Pankreasausführungsgänge in
Erfahrung gebracht haben, kein Zweifel sein.
Der Impuls, den die Ueberschwemmung des Blutes mit dia-
statischem Ferment auf die Glykogeudepots in der Leber und
sicherlich auch auf die in anderen Organen befindlichen Ablage¬
rungsstätten des Glykogens ausübt, ist ein so gewaltiger, dass
alle anderen Momente, welche die entgegengesetzte Wirkung, also
einen den Blutzucker erniedrigenden Einfluss haben, dagegen voll¬
kommen zurücktreten dürften. Für einen ganz bestimmten Fall
haben wir das direkt beweisen- können, und zwar für die von
Lüthje, Embden und Liefraann gemachte Beobachtung, dass
hohe Temperaturen den Blutzuckergehalt des Tieres wesentlich
herabsetzen. Wenn wir einen Hund in einen Wärmekäfig brachten,
— wir bedienten uns stets eines elektrischen, dessen Temperatur
wir ganz nach Belieben regulieren konnten — und für eine Tem¬
peratur von durchschnittlich 32—35° C. sorgten, so konnten wir
in jedem Falle nach Unterbindung der Pankreasgänge genau den
gleichen Anstieg und genau das gleiche Verhalten des Blutzuckers
in den darauffolgenden Tagen beobachten, wie wenn wir den
Hund bei gewöhnlicher Zimmertemperatur gehalten hätten. Die
Blutzucker erniedrigende Wirkung der Hitze wurde somit durch
die Blutzucker steigernde Wirkung der Diastase nicht nur para¬
lysiert, sondern noch weit übertroffen. Nebenbei sei bemerkt,
dass die Beobachtung von Lüthje, Embden und Liefmann
keineswegs für alle Hunde zutrifft. Wir haben verschiedentlich
Tiere angetroffen, die bezüglich ihres Blutzuckergehalts weder auf
Hitze noch auf Kälte in dem obengenannten Sinne reagierten,
sondern sich vollkommen refraktär verhielten. Deshalb haben
wir uns in jedem einzelnen Falle erst davon überzeugen müssen,
ob das Versuchstier für unseren Zweck geeignet ist oder uicht.
Es blieb nun noch zu untersuchen, ob die Steigerung des
Blutzuckers nach Unterbindung der Pankreasgänge gleichzeitig
eine gesteigerte Zuckerverbrennung zur Folge hat. War das der
Fall, so müsste sich dies durch ein Ansteigen des respiratorischen
Quotienten dokumentieren. Wir haben nach dieser Richtung ver¬
schiedentlich Hunde untersucht und bei diesen Tieren unter allen
Cautelen erst im normalen Zustand den respiratorischen Quotienten
mit dem von Zuntz und Geppert angegebenen Apparat be¬
stimmt. Dann wurden ihnen die Pankreasgänge unterbunden und
nun unter den nämlichen Ernährungsbedingungen der respirato¬
rische Quotient ermittelt. Es zeigte sich aber bei sämtlichen Tieren,
dass die Werte nach der Gangunterbindung um nichts grösser
Kurve 2.
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342
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
waren als vor der Operation. So ermittelten wir bei dem einen
Hund norraaliter den Wert von 0,732, nach der Unterbindung
den Wert von 0,746, bei einem anderen Hund vorher 0,768, nachher
0,749, und die gleiche Uebereinstimmung zeigten die Werte bei
den anderen Tieren. In keinem Falle also fanden wir nach Gang¬
unterbindung eine gesteigerte Zuckerverbrennung, obwohl der
Zuckergehalt des Blutes beträchtlich vermehrt war. Daraus folgt
mit Notwendigkeit, dass der tierische Organismus unter dem Ein¬
fluss der Pankreasgangunterbindung die Fähigkeit verloren hat,
den Zucker im gleichen Maasse zu oxydieren wie im normalen
Zustand. Denn wenn man bei einem normalen Hund durch intra¬
venöse Traubenzuckerinjektion den Blutzuckerspiegel auf etwa die
gleiche Höhe bringt, wie mit Hilfe der Gangunterbindung, so
würde das Tier sofort mit einer gesteigerten Zuckerzerstörung und
dementsprechend mit einer Erhöhung der respiratorischen Quo¬
tienten antworten. Da aber ein gesteigerter Zuckerabbau bei
unseren Hunden nicht stattfindet, so wird man zu der Annahme
gedrängt, dass mit dem Pankreassekret eine Substanz in das Blut
kommt, welche auf die Zuckeroxydation im Organismus hemmend
wirkt. Um diese Annahme vollkommen zu sichern, dürften noch
weitere Untersuchungen nach dieser Richtung hin erforderlich
sein, beispielsweise wie der respiratorische Quotient sich bei einem
normalen Tier gestaltet, wenn man ihm Traubenzucker intravenös
zuführt, und wie beim selben Tier nach Unterbindung der Pan¬
kreasgänge die Zuckerverbrennung verläuft. Derartige Versuche
sind bereits im Gange.
Nun hätte man meinen sollen, dass der Organismus sich des
Überschusses an Traubenzucker im Blut, den er zu oxydieren
nicht imstande ist, mit Hilfe der Nieren durch den Harn ent¬
ledigt. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe bei keinem
einzigen Tier — die Zahl der von mir untersuchten ist wahrlich
keine kleine — nach Gangunterbindung, solange der Blutzucker
erhöht war, Zucker im Urin nachweisen können, und wir wissen
auch, dass Gangunterbindung bei Hunden niemals, bei Kaninchen
erst nach Verlauf vieler Wochen, also lange nachdem der Blut¬
zucker wieder zur Norm zurückgekehrt ist, Glykosurie auftritt.
Diese Tatsache lässt keine andere Deutung zu, als dass unter
dem Einfluss des im Blute kreisenden Pankreassekretes die Durch¬
lässigkeit der Niere für Traubenzucker gelitten bat. Diese
Störung in der Durchlässigkeit der Niere ist sicherlich nicht die
gleiche, wie man sie bei Nephritis beobachtet, wo ebenfalls die
Ausscheidung von Zucker beispielsweise nach Phloridzininjektion
gehemmt ist. Denn bei Nephritis ist meist auch die Ausscheidung
des diastatischen Fermentes durch den Urin stark beeinträchtigt,
während wir gerade nach Gangunterbindung ganz enorme Mengen
von diastatischem Ferment im Urin antreffen. Möglicherweise
haben wir es in dem vorliegenden Fall mit einer spezifischen,
direkt gegen den Blutzucker gerichteten Hemmung der Nieren¬
funktion zu tun, bewirkt durch den im Blute kreisenden Pankreas¬
saft. Dafür spricht auch die von mir gemachte Beobachtung,
auf die ich an anderer Stelle ausführlich zurückkommen werde,
dass Tiere, denen der Pankreasgang unterbunden ist, in den
ersten Tagen post operationem nach Adrenalininjektion oft keine
Glukosurie bekommen, nach Phloridzin dagegen stets grössere
Mengen von Traubenzucker durch den Harn ausscheiden. Darauf
deutet ferner auch hin die von de Meyer an überlebenden Nieren
festgestellte Tatsache, dass Zuckerlösungen von nur 0,005 pCt.
das Nierenfilter passieren, dass aber Beimengungen von Pankreas¬
extrakt zur Durchströmungsflüssigkeit die Permeabilität der Nieren¬
zellen für Traubenzucker sofort herabsetzen. Allerdings muss
man hier auch an die Möglichkeit denken, dass das zugesetzte
Pankreasextrakt einen Teil des Traubenzuckers zerstört hatte,
und dass deshalb weniger Zucker die durchbluteten Nieren passierte.
Die von v. Fürth und Schwarz mitgeteilten Erfahrungen, nach
denen Adrenalin und Pankreasextrakt, intraperitoneal injiziert,
wohl eine Hyperglykämie, aber keine Glukosurie bewirken, sind
in dem von uns angedeuteten Sinne weniger gut zu verwerten. Denn
in diesen Versuchen wirkt das Pankreasextrakt als peritonealer
Reiz in dem nämlichen Sinne wie Terpentinöl und Aleuronat, das
sie den Tieren gleichfalls mit Adrenalin in die Bauchhöhle
spritzten, während bei der von uns gewählten Versuchsanordnung
der Reiz auf die Nieren durch das Blut vermittelt wird.
Zusammenfassend haben also unsere Untersuchungen
ergeben, dass Tiere, bei denen man durch Unterbindung
der Pankreasgänge für einen Uebertritt des Pankreas¬
sekretes in das Blut und damit für eine Ueberschwem-
mung des Blutes mit diastatischem Ferment sorgt, in
ihrem Kohlenhydratstoffwechsel eine beträchtliche
Umwälzung erleiden. Das Glykogen aus der Leber ver¬
schwindet zum grössten Teil — mitunter bis auf
Spuren —, was einerseits mit Hilfe des Zuckerstiches,
andererseits durch direkte Glykogenanalyse erwiesen
werden konnte. Ferner ist die Zuckertoleranz erheblich
gestört, und die Blutzuckermenge ist gegenüber der
Norm wesentlich gesteigert, und zwar haben sich hier
nahe Beziehungen zur Blutdiastase ergeben. Denn es
hat sich gezeigt, dass parallel mit der Zu- bzw. Ab¬
nahme der Diastase im Blut auch die Menge des Blut¬
zuckers steigt und sinkt. Die Blutzockersteigerung
geht nicht einher mit einer gesteigerten Zucker¬
verbrennung, diese scheint vielmehr ebenfalls gestört
zu sein, falls die bezüglich des respiratorischen
Quotienten bisher ermittelten Tatsachen schon bindende
Schlüsse gestatten. Andererseits führt die Blutzucker¬
steigerung auch niemals zu einer Glukosurie. Und
doch wissen wir, dass der tierische Organismus, solange
seine Funktionen normale sind, das Bestreben hat, den
Blutzuckerspiegel ständig in gleicher Höhe zu halten
und jede Zuckervermebrung im Blut entweder durch
eine gesteigerte Zuckerverbrennung oder durch eine
Zuckerausscheidung mit Hilfe der Nieren zu beseitigen.
Da aber für unsere Tiere weder das eine noch das
andere zutrifft, so wird daraus gefolgert, dass das
Nierenfilter sich verdichtet hat, und dass es wahr¬
scheinlich eine im Pankreassaft enthaltene Substanz
ist, welche in diesem Sinne auf die Nieren einwirkt.
Diese auf rein experimentellem Wege ermittelten Tatsachen
entbehren keineswegs des klinischen Interesses. Denn es kommt
auch beim Menschen nicht gar selten vor, dass der Abfluss des
Pankreassekretes nach dem Darm teilweise oder sogar auch ganz
behindert ist, mögen sich in der Drüse streng lokalisierte ent¬
zündliche Prozesse beispielsweise infektiöser Natur abspielen und
nur einen Seitenast des Ductus Wirsungianus verschliessen, oder mag
ein Tumor im Pankreaskopf oder ein Stein im Ausführungsgang
oder ein katarrhalischer Prozess an der Papille den Ausführungs¬
gang total verlegen. In allen diesen Fällen können mehr oder
weniger grosse Mengen an Pankreassaft in die Blutbahn über¬
treten und, wenn auch nur vorübergehend, zu ähnlichen Störungen
im Kohlehydratstoffwechsel führen, wie wir sie bei unseren
Tieren geschildert haben. Diese Störungen brauchen sich aber
keineswegs sofort durch einen Uebertritt von Zucker in den Harn
zu erkennen zu geben, wohl aber durch Verschiebungen in den
Mengenverhältnissen des Blutzuckers, und man wird nur dann
einen Einblick in diese Vorgänge auch beim Menschen bekommen,
wenn man sich dazu entscbliesst, in solchen Fällen im Blute
selber den Zucker quantitativ zu bestimmen.
Noch auf ein anderes klinisches Moment werfen die vor¬
liegenden Untersuchungen einiges Licht. Es ist eine vielfach ge¬
machte Erfahrung, dass im Verlauf eines Diabetes der durch den
Urin ausgeschiedene Zucker geringer wird, während der Blut¬
zucker nach wie vor erhöht bleibt. Diese Erscheinung wird von
v. Noorden und seinen Schülern, welche diese Verhältnisse an
einem grossen Diabetikermaterial besonders eingehend studiert
haben, so erklärt, dass das Nierenparenchym unter dem Einfluss
des ständig hohen Blutzuckergehaltes sich allmählich auf einen
höheren Schwellenwert einstellt, d. h. dass bei langer Dauer der
Erkrankung das Nierenfilter für Traubenzucker weniger durch¬
lässig wird. Das mag wohl für viele Fälle zutreffen. Für die¬
jenigen Fälle aber, bei denen eine Beteiligung des Pankreas an
der Erkrankung vorliegt, möchten wir auf Grund unserer Er¬
fahrungen nicht den hohen Blutzuckergehalt, sondern eine vom
Pankreas an das Blut abgegebene Substanz als Ursache dafür an-
sehen, dass die Nieren den Traubenzucker nicht mehr in der¬
selben Weise wie früher passieren lassen.
Eingangs ist darauf hingewiesen worden, wie bei dem tieferen
Eindringen in die Erkenntnis der Pankreasfunktionen sich die
Verhältnisse immer komplizierter gestalten. Die vorliegenden
Untersuchungen dürften insofern einen weiteren Beleg hierfür
bringen, als aus ihnen hervorgeht, dass das Pankreas ausser zur
Leber, zu den Nebennieren und zur Schilddrüse auch zu den
Nieren in naher Beziehung steht.
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Gougle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
24. Febroar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
848
Aus der bakteriologischen Abteilung des Pathologischen
Instituts der Universität Berlin.
Hornhautanästhesie durch Chinaalkaloide. 1 )
2. Mitteilung. 2 * )
lieber die Wirkung der Chinaalkaloide auf die Cornea.
Von
J. Morgenroth und S. Ginsberg.
in Anschluss an Morgenroth’s und HalberstaedterV)
systematische chemotherapeutische Studien über die Wirkung von
Cbinaalkaloiden auf die Trypanosomeninfektion der Maus hatten
Morgenroth und R. Levy 4 ) die eminente chemotherapeutische
Wirkung des Aethylhydrocuprein auf die experimentelle Pneu¬
mokokkeninfektion aufgefunden, eine Entdeckung, die inzwischen
durch Neufeld und Engwer 5 ) Bestätigung und wertvolle Er¬
gänzung erfahren hat, durch Morgenroth und seine Mitarbeiter 6 )
nach den verschiedenen Richtungen hin fundiert und ausgebaut
worden ist. Die sorgfältige und möglichst erschöpfende Be¬
arbeitung des Gebietes entspricht seiner Bedeutung als Ausgangs¬
punkt für die experimentelle Chemotherapie bakterieller In¬
fektionen.
Für die Anwendung des neuen Heilmittels beim Menschen
kann das Tierexperiment immer nur Vorfragen erledigen.
Bezüglich der Pneumonie sind die verdienstvollen Untersuchungen
von NeufeId und Engwer einer der wichtigsten dieser Vorfragen
mit Erfolg nähergetreten, indem sie zeigten, dass nicht nur die
Pneumokokkenseptikämie, wie sie Morgenroth’s und seiner
Mitarbeiter Versuchsobjekt bildete, sondern — beim Meer¬
schweinchen — eine Pneumonie durch das Mittel günstig be¬
einflusst wird; besonders bemerkenswert ist die erstmalige erfolg¬
reiche Kombination von Chemotherapie und Serumtherapie durch
diese Autoren.
Wir haben uns besonders die Aufgabe gestellt, die uns
auch noch weiterhin beschäftigt, der Chemotherapie des
U1 cos serpens beim Menschen die Wege zu ebnen ond die
Vorbedingungen für die lokale Anwendung des Aethylhydrocuprein
und der geeigneten höheren Homologen am Auge, soweit dies
eben im Tierversuch angeht, festzustellen. Dass a priori die
Möglichkeit einer spezifischen lokalen Desinfektion gegeben ist,
dürfte nach unseren Tierversuchen und angesichts der ungemein
interessanten Reagensglasversuche Wrights 7 ) über die Wirkung
des Aethylhydrocupreinchlorhydrat auf die Pneumokokken nicht
zweifelhaft sein. Für ganz besonders wichtig halten wir Wrigbt’s
Feststellung, dass die Desinfektionswirkung des Aethylhydro¬
cuprein auf die Pneumokokken im Reagensglas durch die Gegen¬
wart des eiweisshaltigen Serums in keiner Weise beeinträchtigt
wird. Daraufhin dürfen wir mit Recht erwarten, dass auch auf
und in der Cornea der Eiweissgehalt (des Gewebes und der
Flüssigkeit) der spezifischen Wirkung des Mittels auf die Pneumo¬
kokken nicht hindernd in den Weg tritt. Auch die partielle
Ausfällung der durch die alkalische Tränenflüssigkeit frei ge¬
machten Alkaloidbase dürfte der antiseptischen Wirkung kein
Hindernis sein; dies darf man mit ziemlicher Sicherheit gerade
aus dem Umstand schliessen, dass auch die anästhetische Wirkung
auf die Cornea nicht beeinträchtigt wird.
Angesichts der Schwierigkeit, beim Tier das Ulcus serpens
corneae des Menschen in einer sicheren und regelmässigen Ver-
suchsanOrdnung nachzuahmeD, sind wir zunächst damit beschäftigt,
1) Etwas erweitert nach einer, in der Sitzung der Berliner med.
Gesellschaft vom 15. Januar 1913 vorgetragenen kurzen Mitteilung.
2) 1. Mitteilung siehe diese Wocbenschr., 1912, Nr. 46, S. 2183.
8) Siehe Morgenroth und Halberstaedter, diese Wochenschr.,
1911, Nr. 34.
4) Morgenroth und R. Levy, diese Wochenschr., 1911, Nr. 84
und Nr. 44.
5) Siehe Neufeld und Haendel, Handb. von Kolle-Wassermann,
2. Aufl., 24. Lieferg., Bd. 4, S. 581; Neufeld und Engwer, diese
Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2381; Engwer, Zeitschr. f. Hygiene,
1912, Bd. 73, S. 194.
6) Morgenroth und M. Kaufmann, Zeitschr. f.Immunitätsforsch.,
1912, Bd. 15, H. 6, S. 610; Gutmann, ebenda, S. 625; siehe auch
R. Levy, diese Wochenschr., 1912, Nr. 53, ferner die Zusammenfassung
F. RosenthaTs in der Zeitschr. f. Chemotherapie, 1912, Bd. 1, Ref.,
S. 1150.
7) Sir A. E. Wright, Lancet, 14. und 21. Dezember 1912.
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die Bedingungen für die Abtötung von Pneumokokken innerhalb
des Hornhautgewebes zu untersuchen.
Vor allem glaubten wir die Wirkung des Aethylhydrocuprein
auf die normale Hornhaut des Kaninchens untersuchen zu sollen,
um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, welche lokalen Neben¬
wirkungen dem Mittel zukommen, in welcher Konzentration das¬
selbe allenfalls angewandt werden dürfte, welche Bedeutung die
Dauer der Einwirkung hat.
Wir konnten io dieser Hinsicht in unserer ersten Mitteilung
berichten, dass die eine Minute währende Einwirkung von Lösungen,
die weniger als 2,5 pCt. der Chlorhydrate der untersuchten
Alkaloide enthielten, für die Kaninchencornea ohne Nachteil blieb,
konnten aber auch auf die Hornhauttrübungen und vor allem
auf die mit diesen Hand in Hand gehende unerwünschte, wochen¬
lang dauernde Anästhesie hinweisen, die sich bei Anwendung zu
hoher Konzentration oder sogar weniger konzentrierter Lösungen
bei allzu langer Einwirkung einstellt. Uebrigens rufen sämt¬
liche bekannten Anaesthetica, wie auch Best 1 ) hervorhebt, bei
genügend intensiver Einwirkung Hornhauttrübung und Gewebs¬
schädigung hervor.
Die bei diesen Versuchen beobachtete hervorragende an¬
ästhetische Wirkung der untersuchten Chinaalkaloide
erschien als ein in theoretischer und praktischer Hinsicht keines¬
wegs wertloses Nebenprodukt unserer chemotherapeutischen
Arbeiten. Eine systematische Untersuchung mit Berück¬
sichtigung des Zusammenhangs zwischen chemischer Konstitution
und anästhesierender Wirkung war geboten und wurde uns durch
die dauernde Mitarbeit der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co.
in Frankfurta.M. — wir sind besonders Herrn Direktor Dr. Weller
und Herrn Dr. Thron zu Dank verpflichtet — ermöglicht
Analog dem früher bei chemotherapeutischen Versuchen ein¬
geschlagenen Verfahren wurden zunächst Veränderungen an einer
bestimmten Stelle des Alkaloidmoleküls vorgenommen, und zwar
gingen wir von den bereits untersuchten Verbindungen, dem
Hydrochinin und dem Aethylhydrocuprein, aus. Die im folgenden
wiedergegebenen drei Konstitutionsformeln (nach Rabe) veran¬
schaulichen am einfachsten die Beziehungen zwischen Chinin einer¬
seits, Hydrochinin und seinen Derivaten andererseits.
Aus dem Chinin (Formel I) entsteht zunächst durch Reduktion
das Hydrochinin (Formel II), indem unter Addition von einem
Molekül Wasserstoff die Doppelbindung der Vinylseitenkette (* in
Formel 1) gelöst wird, so dass an Stelle von —CH=CH 2 (Vinyl)
das Radikal Aethyl —CH 2 —CH 8 tritt.
Formel 1 (Chinin).
CH 2 -CH— ch-cb=ch 2
I
ch 2
I
ch 2
I
CH—N—CH 2
I
CH—OH
Formel II (Hydrochinin).
CH 2 -CH-CH-CH 2 -CH s
I
CH,
I
ch 2
I
CH—N—CH 2
I
CH-OH
\/l\/
N
1) Best, Die lokale Anästhesie in der Augenheilkunde. Halle a, S.
1905, S. 14.
3 *
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
344
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Alle weiterbin in Betracht kommenden Veränderungen be¬
schränken sich nun auf den Chinolinrest des Hydrochinin,
N
dessen Zusammenhang mit dem zweiten Kern, dem sogenannten
Loiponrest, aus den obigen Formeln leicht ersichtlich ist.
Der Chinolinanteil enthält als Seitenkette eine Methoxy-
gruppe — OCH 3 , welche durch Entmethylierung in die Hydroxyl¬
gruppe überzuführen ist. In diese lassen sich nun höhere
Alkyle einführen, und man gelangt so zu einer homologen Reihe,
von welcher wir früher schon (siehe erste Mitteilung) das Aethyl-
hydrocuprein (Formel 111) untersucht haben.
Formel III (Aethylhydrocuprein).
CU 2 -CH-CH-CH 2 -CH 3
I !
ch 2
I I
, ch 2 i
I !
CH—N—CH 2
I
CH-OH
I
w /'n/x
! 1
\/'\/
N
Die neuerdings untersuchten Verbindungen der Reihe
schliessen sich, wie unter Berücksichtigung dieser Formel zu er¬
sehen ist, dem Aethylhydrocuprein an. Es sind dies Isopropyl-
hydrocuprein (— OC 3 H 7 ), lsobutylhydrocuprein (— OC 4 H 9 )
und Isoamylhydrocuprein (— OCsHn).
Was die Methodik der Versuche betrifft, so haben uns
sehr ausgedehnte Erfahrungen bei der Fortführung der Experi¬
mente gelehrt, dass im wesentlichen die in der ersten Mitteilung
beschriebene Versnchsanordnung beizubebalten ist. Es hat sich als
durchaus zweckmässig erwiesen, die Alkaloidlösung eine Minute auf
dieHornhaut (unterZurückbalten der Nickhaut mit einemDesmarres-
schen Lidhalter) einwirken zu lassen, und zwar wurde die Zeit mit
Hilfe eines Metronoms, das Sekunden schlug, genau eingehalten.
Je grösser die Zahl unserer Versüche wurde, desto mehr trat
das schon früher betonte individuell verschiedene Verhalten der
Kaninchen hervor, welches die ganz exakte Feststellung von
Grenzwerten ungemein erschwerte. Eine Verkürzung der Ein¬
wirkungsdauer, z. B. auf 12 Sekunden, die wir in zahlreichen
Versuchen durchführten, wurde wieder aufgegeben, weil hierbei
die individuellen Schwankungen nur noch mehr accentuiert
wurden. Diese machen es unmöglich, als den Grenzwert für
die Wirkung der Anaesthetica diejenige Konzentration zu
definieren, welche eben überhaupt noch vollständige Anästhesie
hervorbringt. Man macht die Erfahrung, dass eine derartige
schwache Lösung, welche in der grossen Mehrzahl der Versuche
eine vollständige Anästhesie von mehreren Minuten hervorruft,
wider Erwarten bei einem Tier eine vollständige Anästhesie von
etwa halbstündiger Dauer bewirkt, bei einem anderen hingegen
vollkommen versagt.
Wir haben mit Rücksicht darauf bei der Definition der
Grenzwerte die höchsten Anforderungen an unsere An-
aethetica gestellt und als die niedrigste wirksame Konzentration
diejenige gewählt, welche bei der beschriebenen Versuchsanord¬
nung in allen Einzel versuchen ohne Ausnahme eine voll¬
ständige Anästhesie der Cornea von etwa halbstündiger
bis anderthalbstündiger Dauer hervorbrachte; diese An¬
ästhesie wird als „Normalanästhesie“ bezeichnet.
Die schwankende individuelle Reaktion der Tiere kommt hier in
der verschiedenen Dauer der vollkommenen Anästhesie innerhalb
der angegebenen Grenzen zum Ausdruck, aber die Wirkung ver¬
sagt in keinem der ungemein zahlreichen Versuche.
Die Prüfung der Anästhesie der Cornea wurde wie früher
durch Berühren mit einer Augensonde vorgenommen, als Reaktion
diente der Lidschlag. Als vollständige Anästhesie wurde der Zu¬
stand dann bezeichnet, wenn selbst bei stärkerem Eindrücken der
Cornea oder Ueberstreichen durch die Sonde keine Reaktion er¬
folgte, und zwar wurde sorgfältig darauf geachtet, dass wirklich
die Cornea in gesamter Ausdehnung unempfindlich war.
Das wechselnde Verhalten der Tiere dürfte schwer zu
analysieren sein. Bei darauf gerichteten Versuchen zeigte es
sich vielfach, dass ein abnorm wenig empfindliches Tier auch
bei späteren Versuchen diese Unempfindlichkeit beibehielt; es kam
aber auch vor, dass ein solches bei einem späteren Versuch in
normaler Weise reagierte. Beide Augen verhielten sich gleichartig.
Was das Eintreten und Abklingen der Anästhesie
betrifft, so ist die von uns als Maasstab gewählte, 30 bis
90 Minuten dauernde vollkommene Anästhesie („Normalanästhesie“)
ca. 2—8 Minuten nach beendigter Einwirkung der Alkaloid¬
lösung ausgebildet. Das Abklingen dagegen erfolgt bedeutend
langsamer und nicht gleichmässig an allen Stellen der Cornea:
es kommt häufig vor, dass z. B. die vordere Hälfte der Cornea
noch vollkommen anästhetisch ist, während die hintere Hälfte
schon die normale Empfindlichkeit wieder erlangt hat, oder um¬
gekehrt. Daneben werden häufig beim Abklingen der Anästhesie
die schon in der ersten Mitteilung erwähnten Oscillationen be¬
obachtet, d. b. die Erscheinung, dass eine Stelle der Cornea
mehrmals die Unempfindlichkeit verliert, um sie kurz darauf
wieder zu gewinnen, bevor sie definitiv in den normalen Zustand
xurückkehrt. Diese Verhältnisse lassen es als besonders not¬
wendig erscheinen, dass man nur die vollkommene Anästhesie
der gesamten Hornhaut als Maasstab annimmt.'
Ueber die anästhesierende Wirkung des Chinin und
der ersten Glieder der hier zu behandelnden homologen Reihe,
des Hydrochinin und des Aethylhydrocuprein, haben wir
schon in der ersten Mitteilung berichtet. Da uns speziell das
Hydrochinin als Grundlage der neuen vergleichenden Versuche diente
und auch das Verhalten des Aethylhydrocuprein in dem erweiterten
Zusammenhang an Bedeutung gewann, haben wir die Untersuchung
dieser beiden Verbindungen durch eine grössere Anzahl neuer
Versuche ergänzt, die unsere früheren Resultate im wesentlichen
bestätigten*).
Die oben definierte „Normalanästhesie“ wird hervorgebracht
durch eine 3 proz. Lösung des salzsauren Chinins, durch eine
1—1,25proz. Lösung des Hydrochininum und Aethylhydrocupreinum
hydrochloricum. Hydrochinin und Aethylhydrocuprein zeigen
demnach keinen wesentlichen Unterschied in der anästhesierenden
Wirkung, sind aber beide 2 l / 2 —3 mal stärker wirksam als das Chinin.
Geht man nun zu den höheren Homologen, und zwar eben¬
falls zu deren salzsauren Salzen, über und prüft zunächst das
Isopropylhydrocuprein, so erfolgt eine ganz überraschende Wendung:
mit dem Uebergang von der Aethyl- zur Propyl¬
verbindung tritt sprunghaft eine enorme Steigerung
der anästhesierenden Wirkung, nämlich um das Zehn¬
fache, ein.
Während zur Erzeugung der „Normalanästhesie“ durch
Aethylhydrocuprein eine mindestens 1,0—1,26 proz. Konzentration
notwendig ist, genügt vom Isopropylhydrocuprein eine 0,1 bis
0,125 proz. Lösung.
Hiermit ist für die anästhetische Wirkung von
Chinaalkaloiden und wohl für die Wirkung von Lokal-
anaestheticis überhaupt eine neue Grössenordnung ge¬
wonnen.
In dieser Grössenordnung verharrt dann auch die
Wirkung der beiden in der Reihe folgenden Homologen,
des Isobutylhydrocuprein und Isoamylhydrocuprein.
Man kann den Grenzwert dieser drei Verbindungen mit
ungefähr 0,1 pCt. ansetzen; beim Isopropylhydrocupreiu
liegt er etwas höher — 0,125 pCt., beim Isoamylhydro¬
cuprein sogar noch etwas niedriger —0,08 bis 0,1 pCt. 2 ).
Was beim Studium dieser homologen Reihe besonders in die
Augen fällt, ist der jähe Sprung, durch welchen beim UebergaDg
von den ungefähr gleich wirksamen Methoxy- und Aethoxyverbin-
dungen zur Isopropylverbindung und den höheren Homologen eine
Gruppe von Anaestheticis erreicht wird, deren Wirkung auf die
Kaninchencornea die aller bisher untersuchten Lokalanaesthetica
überragen dürfte.
1) In dem Vortrag erwähnten wir, dass einige der Vergleichswerte,
wie sie in einer Tabelle mitgeteilt wurden, vorläufig durch eine vor¬
sichtige Interpolation eingesetzt wären. Nur der hier mitgeteilte Wert
für Hydrochinin musste auf Grund einer speziell darauf gerichteten
Untersuchungsreihe etwas geändert werden.
2) Zu Anfang arbeiteten wir mit schwach sauren Lösungen — durch
Beimischung von zweisäurigem Salz —, deren Wirkung wohl etwas
geringer war als die der entsprechenden neutral reagierenden Lösungen
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
345
In ein volles Licht wird die Stärke dieser Anaesthetica ge¬
rückt durch den Vergleich mit dem gebräuchlichsten
Angen-Anaestheticum, dem Cocain.
Wir gingen zunächst darauf aus, diejenige Lösung von salz-
saurem Cocain festzustellen, welche noch eine „Normalanästhesie“
im oben definierten Sinne hervorbringt. Hierbei zeigte sich, dass
selbst bei Anwendung einer 3 proz. Lösung die Höchstdauer der
totalen Anästhesie 30—40 Minuten nicht überschritt. Nimmt man
eine halbstündige Anästhesie als Vergleichswert gegenüber dem
etwas grösseren Durchschnittswert der Normalanästhesie, so ist
die geringste, hierzu notwendige Konzentration die der 2 proz.
Lftsnng.
Es erweist sich demnach bei unserer Versuchs*
anordnung z. B. das lsoamylhydrocuprein mindestens
20—25 mal wirksamer als das Cocain. Die Wirksamkeit
des Cocains nimmt also hier nur eiue Mittelstellung zwischen der
des Chinins und des Hydrochinins ein.
Es wurde schon eben erwähnt, dass bei den untersuchten
Ckinaalkaloiden eine absolut sichere Wirkung nur dann zu er¬
warten ist, wenn man Konzentrationen wählt, die in der Regel
eine Anästhesie von 30—90 Minuten Dauer erzeugen. Es ist
selbstverständlich ein Leichtes, mit diesen Verbindungen auch
vollständige Anästhesien von kurzer Dauer, 10—20—30 Minuten,
zu erzielen, aber man muss bei Verwendung der hierzu geeigneten
geringeren Konzentrationen (z. B. IsoatnylVerbindung in 0,04proz.
Lösung) gewärtig sein, dass dann, wie schon ausgeführt, die
Wirkung nicht mehr ganz sicher ist, d. h. bei einzelnen Tieren
die Anästhesie ausbleibt oder nur unvollständig wird. Beim Cocain
ist zur Erzielung einer entsprechenden Minimalwirkung eine ganz
erheblich höhere Konzentration (0,3—0,4 pCt.) nötig. Auch beim
Cocain werden dann in diesem Bereich ähnliche Schwankungen zu
erwarten sein, wie sie ja auch die tägliche Erfahrung beim
Menschen zeigt.
Dass die intensiven anästhetischen Wirkungen der China-
Alkaloide unter Umständen das erwünschte Maass über¬
schreiten können, wird neben der absolut ausserordentlich hohen
anästhesierenden Kraft dieser Verbindungen durch ein Verhalten
bedingt, welches wir schon in unserer ersten Mitteilung bezüglich
des Chinin, Hydrochinin und Aethylhydrocuprein besprochen haben
und das, wie sich weiterhin zeigte, auch den höheren Homologen
zukommt.
Man erhält nämlich bei Einwirkung von Lösungen, deren
Konzentration über die zur Erzeugung der Normalanästhesie
dienende mehr oder weniger erheblich binausgeht, eine Dauer-
anästbesie, die sich auf mehrere Tage erstrecken kann.
So machte eine 2,5 proz. Lösung der Isopropylverbindung (also
das 20fache der zur Normalanästhesie notwendigen Konzentration)
eine länger als 40 Stunden dauernde Anästhesie.
Besonders nabe liegen die entsprechenden Werte bei der
Isoamylverbindung beieinander, indem in zwei Versuchen eine
0,2 proz. Lösung (der als wirksame Konzentration eine 0,08 bis
0,1 proz. Lösung gegenübersteht) eine Anästhesie erzeugt, die nach
40 Stunden noch unverändert vorhanden, nach 72 Stunden ver¬
schwunden war. In noch viel höherem Maasse als in den Grenz¬
werten der Normalanästhesie kommt hier die ausserordent¬
liche Anästbesierungsintensität des Isoamylbydro-
cuprein, selbst gegenüber der Isopropyl Verbindung,
zum Ausdruck.
Was schädliche Nebenwirkungen am Kaninchenauge
betrifft, so konnten wir vor allem feststellen, dass die eine Minute
währende Anwendung der Grenzkonzentration weder Trübung noch
Conjunctivitis hervorbringt.
Auch die doppelte Konzentration erwies sich als unschädlich.
Gebt man dagegen zu stärkeren Lösungen über, so zeigt sich eine
deutliche Divergenz der verschiedenen Verbindungen.
Bei der Isoamylverbindung kann bereits eine 0,2proz. Lösung
eine geringe Hornhauttrübung hervorrufen, stärkere Konzentra¬
tionen machen erhebliche Trübung und Chemosis. Bedeutend
grösser ist dagegen das Intervall zwischen wirksamer und schäd¬
licher Konzentration bei der Isopropylverbindung. Hier macht
selbst eine 1,25 proz. (übersättigte) Lösung (das lOfache der wirk¬
samen Konzentration) nur eine vorübergehende Trübung.
Die Löslichkeit der von uns benutzten salzsauren Salze
der wirksamsten Anaesthetica in Wasser ist eine sehr begrenzte.
Während das salzsaure Hydrochinin und Aethylhydrocuprein sehr
leicht und reichlich in Wasser löslich sind, ändert sich beim
Uebergang zur IsopropylVerbindung auch die Löslich¬
keit sprungweise, um bei der Isoamylverbindung auf ungefähr
0,33 pCt. zu sinken. Die praktische Verwertbarkeit wird dadurch
nicht beeinträchtigt, da ja die wirksamen Konzentrationen durch¬
aus im Bereich der Löslichkeit liegen. Uebrigens ist die Erzielung
besserer Löslicbkeitsverhältnisse ein rein technisches Postulat, das
in Bälde erfüllt sein dürfte.
Dass in den hier zum ersten Male beschriebenen Anaesthetica
Präparate vorliegen, welche die Aufmerksamkeit des Arztes
in vollem Maasse verdienen, darf mit Bestimmtheit behauptet
werden. Die intensive anästhesierende Wirkung unge¬
mein schwacher Lösungen, die Möglichkeit einer lange
andauernden Anästhesie, die Stabilität der Lösungen
bei der Sterilisation durch Hitze bilden unverkennbare
Vorzüge, zu denen sich voraussichtlich eine relativ ge¬
ringe Giftigkeit gesellen dürfte 1 ).
In dieser letzteren Hinsicht kann schliesslich allerdings nur
der vorsichtig geleitete Versuch am Menschen die entscheidenden
Daten liefern, wenn auch vorauszusehen ist, dass hier Verbin¬
dungen vorliegen, deren absolute Toxicität beim Menschen weit
hinter der des Cocains zurücksteht, während das Verhältnis der
wirksamen zu den toxischen Dosen ein ausserordentlich viel
günstigeres sein dürfte als beim Cocain.
ln Versuchen an Mäusen bei subcutaner Injektion
erweisen sich die beschriebenen höheren Homologen auf keinen
Fall als giftiger wie das Chinin oder Hydrochinin, so dass die
Dosis tolerata für 1 kg Maus auf 0,16 g anzusetzen wäre. Wollte
man diese Beziehung auf den Menschen übertragen, so käme man
auf ausserordentlich höbe Dosen. Es braucht nicht bervor-
gehoben zu werden, dass dies angesichts der beim Menschen in
Frage kommenden Nebenwirkungen des Chinins und seiner
Derivate unzulässig wäre. Immerhin darf erwartet werden, dass
unerwünschte Nebenwirkungen erst bei recht grossen Dosen in
Frage kommen. Bei der innerlichen Darreichung des Aethyl-
hydrocupreins kommen Idiosynkrasien, die sich im Auftreten von
rasch vorübergehenden Amblyopien äussern, wohl erst bei Dosen
von 1,5 g und mehr zur Geltung.
Als Anwendungsbereich dürfte vor allem die Infiltra¬
tionsanästhesie 2 ) in Frage kommen; ebenso wäre zu unter¬
suchen, ob auch bei innerlicher Darreichung die analgetischen
und antinenralgischen Eigenschaften des Chinins in den
neuen Verbindungen stärker accentuiert sind. Betont muss immer
wieder werden, dass der Uebergang vom Tierversuch zur Anwendung
beim Menschen sich nur auf die besonderen Methoden der Klinik
gründen kann, und dass weder die Menge noch die Mannigfaltig¬
keit der Tierversuche den Arzt der Notwendigkeit enthebt, noch¬
mals sozusagen von vorn anzufangen, und zwar auf eigene Ver¬
antwortung.
Die theoretische Bedeutung der neuen Anaesthetica
ist mit dem hier Mitgeteilten natürlich noch bei weitem nicht
erschöpft. Tiefere Einsicht in den Zusammenhang zwischen
anästhetischer Wirkung und chemischer Konstitution
wird das Studium zahlreicher weiterer Derivate gewähren, wie
sie gerade jetzt durch P. Rabe’s völlige Ermittelung der Kon¬
stitution der Chinaalkaloide und die dadurch von neuem an¬
geregte chemische Erforschung des Gebietes zur Verfügung stehen.
Von ganz besonderem theoretischen Interesse ist es, dass
hier, durch die engsten chemischen Beziehungen ver¬
bunden, in einer und derselben homologen Reihe Mittel
von hervorragender chemotherapeutischer und an¬
ästhetischer Wirkung enthalten sind. Aebnliche Zu¬
sammenhänge sind bei länger bekannten Verbindungen ganz
anderer chemischer Konstitution schon angedeutet; es sei nur an
die chemotherapeutische und antiueuralgische Wirkung der Salicyl-
säure und des Methylenblau erinnert. Besonders interessieren
dürfte es in diesem Zusammenhänge, dass nach unveröffentlichten
Beobachtungen von Morgenroth und Halberstaedter auch der
Muttersubstanz des Cocains, dem.Ecgonio, eine, wenn auch schwache,
chemotherapeutische Wirkung bei experimenteller Trypanosomen¬
infektion zukommt.
Betrachtet man dieVerteilung der chemotherapeutischen
und anästhetischen Wirkung innerhalb der hier # be-
handelten homologen Reihe, so ergeben sich höchst merk-
1) Von grossem'Interesse ist die geringe Bitterkeit des Isoamyl-
hydrocuprein.
2) Es sei hier auf die Bemerkungen Unger’s zu diesem Vortrag
hingewiesen, der als erster das Isoamylhydrocuprein (0,2 proz. Lösung
des Chlorhydrats) zur Infiltrationsanästhesie verwendete. Diese Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 4, Sitzungsbericht der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 25. Januar 1913.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
würdige Verhältnisse, als deren besonderes Charakteristicnm das
sprunghafte Auftreten neuer Eigenschaften erscheint. In
der Methoxyverbindung, dem Hydrochinin, haben wir zunächst
eine Substanz vor uns, die chemotherapeutisch dem Chinin bei
Protozoeninfektionen überlegen ist. Dies haben Morgenroth
und Halberstaedter 1 2 ) für die Trypanosomeninfektion der Maus
gezeigt, und Versuche von Giemsa und Werner 1 ) haben ihre
Vermutung, dass dies auch für die Malaria des Menschen zuträfe,
als richtig erwiesen, ln der Aethoxyverbindung, dem Aethyl-
hydrocuprein, ist die Trypanosomenwirkung noch weiter gesteigert;
auch für die Malaria ist nach Analogie mit den Beobachtungen
von Grimaux 3 ) und seinen Mitarbeitern bei den entsprechenden
Homologen des Chinins und nach unseren Versuchen mit dem
Grimaux’schen Cbinaetbylin bei Trypanosomeninfektion dasselbe
Verhalten zu erwarten. Hier tritt aber mit einem Male eine
ganz neuartige chemotherapeutische Wirkung auf, die
bei der Methoxyverbindung nur eben angedeutet ist — die intensive
Wirkung gegenüber der Pneumokokkeninfektion. Diese
Wirkung bleibt beim Uebergang zu dem nächst höheren
Homologon im wesentlichen erhalten, in welchem zu¬
gleich der unvermittelte Uebergang zu den hochwirk¬
samen A □ aesth eticis liegt. Während nun die an¬
ästhetische Wirkung bis zur Isoamylverbindung noch
etwas ansteigt, fällt schon beim Uebergang zur Iso-
butyl Verbindung die chemotherapeutische Wirkung
gegenüber den Pneumokokken jäh ab.
Es besteht also ein eigenartiger Zusammenhang chemo¬
therapeutischer und anästhesierender Wirkung oder, um
es in Ehrl ich’s Terminologie auszudrücken, parasitotroper und
neurotroper Beziehungen in einer homologen Reihe. Inwieweit
der Mechanismus dieser beiden Funktionen zusammenhängt, und
inwiefern das Studium der einen auch für die Erkenntnis der
anderen Funktion Aufklärung bringt, dies werden weitere Unter¬
suchungen lehren.
Ueber externe Salicylpräparate.
Von
Dr. Sieskind, Prof. Dr. R. WoltfensteiD, Dr. J. Zeltler.
Die souveräne Wirkung der Salicylsäure bei akutem Gelenkrheuma¬
tismus hat schon seit langen Jahren zu einer intensiven inneren Ver¬
wendung derselben geführt. Diese bringt nun einige Missstände mit
sich, da Salicylsäure in grösseren Mengen, besonders auf Magen, Darm
und Nieren reizend wirkt. Man ist deswegen in den letzten Jahren da¬
zu übergegangen, statt der internen Verwendung der Salicylsäure eine
externe einzuführen. Es wird dadurch der Vorteil erreicht, mit einer
geringeren Menge Salicylsäure auszukommen, da man sie nur gerade auf
diejenigen Stellen, welche der Einwirkung unterliegen sollen, zu applizieren
braucht.
Nun löst aber die Salicylsäure bei ihrer externen Verwendung Reiz¬
erscheinungen auf der Haut aus, ein Umstand, der bei der Salicyl¬
säure als einer starken Phenolcarbonsäure nicht verwundern kann. Herr
Dr. Sauer 1 and 4 ), der sich speziell mit der Ueberempfindlichkeit
der Haut gegen Salicylsäurepräparate beschäftigt hat, teilt uns dies¬
bezüglich mit, dass 1 / 2 g einer 1 proz. Salicylsäurevaselinsalbe auf den
Oberschenkel verrieben und 24 Stunden mit einem kleinen Heftpflaster¬
verband darauf belassen, eine Reizreaktion ergab, ja dass schon 1 j 2 g
einer J / 2 pro?. Salicylsäurevaselinsalbe eine leichte Hautrötung ver¬
ursachte.
Die hautreizende Wirkung der Salicylsäure steht jedenfalls fest,
und man bemühte sich daher wiederholt, Salicylsäurederivate herzu¬
stellen, welche diesen Reizeffekt nicht besitzen.
Eine gewisse Reihe derartiger Präparate wurde so geschaffen,
welche ihrer chemischen Zusammensetzung nach Ester der Salicylsäure
vorstellen; als Prototyp dieser Ester darf wohl der Salicylsäure-
methylester, das bekannte Gaultheriaöl, gelten. Man sieht aus diesem
typischen Beispiel, dass bei der Herstellung der Salicylsäureester der
pharmakodynamische Effekt der eingeführten Estergruppe vollständig ver¬
nachlässigt wurde; im Gaultheriaöl ist es z. B. die indifferente Methyl¬
1) 1. c.
2) Giemsa und Werner, Archiv f. Schiffs- u. Tropenhyg., 1912,
Bd. 16, Beiheft 4, S. 65.
3) Grimaux, Compt. rend. acad. sc., 1894, Bd. 118, S. 1303. Hier
ist, wie wir nachträglich ersehen, die langdauernde anästhesierende
Wirkung von Chinaalkaloiden wohl zuerst, also noch vor Thibault,
vermerkt.
4) F. Sauerland, Ueber die Resorption von Arzneimitteln aus
Salben bei Anwendung verschiedener Salbengrundlagen. Biochem. Zeit¬
schrift, 1912, Bd. 40, S. 56. — Erworbene Ueberempfindlichkeit der Haut.
Diese Wochenscbr., 1912, Nr. 14.
gruppe. Und doch sollte man durch entsprechende Verwendung einer
neuen wirksamen Gruppe in das Molekül der Salicylsäure noch eine
zweite spezifisch wirkende Komponente einführen können.
In dieser Beziehung schien es nun in Rücksicht auf die Verwen¬
dung der Salicylsäurepräparate gegen schmerzhafte Gelenkaffektionen
von besonderem HeilefLkt zu sein, eine schmerzstillende, anästhesierend
wirkende Komponente einzufübren, damit sich unter dem Schutze der
Anästhesie die spezifische Wirkung der Salicylsäure entfalten kann.
Dadurch soll dem Präparat auch zugleich jede Reizwirkung genommen
werden.
Zur Herstellung eines derartigen Esters schien une die Kombination
der Salicylsäure mit dem tertiären Trichlorbutylalkobol sehr geeignet,
weil dieser Körper schon an und für sich starke schmerzstillende Wirkung
zeigt. Der Trichlorbutylalkobol nimmt überhaupt in therapeutischer Be¬
ziehung eine ganz besondere und hervorragende Stellung ein, indem er
zu den wenigen Stoffen zählt, die bei innerer Darreichung eine all¬
gemeine Anästhesie erzeugen, und welche äusserlich appliziert,
lokal anästhesieren. Es war deswegen von vornherein anzunehmen, dass
der mit Salicylsäure dargestellte Ester, auf die Haut gebracht, keine Reizung
hervorbringen würde. In Erweiterung des vorliegenden Prinzips be¬
nutzten wir aber zur Herstellung der Salicylsäureester nicht bloss die
Salicylsäure als solche, sondern auch die Acetylsalicylsäure unter der
Annahme, dass die Vorteile des Aspirinprinzips sich auch hier äussern
würden. So werden in der Tat Verbindungen erhalten, die ohne jede
Reizwirkung in den höchsten Konzentrationen ertragen werden können.
Herr Dr. Sauerland, der die Freundlichkeit hatte, anch diese Ver¬
bindungen in gleicher Weise wie die obenerwähnte Salicylsäure zu
prüfen, fand dabei, dass weder eine 10-, noch 20-, noch 50 proz. Vaselin-
salbe, auf den Vorderarm appliziert, irgendeine Reizerscheinung hervor¬
bringt. Pharmakologisch wurden die vorliegenden Verbindungen im
Hygienischen Institut Bremen von Herrn Prof. Tjaden geprüft. Eine
gewisse Schwierigkeit bot die Herstellung der Präparate, die im
Organischen Laboratorium der Königl. technischen Hochschule aus¬
gearbeitet wurde, doch soll auf diese hier nicht eingegangen werden,
sondern vor allem soll die medizinische Untersuchung, die im Rudolf
Virchow-Krankenbause zu Berlin vorgenommen wurde, besprochen werden.
Das Anwendungsgebiet für die vorliegende Esterkombination liegt
bei spezifisch rheumatischen Krankheiten, akutem und chronischem Ge¬
lenkrheumatismus, Lumbago, besonders auch bei gonorrhoischen Gelenk¬
erkrankungen, und bei allen Formen von Muskelrheumatismus. Speziell
ist das Präparat zu verwenden in denjenigen Fällen, wo durch die rheu¬
matische Ursache eine Entzündung von Gelenken eingetreten ist. Auf
diesem Anwendungsgebiet wurde es in etwa 30 Fällen benutzt Es
beseitigt vor allen Dingen alsbald den Schmerz! Das ist bei diesen
rheumatischen Erkrankungen das erste Haupterfordernis, und dadurch
unterscheidet es sich von denjenigen Präparaten, deren Effekt allein auf
der Salicylwirkung beruht.
Diese mehr wie schmerzlindernde, vielmehr schmerzstillende Wirkung
bei akuten und subakuteu Muskel- und Gelenkrheumatismen hebt auch
nach seinen Erfahrungen Dr. E. Unger hervor.
Das Präparat zeichnet sich gegenüber den sonst gebräuchlichen
schmerzlindernden Einreibungen, wie z. B. Chloroformöl, Bilsenkrautol,
flüchtiges Liniment, durch seine gleichzeitige Salicylwirkung aus, während
bei den eben genannten schmerzlindernden Einreibungen nicht die rheu¬
matische Ursache als solche beseitigt wird und daher die Wirkung auch
nur vorübergehender Natur ist. Die Wirkungsweise des Präparats ist
im allgemeinen die, dass die Kranken, die etwa nachmittags damit be¬
handelt werden, bald schon bzw. über Nacht die helfende Wirkung er¬
fahren. Das Präparat wird als 10 proz. Salbe eingerieben, gut ein¬
massiert, und zwar mehrfach am Tage; in der Nacht, oder bei bett¬
lägerigen Patienten zweckmässig mit einem schützenden oder wärmenden
Verband versehen. In keinem Falle waren Reizwirkungen entstanden
oder Exautheme aufgetreten, wie auch weder eine nierenreizende Wirkung
noch eine sonstige Kontraindikation beobachtet wurde.
Ueber die Verwendung des Präparats 1 ) bei gichtischen Erkrankungen
hat vor einiger Zeit Prof. Brugsch in dieser Wochenschrift kurz be¬
richtet 3 ). _
Aus der experimentell - biologischen Abteilung des
Königl. pathologischen Instituts der Universität Berlin.
Weitere Beiträge zur Thorium X-Therapie bei
Anämie, Leukämie und rheumatischen
Erkrankungen.
Von
Prof. A. Bickel.
(Vortrag, gehalten in der Sitzung der Charitö-Gesellschaft am 9. Jan. 1913.)
Der Inhalt meines heutigen Vortrages knüpft an diejenigen
Mitteilungen an, die ich zur Thorium X - Therapie im verflossenen
Jahre in der Berliner medizinischen Gesellschaft gemacht habe.
1) Von der chemischen Fabrik Athenstädt & Redeker „Perrbeumal*
benannt.
2) Diese Wochenscbr., 1912, S. 1597.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
347
Ich batte unterdessen Gelegenheit, teils neue Erfahrangen an
einem grösseren Kranken material zu sammeln, teils früher ge¬
wonnene Beobachtungen in der einen oder anderen Richtung
weiter tu verfolgen.
Nach wie vor wird das Thorium X vor allem in der Therapie
dreier Gruppen von Erkrankungen angewandt; es sind das die
rheumatischen Erkrankungen, die Erkrankungen des Blutes und
der lymphatischen Apparate, wie endlich die Geschwulsterkran-
kungen.
Bei den rheumatischen Erkrankungen hat eine wochen- oder
monatelang fortgesetzte Trinkkur wohl allein praktische Be¬
deutung. Das gilt speziell für den chronischen Gelenkrheuma¬
tismus, die Arthritis deformans und die Neuralgien, die ich dieser
Gruppe zuzählen will.
Ich habe in einem Falle einer mittelschweren Arthritis
deformans bei einer ca. 60 jährigen Frau einmal versuchsweise
eine intravenöse Injektion von 2 Millionen Macheeinheiten
Thorium X gemacht, aber danach keinen nennenswerten Erfolg
gtoehen. Es scheint bei diesen Erkrankungen nicht so sehr auf
die einmalige intensive und kurzdauernde Thorium X-Wirkung
anzukommen, als vielmehr darauf, dass die erkrankten Gewebe
längere Zeit einer mässigen Thorium X-Wirkung ausgesetzt
werden. Das erreicht man aber, wie gesagt, am besten durch die
Trinkkur, bei der ich die Tagesration des Medikaments in drei
Portidnen nach den drei Hauptmahlzeiten nehmen lasse.
Was die Dosierung anlangt, so fand ich, dass eine generelle
Anordnung sich hierfür nicht aufstellen lässt. Man muss bei
jedem Kranken mehr oder weniger die optimale Arzneidosis ap¬
probieren.
Ich rate, etwa mit 5000 Macheeinheiten als Tagesdosis anzu-
fangen und allmählich aufzusteigen; ich bin bis 50 000 Mache¬
einheiten, ja in einzelnen Fällen bis 100 000 Macheeinheiten
Thorium X pro Tag gestiegen und habe diese Dosis wochenlang,
ja monatelang nehmen lassen. Denn man sieht eben in manchen
Fällen erst nach der Gabe einer derartig grossen Dosis und nach
einer längere Zeit konsequent durchgeführten Behandlung Erfolg.
Wie ich in einem früheren Vortrage ausführte, verhält sich
ein gewisser Bruchteil der Rheumatiker refraktär gegen die
Thorium X - Behandlung. So habe ich auch bei meinem neueren
Material Misserfolge zu verzeichnen. Besonders denke ich da an
eine etwa 50 jährige Dame mit einer schweren chronischen
rheumatischen Monarthritis im Hüftgelenk, bei der eine monate-
lange Behandlung mit Tagesdosen bis zu 100 000 Macheeinheiten
ganz erfolglos blieb.
Andererseits will ich aber hier auch eine positive Beobach¬
tung nicht unerwähnt lassen, die einen Patienten mit schwerer
Bechterew’scher Krankheit, der fortschreitenden Versteifung der
Wirbelsäule, Schulter und Oberarmgelenke betrifft. Bei diesem
Kranken trat eine sehr merkbare Besserung ein, die sowohl sich
in einem Nachlassen der Schmerzen, wie in einer Hebung der
Beweglichkeit der erkrankten Gelenke äusserte, eine Besserung,
die allerdings erst nach vielwöchiger Behandlung gerade mit
den grösseren Dosen von etwa 50000 Macheeinheiten erzielt
wurde.
Ich wiederhole also: bei allen diesen rheumatischen Er¬
krankungen verdienen konsequent durchgeführte Trinkkuren von
Thorium X mit steigender Dosierung ernsteste Beachtung.
Die zweite Gruppe von Erkrankungen, die ich vorhin nannte,
sind die Erkrankungen der lymphatischen Organe und des Blutes.
Bei einer jungen Frau mit multiplen LymphdrüsenschWel¬
lungen und unregelmässigen Temperatursteigerungen führte die
«inmalige intravenöse Injektion von 1500 000 Macheeinheiten
Thorium X zu einer sichtbaren Erweichung und Verkleinerung
der grossen Lymphdrüsenpakete am Halse.
Unter den Fällen von myelogener Leukämie, die ich behandelte,
verdienen zwei besondere Beachtung. Der eine betraf einen
ca. 17 jährigen jungen Mann mit schwerer akuter Leukämie,
grossem Milztumor, Lebertumor, Schwellung der Füsse und Unter¬
schenkel, grossem Ascites, lauten anämischen Herzgeräuschen und
schwerer Atemnot. 10 Tage nach einer einmaligen Injektion von
2000 000 Macheeinheiten waren die Oedeme, der Ascites und die
Herzgeräusche vollständig geschwunden, so dass der Junge ausser
Bett sein konnte. Milz und Lebertumor aber blieben bestehen.
Fünf Wochen später war wieder der schwere Allgemeinzustand
vorhanden, ging aber auf eine abermalige intravenöse Injektion
-von 1 500 000 Macheeinheiten zurück. Die Besserung hielt wieder
einige Wochen an, ein zweites Recidiv setzte ein, und jetzt blieb
eine erneute Thoriuminjektion so gut wie ohne Erfolg, und der
Kranke starb bald darauf. Es sei noch erwähnt, dass die Zahl
der weissen Blutkörperchen vor allem nach der ersten Injektion
stark absank. Leider verfüge ich nicht über eine genaue Tabelle
des Blutbefundes bei diesem Kranken, da ich den Patienten kon¬
sultativ ausserhalb von Berlin behandelte. Den Krankheitsbericht
verdanke ich dem Hausarzt des Patienten.
Dieser Fall ist darum bemerkenswert, weil er zeigt, dass
auch bei einer so schweren Form der Leukämie das Thorium
noch ganz frappante Wirkungen vollbringen kann, dann aber
auch, weil er ein Schulbeispiel für die vorübergehende Wir¬
kung eben dieses Medikaments ist. Die Wirkung der einmaligen
Injektion hielt jedesmal ca. 1 Monat an. Zweimal half das Mittel,
beim letzten Recidiv aber versagte es.
Der andere Fall von myelogener Leukämie, den ich be¬
sonders hervorheben wollte, ist dadurch ausgezeichnet, dass ich
bei ihm die Thoriumbehandlung bis jetzt über 11 Monate fort¬
setzte. Im Verlaufe des ersten Monats bekam die 56 jährige
Patientin Tagesdosen von 12 000 bis 20 000 Macheeinheiten, ohne
dass sich die Zahl der weissen Blutkörperchen nennenswert
änderte; alsdann machte ich eine intravenöse Injektion von
1 500 000 Macheeinheiten. Auch danach sank die Zahl der weissen
Blutkörperchen nur wenig, aber die Milz wurde merklich
kleiner. 14 Tage nach der Injektion liess ich die Patientin täglich
100 000 Macheeinheiten trinken. Ein Monat später wurde aber¬
mals eine Injektion von 1000 000 Macheeinheiten gemacht.
Wiederum verkleinerte sich die Milz; die Zahl der weissen Blut¬
körperchen ging ein wenig zurück. Vier Wochen später liess ich
von neuem mit der Trinkkur bei einer Tagesdosis von 100 000 Mache¬
einheiten beginnen und setzte diese Trinkkur bis heute fort. Die
Zahl der weissen Blutkörperchen schwankte während der ganzen
Zeit zwischen 160 000 und 465 000, gewöhnlich betrug sie etwa
260 000. Die Patientin befindet sich in leidlicher Verfassung,
geht ihrem Beruf nach, die Milz ist in den letzten Monaten nicht
nennenswert grösser geworden. Ich will noch erwähnen, dass
die Patientin etwa am vierten Tage nach den intravenösen In¬
jektionen Temperatursteigerungen bekam mit schlechtem Allgemein¬
befinden und Appetitlosigkeit. Zweimal im Verlauf der Trinkkur
klagte die Patientin über Durchfälle, die dann nach mehrtägigem
Aussetzen des Medikaments aufhörten. Jedenfalls lehrt diese
Krankengeschichte, dass auch ein beinahe jahrelanger Gebrauch
des Thorium X in den genannten Dosen dem Körper nicht schäd¬
lich ist; ich lasse es dahingestellt, ob die mitgeteilte Beobachtung
zu der Hoffnung berechtigt, dass es bis zu einem gewissen Grade
gelingen kann, in geeigneten Fällen den leukämischen Prozess
eine Zeitlang durch eine derartige chronische Thorium X-Behand-
lung in Schach zu halten.
Unter den Fällen von perniciöser Anämie, die ich mit
Thorium X behandelte, habe ich bis jetzt eigentlich nur einen
Fall mit absolut negativem Erfolg gehabt. Es handelte sich um
einen PatienteD, der etwa seit l l / 2 Jahren erkrankt war. Weder
nach der intravenösen Injektion einer Dosis von 40 000 Mache¬
einheiten, noch auch nach einer über vier Wochen fortgesetzten
Trinkkur mit einer Tagesdosis von 50 000 Macheeinheiten sah ich
irgendeine Besserung im Blutbilde auftreten. Trotz der Thorium X-
Behandlung verschlechterte sich das Blut fortwährend, und der
Kranke starb. Bei einer anderen, 60 jährigen Patientin trat nach der
ersten Injektion von 30 000 Macheeinheiten unmittelbar eine leichte
Besserung in den ersten drei Tagen ein, dann erfolgte bei gleich¬
zeitiger Trinkkur von 50 000 Macheeinheiten pro Tag ein Still¬
stand und geringer Rückschritt, dann aber, etwa 14 Tage später,
bei fortgesetzter Trinkkur eine fortschreitende Besserung im Blut¬
befund. Leider starb die Patientin einige Wochen darauf an
einem Herzschlag; das Blut war jedenfalls besser geworden.
Einen anderen Patienten, dessen Krankengeschichte mir be¬
merkenswert scheint, behandelte ich von vornherein nur mit der
Trinkkur und setzte diese Behandlung, bei der er täglich
50 000 Macheeinheiten bekam, bis jetzt über zehn Monate fort.
Nach sechswöchiger Behandlung war der Blutbefund normal,
die Zahl der roten Blutkörperchen war von 960 000 auf 4 610 000
heraufgegangen, ebenso hatte sich der Hämoglobingehalt von 50
auf 90 pCt. erhöht, die Poikilocyten waren schliesslich ganz ver¬
schwunden. Genau sechs Monate nach Beginn der Behandlung
und genau vier Monate nachdem das Blutbild normal geworden
war, setzte das Recidiv ein, bei dem innerhalb von 14 Tagen die
Zahl der roten Blutkörperchen von 4 920 000 auf 2 080 000 sank
und die Poikilocytose sich wieder einstellte. In der Folgezeit
zeigte das Blutbild noch einige Male vorübergehende Besserungen,
denen aber immer wieder Verschlechterungen nachfolgten. Das
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
alles ereignete sieb, obschon das Tborinm X täglich und von
Anfang an ohne Unterbrechung in der genannten Dosis gegeben
wurde, und obsebon der Kranke nach Beginn des Recidivs täglich
100 ccm 1 proz. Cholesteariuöls per os dazu erhielt.
Indessen ermuntern zur Behandlung der pernieiösen Anämie
auch dann noch immer die positiven Erfolge der Thorium X-
Behandlung, wenn wir auch von ihnen wissen, dass sie nur
vorübergebend sind. Denn wir haben es in den Fällen, in denen
das Thorium X überhaupt hilft, in der Hand, die Kranken wieder
durchaus leistungsfähig zu machen. Ich könnte dafür Beispiele
anführen. So war z. B. einer meiner amerikanischen Patienten,
ein Universitätsprofessor, seit ca. 2 Jahren nicht mehr fähig,
seinem Beruf nachzugehen. Trotz aller anderen Therapie machte
die Blutbildung keine rechten Fortschritte. In ca. sechswöchiger
Thorium X- Behandlung bei der täglichen Gabe von 50 000 Mache¬
einbeiten per os stieg die Zahl der roten Blutkörpereben von
1200000 auf 5 280 000, und der Patient geht heute wieder
seinem Berufe nach.
Ein noch dankbareres Feld für die Thorium X-Bebandlung aber
dürften wohl alle jene Anämien abgeben, die nicht zu der Gruppe
der pernieiösen Anämien gehören, und denen auch keine andere
maligne Ursache zugrunde liegt.
So behandele ich eben ein 19 jähriges psychotisches junges
Mädchen, das infolge mangelhafter Nahrungsaufnahme auf 51 Pfund
abgemagert war und bei dem die Zahl der roten Blutkörperchen
bei normaler Form 1 700 000 betrug. Der Hämoglobinwert war
46 pCt.
Eine erstmalige Injektion von 50 000 Macheeinheiten und
eine später vorgenommene Trinkkur von täglich 80—50 000 Mache¬
einheiten brachte das Blut successive in die Höhe. Nach sechs¬
wöchiger Behandlung hatte die Kranke 3 560 000 rote Blut¬
körperchen und 65 pCt. Hämoglobin, weitere 4 Wochen später
batte sie 5 200 000 rote Blutkörperchen und 80 pCt. Hämoglobin.
Ich glaube, dass gerade in solchen Fällen das Thorium X
ein Mittel ist, das, wie kein anderes, dem Körper den nötigen
ersten Anstoss zur Regeneration des Blutes und damit indirekt
auch zur Hebung der Ernährung liefert.
Wenn wir aber das Thorium X bei solchen schweren Fällen
von Anämie anwenden, dann müssen wir in der Dosierung äusserst
vorsichtig sein. Wir müssen fortlaufend, mindestens wöchentlich
einmal, das Blut zählen, um sicher zu sein, ob wir die für den
vorliegenden Fall richtige Reizdosis gewählt haben. Ich habe
den Eindruck gewonnen, dass gerade bei der Behandlung der
Anämien der individuelle Faktor eine wichtige Rolle spielt, und
dass man in jedem Fall vorsichtig tastend ausprobieren muss,
was man dem Knochenmark an Reizung zumuten kann. Die Ge¬
fahr einer Ueberreizung liegt nämlich nahe, besonders bei einem
schon lange und schwer geschädigten Marke.
Die letzte der obengenannten Krankheitsgruppen, bei denen
das Thorium X angewandt wird, ist die Gruppe der bösartigen
Geschwülste, besonders des Carcinoms.
leb kann mich hierbei kurz fassen: Mit der intravenösen
Thorium X-Therapie heilen wir keine inoperablen Carcinome.
Eine gewisse Beeinflussung ist möglich; das gebe ich zu. Aber
auch die scheint mir recht selten zu sein, wenn man von ihr eine
Verlängerung des Lebens der Patienten fordert, und wenn man
sich nicht zufrieden gibt mit kleinen Scheinerfolgen, von denen
die Radium-Geschwulstdoktoren bei inoperablen Carcinomen so viel
Wesens machen.
Nur in einem Falle habe ich einen Effekt nach der Thorium X-
Behandlung gesehen: ob post hoc oder propter hoc bleibe dahin¬
gestellt. Immerhin sei aus der Krankengeschichte folgendes mit¬
geteilt: Es handelt sich um einen 29 jährigen Menschen, der mir
wegen inoperablen Mastdarmkrebses zugeschickt war. Der be¬
handelnde Chirurg batte ihm einen Anus praeternaturalis an¬
gelegt.
Der Effekt einer */ 4 jährigen Behandlung, bei der teils intra¬
venöse Injektionen von sehr grossen Thorium X- Dosen gemacht
wurden, teils das Thorium X per os in grösseren Dosen längere
Zeit verabreicht wurde, war der, dass der Patient noch lebt, gut
genährt ist, und dass nach Aussage des Chirurgen der Tumor auf
Vs der ursprünglichen Grösse zurückgegangen ist. Ich beob¬
achtete, dass, solange der Körper unter der Wirkung grösserer
Thorium X-Mengen stand, aus dem ausgeschalteten Darmstück sich
regelmässig blutig-schleimige Massen entleerten. Dass man auch
sonst nach der Darmausschaltung unter analogen Verhältnissen
ein Zurückgehen der Geschwülste gelegentlich sieht, ist wohl
bekannt.
M. H.! Ich komme zum Schluss. Die bunte Folge der kleinen
kasuistischen Mitteilungen, die ich heute abend mir Ihnen vor¬
zutragen erlaubte, werden, so glaube ich, auch in Ihnen die Ueber-
zeugung befestigt haben, dass wir in dem Thorium X ein inter¬
essantes und in vielen Fällen symptomatisch vortrefflich wirkendes
Heilmittel besitzen, auf das wir bei der Behandlung der genannten
Krankheitskategorien so lange nicht verzichten möchten, bis wir
etwas Besseres haben, da9 den Bedürfnissen der ätiologischen
Therapie gerechter wird.
Zur Frage von der operationslosen Behandlung
des Carcinoms.
Von
Hofrat Dr. A. Theilltber in München.
Die Versuche, die in der allerneuesten Zeit gemacht wurden,
das Carcinom ohne Operation zu heilen, batten sich zum grösseren
Teil die Aufgabe gestellt, sämtliche Zellen der Neubildung zu
zerstören. Für tiefliegende Carcinome ist dies wohl meist eine
sehr schwierige Aufgabe. Es ist wahrscheinlich, dass die Heilung
des Carcinoms leichter durch Nachahmung der Naturheilungs¬
bestrebungen gelingen wird. Wohl für jede Erkrankung haben
sich im Laufe der Hunderttausende von Jahren, seitdem es Lebe¬
wesen gibt, automatisch einsetzende Korrektivmaassregeln heraus¬
gebildet. Würden diese fehlen, so würden bei den vielen Schäd¬
lichkeiten, denen sie täglich ausgesetzt sind, die lebenden Wesen
bald wieder aussterben. NaturheiluDgen kommen beim Carcinom
wahrscheinlich viel häufiger vor, als man glaubt, doch ist im
Gegensatz z. B. zum Myom die Naturheilung durch primäre Zell¬
atrophie oder primären Zelltod ein selteneres Vorkommnis. Der
Vorgang, der zur Spontanheilung führt, scheint meist anders zu
verlaufen: Wahrscheinlich ist es gar nicht selten, dass das Epi¬
thel seine Grenzen überschreitet, in das Bindegewebe vordringt
und sich dort sehr stark vermehrt. Es geschieht dies namentlich
dann, wenn die Proliferationsfähigkeit der in dem subepithelialen
Bindegewebe befindlichen Bindegewebszellen durch chronische
Entzündungen, Narben usw. geschwächt ist. Das Bindegewebe
empfindet das an abnormer Stelle liegende Epithel als einen
Fremdkörper und reagiert darauf mit Hyperämie; letztere führt
non zu lokaler Hyperleukocytose, ausserdem steigert sie die Pro¬
liferationskraft der Bindegewebszellen. Die Folge ist, dass das
weitere Vordringen des Epithels durch gewissermaassen als Gegen¬
gift wirkende zahlreiche Bindegewebszellen verlangsamt, gehemmt
und zuweilen aufgehalten wird und in letzterem Falle meist die
Wucherung sich langsam wieder zurückbildet. Ist jedoch die
Proliferationsfähigkeit der Bindegewebszellen auf weite Strecken
gehemmt und sind die Blutgefässe weithin verengt und unfähig,
sich zu dilatieren, ist auch bei sehr geschwächten Individuen die
Reaktionsfähigkeit überhaupt sehr gering, so kommt es nicht
mehr zu ausgiebiger Steigerung der Vermehrung der Bindegewebs¬
zellen, auch nicht zu ergiebiger lokaler Hyperleukocytose, die
Wucherung der Epitheizelleu gebt weiter, es bildet sich allmählich
„das Carcinom“ heraus.
Es kommt nun recht bald zu einer Anschwellung der benach¬
barten Lymphdrüsen. Bei einer grossen Anzahl von solchen
Lymphdrüsenschwellungen, namentlich aus der früheren Zeit der
Carcinomhildung, batten bisher die meisten Aerzte angenommen,
dass sie durch Entzündung verursacht seien. Letztere sei durch
das Eindringen von Krebstoxinen veranlasst. Wir haben nun bei
zahlreichen „entzündlichen Drüsen“ viele Serienschnitte gemacht,
wir untersuchten z. B. auf diese Weise gleich 6, 8 und mehr
Lymphdrüsen, die von einem einzigen primären Tumor ausge¬
gangen waren. Diese sämtlichen Drüsen waren vergrössert, zum
Teil sehr beträchtlich, ausserdem waren sie stark hyperämisch.
Bei makroskopischer Untersuchung und bei oberflächlichen mikro¬
skopischen Besichtigungen liess sich nichts vom Carcinom kon¬
statieren, so dass es entzündliche Drüsenschwellungen zu sein
schienen. Bei sehr sorgfältigem mikroskopischen Studium wurden
jedoch regelmässig im Bindegewebe zerstreut einzelne Carcinom-
zellengruppen gefunden; letztere waren immer umgeben von Stroma,
das zahlreiche Bindegewebszellen und ausserdem Rundzelleninfil¬
trationen aufwies. Die Blutgefässe des Stromas waren weit, ihre
Wände dünn. Es ist doch nicht anzunehmen, dass die hier ge¬
fundenen Carcinomzellen sich in progressiver Wucherung befanden.
Ebensowenig handelte es sich wohl bei dem ganzen Charakter
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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des Proiesaes um „schlummernde Carcinomzellen“. Es lagen hier
also höchstwahrscheinlich Ruckbildungsprozesse, Heilungsvorgänge
des Carcinoma vor.
Den Klinikern ist es ja schon lange bekannt, dass carcinoma-
töse Lymphdrüsentumoren, namentlich nach der Exstirpation des
primären Tumors, häufig spontan heilen.
Zweifellos ist bei vorgeschrittener carcinoraatöser Infil¬
tration die Heiliingstendenz des Primärtumors eine sehr geringe,
die des Lymphdrusentumors eine weit grössere. Nach unseren
Untersuchungen scheint mir die Ursache in folgendem zu liegen:
Der Primärtumor entsteht nur dort, wo schon lange Zeit die Blut-
circulation spärlich, die Gefässe eng, die Proliferationsfähigkeit
der Bindegewebszellen gering ist. Daher auch die geringere
Neigung des Primärtumors zur spontanen Heilung, dagegen erfolgt
„die Metastase“ sehr häufig in Organe hinein, die bis dahin nor¬
male Textur, normale Blutversorgung, deren Blutgefässe normale
Wände batten. Daher die grössere Neigung der sekundären Tu¬
moren, die zur Heilung notwendige Hyperämie, Hyperleukocytose
usw. zu entwickeln. Natürlich können auch in normalen Organen
zuletzt die Naturbeilungsprozesse versagen, wenn der Import der
Carcinomzellen zu häufig erfolgt and allzu reichliche Zellenmassen
importiert werden.
Es scheinen also die Heilbestrebungen der Natur zu gipfeln
in Hyperämie, Hyperleukocytose und Vermehrung der
Bindegewebszellproliferation, sowohl in der Umgebung des
Primärtumors, als in den (häufig bald erfolgenden) Metastasen.
Möglicherweise wirkt auch die reichliche Lymphocytenproduktion
in den geschwollenen Lymphdrüsen noch auf dem Blutwege günstig
auf die lokale Hyperleukocytose in der Nähe des Primärtumors.
— Die Ursache des Carcinoms ist also meines Erachtens eine
Erkrankung des Bindegewebes, die sich äussert in Atrophie des
subepUbelialen Bindegewebes bei schlechter Ernährung desselben,
spärlichen atrophischen Bindegewebszellen mit verminderter Pro¬
liferationsfähigkeit, engen Blutgefässen. Wenn die Genesung er¬
folgt, werden die Bindegewebszellen reichlich, die Blutgefässe
weit, es stellt sich also der normale Status des Bindegewebes
wieder her, ja es erfolgt, wie so häufig in der Natur, eine Ueber-
kompensation. Das krankmachende Agens selbst (die an fremden
Orten befindlichen Epitbelzellen) ist bestrebt, letzteren Prozess
hervorzurufen. Ob ihm dieä gelingt, hängt von der Ausdehnung
und Intensität des krankhaften Prozesses, von der Erweiterungs-
fäbigkeit der Gefässe, von der Beschaffenheit des Blutes, der
leukocytenbildenden Organe usw. ab.
Bei den Myomen ist es umgekehrt wie bei den Carcinomen.
Das Myom bildet sich nur in der Zeit, wo der Uterus sehr gut
mit Blut versehen ist, wo seine Zellen starke Proliferationskraft
besitzen, d. b. zwischen der Menarche und der Menopause. Wenn
der Uterus anämisch ist (vor der Menarche und nach der Meno¬
pause), entwickelt sich kein Uterusmyom. Solange das Myom
kräftig wächst, also in den jüngeren Jahren, ist auch das inter¬
stitielle Bindegewebe des Myoms blutreich, reich an Leukocyten
und Bindegewebszellen. Nach der Menopause wird der Uterus
anämisch, gewöhnlich geht damit Hand in Hand eine Atrophie
der Muskelfasern des Myoms, das interstitielle Bindegewebe ist
zwar reichlich, aber zellarm.
Hegar hat uns schon vor 40 Jahren mit einer Methode der
Myombehandlung beschenkt, die auf dieser Tatsache beruht. Er
bat die beiden Ovarien exstirpiert, dann wird der Uterus anämisch,
die interstitiellen Myome wachsen nicht weiter, sie schrumpfen
meist. Er hat also den Naturheilungsprozess der Myome mit Er¬
folg nach geahmt.
In ähnlicher Weise ist es wohl auch aussichtsreich, den
NaturheilungsprozesB der Carcinome nachzuahmen. Es ist dies,
allerdings meist unbewusst, schon vielfach geschehen. Die In¬
jektion von Emmerich’8chem Erysipelserum, die Einspritzungen
von Prodigiosus- und auch von manchen anderen Toxinen haben
manche Besserungen hergerufen. Die Ursache lag wohl in der
durch diese Toxine verursachten lokalen Hyperämie und der
lokalen und allgemeinen Hyperleukocytose. Aehnlicb sind wohl
auch die Spontanheilungen der Carcinome nach Erysipel, Pocken
und anderen fieberhaften Erkrankungen zu erklären. In ähnlicher
Weise wirkt wohl auch das von Otto Schmidt hergestellte
Antimeristem, das ebenfalls einzelne Heilungen aufzuweisen hat.
Aebnliche Wirkung haben wahrscheinlich manche Sera, Organ¬
extrakte, vielleicht auch beruht zum Teil hierauf die Wirkung
des von Werner empfohlenen Cholin. Wie ich mich durch Ver¬
suche am Kaninchen überzeugte, sind die Röntgenstrahlen im¬
stande, bei geeigneter Anwendung starke Hyperämie, diacutan
auch an Uterus und Ovarien zu erzielen; hierauf ist vielleicht
auch ein Teil ihrer Wirkungen zurückzuführen. Aehnlich ist
wahrscheinlich auch die Wirkung der Thermopenetration, der
Fulguration zu erklären, ebenso die günstigen Erfolge, die
Christoph Müller in Immenstadt mit der Kombination von
Hochfrequenz, Diathermie nnd Röntgenstrahlen hatte. Wahrschein¬
lich beruht auch auf den gleichen Ursachen der günstige Einfluss
des Radium, Actinium, Thorium und Mesothorium, in ähnlicher
Weise ist vielleicht die günstige Wirkung des von mir ange¬
wandten Uterusextraktes. der Nucleinsäure, das Natrium caco-
dylidum zu erklären. Die günstigen Erfolge, die ausser mir auch
Christoph Müller mit der Hyperämisierung der Narben nach
Radikaloperationen behufs Verminderung der Recidive erreichte,
mögen manchmal auch darauf zurückzuführen gewesen sein, dass
es uns gelang, durch diesen Prozess die Resorption kleinster zu¬
rückgebliebener Krebskeime zu begünstigen.
Gewöhnlich wird es notwendig sein, wie es Czerny mit
Recht betont, mehrere solcher Mittel zu kombinieren. Die Wirkung
wird dann eine viel intensivere. Solange allerdings diese Mittel
nur bei sehr vorgeschrittenen Fällen angewandt werden, werden Miss¬
erfolge noch nicht absolut beweisend für den geringen Effekt der
Therapie sein. Man verlangt von der unblutigen Krebstherapie
viel zu viel. Die günstigen Fälle werden mit Recht dem Ope¬
rateur überwiesen; die sehr vorgeschrittenen Fälle sind ebenso
schwer zu heilen, wie etwa Tuberkulose, die bereits beide Lungen
ausgiebig durchsetzt hat; die für die Bewältigung solcher kolossaler
Quantitäten von Krebszellen notwendige Hyperämie und Hyper¬
leukocytose kann eben von dem schwachen Körper meist nicht
mehr geliefert werden. Man müsste die unblutige Therapie weit
häufiger in leichteren Fällen, etwa bei kleinen Hautcarcinomen
versuchen, bei denen ja doch eine Zeitversäumnis von einigen
Wochen nicht sehr ins Gewicht fällt.
Sind die oben entwickelten Anschauungen richtig, so ist es
nicht schwer, noch eine ganze Reihe von Mitteln zu finden, die
wert sind, versucht zu werden. Ich selbst habe auch noch einige
weitere in Reserve. Welche von diesen Mitteln die besten Resul¬
tate ergeben nnd in welcher Kombination dieselben am zweck-
mässigsten anzuwenden sind, das bedarf jahrelanger Untersuchungen
an dem grossen Material vieler Anstalten. Ich möchte hier das
wiederholen, was Czerny vor kurzem gesagt bat (Münch, med.
Wocbenschr., 1912, Nr. 41):
„Die Prüfung der Mittel auf ihren Wert, die Ausbildung der¬
selben zu einer wirksamen Behandlungsmethode erfordert eigene
Krebsinstitute, welche sich dieser schwierigen Aufgabe widmen.
.Die Bekämpfung des Krebsleidens wird bloss durch
ausgedehnte emsige Zusammenarbeit der Aerzte und Forscher ge¬
lingen, und zwar um so schneller, je mehr Forschungsinstitute,
die mit Heil- und Pflegeslätteu für die Krebsbehandlung verbunden
sind, errichtet werden.“
Für die meisten grossen Städte wäre es mit relativ geringen
Kosten möglich, zunächst einmal in ihren Krankenhäusern eigene
Krebsabteilungen zu errichten und mit der Behandlung der Kranken
Aerzte zu beauftragen, die sich auch der Behandlung vorge¬
schrittener Fälle vermittels der operationslosen Methoden gern
unterziehen. Aehnliches scheint ja jetzt in Hamburg geplant zn
sein. Der aus einem solchen Vorgehen für die Kranken, für die
Allgemeinheit und für die Krebsforschung entstehende Nutzen
würde den Vorteil, den z. B. die Lungenheilstätten hatten, wahr¬
scheinlich bedeutend überragen.
Innere Sekretion und Nervensystem.
Von
Dr. Arthur Mttnzer-Berlin-Schlachtensee.
(Fortsetzung.)
Ueber die Bedeutung der Epithelkörperchen für die Oekonomie
des tierischen Organismus haben uns insbesondere experimentelle
Beobachtungen wertvolle Aufklärung verschafft. Zwar sind die
Folgen der Entfernung der Glandulae parathyreoideae, wie Biedl
hervorhebt, beim Tier je nach der Species und dem Lebensalter
einigermaassen verschieden; jedoch zieht in den meisten Fällen
eine derartige Operation das Auftreten schwerer Muskelkrämpfe
nach sich, wie sie für das Krankheitsbild der akuten Tetanie
charakteristisch sind. Zuweileu zeigt sich nur eine in Ueber-
erregbarkeit der Nerven sich äussemde latente Tetanie; bei einigen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Tieren auch eine von verschiedenen trophischen Störungen be¬
gleitete chronische Tetanie (Biedl). Das9 alle diese Krankheits¬
erscheinungen nur durch die Entfernung der Epithelkörperchen
bedingt sind, dafür liefert das Experiment den unwiderleglichen
Beweis.
Auch beim Menschen ist das Auftreten der Tetanie nach
Strumaoperation zweifellos auf eine Mitentfernung bzw. Verletzung
der Epithelkörperchen zurückzuführen. Aber auch für andere
Tetanieformen, so für die beim Kinde, die bei Frauen während
der Menstruation, Gravidität und Laktation auftretenden, für die
Tetanie gastrointestinalen Ursprungs besteht heutzutage die Neigung,
sie der Insuffizienz der Nebenschilddrüsen zur Last zu legen, und
sicherlich hat die einheitliche Auffassung der Pathogenese des
Leidens ihre volle Berechtigung.
In welchem inneren Zusammenhänge steht nun die mangel¬
hafte Funktion der Glandulae paratbyreoideae zur Genese der
Tetanie? Die Frage ist bereits vielfach diskutiert, bis jetzt aber
noch nicht einer endgültigen Lösung entgegengeführt worden. Die
allgemeine Annahme der Autoren geht dabin, dass nach Ent¬
fernung der Epithelkörperchen ein Toxin unbekannten Ursprungs,
ein Tetanietoxin sich bilde (Biedl), welches normalerweise durch
dieselben neutralisiert wird. Neue Gesichtspunkte wurden jüngst
noch in die Lehre der Tetanie durch die Untersuchungen von
Falta und Kahn getragen. Die beiden Autoren konnten an einer
Reihe von Fällen zeigen, dass bei der Tetanie eine allgemeine
Uebererregbarkeit bzw. Uebererregung des Nervensystems bestehe,
und zwar nicht nur der motorischen, sensiblen und sensorischen,
sondern auch der vegetativen Nerven. Gerade das letztgenannte
System wurde bei den bisherigen Untersuchungen völlig vernach¬
lässigt, und erst in der vorerwähnten Arbeit von Falta und
Kahn konnte festgestellt werden, dass an den Erfolgsorganen
vegetativer Nerven sich zahlreiche Symptome gesteigerter Er¬
regung bei Tetanie nachweisen lassen.
Eine besondere Bedeutung haben die Untersuchungen der
beiden Autoren auch für die Frage der Lokalisation der tetanischen
Veränderung gewonnen. Biedl ist neuerdings geneigt, eine
Beteiligung höherer Nervencentren, speziell im Gross- und Klein¬
hirn, anzunehmen. Falta und Kahn hingegen verlegen den Sitz
der tetanischen Veränderung der Extremitäten in die Ganglien¬
zellen des Rückenmarks; letztere befinden sich in einem Zustand
gesteigerter Erregbarkeit, und diese teilt sich im weiteren Verlauf
den peripheren Nerven mit. Von diesen Erwägungen aus ge¬
langen Falta und Kahn zu der Annahme, dass das Epithel¬
körperchenhormon normalerweise den Erregungszustand der
Ganglienzelle dämpfe. Möglicherweise kommt dieser Vorgang
durch Förderung der Kalkassimilation zustande, eine Hypothese,
die durch die nach Exstirpation der Drüsen konstatierte Ver¬
ringerung des Gesamtkalkgehaltes nahegelegt wurde. Die Aus¬
führungen von Falta und Kahn, auf die hier nur ganz kurz
eingegangen wurde, verdienen jedenfalls aufmerksame Beachtung.
Insbesondere ist die Betonung der engen Beziehungen zwischen
Epithelkörperchen und Rückenmark hervorzuheben.
Es ist bekannt, dass in letzter Zeit (zum ersten Male von
Lundborg) die Paralysis agitans in Verbindung mit einer In¬
suffizienz der Nebenschilddrüsen gebracht wurde. Bei der
mangelnden Einheitlichkeit der anatomischen Befunde im Nerven¬
system einerseits, bei der offenbar organischen Natur des Leidens
andererseits ist das eifrige Bestreben, den Krankheitsprozess zu
lokalisieren, wohl verständlich. Gerade im Licht der Falta-
Kahn’schen Hypothese hat die Theorie vom parathyreoidalen
Ursprung des Leidens ihre gewisse Berechtigung: Sobald der
dämpfende Einfluss des Epithelkörpercbenhormons auf die Ganglien¬
zellen des Rückenmarkes wegfällt, werden diese übererregbar und
übermitteln ihre Hypertonie dem peripheren Nervensystem. Hier
kommen vorwiegend zunächst die motorischen Nerven in Betracht,
welche vermöge ihres erhöhten Tonus die abnorme Spannung
der Muskulatur bewirken würden, dann auch das vegetative
Nervensystem in seinem sympathischen Anteil (Vasomotoren),
dessen gesteigerte Erregbarkeit die oftmals starken Hitzewallungen
und die vermehrten Schweissausbrüche bedingen mag, schliesslich
vielleicht die der Sensibilität dienenden Nerven, durch deren er¬
höhte Spannung die nicht selten beobachteten Extremitäten¬
schmerzen verursacht sein können. Die ganze Frage ist jedoch
noch nicht über das Stadium der Arbeitshypothese hinausgekommen
und bedarf noch weiterer gründlicher Klärung.
Noch verschiedene andere nervöse Krankheitszustände (Myo¬
tonie, Myoclonie, Myasthenia gravis pseudoparalytica) wurden auf
Veränderungen der Nebenschilddrüsen bezogen; aber auch hier
trennt uns noch eine breite Kluft von der Sicherheit einer über¬
zeugenden Beweisführung (bezüglich der Myasthenie cfr. Tobias 1 ).
Wir wenden uns nunmehr der Besprechung der Nebennieren
zu. Gerade diese Organe sind durch so weitverzweigte Beziehungen
mit dem Nervensystem verknüpft, dass wir nur das Allerwesent-
lichste hervorheben können. Noch völlig ungeklärt ist der Zu¬
sammenhang zwischen Nebennieren und Gehirn. In vielen Fällen
von Missbildungen, insbesondere bei Heini- und Anencephalie
wurde Hypoplasie der Nebennieren festgestellt. Diese Beobachtung
ist in letzter Zeit dahin korrigiert worden (Veit), dass nichteine
gleichmässige Hypoplasie von Rinde und Mark vorhanden ist,
sondern dass nur die Rinde mangelhaft ausgebildet, apiastisch, hin¬
gegen das Mark stärker entwickelt, hyperplastisch sein soll. Die
Aplasie der Rinde wird folgendermaassen erklärt: Beim normalen
Neugeborenen erfolgt während der Embryonalzeit eine Aufspeiche¬
rung von Lipoidsubstanzen in der Nebennierenrinde. Nach der
Geburt, wenn sich das Gehirn entwickelt, beginnt der Abbau
dieser Substanzen; hierdurch die Degeneration der Rindenschicht
in den ersten Lebensjahren. Beim Hemicepbalen bedarf es aber
dieser Aufspeicherung nicht, wodurch die Rindenaplasie bedingt
wird. Die Hyperplasie der Marksubstanz erklärt Veit mit einer
Beeinflussung der Medulla infolge der Grosshirndefekte und der
hierdurch verursachten Reizung des Sympathicus, welche in der
starken Entwicklung des chromaffinen Systems zum Ausdruck
kommt.
Die experimentelle Exstirpation der Nebennieren eneugt beim
Tier ausser verschiedenen anderen charakteristischen Symptomen
eine tiefe Apathie. Ob diese auf Rechnung des Funktionsausfalls
oder auf diejenige der eingreifenden Operation zu setzen ist, lässt
sich bis jetzt noch nicht sicher entscheiden. Auch bei der
Addison’scben Krankheit werden mitunter schwere cerebrale Er¬
scheinungen (Delirien, Krämpfe, depressiver Symptomenkomplex)
beobachtet. Diese Symptome sind aber vielleicht weniger der
Destruktion der Nebennieren als vielmehr der durch die Krankheit
bedingten Allgemeinerschöpfung zur Last zu legen.
Auf experimentellem Wege hat Connor (cit. nach Ascher)
zeigen können, dass infolge von Emotionen eine vermehrte
Sekretion von Adrenalin ins Blut stattfinde. — Aus alledem erhellt,
dass bestimmte Hirnprozesse auf die Sekretion der Nebennieren
modifizierend einwirken und umgekehrt.
Viel fester als zwischen Hirn und Nebennieren sind die Fäden
geknüpft, welche diese Organe an das sympathische Nervensystem
binden. Insbesondere muss hier unsere volle Aufmerksamkeit sich
auf die Marksubstanz der Nebenniere richten. Das Nebennieren¬
mark ist, um dies kurz zu rekapitulieren, zusammengesetzt aus
einem gefäss- und nervenreichen Gewebe von rundlichen Zell¬
balken und Strängen, dessen Zellen eine spezifische Affinität zu
Chromsalzen besitzen. Indessen bilden die im Nebennierenmark
eingeschlossenen chrombraunen Zellen nicht die einzigen Bausteine
jenes grossen Adrenalsystems, welches für den Körperhaushalt
eine hervorragende Bedeutung gewinnt; denn fast überall, wo
nur sympathische Fasern und Zellen liegen, finden sich die
gleichen Zellelemente. Ja, man kann sogar kaum einen Zweifel
darüber hegen, dass die freien Anteile des Adrenalsystems die in
den Nebennieren enthaltenen an Masse funktionsfähigen Gewebes
übertreffen (Biedl). Das chromaffine Zellsystem erwächst aus
einer mit den sympathischen Ganglien gemeinsamen Anlage —
schon in der Genese also tritt die nahe Verwandtschaft zwischen
Adrenal- und sympathischem System mit voller Deutlichkeit in
die Erscheinung. Während des ganzen postfötalen Lebens offen¬
bart sich der innige Zusammenhang zwischen beiden Systemen:
Das Adrenalin beeinflusst nur die vom Sympathicus innervierten
Gewebe, und zwar ist diese chemische Wirkung völlig identisch
mit derjenigen, welche durch die elektrische Reizung des sympa¬
thischen Nerven des betreffenden Gewebes hervorgebracht wird.
Ehe wir nun die Wirkungen des Adrenalins besprechen, sei
noch kurz hervorgehoben, dass das Adrenalsystem selbst unter
der Herrschaft des sympathischen Nervenapparates steht. Durch
die Versuche von Biedl wurde wahrscheinlich gemacht, dass in
der Bahn des Splanchnicus sekretorische Fasern für die Neben¬
nieren verlaufen, und noch jüngst gelang es Ascher, durch
dauernde Reizung des Splanchnicus Adrenalinsekretion zu er¬
zeugen.
1) Dass die Epithelkörperchen auch in Beziehungen zum Gehirn
treten, erhellt einerseits aus den von v. Frankl - Hoch wart be¬
schriebenen Tetaniepsychosen, andererseits aus der noch neuerdings von
Curschmann ausführlich abgehandelten Tetanieepilepsie.
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Die Wirkungen des Adrenalins — ich halte mich im folgenden
io der Hauptsache an die Darstellung von Biedl — machen sich
einerseits am Circulationsapparat, andererseits im Bereich aller
vegetativen Organe mit auserordentlicher Schärfe geltend. Am
meisten in die Augen springend ist die durch Adrenalin herbei¬
geführte Beeinflussung des Kreislaufs.
Spritzt man einem Tiere intravenös ein gewisses Quantum
Adrenalin ein, so tritt momentan eine erhebliche Blutdrucksteige-
rung ein, die indessen bald wieder verschwiudet. Die Druck¬
steigerung ist bedingt durch die Kontraktion der peripheren Ge-
fässe, welche in erster Linie die kleinen Arterien und Capillaren
betrifft. Das Adrenalin greift nicht, wie man vielleicht vermuten
möchte, an der Muskulatur der Gefässe an, sondern an jenen
Apparaten, welche mit den sympathischen Nervenendigungen in
Verbindung stehen (Biedl).
Charakteristisch ist die Wirkung, welche Adrenalin auf das
Herz ausübt: sie besteht in einer Beschleunigung der Herzaktion
und in einer Verstärkung der Kammersystolen, ln ihrem vollen
Umfang wird sie jedoch erst manifest, sobald die hemmenden
Vagusfasern durch Atropin gelähmt worden sind. Die Herz¬
wirkung des Adrenalins ist zweifellos auf eine Reizung der
sympathischen Nn. accelerantes zu beziehen.
# Auf den Verdauungstractus übt Adrenalin eine deutlich
hemmende Wirkung aus. Die spontanen Bewegungen des Magens,
die Peristaltik des Darmes werden zum Stillstand gebracht, die
Muskulatur des ganzen Mageudarmkanals erschlafft. Auch hier
lässt die Identität zwischen elektrischer Sympathicusreizung
(Splanchnicus) und Adrenalinwirkung den engen Zusammenhang
zwischen Nebenniere und sympathischem Nervensystem klar hervor¬
treten.
Der Einfluss des Adrenalins auf die Harnblase ist bei ver¬
schiedenen Säugetierklassen ein differenter, da die Blaseninner¬
vation sich als nicht einheitlich erweist. Jedenfalls aber lässt
sich sagen, dass Adrenalin dort hemmend auf die Blasen-
mnskulatur einwirkt, wo auch der Sympathicus sie hemmend
beeinflusst.
Eine mächtige Einwirkung entfaltet das Nebennierensekret
auf die Oterusmuskulatur, die es in die hochgradigste Kontraktion
versetzt. Das Phänomen tritt hauptsächlich am graviden Uterus
in die Erscheinung. Gerade dieser Wirkung des Adrenalins ist
stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden, weil sie für
die geburtshilfliche Therapie auch eine praktische Bedeutung er¬
langen musste.
Recht charakteristisch sind die Wirkungen, welche das Neben¬
nierensekret am Auge hervorruft. Die intravenöse Injektion von
Adrenalin erzeugt eine Retraktion der Nickhaut, Oeffnung des
Augenlides, Protrusio bulbi und Dilation der Pupille. Die gleichen
Erscheinungen kommen durch die elektrische Reizung des Hals-
sympathicus zustande.
Auch der Stoffwechsel wird in bestimmter Weise modifiziert,
Fett- und Eiweissumsatz sowie der Salzstoffwechsel werden durch
Adrenalin gesteigert. Wichtiger noch erscheint die Beeinflussung
des Koblehydratstoffwechsels. Seit längerer Zeit ist bekannt, dass
nach intravenöser bzw. subcutaoer Injektion von Adrenalin
Glykosurie eintritt. Die Adrenalinglykosurie ist insofern beachtens¬
wert, als zwischen ihr und der Claude Bernard’schen Piquü e weit¬
gehende Analogien bestehen sollen. Schon Blum, der Entdecker der
Adrenalinglykosurie, hat die Meinung ausgesprochen (cit. nach
Biedl), dass der Zuckerstich auf dem Wege über die Nebennieren
wirksam sei, und diese Vermutung ist von späteren Untersuchern be¬
stätigt worden. Die Differenz in der Genese beider Anomalien besteht
darin, dass Adrenalin durch periphere Sympathicusreizung wirkt,
während der Zuckerstich eine centrale Erregung des Sympathicus
berbeiführt (Biedl). Adrenalin wirkt, wie eine Reihe von Unter¬
suchungen gelehrt haben, nicht direkt auf die Bildung des
Zockers, sondern auf dessen Verteilung im Blut; es führt im
weiteren Verlauf zur Hyperglykämie, der die Ausscheidung des
Zockers im Urin unmittelbar folgt (Biedl). Also reguliert die
Nebenniere dauernd den Zuckertonus im strömenden Blut und
beherrscht hierdurch in hervorragender Weise den Kohlehydrat¬
stoffwechsel.
Die obigen Erörterungen, die allerdings nur kurz und unvoll¬
ständig den Zusammenhang zwischen Ad renal- und sympathischem
System darstellen, haben uns mit der heute allgemein gültigen
Anschauung vertraut gemacht, dass das Adrenalin ein für die
normale Funktion des sympathischen Systems notwendiges Hormon
repräsentiert; in mannigfachen Lebenserscheinungen wird uns die
strikte Abhängigkeit des Sympathicus von der Nebenniere immer
wieder vor Augen geführt. Nach Abwägung aller experimentellen
und klinischen Ergebnisse kommen wir zu der bereits von Biedl
geäusserten Ansiebt: das Adrenalsystem dient als Regulator des
Sympathicustouus; der Nebenniere fällt die gewichtige Aufgabe
zu, den Erregungszustand des sympathischen Systems dauernd
auf gleichmässiger Höhe zu halten. Die Regulierung des
Sympathicustouus findet einerseits in einer Förderung von
Orgaufunktionen ihren Ausdruck, andererseits tritt sie als
Hemmung von Organtätigkeiten in die Erscheinung.
Am Schlüsse dieses Abschnitts bietet sich Gelegenheit, noch¬
mals auf das Verhältnis zwischen Schilddrüse uud Nebenniere
zurückzukommen; speziell bezüglich der Theorie, welche die
Sympathicu8symptome des Basedow als Adrenalinwirkungen auf¬
fasst, während sie dem Schilddrüsensekret nur die Rolle einer
sensibilisierenden Substanz zuerkennt. Wenn wirklich es
sich beim Basedow nur um reine Adrenalinsymptome handelte,
so dürfte auch eine der konstantesten und wesentlichsten
Adrenalinwirkungen, nämlich die Blutdrucksteigerung, niemals
vermisst werden. Gerade das Verhalten des Blutdrucks ist aber
beim Basedow wechselnd; zum mindesten ist eine eindeutige
Blutdrucksteigerung nicht nachgewiesen. Dieses Moment spricht
entschieden gegen die zu hohe Bewertung der Adrenalin Wirkung
beim Basedow und weist erneut auf die bedeutungsvolle Position
der Schilddrüse hin.
Im Lichte unserer Betrachtung kommt der Hyperpbyse eine
prinzipielle Ausnahmestellung zu. Denn in ihr ist die Kombi¬
nation von Blutgefässdrüse und Hirnabschnitt realisiert und hier¬
mit von vornherein ihre dominierende Stellung gekennzeichnet.
Die Hypophyse gliedert sich bekanntlich in zwei Teile, einen
Vorder- und Hinterlappen; neuerdings wird auch dem sie ver¬
bindenden Abschnitt, der Pars intermedia, eine selbständige
Stellung eingeräumt. Während der Vorder-(Drüsen-)lappen ent¬
wicklungsgeschichtlich dem Kopfdarm zugehört, ist der Hinter¬
lappen (Pars iufundibularis) ein echter Hirnteil. Beide Lappen
stehen infolge ihrer topographischen Zusammengehörigkeit in
engen Wechselbeziehungen zueinander; beide müssen nach neueren
Erkenntnissen als echte sezernierende Drüsen angesehen werden.
Der Vorderlappen ist für die Erhaltung des Lebens unentbehrlich;
für den Hinterlappen ist dies noch nicht mit der gleichen Sicher¬
heit erwiesen. Auf eine gewisse vitale Bedeutung desselben
glaube ich aus folgenden Ergebnissen schliessen zu können: Die
Durchtrennung des Hypophysenstiels ist nach Augabe einzelner
Autoren (Paulesco, cit. nach Biedl) ein zum Tode führender
Eingriff, selbst wenn die Drüse im Organismus zurückgelassen
wird. Diese Tatsache musste bisher ohne weitere Erklärung
registriert werden.
Wenn man sich aber an die neueren Befunde Herring’s (cit.
nach Crowe, Cushing und Homans), welche die selbständige
Sekretion des Hinterlappens darstellen, hält, so muss die Deutung
des Experiments lauten: Durch die Durchtrennuug des Hypo¬
physenstiels wird der reguläre Sekretabfluss von der Pars infundi-
bularis in den dritten Ventrikel plötzlich unterbrochen, und dem
Organismus werden infolgedessen Substanzen entzogen, von deren
Vorhandensein die Aufrechterhaltung der normalen Lebensfunk¬
tionen abhängt.
Die systematische Hypophysenforschung nimmt ihren Ur¬
sprung von der Marie’schen Entdeckung, welche die Akromegalie
mit bestimmten pathologischen Veränderungen des Hirnanhanges
in Beziehungen brachte. Aus der unendlichen Zahl der seither
erschienenen Publikationen erscheint eine für unsere Zwecke
brauchbare Auswahl recht schwer.
Hinweisen möchte ich zunächst auf die auch in weiteren
Kreisen bekannt gewordenen Arbeiten v. Cyon’s. Dieser Forscher
stellte, gestützt auf die Ergebnisse seiner direkten Reizversuche
an der Glandula pituitaria die Theorie auf, dass die Hypophyse
dazu bestimmt sei, automatisch deu intracraniellen Blutdruck zu
regulieren. Jede Druckerhöhung im Innern der Schädelkapsel
errege auf mechanischem Wege die Hypophyse, diese Erregung
werde reflektorisch auf die Vaguscentren übertragen und somit
eine Verlangsamung und Verstärkung der Herzschläge herbei¬
geführt. Zu gleicher Zeit wurde durch die im Vagus verlaufenden
Vasodilatatoren eine Erweiterung der Schilddrüsengefässe hervor¬
gerufen und hierdurch eine Ableitung überschüssiger Blutmengen
vom Gehirn in entlegenere Rörpergebiete bewirkt. In Durch¬
führung dieser wichtigen Aufgaben würde also die Hypophyse
bis zu einem gewissen Grade die Aktionsfähigkeit des Central-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
organs beherrschen; ihre Integrität würde den normalen Ablauf
der Hirnfunktiouen gewährleisten.
Die mechanische Theorie ist heute fast allgemein verlassen,
da sie, wie eine Reihe von Untersuchungen gezeigt haben, auf
falschen Fundamenten aufgebaut ist (cf. Biedl). Die Hypophyse
wirkt nur durch die in den Kreislauf abgesonderten chemischen
Sekrete. Auch die überragende Bedeutung, die v. Cyon der
Drüse für den Ablauf der normalen Hirnfunktionen zuschreibt,
wird schwerlich anerkannt werden, wenngleich ihr machtvoller
Einfluss auf das organische Geschehen überhaupt nicht unterschäzt
werden darf.
In seinem kürzlich erschienenen Buche über die Gefässdrüsen
verleiht v. Cyon weiterhin der Meinung Ausdruck, dass die
Hypophyse vielleicht befähigt sei, in gewissem Sinne die Rolle
zu erlüllen, die Descartes der Zirbel zugeschrieben hat; die
Hypophyse könne als Verbindungsknoten gelten, in dem sämt¬
liche Lebensfäden zusammeuträfen, sie sei der Sitz der „Lebens¬
seele“.
Die geistreichen Spekulationen v. Cyon’s ermangeln indessen
einer tieferen Begründung. Zunächst möchte es überhaupt ver¬
fehlt erscheinen, den Sitz der Seele in einen kleineren Hirn¬
abschnitt zu verlegen, während die Erfahrungen der Physiologie
und Pathologie uns zwingen, nur das Gesamtgehirn als Seelen¬
organ anzusprechen. Fernerhin zeigen alle bisherigen Forschungen,
dass die Hypophyse im wesentlichen Circulaiion und Stoffwechsel¬
vorgänge beeinflusst, dass ihr hingegen an der Regulation der
psychischen Funktionen nur ein beschränkter Anteil zu¬
kommt.
Weit wichtiger als die Theorien v. Cyon’s erscheinen seine
Feststellungen wichtiger Einzelsymptome, die sich bei zahlreichen
Versuchsreihen ergaben. Die direkte Reizung der Hypophyse be¬
wirkte häufig das Auftreten clonischer oder epileptischer Krämpfe,
die besonders gegen Ende der Reizung die Versuchstiere befielen.
Zweifellos spielt hier die durch die Hypophysenreizung bedingte
Sekretionsveränderung eine hervorragende Rolle; und im Einklang
mit dem Experiment stehen die klinischen Erfahrungen, welche
in der Aetiologie der Epilepsie den Stoffwechselvorgängen einen
breiten Spielraum zumessen. Ausserdem sah v. Cyon nach
länger dauernder Reizung der Hypophyse beim Kaninchen deut¬
liche Erektionen 1 ). Auch diese Tatsache scheint von grosser Be¬
deutung, da die Hypophyse, wie wir noch sehen werden, in engem
Konnex mit den Sexualfunktionen steht.
Bemerkenswerte Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen
Hypophyse und Psyche vermitteln uns die Exstirpationsversuche,
die in letzter Zeit von mehreren Autoren unternommen worden
sind. Das Bild der Cachexia hypophysipriva (Cusbing)
wie es nach Totalentfernung des Hirnanhangs zutage tritt, offeu-
hart uns tiefgreifende Veränderungen. Die Versuchstiere verfallen
io einen Zustand völliger Indoleuz und stumpfen Trägheit, werden
apathisch, interesselos und enden schliesslich im Coma. Auch
Aschner fand seine Hunde, denen die Hypophyse exstirpiert
worden war, auffallend still, indolent und bewegungsarra.
Die partielle Exstirpation des Hypophysenvorderlappens ergab
ähnliche Ausfallerscheinungen. Auch hier zeigten sich mehr oder
minder grosse Stumpfheit und Lethargie. Ausserdem macht sich
ein deutlicher Rückgang der sexuellen Funktionen geltend. Wir
verzeichnen also bei allen Exstirpationsversuchen vor allem eine
wesentliche Abschwächung des Affektlebens.
Wichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung der Hypo-
pbysenfunktionen liefern die Erfahrungen der Klinik. Zwei
Krankbeitsbilder sind es, die wir von einer pathologischen Ver¬
änderung der Hypophyse abhängig zu machen gewohnt sind, die
Akromegalie und die Dystrophia adiposo-genitalis. Die Patho¬
genese der Akromegalie ist in wesentlichen Punkten klargelegt,
wenngleich auch hier noch manche prinzipielle Streitfrage un¬
gelöst bleibt. Soviel ist jedenfalls sicher, dass der Hypersekretion
der Hypophyse ein nicht zu unterschätzender Anteil an der Ent¬
stehung des Leidens zukommt. Insbesondere deuten die jüngst
bei Akromegalie erzielten Operationserfolge auf die essentielle
Bedeutung des Hirnanhangs. Ich möchte aber nicht unterlassen,
im Gegensatz hierzu auf den unverkennbar polyglandulären
Charakter des Leidens hinzuweisen.
Anders liegen die Verhältnisse bei der Dystrophia adiposo-
genitalis. Hier wird einerseits die verminderte Sekretion des
Vorderlappens, andererseits die Hoposekretion des Hinterlappens
angeschuldigt. Von einer dritten Gruppe von Autoren wird die
Ursache der Krankheit in ausserhalb der Hypophyse gelegene
Schädlichkeiten verlegt. Wie bekannt, hat Erd heim, gestützt
auf die völlig negative Hypophysenbefunde in einzelnen Fällen
von cerebraler Fettsucht, die Entstehung des Leidens auf eine
Schädigung der Hirnbasis zurückgeführt und hierbei besonders
eine Läsien des Infundibulums in Erwägung gezogen. Um
gleich mit der letztgenannten Theorie anzufangen, so lässt sich
hierzu, speziell wenn man sich die Herring’schen Ergebnisse be¬
züglich der Sekretion des Hypophysenhinterlappens gegenwärtig
hält, folgendes sagen: Durch die Läsion resp. Kompression des
lufuudibulums wird der Sekretabfluss aus dem Hinterlappen in den
dritten Ventrikel behindert und hierdurch dem Organismus ein not¬
wendiges Drüsenprodukt entzogen, es besteht also ein zweifel¬
loser Hypopituitarismus (in bezug auf den Hinterlappen). Dem¬
nach würde also auch in den Fällen, in denen die Hypophyse
intakt gefunden wird, die Krankheit durch eine indirekte Schädi¬
gung der Drüse hervorgerufen, so dass die Annahme einer
extrahypophysären Ursache sich hiermit erübrigte 1 ).
Aeusserst schwierig ist bei dem heutigen Stand der Dinge
die Entscheidung, ob Vorder- oder Hinterlappen. Bei der quali¬
tativen Differenz beider Hypophysenabschnitte erscheint . es
duichaus notwendig, die Erkrankung von einem derselben ab¬
hängig zu machen, nicht etwa wahllos bald von dem einen, bald
von dem andern. Von diesem unitaristischen Standpunkt aus kann
man die Tatsache, dass ein und derselbe Krankheitsprozess so¬
wohl vom Vorder- als vom Hinterlappen erzeugt worden ist, zu¬
nächst mit der Annahme eines eugen Wechsel Verhältnisses
zwischen beiden Drüsenlappen erklären. Der Umstand, dass je¬
weils die experimentelle resp. klinische Hyposekretion eines
der beiden Lappen die Krankheit hervorrief, kann so gedeutet
werden, dass beide Hypophysenabschnitte sich gegenseitig in
ihrer Tätigkeit unterstützen: steigert sich die Sekretion des einen,
wird auch die des zweiten zunehmen; wird hingegen die des
ersten reduziert, so verringert sich auch die des anderen. Um
nunmehr auf den Kernpunkt des Problems zu kommen, so
möchten wir uns — entgegen einer früher geäusserten Ansicht —
jetzt zu der Anschauung bekennen, dass eine Hyposekretion des
Hinterlappens die Entstehung der Dystrophia adiposo-genitalis
veranlasst (Fischer). Zu dieser Ueberzeugung führen uns einerseits
die Experimente Cushing’s, der durch operative Ausschaltung
des Hiuterlappens das Krankheitsbild erzeugte, andererseits jene
Minderzahl von Fällen, in denen die Hypophyse selbst intakt ge¬
funden, dielnfundibularregion jedoch durch einenTumorkomprimiert
wurde. Es ist das also gerade jene Gruppe, in der Erd heim
eine Schädigung der Hirnbasis supponiert hat. Es wurde
weiter oben darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen durch
den auf den Trichter ausgeübten Druck wahrscheinlich der
Sekretstrom aus dem Hinterlappen in dem dritten Ventrikel ge¬
hemmt und hierdurch ein zweifelloser Hypopituitarismus (notabene
nur in bezug auf den Hinterlappen) geschaffen wird. Die Fälle,
in denen die Krankheit sich scheinbar nach einer Verringerung
der Vorderlappensekretion entwickelt, kommen nach unserer Auf¬
fassung nur durch die korrelative Funktionsverminderung des
Hinterlappens, welche der des Vorderlappens unmittelbar folgt,
zustande. — In der heutigen Zeit, in der Klinik und Experiment
uns unaufhörlich eine Fülle neuer und unerwarteter Ergebnisse
liefern, werden selbstverständlich auch die Auffassungen über die
Pathogenese der Hypophysenerkrankungen ständig wechseln. Wir
alle sind gezwungen, unsere theoretischen Deduktionen den prak¬
tischen Erfahrungen unterzuordnen, behalten aber dabei im Auge,
dass all unsere Reflexionen nur Augenblickswerte repräsentieren
und lediglich einen Schritt aufwärts zu immer vollkommenerer
Erkenntnis bedeuten. Tagtäglich stürzt mühsam errungenes
Wissen, und für kurze Zeit strahlt dann der Schimmer einer
neuen Lehre, bis wieder, verdunkelt von hellerem Schein, auch
ihr Licht erbleicht.
(Schluss folgt.)
1) A sehn er verwertet die Erdbeim’sche Hypothese für die nach
Abschluss des Wachstums auftretende Dysplasia adiposo-genitalis. Cfr.
hierzu die neuesten Versuche A sehn er ’s, in denen es ihm gelang, bei
erwachsenen Hunden nach Hypothalamusverletzung Genitalatropbie zu
erzeugen.
1) Neuerdings von Aschner nicht bestätigt.
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UMIVERSITY OF IOWA
24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
353
Die angeborene Httftgelenkverrenkung.
Kritisches Uebersichtsreferat.
Von
Dr. Bruno Kinne.
Uosere Kenntnisse von der angeborenen Hüftverrenkung haben
io den letzten Jahren relativ reiche Förderung von seiten ver¬
schiedener Forscher erfahren. Die Aetiologiefrage ist freilich
trotz mannigfacher darauf gerichteter Untersuchungen ihrer end¬
gültigen Entscheidung noch keinen sicheren Schritt näher ge¬
kommen. Nach wie vor ist die alte Streitfrage lebendig, welche
schon seit lange die Forscher in zwei Lager spaltet, in die Ver¬
treter der Belastungstheorie und die des Vitium primae forroationis.
Neuerdings sind die Verfasser in ihrem Urteil zurückhaltender
geworden, indem sie nur für die von ihnen vorgebrachten Fälle
zur Annahme eines primären oder sekundären ätiologischen
Faktors sich bekennen. So schliesst Landwehr aus dem Fehlen
reaktiver Vorgänge im Acetabulum an den von ihm beschriebenen
fötalen Luxationspräparaten, dass „in solchen Fällen“ die Luxation
nicht auf eine primäre Keimesvariation zurückzuführen sei. Die
Japaner Hayashi und Matsuoka, welche die bisher zur Sektion
gekommenen 56 Fälle angeborener Hüftverrenkung in verdienst¬
voller Weise zusammengestellt und ein eigenes einschlägiges
Präparat anatomisch und radiologisch genau untersucht haben,
sind dagegen geneigt, die anatomischen Veränderungen von Kopf
and Pfanne als primäre anzusprechen, während sie die Luxation
selbst als sekundär durch andere Momente, z. B. Uterusdruck usw.,
entstanden sehen wollen. Galeazzi ist geneigt, seine günstigen
Heilerfolge mittels einfacher Detorsion des Femurs, welche es
wahrscheinlich machen, dass die Antetorsion des oberen Femurendes
das hauptsächlichste Element der Deformität ist, als Beweis für
die anthropologische Theorie von Le Damany anzuseben. Die
Zusammenstellung der japanischen Autoren gewährt jedenfalls
in bezug auf Häufigkeit und Charakter der pathologisch anatomi¬
schen Veränderungen der angeborenen Hüftverrenkung in den ver¬
schiedenen Lebensaltern einen äusserst instruktiven Ueberblick.
Als Hauptergebnisse seien hier angeführt:
Die Luxationspfanne und der Schenkelhals weisen schon bei
Föten — mit Ausnahme des Grawitz’schen Falles — deutliche
Deformierung auf. Das Ligamentum teres erweist sich schon
fötal bald zerrissen, bald verlängert, bald verdickt. Aus der Be¬
schreibung geht ferner hervor, dass das Ligament beim Fötus
nie fehlt, was übrigens Landwehr besonders hervorhebt. Bei
den noch nicht gehenden Kindern finden sich alle Deformierungen
entsprechend fortgeschritten. Bei den gehenden Kindern und Er¬
wachsenen nehmen die knöchernen Formveränderungen mehr und
mehr zu bis zum Verschwinden des Kopfes und zur völligen
Planierung der Pfanne. Schon beim Fötus findet sich häufig die
Pfanne mit pathologischer Gewebswucherung, meist Fettgewebe,
angefüllt.
Ob an dieser Wucherung ausser dem Fett noch andere
Gewebsarten teilnehmen, wird nicht erörtert, ist wohl auch nicht
in das Bereich der Untersuchung gezogen worden. Jedenfalls
betonen Ludloff und Landwehr auf Grund ihrer Befunde, dass
die knöchernen Pfannen teile bei sehr jungen Präparaten über¬
raschend geringe Veränderungen aufweisen. Insbesondere ver¬
missen sie in der Tiefe der Pfanne knöcherne oder knorpelige
Excrescenzen vollständig, und Laudwehr konstatiert durch
Messung bei einer einseitigen fötalen Luxation eine vollständige
Uebereinstimmung in der Dicke des Pfannenbodens. Diese Fest¬
stellung verdient eine besondere Unterstreichung gegenüber der
allgemein in Geltung befindlichen Anschauung, dass die kon¬
genitale Hüftluxation von der spastischen röntgenologisch sich
durch die Verdickung des Pfannenbodens, die doppelte Kon¬
turierung des vorderen unteren Pfannendaches und andere
Wachstumsstörungen auszeichne. Im Einzelfall ist jedenfalls die
Unterscheidung der kongenitalen von der spastischen Luxation
nicht immer so einfach und sicher, zumal wenn man sich ver¬
gegenwärtigt, dass selbst schwere Pfannenveränderuogen nicht
notwendig primäre Hemmungsbildungen repräsentieren, sondern
erfahrungsgemäss ebensogut sekundärer Natur sein können. Auch
die gar nicht so seltenen Kombinationen der angeborenen Hüft¬
verrenkung mit anderen angeborenen Deformitäten, wie Klutnpfuss,
Schiefhals, Ulnadefekt, Luxation der Hand, haben bisher das
ätiologische Problem in keiner Weise zu klären vermocht, da
auch für jene Begleitdeformitäten die Frage der endogenen oder
exogenen Entstehung strittig geblieben ist. Die angeborene Ver¬
renkung des Hüftgelenks kann aber auch mit einer andersartigen
Erkrankung desselben Zusammentreffen; hierher gehört eine Mit¬
teilung Chlumsky’s, der an einem noch nicht reponierten Gelenk
eine Coxitis tuberculosa sich etablieren sah. Was die Sympto¬
matologie betrifft, so nehmen die meisten Autoren neuerdings an,
dass die schon längst bekannte, aber nicht genug gewürdigte
Antetorsion des oberen Femurendes eines der wesentlichsten
Elemente der Deformität darstellt. Galeazzi misst diesem
Symptom bezüglich Indikation und Therapie eine so hohe Be¬
deutung bei, dass er, wie weiter unten ausgeführt werden soll,
ein besonderes Einrenkungsverfahren darauf begründet bat. Als
ein neues diagnostisches Zeichen einseitiger kongenitaler Hüft¬
luxation bei kleinen Kindern erklärt Savariaud die Längen¬
differenz der Beine, die am deutlichsten hervortreten soll, wenn
das ausgestreckt liegende Kind den Oberkörper aufrichtet, während
der Untersucher die Knie des Kindes fest auf die Unterlage drückt.
In der Therapie bat die unblutige Einrenkung sich gegenüber
den Vorschlägen blutiger Eingriffe nicht nur behauptet, sondern
mehr und mehr an Boden gewonnen. Die blutige Operation
kommt demnach nur noch für die veralteten Fälle angeborener
Hüftausrenkung in Betracht. Mit der Vervollkommnung der
Technik ist auch die Zahl der Heilerfolge beträchtlich gestiegen.
Im Durchschnitt werden heute 60—80 pCt. anatomische Heilungen
mit dem unblutigen Verfahren erzielt. Böcker berichtet über
65 pCt. vollständige Heilungen, Stumme-Leipzig kann sogar bei
einseitiger Affektion 90 pCt., bei doppelseitiger 80 pCt. Heilresul¬
tate verzeichnen. Unangenehm wurde von jeher bei Arzt und
Publikum die lange Dauer des an sich schon mit viel Belästigung
verbundenen Verfahrens empfunden. Schon frühzeitig hat es des¬
halb nicht an Bestrebungen gefehlt, hierin Wandel zu schaffen.
So bat Schanz wohl als einer der ersten eine Herabsetzung der
Fixationsdauer nach der Reposition empfohlen. Redard verwirft
eine allzulange fortgesetzte Immobilisation, besonders aus dem
Grunde, weil durch sie die Wahrscheinlichkeit des Eintritts schäd¬
licher Folgezustände, auf die ich noch zu sprechen kommen werde,
erhöht wird. Gaugele zeigt neuerdings, dass es möglich sei,
wenn auch nicht die ganze Behandlungsperiode, so doch wenigstens
die Zeit der Gipsfixation zu verkürzen. Er appliziert einen Gips¬
verband nur für 15 Wochen und verabfolgt dann einen von ihm
konstruierten, mit Oberschenkelhülsen versehenen Beckenkorb, mit
dem die Kinder vom ersten Tage an gehen. Der Verfasser be¬
hauptet, bei dieser Methode auch den Vorteil zu haben, dass eine
eigentliche Nachbehandlung des reponierten Gelenkes uonötig
werde. Neuere therapeutische Vorschläge richten sich gegen die
erwähnte Antetorsion des oberen Femurendes, die oft genug die
anfänglichen Erfolge der Reposition später in Frage stellt. D reese¬
mann, Lange und anderen zufolge soll allerdings nach der Ein¬
richtung des Gelenkes häufig eine spontane Besserung in der
Richtung des Femurendes eintreten. Galeazzi meint dagegen,
dass die Spontanheilungen seltener seien, als man annimmt.
Lorenz hält eine ausgesprochene Antetorsion überhaupt keiner
freiwilligen Besserung fähig; von den leichteren lässt er es da¬
hingestellt; jedenfalls seien letztere allem Anschein nach mit einer
dauernden Reposition vereinbar. Bezüglich der hochgradigeren
Antetorsion hat heute die Ansicht die Oberhand gewonnen, dass
sie operativ korrigiert werden müsse. Schede empfahl als geeig¬
netes Verfahren bekanntlich die Detorsio tarda, während Reiner
der präliminären Detorsion des Femur, an welche sich erst die
eigentliche Reposition anzuschliessen habe, den Vorzug gibt. So¬
wohl der Schede’schen wie der Reiner’schen Methode ist der
Nachteil gemeinsam, dass sie zwei Sitzungen erfordern, was auf
die Eltern oft abschreckend wirkt. Dass sich beide Akte in einer
Operation vereinigen lassen, zeigt Lorenz mit seiner Detorsio
simultanea, welche er auf dem vorjährigen Orthopädenkongress
empfahl. Er nimmt zunächst eine provisorische Einrenkung vor,
welche er dann wieder reluxiert. Es folgt die supracondyläre
Osteoklase des Femur und die Drehung des Unterschenkels nach
aussen, bis die Condylenachse mit dem Schenkelhals parallel
steht. Als dritte Phase schliesst sich die definitive Reposition
und der Gipsverband an. Gegen die präliminäre Osteoklase haben
sich Lange und Böcker ausgesprochen, indem sie behaupten,
dass derartige Fälle durch blosse Einwärtsrotation im Gipsverband
meist ausgezeichnete funktionelle Resultate ergeben. Galeazzi
legt in seiner kürzlich veröffentlichten Methode der unblutigen
Behandlung der angeborenen Hüftverrenkung das Hauptgewicht
auf die Beseitigung der Schenkelantetorsion, welche er, wie schon
angedeutet, als das wichtigste Element der Deformität anzusehen
geneigt ist,- Mit Hilfe eines von ihm angegebenen Torsionsgonio-
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UNIVERSUM OF IOWA
354
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
meters stellt er zunächst genau den Grad der Antetorsion fest,
ln Narkose wird nun das Femur zu einer Rotation nach innen
gezwungen, und zwar im Verhältnis zu dem jeweiligen Grade der
Antetorsion. In dieser Stellung wird bei leichter Flexion und
Abduktion der Höfte und leicht gebeugtem Knie der Gipsverband
angelegt. Der Verband wird nach 12—15 Tagen entfernt, die
Stellung des Kopfes durch Röntgenaufnahme kontrolliert, darauf
ein zweiter Gips für 60—70 Tage appliziert. Der dritte Gips¬
verband wird in gleicher Innenrotation bei verminderter Abduk¬
tion für 1 Monat getragen. Verf. hat aus seinen Erfahrungen
mit der Methode die Ueberzeugung gewonnen, dass die prolon¬
gierte Innenrotation in Verbindung mit Abduktion und leichter
Flexion die Aufgabe erfülle, die Verkürzung und Spannung der
Aussenrotatoren zu bessern und der vorderen Kopfhaube der
Kapsel die Erlangung der nötigen Widerstandskraft zu ermög¬
lichen, eine Ansicht, die Lorenz übrigens nicht teilt. Die Heilung
geht dann nach Galeazzi weiter so vor sich, dass das untere
Femurende von selbst, und auch durch die verordneten Detorsions-
übnngen darin unterstützt, allmählich wieder zur Mittelstellung
zorückkehrt. Verf. hat von SO Patienten 22 auf diese Weise
vollständig geheilt, weitere 7 befinden sich noch in gleicher Be¬
handlung und versprechen denselben Erfolg. Verf. betont, dass
bei frühem Eingreifen mittels der einfachen Detorsion völlige
Heilung der angeborenen Hüftverrenkung erzielt werden könne,
allerdings seien auch nur bestimmte Fälle dieser einfachen Ein¬
renkungsmethode zugänglich. Wenn Galeazzi eine starke Ab¬
duktionsstellung des Schenkels für die Retention des Kopfes nicht
immer für nützlich hält, so stimmt er darin mit neuerlichen Aus¬
lassungen von Lorenz überein. Auch v. Ohlumsky ist der
Meinung, dass durch allzu starke Abduktionshaltung des Beines
die konzentrische Einstellung des Kopfes oft unmöglich gemacht
wird. Redard schlägt vor, die Patienten erst gehen zu lassen,
wenn die Stellung der Hüfte normal ist, in der Ueberzeugung,
dass vor allem die Belastung in anormaler Stellung sowie die
lange dauernde Immobilisation es seien, welche für die Entstehung
der unangenehmen Spätfolgen, die an reponierlen Hüftgelenken
nicht selten beobachtet werden, verantwortlich gemacht werden
müssten. Mit diesen sehr beachtenswerten Spätfolgen der un¬
blutigen Reposition sind wir erst durch neuere Arbeiten ver¬
schiedener Autoren bekannt geworden. Die Veränderungen, deren
relative Häufigkeit jetzt von den verschiedensten Kliniken, an
denen darauf gerichtete Untersuchungen angestellt wurden, be¬
stätigt wird, scheinen zunächst gegen die in Geltung stehende
Anschauung zu sprechen, dass durch das Einstellen des form¬
gebenden Kopfes in die Pfanne eine Umwandlung der Gelenkteile
im Sinne normaler Umgestaltung zustande kommen soll. E9 er¬
hebt sich die Frage, wie denn dasselbe „Repositionstrauma“,
welches so deletäre und degenerative Wirkungen nach sich zieht,
zugleich den Anlass und die Vorbedingungen für eine wunderbar
vollendete biologische Regeneration der Gelenkteile geben soll.
Andererseits ist aber auch die letztere Erscheinung durch viel¬
fache und zuverlässige Beobachtungen anerkannt worden. Noch
kürzlich sah Vulpius anlässlich der Sektion eines von ihm vor
3 Jahren eingerenkten Patienten völlig normale Gelenkverhältnisse
vorliegen. Böcker, der seine Patienten bis 10 Jahre nach der
Reposition nachuntersuchte, findet ebenfalls 3 Jahre nach der
Einrenkung keine Unterschiede vom Normalen mehr und äussert
sich dahin, dass in der Mehrzahl der Fälle auch später sich keine
Veränderungen mehr einstellen. Weil hält es für erwiesen, dass
die verkümmerte Hüftpfanne in dem Moment sich normal auszu¬
bilden beginne, wo der Kopf an seinen richtigen Platz zurück¬
gebracht sei. Ihm widerspricht Redard, nach dem diese gün¬
stigen Veränderungen nur sehr langsam und unvollkommen vor
sich gehen. Den günstigen Spätfolgen steht eine grosse Reihe
ungünstiger gegenüber. Als häufigste werden von den Unter¬
suchern angegeben Coxa vara, sehr selten Coxa valga, Verkürzun¬
gen des Schenkelhalses, Deformierung und völliges Verschwinden
des Kopfes, bisweilen deformierende Gelenkentzündung. Böcker
berichtet über einen sehr seltenen Fall, einen Patienten betreffend,
bei dem sich 5 Jahre nach erfolgter Reposition infolge fortge¬
schrittener Deformierung des Kopfes und der Pfanne sowie der
Antetorsion des oberen Femurendes eine willkürliche Luxation
entwickelt hatte. Lange fand in 47,5 pCt. seiner Fälle eine spät
einsetzende Verbiegung des anfänglich normalen Schenkelhalses,
ebenso häufig Kopfdeformierungen und Kopfverlust. Pürckhauer
und ßgloff kommen sogar auf 62,5 pCt., ein Resultat, wie es
ähnlich vorher von Horvarth, Froelich und Redard ange¬
geben worden ist. Von Preiser werden 2 Fälle beschrieben, bei
denen die anfangs vorhandene Knochenkernanlage des Schenkel¬
kopfes sich zuiückbildete. Ludloff führt das Entstehen der
Coxa vara auf eine Loslösung und Verschiebung der Epiphyse
zurück, Horvarth glaubt an eine akute reflektorische Knochen¬
atrophie als Folge des Repositionstraumas. Redard nimmt da¬
gegen eine Art destruierender Ostitis an, die zu Kalkveraimung,
Widerstandseinbusse bzw. partieller oder vollständiger Resorption
des Femurendes führt. Als Hauptursache der Komplikationen
betrachtet er die lange dauernde Immobilisation sowie das Gehen
bei anormaler Stellung der Gelenkteile.
Nach Bibergeil bietet ein Teil der Gelenkveränderungen
das typische Bild der Arthritis deformans, welcher Affektion sie
auch zugerechnet werden müssen. Aus Bibergeil’s, Egloff’s
und Pürckhauer’s Untersuchungen geht als wichtige neue Er¬
kenntnis hervor, dass nicht in erBter Linie die Pfanne sich nach
dem Kopf bildet, sondern dass umgekehrt meist der weichere
Kopf von den Unebenheiten der Pfanne zurecbtgeschliffen wird.
Bibergeil meint, dass durch das Repositionstrauma nur die
Disposition geschaffen werde, während die eigentliche Ursache
der deformierenden Arthritis wohl auf eine Gelenkflächeninkongruenz
im Sinne Preiser’s zurückzuführen sei. Wie nun diese Ent-
artungserscheinungen reponierter Hüftgelenke mit den ebenfalls
gesicherten Beobachtungen einer Umwandlung zu normalen Formen
in Einklang zu bringen sind, bleibt vorläufig unklar und muss
künftiger Formulierung überlassen bleiben. Vorläufig fehlt es an
der rechten Motivierung, warum Kopf und Pfanne zunächst schön
normal werden sollen, um dann plötzlich nach einer Reihe von
Jahren, bei annähernd normal gewordener Funktion, ohne rechten
Anlass pathologischer Wachstumsänderung und Zerstörung an¬
heimzufallen.
Aus der übereinstimmend angenommenen Häufigkeit der Ver¬
änderungen scheint hervorzugeben, dass man die Prognose der
unblutig eingerenkten angeborenen Hüftgelenkverrenkung bisher
zu günstig angenommen hat. Hingegen betonen die Autoren,
dass es sich doch vorwiegend um rein anatomische Veränderungen
handelt, während nach allgemeiner Erfahrung die Funktion des
Gelenks meist keine wesentliche Beeinträchtigung erfährt.
Ueber eine ganz andersartige, bisher nicht bekanntgewordene
Komplikation nach gelungener Einrenkung berichtet Springer,
welcher unter 150 Patienten 5 mal im Anschluss an die Reposition
das Auftreten eiuer Cystitis beobachtete. Alle 5 Kinder waren
Mädchen; bei 4 von ihnen war die Affektion doppelseitig, bei
einem einseitig. Auf 34 Mädchen mit doppelseitiger Luxation
entfielen 4 Cystitiden, also 12pCt. Springer erklärt sich das
Zustandekommen der Blasenaffektion aus der Spreizstellung der
Beine, dem dadurch bewirkten Klaffen des Anfangsteils der
Urethra in Verbindung mit einem Oedem dieses Organteils, welches
sich infolge Drucks der prominenten Femurköpfe auf die Schenkel¬
venen entwickelt. Die Komplikation pflegt unter interner Behand¬
lung in kurzer Zeit wieder zu verschwinden.
Literatur.
Bibergeil, Spätfolgen nach unblutig reponierter Hüftverrenkung.
Verhandl. d. Ges. f. orthopäd. Cbir., 1912. Derselbe, Weitere Mit¬
teilungen über Osteoarthritis deformans coxae juvenilis, zugleich ein Bei¬
trag zu den Spätfolgen nach unblutig reponierter Hüftluxation. Zeit¬
schrift f. orthopäd. Cbir., 1912, Bd. 30, S. 162. — Böcker, Ueber eine
seltene Spätkomplikation nach unblutig eingerenkter angeborener Hüft¬
verrenkung. Archiv f. Orthopäd., 1912, Bd. 11, S. 339. — v. Cblumsky,
Beiträge zur Aetiologie und Therapie der kongenitalen Hüftgelenkluxation.
Centralbl. f. chir. u. mechan. Orthopäd., 1912, Bd. 5, H. 10. — Galeazzi,
Ueber die unblutige Behandlung der kongenitalen Hüftgelenkverrenkung.
Zeitschr. f. orthopäd. Cbir., 1913, Bd. 81, S. 202. Derselbe, Contri-
buto alla cura incruenta della lussazione congenita doll’ anca. Soc.
Lombarda di scienze med. e biolog. di Milano, 15 febbraio 1912. —
Gaugele, Ueber die Abkürzung der Gipsfixationsdauer bei der an¬
geborenen Hüftverrenkung. Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30,
S. 375. — Hayashi und Matsuoka, Anatomische und radiologische
Untersuchungen der Knochengerüste der kongenital verrenkten Hüft¬
gelenke. Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 197. — Land¬
wehr, Beiträge zur Anatomie der Luxatio coxae congenita. Zeitschr. f.
orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 55. — Lorenz, Ueber die künstliche
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Bd. 45, S. 350. — Warren Sever, The causes and treatraent of para-
lytic dislocations and subluxations of the hip-joint. Boston med. and
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UMIVERSITY OF IOWA
24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
366
surg. journ., Bd. 165, Nr. 9. — Springer, Cystitis im Gefolge der un¬
blutigen Einrichtung der angeborenen Hüftverrenkung. Zeitschr. f.
ortbopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 257. — Stumme, Kongenitale Hüft¬
gelenk luxationen. Med. Ges. zu Leipzig, 23. Januar 1912. — Redard,
Ueber die Spätresultate bei unblutig behandelten Hüftgelenkluxationen.
Zeitschr. f. orthopäd. Chir., 1912, Bd. 30, S. 43. — Vulpius, Ein
Präparat von reponierter kongenitaler Hüftluxation. Centralbl. f. chir.
u. mechan. Ortbopäd., Bd. 5, H. 12.
Bücherbesprechungen.
P. t. Brus, C. darre und H. Küttaer: Handbuch der praktischen
Chirurgie. Vierte umgearbeitete Auflage. 5 Bände. 1. und
2. Lieferung. Stuttgart 1912, F. Enke. Je 224 Seiten. Preis
je 6 Mark.
Das „Handbuch der praktischen Chirurgie“ erscheint in wesentlich
verjüngter Form jetzt bereits in der 4. Auflage. Es hat seit seinem
ersten Erscheinen eine stetig zunehmende Verbreitung gefunden und ist
auch im Auslande durch Uebersetzung in fast alle Weltsprachen weithin
bekannt. Nach dem Heimgange von E. v. Bergmann sind Gar re -
Bonn und Küttner-Breslau als Mitherausgeber gewonnen worden. Die
Neuauflage ist in allen Abschnitten wesentlich verbessert, zum Teil neu
bearbeitet und mit zahlreichen neuen Illustrationen ausgestattet. Zu
den bisherigen Mitarbeitern sind noch v. Brunn-Tübingen, Heineke-
Leipzig, Rehn und Klose-Frankfurt a. M., Perthes-Tübingen, Sauer¬
bruch und Schumacher-Züricb, Stoeckel-Kiel, Voelcker-Heidel-
berg und 0. Zuckerkandl-Wien hinzugetreten. Zwei Abschnitte, „Die
Chirurgie der Thymusdrüse“ und „Die Chirurgie der weiblichen Harn-
organe“ sind gänzlich neu eingefügt worden. Die erste Lieferung ent¬
hält die Chirurgie des Schädels und der weichen Schädeldecken; sie bat
durch Küttner eine umfangreiche Neubearbeitung erfahren; zahlreiche
Ergänzungen im Text, Einfügung neuer Kapitel und vorzügliche Figuren
aus der Breslauer Klinik lassen Küttner’s ordnende Hand erkennen.
Die zweite Lieferung enthält die Chirurgie der Bauchdecken (Steinthal-
Stuttgart), des Peritoneums (Körte-Berlin), des Magens und Darms
(Kausch-Berlin); auch hier finden wir allenthalben das Bestreben,
die Materie dem neuesten Stande unseres Wissens und Könnens ent¬
sprechend darzustellen, bestens verwirklicht.
Das Handbuch der praktischen Chirurgie ist keineswegs nur zum
Gebrauche für den Spezialchirurgen bestimmt. Es will ebenso den an¬
gehenden, wie den beschäftigten Praktiker jederzeit in den Stand setzen,
sich auf jedem Gebiete der Chirurgie, wie es die Arbeit am Krankenbett
oder das Studium erfordert, schnell und ausreichend zu orientieren.
Ein genaues alphabetisches Register zu jedem Band erleichtert das rasche
Auffinden des Gesuchten. Die wichtigen Hinweise auf die einschlägige
Literatur sind am Schlüsse jedes Kapitels enthalten. Hinweise auf die
gerichtsärztliche Beurteilung und die Begutachtung vor den Versicherungs¬
behörden finden sich bei den bezüglichen Kapiteln.
Soweit nach den bisher erschienenen Lieferungen ein Urteil erlaubt
ist, wird sich auch die neue Auflage voll auf der Höhe präsentieren.
Wir behalten uns vor, auf die folgenden Lieferungen an dieser Stelle
noch zurückzukommen.
E. Albert: Diagnostik der ekirnrgischen Krankheiten. Zehnte ver¬
mehrte Auflage, herausgegeben von Prof. Karl Ewald. Mit
55 Holzschnitten. Wien und Leipzig 1912, Alfred Holder. 373 S.
Preis 7,80 Mark.
Zwölf Jahre nach E. Albert’s Tod wird seine Diagnostik zum
zweitenmal von Ewald berausgegeben und ist jetzt bei der zehnten
Auflage angelangt. Hieraus ist schon ersichtlich, dass die überaus grosse
Beliebtheit, welcher sich dieses Werk bei Lebzeiten des Meisters erfreute,
sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Will mau diesem Werke
Gerechtigkeit widerfahren lassen, so darf man es nur unter dem Gesichts¬
punkt tun, von welchem Ewald bei der Neubearbeitung geleitet wurde.
In verständlicher Pietät gegen den Meister hat der Schüler sich ledig¬
lich auf die Ausgestaltung beschränkt und jede Aenderung des Vor¬
handenen nach Möglichkeit vermieden. So vorzüglich nun auch die dia¬
gnostischen Methoden dargestellt sind, wie sie Albert in glänzender,
geistvoller Dialektik vorzutragen verstand, so wenig kann man heut¬
zutage mehr ein Buch als Diagnostik der „chirurgischen Krankheiten“
bezeichnen, welohes die Errungenschaften der letzten 12 Jahre, wie
Röntgenuntersuchung, Cystoskopie, Harnleiterkatheterismus, Oesophago-
und Bronchoskopie, Rectoskopie, die Diagnose der Appendicitis usw.
gänzlich unberücksichtigt lässt. Gegenüber dem kategorischen Imperativ
der rastlos fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung ist kein Still¬
stand, kein Festbalten an Althergebrachtem erlaubt, und auch die Pietät
findet da ihre Grenzen. Der Herausgeber sollte sich nicht abbalten
lassen, Albert’s verdienstvolles Werk durch Einfügung der unbedingt
erforderlichen Ergänzungen der jetzigen Generation als ein modernes
Buch und nicht als Torso von historischer Bedeutung zu präsentieren.
J. Lewy: Die ärztliche Gipsteehaik. Ein Leitfaden für Aerzte und
Studierende. Mit 203 Textabbildungen. Stuttgart 1912, F. Enke.
165 S. Preis 7 M.
Die immer mehr an Ausdehnung gewinnende Anwendung des Gips¬
verbandes auf den verschiedensten Gebieten der Chirurgie und vor allem
der Orthopädie haben den Verf. veranlasst, das bisher an vielen Orten
zerstreute Material zu sammeln und im Verein mit den eigenen, im
langjährigen Dienste der orthopädischen Universitätsklinik in Freiburg
gewonnenen Erfahrungen herauszugeben. Auf diese Weise ist ein Lehr¬
buch entstanden, welches in Wort und Bild die Technik der mannig¬
faltigen, den verschiedensten Zwecken dienenden Gipsverbände und
-apparate in einer Vollkommenheit darstellt, wie wir sie in den Lehr¬
büchern der Chirurgie und Orthopädie vergeblich suchen dürften. Auch
die Herstellung von Gipsmodellen wird anschaulich geschildert Anhangs¬
weise wird auch die Frage der Kunstfehler und der Verantwortlichkeit
des Arztes beim Anlegen von Gipsverbänden erörtert. Ritschl hebt
mit Recht in dem der Arbeit gewidmeten Geleitwort hervor, dass das
Gelingen des Gipsverbandes oft von der Beobachtung einer Summe
kleiner Kunstgriffe abhängt und der Verf. citiert treffend die Worte von
Lorenz: „Wem hier pedantische Technizismen kleinlich Vorkommen,
wird sich in der Praxis sehr bald davon überzeugen, dass das ganze
Gelingen von denselben abhängt.“
Diesen wichtigen Tatsachen trägt Verf. in gewissenhafter Weise
Rechnung. Die allgemeine Darstellung der Verband- und Modelltechnik,
der speziellen Verbände, insbesondere auch der Technik des Gipskorsetts
und des Gipsbettes kann als mustergültig bezeichnet werden. Das Buch
sei allen, welche auf diesem Gebiete arbeiten, insbesondere auch dem
praktischen Arzte und den Studierenden, aufs wärmste empfohlen.
F. Thüle-Hannover: Die Verletzugei der Leber ind der Gallen¬
wege. Stuttgart 1912, F. Enke. 204 S. Preis 8,20 M.
Als 4. Band der von P. v. Bruns herausgegebenen „Neuen deut¬
schen Chirurgie“, welche die Fortsetzung des von Billroth und Lücke
begründeten Sammelwerkes, der „Deutschen Chirurgie“, bildet, sind jetzt
die „Verletzungen der Leber und Gallenwege“ erschienen. Mit welchem
Fleiss der Verf. sich der Bearbeitung dieses Gegenstandes gewidmet hat,
zeigt schon das 48 enggedruckte Seiten umfassende Literaturverzeichnis.
Der klinischen Bearbeitung der Sticbverletzungen der Leber liegen
292 Fälle zugrunde; 200 Schussverletzungen und 260 Fälle subcutaner
Leberruptur hat Tb. aus der Literatur gesammelt. Die Diagnose der
subcutanen Bauchverletzungen im allgemeinen und der Leberverletzung
im besonderen, die Gefahren der Leberruptur und des intraabdominellen
Galleergusses, .der Venenthrombose, Lungenembolie und Leberinfektion
sind überaus anschaulich geschildert. Der zweite Abschnitt beschäftigt
sich mit den Indikationen zum operativen Vorgeben und der Technik der
operativen Behandlung der Leberverletzungen, während der dritte Ab¬
schnitt den Verletzungen der Gallenblase und der extrahepatischen
Gallengänge gewidmet ist.
Das Werk ist nicht nur für den Kriegschirurgen von grösstem Wert,
es bildet auch für die Friedenspraxis die wichtigste Fundgrube in allen
einschlägigen Fällen. _
Weil. Albert Hoffa: Technik der Massage. Sechste verbesserte Auf¬
lage. Herausgegeben von G. Joacbimsthal. Mit 44 teilweise
farbigen Abbildungen. Stuttgart 1912, F. Enke. 93 S. Preis
3 M.
Albert Hoffa’s „Technik der Massage“ erfreut sich dank ihrer
knapp gefassten vorzüglichen Darstellung der „anatomischen Massage“
in Wort und Bild der grössten Verbreitung in Aerztekreisen. Hoffa
bat stets den Standpunkt vertreten, dass die Massage lediglich durch
Aerzte geübt werden solle, und dass ein gänzliches Verbot der Laien¬
massage anzustreben sei. Noch in der Vorrede zur letzten Auflage hat
H. diese Forderung warm befürwortet. Wie man darüber auch denken
möge: jedenfalls ist der Arzt für die korrekte Ausführung der Massage
durch Laien verantwortlich; jedenfalls soll ferner der Arzt verant¬
wortungsvolle Massagen selbst ausführen. Die auf anatomischen Grund¬
lagen sich aufbauende Technik muss er unbedingt beherrschen, und
hierbei kann ihm kaum ein besserer Führer empfohlen werden als
Hoffa’s Buch, welches jetzt durch Joachimsthal in sechster Auflage
herausgegeben worden ist. Adler-Berlin-Pankow.
P. Lagleyie: Da strabisae. Paris, Jules Rousset. 409 Seiten. Preis
15 Frs.
In dem vorliegenden Werke schildert Lagleyze seine Anschauungen
über das Wesen und die Therapie des Schielens an der Hand eines
grossen, in zwanzigjähriger Praxis als Augenarzt und Vorstand einer
Universitäts-Augenklinik gesammelten Beobachtungsmaterials.
Der Inhalt des Buches ist in drei grosse Kapitel mit zahlreichen
Unterabteilungen eingeteilt.
In dem ersten Kapitel — Reoherches ötiologiques — wird
das ganze dem Werke zugrunde liegende Material (3791 Fälle) nach
allen möglichen Gesichtspunkten (Art des Strabismus, Refraktion, Seh¬
schärfe, Therapie usw.) sorgfältig und übersichtlich geordnet dem Leser
vorgeführt, und die unvermeidliche Monotonie dieses Kapitels durch die
Mitteilung von zahlreichen eigenen interessanten Beobachtungen in wohl¬
tuender Weise da und dort unterbrochen.
In dem zweiten Kapitel — Patbogeuie — erörtert der Autpr
in eingehender Weise seine Anschauungen über die absolute Ruhelage
des Auges und über die Beziehungen zwischen Akkommodation und Kon¬
vergenz, wobei er besonders die Ansicht von Donders bekämpft, dass
der Parallelismus der Blicklinien bei allen Individuen der Ruhelage des
Auges entspreche.
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UNIVERSUM OF IOWA
356
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Weiterhin folgt eino Besprechung der Beziehungen zwisohen Re¬
fraktion und Sehschärfe, ferner der kongenitalen Amblyopie.
Der noch viel umstrittenen Frage gegenüber, ob es eine Amblyopia
ex anopsia gebe, und ob diese durch den Gebrauch des betreffenden
Auges heilbar bzw. besserungsfähig sei, nimmt er einen durchaus ab¬
lehnenden Standpunkt ein.
Die bisherigen Theorien über die Genese des Strabismus werden
samt und sonders für unzureichend erklärt, da sie in einseitiger Weise
nur auf einzelne Faktoren Rücksicht nähmen, während eine ganze Fülle
von Umständen (Refraktion bzw. Achsenlänge, Bau der Orbita, < y, Be¬
ziehungen zwischen Akkommodation und Konvergenz usw.) in Betracht zu
ziehen seien.
Das dritte Kapitel — Mecanisme du traitemenfc — behandelt
die Therapie des Schielens.
Das Vorkommen von Spontanheilung, die Beeinflussung des Schielens
durch Atropinisierung, durch Gläserkorrektion werden der Reihe nach
besprochen.
Die Bedeutung der von anderen Autoren, z. B. Worths, Krusius
und anderen warm empfohlenen funktionellen Therapie (bestehend in
Uebungen am Amblyoskop, Stereoskop usw.) wird von L. gering ein¬
geschätzt.
Die in zahlreichen Fällen geübte chirurgische Therapie wird nur in
grossen Zügen besprochen und nicht einzeln analysiert.
Neben den allgemein gebräuchlichen Eingriffen (Vorlagerung und
Rücklagerung bzw. Tenotomie) werden die Technik und Wirkung der
von L. eingeführten, aber, wie es scheint, sonst nur wenig geübten Ver¬
kürzung (Raccourcissement; eines Muskels ausführlicher beschrieben.
Die Wirkung der Gläserkorrektion und der operativen Eingriffe wird
an der Hand von einfachen optischen Konstruktionen bzw. schematischen
Abbildungen demonstriert.
Das Buch ist im allgemeinen fesselnd, klar und präzis geschrieben.
Die vorgetragenen Anschauungen sind in einer Weise begründet, dass
sie auch ihren Gegnern Stoff zum Nachdenken bieten werden. Die an
anderen Anschauungen geübte Kritik ist vielfach scharf, aber maassvoll
und sachlich.
Die Literatur ist nur zum kleinen Teil, die neuere deutsche z. B.
gar nicht erwähnt, doch scheint eine umfassende Literaturberücksichti¬
gung nicht in der Absicht des Verfassers gelegen zu haben.
Die Lektüre des Buches ist für den Forscher auf dem Gebiete der
Muskelgleichgewichtsstörungen als unentbehrlich und für jeden Augen¬
arzt als lehrreich und interessant zu bezeichnen. R. Seefelder.
Literatur-Auszüge.
Anatomie.
M. Land au-Freiburg i. Br.: Zur Entwicklung der Nebennieren¬
rinde. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten
in der Freiburger medizinischen Gesellschaft am 19. November 1912.
Wolfsohn.
Physiologie.
H. Iscovesco: Physiologische Eigentümlichkeiten gewisser Lipoide.
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Injiziert man
längere Zeit Tieren das aus den Ovarien resp. den Hoden extrahierte
Lipoid, so findet man bei der Autopsie die Genitalorgane sehr stark
hypertrophisch gegenüber denen unbehandelter Tiere. Injiziert man das
aus der Thyreoidea gewonnene Lipoid, so tritt wenige Minuten danach
Tachycardie und Exophthalmus auf, die aber nach 15—-20 Minuten nicht
mehr nachweisbar sind. Setzt man die Injektionen zwei Monate lang
fort, so findet man nicht nur Hypertrophie der Thyreoidea (Homo¬
stimulans), sondern auch des Herzens, der Nebennieren, des Genital¬
apparates und der Tränendrüsen, daneben Exophthalmus (Hetero¬
stimulans).
Desgrez und Dorlöans: Die Konstitution der Parinkörper und
ihre Wirkung auf den Blutdruck. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences,
1913, Nr. 1.) Während Guanin, intravenös injiziert, eine Senkung des
arteriellen Blutdrucks macht, steigt dieser, je weiter die Oxydation des
Purinkörpers vor sich geht. Es wird also der Blutdruck progressiv er¬
höht durch Injektion von Hypoxanthin, Xanthin und Harnsäure. Das
stimmt auch mit der von ßouchard klinisch beobachteten Hypertension
bei Arthritis überein.
L. Lindet: Ueber die Art der Bindung von Phosphor und Calci am
im Casein der Milch. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912,
Nr. 19.) Etwa die Hälfte des im Casein enhaltenen Phosphors ist ent¬
halten in Calciumphosphat; die andere Hälfte ist als P 2 0 5 organisch
gebunden. Vom Calcium sättigen 8 / 5 die Phosphorsäure, die übrigen 2 / 5
sind gebunden an die freie Säure im Casein.
C. Delezenne und M. Lisbonne: Wirkung der ultravioletten
Strahlen auf den Pankreassaft. (Compt. rend. de l’aaad. des Sciences,
1912, Nr. 19.) Wird der Saft 2—3 Stunden bestrahlt, so verliert er
vollkommen die Fähigkeit, durch die Kalksalze aktiviert zu werden.
Aussgrdem verliert er sein fettspaltendes Vermögen. Das Trypsinogen
wird schwerer zerstört, während die Amylase kaum durch die Strahlen
beeinflusst wird. Wartensleben.
W. Buettner - Riga: Einige Fragen aus der Physiologie «ad
Pathologie der Verdannng und der Resorption im Lichte moderier
serologischer Lehren. (Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 4.) Nach
einem Vortrage in der Gesellschaft praktischer Aerzte zu Riga am
21. März (a. St.) 1912. Es besteht wohl eine Impermeabilität des Dünn¬
darmepithels gegenüber hohen Eiweissabbauprodukten (z. B. Peptonen)
und löslichem nativen Eiweiss. Eine weitere Schutzwehr besitzt der
Organismus in der Leber. Versagen diese beiden Schutzwehren, so ge¬
langen die artfremden Stoffe in den Kreislauf und können eventuell
schädigen (z. B. Anaphylaxie). Das Zustandekommen der Anaphylaxie
bei Ueberfütterung beruht auf einer durch übermässige Inanspruchnahme
hervorgerufenen Dünndarmepithelschädigung und gleichzeitiger Insuffizienz
der schützenden Leberfunktion. P. Hirsch.
J. P. Langlois und G. Desbouis: Ueber die Dauer der Lugei-
circulatioi. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Ein
Glasrohr mit zwei seitlichen Ansatzstücken, in denen Platinelektroden
sind, die mit einer Wheatstone’scher Brücke in Verbindung stehen, wird
in die Carotis geschoben. Injiziert man dann in Saphena oder Jugularis
konzentrierte Salzlösungen, so machen diese eine Verschiebung der
Galvanometernadeln. Es wurde so gefunden, dass bei Asphyxie und
Cbloroforminhalation eine Verlangsamung, bei Aetherinhalation eine Be¬
schleunigung der Lungencirculation erfolgt. Adrenalin in einer Dose
von 1 mg und Digitalis in toxischer Dosis macht eine Verlangsamung,
1 / 40 mg Adrenalin und Digitalis in therapeutischer Dose dagegen Be¬
schleunigung der Lungencirculation. Wartensleben.
Pharmakologie.
Tiffeneau und Busq uet: Die Rolle des Coffeins ii der diuretisekei
Wirkung des Kaffees. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 18.)
Die Entfernung des Coffeins aus dem Kaffee macht, dass dieser den
grössten Teil seiner Wirkung auf die Urinsekretion verliert. Das Coffein
ist also das ausschliessliche oder zum mindesten das hauptsächliche
Prinzip der diuretischen Wirkung des Kaffees. Wartensleben.
Schuster-Chemnitz: Ueber Melubrii. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft
zu Chemnitz am 13. November 1912. Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Bardach, Phenolphthaleinspektrum
und dessen Einfluss auf die spektroskopische Harnuntersuchung. —
Chirurgie: Sehrwald, Verätzungen durch Benzin.
Therapie.
E. Hartung - Bernburg: Ueber die Wirkung des Limiials.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Bei Schlaflosigkeit ist
0,1—0,3 von gutem Erfolg. Bei Erregungszuständen beginne man mit
0,5—0,7, um später auf 0,3 herunterzugehen. Die Wirkung tritt 2 bis
3 Stunden nach der Darreichung ein und hält 7—8 Stunden vor. Am
nächsten Tage ist häufig noch Somnolenz vorhanden. Wolfsohn.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
F. Kroh-Cöln: Experimentelle Studien zur Lehre von der ischämischen
Muskellähmuug und Muskelkontraktur. (Deutsche Zeitscbr. f. Chir.,
Bd. 120, H. 3 —6.) 1. Die ischämische Muskelkontraktur wird nicht aus¬
schliesslich hervorgerufen durch vorübergehende oder langdauernde
partielle Entziehung von 0 und Nährstoffen, sondern ein sehr gewichtiges
Moment für die Degeneration besteht in der Inaktivierung des Muskels.
2. Durch Circulationsstörungen, besonders hervorgerufen durch inter¬
stitiellen Blut- und Lympherguss, werden Kompressionen lebenswichtiger
Venen und Arterien herbeigeführt. Hierdurch wird ein Expansions¬
bestreben der Gewebe hervorgerufen, das dann eingeschränkt wird, wenn
man die Gewebe mit einem unverrückbaren Widerstand (Gipsverband)
umgibt. So kommt es dann zu schwersten Circulationsstörungen und
Gewebsschädigungen. 3. Neben den durch die Circulationsstörungen be¬
dingten Muskelschädigungen gehen auch Nervenläsionen einher. Selten
dürfte ein motorischer Nerv der Presswirkung und nachfolgenden fibrösen
Degenerationen entgehen. 4. Mit der Inaktivierung eines durch Gewebs-
ergüsse geschädigten Muskels wird die in der Muskelbewegung liegende
transformierende Kraft geschädigt. J. Becker-Halle a. S.
H. Chiari - Strassburg: Familiäre Chondrodystrophia foetalis.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Nach einem Vortrag im unter-
elsässischen Aerzteverein in Strassburg am 30. November 1912.
Dünner.
K. Motzfel dt - Cbristiania: Ueber Eventratio diaphragmatiea.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Kasuistischer Beitrag mit
Sektionsprotokoll. M. hält den Zustand für angeboren.
Wolfsohn.
C. Rittet - Posen: Kriti&che Bemerkungen zu den kritischen und
und experimentellen Untersuchungen über das Entstehen nnd Ver¬
schwinden von Lymphdriiseii. (Deutsche Zeitscfir. f. Chir., Bd. 120,
H. 5 u. 6.) R. weist darauf hin, dass seine Arbeiten über Lymphdrüsen-
neubildung bekannt seien, und dass er es unverständlich findet, dass
de Groot diese nicht genügend in seiner gleichartigen Arbeit berück-
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UMIVERSITY OF IOWA
24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
857
riehtigt hat (diese Zeitschr., Bd. 119, H. 5). Was die Frage der Lymph-
drüsenneubildung betrifft, so hat man dafür noch keinen sicheren Beweis
erbracht. Man muss infektiöse Prozesse für die Neubildung von richtigem
Lymphdrüsengewebe verantwortlich machen.
E. S c h e p e 1 m a n n - Halle a. S.: Herxklappenchirnrgie. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Die interessante experimentelle
Arbeit des Verfassers stellt eine Kommunikation zwischen den Ventrikeln
und zwischen den Herzohren durch Einfügung eines Aortenstückes
zwischen die beiden Herzohren dar. Einzelheiten der Teohnik sind im
Original nachzulesen. J. Becker -Halle a. S.
P. Henschen: Melanose der Dickdarmschleimhant. (Nord. med.
Arkiv, 1912, H. 2, Nr. 6.) Unter 7 Fällen von Pigmentierung der Dick-
darmsohleimhaut konnte viermal makroskopisch, mikroskopisch und
chemisch eine Melanose der Dickdarmschleimhaut im Sinne von Pick
und Solger festgestellt werden. In einem dieser Fälle handelt es sich
um das bisher noch nicht beobachtete Anfangsstadium. Aetiologisch
scheint die chronische Obstipation bei dieser Affektion von Bedeutung
zu sein. E. Herzfeld.
Parasitenkunde und Serologie.
B. Saucon: Ueber die nineralische Erilhrag des Taberkel-
bacillns. (Compt. rend. de Pacad. des Sciences., 1912, Nr. 18.) Im
Nährboden muss neben Glycerin Kalium und Phosphor enthalten sein.
Ebenso ist das Vorhandensein von Magnesium und Schwefel erforderlich,
während Spuren von Eisen eine reichliche Entwicklung der Kultur be¬
günstigen. Wartensleben.
A. Weber-Gross-Lichterfelde: Zur Tuberkulose des Menschen und
der Tiere. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler-
Festschrift, S. 243.) W. untersucht an der Hand der in den letzten
Jahren erschienenen Arbeiten über die Beziehungen zwischen der Tuber¬
kulose des Menschen und der Tiere die Frage, ob bzw. inwieweit sich
die heutige Anschauung gegenüber derjenigen des Jahres 1905 ver¬
sohoben und geändert hat. In einzelnen Abschnitten werden behandelt
die Berechtigung der Typentrennung, die Differentialdiagnose zwischen
den Bacillen des Typus humanus und den Bacillen des Typus bovinus,
die Infektion des Menschen mit den Bacillen des Typus bovinus. Im
einzelnen kann hier nicht auf die Ergebnisse eingegangen werden; ganz
allgemein kommt W. zu dem Schluss, dass R. Koch’s Ansicht nach wie
vor zu Recht besteht, dass den bovinen Bacillen im Vergleich zu den
humanen nur eine untergeordnete Rolle bei der Entstehung der mensch¬
lichen Tuberkulose beizumessen sei, und dass sich die Bekämpfung der
Tuberkulose in erster Linie gegen die Ansteckung von Mensch zu Mensch
zu richten habe. Bierotte.
H. Agulhon und R. Sazerac: Einleitung gewisser von Mikroben
»■geregter Oxydatioasprozesse dnreh die Uransalze. (Compt. rend.
de Pacad. des Sciences, 1912, Nr. 23.) Die Acetate und Nitrate von
Uranium vermögen in kleiner Dosis die Oxydationsprozesse anzuregen, die
auf gewisse Fermente und Bakterien zurückzuführen sind.
Wartensleben.
E. Walter - Greifswald: Die Verwendung der Färbemethoden, im
besonderen der Körnehenfürbang, zum kulturellen Nachweis der
Dipbtkeriebaeillen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64,
Löffler-Festschrift, S. 136.) Unterschiede zwischen Diphtheriebacillen
und ihnen ähnlichen, die typischen Polkörperchen aufweisenden Stäbchen
sind mit Hilfe der Doppelfarbungsmethoden nicht festzustellen. Erst die
Färbung mit Löffler’s Methylenblau macht geringe morphologische
Unterschiede deutlich. Zur Sicherstellung der bakteriologischen Diagnose
der Diphtherie auf Grund des färberischen Verhaltens müssen deshalb
mindestens zwei Präparate, eins mit Löffler’s alkalischem Methylen¬
blau, das andere mit einem Doppelfärbungsverfahren gefärbt, mitein¬
ander verglichen werden. Unter Umständen muss noch eine Unter¬
suchung aer verdächtigen Kolonie im hängenden Tropfen angeschlossen
werden, da manche der diphtherieähnlichen Stäbohen Eigenbewegung
besitzen.
P. Ublenhuth und P. Mälzer - Strassburg: Veriaipfaagea yoh
Blut «ad anderen Körperflüssigkeitea syphilitischer Menschen in die
Hoden yon Kaninchen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig.,
Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 165. Blut von Syphilitikern der primären
Krankheitsperiode erzeugte bei Verimpfung in die Hoden von Kaninchen
typische spirochätenhaltige Hodensyphilome; es kann also schon zu einer
Zeit infektiös sein, wo noch keine deutliche lokale Lymphdrüsenschwellung
bei dem Pat., noch positive Wassermann’sche Reaktion vorhanden ist.
Auch die Verimpfung von Syphilitikerblut der sekundären Periode er¬
gab positive Resultate; ebenso kann das Blut latent syphilitischer Per¬
sonen unter Umständen infektiös sein. Dagegen erwiesen sich Blut und
Krankheitsprodukte von Syphilitikern der tertiären Periode nicht als in¬
fektiös. Positive Ergebnisse lieferten Verimpfung von Blutserum ver¬
schiedener sekundär-syphilitischer Menschen sowie von Sperma eines all-
gemeiosyphilitischen Mannes, während negativ die Versuche mit Milch
u»d Spina! Flüssigkeit syphilitischer bzw. metasypbilitischer Patienten aus-
fieitap. In einem Falle hatte die spezifische Behandlung anscheinend
einen Einfluss auf die Infektiosität, des Blutes^ indem der Prozentsatz
der erkrankten Tiere geringer war.
Jos. Koch-Berlin: Ueber die Entstehung der akntcn Paraplcgic
nach Ljaaainfektitn. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig.,
Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 199.) Zu der Frage, ob die nach Biss¬
verletzungen wutkranker Tiere in seltenen Fällen auftretenden akuten
Lähmungen als eine abortiv verlaufende Strassenwutinfektion (Jos.
Koch) oder als eine Folge der Wutschutzimpfung (ToxinWirkung,
Babes) aufzufassen sind, bringt der Verf. durch Mitteilung eines Falles
einen neuen Beitrag, der seine ebengenannte Auffassung stützt. Er
konnte den Beweis erbringen, dass die Paraplegie des betreffenden Pat.
durch den Erreger der Wut verursacht worden ist, dass sie aber nichts
mit der Wutschutzimpfung zu tun hat. Bierotte.
W. Lindemann-Halle: Vereinfachung der Anaörobenzfichtnng
nebst Angabe eines praktisch verwertbaren neuen Kaltarverfabreas.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Dünner.
H. Schottmüller - Hamburg: Ein aaaörober Staphyloeoeeas
(Stapbylococcus aerogenes) als Erreger von Puerperalfieber. (Centralbl.
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 270.) In
einer grösseren Zahl von Fällen von Salpingitis purulenta, Peritonitis
purulenta und Puerperalfieber fand Sch. einen anaeroben Staphylococcus,
den er als Erreger der Krankheit nachweisen konnte. Er beschreibt ihn
eingehend nach seinem morphologischen und kulturellen Verhalten und
nach seiner Pathogenität. Bierotte.
A. Desmouliere: Das Antigen bei der Wassermann’schea Re¬
aktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 19.) Gepulverte
Leber eines heredosypolitischen Kindes wird mitAether behandelt, dann
in der Luft und bei 37° getrocknet. Ein Gramm dieses Pulvers maceriert
man 72 Stunden bei 37° mit 20 ccm Alkohol abs. Zu 10 ccm dieser
Flüssigkeit setzt man 0,1 g reines Cholestearin. Statt der kongenital¬
luetischen Leber kann man auch die vom Schwein nehmen und erhält
die gleichen Resultate. Solches Antigen gibt bei dem gleichen Falle
immer dieselbe Reaktion; die Reaktion fällt schon in den ersten Tagen
der Infektion positiv aus, das Resultat ist einwandfrei, wo es mit der
alten Methode zweifelhaft oder negativ war.
A. Desmouliere: Das Antigen in der Wassermaan’schea
Reaktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 22.) Ver¬
wendet man für die vom Verf. beschriebene Herstellung des Antigens
an Stelle des linksdrehenden rechtsdrehendes Cholestearin, so wird die
Empfindlichkeit im Ausfall der Reaktion viel geringer. Statt der
heredosyphilitischen Leber kann man auch solche von Nichtsyphilitikern
48 Stunden nach dem Tode nehmen, ohne den Ausfall der Reaktion zu
stören. Wartensleben.
H. C. Plaut-Hamburg: Zur Wertschätzung der Brendel-Müller-
Sehen Reaktion. (Münchener med.Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die Brendel-
Müller’sche Reaktion (Princip: Aktives Patientenserum wird mit einer vorher
eigens für dasselbe Patientenserum austitrierten Menge von Hammelblut¬
körperchenaufschwemmung zusammengebracht, nachdem 25 Minuten lang
Gelegenheit zur Komplementbindung bei 38° C mit einem erprobten
Extrakt gegeben war) ergab 49 mal dieselben Ausschläge wie die
Original-Wassermannmethode, in 21 Fällen diametrale. Dünner.
W. Drügg-Düsseldorf: Untersuchungen mit der Y. Danger’schen
Vereinfachung der Wassermann’sehen Reaktion. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die v. Dungern’sche Methode gibt gute
Resultate, wenn man die unzweifelhaft positiven und negativen Ausfälle
verwertet. Für praktische Aerzte und kleine Krankenhäuser kann die
Methode empfohlen werden. Für serologische Laboratorien kommt sie
nicht so sehr in Betracht. Wolfsohn.
Prof6-Köln: Beitrag zur Kenntnis der Präsipitinreaktion als Hilfs¬
mittel für die Milabrandaiagnooe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt,
Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift, S. 185.) Wiederholtes Aufkochen des
von an Milzbrand eingegangenen Tieren stammenden Untersuchungs¬
materials in Wasser oder Kochsalzlösung über der Flamme wie auch
Einbringung in siedendes Wasser während 5 bis 45 Minuten schädigt
die Präzipitinogene keineswegs. Gegenüber der Erhitzung hat das
Chloroformausfällungsverfahren den Vorteil, dass es im allgemeinen mehr
wasserklare Extrakte liefert, die eine deutlichere, schärfere Reaktion
geben als die mehr opalescicrenden, durch Erhitzung gewonnenen. Eine
vom Verf. angegebene Modifikation des letzgenannten Verfahrens liefert
gleich gute Resultate wie die ursprüngliche Methode, jedoch in erheb¬
lich kürzerer Zeit.
R. Pfeiffer und G. Bessau - Breslau: Ueber die aagebliche
Trennung der toxischen und der immnnisierenden Bestandteile des
Typhasbaeillas. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 64,
Löffler-Festschrift, S, 172.) In den Versuchen der Verff. verhielt sich
das immunisierende Prinzip der Typhusbacillen genau so, wie es von
der toxischen bekannt ist. Sie sind beide durch Erhitzung der Bacillen¬
substanz auf 58° C auslaugbar, der ausgelaugte Bakterienrückstand, der
an Toxioität eingebüsst hat, wirkt auch nicht mehr immunisierend.
Durch wenig intensive Extraktion hergestellte, relativ ungiftige Extrakte
wirken entsprechend schwach immunisierend. Es muss deshalb an¬
genommen werden, dass das immunisierende und das toxische Prinzip
der Typhusbacillen identisch ist.
Zibell-’Emden: Pyrothea, ein neues Desinfektionsmittel. (Central¬
blatt f. Bakteriol. usw., I. Abt;, Orig.; Bd. 64, Löffler - Festschrift;
S. 266.) ’Pyrothen, ein in flüssiger wie in fester Form hergestelltes neuOs
Desinfektionsmittel, stellt ein Kresolpräparat dar, das nach den Unter¬
suchungen des Verf. gegen vegetative Bakterienformen eine gleichmäßige,
sichere und sohnelle Wirkung entfaltet; es wirkt auch schon in geringer
Konzentration desodorisierend. Bierotte.
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UNIVERSUM OF IOWA
358
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
G. Laroche, Ch. Riebet fils und Fr. Saint-Girons: Die
alimentäre Anaphylaxie. (Gaz. des höpitaux, 1912, Nr. 140.) Sehr inter¬
essante Zusammenstellung über die bis jetzt bekannten Facta. Es
werden unterschieden eine grosse, eine kleine, eine chronische und eine
hereditäre Form der alimentären Anaphylaxie. Als hauptsächliche
Ursachen der Anaphylaxie werden angeführt übermässige Ernährung und
Insuffizienz der Verdauungssäfte. Anaphylaxie kann angenommen werden,
wenn bei erstmaliger Aufnahme der Speise keine oder nur sehr geringe
Beschwerden auftraten, wenn bei jedem späteren Genuss die typischen
Beschwerden, und zwar unmittelbar Dach dem Essen, sich einstellen.
Wartensleben.
A. Fauser-Stuttgart: Weitere Untersuchungen (3. Liste) auf Grund
des Abderhalden’schen Dialysierverfahrens. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 7.) Diese „3. Liste“ umfasst 33 weitere Fälle von
Schilddrüsenerkrankungen, Dementia praecox, Lues und Metalues, manisch-
depressivem Irresein und andere Psychosen, die F. nach dem Dialysier-
verfahren Abderhalden’s untersucht hat. Als „Antigene“ wurden
hauptsächlich Schilddrüse, Hirnrinde und Geschlechtsdrüsen verwendet.
Während bei manisch-depressivem Irresein Schutzfermente niemals nach¬
weisbar waren, ergaben sich bei Dementia praecox und thyreogenen
Psychosen fast durchweg positive Resultate mit dem einen oder anderen
der genannten Organe. Man wäre berechtigt, von einer pathologischen
Serologie der betreffenden Psychosen zu sprechen. Wahrscheinlich
rufen bestimmte Organzellen (Schilddrüse, Geschlechtsdrüsen) oder
Mikroorganismen (Spirochäte) die Produktion eines spezifischen Ferments
hervor, das jenes Organeiweiss spaltet. Die dabei auftretenden Zwischen¬
produkte wirken dann weiterhin schädigend auf die Hirnrinde und be¬
wirken auch hier eine „Dysfunktion“. Serologisch ist dieselbe durch
ein zweites Schutzferment nachweisbar, das sich gegen Hirneiweiss
äussert. Wolfsohn.
Siehe auch Physiologie: Büttner, Fragen aus der Physiologie
und Pathologie der Verdauung und der Resorption im Lichte moderner
serologischer Lehren.
Innere Medizin.
0. Lerch - New Orleans (z. Z. Berlin): Ueber eine neue Perknssions-
methode. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Verf.
empfiehlt die „Fallperkussion“. Es werden Hammer und Plessimeter
verwendet, doch statt des Schlages ein Fall. Alle subjektiven Faktoren
werden so ausgeschaltet. Auch soll der Ton ein schärferer und feinerer
und die Tonunterschiede von weit grösserer Bestimmtheit sein. Bei¬
bringung von Material, das die Vorzüge der Methode beleuchten soll.
J. Bauer und Fr. Helm - Innsbruck: Ueber Röntgenbefaade bei
Kropf herzen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.)
Die Untersuchungen wollen feststellcn, ob sich den einzelnen klinischen
Typen des Kropfherzens entsprechende Formveränderungen des Herzens
röntgenologisch Dachweisen lassen, und ob sich aus dem Röntgenbild des
Herzens Anhaltspunkte für das Zustandekommen der einzelnen physi¬
kalischen Symptome gewinnen lassen. Die Befunde ergeben: Bei Indi¬
viduen mit Kropfherzen wird häufig eine bestimmte Herzkonfiguration im
Röntgenbild angetroffeD, ohne dass dieselbe konstant und stets voll¬
kommen ausgebildet und für das Kropfherz spezifisch wäre. Diese Herz¬
konfiguration ist gekennzeichnet: Vorwölbung des linken mittleren Herz¬
schattenbogens, vorwiegend dessen oberen Anteils (Pulmonalisbogen),
lebhafte Pulsation desselben, sowie des ganzen Herzrandes. Aorta hoch¬
stehend, häufig schmal. Herzspitze meist plump, dabei die grösste
quere Herzbreite den normalen Durchschnittswert meist nicht überragend,
oft sogar nicht erreichend. Anhaltspunkte für das Zustandekommen der
einzelnen physikalischen Symptome lassen sich aus dem Röntgenbild
nicht gewinnen. G. Eisner.
Plate und Bornstein: Ueber den Einfluss der Herzvibration
mit hoher Frequenz auf den Kreislauf. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet.
Therapie, Februar 1913.) Auch Erschütterungen hoher Frequenz ver¬
mögen auf den Blutdruck wie auf nicht erhöhte Pulsfrequenz keinerlei
Einfluss auszuüben. E. Tobias.
S. E. Henschen: Sport und Herzdilatation. (Nord. med. Arkiv,
1912, H. 2, Nr. 8 a). Bei Sportanstrengungen wurden beim Menschen
mit Hilfe der Perkussion, Palpation und des Orthodiagramms Ver-
grösserung, Verkleinerung und unverändertes Volumen des Herzens
beobachtet. Welches Volumen das Herz annimmt, hängt ab von dem
Grad der Leistung, der Kraft und Konstitution des Wettstreitenden und
dem Zustande des Herzens. Eine Herzdilatation tritt vorzugsweise bei
schwachen und jungen Herzen ein, bei kräftigen Leuten nur nach ganz
besonders starken Anstrengungen.. Eine Herzverkleinerung ist die Folge
einer verminderten diastolischen Füllung im Zusammenhang mit sehr
schnellem Puls. E. Herzfeld.
J. Schürer-Heidelberg: Bedeutung der Antikörper bei der Tuber¬
kulose. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Es ist
bei der Tuberkulose nicht angängig, aus dem Auftreten von Agglutininen,
Präcipitinen, komplementablenkenden Stoffen und Bakteriotropinen
irgendwelche Schlüsse auf den Grad der erreichten Immunität zu ziehen.
Die klinischen Erfahrungen bestätigen, dass hoch gegen Tuberkulin
immunisierte Menschen einer akuten Disseraination oder einer miliaren
Aussaat von Tuberkelbacillen erliegen können. G. Eisner.
E. H. Black - Hereford: Die qualitative und quantitative Wirklug
des Tnborknlins auf die polymorphkernigen neutrophilen Lenkoeytea
bei der Behandlung der Tnberknlose. (Brit. med. joum., 18. Januar
1913, Nr. 2716.) Der phagocytische Wert der polymorphkernigen neutro¬
philen Leukocyten steigt mit der Zunahme der Zahl der Kerne. Das
Auftreten mehrerer Kerne kann also kein Degenerationszeichen sein.
Wiederholte Gaben von Tuberkulin bei Tuberkulösen, deren polymorph¬
kernige Leukocyten nur geringes phagocytisches Vermögen hatten, Hessen
die Zahl der Kerne in ihnen zunehmen, so dass sie mehr Tuberkel¬
bacillen in sich aufnehmen konnten als vor der Tuberkulinbebandlung.
Wey demann.
Goldschmidt: Ueber Asthma. (Zeitschr. f. BalneoL, Jahrg. V,
Nr. 21.) G. bespricht die verschiedenen Asthmaarten, das Asthma epi-
leptiforme, das Asthma bronchiale, das Asthma chronicum und das
Asthma permanens und schliesst daran einige symptomatologische und
therapeutische Betrachtungen. E. Tobias.
0. David-Halle a. S.: Die therapeutische Verwertung sauerst#f-
armer Luft bei Anämien. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109,
H. 1 u. 2.) Entsprechend den vorgenommenen Tierversuchen gelingt es
auch bei menschlichen Anämien, durch tägliche ein- bis zweistündige
Atmung 0 2 -armer Luft das Blutbild zu beeinflussen. Die Reaktions¬
fähigkeit der einzelnen Blutbestandteile zeigt bei den verschiedenen
Krankheitsgruppen Unterschiede, und zwar sind die am schwersten ge¬
schädigten Funktionen am wenigsten beeinflussbar und umgekehrt. Ein¬
fache Anämien zeigen eine ziemlich gleichmässige Zunahme der roten
Blutkörperchen und des Hämoglobins; dadurch blieb der Färbeindex,
falls er aufangs stark herabgesetzt war, unter 1. Bei schweren An¬
ämien von pernieiösem Charakter mit hohem Färbeindex fiel dieser
wegen der guten Erythropoiese zwar anfangs, doch stieg er bald wieder,
da auch die Häraoglobinbildung sehr angeregt wurde. Entgengesetzt
verhielten sich die Chlorosen, bei denen infolge der Zunahme der
Erythrocyten und der schleppenden Produktion von Farbstoff der Färbe¬
index herabgesetzt blieb. G. Eisner.
S. Wachtel-Krakau: Zur Frage der Beiz#ltberapie der Leukftmift
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Nach dem Vorschlag von
Koranyi hat W. einen hartnäckigen Fall von myelogener Leukämie
mit Benzol behandelt. Dosierung: 3 g täglich, später 4 g. Der Erfolg
war ein ausserordentlich guter. Das Allgemeinbefinden besserte sich
bald, die Leukocytenzahl ging innerhalb weniger Wochen von 140 000
auf 13 000 (später 8000) herunter. Diese Besserung war nach 4 Wochen
nach Aussetzen der Therapie vorhanden. Vergiftungserscheinungen
traten nicht auf. Erythrocytenzahl und Hämoglobingehalt sind sogar
gestiegen. In einem zweiten Fall musste die Behandlung bald aus¬
gesetzt werden, da Albuminurie auftrat. Eine genaue Beachtung ein¬
tretender IntoxikationserscheinuDgen ist dringend notwendig.
Wolfsohn.
E. Wulff: Ueber Pseudoleikäntift. (St. Petersburger med. Zeitschr.,
1912, Nr. 24.) Die von Naegeli vorgeschlagene Unterscheidung der
Pseudoleukämie in Lymphocytome und Granulome lässt sich klinisch
noch nicht aufrecht erhalten. Bei einem Falle begann das Leiden mit
Schwellung der HalslymphdrüseD, bald wurden alle peripheren Drüsen
befallen, Leber und Milz schwollen mächtig an, die Temperatur wurde
febril, der Verlauf war maligne. Während all das für malignes Granulom
sprach, ergab der Sektionsbefund das Bestehen einer Lymphadenosis
aleucaemica. Für letztere sprach auch intra vitam der Blutbefund:
Leukocytose, relative Lymphocytose, pathologische Lymphocytenformen.
Wartensleben.
G. Mansfeld: Blatbildeng und Schilddrüse. (Zeitschr. f. Balneol.,
Jahrg. V, Nr. 21.) M. bespricht an der Hand einiger Versuche die Be¬
deutung der Schilddrüse für die Blutbildung. E. Tobias.
R. Mc. Carrisan: Die Aetiologie des endeMisehen Kropfes. L
(Lancet, 18. Januar 1913, Nr. 4664.) Der endemische Kropf im Himalaya-
gebiete ist dieselbe Krankheit wie der in Europa. Der Verfasser berührt
die Verbreitung des Kropfes. Am meisten leiden die, die mit dem Erd¬
boden irgendwie beschäftigt sind. Die Endemien zeigen Schwankungen
in der Ausbreitung und Intensität. Die Krankheit kann verschleppt
werden. Die Fälle sind in Indien am häufigsten während der kühleren
Jahreszeit, in Europa in der wärmeren. Empfängliche Neuankömmlinge
in Kropfgegenden erkranken sehr leicht, und zwar in der Zeit voa 1 */ t
bis 3 Monaten nach ihrer Ankunft. Beginnender Kropf verschwindet
beim Verlassen der Kropfgegend; sonst nimmt er schubweise im Frühjahr
und Herbst zu. Bei Tieren ist der sichtbare Kropf nicht so häufig, als
man meist annimmt. Frauen erkranken im allgemeinen häufiger als
Männer; je häufiger irgendwo der Kropf ist, desto häufiger erkranken
hier auch die Männer, bis die Zahl der Erkrankten bei beiden Ge¬
schlechtern gleich ist in den am stärksten verseuchten Orten. Kinder
erkranken sehr häufig; der Kropf kommt auch bei Brustkindern vor,
aber nur in Dörfern, wo die Krankheit sehr reichlich und schwer auf-
tritt, und ist dann angeboren. Ueber die Rolle des Wassers bei der
Entstehung des Kropfes ist noch viel zu untersuchen, aber es ist sicher,
dass es auf irdendein? Art das toxische Agens des Kropfes verbreiten
kann. Wey demann. "
L. Saathoff-Oberstdorf: Thyreose and Tnberkaloie. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die Tuberkulose spielt eine wesent¬
liche ursächliche Rolle für die Entstehung der Thyreosen einschliesslich
des Basedow. Es bandelt sich hier meistens um initiale, prognostisch
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
359
güüstige Formen der Tuberkulose, progressive Formen gehen seltener
mit thyreotoxischen Symptomen einher. Temperatursteigerungen bei
anderweitig nicht komplizierten Thyreosen sind fast immer auf eine be¬
gleitende oder zugrunde liegende Tuberkulose zu beziehen. Die Existenz
eines reinen Basedow Gebers wird mit Möbius nioht anerkannt. Jeder
Fall von gesicherter oder auch nur verdächtiger Thyreotoxie ist auf
Tuberkulose zu untersuchen und bei positivem Ausfall auf Tuberkulose
zu behandeln. Für sohwerere oder hartnäckige Fälle bleibt die chir¬
urgische Behandlung angezeigt. Dünner.
N. Mutch und J. H. Ryffel - London: Der Nutzen der reetalen
KnÜrnBg für den Stoffwechsel. (Brit. med. journ., 18. Januar 1913,
Nr. 2716.) Vom Rectum resorbierte Dextrose kann den täglichen Gehalt
des Urins an Kreatin und Stickstoff ebenso herabsetzen, wie wenn sie per os
gegeben wird, ist aber wiel weniger wirksam bei der Bekämpfung der
Acidose und der Bildung der Acetonkörper. Eine 6proz. Dextroselösung
io Leitungswasser ist mit dem Blute isotonisch und reizt weniger als
eine lOproz. Sie lässt sich zu Klysmen vorteilhafter verwenden als
Kochsalzlösung, da die Dextrose im Organismus oxydiert wird, so dass
eine stärkere Wasserresorption vom Rectum aus eintritt, als wenn Koch¬
salzlösung benutzt wird. Weydemann.
Hinstede: Untersuchungen über die Verdaulichkeit einiger Brot-
sortea. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Februar 1913.) Die
Trockensubstanzbestimmung gibt ein genaues und zuverlässiges Bild von
der Verdaulichkeit eines Nahrungsmittels. Tabellarisch wird dann über
die Ausnutzbarkeit der einzelnen Brotsorten anschaulich berichtet.
Schütze: Ueber Calciantherapie. (Zeitschr. f. Balneol., Jahr¬
gang V, Nr. 21.) Schütze hat Versuche mit einer neutralen löslichen
Ichthyol-Calciumlösung gemacht und in 80 Fällen über 375 Injektionen
zu 5 ccm einer 5proz. Lösung vorgenommen, über deren Resultate bei
Asthma bronchiale, Tuberculosis pulmonum, Bronchitis usw. er eingehend
berichtet. E. Tobias.
Lindemann - Essen: Zur Pathogenese und Klinik der Nieren-
heckenentzflidangen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.)
Pyelitiden fasst man i. A. als mit dem Genitaltractus in Zusammenhang
stehend auf, doch müssen auch andere Krankheiten, wie die der Lungen,
des Magendarmkanals und des Nierenparenchyms selbst ätiologisch in.
Betracht gezogen werden. Die Infektion, meist mit Coli, erfolgt auf
dem Lymph- bzw. Blutwege. L. tritt therapeutisch für Ureteren-
katheterismus mit nachfolgender Spülung ein.
J. Becker - Halle a. S.
B. Bardach-Wien: Ueber ein Phenolphthaleinspektram und
dessen Einfluss auf die spektroskopische Harnuntersuchung. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Nach der Verabreichung phenolphthalein¬
haltiger Medikamente (Purgen usw.) kann unzersetztes Phenolphthalein
in den Harn übertreten. Bei der spektroskopischen Untersuchung zeigen
solche Urine eine Auslöschung bei der Linie E, die besonders breit bei
alkalischen Harnen zu sein pflegt. Das Spektrum ähnelt dem Urobilin-
und Hämoglobinspektrum. Um diesen Einfluss des Phenolphthaleins auf
das Spektrum auszuschalten, genügt es, bei spektroskopischen Unter¬
suchungen auf Urobilin oder Blut die Flüssigkeit mit einigen Tropfen
Salzsäure anzusäuern. P. Hirsch.
H. Ellern - Frankfurt a. M.: Ein Beitrag zum ätiologischen Studium
des Diabetes insipidns. (Deutches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 1
u. 2.) Verf. liefert an der Hand dreier Fälle einen Beitrag zur Diffe¬
rentialdiagnose zwischen Polydipsie und echtem, meist unheilbarem Dia¬
betes insipidus, d. h. primärer Polyurie. Näheres ist in der Arbeit
nachzulesen. G. Eisner.
Ardin-Delteil, L. Negre und M. Raynaud: Ueber die Vaccine-
therapio beim Typbas abdominalis. (Compt. rend. de l’acad. des scienoes,
1912, Nr. 23.) Die von Besredka vorgeschlagenen Injektionen von
lebenden sensibilisierten Typhusbacillen bei Typhösen scheinen sehr
günstig zu wirken. Von 37 Behandelten starb keiner. Die Dauer der
Krankheit wird abgekürzt, Recidive werden selten beobachtet. Nament¬
lich das bakteriolytische Vermögen des Serums wird ausserordentlich
gesteigert.
J. Louis und E. Combe: Die antityphöse Vacciaatioa. (Gaz. des
höp., 1912, Nr. 137.) Von den im Gebrauch befindlichen Vaccinen
scheinen die besten die beiden nach der Vorschrift von Vincent her¬
gestellten zu sein: das polyvalente Bacillenvaccin und besonders das
polyvalente Autolysat. Eine Injektion darf nur vorgenommen werden
bei einer im übrigen vollkommen gesunden Person, und zwar am besten
durch subcutane Applikation. Sie ist indiziert zur Prophylaxe, aber
auch dann, wenn schon Krankheitssymptome bestehen. Von mehr als
20000 mit Vincent’schem Vacoin Geimpften ist nicht einer an Typhus
erkrankt.
A. Lumiere und J. Chevrotier: Ueber die PolyvaleiK der
Äatityphissera, (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 21.)
Ein aus 17 verschiedenen Stämmen von Typhus-, Paratyphus- und Coli-
bacilleu hergestelltes Gemisch wurde in steigenden Dosen Ejseln injiziert.
Das dann gewonnene Serum wurde Meerschweinchen injiziert und be¬
wirkte, dass die Dosis letalis gegenüber diesen Bakterien stark gesteigert
wurde.
H. Vincent: Ueber die Wirkung des polyvalenten Antitypbna-
•erami bei Personen im Stadium der latenten Infektion durch den
Typhusbacillus. (Compt. rend. de l’aoad. des Sciences, 1912, Nr. 17.)
Bei Epidemien besteht durch Impfung mit dem polyvalenten Serum noch
24 oder 48 Stunden nach der Infektion die Möglichkeit, den Ausbruch
der Krankheit zu verhüten. Im Inkubationsstadium tritt durch die
Impfung keine negative Phase ein; es kann eine günstige Wirkung er¬
zielt werden dadurch, dass die Neubildung von Antikörpern und der
Beginn der Immunität angeregt werden und so die Schwere und Dauer
der Infektion vermindert wird.
H. Vincent: Ueber die MihdiagnoBtik beim Typhas abdominalis.
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1912, Nr. 20.) Typhus- oder Para¬
typhusbacillen wurden drei Tage mit physiologischer NaCl-Lüsung maceriert,
dann centrifugiert. Die überstehende Flüssigkeit sterilisiert man mit
Aether. Injiziert man von diesem Macerat, so tritt gewöhnlich 10 bis
18 Stunden später bei bestehender Infektion eine Vergrösserung der
Milz um 1—2 cm in beiden Durchmessern auf, oft auch eine solche der
Leber. Diese Reaktion ist bei Injektion von Typhus- oder Paratyphus¬
bacillenextrakt spezifisch für eine Infektion mit einer dieser Bacillen¬
arten und ist 2—3 Tage lang nachweisbar. In zweifelhaften Fällen
ist sie ein gutes Mittel zur Sicherung der Diagnose.
R -J. Weissenbach und J. Bonhoure: Die Spondylitis typhosa.
(Gaz. des höp., 1912, Nr. 128.) Allgemeine und erschöpfende Uebersicht
über diese seltene Komplikation des Typhus. Es sind etwa 100 Fälle
aus der Literatur zusammengestellt, die eine positive Widal’sche Reaktion
ergaben und zur Heilung kamen. Wartens leben.
Flatow und Brünell-Cöln: Eine klinisch einfache Methode quanti¬
tativer Urobilinogenbestimmang. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 5.) Die Verff. benutzen die Eigenschaft des Urobilinogens, mit p-
Dimethylamobenzaldebyd sich rot zu färben, zur quantitativen Bestimmung.
An Stelle des teuren p-Dimethylamobenzaldehyd benutzen sie das billige
Phenolphthalein, das in seinen Farbenuancen fast denen des p-Dimetbyl-
amobenzaldehyd entspricht. Mit Hilfe des Autenrietb-Königsberger’schen
Kolorimeters erfolgen dann die Bestimmungen. Dünner.
E. Kindborg-Bonn: Zur Prophylaxe und Therapie der Hämor-
rboideo durch Aniknre. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.)
Miniaturbesteck zur Ausführung von Klystieren. Wolfsohn.
Siehe auch Physiologie: Desgrez und Dorlöans, Wirkung
der Purinkörper auf den Blutdruck.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Determann: Zur Hydrotherapie der nervösen Schlaflosigkeit. —
Pototzky: Entgegnung. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie,
Februar 1913.) Pototzky ist und bleibt bei der Anschauung: Vorsicht
vor abendlichen differenteren bydriatischen Prozeduren bei der Behand¬
lung der nervösen Schlaflosigkeit. Determann glaubt, dass bei indi¬
vidueller Beobachtung des Einzelfalles sich sehr wohl auch abendliche
Prozeduren rechtfertigen lassen, die auch oft von dem gewünschten Er¬
folge begleitet sind.
M. Bernhardt: Weiterer Beitrag zur Lehre von der Haemato-
myelia traumatica. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 3.) Ein vorher ganz
gesunder Mann fällt von bedeutender Höhe auf Füsse und Kreuz und
ist vollkommen paraplegisch. Blasenlähmung nur kurzdauernd. Von
Beginn an fehlen Zeichen einer Verletzung der Wirbelsäule. Anfäng¬
liche Bewusstlosigkeit spricht für erhebliche Commotio von Gehirn und
Rückenmark. Fast vollständige Restitutio spricht gegen Zerreissung, für
Blutung. Von Interesse ist noch neben dem genauen neurologischen
Befund eine partielle myotonische Reaktion an einzelnen Muskeln der
unteren Extremitäten. E. Tobias.
Siehe auch Kinderheilkunde: Johannessen, Poliomyelitis
acuta in Norwegen.
Kinderheilkunde.
E. Moro-Heidelberg: Ueber rectale Hyperthermie im Kindesalter.
(Monatsscbr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 430.) M. berichtet
über einige Beobachtungen langandauernden Fiebers bei rectaler Messung,
die zu grosser Beunruhigung der Umgebung und eingreifenden Maass¬
nahmen bei den Kindern führten. Kontrollmessungen ergaben, dass es
sich hier um eine lokale Hyperthermie im Rectum handelte. Die Tem¬
peratur in der Achsel war bis 1,7* C niedriger. Die Differenz kommt
nach Verf. wahrscheinlich (bei muskelschwaohen Individuen) durch die
viel grössere Muskelarbeit zustande, die die untere Körperhafte beim
Gehen, Laufen, Springen, Treppensteigen usw. zu leisten bat. Für diese
Anschauung bringt Verf. auch einige experimentelle Untersuchungen, in
denen speziell bei Kindern mit orthotischer Albuminurie diese „topische
Anisothermie tt zu provozieren war.
A. Benfey-Berlin: Eosinophilie and exsudative Diathese. Er¬
gänzende Bemerkungen zu der unter obigem Titel erschienenen Arbeit
von Aschenheim in Nr. 6 dieser Monatsschrift. (Monatsschr. f. Kinder¬
heilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 421.) B. regt an, an Säuglingen aus
Familien' mit exsudativer Diathese fortlaufende Untersuchungen auf
Eosinophilie zu machen, um die Frage des Zusammenhanges dieser
Anomalie mit den exsudatiten aufzuklären. Er selbst hat bei einem
Neugeborenen aus einer solchen Familie keine Eosinophile gefunden.
Das Kind bekam im zweiten Lebensjahr ein Ekzem hinter den Ohr-
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UNIVERSUM OF IOWA
360
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
muscheln, im übrigen blieb es im Gegensatz zu seinen älteren Ge*
schwistern von schweren Symptomen der Diathese verschont, wie Yerf.
glaubt, infolge einer rechtzeitig einsetzenden Ernährungstherapie in Ge¬
stalt einer sinngemässen Beschränkung der Nahrungszufuhr.
R. Weigert.
DelSarde und G. Hallez: Die Pirpnra chronica der Kindheit.
(Gaz. des höp., 1912, Nr. 149.) Es werden unterschieden eine Purpura
chronica simplex, die selten ist und ohne Affektion der Schleimhäute
verläuft, und eine Purpura chronica haemorrhagica, die bisweilen wohl
auf eine latente Tuberkulose zurückzuführen ist.
R. Crömieu und A. Lacassagne: Die Gelenkkomplikatioien
der Masern. (Gaz. des hop., 1912, Nr. 136.) Gelenkaffektionen sind
sehr selten und treten erst spät nach dem Eruptionsstadium der Masern
auf. Sie sind mon- oder oligartikulär und befallen nur die grossen Ge¬
lenke. Bisher waren nur beschrieben: Leichte Arthritis, die spurlos
heilt; Empyem der Gelenke oder scrofulo-tuberkulöse Arthritiden. Es
werden zwei Beobachtungen angeführt, deren erste ein tuberkulöses
Individuum betrifft, bei dem ein Hydarthros genu auftrat. In dem
zweiten Falle bestand intermittierende Arthritis der beiden Kniegelenke,
die exquisit chronisch verlief und noch nach mehr als zwei Jahren nicht
geschwunden war. Wartensleben.
A. Johann essen-Christiania: Poliomyelitis acuta in Norwegen.
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 424.) Mitteilungen
über den geschichtlichen Verlauf der Poliomyelitisepidemien in Norwegen,
die Wege ihrer Verbreitung und die getroffenen Schutzmaassnahmen:
Isolierung der Kranken in der akuten Periode bis zu 3 Wochen, Des¬
infektion der Sekrete und Exkrete sowie der toten Gegenstände der Um¬
gebung; Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit der Uebertragung durch
Abortivfälle und Gesunde; Anzeigepflicht und Schliessung der Schulen.
E. Döbeli-Bern: Ueber die Verwendung von Opiaten im Kindes-
alter. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 11, S. 439.) Verf.
hat eine Umfrage über den Gebrauch von Opiaten im Kindesalter ge¬
macht, die ergab, dass nicht wenige Pädiater Opiate jenseits des Kindes¬
alters ungescheut gebrauchen lassen, im Säuglingsalter aber nur wenige.
Dabei wird aber von einer Reihe von Vergiftungsfällen von den be¬
treffenden Aerzten selbst berichtet. Verf. selbst vertritt in dieser Frage
den Standpunkt, Opiate auch im frühen Kindesalter anzuwenden, wenn
Aussicht besteht, dadurch lebensgefährliche Zustände mit Erfolg zu be¬
kämpfen, gegenüber denen die Gefahr der Opiumtherapie nicht ins Ge¬
wicht fällt (schwerste Stadien von Pertussis, Croup, Pylorospasmus).
R. Weigert.
Siehe auch Physiologie: Lindet, Phosphor und Calcium im
Casein der Milch. — Hygiene und Sanitätswesen: Beyer, Diphtherie¬
bacillen im Urin.
Chirurgie.
Y. Ozaki-Kyoto: Ueber die Alkoholdesinfektion. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Die Arbeit bestätigt nur Bekanntes,
nämlich dass konzentrierter Alkohol keine keimtötende Wirkung hat,
dass diese vielmehr weniger konzentrierten Alkoholen zukommt. Verf.
empfiehlt vor der Alkoholdesinfektion eine kurze Seifenwaschung ohne
Bürste. J. Becker-Halle.
E. Sehrwald-Strassburg: Verätzungen dnreh Benzin. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Benzin macht gelegentlich starke Haut¬
reize mit Nekrosen, besonders wenn es am Verdunsten verhindert wird.
Verf. sah eine starke Reizung des äusseren Gehörganges nach Reinigung
des Ohrläppchen im Liegen. Vielleicht lässt sich die nekrotisierende
Eigenschaft des Benzins therapeutisch, als ableitendes Heilverfahren,
verwenden. Wolfsohn.
P. Wolf-Berlin: Zur Catgotfrage. (Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
Bd. 120, H. 5 u. 6.) Verf. kommt im Gegensatz zu Kuhn auf Grund
seiner Versuche zu dem Resultat, dass eine sichere Sterilisation des
Catguts auch am fertigen Faden gelingt. Die einfachste und sicherste
Sterilisationsmethode ist die nach Claudius. J. Beck er-Halle.
E. Weisz-Pöstyön: Eine einfache Schiene znr Streckung nnd
Beiging des Kniegelenks. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.)
Oberschenkelhülse mit Ansatz eines rechten Winkels. Der Unter¬
schenkel kann abwechselnd gebeugt und gestreckt werden und wird
durch Gummizug gehalten.
H. Sehr ick er-Mühlheim a. Rh.: Zwei Beiträge zu den Schuss-
Verletzungen des Bauches. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.)
1. Schussverletzung im oberen Jejunum. Die Kugel perforierte den
Darm nur einmal und blieb dann im Darmkanal stecken. Die Darm¬
wunde wurde übernäht. Nach einigen Tagen ging das Geschoss per
rectum ab. 2. Bauchschuss mit Perforation des Zwerchfells, der Speise¬
röhre und Verletzung der Brustschlagader. Der Tod trat erst
18 l / 2 Stunden nach der Verletzung ein. Das Geschoss lag dem Aorteu-
riss auf und wirkte wahrscheinlich als Selbsttamponade. Das Blut er¬
goss sich durch den Schusskanal in die Bauchhöhle und wurde dort bei
der Laparotomie gefunden. Nach Tamponade der Bauchhöhle entstand
dann ein grosses Hämatom im Mediastinum. Wolfsohn.
Ingebrigtsen: Erlebnisse von 295 in derZeit von 1900 bis 1909
operativ behandelten Leisten- nnd Sehenkelbrüchen. (Nord. med.
Arkiv, Afd. 1, H. 8, Nr. 5.) Unter 208 radikal operierten und naoh-
untersuchten Leisten- und Schenkelbrüchen ergab sich ein Recidiv-
prozentsatz von 1,47 pCt. Die Nachuntersuchung fand im Jahre 1911 statt.
E. Herzfeld.
W. G. Spencer-London: Appendieostonrfe statt Colostonüe bei
Darmverengernng dnreh inoperablen Krebs des Mastdarms und Dick¬
darms. (Brit. med. journ., 18. Januar 1918, Nr. 2716.) Um die grossen
Unannehmlichkeiten einer Colostomie zu vermeiden, macht der Verf.
statt dessen eine Appendicostomie bei unterhalb sitzenden inoperablen
Krebsen. Die Oefinung liegt an der Vereinigungsstelle des Blinddarmes
mit dem Wurmfortsätze, und es liegt darin ein Gummi- und Glasdrain.
Durch dieses kann Gas abgelassen oder Fäkalinhalt herausgespült werden;
es kann aber auch Oel, Ricinusöl, Bittersalzlösung oder Seifenwasser
eingegossen werden, wodurch oft eine Entleerung durch das Rectum er¬
möglicht wird. Weydemann.
A. Wagner-Lübeck: Ueber das akut in die freie Bauchhöhle
perforierende Magengeschwür. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 120,
H. 5 u. 6.) Die rationelle Therapie ist Laparotomie und Naht der Per¬
forationsstelle. Die Gastroenterostomie gleichzeitig auszuführen, verwirft
Verf. Sie ist nur auszuführen bei Pylorusstenose oder Sanduhrmagen.
Die Bauchhöhle soll mit Kochsalzlösung ausgewaschen, das Peritoneum
drainiert werden. In der Nachbehandlung reichliche Applikation von
Kochsalzeinläufen. J. Becker-Halle.
v. Hof meister - Stuttgart: Beiträge zur Chirurgie des Chole-
doehns. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) 1. Totale Zer¬
störung des Cysticus und partielle des Choledochus durch Steine.
2. Totale eitrige Zerstörung der Gallenblase, Choledochusstein, abge¬
kapselte gallige Peritonitis unter der Leber und im kleinen Becken.
3. Entzündlicher Choledochusverschluss; beginnende biliäre Leberdegene¬
ration. 4. Choledochussteine, Recidiv nach dreimaliger Choledochotomie,
Narbenstenose der Papille; Choledochotomie, Duodenotomie, Dilatation
der Papillenstenose, Hepaticusdrainage, Choledochoduodenaldrainage.
5. Chronische Cholecystitis calculosa; intermittierender Choledochus¬
verschluss, Choledochuspfortaderfistel; Heilung durch Cholecystektomie,
Choledochotomie und Naht der Pfortaderperforation. — Plaidoyer für
Frühoperation. Dünner.
S. Porta-Siena: Neues Verfahren zur GefKssvereinignng. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 120, H. 5 u. 6.) Verf. bildet an jedem Gefäss-
stumpf durch vier einander entsprechende vertikale Einschnitte vier
gleiche, einige Millimeter hohe Läppchen. Von der Mitte der Basis eines
jeden Läppchens wird von aussen nach innen ein Seidenfaden durchgestochen,
der von innen nach aussen in der Mitte der Basis des entsprechenden
Lappens des anderen Stumpfes herausgeführt wird. Verf. gibt an, dass
dies Verfahren sich nicht zur Naht kleiner Gefasse eigne.
J. Becker-Halle a. S.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Bleek, Ex¬
duralanästhesie. Küster, Indikationen und Resultate abdominaler Tampon¬
drainage. _
Röntgenologie.
Siehe auch Innere Medizin: Bauer und Helm, Röntgen :
befunde bei Kropfherzen. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Krönig
und Gaus: Strahlentherapie in der Gynäkologie: Röntgen- oder Radium¬
therapie? _
Urologie.
Feiber-Wildungen: Litbotripsie «der Lithoftonie? (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 5.) F. redet der Litbotripsie unbedingt das Wort;
unter 900 Operationen nur 4 Todesfälle, also V 2 pCt. Mortalität.
Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Lindemann, Pathogenese und
Klinik der Nierenbeckenentzündung. — Geburtshilfe und Gynäko¬
logie: Wolkowitsch, Operationsmethode bei schwerer Blasenfistel.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
0. Kren-Wien: Schlussbericht über unsere Erfahrungen mit
Salvarsan. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) An der Riehl-
schen Universitätsklinik sind bis jetzt über 600 Salvarsaninjektionen
ausgeführt worden. Salvarsan hat sich als ein äusserst wirksames Anti-
lueticum erwiesen, dessen therapeutischer Wert am grössten bei der
Anwendung während des Primärstadiums ist Bei frischen Sklerosen,
die serologisch noch negativ reagierten, ist es — mit seltenen Aus¬
nahmen — imstande, den Ausbruch der Sekundärerscheinungen hintan¬
zuhalten. Einige solcher Fälle sind über 2 Jahre beobachtet und frei
von Sebundärerscheinungen geblieben. Der Effekt bei Anwendung im
Sekundärstadium ist weniger energisch. Besonders günstig aber ist die
Anwendung im Tertiärstadium und bei hereditärer Lues. Ein Todesfall
nach Salvarsan wurde nicht beobachtet. Die früher aufgestellten Kontra¬
indikationen für die Anwendung des Salvarsans sind wesentlich einzu¬
schränken, vor allem bedarf das Neurorecidiv einer energischen Salvarsan-
QuecksiIbertherapie. P. Hirsch.
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
361
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Cohn-Greifswald: Die innersekretorischen Beziehungen zwischen
Kaum und Ovarinm. (Monatsschr. f- Geburtsh. u. Gynäkol., Januar
1913.) Bei einem Fall von Fehlen der Vagina und des Uierus bei
normal entwickelten Ovarien waren die Brustdrüsen kräftig entwickelt.
Dieser Fall und andere klinische Beobachtungen beweisen, dass für die
Entwicklung der Brustdrüse die Ovarien notwendig sind, und zwar
ohne eine vermittelnde Einwirkung des Uterus. Andererseits wird durch
einen Fall von Galaktorrhoe bei Atrophie der Ovarien die auch sonst
klinisch gestützte Tatsache illustriert, dass zwischen der Funktion der
Mamma und den Ovarien ein grosser Antagonismus besteht.
Wald stein-Wien: Ueber Brens’sche Molen nnd retinierte Eier im
allgemeinen. (Monat sehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) In dem
einen Fall blieben die Menses 2V 2 Monate aus; dann erfolgte eine
Blutung, mit der eine Verkleinerung der Gebärmutter einherging; nach
weiteren 2 Monaten wurde eine Breus’sche Mole entfernt. Der Embryo
war lange zuvor abgestorben und geschrumpft; seine Innenstruktur ent¬
spricht einem Embryo von achtwöchigem Alter. Einzelne Gewebsanteile
überlebten den Fruchttod, differenzierten sich sogar nach demselben
weiter. Gleiches gilt von der Flacenta, welche bis zu ihrer Entfernung
weiter lebte und sioh in einzelnen Teilen weiter differenzierte. Als ver¬
mutliche Ursache des Fruchttodes wurden schwere Veränderungen an den
Zotten festgestellt. Der zweite Fall war eine einfache Fleischmole; den
Unterschied beider kann man dahin definieren, dass letztere ein durch¬
blutetes, die Fleischmole ein aneurysmatisches Ei ist. — In Experimenten
mit Föten und Placenten, die in Serum, Ringerlösung u. dergl. ver¬
schieden lange Zeit aufbewahrt wurden, ergab sich, entsprechend den
mikroskopischen Befunden an den retinierten Eiern, dass die verschie¬
denen Gewebe verschieden lange den Tod des Individuums zu überleben
imstande sind.
Wo lff-Heidelberg: Oxydasenreakt^ü in der Flacenta. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) Bei Färbung nach
Gierke (Münchener med. Wochenschrift, 1911) lassen sich im Syncytium
sowohl der wachsenden, wie der reifen Placenta, in den Langhanszellen,
weniger konstant in der Decidua, granuläre Substanzen finden, an welche
die Fähigkeit geknüpft ist, oxydative Synthesen zu vollbringen.
Sarateanu und Velican-Bukarest: Die Wassermann’sche Reak¬
tion in der Schwangerschaft der Frauen und bei den Wöchnerinnen.
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) Die Reaktion wurde
bei 27 auf Lues verdächtigen Frauen (Frühgeburten, macerierte Kinder,
Aborte) angestellt; in 19 Fällen war sie positiv; von den 8 negativen
hatten 2 sicher Lues gehabt, die anderen wahrscheinlich nicht. Die
positive Reaktion ist ein sicheres Zeichen für bestehende Lues; der nega¬
tive Ausfall schliesst die Lues nicht absolut sicher aus.
Zwei fei-Leipzig: Ueber die Behandlung der Eklampsie. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1912.) Unbefriedigt von den
Ergebnissen der operativen Schnellentbindung, wendet Z., gestützt auf
den Nachweis von Lichtenstein, dass bei der operativen Entbindung
der Blutverlust das Wesentliche ist, den primären Aderlass (ca. 500 ccm)
und die milde narkotische Behandlung nach Stroganoff mit Morphium
und Chloralhydrat an. Auf 84 so behandelte Fälle kommen 5 Todes¬
fälle; die letzten 64 Fälle sind hintereinander geheilt. Dass die Ent¬
leerung des Uterus nicht der maassgebende Heilungsfaktor sein kann,
beweisen einerseits die Fälle interkurrenter Eklampsie, d. h. diejenigen,
in denen die Erkrankung bei fortdauernder Gravidität ausheilt, anderer¬
seits die häufig so schweren Wochenbettseklampsien.
Sonnenfeld-Berlin: Intakte Tnbargravidität trotz intrauterinen
Eingriffs und wiederholter bimanneller Untersuchungen nebst Be¬
merkungen zur Diagnostik der Tubargravidität. (Monatsschr. f. Geburtsh.
u. Gynäkol.. Februar 1913.) Kasuistische Mitteilung. In Ausnahme¬
fällen kann man zur Sicherung der Diagnose eine Abrasio vornehmen.
Vorbedingung ist strengste Asepsis und die Möglichkeit, bei negativem
Ausfall der Abrasio sofort die Laparotomie anschliessen zu können.
Vogt-Dresden: Zur Kenntnis der Weichteildefekte am Kopfe Neu¬
geborener. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Januar 1913.) Drei
Fälle, die nicht traumatischen, sondern amniogenen Ursprungs waren;
sie entstehen durch Zerreissung amnialer Verwachsungen.
Puppet-Mainz: Wiederholte Tubargravidität. (Monatsschr. f.
Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) P. polemisiert gegen Hirsch,
der bei der Frage, ob man bei der Operation einer Tubargravidität die
Tube der anderen Seite ebenfalls entfernen soll, auch soziale Momente
berücksichtigen will. Nach P. dürfen bei dieser Frage rein sachliche
Erwägungen mitsprechen, wie er sie in einer früheren Arbeit erörtet hat.
L. Zuntz.
G. Linzenmeier-Kiel: Die Bedeutung der Hypophysenpräparate
fir die Hebosteotomie. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.) Nach
wohlgelangener Hebosteotomie macht die eigentliche Geburt oft die
grössten Schwierigkeiten. Bei der Anwendung der Zange oder der
Wendung und Extraktion gibt es oft schwere Zerreissungen, andererseits
durfte man bei völligem Fehlen der Weben auch nicht zu lange warten,
und es war schwer, hier das richtige Mittelmaass zu finden. Hierin
hat der Hypophysenextrakt Wandel geschaffen, der schnell gute Wehen
bewirkt.
L. Stolper-Wien: Hypophysenextrakt und Spätgeburt. (Central¬
blatt f. Gynäkol., 1918, Nr. 5.) Im Anschluss an die Mitteilungen von
Hager hat Verf, das Pituitrin in Fällen versucht, in denen nach der
üblichen Berechnung eine Uebertragung stattgefunden hatte. Es war
ursprünglich zweifelhaft, ob man berechtigt sei, nur zum Zweck der
Einleitung der Geburt das Hypophysenextrakt anzuwenden, und ob man
nicht dadurch Gefahr lief, einen mehr oder weniger heftigen Tetanus
uteri zu machen, eine Möglichkeit, für welche die Erfahrungen, die
einzelne Autoren beim Abort gemacht hatten, wohl sprachen. Es zeigte
sich aber, dass ein deutlicher Unterschied in der Beziehung zwischen
Abort und übertragenem Kinde besteht. In beiden Fällen, in denen
die Frucht übertragen war und 4200 und 4500 g wog, fand eine glatte
Spontangeburt in einigen Stunden naeh Anwendung der zweiten Injektion
statt. Verf. glaubt danach, das Hypophysenextrakt als eventuellen
Ersatz für die künstliche Frühgeburt empfehlen zu sollen.
Spaeth-Hamburg: Hat das Pituitrin einen nachteiligen Einfluss
auf das Kind? (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.) Eine 20jährige
Erstgebärende mit Steisslage der Fiucht erhält nach zweimal 0,5 g Pi¬
tuitrin kräftige Wehen, die den Steiss des Kindes auf den Beckenboden
beförderten. In leichtem Aetherrausch wird das Kind extrahiert. Die
Nabelschnur ist zweimal um den Hals geschlungen. Das Kind stirbt
tief asphyktisch trotz aller Belebungsversuche. Bei der sofort vor¬
genommenen Sektion wird keine Todesursache gefunden. Verf. glaubt
den Tod des Kindes auf die Wirkung des Hypophysenextraktes schieben
zu müssen. Den Beweis dafür bliebt er schuldig.
Giesel-Wilchingen: Ueber die Wirkung von Pantopon nnd Pitu*
glandol in der Geburtshilfe. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 5.)
Verf. redet der Kombination von Pantopon und Pituglandol das Wort.
Während ersteres die Schmerzen absturapft, bewirkt letzteres ein ver¬
stärktes Auftreten der Wehen. Die erstgenannte Wirkung ist ebenfalls
ein© Beförderung der Geburt, namentlich in der Austreibungsperiode,
denn es bewirkt, dass nicht, wie man das so oft sieht, infolge der
Schmerzhaftigkeit die Kreissende das Mitpressen versäumt und gegen die
Wehen direkt ankämpft. Auch bei Atonie ist es anzuwenden, jedoch
nicht, wenn der Uterus entleert ist, denn dann wollen wir ja gerade
dauernde Kontraktion haben, und diese bewirkt besser das Secale. Aller¬
dings kann auch das Pituglandol wesentlich die Wirkung verstärken.
Asphyxie der Kinder hat Verf. nicht beobachtet. Siefart.
K lein -München: Adrenalin and Pituitrin bei Dysmennorrhöe.
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) Gesundheit ist
Gleichgewicht der Hormone. Die Dysmenorrhöe beruht häufig auf einer
Ueberproduktinn der Oophorine. Adrenalin ist deren Antagonist. Dem¬
entsprechend wurde in zahlreichen Fällen mit Adrenalin in Dosen von
1—5 Decimilligramm ausgezeichnete Resultate erzielt. In anders ge¬
arteten Fällen wurden auch mit Pituitrin gute Erfolge erzielt.
Daniel-Jassy: Die elephantiastische Tiberknlose der Vulva
(primäre tuberkulöse Elephantiasis). (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn.,
Jan. 1913.) Die Tuberkulose der Vulva kommt vor als Lupus, in ulce-
röser Form und sehr selten als hypertrophische oder elepbantiastiscbe.
Ein derartiger Fall wird beschrieben. Die Behandlung bestand in Ex-
cision der Vulva samt den Leistendrüsen. Die Dauerresultate bei dieser
Behandlung sind meist wenig erfreuliche.
Bretschneider-Leipzig: Ueber die Ursachen, Therapie und die
forensische Bedeutung der violenten Gebärmntterverletznngen. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gyn., Jan. 1913.) 4 selbst behandelte Fälle. Bei
violenten Uterusrupturen usw. muss man in voraussichtlich nicht infi¬
zierten Fällen den Riss nähen und von der Totalexstirpation absehen.
Die instrumenteile Perforation eines gesunden Uterus ist stets als
Kunstfehler anzusehen, die eines kranken oder senil atrophischen nicht.
Ein grober Kunstfehler ist es, wenn die Perforation nicht erkannt und
weiter gearbeitet wird; dies führt zu den prognostisch ungünstigsten
Fällen. An jede Perforation, die mit grösseren Instrumenten als wie die
Sonde ausgeführt ist, ist die Laparotomie sofort anzuschliessen (ein Stand¬
punkt, der von den meisten Gynäkologen für reine Fälle wohl nicht ge¬
teilt wird. Der Ref.). Bei reinen Fällen ist der Riss zu nähen, bei
verdächtigen oder infizierten der Uterus zu exstirpieren.
L. Zuntz.
Krönig und Gaus-Freiburg: Die Strahlentherapie in der Gynäko¬
logie: Röntgen- oder Radinmtherapie? (Centralbl. f. Gynäkol., 1913,
Nr. 5.) Die Radiumtherapie kann mit schwach gefilterten und stark ge¬
filterten Strahlen geübt werden. Erst allmählich ging man von der
Oberflächen- zur Tiefenwirkung über. Durch Tierversuche wurde anfäng¬
lich festgestellt, dass bei Anwendung der stark gefilterten Strahlen,
ebenso wie dies bei den Röntgenstrahlen der Fall ist, die Haut weniger
geschädigt wird als bei schwach gefilterten. Es ergaben die Versuche,
dass das Optimum der Filterung bei 10 mm Aluminiumfilterung lag. Die
anatomischen Untersuchungen an den Versuchstieren Hessen ferner den
Schluss zu, dass es durchaus aussichtsvoll sei, die ultrapenetrierenden
Strahlen in der Radiumtherapie anzuwenden. Verff. verfügen jetzt über
56 Fälle, die alle der Radiumbestrahlung mit und ohne Kombination
mit Röntgenbestrahlung ausgesetzt sind. Die Anwendung gestattet den
Schluss, dass diese Therapie bei Myomen und Metropathien ausserordent¬
lich prompt wirke, ja dass die Anwendung der Radiumstrablen derjenigen
der Röntgenstrahlen sogar noch überlegen ist, namentlich in bezug auf
die Schnelligkeit des Erfolges. Trotz der erzielten Amenorrhoe wurde
aber eine so weitgehende Rückbildung der Tumoren, wie beim Röntgen-
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362
Nr. 8.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
verfahren, nicht erreicht. Es wird sich also empfehlen, neue Erfahrungen
darüber zu sammeln, wie man es anzustellen hat, der Radiumlherapie
gleich ausgedehnte Anwendung zu verschaffen, wie der Röntgentherapie.
So lange, bis dies geschehen, wollen sich die Autoren mit eiuer Kombi¬
nation beider begnügen.
F. Lehmann: Klimakterische Blutungen and Carcinomprophylaxe.
(Centralbl., f. Gynäkol., 1913, Nr.3.) KUmabterischeBlutuugeu gibt es nicht;
es ist nur eine Eigentümlichkeit des klimakterischen Alters, dass gerade in
diesem Alter häutig Endometritis auftritt. Es ist wohl berechtigt, von
einer hämorrhagischen Metropathie zu sprechen. Nun fällt aber unglück¬
licherweise ius Klimakterium sehr häutig der Beginn des Carcinoms. So
können sehr leicht Täuschungen über die Art der Blutung Vorkommen.
Wenn man also etwas erreichen will, müssen Arzt und Patient lernen,
jedo Blutung im Klimakterium gründlichst zu untersuchen bzw. zu be¬
handeln. Siefart.
Dubois-Bern*. Zur Frage der sogenannten AasfallserscheinaBgen.
(Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Februar 1913.) In Ueberein-
stimmung mit Wallhard wendet sich D. gegen die allgemein herrschende,
neuerdings wieder von Schi ekele besonders betonte Anschauung, dass
die Beschwerden des Klimakteriums allein auf dem Fortfall der inneren
Sekretion der Ovarien beruhten. Vielmehr spielen nach D. dabei psy¬
chische Momente die Hauptrolle, und dementsprechend kann man durch
eine vernünftige Psychotherapie ausgezeichnete Heilerfolge erzielen.
Neu-Heidelberg: Zur spezifischen Diagnostik and Therapie der
weiblichen Adnexgonorrhöe. (Monatssehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol.,
Februar 1913.) Zur Verwendung kam das Bruck’sehe Arthigon. Die
damit erzielten Resultate waren zusammengefasst, dass wir in der
Vaccination ein sicheres klinisches Diagnosticura nicht besitzen, und dass
der von anderer Seite (Fromme, Collmanu usw.) berichtete Heil wert
nicht festgestelit werden konnte.
Wo 1 ko witsch-Kiew: Ein Fall von hartnäckiger Harninkontinenz
bei einer Frau, der durch die von mir vorgeschlagene Operationsracthode
bei schweren Blasenfisteln geheilt wurde. (Monatsschr. f. Geburtsh. u.
Gynäkol., Februar 1913.) Die Methode besteht darin, dass der Uterus
als Stütze für die Urethra bzw. Blase verwandt wird. L. Zuntz.
Juble: Zur Kenntnis der Hypertrophia ntamnae. (Nord. med.
Arkiv, 1912, Afd. I, H. 2, No. 4.) Kasuistik. Aetiolog'sch spielt in
vereinzelten Fällen familiäre Disposition eine Rolle. Der Beginn der
Erkrankung fällt in der Mehrzahl der Fälle entweder mit der Pubertät
oder mit dem Eintreten einer Gravidität zusammen. Die Hypertrophien
machen häufig heftige Schmerzen; infolge des Druckes kommt es bis¬
weilen zu Atemnot. Ein spontanes teilweises Zurüekgehen wird nur bei
der Hypertrophie, die im Anschluss an eine Gravidität entstanden ist,
beobachtet. Therapeutisch kommen Bandagenbehandlung, Mastopexie
und in den schwersten Fällen Ablatio maramae in Betracht.
E. Uerzfeld.
Bleek-Bonn-Bielefeld: Uebcr Extraduralanästhesie für chirurgische
und gynäkologische Operationen. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol.,
Januar 1913.) Bei 2*2 auf das Gebiet der Sakralnerven beschränkten
Operationen versagte die Methode nie; bei Leistenbruch-, Blasen- und
Alexander-Adams-Opcrationen genügten minimale Aethermengen zur
Unterstützung. Für alle derartigen Operationen ist das Verfahren die
Methode der Wahl. Es wurden 20 ccm eiuer 2 proz. Novocaiulösung in¬
jiziert. Der Versuch, durch grössere Dosen und steile Beckenhoch Lage¬
rung eine hohe extradurale Anästhesie zu erzielen, ist zu verwerfen,
ebenso die Kombination mit dem Skopolamin-Dämmerschlaf.
L. Zuntz.
H. Küster-Breslau: Indikationen nnd Resultate abdominaler
Tampondrainage. (Münchener med. Wocheuschr., 1913, Nr. 5.) 1. Die
Tampondrainage nach Mikulicz ist wirksam zur Beherrschung der sog.
parenchymatösen Blutungen im kleinen Becken, wenn die sonst üblichen
Blutstillungsmethoden nicht ausreichen. 2. Sie ist ein sicheres Mittel
zur Erzeugung eines gegen das freie Peritoneum geschlossenen Kanals,
durch den Wundsekret aus der Beckenhöble abgeleitet werden kann,
nicht dagegen vermag sie eine dauernde Ableitung von Flüssigkeit aus
dem Peritonealraum zu garantieren. 3. Nachteile sind die Verlängerung
des Krankenlagers und die Gefahr der HernienbilduDg. 4. Angezeigt ist
die Tampondrainage a) bei Blutungen, b) wenn viel Wundsekret zu er¬
warten ist und c) bei Infektion bzw. Infektionsverdacht. 5. Kontra-
indiziert ist die Tampondrainage bei diffuser Peritonitis und Ascites.
Dünner.
L. Salle und A. Forraz: Die Tuberkulose der Adnexe. (Gaz.
de9 hop., 1912, Nr. 143.) Die Infektion erfolgt wohl meist auf endo¬
genem Wege. Hauptsymptome sind neben dem palpatorischen Befund:
Schmerzen, weisser und eitriger Fluor, Störungen der Menstruation, Ab¬
magerung, Schwäche und Labilität der Temperatur. Klinisch werden
unterschieden: Pelveoperitonitis mit Ascites, Perisalpingitis, die eitrig
werden kann, seLten chronisch-parenchymatöse Salpingitis, um so häufiger
aber der kalte Abscess der Tuben, endlich noch entzündliche Genital-
tuberkulose. Eine wirksame Therapie kann im allgemeinen nur in mehr
oder minder radikalem chirurgischen Eingriff bestehen.
Wartensleben.
Augenheilkunde.
E. Thon?son-GIasgow: Myoeloaus des .Inges., (Lancet, 18. Januar
1913, Nr. 4664.) Der Kranke hatte von der Geburt an unter Kopf¬
schmerzen und Ucbelkeit, Anfällen von rhythmischen Kontraktionen des
linken Orbicularis palpebr. und des Occipito-frontalis zu leiden. Die
Lidspalte wurde nicht völlig geschlossen. Zuweilen wurde der Krampf
unregelmässig. Wenn der Patient nicht accomm edierte und wenn das
Lieht nicht zu hell war, zogen die Pupillen sich ebenso rhythmisch zu¬
sammen wie die beiden Muskeln. Das Nervensystem war sonst gesund.
Brom brachte Linderung der Anfälle. Die Erscheinungen dieses Falles
entsprachen der Theorie von Mendel, dass normal vom Oculomotorius-
centrura Innervationen zum Orbicularis und Occipito-frontalis gehen.
Weydemann.
E. G uz m an n - "Wien: Ueber hereditäre, familiäre Sehnervei-
atropbie. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 4.) Der von G. beob¬
achtete Fall ist der sechste in einer Familie. Er betrifft ein weibliches
Mitglied dieser Familie in der lünften Lebensdekade, was einen ausser¬
ordentlich späten Termin für das Auftreten dieser Krankheit bedeutet.
P. Hirsch.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhelten.
R. Bäräny-Wien: Ueber einen Fall von vollständiger Wieder-
herstellang des Gehörs na:h kompletter, nahezu ein Jahr dauernder
Taubheit bei dem von Bär.iuy beschriebenen Symptomenkomplex.
(Wiener kliu. Wochenschr., 1913, Nr. 4) Nach einer in der Sitzung
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 10. Januar 1913 abge-
halteuen Demonstration. Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Brandenburg - Cassel: Eine exzessive knorpelige Schiefnase.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Nasenrücken war stark
verbogen, das Septum war in mehreren Ebenen und Richtungen geknickt
Es bestand eine Luxation der parallel dem Nasenrücken laufenden
Randzone der Cartilago quadrangularis. Es wurde zunächst diese
Luxation durch Keilexzision beseitigt und dann über korrigiert Weiter¬
behandlung mit dem Scbiefnasenapparat nach Joseph. Gutes Resultat
Abbildung. Wolfsohn.
Hygiene und Sanitätswesen.
Gärtner-Jena: Ueber Infektionen mit Typhas durch Quellen.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt 1, Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrift,
S. 214.) An der Hand von besonders eigenartigen Beispielen zeigt G.,
dass Quellen häufiger als man denkt Typhus vermitteln, und weist
darauf hin, wie vorsichtig man in der Beurteilung von Quellen überhaupt
sein muss; nur genaueste Untersuchung in regnerischen Zeiten und vor¬
sichtige Abschätzung aller Verhältnisse bei genau untersuchter Oertlich-
keit können vor Irrtüraern schützen.
W. Stein brück-Stolzenhagen bei Stettin: Zur Bekämpftng dop
Diphtherie. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64,
Löffler Festschrift, S. 207.) Mitteilung der Erfahrungen, die der Yerf.
in seiner langjährigen Tätigkeit als praktischer Arzt auf dem Lande bei
der Bekämpfung der Diphtherie sammeln konnte. Behandlung und
Prophylaxe sind hierbei nach ihm die ausschlaggebenden Faktoren.
R. Abel-Berlin: Erfolge und Mängel der Diphtheriebekämpfuug.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 64, Löffler-Festschrilt,
S. 229.) In Deutschland ist die Sterbeziffer für Diphtherie in den
letzten Jahrzehnten und namentlich nach Einführung der Serumtberapie
zwar sehr wesentlich herabgegangen, liegt aber immer noch über der¬
jenigen des Scharlachs. In den letzten Jahren ist sie kaum noch ge¬
sunken; auch ist sie in Deutschland höher als in anderen europäischen
Staaten. Selbst unsere grossen Städte mit ihrer guten Sanitätspolizei
haben noch beträchtlich unter der Diphtherie zu leiden. Es scheint
sogar, als ob einige Anzeichen für ein neuerdings einsetzendes Umsich¬
greifen und Schwererwerden der Krankheit sprechen. Von den gegen
die Weiterverbreitung der Diphtherie erforderlichen seuchenpolizeilichen
Maassregeln muss zunächst die Anzeigepilicht für jeden Krankheitsfall
unbedingt erfüllt werden; jetzt entgehen oft nicht ärztlich behandelte
Fälle der Meldung. Die Handhabung der weiteren Maassnahmen muss
schärfer sein. Die Bekämpfung sollte mehr als bisher auf die bakterio¬
logische Untersuchung gestützt werden. Bei Schulepidemien müsste auf
das Vorhandensein von Bacillenträgern gefahndet werden; die Wieder¬
zulassung Genesener zum. Schulbesuch sollte erst nach mehrmaligem
negativen Ausfall der bakteriologischen Untersuchung gestattet werden.
Es wäre wünschenswert, wenn die Kosten der Schlussdesinfektion auf
allgemeine Kosten übernommen würden; auch für Beschaffung von Heil¬
serum zu prophylaktischen Injektionen sollten öffentliche Mittel in weit
grösserem Maasstabe als bisher verfügbar gemacht werden.
Bierotte.
W. Beyer-Rostock: Diphtheriebacillen im Harn. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Bei allen seinen untersuchten Fällen
fand B. Diphtheriebacillen im UHd. Auch bei einem Bacillen träger
gelang der Nachweis. Bei vielen Patienten erstreckt sich die Bacillen¬
ausscheidung durch den Harn auf Monate. Eine Beeinflussung durch
Urotropimnedikation Hess sich nicht erzielen. Irgendwelche Schluss-
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
363
folgeraogen Ober Internierung von Bacillenausscbeidern lassen sich nicht
ziehen, da man, was wohl verständlich ist, auf einen unüberwindlichen
Widerstand von seiten der Patienten stossen wird.
A. Hegar-Wieslocb: Beitrag zur Frage der Sterilisierung ans
rftMthygienischen Gründen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.)
Eine wesentliche Reinigung des Volkes und Verringerung der Zahl der
Insassen von Gefängnissen und Irrenanstalten durch die Sterilisation von
geisteskranken Rechtsbrechern ist nicht zu erwarten. Die Kriminalität
ist als Anzeige für die rassehygienische Sterilisation nicht zu verwerten.
Man müsste mit der Sterilisation, um überhaupt etwas zu erzielen, schon
in früheren Lebensjahren beginnen; es käme dann aber auch die Steri¬
lisation der Erzeuger von defekten Individuen in Frage mit Rücksicht
auf weitere Nachkommen. Dünner.
Technik.
Gersing - Kreuznach: Eine KiüBstfltze zur Verhinderung des
Schiarchens. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Stehkragen¬
artige Halsbinde mit Auflagen für das Kinn. Der Kopf muss so ge¬
lagert werden, dass er nicht zurücksioken kann. Wolfsohn.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 12. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr Israel.
Vorsitzender: In der Sitzung der Aufnahmekommission am
5. Februar 1913 wurden nachstehende Herren Doktoren aufgenommen:
Willy Misch, Max Glass, Paul Leubuscher, Aloys Wagner,
A. Gottheiner, Ritter (Zahnarzt), Edwin Silbermann, J. Gold-
stein, Bruno Moses, Tachan, Prof. Cremer, Fritz Munk, San.-
Rat Sand.
Als Gast befindet sich unter uns Herr Dr. Edwin Pfister aus
Cairo. Ich begrüsse ihn.
Für die Bibliothek ist eingegangen: Von Herrn A. Albu:
Grundzüge für die Ernährung von Zuckerkranken. Halle a. S, 1912.
Tagesordnung.
1. Hr. Engen Joseph:
Demonstration eystoskopiseher Bilder von Bilharzia der Blase.
(Kurze Demonstration.)
Ich batte vor ungefähr zwei Monaten Gelegenheit, einen ägyptischen
Herrn zu untersuchen, der an Blasenbeschwerden litt. Es war bereits
vor der Cystoskopie klar, dass die Ursache dieser Blasenbeschwerden
die Bilharzia haematobium war, die ägyptische Krankheit, weil die
Herren, die den Patienten mir zur Untersuchung überwiesen, Bilharzia-
eier im Urin uod im Stuhlgang gefunden hatten. Die Herren Albu
und Kalemann, welche diesen Befund erhoben hatten, wollten sich nur
über die Ausdehnung der Erkrankung in der Blase informieren.
Die Bilder, die ich bei der Cystoskopie erhielt und zeichnen liess,
sind deshalb besonders charakteristisch ausgefallen, weil die Bilharzia
in diesem Falle völlig unkompliziert war, weder durch Neoplasma¬
bildung noch durch Concrementbildung, so dass die Bilder, die ich vor¬
fand, reine Bilharziabilder waren.
Ich möchte Ihnen diese Bilder wegen der Seltenheit der Erkrankung
hier kurz demonstrieren.
Man sah in der Blase massenhaft Eier als rundliche, an Schnee¬
beeren erinnernde Gebilde. Sie sind glänzend, prominent unter der
Schleimhaut, sehen etwas blasig aus, und auf den ersten Blick miliaren
Tuberkeln ähnlich. Sie sind allerdings etwas grösser, aber die Unter¬
scheidung ist doch leicht, weil die miliaren Tuberkel gewöhnlich dicht
an den Gefässschlingen sitzen. Das kann man von den Bilharziaeiern
nicht sagen. Es ist ein relativ seltener Befund, dass die Eier sich so
frei durch die Schleimhaut hindurch präsentieren, wie es hier der Fall
ist. Für gewöhnlich sind die Eier als Fremdkörper von festen Granu¬
lationen umschlossen und werden von ihnen vollkommen verborgen.
Das zweite Bild zeigt den richtigen Bilharziatumor, wie ihn nament¬
lich die auf diesem Gebiete an Erfahrungen sehr reichen Franzosen be¬
schrieben haben. Sie haben sehr passend diesen Tumor, der sehr
charakteristisch ist, mit einem Champignon verglichen, dieser Ausdruck
stammt von Legen.
Hier sehen Sie schliesslich einen etwas cyanotischen Tumor, der
etwas länglicher gestaltet ist und an der Oberfläche dieses eigentümliche,
erdbeerformige Gebilde trägt. Es kommt dadurch zustande, dass die
Granulationen frei an die Oberfläche durchbrechen. Das Rote, Körnige
sind Granulationen, richtige, echte ‘Granulationen, Fremdkörpergranu¬
lationen, wie sie sich um jeden Fremdkörper im Organismus bilden.
Diese freien Granulationen können Sie auch länglicher angeordnet finden,
und dann kommt das zustande, was die Franzosen als Hahnenkarara be¬
schrieben haben. Diese freie Granulationsfläche ist ebenfalls für Bilharzia
charakteristisch. Sie gibt gleichzeitig eine Erklärung für die häufigen
Blutungen bei Bilharzia. Durch die Zersetzung des Urins zerfallen die
Granulationen; die zarten Gefässschlingen fangen zu bluten au und geben
dadurch zu operativen Eingriffen Anlass.
Ich möchte noch binzufügen, dass die Behandlung dieser Fälle, so¬
weit sie nicht durch Concrement- oder maligne TumorbilduDg oder sehr
starke Blutungen oder sehr starken Harndrang kompliziert sind, so dass
die Patienten sich sehr quälen oder sich in ihrem Leben bedroht fühlen,
zunächst rein konservativ sein soll. Auch dieser Patient wird zunächst
konservativ mit Copaivbalsam oder Methylenblau behandelt. Man würde
erst später daran denken, wenn er sich unter dieser Behandlung nicht
bessert, ihn etwas eneigischer anzufassen. Es ist ja verschiedentlich die
Sectio alta bei diesen Erkrankungen gemacht worden. Wie mir Herr
Kollege Pfister auf Grund seiner reichen, in Cairo gesammelten Er¬
fahrungen sagte, empfiehlt sich auch Extraetum filieis maris bei
Bilharzia.
Diskussioo.
Hr. Ernst R. W. Frank: Ich möchte im Anschluss an die inter¬
essante Demonstration darauf hinweisen, dass die Engländer, die auf dem
Gebiete der Bilharzia aus ihren Kolonien grosse Erfahrungen besitzen,
die Beobachtung gemacht haben, dass Menschen, welche in Aegypten,
in Natal und in anderen Distrikten Afrikas schwer an Bilharzia der
Harnwege erkrankt waren, die an schweren Blutungen gelitten hatten,
sich, sobald sie Dach Europa zurückkehren und also vor der Möglichkeit
neuer Infektion geschützt sind, sich so rasch und so erheblich bessern,
dass bei kolonialen Soldaten zum Beispiel Bilder sehr schwerer Blasen¬
erkrankung niemals gesehen werden. Ich habe Gelegenheit gehabt, in
London eine Reihe einschlägiger Fälle zu untersuchen und konnte Ihnen
in der vorigen Sitzung auch einige der von mir dort aufgenommenen
Blasenbilder zeigen. Diese erheblichen Granulome hatten sich so zurück¬
gebildet, dass man nur relativ geringfügige Affektionen fand, und dass
die Leute dementsprechend auch im grossen und ganzen keine Blutungen
hatten und frei von Beschwerden waren. Sie gaben mir allerdings an,
dass ohne irgendwelche Ursache, auch ohne irgendwelche besonderen
subjektiven Erscheinungen von Zeit zu Zeit ganz leichte Blutungen sie
daran erinnerten, dass sie nicht ganz geheilt seien, und auf diesem
Gebiet besonders erfahrene Londoner Kollegen berichten mir von so er¬
heblichen Besserungen, dass die Leute gar keiner Behandlung bedürften,
dass aber ein objektiver Beweis für die Ausheilung der Krankheit bis
jetzt noch nicht erbracht worden wäre.
Ich will noch erwähnen, dass zwei in Natal erkrankte Soldaten an-
gaben, dass die Eingeborenen sich mit Erfolg durch reichlichen Genuss
von Salzwasser behandeln. Es waren damals Versuche in dieser Richtung
im „Milbank“ in London im Gange. Ich habe aber bisher über ein Er¬
gebnis noch nichts erfahren können.
2. Hr. M. Rothmann:
Gegenwart and Zukunft der Räckenmarkschirargie.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Stadelmann: Herr Kollege Rothmann bat auf Grund seiner
sehr schönen Tierexperimente gewisse Rückschlüsse auf die Verhältnisse
beim Menschen gemacht, wie ich anerkenne in durchaus sehr vorsichtiger
Weise, und er bat uns die Verhältnisse klargelegt, wie sie sich da bei
den Menschen gestalten würden. Nun ist mir ein PuDkt besonders auf¬
gefallen. Herr Kollege Rothmann hat, soviel ich von ihm gehört und
verstanden habe, nur Durchschneidungsversuche gemacht. Bei Tumoren
wäre ja die Sache so, dass man da nicht eine Durchschneidung machen,
sondern grössere Stücke herausschneiden müsste. Es wäre doch von
ausserordentlichem Interesse, wenn Herr Kollege Rothmann auch der¬
artige Experimente bei Tieren machte. Vielleicht hat er das schon
getan, dann möchte ich um eine Mitteilung darüber bitten, ob sich
nicht die Verhältnisse ganz anders gestalten, wenn er bei Tieren gewisse
Teile des Rückenmarks in grösserer Ausdehnung herausschneidet, als
wenn er nur Durohtrennungsversuche macht. Um das auf den Menschen
anwenden zu können, wären gerade solche Versuche von eminenter Be¬
deutung.
Hr. Borchardt: Ich glaube, wir alle, namentlich wir Chirurgen,
müssen Herrn Rothmann sehr dankbar sein für die vielfachen An¬
regungen, die uns sein Vortrag gebracht hat.
Dass er mit seinem Vorschläge im Jahre 1907, man solle intra¬
medulläre Tumoren operieren, recht behalten hat, das haben Sie aus
der Kasuistik ersehen.
Vor allem müssen wir Herrn Rothmann dankbar sein, für die
interessanten Mitteilungen, die beweisen, dass das Rückenmark doch
sehr viel mehr verträgt, als wir Chirurgen bisher annabmen. Wir haben
das Rückenmark immer als ein viel subtileres Organ betrachtet als das
Gehirn, und haben jedwede, auch die kleinste Verletzung nach Mög¬
lichkeit zu vermeiden gesucht.
Ich möchte nur auf einen Punkt hier noch eingehen, das sind die
intramedullären Tumoren. Herr Kollege Rothmann hat uns eine ver¬
hältnismässig grosse Kasuistik, die innerhalb weniger Jahre erschienen
ist, mitgeteilt. Ich glaube, wenn man diese Kasuistik liest, so muss
man vorsichtig sein in der Bewertung der Fälle. Es ist meiner
Ueberzeugung nach durchaus nicht für alle Fälle ganz sicher erwiesen,
dass es sich wirklich um echte intramedulläre Tumoren gehandelt hat.
Ich sehliesse das aus meinen eigenen Erfahrungen. Ich habe eine ganze
Reihe von Rückenmarkstumoren operiert. Da habe ich in einigen
Fällen, die ich mit Herrn Prof. Oppenheim zusammen beobachtet
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UNIVERSUM OF IOWA
364
Nr. 8.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
habe, als sicher angenommen, ich hätte intramedulläre Tumoren operiert,
deshalb, weil ich an den Tumor gar nicht anders herankam, als mittels
Durchschneidung von Rückmarkssubstanz, und doch habe ich dann
namentlich auf Grund eines Sektionsbefuudes, den wir gemeinsam er¬
hoben, gesehen, dass ich mich geirrt hatte, dass es keine intramedullären
Tumoren waren, sondern extramedulläre, die allerdings so in die Medulla
hineingewachsen waren, dass man Rückenmarkssubstanz durchtreunen
musste, um sie ausschälen zu können.
Ich meine, man darf nur die Fälle als intramedulläre Tumoren be¬
zeichnen, bei denen sich nach Herausnahme der Geschwulst wirklich an
allen Seiten Rückenmarkssubstanz findet, und ich möchte aonehmeu,
dass die Zahl derartiger Tumoren doch nicht so gross ist, als es nach
der Kasuistik den Anschein haben könute.
Ich selbst habe leider bisher circumscripte, echte intramedulläre
Tumoren nicht gesehen. Die intramedullären, die ich gesehen habe,
sind alle mehr oder weniger diffus gewesen, und ich habe, wie gesagt,
den Verdacht, dass es sich bei manchen Fällen von scheinbar intra¬
medullären Tumoren um Geschwülste gebandelt hat, die von der Rücken¬
markshaut ausgingen und nur in das Rückenmark hineingewachsen
waren. Ich möchte an die Herren Pathologen die Bitte richteu, wenn
Sie in Ihren Sammlungen circumscripte, intramedulläre Tumoren habeD,
uns diese einmal zu demonstrieren.
Hr. Oppenheim: Das, was ich sagen wollte, hat im wesentlichen
Herr Borchardt mitgeteilt. Aber ich möchte doch noch einige er
gänzende Bemerkungen machen.
Zunächst will ich anführen, dass ich persönlich, als die Frage der
Operation der intramedullären Tumoren auftauchte, mich ablehnend ver¬
halten bzw. mich sehr skeptisch ausgesprochen habe, weil nach der bis
dahin vorliegenden allgemeinen Erfahrung diese Geschwülste gar kein
Objekt der chirurgischen Therapie bilden konnten. Aber man kann
dagegen den Einwand erheben, dass diese Erfahrungen doch nur an
Leichen gewonnen waren. Es handelt sich da um langgestreckte Ge¬
schwülste, um Geschwülste, die den Typus des langgestreekteu Glioms
haben, oder um diffuse, sarkomatöse Geschwülste, während wir über die
circurascripten, ganz scharf abgegrenzten so gut wie gar nichts wussten,
und gerade diese wie die centralen Tuberkeln für diese Behandlung aus¬
geschlossen zu sein schienen. Aber die Erfahrung geht doch schliesslich
über alles. Das, was wir gerade in den letzten Jahren erfahren haben,
und was Herr Roth mann so schön zusammengefasst hat, hat auch
mich zu der Ueberzeugung gebracht: es gibt eine operative Therapie
der intramedullären Tumoren, aber sie wird sich doch immer nur auf
eine ganz kleine Gruppe von Affektionen erstrecken, und ich stütze
mich dabei nicht nur auf die von anderen gebotenen Mitteilungen,
sondern auch auf eigene Erfahrungen, auf die Herr Borchardt zum
Teil schon hingewiesen hat.
Es wird Sie vielleicht interessieren, über die beiden Fälle, die ich
mit Herrn Borchardt beobachtet habe, etwas Näheres zu erfahren.
In dem einen dieser Fälle hatte ich geschwankt zwischen der An¬
nahme eines extra- oder eines intramedullären Tumors am Halsmark.
Herr Borchardt hat die Operation ausgeführt und einen intramedullären
Tumor gefunden, der allerdings von den Meningen ausgegangen zu sein
scheint. Der Tumor konnte glatt entfernt werden. Es war aber ein
68jähriger Mann; es kam eine Pneumonie hinzu, und daran ist er zu¬
grunde gegangen.
In dem zweiten Falle, den wir dann beobachtet haben, ist indes
der Verlauf doch günstiger gewesen. Die Verhältnisse lagen ganz analog:
wiederum eine Geschwulst, die im Halsmark sass, scheinbar ganz von
dem Mark umgeben. Ich lasse es aber auch hier dahingestellt, ob nicht
doch die Meningen der Ausgangspunkt gewesen sind und ein Hinein¬
wuchern in das Mark stattgefunden hat. Kurz und gut, hier konnten
wir so recht erkennen, wie die Enucleation einer derartigen, vom Rücken¬
mark umschlossenen, wachsenden Geschwulst doch nur unter sehr
schweren Läsionen der Gesamtsubstanz möglich ist. Es ist gelungen,
das Leben zu erhalten und das Leiden zum Stillstand zu bringen. Aber
ein so schöner Ausgleich der Funktionsstörungen, wie wir ihn fast immer
bei der Wegnahme der extramedullären Geschwülste beobachten, ist hier
nicht erfolgt.
Ich gebe also, um zum Schluss zu resümieren, Herrn Roth mann
zu: es gibt intramedulläre Neubildungen, die der chirurgischen Therapie
zugänglich sind. Es bleibt der weiteren Entscheidung Vorbehalten, ob
diese einen extra- oder einen intramedullären Ursprung haben. Das
würde aber schliesslich für die Praxis keine wesentliche Rolle spielen,
es ist mehr eine wissenschaftliche Frage. Die Indikationen werden
jedoch immer nur begrenzt sein, und die Resultate werden sich jeden¬
falls mit denen, welche auf dem Gebiete der extramedullären Geschwülste
erzielt werden, nicht messen können.
Eiue kurze Bemerkung muss ich aber noch zu einer anderen Frage
machen, die Herr Roth mann angeregt hat. Er deutete an, dass man
eventuell die Athetose, die ja ein ungemein quälendes Leiden ist, für
die wir gar zu gern eine Therapie haben möchten, durch eine Durch¬
schneidung des Seitenstranges bessern, bzw. heilen könne. Es wäre
wirklich ein Glück, wenn uns ein solcher Weg zu Gebote stände. Ich
muss da aber doch starke Zweifel aussprechen. Erstens ist die Athetose
ein Leiden, welches fast immer den Arm, diesen ganz vorwiegend und
fast ausschliesslich befällt, das Bein in zweiter Linie und selten in so
quälender Form. Dann aber bin ich durchaus nicht sicher, ob die Aus¬
schaltung des SeitenstraDges einen heilenden Einfluss haben wird. Ich
erinnere da an die bekannten Fälle von spastisch-athetotischer Diplegie,
bei denen die Natur schon das geschaffen hat, was Herr Roth mann
als Therapie vorgeschlagen hat. Es scheint also der Symptomenkomplex
der Athetose bestehen zu können trotz bestehender Seitenstrangsdegene¬
ration. Deshalb ist es mir recht unwahrscheinlich, dass eine Durch¬
schnei düng der PyramidenbabD, die doch ein immerhin bedeutender
Eingriff ist, hier zu einem curativen Erfolge führen wird.
Hr. Otto Maas: Im Hinblick auf den Vorschlag des Herrn Roth-
mann, intramedulläre Geschwülste operativ zu entfernen, möchte ich
darauf hinweisen, dass es sicherlich Fälle gibt, in denen eine grosse
intramedulläre Geschwulst besteht, wo somit starke Kompression ein-
gewirkt haben muss, wo aber dennoch die Vernichtung von Rücken¬
markssubstanz keine allzu grosse Ausdehnung genommen hat.
So habe ich vor einigen Jahren (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neu¬
rologie, 1910, Bd. 28, Ergänzungsh.) einen Fall vod Recklinghausen’scher
Krankheit demonstriert, bei dem im Cervicalmark ein sehr grosser intra¬
medullärer Tumor lag, um den nur ein ganz schmaler Streifen von Rücken¬
markssubstanz erhalten war; man musste demnach eine starke ab¬
steigende Degeneration erwarten, und ich war sehr überrascht, bei der
histologischen Untersuchung des Falles zu sehen, dass im Dorsal- und
Lurabalmark nur ganz unbedeutende absteigende Degeneration be¬
stand. Meines Erachtens zeigt ein derartiger Fall, dass unter Um¬
ständen, vielleicht infolge langsam eingetreteuer Kompression, auch bei
grossen intramedullären Geschwülsten nur ein kleiner Teil des Rücken¬
marks völlig zerstört ist, so dass nach Entfernung des Tumors weit¬
gehende Besserung eintreten könnte.
Hr. Roth mann (Schlusswort): Ich bin den Herren, die zu dieser
Frage das Wort genommen haben, für ihre Anregungen sehr dankbar.
Im allgemeinen möchte ich betonen, dass meine Ausführungen wohl zum
Teil durch die klinische Erfahrung unterstützt werden, zum Teil aber,
so vor allem hinsichtlich der „physiologischen“ Eingriffe bei der
Athetose, nur Anregungen für die Zukunft darstelleu.
Was zunächst die Frage des Herrn Stadelmann betrifft, so habe
ich bei den experimentellen Eingriffen allerdings nicht ganze Stücke
herausgenommen, aber ich habe wiederholt den gleichen Rückenmarks-
abschuitt in zwei Segmenten untereinander durchschnitten. Das macht
in bezug auf die Ausfallserscheinungen keinen Unterschied. Da es sich
nun bei den intramedullären Tumoroperationeu um Eingriffe in ein,
höchstens aber zwei Rückenmarkssegmente bandeln dürfte, so bann, in¬
soweit die Rückenmarksläsion auf bestimmte Stränge beschränkt bleibt,
keine wesentliche Differenz gegenüber den Schnitten des Experiments
bestehen. Das beweisen ja auch die schon vorliegenden günstigen
Operationsergebnisse.
Ich freue mich, dass Herr Borchardt bereit ist, solche Operationen
in geeigneten Fällen auszuführen. Was die von den Herren Borchardt
und Oppenheim behandelte Frage betrifft, ob die im Rückenmarks¬
gewebe eingeschlossenen Tumoren echte Rückenmarkstumoren sind oder
nur sekundär von den Häuten aus in das Rückenmark eingedrungen
sind, so weise ich vor allem auf den erfolgreich operierten Fall von
Veraguth und Brun hin. Hier fand sich zuerst nach Eröffnung der
Dura gar nichts, und erst nach längerem Sueben entdeckte man am
Riichenmark einen kleinen Fleck, von dem aus man auf den Tumor, der
makroskopisch völlig intramedullär lag, eindrang und ihn entfernen
konnte. Früher hätte man einen solchen Fall seinem Schicksal über¬
lassen, ob er nun von den Häuten ausging oder intramedullär entstanden
war. Praktisch ist also dieser Unterschied gleichgültig. Muss man den
Tumor aus dem Rückenmark herausschneiden, so handelt es sich um
einen intramedullären Eingriff. Es liegen aber bereits einige glücklich
operierte Fälle vor, bei denen an dem rein medullären Sitz der Ge¬
schwulst nicht gezweifelt werden kann. Hierher gehören unter anderen
der Fall von Eisberg und Beer mit einem Gliom der Hinterstränge
und der Fall von Schultze mit einem in den Hintersträngen gelegenen
Angiom.
Unbedingt gebe ich Herrn Oppenheim zu, dass die Operationen
viel schwieriger sind als bei den extramedullären Geschwülsten und die
Erfolge dementsprechend geringere sein werden. Aber es handelt sich
um ohne Eingriff verlorene Menschen, und die vorliegenden Operationen
beweisen, dass man in geeigneten Fällen solche Kranke operieren und
zur Heilung bringen kann.
Was endlich den Eingriff bei der Athetose betrifft, so habe ich mich
sehr vorsichtig ausgedrückt. Ich habe zunächst zu dem Versuch einer
partiellen Durchscbneidung der Pyramidenseitenstrangbahn im unteren
Brustmark nur in den nicht häufigen Fällen von einseitiger Athetose
des Beins geraten. Die häufigeren und schwereren Atbethosen des Arms
sollte man zunächst ganz beiseite lassen und erst die nötigen Erfahrungen
am Bein sammeln. Nun hat Herr Oppenheim die Fälle schwerer
cerebraler Diplegie mit Athetose angeführt, bei denen die Athetose
trotz Pyramidendegeneration besteht. Das 9ind die schweren angeborenen
Fälle mit Hemmungsbildungen in der Hirnrinde und den grossen Ganglien,
die hier natürlich nicht in Frage kommen. Bei den einseitigen Fällen
von Athetose ohne schwere spastische Erscheinungen dürfte aber die
Einengung der motorischen corticospinalen Leitung, wie sie die Partial-
durchtrennung des Hinterseitenstranges darstellt, von günstigem Einfluss
sein. Das letzte Wort muss hier der praktische Erfolg sprechen.
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24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
365
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Februar 1013.
1. Hr. J. Wohlgenullt: Untersnchongen Aber Blutgerinnung.
Vortr. schildert eingehend seine Methoden der quantitativen Be¬
stimmung des Fibrinferments und des Fibrinogens. Sie sind Reihen¬
methoden und eignen sich sehr gut für den Vergleich verschiedener
Fibrinferment- und Fibrinogenlösungen. Die Ausführung beispielsweise
der Fibrinfermentbestimmung gestaltet sich im Prinzip so, dass eine
Reibe von Reagenzgläsern mit absteigenden Mengen der Fibrinferment-
lösuQg (Serum) beschickt und jedem Gläschen die nämliche Menge eines
verdünnten Magnesiumsulfatplasmas zugesetzt wird. Hiernach kommt
die Reihe auf 24 Stunden in den Eisschrank, und nach Ablauf der
Frist wird festgestellt, welche Fibrinfermentmenge noch genügt, um ein
Gerinnsel zu erzielen. Diese gilt als Ff-Einheit, und man berechnet
nun, wieviel solcher Einheiten in 1 ccm der Fibrinfermentlösung ent¬
halten sind. Ganz analog ist die Methode der Fibrinogenbestimmung.
Mit Hilfe dieser Methode wurde zunächst die noch immer strittige Frage
zu entscheiden versuoht, ob der Gerinnungsprozess ein fermentativer ist
oder nicht. Es konnte gezeigt werden, dass bei der Gerinnung Thrombin
nicht verbraucht wird, es verhält sich also wie ein Ferment. Sodann
gelang der Nachweis einer gerinnungshemmenden Substanz in der frischen
Intima der Aorta von Hund und Kaninchen, bisweilen auch in der
menschlichen Aorta. Doch war der Befund hier kein regelmässiger,
wahrscheinlich deshalb, weil das zur Verwendung gekommene mensch¬
liche Material stets von Leichen stammte, die längere Zeit gelegen
hatten. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass diese
gerinnun gshemmende Substanz an der Erhaltung des flüssigen Zustandes
des Blutes beteiligt ist. Als Bildungsstätte des Fibrinogens dürfte in
erster Reihe die Leber in Betracht kommen. Dafür spricht die Beob¬
achtung, dass die Unterbindung des Pankreasganges, die eine Mobili¬
sierung des Leberglykogens bedingt, auch eine starke Ausschwemmung
des Fibrinogens aus der Leber zur Folge hat. Auch Versuche an
Hunden, bei denen sämtliches Blut der Vena cava in die Vena portarum
und durch die Leber geleitet wurde, scheinen dafür zu sprechen. Im
Harn findet sich eine gerinnungshemmende Substanz, die in Alkohol
leicht, io Aetber etwas schwerer löslich ist, die dialysiert und koch¬
beständig ist.
2. Hr. Friedenthal trägt einige kleinere Mitteilungen ans dei
verschiedensten Arbeitsgebieten der Physiologie vor.
a) Rotationsfilter zur Ultrafiltration. Der Bechhold’sche Apparat
für Ultrafiltration ist etwas schwierig zu handhaben. Man kann den
notwendigen Ueberdruck bei der Filtration ersetzen durch Centrifugal-
druck. Filter aus gepresstem Papier können durch Einsaugen von
Gelatinelösungen jeden beliebigen Grad der Undurchlässigkeit erhalten.
Je schneller der Apparat rotiert, desto reichlicher ist die Trennung von
Lösungsmittel und Suspension. Der Apparat wird von den Vereinigten
Fabriken für Laboratoriumsbedarf, Berlin N., Soharnhorststr. 22, an¬
gefertigt.
b) Demonstration einer Wandtafel, welche die Formverwandtschaft
des menschlichen Embryo mit anderen, oft zoologisch weit entfernten
Tieren demonstriert. Verblüffend ist die Aehnliohkeit junger Crecilier-
embryonen (Amphibien) mit Menschenembryonen, welche die Richtigkeit
der jetzt häufig angezweifelten biogenetischen Entwicklungsregel aufs
neue vor Augen führen. Es erscheint nicht selbstverständlich, dass ein
Tier mit später winzigem Gehirn in der Grösse der Anlage des Gehirns
beim Embryo nicht zurücksteht hinter dem Menschenembryo mit seiner
voluminösen Hirnanlage. Vortr. zeigt, dass sich die Richtigkeit der
biogenetischen Ent wicklungsregel auch an der Bildung der Blutelemente
bequem demonstrieren lässt, und zeigt die Aehnlichkeit der Blut¬
körperchen junger menschlicher Embryonen mit den Blutkörperchen von
Petromyzon, eine Aehnliohkeit, welche selbst auf die absolute Grösse
sich erstreckt.
c) Demonstration der Haarverwandtschaft zwischen Mensch und
Menschenaffe als Beweis für die Richtigkeit der Huxley’schen Regel,
dass Mensch und Menschenaffe in vielen Punkten einander ähnlicher
sind als Menschenaffe und niederer Affe. Zur Frage der Aehnlichkeit
der Haarläuse führt Verf. an, dass er Läuse von der Gattung Pediculus
auch beim Hylobates gefunden hat, auch deren Eier schon 1908 bei
Akles, einem amerikanischen Affen. Im übrigen Tierreich ist die Gattung
Pediculus bisher nirgends nachgewiesen. Von Dr. Pfungst erhielt
Vortr. vom Mantelpavian Exemplare einer Art von Chirodectes einer
haarfressenden, nicht blutsaugenden Läuseart, welche bisher wohl bei
Hunden, niemals aber bei einer Affenart gefunden worden sind. Vortr.
fand beim Menschen entsprechend den drei Hauptformen der Behaarung
verschiedene Formen der GattuDg Pediculis capitis. Die Kopfläuse der
kraushaarigen Menschenstämme gehen nicht über auf Individuen der
schlichthaarigen und stoffhaarigen Menschenstämme. Die Läusegattung
Phtirius ist bisher nur bei Australiern und schliohthaarigeu Rassen ge¬
funden worden, niemals bei kraushaarigen Rassen. Ob Phtirius bei den
Ostasiaten gefunden wird, scheint nicht bekannt zu sein. Die spezifische
Anpassung blutsaugender Parasiten geht aber noch weiter, als man
bisher geglaubt hatte, doch gibt es ganz spezifisch angepasste, ebenso¬
wohl wie sehr wenig wählerische Parasitenarten.
d) Für Anregung des Wachstums bei Säuglingen durch vermehrte
Zufnhr von Nervenreizen empfiehlt Vortr. den Gebrauch einer Haar¬
bürste aus feinen, weichen Drähten mit Anregung schwacher tetani-
sierender elektrischer Ströme, ferner den Gebrauch eines Strampel¬
korbes zur Befreiung der Beine der Säuglinge von dem Gewioht der
Bettdecke und macht noch einmal aufmerksam auf die Wichtigkeit der
Innehaltung der Temperatur der gereichten Nahrung, weil die Süssigkeit
des Milchzuckers ganz anders als bei vielen anderen Zuckerarten ausser¬
ordentlich von der Temperatur abhängt. Die Zufuhr der Geschmacks-
reize für die süss empfindenden Geschmackspuukte ist für den Säugling
nötig zur reflektorischen Erzeugung und Stärkung einer stärkeren Magen¬
darmdurchblutung, ohne welche die Nahrung nicht genügend ausgenutzt
werden kann. Bisher ist dieser Punkt nicht immer genügend beachtet.
Vortr. liess Doppelmilchflaschen herstellen, welche die Milch be¬
deutend länger warm halten, ohne evakuiert oder versilbert zu sein.
e) Durch Verwendung von Farbgemischen, welche mehrere basische
Farbstoffe enthalten, z. B. Methylenblau und Neutralrot oder Nilblau¬
sulfat und Neutralrot, kann man eine vorläufige Differenzierung von
Bakterienkolonien auf Agarplatten und Gelatineplatten erzielen, da die
Mehrzahl der Kolonien aus der Mischung nur einen Farbstoff anzieht
und man bei Kot- und Milchuntersuchungen leuchtendrote, ganz blaue
und violette Kolonien mit blossem Auge unterscheiden kann.
3. Demonstration einiger neuer von Herrn Oehmke gebauter Apparate
zur Blutdruckbestimmung beim Menschen.
Gesellschaft der Gharitd-Aerzto.
(Offizielles Protokoll.)
SitzuDg vom 9. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Scheibe.
Tagesordnung.
1. Hr. Orth:
Demonstration topographisch-pathologisch-anatomischer Präparate.
M. H.! Die Herstellung topographisch - pathologisch - anatomischer
Präparate ist nichts Neues. Kollege Ponfick hat schon vor Jahren
einen Atlas herausgegeben, den er in der Weise hergestellt hat,
dass er von gefrorenen Leichen Schnitte anfertigte. Auf dem Deutschen
Pathologentage in Erlangen hat Herr Hauser die Sache wieder auf¬
genommen; er hat vor allen Diugen auch angegeben, wie man, ohne das
Aeussere der Leiche gar zu sehr zu schädigen, das knöcherne Skelett,
wenigstens den Thorax, herausnehmen, gefrieren lassen und zu Prä¬
paraten herstellen kann. Ich war auf dem Pathologentage nicht an¬
wesend, und wie das so geht, man liest nachher die Sache auch nicht
genügend, so dass diese Anregung zunächst bei mir unfruchtbar ge¬
blieben ist. Ich hatte dann aber Gelegenheit, auf meiner Reise im
vorigen Herbst einige so hergestellte Präparate zu sehen, und die haben
mir so gefallen, dass ich sofort, als ich hierher kam, die Saohe in die
Hand genommen habe. Wir haben nun schon eine Anzahl Leiohen be¬
nutzt, um derartige topographische Schnitte herzustellen. Ueber die
Weiterbehandlung der Schnitte wird nachher Herr Prof. Kaiserling
noch ein paar Worte sagen. Ich habe eine ganze Anzahl von Prä¬
paraten im Nebenraum aufstellen lassen, an denen Sie sich überzeugen
können, dass diese Schnitte in der Tat äusserst lehrreich sind. Wir
haben uns nicht mit einem Schnitte begnügt, sondern wir haben mehrere
gemacht, so dass wir Serienschnitte von etwa Zweifingerdicke bekommen
haben. Da hat sich eine Schwierigkeit herausgestellt, dass nämlich die
Lunge, wenn die Schnitte nachher wieder aufgetaut waren, nicht recht
in ihrer Lage bleiben wollte. Herr Kaiserling wird diesem Uebel-
stande zu begegnen versuchen. Von einem Teil unserer Präparate habe
ich Diapositive herstellen lassen und möchte Ihnen ein paar von diesen
Fällen vorführen. Die Diapositive mussten sehr schnell hergestellt
werden, es war nicht immer das geeignete Wetter; einige sind nicht so
gut geworden, wie wir gewünscht hätten, aber man wird auch bei ihnen
das Wesentliche sehen können. Wir haben die Schnitte teils horizontal,
teils frontal gemacht.
Demonstration und Erläuterung von Lichtbildern: Käsige Pneumonie.
Es folgte bei einem Kinde einseitige tuberkulöse Spitzenschrumpfung,
doppelseitige Lungenschwindsucht mit Cavernen, desgl. mit links¬
seitigem Pleuraexsudat, desgl. mit linksseitigem Pyopneumothorax, desgl.
mit linksseitigem Pneumothorax, Hydrothorax duplex bei Schrumpfniere
mit Herzhypertrophie, Aneurysma der Aorta bis in den Wirbelkanal und
unter die Rückenhaut vorgedrungen, Pankreaskrebs mit Leber-, Lungen-,
Lymphdrüsenmetastasen.
Ich glaube, diese paar Präparate werden Ihnen gezeigt haben, dass
man mit dieser Methode in der Tat sehr schöne Präparate gewinnen
kann. Man kann sie gewinnen, ohne dass der Leiche aussen anzusehen
ist, welche grosse Entnahme bei den Körpern gemacht worden ist. Im
Nebenraum sind noch mehr Schnitte aufgestellt, darunter auch ein
schönes Präparat von Mediastinaltumor, der in den Herzbeutel ge¬
wachsen ist und eine schwere hämorrhagische Pericarditis erzeugt hat.
Diskussion.
Hr. Kaiserling: M. H.! Eigentlich hatte ich nicht die Absicht,
Ihnen heute einiges über die Methodik und unsere Kniffe bei der Her¬
stellung der topographischen Präparate mitzuteilen. Dass ich doch der
sanften Gewalt meines Herrn Chefs schleunigst gewichen bin, hat seinen
Grund darin, Sie alle von den Herren Direktoren dor Charitd ab bis zu
den Stationsärzten für die Sache.su interessieren, weil wir ohne Ihre
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UNIVERSUM OF IOWA
366
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Mithilfe nicht weiterkommen können. Wir haben nämlich noch grosse
Pläne, und um Sie dafür zu interessieren, möchte ich Ihnen einige Hin¬
weise geben, wie wir fernerhin verfahren wollen.
Zunächst handelt es sich bei diesen eben besprochenen, nach der
alten Methode hergestellten Präparaten um Gefrierschnitte. Das Ge¬
frieren können wir hier sehr bequem machen, da wir einen Kühlkeller
haben und eine Zelle bis auf minus 16° abkühlen können. Es wird
einfach der herauspräparierte Thorax in der betreffenden Lage, wie man
ihn untersuchen will, entweder senkrecht oder wagerecht, zum Gefrieren
gebracht und der ganze Eisblock mit der rotierenden Bandsäge ge¬
schnitten. Nur ist nötig, dass er sehr stArk gefroren ist, denn wenn
man schwach gefrieren lässt, fasern die Weichteile sehr. Das ist sehr
unangenehm; namentlich wenn man Photogramme von den Schnitten
macht, sieht man viele bindegewebigen Weichteile wie Serosa,
Diaphragma, Fascien, Sehnen und dergl. ausgefranst über das Präparat
herübergezogen. Das ist uns bei unserem ersten Präparat, das auf Be¬
treiben des Herrn Geheimrat Heubner gemacht wurde, passiert. Das
wissen wir jetzt dadurch zu vermeiden, dass wir die Stücke stark ge¬
frieren lassen. Dann wird das Präparat konserviert. Wir müssen da
auch sehr vorsichtig verfahren. Zunächst darf das Präparat nur ganz
langsam auftauen. Jetzt kommt die erste Bitte an Sie. Wenn Sie als
klinische Beurteiler des Falles beim Sägen sind, dann interessiert er sie
gewaltig, dass Sie so lange gucken, bis das Präparat zu tauen anfängt.
M. H., gucken Sie bitte künftig etwas schneller, denn wenn wir an¬
getaute Präparate bekommen, so können wir sie sehr schlecht fixieren;
dann schrumpfen die Teile verschieden stark. Am besten ist es, das
gefrorene Stück in stark abgekühlte Flüssigkeit hineinzubringen. Wir
nehmen die von mir früher angegebene erste Lösung. Am liebsten habe*
ich es, wenn mau etwa bei 1 0 Kälte zu konservieren anfängt und dann all¬
mählich im Laufe von zwei Tagen das Präparat auftauen lässt. Darin
fixiert gar nichts, das Präparat bleibt weich. Erst wenn die Lösung
5 — 6° warm wird, fängt es an, zu fixieren, die Flüssigkeit hat Zeit ge¬
habt, einzudringen, und wenn wir das Präparat erwärmen und auf
Zimmertemperatur bringen, wird es in kurzer Zeit hart. Nun wird
selbstverständlich alle Flüssigkeit, Eiter, wässerige Flüssigkeit und was
man da auf den Bildern vorhin gesehen bat, auftauen und in die
Fixierungsflüssigkeit hineinschwimmen. Wenn wir das Präparat aus der
erwärmten Flüssigkeit herausnehmen, so fehlen diese Dinge. Die müssen
ersetzt werden, und wir machen da einige kleine Schönheitskorrekturen.
Den Eiter, den Sie draussen sehen, haben wir nachträglich wieder hinein¬
gebracht. Der Eiter ist kein Eiter, sondern ist mit Milch gefärbte
Gelatine. Wenn man etwa 5proz. Gelatine mit Milch mischt, so
intensiv, wie der betreffende Eiter ausgesehen hat, bekommt man einen
für die Augen durchaus eiterähnlichen Zustand. Haben wir eine klare
Flüssigkeit, dann nehmen wir reine Gelatine; die opalesziert leicht, wie
es meist die seröse Flüssigkeit tut. Ist der Eiter grün, so färben wir
ihn grün, am besten mit Metallsalzen. Wir haben bei diesen Versuchen
Kupfersulfat und Chromsäure genommen. Um den Eiter hineinzubringen,
müssen wir alle jene kleinen Kniffe anwenden, die heim Gelatineformen
in der Moulagetechnik angewendet werden. Man muss sich genau ein
Zeichen machen, wo die Flüssigkeit zu Ende war, muss die Grenze aus¬
bauen mit Plastelin oder Modellierton, muss alle Nebenwege richtig
verstopfen. Dann giesst man den Raum ohne Luftblasen aus und fixiert
den Schnitt zu Ende, und dann wird die Gelatine ganz unlöslich. In
Formalin fixierte Gelatine ist bekanntlich selbst über der Flamme un¬
löslich. Darauf wird das Präparat wie gewöhnlich in Alkohol gebracht
und mit der definitiven Aufbewahrungslösung durchtränkt. Haben wir
ein Hämopericard — draussen ist noch ein neuer Fall aufgestellt, wo
ein starker hämorrhagischer Erguss in den Herzbeutel hinein erfolgt
war —, dann nehmen wir zu der Gelatine Blut und färben sie künstlich.
Das sieht kein Mensch, dass es eine künstliche Färbung ist. Wenn ich
es Ihnen nicht gesagt hätte, würden Sie auf diese Tücke nicht ver¬
fallen sein.
Sie haben schon vorhin gehört: wenn kleine Lungenstücke und der¬
gleichen bei diesen Schnitten abgelöst werden, so schwimmen sie beim
Auftauen fort. Wir müssen unsere Technik noch etwas vervollkommnen.
Dass es möglich ist, ist gar kein Zweifel; nur brauchen wir dazu wieder
die Mitwirkung der schon genannten Instanzen. Zunächst muss die hohe
Cbaritödirektion uns einige ganze Leichen stiften. Wenn also eine
namenlose Leiche vorhanden ist, die sonst verbrannt wird, wären wir
ausserordentlich dankbar, wenn wir sie zunächst auf einige Monate zur
Verfügung gestellt bekämen, um sie zu injizieren. Es kommt nämlich
darauf an, die Leiche starr zu machen, ehe wir sie gefrieren lassen, und
das gelingt, wie ich mich seit 1895 überzeugt habe, durch sogenannte
Einbalsamierung. Ich habe mir da ein Verfahren ausgearbeitet, das bis
jetzt noch nicht publiziert ist, welches gestattet, io relativ kurzer Zeit
eine Leiche so zu härten, dass sie beinahe steinhart wird; sie hält sich
so ausgezeichnet, dass ich bei meinen Einbalsamierungen nicht einmal
den Inhalt des Darmes herausnehme. Es wird nur in die Carotis hinein
eine Injektion einer bestimmten Flüssigkeit gemacht, die im wesentlichen
aus einer sehr conceutrierten Lösung von Forraaliu-Alkohol-Glycerin und
einem arsenigen Präparat besteht. Die Leiche ist in etwa 2 Stunden
vollkommen hart. Dass diese Einbalsamierung hält, habe ich auf eine
merkwürdige Art erfahren. Es ist nämlich eine Reklamation bei mir
eingetroffen wegen einer Einbalsamierung, die ich gemacht hatte, und
zwar 12 Jahre nach der Einbalsamierung. Da stellte sich in der be¬
treffenden Gruft ein eigentümlicher Geruch heraus, und der Ehemann
der Ein balsamierten veranlasste die Reklamation; ich hätte ihm ver¬
sprochen, die Einbalsamierung hielte ewig. Ewig habe ich es ihm nun
nicht versprochen, bloss so lange, wie er lebte. Was war geschehen?
Der Sarg war durchgerostet, der Holzsarg vermodert, und dann war eine
Verschimmelung eingetreten. Die Leiche war tadellos. Wir haben den
Schimmel abgeputzt, und nun liegt die Leiche weiter. Sie sehen, dass
man eine Leiche ohne jede Einlegung in Flüssigkeit an der Luft er¬
halten kann. Es war nicht einmal eine Mumifikation eingetreten. Ich
habe solche Leichen im Juli nach Buenos Aires verschickt; sie sind
tadellos angekommen; kein Mensch hat gesehen, dass au den Leichen
irgend etwas gemacht worden war.
So ähnlich müssen wir auch unsere Leichen erst behandeln, dass
alle Organteile in dem Körper selber hart werden. Dann tritt eine so
exakte Fixation ein, dass eine nachträgliche Schrumpfung nicht mehr
statthat. Wenn jetzt etwas schrumpft, dann schrumpft der ganze
Cadaver gleichmässig, und alle Teile bleiben in der relativen Position
zueinander.
Unsere Bitte geht nun dahin, dass diejenigen Herren, die eine
geeignete Leiche haben, auf die sofortige Sektion verzichten und erst
einmal diese Einbalsamierung machen lassen. Dann werden wir die
Leiche gefrieren lassen. Kopf, Arme, Beine und Rückenmuskulatur
stellen wir anheim; aber das übrige möchte ich haben, inklusive Becken.
Das kann man alles herauspräparieren, nachdem diese Fixation gemacht
ist, nicht vorher, und dann wollen wir den ganzen Thorax und das Ab¬
domen in toto schneiden.
Die weitere Konservierung kann nun so geschehen, dass man die
Präparate im luftdichten Verschluss aufhebt. Man braucht keine Flüssig¬
keit. Das wird z. B. für die Gynäkologen nicht ganz unangenehm sein,
wenn in den seltenen Fällen, wo intra partum ein Todesfall ejntritt,
ein Gefrierschnitt gemacht werden kann. Man kann dann die Leiehe
viel bequemer ohne die sonst nötige Flüssigkeit aufheben. Das Aufheben
ist ein ziemlich teures Vergnügen. Die Menge von Konservierungsflüssig-
keit läuft erheblich ins Geld. Jedes Präparat repräsentiert ungefähr
einen Wert an eigenen Kosten von 30 bis 40 Mark. Das kann man
also etwas billiger machen, wenn man die Organe ohne Flüssigkeit auf-
aufhebt. Man durchtränkt sie mit der betreffenden Flüssigkeit und hebt
das Präparat im luftdichten Behälter auf. Das Demonstrieren wird
immer am besten in Flüssigkeit geschehen, weil da die Oberflächen-
transpareuz am deutlichsten hervortritt und die Farbe am sohönsten er¬
scheint.
Das sind die wenigen Dinge, die ich Ihnen mitteilen wollte. Ich
glaube, dass Sie durch die Demonstration des Herrn Geheimrat Orth
gesehen haben, dass auch Sie sehr viel an diesen Präparaten lernen
können. Als Gegenleistung werden wir gern bereit sein, Ihnen für Ihre
klinischen Unterriohtszwecke die Präparate zur Demonstration anheim
zu stellen oder auch Ihnen freizugeben, hier im Museum die etwa
schwer transportablen Objekte durch Ihre Schüler besichtigen zu lassen.
Hr. Kraus: Ich glaube, wir können dem pathologischen Institut
sehr dankbar sein, dass es sich entschlossen hat, derartige in situ ge¬
machte Präparate herzustellen. Gelegentlich eines Vortrags des Herrn
Hans Virchow im Verein für innere Medizin habe ich neulich diesen
Wunsch ausgesprochen, und ich freue mich, dass damals schon dieser
Wunsch erfüllt gewesen ist, ohne dass ich es wissen konnte. Für uns
ist diese Art der Sektion unzweifelhaft weit lehrreicher als eine gewöhn¬
liche Obduktion. Selbstverständlich wünschen wir bei der Obduktion
zunächst unsere Diagnose bestätigt; aber noch mehr wollen wir doch
etwas lernen, und dass man aus einer solchen topographischen Ob¬
duktion, wenn man auch ein halbes Jahr darauf warten müsste, weit
mehr profitiert, darüber kann kein Zweifel sein. Mich haben die Fälle
von Pleuritis ausserordentlich interessiert Ich habe mich bemüht, solche
Situsphantome, möchte ich sagen, herzustellen aus Röntgenbildern, und
ich freue mich, dass wenigstens zu einem Teile das, was man mit dem
Röntgeninstrumentarium feststellen kann, hier greifbar anatomisch sicht¬
bar sichergestellt ist. Ich glaube, dass die Studenten und vor allen
Dingen auch wir sehr viel aus solchen Thoraxobduktionen profitieren
können, und ich würde von meinem Standpunkt aus bitten — das ist
natürlich ein etwas egoistischer Standpunkt —, dass man da systema¬
tisch vorgeht, d. h. dass man bei der Bescheidenheit der zur Verfügung
stehenden Mittel zunächst einmal eine Körperhöhle berücksichtigt, um
zunächst ein Museum, möchte ich sagen, dieser Veränderungen zu er¬
halten. Wenn man alle Vitia cordis in solchen Beispielen hätte, wäre
das für uns, für den klinischen Unterricht sehr wertvoll. Das gilt
natürlich auch für andere Dinge, für den Bauch usw. Aber wenn man
nur erst eine Summe von solchen Thoraxpräparaten hätte, so wäre uns
damit ausserordentlich gedient. Ich bin einfach erstaunt, wie billig das
ist. Ich finde es gar nicht teuer, was uns der Herr Vorredner da an¬
geführt hat. Man kann es sehr gut rechtfertigen, dass dieses Geld be¬
schafft wird. Wir könnten da noch verschiedene Instanzen in Bewegung
setzen; denn es ist eine ganz andere Art des Unterrichts, die auf diese
Weise ermöglicht wird.
Hr. Davidsohn: Ich möchte in Ergänzung der in natürlichen
Farben konservierten Präparate und der schönen Diapositive, die wir
gesehen haben, nur noch auf ein weiteres Hilfsmittel aufmerksam machen,
das bei Herrn Prof. Ponfick in Breslau zu sehen ist und mir sehr
gelobt wurde. Das sind die von Herrn Dr. Löschmann gemalten
Aquarelle nach diesen natürlichen Präparaten. Die Farben sind aller¬
dings sehr grell und übertrieben. Aber die schwarz-weisse Diapositiv-
zeiohnung ist ja auch nioht natürlich. Bei dem einen fehlt etwas, bei
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
867
dem anderen ist etwas sagesetzt. Aber wenn man einen Hydrothorax
siebt: das rote Herz, die blauen Langen und den grünen Magen — das
ist so auffallend und prägt sieb so dem Gedächtnis ein, dass man dieses
Hilfsmittel noch binzunehmen könnte, um noch besser das Bild in Er¬
innerung zu behalten.
2. Frau Rabinowitsch: Blutbefunde bei Tnberkulose.
(Ist in Nr. 8 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
8. Hr. Biekel: Oeber Thoriam.
(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.)
Diskussion.
Hr. Plesoh: Die Versuche von Falta-Zehner sind nicht be¬
weisend dafür, dass das Thorium X auf die Löslichkeit der Harnsäure
und auf organische Substanzen einen Einfluss hätte. Alle Versuche, die
Falta und Zehner in Nr. 52, 1912; dieser Wochenschrift beschreiben,
sind mit H 2 0 2 oder 0 8 ausführbar. Da sich nach den Untersuchungen
von Karozag und mir aber auch durch Thorium H 2 0 2 und O s bildet,
so ist es, so lange das Gegenteil uns nicht von den genannten Autoren
gezeigt wird, zumindest zweifelhaft, ob wir es bei den Versuchen mit
einer Thoriam X-Wirkung oder mit einer Wirkung des entstandenen
B 2 0 2 oder 0 8 zu tun haben.
Hr. Hirschfeld: M. H.! Die Erfahrungen mit der Röntgentherapie
bei der Leukämie haben uns gezeigt, dass es Fälle von myeloischer
Leukämie gibt, in welchen die Röntgenbestrahlung, sehr lange fortgesetzt,
zu einem Umschlag des Blutbildes der gewöhnlichen myeloischen Leuk¬
ämie in eine sogenannte Myeloblastenleukämie führt. Bei dieser Form
verschwinden die granulierten Leukocyten, und es werden nur noch die
Vorstufen der granulierten Elemente, die sogenannten Myeloblasten, ge¬
bildet Ein solcher Zustand ist ein höchst ungünstiges Zeichen, und in
allen Fällen der Literatur ist auch sehr bald danach der Tod ein-
getreten. Es fragt sich nun, ob wir einen solchen Umschlag des Blut¬
bildes der myeloischen Leukämie in Myeloblastenleukämie auch vom
.Thorium X zu erwarten haben. Das ist theoretisch sehr wahrscheinlich
und durch eine Beobachtung, über die ich berichten möchte, erwiesen.
Es handelt sich um ein 17jähriges Mädchen mit myeloisoher Leukämie,
welche ich im Krankenhause Reinickendorf auf der Abteilung des Herrn
Felix Klemperer beobachten konnte. Diese Patientin, die im Anfang
etwa 200000 Leukocyten hatte, bekam eine Dose 2 Millionen Mache¬
einheiten Thorium X. Der Erfolg war günstig. Die Leukocytenzabl
ging allmählich bis auf 80000 herunter. In der Folgezeit traten öfter
kleine Erhöhungen wieder ein, und sie bekam deshalb wiederholt Tho¬
rium X. Etwa ein halbes Jahr nach der ersten Injektion stieg die
Leukocytenzabl wieder bis auf 250000. Jetzt bekam sie nooh einmal
Thorium X, und zwar etwa 3 Millionen Macheeinheiten. Nach dieser
Injektion trat — ich glaube, etwa 8 Tage später — eine plötzliche
Steigerung der Leukooytenzahl bis auf eine halbe Million ein und, wie
die Blutpräparate zeigten, ein Umschlag der myeloischen Leukämie in
Myeloblastenleukämie. Wenige Tage später trat der Exitus ein. Ich
meine nach dieser Erfahrung, dass man auch beim Thorium X auf diese
üble Nebenwirkung, die wir von den Röntgenstrahlen her kennen, ge¬
fasst sein muss und, soweit es möglich ist, das zu verhüten suchen soll,
indem wir namentlich in refraktären Fällen und besonders dort mit
Thorium X vorsichtig sind, wo die Betrachtung des Blutbildes zeigt,
dass schon eine grosse Zahl von Myeloblasten vorhanden ist. Natürlich
wird es manche Fälle geben, wo man dies Ereignis nicht verhüten kann.
Ob sie häufig Vorkommen, weiss ich nicht, da die Erfahrungen erst
gering sind. Jedenfalls lehrt die Beobachtung, dass sich das Thorium X
in dieser Beziehung ganz ähnlich den Röntgenstrahlen verhält.
Hr. Noeggerath: Herr Plesch hat an der Falta’schen Arbeit
Kritik geübt, indem er das entstehende Wasserstoffsuperoxyd als Ursache
der von ihm beobachteten Wirkungen hinsteUt. Nun ist es sehr wahr¬
scheinlich, dass sich Wasserstoffsuperoxyd in einer derartigen Lösung
bildet. Es fragt sich aber, ob damit wirklich die Wirkung geklärt ist.
HerrPlesoh hat uns das zu demonstrieren gesucht, indem er Methylen¬
blau zu entfärben suchte. Die Entfärbung ist ihm, wie Sie gesehen
haben, nicht gelungen. Es könnte also wohl möglich sein, dass es mit
den ThoriumlösuDgen ganz ähnlich ist, dass zwar Wasserstoffsuperoxyd
in ihnen ist, aber nicht genügend, um die Entfärbung und die weiteren
Reaktionen zu erklären. Ich glaube doch, dass man diesen Einwand
erheben muss.
Hr. Plesch: Herr Noeggerath bemängelt, dass die ihnen hier
vorgeführte Reaktion von H*0 2 auf Methylenblau nicht völlig entfärbt,
sondern nur tief gelb geworden ist. Darauf kann ich nur erwidern, dass
in der Chemie schon von einer Entfärbung gesprochen wird, wenn sich
die Farbe ändert. Ich könnte aber Herrn Noeggerath, wenn er es
wünscht, zeigen, dass die Farbe beim Kochen oder bei längerem Stehen
verschwindet. Im übrigen sind die Reaktionen mit anderen Farbstoffen
und mit allen von Falta angeführten organischen Substanzen so leicht
auszuführen, dass sich der Diskussionsredner, wenn er meinen Versiehe-'
rangen nicht trauen sollte, selbst davon überzeugen kann, dass H 2 0 2
irreparabel die Farbstoffe zersetzt.
Hr. Noeggerath: Dem möchte ich entgegenhalten, dass das
Methylenblau ein leicht reagierender Farbstoff ist. Da es also Herrn
Plesch nicht gelungen ist, uns die Reaktion mit reiner Wasserstoff¬
superoxyd lösung zu demonstrieren, so glaube ich nicht, dass er mit so
apodiktischer Gewissheit behaupten darf, dass die Falta’sche Meinung
falsch sei. Das ist ja möglich; aber man müsste es doch durch spätere
Untersuchungen erst feststellen, die nachzuweisen hätten, dass erstens
die so gebildeten Wasserstoffsuperoxyd men gen allein die beschriebenen
Reaktionen auszulösen imstande sind, und dass zweitens diese Erschei¬
nungen wirklich ausschliesslich an das Auftreten dieses Stoffes ge¬
bunden sind.
4. HHr. Morgenroth und Tngendreich:
Zar Chemotherapie der Trypaioseveaiifektien.
Hr. Morgenroth: Die Versuche, über die ich Ihnen möglichst
kurz berichten möchte, bilden eine Fortsetzung der seit mehreren Jahren
unternommenen chemotherapeutischen Versuche (Morgenroth, Halber¬
städter, R. Levy, Kaufmann) nach einer ganz bestimmten Richtung
hin. Man darf wohl für die Gesamtheit dieser Versuche den Ausdruck
Chemotherapie, den die Vorrednerin Frau Rabinowitsch mit leisem
Tadel als „modern“ bezeichnet hat 1 )* ruhig gebrauchen. Wenn Frau
Rabino witsch, wie ich vermute, bei ihrer Aeusserung an die bisher
bekanntgewordenen chemotherapeutischen Versuche bei Tuberkulose
dachte, so muss ich bemerken, dass diesen eben das fehlt, was die
Chemotherapie im Sinne Ehrliob’s charakterisiert, und zwar als
etwas Neues charakterisiert, nämlich das engste Zusammenwirken von
Chemie und Biologie und die gegenseitige Anregung, die Chemiker und
Biologen sich geben. Dieser Chemotherapie im eigentlichen Sinne, für
welche ich die Bezeichnung „modern“, d. h. der wechselnden Mode
unterworfen, nicht gebrauchen möchte, gehören meine und meiner Mit¬
arbeiter Untersuchungen über die Wirkung von Chininderivaten
an. Sie wissen aus früheren Publikationen, dass es sich hier auch um
besonders eklatante Erfolge, auf die ich heute abend nicht eingehen
kann, bei der Pneumokokkeninfektion (Morgenroth und R. Levy)
handelt, die wir auf der Grundlage chemotherapeutischer Studien bei
der Trypanosomeninfektion der Maus (Morgenroth und Halberstädter)
erzielten.
Die Versuche, die ich Ihnen heute an der Hand von Tabellen
demonstrieren möchte, liegen nicht in der geraden Linie unserer chemo¬
therapeutischen Bestrebungen, sondern sie bilden gewissermaassen eine
Abzweigung von denselben insofern, als es sich hier um Kombinations¬
therapie handelt; durch gleichzeitige Anwendung mehrerer chemo¬
therapeutisch wirksamer Substanzen werden bessere Effekte als durch
die Anwendung dieser Substanzen allein erzielt. Laveran und Mesnil
und viele andere Experimentatoren haben Versuche in dieser Richtung
gemacht, und besonders Ehrlich hat vielfach auf ihre Bedeutung hin¬
gewiesen. Wir verfügen neuerdings über eine Anzahl sorgfältiger Ver¬
suche von Tsuzuki 2 ), der mit der Kombination dreier verschieden¬
artiger Agentien sehr gute Resultate erzielte.
Zu unseren Versuchen gab den Anstoss eine Beobachtung, die ich
gemeinsam mit Dr. Rosenthal 8 ) im vorigen Jahre hier vortragen
konnte, dass nämlich die Salicylsäure, ein inneres Antisepticum, dessen
Wert ja schon, wenigstens für den akuten Gelenkrheumatismus, bekannt
war, auch auf die Trypanosomeninfektion eine zweifellose Wirkung
ausübt. Wir haben uns damals entschlossen, systematisch eine grosse
Anzahl von synthetisch dargestellten Substanzen, speziell aromatische
Oxysäuren, zu prüfen.. Zunächst ging unser Bestreben dahin, diese
nicht sehr erhebliche Wirkung der Salicylsäure möglichst eklatant zu
machen, und das ist tatsächlich ganz gut mit Hilfe der Kombinations-
metbode gelungen.
Sie sehen hier einen Versuch, in dem eine starke Infektion der
Mäuse mit Naganatrypanosomen gleichzeitig mit einer Lösung unseres
bisher besten Trypanosomenmittels aus der Reihe der Cbinaalkaloide,
Aethylhydrocuprein, und zwar der in Oel gelösten Base, und mit
Natrium salicylicum behandelt wurde. Die Menge des Aethyl-
hydrocupreins, die wir anwenden, ist so klein — es ist etwas mehr als
die Hälfte der Dosis tolerata —, dass sie an und für sich eine Ver¬
minderung der Trypanosomen nicht hervorbringt, wie aus den beiden
Kon troll versuchen zu ersehen ist, wo die Tiere nach 4 und 5 Tagen der
Trypanosomeninfektion erliegen. Beinahe die grösste Menge von Natrium
salicylicum, die angewandt werden kann, macht bei dieser fortgeschrittenen
Infektion auch keine Wirkung, wie aus den beiden Kontrollen und ausser¬
dem aus den zahlreichen Erfahrungen, die wir weiterhin gemacht haben,
zu ersehen ist. Die Kombination beider Mittel führt zu einem temporären
Freisein des Blutes von Trypanosomen. Sie sehen aber, dass immerhin
eine Maus dauernd geheilt ist, d. h. dass sie nach viermonatiger Beob¬
achtung noch keine Trypanosomen enthält. Die übrigen bekommen
zwischen dem 8. und 15. Tage Recidive. Jedenfalls gelingt es durch
die Anwendung der beiden Mittel, das Blut vorübergehend, und zwar
zum Teil durch eine einzige Injektion — die dauernd geheilte Maus ist
dreimal injiziert worden —, frei von Trypanosomen zu raaohen. Diese
Kombination mit Aethylhydrocuprein wird das weitere Studium gerade
von Substanzen aus der Salicylsäurereihe und ähnlichen Reihen uns er¬
leichtern und eine klare Beurteilung der Resultate erlauben.
Diese Kombination von Chinaalkaloiden und Natrium salicylicum
ergab bei entsprechender Variation ein Resultat, das gewisse Schwierig¬
keiten beseitigte, auf die ich gleich zurückkoromen will. Hier ist ein
Versuch, der ganz genau in der Anordnung dem Versuche von vorhin
entspricht, nur dass an Stelle des Aetbylhydrocupreins die freie Base
des Chinins genommen ist. Sie sehen, dass hier trotz der dreimaligen
Injektion eine Beeinflussung des Verlaufs der Infektion überhaupt
1) Diese Woohenscbr., 1913, Nr. 3, S. 110.
2) Tsuzuki, Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskr., 1911, Bd. 68, S. 864.
8) Morgenroth und Rosenthal, diese Woohensehr., 1912, Nx. 3.
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368
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
nicht stattgefunden hat, sondern dass zwischen dem dritten und fünften
Tage sämtliche Tiere der Infektion erliegen. Es sind das zwei Ver¬
suche, die, gegeneinandergehalten, besonders geeignet sind, die Ueber-
legenheit des Aethylhydrocupreins gegenüber dem Chinin
selbst zu zeigen, und sie waren um so erwünschter, als wir bei der
Anwendung der öligen Lösung der freien Base, um die es sich hier
handelt, nach dem zuerst von Halberstädter und mir geübten Vor¬
gehen auf eine Art Misserfolg gestossen waren.
Wenn man nämlich die Behandlung mit den wässrigen Lösungen
der Salze durchführt, so findet man, wie das schon früher von Morgen -
roth und Halberstädter beschrieben wurde, dass das Aethylhydro-
cuprein das wirksamste Präparat darstellt, während dem Chinin selbst
eine ausserordentlich schlechte Wirkung zukommt.
Bei der Anwendung der öligen Lösung versobob sich das Bild
etwas, wenn auch nicht vollständig. Das Chinin blieb immer das
schlechtere Präparat, aber die Distanz zwischen den drei untersuchten
Präparaten Chinin, Hydrochinin und Aethylbydrocuprein schrumpfte in
auffallender Weise zusammen. Wenn man die Kombinationstherapie an¬
wendet, dann zeigen sich wieder die ursprünglichen Verhältnisse und,
wie Sie hier sehen, die ganz erhebliche grosse Ueberlegenheit des Aetbyl-
hydrocupreins. Uebrigens ist es durch Versuche von Morgenroth und
Spanjer-Herford inzwischen gelungen, die Ursache dieser Abweichung
zu finden; sie besteht darin, dass die Löslichkeit der Aetbylhydrocuprein-
base in Oel gegenüber der Löslichkeit der Chininbase ausserordentlich
gross ist und dass, wenn man die ölige Lösung, wie wir es machen,
subcutan injiziert, wenig von dem Aethylhydrocuprein in einem be¬
stimmten Zeitintervall in die Blutbahn übergeht. Also unter diesem
Gesichtspunkt betrachtet — man kann diese Verhältnisse direkt durch
Ausschüttelungsversuche zeigen — sind die vorliegenden Versuche be¬
sonders geeignet, die Ueberlegenheit des Aethylhydrocupreins noch mehr
in das Licht zu rücken.
Nun möchte ich noch eine zweite Reihe von Kombinations versuchen
demonstrieren, deren Effekt — immer unter dem Gesichtspunkt des Tier¬
versuchs betrachtet — ein ausserordentlich glänzender ist. Es handelt
sich hier um die Kombination der Aethylhydrocupreinbase,
des Natrium salioylicum und von sehr geringen Mengen von
Salvarsan bei nur einmaliger Injektion. Die Heilversuche sind
alle gleichzeitig bei ungemein weit fortgeschrittener Infektion
angestellt. Sie sehen hier an diesen sieben Mäusen, was die angewandte
Menge Salvarsan allein leistet. Das ist nicht viel; bei vier Tieren er¬
leidet die Infektion kaum eine Verzögerung, bei drei Tieren kommt man
vorübergehend auf 0, aber am 6. und 15. Tage beginnen die Recidive,
denen dann die Tiere erliegen. Die Kombination von Natrium salicylicum
und Salvarsan gibt kaum bessere Resultate, dagegen zeigten Aetbylhydro-
cuprein mit Salvarsan allein eine bedeutende Verbesserung der Wirkung.
Diesen massigen Erfolgen steht nun gegenüber der Erfolg bei sieben
Tieren — und wir haben mehrere Versuche dieser Art —, die mit den
drei Mitteln einmal behandelt worden sind, die trotz der weit fort¬
geschrittenen Infektion am nächsten Tage ihre sämtlichen Trypanosomen
verloren haben und auch jetzt nach einer Beobachtungszeit von etwa
vier Monaten — diese muss als mehr denn genügend angesehen werden —
alle dauernd geheilt sind. Das ist eines der besten Resultate, welche
die Kombinationstherapie bis jetzt erzielt hat, ein Resultat, das nach
mancher Hinsicht hin Interesse hat und, wie ich glaube, dazu führen
wird, bei der Behandlung der Krankheiten, bei denen jetzt vor allem das
Salvarsan angewandt wird, die Unterstützung mit Chininderivaten, speziell
mit Aethylhydrocuprein und auch mit Salicylderivaten zur Anwendung
zu bringen. Die Verwendung des Chinins bei der Syphilisbehandlung,
wie sie besonders von Lenzmann propagiert wird, ist im übrigen ja
bekannt.
Es ist kein Zweifel, dass es nach diesen Versuchen gerechtfertigt
erscheint, in der menschlichen Therapie die Kombination dieser drei
Substanzen zu untersuchen. Nur darf man nicht glauben, dass wir vom
Laboratoriumstisch aus irgendein Rezept geben können, wie die An¬
wendung geschehen muss. Diese Fragen muss der Kliniker ganz von
neuem und auf eigene Faust untersuchen. Ich glaube, es ist um so be¬
rechtigter, Chininderivate als Adjuvantien zu verwenden, als wir neuer¬
dings gut gelungene Versuche ausgeführt haben, das Eintreten der Recidive
bei Trypanosomeninfektion nach ungenügender Behandlung mit Salvarsan
durch mehrmalige Injektion von relativ geringen Dosen von Aethyl¬
hydrocuprein zu verhüten. Das ist uns bei der überwiegenden Mehrzahl
der Tiere gelungen, während unsere sämtlichen Kontrolliere Recidive
bekamen, denen sie dann erlegen sind. Wenn sich beim Menschen diese
Anwendungsweise durchführen lässt, so hat sie ihre Berechtigung auf
einem ziemlich weiten Gebiete, bei der Schlafkrankheit, bei der Malaria
und vielleicht — das muss man natürlich auf Grund der Trypanosomen¬
versuche mit besonderer Reserve aussprechen — auch bei der Syphilis.
Berliner orthopädische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzung und Generalversammlung vom 6. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Joachimsthal.
Schriftführer: Herr Böhm.
Der Vorsitzende, Herr Joachimsthal, hält einen warmempfundenen
Nachruf auf den verstorbenen Kollegen Bosse, der seit Gründung der
Gesellschaft derselben angehört.
Neu aufgenommen werden die Herren Dr. Kardamatis und
Dr. E vier-Treptow.
Der Schriftführer, Herr Böhm, erstattet sodann einen Bericht
über die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahies.
Es wurden im ganzen fünf ordentliche und eine ausserordentliche Sitzung
abgehalten. Die Sitzungen waren zahlreich besucht, dankenswerterweise
auch von unseren auswärtigen Mitgliedern. Dreimal hatte die Gesell¬
schaft die Ehre, Gäste als Redner begrüssen zu dürfen, die Herren Ge¬
heimrat H. Virchow, Professor W. A. Freund und Dr. W. Alexander.
Zur Frage des orthopädischen Schulturnens hat die Gesell¬
schaft im vergangenen Jahre Stellung genommen, indem sie die nötigen
Schritte zur Erhebung einer Statistik über die Verbreitung der Rück¬
gratsverkrümmungen in den Berliner Schulen traf. Der neue Band
der Verhandlungen ist bereits erschienen.
Die Gesellschaft trat mit 59 alten Mitgliedern in das Geschäftsjahr
1912, nahm 10 neue Mitglieder auf, so dass sich nun der Mitglieder¬
bestand nach dem Tode des Kollegen Bosse auf 68 beläuft
Bericht des Schatzmeisters Herrn Biesalki:
Die Gesellschaft beginnt im Jahre 1912 mit einem Bar¬
bestand von. 830,92 M.
wozu bemerkt werden muss, dass darin schon ein
Teil von Mitgliedsbeiträgen von 1912 enthalten sind.
Durch weitere Mitgliedsbeiträge erhöht sich die Summe
auf. 422,92 „
Für die laufenden Ausgaben wurden verausgabt . . . 59.25 „
so dass am Ende des Jahres ein Bestand von . . 363,67 M.
vorhanden war.
Die Rechnung ist von den Herren Köl liker und Ruhemann ge¬
prüft und für richtig befunden worden.
Auf Antrag des Vorsitzenden, Herrn Joachimsthal, bewilligt die
Gesellschaft 50 M. für das Koch-Denkmal.
Bei der nunmehr statutengemäss erfolgenden Neuwahl wird der ge¬
samte Vorstand durch Akklamation wiedergewählt.
Hr. Edmund Falk-Berlin:
Fötale Eitwieklinggstörungei an Beekes «ad an der Wirbelsäule
als Ursache von Deformitätea, iasbesoadere voa Skoliosea aad an¬
geborener Hüftluiationen.
Falk gibt unter Hinweis auf die Untersuchungen, welche er bei
seinen Studien über die BeckenentwickluDg gemacht hat, eine durch zahl¬
reiche Abbildungen und Röntgenbilder anschaulich gemachte Uebersicht
über Ossifikationsstörungen, welche zu Störungen der Form und Gestalt
des Körpers führen. Zunächst zeigt er, wie durch die während des intra¬
uterinen Lebens nachgewiesene Höherentwicklung des Beckens an der
Wirbelsäule es zu numerischen Variationen an der lumbosakralen Grenz-
region kommt, dass wir aber in der Lage sind, aus dem Nachweis der
Knochenkerne in den Flügelteilen des Kreuzbeins stets festzustellen,
welcher Wirbel während der ersten Entwicklung dieser Knochenkerne —
also im siebenten Monat — der eigentliche Stützwirbel des Kreuzbeins
war. Kommt es nach dieser Zeit noch zur Aufnahme eines Lenden¬
wirbels in das Kreuzbein, was wir aus dem Fehlen eines Knochenkernes
in dem Flügelteil dieses Wirbels nachweisen können, so wird, falls nicht
eine Kompensation an der lumbodorsalen Grenzregion durch Umwandlung
eines Brustwirbels in einen Lendenwirbel eintritt, durch das Vorhandensein
von nur vier Lendenwirbeln ein kurzer Lendenteil der Gestalt ein cha¬
rakteristisches Gepräge geben, wie umgekehrt, wenn der 25. Wirbel sich
als Lendenwirbel erhalten hat, das Bestehen von sechs Lendenwirbeln
infolge eines abnorm langen Lendenteils die Gestalt beeinflussen wird.
Besonders wird dieses der Fall sein, wenn die Vermehrung der Lenden¬
wirbel auf Kosten der Brustwirbel geschieht (11 Brustwirbel.-}-6 Lenden¬
wirbel), da alsdann eine kurze Taille, ein langer Lendenteil die Folge
sein wird. Unregelmässige Assimilationen, d. h. teilweise Umwandlungen
eines Kreuzwirbels in einen Lendenwirbel, werden dadurch, dass die
proximale Fläche des assimilierten Wirbels eine mehr oder minder starke
Neigung gegen die Horizontale zeigt, die Disposition zur Skoliosenbildung
geben.
Skoliosen können aber auch durch eine andere intrauterine Ent-
wioklungsstörung direkt entstehen, nämlich durch das Vorhandensein von
Halbwirbeln. Derartige Halbwirbel können, wie Falk an präparierten
Becken zeigt — im Gegensatz zu Fischei —, auch aus normal
segmentierten Wirbeln dadurch entstehen, dass der Knochenkern in
seinem Bogen nicht zur Entwicklung kommt. Durch Ausbleiben der
bilateralen Anlage der Wirbelsäule entstehende Spaltbildungen führen
zur Spina bifida mit consecutiver Meningocele, zur Beckenspaltung mit
consecutiver Blasenspaltung. Falk demonstriert eine Wirbelsäule, die
neben Spaltbildung der Brust-, Lenden- und Kreuzbeinwirbel durch un¬
vollkommenes Längenwachstum das Fehlen des letzten Kreuzbeinwirbels
und des Steissbeins zeigt. Derartige dyspygische Missbildungen sind
bisher erst fünfmal beschrieben, davon zwei bei lebensfähigen Kindern.
Dass angeborene Hüftluxationen ihre prädisponierende Ursache in
einer vorzeitigen Ossifikation der Pfanne haben können, welche bewirkt,
dass die Pfanne einen normalen Schenkelkopf nicht fassen kann, dass
also auch ohne mechanische Ursachen Luxationen entstehen können, wird
vielfach bestritten. Falk zeigt ein Becken mit Ablagerung von osteo¬
plastischer Substanz im Y-förmigen Knorpel, welches zur vorzeitigen Ver¬
knöcherung hätte führen müssen. Durch Demonstration eines Beckens
einer Phokomole, bei der es durch Erkrankung des skelettogenen Ge*
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
869
wehes überhaupt nicht zur Ausbildung einer Pfanne kam, wird bewiesen,
dass auch Entwicklungsstörungen, welche das Blastem der Pfanne im
Sinne Holzmann’s, Vogel’s treffen, die Disposition zur Hüftluxation
abgeben können. In derartigen Fällen von Entwicklungsstöningen der
Pfanne, welche jedoch nur für eine Minderzahl von angeborenen
Luxationen in Betracht kommt, genügt die normale Haltung des Fötus
mit stark flektiertem Obersohenkel, um eine Luxation zu erzeugen. In
den Fällen aber, in denen bei spärlichem Fruchtwasser die Zwangs*
baltung in Beugeadduktionsstellung eine Abflachung der Pfanne durch
veränderte Stellung des Pfannenkopfes erzeugt, wirkt der Knochenkern
des Schambeines als GLeitschiene, wenn durch den Druck des Pfannen¬
kopfes eine Abflachung des am caudalen Pfannenrande besonders niedrigen
Knorpelringes hervorgerufen wird.
Auf Störungen der intrauterinen Entwicklung, und zwar auf eine
qualitative Vegetationsstörung des Knorpels, sind die chondrodystrophi¬
schen Zwergformen zurückzuführen. Die Form Veränderungen bei diesen
Zvergen werden gewöhnlich auf mechanische Ursachen infolge der
mangelnden Widerstandsfähigkeit der Knochen zurückgeführt. An dem
chondrodystrophischen Becken, das wohl charakterisierte Formverände-
rungen zeigt, weist Falk nach, dass hier mechanische Ursachen über¬
haupt keine Rolle spielen, sondern einzig und allein zwar von der Norm
abweichende, aber in der Entwicklung begründete Wachstumseinrichtungen;
diese geben also die Erklärung- für mannigfache pathologische Verände¬
rungen am Skelettsystem.
(Der Vortrag erscheint ausführlich in der Zeitschrift für orthopädische
Chirurgie.)
Hr. Joachimsthal verweist auf die Widersprüche, welche sich
bei der Annahme von Ossifikationsstörungen im Bereiche des Pfannen¬
knorpels als Ursache angeborener Hüftluxation ergeben. An Röntgen¬
bildern von Kindern zeigt sich der V-förmige Knorpel bei der Luxation
stets erhalten. Das von Falk demonstrierte Präparat sei nicht beweisend.
Diskussion.
Hr. Böhm: Gegenüber einer Reihe von Arbeiten, die nach meinen
Untersuchungen über den Zusammenhang von Rückgratsverkrümmungen
und Varietäten der Wirbelsäule erschienen sind, muss ich heute immer
noch meine Untersuchungsergebnisse vollkommen aufrecht erhalten, und
gern ergreife ich hier die Gelegenheit, noch einmal einige Punkte be¬
sonders zu erwähnen, die vielfach durchaus missverstanden worden sind.
Jeder, der viel Gelegenheit hat, das Rumpfskelett und die inneren Organe
röntgenologisch zu untersuchen, wird zweifellos finden, dass recht häufig
Varietäten der Wirbelsäule vorhanden sind, ohne dass eine Verkrümmung
vorliegt, und in der Tat, nie habe ich die Behauptung aufgestellt, dass
jede Varietät der Wirbelsäule eine Skoliose zur Folge haben muss, ganz
im Gegenteil: ist eine Varietät der Wirbelsäule und gleichzeitig eine
Skoliose vorhanden, so darf man die letztere erst dann als Ursache der
Deformität betrachten, wenn die morphologischen Verhältnisse voll¬
kommen die Deformität erklären. Nie z. B. oder fast nie ist ein lumbo-
sacraler Uebergangswirbel direkt die Ursache einer Lendenskoliose,
sondern erst dann entsteht die letztere, wenn in Verbindung mit der
Varietät auch eine primäre asymmetrische Entwicklung der Kreuzbeinflügel
oder der Beckenhälften oder der Extremitäten vorhanden ist. So haben wir
den Zusammenhang von lumbosacralen Varietäten und Skoliosen zu ver¬
stehen. Nie ist fernerhin in ganz analoger Weise die Halsrippe als Ursaohe
einer Skoliose allein zu betrachten, sondern erst dann kann sie als ätio¬
logischer Faktor für die Deformität herangezogen werden, wenn gleichzeitig
die typischen Rippenasymmetrien vorhanden sind, wie ich sie früher be¬
schrieben habe. Naturgemäss kann auch in Verbindung mit der Halsripppe
eine Wirbelmissbildung jeder Art vorliegen, die die Skoliose erklärt. Ich
freue mich, dass diese Verhältnisse von Herrn Kollegen Falk richtig ge¬
würdigt worden sind, und wünsche ihm, dass die Gynäkologie in der Lehre
von den Beckendeformitäten dahin gelangen möge, wohin die Orthopädie
augenscheinlich mehr und mehr in der Lehre von den Wirbelsäulenver¬
krümmungen gelangt, nämlich zu der Erkenntnis, dass für einen grossen
Teil dieser Deformitäten eine blosse mechanische Erklärung nicht aus¬
reicht, dass vielmehr die primäre congenitale Entwicklungsstörung eine
viel bedeutendere ätiologische Rolle spielt, als wir bisher geglaubt
haben.
Hr. Kölliker weist darauf hin, dass er schon vor Jahren fest*
gestellt hat, dass die angeborene Hüftverrenkung bei Kindern, die noch
nicht gegangen sind, auf die Bezeichnung der traumatischen Luxation
übertragen, eine Luxatio supracotyloidea ist; erst durch die Belastung
beim Gehen tritt der Schenkelkopf nach hinten, und es wird aus der
Luxatio supracotyloidea eine Luxation nach hinten, eine Luxatio iliaca.
Ein derartiges Verhalten lässt sich ungezungen durch fötale Entwicklungs¬
störungen am Becken, insbesondere an der Pfanne, erklären, während
intrauterine Feststellung des Beines in Flexion, Adduktion und Innen¬
rotation niemals eine Luxatio supracotyloidea hervorbringen kann.
Hr. Peltesolm:
Vorstellung eines Falles von kongenitaler Missbildung.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Hr. C. Kardamatis:
Anatomische Befände bei Osteogenesis imperfecta.
(Erscheint ausführlich in Virchow’s Archiv für mikroskopische
Anatomie.)
Hr. Kardamatis berichtet über seine anatomischen Befunde bei
einem intra vitam von Joachimsthal beobachteten Kinde.
Indem Vortr. bezüglich des klinischen Befundes und Verlaufes auf
den Bericht Jo ach i ms thal’s *) verweist, macht er hier nur über die
anatomischen Befunde Mitteilung.
Mikroskopische Längsschnitte am Humerus und Femur ergaben:
Die Epiphysen wie die endochondrale Ossifikation sind ausser kleinen
Blutungen normal, ebenso wie die Epiphysenfugen und die verkalkte
Linie. Die Corticalis ist sehr dünn und stellenweise durch Periost er¬
setzt. Mikroskopisch erinnert nichts an frühere Gallusbildungen, nur
die Blutungen, die man hier und da sieht, können auf Frakturen bzw.
Infraktionen hinweisen. Die Spongiosa erweist sich als normal, und
nur an den oberen Dritteln der Diaphysen sind grössere gallertartige
Flecken zu sehen.
In dem mikroskopischen Bilde ist ausser der dünnen Corticalis der
Diaphysen und den vielen alten Blutungen das Merkwürdigste, dass
viele Cysten mit geronnenem Serum gefüllt anzutreffen sind. Derartige
kleine und grosse Cystenbildungen sind fast überall zu sehen, sogar in
der endochondralen Ossifikation. Die meisten weisen ein Reticulum auf,
einige erweiterte Blutgefässe haben denselben Cysteninhalt.
In der Spongiosa finden sich vielfach Bindegewebsfasern, die nach
Looser eine Folge der Frakturen bzw. Infraktionen sind. Diese Binde¬
gewebsfasern haben wahrscheinlich die Lymph- und Blutgefässe kom¬
primiert oder ganz abgeschnürt, wodurch es zu Cysten bi 1 dun gen ge¬
kommen ist. Ueber das Verhalten der Osteoplasten und Osteoklasten
und überhaupt der Markzellen kann Vortr. heute noch nichts Ausführ¬
liches berichten, da seine diesbezüglichen Untersuchungen noch nicht
abgeschlossen sind.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
Sitzung vom 8. Februar 1918.
Demonstrationen vor der Tagesordnung.
1. Hr. Plehn:
Ein Fall von Herzbloek mit Adam-Stokes’sehem Symptomenkomplex.
Die Patientin, ein 29 jähriges Mädchen, war plötzlich mit Herz¬
schmerzen und Ohnmachtsanfällen erkrankt. Die Pupillen waren in
diesen Anfällen reaktionslos. Der Radialpuls wurde unregelmässig. Die
Pulszahl ging bis auf 28 in der Minute herunter, später sogar auf 13
bis 14. Konstant war Venenpuls vorhanden, und das Röntgenogramm
ergab eine starke Erweiterung des rechten und linken Vorhofs. Man
fand post mortem an den Herzklappen eine Randfibrose, ferner fibröse
Veränderungen an den Papillarmuskeln und darf wohl gleiche Verände¬
rungen auch am His’schen Bündel erwarten. Die Dissoziation zwischen
Vorhof und Ventrikelkontraktion wird an Kurven demonstriert.
Diskussion: HHr. Rehfisch und Plehn.
2. Hr. Ziemann:
Ueber künstliche Weiterestwieklang der Malariaparasiten in vitro.
In Blutegeln war die Vermehrung von Malariaplasmodien bisher
niemals beobachtet worden. Bass ist die Kultur des Malariaplasmodiums
gelungen, und zwar wurde als Kulturmedium Blut mit 50 pCt. Dextrose¬
zusatz benutzt. Auch dem Vortragenden ist die Kultur gelungen, und
er demonstriert an LumiÖreaufnahmen den Entwicklungsgang von Per¬
niciosa- und Tertianakulturen (Sporulationsformen, Merozoiten, absterbende
Formen usw.). Letztere kann man im strömenden Blut nicht nach-
weisen, weil sie in der Milz abgefangen werden. Der Dextrosezusatz hat
nach Bass vielleicht die Wirkung, die Lipoidsubstanzen vor der Wirkung
des Serums zu schützen oder aber die Klebrigkeit der Erythrocyten zu
erhöhen.
Diskussion: HHr. Plehn und Ziemann.
Tagesordnung.
Hr. Tachan:
Klinische Untersuchungen über den ßlutznckergehalt.
Beim Gesunden schwankt der Blutzuckergehalt in engen Grenzen,
auch nach Zufuhr grosser Kohlehydratmengen (100 g Traubenzucker)
treten keine wesentlichen Steigerungen ein, in den meisten Fällen wurden
dabei Werte gefunden, die in denselben Grenzen lagen, wie die beim
nüchternen Gesunden festgestellten, nur selten wurde 0,1 pCt. um ein
Geringes überschritten. Bei fieberhaften Krankheiten sind die Blutzucker-
werte in nüchternem Zustande erhöht, nach Aufnahme von 100 g Trauben¬
zucker treten weitere erhebliche Steigerungen der Hyperglykämie ein.
Diese alimentären Hyperglykämien beim Fieber stehen nicht in konstanter
Beziehung zur Höhe der Temperatur. Bei chronischen Nephritiden
wurden in einer Anzahl von Fällen geringe Erhöhungen des Blutzucker¬
gehaltes in nüchternem Zustande gefunden. Nach 100 g Traubenzucker
traten in unkomplizierten Fällen keine wesentlichen Erhöhungen der
Werte ein, nur wenn gleichzeitig anderweitige, mit Zuckerstoffwechsel¬
störungen einhergehende Erkrankungen vorhanden waren, wurden erheb¬
liche alimentäre Hyperglykämien beobachtet. Bei Leberkranken und
Patienten mit alimentärer Glykosurie wurden ausgesprochene Hyper¬
glykämien eine Stunde nach der Aufnahme des Zuckers festgestellt.
Systematische Untersuchungen haben nun ergeben, dass in vielen Fällen
erhebliche alimentäre Hyperglykämien auftrateD, in denen keine Zucker¬
ausscheidung mit dem Harne erfolgte. Die Untersuchung auf alimentäre
Glykosurie genügt zur Prüfung des Zuckerstoflwechsels also nur dann,
1) Diese^Wochenscbr., 1912, Nr. 17.
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370
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
wenn dabei Zucker im Harne gefunden wird. Fehlt die Zuckerausscheidung,
so ist damit noch nicht gesagt, dass der intermediäre Zuckerstoffwechsel
normal verläuft, es muss weiter untersucht werden, ob das Verhalten
des Blutzuckers ein normales ist oder pathologische Erhöhungen ein-
treten.
Klinische Bedeutung hat die Blutzuckeruntersuchung besonders beim
Diabetes mellitus. Man findet hier erhebliche Hyperglykämien. Beim
Herabgehen der Glykosurie sinken gewöhnlich auch die Blutzuckerwerte
ab. Auch bei zuckerfreiem Harne können erhebliche Hyperglykämien be¬
stehen. Für die Prüfung auf alimentäre Hyperglykämie kommt beim
Diabetiker die Darreichung von Traubenzucker nicht in Betracht, da sie
oft ungünstig auf die Toleranz wirkt. Vortr. hat deshalb eine Stunde
nach Aufnahme von 50 g Weissbrot zum ersten Frühstück untersucht.
Dabei wurden in allen Fällen Steigerungen der Hyperglykämie fest¬
gestellt, deren Grösse anscheinend gewisse Schlüsse auf die Schwere der
Stoffwechselstörung zulässt. Die Höhe der Hyperglykämie in nüchternem
Zustande steht nicht in konstanter Beziehung zu der Grösse der Zucker¬
ausscheidung. Besonders beobachtet man oft Fälle, wo bei erheblicher
Hyperglykämie die Zuckerausscheidung gering ist oder sogar völlig fehlt.
Gerade für diese Fälle ist die Blutuntersuchung von grosser klinischer
Bedeutung, da durch sie erst die wahre Schwere der Erkrankung fest¬
gestellt wird.
Zum Schluss wird über Untersuchungen über die Verteilung des
Blutzuckers auf Blutkörperchen und Plasma berichtet. In nüchternem
Zustande wurden nur geringe Unterschiede zwischen dem Zuckergehalt
des Gesamtblutes und dem des Plasmas gefunden; auf der Höhe der
alimentären Hyperglykämie war die Differenz oft ganz erheblich grösser.
(Autoreferat.) H. Hirschfeld.
Berliner urologische Gesellschaft.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr C. Posner.
Schriftführer: Herr R. Kutner.
Die Sitzung ist zugleich Generalversammlung. Nach Erstattung des
Geschäftsberichts durch Schriftführer, Schatzmeister und Bibliothekar
werden die revidierten Statuten einstimmig genehmigt. Die Gesellschaft
beschliesst auf Antrag des Vorstandes, 100 M. für das Robert Koch-
Denkmal zu bewilligen. Bei den Wahlen zum Vorstand wird an Stelle
des statutenmässig ausscheidenden Herrn Posner Herr L. Casper zum
ersten Vorsitzenden, an seiner Stelle Herr H. Wossidlo zum stellver¬
tretenden Vorsitzenden gewählt. Die übrigen Mitglieder des Vorstandes
werden wieder- und in den Ausschuss Herr G. Ben da neugewählt.
Demonstration vor der Tagesordnung.
Hr. Raspel: 1. Pyurie mit Schüttelfrost nach normales Abort.
Tumor der rechten Niere. Ureterenkatheterismus zugleich mit Ein¬
spritzung von 80 ccm Collargollösung ins Nierenbecken. Exslirpation
der Niere. Heilung per primam. Demonstration des Röntgenbildes:
Vereitertes Nierenbecken.
2 . Ureter8teiademoistratioB im Röntgenbilde.
Tagesordnung.
Hr. A. Lewin:
Blaseagesebwülste bei Arbeiten ia Anilinfabriken.
ln der Statistik von Rehn 41 Beobachtungen in der Zeitvon 1895
bis 1910. Leuenberger stellte aus der Baseler chirurgischen Klinik
in kurzer Zeit 18 Fälle zusammen, nicht nur bei Anilinarbeitern, son¬
dern auch bei Tuchfärbern usw. AniJinarbeiter sterben 33 mal häufiger
an Blasentumoren, als Arbeiter anderer Berufe. Mehr als die Hälfte
aller Fälle von Blasentumoren auf der Baseler Klinik betrafen Anilin¬
arbeiter. Aetiologisch kommt für die Bildung der Tumoren in Betracht
das Anilin, das Naphthylamin und das Toluidin. Die Arbeiter haben
bei Entstehung der Tumoren bereits viele Jahre mit den reizenden
Stoffen gearbeitet. Fall von Lewin, seit 26 Jahren in der Anilinfabrik
beschäftigt, erkrankte an Dysurie und Hämaturie. Cystoskopisch sieht
man infiltrierenden Tumor der ganzen Blasenschleimhaut vom Orificium
internum bis zum Vertex. Von einer Operation wegen bestehender
Drüsenmetastasen Abstand genommen. Der Kranke erinnert sich aus
seiner langjährigen Tätigkeit an acht Kameraden mit Blasenerkrankungen.
Von den 18 von Leuenberger gesammelten Fällen wurden 14 operiert.
Von diesen leben sechs. Vier von den Lebenden hatten Papillome,
zwei Carcinome. Demonstration des Tumors durch Projektionsapparat.
Diskussion.
Hr. Rumpel hat drei Arbeiter aus Anilinfabriken wegen Blut-
harnens behandelt. Zwei hatten Cystitis haemorrhagica, einer Carcinom.
Letzterer mit Erfolg operiert, später trat bei Fortarbeit in der Anilin¬
fabrik Recidiv auf, ging daran zugrunde. Demonstration des Tumors.
Hr. Mankiewicz: Die in der Statistik aufgeführten Tumoren sind
nicht alle Carcinome, ein Teil ist unbestimmten Charakters, vier sind
Sarkome.
Hr. Israel hat den Direktor einer Anilinfabrik mit Blasenerkrankung
beobachtet, der nur gelegentlich in seinem Privatlaboratorium mit Anilin
gearbeitet hat.
Hr. Casper bestätigt diese Mitteilung. Es erkranken nicht nur
Arbeiter, sondern auch Leute, die in der Fabrik beschäftigt sind. Beob¬
achtung von zwei Fällen, die starben.
Hr. H. Straiss: Zar Prognose chreiiseher Nephritiden.
Wichtig für die Prognose ist die Bestimmung des Reststickstofis
im Blut. Bei normalen Menschen beträgt er ca. 50 mg, bei Uräraikem
bis 250 mg. Hohe Werte von Reststickstoff im Blut sind ein Signum
mali ominis. Von anderer Seite (Vidal) wurde der Harnstoff im Blute
als Indikator empfohlen. Bei Stickstoffbestimmungen braucht man
60—70 ccm Blut. Dies ist sehr umständlich. Follin hat ein neues
Verfahren angegeben, bei dem nur 5—10 ccm Blutserum erforderlich
sind. Dies ist empfehlenswert. Nur hohe Werte von Reststickstoff,
75—150 mg, sind prognostisch als Kriterium zu benutzen. Ueber 150 mg
machen die Prognose quoad tempus schlecht. Harnstoffbestimmung des
Blutes ist nicht zu benutzen, da der Harnstoffgehalt nicht mit dem
Reststickstofi parallel geht.
Diskussion.
Hr. Roth empfiehlt zur Bestimmung der Nierenprognose die Phenol-
sulfophthaleinmethode.
Hr. Schneider empfiehlt den Jodkaliversucb, den Durstversuch,
Milchzuckerversuch. Durch Kombination dieser Methoden erhält man
ein gutes Bild über die Nierenfunktion.
Hr. Casper fragt, ob bei Gesunden der Reststickstoff eine konstante
Zahl sei.
Hr. Strauss (Schlusswort): Bei Gesunden ist der Reststickstoff
ca. 30—50 mg, bei Carcinom, Anämie usw. geht er bis 75—100 mg.
Alle Fälle mit über 150 mg kommen bald ad exitum. Es ist viel
sicherer, sich bei Prüfungen an das Blut als an den Urin zu halten.
Die Phenolsulfophthaleinprobe, die Jodkali-, Wasser-,Milchzuckerinjektions-
probe, Kochsalzversuch gaben wechselnde Resultate. Bei Milchzucker¬
injektionen, intravenös verabfolgt, tritt Fieber auf. Gegen den Jodkali¬
versuch ist nichts einzuwenden.
Hr. Ullraann (Assistent von Hrn. Strauss) berichtet zur Ergänzung
folgendes: Die Phenolsulfophthaleinprobe ist unzuverlässig, denn die
Menge des ausgeschiedenen Farbstoffs ist schwer zu bestimmen, weil er
zum Teil durch Urinfarbstoff verdeckt wird. Die Ausscheidung ist nicht
allein eine aktive, sondern auch eine passive Tätigkeit der Nieren. Es
kommt auch auf die eingenommenen Wassermengen an. Kranke Nieren
scheiden den Farbstoff manchmal schuell, gesunde Nieren sehr langsam
aus. Die Jodkaliprobe ist einfach. Die Kochsalzprobe gibt ein gutes
Bild der Nierenfunktion. Die Wasserprobe hat sich in einer Reihe von
Fällen bewährt.
Hr. Wilhela Israel: Denoastratisnea z«r Nierenehirurgie.
1. Niere mit gelben, bräunlichen Nierenpapillenspitzen. Dies wird
durch Hämatin bewirkt.
2. Dieser Fall zeigt die Entstehung einer tuberkulösen Hydro-
nephrose durch Vorhandensein einer Narbe am Ureteranfang.
3. Völlige Atrophie und Verödung einer tuberkulösen Niere.
4. Pyonephrosis calculosa occlusa.
5. Selten grosse Hydronephrose bei einem 40jährigen Arzt. Das
Leiden ist bis auf die Kindheit zurückzuführen. Im Alter von 24 Jahren
nach Stoss Hämaturie, kindskopfgrosser Tumor der linken Seite. Im
vorigen Jahr nach starker Körperanstrengung Fieber. Nach Eröffnung
Punktion des Nierenbeckens, Entleerung von 7 Litern bräunlicher Flüssig¬
keit. Nephrektomie. Heilung nach 18 Tagen.
6. Hypernephrom. Der Fall zeigt infolge Circulationsstauung
Blutungen aus der Parenchyma ins Nierenbecken, ohne Zusammenhang
des Tumors mit letzterem. L. Lipman-Wulf.
Gynäkologische Gesellschaft za Berlin.
Sitzung vom 24. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Buram.
Demonstrationen.
Hr. Kan8ch: Nabelschnurumschlingung.
Redner hat einen Fall beobachtet, in welchem die Nabelschnur um
das Bein des Kindes geschlungen war. Dieser Vorfall ist seltener als
die Umschlingung um den Hals. Diese Umschlingungen wirken ähnlich
wie die Simonart’scben Bänder.
Er zeigt ferner die Photographie eines Cyklopen. Es ist ein tod-
geborener Fötus, der nur eine Orbita und nur ein Auge hat. Von dem
zweiten ist nur eine Andeutung vorhanden.
Hr. Hallaaer stellt eine Patientin vor, welche eine ziemlich tiefe
Tracheotomienarbe und eine zu beiden Seiten davon sichtbare Struma
aufweist. Jedesmal, wenn sie gravide wird, treten erhebliche Atem¬
beschwerden auf, ohne dass eigentlich ein rechter Grund dafür vorhanden
ist. Die Atembeschwerden sind aber so heftig, dass er es für eine Indi¬
kation für den artefiziellen Abort hält.
Hr. Bdoiid macht auf einige Patienten aufmerksam, welche nach
Anwendung von Mesothorium Verbrennungen erlitten haben. Es wäre
so sehr wünschenswert, dass man für die sehr teure Anwendung der
Röntgenstrahlen einen Ersatz hätte, aber auch das Radium und das
Mesothorium sind immer noch recht teuer. Das wichtigste ist, die Zeit
der Einwirkung festzustellen, die für den Erfolg nötig ist, ohne dass
Schaden entsteht. Das ist aber sehr schwer, da die individuelle Tole¬
ranz in sehr weiten Grenzen schwankt. Die anzuwendende Dosis ist
20—25 mm in silbernen Kapseln. Während einige Patienten die An¬
wendung längere Zeit hindurch vertragen, treten bei anderen schon
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
371
nach 9—12 Stunden Nekrosen der Schleimhaut auf. Der Durchschnitt
der Anwendungszeit ist 6 Stunden. Es wird darauf ankommen, wie
lange man das Mesothorium liegen lassen kann.. Die Resultate sind
ähnlich denen bei Anwendung der Röntgenstrahlen, namentlich bei
Blutungen, bei Endometritis, Myomen usw.
Hr. Ziasser: Ueber die Sehftdignag der Niere bei Eklampsie.
Es ist jetzt wohl als entschieden anzusehen, dass ein direkter Zu¬
sammenhang der Erscheinungen, welche die Eklampsie darbietet, mit
der dabei beobachteten Nephritis nicht besteht. Zu entscheiden sind
zwei Fragen: 1. Hängt die Schwere der Nierenerkrankung mit der
Schwere der Eklampsie zusammen? 2. Hat die Schädigung der Niere
auf den Verlauf einen wesentlichen Einfluss?
Der Satz, dass mit steigender Diurese Besserung eintritt, hat keine
allgemeine Geltung. Ebensowenig kommt nach Zangemeister dem
Grad der Albuminurie eine prognostische Bedeutung zu. Auch die
stickstoffhaltigen Harnsalze und das Kochsalz sind ohne Bedeutung.
Eher ist der Kochsalztiter noch bei den mit Oedem verbundenen Fällen
masssgebend. Ein niedriger Kochsalztiter ist ungünstig. Jedoch setzt
die Schädigung durch Kochsalzretention erst spät ein. Die Kochsalz¬
bestimmung kann uns daher nur momentan über den Stand aufklären.
Redner belegt diese Behauptungen durch Demonstration von mehreren
Kurven.
Was die zweite Frage anlangt, so kommen bei der sekundären
Urämie als Retentionsprodukte in Betracht: Das Wasser, die Chloride
und die stickstoffhaltigen Substanzen. Die beiden letzteren sind ohne
Bedeutung, da die Niere für sie ein gutes Ausscheidungsvermögen be¬
hält Ausserdem dauert die Retention nie so lange, dass sie zu
fürchten wäre.
Auch alle Blutuntersuchungen waren bisher ohne Ergebnis. Die
urämischen Formen verhalten sich allerdings etwas anders. Als Para¬
digma kann die Scharlacbniere angesehen werden, weicher die Eklampsie-
niere noch am nächsten steht. Dass das Oedem an den Krämpfen
schuld hat, dagegen spricht, dass oft andere Oedeme fehlen. Es ist
aber nicht einzusehen, warum gerade das Gehirn ödematös sein sollte,
wenn alle anderen Organe es nicht sind. Es kann in Betracht kommen
für diejenigen Fälle, welche sich aus der Nephritis gravidarum ent¬
wickeln. Jedoch spricht auch dagegen, dass die Lumbalpunktion, welche
bei der Scharlachniere so gute Erfolge aufweist, bei der Eklampsie fast
stets ohne Erfolg ist. In Fällen von stärkerer Erkrankung sind auch
andere Organe mit erkrankt. Man kann also nicht sagen, was nun
eigentlich im Vordergrund steht. Kürzlich sind wieder Publikationen
von Franz und Esch erschienen über giftige Harnstoffbestandteile, aber
es hat sich diese Publikation keine Anerkennung verschafft. Die
Eklampsie kann ohne Nierenschädigung entstehen, kann also nicht
von ihr abhängig sein. Man kommt also zu dem Resultat, dass die
Nierenerkrankung nur eine Episode in dem grossen Drama der
Eklampsie ist.
Diskussion.
Hr. Liepmann kann die Ansicht des Vortr. nur bestätigen. Die
Nierenerkrankung ist nur eine Episode. Er hat auch Fälle gesehen, die
ungünstig verliefen, obgleich die Diurese stieg. Auch die Albuminurie
gestattet keine Prognose. Er vermutet das Gift in der Placenta.
Hr. Bumm glaubt, dass die Nierenerkrankung doch einen gewissen
Zusammenhang mit den Anfällen hat. Eine grosse Reihe von Fällen
zeigt eine Nierenschädigung und fängt mit der Erkrankung der Niere
an. Durch einfaches Experiment ist das nicht zu widerlegen. Auch an
dem Wert der Zunahme der Diurese hält er fest.
Hr. Nagel weist darauf hin, dass es Fälle gibt, in denen Cylinder
ohne sonstige Erscheinungen auftreten.
Hr. Liepmann: Der Zusammenhang zwischen Nierenerkrankung
und Eklampsie ist sicher, aber unbekannt. Nach den bisherigen Unter¬
suchungen ist anzunehmen,' dass die Giftquelle wo anders, nämlich in
der Placenta liegt
Hr. Bumm: Die Gifte sind eben unbekannt. Bisher hat sie ausser
Herrn Liepmann noch niemand gesehen.
Hr. Zinsser meint er habe nicht geleugnet, dass die Nieren¬
erkrankung von Wichtigkeit sei, jedoch wiese eben diese Erkrankung
noch eine so grosse Reihe anderer Erscheinungen auf, dass man sie
nicht als das ursprünglich maassgebende ansehen könne.
Siefart.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Neisser.
Schriftführer: Herr Partsch.
Hr. Dfirthle:
Ueber Aazeieheu eiier Förderung des Blutstromes durch aktive
pulsatoriseke Tätigkeit der Arterien.
Der Vortragende teilt das Ergebnis von Versuchsreihen mit, die
alle zugunsten der Hypothese verwertet werden können, dass auch die
Arterien durch aktive pulsatorische Tätigkeit an der Bewegung des Blut¬
stromes beteiligt sind. Ein Teil der Versuche wird demonstriert. Da
aber bei einzelnen Versuchen die Möglichkeit einer anderen Deutung
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und auch einzelne
widersprechende Befunde vorliegen, hält der Vortragende den ein¬
wandfreien Nachweis der Richtigkeit der Hypothese nicht für erbracht.
Die erste Versuchsreihe bildet eine Fortsetzung der vom Vortragenden
schon veröffentlichten Versuche über die Beziehung zwischen Druck
und Geschwindigkeit des Blutes in den Arterien, in der neue
Versuche mit Lähmung und Erregung der Gefässwand an¬
gestellt wurden. Die Lähmung erfolgte durch mehrstündige Absperrung
der Blutzufuhr, die Erregung durch Adrenalin, Pituitrin und Digitalis.
Dabei ergab sich, dass nach Lähmung der Gefässe die registrierte Strom¬
kurve sehr gut mit derjenigen übereinstimmt, welche unter der Voraus¬
setzung berechnet wird, dass die Stromstärke vom arteriellen Druck, den
Widerständen und der Elastizität der Bahn abhängt. Nach Anwendung
der erregenden Mittel aber weicht die registrierte Stromkurve von der
berechneten sehr stark in der Richtung ab, dass die systolische Strom¬
stärke grösser, die diastolische kleiner ist als die berechnete, An der
Grenze von Systole und Diastole tritt eine deutliche rückläufige Be¬
wegung des Blutstromes auf. Dieser Rückstrom lässt sich auch in den
Arterien des Froschmesenteriums nach Anwendung von Adrenalin bei
mikroskopischer Beobachtung feststellen.
In einer weiteren von Herrn oand. med. Schäfer durohgeführten
Versuchsreihe werden die bei künstlicher Durchströmung unter
konstantem und rhythmischem Druck durch die Gefässe der
Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen verglichen.
Während diese ohne weitere Eingriffe merklich gleich gefunden werden,
ändern sie sich beim Zufügen erregender Substanzen zur Durch-
strömungsfiüssigkeit in der Richtung, dass bei pulsatoriscber Strömung
unter gleichem mittleren Druck erheblich mehr durchfliesst als bei
konstantem.
Ein ähnliches Ergebnis erhält man am lebenden Hund bei
Registrierung von Druck und Stromstärke in der Artcria cruralis, wenn
man die pulsatorische Druckschwankung durch Einschaltung
einer Blende und eines Windkessels in den Blutstrom ab¬
dämpft; das systolische Stromvolum wird relativ kleiner.
Da durch diese Versuchsreihen die Möglichkeit einer aktiven
pulsatorischen Tätigkeit der Arterienwand nahegelegt wird, wurde nach
Zeichen einer solchen, zunächst nach Aktionsströmen gesucht. Tat¬
sächlich gelang es, kurze systolische Bewegungen der Saite des Galvano¬
meters zu registrieren bei künstlicher rhythmischer Durchströmung des
Froscbkörpers nach Entfernung des Herzens, an ausgeschnittenen
Arterien vom Hund, sowie am Hinterbein des lebenden Hundes. Da
aber noch keine Kontrollversuche angestellt werden konnten, kann nicht
als sichergestellt angenommen werden, dass die Saitenbewegungen durch
Aktionsströme veranlasst sind und keine andere Ursache haben.
Während die genannten Versuche in einer aktiven pulsatorischen
Tätigkeit der peripheren Arterien eine einfache Erklärung finden
würden, spricht eine letzte Versuchsreihe für die Möglichkeit einer
solchen Funktion bei den centralen Arterien: Die Verfolgung der auf¬
fallenden Erscheinung, dass die Druckschwankung in der Crural-
arterie grösser ist als in der Carotis, ergibt nämlich, dass das
Verhältnis der beiden Pulsamplituden experimentell inner¬
halb weiter Grenzen abgeändert werden kann. Setzt man die
Aplitude in der Carotis = 1, so beträgt die beim gleiche Pulse in der
Cruralis registrierte im Mittel etwa 1,4, erhebt sich aber bei Anwendung
gefässerregender Mittel auf 2 und darüber und sinkt andererseits nach
Anwendung lähmender Mittel unter den Wert 1, d. h. es wird in diesem
Falle die bei Anwendung der Wellenlehre auf den Blutstrom zu er¬
wartende Dämpfung der Welle tatsächlich beobachtet. Da aber die
Möglichkeit zugegeben werden muss, dass beim Zustandekommen dieser
Erscheinung Wellenreflexion beteiligt ist, kann die Tatsache vorläufig
gleichfalls nicht als einwandfreier Beweis für eine aktive Tätigkeit der
Gefässe angesehen werden. Das gemeinsame Ergebnis der Versuchs¬
reihen aber, dass durch ganz verschiedene Methoden Tatsachen fest¬
gestellt sind, welche sioh durch die Annahme einer aktiven pulsatorischen
Tätigkeit der Arterien relativ einfach verstehen lassen, fordert zu einer
weiteren und ernsten Prüfung der Hypothese auf,
Diskussion.
Hr. Bittorf hat völlig unabhängig vom Vorredner, zum Teil
von anderen Voraussetzungen ausgehend, nach Erwerb eines Saiten¬
galvanometers durch die medizinische Klinik im Sommer 1912 mit
diesem ebenfalls die aktive pulsatorische Betätigung der
Arterien nachgewiesen.
Seine zuerst am Menschen (Normalen unter verschiedenen Ver-
suohsbedingunger, Herz-Nierenkranken) angestellten Versuche fielen zwar
noch meist negativ oder wenigstens zweifelhaft aus, jedoch erhielt er in
einzelnen Fällen sicher positive Resultate und pulsatorische Fadenaus¬
schläge; Elektroangiogramm (Demonstration Kurve 1, oben Elektro-
angiogramm, unten Pulskurve).
Die längst beabsichtigten Tierversuche wurden später ausgeführt,
und zwar zeitlich nach einem Gespräch mit Herrn Hürthle,
in dem Bittorf von seinen bereits seit längerer Zeit durchgeführten
Untersuchungen am Menschen erzählte und von seinen beabsichtigten
Tierversuchen und deren Methodik sprach. Dabei erfuhr er von den
gleichgerichteten Untersuchungen und Resultaten des Herrn Hürthle,
ohne Kenntnis von dessen Versuchsanordnung zu erlangen.
Es wurden bei seinen Tierversuchen von der am lebenden Tiere
(Kaninchen und Hunden) freigelegten und isolierten Femoralarterie mit
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372
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Kurve 1.
Kurve 2.
. -
unpolarisierbaren Elektroden abgeleitet und Kurven gewonnen, die
ebenfalls eine Aenderung des Erregungszustandes der Gefässmuskulatur
bei jedem Pulse zeigten (Demonstration Kurve 2, oben Elektroangio-
gramme, unten Pulskurve).
Es scheint ihm damit die aktive pulsatorisch erfolgende Tätigkeit
der Arterien bewiesen.
Hr. Strassburger weist auf die klinische Bedeutung der vom
Vortr. behandelten Frage hin. So gewinnt die vasomotorische Kreislauf¬
insuffizienz ein anderes Ansehen, wenn man ihr Wesen nicht nur in
einer übermässigen Erweiterung des Gefässsystems, sondern auch in dem
Ausbleiben einer aktiven rhythmischen Fördertätigkeit desselben sieht.
In der Hydrotherapie spielt- weiterhin vielfach die Vorstellung eine Rolle,
dass man durch Kaltwasserprozeduren mit guter reaktiver Gefässerweiterung
eine aktive, der Vorwärtsbewegung des Blutes dienende Tätigkeit der
Blutgefässe erhöhen und damit den Kreislauf verbessern könne. Irgend¬
welche Beweise für diese Annahme haben bis jetzt gefehlt.
Ferner macht Redner darauf aufmerksam, dass bei der Annahme
ryhythmischer, mit dem Puls zusammeegehender Kontraktionen der
Arterien die Druckaraplitüde des Pulses hierdurch bedingte Verände¬
rungen erleiden muss. Will man also aus der Höhe des Pulsdruckes
Rückschlüsse auf das Schlagvolumen des Herzens machen, so muss man
mit der Möglichkeit rechnen, dass ausser der Weitbarkeit des Gefäss¬
systems auch noch der genannte Faktor das Resultat beeinflussen kann.
Es ist dies wieder ein Hinweis darauf, dass es erforderlich ist, bei
Druckmessungen, soweit sie über das Verhalten des Herzens Auskunft
geben sollen, die Messung so nahe als möglich am Herzen vorzunehmen.
Man sollte eigentlich meinen, dass pulsatorische Kontraktionen am
deutlichsten an denjenigen Arterien zum Ausdruck kommen müssten,
welche im Verhältnis die meiste Muskulatur enthalten. Es sind dies
die kleinsten peripher gelegenen Arterien, und im Anschluss hieran
sollte man schon normalerweise, oder nach kalten Bädern, Diagitalis usw.
das Vorhandensein eines im Bereich der Capillaren sichtbaren Pulses er¬
warten. Ein Capillarpuls tritt aber bekanntlich beim Menschen gerade
unter anderen Verhältnissen auf.
Aerztliclier Verein zu Hamburg.
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 21. Januar 1913.
1. Hr. Unna sen.:
Die praktische Anwendung der Sauerstoffreagentien.
Während bei der accessorischen Atmung Oxydationsfermente
wirksam sind, die, von der Zelle loslöslich, auf bestimmte Stoffe spezi¬
fisch eingestellt sind (z. B. Urikase u. a.) und mit der Zelle als solcher
nichts zu tun haben, spielt sich die Hauptatmung im Innern der Zelle
selbst ab. Die Beobachtung der letzteren gestattet also eine Analyse
der Zelle selbst. Dabei muss die Wirkung der auf die Zellbestandteile
einwirkenden Stoffe eine automatische sein, unbeeinflusst durch äussere
Faktoren (Wärme usw.). In zahlreichen Lumierebildern werden zunächst
die hauptsächlichsten Reduktionsorte vorgeführt: das Spongioplasma,
Nerven, wogegen rote Blutkörperchen und Elastin nur etwas, Knorpel
fast gar nicht reduzieren. An zahlreichen Beispielen wird die Wichtig¬
keit der mit Hilfe von Rongalitweiss leicht nachzuweisenden Sauerstoff¬
orte dargetan: die Kerne sind nicht lediglich als Substrat der Mitosen,
sondern auch als O-Träger wichtig. Bei Gonokokkeneiter erscheinen
Kerne und Gonokokken blau, als O-Orte; Stapbyloc. aur. verhält sich
anders. Ein allgemein gleichmässiges Sauerstoffbedürfnis des Körpers
besteht nicht. Bei einfachst organisierten Lebewesen besteht keine be¬
sondere Differenzierung von O-Orten, da sie gewissermaassen „im Sauer¬
stoff schwimmen“; Nuclein, Cytose, Mastzellenkörner wurden allmählich
die O-Orte der höheren Tiere. Beispiele einiger O-Orte in inneren
Organen: in der Niere die Glomeruli und geraden Harnkanälchen. In
lelzteren wird also der Harn oxydiert, wie aus Ehrliches früheren
Untersuchungen schon geschlossen werden musste. Die Wichtigkeit der
langen Ausführungsgänge von Drüsen ist damit klargelegt. In den
Lungen sind die Bronchen grosse O-Orte; ebenfalls wichtige 0 Orte sind
die Mastzellen.
Neben diesen „aktiven O-Orten“ gibt es im Körper noch weiterhin
O-Speicherorte, z. B. Plasma- und Ganglienzellen, sowie Knorpel.
Nach viertägiger aseptischer Aufbewahrung sind die O-Orte der
Niere noch darstellbar, vom 6. Tag ab nicht mehr; es handelt sich also
nicht um die Wirkung eines oxydierenden Fermentes, sondern wohl um
einen mineralischen Aktivator. Die Rongalitweissmethode stellt nicht
einfach eine Methylenblaufärbung dar, denn diese O-Orte lassen sich
z. B. durch Cyankalium u. a. „vergiften“.
Diskussion.
Hr. E. Fraenkel frägt den Vortr., ob alle Rnorpelarten, oder nur
der hyaline als O-Ort anzusehen sei. Bezüglich der Stabilität der O-Orte
nach dem Tode wäre die Frage aufzuwerfen, ob es sich nicht vielleicht
um postmortale Aufnahme von Sauerstoff handle.
Hr. Moeller berichtet über Untersuchungen, die er auf Ver¬
anlassung von Herrn Unna an der Mundschleimhaut angestellt hat.
Dieselbe reduziert fast bei allen Gesunden stark; desgleichen der Speichel
von 40 Patienten.
Hr. Jakobsthal bemerkt, dass die zwei funktionell verschiedenen
Kerne des Trypanosoma sich als O-Orte erweisen.
Hr. Unna (Schlusswort): Hyaline und elastische Knorpel sind
O-Orte. Zutritt von Luft zu den Geweben ist notwendig, um die O-Orte
post mortem nachzuweisen.
2. Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim (a. G.):
Die Bedeutung von Blutzuckerbestimmungen bei Diabetes.
Vortr. empfiehlt die von ihm (ursprünglich gemeinsam mit Stein)
angegebene und neuerdings verbesserte kolorimetrische Methode der
„Blutzucker“-Bestiramung. Ausser Glykose werden damit auch Pentose,
Glykuronsäure und andere Kohlehydrate nachgewiesen; Genauigkeit be¬
trägt 1,8 pCt., „Fehler erst von der 4. Decimale ab“. Einarbeiten in die
Methode (1—2 Monate lang) erforderlich. Die Methode gestattet häufig
wiederholte Blutzuckerbestimmungen, da sie nicht mehr als 4 ccm Blut
erfordert. Klinische Ergebnisse: der Gesunde zeigt hiermit Werte von
0,09—0,15 pCt.; nach 100 g Dextrose Anstieg auf 0,2—0,25 pCt. Beim
Diabetiker 0,2 —0,4 pCt., nach Zuckerzulage erheblicher Anstieg der
„Blutzucker“-Kurve, sowie der Kurve des respiratorischen Quotienten.
Aus dem Verhalten der beiden Kurven lassen sich Schlüsse auf die
Schwere des Diabetes, auf den Einfluss von therapeutischen Maassnabmen
ziehen. Vortr. bespricht im einzelnen die günstige Einwirkung von Kur¬
orten, speziell von Bad Mergentheim, auf das Befinden des Diabetikers
an Hand von 30 eingehend untersuchten Fällen, ln einem Falle war
aus dem verspätet auftretenden Anstieg des „Blutzuckers“ nach Plasmon¬
verabreichung auf eine Zuckerbildung aus Eiweiss zu schliessen. Hinweis
auf die Möglichkeit, Fälle von latentem Diabetes damit zu klären. Im
Coma diabetic. sinkt der Harnzucker, der Blutzucker steigt an. Nach
Versuchen am Hunde ist bei den oftmals wiederholten Blutentnahmen
zwecks Zuckerbestimmung eine „Aderlasshyperglykämie“ nicht zu be¬
fürchten.
Diskussion.
Hr. Schümm weist auf die scharfe Verurteilung der Methode durch
Forschbach und Severin-Breslau hin. Er selbst hält die Methode
für jedenfalls bedeutend weniger zuverlässig, als dies nach den Aus¬
führungen des Herrn Vortr. anzunehmen wäre.
Hr. Hegler weist auf die ausgedehnten Untersuchungen hin, über
welche er, gemeinsam mit Schümm, im Biologischen Verein am
2. November 1911 ausführlich berichtete. Diese Untersuchungen (an
über 300 Fällen) wurden mit der Bang’schen Methode, vielfach mit
nachfolgender Vergärung und Bestimmung der „Restsubstanz“ ausgeführt.
Die damit erhaltenen Werte sind durchweg niedriger als die des Herrn
Vortr. Bei Gesunden stieg der Blutzucker eine Stunde nach 100 g
Dextrose niemals über 0,12 pCt.; eine erhöhte alimentäre Hyperglykämie
war nicht bloss beim Diabetes, sondern auch bei zahlreichen anderen
Krankheiten (Pneumonie, Infektionskrankheiten u. a.) nachzuweisen. Als
Schwellenwert ergab sich 0,2 pCt. Blutzucker; wo dieser Wert über¬
schritten war, trat regelmässig auch im Harn Zucker auf.
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24. Februar lö 13.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
373
Hr. AUard hat den in Breslau aasgeführten Nachuntersuchungen
der Reicber'schen Methode selbst beigewohnt und kann danach Zweifel
an der Genauigkeit derselben nicht unterdrücken. In seiner vom Herrn
Vortr. citierten Arbeit habe er die stark abführende Wirkung der
Mergentheimer Karlsquelle als wahrscheinliche Hauptursache des Rück¬
gangs der Glykosurie bezeichnet.
Hr. Reicher (Schlusswort) betont nochmals die Genauigkeit seiner
Methode — „die reduzierenden Methoden sind noch schlechter als die
kolorimetrische!“) —; Werte von 0,4 pCt. Blutzucker und höher ohne
Glykosurie habe er öfter beobachtet. Herrn AUard gegenüber betone
er, dass dieser selbst in seiner früheren Publikation sich dahin aus¬
gesprochen habe, dass nicht ausschliesslich das Eintreten von Durch¬
eilen die günstige Wirkung der Mergentheimer Kur auf den Diabetiker
erklären könne.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
Demonstrationen:
1. Hr. KeUenberg zeigt ein Instrumentarium, mit welchem er einem
8jährigen Jungen mit Athyreosis congenita ein Stück Schilddrüse der
Matter ia die Milz eingepflanzt hat. Zweizeitiges Operieren: die Milz
wird vor das Peritoneum gelagert, eine. Tasche gebildet und hierin
transplantiert. Grösse des Transplantates 3:1 cm. Psychische und
somatisohe Besserung, die bisher anhielt. Bei einem anderen, kleineren
Kind wurde die Transplantation in die Tibia gemacht.
2. Hr. Kümmell zeigt a) älteren Herrn, welchem er vor 5 /« Jahren
wegen Careinons die Zunge total exstirpiert hat (nach Spaltung der
Wange und Unterbindung der Art. lingualis). Patient spricht jetzt sehr
verständlich, bisher keine Drüsen zu fühlen. Sehr bewährt hat sich hier¬
bei die intravenöse Narkose mit Isopral. b) Präparat einer Zunge, die
bei Carcinom des Mundhöhlenbodens sich in toto als fester Körper mit
der Pincette hervorziehen liess.
3. Hr. Sadeck demonstriert verschiedene Patienten und Röntgen¬
bilder von Unterkieferresektion wegen maligner Tumoren, sowie die
dabei verwandten Prothesen.
4. Hr. Hegler: 35jähriger Steinhauer mit Morbns Addison (zum Ver¬
gleich ein 62jähriger Kranker mit hochgradiger Argyrosis). Katarrh über
beiden Lungen, Tendovaginitis crepitans, Asthenie, erhebliche gleich-
mässige Pigmentierung des Rumpfes, Schleimhäute nicht pigmentiert;
Subacidität; Blutdruck 90—130 ccm Wasser; Blutzucker vor und nach
100 g Dextrose: 0,086pCt. bzw. 0,125pCt. Blutbild: 70pCt. Hb;
4,7 Millionen Erythrocyten, 6600 Leukooyten, wovon 70 pCt. Neutro¬
phile, 20 pCt. Lymphocyten, 7 pCt. grosse Mononuoleäre und 3 pCt.
Eosinophile; kein Anhaltspunkt für Status thymioo-lymphaticus. Be¬
sprechung der Therapie, die eventuell eine Nebennierentransplantation
in Erwägung zu ziehen hat.
Hr. Lonaitz:
Ueber die verschiedenen Formel der chronischen Obstipation.
Von den beiden Formen der Obstipation: der primären und der
sekundären, wird letztere ausgelöst durch Störungen der Zwerohfells-
bewegung, dekoropensierte Herzfehler, Erkrankungen der Leber- und
Gallenwege, des Magens (Achylie, aber auoh Hyperacidität); „rektogen“
bei entzündlichen Prozessen im kleinen Becken und der Umgebung des
Anus. Alle anderen Fälle von primärer Obstipation werden am besten
als „funktionelle“ Obstipation (Nothnagel und Simon) abgegrenzt.
Besprechung der Scbmidl’schen Theorie vom Zustandekommen der funk¬
tioneilen Obstipation; dieselbe ist durch die modernen Röntgenbefunde
nicht unerheblich erschüttert worden. Hinweis auf die Untersuchungen
von Schwarz, v. Bergmann u. a. Die eigentliche Ursache der funk¬
tioneilen Obstipation ist auch hiermit noch nicht geklärt.
Diskussion.
Hr. v. Bergmann stimmt mit dem Vortr. darin überein, dass die
scharfe Trennung zwischen spastischer und atonischer Verstopfung weg¬
fallen muss und die Auffassung von A. Schmidt durch die Röntgen¬
befunde stark erschüttert ist. Die neuerdings am Colon festgestellten
Bewegungsformen müssen zur Grundlage der Beurteilung der chronischen
Obstipation gemacht werden. An Hand einer Reihe von Röntgenbildern
wird der Einfluss von Arzneimitteln (Pilocarpin, Adrenalin, Atropin) auf
die Darmbewegung demonstriert, es ergeben sich jeweils bestimmte,
immer wiederkehrende Typen.
Hr. Neu mann bespricht die Therapie der chronischen Obstipation.
C. Hegler.
Medizinische Gesellschaft za Kiel.
Sitzung vom 19. Dezember 1912.
Hr. ▼. Stock spricht über StilPsche Krankheit, eine Form des
chronisehen Gelenkrheumatismus im Kindesalter, berichtet über einen
geheilten und demonstriert einen zurzeit in Behandlung befindlichen Fall.
Diskussion: HHr. Hoppe-Seyler, Brandes, Lüthje, Haussen.
Hr. Lüthje: Ueber Hyperaeidit&t.
(Veröffentlicht in der Therapie der Gegenwart, 1913, H. I.)
Hr. Birk:
Ern&hrangssttfringen heia Säugling infolge parenteraler Infektion.
Vortr. demonstriert ein 2 Monate altes Kind und drei Säuglinge mit
eitriger Pyelonephritis bzw. Bronchopneumonie, akuter Encephalitis und
Masern. Die Kinder hatten gleichzeitig Erscheinungen eines Magendarm¬
katarrhs, der unter dem Einfluss der bakteriellen Infektion wie durch
eine Art Fernwirkung von dem „parenteralen“ Entzündungsherd aus zu¬
stande kommt.
Sitzung vom 16. Januar 1913.
Hr» Lüthje: 1. Ueber Typhosdiagnose.
Vortr. weist in Anbetracht der zurzeit in Kiel gehäuften Typhus¬
falle darauf hin, wie häufig die einzelnen klinischen, bakteriologischen
und serologischen Symptome uns bei der Typhusdiagnose im Stich lassen.
Dr$i Symptome sind es, die, wenn sie gleichzeitig vorhanden sind,
nach Ansicht des Vortr. die Diagnose absolut sichern, nämlich 1. die
relative Pulsverlangsamuug (in 88 pCt. der Kieler Fälle vorhanden),
2. die Diazoreaktion (in 73 pCt. der Fälle positiv), 3. die Leukopenie (in
90pCt. positiv).
Der Bakteriennachweis gelingt im Blut nur in der ersten Woche,
der Nachweis in den Fäoes ist schwieriger zu führen. Die Widal’sche
Reaktion tritt relativ spät auf und fehlte in Kiel in 25,5 pCt. der Fälle
völlig.
2. Demonstration eines Falles von Dermatitis exfoliativa lack
Salvarsaninjektioo.
Der Kranke, der an Incontinentia urinae infolge von Tabes litt,
bekam viermal 0,4 g Salvarsan intravenös bei einer gleichzeitigen Queck¬
silberkur. Im Anschluss an die letzte Injektion bildete sich ein maculo-
papulöses Exanthem an den Extremitäten und am Stamm aus mit nach¬
folgender Bläschenbildung; ausserdem traten auf: Stomatitis und Con¬
junctivitis, Hämorrhagien an Haut und Schleimhäuten, Oedeme, Eiweiss
im Urin und ein Zustand leichter Benommenheit. Zur Zeit befand sich
der Kranke im Zustand starker Hautabscbuppung und anscheinend auf
dem Wege der Besserung. Trotzdem ist die Proguose ungünstig, wie
ein anderer Fall gezeigt hat, bei dem noch in diesem Stadium Ver¬
schlimmerung und Exitus eintrat.
Diskussion.
Hr. Schlecht konnte bei dem demonstrierten Fall von Salvarsan-
exanthem eine periphere Eosinophilie (20—25pCt.) feststellen, sowie
eine lokale Eosinophilie in den Hautblasen und im subcutanen Gewebe,
ähnlich der von ihm beschriebenen lokalen experimentellen Eosinophilie
beim sogenannten Arthus’schen Phänomen.
Hr. Bering hat in der Kieler Hautklinik gleichfalls einen Fall von
Salvarsanexanthem gesehen.
Hr. Weiland: Ueber Reizleitangsstürnngen bei Diphtherie.
Bericht über den Krankheitsverlauf bei einem Knaben, der 14 Tage
nach überstandener Rachendiphtherie (Juli 1912) Anfälle von Benommen¬
heit, Krämpfen, Cyanose mit den auskultatorischen und palpatorischen
Erscheinungen der queren Dissoziation des Herzens darbot, die sich
täglich, 6 Tage lang, häufig wiederholten; danach erholte sich das Herz,
und der Knabe bekam die ganze Reihe der postdiphtherischen Naoh-
krankbeiten, die ebenfalls restlos verschwanden. Die Therapie der
Diphtherie (ausserhalb der Klinik) bestand in Injektion von 600 I.-E.,
die Behandlung während der Adam Stokes’schen Anfälle in Campher,
Coffein, Atropininjektionen. Hinweis auf die wechselnde Schwere der
Diphtherieepidemien, auf die Vorteile der Serumbehandlung mit grossen
Dosen. Besprechung des totalen und partiellen Herzblocks. Im vor¬
gestellten Falle sind klinisch und elektrocardiographisch keine Reiz¬
leitungsstörungen mehr nachweisbar (Nachuntersuchung im Januar 1913).
Diskussion: HHr. v. Starck, Bethe, Weiland.
Hr. Hadenfeldt: Zar Therapie des Keaehhasteas.
Vortr. berichtet über seine guten Erfolge, die er mit dem neuen
Keuchhustenmittel Tussalvin (Hydrochinin, bydrochlor.) an 12 Patienten,
darunter seine drei Kinder, gehabt hat und empfiehlt das Mittel an¬
gelegentlichst zur Nachprüfung. Bei Kindern unter 10 Jahren kommen
0,02—0,05, von 10—14 Jahren 0,1—0,2 g intravenös zur Anwendung.
Diskussion: HHr. v. Starck, Wulf, Hadenfeldt.
Hr. Kahl: Ueber häBolytisehea Icteras.
Bei dem 19 jährigen Patienten besteht seit 6 Jahren ein chro¬
nischer, an Intensität wechselnder Icterus mit leichter Anämie ohne
sonstige ernsthafte Krankbeitserscheinungen. Zwei Brüder des Patienten
und eine Schwester der Mutter sind ebenfalls gelbsüchtig, die Mutter
(gestorben mit 42 Jahren an einem Herzleiden) und die Grossmutter des
Patienten (gestorben an Altersschwäche mit 72 Jahren) waren ebenfalls
chronisch ikterisch. Wir finden bei dem Patienten einen grossen Milz¬
tumor, geringe Leberschwellung, Urobilin, Urobilinogen im Harn, Bili¬
rubin im Serum, im Blute die Zeichen leichter Anämie (Hämoglobin
65pCt.) mit Anisocytose und Mikrocytose (keine kernhaltigen Elemente,
keine Einschlüsse in den Erythrocyten).
Es handelt sich um einen typischen Fall von familiärem, hämo¬
lytischem Icterus. Auch das Kardinalsymptom dieser Krankheit, nämlich
die Herabsetzung der osmotischen Resistenz der roten Blutkörperchen
gegen hypotonische Kochsalzlösung war in charakteristischer Weise aus¬
geprägt. Die Hämolyse begann in wiederholten Untersuchungen bei
0,54 bis 0,64 pCt (normal bei 0,42 bis 0,48 pCt.) Kochsalzlösung und
war bei 0,40 bis 0,46 pCt. vollendet (normal bei 0,28 bis 0,32 pCt.).
Ob für die Pathogenese dieser Krankheit primär eine gesteigerte
hämolytische Tätigkeit der Milz in Frage kommt, oder ob eine an¬
geborene Minderwertigkeit der Erythrocyten die primäre Ursache dar-
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374
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
stellt, ist noch fraglich. Vielleicht liegt die Ursache des Leidens noch
in einer allgemeineren Konstitutionsanomalie. Denn in meiner Beob¬
achtung konnte ich Störungen des Kohlehydratstoffwechsels oachweisen
(hoher Blutzuckerspiegel von 0,2 pCt., alimentäre Glykosurie bei 100 g
Dextrose). Im selben Sinne spricht auch die überaus stürmische Reaktion
auf 1 mg Adrenalin subcutan.
Diskussion.
Hr. Schlecht berichtet über drei Fälle von familiärem hämo¬
lytischem Icterus (Mutter und zwei Kinder). Bemerkenswert ist be¬
sonders, dass bei den Kindern der Milztumor lange Jahre vor Auftreten
des Icterus und der Anfälle bestand, dass bei den Kindern ein schwerer
Anfall fast gleichzeitig ohne sicher erkennbare äussere Ursache einsetzte.
Bei allen Fällen bestanden Milztumor, Mikrocytose, chronischer Icterus,
Urobilinurie, eigenartig eosinfarbenes Sediment im Urin. Bei der Mutter
nahm der Icterus in der Gravidität zweimal stark zu und verschwand
vollständig bei einem schweren Blutverlust. Schwankungen fanden sich
auch bei psychischen Erregungen. Die Resistenzprüfung bei den Kindern
ergab starke Herabsetzung der maximalen und minimalen Resistenz. Die
Präexistenz des Milztumors bei den Kindern ist nur unsicher für die
Bedeutung einer primären Milzaffektion zu bewerten. Für wichtig hält
S. die genauere physikalisch-chemische Untersuchung der Erythrocyten,
da es sich wohl um Produktion abnormen Eiweisses handelt.
E. Richter.
Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau,
Krankenhausabend vom 9. Januar 1918.
Vorsitzender: Herr Körner.
Schriftführer: Herr Klieneberger.
1. Hr. Moser: 65jähriger Patient, der links vor 18 Jahren, rechts
im Sommer des vergangenen Jahres eine Patellarfraktur erlitten hatte.
Links besteht eine Diastase der Fragmente von 10 cm, die Vorderfläche
des Kniegelenks ist nur von dünner Haut bedeckt. Es besteht eine er¬
hebliche Atrophie, besonders der Oberschenkelstreckmuskeln, weiche
selbsttätige Streckungen fast unmöglich macht. Die rechtsseitige
Patellarfraktur, deren Sehnen- und Kapselnaht vom Vortr. ausgeführt
wurde, ist fast verheilt, das Knie ist selbsttätig frei beweglich, die
Muskulatur in gutem Zustande.
2. Hr. Peppnüllor: 26 jähriger Mann mit doppelseitigem Kerato-
eoius. Vor 8 Jahren war die Sehschärfe des rechten Auges durch
starke Conusbildung und ausgedehnte Trübung mit heftiger Erosions¬
reizung bis auf Erkennen von Handbewegungen gesunken. Durch Ex¬
zision der Conusspitze und spätere optische Iridektomie hob sich die
Sehschärfe mit Korrektion bis auf V20* Am linken Auge hat die Conus¬
bildung in letzter Zeit zugenommen, und es hat sich eine Erosion mit
Trübung der Spitze eingestellt. Deswegen soll das Kauterisations¬
verfahren nach Elschnig vorgenommen werden. Vortr. bespricht die
verschiedenen Behandlungsmethoden unter besonderem Hinweis auf das
neueste von Grunert angegebene Verfahren. Im Anschluss hieran be¬
rührt er die Anschauungen über die Aetiologie des Keratoconus, wobei
er besonders auf die Blutbefunde hinweist, über die Siegrist berichtet
hat (Lymphocyten und beschleunigte Blutgerinnung). Diese Blutver-
änderungen lassen die Möglichkeit eines Zusammenhanges der Kerato-
conusbildung mit Hypothyreoidismus denken.
8. Hr. Klieneberger:
a) Ansgedehnte Thoracotomie mit Thoraeoplastik.
26 jähriger Weber, der vor 11 Jahren eine schwere rechtsseitige
Lungen- und Rippenfellentzündung mit anschliessender Abscessbildung
durchmachte. Mehrfache Operationen wegen lange bestehender Fistel¬
bildung, endlich ausgedehnte Thoraeoplastik waren erforderlich. Seitdem
(6 Jahre) bestehen Schwächeerscheinungen, Atembeschwerden, häufiger
Katarrh. Bei dem dürftig genährten Patienten (48 Kilo) fehlt die rechte
Thoraxhälfte nahezu zu 2 / 8 ; es besteht eine starke linkskonvexe Skoliose,
Emphysem der linken Lunge mit abgeschwächtem Atmen. Der schleimige
Auswurf ist frei von Tuberkelbacillen (Anreicherung).
Das Röntgenbild ergibt ausgedehnte Rippenresektion der 2. bis
10. Rippe rechts. Einzelne Rippenreste sind durch Spangen miteinander
verbunden. Der rechte überlappen ist weniger luftreich und zeigt
fleckige Herde im 2. und 3. Intercostalraum, wie man sie bei Tuber¬
kulose findet. Im linken Oberlappen und linken Hilus sehr deutliche
Bronchialzeichnung, Herzlage normal, Ueberempfindlichkeitsreaktionen
negativ. Temperaturmessungen ergaben keinerlei Anhalt für das Vor¬
handensein aktiver Tuberkulose.
Der schonungsbedürftige Kranke hat bei entsprechender Ernährung
in 10 Tagen bereits 4 Pfund zugenommen. Es kommt also leichte Be¬
schäftigung, Ernährung, Pflege therapeutisch einzig in Frage.
b) Myokarditis chronica, Thrombosen.
50 jähriger Knecht, der, abgesehen von Typhus und Rippenfellent¬
zündung, bis vor einem Vierteljahre gesund war; seitdem Erscheinungen
von Herzinsuffizienz: Mattigkeit, Husten, Atembeschwerden, zunehmende
Schwellungen. Bei der Aufnahme starke Oedeme der abhängigen
Teile, rechtsseitiges Transsudat, Katarrh, starke Herzdehnung, Erscheinung
von Tricuspidalinsuffizienz. Unter Digitalistherapie rascher Rückgang
der Oedeme. Plötzlich Schmerzen im rechten Unterschenkel und rechten
Fuss, allmählich sioh ausbildende Erscheinungen von arteriellem Gefäss¬
verschluss: Blutungen, Blasenbildungen, Oedeme, brandige Verfärbung
der peripheren Teile. Bei dem besonderen Befallenbleiben der äusseren
Teile des rechten Fusses muss trotz der ziemlich plötzlichen Entstehung
des Leidens an einen thrombotischen Gefässverschluss der Arteria
dorsalis pedis und der Arteria plantaris gedacht werden, ein höherer
Verschluss der Unterschenkelarterien vor der Teilung hätte Erschei¬
nungen auch jenseits des Fusses auslösen müssen. Die Annahme von
Embolie aber in zwei Arterienäste derselben Extremität ist unwahrschein¬
lich. Da die Wassermann’sche Reaktion mit mehreren Extrakten stark
positiv bei dem Kranken ausfiel, liegt die Deutung des ganzen Krank¬
heitsbildes als postluetisch nahe. Therapeutisch kommen bei der
bleibenden Tricuspidalinsuffizienz neben Diuretin und Jodkali nur lokale
Maassnahmen (Wärme, Umhüllungen usw.) in Frage,
c) Demonstration anatomischer Präparate.
1. Apoplexia cerebri. Riss der linken Arteria fossae Sylvii hatte
blutige Durchsetzung der ganzen inneren Kapsel und der centralen
Ganglion zur Folge. Es füllte sich nicht nur der linke Seitenventrikel
mit Blutcoagulis, sondern es floss Blut auch in den rechten Ventrikel
hinüber. Ursache der innerhalb 5 Tagen zum Tode führenden schweren
Blutung (allmählicher Fieberanstieg bis fast 41°) war lange bestehende
Schrumpfniere.
2. Brttckenblntnng. Diffuse, hochgradig blutige Infiltration der
Brücke, links etwas umfangreicher noch als rechts, die binnen 12 Stunden
zum Tode führte. Der 42 jährige Kranke (positive Wassermann’sche
Reaktion) war plötzlich mit linksseitiger Lähmung, mit Unvermögen zu
sprechen zusammengestürzt, verlor sehr rasch auch die Herrschaft über
die rechten Gliedmaassen und sank bewusstlos zusammen. Bei der
Krankenhausaufnahme bestand Sopor, die Augen waren nach links ab¬
gelenkt, der linke Mundwinkel stand offen. Es bestand tonische Starre
aller Extremitäten; tiefe Nadelstiche lösten ausgiebige Abwehrbewegungen
der Gliedmaassen, rechts mehr als links aus. Es fand sich beiderseits
Babinski, Patellar- und Fussclonus, normale Reaktion der Pupille und
der Coujunctiva, sonst fehlende Reflexe. Nieren- und Herzveränderungen
liessen sich nicht nachweisen. Auf Grund dieses Symptomenbildes
wurde eine luetische Brückenbildung angenommen, die durch die Autopsie
bestätigt werden konnte.
3. iliraoklerofle. Ausserordentlich starke Arteriosklerose der Arteria
basilaris, der Arteria carotis interna und ihrer Aeste. Die Hirnwin¬
dungen sind enorm verschmälert und eingesunken, insbesondere die
Gegend des motorischen Sprachcentrums erweist sich als hochdradig
atrophisch (tief eingefallene schmale Windungen). Der Kranke hat seit
15 Jahren wiederholt apoplektiforme Anfälle gehabt und war seit etwa
einem Jahre ziemlich verblödet. Erst seit einem halben Jahre war er
dauernd bettlägerig und fremder Pflege und Wartung bedürftig. Der
zum Tode führende letzte apoplektiforme Anfall (der sonst etwa all¬
wöchentlich auftrat) bot die Erscheinungen einer Brückenläsion (ge¬
kreuzte Hirnnerven- und Extremitätenlähmung).
NatanrissenschafUick-medlziuische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 30. Januar 1918.
Vorsitzender: Herr Lexer.
Hr. Bennecke: a) Streptomyeosifl oralis fehrilis.
19 jähriges Mädchen mit Angina phlegmonosa, von der Streptococcus
longus und Stapbylococcus pyog. aureus gezüchtet wurde. Daneben
beetförmige Erhabenheit an der rechten Hälfte der Unterlippe mit In¬
filtration, geringer Rötung und Schwellung in der Umgebung, an Primär-
affekt erinnernd; Wassermann und Stern, sowie Anamnese, jedoch
negativ. Kulturell hier Streptococcus longus in Reinkultur. Am nächsten
Tage Ausbreitung auf die Gingiva des Unterkiefers, die mit zahlreichen
weissen Placques wie bespritzt aussieht. Deshalb, sowie in Rücksicht
auf die Literatur und eigene Beobachtungen wurde die Diagnose auf
Streptomycosis gestellt, die eine Teilerscheinung der Streptococcenangina
sein dürfte.
b) Zip Bearteilug von Unfallsfolgen.
19 jähriger Arbeiter, der sich als Schulknabe den linken Zeige¬
finger, als Schlosserlehrling den rechten Mittelfinger abgequetscht hat
Er bekommt deshalb eine vierteljährliche Rente von 12,50 M. Um in deren
Genuss zu bleiben, hat er die Stellung gewechselt, in der er bei vollem
Lohne als Waagenbauer feine und schwere Arbeit verrichten kann, also
keine Erwerbsbeschränkung durch die Verletzungen. — 65 jähriger Hand¬
arbeiter, der vor 30 bis 40 Jahren im Anschluss an Typbus eine
Osteomyelitis und Versteifung des linken Kniegelenkes acquirierte.
Trotz Eiterung aus der Fistel und Beschränkung der Beugungsfähigkeit
auf 10° bisher arbeitsfähig. Jetzt Invalidenrente wegen Arteriosklerose,
Schrumpfniere, Blutdrucksteigerung und Emphysem.
c) Symptomatischer Scharlach hei Typhis.
Fünfjähriger Knabe mit klinisch und bakteriologisch einwandfreiem
Typhus, bekam in Anschluss an eine durch Stapbylococcus pyog. aureus
bedinkte Furunkulose eine Angina, Himbeerzunge und scarlatiniformes
Exanthem. In Rücksicht auf frühere ähnliche Beobachtungen, wo
Scarlatina auszuschliessen ist, sowie die deutliche Leukocytose und ge¬
wisse Hinweise in der Literatur scheint echter Scharlach ausgeschlossen,
weil bei der durch den Typhus bedingten Vasomotorensohädigung durch
die Staphylokokkeninfektion das scarlatiniforme Krankheitsbild hervor¬
gerufen wurde.
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24. Februar 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
876
Hr. Jank«: Ktiistlicher Paeumothorax.
17 jähriger Zementarbeiter mit Bronchiektasien und Bronchitis
foetida. Da die üblichen Mittel erfolglos blieben, Einblasung von Stick»
stofi. Neun Punktionen von etwa 5 1 Stickstoff wurden gemacht. Seit
mehreren Wochen ist Auswurf und Geruch geschwunden. Jetzt hat sich
auch die Lunge wieder fast völlig ausgedehnt. Patient hat sich vor¬
züglich erholt. — 15 jähriger Junge mit Phthisis pulm., der eben¬
falls mehrfach mit Stickstoffeinblasungen behandelt wurde. Auch hier
in die Augen fallende Besserung, so dass die Pneumothoraxbehandlung
als die aussichtsreichste noch fortgesetzt werden soll.
Hr. Leier: a) Schädel Verletzung durch Browningpistole.
Jugendlicher Selbstmörder; Schuss in die Schläfe. Das Geschoss
ging quer durch das Stirnhirn und wurde aut der gegenüberliegenden
Seite herausgeholt. Patient war bei der Einlieferung stark benommen.
Wegen des ungünstigen Allgemeinzustandes konnte eine Trepanation
zunächst nicht ausgeführt werden. Erst 14 Tage nach dem Schuss
wurde wegen Fortbestehens der Druckerscheinungen trepaniert. Die
Druckerscheinungen schwanden, auch das Doppelsehen, das vorher be¬
standen hatte. Die Bedeutung des Falles liegt in dem günstigen Er¬
folge trotz der späten Operation.
b) Mann mit Schussverletzuug des Halses. Einschuss am Vorder¬
rande des Sternocleidomastoideus. Die Kugel ist hinten unter dem
Trapezius zu fühlen. Trotz der ausserordentlich gefährlichen Lage des
Schusskanals keine Verletzung des Nervengefässstranges.
c) Patient mit Einklenmnuig eines Steines in rechten Ureter.
Der Ureterkatheter stiess ganz vorn auf ein absolutes Hindernis. Das
Nierenbecken wurde geöffnet und keine Steine in ihm gefunden.
Sondierung des Ureters vom Nierenbecken, ohne dass die schrotkorn¬
grossen Steine blasenwärts getrieben werden konnten. Daher Resektion
des mit Steinen behafteten Ureterstückes und Implantation des Ureters
in den Blasensoheitel. Vollkommener Erfolg trotz langwierigen Heil¬
verlaufes.
d) Exstirpatioi der Zange wegen Carcinoms, das lange als syphi¬
litische Leukoplacie behandelt worden war. Besprechung der Differential¬
diagnose.
e) Exstirpation der Zange wegen Carcinoms im Mai 1911. Patient
spricht jetzt laut und deutlich. Keine Störung beim Schlucken.
f) Ersatz der Harnröhre dnrch Appendix. Wiedervorstcllung des
am 18. Mai 1911 an dieser Stelle demonstrierten Kranken, dem wegen
Harnröhren defektes die eigene Appendix transplantiert wurde. Lumen
für Harn im Strahl und Katheter noch jetzt durchgängig. Bericht, dass
in einem zweiten Falle der Erfolg nur ein teilweiser war.
Hr. Henkel: a) Demonstration des Blasensteines im cystoskopischen
Bilde.
b) Isehiassjmptome durch Uternscarcinom. 70 jährige Frau mit
ausgedehntem, zerfallenem, die Parametrien infiltrierendem ^Uterus-
carcinom, das lange Zeit als Ischias behandelt wurde. Zur Stillung der
Blutung bei der Beckenausräumung wandte H. in diesem, wie in anderen
Fällen mit günstigem Erfolge Tampons an, die mit artfremdem Serum
getränkt waren.
c) Ascites dnrch Myom. Vortragender erklärt das Auftreten des
Ascites bei dem gutartigen, aber gestielten Utcrusmyom dadurch, dass
das Peritoneum dadurch gereizt und die Lymphgefässstigmata so verlegt
würden. Infolge Behinderung der Resorption soll sich der Ascites ent¬
wickelt haben.
d) Dermoid des Ovariums. 16 jähriges Mädchen mit unregel¬
mässiger Menstruation. Im Leib fühlte man einen Tumor, der in seiner
Grösse einem Uterus im vierten Monat der Gravidität entsprach. Auf¬
tretende Blutungen Hessen einen Abort vermuten. Operation ergab dann
aber eine Dermoidcyste.
e) Uterus duplex im Rdntgeuhild. Fall von doppeltem Uterus
und teilweise doppelter Scheide. Nachweis durch röntgenographische
Darstellung der eingelegten Metallsonden.
f) Röitgenologisehe Beckenmes9wag. H. bespricht die Fehler¬
quellen der Darstellung des Beckeneinganges mittels Teleaufnahmen.
Er glaubt, dass die Methode für die Praxis von geringer Bedeutung sein
wird, falls nicht die Fehlergrenzen der Beckenmasse sich auf weniger
als 0,5 cm herabsetzen lassen.
Hr. Maurer*.
Schilddrüse, Thymus und ihre Nebendrüsen bei Menschen und Tieren.
Auf Grund sehr mühseliger Untersuchungen an der ganzen Wirbel¬
tierreihe bis zum Menschen weist Vortragender nach, dass die Epithel¬
körperchen genetisch zum Thymus gehören, und dass sie erst bei den
höheren Wirbeltieren in den Bereich der auch hier getrennt angelegten
Schilddrüse geraten. Hierdurch wird die sehr variable Lago dieser
Elemente erklärt Demonstration eines Neugeborenen mit Epithel¬
körperchen am unteren Rande der Schilddrüse und dem oberen Pol des
Thymus, die durch einen, wohl durch Hemmungsbildung zu erklärenden
Strang verbunden sind. Vortragender diskutiert die Frage, weshalb der
postbronchiale Körper, der bei den niederen Wirbeltieren als morpho¬
logisch und funktionell selbständiges Organ angelegt wird und erhalten
bleibt, bei den höheren Wirbeltieren und dem Menschen nicht mohr
nacbzuweisen ist. Wahrscheinlich ist die morphologische Uebereinstim-
mung dieses Gebildes mit der Thyreoidea so gross, dass es von letzterer
nicht mehr getrennt werden kann, zumal von einer verschiedenen physio¬
logischen Wirkung bisher nichts bekannt geworden ist.
Aerztlicher Verein zn Frankfurt a« M.
Sitzung vom 20. Januar 1913.
1. Hr. Fisehcr demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische
Präparate, u. a. einen Tumor der Aypophysengegeid.
Der Tumor besteht aus einer mehrkammerigen Cyste mit verkalkter
Wandung, der klinisch das Bild der Akromegalie und der Dystrophia
genitalis gemacht hatte. Es fand sich eine hochgradige Atrophie des
Hodens, mikroskopisch eine Atrophie der Samenkanälchen, wie man sie
ähnlich bei der Idiotie findet.
Diskussion: die Herren Siepel und Knoblauch.
2. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Bios aus der
vorigen Sitzung.
Hr. Heichelheim.
3. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Hanauer aus
der vorigen Sitzung.
Hr. Rothschild warnt vor dem von der Regierung den Aerzte-
kammern empfohlenen Buch von Bornträger.
4. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Boehnke aus
der vorigen Sitzung.
Hr. Weisbecker macht darauf aufmerksam, dass bei den auf seine
Veranlassung am Seruminstitut vor 10 Jahren angestellten Tierversuchen
mit Rekonvaleszentenserum bei Pneumonie gleich günstige Resultate er¬
zielt worden sind wie bei der Kombinationstberapie des Herrn Boehnke.
5. HHr. Altmann und Georges Drei fass:
Salvarsan und Liquor cerebrospinalis bei Frischsyphilis.
Die Häufung der cerebralen Symptome bei Frischsyphilis ver-
anlassten die Vortr. zu genauen Untersuchungen über den Liquor cerebro¬
spinalis in 154 Fällen von Frischsyphilis. Die Fälle wurden alle unter¬
sucht 1. vor der Salvarsanbebandlung, 2. nach 3—4 Salvarsaninjektionen
und 8. nach Abschluss der Salvarsanbehändiung, aber noch vor Ab¬
schluss der Hg-Therapie. Es zeigte sich hierbei, dass nur in 14pCt.
der Fälle der Liquorbefund normal war, während in den übrigen Fällen
der Liquor pathologisch verändert war, und zwar, je weiter vorgeschritten
die Fälle waren, um so schwerer waren auch die Veränderungen am
Liquor. In den Fällen von Lues I war bei fast allen der Druck mässig
gesteigert, während der chemisch - cytologische Befund normal und
die Wassermann’sche Reaktion negativ war. Diese Drucksteigerung ist
als ein prämonitorisches Symptom der Erkrankung des Liquors an¬
zusehen. Bei den Fällen von Lues I und II war der Druck weniger
häufig gesteigert, dagegen zeigte eine grosse Anzahl schon einen mässig
pathologisch veränderten Liquor, während die Wassermann’scbe Reaktion
vorläufig noch negativ blieb. Bei den vorgeschritteneren Fällen von
Lues II zeigten sich schwerere chemisch-oytologische Veränderungen,
auch war bei den schwersten cytologisch veränderten Fällen die Wasser-
mann’scbe Reaktion positiv. Das Salvarsan beeinflusst die Liquor¬
verhältnisse in dem Sinne, dass alle krankhaft veränderten Liquore
eventuell nach vorhergehender Verschlechterung (Provokation) normal
werden, wenn genügend Salvarsan gegeben wird. Diese Provokation ist
vom Vortr. ebenfalls bei nicht ausreichender reiner Hg-Behandlung
beobachtet worden. Vortr. schliesst aus seinen Untersuchungen, dass
durch 6—8 Salvarsaninjektionen (3—4 g) in 4—6 Wochen, kombiniert
mit Hg (0,8 Kalomel), eine Heilung der Syphilis im Frühstadium erzielt
werden kann, und dass nach Abschluss dieser Behandlung die Liquor¬
verhältnisse normal sind. Für die Praxis stellt Vortr. die Forderung
auf, dass nach Abschluss der kombinierten Salvarsan- und Hg-Kur not¬
wendig eine Untersuchung der Liquorverhältnisse vorgenomroen werden
müsse. Im ersten Stadium der Syphilis sei die Liquoruntersuchung
nicht erforderlich, dagegen sei es ratsam, sie im zweiten Stadium aus¬
zuführen, um dann durch vorsichtige Dosen vor cerebralen Erscheinungen
geschützt zu sein.
Wegen vorgerückter Zeit wird der zweite Teil des Vortrags von
Herrn Dreifuss auf die nächste Sitzung verschoben. L.
N&turhlstorisch-medizinischer Verein zn Heidelberg.
Sitzung vom 14. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Bett mann.
Schriftführer: Herr Fischler.
1. HHr. Bettnann und Zade:
Ein Fall vsn Ailgeneinerkranknng bei Gonakokkeninfektion.
Hr. Bettmann: Nicht frischer Fall von eitriger Urethritis, der im
Stadium einer Urethritis posterior mit Cystitis purulenta et haemor-
rhagica zur Behandlung kam. Gonokokkennachweis im Harnröhreneiter
nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich. Septisches Fieber. Gleichzeitig
akute doppelseitige Conjunctivitis und Arthritis des rechten Handgelenks.
Zwanglos anzunebmen, analog bekannten Fällen, dass es sich um eine
endogene Gonokokkenerkrankung der Gelenke und der Bindehaut bandelt.
Die Blutuntersucbung ergab Streptokokken. Deshalb wohl eher anzu¬
nehmen, dass eine Mischinfektion mit Streptokokken vorliegt, die zur
Sepsis mit Arthritis und Conjunctivitis geführt hat.
Hr. Zade: Eodogene Conjunctivitis ist bei Gonokokken bekannt,
aber nicht bei Streptokokken. Trotzdem Annahme, dass endogene
Streptokokkenconjunctivitis vorliegt, da die Streptokokken sehr avirulent
sind. (Versuch an Mäusen, ferner sehr stark phagocytabler Stamm.)
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376
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
2. Hr. humt: Ueber Mobilisierang des Glykogens.
Es gibt gewisse Zeiten im Leben des Frosches, in denen der post*
mortale Glykogenschwund durch Unwirksamkeit des diastatischen Fer¬
mentes aufhört. Bei Zerstörung der Zellstruktur kommt doch noch der
Glykogenschwund zustande, dadurch, dass das diastatiscbe Ferment nioht
mehr von dem Glykogen getrennt ist. Während beim überlebenden
Organ im Dezember und Januar die Anoxybiose keinen Glykogenschwund
mehr erzeugt, bewirkt die Sauerstoffentziehung beim lebenden Tiere noch
Glykogenschwund, wahrscheinlich infolge der Circulation. Vortr. weist
auf etwaige Beziehungen dieser Tatsache zum Diabetes mellitus hin.
3. Hr. Fischler: Zar Funktion der Leber.
Bei der Portalausschaltung der Leber mittels der Eck’schen Fistel
haben sich Vortr. folgende Ergebnisse gezeigt. Die Auffassung, dass
die Portalausschaltung einer vollständigen Ausschaltung der Leber und
somit aller ihrer Funktionen gleichkommt, ist nicht richtig. Da anzu-
nehmen ist, dass wie bei anderen Organen die Leber funktionell nie
völlig in Anspruch genommen wird, so wird daraus verständlich, dass
auch nach der völligen Ableitung des Blutes der Porta noch nicht ein
völliges Versagen der Leberfunktionen eintreten muss. Man wird daher
auch verstehen, dass es nötig ist, an das Organ Ansprüche zu machen,
wenn man ein Versagen der einen oder anderen Funktion hervor-
rufen will.
Die Fleischintoxikation, die älteste bekannte Funktionsstörung, tritt
auf, wenn die Tiere mit einer grossen Menge Fleisch gefüttert werden.
Sie ist keine anaphylaktische Erscheinung, da alle typischen Symptome
des anaphylaktischen Shocks fehlen. Der Beginn ist meist laugsam,
häufig fehlt die Inkubationszeit, stets der Temperatursturz, die Leuko¬
penie. Auch tritt keine Antianaphylaxie auf. Auch ist besonders das
klinische Bild anders als bei der Anaphylaxie. Die Ataxie, die Amau¬
rose, die Sensibilitätsstörungen und das Coma weisen dem Bilde eine
andere klinische Dignität an, als sie die Erscheinungen bei Anaphylaxie
beanspruchen. Auch die Ansicht, dass die Fleischvergiftung eine In¬
toxikation durch Spaltprodukte des Darmes ist, ist abzulehnen, da nach
den Erfahrungen des Vortr. Vergiftungen vom Darme aus bei Eck’scher
Fistel ganz anders verlaufen. Die Ansicht scheint am wahrscheinlichsten
zu sein, dass es sich um eine durch die Ausschaltung der Leber ver¬
ursachte abnorme Mischung des Portalblutes handelt im Sinne einer
Gleichgewichtsstörung des Säurebasenbaushaltes.
Auch die Ausführung der Fistel ist manchmal schuld daran, dass
keine Fteischintoxikation eintritt. Durch die Erfahrung wissen wir, dass
nur bei grossen Fisteln die Intoxikation eintritt, bei schlechten Fisteln
nicht. Das stimmt mit der Ansicht übereiü, dass quantitative Verhält¬
nisse in der Zufuhr der Spaltprodukte des Darmes maassgebend sind.
Ferner tritt die Fleischintoxikation bei Tieren auf, deren Lebern schon
stark in Anspruch genommen worden sind.
Durch die Portalausschaltung der Leber wird eine besondere
Empfindlichkeit des Organismus gegen gewisse Schädlichkeiten, die auf
ihn einwirken, hervorgerufen. Wird der Eck’sche Hund phloriziniert, so
tritt eine Vergiftung auf, die wir als Säurewirkung auffassen. Dabei
degeneriert die Leber unter Auftreten von Fettsäure in den centralen
Bezirken centroacinär. Auch nach anderen Schädigungen der Leber,
z. B. durch die Fettgewebsnekrose, wurden die gleichen Erscheinungen
beobachtet. . Sowohl nach Chloroform-, als auch nach Aethernarkose
kann die centrale Läppchennarkose eintreten. Im Chloroform ist nur
eine Hilfsursache zu sehen, da es die Leber in der Tat schädigt. Diese
Erfahrungen zeigen an, dass eine durch die verschiedensten Ursachen
geschädigte Leber einem gemeinsamen Mechanismus der Degeneration
unterliegen muss, der den Abbau des Lebergewebes bewirkt. Vor allem
denkt Vortr. dabei an tryptische Einflüsse. Seine Untersuchungen tun
zur Genüge dar, dass eine Leberscbädigung durch Trypsin stark ver¬
mehrt werden kann.
Die Ausscheidung der Harnsäure ist nach Anlegung der Eck’schen
Fistel bei demselben Tier um 50 und mehr Prozent vermehrt. Dextrose
und Lävulose werden fast normal ausgenützt, während Laktose öfter zu
einem erheblichen Teil, bis 20 pCt., wieder erscheint. Galaktose erscheint
bis Zu 70 pCt. im Urin wieder. Nach Anlegung der Eck’schen Fistel
ist zweifelsohne keine wesentliche Veränderung der Galleosekretion zu
konstatieren. Auch das Blut zeigt keine abnorme Zusammensetzung
der Formelemente und des Hämoglobingehaltes. Bei Verfolgung der
Aetherschwefelsäureausscheidung lässt sich feststellen, dass sie völlig
unabhängig von der partiellen Leberausscbaltung ist.
Vortr. fasst seine Erfahrungen dahin zusammen, dass das Studium
der partiell ausgeschalteten Leber doch geeignet erscheint, wichtige
Vorstellungen über die Physiologie und Pathologie des Organs ableiten
zu können. Kolb-Heidelberg.
- Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
Sitzung vom 9. Januar 1913.
Hr. Griinbanai demonstriert ein 35 jähriges Individuum mit Psendo-
hermapbroditi8mii8 externns and internns (■asenlinns?) eam Hypo-
spadia peniscrotalis, Sinns urogenitalis et Anns vestibnloperineali*.
Von Beruf Gärtner, konsultierte er vor einem Jahre zum ersten Male
den Arzt, da Blutungen aus dem Genital erfolgten, seit dieser Zeit
wiederholen sie sich alle 4 Wochen und währen 4 Tage. Bei rectaler
Untersuchung sind die Müller’scben Gänge zu fühlen. Hoden sind
deutlich in den scheinbaren grossen Labien zu palpieren. Becken er¬
scheint weiblich, Behaarung männlicher Typus. Stimme heiser seit
Auftreten der menstruellen Blutungen. Hatte nie Ereotion, Ejaculation.
Hr. Kraft demonstriert einen Patienten, dessen Papille rechts über
■ittelweit, reflektorisch starr ist, Verengung und Konvergenz gering,
desgleichen Lidschlussreaktion. Auf dem rechten Auge alle Reaktion
stark verlangsamt, wenig ausgiebig. Keinerlei Symptome von Tabes.
Hr. Kraft demonstriert einen ansnehmend grossen Obrpolypea und
spricht über ihre Entstehung.
Hr. Kronheimer berichtet über einen Fall von schweren Arsen*
▼ergiftnngserscheinnngen bei CareiaombehandJang nach Zeller.
19. XI. Beginn der Behandlung eines kirsebgrossen cirrbösen
Mammacarcinoms, das nur wenig exulceriert, bei einer 78 jährigen, schwer
herzleidenden Frau, die jeden operativen Eingriff ablchnte. Die ersten
8 Tage wenig Beschwerden. Bei Abnahme des Verbandes zeigt sich
Demarkierung, Erneuerung des Verbandes. In den nächsten Tagen
heftige Schmerzen in der Brust, die anschwoll. Am 14. Tage nach Be¬
ginn der Behandlung Durchfälle, Schwächezustände. Bei Abnahme des
Verbandes Tumor schwarz, Umgebung schokoladenbraun, Demarkierung,
aber Tumor noch keineswegs sequestriert. Fortlassen des Arsen, Um¬
schläge mit Erg. alum., auch meist zu gleichen Teilen verdünnt, dann
unverdünnt.
Am 6. I. 1913 Tumor herausgehoben. Tumor wird sequestriert.
In der ersten Zeit war innerlich nach Vorschrift Silicium verabreicht
worden, später vermochte es Patientin nicht mehr zu nehmen. Die Er¬
scheinungen seitens des Darmkanals und die hochgradigen Schwäche
zustände sind nach Ansicht K.’s As-Wirkung, deshalb sei die Methode
doch nicht als harmlos zu bezeichnen.
Diskussion: Hr. L. Burkhardt bat im Krankenhause das
Zeller’sche Verfahren bis jetzt in vier Fällen bei inoperablen Carcinomen
angewandt, Vergiftungserscheinungen wurden keine beobachtet, Silicium
wurde immer verabreicht und vertragen. Ein abschliessendes Urteil
kann er über die Methode nicht geben; die Wirkung kann natürlich nur
bei ulcerierten Carcinomen entsprechend sein.
Hr. Wilk. Vnit: Knraistfaehee mr Pathologie der GallenblaM.
1. Vortragender wurde zu einer Frau, Mitte der dreissiger Jahre,
gerufen wegen Erbrechen, Durchfällen, Schmerzen im Leib. Letztere
waren nicht lokalisiert, bei Palpation nichts Sicheres festzustellen,
Temperatur 38,4°. Diagnose: Fieberhafter Magen dar mkatarrh. Lang¬
same Besserung. Nach ca. 8 Wochen wird er wiederum zu derselben
Patienten gerufen wegen ähnlicher Beschwerden wie das erste Mal, nur
stärker. Temperatur über 38°, Puls über 80. Am darauffolgenden Tage
wieder alles erbrochen, Schmerzen intensiver, Stuhl war da. Am dritten
Tage Leib härter und schmerzhaft. Puls unter 100, abends Leib auf¬
getrieben, keine Flatus, heute kein Stuhl, weiter Erbrechen. Am vierten
Tage Leib hoch, Puls 100 und darüber, starke Schmerzen, kein Stuhl.
Hohe Darmeingiessungen, Atropin. Abends Befinden besser. Puls kaum
mehr 80, Flatus abgegangen, Temperatur unter 38°. Nach mehrmaligen
Einläufen, die ohne Erfolg, fiel ein harter Gegenstand in die Bett-
scbüssel. Es war ein Gallenstein von solcher Grösse, dass man nicht
verstehen kann, dass er auf natürlichem Wege in den Darm gelangte,
andererseits kann man eine Perforation nicht annehmen. Der Stein wird
demonstriert.
2. Patientin erkrankte unter allgemeinem Uebelsein, heftigen
Schmerzen im Leib, Kolik, Gallenblasengegend druckempfindlich.
Morphium. Am näohsten Tage Schmerzen stärker. Flatus und Stuhl
nicht mehr abgegangen, ganze rechte Bauchseite schmerzhaft. Als Vortr.
zugezogen wurde, bestand rechts deutliche Spannung und Druck¬
empfindlichkeit des Abdomens. Erbrechen. Puls 100. Diagnose:
Gallenblasenentzündung, eventuell Gangrän. Herr Heini ein operierte
die Patientin, es fand sich eine Gallenblase von enormer Grösse, stark
mit Steinen angefüllt, an einigen Stellen Verfärbung der Gallenblasen
wand, die als beginnende Gangrän anzusprechen ist. Demonstration.
Kraus.
Freiburger medizinische Gesellschaft.
Sitzung vom 21. Januar 1913 (Stiftungsfestsitzung).
Hr. Hocke: Ueber die Langeweile.
Mit „Langeweile“ bezeichnen wir eine Erscheinung unseres Zeit¬
sinns, die schwer näher zu definieren ist. Als objektiv „langweilig* be¬
zeichnen wir Vorgänge, z. B. Reden, die unsere Zeit nicht mit uns
interessierenden Wahrnehmungen füllen, subjektive Langeweile empfinden
wir, wenn wir Zeit verbringen müssen, die nicht mit genügend Erleb¬
nissen ausgefüllt ist, es wird dadurch ein Unlustgefühl und im weiteren
ein Ermüdungsgefühl hervorgerufen. Ungeduld und Spannung sind ver¬
wandte Begriffe. Verschiedene Menschen neigen verschieden stark zu
Langerweile: Kinder und besonders beschäftigungslose Gefangene sind
häufig von diesem Zustand geplagt, auch Hunde zeigen bisweilen Miss¬
stimmung über schlecht ausgefüllte Zeit. Alte Leute und Geisteskranke
leiden darunter selten.
Langeweile ist eine Verlängerung der subjektiven Zeit. Die sub¬
jektive Zeit ist eine Folge, eine eindimensionale Linie, die unser Be¬
wusstsein, wie die Tangente den Kreis, nur an einem Punkt berührt.
Ganz ohne etwas von dem Vorher und Nachher ist jedoch der Punkt,
das Jetzt, überhaupt nicht wahrnehmbar, sondern nur im Zusammenhang
mit möglichst vielen Nachbarpunkten. Ein Mensch, der an der Korsakow-
Qriginal from
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
377
sehen Psychose leidet und nur das punktförmige Jetzt siebt, lebt nur
im Moment, für ihn existiert schon das allernächste Vorher nicht mehr,
für ihn gibt es auoh keine Langeweile. Zeit ist nur verbunden mit
Wahrnehmungen denkbar; eine leere Zeit, in der nichts geschieht, ist
keine Zeit. Für einen, der von aller Verbindung mit der Aussenwelt
abgesohnitten ist, verschwindet die objektive Zeit. Eine objektive Zeit
gibt es nicht; es kann dafür auch weder ein mathematisch genaues
Messinstrument noch überhaupt ein mathematisch genaues Maass, noch
eine Definition gegeben werden.
Zeitsinn ist kein Sinn im eigentlichen Sinn des Wortes, wir be¬
zeichnen damit die Fähigkeit, äussere Vorgänge bezüglich ihrer zeit¬
lichen Verknüpfung zu beurteilen. Die zeitliche Dauer eines Erlebnisses
entspricht seiner Dauer in der Erinnerung meistens nicht, ist ihr viel¬
mehr gewöhnlich umgekehrt proportional. Eindrucksarme Ereignisse
werden in der Erinnerung gekürzt, abwechslungsreiche gedehnt. Das
subjektive Maass für die Zeit ist unbestimmt, dementsprechend beruht
wohl auch die sogenannte unterbewusste Zeitschätzung in weitaus den
meisten Fällen auf unterbewusst empfundenen Sinneseindrücken. Die
Beurteilung von Zeitabschnitten ist gewissen Gesetzmässigkeiten unter¬
worfen, was von forensischem Interesse ist. Kürzere Zeiten werden über¬
schätzt, längere werden unterschätzt, Aehnlioh gibt es bei der Beob¬
achtung von Zeitpunkten gesetzmässige Fehler, deren Grösse mit dem
rhythmischen Schwanken der Aufmerksamkeit wechselt.
Der Eindruck, den wir von dem zeitlichen Ablauf einer Erscheinung
haben, ist ein durchaus subjektiver; er hängt ab von der Zahl der
fiinzelempfindungen, deren wir in der Zeiteinheit fähig sind. Denken
wir uns diese Zahl stark vergrössert oder verkleinert, dann änderte sich
für uns das Bild der uns umgebenden Welt vollkommen (die bekannte
Ueberlegung von K. E. v. Baer). Zum Zweck des Studiums des zeit¬
lichen Ablaufs von Vorgängen sind wir gewohnt, durch graphische Me¬
thoden (Kymographion) uns künstlich die Wahrnehmungen in der Zeit¬
einheit zu vermehren, quasi die Zeit zu mikroskopieren, ebenfalls mit
dem Erfolg einer Veränderung der Form des Ablaufes eines Vorganges.
Fromherz.
Medizinische Gesellschaft zu Basel.
Sitzung vom 23. Januar 1913.
1. Hr. Villiger: Nachruf auf Herrn Prof. Wille.
2. Hr. Hediiger: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
a) Fall von üternscarcinom mit gleichzeitigem Uterussarkom.
Klinisch zuerst Myom mit intensiven Blutungen, dieses wurde bestrahlt,
im Verlauf der klinischen Beobachtung maligne Degeneration. Vortr.
spricht sich dahin aus, dass theoretisch eine maligne Degeneration nach
Bestrahlung nicht abzuweisen sei.
b) Plenenta mit Bildung grosser Knoten, subcoriale Blutungen,
Hernien der Placenta.
c) Demonstration von Präparaten einer alten Salpingitis mit
Xanthomzellen.
d) Chronische Salpingitis et Oophoritis, hervorgerufen durch Actino-
mykose.
e) Chronische Salpingitis mit zahlreichen Lymphfollikeln und
Keimcentren.
i) Hämorrhagische Knoten in Leber, Lnnge, Niere. Mikroskopisch
ergibt sich Chorioepitheliom, Ausgangstumor wurde nicht gefunden,
dürfte jedoch im Hoden gesessen haben. Einer der seltenen Fälle von
Chorioepitheliom beim Mann, welche erweisen, dass Synoitialgewebe aus
fötalen Geweben stammt. Wolf er-Basel.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 16. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Dimmer stellte einen Mann mit horizontalem Nystagmns vor.
Der Nystagmus besteht seit frühester Jugend des Kranken, auch
sind zeitweise zitternde Kopfbewegungen vorhanden, Sehschärfe 0,2. Um
lesen zu können, hält der Kranke die Zeilen vertikal vor dem Auge und
liest von oben nach unten.
Hr. Schwarz zeigte Röntgenbilder von direkter Irrigationsradio¬
skopie des Kolons.
Es wird eine hohe Darmeingiessung mit einer Wismutaufschwemmung
gemacht und das Abdomen mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. An den
Bildern siebt man die Rectumsampulle und die über dieser befindlichen
Teile des Dickdarms. Dickdarniverschluss und Dickdarmstenose sind
leicht nachzuweisen.
Hr. Hofbaner demonstrierte zwei Fälle, bei welchen er Lnngcn-
atoloktaso durch Lagerung behandelt hat.
Vortr. lässt die Pat. auf der kranken Seite liegen; das Zwerchfell
wird infolge des Druckes der Baucheingeweide in die Höhe gedrängt, die
Atmungsexkursionen werden stärker. Bei den vorgestellten Pat. handelte
es sich um ein pleuritisches Exsudat bzw. um eine pleuritische Schwarte.
Das Exsudat wurde rasch zum Schwinden gebracht, die Verwachsungen
wurden gedehnt.
HHr. Euer und H. Heyrovsky: Kriegsehirnrgische Erfahrungen.
Vortr. berichtet über die Erfahrungen, welche er im Alexander-Spital
in Sofia gesammelt hat. Dieses Spital besteht aus 6 Pavillons, von
denen 4 als Verwundetenspital eingerichtet wurden. In den ersten vier
Wochen (November) war der Zuzug der Verwundeten gross, er nahm dann
rapid ab, als in Sofia Cholerafälle vorkamen. Die Verwundeten waren
2 bis 6 Tage auf dem Transport, sie kamen aus der Gegend von
Adrianopel, Losengrad, Lülle Burgas und noch aus weiteren Ent¬
fernungen. Die Verwundeten wurden in offenen Büffelwagen transportiert
und kamen infolgedessen erschöpft an. Die Mehrzahl derselben war vom
medizinischen Standpunkt nicht gut versorgt. Vortr. sah niemals ein
Verbandpäckchen, obwohl ein grosser Teil der bulgarischen Armee mit
solchen ausgerüstet gewesen sein soll. Der Verband wurde bei längerem
Transport wiederholt gewechselt, oft sah man ausgiebig tamponierte
Wunden, infizierte Knochenbrüche, Extremitätenfrakturen, welche nur
mit einigen kurzen Schusterspänen versorgt waren. Bei vielen Ver¬
wundeten war die Wunde mit Jodtinktur versorgt worden, bei einigen
kam es infolgedessen zu Jodekzemen. Vortr. konnte die grosse Bedeu¬
tung der absoluten Ruhe für die Heilung der Wunden beobachten, auch
leicht infizierte Wunden heilten ziemlich rasch, so dass Amputationen
nicht notwendig wurden, der Eiter wurde durch ausgiebige Inzisionen
entleert. Für die Widerstandskraft der Soldaten sprachen zwei Fälle,
in welchem ein Pat. mit einer infizierten Oberschenkelfraktur das
Krankenzimmer verliess, ein anderer mit einer Gangrän weit über die
Mitte des Unterschenkels direkt aus dem Verwundetenzug sich in ein
Kaffeehaus begab. Vortr. sah etwa 1200 Fälle, von diesen ungefähr 300
nur ein einziges Mal, weil sie als Leichtverletzte in ein Provinzspital
transportiert wurden. 900 Fälle wurden stationär behandelt, von diesen
ist bei 617 die Behandlung abgeschlossen. Auf die letztere Anzahl be¬
ziehen sich die weiteren Ausführungen des Vortragenden. Es
waren 487 durch Gewehrschüsse, 148 durch Artilleriegeschosse, 6 durch
Hieb- oder Stichwaffen verletzt. Vortr. demonstriert Geschosse, welche
duroh Aufschlagen auf den Knochen oder auf den Erdboden (Gellschüsse)
deformiert waren. Bei Gewehrschüssen kamen Steckschüsse nur in
12 pCt. vor, bei Artilleriegeschossen in 27 pCt. Von spezifischen Infek¬
tionen wurden einige Fälle von Erysipel und 12 Fälle von Tetanus be¬
obachtet, von letzteren starben 10 trotz sofortiger AntitoxinanwenduDg;
die Infektion dürfte auf dem Transport zustande gekommen sein, auf
welchem die Leute auf Stroh gelagert waren. Von den Wunden durch
Gewehrschüsse waren 32 pCt. infiziert, von Artillerieverletzungen 40pCt.;
Oettingen gibt für den russisch-japanischen Krieg die erste Zahl mit 15,
die zweite mit 40 pCt. an. Die kleinere Anzahl der infizierten Artillerie¬
verletzungen ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Schwerverletzten
gar nicht nach Sofia kamen, sondern schon früher starben. Vortr. war
bestrebt, extrem-konservativ zu behandeln. Es wurden nur dreimal
Amputationen durchgeführt, einmal wegen Gangrän, zweimal wegen Ver¬
eiterung von Gelenken. Von infizierten Schusswunden der Extremitäten
wurde ausser den Tetanusfällen kein Fall verloren, durch tiefe Inzisionen
konnte die Infektion beherrscht werden. Die Heilung wurde duroh Ruhe
und langes Liegenlassen der Verbände sehr gefördert. Vortr. hat den
Eindruck gewonnen, dass bei dieser Behandlung Splitterfrakturen rascher
heilten als subcutane Querbrüche; das lag vielleicht daran, dass es sich
um junge, kräftige Männer handelte und die Knochensplitter mit dem
Periost im Zusammenhang blieben. Nur in wenigen Fällen kamen Ex¬
traktionen von Geschossen, Nervennaht und Aneurysmenoperationen vor.
Von den 80 Lungenschüssen gaben nur wenige die Indikation zum
operativen Einschreiten, bei schwerem Hämothorax wurde meist mit der
Aspiration das Auslangen gefunden, worauf das Fieber definitiv zurück¬
ging. Während die infizierten Verletzungen einer Lunge relativ harm¬
los waren, waren Verletzungen beider Lungen schwer wegen der Atem¬
behinderung durch den Pneumothorax. Verletzungen durch Dum-Dum-
Geschosse konnte Vortr. nicht beobachten, Verletzungen, welche ihnen
ähnlich sahen, waren durch Gellschüsse erzeugt. Bei Schädelver¬
letzungen wurde selten eingegriffen, meist nur wegen Abscesse. In einem
Falle von Schädelschuss wurde ein Wandern des Geschosses im Gehirn
beobachtet; die Obduktion ergab eine grosse Trümmerhöhle im Gehirn.
Die Spitzgeschosse rotierten nach Eindringen in dem Körper manchmal
um ihre Querachse, so dass sie mit dem stumpfen Ende vorausgingen
und grosse Zerstörungen anrichteten; diese Geschosse wirken weniger
human als die Mannlicher-Geschosse. Vortr. konnte an einigen Fällen
die Gefahr der Anwendung der Carbolsäure beobachten: Ein Mann,
welcher Carbolsäure wegen eines Hordeolum an einem Augenlide auf¬
legte, verlor das Auge durch Gangrän; zwei Soldaten, welche sich wegen
Intertrigo Umschläge mit Carbolsäure machten, bekamen an dieser Stelle
eine ausgedehnte Gangrän. Wiederholt wurde beobachtet, dass die Ver¬
wundeten Zigarettentabak als Stypticum verwendeten, bei kleineren
Wunden wirkte er wirklich blutstillend, die Anwendung war aber nicht
ohne Gefahr, da die beim Feuchtwerden des Tabaks entstehende Lauge
zur Gangrän der Wundumgebung führte. Als geübte Pflegerin hatte
Vortr. in den ersten vier Wochen nur eine Schwester aus dem Wiener
Rudolphinerbause, dann kamen als klaglos funktionierende Pflegerinnen
Damen der Sofioter Gesellschaft hinzu, welche auf Anregung der Königin
einen Samariterinnenkursus durchgemacht hatten. Aus seiner zwei¬
monatigen Tätigkeit im Alexanderspital zieht Vortr. folgende Schlüsse:
Die grössten Schwierigkeiten des Sanitätsdienstes im Krieges sind selbst¬
verständlich unmittelbar nach einer grossen Schlacht zu überwinden.
Was hier durch Irrigieren und Tamponieren der Wunde gesündigt wird,
lässt sich im Spital schwer wieder gut machen; hier lagen Schäden des
bulgarischen Sanitätsdienstes unzweifelhaft vor. Wichtig ist die Be¬
schaffung genügender Fixationsmittel (Gips, Schusterspäne usw.) für die
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378
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
▼ordere Linie, an diesen hat es in Bulgarien sehr gemangelt. Kautschuk¬
material, z. B. Drains, war sehr häufig infolge zu langer Lagerung un¬
brauchbar; dem wäre dadurch abzuhelfen, dass alle für den Krieg vor¬
bereiteten Kautschukvorräte fortwährend neu ergänzt werden, während
die längere Zeit lagernden an Krankenanstalten abgegeben werden.
Das zweckmässige Zusammenarbeiten einer aneinander gewohnten Gruppe
von Aerzten und Pflegerpersonen bietet grosse Vorteile und sichert eine
rasche Erledigung der Arbeit; dieser Punkt wäre den Militärbehörden
zur grösstmöglichen Berücksichtigung zu empfehlen.
Hr. Heyrovsky sprach über seine Erfahrugen im Spital la
Hlikako.
Sanitätsmaterial war nicht immer in genügender Menge vorhanden.
Da das Spital als Evakuationsspital diente, sah er viele Fälle nur ein¬
mal, 360 hat er längere Zeit behandelt. Von diesen waren 223 Schuss¬
wunden durch Gewehrkugeln, 108 durch Schrapuels, 22 durch stumpfe
Gewalt, 7 durch Hieb- und Stichwaffen erzeugt. Zu den schweren Ver¬
letzungen gehörten 22 Thoraxschüsse, ferner Bauchschüsse, 4 Schädel¬
schüsse, 4 Verletzungen des Rückenmarkes, 85 Schussfrakturen. Hinter
der Linie scheint es an chirurgisch geschulten Aerzten und Sanitäts¬
material gefehlt zu haben, der Verletztentransport war mit grossen
Schwierigkeiten verbunden. In 48pCt. der Schusslrakturen trat Eiterung
ein, die schwersten Infektionen kamen bei Wunden vor, welche sondiert
oder tamponiert worden waren. Die Verletzungen der Weichteile, des
Thorax und des Bauches durch Spitzgeschosse nahmen zumeist einen
guten Verlauf. Verletzungen der grossen Arterien sah Vortr. nun in
7 Fällen, in 4 Fällen trat Gangrän des Unterschenkels nach Verletzung
der Arteria poplitea auf, in 2 Fällen kam es zu einem Aneurysma an
der verletzten Arteria femoralis, in einem an der Arteria subclavia.
Von peripheren Nerven wurden am häufigsten der Radialis und Ulnaris
getroffen. Von 22 penetrierenden Schussverletzungen des Thorax heilten
19 ohne Komplikationen, 2 Fälle waren durch Spannungspneumothorax
und ein Fall durch Empyem kompliziert. Von neun penetrierenden
Bauchverletzungen kamen zwei mit diffuser Peritonitis an, so dass sie
nicht mehr operiert werden konnten, die anderen sieben kamen ohne
Komplikationen durch. Von vier Schussfrakturen des Schädels, die
schwer infiziert waren, starben zwei an Meningitis. Bei der Therapie
der Schussfrakturen wurde möglichst konservativ vorgegangen, und selbst
bei schweren Infektionen konnte Vortr. mit grösseren Inzisionen aus-
kommen. Bei sechs Schussfrakturen mit feuchter Gangrän musste bei
schwer septischem Zustand des Patientin die Amputation vorgenommen
werden, zwei Fälle starben.
Die Vorträge wurden durch zahlreiche Bilder und Röntgenphoto¬
graphien von Frakturen und sonstigen Verletzungen erläutert. H.
Gesellschaft für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zu Wien.
Sitzung vom 16. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Deutseh demonstrierte einen 39jährigen Mann mit überstandener
Poliomyelitis anterior acuta.
Der Kranke, welcher die typischen Symptome aufwies, wurde mit
Diaphorese und Atropininjektionen behandelt. Nach einer vorüber¬
gehenden Steigerung der Lähmungserscbeinungen gingen dieselben zu¬
rück; nur der Supraspinatus, Infraspinatus und ein Teil des Deltoideus
blieben gelähmt.
Derselbe demonstrierte einen Mann mit myelogener Leukämie,
welcher mit Benzol behandelt wurde.
Der Kranke zeigte hochgradige Vergrösserungen der Milz und der
Leber, gedämpften Perkussionsschall über beiden Lungenspitzen und
konstantes Fieber. Im Blute fanden sich 836 000 Leukocyten und etwas
über 1 Million roter Blutkörperchen. Nach Einleitung der Benzoltherapie
nahmen die Leukocyten ab, die Erythrocyten zu; gegenwärtig werden
nur mehr 7000 Leukocyten gezählt. Leber- und Milztumor sind zurück¬
gegangen.
Hr. Blaschkes zeigte einen Fall von Hydrops adiposns der Pleura.
Der Kranke zeigt Symptome der Tabes. Vor einiger Zeit bekam er
einen linksseitigen Pleuraerguss mit einem gelblichen rahmigen Exsudat,
welches sich beim Stehen in ein Sediment aus zeitigen Elementen und
eine fettig aussehende klare Flüssigkeit scheidet. Im Exsudat finden
sich Eiweiss, Fett und Blutspuren. Der Fettgehalt entsteht durch fettige
Degeneration des Exsudates oder der Pleuraauskleidung. Bei dem Kranken
wird eine Rippenresektion vorgenommen werden.
Hr. Weiser demonstrierte Kurven von Pulsus irregil&ris perpetuus.
Bei einem Manne mit Herzbeschwerden wurden zeitweise ein irregu¬
lärer Radialispuls und Vorhofflimmern konstatiert. Als Ursachen werden
ausserhalb des Sinus gelegene Reize angesprochen.
Bei einer Frau, welche 70—80 Pulse hatte, stieg die Pulszahl beim
Anfall sehr hoch an; auf Digitalis nahm die Pulsfrequenz ab. An die
Anfälle schloss sich ebenfalls Vorhofflimmern an. Hier scheint eine
Vagusaffektion vorzuliegen.
Hr. Fleckseder demonstrierte einen Mann mit chronischer par¬
enchymatöser Nephritis und einem erweichten 8rhädeigamma.
Der Kranke hatte bereits vor 10 Jahren eine luetische hämorrhagi¬
sche Nephritis, welche zurückging. Es wird eine Funktionsprüfung der
Niere durchgeführt werden. Ob das derzeitige Nierenleiden luetischer
Natur ist, kann nicht entschieden werden. -
Hr. Tärk: Thorapio der Lenkimie.
Türk hat mehrere Fälle von Leukämie mit Benzol behandelt. In
vier Fällen musste die Therapie wegen Magenbeschwerden aufgegeben
werden, in einem Falle wurden 99 Kapseln ä 0,5 g ohne Erfolg gegeben.
Auf Röntgenbestrahlung trat Besserung ein. In einem anderen Falle
stieg nach Benzoltherapie die Leukocytenzabl an; doch wurde auch (nach
292 Benzolkapseln) das Abfallen der Leukocyten zahl auf 7000 beob¬
achtet.
Der Zweck der Leukämietherapie ist nicht die Erreichung einer
möglichst niedrigen Leukocytenzabl, sondern einer Besserung des All¬
gemeinbefindens. Vor einer zu energischen oder fortgesetzten Therapie
mit irgendeinem Mittel ist zu warnen, da es zu einer akuten Exacerba¬
tion kommen kann. Das Benzol ist imstande, die Leukocytenzabl herab¬
zudrücken; es wirkt schwächer als die Röntgenstrahlen, ist jedoch eine
wertvolle Ergänzung derselben. Durch zu starke Bestrahlung der Knochen
wird eine Schädigung des Knochenmarks herbeigeführt. H.
Wilhelm Ebstein f-
Am 22. Oktober entschlief nach einem arbeitsreichen, aber auch an
Erfolgen gesegneten Leben der Senior der Göttinger medizinischen
Fakultät, Geheimrat Ebstein.
Am 27. November 1836 in Jauer als Sohn eines Kaufmanns ge¬
boren, besuchte er das Gymnasium zu Liegnitz und studierte dann von
1855 ab in Breslau und später in Berlin. Hier hatte er das Glück,
Männer wie Schönlein, Freriohs, Virchow und Romberg als
Lehrer zu haben, zu deren grössten Schülern er zweifellos gehörte. Am
11. Juli 1859 promovierte er mit der Arbeit: De mutationibus micro-
scopicis cocti crudique amyli fluido oris tractati. Ein Jahr darauf be¬
stand er die Staatsprüfung, um wieder ein Jahr später in Breslau am
Allerheiligen-Hospital angestellt zu werden, an dem er 1864 die Pro-
sektur übernahm. Am 12. Juni 1869 habilitierte er sich für innere
Medizin auf Grund seiner Schrift „Die Recidive des Typhus“. Schon
zwei Jahre später übernahm er naoh der Rückkehr aus dem Kriege die
Stelle des leitenden Arztes am Breslauer Siechenhaus. Mit besonderer
Freude gedachte er stets dieser Zeit, da er in ihr den erkrankten patho¬
logischen Anatom Gohnheim vertreten konnte. 1874 wurde er dann
als Ordinarius nach Göttingen berufen, um zunächst bis zum Winter 1876
die medizinische Poliklinik und nach dem Abgang Hasses die Klinik
selbst zu übernehmen, deren Leitung er im Oktober 1906, fast 70 Jahre
alt, niederlegte. Während dieser Zeit war es ihm vergönnt, die neue
Klinik, die sein ganzer Stolz war, zu bauen und mit der Vorlesung
„Unsere Heilmethoden“ zu eröffnen, in ihr hat er ja dann auch im
Kreise zahlreicher dankbarer Schüler und Freunde am 9. November 1900
sein 25jähriges Jubiläum gefeiert, bei dessen Gelegenheit er über
„Leben und Streben in der inneren Medizin“ sprach.
Mit Ebstein verliert die deutsche medizinische Wissenschaft einen
ihrer hervorragendsten Vertreter, der als klinischer Lehrer, zielbewusster
Forscher und menschenfreundlicher Arzt gleich geschätzt war, und dem
die Georgia-Augusta noch besonders für die Entwicklung der medizi¬
nischen Fakultät vieles zu verdanken bat.
Wer das Glück gehabt bat, Jahre hindurch Ebstein am Kranken¬
bett oder in den Vorlesungen zu hören, ist erst in der Lage, seine
Grösse voll und ganz zu ermessen. Er war ein geborener klinischer
Lehrer, der es verstand, seinen Schülern auch die kompliziertesten
Krankheitsbilder klar vor Augen zu führen, gestützt auf seine reiche
Erfahrung aus der Praxis, auf seine Kenntnisse in der pathologischen
Anatomie und seine physiologischen Arbeiten unter Heidenhain. Be¬
sonders überraschend war seine meisterhafte Kunst der Diagnose. Wenn
heute vielfach darüber geklagt wird, dass die alte feine Kunst des
Diagnostizierens immer mehr verloren geht, so muss man ihn als Bei¬
spiel eines scharfsinnigen Diagnostikers hinstellen, der insonderheit die
physikalische Diagnostik wahrhaft beherrschte, bei dem aber auch die
vielen neueren Methoden und Hilfsmittel voll und ganz ihre Würdigung
erfuhren. Zweifellos war er auch ein Meister in der Kunst des Heilens.
Durfte er sich doch insbesondere auf seinen Lieblingsgebieten, den Stoff-
wechselerkrankungen und Krankheiten des Magendarmkanals auf eine
ausgedehnte therapeutische Erfahrung stützen. Den neueren Bestrebungen
in unserer Heilkunde stand er dabei durchaus nicht fremd gegenüber,
allerdings regte er stets zu einer strengen, heute mehr wie je nötigen
Kritik an. Stets wies er darauf hin, dass es nicht nur darauf
ankommt, welche Mittel man anwendet, sondern auch darauf, wie man
sie gebraucht, und dass es nötig sei, zu individualisieren.
Dabei verstand er es, seine Schüler immer wieder zu wissenschaft¬
lichen Arbeiten anzuregen, ging er ihnen doch selbst als leuchtendes
Beispiel eines unermüdlichen und zielbewussten Forschers voran, der
unsere Wissenschaft durch grundlegende Arbeiten gefördert hat, deren
Zahl nahezu 300 beträgt. Wenn es auch insonderheit die Stoffwechsel¬
krankheiten waren, deren wissenschaftliche Grundlagen er geschaffen hat,
und die er mit Vorliebe weiter ausgebaut hat, so gibt es doch kaum
ein Gebiet der Medizin, auf dem er nicht durch hervorragende Arbeiten
mitgewirkt hätte. Es würde hier zu weit führen, alle seine Arbeiten
aufzuzählen, es sei nur an die wichtigsten erinnert, wie „die Fett¬
leibigkeit und ihre Behandlung, die Lebensweise der Zuckerkranken, die
Zuckeiharnruhr, die Natur und Behandlung der Gicht (Bergib&nn,
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24. Februar 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
379
Wiesbaden), die Tastperkussiön, der Leitfaden der ärztlichen Unter¬
suchung (Enke, Stuttgart), die Leukämie, die Nierenkrankheit in
t. Ziemssen’s Handbuch der Pathologie, und endlich das Handbuch
der praktischen Medizin, das er mit J. Schwalbe herausgab. Nicht
weniger beachtenswert sind auch seine populären Schriften, wie „die
Dorf- und Stadthygiene, die Kunst das menschliche Leben zu ver¬
längern, und ferner die medizinisch-historischen Arbeiten, denen er sich
mit unermüdlichem Eifer und grosser Liebe, besonders in den letzten
Jahren seines Lebens widmete, wie „die Medizin im alten Testament
und die Medizin im neuen Testament und Talmud, die Krankheit
Luthers, die Pest des Thukydides“ usw.
Alle Arbeiten Ebstein’s legen Zeugnis ab von einer tiefen Kenntnis
der Pathologie wie der Physiologie, einer reichen praktischen Erfahrung,
und einer ausserordentlich weitgehenden Kenntnis der Literatur,
die ich oft, wenn ich ihm bei seinen literarischen Studien helfen konnte,
bewundert habe.
Sein Leben war seiner Wissenschaft geweiht, nur in seinen Müsse*
stunden bildete die Musik eine Erholung für ihn, und mit besonderer
Liebe gab er sich der Brahm’schen Kunst hin. Wir, die wir in seinem
Hause verkehren durften, werden sicherlich die genussreichen Stunden
nicht vergessen, die wir dort im Kreise der Seinen verlebt haben, in
denen wir einen Einblick tun durften in das ausserordentlich glückliche
Familienleben, das ihm beschieden war, stand ihm doch eine Gattin zur
Seite, die volles Verständnis für seine Arbeiten hatte, und die ihm
jeder Zeit eine hilfreiche Mitarbeiterin war.
Nun hat das arbeits- und erfolgreiche Leben Ebstein’s in einem
ruhigen Tode seinen harmonischen Abschluss gefunden. Wir, seine
Schüler werden ihm über sein Grab hinaus in steter Dankbarkeit ein
treues Gedenken bewahren. Sein Geist aber wird in uns nie erlöschen,
er wird uns stets mahnen, in seinem Sinne zu arbeiten und zu lehren,
und, «wie er, lauter und rein unsere Wissenschaft fördern zu helfen.
Schreiber - Magdeburg.
ln eigener Sache.
Von
Prof. Dr. Hebele.
Zur Kritik meines Buches in dieser Wochenschrift, 1912, Nr. 50, in der
mir eine unzulässige Benutzung bzw. ungenügende Citierung des Buches
von Mans zum Vorwurf gemacht wird, bemerke ich:
Die von mir für meine chirurgischen Untersuchungsmethoden be¬
nutzte gesamte Literatur ist im Anschluss an das Vorwort aufgeführt,
darunter 0. Manz, Die chirurgischen Untersuchungsarten, 1906 (Gust.
Fischer). Da dieses zweibändige Werk bisher das einzige in der deutschen
Literatur war, das einen Teil des von mir behandelten Stoffes in er¬
schöpfender Weise zur Darstellung gebracht hatte, hielt ich mich für
verpflichtet, den Grund für die Verfassung meines Buches anzugeben.
Dies tat ich in einer Fussnote des Vorwortes, die keine persönliche
Spitze haben sollte, und in der ich auch die Vorzüge des ausgezeichneten
Werkes von Manz anerkannte. Anlehnungen an das Manz’sche Buch
gebe ich ohne weiteres zu. Trotzdem wird kein unparteiischer Beurteiler
bestreiten, dass es sich bei meinen Untersuchungsmethoden um eine
selbständige Arbeit handelt.
Erwiderung auf vorstehende ErkHfcjing.
Von
Dr. Adler-Berlin-Pankow.
In Nr. 50 dieser Wochenschrift, Jahrgang 1912, habe ich, wie ich
glaube, in überzeugenderWeise die eklatante Anlehnung an das Manz-
sehe Werk in der Darstellung des Buches von Gebele nachgewiesen.
Wenn ich mich aber bisher darauf beschränkt habe, die auffallende
Uebereinstimmung von einzelnen Wendungen, Sätzen oder Beispielen
darzutun, so kann ich jetzt, da Gebele auf seiner Originalität besteht,
niobt umhin, den Leser zu bitten, mir durch die einzelnen Abschnitte
der beiden Werke ein wenig zu folgen: Die durchaus originelle Ein¬
teilung von Manz, welche bisher in keinem Buche zur Anwendung ge¬
langt ist: „krankhafte Farben, krankhafte Formen, krankhafte Bewegungs¬
vorgänge, Messung“ kebrt genau in derselben Folge bei Gebele wieder,
und die Ueberschriften lauten hier: „Farbenanomalien, Formanomalien,
Bewegungsanomalien, Messung“. Beim Kapitel Palpation sind zwar nicht
alle, aber doch die Mehrzahl der Absohnitte aus Manz entnommen,
nämlich: Verschieblichkeit, Verdrängbarkeit, Fluktuation, Bewegungs¬
abweichung, Krepitation, Druckempfindlichkeit. Dann folgen bei Manz
gesondert besprochen die Läsionen der Körperoberfläche (Arische Wunden,
Geschwüre, Fisteln); bei Gebele sind merkwürdigerweise auch an dieser
Stelle frische Wunden, Geschwüre und Fisteln erörtert, nur schliesst er
sie unter einer im übrigen falschen Begründung dem Kapitel Inspektion-
Palpation an. „Krepitation“ und „falsche Stellung“ sind genau wie bei
Manz dargestellt. Sehr interessant ist auch ein Vergleich des Kapitels
„Bewegungsanomalien“: Nach Manz (S. 178) sind „die Bewegungs¬
beschränkungen maximalster Art, die kleinsten Bewegungsreste“ eines
Gelenkes ein regelmässiges Objekt des palpatorischen Nachweises. Sehen
wir, was bei Gebele (S. 54) daraus geworden ist: „Die maximalen Be¬
wegungen sowie Bewegungsreste eines Gelenkes sind oft nicht zu sehen,
aber zu fühlen“. Hier ist Gebele augenscheinlich bei der Anlehnung
an Manz ein Lapsus calami passiert und dadurch eine Sinnwidrigkeit
entstanden.
Ist es da ein Wunder, wenn der Referent der „Deutschen Zeit¬
schrift für Chirurgie“ (Bd. 117, S. 599) zu dem Schlüsse kommt,
dass Gebele nicht nur die gleiche Einteilung befolgt wie Manz, sondern
dass er nur in äusserst knapper Form das bringt, was Manz in grosser
Ausführlichkeit bringt? Dass er über den Wert des Buches im ganzen
ein äusserst scharfes und abfälliges Verdikt ausspricht, sei nur nebenbei
erwähnt.
Aus der Fussnote io dem Vorwort bei Gebele ist keineswegs eine
Anerkennung des ausgezeichneten Werkes von Manz zu entnehmen, wie
in obiger Erklärung von Gebele behauptet wird. Die Fussnote sagt uns
nur, dass das Buch zwar sehr inhaltsreich, aber für den jungen Mediziner
zu abstrakt gehalten sei und nur wenige schematische Abbildungen ent¬
halte. Der Zweck dieser eigenartigen „Anerkennung“ ist offenkundig: Der
junge Mediziner mit seiner notorischen Vorliebe für kurze Kompendien
mit vielen Abbildungen und seiner Abneigung gegen alles Abstrakte soll
auf die Mängel des Buches von Manz und die Vorzüge des Buches von
Gebele hingewiesen werden. In dem Vorworte aber, welches sonst
nach allen Seiten hin freigebig Dankesworte spendet, wird Manz, welchem
Gebele gewiss am meisten Dank schuldet, gar nicht erwähnt!
Die Grenzen von „Anlehnung“, „starker Benutzung“ und „Plagiat“
sind nicht durch scharfe Linien gekennzeichnet, und dem subjektiven
Eindruck wird hier ein gewisser Spielraum niemals abzuspreeben sein.
Wer aber das Werk eines Vorgängers in solch ausgedehntem Maasse
verwertet, hat die Verpflichtung, ausdrücklich zu betonen, bei welchen
Abschnitten er der ausgezeichneten Darstellung seines Vorgängers in
allen wesentlichen Punkten gefolgt ist. Eine derartige offene Anerkennung
hätte dem didaktischen Werte des Buches in keiner Weise geschadet;
der Lehrzweck steht bei einem Lehrbuch im Vordergründe des Interesses,
und um dieses hohen Zweckes willen mag der Verfasser eines Lehrbuches
die vorhandenen Quellen in weitgehendstem Maasse benutzen. Er möge
aber dabei nie vergessen, die Quellen bei fast wörtlicher Uebernahme
auch im Text durch Namensbeifügung in Klammer so kenntlich zu
machen, dass eigenes und fremdes Gut für den Leser unschwer zu unter¬
scheiden ist.
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass beide Autoren dem Referenten
persönlich vollkommen fernstehen.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 19. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung Herr
Gasper Harnblasenausschaltung wegen Tuberkulose. Hierauf hielt Herr
E. Aron den allgekündigten Vortrag: Zur Aetiologie der Gefässerkran-
kungen bei Diabetes (Diskussion: die Herren Muskat, F. Hirschfeld,
J. Israel), und Herr Orth seinen Vortrag: Ueber die Bedeutung der
Rinderbacillen für den Menschen.
— Die nächste Jahresversammlung des Deutschen Vereins für
Psychiatrie wird am 15. und 16. Mai 1913 in Breslau stattfinden.
Es sind zwei Referate vorgesehen: I. Bleuler-Zürich und Hoche-
Freiburg: Der Wert der Psychoanalyse. II. Stier-Berlin und Mönke-
möIler-Hildesheim: Psychiatrie und Fürsorgeerziehung. Ferner liegen
bisher zwei Vortragsanmeldungen vor: 1. Starlinger-Mauer-Oehling
(auf Veranlassung des Vorstandes): Ueber die zweckmässige Grösse von
Anstalten für Geisteskranke. 2. Reichardt-Würzburg: Physikalische
Hirnuntersuchung an der Leiche. Anmeldung weiterer Vorträge wird
erbeten an Sanitätsrat Dr. HansLaehr in Zehlendorf-Wannseebahn,
Schweizerhof.
— Das Deutsche Centralkomitee für ärztliche Studien¬
reisen hat für dieses Jahr eine Reise arrangiert, welche zunächst einen
Aufenthalt in London, während der Kongresstage (6. bis 12. August),
vorsieht und dann England, Schottland, Irland, die Kanalinseln,
Rotterdam und Scheveningen umfasst. Sie beginnt am 8. August
mit einer Fahrt nach London mittels eines Dampfers der Hamburg-
Amerika-Linie und endet am 28. Augnst abermals in Hamburg. Die
Preise bewegen sich zwischen 875 und 1400 M.; den Ehefrauen ist
diesmal die Teilnahme gestattet. Anmeldungen sind an das Central¬
komitee (Berlin W. 9, Potsdamerstr. 134 B) zu richten. — Wir bemerken
in Anschluss hieran, dass deutsche Kongressmitglieder, welche nicht
an dieser gemeinsamen Fahrt teilzunehmen gedenken, Näheres über
Reise- und Wohnungsangelegenheiten durch den Schatzmeister des
Deutschen Reichskomitees, Herrn Kommerzienrat E. Stangen, Berlin,
Friedrichstr. 72, erfahren.
— Das exekutive Komitee des II. Internationalen Unfallkongresses
hat aus dem aktiven Ueberschuss des Kongresses zwei Prämien zu je
1000 Fr. bestimmt. Da keine Arbeit eingegangen ist über das Thema:
„Die funktionelle Anpassung der traumatisierten Glieder
und die Schätzung derselben“, so wird die PreisbewerbuDg er¬
neuert, und zwar ausschliesslich für obengenanntes Thema mit folgenden
Normen: Die Arbeiten müssen original sein und in italienischer oder
französischer Spraohe abgefasst, gedruckt oder in Maschinenschrift in
drei Exemplaren an das Gerichteärztliche Institut der R. Universität
Rom, isola Tiberina, gesandt werden, und zwar bis zum 81. Januar 1914,
1 Uhr mittags.
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380
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
— Das Permanente Komitee für die internationalen medi¬
zinischen Kongresse (Haag, Hugo de Grootstr. 10) erinnert daran,
dass bei der diesjährigen Tagung in London drei Preise zur Verteilung
kommen, nämlich der Preis der Stadt Moskau (5000 Fr. für die beste
Arbeit auf medizinischem oder hygienischem Gebiete oder für hervor¬
ragende Verdienste um die leidende Menschheit); der Preis von Paris
(4000 Fr. für Entdeckungen oder wichtige Arbeiten auf dem Gebiete der
Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Anatomie, Biologie im Laufe der letzten
10 Jahre); der Preis von Ungarn (3000 Fr. für eine medizinische Leistung
in der Zeit zwischen zwei internationalen Kongressen). Die Preis Verteilung
ist durch besondere Statuten geregelt. Das Bureau des Permanenten
Komitees nimmt Vorschläge von Kandidaturen bis 1. Juni entgegen.
Wir geben diese Mitteilung wieder mit der Bitte an die deutschen
Kollegen, etwaige Vorschläge zunächst dem permanenten deutschen
Komitee (z. H. von Herrn Posner) einzureichen, welches sich bereits
mit der Angelegenheit beschäftigt. Unseren Lesern wird im Gedächtnis
sein, dass bisher von deutschen Gelehrten Ehrlich und Oscar Hertwig
Preise erhalten haben.
— Der seit dem Jahre 1891 für die Förderung der Volks- und
Jugendspiele und verwandter Leibesübungen in freier Luft in Deutsch¬
land unter dem Vorsitz des Abgeordneten Dr. v. Schenckendorff mit
grossem Erfolge wirkende Centralausschuss hat sich jetzt in einen
Verein umgewandelt, damit er noch nachdrücklicher als bisher seinen
vaterländischen Aufgaben dienen kann. Er fordert alle deutschen Frauen
und Männer auf, sich als Mitglied, Förderer, lebenslänglicher Förderer
oder Ehrenförderer anzuschliessen. Die Mitglieder zahlen 5 M., die
Förderer 10 M. jährlichen Beitrag und die lebenslänglichen und Ehren-
forderer einmalig 300 M. bzw. 1000 M. Die Mitgliedschaft wird durch
Anmeldung unter gleichzeitiger Einsendung des Beitrages an den Schatz¬
meister, Herrn Oberbürgermeister Dominicus, Berlin-Schöneberg, er¬
worben.
— DieBerlin-BrandenburgiscbeKrüppel-Heil-und Erziehungs¬
anstalt verschickt soeben ihren 4. Jahresbericht, aus dem die erfreu¬
liche Entwicklung des Vereins zu ersehen ist und dass er mit dem Neu¬
bau seines Heims begonnen hat.
— In Nr. 3 haben wir auf die wichtigen präliminarischen Ver¬
einbarungen zwischen dem Deutschen Aerztevereinsbund und dem
Reiohspostamt hingewiesen. Auf der damals skizzierten Grundlage
ist nunmehr zwischen dem Verein der freigewählten Kassenärzte
in Berlin und den Unterbeamten der Reichspost ein Vertrag abgeschlossen
worden.
— Am 14. d. M. fand das in Nr. 5 angekündigte erste Konzert
unseres ärztlichen Orchestervereins in der bescheidenen Form
eines „Familienabends* statt. Statt der erwarteten 200 Besucher hatten
sich aber gegen 500 eingefunden, und sie alle zollten dem Orchester
und dem Klaviersolisten Herrn Kollegen Voll mann stürmischen Beifall.
Tanz und eine altberliner „Kaffeepause* hielt Jung und Alt noch lange
nach dem Konzert in fröhlichem Kreise zusammen.
— Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der weltbekannten „Farb¬
werke vorm. Meister Lucius & Brüning* haben die Leiter des Unter¬
nehmens ein kleines Prachtwerk herausgegeben, das die Entwicklung der
Anstalt aus kleinen Anfängen heraus bis zur heutigen Höhe schildert
und einen interessanten Ueberblick über seine gewaltigen Leistungen
und seine Wohlfahrtseinrichtungen bietet.
— Herr Friedrich Franz Friedmann ersucht uns um Aufnahme
folgender Zeilen: „Im Laufe der letzten 3 Monate hat eine grosse Zahl
leitender Aerzte des ln- und Auslandes schriftlich und telegraphisch der
Ueberzeugung Ausdruck gegeben, dass das von mir für die menschliche
Tuberkulose inaugurierte therapeutische Prinzip mit lebendem, aviru-
lenten Material der richtige Weg für die Heilung der Tuberkulose sei,
und mich gleichzeitig ersucht, sie hier in Berlin in die Einzelheiten
meiner Behandlungsmethode einzuweihen, um die Grundsätze dieser neuen
Therapie zu erlernen. Und in der Tat hätte es keinen Zweck, das Mittel
früher der allgemeinen Aerztewelt abzugeben, als bis dies geschehen ist.
Denn jeder einzelne Organismus verlangt unbedingt je nach der be¬
sonderen Art, wie er gerade das Mittel aufnimmt und verarbeitet, eine
ganz individuelle Art der Weiterbehandlung. Dosierung, Zeitpunkt und
Modus der Weiterbehandlung können nur am Patienten selbst bestimmt
und durch keine noch so ausführliche Beschreibung, sondern nur durch
persönliche Beobachtung und Verfolgung des einzelnen Falles erlernt
werden. Denn da sich hier absolut keine allgemein gültige schematische
Regel für die Anwendung der nach meinem Verfahren hergestellten
Heilstoffe angeben lässt, wie etwa für sonstige Injektionstherapien
(Tuberkuline, Sera usw.), so genügt es nicht, das richtige Mittel
in der Hand zu haben, sondern es ist auch erforderlich, dasselbe
richtig anzuwenden. Bevor man fähig ist, ein neues Prinzip zu
„prüfen“, muss man zunächst das Prinzip studieren, er¬
lernen. Die genaue Herstellung meines Heilmittels, sowie seine
Dosierungen und Indikationen habe ich bisher nur Herrn Prof. Schleich
mitgeteilt, der auch während meiner vorübergehenden Abwesenheit von
Berlin die Leitung meines Institutes gütigst übernommen hat. Meine
Kultur habe ich, einer Weisung der Königlich preussischen Medizinal¬
verwaltung gemäss, Exzellenz Ehrlich, dem Leiter des staatlichen
Instituts für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M., persönlich über¬
geben. Derselbe hat bereits die Güte gehabt, die einleitenden Schritte zu tun.*
Hochschulnaohriohten.
Berlin. Dr. Knuth, Vorsteher der Abteilung für Tropenhygiene
am hygienischen Institut der Tierärztlichen Hochschule, wurde der
Professortitel verliehen. — Breslau. Als Nachfolger Ponfick’s, der
am Ende dieses Semesters vom Lehramt zurücktritt, ist Prof. Henke-
Königsberg berufen. — Kiel. Als Nachfolger Heller’s soll Lubarsch-
Düsseldorf berufen sein. — Leipzig. Die Privatdozenten DDr. Läwen
(Chirurgie) und Stadler erhielten den Titel Professor. — Marburg.
An Stelle des nach Würzburg übersiedelnden Pathologen M. B. Schmidt
wurde Jores-Cöln berufen. — Rostock. Habilitiert: Dr. Hauser für
Gynäkologie. — Würzburg. Dr. Flury, Privatdozent für Pharmako¬
logie, erhielt einen Arbeitsplatz an der zoologischen Station in Neapel.
Gang der Volkskrankheiten.
Cholera. Türkei (21.—27. I.) 4 und 2f. — Gelbfieber.
Venezuela (XI.) 7 und 1 +. — Pocken. Deutsches Reich (2. bis
8. II.) 1. Oesterreich (19.—25.1.) 5. Schweiz (19.—25.1.) 1.
Hongkong (29. XII. 1912 bis 4.1. 1918) 2 und 2f. — Fleckfieber.
Deutsches Reich (2.—8. II.) 1. Oesterreich (19.—25. I.) 77.
Serbien (4. II.) 320, davon 142 f. — Genickstarre. Preussen
(26.1.—1. II.) 2 und 1 f- — Spinale Kinderlähmung. Oesterreich
(12.—18.1.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an
Sobarlach in Graudenz, Rostock; an Masern und Röteln in Glad¬
beck; an Diphtherie und Krupp in Erfurt, Hamborn, Mülheim (Rhein),
Remscheid.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl. mit der Konigl.
Krone: San.-Rat Dr. 0. Wimmer in Berlin.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr.
E. Lesser in Berlin, San.-Rat Dr. M. Schnitze in Berlin-Grunewald,
Oberstabsarzt a. D. Dr. E. Spangenberg in Kehl, bisher im Feld¬
artillerie-Regiment 69.
Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Reg.- und Med.-Rat a. D., Geh. Med.-
Rat Dr. 0. Schwartz in Cöln.
Königl. Kronen-Orden 8. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. L. Wolff in
Berlin.
Ernennungen: Privatdozent Prof. Dr. B. Schöndorff in Bonn zum
ausserordentl. Professor daselbst.
Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei
dem Medizinal untersuchungsamte in Koblenz. Jahresremuneration
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann
auch einem noch nicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen
Ablegung der Prüfung verpflichtet.
Niederlassungen: Dr. W. Wesenberg und Dr. E. Pinczakowski
in Hannover, Dr. J. Möllering in Bersenbrück, Arzt K. Dittrich
in Guttstadt, Dr. M. Conrad in Tilsit, Dr. R. Horn in Rhinow, Arzt
G. Liese in Ennigerloh, Dr. S. Strauss in Hersfeld, Dr. E. W. Dub
in Ems.
Verzogen: Dr. P. Gericke von Londorf nach Mülheim (Ruhr), Dr. M.
Arnold von Birkenhof nach Rauschen, Dr. K. Loewer von Darm¬
stadt nach Danzig, Dr. A. Ketteier von Zwischenabn nach Zoppot,
Geh. San.-Rat Prof. Dr. G. Pannwitz von Charlottenburg nach
Hohenlychen, Dr. K. Schmidt von Klingenmünster nach Berlin-
Rosentbal (Nordend), Dr. K. Sitzler von Lüneburg nach Eberswalde,
Dr. H. Heine von Saarbrücken nach Luckenwalde, San.-Rat Dr. Chr.
Fassbender von Ibbenbüren nach Südende, Dr. A. Albrecht von
Trebnitz nach Berlin-Steglitz, Dr. R. Bulla von Mülheim a. Rh.,
Aerztin Dr. Ch. Sternberg von Berlin und Dr. K. Bösenberg von
Berlin-Reinickendorf nach Berlin-Schmargendorf, Dr. F. Kühl mann
von Berlin nach Berlin-Friedenau, Marineoberstabsarzt a. D. Dr. K.
Rechenbach von Kiel nach Gerswalde, Dr. K. Lorenz von Bad
Rehburg nach Beelitz, Stabsarzt Dr. 0. Geissler von Neuruppin nach
Dom. Brandenburg, Dr. J. Brennecke von Kiel nach Brandenburg
a. H., Dr. G. Lochner von Berlin nach Sternberg, Dr. F. Sarrazin
von Köslin nach Landsberg a. W., Dr. G. Pordom von Wiesbaden
nach Arensdorf (Kr. Lebus), Dr. E. Götze von Arensdorf nach Seelow.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. R. Statt¬
müller von Brachelen, Dr. W. Quilitz von Rauschen, Dr. K. Faltz
von Zoppot, Dr. L. Elpers von Dortmund, Dr. K. Caspar von
Altena, Dr. H. Trümper von Witten, Dr. Eyselein von Herne, Dr.
H. Reeder, Dr. 0. Harrwig, Dr. R. Kayser und Dr. R. Kra¬
mer von Bochum, Dr. H. Fimmen von Frankfurt a. M., Dr. M. Lud¬
wig von Wiesbaden auf Reisen.
Gestorben: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heller in Kiel, Arzt E. Wirth
in Beelitz, San.-Rat Dr. D. E. Hertling in Caub, San.-Rat Dr. L.
Müller und Geh. San.-Rat Dr. B. Steinheim in Wiesbaden.
— --- — = — ■ ===== == -a
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W n Bayreother Strasse 49.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in-Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
01« Berliner Klinische Woehenschrift erscheint Jeden
Montag ln Nummern von cs. i —6 Bogen gr. 4. —
Preis Tierteljihriich 6 Hark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Posten «alten an.
BERLINER
Alle fiinsendungen für die Redaktion und Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirsehwald in Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCimiET.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
fiel). Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and JDr. Hans Kohn.
Expedition:
Aagast Hirschwald, Verlagsbachhandlang in Berlin.
Montag, den 3. März 1913. M 9 .
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Originalien : Pousson: Beitrag zur Chirurgie der Nephritiden. S. 381.
Zinsser: Ueber die Schädigung der Niere bei der Eklampsie.
(Aus der Universitäts - Frauenklinik der Königlichen Charite.)
S. 388.
Weil: Beitrag zur Statistik der Magenresektion. (Aus der Königl.
chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau.) S. 390.
Engel: Demonstration der Wirkung der Venenstauung auf die Puls¬
kurven Herzkranker. (Illustr.) S. 392.
Abel: Die Elektrocoagulation bei der chirurgischen Behandlung des
Krebses, speziell des Gebärmutterkrebses. S. 394.
Falta und Zehner: Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X
auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure. (Aus
der ersten medizinischen Universitätsklinik in Wien.) S. 395.
Schwarz: Zur Frage des wirksamen Prinzips biochemischer
Strahlenreaktionen. (Aus der I. medizinischen Klinik zu Wien.)
S. 396.
Münzer: Innere Sekretion und Nervensystem. (Schluss.) S. 396.
Holste: Vorschläge zur Verbesserung des neuen preussischen Heb-
ammenlehrl)uchs. (Aus der Provinzial-Hebammenlehranstalt zu
Stettin.) S. 400.
Scharfe: Der Scheidentrockner. (Illustr.) S. 402.
Bfleherkesprechingeii : Lenz: Ueber die krankhaften Erbanlagen de»
Mannes und die Bestimmung des Geschlechts beim Menschen.
S. 402. Heilbronner: Ueber Gewöhnung auf normalem und patho¬
logischem Gebiete. S. 403. Semon: Das Problem der Vererbung
„erworbener Eigenschaften“. S. 403. Schwalbe: Die Morphologie
der Missbildungen des Menschen und der Tiere. S. 403. Crocher:
Studies in Cancer and allied subjects. Pathology. S. 403. (Ref.
?. Hansemann.) — Grafe: Einführung in die Biochemie. S. 403.
Hirsch: Der elektrochemische Betrieb der Organismen. S. 403.
(Ref. Jacoby.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 403. — Pharmakologie. S. 404. —
Therapie. S. 404. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 404. — Diagnostik. S. 406. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 406. — Innere Medizin. S. 406. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten. S. 408. — Kinderheilkunde. S. 409. — Chirurgie.
S. 409. — Röntgenologie. S. 410. — Urologie. S. 411. — Haut- und
Geschlechtskrankheiten. S. 411. — Geburtshilfe und Gynäkologie.
S. 411. — Augenheilkunde. S. 411. — Hals-, Nasen- und Ohren¬
krankheiten. S. 413. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 413. —
Militär-Sanitätswesen. S. 413. — Technik. S. 413.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Casper: Vorstellung eines Falles von lumbaler
Ureterfistel nach Blasenexstirpation wegen Tuberkulose. S. 414.
Aron: Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim Diabetes.
S. 414. Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den
Menschen. S. 414. — Laryngologische Gesellschaft zu
Berlin. S. 414. — Berliner mikrobiologische Gesellschaft.
S. 418. — Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde
zu Berlin. S. 419. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
S. 420. — Breslauer chirurgische Gesellschaft. S. 421. —
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin. S.423. —
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig. S. 424. — Frei¬
burger medizinische Gesellschaft. S. 424. — K. k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien. S. 425.
Hirschberg: Anutius Foesius. S. 426.
Zum Wahlmodus in der Berliner medizinischen Gesellschaft.
S. 427.
Tagesgeschichtl. Notizen. S.427. — Amtl. Mitteilungen. S.428.
Beitrag zur Chirurgie der Nephritiden.
Von
Prof. Alfred Pousson-Bordeaux.
Die Zukunft der chirurgischen Behandlung der Nephritiden
beruht ganz und gar auf der Festlegung ihrer Indikationen und
Kontraindikationen. Wenn die Chirurgen bestrebt sind, ihr diese
solide Basis zu geben, dann wird es ihnen gelingen, die Aerzte,
welche bisher grösstenteils dieser neuen Therapie feindselig gegen¬
überstanden, dazu zu bestimmen, sie in Erwägung zu ziehen und
zu der Operation ihre Zuflucht zu nehmen, sobald die interne
Behandlung versagt hat. Ohne mir die grosse Schwierigkeit zu
verhehlen, welche diese Frage darbietet, die ich in diesem
Artikel zu behandeln beabsichtige, und ohne mir anmaassen zu
wollen, sie zn lösen, wünsche ich dennoch zu ihrem Studium einen
Beitrag durch einige persönliche Bemerkungen zu liefern.
Ich werde nacheinander die chirurgische Behandlung der
akuten und der chronischen Nephritiden in Betracht ziehen.
Akute Nephritiden.
Es ist zweckmässig, vom Standpunkte der operativen'Indi¬
kationen die toxischen Nephritiden von den infektiösen zu trennen.
In meiner ersten, im Jahre 1899 veröffentlichten Arbeit
schrieb ich, dass bei den toxischen Nephritiden, wie sie z. B. durch
Absorption von Kanthariden, Phosphor, Arsenik, Sublimat usw.
erzeugt werden, eine Nephrotomie wegen der rapiden Nekrobiose
der Epithelien von gar keinem Nutzen sein könne. Jetzt jedoch,
gestützt auf zahlreiche experimentelle Untersuchungen, besonders
auf die von Castaigne und Rathery, welche gezeigt haben,
dass die Läsionen der Epithelien nach Intoxikation durch diese
Substanzen an gewissen Punkten relativ wenig intensiv and einer
Wiederherstellung fähig sind — denn man hat gesehen, dass die
Kranken, wie in dem Falle, den ich beobachtete, die Intoxikation
überleben —, muss ich meine frühere Ansicht aufgeben. In der
Tat erfüllen die Nierendecapsulation und Nephrotomie sehr gut
die Indikationen, welche die Behandlung der in der Niere durch
die toxische Imprägnation ihrer Elemente gesetzten Störungen er¬
forderlich macht. Diese Dnrcbtränkung führt zuerst zum Ab¬
sterben der Epithelien der gewundenen Kanälchen, der Henle-
schen Schleifen und der geraden Kanälchen und infolgedessen
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UNIVERSUM OF IOWA
382
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
zur mechanischen Verstopfung der Nierenkanälchen, als deren
Symptom Oligurie und selbst Anurie in die Erscheinung treten.
Wenn jedoch der Kranke die Insuffizienz der Nierenausscheidung
ubersteht, so kann man sehen, wie die Kanälchen unter dem An¬
dringen der sezernierten Flüssigkeit im Gebiet der sehr oft in¬
takten Glomeruli frei werden und die Epithelien der Kanälchen
sich regenerieren und die Niere ihre Funktionen wieder auf¬
nimmt. Die therapeutische Indikation erfordert also, die Harn¬
sekretion durch Diuretica und das Ansetzen von Schröpfköpfen
anzuregen; Skarifikation und selbst Blutegel in der Lumbal¬
gegend sind in dieser Beziehung gute Mittel. Wenn sie jedoch
versagen, muss ohne Zögern der chirurgische Eingriff an
ihre Stelle treten. Was nun die Decapsulation und die Nephro¬
tomie betrifft, so glaube ich, dass letztere aus Gründen der patho¬
logischen Physiologie, auf welche ich bei Gelegenheit der Be¬
handlung der infektiösen Nephritiden eingehen werde, den Vorzug
verdient.
Welches auch das pathogene Agens sein mag, das sie hervor¬
ruft, welchen Weg auch (seien es die Blutgefässe, Lympbgefässe
oder der Ureter) dieses Agens wählt, um die Niere zu ergreifen,
man kann, wie ich glaube, zum besseren Studium den anatomi¬
schen Prozess der infektiösen akuten Nephritiden in vier Phasen
einteilen: Die Phase der Kongestion, die Phase der Diapedese,
die Phase der purulenten Infiltration und die Phase der dissemi-
nierten Abscesse im Parenchym. Alle Nephritiden durchlaufen
nicht diese vier Entwickelungsstadien. Diejenigen, welche im Ver¬
lauf der exanthematiscben Fieber (wie Scharlach, Pocken, Masern)
auftreten, ebenso bei Typhus, bei Diphtherie, Pneumonie und
allgemein bei anderen schweren Arzneiinfektionen verbleiben sehr
häufig in der kongestiven oder besser degenerativen Phase, indem
die anatomischen Störungen mehr die Epithelien als die Gefässe
ergreifen. Dagegen erreichen diejenigen Nephritiden, welche die
chirurgische Infektion und ganz besonders die Infektionen der
unteren Harnwege betreffen, die Endstadien der purulenten In¬
filtration und der Abscesse.
Nichts ist jedoch schwieriger, als in der Klinik die ver¬
schiedenen Perioden der nepbritischen Prozesse zu erkennen, und
zahlreiche Beobachtungen lehren, dass man oft Nieren vor sich
hat, von denen man glaubt, dass sie sich im Stadium der Kon¬
gestion befinden, während sie bereits in der Phase der purulenten
Infiltration und Miliarabscesse sind. Tatsächlich hat jedoch diese
Diagnose nur eine sekundäre Bedeutung. Denn wenn auch der
chirurgische Eingriff bessere Resultate bei nichteiterigen Nephritiden
liefert, so hat er auch sehr schätzenswerte Erfolge bei den
eiterigen Nephritiden. Es geht dies deutlich aus einer Statistik
von 26 Fällen hervor, in welchen ein Eingriff im Verlauf akuter
Nephritiden gemacht wurde, und die ich in meinem Buche „Chir¬
urgie des nöphrites“ veröffentlicht habe. Davon bezogen sich
11 Operationen auf nichteiterige Nephritiden und gaben 0 pCt.
operative Mortalität, während 15 eiterige Nephritiden betreffen mit
2 operativen und 2 späteren Todesfällen. Demnach darf der
Chirurg, sobald eine akute Nierenentzündung vorliegt, sich nicht
um die anatomische Phase der Infektion kümmern, sondern er
soll nicht mit dem Eingriff zögern, wenn die Indikation sonst
geboten erscheint.
Selbstverständlich wird man nur dann seine Zuflucht zu einer
Operation nehmen, wenn man die inneren Mittel ausgiebig ver¬
wandt hat. Dahin gehören in erster Reihe die Diuretica, der
Aderlass und die funktionelle Anregung der Organe, welche
vicariierend für die Niere eintreten. Aber nichts ist schwieriger,
als die Insuffizienz oder das Versagen dieser Mittel zu erkennen.
Aus den Beobachtungen, welche ich gelesen habe, geht hervor,
dass, wenn auch einige Operateure sich zu sehr mit dem Eingriff
übereilt haben, die grosse Mehrheit nur unter dem Druck
schwerer Symptome oder Zufälle, wie schweres Fieber, beun¬
ruhigendes Allgemeinbefinden, lebhafte und andauernde Schmerzen
der Lendengegend, Abnahme der Urinsekretion und drohende
Anurie gehandelt haben. Weit gefehlt, eine operative Kontra¬
indikation abzugeben, bilden gerade die Intensität des Fiebers und
Schwere des Allgemeinbefindens eine Indikation, welche man
rechtzeitig beachten muss. Besonders aber verlangt die Abnahme
der Harnsekretion aufs dringlichste den Eingriff bei akuten
Nephritiden. Wenn man neben der Oligurie im Urin eine starke
Eiweissmenge, sehr zahlreiche Leukocyten, hyaline und Wachs-
cylinder findet und mit diesem Befund, welcher auf eine tiefe
anatomische Störung der Nieren , hinweist, sich Fieber ijind
schlechter AH$ en ?einzustapd verbilden, die elqe zunejimend^ In¬
toxikation und Infektion des Organismus verraten, dann darf man
den Kranken nicht der Chancen berauben, die ihm eine Operation
bieten kann. An die Seite der Oligurie tritt der Lumbalschmerz
wegen seiner Hartnäckigkeit ond Heftigkeit in der Reihe der
Indikationen, welche für den chirurgischen Eingriff am
günstigsten sind.
Die Operationen, zu welchen man zurzeit seine Zuflucht bei
den akuteu medizinischen Nephritiden nimmt, sind die Nephrek¬
tomie, die Nephrotomie und die Decapsulation.
Die Nephrektomie kann natürlich nur dann in Frage kommen,
wenn es sich um eine einseitige akute Nephritis handelt, oder
wenn zwar die Läsionen beide Nieren betreffen, jedoch nur das
eine dieser Organe tief verändert, das andere relativ wenig be¬
troffen ist. Es ist das eine Ausnahmeoperation, deren unmittel¬
bare und entferntere Resultate nach den Studien, welche ich
gemacht habe, weit hinter der Nephrotomie zurücksteben. Denn
während die 9 Nephrektomien, über welche ich berichtet habe,
2 Todesfälle, d. h. eine Mortalität von 22 pCt. ergaben, haben
21 Nephrotomien nur dieselbe Totenzahl gebracht, d. h. eine
Mortalität von 10 pCt.
Die Nephrotomie muss also, meiner Meinung nach, die Ope¬
ration der Wahl in der Behandlung der akuten Nephritiden sein.
Diese Schlussfolgerung, welche zunächst überraschen kann,
und welche der Regel für die Behandlung der Nierentuberkulose
ganz und gar entgegen tritt, ergibt sich aus vielen Gründen. Der
erste liegt in der Tatsache, dass während der durch den Koch-
schen Bacillus erzeugte anatomische Prozess in der Niere, wie in
allen übrigen Organen, vielleicht nur durch die vollständige Ver¬
nichtung der kleinsten Drüsen und Tuberkelkeime beseitigt werden
kann, der der banalen, colibacillären und anderen Infektionen
durch die Zerstörung der pathogenen Agentien in situ gehemmt
werden kann. Ein anderer Grund, welcher zugunsten der Nephro¬
tomie gegen die Nephrektomie spricht, ist der, dass in der Mehr¬
zahl der Fälle die Infektion nicht gerade in der Niere lokalisiert
ist, sondern dass die Läsionen dieses Organs nur das Resultat
der Ausscheidung der toxisch-infektiösen Prinzipien sind, welche
ihren Ursprung im Organismus haben. Wenn man also eine Niere
entfernt, so belastet man die andere allein mit der Reinigung des
Blutes. Sieht man also nicht ein, welche böse Chancen diese
Läsionen haben, sich zu verschlimmern oder sich zu bilden, wenn
sie noch nicht vorhanden waren? Anstatt also durch die Nephrek¬
tomie den für die Ausscheidung der Mikroben und ihrer Toxine
offeuen Weg zu zerstören, sollte man sich nicht vielmehr bemühen,
ihn so lange wie möglich durch die Inzision der kranken Niere zu
erhalten, welche neben den auf dem Wege der Zerstörung befind¬
lichen Territorien immer noch eine gewisse Zahl intakter enthält?
Zur Rechtfertigung des Vorzugs, welchen ich der Nephrotomie in
der Behandlung der akuten Nephritiden gebe, erscheint es mir
zweckmässig, die Wirkungsweise der Inzision des Nierenparen¬
chyms auf den Krankheitsprozess ins Gedächtnis zurückzurufen.
Sie wirkt zunächst durch Behebung der intrarenalen Spannung,
wie sie durch die Zunahme des Nieren Volumens innerhalb der
undehnbaren Kapsel durch Proliferationsprozesse der Harnkanälchen,
Blutgefässe und des Bindegewebes, isoliert oder miteinander ver¬
bunden, partiell oder total, erzeugt wird, und welche das ana¬
tomische Substrat aller Nierenentzündungen bilden. Abgesehen
von der Beseitigung der intrarenalen Spannung besitzt die In¬
zision der Kapsel und des Parenchyms selbst den noch weit
grösseren Vorteil, dass sie eine reichliche Blutentleerung herbei¬
führt. Dieser reichliche Aderlass hat nicht nur die Wirkung,
die Niere zu entlasten und überall die Diapedese zu regulieren,
sondern er begünstigt weiter die Auswanderung der Mikroben
und der die Röhrchen verstopfenden Epithelabgänge, welche bis¬
weilen die Ursache einer sogenannten tubulären Anurie werden.
Das aber bleibt zweifellos nicht ohne Wirkung auf die Toxine,
welche auch eine gewisse Rolle in der Pathogenese der infek¬
tiösen Nephritiden spielen. Eine methodische, mässige Knetung
eines jeden Nierenscbnittes kann, wenn man sie gut abwägt,
dieses Resultat begünstigen. Obwohl man die Antisepsis nur in
geringem Maasse verwenden kann, so gestattet doch die Nieren¬
inzision eine sorgfältige Reinigung der Kelche und des Beckens,
und selbst der Nierenschnitte mit schwachen, die histologischen
Elemente nicht angreifenden antiseptischen Lösungen. Endlich,
und das ist meiner Meinung nach eine unerlässliche Ergänzung
der Nephrotomie, sichert die prolongierte Drainage des Beckens
den Abfluss der durch die kranke Niere abgesonderten, ver¬
änderten Sekrete und gestattet ihre Auswaschung.
J$s er,füll£ also die Nephrotomie, abgesehen von de* beaonr
deren Indikation für alle in einer undehnbaren Hülle gelegenen
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
883
entzündeten Organe, nämlich der Freilegung, die drei fundamen¬
talen Indikationen, die für die Therapie der Entzündungen aller
Gewebe aufgestellt sind: Abschwellung, Antisepsis und Drainage.
Die Decapsulation, welche nur in einer sehr kleinen Zahl
von Fällen zur Behandlung der akuten Nephritiden ausgeführt
wurde, tritt in ihrer Wirkung sehr gegen die Nephrotomie zurück.
Denn sie bringt nur die Befreiung der in ihre Kapsel eingesperrten
Niere, erfüllt also nur eine der Indikationen der Therapie der
Entzündung im allgemeinen. Es verdient indessen bemerkt zu
werden, dass die Blutung, welche auf der Nierenoberfläche der
stark hyperämischen Niere stattfindet, ihre abschwellende Wirkung
zu der Druckentlastung hinzufügt, und dass der Blutstrom ge¬
eignet ist, die Mikroben und Toxine, welche die Rindenschicht
infizieren, hinwegzuschwemmen. Wie gering sind aber ihre Wir¬
kungen im Vergleich zur Inzision der Kapsel und des Nieren¬
parenchyms! Was vermag die Decapsulation in den Fällen, in
welchen miliare Abscesse bestehen, die so oft bei akuten Nephri¬
tiden Vorkommen? Ferner bei denjenigen, in welchen die Kelche
nod das Becken an der Entzündung beteiligt sind?
Chronische Nephritiden.
Die chirurgische Behandlung der chronischen Nephritiden
findet ihre Indikationen in den schweren Zufällen, welche der
internen Behandlung widerstanden, wie lebhafte und anhaltende
Schmerzen, profuse Blutungen von langer Dauer, heftige Krisen,
bedingt durch Ansammlung von Stoffwechselprodukten im Orga¬
nismus. Aber neben dieser Palliativbehandlung hat ein kühner
Erfinder, Georges Edebobls New York, eine Heilbehandlung
vorgeschlagen, welche nichts weniger bezweckt, als den ana¬
tomischen Prozess im Innern der entzündeten Niere zum Still¬
stand und in den schon davon befallenen Partien zum Rückgang
zu bringen.
a) Chronische schmerzhafte Nephritiden.
Der Schmerz kann ein solches Uebergewicbt in der Sympto¬
matologie gewisser chronischer Nephritiden erlangen, dass er zu
seinen Gunsten die ganze Aufmerksamkeit des Kranken und des
Arztes auf sich lenkt. Ausnahmsweise gehören die Nephritiden,
welche den Beinamen „schmerzhafte“ verdienen, in die Kategorie
der von Bright beschriebenen Nephritiden, welchen die Nachwelt
den Namen des berühmten englischen Arztes beigelegt hat. Unter
19 Fällen, welche ich von diesem Gesichtspunkte aus analysiert
habe, habe ich nur vier gefunden, welche durch den Symptoroen-
komplex, den sie darboten und ihre Aetiologie als Bright’sche
Nephritiden angesehen werden können. Bei elf von diesen Beob¬
achtungen konnte man nur einige vage Umrisse des klinischen
Bildes der Bright’scken Krankheit auffinden; dagegen wiesen die
Antecedentien und die Symptomatologie auf Steinkrankbeit bin.
Bei den vier letzten schien mir die Nephritis dreimal von ent¬
zündlichen Läsionen der Adnexe und des Beckenzellgewebes und
einmal von einem schweren Trauma der Regio intercostalis-iliaca
abhängig gewesen zu sein.
Ebenso wie die Ursachen der chronischen schmerzhaften
Nephritiden sich von denen unterscheiden, welche man gewohnt
ist, bei der Bright’schen Krankheit anzutreffen, ebenso sind anch
die anatomischen Läsionen ein wenig verschieden. Der erste
Unterschied besteht in der Lokalisation des Entzündungsprozesses
an einer bestimmten Stelle der Niere, die in einer gewissen An¬
zahl von Fällen beobachtet wurde. Der zweite, sicherlich der
bedeutendste Unterschied betrifft die Veränderungen der eigent¬
lichen Nierenkapsel. Diese ist verdickt und erreicht eine Stärke
von mehreren Millimetern, stellenweise stark sklerosiert in Form
von milchigen Plaques oder weisslichen Streifen von narbigem
Aussehen, welche die Niere einengen und ihr ein beulenförmiges,
gelapptes Aussehen geben. Der Skleroseprozess erstreckt sich
auch oft auf die Fettkapsel, welche an Stelle ihrer gelblichen
Farbe und ihrer gewöhnlichen Konsistenz grau, fest und dicht
wird, durchzogen von fibrösen, über die Organe verbreiteten
Strängen, welche die Nierenbekleidung in der Niere selbst be¬
schränken.
Diese Läsionen erklären die Pathogenese der Schmerzet* und
die Wirkung der gegen sie gerichteten Operation. Sie kommen
von dem Druck her, welcher von der sklerosierten Kapsel auf
das Nierenparenchym ausgeübt wird. Aber diese Rolle der
fibrösen, indurierten und verdickten Kapsel ist eine passive; die
aktive spielt in Wirklichkeit das Nierenparenchym mit seiner
ßinzwängung durch die kongestiven Schübe, welchen es durch
seine chronische ‘Entzündung ausgesetzt ist. Diese Rolle der
Kongestion fei der Path<%enesb der Schmerzen stimmt ifiit ihrem
klinischen Bilde überein: Dumpf und anhaltend bei einigen
Kranken, äussern sie sich in der grossen Mehrzahl der Fälle in
Gestalt von akuten, paroxysmalen Krisen, welche unter denselben
Einflüssen und bisweilen in regelmässigen Intervallen auftreten.
Was aber ihre Existenz in unwiderleglicher Weise bekräftigt, das
sind die Feststellungen, welche man an den Kranken in vivo im
Verlauf der Operationen selbst macht. Am häufigsten findet man
tatsächlich die aus ihrer Hülle befreite Niere hart, verdünnt,
kongestioniert, bläulich oder rötlich, und beim Einschnitt in ihre
Kapsel hat das Gewebe die Neigung, eine Hernie durch die
klaffenden Lippen zu bilden.
Die Operationen, welche bei den chronischen schmerzhaften
Nephritiden empfohlen werden, sind die Nephrektomie, die
Capsulotomie, die Decapsulation, die Nephrolyse und die Nephro¬
tomie.
Die Nephrektomie hat vor allen anderen Operationen den
Vorzug, schnell und definitiv den Nierenschmerzen, welches auch
ihr Ursprung sein mag, ein Ende zu machen; aber sie ist an sich
eine zu schwere Operation, als dass man ihr den Vorrang geben
sollte. In den beiden Fällen, in welchen sie ausgeführt worden
war, brachte sie, nach einem Bericht, den Operationstod. Es ist
eine Operation des Zwanges, zu welcher man sich nur als einer
letzten Zuflucht entscbliessen wird, sobald alle anderen chirur¬
gischen Mittel versagt haben und nur dann, wenn man sich ge¬
nügend über die funktionelle Kraft der anderen Niere verge¬
wissert hat.
Obwohl die Capsulotomie, indem sie den Gürtel erschlafft,
welcher die Niere einzwängt, eine der Indikationen erfüllt, welche
aus der Deutung der Pathogenese der Schmerzen hervorgeht, so
glaube ich dennoch, dass man ihr die Capsulektomie vorziehen
soll, welche die Niere nicht nur von der Umschlingung ihrer
eigenen Kapsel befreit, sondern auch von dem Einfluss, welchen
die fibröse Degeneration der Fettkapsel auf sie auszuüben vermag.
Die Nephrolyse, welche die Verwachsungen zerstört, welche
die Niere mit den Wänden ihrer Hülle verbindet, steht hinsicht¬
lich ihrer Wirkung auf gleichem Fusse mit der Decapsulation.
Aber alle diese Operationen, welche mir besonders in den
Fällen indiziert erscheinen, in welchen die eigene sehr verfettete
und sehr veränderte Kapsel der einzige Faktor der schmerzhaften
Erscheinungen zu sein scheint, und bei denen, in welchen die
Zerreissung der in der Fettkapsel entwickelten Stränge die Haupt¬
rolle in der Genese der Leiden spielt, dürften, meiner Ansicht
nach, in der Mehrheit der Fälle von der Nephrotomie übertroffen
werden. Die tiefe Inzision des Nierenparenchyms ist tatsächlich
die zweck massigste Operation, um die Erdrosselung der ver¬
schiedenen Elemente der eng in ihre verdickte und undebnbare
Kapsel eingeschlossenen Niere und insbesondere die der Nerven-
verzweigungen zu beseitigen. Aber nicht nur auf diese statische
Ursache der Schmerzen bei den Nephritiden wirkt die Nephro¬
tomie, indem sie die Circulation der Niere reguliert, sondern sie
wirkt auch zweifellos, wie wir bei Besprechung der Behandlung
der bämaturischen Nephritiden sehen werden, auf die dynamische,
Scbmerzkrisen erzeugende Ursache, nämlich die Kongestionsschübe,
ein. Diese schmerzstillende Wirkung der Nephrotomie scheint
nur eine temporäre sein zu können. Wenn man jedoch sich auf
die Gründe stützt, welche ich anfübren werde, um die bämo-
statiscbe Dauerwirkung dieser Operation bei den hämaturiseben
Nephritiden zu erklären, so ist die Annahme möglich, dass sie
eine definitive sein kann. Die Inzision der Niere hat ausser
anderem den grossen Vorteil, dass sie gestattet, die Diagnose zu
bestätigen oder zurückzuweisen, welche selbst dann noch dunkel
bleiben kann, wenn man das freigelegte Organ einer Palpation
oder Probepunktion unterworfen hat. Endlich ist sie nützlich,
um die Wiederkehr der Erdrosselung der Niere durch ihre Kapsel
zu verhüten. Um die glücklichen Wirkungen der peripheren
Komplementärcirculation auf die Heilung der Nephritis nach den
von Edebohls verteidigten, aber von sehr vielen Experimentatoren
und Klinikern bestrittenen Ideen zu sichern, kann man ohne
Gefahr die. Capsulektomie mit der Nephrotomie verbinden. Zu
diesen beiden kombinierten Operationen habe ich meine Zuflucht
bei drei Kranken genommen, und zwar mit vollem Erfolg. Der
eine von ihnen, seit 7 Jahren operiert, hat seit jener Zeit nicht
über das geringste Leiden zu klagen gehabt.
b) Hämaturische Nephritiden.
Die Hämorrhagien im Verlauf der chronischen Nephritiden,
welche von Richard Bright selbst angegeben worden waren,
bildeten 1 in tien letzten Jdbren'^en Gbge^stand des Studiums einer
1 •
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UNIVERSITÄT OF IOWA
384 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 9.
gewissen Anzahl von Klinikern, welche eine neue nosologische
Gruppe von chronischen hämaturischen Nephritiden aufgestellt
haben. Diese Gruppe muss ihre Stelle neben den chronischen
schmerzhaften Nephritiden einnehmen, und die Fälle, aus welchen
sie bestehen, sind der eine und der andere nicht ohne Analogie.
Der Schmerz und die Blutung verbinden sich auch zuweilen bei
derselben Person, ein Umstand, welcher zur Prägung des Namens
hämaturische Nephralgie geführt hat.
Ebenso wie die chronischen schmerzhaften Nephritiden unter¬
scheiden sich die chronischen hämaturischen Nephritiden sehr oft
in ihrer Aetiologie, pathologischen Anatomie und Symptomato¬
logie von den Bright’schen Nephritiden. Wenn ich von diesem
Gesichtspunkte aus 37 Fälle studiere, so finde ich darunter nur 8,
welche als Bright’scbe Krankheit anzuseben wären. Bei den
übrigen 29 Fällen konnte ich, obwohl die Läsionen doppelseitig
waren, bei 5 Kranken in ihrer Geschichte kein Symptom von
Brightismus entdecken; ebenso verhielt es sich bei den 24 anderen,
welche nach dem klinischen Befunde wie nach der Entwicklung
der Affektion von einseitiger Nephritis befallen zu sein schienen.
Man weiss seit langer Zeit, dass die Verbreitung der Läsionen
in den subakuten und chronischen Nephritiden, statt eine globäre
zu sein und sich auf alle Glomerulussysteme, deren Gesamtheit
die Niere bilden, auszubreiten, oft eine partielle ist und sich auf
einige dieser Systeme beschränkt, während die benachbarten
Systeme ihre volle Integrität bewahren. Diese Beschränkung des
Krankheitsprozesses findet sich noch mehr bei den hämaturischen
Nephritiden und ist gewissermaassen ihr Cbaracteristicum. Die
hämaturischen Nephritiden sind partielle, ja selbst Parzellen-
nephritiden.
In einer gewissen Anzahl von sehr stark blutenden Nieren
sind die Läsionen so beschränkt, dass sie ganz unbemerkt bleiben
können, nicht nur im Verlauf der Nephrotomie, so dass, wenn
man sich bemüht, die Nierenarterie zu komprimieren, man die
Zweige des inzidierten Parenchyms zum Schwinden bringen kann,
sondern auch nach der Nephrektomie, wenn man sich nicht die
Mühe gibt, die histologischen Schnitte ad infinilum fortzusetzen.
Viele Mechanismen wurden zur Erklärung der Hämaturien
bei den chronischen Nephritiden berangezogen: Mechanismen, die
man kennen muss, um die Wirkungsweise der gegen sie gerichteten
Operationen zu verstehen und eine zweckmässige Auswahl der¬
selben treffen zu können. Bei den chronischen doppelseitigen
Nephritiden, die von einer mehr oder minder grossen Anzahl von
Symptomen der Bright’schen Krankheit begleitet sind, kann man
die Blutungen auf Rosten der Abnahme der Eiweisselemente des
Blutes setzen oder auf seine Veränderung durch die Toxine,
welche darin enthalten sind. Bei den chronischen einseitigen
Nephritiden mit auf einige Glomerulusbezirke beschränkten, den
Parzellennephritiden, bestehen die ganz lokalen Ursachen der
Blutung in den anatomischen Veränderungen der Nierengefässe
und in der Störung, welche die Sklerose des Parenchyms im
Circulationsapparat hervorruft. In der Tat, was auch immer die
Ursache der nephritischen Prozesse sein mag, die Gefässläsionen
nehmen stets eine wichtige Stelle in der allgemeinen Desorgani¬
sation der Gewebe ein. Die Capillaren gewisser Glomeruli und
der Rindensubstanz erscheinen in der parenchymatösen Form
stellenweise mit Blut vollgepfropft, und man sieht dort sogar
Kanälchen, welche durch die Blutmassen erweitert sind. Die¬
selben Gefässe sind dagegen atrophisch und die zu- und ab¬
führenden kleinen Arterien von Endoperiarteriitis in interstitieller
Form befallen. Man sieht also ein, dass die Circulation, welche
zu gewöhnlichen Zeiten noch hinreicht, um in diesem so tief
veränderten Gefässsystem sich geltend zu machen, bei der ge¬
ringsten Störung in Unordnung gerät. Daher die Blutanschoppungen,
welche um so leichter zu Blutungen durch Ruptur führen, als
die Gefässwände infolge von Arteriosklerose brüchiger sind.
Die Operationen, zu welchen die Chirurgen bei den chronischen
hämaturischen Nephritiden ihre Zuflucht nehmen, sind die
Nephrektomie, die Nephrotomie, allein oder in Verbindung mit
der Decapsulation, die Decapsulation. Die Nephrektomie ist
augenscheinlich das sicherste Mittel, um die aus der chronisch¬
entzündlichen Niere herstammenden Blutungen zu beseitigen, und
zu ihr haben auch die ersten Operateure ihre Zuflucht genommen.
Sie ist jedoch voller Gefahren. Denn unter 12 Malen, die sie in
meinen Erhebungen ausgeführt wurde, gab sie einen tödlichen
Ausgang bei der Operation und drei spätere Todesfälle infolge
von urämischen Anfällen durch entzündliche Affektionen der
anderen Niere. Aus Furcht vor diesem Ausgang, gegen welchen
die gegenwärtigen Mittel der Untersuchung der Nierenfunktion
nicht immer Schutz gewähren, verwerfen die Chirurgen fast ein¬
mütig die Nierenexstirpation, abgesehen von besonderen In¬
dikationen, wenn z. B. die genaue Untersuchung der blutenden
Niere ausgedehnte Läsionen feststellen sollte. Das bestimmte
mich, bei einem meiner Kranken die rechte Niere zu exstirpieren,
welche mehrere gesonderte Cysten in dem makroskopisch sehr
veränderten Parenchym darbot.
Die Nephrotomie allein, 9 mal ausgeführt, hatte einen
Operationstod zur Folge. Bei den 8 überlebenden Kranken war
das therapeutische Resultat nur zweimal temporär, zweifellos
weil die Läsion doppelseitig und nur eine Niere inzidiert worden
war. Bei den 6 anderen hielt es sich 1 und 2 Jahre und bei
4 Fällen, welche mir persönlich bekannt sind, 4 Jahre.
Die Nephrotomie in Verbindung mit der Decapsulation, 6 mal
ausgeführt, ergab 1 Operationstodesfall und 6 überlebten sie, von
denen 3 gebessert und 2 geheilt sind.
Die Decapsulation, 6 mal ausgeführt, brachte in einem Falle eine
leichte Besserung und die 5 anderen Kranken, deren Beobachtungen
ich gesammelt habe, wurden zu kurze Zeit beobachtet, als dass
man das therapeutische Resultat beurteilen könnte.
Die Lehren der pathologischen Physiologie, welche ich früher
in Erinnerung brachte, in Verbindung mit den Resultaten, welche
ich soeben mitteiltc, scheinen mir geeignet zu sein, der Nephro¬
tomie in der Behandlung der chronischen hämaturischen Nephri¬
tiden den Vorzug zu geben. Die Niereninzision wirkt tatsächlich
auf alle Faktoren der Nierenblutung ein. Vor allem bringt sie.
durch die Blutentleerung, welche sie im Niveau der Niere selbst
herbeifübrt, eine Abschwellung ihres Parenchyms und gestattet
so der Circulation des Organs, sich zu regulieren und im Gleich¬
gewicht zu erhalten dadurch, dass sie die Hypertension der Ge¬
fässe herabsetzt und die Blutextravation in diejenigen Teile ihres
Territoriums vermindert, dessen anatomische Elemente, und be¬
sonders Gefässe, erkrankt sind. Das Sinken des Blutdrucks im
gesamten Circulationssystem, wie sie durch die reichliche Blut¬
entziehung bewirkt wird, hat gleichzeitig die glückliche Wirkung,
die Ursache der Blutung zu beseitigen, welche durch den erhöhten
Blutdruck des gesamten Gefässsystems und der Herzhypertrophie
bedingt ist. Die Nephrotomie wirkt zweifellos ebenso nachdrück¬
lich auf die Innervation der Niere ein, indem sie die gepressten
Nervenfasern ebenso wie die anderen anatomischen Elemente der
geschwollenen, in ihre undehnbare Kapsel eingezwängten Niere
vom Druck befreit. Ebenso darf man behaupten, dass die Ope¬
ration eine erhebliche Wirkung auf die Blutveränderung ausüben
kann. Auch ist die Annahme wohl gestattet, dass sie nicht ohne
Wirkung auf die Symptome der Nierenintoxikation bleibt, welche
durch die Bespulung des Parenchyms mit einem mehr oder weniger
verunreinigten Blute entstanden war.
Die hämostatische Wirkung der Nephrotomie, welche an¬
scheinend nur eine temporäre sein kaon, gestaltet sich, wie aus
zahlreichen klinischen Beobachtungen bervorgeht, zu einer defini¬
tiven. Ich glaube, dass man den Grund hierfür in dem Umstande
finden kann, dass die Läsionen der hämaturischen Nephritiden
beschränkt, parzellenartig sind, wie ich mitgeteilt habe, und dass
sie deshalb sich zurückziehen oder vielmehr in Cysten oder in
fibröse intravasculäre Klumpen sich verwandeln können, während
die benachbarten Partien kompensatorisch hypertrophieren.
c) Chronische Nephritiden, kompliziertdurch schwere
und bedrohliche symptomatische Zufälle (Palliativ¬
behandlung).
Ohne den Nutzen zu verkennen, welchen man aus den neuen,
in den letzten Jahren erworbenen Kenntnissen betreffs der Patho¬
genese und der pathologischen Physiologie der Zufälle, welche
durch die Ansammlung der Stoffwechselprodukte im Organismus
für die Behandlung der schweren Krisen der Bright’schen Krank¬
heitgewonnen hat, muss man dennoch zugeben, dass die rationellste
interne Therapie zu oft wirkungslos bleibt. So ist die Wirksam¬
keit gewisser Medikamente, die bestimmt sind, auf die Störungen
der anatomischen Elemente und besonders der Epithelien einzu¬
wirken, bestreitbar; ebenso versagen allzu oft bedauerlicherweise
die Medikamente, welche die Oligurie, die Oedeme, die urämische
Intoxikation bekämpfen wollen. Die Ohnmacht dieser verschiedenen
internen, sorgfältig versuchten Mittel bildet die Rechtfertigung des
chirurgischen Eingriffes.
Wenn man das elende Leben in Parallele stellt, welches die
Kranken führen, welche an chronischer Nephritis leiden, wie sie
monate-, ja jahrelang den Anasarka und Organödemen, deq serösen
| Ergüssen, den Störungen der grossen Apparate der CizculatioB,
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
385
Respiration und Verdauung, den verschiedenen Symptomen des
Hirnleidens preisgegeben sind — ein chronischer Zustand, zu dem
sich noch plötzlich die akuten Krisen der Urämie hinzugesellen —,
wenn man, sage ich, dieses Leben in Parallele zu den Gefahren stellt,
welche der Operation anhaften, den temporären, wenn nicht de¬
finitiven Nutzen, welcher daraus entstehen kann, wird man nicht
zögern können, die Berechtigung des chirurgischen Eingriffes an¬
zuerkennen. Auf 153 Beobachtungen, welche ich analysiert habe,
habe ich nur 63 operative Todesfälle gezählt, das ist eine Mortalität
von 41 pCt. Was das spätere Resultat betrifft, so erlagen von
92 Fällen, die längere Zeit beobachtet werden konnten, 25 in
einem Zeitraum, der zwischen drei Monaten und zwei Jahren
schwankte, und 67 lebten noch zur Zeit der Veröffentlichung
dieser Beobachtungen.
Unter den vielen Symptomen der Bright’schen Nephritiden
gibt es drei, welche sich durch ihre Wichtigkeit von allen anderen
abbeben und, wenn sie ihr Intensitätsmaximum erreicht haben,
diese furchtbaren Krisen erzeugen, welche in kurzer Zeit das
Leben in Gefahr bringen. Diese Symptome sind die Oedeme, die
Urämie und die Oligurie. Sie können zwar isoliert auftreten,
aber meistenteils verbinden sie sich miteinander in der ver¬
schiedensten Art derartig, dass man die folgenden klinischen
Typen aufstellen kann: Nephritiden mit Oederaen ohne Oligurie,
Nephritiden mit Urämie ohne Oligurie, Nephritiden mit Oedemeu
und Urämie ohne Oligurie, Nephritiden mit Oedemen und Oligurie,
Nephritiden mit Urämie und Oligurie, Nephritiden mit Oedemen,
Urämie und Oligurie.
Es erschien mir von Interesse, die operative Sterblichkeit
und die späteren Erfolge bei jedem dieser verschiedenen klinischen
Typen festzustellen. Denn es können daraus nützliche Schlüsse
hinsichtlich der Indikationen und Kontraindikationen des Eingriffes
gezogen werden.
Aus diesen Erhebungen geht hervor, dass die Sterblichkeit,
welche auf die Operation folgt, aber nicht immer ihr zur Last
zu legen ist. ihr Minimum bei den Kranken zeigt, welche an
Oederaen allein leiden, dass sie um ein Drittel bei denen zu¬
nimmt, welche gleichzeitig Oedeme und Urämie haben, dass sie
ungefähr um das Doppelte wächst in den Fällen mit alleiniger
Urämie, mit Oedemen und gleichzeitiger Oligurie, bei Kombination
von Oedemen, Urämie und Oligurie, und dass sie endlich ihr
Maximum erreicht, wenn Urämie und Oligurie ohne Oedem sich
vereinigen.
So trübt die Urämie, wenn sie sich mit anderen Symptomen
der akuten Krisen bei den Brightikern vereinigt, ganz besonders
den Ausgang des Eingriffes. Sie trübt ihn im höchsten Grade,
wenn sie mit Abnahme der Urinsekretion ohne Oedem ver¬
bunden ist.
Das Geschenk, welches die seröse Infiltration des Zellgewebes
in jeder Art besitzt, nämlich die Gefahr des chirurgischen Ein¬
griffes bei den akuten Krisen der chronischen Nephritiden zu ver¬
mindern, erklärt sich aus der Rolle, welche diese Infiltration in
dem Schutz des Organismus gegen die organischen Gifte spielt,
welche sie dem Blut entzieht, indem sie sie temporär aufspeichert.
Bei den Kranken, welche von nephritischem Hydrops befallen
sind, befinden sich die Gewebe, und besonders das Nervengewebe,
welches nur einer leichten Intoxikation unterliegt, in weit besserer
Lage, den organischen Erschütterungen zu widerstehen, welche
jede Operation hervorruft, als dieses bei denjenigen Personen der
Fall ist, deren anatomische Elemente mit den Harngiften durch¬
tränkt sind.
Mit Rücksicht auf die späteren Resultate bei den ver¬
schiedenen klinischen Typen der Bright’schen Krankheit habe ich
die analysierten Operationen in zwei Kategorien eingeteilt: die
der Kranken, welche bis zu ihrem Tode verfolgt wurden, und die
der Kranken, welche noch zur Zeit der Publikation ihrer Beob¬
achtung lebten.
Die beiden folgenden Tabellen enthalten die aus dem Auszug
der Beobachtungen gewonnenen Resultate.
Aus der Tabelle 1 , welche die späteren Resultate und die
Todesursache bei 24 in den akuten Krisen operierten Brightikern
enthält, geht hervor, dass nach einer mehr oder weniger deut¬
lichen Besserung — ausgenommen 2, wo sie gleich 0 war (es
handelte sich bei dem einen um die ödema»öse, bei dem anderen
um die ödematöse Form in Verbindung mit Urämie)—, 12 Kranke
später an Zufällen zugrunde gingen, welche zwar der chronischen
Nephritis anhaften, jedoch nicht direkt von der Nierenläsion ab¬
hängig sind; 12 andere wurden durch Recidive der Zufälle renalen
Ursprungs hingerafift.
Die Analyse dieser letzten 12 Fälle gestattet, die Zeit fest¬
zustellen, welche die Kranken gelebt haben vor der Wiederkehr
der Zufälle, um derentwillen der Chirurg den Eingriff gemacht
hatte.
Die mittlere Ueberlebensdauer betrug:
bei 2 wegen Oedem Operierteu. 8^2 Mon.
„ 2 „ Urämie Operierten.lö 1 ^ Mon.
„ 2 „ Oedem und Urämie Operierteu . 4 Mon.
„ 3 „ Oedem und Oligurie Operierten . 7 Mon. 10 Tage
„ 1 „ Urämie und Oligurie Operierten . 9 Mon.
„ 2 „ Urämie, Oedem und Oligurie Ope¬
rierten . 6 Mon.
Vom Gesichtspunkt der Lebensdauer nach der Operation aus
nimmt die klinische Urämie den ersten Rang ein, und zwar weit
vor den anderen; darauf folgt die urämische und oligurische
Tabelle 1.
Spätere Resultate und Todesursache bei 24 Fällen operierter Bright’scher Krankheit.
Oederaatöse Form
4 Fälle
Urämische Form
5 Fälle
XI CU
ÜO
Oederaatöse und
urämische Form
6 Fälle
o | *2 fl I
u 2 «
<v cx,
T3 — O
— £ u
Oederaatöse Form
mit Oligurie
3 Fälle
o> u,
X ©
©
D
Urämische Form
mit Oligurie
2 Fälle
; -q i
© o a
— rt o ©
ru I c •- x
<■£ a.
— O
x ©
mit Oligurie u. Oedem
4 Fälle
o 2
© o>
X Q,
-20
Erhebliche
Besserung
Besserung
Leichte
Besserung
Keine
Besserung
l5Mon. Hirn-
1 embolie
2 1 4 Mon.
13Mon.
1 4 Mon.
Reoidiv
der Zufälle
do.
Akute
Herzerwei-
teiung
4 9 Mon. Apoplexie
IJahr Urämie
| 1 Jahr Apoplexie
7 »ton. } Uräraie
1 j 31/2 M. ?
9 Mon. Recidiv
.der Zufälle!
4 | 5 Mon. ! Erschöpfung]
5 Mon. | Urämie
7 Mon. ! Erschöpfung
2 Jahre! Apoplexie
1 | 3 Mon. 1 Urämie
1 9 Mon. Recidiv
der Zufälle!
1 9 Mon. Urämie
4 Mon. Recidiv
der Zufälle!
2 1 9 Mon
2 Jahre]
6 Mon.
Hydrops
Apoplexie
4 | 6
6
6
4
Mon.
Mon.
Mon.
Mon.
Recidiv der
Zufälle
Lungentuber¬
kulose
Urämie
Pneumonie
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386
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Tabelle 2.
Spätere Resultate bei 66 Kranken, welche wegen Bright’scher Krankheit
operiert wurden und die Operation überlebt haben.
Oedematöse 1
Form, |
11 Falle
Urämische Form [
12 Fülle
Form von Oedem j
mit Urämie
17 Fälle
Form von Oedem 1
mit Oligurie 1
10 Fülle |
Form von Urämie
mit Oligurie,
9 Fälle
Form von Urämie
mit Oedem und ,
Oligurie, 7 Fälle ;
Heilung
0 Fall
2 Fülle, i
3 Fälle,
j 1 Fall,
2 Fülle, ! 0 Fall
8 Fülle
7 J., 3 J.[
8 J. 4 M.,
2 J.3M
8 J., 4 J.i
verfolgt j
2 J., 4 M.
! verfulgt
i verfolgt
verfolgt
j
Sehr grosse
3 Fälle,
2 Fülle,
1 Fall,
[ 3 Falle,
2 Fülle, 0 Fall
Besserung
6M., 5M.,
2 J. 2 M.J
jl J. 6 M 7M.. 4 M.,
1 6. J.,
11 Fülle
einige
1 J. 2 M.
verfolgt
? verfolgt
11 J. 5 M.
Monate
verfolgt
i
1 verfolgt
verfolgt
Grosse
3 Fälle,
4 Fülle,
6 Fülle,
3 Fülle,
3 Fülle. 4 Fülle,
Besserung
9 M., 8M.,
2 J. 2 M.,
1 J,9M..
2 J., ?, ?
1 J., 6M., 1 J„ 9M,
23 Fülle
? M. ver¬
2 J., 1 J.
8M.,6M..
verfolgt
? verfolgt 8 M., ?
folgt
8 M, 1 J.
3 M., ?
i i verfolgt
6 M. ver¬
verfolgt
I
folgt
1
Besserung
3 Fälle,
2 Fülle,
3 Fülle,
2 Fülle,
■ 2 Falle, 3 Fülle,
15 Fälle
?,?, ? ver-
? V ver¬
l J., 1 J.,
1 10 M., ?
1 J. 4 M 3 M., V, ?
folgt
folgt
8 M. ver¬
. verfolgt
jv verfolgt | verfolgt
folgt
Leichte
1 Fall,
1 Fall,
0 Fall
1 1 Fall,
! 0 Fall 0 Fall
Besserung
2 J. 3 M.
einige
i? verfolgt
i i
3 Fülle
verfolgt
Monate
1
1 1
verfolgt
i
Keine
1 Fall,
1 Fall,
4 Fülle,
1 0 Fall
' 0 Fall ! 0 Fall
Besserung
1 J 3 M
? verfolgt
1J..6M,
1
| |
6 Fülle
verfolgt
5 M., ?
i
i
verfolgt
1
1
Form, die ödematöse Form, die ödematöse und oligurische Form
und schliesslich die ödematöse und urämische Form.
Man wird zweifellos finden, dass die späteren Resultate der
in der-Tabelle 1 vereinigten Operationen mässig sind. Dagegen
sind die späteren Resultate der in Tabelle 2 angegebenen 66 Ope¬
rierten, welche längere Zeit verfolgt wurden und noch zur Zeit
der Veröffentlichung dieser Beobachtungen leben, weit ermutigen¬
der. Man sieht dort tatsächlich 8 Heilungen, 11 sehr erhebliche
Besserungen, 28 erhebliche Besserungen, 15 Besserungen, 3 leichte
Besserungen und 6 ohne Besserung verzeichnet.
Dieselbe Tabelle zeigt die späteren Resultate je nach den
verschiedenen klinischen Formen der Nephritis an. Bei ihrer
Lektüre kann man sich Rechenscbft davon geben, dass diese Re¬
sultate deutlich dieselben bei allen klinischen Formen der chro¬
nischen Nephritis sind.
Die Daten, welche man aus der Analyse der Beobachtungen
ziehen kann, die ich gesammelt habe, um einen Beitrag zur
Lösung der operativen Indikationen bei den verschiedenen klini¬
schen Formen der chronischen Nephritis zu liefern, sind sicher¬
lich sehr unbestimmter Natur. Ich hielt es jedoch für zweck¬
mässig, diese Analyse zu machen. Denn ich bin in der Tat der
Ansicht, dass wir auf Grund der Erwägung der grossen Symptome
der Bright’scheD Krankheit, der Ausbreitung der subcutanen
Oedeme und ihres Uebergangs auf die inneren Organe, des Zu
Standes der Harnsekretion hinsichtlich seiner Quantität und
Qualität, mit einem Wort: auf Grund aller der Umstände,
welche das Maass der Störung der Organe nnd Gewebe, und be¬
sonders des funktionellen Zustandes der Niere anzeigen, eines
Tages dahin kommen werden, die Indikationen und Kontra¬
indikationen der operativen Behandlung der schweren Kompli¬
kationen der chronischen Nephritiden auf eine ebenso solide Basis
zu stellen, wie es unsere chirurgischen Eingriffe sein können.
Das Anasarka, wie ausgebreitet es auch sein mag, scheint
mir keine Kontraindikation gegen die Operation abzugeben.
Ebenso verhält es sich mit dem Ascites, und ich habe eine ziem¬
lich grosse Anzahl von Fällen gesammelt, bei welchen mehrere
Paracentesen mehrere Wochen, ja selbst einen Abend vor der
Operation gemacht worden waren, ohne dass das Resultat der¬
selben ungünstig davon beeinflusst worden wäre. Die Ergüsse in
die Pleuren nnd das Pericardium haben eine ganz andere Be¬
deutung hinsichtlich der Operationsgefahr. Ich meinerseits hätte
den Tod von zwei Operierten zu beklagen, bei welchen sieb ein
Hydropericardium zu einem doppelseitigen Hydrothoraz hinzu¬
gesellt hatte, während ich andererseits so glücklich war, erfolg¬
reich die Nephrotomie der rechten Niere bei einem Manne aus¬
zuführen, welcher gleichzeitig einen Erguss in das Pericardiom
und die beiden Pleuren hatte.
Die verschiedenen symptomatischen Erscheinungon der Urämie
können vielleicht eines Tages nützliche Daten für die Lösung des
Problems der Indikationen und Kontraiudikationen bei den chro¬
nischen Nephritiden liefern; aber bei dem jetzigen Zustande
unserer Kenntnisse von der so oft zu erforschen gesuchten Patho¬
genese dieser Komplikation der Brigbt’schen Krankheit ist es
nicht möglich, sich darauf zu stützen. Neben Beobachtungen von
Kranken, die tiefe cerebrale, cardiopulmonäre und gastrointesti¬
nale Störungen bei Urämie darboten und schnell nach der Ope¬
ration starben, habe ich andere gefunden, welche unter denselben
klinischen Verhältnissen operiert wurden, die Operation überlebt
haben und durch sie gebessert wurden. Mit Rücksicht auf die
grosse Häufigkeit der Sehstörungen im Verlauf der Bright’schen
Krankheit begreift man die hohe Bedeutung, welche sie für die
Ausführung der Operation habeu können. In dieser Hinsicht ist
es geboten, zu unterscheiden zwischen den rein funktionellen Seh--
Störungen, Abnahme der Sehschärfe, Diplopie, Hemiopie, Ambly¬
opie und Amaurose, als deren Ursache die Wirkung des urämi¬
schen Giftes auf die Nervencentren anzunehmen ist, und den
anatomischen Störungen, welche auf eine Erkrankung der in der
Papillarzone gelegenen Gefässe des Augenhintergrundes hinweisen.
Erstere, temporär und veränderlich, haben, obwohl sie eine
schwere Intoxikation anzeigen, keine prognostische Bedeutung;
letztere, dauernd und fortschreitend, sind ein Zeichen dafür, dass
der Skleroseprozess sich auf die kleinen Hirngefässe ausgedehnt
hat und lassen in kurzer Zeit schwere Komplikationen seitens des
Gehirns und anderer Organe befürchten. Die funktionellen Seh¬
störungen können auf Grund ihrer Genese eher als eine Indi¬
kation zur Operation angesehen werden; die anatomischen
Störungen müssen uns, obwohl man nicht jeden Eingriff verwerfen
soll, dennoch grosse Reserve über den unmittelbaren oder späteren
Ausgang auferlegen.
An die Seite der Kenntnisse, wie sie durch das Studium der
blutreinigenden Funktion der Niere gewonnen werden, stellt sich
als von gleichwertiger Bedeutung der Zustand des cardiovascu-
lären Apparates, um die Frage der Zweckmässigkeit der Ope¬
ration zu entscheiden. Dieser Apparat muss mit Rücksicht auf
den anatomischen Zustand des Herzmuskels und der Gefässe und
ebenso auf den des Blutdrucks studiert werden.
Die Myocarditis, besonders wenn sie von einer Herzdilatation
begleitet wird, ist eine unbedingte Kontraindikation der Operation.
Denn sie führt zum plötzlichen Tode im Verlauf der Operation,
sei es durch die Anästhesie, sei es durch die Erschütterung des
Organismus. Die Herzhypertropbie mit starkem Spitzenstoss und
Galopprhytbmus, weit entfernt, den Eingriff zu verwerfen, muss
im Gegenteil den Chirurgen antreiben, zu ihm seine Zuflucht zu
nehmen. Tatsächlich haben die verschiedenen an der Niere aus¬
geführten Operationen, und besonders die Nephrotomien dadurch,
dass sie den intrarenalen Druck herabsetzen, die Aufgabe, eine
der pathogenetischen Ursachen der Hypertrophie zu beseitigen
und das Organ zu seinem natürlichen Volumen zurückzuführen.
Die atberomatöse Degeneration der grossen Gefässe hat für
den chirurgischen Eingriff dieselbe prohibitive Bedeutung wie die
Affektionen des Myocardiums. Was die Arteriosklerose der
kleinen Arterien betrifft, so muss ihre Ausdehnung auf eine
grosse Zahl von Organen und besonders auf das Nervensystem
des Gehirns zu einer Verwerfung des chirurgischen Eingriffs
führen.
Das Sinken des Blutdrucks macht, wenn als Ursache des¬
selben anatomische Veränderungen des Herzens anzusehen sind,
wie z. B. Degeneration der Muskelfasern, den Eingriff unnütz und
gefährlich. Es verhielt sich vielleicht aber nicht ebenso mit
der Blutdruckerniedrigung durch Asthenie, Insuffizienz des Herzens
und der Gefässe, welche man ausnahmsweise bei der urämischen
Intoxikation beobachten kann. Io solchem Falle ist eine Operation
an den Nieren, wie an allen anderen Organen zwar schwierig;
es würde aber, meiner Ansicht nach, nicht irrationell sein, sie zu
versuchen; denn unter dem Einfluss der Entgiftung des Organismus
ist der Gefä-sstonus imstande, sich zu heben.
Die erhöhte Arterienspannung mit echter Herxhypertrophie
ist von allen Symptomen seitens des cardiov'asculären Apparates
dasjenige, welches am meisten zum chirurgischen Eingriff aus
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UNIVERSUM OF IOWA
3. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
387
den von mir bei der Herzbypertrophie entwickelten Gründen
auffordert.
Ausser dem Zustande des Herzens und der Gefässe muss
der Zustand der Lunge vorwiegend den Chirurgen beschäftigen,
wenn er einen Eingriff bei den chronischen Nephritiden vor¬
nehmen will. Wie bekannt, sind die Lungenaffektionen der
Brigbtiker zweierlei Art: die einen hängen von der Intoxikation
des Organismus ab, ohne irgendwelche materielle Störung des
Respirationsapparates. Die anderen können gleichfalls das Re¬
sultat derselben Intoxikation sein, aber hierzu treten fast stets
Herzzufälle, deren anatomisches Substrat das Oedem, die Kon¬
gestion, die Entzündung der Lunge und Bronchien bilden.
Die Störungen der ersteren Art, charakterisiert durch Dyspnöe
bei Anstrengungen, Anfälle von Asthma und Orthopnöe, Cbeynes-
Stockes'sche Atmung geben, weit entfernt davon, eine tiefe In¬
toxikation des Organismus zu bilden, keine absolute Kontraiudi-
kation gegen den chirurgischen Eingriff ab.
Die Störungen der zweiten Art verraten sich durch
Bronchorrhöe, albuminöse und sanguinolente Expektoration, feuchte,
über die ganze Ansdehnung beider Lungen verbreitete Rassel¬
geräusche und scheinen mir jeden Eingriff zu verbieten.
Während die Decapsulation in einer sehr grossen Anzahl
von Fällen zur Behandlung der Zufälle bei der Bright’schen
Krankheit zur Anwendung kam, wurde die Nephrotomie nur bei
einer sehr kleinen Zahl von Fällen verwendet: 153 Decapsula-
tionen gegen 11 Nephrotomien nach meinen Untersuchungen. Auf
Grund dieser numerischen Ueberlegenheit der Decapsulation er¬
scheint es mir nicht möglich, die Wahl zwischen diesen beiden
Eingriffen auf den Vergleich ihrer operativen Mortalität oder auf
ihre therapeutischen Resultate zu stützen. Diese Wahl, scheint
mir, müsse auf der pathologischen Physiologie dieser Operationen,
d. h. den Faktoren der Pathogenese der Nierenzufälle bei der
Bright’schen Krankheit basiert sein.
Unter diesen Faktoren ist sicherlih der wichtigste die Zu¬
nahme der intrarenalen Spannung, eine Folge des anatomischen
Prozesses jeder chronischen Nephritis. Diese erhöhte Nieren-
Spannung bei den sogenannten parenchymatösen Nephritiden ist
bedingt durch die Volumenzunahme der Niere auf dem Wege der
aktiven Proliferation im Innern der undehnbaren Kapsel und bei
den sogenannten interstitiellen Nephritiden durch die Retraktion
der eigentlichen Kapsel and des Bindegewebes. So sind, wie
beim Glaukom, nach dem Vergleich von Harrison, die Gefässe
und Nerven der Niere stark komprimiert und ihre Circulation
und Innervation überall stark herabgesetzt. Unter diesen Ver¬
hältnissen vermag zwar das Organ seine blutreinigende Wirkung
aaszuüben, solange nichts hinzukommt, was die so prekäre
Circulation verändert; sie versagt aber in ihrer Aufgabe beim ge¬
ringsten Zufall, der sie zu stören vermag. Auf diese Weise er¬
klären sich die plötzlichen Sehwellungen, welche unter dem Ein¬
fluss der Kälte oder irgendwelchen anderen Ursachen sich in einer
Abnahme und Veränderung der Harnsekretion äussern, während
gleichzeitig zuweilen foudroyante Anfälle von Urämie auftreten.
Die Inzision des Nierenparenchyms ist die Operation, welche, wie
mir scheint, am meisten geeignet ist, die Erdrosselung zu heben,
die Circulation zu regulieren, die Innervation wiederherzustellen,
desgleichen die Funktion der Epithelien, indem sie ihnen die
Elemente ihrer Vitalität zuführt.
Die Nephrotomie hat nicht nur diese Hauptwirkung, sie hat
auch noch Nebenwirkungen, die sie auf die eigentliche Intoxi¬
kation der Nierengewebe, auf die Oedeme und Herzhypertrophie
aus&bt.
Zur Erklärung der Genese der schweren Krisen der Toxämie
bei den Brightikern stellt Dieulafoy neben der ihre Funktionen
hemmenden Nierenschwellung noch die These eines Spasmus der
kleinen Gefässe des Organs oder auch die einer Intoxikation der
sezernierenden Elemente durch ein urämisches Gift auf. Die
breite Inzision des Organs erscheint mir als das beste Mittel,
um den angenommenen Krampf zu lösen und das Parenchym von
den Giften zu befreien, welche es imprägnieren.
Aus einer gewissen Anzahl von Fällen, welche ich Gelegen¬
heit hatte, zu beobachten, und bei welchem das Anasarka auf der,
der einzigen incidierten Niere entsprechenden Seite zu schwinden
begann, am sogleich auf der anderen aufzutreten, glaube ich,
schliessen zu können, dass die Wirkung der Nephrotomie an dem
Schwinden der Oedeme nicht unbeteiligt ist. Diese Wirkung
würde eine der zahlreichen Hypothesen bekräftigen, welche über
die Pathogenese der Oedeme bei Brightikern aufgestellt wurden.
Diese-Hypothese ist die von Potain, welcher die seröse In¬
filtration des Zellgewebes bei den Nierenkrankheiten auf eine
Paralyse der Capillargefässe unter dem Einfluss eines Reflexes
zurückführt, welcher, von diesen Organen ausgehend, mittels der
vasomotorischen Nerven auf sie übertragen wird. Indem sie den
Ausgangspunkt dieses Reflexes, welcher bei der Bright’schen
Kraukheit in der intrarenalen Hypertension gelegen ist, unter¬
drückt, gestattet sie der peripheren Circulation, sich normal zu
gestalten, und überall der serösen Infiltration, sich zu lösen.
Die Herzhypertrophie kann auch von der Nephrotomie günstig
beeinflusst werden. In der Tat, diese Hypertrophie, welche in
einer grossen Zahl von Fällen die Folge der arteriellen Hyper¬
tension zu seio scheint, könnte nur dann die Tendenz haben, sich
zu bessern und selbst sich zurückzubilden — vorausgesetzt, dass
die Läsionen des Myocards noch besserungsfähig sind —, wenn
die Spannung in den Nieren uud im peripheren Capillarnetz zur
Norm zurückkehrt. .
Die Decapsulation setzt zweifellos die intrarenale Spannung
herab, indem sie eine Ausdehnung des Parenchyms gestattet, und
mit dieser Wirkung verbindet sich die Abschwellung der Niere
infolge der Knetungen, welchen sie während der Manöver, sie von
dem benachbarten Geweben zu trennen und von ihrer Hülle zu
befreien, ausgesetzt ist.
Wie nützlich diese doppelte Wirkung der Capsulektomie auch
sein mag, man wird mir, wie ich glaube, beipflichten, dass sie
nicht allen Indikationen der Behandlung der Zufälle bei
Brightikern genügt, und dass sie gegen die Nephrotomie zu¬
rücksteht.
Die Anschauungen, welche ich soeben über die Wirkungs¬
weise der Niereninzision und der Exstirpation der Nierenkapsel
zur Behandlung der Zufälle bei Bright’scber Krankheit geäussert
habe, führen dahin, dass jede dieser Operationen ihre Indikationen
bei der Verschiedenheit der klinischen Fälle finden kann.
Bei wenig schweren Fällen wird man seine Zuflucht zu der
Capsulektomie nehmen können, welche nur einen der Faktoren
der Zufälle, nämlich die Spannung und Kongestion der Niere be¬
rücksichtigt. Wenn jedoch die urämische Intoxikation eine tiefe
ist, wenn die subcutanen Oedeme und die der Organe intensiv
sind, wenn nur ganz kleine Mengen Urin sezerniert werden und
er nur wenig Ausscheidungsprodukte enthält, besonders wenn die
Gefässspannung erhöht und das hypertrophische Herz sich zu
diiatieren droht, dann, meine ich, wird man besser tun, die Nieren¬
inzision zu machen, welche aufs schnellste und vollkommenste
die Druckentlastung und Abschwellung des Organs berbeiführt,
die Ausscheidung der die anatomischen Elemente imprägnierenden
Toxine erleichtert und durch die reichliche Blutenleerung, welche
sie bewirkt, die gesteigerte Herz- und Gefässspannung her¬
absetzt.
Will man den Patienten die problematischen Vorteile der
Decapsulation zukommen lassen, um eine definitive Heilung der
Nephritis zu bewirken, so wird man die Schwere der Inzisiou der
Niere nicht verstärken, wenn man die Exzision ihrer Kapsel
hinzufügt.
d) Chronische Nephritiden, durch keine Zufälle
kompliziert (Heilbehandlung).
Kann der chirurgische Eingriff, welcher in der grössten An¬
zahl von Fällen, bei denen er zur Anwendung kam, so ermuti¬
gende Erfolge hinsichtlich des Schwindens der schweren und hart¬
näckigen symptomatischen Störungen der Bright’schen Krankheit
zeitigte, noch mehr leisten? Ist es erlaubt zu hoffen, dass hier¬
durch der anatomische Prozess der chronischen Nephritiden ge¬
hemmt wird, ja dass er sich zurückbildet und dass mit einem
Wort ihre Heilung erzielt wird?
Ich kann keine persönlichen Beiträge zur Lösung dieser Frage
liefern. Aber nach Kenntnisnahme einer grossen Anzahl von
Fällen, bei welchen nicht nur die grossen Symptome der Bright-
schen Krankheit verschwanden und die Gesundheit im allgemeinen
vollkommen wiederkehrte, sondern auch die Harnsekretion nichts
zu wünschen übrig Hess, Eiweiss und Zylinder selbst total ver¬
schwanden, erscheint es mir nicht möglich, der Decapsulation,
zu welcher, von Edebohls empfohlenen, Operation die Chirurgen
in den vorher bezeichneten Fällen ihre Zuflucht genommen haben,
einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Nierenleiden abzu¬
sprechen. Ohne jedoch den Enthusiasmus Edebohls’ und seiner
Landsleute hinsichtlich der chirurgischen Heilbehandlung der
chronischen Nephritiden zu teilen, halte ich dafür, dass bei
Kranken, welche zwar keine schweren Symptome darbieten, je¬
doch solche, welche sie in ihrem Erwerbs- und sozialen Leben
2 *
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UNIVERSUM OF IOWA
388
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
behindern, der Chirurg durchaus in seinem Recht ist, einzagreifen,
sobald die Hilfsmittel der innereu Medizin erschöpft sind. Es
gibt eine Phase der Bright’schen Krankheit, welche meiner An¬
sicht nach ganz besonders zu einem Eingriff berechtigt. Das ist
die Phase der Cachexie, welche sieb äussert in Blässe der äusseren
Haut, leichter Gedunsenheit des Gesichts, flüchtigen Oedemen der
unteren Gliedmaassen, grosser Schwäche, Atemlosigkeit bei ge¬
ringer Anstrengung, Hypoglobulie usw., alles dieses mit einer
sehr kleinen Menge Eiweiss, oft mit wenigen Zylindern, aber mit
einer ständigen, obwohl wenig ausgesprochenen Abnahme des
Harnstoffs und der Harnsalze.
Die Idee, die chronischen Nephritiden chirurgisch zu heilen,
ist Edebohls von der Vorstellung eingegeben worden, welche er
sich von der Rolle der eigenen Nierenkapsel machte. Nach ihm
isoliert diese Kapsel das Organ, welches sie bekleidet, vollständig
von dem Fettzellgewebslager, in das es eingesenkt ist, derartig,
dass es normalerweise keine Gefässverbindung gibt und eine
solche zwischen ihm und dem Nierenparenchym nicht zu sehen
ist. Wenn man jedoch die eigene Kapsel beseitigt, dann ent¬
wickeln sich in den narbigen Verwachsungen neue Gefässe, welche
in das Parenchym eindringen und sich dort verzweigen. Diese
durch die Dekapsulation bei den chronischen Nephritiden erzeugte
Arterialisierung begünstigt die Resorption der entzündlichen Inter¬
stitiellen und interlobulären Produkte und Exsudate, befreit die
Kanälchen und die Glomeruli von der arteriellen Kompression
und gestattet die Wiederherstellung der Circulation in ihrem
Innern. Die Folge davon ist die Regeneration eines Epithels,
welches imstande ist, die sekretorische Funktion sicherzustellen.
Die zahlreichen Versuche, welche fast in allen Ländern unter¬
nommen wurden, um die Existenz der von Edebohls nach seiner
Operation gefundenen Gefässanastomosen festzustellen, wider¬
sprechen einander. Nimmt man an, dass diese Anastomosen sich
bilden, so erscheint es mir schwierig, die Deutung des ameri¬
kanischen Chirurgen betreffs der Rückbildung der interstitiellen
Sklerose und der degenerativen Veränderungen der Epithelien,
welche deren Folge ist, zu verstehen. Meiner Ansicht nach kann
man ganz anders und weit logischer die Art verstehen, in welcher
die Decapsulation und die nachfolgende Vascularisation des
Parenchyms wirken. Während die Druckentlastung der Niere
und ihre komplementäre Arterialisierung ohne Einfluss auf die
schon schwer veränderten Glomerulus«ymptome bleiben, gestatten
sie den noch ungesebädigten Gebieten, eine kompensatorische
Hypertrophie einzugehen und sie durch den reichlichen Blutzufluss
vor allen späteren Störungen zu schützen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik der Königl. Charite
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Karl Franz).
Ueber die Schädigung der Niere bei der
Eklampsie. 1 )
Von
Dr. A. Zinsser.
M. H.l Der Zusammenhang zwischen Eklampsie und Nieren¬
schädigung hat im Lanf der Jahre bei vielfacher Bearbeitung die
verschiedenste Deutung erfahren. Wenn man wohl auch allgemein
den Standpunkt verlassen hat, der Eklampsie und Urämie identi¬
fizieren wollte, so ist man doch immer noch geneigt, die Nieren¬
schädigung Eklamptischer als mehr wie ein rein sekundäres Sym¬
ptom aufzufassen, und der Vorschlag der Decapsulation hat noch
in nicht allzu ferner Zeit gezeigt, dass noch immer die Neigung
besteht, die Eklampsie von der Niere aus zu beurteilen und zu
behandeln.
Dass das Studium der Eklampsieniere einmal die Lösung des
Eklampsieproblems bringen wird, ist nicht anzunebmen. Hier
dürfte uns vielleicht die serologische Forschung in der nächsten
Zeit Neues bringen. Insbesondere knüpfen wir manche Erwartung
an die optische Methode Abderbalden’s, deren erste Anwendung
auf geburtshilfliche Fragen wir in einer Arbeit von R. Freund,
Abderhalden und Pincussohn (1) finden.
Solange wir aber noch, wie beute, bei der Eklampsie vor
lauter ungelösten Fragen stehen, verdient das Studium eines
jeden Symptoms unsere volle Aufmerksamkeit. Von diesem Ge¬
sichtspunkt aus, sowie besonders im praktischen klinischen Inter¬
esse, müssen wir uns mit der Niere als dem am augenfälligsten
geschädigten und unserer Untersuchung am zugänglichsten Organ
beschäftigen.
Ich möchte im Rahmen des heutigen Vortrags im wesent¬
lichen zwei Fragen erörtern:
1. Geht der Grad der Nierenschädigung der Schwere
der eklamptischen Erkrankung parallel? Und
2. Kann die Schädigung der Niere das Krankheits-
bild ausschlaggebend beeinflussen?
Die erste Frage, ob Grad und Schwere der eklamptischen
Erkrankung Hand in Hand gehen, läuft im wesentlichen darauf
hinaus, ob wir in der Beobachtung der Nierentätigkeit ein
brauchbares Prognosticum besitzen. Ich habe sie in einer anderen
Arbeit (2) ausführlicher erörtert und möchte hier nur darüber
rekapitulieren.
Während wir früher den Grad der Erkrankung einer Niere
nur nach Albuminurie, Sedimentbild und Diurese beurteilen
konnten, stehen uns heute, seit der Ausarbeitung der Funktions¬
prüfungen, eine Reibe feinerer Methoden zur Verfügung. Leider
kommen davon die meisten für die Eklampsie nicht in Betracht, da
1) Vorgetragen in der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie
zu Berlin.
ihre Ausführung Zeit erfordert und sich bei einer so schnell und
stürmisch verlaufenden Erkrankung verbietet.
Es bleiben uns nach wie vor für die Eklamptische die Kon¬
trolle der Albuminurie, der Ausfuhr des Wassers und der festen
Harnbestandteile und eventuell die Untersuchung des Blutes auf
Retentionserscheinungen.
Der alte Satz, dass mit steigender Diurese die Prognose einer
Eklampsie sich bessere, und umgekehrt, mag für eine grosse
Reihe von Fällen stimmen. Dass er aber durchaus keine allge¬
meine Gültigkeit hat, konnte Zangemeister (3) an einer grossen
Reihe von Fällen zeigen und einer unserer Doktoranden (4)
bestätigen. Der Ueberblick über ein grosses Material wird stets
vier Gruppen von Fällen unterscheiden lassen.
Im allgemeinen besteht während der Dauer der eklam¬
ptischen Anfälle Oligurie, die mit Aufhören der eklam¬
ptischen Symptome von einer Harnflut abgelöst wird. Da¬
neben sehen wir aber einmal Fälle, bei denen die Oligurie
erst geraume Zeit nach Auftreten der Krämpfe einsetzt,
und andererseits ist das Aufhören der Krämpfe durch¬
aus nicht and das Auftreten einer Harnflut gebunden.
Im Gegenteil, wir sehen bei einer ganzen Anzahl von Fällen
Oligurie und auch vorübergehende Anurie die eklam¬
ptischen Symptome überdauern. Schliesslich kommen
Eklampsien mit zahlreichen Anfällen vor, ohne dass
überhaupt eine wesentliche Oligurie beobachtet wird.
Die Kontrolle der Diurese gewinnt etwas an prognostischer
Bedeutung, wenn man gleichzeitig das spezifische Gewicht
beobachtet. Im allgemeinen hat die Eklampsieniere die Fähig¬
keit, bei sinkender Wasserausscheidung die Konzentration der
Harnsalze kompensatorisch zu steigern, so dass wir meist ent¬
sprechend dem Sinken der Diurese ein Ansteigen des spezifischen
Gewichts beobachten. Gehen Wasserausscheidung und
spezifisches Gewicht gleichzeitig herunter, so trübt
dies die Prognose.
Bezüglich der Albuminurie hat ebenfalls Zange¬
meister (5) gezeigt, dass ihr eine Bedeutung für die Beurteilung
eines Eklampsiefalles nicht zukommt. Fälle mit hochgradiger
Eiweissausscheidung können prompt genesen, während tödlich
verlaufende Erkrankungen mit nur geringer oder gar ohne Albu¬
minurie beobachtet worden sind.
Es bleibt die Kontrolle der Harnsalze. Für die stickstoff¬
haltigen Körper kam Zangemeister (6) in seiner ausführ¬
lichen Arbeit zu dem Ergebnis, dass ihre Verfolgung uns
prognostische Anhaltspunkte in sicherer Weise auch nicht
geben kann.
Ich selbst habe mich, einer Anregung meines Lehrers nnd
Freundes Franz Volhard-Mannheim folgend, eingehender mit
dem Verhalten der Chloride befasst. Sie schienen mir mehr,
als dies bisher geschehen war, Aufmerksamkeit zu verdienen, da
die meisten Eklampsien das klinische Bild einer bydropiseben
Nephrose, charakterisiert durch die als Oedem sichtbare
Retention von Wasser und Kochsalz, bieten.
Wie ich anderenorts (7) ausgeführt habe, kommt der Re-
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
389
tentioo der Chloride ebensowenig wie der der Stickstoffkörper
eine ätiologische Bedeutung zu. Dagegen fand ich im Verlauf
meiner Untersuchungen, dass uns die Verfolgung der Kochsalz¬
aasfuhr bei den Eklampsien, die mit Oedemen einhergehen, ein
wenigstens einigermaassen zuverlässiges Prognosticum geben kann.
Sinkt bei einer ödematösen Eklamptischen nach
der Entbindung der Kochsalztiter des Urins plötzlich
und dauernd auf Bruchteile der Norm (unter 0.1) ab, so
trübt dies die Prognose wesentlich, während ein
dauernd mittlerer Kochsalztiter auch bei klinisch
schwerstem Krankheitsbild eine gute Prognose stellen
lässt.
Es scheint, dass die Niere auf gewisse Gifte und auch auf
das supponierte Eklampsiegift am spezifischsten mit ihrem Ver¬
mögen, Kochsalz auszuscheiden, reagiert, und dass eine schwere,
meist irreparable Organschädigung zuerst durch das Sinken des
Kocbsalztiters angezeigt wird.
Das ideale Verfahren zur Beurteilung der Schwere eines
Eklampsiefalles ist aber auch die Bestimmung des Kochsalztiters
nicht, da der Kocbsalzsturz erst auftritt, wenn die Schädigung
des Organismus einen gewissen Grad erreicht hat. Einer in
unsere Behandlung tretenden Eklampsie anzusehen, ob sie im
weiteren Verlauf diesen Grad erreichen wird oder nicht, dazu
sind wir bis jetzt mit keiner klinischen Untersucbungsmethode
imstande. Es ist dies ein Punkt, auf den heute, in der Zeit des
Streites um den Wert verschiedener Behandlungsmethoden, nicht
genug hingewiesen werden kann, Solange wir keine derartige
Methode besitzen, sind wir bei der Beurteilung jeder therapeuti¬
schen Maassnahme nach wie vor lediglich auf die Statistik trotz
aller ihr anhaftenden Mängel angewiesen.
Man kann mit der Kochsalzmethode auch nicht die Fälle
herauslesen, die als leichte ohne jede Therapie gesund werden,
and wenn man eine Behandlungsmethode dadurch erproben wollte,
dass man sie erst in Anwendung brächte, nachdem die Kochsalz¬
bestimmung den Fall als schwer hat erscheinen lassen, so wird
man bei ungünstigem Ausgang mit Recht einwenden können, dass
es dann für jede Therapie zu spät gewesen sei.
Der Wert der Kochsalzbestimmung liegt darin, dass sie uns
für eine ganze Reihe von Fällen sicherer wie alle anderen
klinischen Momente über den jeweiligen Stand der Erkrankung
urteilen lässt.
Ich komme nun zu der zweiten Frage: Kann die Schädi¬
gung der Niere das Krankheitsbild ausschlaggebend
beeinflussen? Sie ist von grosser praktischer Bedeutung in¬
sofern, als sich aus ihr die weitere Frage ergibt: Können wir
durch therapeutische Berücksichtigung der Niere auf
den Verlauf einer Eklampsie einwirken?
Theoretisch möglich wäre dies in zweifacher Beziehung.
Einmal könnte einer Eklamptischen eine sekundäre Urämie ge¬
fährlich werden, und zweitens wäre es a priori nicht aus-
zuschliessen, dass die Elimination des hypothetischen Eklampsie¬
giftes durch die Schädigung der Niere hintenangehalten würde.
Die Furcht vor einer sekundären Urämie hat uns in früherer
Zeit die Hauptaufgabe der Therapie in einer Förderung der
Diurese sehen und als Extrem noch in jüngster Zeit die Decapsu-
lation der Niere vorschlagen und ausführen lassen.
Ueberlegen wir uns zunächst, wie eine solche sekundäre
Urämie zustande kommen könnte. Zangemeister hat in der
citierten Arbeit nachgewiesen, dass die Eklampsieniere Stick¬
stoffkörper relativ gut auszusebeiden vermag. Trotzdem
findet wohl meist eine Retention von N-Körpern statt, da bei
länger dauernder Oligurie die Kompensation durch eine Steigerung
de9 spezifischen Gewichts keine vollständige ist. Die Retention
dauert aber so kurze Zeit und erreicht infolgedessen
nie so hohe Werte, als dass wir N-urämische Zustände
als Begleitsymptom der Eklampsie zu befürchten
hätten.
Dem entspricht auch, dass die Kryoskopie des Blutes eine
erhebliche oder konstante Erniedrigung des Gefrierpunktes nicht
ergeben hat. Zangemeister hat auch den Reststickstoff bei
Eklamptischen nicht wesentlich erhöht gefunden.
Ausserdem pflegen aber auch die urämischen Zustände, die
sich aus einer für Stickstoff insuffizienten Niere ergeben, ein von
der Eklampsie vollkommen verschiedenes Krankheitsbild zu zeitigen.
Die Formen der Urämie, die der Eklampsie klinisch am
nächsten stehen, die Krampf- oder eklamptisebe Urämie der
Inneren, pflegt vielmehr im Verlauf derjenigen Nephrosen auf¬
zutreten, bei denen eine Insuffizienz der Niere für Koch¬
salz und Wasser (Oedera) im Vordergrund der funktio¬
nellen Störung steht. Als ihr Paradigma kann die Schar-
lachniere gelten. Sie geht einher mit akutem Sinken des
Kochsalztiters, starker Herabsetzung der Wasserausscbeidung,
Oedemen und schliesslich Krämpfen, die die Inneren als die Folge
eines Gehirnödems anzusprechen geneigt sind.
Ihr steht klinisch die Eklampsieniere am nächsten. Auch
bei ihr steht im Vordergrund die Retention von Wasser und
Kochsalz in der Form des Oedems, und wenn man bei
beiden Krämpfe beobachtet, so könnte man geneigt sein, auch
die Krämpfe der echten Eklampsie mit dem Oedem in ätiologischen
Zusammenhang zu bringen.
Dem widerspricht aber, dass die echte Eklampsie^mit’ihren
Krämpfen auch ohne voraufgehende Nierenschädigung und Oedem
auftreten kann. Ausserdem konnte ich zeigen, dass bei Eklampsien
ohne sichtbares Oedem auch im Stoffwechsel versuch eine Retention
von Kochsalz sich nicht nachweisen lässt.
Immerhin mag in dieser Frage das letzte Wort noch nicht
gesprochen sein. Es ist nicht auszuschHessen, dass in den Fällen
von Eklampsie, die sich aus einer Schwangerschaftsnepbrose mit
starkem Oedem entwickeln, das Gehirnödem als krampferregender
Faktor bis zu einem gewissen Grad beteiligt ist.
Allein selbst wenn diese Möglichkeit für vereinzelte Fälle
vorliegen sollte, so ist es für sie sicher rationeller, 'weniger die
Niere wie das Oedem selbst therapeutisch anzugeben. Zange¬
meister (8) bat, von dieser Voraussetzung ausgehend, die Trepa¬
nation in Vorschlag gebracht. Im Effekt gleich und weniger
eingreifend ist die Lumbalpunktion, deren Erfolge bei der
Scharlachniere zuweilen erstaunliche sind. Für eine kleine Zahl
Eklamptischer wird sie vielleicht ebenfalls Erfolge bringen. Wir
müssen versuchen, diese durch klinische Beobachtung herauslesen
zu lernen.
Für die grosse Mehrzahl der echten Eklampsien halte ich
aber auch die Lumbalpunktion für zwecklos. Sie wird ebenso¬
wenig nützen wie die einseitige Behandlung der Niere von der
einfachsten diaphoretischen Maassnahme bis zur Dekapsulation.
Die Schädigung der Niere ist eben nur eine Episode im Drama der
Eklampsie, und wenn sie eine so weitgehende wird, dass der Orga¬
nismus ihr allein erliegen würde, so sind auch in anderen Organen
(Leber!) die Zerstörungsprozesse so weit vorgeschritten, dass
von der Niere allein aus nichts mehr zu retten ist. Wenn
es überhaupt eine Therapie gibt, so bat sie einzusetzen, ehe es
zu so weitgehenden Zerstörungen kommt.
Eine therapeutische Berücksichtigung der Niere kann aber
auch vom Gesichtspunkt der Elimination des hypothe¬
tischen Giftes aus abgelehnt werden. Wenn, wie wir eingangs
gesehen haben, bei manchen Eklampsien die Krämpfe früher er¬
setzen wie die Nierenscbädigung, und wenn bei einer nicht
geringen Anzahl von Fällen die Krämpfe schon vor dem Ein¬
setzen der Harnflut sistieren, so erhellt daraus ohne weiteres,
dass die Eklampsie weder durch die renale Retention eines
Giftes entstehen, noch durch dessen Ausscheidung durch den
Urin geheilt werden kann.
Ich hätte diese letzte Frage als längst in negativem Sinn
entschieden nur gestreift, wenn nicht in allerletzter Zeit von
Ruppert Franz (9) und Esch (10) wieder über das Vorkommen
eines spezifischen Giftkörpers im Harn Eklamptischer berichtet
worden wäre. Esch betont allerdings ebenfalls, dass mit Rück¬
sicht auf die eben angeführten Gründe das Gift als Eklampsie¬
erreger nicht in Betracht kommen könne.
Die grosse Bedeutung der Befunde liegt darin, dass, sollten
sie sich an grösserem Material bestätigen, sie uns die Aussicht
eröffnen, wir könnten vielleicht doch noch auf dem Weg über
die Niere zu einem Prognosticum und zu einer exakten klinischen
Kontrolle unserer Therapie gelangen.
Meine eigenen dahin gebenden Versuche sind leider bisher
von wenig ermutigendem Erfolg gewesen. Ich möchte mich aber
darüber nicht bindend äussern, ehe die Vorfrage, wieviel die Aus¬
scheidung dieses Giftkörpers ihrerseits wieder durch die Nieren¬
störung beinflusst wird, gelöst ist. Entsprechende Versuche sind
im Gange, und ich hoffe, später einmal weiter darüber berichten
zu können.
Literatur.
1. Abderhalden, Freund und Pincussohn, Prakt. Ergebnisse d.
Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 2. — 2. Zinsser, Zeitschr. f. Geburtsh. u.
Gynäkol., Bd. 70, S. 201. — 3. Zangemeister, Zeitsohr. f. gynäkol.
3
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UNIVERSUM OF IOWA
390
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Urologie, Bd. 2. — 4. Katzenstein, Inaug.-Diss., Kiel 1911. — 5. und
6. Zangemeister, Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 50, S. 385. —
7. Zinsser, 1. o. uud Verhandl. d. Deutschen Gesellsch. f. Gynäkol.,
Bd. 14, S. 706. — 8. Zangemeister, Deutsche med. Wocbenschr.,
1911, S. 1879, und Festschrift, Marburg 1911. — 9. R. Franz, Archiv
f. Gynäkol., Bd. 96, H. 2, und Münchener med. Wocbenschr., 1912,
Nr. 31.— 10. Esch, Archiv f. Gynäkol., Bd. 98, Nr. 2, und Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.
Aus der Königl. Chirurg. Universitätsklinik zu Breslau
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. H. Köttner).
Beitrag zur Statistik der Magenresektion.
(Auf Grund von 157 in den letzten b l j 2 Jahren ausge-
führteu Resektionen.)
Von
Dr. 8. Weil, Assistenzarzt der Klinik.
Trotz aller Krebsheilmittel ist zur Zeit die operative radikale
Entfernung immer noch die einzige Therapie, die beim Magen-
carcinom eine Heilungsmöglichkeit gibt. Immer noch stehen viele
Interne und manche Chirurgen der radikalen chirurgischen Be¬
handlung des Magencarcinoms und den Dauererfolgen der Resek¬
tion recht skeptisch gegenüber, während andere einen nicht un¬
beträchtlichen Prozentsatz von Heilungen konstatieren. Diese
Differenz der Meinungen kann nur durch grössere Statistiken ge¬
klärt werden.
In den letzten & l J 2 Jahren wurden an der Küttner’schen
Klinik über 900 Patienten mit Magenleiden behandelt und rund
800 Operationen am Magen uud wegen Magenleidens ausgeführt.
157 dieser Operationen waren Magenresektionen. Aus der Be¬
trachtung scheiden 8 dieser Resektionen aus, da es sich um
atypische Eingriffe handelte, 4 mal um Cardiaresektionen, 2 mal
um Magenduodenumresektionen wegen Ulcus duodeni, 1 mal um
die Exstirpation eines Carcinoms, das von der Gallenblase auf
den Magen übergegriffen hatte, und 1 mal um eine Resektion
wegen Säureverätzung des Magens.
Es bleiben für die Besprechung also 149 Fälle typischer
Magenresektionen. 14 dieser Fälle wurden wegen gutartigen
Magenleidens, wegen Ulcus callosum ausgeführt, wobei die
einfachen Ulcusexcisionen nicht berücksichtigt sind. Es sei
hier sofort bemerkt, dass die Ulcera callosa nur deshalb zur Re¬
sektion kamen, weil es sich weder durch die Untersuchung vor
der Operation noch durch den Befund während der Operation mit
Sicherheit entscheiden liess, ob das vorliegende Leiden gutartiger
oder bösartiger Natur sei. Es muss immer wieder von neuem
betont werden: in einer grossen Anzahl dieser Fälle sind
wir nicht imstande, eine Entscheidung zu treffen. Auch
unter den Patienten mit Magenresektion wegen Carcinoms finden
sich 5 Patienten, bei denen es noch während der Operation als
das Wahrscheinlichste erschien, dass es sich um ein gutartiges
Magenleiden bandle. Um sicher zu geben und da wir uns eine
Entscheidung nicht zutrauten, haben wir reseziert. Die histo¬
logische Untersuchung ergab zu unserer Ueberraschung, dass doch
ein Carcinom vorlag. Wir lassen demnach in dieser Hinsicht
weitgehende Vorsicht walten, und trotzdem ist uns einmal ein
bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Bei einem Patienten mit einer
Verhärtung vor dem Pylorus meinten wir ganz sicher sagen zu
können, dass es sich um ein einfaches Ulcus bandeln müsse. Wir
haben nicht die technisch relativ leicht ausführbare Resektion
gemacht, sondern uns mit der Gastroenterostomie begnügt, ent¬
fernten aber eine scheinbar chronisch-entzündlich veränderte Drüse
zur histologischen Untersuchung. Diese ergab ein Carcinom.
Jetzt schlugen wir natürlich dem Patienten eine zweite, radikale
Operation vor, konnten ihn aber nicht mehr zu diesem Eingriff
veranlassen. Einige Zeit später sahen wir ihn wieder mit aus¬
gedehnten Metastasen.
Von den 14 Patienten mit Ulcusresektion sind infolge der
Operation 3 gestorben, einer an Pneumonie, ein zweiter an Lungen¬
gangrän und ein dritter an Blutung aus einem weiteren Magen-
ulcus, ein Beweis, dass vor diesem UDglücksfall auch die Resek¬
tion nicht immer schützt.
Von den 135 Patienten mit Magencarcinom, dib mit Resektion
behandelt worden, waren fast 2 / 3 Männer, nur J / 3 Frauem
Ueber 50pCt. der Patienten waren< noch nicht 50 Jahre alt, drei
Kranke noch nicht 30 Jahre.
Nach der Dauer der Erkrankung konnte man versuchen, zwei
Gruppen aufzustelleD, eine grössere, bei der das Leiden erst kurze Zeit,
Monate oder 1 bis höchstens 2 Jahre zurückliegt, während früher der
Magen immer gesund gewesen war, und eine zweite Gruppe, etwa 25pCt.
der Resezierten, die schon jahre- oder jahrzehntelang magenkrank ge¬
wesen waren, Patienten, bei denen wir vermuten, dass sich der Krebs
auf Grund einer alten Anacidität oder eines alten Magenulcus ent¬
wickelt hat.
In dem allergrössten Teil der Fälle waren Magen sch merzen vor¬
ausgegangen, nur in etwa lOpCt. hat sich das Leiden schmerzlos ent¬
wickelt. Erbrechen fehlt in der Anamnese nur in 20pCt. der Fälle,
Abmagerung bestand fast stets, und meist betrug sie 10—30 Pfund,
einmal 60 Pfund, ln ganz wenig Fällen äusserte sich das Leiden nur
in Müdigkeit und Abmagerung, während eigentliche Magenbe¬
schwerden fehlten.
In 4 /5 der resezierten Fälle ergab der Untersuchungsbefund
einen Tumor oder doch wenigstens eine sichere Resistenz in den
oberen Teilen des Bauches, so dass bei etwa 80 pCt. der Fälle
die Diagnose bereüs vor der Operation zweifellos war. Nur in
Vs der Fälle machte die Erkennung Schwierigkeiten. Relativ
häufig musste man auf Grand der jahrelang dauernden Magen¬
erscheinungen und wegen höherer Salzsäuremengen ein Magen¬
geschwür bzw. eine Ulcusstenose annebmen, während doch ein
Krebs vorlag. Häufig entschied Verschlimmerung in der letzten
Zeit und ausgesprochene Kachexie für Carcinom. Nur in ganz
wenigen Fällen, 4—5 mal, deckte eine diagnostische Laparo¬
tomie, wegen unklarer Beschwerden ausgeführt, ein resezierbares
Carcinom auf.
Energisch muss immer wieder der weit verbreiteten Ansicht
widersprochen werden, dass bei fühlbarem Tumor die Radi¬
kaloperation eines Magencarcinoms unmöglich sei; im
Gegenteil, die leicht fühlbaren Pylorustumoren geben die beste
Möglichkeit der Resektion. Aber auch die gegenteilige, ebenfalls
zuweilen geäusserte Ansicht, dass nur bei fühlbarem and leicht
verschieblichem Tumor eine Radikaloperation ausführbar sei, ist
nicht zutreffend. Auch bei undeutlichen Resistenzen, die gewöhn¬
lich von Tumoren der kleinen Kurvatur hervorgerufen werden,
haben wir in zahlreichen Fällen die Resektion vollziehen können.
Schmieden hat neuerdings in seiner Arbeit über die Röntgen¬
diagnose von Magenulcus und Magencarcinom versucht, gewisse
Fälle von Carcinom von der Probelaparotomie auszuschalten,
nämlich solche, bei denen 1. eine Gastroenterostomie nicht indi¬
ziert ist und bei denen 2. das Röntgenbild zeigt, dass das Car¬
cinom sich hoch an der kleinen Curvatur hinauf erstreckt. Wir
können uns bisher noch nicht entschHessen, auf Gmnd des Radio¬
gramms allein die einzige Möglichkeit der Lebensrettung un¬
versucht zu lassen, und überzeugen uns durch Probelaparotomie
von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Radikaloperation.
Eine Frühdiagnose des Magencarcinoms durch das Röntgenbild
haben wir noch nicht gesehen. Bei fortgeschrittenen, auch sonst
leicht diaguostizierbaien Magenkrebsen gibt allerdings die Röntgen¬
untersuchung sehr charakteristische Bilder.
Die Operation wurde von uns fast stets in der Weise aus-
gefübrt, wie sie Geheimrat Küttner 1 ) bereits geschildert hat Im
allgemeinen sind wir Anhänger der Methode Billrotb’s II, die
wir mit dem Graser’schen Instrumentarium vornehmen. Ich halte
es für bedeutungsvoll, das9 die Operation möglichst stets in
gleicher Weise und typisch vollzogen wird, weil nur dann Ope¬
rateure und Assistenten in der idealen Weise Zusammenarbeiten,
welche bei einem Wechsel der Methoden nicht möglich ist. Ich
glaube, dass dadurch die Operationsdauer erheblich abgekürzt
wird; wir haben in einigen besonders günstig liegenden Fällen
nur 45—50 Minuten für den ganzen Eingriff nötig gehabt.
In der letzten Zeit haben wir allerdings einige Male, um auch
dieses Verfahren kennen zu lernen, die Schoemaker’sche Modifikation
der Methode Billroth I ausgeführt. Ein Patient starb dabei an Naht¬
insuffizienz an der gefürchteten Kreuzungsstelle von Magen- und Duo¬
denumnaht. Die beiden anderen machten eine glatte Genesung durch.
Da keine Magenklemme angelegt wird, so kommt man an der kleinen
Curvatur sehr hoch hinauf. Wir möchten das Sohoemaker’sche Ver¬
fahren für die Fälle, die an der kleinen Curvatur eine besonders weit¬
gehende Krebsentwicklung zeigen, empfehlen.
Die Kocher’sche Methode haben wir nicht verwandt. Gewöhnlich
sind unsere Resektionen so gross, das9 die Spannung, unter der die
Magenduodenumnabt stehen würde, auch hei weitgehender Duodenum¬
ablösung zu stark würde.
Die neueren Methoden von Reichel und Wilms, Einpflanzung
des Jejunums in den Magenstumpf, halten wir für keinen wesent¬
lichen Fortschritt, und die ; in der letztep Zeit empfohlenen Methoden
; • ^ . t-
1) Therapie d. Gegenwart, Januar 1911, S. 1.
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
391
zur Sicherung des Duodenalstumpfes bestehen insgesamt in einer
möglichst starken Einstülpung und Ueberdeckung des Duodenums mit
Bauchfell, wie wir sie hier schon stets mit der allergrössten Sorgfalt
geübt haben. Das von Faykiss wieder empfohlene Verfahren, das
Pankreas über den Duodenalstumpf zu nähen, haben wir in Notfällen
bei mangelnder geeigneter Bedeckung ebenfalls von jeher ausgeübt. Auf
Grund zweier Fälle von consecutiver Fettgewebsnekrose hüten wir uns
aber davor, die Nähte tief durch die Pankreassubstanz selbst hindurch¬
zuführen. Neuerdings hat Kelling wieder dafür plädiert, eine Eutero-
aoastomose zwischen zu- und abführender Schlinge am Jejunum anzu-
briogen, in der Voraussetzung, dass die gefürchtete Insuffizienz am
Duodenalstumpf durch eine Ueberfüllung der zuführenden Schlinge hervor¬
gerufen werde. Bei unseren Fällen von Insuffizienz des Duodenal¬
stumpfes ist fast stets in der Krankengeschichte notiert, dass die Ver¬
sorgung des Duodenums grosse Schwierigkeiten gemacht hat, so dass wir
eher mangelhafte Uebernähung des Stumpfes als Ursache der Komplikation
ansehen möchten.
dass 12 verschiedene Operateure an diesen Operationen beteiligt
waren. Die Todesursache war 1 mal Hirnembolie, 2 mal Operations-
shock, 1 mal Enteritis acutissima, 1 mal „Cacbexie 14 bei einem
Patienten, der nicht zur Sektion kam, 8 mal mussten Lungen¬
komplikationen als Todesursache angesehen werden, und 18 mal
eitrige Prozesse im Leib.
Gewöhnlich ist die Todesursache nicht eine einfache, einheit¬
liche. Häufig finden sich Lungenerkrankungen mit Peritoueal-
eiterungen kombiniert. Nicht weniger als 22 mal bei 29 Sezierten
fanden sich Eiterungen oder Reste von Eiterungen in der Bauch¬
höhle, d. h. in 75 pCt. der sezierten Fälle. Wir glauben, dass
teilweise die Lungenerscheinungen Folge dieser entzündlichen Vor¬
gänge im Leibe sind; denn nur 5 der Patienten, die an Lungen¬
erkrankung gestorben sind, wiesen eine einwandfreie Bauch¬
höhle auf.
Unsere Magenresektionen waren zum grössten Teil schwierige
Operationen, nur in einem Drittel der Fälle ist vermerkt, dass
der Eingriff sich relativ leicht und einfach vollziehen liess. Die
Schwierigkeiten bestanden darin, dass in etwa 20 pCt. der
resezierten Fälle der Tumor auf Leber und Pankreas Übergriff,
in 3 / 4 der Fälle ist ausgedehntere Lymphdrüsen metastasierung
erwähnt, so dass ausser der gewöhnlichen typischen Ausräumung
der Lymphdrüsen auch noch grössere Pakete unter schwierigen
Verhältnissen entfernt werden mussten.
Eine Resektion ist als fast totale Magenexstirpation
zu bezeichnen. Der Patient überstand den Eingriff, bekam aber
eine Magenfistel, die eine Jejunumfistel zur Ernährung möglich
machte.
Fünfmal musste gleichzeitig mit dem Magen das von der
Neubildung ergriffene Colon reseziert werden. Drei Patienten
erlagen diesem sehr grossen Eingriff. Ein Patient lebt jetzt,
1 Jahr nach der Operation, noch gesund, eine zweite Patientin
war über 2 Jahre lang gesund und arbeitsfähig, bekam aber dann
doch noch ein Recidiv, das zu Choledochuskompression und Icterus
führte.
In 3 Fällen sind wir, weil die Patienten eine Resektion nicht
ausgehalten hätten, zweizeitig vorgegangen und machten in der
ersten Sitzung nur die Gastroenterostomie. Ein Patient ist danach
seit 4 Jahren geheilt, ln einem zweiten Fall ist das Resultat
bis jetzt ebenfalls günstig, während wir in einem dritten Fall
3 Wochen nach der ersten Operation ganz unerwartete Schwierig¬
keiten fanden, weil in der Zwischenzit der Tumor sich ausser¬
ordentlich vergrössert hatte.
Es wird dieses Verfahren von einigen Seiten als Normal-
verfahren empfohlen; dem können wir uns jedoch auf Grund
dieses Falles und wegen der Tatsache, dass ein zweiter Eingriff
nach guter Erholung infolge der Gastroenterostomie leicht ab¬
gelehnt wird, nicht anschliessen. Bei einem weiteren Patienten,
einem hochgradig anämischen Manne, trat nach der Gastroentero¬
stomie eine so geringe Erholung ein, dass wir überhaupt von dem
geplanten zweiten Eingriff absehen mussten.
In etwa 50pCt. der Fälle sass dsr Tumor am Pylorus und in
der Regio praepylorica, 80 pCt. der Fälle betrafen die kleine Cur-
vatur, der Rest sass an der grossen Gurvatur, an der Vorder- oder Hinter¬
wand des Magens.
Die histologische Untersuchung ergab in
32 pCt. Carcinoma tubuläre
22
»
»
simplex
12
»
n
medulläre
8
ff
n
alveolare
2
»
papillare
16
»
gelatinosum
8
»
scirrhus.
Es sei schon hier bemerkt, dass der histologische Charakter des
Tumors uns Schlüsse in prognostischer Hinsicht nicht ziehen lässt.
Der postoperative Verlauf bei den Fällen, die zur Heilung
kamen, wird 75 mal als glatt und ungestört geschildert; kompli¬
ziert war er 6 mal durch stärkere Magenatouie und lange fort¬
gesetztes Erbrechen, 4 mal durch grössere Bauchdeckenabscesse,
3 mal durch Duodenal- und Kotfisteln, 1 mal bildete sich eine
Magenfistel, 1 mal eine Ascitesfistel aus, 2 mal liess sich die
Temperatursteigerang auf Duodenalabscesse, die allmählich zurück¬
gingen, zurückführen, 2 mal erlebten wir eine postoperative Venen¬
thrombose und ebenso oft eine postoperative Parotitis. Schwere
Lungenkomplikationen fanden sich 8 mal in den geheilten Fällen.
Von den 135 Patienten mit Resektion wegen Carcinom sind
31, also ca. 22‘pCt., dem Eingriff erlegen. Diese Zahl ist
als relativ günstig zu betrachten, besonders wenn man erwägt,
Die 22 Eiterungen der Bauchhöhle setzen sich folgender-
maassen zusammen: 14 mal fand sich eine freie Peritonitis, die 5 mal
trotz einer möglichst sorgfältigen Nahttechnik sicher durch Nahtinsuffi¬
zienz bedingt war; 1 mal war sie Folge einer Colongangräu, 2 mal war
es zweifelhaft, ob die Eiterung auf Nahtinsuffizienz an der Anastomose
zwischen Magen und Darm zurückzuführen war, während in 6 weiteren
Fällen die Nähte zweifellos gehalten hatten, so dass diese Peritonitiden
als operativ entstanden anzusehen sind. In den Krankengeschichten
sind in diesen Fällen besonders langdauernde Eingriffe und Ausfliessen
von Mageninhalt notiert. Zweimal, bei partieller Resektion des Pankreas,
fand sich die Peritonitis kombiniert mit ausgedehnten Fettnekrosen in
der Bauchhöhle. Achtmal bestand eine umschriebene Eiterung in der
Bauchhöhle, 6 mal spielte sich diese Eiterung in der Umgebung des
Duodenalstumpfes ab, war also vermutlich von diesem ausgegangen. In
2 Fällen war allerdings dieser Stumpfabscess bereits fast völlig zur Aus¬
heilung gekommen.
Lungenerscheinungen fanden sich beider Sektion 18 mal,
bei völlig normaler Bauchhöhle, wie oben schon gesagt, nur 5 mal.
Sechsmal handelte es sich um Lungengangrän, 5 mal um Pneu¬
monie, 5 mal um eitrige Pleuritis, 2 mal um eitrige Bronchitis.
Bemerkt sei hier, dass wir stets in minimaler Aethernarkose
operieren, die nur für die Durchtrennnng und Wiedervereinigung
der Bauchdecken vertieft wird.
Die Dauerresultate unserer Magenresektionen sind
kurz zusammengefasst folgende: Die 11 Patienten mit Ulcus-
resektion, die den Eingriff überstanden, leben sämtlich noch,
und alle fühlen sich vollkommen wohl. Das Allgemeinbefinden
und die Tätigkeit des Verdanungstractus wird also durch eine
Resektion des Magens nicht im mindesten beinträchtigt. Von
den 104 Patienten mit Resektion wegen Carcinomen, die
die Klinik verliessen, leben jetzt noch 40 (von 6 hatten wir keine
Nachricht).
Von den im Jahre 1907 Operierten lebt keiner
1908
1909
1910
1911
leben 4
5, darunter 1 mit
Recidiv
5, darunter 2 mit
Recidiv
13, darunter 3 mit
Recidiv
n n n . ii 1912 „ „ 13.
Länger als 3 Jahre geheilt und recidivfrei sind 8 Patienten,
d. h. von den 74 Resezierten, deren Operation mehr als 3 Jahre
zurückliegt, sind etwa lOpCt. durch die Operation geheilt
worden. 16 pCt. dieser Operierten haben den Eingriff
um mehr als 3 Jahre überlebt, indem mindestens 4 weitere
Patienten erst nach Ablauf dieser Frist ein Recidiv bekamen.
Von der Gesamtzahl der Kranken, die 1907, 1908
and 1909 mit Magencarcinom in Behandlung der Klinik
kamen, konnten nur 2—3 pCt. von ihrem Leiden dauernd
geheilt werden.
Diese an sieb höchst unerfreulichen Resultate werden etwas
weniger nnbefriedigend, wenn man bedenkt
1. dass die Resektion des Magens als Palliativoperation den
Znstand der Patienten für längere Zeit recht günstig be¬
einflusst, viel besser als die Gastroenterostomie,
2. dass jeder einzelne geheilte Fall als absoluter Gewinn an-
znsehen ist, und dass
3. bei der ausserordentlichen Häufigkeit des Magenkrebses (im
Deutschen Reiche sterben jährlich über 15 000 Menschen an
diesem Leiden) auch dieser geringe Heiiungsprozentsatz nicht
ganz za unterschätzen ist.
Wenn wir nnsere Zahlen mit denen vergleichen, die Makkas
früher aus der Breslauer Klinik veröffentlicht bat, so ergibt sich
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
1. die operative Mortalität bat abgenommen,
2. die Zahl der Dauerheilungen ist etwa die gleiche geblieben
wie früher and
3. die Zahl der Patienten mit Magencarcinom, bei denen eine
Radikaloperation möglich war, ist im Verhältnis cur Ge¬
samtzahl der Magenkrebskrankeo trotz weitgehender In-
dikationsstellungen nicht gestiegen, sondern eher zurück¬
gegangen.
Fortschritte auf diesem Gebiete sind nur dann zu erwarten,
wenn viel häufiger als bisher das Magencarcinom im frühesten
Stadium dem Operateur zugefübrt wird.
Demonstration der Wirkung der Venenstauung
auf die Pulskurven Herzkranker.
Von
Dr. C. S. Engel-Berlin.
(Nach einem am 22. Januar 1918 in der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft gehaltenen Vortrage.)
In allen Fällen, in denen das Herz, sei es infolge von Endo-
card-, sei es von Myocard- oder Pericarderkrankungen, verhindert
ist, die nötige Blutmenge in das Gefässsystem hineinzuwerfen,
muss eine Rückstauung des Blutes nach den Venen die Folge
sein. Die Herabsetzung der Druckdifferenz zwischen dem arteriellen
und dem venösen Blutstrom ist eine der schwersten Folgen dieses
Zustandes. Wegen der Schwäche seiner Muskulatur muss von
den Herzhöhlen der rechte Vorhof unter dieser venösen Druck¬
erhöhung am meisten in Mitleidenschaft gezogen werden, und
doch liegen gerade in der Wand des rechten Vorhofs die für die
regelmässige Herztätigkeit in erster Linie verantwortlichen Ueber-
reste des primitiven Herzschlauchs, der Sinoaurikulär- und der
Tawara’sche Atrioventrikularknoten.
Um dieser Stauung im rechten und linken Herzen entgegen¬
zutreten, sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Am
radikalsten geht v. Tabora vor. Er entnimmt dem Kranken
300—500 ccm Blut mittelst Aderlasses. Nach den bisherigen
Erfahrungen wird durch die Blutentnahme die Dehnung der
rechten Herzwand geringer und die erforderliche Druckdifferenz
zwischen dem arteriellen und dem venösen Kreislauf durch eine
Kräftigung der Kammersystole zeitweise wiederhergestellt.
Es braucht nicht erst darauf hingewiesen zu werden, dass
eine derartige Blutentziebung nicht bei jedem angebracht ist und
sich nicht zu einer laufenden Behandlung eignet.
Geeigneter hierfür ist die Kuhn’scbe Lungensaugmaske und die
Bruns’sche Unterdruckatmung. Bei beiden Behandlungsmethoden
wird Blut in die Lungen hineingesogen und das vom gestauten
Blute gefüllte Herz etwas entlastet. Doch abgesehen davon, dass
einzelne Herzkrankheiten, wie die Mitralinsuffizienz — bei der
das Blut an und für sich schon in den linken Vorhof zurück¬
strömt —, dadurch nicht günstig beeinflusst werden, gibt es viele
Herzkranke mit Atemnot, welche diese Verstärkung des Luft¬
hungers zu therapeutischen Zwecken nicht vertragen.
Ein anderes, äusserst einfaches und, wie ich mich in zahl¬
reichen Fällen überzeugen konnte, sehr wirksames Mittel, dem
blutüberladenen Herzen Ruhe zu verschaffen, ist die zuerst von
Tornai und von Lilienstein empfohlene Stauung des Blutes
in den Venen der Extremitäten. Tornai staut mittelst finger¬
dicker elastischer Gummischläuche so weit, dass er den Radialis-
puls noch fühlt, 20 bis 30 Minuten lang. Lilienstein benutzt
zur Stauung zwei bis drei Recklinghausen’sche Manschetten,
welche mittelst Schläuche mit einem Gummigebläse und zur
Registrierung des Druckes mit einem v. Basch’schen Sphygmo¬
manometer verbunden sind. Mit diesem als Pblebostat —
Demonstration — bezeichneten Apparat staut er die Venen bis
zum Verschwinden des Radialispulses — 120 — 180 mm Hg —,
entfernt nach 2—3 Minuten vorsichtig mittelst einer Schlauch¬
klemme die Luft find wiederholt die Manipulation vier- bis
fünfmal.
Für meine Beobachtungs- und Bebandlungsversuche benutzte
ich gewöhnlich ebenfalls den Phlebostaten mit zwei grösseren
Manschetten zur Kompression der Venen oberhalb der Kniee und
einer dritten zum Verschliessen der Venen eines Oberarms,
während ich den andern Arm zur sphygmographischen Auf¬
zeichnung des Radialispulses vor und nach der Venenstauung be¬
nutzte. Ich staue jedoch "den Oberarm nur bis 60—80. mm Hg
und die Oberschenkelvenen nur bis ca. 100 mm Hg, so dass in
die Extremitäten Blut durch die Arterien einströmen kann, während
es durch die Venen nicht abgeleitet wird. Auf diese Weise ent¬
steht in den Armen und in den Beinen ein Blutreservoir, durch
welches das Herz mit jedem Herzschlage entlastet wird. Nach
2—4 Minuten wird dann langsam und vorsichtig die Luft aus
den Gummimanschetten herausgelassen. Doch kann man die
Abbindung der Venen auch einfach mittelst Tücher oder Binden
vornehmen, wobei mau darauf zu achten bat, dass die Arterien
pulsierend bleiben.
Von fast allen gestauten Personen wurden von mir sphygmo-
graphische Radialis- und, wenn möglich, auch Jugularispulskurven
aufgenommen, uud zwar sowohl vor als auch während als auch
kürzere und längere Zeit nach der Stauung. Selbstverständlich
wurden die schreibenden Stellen während eines Versuchs nicht
gewechselt, um Vergleiche anstellen zu können.
Es kann nicht meine Absicht sein, die zu demonstrierenden
Kurven einer genauen sphygmographischen Analyse zu unter¬
ziehen.' Hier kommt es nur darauf an zu zeigen, dass, wie
gleich vorweggenommen werden soll, die Venenstauung nicht nur
in subjektiver Hinsicht, im Hinblick auf Atemnot, Herzklopfen,
Cyanose, Leberstauung, Völle im Abdomen häufig von sehr
günstiger Wirkung ist. An der Hand einiger Kurven soll gezeigt
werden, dass die durch die sphygmograpbische Kurve fixierten
Blutdruckschwankungen durch die Stauung zuweilen erheblich
beeinflusst werden, so dass man auch aus der Kurve auf eine
Beruhigung des Herzens und Besserung der Circulation schliessen
kann.
Vorerst soll mit wenigen Worten auf die Bedeutung der
einzelnen Kurvenabschnitte eingegangen werden.
Bekanntlich hat die sphygmographiscbe Arterienkurve (z. B.
Kurve 12) einen aufsteigenden, anakroten, und einen absteigenden,
katakroten Schenkel. Der erstere hat nur selten wellige Erhebungen,
der letztere fast stets. Der Gipfel der Kurve ist normalerweise
spitz; auf dem absteigenden Schenkel beobachtet man beim Ge¬
sunden gewöhnlich etwa in der Mitte eine stärkere und ober- und
unterhalb derselben kleinere Wellenerhebungen. Die grössere der¬
selben wird als dikrote Welle, die kleineren (Kurve 4) als
Elastizitätselevationen bezeichnet. Die dikrote Welle, welche von
Landois Rückstosselevation genannt worden ist, und die durch
Anprallen der Blutsäule an die geschlossenen Semilunarklappen
entstehen soll, steht mit den Elastizitätsschwankungen, die den
Schwankungen des elastischen Arterienrohrs ihren Ursprung ver¬
danken, in der Weise in Beziehung, dass im grossen und ganzen
bei starker Pulsspannung die dikrote Welle klein, die Elastizitäts¬
elevation gross ist, bei wenig gespanntem Puls die dikrote Welle
gross und die Elastizitätsschwankungen klein sind. Die stark aus¬
geprägte Rückstosselevation spricht also für eine schwache
Spannung der Arterienwand, vorausgesetzt dass die Herzkraft zur
Hervorbringung einer genügend starken Blutwelle ausreicht.
Ferner unterscheidet man einen dikroten, unterdikroten und über-
dikroten Puls, je nachdem die dikrote Welle mit der Hauptwelle
den gleichen Fusspunkt hat bzw. auf dem absteigenden oder auf
dem aufsteigenden Schenkel liegt. Wichtig auch für unsere
Kurven ist, dass selbst nach den Untersuchungen von v. Frey
und Krehl, welche die Erhebungen auf dem katakroten Kurven¬
schenkel etwas anders als Landois erklären, aus einer Kurve
mit breiter, plateauförmiger Spitze (Kurve 3 und 4) und hoch¬
stehendem Elastizitätsausschlag, wie man sie bei Arteriosklerose
bei Nierenschrumpfung und auch bei Bleikolik findet, auf einen
hohen Blutdruck geschlossen werden darf, während Tiefstehen
der Aortensenkung (Kurve 2) nach Mackenzie einen niederen
Blutdruck erkennen lässt, der besonders bei fieberhaften Krank¬
heiten prognostische Schlüsse erlaubt.
Ein Eingehen auf die Bedeutung der Zacken des Venen¬
pulses liegt nicht im Rahmen unserer kurzen Demonstration.
(Demonstration.)
Es sollen zuerst zwei Kurven (Kurve 1 and 2) eines länger be¬
obachteten Kranken mit starkem systolischen Geräusch über der
Herzspitze und schwerer Anämie infolge starker Blutungen vor und
nach der Stauung gezeigt werden. Vor der Stauung (Kurve 1) zeigt
die Radialiskurve an ihrem Gipfel eine spitze Zacke, welche durch
das Schleudern des Hebels infolge stossweiser Kontraktion des
Herzens hervorgerufen wird. Die stark ausgeprägte dikrote Welle
weist anf eine schwache Spannung der Arterien wand hin. Wenige
Minuten nach der Stauung ist von den Schleuderzacken der
Kurvenspitze nichts mehr IQ sehen, die erbeblich niedrigere
Kur re (Kurve 2 ) • zeigt eine normale Spitze und eine bedeutende
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Stauung (Kurve 6) trat eine erhebliche Verstärkung der dikroten
Welle ein, was auf einen günstigen Stand der Blutdruck¬
verhältnisse zu ach Hessen gestattete.
Weniger Erläuterungen erfordert die folgende Kurve (Kurve 7
und 8) eines 80 jährigen Mannes mit Mitralstenose und Extra¬
systolen. Während die obere einen gespannten Puls anzeigende
Kurve (Kurve 7) vor der Stauung unter 18 Herzkontraktionen
4 Extrasystolen erkennen lässt, ist die untere Kurve (Kurve 8)
unmittelbar nach der Stauung völlig frei davon. Dieselben traten
jedoch nach einiger Zeit wieder auf.
Verkleinerung der dikroten Welle. Es hat also eine erhebliche
Beruhigung des Herzens stattgefunden. Der gut ausgebildete
Jugularispuls zeigt in beiden Kurven wenig Verschiedenheit von¬
einander.
ln dem folgenden Falle handelt es sich um einen 70 jährigen
Mann mit leichten Erscheinungen der Coronarsklerose; Blutdruck
170 mm Hg. Die Kurve vor der Stauung (Kurve 3) zeigt eine
plateauartige Spitze, jedoch mit nicht sehr erhöhter Aortensenknng
und mässiger Dikrotie. Elastizitätsschwankungen sind fast nicht
vorhanden. Während und nach der Stauung (Kurve 4) lässt die
Kurve eine lebhaftere Herztätigkeit erkennen, die Aortensenkung
vertieft sich, während die Zahl der Elastizitätselevationen nach
der Stauung erheblich zunimmt. Es liegt also im grossen und
ganzen das Bild einer kräftigen Herzarbeit bei hohem Arterien¬
druck vor.
In einem gewissen Gegensatz zu der letzten Kurve steht die¬
jenige eines jungen Mannes mit Pneumonie (Kurve 5 und 6).
Die Pulswellen sind vor der Stauung (Kurve 5) ziemlich niedrig
und zeigen nur eine Andeutung von Dikrotie, keine Elastizitäts-
Schwankungen. Gerade bei fieberhaften Krankheiten ist die |
Stellung der dikroten Welle, da sie auf den Blutdruck
während der Diastole hinweist, nach Mackenzie besonders
wichtig, weil ihr Fehlen oder ihr Schleifen am Fusse der Kurve
nach ihm von ominöser Bedeutung ist und für ein asthenisches
Fieber spricht. Da sich in unserer Kurve die dikrote Welle
nicht am Boden, sondern etwa in der Mitte des absteigenden
Schenkels befindet, liegt kein asthenisches Fieber vor. Nach der
Kurve 11.
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Kurve*<12.
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304
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Zuletzt sollen noch die interessanten Kurven (Kurve 9—12)
eines Kranken mit Aorteninsuffizienz demonstriert werden, die in
einer und derselben Sitzung während der länger hingezogenen
Stauung einen ganz verschiedenen Charakter zeigten. Wie die erste
Kurve (Kurve 9) erkennen lässt, hat der Kranke vor der Stauung
den bekannten Pulsus celer der Aorteninsuffizienz. Die Kurve zeigt
ausserdem das ganz charakteristische Bild des öberdikroten Pulses,
der dadurch zustande kommt, dass die folgende Herzkontraktion
schon da ist, bevor noch die dikrote Welle den Fuss der Kurve
erreicht hat. Ein Yenenpuls ist nicht vorhanden. Auf der
zweiten Hälfte dieses Blattes ist statt der V. jugularis, die nicht
pulsiert, die A. carotis aufgenommen worden. 2 Minuten nach
der Stauung beruhigt sich das Herz soweit, dass der uberdikrote'
Puls in den dikroten übergegangen ist (Kurve 10). Nach 5 Minuten
(Kurve 11) erreicht der absteigende Schenkel der systolischen
Hauptwelle den Fuss der Kurve nicht mehr, wodurch ein unter-
dikroter Puls resultiert. Nach 8 Minuten erniedrigt sich die
lange spitze Welle, die scharfe Spitze ist in eine mehr abgerundete
übergegangen, und der absteigende Schenkel zeigt mit der klein
gewordenen dikroten Welle ein fast normales Aussehen. Nachdem
die Pulskurve die folgenden Minuten hindurch diese fast normale
Form gezeigt bat, tritt allmählich nach im ganzen 15 Minuten
(Kurve 12) über dem Bulbus jugularis, der bisher nur den Carotis¬
puls hatte erkennen lassen, ein Venenpuls auf. Offenbar hatte
die vor der Stauung lebhaft schlagende Carotis auch noch in den
ersten Minuten nach der Stauung eine Venenpulskurve nicht auf-
kommen lassen, die nach Beruhigung des Herzens und weniger
lebhaftem Schlagen der Arterien, speziell der Carotis, zur Auf¬
zeichnung kommen konnte. Aehnliche Veränderungen durch
Venenstauung Hessen sich in vielen anderen Fällen nachweisen.
Zum Schluss stelle ich einen Kranken mit starkem diastoli¬
schen Geräusch an der Spitze vor, das unter der Stauung zum
grossen Teil verschwindet und einem diastolischen Ton Platz
macht. Bei den anderen anwesenden Herzkranken beobachtet man
nach der Stauung eine erhebliche Beruhigung des Spitzenstosses.
Die Elektrocoagulation bei der chirurgischen
Behandlung des Krebses, speziell des Gebär¬
mutterkrebses. 1 )
Von
Dr. Abel.
Schon vor einer grossen Reihe von Jahren hat Winter-
Königsberg darauf hingewiesen, dass ein Teil der Scheidenrecidive
nach Operation des Gebärmutterkrebses als Impfrecidiv aufgefasst
werden müssten. Wenn trotz der daraufhin geübten Vorsichts¬
maassregeln diese Recidive immer wieder auftreten, die sich vor
allem als Narbenrecidive kennzeichnen, und die Sie ebensogut
nach Uteruskrebsoperationen wie nach Mammacarcinomoperationen
und Operationen an anderen Organen beobachten können, so gibt
es nur zwei Erklärungen dafür: entweder ist die oben aus¬
gesprochene Ansicht falsch, oder die Mittel, die wir bisher an¬
gewendet haben, um diese Recidive zu verhüten, waren nicht
ausreichend. Ich glaube auch, dass nicht nur die Scheiden¬
recidive, sondern auch ein Teil der Metastasen in den Drüsen
und in entfernteren Organen sehr leicht dadurch entstehen können,
dass wir bei der Operation Blut- und Ly mph bahnen eröffnen, in
welche Krebspartikel verschleppt werden. Man bat doch gar
nicht selten den Eindruck, dass ein verhältnismässig kleines
Mammacarcinom, welches die Patientin vielleicht schon eine
ganze Zeitlang mit sich herumgetragen hat, erst nach der
Operation rapide zu wuchern anfängt und schnell zum Tode führt.
Und wenn wir heute an die Operation eines Carcinoms heran-
gehen, so wissen wir, dass es sich trotz ausgedehntester radikaler
Operation immer um ein Va-banque-Spiel handelt und wir nie
eine Recidivfreiheit garantieren können.
Solange wir daher kein internes Mittel besitzen, welches
elektiv die Krebszellen vernichtet, muss unser Bestreben dahin
gehen, unsere Operationsmethoden so weit zu vervollkommnen,
um nach Möglichkeit Recidiven vorzubeugen. Denn bis jetzt
bietet immer noch die rechtzeitig ausgeführte Operation des in
den Anfangsstadien diagnostizierten Krebses die beste Chance auf
1) Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
29. Januar 1913.
Heilung. Virchow’s Anschauung, dass der Krebs in seinen
Anfangsstadien eine lokale Erkrankung ist, besteht immer noch
zu Recht. Dafür sprechen die operativen Dauerheilungen. Ist
der Gedanke richtig, dass die zum Teil schlechten operativen
Resultate dadurch veranlasst werden, dass bei der Operation
eine Dissemination von Krebskeimen stattfindet, so müssen wir
uns fragen, ob es kein Mittel gibt, dies zu verhüten. Wenn wir
imstande sind, das carcinomatös erkrankte Gewebe vollständig
zu vernichten, bevor wir es aus dem Körper entfernen, so dass
wir also nur an einem vollkommen abgetöteten Gewebe operieren,
dann haben wir die Hoffnung, wenigstens die Recidive zu ver¬
meiden, die durch eine Verbreitung von Krebskeimen während
der Operation entstehen.
Eine solche vollkommene Vernichtung des Gewebes können
wir durch Anwendung der elektrischen Coagulation mittels Hoch¬
frequenzströmen erreichen, wie wir sie in der Diathermie besitzen.
Es ist das Verdienst von Nagelschmidt und Zeynek, im
Jahre 1907 als erste auf die klinische Bedeutung der Diathermie
aufmerksam gemacht zu haben, und zwar beide unabhängig von¬
einander. Nagelschmidt hat dann weiter in unausgesetzter
Arbeit in Wort und Schrift diese Methonde ausgebildet und in
einem Vortrage auf der Naturforscherversammlung in Königsberg
im Jahre 1910 die klinische Bedeutung der Diathermie von
neuem hervorgehoben. Trotzdem hat die Methode, wie es mir
scheinen will, noch nicht diejenige Beachtung gefunden, die ihr
entsprechend ihrer Bedeutung zukommt. Sie ist ausser von
Czerny-Heidelberg, seinen Schülern im Samariter-Krankenhause
und von Doyen-Paris nur wenig angewendet worden. Der
Grund hierfür ist mir nicht recht ersichtlich. Vielleicht lag es
daran, dass das Instrumentarium noch nicht ganz auf der Höhe
war. Nagelschmidt benutzte ein nach seinen Angaben von
Siemens & Halske zusammengestelltes Instrumentarium, mit welchem
er sehr zufrieden ist, während Czerny und ich das Instrumen¬
tarium von Reiniger, Gebbert & Schall haben, das ebenfalls ganz
einwandfrei ist und eine ausserordentlich exakte Dosierung er¬
möglicht.
Damit Sie sich selbst von den ganz kolassalen Wirkungen
dieser Methode überzeugen können, habe ich das Instrumentarium,
das ich benutze, hier aufgestellt. Von der einfachen Erwärmung
der einzelnen Körperteile zwischen zwei grossen Elektroden kann
man, je mehr man die Grösse der Elektroden herabsetzt, je
kleiner also die Elektroden sind, immer mehr Hitze hervorrufen,
so dass es schliesslich zur Coagulation des ganzen Gewebes kommt
Die letztere Methode, die sogenannte Elektrocoagulation, benutzen
wir für unsere chirurgischen Maassnahmen. Ich will es Ihnen
hier ganz kurz zeigen. (Zeichnung.)
Wenn Sie annebmen, dass hier ein Stück Fleisch ist, unten
eine grosse Elektrode anlegen, hier oben dagegen eine kleine,
und nun den Strom hindurchgehen lassen — ich will mich hier
auf die physikalischen Einzelheiten nicht einlassen —, so wird
eine Verbrennung bzw. eine Coagulation hervorgerufen; eine Ver¬
brennung dann, wenn Sie etwas mit der Elektrode von dem
Gewebe abgehen, eine Coagulation, wenn Sie dieselbe fest auf¬
setzen. Das Gewebe coaguliert dann ungefähr in dieser Tiefe.
(Erläuternd.) Sie können das coagulierte Gewebe dann einfach
mit dem scharfen Löffel fortnehmen und dann wieder eine tiefere
Schicht coagulieren. Die Verschorfung ist aber nicht der Zweck
der Coagulation, denn dadurch wird im Gegenteil der Strom ver¬
hindert, weiter zu wirken.
Benutzen Sie nun zwei gleich kleine Elektroden, so geht die
coagulierende Wirkung von einer Elektrode zur anderen. Dies
ist das Interessante und Wichtige der ganzen Methode. Man
kann also, wenn ein Organ oder Tumor freigelegt ist, die Tiefen¬
wirkung genau dirigieren. Wie mir ein bekannter Physiker ge¬
sagt hat, geht der Strom nicht ganz gerade von einer Elektrode
zur anderen, sondern verläuft in einer kleinen Kurve nach aussen.
Das benachbarte Gewebe wird zwar etwas erwärmt, aber nicht
mehr coaguliert. %
Wenn man nun statt ejner Elektrode die sogenannte
de Forest’sche Nadel nimmt, so entsteht ein Lichtbogen, mit dem
man schneller als mit dem Messer schneidet, ohne eine Blutung
hervorzurufen; die Blut- und Lympbgefässe werden coaguliert und
daher sofort wieder geschlossen. Das ist ein grosser Wert dieser
Methode.
Ich möchte Ihnen nun über den Fall von Uteruscarcinom
berichten, den ich so operiert habe, und glaube, dass dies die
erste derartige Exstirpation isL ' , > ■ ,
Es handelt sich um eine 33 jährige, also verhältnismässig
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
895
junge Frau. Das Carcinom batte die vordere Lippe des Mutter-
mandes ergriffen, während die hintere Lippe frei war. Der Fall
war durch die Beweglichkeit des Uterus sehr günstig, um die
Methode zum ersten Male anzuwenden. Ich habe zunächst den
Muttermund im Speculum freigelegt und die carcinomatöse Wuche¬
rung coaguliert, ohne vorher auszukratzen. Denn meiner Ansicht
nach eröffnen wir hierbei auch schon so und so viel Blut- und
Lymphgefässe. Die Paquelinätzung ist im Gegensatz hierzu nur
ganz oberflächlich, und im Laufe der vaginalen Operation streift
man immer den Brandschorf ab und berührt immer wieder das
frische Krebsgewebe.
Nach vollständiger Coagulation des Krebsgeschwürs habe ich
die vordere Colpotomie gemacht und den Uterus vor die Vulva
gebracht. Die erweiterte abdominale Operation habe ich nicht
gemacht, weil ich zum ersten Male mit dieser Methode am
lebenden Menschen operiert habe und ich die genaue Wirkung
bei eröffneter Bauchhöhle noch nicht kannte. Nun wurde der
ganze Uterus coaguliert. Ich habe den Strom von rechts nach
links und von oben nach unten hindurcbgehen lassen, so dass
ich glaubte, den ganzen Uterus coaguliert zu haben. Wie stark
die Uterussubstanz durchgekocht war, ergab sich daraus, dass
alle Kugelzangen sofort ausrissen. Der Uterus war derartig heiss,
dass man ihn kaum anfassen konnte. Darauf habe ich das Liga¬
mentum infundibulo-pelvicum auf beiden Seiten unterbunden und
nun auch die Ligamenta lata vollkommen mit einer Elektrode
coaguliert, während die Patientin auf einer grossen iudifferenten
Elektrode lag. Hierauf wurde der Uterus mit den Adnexen in
der gewöhnlichen Weise exstirpiert, das Peritoneum geschlossen
und danach noch die Scheidenwände fast bis zur Hälfte der
Scheiden vollkommen coaguliert.
Die Patientin bat den Eingriff genau so gut wie jede ge¬
wöhnliche Totalexstirpation ausgehalten. Der Verlauf war ganz
reaktionslos; auch die Ausstossung der coagulierten Massen voll¬
zieht sich ohne jede Temperatursteigerung.
Es war nun wichtig, festzustellen, wie weit denn die Coagu¬
lation in die Tiefe gedrungen war, da auf den gleich nach der
Operation angelegten Durchschnitten nicht alles gekocht zu sein
schien, wie man nach dem äusseren Anblick hätte annehmen
sollen. Auf den mikroskopischen Schnitten sieht man nun
(Demonstration des Präparates), dass von dem coagulierten Carci¬
nom nichts mehr übrig geblieben ist, bis auf einen minimalen
Rest, was allerdings noch genauerer Untersuchung bedarf. Im
Fundus dagegen war zweifellos noch lebendes Gewebe. Hier
hatte die Coagulation noch nicht ausgereicht. Dies ist aber
meiner Ansicht nach nur eine Frage der Technik, die noch ziem¬
lich unvollkommen war. Der technische Beirat der Firma Rei¬
niger, Gebbert & Schall, Herr Weise, sowie unser bekannter
Physiker Heinz Bauer haben mir schon angegeben, wie man
diesen Unvollkommenheiten abhelfen kann. Hierzu kommt noch,
dass ich natürlich zuerst etwas ängstlich war. Für den nächsten
Fall soll eine Elektrode in Anwendung kommen, welche die
ganze Cervix kreisförmig umgreift, damit sich auf diese Weise
die Möglichkeit bietet, dass, wenn die zweite Elektrode auf dem
Fundus aufgesetzt wird, von jeder Stelle aus immer Stromver-
bindung vorhanden ist. Auch wenn man abdominal operiert,
kann man, allerdings mit grösster Vorsicht, mit kleinen spitzen
Elektroden sehr gut die vorhandenen Drüsen coagulieren, bevor
man sie entfernt.
Es handelt sich, wie Sie hieraus sehen, bei der Diathermie,
was auch Nagelschmidt bervorgehoben hat, nicht um irgend
etwas Spezifisches gegen das Carcinom, sondern nur um ein Plus
unserer operativen Maassnahmen. Ich glaube, dass wir, wenn
wir in dieser Technik noch weiter sind, hiermit einen entschie¬
denen Fortschritt der Krebsoperation erreichen werden. Darauf
möchte ich aber noch aufmerksam machen, dass das Operieren
auf diese Weise nicht ganz leicht ist; man muss sowohl physi¬
kalisch als auch operativ die Technik vollkommen beherrschen.
Die prinzipielle Forderung, die ich stelle, und die sich nicht
nur auf den Gebärmutterkrebs bezieht, ist; Wir sollen ver¬
suchen, in Zukunft dieCarcinome zu exstirpieren, nach¬
dem sie abgetötet sind. Ein Mammacarcinom sollte man
also so operieren, dass man mit der de Forest’schen Nadel die
Haut bis zum Pectoralis durchschneidet, dann die Elektroden von
beiden Seiten wirken lässt und auf diese Weise das Carcinom
coaguliert, ohne es berührt zu haben. Die Operation wird durch
die Diathermie nicht erheblich verlängert. Sie werden nachher
sebeo, wie schnell ziemlich grosse Flächen coaguliert werden.
Die Uterusexstirpation dauerte ungefähr 50 Minuten, wobei noch
verschiedenes ausprobiert wurde.
Die weitere Forderung ist, dass möglichst kein Messer an¬
gewendet wird, sondern dass man mit dem Lichtbogen, wie auch
Czerny beschrieben hat, schneiden soll, um auf diese Weise
keine Gefässe zu eröffnen und einer Dissemination der Krebs¬
keime nach Möglichkeit vorzubeugen.
Wenn ich mir erlaubt habe, bereits heute über diese Methode
zu sprechen, so geschah es aus dem Grunde, weil zur Beurteilung
ihres Wertes ein sehr grosses Material nötig ist und ich bitten
möchte, dass Chirurgen und Gynäkologen gemeinsam diese Me¬
thode prüfen, die, wie ich glaube, geeignet ist, den an Krebs
Erkrankten mehr Sicherheit zur Dauerheilung zu bieten, als dies
mit unseren bisherigen Operationsverfahren möglich ist.
Aus der ersten medizinischen Universitätsklinik in
Wien (Vorstand; Hofrat C. v. Noorden).
Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X
auf organische Substanzen, besonders auf die
Harnsäure.
Von
Prof. Dr. W. Falta und Dr. L. Zehner.
In Nr. 4, 1913 dieser Wochenschrift erhebt J. Plesch gegen die
von uns in Nr. 12, 1912 unter dem gleichen Titel publizierten Versuche
mehrere Einwände und fordert uns auf, unsere Befunde zu revidieren.
Denn „man darf die publizierten Reaktionen so lange nicht als direkte
Effekte des Thorium X ansehen, bis nicht gezeigt wird, dass die Re¬
aktionen, die Falta und Zehner anführen, nicht Wirkungen des ent¬
standenen Ozons und Wasserstoffsuperoxyds sind. Es ist daher die Ein¬
wirkung des Thorium X in der Weise, wie dies von den Autoren gedeutet
wurde, zweifelhaft“.
Herr Plesch scheint der Ansicht zu sein, dass er mit dieser An¬
regung der Thoriumforschung einen grossen Dienst geleistet und ver¬
hütet hat, dass dieselbe durch uns in ganz falsche Bahnen gelenkt werde.
Wir beschränken uns darauf, auf die Einwände des Herrn Plesch
folgendes zu erwidern.
1. Jeder, der sieh mit dem Studium radioaktiver Substanzen be¬
schäftigt, weiss, dass in der Umgebung stark radioaktiver Körper die
Luft ozonisiert wird. Bei den Dautwitz’schen Radinmträgern ist z. B.
der Ozongeruch ohne weiteres wabrzunehmen.
Das Ehepaar Curie hat die Bildung von Ozon zuerst durch Jod¬
starkepapier nacbgewiesen. Allerdings tritt eine stärkere Bläuung des
Papieres erst dann ein, wenn man dasselbe mit einem stark aktiven
Radiumsalz direkt in Berührung bringt; ferner ist bekannt, dass durch
die von Radiumsalzen oder von der Emanation ausgehenden Strahlen
Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt wird. In geringem Maasse
findet auch eine Zerlegung in Wasserstoffsuperoxyd und in Wasserstoff
statt 1 )- Wir verweisen auf die einschlägigen Studien Francis
L. Usher’s. Diese Wirkung kommt den Strahlen direkt zu, da sie
auch eintritt, wenn das Radiumsalz oder die Emanation mit dem Wasser
nicht in direkten Kontakt gebracht wird. Es ist daher der Gedanke
sehr naheliegend, dass bei den von uns beschriebenen Wirkungen des
Thorium X die Bildung von Ozon oder eventuell auch von Wasserstoff¬
superoxyd eine gewisse Rolle spielt. Wir haben diese Frage auch schon
vor Veröffentlichung unserer Versuche mit mehreren maassgebenden
Wiener Persönlichkeiten, von denen wir nur die Herren Prof. S. Frankel
und Prof. Pauli nennen, diskutiert und haben selbst eine Reihe ein¬
schlägiger Versuche angestellt, um uns über den näheren Vorgang bei
den von uns besohriebenen Wirkungen zu informieren.
Wir hätten dazu der Anregung des Herrn Plesch nicht bedurft.
Der Grund, warum wir in unserer Mitteilung auf diese Versuche nicht
eingegangen sind, ist der, dass (wovon noch später die Rede sein soll)
die Verhältnisse durchaus nicht so einfach sind, wie Herr Plesch es
sich vorstellt, und weil sie für die medizinische Seite der Frage
Vollständig belanglos sind.
Denn es ist absolut nicht einzusehen, warum diese Strahlenwirkungen,
eventuell auch dann, wenn sie durch Bildung von Ozon oder Wasser¬
stoffsuperoxyd vermittelt würden, nicht ebenso wie im Reagenzglas auch
im Organismus vor sich gehen sollen, da hier dieselben Bedingungen
vorhanden sind. Auf einen weiteren Ein wand des Herrn Plesch möchten
wir hier gleich eingehen. Herr Plesch sagt, dass die von uns ange¬
wendeten Aktivitäten so gross sind, dass man daraus nicht auf eine ähn¬
liche Wirkung im Organismus mit Sicherheit schliessen könne. Hat denn
Herr PI es eh unsere Arbeit, die er kritisiert, nicht genau gelesen? In
1) In der von Plesch heran gezogenen Mitteilung vcn Debierne
ist nur von einer Spaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff
und nicht von einer Bildung von Wasserstoffsuperoxyd die* Rede. -
4*
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UNIVERSITÄT OF IOWA
896
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
unserer Arbeit heisst es: „Es darf nicht vergessen werden, dass wir
enorme Aktivitäten auf verhältnismässig sehr kleine Mengen organischer
Substanz einwirken Hessen.“ Bei der Intensität der Wirkungen, die wir
beobachteten, haben wir eine direkte Beeinflussung des Chemismus im
tierischen Organismus immerhin als möglich diskutiert und glauben
hierzu so lange berechtigt zu sein, bis nicht der Gegenbeweis erbracht
ist, um so mehr, als diese Reaktionen im tierischen Organismus in einem
alkalischen Medium vor sich gehen, also unter Bedingungen, die für die
oxydativen Prozesse wesentlich günstiger sind, und als nicht ein weit¬
gehender Abbau der fraglichen Körper, sondern eine blosse „Labilisie¬
rung“ genügen würde, wodurch sie von den Fermenten leichter ange¬
griffen würden.
2. Was nun den näheren Vorgang bei den von uns beschriebenen
chemischen Wirkungen des Thorium X anbelangt, so möchten wir uns
auf folgende Bemerkungen beschränken, da unsere diesbezüglichen Ver¬
suche noch nicht abgeschlossen sind. Dass eine Aktivierung von Sauer¬
stoff bei den oxydativen Prozessen mit eine Rolle spielt, ist von vorn¬
herein sehr wahrscheinlich. In welcher Form diese Aktivierung erfolgt,
ist aber chemisch nicht leicht nachzuweisen. Es ist jedenfalls auffällig,
dass im Verlauf der von uns beschriebenen Reaktionen, ja selbst in den
konzentrierten Thorium X-Lösungen, wie sie uns von den Auerwerken zur
Verfügung gestellt werden, dieReaktion mit Jodstärkepapier auch
nach längerer Einwirkung stets negativ ausfällt. Es können
also nur ganz minimale Mengen von Ozon oder Wasserstoffsuperoxyd ge¬
bildet werden. Herr Plesch sagt, dass er gemeinsam mit Karczag
die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd nachgewiesen habe. Wir
konnten aber nähere Angaben dieser beiden Autoren in der Literatur
nicht auffinden. Die Reaktionen, die wir beschrieben haben, lassen sich
mit Wasserstoffsuperoxyd nicht oder jedenfalls bei weitem nicht in der
Intensität erzielen. Herr Plesch verweist auf die interessanten Ver¬
suche C. Neuberg’s über die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf
die von uns untersuchten Substanzen. Diese Reaktionen mit Wasser¬
stoffsuperoxyd gelingen aber nur, wie C. Neuberg ausdrücklich betont,
wenn ein Eisensalz als Katalysator hinzugesetzt wird (z. B. 1 g Ferri-
sulfat auf 60 ccm einer 3 proz. H 2 0 2 -Lösung, die natürlich Jodstärke-
papier intensiv bläut). Nun war von vornherein fraglich, ob der geringe
Metallgehalt der Thorium X-Lösungen (0,00001 g auf 1000 es. E.) als
Katalysator in Betracht kommt. Hätte Herr Plesch unsere Arbeit
genau gelesen, so hätte er gefunden, dass wir auch über Versuche be¬
richten, bei denen die Thorium X-Lösung in zugeschmolzenen Phiolen in
die Farbstofflösungen gebracht wurde. Der Effekt war qualitativ der¬
selbe, quantitativ natürlich geringer, da ein Teil der Strahlen durch die
Glaswand der Phiole absorbiert wurde und auch die Oberflächenwirkung
geringer war. Hier war also eine katalysatorische Wirkung aus¬
geschlossen und bewiesen, dass die Strahlen allein wirksam sind.
Wir beschränken uns auf die Wiedergabe dieser wenigen Versuche.
Sie illustrieren zur Genüge, wie schwierig die Frage ist. Bei der radio¬
aktiven Strahlung kann als Grundsatz gelten, dass durch die Strahlung
eine Ionisation erfolgt. Wenn Sauerstoff in Luft, Wasser oder irgend¬
einer anderen Substanz ionisiert vorhanden ist, so wird er in statu
nascendi stark oxydativ wirken können. Welchen Anteil die Ozon- und
Wasserstoffsuperoxydbildung dabei hat, möchten wir vorderhand dahin¬
gestellt sein lassen, es scheint uns aber nicht unmöglich, ja sogar
sehr wahrscheinlich, dass die Strahlen, die Wasser zu zerlegen imstande
sind, auch den Molekularverband labiler organischer Substanzen lockern
und auflösen können. Diese Frage lässt sich von vornherein weder
bejahen noch verneinen. Hätte Herr Plesch durch sorgfältige Versuche
zur Klärung dieser Frage beigetragen, so wäre dies gewiss anerkannt
worden. Seine „Anregung“ halten wir für überflüssig.
Alis der I. medizinischen Klinik zu Wien (Hofrat
Prof. v. Noorden).
Zur Frage des wirksamen Prinzips bio¬
chemischer Strahlenreaktionen.
Von
Gottwald Schwarz.
Seit der längst vergessenen Ozonhypothese aus den Anfängen
der Röntgentherapie 1 ) ist die Vermutung, es könne sich bei den
Effekten der neueren Strahlungen möglicherweise um Wirkungen
aktiven Sauerstoffes (0 8 oder H 2 0 2 ) handeln, noch oft aufgetaucht
und ebenso oft widerlegt worden. In jüngerer Zeit haben
H. Jensen und 0. Strandberg am Finseninstitut auf einen Ein¬
wand des Herrn Löwenthal hin sich wieder mit dieser Frage
beschäftigt, und in ihrer Arbeit, die den Titel „Untersuchungen
darüber, ob die Baktericidität der Radiumemanation auf Ozon¬
entwicklung zurückzuführen ist“ 2 ) trägt, den strikten Nachweis
erbracht,
1) Siehe Freund, Radiotherapie, S. 259.
*2) Zeitschr. f. Hyg., 1912.
a) dass in der Emanation nicht einmal so viel Ozon ent¬
wickelt wird, dass es sich durch das Reagenzpapier nach-
weisen Hesse,
b) dass unendlich viel mehr Ozon notwendig ist, um auf
Bakterien einzuwirken, als um auf das Reagenzpapier ein-
zuwirken,
c) dass somit die Ozonwirkung bei der Baktericidität der
Radiumemanation mit Sicherheit auszuschHessen ist.
Dies nur, um zu sagen, dass wenigstens für den Radio¬
logen die Ozonfrage keine beunruhigende Neuigkeit bildet.
Als das Thorium X in die Medizin Eingang fand, habe ich
gemeinsam mit Zehner meine alten Versuche 1 ) fortgeführt und
die eminente Wirkung des Thorium X auf die Dotteremulsion
beschrieben 2 ).
Macht man sich eine Emulsion von einem Eidotter in 500 ccm
Wasser, setzt z. B. 4 ccm dieser Emulsion mit 5 ccm Thorium X-
Lösung (Aktivität etwa 4000 elektrostatische Einheiten) in einer
Eprouvette an, so ist nach 24 Stunden die gelbe Farbe der
Mischung in Milchweiss umgewandelt (das gelbe Lutein ist zer¬
stört), und es tritt deutlich der Heringslakegeruch des Trimethyl¬
amins auf, der die Spaltung des Lecithins anzeigt.
Prüft man die reine Thorium X-Lösung, prüft man ferner die
Dotter Thorium X-Mischung zu Beginn, in der Mitte, am Ende
des Versuches mittels Jodkaliumstärkekleisterpapiers, so tritt
niemals auch nur die geringste Bräunung des Papiers auf. Ein
Beweis, dass 0 3 oder H 2 0 2 in keiner durch dieses
empfindliche Reagens nachweisbaren Menge vor¬
handen ist.
Versetzt man nun umgekehrt (in einem vom Thorium X
isolierten Raume!) 4 ccm der Dotteremulsion mit 5 ccm 1 proz.,
4 proz., ja 50 proz. Wasserstoffsuperoxydlösung (die Mischungen
bräunen sämtlich das Reagenzpapier), so sieht man, dass nach
24 Stunden weder Entfärbung noch Trimethylamingeruch auftritt.
Es ergibt sich also:
a) Thorium X- Lösung, die keine mittels Jodkaliumstärke¬
papier nachweisbaren Mengen 0 3 oder H 2 0 2 enthält, be¬
wirkt nach 24 Stunden energische Lutein- und Lecithin¬
spaltung im Dotter;
b) selbst hochkonzentrierte H 2 0 2 Lösungen (die intensive
Bräunung des Reagenzpapiers hervorrufen) bewirken nach
24 Stunden keine derartige Lutein- und Lecithinspaltung;
hieraus folgt
c) 0 3 oder H 2 0 2 spielt bei dieser Strahlungsreaktion keine ur¬
sächliche Rolle.
Dass H 2 0 2 auf organische Substanzen (auch Lipoide und
Farbstoffe) zerstörend einwirkt, wer wollte dies bezweifeln? Ist
diese Eigenschaft doch der Grund weitgehender technischer und
medizinischer Verwendung des Präparates. Daraus aber schon zu
folgern, dass die Thorium X Wirkung eigentlich als Wasserstoff¬
superoxydwirkung aufzufassen sei, wäre ein eiliger und durch die
Tatsachen nicht motivierter Schluss.
Innere Sekretion und Nervensystem.
Von
Dr. Arthur Münzer-Berlin-Schlachtensee.
(Schluss.)
Die beiden wesentlichen Hypophysenerkrankungen, deren
Studium in letzter Zeit uns vielfach beschäftigt — Akromegalie
und Dystrophia adiposo-genitalis —, sind durch eine Reihe fast
identischer psychischer Störungen charakterisiert: Apathie, Inter¬
esselosigkeit, Indolenz und gemütliche Stumpfheit 8 ). Es handelt
sich also in erster Linie um eine Abschwächung der Affektivität,
um eine primäre Reduktion des Gefühlslebens. Intelligenzdefekte
machen sich ebenfalls geltend, indessen rangieren diese erst an
zweiter Stelle. Auch der Geschlechtstrieb, der, zum Teil wenigstens,
als cerebrale Funktion bewertet werden muss, wird bei beiden
Krankheiten in gleichem Sinne beeinflusst: es kommt zur Ver¬
ringerung der Potenz und zur Abschwächung bzw. zum Erlöschen
1) Ueber die Wirkung der Radiumstrahlen. Pflügers Archiv, 1903.
2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 38.
3) v. Frankl-Hochwart hebt bei Hypophysentumoren eine eigen¬
tümliche Gleichgültigkeit, eine gewisse Zufriedenheit, eine sonderbare
Euphorie hervor. Er bezeichnet diese psychische Veränderung als Hypo¬
physärstimmung. -«>
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
897
der Libido. Ich habe bereits in einer früheren Arbeit diese eigen¬
artigen Verhältnisse beleuchtet nnd hier auch ausgeführt, dass
wir die Identität der psychischen Anomalien bei den zwei genetisch
differenten Erkrankungen nur dann erklären können, wenn wir
die in Betracht kommenden psychischen Leistungen der Aktivität
des Hinterlappens zuschreiben. Darauf sei hier nur hingewiesen.
Hingegen bedarf die Qualität der Funktionsschädigung des Hinter¬
lappens noch einer weiteren Erläuterung: Wir batten bei Dystrophia
adiposo-genitalis eine Hyposekretion des Hinterlappens postuliert.
Es war fernerhin ein enges Korrelationsverhältnis zwischen beiden
Lappen im Sinne einer gegenseitigen Förderung angenommen
worden. Da nun bei Akromegalie eine Hypersekretion des Vorder¬
lappens besteht, müsste demzufolge auch der Hinterlappen in er¬
höhtem Maasse sezernieren; und es würden nunmehr in psychischer
Hinsicht gerade die entgegengesetzten Erscheinungen wie die bei
der Dystrophie beobachteten zutage treten. Dass dies nicht der
Fall Ist, meine ich folgendermaassen deuten zu können: Der Hypo¬
physentumor übt sicherlich eine ziemlich stark komprimierende
Wirkung auf den Hinterlappen aus und hemmt somit aus rein
mechanischen Gründen dessen Sekretion. Dem Körper wird also
wiederum ein Teil des Hinterlappensekrets entzogen und demzu¬
folge eine Schädigung im Sinne eines Hypopituitarismus (be¬
zogen auf den Hinterlappen) geschaffen, auf dessen Basis sich die
psychischen Symptome entwickeln. Für diese Ansicht kann auch
der Umstand ins Feld geführt werden, dass die Alterationen der
Psyche bei Akromegalie erst längere Zeit nach Beginn des Leidens
einsetzen, also erst, wenn der allmählich sich vergrössernde Tumor
einen stärkeren Druck auszuüben beginnt.
Die Frage der Selbständigkeit des Hirnanhanges hinsichtlich
seiner psychischen Leistungen habe ich bereits in der vorher
citierten Arbeit erörtert. Hier möchte ich nur kurz wiederholen,
dass der Hypophysenhicterlappen vermutlich ein selbständiges
Centrum für den Geschlechtssinn darstellt 1 ); die Aeusserungen des
Affektlebens hingegen unterstehen in letzter Linie wohl nicht der
Herrschaft der Hypophyse, sondern werden einzig und allein vom
Grosshiru aus dirigiert. Sicherlich aber besteht zwischen Hirn¬
anhang und Grosshirn, wie das schon für die Schilddrüse wahr¬
scheinlich gemacht wurde, ein enger Konnex, durch welchen die
Manifestationen des Affektlebens in bestimmter Weise beeinflusst
werden können.
In letzter Zeit wurde der Hypophyse auch ein wesentlicher
Anteil am Zustandekommen des Schlafes zuerkannt. Eine gewisse
Berechtigung erhält diese Anschauung durch die Tatsache, dass
Hypophysenerkrankungen häufig von Schlafstörungen gefolgt sind —
bei Akromegalie Schlafsucht, bei Dystrophia adiposo-genitalis
meist Schlaflosigkeit. Auch v. Gyon hat in seinem Buch über
die Gefässdrüsen auf die Bedeutung der Hypophyse und Zirbel
für die Erzeugung des Schlafes aufmerksam gemacht, dabei aller¬
dings das Hauptgewicht auf die von ihm verfochtene Regulation
des intracraniellen Blutdrucks durch die beiden cerebralen Blut
gefässdrüsen gelegt. Eine ausschlaggebende Beteiligung der Hypo¬
physe am Zustandekommen des Schlafes zu statuieren, scheint
mir bei unseren heutigen Kenntnissen kaum möglich. Hier sind
zweifellos noch andere Momente wirksam. Erinnert sei hier zu¬
nächst an die Erkrankungen der Schilddrüse, bei denen in völlig
analoger Weise, wie bei denen der Hypophyse, die auffallende
Gegensätzlichkeit hinsichtlich des Schlafes scharf in die Augen
springt: bei Basedow Schlaflosigkeit, bei Myxödem Schlafsucht.
Vielleicht mögen bei der Genese des Schlafes mehrere Blutdrüsen
eine wesentliche Rolle spielen, derart, dass ihre Sekrete zu ge¬
wissen Phasen des individuellen Daseins sich dem Cerebrum gegen¬
über als Toxine erweisen und hierdurch das Eintreten des Schlafes
begünstigen.
• Vielfach erörtert wurde in einer Reihe von Arbeiten der Ein¬
fluss des Hypophysensekrets auf den Circulationsapparat. Schon
v. Cyon hatte bei seinen Reizversuchen am Hirnanhang eine
deutliche Blutdrucksteigerung sowie Verlangsamung und Ver¬
stärkung der Herzschläge (Aktionspulse) festgestellt und batte
diese Phänomene auf eine Erregung der medullären Vaguscentren
bezogen. Nach Ausschaltung der Hypophyse fand der gleiche
Autor eine Beschleunigung der Herzaktion. Die hier beobachteten
Wirkungen auf den Circulationsapparat sind in gleicher Weise
durch intravenöse Injektionen von Hypophysenextrakt zur An¬
schauung gebracht worden. Auch hier wurde Verlangsamung
and Verstärkung der Herzschläge sowie Blutdrucksteigerung er¬
1) Hinsichtlich der Beziehungen zwischen Hypophysis und Genitale
cfr. besonders die Arbeit von Asehn er (Archiv f. Gynäkol., Bd. 97).
zielt, die Hypertonie ist zwar nicht so hochgradig wie die durch
Adrenalin bewirkte, hält jedoch länger an als diese. Spätere
Versuche lehrten, dass die Beeinflussung des Kreislaufes an den
Hypophysenhinterlappen gebuuden ist. Die Blutdrucksteigerung
wird durch eine periphere Gefässkontraktion bedingt, und diese
soll auf einer direkten Beeinflussung der glatten Muskulatur be¬
ruhen. Hingegen kann die Modifikation der Herzaktion wohl
zwanglos mit einer Erregung der centralen Vagusfasern in Ver¬
bindung gebracht werden. Da aber die Pulsverlangsamung auch
nach Durchschneidung der Vagi auftritt und von mehreren Autoren
sogar am isolierten Frosch- und Säugetierherzen konstatiert wurde,
so muss ausserdem mit der Wahrscheinlichkeit gerechnet werden,
dass die Hypophyse die Muskulatur des Herzens direkt be¬
einflusst. Die Einwirkungen des Hirnauhanges auf Blase, Darm
und Uterus seien hier nur vorübergehend erwähnt.
Auf weitere Einzelheiten der Hypophysisphysiologie einzu¬
gehen scheiut nicht angebracht, da zu wenig objektive Tatsachen
beigebracht werden können 1 ). Notwendiger erscheint mir, noch
mit einigen Worten die Position der Hypophyse im polyglandulären
System zu charakterisieren. Es war bereits gesagt worden, dass
der Glaud. pituitaria insofern eine Ausnahmestellung zukommt, als
sie einen Abschnitt des Gehirns repräsentiert — cerebrale Blut¬
drüse. Nun ist schon früheren Autoren aufgefallen, dass Hypo¬
physenerkrankungen auffallend häufig mit Störungen anderer
innersekretorischer Organe verknüpft sind, und auch die zahl¬
reichen experimentellen Untersuchungen zeigen, dass die Hypophyse
mit fast allen Gefässdrüsen in einem engen gegenseitigen Wechsel¬
verhältnis steht. Da nun mancherlei Tatsachen dafür sprechen,
dass die Blutdrüsen durch ein cerebrales Projektionsfeld repräsentiert
sind, so mag die Behauptung nicht ungerechtfertigt erscheinen,
dass in der Hypophyse ein cerebrales Blutdrüsencentrum (vielleicht
das einzige) zu suchen, dass also von ihr die Tätigkeit der anderen
Stoffwechseldrüsen bis zu einem gewissen Grade abhängig sei.
Der Hypophyse an die Seite zu stellen ist die Zirbeldrüse,
welche durch ihre topische Zugehörigkeit zum Gehirn ebenfalls
von den übrigen Drüsen mit innerer Sekretion gesondert werden
muss. Wir stehen in bezug auf die Glandula pinealis noch am
Beginn unseres Wissens. Erst eine Reihe jüngst publizierter
klinischer Beobachtungen klärte die Situation und wies unsere
wissenschaftlichen Bestrebungen in bestimmte Richtung. In den
erwähnten Fällen handelt es sich um Zirbeldrüsengeschwülste
teratoiden Charakters bei Kindern; ihr klinischer Verlauf war
durch eine vorgeschrittene Entwicklung der sekundären Geschlecbts-
ebaraktere sowie der eigentlichen Sexualfunktionen, zeitweilig
verbunden mit geistiger Frühreife, ausgezeichnet. Nun wissen
wir zunächst, dass das Zirbelgewebe zu Beginn der Pubertät
einer partiellen Involution anheimfällt; die Verminderung funktions¬
fähiger Drüsensubstanz also leitet den Eintritt der Reifeerscheinungen
ein, nicht anders wie beim Teratom der Untergang von Zirbel¬
gewebe die Geschlechtsentwicklung des wachsenden Organismus
herbeiführt. Diese Analogie physiologischer und pathologischer
Verhältnisse findet eine ausreichende Erklärung in der Hypothese,
dass die normal funktionierende Zirbel mit einem gewissen
Hemmungsvermögen für die Entwicklung somatischer und
psychischer Reifeerscheinungen ausgestattet sei.
‘ Bezüglich der Thymusdrüse erinnere ich nur kurz daran, dass
eine Persistenz der Drüse bei Basedow, Akromegalie und auch
bei Myasthenie konstatiert wurde. Die Veränderungen des
psychischen Verhaltens, die an tbymektomierten Tieren beobachtet
wurden, erscheinen noch zu unsicher, um hier ausführlicher ab¬
gehandelt zu werden.
Eines der wichtigsten Kapitel in der Lehre von der inneren
Sekretion bildet die Funktion des Pankreas. Seit v. Mering und
Minkowski die Existenz des Pankreasdiabetes durch ihre be¬
rühmten Experimente erhärteten, ist die Frage nach den inneren
Ursachen desselben in den Vordergrund des Interesses getreten,
und heute noch ist der Streit der Meinungen hierüber längst
nicht zur Ruhe gekommen. Die bekannten Transplantations¬
versuche, in welchen durch Verpflanzung der Bauchspeicheldrüse
die Annahme ursächlicher Nervenläsionen ausgeschaltet werden
konnte, erwiesen zur Genüge das tatsächliche Bestehen einer
inneren Sekretion des Pankreas. Die nächste Frage musste auf
die Entscheidung gerichtet sein, ob die innere sekretorische
Tätigkeit des Pankreas als eine entgiftende (negative innere
Sekretion) oder als produktive, dem Stoffwechsel notwendige
1) In neuester Zeit wurde mehrfach auf den Zusammenhang zwischen
Diabetes insipidus und Hypophysisfunktion hingewiesen.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Substanzen liefernde (positive Sekretion) aufzufassen sei. In
ersterem Falle wurden sich bei Versagen der Organtätigkeit
toxische Stoffe im Körper anhäufen, deren stetige Vermehrung die
normale Verbrennung der Kohlehydrate irgendwie schädigte. Die
Auffassung des Pankreasdiabetes als einer Autointoxikation muss
aber entschieden fallen gelassen werden. Denn mit Recht hat
Biedl betont, dass toxische Stoffe bisher nicht gefunden werden
konnten, dass aber andererseits die tiefgreifende Beeinflussung
des Zuckerstoffwechsels beim Diabetes zu der Annahme drängt:
Hier muss entschieden dem Organismus eine Substanz fehlen, welche
normalerweise die Verbrennung der Kohlehydrate dirigiert. Natur¬
gemäss konnte die hier skizzierte Anschauung den Gedanken
nahelegen, die fehlenden Produkte auf natürlichem Wege zu er¬
setzen, und hiermit war der Anlass zu ausgedehnten organo-
therapeutischen Bestrebungen gegeben. Bekanntlich hat die
Organotherapie des Pankreasdiabetes keine wesentlichen Erfolge
erzielt, und von diesen Fehlschlägen nahmen gewisse Bestrebungen
ihren Ausgang, welche die Annahme einer produktiven inneren
Sekretion der Bauchspeicheldrüse zu bekämpfen suchten. Sicher¬
lich ist das zu weit gegangen. Wir können keine bindenden
Schlüsse auf Vergleichen zwischen unserer mangelhaften thera¬
peutischen Aktion und der natürlichen Funktion eines Organs
aufbauen. Immerhin verdient das Argument nicht gänzlich ausser
acht gelassen zu werden; ja, es gewinnt noch an Wert, wenn
wir, wie noch jüngst von Leschke, hören, dass frischer Pankreas¬
extrakt bei diabetischen Tieren und Menschen mitunter die
Zuckerausscheidung steigert und auch bei normalen Tieren eine
glykosuriscbe oder toxische, ja letale Wirkung entfaltet.
Zweifellos wird hierdurch die Theorie, welche den Diabetes aus
einer ausschliesslichen Störung der inneren Sekretion des
Pankreas herleitet, erschüttert. In gleichem Sinne sprechen zwei
andere von Leschke betonte Momente, nämlich das Ausbleiben
des Diabetes trotz gänzlicher Zerstörung der Drüse und sein Auf¬
treten trotz völligen Erhaltenseins derselben.
Es wäre nun völlig verfehlt, die Bedeutung der inneren
Sekretion des Pankreas aus den erwähnten Gründen überhaupt
abzuleugnen. Nur sollen wir uns vor Augen halten, dass sie
allein zu einer Erklärung des Diabetes nicht ausreicht; wir
müssen unbedingt noch das Inkrafttreten eines nervösen
Mechanismus supponieren. Wie wir uns nun das Zusammen¬
arbeiten beider ätiologischer Faktoren vielleicht vorstellen können,
zeigt sich am leichtesten bei dem Versuch, die Wirkungsweise
des Pankreashormons in ihren Einzelheiten zu veranschaulichen.
Vor Jahren hat Lupine (cit. nach Biedl) die Theorie auf-
gestellt, dass das Pankreas eine glykolytische Substanz produziere,
mit Hilfe deren der normale Blutzucker im Organismus verbrannt
werde; nach Fortfall dieses Ferments häufe sich der Zucker im
Blute an und werde dann durch den Urin ausgeschieden. Von
dieser ursprünglichen Annahme sind eine grosse Anzahl späterer
Arbeiten ausgegangen, die sich mit der Pathogenese des Pankreas¬
diabetes befassten; sie alle gipfeln schliesslich in der Anschauung,
der Pankreasdiabetes sei als Stoffwechselstörung anzusehen, in
deren Mittelpunkt eine Hemmung der normalen Zuckerzerstörung
stehe. Auf Einzelheiten in der Diskussion einzugehen, ist hier
nicht möglich; ich verweise wiederum auf die ausgezeichneten
Ausführungen Biedl’s, welche bezüglich der dargelegten Hypo¬
these den Mangel eines einwandfreien Beweises betonen.
Moderne Theorien suchten die Entstehung des Diabetes aus
einer gesteigerten Zuckerbildung abzuleiten. Normalerweise
sollte die Bauchspeicheldrüse die Zuckerproduktion im Organismus
dämpfen; bei Erkrankung der Drüse wäre letztere in krank¬
hafter Weise erhöht.
Eine wesentliche Klärung des Problems schien die Entdeckung
der Adrenalinglykosurie zu bringen. Das Nebennierensekret
steigert, so wurde angenommen, den Zuckertonus des Organismus.
Mancherlei Erscheinungen deuten nun -auf einen gewissen Anta¬
gonismus zwischen Nebenniere und Pankreas, so z. B. kann das
Sekret des Pankreas die Adrenalinwirkung in bestimmter Richtung
einschränken (Biedl). Es lag daher; nahe, den hypothetischen
Antagonismus beider Drüsen auch auf die Art der Zucker¬
produktion auszudebnen und zu sagen: Das Pankreas wirkt auf
die gleichen nervösen Apparate, welche die Nebenniere erregt,
hemmend ein, oder das Bauchspeicheldrüsensekret dämpft ver¬
mittelst des sympathischen Systems die Zuckerproduktion im
Körper, während Adrenalin auf dem gleichen Wege sie befördert.
Auf diese Weise kann die Möglichkeit einer kombinierten Wirkung
von Pankreas und Nervensystem veranschaulicht werden.
Mannigfach und in ihren Grundzügen doch noch wenig er¬
forscht sind die vielfachen Beziehungen, welche Nervensystem und
Keimdrüsen aneinander knüpfen. Eine spezielle Affinität besteht
zwischen Gehirn und Genitaldrüsen, und sie verlangt ein ein¬
gehenderes Studium. Kaum liegen bei einer anderen Blutgefäss¬
drüse die experimentellen Bedingungen so günstig wie bei der
Keimdrüse; wie wenig aber wissen wir noch von ihrem Verhalten
dem nervösen Centralorgan gegenüber! Aus alter Zeit ragen die
viel diskutierten Untersuchungen Gall’s hervor, die bekanntlich
die Sexualfunktionen in Verbindung mit dem Kleinhirn brachten.
Wiederholt ist eine Nachprüfung der GaU’schen Versuche ver¬
langt worden, jedoch ist bisher dazu noch kaum etwas geschehen.
Ueber das menschliche Kastratengehirn ist nichts bekannt ge¬
worden, vom tierischen wissen wir seit Seil heim, dass es
kleiner ist als das normaler Tiere.
Der Geschlechtstrieb ist eine Funktion der Keimdrüsen.
Eine Reihe physiologischer und pathologischer Tatsachen zwingen
uns aber, auch einen cerebralen Geschlechtstrieb anzunehmen,
der allerdings als teilweise abhängig von dem durch die Keim¬
drüsen bedingten zu denken ist. Gall’s Lehre, welche den Sitz
der Libido ins Kleinhirn verlegt, ist eine unbewiesene Theorie;
einigermaassen gesichert erscheint aber nach den heutigen Er¬
fahrungen die Lokalisation des Geschlechtstriebs in der Hypophyse.
Die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere wird
durch die Sekrete der reifenden Keimdrüse bewirkt. Immerhin
ist es noch zweifelhaft, ob die Produkte der Keimdrüse die
einzige treibende Kraft in der Reifeentwicklung des Organismus
darstellen oder ob nicht noch andere konkurrierende Faktoren
mit im Spiele sind. Schon die Ergebnisse der Hirnpathologie
geben zu denken. Da sind zunächst die Teratome der kindlichen
Zirbeldrüse, welche eine vorzeitige Entwicklung der Genital¬
sphäre bedingen, während im Gegensatz hierzu bei Tumoren der
Hypophyse die Keimdrüsen atrophieren und die scharfe Zeichnung
der sekundären Geschlechtscharaktere mehr und mehr verwischt
wird — also eine deutliche Beeinflussung des Genitalsystems von
seiten des Centralorgans.
Im Verlaufe chronischer Psychosen treten manchmal Ano¬
malien der sekundären Geschlechtscharaktere auf, z. B. Bartwuchs
bei Frauen. Die psychopathische Degeneration geht nicht selten
mit einer mangelhaften Ausbildung der Sexualcharaktere einher.
Das Krankheitsbild des Infantilismus weist neben dem infanti-
listischen Habitus des ganzen Körpers auch eine minderwertige
Entwicklung der Psyche auf. Schliesslich liefert uns die Kastration,
sowohl die am Tier wie die am Menschen ausgeführte, wichtige
Anhaltspunkte für unsere Betrachtung. Die im frühen Lebens¬
alter unternommene Exstirpation der Keimdrüsen hemmt somatisch
die Entwicklung der sekundären Geschlechtscbaraktere. In psy¬
chischer Hinsicht machen sich eine gewisse Trägheit, Stumpfheit
und Indolenz geltend. Auch das Affektleben wird mitunter modi¬
fiziert, indem einerseits Neigung zu Depressionen, andererseits
erhöhte Reizbarkeit und gesteigerte Erregbarkeit auftreten. Wir
ersehen aus alledem, dass einer abnormen Bildung der sekundären
Geschlechtscharaktere bisweilen auch Störungen der psychischen
Funktionen parallel laufen, und zwar können letztere entweder
als Folgezustände der Schädigung der Genitalsphäre auftreten,
oder aber umgekehrt den Anlass geben zur Alteration der Ge¬
schlechtscbaraktere. Hiernach glauben wir schliessen zu können,
dass die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere nicht
allein von den Genitaldrüsen aus bewirkt, sondern auch central
beeinflusst wird. Inwieweit allerdings diese Beeinflussung reicht,
wird schwer zu entscheiden sein. Vielleicht wird man auch mit
der Möglichkeit rechnen können, dass unter der Einwirkung der
reifenden Keimdrüse der primäre Anstoss zur Pubertätsentwicklung
vom Cerebrura ausgeht.
Auch die Entstehung von Neurosen bzw. Psychoneurosen ist
mit den verschiedenen Phasen der Keimdrüsensekretion in kausalen
Zusammenhang gebracht worden. Die ersten Symptome der
Epilepsie und Hysterie werden häufig in den Pubertätsjahren
manifest. Desgleichen zeigen sich nicht selten in dieser Periode
die ersten Anfälle des manisch-depressiven Irreseins, sei es unter
dem Bilde der Erregung, sei es als Depression. Die künstliche
Kastration und das Klimakterium haben zuzeiten schwere De-
pressionszuRtände im Gefolge, die wir der Melancholie zuzureebnen
pflegen. Die hier erwähnten Krankheiten sind nicht etwa spe¬
zifisch für eine bestimmte Periode der Keimdrüsensekretion,
sondern es kann nur gesagt werden, dass das Einsetzen und das
Versiegen der Drüsenfunktion zu bestimmten Krankheiten dis¬
ponieren, also die Baste für die Entwicklung des Leidens ab¬
geben. Nur für eine bisher noch nicht erwähnte Krankheit er-
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3. März 1313.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
scheint vielleicht eine andere Auffassung möglich, für die De¬
mentia praecox. Einerseits wissen wir, dass sie sich zeitlich eng
an die Generationsvorgänge, Entwicklungsalter, Menstruation,
Fortpflanzungsgeschäft und Klimakterium anscb Messt: andererseits
ist gerade für sie besonders auf die Aehnlicbkeit ihrer Symptome
mit den psychischen Eigentümlichkeiten der Pubertätsjahre hin¬
gewiesen worden. Kraepelin hat daher schon früher dem Ge¬
danken Ausdrnck gegeben, dass das Wesen der Krankheit auf
einer Selbstvergiftung beruhe, die möglicherweise von den Ge¬
schlechtsorganen ausgehe. Tatsächlich mag es sich bei der De¬
mentia praecox um Störungen der inneren Sekretion im Keim¬
drüsengebiet handeln, welche* durch die Beeinträchtigung be¬
stimmter seelischer Funktionen das typische Krankheitsbild
erzeugen 1 ).
Ich möchte hiermit die speziellen Ausführungen schliessen.
Noch wären wohl viele Einzelheiten zu erwähnen, das Bild des
Ganzen würden sie jedoch nicht ändern, noch auch mehr Klarheit
tragen in die uns bewegenden Probleme. Die Gefässdrüsen bindet
eine starke Affinität an das Nervensystem, und zwar gleicber-
maassen an das cerebrospinale wie an das sympathische. Patho¬
logische Veränderungen der Blutdrüsen erzeugen Krankbeitsbilder,
die wir als Erkrankungen des Nervensystems zu registrieren ge¬
wohnt sind. Umgekehrt geben Schädigungen des Nervensystems
häufig zu Blutdrüsenerkrankungen Anlass: auf der Basis psy¬
chischer Insulte sehen wir nicht selten einen Diabetes, Basedow
Q8w. entstehen. Selbst nur ein oberflächliches Betrachten der
einschlägigen Verhältnisse muss uns die Ueberzeugung beibringen,
dass das polyglanduläre System ein neuroaffines Organsystem
darstellt. Wir möchten jedoch auf Grund der angestellten Re¬
flexionen die Behauptung wagen, dass alle Wirkungen der Blut¬
drüsen nur durch das Nervensystem vermittelt werden, d. h.
es würden die Produkte der Drüsen lediglich das Nervensystem
beeinflussen. Gewiss lassen sich für diese Anschauung nicht
immer direkte Beweise erbringen, ja es widersprechen ihr sogar
einzelne Tatsachen, z. B. die Wirkung der Hypophyse auf die
Muskulatur der Gefässe, des Uterus usw. Doch müssen wir uns
hier daran erinnern, dass die Hypophyse nicht nur eine Blutdrüse
darstellt, sondern auch als Abschnitt des Centralnervensystems
zu bewerten ist; also ist auch hier wieder die Kombination von
Nervensystem und Blutdrüse gewahrt.
Blutdrüsen- und Nervensystem sind füreinander bis zu einem
gewissen Grade unentbehrlich; ihre gemeinsame Aufgabe, die
Uebermittlung von Reizen, scheint sie zu einem System, einem
Reizleitungssystem, zu vereinen.
Suchen wir das Verhältnis, in welchem die beiden Glieder
dieses grossen Systems zueinander stehen, aufzuklären, so werden
wir hierbei auf den Begriff des Nerventonus, der uns in
unseren Ausführungen mehrfach begegnete, zurückgreifen müssen.
Wiewohl mit dem Tonusbegriff in der Neurologie viel operiert
wird, sind wir über dessen eigentliches Wesen noch verhältnis¬
mässig wenig orientiert. Tonus bedeutet wörtlich „Spannung 11 ,
Tonus des Nervensystems ist also ein gewisser Spannungszustand,
in welchem das Nervensystem durch irgendwelche Momente er¬
halten wird. Den Spannungsgrad eines bestimmten Nerven¬
abschnitts machen, wie wir glauben, im wesentlichen zwei
Momente aus, und zwar seine „Reaktionsfähigkeit“ und seine
„Leitungsfähigkeit“. Die Reaktionsfähigkeit wird bestimmt durch
die Schnelligkeit, mit welcher der Nerv einen Reiz aufnimmt,
die Leitungsfähigkeit durch die Geschwindigkeit, mit welcher der
Reiz fortgeleitet wird. Für weitere Deduktionen geben uns die
Untersuchungen von Eppinger und Hess eine Richtschnur an
die Hand. Die beiden Autoren lehrten uns, wovon wir schon
weiter oben handelten, den Begriff der Vagotonie und Sympatbico-
tonie kennen, d. h. sie zeigten, dass die Sekrete der hypertrophi¬
schen Schilddrüse bei einer Reihe von Individuen sympathicotrop,
bei anderen wieder vagotrop wirken. In diesen Beobachtungen
aber glauben wir einen allgemeinen Hinweis auf den inneren Zu¬
sammenhang zwischen Nerven- und polyglandulärem System finden
zu können; wir möchten annehmen, dass den Gefässdrüsen die
allgemeine Aufgabe zufällt, den Tonus bestimmter Nervengebiete
1) Es erscheint angebracht, nachdrücklichst auf die Bedeutung der
Blutdrüsen für die Psychiatrie hinzuweisen. Gerade heute, da uns das
anatomische Studium der Geisteskrankheiten noch häufig um keinen
Schritt vorwärts bringt, muss jede Handhabe, die sich uns zur Erkenntnis
der Pathogenese bietet, ergriffen werden. Auch in die bisher noch ganz
unsichere Bilanz der sogenannten nervösen Disposition muss als wichtiger
Faktor die Arbeitsgvösse des polyglandulären Systems eingestellt werden,
für die wir allerdings noch einen Wertmesser finden müssen.
zu regulieren. Dieses Regulationsvermögen würde sich sowohl
im Sinne einer Erhöhung wie einer Verminderung des Tonus
äussere. Mit anderen Worten: Es würden dem Nervensystem von
seiten der Blutdrüsen ständig Stoffwechselprodukte zugeführt,
weiche seinen Reaktions- und Leitungsfähigkeit stets auf gleich-
mässiger Höhe erhalten. Dauernd also fliessen ihm auf vor¬
gezeichneten Bahnen chemische Reize zu, die seine Aktion teils
fördernd, teils hemmend beeinflussen. Wie aus den Ergebnissen
der Pathologie hervorgeht, scheint das Nervensystem ständig der¬
artiger Impulse zu bedürfen, um den ihm obliegenden Funktionen
vollauf zu genügen.
Die tonische Erregung, welche von den Blutgefässdrüsen aus¬
strahlt, erstreckt sich — das sei von vornherein betont — auf
bestimmte nervöse Gebiete, und zwar auf Gehirn und vielleicht
Rückenmark einetseits, auf das vegetative, d. h. autonome und
sympathische System andererseits. In diesem Wechselverhältnis
sind nicht etwa alle Blutdrüsen mit gleichmässigen Anteilsn ver¬
treten, sondern es bestehen hier eine Reihe scharf voneinander
differenzierter Bindungen. Lange schon wurde versucht, für das
polyglanduläre System ein gut fundiertes Einteilungsprinzip zu
finden; die spezifischen Affinitäten der Drüsen zu den ver¬
schiedenen Abschnitten des Nervensystems scheinen nun in der
Tat alle an ein solches zu stellenden Anforderungen zu erfüllen.
An die Spitze stellen wir Hypophyse und Zirbel, welche durch
ihre topographische Zugehörigkeit zum Gehirn eine Sonderstellung
einnehmen (cerebrale Blutdrüsen). Die Nebenniere repräsentiert
den Typus einer sympatbicotonischen Blutdrüse, desgleichen
das Pankreas; erstere wirkt fördernd, letzteres hemmend auf den
Sympathicustonus. Die Schilddrüse ist für uns der Prototyp einer
polytonischen Drüse, sie influenziert Gehirn, Syrapathicus und
Vagussystem. Auch die Keimdrüse ist vielleicht ein polytoni¬
sches Organ; indessen steht hier eigentlich nur ihre Affinität
zum Cerebrum fest, das Wesen der übrigen Affinitäten ist noch
nicht geklärt 1 ). Die Epithelkörperchen sind mit aller Reserve als
spinotoniscbe Drüsen zu charakterisieren. Zusammenfassend
hebe ich noch einmal hervor, dass das polyglanduläre System
mit der Fähigkeit aüsgestattet erscheint, den Tonus gewisser
Nervengebiete zu regulieren, und dass zum Ausgleich dieser
Funktionen die einzelnen Blutdrüsen nach Maassgabe bestimmter
Affinitäten herangezogen werden.
Unsere Erwägungen sind auch in therapeutischer Hinsicht
nicht ohne Interesse. Wir sahen, dass Erkrankungen der Blut¬
gefässdrüsen eine wesentliche Aenderung des Tonus in einem be¬
stimmten Nervenabschnitt herbeiführen und dass hierdurch die
Mehrzahl der Krankheitserscheinungen bedingt wird. Eine kau¬
sale Tqerapie müsste in erster Linie darauf abzielen, die be¬
treffende Blutdrüse wieder zur Normalsekretion zu bringen
und hiermit die Tonusschwankung zu beseitigen. Wo das aber
nicht gelingt — und das wird recht oft der Fall sein —, ist eine
Regulation des gestörten Neurotonus noch auf andere Weise
denkbar. Wir nehmen als Beispiel den Morbus Basedow, bei
dem ein gesteigerter Sympathicustonus vorhanden ist. Eine Re¬
duktion der vermehrten Nervenspannung zur Norm erscheint
a priori auf zwei Wegen möglich (es wird, wie schon erwähnt,
von der Strumektomie bzw. Antithyreoidinbehandlung hier abge¬
sehen). Erstens kann die Angriffsfläche des betreffenden Nerven¬
gebiets verkleinert werden. Diesen Weg haben unserer An¬
schauung nach die Franzosen durch die Resektion des Hals-
sympathicus realisiert. Ein zweiter Weg bietet sich in der
Möglichkeit, den durch die Schilddrüsenprodukte erhöhten Sym¬
pathicustonus durch ein konträr wirkendes Blutdrüsensekret zu
paralysieren. Hier kommt eventuell das Pankreassekret in
Betracht; denn die Produkte der Bauchspeicheldrüse dämpfen
nach unseren Annahmen die tonische Erregung des Sympathicus.
Es könnte also vielleicht durch Verabreichung von Pankreas¬
extrakt ein Gegengewicht gegen die durch die Schilddrüse be¬
wirkte Uebererregung des sympathischen Systems geschaffen
werden.
Tausend feine Fäden verknüpfen Nervensystem und innere
Sekretion. Wir stehen hier noch am Anfang unserer Kenntnisse,
beginnen nur allmählich das dichte Faserwerk zu entwirren,
und kaum sind die ersten Strahlen der Erkenntnis zu uns binab-
gedrungen. Vielleicht wird uns einst die Lösung des Problems ge¬
lingen, aber nur um uns neuen Problemen entgegenzustellen. All
das, was wir Menschen mühsam erringen, bedeutet für uns kein
1) Nach den Forschungen von Cristofoletti wirkt das Ovarium
hemmend auf das chromaffine System und damit auf den Sympathicus,
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Nr. 9.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
40Ö
Ende, ist nur ein Sporn zu unablässigem Suchen und Streben
nach höheren Zielen. Nicht der Besitz, sondern der Kampf ist
der Sterblichen Los; nur das machtvolle Ringen nach der Wahr¬
heit birgt in sich die höchsten Wonnen irdischen Glücks.
Zusammenfassung.
1. Die Erfahrungen der Physiologie und Pathologie lehren,
dass die Funktionen der Blutdrüsen innig mit der Tätigkeit des
Nervensystems verknüpft sind.
2. Es ist wahrscheinlich, dass die Produkte der Blutdrüsen
lediglich das Nervensystem beeinflussen, wenngleich für diese
Behauptung sich auch nicht immer direkte Beweise erbringen
lassen. Mit anderen Worten: Alle durch die Blutdrüsen hervor¬
gebrachten Reaktionen werden nur durch das Nervensystem ver¬
mittelt.
3. Es werden nur bestimmte Nervengebiete, und zwar Ge¬
hirn und vielleicht Rückenmark einerseits, vegetatives Nerven¬
system andererseits beeinflusst.
4. Das Wesen der zwischen polyglandulärem und Nerven¬
system bestehenden Wechselbeziehungen lässt sich mit der An¬
nahme erklären, dass die Sekrete der Blutdrüsen dazu dienen,
den Tonus der beeinflussten Nervengebiete zu regulieren.
6. Die einzelnen Blutdrüsen beeinflussen vermöge einer spezi¬
fischen Affinität nur einen bestimmten Bezirk des Nervensystems,
nicht etwa das gesamte in ihren Machtbereich gehörende Nerven¬
gebiet.
6. Die spezifischen Affinitäten der Blutdrüsen zu den ver¬
schiedenen Abschnitten des Nervensystems können als Einteilungs¬
prinzip für das polyglanduläre System benutzt werden (sympathico-
tonische, spinotonische, polytonische usw. Blutdrüsen).
7. Die Annahme einer Tonusregulation bestimmter Nerven¬
abschnitte von seiten der Blutdrüsen lässt sich vielleicht in thera¬
peutischer Hinsicht verwerten.
Literatur.
Ascher, Die Innervation der Drüsen mit innerer Sekretion usw.
Ref. Neurol. Centralbl., 1912. — A sehn er, ref. Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1909. — Biedl, Innere Sekretion. Berlin u. Wien 1910. —
Crowe, Cushing and Homans, Experimental hypophysectomy. Bull,
of the Johns Hopkins hosp., 1910, Vol. 21. — v. Cyon, Die Gefäss-
drüsen als regulatorische Schutzorgane des Centralnervensystems. Berlin
1910. — Eppinger, Falta und Rudinger, Zeitschr. f. klin. Med.,
Bd. 66 u. 67. — Eppinger und Hess, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 67,
68 u. 69. — Falta und Kahn, Klinische Studien über Tetanie usw.
Zeitsohr. f. klin. Med., Bd. 74. — Goetsch, Cushing and Jacobson,
Carbohydrate tolerance etc. Bull. Johns Hopkins hosp., 1911, Vol. 22.
— Kahn, Zur Frage des Serumgehalts an adrenalinähnlichen Sub¬
stanzen. Münch, med. Wochenschr., 1912. — Th. Kocher, ref. Münch,
raed. Wochenschr., 1911, S. 979. — Kraepelin, Psychiatrie, 7. Aufl.
— Leschke, Die Pankreastherapie des Diabetes. Münch, med. Wochen¬
schrift, 1911. — L6vi et de Rothschild, Corps thyroi'de et emotions.
Bull, de la soc. de l’internat., 1909, No. 9. — Münzer, Ueber die Ein¬
wirkungen der Blutdrüsen usw. Diese Wochenschr., 1912. — Oppen¬
heim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 4. Aufl. — Seilheim, Zur
Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren. Beitr. z. Geburtsh.
u. Gynäkol., Bd. 1. — Tobias, Ueber myasthenische Paralyse usw.
Neurol. Centralbl., 1912. — Veit, ref. Deutsche med. Wochenschr., 1912.
Anmerkung bei der Korrektur. Da das Manuskript der vor¬
liegenden Arbeit bereits vor längerer Zeit fertiggestellt war, so konnten
verschiedene jüngst erschienene Arbeiten im Text nicht mehr berück¬
sichtigt werden. Ich nenne hier besonders: A sehn er, Ueber die Funktion
der Hypophyse. Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. 146. — Derselbe, Ueber
die Beziehungen zwischen Hypophysis und Genitale. Archiv f. Gynäkol.,
Bd. 97. — Derselbe, Zur Physiologie des Zwischenhirns. Wiener klin.
Wochenschr., Nr. 27. — Curschmann, Cerebrale Syndrome der Tetanie
und die Calciumtherapie. Verhandl. d. Gesellschaft deutscher Nerven¬
ärzte, Leipzig 1912. — v. Frankl-Hoohwart, Ueber den Einfluss der
inneren Sekretion auf die Psyche. Med. Klinik, Nr. 48. — Redlich,
Die klinische Stellung der sogenannten genuinen Epilepsie. Ref. Ver¬
handlungen d. Gesellschaft deutscher Nervenärzte, Leipzig 1912.
Aus der Provinzial-Hebammenlehranstalt zu Stettin
(Direktor: Geh. San.-Rat Dr. Bauer).
Vorschläge zur Verbesserung des neuen
preussischen Hebammenlehrbuchs.
Von
Dr. C. Holste, I. Assistenzarzt.
Die grosse Mehrzahl der Hebammenlehrer, die genötigt war, das
preussische Hebammenlehrbuch, Ausgabe 1905, im Unterricht zu be¬
nutzen, dürfte sich im Laufe der Jahre von den vielen Unzulänglichkeiten
dieses Hilfsmittels hinreichend .überzeugt haben. Es war deshalb klar,
dass alle diejenigen, welche Abänderungen begehrten, mit frohen Hoff¬
nungen dem Erscheinen einer Neubearbeitung entgegensahen.
Die nun vorliegende Ausgabe 1912 enthält in der Tat zahlreiche
Verbesserungen. Wenn sie an dieser Stelle nicht alle genannt werden
und unsere Kritik sich mehr auf die negative Seite beschränkt, so möge
dies nicht im Sinne eines J’accuse“ gedeutet werden. Die folgenden
Erörterungen, die im wesentlichen auf den langjährigen Erfahrungen des
Leiters der hiesigen Anstalt, Herrn Geh. San.-Rat Dr. Bauer, beruhen,
sind nur aus dem Bestreben heraus entstanden, an der Besserung vor¬
handener Mängel ein wenig mitzuhelfen. Vorzüge und Nachteile des
Buches gegeneinander abzuwägen ist Sache einer allgemeinen Be¬
sprechung.
Ich stelle die beiden Neuerungen, die uns am wichtigsten erscheinen,
an den Anfang: Die Einführung eines anderen Desinfektionsverfahrens
und die Erweiterung der operativen Befugnis der Hebamme. (Blasen¬
sprengung bei Placenta praevia.)
Von dem Gebrauch des Sublimats soll in Zukunft abgesehen und
statt dessen die Alkohol (Brennspiritus)KresoIseifendesinfektion benutzt
werden, wie es heisst, mit Rücksicht auf die ernsten Bedenken, die sich
im Laufe der Zeit gegen die Anwendung des Sublimats ergeben hätten.
Vorweg sei bemerkt, dass uns im Prinzip ein häufiger Wechsel der
Desinfektiousmethode ohne absolut zwingende Gründe für die Heb¬
ammenpraxis nicht zweckmässig erscheint. Die vorige Auflage gab erst
Gelegenheit zur Einführung des Lysols; in der Zwischenzeit ist die
Kresolseifenlösung gekommen, und nun ist wieder etwas Neues vorge¬
schrieben. Derartige Schwankungen können gerade beim niederen Heil¬
personal, das eine wissenschaftliche Kritik nicht besitzt, gar zu leicht
den Verdacht erwecken, dass auf diesem Gebiete bei den zuständigen
Stellen selbst eine Unsicherheit vorherrscht und infolgedessen zur Gering¬
schätzung der ganzen Angelegenheit führen.
Ritter 1 ) teilt mit, dass nach amtlichen Berichten etwa ein Zehntel
aller Hebammen in den Jahren 1909 — 1911 das Sublimat nicht ver¬
tragen konnte. Es seien bei ihnen Ausschläge an den Händen und
sonstige Vergiftungserscheinungen aufgetreten, wie Speichelfluss, Locke¬
rungen der Zähne, langanhaltende Durchfälle. Die an unserer Anstalt
gemachten Beobachtungen, die sich sowohl auf die Schülerinnen als auf
die zu Nachkursen einberufenen Hebammen beziehen, stimmen hiermit
nicht überein. Der Prozentsatz derjenigen, die durch Sublimatgebrauch
Reizsymptome an Händen und Armen bekamen, war im Laufe der
letzten Jahrzehnte verschwindend gering; ernstere Intoxikationszeichen
sind überhaupt nicht zur Kenntnis gelangt.
Nach unseren Erfahrungen dürfte demnach die frühere Möglichkeit,
dass in den einschlägigen Fällen von den Kreisärzten Dispens erteilt
und ein anderes Desinfektionsmittel erlaubt werden konnte, dem Uebel
in ausreichender Weise gesteuert haben. Uebrigens hat sich in den
letzten Jahren das Sublamin als reizloseres Ersatzpräparat des Sublimats
vielfach bewährt.
Die Schwierigkeiten, über Sublimatschädigungen in der allgemeinen
Hebammenpraxis eine einwandfreie Statistik zu erheben, sind doch recht
beträchtlich. Die Selbstbeobachtung der Hebammen, die hierbei in
erster Linie herangezogen werden muss, ist viel zu subjektiv, als dass
ärztlicherseits jedesmal ein causaler Zusammenhang zwischen den an¬
geblichen Vergiftungserscheinungen und der Benutzung des Sublimats
sicher angenommen werden kann. Da unmöglich zur Zeit der Umfrage
alle die genannten Symptome von den Kreisärzten selbst gesehen sein
können, ist ein Misstrauen wohl berechtigt.
Ob mit der Ausschaltung des Sublimats die Reizungen an den
Händen der Hebammen sich wesentlich verringern werden, muss man
dahingestellt sein lassen, denn die Erfahrung lehrt, dass auch die
AlkoholwaschuDg, zumal dann, wenn die Haut zuvor durch längeres
Seifen aufgelockert ist, häufig genug irritierend wirkt. Inwieweit der
Brennspiritus in dieser Hinsicht noch eine besondere Rolle spielt, darüber
fehlt es, wie mir scheint, an ausgedehnteren Erfahrungen. Nicht wenige
Hände vertragen ausserdem die Kresolseife viel schlechter als das Sublimat.
Was die für fremde Personen bestehende Vergiftungsgefahr des
Sublimats betrifft, so sei bemerkt, dass mit unabsichtlichen Intoxikationen
durch die üblichen Sublimatpastillen nur bei grober B’ahrlässigkeit der
Hebamme zu rechnen ist. Zum überlegten Selbstmordversuch sind ge¬
nügend andere Gifte erreichbar.
Die Ueberlegenheit des neuen Desinfektionsverfahrens über das alte
kann, was Zuverlässigkeit anbetrifft, keineswegs als erwiesen gelten.
Allgemeiner anerkannt ist doch wohl nur eine gewisse auf Zeitersparnis
beruhende Superiorität des Alkohols. Diesen Vorteil aber auszunutzen,
darauf hat man mit Recht verzichtet, denn eine Abkürzung der Prozedur
wäre leicht geeignet gewesen, in den Augen der Hebammen den Wert
der Desinfektion herabzusetzen.
Betrachtet man die materielle Seite der neuen Verordnung, so
würde der Gebrauch des reinen Alkohols (1 Liter kostet 1,80 M.) eine
ganz erhebliche Belastung des Etats der Hebamme bedeuten. Da jedoch
der Brennspiritus zulässig ist, kann dieses Bedenken kaum eine prak¬
tische Bedeutung gewinnen. Vermutlich wird in Zukunft von den Heb¬
ammen nur dann auf den denaturierten Spiritus verzichtet werden, wenn
1) Kreisassistenzarzt Dr. Ritter, Hilfsarbeiter im Ministerium des
Innern, Die wichtigsten Aenderungen der Neuauflage des Hebammen¬
lehrbuches. Allgem. Deutsche Hebammenzeitung 1912, Nr. 26.
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8. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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die Wöchnerin selbst ihn wegen seines üblen Geruches ablehnen sollte
und die daraus erwachsenden Mehrkosten übernimmt.
Rücksichten der Sparsamkeit haben offenbar zu der Erlaubnis ge¬
führt, dass dieselbe Menge Brennspiritus mehrmals im Verlaufe eines
Wochenbettes gebraucht werden kann. »Die bei einem Wochenbett¬
besuch verwendete Menge Alkohol (Brennspiritus)“, so lautet die Be*
Stimmung (§ 255), »darf die Hebamme in einer reinen verdeckten
Schüssel . . . aufbewahren und in der Wohnung der Wöchnerin zurück-
lassen, um den Alkohol beim nächsten Besuch der Wöchnerin wieder
zu verwenden.“ Der Inhalt dieses Satzes ist nicht eindeutig. Je
nachdem man den Ton auf »einem“ oder auf »Wochenbettbesuch“ legt,
ist der Wortsinn verschieden. Im ersten Fall ergibt sich daraus die
Befugnis, den Alkohol im Wochenbett immer zweimal zu benutzen, im
letzten ist eine Verwertung desselben Quantums während des ganzen
Wochenbetts gestattet.
Die Hebammentasche wird durch */i Liter Spiritus und die ent¬
sprechende Flasche erheblich beschwert. Um wenigstens die Ansprüche
an den Raum der Tasche zu beschränken, liegt es nahe, wie auch
Ritter 1 ) hervorhebt, den Alkoholbehälter der Innenfläche des Irrigators
anzupassen.
Die Bestimmung, dass die Hebamme bei unvollständig vorliegendem
Mutterkuchen die Blase sprengen und unter Umständen einen Fuss herab¬
ziehen darf (§ 427), muss ernsthafte Bedenken erwecken. Es ist zunächst
daran zu erinnern, dass selbst in ärztlichen Kreisen die Frage nach der
zweck massigsten Behandlung der Placenta praevia noch nicht spruchreif
ist. Wendung auf einen Fuss, Metreuryse, vaginaler und abdominaler
Kaiserschnitt streiten sich zurzeit um den Vorrang. So lange es eine
feststehende Regel in dieser Hinsicht nicht gibt, bleibt es dem Ermessen
des Arztes überlassen, auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen und
Anschauungen diejenige Methode auszuwählen, die er für die beste hält.
Diesem individuellen Vorgeben, auf das ein jeder Arzt bei schwankendem
Standpunkt der Wissenschaft ein Anrecht hat, wird durch die neue Ver¬
fügung ohne weiteres der Weg abgeschnitten.
Weit wichtiger als das letztgenannte Moment sind die Komplikationen,
die aus einer irrtümlichen Diagnose der Hebamme erwachsen können.
Voraussetzung für ein gefahrloses Vorgehen ist ja doch zunächst, dass
die Hebamme in der Lage ist, die Placenta praevia sicher zu erkennen.
Ja noch mehr! Sie muss befähigt sein, die verschiedenen Grade der
Placenta praevia, totalis und partialis, zu unterscheiden. Dass eine sehr
grosse Anzahl von Hebammen der ersten, geschweige denn der letzten
Anforderung nicht genügt, lehrt die Erfahrung der täglichen Praxis.
Die im Texte gestellte Bedingung für die Blasensprengung »bei
kräftigen Wehen“ ist zu subjektiv, als dass sie einem saebgemässen
Handeln der Hebamme zur Richtschnur dienen könnte.
Der § 426 deutet die diagnostischen Schwierigkeiten bereits an. Es
steht dort: »Auch wenn die Hebamme vorliegenden Mutterkuchen nur
vermutet, hat sie die Frau so zu behandeln, als wenn das Vorliegen
nachgewiesen wäre.“ Möchten sich doch keine Hebammen verleiten
lassen, gestützt auf diese Vorschrift auch bei zweifelhafter Placenta
praevia von der ihnen an die Hand gegebenen Operationsbefugnis Ge¬
brauch zu machen!
Ferner sei bemerkt, dass die Sprengung der Blase häufig genug
nichts weniger als einfach und leicht ist. Oft wird es der Hebamme
überhaupt nicht gelingen, und ihre Manipulationnn werden dann nur
dazu führen, den Mutterkuchen weiter abzulösen und die Blutungen zu
verstärken. Aber auch wenn es ihr glückt, ist die Gefahr noch längst
nicht vorüber. Es hätte nachdrücklichst betont werden sollen, dass die
vollzogene Sprengung der Blase die sofortige Hinzuziehung eines Arztes
nicht ausschliesst.
Findet die Hebamme nach der Blasensprengung einen Fuss oder
beide Füsse in oder über dem Muttermunde, so hat sie das Recht einen
Fuss so weit berabzuziehen, dass er in der Schamspalte sichtbar wird.
Wie aber, wenn sie sich irrt und statt des Fusses eine Hand fasst und
bervorholt? Es ist bei Placenta praevia ja nicht allzu selten,, dass der
vorliegende Kopf abgewichen und Gelegenheit zum Vorfall eines Armes
gegeben ist. Wie häufig wird es wohl selbst geübten Hebammen passieren,
dass sie sich täuschen und einen Arm herunterziehen?
Was zur Verminderung der Gefahr bei Placenta praevia von den
Hebammen gefordert wird, das sollte nach unserem Ermessen mehr pro¬
phylaktischer Natur sein. Die Hebammen sollen die Frauen in den
letzten Monaten der Schwangerschaft darauf aufmerksam machen, dass
sie bei den geringsten Blutungen sofort den Arzt aufzusuchen haben.
Sie sollen, wenn sie zu einer blutenden Frau gerufen werden, deren
Gravidität sich dem Ende nähert, »wegen Verdachtes auf vorliegenden
Mutterkuchen“ sofort ärztliche Hilfe veranlassen. Selbst die innere Unter¬
suchung ist in solchen Fällen entbehrlich, und nur, wenn es unbedingt
nottut, soll die Scheide tamponiert werden. Mit derartigen Maassregeln
dürfte man bei all ihrer Unzulänglichkeit immer noch besser fahren, als
wenn man den Hebammen eine grössere Aktivität einräumt.
Es ist anzuerkennen, dass in der neuen Ausgabe mit grösserer
Schärfe und im Texte durch stark hervorgehobenen Druck auf die Ge¬
fahren der inneren Untersuchung und die Möglichkeiten der puerperalen
Infektion hingewiesen wurde. Wertvoller als diese theoretischen
Warnungen sind indes praktische Fingerzeige, die eine weitere An¬
näherung an das so sehr erwünschte Ziel gestatten. Einiges ist in
dieser Hinsicht geschehen, auf das ich aufmerksam machen möchte:
J) 1. c., 1918, Nr. 1.
§ 113. Die Unterscheidung zwischen einfacher und verschärfter
Desinfektion ist aufgegeben. Nach der Seifenwaschung sind die Hände
mit frischem, heissem Wasser abzuspülen, und da9 Abtrocknen hat zu
unterbleiben. — Der Hebamme wird die Pflege ihrer Zähne ganz besonders
nahegelcgt. § 143. Die Untersuchung von Schwangeren soll auf einem
reinen, frisch bezogenen Lager vorgenommen werden. § 202. Die Vor¬
schrift, dass die Hebamme, die bei einer Krebsenden durch die erste
innere Untersuchung die Lage des Kindes oder den Stand der Geburt
nicht ermitteln konnte, nach einiger Zeit eine zweite innere Untersuchung
vornehmen muss, ist fallen gelassen. § 252. Die verunreinigten Watte¬
vorlagen der Wöchnerin sollen in Zukunft mit einer Kornzange entfernt
werden. (Eine Pinzette erfüllt den gleichen Zweck, ist billiger, hand¬
licher und weniger umfangreich.) § 272. Die Hebamme darf eine
Wöchnerin zur Feststellung einer vorausgegangenen Geburt nicht mehr
innerlich untersuchen. § 301. Die Schamhaare sollen bei Krebsenden
und vor jeder Scheidentamponade kurz geschnitten werden.
Eine weitere Vermeidung der Gefahren könnte durch die Berück¬
sichtigung folgender praktischer Vorschläge und Hinweise (Bauer)
erzielt werden:
Den Hebammen sollte zur Pflicht gemacht werden, — meistens
ist es praktisch durchführbar — sich mit ihren Klientinnen schon in
den letzten Wochen der Schwangerschaft in Verbindung zu setzen. Eine
innere Untersuchung zu dieser Zeit, falls überhaupt nötig, könnte in
sehr vielen Fällen die gefährlichere Exploration unter der Geburt über¬
flüssig machen. Das Lehrbuch erwähnt zwar dieses Verfahren (§§ 165
u. 198), spricht sich aber nicht in obiger kategorischer Form aus.
Es hätte ferner auf die Möglichkeit der Untersuchung im vorderen
Scheidengewölbe verwiesen werden sollen. Häufig genug, und zwar be¬
sonders dann, wenn der Kopf im Beckeneiogang fixiert bt, sind die Fest¬
stellungen, die von dort aus gemacht werden können, für die Hebamme
völlig genügend. In der Praxis ist es auch entbehrlich, dass die Heb¬
amme über die Weite des Muttermundes genaue Angaben macht; vor
allem gilt dies für die ländlichen Verhältnisse. Hier reicht die Mit¬
teilung, dass überhaupt eine Regelwidrigkeit vorliegt, in jedem Falle
aus. Der Arzt, der nicht sofort bei der Patientin sein kann, darf sich
durch eine Aeusserung über die Weite des Muttermundes in seinen Dis¬
positionen nicht beeinflussen lassen, weil niemals vorauszusehen ist,
welche Fortschritte die Eröffnung gemacht hat, bis er bei der Kreissenden
eintrifft.
Abgesehen von einer leichteren Infektionsgelegenheit bedeuten die
Untersuchungen im Muttermunde vielfach eine schwer ins Gewicht fallende
Gefährdung der Blase. Letztere liegt z. B. dann vor, wenn die Heb¬
amme darauf bedacht bt, Querlagen sicher zu erkennen. Die Ver¬
wechselung einer Querlage mit einer Steisslage ist nicht so bedenklich,
wie es in § 341 dargestellt ist, da beide Anomalien die sofortige Hinzu¬
ziehung eines Arztes bedingen.
Die übrigen Fingerzeige, von deren Berücksichtigung eine weitere
Verminderung der Infektionsfalle zu erhoffen ist, seien in der Reihenfolge
der Paragraphen gegeben. § 252 macht eine entbehrliche Konzession:
»Ist abgekochtes Wasser nicht zu beschaffen ....“, denn abgekochtes
Wasser ist in jedem Haushalt zu haben. — § 296. In diesem die Fehl¬
geburt behandelnden Kapitel ist erwähnt, es sei die Aufgabe der Heb¬
amme, die Ursache der Blutung zu ermitteln. Ein solches Verlangen
erscheint überflüssig; es genügt, wenn die Hebamme bei Blutungen so¬
fort ärztliche Hilfe herbeiruft und im Notfall tamponiert. Im Hinblick
auf die Infektionsgefahr könnte auch die in § 300 gegebene Anweisung:
»Bleibt die Fehlgeburt aus den Abgängen noch zweifelhaft, so unter¬
suche sie die Frau innerlich“, verschwinden.
In § 354 (Verzögerung der Austreibungszeit) ist zu Unrecht gesagt,
dass bei tief im Becken stehendem Kopf eine wiederholte innere Unter¬
suchung seitens der Hebamme sich nicht vermeiden liesse. Die Kon¬
sultation eines Arztes macht sie entbehrlich. — § 470. Der Hinweis,
*dass die Hebamme wegen der Gefahr der Uebertragung sich vor dem
Ausfluss fiebernder Wöchnerinnen zu hüten habe, gibt leicht der Ver¬
mutung Raum, die Absonderung gesunder Wöchnerinnen sei in dieser
Hinsicht unbedenklich. — § 471. Es empfiehlt sich nicht, der Hebamme
die Wahl zu lassen, ihre Instrumente auszukochen oder mit Kresol-
seifenlösung abzureiben (und in eine solche Lösung zu legen). Die
Sterilisierung durch Siedehitze müsste als notwendig hingestellt werden.
Sodann noch einige sachliche Anmerkungen, die nicht die Frage der
Infektion berühren (Bauer):
| 65. Aus Gründen der Zuverlässigkeit ist es nicht zweckmässig,
dass die Hebamme den Puls nur 1 U Minute lang zählen und die ge¬
fundene Zahl mit 4 multiplizieren darf. Sie soll vielmehr während einer
ganzen Minute den Puls kontrollieren. — § 91. Blasenfisteln entstehen
nicht »durch den übergrossen Geburtsdruck“, sondern infolge der langen
Dauer des Druckes. — § 131. Bei der Aufzählung der Kopfdurchmesser
ist wieder der kleine schräge fortgelassen. Seine Bedeutung für die
Hebamme, die sich in erster Linie um den normalen Geburtsverlauf zu
kümmern hat, liegt auf der Hand. — § 194. Leichtere Trübungen der
Höllensteinlösung sind durch das dunkelfarbige Tropfglas nicht zu er¬
kennen. Die Flüssigkeit sollte deshalb stets nach einer bestimmten
Zeit, etwa drei Wochen, erneuert werden.
§ 242. Warum muss der Wöchnerin in den ersten 8 Tagen jeg¬
liche psychische Anregung, sogar das Lesen vorenthalten bleiben? Ein
solches Verfahren bedeutet für einigermaassen intelligente Frauen eine
ungerechtfertigte Härte (Verf.).
$ 402 erwähnt unter den Missbildungen das Fehlen einzelner Finger;
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UNIVERSUM OF IOWA
402
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 0.
weshalb nicht auch den Defekt ganzer Gliedmaassen? — In § 404
(drohende Uterusruptur) steht: »Die Kreissende wird auf den Rücken
(statt »auf die Seite“) gelagert und das Pressen verboten.“ Wenn in
§ 439 gesagt wird, die Hebamme soll, nachdem der Cred6sche Hand*
griff ihr nicht gelungen ist, an die Entleerung der Harnblase denken, so
ist daran zu erinnern, dass die Hebamme schon vor Ausübung des Hand*
griffes ihr Augenmerk auf diesen Umstand zu richten hat — § 497.
Nabelschnurschere statt »Nabelschere“.
Auffallend sind die vielfachen sprachlichen Mängel. Obwohl gegen
früher mancherlei in dieser Richtung besser geworden ist, bleibt immer
noch genug, was eine Korrektur erfordert 1 ).
Der § 41 enthält die alten Fehler in der örtlichen Darstellung, die
den Unterricht in hohem Maasse komplizieren. Es ist dort yon den
grossen Schamlippen gesagt, dass sie sich nach hinten 2 ) durch das
Schamlippenbändchen vereinigen, und im nächsten Absatz heisst es dann
von den kleinen Labien: »Sie umschliessen den Vorhof der Scheide und
vereinigen sich nach oben 2 ) in die Umhüllung einer kleinen erbsen¬
grossen Hervorragung, den (statt »des“) sogen. Kitzler.“ Einige Zeilen
weiter folgt ein ähnliches Beispiel.
Endlich sei noch bemerkt, dass man in dem Bestreben, die Heb¬
ammen mit medizinischen Fachausdrücken bekannt zu machen, etwas zu
weit gegangen zu sein scheint. Soweit geeignete deutsche Worte vor¬
handen sind, liegt kein Bedürfnis vor, wissenschaftliche Bezeichnungen,
und sei es auch nur in Klammern, zu verwenden. Als Beispiele mögen
erwähnt werden: Tenesmus (§ 67), Decubitus (§ 76), Condylome (§84),
Spirochäten (§ 85), Osteomalacie (§ 374).
Nachträgliche Anmerkung: Erst später sind wir auf eine Arbeit
von Dr. Krohne (Geh. Med.-Rat und Vortr. Rat im Ministerium des
Innern) aufmerksam geworden: Die den Hebammen, Hebammenlehrern
und Kreisärzten durch die Neuauflage des preussischen Hebammenlehr¬
buches erwachsenden Aufgaben. Veröffentl. aus d. Gebiete der Med.-
Verwaltung, 1912, Bd. 1, H. 16. — Da die Erläuterungen Ritters
offenbar in Anlehnung an diese Publikation entstanden sind, so wurde
hierdurch eine Abänderung unserer Kritik nicht bedingt.
Nach Krohnes Mitteilung haben die Kreisärzte nur bei 5,6 pCt.
aller Hebammen das Sublimatekzem an den Händen oder andere Ver¬
giftungserscheinungen selbst festgestellt. Der übrige Anteil beruht auf
den von uns bemängelten subjektiven Angaben der Hebammen. Krohne
berichtet ferner, dass der denaturierte Spiritus bereits seit vielen Jahren
in einer grösseren Hebammenlehranstalt mit bestem Erfolge gebraucht
sei. Die in letzter Zeit in unseren Wochenzimmern von den Schüle¬
rinnen benutzten Kresolseifenlösungen verbreiten schon einen so un¬
angenehmen Geruch, dass wir die gleichzeitige Anwendung des Brenn¬
spiritus an Stelle des kostspieligen Alkohols, wie Krohne empfiehlt,
nicht recht verantworten können.
Der Scheidentrockner.
Yon
Dr. Scharfe, Frauenarzt.
Dem Sikkator nach Nassauer haften zwei Nachteile an; sein An¬
schaffungspreis (5,25 M.) ist zu hoch und der Glasteil zu zerbrechlich,
wodurch auch noch die Gebrauchskosten gross werden.
Um auch bei minderbemittelten Patienten die Methode anwenden
1) Einen kleinen Teil dieser stilistischen Unrichtigkeiten möchte ich
zitieren, weil sie in der Mehrzahl wieder aus der vorigen Auflage übernommen
wurden: § 3.und enthalten 3 Sinnesorgane, die Augen, das
Geruchsorgan und das Gehörorgan. — § 91. Die Ursache liegt in einem
oder mehreren schlecht abgewarteten Wochenbetten. — § 112. Das
Wasser muss aber mindestens 15 Minuten kochen, um Keimfreiheit zu
erzielen. — § 135. Etwas Ausfluss aus ihr findet sich der Regel nach
vor. — § 138. Eine üble Erscheinung ist die Uebelkeit. ... — § 164.
Die Form des Leibes ist im 10. Monat vornübergesunken. — § 172.
Durch die Geburtswege getrieben wird das Kind. — § 173. Die Kraft
dieses hohlen Muskels, die wir Gebärmutter nennen, .... — § 1S3.
Es wird daher das Zusammendrücken der Gefässe bei der Wehe ein
grösseres sein. — § 186. Der Beckendurchtritt. — § 239. Auch die
Muskelkraft neugeborener Kinder ist ziemlich gross. Es vermag gut die
Atemrnuskeln zu bewegen, .... — § 355. Nichtbeckenendlagen. —
§ 374.. solange die Frau schwanger geht und säugt. — § 395.
Die.pefahr der Zwillingsgeburt ist für die Mutter und besonders für die
Kinder etwas grösser als die einfache Geburt.,— § 418. 'Dies Ereignis
kommt vor bei Fall, StossJ Schlag der Frau.
2) Im Text nicht hervorgehobeo.
zu können, habe ich den alten Kehlkopfpulverbläser aus starkem Glas
herstellen lassen mit einer Vorrichtung, den Weichgummikonus des
Scheidenspülers Frauenwobl zu halten.
Den Apparat kann jeder Glasbläser herstellen. Die »alte Apotheke“
in Goethen i. A. liefert ihn im Einzelnen für 3 M. (Glasteil allein 0,75 M.),
das halbe Dutzend für 13,50 M.
Bücherbesprechungen.
Fritz Lezi: Ueler die krankhaften Erbaalaeea des Maaaes aad
die BestiaBQDg des Geschlechts beim Meischea. Jena 1912.
Es handelt sich hier um eine ausserordentlich interessante Ab¬
handlung über die Vererbung pathologischer Zustände, mit besonderer
Berücksichtigung der Hämophilie und gewisser Augenkrankheiten. Der
Inhalt wird am besten wiedergegeben durch die Zusammenfassung des
Autors selbst:
1. Das Vorkommen erblicher Hämophilie beim Weibe und die Ueber-
tragung durch den Mann sind nicht bewiesen.
2. Die über Hämophilie bekannten Stammbäume sind mit dem
Meodel’schen Gesetze vereinbar. Das scheinbare Zuviel von Blutern
gegenüber ihren normalen Brüdern, von Konduktoren gegenüber ihren
normalen Schwestern, von männlichen Individuen überhaupt gegenüber
den weiblichen erklärt sich durch die Selektion der Technik.
8. Das Frei bleiben der Söhne von Blutern von der Affektion ihrer
Väter ist vielleicht durch Existenzunfähigkeit von Spermatosomen mit
der Bluteranlage zu erklären.
4. Die Dichromasie, die neurotische Muskelatrophie, die myopische
Hemeralopie, der Albinismus des Auges und wahrscheinlich noch andere
Affektionen, welche in somatischer Korrelation zum männlichen Ge¬
schlecht stehen, stehen in idioplasmatischer Korrelation zum weibliohen
Geschlecht. Die vollständige Farbenblindheit dagegen hat keine Kor¬
relation zum Geschlecht.
5. Die Erblichkeit nach dem Typus der Dichromasie ist nicht auf
das Genus homo beschränkt, sondern sie findet sich auch sonst im
Reiche der Organismen, z. B. bei Schmetterlingen und Vögeln. Sie ist
am einfachsten dadurch zu erklären, dass die betreffenden Eigenschaften
auf einem Defekt einer geschlechtsbestimmenden Erbeinheit beruhen.
6. Auch für die Hämophilie und die erbliche Opticusatrophie ist
diese idioplasmatische Grundlage der Erblichkeit bisher nicht auszu-
schliessen.
7. Die mendelnde Vererbung der pathologischen Anlagen in ihren
verschiedenen äusseren Formen steht im Einklang mit der Sutton-
Boveri’sohen Chromosomentheorie.
8. Homologe Erbeinheiten verhalten sich antagonistisch, d. h. sie
gehen bei der Keimzellenbildung niemals in denselben Gameten.
9. Die beiden Geschlechter des Genus homo sind zwei verschiedene
erbliche OrganismenformeD. Der Unterschied ist im Idioplasma derart
bedingt, dass das weibliche Geschlecht eine Erbeinheit homozygot ent¬
hält, die das männliche heterozygot enthält.
10. Die geschlechtsbestimmenden Erbeinheiten sind wahrscheinlich
identisch mit den Geschlechtschromosomen Wilson’s.
11. Die Sexualproportion ist höchstwahrscheinlich durch eine Selektion
unter den weiblich bestimmten Spermatosomen zu erklären.
12. Die Auflösung des alten Speziesbegriffes macht eine davon un¬
abhängige Definition des Krankheitsbegriffes nötig. Als zweckmässig
dürfte sich erweisen: Krankheit ist ein Leben an den Grenzen der An¬
passungsbreite.
13. Es ist zweckmässig, die Summe der transitiven Ursachen der
Entstehung erblicher Anlagen durch den Terminus Idiokinese zusammen¬
zufassen.
14. Auch die pathologischen Erbanlangen entstehen ausschliesslich
durch Idiokinese.
15. Der Selektionswert der Amphimixis der vielzelligen Organismen
liegt ausschliesslich in der Möglichkeit, Anpassungen, die in ver¬
schiedenen Idioplasmen entstanden sind, in einem einzigen Idioplasma
zu vereinigen.
16. Phylogenetisch ist die erste Funktion der Amphimixis eine Auf¬
rechterhaltung des Stoffwechsels in Hungerzeiten gewesen.
17. Die einzige Möglichkeit der Beseitigung erblicher Krankheiten
liegt in der negativen Selektion der pathologischen Einheiten des Idio-
plasmas. Eine positive Gesundung der Rasse kann nicht ohne die damit
nur teilweise zusammenfallende positive Selektion gesunder Idioplasma-
stämme erreicht werden.
18. An eine geschlechtsbestimmende Erbeinheit sind Anlagen ge¬
bunden, welche für das Zustandekommen einer physiologischen Intelligenz
unentbehrlich sind; ebenso auch defektive und exzessive intellektuelle
Anlagen. Der Mann erbt daher den wesentlichsten Teil seiner In¬
telligenzanlagen höchstwahrscheinlich von der Mutter.
19. Es ist zweckmässig, die Summe der pathologischen Erbanlagen
des männlichen Geschlechtes als dessen pathologische Geschlechts¬
disposition zu bezeichnen.
20. Auf der pathologischen Geschlechtsdisposition beruht ein Teil
der Uebersterblichkeit des männliche^ Geschlechtes in den Celöitren der
abendländischeta Zivilisation. Der ahdere Tdl beruht auf physidlogischer
Geschlechtsdisßosition, dte in diesein Falte ni der Hauptsache psychischer
Natur ist.
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3. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
403
Aus dem Inhalt ist noch besonders bemerkenswert, dass
der Verf. die Dispositionen auch als Krankheiten auffasst, worin er nicht
die allgemeine Zustimmung finden dürfte.
So interessant und wichtig die Darlegungen auch sind, so ist doch
leider zu befürchten, dass sie keine grosse Verbreitung finden werden,
denn die Autoren, die sich mit Erblichkeit und vor allen Dingen mit
Menderschen Regeln beschäftigen, haben eine solche Fülle neuer Fremd¬
worte gebildet, dass eigentlich jedem Werk ein besonderes Lexikon bei¬
gegeben werden müsste. Schon für denjenigen, der sich stets mit diesen
Dingen beschäftigt, ist jede neue Abhandlung darüber schwierig zu
lesen, weil fortwährend neue fremdartige Ausdrücke auftreten. Die
Kernerstehenden verstehen das überhaupt nicht mehr, und an manchen
Stellen wird es jedem, der sich nicht eingehend mit diesem Gegenstand
beschäftigt hat, klingen, als wäre die Abhandlung in einer fremden
Sprache geschrieben. Das ist ein Hindernis, das die Autoren, die heut¬
zutage über Erblichkeit schreiben, schliesslich berücksichtigen müssen,
wenn sie verlangen, dass von anderer Seite von ihren Erörterungen und
ihren Entdeckungen Kenntnis genommen werden soll.
K. Heilbroauer-Utrecht: Ueber Gewöhnung anf normalen nnd patho¬
logischem Gebiete. Wiesbaden 1912, J. F. Bergmann.
Die Broschüre stellt eine interessante Zusammenfassung dar, die
sich mit den Erscheinungen der Gewöhnung beschäftigt. Der Verf. gibt
zunächst eine Definition des Begriffes, daran schliesst sich eine kurze
Uebersicht der Gewöhnungserscheinungen des Organismus an klimatische,
bakterielle und Vergiftungszustände. Den Hauptteil nimmt die Be¬
trachtung über die Gewöhnung bei verschiedenen nervösen Erscheinungen,
Instinkten, bei hysterischen und auch bei schweren Erkrankungen des
Centralnervensystems ein. Dieser Passus ist offenbar derjenige, der dem
Verf. seiner ganzen Studienrichtung nach am geläufigsten ist. Zum
Schluss folgen noch einige Konsequenzen, die sich aus den Betrach¬
tungen ergeben in bezug auf die Abgewöhnung und in bezug auf prak¬
tische und strafrechtliche Fragen. Die kleine Schrift ist überaus lesens¬
wert und ganz besonders für solche sehn übersichtlich und klar ge¬
schrieben, denen diese Gebiete an und für sich etwas ferner liegen, die
sich aber kurz darüber orientieren möchten.
Richard Sernon: Das Problem der Vererbung „erworbener Eigen¬
schaften“. Leipzig 1912, Verlag von Wilhelm Engelmann.
Semon’s Stellung zu dem Problem der Vererbung erworbener
Eigenschaften ist aus seinen früheren Arbeiten, speziell aus seiner Mono¬
graphie über die Mneme bekannt. In dem vorliegenden Werk versucht
er neue Beweise für seine früher vorgetragenen Anschauungen beizu¬
bringen. Er wiederholt dabei zum Teil ältere Berichte, zum Teil citiert
er neue und verwendet ganz besonders die Arbeiten Kammerer’s.
Wenn der Uneingeweihte das klar und eindringlich geschriebene Buch
liest, so erscheint alles in schönster Ordnung, und es erscheint nunmehr
unwiderleglich bewiesen, dass somatisch erworbene Eigenschaften unter
günstigen Bedingungen vererbt werden können, und dass diese günstigen
Bedingungen sogar überaus häufig Vorkommen. Wenn man aber mit der
nötigen Sachkenntnis und Kritik an die Semon’sche Arbeit herangeht,
und wenn man vor allen Dingen das demselben zugrunde liegende Tat¬
sachenmaterial genau kennt, so treten einem überall die grössten Be¬
denken entgegen, und man kann durchaus nicht dem von Semon auf¬
gestellten Satz beipfiichten, dass es sioh hier um „den Zusammenklang
zahlloser Tatsachen, denen keine einzige widersprechende gegenübersteht“,
handelt. Die von ihm beigebrachten Tatsachen sind ihrem inneren
Werte nach wenig geordnet. Obwohl Semon die Unterschiede der
Wertigkeit sehr wohl kennt und selbst darauf hinweist, so vermengt er
doch fortwährend erworben und somatisch erworben, erblich und durch
funktionelle Anpassung erworben, Anpassung durch Selektion und
funktionelle Anpassung. Ausserdem tritt in der Bewertung der Tat¬
sache» eine ausserordentliche Glaubensseligkeit hervor. Jeder, der die
Experimente Kammerer’s aus eigener Anschauung kennt, hat zwar
keinen Zweifel über die Richtigkeit der Beobachtungen, aber sehr er¬
hebliche in bezug auf die Deutung, die Kämmerer seinen Experimenten
gibt. Alle diese Deutungen nimmt Semon als bare Münze. Man kann
auch nicht umhin, Semon den Vorwurf zu machen, dass er insofern das
Tatsachenmaterial einseitig verwendet, als er alles, was scheinbar für
seine Anschauung spricht, ausführlich verwertet, während er alles, was
dagegen spricht, und vor allen Dingen die zahllosen Bedenken, die von
anderer Seite geäussert wurden, übergeht. Vor allen Dingen hätte
Semon auch anführen müssen, dass fast sämtliche Zoologen, die doch
am ehesten befähigt sind, über diese Frage zu urteilen, auf dem Stand¬
punkte stehen, dass somatisch erworbene Eigenschaften nicht vererbbar
sind. Aus den Ausführungen Semon’s könnte man meinen, dass das
nur eine kleine Minorität sei, die sich seinen Anschauungen nicht an-
schliesst. Das Buch Semon’s ist von grösstem Interesse und gibt eine
sehr sachliche Zusammenstellung der neueren Untersuchungen auf diesem
Gebiete, aber es stellt eine sehr grosse Gefahr dar, wenn es von Nicht¬
sachverständigen kritiklos gelesen und geglaubt wird.
Emst Schwalbe: Die Morphologie der Missbildungen des Menschen
nnd der Tiere. III. Teil. 7. und 8. Lieferung, Jena 1912, Verlag
von Gustav Fischer.
Uehier ,das Schwalbe’sche Werk wurde in dieser Wochenschrift
schpn mehrfach Bericht erstattet. ,Die beiden neu erschienenen Liefe¬
rungen betreffen die Missbildungen der Haut und die Missbildungen der
Atmungsorgane; die ersteren von Bett man n-Heidelberg, die zweiten
von Schneid er-Heidelberg, ln der Form und in der Gründlichkeit
der Bearbeitung schliessen sich diese beiden Lieferungen durchaus den
früheren an. Neben anderen ist unter den Missbildungen der Haut be¬
sonders hervorzuheben, dass die Erblichkeitsverhältnisse in ausgedehntem
Maasse berücksichtigt sind. Eine ganze Reihe von Stammbäumen sind
beigefügt. Eine ebenso gründliche Bearbeitung haben die Missbildungen
der Atmungsorgane erfahren, die auch mit zahlreichen, teils realistischen,
teils schematischen Abbildungen versehen sind. Auch auf die Entwick¬
lungsgeschichte ist hier ausgiebig Rücksicht genommen. Es kann nur
wiederholt werden, was auch über die früheren Lieferungen gesagt wurde,
dass das Werk ein bedeutungsvolles und unentbehrliches Archiv für alle
diejenigen darstellt, die sich mit dieser Materie beschäftigen wollen.
Stndie8 io Cancer and allied subjects. Pathology. Gonducted under
the George Crocher special research fund at Columbia university.
Volume II. New York 1912, The Columbia university press.
Die Krebsabteilung der Columbia-Universität in New York hat ein
umfangreiches Sammelwerk seiner Arbeiten über Krebsstudien in Vor¬
bereitung. Es sind zunächst vier Bände in Aussicht genommen, wovon
bisher erst der zweite Band über Pathologie dos Krebses fertig und so¬
eben erschienen ist- Der erste Band soll einen allgemeinen Ueberblick
über die augenblicklichen Kenntnisse des Krebses geben; der dritte Band
über Biologie, Chirurgie, Chemie und klinische Pathologie und der vierte
Band über Anatomie des Krebses.
Der vorliegende zweite Band beschäftigt sich ganz vorzugsweise mit
Immunität gegen Krebs und ist hauptsächlich auf Tierversuche basiert.
Der grösste Teil der Untersuchungen ist von Isaak Levin ausgeführt.
Ausser ihm haben sich noch Sittenfield, Lambert, Hanes, Frank
und Unger an den Arbeiten beteiligt. Bei den Untersuchungen hat
auch eine ganze Reihe von anderen Fragen Erledigung gefunden. So
z. B. auch das Wachstum von Geschwulstzellen im Reagensglase, Wande¬
rungen von Geschwulstzellen und Phagocytose derselben. Im ganzen
handelt es sich um 27 Arbeiten. Das Werk ist eingeleitet durch ein
Vorwort von Mac Call um. 31 Tafeln zur Erläuterung des Textes sind
beigelügt. v. Hansemann.
Viktor Grafe: Eis fähring in die Biochemie. Mit 41 Abbildungen im
Text. Leipzig und Wien 1913, Franz Deuticke. 472 S. Preis
13 M.
Neben den ausgezeichneten Handbüchern und Lehrbüchern der Bio¬
chemie, welche die deutsche Literatur bereits besitzt, wird auch diese
neue Einführung dankbare Leser finden, da sie flott geschrieben ist und
reiches Material verarbeitet hat. Neben den biochemischen Tatsachen
der Tierphysiologie sind auch weitgehend die bedeutsamsten pflanzen¬
physiologischen Phänomene berücksichtigt worden.
Georg Hirsch: Der elektrochemische Betrieb der Organismen. Mit
einem Anhang: Eschle, Die Dynamik des organischen Betriebes.
4. vermehrte und verbesserte Auflage. München 1911, Verlag
der Jugend. 260 S.
Es ist unmöglich, im Rahmen eines kurzen Referates auf die Dar¬
legungen des geistvollen,• stilgewandten und kenntnisreichen Verfassers
einzugehen. Jedenfalls kann man das Buch als eine interessante und
anregende Lektüre durchaus empfehlen, wenn auch der Leser sich häufig
zum Widerspruch gereizt fühlen wird. Jaooby.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
R. Höher: Messungen der inneren Leitfähigkeit von Zellen.
III. Mitteilung. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.) Seine früher
beschriebene Methode, die innere Leitfähigkeit von Zellen aus der
Dämpfung elektrischer Schwingungen zu bestimmen, hat H. so ab¬
geändert, dass er nun nur 15 ccm Zellmasse braucht; die Ergebnisse ent¬
sprechen den mit der alten Methode gefundenen. Aehnlicbe Werte gibt
auch eine Leitfähigkeitmessung, die der Kohlrausch’schen ähnlich ist,
aber hochfrequenten Wechselstrom benutzt. An Froschmuskeln fand
sich so eine Leitfähigkeit entsprechend einer 0,1- bis 0,2 proz. Koch¬
salzlösung. H. setzt auseinander, dass diese hohe Leitfähigkeit einen
Beweis für eine beschränkte Permeabilität der Zelloberfläche darstellt.
L. Popielski: Die Ungerinnbarkeit des Blutes bei der reflek¬
torische! Tätigkeit der Speicheldrüsen und der Bauchspeicheldrüse.
Das allgemeine Sekretionsgesetz der Verdauungssäfte. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 150, H. 1 u. 2.) P. findet, dass mit der auf verschiedene Weise
angeregten Speichelsekretion einhergeht eine Erweiterung der Blutgefässe
und eine verminderte Gerinnbarkeit des Blutes. ' Dasselbe ist bei der
Pankreassekretion der Fall. Solange die Blutgerinnung verzögert ist
und die Gefässe erweitert sind, dauert die Sekretion an. Verf. baut
hierauf eine physikalische Theorie der Drüsensekretion, die er als
Folge der genannten Veränderungen des Blutes und der Blutgefässe
ansieht.
J.rSt. Alexandrowioz: Beiträge zur vergleichenden Physiologie
der Verdauung. VL Zur Kenntnis der Cellulosp und des Zellulose-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
losenden Ferments im Hcpatopankrcas der Schnecke (Helix pomatia).
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.) A. beschäftigt sich zunächst
mit der kristallisierten Form der Cellulose. Zwischen den beiden Formen
von Spbärokristallen, die man erhalten kann, bestehen Uebergänge; die
Spbärokristalle sind als Aggregate radialer Fasern aufzufassen. Sie sind
nicht oder sehr schwach anisotrop. Dagegen sind die io Pflanzen¬
membranen dargestellten Cellulosekristalle stark anisotrop. Daneben
gibt es in den Pflanzenmembranen zu den HemiCellulosen gehörige
Stoffe, die die optische Anisotropie der Zellhäute stark erhöhen. Der
Ilepatopankreassaft von Helix pomatia löst die kristallisierte Cellulose,
in verschiedener Weise allerdings bei * verschiedenen Pflanzen (Dattel¬
kern-, Kaffeebohnenschnitte). A. Loewy.
Abderhalden - Halle: Die prinzipielle Lösung des Problems der
künstlichen Darstellung der Nahrongstoffe. (Wiener raed. Wochenschr.,
1913, Nr. 3.) Der Verl, hat im Tierexperiment nachgewiesen, dass man
an Stelle unserer komplizierten Nahrungsstoffe auch ihre chemisch ein¬
facheren Abbauprodukte, wie Aminosäuren, Traubenzucker, Glycerin
und Fettsäuren verfüttern kann. Diese einfachsten Produkte reichten
vollständig aus, um Hunde mehrere Wochen nicht nur im Körpergleich¬
gewicht zu erhalten, sondern um sogar Gewichtszunahme zu bewirken.
Da diese einfachsten Bausteine unserer Nahrungsstoffe dank den
Forschungen von Emil Fischer synthetisch darstellbar sind, so ist das
Prinzip der künstlichen Darstellung der Nahrungsstoffe im Prinzip gelöst.
A. Bendix.
E. Mangold: Zur tierischen Hypnose. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150,
H. 1 u. 2.) M. zeigt in Versuchen an Hühnern, Tauben, Meerschweinchen,
dass beim Beginn der Hypnose zwar ein tonischer Kontraktionszustand
besteht, dass dieser jedoch bei fortdauernder Hypnose schwindet, unter
stetigem Reglosbleiben der Tiere. Es handelt sich hier um eine echte
Bewegungshemmung. Optische Reize vermögen diese aufzuheben.
L. Hermann: Die theoretischen Grundlagen für die Registrierung
akustischer Schwingungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 1 u. 2.)
H. wendet sich gegen 0. Frank, der seine Prinzipien zur Aufzeichnung
von Pulserscheinungen auch auf die akustischen Phänomene ausdehnte.
H. zeigt an der Hand mathematischer und physikalischer Betrachtungen,
dass Frank’s Vorgehen nicht berechtigt ist, und weist die Vorwürfe,
die Frank gegen das Weiss’sohe Phonoskop auf Grund seiner An¬
schauungen erhoben bat, zurück.
B. Brunacci: Zur Frage des Verhaltens der Amphibien in ver¬
schieden konzentrierten Lösnngen. Bemerkungen zu der im 6. bis
9. Heft, Bd. 148, 1912, dieses Archivs veröffentlichten Arbeit von
E. L. Back man und 13. G. Sundberg. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150,
H. 1 u. 2.) Prioritätsreklamation gegenüber Backman und Sundberg.
A. Loewy,
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Steffens,
Biologische Wirkung der Anionenbehandlung. Thiele und Embleton,
Lipoide in der Immunität.
Pharmakologie«
K. Uli mann-Wien: Zur Frage der Parasitotropie und Toxicität
des Salvarsans (Neosalvarsans). (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5
u. 6.) Nach zwei Demonstrationsvorträgen, gehalten in der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien am 13. und 20. Dezember 1912. Referat
siehe die Sitzungsberichte. P. Hirsch.
W. Schweisheimer - München: Der Alkoholgehalt des Blutes
unter verschiedenen Bedingungen. (Deutches Archiv f. klin. Med., Bd. 109,
H. 3 u. 4.) Im normalen menschlichen Blut findet sich Aethylalkohol
nur in geringer Konzentration (0,02955—0,03686 pM.); nach Nahrungs¬
aufnahme ist sie erhöht. Genossener Alkohol geht in das menschliche
Blut über; im Blut von Betrunkenen ist er in beträchtlicher Menge
nachweisbar. Bei Nichttrinkern, massigen Gewohnheitstrinkern und
Potatoren sind nach Genuss gleicher Alkoholmengen wesentliche Unter¬
schiede im Verhalten des Alkohols im Blut zu konstatieren. Die Alkohol¬
konzentration ist beim nichtgewöhnten Organismus höher als beim ge¬
wöhnten. Im Blut des nichtgewöhnten Organismus ist der grösste Alkohol¬
gehalt nach 1 Va—2 Stunden erreicht, hält sich kurze Zeit auf ungefähr
gleicher Höhe und fällt langsam ab; beim gewöhnten Organismus steigt der
Alkoholgehalt sehr rasch bis zum Höhepunkt und fällt nach kurzem Ver¬
weilen lascher ab. Bei Nichtgewöhnten bleibt der Alkoholgehalt des Blutes
längere Zeit auf hoher Konzentration als bei Gewöhnten (5 gegen
2 Stunden). Die Ausscheidung ist beim Gewöhnten in etwa halber Zeit
gegen den Nichtgewöhnten vollendet ( 7 V 2 Stunden). Die psychischen
Einflüsse des genossenen Alkohols sowie die Trunkenheitssymptome
gehen der Konzentration des Alkohols im Blut etwa parallel. Beim
Epileptiker ist wahrscheinlich der Uebergang des Alkohols ins Blut ge¬
steigert. Daher Ueberempfindlichkeit gegen Alkohol. Die aus den Ver¬
suchen gewonnenen Resultate sind differentialdiagnostisch zu verwerten.
G. Eisner.
G. Pietrulla-Breslau: Ueber das Acitrin. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 8.) Acitrin (Phenylcinehoninsäureaethylester) ist dem
Atopüan gleichwertig, wie an einigen wenigen Fällen beobachtet werden
konnte. - s c i t Wolfsohn.
Siehe auch Therapie: Fischer und Klemperer, Lipoide
Arsenverbindungen. — Augenheilkunde: Grignolo, Veränderungen
im Kammerwasser bei Intoxikationen durch Methylalkohol und Toxi-
peptide. Erd mann, Augenveränderungen durch Aethylenchlorid.
Therapie.
E. Fischer und G. Klemperer - Berlin: Ueber eine neue Klasse
von lipoiden Arsenverbindnngen. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.)
Verff. berichten über ihre Versuche am Tier und Menschen. Zur medika¬
mentösen Verwendung wurde das Strontiumsalz der Chlorarsenobehenol-
säure gewählt, dem die Bezeichnung Elarson beigelegt wurde. Das
Elarson kommt in Tablettenform in den Handel. Bei Erwachsenen ist
die Dosis 3—5 mal zwei Tabletten, bei Kindern 2—3 mal eine Tablette.
Nach den bisherigen klinischen Erfahrungen dürften die Elarsontabletten
bei allen Zuständen von Anämie und Schwäche indiziert sein, in welchen
eine langsame und allmähliche Zuführung von Arsen heilsam ist.
I. Boas-Berlin: Ein bekanntes Abführmittel in neuer zweckmässiger
Form: Extraotum fluidum follic. Sennae (Folliealia). (Therapie d.
Gegenw., Januar 1913.) Das Präparat besitzt gegenüber dem kalten
Sennaschotenaufguss den Vorzug, dass es ein einheitliches, konstantes
und gut haltbares Präparat darstellt. Wie die Muttersubstanz ist es
ein gut wirkendes Abführmittel ohne schädliche Nebenwirkungen. Das
Folliculin kann mit den Stomachicis kombiniert werden, wie z. B. Extr.
Condurango, Tinct. Chin. cps., Tinct. aromatic., Tinct. Strychni. Daneben
empfiehlt es sieb, die gewöhnlichen diätetischen und hygienischen Maass¬
nahmen zu verordnen. R. Fabian.
K. Loening - Halle: Ueber die Wirkung des Melnbrins im akatea
Gelenkrheumatismus. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) Melubrin
wirkt bereits in Dosen von 0,5 g schon antipyretisch und zeigt in Dosen
von 8, sogar 10 g noch keine erheblichen Vergiftungserscheinungen.
Patienten, die hohe Dosen erhalten, müssen natürlich liegen. Von be¬
sonderem Wert zeigt sich die länger dauernde Medikation von 4 g
Melubrin täglich (morgens und mittags 1 g, abends 2 g), um die Recidive
des akuten Gelenkrheumatismus hintaozuhalten. Es wird auch von
Herzkranken gut vertragen. H. Knopf.
Th. Kocher-Bern: Weitere Beobachtungen über die Heilung des
Tetanus mit Magaesiumsulfat. (Korrespondenzbl.f. Schweizer Aerzte, 1918,
Nr. 4.) Zu den im Juli 1912 bereits veröffentlichten vier Heilungsfallen
werden drei neue Fälle angeführt, die mit intraduralen Magnesiumsulfat¬
injektionen behandelt wurden. Von diesen drei Fällen wurden zwei
geheilt, ein Todesfall bei einem kleinen Kinde.
G. Arnd-Bem: Die Magnesinmbehaadlung das Tetanus. (Korre-
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1913, Nr. 4.) Ausführlicher Bericht
über Verlauf und Therapie eines Falles von Tetanus. Heilung.
A. Schmidt-Halle: Weitere Erfahrungen über die Behandlung von
Darmkrankheiten mit Sauerstoff. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.)
Verf. wandte die Sauerstoffeinblasung mit günstigem Erfolge bei Affektionen
des Dünndarms, z. B. gastrogenen Diarrhöen, Gärungsdyspepsien und
Katarrhen an. Wenn irgend möglich, wurden täglich ca. 500 ccm O a
durch den Duodenalschlauch eingeblasen. Ist die Einführung des
Duodenalkatheters unmöglich, dann genügt auch die Einblasung in den
Magen, da nach den Erfahrungen Rotky’s der 0* schnell in das
Duodenum entweicht. Bei Dickdarmkatarrhen wurde das Gas per rectum
eingeführt. R. Fabian.
A. Brosch - Wien: Innere Behaadlaag tob Diekdarmsteaosen.
(Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 5.) B. empfiehlt für die Behand¬
lung von Dickdarmstenosen heisse Innenbäder (Enterocleanertherapie).
Bei einem 43jährigen Patienten mit einem auf Garcinom verdächtigen
Tumor der linken Beckengrube wurde durch die Innenbadbehandlung
eine auffällige Besserung der Darrakanalisation erreicht, Blutungen und
Schmerzen hörten auf, die als Metastasen aufzufassenden Lymphdrüsen-
schwellungen am Damm schwanden, und der Tumor verkleinerte sich
auf ein Viertel seiner ursprünglichen Grösse. P. Hirsch.
A. Voll-Fürth i.W.: Schmerzlose Entbindungen. (Münchenermed.
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) V. macht, um den schmerzhaften Durch¬
tritt des Kopfes durch den Damm zu vermindern, ungefähr 2 cm vom
freien Saum des Dammes entfernt eine Injektion von Gocain mit Adrenalin.
Dünner.
Siehe auch Chirurgie: Levy, Röntgenbestrahlung der Aktino-
mykose. — Innere Medizin: Tedesko, Benzol bei Blutkrankheiten. —
Kinderheilkunde: Harriehausen, Autovaccination der Säuglings-
furunkulose.
Allgemeine Pathologie und pathologisch? Anatomie.
H. Schneider: Erblichkeit des Atheroms. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Stammbaum einer Familie, in deren Gene¬
rationen 11 Atheromfälle vorgekommen sind. Dünner.
H. Frei fei d: Ueber das kristallinische Hyalin. (Beiträge zur
pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von
E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. beschreibt eine neue Eigenschaft des
Hyalins, nämlich seine Kristallisationsfähigkeit. Es kommt von 1. als
wohl ausgebildete rhombische Kristalle; 2. als kugelige Gebilde, durch
Verschmelzung von amorphen und kristallinischen Formen des Hyalin
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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entstanden. Da dieselben Kristallformen für das epitheliale wie für das
mesodermale Hyalin charakteristisch sind, kann man darin keinen weiteren
Grund für die Identität beider Hyalinarten erblicken. Benn.
C. Ciaccio: Ueber die Anwesenheit von lipoiden Substanzen in
den Mastxellen. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 2.) In normalen
Geweben enthalten Mastzellen keine lipoiden Substanzen, dagegen bei
chronischen entzündlichen Prozessen, im Stroma von Geschwülsten und
bei Hyperaktivität des Fettgewebes. Aus den Mastlipoidzellen können
die sogenannten Lecithinzellen werden.
N. Anitschkow und S. Chalatow*. Ueber experimentelle
Ckolesterinsteatoso und ihre Bedeutung für die Enstehung einiger
pathologischer Prozesse. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24. Nr. 1.) Füttert
man Kaninchen mit Cholesterin, so entsteht eine reichliche Infiltration
der Leber mit doppelt brechenden Substanzen, zugleich Intimaverände-
ruogen der Aorta und Rindenbypertrophie der Nebennieren. Alle Ver¬
änderungen entsprechen den bei Eigelbfütterung. Die Cholesterin-
iofiltration findet sich analog bei Meerschweinchen, nicht aber bei Ratten.
Die schädliche Cholesterinwirkuug ist also nicht bei allen Tieren gleich.
T. Yatsushiro: Experimentelle Studie über die Emigration von
Leikoeyton bei der Entzündnng. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.,
B. 12, H. 1.) Durch Aleuronataufstauung, aber sehon durch Blosslegung
lässt sich auch an grösseren Venen Auswanderung von Leukocyten be¬
obachten. Blutstromverlangsamung, Gefässwandschädigung, Blutdruck¬
steigerung spielen keine Rolle, vielmehr ist die Chemotaxis allein maass¬
gebend. Dietrich.
G. Bernhardt: Ueber Blntplättchenbefiiade in inneren Organen.
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. wirft die Frage nach dem
Schicksal der Blutplättchen auf, über die sich in der Literatur keine
Angaben finden. Er untersuchte Organteile, namentlich Milzen an
Scharlach Verstorbener, die in den ersten Tagen der Erkrankung ge¬
storben waren; daneben einige Fälle von Diphtherie, Typhus, Sepsis,
Diabetes. Er fand Blutplättchen in den meisten inneren Organen; in
ungeheurer Anzahl jedoch in der Milz im Stadium des akuten Milztumors.
Hier lagen sie teils frei im Tumor, teils in der Pulpa, sehr reichlich
aber auch innerhalb der sogenannten Milz- oder Pulpazellen. Aus den
vielen interessanten Beobachtungen des Verf. sei nur diese hier noch
erwähnt: bei der Durchmusterung der zahlreichen Schnitte fand sich
niemals ein Bild, das auf einen Zusammenhang der roten Blutkörperchen
und der Blutplättchen schliessen liesse.
B. Roman: Zur Kenntnis der myeloischen Chlorolenkämie. (Bei¬
träge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben
von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. gibt Krankengeschichte, Sektions¬
befund und histologische Ergebnisse von drei Fällen von Chloromen;
bespricht dann die Frage der Leukämie, ob Tumor oder hyperplastische
Wucherungsprozesse, und die Stellung des Chloroms zu diesen Krank¬
heitsbildern. Er kommt zu dem Schluss, dass die Chlorombildung bis
auf ihre grüne Farbe als identisch mit Leukämie anzusehen sei; sie
unterscheidet sich durch ihre Malignität von den einfach leukämisch
hyperplastischen Prozessen.
W. Fischer: Ueber die lokale Anhäufung eosinophil-gekörnter
Lonkoeyten in den Geweben, besonders beim Krebs. (Beitr. zur pathol.
Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler,
Bd. 55, H. 1.) Verf. behandelt die Frage der „lokalen Eosinophilie“,
die bei ganz verschiedenartigen Affektionen zu beobachten sei. Be¬
sonders hochgradig sei sie bei manchen Krebsen (Plattenepithelkrebsen
und Krebsen des Magendarmkanals) und bei den meisten Fällen von
Hodgkin’schen Granulomen. Es finden sich jedoch regelmässig daneben
noch polymorphkernige Leukocyten oder Lymphocyten und Plasma-
zelleD. Mitosen in den Kernen sowie phagocytäre Tätigkeit der eosino¬
philen Zellen konnte Verf. nicht beobachten. Anhaltspunkte für ihre
lokale Entstehung in den Geweben ergaben die Untersuchungen nicht.
Vielmehr scheinen sie aus emigrierten Blutzellen entstanden zu sein.
Benn.
E. Freund uod G. Kaminer-Wien: Ueber chemische Wirkmag
vti Röntgen- «ad Radinmbestrahlang in bezug auf Careinom. (Wiener
klin. Wochenschr., 1918, Nr. 6.) Die Verff. fassen ihre Versuche dahin
zusammen: Toxische Röntgenbestrahlung bewirkt das Verschwinden der
im normalen Gewebe und im normalen Serum vorkommenden, äther¬
löslichen, Carcinomzellen zerstörenden Fettsäure. Exzessive Radium¬
bestrahlung vermag im Gegensatz hierzu aus dem pathologischen Nucleo-
globulin der Carcinomatösen eine in Aether lösliche, Carcinomzellen zer¬
störende Fettsäure freizumachen. Carcinomzellen werden nur durch
Radium-, nicht durch Röntgenbestrahlung, ihres pathologischen Selektions-
vermöges für Kohlehydrate beraubt. P. Hirsch.
K. Kris che: Kombination von Krebs and Tnberknlose in me-
taatatiseh erkrankten Drfcsen. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12,
H. 1.) Ein Plattenepitheicarcinom des Arms auf dem Boden eines Lupus
setzt Metastasen in den Achseldrüsen, in denen sich Carcinom und
Tuberkulose innig vereint fanden. Die Tuberkulose ist aber älter, und
in die weiteren Metastasen wurde nur Carcinom verschleppt.
M. Plant: Ueber zwei weitere Fälle von Defekt des Heribentels.
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Io beiden Fällen lag
das Herz in der linken Pleurahöhle, *on Pericard fanden sich nur rudi¬
mentäre Halten. Klinische Erscheinungen bestanden nicht u
r . i f r a. ■ i ' j Dietrich,
Wagner-Wien: Ein Fall von metastatischer Carciiematese des
Hersmoskels. (Wiener med. Wochenschr., 1918, Nr. 1.) Kasuistischer
Beitrag. A. Bend ix.
H. Hensen: Ueber einen Fall von Aneurysma der Aorta ascendens
mit Erzeugung von Palmonalstenose und Perforation in die Polmonal-
arterie. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Ein sack¬
förmiges Aneurysma, dicht oberhalb der Aortenklappen, buchtete sich
gegen die Pulmonalis vor und hatte wohl schon längere Zeit vor dem
Tode zu einer kleinen Perforation geführt. Dietrich.
A. Gigon: Eisen- und Alkaliimprägnation des Lnngengewebes.
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. beschreibt einen Lungen¬
befund, den er zunächst für einen Fall von „Eisenkalklunge* hielt, wie
Kockel und Bitterolff je einen früher veröffentlicht batten. Die
färberische uod mikroskopische Untersuchung bestätigte auch zunächst
diese Annahme. Die chemische Untersuchung zeigte jedoch, dass keine
Spur Calcium in dem Gewebe anwesend war. Verf. vermutet, dass auoh
die andern beiden Fälle der Literatur in Wirklichkeit keinen Kalk ent¬
halten hätten. Benn.
G. Kreglinger: Ueber ein primäres Broncbialcareinom. (Frank¬
furter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Ein kuglig aus der Wand des
linken Hauptbronchus submucös entspringendes Carcinom führten zu
ausgedehnter Brouchektasenbildung mit putridem Katarrh. Das Carcinom
muss von einem versprengten Keim abgeleitet werden.
S. Schönhof: Zur Kenntnis des lokalen tnmorfb’rmigen Amy¬
loids. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Bei chronischer
Lungentuberkulose fanden sioh am Zungengrund und im Larynx kleine
geschwulstartige Knoten, die aus amyloiden Ablagerungen bestanden mit
reichlich Riesonzellen in der Umgebung, auoh die benachbarten Gefässe,
Schleimdrüsen und Muskelfasern enthielten Amyloid. Es handelt sich
also nicht um autonome Neubildung, sondern um lokal gehäufte Ein¬
lagerung in die Schleimhaut.
W. Kniaskoff: Ein Fall von endotheliomähnlichem Lymphom.
(Frankfurter Zeitsehr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.) Beschreibung eines
Falles von Lymphdrüsenwucherong am Hals, später des Mediastinums,
die wohl Aebnlichkeit mit Granulomatose hat, sich aber durch Ueber-
wiegen der grossen Zellen auszeichnet.
T. Mori: Ueber das Auftreten thyreotoxischer Symptome bei
Geschwnlstmetastasen in der Schilddrüse. (Frankfurter Zeitschr. f.
Pathol., Bd. 12, H. 1.) Durch metastatische Geschwülste können ebenso
wie durch primäre Schilddrüsentumoren Basedowsymptome hervorgerufen
werden. Diese entstehen durch Hyperresorption reichlich vorhandenen
kolloiden Bläscheninbalts infolge des Druckes der rasch wachsenden Ge¬
schwulst und des neugebildeten Stromas. Dietrich.
Hueter: Ueber Thymnscystcn. (Beiträge zur pathol. Anatomie u.
zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.)
Verf. beschreibt einen Fall von multiplen Cysten in der Thymus eines
24 jährigen Mannes. Bisher waren sie nur in der Thymus von früh¬
geborenen oder neugeborenen Kindern mit kongenitaler Lues beobachtet
worden. Verf. untersuchte daraufhin bei einer weiteren Anzahl von
Fällen die tbymiscben Fettkörper älterer Leute und fand zweimal
multiple Cysten: einmal bei einer 81jährigen, dann bei einer 90jährigen
Frau. Ein bestimmtes Urteil über die Genese der Cysten lässt sich
nicht abgeben. Lues lag in keinem Falle vor. Benn.
O. Meyer: Thyreoiditis chronie. mal. (Frankfurter Zeitschr. f.
Pathol., Bd. 12, H. 1.) Unter diesem Namen wird ein chronischer
granulomartigev Prozess beschrieben, ausgezeichnet durch Reichtum an
Plasmazellen und eosinophilen Zellen, Neigung zu Schwielenbildung,
aber ohne Nekrose. Er erstreckte sich vom rechten Schilddrüsenlappen
bis ins Mediastinum. Fränkel-Much’sche Stäbchen fanden sich nioht.
P. Geipel: Cystenbiidnng des Baachfells bei Tnberknlose.
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 1.) An der Bauchfellfläche tuber¬
kulöser Darmgeschwüre sassen Cysten, die aus erweiterten Lympbgefässen
heivorgegangen waren. Neben rein mechanischer Behinderung des Ab¬
flusses kommen für die Entstehung entzündliche Momente in Frage.
Dietrioh.
A. Zitronblatt-Moskau: Zur Kasuistik and Histogenese der
Nabeladeaome. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 8.) Kasuistische
Mitteilung. Die echten Adenome des Nabels entstehen aus Resten des
Dotterganges in der Nabelnarbe. Wolfsohn.
A. Veoci: Ueber Sehleimanstritt aus dem Warmfortsatz (Schleim-
pseudocyten in der Mesoappendix). (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 2.)
Die Bildung von Schleimcysten im Mesenteriolura wird nicht von
Divertikeln aus erklärt, sondern von Eindringen der im abgesperrten,
chronisch entzündeten Wurmfortsatz produzierten Schleimmassen in die
Lymphbabnen.
S. El perin: Ein Fall von angeborenem Defekt des Duet. ehole-
dochns aut mechanischer Ursache. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.,
Bd. 12, H. 1.) Die Atresie des Duct. choledochus wird mit einer un¬
gewöhnlichen Entwicklung der Leberlappen in Verbindung gebracht und
durch mechanische Abdrängung der Leber im Fetalleben erklärt.
S. Saltykow: Ueber das reine Cholesteatom des Ovarinms.
(Centralbl» f. Pathol., Bd. 28, Nr. 24.) Der Befund einer kleinen Cyste
i mit typischem^Inhalt ivpn Hornsohuppen und Cholesterin jmd Ausktei-
; düng von Plattenepithel wird als einseitig entwickeltes Teratom gedeutet.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
K. Martins: Ein Fall von persistierender wahrer Kloake mit
bandförmigem Ovarinm und anderen seltenen Missbildungen im Uro¬
genitalsystem. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 1.)
Dietrich.
Bunds oh uk: Ueber warzige Hyperplasien der Gehirnoberfläche
des normal gefurchten Grosshirns bei einem Fall von Syringomyelie.
(Beiträge zur pathol. Anatomie u. zur allgemeinen Pathologie, heraus¬
gegeben von E. Ziegler, Bd. 55, H. 1.) Verf. gibt eine sehr eingehende
Beschreibung des histologischen Befundes bei warziger Hyperplasie der
Gehirnoberfläche. Die kleinen, runden, flachen, hanfkorngrossen Erhaben¬
heiten, die auf vielen Windungen, namentlich des Stirnhirns sassen,
stellten sich mikroskopisch als Vorstülpungen dar, die den ganzen Quer¬
schnitt der oberflächlichen Gehirnsubstanz enthielten. Es bestand gleich¬
zeitig Syringomyelie in dem Fall. Bemerkenswert ist, dass irgendwelche
psychische Störungen nicht Vorlagen, im Gegensatz zu den anderen in
der Literatur beschriebenen derartigen Fällen.
C. Ciaccio und S. Scaglione: Beitrag zur zellulären Physio¬
pathologie der Plexus ehorioidei. (Beiträge zur pathol. Anatomie u.
zur allgemeinen Pathologie, herausgegeben von E. Ziegler, Bd. 55,
II. 1.) Vorf. studierte die Zellen des Hirnpleius bei normalen Ver¬
hältnissen an verschiedenen Säugetieren und bei verschiedenen Intoxi¬
kationen und Infektionen, die experimentell bei Kaninchen hervorgerufen
wurden, endlich bei verschiedenen pathologischen Zuständen des Menschen.
Die Ergebnisse sind in färberischer, chemischer und histologischer Hin¬
sicht bemerkenswert, zu kurzem Referat nicht geeignet. Benn.
Siehe auch Chirurgie; Forssner, Darmatresie.
Diagnostik.
Th. Hausmann - Rostock: Der Urobilinnaehweis mittels Kupfer¬
sulfat. (Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 8.) Empfehlung einer
alten, von Bogomaloff angegebenen Methode: 10 ccm Harn werden
mit 20 Tropfen 10 proz. Kupfersulfatlösung versetzt und umgeschwenkt.
Dazu kommen dann 2 bis 4 ccm Chloroform. Bei Anwesenheit von
Urobilin färbt sich das Chloroform gelb (bzw. rosa). Wolfsohn.
A. May er-Frankenhausen: Verwendung der elektrischen Taschen-
later ne als diagnostisches Hilfsmittel bei unsicheren Hydrocelen. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Dünner.
C. Hirsch-Frankfurt a. M.: Sympathischer Nystagmus bei Erysipel.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In einem Falle von Gesichts¬
erysipel fand Verf. einen Spontannystagmus nach der erkrankten Seite
hin. Er untersuchte daraufhin 40 weitere Fälle und fand in allen das
erwähnte Phänomen, das er demnach für ein konstantes Symptom bei
Kopf- und Gesichtserysipel hält. Differentialdiagnostisch ist dies Zeichen
wichtig bei Erysipelen der behaarten Kopfhaut, weiterhin bei Mittelohr¬
eiterung mit noch nicht sichtbaren erysipelatösen Hauterscbeinungen.
Im letzteren Falle lasse man sich nicht dazu verleiten, den bestehenden
Nystagmus als intracranielle Komplikation aufzufassen.
H. Schmidt-New Surrey (England): Capillaranalytische Bestim¬
mungen der freien Salzsäure im Blagensaft. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 8.) Angeregt durch die Arbeit von Holmgren hat
Verf. folgende Methode ausgearbeitet: Ein Tropfen Magensaft wird aus
einer Capillarpipette auf feines Congo-Filtrierpapier ausgeblasen, und
zwar so, dass er in das Centrum eines graduierten Achsenkreuzes fällt.
Peripher von dem blauen Säurefleck entsteht dann ein sogenannter
Wasserfleck, aus dessen Breite die Säuurekonzentration sich mathematisch
berechnen lässt. Das Verfahren zeigt annähernde Uebereinstimmung mit
der gewöhnlichen Congotitration und der Citron’schen Methode.
Wolfsohn.
Parasitenkunde und Serologie.
P. Steffens-Freiburg i. Br.: Ueber die biologische (baktericide)
Wirkung der Anionenbehandlung. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.)
Aus den Versuchen des Verf. geht mit Sicherheit hervor, dass den Hoch¬
spannungsbestrahlungen eine zweifellose, bakterienfeindliche Wirkung zu¬
zuschreiben ist. Am schönsten liess sich diese direkt baktericide
Wirkung durch die Anionenbestrahlung mittels der Kondensatorelektrode
erzielen, woraus sich die Indikation ergibt, die Anionenbehandlung be¬
sonders bei Hauterkrankungen zur Anwendung zu bringen.
H. Knopf.
Craig: Beziehungen von Amöben zur Krankheit. (Americ. journ.
of med. Sciences, 1913, Nr. 1.) Experimentelle Studien mit Amöben,
die Verf. zu dem Schluss bringen, dass Entamoeba coli ein harmloser
Parasit ist, während Entamoeba histolytica und tetragena als Erreger
der Amöbenruhr anzusehen sind. Sie zu züchten, ist noch nicht ge¬
lungen; alle kulturellen Arten zeigen in jeder Hinsicht ein ganz anderes
Verhalten und gehören einer anderen Klasse an. Sch« lenz.
M. Rothermundt, J. Dahle, S. Peschic-Bern: Das Quecksilber
in der Therapie der Spiroehäteuinfektion auf Grund experimenteller
Studien an Tieren. (Zeitschr. f. Immunitätsforscb., Bd. 16, Nr. 2.) Mit
allen Hg-Präparaten lassen sich bei richtiger Dosierung Heilerfolge bei
der Hühnerspirillose erzielen. Für die akut verlaufende Spirillose ist
der therapeutische Wert der löslichen und unlöslichen Präparate ziemlich
gleich. Die Heilkraft der ^-Verbindungen der aliphatischen Reihe
scheint von dem Hg-Prozentgehalt in erster Linie abhängig zu sein.
Nur bei den Präparaten der aromatischen Reihe trifft diese Gesetz¬
mässigkeit nicht zu. Hier lassen sich chemotherapeutische Effekte er¬
zielen, ohne dass dabei eine Abhängigkeit vom Hg-Gehalt ermittelt
werden kann. Durch Einführung der Sulfaminogruppe kommt stark
parasiticide Wirkung bei geringer Organgiftigkeit zustande. Das beste
Präparat erscheint den Verff. in dieser Richtung das Dimethyl-phenyl-
pyrazolon-sulfamino-Hg zu sein.
T. Aoki-Tokio: Ueber die Verwertbarkeit von alkoholischem
Hihnerherzeitrakt als Antigen bei meiner einfachen Komplement-
bindnvgsreaktion. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.)
Alkoholischer Extrakt aus Hühnerherz gibt als Extrakt bei der Wasser-
mann’scben Reaktion günstigere Resultate als der vom Meerschweinchen¬
herz. Nach Verf. Methode sollen die Reaktionen der mit fötalem Leber¬
extrakt ausgeführten Reaktionen fast gleichwertig sein. Man braucht
dabei nichts weiter als 0,2 ccm Serum, 1 ccm 1 proz. Hühnerherzextrakt
und 2 proz. Aufschwemmung von Kaninchenblut. 89 Versuche ergaben
dem Verf. fast stets Resultate, die mit der Wassermann’schen Reaktion
überein stimmten.
W. Heimann-Göttingern Die „SänreagglntiBation“ innerhalb der
Typhns - Paratyphusgriippe, insbesondere sogenannter Paratyphus C-
Bacillen. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Angaben
von Michaelis und Beniasch konnten für die Typhus-Paratyphus¬
gruppe bestätigt werden. Durch ihre bestimmte und zuverlässige
Gruppenreaktion dürfte die Reaktion sich in der Hand des Praktikers
als brauchbar erweisen.
F. H. Thiele und D. Embleton-London: Die Rolle der Lipoide
in der Immunität. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.)
Gewaschene Hammelerythrocyten wurden getrocknet und dann extrahiert
a) mit Aceton, b) mit Aceton und Aether, c) mit Aceton, Aether und
Alkohol. Die verschiedenen Rückstände und Lipoide wurden Kaninchen
injiziert. Das Serum der so vorbehandelten Tiere zeigte dieselbe hämo-
lysierende und agglutinierende Kraft wie bei Behandlung mit unextra-
hierten Blutkörperchen. Die Entfernung der Lipoide begünstigt die
Produktion eines agglutinierenden Serums nicht. Lipoide allein rufen
keine Antikörperbildung hervor. Aehnliche Versuche wurden weiterhin
mit Extrakten von Katzenlebern und -nieren angestellt, wobei sich
analoge Resultate ergaben. In bezug auf die Anaphylaxie fanden die
Verff., dass Meerschweinchen ebensogut mit extrahierten Antigenen über¬
empfindlich gemacht werden können wie mit unveränderten. Durch Vor¬
behandlung mit Lipoiden allein gelingt cs hingegen nicht, Meer¬
schweinchen überempfindlich zu machen. Reingewaschene Phosphatide
können für die Komplementbindung nicht als Antigene dienen. Band¬
wurmlipoide wirken antigen mit dem Serum von Kaninchen, die mit
einer auf 60° erhitzten Zerreibung von Taenia crassicollis vorbehandelt
wurden.
F. H. Thiele und D. Embleton-London: Die Erzeugung von
Temperatardifferenzen (im Anaphylaxievergaeb). (Zeitschr. f. Im¬
munitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Experimente der Verff. bestätigen
die Angaben von Friedberger und Mita, wonach die temperatursturz-
und fieberproduzierenden Substanzen dieselben sind. Die Resultate sind
nur von der Menge des Antigens abhängig: In grossen Dosen wirkt das
in vitro erzeugte Anaphylatoxin tödlich, in mittleren temperatur-
erniedrigend, in kleineren fieberproduzierend. Je mehr Diamidobasen
das Antigen enthält, desto toxischer wirken die Spaltungsprodukte.
Monoamidosäure und die niedrigen Spaltungsprodukte haben keine tem-
peraturbeeioflussenden Eigenschaften. Gekochtes Bakterieneiweiss wird
viel langsamer gespalten als ungekochtes und wirkt deswegen weniger
toxisch. Je feiner Bakterienleiber zerkleinert sind, desto schneller und
grösser sind die Temperaturerscheinungen nach der Einspritzung.
. E. Friedberger und G. Kapsenberg-Berlin: Die Anapbyia-
toxinbildang aus tierischen Bacillen und durch Plasma an Stelle von
Serum. (Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Bd. 16, Nr. 2.) Die Abspaltung
des Anapbylatoxins durch Serum geliugt in gleicher Weise wie bei Ver¬
wendung von Kulturbakterien auch mit tierischen Bacillen. In beiden
Fällen ist das Plasma etwa ebensogut wie das Serum zur Giftbildung
geeignet. Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Klemperer, Behandlung der
Tuberkulose mittels Tuberkelbacillen.
Innere Medizin.
Reinhardt-Darmstadt: Ein Fall von SitBfl viscenm iawemts
totali8 bei Zwillingen (Rekruten). (Deutsche militärärztl. Zeitschr.,
1912, H. 24.) Schnütgen.
R. Reinhardt-Heidelberg: Ueber das yerhältnis von C0 2 -Abs-
sebeidang zur Atemgrösse beim Lungenempbysem. (Deutsches Archiv
f. klin. Med., Bd. 109, H. 1 u. 2.) Die Atemgrösse des Emphysematikers
ist um ca. 50 pCt. grösser als beim Normalen; die Atemfrequenz ist
erhöht, der einzelne Atemzug dabei aber eher etwas tiefer als beim
Gesunden. Um die gleiche Kohlensäuremenge auszuatmen, führt der
Emphysematiker eine grössere Atemexkursion aus. Um einen Zuwachs
der Atemgrösse zu erzielen, ist ^ei dem Emphysematiker pin durch¬
schnittlich höherer C0 2 -Gehalt dqf ; Inspirationsluft nötig , als'bein^ Ge- }
sunden. Die Atemmechanik beim Lupgeuemphysem, ist also weoigei;
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3. Mftn 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
407
leistungsfähig als beim Gesunden. Schon in Ruhe wird zur Ausscheidung
einer bestimmten CO r Menge eine grössere Luftmenge bewegt und bei
COfbaltiger Inspirationsluft genügt die Atmung zur Ausscheidung der
CO, nicht. G. Eisner.
t. Hain iss: Diagnostischer Wert des Pitres'schen „Signe da Boa“.
(Wiener med. Wochensohr., 1913, Nr. 3.) Das „Signe du sou a besteht
darin, dass man auf die Oberfläche des Thorax ein Geldstück legt und
mit einem anderen leise darauf klopft, während man gleichzeitig auf der
gegenüberliegenden Seite auscultiert. Bei Anwesenheit von Exsudat soll
ein starker Metall klang hörbar sein, über normalen Lungen ein dumpfer
Metallton ohne jeden Klang, über infiltrierter Lunge ein Hartholzton.
Dies soll besonders für den Pädiater wichtig sein zur Diagnose eines
Pleuraexsudats.
Tedesko-Wien: Bemerkungen zur Benzoldarreiehing bei Blnt-
kraikheiten. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 2.) Verf. berichtet
über einen Pall von Leukämie, der durch die Koranyi’sche Benzoltherapie
sehr günstig beeinflusst wurde. Das Mittel beeinflusste einerseits die
Erythropoese sehr günstig, andererseits hatte es eine unverkennbare
Wirkung auf die qualitative Beschaffenheit der weissen Blutelemente.
A. Bendix.
Lommel-Jena*. Ueber die sogenannte „BantPsehe Krankheit“ und
den bäBilyttachen Icterus.» (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109,
H. 1 u. 2.) Die Pathologie der Spenomegalien mit Anämie und Icterus
befindet sich zurzeit noch in einem unfertigen Stadium. Mitteilung
iveier einschlägiger Fälle, von denen einer das ausgeprägte Bild des
Morbus Bantii zeigte, der zweite ein familiärer hämolytischer Icterus war.
G. Eisner.
A. P lehn -Berlin: Einige seltenere Fälle von Erkrankungen der
kiltbereitenden Organe. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.)
Vortrag im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin
am 9. Dezember 1912. Wolfsohn.
Düren und Summers: MediastiaoperiearditU behandelt mit
Cardielyais (Brauer). (American, journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 1.)
Kasuistischer Beitrag. Sehe lenz.
Schmidt-Bruck: Ueber HerzstoM nnd Pnlsknrven. (Wiener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Nach dem Verf. entsteht der Herzstoss da¬
durch, dass während der Systole der in der Richtung nach der Herz¬
basis sich bewegende Blutstrom an die sieb schliessende Zipfelklappe
zurückprallt und nach der Herzspitze zurückflutet A. Bendix.
Baldwin: Ein Fall von Alcaptonnrie. (American, journ. of med.
Sciences, 1913, Nr. 1.) Kasuistischer Beitrag. Bemerkenswert erscheint
dem Verf., dass die Mehrzahl der Fälle aus Deutschland stammen.
Auch die in anderen Ländern beobachteten Fälle betrafen meist deutsche
Patienten, wie ebenso dieser Kranke aus deutscher Familie stammte.
Schelenz.
H. Straub-Tübingen: AeidosebestiiiMingen bei Diabetes nellitas.
Klinische Untersuchungen über die Kohlensäurespannung der Alveolar¬
luft. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Bei Ent¬
ziehung der Kohlehydrate sinkt beim Nichtdiabetiker die Kohlensäuren¬
spannung zunächst ab, erreicht aber nach einigen Tagen das ursprüng¬
liche Niveau wieder. Beim Diabetiker tritt eine stärkere Senkung der
Kohlensäurespannung ein, das alte Niveau wird später erreicht als beim
Gesunden. Bei schweren Fällen von Acidose erreicht die Kohlensäure-
spannung die normale Höhe nicht oder nur vorübergehend wieder. Es
treten starke Schwankungen der Kohlensäurespannung ein, wenn der
Körper um seinen Alkalibestand kämpft. Mit zunehmender Acidose
sinkt die Kohlensäurespannung mehr und mehr ab, um im Goma dia-
betioum die niedrigsten Werte zu erreichen. Mit der Höhe der Keton-
urie geht die Kohlensäurespannung nicht immer gleichsinnig. Weder
die Verfolgung der Ketonurie allein, noch der Kohlensäurespannung
allein gibt Auskunft über den Grad der Ketonkörperbildung. Erstere
zeigt die Menge der Ketonkörperausscheidung, letztere die der Keton¬
körperretention an. Beide Methoden zusammen dagegen lassen einen
Schluss auf das Maass der Ketonkörperbildung zu. Durch Alkalizufuhr
lässt sich die sinkende Kohlensäurespannung in die Höhe treiben. Ver¬
sagt die Neutralisation, so sinkt die Kohlensäurespannung trotz Alkali¬
zufuhr. Zufuhr von Kohlehydraten erhöht pathologisch erniedrigte
Koblensäurespannung. An Hafertagen tritt in der Regel kein Anstieg
der Kohlensäurespannung ein. Dagegen steigt sic danach häufig trotz
kohlebydratfreier Diät. G. Eisner.
A. Hamm-Strassburg i. E.: Ein seltener Fall von Colipyämie; ein
Beitrag zur klinischen Bedeutung des Bakterienanaphylatoxins. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bei einer Frau, die an einer
Colicystitis litt, wurde von anderer Seite ein Abort ausgeräumt. Im
Anschluss daran fast täglich heftigste, sich über Stunden binziebende
Schüttelfröste mit hochgradiger Atemnot; die Anfälle wurden auffällig
gut durch Adrenalin beeinflusst. Im Blut Hessen sioh Golibakterien nie
nach weisen. Bei der Autopsie fanden sich lediglich Thromben der
Beckenvenen und ein kleiner Lungeninfarkt; also ein nur geringfügiger
pathologisch-anatomisoher Befund. H. mutmaasst, dass es sich in seinem
Falle um eine akute Giftwirkung der in grossen Mengen aus dem in¬
fizierten Thrombenmaterial in den Kreislauf hineingeschwemmten Goli¬
bakterien bandelt. Die oben geschilderten Symptome fasst er als Ver¬
giftungserscheinungen auf, dfe durch 'die Abbauprodukte des körper¬
fremden Eiweisses entstehen. Dünner.
Pulawski-Warschau*. Bright’sche Krankheit. Zweimalige Ede-
hehl’seke Operation. Basedowsymptome zum Schlüsse des Lebens.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Verf. beschreibt einen Fall,
bei dem wegen Nephritis und Urämie beide Nieren decapsuliert wurden,
und der später unter Basedowsymptomen zugrunde ging.
A. Bendix.
P. Erdölyi-Budapest: Ueber die Ausscheidung der stickstoff¬
haltigen Stoffweehselprodnkte hei Nephritis und über die intravenöse
Anwendnng der Dinretica. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109,
H. 3 u. 4.) Die Diuretica der Theobromin- und Theocingruppe fördern
nicht nur die Ausscheidung des Wassers, sondern in leichten Fällen von
Nephritis im Falle von Stickstoffretention auch die Ausscheidung des
Stickstoffes. NaGl wird durch Einwirkung dieser Medikamente in er¬
höhtem Maasse ausgeschieden. Man soll also bei Nephritis schon im
ersten Stadium der Erkrankung Diuretica geben, selbst wenn keine
Oedeme vorhanden sind, um eventuelle Retentionen zu verhindern. Bei
Kranken mit Oedemen sind die Resorptionsverhätnisse ungünstiger. Verf.
wandte daher in solchen Fällen die intravenöse Injektion von Diuretica,
und zwar stets mit sehr gutem Erfolg an. G. Eisner.
Pick: Die Behandlung der Appetitlosigkeit, mit besonderer Berück¬
sichtigung ihrer nervösen Formen. (Wiener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 2.) Appetitlosigkeit ist häutig eine Begleiterscheinung nervöser und
psychischer Erkrankungen. Bei nur neurasthenischer Appetitlosigkeit
sind psychotherapeutische Maassnahmen am Platze. Bei der im Verlauf
einer manisch-depressiven Erkrankung auftretenden Appetitlosigkeit hat
sich die Behandlung auf die Grundkrankheit zu konzentrieren. Gegen¬
stand unserer Behandlung ist nicht die Appetitlosigkeit, sondern der
appetitlose Mensch. A- Bendix.
H. Lüthje-Kiel: Einige Bemerkungen zum Krankheitsbild der
Ryperaeidität. (Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) L. verordnet eine
reine lactovegetabilische Kost, und zwar zunächst immer in Form der
Lenhartzdiät, aber ohne Fleisch. Mit geringen Ausnahmen schwanden die
hyperaciden Beschwerden fast sofort. Nach Monaten wird versuchsweise
etwas Fisch, Geflügel oder feingewiegtes Rindfleisch gereicht. Neben
der psychotherapeutischen Beeinflussung empfiehlt Verf. zur Regelung
des Stuhlgangs manuelle oder elektrische Vibrationsmassage bzw. Walz¬
massage, eventuell kombiniert mit Oeleinläufen in das Rectum. Leicht
abführende Mineralwässer, wie Homburger Elisabethbrunnen, Kissinger
Rakoczy tuen gute Dienste. R. Fabian.
G. A. Lallemant und 0. Gross-Greifswald: Stoffwechsel versiehe
mit abgebautem Fleisoheiweiss (Ereptoi). (Therapeut. Monatsb., Februar
1913.) Die Versuche ergaben, dass das künstlich verdaute Fleischeiweiss
imstande ist, beim Gesunden per os gegeben, natives Eiweiss zu ersetzen.
Das Erepton ist zu empfehlen als ein hochwertiges Nährpräparat, dessen
Medikation für die Fälle angebracht erscheint, wo die Ergänzung und
Verbesserung der Nahrung durch ein Nährpräparat wünschenswert er¬
scheint. Auch rectal wird das Mittel gut assimiliert, doch werden die
Glysmata häufig nicht behalten. Bei schweren Pankreaserkrankungen
vermag das Erepton den Patienten ins Stickstoffgleichgewicht zu bringen.
H. Knopf.
S. Kemp: Beitrag zur Pathologie und Therapie des Magengeschwürs.
(Die Hypersekretion nach der Probemahlzeit) (Boas’ Archiv, Bd. 18,
H. 6, S. 701.) Von 550 Patienten wurde Hypersekretion nach Probe¬
frühstück bei 75 naebgewiesen, von denen 20 an Ulcus ventriculi, 18
an mutmaasslichem Ulcus erkrankt waren. In 70 Fällen von Ulcus
ventriculi waren 20 mit Hypersekretion, d. h. 28 pCt., in 55 Fällen von
fraglichem Ulcus 13, d. h. 24 pGt., in 425 Fällen von Dyspepsie 42,
d. h. 10 pCt. Kontinuierliche Hypersekretion (Parasekretion, Ewald)
kommt oft gemeinsam mit der Hypersekretion vor, aber noch öfter kommt
die letztere nach dem Probefrühstück allein vor. Die Parasekretion
führt also keineswegs immer eine digestive Hypersekretion mit sich.
Kemp hält es für das Beste, nach dem Vorgang von Schütz die Total¬
salzsäuremenge, d. b. den gesamten Mageninhalt multipliziert mit dem
Aciditätswert, dividiert durch 100, zu bestimmen und danach die Hyper¬
sekretion zu bemessen. Er findet dann bei 70 Patienten mit sicherem
Ulcus 43 pCt., bei 55 mit unsicherem Ulcus 29 pCt. und bei 425 Dys¬
pepsien 14 pCt. mit Hypersekretion. Besonderen Wert legt er auf den
Nachweis einer motorischen Insuffizienz, die unter 96 Fällen 43 mal
statt hatte, in Verbindung mit einer Hypersekretion. Der sogenannte
Sohicbtungsquotient (Strauss) ist kein brauchbares diagnostisches Hilfs¬
mittel, praktisch ist es unmöglich, eine Hypersekretion allein auf Grund
eines niederen Schichtungsquotienten zu diagnostizieren. Auch das
„trockene“ Probefrühstück sagt darüber nichts aus, da es, wie Doppel¬
versuche lehrten, auf die Inhaltsmenge des Magens den ihm sup-
ponierten Einfluss nicht hat. Unter 31 Patienten war nach trockenem
Probefrühstück bei 15 ein abnorm niedriger Sohicbtungsquotient
(< 30 pGt.), nach wasserhaltiger Probemahlzeit bei 16, also eine fast
gleiche Zahl. Ueberhaupt sind die Ergebnisse auch bei trockenem
Probefrühstück sehr wechselnd, und es ist ganz gleichgültig, ob man
zur Sekretionsuntersuchung eine Probemahlzeit mit oder ohne Flüssigkeit
anwendet. (Auf diesem Standpunkt stehen wir im Augustahospital seit
langem, lief.) Allerdings kommt ein Schichtungsquotient vou 80 od(er
darunter mit rtilativ gtosseijfr Häufigkeit beim Ulcus als bei den übrigen
Magenleiden vor, aber dass er seine Ursache in einer erhöhten
Sekretion seitens des Magens hat, dafür ist kein Beweis geliefert.
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408
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
J. Zadek: lieber hämorrhagische Erosionen «ad Magengeschwüre
und ihre Beziehungen zur Melaena neonatorum im Anschluss an vier
Fälle bei Säuglingen. (Boas’ Archiv, Bd. 18, H. 5 u. 6, S. 785.) Nach
einer eingehenden Besprechung der verschiedenen über die Entstehung
der hämorrhagischen Erosionen im Laufe der Zeit aufgestellten Ansichten
und Versuche berichtet Verf. ausführlich über einen Fall von multiplen
Magengeschwüren beim Neugeborenen und über drei Fälle von Erosionen
bei Säuglingen, die bei Lebzeiten sämtlich nicht das klinische Bild einer
Melaena boten, vielmehr gar keine Blutungen zeigten und unter ver¬
schiedenen, die Magendarmveränderungen nicht berücksichtigenden Dia¬
gnosen zur Sektion kamen. Die interessanten Krankengeschichten und
Epikrisen sind im Original nachzulesen. Die Aetiologie der Erosionen
und Geschwüre konnte trotz eingehender Erwägung aller in Frage
kommenden Möglichkeiten nicht mit Bestimmtheit festgelegt werden.
K. Hofius: Vergleichende Untersuchungen über die Röntgenphoto-
grapkie des Magens and die Gastrediaphanie. (Boas* Archiv, Bd. 18,
H. 5 u. 6, H. 741.) Hofius bemüht sich, die Gastrodiaphanie, die in
Deutschland zuerst duroh die auf meine Veranlassung von Kuttner und
Jacobsohn ausgeführten Bestimmungen gründlich bearbeitet, in letzter
Zeit aber wenig oder gar nicht mehr benutzt worden ist, wieder zu
Ehren zu bringen. Er hat vergleichende Beobachtungen mit der Röntgen¬
durchleuchtung und der Gastrodiaphanie angestellt und sich für die
letztere des Einhorn’schen Instrumentes bedient. fH. spricht von der
„Kuttner’schen Magenlampe“, ich muss aber historisch feststellen, dass
uns Einhorn seinerzeit ein Exemplar seines Gastrodiaphans zuschickte,
mit dem wir arbeiteten. Kuttner fügte einen seitlichen Ansatz zum
Wassereinfüllen und -ablassen hinzu. Wir fanden es später zweck¬
mässiger, den Magen mit dem gewöhnlichen Schlauch zu füllen und zu
entleeren. Die Einführung des Gastrodiaphans bietet gar keine Schwierig¬
keiten; das Gastrodiaphan von Heryng war ein unbrauchbares Monstrum,
dessen Schlauch etwa die Dicke eines Mannsdaumeos hatte.) Als Er¬
gebnis seiner Versuche findet Hofius, dass Gastrodiaphanie und Röntgeno-
graphie in allen Fällen (15) gleiche Resultate ergaben, soweit die
vorderen und linken Magengrenzen in Betracht kamen, dagegen die
elektrischen Durchleuchtungsbilder alle viel weiter nach rechts gehen
und mehr rundlich sind im Gegensatz zu den mehr gestreckten, fast
bandartigen Röntgen bildern. Die obere Grenze steht bei ersteren immer
horizontal; eine Ausnahme machte nur ein Fall von Sanduhrmagen, zu
dessen Diagnose ich schon vor Jahren (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
Festband für Kussmaul) die Gastrodiaphanie empfohlen habe. Wenn
aber Verf. sagt, „die Röntgenphotographie und die Gastrodiaphanie er¬
geben im wesentlichen gleiche Resultate; die Abweichungen wider¬
sprechen sich nicht, sondern ergänzen sich nur in äusserst wertvoller
Weise“, so dürfte er damit, und meines Erachtens mit. Recht, bei den
Röntgenologen wenig Zustimmung finden. Mit dem Gastrodiaphan kann
man sehr hübsch einen erweiterten Magen demonstrieren, auch sonst die
ungefähre Lage des Magens durch Hin- und Herschieben des Schlauohes,
auch den Verlauf der Speiseröhre kenntlich machen, aber in bezug auf
die feinere Topographie — eine Irreführung durch gleichzeitig erhellte
Darmschlingen kann nur dem ganz Ungeübten begegnen — und auf die
Diagnose von Gescbwulstbildungen, Narbenverzerrungen, Spasmen usw.
ist die jüngere Schwester der älteren doch fraglos überlegen. Dagegen
lässt sich nicht leugnen, dass das Instrumentarium billiger, überall mit-
zufübren und ohne besondere Schwierigkeiten zu benutzen ist.
M. Einhorn: Indikationen für Operationen bei Erkrankungen
des Verdanungstraktes. (Boas’ Archiv, Bd. 28, H. 5 u. 6, S. 728.) Aus
dem Vortrage von Einhorn, der eine gedrängte Uebersicht über obiges
Thema gibt, sind folgende Auslassungen hervorzuheben: „Bei akuten
Blutungen im Verdauungstrakte wird heutzutage die Operation nicht
mehr vorgenommen. Die Operateure sowohl wie der Kliniker stimmen
darin überein, dass es besser ist, derartige Fälle auf medizinischem Wege
zu behandeln, weil die Mortalität einer Operation sehr gross war. Manche
Chirurgen hatten 40 pCt., andere 50 und andere 60 pCt. Andererseits
ist festgestellt worden, dass die Mortalität dieser Fälle, wenn sie sich
selbst überlassen bleiben, gering ist. Wenn diese Fälle medizinisch be¬
handelt werden, so hört die Blutung gewöhnlich nach einiger Zeit auf.“
E. batte nur zwei Fälle von akuten Magenblutungen mit tödlichem Aus¬
gang, trotz eines recht grossen Materials.
S. Jonas: Ueber das Verhältnis zwischen Stahlbild and Darm¬
motilität und die wechselnden Stahlbilder der Hyperacidität and der
Acbylie. (Boas’ Archiv, Bd. 28, H. 5 u. 6, S. 769.) An der Hand einer
Reibe prägnanter Fälle von Stuhl bildern und gleichzeitiger röntgeno¬
graphischer Beobachtung der Darmbewegungen kommt der Verfasser zu
folgenden Schlusssätzen: Der Hauptmotor des Darms ist der Magen. Für
die Gestaltung des Stuhlbildes ist aber in erster Linie die Motilität der
unteren Dickdarmabsohnitte (Colon descendens, Sigma, Rectum) maass¬
gebend. Der Schluss aus dem Stublbild der Obstipation auf eine ver¬
langsamte Passage im gesamten Darmtractus ist unzulässig, weil dasselbe
auch bei schneller Passage des Darminhalts durch die oberen Darm¬
partien zustande kommen kann. Auch das Stuhlbild der Diarrhöe ist
immer durch eine Hypermotilität des Dickdarms bedingt, wenn an ihm
auch gleichzeitig Magen- oder Dünn- und Dickdarmerkrankungen beteiligt
sein können. Kommt bei Achylie (die mit Diarrhöe und Obstipation
verlaufen kann) eine verlangsamte Passage des oberen Dickdarms, so
dass die Flexura lienalis nicht wenigstens in sechs Stunden vom Wismut¬
brei erreicht wird, so ist der Verdacht auf ein Passagehindernis im
Magen oder Darm gegeben. Aus dem Stuhlbild der Diarrhöe kann nicht,
auch bei Anwesenheit von Bindegewebe, auf eine Achylie geschlossen
werden, weil es auch Fälle von Hyperacidität mit primärer Hypermotilität
und diarrhoischen Entleerungen gibt, die reichliche Mengen Bindegewebe
enthalten. Ewald.
F. Klemperer: Ueber die Behandlung der Taberkalose Mittel«
leheader Taberkelhaeillei. (Ein Beitrag zur Frage der Patentschutz¬
fähigkeit lebender Bakterien.) (Therapie d. Gegenw., Januar 1918.)
Verf. gibt eine zusammenfassende Uebersicht über die bisherigen Immuni-
sierungsversuohe mittels lebender Tuberkelbacillen (Perlsucht-, Hühner-,
Schildkröten-, Blindscbleichentuberkelbacillen). Alle die Versuche haben
das Gesetz bestätigt, dass „jede Varietät von Tuberkelbacillen, welche
für eine Tierart nicht oder wenig infektiös ist, dieser Tierart einen ge¬
wissen Schutz gegen die für sie infektiöseren Tuberkelbacillen verleiht“.
Beim Tiere kommt nach den Feststellungen vieler Autoren der Immuni¬
sierung mittels lebender .Tuberkelbacillen ein therapeutischer Wert zu.
Beim Menschen haben die bisherigen Versuche zu keinem abschliessenden
Urteil geführt. Verf. berichtet dann ausführlich über die Friedmann’sche
„Heil- und Schutzimpfung der menschlichen Tuberkulose“ (diese Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 47). Verf. sieht trotz mancher Uebertreibungen und
trotz des Mangels an Sorgfalt in den Feststellungen des Behandlungs¬
resultats in dem Friedmann’schen Mittel einen Fortschritt in der Be¬
handlung der Tuberkulose. Wie gross jedoch die Heilwirkung ist, muss
erst durch weitere Prüfung des Mittels entschieden werden. K. konnte
aus dem Injektionsinfiltrate eines Patienten, der vorher von Friedmann
behandelt wurde, den Friedmann’scben (dritten) Schildkrötenbacillus in
Reinkultur züchten. K. findet es unverständlich und als etwas ganz
Neues, dass Fried mann sein „Verfahren zur Herstellung von Heil- und
Schutzstoffen gegen Tuberkulose“ zum Patent angemeldet hat, um so
mehr als Arzneimittel nach dem Gesetze vom Patentschutz ausgeschlossen
sind und es sich in dem Fried mann’schen Mittel um käine neue Er¬
findung handelt. R. Fabian.
v. Noorden-Homburg: Indikationen und Wirkungen des Hombnrger
Tonsehlammos. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Bericht
über die Wirkung des Homburger Tonschlammes, der sicherlich dem
Fango ebenbürtig ist, bei den verschiedensten Krankheiten. Dünner.
Siehe auch Therapie: Schmidt, Behandlung Darmkranker mit
Sauerstoff. Boas, Folliculin, ein Abführmittel. Loening, Melubrin
bei Gelenkrheumatismus. Brosch, Innere Behandlung von Dickdarm¬
stenosen. — Diagnostik: Hausmann, Urobilinnachweis mit Kupfer¬
sulfat. Hirsch, Nystagmus bei Erysipel. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten: Hoffmann, Akute syphilitische Nephritis. — Chirurgie:
Wilms, Pfeilerresektion der Rippen zur Verengerung des Thorax bei
Lungentuberkulose. Henschen, Dauerdrainage von Ascites.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Devoto - Mailand: Aetiologie und Klinik der Pellagra. (Wiener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 1.) Der Genuss von verdorbenem Mais
verursacht Pellagra. Recidive sind möglich. Sogar ein Mensch, der sich
lange und in überwiegender Menge von gesundem Mais nährt, kann an
Pellagra erkranken. Nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse
kann man behaupten, dass die Pellagra eine schleichende chronische
Intoxikation ist, ausgezeichnet durch teilweise frühzeitig einsetzende Ver¬
änderungen des Nervensystems und durch ein grosses Heer von Er¬
scheinungen, welche auf Störungen der Verdauungswege, der Leber, der
Nieren, auf Erkrankungen der serösen Häute, funktionelle und anatomische
Mitbeteiligung der Gelasse, auf qualitative Modifikationen des Stoff¬
wechsels und wahrscheinlich auch der Nebenniere, auf ausgesprochen
schwere Erkrankungen der Nervencentren hinweisen und mit der Demenz
enden. Es fehlen selten Hautveränderungen, die unter dem Einfluss
des Sonnenlichts entstehen. Die Pellagra ist im Beginn eine gutartige
Erkrankung; rechtzeitig erkannt, kann sie besiegt werden, sobald der
Erkrankte mit dem Genüsse von Mais aufhört. Durch hygienische und
soziale Maassregeln ist es gelungen, in 12 Jahren die Zahl der Pellagra¬
erkrankungen in 8 italienischen Provinzen um 75pCt. zu vermindern.
A. Bendix.
K. Bonboeffer-Berlin: Zur operativen Therapie der Hirntnmoren.
(Therapie d. Gegenw., Januar 1913.) Verf. gibt einen Bericht über
63 Fälle von Hirntumor, von denen 26 operiert wurden, und zwar 24
mit typischer Knochenresektion, 2 nur mit Balkenstich, 26 sind un-
operiert gestorben, 11 haben die Klinik ohne Operation verlassen. Unter
den 24 operierten Fällen waren 15 inoperabel, auch unter den ver¬
storbenen 26 Fällen waren nach dem Obduktionsbefund 21 inoperabel.
Die Prognose der Gehirngeschwülste ist eine sehr schlechte und ist bei
der Beurteilung der operativen Resultate zunächst der hohe Prozentsatz
inoperabler Geschwülste zu berücksichtigen. Bei Vio der operierten
Fälle ist radikal mit länger dauerndem Erfolg und erheblicher Besserung
des Allgemeinbefindens vorgegangen worden. Bei einem Kranken wurde
die Arbeitsfähigkeit sicher erreicht, bei einem anderen stehen die Chancen
der Arbeitsfähigkeit gut. Um die Resultate der Operation zu bessern,
ist bei tumorverdächtigen Kranken eine möglichst frühzeitige Lokal-
diagnose nötig. R. Fabian.
Haskovec: Zur Symptomatologie und Diagnose der Störungen der
Cauda eqnina und des Conus oiedillaris. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 1.) An der Hand eines Falles gibt Verf. eine genaue Sympto¬
matologie derartiger Erkrankungen. A. Bendix.
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
409
Kinderheilkunde.
Harriehausen - Berlin: Atttovaecination der Säaglingsfaranka-
lose. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.) Zusammenfassuug: Die
Autovaecination der Säuglingsfurunkulose ist: 1. Eine ausgezeichnete,
spezifisch wirksame Therapie. 2. Aeusserst einfach in Herstellung und
Anwendung. 3. Vollkommen ungefährlich; Kontraindikationen.
E. Benjamin - München: Die Therapie des Scharlachs. (Thera¬
peutische Monatsh., Februar 1913.) Ergebnisse der Therapie.
H. Knopf.
J. Rosenfeld und M. Schrutka v. Rechtenstamm-Wien:
Chronische Albuminurien nach überstandener Scharlachnephritis.
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, 17. Juli 1912.) Die Verff. konnten
50 pCt. ihrer Scharlachnephritisfälle nachuntersuchen. Bei keinem
dieser Kinder liess sich mit Sicherheit eine schwere chronische Nephritis
feststellen. 11 pCt. hatten spontan Eiweiss im Urin, 30 pCt. erst dann,
wenn sie 10 Minuten lang in lordotischer Stellung gekniet batten. Von
all diesen Kindern mit „minderwertigen“ Nieren war der grösste Teil
ehemals mit Albumen im Urin entlassen worden. Dagegen bot nur ein
sehr geringer Prozentsatz der im Spitale vollkommen ausgeheilten
Nephritisfälle später das Bild der beschriebenen Albuminurie.
B. Grünfelder.
Brückner• Dresden: Zur Frage der praktischen Bedeutung der
Blntdrackuessang bei der Diphtherie. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 8.) Polemik gegen Schöne (Deutsche Klinik, Ergänzungs¬
band 3). B. beharrt auf dem Standpunkt, dass die Blutdruckmessung
bei der Diphtherie für den Kliniker entbehrlich sei. Drohende Herz¬
schwächen lassen sich auch aus rein klinischen Zeichen diagnostizieren.
Ch. Schöne - Greifswald: Ueber den Nachweis von Diphtherie-
Dtitoxin im Blutserum der damit behandelten Kranken und über die
Frage der Dosierung des Heilserams. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 8.) In den ersten Stunden nach der Injektion ist die bei
weitem grösste Menge des intravenös eingeführten Heilserums im Blute
nachweisbar. Ganz allmählich, nach Tagen und Wochen, wird das
Antitoxin ausgeschieden. Im Meerschweinchenversuch zeigen sich bei
intracardialer Zuführung von Toxin und Antitoiin dieselben gesetz-
massigen Bindungserscheinungen. Im grössten Teil der zu Heilungs¬
versuchen zur Verfügung stehenden Zeit reichen recht geringe Serum¬
mengen aus. Dagegen gibt es am Ende dieser Periode einen kurzen
Zeitabschnitt, in dem ausschliesslich die grössten Serummengen wirksam
sind. Wir sind genötigt, auch für gewisse Zeitpunkte bei schwerer
menschlicher Diphtherie die heilende Wirkung nur grösster Serummengen
anzunehmen. Wolfsohn.
Hecht-Wien: Ueber die physiologischen HerisehallVerhältnisse
im Kindesalter. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Eignet sich
nicht zu einem kurzen Referat. A. Bend ix.
J. Zappert - Wien: Ueber die akute schmerzhafte ßrastdriisen-
schwellang grösserer Kinder („Mastitis adolescentium“). (Zeitschr. f.
Kinderheilk., Bd. 4, 6. Juni 1912.) Z. beobachtete eine Anzahl von
Kindern ohne weitere Pubertätssymptome mit Schwellung und Schmerz¬
haftigkeit einer bzw. beider Brusdrüsen. Der Mangel entzündlicher Sym¬
ptome und das fast immer reaktionslose Zurückgehen der Schwellung
veranlasst Z. zu der Forderung, die Bezeichnung „Mastitis“ fallen zu
lassen und statt dessen die Bezeichnung „Akute schmerzhafte ßrust-
drüsenschwellung grösserer Kinder“ zu setzen. Z. erblickt in dem be¬
schriebenen Symptomenbild einen physiologischen, und nicht einen patho¬
logischen Befund, der auf eine veränderte Wirkungsweise des von den
Genitaldrüsen ausgehenden Brustdrüsenhormons zurückgeführtwerden muss.
K. Hochsinger-Wien: Was ist Scrofulose? (Zeitschr. f. Kinder¬
heilkunde, Bd. 4, 17. Juli 1912.) H. scheidet die nach der alten Diktion
scrofulösen Kinder mit Rücksicht auf das Symptom der Facies scrofulosa
in 4 Gruppen: 1. Kinder mit Facies scrofulosa ohne klinisch nachweis¬
bare Tuberkulose; 2. Kinder mit Facies scrofulosa und typischer Ober-
fiächentuberkulose; 3. Kinder ohne Facies scrofulosa, mit echter Ober¬
flächentuberkulose; 4. Kinder ohne Facies scrofulosa, ohne Spuren
äusserer Oberflächentuberkulose, aber mit manifester innerer Tuberku¬
lose. Er kommt zu der Ansicht, dass die Facies scrofulosa, ganz ähn¬
lich wie die parasyphilitischen Gesundheitsstörungen, eine Art paratuber¬
kulöser Erkrankung ist, welche sich auf dem Boden einer tuberkulösen
Vorinfektion unter dem Einfluss hygienischer Verwahrlosung entwickelt
hat, ohne aber Tuberkulose zu sein. Es bleibt aber eine besondere
Neigung zu späterer Oberflächentuberkulose. H. fasst den Begriff der
Scrofulose als ein spezifisch infantiles Krankheitsbild mit Ausschluss der
echten Haut- und Knochentuberkulose zusammen. Die Scrofulose ist
nach H. eine Art Paratuberculosis praecox früh infizierter Kinder.
J. K. Fried jung-Wien: Beobachtungen über kindliche Onanie.
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, 6. Juni 1912.) F. legt den Hauptton
auf das Gewohnheitsmässige und kann diese Beschäftigung bis in das
erste Halbjahr der Kinder zurückverfolgen. Er macht weder die Oxyuren
noch den Intertrigo für die Mehrzahl der Fälle verantwortlich, sondern
gibt gleich Freud dem unabsichtlichen Reiben der kindlichen Genitalien
bei der häufigen Reinigung vom Stuhle und beim Baden Mitschuld.
B. Grünfelder.
A. Schlossmann - Düsseldorf: Die Oekonomie im Stoff- and
Kraftweehsel des Säuglings. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 5.)
Stoeltzner-Halle: Larosan, ein einfacher Ersatz der Eiweissmillh.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Der Vorzug der Eiweiss¬
milch nach Finkelstein und L. F. Meyer gegenüber gewöhnlicher
Milch liegt in ihrem hohem Gehalt an Eiweiss und Kalb. St. versuchte
nun, durch Hinzufügen von Caseincalcium die mit gleichen Mengen
Wasser verdünnte Kuhmilch mit Eiweiss und Kalk anzureichern. Die
Firma HolTmann-La Roche liefert ein nach diesem Prinzip hergestelltes
Präparat Larosan in Pulverform. Man rührt 20 g Larosan mit Vs bis
1 / 2 Liter frischer Milch kalt an; die beiden anderen Drittel werden in¬
zwischen gekocht. Beides zusammengegossen wird dann 5 bis 10 Minuten
gekocht. Sieben durch ein Haarsieb und schliesslich mit der gleichen
Menge Verdünnungsllüssigkeit (Wasser oder Schleim bzw. Mehlabkochung)
gemicht. Die Larosanmilch wird im übrigen genau so gehandhabt wie
Eiweissmilch. Die Erfahrungen der Verff. sind gute. Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Zadek, Hämorrhagische Erosionen
und Magengeschwüre und Melaena neonatorium.
Chirurgie.
Burmeister - Concepcion: Bolas alba im Haudsehih. (Centralbl.
f. Chir., 1913, Nr. 2.) B. empfiehlt einen Bolusüberzug der Hände, der
ein leichtes Anziehen und gutes Anliegen der Handschuhe bedingt.
Neudörfer - Hohenems: Zur Verwendbarkeit der freien Faseien-
transplantation. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) N. hat in zwei
Fällen die durch Wegnahme einer Myelo-meningocele und einer Meningocele
occipitalis inferior entstandenen Defekte erfolgreich mit frei trans¬
plantierter 0berschenkelfascie gedeckt.
Hofmann-Offenburg: Zur Frage der freien Transplantation des
Peritoneam8. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 4.) H. hat einen markstück¬
grossen Serosadefekt, der von der Konvexität bis zum Mesenterialansatz
des Dünndarmrohres reichte, mit frei transplantiertem Peritoneum parie¬
tale gedeckt. Voller Erfolg.
Aizner-Lodz: Zur Ptosisoperation und freien Fascientransplan-
tation. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 5.) L. berichtet über zwei mit
sehr gutem Erfolge folgendermaassen operierte Fälle: Freilegung des
Muse, frontalis durch einen Querschnitt zweifingerbreit oberhalb der
Augenbrauen, Freilegung des Tarsus des Oberlids, durch einen ent¬
sprechenden Querschnitt, Tuunellierung der Haut zwischen den beiden
Schnitten. Ein 2 cm breiter und 10 cm langer Streifen der Fascia lata
femoris wird einerseits am Tarsus und nach Durchführung unter der
Hautbrücke auch am Muse, frontalis so fixiert, dass das Augenlid etwas
gehoben wird (gleich bei der Operation). Nochmalige Fixierung weiter
oben am Muse, frontalis.
Hacker - Graz: Ersatz von Schädel- and Dar&defekten. (Centralbl.
f. Chir., 1913, Nr. 2.) H. macht darauf aufmerksam, dass der von
Berndt (Chir. Centralbl., 1912, Nr. 48) gemachte Vorschlag, einen
derartigen Defekt durch einen nach meinen vorgeschlagenen Periost-
knochenlapperi (Periost auf Dura) zu decken, bereits von ihm im
Jahre 1902 gemacht ist. Da da3 Periost leicht mit der Gehirnoberfläche
Verwachsungen eingeht, deckt er jetzt den Duradefekt am liebsten für
sich zuerst mit frei transplantiertem frischen oder präpariertem Bauch¬
sackgewebe. Sehrt.
Lehle - München: Kasuistik des kongenitalen Ra di ns defekt*.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.) Schnütgen.
Steinmann - Bern: Zur Heftpflasterextension in Semiflexion des
Kniegelenkes. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) S. hat den Grune'schen
Heftpflasterverband so modifiziert, dass er zwei Heftpflasterstreifen auf¬
legt, die sich zum ersten Male an der Vorderseite des Oberschenkels
und an der Wade zum zweiten Male kreuzen; Bewegungen im Knie¬
gelenk sind leichter möglich als bei dem Bardenheuer-Grune’schen Ver¬
band.
Franke-Braunschweig: Die osteoplastische epiphysäre Ampntatio
tibiae sab gena als Ersatz für eine Exartioulation im Kniegelenk.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 3.) F. empfiehlt statt hoher Unterschenkel¬
amputation oder Exarticulation bei gesundem Kniegelenk folgendes Ver¬
fahren: 1. Grosser, beiderseits an der Gelenkspalte hinter der Mitte des
Knieumfanges beginnender, etwa 3—4 cm unterhalb die Tuberositas
tibiae reichender, die Haut durchtrennender Schnitt; hinten Bildung
eines dünneren 6—8 cm unterhalb der Gelenkspalte reichenden Lappens.
2) Dann: vorn Ablösung der Haut bis zur Tuberositas tibiae, Absägen
einer die Tuberositas tibiae enthaltenden Knochenschale von der Tibia
bis IV 2 cm vor der Gelenkspalte, wo sich die Giglisäge, nach oben
wendend, den Knochen bis zum Periost durchtrennt, Ablösung des
Lappens mit der Tuberositas tibiae bis zur Gelenkspalte. 3. Bei ge¬
strecktem Bein Durchtrennung der Beugesehne dicht unterhalb der
Gelenkspalte und Durchsägen der Tibia von hinten her. 4. Nach Ver¬
sorgung der Gefässe und Nerven Herunterklappen des vorderen Lappens,
so dass die Tuberositas tibiae mitten auf die Epiphysenplatte zu liegen
kommt, Vernähung der Lappenränder, leicht pressender Verband.
Sehrt.
C. Breus: Zur Aetiologie und Genese der Otto’schen Protrnsion
des Pfannedbodens. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Die
Summe der bis jetzt bekannten Becken mit Otto’scher Protrusion be¬
trägt 13 Fälle. Hiervon betreffen 9 Fälle Frauen, 6 dieser Becken
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Nr. 9.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zeigen doppelseitige Protrusion. Eine sine dubio aus tabischer
Arthritis abzuleitende Protrusion liegt bis heute nicht vor.
P. Hirsch.
Levy-Breslau: Röntgenbestrahlung der Actinomyeose. (Centralbl.
f. Chir., 1918, Nr. 4.) In zwei Fällen wirkte die Röntgenbestrahlung
brillant auf die actinomycotischen Herde ein. Recidivfreiheit seit mehr
als Jahr! Sehrt.
Vogel: üeber Arteriennaht. (Wiener med. Wochenschr,, 1913,
Nr. 1.) Verf. bringt drei Fälle von gelungener Gefässnaht.
A. Bendix.
A. Einer - Wien: Kriegschirargische Erfahrungen ans Bulgarien.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag in der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte in Wien, SitzuDg vom 17. Januar. Referat siehe den
Sitzungsbericht. P. Hirsch.
R. und F. Felten-Stoltzenberg-St. Petersburg: Zur Technik der
Fremdkörperextraktion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Um ein
Operieren im Röntgenzimmer zu vermeiden, empfehlen die Verff. ein
neues Verfahren, das sich zu einer kürzeren Beschreibung im Referat
nicht eignet. Sehrt.
H. Heyrovsky - Wien: Chirurgische Erfahrungen aus dem bul¬
garisch türkischen Krieg. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.)
Nach einem Vortrag in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am
17. Januar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
0. Nord mann - Schöneberg: Thoraxwandresektion mit Meitzer¬
scher Insufflation. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Vortrag
in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 11. No¬
vember 1912. Wolfsohn.
Wilms - Heidelberg: Die Pfeilerresektion der Rippen zur Ver¬
engerung des Thorax bei Lungentuberkulose. (Therapie d. Gegenw.,
Januar 1913.) Bisher wurden 24 Patienten operiert. Je nach Aus¬
dehnung des Lungenprozesses wurden auf der Rückseite von den oberen
7—9 Rippen 4—5 cm entfernt, an der Vorderseite wurden parasternal
von der 1.—5. Rippe, bisweilen auch von der 6. und 7. Rippe, 4—5 cm
reseziert. Die Operation ist bei Fällen von fibröser, schrumpfender,
mit Cavernen verbundener Tuberkulose indiziert, wenn der Pneumo¬
thorax nicht gelingt. Die Operation ist an und für sich ungefährlich.
Bei Patienten mit einseitiger schrumpfender Oberlappentuberkulose, wo
der Unterlappen und die andere Seite nur gering oder gar nicht be¬
teiligt sind, werden die besten Resultate erzielt. Bei Beteiligung von
Ober- und Unterlappen zeigen sich meistens Misserfolge der Operation
resp. nur vorübergehende Besserungen. Es empfiehlt sich, die Operation
vorzunehmen, wenn bei reichlicher Sekretbildung, bei recidivierender
Blutung, bei deutlichen cavernösen Veränderungen ein Fortschreiten der
Tuberkulose auf den Unterlappen wahrscheinlich wird. R. Fabian.
0. v. Frisch-Wien: Kriegschirargiscke Erfahrungen ans Sofia.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Vortrag, gehalten in der k. k.
Gesellschaft der Aerzte in Wien am 31. Januar 1913. Referat siehe den
Sitzungsbericht. P. Hirsch.
H. Brun-Luzern: Ein epigastrischer Rippenkorbrandschnitt für
Magenoperationen, insbesondere die Resektion bei Carcinom. (Korre¬
spondenzblatt f. Schweizer Aerzte, Nr. 3.) R. Fabian.
A. Fraenkel-Wien: Kriegschirargische Eindrücke and Be¬
obachtangen vom Balkankriege. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 6.) Vorgetragen in der Sitzung vom 24. Januar 1913 der k. k.
Gesellschaft der Aerzte in Wien. Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Thies-Giessen: Die Verwendung des Lnffascbwamms bei der
Laparotomie. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) Durch Einführen des
in der Hand zusammengepressten Luffaschwamraes in die Bauchhöhle
bei Gallenblasenoperationen gelingt es ausgezeichnet, sich das Operations¬
feld zugänglich zu machen. Dadurch, dsss der Schwamm sich nach dem
Freigeben ausdehnt, drückt er die Eingeweide gut zurück, was durch
Einstopfen von Kompressoren nicht so gut gelingt.
Henschen - Zürich: Daaerdrainage stagnierender Aseitesergüsse
in das subcutane oder retroperitoneale Zellgewebe mit Hilfe von Gummi¬
oder Fischblasencondoms. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Durch
einen Bauchfellschlitz wurde bei einem carcinomatösen Ascites ein
Gummifinger mit seinem Ringe eingeführt, der Ring am Bauchfell mit
Seidennähten fixiert; der durch einen Muskeltunnel in eine Hauttasche
geleitete Gummifinger wurde daumenbreit über dem Niveau der Externus-
aponeurose abgeschnitten und innerhalb der Hauttasche an dieser Hypo¬
neurose fixiert. Schluss der Hautwunde, Einheilung. H. empfiehlt von
einem Flankenschnitt aus den Gummifinger in das lockere retro¬
peritoneale Zellgewebe zu leiten.
Krüger-Weimar: Operative Mobilisierung des Coecams bei der
Appendektomie, sowie Bemerkungen zu dem Artikel Kofmann’s über
die Ausschaltung des Wurmfortsatzes. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.)
Mit Recht wendet sich K. gegen das Kofmann’sche Verfahren, bei un¬
möglicher Exstirpation des Wurmfortsatzes die Ausschaltung desselben
mittels Nahtverschlusses des Coecums einerseits und Nahtverschlusses
des proximalen Wurmfortsatzendes andererseits anzustreben. Bei ver¬
steckt, retrocoecal liegendem Processus inzidiert K. parallel dem Coecum
das Peritoneum; dann lässt sich das Coecum bequem nach der Mitte
des Leibes zu Umschlagen. Sehrt.
A. Smith: Interessante Komplikation bei einer Hysterektomie.
(Dublin journ. of med. Science, 1912, Nr. 493.) Bei der Operation
fanden sich nebenbei im Appendix zwei Nadeln, eine Anzahl anderer
Nadeln (im ganzen zehn!) fanden sich im Abdomen zerstreut. Einige
Tage später musste wegen grosser Schmerzen erneut eine Laparotomie
gemacht werden, wobei sich weitere Nadeln fanden. Anamncstisch hatte
Pat. die Nadeln als Kiud verschluckt. Sch eienz.
Neu ge bau er-Mährisch-Ostrau: Ueber die Ausschaltung des Wurm¬
fortsatzes. (Centralbl. f. Chir., 1912, Nr. 50.) Auch Neugebauer
weudet sich gegen die Kofmann’sche Ausschaltung des Processus. Er
teilt einen Fall mit, wo ein solch ausgeschalteter Wurmfortsatz sich in
eine mit eitriger Flüssigkeit gefüllte Cyste umgewandelt hatte. Aus¬
geschaltete Processus können sich eben auch entzünden!!
Bertelsmann-Cassel: Zur Naht von grösseren Nabelbrüchen und
ähnlichen Hernien. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 4.)
Hagedorn-Görlitz: Snbcntane Pankreasqnetsebnngen. (Centralbl.
f. Chir., 1913, Nr. 4.) H. teilt zwei Fälle mit, wo es durch Ueber-
fahrung zu Pankreasquetschung gekommen war. In beiden Fällen
schwere Symptome. In der Bauchhöhle fanden sich reichlich Erguss
und Zellgewebsnekrosen des Netzes und Mesenteriums. Pankreas
unverletzt. In einem Fall wurde die Pankreasgegend tamponiert, im
auderen Falle wurde die Bauchhöhle nach Entleerung des mit Pankreas-
sekret vermischten Ergusses geschlossen. Heilung in beiden Fällen.
Wahrscheinlich war es in beiden Fällen nur zu feinsten Kapselrissen
gekommen, durch die Pankreassekret ausgetreten war.
Forssner-Stockholm: Pathogenese der angeborenen Darmatresie.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 6.) Nach F.’s Ansicht sind die ange¬
borenen Darmatresien nicht Hemmuugen im Stadium der Epithelvor-
schiessuugen, diese letzteren sind nicht unabweisliche Voraussetzungen
für die erstereu, sondern diese Missbildungen entstehen durch eine hyper¬
plastische Entwicklung der Mesenchymzapfen, die die Vorstadien der
Zottenbildung darstellen, in einem Entwicklungsstadium, wo das Darm¬
lumen noch vollständig oder fast vollständig vom embryonalen Epithel
erfüllt ist.
Gonnert - Dresden: Ein Prostataringmesser für die snpra-
pubische Prostatektomie. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) Angabe
eines Ringmessers, das ein die Harnröhre und die Muskelfasern des
Sphincter schonendes Operieren ermöglicht.
A. Hofm ann - Offenburg: Zur Behandlung der totalen Harn-
röhrenzerreissung. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) In drei Fällen
bat H. folgendes Verfahren geübt: Nach erfolglosem Versuch des
Catheterismus: Sectio alta, Einführen eines Metallkatheters durch die
Blase, innere Harnröbrenöffnuug zur Rupturstelle, Aumontieren eines
Gummikatheters, derselbe wird mit seinem einen Ende vor die Bauch¬
wunde gezogen. Dann Katheterismus von der Harnröhrenmündung
(äussere) nach der Rupturstelle, Verbindung des Metallkatheters mit dem
anderen einen sichtbaren Ende des schon durch die Blase nach ausseo
geführten weichen Katheters, Durchziehen des weichen Katheters durch
die äussere Harnröhrenmündung. Nun liegt der Gummikatheter in
Harnröhre und Blase. Beide Enden werden durch einen Faden zu
einer Sonde ohne Ende verbunden. Auf diese Weise wurde durch
systematisches Bewegen des Sondekatheters eine Struktur vermieden.
v. Illyes - Budapest: Pyelotomie mit Inzision der vorderen Nieren¬
beckenwand. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 2.) I. empfiehlt die vordere
Wand einzusehneiden (bei Stein). Es genügt den unteren Nierenpol
frei zu präparieren; von hier aus kann man leicht das unterste Blut¬
gefäss ireilegen. Zieht nun ein Assistent die Bauchwände nach vorne, ein
zweiter den unteren Nierenpol nach aussen, kann man bei leichtem An¬
ziehen des Ureters leicht die vordere Nierenbeckenwand erreichen. Von
hier aus kann der Stein leichter entfernt und die W'unde leichter
vernäht werden. Hintere Pyelotomie macht I. nur bei kleinem
Nierenbecken und wenn das ganze Pyelum von Blutgefässen bedeckt ist
Sehrt
E. Baumgartner: Graz: Die Zahnearies — eine Streptomykose.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Der erste Angriff auf Schmelz
und Zahnbein wird von Streptokokken ausgeführt. Hierauf kommt es
durch hinzutretende zahlreiche andere Bakterien zur Mischinfektion. Es
gelang dem Verf., aus dem cariös erweichten Zahnbein 5 fakultativ
anaerobe, sporenbildende, zur Mesentericusgruppe gehörige Stäbchen zu
isolieren. P. Hirsch.
Siehe auch Therapie: Kocher, Magnesiumbehandlung des Tetanus.
Arndt, Magnesiumbehandlung des Tetanus. — Innere Medizin:
Einhorn, Operationen bei Erkrankungen des Verdauungstractus.
Pulawski, Bright’sche Krankheit. Zweimalige Edebohl’sche Operation.
Röntgenologie.
R. Staehelin: Röntgendiagnostik in der inneren Medizin. (Korre-
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte, 1918, Nr. 2.) Vortrag, gehalten in der
82. Versammlung des Aerztlichen Centralvereins am 31. Mai 1912 in Basel.
R. Fabian.
G. Harwey: Röntgenstrahlen in der Diagnostik. (Dublin journ.
of med. Science, 1913, Nr. 493.) Mit zahlreichen interessanten Tafeln
belegte Abhandlung über den Stand und die Brauchbarkeit der Röntgen¬
diagnostik in der inneren Medizin. Sehe lenz.
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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G. Schwarz-Wien: Ueber direkte Irrigoradioskopie des Colons.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Nach einer in der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien am 24. Januar 1913 abgehaltenen Demon¬
stration. Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
Siehe auoh Geburtshilfe und Gynäkologie: Strassmann,
Röntgenbehandlung der Myome. — Innere Medizin: Hofius, Röntgen¬
photographie des Magens und Gastrodiaphanie. — Chirurgie: Levy,
Röntgenbestrahlung der Aktinomykose.
Urologie.
Siehe auch Chirurgie: Hofmann, Totale Harnröhrenzerreissung.
Gonnert, Prostataringmesser. IIly6s, Pyelotomie.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
C. Mannich-Göttingen: Ueber unsichtbare Schntzmittel gegen Ver-
äidernngen der Haut durch Lieht. (Therapeut. Monatsh., Februar 1913.)
Es ist gelungen, im Zeozon bzw. Uitrazeozon salbenartige, aufstreichbare
Lichtfilter zu konstruieren, die allen Anforderungen der Praxis genügen.
Das Zeozon enthält 3 pCt. wirksame Substanz; es ist imstande, die Haut
vor jeder Veränderung durch Sonnenlicht zu bewahren. Für besondere
Fälle, Gletschertouren, Sonnenbäder usw., ist das stärkere Uitrazeozon
Torzuziehen; die Zeozonpräparate verschwinden beim Gebrauch unsichtbar
in der Haut. Unangenehme Nebenerscheinungen sind bisher nicht
bekanntgeworden. Auch gegen das Licht der Quecksilberlampe gewähren
sie einen weitgehenden Schutz. H. Knopf.
E. Hoffmann-Bonn: Ueber akute syphilitische Nierenentzündung
ii der Frühperiode (Nephritis syphilitica acuta praecox). (Deutsche
raed. Wochenschr., 1913, Nr. 8 ) Vortrag in der Niederrheinischen
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn am 18. November 1912.
H. konnte 6 einschlägige Fälle beobachten. Am häufigsten tritt die
Krankheit in der Eruptionsperiode auf, mitunter schon vor der Roseola.
Der Eiweissgehalt ist nicht selten sehr hoch (3—*13pCt.). Der Beginn
verrät sich oft durch plötzliche starke Oedeme, er kann aber auch ganz
unmerklich sein. Im Urinsediment finden sich reichliche Spirochäten.
Zur Behandlung wird eine vorsichtig einzuleitende Salvarsan-Hg-Kur
empfohlen. _ Wolfsohn.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Warnekros - Berlin: Behandlung des fieberhaften Abortes.
(Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) In striktem Gegensatz zu Winter
kommt W. auf Grund der genauen bakteriologischen Beobachtung von
80 Fällen zu dem Ergebniss, dass in jedem Fall von fieberndem Abort
der Uterus sofort entleert werden muss, und zwar um so mehr, wenn
er Streptokokken enthält.
Bjdrkenheim - Helsingfors: Zur Bakteriologie und Therapie des
fieberhaften Abortes. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Untersuchung
von 30 Fällen. Die Uterushöhle kann bei einem protrahierten Abort
auf die Dauer nicht keimfrei bleiben; auch wird die Entwicklungs¬
möglichkeit der Bakterien durch die Retention toter Massen wesentlich
vergrössert. Die anaeroben Bakterien finden sich häufiger als die aeroben
und sind öfters die Ursache des Fiebers; doch ist die Infektion gewöhn¬
lich leichterer Art. Der aerobe Streptococcus ist nur selten die Ursache
des Fiebers. Bei der Blutuntersuchung spielt der Zeitpunkt der Blut¬
entnahme eine wichtige Rolle dafür, ob sich Bakterien finden oder
nicht; doch hat der Nachweis keine prognostische Bedeutung. Dasselbe
gilt auch für die Untersuchung des Uterussekrets. B. kann sich daher
dem Standpunkt Winter’s, bei Streptokokken befund den Uterus nicht
auszuräumen, nicht anschliessen, um so weniger, als die Erfolge der
aktiven Behandlung an der Helsingforser Klinik in den letzten Jahren
durchaus befriedigende waren.
Lichtenstein - Leipzig: Die abwartende Rklampsiebehandlnng.
(Archiv t. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Zur Behandlung der Eklampsie empfiehlt
sich die Kombination von Aderlass (500 ccm) und der Stroganoff-
sehen Methode. In 60pCt. der Fälle hörten die Anfälle nach Einleitung
der Behandlung auf. Von 80 eigenen Fällen verliefen 40pCt., von 264
aus der Literatur gesammelten 24 pCt. intercurrent, d. h. die Eklampsie
hörte auf, ohne dass die Geburt in den nächsten 12 Stunden beendigt
war. Die Mortalität der Rinder ist nicht schlechter, eher besser als bei
der aktiven Therapie. Die Mortalität der Mütter betrug 6,25 bzw. bei
der Sammelstatistik 12,16 pCt.; 60 Fälle der Klinik heilten hinter¬
einander. Danach ist die aktive Therapie zu verlassen. Die neuen
klinischen Erfahrungen sprechen gegen die ovogene oder placentare
Theorie.
K o Id e - Erlangen: Untersuchungen won Hypophysen bei Schwanger¬
schaft und nach Kastration. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Bei der
Untersuchung der Hypophysen von Kaninchen, Meerschweinchen und
Menschen fand K. eine Vergrösserung des Organs während der Schwanger¬
schaft, die bedingt ist durch die Zunahme der Hauptzellen. Diese zeigen
insofern eine Veränderung, als ihr Protoplasma deutlicher darstellbar
wird (SchwaDgerschaftszellen). Auch nach der Kastration findet man
eine Vergrösserung,. und zwar lim so ausgesprochener, je länger sie zu¬
rückliegt. Sie findet histologisch ihren Ausdruck in der Vermehrung
der eosinophilen Zellen.
Serebrenikowa-St. Petersburg: Ein Fall von Eierstocks-
Schwangerschaft. (Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.)
R. Meyer-Berlin: Die Placentargefässe als Kennzeichen für die
Entstehung der PJaceata narginata 8. extrachorialis. (Archiv f. Gyn.,
Bd. 98, H. 3.) Durch Untersuchung eines Falles von Placenta margi-
nata im vierten Monat in situ hatte M. in eineren früheren Arbeit nach¬
gewiesen, dass diese Anomalie durch extrachoriale Zottenentwicklung
entsteht. Diese Auffassung wird weiterhin bewiesen durch die in 300
derartigen Fällen nachgewiesene Tatsache, dass die glatten Eihäute
stets am inneren Umfang des Margo abgehen und die oberflächlichsten
chorialen Gefässe dort aufhören.
Wakulenko-Tomsk: Kreatinin- und Kreatinansscheidnng bei
Wöchnerinnen. (Archiv f. Hyg., Bd. 98, H. 3.) Während Frauen nor¬
malerweise bei kreatin- und kreatininfreier Kost nur 0,012 g Kreatinin
pro Kilo ausscheiden, beträgt die Ausscheidung im Wochenbett 0,018 g.
Ausserdem findet man Kreatin, das in normaler Zeit gar nicht, in der
Schwangerschaft in viel geringerer Menge als im Wochenbett ausgeschieden
wird.
Schiffmann-Wien: Zur Kenntnis der Bauchwandtnmoren.
(Archiv f. Gyn., Bd. 98, H. 3.) Die mikroskopische Untersuchung nicht
nur der centralen, sondern auch der Randpartien ist für die Deutung
der Bauchwandtumoren von Belang. Sie erweist die Möglichkeit der
spontanen Ausheilung der im Centrum der Schloffer’schen Tumoren ge¬
legenen Abscesse, unter vollständiger Aufsaugung ihres Inhalts bei
gleichzeitiger Bildung umfänglicher solider Tumoren. Es finden sich
also in Operationsnarben Geschwülste, die solid, ohne Abscess- oder
Fremdkörpereinschluss, ihrem mikroskopischen Befund nach spätere
Stadien eines Ligaturtumors darstellen. An ihrem Aufbau beteiligt sich
das intermuskuläre Bindegewebe in ausgiebiger Weise. Diese Formen
sind klinisch nicht immer von Ligaturtumoren zu trennen; ihre Therapie
besteht in der Exstirpation. Ein ohne vorhergehende Operation auf trau¬
matischer Grundlage entstandener Bauchdeckentumor wies keine nennens
werten entzündlichen Merkmale auf. L. Zuntz.
Schautä-Wien: Myombehandlnng. (Wiener med. Wochenschr.,
1913, Nr. I.) Die ganze Myombehandlung ist jüngeren Datums. 1. Kon¬
servative Methode: Enucleation; 2. supravaginale Amputation des Uterus
und 3. die Radikaloperation, d. i. die Totalexstirpation des Uterus samt
Cervix. Die Mortalität beträgt heutzutage noch 4—6 pCt. Wenig er¬
folgreich ist eine palliative Abrasio. Die Ergotinbehandlung wird bis¬
weilen mit Erfolg angewandt und hat als Versuch vor der operativen
Behandlung eine gewisse Berechtigung. Die modernste Methode ist die
Röntgenbehandlung, von der Sch. in manchen Fällen, besonders bei
alten Frauen, eine Verminderung der Blutungen, niemals aber ein voll¬
ständiges Aufhören, auch nie eine sichtbare Verkleinerung eines Myoms
beobachtet hat. A. Bendix.
P. Strassmann • Berlin: Zur Verwendung der Rtintgenstrahlen
für die Behandlung der Myome des Uterus. (Therapie d. Gegenwart,
Januar 1913.) Verf. sieht in der Verwendung der Röntgenstrahlen zur
Erzielung von Amenorrhoe bei Myom eine wertvolle Bereicherung der
Therapie. Durch die Bestrahlung wird eine Anzahl von Fällen von der
Operation ausgeschaltet werden können. Der amenorrhoisch gewordene
Myorauterus kann jedoch später noch durch Verkalkung, Nekrose, Er¬
weichung, durch Achsendrehung, durch Entwicklung von Komplikationen
zur Operation führen. Durch die Röntgenstrahlen wird die Operation
daher keineswegs ausgeschaltet. R. Fabian.
P. Lindig-Jena: Sernmfermentwirknngen bei Schwangeren nnd
Tnmorkranken. Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) Im Serum
von Schwangeren, von Tumorträgern mit Geschwulst im Genitaltractus
und vielleicht auch bei Entzündungen ist ein proteolytisches Ferment
vorhanden, das Eiweiss von Placenta, Uterus und Ovarium, von Tumoren
des Genitale und in geringerem Maasse auch Muskeleiweiss abbaut.
Dünner.
Augenheilkunde.
Holodynski-Lemberg: Zwei Fälle von Nebenpocken des Seh¬
organs. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 3.) Kasuistischer Beitrag.
A. Bendix.
Erb-Lugano: Lymphangiom der Bindehaut des Augapfels unter
dem Bilde eines Hämangioms. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.)
Beschreibung eines primären Lymphangioms der Conjunctiva bulbi. Im
Gegensatz zu Lymphangiomen der Lider, die dann auf die Conjunctiva
bulbi übergreifen, ist ein solches primäres Lymphangiom ein sehr seltenes
Vorkommnis. Infolge eines Traumas imponierte das Lymphangiom ur¬
sprünglich als Hämangiom. Erst die längere Beobachtung und die
pathologisch-anatomische Untersuchung eines exzidierten Stückes ergab
die genaue Diagnose.
Czaplewski-Cöln: Untersuchungen über Trachom. (Zeitschr. f.
Augenheilk, Februar 1913.) Mit Hilfe der vom Verf. modifizierten
Nakanishi-Methode (Färbung mit Boraxmethylenblau) gelang es, im
Trachomsekret Gebilde aufzufinden, deren mannigfaltige Formen an¬
scheinend dem Zeugungskreis irgendeines Protozoon entsprechen. Eine
grössere Arbeit ist im Entstehen begriffen.
Isabalinsky und Spassky-Smolensk: Zur Frage über den dia¬
gnostischen Wert der Chlamydozoa Prowazek-Halberstaedter beim
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412
Nr. 9.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Trachom. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Die Autoren be¬
stätigen an der Hand von 500 Präparaten die Anwesenheit von Ein¬
schlüssen in den Epithelzellen bei Trachom; da sich solche aber auch
in normaler Coüjunctiva und auch bei nicht trachomatösen Prozessen
fanden, ist ihre Spezifität nicht festgestellt. Man muss also für das
Trachom noch einen „Trachomträger“ annehmen. Ob die Einschlüsse
Mikroorganismen oder Reaktionsprodukte der Zellen auf irgendein Virus
darstellen, ist noch unentschieden.
Rados-Budapest: Ueber Plasmome der Bindehaut. (Zeitschr. f.
Augenheilk., Februar 1913.) Es finden sich in einem bindegewebigen
Reticulum zellige Elemente, unter denen die Plasmazellen, besonders
gut mit Polychrommethylenblau und Methylgrünpyrooin färbbar, hervor¬
stechen. Die Plasmome sitzen meistens aber in den Uebergangsfalten
der Bindehaut. G. Erlanger.
S. Murakami: Ueber einen Fall von nekrotisch-hämorrhagischem
Geschwür mit circnlärer Ausbreitung von der Sclera auf die Horn¬
haut. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Es handelt sich
um eine junge Frau, welche nach der Zahnextraktion an der ganzen
Zahnreihe Gingivitis bekam. Darauf trat an der Nasenwurzelgegend
eine schmerzhafte Anschwellung auf, zu welcher Nasenverstopfung und
-blutung hinzukam. Das linke Auge erkrankte «an einer Skleritis, welche
nach einiger Zeit spontan zurückging. Im Anschluss an die Schwellung
der linken Wange trat der Bulbus entzündlich hervor. An der vorderen
Augenpartie kam es zur circularen Geschwürsbildung, die grosse Neigung
zur rapiden Ausbreitung mit gangränösem Charakter zeigte. Die Ge¬
schwürsbildung am Auge ist vermutlich ein Metastasenherd von Strepto¬
kokken, aus dem primären Herd am Zahn hervorgegangen. Exitus an
Sepsis.
F. Salzer: Weiteres über experimentelle Einkeilung konservierter
Hornh&utsnbstanx in die Hornhaut des Kaninchens. Beiträge zur
Keratoplastik. III. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3) Die
neueren Untersuchungen bestätigen in klarer Weise, dass es bei der
totalen Keratoplastik unendlich schwierig ist, die jeweils vorliegenden
Verhältnisse sicher zu beurteilen, dass daher Ansichten, die nur auf
klinische Beobachtung sich stützen, sehr wenig beweisen, uud dass selbst
bei der anatomischen Untersuchunng nur lückenlose Serien, die die
ganze Operationsstelle umfassen, wirkliche Aufklärung bringen können.
E. Landolt: Zur operativen Behandlung des Schielens. (Archiv
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Mehr noch als bei der Vorlagerung
der Horizontalmotoren ist bei der Vorlagerung der Vertikalmotoren eine
beträchtliche, unmittelbare Ueberkorrektion anzustreben.
E. Rübel: Enophthalmus beim Anseinanderziehen der Lider.
(Klin. Monatsbl. f: Augenheilk., Februar 1913.) Zieht man die Lider
des 44jährigen Patienten etwas kräftiger vom Auge ab, so weicht der
Bulbus deutlich in die Orbita zurück. F. Mendel.
Guny-Basel: Zusammenhang von Sehschärfe und Schiessleistang
der Infanterie. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Die Ergeb¬
nisse der Untersuchungen, die eine Fortsetzung der Arbeiten Scherer’s
und Knapp’s sind, gipfeln in folgenden Punkten: 1. Die überwiegende
Mehrzahl der Rekruten hat eine Sehschärfe > 1. 2. Schon geringe Ab¬
stufungen in der Sehschärfe haben einen merklichen Einfluss auf das
Schiessresultat. 3. Brillenträger schiessen durchschnittlich besser als
Nichtbrillenträgcr. G. Erlanger.
Beck-München: Refraktionsbestimmungen beim Ersatzgeschäft
and eine Methode zar raschen Feststellung derselben. (Deutsche
militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.) Zur Korrektion der Myopie benutzt
Verf. eine selbst zusammengestellte Tabelle und versucht an Hand der¬
selben aus der erhaltenen Sehleistung sofort das annähernd richtige Glas
vorzusetzen; z. B. bei Sehleistung 1 — 1 » 5 /eo wird mit —5,0 bis —6,5 D.
Sehschärfe 5 /b erreicht usw. Angabe der Tabelle. Erreicht man damit
geringe oder gar keine Verbesserungen, handelt es sich sicher nicht um
einfache Myopie. Es kann noch Astigmatismus oder Hyperopie bestehen.
Zur Feststellung dieser benutzt Verf. die Lochscbeibe. Mit dieser lässt
sich bei allen mit Gläsern korrigierbaren Refraktionsfehlern eine Seh¬
leistungsverbesserung erzielen. Verschlechterung des Sehvermögens
spricht meist für Trübungen der Hornhaut, der Linse oder Erkrankungen
des Augenhintergrundes. Angabe der Verbesserungen bei Myopie bei
Anwendung der Lochscheibe. Bei Hyperopie wurden brauchbare Kor¬
rektionen von Sehleistung = 6 /so ab gefunden. Geringere Sehleistungen
ergaben nur geringe Verbesserungen mit der Lochscheibe. Bei Astigma¬
tismus wurden Resultate erzielt, die der Gläserkorrektion fast gleich¬
kamen, oft dieselbe um ein Geringes übertrafen. Ueberall da, wo man
mit Lochscheibe 6 / l5 , eigentlich sogar 6 ,/ lf , erreicht, ist der Mann taug¬
lich, weil er mit Gläsern 6 /io— 6 /e erreicht. Angabe der Methode und
noch genauerer Untersuchungen bei solchen Leuten, die mit Lochscheibe
6 /i8 nicht erzielen. Schnütgen.
E. Ammann: Zur Frage der Behandlung der Eisensplitter in der
Linse. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Der in das
Auge eingedrungene Splitter befand sich 2 V 2 Monate reizlos in der
Linse. Dann erst bildete sich eine ziemlich ausgedehnte Trübung um
den Splitter herum, und der Splitter wurde durch den Magueten ent¬
fernt. Schuld am Eintreten der Linsentrübung war die im dritten Ver¬
letzungsmonat einsetzende chemische Umwandlung des Stahles, der
Transport der Zersetzungsprodukte zum hinteren Linsenpol und Trübung
entweder der Lückenflüssigkeit zwischen den Linsenfasern oder dieser
selbst.
A. Vogt: Analytische Untersuchungen über die Fluorescenz der
menschlichen Linse und der Linse des Rindes. (Klio. Monatsbl. f.
Augenheilk., Februar 1913.) Die menschliche Linse und die Linse des
Rindes fluorescieren im Ultraviolett des Bogenlichts in weissblauem
Lichte, das alle Farben des Spektrums kontinuierlich vom Violett bis
Rot enthält. Es wird dieses weissblaue Fluorescenzlicht daun modi¬
fiziert und gelbgrün gefärbt, wenn es durch gelbgefärbte Linsensubstanz
filtriert und seine blaue und violette Komponente dadurch genügend
geschwächt wird. Violettes Licht erzeugt nur an gelbgefärbten Linsen
Fluorescenz. Farblose Linsen, wie Kalbslinsen, lassen das Violett unge¬
schwächt durch und fluoreszieren daher nicht. Dagegen fluoresciert die
menschliche Linse stets im Violett, auch in frühester Jugend, da sie
auch dann gelbgefärbt ist. Das durch Blau erzeugte Fluorescenzlicht
besitzt eine geringe Intensität. Es gelingt, in dem durch Ultraviolett
erzeugten Lichtnebel die gelbe Farbe der Linse entoptisch wahrzunehmen.
Der objektive Nachweis der Linse im Auge gelingt mit Hilfe des Fluo-
rescenzlichtes in Fällen, wo dies auf anderem Wege unmöglich ist, wie
bei Pupillarexsudatcn. F. Mendel.
F. Schanz-Dresden: Veränderungen und Schädigungen de« Auges
durch Licht. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) An der Hand
einiger Beispiele werden die Indikationen erörtert für die Verwendung
vou Gläsern, die nur die nicht direkt sichtbaren Strahlen vom Auge ab¬
halten. Am besten hierfür eignet sich das Euphosglas. Kommt es
dcirauf an, auch die sichtbaren Strahlen zu schwächen, so geschieht das
nach Art der rauchgrauen Gläser (z. B. Fieuzalglas).
Wolfsohn.
Grignolo*. Biochemische Veränderungen im Kammerwasser bei
akuten Intoxikationen durch Methylalkohol und durch Toxipeptide.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Infolge der Vergiftung
mit Methylalkohol findet im Karamerwasser eine ausserordentliche Ver¬
mehrung des osmotischen Druckes statt. Physiko-chemische Verände¬
rungen des Kammerwassers treten bei diesen Intoxikationen nicht auf.
Erd mann: Ueber Angen Veränderungen durch Aethylenchlorid.
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3) Nach Inhalation oder sub-
cutaner Injektion von Aethylenchlorid entwickelt sich beim Hunde, nicht
beim Kaninchen und Meerschweinchen, eine parenchymatöse Trübung
der Hornhäute. Die Hornhauttrübung beruht auf einer ödematösen
Durchträükung und Quellung der Grundsubstanz als Folge einer durch
d«as resorbierte Aethylenchlorid bewirkten Schädigung des Endothels.
Die Hornhaut hellt sich in der Mehrzahl der Fälle nach Regeneration
des gequollenen Endothels wieder «auf. Die Dichte der Hornhauttrübung
ist im allgemeinen der Menge des resorbierten Giftes proportional. Der
Krankheitsprozess der Hornhaut stellt ein einfaches Oedem dar. Die
ödematös durchtränkte Hornhaut kann, dem intraocularen Druck nach¬
gebend, eine Zunahme ihrer Wölbung erfahren. Direkte Injektion von
Aethylenchlorid in die vordere Kammer hat lediglich starke, lokal-ent¬
zündliche Veränderungen im Gefolge. Eine direkte Einwirkung von
Aethylenchloriddärapfen auf das äussere Auge führt neben einer stark
entzündlichen Reaktion zu einer sich vorwiegend in Schrumpfungs¬
erscheinungen zu erkeunen gebenden Gewebsläsion der Hornhaut. Wir
besitzen in dem Aethylenchlorid ein Mittel, beim Hunde auf dem Wege
der Resorption ohne wesentliche Schädigung des übrigen Auges eine
Läsion des Hornhautendothels mit nachfolgender Quellungstrübung der
Hornhaut hervorzurufen.
Stoewer: Sympathische Ophthalmie nnd Tuberkulose. (Archiv
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Die beiden mitgeteilten Fälle sind
ein neuer Beweis für die Tatsache, wie sehr sich sympathische und
tuberkulöse Uveitiden gleichen können, und wie sehr man Veranlassung
hat, bei entzündlichen Erkrankungen der Uvea an Tuberkulose zu denken,
auch wenn das klinische Bild nichts für Tuberkulose Typisches zeigt.
Augst ein: Ein bemerkenswerter Fall von akuter doppelseitiger
retrobulbärer Neuritis mit Erblindung beiderseits nnd Ansgang ii
Heilung, links nach 33 tägiger Amanrosis. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬
heilkunde, Februar 1913.)
Harbitz*. Familiäre amaurotische Idiotie. (Archiv f. Augenheilk.,
Bd. 73, H. 2 u. 3.) Verf. schildert ein charakteristisches Beispiel der
juvenilen Form der amaurotischen familiären Idiotie. Aus der Unter¬
suchung des Gehirns des 13 jährigen Mädchens ist folgendes hervorzu¬
heben: Man hat einen eigentümlichen Degenerationsprozess vor sich, der
die Ganglienzellen des ganzen Gehirns zu betreffen scheint und sich un¬
gefähr gleichmässig über das Ganze erstreckt. Es handelt sich um eme
primäre Degeneration, die auf exquisit hereditärer Basis auftritt, aber
von deren innerster Natur man sonst nichts Genaueres weiss. In den
Augen findet man eine primäre Degeneration des Neuroepithels, der
Ganglienzellen in der Retina, während die Veränderungen im Pigment¬
epithel sekundär zu sein scheinen; in mehr chronischen Fällen bei
älteren Individuen hat man auch Veränderungen in der Stäbchen- und
Zapfenschicht der Retina gefunden.
A. v. Szily: Von dem blinden Fleck ausgehendes Ringskotom
(sogenanntes Bjerrum’sches Zeichen) bei cerebraler Stauungspapille.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Februar 1913.) Bei dem 25jährigen
Studenten, bei welchem anamnestisch nur so viel festzustellen war, dass
er während seiner Militärzeit einen Schlag auf den Schädel erhielt, der
jedoch zunächst ohne schwere Folgen verlief, fand Verf. eine linksseitige
Abducenslähmung und beiderseitige Stauungspapille ohne Blutungen.
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3. Märx 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
413
Durch den Torgenommenen Balkenstich wurde das subjektive Befinden
des Patienten günstig beeinflusst. Der blinde Fleck war bei den ersten
Gesichtsfeldaufnahmen nur in der üblichen Weise entsprechend der
Papillenschwellung vergrössert. Während jedoch in der Folge der blinde
Fleck de9 linken Auges zunächst annähernd gleich geblieben ist, hat
sich am rechten Auge Hand in Hand mit der Zunahme der Seh¬
beschwerden ein vom blinden Fleck ausgehendes Ringskotom entwickelt,
das sogenannte Bjerrum’sche Zeichen. Verf. ist der Ansicht, dass diese
Veränderung des blinden Flecks bei gewissen Fällen von Stauungs¬
papille als ein bedrohliches Symptom aufgefasst werden muss, das unter
allen Umständen zur Vornahme weiterer operativer Maassregeln drängt.
F. Mendel.
Kaelin-Benziger-Zürich: Beiträge zur Behandlung der Staunngs-
apille, insbesondere bei Hirntumoren durch Dekompressiv-(Palliativ-)
repanation, mit temporärer extracranieller Drainage eines Seiten¬
ventrikels. (Zeitschr. f. Augenheilk., Februar 1913.) Im Schlu9steil der
interessanten Arbeit wird die Technik des Eingriffs eingehend beschrieben.
Wenn die Gegend der Tumorschicht lokalisiert werden kann, soll in der
Regio parietalis trepaniert werden. Der Knochenlappen wird reseziert.
Vor Eröffnung der Dura wird der Ventrikel punktiert. Die Drainage
des Ventrikels ist im Gegensatz zu der extracraniellen temporären eine
dauernde, so dass die Gebietsvergrösserung des Gehirns durch Abfluss
des vermehrten Liquors einigermaassen kompensiert wird. Eine primäre
einmalige oder wiederholte Lumbalpunktion kommt in Fällen, wo eine
Dekompressivtrepanation abgelehnt wird, in Betracht. Wenn eine doppel¬
seitige Stauungspapille, gleichgültig, ob gleichzeitig oder nacheinander
auftretend, sicher diagnostiziert ist, soll unbedingt zur Erhaltung des
Sehens die besprochene chirurgische Therapie in ihre Rechte treten. In
den aufgeführten Fällen sind die Stauungspapille sowie die cerebralen
Erscheinungen nach 24 Stunden bis 2 Wochen nach dem Eingriff ver¬
schwunden. G. Erlanger.
F. v. Herrenschwand: Zur epidemischen idiopathischen He¬
meralopie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.) Verf. hat
54 Mann des 13. Feldjäger-Bataillons, die mit Nachtblindheit behaftet
waren, gruppenweise untersucht und teilt das Ergebnis dieser Unter¬
suchungen mit. Bei 22 Mann trat ein plötzliches Hereinbrechen der
Nachtblindheit auf, während die übrigen eine allmähliche Abnahme der
Sehkraft in der Dämmerung wahrnahmen. Bei 51 Mann fand sich eine
Vergrösserung der Lymphdrüsen. Der Augenhintergrund zeigte keine
wesentliche Veränderung.
G. Levinsohn: Zur Frage der intraocularen Dracksteigernng bei
den Bewegungen des Auges. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 2 u. 3.)
Aus den Versuchen, die Verf. am Tier gemacht hat, geht die Tatsache
hervor, dass leichte Kontraktionen der Augenmuskeln den intraocularen
Druck Dicht im geringsten beeinflussen, dass stärkere Kontraktionen hin¬
gegen den intraocularen Druck steigern. F. Mendel.
Siehe auch Chirurgie: Aizner, Ptosisoperation.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Halle-Charlottenburg: Die Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren
und deren Bekämpfung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.)
Vortrag in der Berliner laryngologischen Gesellschaft am 13. Dezemberl912.
R. Schilling-Freiburg i. Br.: Ueber die Deckung des Gesangs-
tonus. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Vortrag, gehalten
am 28. Januar in der Freiburger medizinischen Gesellschaft.
_ Woifsohn.
Hygiene und Sanitätswesen.
F. Göppert-Göttingen: Die Pflege des mnskelschwachen Rückens
im Spiel- und Schalalter. (Therapeut. Monatsb., Februar 1913.) Die
ärztliche Aufgabe besteht darin: 1. den Kindern die gerade Haltung zu
lehren, so dass sie das richtige Muskelgefühl wiedergewinnen; 2. durch
Uebung der gesamten Rücken- und Brustmuskulatur die längere Ein¬
haltung der richtigen Stellung zu ermöglichen; 3. etwa bestehende Ver¬
steifungen in Torsionsstellung zu mobilisieren; 4. die Beweglichkeit und
Neigung zu Bewegung des Schultergürtols zu vermehren, damit nicht
jede Armbewegung eine fehlerhafte Hilfsbewegung des Rückens zur
Folge hat; 5. bei alledem das Kind nicht zu überanstrengen und es
6 . schliesslich zu einem muskel- und bewegungsfrohen Menschen zu
erziehen. H. Knopf.
H. P ach - Budapest: Eine neue Gefahrenquelle für gewerbliche
Angenverletzangen. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 5.) In den
Glühlampenfabriken werden die fertigen Glühlampen einer Erhitzungs¬
prüfung unterzogen, wobei es sehr häufig unter Detonation zum Kurz¬
schluss kommt. Da9 schmelzende Kupfer des Leitungsdrahtes spritzt
hierbei, und es besteht die Gefahr, dass es die Augen des bedienenden
Arbeiters verletzt. Die Augen sind also mit Brillen zu schützen, am
besten aus Euphosglas, um auch Schädigungen durch ultraviolette
Strahlen zu verhüten. P. Hirsch.
M. Müll er-Metz: Die Notwendigkeit einer obligatorischen Ein¬
führung der Blntnater8achnng nach Wassermann bei der Kontrolle
der Prostituierten und deren Bedeutung für die allgemeine Prophylaxe
der Syphilis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) Erfahrungs¬
gemäss sind Syphilitiker in den ersten 3—5 Jahren infektiös, selbst
wenn sie keine offenen Zeichen ihrer Lues darbieten, sondern wenn
lediglich ihr Blut eine positive Wassermann’sche Reaktion gibt. In
diesem Stadium müssen sie unbedingt behandelt werden, ebenso wie
Patienten, die überhaupt nichts von einer Infektion wissen und die
einen positiven Wassermann haben. Diese Erfahrungen macht M. für
die ärztliche Ueberwachung von Prostituierten zunutze. Ausserdem
fordert er, um im entscheidenden Moment therapeutisch eingreifen zu
können, eine dreimalige Blutuntersuchung der Prostituierten pro anno.
_ Dünner.
Militär-Sanitätswesen.
Hüne-Stettin: Ueber apparatlose Raumdesinfektionsverfahren mit
besonderer Berücksichtigung der Truppe im Frieden und im Kriege.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 2.) Von den apparatlosen
Verfahren haben sich eingebürgert: 1. das Formalin-Kalium hyper-
manganicum-Verfahren, 2. Aceton, 3. das Paraform - Kalium hyper-
manganicum-Verfahren, 4. weniger das Auto form. Die anderen Methoden
sind zu teuer oder desinfizieren nicht hinreichend. Angabe derjenigen
Punkte, in denen sich die drei erstgenannten Methoden besonders unter¬
scheiden. Von allen apparatlosen Formaldehyd-Raumdesinfektions¬
methoden muss dem Paraform-Kalium hypermanganicum-Verfahren der
Vorzug gegeben werden. Die Verfahren müssen schon im Frieden bei
jedem Desinfektionsunterricht gelehrt werden. Eine Preisübersicht über
Formaldehyd - Raumdesinfektionsverfahren mit und ohne Apparate
für 100 cbm Rauminhalt in Mark ist beigefügt.
v. Vage des: Fortschritte in der Bekämpfung der Heereskrank'
beiten und ihre Verbreitung in den Heeren europäischer Grossstaaten*
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 1.) Im Krieg wie im Frieden
fordern naraentich die Infektionskrankheiten, vor allem Ruhr und Typhus,
grosse Opfer aus den Reihen des Heeres. Die von R. Koch gegebenen
Grundsätze der Seuchenbekämpfung wurden frühzeitig für das Heer
fruchtbringend verwendet. Angabe einer Uebersicht über die Maass¬
regeln, welche 9ich auf Grund der neueren Erfahrungen einmal gegen
die Seucheneinschleppung, sodann gegen die Weiterverbreitung nach er¬
folgter Einschleppung als wirksam herausgestellt haben. Alsdann er¬
fährt die Bekämpfung einiger besonders wichtiger Heereskrankheiten, die
Genickstarre, Ruhr, der Typhus und die venerischen Krankheiten, eine
Besprechung. Im Anschluss daran wird eine Uebersicht über die Ver¬
breitung der übertragbaren Krankheiten in den Heeren der europäischen
Grossstaaten während der letzten fünf Berichtsjahre auf Grund der ver¬
öffentlichten Sanitätsberichte, wie dies nach den Berichtsjahren 1902
bis 1906 in ähnlicher Weise bereits in der umfassenderen Mitteilung im
28. Bande der Bibliothek v. Coler-v. Schjerning für einige Krankheiten
bereits geschehen ist. Eine Reihe von dem Text beigefügten Tafeln
dienen zur besseren Veranschaulichung.
Hüne-Stettin: Der Einfluss gesunder Keimträger in der Ver¬
breitung der Seuchen, mit besonderer Berücksichtigung der Truppen im
Frieden und im Kriege. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 3.)
Vortrag auf dem XV. internationalen Kongress für Hygiene und Demo¬
graphie in Washington, 23. bis 28. September 1912.
Hammer - Karlsruhe: Die erste Wnndversorgnng im Felde.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 3.) Nach Vorausschickung
einiger Leitsätze, die für alle ärztlichen Maassnabmen auf dem Schlacht¬
felde zur Richtschnur dienen können, wird über die erste Versorgung
der Verwundeten gesprochen. Dabei werden die zur Verfügung stehenden
Hilfsmittel, Einteilung der Verwundungen und die Verwundungen selbst
erwähnt.
Dreist-Mainz: Sanitätsstatistisches von der schweizerischen
Armee. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1912, H. 24.)
Brunzlow: Die Tonsillitis als Ursache von Infektionskrankheiten.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 2.) Im Anschluss an Anginen
entstehen Polyarthritis, Nephritis, Endocarditis, Sepsis, Appendicitis,
vielleicht auch die kryptogenetische Sepsis. Angaben über die Behand¬
lung der chronischen Tonsillitis. Schnütgen.
Siehe auch Augenheilkunde: Beck, Refraktionsbestimmungen
beim Ersatzgeschäft. Cuny, Zusammenhang von Sehschärfe und Schiess¬
leistung der Infanterie. _
Technik.
A. R6thi-Königsberg: Die elektrolytische Behandlung der Tri-
geminnsnenraigjen. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 6.) An¬
gabe einer Nadel und genaue Beschreibung der Technik. Dünner.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr Israel.
Vorsitzender: Ausgetreten wegen Verzuges nach ausserhasb ist
Herr Dr. Stein, der seit 1906,unser Mitglied war.
Für die Bibliothek sind eingegaogen: Von Herrn H. E.
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414
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 9.
Schmidt: Kompendium der Röntgentherapie. 3. Auflage. Berlin 1913.—
Von Herrn R. Schoetz: Archiv für Rettungswesen und erste ärztliche
Hilfe, Bd. 1, H. u. 2.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Casper:
Vorstellung eines Falles von lnmbaler Ureterfistel nach Blasen¬
exstirpation wegen Tuberkulose.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Tagesordnung.
1 . Hr. E. Aron:
Zur Aetiologie der Qefässerkrankungen beim Diabetes.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Muskat: Ich wollte mir nur erlauben, an die Ausführungen
des Herrn Vorredners anknüpfend, ein Röntgenbild zu zeigen, das ausser¬
ordentlich klar erweist, wie Arteriosklerose und Diabetes Zusammen¬
gehen. Ich habe vor einiger Zeit einen Patienten in Behandlung be¬
kommen mit typischen Beschwerden am Fuss, die als Plattfuss-
beschwerden gedeutet wurden. Dem Patienten war wegen diabetischer
Gangrän eine Zehe abgenommen worden, und das Röntgenbild zeigt in
aussergewöhnlich schöner Weise, wie die Arterien am Fuss verkalkt
sind; es wäre empfehlenswert, alle derartigen Fälle durch Röntgen¬
strahlen auf Arteriosklerose zu untersuchen.
Ich wollte bloss auf diesen Zusammenhang hingewiesen haben. Ich
gebe das Bild herum.
Hr. Felix Hirschfeld: Ich wollte nur einige Einwendungen gegen
die Ansicht des Herrn Vortragenden erheben, dass grosse Flüssigkeits¬
mengen in dem Gefässsystem eine Rolle bei der Entstehung der Arterio¬
sklerose der Zuckerkranken spielen. Theoretisch ist dies wohl denkbar,
weil das Gefässsystem Dehnungen ausgesetzt ist, wenn diese Flüssig¬
keitsmenge durch das Gefässsystem hindurchgepumpt werden muss. Bei
der grossen Mehrzahl der Fälle jedoch — und das sind gerade die
älteren Diabetiker, die zu Arteriosklerose neigen — ist die Zucker¬
krankheit nicht in dem Maasse entwickelt, dass solche kolossalen Urin¬
mengen, wie der Herr Vortragende erwähnte, von 5 oder 10 Litern aus¬
geschieden werden. Diese Harnmengen findet man nur bei schweren
jugendlichen Fällen, während diätetischer Vernachlässigung, und solche
kommen für die Entwicklung der Arteriosklerose wohl kaum in Betracht.
Wir müssen uns auch erinnern, dass eine andere Stoffwechselstörung,
die Gicht, ebenfalls mit Arteriosklerose zusammen ohne Polyurie vor¬
kommt. Die Franzosen wiesen doch schon auf die diathese
arthritique hin, wobei eine leichte Glykosurie mit gichtischen Erschei¬
nungen und Arteriosklerose eine Trias bildet, und ich nehme an, dass
der Herr Vortragende diese Gruppe im Sinne hatte.
Was dann die Blutdruckerhöhungen betrifft, so erwähnte der
Herr Vortragende, dass in der Literatur wenig Blutdruckmessungen bei
Diabetikern bekannt sind. Aber es ist doch wohl eine grosse Anzahl
schon gemacht worden. Ich selbst habe sie viele Jahre hindurch aus¬
geführt und habe sie zwar gelegentlich erwähnt, jedoch darüber nichts
Genaueres publiziert, weil sich eigentlich nichts Besonderes bei ihnen
ergeben hat. Nach den Ergebnissen würde ich den Blutdruck im
Durchschnitt bei den Diabetikern eher als etwas niedriger als bei
anderen, nicht zuckerkranken Menschen bezeichnen müssen. Bei
schweren Nierenkomplikationen kann natürlich eine Blutdruckerböhung
vorhanden sein, sie ist es aber nicht regelmässig. Bei der überwiegend
grossen Mehrzahl der leichten Nierenstörungen der Diabetiker findet
man jedoch keine Blutdruckerböhung. Ich betone dies besonders, weil
ich in solchen Fällen immer sehr sorgfältig den Blutdruck geprüft habe.
Infolgedessen möchte ich auch in der Reizung der Nieren einen be¬
sonderen Grund für die Entwicklung der Arteriosklerose bei Zucker¬
kranken nicht suchen.
In bezug auf die Therapie freue ich mich, mit dem Herrn Vor¬
tragenden vollständig übereinstimmen zu können, dass die Bekämpfung
der Arteriosklerose mit der Bekämpfung der Glykosurie zusammenfällt.
Man kann jedoch die anderen Hilfsmittel, wie etwa das Diuretin, in
Fällen von Arteriosklerose der Extremitäten oft mit grossem Erfolge an¬
wenden.
Hr. Israel: Auf den Zusammenhang zwischen dem Diabetes mellitus
und Arteriosklerose hat schon vor vielen Jahren der verstorbene Mar-
burger Chirurg Roser aufmerksam gemacht, und ich selbst habe in
einer Arbeit über die Beziehungen des Diabetes zur Chirurgie, die, so¬
weit ich mich erinnere, in den achtziger Jahren erschienen ist, darauf
hingewiesen, dass ein grosser Teil dessen, was wir als diabetische Gangrän
bezeichnen, tatsächlich arteriosklerotische Nekrosen sind. Für diese
Fälle nun, die uns Chirurgen vorzugsweise Vorkommen, trifft die sonst
vielleicht für andere Fälle gültige Erklärung des Herrn Aron gewiss
nicht zu. Denn, wenn ich mich so ausdrücken darf, die chirurgischen
Diabetiker, das heisst Leute über 50 Jahre, sind Menschen, die weder
eine vermehrte Urinmenge noch ein vermehrtes Durstgefühl haben. Das
sind häufig magere Leute, welche nicht viel essen, nicht viel trinken.
Also bei diesen kann von einer Ueberlastung des Gefässsystems als Ent¬
stehungsursache der Arteriosklerose gewiss nicht die Rede sein.
Hr. Aron: Ich glaubte, ich hätte mich im Vortrage in dieser Be¬
ziehung ziemlich klar ausgedrückt. Ich hatte gesagt, dass ich die Fälle
von Afterioskierose, die in höherem Alter auftreten, und die dann im
Verlaufe dieser arteriosklerotischen Erkrankung öfter zu Diabetes führen,
ausschliesse. Ich habe bei meinen Betrachtungen nur die Fälle im Auge
gehabt, in denen der Diabetes in einem relativ frühen Alter auftritt,
und wo dann nach einer gewissen Anzahl von Jahren, oft früher, als
wir sonst arteriosklerotische Veränderungen zu sehen gewohnt sind, diese
Erkrankung entsteht. Ich glaube, darauf basiert der Unterschied in den
Anschauungen von Herrn Hirschfeld, Herrn Professor Israel und mir.
Ich habe ganz andere Fälle im Auge.
2 . Hr. Orth:
Ueber die Bedeotnng der Rinderbaeillen für dea Meaechea.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Die Diskussion wird vertagt.
Laryngologisehe Gesellschaft za Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Ordeutliche Generalversammlung vom 17. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Killian.
Schriftführer: Herr Grabower.
Tagesordnung.
I. Kurzer Bericht des Schriftführers, des Kassenwarts und
des Bibliothekars.
Stellv. Schriftführer Hr. Grabow er: M. H.! Im abgelaufenen Jahre
sind fünf neue Mitglieder in unsere Gesellschaft eingetreten, ein Mitglied
ist ausgetreten, so dass zurzeit die Zahl der Mitglieder 202 beträgt. Es
fanden im ganzen acht Sitzungen statt, in denen 29 Demonstrationen
und vier Vorträge gehalten wurden. Von den Demonstrationen enthielten
sechs Mitteilungen über maligne Tumoren der Nase und des Halses und
über Operationen an denselben, drei Mitteilungen über tuberkulöse Bil¬
dungen, zum Teil über Operationen an denselben, drei Mitteilungen
über therapeutische Maassnahmen nicht chirurgischer Art und über neue
Instrumente, einer Mitteilungen über luetische Veränderungen und sechs
über gutartige Tumoren und Bildungen, zum Teil Operationen derselben
sowie über pathologische Folgezustände von therapeutischen Maass¬
nahmen. Von den Vorträgen war einer physiologischen Inhalts: Ueber
den Einfluss des Zahnwachstums auf die Entwicklung der Nase (von
dem uns leider kürzlich entrissenen Zahnarzt Dr. Landsberger), ein
Vortrag bezog sich auf eine Operationsmethode im Nasenrachenraum,
einer war stimmphysiologischer Natur, und einer betraf ein Referat über
Indikation, Methode usw. für die Ausrottung eines Organs.
Der Bibliothekar HerrKuttner gibt darauf einen kurzen Ueber-
blick über Entwicklung und Zustand der Bibliothek der
Gesellschaft.
Der Kassenwart Herr Musehold berichtet über den Stand der
Kasse.
Die Versammlung erteilt entsprechend dem Anträge der Rechnungs¬
prüfer dem Kassenwart Entlastung.
Der Vorsitzende dankt dem Schriftführer, Bibliothekar und Kassen¬
wart für die von ihnen im abgelaufenen Geschäftsjahr im Interesse der
Gesellschaft aufgewandte Mühe und Arbeit.
II. Neuwahl des Vorstandes.
Zum ersten Vorsitzenden wird mit 41 von 44 abgegebenen Stimmen
Herr Killian gewählt.
Durch Akklamation werden die Herren P. Heymann zum stell¬
vertretenden Vorsitzenden, Grabower zum ersten Schriftführer, Muse¬
hold zum Kassenwart und Kuttner zum Bibliothekar wiedergewählt.
Mit dem Amte des stellvertretenden Schriftführers wird (nach erfolgter
Stichwahl zwischen ihm und den Herren Alexander und Finder)
Herr Gutzmann betraut.
In die Bibliothekskommission werden wieder die Herren Gra¬
bower und P. Heyraann entsandt.
Zu Mitgliedern der Aufnahraekommission werden die Herren
Alexander, Finder, Hoffmann und Schwabach bestellt.
Sämtliche Herren nehmen die Wahl an.
III. Demonstrationen.
1. Hr. Zumsteeg: M. H.! Ich möchte Ihnen einen Fall von funk¬
tioneller Stimmstörung demonstrieren, der hinsichtlich seines Verlaufs
einige Eigenarten aufweist. Der Junge war Mitte Oktober an Bronchial¬
katarrh und Kehlkopfkatarrh erkrankt und kam infolgedessen in Kranken¬
hausbehandlung. Er war daselbst bis Ende November und wurde dann
mit noch weiterhin bestehender Heiserkeit entlassen. Diese hielt an.
Später kam er in poliklinische Behandlung und wurde vor 8 Tagen dem
Ambulatorium für Stimmstörungen überwiesen. Wenn wir den Jungen
sprechen lassen (Demonstration), so hören wir eine sehr rauhe, heisere
Stimme. Der objektive Kehlkopfbefund ist gleich Null; höchstens zeigt
sich eine ganz geringe Rötung der Stimmlippen, jedenfalls nicht so hoch¬
gradig, dass eine derartige Heiserkeit daraus resultieren könnte. Der
Patient wurde uns wegen des Verdachts einer funktionellen Störung
überwiesen, die sich auch tatsächlich durch den aufgenommenen Stimm¬
befund bestätigt hat. Der Junge hat zunächst einen Stimmumfang von
drei Oktaven. Seine Sprechstimmlage liegt etwa auf dem g, der Stimm¬
umfang reicht nach oben bis zum e"; in der Mitte des Umfangs ist
ungefähr beim c' ein Ausfall von ein bis zwei Tönen. Die Anamnese
ist insofern bemerkenswert, als er angibt, bis vor seiner Erkrankung im
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3. M&n 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Oktober immer sehr hoch gesprochen und auch in der Schule immer
sehr hoch gesungen zu haben. Dieses Moment deutet schon auf eine
Störung in der Entwicklung hin, um so mehr, wenn ich Ihnen mitteile,
dass der juDge Mann schon 18 Jahre alt ist Aus dem Zurückbleiben
seiner Allgemeinentwicklung ist wohl anzunehmen, dass auch die Ent¬
wicklung der Stimme bei ihm zurückgeblieben ist. Die obersten Töne
sind ziemlich rein; ganz rein ist der ganze Stimmumfang nicht, immer¬
hin sind die obersten Töne im Verhältnis zu den unteren noch rein.
Es ist infolgedessen anzunehmen, dass es sich bei ihm um eine per¬
sistierende Fistelstimme handelt. Das Eigenartige des noch vorliegenden
Krankheitsbildes besteht darin, dass die Fistelstimme durch die Er¬
krankung, die er durchgemacbt bat, gewissermaassen verloren ging, in¬
sofern, als es ihm infolge des Kehlkopfkatarrhs möglich wurde, heisere
tiefere Töne zu bilden. Er hat diese gewohnheitsmässig beibehalten.
Die persistierende Fistelstimme bot hierfür ein prädisponierendes Moment,
während der Kehlkopfkatarrh den Stimmbruch auslöste. Das vorliegende
Krankheitsbild ist also als Mutationsstörung aufzufassen.
Auch der Erfolg der bisher eingeleiteten Therapie lässt die An¬
nahme berechtigt erscheinen, dass es sich um eine Mutationsstörung
handelt. Die tiefen Töne, von denen ja die Therapie ausgehen muss,
sind bei ihm verhältnismässig rein. Von hier aus wird sich die normale
Stimme bald entwickeln lassen. Ich werde mir erlauben, den Patienten
nach Schluss der Therapie in einer späteren Sitzung hoffentlich geheilt
vorzuführen.
2. Hr. Max Levy : M. H.! Ich habe Ihnen vor einigen Monaten ein
selhsthaltendes Nasenspeeulnm demonstriert. Um gleichzeitig die Nasen¬
spitze zu heben, habe ich nachträglich noch einen kleinen Haken in
Anwendung gebracht, der au einem einfachen selbsthaltenden Kopfbügel
befestigt ist und oben an der Spange des Speculums einhakt. (Demon¬
stration.) Das Instrument hat sich mir recht gut bewährt.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema Nasenspecula ist mir auf¬
gefallen, dass unsere Nasenspecula im allgemeinen recht irrationell kon¬
struiert sind. Die meisten gebräuchlichen Nasenspecula sind so ge¬
staltet, dass sie horizontal spreizen. (Demonstration an der Tafel.)
Ich habe ein Speculum konstruiert, dessen einer Löffel im inneren
unteren Nasenwinkel, und dessen anderer Löffel der Mitte des Nasenflügels
anliegt, und das für beide Nasenseiten zu brauchen ist. (Demonstration.)
Der eine Griff stellt einen starren Stab dar, an dem sich der andere Griff
hebelartig bewegt. Das Instrument hat den Vorteil, dass es einen
ausserordentlich klaren Ueberblick über die Nasenscheidewand, die ja
in ihrem vorderen Teil bei Anwendung der gewöhnlichen Nasenspecula
vollständig verdeckt wird, gewährt.
Bei der Gelegenheit möchte ich mir erlauben, einige kritische Be¬
merkungen über das Killian’sche Nasenspeculum zu machen. Dieses ist
ja ursprünglich für die Rhinoscopia media erdacht worden und für diese
Zwecke gewiss sehr zweckmässig. Bei Einführung der Nasenscheide¬
wandoperation ist das Instrument nun unverändert übernommen worden
für die Freilegung des mittleren Nasenrauros. Für diesen Zweck hat
es aber einen sehr wichtigen Nachteil, nämlich den, dass es sich nicht
parallel spreizt. Wenn man das Speculum auf 9 mm spreizt — eine
Breite, die doch wohl in den meisten Fällen erforderlich —, so entfernt
sich das vordere Ende beim mittleren Speculum auf 11 mm und bei
dem längsten Speculum auf 13—14 mm. Das ist eine Dehnung, der
die Schleimhaut der Nasenscheidewand oft nicht gewachsen ist. Ich
glaube, dass sich dadurch manche Perforation erklärt. Die Modifikation
von Alexander und ebenso die von Halle bedeutet eine gewisse Ver¬
besserung. Das Instrument von Sturmann hat allerdings parallel sich
spreizende Branchen, hat aber wieder den Nachteil, dass es mit beiden
Händen geführt werden muss.
Ich habe dadurch eine Verbesserung erzielt, dass ich die beiden
Löffel in der Ruhelage nach vorn bis auf einen gewissen Abstand kon¬
vergieren lasse. Dann stehen sie bei einer Spreizung auf 9 mm noch
parallel. Das dürfte wohl für praktische Zwecke ausreichen.
Diskussion.
Hr. Halle: Ein Hartmann’sches Speculum, richtig gebraucht, reicht
für alle Fälle aus. Das Beckmann’sche Instrument ist mir nicht sym¬
pathisch, weil es nicht für beide Seiten benutzbar ist. Mit beiden ist
aber bei korrektem Gebrauch jede Verletzung der Septumschleimhaut
unschwer zu vermeiden.
Das Killian’sche Speculum habe ich, ohne es zu publizieren, für
meinen Gebrauch seit Jahren etwas modifiziert, indem ich die Branchen
so stellte, dass sie am Griffende auseinanderweichen und an der Spitze
Zusammengehen. Diese Modifikation entspricht etwa der von Levy.
Oeffnet man das Speculum, so bleiben die Branchen bis auf weite Oeff-
nungen annähernd parallel. Das ist nur eine kleine Veränderung, die
sich mir aber lange als praktisch bewährt hat.
Hr. Killian: Wir wollen über dieses Thema nicht lange disku¬
tieren. Ich bemerke nur, dass ich das lange Speculum zu Septum¬
operationen gar nicht mehr gebrauche. Ich komme mit dem halb langen
Speculum gewöhnlich aus und habe dabei keine Schwierigkeit empfunden.
8 . Hr. Bisch: M. H.! Ich wollte Sie bitten, nachher einen Blick auf
die rechte Tonsille dieses Patienten zu werfen. (Demonstration.) Der
Herr ist 46 Jahre alt, stammt aus gesunder Familie. Er kam Ende
November zu mir mit der Angabe, die rechte Tonsille sei stark ge¬
schwollen und schmerzhaft. Dieser Zustand sollte schon vier Wochen
bestehen. Die Tonsille war gerötet, geschwollen und druckempfindlich.
Ich hielt es zunächst für eine Peritonsillitis und machte eine Inzision.
Es kam nichts heraus. Dann gab ich Jodkali. Danach besserten sich
die Beschwerden scheinbar. Der Patient kam vier Wochen nicht mehr
zu mir, ich sah ihn erst Ende Dezember wieder. Jetzt sah die Mandel
ganz anders aus; sie hatte weiter an Umfang zugenommen, und es waren
papilläre, speckig aussehende Excrescenzen an verschiedenen Stellen her¬
vorgetreten; das Bild sah aus wie Lues. Ich machte die Wassermann-
sche Reaktion; sie war negativ. Auch grosse Dosen Jodkali änderten
den Zustand in keiner Weise. Ich machte darauf eine Probeexzision.
Das Präparat, das Sie dort aufgestellt sehen, ergab ein zweifelloses Car-
cinom der rechten Tonsille. Die Fälle sind wohl nicht so sehr häufig,
deshalb wollte ich mir erlauben, Ihnen den Fall zu zeigen. Ich glaube,
dass man den Tumor radikal herausbekommen kann, wenn man den
Unterkiefer reseziert und die Carotis externa unterbindet.
4. Hr. Katzenstein: Die Patientin, die ich Ihnen demonstriere,
wurde mir von einem Kollegen wegen völligen Stimmverlnstes nach
einer Verwundung des Halses überwiesen. (Demonstration.) Am
5. Dezember v. J. wurde ihr von ihrem Manne, mit dem sie in Unfrieden
lebte, ein Schnitt in den Hals beigebracht. Der Mann stand hinter ihr,
bog ihr den Kopf zurück und durchschuitt der Frau mit einem Rasier¬
messer den Hals. Durch den Schnitt wurde der Kehlkopf zwischen
Schildknorpel und Ringknorpel durchtrennt. Die Carotis blieb beider¬
seits unverletzt, weil die senkrechten Spangen, welche in dem Kragen
der Frau waren, die Wucht der Schnittführung herabsetzten. Patientin
wurde verbunden, kam ins Krankenhaus und hatte den ersten Verband¬
wechsel am 14.; am 19. wurde sie entlassen. Acht Tage nach der Ent¬
lassung begann Heiserkeit aufzutreten, die so zunahm, dass die Patientin
vollständig aphonisch wurde. Ich sah sie zum ersten Mal am 10.1. und
stellte fest, dass innen von der Halsschnittwunde ein fast haselnuss¬
grosser Granulationsturaor ausging, der die Trachea halb verlegte, be¬
trächtliche Dyspnoe verursachte und, weil er sich bei Phonation zwischen
die Stimmlippen schob, die Stimragebung unmöglich machte. Die Röntgen¬
aufnahme (Demonstration) zeigt die Lage des Tumors. Patientin wurde
von mir am 15. I. in meiner Wohnung operiert. Sofort nach der Ope¬
ration des Tumors konnte sie wieder mit lauter klarer Stimme sprechen.
Der Tumor wurde auf indirektem Wege mit einer Doppelcurette gefasst
und vorgehebelt. Der Stiel war sehr dünn, so dass der Tumor einfach
folgte. Die mikroskopische Untersuchung des Tumors soll noch vorge¬
nommen werden.
5. Hr. Killian: M. H.! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einen
Fall lenken, der im Nebenzimmer von Ihnen untersucht werden kann.
Es kommt mir sehr darauf an, dass die Herren sich einzeln die Zeit
nehmen, die Dame zu laryngoskopieren. Wir sprechen dann vielleicht
später noch einmal über den Fall. Ich will nur sagen, was ich sehe,
und wenn einige anderer Meinung sind, bitte ich, sich zu erklären. Es
handelt sich um eine Frau von 55 Jahren, die seit einiger Zeit heiser
ist. Wenn man in den Kehlkopf hineinsieht, so sieht man folgendes
(an der Tafel demonstrierend): Bei der Phonation kommt die rechte
Stimmlippe nicht in die Normalstellung, sondern sie geht etwas über
die Mittellinie hinüber. Die Folge ist, dass die Stimmritze sohräg ver¬
läuft, von rechts vorn nach links hinten. Ausserdem sehen wir die
Stimmritze etwas klaffen. Die linke Stimmlippe bewegt sich von aussen
bis zu dem Punkt, der ungefähr der Cadaverstellung entspricht. Wenn
Sie die Arygegend betrachten, so sehen Sie, dass eine Ueberkreuzung
erfolgt, wie man sie sonst bei Recurrenslähmung wahrnimmt: der Ary-
knorpel der gesunden rechten Seite geht vor den der kranken.
Interessant ist es, den Fall bei der tiefen Atmung zu sehen. Die
linke Stimmlippe bleibt durchaus nicht in einer mittleren Stellung,
sondern sie geht ad maximum nach aussen. Ich möchte von vornherein
bemerken, dass weder durch die Untersuchung mit dem Spiegel noch
durch die Palpation sich feststellen lässt, dass der Kehlkopf etwa um
die vertikale Achse gedreht ist. Eine periphere Ursache, die auf den
linken Recurrens einwirkte, ist nicht nachzuweisen. Wir haben eine
Röntgenaufnahme gemacht, die Sie hier sehen können. (Demonstration.)
Sie werden daran nichts Besonderes wahrnehmen. Die Hilusdrüscn links
sind etwas stark entwickelt; aber sie reichen nicht weit genug nach
oben. Sonst haben wir nichts finden können. Auf centrale Verände¬
rungen ist der Fall noch nicht vollständig untersucht, und ich behalte
mir vor, in der nächsten Sitzung, wenn sich weiteres ergeben sollte,
darauf zurückzukommen.
Ich erwähne noch, dass irgendeine Veränderung, die auf mecha¬
nische Störung hinweist, nicht zu finden ist, kein Entzündungsprozess,
keine Schwellung, keine Formveränderung ist da. Auch bei vorgebeugter
Kopfhaltung sieht man nicht das Geringste. Wir haben also keinen
Grund, an eine mechanische Störung zu denken, etwa in der Weise, dass
die Stimmlippe frei bis zur Hälfte gehen kann und dann irgendein
Hindernis findet, das sie nicht weitergehen lässt. Das könnte ja sein;
aber dazu bietet sich zunächst kein Anhalt.
Diskussion.
Hr. Grabower: Ich glaube, dass dieser Fall nicht als eine Lähmung
nervöser Natur aufgefasst werden kann. Wir haben es hier meines Er¬
achtens mit einer Bewegungsbeschränkung der linken Stimmlippe in der
Richtung nach einwärts zu tun, welche auf einem mechanischen Hindernis
beruht. Wäre es eine nervöse Lähmung, so wäre es schwer verständ¬
lich, wie der erste Teil der Adduktorenbewegung schnell und leicht bis
zu einer unbeträchtlichen Entfernung von der Mittellinie erfolgen kann
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Nr. 9.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und dann plötzlich stehen bleibt. Ich glaube vielmehr, dass an der
Stelle, wo die linke Stiramlippe bei dieser Endbeweguug Stillstehen muss,
irgendein mechanisches Hindernis besteht, wahrscheinlich auf der hinteren
Wand irgendeine Wulstuug, eine Narbe. Der linke Aryknorpel kommt
mir etwas klobig geschwollen vor. Es ist sehr leicht möglich, dass
irgendein Exsudat, irgendeine Wucherung da ist. Das Hesse sich mit
dem Killian’schen Schwebeapparat sehr gut feststellen, wo die hintere
Wand gut übersehbar ist.
Hr. Kuttner: M. H.! Ich sehe, das sich das linke Stimmband bei
der Phonation bis ungefähr zur Cadaverposition einwärts bewegt. Die
Abduktion erfolgt bis zur vollen Inspirationsstellung; aber Adduktion
wie Abduktion sind matter und werden mit geringerer Energie
ausgeführt als auf der gesunden Seite. Weiter fällt mir auf,
dass das linke Stimmband etwas tiefer zu stehen scheint als das rechte,
und dass es atrophisch, dünner und schmäler ist als das
rechte. Ob die Bewegungsstörung und Atrophie, wie Herr Kollege
Grabow er meint, auf einer mechanischen Behinderung beruht, lässt
sich ohne intime Untersuchung nicht entscheiden. Ich glaube aber, dass
die ganze Art der Bewegungsstörung, die Mattigkeit und Energielosigkeit
bei allen Bewegungen, das Zurückfallen des Stimmbandes bei der In¬
spiration, das einen mehr passiven Eindruck macht, doch mehr für eine
Rekurrensschädigung spricht, die vorderhand zu einer Beeinträchtigung
der Aktion der Erweiterer und der Verengerer, noch nicht zu
einer völligen Lähmung einer dieser beiden Muskelgruppen geführt hat.
Die nächste Zeit wird wohl darüber entscheiden, welcher Art die
Störung ist.
Hr. P. Heymann: Der Befund, den ich erhoben habe, entspricht
im wesentlichen dem, was Herr Grabower gesagt hat. Ich habe vor
Jahren einen Fall gesehen, der ganz ähnliche Erscheinungen, natürlich
mutatis mutandis, zeigte, und der durch einen Zufall akut zugrunde
ging. Die Sektion ergab abgelaufene Perichondritis und Unebenheiten
im Aryknorpelgelenk. Die Patientin hatte angegeben, eine schwere Peri-
ohondritis durcbgemacht zu haben. Daran erinnert mich der Fall. Ob
es sich hier so verhält, kann ich natürlich nach der einmaligen, immer¬
hin flüchtigen Untersuchung nicht sagen. Man muss aber daran denken,
dass eine Ekchondrose oder etwas derartiges im Aryknorpelgelenk vor¬
handen sein kann.
Hr. Killian (Schlusswort): Ich raöohte dazu nur bemerken, dass
die Patientin bei vorgebeugter Kopfhaltung mit angezogenem Zungen¬
grund untersucht worden ist, und dass ich die hintere Larynxwand sehr
genau sehen konnte. Sie werden sich überzeugen, dass auch nicht das
geringste von irgendeiner Formveränderung nachzuweisen ist. Eine
Schwellung in der Arygegend habe ich nicht gesehen, ln diesem Punkt
muss ich Herrn Grabower direkt widersprechen. Was die hintere Seite
des Larynx angeht, so werde ich die Hypopharyngoskopie noch ausführen.
Dann werde ich auch der ganzen Aetiologie noch Aufmerksamkeit zu-
wendeu und eventuell den Fall noch einmal hier vorstellen. Wir werden
ihn weiter verfolgen, damit wir erfahren, ob eine mechanische oder nervöse
Störung vorliegt.
6 . Hr. Katzenstein: Ich zeige Ihnen hier ein Instrument, das ich
konstruiert habe, um den Kehlkopf zu komprimieren. Vor P /4 Jahr
wurde mir ein Gymnasiallehrer aus Thüringen überwiesen, der nach
Strumektomie eine rechtsseitige Recurrenslähmung bekam. Auf der ge¬
lähmten Seite stand die Stimmlippe in extremster Abduktion fest, wie
ich es bei der gewöhnlichen Recurrenslähmung nie gesehen habe. Da
die normale Stimmlippe sich bei der Phonation nicht oder kaum über
die Mittellinie hinausbewegte, blieb dabei ein solcher Spalt zwischen den
Stimmlippen, dass Patient absolut aphonisch war. Da ich ihm gern
helfen wollte, so kam ich darauf, ihm seinen Larynx zu komprimieren.
Nach einer Vorbehandlung mit der gewöhnlichen Staubinde, bei der die
venöse Hyperämie dadurch vermieden wurde, dass die Staubinde vorn
am Halse abgezogen wurde, so dass nur die Kompression restierte, liess
ich von Pfau für diesen Fall und die drei ganz ähnlichen Fälle von
Recurrenzlähraung nach Strumektomie einen neuen Kompressionsapparat
in zwei Modellen konstruieren, die ich jetzt bei dieser Patientin aulegen
will. Bei dem ersten Modell wird ein Metallreifen um den Kopf, ein
zweiter flacher Metallreifen auf die Schultern gelegt; zwischen beiden
Reifen werden auf jeder Seite drei Metallstangen fest angelegt. Vor je
drei Stangen und die entgegengesetzte Halsseite wird ein breites Band
gelegt, dass mit einer Pelotte auf den Schildknorpel drückt. Bei der
beiderseitigen Anlegung bleibt die vordere Halspartie frei, jede venöse
Stauung wird vermieden, es restiert nur die seitliche Kompression des
Kehlkopfes. Bei dem zweiten Modell liess ich den Kopfreifen fort
und kurze Metallstangen fest an dem Schulterreifen anbringen. Die
Lage der Bänder ist genau wie bei dem ersten Modell. Das Resultat
dieser Kompressionsbehandlung war überraschend, die normale Stimm¬
lippe wurde allmählich immer mehr über die Mittellinie hinaus bei der
Phonation an die gelähmte so herangepresst, dass z. B. der Lehrer nach
einiger Zeit mit vollständig guter sonorer Stimme sprach und seit Juli
vorigen Jahres in seiner Heimatstadt wöchentlich 17 Stunden Unterricht
gibt. In einem zweiten Falle spricht Patientin gut und singt sogar
wieder leidlich.
Aus Anlass dieser Beobachtungen habe ich mich der Kompressions¬
behandlung des Kehlkopfes sehr eingehend zugewandt und im letzten
halben Jahre eine grosse Menge von phonischen Störungen, hervorgerufen
durch Insuffizienzen und Paresen im Internus-, im Latoralisgebiet, Tre-
molieren, Atemstörungen damit behandelt und geheilt.
Ferner habe ich an Stelle der Pelotten auoh breite Elektroden an¬
gebracht, so dass die Patienten mit der Kompression zugleich elektrisiert
werden können.
Diskussion.
Hr. Gutzmann: Wie lange müssen diese Binden getragen werden?
Hr. Katzenstein: Das Kompressorium kann verschieden lange ge¬
tragen werden. Ich habe es bis zu einer halben Stunde liegen lassen.
Die phonetischen Uebungen, die ich dabei anstelle, beschränke ich auf
5 bis 10 Minuten.
Hr. Gutzmann: Ich möchte nur bemerken, dass die Druckbehand¬
lung bei der einseitigen Recurrenslähmung schon sehr lange von mir
mit den Fingern, mit Daumen und Zeigefinger, geübt wird, und dass
ich bis jetzt bei meinen liecurrenslähmungen niemals in Verlegenheit
gekommen bin, auch nicht bei operativ durchschnittenem Recurrens.
Wir hatten z. B. hier einen sächsischen Artilleriehauptmann, der monate¬
lang mit allerlei Mitteln vergeblich behandelt worden war, und der vor
allem die Kommandostimme lernen sollte; ich habe ihn nur durch
Fiiigerdruckbehandlung vollständig dienstfähig gemacht. Ob eine so
starke Druckanwendung beim Kehlkopf durch den vorgezeigten Apparat
immer ausgeführt werden kann, ist mir zweifelhaft; wenn starke Ver¬
knöcherungen vorhanden sind, welche beim Manne ziemlich früh ein-
treten, würde ich Bedenken haben, eine so starke Kompression aus-
zuüben. Die Paraflinbehandlung von Brünings habe ich bisher nicht
angewandt oder empfohlen, da ich mit dem einfachen Fingerdruck¬
verfahren stets ausgekommen bin. Dieses einfache Verfahren ist schon
deshalb immer empfehlenswert, weil man die Stelle, wo der Druck eine
reine Stimme erzeugt, nicht a priori feststellen kann. Anfangs wechselt
die Druckstelle häutig. Man muss nach der wirksamsten Stelle suchen,
und das kann man mit Daumen und Zeigefinger leicht. Nach mehr
oder weniger langer Uebung wird schliesslich auch ohne nachhelfenden
Druck die Stimme klar. Sollte dies nicht gelingen, so wäre die An¬
wendung von dauernd zu tragenden Druckapparaten indiziert.
Herr Finder hat schon vor Jahren angegeben, dass man dann
unter dem Kragen eine Art Pelotte, einen Druckknopf anbringen kann.
Ich bin natürlich gern bereit, einen Versuch mit dem vorgestellten
Apparat zu machen, wenn das bisher geübte F’ingerdruckverfahren ein¬
mal versagen sollte. Bei leichteren phonischen Störungen wird dies
wohl kaum jemals der Fall sein.
Hr. Max Senator: Ich wollte nur fragen, ob nicht bei dieser
starken Kompression, namentlich wenn sie länger dauert, Atemstörungen
beobachtet werden. (Herr Katzenstein: Nein!)
Dann noch eine kurze Anfrage. Wie erklärt der Herr Vortragende
diese Druckwirkung? Bei den Lähmungen der Stimmlippen mit Be¬
wegungsbeschränkung ist es ganz klar, dass die eine oder andere Stimm¬
lippe der Mittellinie genähert wird. Aber bei den feineren phonasteniseben
Störungen, z. B. dem Tremolieren, wie erklärt sich da die Druck¬
wirkung? Da ist doch von einer Annäherung der unbeweglichen Stimm¬
lippe nicht die Rede.
Hr. Katzenstein (Schlusswort): Atemstörungen habe ich nicht
beobachtet. Bei Leuten über 55 und unter 16 Jahren habe ich den
Apparat selten oder gar nicht angewandt.
Die feineren Bewegungsstörungen der Stimmlippen — man kann
das bei photoskopischer Beobachtung genau sehen — werden bei einem
gewissen Grade der Kompression aufgehoben, die Bewegung der Stimm¬
lippen ist anscheinend normal, die Stimmgebung infolge der richtigen
Einstellung der Stimmlippen oft bei der ersten Kompressionsbehandlung
schon fast normal. Bei fortlaufender Kompressionsbehandlung des Kehl¬
kopfes habe ich fast stets völlige Heilung der Paresen und Stimm¬
störungen beobachtet. (Herr Senator: Ist das Suggestion?) Nein.
Bezüglich der Ausführungen des Herrn Gutzmann möchte ich sagen,
dass ich nicht über die gewöhnliche Recurrenslähmung gesprochen habe,
sondern nur über die vier Fälle, welche nach Strumektomie entstanden
sind. Das sind besondere Ausnahmefälle. Wenn ferner schon früher
Kompressionsbehandlung des Kehlkopfes angewendet wurde, so war mit
derselben stets eine venöse Stauung verbunden. Das Wesentliche bei
der Anwendung meines Kompressionsapparates ist aber, dass dabei die
venöse Stauung des Halses ausgeschaltet ist und sein soll.
Fortsetzung der Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Halle: Die
Tonsillenexstirpation, ihre Gefahren and deren Bekämpfung.
Vorsitzender: M. H.! Es handelt sich nur noch darum, dass die
üblen Folgen und Gefahren der Tonsillenexstirpatiou besprochen werden,
und dass angegeben wird, wie man ihnen vorzubeugen hat. Wir hätten
also z. B. zu besprechen die Schmerzhaftigkeit, Blutungen und eventuell
Infektionen, Sepsis uud dergleichen mehr sowie die Hilfsmittel, wie wir
dem Vorbeugen. Ich habe das letztemal schon gesagt, die Herren
möchten aus ihren Erfahrungen recht freimütig Mitteilungen machen,
damit wir an den schlecht geratenen Fällen lernen, und ich animiere
nochmals dazu.
Hr. Max Senator: M. H.! Ich habe mich in der letzten Sitzung
zu dem von Herrn Halle Vorgetragenen zustimmend verhalten. Ich
möchte jetzt auf zwei Punkte eingehen, in denen ich anderer Meinung
bin. Zunächst will ich an den Fall von Spätblutung anknüpfen, den
Herr Halle auf Anästhesie der operierten Stelle zurückgeführt hat. Ich
bezweifle gar nicht, dass eine mehr oder minder langdauernde Anästhesie
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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nach Operationen Vorkommen kann, sei es durch die Cocainwirkung, sei
es durch Verletzung der an der Stelle befindlichen sensiblen Nerven.
Ich glaube aber nicht, dass der Fall, den Herr Halle mitgeteilt hat,
durch Anästhesie zu erklären ist. Eine solche langdauernde Anästhesie,
die erst nach einigen Stunden die Blutung fühlbar werden lässt, besteht
doch nicht. Wenn die Patientin das Blut, wie Herr Halle annimmt,
nach innen verschluckt oder eingeatmet hätte, .so würden doch irgend¬
welche Störungen beobachtet worden sein. Wenn das Blut in die Luft¬
wege hiuabgelaufen wäre, so brauche ich nicht zu sagen, dass die
natürlichen Reflexe aufgetreten wären; das Blut wäre ausgebustet
worden. Wäre es in den Speiseweg hinabgelaufen, so wäre es sicherlich
ausgebrochen worden. Da es nicht nach aussen entleert worden ist,
wo soll es denn hingegangen sein? Einer von den drei Wegen ist nur
möglich. Ausserdem hat auch das Ausbleiben jeglicher Spätfolgen schon
diese Erklärung widerlegt. Ich glaube also, dass die Erklärung nicht
ausreicht. Wie der Fall zu erklären ist, kann ich nicht sagen.
Der zweite Punkt, auf den ich eingehen wollte, ist die Gefahrlosig¬
keit der totalen Tonsillenexstirpation in bezug auf die Singstimme. Es
ist ja bekannt, sowohl aus der Literatur als auch aus vielen sonstigen
Beobachtungen, dass tatsächlich die Singstimme und ganz besonders die
fein ausgebildete Stimme des Sängers bei totaler Tonsillenexstirpation
leiden kann. Man hat das so erklären wollen, dass sich im Munde die
Resonanzverhältnisse, sei es durch Veränderung des Raumes, sei es
durch andere Spannung der Muskeln oder durch Narbenkontraktion
anders gestalten, und dass alsdann eine Klangveränderung der Sing¬
stimme, oft zum Nachteil, eintritt. Immer geschieht es nicht. Ich
möchte doch davor warnen, bei Sängern planlos die Tonsillen zu ex-
stirpieren. Das kann auch manchmal schief gehen und ist tatsächlich
schon schief gegangen.
Dann wollte ich noch eine kurze Bemerkung allgemeiner Natur hier
anknüpfen. Aus dem ganzen Vortrage des Herrn Halle geht hervor,
und zwar mit Recht, dass die Tonsillenoperation durchaus keine so ein¬
fache Sache ist, wie sie von aller Welt bisher dargestellt wurde. Unser
verehrter Vorsitzender hat auch in der Diskussion schon hervorgehoben,
dass sich die Gesellschaft hier allgemein für eine ernstere Auffassung
der Operation ausgesprochen hat. Sie wissen ja, dass gerade Amerika
das Land war, das die laryngologische Welt mit dieser Neuerung be¬
schenkt hat, und es ist sehr interessant, dass sich jetzt eine allgemeine
Reaktion bemerkbar macht, und dass namentlich Amerika anfäugt, sich
dagegen auszusprechen. Es ist mir sehr lehrreich gewesen, neulich in
der amerikanischen Literatur von einem Arzt in Lexington namens
Stucky einen Artikel in der Zeitschrift „Laryngoscope“ zu finden, in
dem er über einige widerwärtige Spätfolgen der zu radikalen Tonsill¬
ektomie spricht und mehrere dieser grossen Unannehmlichkeiten anführt:
er spricht von ernsten Schädigungen der Singstimme, von Facialis-
lähmung, Lymphdrüseniofektion, Sohluckstörungen u. a. Ein zweiter,
noch viel instruktiverer Artikel ist im „Maryland Journal“ erschienen;
er hat einen gewissen Mackenzie zum Verfasser und trägt die be¬
zeichnende Ueberscbrift: Die Massakrierung der Tonsille (The massacre
of tonsil). Diese amerikanische Literatur hat in der englischen und
französischen eingehende Besprechung und Würdigung gefunden. Der
Artikel von Mackenzie ist vom „Archives internationales de laryngo-
logie“ wörtlich übernommen, auch mit der Bezeichnung „massacre“ in
der Ueberschrift, und in der englischen Literatur hat das „Journal of
Laryngology“ ausführlich den Artikel referiert und daran eine lange zu¬
stimmende Bemerkung der Redaktion geknüpft. Ich glaube, es ist von
Interesse, das zu erwähnen; man sieht daraus, dass nicht nur in
Amerika, sondern in der ganzen Welt allmählich eine andere Auffassung
sich Bahn zu brechen scheint, und dass gegen die übertrieben radikale
Operation allmählich Front gemacht wird.
Hr. Finder: M. H.! Ich kann die Befürchtungen in bezug auf die
Tonsillektomie und ihre Folgen nach meinen Erfahrungen nicht teilen.
Meine Erfahrungen erstrecken sich auf eine verhältnismässig grosse An¬
zahl von Fällen. Ich kann mit genauen Daten nicht dienen, da ein
grosser Teil dieser Fälle sich noch auf meine klinische und poliklinische
Tätigkeit hier in der Charite bezieht. Ich kann aber sagen, dass ich
eigentlich niemals wirklich unangenehme Folgen nach der Tonsillektomie
gesehen habe. Meine Erfahrungen beziehen sich in der Hauptsache auf
Tonsillektomie bei Erwachsenen. Etwas anders liegen die Verhältnisse
bei den Kindern. Auch der Artikel des Herrn Mackenzie im „Mary¬
land Journal“, von dem Herr Senator eben gesprochen hat, bezieht
sieb, soviel mir bekannt ist, hauptsächlich auf das unnötige Tonsillekto-
mieren bei Kindern. Und da muss ich ihm recht geben, denn erstens
wird die Operation bei Kindern dadurch zu einem komplizierteren Ein¬
griff, dass wir, wenigstens bei kleineren Kindern, zur Narkose greifen
müssen; zweitens sollte man die Tonsillektomie bei Kindern aus dem
Grunde auf das äusserste Maass einschränken, weil wir nicht wissen, ob
nicht vielleicht gerade im Kindesalter die Tonsillen doch eine gewisse
Funktion als Scbutzorgane zu erfüllen haben. Aber bei Erwachsenen
habe ich mit der Tonsillektomie die ausgezeichnetsten Erfahrungen ge¬
macht, und ich bin auf Grund dieser Erfahrungen zu dem Entschlüsse
gekommen, von allen anderen Behandlungsmethoden, die man eventuell
bei recidivierenden Anginen, Peritonsillitiden usw. angewandt und vor-
geschlagen hat, wie Galvanokaustik, Schlitzung, Morcellement, im grossen
und ganzen abzusehen. Ich bin auch von der noch von Spiess im
vorigen Jahre in Hahnover empfohlenen konservativen Behandlung der
erkrankten Tonsille durch Ausspritzen 1 der Lttcuneu'abgekommen, nach¬
dem ich gefunden habe, dass sie an die Geduld des Patienten zu grosse
Anforderungen stellt und man ein gutes Resultat nicht sicher in Aus¬
sicht stellen kann.
Nachblutungen habe ich nur zweimal gesehen. Der eine Fall kam
hier in der Charite vor und betraf einen Mann mittleren Alters, bei dem
eine ziemlich heftige Nachblutung aus einer Tonsille auftrat, die aber
durch Tamponade zum Stillstand gebracht werden konnte. Etwas
schwieriger lag der zweite Fall, der einen Herrn aus meiner Privatpraxis
betraf. Auch hier war etwa zwei Stunden nach der Tonsillektomie eine
heftige Blutung aufgetreten. Ich war bereits entschlossen, die Gaumen¬
bögen miteinander zu vernäheD, als es mir gelang, ein spritzendes Ge-
fäss als Quelle der Blutung zu finden, dies Getäss zu fassen und zu
unterbinden. Der Patient hatte auf der Seite, die blutete, eine ziemlich
erhebliche Struma. Es ist wohl anzunehmen, dass die Blutung durch
die infolge Druck der Geschwulst bestehende Gefässüberfüllung bedingt
war. Was die Nachschmerzen betrifft, so bin ich erstaunt gewesen, wie
verschieden sich die Patienten verhalten, wie manchmal über so gut wie
gar keine Schmerzen auch von den sensibelsten Patienten geklagt wird,
während andere tagelang über sehr heftige Schluckschmerzen Beschwerde
führen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass die heftigen Schluck¬
schmerzen in allen den Fällen auftreten, wo man den Gaumenbogen er¬
heblich verletzt, was ja manchmal nicht recht zu vermeiden ist. Wenn
man imstande ist, diese Verletzung des Gaumenbogens zu vermeiden, so
wird man überrascht sein, wie wenig die Patienten über Schmerzen
klagen. Ich glaube auch, dass die Nachblutungen sehr häufig durch die
Verletzungen des Gaumenbogens bewirkt werden. Ich glaube auch ferner,
dass die Schädigungen der Singstimme, über die berichtet worden ist,
nicht durch die veränderten Resonanzverhältnisse in Mund- und Rachen¬
höhle bedingt sind, denn manchmal sind die Tonsillen, die wir heraus¬
nehmen, klein und tief in die Gaumenbögen eingebettet, sondern ich
bin der Meinung, dass die Schädigungen der Singstimme, wenn sie über¬
haupt Vorkommen, durch die Narbenverziehungen bedingt sind, die eine
Folge ausgiebiger Verletzungen der Gaumenbögen sind.
Hr. Echterraeyer: Ich habe in einem Falle neun Tage nach der
Tonsillektomie recht ernsthafte Sepsis beobachtet. Der Fall war bis
dahin gut verlaufen. Am neunten Tage traten plötzlich Schmerzen auf.
Der hintere Gaumenbogen war in einen grossen roten Tumor verwandelt,
die Lymphdrüsen waren geschwollen und sehr empfindlich. In den
nächsten Tagen hielt sich das Fieber noch über 39° — kurz, es war
einige Tage ein recht ernstes Krankheitsbild. Am dritten Tage stellte
sich an einer Stelle Erweichung ein. Ich machte die Inzision, es kam
etwas Eiter heraus, und nun Hessen die Erkrankungserscheinungen sehr
schnell nach. Weshalb das gerade in dem einen Falle aufgetreten ist
und in vielen anderen Fällen, die ich ebenso behandelt habe, nicht,
weiss ich nicht. Merkwürdig ist nur, dass solche Infektionen nicht noch
viel häufiger Vorkommen. Ich glaube auch nicht, dass man das durch
antiseptische Spülungen und Pulver vermeiden kann; denn das dringt
doch nie in die Tiefe hinein. Ich vermute, dass es daran lag, dass der
Patient angefangen hatte, wieder festere Nahrung zu sich zu nehmen,
und dass dadurch wohl die Bakterien hineingerieben worden sind. Ich
möchte danach annehmen, dass derartige Zufälle auch von anderen
Operateuren beobachtet werden müssen. Denn man kann doch kaum
bis zur vollendeten Heilung flüssige Nahrung beibehalten. Inzwischen
habe ich einen Fall gehabt, wo der Patient irrtümlich gleich nach
der Operation feste Nahrung zu sich genommen hat und es ihm gar
nichts geschadet hat.
Hr. Barth: Eine Beobachtung beweist ganz besonders den Zu¬
sammenhang zwischen Erkrankung der Tonsille und Gelenkrheumatismus,
nämlich ein akutes Recidiv von Gelenkrheumatismus, dass ich im letzten
Jahre zweimal nach Tonsillektomie, die ich wegen Gelenkrheumatismus
gemacht hatte, gesehen habe. Das ist eine sehr unangenehme Kompli¬
kation, sie ist aber sehr begreiflich. Durch die Operation werden in¬
fektiöse Herde eröffnet, und der Resorption steht bei der Operation Tür
und Tor offen. Dieses Ereignis ist sehr peinlich, wenn die Krankheit
gleich wieder erscheint, deretwegen man die Operation unternimmt. Es
empfiehlt sich, die Patienten immer auf diese Eventualität aufmerksam
zu machen. (Zuruf: Wie lange nachher trat das Recidiv auf?) Bereits
am Tage nach der Operation klagte der Patient über Schmerzen im
Fussgelenk, dann im Kniegelenk. Es entwickelte sich ein typischer
akuter Rheumatismus, der 14 Tage anhielt.
Was die Tonsillektomie bei Sängern betrifft, so möchte ich auch
zur Vorsicht raten. Niemand ist so suggestiv wie gerade das Sänger¬
volk, und wenn es mit der Stimme aus irgendeinem anderen Grunde
nicht mehr geht, ist natürlich immer die Operation schuld. Man operiere
nur, wenn es unbedingt notwendig ist, wenn eine strikte Indikation
besteht, und nachdem man auf alle Eventualitäten aufmerksam ge¬
macht hat. «
> Hr. Fischer: Ich habe ebenfalls einen Fall erlebt, bei dem die¬
selben Erscheinungen aultraten wie in dem Falle des Herrn Echter-
meyer, und zwar drei Tage nach der Operation. Das Fieber hielt
auch vier bis fünf Tage an und ging auf Umschläge zurück. Der
Patient hatte trotz meines Verbots vorher gegessen und erbrach sich
bei der Operation.
Hr. Katzei^stein: Die nachteiligen Folgen, die ich nach Exstir¬
pation, der Tonsillen bei Sängern und Sprephern gesehen habe, sind be¬
sonders hervorgerufen durch Narbenbildung und durch das Auftreten
von Afltophonie. ”Di<ö VeFnarburf^en waren ihanchmal io intensiv, dass
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 0.
die Beweglichkeit des Zäpfchens behindert war und Rhinolalia aperta
auftrat. Ob die Autophonie zustande kommt, weil durch die Narben¬
bildung auch der Tensor veli in seiner Funktion gestört ist, vermag ich
nicht sicher zu sagen.
Blutungen habe ich vielfach beobachtet. Im allgemeinen möchte
ich den Standpunkt einnehmen, dass man bei Sängern und Sprechern
die Tonsillektomie vermeiden und, wenn nörig, die Tonsillen so weit
kappen soll — manchmal in mehreren Sitzungen —, bis eine bessere
Stitnmgebung eintritt.
Physiologisch möchte ich noch eins bemerken. Durch das Epithel
der Tonsillen findet doch zweifellos wie bei dem ganzen Lymphring eine
andauernde Auswanderung von Lymphocyten statt; die Tonsillen wie
der ganze Lymphring sind deshalb Schutzvorrichtungen gegen Infektionen,
und man sollte sie nicht ohne genaue Indikation gänzlich ausrotten.
Wie weit man andererseits die hyperplastischen Tonsillen als Einbruchs¬
stelle für Infektionen ansehen soll, ist sehr schwer zu sagen.
Hr. A. Bruck: Nur eine kurze Bemerkung auf die Mitteilung der
Herren Echtermeyer, Barth und Fischer! Dass man nach Tonsill¬
ektomien auch einmal eine septische Infektion erleben kann, ist eigent¬
lich nichts Erstaunliches. Ich möchte nur meinen, dass man das nicht
ohne weiteres auf das Konto der Tonsillenenucleation als solcher setzen
darf; das kann einem auch nach der einfachen Tonsillotomie oder nach
einer Adenotomie passieren.
Unter den Folgeerscheinungen, die ich beobachten konnte, möchte
ich ebenfalls die Blutung hervorheben, aber nicht eine solche nach
aussen, sondern in die Schleimhaut des Gaumens. Es handelte sich
schon fast um ein Hämatom, das vom vorderen Gaumenbogen weit
auf die Nachbarschaft Übergriff und offenbar auf die mechanische Hand¬
habung, auf Druck und Zerrung des Gewebes zurückzüführen war. Die
Resorption erfolgte in 2—2Va Wochen.
Hr. Halle (Schlusswort): M. H.! Es haben sich so viele Diskussions¬
redner in gleichem oder ähnlichem Sinne ausgesprochen wie ich, dass
es mir erspart bleibt, auf viele Einzelheiten zu replizieren. Ich möchte
nur folgendes bemerken: Erstens, die Tonsillenexstirpation ist nicht, wie
Herr Senator meint, eine Operation, die wir erst sehr kurze Zeit aus¬
führen. Schon im Jahre 1892 hat Bosworth eine lange Publikation
darüber veröffentlicht, worin er fordert, dass man in jedem B'alle die
Tonsillenexstirpation machen soll. Wenn Senator meint, wir hätten
noch nicht genügend Erfahrungen, um über die physiologische Bedeutung
der Tonsille klar zu sein, so ist dem beizupflichten. Immerhin hätten
wesentliche Störungen schon beobachtet werden müssen. Wir sollten
über die physiologische Bedeutung der Tonsille irgendwie weiterzu¬
kommen suchen. Ich habe Herrn Kollgen Ul 1 mann, der sich mit dieser
Frage eingehender beschäftigt, gebeten, hierher zu kommen. Man kann
auf jedem mikroskopischen Schnitt der Tonsille beobachten, dass Leuko-
cyten durch das Epithel hindurchwandern. Nun habe ich bei Herrn
Ullmann folgendes zu beobachten Gelegenheit gehabt: Wenn man
einem Bluttropfen, in dem sich Leukocyten bewegen, filtrierten Speichel
zusetzt, so verändern sich nach einiger Zeit die Leukocyten vollständig,
und sie erhalten ein Aussehen, das sie von den Speichelkörperchen nicht
unterscheiden lässt. Schon diese einfache Beobachtung deutet doch auf
manches physiologische Problem hin, über das wir uns einmal klar zu
werden versuchen müssen.
Ueber die Indikationen zur Tonsillenexstirpation kann ich wohl zu¬
sammenfassend sagen: Eine Tonsillenexstirpation wird da augezeigt sein,
wo die normale Funktion durch die pathologischen Veränderungen über¬
deckt ist, d. h. wo die Tonsille im allgemeinen wesentlicher krank ist,
als sie physiologisch nützlich sein kann. (Zuruf.) Das wird immer
schwer sein, zu entscheiden. Die Tonsillotomie geht nicht in die Tiefe.
Die Krypten, die Detritusmassen lassen sich aber in den tiefsten Schnitten
bei der Untersuchung nachweisen. Im übrigen gibt es wesentlich er¬
krankte Tonsillen, die so klein sind, dass man mit der Tonsillotomie
nicht herankommt. In solchen Fällen wird man zur Tonsillenexstirpation
schreiten müssen.
Was die Infektionen betrifft, die als von der Tonsille ausgehend
beschrieben worden sind, Nephritis, Gelenkrheumatismus usw., so darf
man gern zugeben, dass nicht nur von der Tonsille aus solche Erkran¬
kungen ihren Ursprung nehmen. Da diese aber im lymphatischen Ring
das am häufigsten erkrankte Gebilde ist und man beobachtet hat, dass
die vielfach genannten Krankheiten nach der Tonsillektomie oft definitiv
heilen, so wird es wohl angezeigt sein, in entsprechenden Fällen die Ton¬
sille zu entfernen.
Bezüglich der Methodik möchte ich folgendes sagen: Jeder hat
natürlich seine Freude an der eigenen Methode oder an der, auf die
er sich eingeübt hat, und jeder wird damit mehr oder weniger gute
Erfolge haben. Jede Methode, die zum Ziele führt, ist natürlich gut.
Ich sprach nur über die Methode, die mir vom chirurgischen Standpunkte
am wertvollsten erscheint, und die schneller und besser als die anderen
nach meinen Erfahrungen zum Ziele führt. Das ist ganz fraglos die
Methode von West. Vielleicht weniger gut, aber auch recht brauchbar
ist die Methode, die ich mir das vorige Mal zu demonstrieren erlaubte,
und die Blutung scheint mir danach geringer zu sein. Das Messer, das
Herr Hölscher angegeben und angewandt hat, das Tonsillenschlitz¬
messer, kann man schon der Biegung der Schnittfläche .wegen nicht sehr
zweckmässig gebrauchen. Das gleiche gilt von der Hopmann’schen
Methode, von der Herr Pceyser sprach. Dip Fingerauslösung £ sollten
wir, glaube ich, verwerfen. Wir wi#en alle« d<$s ein uns allen sehr
werter Kollege beinahe ad exitum gekommen ist infolge einer solchen
Operation. Vorteile kann ich jedenfalls bei diesem Verfahren nicht
erkennen.
Die Operation bei Kindern braucht man nicht in der Narkose zu
machen, wenn man das Sluder’sche Instrument anwendet. So schätzens¬
wert die Schwebe für viele andere Dinge ist, für die Tonsillenexstirpation
bei Kindern ist sie nicht nötig. Wenn Sie das Sluder’sche Instrument
nehmen, so können Sie fast mit derselben Schnelligkeit, mit der Sie die
Tonsillotomie machen, die Tonsillenexstirpation vornehmen. Ich möchte
deshalb doch glauben, dass wir hier auf die Narkose verzichten sollen,
wenn wir nicht aus den Gründen dazu greifen, aus denen wir sonst
eine kurze Narkose bei Kindern anwenden. Aber auch dann brauchen
wir keine Schwebe.
Um auf die Komplikationen zu kommen, so möchte ich nach wie
vor auf das Nachdrücklichste darauf hinweisen, dass man sich nicht auf
das Stehen der Blutung durch Tamponade oder irgendein anderes Mittel
verlassen soll. M. H. Nehmen Sie in jedem Falle die Klammern und
suchen Sie die Wundhöhle ab. Fassen Sie jedes Gefäss, jede blutende
Stelle. Ebenso glaube ich, dass man der Infektion besser beikommt,
wenn man hier antiseptisch vorgeht. d. h. auf die grosse Wunde Jodo¬
form oder ein anderes antiseptisches Pulver streut. Ueber Komplikationen
bei Sängern bin ich wenig unterrichtet
Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass wir im Prinzip darüber
einig sind, die Tonsillenexstirpation soll mit aller Vorsicht gemacht
werden. Zweckmässig ausgeführt, ist sie fraglos eine segensreiche
Operation. Mit Genugtuung stelle ioh fest, dass sich alle Redner prin¬
zipiell gegen die nicht strengstens indizierte Tonsillenexstirpation bei
Kindern ausgesprochen haben.
Berliner mikrobiologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Weber.
Schriftführer: Herr Friedberger.
1. Hr. R. Kolkwitz: Nenere Methoden der Planktonforschnng.
Der Vortragende unterschied drei Perioden der Planktonforschung:
1. die der qualitativen Seidennetzfänge, 2. die der quantitativen
Seidennetzfänge und 3. die der Planktonuntersuchung in direkt ge¬
schöpften Wasserproben (Sedimentationsplankton, Centrifugenplankton,
Kammerplankton).
Einheit für das erst in neuerer Zeit näher bekannt gewordene und
studierte Kleinplankton ist das Kubikzentimeter wie in der Bakteriologie.
Es gibt kein Kubikzentimeter normalen Oberflächenwassers, das biologisch
steril wäre, wohl auch keines, das frei ist von feinen, unbelebten Sus¬
pensionen. Die modernen Forschungen über die im Wasser enthaltenen
Schwebekörper sind von wesentlicher Bedeutung 1. für die Aufklärung
ernährungsphysiologischer Fragen, 2. für die Beurteilung der chemischen
Beschaffenheit des Wassers (Entfäuler, Durchlüfter), 3. für seine hygie¬
nische Kennzeichnung (Bakterienfresser) und 4. für die durch Versenken
einer weissen Soheibe gemessene Sichttiefe. Zahlreiche Planktonalgen
sind mixotroph, d. h. ernähren sich trotz normaler Chlorophyllfunktion
auch pilzlich. Deshalb kann ihre Zahl im Wasser ähnlich wie bei den
Bakterien mit zunehmender und abnehmender Menge geeigneter orga¬
nischer Nahrung steigen bzw. fallen. Die Menge der Planktonalgen in
grossen, klaren Seen beträgt pro 1 ccm Wasser in den oberen Schichten
meist ein bis einige Dutzend. Diese Tatsache ist erst in neuerer Zeit
bekannt geworden.
Bei Fängen mit Seidennetzen oder feinen Kupfersieben begnügt man
sich in der Regel mit der volumetrischen Messung dessen, was durch
die Fangapparate zurückgehalten wird (absiebbare Schwebestoffe).
Ihre Menge schon pro 50 1 Wasser kann wesentliche Aufschlüsse über
die Natur eines Gewässers liefern. Die Kombination von Schöpf- und
Siebmethoden gestattet sehr präzise Gewässerstudien.
2. Hr. L. Halberstaedter:
Zar Chemotherapie der experimentelle! Trypaiosomeninfektion.
M. H.! Ich möchte mir erlauben. Ihnen in Kürze über Experimente
zu berichten, die ich in der bakteriologischen Abteilung des pathologi¬
schen Instituts ausgeführt habe, um die Wirkung von Quecksilber¬
präparaten auf die Trypanosomeninfektion bei Mäusen zu studieren.
Die experimentell-chemotherapeutische Erforschung der Hg-Verbindungen
ist erst in neuerer Zeit in Angriff genommen worden. Ich erwähne, dass
die ersten systematischen Versuche in grösserem Maassstabe von Neisser
bei seiner Expedition nach Java an syphilisinfizierten Affen ausgeführt
wurden. Bei der experimentellen Kaninchensyphilis sind chemothera¬
peutische Versuche mit Quecksilberverbindungen besonders von Uh len-
huth und Weidanz, ferner von Tomaozewski, Franz Blumenthal,
Launoy und Levaditi u. a. ausgeführt worden einerseits, um die
Wirkung bereits bekannter Hg-Präparate mit der von Arsenikalien auf
die Kaninchensyphilis zu vergleichen, andererseits um die spirillocide
Wirkung neuer Hg-Präparate zu studieren. Neuerdings haben Kolle,
Rothermund, Dale und Pechiö zu letzterem Zweck als Testobjekt
die Hühnerspirillose, Klaus Schilling, Krogh, Schrauth und
Schoeller die Recurrensiofektion der ,Mäuse benutzt, wobei sich die
Ueberlegenheit bestimmter;« Hg-Präparate ergab. Viel dürftiger ist das
bisher vorliegende Material über die Einwirkung der Hg-Präparate auf
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3. Märs 1913.
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die Trypanosomeninfektion, trotzdem gerade diese für chemothera¬
peutische Versuche viele Vorteile bietet. Freilich ist das Quecksilber
auch hierbei wiederholt versucht worden, aber immer mit dem Ergebnis,
dass die Quecksilberbehandlung allein gar keine oder keine nennenswerte
Einwirkung auf die experimentelle Trypanosomeninfektion hat. Eine
gewisse Einwirkung des Sublimats auf Trypanosomen konnten zuerst
Moore, Nierenstein und Todd dadurch demonstrieren, dass sie
trypanosomeninfizierte Ratten durch Atoxyl heilten und dann durch
Nachbehandlung mit Sublimat die nach alleiniger Atoxylbehandlung meist
eiutretenden Recidive zu verhüten suchten. Sie schlossen aus ihren
Versuchen, dass das Sublimat zwar keinen Einfluss auf die normalen
im Blut nachweisbaren Trypanosomen habe, aber auf die latenten
Formen, auf welchen naoh ihrer Ansicht die Recidive beruhen, einzu¬
wirken imstande sei. Experimente mit kombinierter Behandlung mittels
Hg und Arsenikalien sind weiterhin u. a. auch von PI immer und
Thomson sowie von Uhlenhuth, Hübener und Woithe ausgeführt
worden. Letztere erzielten bei einer kleinen Anzahl dourineinfizierter
Ratten Dauerheilung durch Behandlung mit Hg -f- Atoxyl, es muss aber
betont werden, dass einige ihrer Ratten auch durch die Atoxylbehand¬
lung allein dauernd geheilt wurden, so dass sich der Anteil der Queck¬
silberwirkung schwer abschätzen lässt. Uhlenhuth ist auf Grund der
einigen Erfolg versprechenden Kombination von Atoxyl mit Quecksilber
zu Versuchen mit einer Quecksilberatoxylverbindung übergegangen, über
deren Wirkung auf Trypanosomen von Morgenroth und mir an anderer
Stelle berichtet worden ist. Die tatsächlich vorliegenden experimentellen
Ergebnisse bezüglich des Einflusses einer Kombination von Quecksilber
mit anderen wirksamen Substanzen auf Trypanosomen sind also noch
recht dürftig, trotzdem auch von Ehrlich wiederholt auf den Wert einer
Kombinationstherapie hingewiesen worden ist und eine solche kom¬
binierte Behandlung bei der praktischen Sypbilistherapie ganz besonders
günstige Resultate gezeitigt hat.
Nachdem ich mich selbst, ebenso wie die anderen Untersucher, da¬
von überzeugt hatte, dass eine Anzahl verschiedener Quecksilberverbin¬
dungen keinerlei Wirkung auf den Ablauf einer Naganainfektion bei
Mäusen ausübte — nur Uhlenhuth machte einmal die interessante
Beobachtung, dass ein Kaninchen durch Sublimatbehandlung allein
dauernd vor einer Dourineinfektion geschützt blieb —, bin ich dazu
übergegangen, die an sich unwirksamen Hg-Präparate mit trypano-
ciden Mitteln zu kombinieren. Speziell bin ich hierzu durch Versuche
von Morgenroth und Tugendreich angeregt worden, welche auf
diese Weise den Einfluss der an sich sehr wenig wirksamen Salicylsäure
auf die Trypanosomeninfektion nachweisen konnten. Ich habe zunächst
die Quecksilberpräparate mit Aetbylhydrocuprein kombiniert. Die für
die Kombination angewandte Dosis dieses Präparates war so bemessen,
dass durch sie allein, wie zahlreiche Versuche bewiesen, nie eine sicht¬
bare Einwirkung auf die Trypanosomeninfektion erzielt wurde. Dagegen
konnten durch gleichzeitig mit dieser Dosis injizierte Quecksilberpräpa¬
rate die bereits im Blut der infizierten Mäuse nachweisbaren Trypano¬
somen zum Verschwinden gebracht werden. Es gelang dies mit Sublimat,
Calomel, Hg. salicyl., Hg. bijodatum, Embarin, Toxynon (Ferdinand
Blumenthal), also Vertretern sehr verschiedener Gruppen löslicher und
unlöslicher, organischer und anorganischer Quecksilberverbindungen.
Allen Versuchsergebnissen dieser Reihe waren folgende Punkte gemein¬
sam: Es mussten sehr grosse Dosen der Quecksilberverbindungen
angewandt werden, die an sich schon toxisch oder gar letal waren; die
Beeinflussung der Trypanosomen gelang nur, wenn die Infektion noch
nicht weit vorgeschritten war; die Trypanosomen verschwanden nur vor¬
übergehend aus dem Blute, in allen Fällen traten nach verhältnis¬
mässig kurzer Zeit Recidive auf; die Behandlung hatte nicht immer
Erfolg, sondern blieb häufig ohne nennenswerte Einwirkung auf die In¬
fektion. Ich habe dann die Hg-Präparate mit Arsacetin kombiniert,
indem ich von letzterem etwa die Hälfte der eben noch wirksamen Dosis
an wandte, und hatte, um es zusammenfassend zu berichten, annähernd
dieselben Resultate wie mit Aetbylhydrocuprein.
Ganz wesentlich andere Resultate ergaben sich aber, als ich die
Hg-Präparate mit Salvarsan kombiniert anwandte. Auch hierbei be¬
nutzte ich Salvarsandosen, die an sich, wie zahlreiche Versuche ergeben
hatten, nicht mehr imstande waren, die bereits in der Entwicklung be¬
griffene Infektion aufzuhalten und die etwa J /*—V* 4er eben noch wirk¬
samen Salvarsandosis entsprachen. Mit diesen an sich unwirksamen
Salvarsandosen kombiniert ergab sich nun eine recht eklatante Wir¬
kung der Quecksilberpräparate auf die Naganainfektion der Mäuse.
Selbst mit verhältnismässig schwachen Quecksilberdosen gelang es auch
bei bereits weit vorgeschrittener Infektion mit einer einmaligen
Applikation die Trypanosomen aus dem Blut zum Verschwinden zu
bringen. Bisher habe ich bei diesen Versuchen meist das Hg salicylicum
benutzt. Bei Verwendung grösserer Dosen dieses Mittels, die allerdings
schon in die Nähe der Toxizitätsgrenze fielen, habe ich auf die ange¬
gebene Weise durch die Kombination mit Salvarsan Dauerheilungen
selbst bei starken Infektionen erreicht. Bei Verwendung kleinerer
Dosen von Hg salicylicum wurde meist nur eine vorübergehende Sterili¬
sation des Blutes erzielt. Aehnliche Resultate ergaben sich auch bei
Kombination von Sublimat oder Hg bijodatum mit Salvarsan, wodurch
bewiesen wird, dass das Quecksilber als solches in Kombination mit
Salvarsan wirksam ist. Im Hinblick auf die oben erwähnten Versuche
von Morgenroth und Tugendreioh ist aber auch die Möglichkeit zu
erwägen, ob nicht Her SalicylkoAponente bdi der Kombiriätion von Hg
aalicyfidum mit Salvärean eine Bedeutung zufcommti ' r
Nach den bisherigen Versuchen scheint es, dass die Kombination
von Quecksilber mit Salvarsan im Trypanosomenexperiment der Kombi¬
nation von Quecksilber mit anderen Präparaten bei weitem über¬
legen ist.
Durch die angegebenen Versuche erhält die ausserordentlich gün¬
stige Wirkung, welche die Kombination von Quecksilber und Salvarsan
bei der Therapie der Syphilis entfaltet, zum ersten Male eine experi¬
mentelle Stütze. Abgesehen davon gibt die hier angewandte Versucbs-
anordnung die Möglichkeit einer chemotherapeutischen Erforschung der
Quecksilberverbindungen im Typanosomenexperiment.
Diskussion.
Hr. Aronson.
Hr. Ziemann: Ich möchte mir nur einige Bemerkungen zu dem
ersten Teil des Vortrages des Herrn Dr. Halberstaedter erlauben.
Salvarsan stand, als ich noch als Chefarzt in Kamerun wirkte, bei
der Bekämpfung der Schlafkrankheit leider noch nicht zur Verfügung.
Mit Atoxyl, das habe ich an anderer Stelle ausgeführt, haben wir bei
der in Kamerun ausserordentlich schwer und schnell verlaufenden Schlaf¬
krankheit wenig oder gar keine Erfolge erzielt. Dauerheilungen habe
ich, wenigstens in Duala, selbst bei genauer Befolgung der in Ost¬
afrika bewährten Vorschriften, nicht erzielen können. Da lag es nahe,
zur Kombinationstherapie zu schreiten. Daher habe ich damals Hydrar-
gyrum salicylicum bzw. Sublimat in Dosen, wie bei Syphilisspritzkur
üblich, mit Atoxyl kombiniert. Leider hat auch dies Mittel keine Dauer¬
erfolge gezeitigt. Ueber die eventuellen Erfolge der Kombinationstherapie
von Salvarsan und Quecksilber stehen mir neuerdings keine Nachrichten
aus Kamerum zur Verfügung.
Hr. Halberstaedter: Auf die Anfrage des Herrn Aronson er¬
widere ich, dass Fütterungsversuche bisher nicht vorgenommen worden
sind.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde za Berlin.
(Sektion für Kinderheilkunde.)
Sitzung vom 17. Februar 1913.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Baginsky widmet dem scheidenden Prof. Heubner einige
Abscbiedsworte.
Hr. Kraus weist auf die nahe Beziehung der inneren Medizin zur
Kinderheilkunde hin und dankt Herrn Heubner dafür, dass er die Ver¬
bindung mit dem Verein für innere Medizin hergestellt hat. Er rühmt
die klare Sachlichkeit des Scheidenden, der in der Fakultät nicht der
Führer der Fraktion Heubner war, sondern oft die ganze Fakultät ge¬
führt bat.
Hr. Heubner dankt für die ihm übertragene Ehrenmitgliedschaft
des Vereins für innere Medizin.
Tagesordnung.
Hr. Biesalski: Die spastischen Lähmungen der Kinder.
Vortr. beschränkt sein Gebiet auf die Hemiplegien und Paraplegien
(Diplegien).
Der Sitz der spastischen Lähmungen liegt im Gehirn; sie gehen
meist von den Gelassen aus (Embolien und Hämorrhagien). Aetiologisch
spielen angeborene Veränderungen, Vorgänge intra partum und In¬
fektionskrankheiten eine Rolle.
Die spastischen Krankheitsbilder setzen sich meist aus 3 Faktoren
zusammen: 1. die Lähmung, 2. die Spasmen, 8. die unwillkürlichen Be¬
wegungen (Athetosen, ataktische Bewegungen).
Die Athetoso ist operativ nicht zu beseitigen (höchstens durch
Tenotomien in Fällen, wo die Athetose nur bei intendierten Bewegungen
eintritt), die ataktischen Bewegungen sind durch Uebungstherapie zu
beeinflussen.
Nach Förster kommen die Erscheinungen dadurch zustande, dass
die Hemmungsfasern in den Pyramidenbahnen besonders stark alteriert
sind. Die peripheren Reize werden dann ebenfalls nicht gedämpft, und
hierdurch wird die Tätigkeit der Vorderhörner des Rückenmarks stark
gesteigert.
Die Behandlung der spastischen Lähmungen im Kindesalter steht
und fällt mit der Uebungstherapie. Alle operativen Eingriffe können
nur die Vorbedingungen bessern.
Fast stets befallen die Kontrakturen die Beuger (phylogenetisches
Moment, Wirkung der Bettdecke). Spastische Luxationen (Weber) treten
oft infolge der dauernden Wirkung der Muskelkontraktionen ein
(Luxation des Femurkopfes, der Patella, des Radius).
Die einfachste Beseitigung der Kontraktur ist das Redressement,
eventuell in Verbindung mit Tenotomie, die Kinder werden überkorrigiert
eingegipst. Der Verband darf nur kurze Zeit liegen, Sehnenverpfianzungen
können im allgemeinen nur selten angewandt werden, besonders am Fuss.
Das Resultat wird durch Schienenhülsenapparate festgehalten.
Schwachsinn ist keine Kontraindikation. Die Möglichkeit der freien Fort¬
bewegung ruft oft die Intelligenz hervor.
Die Beseitigung des nervösen Faktors geschieht duroh Exstirpation
erkrankter Hirnrindenteile. Förster unterbricht den Reflexbogen, indem
er intradural die hintere Wurzel durchschneidet. Der Eingriff bedingt
stets achtrere Komplikationen, schafft jedoch in schweren Fällen, die
hiAr allein in Befracht kommen, Besserungsmöglichkeitei. ; "» •
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Stoffel operiert auch im Reflexbogen, aber im motorischen Anteil,
indem die Nerven bis in den Muskel präpariert und zum Teil durch¬
schnitten werden. Durch Einengung der Leitungsbahn werden die
Impulse vermindert, und der augenblickliche Erfolg ist ein phänomenaler,
muss jedoch durch sofort einsetzende Uebung festgehalten werden.
Spitzy versuchte durch Nerventransplantationen einen Teil der über¬
schüssigen Impulse auf Antagonisten zu verpflanzen, wobei die neu
studierten Verhältnisse der topographischen Verteilung der Nervenstränge
berücksichtigt werden müssen.
Die Uebungen an spastischen Muskeln sollten jeden Tag circa
6 Stunden durchgeführt werden, ohne Unterbrechung am Sonntag. Für
Gehübungen ist am zweckmässigsten der preussische Parademarsch.
Die operativen Eingriffe ergänzen sich und können nacheinander
Anwendung finden.
Unbekannt ist bisher, ob bei spastischen Lähmungen Selbstheilungen
zustande kommen.
Diskussion.
Hr. Roth mann verweist auf die Befunde, nach denen man am
Tier Hirncentren oder Pyramidenbahnen wegnehmen kann, ohne dass
Spasmen auftreten, wenn die Tiere sich bewegen. Dass beim Menschen
so leicht Spasmen Vorkommen, liegt in der Vernachlässigung vieler
Muskelgruppen infolge des aufrechten Ganges. Die bevorzugten Muskeln
restituieren sich früher und gehen dann in Kontraktur über. Durch baldige
Uebung der Antagonisten kann man die Selbstheilung der Spasmen sehr
befördern, besonders durch Schüttelbewegungen. Bei der Forster’schen
Operation werden die Impulse auch für die Antagonisten geschädigt.
Die Stoffel’sche Operation ist daher die physiologisch bessere.
Hr. Biesalski (Schlusswort): Die Förster’sehe Operation hat an
der oberen Extremität nie zu einem Erfolg geführt. Hier kommt nur
die Stoffel’sche Operation in Betracht. H. Hirschfeld.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 24. Februar 1913.
(Gemeinsame Sitzung mit dem Verein für innere Medizin, der Berliner
Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten und der Berliner
otologischen Gesellschaft im Langenbeckbause.)
Vorsitzender: Herr Kraus.
Hr. Edinger-Frankfurt a. M.: Kleinhirnfragen.
In gemeinsamer Arbeit mitShimazono ist es gelungen, vom Klein¬
hirn, wenigstens dem der Taube, eine so vollkommene Kenntnis zu er¬
halten, dass jeder Faserzug und jede Zellgruppe in ihrem Zusammen¬
hänge deutbar wird. Entwicklungsgeschichtliche, histologische und
experimentelle Arbeit haben dazu geführt. Vergleichend anatomische
Untersuchungen haben zunächst gezeigt, dass Kleinhirnform und -grosse
sehr variieren. Das Kleinhirn des Dorsches z. B. ist nicht viel kleiner
als das des Menschen, das des Morroyrus ist grösser. Das Kleinhirn der
Eidechse ist klein, das des Alligators doppelt so gross. Diese Dinge im
einzelnen sind erst verständlich, wenn wir uns über die Funktion des
Kleinhirns klarer werden.
Während das Kleinhirn bei niederen Tieren fehlt, ist ein Teil kon¬
stant: das Mittelstück des Kleinhirns, der Wurm. Dies konstante Auf¬
treten des Wurms muss also eine eigene Bedeutung haben und weist
darauf hin, dass er bei allen Tieren eine gemeinsame Funktion erfüllt.
An den peripheren Organen, den Gelenken, Sehnen, Muskeln findet
sich eine erstaunlich grosse Zahl sensibler Elemente, sensible Nerven¬
fasern gelangen durch die hinteren Wurzeln ins Rückenmark. Eine
Anzahl Fasern gelangen bis zum Kleinhirn; der Tractus spino-cere-
bellaris enthält diese Fasern, die einzigen, die aus dem Rückenmark
direkt ins Kleinhirn ziehen. Eine Unterbrechung dieser Bahn hat Ataxie,
Abnahme der Muskelspannung zur Folge. Der Tonus wird also von den
sensiblen Gelenk-, Muskel- und Sebnennerven reguliert. Diese Regulierung
erfolgt automatisch. Bei Durchschneidung erlischt er, ebenso bei Erkrankung
(Tabes dorsalis). Er wird auch vernichtet bei Durchschneidung der zum
Kleinhirn im Rückenmark führenden Bahnen. Es fragt sich nun: wo enden
diese Bahnen? Sie enden, wie zahlreiche Untersuchungen zeigten, pracht¬
voll aufgezweigt um die Purkinje’schen Zellen der Kleinhirnrinde. Die
Kleinhirnrinde sendet nur Fasern in die Kleinhirnkerne. Die Silber¬
methode zeigt, dass es sich um die Fortsätze der Purkinje’schen Zellen
handelt. Ferner hat sich experimentell gezeigt, dass die Kleinhirnrinde
erregbar ist, und zwar wird bei Reizung der Rinde der Muskeltonus sehr
gesteigert.
Die Teile der Kleinhirnrinde sind in sich zu verknüpfen. Wir haben
so einen Eigenapparat des Kleinhirns vor uns.
Die Achsencylinder der PurkiDje’scben Zellen zersplittern um die
Zellen der drei Kleinhirnkerne. Reizung dieser Kerne (Horsley) erzeugt
enorme Krämpfe der gleichseitigen Muskulatur.
Welche Fasern kommen nun aus dem Kleinhirn heraus? Es bat
sich folgendes ergeben: Aus den Zellen der Kleinhirnkerne ziehen die
Ach-:encylinder frontal als Bindearme in den Haubenkern (den roten
Kern der Säuger), in der Mitte zu dem Deiterskern, zerstreuten grossen
Zellen der Haube und caudalwärts in den Anfangsteil des Rückenmarks.
Alle diese Kerne lassen sich aus vergleichend-anatomischen Gründen
(Fische) als einheitliche Masse auffassen, als Nucleus raotorius tegmenti.
Reizung des Deiterskerns ruft ebenso wie die der betreffenden Abschnitte
der Oblongata und des Rückenmarks gleichseitige Krämpfe hervor. Somit
stellt der Nucleus raotorius tegmenti den stato-tonischen Apparat dar.
Bei Durchschneidung des Kerns treten entsprechende Störungen ein.
Es sind noch andere Einwirkungen auf diesen Kern bekannt: Um
die Ausläufer und Zellen des mittelsten Abschnittes, um dem Deiters¬
kern verzweigen sich zahlreiche Fasern aus dem N. vestibularis. Jede
Vestibularfaser legt sich mit einem Endplättchen an die Zellen des
Nucleus Deiters an. Durch sie gewinnt das Labyrinth den bekannten
Einfluss auf die Kopfstellung und dadurch auf den Muskeltonus. Der
adäquate Reiz der Muskelspannung lässt sich vom Mittelstück aus be¬
einflussen. Da vom Kern auch Fasern zu den Augenmuskelkernen gehen,
bedeutet der Nystagmus eine Störung des Muskeltonus.
In den Deiterskern mündet von der Gegend der hinteren Vierhügel
ein bisher seiner Bedeutung nach wenig bekannter Faserzug. Dieser
muss eine Hemmung vermitteln. Wird der hintere Vierhügel von dem
Kleinhirn abgetrennt, dann entsteht die von Sherrington entdeckte
Decerbrate rigidity, eine bedeutende Starre der gleichseitigen Körper¬
hälfte. Diese Starre schwindet, wenn man die Gegend des Deiterskerns
durcbschneidet (Horsley).
Die Bedeutung der Hemisphären des Kleinhirns war bisher ein
Rätsel; das Experiment hatte nichts ergeben. Nach neueren Anschauungen
haben wir die Hemisphären als einen Muskelsinnapparat anzusehen. Ver¬
letzungen oder Erkrankungen der Hemisphären haben Ataxie und Asynergie
zur Folge.
Diskussion.
Hr. Baräny-Wien spricht gleichfalls über die Bedeutung der Klein¬
hirnhemisphären. Er geht zunächst aus von der Erregung des Vestibular-
apparates, der in dreifacher Weise reagiert. Beim Drehen des Kopfes
werden beide Vestibularapparate zugleich gereizt. Der galvanische Reiz
trifft zunächst nur das gesunde Ohr. Jedoch kann auch bei totaler Zer¬
störung Nystagmus erzeugt werden. Endlich die calorische Reaktion:
Bei Reizung des vestibulären Apparates tritt Nystagmus ein, ein Vorgang,
der sich nur in der Medulla und in der Pons abspielt, also nichts mit
dem Kleinhirn zu tun hat.
Vortr. spricht dann über die Verbindungen des Nervus vestibularis
mit dem Kleinhirn. Ramön y Cajal hat gefunden, dass jede Faser
des Nervus vestibularis Collaterale ins Kleinhirn sendet, und zwar zur
Hemisphäre der einen, zum Wurm und der Hemisphäre der anderen
Seite. Bärany hat diese Ergebnisse nachgeprüft und kann derartige
Verbindungen mit dem Kleinhirn bestätigen.
Vortr. kommt dann zum Zeigeversuch, der darin besteht: Der
Patient fasst mit geschlossenen Augen nach dem Finger des Unter¬
suchenden, lässt den Arm sinken und sucht beim Erheben wieder den
Finger zu treffen. Bei calorischer Reizung, Eingiessen von kaltem
Wasser in das rechte Ohr, tritt nun Nystagmus der Augen nach links
ein. Beim Zeigeversuch ergibt sich: Vorbeizeigen nach rechts. B. konnte
nun in einem Falle von Verletzung, in dem Kleinhirn nur von Haut
bedeckt war, auf die Oberfläche direkt einen Kältereiz (Aethylchlorid)
wirken lassen, analog den Experimenten Trendelenburg’s, der als
erster bei temporärer Abkühlung der Hirnoberfläche Lähmung eines
Arms bei Abkühlung, Rückkehr der Funktion bei Erwärmung beob¬
achtete. B. fand nun in dem einen Falle bei Kältereiz Lähmung und
Vorbeizeigen nach aussen, keinen Nystagmus. Daraus folgert er: Im
Kleinhirn liegen Centren für Lokomotion des Armes in verschiedenen
Richtungen. Die Wirkung der Centren ist so, als wenn der Arm von
zwei Zügeln in Richtung gehalten würde. Bei Abkühlen des Centrums
für Einwärtszeigen tritt Auswärtszeigen ein und umgekehrt. Bei Nystag¬
mus nach rechts tritt Vorbeizeigen nach links auf. Bei Durchschneiden
beider Zügel überwiegt keiner von beiden: es tritt wieder Richtigzeigen
ein. An zwei Stellen an der Vorderseite des Kleinhirns, an denen
wegen vermeintlicher Abscesse inzidiert wurde, trat bei der Inzision
Vorbeizeigen nach aussen ein. In einem anderen Falle, in dem
v. Eiseisberg eine Cyste entleerte an der Hinterfläche, trat bei der
Inzision Vorbeizeigen nach oben ein. Endlich konnte noch eine Stelle
gefunden werden, bei deren Erkrankung ein Vorbeizeigen des Hand¬
gelenks nach aussen sich ergab. Der Symptomenkomplex der Erkran¬
kung war: Starker Kopfschmerz im Hinterkopf, Schwindelgefühl, Schwer¬
hörigkeit, Druckempfindlichkeit des Proc. mastoideus. Es handelt sich
hierbei um abgegrenzte (durch Entzündung von Pia und Arachnoidea)
Liquoransaramlung am Kleinhirnbrückenwinkel. Die Heilung erfolgt, wie
Babinski richtig angegeben, durch Lumbalpunktion.
Zur Diagnose der Kleinhirntumoren ist Prüfung der Bewegungen in
verschiedenen Richtungen erforderlich; jedoch muss sie frühzeitig vor¬
genommen werden, da die Symptome nach einigen Wochen ver¬
schwinden.
Zur Fallreaktion bemerkt Vortragender: dass daraus Erkrankung
des Wurmes erkannt würde, ist unsicher. Er hat seit 2 Jahren keinen
Fall mehr gesehen, wodurch er wieder schwankend geworden sei. (Die
Reaktion ist: kalte Eingiessung ins rechte Ohr, Nystagmus nach links,
Fallen nach rechts.)
Demonstration eines Falles (Zeigeversucb).
Hr. Roth mann spricht zur Lokalisation des Kleinhirns. Resultate
seiner Experimente, bei denen Rinde verletzt wurde ohne Kern, Kern
ohne Rinde.
Ist die Rinde beim Hunde isoliert verletzt: isolierte Ausfalls¬
erscheinungen der vorderen Extremität, Lagestörungen, die noch nach
Monaten andauern.
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
421
Verletzungen des Lohns qnadrangularis: nur Lagestörungen der
vorderen Extremität. Es tritt Antagonistenreflex ein. Es fallt Innen¬
bewegung fort, wenn der innere Teil fortgenommen wird usw.
Bei Wurm Verletzung, Exstirpation: Ausfall bei Rumpf und Ex¬
tremitäten zusammen. Vorderer Teil allein verletzt: Ausfall beim
vorderen Teil des Rumpfgürtels; ebenso hinten. Beim unteren Teil:
Schwäche der Kehlkopfmuskulatur, der Stimmbänder, der Kiefermuskeln.
Exstirpation des Lobus ant: das Bellen hört auf.
Ist eine Hemisphäre entrindet: nur kombinierte Ausfallserscheinungen
der Extremitäten, keine Zwangsbewegungen.
Der Nucleus ruber hat beim Menschen wenig motorischen Anteil.
Totale Entfernung des Kleinhirns: Gehen und Stehen unmöglich,
aber Schwimmen.
(Demonstration mikroskopischer Präparate.)
Hr. Hildebrand: Die Diagnose der Kleinhirnerkrankungen ist so
schwierig, dass wir Chirurgen sie mit gutem Grunde den Neurologen
überlassen. Andererseits ist das Kleinhirn einer Operation sehr zu¬
gänglich. Tumoren des Kleinhirns sind, im Gegensatz zum Grosshirn,
meist abgekapselt, besser als dort zu erreichen.
Hr. Oppenheim: Er bestätigt die Resultate von Bär an 7, die
als durchaus zuverlässig zu betrachten sind. Auf eine Schwierigkeit der
Diagnose ist mit allem Nachdruck hinzuweisen: Bei chronischen Er¬
krankungen des Kleinhirns werden viele Symptome vermisst, die wir auf
Grund unserer sonst gewonnenen Erfahrungen erwarten müssten. Es ist
sicher, dass dann Kompensationen eingetreten sind. Ausfallserscheinungen
nach Operationen sind nicht allein auf das Kleinhirn zu beziehen; es
spielen andere Faktoren mit, Shock usw. Wir Kliniker stehen da den
Experimentatoren gegenüber. Eine cerebellare Lähmung ist uns un¬
bekannt, auch eine Lokalisation im Kleinhirn. Was den Tonus betrifft,
so müsste man Hypertonie oder Atonie mit Abnahme der Sehnenreflexe
erwarten; das trifft aber nicht zu. Eine andere Störung scheint aber
sicher zu sein: in der Innervationsbereitschaft bei schnellen Bewegungen.
Erfolgt z. B. eine Supination des Armes, so ist alles auf die folgende
Pronation eingestellt, die bei Erkrankung langsamer erfolgt.
Hr. Brühl bespricht sechs Fälle von Kleinhirnerkrankungen, bei
denen drei Symptome besonders sich markierten: 1. Starker Nystagmus
bei Erloschensein der peripheren vestibulären Erregbarkeit derselben
Seite. 2. Starke vestibuläre Uebererregbarkeit des gesunden Ohres (bei
Tumor des Wurmes). 3. Spontanes Abweichen der oberen Extremitäten
bei Bäräny’scher Reizung.
Hr. Grabower: Im Gegensatz zu Herrn Rothmann betont er,
dass bei Exstirpation des vorderen Teiles des Gyrus centralis keine
Lähmung der Stimmbänder eintritt; diese beruht nur auf Narkosewirkung
und stellt sich später prompt wieder her. Bei Lähmungen der einen
Stimmlippe tritt die andere für sie ein, indem sie sich an legt. Darum
ist dem Patienten nichts anzumerken; eine genaue Untersuchung des
Kehlkopfes ist erforderlich. Zuckungen an den Stimmlippen würden für
den Sitz von Kleinhirntumoren von Wert sein. Das könne er Herrn
F. Krause Vorhalten, der die laryngoskopische Untersuchung vor Ope¬
ration eines Falles anscheinend versäumt hätte.
Hr. Edinger: Schlusswort. Holler.
Breslauer chirurgische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Dezember 1912 in der Königl. Chirurg. Universitätsklinik.
Vorsitzender: Herr Küttner.
Schriftführer: Herr Gottstein.
1. Aufnahme neuer Mitglieder.
2. Wahl der Kommission zur Bearbeitung des schlesi¬
schen Kropfes (der Vorstand der Gesellschaft, sowie die Herren Tietze,
Brade and Simon).
Vor der Tagesordnung.
Hr. Gettstoin stellt einen neuen Fall von operiertem Pulsions¬
divertikel des Oesophagus vor. Es handelte sich um einen 48jährigen
sehr nervösen Herrn, bei dem die Operation in Narkose ausgeführt wurde.
Es wurde dieselbe Technik wie in dem im Juni in dieser Gesellschaft
vorgestellten Fall verwandt. Auch in diesem Fall erfolgte glatte Heilung,
ohne dass je durch die Oesophaguswunde Rachensekret ausgetreten wäre.
Patient wurde 7 Tage per rectum ernährt.
Tagesordnung.
1. Hr. Küttner: a) Bericht über 157 in den letzten 5*/ 2 Jahren
ansgeführte Magenresektionen.
(Der Bericht ist durch Herrn Dr. Weil in dieser Nummer ver¬
öffentlicht.)
b) Multiple careinomatfoe Darmstrietnren. K. hat in den letzten
Jahren 3 Fälle von multiplen carcinomatösen Darmstricturen beobachtet,
die sämtlich dem von ihm in den Bruns’schen Beiträgen, 1899, Bd. 23
veröffentlichten Fall analog waren. Die zahlreichen Stricturen waren
stets durch schrumpfende Peritonealmetastasen bedingt.
Diskussion.
Hr. Gottstein berichtet über 2 Fälle von multiplen carcinomatösen
Darmstricturen, die er in den letzten beiden Jahren beobachtet hat. ln
dem erstes Falle handelte es sich ebenfalls um Stricturen durch schrum¬
pfende Peritonealmetastasen, in dem anderen aber um multiple primäre
Darmtumoren.
c) Hr. K. demonstriert einen Patienten, dem er einen ungewöhnlich
grossen, der Falx cerebri adhärenten Hirntumor (Fibrosarkom) mit
Erfolg entfernt hat, und stellt eine junge Dame vor, bei der die Ope¬
ration wegen Gaumenspalte abgelehnt worden war und durch Prothese
und Sprachunterricht ein ideales funktionelles Resultat erzielt
worden ist.
d) Ueber eine neue Form der angeborenen Halsfistel. Seitliche,
mit dem äusseren Gehörgang kommunizierende kongenitale Halsfistel, für
die ein Analogon in der Literatur nicht aufzufinden ist. Der Fall wird
ausführlich veröffentlicht werden.
Diskussion.
Hr. Klaatsch: Es handelt sich um eine äussere Fistelbildung, die
von der ersten Kiemenspalte ausgeht. Der Hyomandibularknorpel ist
auf dem grössten Teil der Querschnitte durch das exzidierte Stück sicht¬
bar, teils als einfacher Stab elastischen Knorpels, teils in mehrere Stücke
zerlegt. Die Fistel lässt ihre Beziehung zum äusseren Gehörgang deut¬
lich erkennen, in lokaler und histologischer Hinsicht. Das Querschnitts¬
bild des Fistelganges zeigt Haare und tubulöse Drüsen in starker Ent¬
faltung. Der Sitz der Fistel hat eine Verschiebung erfahren, die der¬
jenigen des äusseren Gehörganges entspricht, von der Gegend des Kiefer¬
winkels aufwärts.
e) Angeborener Turmschädel. Ausserordentliche angeborene Ent¬
stellung durch kongenitalen Verschluss der Nähte und Fontanellen mit
hochgradigstem Exophthalmus und schwerer Deformation des durch
Wabenstruktur ausgezeichneten Schädels. Wegen Stauungspapille und
zuuehmenden Hirndrucks Entlastungstrepanation, die infolge angeborener
Vergrösserung der Zunge und Behinderung des Schluckaktes zu tödlicher
Schluckpneumonie führte. Mässig hochgradiger Hydrocephalus internus.
2. Hr. Landois: a) Ueber kongenitale, epitheliale Cysten und
Gänge.
1. Cyste vom Ductus thyreoglossus im Zusammenhang mit der
vorderen Kehlkopfwand beim Neugeborenen. Mikroskopischer Schnitt
durch die ganze vordere Kehlkopffläche. Die Cyste ist mit kubischem
Epithel ausgekleidet, liegt oberhalb der noch ganz embryonalen Cha¬
rakter zeigenden Schilddrüse.
2. Zwei Präparate von parathyreoidealen Flimmerepi¬
thelcysten von Hunden. Die Cysten sind entwicklungsgeschichtlich,
weil sie beide dem oberen Epithelkörperchen anliegen, aus der IV. Kiemen¬
spalte abzuleiten.
3. Zwei Fälle multipler epithelialer Cysten des Oeso¬
phagus beim Menschen. Mikroskopische Präparate. Die Cysten sind
aus den Ausführungsgängen der ösophagealen Drüsen entstanden, viel¬
leicht spielen auch hier kongenitale Hemmungen eine Rolle. Die Prä¬
parate sind von Leichen gewonnen.
4. Mikroskopisches Präparat von Dottergangsschleim¬
haut am Nabel eines 7jährigen Kindes in Gestalt eines erbsengrossen
Knötchens. Es handelt sich um typisohe Dünndarmschleimhaut mit
Lymphfollikel.
5. Persistierende Dottergangsschleimhaut am Nabel,
teilweise vom Bau der Magenschleimhautdrüsen. Die makro¬
skopischen und mikroskopischen Präparate stammen von einem 4 Monate
alten Kinde. Es handelte sich um eine lippenförmige Fistel am Nabel,
deren Sekret bald sauer, bald alkalisch reagierte. Laparotomie: Es
liegt ein Schleimhauttrichter vor, der mit einem Meckel’schen Divertikel
durch einen Faden verbunden ist. Mikroskopisches Bild des
Trichters am Nabel zeigt verästelte Drüsen vom Bau der Schleimhaut¬
drüsen der Pylorusgegend des Magens.
b) Demonstration von Melanomen.
1. Melanom vom Oberkiefer. Bei einem 43jährigen Mann hatte
sich seit 17 Jahren ein kleiner, sich langsam vergrössernder Naevus pig¬
mentosus am harten Gaumen gebildet, der in letzter Zeit sehr schnell
gewachsen ist und jetzt als pechschwarze Geschwulst den ganzen harten
Gaumen zerstört hat und auf die Lippen übergegriffen ist. Prognose
völlig infaust. Mikroskopisch handelt es sich um ein melanotisches
Spindelzellensarkom.
2. Demonstration von Melanomen vom Pferd (Schimmel) haupt¬
sächlich in der Muskulatur. Da Pigment sowohl in der Epidermis (ekto-
dermal) wie auch io dem Corium der Haut (mesodermal) vorkomrat,
glaubt Vortragender, dass es zweckmässiger ist, von melanotischen Car-
cinomen und Sarkomen zu sprechen, als allgemeinhin nur von Melanomen,
da entwicklungsgeschichtlich zwei verschiedene Arten von Pigment Vor¬
kommen.
Diskussion.
Hr. Klaatsch: Pigmentbildung in der Mundhöhle ist bei den far¬
bigen Menschenrassen eine allgemeine Erscheinung. Das Auftreten in
einzelnen Flecken bildet die Regel und erinnert sehr an den Befund bei
dem vorgestellten Patienten.
3. Hr. Ludloff stellt einen mit sehr günstigem Erfolg operierten
Fall von Hallux valgas und einen geheilten Fall von Rachitis tarda
eines 16jährigen jungen Mannes vor.
a) Der Hallux valgus war an beiden Füssen ungemein stark ent¬
wickelt. Das Köpfchen des ersten Metataeeus beiderseits zeigte eine
grosse Exostose und einen grossen darüber liegenden Schleimbeutel. Die
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422
Nr. 9.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
grosse Zehe bildete mit dem Mittelfussknochen beinahe einen rechten
Winkel. Bei jedem Auftreten ging der Fuss an der Basis der grossen
Zehe noch breiter auseinander und der Hallux valgus vergrösserte sich
noch. Die Patientin, ein 22jähriges Dienstmädchen, führte das Leiden
auf schwere Arbeit im Gebirge zurück, obwohl sie stets breite und weite
Stiefel getragen habe. An beiden Füssen wurde folgende Operation aus¬
geführt:
Schnitt von der Mitte des Rückens der grossen Zehe bis zum Navi-
culare, Freilegung des ersten Metatarsus, Aufklappung des Gelenks mit
einem ovalen Schnitt, dessen Konvexität ungefähr in der Mitte des Meta¬
tarsus liegt; flache Abmeisselung der haselnussgTOssen Exostose, dann
schräge Osteotomie in einer Ebene, die schräg frontal von hinten unten
nach vorn oben verläuft (siehe Figur). Die Osteotomie wurde ausgeführt
mit der Brückensäge; es entsteht auf diese Weise eine schiefe Ebene,
die ungefähr in der Mitte liegt zwischen der Horizontal- und Frontal¬
ebene. Auf dieser schiefen Ebene verschiebt sich sofort die untere
Hälfte des Metatarsus schräg nach oben, und die grosse Zehe nimmt voll¬
ständig normale Stellung an. Vernähung der aufgeklappten Gelenkkapsel
mehr proximal am Periost des Metatarsus, exakte Hautnaht, reaktions¬
loser Wundverlauf.
Patientin ist nach 6 Wochen aufgestanden und geht ohne jede
Beschwerde umher. Die grosse Zehe ist auf beiden Seiten ungefähr
V/ 2 cm kürzer als die zweite Zehe, aber vollständig gerade, so dass
zwischen ihr und der zweiten ein grosser Zwischenraum entstanden ist.
Aufgenomraene Röntgenbilder vor und nach der Operation und eine
Moulage vor der Operation illustrieren den guten Verlauf der einfachen
Operationsmethode, die Vortr. noch nicht beschrieben gefunden hat und
zur Nachprüfung empfiehlt.
b) Der Fall von Rachitis tarda betrifft einen jungen Mann von
16 Jahren, der mir von den Eltern zugeführt wurde, weil sich der Gang
von Jahr zu Jahr verschlechterte. Der Patient ging wie ein mit an¬
geborener doppelter Luxation oder progressiver Muskelatrophie Be¬
hafteter. Beide Leiden waren aber nicht vorhanden.
Aufgenommene Röntgenbilder zeigten leichte Protrusion der Linea
innominata des Beckeneinganges und au den Rändern der Darmbeiu-
kämme eigentümlich strahlenförmige Streifen in der Epiphysenfuge der
Kämme. An der Epiphysenfuge der Oberschenkel konnten rachitische
Veränderungen nicht nachgewiesen werden, auch nicht an allen übrigen
Körpergelenken. Dagegen zeigte das untere Ende jeder Ulna sehr
starke und das des Radius weniger ausgesprochene Zeichen von Rachitis
(becherförmige, ausgefranzte Fuge).
Patient war mit allen möglichen antirachitischen Mitteln behandelt,
ohne dass ein Erfolg erzielt wurde. Ferner war wegen Genu valgum das
rechte Bein redressiert und das linke osteotomiert worden. Infolge¬
dessen war zwar das X-Bein verschwunden, aber das linke Bein 4 cm
kürzer als das rechte geworden.
Patient wurde, da alles versagte, mit Adrenalin behandelt, und
zwar von der Lösung 1 : 1000 in steigenden Dosen von 2 Teilstrichen
bis zu 8 Teilstrichen einer 1 ccm enthaltenden Spritze. Der Erfolg war
ein ganz ungewöhnlicher, nach 2 Monaten ging Patient vollständig
normal, und die Zeichen von Rachitis im Röntgenbild an den Epipbysen-
fugen der Ulna waren vollständig verschwunden. Patient hat im ganzen
30 Injektionen bekommen und ist dabei geradezu aufgeblüht und kräftig
geworden. Wie vorsichtig man aber bei der Dosierung des Adrenalins
sein muss, illustriert der Umstand, dass bei Versuchen, die Dosis auf
1 ccm der 1 prom. Lösung zu steigern, jedesmal ein schwerer Collaps
eintrat. Der Fall scheint aus folgenden Gründen erwähnenswert:
1. Bei konstitutionellen Erkrankungen soll man bei Röntgenunter¬
suchungen sich nicht auf die Stelle beschränken, die augenblicklich Be¬
schwerden macht, sondern mehrere, womöglich alle in Betracht kommenden
Körpergegenden (Epiphysenfuge) symmetrisch röntgenographieren (so bei
Lues congenita, Rachitis, Barlow’sche Krankheit).
2. Adrenalin ist ein souveränes, aber nicht indifferentes Mittel be-
Rachitis tarda.
3. Solange noch Epiphysenfugen persistieren, soll man bei doppel¬
seitigem Genu valgum nicht einseitig osteotomieren, weil auf der osteo-
tomierten Seite eventuell eine starke Verkürzung zurückbleibt.
4. Hr. Fritsch konnte vor einigen Jahren an gleicher Stelle ge¬
legentlich der Vorstellung eines Patienten über die damals herrschenden
Ansichten über die sogenannte Sehlattersehe Krankheit berichten. Sie
besteht bekanntlich in Schmerzen und Schwellung an der Tuberositas
tibiae, und Schiatter bezog diese Beschwerden auf eine traumatische
Epiphysenlösung des Epiphysenspornes am oberen Ende der Tibia in¬
folge einer Rissfraktur des Spornes.
Es ist über dieses Thema viel gestritten, namentlich das Trauma
wurde in vielen Fällen von Schlatter’scher Krankheit geleugnet, und in
letzter Zeit sind interessante Beobachtungen gemacht, die zeigen, dass
auch an der Tuberositas metatarsi quinti die gleichen Beschwerden auf-
treten können (I sei in). Hier findet sich im 13. bis 14. Lebensjahre
ein Knochentumor und mit 15*/* Jahren ist die Verknöcherung meist
beendet. Diese knöcherne Entwicklung geht nun bisweilen mit Be¬
schwerden, d. h. Schmerzen und Schwellungen, von statten und ent¬
spricht so in allen Erscheinungen der sogenannten Schlatter’sehen Er¬
krankung. Beide Male handelt es sich um die knöcherne Bildung einer
Tuberositas, wo eine Sehne ansetzt. So liegt der Gedanke nahe, dass
das gleiche Krankheitsbild, wenn erst einmal die Aufmerksamkeit darauf
gelenkt ist, vielleicht an allen analogen Stellen des Körpers zu beob¬
achten sein wird. Diesen Gedankengang hat bereits Iselin getan und
hat als solche Stellen zusammengestellt: am Acromion und Coracoid, am
Angulus scapulae, am Tuber ischii, an der Crista ilii, am Mall. int.
(selten) und am Proc. styloid. uluae.
Vortr. stellt nun einen Patienten vor, der das Krankheitsbild an
der letzterwähnten Stelle, am Proc. styloid. ulnae, aufweist. Er klagt
bereits seit etwa einem Jahre über Schmerzen an dieser Stelle, die in¬
folge eines Stosses noch stärker geworden sind. Das Röntgenbild zeigt
deutlich die noch bestehende Lücke zwischen Proc. styloid. ulnae und
der Ulna.
Eine Frage bleibt offen, nämlich die nach der Aetiolagie. Vortr.
glaubt nun nicht, dass man sich bemühen soll, einen einzigen Faktor
für das Auftreten der Beschwerden verantwortlich zu machen. Vielmehr
spielen dabei sicher mehrere Faktoren mit. Auch für diese Anschauung
ist der Patient ein Beweis.
Wie auch bei manchen von Iselin veröffentlichten Fällen besteht
sicher bei ihm eine Verzögerung der Epiphysenverknöcherung, denn auf
dem Röntgenbild ist die Verknöcherung noch nicht vollständig ein¬
getreten, trotzdem Patient 21 Jahre alt ist, es ist deutlich ein Unterschied
rechts gegen links zu sehen. Ausserdem aber hat Patient ein Trauma
erlitten, das die Beschwerden verschlimmert hat. Damit käme man auf
die Sohlatter’sche Theorie zurück, nur mit dem Unterschied, dass das
Trauma nicht die einzige Aetiologie ist, sondern dass auch noch andere
Prozesse eine Rolle spielen und die Verzögerung der Verknöcherung
höchstwahrscheinlich nicht die kleinste ist.
Diskussion: Hr. Drehmann, Hr. Fritsch.
5. Hr. Spannans demonstriert einen ungewöhnlich grossen, hirten¬
stabähnlichen Ureterstein von 7 cm Länge und 6 cm Umfang, der im
Ausgange des linken Ureters in die Blase lag.
Der gleiche bleistiftstarke Ureter war oberhalb des Steines mit
Nierengries ausgefüllt, der an manchen Stellen so fest zusammengeballt
war, dass hierdurch Steine vorgetäuscht wurden.
6. Hr. Richard Levy demonstriert a) einen Patienten mit ange¬
borener Trichterbrost, Rippendefekt, Pectoralisdefekt, Lungenhernie
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3. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
423
ud Fehlen der Maailla auf der Seite der Missbildung. Ausserdem
bestand Dextrocardie, sonst normaler Situs visoerum (siebe Ab¬
bildung.)
b) Isolierte Kiefergelenkfraktnr mit Kieferklemme durob
Kiefergelenkresektion mit sehr gutem Erfolg behandelt.
o) Bericht über Kiefergelenkresektionen wegen Kieferklemrae
nach Masern, Scharlach und wegen Arthritis deformans. Im letzten
Falle erfolgte die Operation wegen sehr belästigender knackender Ge¬
räusche bei Kieferbewegungen. Die Operationen der Fälle unter c
wurden mit Fascienlappenimplantation aus dem M. temporalis aus¬
geführt. Durchweg sehr guter funktioneller Erfolg, doch zeigt der Fall
unter b, dass auch ohne Fascienlappenplastik gute Funktion erreicht
wird.
d) Bericht über erfolgreiche Röntgenbehandlung der Aktiao-
■ykose in zwei Fällen.
e) Arthropathie!. 1. Typische Fussarthropathie mit aus¬
gedehnten Knochenzerstörungen (pied tabötique) bei Neuritis alco¬
holica. Keine Schmerzempfindlichkeit, obwohl noch während der
klinischen Beobachtung die Zerstörungen des Fussskeletts Zunahmen.
2. Arthropathie des Schultergelenks mit Pseudoerysipel.
Bei dem Patienten, der an Syringomyelie leidet, entwickelte sich eine
mächtige Schulterarthropathie mit Schwund des Kopfes und Zerreissung
der langen Bicepssehne. Die Gelenkkapsel war in einen etwa kinds¬
kopfgrossen prall gefüllten Sack verwandelt. Es entstand nun eine fluk¬
tuierende Vorwölbung am Rande des M. pectoralis major, wo dieser vom
Thorax zum Humerus berüberzieht. Bald danach kam es zu einer aus¬
gedehnten hochroten Verfärbung der ganzen vorderen und seitlichen
Thoraxwand, am stärksten in der Nähe der Vorwölbung. Da gelegent¬
lich Temperatursteigerungen vorhanden waren, konnte an Absoess oder
Phlegmone, am ehesten auch an Erysipel gedacht werden. In Wirklich¬
keit handelt es sich hier um eine Ruptur der überdehnten Gelenkkapsel.
Die austretende Synovialflüssigkeit verbreitet sich im Subcutangewebe
und ruft hier nach Ansicht des Vortr. eine aseptische Entzündung her¬
vor. Aehnliche Fälle hat L. schon früher beobachtet. Entstehung und
Verlauf in dem demonstrierten Fall scheinen diese Auffassung zu be¬
stätigen. Vor Inzision bei derartigen Zuständen ist dringend zu warnen,
weil sich langdauernde, profus sezernierende Fistelbildungen, häufig auch
schwere Gelenkinfektionen daran anschHessen.
7. Hr. BSrz: a) Transdnodenale Hepatiensdrainoge.
(Ist in Nr. 4 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt)
b) Nadelschlnekerin. Eine 16jährige Patientin hatte aus Lebens¬
überdruss eine grössere Anzahl Nadeln und Nägel verschluckt, die, ohne
Schaden anzurichten, teils erbrochen wurden, teils mit dem Stuhl ab-
gingen.
Vortragender zeigt noch eine Reihe ähnlicher verschluckter Fremd¬
körper.
8. Hr. Melchior:
Selbstverknetnng eines elastisches Bougies in der Blase.
Bei einem Patienten mit gonorrhoischer Harnröhrenverenge¬
rung war ein filiformes Bougie eingeführt und einige Tage später ver¬
mittelst eines daran angeschraubten dünnen Metallbougies eine schonende
Dehnung der Striktur vorgenommen worden. Als zwei Tage darauf das
filiforme Bougie entfernt werden sollte, stellte sich der Extraktion ein
stärkerer Widerstand entgegen, der sich erst durch einen kräftigen Zug
überwinden Hess. Als Ursache dieses Hindernisses ergab sich bei Be¬
trachtung des herausgenommenen Bougies der eigentümliche Befund, dass
dasselbe nahe dem vesicalen Ende einen eigentümlichen Doppelknoten
aufwies (Demonstration, s. Figur). Diese spontane Verschlingung ist
zeitlich offenbar bei der Gelegenheit erfolgt, als beim Nachschieben des
angeschraubten Metallinstiuments das filiforme Bougie in toto in die
Blase gelangte und sich hier den räumlichen Dimensionen derselben an-
xupassen hatte.
Anderson bat sich in einem ähnlichen Falle (Journal of the Am.
med. assoc., 1912, Vol. 58, Nr. 25, ref. Centralbl. f. Chir., 1912, S. 1383)
genötigt gesehen, den Blasenschnitt vorzunehmen, um den spontan ver¬
knoteten Weichgummikatheter wieder entfernen zu können: in unserem
Falle hat im Gegenteil diese unbeabsichtigte forcierte Dehnung der
Striktur den guten Erfolg gehabt, dass bald darauf ein Metallbougie
— Charriöre Nr. 16 — mit Leichtigkeit eingeführt werden konnte.
9. Hr. Barneh berichtet über einen Fall von Bluteyste am Halse,
den er ausserhalb der Klinik zu operieren Gelegenheit hatte. Es
handelte sich um ein junges Mädohen von 20 Jahren, das seit längerer
Zeit eine Geschwulst an der linken Halsseite bemerkt hatte. Die Ge¬
schwulst war allmählich grösser geworden, maohte der Patientin aber
keinerlei Beschwerden. Bei dem im übrigen gesunden, normal ent¬
wickelten Mädchen fand sich in der linken Submaxillargegend eine weiche
fluktuierende Geschwulst, die nach unten bis in die Höhe des Kehlkopfs
reichte und nach oben unter dem horizontalen Kieferast sich verlor. Die
Geschwulst lieps siqb vom Mundbod^n heftr tasten, konnte bia)anuell leer¬
gedrückt werden, schwoll aber prall an beim Bücken oder beim Husten
und Pressen. Die Probepunktion bestätigte die Vermutung, dass es
sich um eine mit dem Venensystem in Verbindung stehende Cyste
handelte.
Es gelang, die Cyste unverletzt zu exstirpieren. Die Operation war
nicht ganz einfach, da die Wand ausserordentlich dünn und zart war.
Die Präparation des unteren Poles gelang verhältnismäsig leicht. Um
so schwieriger war die Entwicklung des oberen Poles, der sich unter
der Submaxi]lardrüse, am Mundboden und der seitlichen Pharynxwand
hinauf bis an die Schädelbasis erstreckte, wo der Stiel der Cyste ab¬
gebunden werden konnte.
Neben dieser Cyste lag die Carotis interna, die Jugularis interna
fehlte vollständig. Es handelte sich also dem ganzen Befunde nach um
eine Cystenbildung der Jugularis interna, und zwar um eine echte Blut¬
cyste. Lex er sieht als echte Blutcysten solche Gebilde an, die die
Stelle einer fehlenden Vene vertreten und aus fötalen Entwicklungs¬
störungen der Gefässanlage abzuleiten sind. Io der Tat scheint dies ja
auch in dem vorliegenden Fall zuzutreffen, wenngleich auch eine andere
Erklärung möglich wäre. Die gut mannsfaustgrosse uniloculäre Cyste
zeigte nämlich am unteren Pol ihrer im übrigen glatten Innenwand
einige klappenartige Leisten, hinter denen zwei feinste Venen ihren Ur¬
sprung nahmen. Es wäre also nicht von der Hand zu weisen, dass
eine abnorme fötale Klappenbildung der Jugularis das ätiologische
Moment darstellt und das Ganze als eine Art von kolossalem Varix
aufzufassen wäre.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin.
Sitzung vom 7. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Haeckel.
Schriftführer: Herr Buss.
Hr. Gehrke: In der Zeit vom 1. bis zum 31. Dezember v. Js. (49. bis 53.
Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich gemeldet worden: 195
(203) Fälle von übertragbaren Krankheiten, und zwar:
G. A.i)
Polizei-Präs. 2 )
1912 1911
60
1
j 69
133
Fälle von Diphtherie,
97
I 116
51
„ „ Scharlach,
5
1 5
12
w „ Typhus,
4
i 4
7
„ „ Kindbettfieber,
1
i i
—
„ „ Körnerkrankheit,
31
| 85
; 32
Todesfälle an Tuberkulose.
Für das Jahr 1912 sind an übertragbaren Krankheiten gemeldet
worden insgesamt 1784 (1554) Fälle: 915 (863) Fälle von Diphtherie,
758 (466) Fälle von Scharlach, 60 (162) Fälle von Typhus, 34 (42) Fälle
von Kindbettfieber, 10 (5) Fälle von Körnerkrankheit, 3 (15) Fälle von
Ruhr, 4 0) Fälle von Kinderlähmung.
Ferner 413 (881) Todelfälle an Tuberkulose.
Kranken Vorstellungen:
1. Hr Maas*: Fall von Gynäkomastie.
2. Hr. Krösing: Fall von Mycosis Inngoides.
8. Hr. v. Lorentz stellt eine Patientin vor, bei der der rechte
Humeruskopf wegen einer Knocheneyste reseziert werden musste. Ein
Vierteljahr nach dem ersten Eingriff wurde, um den 8 cm langen Knochen-
defekt zu decken, ein Perioatknochenstück von der Tibia der Patientin
in den Humeruskopf eingepflanzt. Dieses Stück ist eingeheilt. Es wurde
allmählich resorbiert und durch Knochen ersetzt, der dieselbe Struktur
wie die gesunde Humerusdiagnose hat.
Demonstration von Röntgenbildero. Funktionelles Resultat zu¬
friedenstellend.
Vorträge:
1. Hr. v. Lorentz: Ueber Ostitis flbrosa.
An der Hand der oben vorgestellten und eines weiteren bobachteten
Falles verbreitet sich Vortr. über das Wesen der Krankheit. Zunächst
über die circumscripte Form, die sich in isolierten Knochencysten dar¬
stelle. Diese Form sei im allgemeinen gutartig. Makroskopisch zeige
sowohl das Röntgenbild wie auch der makroskopische Befund bei der
Operation eine Aebnlichkeit mit malignen Neubildungen, besonders
Riesenzellensarkomen. Immerhin Hessen sich wesentliche Unterschiede
sowohl röntgenologisch als auch pathologisch-anatomisch feststellen. Die
Kenntnis dieser Verhältnisse schütze die Chirurgie vor unnötig grossen
Eingriffen. Man komme häufig bei diesen tumorartigen Gebilden mit ein¬
facher Excochleation aus.
Die diffuse Form der Ostitis fibrosa, die Vortr. an der Hand eines
selbst beobachteten Falles klinisch und pathologisch-anatomisch schildert,
sei als eine allgemeine Erkrankung des Knochensystems, vielleicht als
eine Folge von Ernährungsstörungen des Knochens, aufzufassen. Unter
1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen, abschrift¬
lich mitgeteilten Anzeigen.
2) Zusammen gestellt auf Grund der Woohennachweise des König¬
lichen Polizei-Präsidiums.
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424
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
erheblicher Störung des allgemeinen Befindens trete allmählich eine Er¬
weichung der Knochen, besonders der langen Röhrenknochen der Ex¬
tremitäten ein. Es komme zu spontanen Frakturen, häufig auch zur
Bildung multipler Knochencysten. Pathologisch-anatomisch unterscheide
sich dies Bild prinzipiell von der Osteomalacie. Bei der Ostitis fibrosa
steht im Vordergrund des mikroskopischen Bildes die Zerstörung des
kalkhaltigen Knochens durch Riesenzellen (Osteoklasten) und Ersatz des
Knochens durch Bindegewebe. Prognostisch sei diese Form der Ostitis
fibrosa schlechter wie die circumscripte Form; doch seien auch Heilungen
beobachtet worden.
Demonstration der mikroskopischen Präparate an grossen farbigen
Tafeln.
Diskussion.
Hr. Oskar Meyer: Ueber die Entstehung der Knochencysten
besteht immer noch keine Klarheit. Ihr Auftreten vorzugsweise im
jugendlichen Alter und ihre Lokalisation an der Epiphysengrenze der
langen Röhrenknochen legt den Gedanken nahe, dass ein Zusammenhang
mit Rachitis besteht. Diese Ansicht wird neuerdiDgs von Stumpf mit
guten Gründen vertreten, es fehlt aber noch an sicheren Beweisen. Der
Stumpf’schen Ansicht, dass die Knochencysten nicht aus erweichten
Tumoren hervorgehen und dass der Befund von Riesenzellen und Knorpel¬
inseln in der Umgebung von Knochencysten nicht als Beweis für die
Tumornatur angesehen werden kann, wird man ohne Bedenken bei¬
pflichten können.
Zwischen der Osteomalacie und der diffusen Ostitis fibrosa Reck-
linghausen’s besteht trotz der histologischen Verschiedenheiten im
einzelnen, die an den vom Vortr. demonstrierten Präparaten genauer
erörtert werden, enge Verwandtschaft. Die Aetiologie der beiden Krank¬
heiten ist bis heute dunkel. Die neueren Untersuchungen weisen darauf
hin, dags eine Störung der Drüsen mit innerer Sekretion die Haupt¬
ursache ist. Sicherlich kommt aber nicht eine bestimmte Drüse in Be¬
tracht, was schon daraus hervorgeht, dass ungefähr sämtliche Drüsen
mit innerer Sekretion als Sitz der Aetiologie sowohl der Rachitis wie
der Osteomalacie angeschuldigt sind.
2. Hr. Oskar Meyer*.
Ueber das sogenannte Pseudomyxoms peritonei e processn
vermiformi.
Vortr. erörtert das im Titel erwähnte Krankheitsbild und seine Genese
an der Hand einer eigenen Beobachtung. Letztere hat grosse Aehnlich-
lichkeit mit dem von Merkel und Hueter beschriebenen Falle, indem
der Prozess hier über das ganze Peritoneum ausgebreitet war und sich
auch entfernt vom Processus vermiformi vereinzelt wohl erhaltene Reihen
von Schleim produzierenden Cylinderepithelien nachweisen Messen. An
der Tatsache, dass Darmepithel im Peritoneum sich implantieren und
dort lebensfäig erhalten kann, ist nach den Beobachtungen, insbesondere
von Merkel und der eigenen, nicht zu zweifeln; dafür spricht auch ein
von Oberndorfer bei einfachen Schleimcysten in der Umgebung der
Appendix erhobener Befund von schleimproduzierenden Cylinderepithelien
ohne Zusammenhang mit dem Mutterboden lange Zeit nach dem Platzen
einer Cyste.
Der vom Vortr. demonstrierte Fall wird in der Dissertation von
Herrn Comolle eingehend beschrieben werden.
Medizinische Gesellschaft za Leipzig.
Sitzung vom 14. Januar 1918.
1. Hr. Heineke (Demonstrationen): 1. Sehnenrnptnr des Musculus
extensor pollicis longus hat Vortr. zweimal nach einfachen typischen
Radiusfrakturen beobachtet. Nach Abheilung der Knocbenfraktur stellte
sich etwa 3—4 Wochen nach der Verletzung eine lähmungsartige
Schwäche des Daumens ein. Vortr. konnte in dem einen Falle im Ver¬
lauf der Eitensorsehne ein kleines Knötchen palpieren, das bei Frei¬
legung an dieser Stelle eine spindelförmige Auffaserung und Zer¬
trümmerung der Sehne zeigte. Die Entstehungsursache ist unbekannt,
bei Trommlern werden solche Zerreissungen öfters beobachtet.
2. Blasentamor. Aelterer Mann entleerte häufig mit dem Urin
eigentümlich gallertige Massen. Die Untersuchung ergab einen faust¬
grossen, weichen Tumor, der auf dem Scheitel der Blase mit einer
kleinen Oeffnung in das Lumen der Blase mündete. Die Geschwulst
war rings von Peritoneum umgeben, es war ein multiloculäres Cystom,
dessen Innenwände mit einem einschichtigen, becherzellentragenden
Cylinderepithel ausgekleidet waren. Aetiologie unbekannt.
II. Hr. Knick (Demonstrationen): Ueber Bronchoskopie.
Vortr. gibt einen kurzen Ueberblick über die Entwicklung des
Bronchoskops und demonstriert das ursprüngliche einfache Bronchoskop
nach Killian und das jetzt allgemein gebräuchliche, besser zu hand¬
habende nach Brüning mit seinen Hilfsinstrumenten. Dank der er¬
leichterten Technik ist die Zahl erfolgreicher Entfernung von Fremd¬
körpern in den letzten Jahren ganz erheblich gestiegen. Besprechung
der in den letzten Jahren vorgenommenen Bronchoskopien in der Uni¬
versitätsklinik für Halskrankheiten. Zumeist wurden Knochenreste ent¬
fernt, einmal ein Metallknopf. Zweimal konnte der Fremdkörper nicht
durch das Bronchoskop extrahiert werden und musste mitsamt des
Rohres herausgezogen werden, dabei streifte er sich mehrmals ab, wurde
aber schliesslich einmal ausgehustet, das zweitemal verschluckt und per
rectum entleert. Die klinischen Symptome, wie Stridor, Rasseln,
Dyspnoe, lassen zuweilen im Stich, auch mittels Röntgenoskopie konnte
nicht immer der Fremdkörper festgestellt werden, während mittels
Bronchoskopie der Fremdkörper deutlich nachgewiesen wurde. Vortr.
empfiehlt für die Mehrzahl der Fälle die obere Bronchoskopie, da sie
einen ausreichenden Ueberblick bis tief hinein in die Bronchien gestattet.
Der Verlauf der Bronchoskopie war in allen seinen Fällen günstig, bei
Kindern hat man mit ödematösen Schwellungen der Stimmbänder und
der Epiglottis zu rechnen.
Diskussion.
Hr. Sick berichtet über einen Fall von Empyem und Gangrän des
rechten Unterlappens. Hier wurde erst bei der Autopsie ein kleiner
Knochensplitter in einem Bronchus zweiter Ordnung als Ursache der
Gangrän aufgefunden.
Hr. Heller hat interessante Versuche über Lungenatelektase nach
obturierendem Verschluss eines Hauptbronchus durch aufgequollene
Erbsen, Bohnen usw. bei Tieren angestellt. Meist war schon nach 2 bis
3 Stunden die Lunge vollständig atelektatisch, wie H. mittels Röntgen¬
durchleuchtung feststellen konnte. Die Aufhellung der Lunge dauerte
je nach Dauer des Verschlusses des Bronchus (nicht über 3 Tage hin¬
aus) 12 — 24 Stunden, zuweilen auch schon nach den ersten tiefen Atem¬
zügen. Plötzliche Todesfälle können in Fällen von bestehender Ate¬
lektase ihre Ursache darin haben, dass bei Extraktion des Fremdkörpers
der freie Bronchus verlegt wird.
III. HHr. Gregor und Schilder:
Ueber Mnskelinaervation bei Nonulei and Nervenkranken. (Kit
Projektionen.)
Die Versuche sind mittels des Saitengalvanometers gemacht worden.
Ihre Besprechung eignet sich nicht für ein kurzes Referat, zumal nähere
Angaben über die Technik, Ableitung des Stromes, Spannung der
Saite usw. nicht gemacht wurden. Rösler.
Freiburger medizinische Gesellschaft.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
1. Hr. Schilling: Ueber die Decknng des Gesangstons.
Die physiologischen Unterschiede bei der Bildung der menschlichen
Stimme im Naturgesang und Kunstgesang liegen in den verschieden¬
artigen Bewegungen des Mundes und der Atmungsorgane und in der
Bildung der gedeckten Töne. Die Bewegungen des Thorax sind beim
Kunstsänger sehr regelmässig; einer raschen und tiefen Inspiration folgt
eine lange, gleichmässige Exspiration bis zur vollkommenen Ausnutzung
der eingeatmeten Luft. Der Natursänger dagegen atmet nicht so
ökonomisch und regelmässig. (Demonstration von Atemkurven.) Beim
Kunstgesang sind Zunge und Lippen fast vollkommen in Ruhe, die
Stimme wird nur durch Bewegungen von Mundboden und Kehlkopf ge¬
bildet, während beim Naturgesang auch Zunge und Lippen stark mit¬
bewegt werden. (Demonstration von Registrierapparaten.)
Das Wesentliche des Kunstgesanges ist jedoch die Bildung „ge¬
deckter“ Töne, in denen der Grundton verstärkt, die Obertöne ab¬
geschwächt sind, wodurch der schreiende Charakter der Natursingstimme
aufgehoben wird. Diese Veränderung wird durch geeignete Resonanz¬
verhältnisse im Kehlkopf zustandegebracht, vor allem durch Tiefertreten
des Kehlkopfes und veränderte Stellung des Kehldeckels. Letzterer
sollte nach älteren Untersuchern mehr über den Kehlkopfeingang gelegt
werden.
Der Vortr. kann durch von Herrn Küpferle aufgenomraene Röntgen-
bildcr zeigen, dass gerade beim gedeckten Singen der Kehldeckel steil
aufrecht steht und der Zungengrund so bewegt wird, dass er mit der
Epiglottis einen wohl als Resonator wirkenden Hohlraum bildet.
Diskussion.
Hr. Win gl er misst der Tiefstellung des Kehlkopfes den Hauptwert
bei der Bildung der gedeckten Töne bei, in erster Linie derZwerchfellatmung.
Hr. Schilling hat beides schon erwähnt, weist darauf hin, dass
die Zwerchfellatmung unwillkürlich ist und nicht geübt werden kann.
2. HHr. Morawitz und Zahn*.
Stadien über die Kranzarterien des Herzens.
Die für den Kliniker im Hinblick auf die Angina pectoris ausser¬
ordentlich wichtige Physiologie der Coronargefässe liegt bis jetzt noch
im Dunkeln wegen der Schwierigkeit einer guten Methode. Versuche an
isolierten Gefässstreifen mit Stromuhren und indirekte Methoden führten
nicht zu befriedigenden Resultaten. Auch F. Meyer’s Versuche mit
Einbindung von Kanülen in eine oberflächliche Vene und Bestimmung
der Ausflussmenge befriedigt nicht. Morawitz und Zahn gelang es,
unter Durchstechung des Herzohrs eine Tamponkanüle in den Coronar-
sinus einzuführen und diesen durch Aufblasen einer Pelotte vollständig
zu vprschliessen. (Demonstration von Präparaten.) Das ganze Blut der
Coronarvenen, ausgenommen weniger anormaler Nebenmündungen, fliesst
dann durch die Kanüle ab.
Die Resultate sind nur teilweise abgeschlossen. Auch die Unter¬
suchung verschiedener Pharmacae ist noch im Gange.
Diskussion.
Hr, Asch off: Die Versuche des Vortr. lassen nur Schlüsse auf das
Verhalten des Coronarsystems als Ganzes zu. Bei dem sehr verschiedenen
anatomischen Bau der einzelnen Teile der Gefässe wäre ein verschiedenes
Verhalten dieser Teile zu erwarten (Gefässsystem im Herzmuskel und
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3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
425
epicardiales System). Ferner bestehen zahlreiche arteriovenöse An-
astomosen, deren Wirkung möglicherweise bei den Versuchen in den
Vordergrund treten könnten, besonders bei der Adrenalinwirkung.
Hr. Morawitz: Bei den Versuchen hatte das Blut immer gleich-
massig venösen Charakter; solche Anastomosen können also keine
wesentliche Bedeutung haben, was auch sehr unzweckmässig wäre. Das
Coronarsystem als Ganzes zu untersuchen war der Zweck der Versuche.
Es scheint ein vorwiegend passives Gelässgebiet zu sein; die Nikotin-
versuohe weisen jedoch darauf hin, dass es wahrscheinlich doch aktive
Gefasskontraktionen und vasomotorische Nerven gibt.
3. Hr. Sakai: Ueber die Lipämie. (Vorgetr. von Herrn Morawitz.)
Beim normalen Tier tritt in der Verdauungsperiode eine Lipämie
auf (Mastlipämie). Die Lipämie im Hunger und die des schweren
Diabetikers ist eine Folge einer Fettwanderung. Das Fett kann im
Blut auch, ohne eine milchige Trübung des Serums zu verursachen,
maskiert, transportiert werden, es ist dann in irgendwelcher Weise an
Eiweiss gebunden. Auftreten und Verschwinden des Fettes aus dem
Blutkreislauf ist eine Frage der Fettspaltung. Vortr. untersuchte des¬
halb die lipolytisohe Eigenschaft des Serums bei Aderlasslipämie mit
dem Stalagmometer von Michaelis und Rona. Aderlass verursacht bei
Kaninchen eine Lipämie mit Steigerung des Fettgehaltes des Blutes auf
das achtfache. Bei dieser wird die Lipase des Blutes stark vermindert.
Das Minimum der Lipase liegt zeitlich vor dem Maiimum der Lipämie.
Allmählich tritt die Lipase wieder auf, und dann verschwindet auch das
Fett wieder aus dem Serum. Durch Demonstration von Kurven wird
diese Abhängigkeit von Lipämie und Lipasegebalt veranschaulicht. Der
ursächliche Zusammenhang ist jedoch noch nicht definitiv geklärt. Vortr.
führte auch eine Untersuchung des Blutfettes bei dieser Lipämie aus
und fand auffallend hohen Cholesteringehalt, höher als beim Fett des
Dnterhautfettgewebes.
Diskussion.
Hr. Landau erwähnt die Möglichkeit der Provenienz des Blutfettes
bei der Lipämie aus der Nebenniere, kann dieselbe aber nicht be¬
fürworten.
Hr. Morawitz will sich über die Quelle des Fettes nicht festlegen,
glaubt aber, dass dasselbe trotz des abweichenden Cholesteringehaltes
aus den Fettdepots, speziell dem Unterhautfettgewebe stamme.
Fromherz.
K. k* Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 24. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Hatte demonstrierte einen Säugling mit Eventratio diaphrag-
■atica.
Die Röntgenuntersuchung ergibt in der linken Thoraxseite unregel¬
mässige Schatten, das Zwerchfell ist links fast bis zur Clavicula hinauf-
gedrängt. Es handelt sich um eine hochgradige Erschlaffung der linken
Zwerchfellbälfte mit Hinaufdrängung des Magens in die linke Thorax¬
seite und Atelektase der linken Lunge. Das Kind dürfte sich allmählich
an diesen Zustand gewöhnen.
Hr. Porges stellte einen Mann mit Marsch-Hämoglobinurie vor.
Nach 1 i i Stunde angestrengten Gehens oder nach einem halb¬
stündigen langsamen Spaziergange erscheint bei dem empfindlichen, zu
Ohnmächten neigenden Patienten Hämoglobin im Harne. Durch Kälte
und durch Arbeit wird die Hämoglobinurie nicht ausgelöst. Der Kranke
hat eine hochgradige Lordose der Lendenwirbelsäule. Wenn man diese
durch ein Gipsmieder in eine Kyphose verwandelt, so wird keine Hämo¬
globinurie durch Gehen erzeugt.
Hr. Demmer demonstrierte an einem Lun gen präparate die Wirkung
der Adrenalininhalation auf die Lange.
Das Präparat stammt von einer Frau, welche wegen Peritonitis
operiert wurde und starb. Da die Kranke Bronchitis hatte, bekam sie
vor und nach der Operation Adrenalininhalationen. Bei der Obduktion
zeigte sich kein Symptom der Bronchitis und keine Nachwirkung der
länger als eine Stunde dauernden Aethernarkose auf die Lunge. Die
Adrenalininhalation verhütet Komplikationen der Aethernarkose.
HHr. Lager und H. Köhler erstatteten eine Mitteilung zur
Meiostagminreaktion.
Von 160 Seris gaben 2 ohne Carcinom eine positive Reaktion,
von 39 Carcinomseris reagierten 76,9 positiv, Sera Gravider gaben in
50pCt. eine positive Reaktion.
Hr. Freund und Frau Kaminer erstatteten eine vorläufige Mit¬
teilung über die chemische Wirkung der Röntgen- and Radium-
strablea aaf das Carcinom.
Vortragende haben nacbgewiesen, dass die Prädilektionsstellen von
Carcinomen sich von normalem Gewebe dadurch unterscheiden, dass ihre
Extrakte nicht die Fähigkeit des normalen Gewebes haben, zugesetzte
Carcioomzellen zu zerstören; die zerstörende Wirkung kommt einer
ätherlöslicbeo Fettsäure zu, welche an den Prädilektionsstellen für
Carcinom fehlt. Vortragende haben Hautstückchen aus frischen Leichen
mit Röntgenlicht durch 8—11 Stunden bestrahlt; das Extrakt derselben
zerstörte nicht mehr Carcinomzellen und die charakteristische Fettsäure
war verschwunden. Bei normalen Dosen von Röntgenstrahlen wurde die
Haut in j ihrem Verhalten gegenüber dem Carcinom nicht verändert.
Durch Vorschaltung einer WaSsemhicht von'4 cm Dicke rfrurde die
schädigende Wirkung der Röntgen strahlen aufgehoben. Finsen- und
Radiurabestrahlung hatten keine schädigende Wirkung. Wurden Organe,
welche Sitz von Carcinomen waren und deren Extrakt kein Lösungs¬
vermögen für Carcinomzellen hatte, mit Röntgenstrahlen belichtet, so
trat keine Aenderuug ein, nach Radiumbestrahlung trat das Lösungs¬
vermögen wieder auf. Bei Bestrahlung von Sera mittels Röntgen licht
geht ihre carcinomzerstörende Eigenschaft verloren und wird durch
Radiumbestrahlung wieder restituiert. Analoge Verhältnisse ergaben
sich bei Untersuchungen über das Selektionsvermögen der Zellen gegen¬
über Kohlehydraten. Es scheint, dass durch Röntgenbestrahlung die
carcinomlösende Säure in eine inaktive Modifikation übergeführt wird,
welche durch Radiumbestrahlung wieder aktiv gemacht werden kann.
Dies wurde auch durch das Experiment bestätigt. Man könnte vielleicht
daran denken, Röntgenverletzungen mit Radiumstrahlen zu behandeln.
Hr. Fraenkel: Kriegschirurgische Erfahrungen.
Fraenkel wurde nach Sofia berufen, als in der Front der Armeen
Cholera ausbrach. In dem Bestreben, die Hauptstadt cholerafrei zu er¬
halten, wurden seither die Verwundetentransporte spärlicher und
schliesslich überhaupt nur auf den Zuzug aus seuchenfreien Gegenden be¬
schränkt. Vortragender war schon vor 20 Jahren auf dem serbisch-
bulgarischen Kriegsschauplätze tätig; die Vergleichung der damals dem
Kriegsohirurgen sich bietenden Aufgaben und der jetzigen ergab mit
geringen Varianten eine Gleichheit in nahezu stereotyper Weise, sie
wurden auch im grossen und ganzen mit denselben erprobten und be¬
währten Mitteln gelöst. Das individuelle Gepräge der Schicksale der
Kriegsverwundungen und der kriegsohirurgischen Endergebnisse hängt in
der Neuzeit nicht so sehr von der Art der Verwundung ab als von den
sie begleitenden äusseren Umständen. Die eigenartigen Verhältnisse des
Balkankrieges haben es allen Heeren schwer gemacht, für die Ver¬
wundeten vorzusorgen. Der Transport musste auf grundlosen Wegen
zumeist mit den landesüblichen Ochsenkarren durcbgeführt werden, die
Verwundeten hatten eine Reise von mindestens 3 Tagen bis ins Spital
zurückzulegen. Die Folge davon war ein grosser Erschöpfungszustand
der eingelieferten Verwundeten, welche ein unüberwindliches Bedürfnis
nach Ruhe und Schlaf hatten. Viele wiesen erhöhte Temperaturen auf,
ohne dass dies auf ihre Verwundungen bezogen werden konnte. Andere
klagten über Schmerzen, andere hatten Bronchitiden und Diarrhöen,
bei nicht wenigen wurde Typhus konstatiert. Sonderbarerweise haben
diese ungünstigen Umstände auf den Zustand der Wunden selbst einen
verhältnismässig sehr geringen Einfluss geübt. In dem Beobachtungs¬
material des Vortragenden überwogen die Verwundungen der Extremi¬
täten. Reine Weichteilwunden heilten oft reaktionslos. Nicht wenige
Schussfrakturen der Extremitäten verhielten sich nach dem Verlauf und
der Behandlungsdauer vollkommen so wie subcutane Knochenbrüche.
Es hat sich auch in diesem Kriege gezeigt, dass unter sonst gleichen
Verhältnissen der weitere Verlauf ganz gleichartiger Verwundungen sich
recht verschieden gestaltet. Die Wundkomplikationen waren nicht so
sehr durch die ungünstigen Allgemein Verhältnisse verursacht als durch
die Behandlung der Wunden selbst. Nicht wenige Verwundete kamen
ohne Verband; viele von ihnen wiesen eine völlig reaktionslose Schorf¬
heilung auf. Andere hatten trockene Gazeverbände, andere wiederum
waren mit Jodpinseln behandelt worden. Wirklich ungünstige Wund¬
verhältnisse boten jene Fälle dar, an deren Wunden Eingriffe vor¬
genommen worden waren, besonders Tamponade. Die schlechte Wund¬
versorgung war auf den Umstand zurückzuführen, dass in der bulgarischen
Armee der erste Verband vielfach Feldscherern an vertraut ist, ferner
darauf, dass genau reglementierte Vorschriften für die Wundversorgung
fehlten. Ein unliebsamer Uebelstand war, dass in Sofia als im Centrum
der Verwundetenpflege es an Okulisten und Otiatern fehlte. Die neuen
Spitzgeschosse zeigten die Eigentümlichkeit, dass sie infolge der Lage
ihres Schwerpunktes hinter der Geschossmitte leicht um ihre Querachse
rotieren und mit dem stumpfen Ende vorausgehen, dadurch wurden
manchmal weitgehende Zerstörungen verursacht. Stecken gebliebene
Kugeln, welche reizlos eingeheilt waren, lagen öfter nicht in einer ein¬
fachen Bindegewebshülle, sondern ziemlich beweglich in einer Cyste
mit schokoladefarbenem, hämorrhagischem Inhalt. Diese Einheilungsform
ist für Fremdkörper charakteristisch, welche in bewegten Körper¬
partien liegen und durch Schmerzen die Bewegung nicht hemmen. Die
in den Spitälern Sofias beobachteten Hämatome und Aneurysmen waren
in der grossen Mehrzahl der Fälle Spätfolgen der Gefässschüsse. Es
hat den Anschein, dass das kleine Spitzgeschoss, welches beim
Auftreffen aus grösseren Entfernungen einen beträchtlichen Energiever¬
lust erleidet, sich in der Wirkung den alten Projektilen nähert, die mehr kon-
tundierend als durchschlagend wirken. Die traumatischen Aneurysmen,
welche Vortragender sah, entwickelten sich meist in der zweiten und
dritten Woche nach der Verletzung, bei Sohüssen aus geringen Ent¬
fernungen werden die Gefässverletzungen von denen des ovigalen Ge¬
schosses sich kaum unterscheiden, hier wie dort glatte Einschüsse mit
glatten Defekten, starkem primärem Bluterguss und primärem Hämatom.
Die spätere Aneurysmabildung entsteht allmählich durch Nachgeben der
durch die Kontusion geschwächten Stelle der Gefässwand. Bei Schuss¬
frakturen ist die Schädigung des Periostes im allgemeinen gewiss eine
geringere als bei der Mehrzahl der subcutanen Frakturen, und dadurch
erklärt sich wohl auch der allgemeine Eindruck, dass ihre Konsolidation
rascher von statten geht als bei den letzteren. Diese Verhältnisse mahnen
dazu,' bei der Behandlung der Schussfrakturen streng konservativ vor¬
zugehen. Zu Resektionen wirff nur ganz ausnahmsweise die Indikation
Vt>rriegeii; w*nn eine Infektion Wetz ausgiebiger-Inzision und Drainage
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UNIVERSUM OF IOWA
426
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
auf den Knochen übergreift und diesen zum Absterben bringt. Einen
derartigen Eingriff hat Vortragender nur in einem einzigen Falle von
schwer infizierter Schussfraktur des Oberarmes vorgenoramen. Eine
Amputation hat er nur in zwei Fallen ausführen müssen. Ein infizierter
Gelenkschuss fand sich unter seinen Verwundeten nicht vor. Tangential¬
schüsse des Schädels, bei welchen kein früher Eingriff vorgenommen
worden war, zeigten manchmal zur Zeit ihrer Aufnahme schon eine voll¬
kommene oder nahezu geheilte Wunde, trotzdem es sich um Verletzungen
des Knochens handelte. Ein Fall gab zur Spättrepanation Veranlassung.
Bei keinem der Schädelschüsse wurde die erste Hilfe früher als 24 Stunden
nach der Verletzung geleistet. Bei offenen Wunden hat Vortragender
die Knochensplitter entfernt und eine eventuelle. Eiterung behandelt.
Schädelverletzungen sollten einer eventuellen Operation im Sekundär¬
stadium Vorbehalten werden, wenn die frühe Etappe der Hilfeleistung,
etwa der Verbandplatz, nicht so vollkommen ausgestattet ist, dass sie in
geradezu klinischer Weise funktionieren kann. Wo dies nicht der Fall
ist, begnüge man sich mit sorgfältiger Okklusion, umsomehr als die Er¬
fahrung lehrt, dass auch späte Eingriffe noch einen vollen Erfolg er¬
möglichen. Vortragender erinnert daran, dass er schon vor 20 Jahren
in einem Vortrage in der „Gesellschaft der Aerzte“ darauf hingewiesen
hat, dass die Bestrebungen, im Sinne und mit den Mitteln der Anti¬
sepsis die Schusswunden des Krieges zu keimfreien umgestalten zu
wollen, als ihren Zweck verfehlende Maassregeln zu bezeichnen sind, die
im Hinblick auf die Kriegsverhältnisse mehr schaden als nutzen können.
Er trat schon damals dafür ein, den Kriegswunden ihren von Haus aus
relativ gutartigen Charakter dadurch zu wahren, dass sie vor allen
weiteren äusseren Schädlichkeiten durch einfache Okklusion möglichst
geschützt und im übrigen tunlichst sich selbst überlassen werden. Für
die notwendigen Eingriffe kommt die später eingreifende Tätigkeit in
den Reservespitälern noch zu recht. Diese Anschauungen hatten damals
Widerspruch erregt, durch die heutigen Erfahrungen sind sie aber in
ihrer Richtigkeit bestätigt worden.
Hr. Colmers Coburg: Kriegschirurgisehe Erfahrungen.
Vortr. besprach seine Erfahrungen, welche er im Spital in Sofia ge¬
sammelt hat. Schussverletzungen der Gefässe, welche im Spital erst
mehrere Tage nach der Verwundung ankamen, waren manchmal als
solche nicht zu diagnostizieren, man fand Puls in der Extremität, nach
Tagen oder Wochen kam es aber plötzlich zur Entwicklung eines
Hämatoms oder eines Aneurysmas. Manchmal verläuft diese Aneurysma¬
bildung wie ein Abscess unter Fieber. In einigen Fällen hat Vor¬
tragender die Arteriennaht ausgeführt (Iliaca, Poplitea). Bezüglich der
Schädelverletzungen hatte er nicht so günstige Erfahrungen wie
Fraenkel. Er sah 18 Gehirnverletzungen, unter diesen waren zwölf
Tangentialschüsse. Diese letzteren pflegen mit ausgedehnten Zerstörungen
der Vitrea einherzugehen, die Aussichten einer Spätoperation sind nicht
sehr günstig. Vortragender hat die Operation wegen Eiterung oder
wegen Halbseitenläsion ausgeführt, es blieben nur füuf Fälle am Leben,
von welchen er auch noch nicht behaupten will, dass sie dauernd ge¬
heilt sind, obwohl 6—8 Wochen nach der Operation verflossen sind. Vor¬
tragender ist der Meinung, dass solche Schüsse in einem guten Spital
so früh wie möglich operiert werden sollen. Die übrigen Gehirnschüsse
soll man in Ruhe lassen und nur wegen Blutung oder Infektion operieren.
Die Schussfrakturen waren in vielen Fällen vereitert, und es mussten wieder¬
holt Sequestrotomien ausgeführt werden. Die fühlbaren Lücken in der
Verwundetenfürsorge, welche sich im bulgarischen Heere bemerkbar
machten, hängen mit den Mängeln der militärärztlichen Organisation zu¬
sammen. Bulgarien hatte 658 Aerzte, von welchen nur vielleicht zehn
als moderne Chirurgen spezialistich ausgebildet sind. Die Aerzte studieren
in Russland oder Frankreich, da das Land keine Universität hat. In
den Krieg sind sämtliche Aerzte einberufen worden; da eine Anzahl
derselben in Spitälern oder Etappen bleiben musste, waren für die
350 000 Mann zählende Armee nicht viel Aerzte mehr disponibel, es gab
Regimenter ohne einen einzigen Arzt. Den Aerzten standen als Helfer
Feldscherer, welche nicht modern vorgebildet sind, ferner Sanitäts¬
soldaten und Blessiertenträger zur Seite. Auf diesen Aerztemangel ist
es zurückzuführen, dass in vielen Fällen die primäre Wundbehandlung
schlecht vorgenommen wurde. Zu warnen ist besonders vor der Tampo¬
nade uud der Inzision von Schusswunden. Der Verwundetentransport
war sehr schwierig, er wurde meistens auf Ochsenwagen durchgeführt,
auf welchen die Verwundeten zusaramengefercht auf Stroh ohne Decken
lagen. Die Beköstigung bestand meist aus Wasser und Brot, manchmal
fehlten auch diese. Es mangelte an fahrbaren Krankenküchen, Von
den Transportierten erreichten wohl nur die kräftigsten das Spital oder
eine Eisenbahnstation, die Verwundeten lagen auch bei Nacht auf dem
Wagen und der Transport wurde ohne sanitätsverständige Begleitung
durchgeführt. H.
Anutius Foesius.
Von
und mich später durch Uebersendung einer sehr gelungenen Photographie,
welche die Vorlage für unsere Abbildung darstellt, sowie durch die
folgende Notiz zu grossem Danke verpflichtet hat:
„Die Büste von Anuce Foes (1528 — 1595) ist in den achtziger
Jahren des 16. Jahrhunderts aus Alabaster nach der Natur gearbeitet.
Nach dem Tod des Gelehrten war sie in der Grabkapelle des Familie
Foes auf dem Nordteil des heutigen Paradeplatzes aufgestellt. Als auf
Veranlassung von Belle-Isle der Paradeplatz seit 1754 erheblich ver-
grössert wurde, ward jeoe Grabkapelle mit dem ganzen kirchlichen Bau¬
block, der den früheren Paradeplatz an der Kathedrale gen Norden ab¬
sperrte, abgerissen (1756), und die Büste gelangte in Privatbesitz (in
die Hände eines Metzer Kaufmannes). Nachdem die Büste zu Metz als
Vorlage für das den berühmten Arzt und Gelehrten darstellende Medaillon
in dem (1766—1781 am neuen, einheitlich umrahmten Paradeplatz er¬
bauten) Stadthaus gedient hatte, erwarb sie Baron Dr. Percy für die
Faculte de medecine zu Paris (1810) von dem Privatbesitzer (Robiche)
für 40 Frs. Doch gelang es dem damaligen Bürgermeister von Metz,
dem Arzt (und Baron) Marchant, die Büste im Jahre 1811 um den¬
selben Preis zurückzukaufen; die nach Metz zurückgelangte Büste fand
Aufstellung im Lesesaal der Stadtbibliothek (einer ehemaligen Barfüsser-
kirche), bis sie 1872 in den Neubau des städtischen Museums überführt
wurde, in dessen Geraäldesälen sie noch steht.“
Anuce Foes (Anutius Foesius) aus Metz (1528—1595) ist dem
Gedächtnis des heutigen Geschlechts der Aerzte, das ja so viel Neues
zu lernen und zu betreiben hat, schon fast ganz entschwunden. Der
Mann hat aber zu seiner Zeit eine grosse Aufgabe mit bewunderungs¬
würdigem Fleiss und Scharfsinn gelöst.
Die wichtigsten Hebel des Aufschwungs der Heilkunde im 16. Jahr¬
hundert sind (nach Haeser) die Erneuerung des Studiums der klassischen
(d. h. der griechischen) Aerzte, die Wiederbelebung der Anatomie und
auch die eigene Forschung, besonders auf dem Gebiet der neu auftreten¬
den Krankheiten.
Damals hatten die Schriften der griechischen Aerzte, namentlich die
unter dem Namen des Hippobrates und des Galenus überlieferten, nicht
bloss, wie für uns heutzutage, einen geschichtlichen, sondern noch einen di¬
daktischen Wert. Somit erhellt die Bedeutung unsres Anutius Foesius,
der in 40jähriger Arbeit die erste brauchbare Ausgabe der hippo¬
kratischen Schriften geschaffen, die nicht bloss die seiner Vorgänger
(des Calvus, Rom 1525, nur lateinisch; des Franc. Asulanus, Venedig
1526; des Janus Cornarius, Basel 1538; des Hieronym. Mer-
curialis, Venedig 1588) weit überragte, sondern auch alle seine Nach¬
folger übertroffen hat, bis im 19. Jahrhundert E. Littre der hippo¬
kratischen Sammlung eine neue Lebensarbeit (von 1839—1861) gewidmet,
die heutzutage durch eine bessere und kritische Ausgabe zu ersetzen,
eine der Hauptaufgaben des von unsrem Hermann Diels begründeten
Corpus medicum darstellen wird.
Im Jahre 1595 J ), dem Todesjahr von Foes, erschienen zu Frank-
J. Hirecliberg.
Als ich im Sommer 1912 das Museum der Stadt Metz besuchte, fiel
mir in einem der ersten Säle eine schöne Büste ins Auge; ich las die
Inschrift Anuce Foes und befragte den Direktor des Museums, Herrn
Prof. Keune, der meine Vermutung, dass die Büste den berühmten
Arzt und Gelehrten aus dem 16. Jahrhundert darstelle, sofort bestätigte
1) Haeser hat irrigerweise 1591, sowohl in seiner Geschichte der
Medizin, 1881, Bd. 2, S. 20, als auch im biographischen Lexikon von
A. Hirsch, Bd. 3, S. 394, als Todesjahr angegeben. Weitere Ausgaben
Frankfurt a. M. 1621, 1625; endlich Genf 1657. Die letztere, von Haeser
als die beste bezeichnet, findet sich in meiner Büchersammlung. Die
Oeconomia Hippocratis war schon 1588 (zu Frankfurt a. M.) ; gesondert
erschienen. > 3
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UNIVERSUM OF IOWA
3. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
427
fort a. M. die beiden gewaltigen Folianten, die zusammen etwa 1800 Seiten
enthalten, und die genau durchzulesen freilich kein beschäftigter
Arzt des 20. Jahrhunderts mehr die Zeit finden wird.
Aber für den Geschichts-Forscher und Liebhaber bildet diese
Hippokrates-Ausgabe eine reiche Fundgrube der Belehrung, nicht zum
wenigsten durch das beigefügte, ausführliche Hippokrates-Lexikon
(Oeconomia Hippocratis), in welchem alle wichtigen Ausdrücke und
Begriffe erklärt und durch Anführung aller Stellen aus der hippo¬
kratischen Sammlung (und aus den andren Schriften der Griechen und
Römer) erläutert werden. Mir ist diese Oeconomie bei der Abfassung
meiner Geschichte der griechischen Augenheilkunde von grösstem Nutzen
gewesen. (Ich wünschte, wir hätten ein Goethe-Lexikon von gleicher
Genauigkeit und Vollständigkeit!)
Uebrigens war Anuce Foes ein ausgezeichneter Praktiker
and den meisten philologischen Aerzten seiner Zeit, welche die Heraus¬
gabe der ärztlichen Schriften des Altertums zu ihrer Lebensaufgabe ge¬
macht, durch eigene Erfahrung bedeutend überlegen. Au 9 der
Widmung seiner Oeconomie „an den Praetor und den Senat seiner Stadt
Metz“ erfahren wir, dass Foes im Jahre 1587 bereits seit 35 Jahren
da 9 öffentliche und besoldete Amt eines Stadtarztes „mit Fleiss, wie er
hoffe“, verwaltete.
Somit glaube ich durch Abbildung des geistvollen Antlitzes mit der
gewölbten Stirn und dem fragenden Blicke nicht bloss einem verdienten
Maone den Ehrensold gezahlt, sondern auch meinen heutigen Fachgenossen
eine kleine Genugtuung bereitet zu haben.
Zum Wahlmodus in der Berliner medizinischen
Gesellschaft.
Alljährlich kommt es in der Generalversammlung der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft zu Geschältsordnungsdebatten über das Verfahren des
Wahlaktes. Das beginnt schon bei der Wahl des ersten Vorsitzenden.
Regelmässig erhebt sich jemand und schlägt „Akklamation“ vor, worauf
der Verhandlungsleiter erklären muss, dass eine Wahl durch Zuruf an
dieser wichtigsten Stelle nach § 13 der Statuten ausgeschlossen sei.
Schreitet man dann aber zur Wahl seiner drei Stellvertreter, dann
entspinnt sich, falls bei ihr gegen die ebenfalls regelmässig beantragte
und in diesem Falle statutengemäss zulässige „Wahl durch Akklamation“
Widerspruch erhoben wird — hierzu genügt eine widersprechende
Stimme —, eine längere und unerquickliche Debatte. Und mit gleicher
Regelmässigkeit erlebt man dann, dass zur Abkürzung des Verfahrens
die „Listenwahl“ in Vorschlag gebracht wird, d. h. es sollen alle drei
Vertreter auf einem Zettel gleichzeitig gewählt werden und die drei
Herren, welche die meisten Stimmen haben, als gewählt gelten.
Dies ist aber nach § 13 der Statuten unzulässig und, wenn man
den alten Brauch, die Stelle eines der drei — unter sich koordinierten
Stellvertreter — immer mit einem praktischen Arzt zu besetzen, bei¬
behalten will, auch undurchführbar.
Dass das Prinzip der Listenwahl dem „Gesetzgeben“ bei Abfassung
unserer Statuten nicht unbekannt war, ergibt ohne weiteres ein Einblick
in den § 20, wo von der Wahl des Ausschusses die Rede ist. Hier
werden von 27 seitens des Vorstandes vorgeschlagenen Herren (durch
Ausstreichen von 18 Namen) 9 gewählt. „Diejenigen 9 Personen, welche
hiernach die meisten Stimmen haben, gelten als gewählt.“
Der Gesetzgeber hat also nicht aus Unkenntnis eines bequemeren
Wahlmodus, sondern weil er die Stelle der drei Stellvertreter für sehr
wichtig hielt, für sie ein anderes Verfahren festgesetzt, nämlich: „Jedes
der übrigen Vorstandsmitglieder (voraus ging die Bestimmung über die
Wahl des Vorsitzenden) wird einzeln! durch Stimmzettel oder durch
widerspruchslose Akklamation gewählt. Die absolute Majorität ent¬
scheidet . . . .“
Klarer und unzweideutiger konnte die Bestimmung kaum gefasst
werden und, mag sie auch noch so unbequem und zeitraubend sein, so¬
lange sie so lautet, kann sie durch keinerlei Deduktion umgangen oder
modifiziert werden.
Die erste Modifikation, die immer in Vorschlag gebracht <wird, ist
die einfache Listenwahl, wie oben für den Ausschuss angeführt. Sie
an Stelle der jetzigen Bestimmung zu setzen, gefährdet aber die alte
Tradition, immer einen Stellvertreter aus der Reihe der praktischen
Aerzte zu nehmen. Denn wenn gleichzeitig drei Herren zu wählen und
dafür mehr als drei Namen vorgeschlagen sind (sind es blos drei, so ist
der Wahlakt überhaupt überflüssig), so können sehr wohl die drei
höchsten Stimmenzahlen auf drei Angehörige der Fakultät fallen. Das
wäre kein Unglück, aber es ist gegen einen alten Brauch, den man
nicht ohne besonderen Grund verlassen sollte (wie es einmal bei Robert
Koch und einmal bei W. A. Freund geschah, die aber beide damals
schon ausser Amtes waren, so dass es, rein formell betrachtet, keinen
Bruch des alten Brauches bedeutete).
Die einfache Listenwahl ist also für uns in diesem Falle nicht
angängig.
Darum wird oft und wurde auch gestern (26. d. M.) eine modifi¬
zierte Listenwahl fo Vorschlag gebracht, wonach alle drei Herren in
einem WahlgaDg zu Wählen sind,' aber nicht einfach die drei mit def
höchsten Stimmenzahl, sondern diejenigen, welche die absolute MaJo'H~
tat erreicht haben, als gewählt zu betrachten sein sollten. Dagegen ist
nicht nur der schon eben angeführte Grund, dass hiermit unsere alte
Tradition über den Haufen geworfen werden könnte, anzuführen, sondern
ein noch wichtigerer: es können bei diesem Modus mehr als drei Herren
gleichzeitig die absolute Majorität erreichen und wir mit einem Mal statt
dreier Stellvertreter vier oder mehr haben.
Ein Beispiel: Es werden 300 Stimmzettel abgegeben, absolute
Majorität demnach 151. Da auf diesen 300 Stimmzetteln aber
300 x 3 = 900 Namen stehen (wohlgemerkt, die drei Herren sind
koordiniert nach § 12), so könnte es folgendermaassen kommen:
155 Stimmen entfallen auf Herrn Schulze,
160 „ „ „ „ Müller,
160 „ „ „ „ Meyer,
170 „ „ „ „ Schmidt,
190 „ „ „ „ Fischer,
65 „ „ „ verschiedene weitere Kandidaten.
Da noch 65 Stimmen übrig bleiben, so sind noch grosse Schwankungen
möglich und doch wären fünf Stellvertreter aus dem Wahlakt hervor¬
gegangen.
Auf diesem Wege wäre es also nicht gegangen. Will man den
Wahlmodus für den Stellvertreter vereinfachen und doch die oben
genannte alte Tradition aufrecht erhalten, so ist das Einfachste, zunächst
§ 12 der Statuten zu ändern und für die drei Stellvertreter eine Rang¬
folge einzuführen, einen ersten, zweiten, dritten Stellvertreter zu
schaffen, dann könnte in §13 hinter „einzeln“ eingefügt werden: „Oder
durch gemeinsame mit Vordruck versehene Stimmzettel.“
Solche. Stimmzettel wurden ja immer verteilt, aber sie sind nur
unter Anerkennung einer Reihenfolge, um nicht zu sagen Rangordnung,
zu verwenden, was bisher immer stillschweigend geschehen, aber gestern
vom Verhandlungsleiter, einem der bisherigen drei Stellvertreter, bescheiden
abgelehnt worden ist.
Gegen diesen Modus wurde freilich bei früheren Wahlen noch ein
Bedenken geäussert, dass jemand bei einem „vorgeordneten“ Amte
durchfallen kann, den man dann gern für ein „nachgeordnetes“ — sit
venia verbo — haben möchte.
Für den Wahlmodus der vier Schriftführer, die wir das nächste Mal
zu wählen haben, gilt vorläufig das gleiche Bedenken wie für die stell¬
vertretenden Vorsitzenden. In Zukunft könnte für sie die Listenwahl ein¬
geführt werden, da hier ja nicht die oben genannte Tradition zu be¬
rücksichtigen ist. Für die Gegenwart ist aber die Aufgabe (und das wäre
auch bei den Wahlen der Stellvertreter des Vorsitzenden möglich gewesen)
einfach so zu lösen, wie es auch bisher meist geschah, dass der Ver¬
handlungsleiter unter Nennung der einzelnen Namen der bisherigen
Vorstandsmitglieder fragt: „Wird gegen die Zurufswahl des Herrn X
Widerspruch erhoben?“ Wenn nicht, so ist er gewählt. Erfolgt Wider¬
spruch, so wird über diesen und seine Gegenkandidaten abgestimmt u.s.f.
Für die AuTnah mekommission (§ 24) ist ebenfalls die Listen¬
wahl vorgesehen, aber modifiziert: es entscheidet „die absolute Stimmen¬
mehrheit“. Diese Einschränkung des sonst so brauchbaren Prinzips der
Listenwahl sollte aus der oben angeführten übergrossen Wahl¬
möglichkeit bei nächster Gelegenheit geändert werden.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 26. Februar demonstrierte vor der Tagesordnung 1. Herr
Hammerschlag: Laparotomie bei Retroflexio uteri gravid! fixata;
2. Herr Blumberg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit; 3. Herr
Jeger: Ersatz eines Stückes der Aorta aus der besonders präparierten
Carotis. In der Tagesordnung (Generalversammlung) erstattete
Herr v. Hansemann den Geschäftsbericht für das Jahr 1912, Herr
Stadelmann den Kassenbericht, Herr H. Kohn den Bibliotheksbericht,
Herr Landau den Bericht der Kommission für die Erbauung eines
Rudolf Virchow-Hauses. Bei der Wahl des Vorstandes wurden Herr Orth
zum Vorsitzenden und Herr L. Landau zu einem der drei Stellvertreter
wiedergewählt. Die anderen Wahlen kamen noch nicht zur Erledigung,
und so findet nächsten Mittwoch eine Fortsetzung der Generalversamm¬
lung statt.
— Ein Fortbildungskursus für Medizinalbeamte in der
sozialen Medizin ist von der Medizinalverwaltung in Aussicht ge¬
nommen. Er wird in der Zeit vom 3. bis 16. März d. J. in Berlin statt-
flnden. Vorgesehen sind Vorträge und Demonstrationen aus den ver¬
schiedenen Zweigen der Arbeiterversicherung, der Gewerbehygiene, der
gesundheitlichen Fürsorge für Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche,
der öffentlichen Krankenfürsorge und der Bekämpfung der Volksseuchen.
Ausserdem finden Besichtigungen von sozialmedizinischen Anstalten oder
Einrichtungen sowie von gewerblichen Betrieben statt.
— An der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf findet
vom 14. bis 26. April ein Sonderkursus zur Ausbildung von Schulärzten
statt. Als Vortragende in diesem Kursus sind ausser den Dozenten der
Akademie zahlreiche hervorragende Schulmänner und Hygieniker be¬
teiligt, darunter Prof. Dr. Selter-Bonn. Ausserdem findet vom 17. bis
19. Jhli ein Kursus für „soziale Medizin“ statt mit besonderer Berück¬
sichtigung der Unfall- und 4 Invalidenbegutachtung. Auch an diesöm
Kursus wördeh ausser'den Dozent&i der Akademie herVoriigende* Sozial¬
politiker Vorträge halten. Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie.
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
— Deutsche Gesellschaft für Meeresheilkunde. Am
Dienstag, den 25. März, mittags 1 Uhr, findet unter dem Vorsitz des
Herrn Geheimen Ober-Medizinalrats Dr. Abel im Hörsaal der Universitäts-
Kinderklinik der Kgl. Charite zu Berlin die erste Jahresversammlung
der Deutschen Gesellschaft für Meeresheilkunde statt. Referate über¬
nommen haben die Herren Prof. Dr. Franz Müller-Berlin, Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Ewald-Berlin, Generaloberarzt Dr. Schultzen-Berlin.
Ferner haben die Herren Dr. Edel-Wyk auf Föhr, Generalarzt König-
Berlin, Dr. Freudenberg - Berlin und Dr. v. Kügelgen - Südstrand-
Föhr Vorträge angemeldet.
— Beim 17. internationalen Kongress in London wird auch eine
Logenversammlung der Freimaurer-Mediziner, welche Mitglieder
des obigen Kongresses sind, Montag, den 11. August 1913, im Tempel
der Grossloge, Freemasons’ Hall, Great Queen Street, W.C., abgehalten
werden. Der ehrwürdigste Pro-Grossmeister, der Right Hon. Lord
Ampthill, G. C. S. I., G. C. I. E., wird die Loge um 5 Uhr nachmittags
eröffnen und um 6 Uhr schliessen. Ein Empfang wird abgehalten werden
in den Connaught Rooms, neben der Freemasons’ Hall, um 4 Uhr nach¬
mittags.
— Das Kuratorium für das städtische Rettungswesen in Berlin be¬
schloss, an die Spitze des ärztlichen Dienstes zwei Direktoren zu stellen
und die Herren Dr. Paul Frank und Geh. San.-Rat Prof. Dr. George
Meyer dem Magistrat für diesen Posten in Vorschlag zu bringen.
— Prof. Karl Dapper in Bad Kissingen wurde unter der Be¬
nennung „v. Dapper-Saalfels“ in den erblichen Adelsstand des
Königreichs Bayern versetzt.
— Prof. Dührssen, der ausgezeichnete gynäkologische Operateur,
hat das Unglück, infolge einer Infektion seine Tätigkeit aufgeben zu
müssen — eine Nachricht, die sicherlich überall lebhafte Teilnahme er¬
wecken wird. Seine Klinik wird vorläufig von seinen Assistenten weiter¬
gehalten werden.
— Zum Direktor der inneren Abteilung am städtischen Kranken¬
hause in Lübeck wurde Prof. Deycke-Hamburg ernannt.
— Die Ausführung des Robert Koch-Denkmals ist dem bekannten
Berliner Bildhauer Prof. Louis Tuaillon übertragen worden. Das
Denkmal, für dessen Aufstellung die Stadt einen Teil des Luisenplatzes
überlassen hat, soll in Marmor ausgeführt werden.
Hochschulnachrichten.
Bonn. Der Privatdozent für Physiologie, Dr. Schöndorff, wurde
zum ao. Professor, Prof. Gräfin v. Linden zur Leiterin des neu¬
geschaffenen parasitologischen Laboratoriums ernannt. — Kiel. Am
21. März er. wird Geheimrat Siemerling sein 25jähriges Dozentenjubi¬
läum begehen. Prof. Lubarsch hat den Ruf als Nachfolger Heller’s
angenommen. — Königsberg. Prof. Hofmann in Prag wurde das
Ordinariat für Physiologie übertragen, das bisher Geheimrat Hermann
innehat; Prof. Hermann wurde Dr. phil. h. c. der hiesigen Fakultät.
— Fr ei bürg. Dem Privatdozenten für Pharmakologie, Dr. Fühner,
wurde der Titel eines ao. Professors verliehen. — Halle. Habilitiert:
DDr. Lehnerdt (Kinderheilkunde), Ai che 1 (Anatomie und Anthropologie).
— Würzburg. Am 25. Februar feierte Dr. R. Geigel, ao. Professor
für Balneologie und mechanische Heilmethoden das 25jährige Dozenten¬
jubiläum. Habilitiert: Dr. L. Jacob (innere Medizin). — Wien. Prof,
v. Noorden gedenkt, sich vom Lehramt zurückzuziehen und nach
Frankfurt a. M. überzusiedeln. Prof. R. Frank, chirurgischer Chefarzt
am allgemeinen Krankenhaus, ist gestorben. Prof. N. Ortner wurde
zum Hofrat ernannt.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Aegypten (1.—7. II.) 7 und 6 f. Hongkong (12.—18.1.)
1 f. — Cholera. Türkei (5.—12. II.) 34, davon 11 f. — Gelbfieber.
Brasilien (24.1.—3. II.) 4 und 1 f. — Pocken. Deutsches Reich
(16.—22. II.) 1. Oesterreich (2.—8. II.) 3. Griechenland (l.) 16.
Hongkong (5.—18.1.) 9, davon 4f- — Fleckfieber. Oesterreich
(2.—8. II.) 104. — Genickstarre. Preussen (9.—15.11.) 5und3+.
Oesterreich (26.1.—1. II.) 2. Schweiz (2.—8. II.) 3. Griechen¬
land (I.) 1. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (9.—15.1.) 3.
Oesterreich (26.1.—1. II.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Scharlach in Altenessen, Kattowitz; an Diphtherie
und Krupp in Beuthen, Dortmund, Heilbronn, Wanne; an Keuch¬
husten in Bromberg, Fürth, Rheydt.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. F. W.
Delius in Hamburg, früher in Buenos-Ayres.
Charakter als Geheimer Sanitätsrat: San.-Rat Dr. E. Klein¬
schmidt in Elberfeld.
Prädikat Professor: Chefarzt Dr. A. Nehrkorn in Elberfeld.
Niederlassungen: Aerztin Dr. K. Gaus geb. Huch in Berlin, Dr. B.
Graf und Dr. Chr. Rowe in Charlottenburg, Dr. E. Kunowski in
Berlin-Schöneberg, Dr. A. Jacobson in Gnesen, Dr. R. Schumacher
in Halle a. S., Dr. R. Wolter in Kayna, Dr. F. Budde in Han¬
nover.
Verzogen: Dr. 0. Riehl von Seelow nach Cüstrin N., Dr. W.Siegert
von Berlin nach Halberstadt, Dr. B. Hertz von Magdeburg nach Burg,
Dr. H. J. Bohmeyer von Todtmoos nach Vogelsang, Dr. P. Ke ding von
Rostock nach Aschersleben, Arzt W. Gaudin von Jena nach Salz¬
wedel, Dr. H. Riebeling von Cassel und Dr. J. Hundt von Pforz¬
heim nach Harburg, Dr. K. Lübbers von Greifswald nach Gladbeck,
Dr. H. Hahn von München nach Münster, Arzt W. Knappe von
Osnabrück nach Buer, Arzt M. Steckelberg von Witten nach Reck¬
linghausen, Dr. E. Lippert von Marburg, Dr. A. Mauer von Reisen
als Schiffsarzt, Dr. A. Stumm von Aachen und Dr. B. Bo esenseil
von M.-Gladbach nach Dortmund, Dr. M. Ellerbrock von Reisen als
Schiffsarzt und Dr. W. Bäumer von Freudenberg nach Gelsenkirchen,
Dr. V. Müller von Erfurt nach Bochum, Dr. J. Müller von Gelsen¬
kirchen nach Suttrop, Dr. F. Loeser von Erwitte nach Lippstadt, Arzt
W. Wegner von Rastenburg nach Hünfeld. Dr. J. Stoll von Frank¬
furt a. M. nach Nauheim, Dr. M. Maier von Frankfurt a. M. nach
Strassburg i. E., Dr. W. Schlandraff von Frankfurt a. M. nach Hanau
zum Militär, Dr. A. Naumann von Freiburg i. Br., Dr. C. Hessel
von Heidelberg, Dr. F. Walterhöfer von Jena, Dr. F. Weihe von
Herford, Dr. H. Köster von Bremen und Dr. W. Vogel von Meiningen
nach Frankfurt a. M., Arzt K. Moser von Weilmünster nach Stutt¬
gart, Dr. A. Gans von Duisburg-Meiderich nach Mengerskirchen, Dr. J.
Arnold von Halle a. S. und Oberarzt Dr. E. Zwicke von Cöln nach
Wiesbaden, Dr. F. Ullrich von Koblenz nach Bremen, Dr. W.
Escherer von Wartenberg (Oberbayern), Aerztin Dr. E. Eichmann
von Osnabrück und Dr. F. Wühler von Schöneberg bei Wildbad
(Württemberg) nach Aachen, Dr. F. Lorenz von Düren nach Schöne¬
berg bei Wildbad (Württemberg), Dr. P. Bartels von Berlin nach
Königsberg i. Pr., Dr. P. Abraham von Neubabelsberg, Arzt K.
Bacharach von Heidelberg, Dr. W. Cobliner von Charlottenburg,
Dr. A. Goldschmidt von Königshütte O.-Schl., Dr. E. Hupper¬
mann von Magdeburg, Dr. 0. Lang-Heinrich von Wildungen,
Arzt M. Loewinstein von Friedrichshagen, Dr. M. Mannheimer
von Charlottenburg, Dr. M. Prange von Dresden, Dr. A. Reitter
von Nürnberg, Dr. E. Riedel von Charlotten bürg, Dr. K. Rochs von
Britz, Dr. K. Sauer von Buchheim, Aerztin Dr. L. Schiemann von
Abtey (Rheinhessen), Dr. W. Siebenlist von Gotha, Dr. A. Wun¬
derlich von Charlottenburg und Dr. F. Ziemann von Berlin-Lichter¬
felde nach Berlin; Dr. W. Bloch von Bamberg nach Neukölln, Dr.
W. Eitel von Strassburg i. E., San.-Rat Dr. E. Friedländer von
Zoppot, Dr. K. Lange von Berlin, Dr. M. Mendelsohn von Berlin-
Schöneberg, Dr. K. E. A. Meyenberg von Gelsenkirchen, Arzt Ed.
Opel von Neubabelsberg, Aerztin Dr. E. Reinike von Berlin, Dr. K.
Sadewasser von Brornberg, Dr. J. Schwalb von Berlin und Dr.
F. H. Ulrici von Müllrose nach Charlotten bürg; Aerztin Dr. E.
Geliert von Berlin, Dr. P. Hotes von Charlotten bürg, Dr. W. Koch
von Freiburg i. Br., San.-Rat Dr. W. Schmieden von Charlottenburg
und Dr. P. Zander von Chemnitz nach Berlin-Wilmersdorf; Dr. K.
Lott von Charlottenburg und Dr. F. Tietz von Schwerin nach
Berlin-Schöneberg; Dr. R. Maison von Charlottenburg und Dr. H.
Plass von Berlin nach Hamburg, Dr. K. Veber von Berlin nach
München, Dr.,W. Schwarzbaoh von Heidelberg nach Greifswald,
Dr. K. Ey er ling von Stralsund nach Braunschweig, Aerztin Dr. S.
Herzberg von Greifswald, Dr. A. Bentzer von Bonn, Dr. 0. Müller
von Kattowitz, Aerztin Dr. M. Dirks von Hannover und Dr. M. Serog
von Obernigk nach Breslau, Arzt G. Kügler von Ziegenhals, Kreis
Neisse, nach Freiburg i. Schl., Dr. R. Ricken von Oberhausen nach
Markt-Bohrau, Kreis Strehlen, Dr. G. A. Sombold von Reisen als
Schiffsarzt nach Obernigk, Kreis Trebnitz, Arzt K. Frost von Königs¬
berg i. Pr. nach Sprottau, Dr. S. Putsch von Kuttlau, Kreis Glogau,
nach Röeknitz, Kreisarzt a. D. Dr. J. Pfeffer von Reichenbach, Kreis
Görlitz, nach Pfeddersheim b. Worms, Arzt Th. Schnittkin von
Posen und Dr. M. Reichel von Oppeln nach Kattowitz, Dr. W.
Bethge von Hultschin nach Siemianowitz, Arzt E. Siegfried von
Siemianowitz nach Gera, Arzt E. Eckstein von Breslau naoh Königs¬
hütte, Dr. A. 0. Pallas von Koschwitz nach Hettstedt, Arzt 0.
Gänsler von Schkeuditz nach Rosenheim a. I., Dr. W. Armbruster
von Henfenfeld i.Bayern nach Schkeuditz, Dr. 0. Kunze von Braun¬
schweig und Dr. W. Schwartz von Uchtspringe naoh Altscherbitz,
Arzt V. Jonas von Altscherbitz, Dr. W. Stemmler von Halle a. S.
und San.-Rat Dr. P. Martner von Kayna nach Jena, Dr. G. Brae-
mer von Hohndorf, Kreis Eckartsberga, nach Kosen, Dr. P. Hendel
von Reisen als Schiffsarzt, Dr. B. Aschner von Wien und General¬
oberarzt a. D. M. Nehmiz von Lyck nach Halle a. S.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. W. Baggert,
Dr. J. Lippmann, Dr. P. Rüde, Dr. F. Schulz und Dr. M. Silber¬
berg von Berlin, Dr. W. Meiner und Dr. G. Heidsieck von Stettin
auf Reisen.
Gestorben: Dr. B. Bosse in Berlin, Oberarzt Dr. B. Weissker in
Gnesen, Generalarzt a. D. Dr. K. Kirchner in Breslau, Arzt J.
Engel in Leobschütz, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Genzmer in Halle
a. S., San.-Rat Dr. B. Eichner in Weissenfels, Arzt E. Kühme in
Sangerhausen, San.-Rat Dr. M. Tippei in Kaiserswerth, Dr. H. Weh-
berg in Düsseldorf, Dr. E. Fürst in Essen-Recklinghausen.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Koho, Berlin W., Bayreulher 8trass« 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Dt«* Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden
Montag in Nummern von cm. 6—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehraon
alle Buchhandlungen <ind Postansulten an.
BERLINER
Alle Binsendongen für die Redaktion and Expedition
volle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirachwald ln Berlin NW., Unter den Lindee
No. 68, adressieren.
Organ für praktische Aerzte.
Geh. Med.-Rat
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 10. März 1913. M 10 .
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Originellen: Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbäcillen für den
Menschen. (IUustr.) S. 429.
Werner: Die nichtoperativen Behandlungsmethoden der bösartigen
Neubildungen. (Aus dem Samariterhaus in Heidelberg.) S. 435.
Cohn und Reiter: Klinische und serologische Untersuchungen bei
Harneiterungen durch Bacterium coli. (Aus dem hygienischen
Institut der Universität Königsberg und der urologischen Klinik und
Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.) S. 441.
Lewinski: Ein Beitrag zur Endocarditis leuta an der Hand von
drei Fällen. (Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses zu Stettio.) S. 443.
Holländer: Nochmals „der dritte Weg zur totalen Rhinoplastik".
S. 446.
Schramm: Ueher Aqua destillata zur Salvarsanhereitung. (Aus
dem Laboratorium der Löwen-Apotheke in Dresden.) S. 446.
Mittwoch: Die älteste Influenza-Epidemie in Persien und Meso¬
potamien (im Jahre 855 n. Chr.). (Illustr.) S. 447.
Lautenschläger: Eine Modifikation des Killian’schen Spatelhakens
zur Schwebelaryngoskopie. (Aus der Städtischen Hals- und Nasen¬
klinik in Frankfurt a. M.) (Illustr.) S. 448.
Bicherbesprechungen : Katz, Preysing und Blumenfeld: Handbuch
der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. S. 448.
Hass lauer: Das Gehörorgan und die oberen Luftwege bei der Be¬
urteilung der Militärdienst Fähigkeit. S. 448. (Ref. Brühl.) — Hoch-
singer: Gesundheitspflege der Kinder im Eltemhause. S. 449.
Salge: Einführung in die moderne Kinderheilkunde. S. 449. (Ref.
Weigert) — Stern: Ueber körperliche Kennzeichen der Dis¬
position zur Tabes. S. 449. Sommer: Klinik für psychische
und nervöse Krankheiten. S. 449. (Ref. Seiffer.) — Herren¬
schneider: Lehrbuch der Hebammenkunst. S. 449. Burck-
hard: Studien zur Geschichte des Hebammenwesens. S. 449.
(Ref. Freund.)
Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 449. — Pharmakologie. S. 450. —
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 450. —
Parasitenkunde und Serologie. S. 451. — Innere Medizin. S. 451. —
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 452. — Kinderheilkunde.
S. 452. — Chirurgie. S. 452. — Röntgenologie. S. 453. — Urolope.
S. 453. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 454. — Geburtshilfe
und Gynäkologie. S. 454. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
S. 455. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 455. — Unfallheilkunde
und Versicherungswesen. S. 455. — Militär-Sanitätswesen. S. 455.
Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Hammerschlag: Retroflexio uteri gravidi. S. 456.
Blumberg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit Mög¬
lichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit. S. 456.
v. Hansemanu: Bericht über die Tätigkeit der Berliner medi¬
zinischen Gesellschaft im Jahre 1912. S. 456. Stadelmann:
Kassenbericht. S. 457. H. Kohn: Bericht über die Bibliothek und
den Lesesaal im Jahre 1912. S. 457. Landau: Bericht der Kom¬
mission für die Erbauung des Rudolf Virchow - Hauses. S. 459.
Wahl des Vorstandes. S. 460. — Berliner Gesellschaft für
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 460. — Berliner
Gesellschaft für Chirurgie. S. 463. — Breslauer chir¬
urgische Gesellschaft. S. 465. — Medizinische Gesell¬
schaft zu Kiel. S. 467. — Aerztlicher Verein zu München.
S. 468. — Medizinische Gesellschaft zu Basel. S. 468. —
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 468. — Gesell¬
schaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien.
S. 469. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 470. — Aus
Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 470.
Alexander: Zur gesetzlichen Bekämpfung des Kurpfuschertums. S. 470.
Viennensis*. Wiener Brief. S. 474.
Blumenthal: Zur Erinnerung an W. Podwyssotzky. S. 475.
Tagesgeschiohtl. Notizen. S.476. — Amtl. Mitteilungen. S.476.
Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen.
Von
J. Orth*
(Nach einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 19. Februar 1913 gehaltenen Vortrag.)
ln der Diskussion über den Friedmann’schen Vortrag sind
verschiedene Fragen aus dem Gebiete der Tuberkulosepatbologie
berührt worden, bei welchen wieder zutage getreten ist, wie weit
die Ansichten noch auseinander gehen. So sagte z. B. Herr
F. Klemperer, in den ungezählten Versuchen sei niemals das
Resultat erreicht worden, tuberkulöse Tiere mit Tuberkulinbehand¬
lung zu heilen, während am 12. August 1911 Herr Kirchner
in der „Woche“ verkündet hat, jetzt seien alle, die mit der Tuber¬
kulosebekämpfung vertrant sind, der Ueberzengung, dass das
Tuberkulin ein zuverlässiges Mittel ist, am die Tuberkulose zu
•erkennen, und zu heilen. Die Entscheidung über diese Frage
moss ich den Praktikern überlassen, da die pathologische Ana¬
tomie bis jetzt noch keine wesentlichen Beiträge zu ihr liefern
kann, dagegen möchte ich eine andere Frage erörtern, besonders
auch um das „Qho“ zu rechtfertigen, mit dem ich Herrn
F. Klemperer unterbrach, als er behauptete, die Rinderbacillen
seien für den Menschen io ähnlicher Weiße unschädlich, wie die
MenscheqjiacilleD für das Rind.
4 «Da porhar gesagt, worden war, dass Rinder durch Menaehen-
bacillen nicht tuberkulös werden, dass also für das Rind die
menschlichen Tpberkelbacillen nicht pathogen seieo, so kann die
Aeusserung über die Bedeutung der Rinderbacillen für den
Menschen doch nnr besagen, dass die Rinderbacillen auf den
Menschen nicht übertragen werden könnten. Herr Klemperer
bat auf mein „Oho“ hin, seine Aeussernng etwas eingeschränkt,
er hat die Rinderbacillen nicht für ganz unschädlich erklärt, aber
doch gemeint, dass sie für den Menschen in weitem Maasse un¬
schädlich sind, dass sie gegenüber der Virulenz und der Schäd¬
lichkeit der Menschentuberkelbacillen für den Menschen keine
Rolle spielen, das dürfte wohl heute als feststehende Tatsache
ausgesprochen werden.
Während Klemperer in bezug anf die Wirksamkeit des
Tuberkulin mit Kirchner verschiedener Meinung ist, stimmt er
in bezug auf die Bedeutung der bovinen Bacillen mit ihm über¬
ein, nur dpssKirchner noch uneingeschränkter erklärt, dass die
Rindertuberkelbacüjfn für Menschen fast völlig harmlos sind.
So sehen wir, heisst es da j|) der „Woche“,.unter anderem, dass
die Tuberkulose des Menschen weder entstehen k&nn^duroh Qm-
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UMIVERSITY OF IOWA
430
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
atmen säurefester Stäbchen mit dem Staube, noch durch Genuss
von Milch tuberkulöser Rinder, sondern allein durch Berührung
mit tuberkulosekranken Menschen. Der kranke Mensch sei für
uns die einzige Quelle der Tuberkulose und daher können nur
solche Maassregeln die Ausbreitung der Tuberkulose verhüten,
die sich gegen den kranken Menschen richten.
M. H.! Die Bekämpfung der Tuberkulose ist eine der grössten
sozialen Aufgaben, an deren Lösung nicht nur die Aerzte, sondern
das gesamte Volk sich beteiligen muss; wie bei jeder Kampfauf¬
gabe, so muss aber auch bei dieser genau das Kampfobjekt fest¬
gestellt werden, und es darf der Kampf nicht einseitig, sondern
er muss gleichmässig und nach allen Seiten geführt werden; der
Kampf gegen die Tuberkulose muss gegen jede Quelle für tuber¬
kulöse Infektion sich richten. Ob die Rinderbacillen so harmlos
sind, wie eben angegeben, ob der kranke Mensch für uns die
einzige Quelle der Tuberkulose ist, das mögen Sie selbst aus den
Tatsachen erschliessen, die ich Ihnen jetzt vorführen will.
Wenn wir feststellen wollen, wie gross die Bedeutung der
Rindertuberkulose für den Menschen ist, so müssen wir uns zu¬
nächst darüber verständigen, wie man erkennen kann und soll,
dass bei einer tuberkulösen Erkrankung eines Menschen Rinder¬
bacillen eine Rolle spielen oder gespielt haben.
Die pathologische Anatomie kann uns keinen Aufschluss
f eben, sondern nur die bakteriologische und experimentelle
orschung. Es gibt anatomisch perlsuchtähnliche tuberkulöse
Erkrankungen beim Menschen, aber die äussere Form beweist
gar nichts dafür, dass ein causaler Zusammenhang besteht, und
die fehlende Aehnlichkeit in der äusseren Form gibt keinerlei
Gewähr dafür, dass nicht doch Perlsuchtbacillen die Erreger der
tuberkulösen Erkrankung sein könnten. Diese Frage kann nur
durch das sorgfältige Studium des Erregers jeder einzelnen Er¬
krankung und seiner pathogenen Kräfte festgestellt werden.
Es bedarf heute keines Nachweises mehr, dass man beim
tuberkulösen Rindvieh Bacillen findet, welche weniger in der
Form als in der Art ihres Wachstums, in ihrem Verhalten zu
gewissen Nährböden, in ihren chemischen Eigenschaften und vor
allem in ihrem Verhalten zu verschiedenen Tieren sich mit grosser
Regelmässigkeit anders verhalten als diejenigen Bacillenstämme,
welche man aus vielen tuberkulösen Menschen gezüchtet hat;
beide Lebewesen sind Tuberkelbacillen, aber die Berechtigung,
diese ausgeprägten Formen als Typus bovinus und Typus
humanus auseinanderzuhalten, kann wohl nicht mehr bestritten
werden.
Man wird also die Bedeutung der Perlsucht für den Menschen
zunächst und am einfachsten danach abschätzen können, wie
häufig man Bacillen vom Typus bovinus beim tuberkulösen
Menschen nachzuweisen vermag.
Der Nachweis eines Typus bovinus kann nicht allein aus
der Wuchsform oder aus den chemischen Eigenschaften eines
herausgezüchteteu Bacillenstammes mit wünschenswerter Sicher¬
heit geliefert werden, sondern es muss notwendig auch das Tier¬
experiment mit herangezogen werden. Das wünschenswerteste
wäre selbstverständlich, wenn man jeden Stamm auf seine Wirk¬
samkeit für Rinder prüfen könnte, aber das ist unmöglich wegen
der hohen Kosten, die nur für wenige hoch dotierte Anstalten
oder Kommissionen erschwinglich sind. Es genügt aber auch nach
allgemeiner Ueberzeugung zur Feststellung der Typen die Prüfung
der Wuchsform, der chemischen Eigenschaften und das Verhalten
zum Kaninchenkörper, der, für Rinderbacillen empfänglich, eine
starke Immunität gegenüber Menschenbacillen besitzt, so dass eine
subcutane Infektion mit 0,01 g Bacillen nur ein$ örtliche, keine
allgemeine Erkrankung erzeugt.
In dieser Weise geprüft hat sich nun herausgestellt, dass ■—
die Lupuserkrankung der Haut ausgenommen, bei der etwa zur
Hälfte bovine Bacillen gefunden wurden — bei erwachsenen
Menschen nur ausnahmsweise Rinderbacillen nachweisbar sind.
Das gilt vor allem für die schwindsüchtigen Lungen und ihre
Sputa, wenngleich auch hier einzelne positive Befunde festgestellt
worden sind, sei es, dass gleichzeitig beide Typen, sei es, dass
nqr der Riudertypus gefunden wurde. Da nun auch bei nicht
lungenschwindsüchtigen tuberkulösen Erwachsenen vereinzelt
boviner Typus gefunden wurde, so kann man jedenfalls das eine
schon erklären, dass auch schon auf Grund der ausgeprägten Typen¬
befunde nicht gesagt werden darf, der Rinderbacillus sei für den
erwachsenen Menschen harmlos und unschädlich. n
Ganz anders aber nimmt sich das Bild aus, wenn wir das
kindliche Alter.ßis zu 15 oder lß Jahren in Betracht ziehen.
Ich brauche hier, vor einer Versammlung von Aerzten, nicht
darauf hinzuweisen, dass die chronische Lungentuberkulose, die
Phthi8is pulmonum, beim Erwachsenen die Hauptrolle unter den
tuberkulösen Erkrankungen spielt, während im Kindesalter die
nicht phthisischen tuberkulösen Erkrankungen überwiegen, es dürfte
aber immerhin auch für Sie von Interesse sein, die beiden
graphischen Darstellungen zu vergleichen, welche Sheridan
Delöpine - Manchester für England und Wales und für das Jahr¬
zehnt 1891 bis 1900 gegeben hat 1 ). In Kurve 1 sind die Todes¬
fälle von Lungenschwindsucht, berechnet auf je eine Million
Lebender, schwarz wiedergegeben, die übrigen Tuberkulosen nur
durch schwarze Umrahmung, und bei Kurve 2 ist es umgekehrt,
es springen hier mehr die Nichtphthisisfälle in die Augen. Man
erkennt leicht, wie sehr im Kindesalter überhaupt, ganz besonders
aber im ersten Jahrfünft die Lungenschwindsucht ganz zurück-
Kurve l.
Mortalität an Tuberkulose in England und Wales 1891—1900,
auf je 1 Million Lebender berechnet nach Delepine.
Schwarz = Phthisis pulmonum.
Kurve 2.
Mortalität an Tuberkulose in England und Wales 1891—1900,
auf je 1 Million Lebender berechnet nach Delepine.
Schwarz = nicht phthisische Tuberkulose.
1) Transact. of the fourth annual Conference of nat. as$oc. for the
prevention of consumption &o., 1912. ^ \
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UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
43r
tritt gegenüber den anderen tuberkulösen Erkrankongen, die zum
Tode geführt haben. Ich bitte diesen Umstand, dass es sich hier
om Mortalitätszahlen handelt, wohl zu beachten, denn wir wissen
ja aus den pathologisch-anatomischen Untersuchungen schon lange,
dass viele Menschen die Spuren einer überstandenen oder doch
lokalisierten und latenten Tuberkulose aus der Kindheit mit in
das spätere Leben hinübernehmen, dass also viel mehr Kinder,
tuberkulös sind, als aus der kindlichen Tuberkulosemortalität
erschlossen worden kann. Man muss sich freilich hierbei stets
bewusst bleiben, dass die Zahl aller tuberkulösen Erkrankungen,
sowohl derjenigen der Erwachsenen als auch derjenigen der Kinder
den grössten zeitlichen, besonders aber auch regionären und ört¬
lichen Schwankungen unterliegt, und dass auch bestimmte Formen
der Erkrankungen, wie es besonders die Forschungen über die
Häufigkeit der primären Intestinaltuberkulose nicht nur an ver¬
schiedenen Orten, sondern auch in verschiedenen Krankenhäusern
derselben Grossstadt gezeigt haben, sehr verschieden häufig ge¬
funden werden können, ohne dass man diese Verschiedenheit auf
das verschiedene Geschick oder die verschiedene Sorgfalt der
Untersucher zu beziehen das Recht hätte.
Nun kommt ja aber pathologisch-anatomisch nur die ge¬
ringste Zahl der Kinder zur Untersuchung, über die absolute
Häufigkeit tuberkulöser Erkrankungen überhaupt kann also die
Leichenuntersuchung nur ein unvollständiges Bild geben, man hat
deshalb neuerdings die Erfahrungen herangezogen, welche man
mit den Tuberkulinreaktionen, insbesondere der Pirquet'schen er¬
zielt hat. Diese aber besagen bekanntlich, dass gegen Ende der
Kindheit die Piozentzahl der positiven Reaktionen mancherorts
bis nahe an 100 heranreicht. Dürfte man in dem positiven Aus¬
fall der Reaktion den Beweis erblicken, dass das betreffende In¬
dividuum eine wenn auch noch so leichte tuberkulöse Er¬
krankung durcbgemacht habe, so würde man zu dem Schlüsse
kommen müssen, dass, bei den Kulturvölker^ wenigstens, kaum
ein Kind einer tuberkulösen Infektion und Erkrankung entgeht.
Freilich steht der sichere Nachweis, dass positive Pirquet-
Reaktion nur bei tuberkulöser Erkrankung auftritt, noch aus,
aber unter Berücksichtigung der sicheren anatomischen Erfahrung
darf man doch wohl so viel sagen, dass die Tuberkulose in ihren
verschiedenen Graden bei den Kindern ungeheuer verbreitet ist.
Wie steht es nun mit den Erfahrungen über das Vorkommen
bestimmter Bacillentypen bei Kindern? Auch hier stimmen die
Resultate, die von verschiedenen Untersuchern und an ver¬
schiedenen Oertlichkeiten gewonnen wurden, nicht überein, aber
als mittlere Zahl für die bei Kinderleicben gefundenen bovinen
Fälle kann man 10 pCt. annehmen, wie ich im vorigen Jahre
in einem in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Vor¬
trage (Ueber Rinder- und Menscbentuberkulose, eine bistorisch¬
kritische Betrachtung) dargetan habe 1 ). Neuerdings sind auch
Park und Krumwiede 2 ) zu dem Resultat gekommen, dass in
etwas weniger als 10 pCt. der tödlichen Kindertuberkulosen eine
bovine Infektion die Todesursache ist. Ebenso hat Neufeld im
Kaiserlichen Gesundheitsamt unter 40 Fällen von Säuglings¬
tuberkulose viermal (= 10 pCt.) reinen Typus bovinus und noch
einmal Typus bovinus und humanus gemeinsam vorgefunden. Mir
scheint, das allein genügt schon, um jedem, der objektiv
urteilen kann, klarzumachen, dass die Rinderbacillen für den
Menschen durchaus nicht gleichgültige Krankheitserreger sind,
auf die man keine Rücksicht zu nehmen brauche. Einige Zahlen
mögen die Bedeutung der bovinen Infektion für Kinder noch
weiter beleuchten und besonders zeigen, wie ungeheuer gross
der bovine Anteil bei gewissen Formen kindlicher Tuberkulose
werden kann.
Ich zitiere zunächst einen Autor, dem gewiss niemand eine
Vorliebe für die Rinderbacillen nacbsagen kann, dessen Angaben
deshalb wohl von keiner Seite als zu günstig für diese Bacillen
lautend erklärt werden können. Kossel gibt in dem Handbuch
von Kölle und Wassermann in bezug auf die Befunde bei
Kindern (bis 16 Jahren) an, was ich in Tabelle 1 zusammen-
£estellt habe: da sehen Sie &f..B. bei Meningitistuberkulose
t£0,7 pCt. . bovine Infektionen, bei generalisierter Tuberkulose
23,8 pCtf, bei Tuberkulose der Halsdrüsen 40 pCt. und bei Tuber¬
kulose der Abdominalorgane gar nicht weniger als 49 pCt. Und
so was soll nicht der Rede wert sein? Bei 384 tuberkulösen
Kindern 103 Rindertuberkulosen, d. h. von 100 tuberkulösen
Kindern waren 27 mit Rindertuberkulose behaftet!
1 ) Sitzungsbericht d. Kon gl. Preuss. Akad. d. Wisseasch., 1912,
S. 155. Kommissionsverlag^XL Reimer. 1 1 p?
2) The journ. of med. researoh., Bd. 27; September 1912. "
Tabelle 1.
Typus bovinus bei Kindertuberkulose nach Kossel.
Zahl
der Kinder
Typus bovinus
pCt.
Tuberkulose der Knochen und Gelenke .
69
4,3
Meningitis tuberculosa.
28
10,7
Generalisierte Tuberkulose.
134
23.8
Tuberkulose der Halsdrüsen.
106
40,0
Tuberkulose der Abdominalorgane . . .
47
49,0
Kossel verzeichnet bei Tuberkulose der Knochen und Ge¬
lenke nur 4,3 pCt. Rinderbacillenfälle, dass aber auch bei diesen
Erkrankungen mancherorts die Rinderbacillen noch eine ganz
andere Rolle spielen können, dafür hat kürzlich Fraser aus dem
Laboratorium des Könglichen College of Physicians in Edinburg
den Beweis geliefert. Tabelle 2 gibt eine Uebersicht über seine
Befunde nach den einzelnen Lebensjahren geordnet. Man sieht,
wie die fünf ersten Lebensjahre die Hauptmenge der Fälle ge¬
liefert haben, wje aber auch in ihnen die bovine Tuberkulose
um ein mehrfaches die humane übertrifft. Das erste Lebensjahr
steht gegenüber dem zweiten bis vierten noch weit zurück, wies
aber nur bovine Fälle auf.
Tabelle 2.
Knochen- und Gelenktuberkulose bei Kindern nach Fraser.
Alter
in Jahren
Zahl der
Fälle
Typus
bovinus
Typus
humanus
Beide Typen
bis 1
4
4
1—2
12
9
1
2
2-3
15
11
3
1
3—4
10
6
4
—
4-5
6
3
3
—
5-6
3
—
3
—
6—7
5
3
2
—
7-8
6
4
2
—
8-9
1
—
1
—
9-10
1
—
1
—
10—11
3
1
2
—
11—12
1
1
—
—
Total . . .
67
42
. 22
3
Erste 5 Jahre
47
32
12
3
Da diese Befunde immerhin auffällig sind, so will ich nicht
unterlassen zu bemerken, dass Fraser zwar nicht die einzelnen
Versnchsprotokolle ausführlich mitgeteilt, aber seine sämtlichen
Fälle mit Angabe der Resultate der verschiedenen für die
Differenzialdiagnose der Typen angewandten Untersuchungs-
methoden (Kultur auf verschiedenen Nährböden, Kaninchenversucb)
angegeben hat, so dass jeder sich selbst ein Urteil über die
Richtigkeit seiner Schlussdiagnosen bilden kann.
Derselbe Untersucher hat noch eine Zusammenstellung seiner
Fälle geliefert nach dem Gesichtspunkte, ob in der Familie des
Kindes Tuberkulose auch sonst noch vorkam oder nicht. Dabei
hat sich die sehr interessante Tatsache, welche Sie aus Tabelle 8
feststellen können, ergeben, dass bei den 21 Kindern aus tuber¬
kulöser Familie der Typus humanus weit überwog. Wir lernen
aus dieser Zusammenstellung für Fraser's Fälle zweierlei: 1. dass
bei familiärer Infektion der Kinder die Uebertragung von Mensch
zu Mensch offenbar den hauptsächlichen Infektionsmodus darstellt,
während die in nicht tuberkulösen Familien auftretenden Kinder¬
tuberkulosen vorzugsweise auf eine zum Rinde führende In¬
fektionsquelle hinweisen; 2. dass die Familieninfektion bei diesem
Untersuchungsmaterial keineswegs eine ro ausschlaggebende Rolle
gespielt hat, wie sonst vielfach angenommen wird. In einem
vor kurzem in der Akademie der Wissenschaften über tuberkulöse
Reinfektion gehaltenen Vortrage 1 ) habe ich bereits meine Ansicht
dabin geäussert, dass man auf die Familien- und Wohndngsinfektibn
in neuerer Zeit etwas zu einseitig Wert gelegt hätte. Ich habe
dabei auf die Forschungen Hillenberg's hingewiesen, welcher
in ländlichen Ortschaften, in denen seit mindestens einem Jahr¬
zehnt ein Tuberkulosetodesfall sicher nicht vorgekommen war,
bei der Untersuchung der Schulkinder nach Pirquet 25pCt.
_59 t \ b. ■*? mit
~ Sitzungsbericht'd. Königin Preyss.Akadjd.^issenscb.,^1913^ S. 6l.
Kommissionsverlag G. Reimdr.
1 *
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UNIVERSUM OF IOWA
432
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
positive Resultate erhielt, d. h. nach der herrschenden Auffassung
ein Viertel aller Kinder tuberkulös infiziert fand, obgleich doch
von einer Familien- oder Wobnungsinfektion hier nicht die Rede
sein kann. Sicherlich wird man auch hier ein gut Teil der In¬
fektionen auf gelegentlich in die Ortschaft gelangte menschliche
Bacillenstreuer zurückführen dürfen, auch mögen blosse Bacillen¬
träger wie für andere Infektionskrankheiten auch für die Tuber¬
kulose in Rechnung gestellt werden können, aber nach allem,
was wir von dem Vorkommen der Rinderbacillen bei Kindern
wissen und was die Fraser’sche Tabelle so augenfällig lehrt, muss
auch ein nicht geringer Teil von tuberkulösen Rindern herrühren,
zu denen es ja gerade auf dem Lande genug Beziehungen gibt.
Tabelle 8.
Bedeutung der Familientuberkulose für den Typenbefund nach Fraser.
Io der Familie
Typus
humanus
Typus bovinus
Tuberkulose.
Keine Tuberkulose.
15 = 71 pCt.
9 = 17 *
6 = 29 pCt.
43 = 83 ^
Fragen wir uns aber, welchen Weg vom Rinde zum Menschen
die Rinderbacillen wohl zurücklegen werden, so ist kaum ein
anderer in Betracht kommender vorhanden als der durch die
Milch. Nun hat man sich viele Mühe gegeben, Beweise dafür
zu erbringen, dass durch den Genuss der Milch perlsücbtiger
Kühe eine tuberkulöse Erkrankung entstanden sei, aber mit ge¬
ringem Erfolg, wie das auch nicht anders zu erwarten war, denn
wer will am lebenden Menschen mit Sicherheit entscheiden, ob
eine Mesenterialdrüsentuberkulose vorhanden ist oder ob es sich
um eine bovine oder um eine humane Tuberkulose handelt? Wie
der Ausspruch Robert Koch’s: „es ist deshalb sehr die Frage,
ob jemals ein Fall von menschlicher Tuberkulose einwurfsfrei
auf den Genuss von Fleisch oder Milch von tuberkulösen Tieren
zurückgeführt wird u , auch heute noch Gültigkeit hat, so gilt
auch der umgekehrte Satz, dass es unmöglich ist, zweifelfrei fest¬
zustellen, dass lebende Menschen, welche bovine Bacillen ent¬
haltende Milch getrunken haben, nicht au Rindertnberkulose er¬
krankt sind. Bevor nicht alle in Betracht kommenden Menschen
auf dem Sektionstisch genau untersucht worden sind, hat nie¬
mand ein Recht zu sagen, diese Menschen hätten ungestraft diese
Milch getrunken. Die Angabe Neufeld’s, unter den 131 im
Reichsgesundheitsamt untersuchten Kindern, welche Milch von
eutertuberkulösen Kühen getrunken hatten, sei in keinem Falle
eine Infektion durch Perlsuchtbacillen festgestellt worden, beweist
deshalb um so weniger, als zugestandenermassen bei 11 Kindern,
das sind 8,4 pCt., Krankheitserscheinungen gefunden wurden, die
möglicherweise durch Perlsuchtbacillen bedingt sein könnten.
Ehe man ein negatives Resultat verkündet, sollte man doch erst
abwarten, was aus diesen 11 Kindern wird.
Man kann auch nicht einwenden, dass 8,4 pCt. zu wenig
wäre, denn die Zeiten sind doch längst vorüber, wo man glauben
machen wollte, es brauchten nur die pathogenen Mikroorganismen
in den menschlichen oder tierischen Körper zu kommen, um die
entsprechende Krankheit hervorzurufen. Die Bacillenträger haben
uns das Gegenteil bewiesen, kein Verständiger kann heute mehr
bezweifeln, dass allgemeine und örtliche Dispositionen eine maass¬
gebende Rolle mitspielen. Die Tuberkulose macht keine Aus¬
nahme. Erzeugt denn jeder humane Bacillus, der mit der Luft
oder der Nahrung aufgenommen wird, eine Tuberkulose? Machen
die zahllosen Bacillen, welche ein mit cavernöser Lungenschwind¬
sucht behafteter Mensch verschluckt, notwendig eine Darratuber-
kulose, oder machen die aus jedem tuberkulösen Herde ins Blut
gelangenden Tuberkelbacillen alle auch neue metastatische Herde?
Man braucht diese und ähnliche Fragen nur aufzuwerfeo, um sie
sofort kräftig zu verneinen. Weil Pettenkofer, obwohl er
Choleravibrionen verschluckt hat, nicht an Cholera erkrankt ist,
darum kann man doch die Choleravibrionen nicht zu für den
Menschen gleichgültigen Parasiten stempeln, und weil F. Klem-
perer sich, anscheinend ohne Schaden zu nehmen, Rinderbacillen
eingespritzt hat, darum kann man diese Bacillen doch noch lange
nicht als harmlose Wesen erklären, nicht einmal für den Er¬
wachsenen, geschweige denn für Kinder. Es liegen doch non
einmal die Beweise dafür vor, dass eine nicht geringe Zahl von
Kindern an einer bovinen Tuberkulose leidet, und so müssen
also diese Kinder vom Rindvieh aus infiziert'sein, und da liegt
für uns keine f andere brauchbare Ebklärnngsmöglichkeit vof als
Infektion durch die Milch, * 7
Direkt lässt sich diese Erklärung, wie gesagt, kaum be¬
weisen, aber sie kann doch durch mancherlei Tatsachen indirekt
gestützt werden. Dahin gehört die schon vorher erwähnte Tat¬
sache, dass die meisten bovinen Fälle in den ersten fünf Lebens¬
jahren, in denen der Milchgenuss besonders gross zu sein pflegt,
beobachtet wurden, dahin gehört die von Fraser für sein Material
festgestellte Tatsache, dass bei den mit der Brust ernährten
Kindern nur 27 pCt., von den mit Kuhmilch grossgezogenen aber
über 85 pCt. an boviner Tuberkulose litten, wie ans der Tabelle 4
zu ersehen ist.
Tabelle 4.
Einfluss der Ernährung auf den Bacillentypus nach Fraser.
Ernährung
Zahl der
Kinder
Typus
humanus
Typus
bovinus
Beide Typen
Kuhmilch
Brust
41
26
3
19
35 |
7
3
Total
67
22
42
i
3
Ganz entsprechende Beobachtungen sind auch an einem ganz
anderen Orte, nämlich in New York, gemacht worden. Die
Tabelle 6 lässt die auffallende Verschiedenheit der Bacillentypen¬
befunde erkennen, je nachdem die Kinder in gewöhnlicher Weise
oder ausschliesslich durch Kuhmilch in der Säuglingzeit ernährt
worden sind. In dem Findelbaus, in welchem nur Kuhmilch zur
Verwendung gelangt, waren nicht weniger als 55,5 pCt. aller an
Tuberkulose verstorbener Kinder mit Rinderbacillen infiziert,
während in einem anderen Krankenhaus, dessen Insassen nicht
so einseitig ernährt worden sind, nicht einmal 7 pCt. bovine
Fälle festgestellt wurden.
Tabelle 5.
Der Einfluss der Ernährung auf den Bacillentypus bei kleinen Kindern
in New York. Nach Park und Krumwiede.
Bacillen¬
typus
Babies’ Hospital
Fouudlings* Hospital
Kinder unter 5 Jahren
Kinder unter 6 Jabren
Mit üblicher Ernährung
Nur Kuhmilchernährung
humanus
59
4
bovinus
4 !
5
Selbst wenn man die Meinung Delöpine’s, dass die Ver¬
minderung der Kindertuberkulose in Manchester mit der besseren
Milchkontrolle Zusammenhänge, nicht teilen will, weil auch noch
andere hygienische Verbesserungen mitwirken könnten, so bleibt
im höchsten Grade beachtenswert ein Fall, wie er von Mousarrat
auf dem Hygienekongress in Brüssel 1903 mitgeteilt worden ist,
bei dem in einem beschränkten Bezirk nach dem zeitweiligen
Bezug von Milch aus mit Tuberkulose verseuchten Kuhställen die
Zahl der an Abdominaltuberkulose gestorbenen Kindern von 9
auf 38 stieg, um nach Beseitigung der verdächtigen Milch wieder
zu fallen.
Dies alles weist doch so deutlich auf die Milch als In¬
fektionsmittel, als Träger der bovinen Bacillen hin, dass ich mich
zu dem Ausspruche für berechtigt halte, dass wir so lange mit
grösster Wahrscheinlichkeit die Milch als den Uebertrager der
Perlsuchlbacillen anseben dürfen, bis uns nicht ein anderer In¬
fektionsweg nachgewiesen wird. Mag aber ein solcher auch noch
aufgefunden werden, an der Tatsache wird dadurch nichts ge¬
ändert, dass schon durch den Nachweis typischer boviner Bacillen
festgestellt ist, dass die Rinderbacillen dem Menschen gefährlich
sind, und dass insbesondere in der Jugend eine nicht geringe
Anzahl von Kindern nicht nur an Rindertuberkulose leidet, sondern
auch daran stirbt. Unmöglich kann man also die Rinderbacillen
als für den Menschen fast völlig harmlos erklären.
Dass ich mit dieser Anschauung nicht allein stehe, dafür
will ich nur einige Belege bringen. Schon im Jahre 1905 hat
der Reichsgesundheitsrat festgestellt, dass nicht nur örtlich be¬
schränkte, sondern auch Fälle, bei welchen die Erkrankung von
der Eintrittspforte aus auf entferntere Körperteile übergegriffen
und den Tod der betreffenden Person erzeugt hatte, durch Rinder¬
bacillen erzeugt worden seien. Das British Department Committee
on Tuberkulosis fasste vor wenigen Monaten seine Ansicht in den
Satz zusammen, es sei jetzt allgemein anerkannt, dass beide, der
menschliche und der Rindertypus des Tuberkelbacillus, fähig
seien, die Krankheit (d. k Tuberkulose) in-menschlichen Wesen
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10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
433
za erzengen. Auf dem internationalen Tuberkulosekongress in
Rom im Frühjahr 1912 wurde die Resolution gefasst: die An¬
steckung des Menschen durch den Bacillus bovinus sei zwar
weniger häufig, trotzdem seien sämtliche prophylaktischen Maass¬
nahmen gegen die Infektion mit diesen aufrecht zu erhalten.
Endlich kann ich — zu meiner Freude muss ich sagen — darauf
hinweisen, dass auch ein Vertreter des Reichsgesundheitsamtes,
dessen Mitglieder im allgemeinen auf der Gegenseite standen,
Weber, neuerdings diesen Standpunkt anerkannt hat 1 ). Er stellt
zwar fest, dass für die Gesamtgefabr, die der Menschheit durch
Tuberkulose droht, sicherlich im Vergleich zu den humanen die
bovinen Bacillen eine untergeordnete Rolle spielen, gibt aber
doch zu, das9 die Zahl der bekannten bovinen Tuberkulosefälle,
wenn man die Einzelindividuen ins Auge fasst, eine nicht zu
unterschätzende Gefahr für die menschliche Gesundheit bedeutet,
die jedenfalls die erforderlichen Vorsichts- und Vorbeugungs-
aaassregeln erforderten. Von diesem Standpunkte aus, so schreibt
Weber, muss man denjenigen, welche in der Rindertuberkulose
eine ernste Gefahr für die menschliche Gesundheit erblicken,
recht geben.
M. H.! Aus Einzelindividuen setzt sich ein Volk, setzt sich
die Menschheit zusammen, was eine ernste Gefahr für die Gesund¬
heit der Einzelindividuen bedeutet, das muss auch eine Gefahr
für unser Volk, für die ganze Menschheit bedeuten.
Dies alles gilt, wenn wir auch nur diejenigen menschlichen
Tuberkulosen berücksichtigen, bei denen typische bovine Bacillen
gefunden wurden. Ist aber damit die Bedeutung der Rinder¬
bacillen für den Menschen erschöpft? Ich meine nicht, denn es
bleibt zunächst noch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die
beiden Typen der Tuberkelbacillen nicht scharf voneinander zu
trennen sind, dass Uebergänge zwischen beiden, dass insbesondere
eine Umwandlung von Rinderbacillen, die man doch wohl als die
Stammform ansehen müsste, in menschliche Bacillen vorkommt.
Liesse sich das nachweisen, so hätte mit einem Schlage die
pathogene Bedeutung der Rinderbacillen eine schier unübersehbare
Erweiterung erfahren. Die Frage ist noch keineswegs spruchreif,
aber selbst die Hauptverteidiger der scharfen Trennung der
Bacillentypen müssen doch die Berechtigung der Frage zu¬
gestehen, besonders seitdem für die Variabilität und Mutations¬
fähigkeit der verschiedensten Bakterien immer zahlreichere und
sicherere Tatsachen beigebracht werden konnten. Man kann
sicher der erst jüngst von Weber 2 ) in der Berliner mikro¬
biologischen Gesellschaft gegebenen Anregung, die Untersuchungen
über Mutation auch auszudehnen auf die Gruppe der säurefesten
Bacillen, nur zustimmen, da seine Meinung, dass sich vielleicht
dadurch neue Gesichtspunkte zur Beantwortung der Frage nach
den Beziehungen zwischen humanen und bovinen Tuberkelbacillen
ergeben würden, eine durch die jetzt schon bekannten Tatsachen
wohlbegründete erscheint. Es bestehen zwar zweifellos Tatsachen,
welche gegen eine Umwandlung des einen in den anderen Typ
zu sprechen scheinen, so vor allem die Tatsache, dass man jahre¬
lang bei demselben Menschen immer wieder denselben typischen
Bacillenstamm züchten konnte (in einem Falle war es gerade ein
boviner), aber auch die andere Tatsache, dass man überhaupt in
der Mehrzahl der Fälle aus tuberkulösen Produkten des Menschen
reine Typen der einen oder der anderen Art züchten konnte,
endlich auch die Tatsache, dass in Fällen, wo beide Typen aus
demselben Menschen gezüchtet wurden, eben eine scharfe Trennung
der beiden Typen ohne Uebergangsformen möglich war.
Auf der anderen Seite sind aber von den verschiedensten
Untersuchern an den verschiedensten Orten uncharakteristische,
sogenannte atypische Bacillenstämme gezüchtet worden, welche
teils Eigenschaften des einen, teils solche des anderen Typus
darboten. Es kann sich dabei zum Teil um Mischinfektionen
handeln, aber man muss und darf daran denken, dass man es hier
mit Uebergangsformen zu tun hat, bei denen eben das Ende der
Entwicklung noch nicht erreicht ist. Es handelt sich hier nicht
am blosse Virulenzverschiedenheiten, wie solche auch bei den
reinen Typen Vorkommen, ohne dass diese darum aufhören, reine
Typen zu sein, aber sicherlich spielt eine Virulenzänderung auch
bei ihnen eine wesentliche Rolle.
Ich kann und will hier auf diese Frage, welche ebenfalls
noch ihrer endgültigen Entscheidung harrt, nicht näher eingehen,
darf es aber doch nicht unterlassen, der Untersuchungen Eber’s
za gedenken, welche besonders deshalb so wichtig sind, weil bei
1) Centralbl. f. Bakteriol., Orig., 1912, Bd. 64, S. 243.
2) Diese Wochensehr., 1913, Nr. 2, S. 88.
ihnen die Kontrolle am Rinde vorgenommen worden ist. Die
Eber’schen Resultate werden weiter nacbgeprüft werden müssen,
aber sie sind doch so interessant und wichtig, dass ich sie hier
kurz erwähnen will, so wie sie der Autor jüngst selbst gegeben
hat 1 ). Tabelle 6 zeigt, dass Eber in 17 Kinderfällen 6mal
Tabelle 6.
Eber’s Resultate bei Rinderinfektion.
Alter
Zahl
Typus bovinus
Typus
der Fälle
sofort
1 nach Passage
humanus
Kinder -
17
6
! 3
8
Erwachsene
14
1
| 4
9
(= 35,3 pCt.), in 14 Fällen Erwachsener lmal (== 7,1 pCt.) sofort
eine schwere Infektion bei Kälbern erzeugen konnte, dass 8 Kinder¬
fälle, 9 Erwachsenenfälle für Rinder avirulente Bacillen ergaben,
dass aber ausserdem bei 3 Kindern und 4 Erwachsenen, darunter
3 Lungenschwindsüchtigen, durch ein- oder mehrmalige Rinder¬
passage für Rinder vollvirulente und auch die Wuchsform der
Rinderbacillen zeigende Stämme zu erzielen waren. Eber hatte
also schliesslich aus den 17 Kindern 53 pCt., aus den 14 Er¬
wachsenen 35,7 pCt. rindervirulente Stämme gezüchtet. Wenn
Nacbuntersucher ein gleiches oder auch nur ähnliches Resultat
erzielen sollten, so wäre alles in Schatten gestellt, was wir bisher
von der Uebertragbarkeit menschlicher Tuberkulose auf Rindvieh
gewusst haben, und wir müssten dementsprechend auch umgekehrt
die Gefahr, die dem Menschen von den Rinderbacillen droht, um
ein Erhebliches höher einschätzen.
Aber auch damit sind noch nicht alle Möglichkeiten für die
Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen erschöpft, sondern
es bleibt noch die Frage zu erörtern übrig, ob nicht das Ueber-
stehen einer Perlsuchterkrankung in der Jugend einen Einfluss
hat auf tuberkulöse Erkrankungen im späteren Alter. Die graphische
Darstellung Delepine’s hat uns klar vor Augen geführt, was ja
freilich jeder Arzt weiss, wie sehr beim Erwachsenen die tuber¬
kulöse Lungenschwindsucht, die Phthisis pulmonum, das Feld be¬
herrscht. Wie entsteht die Lungenschwindsucht? Diese Frage
hängt eng zusammen mit der anderen Frage: Gibt es eine tuber¬
kulöse Reinfektion? Und diese wieder ist nicht zu trennen von
der dritten Frage: Gibt es eine durch Ueberstehen einer tuber¬
kulösen Erkrankung erworbene Immunität? Ich habe diese Fragen
vor kurzem in dem schon erwähnten Akademievortrag (Ueber
tuberkulöse Reinfektion und ihre Bedeutung für die Entstehung
der Lungenschwindsucht) erörteit, auf den ich hier verweise.
Nur die Resultate, zu denen ich gekommen bin, will ich kurz
darlegen.
Es gibt eine gewisse erworbene Immunität gegen Tuber¬
kulose, aber diese ist nicht imstande, eine spätere Reinfektion
unschädlich zu machen, vielmehr kann sowohl aus einem alten
tuberkulösen Herd eine Neuinfektion der Nachbarschaft wie ent¬
fernter Organe entstehen (endogene Reinfektion) als auch von
aussen her eine neue Infektion erfolgen (exogene Reinfektion).
Weder die endogene noch die exogene Reinfektion setzt eine
Massenverbreitung oder ein Masseneindringen von Bacillen voraus,
sondern es genügt dazu offenbar eine geringe Menge, Als Beweis
für eine exogene Reinfektion kann ich einen Fall anführen, bei
dem meine Mitarbeiterin, Frau Rabinowitscb, in einer ver¬
kalkten Lymphdrüse, also einem alten, in Abheilung begriffenen
tuberkulösen Herde, einen Typus bovinus, in frischen Lungen-
herden einen Typus humanus festgestellt hat.
Was nun die Lungenschwindsucht betrifft, so ist sie das
Resultat immer neuer Örtlicher Reinfektionen, welche wohl der
Hauptsache nach, bei der atypischen (in unteren Lungenabschnitten
sitzenden) Kinderphthise wohl immer, endogener Natur sind, bei
denen aber niemand sicher sagen kann, ob nicht auch ein- oder
-mehrmalige exogene Reinfektionen eine Rolle spielen. Das zeigt
schon, dass in der Lunge keine Immunität gegen Tuberkulose
durch die Erkrankung selbst erworben wird, dass aber auch von
Anfang an keine nennenswerte Immunität vorhanden gewesen sein
kann, denn sonst hätte überhaupt keine Tuberkulose entstehen
können. Dass aber auch der übrige Körper trotz der chronischen
tuberkulösen Lungenerkrankung eine Immunität nicht gewinnt,
das beweisen die keineswegs ganz seltenen Fälle von tödlicher
1) Congr. d. Royal Institute of public health, Berlin 1912, S. 712;
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
aknter Miliartuberkulose (besonders Meningitis tuberculosa) im
Verlauf einer chronischen Lungenschwindsucht.
Das Problem der Phthisiogenese ist das Problem der Ent¬
stehung des oder der ersten tuberkulösen Herde in der Lunge.
Der anatomische Befund ergibt in einer grossen Anzahl von
Phthisisfällen keinen Anhalt dafür, dass die Lungenschwindsucht
an einen älteren, etwa aus der Jugend stammenden Herd als neue
Erkrankung sich angeschlossen habe; ich muss deshalb bis auf
weiteres annehmen, dass ein Teil der Schwindsuchtsfälle auf einer
im späteren Leben eingetretenen erstmaligen exogenen Infektion
beruht. Es muss freilich die Möglichkeit zugelassen werden, dass
in solchen Fällen ein kleiner alter Herd übersehen worden ist,
oder dass die erste Erkrankung so abgeheilt war, dass ihre
Spuren nicht mehr zu erkennen waren; es muss aber auch dann
die Schwindsucht auf eine exogene Infektion znrückgeführt
werden.
Bei einem anderen Teil von Schwindsüchtigen findet man
aber deutliche alte Herde, welche zeigen, dass die Schwindsucht
in einem schon tuberkulös infiziert gewesenen Körper entstanden
ist, doch braucht auch in solchen Fällen die Lungeninfektion
nicht auf einer endogenen Reinfektion zu beruhen, wie der vorher
erwähnte Fall beweist, bei dem, ohne dass man Uebergangs-
formen bemerkt hätte, in der schwindsüchtigen Lunge ein anderer
Bacillentypus festgestellt wurde als in der verkalkten Lymph-
drüse.
Es bleibt die Frage, ob durch das Ueberstehen einer gering¬
fügigen, in oder ausserhalb der Lunge Veränderungen setzenden
Infektion das Haften einer neuen, sei es endogenen, sei es
exogenen Infektion begünstigt wird.
An dieser Stelle, in der Sitzung am 2. Mai 1906, habe ich
als erster darauf hingewiesen und die Beweise dafür erbracht,
dass durch eine Vorbehandlung mit wenig virulenten Tuberkel¬
bacillen, die nur örtliche tuberkulöse Veränderungen erzeugten,
Meerschweinchen so beeinflusst werden können, dass eine zweite
Infektion, die mit virulenten menschlichen Tuberkelbacillen er¬
folgte, nicht wie gewöhnlich eine Miliartuberkulose in den Lungen,
sondern eine echte Phtbisis pulmonum gemacht hat. Gleiche
Erfolge wurden auch von vielen anderen Untersuchern erzielt,
so dass man mit der Tatsache rechnen muss, dass durch Ueber¬
stehen einer leichteren tuberkulösen Erkrankung Verhältnisse er¬
zeugt werden, welche der Entwicklung einer Lungentuberkulose
nicht nur, sondern einer Lungenschwindsucht günstig sind. Dies
gilt nicht nur für Meerschweinchen, sondern auch für andere
Tiere, unter anderen auch für Kaninchen, die insofern dem
Menschen in ihrem Verhalten gegenüber einer tuberkulösen In¬
fektion näher stehen, als bei ihnen auch durch einmalige Infektion
phthisische Lnngenveränderungen erzeugt werden können. Es ist
mir aber gelungen, nach Vorinfektion mit menschlichen Bacillen
durch eine Reinfektion mit Rinderbacillen so häufig schwerste
Lungenerkrankungen zu erzeugen, dass ich auch für das Kanin¬
chen die Gültigkeit der Regel als festgestellt betrachten darf.
Ich habe einige der phtbisischen Lungen mitgebracht, an denen
Sie die Schwere der erzeugten Krankheit sofort erkennen werden.
Fragen wir nach der Art der durch die erste Infektion er¬
zeugten Veränderung, so kann ich unmöglich annehmen, dass eine
erworbene Immunität da9 Maassgebende sein sollte, denn ich
kann mir durch eine solche, die doch nur eine allgemeine, nicht
eine bloss die Lungen betreffende sein kann, durchaus nicht er¬
klären, warum gerade in der Lunge die Erreger der Reinfektion
sich ansiedeln, und ich kann mir weiter nicht erklären, warum
nur in den Lungen der Prozess immer weiter um sich greift und
zur Schwindsucht führt. Meines Erachtens können hierfür nicht
allgemeine, sondern nur örtliche Bedingungen maassgebend sein.
In den Lungen muss infolge der ersten Erkrankung eine Ver¬
änderung vor sich geben, die wir zwar in ihrem inneren Wesen
nicht kennen, deren Wirkung wir aber bei einer Reinfektion deut¬
lich vor Augen sehen. Wenn ich dafür den Ausdruck Disposition,
örtliche Disposition gebrauche, so ist damit ja über die Art der
Veränderung, die wir, ich wiederhole es, nicht kennen, gar nichts
gesagt, aber es ist doch das Wichtigste, der Erfolg der Ver¬
änderung, die Abschwächung der Widerstandskraft des Lungen¬
gewebes gegen die angreifenden Feinde, die virulenten Tuberkel¬
bacillen, zum Ausdruck gebracht und auf eine Tatsache hin¬
gewiesen, welche bei der menschlichen Tuberkulose überhaupt
eine grosse Rolle spielt: die örtliche Disposition beherrscht die
Lokalisation der tuberkulösen Veränderungen überhaupt und die¬
jenige in den Lungen ganz im besonderen. Diese erworbene ört¬
liche Disposition macht sich aber nicht nur geltend bei dem
Initialaffekt, sondern auch bei dem Fortschreiten des Prozesses
auf immer neue Lungenabschnitte, denn gerade dabei kann eine
erworbene Immunität, die doch mit der Dauer des Prozesses
immer stärker werden sollte, unmöglich das Maassgebende sein.
Was für so viele Tiere gilt, darf mit einem gewissen Rechte
auch auf den Menschen Anwendung finden, wir sind also be¬
rechtigt, damit zu rechnen, dass mit einer gewissen Wahrschein¬
lichkeit auch beim Menschen durch Ueberstehen einer tuber¬
kulösen Erkrankung in der Jugend eine Disposition für die Ent¬
wicklung einer Lungenschwindsucht bei einer späteren Reinfektion
erzeugt wird, dass sie es verschuldet, wenn aus der ersten Re¬
infektion in so zahlreichen Fällen durch immer neue örtliche Re¬
infektionen eine chronisch fortschreitende Tuberkulose, eine
Lungenschwindsucht entsteht. Ich kann in dieser Disposition
nichts Günstiges, sondern nur etwas Unheilvolles, eine Ver¬
schlechterung, nicht wie bei der Immunisierung eine Verbesse¬
rung der Konstitution erblicken. Man darf nicht sagen, wäre
die erste Infektion nicht gewesen, so hätte die Reinfektion eine
akute tödliche Tuberkulose erzeugt, so aber hat sie eine milder
verlaufende, wenn auch allmählich zur Schwindsucht führende
Erkrankung hervorgerufen, sondern meines Erachtens liegt die
Sache vielmehr so, dass ohne die erste Infektion die Reinfektion
vielleicht überhaupt keine schwere Tuberkulose erzeugt hätte,
weder in der Lunge noch sonst wo. Ich vermag demnach auch
in der ersten Infektion, sagen wir gleich in der Jugendinfektion,
nichts Günstiges, sondern unter allen Umständen nur etwas
absolut Gefährliches zu erkennen. Da nun ca. 10 pCt. aller
Jugendinfektionen durch den Rinderbacillus erzeugt werden, so
folgt ohne weiteres, dass dieser nicht bloss durch das, was er
direkt erzeugt, sondern auch durch die Vorbereitung einer
späteren Lungenschwindsucht dem Menschen gefährlich wird, dass
also seine ungünstige Bedeutung wahrscheinlich noch viel höher
eiDgeschätzt werden muss, als das schon nach seiner primär krank¬
heitserregenden Wirkung zu geschehen hat.
Wenn ich also zusammen fasse, so ist festgestellt, dassTuberkel-
bacillen, welche den unzweifelhaften Charakter der Rinderbacillen
tragen, seltener bei Erwachsenen, aber im Mittel in lOpCt. aller
tuberkulöser Kinder nicht nur leichtere, örtliche, sondern auch
schwere örtliche und generalisierte, zum Tode führende Erkran¬
kungen erzeugen, es ist aber auch noch weiter damit zu rechnen,
dass infolge einer Variabilität der Bacillen anscheinend humane
doch im Grunde auf bovine zurückzuführen sind, der Wirkungs¬
kreis der Rinderbacillen also ein noch viel ausgedehnterer ist,
und endlich muss auch damit gerechnet werden, dass eine in¬
fantile bovine Infektion es mitverschuldet, dass später eine
Lungenschwindsucht sich infolge einer Neuinfektion entwickelt.
Mag man auch diesen Zuwachs der Bedeutung der Rinder¬
bacillen in den beiden letzten Beziehungen als einen mehr oder
weniger hypothetischen betrachten, so ist er doch jedenfalls dazu
angetan, die Forderung, welche sich aus der relativen Häufigkeit
der nachweislichen Rindertuberkulose beim Menschen von selbst
ergibt, noch weiter zu stützen, die Forderung, dass man auch
den Kampf gegen die Rindertuberkulose nicht vernachlässigen
darf. Kein Verständiger denkt daran, durch alleinige Bekämpfung
der Rindertuberkulose die Tuberkulose überhaupt im Menschen¬
geschlecht ausrotten zu wollen, sondern wir alle stellen den
Kampf gegen die menschlichen Bacillen in erste Reihe, aber
dieser eine Kampf schliesst doch nicht aus, dass man auch den
anderen kämpft, und ich kann es nur als eine nichtssagende
Phrase betrachten, wenn gesagt wird, man dürfe Bich nicht auf
Nebenwege locken lassen. Wie im Kriege nicht nur die Haupt¬
armee, sondern auch Nebenabteilungen sehr wesentlich zur Er¬
reichung des Endzieles, des Sieges, beitragen können, so wird
auch ein Kampf gegen die Rinderbacillen neben dem Hauptkampf
gegen die Menschenbacillen nicht als Abweg bezeichnet werden
dürfen, sondern als ein Nebenkampf, der aber sehr wesentlich
zu dem Endresultat, der Ausrottung der Tuberkulose, beitragen
kann, ja beitragen muss. Wir müssen auch die Rinderbacilien
nicht nur aus volkwirtscbaftlichen Gründen, sondern um des
Wohles der Menschheit willen bekämpfen, denn so wahr es ist,
dass niemals durch Vernichtung der Rinderbacillen die mensch¬
liche Tuberkulose ausgerottet werden könnte, so wahr und un-
umstösslich feststehend ist es doch auch, dass die Tuberkulose
unter dem Menschengeschlechts nicht verschwinden kann, so lange
noch immer von neuem Perlsuchtbacillen von Tieren auf den
Menschen übertragen werden können.
Den Kampf gegen die Rinderbacillen dürfen wir aber nicht
den Veterinären und den Viehbaltern überlassen, denn dabei ist
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
435
sieht nur das Rindvieh, sondern auch die Menschheit interessiert,
und die Sorge um die Gesundheit der Menschen ist Aerztesacbe.
Die Wächter der öffentlichen Gesundheitspflege haben die all¬
gemeinen Maassnahmen zu ergreifen, um auch für die Rinder¬
bacillen den Weg vom Tier zum Menschen zu verlegen, jeder
Hausarzt aber hat auch seinerseits darauf acht zu haben, dass
die seiner Fürsorge anvertraute Familie, vor allem ihre Kinder,
so viel wie möglich auch vor dieser Gefahr behütet werde. Auch
mit dieser Ansicht stehe ich nicht allein, sondern sowohl der
Reicbsgesundbeitsrat in Deutschland, als auch die bekannte eng¬
lische Kommission und andere mehr haben sich in diesem Sinne
ausgesprochen, und auch auf dem vorjährigen internationalen
Tuberkulosekongress in Rom ist beschlossen worden, sämtliche
prophylaktische Maassregeln gegen die Infektion mit Rinder¬
tuberkelbacillen seien aufrecht zu erhalten. Ueber ein Jahrzehnt
haben sich in dieser Frage zwei Parteien feindlich gegenüber
gestanden, es ist aber begründete Aussicht vorhanden, dass eine
Einigkeit erzielt wird, denn auch von hervorragenden Vertretern
der Gegenpartei, wie Weber, wird anerkannt, dass die von den
Rinderbacillen drohende Gefahr ,.jedenfalls die erforderlichen
Vorsichts- und Vorbeugungsmaassregeln erfordert“. Mehr kann
und sol 1 man nicht verlangen: Kampf gegen die humanen Bacillen
in erster Linie, aber auch Kampf gegen die Rinderbacillen; das
Grosse tun, aber auch das Kleine nicht lassen!
Aus dem Samariterhaus in Heidelberg (Direktor: Geh. Kat Prof. Dr. V. Czerny, Exzellenz).
Die nichtoperativen Behandlungsmethoden der bösartigen Neubildungen.
Von
Prof. Dr. R, Werner.
Bis vor ungefähr 20 Jahren kannte man ausser der mecha¬
nischen oder thermischen Ausrottung der bösartigen Geschwülste
im wesentlichen nur noch die Zerstörung derselben durch che¬
mische Aetzmittel und die selten wirksame innere Behandlung
mit einigen Arsenpräparaten. Seither wurden nicht nur diese
Verfahren verbessert, insbesondere z. B. die thermischen Methoden
durch elektrische ergänzt, sondern auch ganz neuartige thera¬
peutische Wege eingescb'lagen. Wir besitzen heute ausser den
erwähnten Behandlungsarten eine Radio-, Immuno-, Toxin-, Fer¬
ment-, Organo- und Chemotherapie der malignen Tumoren.
Angesichts der kurzen Zeit, die seit dem Aufschwünge der
experimentellen Krebstherapie vergangen ist, dürfen wir uns nicht
wundern, wenn der Zahl der neuen Methoden keineswegs die
Vermehrung der sicheren Heilerfolge parallel geht. Die meisten
der Verfahren befinden sich noch durchaus im Stadium der Er¬
probung, einige haben sich für spezielle Zwecke bewährt, keines
derselben kann bisher' als das vielgesuchte „spezifische“ Krebs¬
heilmittel bezeichnet werden. Da aber selbst die kühnste Aus¬
dehnung der chirurgischen Eingriffe nicht vor Recidiven schützt
und die eifrigste Aufklärung des Publikums es nicht verhindern
kann, dass noch immer erschreckend viele Tumoren für das
Messer unangreifbar werden, ehe sie zur Kenntnis des Arztes ge¬
langen, wird das Bedürfnis nach einem Ersätze oder wenigstens
einer Ergänzung der operativen Methoden durch unblutige Ver¬
fahren allgemein anerkannt und jede Erweiterung unseres Könnens
auf diesem Gebiete dankbar begrüsst.
Fast alle nicbtoperativen Methoden sind als anticytische
gedacht, d. h. sie beruhen auf dem Prinzipe, die Tumorzellen zu
zerstören bzw. im Körper zur Auflösung zu bringen. Ihnen stehen
einige wenige gegenüber, die nach der Ansicht ihrer Erfinder
gegen die Erreger des Krebses gerichtet sind, also Spezifica im
wahrsten Sinne des Wortes darstellen sollen, so z. B. die Ver¬
fahren von Doyen, San Police, Odier, Wlaeff, Otto
Schmidt usw. Mag auch über die theoretischen Vorstellungen,
von denen diese Autoren ausgingen, längst der Stab gebrochen
sein, so darf doch nicht daraus gefolgert werden, dass die von
ihnen angewandten Agentien absolut wirkungslos sein müssen.
Sie sind vielmehr, wenn auch nicht als „Spezifica“, so doch als
„Toxine“ zu betrachten, d. b. als organische Gifte, welche die
Tumorzellen schädigen, und besitzen tatsächlich in gewissem
Umfange anticytische Eigenschaften, doch sind diese, soweit
meine eigenen Erfahrungen reichen, sehr gering einzuschätzen.
Das älteste und brauchbarste aller gegen die malignen
Tumoren angewandten Toxine ist zweifelsohne das bekannte von
Coley angegebene Streptokokken- und Prodigiosusmischtoxin,
das zwar bei Epitbelialcarcinomen versagt, bei manchen Sarkom¬
formen, insbesondere bei Rund- und Spindelzellensarkomen aber
günstig wirkt und in einer Anzahl von Fällen zur Heilung ge¬
führt hat. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass das
Mittel ein sehr differentes ist, leicht hohes Fieber und Collaps-
zustände hervorruft, wenn die Anwendung nicht mit äusserster
Vorsicht geschieht, und daher bei geschwächten, sowie bei herz-
und nierenkranken Patienten überhaupt kontraindiziert erscheint.
Einzelne Erfolge wurden auch mit Pyocyanase (Uhlenhnth) er¬
zielt, doch ist das Präparat nur für lokale Applikation brauchbar.
Versnche mit Tuberkulin verliefen bisher vollkommen negativ,
und zwar sowohl bei örtlicher Anwendung wie bei subcutaner
Injektion.
Der Toxinbehandlung sind auch die Experimente mit Schlangen-
und Bienengiftinjektionen zuzurechnen, v. Düngern hat z. B.
bei mehreren Carcinomen Crotalusgift intra- oder paratumoral
cingespritzt; es entstand eine starke Rötung und Schwellung an
den Gescbwulstknoten und in deren Umgebung. Im Bereiche der
Reaktion schrumpften die carcinomalösen Infiltrate. Die Methode
ist* schmerzhaft, aber nach den bisherigen Erfahrungen ungefähr¬
lich, da keine Allgemeinerscheinungen auftraten. Für die Durch¬
führung in der Praxis eignet sie sich noch nicht.
Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der Verwendung von
Pflanzenextrakten (aus Calabarbohnen, Veilchen usw.) zur Be¬
seitigung von Epitheliomen. Auch hier werden lokale Entzün¬
dungen erzeugt, die unter Umständen zur Vernichtung der carcino-
matösen Infiltrate führen können.
Der Toxinwirkung nahe verwandt ist der Einfluss von
tierischen Organextrakten und -presssäften, von denen sich bisher
das Parathyreoidin (Goldzieher) sowie der Tbyreoideapresssaft
(Ascher) im Experimente am meisten bewährt hat. Bei einigen
anderen Versucbon mit Injektionen von Gewebsbrei und Gewebs-
autolysaten muss es noch als zweifelhaft gelten, ob es sich um
eine Immunitätsreaktion oder eine toxinartige Wirkung der Zer¬
fallprodukte .handelt. Ueber Erfolge im Tierexperimente berichten
Braunstein, Lewin, Meidner, Blumenthal, Fighera u. a.
Zur Verwendung gelangten frisches Milzgewebe von normalen
oder mit Carcinombrei immunisierten Tieren, ferner Autolysate
von embryonalem Gewebe oder Geschwulstmaterial. Pigbera
erzielte auch an menschlichen Tumoren Rückbildungserscheinungen
nach Einspritzung derartiger Autolysate. Klemperer konnte
sich von einer nennenswerten Wirkung nicht überzeugen. Ob
sich die Methode als ausbildungsfäbig erweist, muss daher noch
abgewartet werden.
Auf ähnlichen Prinzipien beruhen die Blutinjektionen Bier’s,
der vorübergehende Besserungen beobachtete. Weitgehend ist der
günstige Erfolg dieser Einspritzungen nicht gewesen, da sie bei
Wiederholung meist versagten und unangenehme Nebenerschei¬
nungen verursachten.
Eine Art von Organotherapie stellen auch die Bestrebungen
Re ich er’s dar, die Tumoren durch Adrenalininjektionen zu be¬
seitigen, wobei neben der anämisierenden auch eine toxische
Wirkuog des Präparates auf das Protoplasma der Gescbwulst-
zellen eine gewisse Rolle spielen dürfte. Bei Mäusetumoren ist
der Erfolg anscheinend befriedigend gewesen, die Uebertragung
der Methode auf den Menschen aber glückte bisher nicht in
praktisch wertvoller Weise; hier ist auch wegen der beträcht¬
lichen Giftigkeit der Substanz für den Organismus grosse Vor¬
sicht geboten.
Zahlreiche Experimente wurden über die Möglichkeit einer
passiven oder aktiven Immunisierung gegen maligne Tumoren
angestellt. Die passive Immunisierung durch Injektion des Serams
aktiv immunisierter Tiere versuchten unter anderen Richet und
Hericourt, Arloing und Courmont, Jensen, Ehrlich,
Clowes und Bashford, Gaylord, Lewin, Dorm, Brunner,
C har cot und mit besonderer Berücksichtigung der einzelnen
Tumorarten und Lokalisationen v. Leyden und BlumenthaL
2 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Die Ergebnisse waren im Tierexperimente auch hier wesentlich
besser als bei der therapeutischen Anwendung am Menschen.
Eine aktive Immunisierung mit Tumormaterial erstrebten
beim Menschen durch Einspritzung von Tumorextrakten v. Leyden
und Blumenthal } durch Injektionen von fein zerriebenem Tumor-
materiale v. Düngern und Coca. Ihre Resultate blieben aber
erheblich hinter jenen zurück, die Jensen und einige andere
Autoren beim Tiere erzielten. Del bet versuchte, wie übrigens
zum Teil auch v. Düngern und Coca, das durch Operation ge¬
wonnene Material für denselben Patienten zur immunisierenden
Relnoculation zu verwenden. Ersterer will dadurch sicher zu
erwartende Recidive vermieden haben. Ob ein Präventivverfahren
gegen Rückfälle auf diesem Wege gewonnen werden kann, mag
noch unsicher sein, zweifelsohne aber besitzt die aktive Immuni¬
sierung in der bisher geübten Form nur einen geringen Einfluss
auf noch bestehende Tumoren, auch dann, wenn man nach dem
Vorgänge von Contamin und Courmont das Impfmaterial zu¬
erst mit Röntgenstrahlen behandelt und dadurch angeblich wirk¬
samer macht. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es sich
hier nicht um Misserfolge aus prinzipiellen Gründen handelt,
sondern um ein Versagen der Methode wegen Anwendung zu
geringer Quantitäten des Impfmaterials. Solange aber noch nicht
ein Verfahren gefunden ist, welches es gestaltet, die Krebszellen
sicher abzutCten und den Impfbrei zu sterilisieren, ohne die
immunisierenden Eigenschaften zu vernichten, wird die Massen-
inoculation ein zu bedenklicher Versuch bleiben, als dass er beim
Menschen gewagt werden könnte.
Einen direkteren Einfluss auf die Tumoren als die Immuni¬
sierungsmethoden streben die therapeutischen Experimente mit
Fermenten an. Nachdem schon vor mehreren Decennien ver¬
gebliche Versuche mit peptischen Fermenten zum Zwecke der
Zerstörung der Geschwülste vorgenommen worden waren, nahm
Board das Problem wieder auf und behauptet, mit tryptischen
Fermenten (Trypsin oder Pankreatin) einige günstigere Erfolge
erzielt zu haben. Er gab die Fermente per os oder auf dem
Wege der subcutanen Injektion in der Hoffnung, den Körper von
den Krebszellen durch eine spezifisch cytolytische Wirkung auf
die Abkömmlinge versprengter Keime befreien zu können. Alle
Nachuntersuchungen hatten negativen Erfolg. Die Darreichung
per os batte bei Magencarcinomen einen günstigen Einfluss auf
die Verdauung, aber keineswegs auf den Tumor. Dagegen zeigte
es sich, dass circumscripte kleine Geschwülste nach intra-
tnmoralen Injektionen verflüssigt und resorbiert werden können.
Grössere Tumoren sowie solche mit Ausstreuungen eignen sich
für das Verfahren nicht. Sticker und Falk wandten an Kohle
gebundenes Trypsin (Carbenzym) an, um das Fernjent im Er-
krankungsberde festzubalten. v. Leyden, Berge! 1 und Lewin
injizierten ein aus der normalen Leber dargestelltes Ferment
intratumoral und bekamen umfangreiche Einschmelzungen der
Geschwülste, doch war der Prozess leider mit einer starken Ver¬
schlechterung des Allgemeinbefindens verbunden. Die Applikation
am Orte der Wahl versagte. Eine Ausnahmestellung wird von
Odier den glykolytischen Fermenten zugescbrieben, die auch bei
der subcutanen Injektion imstande sein sollen, die Krebserkrankung
günstig zu beeinflussen. Es scheint jedoch, dass die Ergebnisse
mit den glykolytischen Fermenten nicht günstiger sind als bei
der Toxinbebandlung, mit welcher hinsichtlich der Art des Effektes
eine gewisse Aehnlichkeit besteht. Erfahrungen von anderer
Seite sind noch nicht bekannt geworden.
Es ist begreiflich, dass stets der Wunsch vorherrschte, statt
mit so komplizierten, in ihrer Zusammensetzung und Wirkung
meist unstabilen und daher auch schwer dosierbaren Agentien,
wie Toxine, Organ ex trakte, Autolysate, Fermente u. dgl., mit
Substanzen zu arbeiten, deren chemische Konstitution bekannt ist,
und deren Effekt sich wenigstens annähernd vorher bestimmen
lässt. Dies ist wohl der Hauptgrund, warum die Chemotherapie
uns insbesondere bei der Behandlung der malignen Tumoren stets
als das Ideal vorschwebt.
Als lokale Cberaokaustik ist sie, wie eingangs erwähnt, schon
alten . Datums. Die Aetzungen mit rauchender Salpetersäure,
Chromsäure, Chlorzink, Argentum nitricum u. dgl. werden be¬
kanntlich in den verschiedensten Applikationsformen (Pasten,
Aetzstifte, Aetztampons usw.) zur Zerstörung äusserer Geschwülste
verwendet. Bei der Auswahl des Mittels müssen im speziellen
Falle Giftigkeitsgrad, Intensität, Umfang und Elektivität der
Wirkung, ferner die Art des zu erwartenden Schorfes, insbesondere
hinsichtlich seiner Neigung zur Infektion und zur Erzeugung von
Arrosionsblutungen erwogen und berücksichtigt werden. Ein
Aetzmittel, welches allen anderen in jedem Falle überlegen wäre,
gibt es bisher noch nicht. Besonders bevorzugt werden von
mancher Seite die arsenhaltigen Tinkturen und Pasten. In
jüngster Zeit hat Zeller die alte Arsenzinnoberpaste modifiziert
und zu neuen Ehren gebracht. Die Prüfung im Heidelberger
Samariterbause hat aber bisher keine fundamentalen Unterschiede
gegenüber den älteren Aetzpasten ergeben. Die ZeHerrsche Paste
wirkt wenig elektiv, d. b. greift alle Gewebe sehr, energisch an,
ihre Anwendung ist sehr schmerzhaft, nicht ohne Intoxikations¬
gefahr, führt leicht zu Arrosionsblutungen und ist für die in der
Nachbarschaft zurückgebliebenen Carcinomreste nicht reizlos, so
dass diese gelegentlich rapid nachwachsen. Für nicht zu grosse
circumscripte Cancroide wird sie in geübter Hand gute
Resultate geben, ob bessere als die anderen Ae'tzmittel,
ist noch fraglich.
In den letzten Monaten wurden im Heidelberger Samariter¬
hause auf den Vorschlag Czerny ’s auch Versuche angestellt,
durch Bestreuen ulcerierter Carcinome mit Salvarsan bzw. Neo-
salvarsan oder Atoxyl in Pulverform eine Art von Aetz-
wirkung zu erzielen. Zweifelsohne ist dies auch in gewissem
Grade möglich, insbesondere mit Hilfe des Salvarsans, doch sind
die Experimente noch nicht abgeschlossen.
Prinzipiell wichtiger als alle eventuellen Fortschritte auf
dem Gebiete der lokalen Aetzwirkung sind die positiven Er¬
gebnisse der Chemotherapie im engeren Sinne des Wortes, welche
sich die Beeinflussung der Tumoren vom Orte der Wahl, ins¬
besondere vom Blutwege aus zur Aufgabe gestellt hat. Man bat
gegenwärtig schon mehrere Gruppen von Substanzen zu unter¬
scheiden, welche zum mindesten im Tierversuch eine indirekte
Zerstörung oder Auflösung der Geschwülste bewirken können. In
erster Linie sind zu nennen: einige neuere Arsenverbindungen,
mehrere Schwermetallverbindungen, insbesondere solche in
kolloidaler Form, auch das Kolloid des Schwefels, ferner die
Base und einige Salze des Cholins und endlich mehrere Silicium¬
verbindungen.
Erwähnt seien auch noch die interessanten Versuche von
Mosetig-Moorhof mit Vitalfarbstoffen (Methylenblau und Pyok-
tannin), von Oestreich mit Antituman (chondroitin-schwefel-
saurem Natrium) und von Spiess mit Cocainderivaten. Oestreich
schreibt dem Antituman eine gewisse Affinität zum Krebsgewebe
zu und sucht diese Anschauung durch einige klinische Beob¬
achtungen zu stützen. Spiess sah nach intratumoralen In¬
jektionen von Novocain Mäusetumoren schwinden, doch konnten
am Menschen keine derartigen Beeinflussungen konstatiert werden.
Weit besser erprobt ist die Wirkung verschiedener Arsen¬
verbindungen, unter denen da9 Atoxyl (Blumenthal, Fränkel,
Czerny, Völker,Steinthal u.a.) und Salvarsan bzw.Neosalvarsan
[Czerny und Caan 1 )] in erster Linie zu nennen sind. Das Atoxyl
wird sowohl intratumoral wie subcutan eingespritzt, bis eine
Gesamtmenge von höchstens 3 g erreicht ist. Die Einfuhr
grösserer Quantitäten ohne entsprechende Pause ist bekanntlich
für das Sehvermögen gefährlich. Erfolge wurden damit haupt¬
sächlich bei Sarkomen erzielt, während die Carcinome sich als
resistent erwiesen. Lebhaftes Interesse verdienen die beob¬
achteten Rückbildungen von myelogenen und periostalen Knochen¬
sarkomen. Nach Löffler und Babes sowie Blumentbal ist
der Zusatz von 0,02 Acid. arsenicos. zu 1,0 Atoxyl besonders zu
empfehlen. Salvarsan wurde intravenös und intratumoral, in
einzelnen Fällen auch intramuskulär injiziert. Intratumoral ein¬
gespritzt ist es in der alten, von Ehrlich zuerst angegebenen
Emulsion am wirksamsten, macht ausgedehnte, den Tumor in
gewissem Grade elektiv zerstörende Nekrosen, ist aber recht
schmerzhaft, ln Oleum Sesami suspendiert, verursacht es nach
der Injektion weniger stürmische Erscheinungen, hat aber auch
einen geringeren Effekt. Die Dose beträgt bei Erwachsenen 0,5
bis 0,6 g, bei Kindern 0,1 bis 0,2 g. In gleicher Menge intra¬
venös injiziert, verursacht es oft fieberhafte Reaktionserscheinungen,
mitunter auch Fröste. Die Tumoren werden bei dieser Form der
Anwendung nicht nekrotisiert, sondern erweicht und zur Resorption
gebracht. Wir sahen den Umfang grosser Tumoren mitunter in
wenigen Tagen um 5—10 cm zurückgehen. Die Injektionen
können ohne Gefahr etwa 3mal in 3—4 Wochen wiederholt werden,
doch muss man dann eine mehrwöchige Pause folgen lassen.
Volle Heilungen sind selten zu erwarten, da fast stets von den
Tumoren ein Rest zurückbleibt, der sich mit den zulässigen Dosen
nicht beeinflussen lässt. Zu intravenösen Injektionen ist auch
1) Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 17, und 1912, Nr. 4J.
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10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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das Neosalvarsan gut geeignet, dessen Dose etwa um ein Drittel
niedriger genommen wird. Auch Natrium cacodylicum und
Arsacetin können gelegentlich gute Dienste leisten, insbesondere
zur Hebung des Gesamtzustandes der Kranken. In diesem Sinne
sind alle Arsenpräparate zur Unterstützung der übrigen Behänd-
lungsmethoden bei allen Arten von bösartigen Neubildungen mit
Vorteil zu verwenden.
Die tumorauflösende Wirkung bestimmter Selen- und Tellur¬
verbindungen, insbesondere des Eosioselens, geht aus den be¬
kannten Versuchen v. Wassermanns und seiner Mitarbeiter,
ein analoger Effekt der Kolloide vieler Schwermetallverbindungen
ans den erfolgreichen Arbeiten von Neuberg und Caspari her¬
vor. lzar hat mit ähnlichem Ergebnis kolloidalen Schwefel bzw.
AgfSs verwendet. Bisher liegen nur Publikationen über Tier¬
versuche vor.
Bougeant, Thiroloix, Lancien, Netter, Gascuel,
Girard, Cade, Blumenthal, Trinkleru. a. wendeten kolloidales
Elektroselenium (Clin) beim menschlichen Carcinom an, ebenso
Gaube du Gers eine kolloidale Eiweisskupferverbindung (Caprase)
und berichteten über Besserung inoperabler Fälle.
Die Verwertung des Cholins und seiner Salze für die Be¬
handlung der bösartigen Neubildungen basiert auf meinen Arbeiten
über die chemische Imitation der Strahlenwirkung. An der Haut,
am Blute, an den Lymphdrüsen, an der Milz, an den Hoden, an
den Embryonen in utero, ferner an den malignen Tumoren ver¬
mag das Cholinum basicum und einige seiner Salze, z. B. das
joden benzoesaure, atoxylsaure, ameisensaure, das borsaure sowie
das Glykokollcholin, ganz analoge Veränderungen hervorzurufen,
wie die direkte Bestrahlung mit Radium oder mit dem Röntgen¬
apparate.
In den Jahren 1904 bis 1906 habe ich die biologischen Be¬
fände in mehreren Publikationen mitgeteilt, im Jahre 1907 be¬
reits an einigen Mäusecarcinomen den Einfluss auf das Geschwulst¬
gewebe erwiesen. Zu jener Zeit wurden auch die. ersten klinischen
Erfahrungen über das Cholin gesammelt 1 ). Da dieses aber in
basischer Form zu instabil war, suchte ich unter den Salzen nach
geeigneten Verbindungen, die auch mit Hilfe der Vereinigten
chemischen Werke in Charlottenburg gefunden wurden. Alle für
die chemische Imitation der Strahlenwirkung brauchbaren Cholin¬
salze sind unter dem Namen „Encytol“ geschützt worden. Das
Verfahren ist nicht als eine selbständige chemotherapeutische
Methode gedacht, sondern als eine Ergänzung der radiotherapeu-
tischeo Maassnahmen durch ein ähnlich wirkendes Mittel. Aus
diesem Grunde soll über die bisher vorliegenden Erfahrungen im
Zusammenhänge mit der Strahlenbehandlung berichtet werden.
Die Behauptung, dass Silikate einen zerstörenden Einfluss auf
das Geschwnlstgewebe besitzen, ist schon älteren Datums. Ver¬
einzelte Beobachtungen von Schuh und von Benedikt sprechen
dafür. Zeller hat das Kalium- und Natriumsilikat geradezu als
Specificum gegen Krebs empfohlen. Im Heidelberger Samariter¬
hause wurde das Mittel in Form von Lösungen und Pulvern in
zahlreichen Fällen verordnet, ohne dass bisher ein greifbarer Er¬
folg zu verzeichnen gewesen wäre. Man wird jedoch gut tun,
hiermit noch nicht die absolute Unbrauchkeit der Silikate für
die Krebsbehandlung als erwiesen zu betrachten und alle Ver¬
fluche aufzugeben, da die positiven Tierexperimente Benedikt’s
hinsichtlich der Beurteilung zur Vorsicht mahnen.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch durch
lokale oder subcutane Injektion von verschiedenen Jodverbindungen,
Chinin, aromatischen Substanzen und dergleichen in einzelnen
Fällen eine partielle Rückbildung von Tumoren erzielt wurde.
Die an derartigen Erfahrungen geknüpften weitgehenden Hoffnungen
haben sich bisher nicht erfüllt.
Weitaus am vollkommensten durcbgebildet und am häufigsten
angewandt ist unter sämtlichen nichtoperativen Krebsbehandlungs-
metboden die Radiotherapie 2 ).
Bekanntlich kann sie auf zweifache Weise ausgeübt werden,
entweder als Bestrahlung mit dem Röntgenapparate oder mit
radioaktiven Substanzen. Die Röntgentherapie lässt sich wieder
in verschiedener Weise der Behandlung des Krebses dienstbar
machen, sie kann einerseits zur Vorbereitung für die Radikalopera¬
tion, andererseits zur Nachbehandlung nach derselben, ausnahms¬
1) Cf. Strablentherapie, Bd. 1, H. 4, S. 442, ferner Mitteil. a. d.
Grenzgeb. der Med. und Chirurgie, Bd. 20, H. 1, sowie Med. Klinik,
1912, Nr. 28.
2) Eine ausführlichere Beschreibung siehe „Strahlentberapie“, Bd. 1,
ß. 100 bis 120.
weise sogar als voller Ersatz für eine solche, ferner schliesslich
als Palliativmittel zur Stillung von Schmerzen und zur Förde¬
rung der Ueberhäutnng von Ulcerationen verwendet werden.
Wichtig ist die richtige qualitative und quantitative Dosierung
der Strahlen. Die qualitative Dosierung bezweckt die Auswahl
jener Strahlenarten, die für den betreffenden Prozess optimal
sind. Bei der Behandlung der malignen Tumoren ist die quali¬
tative Dosierung eine ziemlich einfache. Man hat fast ausschliess¬
lich Objekle vor sieb, die in der Tiefe liegen, oder doch in die¬
selbe hinabreicben, und es empfiehlt sich daher, die penetrations¬
fähigste Strahlenart zu verwenden, welche die Röntgenröhre
liefern kann, auch dann, wenn der Tumor bis an die Oberfläche
reicht. Sonst erhält man nämlich leicht an dieser eine Besserung,
während der Tumor in den tieferen Schichten nur zu rascherem
Wachstum angeregt wird. Eine einigermaassen gleichmäßige
Beeinflussung des Erkrankungsherdes aber ist die Vorbedingung
für ein günstiges Resultat.
Weiche Bestrahlungen sind nur bei sicher ganz oberfläch¬
lichen Infiltraten (Ulcus rodens) oder für ganz spezielle Zwecke
(z. B. Ueberhäutnng ulcerierender Flächen) indiziert.
Es genügt nicht, die harte Bestrahlung durch Wahl ent¬
sprechender Röhren zu sichern, man muss die meist konkommi-
tierenden weichen Strahlen durch Filter abhalten. Meine per¬
sönliche Erfahrung erstreckt sich auf Aluminium-, Leder- und
Stanniolfilter, doch ziehen andere Silberfilter vor. Die Frage,
ob einer dieser Filter einen besonderen Vorzug besitzt, ist noch
nicht gelöst.
Die Quantität der Dosierung ist im wesentlichen abhängig
von der Empfindlichkeit des Tumors und der ihn bedeckenden
Hülle. Subcutan gelegene Tumoren können nur dann unter
Schonung der Haut bzw. Schleimhaut genügend stark beeinflusst
werden, wenn es sich um besonders empfindliche Geschwülste
handelt, so z. B. nm Rund- oder Spindelzellensarkome, Lymph¬
drüsen- oder Milztumoren. Die resistenteren Arten der Ge¬
schwülste hingegen sind nur dann für die Bestrahlung geeignet,
wenn sie entweder die Haut durchwachsen haben oder operativ
freigelegt wurden.
Die Reaktion der Geschwülste hängt mehr von der biologi¬
schen Beschaffenheit derselben ab, als von der Art der Dosierung.
Sie besteht im günstigen Falle in einer Schrumpfung des Tumors
unter narbiger Degeneration desselben. Dies möchte ich als die
ideale Form der Reaktion bezeichnen, da sie mit keiner Un¬
annehmlichkeit oder Gefahr verknüpft ist. Weniger günstig ist
schon eine Verflüssigung des Geschwulstgewebes ohne ent¬
sprechende Resorption. Hier kann es unter Umständen zu einer
Ausschwemmung lebensfähiger Geschwulstzellen infolge einer
Lockerung des Zusammenhanges im Tumorgewebe und zur Me¬
tastasierung in die benachbarten Organe kommen. Bei grossen
Tumoren besteht auch die Möglichkeit einer Intoxikation durch
die Zersetzungsprodukte der Zellen. Man ist oft genötigt, das
kolliquierte Gewebe durch eine Punktion oder Excochleation zu
entleeren, um der genannten Gefahr vorznbeugen. Am un¬
angenehmsten ist die Reaktion in Form einer Nekrose. Hier
kommt es zu einem oft ganz rapiden Absterben ausgedehnter Ge-
websmassen, die sich erst spät demarkieren, sich infizieren können
nnd bei der Abstossnng nicht selten Arrosionsblutungen oder
Perforationen in benachbarte Körperhöhlen verursachen. In ge¬
wissem Umfange ist diese Art der Reaktion von der Art der
Dosierung abhängig, da sie in der Regel nur nach Applikation
übergrosser Strahlenmengen in kurzer Zeit entsteht. Beim Vor¬
handensein schwerer Arteriosklerose oder bei schlecht vasculari-
sierten Tumoren kann sie jedoch auch nach normalen Dosen be¬
obachtet werdeo. Bei Geschwülsten, die weder mit Leibeshöhlen
kommunizieren noch auf grossen Gefässen aufsitzen, ist auch
diese Reaktionsform therapeutisch brauchbar, wenn man eine In¬
fektion zu verhüten weiss.
Wir besitzen eine ganze Reihe von Methoden znr Verstärkung
der Röntgenwirkung, ln erster Linie kann eine solche durch die
Art der Bestrahlung selbst erreicht werden, indem man diese
dadurch wirksamer gestaltet, dass man einen in der Tiefe liegen¬
den Erkrankungsherd von verschiedenen Seiten her radiär be¬
strahlt. Man benutzt verschiedene Stellen der Oberfläche zum
Durchtritt des Strahlenkegels und vereinigt dieselben am ge¬
wünschten Punkte im Körperinnern. Ich habe vor 6 Jahren einen
Apparat angegeben, der dies mit jeder wünschenswerten Genauig¬
keit ermöglicht. Das Verfahren ist jedoch auch ohne besondere
Apparate nach dem Augenmaass in den meisten Fällen durch¬
führbar. Man kann auf diesem Wege unter Umständen das 16-
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Nr. 10.
bis 20 fache jener Strahlenmenge in der Tiefe konzentrieren,
welche sonst von einer Stelle der Oberfläche her erzielt werden
konnte.
Ein zweiter Weg ist die sogenannte homogene Bestrahlung.
Sie besteht darin, dass man die Strahlen aus grosser Entfernung
dem Körper zuführt, so dass die Tiefenlage des Tumors gegen¬
über der Distanz der Röhre nur eine geringe Rolle spielt. Wählt
man dann noch harte Strahlen, die den Körper verhältnismässig
leicht durchdringen, so bekommt man an der Oberfläche und in
der Tiefe eine ziemlich homogene Durchstrahlung des Körpers.
Das Verfahren würde wohl weitaus das rationellste sein, wenn es
nicht den Apparaten eine ausserordentlich grosse Ueberanstrengung
zumuten würde, der bisher noch keine Konstruktion in praktisch
brauchbarem Umfange gewachsen war.
Ausser durch die Bestrahlungsart kann man auch durch
andere Maassnahmen die Wirkung der Röntgentherapie erhöhen.
So vor allem dadurch, dass man die schützenden Hüllen von den
Tumoren entfernt. Man bekommt dann nicht nur eine grössere
Dose in den Tumor hinein, sondern es scheint auch, dass die
Geschwulst selbst durch den operativen Eingriff empfindlicher
wird und leichter reagiert. Die Technik ist bei den der Ober¬
fläche naheliegenden Geschwülsten eine einfache, da es sich in
der Regel nur darum handelt, einen Haut- oder Hautmuskellappen
zurückzupräparieren und am Rande der Geschwulst einzustülpen,
wenn man es nicht vorzieht, ihn überhaupt abzutragen.
Etwas schwieriger liegen die Dinge bei den intraperitonealen
Gebilden, z. B. bei den Magen-, Darm- oder Ovarialkrebsen usw.
Hier muss man eine spezielle operative Technik anwenden, um
die Bauchhöhle widerstandsfähig abzuschHessen und gleichzeitig
gegen Infektion von aussen zu schützen. Es geschieht dies am
einfachsten in der Weise, dass man das Peritoneum an den Haut¬
rand vorsäumt und den gemeinschaftlichen Hautperitonealrand an
das gesunde Gewebe in der Nachbarschaft des Tumors (nicht an
diesen selbst) durch Nähte fixiert. Man erhält dann breite seröse
Verwachsungen, welche genügend Festigkeit besitzen, um einen
Prolaps des Peritonealinhaltes zu verhindern. Die Tumoren selbst
bilden einen so guten Verschluss des Abdomens, dass ausser beim
Bestehen eines maximalen Ascites, der die Verklebung verhindert,
eine nennenswerte Vorstülpung im Bereiche der Wunde nie be¬
obachtet wurde. Die Tumoren werden dann nach den oben an¬
geführten Regeln bestrahlt und pflegen ziemlich rasch zurückzu¬
geben, indem sie — meist ohne Nekrose — einschmelzen, von
Granulationen bedeckt werden und sich glatt überhäuten. In der
Mehrzahl der Fälle ist der Erfolg anfangs ein verblüffender.
Durch die Verkleinerung der Geschwülste verschwinden mitunter
auch die bestehenden Stenoseerscheinungen von seiten des Magens
oder Darmtraktes, die Patienten erholen sich, werden unter Um¬
ständen sogar bis zur Arbeitsfähigkeit gebessert; der Erfolg aber
ist bei der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle nur ein tempo¬
rärer. In der Regel gehen die Kranken später an Metastasen zu¬
grunde, auch dann, wenn der Tumor lokal vollkommen beseitigt
wurde, da eben die Wirkung der Röntgenstrahlen sich nur auf
das vorgelagerte Gebiet und dessen nächste Umgebung erstreckt.
In einem Falle jedoch, der bei der Anfnahme vollständig hoff¬
nungslos zu sein schien, ist seit mehr als 30 Monaten vollkommene
Heilung eingetreten.
Von unangenehmen Komplikationen wäre zu bemerken, dass
einige Male Perforation in den Magen durch Nekrotisierung des
Tumors eintrat, woraus unangenehme Fisteln resultierten.
Ausser nach operativer Freilegung kann man die Geschwülste
auch diacutan abnorm stark bestrahlen, wenn man die Haut
unterempfindlich macht. Dies geschieht durch temporäre An-
ämisierung, entweder durch mechanische Kompression mit Hilfe
von kleinen Brettchen oder Stoffbinden, die besonders strahlen¬
durchlässig sind, oder durch Einführung von schwachen Adrenalin¬
lösungen (0,2—0,6 ccm, 1: 1000, mit 4 ccm physiologischer Koch¬
salzlösung verdünnt) durch Injektion oder Jontophorese. Da man
aber auch auf diesem Wege höchstens das \ l j 2 —2 fache der
Normaldose applizieren kann, so ist keine so grosse Vermehrung
der Strahlenwirkung zu erwarten wie durch die operative Frei¬
legung. Ferner ist zu beachten, dass diese Desensibilisierung
wohl vor dem Eintritte der unmittelbaren Konsequenzen der
Ueberdosierung schützt, dass sie aber keine Sicherheit gegen die
Spätfolgen (Hautatrophie, sekundäre Ulceration u. dergl.) zu ge¬
währen scheint.
Man kann auch umgekehrt Vorgehen und die Geschwülste
selbst sensibilisieren. Entweder geschieht dies durch Erwärmung
auf elektrischem Wege (Diathermie), oder durch Gefrierenlassen
mit Hilfe des Aethersprays bzw. Chloräthylsprays, oder durch
Reizung des Geschwulstgewebes durch Hochfrequenzströme, die in
Form von schwachen, wenig schmerzhaften Funkenbüscbeln ein¬
wirken, oder endlich durch Einspritzung sensibilisierender Sub¬
stanzen, z. B. Chinin oder Fluorescin oder Eosin. Man beobachtet
bei allen diesen Maassnahmen eine Steigerung der quantitativen
Wirkung der Röntgenstrablen, allein die qualitative Reaktion der
Tumoren wird nicht wesentlich verbessert, die Folgen der Ueber¬
dosierung werden nicht verhütet. Daher kommt es, dass die Er¬
folge bei den malignen Tumoren hinter unseren Erwartungen
zurückstehen, obwohl die hochentwickelte Röntgentechnik es ge¬
stattet, grosse Mengen von Strahlen in die Tiefe gelangen zu
lassen und deren Wirkung noch künstlich zu steigern.
Zu bemerken ist, dass es Geschwülste gibt, die selbst auf
sehr grosse Dosen hin nur mit schnellerer Wucherung reagieren
und auch dann durch Metastasen sich rapid ausbreiten, wenn
man sie durch enorme Ueberdosierung lokal gewaltsam zur
Nekrose bringt. Häufig findet sich z. B. diese Art der Resistenz
bei Zungen- und Mundbodenkrebsen. Zeigt sich vermehrtes Wachs¬
tum nach ein bis zwei kräftigen Bestrahlungsserien, so soll man
die Röntgentherapie aufgeben.
Auch dann, wenn man auf einen ernsthaften therapeutischen
Erfolg mit Röntgenbestrahlung nicht mehr rechnen kann, ist diese
nicht selten als Palliativmittel von Wert. Am willkommensten
ist wohl die schmerzstillende Wirkung der Röntgenstrahlen, ins¬
besondere bei Tumoren, welche auf Nerven drücken, oder den
Knochen arrodieren, wobei bekanntlich Schmerzen ausgelöst
werden, die einen geradezu furchtbaren Charakter annehmen
können, ln einem gewissen Prozentsatz dieser Fälle gelingt es,
durch Applikation einer grossen Menge von barten Strahlen oft
in überraschend kurzer Zeit eine nicht selten wochenlang an¬
dauernde Scbmerzfreiheit zu erzielen, selbst dann, wenn sich die
Zeichen des Morphinismus einstellen und die Narkotica bereits
versagen. Kleine Dosen, auf längere Zeit verteilt, sind in der
Regel unwirksam.
Abgesehen von der Schmerzstillnng ist auch die Möglichkeit,
ulcerierte Flächen durch Röntgenbestrahlung zur Ueberhäutung
zu bringen, von praktischer Bedeutung. Hier muss man jedoch
anders Vorgehen. Es empfiehlt sich, kleine Mengen (etwa 3 bis
4 H.) in zweiwöchigen Pausen zu applizieren und nur mit weichen,
höchstens mittelweichen Röhren zu arbeiten. In einigen Wochen
pflegen sich die ulcerierten Tumorpartien an der Oberfläche zu
reinigen und allmählich zu überhäuten.
Von besonderem Interesse für den Chirurgen ist die Mög¬
lichkeit, durch Röntgenstrahlen Tumoren, die an der Grenze der
Operabilität stehen, zur Schrumpfung zu bringen und dadurch dem
radikalen Eingriffe zugänglich zu machen. Am häufigsten findet
sieb Gelegenheit hierzu bei Mammacarcinomen, Hautkrebsen,
malignen Lymphomen und oberflächlichen Fasciensarkomen. Man
muss hier innerhalb von 3 bis 4 Wochen zwei Serien möglichst
intensiver Röntgenbestrahlungen verabfolgen. Geht darauf der
Tumor genügend zurück, so ist die Operation unverzüglich anzu-
schliessen, bleibt jedoch nach dieser Zeit das gewünschte Re¬
sultat aus, so ist der Fall für diese Art der Behandlung nicht
geeignet.
Von Bedeutung ist auch die Nachbehandlung mit Röntgen¬
strahlen nach Radikaloperationen zur Verhütung von Recidiven.
Dieselbe kann in zweifacher Weise vorgenommen werden. Am
bequemsten ist das diacutane Verfahren, das für jene Fälle in
Betracht kommt, in denen eine Heilung per primam intentionem
erwünscht erscheint und kein Zweifel an der Radikalität der
Operation obwaltet. Man ist dann allerdings in der Dosierung
durch die Haut beschränkt, hat aber dafür der Nachbehandlung
keine chirurgischen Interessen geopfert. Der Wert dieser Methode
ist vorläufig noch nicht zu übersehen, doch sollte sie in jedem
Falle geübt werden, da man dem Patienten eine Chance gibt,
für welche er keine Nachteile in Kauf zu nehmen hat. Besser
ist jedoch unter allen Umständen die Bestrahlung in die offene
Wunde. In jenen Fällen, in denen man durch plastische Opera¬
tionen oder Transplantationen den Substanzverlust zu decken bat
oder wegen kaustischer Operationen auf eine primäre Naht ver¬
zichten muss, empfiehlt es sich, die Wunde längere Zeit offen zu
behandeln und intensiv den Röntgenstrahlen auszusetzen. Es
unterliegt keinem Zweifel, dass man auf diesem Wege grösseren
Einfluss ausüben kann als bei diacutaner Bestrahlung. Ausserdem
ist es jedenfalls wertvoll, das Wundgebiet mit Rücksicht auf die
Recidivgefahr noch längere Zeit unter Kontrolle halten zu
können. Ganz sicher schützt jedoch auch diese Methode vor
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Rückfällen nicht, hauptsächlich dann, wenn sicher noch im Kranken
operiert wurde.
Eine wesentliche Unterstützung und Ergänzung der Röntgen¬
therapie ist neuerdings in der Behandlung mit radioaktiven Sub¬
stanzen gewonnen worden. Von den zahlreichen strahlenden Ele¬
menten und deren Zerfallsprodukten, welche die Physik kennt,
kommen für die Praxis in Betracht: die Salze und die Emanation
des Radiums, das Aktinium, das Mesothorium und das Thor X.
Man kann diese Substanzen in zweierlei Form applizieren — als
Bestrahlungskörper oder in Form der Injektion. Erstere werden
in mehrfacher Gestalt konstruiert. Die älteste Form ist die der
Kapsel. Neuerdings verwendet man für viele Zwecke aber
„Plättchen“, deren radioaktiver Inhalt auf der einen Seite mit
einer dicken, auf der anderen mit einer dünnen Silberschiebt
überzogen ist. Plättchen und Kapseln strahlen nur nach einer
Seite stark, nach der anderen sehr wenig. Die Kapseln haben
den Vorzug, dass man sie ohne Verbrennungsgefahr in die Hand
nehmen kann, was bei den Plättchen schon schwerer möglich ist
und grössere Vorsicht erfordert. Dafür lassen sich die Plättchen
leichter in Spalten und schmale Höhlungen einführen. Man kann
sie auch so konstruieren, dass man sie mit Zängelchen armiert
oder auf gerade oder gebogene Stiele und Sonden aufschraubt,
um sie bequemer in Hohlräume einbringen zu können. Die dritte
Form der Bestrahlungskörper sind die Tuben. Es sind dies ganz
zarte, schmale Silberröhrchen mit Schraubverschluss, in denen die
radioaktive Substanz — meist von einer nicht verbrennbaren
Membran als Lösung aufgesaugt — enthalten ist. Eine richtig
gefüllte Tube strahlt fast in ihrer ganzen Länge, die etwa 1 bis
2 cm beträgt, nach allen Seiten hin. Auch bei den Kapseln ist
die Befestigung der radioaktiven Substanz auf Membranen
empfehlenswert. Von mancher Seite werden mit radioaktivem
Lack überzogene Bestrahlungskörper empfohlen, doch ist man bei
diesen zu sehr in Gefahr, die kostbare Substanz zu verlieren.
Die leicht absorbierbaren, hochwirksamen a- Strahlen werden
allerdings bei dieser Methode am besten ausgenutzt.
Zur Injektion verwendet man die radioaktive Substanz ent¬
weder in Form von Lösungen oder von Emulsionen. Die
Strahlungsintensität der Einzeldosen, die man injiziert, beträgt
100—1000 elektrostatische Einheiten, jene der Bestrahlungs¬
körper wird nach der Menge von Radiumbromid angegeben,
welche die betreffende Strahlenquantität emittiert. Dement¬
sprechend verwendet man Einheiten von 10—20, ja bis 50 mg
„Radiumbromidstrahlungswert“.
Nicht alle radioaktiven Substanzen sind für alle Zwecke in
gleicher Weise geeignet; vor allem deshalb nicht, weil man sie
nicht in allen Applikationsweisen verwenden kann. So z. B. kann
man die Radiumsalze zur Füllung von Strahlungskörpern ge¬
brauchen oder sie in Lösung oder als Emulsion einspritzen,
die Radiumemanation hingegen nur in Lösung oder als Emulsion
injizieren, in letzterer Form nur dann, wenn die Emanation durch
pulverisierte Körper von grosser Adsorptionskraft (Kohle, Kiesel¬
säure) aufgenommen wurde. Das Aktinium eignet sich zur
Füllung von Bestrahlungskörpern oder zur Injektion als Lösung,
das Thor X nur zu letzterem Zwecke. Neuerdings verwendet man
auch eine von mir angegebene, durch pulverisierte Kieselsäure
adsorbierte Thor X-Lösung (1000 elektrostatische Einheiten) als
Brei, der, mit Zucker angerührt, bei Krebsen des Magendarm¬
traktes per os gereicht und gern genommeu wird. Auch Pasten
und Plomben für Zerfallshöhlen in Tumoren, Wunden und Ulce-
rationen lassen sich aus mit Thor X radioaktiviertem Kieselsäure-
pulver (bis 10000 elektrostatische Einheiten) darstellen. Als
Lösungen können nur diejenigen radioaktiven Substanzen ein¬
gespritzt werden, die wasserlöslich sind, alle anderen werden ent¬
weder in Kochsalzlösung, in Paraffinum liquidum oder in Gelatine
emulgiert. Die Lösungen müssen ungiftig sein, da sie selbst bei
subcutaner Injektion leicht in den Körper übergehen. Die Emul¬
sionen hingegen sind diesbezüglich ungefährlich, dafür aber kann
man sie nicht intravenös einspritzen, da sie Embolien verursachen
würden.
Am besten bewährt haben sich das Radiumbromid oder
-Chlorid sowie das Mesothor als Füllung von Bestrahlungskörpern
und das Thor X als Injektionsmittel oder Bestrahlungspaste.
Die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf die bösartigen
Neubildungen ähnelt in vieler Beziehung jener der Röntgen¬
strahlen. Auch hier lassen sich die dort beschriebenen drei
Reaktionsformen unterscheiden: Schrumpfung, Verflüssigung oder
Nekrose. Die Wirkung ist, da bisher im allgemeinen nur kleine
Mengen verwendet werden, circamscripter als bei den Röntgen¬
strahlen, hingegen oft intensiver. Sie ist dadurch kompliziert,
dass die meisten radioaktiven Substanzen keine einheitliche
Strahlung aussenden. Dadurch wird es möglich, bei der Appli¬
kation in Form der Bestrahlungskörper mit Hilfe von Filtern, als
welche am besten Blei- oder Silberplättchen bzw. -röhrchen ver¬
wendet werden, die mannigfachsten Differenzen hinsichtlich der
Wirkung hervorzubringen. Die a-Strahlung gelangt fast nur dort
zur Geltung, wo die radioaktive Substanz unmittelbar mit dem
Gewebe in Berührung kommt, also in erster Linie bei Ein¬
spritzungen, dann aber auch, wenn man radioaktive Substanz in
Pulverform aufstreut, was jedoch wegen der Kostspieligkeit und
Seltenheit stärker wirkender Präparate nur ganz ausnahmsweise
durchgeführt werden kann. Will man in die Tiefe wirken, so
fängt man die a- und ^-Strahlen, welche aus dem Bestrahlungs¬
körper — wenigstens zum Teil — noch austreten können, mit
Hilfe von kräftigen Filtern ab und arbeitet nur mit r-Strahlen.
Die Bestrahlungskörper werdeu in verschiedener Weise ver¬
wendet: 1. Zur Applikation an der Oberfläche des Körpers.
2. Zur Einführung in die natürlichen Körperhöblen (Mund, Nase,
Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Vagina, Mastdarm usw.). 3. Zur
intratumoralen Bestrahlung in operativ gesetzte oder natürliche Sub-
stanzvftrluste in den Geschwülsten. 4. Zur Nachbehandlung von Ope¬
rationswunden. Für spaltförmige Hohlräume oder Substanz¬
verluste benutzt man in der Regel die Tuben, die man entweder
senkrecht oder parallel zur Körperoberfläche einlagert. Grössere
Hohlräume dagegen werden systematisch an den verschiedenen
Stellen mit Kapseln oder Plättchen bestrahlt.
Die Injektionen werden in zweckmässiger Weise nur ent¬
weder intratumoral oder intravenös gemacht. Die subcutane oder
intramuskuläre Injektion am Orte der Wahl ist weniger wirksam.
Im allgemeinen verwendet man zur intravenösen Injektion am
besten Lösungen von Thor X, welche 1000 elektrostatische Ein¬
heiten in 1 ccm enthalten. Zur intratumoralen Einspritzung ver¬
wendet man Lösungen von Thor X oder von Radiumsalzen; man
erzielt damit eine räumlich ausgedehnte, aber verhältnismässig
kurzdauernde Wirkung, während man mit Hilfe von Emulsionen
von Thor X, Radiumsalzen oder Aktinium zwar nur eine streng
lokale, aber dafür langdauernde, intensive Wirkung bekommt.
Die Emulsionen bewirken in ihrer Nachbarschaft eine Nekrose,
die sich mit Bindegewebe abkapselt, und in der die radioaktive
Substanz viele Monate hindurch fast unverändert liegen bleiben
kann, ohne an Menge und an Strahlungsintensität wesentlich ab¬
zunehmen. Ein gewisser Verlust wird nur im Anfang dadurch her¬
beigeführt, dass die Leukocyten einen Teil der Substanz abtrans¬
portieren.
Von besonderem Wert ist die Kombination der Behandlung
mit radioaktiven Substanzen mit der Röntgenbestrahlung. Während
letzterer die Aufgabe zufällt, das erkrankte Organ in toto zu be¬
einflussen, haben die ersteren hauptsächlich lokal den Er¬
krankungsherd von innen her oder von der Oberfläche aus anzu¬
greifen und die Röntgenwirknng zu verstärken. Die intravenösen
Injektionen macht man in der Absicht, eventuelle Metastasen zu
treffen und den Tumor von der Blutbahn her zu radioaktivieren.
Die Erfolge dieser Behandlung sind in manchen Fällen ver¬
blüffende. Maligne Lymphdrüsentumoren bilden sich mitunter
in einigen Wochen vollkommen zurück, carcinomatöse Infiltrate
schmelzen ein oder nekrotisieren und werden abgestossen. In
vielen Fällen kommt es während der Resorption gleichzeitig zur
Ueberhäutung der bestehenden Ulcerationen. Allerdings ist der
Grad des Erfolges bei den mannigfachen Arten von Geschwülsten
sehr verschieden. Während manche Tumoren nach mässig starken
Behandlungen in wenigen Wochen verschwinden, bedürfen andere
wieder lange fortgesetzter, intensiver Bestrahlung, um überhaupt
zu deutlicher Reaktion gebracht zu werden. Bei grösseren Tumoren
sind 100—300 Stunden Expositionsdauer unter Anwendung von
10—20 mg Mesothor und 4 — 5 Volldosen harter Röntgenstrahlen
bei radiärer Applikation binnen 2—3 Wochen indiziert. Wichtig
ist die Erkenntnis, dass man eine geringere Intensität der
Bestrahlung nur innerhalb gewisser Grenzen durch eine
entsprechend längere Exposition ersetzen kann. Viele
Misserfolge sind zweifelsohne dem Umstande zuzuschreiben,
dass mit zu schwachen Strahlenquellen und Einzeldosen
gearbeitet wurde. Die relativ geringe Tragweite der a- und ß-
Strahlen der radioaktiven Substanzen setzen die Gefahren einer
Ueberdosierung erheblich herab, so dass hier ein rücksichtslos
energisches Vorgehen weit weniger gefährlich ist, als bei der
Anwendung penetrationsfähiger Röntgenstrahlen, welche auch die
weitere Umgebung der Tumoren schwer schädigen. Man muss
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UMIVERSITY OF IOWA
440
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
in jedem einzelnen Falle individualisieren und von neuem pro-
bieren, um so mehr, als die histologische Beschaffenheit
der Geschwülste kein zuverlässiger Wegweiser für die
Beurteilung der Empfindlichkeit gegen die Bestrahlung ist.
Ob die momentan oft überraschenden Erfolge von Dauer sind,
lässt sich derzeit noch nicht entscheiden, da die Erfahrung mit
den stärksten radioaktiven Substanzen sich erst über 1— l l j 2 Jahre
erstreckt. Nach älteren Erfahrungen allerdings muss betont
werden, dass selbst glänzende Momenterfolge, die scheinbar zur
vollständigen Ausheilung führen, noch keineswegs den Dauerfolg
verbürgen.
Der offenbare Vorteil, den die radiotherapeutiscbe Kombinations¬
therapie bietet, macht es verständlich, dass die Heranziehung
einer chemischen Substanz, welche im Körper eine ähnliche
Wirkung entfaltet, wie die Strahlen, eine rationelle Ergänzung
der Behandlung mit diesen bedeutet, ln diesem Sinne wird die
oben beschriebene Eigenschaft des Cholins und seiner Salze thera¬
peutisch verwertet. Am häufigsten verwenden wir das borsaure
Salz. Es wird sowohl intravenös wie intratumoral und intra-
glutäal eingespritzt. Zu intravenösen Injektionen nimmt man
anfangs 2—3, später 4—5 ccm der 10 proz. Lösung auf 20 ccm
Gesamtinhalt ergänzt mit steriler physiologischer Kochsalzlösung,
für die intratumoralen und intraglutäalen Einspritzungen wird die
10 proz. Lösung unverdünnt verwendet. Um stärkere lokale Re¬
aktionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, über 4—5 ccm als Einzel¬
dose nicht hinauszugehen. Die Einspritzungen werden meist so gut
vertragen, dass sie 4—5 mal in der Woche wiederholt werden
können, abwechselnd intravenös und intraglutäal, nur bei besonders
schlecht geeigneten Venen stets intraglutäal oder intratumoral. Von
Wichtigkeit ist die Art und Weise, wie die Einspritzungen
in den Rahmen der gesamten radiotherapeutiscben Kur ein¬
gefügt werden, da durch die sensibilisierende Wirkung der
Cholinverbindungen auf die Epidermis sonst die Gesamt¬
dose der Bestrahlung beträchtlich herabgesetzt würde. Es
ist nämlich nacbgewiesen, dass die Empfindlichkeit der Haut
nach wochenlang regelmässig fortgesetzten Cholineinspritzungen
auf das zwei- bis dreifache der Norm steigen kann. Es gibt
jedoch einen einfachen Weg, um dies zu vermeiden. Man beginnt
die Einspritzungen gleichzeitig mit den Röntgen- und Radium-
bzw. Mesothorbestrahlungen und setzt dieselben durch etwa 2,
höchstens 3 Wochen fort, während welcher Zeit 10—12 Injektionen
vorgenommen werden können. In achttägigen Pausen werden
während dieser Bebandlungsperiode drei intravenöse Einspritzungen
von Thor X Lösung und, wo dies angeht, auch einige intra-
tumorale Injektionen von unlöslicher Thor X- Emulsion vor¬
genommen. Sodann folgt eine Pause von 4 bis 6 Wochen, während
welcher die Ueberempfindlichkeit der Haut anscheinend voll¬
kommen abklingt. Wenn man also die dauernd fortgesetzte In¬
jektion von Cholin vermeidet, so ist man imstande, ein plus an
Wirkung zu erreichen, ohne die Dosierung der Radiotherapie ein¬
schränken zu müssen. Wie weitgehende Beeinflussungen durch
derartige zweckmässige Kombinationen von Behandlungsmethoden
erreicht werden können, mögen einige Fälle illustrieren.
Im August und September 1912 wurden zwei Männer, von
denen der eine an einem diffusen, durch Laparotomie festgestellten
Magencarcinom mit unstillbarem Erbrechen und einer brettbarten
Infiltration des Epigastriums litt, der andere ein ebenfalls durch
Operation beglaubigtes Gallenblasencarcinom mit multiplen
Tumoren im Abdomen, Ascites und hochgradigen Oedemen der
unteren Extremitäten hatte, der eben geschilderten Behandlung
unterzogen. Anfang 1913 batten beide Kranken mehr als 20 Pfund
zugenommen und waren nach ärztlichem Berichte arbeitsfähig.
Der Patient mit dem Gallenblasencarcinom hat sich am
17. Februar 1913 persönlich vorgestellt. Es bestand nur noch
eine eigrosse Induration unterhalb der Laparotomienarbe. Ascites
und Oedeme waren verschwunden. Der Mann fühlte sich
gesund. Bei einem ebensoweit vorgeschrittenen Magenkrebsfalle,
der im November behandelt wurde, war im Januar ebenfalls eine
bedeutende Besserung mit über 20 Pfund Gewichtszunahme zu
verzeichnen. Auch einige Uteruscarcinome, darunter ein solcher
mit einer Oberschenkelmetastase, reagierten günstig. Im letzteren
Falle ging der Tumor, der am linken Oberschenkel sass, voll¬
ständig zurück, während die Uterusgeschwulst von weit über
Kindskopfgrösse auf kaum Orangengrösse zusammenscbrumpfte.
Wie oft bei so desolaten Fällen bisher Nutzen erzielt wurde,
lehrt folgende Zusammenstellung. Im Sommer und Herbst 1912
wurden 171 primär inoperable oder recidivierte maligne Tumoren
verschiedenster Art, durchwegs weit fortgeschritten und an¬
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scheinend hoffnungslos, der oben geschilderten Radiochemotherapie
unterzogen. Von diesen wurden 21 (also 12pCt.) sehr
wesentlich gebessert (1 Rachencarcinom, 1 Rectumcarcinom,
1 Rundzellensarkoni, 2 Lymphosarkome, 1 Parotiscarcinom,
1 Mundbodentumor (histologisch nicht untersucht, da spurlo»
zurückgebildet), 7 Mammacarcinome, 2 Uteruscarcinome, 3 Magen-
carcinome, 1 Harnblasencarcinom, 1 Gallenblasencarcinom), bei
28 (16 pCt.) wurde eine beträchtliche, aber doch weniger weit¬
gehende Rückbildung erreicht. 122 Kranke hatten entweder nur
unbedeutenden Nutzen, waren auch meist viel zu kurz behandelt
worden, oder entzogen sich unserer Beobachtung, so dass ihr
weiteres Schicksal unbekannt ist.
Die Intensität der Behandlung ist von entscheidender Be¬
deutung. Dies zeigt ein Vergleich der Cholindosen, die bei den
verschiedenen Kranken gegeben wurden, mit dem erzielten Er¬
folge. Das Ergebnis von 56 Fällen, bei deneu die Höhe der
Thor X- und Röntgendosen mit der Menge des injizierten Cholin»
annähernd parallel geht, illustriert dies schlagend.
Borcholin (in Reinsubstanz) . . 3—5 g 5—8 g über 8 g
Zahl der Kranken. 25 18 14
Wesentlich gebessert .... 1 2 7
Beträchtlich beeinflusst ... 4 6 5
Negative Ergebnisse .... 20 10 2
Die genaueren Daten werden demnächst in der „Strahlen¬
therapie“ veröffentlicht werden.
Nicht mitgezählt sind in sämtlichen obigen Angaben die erst
in den beiden letzten Monaten in Behandlung getretenen schweren
Krebsfälle, sowie alle leichten Formen, insbesondere die
Epitheliome, bei denen meist die Mesothorbestrahlung allein zur
völligen Rückbildung genügt, ferner alle jene Kranken, bei denen
durch elektrokaustische oder operative Maassnahmen die Be¬
obachtung des Verlaufes der radiochemotherapeutischen Beein¬
flussung unterbrochen wurde. Ueber letztere wäre noch folgende»
zu berichten.
Die häufigste Reaktion ist die Verflüssigung massiver Tumor¬
knoten, die an die bekannten chemotherapeutischen Versuche
an Mäusecarcinom erinnert. Die unangenehmste Komplikation
bilden hierbei die Arrosionsblutungen, die mitunter eintreten,
wenn die Tumoren grossen Gefässen aufsitzen. Die infiltrierenden
Formen des Carcinoms sind im allgemeinen resistenter als die
knolligen Wucherungen, dafür bilden sich erstere, wenn sie
überhaupt deutlich reagieren, nicht durch Colliquation, sondern
auf dem Wege der narbigen Schrumpfung zurück, was als die
günstigste Art der Beeinflussung zu betrachten ist. Da die Er¬
fahrung sich kaum auf Jahresfrist erstreckt, ist ein definitives-
Urteil über die Ausbildungsfähigkeit der Methode noch nicht
zu fällen.
Zur Verstärkung der Cholinwirkung mischen wir die Lösung
mit Metallkolloiden, insbesondere mit Elektroseleovanadium, da»
nach den Untersuchungen, die im Vorjahre von mir und Szecsi
publiziert wurden, den Einfluss des Cholins beträchtlich be¬
schleunigt und unterstützt, allerdings ohne an dem Wesen de»
Prozesses irgendetwas zu ändern. Dies ist durch histologische
Untersuchungen sichergestellt worden. Die Anwendung der
Mischungen hat den Nachteil, dass die Reaktion der Kranken auf
die Einspritzungen stärker ausfällt als bei der Anwendung reinen
Cholins, und dies ist der Grund, warum es noch nicht als ent¬
schieden gelten kann, ob die Cholinkolloidgemische gegenüber
den reinen Cholinlösungen in praxi einen nennenswerten Fort¬
schritt bedeuten.
Neben dem System der „homogenen“ Kombination von
Mitteln, welche sich nur durch ihre Nebenwirkungen unter¬
scheiden, in den wichtigsten Punkten aber gleichartig wirkeo,
lassen sich auch Kombinationen „heterogener“ Natur zusammen¬
stellen, wie z. B. die Vereinigung der Radiotherapie mit der
Arsenbehandlung, die bei Sarkomen wohl vorläufig als die optimale
Methode gelten kann.
Aehnliche Vorschläge hat vor 2 Jahren Dr. Ivar Bagge ge¬
macht, indem er bei seinen Kranken gleichzeitig Arsenik, Jod¬
kalium, Hochfrequenzströme, Hetoleinspritzuogen und ein Krebs¬
serum anwandte. Nach seinen Angaben erzielte er damit tat¬
sächlich einige beachtenswerte Erfolge.
Wir ziehen bei der heterogenen Kombination gleichfall»
elektrische Methoden (Diathermie, Fulguration, Dunkelfulguration,
Lichtbogenoperation) heran, indem wir die Tumoren durch Er¬
hitzung gegen die Strahlenwirkung sensibilisieren oder durch
Verkochung ganz oder teilweise zerstören, Zerfallshöhlen des¬
infizieren oder durch elektrische Funkenbüschel Ulcerationen zur
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
441
Reinigung, eventuell auch Ueberhäutung bringen, durch den
elektrischen Lichtbogen totale oder partielle Exstirpationen von
Gescliwalstkuoten vornehmen u. dgl. Die operativen und nicht¬
operativen Methoden ergänzen sich auf diese Weise bei in¬
operablen Tumoren ebenso häufig, wie die Radiotherapie und die
chirurgische Behandlung bei radikal operablen Geschwülsten.
Es sei jedoch an dieser Stelle nicht unterlassen, vor un¬
zweckmässigen Kombinationen zu warnen, bei denen sich die
schädlichen Wirkungen leicht mehr summieren als die nützlichen,
wie z. B. bei der Vereinigung der Coleytoxinkur mit starken
Arseneinspritzungen usw. Insbesondere ist die Kumulation von
Mitteln zu vermeiden, von denen jedes einzelne bereits eine starke
fieberhafte oder gar collapsartige Reaktion hervorzubringon ver¬
mag. Bei Beobachtung dieser Vorsichtsmaassregeln wird es je¬
doch leicht sein, aus der Fülle der im Vorstehenden mitgeteilten
Methoden sich passende Kombinationen auszusucben. Das eine
darf als erwiesen gelten, dass, so lange keine vollkommen
suffiziente Einzelmethode existiert, die richtige Kom¬
bination mehrerer Verfahren, insbesondere der radio-,
chemo- und immunotherapeutischen, gelegentlich unter¬
stützt durch eine vorsichtige Toxin- oder Ferment¬
behandlung jeder einheitlichen und einseitigen Therapie
überlegen ist.
Dass alle diese nichtoperativen Methoden vorläufig meist
nur zur Behandlung inoperabler Tumoren zu verwenden sind oder
zur Verhütung von Recidiven nach vorausgeschickten Operationen,
ist wohl selbstverständlich. Operable Geschwülste dürfen nur
dann mit diesen Verfahren behandelt werden, wenn der Patient
die Operation verweigert, oder wenn diese strikte kontraindiziert
ist; eine Ausnahme bilden nur oberflächliche Sarkome oder Epi¬
theliome, bei denen der Erfolg erfahrungsgemäss häufig eintritt
und leicht überwacht werden kann. Aber gerade in jenen Fällen,
in denen wir notgedrungen das Messer aus der Hand legen oder
dem Erfolge desselben nicht trauen dürfen, ist die Erweiterung
unseres ärztlichen Könnens besonders wertvoll. Da selbst bei
ziemlich weit vorgeschrittenen Fällen heute ein Misserfolg nicht
mehr als von vornherein absolut sicher gelten kann, erwächst
uns die Pflicht, alle modernen Methoden zur Rettung der be¬
dauernswerten Krebskranken aufzubieten, soweit die äusseren Be¬
dingungen dies gestatten. Wie weit man die Indikationen stecken
soll, wird vorläufig noch dem Urteile und der persönlichen Er¬
fahrung des behandelnden Arztes im Einzelfalle überlassen werden
müssen. Ganz hoffnungslose Fälle sollten von eingreifenden und
doch aussichtslosen Behandlungsversuchen verschont bleiben, aber
wo auch nur die entfernte Möglichkeit einer günstigen Beein¬
flussung besteht, sollte man die Hände nicht mehr müssig in den
Schoss legen, ganz besonders dann nicht, wenn der Kranke selbst
den Wunsch nach weiterer Behandlung äussert.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Königs-
berg(Dir.: Prof. Dr.Kisskalt) und der urologischen Klinik
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.
Klinische und serologische Untersuchungen bei
Harneiterungen durch Bacterium coli.
Von
Dr. Theodor Cohn, und Dr. Hans Reiter,
Privatdozent für Urologie, Leiter des Untersnchuiigsaniteti
am hygienischen Institut.
Wie eine Durchsicht der einschlägigen Literatur ergibt, hat
sich in dem jüngsten Jahrzehnt das Interesse der Forscher in
Klinik und Laboratorium in erhöhtem Maasse der Bearbeitung
der nichttuberkulösen Harneiterungen zugewandt und die Kenntnis
von der Aetiologie, dem klinischen Syraptomenbilde sowie von
der Therapie dieser Erkrankungen vielfach bereichert und ge¬
fördert. Auch dieser Fortschritt ist ebenso wie die grossen Er¬
folge der chirurgischen Therapie im Kampfe gegen die Harn¬
tuberkulose in erster Reihe auf die zweckmässige Anwendung der
urologischen Untersuchungsmethoden, der Blasenableuchtung, der
HarnleitersondieruDg und der Nierenprüfung zurückzuführen. Die
frühere Anschauung von dem Ueberwiegen der aufsteigenden In¬
fektion bei dem Verlauf der Niereneiterungen hat durch eine
Reihe einwandfreier Beobachtungen eine starke Erschütterung er¬
fahren müssen [Kapsammer (32), Thiemich (33), Stewart(30)],
ganz ebenso wie es auf dem Gebiete der Harntuberkulose ge¬
schehen ist; besonders nachdem es sich gezeigt hat, dass auch
Fälle, welche wie primäre Blasenkatarrhe aussehen, bei ein¬
gehender Untersuchung als sekundäre Affektionen einer bereits
bestehenden Nierenerkrankung aufgefasst werden mussten (8).
Die bakteriologischen Studien haben in Bestätigung der Er¬
gebnisse früherer Arbeiten (Rovsing, Melchior, Krogius) als
häufigsten Eitererreger das Bacterium coli gefunden. Bei der
Pyelitis gravidarum wurde es von E. Kehrer (1) an seinen
Kranken unter 79 pCt. beobachtet. Unter 80 Fällen von Harn-
eiteruogen, die er bakteriologisch untersuchte, konnte Theodor
Cohn diesen Erreger 05 mal, also in 50 pCt. als alleinigen krank¬
machenden Keim feststellen. Aus diesen Gründen wurde gerade
das Verhalten dieses Mikroorganismus zum Gegenstände der
klinischen und experimentellen Forschung in jüDgster Zeit ge¬
macht (Brian, Cuturi, Koll, Rawls, Meyer-Betz u. a.). Die
unzureichenden Erfolge der chirurgischen Therapie und die des¬
halb einsetzenden Bemühungen um eine bakteriologisch-serologische
Behandlung machten es notwendig, dass das Gebiet der Coli-
Harneiterungen auch serologisch durchforscht wurde (Rovsing,
Schneider, O’Neil, W. Weiss u. a.). Auch die vorliegende
Mitteilung betrifft serologische Untersuchungen, die in 17 Fällen
von Harneiterungen, bedingt durch Bacterium coli, angestellt
wurden.
Da die Bedeutung der Ergebnisse dieser unserer gemeiu- J
schaftlichen Untersuchungen an den Blutsera der Kranken auf
Agglutination, opsonischen Index und Komplementbindung nur
aus einem Vergleich mit dem klinischen Verlauf der Fälle er¬
kannt werden kann, so seien die wichtigsten Angaben über die¬
selben hier kurz vermerkt:
Fall 1. H. Br., Schüler, 19 Jahre alt. Februar 1911 Conamen
suic. mit 100 g Lysol per os. Dreimonatiges Krankenlager, darauf an¬
scheinend gesund. Seit dem 21. IX. 1911 vermehrter schmerzhafter
Harndrang, ein- bis zweimal nachts. Harn ammoniakalisch trübe, mit
kleinen BlutgerinnselD.
Status. 2. X. 1911: Lungen, Herz normal. Harn: 1 pM. Albumen.
Kein Zucker; reichliches Centrifugat aus Leukocyten. Auf Agarplatte
Bact. coli in Reinkultur. Starke Rückenschmerzen, die in den nächsten
Tagen zunehmen; Fieber allmählich bis 39,9°. Ureterenkatheterismus:
rechts: trüber Harn, deutlich Albumen, reichlich Eiter; links: klarer
Harn, sehr wenig Leukocyten. Auf Agar: rechts Coli, links steril. Daher
am 10. X. Nephrotomia dextra in Aethernarkose. Nierenparenchym
weich, nirgends abscedierende Erweichung. Nierenbecken normal gross.
Abfall des Fiebers zur Norm, Abnahme des Eiters. 14. XL Entlassung.
9. I. 1912: Subjektiv wohl, Harn steril. 2. VII.: Subjektiv wohl. Harn
ca. V« pM. Albumen, viele Leukocyten, keine Bakterien.
Fall 2. Frau 0. Et., 50 Jahre alt. Seit 5 Wochen Schmerzen in
der rechten Nierengegend, nach 14 Tagen brennende Schmerzen beim
Harnen, vermehrter Harndrang, nachts zwei- bis viermal.
Status. 29. IX. 1911: Sehr bleiche Frau. 60pCt. Hb., 3 l / 2 Mill.
Erythrocyten, 6000 Leukocyten. Lungen normal. Herz: systolisches
Geräusch über allen Ostien, keine Oedeme. Augenhintergrund normal.
Bauchorgane normal. Ureterenkatheterismus: Blase normal, Harn trübe,
reichliches Centrifugat, Leukocyten, Bact. coli, keine Tuberkelbacillen;
rechts: etwas trübe, Albumen deutlich, viele Leukocyten, blasse Cylinder,
Coli; links: klar, Albumen reichlich, einzelne Leukocyten, Coli. Tempe¬
ratur normal. Behandlung innerlich: Diuretiea, Eisen, Cystopurin, Diät,
Ruhe. Später Autovaccine. 30. 6.: Harn: reichlich Albumen, keine
Cylinder, reichlich Leukocyten, Bact. coli.
Fall 3. Frau Fg., 68 Jahre alt. Vor 6 Jahren angeblich infolge
Erkältung Blasenkatarrh 8—4 Wochen lang. Ebenso Weihnachten 1911.
Zwei- bis viermal pn. 1 )- Lungen normal. Herz: links: Mammillarlinie,
systolisches Geräusch. Riva-Rocci = 160. Bauchorgaoe normal. Nieren
nicht fühlbar. Ureterenkatheterismus: rechts: trübe, reichliche Leuko¬
cyten, Coli; links: klar, kleine Spur Albumen, spärliche Epithelieo,
blasse Cylinder; sterile Behandlung innerlich. 18. V. 1912: Centrifugat
sehr spärlich: Leukocyten steril. Frau Fg. stirbt im Krankenhaus an
Apoplexie im August.
Fall 4. Frl. E. Js., 31 Jahre alt. Seit 1905 im Anschluss an
einen Partus Anfälle von intermittierender Pyonephrose 2 ). Verschwinden
der Anfälle nach intravesicaler Beseitigung einer Aussackung der Blasen¬
enden, der doppelten rechtsseitigen Harnleiter. Im Harn weiter Eiter
und Bact. coli, an Menge stetig abnehmend, aber Juni 1912 noch nach¬
zuweisen; linker Harn stets steril, frei von Leukocyten. Lungen normal,
Herz ebenso.
Fall 5. Frau R. Jg., 60 Jahre alt. Vor 18 Jahren Lues: Exanthem,
das auf Inuuktionskur heilt. 4 Jahre später Erscheinungen von Lues cerebri,
1) Harndrang per noctem.
2) Cf. Zeitschr. f. Urologie, 1909, Bd. 3, S. 761.
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442
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
die nach 6 Wochen ganz verschwinden. Yorübergehehende Detrusor-
lähmung. Im Harn eine Spur Albumen und Leukocyten. Beider-
seits Coli.
Status. 15. I. 1912: Etwas bleich, 70pCt. Hb. Blutbild normal.
Herzhypertrophie. Rechte Niere deutlich fühlbar. Harn: deutlich
Albumen, kein Zucker, viele Leukocyten, einige blasse Cylinder, Bact.
coli. Pat. nach Aussage der Umgebung launisch; widerstrebt jeder
ärztlichen Behandlung. Romberg. Ptosis levis duplex. Rechte Pupille
kleiner, schwach reagierend. Schlaf gut. Allmählich treten Erregungs¬
zustände mit Wahnvorstellungen auf. Desorientierung. Nahrungs¬
verweigerung. Abmagerung. Tod Ende August.
Fall 6. Frau K. Ki., 56 Jahre alt. Früher angeblich stets gesund.
Seit 3 Wochen heftiger, schmerzhafter Harndrang, ein- bis zweimal pn.
Status. 17. V. 1912: Lunge, Herz normal. Riva-Rocci = 130.
Harn trübe, aromoniakalisch riechend, sauer. Albumen deutlich, sehr
reichlich Leukocyten, einzelne Erytbrocyten, keine Cylinder, Coli beider¬
seits. Behandlung innerlich. Verschwinden der subjektiven Beschwerden
nach 5 Wochen. Enduntersuchung verweigert.
Fall 7. Frau A. Ks., 42 Jahre alt. Seit einigen Wochen Brennen
in der Gegend der Harnröhrenmündung. Kein vermehrter Harndrang.
Status. 7. III. 1911: Lungen, Herz gesund. Harn: kaum Albumen,
einzelne Leukocyten. Steriles Meerschweinchen intraperitoneal geimpft,
bleibt leben. Cystoskopisch normal. 5. IV.: Stärkeres Brennen, Harn
eitrig. 6.1V.: Ureterenkatheterismus: rechts: kein Eitern, links: mehrere
Leukocyten, Coli. 13. IV.: Nephrotomia sin.: Kapsel häufig verwachsen.
Niere anscheinend kleiner, Oberfläche an einigen Stellen strahlig ein¬
gezogen, besonders am oberen und unteren Pol. Konsistenz etwas
weich. Becken bei der Austastung von normaler Grösse. 6. V.: Ent¬
leerter Harn: viele Leukocyten, blasse Cylinder, Coli. Subjektiv: leichtes
Harnbrennen, sonst keine Beschwerden. 23. X.: Akute Blasenreizung.
81. X.: Schmerzen in der rechten Nierengegend. 24. 11. 1912: Ureteren¬
katheterismus: beiderseits Coli. 18. IX.: Allgemeinbefinden gut. Gewichts¬
zunahme seit der Operation um 28 Pfund. Gefühl von Brennen am
Urific. int. ur. Ham: reichlich Centrifugat, Bact. coli, wenige Leuko¬
cyten. 9. XII.: Harn steril.
Fall 8. Herr M. Kl., 35 Jahre alt. Früher stets gesund bis aut
eine Influenza yor vier Jahren. Ende April 1912 „Influenza“. Seit dem
1. Mai vermehrter schmerzhafter Harndrang, nachts zwei- bis dreimal.
Fieberanfälle.
Status. 20. V. 1912: Epigastrische Schmerzen, Appetitlosigkeit,
lmal pn. Herz, Lungen normal. Harn: trübe, sauer. Alb. deutlich.
Kein Zucker. Reichlich Leukocyten. Keine Erythrocyten, keine Cylinder,
Bact. coli. Röntgen: beiderseids negativ. Riva-Rocci = 120. Behandlung
innerlich. Cyst. Trinkkur. Bei der Entlassung am 27. VI. beschwerde¬
frei. Harn steril.
Fall 9. Frau Lt., 52 Jahre alt. Angeblich schon seit ihren
Mädchenjahren Neigung zu Blasenkatarrhen bei leichter Erkältung. Auch
während der Schwangerschaften Blasenbeschwerden. Seit einigen Monaten
vermehrter schmerzhafter Harndrang, leichtes Fieber.
Status. 17. V. 1912: Lungen, Herz normal, Riva-Roccci = 130,
Ureterenkatheterismus rechts: Spur Alb.; links: Leukocyten, Bact. coli. Bei
der Entlassung am 4. VI. fast ganz beschwerdefrei. Ebenso am 25. XI. 1912:
Harn klar, kaum Alb. Centrif. kaum sichtbar. Agar: reichlich Coli.
Fall 10. Gefangener E. Mn., 39 Jahre alt. Vor drei Jahren Lues,
vor einem Jahr Gonorrhöe, seit einigen Wochen Kopf- und Rücken¬
schmerzen, vermehrter, schmerzhafter Harndrang.
Status. 15. 11.1912: Bleich, Lunge, Herz normal. Balanoposthitis.
Ureterenkatheterismus, beiderseits reichlich Eiter, Coli. Kein Tuberkel¬
bacillus. Schmerzen links. Druckempfindlicbkeit nur links. Blaureak¬
tion rechts nach 8 Minuten, links nach 15 Minuten. 5. III. 40°. Nephro¬
tomia sin. Der ungebärdige Patient verschuldet, dass der Nierenbecken¬
drain am sechsten Tage herausfallt. Entlassung auf Wunsch der Staats¬
anwaltschaft am 8. VI. Reichlich sezernierende Fistel. Harn trübe,
eitrig. 23. XI. 1912: Harn eitrig, Coli.
Fall 11. Frau CI.Mr., 64 Jahre alt. Seit einigen Wochen leichtes
Harn brennen. Lunge: leichtes Emphysem, Herz: normal, radial is
artscler. Gerontoxon. Harn trübe, Spur Eiweiss, reichlich Leukocyten,
Coli. Riva-Rocci = 176. Cyst. 280 cbm. Am Collum vesicae einige flach¬
gestielte Bläschen. Behandlung: intern. 13. III.: Kein Centrif., kein
Alb. 25. VI.: Centrif. deutlich, Spur Eiweiss, Enduntersuchung ver¬
weigert.
Fall 12. Frau J. Pk., 37 Jahre alt. Vor zwei Jahren Abort im
fünften Monat. Seitdem Magenbeschwerden. Seit acht Tagen ver¬
mehrter schmerzhafter Harndrang. 2 mal pn.
Status. 21. V. 1912: Blässe. Lungen: Beiderseits hinten oben
spärliches Giemen, ebenso seitlich links. Herz: normal, Riva-Rocci
= 110. Hämoglobin 85 pCt., Erythrocyten 4,5, Leukocyten 7000. Harn
trübe, Spur Alb., deutlich Eiter, Coli. Behandlung intern. Entlassen
am 2. VII. Harn: keine Leukocyten, steril.
Fall 13. Frau A. Re., 36 Jahre alt. Vor sechs Jahren nach dem
ersten Partus Blasenbeschwerden, seit zwei Wochen wieder zwei- bis
dreimal pn.
Status. 13. III. 1912: Harn: trübe, sauer, Spur Alb. Ureteren¬
katheterismus: Blase 320 ccm, rechts und links: Centrif., Leukocyten,
Coli. Behandlung: Autocolivaecine. 17. V. subjektiv besser r Harn¬
brennen seltener, Schwäche geringer. 19. X. 1912: Harn steril.
Fall 14. Frau J. Sehe., 43 Jahre alt. Seit einigen Tagen Schmerz¬
anfälle in der linken Nierengegend, Fieber, Schwäche.
Status. 19. V. 1911: Fieber, Abdomen druckempfindlich, Lunge,
Herz normal, Harn trübe, sauer, deutlich Eiweiss, reichlich Centrif., Leuko¬
cyten, Coli. Behandlung: Nierenwaschung mit Vioform alle 4 bis 5 Tage.
28. V. = 36,8°, seit 14 Tagen zum ersten Male 36.6°. Harn geruchlos,
dauernd fieberfrei. 2. VII. = 38°, sonst fieberfrei. Weitere drei Nieren¬
waschungen. 3. VIII.: Autovaccine. Seitdem dauernd arbeitsfähig,
durchaus beschwerdefrei, Harn leicht getrübt, deutlich Eiter, auf
Agar: Coli.
Fall 15. Frl. M. Schk., 37 Jahre alt. Seit einigen Wochen fast
dauernd brennendes Gefühl am Orif. ext. ur. und Kreuzschmerzen. 0 mal
pn. Lungen, Herz normal. Harn deutlich Albumen, deutlich Centrif.,
Leukocyten, Zucker 0,1 pCt. Keine Bakterien. 26. V.: Ureteren¬
katheterismus, Blase 350 ccm, auf der rechten Seite des Trigonum ein
kleines rundliches Geschwür. Harn spärlich, Centrif., Leukocyten und
Erythrocyten, keine Cylinder, keine Bakterien, rechts und links einige
Leukocyten, keine Bakterien. 0.: Nierendiät. 7 Pfd. Gewichtszunahme,
15 VII.: Stärkeres Brennen am Orificius. 31. VII.: Harn zuckerfrei.
25. VIII.: Subjektiv wohl. 2. X.: Hain reichlich Centrif., Leukocyten
und Coli. 16. X.: Behandlung: Autovaccine. Seitdem geringe Ge¬
wichtszunahme, Beschwerden abwechselnd, bald fehlend, bald wie früher,
jedoch geringer. 11. XL: Ureterenkatheterismus beiderseits, Leukocyten
und Coli.
Fall 16: Frl. J. Sn., 21 Jahre alt.
Status. 27. 1. 1912: Erkrankt unmittelbar nach der Operation
einer angeborenen beiderseitigen Hüftgelenksverrenkung unter Fieber
bis 38,8° und beiderseitigem Rückenschmerz. Ham eitrig, Coli. Nach
Fieberabfall entsteht vermehrter schmerzhafter Harndrang, durch Ein¬
legen eines Dauerkatheters für einige Tage behoben; allmählich wieder
39,8°. Erbrechen, rechts starke Schmerzen, Druckempfindlichkeit.
27. 1. 1912: Nephrotomia et Decapsul. dextr., Niere vergössert. Prall
weich. Oben adhäreut. 28. 1.: = 36,6*. Erbrechen und Schwäche
dauern noch bis zum 1. II. 2. II.: = 39°, Harn stark blutig und eitrig,
übel riechend. 21. II.: 38,5°, allmähliche Entfieberung. Entlassen
mit eitrigem Harn.
Fall 17. H. Sy.. 15 Jahre alt. Erkrankte Dezember 1910, angeb¬
lich infolge Erkältung mit vermehrtem schmerzhaften Harndrang und
trübem Harn. 4. 7. 1911: Nephrot. dextra (Payr), nach 2 l / 2 Wochen
angeblich Harn klar. Dezember 1911: heftige Schmerzen, 39,8°, seit
29. XII. bis 19. I. 1912: 10 rechtsseitige Nierenwaschungen (Queden-
feld).
Status. 21. I. 1912: Etwas bleich, sonst sehr kräftig entwickelt.
Lungen, Herz normal. Riva-Rocci = 100. Ham etwas trübe, sauer,
Spur Albumen, kein Zucker, Ureterenkatheterismus, rechts spärliche
Centrif., Leukocyten und Coli. Links klar, steril. Behandlung: Inner¬
lich. Wegen allmählich ansteigender Temperatur bis zu 39,6° und
starker Schmerzen am 22. IV. Nephrectomia dextr. Niere mit der
Muskulatur verwachsen, klein, höckrig, Par. stellenweise verdünnt, Kelche
teilweise erweitert. Mikr.: zahlreiche Herde kleinzelliger Infiltrationen,
stellenweise Vermehrung des Bindegewebes, verödete Glomeruli. 20. V.
entlassen. Ham: deutlich Albumen, Kopfschmerzen, Coli. 28. VII.:
Häufig Kopfschmerzen, Blässe deutlicher, geringer Apetit. Harn spärlich,
Centrif., Leukocyten und Coli, Albumen deutlioh, kein Zucker, einzelne
granulierte Cylinder. Ordo: Brückenau.
Unter diesen untersuchten 17 Fällen waren somit 14 weib¬
liche im Alter von 15 bis 68 Jahren und 3 männliche, 19, 35
und 39 Jahre alt.
Bei der Feststellung des Beginnes der Krankheit ist man
auf die Angabe des Kranken angewiesen. Und hierbei darf man
nicht vergessen, dass diese Angaben sich nicht immer mit der
wirklichen Entstehungszeit der eitrigen Affektion in den Harn¬
organen decken. Niereneiterungen können ja bekanntlich lange
Zeit ohne jede subjektive Störung verlaufen (Fairchild 31),
ferner auch unter Beschwerden, welche auf andere Organe be¬
zogen werden, bei Kindern auf den Darm (Meyer-Petersen 36),
bei Frauen auf die Genitalien (Mirabeau 32), bei Männern und
Frauen auf den Verdauungskanal, besonders den Magen, endlich
auch als Neuralgien einer oder beider Unterextremitäten oder in
der Kreuzbeingegend. Unter Berücksichtigung dieser Schwierig¬
keit darf man bei den Fällen 1, 6, 8, 10, 12, 16 deu Anfang in
die ersten Wochen vor Eintritt in die Behandlung (C.) verlegen.
Bei 2, 7, 11, 15, 17 trat das Leiden 1 bis 2 Monate vorher auf.
bei den übrigen schon vor vielen Jahren, nämlich 3, 6, 11 und
38 Jahren.
Als Ursache für ihre Erkrankung führen die meisten eine
Erkältung an; lässt man sich aber das angeschuldigte Ereignis
näher beschreiben, so gewinnt man in den meisten Fällen den
Eindruck, dass dasselbe nicht die von den Kranken beliebte ätio¬
logische Bewertung verdient. Ein Teil der Fälle weist jedoch in
der Anamnese Momente von unzweifelhaft prädisponierender Be¬
deutung auf: Fall 1 eine Lysol Vergiftung vor 7 Monaten, 4 und 13
'sind wohl als Fortsetzung Oiner sog. Pyelitisgravidarum zu betrachten.
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10. März 1913.
BERLINER KLINfSCHE WOCHENSCHRIFT.
443
Bei 5 und 10 hat Lues, bei 8 eine Influenza, bei 10 ausserdem
noch eine langwierige Gonorrhöe einen schwächenden Einfluss
ausgeübt; bei der Patientin 16 hat in gleicher Weise die, wenn
auch aseptische, so doch eingreifende Knocbenoperation unter
Chloroformnarkose zum akuten Ausbruch der Niereneiterung bei-
getragen, ohne dass aber festgestellt werden kann, ob Patientin
vor derselben bakterienfreien Harn gehabt bat. Diesen Einwand
darf man überhaupt bei jeder Angabe der Patienten über
den ersten Beginn der Erkrankung mit voller Berechtigung
stellen, nachdem die Erfahrung lehrt, dass Niereneiterungen jahre¬
lang symptomlos verlaufen können [Lenhartz (37), Savels (38),
Charles (34)].
Als erste subjektive Beschwerde empfanden 1, 4, 10, 14 zu¬
nächst Schmerzen im Rücken, an der Grenze zwischen Brust-
und Lendenwirbelsäule; nach einigen Tagen traten Beschwerden
von seiten der Harnentleerung hinzu; schmerzhafter, besonders
auch nachts vermehrter Harndrang. Alleinige Blasenbeschwerden
bildeten den ersten Gegenstand zur Klage bei 2, 3, 6, 8, 9,
11, 12, 13, 16, 17. Die Patienten 7 und 16 aber suchten die
Behandlung nur deswegen auf, weil sie in der Gegend der äusseren
Harnröhrenmündung dauernd ein mehr oder weniger lästiges,
brennendes Gefühl verspürten.
Eine Erhöhung der Temperatur war beim Auftreten der Er¬
krankung in allen Fällen vorhanden, bei den meisten nur bis 38°,
in Fall 6 bis 39°, nur wenige fieberten bis 40° und 40,5°.
Eine Druckempfindlichkeit der Nierengegend liess sich nur
bei 1, 4, 7, 10, 14, 16, 17 nachweisen.
Alle Patienten entleerten einen mehr oder weniger trüben
Harn von saurer Reaktion. Sein Centrifugat bestand über¬
wiegend aus Leukocyten und enthielt nur bei 4 Fällen auch rote
Blutkörperchen. Bei 15 und 7 traten erst einige Tage nach Be¬
ginn der Beschwerden Colibakterien im Harn auf. Bei den
anderen Kranken waren dieselben von Anfang an nachweisbar.
Die Blasenkapazität betrug bei den meisten 250 ccm und
darüber, bei 6 das erste Mal 150, später 250 und mehr. Ebenso
nahm sie bei 8, 10, 15, 16 rasch zu, nachdem sie bei der ersten
Untersuchung nur 200 ccm betragen hatte.
Die Blasenableuchtung liess bei vermehrtem schmerzhaften
Harndrange, also subjektiven Erscheinungen von seiten der Blase,
die bekannten Veränderungen am Collum und Trigonum erkennen,
starke Rötung, Flockung, Verlust der Gefässzeichnung, vermehrte
Gefässfülle, in einzelnen Fällen auch punktförmige Rötungen an
den Seitenwänden. Bei 15 trat vorübergebend ein kleines, rasch
heilendes, oberflächliches Geschwür auf. Niemals wurde eine
schädliche Einwirkung der Cystoskopie auf die akut erkrankte
Blase beobachtet, eine Wahrnehmung, welche ich bei akuten
Cystitiden mit normaler Harnröhre stets gemacht habe, sobald die
Blase etwa 100 ccm fasste.
Bei keinem der 17 Kranken liess sich aus den sichtbaren
Blasen Veränderungen allein die Eitermenge des Harnes genügend
erklären. Daher erfolgte zur Vervollständigung der örtlichen Dia¬
gnose bei allen der Harnleiterkatbeterismus mit Ausnahme von
5, 8, 11, 12, wo er aus äusseren Gründen unterbleiben musste.
Bei 4 bestand ein angeborenes sackförmiges Divertikel der rechten
doppelten Uretermündungen, welches eine intermittierende Pyo-
nepbrose verursachte.
Eine beiderseitige Colieiterung war in den Fällen 2, 6, 10,
13, 15 vorhanden, eine rechtsseitige bei 1, 3, 4, 16, 17, eine
linksseitige bei 7, 9, 14.
Während also nur Patient 10 über Beschwerden zu klagen
hat, welche auf eine Erkrankung der Nieren hindeuten, deckt die
urologiscbe Untersuchung auch bei allen anderen Kranken, welche
sich nur über ihre Blase oder die Harnröhre beschwerten, eine
Neplropyose mit Sicherheit auf.
In keinem der untersuchten Fälle konnte die Diagnose auf
eine primäre Erkrankung der Blase gestellt werden, vielmehr
durfte man auf Grund des objektiven Untersuchungsbefundes so¬
wie der sorgfältig erhobenen Anamnese mit mehr oder weniger
Sicherheit auf eine Niereneiterung, Nephropyosis acuta oder chro¬
nica erkennen, wobei die häufig in grösseren oder kleineren
Zwischenräumen auftretenden, mit oder ohne angebbare äussere
Veranlassung wiederkehrenden Blasenreizungen als sekundäre
Affektionen aufzufassen waren. Diese Beobachtungen sowie eine
noch grössere Zahl aoderer, die später veröffentlicht werden
sollen (C.), bestätigen die schon früher (9) erwähnte Auffassung
von der grossen Seltenheit der primären Cystitis bei intakter
Urethra und. normaler Selbstentleerbarkeit der Blase. Bei den
irreführenden oder häufig gänzlich fehlenden subjektiven Sym¬
ptomen seitens der Niere kann es nicht weiter wundernehmen,
dass die meisten Nephropyosen vom Patienten und vom Arzt
selbst für Blasenkatarrhe gehalten werden, welche eine Neigung
zu häufigen Rückfällen besässeu; es wurde eben übersehen, dass
auch in der beschwerdefreien Zeit die Patienten Bacillenträger
waren und es auch Jahre und Jahrzehnte hindurch bleiben
konnten. Dazu kommt für den Arzt bei Frauen die Schwierig¬
keit, dass die sterile Entnahme des Harns durch den Katheter
nur zu diagnostischen Zwecken mit Rücksicht auf das Scham¬
gefühl häufig unterbleiben muss.
Dass nunmehr die Therapie sich der veränderten Auffassung
gemäss ändern muss, braucht wohl nicht erst noch besonders
hervorgehoben zu werden. Die Behandlung richtete sich in erster
Linie gegen die Nieren; der sekundäre Reizzustand der Blase
wurde, wie früher (9) erwähnt, beeinflusst. Da io allen unseren
Fällen die Blase sich spontan vollständig enteerte, lag keine Ver¬
anlassung vor, Spülungen anzuwenden.
Eine ausschliesslich innerliche Behandlung erfuhren die
Fälle 2, 3, 6, 6, 8, 9, 11, 12, 13. Die Patienten 7, 13, 14, 15
wurden mit Autovaccine behandelt. Die heftigen kolikartigen
Anfälle mit hohem Fieber, unter denen Fall 14 litt, schwanden
nach Waschungen der Niere mit Vioform (9), ohne seitdem
wiederzukehren 1 ). Das Ureterdivertikel des Falles 4 liess sich
intravesical dauernd beseitigen und mit ihm die pyonephrotischen
Anfälle; auch hier wirkten Vioform wasch ungen der Niere günstig,
indem sie rascher die Niereneiterung herabsetzten. Bei 1, 7, 10,
16 musste die einseitige Nierenbeckendrainage nebst Abscbälung
vorgenommen werden, bei 17 die Nephrektomie, nachdem hier
ein Jahr vorher von einem anderen Arzte die Nephrektomie, aber
ohne dauernden Erfolg gemacht worden war.
Was nun den schliesslichen Verlauf der einzelnen Fälle und
den Erfolg der Behandlung betrifft, so muss man eine deutliche
Unterscheidung zwischen den subjektiven Beschwerden und dem
objektiven Befund machen. Fast alle Patienten verloren ihre
subjektiven Beschwerden und bekamen auf ihr zweckentsprechen¬
des diätetisches Verhalten hin keine Rückfälle von ßlasen-
katarrhen mehr (9). Nur 7 und 15 klagen noch über geringes
Brennen in der Gegend der äusseren Harnröbrenmündung. Bei
Fall 10, der in andere Behandlung übergegangen ist, besteht die
Nierenfistel fort. Im Gegensatz hierzu wurde der Harn nur bei
3, 4, 6, 7, 8, 12 und 13 eiter- und bakterienfrei 2 ). Fall 1 und 17
weisen im Harn keine Bakterien, jedoch Eiweiss und Cylinder
auf. In allen übrigen Fällen dauert die Ausscheidung von Eiter
und Bakterien fort, bei der Patientin 9 ist der Eiweissgehalt
kaum wahrnehmbar, so dass man fast von einer reinen Bakteri-
urie sprechen kann.
(Schluss folgt.)
Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses zu Stettin (Prof. Neisser).
Ein Beitrag zur Endocarditis lenta an der Hand
von drei Fällen.
Von
Jarques Lewinski, Med.-Prakt.
Die Endocarditis lenta stellt eine chronische Sepsis mit
Lokalisation an den Herzklappen dar und wird hervorgernfen
durch einen besonderen wohl charakterisierten Erreger, den Strepto¬
coccus viridans seu mitior.
Bevor ich zur Besprechung der Aetiologie übergehe, bringe
ich erst meine Fälle (im Auszug) zur Kenntnis.
Fall 1. 30jährige Frau, aufgenommeo am 20. III. 1910.
Anamnese: Früher mehrmals Gelenkrheumatismus, fühlt sich jetzt
seit mehreren Woehen matt und hat ständige Atemnot.
Status: Sehr elend und blass. Remittierendes Fieber zwischen 37,5
und 38,5. Puls beschleunigt. Milz etwas vergrössert. Uebrige Organe
ohne Besonderheiten.
22. IV. Bisher täglich das remittierende Fieber. Dauernde Ge¬
wichtsabnahme. Elektrargol ohne Erfolg.
30. V. Zustand der gleiche. Verdacht auf „kryptogenetische Sepsis“,
deshalb Blutaussaat. In der Blutagarplatte massenhafte Kolonien von
Streptoc. viridans.
1) Anmerkung während der Korrektur. Nach einer Nieren¬
waschung mit Perhydrol ist der Harn bis jetzt bakterienfrei geblieben.
v ;.^ 2) Jetzt auoh bei 14, 15, 16.
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444
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 10.
14. VI. Da sich der Zustand nicht bessert, verlässt Pat. gegen ärzt¬
lichen Rat das Krankenhaus.
Fall 2. 22jährige Näherin, aufgenommen am 18. I. 1911.
Anamnese: Litt von jeher an Bleichsucht. Erkrankte November
1910 mit Fieber und Anschwellung der Fuss- und Kniegelenke. Unter
Medikation schwand die Gelenkaffektion, das Fieber und eine grosse
Schwäche blieben jedoch bestehen.
Status: Blasses Mädchen, Temperatur 39,4. Herz nach beiden
Seiten etwas vergrössert. Lautes systolisches Sausen an sämtlichen
Ostien. Puls weich, beschleunigt. Lungen: Spärliche bronchiale Ge¬
räusche. Uebrige Organe ohne Besonderheiten. Blutbefund: Hämo¬
globin 42:85. Leukocyten 11 000.
25. I. 1911. Aus dem Blute wird Streptoc. viridans gezüchtet. Im
rechten Auge zwei Netzhautblutuogen nachweisbar. Befinden unver¬
ändert. Temperatur meist zwischen 38 und 39, zeitweise jedoch bis 40°.
Puls meist zwischen 100 und 120.
10. II. 1911. Pat. geht, da sich der Zustand nicht bessert, nach
Hause.
Nachtrag des behandelnden Arztes:
Pat. fieberte täglich. Im weiteren Verlauf traten schwere entzünd¬
liche Gelenksymptome sowie eine Bronchitis auf. Die Herzfunktion liess
mehr und mehr nach, bis am 30. IV. 1911 der Tod infolge Herzinsuffi¬
zienz ein trat.
Fall 3. 26jähriges Dienstmädchen, aufgenommen am 7. VI. 1911.
Anamnese: War vom 21. IV. bis 4. V. 1911 im Krankenhause
wegen Schwindelgefühl und Mattigkeit, welche Beschwerden sich kurz nach
einer Zahnextraktion einstellten. Kurz nach der Entlassung haben diese
Beschwerden wieder eingesetzt, auch Beschwerden beim Treppcnsteigeu
von seiten des Herzens.
Status: Blasses Aussehen, Temperatur zwischen 37 und 38°. Beide
Fussgelenke leicht geschwollen.
Cor: Rechte Grenze überschreitet um 7 * cm den linken Sternal-
rand. Spitzenstoss im 4. Intercostalraum hebend und verbreitert. Lautes
systolisches Geräusch an der Herzspitze, das über Pulraonalis und Aorta
schwächer ist. Puls beschleunigt.
Uebrige Organe ohne Besonderheiten.
Sogleich Blutentnahme zur Kultur, nach 24 Stunden in der Platte
Streptoc. viridans gewachsen.
14. VI. Andauernd sehr hohe, remittierende Temperatur. Salicyl-
präparate ohne Einfluss. Cor wird labil, deshalb Digitalispräparate.
Collargol rectal gegen den septischen Prozess.
27. VI. Fieber unverändert. Zahlreiche Petechien am Körper.
12. VIII. Pat. wird immer matter, ist sehr abgemagert. Neuer Schub
von Petechien.
20. VIII. Milz perkutorisch vergrössert.
Urin: Essbach 72 pM. Sediment ohne Besonderheiten.
27. VIII. Plötzliche Schwellung im rechten Ellbogengelcnk mit
Fieber, geht unter Aspirin zurück.
Pat. wird nun mit subcutanen Vaccineiüjektionen von Streptoc. viri¬
dans behandelt, die ihr in Abständen von 5 bis 7 Tagen injiziert
werden; zuerst 0,15 mg Bakterien = 1 ccm, dann 0,3 mg, dann 0,6,
schliesslich 1 mg = 2 ccm.
Die Blutuntersuchungen, die 2—3 Tage nach jeder Injektion ge¬
macht werden, ergeben ein Sinken der Leukocytenzahl von 6000 auf
4800. Hämoglobin im Laufe der Krankheit von 49 : 80 auf 30 : 80
gesunken.
Im Urinsediment gegen Ende der Krankheit das Bild einer hämorrha¬
gischen Nephritis.
16. IX. Seit der dritten Vaccineinjcktion bewegte sich die Tempe¬
ratur zwischen 37 und 37,5°, war einmal sogar auf 36,5° gefallen. Heute
Anstieg auf 37,8°. Pat. benommen.
27. IX. Exitus unter Symptomen der Herzinsuffizienz.
Mit Berücksichtigung der aus diesen Fällen gewonnenen Er¬
fahrungen will ich nunmehr näher auf die Krankheit Eingehen.
Aetiologisch steht es jetzt fest, dass in den meisten Fällen
von Eudocarditis lenta Streptococcus viridans der Erreger ist.
Nach Steinert’s Behauptung kann auch ein dem Streptococcus
viridans nahestehender Streptococcus, ein Streptococcus anhaemo-
lyticus, der sich durch schnelles Wachstum — schon nach
12 Stunden deutliche Kolonien verhältnismässig beträchtliche
Grösse und Fehlen der Grünfärbung der Blutagarkulturen von ihm
unterscheidet, in selteneren Fällen die Krankheit bewirken.
Wesentlich für die Ansiedelung dieser Erreger auf den Herz
klappen ist nach Schottmüller das Vorhandensein alter Klappen¬
fehler, da erst die verrucösen Auflagerungen auf den Klappen die
geeignete Haftstelle darbieten. Daher erkläre sich die Angabe
bei der Mehrzahl der Kranken, dass sie früher an Gelenkrheuma¬
tismus und Herzerscheinungen gelitten haben. Es kommen jedoch
auch Ausnahmen vor.
Eine neue interessante Auffassung über die Aetiologie der
Endocarditis lenta hat Steinert zum Ausdruck gebracht. Er
hatte gefunden, dass Streptococcus viridans und Streptococcus
anhaemolyticus auch akut verlaufende septische Infektionen mit
Endocarditis hervorrufen können, und veröffentlichte in seiner
Arbeit vier derartige Fälle. Bei zwei dafür angeführten Patientinnen
war Partus bzw. Abort, bei einer Angina, bei einer anderen
Erysipel kurz vorher vorausgegangen. Auch Lenhartz berichtete
schon 1903 in seiner Arbeit von zwei derartigen akut verlaufen¬
den Fällen durch Streptococcus viridans bei Wöchnerinnen und
war der Ansicht, dass diese Erreger auf dem puerperalen Nähr¬
boden vielleicht virulentere Eigenschaften gewinnen. Steinert
setzte diese Befunde in ein anderes Licht, gestützt auf folgende
Beobachtung: In seinen akuten Sepsisfällen, die durch die ge¬
nannten Erreger bewirkt waren, fehlte stets der Gelenkrheuma¬
tismus und die alte Endocarditis in der Anamnese, während alle
seine Patienten mit chronischer Sepsis (Endocarditis lenta)
Gelenkrheumatismus überstanden und auch früher schon eine Endo¬
carditis acquiriert hatten, allerdings mit einer Ausnahme. Daraus
zog er die Folgerung, dass für das Haften der genannten Erreger
im Körper das Ueberstehen des Gelenkrheumatismus wichtiger
sei als die alte Endocarditis, da diese ja in einem sicheren Falle
von Endocarditis lenta gefehlt hatte. Auch bei seinen seltenen
chronischen, durch Streptococcus pyogenes bedingten Endocarditis-
fällen war stots Rheumatismus vorausgegangen. Es scheine also,
meinte Steinert, dass die überstandene rheumatische Erkrankung
die Tendenz habe, den Verlauf einer späteren Streptokokken¬
bakteriämie chronischer zu gestalten. Diese Tatsache hielt er
aber nur auf biologischem Wege für erklärbar, derart, dass eine
Allergie des Körpers, der eine rheumatische Affektion überstanden
hat, g e g e & Streptococcus viridans und seine Nächstverwandten,
in weniger ausgesprochenem Maasse anderen Streptokokken gegen¬
über, vorliege. Wenn dies aber der Fall sei, dann liege die
Vermutung nahe, dass auch der Gelenkrheumatismus durch Strepto¬
kokken bedingt sei.
Was meine eigenen drei Fälle betrifft, so hatte die erste
Patientin mehrfach Gelenkrheumatismus durchgemacht, die zweite
war kurz vor dem Ausbruch der Endocarditis lenta an Gelenk¬
rheumatismus erkrankt, während die dritte, bei der ich ganz ein¬
gehend daraufhin geforscht habe, nie an rheumatischen Erschei¬
nungen gelitten und auch keine alte Endocarditis hatte.
Wenn ich mich nun zu den bakteriologischen Verhältnissen
wende, so wird die Bedeutung der Bakteriologie als Unterstützung
für das klinische Verständnis und die Diagnostik gerade durch
die Geschichte dieser Krankheit in ein helles Licht gerückt. Wie
ich bereits darlegte, herrschten zuerst ganz unklare Vorstellungen
von der Endocarditis lenta, die erst aufbörten, als es Schott¬
müller gelang, den Erreger der Krankheit zu finden. Durch
seinen Nachweis im Blut konnte man nun die Krankheit sicher
diagnostizieren und ähnliche Krankheitsbilder, die man früher
mit ihr verwechselt hatte, ausschliessen.
Als Kriterien des Streptococcus viridans gab Schottmüller
an, dass dieser nicht — hämolytisch, d. h. ohne Resorptionshof sei,
stecknadelkopfgrosse, graugrüne Kolonien bilde, die erst nach
48 Stunden auf der Agarplatte erschienen, und dass er für Mäuse
und Kaninchen eine geringe Pathogenität zeige. Als Fundorte des
Streptococcus viridans, von welchen er ins Blut gelangt and dann
seine spezifische Wirksamkeit entfalten kann, sind hauptsächlich
die Mund- und Rachenhöhle, der Darmtractus und der weibliche
Genitalapparat ermittelt worden. Niemals wurde er gefunden
bei besonders bösartig verlaufenden septischen Infektionen, wie
Erysipel und Phlegmonen, ferner niemals bei echter Polyartbritis
acuta im Blute oder in der Gelenkflüssigkeit. Interessant er¬
scheint in meinem dritten Falle die Angabe der Patientin, dass
sich bei ihr nach einer Zahnextraktion und darauf folgender An¬
schwellung der Backe ein Fieber einstellte, das dann nicht mehr
weichen wollte und in der Entwicklung der Endocarditis lenta
seine Erklärung fand.
Was nun die pathologische Anatomie unserer Krank¬
heit betrifft, so ist besonders bemerkenswert, dass sich hier eine
eigentümliche Form von Nierenerkrankung findet, auf die Löhlein
in seiner Arbeit „Ueber hämorrhagische Nierenaffektionen bei
chronischer ulceröser Endocarditis 41 vom Jahre 1910 in der
„Medizinischen Klinik 44 zum ersten Male aufmerksam machte.
Diese Nierenaffektion beruhe auf multiplen Embolien von
Glomeruscapillaren durch chemotaktisch schwach wirkende
Bakterien, id est durch Streptoc. vir. bei der Endoc. lenta. Ma¬
kroskopisch biete sie das Bild der sogenannten grossen bunten
Niere und sei anatomisch von allen Stadien der echten diffusen
Glomerulonephritis sicher zu unterscheiden. Diese „embolische
nichteitrige Herduephritis“, die nach Löhlein noch bei keiner
anderen Krankheit beobachtet ist, konnte auch in meinem dritten
Falle von Herrn Prosektor Dr. Meyer nachgewiesen werdet).
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10 März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
445
Die klinischen Symptome bei meinen Fällen entsprechen
im grossen und ganzen dem von Schottmül ler ausführlich ent¬
worfenen Krankheitsbilde,
Auch bei meinen Patientinnen handelte es sich um anämische
Personen, die von Anfang an bleich und elend aussahen und
stetig kraftloser wurden. Auch das Fieberbild, in welchem so
gut wie keine Schüttelfröste und steile septische Temperaturen
vorkamen, sondern meist nur leicht febrile Temperaturen vor¬
herrschten, erwies sich als charakteristisch.
Einzelne Fiebersteigerungen bis 40° und darüber waren wohl
durch ein stärkeres Eindringen von Keimen vom Endocard her
ins Blut verursacht und von lokalen Folgeerscheinungen begleitet,
wie besonders Auftreten von zahlreichen Petechien am Körper und
schmerzhaften Gelenkschwellungen.
Was die objektiven Symptome betrifft, so liess sich bei
allen meinen Patientinnen eine Mitralinsuffizienz nachweisen. Von
der Milz gibt Schottmüller an, dass fast ausnahmslos ein
durch Infarkte bedingter derber palpabler Milztumor vorhanden
sei. Bei meinen Patientinnen fand sich jedoch die Milz nur
perkutorisch vergrößert, ein Milztumor war nicht zu fühlen.
An den Nieren konnte ich nur in meinem dritten Falle,
den ich bis zum Exitus zu beobachten Gelegenheit hatte, die Ent¬
wicklung einer Nephritis feststellen.
Pass die Nephritis bei der Endocarditis lenta erst gegen
Ende der Krankheit auftrete, ist auch in früheren Arbeiten be¬
richtetworden. Entsprechend dervon mir bereits beschriebenen eigen¬
artigen pathologischen Form der Nierenaffektion kam es auch
nicht zum ausgesprochenen Bilde der parenchymatösen Nephritis.
Erst kurze Zeit vor dem Exitus traten im Sediment neben roten
Blutkörperchen hyaline, granulierte und mit Erythrocyten besetzte
Cylinder auf, während zuerst nur Spuren von Albumen nachzuweisen
waren.
Von den anderen klinischen Symptomen bei meinen Patientinnen
will ich noch das schubweise Auftreten von zahlreichen Petechien
und leichteren Gelenkschwellungen erwähnen, die sich durch
Aspirin günstig beeinflussen Hessen und nie eitriger Natur waren,
wie ja das Fehlen von eitrigen Erscheinungen zu den charak¬
teristischen Symptomen gehört und der geringen Virulenz des
Streptococcus viridans entspricht.
Dann hätte ich noch anzugeben, dass sich bei meiner zweiten
Patientin zwei ziemlich grosse Netzhautblutungen nachweisen
Hessen. Bei meiner dritten Patientin dagegen, die ich auch von
spezialistischer Seite daraufhin habe untersuchen lassen, fand sich
weder diese Blutung noch sonst irgendwelche Veränderung an der
Netzhaut.
Ferner fehlten bei meinen Patientinnen cerebrale Er¬
scheinungen, wie z. B. apoplektiforme Anfälle, epileptiforme
Krämpfe und meningitische Symptome, die durch embolische Er¬
weichungsprozesse veranlasst sein können oder auch durch
Blutungen aus Aneurysmen von Hirnarterien, worauf Simmonds
1902 in seiner Arbeit „Hirnblutungen bei recurrierender verru-
cöser Endocarditis“ aufmerksam gemacht hat.
Auf die Diagnose der Endocarditis lenta, die sich aus den
klinischen Symptomen ergibt nnd durch den bakteriologischen
Nachweis des Streptococcus viridans sichergestellt wird, und auf
die Differentialdiagnose gehe ich nicht weiter ein und wende
mich nunmehr zur Prognose, die leider durchaus ungünstig
genannt werden muss. Die Literatur kann wenigstens bis jetzt
noch von keiner sicheren Heilung berichten. Von meinen drei
Patientinnen sind zwei ihrem Leiden erlegen, die dritte wurde in
so schwerkraukem Zustande entlassen, dass sie sicherlich auch
bald gestorben sein muss. Als Todesursache kommen ausser der
Herzinsuffizienz, die bei meinen Fällen den letalen Ausgang be¬
wirkt hatte, noch Komplikationen von seiten des Gehirns, schwere
Blutungen aus Aneurysmen von Körperarterien, Lungenentzündung
und selten auch Nephritis in Betracht.
Es hat nun natürlich nicht an therapeutischen Ver¬
suchen zur Bekämpfung der Endocarditis lenta gefehlt. Von
chemischen Mitteln ist hauptsächlich Collargol angewandt worden.
Dieses Präparat wurde in rectaler Verabreichung auch längere
Zeit bei meiner dritten Patientin versucht, ohne jedoch irgend¬
welchen Erfolg zu bewirken; ebenso ungünstig war die Wirkung
von Elektrargol bei dem ersten Falle. Ueber Collargol sprach
sich Lenhartz im ungünstigen Sinne aus, und auch Schott¬
in ül ler sah keinen Erfolg bei intravenöser Einspritzung dieses
Mittels. Das gleiche Urteil wird der Wirkung des Chinins zuteil.
Mehr Erfolg verspricht wohl die Bekämpfung der Endocarditis
lenta mit bakteriologischen Mitteln, nämlich mit spezifischem
Serum und mit Vaccine. Lenhartz will durch die Anwendung
eines sogenannten Rekonvaleszentenserums bei Streptokokkensepsis
eine allgemeine Besserung der Körperkonstitution und eine gün¬
stige Beeinflussung des Pulses erzielt haben und empfahl daher
die Nachprüfung solcher Sera bei den durch Streptokokken be¬
wirkten Erkrankungen überhaupt, wie auch bei Endocarditis
lenta. Für die Serumtherapie trat auch Schottmüller im Jahre
1905 ein. Gerade der Umstand, dass Streptococcus mitis durch
die spezifischen baktericiden Eigenschaften des Blutes so be¬
deutend in seiner Entwicklung gehemmt werde, im Gegenteil zum
Streptococcus pyogenes, Hesse hoffen, meinte er damals, dass die
Seruratherapie bei der Endocarditis lenta vielleicht bessere
Erfolge erzielen könne, als bei den gewöhnlichen Streptokokken¬
erkrankungen.
Später, im Jahre 1910, musste Schottmüller jedoch an-
geben, dass die Serumtherapie bei seinen Fällen versagt hätte;
ebenso ungünstig sprach er sich damals über die Wirkung des
Wright’schen Vaccineverfahrens aus
Von anderen Autoren liegen jedoch günstige Mitteilungen
über diese Behandlungsweise vor. Einen warmen Fürsprecher
findet die Vaccinetherapie in Fette, der in seiner Arbeit im
Jahre 1909 in der Medizinischen Klinik von einer günstigen Be¬
einflussung der Endocarditis und der Allgemeinerscheinungen
durch diese Behandlung zu berichten wusste. Sein Patient konnte
allerdings nicht am Leben erhalten werden, da er zu einer Zeit
in Behandlung kam, als der Krankheitsprozess schon zu weit
vorgeschritten war.
Fette wies noch besonders auf das Verhalten der Leuko-
cyten hin, die nach den Vaccineinjektionen an Menge Zunahmen.
Er sprach die Vermutung aus, dass diese Leukocytenkurve, auf
die bisher kein Wert gelegt worden sei, zum mindesten bei der
Streptococcus mitis-lnfektion als leitendes Moment bei der An¬
wendung und Dosierung der Vaccine mit in Betracht kommen könnte.
Diese Mitteilungen haben mich veranlasst, auch in einem
Falle die Vaccinebehandlung zu versuchen und dabei auch Blut¬
untersuchungen vorzunehmen, um diesen von Fette vermuteten
Zusammenhang zwischen Leukocytenkurve und Vaccinierung nach¬
zuprüfen. Es ist mir leider nun nicht möglich gewesen, mit der
Vaccinebehandlung meine Patientin zu retten. Der Enderfolg
blieb also aus, aber auch am Herzen wie in dem allgemeinen
Befinden konnte ich keine wesentliche Besserung konstatieren.
Nur hervorheben möchte ich, dass die Temperaturkurve, die sich
vor dieser Therapie mehrfach über 89° erhoben hatte, nun be¬
ständig unter dieser Fieberhöhe blieb.
Die Erklärung für diesen geringen Erfolg ist wohl darin zu
finden, dass die Vaccinebehandlung erst sehr spät begonnen
wurde, zu einer Zeit nämlich, als der Organismus der Patientin
durch den infektiösen Prozess schon zu sehr geschwächt war.
Die erste aussichtsreichere Periode der Krankheit war leider
unter anderen therapeutischen Versuchen, wie mit Collargol,
Chinin, verstrichen.
Bevor ich nun das Ergebnis meiner Blutuntersuchungen be¬
richte, die ich etwa 2—8 Tage nach jeder Vaccineinjektion aus¬
führte, will ich kurz angeben, wie sich die Leukocyten bei der
Endocarditis lenta, unbeeinflusst durch die Vaccinierung, gewöhn¬
lich verhalten.
Nach Schottmüller sind die Leukocyten bei der Endo¬
carditis lenta meist normal an Zahl wie im speziellen. Steinert
fand die Leukocytenzahl meist in der Nähe der Norm, öfters
allerdings auch Leukopenie, dagegen Hyperleukocytose nur aus¬
nahmsweise.
Die Angabe von Fette über die Beeinflussung der Leuko¬
cyten durch die Vaccinebehandlung kann ich nun nach dem Aus¬
fall meiner Blutuntersucbungen nicht bestätigen. Die Leukocyten¬
zahl, die vor der ersten Vaccineinjektion 6000 betragen hatte,
sank vielmehr stetig bis auf 4800. Auch dieses negative Er¬
gebnis möchte ich jedoch, ebenso wie den schlechten thera¬
peutischen Erfolg auf Rechnung des schon zu sehr geschwächten
Organismus setzen, der eben nicht mehr mit der sonst vielleicht
erfolgten Leukocytose reagieren konnte.
Bei einem Ueberblick über die bisherigen therapeutischen
Erfahrungen möchte ich mich dahin aussprechen, dass die che¬
mischen Mittel wohl kein Vertrauen verdienen. Mehr zu er¬
warten ist von der bakteriologischen Therapie, und ich halte es
für sehr wichtig, dass besonders die Vaccinebehandlung von
vornherein angewandt wird, wenn der Organismus seine Wider¬
standskraft noch nicht eingebüsst hat.
5
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Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
440
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Nochmals „der dritte Weg zur totalen Rhino¬
plastik“.
Von
Engen Holländer.
Wenn ich die von mir in Nr. 3 dieser Wochenschrift mitgeteilte
Methode den dritten Weg zur totalen Rhinoplastik genannt habe, so
folgte ich dabei, wie dies ja auch klipp und klar aus meiner Darlegung
hervorgeht, der historischen Ueberlegung. Ich ziehe die Berechtigung zu
solcher Benennung aus der vollkommenen Analogie meiner Methode mit
der indischen und der italienischen Methode. Einen vierten Weg dieser
Art wird es nicht geben. Die indische Methode nimmt den gestielten
Lappen aus dem Gesicht, die italienische aus dem Arm, und die meine
vom Körperstamm. Modifikationen der beiden älteren Operationsverfabren
sind vielfach unternommen worden. Als eine geistreiche Aenderung des
italienischen Verfahrens ist der von Steinthal angegebene Wanderlappen
aus der Brust zu bezeichnen. Das neuerdings von A. Rosen stein (diese
Wochenschrift, Nr. 7) nun bekannt gegebene Verfahren des Wanderlappens
von der Brust zum Kinn und vom Kinn zur Nase illustriert aber meines
Erachtens am deutlichsten den prinzipiell neuen und wichtigen Fortschritt
meines Unternehmens, das die Möglichkeit der direkten erfolgreichen An¬
heftung der Brusthaut an den Nasenrücken gezeigt hat. Denn abgesehen
von der unnützen Verlängerung der ganzen Operationsdauer, begibt man
sich, wie ich das in meiner „Kosmetischen Chirurgie“ (ira Handbuch
von Joseph) auseinandergesetzt habe, durch die Wanderlappenmethode
aller Vorteile. — Der Wanderlappen verfällt dem Senium, er rollt sich
bei seiner doppelten Pfropfung auf, das Fett wird adiposklerotisch, und
der Lappen verliert durch seine protrahierte Unterernährung vollkommen
seine Plastizität. Im Gegensatz hierzu kann der am sechsten Tage
durchschnittene, gut ernährte Stiellappen beliebig formiert werden. Aus
diesem Grunde eignet sich das so genial ausgedachte Wanderlappen¬
prinzip nach meiner Erfahrung nur für den Notfall einmal zur totalen
Rhinoplastik, während die von mir erzielten Resultate, wie ich hoffe, zu
einer häufigen erfolgreichen Verwendung meinerMethode veranlassen werden.
Aus dem Laboratorium der Löwen-Apotheke in Dresden
(Inhaber: Dr. v. Mayenburg).
Ueber Aqua destillata zur Salvarsanbereitung.
Von
Apotheker R. Schramm.
Um zur Bereitung von Salvarsanlösungen ein einwandfreies, allen
Anforderungen entsprechendes, keimfreies Wasser zu erlangen, bediente
ich mich seit geraumer Zeit eines Filtrierapparates mit bakteriendichten
Filterkerzen. Auf diese Weise war es mir möglich, ein den Anforde¬
rungen des Deutschen Arzneibuches vollkommen entsprechendes destil¬
liertes Wasser vollständig faser- und keimfrei zu bekommen, das ich zur
Aufbewahrung in sterile Kochkolben, die ich mit Wattebäuschen ver¬
schloss, füllte und dureh l J 2 ständiges Kochen sterilisierte. Mit diesem
absolut sterilen Wasser wurden bei Bedarf die zu den Salvarsanlösungen
nötigen physiologischen Kochsalzlösungen frisch hergestellt und nochmals
im strömenden Dampf einer Sterilisation unterzogen. Trotz dieser Sub-
tilität bei Sterilisation und Anfertigung der Salvarsanlösungen teilte mir
ein Arzt mit, dass er mit den in unserem Laboratorium angefertigten
Lösungen fast ständig Reaktionen (Kopfschmerzen, Temperatur¬
erhöhungen usw.) bei den Patienten beobachten könne.
Um ein eventuelles Eindringen von Staub und Bakterien beim Ura-
füllen aus dem Filtrierapparat in die Kochflaschen möglichst zu ver¬
meiden, filtrierte ich nunmehr das durch die Bakterienfilterkerze filtrierte
Wasser durch sterile Wattebäusche in die Kochflaschen, wobei ich
nach Umfüllen von ca. 10 Litern eine geringe Blaufärbung der Watte
feststellen konnte. Die schwach getrocknete Watte zeigte mit Ferro-
cyankaliumlösung eine deutliche Kupferreaktion an. Mein dem D. A.-B. V
entsprechendes Wasser war also kupferhaltig. Eine Probe des nicht
durch Watte filtrierten Wassers gab weder mit Schwefelwasserstoffwasser
noch mit Ferrocyankaliumlösung eine Reaktion. Die Silbernitratprobe
des D. A.-B. V fiel ebenfalls negativ aus, jedoch trat auf Zusatz einer
Silbernitratlösung 1+2 eine starke Trübung ein, die jedoch nach Hin¬
zufügen von einem Tropfen Salpetersäure sofort verschwand. Das Wasser
enthielt demnach kein Chlor, wohl aber Kohlensäure, an die das Kupfer
als Bicarbonat gebunden sein dürfte.
Sofort untersuchte ich das nicht durch die Filterkerze filtrierte
Wasser, indem ich 10 Liter desselben durch einen grossen Wattebausch
filtrierte. Der Wattebausch blieb ungefärbt und gab weder mit
Schwefel wasserstoffwasser noch mit Ferrocyankaliumlösung eine Reaktion.
Konzentrierte Silbernitratlösungen blieben vollkommen klar; ebenso
fielen alle anderen Reaktionen des D. A.-B. V negativ aus. Der Kalium¬
permanganatverbrauch (organische Substanz) betrug 0,2 ccm, der Ab¬
dampfrückstand in 100 ccm Wasser 0,0005.
Dasselbe Wasser liess ich nunmehr die Bakterienfilterkerze passieren
und erhielt nach dem D. A.-B. V. folgende Resultate:
Geruch. —
Fäserchen.Nicht vorhanden
Organische Substanz . . . 0,2 ccm Kaliumpermanganat¬
lösung
Salzsäure.Nicht vorhanden
Schwefelsäure. „ „
Calcium. „ „
Ammoniak. „ „
Kohlensäure. „ „
Schwermetalle. „ „
Abdampfrückstand in lOOccm 0,002
Durch das Watteverfahren konnte ich in diesem Filtrat Kupfer auf
der Watte nachweisen, ebenso war die Silbernitratreaktion mit AgN0 3
1+2 wieder positiv. Da der Abdampfrückstand um 0,0015 zugenommen
hatte, so dürfte wohl diese Zahl annähernd den Gebalt an Kupfersalz
wiedergeben, das die Filterkerze an das destillierte Wasser abgegeben
hatte. Nach mehrmaligem Filtrieren durch Watte erhielt ich keine
Kupferreaktion mehr auf der Watte, ebenso fiel die Reaktion mit kon¬
zentrierter Silbernitratlösung negativ aus. Blei sowohl wie Eisen waren
in dem Wasser nicht vorhanden, wie ich einwandfrei feststellen konnte.
Dass Spuren Kupfer durch Filtrieren durch Watte auf dieser nach¬
zuweisen sind, war mir seit langem bekannt. Auch Ebert-Fähr
machte in Nr. 31, 1905, und Nr. 80, 1909 des „Centralblatt für Phar-
macie“ darauf aufmerksam, indem er einen interessanten Zusammenhang
zwischen dem Ammoniakgehalt des Trinkwassers und dem Kupfergehalt
des daraus destillierten Wassers feststellt.
In Nr. 23, 1912 derselben Zeitschrift veröffentlicht Peyer-Frank¬
furt, der ebenfalls das Watteverfahren anwendet, eine Serie von Wasser¬
untersuchungen. Von 25 nach dem D. A.-B. V auf Schwermetalle
untersuchten destillierten Wässern aus verschiedenen Gegenden Deutsch¬
lands hielten 21 die Probe des D. A.-B. V auf Schwermetalle, während
jedoch einer Prüfung auf ideale Reinheit nur 4 von den 21 standbielten.
In diesen 17 Wässern fand Peyer einmal Blei, Kupfer und Eisen,
fünfmal Blei und Eisen, zweimal Blei und Kupfer, dreimal Kupfer und
Eisen, einmal Blei, zweimal Kupfer, dreimal Eisen. Peyer stellt dabei
fest, dass eisenhaltiges Trinkwasser auch ein eisenhaltiges destilliertes
Wasser liefert, und empfiehlt gleichzeitig ein zweimaliges Destillieren,
um ein ideales Wasser zu Salvarsanlösungen zu erhalten, falls das
einmal destillierte Wasser einer Prüfung auf ideale Reinheit, die nach
meiner Erfahrung unbedingt vorzunehmen ist, nicht standhält. Als
Kühler kommen dabei in Betracht Glas (Jenenser Normalglas), Porzellan
oder bleifreies Zinn bzw. stark verzinnte Kupferschlangen, da Zinn, wie
verschiedenfach nachgewiesen ist, sich in Wasser nicht löst. Destillier¬
apparate mit unverzinnten oder schlecht verzinnten Kupferschlangen
sind ohne weiteres iu verwerfen, welche Erfahrung ich vor ca. 3 Jahren
machen musste, als in unserem Laboratorium eine neue Kühlschlange
eingesetzt wurde. Das durch die Kühlschlange geleitete destillierte
Wasser entsprach zwar den Anforderungen des D. A.-B. IV, doch
mussten wir bald die Wahrnehmung machen, dass die damit hergestellten
konzentrierten Jodkalilösungen sich schwach gelb färbten. Beim
Filtrieren des Wassers durch Watte konnte ich auf dieser einwandfrei
Kupfer nachweisen. Auch im vorigen Jahre konnte ich bei einem be¬
zogenen, den Anforderungen des D. A.-B. V entsprechenden Wasser auf
dieselbe Weise Kupfer feststellen. Vielleicht liegt die in den Apotheken
hier und da bemängelte Gelbfärbung der Jodkalilösungen manchmal
weniger an der Unreinheit des Jodkalis, als vielmehr an einem Gehalt
des destillierten Wassers an Kupfer.
In Nr. 39, 1912 der „Münchener med. Wochenschrift“ berichtet
Wechselmann in einer Abhandlung über Neosalvarsan, Emery habe
gefunden, dass, als plötzlich eine Serie von 20 Patienten Reaktionen,
zum Teil schwerer Art zeigten, sich in dem Wasser Blei nachweisen
liess, und dass viel dafür spricht, dass gerade kleine Beimengungen
organischer und anorganischer Substanzen gewissermaassen als Katalysa¬
toren wirken und Nebenwirkungen bedingen.
War es in diesen Fällen Blei, so war es in den von mir eingangs
erwähnten Fällen, die eine volle Bestätigung der Emery’schen Annahme
sind, Kupfer, das die Reaktionen bei den Patienten auslöste, da die
Salvarsaninjektionen mit demselben jedoch nicht durch die Filterkerzen
filtrierten destillierten Wasser, das nach meiner, vorn wiedergegebenen
Untersuchung kupferfrei war, reaktionslos verliefen.
In derselben Abhandlung teilt Wechsel mann das Resultat zweier
von P. Ehrlich ausgeführten Wasseruntersuohungen aus zwei ver¬
schiedenen Apparaten mit, von denen das eine Wasser als einwandfrei
befunden wurde, während die Untersuchung des anderen Wassers
folgende Beanstandungen ergab: 1. Nicht vollkommen klar; 2. zuviel
organische Substanz; 3. deutliche Spuren CI; 4. zuviel Rückstand.
Schwermetallsalze waren in 200 ccm des beanstandeten Wassers nicht
nachweisbar, und doch möchte ich vermuten, dass auch dieses Wasser
Spuren von Blei, Eisen oder Kupfer enthalten dürfte, zu welcher An¬
nahme mich die zu hohe Menge des Abdampfrückstandes verleitet. Da
mir der Vehmel-Lautenscbläger’sche Apparat, der das beanstandete
Wasser lieferte, nicht zur Verfügung steht, so ist es mir leider nicht
möglich, eine diesbezügliche Prüfung vorzunehmen.
War in letzterem und wohl auch in dem Emery’schen Falle der
Apparat an dem beanstandeten Wasser schuld, so waren es bei mir die
Filterkerzen, die einem sonst durchaus einwandfreien destillierten Wasser
Spuren von Kupfer zuführten. Natürlich wurden die Bakterienfilter¬
kerzen sofort ausgeschaltet und die diese herstellende Firma benach-
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
447
richtigt, worauf diese feststellte, dass das Kupfer nicht aus der
Montierung, wie ich vermutete, sondern aus der Filtermasse selbst her¬
rührte. Die als Ersatz zur Verfügung gestellten Filterkerzen, deren
Prüfung von mir auf das peinlichste vorgenommen wurde, lieferten und
liefern mir jetzt noch ein Wasser, das nicht nur den Anforderungen des
D. A.-B. V, sondern weit darüber hinausgehenden Anforderungen ent¬
spricht.
Dass nach den gemachten Erfahrungen die Prüfung des destillierten
Wassers sich meiner besonderen Aufmerksamkeit und ständigen Kon¬
trolle erfreut, braucht wohl nicht betont zu werden.
Auf Grund dieser Untersuchungen jedoch muss die
Forderung erhoben werden, dass die Prüfung des D. A.-B. V
auf Schwerraetalle, die den an ein einwandfreies zu intra¬
venösen Injektionen dienendes destilliertes Wasser zu
stellenden Anforderungen nicht entspricht, bedeutend ver¬
schärft werden muss, wofür ich als einfachste, schnellste
und bequemste Methode das Filtrieren durch Watte emp¬
fehlen möchte, da beim Filtrieren von bereits 5 Liter
Wasser durch Watte Spuren von Schwermetallen auf der¬
selben nicht nur einwandfrei nachgewiesen, sondern durch
mehrmaliges Filtrieren vollkommen zurückgehalten werden
können, wie ich durch Versuche mit verschiedenen Metallen
feststellen konnte und worüber ich in einer anderen Ab¬
handlung berichten werde.
Die älteste Influenza-Epidemie in Persien und
Mesopotamien (im Jahre 855 n. Chr.).
Von
Prof. Dr. Engen Mittwoch.
Die im Jahre 350 der Hedschra = 961 n. Chr. vollendete, arabisch
geschriebene Chronik des aus Isfahan in Persien stammenden Philologen
und Historikers Abu Abdalla Hamza ibn al-Hasan, der nach seiner
Vaterstadt gewöhnlich kurz Hamza al-Isfahani genannt wird 1 ), enthält
an drei Stellen kurze Berichte über epidemische Krankheiten, die im 9.
und 10. nachchristlichen Jahrhundert die Gebiete des heutigen Persiens
und Mesopotamiens heimsuchten.
hat. Die Krankheit war in der arabischen Wüste ausgebrochen und
verbreitete sich dann von Askar Mukram aus der Länge nach bis Circesia
im Euphratbezirk, der Breite nach bis Holwan. Iu Bagdad wütete die
Seuche so sehr, dass man dort auf Befehl des Sultans die täglich be¬
erdigten Leichen zählte. Ihre Zahl betrug an jedem Tage 500—600.
Auch bei der Epidemie vom Jahre 952 (S. 195 des arabischen
Textes) wird der Krankheitsweg genau angegeben. Die Krankheit selbst
ist aber nicht näher beschrieben. Es wird von ihr nur gesagt, sie sei
aus Blut und gelber Galle entstanden, habe Männer, Frauen und Kinder
heimgesucht und 2—7 oder 8 Tage gedauert. Vielfach seien alle Ein¬
wohner eines Hauses, mehr als 20, von ihr befallen worden. In Basra
sei zu dieser Krankheit dann noch die Pest hinzugekommen, und es
seien dort täglich 1000—1200 Personen beerdigt worden.
Viel genauer ist der Bericht (S. 188—S9 des arabischen Textes)
über die älteste der Epidemien, die uns hier beschäftigen soll. Die be¬
treffende Stelle, zu der die Kartenskizze zu vergleichen ist, lautet in
wörtlicher Uebersetzung:
„Im Jahre 241 (der Hedschra = 855 n. Chr.) kam ein kalter Wind
aus dem Lande der Turkvölker, ging nieder über Sarachs und tötete die
Menschen, weil seine Kälte sie befiel. Sie bekamen Katarrh und gingen
zugrunde. Er ging über Sarachs nach Nischapur, kehrte von Nischapur
um und ging über Rai nieder, setzte dann nach Hamadan über, sodann
nach Holwan und spaltete sich bei Holwan in zwei Zweige. Ein Zweig
ging rechts ab nach Samarra, ein Zweig ging links ab nach Bagdad.
Die Menschen befiel davon Husten und Katarrh, ähnlich wie beim
„sidam“*). Dann ging er (der Wind und mit ihm die Krankheit) von
Bagdad aus nach Wasit hinunter, von hier nach Basra, von hier nach
Ahwaz.“
Die Krankheit, von der hier die Rede ist, wird also ausdrücklich
als eine katarrhalische bezeichnet. An ihrem epidemischen Charakter
kann nach dem Bericht kein Zweifel sein. Sie hat auch Todesopfer
gefordert. Dabei ist aber hervorzuheben, dass in diesem Falle keine
Angaben über die Zahl der täglich Beerdigten gemacht werden. Die
Krankheit scheint also wohl auch tödlich verlaufen zu sein, aber nicht
so zahlreiche Opfer gefordert zu haben, wie die beiden anderen Epidemien,
von denen oben die Rede war.
Sowohl mit Rücksicht auf den milderen Verlauf der Krankheit,
als auch aus dem Grunde, dass diese nicht als „Pest“ bezeichnet ist,
wird man wohl in unserer Stelle einen Bericht über eine schwere In¬
fluenza- oder ihr verwandte Epidemie, die damals die Gebiete des
heutigen Persiens und Mesopotamiens heimsuchte, erblicken dürfen.
Ein scharf umschriebenes Krankheitsbild kann man bei einem Autor
jener Zeit und zumal bei einem solchen, dem medizinische DiDge völlig
fern lagen, nicht erwarten. Immerhin ist es bemerkenswert und mutet
recht modern an, dass an allen drei Stellen der Weg, den die Seuche
genommen hat, genau verzeichnet ist.
Bevor wir uns unserem eigentlichen Bericht zuweuden, mögen ver¬
gleichsweise die beiden anderen Stellen aus Hamza’s Chronik, an denen
von Seuchen die Rede ist, hier kurz erwähnt werden.
Aus dem Jahre 871 n. Chr. (S. 190 des arabischen Textes) wird
über eine Pest berichtet, die die Gebiete von Ahwaz und Irak ergriffen
1) Hamzae Ispahanensais Annalium libri X. Ed. J. M. E. Gott-
waldt, Petropoli 1844.
Der kalte von Norden (Gebiet der Turkvölker) her wehende Wind,
der hier als Ursache der Krankheit genannt wird, wird noch viele Jahr¬
hunderte später als solche angesehen. So heisst es in einem lateinischen
Berichte über eine Epidemie des Jahres 1404 2 ): „Principio Aprilis ventus
adeovehemens etalgidus flavit ab Aquilone ut . . . eoque frigore
humanis corporibus concepto tussis maxima atque raucitas orta . . .“
Ist die Annahme, dass wir es an unserer Stelle mit einer Influenza-
1) Name einer Krankheit, die den Kopf der Tiere befällt; vielleicht
eine Art Pferdegrippe?
2) J. B. Meyreus, Commentarii sive Annales rerum Flandicaruro,
Antwerpen 1561, lib. XIV, p. 220. Die ganze Stelle ist bei A. Rip¬
pe rger, Die Influenza . . ., München 1892, S. 21 citiert.
5*
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UNIVERSITÄT OF IOWA
448
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Epidemie zu tun haben, richtig, dann wäre dies die älteste, historisch
nachweisbare Influenza-Epidemie überhaupt. Die Stelle aus Hippokrates
und Livius, aus denen man früher Influenza-Epidemien herauslesen
wollte, sind längst als zu unbestimmt fallen gelassen worden. Hinter
den Berichten über die spätere Epidemie von Florenz und Strassburg
im Jahre 1387 und die schon genannte im Jahre 1404 steht aber der
Bericht unseres Ham za al Isfahani an Deutlichkeit nicht zurück. Im
Gegenteil, er übertrifft sie noch durch die genaue Angabe des Wegs,
den die Seuche eingeschlagen, und der, wie nicht verwunderlich, mit
den damaligen Handelsstrassen übereinstimmt.
Aus der Städtischen Hals- und Nasenklinik in Frank¬
furt a. M. (Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. G. Spiess).
Eine Modifikation des Kiliian’schen Spatel¬
hakens zur Schwebelaryngoskopie.
Von
E. Lauten Schläger, Assistenzarzt der Klinik.
An dem von Killian angegebenen und von Brünings und
Albrecht in bekannter Weise modifizierten Spatelhaken zur Schwebe¬
laryngoskopie sind mir bei Anwendung dieser Instrumente einige kleine
Nachteile aufgefallen, die ich durch eine
weitere Modifikation des Instrumentes besei¬
tigen zu können glaubte. Ich will darum
im folgenden kurz meine Aenderung und eine
Abbildung des von mir umgeänderten Spatel¬
hakens wiedergeben.
Schon Albrecht (diese Wochenschrift,
1912, Nr. 44) ist an der Brünings’schen
Modifikation der Umstand als hinderlich
aufgefallen, dass beim Einführen des Hakens
in nur wenig zurückgebeugter Kopfhaltung
das freie Ende des Querbalkens auf die
Brust aufstösst, bevor das Spatelende die
Epiglottis erreicht hat. Er hat diesem
Umstande dadurch vorzubeugen gesucht,
dass er den Querbalken in einem Gelenk
drehbar anlegte. Es war dadurch ein Ein¬
gehen mit im oberen Teil nach der Seite
geklapptem Instrument und nach Einstellung
ein Zurückdrehen des betreffenden Instru¬
mententeils nötig.
Dieses Anstossen an der Brust lässt
sich einfach dadurch beseitigen, dass man
den betreffenden Querbalken doppelt so
weit wie früher von dem Spatel entfernt
anbringen lässt.
Ein Anstossen am Sternum ist bei diesem
Abstand vollkommen ausgeschlossen. Das In¬
strument hat seine feste frühere Form nicht
verloren, und all die Bewegungen, die
bisher durch das Drehen des oberen Instru¬
mententeils nötig waren, sind weggefallen.
Gleichzeitig aber hat sich noch ein weiterer Vorteil ergeben. Der
Schwerpunkt des Instrumentes ist ein anderer geworden, und der Winkel,
den der Spatel bei maximal ausgeschraubtem Aufhängebalken zur Hori¬
zontalen bildet, ist bedeutend grösser geworden. Mit anderen Worten:
Es ist möglich geworden, das vorderste Ende des Spatels noch mehr
zu heben und das, was Brünings durch seine Modifikation mit dem
Winkelhaken erreichte, noch zu forcieren.
Gleichzeitig sei hier bemerkt, dass von sämtlichen Patienten, die
mit diesem Instrument untersucht wurden, und die zum Teil auch das
alte Instrument kannten, niemals über stärkeres Druckgefühl geklagt
wurde, Uüd dass es gelang, durch diese maximale Ausschraubung öfter
einen Einblick bis zum vorderen Glottiswinkel zu gewinnen als früher.
Sollte man trotzdem beim Ausschrauben nicht allzu weit gehen
wollen, so lässt sich selbstverständlich durch unvollkommenes Aus¬
schrauben jede Stellung erreichen, welche auch mit dem alten Instru¬
ment möglich war. Um in jeder beliebigen Stellung der Schraube am
Zahnrad einen tatsächlich festen Halt zu geben, kann man noch von unten
eine weitere Schraube anbringen lassen, durch deren Hereindrehen es
möglich ist, den obersten Aufhängchaken zum gezahnten Querbalken in
jeder Stellung zu fixieren.
Eine weitere Aenderung hat die Zahnplatte erfahren. Der Bügel,
an welchem diese Platte angebracht war, ist nach hinten mehr aus¬
gebogen und die gauze Platte dadurch weiter vom Mund entfernt worden.
Die Zahnleiste selbst ist an einer in dieser Platte vor- und rückwärts
verschiebbaren gezahnten Leiste angebracht, welche durch eine Zahnrad-
sebraube langsam, sicher und ohne Gewalt hin- und hergeschraubt werden
kann, was mit der Schiebevorrichtung früher oft ruckweise geschehen
musste und den Patienten an den Zähnen oft starke Schmerzen verursachte.
Ueber dieser Schraube ist ebenfalls eine Arretierungsschraube an¬
gebracht, um auch die Zahnleiste in jeder beliebigen Stellung absolut
fixieren zu können.
Durch dieses Herausrücken der Platte und die Möglichkeit, die Zahn-
I leiste sehr viel weiter hin- und herschrauben zu können, als dies früher
( mit der Schiebevorrichtung der Fall war, erreicht man, dass bei
I richtig eingestelltem Instrument ausser der Zahnleiste überhaupt nichts
; mehr im Mund liegt. Der Einblick und die Möglichkeit, selbst ganz
vorn am harten Gaumen zu operieren, sind viel besser geworden, und
| man bat an der vollkommen ausserhalb des Mundes liegenden Platte
, einen sicheren Stützpunkt für Instrumente.
Ich habe neuerdings auch diese Platte noch nach unten abbiegen
J lassen, wodurch sowohl ausser- als innerhalb der Zahnreihe für Auge
I und Hand ein weiter Spielraum gewonnen ist.
| Das Instrument wurde zum Teil zu operativen, zum Teil zu
Demonstrationszwecken in einem Kurs erprobt und hat sich dabei voll-
I kommen bewährt.
Bacherbesprechungen.
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Lift¬
wege. Herausgegeben von Dr. L. Kitz, Dr. H. Preysing und
Dr. F. Blnmenfeld. Würzburg 1912, Verlag von Kurt Kabitzsch.
II. Band, Lieferung 1. In dem vorliegenden Heft werden die Miss¬
bildungen und die chirurgischen Erkrankungen des äusseren Ohres von
Voss in kurzer und klarer Weise besprochen. Mit sehr guten, zum Teil
farbigen Abbildungen versehen, werden die Missbildungen, Verletzungen
(Verbrennung, Othämatom), Entzündungen, Erysipel, Noma, Tuber¬
kulose, Lupus, die Geschwülste der Ohrmuschel und des Gehörganges
besprochen. Sehr gut sind die mikroskopischen Abbildungen vom
Othämatom und der Periehondritis (Pyocyaneus-Infektion), Gebiete, in
denen Voss bekanntlich selbständige grössere Arbeiten abgefasst hat.
Sehr anschaulich sind auch die Abbildungen zur Darstellung des ope¬
rativen Vorgehens zur Beseitigung von Gehörgangsatresien. Der Preis
der sehr instruktiven Lieferung beträgt 6,50 M.
III. Band, Lieferung 3—4. Lieferung 3—4 des III. Bandes enthält
den Schluss des Kapitels der Operationen an den Nebenhöhlen der Nase
von Bönninghaus und den Beginn der orbitalen Komplikationen
der Nebenhöhleneiterungen. Den Hauptinhalt des Bandes bildet die
iutranasale Therapie, bearbeitet von Katz. In ausführlicher, klarer,
übersichtlicher Weise werden die Untersuchungsmethoden, die Nasen-
blutungen, die Lehre von der Tamponade, die Chirurgie der Nasen -
muscheln, die Difformitäten der Nasenscheidewand, die nasalen Reflex¬
neurosen, die gutartigen und malignen Tumoren, die Ozaena, die Tuber¬
kulose, die Syphilis, Frakturen und Luxationen, die intranasalen Synechien
und endlich die Fremdkörper dargestellt. Der reiche Inhalt wird durch
eine grosse Zahl zum Teil schematischer Abbildungen illustriert; dieselben
sind, auch wenn sie nicht alle Originale des Verfassers sind, ausgezeichnet
ausgewählt und wohl geeiguet, die schwierigen intranasalen Operations¬
methoden zu erläutern und ihre Ausführung zu erleichtern. Der Preis
des Bandes, dessen Studium dringend zu empfehlen ist und auch den
Spezialisten mannigfache Anregung geben dürfte, beträgt bei ausgezeichneter
Ausstattung 14 M.
III. Band, Lieferung 5. Die 5. Lieferung des III. Bandes enthält
die Darstellung der orbitalen Komplikationen der Nebenhöhlen, bearbeitet
von Hoff mann. Auch diese Lieferung zeichnet sich durch klare Dar¬
stellung der normal anatomischen und pathologischen Verhältnisse aus.
Die klinische Besprechung wird ebenso wie die anatomische durch aus¬
gezeichnete Abbildungen der einschlägigen Verhältnisse unterstützt.
Den Schluss des Bandes bildet das Kapitel: der Hypophystumor und
seine operative Behandlung, welches von A. Kuttner kurz und über¬
sichtlich dargestellt wird. Der Preis des Bandes beträgt 7 M. und unter¬
scheidet sich in der Güte und Vortrefflichkeit seiner Ausstattung nicht
ven den bisher erschienenen Bänden.
H&ssl&ner-Müncben: Das Gehörorgan nnd die oberen Luftwege bei
der Beurteilung der Militärdienstfälligkeit. Berlin 1913, Verlag
von Oskar Coblentz.
Hass lau er hat versucht, in dem vorliegenden Büchlein „einen Rat¬
geber zu schaffen, in dem der musternde, der aushebende, der Rekruten
einstellende und im Laufe der Dienstzeit die Mannschaft beobachtende
Sanitätsoffizier Aufschluss finden sollte in den vielerlei Zweifeln, die die
Erkrankungen des Gehörorganes und der oberen Luftwege für die Be¬
urteilung der Militärdienstfähigkeit dem nicht spezialistisch vorgebildeten
Sanitätsoffizier entstehen lassen“. Man kann wohl sagen, dass die Auf¬
gabe von dem Verfasser in ausgezeichneter Weise gelöst ist, und dass
auch der Zivilarzt voller Interesse den Ausführungen des Verfassers folgen
kann. Von grossem Interesse sind auch die Aufstellungen der Grund¬
sätze, welche in den verschiedenen Ländern (Bulgarien, Dänemark, Frank¬
reich, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien) bei der Beurteilung der
Erkrankungen des Ohres und der oberen Luftwege für die Militärdienst¬
tauglichkeit herrschen. Der Preis des gut ausgestatteten Buches beträgt
6,50 M. Brühl.
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UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
449
Ctrl Hoeksinger-Wien: Gesundheitspflege der Kinder im Elterahanse.
Leipzig und Wien 1912, Frans Deuticke. 4 M.
Hochsinger’s Buch erscheint bereits in der dritten Auflage, Be¬
weis genug, dass es sich in dem Kreise, für den es vom Verf. ausdrück¬
lich bestimmt ist, „den Angehörigen der vermögenden Stande“, einen
grossen Freundeskreis geschaffen hat Dio Darstellung setzt allerdings
einen erheblichen Grad allgemeinen Wissens voraus, denn sie geht in
vielen Fragen: Uilchchemie, Desinfektionsverfahren, Infektionskrankheiten
bis in Details. Diese sind allerdings dann mit einer auch für den ge¬
bildeten Laien durchsichtigen Klarheit formuliert. Die Anschauungen
des Verfassers betreffend allgemeine Hygiene und Pflege, Psychologie
und Pädagogik dürfen auch auf die Zustimmung des Gros der Kollegen
rechnen. Nur scheint es dem Referenten, dass sie hie und da geeignet
sind, an Stelle einer vernünftigen Prophylaxe durch die Eltern eine ge¬
wisse „Bacillenangst“ grosszuziehen. Auf dieser Grundlage ist auch der
Vorschlag entstanden, die Kinder in den ersten Schuljahren allein zu Hause
unterrichten zu lassen. Erfreulich ist die absolute und unnachsichtige Ab¬
lehnung aller Zabnkrankheiten, für die viele Aerzte leider immer noch eine
gewisse Schwäche übrig behalten haben. Während H. bezüglich der Er¬
nährung des Säuglings im ersten Lebenshalbjabr die heut fast allgemein
acceptierten Anschauungen teilt, hat er über die Ernährung des Kindes
im zweiten Lebenshalbjabrund im sogenannten Spielalter eigene Ansichten,
die nicht der allgemeinen Anerkennung sicher sind; er legt den Beginn
der Beigabe von Fleisch, Fleischbrühe, Gemüse, rohem Obst zur Nahrung
auf einen um 1—3 Jahre späteren Termin als die überwiegende Mehr¬
heit der Aerzte; von diesen dürften viele bezweifeln, dass die gegebenen
Ernäbrungsvorschriften zweckmässig seien. Mit diesen Einschränkungen
kann das. Buch gebildeten Frauen zur Orientierung und Belehrung
empfohlen werden.
B. Salge- Freiburg i. B.: Einführung in die moderne Kinderheilkunde.
Ein Lehrbuch für Studierende und Aerzte. Berlin 1912, Julius
Springer. Geb. 9 M.
Das Buch, das bei seinem ersten Erscheinen in dieser Wochenschrift
(1909, S. 2346) ausführlich besprochen und empfohlen wurde, erscheint
im Laufe von vier Jahren bereits in der dritten Auflage. Es hat in der
zweiten und nun wieder in der dritten Lieferung Erweiterungen erfahren,
die alle wichtigen Ergebnisse der Forschung berücksichtigen. Auch die
Ausstattung mit Textfiguren ist reichlicher geworden. Die Ergänzungen
betreffen Fragen, die in der Hauptsache die Ernährungsstörungen der
Säuglinge betreffen, den Komplex der Forschungen, die sich an die Ein¬
führung der Eiweissmilch knüpfen, die Arbeiten über die Einwirkung
der Sommerhitze auf den Säugling, die Verdauungsstörungen der Brust¬
kinder u. a. m. B. Weigert-Breslau.
Richard Steri: Utber körperliche Kennzeichen der Disposition
lir Tabes. (Aus dem Nervenambulatorium der I. medizinischen
Klinik in Wien.) Leipzig und Wien 1912, Franz Deuticke. 88 S.
Preis 2,50 M.
Die mühevolle Arbeit Richard Stern’s war — wie vorauszu¬
sehen — etwas arm an sicheren Resultaten. Gibt es körperliche
Kennzeichen, welche die Disposition eines Individuums zur Tabes ver¬
raten? Manche Neurologen werden geneigt sein, die Frage überhaupt
von der Hand zu weisen. Gewiss mit Unrecht, denn die Fragestellung
ist durchaus berechtigt und duroh viele Einzelheiten mehr als begründet
Aber auch der Verf. dieser klugen und fleissigen Studie kann die Frage
nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Seine Untersuchungen
sind jedenfalls anregend, und es wäre zu wünschen, dass diese Anregung,
welche sich auf die ganze Tabes-Paralysefrage erstreckt, zu Nach¬
prüfungen Anlass gäbe, welche in jeder Klinik und Poliklinik, in jeder
Klientel leicht durchführbar sind. Auf die zahlreichen Gesichtspunkte,
die vielen zum Teil gewiss nur vorläufigen Aufstellungen, welche der
Verf. in seiner Studie erörtert, kann hier nicht näher eingegaogen
werden, nur einige seiner Leit- und Schlusssätze seien hier angeführt.
St. geht davon aus, dass bei der Tabes wie bei der Paralyse eine
ätiologische Trias anzunehmen ist: eine spezifische angeborene Disposition,
ein exogenes, toxisches Moment (Lues) und als Drittes ein auslösender
Stoffwecbselfaktor. In zwei eingehenden Abschnitten untersucht er nun
an der Hand der Literatur den disponierenden Faktor, d. h. ein kon¬
stitutionelles Moment und den auslösenden Faktor, ein innersekretorisches
Moment, um im dritten Abschnitt die Ergebnisse seiner eigenen Unter¬
suchungen zu besprechen. Er sucht zunächst durch klinisches Studium
des konstitutionellen Habitus der Tabiker und Paralytiker den endo¬
genen Faktor, die „Dispositio paralyticans“ so genau wie möglich zu
präzisieren. Dieser Habitus ist häufig derjenige der Tuberkulose, des
Infantilismus, der Asthenia universalis (Verhalten der Reflexe, der
Muskeln usw.). Sodann spielen Anomalien der innersekretorischen Drüsen
eine Rolle, welche vielleicht schon in der Kindheit gewisse Körperformen,
Dysproportionen bestimmen, die als Zeichen der Disposition gelten
können. Bei typischer asthenischer Konstitution entsteht das klassische
Bild der Tabes, bei dem fast entgegengesetzten körperlichen Typus des
adipösen Breitwuchses das Bild der Tabes mit Opticusatropbie, bei dem
muskulös-adipösen Breitwuchs möglicherweise die Paralyse, was der Verf.
allerdings selbst mit zwei grossen Fragezeichen versieht. Aber er ver¬
mutet noch weitere Differenzierungen, auf die hier, wie gesagt, nicht ein¬
zugeben ist.
Man muss sich gewiss den Fragezeichen anschliessen, die der Verf.
an gewagten Stellen selber setzt, ohne dass man den Wert verkennt»
der in solchen durchaus neuen Beleuchtungsarten der Tabes-Paralyse¬
frage steckt.
Robert Sommer: Klinik für psychische nid nervöse Krankheiten.
Bd. 7, H. 3. Halle a. S. 1912, Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung.
Preis 3 M.
Das 3. Heft des 7. Bandes der Sommer’schen Zeitschrift enthält den
zweiten Teil des Berichts über den II. Kurs mit Kongress für Familien¬
forschung, Vererbungs- und Regenerationslehre in Giessen, April 1912,
von dem Herausgeber selbst. W. Sei ff er.
Herrenschneider: Lehrbuch der Hebammenkunst. 1911. Strassburger
Druckerei und Verlagsanstalt, Filiale Colmar.
Ein nach Inhalt und Darstellung vollauf befriedigendes Lehrbuch
für Hebammen ist auch heute ein noch unerfüllter Wunsoh der
Hebammenlehrer. Die Schwierigkeit in der Abfassung eines solchen
Lehrbuches beruht zweifellos in der Aufgabe, den umfangreichen Stoff
für Schüler ohne alle Vorkenntnisse in leicht fassliche und dabei nicht
zu breite Form zu bringen. Dieser Forderung ist in vorliegendem Werke
leider auch nicht entsprochen worden. In dem Bestreben, dem Unter¬
richt eine gute anatomisch-physiologische Grundlage zu geben, verfällt
der Verfasser in den Fehler einer viel zu eingehenden anatomischen Be¬
schreibung, die selbst in dem für die Schülerinnen wichtigsten Teil, der
Lehre vom Becken und dem Geschlechtsapparate, sich allzusehr im Detail
verliert und unter dem Fehlen von Abbildungen leidet, die dem Vorwort
zufolge hoffentlich recht bald nachträglich herausgegeben werden. Trotz
zahlreicher, den Inhalt der einzelnen Absätze kurz charakterisierenden
Randbemerkungen vermisst man doch überall eine durch stärkeren Druck
gekennzeichnete Betonung des Wesentlichen bei der Fülle von weniger
wichtigen Darbietungen. Die Vorderhauptslagen werden leider, wie in allen
Hebammenlehrbüchern, als zweite Unterart* der Hinterhauptslagen, statt
als Defiexion§lagen, behandelt. Schwitzbäder und Packungen bei
Eklampsie dürften auch nicht mehr zeitgemäss sein. Im Anhang bringt
der Verfasser einen kurzen Abriss der allgemeinen Krankheitslehre sowie
einige gesetzliche, die Hebammenordnung betreffende Bestimmungen.
Bnrckhard: Stndiea zur Geschichte des Hebammenwesens. I. Band,
1. Heft. Leipzig 1912, W. Engelmann. Geh. 7 M.
Das gross angelegte Werk Burckhard’s bringt im vorliegenden
I. Teil die deutschen Hebammenordnungen von ihren ersten Anfängen
bis auf die Neuzeit. Seine Ausführungen gründen sich auf eingehendes
Studium in den Archiven vieler Städte. Nach einleitenden Worten über
die Etymologie des Wortes „Hebamme“ verbreitet sich der Autor über
den Inhalt der verschiedenen Hebammenordnuogen, die in chronologischer
Folge aufgeführt werden. Die ältesten stammen aus der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts und sind in den Kirchenordnungen enthalten. Erst
nach 1770 geht die Aufsicht über das Hebammengewerbe von der Kirche
auf die weltliche Obrigkeit über. Die interessanten Einzelheiten der in
den einzelnen Hebammenordnungen enthaltenen Bestimmungen müssen
im Original verfolgt werden. Eine stattliche Anzahl solcher Ordnungen
im Urtext sind al9 Anlagen der Abhandlung Burckhard’s angefügt.
R. Freund - Berlin.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
E. J. Lesser-Mannheim: Mobilisierung des Glykogens. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In den Wintermonaten findet beim
Frosch in den Organen kein postmortaler Glykogenschwund statt, der in
den Sommermonaten wohl vorhanden ist (glykogenstabile und glykogen¬
labile Zeit). Der Grund für die Glykogenstabilität des Winters liegt
nicht, wie man zunächst vermuten sollte, in einem Mangel an Diastase,
sondern darin, dass diese in den intakten Zellen unwirksam ist. Zer¬
stört man die Zellen, so tritt ohne weiteres Glykogensohwund ein. Im
Winter ist das überlebende Organ durch Anoxybiose nicht beeinfluss¬
bar, wohl aber das ganze Tier im Sommer; im Sommer findet man
ebenso wie den postmortalen Glykogenschwund im intakten ausge¬
schnittenen Organ auch keine Beeinflussung durch Anoxybiose. Wenn
man die Verhältnisse vom Frosch auf die beim menschlichen Diabetes
zu übertragen versuchen will, so kann man sagen: Die überlebende
Leber des Sommerfrosches verhält sich zur überlebenden Leber des
Winterfroscbes wie der Diabetiker zum Gesunden. Jedenfalls ist beim
Diabetiker nicht die Menge der Diastase vermehrt, sondern die Wirk¬
samkeit der Diastase ist erhöht, vielleicht infolge verstärkter Diffusion
von Ferment zu Glykogen.
L. Flatow-Cöln: Praktische Winke zur Bestimmung der Harn-
sänre und Purinkörper im Urin. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 7.) Dünner.
J. Schifmann und A. Vystavel-Wien: Versuche zur Frage einer
iineren Sekretion der Mamma. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 7.) Die Verff. haben an Meerschweinchen Versuohe aDgestellt, in¬
dem sie den Tieren Brustdrüsenextrakt subcutan einverleibten. Sie be¬
nutzten zu den Experimenten Kuheuterextrakt und auch arteigenes El¬
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UNIVERSUM OF IOWA
450
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
trakt. In beiden Fällen zeigte es sich, dass bei den Tieren eine
Hemmung in der Entwicklung des Genitales eintrat, und zwar in erster
Instanz der Keimdrüsen. Weitere Veränderungen, wie Zurückbleiben
der Tiere im Gewicht und Längenwachstum gegenüber den Kontroll-
tieren dürften sekundärer Art sein. Die Verff. lassen die Frage unent¬
schieden, ob es sich hierbei um die spezifische Wirkung eines Produktes
der inneren Sekretion der Mamma handelt. P. Hirsch.
Pharmakologie.
K. B. Lehmann-Würzburg: Die wirksamen und wertvollen Bestand¬
teile des Kaffeegetränkes mit besonderer Berücksichtigung des coffein¬
freien Kaffees H»S und des Thumkaffees. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 6 u. 7.)
W. Heubner-Göttingen : Wirkung von intravenösen Infusionen mit
Anrom kaliam cyanatnm. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.)
Bemerkungen zu der Arbeit von C. Bruck und A. Glück in der Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 1. Heubner weist darauf hin, dass
er in eigenen Versuchen mit Goldsalzen schon früher eine Wirkung auf
das Capillarsystem zeigen konnte. Dünner.
P. Uhlenhuth, P. Mulzer und G. Hügel-Strassburg: Die chemo*
therapeutische Wirknng von organischen Antimonpräparaten bei
Spirochäten- uni Trypanosomenkrankheiten. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1918, Nr. 9.) Die Verff. haben eine grosse Anzahl von Antimon¬
verbindungen in bezug auf ihren Schulz- und Heilwert bei Hühner-
spirillosen systematisch untersucht. Die besten Erfahrungen machten
sie mit dem urethanophenyl-stibinsauren Natrium. Die therapeutische
Dosis 0,02 liegt bei diesem Mittel zudem weit von der toxischen ent¬
fernt (0,2—0,25). Ausser der genannten Verbindung gaben auch zwei
andere Substanzen gute Resultate, nämlich das acetyl-p-aminophenyl-
stibinsaure Natrium und das benzolsulfophenylstibinsaure Natrium.
Diese drei Antimonverbindungen erwiesen sich ferner auch wirksam bei
Kaninchensyphilis, Dourine und Schlafkrankheit. Besonders eklatant
war die Wirkung auf syphilitische Hodenschanker von Kaninchen, die
rapide zurückgingen. Die zweite der genannten Verbindungen wurde
auch bei menschlicher Syphilis subcutan angewandt. Die Einspritzungen
waren reizend und schmerzhaft, doch war ein Erfolg unverkennbar.
Wolfsohn.
Kahn-Magdeburg: Ueber Dioradin. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19,
H. 5.) In den behandelten 4 Fällen hat das Mittel versagt. Dies
Resultat im Verein mit dem Ausfall von Tierversuchen konnte nicht er¬
mutigen, das Dioradin in weiterem Umfang in Anwendung zu bringen.
Ott.
J. Pal - Wien: Die Wirknng des Opiums, seiner Komponenten und
Ersatzpräparate. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Vortrag,
gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 22. November
1912.
P. Saokur - Breslau: Experimentelle und klinische Beiträge zur
Kenntnis der Hormonal wirknng. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 9.) S. berichtet über einige Experimente an Kaninchen, Hunden
und Katzen. Bei langsamer intravenöser Infusion wurde eine erhebliche
Alteration des Blutdrucks niemals beobachtet. Die Peristaltik erfuhr
jedoch nur bei Kaninchen eine sofortige und energische Beschleunigung.
Erfahrungen an 9 Kranken ergaben teils verblüffende Erfolge, teils Ver¬
sager. Jedenfalls ist das Mittel in der jüngst verbesserten Form be¬
sonders bei paralytischem Ileus, postoperativen Darmparesen und bei
atonischer Obstipation zu empfehlen. Auf die Technik der langsamen
Injektion ist besonders zu achten. Statt der Spritze wird die Anwendung
des zur Salvarsaninfusion gebräuchlichen Bürettenapparats empfohlen.
Wolfsohn.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
Schridde: Untersuchungen zur Entzündnngsfrage. (Ziegler’s
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. all gern. Pathol., Bd. 55, H. 2.) Verf. ver¬
tritt mit neuem Untersuchungsmaterial seine Ansicht über die Ent¬
stehung der kleinzelligen Infiltrate gegenüber der Marcband’schen Auf¬
fassung. Die Untersuchungen beschäftigten sich speziell mit der Frage:
Entstehen die kleinzelligen Infiltrate in der Niere an Scharlach und
Diphtherie Verstorbener autochthon oder durch die Emigration der Blut-
lymphocyten? Die mikroskopischen Bilder ergaben folgenden Befund:
Im ersten Stadium eine enorme Anhäufung von Lymphocyten in be¬
stimmten Gruppen von Capillaren und auch in Arteriolen des Marks;
dann Lichtung der intracapillären Zellmassen und gleichzeitig Bildung
von kleinzelligen Infiltraten; spätere Umwandlung eines grossen Teils
der Lymphocyten in Plasmazellen. Verf. kommt daher zu dem Schluss,
die kleinzellige Infiltration als solche als reine exsudative Entzündung
anzusehen. Benn.
R. Mc Carrison: Die Aetiologie des endemischen Kropfes. II.
(Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Da das toxische Agens im Wasser
vorhanden ist, so muss es gelöst oder suspendiert sein. Der Verf. weist
nach, dass der Kropf nicht, wie Bircher meint, an Böden aus Sedi¬
mentgestein gebunden ist, sondern auf jeder geologischen Formation Vor¬
kommen kann, von den ältesten bis zu den jüngsten. Der Gehalt des
Bodens an Kalk, Magnesium und Eisen hat keinen Einfluss, ebeusowenig
der Gehalt des Wassers an diesen Substanzen. Der Verf. hat aber fest¬
stellen können, dass in Dörfern, deren Trinkwasser hart war, die ein¬
zelnen Kröpfe grösser und mehr degeneriert waren als in denen mit
weicherem Wasser; hartes Wasser als solches macht aber keinen Kropf.
Auch die Radioaktivität des Wassers hat keinen Einfluss auf die Er¬
zeugung von Kröpfen, wie Repin angenommen hat. In Hinsicht auf
die Beziehung geologischer Formationen zum Kropf kann man nur sagen,
dass der Kropf mit Vorliebe auf gewissen Böden vorkommt, dass er aber
auf Böden jeder Art Vorkommen kann. Die Tatsachen weisen aber
darauf hin, dass der Kropf durch ein lebendes Agens hervorgerufen
wird, und dies sucht der Verf. aus seinen eigenen Beobachtungen und
Versuchen zu beweisen. Die Zunahme des Kropfes steht in direktem
Verhältnis zur Zunahme der organischen Verunreinigungen im Trink¬
wasser, und der Erreger findet sich in grösster Menge im Bodensatz und
Filterrückstand des Wassers (Versuche an Menschen, Beobachtungen von
Marine und Len hart an Forellen). Alle Fälle von experimentellem
Kropf wurden durch Thymol rasch geheilt. Durch Berkefeldt’sche Filter
gegangenes oder gekochtes Wasser ist weniger gefährlich als rohes.
Wenn auch filtriertes Wasser noch Kropf erzeugen kanD, so weist doch
die Verminderung seiner Infektiosität darauf hin, dass das toxische Agens
im Wasser suspendiert sein muss. Der experimentelle Kropf tritt beim
Menschen gewöhnlich etwa am 15. Tage auf; er ist schwankend in der
Grösse und erreicht seine grösste Ausdehnung zwischen dem 25. und
30. Tage. Die Vergrösserung der Drüse ist nicht sehr bedeutend, und
er ist unter den Versuchsbedingungen nicht progressiv und kann gänz¬
lich wieder verschwinden. Der Boden spielt insofern eine Rolle, als der
Erreger in Erdboden, die stets mit organischen Substanzen verunreinigt
sind, gut zu gedeihen scheint und daraus mit dem Wasser fortgespült
wird; das geschieht am leichtesten auf porösen Böden. Es ist aber
wohl anzunehmen, dass der Erreger unmittelbar aus dem Boden auf¬
genommen werden kann. Die besten Existenzbedingungen für den Kropf
sind also ländliche Gegenden mit Landwirtschaft treibenden Bewohnern
und porösem, mit organischem Material reichlich verunreinigtem Boden,
der bei geneigter Lage ein rasches Durchfliessen des Wassers ermög¬
licht. Diese Bedingungen finden sich am ersten in Gebirgsgegenden, wo
auch der Kropf am häufigsten ist. Weydemann.
A. Reich und Blauel: Ueber den Einfluss künstlicher Tracheal¬
stenose auf die Schilddrüse, (v? Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 82, H. 8.) Gelegentlich Fütterungsversuchen mit sogenannten Kropf¬
wässern fanden Verff. bei Ratten, bei denen sie eine künstliche Tracheal¬
stenose angelegt hatten, nicht, wie erwartet, Herzveränderungen, sondern
histologische Veränderungen in der Schilddrüse. Die Follikel besitzen
ausgesprochenes Plattenepithel, die Zellkerne sind erheblich kleiner und
dichter als bei anderen Ratten, das Lumen der Follikel ist infolge der
platten Beschaffenheit des Epithels relativ gross, niemals sind Er¬
scheinungen von Kolloidverflüssigung oder Abnahme des histologisch
darstellbaren Kolloids vorhanden. Die Kolloidfüllung der Follikel ist
stets eine maximale und bei der Grösse der Lumina relativ erhöhte.
Diese Veränderungen fassen die Verff. als bedingt durch den länger an¬
dauernden Sauerstoffmangel auf; sie seien der Ausdruck einer Funktions¬
herabsetzung. Mit Hinsicht auf die von Mansfeld und Müller ver¬
öffentlichten Versuche kann man vielleicht annehmen, dass auf kürzer¬
dauernden O-Mangel oder auf den Anfang eines längerdauernden Mangels
die Schilddrüse mit Funktionssteigerung antwortet. W. V. Simon.
H. G. und A. S. F. Grünbaum - Leeds: Neubildung und ttwirk-
gftme Immunität. (Lancet, 1. Februar 1913, Nr. 4666.) Nach der In¬
jektion von Streptokokkenvaccine bei Ratten findet sich während der
Dauer der negativen Phase der opsonischen Reaktion im Serum eine
Substanz, die die Hämolyse durch Kobragift beschleunigt und später
verschwindet. Eine ähnliche hämolytische Eigenschaft hat das Ratten¬
serum, wenn ein Sarkom erfolgreich übertragen ist, aber es wird kein
Immunkörper für den Tumor oder für Kobragift gebildet, solange die
Geschwulst wächst. Solche Ratten sind gegen Kobragift besonders
empfindlich; wenn aber nach Injektion des Kobragiftes ein antihämolyti¬
scher Körper im Blute auftritt, verkleinert sich die Geschwulst. Das¬
selbe tut sie bei Injektion von Antikobragiftserum. Aehnlich ist die
Coley’sche Flüssigkeit in solchen Fällen von Sarkom wirksam, wo noch
eine Antikörperbildung möglich ist. Bei der Enstehung einer Neubildung
sind zwei Ursachen wirksam: eine allgemeine und veränderliche (Reize
irgendwelcher Art und eine spezifische (entweder eine Funktionsstauung
irgend eines Gewebes oder das Fehlen oder die Veränderung irgend¬
eines Hormons). Es sind Gründe für die Annahme da, dass die Sub¬
stanz, die die Empfänglichkeit verursacht, ein unreifer Immunkörper ist.
Weydemann.
G. Herzog: Zwei primäre Careinome auf dem Boden alter tuber¬
kulöser Darmgeschwüre, zugleich ein Beitrag zur Histiogenese des
Carcinoms. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol.,
Bd. 55, H. 2.) Verf. beschreibt den Fall eines 47 jährigen Mannes, bei
dem an zwei weit voneinander entfernten, stark stenosierten Stellen des
von zahlreichen tuberkulösen Geschwüren durchsetzten Darmes zwei
primäre Careinome gefunden wurden, die zu Metastasen geführt hatten.
Die mikroskopische Untersuchung erwies, dass die Krebse auf dem Boden
alter tuberkulöser Geschwüre entstanden waren. Verf. folgert weiter aus
den Untersuchungen, dass das Maassgebende bei der Histiogenese beider
Careinome in der primären Umwandlung des Epithels zu sehen sei, uu
die sich eine krebsige Entartung angeschlossen habe.
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
451
T. Ogata: Beiträge zur experimentell erzeugten Lebercirrhose und
zur Pathologie des Icterus, mit spezieller Berücksichtigung der Gallen-
capillaren bei der Unterbindung des Ductus choledochus und der Icte-
rogenVergiftung. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol.,
Bd. 55, H. 2.) Die cirrhotischen Veränderungen nach der Unterbindung
des Ductus choledochus sind andere als bei der toxisch erzeugten Cir-
rhose. Bei der biliären Cirrhose traten Gallengangs- und Bindegewebs¬
wucherungen üppig auf, während bei der toxischen nur spärlich Gallen¬
gangswucherungen auftraten und die Bindegewebsneubildung nur eine
Organisation im Anschluss an den Untergang des Parenchyms bedeutete.
Hinsichtlich der Entstehung des Stauungsicterus unterscheidet Verf. zwei
Phasen: 1. Die einfache Ptosis des Galiencapiilarsystems mit Durchtritt
der noch flüssigen Galle durch Filtration in die perivasculären Lymph-
babnen und 2. die Niederschlagsbildung durch Eindiokung der Galle
und Ausstossung derselben durch allmählich eingetretene Rupturen.
Bei der IcterogenVergiftung muss für die Entstehung des Icterus eine
Funktionsstörung der Leber oder eine hämatogene Herkunft angenommen
werden.
T. Ogata: Ueber einen Fall von septiseheu Icterns. (Ziegler’s
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 2.) An der
Hand eines genau untersuchten Falles bespricht Verf. die Frage nach
der Entstehung des septischen Icterus. Er entscheidet sich für die An¬
nahme eines Icterus per rhexin, hervorgerufen durch direkte Gallen-
stauung infolge Verlegung oder Unterbrechung der Capillaren in der
intermediären Zone der Leberläppchen. Die Unterbrechung der Capillaren
sei veranlasst durch jene eigentümliche Zellnekrose in der intermediären
Zone, die gelegentlich bei Sepsis zu beobachten ist, und die auch in
diesem Falle vorlag.
Warstat: Ueber das multiple PJasnoeythom der Knoehen, zu¬
gleich ein Beitrag zur Myelomfrage. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat.
u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 2.) Multiple Myelome in fast allen
Knochen des Skeletts. Die Tumorzellen sind Plasmazellen.. Da sich
andererseits aber auch ziemlich viele Lymphocyten zwischen den Tumor¬
zellen fanden, lässt Verf. die Frage offen, ob der Fall zu den eigent¬
lichen Myelomen oder zu den lymphocythären Myelomen zu rechnen sei.
Vorpahl: Ueber SiaastbroBibose und ihre Beziehung zu Gehirn-
■ad Piablntnngen. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol.,
Bd. 55, H. 2.) Drei Fälle, bei denen sich Hirnblutungen und Sinus¬
thrombose fanden. Die Blutungen Hessen sich als das zeitlich Primäre
nachweisen. Verf. zieht hieraus den Schluss, dass die bisherige An¬
schauung über den Causalnexus dieser beiden Erscheinungen umzukehren
sei: im Anschluss an Hirnblutungen träten Thrombosen der Piavenen
und des Sinus auf. Benn.
H. Koch-Wien: Entstehnngsbedingangen der Meningitis tnberen-
lesa. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Verf. hat für seine
Untersuchungen ein Material von 355 Fällen von Meningitis tuberculosa
verwendet Die Meningitis tuberculosa kommt zustande durch eine be¬
trächtliche Aussaat von Tuberkelbacillen aus einem älteren tuberkulösen
Herd. Es kommen also für die Entstehung alle Momente in Betracht,
welche einerseits auf den alten Herd, andererseits auf die Aussaat be¬
günstigend wirken. Was nun den Einfluss von Krankheiten auf die Ent¬
stehung betrifft, so fand der Verf. in der Anamnese seiner Fälle in
130 Fällen Masern in 67 Pertussis, in 36 Varicellen, in 17 Diphtherie,
in 9 Scharlach, in 30 Fällen Lungenerkrankungen und in 34 Fällen
tuberkulöse Erkrankungen verschiedener Organe. P. Hirsch.
Siehe auch Kinderheilkunde: Roberts, Eingangspforten des
Tuberkelbacillus. — Chirurgie: Morgenstern, Kongenitale hereditäre
Ankylosen der Interphalangealgelenke.
Parasitenkunde und Serologie»
F. H. Thiele und D. Embleton-London: Vorläufige Mitteilung
über die Pathogenität und die Virulenz der Bakterien. (Lancet,
25. Januar 1913, Nr. 4665.) Fermente sind ein wichtiges Mittel im
Kampfe gegen die in den Körper eingedrungenen Bakterien. Es sind:
ein normales Parenzym, ein leicht differenziertes spezifisches Enzym und
ein thermolabiler und ein thermostabiler Amboceptor. Diese beiden
unterstützen und beschleunigen die Wirkung der gewöhnlichen Enzyme.
Die Wirkung der Fermente besteht in dem Abbau des Bakterienproto¬
plasmas. Dies ist an sich nicht giftig, sondern giftig sind nur die ersten
Abbauprodukte. Diese Körper haben ausser der giftigen noch die Wir¬
kung, dass sie die Phagocytose hemmen. Die toxischen Körper bringen
in grosser Menge den Tod, in geringerer einen Temperaturfall, in kleiner
Fieber; sie sind die Todesursache bei allen Erkrankungen durch Bak¬
terien. Die Virulenz eines Bakteriums beruht auf der Möglichkeit, dass
es gelöstes Protoplasma in seine Umgebung ausstossen kann, das sich
hier hält (z. B. in Gestalt einer Kapsel) und als Schirm gegen die Fer¬
mente wirkt. Die Pathogenität eines Bakteriums hängt ab von der
Virulenz und der Wirkung des Fermentes auf das Bakterium.
Weydemann.
J. Biberfeld-Breslau: Beitrag zur Bewertung der Bnnerich’schen
Cbelerabypothese. (Gentralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65,
H. 1—3, S. 26.) B. suchte im Tierexperiment an Hunden durch Injek¬
tion in eine obere Dünndarmschlinge festzustellen, wieviel freie salpetrige
Säure in den Darm gelangen müsse, um tödlich zu wirken; auf diesem
Wege sollte ein Urteil über den Wert der Emmerich’scben Cholera-
bypothese gewonnen werden. Die Tiere, die etwa ! /a Stunde nach der
Injektion ziemlich hoher Dosen starbeD, zeigten bei der Sektion schwerste
Methämoglobinämie und dementsprechende intensivste Verfärbung aller
Organe, ferner diphtherische Veränderung der Darmschleimhaut in ihrer
ganzen Ausdehnung. Das Bild ist also dem selbst bei den akutesten
Cholerafällen beobachteten absolut unähnlich. Da relativ grosse Mengen
erforderlich waren, ist kaum anzunehmen, dass sich beim Menschen
unter dem Einfluss des nur langsam Nitrit bildenden Choleravibrio ent¬
sprechende Quantitäten in kurzer Zeit aus den salpeterhaltigen Nah¬
rungsmitteln bilden. In einem weiteren Versuch bekam ein Hund sehr
grosse Mengen Salpeter zugleich mit dem stark Nitrit bildenden Vibrio
Nordhafen in den oberen Dünndarm injiziert; trotzdem kam es zu keiner
erkennbaren Nitritbildung. Die bekannten Behauptungen Emmerich’s
über die Genese der Cholera sind deshalb nicht zu Recht bestehend.
0. Malm-Christiania: Ueber die sogenannten bovinen und hnuanea
Typen des TnberkelbaeillnB. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1,
Orig., Bd. 65, S. 42.) M. steht auf dem Standpunkt, dass der humane
und der bovine Tuberkelbacillus höchstens als eine lokale Varietät ein
und derselben Pflanze bezeichnet werden könne, die sich aber nicht un¬
schwer von dem einen Boden auf einen anderen umpflanzen lasse. Für
die Feststellung des Ursprungs der Tuberkuloseinfektion im einzelnen
Falle biete es deshalb keinen Anhalt, ob der gefundene Tuberkelbacillus
humane oder bovine Merkmale zeige. „Die Behauptung, ein humaner
und ein boviner Typus seien in ätiologischer und epidemiologischer Be¬
ziehung zwei wesensverschiedene Parasiten, ist eine Fiktion/
Bierotte.
Kessler-St. Avold: Tuberkelbacillennachweis im Blot. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Der Stäubli-Schnitter-Methode haftet
der Nachteil an, dass man das Blut nur dann auf Tuberkelbacillen im
Ausstrich untersuchen kann, wenn es ungeronnen ist. K. gibt eine
eigene Methode an, die auch die Untersuchung geronnenen Blutes ge¬
stattet: 0,5—1,0 Blut werden aus dem Ohr in eine Capillare entnommen,
die an beiden Enden mit Siegellack verschlossen wird. Zu beliebiger
Zeit kann man nun den Blutfaden aus der Capillare nehmen und in ein
Reagenzglas tun, in dem eine Messerspitze Trypsin Grübler und 1 ccm
Wasser sind. Mehrmals innerhalb einer Stunde bei Zimmertemperatur
schütteln. Zu dieser Mischung kommen doppelt so viel Teile 25 proz.
Antiformin und drei Teile Brennspiritus. Schütteln und Centrifugieren.
Der Bodensatz wird dann auf Tuberkelbacillen untersucht.
Bacmeistor-Freiburg: Auftreten virulenter Tuberkelbacillen im
Blot nach der diagnostischen Tuberkulininjektion. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Unabhängig von L. Rabinowitsch (Berliner
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 3) fand B., dass das nach der diagnostischen
Tuberkulininjektion entnommene und Tieren injizierte Blut bedeutend
häufiger zur Tuberkulose des Tieres führt, als die vor den Injektionen
gemachten Blutinjektionen. Es müssen also von der lokalen tuber¬
kulösen Erkrankung aus Tuberkelbacillen in den Blutkreislauf ge¬
schwemmt werden, die sich im Tierversuch dann nachweisen lassen. Ein
einfacher Blutausstrich zum Nachweis der Bacillen ist nicht maassgebend,
da, wie aus der Arbeit von
E. Kahn-Nürnberg: Zum Nachweis der Tuberkelbacillen im
strömenden Blut (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7) hervor¬
geht, nicht alle säurefesten Gebilde im Blutausstrich Tuberkelbacillen
sind. Die Hüllen der Erythrocyten sind, wie K. konstatiert, ebenfalls
säurefest. Auch feinste Fibrin flock eben können als säurefest Baoillen
vortäuseben. Für den Nachweis der Tuberkelbacillen im strömenden
Blut ist also lediglich der Tierversuch von Wert. Dünner.
C. Stern-Düsseldorf: Ueber „eigenlösende“ Eigenschaften des
Meerschweinehenserams und dadurch bediogte Fehlerquellen der Wasser-
mann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Meer¬
schweinchen, denen ein- oder mehrmals Blut entnommen ist, zeigen in
ihrem Serum die Eigenschaft, auch ohne Amboceptor Hammelblut zu
lösen. Diese Eigenschaft kann wieder verschwinden und zeigt sich vor¬
nehmlich bei Verwendung ganz frischen Serums. Dadurch kann eine
Fehlerquelle bei der Wassermann’schen Reaktion zustande kommen. Es
ist daher das Komplement stets auf seine „eigenlösende“ Eigenschaft
zu untersuchen. Wolfsohn.
Döhle • Kiel: Weiteres über Leukocyteneinsehlflsse bei Seharlaeh.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1 bis 3, S. 57.)
D. hat bei seinen weiteren Untersuchungen über die Bedeutung der von
ihm beobachteten Leukocyteneinschlüsse bei Scharlach, besonders in
zwei Fällen Formen gefunden, die er für Spirochäten halten zu sollen
glaubt. Eine Phothographie ist zur Erläuterung dieser Befunde bei¬
gefügt. Bierotte.
Siehe auch Pathologie: Grünbaum, Neubildung und un¬
wirksame Immunität. — Kinderheilkunde: Döhle, Leukocytenein¬
schlüsse bei Scharlach.
Innere Medizin.
F. Kr aus-Berlin: Korrelative VegetationsstörungeB and Tuber¬
kulose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.) Verf. schneidet die
Frage des Lymphatismus, auch beim Erwachsenen, an und versucht die
Annahme, dass dieser etwas diagnostisch Fassbares ist, und dass die
Lymphatischen unter den Tuberkulösen eine besondere Gruppe bilden
in symptomatischer und prognostischer Beziehung, in bezug auf Krank¬
heitslokalisation und Verlauf klinisch wahrscheinlich zu machen.
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452
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Pindborg-Kopenhagen: Eiweisskörper in Atswnrf bei Lungen¬
tuberkulose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.) Io jedem Falle
aktiver Lungentuberkulose ist Albumin im Auswurf vorhanden. Die
relative Albuminmenge im Auswurf steht in einem bestimmten Ver¬
hältnis zum Grade der Krankheit, und die Bestimmung derselben kann
bei der Prognosestellung in den einzelnen Fällen wertvolle Hilfe leisten.
Bei systematischen Untersuchungen im Auswurf kann der Verlauf der
Krankheit in einem gewissen Grade verfolgt werden. Die Untersuobungs-
methode kann differentialdiagnostische Hilfe leisten. Ott.
D. Rothschild-Soden: Der Einfluss der Jodnedikation auf die
Spatamphagocytose der Taberkelbacillen. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 9.) Durch Joddareichung lässt sich die Zahl der im
Sputum phagocytierten Bacillen um das Drei- bis Vierfache steigern.
Verf. sieht darin einen Heilvorgang, der einer Tuberkulinwirkung in
Parallele zn setzen ist. Er schlägt eine vorsichtige Jodtherapie bei
Phthise vor. (Man vergleiche damit den Vorschlag von Bier, bei chir¬
urgischen Tuberkulösen Stauung und Jodtherapie zu kombinieren. Ref.)
Wolfsohn.
Prorok-Soden i. T.: Die Bewertung des Phosphor-, Kalk- «ad
Magaesiagebaltes im Spataat. (Zeitscbr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 5.)
Stellt man sich auf den Standpunkt, dass das Sputum oder ein Teil
seiner Bestandteile als direkter Verlust des Organismus angesehen werden
muss, so ist es auch natürlich, dass dafür Sorge getragen werden muss,
dass diese Bestandteile durch Mehrzufuhr in der Nahrung ersetzt werden.
Der Verlust an Eiweiss ist schnell gedeckt, da derselbe nur wenige
Gramm beträgt, auch der Fettverlust ist nicht hoch. Unter den Mine¬
ralien nimmt aber der Phosphor eine besondere Rolle ein, so dass wir
ihn zu ersetzen bestrebt sein müssen. Die Erfahrung lehrt, dass
Phosphor, in organischer Form dem Körper zugeführt, am besten aus¬
genutzt wird. Es empfiehlt sich also, bei Tuberkulösen Phosphor
organisch znzufübren, um das Defizit, das durch das Sputum entsteht,
zu decken. Ott.
G. Dorn er- Berlin: Broncbo-Oesophagealfistel bei Aortenanearysma.
(Deutsche med. Wochenschr,, 1913, Nr. 9.) Vortrag im Verein für
innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 13. Januar 1913.
C. A. Ewald: Milzvenenthrombose mit tödlicher Magenblatang.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Vortrag, gehalten im Verein
lür innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 13. Januar 1913.
0. Meyer - Berlin: Beitrag zur Entstehung und Verhütung der
Birschsprnng’scheB Krankheit. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 9.) Demonstration im Verein für innere Medizin und Kinderheil¬
kunde in Berlin am 25. November 1912. Wolfsobn.
K. Motzfeldt-Christiania: Tetannsinfektion dnrch einen Langen-
abscess. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1-3,
S. 60.) Beschreibung eines Falles von croupöser Pneumonie, in deren
Verlauf sich ein Lungenabscess ausbildete, der, wie angenommen wird,
einer sekundären Infektion mit Tetanusbacillen durch die Luftwege aus¬
gesetzt wurde. Der Patient, ein Pferdeknecht, hatte Gelegenheit zur
Aufnahme dieser Bacillen in Mund und Luftwege durch seine Be¬
schäftigung. Eine andere Möglichkeit der Infektion wird, da die ge¬
naueste Nachforschung nach irgendwelchen kleinsten Verletzungen er¬
gebnislos war, als nicht wahrscheinlich angesehen. Bierotte.
Siehe auch Pharmakologie: Sackur, Hormonalwirkung. —
Röntgenologie: Iselin, Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch
Röntgenbestrahlung. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Eich¬
mann, Nierenfunktionsprüfung durch Phenolsulfonphthalein probe.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Jolowicz: Behandlungsversuche mit Natrium nncleinicmi und
Salvarsan bei progressiver Paralyse, unter besonderer Berücksichti¬
gung der Veränderungen des Liquor cerebrospinalis. (Neurologisches
Centralblatt, 1913, Nr. 4.) Bei 25 Fällen von vorwiegend einfach
dementen fortgeschrittenen Paralysen konnte durch Behandlung mit
Natrium nucleinicum und Salvarsan eine irgendwie nennenswerte Be¬
einflussung des Krankheitsbildes nicht gefunden werden. Auch die
pathologischen Veränderungen der Lumbalflüssigkeit konnten in 16 unter¬
suchten Fällen durch die eingeschlagene Therapie nicht sichtlich ver¬
ändert werden.
S. Ljass: Salvarsan bei syphilitischen und metasyphilitischen
Erkrankungen des Nervensystems. (Neurologisches Centralblatt, 1913,
Nr. 4.) In einigen frischen Fällen von Syphilis des Centralnervensystems
erweist sich Salvarsan als ein sehr wertvolles Heilmittel, das zuweilen
die Lebensrettung zur Folge hat. Auf Tabes übt Salvarsan keine sicht¬
liche Wirkung aus, in den ersten Stadien wirkt es vielleicht günstig auf
die Ernährung des Organismus und das Selbstgefühl des Kranken ein.
Auf progressive Paralyse übt Salvarsan keine Wirkung aus. Wir können
noch nicht sagen, ob es möglich ist vermittelst eines Präparates von
der Entwicklung parasypbilitischer Erkrankungen einen Kranken zu
befreien.
M. Meyer: Therapeutische Maassnahmen bei genuiner Epilepsie.
(Neurologisches Centralblatt, 1913, Nr. 8 u. 4.) In der Mehrzahl der
Fälle von echter genuiner Epilepsie gelingt es durch kochsalzarme Kost
ohne gleichzeitige Bromdarreichung die Zahl der Anfälle wie ihre Inten¬
sität herabzusetzten, ohne für das Allgemeinbefinden oder psychische
Verhalten, bei steter Kontrolle der Diurese und Regelang des Stuhls,
besondere Gefahren befürchten zu müssen. In einem Prozentsatz der
Fälle kann man durch Kochsalzzulage einen Anfall auslösen, wobei
dieser Chlorschwellenwert individuellen Verhältnissen angepasst ist. Dies ist
für Differentialdiagnose von echter Epilepsie, epileptiformen Anfällen und
Simulation wichtig, indem die Auslösbarkeit eines Anfalls durch Koch¬
salzzulage bei kocbsalzarmer Kost für echte Epilepsie spricht. Der Ver¬
such scheint gerechtfertigt durch ein indifferentes Diureticum, wie Harn¬
stoff, eine starke Diurese konsant zu erhalten, so dass es möglich er¬
scheint, zu dieser Zeit die Kranken vor schwereren Verletzungen zu
sichern. Sind Kranke an grössere Bromdosen gewöhnt, so sollen sie
nicht sofort entzogen werden; ein Wechsel in der Behandlung macht
eine genaue, wenn möglich Krankenhausbeobachtung wünschenswert.
E. Tobias.
Siehe auch Pathologie: Koch, Entstehungsbedingungen der
Meningitis tuberculosa. — Haut- und Geschlechtskrankheiten:
Pinkus, Syphilitische Hirnreaktion nach der zweiten Salvarsaninjektion.
Abadie, Petges und Desqueyroux, Sensitive und motorische Poly¬
neuritis nach Salvarsan. — Hals-, Nasen- undOhrenkrankheiten:
Milligan, Otitische Meningitis. — Unfallheilkunde und Ver¬
sicherungswesen: Erfurth, Isolierte Lähmung des Glutaeus medius
und minimus. Mendel, Amyotrophische Lateralsklerose und Trauma.
Gr über, Luetische Meningomyelitis und traumatische Neuralgie.
Kinderheilkunde.
E. Erarys - Roberts - Cardiff: Die Eingangspforten des Tiberkel-
baeillis besonders in der Kindheit. (Brit med.journ, 1. Februar 1913,
Nr. 2718.) Der Verf. hält die Uebertragung durch die Placenta für
häufig. Wey dem an n.
E. Sluka - Wien: Ein weiterer Beitrag zur Hilastoberkalese des
Kindes in> Röntgenbilde. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die
Hilustuberkulose kann als Reaktivierung einer latenten Lungendrüsen¬
tuberkulose aufgefasst werden. Das Erkennen im ersten Stadium ist
nur röntgenologisch möglich und von grösster Bedeutung für den Kinder¬
arzt, denn je früher diese progrediente Formder Tuberkulose zur rationellen
Behandlung kommt, desto eher kann der Prozess ausgeheilt werden.
K. D i e 11 - Wien: Pathologie der lordotisehen Albinunarie. (Wiener
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Die lordotische Albuminurie ist nicht
allein vom Grade der Lordose, sondern auch wesentlich von der Be¬
schaffenheit des Vasomotorensystems abhängig. Therapeutisch ist also
— neben der Korrektur der Lordose — eine Beeinflussung des Gesamt¬
organismus zu berücksichtigen. P. Hirsch.
A. F. Hess - New York: Untersuchungen über Pylerespasmis und
Pankreasfenaente beim Shilling vermittels eines einfachen DBodeaal-
katheters. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Es gelingt bei
Säuglingen, einen einfachen Nelatonkatbeter (Nr. 15) durch den Magen
ins Duodenum einzuführen. Ausser durch radiologisohe Kontrolle er¬
kennt man die richtige Lage des Katheters auch daran, dass er keine
Neigung zum Herausschlüpfen zeigt (bei bestimmter Entfernung vom
Kieferrand). Beim Herausziehen kommt gelegentlich gallige Flüssigkeit
im Moment des Vorübergleitens an der Papilla Vateri. Sobald die
Sonde wieder im Magen liegt, hat man beim Aspirieren das Gefühl eines
nachlassenden Widerstandes. Die Untersuchungsmethode ermöglicht die
Unterscheidung von Pylorospasmus und Stenose. Der Katheter kann
auch zur Duodenalernährung verwendet werden. Weiterhin eignet sich
die Untersuchung zur Erforschung des Icterus neonatorum, der kon¬
genitalen Obliteration der Gallengänge, zum Studium der Bakterienflora
im Darm und des Pankreasferments. Wolfsohn.
Siehe auch Pathologie: Koch, Entstehungsbedingungen der
Meningitis tuberculosa.
Chirurgie.
J. Züllig: Waiddiphtherie aad Waaddiphthereid. (v. Bruns*
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Verf. fasst in Uebereinstimmung mit
Brunner alle Fälle, bei denen sich Diphtheriebacillen allein oder mit
anderen Erregern kombiniert nach weisen lassen, als Wunddiphtherie auf,
die vom Hospitalbrand zu trennen ist. Die einschlägigen Fälle der
Literatur werden zusammengestellt und ein neuer hinzugefügt. Pseudo¬
membranbildung braucht bei Wunddiphtherie nicht vorhanden zu sein.
Die Schwere der Erkrankung ist sehr verschieden. Der Serumtherapie
kann in einigen Fällen eine entscheidende Wirkung zuerkannt werden.
Bakteriologisch handelt es sich meist um eine Polyinfektion. Bei dem
Wunddiphtheroid, das von seinem klinischen Aussehen den Namen hat,
finden sich die gewöhnlichen Eitererreger, meist Staphylokokken und
Streptokokken. Zur Diagnosenstellung ist die Anamnese, das klinische
Bild und die histologische Untersuchung der Membranen nicht sicher
verwertbar; allein die bakteriologische Untersuchung ist für die Diagnose
Wunddiphtherie maassgebend. W. V. Simon.
E. Kisch-Berlin: Aethertropfharkose nach vorheriger Injektion von
Pantopon-Atropinsehwefelsänre. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 7.) Um das Exzitationsstadium der Aethernarkose zu vermindern,
wird in der Bier’schen Klinik 0,02 Pantopon injiziert, das im Gegensatz
zu Morphium nicht nachteilig auf die Puls- und Atemfrequenz und Er-
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10. März 1018.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
453
brechen bewirkt. Zur Herabsetzung der Salivation wird Atropin in Form
von Atropinschwefelsäure, die halb so giftig wie Atropin, sulfur. sein soll,
angewandt. Die beste Wirkung sah K., wenn er Pantopon- und Atropin-
schwefelsäure eine halbe Stunde vor Beginn der Narkose einspritzte.
Dünner.
K. Morgenstern: Ueber kongenitale hereditäre Ankylosen der
Interphalangenlgelenke. (v. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.)
Im ersten Falle noch mit gänzlichem Fehlen einzelner Endphalangen,
im zweiten mit seitlicher Deviation derselben kombiniert. In beiden
Fällen wurde die rechte und linke Seite symmetrisch betroffen, und ist
die Vererbung durch vier Generationen hindurch zu verfolgen. Die in
der Literatur niedergelegten Fälle sind in zwei Arten zu trennen: die
einseitigen unsymmetrischen Thoraxdefekte in Verbindung mit Miss¬
bildung der betreffenden oberen Extremität zeigen fast nie Vererbung,
betreffen meist die rechte Seite und das männliche Geschlecht, sind
meist mit Syndaktylie kombiniert und haben eine rein exogene kausale
Genese (Raumbeschränkung). Die zweite Gruppe ist charakterisiert durch
Symmetrie, exquisite Vererbungstendenz, mehrfach gleichzeitige Affektion
der Füsse. Diese Gruppe, zu der auch die Fälle des Verf. gehören,
haben eine endogene Genese (Entwicklungsanomalie der Keimanlage
selbst). Auf jeden Fall handelt es sich um eine Anomalie der be¬
treffenden basalen Epiphysen kerne. W. V. Simon.
W. Goebel-Cöln: Kroate voi Finger- and Zeheiphalangen.
(Münchener med. Wochenschr, 1913, Nr. 7.) Enchondrom der Grund-
und Mittelphalanx des linken vierten Fingers bei einem 16 jährigen
Patienten. Entfernung der Grundphalanx und Ersatz durch die Grund¬
phalanx der linken zweiten Zehe, an deren Stelle ein 4,5 cm langes
Knorpelstück aus der sechsten Rippe trat. Glatte Heilung und vorzüg¬
liches funktionelles Resultat. Dünner.
M. Brandes-Kiel: Typische Frakturen des atrophischen Femnrs.
(v. Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Diese Frakturen sind
bisher nach Coxitis tuberculosa, Luiatio coxa congenita, Destruktions¬
luxation, nach Hüftgelenksoperation und nach Gonitis tuberculosa beob¬
achtet worden. Es handelt sich dabei weder um die typische Fraktur
einer besonderen Atrophieform, noch ist die untere Femurdiapbyse als
Prädilektionsstelle arthritisoher Knochenatrophie bei Coxitis aufzufassen.
Die Lokalisation an der stets gleichen Stelle ist duroh besondere Festig¬
keitsverhältnisse am atrophischen Oberschenkel bedingt und einen be¬
sonderen Entstebungsmechanismus, der mit einer Biegungsbeanspruchung
des Femurs endet. Bei diesem Mechanismus ist der kontrakte Zustand
und der Ursprung der Kapsel, Bänder und Sehnen am Kniegelenk von
Bedeutung. Verf. gelang es, die Entstehung solcher Frakturen an kind¬
lichen Leichen nachzumachen. Der Name Spontanfraktur wird als nicht
treffend zurückgewiesen. Die beschriebenen Brüche sind zweifellos als
typische Brüche des atrophischen Femurs aufzufassen.
P. Smoler: Zur Uaterbiidang der Carotis commiiiis. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3) An Hand von 10 Fällen zeigt S.
die Ueberlegenheit der präliminaren langsamen Zuschnürung, für die er
eine besondere Zange angibt, über die direkte rasche Ligatur des
Gefässes, welch letztere wegen ihrer grossen Gefahr nur bei direkter
Verletzung des Gefässes ausgeführt werden darf, während die Unter¬
bindung nach vorheriger Drosselung des Gefässes, wenn die Zuschnürung
allmählich vorgenommen und bis zur vollkommenen Verlegung des
Gefässes fortgesetzt wird, vollkommen gefahrlos sei und daher auch bei
nur relativer Indikation angewandt werden dürfe.
Hoeniger: Ueber die Traeheostenosis thymiea. (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Ein kräftiges, 2Vs Monate altes Kind
bekommt stunden- und tagelang andauernde Anfälle von Atemnot, die
zuerst leicht, sich später bis zu schweren Erstickungsanfällen steigern,
so dass eine Teilresektion der (nicht vergrösserten) Thymus vorgenommen
werden musste, wonach sich der Zustand langsam bis zur vollständigen
Heilung besserte. Die Trachealstenose kann durch mechanische Momente
bedingt sein, nicht nur durch Kompression einer vergrösserten Thymus,
sondern schon durch die intrauterine Einwirkung einer fötal hyper-
plastischen Thymus auf das Wachstum der Trachea im Sinne einer
spaltförmigen Abknickung. Völlig unabhängig von mechanischen
Momenten sind die Fälle mit weder mikro- noch makroskopisch vor¬
handener Hyperplasie, bei denen man eine gestörte Funktion vielleicht
im Sinne einer Säurevergiftung annehmen muss. Therapeutisch kommt
bei der mechanischen Trachealkompression die partielle Resektion in
Frage, bei nicht sicher nachweisbaren mechanischen Ursachen zuerst
Intubationen mit genügend langer Kanüle eventuell auch Alkalitherapie.
F. v. Faykiss: Ueber die akute Entzäidiag des Pankreas, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 8.) Nur in 2 von den 6 Fällen des
Verf. war vor der Operation die Wahrscheinlichkeitsdiagnose gestellt
worden;* die Möglichkeit einer Spontanheilung darf nicht von dem
möglichst rasch vorzunehmenden chirurgischen Eingriff abhalten. Ausser
dem Freilegen des Pankreas empfiehlt es sich auch, die Kapsel ein-
zureissen oder zu spalten, wodurch das Pankreas von der Spannung
befreit und ein Weg zur Entleerung des Sekrets geschaffen wild. Danach
ausgiebige Drainage und Tamponade, die nicht zu früh zu wechseln ist.
Nor bei Mitentzündung der Gallenwege sind auch diese zu drainieren.
Von 6 Fällen genasen die 2, bei denen schon vorher an eine Pankreatitis
gedacht, daher planmässig vorgegangen, früh und kurzdauernd operiert
und das Pankreas ausgiebig drainiert wurde. W. V. Simon.
A. E. Barker- London: Ueber die Drainage der Banchhtfhle bei
verschiedenen entzündlichen Erkrankungen. (Brit. med. journ., 18. Januar
1913, Nr. 2716.) Bei den verschiedenen mit Peritonitis einhergehenden
Erkrankungen der Bauchhöhle, wie Appendioitis, Perforationen des
Magens und des Duodenums, Pyosalpinx und Darmgangrän, ist es
empfehlenswert, die Bauchhöhle gleich durch die Naht völlig zu ver-
schliessen und nicht zu drainieren, wenn nicht allzu schwere septische
Erscheinungen vorhanden sind. Zur Beurteilung, ob Drainage erforder¬
lich ist oder nicht, fehlen uns aber noch scharfe Indikationen.
Weydemann.
W. v. Steimker: Zwei seltenere Hernien (Hernia supravesicalis
externa und Hernia ventralis lateralis), (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
Bd. 82, H. 3.) Beide Hernienarten zeigten sich an ein und derselben
Leiche, bei der sich ausserdem Leistenbrüche und die Anlage zu einem
Schenkelbruch zeigte.
Sy ring: Coeeom-Dftnidarm-Volvalis in eingeklemmter Hernie.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., Bd. 82, H. 3.) Kasuistik.
W. V. Simon.
Siehe auch Innere Medizin: Motzfeld, Tetanusinfektion
durch Lungenabscess. — Unfallheilkunde und Versicherungs¬
wesen: Erfurth, Kniegelenkstuberkulose nach Stoss.
Röntgenologie.
H. Iselin - Basel: Entgiftnng des tnberknlö'sen Herdes durch
Röntgenbestrahlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 7 u. 8.)
Tuberkulöse Lymphdrüseu verschwinden unter Einwirkung von Röntgen¬
licht ausserordentlich schnell. Beim Zerfall der Herde muss a priori
eine Resorption von Giftstoffen angenommen werden, die sich in All¬
gemeinwirkung, oder auch in lokaler und ferner Herdwirkung äussern
kann. I. bat derartige Wirkungen unter seinem grossen Material tat¬
sächlich mehrmals gesehen. Es muss als wahrscheinlich angesehen werden,
dass die Röntgenbestrahlung eine Fernwirkung durch Entstehen von
Tuberkulin im Herde verursacht. In zwei Fällen wurde auch die
Pirquet Reaktion, die vor der Behandlung negativ war, im Laufe der
Behandlung positiv. Die Giftbildung im tuberkulösen Herde beeinflusst
im allgemeinen den Organismus im Sinne einer Gwichtsabnahme.
Regelmässige Bestimmungen haben I. nun ergeben, dass der Körper
während der Röntgenreaktionszeit in 75—80pCt. sein Gewicht um etwa
1 kg nach der Herdbestrahlung vermehrt, dass sich diese Zunahme fast
mit jeder Sitzung wiederholt und mit einer deutlichen Abschwellung des
Krankheitsherdes einhergeht. Verf. möchte diese Wirkungen als Folgen
einer teilweisen Entgiftung des tuberkulösen Herdes durch die Be¬
strahlung ansehen. Die Gewichtszunahme kommt vermutlich durch ver¬
mehrte Wasseraufnahme und die Abschweifung des kranken Gliedes
durch Verbesserung der Circulation zustande. Vermutlich spielte, auch
die Tuberkulinisierung des Körpers durch die Behandlung eine Rolle.
Für die Röntgenbehandlung der chirurgischen Tuberkulose kommen zwei
Wege in Betracht: Bei leichten Formen soll versucht werden, durch
wiederholte schwache Belichtung den Herd zu entgiften und der Re¬
sorption zugänglich zu machen. Bei schwereren Formen soll man eine
energische Tiefenbestrahlung durch Gefässschädigung, eine Schrumpfung
des Herdes und seiner Umgebung mit Abkapselung und Ausschaltung
desselben anstreben. Wolfsohn.
K. Kaestle-München: Vereinfachte Magen - Bioröitgenographie.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) Technische Mitteilungen,
die im Münchener ärztlichen Verein am 4. Dezember 1912 besprochen
wurden. Dünner.
A. Luger-Wien: Zur Kenntnis der radiologisehen Befand« an
Diekdarn bei Tamoren der Niereagegend. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 7.) Bei einem Patienten mit kindkopfgrossem Grawitztumor
der linken Niere ergab die radiologische Untersuchung eine Unfüll¬
barkeit des dem Tumor aufliegenden Dickdarmabschnittes. In der Mehr¬
zahl der Fälle wird man wohl einen derartigen Befund als ein den
Darm selbst betreffendes Passagehindernis aufzufassen haben.
P. Hirsch.
Siehe auch Kinderheilkunde: Sluka, Hilustuberkulose des
Kindes im Röntgenbilde. _
Urologie.
G. Bucky und E. R. W. Frank-Berlin: Operatioaea im Blasea-
inaern mit Hilfe von Haehfreqaeaxströmeo. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1918, Nr. 7.) Nach Erörterung einiger physikalischer Fragen
kommt B. zu dem Schluss, dass die Anwendung der Hochfrequenzströme
für Operationen in der Blase der Anwendung der Glühschlingen über¬
legen ist durch die Möglichkeit der feineren Dosierung der Coagulation
und durch die feinere Lokalisationsmöglichkeit der Wirkung. Die Hoch¬
frequenzströme sollen eine möglichst niedrige Spannung haben, da da¬
durch das Bild klarer bleibt und die Tiefenwirkung besser ist; höhere
Spannung irritiert ausserdem den Patienten. Für Oberflächenwirkung
sind möglichst spitze, für Tiefenwirkung flächenhafte Elektroden zu ver¬
wenden. Die Gefahr der Blasenverletzung ist gering. Frank teilt
einige mit Hochfrequenzströmen operierte Fälle mit. Gute Erfolge.
Dünner.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Eicbraann,
Nierenfunktionsprüfung durch Phenolsulfonphthaleinprobe.
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454
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
M. Ogata-Tokio: Ueber die Aetiologie der T8itSügamn8hi-(Kedani-)
krankbeit. (Centralbl. f. Bakterie). usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3,
S. 98.) Von einer alljährlich in Japan in den Monaten Juni bis Oktober
in bestimmten Provinzen auftretenden Krankheit — Tsutsugamushi-
krankheit — werden Menschen befallen, die ein gewisses Flussgebiet
betreten haben und dort mit Gräsern und Bäumen in Berührung ge¬
kommen sind. Alle Befallenen weisen Stiche, von einer Milbe herrührend,
auf, die sich als acne- oder vaccineartige Pusteln präsentieren; gleich¬
zeitig tritt schmerzhafte Schwellung der naheliegenden Lymphdrüsen auf,
während das Allgemeinbefinden ziemlich gestört ist (Fieber, Kopf¬
schmerzen). Unter der Pustelkruste findet sich ein mehrere Millimeter
bis Zentimeter grosses tiefes Geschwür mit nekrotischer Masse. Am
dritten bis vierten Krankheitstage tritt ein masernartiges oder papulöses
Exanthem über den ganzen Körper auf, am fünften bis sechsten Tage
erfolgt eine Steigerung der Körperwärme bis zur Höchstgrenze, dann
Anhalten des Fiebers 6—7 Tage lang, darauf allmählicher Abfall. Da¬
neben sind stets Milzschwellung, häufig Bronchitis, Nephritis, Ver¬
dauungsstörungen usw. vorhanden, in schweren Fällen treten Diarrhöen,
Pneumonie, Lungenödem auf. Die Mortalität beträgt etwa 30-50pCt.
Die Krankheit wird durch einen von einer Milbe übertragenen charakte¬
ristischen Fadenpilz, den der Verf. Tsutsugamusbi-Fadenpilz nennt, ver¬
ursacht. Die Reinkultur dieses Pilzes ist ihm gelungen, ebenso die
Uebertragung der Krankheit durch Reinkulturverimpfung auf Versuchs¬
tiere. Günstige Erfolge wurden durch Behandlung der Kranken mit
Jodkali innerlich und einer Quecksilberschmierkur äusserlich erzielt,
während Chinin oder Atoxyl versagten. Bierotte.
W. Li er - Wien: Sklerodermieartige Hautveränderung nach Skorbut.
(Dermatol. Wochenscbr., 1913, Bd. 56, Nr. 6.) Es handelt sich um eine
sklerodermieartige Erkrankung im Bereiche der Sprunggelenke, sowie be¬
sonders des linken Unterschenkels und der linken Kniebeuge bei einem
sonst gesunden Manne, der im vorhergehenden Jahre an Skorbut ge¬
litten batte.
K. Rühl-Turin: Ueber die diagnostische Wertlosigkeit der
negativen Wassermann - Reaktion. (Dermatol. Wochenscbr., 1913,
Bd. 56, Nr. 6.) Verf. berichtet über einen Patienten, welcher sich 1905
syphilitisch infiziert hatte, damals mit 45 tägiger Schmierkur und Jod¬
kaliumkur behandelt war, dann erst 1908 eine Anzahl Einspritzungen
von grauem Oel erhielt, und sich 1911, als er sich verheiraten wollte,
einer Salvarsaninfusion und mehreren Einspritzungen von grauem
Oel unterzog, bei dem im März, Mai und August 1911 die Wasser¬
mann’sche Reaktion negativ war, und welcher trotzdem seine junge Frau
infizierte. Auch bei dieser war die Wassermann’sche Reaktion im No¬
vember 1912 negativ, trotzdem sie nach fünfmonatiger Ehe ein maculo-
papulöses Syphilid gehabt hatte, im August ein totes maceriertes, voll¬
kommen entwickeltes Kind mit Erscheinungen von kongenitaler Lues
geboren hatte.
J. Almkvist-Stockholm: Ueber Syphilis mit verstecktem Primär-
aflfekt. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 7.) Der syphilitisene
Primäraffekt kann in der Harnröhre hinter der Fossa navicularis sitzen
und der gewöhnlichen Inspektion und Palpation ganz entgehen. Wenn
bei Syphilis des Mannes der Primäraffekt fehlt, muss man das Urethral¬
sekret auf Spirochäten und die Harnröhre endoskopisch untersuchen,
bevor man den Fall als Syphilis d’emblöe bezeichnet. In ähnlicher
Weise darf man annehmen, dass bei Frauen die Spiroohäten in den
Cervikalkanal hineingelangen können und hier einen nur durch
Spirochätennachweis diagnostizierbaren Primäraffekt hervorrufen. Die
Lokalisation des Primäraffektes in der Harnröhre hinter der Fossa
navicularis beweist, dass Mikroorganismen beim Coitus in die Harnröhre
hinein aspiriert werden können, was auch tür die Infektion mit Gono¬
kokken wichtig sein kann.
W. Frieboes-Bonn: Zwei Fälle von Phlebitis und Periphlebitis
syphilitica faciei. Ein klinischer und histologischer Beitrag. (Dermatol.
Zeitschr., Februar 1913.) Die Affektion äussert sich zum Teil in strang-
förmigen und plattenlörmigen dem Verlaufe der Gefässe folgenden
subcutan gelegenen Gebilden, zum Teil in eigenartigen, braunrot ge¬
färbten, rundlichen oder streifenförmigen Herden. Histologisch handelt
es sich um Tumorbildungen aus epitheloiden blassen und kleinzelligen
dunkelgefärbten mononucleären Zellen. Immerwahr.
G. Stümpke - Hannover: Kombinierte (Salvarsan Quecksilber)
Behandlung der Lues. (Deutsche raed. Wochenscbr., 1913, Nr. 9.)
Uebersicht über das Material im Krankenhaus Hannover-Linden. Die
kombinierte Behandlung ist der einfachen Salvarsanbehandlung über¬
legen. Für die Beurteilung des Heileffektes ist die Wassermann’sche
Reaktion sehr wertvoll. Wolfsohn.
K. Sudhoff - Leipzig: Anfänge der Syphilisbeobachtung und
Syphilisprophylaxe zu Frankfurt a. M. 1496—1502. (Dermatol. Zeitschr.,
Februar 1913.) Historische Mitteilungen und kritische Besprechung von
Auszügen aus den damaligen Ratsakten usw. über die zum ersten Male
auftretende Syphilis und die Massnahmen zu ihrer Verhütung.
Immerwahr.
L. Kilroy - Plymouth: Die Behandlung der Syphilis mit Sal-
varsan. (Lancet, 1. Februar 1913, Nr. 4666.) Bericht über die ersten
1000 Fälle aus dem Marinehospital in Plymouth. So lange die Patienten
im Lazareth sind, werden sie mit Quecksilber behandelt, das nur an den
Tagen nicht gegeben wird, wo Salvarsan injiziert wird. Wenn nicht be¬
stimmte Kontraindikationen vorhanden sind, werden zwei Einspritzungen
gemacht. Beuutzt wurde Emery’s Apparat. Bei 17 einmal behandelten
Fällen kein Rückfall, bei 902 zweimal behandelten 25, bei 68 dreimal
behandelten 1 und bei 14 viermal behandelten kein Rückfall.
Weydemann.
F. Pinkus-Berlin: Zur Kenntnis der syphilitischen Hirnreaktion
ntch der zweiten Stlvarsaninjektion. (Dermatol. Wochenschr., 1913,
Bd. 56, Nr. 7) P. berichtet über einen Fall, in dem bei leichtem Haut-
recidiv der Syphilis und bei negativer Wassermaon’scher Reaktion sich
nach der zweiten Salvarsaninfusion ein länger dauernder, wohl als
cerebrale Reizerscheinung zu deutender Zustand einstellte und der
weiterhin in eine langdauernde Symptomlosigkeit auslief. Erst ein
halbes Jahr später nahm die Krankheit einen neuen Anlauf, die
Wassermann’sche Reaktion stieg schrittweise an, unter neuer Meningen¬
reizung bereitete sich nach l 1 /*jähriger Symptomlosigkeit ein schweres
Hautrecidiv vor.
J. Abadie, G. Petges und J. Desqueyroux - Bordeaux: Sensi¬
tive and motorische Polyneiritis mit psychisoben Störungen nach einer
intravenöses Salvarsaninjektion. (Annales de dermatol. et de sypbili-
grapbie, Januar 1913.) Die Verfasser köonen die Polyneuritis weder für
eine syphilitische anseben, noch für ein Neurorecidiv, da dieselbe ohne
Quecksilber und Salvarsan spontan heilte. Nach dem Verlauf der Poly¬
neuritis kann es sich auch um keine Arsenintoxikation gehandelt haben;
sondern man muss annehmen, dass die Polyneuritis einzig und allein
durch das Salvarsan selbst hervorgerufen worden ist. Nichtsdesto¬
weniger halten die Verfasser das Salvarsan für ein vorzügliches Heil¬
mittel, und seine Anwendung für einen grossen Fortschritt in der Be¬
handlung der Syphilis. Immerwahr.
P. Wahle-Cöln: Zwei Fälle von Neesalvarsanvergiftnng. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.) In den beiden mitgeteitten Fällen
wurde je 0,9 Neosalvaraan intravenös injiziert. Es traten schwerste Ver¬
giftungserscheinungen — speziell Nephritis — auf, die, wie W. annimmt,
auf das Neosalvarsan zurückzuführen sind. Dünner.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
R. Schäffer-Berlin: Der Handsehuhsaft. Entgegnung auf die
Arbeit von H. Hellendall und W. Fromme in Nr. 48, 1912, des
Centralblattes. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.) Verf. macht darauf
aufmerksam, dass die Untersucher, wie schon Robert Koch, den Fehler
gemacht haben, dass sie das bei der vorherigen Händedesinfektion an¬
gewandte Sublimat nicht nach dem Vorgang von Geppert durch
Schwefelammonium paralysiert haben. Er hält trotzdem die Ergebnisse
der Untersuchungen der Autoren für sehr bemerkenswert. Sollte sich
die Richtigkeit der Ergebnisse bestätigen, so müsste man sich ernstlich
die Frage vorlegen, ob nicht durch die Anwendung der Handschuhe
mehr geschadet als genützt wird, indem man sich nämlich zu sehr auf
dieselben verlässt und die Desinfektion der Hände vernachlässigt, eine
Gefahr, zu der noch als erschwerendes Moment hinzukommt, dass in der
feuchten Wärme innerhalb der Handschuhe die stets auch bei bester
Händedesinfektion zurückgebliebenen Keime besonders gut wachsen.
R. Lutz-Berlin: Zur Eklampsiebehandlnag. (Centralbl. f. Gynäkol.,
1913, Nr. 6.) 45 Eklampsiefälle. Die Behandlung vermied eingreifende
Methoden, wie den vaginalen Kaiserschnitt, und beschränkte sich auf die
milderen Verfahren, wie Metreuryse, Blasensprung usw., machte aber
einen reichlichen Gebrauch von Aderlässen (5—80 ccm Blut), subcutanen
Kochsalzinfusionen, Morphium und Chloral. Dabei hielt man an dem
Grundsatz der baldmöglichsten Entbindung fest. 3 Fälle verliefen
spontan, 17 mal kam die Zange zur Anwendung, 13 mal Wendung und
Extraktion, 3 mal Perforation, 1 mal vaginaler Kaiserschnitt.
Rissmann-Osnabrück: Ist die Eklampsie durch Einspritzungen
in den Rückenmarkskanal heilbar. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.)
Auf Grund der Arbeiten von Melzer, Blak, Palasse u. a. hat der
Verfasser in einem Fall von Eklampsie 5 ccm einer 15 proz. Lösung von
Magnesiumsulfat in den Lumbalsack injiziert. Während der Injektion
ereignete sich der letzte Anfall. Obwohl die Anfälle noch volle zwölf
Stunden nach der Entbindung fortbestanden hatten, trat nach der In¬
jektion kein Anfall mehr auf. Verfasser lehnt die placentare Theorie
ab und hält an der Vergiftungstheorie durch Stoffwechselprodukte fest.
Er meint, dass seine Erfolge zu weiteren Versuchen ermutigen.
E. Eichmann - Osuabrück: Nierenfnnktionsprufnng durch die
Pheiolsulfonphthaleinprobe. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 6.) Bei
allen pathologischen Zuständen der Blase und der Nieren tritt eine be¬
deutende Verzögerung der Ausscheidung ein. Um diese zu messen, sind
bestimmte Tabellen aufgestellt. Daraus aber allein Rückschlüsse auf
die Diagnose oder Prognose zu machen, hält Verf. noch für verfrüht.
Siefart.
Siehe auch Physiologie: Sohiffmann und Vystavel, Innere
Sekretion der Mamma.
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UNIVERSUM OF IOWA
10. Uirz 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
465
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
W. Milligan-Manchester: Die Behandlung der otitisehenMeningitis.
(Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Frühzeitige Diagnose und Ope¬
ration ist erforderlich. Bei der Meningitis nimmt mit zunehmender
Bakterieninvasion der Meningen die Alkalinität der Cerebrospinalflüssig¬
keit allmählich ab, was diagnostisch wichtig ist. Weydemann.
Hygiene und Sanitätswesen.
J. Tanton: Die Sterilisatioi des Trinkwassers im Felde durch
•Uravielette Strahlei (Revue d’hyg., Bd. 35, Nr. 1.) Verf. bediente
sich eines Apparates der Firma Gaiffe in Paris, bei dem eine Queck¬
silberdampflampe nach dem System Westinghouse in den Sterilisator
eingebaut ist. Der eigentliche Haussterilisator bat eine Grösse von .50
zu 30 cm. Er gebraucht eine Spannuog von 110 bis 125 Volt und un¬
gefähr 4 Amperes. Das Wasser muss vorher geklärt sein und im Apparat
circulieren. Es gelang dem Verf. nachzuweisen, dass der Apparat, der
zuerst, um ihn selbst zu sterilisieren, eine Zeit von 5 Minuten leer
arbeiten musste, in der Stunde 400—800 Liter steriles Wasser lieferte.
Die Kosten waren geringer als die Feuerungsunkosten für die Herstellung
einer gleichen Menge sterilen Wassers. Die Lampe war 16 Mouate bei
der Niederschrift der Arbeit in Gebrauch, ohne eine Herabrainderung
ihrer Leistungsfähigkeit zu zeigen.
P. Rem 1 inger-Marokko: Die Pest in Marokko. (Revue d’hyg.,
Bd. 35, Nr. 1.) Die Pest herrscht in Marokko seit drei Jahren; sie ist
nach Ansicht des Verf. dort durch die Karawanen der Nomadenstämme
eingeschleppt, vielleicht aus der Cyrenaika, vielleicht auch aus Mekka
direkt. Sie hielt sich in Marokko in zwei kleinen Herden bei den Ouled
Amran und den Ouled Fredj und verbreitete sich von diesen Herden
verschiedentlich aus; so trat sie im Herbst 1912 zum dritten Male in
Casablanca auf. Sie trat im allgemeinen als ganz akute Bubonenpest
in Erscheinung mit einer Mortalität von anfangs 40—50, später 90 pCt.
Es fielen gleichzeitige Erkrankungen verschiedener Haustiere auf, so der
Schweine, Hammel, Hühner. Bei gleichzeitiger Rattenpest trat die Pest
gehäuft auf, ohne diese mehr in einzelnen Fällen. Frauen und Kinder
wurden häufiger befallen, fast regelmässig die Leichenbeerdiger. Sehr
gefährlich war der Handel mit den Kleidern der Verstorbenen. Als
hygienisches Postulat sieht er eine Beobachtungsstation und Quarantäne
der Karawanen vor, verbunden mit einem obligatorischen Asyl für Ob¬
dachlose. Viereck.
E. Dschunkowsky-Surnabad: Das R Sek fall lieh er in Persien.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Die in Persien durch Bisse
von Zecken (Ornithodoros Tholozani und Canestrini) hervorgerufene
Krankheit ist das Rückfallfieber. Der Erreger ist eine selbständige
Spirochäte, die Verf. Spirochaeta persica nennt. Wolfsohn.
W. H. Kenrick: Malaria in Indien und die Zahl der Geburten
nnd Todesfälle. (Lancet, 25. Januar 1913, Nr. 4665.) Malariaepidemien
haben für das nächste Jahr ein starkes Absinken der Zahl der Geburten
zur Folge, das genau 9 Monate nach dem Beginn der Epidemie anfängt.
Bei endemischer Malaria findet sich kein Abfall der Geburtenzahl, wohl
aber eine Verschiebung ihres Maximums, das normal in den Herbst fällt,
auf die Frühlingsmonate. Dies rührt wohl daher, dass in den kühleren
Wintermonaten die Zahl der Malariafälle grösser und die Fruchtbarkeit
geringer ist. Die Zahl der Todesfälle ist in Gegenden mit endemischer
Malaria im allgemeinen erhöht. Weydemann.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
Könen-Cöln: Die bildliche Darstellung von Unfallfolgen. (Monats¬
schrift f. Unfallheilk., 1913, Nr. 2.) Verf. führt aus, dass es von grossem
Vorteil für die Begutachtung wäre, wenn in vielen frischen Fällen von
Verletzungen Photographien angefertigt werden. Man wird auf diese
Weise besser als durch Beschreibungen und schematische Zeichnungen
über die Art der Schädigung orientiert werden.
Löwen stein-Frankfurt a. M.: Zur Frage „Unfall nnd Krebs-
krankhaft*. Bemerkungen zu der Kritik Thiem’s über das Buch des
Verfassers „Unfall und Krebskrankheit*. (Monatsschr. f. Unfallheilk.,
1913, Nr. 2.)
Erfurth-Cottbus: Gutachten über den nicht anerkannten Zu¬
sammenhang einer Kniegelenkstaberknlose mit einem gegen das Gelenk
erlittenen Stoss. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1918, Nr. 1.) Der Zu¬
sammenhang zwischen der Verletzung des Knies und einer später in
demselben aufgetretenen Tuberkulose wurde deshalb abgelehnt, weil
die stattgehabte Verletzung nur eine sehr geringfügige gewesen sein
konnte und zeitlich zuerst das Hüftgelenk der anderen Seite tuberkulös
erkrankte.
Erfurth-Cottbus: Isolierte Lähmeig des Mnscnlus glntaeo mediis
et milimas nach einem Unfall. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913, Nr. 2.)
Ein Arbeiter wurde von einem vom Wagen fallenden Stubben in der
linken Kniekehle getroffen und stürzte zu Boden. Er musste, weil er
starke Schmerzen im Kniegelenk hatte, nach Haus gefahren werden und
wurde dort mit fixierenden Verbänden behandelt. Einige Wochen später
zeigte die Untersuchung, dass der Verletzte so ging, als ob er eine
linksseitige angeborene Hüftverrenkung hätte. Die Muskulatur der linken
Gesässhälfte war in ihrem äusseren Teil fast völlig geschwunden und
ebenso die äussere Muskulatur am linken Oberschenkel, so dass man
den linken Trochanter und den ganzen Oberschenkelknochen direkt unter
der Haut liegend fand. Es handelte sich um oine Lähmung des Mus-
culus glutaeus minimus, entstanden wohl durch eine unmittelbare Ver¬
letzung des diesen Muskel versorgenden Nerven durch einen der Zacken
des Baumstumpfes.
K. Mendel-Berlin: Die anyotrophische Lateralsklerose in ihrer
Beziehung zum Trauma und zur Berufstätigkeit. (Monatsschr. f. Unfall¬
heilkunde, 1913, Nr. 2.) Ein Postbeamter musste 5 Wochen lang öfter
mit der rechten Hand gegen den Hebel eines Apparates schlagen und
bemerkte nach 4 Wochen ein leises Ziehen und Ameisenkriechen in
derselben. 8 Tage später ereignete sich angeblich ein Unfall, der in
einem unglücklichen Schlage der rechten Hand auf den Hebel bestand.
Hiernach schwoll die Hand an, und es wurde eine Sehnenscheiden¬
entzündung festgestellt. In der Folgozeit entwickelte sich dann eine
Schwäche und Abmagerung der rechten Hand und des rechten Armes
und später auch der linken oberen Extremität, so dass schliesslich, nach¬
dem auch eine Beteiligung der unteren Extremitäten begann, das typische
Krankheitsbild der amyotrophischen Lateralsklerose vorlag. Verf. nimmt
an, dass bei dom Erkrankten von vornherein eine schwache Anlage der
motorischen Bahnen des Rückenmarkes Vorgelegen habe, und dass das
fortgesetzte Schlagen der rechten Hand gegen den Apparat — also die
Berufstätigkeit — die Krankheit ausgelöst habe. Der Unfall hat das
Leiden weder ausgelöst noch verschlimmert.
Gruber-Miinchen: Symptome einer luetischen Meningomyelitis«
als „traumatische Neuralgie“ vom Reichs-Versicherungsamt anerkannt*
Entschleierung durch die Obduktion. (Monatsschr. f. Unfallheilk., 1913,
Nr. 1.) Ausführliche Krankengeschichte und Sektionsprotokoll. Der
positive Ausfall der Wassermann’schen Reaktion im Leben wie an der
Leiche und der Obduktionsbefund ergaben, dass bei dem Verletzten
eine anscheinend latente syphilitische Erkrankung schon zur Zeit des
Unfalles bestand, dass die als Unfallsfolgen geklagten Beschwerden auf
das Konto dieser syphilitischen Erkrankung zu setzen waren, und dass
auch der Tod eine Folge der syphilitischen Hirn- und Rückenmarks¬
erkrankung und einer syphilitischen Erkrankung des Herzens und der
Aorta war. Auch ist eine auslösende Rolle des Unfalles mit Wahr¬
scheinlichkeit auszuschliessen, da schon 3 Tage nach dem Unfall typische
Krankheitssymptome bestanden. H. Hirsch fei d.
Militär-Sanitätswesen,
R. Kraus-Wien: Ueber Maassnahmen zur Bekämpfung der Cholera
anf dem balgarischen Kriegsschauplatz. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 7.) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in
Wien am 7. Februar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 26. Februar 1918.
Vorsitzender: Herr Landau.
Schriftführer: Herr F. Krause.
Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: An die Berliner medi¬
zinische Gesellschaft haben 25 Mitglieder folgende Bitte gerichtet:
Berlin, 20. Februar 1913.
An den
Vorstand der Berliner medizinischen Gesellsoh&ft
richten Unterzeichnete Mitglieder ergebenst die Bitte, dass
1. künftighin Anträge irgendwelcher Art den Mitgliedern vorher,
sei es im roten Blättchen, sei es in anderer geeigneter Form schrift¬
lich bekannt gegeben werden, damit sie schon vor der Sitzung
Gelegenheit haben, in reiflicher Ueberlegung dazu Stellung zu
nehmen. Dies ist besonders bei solchen Anträgen wichtig, zu denen
nach Beratung durch Vorstand und Ausschuss ohne Diskussion
Stellung genommen werden soll. (Nachträge zu den Ergänzungs¬
bestimmungen der Statuten);
2. Ersatzwahlen, die sich im Laufe des Geschäftsjahres als not¬
wendig erweisen, nicht zu Anfang einer Sitzung, sondern erst in
ihrem Verlauf vorgenommen werden, damit ein gefülltes Haus sich
an ihnen beteiligen kann.
M. Cohn, E. Tobias,
Lutherstrasse 7/8. Am Karlsbad 2.
W. Alexander, M. Bayer, M. Blumberg, J. Cassel, W. Croner,
Domnauer, P. L. Edel, G. Finder, F. Frankel, R. Fried¬
länder, G. Herzfeld, Karewski, A. Lazarus, Seb. Levy,
H. Löwenthal, F. Mendel, K. Mendel, W. Michaelis,
C. Oesterreicher, Schultze - Fürstenwalde, K. Steindorff,
J. Wolfsohn.
Der Vorstand hat anerkannt, dass dieses Ersuchen gerechtfertigt
ist und wird dem Ersuchen nachkommen.
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UNIVERSUM OF IOWA
456
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Vor der Tagesordnung.
1. Hr. Hamm erschlag: Ich erlaube mir, Ihnen eine Patientin vor-
zustellen wegen der relativen Seltenheit des Eingriffes, den ich bei ihr
vorgenommen habe. Die Patientin kam, nachdem sie vor 4 Monaten
die letzte Menstruation gehabt hatte, mit beginnenden Einklemmungs¬
erscheinungen einer Retroflexio Uteri gravidi zu mir. Sie hatte sehr
erhebliche Blasenbeschwerden, denn sie konnte den Urin nur mühsam
und in geringen Quantitäten entleeren. Die Aufrichtung des Uterus
gelang trotz aller Manöver nicht, eine Narkosenuntersuchung ergab, dass
das Misslingen derselben an einer breiten Adhäsion des retroflektierten
graviden Uterus an der hinteren Beckenwand lag. Das ist eine Selten¬
heit. Abgesehen davon, dass eine Retroflexio uteri fix ata immer be¬
deutend seltener ist als eine mobilis, kommt man noch viel seltener in
die Lage, einen solchen Uterus im graviden Zustande zu sehen, weil
eben die Entzündung und ihre Folgen die Gravidität meist verhindern.
Ich batte nun die Wahl zwischen zwei Wegen, entweder die
Schwangerschaft zu unterbrechen, um die sicher eintretende Incarc-eration
zu vermeiden, oder zu laparotomieren und die Adhäsionen zu lösen. Ich
habe den letzteren Weg gewählt, weil er der konsequenteste ist und
von dieser Operation recht günstige Resultate zu erwarten sind. Unter
16 Fällen der Literatur ist 15 mal die Gravidität erhalten geblieben.
Ich habe die Patientin vor 20 Tagen laparotomiert, die Adhäsionen ge¬
löst, den Uterus aufgerichtet und die Ligamenta rotunda in sich etwas
verkürzt. Die Gravidität ist erhalten geblieben, die Patientin ist geheilt.
2 . Hr. Blomberg:
Nene Operation znr Sterilisierung des Weibes mit Möglichkeit der
späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. S. Gottschalk: Ich wollte nur ein Bedenken zu der Ope¬
rationsmethode äussern. Wenn das Ovarium auch intakt in die Tasche
hineinkommt, so bleibt es doch nicht intakt. Das verwächst doch
flächenhaft mit seiner Umgebung, und das Ende ist, dass das Keimepithel
an dem Ovarium zugrunde geht. Ich fürchte, dass in solchem Ovarium
alllmählich eine kleincystische Degeneration Platz greifen dürfte, weil
die freie Oeffnung der sprungfertigen Follikeln nach aussen durch die
pseudointraligamentäre Lage verhindert ist. Ich schlussfolgere das aus
der bekannten Tatsache, dass in Fällen, wo das Ovarium von Schwielen
umgeben ist oder intraligamentär sitzt, im Laufe der Zeit allmählich
eine kleincystische Entartung Platz greift. Ich erinnere mich an Fälle,
wo später dadurch, dass der sprungfertige Follikel sich nicht frei öffnen
konnte, eine gesteigerte Ansammlung von Follikelflüssigkeit (Hydrops
follicularis) eintrat, die prämenstruelle Beschwerden verursachte. Das
wäre hier also abzuwarten. Es ist auch der Beweis zu liefern, ob in
einem späterem Falle, wo der Herr Kollege Gelegenheit hat, um die ge¬
wünschte Conception zu ermöglichen, diese Operation durch die wieder¬
holte Laparotomie wieder rückgängig zu machen, wirklich eine Con¬
ception eintreten wird.
Hr. Blumberg (Schlusswort): Das Bedenken des Herrn Gott-
schalk ist ungerechtfertigt. Er sprach davon, dass ein Ovarium, wenn
es intraligamentär liegt, sich verändert. Das ist zweifellos. Ich selbst
habe auf dem Internationalen Gynäkologenkongress 1912 hervorgehoben,
dass meines Erachtens Organe, die normalerweise intraperitoneal liegen,
sich verändern, wenn sie auf operativem Wege extraperitoneal
in eine bindegewebige Umgebung gelagert werden. Diese Gefahr
habe ich deshalb bei meiner Methode bewusst vermieden, indem ich so¬
wohl das Ovarium wie die Tube rings von Peritoneum umgeben sein
lasse. Bezüglich des Ovariums sehen Sie das noch besonders dargestellt
auf der zweiten Zeichnung hier (demonstrierend), die einen Querschnitt
durch Uterus, Ovarium und Lig. latum darstellt. Die Naht wird, wie
Sie in Figur 1 sehen, nur an den Rändern des Lig. latum angelegt;
das Ovarium selbst bleibt, von der Naht unberührt, frei be¬
weglich in der allseitig von Peritoneum ausgekleideten
Tasche liegen, wobei ich besonders darauf achte, dass diese Tasche
möglichst bequem dem Ovarium Platz bietet, was technisch in allen
6 Fällen, die ich so operiert habe, sich gut ausführen liess. Adhäsionen
können — selbstverständlich aseptische Heilung vorausgesetzt, auf die
ja wir heutzutage bei unseren Operationen müssen rechnen können —
nur am Rande, wo genäht ist, eintreten. Warum das Ovarium, das
rings von unbeschädigtem Peritoneum umgeben weiter innen liegt,
adhärieren soll, dafür ist ein Grund nicht einzusehen.
Der Vorteil meiner Methode liegt darin, dass Tube und Ovarium
unter den denkbarst unveränderten Verhältnissen bleiben und an diesen
Organen selbst sozusagen nicht gerührt wird, sondern die Operation nur
am Lig. latum und der Serosa der Uterusrückwand sich abspielt.
Hr. Jeger: Herr Dr. Israel hat Ihnen vor einigen Wochen be¬
richtet, dass es uns gelungen ist, die deletären Folgen der Ligatur eines
grossen Blutgefässes dadurch zu beseitigen, dass wir ein kleineres, für
den Organismus entbehrliches Gefäss, sowohl central als auch peripher
von der Ligaturstelle End-zu-Seit in das grosse Blutgefäss implantierten,
die Ligaturstelle also gewissermassen überbrückten. Ich habe mir nun
weiterhin in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Hellmuth Joseph die Frage
vorgelegt, ob es nicht möglich wäre, verloren gegangene Stücke auch
noch in anderer Weise durch kleinere zu ersetzen und zwar so, dass
durch eine plastische Operation aus dem kleinen Gefäss ein grösseres
gebildet und letzteres zur Implantation verwendet wird.
Wir gingen folgendermaassen vor: Einem Hund wurde ein langes
Stück einer Carotis reseziert. Dieses wurde nunmehr der Länge nach
aufgeschnitten und das so erhaltene Band der Quere nach susammen-
gefaltet. Wenn wir nunmehr die beiden Ränder fortlaufend vernähten,
so erhielten wir ein Gefäss, das die Carotis an Weite fast um das
Doppelte übertraf. Nunmehr wurde das Tier laparotomiert, die Aorta
abdominalis freigelegt, central und peripher abgeklemmt und ein Stück
derselben reseziert. An Stelle des letzteren wurde nunmehr das aus der
Carotis gebildete Arterienrohr durch End zu-Endnaht am centralen wie
am peripheren Ende eingesetzt. Um die grosse Spannung der beiden
Enden der Aorta zu überwinden, bedienten wir uns zur Hämostase einer
doppelten Klemme, deren Hälften auf einer Schiene gegeneinander be¬
wegt werden können.
Ich gestatte mir, Ihnen dieselbe herumzugeben.
Dem Hund, den ich Ihnen hier zeige, wurde vor 4 Wochen ein
Stück der Aorta in der eben besprochenen Weise durch seine eigene
Carotis ersetzt. Er hatte keinen Augenblick Paresen der hinteren Ex¬
tremitäten, noch auch Abscbwächung des Pulses in den Schenkelarterien,
so dass jeder Verdacht einer Thrombosierung des implantierten Gefass-
stückes ausgeschlossen ist. Vielleicht haben Sie die Güte, sich von der
guten Pulsation in der Art. femoralis selbst zu überzeugen. Hier zeige
ich Ihnen ein Präparat von einem Hund, der 16 Tage nach der Operation
an einer Vereiterung der Laparotomiewunde zugrunde ging; es weist
keine Thromben auf und entspricht allen Anforderungen, die an eine
gute Gefässnaht gestellt werden können. Auf die Frage, ob das vor¬
getragene Verfahren klinische Bedeutung — etwa bei der Exstirpation
von Aneurysmen der Aorta — gewinnen könnte, möchte ich hier nicht
eingehen. Jedenfalls stellt es einen prinzipiell neuen — bisher von
niemand betretenen — Weg dar, grosse Arterien zu ersetzen, und ich
glaubte, Ihnen daher eine kurze Mitteilung davon machen zu sollen.
Tagesordnung.
Der geschäftsführende Schriftführer Herr Y. Isiiaaail erstattet
den Bericht über die Tätigkeit der Berliner Medizinische® Gesell¬
schaft im Jahre 1912.
Die Gesellschaft tagte im Laufe des Jahres 34 mal.
Es wurden 44 Vorträge gehalten und 44 mal Vorstellungen von
Kranken und Demonstrationen von Präparaten veranstaltet. Es fanden
38 Diskussionen statt.
Der Vorstand hielt 19 Sitzungen ab, davon 6 in Verbindung mit
dem Ausschuss und eine Sitzung in Verbindung mit der Kommission für
die Erbauung des Virchow-Hauses.
Die Kommission für die Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses hielt
8 Sitzungen ab.
Die Aufnahmekommission nahm in 7 Sitzungen 93 Mitglieder auf.
Von wichtigen Begebenheiten sind zu bemerken:
Herr Gustav Simon, Herr F. Blumenthal sen. und HerrFerd.
Strassmann feierten das 50jährige Doktoijubiläum und wurden im
Namen der Gesellschaft durch den Vorstand beglückwünscht.
Zum 25 jährigen Jubiläum der Tierärztlichen Hochschule wurde der
stellvertretende Vorsitzende, Herr Kraus, mit der Vertretung der Ge¬
sellschaft betraut.
Für den VI. Internationalen Kongress für Geburtshilfe und Gynäko¬
logie wurde der stellvertretende Vorsitzende, Herr L. Landau, als Ver¬
treter der Gesellschaft gewählt.
Durch den Tod hatte die Gesellschaft den Verlust der Ehren¬
mitglieder Lord Lister und Herrn Armaur Hansen, sowie des Vor¬
standsmitgliedes Herrn Julius Pagel zu beklagen.
Die Gesellschaft zählte am Schlüsse des Jahres
1911 . 1669 Mitglieder
Sie verlor:
a) durch den Tod: die Ehrenmitglieder
Lord Lister, Herrn Armaur Hansen,
das Vorstandsmitglied Herrn Julius
Pagel, die Mitglieder: Herren Geh.
San.-Rat L. Aschoff, Cronbach, San.-
Rat J. Hamburg, Ob.-Stabsarzt a. D.
Heimlich, G. Hirschfeld, Geh.-Rat
Prof. Horstmann, San.-Rat M. Jacoby,
Geh. San.-Rat Jaquet, Geh.-Rat M.
Jastrowitz, San.-Rat P. Keller, San.-
Rat 0. Langner, Max Levy I, Jul.
Meyer, San.-Rat Hans Müller, Prof.
Hugo Neumann, A. Obuch, Severin
Robinski, Geh.-Rat Prof. A. Rosen-
berg, San.-Rat M. Salomon, Prof.
Schütze, San.-Rat C. G. Vogeler,
Prof. S. Weber, San.-Rat Wiener . . 26
b) durch Verzug nach ausserhalb .... 18
c) anderweitig. . . 4 48 „
1621 Mitglieder
aufgenommen wurden .... . . ._93 „
so dass am Schluss des Jahres die Zahl 1714 Mitglieder
betrug, und zwar
Ehrenmitglieder. 22
Lebenslängliche Mitglieder .... 9
Mitglieder. . . . . 1683
Summa: 1714
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UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
467
Hr. Stadelmain: Kassenbericht.
Unsere Einnahmen und Ausgaben in dem abgeschlossenen Jahre
haben sich folgendermaassen gestaltet:
Einnahmen 1912.
I. Mitgliedsbeiträge:
1. Restanten von 1910 und 1911 = 446 Bei¬
träge ä 10 M. 4 460 M — Pf.
2. 1580 Beiträge pro I. Semester 1912 . .
3. 1280 „ „ II. , 191 2 . .
Summa
II. Zinsen . .
III. Verschiedenes:
1. Zahlung Grosser
15 800
12800
33 060 M. —
7 534 - 80
Pt.
. 3 000 M. — Pf.
• 5 000 „ „
2 . „ Hirschvald
3. Nachtrag!. Zahlung zum
Bau des Virchow-Hauses . 50 r — „
4. Verkauf v. Dubletten aus
cLBibliotheku.d.Katalogs 859 B 75 ,
5. Einnahmen a.d.Vermieten
des Projektionsapparats
(16 Abende ä 20 M.) . 320 „ — „
6. Einnahmen a.d.Verkauf v.
Gastkarten f. d. Bibliothek
u. Verpackungsgebühren 229 B 25 B
7. Beitrag d. Deutsch. Ges.
f. Chirurgie z. Teleph on . 50 „ — »
Summa 9 509 M. — Pr.
Summa
Dazu Kassenbestand pro 31. XII. 1911
9 509 * —
50 103 * 80
6 813 „32
Summa
Ausgaben 1912.
I. Geschäftsführung.
II. Stenograph.
III. Garderobe.
IV. Gehälter.
V. Miete für die Sitziingslokalitäten ....
VI. Telephon.
VII. Beleuchtung.
VIII. Bibliothek.
IX. Zahlungen für unsere Häuser (Hypotheken¬
zinsen und Verwaltung).
X. Pläne für das neue Virchow-Haus ....
XI. Beitrag zum Koch-Denkmal.
XII. Feuerungsmaterialien. . . .
Summa
Für Effektenkäufe sind ausgegeben . . . .
Demnach Summe der Ausgaben.
29 940
80
51 150 M. 98 Pf.
Unsere Ausgaben haben sich gegen das vergangene Jahr um circa
3 652 M. gesteigert. Dies ist auf folgende Momente zurückzuführen:
I. Die Eulenburg-Stiftung (der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zinsfrei geliehen). 10 000 M.
II. Die Hälfte der mit der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie gemeinsam zur Erbauung des Langenbeck-
Hauses gesammelten Gelder (der Deutschen Gesell¬
schaft für Chirurgie gleichfalls zinsfrei geliehen) . 54 000 „
III. Sonstiges in mündelsicheren Papieren fest angelegtes
Vermögen. Die Papiere sind teils bei der Reichs¬
bank, teils bei der Diskontogesellschaft deponiert.
In ihnen sind auch enthalten die Schenkungen
Heinrich Strassmann (300 M.), Lassar (1000 M.),
Litten (1000 M.), Wiesenthal (1000 M.), das Ver¬
mächtnis Dittmar (5000 M.) und das Vermächtnis
He noch (5000 M.). Alle diese Papiere lauten zu¬
sammen auf nominell. 216 900 „
Summa 280 900
Demnach beläuft sich das fest angelegte Vermögen der Gesellschaft
auf 280 900 M.
Dazu kommt noch ein jederzeit verfügbarer Kassenbestand von
5 766 M. 14 Pf.
Das fest angelegte Vermögen der Gesellschaft hat sich im Jahre 1912
vermehrt um nominell 30 000 M.
Die Gesellschaft hat in ihrem Besitz folgende Papiere:
6 000 M. 4 proz. Preuss. konsol. Staatsanleihe
11 300 „ 372 *
7 600 „ 31/2 „
6 000 „4 „ Pfandbriefe der Preuss. Central-
Boden-Kredit-Aktiengesellschaft
10 000 M. 3 ! / 2 proz. Bayerische Eisenbahnanleihe '
15 000 „ 3*/x „ Kommunalobligationen der Preuss.
Central-Boden-Kredit-Aktiengesellschaft
56 917
» 12
7.
15 000 M. 4
proz.
, Preuss. Pfandbrief^ Komm.-Oblig. \
8 .
20 000
. 4
„ Centr.-Boden-Komm.-Oblig. 1
9.
4 000
* 3 ','2
n
Münchener Stadtanleihe i
806
M. 99
Pf.
10 .
6 000
» 3«/a
ff
Mannheimer „ 1
1 190
11 .
10 000
„ 3 7 ,
n
Nürnberger „ I
280
** _
12 .
30 000
. 4
ff
Preuss. Pfandbrief^ Komm.-Oblig. I
2 839
*
13.
10 000
* 4
ff
Badische Anleihe \
5 000
” __
14.
6 000
* 4
n
Bayerische Staatseisenbahnanleihe >
420
* _
15.
10 000
* 4
»
Bremer Staatsanleihe /
516
l 85
16.
10 000
n 4
ff
Deutsche Hypothekenbank-Komm.- 1
6 150
„ 54
Oblig. 1
17.
10 000
* 4
»
Westpreuss. Provinz-Oblig. 1
2 077
„ 80
18.
10 000
* 4
»
Preuss. Konsols 1
600
19.
10 000
, 4
99
Westfälische Provinzanleihe |
500
” _
9
20 .
10 000
. 4
Preuss. Pfandbriefb. Komm.-Oblig. 1
829
ü 50
„
Der effektive Wert
aller dieser Papiere am 31. XU. 1
Bei der
Reichs¬
bank
in Berlin
Bei der
Diskonto¬
schaft
in Berlin
1912 betrug
Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: Nach §23 der Statuten
ist der Kassenbericht von dem Ausschuss geprüft worden. Der Aus¬
schuss, unter Führung des Herrn Fürbringer, hat dem Vorstand
Decharge erteilt. Ich bitte Herrn Fürbringer, mündlich Bericht zu
erstatten.
1. hat für die Bibliothek in diesem Jahre eine um ca. 614 M. höhere
Aufwendung stattgefunden;
2. ist ein Beitrag von 500 M. für das Robert Koch-Denkmal be¬
willigt worden;
3. hat eine Ausgabe von 600 M. für Baupläne zum neuen Rudolf
Virchow-Hause stattgefunden;
4. haben für unsere Häuser ca. 2000 M. mehr zur Deckung der
Hypothekenzinsen geopfert werden müssen.
Leider haben die Einnahmen aus den Mieten bei unseren Häusern
nicht einmal ausgereicht, um die Hypothekenzinsen zu decken, die einen
Zuschuss von 2000 M. erforderten. Viele Wohnungen stehen leer und
sind unvermietbar. Von unserem Kapital in Höhe von 206 000 M. haben
wir keine Zinsen erhalten, während sich dasselbe 1911 noch wenigstens
mit ca. 1 pCt. verzinste. Im Jahre 1913 werden sich die Verhältnisse
noch viel schlechter gestalten. Es ist damit zu rechnen, dass wir viertel¬
jährlich mindestens 2000 M. werden zuzahlen müssen, um die fälligen
HypothekeDzinsen zu decken. Dieser Zustand drängt zu einer baldigen
Entscheidung, d. b. zum baldmöglichen Bau des Virchow-Hauses, weil
sonst die Gelder der Gesellschaft nutzlos weggegeben werden. Es müssen
alle Kräfte der Gesellschaft angespannt werden, um dies Ziel bald¬
möglichst zu erreichen.
Die Bücher unseres Häuserverwalters, Herrn Bildhauer Caspary,
sind von dem vereidigten gerichtlichen Häuserverwalter Herrn Dietrich
revidiert und richtig befunden worden.
Bilanz.
Summe der Einnahmen. 56 917 M. 12 Pf.
Summe der Ausgaben. 51 150 „ 98 „
Demnach bleibt ein Kassenbestand für 1912 von 5 766 M. 14 Pf.
Das Vermögen der Gesellschaft setzt sich folgendermaassen zu¬
sammen :
Hr. Fürbringer: Herr Kollege Lennhoff und ich haben am
24. Januar die Kassenrevision in der Wohnung des Herrn Schatzmeisters
vorgenommen. Die Prüfung hat sich auf die Ausgaben, die Einnahmen,
den Bestand, die Abrechnung der Diskonto-Gesellschaft und die Depot¬
scheine erstreckt. Auch nicht einer der sorgfältig gebuchten Posten
hat, soweit kontrolliert, zu einem Anstande Anlass gegeben. Infolge¬
dessen erteilt statutengemäss der Ausschuss dem Vorstande Decharge
vorbehaltlich der Genehmigung der Generalversammlung.
Stellvertretender Vorsitzender Hr. Landau: Nach § 25 unserer
Statuten muss ich die Generalversammlung fragen, ob sie mit der
Dechargeerteilung des Ausschusses einverstanden ist. — Ich höre keinen
Widerspruch, die Decharge ist erteilt.
Hr. Hans Köhis Bericht über die Bibliothek und den Lesesaal
im Jahre 1912.
Der Lesesaal wurde im abgelaufenen Geschäftsjahr besucht:
10 461 mal von Mitgliedern
11 433 mal von Gästen
im ganzen 21 894 mal gegen 19 328 mal im Jahre 1911,
also . . 2 566 mal = 14 pCt. mehr als im Vorjahre —
ein schöner Beweis dafür, dass die noch unten zu besprechenden Maass¬
nahmen zeitgemäss und zweckdienlich gewesen waren. Und diese Zahlen¬
differenz fällt um so mehr ins Gewicht, wenn wir uns erinnern, dass wir
uns im Vorjahre in einer rückläufigen Bewegung befunden hatten, indem
im Vorjahr gegen das vorhergegangene Jahr 1911 eine recht bedeutende
Abnahme der Zahl der Besucher eingetreten gewesen war.
Verliehen wurden auf 8 Tage bzw. 4 Wochen 1936 Bände (gegen
1852), und es darf gleich bei dieser Gelegenheit nochmals darauf auf¬
merksam gemacht werden, dass unsere Mitglieder seit einem halben
Jahr auch auf schriftliche Bestellung Bücher per Post ins Haus geschickt
bekommen können.
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Original frnrri
UNIVERSUM OF IOWA
458
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Gemahnt wegen unpünktlicher Rückgabe mussten 504 Mitglieder
werden, darunter eine Anzahl zwei- und dreimal. Mehrfach ist es vor¬
gekommen, dass einzelne Nummern von Zeitschriften unerlaubterweise
mit nach Hause genommen worden sind. Einige davon sind nicht mehr
zurückgebracht worden.
Wir halten jetzt 206 Zeitschriften, von denen 102 abonniert
sind, 44 durch Tausch, 59 durch Geschenk uns zugehen (vergleiche je¬
doch weiter unten, woraus sich ergibt, dass die vereinigten Bibliotheken
zusammen 336 Zeitschriften halten).
Neu abonniert wurden die „Zeitschrift für Immunitätsforschung“
und jetzt auch noch die „Zeitschrift für Chemotherapie“, einige andere
werden demnächst folgen.
Ergänzt wurden durch das freundliche Entgegenkommen der be¬
treffenden Redaktionen und Verlagsanstalten unentgeltlich die folgenden
Zeitschriften: 1. Buffalo medical journal, 2. Bulletin de la societe de
l’internat des höpitaux de Paris, 3. Bulletin of the Lying in Hospital of
the eity of New York, 4. La ginecologia moderna, 5. The quaterly journal
of medicine.
An weiteren Einzelgeschenken erhielt unsere Bibliothek von
Mitgliedern im Laufe des Jahres 33 Bücher, 31 Bände von Zeitschriften,
130 Sonderabdrucke und 74 Dissertationen; von Nichtmitgliedern
69 Bücher. Sie sind schon im Laufe des Jahres in den Sitzungsproto¬
kollen aufgeführt, doch seien die Namen der freundlichen Geber hier
nochmals aufgefübrt.
Es sind die Herren und Institute: E. Apolant, E. F. Bashford,
Bastianelli, G. v. Bergmann, R. Freund, W. A. Freund, Für¬
bringer, v. Hansemann, Hentzel, J. Hirschberg, Immerwahr,
P. Jacobsohn, Joachim, Kastan, Keller, F. Krause, J. Lewy,
O. Mankiewicz, S. Marcus - Pyrmont, M. Mosse, A. Oliven,
Pollatschek, Rothenberg, J. Schwalbe, M. Senator, Steinlein,
P. Strassmann, G. Tugendreich, J. F. Widmann, das Rockefeller-
Institut, die Deutsche Jahrbuchgesellschaft und endlich die Redaktion
der Berliner klinischen Wochenschrift.
Regelmässige Zuwendungen erhält die Bibliothek von:
Herrn F. Blumenthal: Medizinische Klinik.
„ J. Boas: Archiv für Verdauungskrankheiten.
„ Brieger: Centralblatt für die gesamte Therapie.
„ Brock: Bericht über die Verhandlungen der Baineologischen Ge¬
sellschaft.
„ Graeffner und Herrn Kaminen Zeitschrift für Balneologie.
„ A. Grotjahn und Herrn F. Kriegei: Jahresbericht über die
Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene
und Demographie.
„ Gutzmann: Monatsschrift für Sprachheilkunde.
„ Heinrich Joachim: Berliner Aerzte-Korrespondenz.
„ G. K lern per er: Die Therapie der Gegenwart.
„ Hans Kohn: Pathologica.
„ R. Lennhoff: Medizinische Reform.
„ v. Schjerning, Exzellenz: Sanitätsberichte der Armee. — Ver¬
öffentlichungen auf dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens.
„ Lohnstein: Allgemeine medizinische Centralzeitung.
„ George Meyer: Zeitschrift für Samariter- und Rettungswesen.
„ von Olshausen: Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie.
„ Petz old: Balneologische Zeitung.
„ Oberbibliothekar Prof. Dr. E. Roth in Halle: Aerztliche Central¬
zeitung. — Allgemeine Wiener medizinische Zeitung. — Oester-
reichische Aerzte-Zeitung. — Oesterreicbische Vierteljahrsschrift
für Gesundheitspflege. — Therapeutische Monatsberichte. —
Vereinsblatt der Pfälzischen Aerzte. — Zentralblatt für Thalasso¬
therapie.
„ Wol ffberg-Bresiau: Wochenschrift für Therapie und Hygiene des
Auges.
„ Ziehen: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie.
Ferner von folgenden Verlegern:
Hirschwald’sche Buchhandlung: Archiv für klinische Chirurgie. — Archiv
für Gynäkologie. — Archiv für Laryngologie. — Archiv für
Psychiatrie. — Berliner klinische Wochenschrift. — Centralblatt
für die medizinische Wissenschaft. — Internationales Central¬
blatt für Laryngologie. — Vierteljahrsschrift für gerichtliche
Medizin. — Zeitschrift für klinische Medizin.
Herrn A. Barth-Leipzig: Centralblatt für Chirurgie und innere Medizin.
— Journal für Physiologie und Neurologie.
„ J. F. Bergmann-Wiesbaden: Archiv für Augenheilkunde.—Ver¬
handlungen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für
innere Medizin.
Fischer’sche Buchhandlung in Berlin: Berliner Klinik. — Fortschritte
der Medizin.
Herrn Gustav Fischer-Jena: Korrespondenzblatt des allgemeinen ärzt¬
lichen Vereins von Thüringen.
„ Eugen Grosser: Deutsche Medizinal-Zeitung.
„ Richter: Archiv für physikalisch-diätetische Therapie.
„ Schoetz: Aerztliche Sachverständigen-Zeitung.
„ Springer: Therapeutische Monatshefte.
„ Benno Kon egen-Leipzig: Reicbs-Medizinal-Anzeiger.
r Staude: Allgemeine deutsche Hebammen-Zeitung.
r Thieme: Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
„ Schmidt und Herrn Bukofzer: Deutsche zahnärztliche Wochen¬
schrift.
Herrn Werner Klinkhardt-Leipzig, durch freundliche Vermittlung der
Behr’schen Buchhandlung: Folia haematologica. — Folia uro-
logica.
Noch zweier Schenkungen muss ich besonders gedenken, einer
kleineren, aber doch sehr willkommenen, nämlich eines Tisches für die
neueingehenden Zeitschriften, den uns Herr M. Mosse gestiftet hat, und
einer grossen: Herr Geh. Rat J. Hirscbberg hat uns zur Kenntnis ge¬
bracht, dass er den historischen Teil seiner Bibliothek uns testa¬
mentarisch vermacht hat. Allen Spendern und Gönnern sei auch an
dieser Stelle nochmals herzlichst gedankt, und ich knüpfe an die Stiftung
des Herrn Hirschberg noch den Wunsch, dass es uns noch recht
lange nicht vergönnt sein möge, in den Besitz seiner Schenkung zu
gelangen.
Wir haben im abgelaufeuen Geschäftsjahr aber unsere Bibliothek
auch von überflüssigem Ballast befreit und durch Verkauf von Doubletten
einen Erlös von etwa 900 M. gehabt.
Der Bestand unserer Bibliothek ist zur Zeit folgender:
I. Fortlaufender Bestand:
a) Zeitschriften (Bände)
b) diverse Bücher . .
c) Dissertationen . .
d) Sonderabdrucke
Dazu kommen:
II. Virchow-Bibliothek:
a) Zeitschriften (Bände) . 628
b) diverse Bücher . . . .‘>245
c) Dissertationen . . . 3348
d) Sonderabdrucke . . . 5468
12GS9
III. Lassar’sche Bibliothek:
a) Zeitschriften (Bände) . 936
b) diverse Bücher . . . 857
7793
c) 149 gebundene Mappen,
enthaltend Sonderab¬
drucke und Disserta¬
tionen ca. 5000
_ 6793
46340 Nummern.
Unsere Bibliothek enthält somit im ganzen etwa
46340 Nummern.
Eine wichtigereMitteilung jedoch als dieses annähernd stereotyp
in jedem Jahre wiederkehrende Referat betrifft die Tatsache, dass es
im Laufe dieses Jahres gelungen ist, die Aufgabe zu lösen, die ich bei
Uebernahme meines Amtes im vorigen Jahre als solche bezeichnet habe,
nämlich die Vereinigung sämtlicher medizinischen Biblio¬
theken Berlins mit der Bibliothek unserer Gesellschaft.
Mein mittelbarer Amtsvorgänger, Herr Ewald, hatte, worauf ich
schon vor einem Jahre hingewiesen, darin erfolgreich vorgearbeitet, indem
er von einer grösseren Anzahl von Gesellschaften (Physiologischen,
laryngologischen, dermatologischen, otologischen Gesellschaft, der Gesell¬
schaft für soziale Medizin und der für Krebsforschung) die Büchereien
in die Räume unserer Gesellschaft aufgenommen und mit diesen Gesell¬
schaften und der in ihren eigenen Räumen befindlichen Gesellschaft für
Chirurgie ein gegenseitiges Benutzungsrecht im Lesesaal ver¬
einbart hatte.
Diese noch mehr äusserlichen Beziehungen suchte ich auf andere
noch abseits stehende Gesellschaften auszudehnen und daraus dann
weiterhin eine organische Verbindung der verschiedenen Bibliotheken
zu machen.
Es zogen mit ihren Büchereien noch zu uns: der Verein für
innere Medizin und Kinderheilkunde, der Verein für
Psychiatrie und Norvenheikunde, die Gesellschaft der
Urologen und auch eine, nicht bloss Berlin umfassende Gesellschaft,
nämlich: die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege.
Auf diese Weise wurde unsere Bibliothek um etwa 20 075 Nummern
vermehrt und, was noch wichtiger ist, die Zahl der in unserem Lese¬
zimmer aufliegenden Zeitschriften wuchs um 180, also auf 336 Zeit¬
schriften an. Zählen wir noch die 38,424 Nummern der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie, mit der wir wegen der Möglichkeit einer
baldigen Trennung absichtlich nur das alte gegenseitige Gastrecht ohne
Herstellung einer inneren Verbindung beibehalten haben, hinzu, so steht
unseren Mitgliedern zurzeit eine Bibliothek von im ganzen über
100 000 Nummern zur Verfügung.
Dass wir unseren Zuwachs in würdiger und brauchbarer Weise
unterbringen konnten, verdanken wir dem Entgegenkommen der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie, die uns den kleinen Saal des Langen-
beckhauses, der aber ebenso gross ist wie unser Lesesaal, kosten¬
los überlassen hat.
Die Vereinbarung mit den oben genannten Bibliotheken er¬
folgte, wie ich in Ergänzung meiner Mitteilung vom 15. Mai v. J.
mitteilen möchte, in der Weise, dass die neuhinzutretenden Vereine
die Wahl zwischen zwei Schemata von Verträgen hatten. Bei dem
12183 gegen 11753 (1911)
5728 „ 5626 „
6314 „ 6240 r
2633 „ 2503
26858 gegen 26122 (1911)
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Gck igle
Original ffom
UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
459
einen gehen die Bücher ohne weiteres in unseren Besitz über. Der
Verein hat nur das Recht zu bestimmen, welche Zeitschriften und
Bücher innerhalb eines gewissen von ihm zu leistenden Betrages an¬
geschafft werden müssen. Neben diesem Betrag und der Ueberlassung
seiner Bücherei zahlt er noch eine kleine Summe für die Miete und
Verwaltung. Diese Form, Schema B, wurde von der Gesellschaft
für soziale Medizin gewählt. Nach Formular A hingegen, welches
von allen anderen gewählt worden ist, bleiben zwar die Bücher usw.
Eigentum ihres Vereins, er hat aber dann für das Gastrecht und die
Verwaltung einen höheren Betrag zu bezahlen (s. u.).
Jeder Verein behält seinen Bibliothekar bei, der aber von uns zu
allen Sitzungen unserer Bibliothekskommission, in denen gemeinsame
Interessen beraten werden, hinzugezogen wird. In solchen gemeinsamen
Sitzungen wird dann beraten, welche Zeitschriften von jeder der vereinigten
Bibliotheken gehalten werden müssen. Es wird dadurch verhütet, dass
manche Zeitschriften unnötigerweise zwei-, drei- und mehrfach gehalten
werden, und es wird umgekehrt ermöglicht, dafür notwendige, noch nicht
vorhandene Journale anzuschaffen.
Durch derartige gemeinsame Beratung aller Bibliothekare und
unserer Kommission wurde uns z. B. ermöglicht, für etwa 500 M., das
ist 10 pCt. unseres bisherigen Zeitschriftenetats, Zeitschriften abzu¬
schaffen, da sie schon ein- oder mehrfach vorhanden waren und andere
bis dahin nicht vorhandene Zeitschriften neu zu abonnieren. Aehnliches
wurde vice versa für die anderen Vereine durchgeführt.
So ist es unter Schonung aller berechtigten Interessen und der aus
der Entwicklung des Vereinslebens sich ergebenden tatsächlichen Ver¬
hältnisse in kurzer Zeit gelungen, eine Vereinigung aller medizini¬
schen Vereinsbibliotheken Berlins herbeizuführen und ohne eigent¬
liche Verschmelzung doch eine medizinische Centralbibliothek für
Berlin zu schaffen. Aeusserlich haben sich die guten Folgen dieser Ver¬
einigung schon gezeigt in der starken Zunahme des Besuches unserer
Bibliothek, die, wie schon erwähnt, im abgelaufenen Jahre, obwohl die
Verschmelzung nur das letzte Vierteljahr betraf, schon um etwa 14 pCt.
höher war, als im Vorjahre; innerlich wird jeder Besucher den Fortschritt
schon gemerkt haben in der grösseren Leichtigkeit des Arbeitens durch
die grössere Zahl der zur Verfügung stehenden Bücher und Zeitschriften;
noch mehr werden sich diese Folgen im kommenden Geschäftsjahr
geltend machen, wenn weitere in Aussicht und Angriff genommene Ver¬
besserungen durchgeführt sein werden.
So wird es vielfach als Missstand empfunden, dass wir zwar eine
sehr grosse Zeitscbriftensammlung besitzen, aber über neuere Lehr-
und Handbücher nur in ganz beschränktem Maasse verfügen. Um
diesem Uebel abzuhelfen, wäre nur eins nötig: Geld. Aber Sie wissen,
dass unsere Gesellschaft sich eine Aufgabe gestellt hat, die unsere ganze
finanzielle Kraft in Anspruch nehmen wird, und so wurde versucht, neue
Einnahmequellen zu erschlossen. Eine Hauptquelle neuer Einnahmen
fliesst uns aus den Beiträgen der uns jetzt mit ihren Bibliotheken an¬
gegliederten obengenannten Vereine zu, das sind im ganzen etwas über
3000 Mark, also immerhin ca. 50pCt. derjenigen Summe, die unsere
Gesellschaft bisher im ganzen für Bibliothekszwecke alljährlich auf¬
gebracht hat. Und wenn davon auch ein Teil für die jetzt etwas höheren
Verwaltungskosten und auch ein Teil für die später, wenn wir erst
im eigenen Heim wohnen, höhere „Miete“ in Ansatz gebracht werden muss,
so bleibt uns doch noch ein Teil übrig, den wir für den genannten
Zweck: die Anschaffung von Büchern, werden verwenden können.
Eine weitere Quelle wurde erschlossen durch die Erhebung eines
kleinen Betrages für die Gewährung von Gastkarten, wodurch im kommen¬
den Jahr ca. 400 Mark eingehen dürften,
Mit diesen Mitteln wird es möglich sein, mit der Zeit dem oben¬
genannten unleugbaren Mangel unserer Bibliothek nach und nach ab¬
zuhelfen und Bücher und Nachschlagewerke in grösserem Umfange an¬
zuschaffen.
Um damit den Anfang zu machen, hat der Vorstand auf Antrag
der Bibliothekskommission zu diesem Zwecke für das laufende Geschäfts¬
jahr zunächst einmal 400 Mark über den laufenden Etat hinaus zur Ver¬
fügung der Kommission gestellt.
Eine weitere Aufgabe bedarf dringend der Lösung: die Herstellung
eines Katalogs, und zwar eines solchen, der nicht nur unsere eigene
Gesellschaftsbibliothek enthalten, sondern zugleich die Büchereien der
mit uns vereinigten Bibliotheken umfassen soll.
Diesen einfach als Nachahmung der bisher vorhandenen Kataloge
herzustellen, dürfte nicht zweckmässig sein; ein solcher gedruckter
Katalog würde eine grosse Summe (ca. 10 000 Mark) verschlingen und
doch im Momente seiner Fertigstellung schon wieder veraltet sein. Statt
dessen dürfte es zweckmässiger sein, zunächst einen grossen Zettel¬
katalog aller Bibliotheken anzufertigen und diesen in unserem
Lesesaal zur allgemeinen Benutzung aufzustellen. Später
könnte, sobald die innere Organisation unserer Centralbibliothek zu
einem gewissen Abschluss gelangt ist, ein kleinerer Katalog gedruckt
werden, der aber nur ein Verzeichnis der Zeitschriften enthält, und
den jedes Mitglied zur schnellen Orientierung auch zu Hause haben
könnte. In seiner letzten Sitzung hat sich der Vorstand schon mit
dieser Angelegenheit befasst und den ersten Teil dieses Planes im Prinzip
genehmigt.
Noch eine weitere wichtige Verbesserung wurde beschlossen:
Unsere Bibliotheksordnung schrieb bisher vor, dass alle Neu¬
anschaffungen der Genehmigung des Vorstandes, alle Abschaffungen sogar
der der Generalversammlung bedürfen. Dies erschwerte den Geschäfts¬
gang ausserordentlich und musste die Arbeitsfreudigkeit der Bibliotheks¬
kommission, wenn sie öfter eine Ablehnung ihrer wohlerwogenen Vor¬
schläge erlebte, beeinträchtigen. Auch bedeutete dieser Modus eine
Störung des Zusammenarbeitens mit den anderen Gesellschaften, wenn
Beschlüsse der vereinigten Bibliothekarsitzungen nicht Rechtskraft be¬
sitzen sollten. Deshalb hat unser Vorstand unserem Antrag entsprechend
der Bibliothekskommission an Stelle des blossen Vorschlagsrechtes jetzt
ein Beschlussrecht innerhalb einer gewissen finanziellen Grenze verliehen
und sich selbst nur unter Umständen ein Veto Vorbehalten. Bei dieser
Gelegenheit habe ich dann dem Vorstand eine neue Bibliotheks¬
ordnung unterbreitet, die an Stelle der weitschweifigen und zum Teil
in sich widerspruchsvollen alten Bibliotheksordnung und ihres Zu¬
satzes treten soll. Ich bin in der angenehmen Lage, mitteilen zu können,
dass dieser Entwurf noch heute abend die Genehmigung des Vorstandes
gefunden hat.
So besitzt unsere Gesellschaft und die mit ihr zu einem „Bibliotheks¬
zweckverband“ zusammen geschlossenen übrigen medizinischen Vereine eine
Bibliothek, wie sie wohl keine andere medizinische Gesellschaft besitzen
dürfte. Und gerade vor kurzem wurde ein Bericht der uralten Pariser
medizinischen Gesellschaft veröffentlicht, die zwar uro den Besitz eines
eigenen Hauses uns jetzt voraus ist, deren Bibliothek aber gegenüber
der unsrigen bescheiden genannt werden muss. Es ist deshalb in
dem Momente, wo wir uns unseres Besitzes freuen, wohl am Platze, mit
Dank der Herren zu gedenken, die die Grundlage zu unserer Bibliothek
gelegt und sie bis zu der Höhe gebracht haben, in der ich sie aus den
Händen meiner Vorgänger empfangen habe; und wenn ich hier neben
einem Falk nochmals Herrn Ewald nenne, so geschieht es deshalb mit
Recht, weil Herr Falk 23 Jahre lang und Herr Ewald 15 Jahre die
Geschäfte des Bibliothekars in erfolgreicher Weise geführt haben, und
gerade Herr Ewald schon auf bestem Wege war, die Vereinigung der
Bibliotheken zu bewirken.
Zum Schlüsse danke ich noch allen Bibliothekaren der mit uns
jetzt verbundenen Gesellschaften herzlich dafür, dass sie es mir so leicht
gemacht haben, die im Interesse von uns allen gelegene Aufgabe der
Centralisierung der Bibliotheken in wenigen Monaten zur Lösung zu bringen.
Hr. Landau:
Bericht der Kommission für die Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses.
Die noch im letzten Bericht im Jahre 1911 ausgesprochene Er¬
wartung, dass die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie mit der unseren
gemeiusam an die Erbauung eines Virchow- und Langenbeckhauses gehen
würde, hat sich noch nicht erfüllt, da die Vorbedingung hierfür, der An¬
kauf des Langenbeckhauses durch den Staat, sich bis jetzt nicht verwirk¬
licht hat.
Inzwischen sind die Zustände in den jetzigen Räumen, insbesondere
in der Bibliothek nnd im Lesesaal immer unbehaglicher geworden, so
dass Vorstand und Ausschuss in gemeinsamer Beratung mit der Kom¬
mission zur Erbauung des Rudolf Virchow-Hauses sich für den Beginn
des Baues in der Luisenstrasse entschieden hat.
Die Virchow-Kommission, welche ausser dem Vorsitzenden Herrn
Orth aus den Herren: S. Alexander, M. Borchardt, Ewald,
Görges, v. Hansemann, Herrn. Kaehler, Kraus, F. Krause,
Landau, D. Munter, Mankiewicz, Stadelmann und Waldeyer
besteht, tagte achtmal, auch behandelte der Vorstand, teils allein, teils
in Gemeinschaft mit dem Ausschuss und der Kommission, die das
Virchow-Haus betreffenden finanziellen und baulichen Fragen in mehreren
Sitzungen. Von einem von der Virchow-Kommission beantragten all¬
gemeinen Konkurrenzausschreiben für einen Entwurf sahen Vorstand und
Ausschuss ab. Bestimmend für diesen Beschluss war der Umstand, dass
von einer Reihe von Entwürfen, an welchen sich sechs Architekten be¬
teiligt hatten, ein Entwurf nicht bloss relativ, sondern an sich für
ausgezeichnet befunden wurde. Der Geheime Ober-Baurat Dr. March
hatte freundlichst die Begutachtung und das Schiedsriohteramt, der ihn
ohne Namensnennung zugesandten Projekte übernommen und sowohl in
mündlicher Auseinandersetzung als in einem längeren schriftlichen Gut¬
achten sein fachmännisches Urteil im obigen Sinne abgegeben und von
einer weiteren Konkurrenz abgeraten.
Dieser von Herrn March als der beste bezeichnete Entwurf rührt
von Herrn Regierungsbaumeister Dernburg her.
Die Anfertigung eines guten Entwurfs war dadurch sehr kompliziert,
dass der Architekt genötigt war, die jetzt geltenden schweren baupolizei¬
lichen Bestimmungen für grosse Versammlungsräume zu befolgen und
im Interesse der Rentabilität angemessene Mietsräume zu schaffen. Der
Entwurf, der natürlich noch der Ausarbeitung im einzelnen harrt, ist
heute im kleinen Saal ausgestellt. Bemerkungen, Wünsche und Aus¬
stellungen werden gern entgegengenommen, geprüft und berücksichtigt
werden.
Sollten unsere Erwartungen in bezug auf finanzielle Unterstützung,
die uns von einer Seite in Aussicht gestellt ist, in Erfüllung gehen, so
wird geplant, den Bau am 1. Oktober 1913 zu beginnen. Er würde
alsdann voraussichtlich am 1. Oktober 1914 vollendet sein.
Diskussion.
Hr. Lublinski: Wir haben vorhin eine Aufstellung über das Ver¬
mögen der Gesellschaft empfangen und ersehen daraus, dass das Virchow-
Haus uns vorläufig an entgangenen Zinsen mindestens 8000 M. kostet
Ausserdem muss noch ein Zuschuss von mehr als 2000 M. gegeben
werden, so dass wir also vorläufig jährlich einen Verlust von mindestens
10 000 M. haben. Infolgedessen ist es selbstverständlich richtig, dass,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
wenn überhaupt gebaut werden soll, mit dem Bau so bald wie möglich
begonnen werden muss, wenn nicht unser Vermögen allmählich durch
die Zinsen und Reparaturen der alten Häuser aufgezehrt werden soll.
Nun stellt sich aber eine andere Frage ein, und das ist die, wie es mit
den vorhandenen 280 000 M. möglich sein wird, einen solchen Bau zu
errichten. Wir haben vorläufig absolut keine Unterlagen, was dieser
kosten wird. Ich habe mir, als der Ankauf vorgeschlagen wurde, schon
erlaubt, vor demselben zu warnen, da wir gar nicht wissen können, was
besonders der Untergrund verschlingen wird; denn in dieser Gegend
kostet derselbe sehr häufig verhältnismässig ebensoviel wie das, was Sie
über der Erde sehen. Für die Gebäude in der Umgebung ist, wie mir
bekannt, ein so enormes Geld von dem Untergrund verschlungen worden,
dass selbst die Tiefbaugesellschaften, welche diese Bauten unternommen
haben, in ihrer Kalkulation sich geirrt haben und noch gewaltige Zu¬
schüsse leisten mussten. Es handelt sich also in erster Reibe darum,
festzustellen, wie wir die nötigen Mittel aufbringen, um den Bau über¬
haupt beginnen zu können, und zweitens, was dieser überhaupt kosten
würde. Es ist durchaus notwendig, diese Fragen zunächst zu erledigen.
Ich möchte mir gefälligst die Anfrage erlauben, was die Herren darüber
denken. Dann wird es sich darum handeln, festzustellen, woher denn
das Geld genommen werden soll. (Heiterkeit.) Vorläufig ist es nicht
vorhanden. Selbst wenn Sie eine grosse Hypothek aufnehmen, was
augenblicklich auch nicht gerade leicht sein wird, so möchte ich wissen,
wie es möglich sein wird, mit dieser auszukommen. Eine zweite Hypo¬
thek werden Sie überhaupt kaum bekommen, da die Rentabilität des
Hauses sehr zweifelhaft ist.
Sie sehen also, dass vorläufig zwar alles sehr schön klingt, dass
aber eine Basis, mit welchen Mitteln der Bau ausgeführt werden soll,
vorläufig nicht vorhanden ist.
Vorsitzender Herr Landau: Wir haben die Beratung über den Be¬
ginn des Baues des Virchow-Hauses heute nicht auf die Tagesordnung ge¬
stellt. Vorstand und Ausschuss halten es für ganz selbstverständlich, dass,
bevor mit dem Bau begonnen wird, alle die von Herrn Lublinski mit
Recht ausgesprochenen Punkte genau geprüft werden müssen. Ich kann
aber bezüglich des Untergrundes des Grundstücks Luisenstrasse die be¬
ruhigende Erklärung abgeben, dass dieser, wie die eingereichten Bohr¬
proben gezeigt haben, ausgezeichnet ist. Beiläufig bemerkt, beruht die
Ausführung des Baues auf einem Beschluss des Vorstandes, des Aus¬
schusses und der überwiegenden Mehrheit der Generalversammlung.
Ausserdem möchte ich noch hervorheben, dass wir ausser dem Vermögen
von 280 000 M. bereits für den Grund und Boden 206 000 M. bezahlt
haben, so dass wir eigentlich über 486 000 M. verfügen. Selbstver¬
ständlich wird dieser Bau nur mit Zustimmung einer erst einzuberufenden
Generalversammlung begonnen werden.
Es handelt sich heute nur darum, den Bericht zu erstatten, nicht
darum, Beschlüsse zu fassen. Dazu muss der Vorstand und die Rudolf
Virchow-Kommission Ihnen erst einen detaillierten Antrag unterbreiten.
Die Generalversammlung bindet sich also heute gar nicht.
Wahl des Vorstandes.
Die Wahl des ersten Vorsitzenden muss statutengemäss durch
Stimmzettel erfolgen. Die vorgenommene Wahl ergibt: Es sind abge¬
geben 250 Stimmen, davon erhielt Herr Orth 225 Stimmen, zersplittert
sind 17 Stimmen, ungültig 1, unleserlich 1, ein Zettel war unbeschrieben.
Herr Orth ist somit gewählt. (Beifall.)
Bei der Wahl der drei Stellvertreter des Vorsitzenden wird Wider¬
spruch gegen Akklamation erhoben. Nach einer längeren Geschäfts¬
ordnungsdebatte wird die Wahl statutengemäss einzeln vorgenommen.
Bei der Wahl des ersten Stellvertreters werden abgegeben
290 Stimmen. Die absolute Majorität beträgt 146. Es erhielten Herr
Landau 190, Herr Bier 75, Herr Kraus 19, Herr Israel 8, die
übrigen waren zersplittert. Gewählt ist demnach Herr Landau.
(Beifall.)
Die Wahl des zweiten Vorsitzenden wird noch vorgenommen, das
Resultat wird aber erst in der nächsten Sitzung verkündet werden. Die
übrigen Wahlen werden auf die nächste Sitzung vertagt.
Die Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth und der Vortrag
von E. Saul werden vertagt.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie, und Nervenkrankheiten,
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Liepmann.
Schriftführer: Herr Henneberg.
Neuwahl des Vorstandes und der Aufnahmekommission.
Zum ersten Vorsitzenden wird Herr Bonhoeffer, zum zweiten Herr
Liepmann, zum dritten Herr Bernhardt, zuSchriftführern die Herren
Henneberg und Förster gewählt.
Vor der Tagesordnung.
1. Hr. 0. Maas weist auf die Beobachtungen von L otmar 1 ) hin,
der bei Kleinhirnerkranknng auf der stärker betroffenen Seite Herab¬
setzung der Schwerempfindung beobachtet hatte, und demonstriert kurz
1) Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., Bd. 24.
einen Patienten, bei dem dies Symptom in sehr ausgesprochenem Maasse
besteht, und bei dem es sich wahrscheinlich um einen Herd im Binde¬
arm, also um Unterbrechung von vom Kleinhirn cerebralwärts ziehenden
Fasern handelt.
Eingehend bespricht Vortr. dann einen Fall, den er seit längerer
Zeit in Beobachtung hat, den er aber wegen akuter Erkrankung des
Patienten nicht demonstrieren kann; Asynergie cörebelleuse sowie eine
Reihe anderer Symptome weisen hier auf einen Herd im Kleinhirn, vor¬
wiegend in der linken Kleinhirnhälfte, hin. Gewichte werden in der
linken Hand stark unterschätzt.
Falls in einem derartigen Falle die anatomische Untersuchung er¬
geben sollte, dass der Krankheitsprozess sich tatsächlich auf das Klein¬
hirn beschränkt, so würde bewiesen sein, dass die Störung der Schwere-
empfiodung Folge der Kleiobirnerkrankung sein kann, und es würden
unsere Kenntnisse von der Kleinhirnfunktion gefördert sein.
(Autoreferat.)
2. Hr. Cassirer demonstriert einen Fall von Sclerwdermia diffasa.
Der jetzt 50jährige Mann ist bis auf typische Migräoeanfälle, an
denen er seit der Jugend litt, bis vor zwei Jahren gesund gewesen.
Damals begann das jetzige Leiden mit Anschwellung, Kriebeln und
Taubheitsgefühl in beiden Händen und Füssen. Die Hände wurden
dunkelblau und kalt. Allmählich stellte sich eine Spannung in der
Haut des Bauches, des Thorax, der Oberschenkel und Oberarme ein, die
so stark wurde, dass sie ihn beim Bücken, beim Erheben der Arme,
beim Umdrehen, schliesslich, namentlich in letzter Zeit, beim Atmen
hinderte. Die Untersuchung ergibt jetzt: Hände und Füsse auffällig
gross und plump, namentlich die ersteren kalt, cyanotisch und intensiv
schwitzend. Haut an Oberschenkeln, am ganzen Rumpf und Oberarmen
glatt, fest, verdickt, prall elastisch und namentlich am Thorax mit der
Unterlage fest verwachsen. Farbe bräunlichrot; die Verdickung erstreckt
sich stellenweise auch auf die tieferen Teile, namentlich sind die Muskeln
vielfach mitbetroffen, auch dort affiziert, wo die Haut wie an den Unter¬
schenkeln und Unterarmen nicht wesentlich verändert ist. Sehr deutlich
ist diese Myosklerose auch an den Masseteren. Ferner findet sich eine
Beteiligung der Schleimhäute des Mundes. Motilität, Sensibilität, Sehnen¬
reflexe intakt. Die Aufnahme der Gefässreflexe mittels des Plethysmo¬
graphen ergibt schwere Störungen. Bei Strichen über die Haut kommt
es allmählich zu einer langanhaltenden Kontraktion der Hautgefässe, so
dass ein weisser Strich entsteht. Auch der Bayliss’sche Gefässreflex
fehlt. Die Loewi’sche Adrenalinprobe fällt negativ aus, ebenso der Ver¬
such auf alimentäre Glykosurie. Die subcutane Injektion von Adrenalin
wurde nicht gewagt. Der Blutdruck ist dauernd normal.
Tagesordnung.
Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Lewandowsky: Die aeiere
Entwickln^ unserer Kenntnis vom sympathischen Nervensystem.
Hr. Feilchenfeld: Herr Lewandowsky erkennt in der Willkürlich-
keit keinen prinzipiellen Gegensatz an zwisohen dem cerebrospinalen und
dem sympathischen System, sondern nur einen Unterschied des Grades.
Als Beispiele nannte er neben der Blase, die wesentlich kompliziertere
Verhältnisse aufweist, die Pupillenbewegung. Was Herr Lewandowsky
in bezug hierauf ausführte, ist von weitgehendem psychologischen Interesse,
und ich möchte deswegen auf den von ihm entwickelten Gedanken näher
eingehen, obwohl innerhalb des vielen, das uns dieser Vortrag brachte,
von ihm selbst die Frage nur vorübergehend gestreift wurde. Er sagte
nämlich: Wir „wollen“ einen nahen Punkt betrachten, und kraft
dieses Willensimpulses bewegen sich gleichzeitig die Augen nach ein¬
wärts und verengt sich die Pupille. Dabei sei die Kontraktion quer¬
gestreifter Recti interni in nicht höherem Maasse gewollt als die des
glatten Sphincter pupillae, und von der einen wussten wir so wenig wie
von der anderen. Treffend sondert Herr Lewandowsky hier also zwei
für unsere Frage wichtige, aber doch psychologisch getrennte Seelen¬
vorgänge, das Wollen der Bewegung und das Wissen von der Be¬
wegung. Beide Akte sind nicht nur psychologisch getrennt, sondern
auch in Wirklichkeit voneinander unabhängig. Sie stehen aber in der
Tat zueinander in Beziehung; denn es liegt im Interesse der Oekonomie
des Centralnervensystems, dass das Grosshirn dort, wo es auf das körper¬
liche Geschehen keinen willkürlichen centrifugalen Einfluss ausübt,
auch von centripetalen Zuflüssen sich emanzipiert hat, etwa wie der
Chef eines Grossbetriebes über Angelegenheiten, deren Entscheidung
er niederen Instanzen überlässt, auoh nicht durch Berichterstattung
belästigt werden möchte, also mit anderen Worten, dass das Ungewollte
auch unbewusst bleibt. Die Pupillenbewegung ist ja nun gewiss un¬
bewusst. Es fragt sich nur, ob das auch für die Aktion der quer¬
gestreiften Recti interni, also die Konvergenz, zutrifft. Die Empfindung
derselben ist in der Tat schwächer als bei der Skelettmuskulatur. Das
ist aber ätiologisch und teleologisch in dem verschiedenartigen Zweck
begründet, dem die am Auge und, beispielsweise am Bein, ansetzende
Muskulatur dient. Diese wirkt an dem Stütz- und Bewegungsorgan des
Körpers und ist ganz auf kinästhetische Empfindungen angewiesen, wenn
es darauf ankommt, dem Bewusstsein von dem ordnungsmässigen Vollzug
der gewollten Bewegung Bericht zu erstatten. Hier ist die Lokomotion
das Ziel der willkürlichen Bewegung und muss daher als solche
empfunden werden. Am Sehorgan ist die Lokomotion nur ein Mittel,
das Sehen Ziel und Zweck der Bewegung. Am Sehorgan berichtet
über den Vollzug der gewollten Bewegung der optische ßfekt auf der
Netzhaut. Will ich einen linksliegenden Gegenstand fixieren, so erfahre
ich, dass die entsprechende Linkswendung des Auges ausgeführt ist da-
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10. März 1913.
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durch, dass der betrachtete linksliegende Punkt sich jetzt auf meiner
Macula abspiegelt.
Im Dunkeln sind wir über die Lage unserer Augen in der Tat
grober Täuschung ausgesetzt, aber doch nicht, selbst wenn wir die
Oberflächensensibilität durch Cocainisierung ausschalten, in dem Maasse
unorientiert wie über das Pupillenspiel, von dem das Bewusstsein gar
keine Kenntnis hat. Der von mir angenommene prinzipielle Gegensatz
des Bewusstwerdens zwischen glatter und quergestreifter Muskulatur gilt
also auch für die Augenmuskeln, nur dass bei diesen das Bewusstwerden
ein vorwiegend optisches werden musste, wenn die kinästhetische
Komponente keineswegs ganz verdrängt ist.
Es ist wahrscheinlich, dass ein ähnlicher Gegensatz wie in der Be¬
wusstheit auch in der Willkürlichkeit besteht, dass also die bewusst
werdende Konvergenz willkürlich, das unbewusst bleibende Pupillenspiel
unwillkürlich ist. Willkürlich nennen wir eine Handlung, wenn das
Ziel derselben bereits in dem Impuls vorausgeschaut mitenthalten ist.
Nun liegt mir, wenn ich einen nahen Punkt fixieren will, ganz gewiss
fern, die Pupille verengen zu wolleo. Die Konvergenz hingegen ist
gerade das, was ich will. Sie ist die Nahefixation und prinzipiell
genau dasselbe, wie wenn ich meine Fusssohle auf einen bestimmten
Punkt setzen will, nur dass hier schon die Bewegung an sich Zweck ist,
dort die durch die Bewegung zu bewirkende optische Einstellung, ein
Unterschied, der, wie ich dargclegt habe, in den verschiedenen Zwecken
beider Organe als selbstverständlich enthalten ist, und die binoculare
Konvergenz muss geradeso wie jede coordinierte Bewegung des Beines
oder Armes im individuellen Leben erlernt werden, während die Pupillen¬
reaktion ein fertig mitgeborener Reflex ist. Ist eine coordinierte
Willkürbewegung einmal erlernt, dann freilich bezieht sich der Wille
nur auf diese, nicht auf die einzelnen, an ihr beteiligten Muskeln, von
deren Vorhandensein und Funktion der Laie ja nichts weiss. Das ist
bei den Interni nicht anders als bei dem Quadriceps.
Jener von Herrn Lewandowsky erwähnte Mann, der die Inner¬
vierung einzelner Muskeln zu einer verblüffenden Vollkommenheit ent¬
wickelt hat und sich damit gelegentlich zur Schau stellt, bringt eine
Anisocorie nicht zustande. Ein Einfluss auf die beiderseitige
Pupillenweite ist durch Erweckung von Vorstellungen oder Affekten auf
mittelbarem Wege erreichbar. Dieser Einwand ist auch bei den
seltenen Beobachtungen möglich, in denen Hysterische die Pupillen¬
reaktion vermissen liessen, was Herr Lewandowsky als willkürliche
Beherrschung der Pupille deutet.
Zweifelhafter als bei dem Sphincter pupillae liegt die Frage bei
dem Musculus ciliaris, den Herr Lewandowsky in seinem Vortrage
nicht angeführt, aber in seinem Buche über die „Funktionen des Central¬
nervensystems“ mit grösserem Recht als das klassische Beispiel einer
sympathischen Wilikürbewegung bezeichnet hat. Ich muss anerkennen,
dass die Akkommodation zum Zweck des Nahesehens gehört, also auch
sie ähnlich wie die Konvergenz der Verwirklichung meiner Willens¬
absicht dient. Ob die eine dabei ebenso willkürlich vertreten ist wie
die andere, darüber kann die Selbstbeobachtung uns gar nichts
sagen; denn der Wille bezieht sich bei einer eingeübten coordinierten
Bewegung immer nur auf den Gesamtzweck der Bewegung, während
die Coordination subcortical und unbewusst abläuft. Es ist sehr wohl
möglich, dass bei dem Nahesehen Akkommodation und Konvergenz als
gleichberechtigte Faktoren in derselben Weise zusammen arbeiten
wie der Tibialis und die Peronei bei der Dorsalflexion des Fusses. Es
könnte aber auch anders sein; denn bei allen anderen Bewegungs-
coordinationen gibt es eine Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, die ein
verschiedenes gradweises Mitarbeiten der einzelnen Muskeln und ein
Heranzieben bald dieser, bald jener Hilfsmuskeln erfordert. Nirgends
sonst trifft sich ein mathematisch abgestuftes Gesetz, dass wie bei dem
Nabesehen zwei stetig sich ändernde Variablen in direkter Proportion
voneinander abhängig sind, so dass jeder Aenderung der Konvergenz¬
winkel eine entsprechende Aenderung der Akkommodation zugeordnet
ist. Hier ist ein direkter Impuls zu beiden Variablen jedenfalls ent¬
behrlich, und der Mechanismus läuft mindestens ebenso exakt ab, wenn
der Impuls zu der einen Variablen gesandt wird und die eindeutig ab¬
hängige Variable auf dem Wege der reflektorischen Mitbewegung ähnlich
wie die Pupillenbewegung mit der Konvergenz wächst oder abnimmt.
Bei Tiergattungen mit quergestreifter Ciliarmuskel mag immerhin der
andere, ja auch mögliche Mechanismus Platz gegriffen haben. Unter
den Ausnahmebedingungen des Experiments und innerhalb sehr enger
Grenzen kann man freilich Konvergenz und Akkommodation voneinander
unabhängig machen, indem man einen bestimmten nahen Punkt fixiert und
bei festgebaltener Akkommodation die Konvergenz durch Prismen ändert
oder bei festgehaltener Konvergenz die Akkommodation durch Konvex¬
gläser. In diesem Experiment gelingt es also, die Konvergenz und die
Akkommodation zu isolieren und jede in ihrer psychischen Eigenart zu
beobachten. Beide sind in diesem Ausnahmefalle sicher unwillkürlich,
da der Wille zur Fixation sich ja nicht ändert. Es sind reine, optisch
ausgelöste Reflexe oder vielleicht Triebe. Für mich aber wenigstens
trifft es zu, dass ich unter dieser Bedingung den Konvergenzzwang will¬
kürlich hemmen, also Doppelbilder erhalten oder vermeiden kann, dass
die Akkommodationseinstellung aber zwingend abläuft und unbeeinflussbar
ist. Bei dem Mikroskopieren oder Ohtbalmoskopieren entspannen wir die
Akkommodation mittels Entspannung unserer Konvergenz. Innerhalb
des Gebietes, das ich zu übersehen in der Lage bin, scheint mir die
willkürliche Beherrschung glatter Muskeln ‘nicht bewiesen und nicht?
wahrscheinlich.
Hr. Jaoobsohn demonstriert im Anschluss an den Vortrag des
Herrn Lewandowski Präparate vom menschlichen Rückenmark und
vom Hirnstamm, um die bisher ziemlich sicher gestellten sympathischen
motorischen Kerne des Centralnervensystems zu veranschaulichen. Diese
Zellgruppen zeigen folgende charakteristische Merkmale. Sie bilden stets
kleinere circumscripte Zellhaufen und die Zellen liegen in diesen
Haufen dicht gedrängt aneinander. Die Zellen sind etwa halb so
gross wie die motorischen Zellen, sie sind entweder bläschenförmig oder
stumpf polygonal oder keulenförmig. Diese Formen liegen oft durch¬
einander gemengt, es können sich aber auch Gruppen bilden, in denen
nur die eine oder andere Zellform vorkommt. Die sympathischen Gruppen
haben ferner das charakteristische, dass sie sich den Gruppen der grossen
motorischen Zellen dicht anlagern; das ist sowohl im Rückenmark wie
im Hirnstamm der Fall. Auch der dorsale Vaguskern liegt in seinem
proximalen Abschnitte dem motorischen Vaguskern (Nucleus ambiguus)
dicht an. Im Rückenmark finden sich drei sympathische Zellsäulen.
Die längste ist diejenige des Seitenbornes; sie beginnt an der Grenze
zwischen Hals- und Brustmark und ist hier der lateralen Gruppe der
grossen motorischen Zellen dicht angelagert. Nach Verschwinden dieser
motorischen Zellen liegt sie frei im Seitenhorn und im angrenzenden
Processus reticularis. Diese Zellsäule (Nucleus sympathicus lateralis
superior medullae spinalis) erstreckt sich nach abwärts bis an die Grenze
zwischen dem zweiten und dritten Lurabalsegment. Die zweite Zell¬
säule (Nucleus sympathicus lateralis inferior) liegt im Sacralmark.
Sie beginnt an der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Sacral-
segment und erstreckt sich abwärts bis in das Coccygealmark. Auch
sie legt sich in ihrem obersten Abschnitt dicht lateral an die grossen
Zellen der lateralen motorischen Gruppe an und wird gleichfalls nach
Verschwinden der letzteren frai, d. h. liegt alsdann als isolierte Gruppe
an der Grenze zwischen Vorder- und Hinterhorn. Die dritte Zellsäule
ist nicht lateral, sondern medial von den grossen motorischen Zellen der
lateralen Gruppe des Sacralmarks gelagert. Sie liegt am ventralen und
am medialen Rande des Vorderhornes; sie ist am stärksten im zweiten
Sacralsegment entwickelt und ist in kleinen Gruppen auch bis ins
Coccygealmark zu verfolgen. Wegen ihrer medialen Lage wird sie als
Nucleus sympathicus medialis bezeichnet.
Die Zellen des Seitenhorns sind schon von vielen Forschern nach
experimentellen Untersuchungen am Tier als Centren des sympathischen
Systems bezeichnet worden (Onuf und Collins u. a.).
Beim Menschen hat Jacobsohn wohl als erster einen Fall unter¬
sucht, der ziemlich beweisend für den Zusammenhang dieser Zellgruppen
mit dem Sympathicus ist. Es handelte sich um ein Carcinom der
Mamma, welches den ganzen Plexus brachialis, die erste Dorsalwurzel
mit eingeschlossen, zerstört hatte. Klinisch waren neben der motorischen
und sensiblen Lähmung des entsprechendes Armes die bekannten oculo-
pupillären Symptome auf der gleichen Seite aufgetreten. In diesem
Falle ergab die anatomische Untersuchung eine schwere Chromolyse der
grossen motorischen Zellen des Vorderhorns im untersten Hals- und im
obersten Brustraark und ferner auch eine deutliche, wenn auch nicht so
schwere Chromolyse der Zellen des Seitenhornes im achten Cervical-
und ersten Dorsalsegraent. Dieser Befund ist dann einige Jahre später
von Marinesco an gleichen Carcinomfällen und an solchen Fällen be¬
stätigt worden, in denen Jonescu bei Morbus Basedowii das Ganglion
supremum des Sympathicus exstirpiert hatte. Ist damit für einen Teil
der vorher bezeichneten Gruppen der ziemlich sichere Nachweis erbracht,
dass sie Centren des sympathischen Systems im Rückenmark darstellen,
so kann man es für die anderen Gruppen mit hoher Wahrscheinlichkeit
annehmen, weil sie in ihrer Form, Gruppierung und Lagerung so grosse
Aehnlichkeit miteinander zeigen, weil sie ferner ausserordentlich ähnlich
der Kerngruppe des dorsalen Vaguskernes und des sogenannten Edinger-
Westphal’schen Kernes sind, die allseitig zum sympathischen System
zugehörig betrachtet werden, und weil sie schliesslich nur in solchen
Regionen des Rückenmarks gefunden werden, aus welchen Rami communi-
cantes zum Sympathicus abgehen.
Hr. Cassirer: Es ist meines Erachtens ein grosses Verdienst der
Ausführungen des Herrn Lewandowsky, mit besonderer Schärfe darauf
hiogewiesen zu haben, dass die Aufstellung des Gegensatzes zwischen
autonomem und sympathischem System nur einen kleinen Abschnitt aus
der Physiopathologie des vegetativen Systems berücksichtigt, und dass
es keineswegs angeht, an diesem Maassstabe unter Vernachlässigung aller
anderen physiologischen und anatomischen Eigenheiten die Leistungen
dieses Systems zu messen, zumal eben doch, wie besonders das Beispiel
der Schweissdrüsen mit voller Evidenz zeigt, auch pharmakologisch diese
Gegenüberstellung keine zwingende ist. Es ist ganz gewiss äusserst ge¬
fährlich, wozu jetzt offenbar einige Neigung besteht, aus dem pharma¬
kologisch abweichenden Verhalten der Schweissdrüsen zu schliessen, dass
unsere Kenntnisse über ibro Innervation falsch sind; da steckt ein
logischer Fehler dahinter. Dass es übrigens in der Pathologie keine
reinen sympathico- und vagotropen Symptomenkomplexe gibt, wird all¬
seitig zugegeben. Dagegen ist für die Pathologie von anscheinend grösster
Bedeutung eine andere durchgehende Eigenheit des vegetativen Systems:
die mehr oder minder grosse Selbständigkeit seiner untergeordneten
Centren. Daraus ist es zu verstehen, dass die Ausschaltung über¬
geordneter Centren keine dauernde Schädigungen, z. B. auf dem Gebiete
der Vasomotilität zu schaffen braucht, weil die niederen Centren alsbald
vollkommen die Rolle der übergeordneten übernehmen können. Etwas
anders liegt die Sache, wenn es sich, wie in der Pathologie so oft, nicht
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4G2
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
um eine vollkommene Ausschaltung, sondern um einen krankhaften Reiz¬
prozess in den höheren Centren handelt, dem sich die tieferen Centren
ja auf keine Weise entziehen können. Während wir genügend Anhalts¬
punkte etwa auf dem Gebiete der Motitität für die Unterscheidung der
Störungen der höheren und tieferen Centren besitzen — wir können ja
auch ohne weiteres die durch Affektion der Pyramidenbahnen hervor¬
gerufenen von den durch Erkrankung des spinal peripheren Neurons
ihrer Art nach unterscheiden —, fehlen uns auf dem Gebiete der Vaso-
motilität bisher alle Möglichkeiten einer solchen qualitativen Diffe¬
renzierung, und wir sind beim Versuch, sie in die verschiedenen Ab¬
schnitte des vegetativen Systems zu verlegen, ganz und gar auf die Be¬
gleitsymptome aus der Sphäre des cerebrospinalen Systems angewiesen.
Auf diese Weise lernen wir vasomotorische Störungen, die offensichtlich
durch Erkrankungen der verschiedensten Gebiete des Vasoraotoren-
systems bedingt sind, kennen, ich erinnere an den vasomotorischen
Jackson der Hirnrinde, an die die Hemiplegien begleitenden vasomotori¬
schen Störungen, an die entsprechenden bei der Gliosis und bei den
peripheren Neuritiden und Nervenverletzungen. Aber immer sind wir
nur aus den begleitenden Symptomen bzw. der Ausdehnung der Störungen,
imstande, den Ort ihrer Entstehung zu vermuten. Die Art der Symptome
ist für unsere klinische Erkenntnis bisher nicht differenziert. Daran
haben auch die neueren Methoden, insbesondere die plethysmographischen
Untersuchungen nichts geändert. Wenn Herr L. nun behauptet, dass
bei einem grosseu Teil der genannten vasomotorischen Neurosen der
Sitz der Störungen in der Peripherie zu suchen ist, so kann man ihm
aus der Art der Störungen das Gegenteil nicht beweisen, aber zahlreiche
andere klinische Erwägungen: ihre Entstehung, die Art der Begleit¬
symptome spricht durchaus für die centrale Genese der in Frage
kommenden Erscheinungen. Es ist ohne weiteres vorauszusetzen, dass
es auch Erkrankungen der periphersten vegetativen Abschnitte gibt,
vielleicht gehören hierher gewisse Formen von peripherer Erythromel-
algie, von umschriebener Sklerodermie, von beschränktem und immer
wieder an derselben Stelle auftretendem flüchtigen Oedem.
Eine weitere Eigenschaft des vegativen Systems, die von Herrn
L. hervorgehobene Steigerung der Erregbarkeit der peripheren Teile
durch Enervierung, muss zweifellos auch für die Pathologie von grosser
Bedeutung sein, aber ist doch bisher für die Klinik noch an keiner,
ausser an der von Herrn L. angegebenen Stelle fruchtbar gewesen.
Hr. Peritz ist bei dem Vortrag des Herrn Lewandowsky nicht
klar geworden, ob er den Begriff des Vagotonus oder Syrapathicotonus
vollkommen ablehnt, oder nur die Definition des Sympathico- und des
Vagotonus, wie sie die Wiener Schule gibt. Ira letzteren Fall stimmt
Heir Peritz vollkommen mit Herrn Lewandowsky überein, wie ja
auch Petren und Thorling und ebenso Bauer zu der gleichen An¬
schauung gekommen sind. Endlich haben auch Schwenker und
Schlecht neuerdings, ebenso wie Aschenheim und Tornono und
schliesslich Skorzefski und Wasserberg die von Bertclli, Falta
und Schweeger gefundenen Veränderungen des Blutbildes durch die
Pharmaka nicht bestätigen können. Skorzefski und Wasserberg
haben ausser der Injektion von Pilokarpin und Adrenalin die fieigelegten
Nervenstränge direkt elektrisch gereizt, aber auch dort ein negatives
Resultat erzielt. Dagegen ist Peritz der Ansicht, dass man unbedingt
von einem Vagotonus und Sympathieotonus sprechen kann, wobei unter
Tonus das Uebergewicht eines dieser beiden Systeme über das andere
zu verstehen ist. Der Begriff des Vagotonus ist zuerst in der inneren
Medizin geprägt worden. Der Gegensatz zwischen Vagus und Acceleraus
wurde zuerst am Herzen beobachtet, und hier konnte man experimentell
und in der Pathologie das Ueberwiegen des einen oder des anderen
Nerven feststellen. Es soll hier nur an die Sinusirregularitäten erinnert
werden, wie sie Mackenzie bezeichnet, die in einer Unregelmässigkeit
der Pulsgeschwindigkeit besteht, wobei gewöhnlich ein Zusammenhang
mit der Respiration vorhanden ist. Diese Irregularität ist die Folge einer
Vagusreizung und kann hervorgerufen werden dadurch, dass man den
Patienten schlucken oder langsam einatmen lässt. Man kann nach
Hering den Pulsus irregularis respiratorius direkt als eine wertvolle
Funktionsprüfung der Herzvagi betrachten. Dazu kommt, dass man
auch mittels des Aschner’schen oder Czermack’schen Versuches, wobei
man durch Druck auf den Bulbus eine Verlangsamung oder Aussetzen
des Pulses erhält, eine Funktionsprüfung des Vagus vornehmen kann.
Man hat also ausser den pharmakologischen Mitteln eine Anzahl Me¬
thoden zur Hand, mittels deren man den Tonus des Vagus zu prüfen
vermag. Dass es Vagusneurosen gibt, ist wohl nicht zu bestreiten.
Dahin gehört vor allen DiDgen das Asthma nervosum, nach dem schon
Einthoven und Beer nachgewiesen haben, dass ein Bronchialmuskel-
krarapf durch Reizung der peripheren Vagi zu erzielen ist. Auch die
Beseitigung eines Anfalls von Asthma bronchiale durch Atropin spricht
dafür, dass es sich um eine Uebererregbarkeit des Vagus handelt. Von
Zuelz er wird ferner eine akute Lungenlähmung als Vagusneurose an¬
gesprochen.
Für eine stärkere Erregbarkeit des Sympathicus spricht nach Peritz
die Hypertonie der Arteria radialis, die man nach Veiel auch bildlich
registrieren kann. Peritz hofft in nächster Zeit derartige Bilder zeigen
zu können, bei denen im dikroten Schenkel mehrere deutliche Schwan¬
kungen zu sehen sind, die auf die stärkere Elastizizitätsspannung der
Arterien zurückzuführen sind, während bei der arteriosklerotischen
Arterie alle Schwankungen im dikroten Schenkel fehlen. Ebenso kann
man die kalten und lividen Hände und Füsse im Sinne der Diagnose
eines Sympathieotonus verwenden. Ob es nun reine Sympathicusneurosen
gibt, ist zweifelhaft, nachdem man festgesteilt hat, dass bei der Base¬
dowschen Krankheit auch der Vagus miterkrankt ist. Dafür sprechen
die Aktionspulse und, worauf Kraus und Friedenthal hinweisen, der
normale Blutdruck, während man bei einer Uebererregbarkeit des Sym¬
pathicus erwarten müsste, dass der Blutdruck infolge der Widerstände
im peripheren Gefässsystem gesteigert ist. Dagegen liegt die Möglich¬
keit vor, dass die meuopausischcn Beschwerden als eine reine Sym-
pathicusneurose aufzufassen sind, zumal Sc bi ekele und Adler bei
diesen Zuständen einen erhöhten Blutdruck nachweisen konnten.
Dagegen scheinen Peritz die Pharmaka nicht geeignet zur Be¬
stimmung des Tonus im vegetativen Nervensystem. Einmal sind diese
Mittel bei ihrer Anwendung nicht so ungefährlich, wie Falta sie hin¬
stellt. Nach Adrenalin kommt nicht zu selten Collaps vor. Ausserdem
aber kommt ein anderer Punkt in Bctrachj. Peritz hat bei der
Spasmophilie der Erwachsenen zeigen können, dass eine allgemeine
Uebererregbarkeit des gesamten vegetativen Nervensystems besteht, so¬
wohl des Vagus wie des Sympathicus. Hier muss mittels der Pharmaka
ein Ausschlag nach beiden Seiten erfolgen. Und daher kommen ja auch
Petren uud Thorling zu der Anschauung, dass es sich bei ihren
nach den Methoden der Wiener untersuchten Fällen um eine allgemeine
Uebererregbarkeit des Nervensystems handelt. Bei den Spasmophilen
handelt es sich nicht um einen erhöhten Tonus des einen oder anderen
Nervensystems, sondern um eine Labilität des gesamten, daher sind die
Spasmophilen zu den Vasomotorikern zu rechnen, unter denen sie eine
Gruppe darstellen.
Hr. Oppenheim: Das Referat des Herrn L. hat uns viel Anregung
geboten; einzelne seiner Ausführungen fordern aber den Widerspruch
heraus. Man mag über die Müller’sche Theorie denken wio man will
und besonders seine Lehre vom Einfluss der Stimmungen auf den Bio¬
tonus des Gehirns und Rückenmarks ablehnen, aber an der Tatsache ist
doch nicht zu rütteln, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen
emotioneller und willkürlicher Innervation besteht, dass die unter dem
Einfluss des vegetativen Nervensystems stehenden Apparate nicht will¬
kürlich beherrscht, aber emotionell erregt werden. Die Tätigkeit unserer
Tränendrüse können wir nicht willkürlich ins Spiel setzen, wir bedürfen
dazu der Erregung eines Gefühlsvorgangs, und das ist zweifellos auch
der Weg, auf dem der gute Schauspieler zu weinen vermag; Herr Lewan¬
dowsky hat nun sogar von der willkürlichen Innervation der Pupillen¬
muskeln gesprochen und sich dabei auf die vereinzelten Individuen be¬
zogen, die die Pupille willkürlich beeinflussen können. Es ist ihm schon
von Müller mit Recht eutgegengebalten worden, dass es sich dabei um
die besondere Geschicklichkeit in der Erweckung eines Affektes oder der
Vorstellung des Fern- oder Nahesehens handelt — wenn es überhaupt
erlaubt ist, derartige nur bei ganz vereinzelten Personen vorkommende
Phänomene für die Lösung dieser Fragen zu verwerten.
Bezüglich der angenommenen willkürlichen Innervation des Akkom¬
modationsmuskels hat Herr Feilchenfeld schon in vortrefflicher W 7 eise
die gegen Herrn L. sprechenden Argumente angeführt.
Bei der Harnentleerung dürfte die willkürliche Anspannung der
Bauchmuskeln als auslösender Vorgang eine wesentliche Rolle spielen.
Es ist mir dann noch ein Widerspruch in den Auslassungen
Lewandowsky’s aufgefallen; er betonte die grosse Selbständigkeit der
sympathisch innervierten Organe und sprach sogar von speziellen
Neurosen derselben. Andererseits leugnete er die Refleitätigkeit im
sympathischen Nervensystem. Wie ist das in Einklang zu bringen?
Wenn sich z. B. die Sekretion, Resorption, Peristaltik bei der Ein¬
führung der Ingcsta in den Magen und Darm unabhängig vom cerebro¬
spinalen Nervensystem vollzieht, wie denkt sich da Herr L. diese Funktion
ohne die Annahme peripherer Reflexvorgänge? Sie bilden meines Er¬
achtens eine petitio principii.
Bezüglich der Sensibilität der inneren Organe ist es wohl fraglos,
dass hier andere Verhältnisse vorliegen wie in der Körperperipherie.
Einerseits ist es sicher, dass hier eine grosse Summe von Reizen, die
der normalen Funktion entsprechen, nicht zum Bewusstsein gelangen,
andererseits steht es fest, dass sie unter Umständen perzipiert werden
können. Es muss also eine Leitung vorhanden sein nach den Central¬
organen hin, aber entweder sind hier besondere Widerstände einge¬
schaltet oder es besteht eine andere Einrichtung, welche derartige bis
ins Centralorgan dringende Erregungen von diesem vernachlässigt werden
lässt. Ueberschreitet der Reiz eine gewisse Schwelle, wird er patho¬
logisch verstärkt oder entwickelt sich eine centrale Hyperästhesie (eme
Verfeinerung des Seelengehörs für innere Vorgänge) wie bei der Neur¬
asthenie usw., so gelangen auch diese aus dem visceralen System stam¬
menden Reize zur Wahrnehmung.
Wenn ich mich recht entsinne, hat Herr Lewandowsky sich gegen
die Berechtigung der Exner’schen Operation bei tabischen Krisen aus¬
gesprochen. Die theoretischen Bedenken sind begründet, aber ich muss
doch auf eine eigene Beobachtung hinweisen, die zugunsten der Vago-
tonie zu sprechen scheint. In einem von mir behandelten schweren
Falle von Tabes mit hartnäckigen Krisen hatte die in Breslau ausge¬
führte Förstei’sche Operation versagt, während die im Anschluss dann
dort ausgefübrte Exner’sche die Krisen völlig zurückbrachte.
Darin stimme ich Herrn Lewandowsky vollkommen zu, dass die
Lehre von der Vagotonie und der Sympathicotonie noch auf schwachen
Füsseu steht, und dass ä5e zweifellos viel zu vorzeitig auf die Patho¬
logie übertragen worden ist. Aber wir wollen da auch nicht verkennen,
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UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
463
dass die Untersuchungen und Anschauungen der Wiener Schule dazu
angetan sind, anregend und befruchtend zu wirken. (Autoreferat.)
Hr. Lewandowsky (Schlusswort): Wenn Herr Feilchenfeld die
Akkommodation nicht als willkürliche Bewegung betrachtet, so ist seine
Definition der Willkür unrichtig oder wenigstens zu eingeschränkt. Wenn
man den Begriff der Willkürlichkeit so definieren wollte wie Herr
Feilchenfeld, würde man auch auf dem Gebiete der Körpermuskulatur
eine grosse Reihe von Leistungen als nicht willkürlich bezeichnen müssen,
die mit Recht allgemein als willkürlich bezeichnet werden. Die Akkom¬
modation ist und bleibt eine willkürliche Bewegung. Ebenso beruht die
Blasenentleerung auf willkürlicher Innervation. Die Ansicht von Herrn
Oppenheim, dass die Blasenentleerung mit der Bauchpresse Zusammen¬
hänge, kann als lange beseitigt gelten. Dass der im vorigen Winter in
Berlin vorgestellte Mann seine Pupillen wirklich verschieden weit
machen konnte, wird mir von Herrn Boruttau, der ihn gesehen hat,
auf das Entschiedenste versichert. Vielleicht gelang ihm das nicht
immer. Ich habe übrigens diese Dinge nur erwähnt mit Rücksicht auf
die merkwürdige Behauptung Herrn L. R. Müller’s, dass es keine
cerebralen Centren und cerebrofugalen Bahnen für das sympathische
System gebe. Es liegt weiter nicht nur, wie Herr Cassirer sagt, kein
Beweis gegen die Mitwirkung der Peripherie bei vielen vaso¬
motorischen und Organneurosen vor, sondern die Versuche von Herrn
Simons scheinen eine solche Mitwirkung der Peripherie recht wahr¬
scheinlich zu machen. Herr Simons stellte fest, dass niemals — wie
das Herr Curschmann behauptet hatte — die Gefässreflexe bei den
vasomotorischen Neurosen dauernd fehlen, sondern dass sie nur manchmal
und vorübergehend nicht auslösbar sind. Das sieht gar nicht nach einer
Rückenraarksstörung aus, sondern könnte sehr wohl mit Vorgängen
in der Peripherie in Zusammenhang stehen. Die Selbständigkeit der
Peripherie, um auf die Frage von Herrn Oppenheim zu antworten,
kann sich durch periphere Reflexe äussern, wenn und wo es welche
gibt, sie kann aber auch durch direkte Einwirkung irgendwelcher Reize
auf die Muskulatur zustande kommen. So kann die Temperatur direkt
auf die glatten Muskelfasern der Haut wirken, und es können auch
Stoffe vom Blut aus zugeführt werden, welche die Muskulatur oder die
Drüsen reizen. Die Exner’sche Operation am Vagus habe ich nicht als
unberechtigt bezeichnet, ich habe nur darauf aufmerksam gemacht, dass
sie an einer anderen Stelle des sensiblen Weges gemacht wird, als die
Förster’sche. Nebenbei werden bei der Exner’schen Operation auch noch
die motorischen Vagusfasern durchschnitten, was vielleicht einen Teil
der Wirkung erklärt. Was Herr Peritz gesagt hat, hat mit meinen
Ausführungen über Vagotomie und Sympathicotonie überhaupt nichts zu
tun. Es ist selbstverständlich wichtig zu wissen, welche einzelnen
Nerven bei einer Störung im Bereiche des sympathischen Systems, z. B.
bei einer Herzneurose oder beim Asthma beteiligt sind. Darum hat sich
aber die Klinik auch schon vor der Aufstellung der Vagotonie und
Sympathicotonie gekümmert. Das Neue bei diesen Aufstellungen ist nur
die Gegenüberstellung des sympathischen Systems (im engeren Sinne)
als einer Einheit gegen die Gesamtheit der drei anderen Systeme als
eine zweite Einheit. Diese Gegenüberstellung ist anatomisch und physio¬
logisch unbegründet und hat klinisch noch keine Bestätigung erfahren.
Trotzdem könnte sie uns — soweit sie pharmakologisch begründet
ist — weiterführen in der Lehre von der inneren Sekretion, da es sich
dabei um chemische Wirkungen handelt. Für die centralen Neurosen
aber kommt die Vagotonie und Sympathicotonie als Einteilungsprinzip
gar nicht in Betracht. (Autoreferat.)
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 3. März 1913.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Schriftführer: Herr Hermes.
Hr. Sonnenburg begrüsst die vom Kriegsschauplatz zurückgekehrten
Kollegen.
1. Hr. Letsch: Ueber die Wirkung des Spitzgeschosses.
Das moderne Spitzgeschoss hat in dem Balkankriege seine
Feuertaufe erhalten, nachdem es von einzelnen Armeen schon vor¬
her eingeführt war. Durch umfangreiche Schiessversuche war man
schon zuvor in der Lage, seine Wirkungen kennen zu lernen, vor allem
den Unterschied vom ovigalen Geschoss. Die türkische Armee war mit
Mausergewehr Modell 90/93 und 1903, Kaliber 7,65 mm, ausgerüstet,
zunächst nur mit dem ovigalen Geschoss, später mit Spitzgeschoss, das
jetzt ausschliesslich auch bei uns verwendet wird. Sein Kaliber ist
7,56 mm, Geschossgewicht 10 g. Unser Geschoss hat ein etwas grösseres
Kaliber (7,9), aber das gleiche Gewicht, so dass das türkische Geschoss
eine schwerere Füllung haben muss. Der grösste Unterschied liegt in
der Kaliberdifferenz. Durch Schiessversuche wurde die Abweichung des
S-Geschosses, das Pendeln festgestellt, ferner die Deformierung: Der
Bleikern wird, wie Küttner es ausdrückte, „wie ein Brei aus einer Tube
ausgequetscht“.
Die Schussverletzungen, die Vortr. gesehen, entstanden meist durch
Schüsse aus grösseren Entfernungen. Nahschüsse waren selten, bei den
bei Jaraboli und Kirkilissi Verwundeten häufiger.
Die Wirkung der Spitzgeschosse auf die Körpergewebe ist folgende:
Der Hauteinschuss ist meist kalibermässig, öfter schlitzförmig, mit¬
unter sehr klein, so dass nach Abfall des Schorfes nur eine kleine Nt*rbe
sichtbar bleibt. Der Ausschuss ist wechselnd, oft sehr klein, mitunter
jedoch bis zur Grösse eines Fünfzigpfennigstücks. Da, wo die Haut
grössere Spannung hat, z. B. an der vorderen Tibiakante, sind grosse
Einschussöffnungen beobachtet, 3,2:2 cm. Oft waren Einschuss und
Ausschuss gleich gross, so dass sie, bei Weichteilschüssen des Unter¬
schenkels, nicht voneinander unterschieden werden konnten. Die Ent¬
fernung, aus der der Schuss abgegeben, konnte von den Verwundeten
selbst oft nicht angegeben werden, ihre Angaben waren schwankend.
Dann war das Grössenverhältnis zwischen den beiden Schusslöchern aus¬
schlaggebend. Die Länge des Schusskanals war oft enorm. In einem
Fall war der Einschuss in der Fusssohle, der Ausschuss über dem
Trochanter. Bei ähnlichen langen Schusskanälen blieben oft Gefässe und
Nerven trotz grösster Nähe unverletzt.
Gefässverletzungen sind sonst jedoch häufig gerade bei dem S-Geschoss.
Das Gefäss, direkt getroffen, weicht dem Spitzgeschoss nicht aus. So
kommt es entweder zu abundanten Blutungen so schwerer Art, dass der
Verwundete meist zu spät zum Arzt der 1. Linie zum Verbaud kommt.
Oder es bilden sich Hämatome. Gefässschüsse werden sicher in Zukunft
grössere Bedeutung erlangen.
Von Verletzungen peripherer Nerven wurden beobachtet: Verletzung
des Armplexus ohne Gefässverletzung. Verletzung des N. ischiadicus.
Peroneuslähmung, clonische Krämpfe der Zehenbeuger. Die Heilung
erfolgte durch Freilegung. Es bestand also Lähmung und Reizung.
Die Erfahrung, dass Verletzung des Ischiadicusstammes nur Lähmung
im Peroneusgebiete zur Folge hat, bestätigte sich auch jetzt. Bei dem
oben erwähnten langen Beinschuss war die Kugel teilweise längs des
Nervenstammes geglitten und hatte Lähmung im Gefolge.
Eine isolierte Lähmung des Halssympathicus wurde beobachtet.
An Knochen wurden Schussbrüche mit ausgedehnter Splitterung be¬
obachtet, so an Tibia, Femur, Humerus. Die Splitter hatten eine Länge
bis 10 und 12 cm. Unterschenkelschussfrakturen waren dabei über¬
wiegend, was vielleicht auf die Schusstechnik der Türken zurückzuführen
ist. Bei Diaphysenschüssen des Oberschenkels wurden handtellergrosse
Ausschussöffnuugen beobachtet. Bei den Epipbysenschüssen zeigten sich
Lochschüsse mit kalibermässigem Ein- und Ausschuss. Vortr. bemerkt,
dass ihm kein Röntgenapparat zur Verfügung stand, dass er eine genaue
Einsicht in die Art der Verletzung erst durch die notwendigen Ope¬
rationen erhielt.
Ein Schuss durch die rechte Darmbeinschaufel batte das Coecum
verletzt; es führte zu Kotphlegmone, die inzidiert wurde.
Die Gelenkschüsse führten in kurzer Zeit zur Heilung. Beim Hüft¬
gelenk sah er Steckschüsse.
Am Schädel fanden sich Tangential- und Rindenschüsse. Die trans¬
versalen Durchschüsse hatten kalibermässigen Ein- und Ausschuss. Beim
Einschuss war das Schussloch der Tabula externa grösser als das der
Tabula interna, beim Ausschuss umgekehrt. Ein- und Ausschuss waren
oft durch Fissur verbunden, selten fand sich eine konzentrische Ring¬
fraktur. Die Hirnschüsse kamen meist in einem späten Stadium, bei
Abscessbildung, zur Operation. Die Resultate waren darum meist schlecht.
Von Verletzungen der Wirbelsäule fand sich eine der Halswirbel¬
säule. Herzschüsse bat Vortr. nicht gesehen, da sie wohl schon früh¬
zeitig zum Exitus geführt hatten. Lungenschüsse sind meist glatt ge¬
heilt. Die Zahl der Behandelten, auch in anderen Spitälern, ist gering.
Bauchschüsse kamen wenig in Behandlung. Die meisten batten wohl
vorher zu tödlicher Peritonitis geführt. Im ganzen sind drei beobachtet
worden, der eine, bei dem das Coecum gleichzeitig mit der Darmbein¬
schaufel verletzt war; ein anderer führte zu einem periproktitischen Absess.
Zusammenfassend sagt Vortr., dass in Zukunft Zunahme der Ge¬
fäss- und Nervenverletzungen zu erwarten steht, was durch Zunahme
der lebendigen Kraft des Geschosses zu erklären ist. Bei Knochen¬
schüssen ist die Splitterungszone von gleicher Ausbreitung wie bei den
früheren Geschossen. Er konnte sich davon durch zahlreiche später in
Sofia gesehene Röntgenbilder überzeugen, wo er auch Querschläger
und Mantelreisser sah. Aus der Neigung zum Pendeln ist die grosse
Zahl schwererer Verletzungen zu erklären. Im allgemeinen jedoch ist
das Geschoss als ein humanes zu betrachten. Eine weitere Kaliber¬
verringerung ist nicht zu befürworten.
2. Hr. Mühsam:
Chirurgische Erfahrung«! im Roten Kreuz-Lazarett zu Belgrad.
(Mit Lichtbildern.)
Die nach Serbien gesandte Abordnung des deutschen Roten Kreuzes
bestand aus den Kollegen Schliep, Willim und Vortr., sechs
Schwestern vom Vaterländischen Frauenverein in Cassel und vier
Pflegern. Sie verliess Berlin am 2. November und traf am 4. mittags
in Belgrad ein. Der Ort ihrer Tätigkeit war ein Flügel in der Arbeiter¬
kaserne der eine halbe Stunde von Belgrad gelegenen Zuckerfabrik,
eines deutschen Unternehmens. Das Lazarett hatte 200 Betten in
8 Sälen, war mit Centralheizung und elektrischem Licht versehen. Die
Operationseinrichtungen lagen im ersten Stockwerk. Die ganze Ope¬
rationseinrichtung hatte die Expedition mitgebracht.
Der erste Transport traf am 6. November ein, bestehend aus
191 Türken, Arnauten, Bulgaren, Tscherkessen, Armeniern und Arabern,
die bei Kumanowo am 24. und 25. Oktober verwundet waren und so
lange in Uesküb gelegen hatten. Drei türkische Sanitätsoffiziere be¬
gleiteten den Transport. Bei der Aufnahme wurden die leichter Ver¬
wundeten gebadet, die apderen wenigstens geseift. Höchste Reinlichkeit
war bei der oft unglaublichen Verschmutzung geboten. Zur Aufnahme
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404
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
der Anamnese diente ein vom Vortr. selbst ausgearbeitetes Schema,
welches auf die Rückseite der Temperaturkurven hektograpbiert war.
Es folgten noch zweimal Transporte serbischer Soldaten von je 80
bzw. 55 Mann. Dazu kamen noch 2 Augenkranke und 5 Arbeiter der
Zuckerfabrik, so dass die Gesamtzahl der Patienten 333 betrug.
Von den beobachteten 296 Schussverletzungen sind 230 Gewehr¬
schüsse, 57 Shrapnell- oder Granatschüsse und 11 Maschinengewehr¬
schüsse gewesen, nur ein einziger Bajonettstich. Doppelte Schüsse mit
demselben Geschoss hatten 16, mehrfache mit verschiedenen Geschossen 14.
Das zur Verwendung gekommene Geschoss ist das kleinkalibrige
Ganzmantelgeschoss meist mit ovigaler Spitze. Auf türkischer Seite
wurde an verschiedenen Stellen das Spitzgeschoss, meist bei der
Kavallerie, verwendet.
Es ist erstaunlich, dass Schüsse, die nach der ganzen Richtung des
Wundkanals lebenswichtige Organe getroffen haben müssen, vielfach
nicht zum sofortigen Tode geführt haben. Besonders interessant ist die
Verletzung eines Mannes, welcher im Kriechen in die linke Oberlippe
getroffen wurde. Der Schuss war unterhalb des rechten Schulterblattes
wieder herausgegangen, hatte also den Hals mit allen seinen Organen
gekreuzt. Der Patient, der einige Tage vorher in Uesküb im Lazarett
gelegen hatte, verliess das Belgrader Lazarett nach 7 Tagen völlig
geheilt. Ein Unterschied zwischen der Wirkung des Spitzgeschosses und
der der ovigalen Geschosse konnte nicht festgestellt werden, obwohl be¬
kannt war, dass das Spitzgeschoss mehr zum Pendeln neigt.
Ganz anders sehen die Shrapnell- und Granatverletzungen aus.
Hier sieht man mehr oder weniger gequetschte Wunden mit zerrissenen
Rändern. Besonders schwer sahen diese Verletzungen aus, wenn sie mit
Knochenläsionen einhergingen. Hier war langwierige Eiterung die ge¬
wöhnliche Folge. Bei Shrapnellverletzungen war der Ausschuss gewöhn¬
lich grösser als der Einschuss.
Da kein Röntgenapparat zur Verfügung stand, konnten bei Steck¬
schüssen (im ganzen 30) der Sitz des Geschosses in vielen Fällen nicht
festgestellt werden. Aber bei Entfernung wurde beobachtet, dass sie
in entgegengesetzter Richtung gedreht im Körper liegen können. Dies
wurde durch Röntgenbilder, die im Belgrader Aerzteverein wiederholt
vorgezeigt wurden, bestätigt.
Wenn als infiziert diejenigen Wunden aufzufassen sind, die deutlich
eitern oder phlegmonöse Entzündung der Umgegend hatten, so würden
von 296 Schussverletzten 236 als nicht infiziert zu gelten haben, 60 Fälle
als infiziert, das sind 20 pCt. Die Prozentzahl der Infektionen war bei
den verschiedenen Transporten verschieden und hing offenbar mit der
Zeit seit der Verwundung, mit der Versorgung und mit den Transport¬
mitteln zusammen. So waren beim zweiten Serbentransport 50 pCt.
infiziert. Bei manchen lagen die Verbände 8—10 Tage, einige trugen
noch die ersten Verbände vom Regiments- oder Divisionsverbandplatz;
unter den Verbänden sass Eiter und Ungeziefer. Sehr zweckmässig waren
im allgemeinen bei den Serben die Utermohleu’scben Verbandpäckchen,
die sich gut bewährten. Fixierende Verbände (selbst bei Frakturen und
Gelenkschüssen) waren jedoch nicht angelegt worden. Der Grundsatz,
Schusswunden nicht zu tamponieren, war im allgemeinen befolgt.
Die Kugeln waren in einzelnen Fällen schon entfernt. Einige der
Schusswunden eiterten. Vortr. hält die Entfernung erst dort für an¬
gezeigt, wo der Patient seine definitive Heilung abwarten soll. Aber
auch hier soll die Kugelextraktion nur unter bestimmten Indikationen
vorgenommen werden (Schmerzen, Funktionsstörungen, Eiterung).
Nur zwei Erysipeln und eine Pyocyaneusinfektion kamen ins
Lazarett, die geheilt wurden.
Als Verbandmaterial kam nur sterile Gaze, kein Jodoform, keine
Antiseptica in Betracht, Jodoform nur bei einer Osteomyelitis, bei Eite¬
rungen Perubalsara. Sonst wurde eine peinliche Asepsis (Gummihand¬
schuhe) beobachtet. Die aseptischen Operationen heilten primär. Das
Mastisol wurde nur als Klebestoff und zu Zugverbänden, nicht als Des¬
infektionsmittel benutzt.
Als Unterbindungsmaterial diente gebrauchsfertiges Catgut, Marke
Wiemer.
Vortr. geht zu Verletzungen der einzelnen Körperregionen über:
Kopfschüsse kamen 20 zur Beobachtung. Bei 2 Verwundeten
(Kugelstreifschüsse am Scheitelbein in 2—300 ra Entfernung) traten bei
dem einen Commotio cerebri, bei dem anderen Amaurose des rechten
Auges auf. Die Erscheinungen gingen zurück. Io einem Fall war der
Einschuss über der Augenbraue, Ausschuss am inneren Winkel des
anderen Auges, ohne dass das Auge verletzt war. In einem anderen
Falle führte der Schuss von oberhalb der Augenbraue bis oberhalb des
Ohres derselben Seite. Hier war nur conjunctivaler Bluterguss entstanden.
Ein Shrapnellschuss hatte die Oberkieferhöhle freigelegt. Es war
Erysipel dazugetreten. Der Kranke heilte.
In einem Fall war die Kugel von oben nach unten durch das Gehirn
gegangen, in der Gegend der Subclavia ausgetreten. Es bestanden keine
cerebralen Erscheinungen.
Durch Tangentialschuss, Absplitterung der Tabula interna, war
totale Lähmung der linken Hand und des linken Vorderarmes aufgetreten.
Bei der Trepanation nach vier Wochen zeigte sich, dass acht Knochen¬
splitter tief ins Gehirn eingedrungen waren. Nach der reaktionslosen
Wundheilung traten Lähmungen des linken Beines und des linken Facialis
auf, die bald wieder zurückgingen, die des Armes blieb bestehen.
Rückenmark- und Nervenverletzungen: In einem Falle war
der Einschuss rechts neben dem Kehlkopf, Ausschuss rechts neben der
Wirbelsäule, Höhe des 3. Brustwirbels. Es bestand Lähmung des
rechten Beins (Hämotomyelie resp. Kontusion des Rückenmarks).
Patellarreflex fehlte. Bei der Entlassung war er leicht gesteigert, der
Gang bis auf ein geringes Nachschleifen sehr gut.
In einem zweiten Fall: Einschuss über der linken Clavicula, Aus¬
schuss an der rechten Spina scapulae, das Schulterblatt war durch¬
schossen. Parese beider Beine, Reflexe gesteigert, spastischer Gang. Bei
der Entlassung: Reflexe beiderseits gesteigert, Fuss- und Kniescheiben¬
clonus, beiderseits Babinski, Gang leicht spastisch.
Dreimal wurde Kontusion des Plexus cervicalis bei Halsschüssen
gesehen. Es bestanden ausstrahlende Schmerzen, in zwei Fällen auch
ausgesprochene Schwäche des Arms und der Hand.
Durch Schultcrschüsse waren zweimal Nervenlähmungen hervor¬
gerufen, in einem Falle vollständige Lähmung aller drei Armnerven, nur
Adduktion de9 Daumens war möglich. Die Nerven der Achselhöhle
wurden später freigelegt, eine Verletzung nicht .gefunden; sie waren fest
im Narbengewebe eingebettet. 14 Tage später konnte Patient seinen
Arm heben.
In einem Falle von Radialislähmung trat Heilung von selbst ein
(Oberarmschuss in der Mitte der Aussenseite des Oberarms). In einem
zweiten Falle war der Nerv quer durchschossen. 6 Wochen nach der
Verletzung wurden die Enden vernäht, 4 Wochen danach zeigten sich
die Antäuge wiederkehrender Funktion.
Peroneuslähmungen wurden zwei beobachtet. Sie heilten spontan
(Kontusion).
Man kann also bei peripheren Lähmungen mit der Nervennaht
warten, ohne die Heilungschance zu verschlechtern, ein Standpunkt, wie
ihn auch Oppenheim vertritt.
Die Gefässverletzungen, besonders die Aneurysmen, sind von
besonderem Interesse. Von fünf Aneurysmen kamen zwei zur Operation,
die anderen drei gingen unter Kompression zurück. Bei den beiden
anderen (an Tibialis postica und brachialis) wurde die Gefässnaht ver¬
sucht, wegen Brüchigkeit der Wandungen aufgegeben und doppelt unter¬
bunden. Man kommt bei kleineren Gefässen, nach Herstellung des Col-
lateralkreislaufes, mit Unterbindung aus. Bei grösseren ist dieNaht indiziert.
Von 45 Brustschüssen waren 13 nur Konturschüsse, die übrigen
sind mit Verletzung der Lunge einhergegangen. In einem Falle (Ein¬
schuss Processus xiphoideus) war Brust- und Bauchhöhle getroffen;
geringer Hämatothorax. Bei einer queren Durchschiessung war die
Ulna gleichzeitig kompliziert gebrochen. Hämatothorax wurde fünfmal,
einmal doppelseitig beobachtet. In einem Falle (Steckschuss) aus¬
gedehnter Hämatothorax mit nachfolgendem Collaps. Nach Punktion
erfolgte Heilung. Empyeme wurden nicht beobachtet.
Bauch- bzw. Bauchbeokenscbüsse: im ganzen 18, davon 10 im
unteren Bauchraum. In einem Falle (Einschuss median vom Tuber
ischii, Ausschuss im linken Drittel des Lig. Pouparti) entleerte sich ein
perivesiculärer Abscess nach 4 Wochen in die Blase. Heilung durch
Dauerkatheter.
Peritonitis machte nur in einem Falle Operation nötig: Steckschuss
der rechten Nierengegend. 17 Tage nach der Verletzung Eröffnung eines
Gasabscesses, der bis zum Lig. Pouparti reichte und mit Colon
ascendens kommunizierte. Tod nach 5 Tagen durch Erschöpfung. In
einem ähnlichen zweiten Falle wurde ein perirenaler Abscess eröffnet.
Es trat Heilung ein.
Frakturen wurden 38 beobachtet, davon 14 der langen Röhren¬
knochen. In einer Anzahl kam es wegen Osteomyelitis zur Operation.
Es zeigt sich, dass die Schussverletzungen des Krieges vor allem
konservativ zu behandeln 9ind. Knochenaufmeisselungen bei Osteo¬
myelitis dürfen nicht zu früh gemacht werden, um nicht die Eiterung
wieder akut zu macbeD.
Im ganzen sind nur 55 Operationen bei 50 Patienten ausgeführt
worden, also keine grosse Zahl. Besonders gering ist die Zahl der bei
Brust- und Bauchschüssen Operierten (1 Rippenresektion, 1 Nierenabscess,
1 Peritonitis mit Kotabscess).
Es waren nur zwei Amputationen notwendig, eine wegen Granat¬
verletzung der Hand, fortschreitender Eiterung, Sepsis. Eine wegen
Kniegelenkvereiterung.
Todesfälle sind zwei zu verzeichnen: einer betraf einen Phthisiker,
einer die Peritonitis.
Zum Schluss betont Vortr. nochmals die Notwendigkeit der konser¬
vativen Behandlung, wie sie schon der russisch-japanische Krieg lehrte.
(Demonstration von Lichtbildern des Belgrader Lazaretts.)
Hr. Schliep: Ueber Gelenkscbüsse.
Die primäre Wund Versorgung entscheidet das Schicksal der Ver¬
wundeten: Auch bei anscheinend primär verheilten Wunden sieht
man unter dem Schorf Eiterung. Demnach ist jede Wunde als in¬
fiziert zu betrachten. Die Heilung beruht in der Schutzkraft des
Körpers, unterstützt durch Ruhigstellung des betroffenen Teiles.
Die Stauungsbyperämie kommt als Bundesgenosse hinzu. Bei be¬
ginnender Gelenkentzündung ist prophylaktische Stauung von grossem
Werte. Ihre schmerzhindernde Wirkung bei infektionsverdächtigen oder
infizierten Gelenken ist augenscheinlich.
Nur lOpCt. der Gelenkschüsse waren infiziert.
49 Schüsse der grossen Gelenke wurden beobachtet (kleine Gelenke und
periarticuläre Schüsse nicht eingerechnet). Davon: 16 Schulter-, 13 Ellen¬
bogen-, 9 Knie-, 6 Fuss-, 5 Handgelenkschüsse; kein Hüftgelenkschuss.
Schulter- und Ellenbogenschüsse heilten mit guter Funktion, gleich¬
gültig, ob sagittal oder quer durchschossen.
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10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
465
Rniesohüsse: Davon bemerkenswert: Bei einem Türken (bei
Eumaaowo verletzt, 150 m Entfernung) Peroneuslähmung. Fixation,
Heilung. Bei einem Serben Synoriefluss. Heilung durch Fixation. Bei
einem Türken (Kumanowo): Verletzung des Condylus ext. femoris. Das
Geschoss lag auf der Arteria poplitea, das Gelenk war selbst nicht ge¬
troffen, die Kugel eingeheilt
Bei einem Türken war das linke Knie durchschossen. Aneurysma
der Arteria tib. post. Doppelte Unterbindung. Nach vier Wochen
Fieber (40°). Punktion ergibt Eiter im Gelenk. Arthrotomie. Drainage.
Spaltung von Senkungsabscessen. Temperatur bleibt hoch. Ober¬
schenkelamputation notwendig. Die Infektion ist als Spätinfektion auf¬
zufassen, nicht von der Operationswunde der Aneurysma, denn diese
heilte primär, sondern sekundär vom Gelenkschuss. (Es wurden nur
zwei. Amputationen nötig, die andere wegen Sehnenscheidenplegmone des
Unterarms.)
Bei einem Serben: Schuss aus 200 m Entfernung. Einschuss am
Condylus externus tibiae. Ausschuss: Innenseite des Unterschenkels.
Infektion. Aufmeisselung der Tibia wegen Osteomyelitis des Tibiakopfes.
Infektion des Kniegelenks. Arthrotomie. Gefensterter Gipsverband. Heilung.
Von Hand- und Fussgelenkschüssen waren je einer infiziert.
Ein Querschuss ging durch die Gelenke sämtlicher Zehen. Es kam
zur Infektion. Heilung.
Die Erfolge sind vorzüglich, wenn man bedenkt, dass früher kein
Gelenkschuss ohne Amputation heilte, ferner, dass die Verwundeten sehr
spät ins Lazarett kamen. So mussten die Serben 36 Stunden bei
Monastir im Wasser stehen, mussten dann tagelang auf Ochsenkarren
zur Bahn gefahren werden.
Diskussion.
Hr. v. Oettingen: Auch er hat Serben behandelt, die bei Monastir
kämpften. Bei einigen waren durch den tagelangen Aufenthalt im
Wasser Erfrierungen zustande gekommen. Nach den reichen Erfahrungen
in der Mandschurei war kaum anzunehmen, dass dieser Krieg viel Neues
bringen würde. Dort beherbergten einzelne Lazarette oft 4000 Ver¬
wundete.
ln der Mandschurei hatte er nur mit russischen Aerzten zu tun,
hier aber mit 14 Nationen. Dürfte er sich eine Kritik erlauben, so
waren die Leistungen der Deutschen und Russen am erfreulichsten. Er
konnte in 6 russischen Lazaretten seine Beobachtungen machen. Die
bitteren Lehren des russisch-japanischen Krieges haben bei den Russen
gute Früchte gezeitigt.
Von Verletzungen hebt er im einzelnen hervor: Unterkiefer¬
zertrümmerungen, eine so schwerer Art, dass der grösste Teil des Kiefers
wie ein blutiger Sack herabhing. Mit Hilfe von Gipsabgüssen usw. wurde
unter grosser Mühe ein leidliches Resultat erzielt.
Die Statistik der einzelnen Etappen (z. B. bei Bauchschüssen) ist
mit Vorsicht zu verwerten. Notwendig ist nach dem Kriege die Zu¬
sammenstellung aller Schussverletzungen.
Die geringe Zahl der Bajonettverletzungen ist auf die grosse Angst
der Türken vor dieser Waffe zurückzuführen.
Die Aneurysmen soll man doch möglichst bald operieren. In einem
Falle, wo er abwartete, erlebte er eine bedrohliche Nachblutung.
Wenigstens bei der oberen Körperhälfte ist sofort zu operieren, bei
der unteren kann abgewartet werden, weil hier Lage und Blutdruck
andere sind.
Der erste Verband muss fest anliegen, um eine Infektion zu ver¬
hüten. Daher ist ein Klebe verband zu empfehlen.
Zusammenfassend ist zu sagen: In der modernen Kriegschirurgie ist
bei Schussverletzungen zu beachten: möglichst konservative Behandlung,
dann eine dreifache Fixation 1. der Bakterien, 2. der verletzten Glieder,
3. der Kranken ans Lager.
Hr. Göpel berichtet gleichfalls aus Belgrad. Er beobachtete:
142 Scharfschüsse, 8 Granatschüsse. Ein abschliessendes Urteil über
das S-Geschoss ist noch nicht zu geben, eine Abweichung von der Wir¬
kung der ovigalen ist nicht zu konstatieren.
Die Angaben der Verwundeten über die Entfernungen der Schüsse
schwanken. Meist waren sie 500—1500 m.
Von mehrfachen Schusswunden sah er 7 Fälle.
Die Shrapnellwirkung zeigt sich in grosser Ein-, noch grösserer
Ausschussöffnung, ferner in der Häufigkeit der Infektion; keine einzige
Verletzung heilte primär.
Die primäre Infektion ist nicht zu fürchten, wohl aber die sekun¬
däre durch Gewebefetzen. Von 252 Schüssen heilten 31 pCt. primär,
15 pCt. infiziert; von diesen die meisten durch Shrapnellschüsse.
54 pCt. zeigten leichte Infektion. Von 21 Kopfschüssen betrafen vier das
Schädelinnere, zwei Tangentialschüsse, einer drang in die Orbita, zer¬
störte den Bulbus, kam am linken Ohr heraus.
Vier Kieferbrüche wurden beobachtet, drei in der Mitte. Beim
vierten drang die Kugel in den offenen Mund, machte Fraktur im An-
gulus mandibulae. Abscess im Juguium. Inzision: Entfernung von
Gescbossstücken und eines Backenzahnes, die sich gesenkt hatten.
33 Thoraxverletzungen, sieben der Lungen. Bei Bauohschüssen sah
er sechs Verletzungen des Bauchfells, fünf Steckschüsse, einen Einschuss
in der Coecalgegend, Ausschuss hinten rechts der Wirbelsäule. Konser¬
vative Behandlung, Heilung. Ein Leberschuss: Exitus nach 14 Tagen
durch Unterlappenpneumonie. 165 Extremitätenschüsse. Zehn Schuss¬
frakturen waren durch Fremdkörper, Uniformstüoke usw., infiziert. Von
Gelenkachüssen betrafen zwei das Knie-, einer das Ellenbogengelenk.
Ein Missstand, bei erster Behandlung der Frakturen waren die
Stärke verbände, die sämtlich nicht gehalten hatten. Gipsverbände be¬
währten sich am besten (gefensterte).
Die Verkürzungen nach Frakturen betrugen höchstens 2—2 */ 2 cm,
einmal 6 cm bei veraltetem Falle.
Mastisol hat sich bei Streckverbänden bewährt.
Isolierte Gefässverletzungen sind nicht vorgekommen. Paresen
gingen spontan zurück. Holler.
Breslauer chirurgische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Januar 1913 im Wenzel-Hancke-Krankenhause.
Vorsitzender: Herr Küttner.
Schriftführer: Herr Gottstein.
Tagesordnung.
I. Hr. Heintze: a) Zar Pseadartbrosenbehandlaiig.
M. H.! Ich will nicht auf die verschiedenen Behandlungsmethoden
der Pseudarthrose und ihre Resultate eingehen. Ich möchte mir heute
nur erlauben, auf die Hilfe und Unterstützung hinzuweisen, welche diese
Behandlung durch die von Codivilla empfohlene freie Ueberpflanzung von
Periost bzw. Periostknochenschalen erfahren hat. Diese freie Ueber-
pfianzung bat dabei den Vorzug, dass sie einen sehr geringfügigen Ein¬
griff darstellt, dass das Material aus der breiten Tibiafiäche sehr leicht
in beliebiger Menge zu haben ist, und dass sie an der Entnahmestelle
nicht die geringste Störung hinterlässt.
Stehen die Frakturenden in guter oder wenigstens leidlicher Stellung
zueinander, handelt es sich nur um eine starke Verzögerung der Callus-
bildung infolge Interposition von Weichteilen oder mangelhafte Fähigkeit
der verletzten Knochen, festen Callus zu bilden, dann genügt unter Um¬
ständen schon das Aufnähen eines Periostknochenschalenlappens auf die
äusserlich angefrischte Bruchstelle, um eine feste Konsolidation zu er¬
reichen. Handelt es sich um starke Verschiebung der Bruchstücke oder
um ein ausgesprochenes falsches Gelenk mit Abschleifung der Bruch¬
enden und lockere bindegewebige Verbindung derselben, dann ist aller¬
dings immer eine Resektion der Bruchenden und Vereinigung durch eine
der verschiedenen Befestigungsmethoden erforderlich. Durch das gleich¬
zeitige Aufnähen eines Periostknochenschalenlappens wird dabei aber
auch das Eintreten der Konsolidation sehr wesentlich gefördert und zeit¬
lich erheblich abgekürzt. Nach Pieri sollen diese Periostknochenschalen
aus dem Schienbein selbst bei einer Diastase der angefrischten Fragmente
bis zu 3 cm imstande sein, die Konsolidation herbeizuführen. Ich möchte
mir jetzt erlauben, einige Patienten vorzustellen, bei welchen in letzter
Zeit diese freie Periostüberpflanzung ausgeführt wurde.
1. Karl M., 34 Jahre alt, aus Nicolai, war am 20. Juni 1912 in ein
Schwungrad geraten und hatte sich dabei einen komplizierten Bruch des
rechten Oberarmes zugezogen. Bei der Aufnahme in der Heilanstalt für
Unfallverletzte am 19. Juli 1912 war die Wunde vernarbt, die Fraktur
jedoch noch nicht konsolidiert. Die Behandlung erfolgte zunächst mit
verschiedenen fixierenden Verbänden, später wurden Blutinjektionen ge¬
macht, trotz sehr guter Stellung der Bruchstücke blieb eine feste Kon¬
solidation aus. Am 17. Oktober 1912 wurde deshalb die Bruchstelle
freigelegt, äusserlich angefrischt und ein 3 cm langer und 2 cm breiter
Periostlappen mit dünner Knochenschale, nachdem diese eingeknickt
worden war, halbkreisförmig über die Bruchlinie aufgenäht. Bei Ab¬
nahme des Verbandes nach 4 Wochen war die Fraktur fest. Durch
etwas zu energische passive Bewegungen im Ellenbogengelenk erfolgte
nochmals geringe Lockerung. Diese war jedoch sehr bald unter einem
Gipsschienenverband wieder behoben.
2. Herrmann L., 29 Jahre alt, Kutscher, war am 22. Juni 1912 von
einem beladenen Wagen überfahren worden und hatte einen komplizierten
Bruch des rechten Unterschenkels davon getragen.
Bei der Aufnahme in die Heilanstalt am 15. Oktober 1912 bestand
noch abnorme Beweglichkeit in seitlicher Richtung, sowie von vorn nach
hinten. Die Spitze des einen Fragmentes war ausserdem scharfkantig
gegen die Haut gerichtet und auf Berührung sehr schmerzhaft. Im
übrigen waren die Bruchstücke nicht gegeneinander verschoben. Wegen
eines kleinen Furunkels musste die Operation zunächst unterbleiben.
Diese wurde dann am 29. Oktober 1912 ausgeführt. Die Bruchstelle
wurde durch einen Bogenschnitt freigelegt, der Hautlappen zurück-
geschlagen, die vorspringende Knochenspitze abgemeisselt, die Fraktur¬
stelle äusserlich angefrischt und ein freier Periostknochenlappen aus dem
oberen Abschnitt der Tibia auf der Frakturstelle durch Naht fixiert.
Beim Verbandwechsel am 22. November war die Fraktur konsolidiert;
vom 24. November ab konnte L. mit abnehmbarer Gipshülse Gehversuche
machen und vom 13. Dezember 1912 ab trat er ohne jede Bandage in
die medico-mechanische Nachbehandlung.
Bei dem dritten Patienten, Ernst Sch., 28 Jahre alt, handelt es sich
um eine Patellarfraktur, welche er sich am 9. Mai 1912 durch Hinfallen
beim Tragen eines 2 Zentner schweren Balkens zugezogen hatte. Bei
der Aufnahme in die Heilanstalt am 8. Oktober 1912 bestand eine Dia¬
stase der Bruchstücke der in der Mitte quer frakturierten Kniescheibe
um 5—6 cm. Pat. vermochte das Bein im Knie nicht aktiv völlig zu
strecken, der Unterschenkel hing beim Ausstrecken des in der Hüfte er¬
hobenen Beines um 25° herab. Pat. klagte über grosse Unsicherheit
beim Gehen infolge Einknickens im Knie.
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466
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Operation, anfangs verweigert, wurde am 9. November 1912 aus¬
geführt. Auch durch Abmeisseln der Tuberositas tibiae gelang es nicht,
die nur ganz wenig angefriscbten Bruchstücke aneinander zu bringen.
Sie wurden durch Silberdrahtnaht so weit wie möglich einander ge¬
nähert, der zwischen denselben gelegene überschüssige Teil des Syno¬
vialsackes reseziert, die Synovialsackwunde durch Naht geschlossen und
dann aus der Tibiafläche ein Periostknochenscbalenlappen in den noch
vorhandenen Spalt gelegt und an den Bruchstücken der Patella durch
Naht fixiert. Bier ist noch keine feste knöcherne Vereinigung erfolgt,
man sieht noch eine kleinfingerbreite flache Delle, die Bruchstücke sind
noch gegeneinander verschieblich, Pat. vermag aber jetzt das Knie
völlig und mit Kraft zu strecken. Beugung ist allerdings noch wenig
möglich, da Pat. bisher noch dauernd eine abnehmbare Gipshülse trägt
und auch beim Massieren stärkere passive Bewegungen noch gescheut
wurden.
Das Röntgenbild zeigt zwischen den Vf 9 cm auseinander stehenden
Bruchstücken deutlich Schatten von Callusbildung. Der eine der beiden
versenkten Silberdrähte ist in der Schlinge aufgegangen, er ist unter der
Haut zu fühlen und soll in den nächsten Tagen extrahiert werden.
Der vierte Patient, Leo S., 20 Jahre alt, hatte sich am 24. November
1912 durch Sturz beim Fussballspiel einen queren Bruch beider Knochen
des linken Unterarmes zugezogen. Trotz scheinbar guter Stellung der
Bruchstücke verzögerte sich die Konsolidation. Wie eine seitliche
Röntgenaufnahme zeigte, bestand an beiden Unterarmknochen eine Ver¬
schiebung der Bruchstücke ad longitudinem. Am 30. Dezember 1912
wurde deshalb die Bruchstelle an der Speiche freigelegt, die Bruchstücke
in richtige Lage zueinander gebracht, durch eine Silberdrahtnaht fixiert
und darüber ein Periostknochenschalenlappen aus der Tibia aufgenäht.
Bei dem gestern, 13 Tage nach der Operation vorgenommenen
Verbandwechsel zeigte die Fraktur nur noch ganz geringes Federn und
das Röntgenbild sehr gute Stellung der Bruchstücke und über der
Bruchlinie den dichten Schatten der aufgepflanzten Knochenschalen.
Die letzte Patientin, Frau Marie F., 43 Jahre alt, ist erst vor acht
Tagen operiert worden. Hier handelte es sich um eine Pseudarthrose
im rechten Oberschenkel. Die Frakturenden wurden reseziert, durch eine
Metallschiene mit Stiften gegeneinander fixiert und eine Periostknochen¬
schale aus der Tibia neben der Schiene über die Bruchstelle aufgenäht.
Welchen Erfolg hier die Operation haben wird, kann ich noch nicht
sagen. Der Wundverlauf ist jedenfalls normal und lässt zunächst auch
eine glatte Einheilung der transplantierten Periostknochenschale an¬
nehmen.
Bei den vier vorgestellten Patienten war das Resultat ein recht
gutes, und die Röntgenaufnahmen zeigen deutlich, dass von den über¬
pflanzten Periostknochenschalen eine stärkere Callusbildung angeregt
wird.
b) Beckenfrakturen mit gleichzeitiger Verletzung der Harnröhre and
der Harnblase.
1. Ein 29jähriger StrassenbahnSchaffner, Karl L., war am 13. März
1912 beim Einfahren in das Depot zwischen Anhängewagen und Pfeiler
der Einfahrt eingequetscht worden. Er wurde sofort mittelst Kranken¬
bahre nach dem Wenzel Hancke-Krankenhause gebracht; er zeigte
Cyanose des Gesichts, beschleunigte, stossweise, sehr oberflächliche
Atmung, Hustenreiz mit blutigem Auswurf, sehr beschleunigten Puls.
Die Untersuchung ergab einen Bruch des rechten Schlüsselbeins, Bruch
der 6. und 7. rechten Rippe, schwere Beckenfraktur, Blutung aus der
Harnröhre, grosse Druckempfindlichkeit in der Leber- und rechten
Nierengegend. Der Katheter fand im hinteren Abschnitt der Harnröhre
einen leichten Widerstand, welcher sich durch geringen Druck über¬
winden liess; darauf entleerten sich etwa 100 ccm dunkelschwarzrotes,
dickes Blut, kein Urin. Es handelte sich somit zweifellos um eine Ver¬
letzung der Harnröhre. Da der Zustand trotz aller Excitantien sich
siohtlich verschlechterte, musste noch eine weitere innere Verletzung an¬
genommen werden. Es wurde deshalb zunächst durch einen kleinen
Schnitt in der Mittellinie oberhalb der Blase die Bauchhöhle eröffnet.
Es fand sich hier etwas dünnflüssiges Blut, jedoch nicht in solcher
Menge, dass nach seinem Ursprung weiter gesucht werden musste. Nach
der Druckempfindlichkeit der Lebergegend stammte es vielleicht von
einem kleinen Leberriss. Die Harnblase war nicht gefüllt, wies an der
peritonealen Seite keine Verletzung auf. Die Bauchwunde wurde ge¬
schlossen und die Hautwunde nach der Symphyse verlängert. Bei Er¬
öffnung des Cavum Retzii quollen aus der Tiefe dunkle Blutmassen, an¬
scheinend etwas mit Urin vermischt. Man fühlte die sehr scharfen
Spitzen des klaffenden Bruches am Os pubis, ein etwa walnussgrosses
Stück völlig aus dem Zusammenhang gelöst und ausserdem noch mehrere
kleinere Knochensplitter. Es gelang, einen dicken metallenen Führungs¬
katheter von der Harnröhre aus in die Blase einzuführen, beim Einspülen
von Borwasser füllte sich jedoch nicht die Blase, sondern die Spülflüssig¬
keit quoll bald nach dem Einlauf aus der Tiefe hervor. Es musste so¬
mit noch eine Verletzung der Blase vorhanden sein. Da der Zustand
des Patienten sehr elend war, konnte danach nicht weiter gesucht werden.
Es wurde durch den Metallkatheter ein Nelaton in die Blase eingeführt,
welcher als Dauerkatheter liegen blieb. Die Wundhöhle wurde fest
tamponiert. Im Laufe des Nachmittags war der Verband mit Blut und
Urin durchtränkt, ausserdem waren durch den Katheter 100 ccm Urin
abgeflossen. In den folgenden Tagen blieb dann der Verband trocken,
der Urin floss gut durch den Dauerkatheter ab. Im weiteren Verlaufe
mussten mehrere nekrotische Knochenstücke entfernt werden, es entstand
später am Scrotum eine Harnröhrenfistel, und im Laufe des Sommers
wurden mehrmals unter Temperatursteigerung und heftigen Schmerzen
in der rechten Nierengegend kleine Cystinsteine entleert. Am 15. Mai
wurde Patient der Heilanstalt für Unfallverletzte zur Nachbehandlung
überwiesen, und bei der Entlassung am 7. Dezember 1912 war die Harn¬
röhrenfistel geschlossen, das Urinieren ging gut, die linke Beckenseite
war um etwa 2 cm nach oben verschoben, der Gang leidlich gut De¬
monstration der Röntgenbilder.
Der zweite Patient, Paul K., 20 Jahre alt, verunglückte am
5. August 1912, 11 Uhr vormittags. Er war im Steinbruch von einem
grossen Stein gegen den Felsen gedrückt, und während er fest ein-
gequetscht war, noch mehrmals herumgedreht worden. Er traf nach¬
mittags 4 Uhr hier in der Heilanstalt ein, sah sehr blass und verfallen
aus, Temperatur 38,3°, Puls kaum zu fühlen, und klagte über heftigen
Urindrang. Die Untersuchung ergab neben verschiedenen Wunden eine
Beckenfraktur und Blutung aus der Harnröhre. Ein Nelatonkatheter
konnte leicht in ganzer Länge eingeführt werden, entleerte reichlich
teerfarbig flüssiges Blut, keinen Urin, der Leib war schmerzhaft, sonst
weich, handbreit über der Symphyse Dämpfung. Es wurde ein Abriss
der Harnröhre angenommen. Da aber auch mit der Möglichkeit einer
Blasenverletzung zu rechnen war, so wurde unter Lokalanästhesie der
Sectio alta-Schnitt ausgeführt. Bei Eröffnung des Cavum Retzii quoll
wieder sehr reichlich teerfarbiges Blut heraus, das etwas nach Urin roch.
Es fand sich in der Tiefe ein etwa 6 cm langer extraperitoneal gelegener
Riss an der vorderen Blasenwand. Durch den metallenen Führungs-
katheter gelang es wiederum, von der Harnröhre aus einen Nelaton als
Verweilkatheter in die Blase einzuführen. Die Blasenwunde wurde bis
auf einen eingelegten Gummischlauch durch Naht geschlossen und die
Wunde tamponiert. Der Urin wurde durch den Blasen schlauch gut ab¬
geleitet, nachdem am ersten Tage noch der Verband durchtränkt war.
Nach 14 Tagen konnte der Blasenschlauch entfernt werden und nach
weiteren 8 Tagen blieb auch der Dauerkatheter fort. Pak erholte sich
auffallend rasch. Das Urinieren ging gut.
Am 9. November wurde K. mit 50pCt. Rente entlassen.
c) Schwere Verbrennung durch elektrischen Starkstrom.
Die elektrischen Unfälle haben in der neueren Zeit bei der immer
weiteren Verwendung der Elektrizität zu technischen Zwecken eine
immer grössere Bedeutung gewonnen. Führt die Ueberleitung eines
elektrischen hochgespannten Stromes auf einen Menschen nicht un¬
mittelbar durch sofortige Atmungs- und Öerzlähmung zum Tode, so
können die dadurch verursachten Erscheinungen bei Ueberlebenden sehr
mannigfaltig sein. Es würde zu weit führen und die Zeit ungebührlich
beanspruchen, wenn ich darauf hier im einzelnen eingehen oder die
mannigfachen äusseren Umstände beleuchten wollte, welche die Wirkung
des Stromes auf den Körper beeinflussen. Ich möchte mir heute nur
erlauben, Ihnen einen Patienten vorzustellen, welcher einen schweren
elektrischen Unfall erlitten und dabei ausser der Wirkung auf das
Nervensystem sehr schwere elektrische. Verbrennungen davongetragen hat.
Diese zeichnen sich bekanntlich durch besondere Tiefenwirkung sowie
dadurch aus, dass das nekrotisierte Gewebe nur sehr langsam abgestossen
wird, dass die Heilung sehr langwierig ist, und dass sehr derbe Narben
Zurückbleiben. Jellinek erklärt diese Eigenschaften der elektrischen
Verbrennungen dadurch, dass die Hautzerstörungen dabei nicht von der
Oberfläche aus wirken, sondern dass sie durch innere Calorienentwicklung
infolge der Joule’schen Wärme zustande kommen, und dass auch die
elektrolytische Wirkung der berührten Pole sich geltend macht.
Der Patient, Monteur Andreas H., 22 Jahre alt, war am 4. Juni v. J.
damit beschäftigt, an einem Mast eine Schelle zu befestigen. Nach be¬
endeter Arbeit kletterte er noch einmal hinauf, da er seinen Hamm»
auf der Mastspitze vergessen hatte. Inzwischen muss der Strom, welcher
vorher ausgeschaltet gewesen war, von unbefugter Hand eingeschaltet
worden sein. Es handelte sich um einen Drehstrom von 10 000 Volk
Als H. dabei mit dem Genick an die unterste Phase kam, stürzte er
bewusstlos herab.
Nach seinen Angaben kann er nur einen Moment mit der Leitung
in Berührung gekommen sein, und zwar auch nicht mit dem Körper
direkt, sondern nur durch den Hut, welchen er auf dem Kopfe trug,
und welcher durchgebrannt war. H. wurde bewusstlos nach dem nächsten
Krankenhause transportiert. Nach dem Bericht des behandelnden Arztes
machte er bei der Aufnahme daselbst den Eindruck eines Sterbenden.
Er war völlig bewusstlos, stöhnte laut und warf sich auf dem Lager
wie wild umher. Das Gesicht war ungewöhnlich gedunsen und gerötek
Der Zustand dauerte einige Tage, und erst allmählich kehrte in den
folgenden Tagen das Bewusstsein wieder. Am Hinterkopf waren die
Weicbteile über dem Schädel bis zur Höhe des 3. Halswirbels hinab
teils völlig geschwunden, so dass die Hinterhauptsohuppe zum Teil ge¬
schwärzt trocken freilag, zum Teil war sie in weitem Umkreis geschwärzt
und verkohlt. Die linke Hand und der linke Arm waren stark ge¬
schwollen und gerötet, die Hand geschwärzt und oberflächlich verkohlk
Am linken Fuss waren die 4. und 5. Zehe bis auf den Knoohen verbrannt
uüd tiefe Brandwunden in der Gegend des äusseren Knöchels. Am
rechten Fuss waren die Weichteile zu beiden Seiten unterhalb der
Knöchel in Fünfmarkstückgrösse und darüber bis auf die tiefliegenden
Sehnen ausgebrannt. Die linke Hand und ein Teil des Unterarmes
mussten wegen Gangrän amputiert werden. Die 4. und 5. Zehe des
linken Fusses wurden entfernt. Ausserdem zeigten sich Störungen
seitens des Nervensystems und des Blutkreislaufs, Herzklopfen, Schling-
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UNIVERSUM OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
467
beschwerden, Atmungsstörungen, Angstgefühl, Unsicherheit im Gehen
und allgemeine Unruhe.
Bei der Aufnahme in die Heilanstalt am 14. Oktober waren die
Gewebsnekrosen an den verschiedenen Brandstellen noch nicht völlig
abgeschlossen. Die Wundflächen waren torpide, die Ränder hart und
steil, und der Grund zeigte noch kaum Granulationsbildung. Die Hinter¬
hauptschuppe lag in über Handtellergrösse von allen Weichteilen ent¬
blößt frei zutage, war graugelb und absolut trocken. Von einer
Demarkierungslinie war noch nichts zu bemerken, und bei leiser Be¬
rührung des Knochens zuckte Pat. heftig zusammen und bekam einen
schweren stenocardischen Anfall. Jede Berührung des Knochens musste
auch in der Folgezeit sorgfältig vermieden werden, da sie sofort wieder
einen solchen Anfall auslöste. In der Umgebung des nekrotischen
Knochens zeigte die Haut teils lebhafte Hyperästhesie, teils erhebliche
Abstumpfung des Hautgefühls. Sonst sind Störungen seitens des
Nervensystems ausser einer zweifellosen Veränderung der Psyche, welche
sich in Reizbarkeit, allgemeiner körperlicher Unruhe, etwas heftiger,
überstürzter Redeweise bemerkbar macht, nicht aufgetreten. Die Heilung
der Brandgeschwüre schreitet sehr langsam vorwärts; seit jüngster Zeit
bemerkt man an dem Hinterhaupt eine Demarkierung und langsame
Arrosion an den Rändern.
d) Ruptur des Musculus reetns abdominis.
Frau J. H., 63 Jahre alt, wurde am 31. Juli v. J. mit der Diagnose
einer inneren Einklemmung in das Wenzel Hancke-Krankenbaus ein¬
gebracht. Sie war früher angeblich stets gesund, hat acht Geburten
ohne Störung durchgemacht, befand sich nur in letzter Zeit wegen Herz¬
asthma in ärztlicher Behandlung. Drei Stunden vor der Aufnahme in
das Krankenhaus hatte sie nach ihren Angaben beim Heraustreten aus
dem Hause auf die Strasse plötzlich im Leibe das Gefühl, „als hätte
sich ein schlechter Wind versetzt“. Sie war weder ausgeglitten noch
hingefallen, noch hatte sie eine scharfe Wendung gemacht. Sie legte
noch einen etwa 2 km langen Weg zurück, dann wurde ihr schlecht.
Bei der Aufnahme in das Krankenhaus klagte sie über starken Brechreiz
und heftige Schmerzen im Leibe, namentlich rechts. Stuhlgang und
Blähungen seien nicht mehr abgegangen. Die Untersuchung ergab rechts
handbreit unter dem Rippenbogen eine apfelgrosse, sehr schmerzhafte
Schwellung, welche sich diffus nach unten hin ausbreitete, in der oberen
Partie eigentümlich resistent, mit leicht tympanitischem Beiklang, weiter
unten stärkere Tympanie. Appendixgegend zeigt nur fortgeleitete
Schmerzhaftigkeit, ebenso linke Seite des Abdomens. Rectum ohne In¬
halt. Puls 108, sehr weich, Temperatur 36,9 °. Da der Zustand bedroh¬
lich erscheint, wird unter dem Verdacht einer inneren Einklemmung zur
Operation geschritten. Bei Inzision unterhalb des Nabels spritzt ein
dicker Blutstrahl aus der Tiefe, welcher, wie sich bald erweist, von dem
zerrissenen reohten Musculus rectus herkommt. Nach Entfernung des
Blutgerinnsels und Unterbindung mehrerer spritzender Gefässe zeigt sich
der rechte Rectus ungefähr im oberen Drittel fast bis zum lateralen
Rande zerrissen. Naht ist nur unter Mitfassen der Fascie möglich.
Reaktionsloser Heilungsverlauf. Am 19. August konnte Frau H. bereits
das Krankenhaus wieder verlassen. Beim Aufsetzen gute Kontraktion
der Bauchmuskeln.
Diskussion: HHr. Goebel, Heintze.
e) Perforationsperitonitis: 1. infolge PfählnnggverletznDg.
12 jähriger Schulknabe E. R. hatte am 28. April 1912 in seiner
Wohnung an der Stubentür Turnübungen gemacht und sich dabei mit
den Händen oben angehängt. Als er ermüdete, wagte er nicht, berunter-
zuspringen, sondern bat seine jüngere Schwester, ihm einen in der Nähe
stehenden Kehrbesen als Stütze unterzuhalten. Diese benutzte dazu
nicht das breite Ende des Besens, sondern den Stiel, und als der Knabe
losliess, glitt der Stiel des Besens in den Mastdarm. Es soll sofort ein
Stück Darm aus der Afteröffnung herausgetreten sein, welches von der
Matter wieder hineingedrückt wurde. Der Unfall war nachmittags gegen
2 Uhr passiert. Ein bald gerufener Arzt konnte eine Verletzung am
Mastdarm nicht feststellen und verordnete Umschläge. Da sich im Laufe
der folgenden Nacht sehr bedrohliche Krankheitserscheinungen einstellten,
wurde Patient am nächsten Morgen gegen 10 Uhr nach dem Kranken¬
hause überführt. Hier bot er die ausgesprochenen Erscheinungen einer
diffusen Perforationsperitonitis. Der Leib war aufgetrieben, überall sehr
schmerzhaft, die Bauchdecken bretthart gespannt, in beiden Unterbauch-
gegendeu Dämpfung, Puls sehr stark beschleunigt. Bei der bald vor¬
genommenen Operation entleerte sich bei Eröffnung des Peritoneums so¬
fort in hohem Strahle unter starkem Druck stehender dünnflüssiger,
stinkender Eiter. Die Dünndarmschlingen waren mit dicken Fibrin¬
gerinnseln bedeckt; im Douglas war noch reichlich dicker, stinkender
Eiter, und nach Austupfen desselben sah man an der vorderen Wand
des Rectums im Douglas dicht oberhalb der Umschlagstelle des Peri¬
toneums einen queren Riss. Dieser wurde durch Naht geschlossen, ein
Mikulicztampon in den Douglas eingelegt und durch die Bauchwunde,
welche bis auf diese Stelle durch Etagennähte geschlossen wurde, nach
aussen geleitet. Allmähliche Entfernung des Tampons, keine Fistel¬
bildung. Am 9. Juni 1912, frei von jedweden Beschwerden, geheilt
entlassen.
2. infolge Perforation eines Ulcus ventricnli.
0. A. f 15 Jahre alt, Maschinenschreiberin, kam am 1. November 1912
in das Krankenhaus, hatte während ihrer Schulzeit öfter an Magen¬
beschwerden gelitten. Am 31. Oktober 1912 war sie den Tag über mit
Schreibmaschinenarbeiten beschäftigt. Als sie am Abend nach Hause
kam, verspürte sie ein eigentümliches Beklemmungsgefühl in der Magen¬
gegend nach der Brust zu ausstrahlend, und bald setzten kolikartige
Schmerzen und Erbrechen ein. Der zugezogene Arzt riet bald wegen
Verdachtes einer Perforation eines Magengeschwürs die Ueberführung nach
dem Krankenhause an. Diese erfolgte jedoch erst am nächsten Morgen, nach¬
dem der Zustand sich in der Nacht erheblich verschlimmert hatte* Der
Leib war kahnförmig eingezogen, die Baucbdecken bretthart gespannt, der
grösste Druckschmerz in der Magengegend nach dem Pylorus zu, Puls 128,
Temperatur 38,2°. Bei der sofort (10 Uhr vormittags) vorgenommenen
Operation entleerte sich bei Eröffnung der Bauchhöhle durch einen
Schnitt oberhalb des Nabels dünne, fade riechende Flüssigkeit mit Gas¬
blasen. Auf dem Netz und den lose vorliegenden Darmschlingen be¬
merkte man Milchgerinnsel und frische Fibrinauflagerungen. Diese waren
intensiver nach dem Pylorus und der Gallenblase zu. Beim Anheben
des Magens quoll reichlich Mageninhalt hervor, und man bemerkte an
der Rückwand des Magens kurz vor dem Pylorus in der Nähe der kleinen
Curvatur eine etwa linsen grosse Perforationsöffnung, die umgebende
Magenwand war stark entzündlich infiltriert. Da Exzision des Geschwürs
und Nabt nicht möglich war, wurde die Perforationsstelle durch einen
an der Magen wand durch Nähte fixierten freien Peritoneal lappen bedeckt,
welcher der Bauchwand entnommen wurde, und ausserdem noch das
Netz über diese Stelle herumgeschlagen und durch Naht fixiert. Jodo¬
formgazetamponade, ausserdem Drainage der Bauchhöhle von zwei seit¬
lichen Inzisionen in der Unterbaucbgegend. Die Darmschlingen. waren
auch hier mit eitrig-fibrinösen Belegen bedeckt, und es entleerte sich
reichlich trübe Flüssigkeit. Regelmässige Kochsalzinfusionen, Ernährung
in den ersten Tagen durch Nährklystiere. Vom 3. Tage ab sichtliche
Besserung des Befindens und in der Folge relativ schnelle Erholung.
Heilung ohne Entwicklung einer Fistel. Am 14. Dezember entlassen, hat
keinerlei Beschwerden.
Diskussion: HHr. Goebel, Heintze.
II. Hr. Ossis: Röntgenstereoskopie.
Vortr. gibt, ausgehend von den Grundsätzen der Stereophotopraphie,
eine Zusammenstellung der Bedingungen, die bei richtiger Ausführung
der Röntgenstereoskopie beachtet werden müsse. Er setzt auseinander,
dass bei einer Röntgenstereoaufnahme der Focus der Röhre in beiden
Stellungen von der Plattenoberfläche gleich weit entfernt sein müsse,
dass man diese Entfernung, den Focusplattenabstand, den Fusspunkt
der Röhre in jeder der beiden Stellungen und die Röhrenverschiebungs¬
grösse von jeder Stereoröntgenaufnahme genau kennen müsse. Das ist
notwendig, um die Stereoaufnahme richtig betrachten zu können. Bei
der richtigen Betrachtung müssen die in die Augen gelangenden Licht¬
strahlen — kurz gesagt — genau denselben Verlauf zeigen wie die
Röntgenstrahlen bei der Aufnahme. Die wichtigsten Betrachtungsgrund¬
sätze sind folgende: Der vom Fusspunkt der Röhre ins Auge gelangende
Strahl muss senkrecht auf der Platte stehen; die Länge dieses Licht¬
strahles von der Platte zum Auge muss gleich dem Focalplattenabstand
sein. Eine auf jeder der beiden Aufnahmen durch den Röntgenfuss-
punkt in der Richtung der Röhrenverschiebung gezogen gedachte Linie
muss bei der Betrachtung in einer durch die Achsen der geradeaus ge¬
richteten Augen gedachten Ebene liegen. Die Kenntnis der Röhrenver¬
schiebung ist nötig, um zu wissen, ob wir ein dem Gegenstand gleiches
oder ein ihm ähnliches im bestimmten Maasstabe — und in welchem —
verändertes Bild sehen. Die Folgen fehlerhafter Betrachtung wurden an
der Hand einiger Zeichnungen vorgeführt.
Zum Schluss konnte der Vortr. wegen der vorgeschrittenen Zeit
nur noch ganz kurz auf die Verwendung der Röntgenstereoskopie zu
Messungen eingehen.
Diskussion: Hr. Küttner berichtet über seine mit der Röntgen¬
stereoskopie während des Chinafeldzuges gemachten Erfahrungen, die er
in Bruns’ Beiträgen, Bd. 30, niedergelegt hat. Das Verfahren liess sich
selbst unter den primitiven Verhältnissen des Krieges ohne Schwierigkeit
anwenden und hat sich bei der Feststellung des Sitzes von Fremdkörpern
und der Darstellung der Schussfraktur im Röntgenbilde bewährt.
III. Hr. Küttner: Wirtschaftliche Mitteilung.
Medizinische Gesellschaft za Kiel.
Sitzung vom 30. Januar 1913.
Hr. Range:
Pupillenantersueknngen bei Geisteskranken nnd Gesinden.
Vortragender nahm mit Rücksicht darauf, dass nach den bisherigen
Ergebnissen von Bumke, Sioli, Hübner, Weiler, Neussichin,
Wassermeyer keine übereinstimmenden Resultate über die Häufigkeit
des Vorkommens und Fehlens (sogenanntes Bumke’sches Symptom) der
Pupillenunruhe, der psychischen und sensiblen Erweiterungsrefiexe bei
der Dementia praecox, bei andersartigen Geisteskrankheiten und Gesunden
erzielt worden waren, an 200 Geisteskranken und Gesunden (darunter
83 Dementia praecox-Kranken) vergleichende Untersuchungen sowohl bei
einer Lichtstärke von 9 M.-K. wie bei Tageslicht vor. Er fand dabei
bei der Dementia praeoox einen auffälligen Unterschied in den Ergeb¬
nissen bei denselben Fällen, indem nämlich bei 9 M.-K. die Unruhe und
psychischen Erweiterungsreflexe viel häufiger, in rund 51 pCt. fehlten
oder pathologisch herabgesetzt waren, als bei Tageslicht, während die
sensiblen Reflexe bei beiden Methoden weniger als die übrigen, aber
gleich häufig fehlten und bei anderweitigen Geisteskrankheiten ein Unter-
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UNIVERSUM OF IOWA
408
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
schied bei beideD Untersuchungsergebnissen nicht so zutage trat, bei
Gesunden die Reflexe niemals fehlten, in vereinzelten Fällen scheinbar
pathologisch herabgesetzt waren. In sehr alten Fällen der Dementia
praecox-Gruppe fehlten die Reflexe immer, schwanden aber oft sehr spät.
Das Bumke’scbe Symptom ist kein Frühsymptom, ist bei Untersuchung
bei 9 M.-K. besonders häufig bei solohen Dementia praecox-Rranken
nachzuweisen, die frühzeitig gemütlich verblödeten, sehr selten bei solchen,
die mit dauernd bestehenden Wahnideen und Halluzinationen einher¬
gehen, es ist bei frühzeitigem Auftreten ein prognostisch ungünstiges
Symptom, es lässt sich auch bei Tabes und Paralyse, Idiotie, in einzelnen
Fallen von Imbezillität, epileptischer Demenz, nach starkem Brom-
gebrauob, bei dementen Alkoholikern nachweisen. Die Pupillenweite ist
bei Katatonikern bei Dunkel Untersuchung grösser als bei Gesunden, bei
Tageslicht nicht. Sicher besteht eine erhebliche Abhängigkeit der
Pupillenunruhe und psychischen Erweiterungsreflexe von der Pupillen¬
weite, während die sensiblen Reflexe davon offenbar unabhängig sind.
Runge zieht aus den Ergebnissen bestimmte Schlüsse bezüglich der
Innervation und des Zustandekommens der Erweiterungsreflexe.
(Ausführliche Publikation im Archiv für Psychiatrie.)
Hr. König:
Ueber gynäkologische Behnndlnng geisteskranker Fronen.
Vortragender wendet sioh gegen den von Bossi in seinem Buch
behaupteten Zusammenhang swischen gynäkologischen Erkrankungen und
Psychosen. Nach seinen Darlegungen handelt es sich nur in fünf der
von Bossi und seinen Anhängern mitgeteilten Fälle um echte Psychosen,
bei denen der Zusammenhang zwischen operativer, lokaler und psychi¬
scher Heilung nicht erbracht scheint. Die übrigen Fälle gehören seiner
Ansicht nach in das Gebiet der hysterischen Neuropsychosen. Seine
eigenen Beobachtungen erstrecken sich auf 158 funktionelle Psychosen,
die er zusammen mit Linzenmeier untersucht hat. In 56 Fällen lag
eine gynäkologische Erkrankung vor. 38 Fälle wurden teils konservativ,
teils operativ behandelt resp. lokal geheilt. Irgendein Erfolg für die
Heilung der Psychose war nicht zu sehen. In einzelnen Fällen schien
es so, doch war der Nachweis zu erbringen, dass es sich um Schein¬
erfolge handelte.
(Ausführliche Veröffentlichung an anderer Stelle.)
Diskussion: die Herren Siemerling, Goebell, Hoehne,
Stöckel, König (Schlusswort). E. Richter.
Aerztlicher Verein zu München.
Sitzung vom 29. Januar 1913.
1. Hr. v. Stubenrauch: Nachruf auf Dr. Däschler.
2. Hr. Gilbert:
Demonstration von Bildern der Periphlebitis retinal» tnbercnlosa Bit
zahlreichen Hämorrhagien.
3. Hr. v. Hen88:
Die Behandlung des varicösen Symptomenkomplexes, insbesondere des
Unterschenkelgeschwürs mit der Klebrobinde.
Der aus der varicösen Venenerweiterung, den sekundären Derma¬
tosen und dem Unterschenkelgeschwür bestehende varicöse Symptomen-
komplex erfordert therapeutisch zunächst eine Bekämpfung des Grund¬
übels, der Venenerweiterung, sodann medikamentöse Beeinflussung der
dermatitischen und ulcerösen Veränderungen und Aufsaugung der Ge¬
schwürssekrete. Diesen Ansprüchen wird nach den umfangreichen Er¬
fahrungen des Vortragenden die Klebrobinde weitgehend gerecht. Sie
ist erstens elastisch, d. h. sie schliesst fest an, ohne das Muskelspiel zu
behindern; sie ist zweitens klebrig, um die Fixation der Bindentöuren
zu erleichtern, wobei der zur Vermeidung von Reizung kautschukfreien
Klebemasse als Medikament Blei beigemengt ist; sie ist drittens porös
zur Aufsaugung der Sekrete. Die Klebemasse, der auch andere Medi¬
kamente, z. B. Ichthyol, Lenigallol, Chrysarobin usw., zugesetzt sein
können, wird unter hohen Wärmegraden und rein maschinell möglichst
steril aufgebracht, bei den trotzdem noch vorhandenen Bakterien spielt
auch nach den Untersuchungen des Vortragenden die sogenannte mecha¬
nische Arretierung der Keime durch die klebrige Masse eine wesentliche,
das Wachstum behindernde Rolle. Die Klebrobinden sind lange haltbar,
sie haften trotz festen Verklebens der Bindetouren untereinander nur
leicht auf der Haut, können längere Zeit an Ort und Stelle belassen
werden und gestatten ein tägliches Baden der Extremität. Voraussetzung
vor dem peripher zu beginnenden Anlegen der Binde ist sorgfältiges
Rasieren der Haut. Die Granulationsbildung in den Geschwüren wird
sehr gefördert. Demonstration von Patienten.
Diskussion: HHr. Gruhle (besonderer Hinweis auf Dr. Brandt’s,
Berlin, Verfahren der Ulcusbehandlung), Trumpp, Stieler.
4. Hr. Georg Mayer: Der derzeitige Staad der Weltseacbea.
Der Vortr. berichtet in kurzen Zügen über das Auftreten und die
Wanderung der wichtigsten Weltseuchen in den Jahren von 1900 bis
1912.
a) Lepra: Tropen, Subtropen, Italien, Westküste von Frankreich,
Riviera.
b) Cholera: Aus Indien über Persischen Golf nach Mesopotamien,
Syrien, Kasp. Meer, Persien, Wolga-, Don-, Dniepr- und Dniestrgebiet,
Russ.-Polen. Stillstand an der russisch-deutschen und russisch-öster¬
reichischen Grenze mit verschwindenden Ausnahmen. 1911 besonders
stark in Russland von Mesopotamien und Syrien her. Von ebenda nach
Italien (Apulien), Türkei, Balkanländer, Ungarn. Von italienischen
Schiffen verschleppt dann nach Tripolis, spanischen und französischen
Mittelmeerhäfen, dem Schwarzen Meer und nach New York. 1912 in
Südchina, am Jangtse, in Indien, Japan, Niederländisch-Indien, Sansibar,
der asiatischen Türkei.
c) Pest: Schon seit langem in Jünnan, Kwangtung und Indien
endemisch. Von da nach Ostaustralien, Ostafrika, den grossen süd¬
amerikanischen Küstenplätzen, Kalifornien. Die alten Pestherde in
Aserbeidschan und jenseits des Ural haben sich vor 1910 nicht gerührt,
um so mehr der Herd am Baikalsee. 1911 jenseits des Ural, zum ersten
Male in Marokko und Ostarabien, am Viktoria Nyansa. 1912 am Kasp.
Meer, in Algier, Marokko, auf den Azoren, in Brasilien und sonstigen
grossen südamerikanischen Häfen.
d) Fleckfieber: Fast nur in Russland, besonders Russisch-Polen,
ohne Ueberschreitung der russisch-deutschen Grenze. Vereinzelt in
Spanien.
e) Gelbfiebe'r: Golf von Mexiko, Antillen, südamerikanisohe Küste,
Verschleppung nach westeuropäischen Häfen ohne weitere Ausbreitung.
Mitigierte Fälle in Nordafrika. Echtes Gelbfieber an der Guineaküste.
1911 in Mexiko, Honduras, Ecuador, sehr selten in Brasilien, Peru, Chile.
1912 in Mexiko, den Antillen, isoliert in Tocopilla in Chile.
Beispiele moderner rationeller Seuchenbekämpfung sind die Be¬
kämpfung der Lungenpest 1911 in der Mandschurei durch die Japaner
und der Cholera 1911 in Oesterreich.
H. Bachhammer - München.
Medizinische Gesellschaft zu Basel.
Sitzung vom 6. Februar 1918.
1. Hr. Socin: Ueber Pelynrie und Diabetes iasipidos.
In drei Fällen von Diabetes insipidus wurde nach Flüssigkeitsentzug
eine Erniedrigung des Gefrierpunkts im Blutserum festgestellt, während
derselbe bei freier Wasserzufuhr normal war. Zugleich wurde beim
Durstversucb im Urin bei zwei Fällen eine beträchtliche relative Steigerung
der Konzentration festgestellt, letztere erreichte jedooh lange nicht die
absoluten Werte einer normalen Vergleichsperson. Unter Annahme
einer primären Polyurie als Ursache des Diabetes insipidus wurde auf
eine relative KoDzentrationsunfähigkeit der Nieren geschlossen, während
eine primäre Vermehrung der Wasserausscheidung nicht als erwiesen
erachtet wurde.
2. Hr. Wolfer: Eile Schar! achstatistik.
An Hand zweier Statistiken der Baseler Klinik über Scharlach, von
denen die eine von Hijon 1907—1909, die andere von Wolfer 1912
stammt, bespricht Ref. kurz die allgemeinen Punkte: Komplikationen,
Recidive, Return cases, welche sich in beiden so ziemlich gleich kommen
und ein Gleichbleiben des Charakters der Epidemie für Basel — wenn
auch im Absinken — dartun. Ref. erörtert sodann die Mortalität, bei
einem Material von 694 Fällen resultierte eine solche von 1,58 pCt,
die Therapie war in Basel immer eine rein symptomatische. Besprechung
der verschiedenen therapeutischen Vorschläge zur Scarlatinatherapie
(Salvarsan, Serum usw.). Wolfer-Basel.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 31. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
HHr. v. Frisch und H. Clairinont:
Erfahrungen nnd Erlebnisse ans dem Balkankriege.
Hr. v. Frisch berichtet über seine Erfahrungen im Divisionsspital
in Sofia, in welchem ihm Regimentsarzt Ballner und Dr. v. W ini-
warter nebst 10 Pflegeschwestern aus dem Wiener Rudolfinerhause zur
Verfügung standen. Das Spital hatte nur Betten, die übrige erforder¬
liche Einrichtung musste erst herbeigeschafft werden, und man musste
sich vielfach mit Improvisationen behelfen. Zur Zeit des stärksten Be¬
triebes hatte des Spital 350 Betten. Vortr. sah unter etwa 1100 Sol¬
daten 900 Verwundete, die übrigen waren an Rheumatismus, Typhus,
Malaria, frischer Lues, akuten Magen-Darmkatarrhen erkrankt, auch ein
Fall von Cholera asiatica kam vor. Die Verwundeten waren infolge des
langen Transportes sehr ermattet und verfielen meist sofort nach der Ein¬
lieferung trotz Fiebers und eiternder Prozesse in einen tiefen Schlaf.
Die Hälfte der Frakturen ungefähr war infiziert. Die Verwundungen
durch Gewehrschüsse, Schrapnells und Granaten verhielten sich nach
der Zahl zueinander wie 10 : 2 :1. Die Verwundeten vertrugen die Nar¬
kose sehr gut, weil die Bulgaren bis zum 50. Lebensjahre Abstinenzler
sind. Granatenschüsse führten manchmal zu Erschütterungen des Ge¬
hirns oder Rückenmarkes. Vortr. ist bei der Wundbehandlung sehr
konservativ vorgegangen. Unter 108 Fällen von Schussfrakturen wurde
nur in 6 Fällen eine Amputation vorgenommen. Eiterungen wurden
durch Inzisionen bekämpft. Bis zu seiner Abreise hatte Vortr. unter
seinem Kranken material nur 4 Todesfälle. Fünfmal wurde wegen Ge-
hirnabscesses trepaniert, Infektionen mit Pyocyaneus wurden wiederholt
beobachtet, ohne dass sie den Wundverlauf erschwert hätten. Ferner
kamen 4 Erysipele vor. Unterbindungen von Arterien wurden wieder¬
holt ausgeführt, in 6 Fällen wurden Verletzungen grosser Nerven, haupt¬
sächlich des N. radialis, genäht und die Nerven in eine Scheide aus
einem Stück der Fascia lata eingehüllt. 15 operierte Fälle von Aneu-
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UMIVERSITY OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
469
rysmen heilten aus. Die meisten Aneurysmen waren nicht infiziert. Bei
Aneurysmen darf man nicht zu früh operieren, damit sich unterdessen
Collateralen ausbilden können. In ungefähr 4 Fällen musste das Aneu¬
rysma wegen dringender Indikation (Blutung oder heftige Schmerzen)
operiert werden. Die Operation wurde in typischer Weise ausgeführt,
eine Ernährungsstörung nach derselben kam in keinem Falle vor.
Gefassnaht wurde in keinem Falle vorgenommen. Nach seinen Beob¬
achtungen gelangt Vortr. zu dem Schlüsse, dass infizierte Sobuss-
YerletzungeD, auch wenn die Verwundeten fiebern, nicht immer der Ope¬
ration unterzogen werden müssen.
Hr. Glairmont wirkte mit seinen Begleitern Regimentsarzt
Dr. Fintner und Breitner nicht in vorbereiteten Spitälern, sondern
io adaptierten Gebäuden, in welchen ausser den Betten die gesamte Ein¬
richtung beschafft werden musste. In Jam bol war der erste Aufenthalt
von 3 Tagen, dann folgte ein solcher in Stara Zagora, wo ein Spital
eingerichtet wurde; hierauf ging die Expedition nach Kirkkilisse und
später mit einem Verwundetenzug hach Sofia. Ein grosser Teil des
Weges musste in Büffelwagen zurückgelegt werden. In Kirkkilisse war
der Betrieb durch den Wassermangel sehr erschwert, da das Wasser in
das Lazarett zugetragen werden musste, ferner mangelte es an erfahrenen
Pfiegeschwestern. Es fehlte auch an Milch. Der erste Verband war in sehr
vielen Fällen schlecht, in manchen fehlte er ganz; es scheint, dass der
Mastisolverband für Eiter schlecht permeabel ist, aber er spart
an Hilfskräften. Die Operationen wurden mit Gummihandschuhen aus-
geführt, weil Wasser zur Sterilisation der Hände mangelte und
an einem Tage viele Operationen vorgenommen werden mussten. Die
Lokalanästhesie wurde in vielen Fällen angewendet, die Aethernarkose
war eigentlich gefährlich, weil bei offenem Licht und bei brennendem
Ofenfeuer operiert wurde. Die Soldaten durften ohne ihre Einwilligung
nicht operiert werden, weshalb manche dringende Operation unterbleiben
musste, erst später wurde vom Generalstabschef die Erlaubnis erteilt,
dass vital indizierte Operationen ohne Befragen der Verwundeten durch¬
geführt werden können. Die Aerzte hatten unter dem Mangel not¬
wendiger Spitalseinrichtungen sehr zu leiden. Es wurden Urotropin bei
Schädelschüssen, ferner Modiskop und Digalen reichlich angewendet
Von Bajonettverletzungen wurden 11 Fälle, von Kontusionen der Wirbel¬
säule und des Rückenmarkes 21 Fälle beobachtet. In Jambol und
Stara Zagora waren 36 pCt. der Gewehrschüsse und 66 pCt. der Artillerie¬
schüsse infiziert, in Kirkkilisse waren diese Zahlen 33 und 51 pCt. Die
Infektionen über wogen bei Verletzungen der unteren Extremitäten. Die
Prädilektionsstelle der Verletzungen war die linke Seite, was sich aus
der Lage der Soldaten hinter der Deckung erklärt. Schädelstreifschüsse
wurden debridiert; es ist schwer zu sagen, wie man bei ihnen Vorgehen
soll, ob konservativ oder ob man gleich eingreifen soll, die Resultate
sind in beiden Fällen nicht zufriedenstellend. Schädelschüsse geben,
wenn das Gehirn nicht verletzt ist, eine gute Prognose. Durchschüsse
durch den Schädel sollten nicht sofort angegangen werden, und es sollte
erst später der sekundär entstandene Abscess eröffnet werden, aber
nicht von der Stelle der Verletzung aus. Die anderen Schädelschüsse
sollte man möglichst rasch operieren. Bei Tangentialschüssen des
Schädels kommt es oft zu grossen Splitterungen der Schädeldecke.
Wiederholt bildeten sich mehrere Gehirnabscesse aus, man sollte einen
Schädelschuss immer als infiziert ansehen. Von Thoraxverletzungen
waren einige infiziert, in solchen Fällen wurde eingegriffen, beim Hämato-
thorax wurde das Blut entfernt. Querschüsse durch den Hals, den
Thorax und den Bauch wurden mehrfach beobachtet. Bei Verletzungen
der Extremitäten ist möglichst konservativ vorzugehen. Der Kampf
gegen die Infektion ist vom ersten Augenblicke an wichtig, jeder Soldat
soll ein Verbandpäckchen haben, damit er bei erlittener Verletzung
geeignetes Material zur Deckung hat. Alle Aerzte sollten in exakter
Wundbehandlung unterrichtet werden. Vortr. hat mit der freiwilligen
Krankenpflege schlechte Erfahrungen gemacht. Für den Krieg passt
nur die Berufskrankenpflege, und die Heeresverwaltung sollte geschulte
Pflegerinnen schon im Frieden in Evidenz halten. Durch die Pfiegerinnen-
kurse, welche zur Ausbildung freiwilliger Pflegerinnen gehalten werden,
wird die Pflegerinnenfrage nicht gelöst. H.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien.
Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 23. Januar 1918.
(Eigener Bericht.)
Hr. Knöpfelmaeher demonstrierte einen Fall von initialer infantiler
Taben.
Das neunjährige Mädchen hat eine auf Lues hereditaria hinweisende
Anamnese, Hutchinson’sche Zähne und herabgesetzte Reaktion der beiden
Pupillen auf Licht. Patellarreflexe fehlen, Wassermann positiv. Auf¬
fallend ist eine im Abklingen begriffene Neuritis optica.
Hr. Hoehsinger demonstrierte einen zehnjährigen Knaben mit
Basedowaid.
Im 2. Lebensjahre wurde das Kind wegen englischer Krankheit mit
Phosphor behandelt, seit 27s Jahren hat der Knabe fast täglich Krampf¬
anfälle mit Bewusstseinsverlust. Er ist geistig mässig entwickelt, mager,
blass und sehr nervös. Das obere Augenlid folgt nicht ganz den Be¬
wegungen des Augapfels nach unten, deutliches Facialisphänomen und
mechanische Uebererregbarkeit der Vorderarmmuskulatur sind vorhanden.
Auffallende gleiohmässige Schwellung der Schilddrüse.
Die Herzdämpfung ist naoh beiden Seiten verbreitert, im 2. und
3. Intercostalraume links ein systolisches Geräusch, an der Aorta
reine Töne.
Nach Anwendung von Schilddrüsenextrakt hat sich bei dem Kinde
die Thyreoidea verkleinert, der Tremor und die Schweisse haben auf¬
gehört.
Es handelte sich um einen Fall von Basedowoid, dessen Haupt¬
symptome Struma, Herzbeschleunigung, Zittern, eventuell auch Herz-
vergrösserung sind.
Hr. Zar! demonstrierte ein Kind mit angeborener Syphilis und
angeborener Tuberkulose.
Die Wassermann’sche Reaktion bei Mutter und Kind positiv.
Hr. Zarfl zeigte einen Fall von Hirschsprung’scher Krankheit.
Der 107s Monate alte Knabe hatte seit der Geburt hochgradigste
Obstipation, welche durch Einführung eines Darmrohres gebessert wurde.
Die Röntgenuntersuchung ergibt eine mächtige Ausweitung des Diok-
darms; seine Schleimhaut dürfte geschwürig verändert sein.
Hr. Rach zeigte einen 5 Monate alten Säugling mit angeborenem
inspiratorischem Stridor.
Das Kind leidet seit einiger Zeit an Erstickungsanfällen, besonders
bei Nacht und im Bade. Das Röntgenbild spricht, für eine Hyperplasie
der Thymus.
Hr. Mautner stellte einen fünfjährigen Knaben mit multiplen
Exostosen vor, die besonders an den Röhrenknochen, aber auch an
der Scapula sitzen und mit Wachstumshemmungen am Knochen ver¬
bunden sind.
Hr. Schlemmer demonstrierte ein Kind, bei welchem er eine akute
Nebenhöhlenerkrankung der Nase behandelt hat.
Die Behandlung bestand in der Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes,
welches mit Polypen erfüllt war. Dieselbe Operation wurde an der
Stirnhöhle vorgenommen. Der Vortr. mahnt, bei einem Kinde, bei
welchem spontan oder nach einer Infektionskrankheit Lidschwellung,
Schmerzen, Brennen im Auge, Fieber sowie Kopfschmerzen auftreten,
an eine Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase zu denken.
Sitzung vom 30. Januar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Bauer demonstrierte eine Frau mit postluetischer Nieren¬
erkrankung.
Die Tibiae der Patientin zeigen eine Periostitis luetica, auch die
Unterarme sind verdickt. Die Patientin bat ferner eine leichte Hyper¬
trophie des rechten Herzens und minimale Oedeme.
Vortr. hat dieses Bild der postluetisohen Nierenerkrankung bereits
in mehreren Fällen gesehen. In allen Fällen fand sich eine deutliche
Seroreaktion. Es ist wahrscheinlich, dass nicht eine einmalige Infektion
den Anstoss zur Nephritis gibt, sondern dass es sich um eine dauernde
toxische Wirkung auf die Niere handelt. Vielleicht liegt in einem Teile
der Fälle eine spezifisch luetische Erkrankung der Niere vor.
Hr. Tedesko demonstrierte einen 52 jährigen Mann, bei welchem er
eine gonorrhoische Gelenkserkrankung mit Artigon behandelt hat.
Der Kranke, der an einer schmerzhaften Entzündung des linken
Ellbogengelenkes litt, wurde mit intraglutäalen Injektionen von Artigon
behandelt. Die erste Dosis betrug 0,2, die weiteren drei Dosen waren
etwas höher. Der Erfolg war in diesem Falle sowie bei sieben anderen
Patienten sehr günstig.
Hr. Steiner stellte einen 9 jährigen Knaben mit flirsehspruBg’seher
Affektion vor.
Das Abdomen ist mächtig aufgetrieben, die Leber vergrössert. Die
Röntgenuntersuchung ergibt ein abnorm langes und erweitertes Colon
ohne Stenose. Die unmittelbare Ursache der Erkrankung dürfte eine
Darmaffektion gewesen sein. Die Therapie besteht in häufigen Ent¬
leerungen des Dickdarms durch Darmeinläufe.
Hr. Chiari demonstrierte eine Frau mit einer kombinierten een traten
und peripheren Lähmung des linken Beines.
Die Erkrankte erlitt vor einiger Zeit eine Apoplexie. Die Beuger
des Kniegelenkes waren gelähmt, ebenso die Muskeln des Unterschenkels
und des Fusses. Es handelt sieb um eine kombinierte periphere Lähmung
des Nervus ischiadicus und des Nervus outaneus femoris posterior mit
Residuen einer linkseitigen Hemiparese.
Hr. Weltmann demonstrierte eine Methode um Nachweis von
Cholesterin.
Diese Modifikation der Methode von Neu mann und Herrmann
besteht darin, dass die zu prüfendeFlüssigkeit mit Schwefelsäure und Chloro¬
form geschüttelt wird, worauf das Chloroform bei Anwesenheit von
Cholesterin nach 72 Stunde eine rötliche, nach 24 Stunden eine hoch¬
rote Färbung zeigt.
Hr. Stannig demonstrierte ein anatomisches Präparat von Aorten-
rnptnr.
Dasselbe rührt von einem 23 jährigen Dienstmädchen her, welches
nach einer Aufregung Schmerzen in der Herzgegend verspürte, nach
einigen Tagen zusammenstürzte und cyanotisch wurde. Die Kranke bot
das Bild schwerer cardialer Störungen. Die Obduktion ergab eine Ver¬
wachsung des Herzbeutels mit dem Epicard, Herzvergrösserung, geringe
Verdickung der Mitralklappen, Verwachsung der vorderen Aortenklappen,
ein angeborenes ringförmiges Diaphragma, welches die Aorta stenosierte,
und einen durchgängigen Ductus Botalli. 3 cm oberhalb der Aorten-
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UNIVERSUM OF IOWA
470
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
klappe war ein Riss, die Intima war durch das Blut bis zum Isthmus
abgehoben.
Hr. Felber zeigte ein anatomisches Präparat einer sarkonattis eit*
arteten dermoidalen Cyste der Thymus.
Dasselbe stammt von einem 61 jährigen Patienten, welcher an hoch¬
gradigen Atembeschwerden litt. Auf der rechten Brustseite sass eine
Geschwulst, welche stetig wuchs und vom Sternum bis zur Mamillarlinie
reichte.
Die Röntgenuntersuchung zeigte eine Verdunkelung des rechten
Lungenfeldes, welches auch gedämpften Perkussionsscball und über der
Spitze bronchiales Atmen aufwies. Es wurde ein Mediastinaltumor an¬
genommen.
Die Obduktion ergab, dass die rechte Brusthöhle von einem Tumor
ausgefüllt war, welcher das Zwerchfell durch wucherte und in dessen
Innern sich eine Höhle mit cbolesterinhaltiger Flüssigkeit befand. Die
Lunge war hochgradig komprimiert. H.
Verein deutscher Aerzte za Prag.
Sitzung vom 7. Februar 1913.
Hr. Eckstein demonstrierte einen 6jährigen Bodenkriecher mit doppel¬
seitiger Hüftgelenksluxation, doppelseitigen Klnmpfüssen nnd flyper-
extension beider Eilenbogengelenke. Als Ursache sieht er eine früh¬
zeitig aufgetretene Hemmungsbildung an.
Hr. Hecht:
Darf der Arzt znm ansserehelichen Geschlechtsverkehr raten?
Der Arzt wird oft von Kranken mit nervösen Beschwerden, mit Hang
zum Onanieren und dergleichen konsultiert. Diese Erkrankungen werden
sehr häufig auf sexuelle Abstinenz zurückgefübrt. Bevor der Arzt den
Rat zum ausserebelichen Beischlaf erteilt, muss er alle anderen Ursachen
der Erkrankung ausschliessen, wobei sich gewöhnlich ergibt, dass die
von den Kranken selbst vermutete Ursache tatsächlich nicht vorhanden
ist, sondern, dass die Erkrankung auf einen anderen Grund zurück¬
zuführen ist. Junge Individuen können bei geeigneter Lebensweise (Ver¬
meidung von Alkohol, durch Sport und durch ernste Arbeit) bis in die
Mitte der zwanziger Jahre sexuell abstinent leben. In diesem Sinne soll
der Arzt wirken, denn die meisten jungen Leute wollen vom Arzte nur
die Bestätigung ihrer Wünsche nach sexueller Betätigung hören; der
Wunsch wird zur Ursache. Bei älteren Leuten muss als Ursache der
Erkrankung erst die sexuelle Abstinenz ausschliesslich nacbgewiesen
werden, ehe der Arzt den Kranken auf die in diesem Falle beste Therapie
hinweist. 0. Wiener.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de mddecine.
Sitzung vom 5. November 1912.
Hr. Camus bespricht die Immunität der Gewebesftfte und ihre
Beziehungen zur Immunität der Gewebe selbst und der Zellen.
Das Blut eines Geimpften zerstört wohl das Virus und verhindert das¬
selbe, auf einem Gesunden sich zu entwickeln, aber das Blut ist nicht
allein da, um diese Abwehr zu besorgen. Uebrigens kann der immuni¬
sierte Organismus an gewissen Stellen für das Virus emfänglich bleiben.
Das Kaninchen, dessen Haut für den Impfstoff unempfänglich ist, kann
an der Cornea für denselben empfänglich sein. Hier und da sieht man
Leute, die am Arm resultatlos wiedergeimpft werden, und bei denen
zufällig an einer anderen Körperstelle eine Pustel sich entwickeln kann.
Herr Camus oitiert einen Fall, bei dem sich eine Pustel am Augenlid
entwickelte, während am Arm keine zustande kam. Wenn man mit dem
Serum eines Immunisierten auf einzelne Organe eines Kaninchens, z. B.
auf die Cornea, wirkt, erzielt man eine lokale Immunität, die dem
übrigen Körper nur wenig zugute kommt. Durch Einspritzung eines
Serums ins Blut kann man nur schwer vollkommen immunisieren, oder
man braucht grosse Mengen Serum; wenn man es mit Bluttransfusion
versucht, muss man zweimal totale Blutentziehung vornehmen und nach¬
her ebensoviel Blut eines Immunisierten durch Transfusion überfiiessen
lassen, um die Empfänglichkeit für das Virus gänzlich aufzubeben. Die
Schutzkraft des Blutes ist also ziemlich schwach im Vergleich zu der
Entwicklung einer kleinen Pustel, welche eine viel stärkere Immunität
erzeugt. Andererseits verliert der immunisierte Körper seine Immunität
auch durch wiederholte Blutentziehungen nicht. Die Immunität der
Gewebe spielt also für die Immunität im allgemeinen eine wichtige Rolle
neben der baktericiden Wirkung des Blutes.
Sitzung vom 19. November 1912.
Hr. Walther bespricht einen Fall reiner Paratyphne-Appendieitis,
der von ihm im Juni operiert worden ist. Ein 13jähriges Mädchen
hatte anfänglich leichte Erscheinungen von Appendicitis, verbunden mit
Darminfektion. Am 6. Tage musste wegen rascher Temperatursteigerung
bis 40,1°, ohne peritoneale Reizung, eiDgeschritten werden, da man an
Appendicitis mit Lymphangitis oder Gangrän dachte. Bei der Operation
fand man ein freies Peritoneum, verdicktes Coecum, eiüe grosse para-
coecale Lymphdrüse mit ödematös geschwelltem Mesocolon, eine 9 cm
lange Appendix mit blasser Wandung und stark ödematösem Mesen¬
terium. Nach der Operation trat keine peritoneale Reizung ein, aber
die Temperatur blieb noch vier Tage auf 40°, um dann langsam abzu¬
steigen. Die Appendix zeigte Sklerose der Wandung. Spuren frischer
akuter Entzündung, am freien Eode einen kleinen Abscess mit Kotstein.
; Mikroskopisch fand man alte Sklerose und frische acute Folliculitis.
Die Widal’sche Reaktion am Tage nach der Operation, also am 7. Krank¬
heitstage, war negativ für Typhus und Paratyphus A, aber stark positiv
für Paratyphus B. Die Blutkultur ergab einen Bacillus, der zwischen
Paratyphus B und Colibacillus zu stellen ist. Die Kultur des Abscesses
der Appendix ergab den gleichen Bacillus in Reinkultur. Die Infektion
der Appendix scheint sekundär zu sein, denn die Läsionen waren die¬
jenigen der ersten Tage der Appendicitis, während die Krankheit schon
sechs Tage dauerte. Der Nachweis der Paratypbusseptikämie ist keine
Kontraindikation der Operation. Die Frühoperation allein kann bei
diesen fast immer letal verlaufenden lymphangitisohen Appendicitisformen
Heilung bringen.
Sitzung vom 26. November 1912.
Hr. Le Delta bespricht die Behandlung der spaataaei Fraktar
der Kniescheibe bei Tabes. Sein Patient hatte „Tabes fruste“ mit
spontaner Fraktur, die, ohne Schmerzen, nur durch die plötzliche starke
Behinderung der Bewegungen kenntlich wurde. Es war sehr wichtig, zu
erkennen, dass es sich um Tabes handelte, weil diese Frakturen bei
Tabes in 25 pCt. nicht heilen, während sie ohne Tabes oft rasch unter
Bildung eines äusseren Ringes heilen; nach innen fehlt der Ring.
Ausserdem fand Herr Corner bei 504 Fällen 55 mal sekundäre Frak¬
turen, ebenso häufig nach Operation als ohne operative Behandlung.
Die gewöhnliche Knochennaht ist also sehr ungeeignet, und deshalb
versuchte der Autor ein besseres Resultat zu erzielen, indem er nach
vertikaler Durchbohrung der Kniescheibe einen doppelten Metallfaden
durchzog, der in zwei Teile geschnitten wurde, um mit einem Teil die
Rotula nach aussen, mit dem anderen nach innen einzurahmen, indem
die Fadenenden mittels einer krummen Nadel im fibrösen Gewebe um
die Kniescheibe geführt wurden, um aussen und innen an der Knie¬
scheibe verknüpft zu werden. So kommen die Fragmente genau anein¬
ander und bleiben es iür immer oder doch für sehr lange Zeit.
Zur gesetzlichen Bekämpfung des Kur¬
pfuschertums.
Von
Dr. Carl Alexander-Breslau.
In heutiger Zeit, in der erbitterte wirtschaftliche Kämpfe die deutsche
Aerzteschaft in eine Frontstellung gegen grosse Massen der Bevölkerung
gedrängt haben, erscheint es besonders notwendig, darauf hinzuweisen,
dass es einen Kampf gibt, in welchem die Interessen der Aerzte mit
denen des ganzen Volkes ideell und materiell Hand in Hand geben: den
Kampf gegen das Kurpfuschertum und gegen den Heilschwindel.
Dieser Erkenntnis hat sich die zur Durchberatung des „Gesetz¬
entwurfes gegen Missstände im Heilgewerbe“ (Kurpfuschereigesetz) ein¬
gesetzt gewesene Reichstagskommission, unter dem Einfluss einer seit
Jahren gesteigerten, heftigen Agitation gegen die wissenschaftliche Medizin,
leider versagt, obwohl die Reichsregierung, gestützt auf die einschlägigen
Berichte der Preussischen Medizinalabteilung und die gleichsinnigen Ver¬
öffentlichungen anderer Bundesstaaten, in der Begründung des Gesetz¬
entwurfes auf die Unhaltbarkeit der jetzigen Zustände, auf deren Ge¬
fahren für das Volkswohl und auf die Zweckmässigkeit und Bedeutung
eines reichsgesetzlichen Vorgehens gegen die in gewaltigem Umfange sich
betätigende, durch keinerlei wirksame Gesetze eingedämmte Kurpfuscherei
gebührend hingewiesen hatte. Die Ablehnung dieses Kurpfuscherei¬
gesetzes — dessen Nichtannahme keineswegs nur von den Aerzten (wie
die Gegner fälschlich behaupten), sondern gerade auch von hervorragenden
Juristen, wie z. B. noch unlängst von dem Oberlandesgerichtspräsidenten
Dr. Vierhaus - Breslau in einer wissenschaftlichen Versammlung 1 ) leb¬
haft beklagt wurde — lässt natürlich das Kurpfuschertum in seinen
vielgestaltigen Formen um so kühner das Haupt erheben, derart, dass
selbst schon im blossen Arzneimittelverkehr, wie ein besonderes Kapitel
des unlängst erschienenen Preussischen Medizinalberiobts für 1911 („Be¬
sondere Beobachtungen über Missstände im Arzneimittelverkehr“) dartut,
gar unliebsame Erscheinungen gezeitigt worden sind, weil jetzt „neuer¬
dings auch Seifenhändler und Versandgeschäfte aller Art sich mit dem
Verkaufe von Arzneimitteln befassen“ und der „Handel mit starkwirkenden
Medikamenten immer mehr in die Hände unberufener Personen“ über¬
geht; dass auch auf diese Weise der Kurpfuscherei Vorschub geleistet
wird, ist ohne weiteres klar. Die amtlichen Zahlen in Preussen wie in
den anderen Bundesstaaten zeigen gleichsinnig ein weiteres Anschwellen
des gewerbsmässigen Kurpfuschertums. Trotzdem ist die Aussicht, ein
Kurpfuschereigesetz durchzubringen, bei der jetzigen Zusammensetzung
des Deutschen Reichstags noch geringer als früher; hat doch der „Bund
für freie Heilkunst“, gleichsam der wirtschaftliche Verband der Heil¬
gewerbetreibenden, der durch die oft sehr hohen Beiträge seiner Mit-
1) Verband!, d. Schlesischen Gesellschaft f. vaterländische Kultur.
Gemeinsame Sitzung der Staats- und rechtswissensohaftliohen und der
Hygienisch-Medizinischen Sektion zu Breslau am 22. November 1912.
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UMIVERSITY OF IOWA
10. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
471
glieder [z. B. „Apotheker* Müller-Göppingen allein 400 M. jährlich (!)]
über grosse Mittel verfügt, es durch seine rührige, gerade nicht immer
mit den lautersten Mitteln arbeitende Agitation bereits dahin gebracht,
schon bis heute wiederum eine Anzahl Mitglieder des jetzigen
Reichstages durch ihre Unterschrift gegen jede Einschränkung
der Kurierfreiheit zu binden.
, Bei solcher Lage der Dinge muss man —so sehrauch eine reichs-
gesetzliche Regelung dieser Frage als erstrebenswertes Ziel im Auge
zu behalten ist — doch daran denken, vorläufig auf anderen Wegen
dem Heilschwindel zu begegnen; und so hat 0. Neustätter-Dresden
(früher München), einer unserer bekanntesten Vorkämpfer, bereits vor
mehreren Monaten in einem sehr lesenswerten Artikel 1 ) („Was nun in
der Bekämpfung der Kurpfuscherei?*) Vorschläge in dieser Richtung ge¬
macht, desgleichen unlängst in den „Therapeutischen Monatsheften*
A. Springfeld 2 3 ), der ja schon vor Jahren, als er noch beim Berliner
Polizeipräsidium tätig war, sehr dankenswerte Statistiken über das Kur¬
pfuschertum bearbeitet und seine reichen Erfahrungen in verschiedenen
Abhandlungen niedergelegt hat. Ungefähr zu gleicher Zeit nun, als
dessen obenerwähnte Arbeit erschien, bat, von ähnlichen Gesichtspunkten
aasgehend, die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬
tums* dem Preussischen Ministerium des Innern, als der zuständigen
Behörde, eine Denkschrift überreicht, welche die Möglichkeit eines erfolg¬
reicheren Vorgehens gegen die Kurpfuscherei durch eine Reihe landes¬
gesetzlicher Vorschriften darlegt und neben einigen schon früher und
von verschiedenen Seiten befürworteten Maassnahmen auch noch einige
andere Vorschläge bringt, die, wie z. B. eine Ergänzung des Press¬
gesetzes (vom 7. Mai 1874) in bestimmter Richtung, unseres Wissens
bisher noch nicht in Anregung gebracht worden sind. Diese Denkschrift
geht von der wohl durchaus zutreffenden Voraussetzung aus, dass die
schweren Gefahren, welche die ständig wachsende Ausbreitung der Kur¬
pfuscherei für die Volksgesundheit und Volksgesamtheit in sich birgt,
und wie sie bereits vor Jahren durch eine (im Anschluss an einen da¬
maligen Erlasss des Herrn Medizinalministers vom 13. Januar 1899 er¬
folgte) Eingabe der Preussischen Aerztekammern eingehend geschildert
sind, den für die Eindämmung dieser Gefahren in Betracht kommenden
Staatsbehörden und insbesondere der Preussischen Medizinalabteilung, in
deren Mitte ja der unseres Erachtens vorzügliche und zielbewusste Ent?
warf eines Reichsgesetzes gegen Missstände im Heilgewerbe vorbearbeitet
worden ist, genugsam bekannt sind, und dass darum bei der jetzigen
Aussichtslosigkeit eines eigentlichen Reichskurpfusohereigesetzes der
Ruf nach Erwägung anderer Maassnahmen dort nicht ungehört ver¬
hallen wird.
Hierfür kommen, wie schon angedeutet, zunächst gewisse landes¬
gesetzliche Bestimmungen in Betraoht. Dieser Auffassung hat
unter anderen auch ein angesehener Jurist, der Geh. Justizrat und
Kammergerichtsrat Dr. Kronecker in einer vor drei Jahren erschienenen
umfangreichen und sehr beachtenswerten Abhandlung 8 ) über „Preussisohe
Polizeivorschriften über die Ankündigung von Arzneimitteln* Ausdruck
gegeben; in dieser Arbeit weist Kronecker die Uneinheitlichkeit dieser
verschiedenen Vorschriften in den einzelnen Provinzen und Regierungs¬
bezirken klar und treffend nach und forderte schon damals für den Fall
des Scheiterns des gerade vorgelegten Kurpfuschereigesetzentwurfes für
Preussen wenigstens gleichmässige und einheitliche Regierungs-
Polizeiverordnungen, und darunter eine folgenden Inhalts;
„Die öffentliche Ankündigung und Anpreisung deijenigen zur Ver¬
hütung, Linderung und Heilung von Krankheiten, Körperschäden und
anderer Leiden von Menschen bestimmten Mittel ist zu untersagen,
denen Wirkungen beigelegt werden, welche sie nicht haben, oder
welche bei dem be9timmungsgemäss oder den Umständen nach zu er¬
wartenden Gebrauche geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu
schädigen.*
Eine solche, wohl durottBerufung auf § 10,11,17 des Allgmeinen
Landrechts (welches nach einer erst jüngst wieder erfolgteu Ent¬
scheidung des Kammergerichts für die ganze Monarchie bezüglich der¬
artiger Bestimmungen noch volle Geltung hat) bzw. auf das Allgemeine
Polizei-Verwaltungs-Gesetz vom 11. März 1850 sich stützende
Verfügung würde, wie auch die vorerwähnte Denkschrift betont, sehr
zweckentsprechend sein; und sie wäre um so uotwendiger, weil, wie
A. Springfeld 4 * ) in seiner obengenannten Arbeit nachweist, auch auf
dem Gebiete des Geheimmittelhandels zurzeit „eine so heillose Ver¬
wirrung* eingerissen ist, dass „nur der Ariadnefaden der geschichtlichen
Entwicklung aus dem Labyrinth von Entscheidungen und Verordnungen
herausführt“.
Die so gedachte Verordnung würde natürlich zunächst nur die
Reklame treffen; allein diese Reklame in ihrem heutigen Riesen¬
umfange ist der Lebensnerv des modernen Kurpfuschertums;
ihr verdankt es im wesentlichen sein Emporkommen.
Eine Vorbedingung für die Wirksamkeit einer solchen, wie einer
jeden gegen die kurpfuscherische Reklame gerichteten Verordnung ist
1) 0. Neu Städter, s. Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 28.
2) A. Springfeld, Die Bekämpfung der Kurpfuscherei und des
Geheimmittelschwindels auf dem Boden landesgesetzlioher Verordnungen.
Therapeut. Monatsh., November 1912.
3) Kronecker, Med.-Archiv f. d. Deutsche Reich, I. Jahrg., 1910,
vgL daselbst: H. 3, S. 331.
4) A. Springfeld, 1. c. (sub 2): Die Bekämpfung des Geheimmittel¬
schwindels.
aber die Aufhebung eines die Wünsche der Zeitungsredakteure
allzusehr berücksichtigenden Ministerialerlasses vom 31. De¬
zember 1902 (vgl. Med.-Min.-Bl., 1903, S. 23), wonach der Bestrafung
eines Redakteurs aus der Polizeiverordnung wegen Aufnahme strafbarer
kurpfuscherischer Reklame-Annoncen (entsprechend dem Erlass des Medi¬
zinal-Ministers vom 28. Juni 1902) in jedem Einzelfalle eine Ver¬
warnung vorhergehen soll.
Durch solche vorherige Verwarnung wird der Zweck dieser
Polizeiverordnung, ebenso wie der späteren, die dem Bundesrats¬
beschluss vom 23. Mai 1903 bzw. vom 27. Juni 1907 (Med.-Min.-Bl.,
1903, S. 286, und 1907, S. 312) entsprechen, geradezu illusorisch,
da einerseits vom Beginn des Erscheinens der sich widerholenden straf¬
baren Reklameanzeigen bis zum Zeitpunkte der Verwarnung zumeist
so viel Zeit verstrichen ist, dass die Annoncen längst Leichtgläubige
eingefangen haben, und da andererseits in nicht wenigen Fällen diese
Annoncen, selbst wenn deren unwahre Heilversprechungen ohne weiteres
ersichtlich sind, doch im materiellen Interesse von gewissen Zeitungen
und Zeitschriften ruhig aufgenommen werden, weil ja zunächst nichts
als eine Verwarnung dabei riskiert wird.
Der Hauptzweck dieser Zeitungsreklame ist das Einfangen gerade
auswärtiger Kranker, die sich nicht so leicht über den Sehwindel betrieb
unterrichten können. Daher muss auf ein landesgesetzliches Verbot
der Fernbehandlung, wie es bereits früher durch Eingaben ver¬
schiedener Organisationen und u. a. auch durch eine solche der Berlin-Branden-
burgischen Aerztekammer (im Anschluss an deren Sitzung vom 23. Ok¬
tober 1904) an die Preussische Staatsregierung angeregt worden ist,
besonderer Wert gelegt werden. Der Einwanü, dass die Reichs-
Gewerbeordnung dem Erlass eines solchen landesgesetz-
liohe.n Verbotes entgegenstehe, erscheint nicht stichhaltig.
Denn auch der Entwurf einer Novelle zum Badischen Polizeigesetz-Straf¬
buch (im Jahre 1904) wollte in seinem § 82 die gewerbsmässige Heil¬
behandlung ohne persönliche Untersuchung („Fernbehandlung*) unter
Strafe gestellt wissen.
Der Reichs-Gewerbeordnung untersteht die "Ausübung
der Beil künde (wie im Laufe der Jahre schon von verschiedenen
Seiten und u. a. auch in der Plenarversammlung des Königlich sächsi¬
schen Landes-Medizinalkollegiums im Jahre 1902 eingehend erörtert
worden ist) überhaupt nur insoweit, als diese ausdrückliche
Bestimmungen darüber enthält (s. § 6 R.-Gew.-O.), d. h. also in
den §§ 29, 30, 53, 56a, 80, 144 und 147; im übrigen aber unter¬
liegt die weitere Ausgestaltung der Gesetzgebung über
den Betrieb der Heilkunde der Landesgesetzgebung, wie ja
z. B. auch der Erlass der verschiedenen Partikulargesetze über die
Organisation des ärztlichen Standes, über die Ehrengerichte, über die
Meldepflicht der Aerzte u. dgl. beweist. Ebenso wie der Einzelstaat
durch derartige Bestimmungen die Ausübung der Heilkunde durch
approbierte Personen in gewisser Weise geregelt hat, muss er auch die
Berechtigung haben, solches in bezug auf Nichtapprobierte zu tun. Es
ergibt sich auch aus den Motiven zur Reichs-Gewerbeordnung und aus
den damaligen parlamentarischen Verhandlungen, dass es nicht in der
Absicht des Gesetzgebers liegen kann, durch die Reichs-Gewerbeordnung
in die Medizinalverwaltung der einzelnen Bundesstaaten derart einzu¬
greifen, dass etwa gewisse, zum Schutze des Publikums notwendige
Maassnahmen nicht getroffen werden dürften. Für diese Auffassung der
Rechtslage spricht eine Entscheidung des Preussischen Kammer¬
gerichts aus dem Jahre 1904 bezüglich einer (auch unter Hinweis auf
die angeblich entgegenstehende Reichs-Gewerbeordnuog) angefochtenen
Regierungs-Polizeiverordnung, durch die gewisse prahlerische Heilan¬
preisungen unter Strafe gestellt werden; in seiner Entscheidung betonte
das Kammergericht, dass eine derartige Verordnung in den §§ 6 a und
6f des Allgemeinen Polizei-Verwaltungsgesetzes vom 11. März 1850 noch
heute seine rechtliche Stütze finde, wonach „der Schutz der Personen
und des Eigentums* und „die Sorge für Leben und Gesundheit“
dem polizeilichen Verordnungsrecht überwiesen ist.
Zu diesen, zum Schutze des Publikums notwendigen Maassnahmen
würde aber auch ein Verbot der Fernbehandlung gerechnet werden
dürfen. Zur Begründung dieser Ansicht bedarf es nur des Hinweises
auf die dem „Entwürfe eines Gesetzes gegen Missstände im Heilgewerbe*
(im Jahre 1910) beigegebenen Motive (vgl. Begründung zu § 3 des Ent¬
wurfs), wonach, wie auch zahlreiche Gerichtsverhandlungen in letzter
Zeit erkennen Hessen, „die sogenannte h'ernbehandlung sich zu einem
umfangreiohen Geschäftsbetriebe ausgewachsen hat“, während der Erfolg
einer Heilbehandlung in erster Linie durch eine richtig gestellte Diagnose
bedingt sei, diese aber nur auf Grund eigener Wahrnehmungen an dem
zu Behandelnden gestellt werden könne, so dass aus der Fernbehand¬
lung, die ja nur auf Grund völlig unsicherer Angaben und Symptome
erfolge, erhebliche Gefahren und Schäden für den einzelnen wie für die
Gesamtheit (man denke hierbei z. B. an Geschlechtskrankheiten und
andere Infektionskrankheiten) sicher erwachsen.
Im Hinblick hierauf würde also ein Verbot der Fernbehandlung
für Preussen auf dem Wege einer entsprechenden Regierungs-Polizei¬
verordnung sich auf § 10, II, 17 des Allgemeinen Landrechts bzw. auf
das, in der vorerwähnten Kammergerichtsentscheidung angezogene All¬
gemeine Polizei-Verwaltungsgesetz vom 11. März 1850 stützen können,
wonach die Polizei für die Abwehr der dem Publikum drohenden Ge¬
fahren zu sorgen hat. Und selbst diejenigen, die da einwenden wollten,
dass die erwähnte Kammergeriohtsentscheidung sioh nur auf die prahle¬
rischen Anpreisungen der Kurpfuscher, aber nicht auf die Behandlupg
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UNIVERSUM OF IOWA
472
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
duroh sie beziehe, werden, wenn nioht ein Verbot der Fernbehandlung
an sich, so doch zum mindesten ein Verbot des Anerbietens
der Fernbehandlung durch eine Regierungs-Polizei verordn uog als
durch die Rechtslage begründet anerkennen müssen; denn eine derartige
Bestimmung würde ja „gar nioht in die Ausübung der Heilkunde selbst
eingreifen“, sondern nur die, diese Ausübung vorbereitenden Handlungen
berühren, so dass von einem Widerstreit mit der Reichs-Gewerbeordnung
hier nicht die Rede sein könne“ (vgl. Entsch. des Kammergerichts).
Freilich wäre ein solches Verbot im Hinblick auf die grosse
Zahl nichtpreussischer und sogar ausländischer Kurpfuscher und
Heilschwindel-Institute, die durch ihre Reklame in vielen in Preussen
erscheinenden Zeitungen Patienten einfangen, durchaus wirkungslos,
wenn nicht auch diejenigen, welche der Fernbehandlung Vorschub leisten,
d. b. die Agenten dieser Kurpfuscher und Geheimmittel¬
fabrikanten und auch die Zeitungsredakteure, welche die ent¬
sprechenden Annoncen aufnehmen, gleichfalls in solche Verord¬
nung mit einbezogen und unter Strafe gestellt werden.
Falls aber die Zweifel über die Zulässigkeit eines direkten Verbots
der Fern behänd lung an sich (in Rücksicht auf die Reichs-Gewerbe¬
ordnung) nur zum Verbot des Anerbietens der Fernbehandlung führen
sollten, müsste ein solches, bei der bekannten Durchtriebenheit der
Kurpfuscher in der Umgehung der Gesetze, ausdrücklich besagen, dass
seine Strafbestimmungen auch dann zur Geltung kommen, wenn die
bezügliche Ankündigung oder Aeusserung des Heilgewerbetreibenden
oder seines Beauftragten zwar nicht direkt das Anerbieten der Fern¬
behandlung ausspricht, aber aus der Form und dem Inhalt und
aus den Umständen, unter welchen diese Ankündigung oder
Aeusserung (es braucht ja nicht immer eine öffentliche Ankündigung
zu sein) erfolgte, hervorgeht, dass ein Anerbieten der Fern¬
behandlung beabsichtigt war.
Im übrigen aber wäre für den Fall, dass ein landesgesetzliches Ver¬
bot der Fernbehandlung doch, mit Rücksicht auf die Reichs-Gewerbe¬
ordnung, den leitenden Stellen nicht angängig erschiene, dann
eine Anreg'ung Preussens im Bundesrat zur Ergänzung der
Reichs - Gewerbeordnung in dieser Hinsicht sehr erwünscht. Das
ursprünglich bei deren Schaffung gleichsam zum Dogma erhobene Prinzip
des „freien Spiels der Kräfte“ und der absoluten Gewerbefreiheit auf
allen Gebieten ist inzwischen durch eine Reihe späterer Gesetzbestim¬
mungen längst durchbrochen worden, auch für die Heilkunde, da die
durch Gesetznovelle vom 1. Juli 1883 bewirkte Aenderung der Reichs-
Gewerbe-Ordnung im § 56a die Ausübung der Heilkunde im Um¬
herziehen verbietet.
Geradezu unerklärlich ist für denjenigen, der die Motive zu dieser
Gesetznovelle (vom 1. Juli 1883) kennt, dass nicht schon damals zu¬
gleich auch das Verbot der (brieflichen) Fernbehandlung ausgesprochen
worden ist. Dass man aber auf diese, gewiss sehr wünschenswerte
reichsgesetzliche Ergänzung der Gewerbe - Ordnung durch Reichstag und
Bundesrat nicht zu warten braucht und ein landesgesetzliches Verbot
des Anerbietens der Fernbehandlung alsbald ergehen kann, ist bereits
vorstehend begründet und soll nochmals betont werden.
Aehnlich liegt die Rechtslage hinsichtlich eines Verbots der Kur¬
pfuscherei auf einem bestimmt abgegrenzten Gebiete, welchem aus volks-
hygienisoben Gründen auch in dem schon erwähnten „Gesetzentwurf gegen
Missstände im Heilgewerbe“ berechtigtermaassen besonderes Interesse
zugewandt worden ist: dem Gebiete der Geschlechtskrankheiten,
auf dem sich das Kurpfuschertum in riesigem Umfange betätigt und in
zahllosen Heilanpreisungen Kranke cinzufangen sucht. Die dem früheren
Gesetzentwurf beigegebene Begründung (zu § 3 des Entwurfs) betont,
gleichsinnig mit einer schon im Jahre 1903 seitens der „Deutschen Ge¬
sellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ an den Herrn
Reichskanzler eingereiohten Eingabe, mit Recht, dass jeder Geschlechts¬
kranke, je länger er unbehandelt bleibt oder falsch behandelt wird, um
so länger eine Infektionsquelle und damit eine Gefahr für andere in
sich birgt, und dass im Hinblick auf die so grosse Verbreitung der Ge¬
schlechtskrankheiten und ihre Uebertragbarkeit diese Gefahr keine ge¬
ringe ist — nicht zum wenigsten auch hinsichtlich der Fruchtbarkeit der
Bevölkerung, eine Frage, die ja gerade in letzter Zeit wegen de9 Rück¬
ganges der Geburten in den Vordergrund gerückt ist. E 9 ist ohne
weiteres klar, dass die in so starkem Maasse erfolgende kurpfuscherische
Behandlung Geschlechtskranker viel leichter zur Sterilität bei Mann und
Frau führen kann und so die Geburtenziffer beeinflusst 1 )- Und so würde
ein landesgesetzliches Verbot der Behandlung der Geschlechtskrankheiten
und ihrer Folgezustände („Männerschwäche“ usw.) sich auch auf das
Allgemeine Polizeiverwaltungs-Gesetz vom 11. März 1850 (da es sich um
Sorge für Leben und Gesundheit der Bevölkerung handelt) stützen
können.
Falls aber auch hier gegen ein direktes Verbot der Behandlung
unter Hinweis auf die Reichs-Gewerbeordnung Bedenken erhoben würden,
so müssten diese fallen, wenn nur ein landesgesetzliohes Verbot
der öffentlichen Anpreisung von Mitteln und Methoden zur
Behandlung der „Erkrankungen an den Geschlechtsorganen“
(diese Form des Ausdrucks ist in solchem Falle zweckmässiger als „Ge¬
schlechtskrankheiten“) ergioge; hierbei müsste allerdings, entsprechend
1) Vgl. auch darüber: Verhandlungen der schlesischen Aerzte-
kammer über die Ursachen des Geburtenrückganges. Kammerberiohte
(Wahlperiode 1912 bis 1914), II. Sitzung vom 26. Juni 1912 (siehe
S. 114 u. f.).
der sehr zielbewussten Fassung des § 15 des leider ja nicht Gesetz ge¬
wordenen Gesetzentwurfs gegen Missstände im Heilgewerbe (aus dem
Jahre 1910) ausdrücklich ausgesprochen worden, dass der öffentlichen
Ankündigung es gleich zu erachten sei, wenn gegenüber einem
grösseren Kreise von Personen Empfehlungen, Anerkennungen, Gut¬
achten, Danksagungen und ähnliche Aeusserungen verbreitet werden oder
auf solche Aeusserungen verwiesen wird, und dass dasselbe von Mit¬
teilungen an ein zelde Personen gelten soll, wenn der Mitteilende
oder dessen Beauftragter (denn viele Kurpfuscher haben Agenten) sich
zuvor öffentlich zur Auskunft erboten hat.
Auf gleiche Stufe zu stellen mit den Heilanpreisungen für Ge¬
schlechtskrankheiten und deren Folgezustände („Schwache Männer“ usw.
usw.) sind die Anpreisungen von Mitteln und Methoden gegen
„Menstruationsstörungen“, „Frauenleiden“ und dergleichen.
Ein Blick in die Zeitungen und Zeitschriften lehrt, dass die Zahl dieser
Anpreisungen enorm ist, wobei noch als wesentlich in Betracht kommt,
dass vielfach unter dem Deckmantel dieser Annoncen Frucht¬
abtreibung von Kurpfuschern und Kurpfuscherinnen betrieben
wird und hierbei viele Unglüoksfälle und dauernde Gesundheitsschädi¬
gungen Vorkommen. Um so eher würde sich demnach ein Verbot der¬
artiger Anpreisung auf landespolizeilichem Wege durch Regierungs-
Polizei Verordnung rechtfertigen und gleichfalls auf § 10, II, 17 des All¬
gemeinen Landrechts stützen können, ein Verbot, das wohl dann auch
auf den Geburtenrückgang nicht ohne Einfluss wäre.
Die Reihe der landesgesetzlichen Maassnahmen zur besseren Ein¬
dämmung der Kurpfuscherei ist mit den bisher hier genannten Vor¬
schlägen durchaus nicht erschöpft. So z. B. dürfte e9 weiterhin sich
empfehlen, die (auf Grund der §§ 43, 137 und 139 des Gesetzes über
die Allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 und auf Grund der
§§ 6,12 und 15 des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850)
in Berlin getroffene Regierungs-Polizei verodnung vom 1. August
1912, wonach Arzneien, deren Verkauf laut Kaiserlicher Verordnungen
vom 22. Oktober 1901 und vom 31. März 1911 gesetzlich beschränkt
ist, weder dirokt noch indirekt öffentlich angekündigt oder angepriesen
werden dürfen, für die ganze Monarchie in Geltung und dann wieder¬
holt in Erinnerung zu bringen. Gerade die Tatsache, dass die
„Pharmceutischen Nachrichten“ dieses Verbot heftig angegriffen haben,
beweist, dais es in gewisser Weise wirksam ist und u. a. zahlreiche
kurpfuscherische Anpreisungen von Geheimmitteln und dergleichen seitens
der Apotheker — von denen z. B. „Der Praktische Wegweiser“ in Würz¬
burg wimmelt 1 ) — für Berlin jetzt sehr beschränkt 9ind.
Im Hinblick auf die — trotz aller Ableugnungsversuche — in grossem
Umfange in gar manchen Apotheken stattfindende Kurpfuscherei wäre
sehr wünschenswert ein erneuter Ministerialerlass an die Kreis¬
ärzte: der Kurpfuscherei, insbesondere auch derjenigen in Apotheken
und eventuell auch in Drogenhandlungen ein erhöhtes Interesse zuzu¬
wenden.
Weiterhin wäre es wohl angebracht, die in dem Erlass des Herrn
Justizministers vom 21. Dezember 1901 an die Oberstaatsanwälte, be¬
treffend strafgerichtliche Verfolgung der Kurpfuscher, gegebenen
Weisungen erneut in Erinnerung zu bringen und hierbei auch auf die
Möglichkeit eines strafrechtlichen Vorgehens auf Grund des § 302e des
RStrGB. („Sach-Wucher-Paragraph“) in geeigneten Fällen, wo den an¬
gelockten Patienten wertlose Mittel und Apparate zu unerhört hohen
Preisen gleichsam aufgezwungen werden, hinzuweisen. Die Begründung
für die Zweckmässigkeit und Zulässigkeit eines solchen Vorgehens findet
sich in der „Deutschen Juristen-Zeitung (1904, Nr. 8, S. 402 ff.) in einem
lesenswerten Aufsatze von Dr. jur. Leo.
Sodann könnte eine Heranziehung anderer längst bestehender, bis¬
her aber zur Bekämpfung des Kurpfuschertums leider noch nicht
angewandter strafrechtlicher Vorschriften vielleicht Aussicht auf Er¬
folg bieten. So z. B. bietet das Reichs-Stcafgesetzbuch in seinen
§§ 327 und 110 eine Handhabe zum Vorgehen gegen die kur-
pfuschcrisch-naturheilkundliche, in Wort und Schrift die
Medizinal-Gesetzgebung untergrabende und darum für die
Allgemeinheit, besonders beim Ausbruch von Epidemien, so
gefährliche Agitation. Das Louis Kuhne’sche, in vielen Auflagen
erschienene „Lehrbuch der neuen Heilwissenschaft“ und andere gleich¬
sinnige naturheilkundliche Schriften fordern den Leser direkt auf, bei
Diphtherie und anderen Infektionskrankheiten die vorgesch riebe ne poli¬
zeiliche Meldung zu unterlassen, um sich nicht „unnützen“ polizeilichen
Maassregeln auszusetzen; sie fordern also zu dem durch § 327 RStrGB.
betroffenen Vergehen gegen die behördlichen Absperrungs- und Aufsichts¬
maassregeln auf. Desgleichen könnte gegen die in Volksversammlungen
und Flugschriften sich betätigende verhetzende und gegen die Medizinal-
Gesetzgebung gerichtete gefahrvolle Agitation gewisser Naturheilkuudiger
und Impfgegner der § 110 RStrGB. als wirksam herangezogen werden:
„Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder durch Verbreitung
oder öffentlichen Anschlag oder andere Darlegungen zum Ungehorsam
gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von
der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen
auffordert, wird mit Geldstrafe bis zu 600 M. oder mit Gefängnis bis
zu 2 Jahren bestraft.“
Wenn durch Einleitung von Strafverfahren auf Grund dieses ja
sehr dehnbaren § 110 RStrGB. dann gewisse naturheilkundliche soge-
1) Vgl. darüber dieZeitschr. „Der Drogenhändler“, 22. August 1912.
Nr. 68.
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10. Mär* 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
473
nannte „Lehrbücher“ betroffen werden würden, würde die Eindämmung
dieser Bücher auch im Hinblick auf die schon berührte Frage des Ge¬
burtenrückganges, die ja jetzt im Vordergründe der Diskussion steht,
sehr bedeutungsvoll sein; denn beispielsweise gibt das in mehr als
einer Million Exemplaren verbreitete Bilz’sche „Naturheil-
verfahren“ den Frauen direkte Handhaben nicht nur für die Ver¬
hütung der Conception, sondern auch für die künstliche
Fruchtabtreibung durch genaue Beschreibung der üblichen Methoden
und durch Angabe, wie und wo die in Frage kommenden Mittel und
Instrumente leicht zu beschaffen sind. Von berufener frauenärztlioher
Seite 1 ) ist die ungeheure Verbreitung dieses Bilz’schen Natur¬
heilbuches in allen Schichten der Bevölkerung als ein sehr wesent¬
licher Faktor für die Einschränkung der Kinderzahl bezeichnet worden.
Und man mag zur Frage der Beschränkung der Kinderzahl stehen wie
man .will — die Entscheidung über die künstliche Fruchtabtreibung ist
allein Sache des Arztes, während durch das Bilz’sche Naturheil¬
buch und andere gleichsinnige Schriften und Bücher die Frauen auf
die Uterusspritzen und andere Abtreibungsmittel immer
wieder hingelenkt werden und darum die Nachfrage danach
heutzutage so gross geworden ist, wie ja unter anderem aus dem
Bericht der Preussischen Medizinalabteilung für das Jjihr
1911 (vgl. das Kapitel: „Besondere Betrachtungen über Missstände im
Arzneimittelverkehr“) hervorgeht. So wird beispielsweise aus dem Regie¬
rungsbezirk Merseburg berichtet, dass „Händlerinnen mit Wollwaren
sich den Handel mit gewissen Spezialitäten als Nebenerwerb ausgesucht
haben und in ihren Tragkörben unter allen möglichen verbotenen
Arzneien auch Gebärmutterspritzen, Spülkannen und dergl. mit
sich führen“; aus dem Regierungsbezirk Köln: dass „besonders der Ver¬
kauf sogenannter Menstruationsbeförderungsmittel durch
die Drogenhandlungen in den grossen Städten zugenommen“ hat;
aus dem Regierungsbezirk Arnsberg: dass verschiedentlich „Drogisten in
ihren Schaufenstern Uterusspritzen verschiedener Form, die zweifel¬
los zur Abtreibung der Leibesfrucht bestimmt waren, ausliegen
batten“ und öfters auoh bei ihnen „Tees und Pulver vorgefunden wurden,
die angeblich als Mittel gegen Menstruationsstörungen verkauft,
in Wirklichkeit aber als Abtreibungsmittel gekauft und weit über
den Wert hinaus bezahlt werden“. (Ich möchte übrigens, um nicht
ungerecht zu erscheinen, hierbei erwähnen, dass das Organ des Deutschen
Drogistenverbandes „Der Drogenhändler“ (vgl. Nr. 3 vom 9. Januar 1913,
S. 16) seinen Berufsgenossen „ans Herz legt, von dem Verkauf solcher
mit Recht verpönter Mittel abzulassen“.)
In einem unlängst erschienenen Aufsatze über „Abtreibung mit
Intrauterinpessarien“ weist L. Bürger 2 ) treffend darauf hin, dass den
Abtreibern und Abtreiberinnen, die heut in grossem Umfange
Intrauterinstifte und Pessare für ihr Gewerbe verwenden,
unter den jetzigen gesetzlichen Verhältnissen gar nicht
beizukommen sei, weil sie nämlich als Ausrede stets angeben, dass
sie nur ein vorhandenes Leiden mit diesen Pessaren behandelt hätten,
und dass sie also jetzt ungestraft ihr gefährliches Handwerk ausüben
können. „Dagegen“* sagt der Verfasser, „würde ein Verbot der
Behandlung aller Leiden und Krankheiten der Geschlechts¬
organe durch Nichtärzte (Kurpfuscher), wie es der Gesetzentwurf
gegen Missstände im Heilgewerbe vorsah, von grossem Nutzen sein.“
„Gewerbsmässigen Abtreibern könnte dann auf Grund solchen
Gesetzes das Handwerk gelegt werden.“ (I. c., S. 1663.)
Wir kommen hier also auch noch aus anderen, als den schon (bei
Besprechung der kurpfuscherischen Reklameanpreisungen für Geschlechts¬
kranke) erwähnten Gründen durchaus zur Notwendigkeit einer solohen
besonderen Gesetzesbestimmung.
Vielleicht Hesse sich ein solches Verbot, wenn man es auf landes¬
gesetzlichem Wege mit Rücksicht auf die angeblich entgegenstehende
Reichs-Gewerbeordnung nicht erlassen will, schliesslich durch Ergänzung
derselben erzielen.
Wir kommen hiermit, nachdem wir bisher im wesentlichen von
etwaigen landesgesetzlichen Maassnahmen zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei in ihren verschiedenen Formen gesprochen haben, noch auf
einige nur reichsgesetzlich — am besten durch Anregung Preussens
beim Reichsamt des Innern — zu regelnde Vorschläge.
Dahin gehört in erster Reihe eine schon vor Jahren vom Senats¬
präsidenten im Reichsversicherungsamt, Geh.-Rat Flügge, vorgeschlagene,
sehr wünschenswerte Ergänzung des § 35 RGO. in dem Sinne, dass
bei Unzuverlässigkeit auch der Heilhetrieb untersagt werden
kann. Auch ich habe schon früher an anderer Stelle 3 ) auf den grellen
Widerspruch hingewiesen, der darin liegt, dass nach der jetzigen Fassung
dieses § 35 RGO. zwar „der Handel mit Drogen und chemischen Prä¬
paraten, welche zu Heilzwecken dienen, untersagt werden kann, wenn
** 1) Vgl. R. Asch, Sitzungsbericht d. Schlesischen Aerztekammer
(Verbandl. über d. Ursachen d. Geburtenrückganges), S. 123 ff. (Sitzung
vom 26. Juni 1912.)
2) Dr. L. Bürger, Ueber Abtreibung mit Intrauterinpessarien.
Med. Klinik, 13. Oktober 1912, Nr. 41. (Aus der Unterrichtsanstalt für
Staats-Arzneikunde [Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Strassmann]).
3) Dr. Carl Alexander, Das Kurpfuschertum und die rechtlichen
Mittel zu seiner Bekämpfung. Referat, erstattet auf der 1. Jahresver¬
sammlung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung ded Kurpfuscher¬
tums. (Erschienen ifa der Sammlung: Das Kurpfuschertum ühti seine
Bekämpfung: Btrassburg i. E.1904, W. B«k. *
die Handhabung des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit von
Menschen gefährdet — aber nicht „die Behandlung“.
Zur Formulierung einer derartigen Ergänzung des § 35 RGO.
würde der § 5 des leider ja nicht Gesetz gewordenen „Entwurfs gegen
Missstände im Heilgewerbe“ (aus dem Jahre 1910), der ja laut bei¬
gegebener Begründung einer zur Zeit fehlenden Bestimmung des § 35
RGO. entsprechen sollte, eine sehr geeignete Handhabe bieten,
wobei hinsichtlich der Aussichten für die Annahme einer solchen er¬
gänzenden Gesetzbestimmung durch den Reichstag es vielleicht nicht
ganz gleichgültig ist, darauf hinweisen zu können, dass die damals zur
Durchberatung des genannten Gesetzentwurfs eingesetzte Kurpfuscherei¬
kommission des Reichstags den betreffenden § 5, der die Möglichkeit
der Untersagung des Heilbetriebs bei Unzuverlässigkeit vorsah, ohne
weiteres angenommen hat.
Noch ein anderes schon bestehendes Reichsgesetz bedürfte, behufs
Bekämpfung des Heilscbwindels, gar dringend der Ergänzung: das Press¬
gesetz vom 7. Mai 1874; und zwar in der Richtung, dass die Ver¬
leger bzw. die Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften gezwungen
werden könnten, im Text öffentliche Warnungen der Behörden
gegen die in ihrem Annoncenteil veröffentlichten Heil¬
schwindelanzeigen ohne Entgelt aufzunehmen. Wenn man
bedenkt, dass der § 11 des Pressgesetzes jedem einzelnen Privatmann
die leichte Möglichkeit bietet, die Presse zur Aufnahme gewisser be¬
richtigender Angaben — in seinem doch beschränkten Privatinteresse —
zu zwingen und so diese Berichtigung Tausenden und Hunderttausenden
von Lesern zugänglich zu machen, kann nicht unberechtigt die Forde¬
rung sein, dass auch den Staatsbehörden bezüglich öffentlicher
Warnungen, die schwindelhafte Heilanpreisungen richtigstellen, im
Interesse und zum Schutze der Volksgesamtheit diese Möglichkeit
werde. Solche behördliche Warnuogen können ja natürlich nur dann
einen Erfolg haben, wenn sie in vielgelesenen Blättern erscheinen; und
darum verfehlen sie heutzutage ihren Zweck fast immer, weil gerade
diejenigen Zeitungen, auf die es im wesentlichen ankäme, solche
Warnungen vor kurpfuscherischen Mitteln und Methoden nicht nur nicht
abdrucken, sondern sogar deren Aufnahme einfach ablehnen. Beweis-
material hierfür ist vorhanden! Ein hübsches und typisches Beispiel für
die Erfolglosigkeit solcher behördlicher öffentlicher Warnungen bietet
ein Preussischer Ministerialerlass vom 22. Juni 1912, betreffend
Warnung vor dem „Institute of Radiopathy“ (jetzt „Institut G. A. Mann“)
(siehe Ministerialbl. f. Med.-Angel., August 1912, S. 213); in diesem
Erlass heisst es: „Nach einer hierher gelangten amtlichen Mitteilung
ist der „Präsident“ des Privatunternehmens „Institute of Radiopathy“,
G. A. Mann, der durch Annoncen in deutschen Zeitungen für sich
Reklame macht und alle möglichen Krankheiten zu heilen verspricht,
durch Urteil der 10. Kammer des Pariser Polizeigerichts vom 20. De¬
zember 1910 zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten und zu einer
Geldbusse von 3000 Frcs. verurteilt worden.“ „Bereits in früheren
Jahren sind Warnungen vor dem Institut erlassen worden,
ohne dass es anscheinend gelungen ist, dadurch dem
schwindelhaften Unternehmen mit Erfolg entgegenzu-
arbeiten.“ Ganz selbstverständlich, weil diese sogenannten öffent¬
lichen Warnungen zwar in den amtlichen Blättern, aber nicht in den
Tageszeitungen erscheinen, und den Behörden nicht die riesigen Summen
hierfür zu Verfügung stehen, die nötig wären, um solche Warnungen
durch Bezahlung als Annonce in die weitgelesene Tagespresse zu
bringen. Und so scheint die Forderung einer sinngemässen Erwei¬
terung des § 11 des Pressgesetzes durchaus gerechtfertigt, etwa
mit folgendem Wortlaut:
„Verleger bzw. Herausgeber und Schriftleiter von Zeitungen,
Zeitschriften und anderen periodischen Druckschriften, in denen
öffentliche Ankündigungen und Anpreisungen von Mitteln, Apparaten
und Methoden zur Verhütung, Linderung oder Heilung von Krank¬
heiten, Körperschäden und anderen Leiden erschienen sind, sind
verpflichtet, falls die erschienenen Anzeigen Anlass zu öffentlicher
Berichtigung oder Warnung gegeben haben, auf Verlangen staatlicher
Behörden die entsprechende Warnung oder Berichtigung ohne Ein¬
schaltungen und ohne Weglassungen kostenfrei in der nach Empfang
der Einsendung oder Aufforderung durch die Behörde nächstfolgenden
Nummer der Zeitung (bzw. Zeitschrift, periodische Zeitschrift u. dgl.)
an einer dem Leser leicht in die Augen fallenden Stelle aufzunehmen,
und zwar so oft wiederholt, als die den Gegenstand der öffentlichen
Warnung oder Berichtigung (Aufklärung) bildende Ankündigung dann,
nach dem ersten Abdruck der Warnung (Berichtigung), noch später in
gleicher Weise oder gleichsinnig weiter erscheint.“
Entsprechende Strafbestimmungen wegen Zuwiderhandlung gegen
diese Vorschrift müssten natürlich vorgesehen sein.
Selbst wenn aber solche Warnungen lokaler Behörden (Polizei-
Präsidium zu Berlin, Breslau usw.; Gesundheitsämter in Hamburg, Karls¬
ruhe i.B., Leipzig, Darmstadt usw.) in die für sie in Betracht kommenden
lokalen Zeitungen übergingen, würde das noch nicht ausreichen gegen¬
über der fortwährenden Beeinflussung der gesamten Bevölkerung des
Reiches durch die in riesigem Umfange an vielen Orten zugleich
arbeitende kurpfuscherische Reklame. Deshalb ist eine richtige
Organisation bei Sammlung und Verbreitung möglichst
aller in den verschiedenen Gebieten Deutschlands heraus-
kommendeff öffentlichen Warnufagehl ein für die Bekämpfung der
Kurpfuscherei desentlicbes Erfordernis. Wir bedüsfen hierfür durohaqs
einer Centralstelle, welche zugleich auehneine stets bereite^Aus»*
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UNIVERSUM OF IOWA
474
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
kunftsstelle für alle Anfragen über Kurpfuscherei bilden
müsste.
Diese Centralstelle müsste zugleich auch ein Centralprüfungs¬
amt für Geheimmittel und andere, mit besonderer Reklame
zu Heilzwecken angepriesene und in den Verkehr gebrachte
Mittel und Apparate in sieh schliessen. Eine solche Central-
Prüfungsstelle ist ein von vielen Seiten dringend anerkanntes Bedürfnis.
Insbesondere hat bereits im Jahre 1905 die „Deutsche Gesellschaft zur
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ in einer (in deren Auftrag von mir
verfassten) diesbezüglichen Eingabe 1 ) an das Reichsamt des Innern
darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl das „Reichsgesetz zur Be¬
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs, auf dessen Anwendbarkeit zur
Eindämmung des Kurpfuschertums der Herr Justizminister in Preussen
durch Erlass vom 21. Dezember 1901 (desgleichen in Bayern: Erlass
vom 15. Oktober 1904) ausdrücklich hingewiesen hat, als auch die in
Preussen seitens des Herrn Medizinalministers (vom 28. Juni 1902) und in
anderen Bundesstaaten gleichsinnig ergangenen Erlasse, die sich auf behörd¬
liche Unterdrückung der übertriebenen Reklame der Kurpfuscher beziehen, bei
gerichtlichem Vorgehen die Forderung eines sachgemässen Gutachtens (:ob
die von dem Kurpfuscher bezüglich seiner Mittel und Methoden an¬
gekündigten Heilversprechungen über deren wahren Wert hinausgehen)
in jedem Einzelfalle mit sich bringen, dass jedoch die bei den Gerichten
und Polizeibehörden amtierenden Sachverständigen häufig gar nicht in
der Lage sind, das fragliche Mittel oder auch nur nähere Angaben dar¬
über sich zu beschaffen, weil diese Mittel und Apparate, die ja bei
hohem Preise erst recht den Wunderkitzel des Publikums anregen, zu¬
meist sehr teuer sind. Die an einzelnen Orten gelegentlich stattfindenden
Untersuchungen aber genügen, bei der gewaltigen Verbreitung des Kur¬
pfuschertums, um so weniger, als die Ergebnisse derartiger einzelner
Untersuchungen nicht überall bekannt gegeben werden, und somit auch
die zuständigen Behörden anderwärts nicht wissen, ob überhaupt und
wann bereits eine Prüfung des für das strafrechtliche Vergehen gerade
in Frage kommenden kurpfuscherischen Mittels und Apparates statt¬
gefunden hat. Das Vorhandensein einer Centralstelle würde diese un¬
erquicklichen Verhältnisse natürlich sofort beseitigen.
Inzwischen sind seit jener Eingabe der „Deutschen Gesellschaft zur
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ die Stimmen Berufener immer zahl¬
reicher geworden, die eine solche Centralstelle fordern, deren Notwendig¬
keit auch in einer von neun preussisohen Aerztekammern unterstützten
Petition der Berlin-Brandenburgischen Aerztekammer im Jahre 1908
klar zum Ausdruck gebracht ist. Diese Notwendigkeit ist in letzter
Zeit noch mehr hervorgetreten, wegen der Missstände im Arzneimittel¬
verkehr, über den ja auch der eingangs erwähnte Bericht der preussi-
schen Medizinalabteilung sich näher auslässt, und auf die insbesondere
W. Heub ner-Göttingen in seiner so lesenswerten Arbeit über „Allerlei
Heilmittelunheil“ 2 ), desgleichen Henius-Berlin 3 ), Spring fei d-Osna¬
brück 4 ), Eugen Seel-Stuttgart 5 ) u. a. in eingehenden Abhandlungen
hingewiesen haben.
Ob mehrere solcher Centralstellen als Landes-Centralstellen oder,
besser noch, eine einheitliche für das ganze Reich errichtet und diese —
wie auch im Kurpfuscbereigesetzentwurf vorgesehen war — dann dem
Kaiserlichen Gesundheitsamte angegliedert werden soll, muss
näherer Erwägung Vorbehalten bleiben. Mit Recht sagt Neu-
stätter 6 ) in seiner eingangs erwähnten Arbeit: „So gut dieses
Kaiserliche Gesundheitsamt jede Woche sich mit dem Stande der Seuchen
in seinen „Mitteilungen“ abgibt, ebenso könnte und sollte es sich mit
den täglichen Schädigungen der Volksgesundheit durch Schwindel mittel,
Schwindelinstitute und sogenannte Heilkünstler befassen“. Für die Ein¬
richtung einer solchen Centralstelle könnte, wenigstens bezüglich der
öffentlichen Warnungen, das bei dem die Bekämpfung des Geheimmittel-
sohwindels sehr rührig betreibenden Ortsgesundheitsrat zu Karlsruhe i. B.
übliche Verfahren gewisse Anhaltspunkte bieten. Die Persönlichkeit des
derzeitigen Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, Dr. Bumm,
der der Bekämpfung des Geheimmittelschwindels dankenswertes Interesse
entgegenbringt, böte wohl eine gewisse Gewähr dafür, dass die Ein¬
richtung dieser Centralstelle zweckmässig gestaltet wird, wenn nur erst
die gesetzliche Grundlage vorhanden und die erforderlichen Mittel dafür
eingestellt würden.
Als eine sehr wünschenswerte Folgeerscheinung würde sich dann,
worauf neuerdings wieder Springfeld hingewiesen hat, auch die er¬
geben, dass das Patentamt den „Erfinderschutz“, „Wortschutz“, das
1) Diese Eingabe ist abgedruckt in den „Hygienischen Blättern“,
dem damaligen offiziellen Organ der „Deutschen Gesellschaft zur Be¬
kämpfung des Kurpfuschertums“, Jahrgang 2, März 1906, Nr. 6,
S. 85-91.
2) W. Heubner, Allerlei Heilmittelunheil. Therapeut. Monatsh.,
März 1912.
3) Henius, Unzuträgliche Reklame für neue Heilmittel. Deutsche
med. Wochenschr., 1911, Nr. 37.
4) A. Springfeld, 1. c. (und in verschiedenen anderen Arbeiten).
5) Eugen Seel, Prüfungs- und Auskunftsstelle für Arzneimittel.
Ihre Notwendigkeit, Einrichtung und Tätigkeit. Therapeut. Monatsh.,
August 1912.
6) 0. Neustätter, Was nun in der Kurpfuscherbekärapfung?
Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 28.
Reichspatent usw. erst dann verleihen würde, wenn das Prüfungsamt
seine Meinung ausgesprochen hat. Unter den obwaltenden Verhältnissen
aber ist es, wie bereits die Ausstellung der „Deutschen Gesellschaft zur
Bekämpfung des Kurpfuschertums“ anlässlich des Internationalen
Hygienekongresses in Berlin (September 1907) dem Publikum und den
Behörden drastisch vor Augen führte, wiederholt vorgekommen, dass
sogar kurpfuscherische Mittel und Apparate, vor denen öffent¬
liche Warnungen ergangen waren, das deutsche Reichspatent
(oder den Musterschutz) erhielten, in dessen Erteilung ja das Publikum
irrigerweise zu seinem Schaden auch eine amtliche Bestätigung der
Wirksamkeit des betreffenden Mittels erblickt.
Die Gefahren, die aus uneingeschränktem Weiterwuchern des Heil¬
schwindels und der Kurpfuscherei erwachsen, können gar nicht über¬
schätzt werden. Als eine Pflicht derjenigen, denen sie in vollem Um¬
fange zum Bewusstsein gekommen, erscheint es, immer wieder erneut auf
sie hinzuweisen und auf Mittel zu ihrer Abwehr zu sinnen! Nur so
können die Aerzte das werden, was ein grosser Staatsmann einst ihnen
als Ziel setzte: Führer des Volkes!
Wiener Brief.
Das vielumstrittene Epidemiegesetz wurde in der Sitzung des
Abgeordnetenhauses vom 10. Februar in dritter Lesung angenommen.
Dieses Gesetz, welches die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten betrifft, setzt sich aus fünf Hauptstücken zusammen:
Der Anzeigepflicht unterliegen nunmehr folgende Krankheiten
in Oesterreich: Scharlach, Diphtherie, Typhus, Dysenterie, epidemische
Genickstarre, Wochenbettfieber, Flecktyphus, Variola, Cholera asiatica,
Pest, Febris recurrens, Lepra, Trachom, gelbes Fieber, Milzbrand, Rotz,
Wutkrankheit (Bissverletzung durch wutverdächtige Tiere). Die Anzeige¬
pflicht obliegt den Aerzten, aber auch Laien, für den Fall, dass ohne
Zuziehung von Aerzten „der anzeigepflichtige Charakter“ der Krankheit
zur Kenntnis gelangt ist oder gelangt sein könnte. Das zweite Haupt¬
stück des neuen Epidemiegesetzes beschäftigt sich mit der Verhütung
und Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Ein Paragraph, welcher die
Behörden verpflichten sollte, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auf
die Schaffung von Vorkehrungen und Einrichtungen hinzuwirken, welche
das Entstehen und die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu ver¬
hüten geeignet sind, wurde fallen gelassen — angeblich aus ökonomischen
Gründen, angeblich, um nicht ärmeren Gemeinden neue Lasten aufzu¬
bürden, in Wirklichkeit aber aus Angst und Furcht vor dem Impfzwang.
Das Gesetz schreibt die Isolierung des Kranken vor, eventuell in einer
Krankenanstalt, und fordert von den Behörden die Bereithaltung der
Transportmittel. In betreff der Desinfektion bzw. der Vernichtung von
Objekten aus der Umgebung der Kranken werden genaue Vorschriften
gegeben. Die Wasserbenutzung kann beim Auftreten bestimmter Infek¬
tionskrankheiten beschränkt oder auch untersagt werden. Auch die
Abgabe von Lebensmitteln aus infizierten Verkaufsstätten kann unter¬
sagt werden. Die Abhaltung von Märkten, von Festlichkeiten und
anderen Veranstaltungen, welche mit dem Zusammenströmen grösserer
Menschenmengen einhergehen, kann beim Auftreten von Infektions¬
krankheiten von Amts wegen verboten werden. Wenn Wohnungen wegen
ansteckender Krankheit zwangsweise geräumt werden müssen, ist den
Bewohnern über ihr Verlangen oder beim Nachweis der Mittellosigkeit
Unterkunft und Verpflegung unentgeltlich zu bewilligen.
Als Epidemieärzte sind in erster Linie Gemeinde- und Distrikts¬
ärzte zu bestellen. Wenn diese nioht genügen, können für die Dauer
des Bedarfs Epidemieärzte ernannt werden.
Zu lebhaften Debatten hat das dritte Hauptstück geführt, welches
sich mit dem Schadenersatz und der Bestreitung der Kosten bei der
Bekämpfung von Infektionskrankheiten beschäftigt. Eine Vergütung
können alle Personen beanspruchen, aus deren Besitz Gegenstände ent¬
weder zerstört oder durch das Desinfektionsverfahren entwertet worden
sind. Mittellosen Personen wird für die Zeit, während welcher sie in
ihrem Erwerb gehindert sind, von Staats wegen eine Vergütung im
Betrage von 60 pCt. des ortsüblichen Tagelohnes der Arbeiter zuge¬
billigt.
Aerzte, welche bei der Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten
berufsunfähig geworden oder gestorben sind, werden in entsprechender
Weise bedacht. Die Ruhe- und Versorgungsgenüsse im Mindestausmaasse
von 2400 Kronen pro Jahr fallen beim Absterben der Aerzte den Hinter-
bliebehen zu. Auch für die Pflegepersonen und deren Hinterbliebene
wird mit Ruhegenüssen von mindestens 600 Kronen, mit Witwenpensionen
von mindestens 300 Kronen gesorgt. Die Kosten für die Bekämpfung
der Infektionskrankheiten trägt der Staat.
Im Motivenberichte zum Epidemiegesetze wird als Fehler desselben
bezeichnet, dass die Anzeigepflicht für Tuberkulose und Syphilis nicht
gesetzlich festgelegt wurde, trotzdem diese Infektionskrankheiten die ge¬
fährlichsten, weil häufigsten sind. In einem Resolutionsantrage wird die
Regierung aufgefordert, mit tunlichster Beschleunigung einen Gesetz¬
entwurf zur Verhütung e und Bekämpfung der Tuberkulose und der Ge¬
schlechtskrankheiten ‘als Coro!lat zürn Eßidemiefeesetee eftnsubringen.
Föfner'wird auf f die geringe 1 Zahl cHtf ■Betten"für tubbrktflösekranke,
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10. M&n 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
476
aof die io den meisten Städten Oesterreichs noch fehlende Institution
der Schulärzte hiogewiesen. Schliesslich wird empfohlen, eine Verein¬
barung mit Ungarn zu treffen, um die sofortige obligatorische Verständi¬
gung über Fälle ron Infektionskrankheiten in den Grenzbezirken zu
ermöglichen.
Trotz mancher Radierungen und Verwässerungen derTexte unseres Epi¬
demiegesetzes ist dasselbe als grosser Vorteil zu bezeichnen, als Fortschritt
sowohl im Ioteresse des ärztlichen Arbeitens als auch der gesamten Bevölke¬
rung. Den ärztlichen Abgeordneten, welche mit Energie für das Epidemie¬
gesetz eingetreten sind, gebührt der Dank der Oeffentlichkeit. Die Abgeord¬
neten, darunter merkwürdigerweise auch Aerzte, welche gegen das Gesetz
eine rücksichtslose Opposition leisteten, von der Beschränkung der per¬
sönlichen Freiheit usw. sprachen, sind glücklicherweise unterlegen. Nach
der Schaffung gesetzlicher Bestimmungen zur Vorbeugung und Be¬
kämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten wird das
Gesetz alles enthalten, was man billig wünschen darf. Bis zur Durch¬
führung des Impfzwanges in Oesterreich werden jene, welche dieses
Gesetz geschaffen und vertreten haben, wohl nicht kommen.
Der Kampf der Aerzte Niederösterreichs gegen denVerband
der Genossenschaftskrankenkassen Wiens und Niederösterreichs hat be¬
gonnen ; die Aerzte behandeln die Kranken, lehnen aber alle administra¬
tiven Arbeiten, welche für den Fortbestand der Kassen unbedingt not¬
wendig sind, ab. Zweifelsohne werden die Aerzte in diesem Kampfe
siegen, da die Kassen ohne die administrative Mitarbeit der Aerzte zur
Untätigkeit verdammt würden. Dieser Kampf der Aerzte bedeutet eine
Kraftprobe unserer wirtschaftlichen Organisationen, welche zielbewusst
arbeiten, und deren Weisungen und Ratschläge fast von allen Aerzten
befolgt werden.
Hofrat v. Noorden, der Vorstand der ersten medizinischen Klinik,
übersiedelt zu Ende des Sommersemesters nach Frankfurt a. M. und
tritt nicht bloss von der Wiener Lehrkanzel, sondern von der klinischen
Arbeit überhaupt zurück. Fünf Jahre ist v. Noorden in Wien tätig;
er hat io dieser kurzen Zeit ein neues mustergültiges Institut ge¬
schaffen und für sein Lieblingsthema, die Stoffwechselkrankheiten, ein
Arbeitscentrum eingerichtet. Sein Entschluss, Wien nach kurzer Tätig¬
keit zu verlassen, wird viel besprochen. Wie vor kurzem bei v. Strümpell
sind auch bei v. Noorden persönliche Gründe für die Abreise von
Wien maassgebend; jenem eröffnete sich durch den Tod Curschmann’s
ein Wirkungskreis an der Stätte, wo er als Assistent gedient batte;
dieser geht nach Frankfurt a. M. zur Konsiliarpraxis zurück, nachdem
er sich in Wien als Kliniker und Organisator bewährt hat. Dass beide
reichsdeutsche Kliniker in Wien auch Böses oder vorsichtiger gesprochen
Unangenehmes erlebt haben, war gewiss für ihren Entschluss, Wien den
Rücken zu kehreo, nicht allein maassgebend. Die Uebernahme einer
grossen Klinik in einer fremden Stadt ist keine leichte Aufgabe; persön¬
liche und . sachliche Differenzen sind hierbei nicht zu vermeiden. Die
Wiener medizinische Fakultät, welche derzeit mit vier medizinischen
Kliniken ausgestattet ist, wird demnächst zwei zu besetzen haben. Das
Schicksal der zweiten (einst Neusser’schen) Klinik scheint bereits ent¬
schieden zu sein — sie wird in eine chirurgisch-propädeutisehe umge¬
wandelt. Die erste, jetzt Noorden’sche Klinik, wird am Schlüsse des
Sommersemesters vakant.
Man weissagt, dass die Unterrichtsverwaltung naoh den Erfahrungen,
die sie mit v. Strümpell und v. Noorden in letzter Zeit gemacht
hat, nicht geneigt sein werde, es diesmal mit einem reichsdeutschen
Kliniker zu versuchen. Viennensis.
Zur Erinnerung an W. Podwyssotzky.
Im blühendsten Mannesalter, im 56. Lebensjahre, wurde der ge¬
feierte russische Pathologe, die Zierde der russischen medizinischen
Wissenschaft, Prof. Wladimir Podwyssotzky, das Opfer einer heim¬
tückischen Krankheit. Niemand konnte glauben, dass der Lebensfaden
dieses von Energie und Lebenskraft strotzenden Mannes so rasch und
so plötzlich abgerissen werden wird. Er stand in der Vollkraft seines
Wirkens, viele hervorragende Leistungen waren noch von ihm zu er¬
warten, aber mitten in seinem Schaffen entriss ihn ein beklagenswertes
Verhängnis.
Der Lebenslauf Podwyssotzky’s war reich an Erfolgen, an Ehren
und an Auszeichnungen. Das Schicksal war ihm stets hold gesinnt.
Deo Elementarunterricht erhielt er in der Schweiz, in der Stadt Genf.
Sodann wurde er nach der Heimat zurückgebracht a wo er in Shitonier
da? Gymnasium als einer der besten• Schüler verliess. Abgesehen
d^pon, dass er die Prüfungen in den Schulfächern glänzend bestand,
bewies er noch hervorragende künstlerische Fähigkeiten und wurde für
seine Zeichnungen nach der Natur von der Akademie der Künsto in
Petersburg mit einer ehrenden Anerkennung bedacht. Hierauf bezog
er im Jahre 1877 die medizinische Fakultät der Universität Kiew, die er
1888 absolvierte. Schon damals bekundete sich seine wissenschaftliche Be¬
fähigung, und noch als Student veröffentlichte er seine erste Arbeit, die
Untersuchung über „Die Histologie des Pankreas“.
1884 bf£eiligjke er sich an einer Kommission* die behufs Erfoflschung
dev Lepra nach dem Kaukasus gesandt 1 waiw Während seines dortigen
Aufenthaltes lenkte er seine Aufmerksamkeit auf den Kefir, seine Her¬
stellung, Zusammenstellung und physiologische Wirkung. Er studierte
die Biologie des K/efirpilzes und legte die Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen in einer klassischen Monographie über den „Kefir“ nieder,
die in mehrere fremde Sprachen übersetzt wurde.
Angesichts der von ihm bewiesenen Fähigkeiten wurde Pod¬
wyssotzky im Jahre 1885 vom Ministerium der Volksaufklärung für
zwei Jahre ins Ausland kommandiert, um sich für die Professur auszu¬
bilden. Er ging zuerst naoh Tübingen, wo er bei Ziegler und
Grützner arbeitete, sodann nach München, wo er sich bei Bollinger
und Ziemssen beschäftigte, und zuletzt nach Paris, wo er Pasteur
und Cornil aufsuchte. Aus dem Laboratorium von Grützner ver¬
öffentlichte er bemerkenswerte Untersuchungen über die Methodik der
Darstellung von Pepsinextrakten, und aus dem Ziegler’schen Institut
experimentelle Forschungen über die Regeneration von Lebergewebe,
von Drüsengewebe, der Epithelien der Speichel- und Meibom’schen
Drüsen, die die Fragen der Regeneration hell beleuchteten.
Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Podwyssotzky gleich
nach seiner Doktorpromotion einstimmig zum Privatdozenten der militär¬
medizinischen Akademie in Petersburg erwählt. Er zog es jedoch vor,
nach Kiew zu gehen, wo er 1888 zum ausserordentlichen Professor für
allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie ernannt wurde. Sein
Wirken in Kiew dauerte etwa 13 Jahre. Seiner Lehrtätigkeit war ein
geradezu ungewöhnlicher Erfolg besohieden. Seine Vorlesungen erfreuten
sich eines kolossalen Zudranges, und sein Laboratorium konnte nicht
alle fassen, die dort zu arbeiten wünschten. Zahlreiche Arbeiten er¬
schienen unter seiner Aeglde, aber das ausgezeichnetste Werk, eine
epochemachende Erscheinung, das war sein eigenes Buch „Die Grund¬
lagen der allgemeinen Pathologie“, das in viele europäische Sprachen
übersetzt wurde. Das Buch erlebte bis jetzt vier Auflagen und hat
Tausenden und Abertausenden von Aerzten pathologische Bildung ver¬
mittelt.
Im Jahre 1896 begründete Podwyssotzky das „Russische Archiv
für Pathologie, klinische Medizin und Bakteriologie“, das für Russland
die gleiche Bedeutung gewinnen sollte wie Virchow’s Archiv für die
anderen Kulturländer. Sieben Jahre lang redigierte er mit Hingabe und
Aufopferung das Archiv, fügte ihm Jahresberichte über die gesamten
Fortschritte in der praktischen Medizin bei, die russischen Aerzte unter¬
stützten ihn jedoch nicht genügend, und die Zeitschrift musste zuletzt
aus Maogel an Mitteln ihr Erscheinen leider einstellen.
Als an der Universität Odessa, die bis dahin keine medizinische
Fakultät besass, eine solche Fakultät neu errichtet werden sollte, wurde
Podwyssotzky vom Ministerium der Volksaufklärung mit ihrer Einrichtung
beauftragt. Im Jahre 1900 siedelte er als ordentlicher Professor und
Dekan der neu zu schaffenden Fakultät nach Odessa über. Dort ent¬
faltete er eine ausserordentlich rührige und energische Tätigkeit, leitete
den Bau der Kliniken und organisierte den medizinischen Unterricht.
Er wurde dort zum Vorsitzenden der Balneologischen Gesellchaft er¬
wählt, schuf an der Universität den ersten Lehrstuhl für Balneologie
und physikalische Heilmethoden und erledigte seine Mission mit eminentem
Erfolg.
1905 erfolgte seine Ernennung zum Direktor des Instituts für ex¬
perimentelle Medizin zu St. Petersburg. Auch auf diesem Posten bewies
er sein hervorragendes administratives und Organisationstalent. Unter
seiner Direktion nahm das Institut einen neuen Aufschwung, wurde
durch neue wissenschaftliche Abteilungen bereichert und verwandelte
sich in eine Stätte emsigster Arbeit und intensivster Forschung. Pod¬
wyssotzky selbst leitete die Abteilung für allgemeine Pathologie, in
weloher er sich in den letzten Jahren ganz besonders mit der Krebs¬
frage beschäftigte, die er durch seine Untersuchungen sehr förderte.
Bekannt sind seine Arbeiten über den Krebs der Pflanzen und über
die Bedeutung der formativen Reize für die Entwicklung des Carcinoms
beim Menschen.
Seit 1902 war Podwyssotzky Mitredakteur der verbreitetsten
russischen medizinischen Wochenschrift, des „Russky Wratsch“. Ausser¬
dem redigierte er das offizielle Organ des Instituts für experimentelle
Medizin, das „Archiv für biologische Wissenschaften“. Beide Zeit¬
schriften erfuhren unter seiner Leitung eine fortschreitende Entwicklung.
Russland verlor somit in Prof. Podwyssotzky einen hervorragen¬
den Forscher, einen ausgezeichneten Gelehrten, einen vortrefflichen
Lehrer und befähigten Organisator. Im öffentlichen Leben hat seine
Wirksamkeit tiefe Spuren hinterlassen. Aber nicht nur Russland allein
beklagt seinen frühzeitigen Tod. Auoh das Ausland kannte, schätzte
und feierte unseren berühmten Landsmann. In aller Gedächtnis ist
noch, wie glänzend er die russische Sektion auf der Internationalen
Hygiene-Ausstellung zu Dresden 1911 organisiert hat. Aus meiner
eigenen Erinnerung kann ich noch binzufügen, wie würdig ec zusammen
mit dem Odessaer Mathematiker und Physiker Schwedow die russische
Wissenschaft auf der Feier des 80jährigen Geburtstages R. Virchow’s
vertreten hat. Seine Lebhaftigkeit, sein von Gesundheit und Kraft
strotzendes Wesen liess ein so frühes Ende nioht vermuten.
Friede seiner Asche! Dr. Philipp Blumentbal.
V ' ■ t ’
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Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
470
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10:
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 5. Marz wurde der bisherige Vorstand nebst Aufnahme¬
kommission wiedergewäblt. Hierauf fand die Diskussion über den Vortrag
des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den
Menschen statt; an derselben beteiligten sich die Herren Westenhöffer,
Weber, Sticker, F. Klemperer, Orth, Dammanü, M. Wolff und
Eber.
— In der Sitzung der Vereinigung zur Pflege der ver¬
gleichenden Pathologie vom 27. Februar 1918 sprach der Vor¬
sitzende Prof. Dr. P. Schiemenz über die Krankheitsersehei¬
nungen bei den Fischen im allgemeinen. Er widerlegte durch
die Schilderung der zahlreichen in allen Lebensaltern vorkommenden,
teilweise sehr deletären Krankheiten den populären Glauben von der
Gesundheit der Fische und wies auf die volkswirtschaftliche Bedeutung
der Bekämpfung der Fischseuchen hin. Herr Dr. Wiiler schilderte die
Bandwurmseuche der Fische und ihre Wirkung auf die
inneren Organe der Fische. Bemerkenswert ist die durch die
Bandwurmkrankheit hervorgerufene Hämosiderosis innerer Organe.
Die Verseuchung der Fische des Müggelsees ist eine ganz ungeheure.
Sie wird, wie Herr Dr. Wunsch ausführte, durch bestimmte Vogel¬
arten, als Zwischen wirte, vermittelt. Vor allem spielen die Taucher¬
vögel hier eine grosse Rolle. Wichtig ist der Einfluss, den die hohe
Temperatur des Vogeldarms auf die schnelle Entwicklung der Band¬
wurmeier und-Embryonen ausübt. Die Herren Törlitz und Dr. Seydel
demonstrierten Bilder und anatomische Präparate von Fischprotozoen
und von der Pockenkrankheit der Karpfen. In einem Schlussworte
wandte sich Herr Prof. Schiemenz gegen den übermässigen Schutz
der Wasservögel. Gegenüber der volkswirtschaftlich wichtigen und
notwendigen Ausbeutung der Fischschätze unserer Seen müsse der „Schutz
der Naturdenkmäler“ zurücktreten.
— ln der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesellschaft
am 4. März (Vorsitzender Herr Joachimsthal) sprachen Herr Reiner
über Myotonia congenita, Herr Grünberg über die Grundlagen der
Orthodontie (Diskussion: die Herren Eckstein, Muskat, Grünberg).
Weiterhin machte Herr Evier Mitteilungen zur orthopädischen Technik.
— Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege wird
seine diesjährige Versammlung in der Pfingstwoche vom 13. bis 15. Mai
in Breslau unter dem Vorsitz des Herrn Ministerialdirektors Kirchner-
Berlin abhalten. Hauptreferate: l. Welche Auforderungen müssen vom
hygienischen Standpunkte an die Schulanfänger gestellt werden? (Stadt¬
schularzt Dr. Steinhaus-Dortmund und Stadtschulrat Dr. Wehrhahn-
Hannover). 2. Die Bedeutung der Landerziehungsheime vom hygienischen
und pädagogischen Standpunkte (Dr. Lietz, Direktor der Landerziehungs¬
heime Haubinda, Ilsenburg und Schloss Bieberstein, und Schularzt
Dr. Sexauer-Godesberg).
Der 4. internationale Kongress für Schulhygiene wird vom
25. bis 30. August d. J. in Buffalo, New York, U. S. A., unter dem Ehren¬
vorsitz des Präsidenten der Vereinigten Staateo, Herrn Wilson, abge¬
halten werden.
Alle, diese beiden Kongresse betreffenden Anfragen sind an den Ge¬
schäftsführer, Professor Dr. Se lter-Bonn, Hygienisches Institut, zu richten.
— Auf der Naturforscherversammlung zu Münster i. W. im Herbst
1912 hat sich eine „Vereinigung der Krankenbausärzte“ gebildet,
zum Zweck, die deutschen Krankenhausärzte zu gegenseitiger Anregung
und gemeinsamer Betätigung auf dem Gebiete des Krankenhauswesens
zu vereinigen, ihre ethischen und sozialen Interessen sowie die der
Krankenhäuser zu fördern und dieselben sowohl nach aussen wie inner¬
halb der Aerzteschaft zu vertreten. Die erste Hauptversammlung findet
am Dienstag, den 25. März, in Berlin, Restaurant zum Heidelberger,
Friedrichstrasse, abends 6 Uhr, statt. Prof. Sprengel-Braunschweig
wird über „Assistenten- und Praktikantenfrage“ referieren, Dr. Kühler-
Kreuznach über „Krankenhausärzte und Versicherungsgesetze“. Der vor¬
läufige Vorstand besteht aus Prof. Dreesmann-Cöln, Vorsitzenden,
San.-Rat Dr. E. Pagenstecher-Wiesbaden, Schriftführer, Dr. E. Kühler-
Kreuznach, Kassenführer.
— Dettweiler-Stiftung. Im Jahre 1904 wurde zum Andenken
an den unvergesslichen Dettweiler eine Stiftung begründet, deren
Zweck es sein soll, den speziellen Berufskollegen des Verstorbenen, den
Heilstättenärzten und deren Angehörigen, in Notlagen helfend beizustehen.
Den Vorsitz der Stiftung übernahm Geh. Medizinalrat Bernhard
Fränkei, nach dessen Tode Ministerialdirektor Kirchner. Nach dem
Kassenbericht beträgt das Vermögen Ende 1912 30 500 M. Bisher blieb
die Stiftung von erheblichen Ansprüchen verschont, immerhin konnte
sie schon helfend eingreifen. Zuschriften an Herrn Professor Dr. Nietn er,
Berlin W. 9, Linkstr. 29, Geldsendungen an Herrn Kommerzienrat Cohrs,
Berlin W. 9, Lenn6str. 4.
— Der Verband ärztlicher Privatlaboratorien hat ein Merkblatt
über die Wassermann’sche Reaktion herausgegeben, das praktischen
Aerzten die Deutung und Wertigkeit der Untersuchungsergebnisse in
den einzelnen Stadien der Syphilis erleichtern soll. Bezugsstelle: Berlin,
Kar-lstr. 19, gegen Einsendung von 10 Pfennig.
— Geh. San.-Rat Bensch, der fast zwei Jahrzehnte lang die Ver¬
sicherungskasse für die Aerzte Deutschlands als Obmann ge¬
leitet hatte, tritt aus Alters- und Gesundheitsrücksichten von seinem
Amte zurück, sein Scheiden aus dem Amte wird von Aufsicbtsrat und
Direktorium mit öffentlicher Danksagung für seine hingebende Tätigkeit
begleitet An Stelle von Bensch wurde Saq.-Rat Osc*r Salomon
und zu dessen Stellvertreter Geh. San.-Rat Stadthagen gewählt.
Hoohschulnaohrichten.
Berlin. Privatdozent Dr. Noeggerath hat einen Ruf nach Frei¬
burg als Direktor der Kinderklinik erhalten und angenommen. —
Göttingen. Habilitiert: DDr. Hauschild (Anatomie) und Ehren¬
berg (Physiologie). — Kiel. Geheimrat Siemerling, Direktor der
psychiatrischen Klinik, feierte sein 25jähriges Dozentenjubiläum. —
Rostock. Habilitiert: Dr. Wirths für Ophthalmologie. — München.
Habilitiert: DDr. Böhm (innere Medizin), Groth (Statistik) undAhrens
(Zahnheitkunde). — Heidelberg. Exzellenz Czerny gedenkt, am
1. Oktober von der Leitung des Saraariterhauses zurückzutreten. —
Basel. Zu ao. Professoren wurden ernannt die Privatdozenten DDr.
Bloch (Dermatologie), Streck eisen (gerichtliche Medizin) und Villinger
(Anatomie). — Wien. Der Professor der Dermatologie, Schiff, ist
gestorben. — Budapest. Prof. Pertik, Direktor des Pathologischen
Instituts, ist gestorben. _
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Aegypten (15.—21.11.) 10 und 8f. Britisch-Ost-
indien (19. I.—1. II.) 8313 und 6805 f. — Cholera. Straits
Settlements (14. XII. 1912 bis 17.1. 1913) 2. — Gelbfieber. Bra¬
silien (5.—11. I.) 2 und2f. — Pocken. Deutsches Reich (23.11.
bis 1. III.) 1. Oesterreich (9.—15.11.) 1. — Fleckfieber. Oester¬
reich (9.—15. II.) 90. — Genickstarre. Preussen (16.—22. II.) 3
und 2+. — Spinale Kinderlähmung. Preussen (16.—22. II.) 1.—
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln
in Berlin Lichtenberg, Mülheim (Rhein), Oberbausen; an Diphtherie
und Krupp in Gladbeck, Osnabrück, Potsdam, Schwerin, Ulm; an
Keuchhusten in Hof, Wanne.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen*. Prädikat Professor: Dozent der Akademie für
praktische Medizin, Kreisarzt Dr. E« Meder in Cöln.
Versetzt: der ordentl. Professor Dr. F. Henke in Königsberg i. Pr. in
gleicher Eigenschaft nach Breslau.
Ernennungen: der ausserordentl. Professor Dr. B. Salge in Freiburg
i. B. zum ordentl. Professor in Strassburg i. E.
Niederlassungen: Dr. K. Frommer in Lauenburg i. Pomm., Dr. F.
Piotrowski in Bentschen, Dr. V. Krukowski in Samter, Dr. Chr.
Hinrichsen in Christiansfeld, Dr. A.Stromer in Katernberg, Dr. A.
Fliescher in Viersen.
Verzogen: Dr. W. Bethge von Halle a. S. nach Zeitz, Dr. R. Ehe-
bald von Halle a.S. nach Erfurt, Dr. R. Hirz von Heilstätte Vogel¬
sang b. Magdeburg nach Bad Rehburg, Oberarzt Dr. W. Benkmann
von Marienburg nach Hammerstein, Aerztin Dr. F. Leuss von Stutt¬
gart nach Bergquell, Dr. F. Kehren von Buttelstedt und Dr. A.
Kruse von Lubmin nach Torgelow, Dr. G. Roh de von Stargard
i. Pomm. nach Lauenburg i. Pomm., Dr. W. Schön rock von Lerbach
nach Luschwitz, Dr. St. Lassocinski von Samter nach Neustadt
b. P., Dr. J. F. Dose von Christiansfeld und Dr. H. Berberich von
Hamburg nach Altona, Dr. L. Talke von Apenrade nach Nürnberg,
Dr. W. Müller von Bad Soden nach Eckernförde, Arzt R. Bech von
Niebüll nach Eidelstedt, Dr. W. Meyer von Cassel und Dr. C. Pay-
sen von Hollingstedt nach Kiel, Dr. F. J. Dröder von Heiligenstadt
nach Borgentreich, Dr. J. Will m es von Cöln, Dr. E. Hei mann
von Stuttgart, Dr. L. Cohn von Berlin und Dr. J. Weinrich von
Mülheim a. Rh. nach Paderborn, Dr. H. Sauerwald von Bad Oeyn¬
hausen nach Hamburg, Dr. Tb. Laup von Mülhausen i. E., Dr. 0. H.
Lang von Bad Wildungen undDr. M. Vogt von Grevelsberg nach Bar¬
men, Dr. A. K. Ludwig von Groitsch, Dr. E. de Vedia von Ahlen
i. W. und Dr. J. Gärtner von Jena nach Düsseldorf, Dr. H. R. P.
Burkhard von Berlin-Friedenau nach Elberfeld, Dr. E. Alletsee
von Frankfurt a. M. nach Stoppenberg, Dr. B. Menne von Bonn nach
Essen, Dr. E. Kerris von Galkhausen nach Johannistal b. Süchteln,
Dr. F. Trog eie von Hamburg und Dr. M. Többen von Berlin nach
Oberhausen, Dr. K. Gülke von Sontra und Dr. K. Schulze-Kump
von Paderborn nach Leichlingen, Dr. A. Siebert von Johannistal
b. Süchteln nach Galkhausen, Dr. A. Meilohen von Saarlouis nach
Neuerburg, Dr. E. Mory von Saarbrücken nach Neunkirchen, Dr. A.
Escher von Gelsenkirchen und Dr. N. Lauxen von Neunkirchen
nach Ottweiler, Dr. F. G. Martin von Thalfang nach Saarbrücken».
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. B. Lewin von
Belgard a. Pers., Dr. Th. Weynerowski von Posen, Arzt L. H. A.
Gürioh von Eidelstedt, Dr. G. Heermann von Kiel, Dr. J. Kalk¬
hof von Barmen auf Reisen, Dr. K. F. Seer von Leichlingen.
Gestorben: San.-Rat Dr. L. Arndt in Jastrow, Dr. L. Frost in
Bojanowo, Arzt E. Krzyzan in Bentschen.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohlt, Berlin W n Bayreulher Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
Dl* BatIId«? KUnbeh* Wodi®n*chrtft «nehelnt jeden
Montag in Nummern von et 5—6 Bogen gr. i —
Prob Tlerteljihrlich 6 Mark. Beeteil nngen nehmen
alle Bachhandlangen and Poetanealten an.
BERLINER
Alle Blneendnngen für die Redaktion and Bxpeditio*
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
Augnat Hirachwald in Berlin NW., Unter den Linden ■
No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
t
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and Dr. Bans Kohn. Aagast Hirschwaid, Verlagsbachhaadlang in Berlin.
Montag, den 17. März 1913.
M 11 .
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Origiaaliei: Löpine: Fortschritte in der Behandlung des Diabetes
mellitus seit 50 Jahren. S. 477.
Hueppe: Sport und Reizmittel. S. 481.
Touton: Darf Neosalvarsan ambulant angewandt werden? S. 484.
Meyer: Zur Kasuistik der Epityphlitis bei Scharlach sowie der
wiederholten Scharlacherkrankung. S. 488.
Casper: Zur Harnblasenausschaltung wegen Tuberkulose. S. 402.
Gohn und Reiter: Klinische und serologische Untersuchungen bei
Harneiterungen durch Bacterium coli. (Aus dem hygienischen
Institut der Universität Königsberg and der urologischen Klinik
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.) (Schluss.)
S. 492.
Valentin: Die postoperative Parotitis. (Aus der II. chirurgischen
Abteilung des städtischen Rudolf Virchow - Krankenhauses zu
Berlin.) S. 495.
Bftekerbespreeliiiigea: Wullstein und Wilms: Lehrbuch der Chir¬
urgie. S. 497. Glaessner*. Jahrbueh für orthopädisohe Chirurgie.
S. 497. (Ref. Adler.) — Denker und Brünings: Lehrbuch der
Krankheiten des Ohres and der Luftwege einschliesslich der Mund¬
krankheiten. S. 497. (Ref. Schwabach.) — Stadler: Die Klinik
der syphilitischen Aortenerkrankung. S. 498. (Ref. Fleischmann.) —
Sanitätsbericht über die Königlich preussisohe Armee, das XII. und
XIX. and das XIII. Armeekorps für den Berichtszeitraum vom
1. Oktober 1909 bis 30. September 1910. S. 498. W. Roth’s Jahres¬
bericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete des
Militärsaoitätswesen9. S. 498. (Ref. Schnütgen.)
Literator-Aasziige: Physiologie. S. 498. — Pharmakologie. S. 498. —
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 499. —
Parasitenkunde und Serologie. S. 499. — Innere Medizin. S. 500. —
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 501. — Kinderheilkunde,
S. 501. — Chirurgie. S. 502. ,— Röntgenologie. S. 503. — Urologie.
S. 503. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 503. — Geburtshilfe
und Gynäkologie. S. 503. — Augenheilkunde. S. 504. — Hals-,
Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 505. — Hygiene und Sanitäts¬
wesen. S. 505. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 505.
VerhaBdlangea ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Fortsetzung der Wahl des Vorstandes. S, 505.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung
der Rinderbacilien für den Menschen. S. 505. — Hufelandische
Gesellschaft. S. 509. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
S. 511. — Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und
Medizinalstatistik zn Berlin. S. 512. — Gynäkologische
Gesellschaft zu Berlin. S. 512. — Breslauer chirurgische
Gesellschaft. S. 513. — Breslauer psychiatrisch - neuro¬
logische Vereinigung. S. 515. — Aerztlicher Verein zu
Hamburg. S. 517. — Medizinische Gesellschaft zn Leipzig.'
S. 518. — Aerztliohec Bezirks verein zu Zittau. S. 519. —
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg.
S. 519. — Medizinische Gesellschaft zu Göttingen. S. 520.
— Physikalisoh-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
S. 521. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 521. —
Medizinische Gesellschaft zu Basel. S. 522. — Aus Pariser
medizinischen Gesellschaften. S. 522.
PI es eh: Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X auf organische
Substanzen, besonders anf die Harnsäure. (Aus der II. medi¬
zinischen Universitätsklinik der Königl. Charitö.) S. 523.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 524.
Amtliche Mitteilungen. S. 524.
Fortschritte in der Behandlung des Diabetes mellitus seit 50 Jahren.
Von
R. Lupine,
Honorarprofessor an der Universität Lyon.
Wenn man auf die seit etwa 40 Jahren erschienenen Bücher
nnd Abhandlungen über Diabetes mellitus znrückblickt, so findet
man, dass die Behandlung dieser Krankheit hauptsächlich bestand
in Fleischregime, Enthaltung von Zucker, Mehlspeisen und Früchten,
im Gebrauch einiger Arzneimittel und schliesslich in Muskel-
öbungen.
Diese mehr oder weniger systematisch empfohlene Behandlung
dürfte eine gewisse Zahl von Diabetikern wohl bessern, aber eine
Verschlimmerung der Schwerkranken herbeiführen und sie jeden¬
falls nicht vor gefährlichen Komplikationen, wie gangränöser Phleg¬
mone und Coma schützen, welche in kurzer Frist zum Tode führen.
Man darf jsich daher nicht wandern, dass der Diabetes beim
Publikum in schlechtem Rufe steht. #
In einem Zeitraum von dreissig Jahren hat die Situation eine
eigentümliche Veränderung erfahren. In welcher Weise und
in welchen Etappen hat sich der Fortschritt vollzogen?
Ich möchte versuchen, dieses anseinanderzusetzen:
"Fortschritte i& de; Auffassung voji der Pathogenese
des'Diabetes.
Aas seinen grossen'Entdeckungen hat CI. Beraard den
Schluss gezogen, dass der Diabetes mellitus wesentlich durch eine
überschüssige Glykogenbildung in der Leber erzeugt würde. Es
konnte ihm keineswegs entgehen, dass die Pathogenese dieses
Leidens eine komplizierte sei; aber, jedem Ein wand aus dem
Wege gehend, blieb er von der Vortrefflichkeit seiner Theorie
überzeugt. Diese aber führte die Therapie des Diabetes auf einen
falschen Weg. Man heilte ihn nicht, obwohl man die Funktion
der Leber zu mässigen suchte. Die Kliniker bedurften keiner*
langen Zeit, um das einzusehen. 8ie waren ausserdem der An¬
sicht, dass* er sich bei den Diabetikern um eine mangelhafte Verf
brennung Von Zucker handle: eine Theorie, die vorher von
Mialhe 1 ) aufgestellt und znm Teil wenigstens durch die günstige
Wirkung der Alkalien gestützt wurde. Diese Lehre, welche
auch in dem Sinken des Gaswechsels bei der Atmung der
1) Mialhe, eine? vpn Ohevreul ausgesprochenen Ansicht folgend,
hatte 1845 durch Versuche in vitro bewiesen, dass die Zerstörung des (
Zuckers durch Alkalien begünstigt wurde. — VgK: Zur Geschickte des *
Diabetes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mein Werk über
den Diabetes mellitus, S. 9 bis 54. Päris 1909.
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UMIVERSITY OF IOWA
478
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Diabetiker, wie es von Pettenkofer und Voit 1 ) beobachtet
worden war, ihre Bestätigung fand, wurde in glänzender Weise
von Prof. Bouchard verteidigt.
Die Mehrzahl der Arbeiten deutete, angeregt durch die schöne
Entdeckung von v. Mering und Minkowski, in diesem Sinne
die Pathogenese des Diabetes oder behauptete wenigstens mit
Sicherheit, dass die Exstirpation des Pankreas zum grossen Teil
durch die Abnahme der Glykolyse sich geltend mache 2 ).
Das, was ich seit 1889 behauptet habe, dass noch ein ge¬
wisses Dunkel über den intimen Mechanismus herrsche, durch
welchen da9 Fehlen des Pankreas die Glykolyse 3 ) hemmt und
dass die Insuffizienz der Glykolyse nur eines der vielen Elemente
des Diabetes bildet, alles dieses ist eben nicht zu bestreiten.
Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die Theorie des Diabetes
einen Schritt vorwärts getan hat, indem sie von der allzu ex¬
klusiven Lehre von der Hyperglykogenese emanzipierte.
Ein weiterer Fortschritt war auch die Erkenntnis, dass die
Glykogenbildung der Leber nicht die einzige Quelle des Blut¬
zucker« ist. Die Funktionen der Leber sind zu mannigfaltig,
als dass man sie noch damit belasten sollte, der einzige Regu¬
lator der Glykämie zu sein. Es ist nicht wahr, dass das Blut
der Venen oberhalb der Leber stets zuckerreicher sei als das
arterielle 4 5 ), dass ferner letzteres stets zuckerreicher sei als das
venöse Blut, Obwohl die Glykolyse in den Geweben unanfechtbar
ist, so beweisen doch positive Tatsachen, dass das Blut, nachdem es
ein Gapillarnetz durchströmt hat, mehr freien Zucker enthalten kann.
Ich habe in der Tat mit Boulud entdeckt, dass unter be¬
stimmt charakterisierten, leicht wieder zu erzeugenden Ver¬
hältnissen das Blut der Carotis des Hundes viel mehr freien
Zucker enthalten kann als der rechte Ventrikel 6 * ).
Dieser Ueberschuss an Zucker im Blut der Carotis kann
nicht von der Leber kommen, weil er nicht im rechten Ventrikel
vorhanden ist. Er kann nicht von dem Glykogen des Blutes
herstammen; denn das Glykogen ist darin nur in kleinen Mengen
enthalten. Es gibt keine andere Quelle als den Zucker, der im
Blute schwach gebunden, ist und sich in den Lungencapillaren
aus einer Verbindung löst 6 ).
Resümieren wir: Die allgemeine Glykolyse ist beim Diabetes
herabgesetzt, und der ganze Zucker, welcher im Organismus er¬
zeugt wird, stammt nicht von dem Leberglykogen her. Das sind
zurzeit feststehende Tbatsachen, die vor 50 Jahren ganz un¬
bekannt waren. Ihre Kenntnis kann für die Therapie nicht ohne
Nutzen sein. Denn jeder Fortschritt in unserer Auffassung von
der Pathogenese führt früher oder später zu einem Fortschritt
in der Behandlung. Die Entdeckungen, an welche ich jetzt er¬
innern möchte, sind ein Beweis dafür. Denn sie haben die
schwersten Komplikationen des Diabetes schon weit seltener ge¬
macht; ja sie streben dahin, wie wir gleich sehen werden, die
Behandlung jedes Falles ein wenig ernst in mancher Richtung zu
gestalten.
Die Acetonämie. Man hatte einst in Prag das Vorhanden¬
1) Voit hat später die Bedeutung seiner alten Versuche rektifiziert
und zugegeben, dass nur die ausgeatmete Kohlensäure eine Abnahme
erlitten habe, während die Sauerstoffaufnahme normal blieb. Neuere
Arbeiten, besonders die von Magnus-Levy, haben die Tatsachen
ausser Zweifel gestellt, wenigstens beim schweren Diabetes.
2) Erwähnen möchten wir jedenfalls, dassChauveau vor 20 Jahren
noch die Lehre von der überschüssigen Glykogenbildung aufgestellt und
dass neuerdings v. Noorden sich ihm angeschlossen hat. (DieZucker-'
krankheit, 5. Auflage, Berlin 1910, S. 155.)
3) Man gibt jetzt allgemein das Bestehen einer inneren Sekretion
zu, welche ich zuerst behauptet habe; man weiss jedoch nicht, worin
sie besteht. Laguesse, Opie und andere wollen sie in die Langer-
hans’chen Inseln verlegen, jedoch zu Unrecht. Unabhängig von den aus
der pathologischen Anatomie (Lombroso, Ergebnisse der Physio¬
logie) gewonnenen Beweisen, wird ein Beweis für die Beteiligung der
Acini an der. inneren Sekretion durch die Ligatur des Wirsung’sohen
Ganges geliefert, welche in den darauf folgenden Stunden eine Zu¬
nahme des glykolytischen Vermögens des Blutes herbeiführt (Löpine,
Journal de Physiologie, 1905). Diese Ligatur virkt jedoch nicht auf die
Inseln ein.
4) Siehe die entgegenstehenden Tatsachen in meinem Buch über den
Diabetes mellitus, die ich auch später weiter beobachtet habe.
5) L6pino und Boulud, C. R. de l’acadcmie des Sciences,
21. September 1903. — Die Differenz kann 0,02 g auf 100 g Blut über¬
schreiten; sie erreicht also 20pCt.
6) Dieser Zucker, weloher sich spontan aus seiner Verbindung löst,
isV ein Teil dessen, welchen wir virtuellen Zucke# benannt haben, und
der verschiedene Verbildungen umfasst. Eine derselben, welche von Paty
entdeckt wurde, wird zerstört/ wenn man den Blutextrakt in Gegenwart
einer Säure erhitzt. ' % $ 1 r *
sein von Aceton im Urin von Diabetikern entdeckt, welche im
Coma gestorben waren 1 )- Anfänglich vermutete man, dass diese
Substanz sieb im Verdauungskanal gebildet habe. Man erkannte
jedoch später, dass das, was man später Acetonkörper (Geelmuyden)
nannte, sich im Innern der Gewebe bilde, und Biermer in
Breslau bemerkte, dass das ausschliessliche Fleischregime die
Acetonämie steigere. Wie wirkt dieses Regime?
Liegt die Ursache in dem Uebermass von Fleisch oder in
dem Fehlen der Kohlehydrate? Letztere Alternative ist die
richtige. Denn ein gesunder Mensch zeigt beim Fasten in zwei
Tagen ein Acetonämie; eine, reichliche Fleiscbmahlzeit am dritten
Tage bringt jedoch die Acetonämie zum Schwinden, weil aus
dem Fleisch Zucker gebildet wird. Ebenso empfahl Rosenfeld
1895, den Diabetikern nicht vollständig die Kohlehydrate zu ent¬
ziehen. Es sind das dieselben Vorschriften, welche Bouchardat
mehr als zwanzig Jahre zuvor empirisch machte.
In welcher Weise ist die Entziehung der Kohlehydrate
schädlich? Das weiss man nicht ganz genau. Man nahm an,
dass sie die Verbrennung der Acetonkörper erleichtern, wie sie
die Verbrennung der Fette unterstützen. Es ist jedoch in jedem
Falle sehr wahrscheinlich, dass sie auch ihre Bildung einschränken.
Durch welchen Mechanismus? Das ist zurzeit unmöglich zu sagen.
Wie dem auch sei, es ist möglich, dass bei den Diabetikern
der Organismus bei ungenügender Glykolyse nicht diejenige
Menge Zucker verzehren kann, welche notwendig ist. Der Kranke
befindet sich dann in der Lage eines Menschen, der an Hunger
stirbt inmitten eines Haufen Goldes. In Zuständen, welche vom
Diabetes unabhängig sind, wie bei der Inanition, bängt die
Acetonämie, wenn sie entsteht, von dem Mangel an Kohlehydraten
ab; bei den Diabetikern ist sie von dem ungenügenden Zucker¬
verbrauch abhängig. Sie tritt also notwendigerweise in jedem
Falle auf, in welchem die Glykolyse sehr herabgesetzt ist. Das
bat Hirschfeld 2 ) sehr wohl eingesehen, und nach ihm habe ich
seit langer Zeit behauptet, dass die Acetonämie, weit entfernt,
eine zufällige Komplikation des Diabetes zu sein, der notwendige
Ausgang jedes vorgeschrittenen Diabetes ist, derartig, dass es bei
einer rationellen Behandlung dieser Krankheit die Aufgabe des
Praktikers ist, nicht nur die Glykosurie zu bekämpfen, sondern
auch die Acetonämie zu verhüten.
Beschränkung der Kohlehydrate. Um dies zweifache
Ziel zu erreichen, wird ein strenges Regime sehr oft notwendig
sein. Möglicherweise kann die Acetonämie vorübergehend dabei
zunehmen, tatsächlich wird sie in ihrem Wesen bekämpft werden,
weil die Fähigkeit, den Zucker zu verzehren, hierdurch gebessert
wird. Das ist die Theorie, ln praxi ist das viel komplizierter
bei einem schweren Diabetes, wo der Organismus Zucker ohne
Zufuhr von Kohlehydraten bildet. Auch io diesen Fällen, ebenso
wie in denen von mittlerer Intensität, ist ein gewisser Empirismus
notwendig. Man wird übrigens später erfahren, dass in diesen
schweren Fällen eine ganz andere Methode als die Einschränkung
der Kohlehydrate bisweilen von guten Erfolgen begleitet sein kann.
Im allgemeinen muss man, wie man bereits oben gesehen
bat, den Diabetikern eine kleine Menge von Kohlehydraten
zu gestehen. Muss man darin eine Auswahl treffen?
Sicherlich! Es ist erwiesen, dass das Brot unter den Kohle¬
hydraten am schädlichsten ist. Die erste Vorschrift lautet, das
Brot zu untersagen oder nur eine sehr kleine Menge zu gestatten,
wenn das ganze Verbot unmöglich ist. Man weiss in der Tat,
dass die Diabetiker zumeist ganz gierig auf Brot 8 ) sind.
Behandlung mit mehlhaltigen Mitteln. Prof. Mossö-
Toulouse bemerkte vor 16 Jahren, dass 300 g Kartoffeln weit
besser vertragen würden als 100 g Brot, obwohl diese Brotmenge
etwas weniger trockenes Stärkemehl enthält als 800 g Kartoffeln.
Später machte er die noch wichtigere Beobachtung, dass gewisse
Diabetiker eine grosse Menge von Kartoffeln vertragen können
(1500 g). Diese Tatsache, übrigens eine Ausnahme, fand zahl¬
reichen Widerspruch 4 ). Negative Tatsachen machen jedoch die
positiven nicht ungültig, selbst wenn sie selten sind, und man
kann Mosse nicht das unzweifelhafte Verdienst absprechen, der
erste gewesen, zu sein, welcher die Anregung zur Behandlung des
- - dp
1) Historisch verweise ich auf meinen Bericht auf dem 12. medi¬
zinischen Kongress in der Sitzung zu Lyon 1911.
2) Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med., 1895, Bd. 28 u. 81.
3) Die Gründe für diesen Durst auf Brot sind nicht leicht anzu¬
geben. Besteht er darin, dass das Brot, wie jüngst Cohn heim gezeigt
hat, die Pankreassekretion stärker anregt als däs Mehl? 1
4) Siehe besonders Rathery, Sociötl mödicale des höpitaux de Paris,
FSvrier 1911.
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
479
Diabetes mit mehlhaltigen Speisen 1 ) gab. Zur Erklärung dieser
sonderbaren Toleranz gegen 1500 g Kartoffeln machte Mosse
besonders den grossen Reichtum dieser Knollenfrucht an Kali
geltend 3 ). Diese Erklärung war offenbar keine genügende, und
Prof. Rappin*Nantes brachte uns einen wichtigen Schritt weiter
in dieser Frage, indem er auf einen bakteriellen Einfluss hinwies.
Er kultivierte den Bacillus mesentericus vulgata in
Bouillon, wobei er in dem einen Fall Brotkrume, in dem anderen
eine gekochte und zu feinem Mehl verriebene Kartoffel zusetzte,
und zwar jede dieser Substanzen im Verhältnis von 4 pCt. zur
Bouillon. Er konstatierte, dass die Bouillon mit Brotkrume den
meisten Zucker 8 ) enthielt. Rappin stellte weiter fest, dass
grosse Differenzen in der erzeugten Zuckermenge je nach der
Kartoffelsorte bestehen, was nicht verwunderlich ist. Ebenso sah
er, dass die verschiedenen Arten von Bact. coli, welche auf
Bouillon mit Zuckerzusatz ausgesät wurden, den Zucker mehr
oder weniger schnell, je nach ihrer Art zerstörten. Solche Tat¬
sachen muss man festhalten.
Prof. v. Noorden hat mit dem Hafermehl bessere klinische
Resultate erhalten als mit Kartoffeln. Er wendet dieses Mehl in
der Dosis von 250 g pro die in Form von Suppe an mit Zusatz
von viel Fett (250—300 g Butter) und oft von vegetabilem
Eiweiss. Diese Suppe wird zweistündlich in kleinen Mengen ge¬
nossen. Von Zeit zu Zeit schiebt man einen Tag ein, an welchem
die Nahrung ausschliesslich in Gemüsen besteht, d. b. einen Tag
starker Einschränkung der Nahrung, beinahe der Inanition.
Es ist das die sogenannte Haferkur. Man siebt, dass das
Hafermehl nicht deren einziges Element ist. Es ist eine zusammen-
gesetze Kur, worin das Fett, der Ausschluss des Fleisches usw.
eine Rolle spielen. Keineswegs tritt jedoch in der Mehrheit der
Fälle der Erfolg ein; er ist vielmehr die Ausnahme. Man muss
jedoch anerkennen, daS9 manche Fälle sehr zu ihren Gunsten
sprechen, so z. B. gewisse Fälle, in welchen nach v. Noorden
die Glykosurie fortbestand trotz strengen Fleischregimes, d. b.
Fälle, in welchen der Zucker aus dem Fleisch stammte.
Es ist bemerkenswert, dass die Haferkur keinen Erfolg hat,
wenn man den Kranken Fleisch essen lässt. Aus diesem Grunde
ersetzt es v. Noorden durch Pflanzeneiweiss. Diese Tatsache ist
sehr bedeutsam. Denn sie dient dazu, die von Klotz 4 ) gegebene
Erklärung als wohlbegründet zu erweisen, welcher, ebenso wie
Rappin, der Darmflora die grösste Wichtigkeit beimisst. Dank
seiner physikalischen Eigenschaften unterliegt das Hafermehl
schnell der Wirkung der Amylase des Darmkanals 5 ).
Roth 6 ) bat eine analoge Beobachtung mit der C0 a -Bestimmung
gemacht 7 ). Danach wird weit weniger Zucker absorbiert, und
1) Die ersten Arbeiten von Moss6 reichen in das Jahr 1898 zurüok
(Congres de l’association frao<jaise pour l’avancement des Sciences.
Sitzung in Nantes).
2) Mossö, Revue de mödecine, 1902.
3) Rappin, Congres de l’association fran^aise pour l’avancement
des Sciences, Boulogne 1899 et Lille 1910.
4) Klotz, diese Wochenschr., 1910, Nr. 37.
5) Lang (Zeitschr. f. experim. Pathol., Bd. 8) hat gesehen, dass mit
Di&3tase das Hafermehl mehr Maltose und weniger Glukose gibt als
das Weizenmehl, und Nagao (ebenda, Bd. 9) hat mittels Jod fest¬
gestellt, dass das Hafer- und Gerstenmehl weit schneller durch das
Pankreasferment umgesetzt wird als das Weizen- und Roggenmehl.
6) Klinik von Koranyi, Wiener klin. Wochenschr., 1912.
7) Folgende Kohlensäuremengen wurden während Stärkegärung von
Weizen und Hafer mittels Hefe gewonnen:
Zeit in Minuten
Hafer
Weizen
CO* in ccm
CO* in ccm
0- 50 .
... 0
20
50-100 .
0
+ 26
100-150 .
... 0
+ 24
150-200 .
... 0
+ 80
200-250 .
... 10
+ 24
250-300 .
. . . + 25
+ 22
4 800-350 .
. . . + 21
+ 19
Summe . 46
165
Wa9 die Acidität betrifft, welche bei den verschiedenen Mehlen unter
dem Einfluss des Paokreasferments und der säurebildenden Bakterien
entsteht, so wird sie durch folgende Zahlen ausgedrückt:
Zunahme der
Säure nach 11 Stunden
Weizen .... 5,9 ccm n / 10 Lauge
Roggen .... 6,5 B „
Gerste . . . . 8,8 „ „
Hafer * . . •' >>» 9,0 „ f n j
Diese Zahlen sind Klotz entnommen:
u. Pharmakol., 1912, Bd. 67.
Säure nach 36 Stunden
10,0 ccm
17.5 „
22,2 „
30.6 „ * '
Archiv f. experiment. Pathol.
was besonders resorbiert wird, das sind die Oxydationsprodukte des
Zuckers. Danach würde die Darmgärung ein sehr wichtiges Element
der Haferkur bilden. Man sieht daher ein, dass man mit anderen
Mehlen ziemlich analoge Resultate erhalten kann. Stern-New
York hat den Reis empfohlen.
Ich habe mit Rücksicht auf ihr Interesse und ihre Neuheit
eine der Erklärungen für die Wirkung der Mehle bei der Be¬
handlung des Diabetes aufgeführt. Es ist mir jedoch wohl be¬
kannt, dass diese Erklärung hierfür keineswegs alles aufhellt,
und dass sehr viele andere, noch wenig gekannte Elemente
eine Rolle spielen können. Ich selbst neige zu der Annahme,
dass die meisten vorgeschlagenen Erklärungen einen Teil Wahr¬
heit in sich enthalten. So unterliegt es keinem Zweifel, dass,
wenn man dem Hafermehl nicht Fett und Pflanzeneiweiss hinzu¬
fügt, es eine durchaus ungenügende Calorienmenge ergibt, teil¬
weise also durch Einschränkung der Ernährung wirkt, wie die
Milchkur usw. und, noch besser, der Gemüsetag. Andere Er¬
klärungen sind weniger zulässig, so z. B. die zum Teil von
v. Noorden acceptierte Hypothese, dass die Haferkur die Durch¬
lässigkeit der Niere für den Zucker herabsetze. Io diesem Falle
würde sie ja die Retention des Zuckers im Organismus vermehren
und dadurch sicherlich sehr ungünstig einwirken. Dass die Hafer¬
kur dazu beiträgt, eine Wasserretention in bewirken, das ist
keineswegs zu bestreiten; wenn sie aber eine Zuckerretention
herbeiführt, so kann diese nur geringfügig sein. Schirokauef x )
konnte keine Zunahme des Blutzuckers feststellen. Ausserdem
stimmen alle darin überein, keine Haferkur bei solchen Kranken
anzuweoden, welche auf Niereninsuffizienz verdächtig sind.
Resümieren wir, so bat das Regime der Diabetiker in den
letzten Jahren, dank Mossö und v. Noorden, durch die Mehl¬
kuren eine Bereicherung erfahren, welche anfänglich paradox er¬
schien, und deren gute Wirkung io einigen Fällen zum grossen
Teil ihre Erklärung in der Veränderung findet, welche sie in der
Darmflora herbeiführt. Unter den Verhältnissen, welche diese
Kur. schafft, würden die Mikroben einen Teil des Zuckers, welcher
sich im Darm bildet, oxydieren und so eine seit langem erstrebte
Aufgabe erfüllen: den Diabetikern ternäre Produkte, welche sie
aus den Nahrungsmitteln schöpfen, darzubieten und die Glykogen¬
bildung zu verhindern 3 ).
Die Behandlung des Diabetes mittels Mehle 8 ) würde danach,
im ganzen genommen — und das ist eine unerwartete Tatsache —,
in der Weise wirken, dass sie die Menge des im Darm absorbierten
Zuckers herabsetzt. Sie würde also auf das hinauskommen, was
man duich Entziehung der Mehle beabsichtigt, mit dem Vorteil
jedoch, dass der Organismus eine gewisse Menge Brennmaterial
erhält.
Andere Zuckerarten als Traubenzucker. Gewisse
Zuckerarten werden von den Diabetikern besser ausgenntzt als
Traubenzucker. Seit langer Zeit kennt man in dieser Hinsicht
die Lävulose. Ausserdem verordnet man solche Gemüse, welche,
digeriert, sie liefern, wie Topinambur, chinesische Artischocken 4 )
(Stacbys tuberifera) usw.
H. Strauss empfiehlt Inulin, industriell aus Vegetabilien
gewonnen, welche es enthalten, und bei der Hydratation, wie man
weiss, Lävulose liefern, ebenso wie Stärke Zucker gibt Strauss
verordnet davon 100 g in Form von Suppe 5 ). Man darf sich
jedoch keiner Täuschung über die Dauer der Toleranz für Lävu¬
lose hingeben. Sie ist sehr kurz und erstreckt sich, selbst in
den günstigsten Fällen, nicht über einige Tage hinaus.
Rosenfeld bat jüngst eine Heptose: a-Glykoheptonsäure
empfohlen, einen linksdrebenden Zucker, welcher in der Dosis
von SO g pro die (mit Unterbrechungen) bisweilen einigen Erfolg
in schweren Fällen (?) erzielte, obwohl er keine antiketogene
Kraft besitzt 6 ). Man darf die obengenannte Tagesdosis nicht über¬
schreiten, sie auch nicht mehrere Tage hindurch fortsetzen, weil
Diarrhöe ©intritt. Aus diesem Gründe scheint dieser Substanz
keine grosse Zukunft beschieden zu sein.
Ich bringe in Erinnerung, dass eine grosse Anzahl von
1) Schirokauer, diese Wochensohr., 1912, Nr. 26.
2) In dieser Absicht hatte Schultzen vor 40 Jahren Glycerin vor¬
geschlagen.
8) Die Literatur über die Behandlung des Diabetes mit Mehlen ist
«beträchtlich. Ich lasse sie beiseite, um diesen Artikel nicht zu sehr
auszudehnen, und werde sie später in einerrfmderen Arbeit mitteilen.
4) Saundhy,. Brit med. journ., 5w März 1910. ,
5) H. Strauss, diese Wochenschr., 1912, Nr. 26.
6) Rosenfeld, diese Woohensohr., 1911, Nr. 29.
!♦
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Zuckerarten in essbaren Früchten enthalten ist, welche zum
Teil besser von den Diabetikern vertragen werden als der
Traubenzucker. Deshalb sollte man nicht alle Früchte. Systema¬
tisch untersagen.
Anwendung d er Albuminoide. Mag man auch die glyko»
lytische Insuffizienz des Organismus beklagen, oder mögen andere
Gründe vorliegen, sicher ist, dass die Kohlehydrate bei den
Diabetikern nicht in voller Dosis ausgenützt werden können,
welche wenigstens 300 g täglich beträgt. Man muss also als
Ersatz die Menge der Eiweisse oder Fette vermehren. Ein Ueber-
scbus8 an Eiweiss hat jedoch seine Unzuträglichkeiten. Denn
das Eiweissmolekül enthält einen Kern von Kohlehydraten oder
ist imstande, aus den Aminosäuren Zucker zu bilden. Ausserdem
ist es nicht unmöglich, dass, wie Kolisch annimmt, gewisse
Albumine reizend auf die Leber einwirken und die Glykogen¬
bildung steigern 1 ). Man muss daher sorgfältig vermeiden, die
Fleichmenge zu vermehren. Seit langer Zeit hat Naunyn sehr
mit Recht die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt und
nach ihm Lennö, Kolisch, Linossier n. a.
Nach 0. Simon soll 1 kg Fisch die Glykosnrie 2 3 ) nicht
Steigern. Diese Behauptung müsste bei einer gewissen Zahl von
Diabetikern nachgeprüft werden. Denn der Einfluss der ver¬
schiedenen Eiweissstoffe auf die Glykosurie bei Diabetes erwies
sich bei den einzelnen Kranken verschieden. Es bestehen sicher
grosse individuelle Differenzen. Sicher aber steht fest, dass das
Ei'ereiweiss die Glykosurie nicht steigert, ebenso wie das Casein,
und dass die pflanzlichen Eiweisse in dieser Hinsicht also weit
Weniger schädlich sind als die tierischen Eiweisse.
Anwendung der Fette. Früher wusste man nicht die
Fette bei den Diabetikern zu benutzen. Heutzutage siimmen alle
darin überein, sie in den Fällen, bei welchen keine Acetonämie
besteht, reichlich dem Regime beizugeben, ausgenommen die Fett¬
leibigen und solche Kranke, welche sie schlecht verdauen. Wenn
das Fett einigermaassen resorbiert wird, so entwickelt es im
Organismus etwa 8 Calorien pro eingeführtes Gramm, während
1 g eingeführtes Eiweiss nur 3,8 Calorien erzeugt. Von diesem
Gesichtspunkte aus ist das Fett für den Diabetiker ein gutes
Nährmittel.
Wenn jedoch Acetonämie besteht, muss man Misstrauen gegen
die Fette hegen, besonders gegen diejenigen, deren ketogene
Eigenschaft wohl bekannt ist, insbesondere die Butter. Ganz
allgemein weiss man seit den Arbeiten von Geelmuyden 8 ), dass
die Quelle der Acetonkörper sich viel mehr in den Fetten als in
den Eiweissen der Nahrungsmittel 4 ) vorfindet. Es ist wohl-
bekannt, dass man in gewissen Fällen ohne erheblichen Schaden
bei Acetonämie Fette geben kann 6 * ). Sehr oft aber verschlimmert
man ihren Zustand und kann den brüsken Ausbruch von Coma
herbeiführen. Man kann also bei ihnen nicht vorsichtig genug
mit seiner Verwendung sein.
Anwendung des Alkohols. Eine kleine Dosis Alkohol
täglich (in Gestalt von Wein oder anderweitig) ist theoretisch
den Diabetikern nützlich, denn 1 g Alkohol entwickelt ungefähr
7 Kalorien. Man kann also seinen Gebrauch empfehlen, wenn
die Verdauungswege und Leber gesund sind. Nach Neubauer
(und anderen) sei der Alkohol besonders bei Acetonämie an¬
gezeigt. Ich widerspreche dem keineswegs, unter der Be¬
dingung, dass die Leber gesund ist. Doch habe ich ge¬
sehen, dass die Einführung von Alkohol in einem Falle bei einem
Acetonämiker ein tödliches Coma 6 ) herbeiführte.
Anwendung von Medikamenten. Vor 30 oder 40 Jahren,
als man die Diabetiker noch nicht mit einer ihrem Zustande an¬
gemessenen Ernährungsweise zu behandeln wusste, nahm man
1) Re ach (Wiener klin. Wochenschr., 1910, S. 1441) sah, dass
bei Hunden, welchen das Pankreas zum Teil exstirpiert worden war,
rohes Fleisch die Glykosurie sehr steigerte, während das gekochte
Fleisoh diese Wirkung nicht hatte. Es ist möglich, dass das rohe Fleisoh
ein thermolabiles Prinzip enthält, welches die Glykonbildung anreizt
2) 0. Simon, Kongress für innere Medizin, 1908. 0.
3) Siehe auch Forssner, Skand. Arch. f. Physiol., Bd. 22 u. 23.
4) Wenn die Acetonkörper nicht von den Fetten hefrstammen, so
haben sie ihre Quelle mehr in dem Eiweiss der Gewebe als in dem der
Nahrungsmittel.
5) Nach Maignon vermehrt das Fett nicht die Acetonämie, wenn
man gleichzeitig eine genügende Menge Natr. bicarb. verabfolgt.
6) Die Leber dieses Kranken (eines Alkoholikers) war zweifellos
keftehweg& gesund. Man weiss, dass' der funkti&noMe Zustand der Lebtf
einen grossen Bin fl üate luf dW'Acetonäraie ausübt (Blum, Embdon usw.).
Bezüglich der Literatur verweise ich auf meinen Bericht auf dem Koa-
gress von Lyon 1911. • • r <:
mehr als heutzutage seine Zuflucht zu den Arzneimitteln, zu dem
seit langer Zeit geschätzten Opium, dem Chinin usw. Als Natr.
salicylic. und Antipyrin entdeckt wurden, verwendete man sie
auch zur Behandlung des Diabetes und sah, dass sie bisweilen
nicht ohne Nutzen waren. Antipyrin besonders vermindert die
Menge des Urins und des Zuckers, wenigstens in einer grossen
Anzahl von Fällen. Dieses günstige Resultat scheint mir auf
seine antiglykogene Wirkung hinzuweisen, welche ich früher be¬
wiesen habe, und die es ohne Zweifel durch Vermittelung der
Nervencentren ausübt. Es wäre aber auch möglich, dass das
Antipyrin direkt auf die Leberzelle (?) wirkt, wenigstens habe
ich dieses Faktum in vitro konstatiert 1 ).
Opium wirkt auch als Sedativum auf die Nervencentren.
Bisweiten ist es auch ein gutes Antiglykogenicum 1 ). In einer
Reihe von Versuchen, die ich mit Martz ausführte, stellte ich
fest, dass, wenn man dem durch die isolierte Leber circulierenden
Blute Morphium zusetzt, dieses Mittel die Zerstörung des Glykogens
nicht bindert 8 ). Es muss also auf die Leberzelle mittels des
Nervensystems ein wirken.
Nicht so verhält es sich mit dem Chinin, sulf. Wenn man
dieses dem in der isolierten Leber circulierenden Blut zusetzt, so
bewahrt sie relativ ihr Glykogen (Löpine und Martz). Die
antiglykogene Wirkung beruht also zum Teil auf einer direlften
Einwirkung auf die Leberzelle (?).
Wie dem auch sei, die klinische Beobachtung zeigt, dass
diese verschiedenen Arzneimittel in Wahrheit sehr häufig nur
eine inässige antidiabetische Eigenschaft besitzen. Jedes von
ihnen kann in gewissen Fällen sehr nützlich sein, aber nur des¬
halb, weil es eine besondere Indikation erfüllt, wie z. B. das
Chinin als Tonicum, um die Kräfte zu heben, oder besser noch
Arsenik, Strychnin usw.
Beim Diabetes mit Acetonämie ist der Gebrauch des Natr.
bicarb. unerlässlich. Denn die Acetonämie wird, wie Stadel¬
mann', Naunyn, Minkowski, Magnus-Levy usw. gesehen
haben, von der Acidose begleitet. Die Acidose an sich bildet
nicht die Gefahr der Acetonämie, wie ich das schon vor 25 Jahren
ausgesprochen habe.
„An die Stelle der Acidosedyskrasie, welche nach Stadel¬
mann die Ursache des Coma diabeticum sein soll, ist es besser,
die spezifische Toxicität der organischen Säuren zu setzen.“ 4 )
Aber es unterliegt keinem Zweifel, dass bei der Acetonämie ein
Säureelement vorhanden ist, dessen Existenz durch den Mangel
an Alkaleszenz der Säfte bewiesen wird. Es ist daher angezeigt,
dieses Säureelement zu sättigen, und man muss aus diesem Grunde
sehr oft eine enorme Dosis von Natr. bicarb. anwenden. Manches
Mal bleibt der Urin sauer, selbst wenn man 80 g dieses Salzes
und noch mehr dem Organismus zugeführt hat.
Aber wenn es auch gelungen ist, den Urin neutral zu machen,
so hat man noch nicht den Kranken gerettet, da die Säure nicht
die Ursache der Schwere des Krankheitszustandes bildet 5 ). Es
ist indes notwendig, so schnell wie möglich in den Organismus
eine solche Menge von Natr. bicarb. einzuführen, die genügt, die
Säure zu neutralisieren.
Ist Gefahr im Verzüge — und es ist bekannt, wie schnell
ein Kranker, der vom Coma bedroht ist, in Coma verfällt —
wird man natürlich veranlasst, die von Stadel mann vor¬
geschlagene intravenöse Methode vorzuziehen. Seit 1887 habe
ich mehrmals meine Zuflucht zu diesem Verfahren genommen
und mehrere Fälle veröffentlicht, bei denen es sich vorteilhaft er¬
wiesen hat. Es ist unter der Bedingung zu empfehlen, dass man
vor dem Coma eingreifen kann. Ist nämlich das Coma erst ein-
1) R. Löpine und Porteret, Compt rend. de l’aoad. des Sciences,
1888, 3. avril.
2) Das ist von Richter (Zeitschr. f. klin. Med., 1898, Bd. 36) nach
der Methode, welohe ich angewandt hatte, um die Wirkung des Anti-
pyrins in vitro au studieren, festgestellt worden. Siehe auch Gigo,
81. Kongress f. innere Med., 1909).
8 ) Martz, These de Lyon, 1897.
4) R. Lepine, .Revue de möd., 1887, S. 231—282. Später hat
Degrez die Gütigkeit der /LOxybuttersäure sehr gut studiert. L'abbä
und Violle haben ebenfalls gezeigt, dass die Giftigkeit dieser Säure
derjenigen, welche ihrem Säuregrad entspricht, überlegen ist.
5) Es ist sogar sehr zweifelhaft, ob das Coma durch die besondere
Giftigkeit der /LOxybuttersäure bedingt ist. Klemperer hatte schon
vor langer Zeit, im Jahre 1889, das Vorhandensein eines Toxins in
diesen Fällen vermutet. Hugounenq und Morel behaupten auch
heute noch, dass das gefährliche Elemeatfüter Acetonämie in den quater¬
nären Derivaten des Biuhissabbaues zu suchen sei (Xöi Congr&s fean^ais
de m6decinv, Sitzung in Lyon 1911), .*•
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
481
getreten, so kann man nur auf mehr oder weniger vorübergehende
Besserungen rechnen. Im allgemeinen sind die Chancen des Er¬
folges um so grösser, je weniger tief die Intoxikation ist.
Die intravenöse Injektion hat nicht nur den Vorteil, in jedem
Falle augenblicklich zu wirken, sondern auch vielleicht den, mehr
in die Tiefe zu wirken als die Einführung per os. Denn da¬
durch, dass sie eine brüske Störung in den endosmotischen Ver¬
änderungen hervorruft, kann sie besser das Eindringen des Natr.
bicarb. in das Zellinnere befördern, infolgedessen besser anti¬
toxisch wirken und vielleicht eine günstige Reaktion herbei¬
führen !).
Ich wende eine isotonische Lösung von Natr. bicarb. an.
Auf Grund der Phänomene der Hydratation des Organismus
(welche meistens in ähnlichen Fällen Vorkommen und sich durch
verschiedene Symptome, wie Hypotonie der Augäpfel usw. äussern)
wäre eine hypertonische Lösung gefährlich 2 3 ).
Ein Deberschuss von Natr. bicarb. ist nicht unbedenklich:
Man beschuldigt ihu offen, dass er eine Wasserretention und
Oedeme erzeuge. Nach Widal 8 ) jedoch, dessen Autorität auf
diesem Gebiete eine grosse ist, müsste man hierfür vielmehr den
(Jeberschu88 von Chloraten im Organismus verantwortlich machen.
Jedenfalls hat man nach einer intravenösen Injektion von Natr.
einseitige Krämpfe, und bei der Autopsie auf der Hirnhemisphäre
der entgegengesetzten Seite Hyperämie und Oedem beobachtet 4 ).
Physikalische Behandlung. Klimatotherapie. Körper¬
bewegung, vor mehr als 50 Jahren von Bouchardat, später von
Trousseau und Külz gerühmt, ist stets zu empfehlen, unter
der früher nicht beachteten Bedingung, dass sie nicht bis zur
Erschöpfung getrieben wird. Der Diabetiker muss, besonders
wenn eine Acetonämie besteht, sorgfältig jede Ermüdung ver¬
meiden (Forssner, Preti). Auch die Massage hat oft grossen
Nutzen, denn sie bringt die Muskeln passiv in Bewegung.
Früher unterschätzte man die Bedeutung des Klimas.
Daniel hat jedoch 1858 das warme Klima empfohlen, Lüthje
zeigte jüngst, dass diabetische Tiere in einem warmen Milieu,
unter gleichen sonstigen Bedingungen, weniger Glykosurie haben.
Obwohl dieses Faktum bestritten wurde, so ist es dennoch
richtig, wenigstens im allgemeinen, und ich glaube, dass die
Kranken, wenn sie die9 beachten, Nutzen davon haben werden.
Wenn er dazu in der Lage ist, wird der Diabetiker mit grossem
Vorteil den Winter in einem warmen Klima verbringen.
1) R. Lepine, Soci6t6 de biologie, 17. Juni 1911.
2) S. Chauffard, Revue de med., 1912.
3) Widal, Soci6te medicale des höpitaux de Paris, 1911.
4) Hanssen, Zeitsehr. f. klin. Med., Bd. 76, S. 219.
Chirurgische Eingriffe. Obwohl die Asepsis die Ope¬
rationen viel milder gestaltet hat, so sollen die Diabetiker sie
jedoch soviel als möglich vermeiden, besonders um sich nicht
der Wirkung der Anaesthetira auszusetzen. Es ist nicht die un¬
mittelbare Gefahr des Chloroforms, welche man bei ihnen fürchten
muss, sondern die späteren Folgen der Chloroformintoxikation,
welche bei bestehender Acetonämie mit funktionellen Leber¬
störungen die Acetonämie verschlimmern kann.
In Fällen von Gangrän soll man so wenig wie möglich ope¬
rieren und, wenn man sich nicht anders helfen kann, so hat
Dieulafoy jüngst gezeigt, dass es leicht ist, in gewissen Fällen
die Amputation lange Zeit hinauszuschieben, indem man dem
Allgemeinbefinden Zeit gibt, sich durch Anwendung beisser
Luftdouchen von 300°, zweimal täglich V 2 — 8 /i Stunden lang,
zu bessern 1 ). Unter dem Einfluss der Lokalbehandlung, welche
nicht sehr schmerzhaft ist, mumifizieren die Gewebe, die ichorösen
Flüssigkeiten erschöpfen sich und, wenn die Demarkationslinie
sich gut gebildet bat und die Septikämie im Schwinden ist, dann
amputiert man unter relativ günstigen Verhältnissen.
Jedoch die gangränösen Phlegmonen mit perakutem Verlauf
gestatten natürlich nicht eine solche Behandlung. In diesem
Falle darf man nicht eine Stunde verlieren. Man wird sofort
sehr hoch amputieren in der Erwägung, dass die Eiterergüsse
durch die Sehnenscheiden sich viel weiter erstrecken, als man
anzunehmen geneigt ist. Das Wohl des Kranken steht auf dem
Spiel.
Die Antisepsis, die Befolgung der Vorschriften, welche ich
I soeben skizzierte, haben die Sterblichkeit der Fälle von Diabetes,
soweit sie die Chirurgie betreffen, ausserordentlich vermindert.
Resümee. Was den Diabetes betrifft, so kann man, allge¬
mein betrachtet, sagen, dass er weit weniger schwer geworden
ist, seitdem er besser behandelt wird. Die Häufigkeit dieser
Krankheit hat in vielen Städten, besonders, in Berlin zugenommen.
Ich bin jedoch überzeugt, dass die Sterblichkeit nicht gleichen
Schritt mit der Morbidität hält, weil man heutzutage den Diabetes
weit besser zu behandeln versteht als zuvor. Ich habe versucht,
den Beweis hierfür zu liefern. Vielleicht findet man dereinst ein
besseres Spezialmittel als die, welche wir besitzen: ein glyko-
und ketolytisches Mittel. Bis dahin fahren wir fort, uns nach
den Elementen der Pathogenese zu richten, welche unser Handeln
bestimmen.
Das ist für den Augenblick die Methode. Die erreichten
Fortschritte beweisen, dass sie fruchtbar war, und sie ermutigen
uns, sie fernerhin zu befolgen.
1) Dieulafoy, Acadämie de medecine, 15. Fävrier 1910.
Sport und Reizmittel.
Von
Ferdinand Hneppe.
(Nach einem am 13. Dezember 1912 in Charlottenburg in der Vereinigung
aur wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen
gehaltenen Vortrage.)
Körperübungen können nur mit Hilfe der Energie betrieben
werden, die wir dem Körper in Form von Essen und Trinken
zuführen. Dabei machte man seit undenklichen Zeiten die Beob¬
achtung, dass für die Aufnahme und Ausnützung der Nahrung
auch die Art ihrer Zubereitung von besonderer Wichtigkeit ist,
und die Genussmittel erlangten in der Kulturmenschheit eine
immer grössere Bedeutung.
Man erkannte aber auch frühzeitig, dass es Mittel gibt, die
über diesen reinen Genusswert hinaus die Kräftezufuhr bei der
firnährung sogar zu steigern und Leistungen zu ermöglichen
schienen, die ohne diese Beigabe unausführbar waren. Von diesen
Mitteln beobachtete man Wirkungen, die von blosser Anregung
bis zu rauschartigen Zuständen gingen. Sie zeigten dann im
letzteren Falle in unerfreulicher Weise ein Nachlassen der
Leistungen.
Erst die neueren Forschungen haben über diese Dinge wesent¬
liche Klärung gebracht, aus denen sich ergibt, dass einige dieser
Genuss mittel gleichzeitig auch Nährstoffe zuführen, während
andere ausschliesslich durch ihren Reiz- und Genusswert wirken.
Je nach der Umwelt sind diese Reizmittel verschiedenartig,
*0 dass wir bei den verschiedenen Völkern verschiedene und uns
zan) Teil sehr sonderbar anmutende Reizmittel antreffen. Bei
den Chinesen traf man das Opium, die Indianer in Amerika
hatten den Tabak, Indien und Ostasien brachten den Tee, Afrika
und Arabien den Kaffee. Die Samoaner bereiten, wie sich der
Berliner drastisch auszudrücken pflegt, mit „Geduld und Spucke“ ihr
Kawa, und die Kamtschadalen stellen sogar aus dem giftigen
Fliegenpilz ein berauschendes Getränk her. Die lodianer in den
Anden Südamerikas geniessen Kokablätter. Bei den Arabern hat
sich seit Untersagen des Alkohols durch den Propheten das ans
dem indischen Hanf hergestellte narkotische Haschisch mehr und
mehr ausgebreitet.
Bei den eurasischen Völkern sind es vorwiegend Genussmittel
alkoholischer Art: der Met aus Honig, Kumys aus Stutenmilch,
Kefir mit Hilfe der „Hirse des Propheten“ aus Kuhmilch, meist
aber alkoholische Getränke aus gegorenen Früchten. Im alten
Aegypten war es Wein aus Gerstensaft, den später auch die
Gallier und Germanen herzustellen und bis zum modernen Bier
zu entwickeln verstanden, während die Japaner ein weinartiges
Getränk aus Reis, den Sake, bereiten. In den Mittelmeerländern
ist es vor allem der Wein aus Trauben. Die Araber lehrten
dann noch durch Destillation aus den vergorenen Getränken den
Alkohol selbst als Geist des Weines gewinnen. Das mag als
Beispiel genügen, da es für meine Betrachtung keinen Zweck hat,
alle Reizmittel im einzelnen zu behandeln.
Alle Völker machten bei den ihnen von Natur aus zugäng¬
lichen Genuss- und Reizmitteln die Beobachtung, dass je nach
der Menge oder Empfänglichkeit oder Nebenumständen, besonders
der Art der Ernährung, alle diese Mittel die Stadien von ange¬
nehmer anregender Genuss- und Reizwirkung bis zu einer nicht
immer unerwünschten Rauschwirkung und richtigen Narkose er-
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UNIVERSUM OF IOWA
482
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
kennen Hessen, von einer wirklichen oder scheinbaren Steige¬
rung auch der körperlichen Leistungen bis zur völligen Aufhebung
derselben.
Io unserer Zeit hat der zunehmende Verkehr diese Mittel
überall zugänglich gemacht und uns von den Beschränkungen der
Umwelt befreit. Dadurch entsteht die Gefahr, dass, wenn man
zur Vermeidung der genügend bekannten schädlichen Folgen der
einheimischen Genussmittel fremde einfährt, diese auf den noch
nicht daran gewöhnten Organismus oft noch schlimmer wirken
als die bekämpften. So hat z. B. in Amerika infolge des voll¬
ständigen Untersagens des Alkohols in den Prohibitivstaaten der
Gebrauch von OpTum in der bedenklichsten Weise zugenommen.
In China selbst sind ca. 1 pCt. der Bewohner dem Opiumlaster
verfallen, in den Vereinigten Staaten aber mehr als 1 pCt. bis zu
4 pCt. nach einigen Angaben, und unter den Chinesen zählt man
in Amerika 35 pCt. Opiumraucher, so dass man nach Rebler
nnd Hamilton Wrigbt in Canada 1908 und in Usona 1909
gesetzlich dagegen energischer auftreten musste, wie neuerdings
auch in China selbst. Ebenso ist in den letzten Jahren in Frank¬
reich in den Hafenorten, besonders am Mittelmeer, aber selbst
im Landheere, der Gebrauch von Opium stark gestiegen. Gerade
die körperlich kräftigen Seeleute haben das Laster aus dem Osten
mitgebracht und verbreitet, dessen soziale Folgen, die den Aerzten
schon bekannt waren, in den letzten Jahren endlich auch weiteren
Kreisen durch skandalöse Vorkommnisse bekannt wurden, ln
zwei Ländern fanatischer Abstinenzagitation, Nordamerika und
Finnland, bat auch der Gebrauch des gefährlichen Methylalkohols
an Stelle des Aethylalkobols am stärksten zugenommen, ebenso
wie in Amerika der Verbrauch von Aether und Kölnischem Wasser
zum Trinken.
Die Kenntnis von den guten Wirkungen und von den Ge¬
fahren der Reizmittel ist deshalb für die Kulturvölker wichtig
geworden. Reizmittel, auch Rauschmittel sind für die Menschheit
stets reale Faktoren der Existenzmöglicbkeit gewesen, und eines
derselben herausgreifen und bekämpfen heisst nicht die Frage
lösen, sondern oft nur den Teufel mit Beelzebub austreiben.
Infolge der Gesamtheit der Kultureinflusse und der beson¬
deren ungünstigen Einflüsse der Gross- und Industriestädte ist
die Anspannung der Kräfte bei uns eine so ausserordentliche ge¬
worden, dass unser Nervensystem nach mehr Reizen verlangt,
aber auch von Ueberreizungen bedroht ist, während andererseits
die Nervenerschöpfung nicht immer eine vollbefriedigende Tätig¬
keit zu sichern vermag, weil die Ruhe zur Erholung fehlt. Die
Genussmittel wirken deshalb unter diesen Verhältnissen bei zu
häufigem und regelmässigem Gebrauch in besonders gefährlicher
Weise auf Geist und Körper ein. Das Wesentliche der Reizmittel
liegt nicht so sehr darin, dass sie die körperlichen Arbeiten er¬
leichtern, als dass sie auf das ganze Nervensystem als Erregungs¬
mittel einwirken.
Der Körper der Menschen ist bei den verschiedenen Arten
Rassen und Mischrassen in den Grundzügen so übereinstimmend,
dass die natürlichen Körperübungen überall annähernd dieselben
sind und nur die Umwelt die eine oder andere Art der üebungen
in den Vordergrund bringt. So erkennen wir überall dieselben
Besonderheiten der Bergbewohner, der seefahrenden Völker, der
Wander- und Reitervölker in der Ebene. Für den natürlichen
Betrieb der täglichen Körperübungen zur Existenzmöglicbkeit be¬
darf man unter natürlicheren Verhältnissen keiner besonderen
Anregungsmittel, und doch erkannte man, dass, wenn man zu
besonderen Kraftanstrengungen zum Schlüsse die ganze Energie
zusammennebmen wollte, dazu die Reizmittel Möglichkeiten bieten.
Infolge des sich immer inniger gestaltenden Verkehrs der
Völker untereinander haben aber die verschiedensten Systeme der
Körperübungen sich immer mehr ausgedehnt. So hat das deutsche
Turnen seinen Siegeszug angetreten, den Jahn schon vorausahnte,
und in unserer Zeit hat sich der Sport mehr und mehr ausge¬
breitet, so dass wir überall mit ganz ähnlichen Körperübungen
und einem ähnlichen Betriebe derselben zu rechnen und die
Frage zu prüfen haben, ob dazu Genussmittel vorteilhaft oder
schädlich sind.-
Wenn der Hirt in den Alpen Sonntags zum Vergnügen den
Stein stösst oder im Winter die Scheibe über das Eis sausen
lässt, wenn der Seriindianer im Laufe Hasen und Hirsche einholt,
so braucht er sich dazu mit seiner Ernährung und mit Reizmitteln
nic^it besonders vorzubereiten. Der Boerenjunge, der mit einer
Patrone ausgeschickt wird, um eine Antilope zu holen, kommt
sicher mit seiner Beute heim, ohne dazu K«izmittel nötig zu
haben. Wenn der Berufsjäger einmal bei Kälte oder Regen zur
Stärkung und zum Erwärmen einen Schluck Zielwasser nimmt,
so wird er trotzdem seinen Schuss sicher anbringen, während ein
städtischer Sonntagsjäger unter denselben Bedingungen vielleicht
doppelt sieht und beide Böcke fehlt.
Es macht einen grossen Unterschied, ob man sich im nor¬
malen Betriebe von volksnotwendigen Körperübungen befindet,
der sich im Laufe von Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden
ausgebildet bat, oder ob man die Körperübungen unter besonders
erschwerenden sozialen Verhältnissen treibt, wie sie jetzt in
unserem Stadtleben vorliegen, welches uns von der Natur mehr
und mehr entfernt hat.
Unter natürlichen Verhältnissen im Freien muss man stets
bereit sein. Ist eine Hecke oder ein Bach zu übersteigen, so
heisst es: hic Rhodus — hier springe. Da kann man sich, wenn
man zum Weitsprung aufgefordert wird, nicht wie ein Sport¬
jüngling damit entschuldigen, dass man heute nur für den Hoch-'
Sprung trainiert bat, oder wie ein Turner, dass kein Sprungbrett
da sei. Wenn wir zum Kampfe gegen unsere soziale Not die
Körperübungen betreiben, um deren entartenden Einflüssen ent¬
gegenzutreten, müssen wir die üebungen auch benützen, um be¬
sonderen Schädlichkeiten des Kulturlebens entgegenzuwirken.
Zuerst hatten die Griechen das erkannt und herausgefunden,
dass, wenn man sich für besondere Gelegenheiten zu Höchst¬
leistungen in Mehrkämpfen oder Einzelkämpfen vorbereiten will,
dazu eine längere Zwangslebensweise nötig ist. Bei den Vor¬
bereitungen zu den heiligen Spielen musste der hellenische Athlet
bei dieser Zwangslebensweise auch den Genuss von Wein und
Liebe aufgeben, d. b. von Dingen, die unter deo Altersgenossen
ohne diese Voraussetzung als berechtigter Genuss galten. Diese
vorbereitende Uebung biess Askese, und in der Vorbereitung zu
den höchsten Leistungen wurde der Athlet zum Asketen. Diese
Selbstbeherrschung und Enthaltung von Genüssen wurde derart
zum Kennzeichen, dass später der Begriff der Askese auch auf
andere, geistige und ethische Dinge ausgedehnt wurde.
Wir sind in unserer Zeit, um in Körperübungen wieder zu
höheren Leistungen zu kommen, zu derselben Askese gelangt, die
wir jetzt Training nennen. Training ist nicht das Technische
einer Uebung, denn ein Athlet, der gelegentlich ein Gewicht
stemmt oder einen Sprung macht oder die Kugel stösst, befindet
sich noch nicht im Training. Training ist gesteigerte Uebung mit
Zwangsdiät und mit Enthaltung von bestimmten Genüssen, um an
einem bestimmten, von anderen festgesetzten Termin eine Höchst¬
leistung ausfübren zu können, gleichgültig, ob diese in einem
Mehrkampf oder in einem Einzelkampf besteht. Unser Training
ist genau in demselben Sinne Askese, wie die Uebung bei den
alten Griechen, und wir sind aus denselben Bedürfnissen heraus
zu derselben Forderung der Enthaltung von Genüssen gekommen.
Als charakteristisch sei in dieser Hinsicht zum Beispiel
angeführt, dass kürzlich der bedeutendste Freiringer unserer Zeit,
der Deutsch Amerikaner Frank Gotch, sagte: „Ich habe manches
Unangenehme erlebt, aber mit dem Training ist es noch etwas
ganz anderes. Die Qualen des Trainings werden nie aus meinem
Gedächtnis schwinden.“ Bei einem streng durchgefübrten Training
muss die Selbstüberwindung zu einem höheren Zwecke die Ge¬
nüsse als etwas Untergeordnetes erscheinen lassen, und die Vor¬
bereitungen für den Sieg und die Aussichten auf den Sieg helfen
zu der Selbstzucht und zu der Unterordnung unter die strenge
Aufsicht der erfahrenen Gyranasten oder Trainer.
Die amerikanischen Studenten, die 1912 zu den Olympischen
Spielen nach Stockholm reisten, knirschten unter der harten Zu¬
mutung des Trainers, aber sie unterwarfen sich in der Hoffnung
auf den Sieg. Ihr bester Mann, der Halbblutindianer Jim Thorpe,
der in allseitiger athletischer Durchbildung im Fünf- und Zehn¬
kampf eine ungewöhnliche Höhe gezeigt hatte, hatte nach der
Rückkehr in die Heimat und nach einem Fussballwettspiel seiner
Schule in Washington sich auf der Rückfahrt in Pittsburg so
gründlich betrunken, um etwas Abwechslung in die Geschichte
hineinzubekommen, wie es von unseren lieben Vettern nur von
deutschen Studenten für möglich erklärt wird. Aber auch bei
uns treten solche vollständigen Ausspannungen nach einem scharfen
Training noch so oft ein, dass man an dem Vorteil desselben für
den Körper manchmal zweifeln könnte. In Vorahnung dessen
hatte unser Dichter schon gesagt:
a Enthaltsamkeit ist das Vergnügen
Ati Dingen, welche wir nicht kriegen.V>
Derf vollständige dauernde Verzicht auf Genussmittel passt
allenfalls für christliche Anäbhoreten in der Wüste oder für
mohammedanisch^ Senussi, denen in ihrem Kampf für die Her-
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
483
Stellung der reinen Religion des Islam Rauchen, Schnupfen, Wein,
Kaffee verboten und nur Tee erlaubt ist. Auf jeden Fall passt
er für fromme Einsiedler besser als für Kulturmenschen, die unter
unseren wirtschaftlichen Verhältnissen leben müssen. Das alles
zeigt uns deutlich, dass Training wirklich Askese ist, und dass
für den dauernden Betrieb von Körperübungen eine solche völlige
Enthaltsamkeit nicht durchführbar, aber auch nicht notwendig
ist. Die Reizmittel sind, was meist nicht beachtet oder vergessen
wird, instinktive Versuche der Menschen, um einer realen Lebens¬
lage Rechnung zu tragen, über die sie uns hinaushelfen, indem
sie entweder wie eine Peitsche aus dem Körper die letzten Kräfte
herausholen oder als Sorgenbrecher über unangenehme Zustände
der Umwelt hinweghelfen oder hinwegtäuschen.
In unserer dreidimensionalen Welt hat nach einem Scherz¬
wort jede Sache drei Seiten, eine juridische, eine wissenschaft¬
liche und eine vernünftige. Alle drei Seiten lassen den Genuss
von Reizmitteln als etwas Reales erkennen. Wenn wir so die
realen Verhältnisse zum Ausgang nehmen, erkennen wir, dass die
Beziehungen der Reizmittel zum Betriebe von Körperübungen ver¬
schiedenartig sein können.
Da die meisten Reizmittel an sich weder durch Geruch noch
durch Geschmack auffallen, wurde ihre Wirkung zunächst nur
zufällig bei dem Genüsse von Nahrungsmitteln nebenbei beob¬
achtet und dann erst die Herstellung besonders kultiviert.
Wir können die Reizmittel nun von dem Gesichtspunkte aus
betrachten, ob sie zu dem normalen Stoffwechsel des Organismus
eine fremdartige oder eine physiologische Beziehung besitzen.
Der Typus der fremdartigen Reizmittel, zu denen der Orga¬
nismus keine Beziehungen hat, ist für uns der Tabak, und zwar
wesentlich als Rauchtabak. In Deutschland werden zurzeit etwa
400 Millionen Mark in Tabak verbraucht, davon im Jahre 1911
schon etwa 225 Millionen in Form von Zigaretten. Die un¬
günstigen Wirkungen auf den Magen und die Augen sind viel¬
leicht bei der sporttreibenden Jugend weniger zu erwähnen. Aber
der ungünstige Einfluss auf das Herz (Herzklopfen, nervöse Herz¬
schwäche, Bradycardie), Begünstigung der Arteriosklerose, die bei
ganz abstinenten Mohammedanern von den Aerzten in hoher Prozent¬
zahl auf den Tabakmissbrauch bezogen werden muss, fort¬
schreitende Lähmungen und schwere Nervenentzündungen von
seiten der Nerven, Schädigungen der Nieren zeigen deutlich die Ge¬
fahren, mit denen der Tabakgenuss gerade die Organe bedroht,
die für den Betrieb von Körperübungen von grösster Wichtigkeit sind.
Es ist eine unerfreuliche Heuchelei, dass bei der gewaltigen
Zunahme des Missbrauches von Tabak durch die Zunahme des
Zigarettenrauchens manche Alkoholabstinenten diesen Gefahren
fast verständnislos gegenüberstehen, um für ihren eigenen Miss¬
brauch und ihre mangelnde Selbstbeherrschung eine billige Ent¬
schuldigung zu haben.
Bei dem Betriebe von Körperübungen legen wir ausserdem
den grössten Wert auf reine Luft, die uns in den Städten sowieso
zu viel fehlt, so dass es mehr als sonderbar ist, wenn Leute beim
Betriebe von Körperübungen rauchen. Es macht einen sehr
schlechten Eindruck, wenn junge Leute, die sich über bier¬
trinkende Turner aufhalten, in affektierter und blasierter Weise
mit der Zigarette im Munde z. B. Tennis spielen, Schlittschuh
laufen oder Rad fahren. Snob oder Sport ist da die Frage. Bei
einem Sechstage-Radrennen, welches an Herz und Lunge ganz ge¬
waltige Anstrengungen stellt, sah ich kürzlich in Dresden Aus¬
übende in den Pausen rauchen, was mir damit motiviert wurde,
dass man bei der Schinderei doch irgend etwas haben müsste,
wieder ein Zeichen, wie Training wirklich als Askese wirkt und
auf die Dauer undurchführbar ist.
Ich habe auf jeden Fall so ungünstige Folgen gerade vom
Zigarettenrauchen beim Sport gesehen, dass ich der Forderung
der Amerikaner, beim Training den Tabakgenuss vollständig zu
untersagen, beistimmen muss.
Von den dem Körper fremden Reizmitteln schien die Coca
noch mehr als der Tabak berufen, eine gewisse Rolle zu spielen.
Die Indianer geniessen sie in den Anden von Südamerika seit
undenklichen Zeiten regelmässig, indem sie die Blätter mit etwas
ungelöschtem Kalk und Asche zu Kügelchen ballen und bei den
Gebirgswanderungen so regelmässig verwenden, dass sie die
Entfernungen nach Cocanas bestimmen, wie wir nach Kilometern.
Das Cocain spielt beim Doping der Rennpferde gelegentlich
eine Rolle zum Auffrischen der. Lebensgeister. Im Sport hatte
man beim Skifahren vor einigen Jahren Versuche gemacht, die
aber ein ausserordentlich ungünstiges Resultat hatten. Bei den
{Sechstage-Radrennen wird neben Sauerstoffeinatmungen auch jetzt
noch gelegentlich eine kleine Injektion verwendet oder es werden
Pillen genommen, wenn Herz und Muskeln zu versagen drohen. Die
Doping Pillen dürften wohl vorwiegend Cocain und Coffein ent¬
halten. In Amerika hat in den letzten Jahren nach Kehler der
Cocain missbrauch wieder stark zugenommen. Ebenso in der
Pariser Lebewelt durch Schnupfen des Coco genannten Pulvers,
und dort worden sogar Erscheinungen von Verfolgungswahn be¬
obachtet, die mit dem Amoklaufen einige Aehnlichkeit batten.
Die den Aerzten nur zu bekannten giftigen Wirkungen, die zu
körperlichem und geistigem Siechtum führen, sind eine Warnung
vor der Anwendung bei Körperübungen.
Im Gegensätze zu diesen ganz fremdartigen können alkohol-
und coffeinhaltige Mittel als physiologische bezeichnet werden.
Es wurde nämlich ermittelt, dass sich auch unter Bedingungen,
wie sie im tierischen Körper Vorkommen, bei der Spaltung von
Zucker Alkohol bilden kann. Unter welchen Bedingungen und
in welchen Mengenverhältnissen dies geschieht und wie gross die
kleine Spiritusfabrik auch jedes Abstinenten sein kann, bedarf
noch weiterer Untersuchungen. Aber wir können den Alkohol
nicht mehr als ein dem Körper ganz fremdartiges Mittel bezeichnen.
Damit stimmt auch die vorzügliche Ausnutzung bei Stoffwechsel¬
untersuchungen überein. Die alkoholhaltigen Getränke sind bei
uns die von der Natur gegebenen Reizmittel, und die europäische
Menschheit ist seit Jahrtausenden an diese Getränke gewöhnt,
sei es, dass wir eine Körperanstrengung durch sie erzwingen oder
uns geistig ausspannen wollen.
Bei dem starken Alkoholkonsum in England, der mit quali¬
tativ viel ungünstigeren Getränken bestritten wird, ist es viel¬
leicht interessant, wenn ich an eine photographische Darstellung
anknüpfe, die kürzlich von der illustrierten englischen Wochen¬
schrift „Graphic“ gebracht wurde. Es handelte sich um zwei
Momentaufnahmen bei Gelegenheit der Landung von Matrosen in
Konstantinopel zum Schutze der Europäer. Eine englische Mann¬
schaft wurde beim Fussballspiel photographiert, eine deutsche
Matrosenabteilung, als sie Bierfässer heranrollte. Es wurde aber
nur die Ausspannung und Erfrischung nach der Arbeit mit der
Arbeit verwechselt und von dem wohlwollenden Berichterstatter
nur vergessen, dass, wenn die Matrosen verschiedener Länder ge¬
legentlich Ruderwettkämpfe veranstalten, gerade die deutschen
Matrosen in der Regel mit am besten abschneiden, und wenn
man die tüchtigsten gebraucht, die „Germans to the front“ gerufen
werden. Und dann ausgerechnet gerade Fussball, der in der
deutschen Marine wegen seiner ausgezeichneten Wirkungen für
Disziplin und gesunde Entwicklung eifrig gepflegt wird.
Aber dies Beispiel zeigt, welche Auffassungen über den Alkohol¬
konsum in Deutschland man ausserhalb hat, selbst da, wo es
mindestens ebenso schlimm aussieht. Wir sollten uns in dieser
Beziehung aber doch gar keinen Illusionen hingeben. In den
letzten Jahren kostete der Alkoholverbrauch das deutsche Volk
über 2,8 bis fast 3 Milliarden Mark, während Heer und Flotte
etwa 1250 Millionen, die Arbeiterversicherung 685 Millionen, die
höheren Schulen 420 Millionen, die Volksschulen 523 Millionen,
im ganzen etwa 2878 Millionen Mark erforderten. Der Alkohol¬
konsum allein belastete das deutsche Volk in den letzten Jahren
mehr als doppelt so stark als die Ausgaben für Heer und Marine,
wobei ich von den indirekten Folgen des Missbranches durch Ver¬
brechen, Vergehen, Belastung der Gefängnisse und Krankenhäuser
noch ganz absebe. Alkohol und Tabak zusammen übersteigen
den Betrag für die wichtigsten Kulturaufgaben und deren Schutz
um mehr als 400 Millionen Mark. Diesem furchtbaren Missbrauch
gegenüber braucht man nicht zu untersuchen, ob in anderen
Ländern pro Kopf noch etwas mehr Alkohol kommt.
Auf jeden Fall ist der Alkoholmissbrauch in Deutschland
noch so gewaltig, dass er dringend der Abstellung bedarf. In
der Bekämpfung des Missbrauches ist für meine Auffassung die
Abstinenz eine von Fall zu Fall zu beurteilende Unterfrage der
Mässigkeit. Askese und Sophrosyne können demselben hohen
Ziele dienen. Dieses vorausgesetzt, können wir in der ruhigsten
Weise untersuchen, ob, wann und wie weit alkoholische Getränke
als Nährstoffe oder als Genuss- und Reizmittel beim Betriebe von
Körperübungen in Betracht kommen dürfen.
Die grundlegenden, bei uns schwer zugänglichen Unter¬
suchungen von Atwater und Benedict (1902) haben nun ein¬
deutig ergeben 1 ), dass 1 g Alkohol, der 7,07 Calorien liefert,
1) Siehe F. Hiieppe, Körperübungen und Alkoholismus, Berlin 1903,
Verlag von A. Hirschwald,“ und A. Dtrrig, Archiv f. d. ges. Fhysiol.,
1906, Bd. 113, S. 341. i
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
io einer gemischten Kost gleichwertig oder isodynam ist 1,73 g
Kohlehydraten oder 0,78 g Fett, dass von dem Alkohol das
Material zu 98 pCt. und ebenfalls die Energie zu 98 pCt. aus¬
genützt wird und Alkohol sich wie Fett und Kohlehydrate in
der Ernährungsbilanz verhält. Die genannten Forscher haben bei
einem durchschnittlichen Gesamtgebrauche von etwa 2700 Calorien
in einzelnen Versuchen statt Kohlehydraten fast 1 j 6 derselben,
nämlich 509 Kalorien, durch Alkohol ersetzt, und der Energie¬
umsatz in Wärme und Arbeit war bei achtstündigem Zweirad¬
fahren in den Versuchen mit und ohne Alkohol fast gleich.
Diese rund 500 Calorien wurden in 72 g Alkohol in 6 Tages¬
dosen verabreicht; in Bier entspricht dies etwa 2 l / 2 1.
Aus den grundlegenden Versuchen von Atwater und
Benedict geht deutlich hervor, dass auch die aus dem Alkohol
gewonnene Energie nicht bloss nutzlos in Wärme, sondern auch
in nutzbare Arbeit umgesetzt wird, wenn sich auch nicht pro¬
zentisch genau feststellen lässt, wieviel auf Wärme, wieviel auf
Arbeit fällt. Wenn auch die Rauschwirkung meist erst von
100 g Alkohol gerechnet wird, so sind doch 72 g schon eine
recht hohe mittlere Tagesgabe, die nicht auf einen Sitz ge¬
nommen, sondern über mehrere Gaben verteilt werden muss, um
Giftwirkungen auszuschHessen. Alkohol kann unter der Rausch¬
dosis nur einen Teil — in den angeführten Fällen mit rund
500 Calorien etwa 1 / s aller Wärmeeinheiten, meist aber bedeutend
weniger — bestreiten und kann wegen der Rauschgefahr als
Nahrungsstoff nicht dem gesteigerten Energiebedürfnisse ent¬
sprechend beliebig gesteigert werden. Der grössere Teil der
Energie muss stets durch Fette und Kohlehydrate gedeckt werden,
die auch beliebig gesteigert werden können, wenn mehr Energie
verlangt wird. Für den Gesamttagesbedarf an Calorien ist dem¬
nach Alkohol kein guter, sondern ein sehr schlechter Lieferant.
Aber auch für kurze Zeit gilt dies, da 72—80 g Alkohol, die
509—565,5 Calorien liefern, bei Ausschluss anderer Kohlenstoff¬
quellen wohl die Energie für etwa eine Stunde tüchtiger Arbeit liefern
könnten, in dieser kurzen Zeit aber zu gross sind, um dies ohne
Giftwirkung und ohne Schaden für die Qualität der Arbeit zu tun.
Das sind Gaben für die Bierbank oder die Bar, aber nicht für Arbeit.
Auch Hellsten, der an dem Johannsson’schen Ergographen
längere Zeit mit grossen Gewichten von täglich 5—6000 mkg
und darüber arbeitete, ermittelte, dass unmittelbar vor den Ver¬
suchen genommener Alkohol die Leistungsfähigkeit sofort erhöhte,
doch trat nach 12—40 Minuten ein Absinken unter die Norm ein.
Diese ungünstige Wirkung war nach 2 Stunden wieder ge¬
schwunden. Aber der Alkohol — 80 g statt der isodynamen
Menge von Kohlehydraten — lieferte wirkliche Arbeitswerte;
doch wies die Sekundenarbeit in den Alkoholperioden kleinere
Werte auf und die Kurven waren unregelmässiger, die Arbeit un-
Ökonomischer als ohne Alkohol.
Bei Ungewohnten tritt nach Alkobolaufnahme selbst bei
massigen Gaben einige Tage lang eine leichte Giftwirkung in
Form stärkerer Eiweissverluste ein, also eine Mehrausgabe an
Nährmaterial, so dass erst eine gewisse Gewöhnung nötig ist oder
schon vorhanden sein muss, um diese leichte Giftwirkung herab¬
zusetzen oder aufzuheben und die Alkoholwirkung zur Energie¬
gewinnung rein zu erhalten. Auch subjektive Momente spielen
stark mit, wenn z. B. Hellsten erst bei 80 g, Durig schon bei
etwa .32 g eine deutliche Alkoholwirkung erkennen Hess.
In den wichtigen Versuchen von Durig bei Bergwanderungen
wurde der Alkohol mit etwa 30 g nicht statt Kohlehydraten ge¬
geben, sondern als eine Zugabe zugefügt. Der vor der Arbeit
genommene Alkohol wurde zuerst und schnell verbrannt; so dass
zunächst an Kohlehydraten gespart und ein Teil der nutzbaren
Arbeit eindeutig durch den Alkohol bestritten wurde; doch nur
ein Teil, da die Gesamtverbrennungswärme grösser war als jene
der durch den Alkoholverbrauch hervorgerufenen Mehrausgabe
für die Gesamtleistung. Die Arbeit war aber ohne Alkohol
ökonomischer, wurde in kürzerer Zeit und mit geringerem Material¬
verbrauche geleistet, als wenn Alkohol zugesetzt wurde. Bei
Gewöhnung war aber selbst bei Durig eine Abnahme dieser
Giftwirkung des Alkohols zu beobachten, und die Resultate wurden
in den späteren Perioden besser. Es wäre wohl gut, diese Ver¬
suche an Bergführern zu wiederholen, die an mässige Gaben
Alkohol, aber auch an das Bergsteigen gewöhnt sind; wenigstens
dürfte nach meinen früheren Beobachtungen an Bergbewohnern
im Vergleich zu selbst gut trainierten Alpinisten das Resultat
wohl noch günstiger werden.
(Schluss folgt.)
Darf Neosalvarsan ambulant angewandt werden?
Von
Prof. Toatoi- Wiesbaden.
In meiner Publikation „über reaktionslose Neosalvarsan-
infusionen, Vermeidung des Wasserfehlers und Kombinationstherapio
bei Syphilis“ 1 ) schrieb ich die Sätze: „Das neue Präparat ist
nun — zunächt ganz abgesehen von der später genauer zu prä¬
zisierenden ausgezeichneten Verträglichkeit — so recht ein Mittel
für die ganz ambulante, von Krankenhaus oder Sanatorium unab¬
hängige Privatpraxis. Und zwar zunächst einmal wegen der her¬
vorragenden Bequemlichkeit der Zubereitung.“ Diese Sätze fände»
nun von Wolff und Mulzer (Zur Kasuistik der Behandlung der
Syphilis mit Neosalvarsan) 2 ) eine energische Zurückweisung, deren
Energie noch durch den Druck und dadurch, dass das hier
folgende Citat den Schluss der ganzen Arbeit, gewissermaassen
also die Quintessenz der ganzen Publikation bildet, eine Steige¬
rung erfuhr. „Energisch aber müssen wir, eben auf Grund dieser
unserer schlimmen klinischen Erfahrungen, einem Ausspruch
von Touton entgegentreten, dass das neue Präparat so recht ei»
Mittel für die ganz ambulante, vom Krankenhaus oder Sana¬
torium unabhängige Privatpraxis sei. Vor einer derartige»
ambulanten, die ständige Kontrolle des Arztes ent¬
behrenden Verwendung können wir, wenigstens bei der
von Ehrlich vorgeschlagenen Dosis im Interesse der
Patienten und auch der behandelnden Aerzte nicht
dringend genug warnen!“
Auch Kall (Erfahrungen mit Neosalvarsan) 8 ) glaubt sich
meiner Empfehlung zur ambulanten Behandlung nach den Er¬
fahrungen an der Würzburger Universitätsklinik (Prof. Zieler)
nicht anschliessen zu können, ebensowenig wie Grünberg (Bei¬
trag zur Neosalvarsanbehandlung) 4 ).
Inzwischen mehrten sich nun bis gegen Ende des Jahres 1912
die Veröffentlichungen über Neosalvarsan, besonders auch über
unangenehme Nebenwirkungen, auch Todesfälle an Encephaliti»
haemorrhagica, gleichzeitig aber auch meine eigenen Erfahrungen
mit der ambulanten Neosalvarsanbehandlung. Und wenn ich nun
jetzt am Beginn des neuen Jahres die .letzteren in Vergleich setze
mit den Erfahrungen von anderer Seite, so komme ich zu dem
erfreulichen Resultat, dass ich alles, was ich in der oben
citierten Publikation sagte, vollständig und mit guten»
Gewissen aufrecht erhalten kann.
Dies bedarf gegenüber den verschiedenen unangenehmen Er¬
fahrungen anderer und gegenüber den direkten Angriffen ja sogar
Warnungen vor meiner Empfehlung einer Rechtfertigung meiner¬
seits, da man im Zusammenhalt aller dieser Dinge den Vorwurf
einer Art leichtfertigen oder doch unvorsichtigen Vorgehen»
meinerseits erblicken kann.
Ich schicke voraus, dass ich auch in den meiner ersten Publi¬
kation folgenden 7 Monaten, in: denen ich die gleiche Methode
beibehielt, nicht ein einziges Ereignis zu beklagen hatte, wa»
gegen diese Methode, insbesondere ihre ambulante Ausübung
spräche.
Im Gegenteil, je länger ich sie anwandte und auch über ihre
Einwirkung auf die Wassermannreaktion Erfahrungen sammeln
konnte, um so mehr lernte ich sie schätzen.
Ich rekapituliere meine Methode:
1. Nur und ausschliesslich Kombination mit Hg, und zwar
Inunktions- oder Mercinolinjektionskur.
2. Immer mindestens 10—14tägige Vorbehandlung mit Hg,
3. Fortsetzung der Hg-Behandlung während der Neosalvarsan-
infusionen (4—6 [—8] Wochen im ganzen).
4. Höchstens 3 Neosalvarsaninfusionen während dieser Zeit 5 ).
5. Minimum der Intervalle meist nicht unter einer Woche.
6. Gesamtdosis während einer Kombinationskur nicht über
2,25 Neosalvarsan (meist 0,6 -f- 0,75 + 0,9) allmählich steigend.
7. Herstellung der Lösung mit zweimal gekochtem, ganz oder
fast keimfreiem Leitungswasser.
8. Kombination der Kur mit die Ausscheidung des Hg und A»
anregenden Mitteln (Wiesbadener Bade- und Trinkkur, Schwitz¬
prozeduren).
1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 24.
2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 31.
3) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 31.
4) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 44.
5) Während der in 2 durch eineu Monat Pause getrennten Hälften'
geteilten achtwöchigen Mercinolinjektionskur können es bis 6 werden.
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4öS
Haben nun die Herren, die sich eine abfällige
Kritik meines Vorgehens erlaubten, diese meine Be¬
handlung Dachgeprüft, ehe sie die Kritik über dieselbe
abgabon? Oder haben sie ihre eigene, zum Teil, wie
sich nachträglich herausstellte, fehlerhafte Methode
mit ihren entsprechend betrübenden Resultaten dieser
Kritik der meinigen zugrunde gelegt?
Ich behaupte das letztere und werde es beweisen.
Zanächst gegenüber Wolff und Mulzer und bezüglich der Haupt¬
punkte 5 und 6, also Intervalle und Dosierung, in denen sie
sich „möglichst an die Angaben von Schreiber gehalten“ haben.
„Als Gesamtdosis verabfolgten wir also durchschnittlich in
4 Etappen etwa 4,4—4,6 bei Männern und 3,85 bei Frauen, und
zwar anfangs in 8 Tagen, später in 2—3 Wochen.“ Sie gaben
aber mehr, z. B. in dem Fall 1 5,0, in dem Fall 2 5,0 in je
1 Woche, in dem Fall 3 4,9 in 15 Tagen usw., und Schreiber
gab 6,0 in 8 Tagen, Duhot gar 8,0 in 8 Tagen und mehr!
Ich habe es nun, als ich Anfang März 1912 mit der Prüfung
des Präparates anfing und mir nur der dem Ehrlich’scheu
Schreiben beiliegende Bericht Schreiber’s als Richtschnur vor¬
lag, gerade umgekehrt gemacht wie die Herren Wolff und
Mulzer, die zudem noch den Vorteil hatten, erst zwei Monate
später mit ihrer Prüfung anzufangen, wo schon bald vor den
grossen Dosen und deren Häufung warnende Artikel (vgl. Bernheim,
Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 22) erschienen. Ich
habe mich nicht nach dem ursprünglichen Vorgehen
Schreiber’s gerichtet 1 ), der ja auch später 2 ) seine grossen
Dosen und seine kurzen Intervalle als gefährlich aufgab. Ehr¬
lich hat mir auch keine Dosis „vorgeschlagen“, sondern legte
ohne weitere Kritik nur den Schreiber’schen Bericht hei. Ich
habe nun vorsichtigerweise, gerade weil ich mir der ungleich
grösseren Verantwortung in der ambulanten Privatpraxis be¬
wusst war, von vornherein die Dosen in der oben angegebenen
Weise herabgesetzt und die Intervalle verlängert. Dabei hielt ich
mir immer vor, dass in irgendeinem Stadium des chemischen
Abbaues des Neosalvareanmoleküls der reine Arsen oder eine
organotrope, giftige Verbindung im Körper circuliere, und dass
diese bei den oft nur durch Tage getrennten Einverleibungen
cumulativ in Erscheinung treten müssten. Ich sagte mir, dass,
wenn man sich auch nicht sklavisch aus der durch die Pharma-
kopöe gestatteten Maximaldosis des Acid. arsenicos. die etwa er¬
laubte Neosalvarsandosis herausrechnen müsse, man doch aber
andererseits kaum ungestraft in zu exorbitantem Maasse davon
abweichen, sie also z. B. um das Zehnfache übersteigen könne,
wie es geschah.
Die an sich jedem neuen Präparat gegenüber gebotene Vor¬
sicht und derartige Ueberlegungen führten mich also von vorn¬
herein trotz der Schreiber’schen Vorschläge und abweichend
von ihnen
1. zu mässigen, allmählich ansteigenden Einzeldosen (0,45 bis
0,6—0,75—0,9),
2. zu grossen Intervallen, meist nicht unter einer Woche,
3. zu einer mässigen Gesamtdosis während einer Kur (etwa
2,25 in maximo) in 3 Infusionen.
Als weitere gar nicht stark genug zu betonende Vorsichts¬
maassregel gegen zu brüske Deberschwemmungen mit Endotoxinen
abgetöteter Spirochäten wandte ich — selbst bei meinen zu aller¬
meist 8pirocbätenarmen Spätfällen — die Kombination mit milden
Hg Kuren und, worauf ich das allergrösste Gewicht lege, die
mindestens 10—14 tägige, der ersten Neosalvarsaninfusion voraus¬
gehende Vorbehandlung mit Hg an.
Ich sehe einmal hier zunächst ganz ab von den rein technischen
Vorsichtsmaassregeln und frage nun die Herren Wolff und
Mulzer, ob sie die Berechtigung, vor meinem vorsichtigen Vor¬
gehen warnen zu dürfen, etwa aus einer Nachprüfung desselben
herleiten zu können glaubten, oder gar daraus, dass sie mich
noch an Vorsicht übertrafen? Keines von beiden! Im Gegenteil,
ihre Logik war folgende; Weil sie mit ihren in unvorsichtiger und
wenig kritischer Weise sich an die ersten Sohreiber’schen Vor¬
schriften anlehnenden, hohen und gehäuften Dosen allerlei Un¬
erfreuliches erlebt hatten, glaubten sie vor meinem äusserst vor¬
1) Ebensowenig Wechsel mann (Ueber Neosalvarsan, Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 39), der vorsichtigerweise mit ganz kleinen
Dosen anfing (0,15) und erst, nachdem er sich selbst von der Unschäd¬
lichkeit derselben überzeugt hatte, sie steigerte. Bei 2100 Infusionen
konnte er im allgemeinen eine'Völlige Reizlosigkeit konstatieren.
2) Schreiber, Dosierung und Anwendung des Neosalvarsans
(Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 34;.
sichtigen — sowohl in der Dosierung als den Intervallen —,
ohne jegliche Nebenerscheinung verlaufenden und von den
schönsten Erfolgen dauernd bis heute gekrönten Vorgehen die
Praktiker warnen zu müssen. Logischer wäre es meines Er¬
achtens besonders für den Vertreter unseres Faches an einer
hervorragenden Universität gewesen, vor Abgabe dieses scharfen
Urteils sich zunächst einmal die Mühe zu nehmen, die Methode
des als unvorsichtig verurteilten Praktikers selbst nachzuprüfen.
Vielleicht hätte er dann dessen Methode als gut, erfolgreich und
frei von Nebenwirkungen acceptiert und der seinigen, an der er
so wenig Freude erlebte, substituiert, anstatt vorschnell das Kind
mit dem Bade auszuschütten und das Neosalvarsan in die thera¬
peutische Rumpelkammer der Strassburger Universitätshautklinik
zu werfen. Dazu schreibt Marschalkö 1 ): „Ich kann diese Kritik
keinesfalls für gerecht halten. Es hat fast den Anschein, als ob
die Autoren die zu hoben Dosen nur deshalb angewendet hätten,
um die Unhaltbarkeit der Schreiber’schen Dosierung klarzulegen.
Nun, dazu hätte es nicht bedurft, dass sie einer Patientin (bei
welcher eine geradezu lebensgefährliche Intoxikation eintrat) am
4. Juni 1,2 und am 8. Juni sogar 1,4 Neosalvarsan intravenös ein¬
verleibten. Das sind ja Dosen, welche — besonders bei Frauen —
ganz sicher weit über der Grenze der Dosis tolerata liegen und
gewiss schon hoch toxische, ja lebensgefährliche Dosen vorstellen.“
Ich wende mich nun zu den in ihren Fällen dem Neo¬
salvarsan zur Last gelegten Nebenwirkungen. In 30 Fällen trat
18 mal Fieber über 38° bis zu 40,5°, in 14 Fällen Kopfschmerz,
starkes Erbrechen und Durchfall, einmal Erbrechen allein auf.
Wenn wir hier auch ganz von der Möglichkeit des Wasserfeblers
absehen, so können wir, da die Reaktion allermeist nur nach
der ersten Infusion auftrat, wohl mit Recht eine Endotoxinreaktion
annchmen, die höchstwahrscheinlich, ja fast sicher nach einer
Vorbehandlung mit Hg ausgeblieben wäre. Dann werden vier
Arzneiexantheme und zweimal Herpes labialis notiert. Der Haupt¬
fall nun aber, der Wolff und Mulzer zu der absoluten Ver-,
urteilung des Neosalvarsan veranlasst«, war der Fall (19) einer
27 jährigen sekundär syphilitischen Näherin, die ohne Vor¬
behandlung mit Hg trotz der floriden Hauterscheinungen
in einer Woche 3,3 Neosalvarsan erhielt und dann unter den
Zeichen einer schweren transversalen Myelitis bzw. Myelomeningitis
erkrankte 3 ), die nun von Wolff und Mulzer als Neosalvarsan-
Intoxikation aufgefasst wurde. Es ist bemerkenswert, dass dieser
Fall am 1. Juni die erste kräftige (0,7) Neosalvarsaninfusion be¬
kam, der dann in nur 4 tägigen Intervallen 1,2 (4. Juni) und
1,4 (8. Juni) folgte, trotzdem am 30. Mai die warnende Arbeit
Bernheim’s erschienen war. Gelegentlich einer mehrstündigen
Diskussion über Neosalvarsan während der Herbstversammlung
der südwestdeutschen Dermatologen in Frankfurt fasste ich den
Fall im Gegensatz zu den Autoren und zu Marschalkö (I. c.)
als eine Reaktion auf einen latenten Herd in der Umgebung des
Lumbalmarks auf, der eben mangels einer milderen Hg-Vor¬
behandlung und wegen der relativ hohen, rasch aufeinander¬
folgenden Neosalvarsandosen zu rascher Schwellung kam. Dieser
Deutung schlossen sich die Nicht-Strassburger in der Diskussion
vollständig an, insbesondere Ehrlich selbst, sowie Max
Müller-Metz.
Was, frage ich nun, hatte diese Patientin für Vorteile von
ihrer klinischen Behandlung? Ich vermute, dass es derselben
bei ambulanter Behandlung nach meinem milderen Vorgehen
jedenfalls nicht schlechter ergangen wäre, als bei dieser für ihre
Verhältnisse doch sehr unvorteilhaften klinischen Behandlung.
Wir müssen nun im Anschluss hieran die Frage erörtern,
welche Momente im Wesen der intravenösen Einverleibung des
Neosalvarsan begründet sind, die eine klinische Behandlung einer
ambulanten überlegen erscheinen lassen. Hier kommen drei
Punkte, zunächst der technische Teil, also die Infusion selbst,
ferner etwaige Zwischenfälle während derselben und schliesslich
die etwaigen unangenehmen Nachwirkungen in Frage.
Dabei möchte ich eines vorausschicken. Wenn man Patienten
mit schweren Herz- oder Gefässkrankheiten oder solche mit Ver¬
dacht auf mögliche Reaktionserscheinungen in der Nähe wichtiger
Teile des Nervensystems (besonders im floriden Sekundärstadium
zumal bei gleichzeitig positivem Lumbalpunktat) hat, in denen
tatsächlich eine sehr genaue klinische Beobachtung sowie ein
besonders rasches Eingreifen erforderlich sein kann, so ist die
1) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 34, S. 1586.
2) und nach 6 Monaten starb (Strassb. med*. Zeitung, 1913, Nr. 1,
S. 20). (Anmerkung bei der Korrektur.)
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Krankenhausbehandlung vorzuziehen, aber weniger des Salvarsans
als des Krankheitsbildes selbst wegen. Das bat auch Wein-
traud wiederholt betont.
Sehen wir nun aber von solchen, an sich schon schweren
oder wenigstens bezüglich einer eventuellen Reaktion verdächtigen
Fällen ab, so fragen wir uns zunächst:
„Liegen in derTechnik der intravenösen Neosalvarsan-
infusion Momente, die generell eine Vornahme derselben im
Krankenhaus erfordern bzw. die Vornahme im Sprech- oder
Behandlungszimmer des Praktikers, also die ambulante Vornahme
verbieten?“
Diese Frage beantworte ich ohne weiteres mit nein. Sie ist
überhaupt nicht eine Frage des Ortes bzw. der mehr oder weniger
suggestiv wirkenden Umgebung, z. B. eines Trosses geschäftiger,
in weisse Mäntel gekleideter Gestalten, sondern sie bängt ab von
der Gewissenhaftigkeit und der persönlichen Geschicklichkeit des
Ausführenden und von der grösstmöglichen Einfachheit und Ueber-
sichtlichkeit seines Apparates. Je weniger Personen derselbe zur
Instandhaltung, Vorbereitung und Inbetriebsetzung erfordert, desto
besser ist es. Je mehr sich die Verantwortung verteilt, um so
schlimmer. Wenn diese Dinge nur von der Gewissenhaftigkeit
einer einzigen Person abhängen, ist die grösste Gewähr für
die fehlerfreie Durchführung gegeben. Dies ist aber wieder nur
möglich bei der denkbar grössten Vereinfachung des Apparates.
Ich glaube kaum, dass der meinige in dieser Beziehung zu über-
treffen ist.
Der Ausflusshahn der Wiesbadener Trinkwasserleitung, ein „Fisch¬
kocher“, ein Erlen meyerkölbchen, der graduierte, ca. 300 ccm fassende
Glascylinder mit seinem IV 2 m langen, durch zwei Glasröhrchen unter¬
brochenen und am Ende mit einem Metallconus zum Einstecken in die
Venennadel versehenen Gummischlauch und die in Alcohol absolutus
liegende Venennadel sind seine wesentlichen Bestandteile. Dazu kommen
noch gutes Licht, ein bequemer, ganz flach zu stellender Operationstisch
und der Schlauch zur Blutstauung.
Unmittelbar nach Beendigung einer Infusion wird zunächst die
Venennadel aussen mit Alkohol abgerieben, mehrfach mit Alkohol durch¬
gespritzt und in eine Glasschale mit Alcohol absolutus gelegt. Dann
wird das Erlenmeyerkölbchen mehrfach mit gekochtem Wasser aus¬
geschüttelt und sofort wieder mit ca. 200—250 ccm Leitungswasser
beschickt, das tüchtig gekocht wird. Das Kölbchen mit dem Wasser
bleibt dann durch einen Mulltampon geschlossen stehen und wird circa
2 Stunden vor der nächsten Verwendung nochmals gekocht. Glascylinder
und Schlauch werden sofort mehrfach mit gekochtem Wasser durch¬
gespült und vor dem erneuten Gebrauch ca. V 2 Stunde gekocht. Alle
diese Manipulationen mache ich allein. Keine andere Person
rührt etwas an.
Also diese technischen Vorbereitungen erfordern
sicher kein Krankenhaus oder eine Klinik.
Die des Patienten ebensowenig. Der Urin, das Herz
und das Gefässsystem sind, abgesehen von den durch die Anamnese
und die vorhergehende, ca. 10—14 tägige Beobachtung (wöchent¬
lich mindestens zweimaliges Vorstellen in der Sprechstunde) in
Betracht kommenden Organe untersucht. Der Patient trinkt am
Tage vor der Infusion, an diesem selbst und an dem darauf¬
folgenden keinen Tropfen alkoholischer Getränke, strengt sich
körperlich nicht an und vermeidet alle Erregungen des Nerven¬
systems. Die Notwendigkeit dieses auf eine möglichste Ruhe des
Gefäss- und Nervensystems binzielenden Verhaltens wird dem
Patienten gegenüber besonders betont und begründet. Die Infusion
wird nur gemacht bei relativ gutem Befinden des Patienten.
Die Ellbogenbeuge wird gründlich mit Alkohol gewaschen, der
Schlauch umgelegt, die Ampulle geöfinet, der Inhalt auf das Wasser,
das nur schwach lauwarm ist, und nach der schnellen Lösung in den
Cylinder gegossen, während der Schlauch unten durch einen Schieber
geschlossen ist, nach dessen Oeffnen die Lösung bis zum Austreiben der
Luft in das Kölbchen durchläuft und wieder, nachgegossen wird. Dann
wird der Schieber wieder angelegt. Nun wird die Nadel in die Vene
eingeführt und, nachdem das Blut im Strahl auszufliessen begonnen hat,
der Kompression8schlauch durch Druck auf die Klammer gelöst, nach
Wegnahme des Schiebers der Conus mit der Nadel verbunden und ein-
fliessen lassen.
Ich habe deshalb alle die bekannten Einzelphasen der In¬
fusion scheinbar überflüssigerweise nochmals angeführt, um zu
zeigen, dass nie mehr als zwei Hände gleichzeitig notwendig sind,
dass man also keinen Assistenten braucht. Hat man
einen zur Hand, 60 kann man den Schieber an dem Zufluss-
schlauch sparen, ihn mit den Fingern komprimieren und sich so
überreichen lassen.
Die kleinen Zwischenfälle, Stocken des Zuflusses, Austritt
der Flüssigkeit Ins Unterhautzellgewebe nach anfänglichem güten
Einfliessen in die Vene lassen sich allein bewältigen.
Die Hauptsachen bei der ganzen Manipulation sind eine
gewisse technische Geschicklichkeit, gute Augen und feines Gefühl.
Man kann Venen punktieren, die man, ohne sie zu sehen, nur
fühlt, manchmal sogar besser als zu gut sichtbare, die aber nicht
fixiert, sondern zu leicht verschieblich sind. Diese „Feinfühlig¬
keit“ ist wohl zum grössten Teil angeboren. Jedenfalls nimmt
sie an sich nicht zu im Krankenhaus oder der Klinik und nimmt
nicht ab in der davon unabhängigen, privaten Ausübung der
Praxis.
Wir wollen nun sehen, ob und welche Momente etwa die
Vornahme der Infusion — abgesehen von der Technik — wegen
unangenehmerer Zwischenfälle während derselben im
Krankenhaus notwendig erscheinen lassen.
Hier käme eigentlich nur der sogenannte vom Altsalvarsan
bekannte „angioneurotische Symptomenkomplex“ in Frage,
also jener Zustand, der während der Infusion und gleich nach
derselben mit schneller Rötung des Gesichtes beginnt, die bald
einer starken Gyanose mit Oedem weicht und, mit Erbrechen,
kleinem Puls, Erschwerung der Atmung einhergehend, zu einem
Collaps führen kann. Gennerich glaubte noch in seiner Mitte
September 1912 erschienenen, sehr lesenswerten „Praxis der
Salvarsaobehandlung“ (S. 26), dass der Zustand bei Neosalvarsan
nicht vorkomme, berichtet jedoch selbst schon einen Fall von
Bruhn’s 1 ), dem dann bald noch einer aus der Bett mann'sehen
Klinik von Simon 2 ) folgte.
Ich selbst habe den Zustand, der sich gelegentlich mit einem
echten Arzneiexanthem zu vergesellschaften bzw. in ein solches
überzugehen scheint, weder bei meinen Alt- noch Neosaivarsan-
iufusionen gesehen; Gennerich gibt als Ursache hauptsächlich
Häufung der Infusionen in zu kurzen Intervallen an, jedoch er¬
scheint die eigentliche Aetiologie noch nicht geklärt.
Im Verhältnis zu der Zahl der gemachten 'Infusionen stellt
er besonders in der schwereren, zu Collaps führenden Form jeden¬
falls eine grosse Seltenheit dar.
Unter den zur Bekämpfung des Zustandes führenden Maass¬
nahmen finde ich keine, die nicht jeder Arzt unter allen Ver¬
hältnissen anwenden müsste einschliesslich der Herzmassage,
durch die Gennerich (S. 25) in einem schweren Fall (Alt¬
salvarsan) die Syncope überwinden konnte. Jedenfalls wäre es
mindestens hochgradig übertrieben, wenn nicht absurd, zu ver¬
langen, es soll jede Salvarsaninfusion im Krankenhaus gemacht
werden, weil unter tausend oder ein paar tausend Fällen einmal
ein derartiger, bisher noch immer gut vorübergegangener Collaps
eintreten könne. Um so mehr als dieser seltene Zufall ja meist
während oder wenigstens unmittelbar nach der Infusion, also in
Gegenwart des behandelnden Arztes einzutreten pflegt.
Wir kommen nun zu dem dritteo Punkte: Macht eine der
später auftretenden Folgeerscheinungen einen Krankenhaus¬
aufenthalt unbedings notwendig, oder verhindert er dieselben, oder
bildet er einen für ihre Behandlung der häuslichen Behandlung
erheblich üerlegenen Faktor? Ich schiebe hier kurz ein, dass
jeder Infundierte angewiesen wird, gleichgültig, wie er sich fühlt,
bis mindestens gegen Abend des lofusionstages im Bett zu bleiben,
leichte Kost zu geniessen, alle 2 Stunden die Temperatur zu
messen und zu notieren. Am nächsten Vormittag erscheint er
mit Urin in der Blase und seinem Temperaturzettel zum Bericht
beim Arzt. Der Urin wird auf Ei weise untersucht. Bei irgend¬
einer nennenswerten Störung würde er den Arzt nach Hause oder
ins Hotel kommen lassen.
Von den Folgeerscheinungen kommt zunächst eine fieber¬
hafte mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Diarrhöe einhergehende,
am Tage der Infusion oder am folgenden gewöhnlich beendete
Reaktion in Betracht. Ich habe sie bisher beim Neosalvarsan
nicht ein einziges Mal gesehen. Dagegen trat sie relativ häufig
bei den Kollegen auf, die spirochätenreiche Fälle, also besonders
das sekundäre Eruptionsstadium ohne Hg-Vorbehandlung
gleich mit kräftigen Neosalvarsandosen behandelten (Wolff und
Mulzer, Zieler, Gutmann u. a.). Meist schloss sie sich nur
an die erste, öfter aber auch an die folgenden Infusionen an.
Ich glaube auch, dass man hier nicht immer den „Wasser¬
fehler“ verantwortlich machen kann, sondern dass es sich oft
um eine Endotoxinreaktion handelt. Sie kann natürlich nie
als eine Indikation für die Krankenhausbehandlung oder als
Kontraindikation gegen die private Behandlung gelten. Denn
erstens ist sie durch eine eventuell längere Hg - Vorbehand-
1) Med. Klinik, 1912, Nr. &, S. 1064.
2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 48, S. 2328.
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17. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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lang allermeist vermeidbar, und zweitens verläuft sie wenigstens
bei nicht vorher anderweit geschwächten oder heruntergekommenen
Menschen spontan ohne ärztliches Zutun. In vielen Fällen
handelt es sich aber überhaupt ganz gewiss noch um den Wasser-
fehler, und er ist sicher kein „Märchen“, wie die Strassburger
Herren Mulzer und Obermiller 1 ) glauben machen wollen. Da
Ehrlich selbst in Frankfurt das Unzulässige ihrer Ex¬
perimente zugleich mit ihrem Mangel an Beweiskraft gebührend
gewürdigt hat, so bin ich hier dessen überhoben. Während ich
früher bei Altsalvarsan und destilliertem Wasser aus der Apotheke
diese Reaktion häufig erlebte, fehlte sie ganz beim Neosalvarsan,
gelüst in unserem nicht destillierten, zweimal gekochten Leitungs.-
wasser und zwar bei ganz genau dem gleichen Material, also
überwiegend spirochätenarmen Spätfällen, oft solchen der Spät*
latenz mit nur noch — oft stark — positivem Wassermann.
Noch kurz ein Wort zu der Zuverlässigkeit der Temperatur¬
messung im Krankenhaus und in der Privatpraxis. Ein intelli¬
genter Patient bzw. seine Begleitung, die gut instruiert und von
der Wichtigkeit des Resultates durchdrungen ist, kann eventuell
sicherere Resultate liefern als eine berufsmässige Krankenpflegerin,
die 10—20 Patienten zu messen hat neben ihren anderen Ob¬
liegenheiten, zumal wenn sie etwas flüchtig veranlagt ist. Es
kann also auch die Tecknik der notwendigen Temperaturmessung
nicht etwa gegen die ambulante Behandlung generell ins Feld
geführt werden.
Ferner wären nun die Wirkungen unangenehmer Art seitens
des Neosalvarsans auf das Nervensystem zu besprechen. Die
„Neurorecidive“ an den Hirnnerven können wir übergehen, da
eie meines Wissens beim Neosalvarsan nicht oder doch nur
äusserst selten beobachtet wurden.
Die peripheren toxischen Arsenneuritiden, die zuerst
Duhot 3 ) mit seinen Rekorddosen so drastisch produzierte, und von
denen er die Ursache ein halbes Jahr später 8 ) in einer übermässigen
Dosierung und Cumulierung durch zu kurze Intervalle, also in
einer artificiellen Arsenvergiftung erkannte und zugab, hängen
selbstverständlich nicht ab von klinischer oder ambulanter Be¬
handlung, sondern wieder von dem Grade der Vorsicht und der
Höhe des Verantwortlichkeitsgefühls des Arztes. Auch ihre Be¬
handlung, selbst wenn sie einmal ausnahmsweise bei den nun als
erlaubt geltenden Dosen in Fällen einer gewissen Ueberempfind-
lichkeit oder Idiosynkrasie gegen Arsen überhaupt auftreten sollten,
würde sich in der Privatpraxis ebensogut wie im Krankenhaus
durchführen lassen.
Bleiben noch die schweren Fälle von Hirnschwellung
und manchmal letal verlaufender Encephalitis haemorrhagica,
die meines Wissens sämtlich nach klinischer Behandlung auf¬
traten, womit ich natürlich keinen causalen Zusammenhang an¬
gedeutet haben will.
Zunächst scheinen diese üblen Zufälle, wie in Simon’s
Artikel aus der Bettmann’schen Klinik ausdrücklich betont wird
(1. c. S. 2330), „bei Neosalvarsan nicht häufiger, sondern seltener
als beim Salvarsan“ aufzutreten. Und sie werden immer seltener
werden, wie sich auch schliesslich ihre Aetiologie aufklären wird,
ob als Idiosynkrasie, ob als vorausgebende leichtere anatomische,
syphilitische Veränderungen amCentralnervensystero, deren Diagnose
(Lumbalpunktion!) noch eine viel exaktere werden muss, die ähnlich
wie bei den Neurorecidiven in den Zustand einer zu starken
Reaktion auf das Mittel versetzt werden, oder ob als das gemein¬
same Resultat an anderen Körperstellen (Magendarmkanal!) vor¬
handener grosser Bakterienansammlungen, die die Toxicität des
Neosalvarsans erheblich steigern (Yak im off), je vorsichtiger
wir die Dosierung handhaben und je mehr wir dabei individuali¬
sierend Vorgehen. Dieses wird der wichtigste Punkt zum
Vorbeugen dieser äusserst bedauerlichen Zufälle sein,
nicht ob der Behandelte im Krankenhaus oder im
Sprechzimmer des Arztes infundiert wurde. Sollte aber
im letzteren Falle sich einmal ein solches Krankheitsbild ein¬
stellen, so würde ich auch zur sofortigen Ueberführung in das
Krankenhaus raten, und zwar wegen der Schwierigkeit der Pflege
dieser oft bewusstlosen oder in Krämpfen liegenden Fälle und
wegen der unter Umständen ganz rasch sich ergebenden In¬
dikationen, z. B. zum Aderlass, zur Kochsalzinfusion usw., Dinge,
die natürlich ja auch in der Privatpflege gemacht werden können,
1) Strassburger med. Zeitung, 1912, H. 8, und 1913, H. 1 u. 2.
2) Etüde preliminaire et expdrimeutale sur le Neosalvarsan. Revue
beige d’Urologie et de Dermato-Syphiligraphie, April 1912.
3) Ibidem, Oktober 1912.
aber doch eventuell erheblichere Umstände und dadurch zu ver¬
meidende Verzögerungen herbeifübren.
Das erscheint mir also als die einzige mit dem Neo¬
salvarsan in Zusammenhang stehende Indikation zur
klinischen Krankenbausbehandlung: der drohende oder
bereits bestehende Symptomenkomplex der Hirnschwel¬
lung bzw. der Encephalitis haemorrhagica.
Ich kann eben nicht entscheiden, in welchem Prozentsatz
aller Neosalvarsanfälle 1 ) nun dieser Zustand aufgetreten ist, ich
glaube aber, selbst wenn wir noch eine ganze Anzahl nicht ver¬
öffentlichter Fälle annehmeD, dass er verschwindend gering ist,
sicher geringer als der Prozentsatz schwerer bzw. tödlicher Nach¬
blutungen nach Geburten, von Eclampsia gravidarum, von Embolien
im Wochenbett usw. Nun, und wir sind noch nicht so weit ge¬
kommen, jede Schwangere oder Gebärende dem Krankenhaus zu
überweisen, obwohl Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mir
erheblich mehr und grössere Gefahr in sich zu bergen scheinen
als die Behandlung mit Neosalvarsan. Von den Eventualitäten,
denen unsere Landärzte gewachsen sein müssen unter den denkbar
primitivsten Verhältnissen, wo schon die Durchführung einer
Antisepsis, geschweige denn Asepsis als ein Meisterstück zu be¬
trachten ist, gar nicht zu reden!
Wolff und Mulzer erläutern den Begriff der ambulanten
Behandlung mit den Worten „die ständige Kontrolle des
Arztes entbehrend“. Ja, wenn es gleichbedeutend wäre mit
„die Kontrolle des Arztes ständig entbehrend“, dann hätten sie
vielleicht mit ihrer Warnung vor meinem Vorschlag recht gehabt.
Selbst im Krankenhaus kann sich nicht der Arzt, nicht einmal
die Schwester — letztere noch eher in der Privatpflege —
ständig neben den Behandelten setzen und ihn kontrollieren,
zumal in der Nacht. Auch dort muss der Arzt in anderen, oft
abgelegenen Teilen des Krankenhauses gesucht und ans ihnen
herbeigerufen werden, wenn ja einmal plötzlich ein unangenehmes
Ereignis eintritt. Auch dort gibt es sogar plötzliche Todesfälle,
ehe der Arzt eintrifft, auch dort findet man manchmal am anderen
Morgen einen abends noch Lebenden tot im Bett zur grössten
Ueberraschung.
Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass es mir gelungen ist,
die Leser davon zu überzeugen, dass ich unter den ausführ¬
lich besprochenen Kautelen recht hatte, das Neosalvarsan
als das gegebene Mittel für die ambulante Privatpraxis zu be¬
zeichnen und zu empfehlen. Seine etwaigen Gefahren oder
besser ihre Vermeidung hängen hingegen nicht ab von
„klinisch“ oder „ambulant“, sondern in der Hauptsache
1. von einer weisen Zurückhaltung in der Dosierung und der
Häufigkeit der Anwendung,
2. von der Vorbehandlung und Kombination mit Hg, be¬
sonders in den spirochätenreichen Stadien und bei Verdacht
latenter Nervenherde,
3. von der Anwendung keimfreien oder keimarmen Wassers,
4. von der Sorge für die möglichst rasche Ausscheidung des
verbrauchten Parasiticidums.
Ueber diese Punkte, besonders den letzten, sowie über die
vorzüglichen Erfolge meiner relativ milden, immer zuerst das un¬
gestörte Wohlbefinden des Patienten im Auge behaltenden Methode
auf die selbst bis zur Dauer von 31 Jahren inveterierte, positive
Wassermannreaktion, habe ich mich in der bald erscheinenden
Festschrift zur Eröffnung des Kaiser Friedrichbades 2 ) in Wies¬
baden ausführlich geäussert 8 ).
Ich erkläre also die Warnung Wolff’s und Mulzer’s
sowie der anderen Autoren vor meinem Vorschlag der
ambulanten Anwendung des Neosalvarsans für durch¬
aus unbegründet und, weil auf Grundlagen beruhend,
die von meiner vorsichtigen Methodik absolut ab-
weichen, ja ihr sogar diametral entgegengesetzt sind,
für durchaus unzulässig, da sie nicht einmal auf einem
schwachen Versuch zur Nachprüfung meiner Methode
beruht, sondern abstrahiert ist aus den ungünstigen
Resultaten ihrer eigenen, fehlerhaften Methodik (zu
hohe und zu gehäufte Dosen).
Die Verbannung des Neosalvarsans aus unserem
1) Obermiller fand im ganzen 6 bzw. 8 Fälle. (Anmerkung bei
der Korrektur.)
2) Ueber den Einfluss der modernen Syphilisforschung auf die Be¬
handlung der Syphilis an Badeorten. Wiesbaden 1913, Bergmann.
3) Vgl. auch Stroscher, Zur Behandlung der Syphilis mit Neo¬
salvarsan (Münfhener med. Woctyenschr., 1^12, Nr. 40) uud v. $tokar,
Erfahrungen über Salvarsan ip der Praxis (Med. Klinik, 1912, Nr. 47).
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Arzneischatz überhaupt) wie sie im Gegensatz za allen
Autoren einzig nur Wolff und Mulzer belieben) war das
Resultat eines durchaus voreiligen Urteils.
Nun bat aber, was vielleicht den Lesern schon aufgefallen
ist, diese ganze, anfangs vielleicht nicht allzu wichtig erscheinende
Angelegenheit doch eine ziemlich grosse prinzipielle Tragweite.
Aus allgemein hygienischen Gründen sowohl, als aus Gründen
der möglichst raschen Heilung des einzelnen Syphilitikers, welche
ja die Hauptwaffe gegen die Weiter Verbreitung der Krankheit
bildet, gilt es, eine ausgiebige, mit allen gegebenen Mitteln
inszenierte Behandlung möglichst jedem Kranken zugänglich zu
machen und zu erleichtern. Dazu gehört aber in erster Linie
die Durchführung derselben, ohne den Verdacht der räheren oder
weiteren Umgebung, der Angehörigen oder der Vorgesetzten zu
erregen. Wenn ein junger, gesund erscheinender Mensch sich auf
einen oder ein paar Tage ins Krankenhaus legt, so ist das ausser¬
ordentlich auffallend und verdächtig. Dies generell für jede Neo-
salvarsaninfusion zu verlangen oder die ambulante Einverleibung
für unstatthaft zu erklären, hiesse einer grossen Zahl gerade der
Angehörigen der höheren Stände die Wohltaten der genialen
Ehrlich’schen Entdeckung entziehen oder sie dem Kurpfuscher
in die Arme treiben. Mit dem gleichen Rechte könnte man die
Krankenhausbehandlung für jede unlösliche Quecksilberinjektion,
besonders des Calomels verlangen, weil dabei gelegentlich einmal
ein unliebsamer Zwischenfall (z. B. Lungenembolie, Hg-Intoxikation)
sich ereignet. Die Erleichterung und möglichst unauf¬
fällige Darbietung einer mögt ich st ausgiebigen Syphilis¬
behandlung ist gleichsinnig mit einer guten allge¬
meinen Prophylaxe, also einer Verminderung der Aus¬
breitung der gefürchteten Krankheit, ihre Erschwerung
ist vom Standpunkt der allgemeinen Hygiene wider¬
sinnig und deshalb zu verwerfen.
Rigi-Kaltbad, im Januar 1913.
Zur Kasuistik der Epityphlitis bei Scharlach
sowie der wiederholten Scharlacherkrankung.
Von
Dr. Oswald Meyer, Kinderarzt in Berlin.
In seiner Monographie überden „Scharlach“ erwähnt Schick 1 )
als seltene Komplikation der Scarlatina die Appendicitis, die
vor ihm nur Kaufmann geschildert habe. Schick selbst hat
zwei Fälle gesehen. Im ersten Schmerzhaftigkeit des Mcßurney-
schen Punktes am ersten Krankbeitstages, der zweite Fall stellte
das Recidivieren einer schon öfters aufgeflackerten Appendicitis
in der Rekonvaleszenz dar. Im Gegensatz zu dieser Schilderung
steht Heubner’s Bemerkung in der dritten Auflage seines Lehr¬
buches, wo er die Appendicitis als eine nicht so seltene Kompli¬
kation der Scarlatina bezeichnet. An und für sich spricht die
grössere Wahrscheinlichkeit für die Heubner’sche Auffassung
bei der anatomischen Verwandtschaft des lymphatischen, adenoiden
Gewebes des Wurmfortsatzes und des Pharynx bzw. des Waldeyer-
schen Schlundrings, der ja bei Scharlach in ganz besonderer Weise
an der Erkrankung beteiligt ist. Diese Verwandtschaft oder viel¬
mehr Gleichartigkeit der Gewebe, wie ferner die Aehnlichkeit
ihres Infektionsmodus betonte, nach dem Vorgang englischer und
amerikanischer Autoren, als erster deutscher Forscher Sahli,
der das Wort von der einfachen Appendicitis als „Angina des
Wurmfortsatzes“ prägte. Seiner Betrachtung der analogen anato¬
mischen Verhältnisse und der Infektionsähnlicbkeit folgten, von
der grossen Schar englischer und französischer Autoren ganz zu
schweigen, Nothnagel, Helfericb, Ribbert, Stöhr, Kümmel,
Becker u. a. m., in letzter Zeit besonders Adrian, Klemm und
Kretz. Shiota freilich, der die Verhältnisse bei Lymphatikern
studierte, konnte bezüglich lymphatischer Hyperplasie keine absolut
zwingende Analogie zwischen Appendix und Gesamlorganismus
feststellen.
Für die Wahrscheinlichkeit der Heubner’schen Betrachtung
spricht ferner auch das so häufige Auftreten von Epityphlitis
(wie wir nach Ernst Küster’s Vorgang die Erkrankung der
Appendix besser bezeichnen als mit der falschen Wortbildung
„Appendicitis“) bei bzw. nach Infektionskrarikheiten überhaupt.
Die Durchsicht der Literatur auf Zusammentreffen von Epityphlitis
1) Nothnagel, Spez. Pathol. u. Ther.,, 1912.
und Scharlach ergibt aber eine so geringe Ausbeute, dass ich es
doch für angebracht halte, einen hierher gehörigen Fall zu ver¬
öffentlichen, zumal das Ueberwiegen epityphlitischer Symptome
in diesem wie in einem zweiten, mir von anderer Seite zur Ver¬
fügung gestellten Fall diagnostische Schwierigkeiten hätte machen
können.
F. v. R., 4 Jahre alt. Beide Eltern haben viel an Schnupfen, Nasen¬
beschwerden und Raebenkatarrhen gelitten. Kind selbst neigte stark zu
Schnupfen. Im November 1909 in Behandlung wegen akuter, stark
fieberhafter Retropharyngitis („Drüsenfieber“). Seitdem sind Schnupfen,
belegte Sprache, entzündliche Schwellung des Nasenrachenraums und die
starken submaxillären wie cervicalen Drüsenschwellungen nie ganz ver¬
schwunden. April und November 1910 wiederum Anfälle von akuter
Retropharyogitis. Im Februar 1911 führte ich, wie ich vorausnehmen
möchte, die Adenotomie aus mit dem Erfolg, dass die katarrhalischen
Erscheinungen aufhörten. Letzter Status: Kind sehr blass, zart, schmächtig,
adenoider Typ. Erhebliche Drüsenschwellungen unter dem Kieferwinkel
und am Sternocleido entlang, mässige Drüsenschwellungen in der Inguinal¬
beuge. Ueber der Brust durchscheinendes Venennetz, im Rachen leichte
Granulationen.
Am 27. XII. 1910, nachdem 16 Tage vorher der ältere Bruder eine
typische Scarlatina durchgemacht, erkrankte das Kind plötzlich mit heftigen
Leibschmerzen, Halsweh und Erbrechen, Temperatursteigerung bis 39,5°.
Die Untersuchung ergibt Rötung des Rachens, leichte tonsilläre Beläge,
Zunge stark belegt, Enanthem, geringes, aber deutlich spriessliges
scharlachrotes diffuses Exanthem auf Brust und Bauch, Oberarmen und
Oberschenkeln. Im Abdomen: Deutliche Schmerzhaftigkeit des HacBurnay,
leichte Muskelspannung daselbst und Resistenzgefühl. Blumberg positiv,
Rovsing ?.
Diagnose: Scarlatina, Epityphlitis acuta.
Unter strenger Diät und Bettruhe gingen die perityphlitischen Er¬
scheinungen in kurzer Zeit zurück. Ebenso verschwand Exanthem und
Angina in den nächsten Tagen, die Temperatur, die sich auf 39* ge¬
halten hatte, fiel typisch ab. Schuppung in der zweiten Woche. Die
Scarlatina, deren Diagnose durch die 16 Tage früher vorausgegangene
Scharlacherkrankung des Bruders noch gestützt, durch das Auftreten
typischer, wenn auch geringer Schuppung vollends sichergestellt wurde,
verlief unkompliziert bis auf ein leichtes Oedem am 6. Krankheits¬
tage bei negativem Eiweissbefunde des Urins und Pulsarythmie am
14. Tage 1 ).
Ara 1. X. 1911, nachdem eigentümlicherweise genau zwölf Tage vor¬
her der Bruder an einer hoch fieberhaften Pharyngitis erkrankt war,
wurde der kleine Patient F. wieder von genau denselben Krankheits¬
erscheinungen befallen wie vor zehn Monaten. Hals- und Leibschmerzen,
Erbrechen und Temperatursteigerung: 39,6°. Auch diesmal Mac Burnay
schmerzhaft, Resistenzgefühl und Defense musculaire. Blumberg’sches
Phänomen angedeutet. Dabei brennende Rötung des Rachens, ADgina,
Enanthem, deutliches Scharlachexanthem, Rumpel-Leede’sches Phänomen
deutlich positiv. Nach wenigen Tagen vollständiges Abflauen aller
Krankheitserscheinungen.
In der Folgezeit hat der kleine Patient noch zweimal fieberhafte
intestinale Erkrankungen gehabt und jedesmal ausgesprochene Schmerz¬
haftigkeit in der B lin dd arm gegen d. Nunmehr konnte ich auch in der
Zwischenzeit den verdickten Wurmfortsatz deutlich palpieren. Eine
Angina gesellte sich nicht zu diesen Krankheitssymptomen. Auch leichte
katarrhalische Erscheinungen im Rachen und den oberen Luftwegen
Iraten wieder auf, die unter diätischer und medikamentöser Behandlung
zurückgingen.
Wir sehen also ein Kind, einen typischen Lymphatiker, zwei¬
mal zugleich an zweifelloser Scarlatina — auf diese wiederholte
Scharlacherkrankung werden wir noch zurückzukommen haben —
und an abdominalen Erscheinungen erkranken, die man nicht
anders denn als Epityphlitis bzw. als epityphlitiscbe Reizung
deuten kann.
Noch über einen zweiten Fall von Scharlach und Epityphlitis,
den mir mein Kollege Dr. Ernst Mai dankenswerterweise zur
Verfügung stellte, kann ich berichten.
K. N., 11 Jahre alt, bisher gesund. 29. III. 1910 erkrankt mit
Frost, Schmerzen im Leib nach Ricinusöl, das die Mutter verstopfungs¬
halber am Morgen gegeben hatte.
30. HI. Befund: Leib leicht aufgetrieben, unbestimmte Schmerz¬
haftigkeit in der Appendixgegend, rectal frei. Geringe Döfense musculaire.
Keine Resistenz fühlbar, sonst Abdomen nicht druckempfindlich. Fauces
frei. Kein Exanthem, Temperatur ca. 39°. Therapie: Eisblase auf
Appendixgegend. Epityphlitisdiät.
Diagnose: Epityphlitis simplex levis.
31. III. Unverändert. Temperatur 38,3°. Leib normal, nur in der
Appendixgegend leichte Druckempfindlichkeit und Defense. Stuhl spontan,
normal. Puls gut, ruhig, entsprechend dem Fieber 90.
, 1) Es ist fraglich, ob solche Arythmie überhaupt als pathologisch
anzusehen ist bei der grossen Häufigkeit der Pulsarythmie im Kindes¬
alter -(siehe Friberger, Archiv f. Kinderbsilk., lO^^Bd. 58, H.4-—3).
,In anderen Zeiten freilich habe ich bei dem Kdnd niemals Pulsirregularität
beobachtet, i 1
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
489
17. März 1913.
31. III. abends: Exanthem über den ganzen Körper. Scharlach?
(Nachts nicht sicher erkennbar.) tiaumenbögen leicht gerötet. Zunge
normal. Leib wie oben. Temperatur 40,1°, sonst nihil.
I. IV. Deutliches Scharlachexanthem. Tonsillen etwas geschwollen,
keine Drüsenschwellung, Gaumenbögen gerötet, keine Schluckbeschwerden.
Leib kaum mehr schmerzhaft. Urin frei.
In den nächsten Tagen rasches Abblassen des Exanthems, Fieber¬
abfall, Hals frei, Urin frei.
8. IV. Schuppung beginnt deutlich an Fingern und Zehen, in der
rechten Unterbaucbgegend, deutlich der Lage der Eisblase entsprechend,
allmählich stärkere schmerzhafte Infiltration der Haut, Schwellung der
Inguinaldrüsen.
9. IV. Infiltration schreitet nach der Leiste zu fort. Drüsen ver-
grössern sich stärker und werden schmerzhaft. Geringe Temperatur¬
steigerung.
10. IV. Schuppung ziemlich stark. Infiltration in der Unterbauch¬
gegend über tellergross, stärkere Knoten bildend. Sehr langsames Zu¬
rückbilden der Infiltration, Auflösung in mehrere fünfmark- bis hand¬
tellergrosse Stellen. Eine Inguinaldrüse vereitert.
26. IV. Sehr langsame Rückbildung. Noch einige kleine infiltrierte
Steilen. Drüseneiterung beendet. Allmählich verschwindet die Infiltra¬
tion ganz.
Endlich füge ich noch einen Fall von echter Epityphlitis
bei Masern hinzu, den ebenfalls Herr Kollege Ernst Mai beob¬
achtet hat.
N. F., 19 Jahre alt, früher gesund und kräftig. Zunächst der Be¬
richt des auswärtigen behandelnden Arztes:
30. IV. 10. Erkrankt mit Frost, heftigem Erbrechen, Schmerzen im
Leib. Temp. 39,8. Leib nicht aufgetrieben, geringgradig druckempfind¬
lich, mehr in der Gegend des Mac Burnay’schen Punktes. Geringe
Bronchitis.
31. IV. Deutliches Masernexantbera. Temp. ca. 40°. Erbrechen,
Schmerzhaftigkeit im Leibe dauern während der folgenden Tage an,
ebenso das Fieber. Kein palpatorischer Befund in der Appendixgegend,
aber dauernde Druckempfindlichkeit. Masernexanthem blasst langsam
ab. Sehr langsame Rekonvaleszenz unter heftigen Leibbeschwerden, Er¬
brechen, die von Zeit zu Zeit sich erneuern.
II. V. Steht auf, fühlt sich sehr elend, Schmerzen im Leib, trotz¬
dem Eisenbahntransport.
Eigene Beobachtung durch Dr. Mai.
12. V. Temp. 36,8. Endocarditis deutlich. Herzverbreiterung nach
links. Puls 120 — 130, weiches systolisches Geräusch über allen Ostien.
In der Appendixgegend ca. halbfaustgrosse, derbe, mässig druckempfind¬
liche Resistenz. Leib sonst frei, nicht aufgetrieben, nicht druckempfind¬
lich. Ziemlich starke Cyanose.
13. VI. Febris coutiuua zwischen 38,1 und 39. Befund wie oben.
Epityphlitische Resistenz ohne Veränderung. Rectal Resistenz ebenfalls
palpabel, schmerzhaft. (Consil mit Geheimrat Enderlen-Würzburg:
Glaubt nicht an Abszess, sondern an periappendicitische starke Infiltration
und Durchtränkung.)
14. VI. Fieber geringer. Allgemeinbefinden etwas besser. Befund:
Herz und Abdomen unverändert.
Beobachtung durch dortigen behandelnden Kollegen: Langsame
Rekonvaleszenz, gestört durch Diphtherieinfektion., die glatt heilt. Tumor
in der Appendixgegend wird langsam kleiner und schmerzlos; Herz: all¬
mählich kompensierte Mitralinsuffizienz.
Dr. Mai: 29. VI. Herzgrenzen links Mammillarlinie, rechts einen
halben Finger breit über den rechten Sternalrand hinaus. Zweiter Ton
besonders über der Pulraonalis accentuiert. Aktion ruhig, regelmässig,
auch nach Arbeit, Kniebeugen usw. ln der Appendixgegend, ungefähr
Mitte zwischen Mac Burnay und Mitte der Symphyse, in der Tiefe noch
undeutlich ein ca. fingerdicker schmerzloser Strang. Keine Leib¬
beschwerden. Nauheimer Kur.
Untersuchung April 1912: Deutlich kompensierte Mitralinsuffizienz,
kaum merkliche Verbreiterung, Leib in Ordnung, keinerlei Beschwerden.
Wie oben bereits gesagt, ist das Auftreten von Epityphlitis
im Verlauf von Infektionskrankheiten keine Seltenheit. Am
häufigsten ist das Zusammentreffen von Epityphlitis mit Angina,
gewöhnlich geht die Angina, die als eine Art Primäraffekt auf¬
zufassen ist, der Epityphlitis voraus, wie es besonders von Kretz 1 )
und von Adrian 2 ), vor diesen aber schon von Apolant, Golu-
boff, Offergeld, Wette, Baginsky, Schnitzler, Weber,
Hasse und vielen anderen beobachtet wurde. Auch Sonnen-
bürg 3 ) gibt diesen Zusammenhang zu, wenn er ihn auch nicht
gerade für häufig hält, während Rostowzew 4 ) und Aschoff 5 ) den
ursächlichen Zusammenhang zwischen Epityphlitis und Angina
1) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1907, Bd. 17, 1909, Bd. 20.
Zeitschr. f. Heilk., N. F., 1908, Suppl.-Heft. — Verhandl. d. deutsch,
patbol. Gesellsch., 14. Erlangen 1910.
2) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 7.
3) Appendicitis. Letzte Auflage.
4) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1906, Bd. 15.
5) Die Wurrafortsatzentzündung. Jena 1908. — Ergehn, d. inneren
Med. u. Kinderheilk., Bd. 9.
bzw. den anderen Infektionskrankheiten ablehnen. Für die In¬
fluenza ist dieser Causalnexus beschrieben, besonders von den
Franzosen, ferner von Leichtenstern, Friedjung, Gelbke,
Haist, Welsch, Kümmell, Weitlaner, Sonnenburg, Wette,
während Mac Lean ihn bestreitet. Ferner beschreiben Epi¬
typhlitis als Folge von Karbunkel: Wette, Canon, von Erysipel:
Canon, von Impetigo: Böse, von Polyarthritis rheumatica: Pri-
bram, Sutherland, Jalaguier, Brazil, Robinsou, von
Pneumonie: Raillet, Wette, Glaserfeld, Bennecke u. a. m.,
von Typhus (neben Engländern): Hesse, Raillet u. a. m. Dabei
ist zu bemerken, dass die im Verlauf des Typhus ebenso wie bei
Ruhr auftretende Epityphlitis als spezielle Lokalisierung der
Typbus- bzw. Ruhrinfektion eine Sonderstellung einnimmt. Ebenso
hat die nach Verwachsungen und Obliterationen infolge von
Typhus entstehende Epityphlitis (Hesse) mit dem hier in
Rede stehenden Thema nichts zu tun. Viel seltener ist das Auf¬
treten der Wurmfortsatzentzündung nach den akuten Exanthemen:
Varizellen und Masern: Jalaguier, Rubeolae, Variola, Parotitis
epidemica: Merkleu und Leudet, und endlich Scharlach: Simo¬
nin (dieser fand in 5 von 79 Scharlachfällen Schmerzhaftigkeit
des Mac Burnay), Jalaguier, Anghel.
Das Verhältnis der Infektionskrankheit zur Epityphlitis kann
in dreierlei Weise gefasst werden: 1. Die Infektionskrankheit geht
voraus, die Epityphlitis ist eine Art Metastase, wie dies besonders
scharf von Kretz, aber auch von Adrian betont wird. Das
Intervall zwischen Angina und Epityphlitis kann dabei ziemlich
gross sein; speziell bei den tödlich verlaufenden Epityphlitiden
fehlt nach Kretz die Angina nie. Auch Baginsky sah schwerste
septische Epityphlitis mit Exitus nach Tonsillarerkrankung. Für
diesen direkten ursächlichen Zusammenhang sprechen die bak¬
teriologischen Befunde in der Appendix, die der Grundkrankheit
entsprechen: Baginsky fand Pneumokokken sowohl in den Ton¬
sillen, wie im Blut und in der Appendix, Offergeld Strepto¬
kokken, Adrian Influenzabacillen im Epityph litiseiter, Melchior
bei Pneumonie Pneumokokkenappendicitis. Die Deutung der Tier¬
versuche, die gleichfalls diesen kausalen Zusammenhang beweisen
sollen, ist noch strittig. Adrian und Tedesko, denen Infektion
der Appendix durch Einführung ganz verschiedener Keime in die
Blutbahn gelang, wie in ähnlicherWeise nach ihnen Stöber und
Dahl, stehen Ghon und Namba gegenüber, die ihre Versuche
nicht bestätigen konnten und die Beweiskraft dieser Versuche, wie
gleich ihnen Aschoff, bestreiten.
Das umgekehrte Verhältnis: Epityphlitis als primäre Er¬
krankung, Angina als Folge wird unter anderem besonders von
Hönck angenommen, für den Gelenkrheumatismus auch von
Adrian, welcher Autor Angina oder Epityphlitis als Ausgangs¬
punkt für rheumatische Gelenkerkraokung und das Umgekehrte,
d. h. also Epityphlitis als Folge anginöser oder rheumatischer
Erkrankung für möglich hält. Wette endlich sah Vereiterung
der Gelenke nach Epityphlitis.
Eine dritte Auffassung, die der ersten sehr nahe steht, fasst
die Epityphlitis als eine Allgemeininfektion, eine Art Sepsis auf,
wie dies wiederum Kretz tut, eine Auffassung, für die in ihrer
Weise auch die Wette’schen Beobachtungen von gleichzeitiger
Erkrankung an Pneumonie und Epityphlitis sprechen, nnd wie
sie gestützt wird durch die erwähnten Tierversuche von Adrian
und Tedesko. Die Epityphlitis würde damit in eine Reihe mit
der Polyarthritis rheumatica treten, welche ja auch als mitigierte
Sepsis aufgefasst wird und häufig einer Angina folgt, zuweilen
aber von einer „rheumatischen Angina“ gefolgt wird. In engem
Zusammenhang mit dieser Auffassung steht die Darstellung der
Epityphlitisepidemien und -endemien, wie solche von
Klink, Heppe, Wahl, Martin und auch von Sonnenburg
beobachtet wurden, wo die Epityphlitis nur als eine Infektions¬
krankheit, als ein Allgemeinleiden aufgefasst werden kann. Ganz
besonders ist dies der Fall, wenn sie noch mit anderen Er¬
scheinungen als Fieber und den lokalen Symptomen einhergeht:
so mit Schwellung und Rötung der Tonsillen und ähnlichem.
In unserem ersten Fall spricht alles für eine derartige All¬
gemeininfektion. Nicht als eine Metastase der scarlatinösen
Racheninfektion oder als eine Sekundäraffektion oder eine „Nach¬
krankheit“, wie etwa die Lymphadenitis, ist die Affektion der
Appendix zu denken, sondern man muss annehmen, dass — zu
gleicher oder doch annähernd gleicher Zeit — eine Infektion des
gesamten lymphatischen Apparates stattgefunden hat. Während
nach Aschoff bei der „eigentlichen Appendicitis“ die Blut-
infektion keine Rolle spielt, vielmehr die Infektion vom Lumen
des Darms aus sichergestellt ist, scheint mir hier die hämatogene
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UMIVERSITY OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Infektion der Appendix in höchstem Maasse wahrscheinlich.
Vielleicht spielt es eine Rolle, dass das Kind zum lymphatischen
Typus gehört, denn wenn auch Shiota bei Nichtlymphatikern
prozentual mehr Obliterationen in der Appendix fand als bei
Lympbatikern, fand er doch andererseits in 27 pCt. aller Lympha-
tiker den Wurmfortsatz an der lymphatischen Hyperplasie be¬
teiligt gegenüber 9 pCt. bei Nichtlymphatikern. Und eine Prä-
disponierung aller lymphatischen Gewebe zur Infiltration ist ja
bei der Scharlachinfektion gegeben. Ich glaube, es ist unabweis¬
bar, die häufigen Entzündungen im lymphatischen Gewebe des
Rachens und des Wurmfortsatzes, der „Wurmfortsatztonsille“
(Selter), wie sie teils isoliert, teils kombiniert auftraten, unbe¬
dingt miteinander in Parallele zu setzen. Das gilt für die nicht¬
spezifische wie für die scarlatinöse Entzündung. Zugleich mit
der Angina faucium scarlatinosa trat also eine „Angina scarla-
tinosa des Wurmfortsatzes“ auf, nach Sahli’s Ausdrucksweise.
In unserem zweiten Fall, dem des Kollegen Mai, trat der
epityphlitische Anfall 36 Stunden vor Ausbruch des Exanthems
in die Erscheinung. Hier ist es sehr wohl möglich, dass der
Primäraffekt im adenoiden Gewebe der Appendix sass, was für
mich um so wahrscheinlicher ist, als der Rachen anfangs frei
war und nach der Erinnerung des Kollegen auch im weiteren
Verlauf die Angina nicht sehr stark wurde. Im Gegensatz zu
dem von mir beobachteten Fall ist in diesem zweiten eine Infek¬
tion vom Lumen der Appendix aus nicht unwahrscheinlich. An
Stelle der gewohnten Eingangspforte für die Scharlachinfektion,
der Tonsillen ist hier wohl das Lymphgewebe des Wurmfortsatzes
als Eingangspforte zu betrachten. Die Infiltration der Haut an
der Stelle, wo die Eisblase lag, und die sekundäre Lymphdrüsen¬
vereiterung haben mit der Epityphlitis an sich wohl nichts zu
tun, höchstens insofern, als die durch den Scharlach bedingte
Hautschädigung in den durch die Epityphlitis hervorgerufenen
Circulationsstörungen unterstützende Momente fand.
Der Masernfall zeigt die stärkste Beteiligung des Wurm¬
fortsatzes, denn als eine Beteiligung an der Krankheit, nicht als
eine zufällige Komplikation ist die Affektion zweifellos zu be¬
trachten. Darmerscheinungen im Beginn der Morbillen sind uns
geläufig. Der lymphatische Apparat des Dünn- und Dickdarms
ist bei der Morbilleninfektion stark in Mitleidenschaft gezogen
(Heubner). Sekundärinfektion vom Darm aus, besonders mecha¬
nische Verhältnisse, wie sie uns als ätiologisch bedeutungsvoll
für die Epityphlitis bekannt sind, oder irgendwelche anderen
Momente haben in diesem Fall zu der mit dem Masernvirus
causal eng zusammenhängenden Epityphlitis geführt, für die die
Maserninfektion mit den Plaquesschwellungen im Darm den Boden
bereitet bat.
Die in diesem Falle wohl besonders schwere Infektion (Endo-
carditis!) hat auch den Darm besonders schwer getroffen. Ist
die Epityphlitis nicht als direkte Maserninfektion, d. h. Infektion
mit dem Masernvirus aufzufassen, so kann man sie mit der Endo-
carditis in eine Reihe stellen.
Nun wäre freilich noch zu überlegen, ob in den beiden
Scharlach fällen (der Masernfall steht bei der Schwere der epi-
typhlitischen Komplikation ja ausser Diskussion) wirklich eine
echte Epityphlitis, sei es auch im leichtesten Stadium, dagewesen
ist, oder ob es sich um irgendwelche Reizzustände ohne „organische
Grundlage“ gehandelt hat.
Wir kennen die Epitypblitissymptome im Beginn der Pneu¬
monie, wo sie mit ihrer überzeugenden Aehnlichkeit mit echter
Epityphlitis oft genug zu Fehldiagnosen leiten. (Palier,
Massalongo, Mirande, Barnard, Hennecke 1 ), Martens 2 3 ),
Melchior 8 ), Ledderhose, Glaserfeld 4 ) u. a. ra.) Aber da
handelt es sich — abgesehen von den seltenen Fällen von Kompli¬
kation echter Epityphlitis und Pneumonie(Glaserfeld, Ben necke,
Melchior) — lediglich um „Gradierende Schmerzen“, über deren Ur¬
sprung wir freilich keine volle Klarheit haben: ob „Ausstrahlungen“,
ob fortgeleitete Entzündung der Nerven, oder ob, wie Melchior
es sich denkt und wie in einigen Fällen erwiesen ist, bin und
wieder eine Pleuritis diaphragmatica vorliegt. Denn es sind
durchaus nicht immer nur Pneumonien im rechten Unterlappen
(bei denen diese Momente ja natürlich in Frage kämen), vielmehr
1) Med. Klinik, 1909, H. 7.
2) Med. Klinik, 1908, H. 49.
3) Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1909, Bd. 20. —
Schles. Ges. f. vaterl. Kultur in Breslau, 1. Juli 1910, ref. Deutsche med.
Wochensehr., 1910, Nr. 51.
4) Diese Wocheuschr., 1909, Nr. 31.
gerade oft Oberlappenpneumonien, die durch den pseudoepityph-
litischen Symptomenkomplex eingeleitet werden, und so müssen
wir uns mit der Erklärung dieser Erscheinungen bescheiden, ob¬
gleich wohl in den Fällen von Pneumonie im rechten Unterlappen
die nervöse Irradation, fortgeleitete Entzündung oder Pleuritis
diaphragmatica am wahrscheinlichsten ist.
Derartige Fälle von „Pseudoepityphlitis“ bei Pneumonie
(und auch bei anderen Krankheiten) sind wahrscheinlich viel
häufiger als aus der Literatur hervorgeht. Ich selbst habe drei
Fälle im Gedächtnis, die mir in diesem Zusammenhang ganz
kurz zu erwähnen erlaubt sein mögen.
Den ersten habe ich noch als Assistent an der Münchener
Universitäts Kinderklinik unter v. Ranke gesehen. Ein drei- bis vier¬
jähriges Kind war uns mit der Diagnose Appendicitis? Leberent-
zündung? geschickt worden. Bei schwerer croupöser Pneumonie
im rechten Unterlappen fand sich Schmerzhaftigkeit der ge¬
schwollenen Leber und der Appendixgegend. Eine eigentliche
diagnostische Schwierigkeit bestand nicht in diesem Stadium,
Vielleicht war hier die Stauung die Ursache, bei der Leber gewiss.
Der zweite Fall betraf das zweijährige Kind eines hervor¬
ragenden medizinischen Forschers. Von allem Anfang wurde von
uns, wie von dem Chirurgen, einer ersten Autorität auf dem
Epityphlitisgebiet, die Möglichkeit einer Pneumonie erörtert.
Besonders da neben plötzlicher Temperatursteigerung lediglich
spontane und Druckempfindlichkeit der Appendixgegend und
leichte Resistenz ohne Muskelspannung zu konstatieren war. Da
ja aber bei kleinen Kindern der Palpationsbefund wie auch da»
Allgemeinbefinden mit den pathologisch-anatomischen Verhält¬
nissen oft in krassem Widerspruch steht, wurde dennoch die
Operation ausgeführt. Diese ergab normalen Appendix und am
Abend des Operationstages war die Pneumonie zu erweisen.
Der dritte Fall, dreijähriges Kind, besuchte ambulatorisch
meine Poliklinik. Anamuestisch: Fieber, Schmerzen in der rechten
Bauchseite. Daselbst ausgesprochene Druckempfindlichkeit, be¬
sonders in der Mac Burnay-Gegend, geringe Muskelspannung,
Prima vista aber wurde auf das Nasenflügelatmen bin und die
typische Dyspnöe die richtige Diagnose „Pneumonie“ gestellt und
durch den physikalischen Befund bestätigt. Uebrigens eine
croupöse Pneumonie im linken Unterlappen. Nach wenigen Tagen
waren die epityphlitischen Symptome verschwunden.
Hier also, wenigstens in den beiden letzten Fällen, konnte
von einer wirklichen Entzündung des Wurmfortsatzes nicht die
Rede sein. In ganz anderem Lichte stehen die drei ersten Fälle
von Scharlach und Masern. Hier ist bei dem ausgesprochenen
palpatorischen Befund und teilweise der Dauer und der Schwere
der Erscheinungen ein Zweifel an einer echten entzündlichen
Affektion des Appendixgewebes durchaus abzulehnen. Alle drei
sind also als echte Epityphlitiden zu betrachten, die — leicht
oder schwer — mit dem Scharlach bzw. Masernvirus in engster
Beziehung stehen.
Kehren wir zu unserem ersten Scharlach fall zurück, so finden
wir da noch eine zweite Besonderheit, welche die der Bpi-
typhlitiskomplikation an Bedeutung erheblich überragt: Das zwei¬
malige Erkranken an Scharlach. Dass zweimalige, ja mehrfache
Erkrankung desselben Individuums an Scharlach Vorkommen kann,
wurde schon längst behauptet, freilich immer für eine grosse
Seltenheit gehalten. So von Thomas, Körner, Henoch. Dieser
letztere hat allerdings bei seiner grossen Erfahrung (von Recidiven
abgesehen) nur in einem Fall zweimalige Erkrankung gesehen.
Und Autoren wie Jürgensen und Heubner geben das Vor¬
kommen zweimaliger Erkrankung zu, ohne mit eigenen Augen
beide Erkrankungen beobachtet zu haben. Baginsky wiederum
hat nicht nur zweimalige Scharlacherkrankung gesehen, vielmehr
bei einem Kinde dreimal echte Scarlatina beobachtet. Schick
erwähnt einen Fall von zweimaliger Erkrankung. Fehr nennt
Zweiterkrankungen „nicht sehr selten“. Am lebhaftesten tritt
für die Möglichkeit wiederholter Scharlachinfektion v. Szontagh 1 )
ein, der ja überhaupt in der Scharlacbauffassung seine eigenen
Wege geht. Wie die Kontagiosität, so leugnet er die erworbene
Scharlachimmunität mit grosser Energie, würde also in wieder¬
holter Scbarlacherkrankung nichts Besonderes sehen. Er steht
aber in seiner Auffassung der geschlossenen PbalaDX fast aller
übrigen Autoren gegenüber. In letzter Zeit hat Weissenberg 2 )
über 7 Fälle von wiederholter Erkrankung an Scharlach berichtet.
1) Jahrb. f. Kinderheilk., 1910, N. F., Bd. 22; 1912, N. F., 26. Er-
gänzungsbeft.
2) Archiv f. Kinderheilk., Bd. 52, H. 1 — 3.
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
491
Nur einen Fall freilich hat er selbst ganz beobachtet, über die
anderen, die er als Consiliarins sah, wurde ihm durch die
behandelnden Kollegen von vorausgegangenem Scharlach berichtet.
Dass der von mir beschriebene Fall die spärliche Kasuistik
•der wiederholten Scharlacberkrankungen vermehrt, dass also so¬
wohl die erste, wie die zweite Krankheit ein echter Scharlach
war, steht ausser Zweifel. Exanthem und Enanthem waren beide
Male typisch, die Angina war deutlich, Temperatur und der Ver¬
lauf wie die Schuppung beweisen weiter die Natur der echten
Scarlatina. Dafür spricht auch der positive Ausfall des Rumpel-
Leede’schen Phänomens bei der Zweiterkrankung. Gegen Rubeolae
mit scharlacbähnlichem Exanthem sprach die relative Schwere
der Erkrankung, die dauernd hohe Temperatur um 39° und das
Fehlen fühlbarer Occipitaldrüsen, auf die hier, wie bei den ver¬
schied entliehen Retropharyngitiden sorgfältig geachtet wurde
{übrigens war das Exanthem allein so typisch, dass Rubeolae un¬
möglich angenommen werden kann). Dagegen endlich sprach
Auch die zweimalige Erkrankung des Bruders, die einmal
wenigstens ein unverkennbarer Scharlach war. Für die Dukes'sehe
Krankheit waren gleichfalls die typischen Scharlachsymptome
beide Male zu stark ausgesprochen, denn die „fourth disease“ ist
ja in ihrem Bilde ein mehr oder minder rudimentärer Scharlach.
Es wäre dies ein Fall, für den die sogenannte vierte Krankheit
.geradezu konstruiert erscheint. Denn nur, um sich von der An¬
nahme einer zweimaligen Erkrankung an Scharlach zu wahren,
würde man hier eine andersartige Krankheit annehmen. Das
gleiche gilt für das Erythema scarlatiniforme desquamativum
recidivans, das ohne Angina verläuft und übrigens wohl nicht
kontagiös ist.
Auf Leukocyteneinschlüsse, wie sie von Döhle 1 ) für Scharlach
als pathognomonisch beschrieben, von Kretschmer 2 ) und Nicol 1
und Williams bestätigt wurden, habe ich nicht untersucht, weil
diese Gebilde damals nicht bekannt waren. In solchen Fällen
können die Leukocyteneinschlüsse, rundliche, ovale oder unregel¬
mässig halbmondförmige Gebilde von viel geringerer Grösse als
der Kern, tatsächlich ihre diagnostische Bedeutung haben. Ihre
Spezifizität für Scharlach freilich ist von Ahmed, Harriehausen,
Kolmer und Schwenke, die die Einschlüsse auch bei anderen
fieberhaften Krankheiten fanden, mit Recht bestritten worden;
immerhin bleiben sie ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel.
Auch wir haben am Material des Verbandskrankenhauses Berlin-
Reinickendorf (Prof. F. Klemperer) wie an dem unserer Poliklinik
auf diese Einschlüsse untersucht, die sich besonders gut und
leicht mit der auch von Kretschmer angewandten Metbylenblau-
Boraxmethode oder mit Methylgrün-Pyronin färben lassen. Wir
fanden die Einschlüsse 3 ) regelmässig bei Scharlach, und zwar am
reichlichsten in den ersten Tagen, nach der ersten Woche immer
seltener, in dieser Zeit oft gar nicht mehr, so dass sie zur nach¬
träglichen Scharlachdiagnose kaum in Frage kommen. Wir fanden
die Einschlüsse aber auch fast regelmässig bei Angina und Pneu¬
monie, zweimal bei Diphtherie, bei einigen Fällen von reiner Lungen¬
tuberkulose, die nicht durch Streptokokkeninfektionen kompliziert
waren (hier in ca. 50 pCt.), vermissten sie in drei Fällen von
Typhus. Wir vermissten sie ferner bei Masern, Rubeolen und
rheumatischen Affektionen, so bei Erythema multiforme ex¬
sudativum mit ausgebreitetem Exanthem. Wenn demnach die
Leukocyteneinschlüsse für Scharlach auch nicht spezifisch sind,
eo können sie doch diagnostische Bedeutung gewinnen, und zwar
in derselben Weise, wie ich 4 ) es für das Rumpel-Leede’sche
Phänomen ausgeführt habe. An sich sind die Leukocyteneinschlüsse
so wenig wie das genannte Phänomen auf Scharlach beschränkt,
aber gerade wie dieses fehlen sie bei den Fällen exantbematischer
Erkrankungen, die mit Scharlach in Differentialdiagnose kommen
können: bei Rubeolae und Erythema multiforme exsudativum mit
ncarlatiniformem Exanthem und auch bei Masern (ähnlich äussert
1 ) Centralbl. f. Bakteriol., 1911, Bd. 61, und 1912, Bd. 65.
2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 46.
3) Anmerkung während der Korrektur. Döhle hält die
Einschlüsse für Fragmente von Spirochäten, die die Erreger des Schar¬
lachs seien. Dafür spreche auch der positive Ausfall der Wasser-
«nann’schen Reaktion bei Scharlach. Die Kretschmer’schen Unter¬
suchungen sprechen aber gegen diese Ansicht. Gestützt wird sie
einigermaassen durch unsere und anderer Autoren Erfolge mit Salvarsan
bei Scharlach (Klemperer und Woita, Lenzraann, Lorey u. a. m.).
Einen Einfluss des Salvarsans auf das Vorkommen der Leukocyten¬
einschlüsse haben wir nicht feststellen können, weil wir nicht genügend
unbehandelte Kontrollfälle zum Vergleich untersuchen konnten.
4 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 43.
Rieh NicolI, vgl. Kretschmer). Gerade in unserem Falle hätte
also das Auftreten der Einschlüsse die Beweiskette für die
Diagnose „zweitmalige Scharlacherkrankung“ geschlossen.
Dass endlich nicht etwa eine Sepsis mit scharlachartigen
Erscheinungen vorlag, das wird meines Erachtens erwiesen durch
die Mit- bzw. Vorerkrankung des Bruders Th. v. R. Dieser er¬
krankte das erstemal 16 Tage vorher an typischem Scharlach,
der auch noch von einem „zweiten Kranksein“ (wie Pospischil
und Weiss 1 ) es nennen) am 15. Krankheitstage gefolgt war:
Rachenrötung, Lymphdrüsenschwellung, Temperatursteigerung und
passagere Albuminurie. Das zweitemal erkrankte der Bruder
13 Tage vorher an einer hoch fieberhaften „Retropharyngitis“.
Es erscheint mir nicht zweifelhaft, dass nicht nur der jüngere
Bruder mit dem zweimaligen Auftreten des Scharlachexanthems,
dass vielmehr beide Kinder zweimal an Scharlach erkrankt sind,
nur verlief, während vielfach die zweite Erkrankung als schwerer
bezeichnet wird, bei dem älteren Bruder die zweite Eikrankung
atypisch, ohne Exanthem; aber die Scarlatina sine exanthemata
is uns ja wohl bekannt. Es ist sehr die Frage, ob nicht
häufiger, als wir bisher anuehmen konnten, solche
versteckten Zweiterkrankungen an Scharlach Vor¬
kommen 2 ).
Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht noch folgendes:
Bei jeder der zwei Infektionen der Kinder erkrankte zugleich
auch der Vater, und zwar etwa in der Mitte des Intervalls
zwischen dem Ausbruch der Affektion bei den Kindern, an fieber¬
hafter (39,6°) Angina bzw. Pharyngitis mit Allgemeinerscheinungen.
Es ist sehr wohl möglich, dass der Vater, der als Kind Scharlach
angeblich überstanden hat, wiederum an einer „larvierten“ bzw.
mitigierten Scarlatina erkrankt war. Der Beweis dafür ist natürlich
nicht zu erbringen, wäre es auch nicht, selbst wenn es sicher¬
zustellen wäre, dass der Vater den Scharlach von einem Kinde
auf das andere übertragen hätte, da es ja genug gesunde Zwischen¬
träger gibt und bekanntlich auch leblose Gegenstände die In¬
fektion vermitteln. Bei der ersten Scharlacherkrankung der
Kinder ist aber der Vater als Infektionsvermittler sogar mit
Sicherheit auszuschliessen, da der Uebertragungsmodus deutlich
ist: Nachdem die Isolierung 12 Tage lang von den sehr vor¬
sichtigen und intelligenten Eltern streng durebgeführt war, wurde
das jüngere, uns hier beschäftigende Kind in Abwesenheit der
Eltern vom Dienstmädchen in das Badewasser gesetzt, das der
ältere, scbarlachkranke Bruder eben benutzt batte: Vier Tage
darauf Ausbruch der Krankheitserscheiuungen.
Dass trotzdem derartige Halserkrankungen wie bei dem
Vater nicht etwa nur mit den bei Scharlach sekundär wuchernden
Streptokokken, sondern vielleicht doch eine larvierte Scarlatina
ist, dafür gibt folgender Fall mir eine gewisse Wahrschein¬
lichkeit.
Frau Z., 30 Jahre alt, hat als fünfjähriges Kind Scharlach mit
folgender Nierenentzündung durchgemacht.
Am 30. und 31. I. 1912 erkranken nacheinander ihre drei Kinder
an Scarlatina, die bei den ältesten beiden sehr schwer, und zwar bei dem
ältesten Kinde mit ausgesprochen septischem Fiebertypus verläuft. Am
23. II. verlässt die Pflegeschwester, nachdem sie mehrere Tage über
„Influenzabeschwerden“ geklagt, mit Angina (39,2 0 Temperatur) das
Haus. Irgendwelche Scharlacbphänoraene traten später nicht auf. Am
14. II. erkrankt Frau Z. selbst mit heftigen allgemeinen Krankheits¬
erscheinungen, Angina, ausgebreiteter intensiver Rachenrötung und
mehrere Tage anhaltender Temperatursteigerung zwischen 38,4 und 39,2°.
Drei Tage später findet sich im Urin Albumen G /4 pM. Esbach), spezifisches
Gewicht dauernd 1026 bis 1030. Am 29. und 30. II., also 5—6 Tage
nach dem Ausbruch der Krankheitserscheinungen, traten erst rechts,
dann links Ohreuscbmerzen auf, die in intensiver Rötung des Trommel¬
fells ihre Begründung finden. Bald darauf vollkommene Heilung.
Gewiss kanu man auch hier annehmen, dass einfach eine
heftige Streptokokkeninfektion die Angina verursacht und die
alte Nephritis wieder angefacht hat; das Hinzutreten der doppel¬
seitigen Otitis media catarrhalis aber, wie auch die flammende
Rachenrötung, rückt die Wahrscheinlichkeit einer echten rudi¬
mentären Scarlatina, und zwar einer wiederholten Erkrankung,
erheblich näher.
1 ) Ueber Scharlach.jnS. Karger, 1910. — Jahrb. f. Kinderheilk.,
1910, N. F., Bd. 22.
2) Anmerkung während der Korrektur. Diese Anschauung
deckt sich mit manchem Gedanken in der übrigens auf ganz anderer
Basis stehenden Sobarlacbbehandlung v. Szontagh’s (s. dessen höchst
originelle und interessante Arbeit „Angina-Scharlach“ im Jahrb. f. Kinder¬
heilkunde, 1912, N. F., Bd. 26.
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492
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Zura Schluss will ich nur auf die Möglichkeit hinweisen,
dass Gesunde bzw. leicht oder doch „nicht spezifisch“ Erkrankte,
die, wie nun schon mehrfach betont, vielleicht nur die sekundären
Streptokokken in ihrer Mundhöhle beherbergen, als Bacillenträger
oder Träger des echten Scharlachvirus die Scharlacherkrankung
trotz energischer Händedesinfektion, Mantelschutz u. a. m. über¬
tragen können. Diesen Dingen auf den Grund zu geheD, wäre
wohl weiterer Beobachtung wert
Zur Harnblasenausschaltung wegen Tuber¬
kulose. 1 )
Von
Prof. Dr. L. Casper.
M. H.! Mit der Vorstellung dieses Patienten löse ich ein
Versprechen ein, das ich vor etwas mehr als einem Jahre
unserer Gesellschaft gegeben habe 2 ). Ich rekapituliere in aller
Kürze:
Dem Kranken habe ich vor 8 Jahren die linke Niere wegen
vorgeschrittener Nephrophthisis sinistra exstirpiert (Demonstration
des Präparates). Die Blasenbeschwerden, die vor der Operation
bestanden hatten, Hessen nach. Der Harn der zurückgebliebenen
rechten Niere war klar nnd enthielt nur massige Mengen Leuko-
cyten. Der Kranke erholte sich so, dass er 6 Jahre lang seinem
schweren Beruf als Schlosser nachging. Anfang 1911 traten von
neuem heftige Blasenschmerzen auf, unaufhörliche Tenesmen, die
jeder Therapie trotzten. Der alle Viertelstunde unter qualvollem
Pressen entleerte Harn war trüb und schmutzig eitrig. Der
Kranke magerte zum Skelett ab, was nicht wundernimmt, da
der unbesiegbare Harndrang ihm Tag uud Nacht jede Ruhe
raubte.
Bei der traurigen Sachlage und der Unmöglichkeit, dem
Kranken auf andere Weise Erleichterung zu verschaffen, schaltete
ich die tuberkulöse Blase ganz aus, indem ich den rechten Ureter
lumbalwärts in die Haut einpflanzte.
Der Effekt war ein überraschender: Vom Tage nach der
Operation waren Harnzwang und Schmerz wie weggeblasen. Der
beschwerdefreie Kranke nahm in 3 Monaten 12 Pfund an Gewicht
zu. Ich konnte Ihnen den Kranken damals in diesem Zustand
zeigen und demonstrieren, dass sich aus dem rechten ein-
gepflanzten Ureter klarer Harn entleerte, der nur einige
Leukocyten und Cylinder enthielt.
Gegen dieses Verfahren erhoben sich aus der Mitte der Ge¬
sellschaft drei Bedenken, auf die ich nach Jahresfrist einzugehen
versprach.
Erstens wurde geltend gemacht, dass die Punktion der Blase
der Ausschaltung derselben vorzuziehen sei. Ich kann heute nur
von neuem vor der Anlegung einer Blasenfistel bei tuberkulöser
Harnblase warnen. Man erreicht nicht den augestrebten Zweck,
Schmerz und Tenesmen lassen nicht nach, ja sie steigern sich.
An Stelle des in gewissen Zwischenräumen auftretenten Harn¬
zwangs stellt sich ein unaufhörliches, nimmer weichendes Drang¬
gefühl ein. Die tuberkulöse Blase verträgt keinen Fremdkörper,
als welcher eine Kanüle oder ein Dauerkatheter wirkt.
Zweitens wurde der Uebelstand hervorgehoben, dass es bisher
nicht gelungen sei, ein befriedigendes Urinal zu konstruieren.
Diese Bedenken sind bis zu einem gewissen Grad berechtigt;
trotz vielfachem Bemühen von seiten des eifrigen Instrumenten¬
machers haben wir noch kein Urinal erlangen können, das sicher
vor dem Nässen schützt. Der Patient bleibt zwar meist trocken,
aber bei gewissen Bewegungen lässt der Apparat doch einige
Tropfen Harn vorbeifliessen. In dieser Beziehung muss weiter
gearbeitet werden.
Doch alles dies nur nebenbei. Die Hauptsache ist das
folgende: Es wurde mit Nachdruck betont — was ja auch der
allgemeinen Anschauung entsprach —, dass jede Niere, die
durch einen Kanal mit der Aussenfläche verbunden ist,
verloren sei, dass sie mit Sicherheit der Infektion an¬
heimfalle.
Damals zeigte ich Ihnen den Kranken 3 Monate nach der
Operation, ohne dass bis dahin eine Infektion der Niere erfolgt
1 ) Demonstration in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
19. Februar 1913.
2) Diese Wochenscbr., 1912, Nr. 8.
war. Ich gab der Meinung Ausdruck, dass ich durchaus nicht
von der Notwendigkeit des Eintretens einer Infektion überzeugt
sei, und knüpfte daran die Hoffnung, dass die Niere auch viel¬
leicht fürderhin von dem Sichinfizieren verschont bleiben würde.
Ich bin erfreut, Ihnen heute zeigen zu können, dass sich diese
Hoffnung erfüllt hat. Es sind jetzt fast Vj 2 Jahre seit Anlegung
der Ureterhautfistel vergangen. Ich habe heute den Harn der¬
selben entnommen, Sie sehen, dass er völlig klar ist. Der vor
8Tagen gewonnene Harn wurde genau untersucht: er war klar,
frei von Albumen und zeigte mikroskopisch nur ganz vereinzelte
Leukocyten, keine Bakterieo. Bei der Aussaat ist nichts als einige
aus der Luft stammende Kokken gewachsen; der Harn ist
steril, die Niere hat sich also nicht infiziert.
Hinzufügen möchte ich zum Schluss noch, dass der Kranke
nach wie vor beschwerdefrei ist, und dass es ihm verhältnis¬
mässig befriedigend geht, er versieht seinen Dienst als Bau¬
wächter.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Königs-
berg(Dir.: Prof. Dr.Kisskalt) und der urologischen Klinik
und Poliklinik von Privatdozent Dr. Theodor Cohn.
Klinische und serologische Untersuchungen bei
Harneiterungen durch Bacterium coli.
Von
Dr. Theodor Cohn, und Priv.-Doz. Dr. Hans Reiter,
Privutilozent für Urologie, Leiter <les l'ntersuchimg^amteä
am hygienischen Institut.
(Schluss.)
Serologische Untersuchungen.
1. Agglutination. Die Untersuchung der Blutsera dieser
Patienten auf ihre agglutinierende Kraft wurde geprüft gegenüber
den aus dem eigenen Harn des Kranken gezüchteten Colibakterien,
sowie gegenüber den Stämmen anderer Patienten. Sie erfolgte an
verschiedenen Tagen, an 3—4 Patientenseris, und in 4 Fällen
wurde auch die agglutinierende Kraft des Normalserums gegen¬
über den Colistämmen der Kranken festgestellt. Die Unter¬
suchung geschah in folgender Weise: Von den auf Schrägagar
6—12 Stunden lang gezüchteten Stämmen wurde eine Auf¬
schwemmung in Kochsalzlösung angefertigt und in der Menge
von 0,15 auf Blockscbälchen verteilt. Von dem zu untersuchenden
Serum wurden Verdünnungen in den aus den folgenden Tabellen
ersichtlichen Mengen hergestellt, und diese in der gleichen Menge
von 0,15 den Bacillenemulsionen zugesetzt. Nach gründlicher
Mischung kamen die Blockschälchen in verdecktem Zustande, so
dass eine Verdunstung der Flüssigkeit nicht eintreten konnte, in
den Brutschrank. Nach einstündigem Aufenthalt bei 37° wurden
die Agglutinationen mit schwacher Vergrösserung 1 :60 unter
Verwendung des Plattenmikroskops betrachtet. Mit ± ist in den
Tabellen die Serumverbindung bezeichnet, bei der im Vergleich
mit der Kochsalzkontrolle gerade noch eine Spur von Aggluti¬
nation beobachtet wurde. Diese Bezeichnung gibt also den
Grenzwert der Titerhöhe des Serums an, wobei zu beachten ist,
dass die erhaltenen Zahlen eigentlich zu verdoppeln sind, da ja
die Bacillen in Suspension zugefügt wurden.
Das Blutserum wurde durch Centrifugieren des frisch aus der
Armvene mittels Punktion entnommenen Blutes gewonnen. Die
Colibakterien stammten aus Harnen, die durch Ureterkatheterismus
aus einer oder beiden erkrankten Nieren aufgefangen waren. Das
hierbei angewandte Verfahren zur Gewinnung reinen Nierenharnes
ist dasjenige, welches bereits auf dem ersten Urologenkongress
empfohlen wurde (8). Es bietet die grösstmögliche Sicherheit
dafür, dass der aus dem Harnleiterkatheter abfliessende Harn
weder von aussen noch durch den Blasenharn verunreinigt wird:
Nachdem das mit dem Ureterenkatheter versehene desinfizierte
Cystoskop an das Orificium externum urethrae gebracht ist, spritzt
der Assistent durch den Ureterkatheter andauernd steriles Wasser,
solange, bis der Katheter in den Harnleiter eingeführt ist; das
gleiche geschieht mit dem Katheter für die andere Niere, sobald
er in den Kanal am Cystoskop gesteckt wird.
Sämtliche 17 Stämme durften mit Sicherheit zur Coligruppe
gerechnet werden. Es waren gramnegative, die gewöhnlichen
Anilinfarben leicht annebmende Stäbchen mit abgerundeten Enden
von mehr oder weniger ausgesprochener Beweglichkeit und obligat
aerobem Wachstum. Die Entwicklung auf Agar und Bouillon
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Gougle
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
493
erfolgte in typischer Weise, sie verflüssigten Gelatine nicht,
brachten Lackmussmilch in 1—4 Tagen unter deutlicher Rot¬
färbung zur Gerinnung, ln Traubenzuckeragar zeigten sie reich¬
liche Gasentwicklung.
Das zum Vergleiche bei vier Colistämmen angewandte Normal¬
serum kam von einer Person (HL), welche 27 Jahre alt, zur Zeit
gesund, nicht nachweisbar an Lues oder Tuberkulose gelitten hat,
insbesondere frei war von krankhaften Erscheinungen des Darm-
traktus. Die Serumverdünnung, welche die Stämme der Patienten
noch deutlich agglutinierte, betrug im Falle Sn. 1: 40, Mn. 1:20
(80), Fg. 1:40 (80), Fy. 1: IO 1 ).
Die Sera der Kranken, welche in Gruppen von 2 und 3
gleichzeitig untersucht und untereinander auf Agglutination ver¬
glichen wurden, agglutinierten die verwendeten Colistämme noch
in folgenden Verdünnungen (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1.
Nr.
Patient
Homologer
Stamm
Heterologer
Stamm a
Heterologer
Stamm b
1
Br.
80
10
2
Et.
40
40
—
3
Fg.
80
40
10
4
Ig.
20
20
—
5
Is.
160
80
—
6
Ki.
—
—
—
7
Ke.
80
20
20
8
Ks.
400
400
—
9
Lt.
160
40
40
10
Mn.
160
80
80
11
Mr.
400
400
—
12
Pk.
20
80
20
13
Re.
160
20
—
14
Schk.
20
20
—
15
Sehe.
160
20
—
16
Sn.
160
40
40
17
Sy .
80
(320)
—
Sy .
80
160
20
ln der Tabelle 1 bedeuten die Zahlen des ersten Stabes die
Agglutinationswerte der eigenen Colistämme, die des zweiten
bzw. dritten Stabes die Agglutinationswerte mit einem heterologen
Stamm.
Die hier gefundenen Werte bestätigen im allgemeinen die bisher
in der Literatur vorliegenden Angaben über das Verhalten der
Agglutination bei Colibacillosen:
Das Normalserum zeigte gegenüber fremden Colistämmen einen
Agglutinationstitre bis zu 80. Schon die erste eingehende Arbeit
über einen diesen Gegenstand von Rudolf Kraus und Löw (10)
stellte fest, dass Mensch- und Säugetierserum das Dickdarmstäbchen
agglutiniere. Auf Grund einer Zusammenstellung eigener Be¬
obachtung an Menschen fand Kraus einen Wert von 1:60, für
heterologe Stämme Stern (12) und Bieberstein (11) einen
solchen von 1: 60. Aebnliche Werte geben de Haan (23), Mahler
Fischera (27) und di Donna (21) an. Andere Autoren fanden
für die Normalagglutination viel höhere Werte. Blumenthal
und Hamm (13) 1:100; als diagnostisch verwertbar nehmen sie
eine Titerböhe von 1:260 an. Geisse (17) beobachtete eine
Normalagglutination von 1:300, Klieneberger (14) sogar bei
manchen Normalseris eine Agglutination von 1 : 2660.
Ebenso ist die sich aus unseren Beobachtungen ergebende
Tatsache, dass verschiedene Stämme verschieden stark zusammen¬
geballt werden, nur eine Bestätigung von Untersuchensergebnissen
anderer Autoren: Kraus und Admirazibi (20), Burck (19),
di Donna (21). Unter seinen 20 Fällen von Coliinfektionen, die
er serodiagnostisch untersuchte, hatte Widal (15) 10 Harn¬
eiterungen zu verzeichnen, nur drei von diesen, welche jahrelang
erkrankt waren, wiesen eine agglutinierende Wirkung auf, und
zwar nicht nur für homologe, sondern auch für heterologe
Stämme.
Von den 17 von uns gemeinschaftlich untersuchten Fällen
zeigten 3 gegenüber dem homologen Stamm eine geringe Aggluti¬
nationskraft, nämlich 1 :20, also eine geringere, wie sie von
Kraus u. a. als normal angegeben wird. Einer dieser Fälle (Pk.)
agglutinierte einen heterologen Stamm 1:80, die gleiche Er¬
scheinung zeigte sich bei dem Fall Sy., der zwar den eigenen
1) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Werte bei einer zweiten
Untersuchung an einem anderen Tage.
Stamm etwas stärker (1: 80), einen fremden Stamm aber doppelt
so stark agglutinierte (1:160). Die übrigen 13 Sera zeigten
Werte von 1:180 bis 1:640, und zwar dem eigenen Stamme
gegenüber höhere als gegenüber dem oder den fremden Stämmen.
Es musste von klinischem Interesse sein, festzustellen, ob
die Stärke der Agglutination in einem Zusammenhänge mit der
Vorgeschichte, dem gegenwärtigen Zustande des Kranken, mit der
Stärke der Infektion und dem Verlaufe der Krankheit stand.
Die schwächste Eigenagglutination zeigte der Fall Jg., eine
60 jährige Patientin, welche 1892 luetisch geworden, 1900 die
ersten Zeichen einer Lues cerebri darbot, seit 1904 an der Coli-
infektion des Harntraktes litt und August 1912 an einer Encephalo-
malacia luetica zugrunde ging. Frau Pk., welche September 1912
nach halbjähriger Beobachtung einen bakterienfreien Harn ent¬
leerte, hat eine beiderseitige Spitzenaffektion, ist anämisch.
Fräulein Schk., 37 jährig, virgo, seit Mai 1911 in Behandlung,
zeigte zu Beginn eine Glykosurie; letztere ging auf antidiabetische
Kost nach 6 Wochen zurück, ohne seitdem wiederzukebren; sie
fühlt sich wohl bis auf ein mehr oder weniger beschwerliches
Gefühl von Brennen an der äusseren Harnröhrenmündung. Ihr
Harn enthält noch immer Bakterien 1 ).
Die Fälle mit schwachen Agglutinationen haben also klinisch
nur insoweit verwandte Merkmale, als sie ausser der Coliinfektion
noch unter Einwirkung anderer pathologischer Momente stehen:
Lues, Tuberkulose, Neigung zur Glykosurie. Es liegt jedoch keine
Berechtigung vor, diese ungenügende Antikörperproduktion allein
auf die genannten Momente zu beziehen, da ja ähnliche Zustände
auch bei der Patientin vorliegen, deren Agglutinationswerte an
höheren Stellen der Skala stehen.
Diejenigeu Sera, welche bei der weitgehendsten Verdünnung
agglutinierten, gehören Kranken an, welche dauernd Leukocyten
und Bakterien ausscheiden, sie sind aber dabei frei von sub¬
jektiven Beschwerden und spüren nichts von dem krankhaften
Zustande ihres Harnes. Ebenso verhält sich aber der Fall Schk.,
welcher 1: 20 agglutiniert.
An dieser Stelle sei auch einiger Beobachtungen gedacht,
die bei Gelegenheit von Versuchen, welche unter anderen Gesichts¬
punkten angestellt waren, der eine von uns (Reiter) machen
konnte: Es waren verschiedene Kaninchen mit verschiedenen Coli¬
stämmen wiederholt vorbehandelt worden. Die Tiere wurden nach
Abschluss der Immunisierung in ihrem agglutinatorischen Ver¬
halten gegen den zur Immunisierung verwandten Colistamro,
ausserdem aber noch gegen diejenigen Colistämme geprüft, welche
nicht zur Immunisierung des betreffenden Tieres gedient hatten.
Das Ergebnis war das folgende (siehe Tabelle 2).
Bei 4 Tieren wurde nach ungefähr 4 Wochen diese Unter¬
suchung noch einmal wiederholt und ergab folgendes (hier sind
die Unterschiede, weil bis zum Ende titriert wurde, stärker aus¬
gesprochen):
Tier 2 4- Stamm 56
2000 4
Tier 4 -+- Stamm
30
3000 4
a
2000 4
30b
4000 4
n
21
1000 +
79
73
2000 ±
j)
X
2000 4
jaj
2000 ±
j>
y>
»
n
30b 2000 4
30 2000 4
73 1000 4
24 2000 +
79
33
X
21
56
3000 4
3000 4
3000 4
3000 4
„
i45|
2000 ±
79
45
4000 4
33
2000 ±
79
24
3000 ±
Tier 9 -f- Stamm
45
6000 4
Tier 11 + Stamm
24
6000 44
79
33
6000 4
56
6000 4 4
79
30
3000 4
30
6000 4 +
30b
2000 4
73
3000 4
79
21
2000 4
33
6000 44
!x|
4000 4
»
a
6000 44
73
3000 4
, iS0b|
6000 ±
56
8000 4
45
6000 4 4
79
a
2000 4
21
3000 4
79
24
2000 4
»
X
6000 4
Wie aus dem Ergebnis ersichtlich, gelingt es durch Immuni¬
sierung mit einem einzigen Colistamm, einen relativ hohen
Agglutinationstiter gegen mehrere Colistämme zu erzeugen. Die
erreichte Höhe des Titers scheint im wesentlichen von der Indi¬
vidualität des Versuchstieres abhängig zu sein. Bei dem Ergeb¬
nisse fällt jedoch die Tatsache auf, dass oft die Tiere gegen
heterologe Colistämme einen höheren Titer ausbildeten, als gegen
1) Ist seit Februar d. J. steril.
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Gck igle
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494
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Tabelle 2.
•o B
. ®
££
Stamm 24
Stamm 45
Stamm a
Stamm 33
Stamm 73
Stamm 56
Stamm x
Stamm 80
Stamm 30 b
Stamm 21
1
2000 -H-
2000 ++
2000 =b
2000 -f-f
2000 =t
2000 b
2000 =fc
2000 ±
2000 db
2000 ++
2
2000 ±
1000 =fc
2000 =fc
2000 db
1000 ±
1000 =b
1000
2000 ±
1000 =b
1000 db
4
2000 ++
2000 ++
2000 -f+
2000 ±
2000 +-}-
i 2000 ++
2000 =t
2000 ±
2000 ++
2000 ++
5
2000 =fc
2000 =fc
2000 d~
2000 ±
2000 =1=
1 2000 =t
2000 db
2000 dtz
2000 =b
2000 =t
7
2000 ±
2000 =b
2000 ±
2000 =t
2000 ± 1
2000 =fc
2000 -f
2000 =4=
2000 +
i 2000 -f
8
1000 db
2000 db
2000 =fc
1000 ±
2000 ±
1 2000 ±
1000 =fc
1000 ±
1000 ±
2000 db
9
2000 ++
2000 =fc
2000 ++
2000 ++
2000 ±
2000 =*=
2000 dt=
2000 =4=
2000 db
2000 -F-F
10
2000 ++
2000 ++ |
2000 db
2000 -f-+
2000 =b
| 2000 4~F
1 2000 ++
2000 ++
2000 ++
2000 -F+
11
2000 =t
2000 ++
1
2000 =t
2000 =t
2000 ±
2000 =fc
j 2000 ±
1
2000 ++
2000 ±
2000 d=
den bei der Immunisierung verwendeten Stamm. Immerhin scheint
es bemerkenswert, dass Tiere, die mit einer umfangreichen Pro¬
duktion von stammspezifischen Antikörpern die Zuführung des
Antigens beantworten, auch die Erzeugung von heterologen Anti¬
körpern, d. h. von Antikörpern gegen Colistämme, die nicht zur
Immunisierung verwendet wurden, leichter zu bewirken scheinen.
Wir haben bei dieser Konstatierung eine völlige Analogie
mit den in unseren klinischen Fällen zu beobachtenden Befunden,
und es erscheint uns durch die experimentell bewirkten Erschei¬
nungen an an und für sich gesunden Tieren, die ja nicht an einer
Coliinfektion erkrankt sind, um so leichter verständlich, dass das
Patientenserum einen anderen Colistamm als den krankmachenden
in höherem Maasse beeinflusst. Vielleicht müssen wir zur Er¬
klärung dieses Befundes auch die Ansicht von Wright berück¬
sichtigen, der annimmt, dass eine Infektion nur dann eintritt,
wenn der Organismus sich gegenüber dem betreffenden Infektions¬
erreger in einem verminderten Verteidigungszustand befindet, wenn
er also in einem Vergleich zum normalen Menschen eine Herab¬
setzung des Antikörpertiters aufweist.
Hierauf begründet sich bekanntlich auch die von Wright,
wenn nicht inaugurierte, so doch für die Praxis geeignet gemachte
aktive Immunisierung mit abgetöteten Bacillen. Er will hierbei das
Vakuum an Schutzstoffen, das sich in gewisser Beziehung vielleicht
mit unseren heutigen Begriffen der Disposition deckt, durch Heran¬
ziehung von Körperzellen zur Antikörperproduktion, welche von
dem spezifischen Erreger der Krankheit noch am wenigsten ge¬
schädigt sind, ausfüllen.
Da jedoch infolge des Vorhandenseins lebender Infektions¬
erreger in dem Organismus der Körper einer spezifischen Um¬
stimmung unterzogen wird, so kann man sich andererseits er¬
klären, warum nun dieser Körper bei einer Behaudlung mit den
krankmachenden Keimen Antikörper leichter gegen heterologe
Stämme der infizierenden Art bildet, nicht aber imstande ist,
gerade gegen den infizierenden Keim sich in der gleichen Weise
zu wehren. Unter Berücksichtigung der im Tierversuch uns oft
begegneten Verschiedenheiten in der Reaktionshöhe erscheinen
uns so die im ersten Moment absurd vorkommenden Befunde
sehr leicht erklärlich.
Bei allen Fällen wurde ferner der opsonische Index bestimmt,
und zwar nach derjenigen Methode, welche H. Reiter ausführ¬
lich angegeben hat 1 ).
Zur Feststellung des normalen phagocytischen Index diente
das Blut der gleichen Person wie bei den Agglutinationsprüfungen.
Der opsonische Iudex wurde sowohl gegenüber den homologen als
auch einem oder zwei heterologen Stämmen ermittelt. Die Re¬
sultate der Untersuchungen sind in folgender Tabelle 3 zusammen¬
gestellt.
In dem Untersuchungsergebnis fällt auf, dass die Patienten,
welche einen relativ niedrigen opsonischen Index gegenüber dem
homologen Stamm aufwiesen (Pk., Et., Schk., Jg., Sy., Kl., Lt.,
Mn.), meistens eine quoad vitam schlechte Prognose hatten
(vgl. Krankengeschichten am Beginn der Arbeit). Nur ein Fall (Kl.)
bildet eine Ausnahme, weil er beschwerdefrei und mit bakterien¬
freiem Harn entlassen werden konnte und auch sonst keine nach¬
weisbaren Schädigungen seiner Gesundheit darbot.
Fünf Fälle (Pk., Et., Schk., Jg., Sy.) zeigten ferner die ge¬
meinschaftliche Eigentümlichkeit, dass sie mit heterologen Stämmen
einen höheren opsonischen Index ergaben als mit dem eigenen
Stamm; eine Ausnahme bildet nur der Fall Jg.
Ein Vergleich der nach -absoluten Werten geordneten Reihen
der Agglutinations- und opsonischen fahlen lässt erkennen, dass
r_— t - r i
1) Deutsche med. Woohenschr., 1910, Nr. 52.
Tabelle 3.
1
* 1
(Phagocyti-
(Phagocyti-
(Phagocyti-
V«
scher) und
scher) und
scher) und
s
cs
Jz;
je
a>
O)
O.
opsonischer
Index gegen
opsonischer
Index gegen
opsonischer
Index gegen
Bemerkungen
>
5
<V
homologe
heterologen
heterologen
H
Stämme
Stamm a
Stamm b
Siwon
Flmg.
—
—
(565) 4,20
(760) 4,36
Matt. (40)
0,80
Matt. (58)
1.16
Flmg. (400)
1,60
Siwon (655)
4,88
/ Siwon 134,
> Mattem 50,
\ Flmg. 250.
Solty
Matt.
-j
-
(56) 1,22
(352) 1,60
Matt. (272),
1 23
Solty (54) 1,17
Flmg. (470)
1,44
Flmg. (275)
0,84
1 Solty 46,
> Mattera220,
1 Flmg. 326.
Scbm.
_
_
(1380) Aggl.
Jung (250)
_
{ Schm. 642,
2,14
1,14
Jung
—
—
(260) 1,19
Schm. (650)
—
( Jung 219.
1,00
)
Ruske
—
—
(1120) Aggl.
3,30
Ehl. (5)0,24
—
/ Ruske 339,
Ehl.
1
—
(20) Aggl.
Rüske (1380)
—
( Ehlert 21.
1,00
4,07
)
Schk.
—
—
(56) 1,11
Solty (640)
6,40
—
/ Schk. 50,
Solty
—
—
(270) 2,70
Schk. (76)
—
{ Solty 100.
1,52
Bckr.
_
_
(660) 6,62
Ilias (30)
_
! Becker 98,
0,31
1
Ilias
_
_
(1060) 11,15
Becker (540)
— 1
( Ilias 95.
5,51 ?
J
Kurs
—
—
I starke Harn
agglutination,
—
( Müllbr. 52,
nicht zählbar
Mllb.
—
—
(1930) Aggl.
Kurs (250)
—
f Kurs 650.
37,11
0,39
)
Ksch.
—
—
(515) 1,39
Par. (340)
Ldgk. (220)
Ldgk.
Par.
-
-
(325) 1,41
(650) 0,37
0,19
Par. (770)
0,43
Ldgk. (250)
0,95
Ksch. (480)
1 29
Ksch.’ (210)
Ksch. 372,
Par. 1770,
Ldgk. 230.
1,08
0,56
ein Parallelismus nur in gewissem Sinne besteht. Andere Autoren
haben zwischen den Ergebnissen beider Untersuchungsmethoden
eine grössere Uebereinstimmung gefunden.
Bei den meisten der beobachteten Kranken wurden schliess¬
lich auch die Untersuchungen des Blutserums auf Komplement¬
ablenkung vorgenommen. Zunächst erfolgte in jedem Falle die
Feststellung der ablenkenden Wirkung des Antigens für sich
allein: die Herstellung des letzteren geschah in der Weise, dass
eine Agarschrägkultur des betreffenden Stammes, 24 Stunden alt,
mit 1 ccm Kochsalzlösung abgeschwemmt und eine Stunde bei
56° abgetötet wurde. Von der Aufschwemmung wurden ein- und
10 proz. Emulsionen hergestellt und ermittelt, welche Menge
hiervon eben noch völlige Hämolyse veranlasste. Die Hälfte
dieser lösenden Dosis gelangte bei dem eigentlichen Komplement¬
ablenkungsversuch zur Verwendung. Es sei noch erwähnt, dass
sowohl der Amboceptor als auch das Komplement vorher titriert
wurden. 4 Wie aus der folgenden Tabelle 4 hervorgeht, gelang in
fast allen Fällen der Nachweis fon kbmplementbindenden Anti¬
körpern im Serum. Vergleichende Untersuchungen ergaben, dass
das homologe Serum auch in den meisten Fällen stärker ablenkte
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
495
als ein heterologes. Die beiden Kranken Schk. und Lt., welche
bei geringen nnd fehlenden subjektiven Beschwerden dauernd
Bacterium coli im Harn führen, zeigen die stärkste Ablenkung.
Tabelle 4.
Antigen
Serum
0,2
0,1
lO
o
o
0,02
0,01
Sekk.
Schk.
±_
+
+
±
+
ff
Sy.
±
■ ±
± _
+
+
Sy.
»
+
+
+
+
+
Schk.
+ i
+
4-
+
+
Ks.
Ks.
+
+
+
+
+
»
Mr.
+
+
+
+
+
Mr.
»
+
±
+
+
+
»
Ks.
+
T
+
+
+
Ki.
Ki.
+ 1
-f
+
+
+
ff
Kl.
+ |
+
+
+
+
Kl.
¥ i
+
+
+
+
Ki.
+
+
+
+
+
Lt.
Lt.
+
+
+
+
1 +
pk.
5
+
+
Pk.
f)
+
+
+
+
! +
Ki.
+ i
+
+
0
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Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen
Rudolf Virchow-Krankenhauses zu Berlin (Professor
Dr. M. Borchardt).
Die postoperative Parotitis.
Uebersichtsreferat über die Arbeiten von 1904—1912.
Von
Dr. Bruno Valentin, Assistenzarzt.
Bis zum Jahre 1904 war zwar das Krankheitsbild der post¬
operativen Parotitis seit etwa 25 Jahren bekannt, aber da man
sie bisher fast nur nach Ovariotomien batte auftreten sehen, lag
es nahe,tlie inneren Beziehungen zwischen Genitalien und Parotis —
die ja auch sonst sicher bestehen — dafür verantwortlich za
machen, und man hatte so eine vollständig befriedigende Er¬
klärung. Sei es nun, dass man von chirurgischer Seite ans erst
durch die Gynäkologen auf diese Komplikation aufmerksam ge¬
macht worden war, oder dass wirklich die postoperative Parotitis
öfter auftrat als früher, kurz, die seit dieser Zeit veröffentlichten
Fälle sind weit mehr nach chirurgischen Eingriffen, meist am
Magen-Darmkanal, als nach gynäkologischen Operationen aufge¬
treten. Vielleicht ist auch die Krankheit, sei es dnrch verbesserte
Technik oder durch irgendwelche anderen Umstände, seltener ge¬
worden; Hannes z. B. sab die postoperative Parotitis nur äusserst
selten bei gynäkologischen Operationen, in den letzten 8 Jahren
-nur zweimal, wobei noch der eine Fall wahrscheinlich als epide¬
mischer Mumps aufzufassen ist. Zwar ist schon vor dem Jahre
1904 ganz vereinzelt, und dann als Nebenbefund, z. B. nach
Mammaamputation, Gastrojejunostomie nsw., das Auftreten einer
postoperativen Parotitis notiert, aber erst seit der Arbeit Wagner’s,
der in der Eiselsberg’schen Klinik in Wien fünf Fälle im Verlauf
von 2i/ a Jahren beobachtet bat, und der genau auf die Pathologie
und Aetiologie dieser Krankheit einging, erst seit dieser Arbeit
mehren sich die meist kasuistischen Beiträge. Aber das mag
gleich vorweg betont werden: etwa9 wesentlich Neues, vor allem
in der heute noch unklaren Ursache dieser Krankheit, konnten
alle diese späteren Arbeiten, auch die experimentellen von fran¬
zösischer Seite, nicht beibringen, es sei deshalb nochmals zur
genaueren Orientierung über das Thema anf die Arbeit Wagner’s
hingewiesen.
So eindeutig nnd eng umgrenzt anch der Begriff der post¬
operativen Parotitis schon durch den Namen zu sein scheint, so
wenig fest steht bei den verschiedenen Autoren das, was sie noch
zu dieser Komplikation rechnen. Dass die epidemische Parotitis,
der Mumps, von vornherein ganz auszuschliesseu ist, versteht sich
von selbst. Während aber Wagner streng alle Fälle als nicht
hierher gehörig ausmerzen will, bei denen irgendwo im Körper ein
Eiterungsprozess vorhanden ist, also nur reine, aseptische Ope¬
rationen gelten lässt, hält Orthner diese Auffassung für falsch
und für zu weit gegangen, und das unserer Meinung nach mit
Recht, denn es lässt sich doch niemals jede Möglichkeit einer
Eiterung im Operationsgebiet ausschliessen, als Beweis hierfür
mag der eigene Fall (4) Wagner’s dienen, wo es sich um eine
Cholecystektomie wegen Cholelithiasis und Cholecystitis mit He-
paticusdrainage handelte; auf jeden Fall ist doch hier sicher in
hohem Maasse die Möglichkeit einer Infektion gegeben, ganz ab¬
gesehen von den anderen, von ihm angeführten Fällen von post-
operativer Parotitis hei Carcinoma oesophagi, Carcinoma ventriculi,
Carcinoma coli transversi nsw. Und noch ein Umstand ist hier
in Betracht zu ziehen: Wagner schaltet alle Fälle von post¬
operativer Parotitis nach Appendicitis ans, es ist doch aber nicht
einznsehen, warum es sich z. B. bei einer in den ersten 24 Stunden
operierten Appendicitis am einen „pyämischen Prozess 44 handeln
soll. Wir beobachteten einen 33 jährigen Patienten, der drei Tage
nach einer Appendektomie (erster Anfall 14 Stunden alt, Appendix
zeigt injizierte Serosa nnd ganz frische Fibrinbeläge) fieber- und
beschwerdefrei war, am vierten Tage plötzlicher Temperaturanstieg
und Schwellung der linken Parotis, die später vereiterte, die
Bauchwunde dagegen heilte per primam. Wir haben also im
folgenden alle Parotitiden berücksichtigt, die im Anschluss an
irgendeinen vorgenommenen Eingriff, sei dieser nun in eitrigem
oder nicht eitrigem Gebiet erfolgt, auftrateD.
Um in Kürze das klinische Bild zu skizzieren, so beginnt die
Krankheit im Durchschnitt fünf bis sechs Tage post öperationem
unter schwerer Störung des Allgemeinbefindens und fast stets
unter hohem Temperaturanstieg mit Schmerzen und Schwellung
einer Parotisgegend, nachdem die Temperatur vorher ganz normal
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UNIVERSUM OF IOWA
496
Nr. 11.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und die Patienten vollkommen wohl gewesen waren. Zwei bis
vier Tage später erkrankt oft auch noch die andere Seite. Die
Schwellung nimmt in den nächsten Tagen noch zu, so dass das
Gesicht das für Mumps charakteristische Aussehen annimmt, das
Ohrläppchen ist stark in die Höhe gehoben. Mit der Zunahme
der Schwellung mehren sich auch die Beschwerden, das Schlucken
wird, ebenso wie jede Kieferbewegung, ängstlich vermieden. Diese
Erscheinungen steigern sich noch drei bis vier Tage, dann geht
die Schwellung entweder — seltener — spontan zurück, oder
aber es kommt — was meistens der Fall — zur Eiterung, und
zwar kann man diese von aussen oft nicht mit Sicherheit nach-
weisen, da die Parotis ja bedeckt ist von der straffen Fascia
parotideo-masseterica, so dass der Eiter oft, wenn ihm nicht recht¬
zeitig Abfluss verschafft wird, in den Gehörgang durchbricht.
Damit kann der Prozess, eventuell unter Nekrose grösserer Drüsen¬
abschnitte, sein Ende erreicht haben und zur Ausheilung kommen,
oder aber die Eiterung geht weiter und breitet sich entweder
nach der Schädelhöhle oder nach dem Hals und dem Thorax
zu aus und hat so den Exitus zur Folge.
Interessant ist, dass bei den Franzosen die Krankheit für viel
harmloser gilt wie bei uns; so hält Tuffier die Prognose für
gut und glaubt, dass es sehr selten zur Abscessbildung kommt,
abgesehen von den Fällen, die im letzten Stadium einer septischen
Infektion Vorkommen. Entsprechend der Prognosenstellung der
Franzosen ist auch ihre Therapie eine konservative, d. h. sie
drücken die Drüse zwei- bis dreimal am Tage aus und üben so
eine Massage des Ductus stenonianus aus, ein Verfahren, das in
Deutschland weniger Anhänger gefunden bat, als es vielleicht
verdiente; Walther dagegen hat stets gute Resultate mit dieser
Methode, die er seit langem anwendet, erhalten. Del bet schätzt
sogar, dass man in zwei Dritteln der Fälle die Operation vermeiden
kann, Gary sah in einem Falle fünf Tage nach einer Bruch¬
operation eine doppelseitige Parotitis, die durch vierstündlich
wiederholtes Ausdrücken der Drüsen nach einer Woche zur Heilung
kam, ebenso denken Bazy, Reynier und Morestin, der sogar
angibt, dass die postoperative Parotitis meist ohne jede ernstliche
Behandlung heilt. Sei es nun, dass die Krankheit in Deutschland
von vornherein schwerer auftritt, oder dass die spontan zurück¬
gehenden Fälle nicht weiter beachtet, vor allem nicht publiziert
wurden, kurz, die Tatsache bleibt bestehen, dass in fast allen
deutschen Publikationen die Abscedierung der Drüse ausdrücklich
notiert wurde, indem entweder der Eiter in den Gehörgang
perforierte oder ihm nach aussen Abfluss verschafft wurde.
Auch in den zwei von uns beobachteten Fällen war das
Krankheitsbild ein recht schweres; der eine schon oben er¬
wähnte ging nach der Inzision und nachdem dem Eiter Abfluss
verschafft war, in Heilung aus, während bei dem anderen
Fall, einer 88 jährigen Frau in elendem Ernährungszustände
mit Kotfistel nach eingeklemmter, nach aussen perforierter
Hernie, bei der das Drüsengewebe der Parotis fast in ganzer Aus¬
dehnung eitrig eingeschmolzen war, später der Exitus erfolgte.
Natürlich wird man in den ersten Tagen, wenn die Schwellung
noch nicht so hochgradig ist, zuerst mit feuchten Umschlägen,
eventuell Bier’scher Stauung, die in dem Falle von Kulka zu¬
sammen mit einer Stichinzision zur prompten Heilung führte, den
Prozess zur Resorption zu bringen versuchen. «Zeigt der Prozess
keine Neigung zum Rückgang, steigern sich vielmehr Fieber,
Schwellung und Beschwerden, so greife man ohne Zögern zum
Messer, auch wenn an den zugänglichen Partien Fluktuation noch
nicht sicher nachweisbar ist (Küttner).“
Diese Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten der
französischen Autoren auf der einen und der deutschen auf der
anderen Seite zeigt schon, dass das ganze Krankheitsbild kein
fest umgrenztes ist, noch vielmehr aber ist dies der Fall in be¬
zug auf die Aetiologie der postoperativen Parotitis. Hier stehen
sich zwei Ansichten schroff gegenüber: 1. die Infektion auf dem
Blutwege und 2. die Infektion vom Munde her durch den Ductus
parotideus. Dass die älteren Autoren, die ja nur die Parotitis
nach gynäkologischen Eingriffen kannten, ungezwungen mit den
inneren Beziehungen zwischen Ovarien und Speicheldrüsen das
Eutstehen der postoperativen Parotitis zu erklären meinten, war
schon oben erwähnt, dass aber auch heute noch dieser Zusammen¬
hang eine gewisse Prädisposition für die Infektion der Drüse
schaffen kann, ist zweifellos; nur muss man sich eben klar sein,
dass es nicht mehr als eine Prädisposition ist, und dass doch
andere Momente für das Zustandekommen der Parotitis im Vorder¬
gründe stehen müssen. , Um die Beziehungen zwischen beiden
Organen zu zeigen, sei hier der Fall Peters’ erwähnt, der bei
einer vorher normal menstruierten Frau ein plötzliches Zessieren
der Menses und eine recidivierende Anschwellung der Parotis an
Stelle derselben beobachtete, auch der von Rives erwähnte Fall,
wo nach Einlegen eines Pessars eine Parotitis sich entwickelte,
gehört wohl hierher.
Bis zum Jahre 1908 war die Ansicht Wagner’s geltend, der
sehr einleuchtend und plausibel der Infektion vom Munde her
das Wort redete. Die Veranlassung für die Einwanderung patho¬
gener Keime von der Mundhöhle aus bildet nach ihm das längere
Sistieren der Speichelsekretion- während der Laparotomie, eine
Tatsache, die durch die interessanten Versuche Pawlow’s be¬
stätigt wurde. Pawlow untersuchte die Speichelsekretion der
Submaxillardrüse und fand eine starke Herabsetzung derselben
nach Eröffnung der Bauchhöhle und Vorziehen einer Darmschlinge,
und zwar je länger die Laparotomie dauerte, desto grösser wurde
die Hemmungswirkung. Man kann sich sehr wohl vorstellen,
dass, „solange der Strom des Speichels aus den Drüsen in die
Mundhöhle abfliesst, durch die beständig nach aussen gehende
Spülung den Keimen das Eindringen in die Ausführungsgänge
und durch dieselben in die Drüsen unmöglich sein wird. Anders
aber wird es, wenn dieser Strom versiegt. Dann haben die Bak¬
terien Gelegenheit, sich reichlich zu entwickeln. Gleichzeitig aber
können die an den Mündungsstellen der Ausführungsgänge nun
massenhaft vorhandenen Keime, da sie nicht mehr durch den be¬
ständigen Strom nach auswärts fortgeschwemmt werden, das
Sekret der Drüsen sich vielmehr in retrograder Richtung staut,
mit diesem in das Innere der Drüsen gelangen (Wagner)“. Nun
kommen zwar die postoperativen Parotitiden am häufigsten nach
Laparotomien vor, immerhin gibt es doch eine Anzahl sicher be¬
obachteter Fälle, wo die Bauchhöhle gar nicht berührt wurde,
z. B. nach Häraorrhoidaloperation, Mammaamputation usw.; auf
diese nun lassen sich die Pawlow’schen Untersuchungen nicht
anwenden, sondern man kann hier entweder in der Chloroform¬
narkose selber, die ja nach Berth direkt zur Lähmung der
Speicheldrüsen führt, oder aber in der der Hypersekretioa bei
der Aethernarkose folgenden Ermüdung und dem apathischen Zu¬
stande, in dem die Patienten nach dem Erwachen aus der Nar¬
kose daliegen, mit offenem Munde atmen und keine Schluck¬
bewegungen machen, das begünstigende Moment sehen. Noch
anders aber — und diesen Einwand berückichtigt Wagner nicht,
oder wenigstens nicht genügend —, wenn überhaupt keine All¬
meinnarkose stattgefunden hat. Einen solchen Fall erwähnt
Bach rach (Laparotomie io Lokalanästhesie, Gastrostomie nach
Witzei, Ernährung ausschliesslich durch die Fistel, 6 Tage post
operationem linksseitige, 9 Tage post operationem rechtsseitige
Parotitis). Dieser Fall ist nach zwei Richtungen bemerkenswert
und lehrreich: Erstens war hier Lokalanästhesie angewendet, man
konnte also die Narkose nicht verantwortlich machen. Zweitens
war hier die natürliche Ernährung per os vollkommen aus¬
geschaltet. Vergleicht man damit das Auftreten der sekundären
Parotitis, die nach Rolleston und Olliver bei ausschliesslich
rectaler Ernährung KP^mal häufiger auftritt als in den Fällen,
in denen Flüssigkeitsaufnahme durch den Mund gestattet wird,
und vergleicht man ferner damit die Resultate Fenwick’s, der
bei 300 Fällen von Ulcus ventriculi keine Parotitis mehr sah
trotz rectaler Ernährung, seitdem er seine Patienten an einem
Gummipfropfen lutschen liess, so ist wohl damit der Beweis, soweit
das überhaupt möglich, erbracht, dass bei dem Zusammentreffen
von mehreren der genannten Faktoren die Möglichkeit einer In¬
fektion des Ductus stenonianus und damit der Drüse selbst ge¬
geben ist. Hier mag noch die Behauptung Burrow’s Platz
finden, dass die Darreichung von Morphium Veranlassung zur
sekundären Parotitis geben könnte, weil auch dadurch möglicher¬
weise der Speichelfluss angehalten würde. Auch experimentell
wurde versucht, der Frage der Infektion näher zu kommen, und
zwar von Legueu; er setzte Hunde unter den Einfluss von
Atropin. Brachte er dann Kulturen in den Mund der Tiere, so
bekamen sie leicht eine Parotitis. Nach ihm wirkt beim Menschen
ebenso die vor Operationen notwendige Entziehung fester Nahrung
und die Unterdrückung des Kauaktes, ferner die durch Abführen
und Blutverlust verursachte Wasser Verarmung des Organismus.
Hunde, denen einige Zeit Flüssigkeit entzogen wurde, bekamen
auch eine Parotitis nach einem Aderlass. Er glaubt also, dass
an dem Auftreten von postoperativer Parotitis gerade nach Laparo¬
tomien die Vorbereitungen zur Operation schuld seien. Dass
doch, noch andere Umstände mitspielen und damit das Auftreten
der Parotitis nicht restlos erklärt ist, haben wir ja oben gezeigt,
auch bilden die Patienten, die sofort nach ihrer Aufnahme ins
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UNIVERSUM OF IOWA
17. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
49t
Krankenhaus ohne jede weitere Vorbereitung operiert wurden,
s. B. unser erster Fall, Bowe usw., einen Gegenbeweis. Schliess¬
lich sei als Stütze für die Infektion vom Munde her noch auf
die exakten anatomischen Untersuchungen von Orth und Hanau
hingewiesen. „Diese fanden stet9 zuerst die Ansführungsgänge
ergriffen und sahen von diesen aus die Mikroorganismen in die
Drüsenacini dringen. War irgendwo eine Zerstörung der Drüsen¬
läppchen noch im Beginn zu konstatieren, so zeigte es sich, dass
diese stets von der Mitte der Läppchen ausging. Die Kokken
fanden sich stets zwischen den Eitermassen in den centralen
Partien der Läppchen, niemals zwischen diesen.“ (Oehier.)
Bei dieser Aufzählung der Beweise für die Infektion vom
Munde her darf man aber nicht ausser acht lassen, dass auch
der Vertreter der hämatogenen Entstehung schwerwiegende Be¬
denken gegen die orale Theorie vorbringt. Vor allem ist es
schwierig, sich eine Vorstellung zu machen, dass die postoperative
Parotitis nach einem Intervall scheinbar ungestörten Verlaufes
ziemlich unvermittelt zur Zeit der Rekonvaleszenz auftritt, zu
einer Zeit, wo der Wund beilungsprozess schon abgeschlossen er¬
scheint. Fraenkel erinnert zur Erklärung dieser Tatsache an
die Untersuchungen von Adrian und Kretz, die bei Wurmfort¬
satzentzündungen „in einer vorausgegangenen Angina, die oft
geraume Zeit vorher abgelaufen ist und eventuell nur durch eine
besonders darauf gerichtete Eruierung der Anamnese oder durch
subtile anatomische Nachforschung festgestellt werden kann, die
primäre Eintrittspforte der Infektion nachwiesen. Nach einem
klinisch kaum als solchen erkennbaren latenten Stadium von
Bakteriämie tritt dann, durch irgendeine Gelegenheitsursache ge¬
weckt, die sekundäre Manifestation auf. Ein symptomloses und
beschwerdefreies Intervall zwischen primärer Infektion und me¬
tastatischer Manifestation ist demnach ein wohlbekanntes Vor¬
kommnis, und es liegt kein Grund vor, für die nach Operationen
im Rekonvaleszenzstadium zur Beobachtung kommenden Paroti-
tiden nach anderen Erklärüngsgründen zu suchen.“ So weit ich
die Literatur übersehe, hat Fraenkel nur in Hellendall einen
Fürsprecher gefunden, der allerdings keine neuen Argumente für
die Infektion auf dem Blutwege anführt, sondern nur gegen die
stomatogene Theorie das Auftreten der späten Parotitiden (am
11., 12., 15. und 17. Tage post operationem), wo von einer
Wirkung der Operation nicht mehr die Rede sein kann, anfübrt.
Er gibt verschiedene Hinweise, wie in Zukunft die Lösung der
Frage ihrem Ziele nähergebracht werden könnte; dabei ist zu
bedenken, dass der eine Punkt: bakteriologische Untersuchungen,
zwar nur im Tierexperiment, aber doch schon erfüllt ist; denn
Legueu erwähnt ausdrücklich in seiner Arbeit, dass er niemals
Kulturen aus dem Blute züchten konnte, weist also eine all¬
gemeine Sepsis zurück. Schliesslich spricht noch ein Argument,
wenn auch nicht für die hämatogene, so doch gegen die orale
Theorie: Levy und viele andere haben stets Staphylokokken im
Eiter der Parotitiden gefunden, was nach Levy gegen Mund-
Infektionen spricht, da Staphylokokken nur selten im Munde Vor¬
kommen.
Und schliesslich mag noch erwähnt werden, dass nach
Wag ner, Goldenberg und Marchetti auch der traumatischen
Schädigung der Parotis, „wie eine solche durch das Vorhalten
der Kiefer au den Kieferwinkeln während der Narkose durch den
beständigen Druck der Finger des Narkotiseurs auf die Parotis-
gegend hervorgerufen wird“, eine Bedeutung zukommt.
Zusammenfassend ist man wohl berechtigt zu sagen, dass
nur durch die Goincidenz mehrerer Momente die Entstehung von
Parotitiden nach Operationen zu erklären ist, oder, wie Sou-
beyran und Rives es ausdrücken, „c’est par Pensemble des
conditions anormales“.
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Bttcherbesprechungeo.
Wullstein undWilms*. Lehrbuch der Chirurgie. Dritte umgearbeitete
Auflage. Drei Bände mit 1079 zum Teil mehrfarbigen Ab¬
bildungen und 5 Tafeln. Jena 1912, Gustav Fischer. 1778 S.
Preis 29,50 M.
Als im Jahre 1908 die erste Auflage dieses Werkes erschien, ist
ihm von vielen Seiten und auch an dieser Stelle eine ausserordentlich
günstige Prognose gestellt worden. Seitdem sind erst vier Jahre ver¬
flossen und schon liegt die dritte Auflage vollendet vor. Inzwischen ist
eine russische und eine ungarische Uebersetzung des Werkes er¬
schienen, eine italienische Uebersetzung wird vorbereitet. Diesen Erfolg
verdankt das Buch den Vorzügen, welche wir seinerzeit an dieser Stelle
schon hervorgehoben haben, insbesondere der knapp und dabei äusserst
anschaulich gehaltenen Darstellung unter Verlegung des Schwerpunktes auf
möglichst zahlreiche, instruktive Abbildungen. Letztere sind in ihrer
überwiegenden Mehrheit tatsächlich als mustergültig zu bezeichnen, und
die neue Auflage zeigt, dass die Verff. ständig bemüht sind, in dieser
Beziehung noch Besseres zu bieten. Derartige künstlerisch vollendete
und dabei naturtreue Illustrationen haben weit höheren didaktischen
Wert als langatmige Beschreibungen. Das haben die Herausgeber und
ihre berufenen Mitarbeiter in richtiger Würdigung der Bedürfnisse des
Studierenden bei ihrer klinischen Lehrtätigkeit erkannt, und so erscheint
es begreiflich, dass Studierende aller Länder sich immer mehr dieses
ausgezeichneten Lehrbuches bedienen.
Pa«l nimm wer: Jahrbuch für orthopädische Chirurgie. Dritter
Band: 1911. Berlin 1912, Julius Springer. 122 S. Preis 6 M.
Der dritte Band des Jahrbuches enthält die Leistungen des lahres
1911 auf dem Gebiete der orthopädischen Chirurgie. Während der all¬
gemeine Teil einen Ueberblick über die wichtigsten Neuerungen bringt,
referiert der spezielle Teil systematisch, wenn auch nicht lückenlos,
über die erschienenen Publikationen. Die Arbeiten von Lüdke, Sturm
und v. Müller über orthotische Albuminurie sind wohl nur ver¬
sehentlich in den Bericht geraten im Anschluss an die lordotisohe
Albuminurie. Der alphabetische Literaturnachweis und das Sachregister
ermöglichen jederzeit eine rasche Orientierung. Es wäre im allgemeinen
Interesse sehr zu wünschen, dass der Herausgeber in seiner mühevollen
und dankenswerten Arbeit von den Fachkollegen durch Zusendung von
Separatabdrücken unterstützt wird. Adler-Berlin-Pankow.
Alfred Denker und Wilh. Brünings: Lehrbneh der Krankheiten des
Ohres und der Luftwege einschliesslich der Mnndkrankheiten.
Mit 305, zum grossen Teil mehrfarbigen Abbildungen im Text.
Jena 1912, Gustav Fischer. 643 S. Preis 14 M.
Naohdem bereits Koerner, dem Zuge der Zeit folgend, in der
zweiten, 1909 erschienenen Auflage seines Lehrbuches der Ohrenheilkunde
auch die Krankheiten der Nase und des Kehlkopfes zur Darstellung ge¬
bracht hat, haben die Verfasser des vorliegenden Buches, Denker und
Brünings, von denselben Erwägungen wie Koerner ausgehend, dass
nämlich diese drei Disziplinen untrennbar miteinander verbunden und
auf der Mehrzahl der deutschen Universitäten „in einem gemeinsamen
Lehrauftrage vereinigt“ sind, sich zu einem gleichen Vorgehen entschlossen.
Ausserdem haben sie auch die Krankheiten der Mundhöhle und die
Affektionen der Luftröhre und der Bronchien mit aufgenommen. Trotz
der Fülle des Gebotenen haben die Verfasser es verstanden, das ganze
Material in so übersichtlicher Weise anzuordnen, dass es dem Leser ein
Leichtes ist, sich zurechtzufinden. Das Buch soll in erster Linie den
Studierenden in das Sondergebiet einführen und dem praktischen
Arzt ein Ratgeber bei der Behandlung der obengenannten Krankheiten
sein. Wenn die Verfasser dementsprechend der Symptomatologie, Dia¬
gnostik und Therapie einen breiten Raum zugewiesen haben, so sind
doch auch die anatomischen Verhältnisse, und zwar nicht nur die patho¬
logischen, sondern auch die der zum Teil recht komplizierten normalen
Anatomie mit Recht ausführlich und durch zahlreiche, meist vorzügliche
Abbildungen illustriert, zur Darstellung gekommen.
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408
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Was die Einteilung des Stoffes anlaugt, so bat Denker die Krank¬
heiten des Obres, der Nase und ihrer Nebenhöhlen und des Nasenrachen¬
raumes (Teil I, II, III), Brünings die der Mundhöhle, des Mund* und
Kehlkopfrachens, des Kehlkopfes, der Luftröhre und der Bronchien
(Teil IV, V, VI, VII) bearbeitet. Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier
nicht der Ort, doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass überall die
einzelnen Krankheitsbilder bei aller durch die Fülle des Stoffes gebotenen
Kürze durchaus anschaulich geschildert sind, und dass namentlich
den verschiedenen Prüfungs- bzw. Untersuchungsmethoden, sowohl den
physikalischen wie den funktionellen, gebührend Rechnung getragen
wird. So beschreibt Denker die Prüfung des statischen Organs, die ja
für die Diagnostik der Erkrankungen des Gehörorgans eine hervorragende
Bedeutung gewonnen hat, eingehend, und die direkte Tracheo-Broncho¬
skopie wird von Brünings, der selbst nicht unwesentlich zu ihrer Ver¬
vollkommnung beigetragen hat, in geradezu mustergültiger Weise an der
Hand zahlreicher, äusserst instruktiver Abbildungen geschildert. Bezüg¬
lich der Therapie verdient hervorgehoben zu werden, dass es den Ver¬
fassern gelungen ist, nicht nur die konservative, sondern auch die ope¬
rative Behandlung so darzustellen, „dass auch der Spezialist sich über
die wichtigsten und bewährtesten Operationsmethoden orientieren kann“.
Einige kleine Mängel, die sich hier und da eingeschlichen haben, und
auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, können
den Wert des sonst vortrefflichen Buches nicht herabsetzen, nur das eine
mag hervorgehoben werden, dass es wünschenswert wäre, in der voraus¬
sichtlich bald nötig werdenden zweiten Auflage bei den Citaten der
einzelnen Autornamen auch den Titel der betreffenden Arbeiten und
die Stelle, wo sie veröffentlicht sind, anzugeben. Mancher Leser hat
doch zweifellos den Wunsch, sich über den einen oder anderen in
Betracht kommenden Gegenstand in der Literatur genauer zu orientieren,
als es in einem Lehrbuch möglich ist. Schwabacb.
Ed. Stadler-Leipzig: Die Klinik der syphilitischen Aortenerkrankang.
Mit 1 Tafel. Jena 1912, Verlag von Gustav Fischer. 98 Seiten.
Der Wert von Stadler’s Buch liegt in der grossen Zahl der von
ihm beobachteten Kranken und verwerteten Krankengeschichten. Er
konnte über 248 Fälle von syphilitischer Aortenerkrankung berichten,
die er zum Teil vom Beginn ihrer ersten Beschwerden bis zum Tode
verfolgen konnte; zum grossen Teil standen ihm auch die Sektions¬
ergebnisse zur Verfügung. Der Ueberblick über dieses grosse Material
lässt naturgemäss wertvolle Schlüsse über eine ganze Reihe inter¬
essierender Fragen zu, die in den einzelnen Kapiteln behandelt sind.
Nach einer historischen Einleitung und einem kurzen Kapitel über die
pathologische Anatomie folgen Aetiologie und Pathogenese, Häufigkeit
und Zo.it des Auftretens der Krankheit, Beziehungen der Aortenerkrankung
zu den tertiärsyphilitischen und parasyphilitischen Krankheiten, klinische
Erscheinungen der Aortenerkrankung; in weiteren Kapiteln die Lokali¬
sation der Erkrankung und ihre Diagnostik. Einige wenige Zahlen mögen
angeführt sein. Unter 256, 1906—1911 zur Sektion gekommenen Fällen
von erworbener Syphilis fand sich eine typische schwielige Aortensklerose
211 mal; unter diesen 211 Fällen war die Aortenerkrankung 117 mal
die Todesursache. Die Prognose der Aorteninsuffizienz auf luetischer
Basis muss als schlecht angesehen werden, da von der Feststellung der
ersten Erscheinungen bis zur hochgradig gestörten Kompensation höchstens
drei Jahre verlaufen. Die Aorteninsuffizienz bedeutet bei der syphili¬
tischen Aortenerkrankung den Anfang vom Ende. Unter 95 Fällen
musste als Todesursache in 9 Fällen Verschluss der Coronararterien
allein, bei 87 Fällen CoronarVerschluss und Aorteninsuffizienz und bei
27 Ausgang in ein sackförmiges Aneurysma angenommen werden.
Fleisch mann-Berlin.
Sanitätsherieht über die K (folglich prenssisehe Armee, das XII.
and XIX. (1. und 2. Königlich sächsische) and das XIII. (König¬
lich württembergische) Armeekorps für den Berichtszeitraum
vom 1. Oktober 1909 bis 80. September 1910. Bearbeitet von
der Medizinalabteilung des Königlich preussischen Kriegsministe¬
riums. Mit 81 Karten und 10 graphischen Darstellungen. Berlin
1912. Ernst Siegfried Mittler & Sohn. 467 Seiten.
Der I. Teil enthält wiederum den Bericht über die Gesundheits¬
verhältnisse der Armee, der II. Teil Tabellen zu dem Bericht
Im I. Teil findet man zunächst einen Bericht über den Kranken-
zugang im allgemeinen. Die Zahl der Erkrankungen hat gegen das Vor¬
jahr um 84,9 pM. K. abgenommen. Dann folgt eine Uebersicht über die im
Berichtsjahre zur Ausführung gelangten wichtigeren baulichen und sani¬
tären Maassnahmen. Es wurden verschiedene Kasernen, Wohnhäuser
für unverheiratete Offiziere, Familien Wohnhäuser für verheiratete Unter¬
offiziere und Beamte, Garnison lazarette neuerbaut. Neu geschaffen
wurden viele Anbauten, Küchen, Kantinen, Revierkrankenstuben, Unter¬
suchungszimmer, Geisteskrankenstuben, Verbandszimmer, Werkstätten,
Schuppen, Wirtschaftsgebäude, Waschhäuser, Mannschaftsspeisesäle,
Bäckereien, Pferdeställe. Hygienische Maassnahmen: Neue Brunnen,
Enteisenungsanlagen, Anschlüsse an städtische Wasserleitung, neue
Quellwasserleitungen, neue Badeanstalten, Warmwasseranlagen, Wasch¬
einrichtungen, Latrinen, Klärgräben,, neue Heizungen, verbesserte Be¬
leuchtung, Desinfektionsanlagen, Kochkurse in Berlin, Milchverkaufsstelle
(Döbefcitz), Fleischausgabestelle mit Kühlratim (Döberitz) usw. Daran
schliefst sich die Berichterstattung über die einzelnen Gruppen der
Lazarett- und Revierkranken im besonderen an, im ganzen *14 Gruppen,
ferner eine Uebersicht über Brunnen- und Badekuren und sonstige
aussergewöhnliche Heilverfahren, ein Bericht über den Krankeuabgang,
eine Uebersicht über die während des Berichtsjahres 1909/10 in der
Armee ausgefübrten grösseren Operationen (Operationsliste), eine solche
über die im Jahre 1909/10 in den hygienisch-chemischen Untersuchungs¬
stellen der Armee ausgeführten chemischen Untersuchungen und endlich
eine Zusammenstellung der wichtigeren, in der Zeit vom 1. Oktober
1909 bis 30. September 1910 erlassenen, hygienische Maassnahmen be¬
treffenden Verfügungen.
Der II., Tabellen zu dem Bericht enthaltende Teil umfasst Truppen-
Krankenrapporte über Bewegung im Kranken-Zu- und Abgang, Dienst¬
unbrauchbarkeit mit und ohne Versorgung der Mannschaften und ihre
Ursachen, Bewegung im Kranken-Zu- und Abgang bei den militärischen
Anstalten, ferner Standort Krankenrapporte.
W. Roth’s Jahresbericht über die Leistungen and Fortschritte auf
den Gebiete des Miiit&rsanitätsweseas. Herausgegeben von der
Redaktion der Deutschen militarärztlichen Zeitschrift. 37. Jahr¬
gang. Bericht über das Jahr 1911. Ergänzungsband zur
Deutschen militärärztlichen Zeitschrift. Berlin 1912, Mittler
& Sohn.
Der Band umfasst 1314 Literurangaben, von denen 887 Arbeiten
teils im Bericht selbst, teils in der Deutschen militärärztlichen Zeit¬
schrift mehr oder weniger besprochen worden sind. Es wurden nur
Veröffentlichungen berücksichtigt, die Fragen des Militärsanitätswesen
behandeln oder zu ihnen in enger Beziehung stehen; dennoch werden
alle Fortschritte auf dem Gebiete des Militärsanitätswesens kaum zur
Darstellung gebracht sein. Die Zusammenstellung ist die gleiche wie in
den Vorjahren. Schnütgen.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
E. Hauberrisser und F. Schönfeld-Göttingen: Ueber die Quellung
von Bindegewebe. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71,
H. 2, S. 102—128.) Während es bekannt ist, dass Natriumionen die
Wasseransammlung im Körper begünstigen, nehmen sie keine Sonder¬
stellung in bezug auf Quellung von Bindegewebe ein. Die eigentliche
Ursache der Natriumwirkung muss daher noch aufgeklärt werden.
G. Grund-Halle: Zur chemischen Pathologie der Muskeln. 2. Mit¬
teilung. Der Einfluss der Inaktivit&tsatrophie auf die Stickstoff- und
Phosphorverteilung im Moskel. (Archiv f. experim. Pathol. u. Phar¬
makologie, Bd. 71, H. 2, S. 129 — 138.) Bei der Inaktivitätsatrophie des
Muskels ohne Nervenabtrennung findet man die gleichen, chemischen
Veränderungen wie bei der Atrophie mit Entartungsreaktion. Die ge¬
meinsame Ursache scheint in der Aufhebung der Funktion des Muskels
zu liegen. Jacoby.
L. S. Milne-New York: Blutangsan&mie. (Deutches Archiv f. klin.
Med., Bd. 109, H 3 u. 4.) Bei Blutungsanämien regeneriert sich das
Hämoglobin viel langsamer als die roten Blutkörperchen, aber der Färbe¬
index steigt nie über 1. Die Widerstandsfähigkeit der Zellen ist nicht
vermehrt. In jungen sich entwickelnden Erythrocyten scheint das
Chromatin der Kerne verloren zu gehen, der Kern wird aber nicht aus-
gestossen. Basophile Körnung der Erythrocyten ist häufig und wird
wahrscheinlich durch Ausscheiden von Chromatinteilchen des Kernes in
das umgebende Protoplasma bedingt. Die direkte Ursache dieses Vor¬
ganges dürfte in der Schnelligkeit und Dauer des Degenerationsprozesses
liegen. Sie erklärt auch das unregelmässige Auftreten dieser Zellen.
Extramedulläre myeloide Wucherung ist gewöhnlich gering. Lipämie
tritt nach dem Rückgang von Blutkörperchen und Hämoglobin unter ein
gewisses Niveau ein. Der grösste Teil des Serumfettes lässt sich mit
Aether. ausziehen und mit Osmiumsäure schwarz färben. Ausgedehnte
Fettinfiltration innerer Organe wird beobachtet, desgleichen geringe
Pigmentation. G. Eisner.
K. Naumann-Giessen: Ein Beitrag zur Kenntnis des Ablaufs der
Fettresorption im Darmepithel des Frosches. (Zeitschr. f. Bio!., Bd. 60,
H. 1 u. 2, S. 58—74.) Auch bei der geringsten Fettzufuhr ist der Re¬
sorptionsvorgang im Darmepithel mit einer Fettröpfchenbildung verknüpft
E. Durl ach-Göttingen: Untersuchungen über die Bedeutung des
Phosphors ia der Nahrung wachsender Bande. (Archiv f. experim.
Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 3, S. 210—250.) Der Bedarf an
Phosphor kann mit Sicherheit durch Phosphatide gedeckt werden. Noch
nicht ganz klar ist, inwiefern Phosphate dazu imstande sind. Die Arbeit
enthält ausserdem bemerkenswerte Erörterungen über das Orycanin, dem
Bestandteil der Reiskleie, der Substanz, mit der japanische und eng¬
lische Forscher Heilung des experimentellen Beri-Beri erzielt haben.
_ Jacoby.
Pharmakologie.
L. Lewin-Berlin: Calotropis proccra. Ein neues, digitalisartig
'wirkendes Herzmittel. (Archiv f. eipörim. Pathol. u. Pharmakol.,Bd.71,
H. 2, S. 142—156.) Lewin erhielt die Pflanze aus Aegypten. Sie ist
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
499
auf der Erde sehr verbreitet, ihr Milchsaft enthält die digitalisartig
wirkende Substanz. Die Substanz konnte bisher noch nicht chemisch
rein dargestellt werden, sie ist löslich in Alkohol, aus dem sie mit
Aether ausgefallt wird. Die Substanz soll klinisch geprüft werden.
W. Straub-Freiburg: Bemerkungen zu der Untersuchung von
Dr. Hermann Friedrich Grünwald: Zur Frage der Digitalisspeicherung
im Herzen. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 2,
S. 139—141.) Eine Speicherung in dem Sinne, wie Straub sie für
Alkaloide nachgewiesen hat, besteht für Strophantin nicht. Die Stro-
pbantinwirkung ist der Konzentration der Substanz in der Durchströmungs¬
flüssigkeit proportional. Die Versuche Grünwald’s mit dem chemisch
als Gemenge zu charakterisierenden Digitalinum-Merck können diese Be¬
obachtung Straub’s nicht entkräften.
H. Handovsky und E. P. Pick-Wien: Untersuchungen über die
pharmakologische Beeinflussbarkeit des peripheren Hefässtonus des
Frosches. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 2,
S. 89 —101.) Adrenalin, Nikotin und Baryum stellen, wie Untersuchungen
an dem isolierten peripheren, neuromuskulären System des Läwen-
Trendelenburg’schen Froschpräparates zeigen, verschiedene Typen vaso-
lonstriktorischer Substanzen dar. Die Verschiedenheit der Wirkungen
beruht wahrscheinlich auf einer Verschiedenheit der Angriffspunkte.
Tyramin, Histamin und Witte-Pepton beeinflussen das Gefässsystem
gleichartig. Bei dem nicht vorbehandelten Gefässapparat rufen sie keinen
nennenswerten Effekt hervor. Nach Anwendung von Adrenalin wirken
sie stark dilatierend. Tyramin verhindert die Nikotinwirkung. Cholin
wirkt dilatierend.
E. Wöbbecke-Göttigen: Ueber die Funktion des Veratriumnskels
bei wechselnder Belastung. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol.,
Bd. 71, H. 3, S. 157—173.) Die Arbeit ist von speziell pharmakologischem
Interesse.
W. Heubner und S. Loewe - Göttingen: Ueber die central
lähmende Strychninwirknng. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol.,
Bd. 71, H. 3, S. 174—209.) Hohe Strychnindosen erzeugen eine spezi¬
fische unmittelbare, centrale Lähmung. Daneben kann Strychnin Er-
scböpfuugsläbmungen verursachen, die aber im Vergleich zu der spezi¬
fischen, centralen Lähmung quantitativ unwesentlich sind.
Jacoby.
M. v. Eisler-Wien: Einfluss des Formalins anf rote Blutkörper¬
chen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65, H. 1—8,
S. 138.) Durch Zusatz von 2 prom. Formalin zu 5proz. Hammelblutauf¬
schwemmungen findet bis zu einem gewissen Grade eine Konservierung
der Blutkörperchen statt; unter gleichen Bedingungen erleiden diese
später Veränderungen als Blutkörperchen ohne Formolzusatz. Formol-
blut ist gegenüber verschiedenen hämolytisch wirkenden Stoffen be¬
deutend resistenter als normales Blut. Es ist imstande, im Tierkörper
die Bildung hämolytischer Immunkörper auszulösen; auch diese Sera
wirken auf Formolblut viel schwächer als auf normales. Die Aggluti¬
nation des Formolblutes durch spezifisches Serum ist nur wenig schwächer
als die des gewöhnlichen Blutes, dagegen besteht zwischen den beiden
Blutarten ein deutlicher Unterschied für die Rioinagglutination.
H. E. K ersten-Magdeburg: Ueber vergleichende Tierexperimente
mit Salvarsan und Neosalvarsan. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1,
Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 369.) Die Vorzüge des Neosalvarsans gegen¬
über dem Salvarsan bestehen nach den Ergebnissen der Tierversuche,
die der Verf. anstellte, in seiner leichten Löslichkeit unter Fortfall der
Natronlauge, in seiner absolut neutralen Reaktion in wässriger Lösung,
in seiner geringeren Giftigkeit beim Tier (wie beim Menschen), in seiner
wenigstens im Tierversuch zutage tretenden erhöhten therapeutischen
Wirksamkeit. Bierotte.
Siehe auch Innere Medizin: Farr und Welker, Beeinflussung
der Stickstoffausscheidung durch Theophyllin.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
E. M. Com er-London: Die Funktionen der Appendix und die
Entstehung der Appendieitis. (Brit. med. journ., 15. Februar 1913,
Nr. 2720.) Im Blinddarm stagniert der Darminhalt, hier ist die stärkste
Bakterienentwicklung. Deshalb ist hier eine starke Entwicklung von
lymphoidem Gewebe über dem Wurmfortsatz, der bei den meisten Tieren
ein Stück Lymphgewebe am distalen Ende des Blinddarmes ist. Im
Appendix und Blinddarm geht ein lebenslanger Kampf zwischen Bakterien
und Gewebe vor sich, und wenn dieser Kampf ernster als gewöhnlich
wird, kommt es zur Entzündung. Mit zunehmendem Alter geht das
Lympbgewebe dabei zugrunde; die Appendicitiden werden selten, neigen
aber mehr zur Eiterung. Es entsteht ein Circulus vitiosus: der binde¬
gewebig degenerierende Wurmfortsatz kann sich nicht mehr völlig ent¬
leeren; im stagnierenden Inhalte finden die Bakterien eine ungestörte
Vermehrungsgelegenheit und fördern dadurch die Degeneration; es kommt
zu Typh litis und endlich zu Colitis. Wey de mann.
Scholz - Leipzig: Blntkörpereheuzählungen bei gesunden bzw.
künstlich infizierten tuberkulösen Rindern, Kaninchen und Meerschwein¬
chen, nebst Untersuchungen über den Einfluss von Tuberkulininjektionen
auf den Blutbefund. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 65,
H. 1-^3, S. 189,) Bei Tieren, die mit Tuberkelbacillen bzw. tuber¬
kulösem Material infiziert werden, tritt eine Zunahme der weissen Blut«
körperchen ein. Der Prozentsatz der neutrophilen Leukocyten nimmt
ab, der der Lymphocyten und der eosinophilen Leukocyten zu. Die
Zahl der roten Blutkörperchen nimmt ab. Vor dem Tode des Tieres
erfolgt eine starke Abnahme der weissen und roten Blutkörperchen.
Nach Injektion von Tuberkulin, sowohl humanem wie bovinem, tritt eine
Zunahme der Leukocyten und Abnahme der Erytbrocyten ein. Der
Prozentsatz der neutrophilen Leukocyten wird niedriger, während der
der Lymphocyten und eosinophilen Leukocyten ansteigt. Die neuerdings
aufgestellte Behauptung, dass die Toxine der humanen und der bovinen
Tuberkelbacillen eine entgegengesetzte Wirkung auf das Blut ausüben,
konnte somit nicht bestätigt werden. Zu einer Typentrennung reichen
die beobachteten geringen Unterschiede jedenfalls nicht aus.
Bierotte.
Parasitenkunde und Serologie.
H. Bontemps-Altona: Ueber die Verhütung der mikroskopischen
Fehldiagnose der Tnberkelbacillen. (Deutsche mud. Wochenschr., 1913,
Nr. 10.) B. macht darauf aufmerksam, dass Lycopodiumpulver säurefest
ist und mikroskopisch zu Verwechselungen mit Tuberkelbacillen Anlass
geben kann, besonders dann, wenn das Pulver durch das Anreicherungs¬
verfahren in kleine Stäbchen zerlegt ist. Beim Gebrauch von Pillen
muss auf diese Fehlerquelle geachtet werden. Der Tier- und Kultur¬
versuch kann in solchen Fällen nicht entbehrt werden.
Wolfsohn.
F. Schieck - Königsberg: Die Differenzierung des Typus hnmanus
und bovinus des Tuberkelbacillus durch Erzengong experimenteller
Hornhaut- und Iristnberknlose am Kaninebenauge nebst Untersuchungen
über das Auftreten und die Bedeutung des komplementbindenden tuber¬
kulösen Antikörpers. (Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 5—7,
S. 1.) Durch Verwendung genügend verdünnter Emulsion von Tuberkel¬
bacillenreinkulturen gelingt es, bei Impfung der Vorderkammer des
Kaninchens den Typus humanus vom Typus bovinus differential¬
diagnostisch zu unterscheiden. Beim Typus humanus kann man auf
diese Weise eine abgeschwächte, entweder gar nicht progrediente oder
ausheilende Tuberkulose der Iris und eventuell auch der Cornea er¬
zielen. Sobald eine Infektion mit Typus bovinus jedoch Platz greift,
geht das Auge an unaufhaltsam progredienter und rasch zur Verkäsung
führender Tuberkulose zugrunde. Impfung in die Ohrvene gleicht diesen
Unterschied aus; denn dann wird auch die mit bovinen Stämmen er¬
zeugte Tuberkulose des Auges stark abgeschwächt. Impfung in die
Carotis communis erzeugt bei Verwendung, des Typus bovinus schnell
fortschreitende Tuberkulose der Augen der gleichen Seite, bei Ver¬
wendung des Typus humanus nicht. Randpblyktänen lassen sich
durch Einspritzung von Tuberkelbacillen in die Carotis in typischer,
rasch vergänglicher Form experimentell beim Kaninchen hervorrufen.
Sie erscheinen nach Ablauf der gewöhnlichen Inkubationszeit der Tuber¬
kulose und sind als echte Lokalisationen von Tuberkulose aufzufassen.
Der komplementbindende tuberkulöse Autikörper hat mit den Heilungs¬
vorgängen bei Tuberkulose nichts zu tun. Er richtet sich nicht gegen
das wirksame Prinzip des Tuberkelbacillus. Die v. Wassermann-
Bruck’sohe Theorie von der Wirkung der spezifischen Therapie bei
Tuberkulose findet durch die Versuche am Auge keine Bestätigung.
R. Bittrolff und K. Mora ose-Heidelberg: Beiträge zur Frage des
granulären Tnberkulosewirus. (Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung,
1913, H. 4, S. 18j Verff. kommen bei ihren Untersuchungen zu dem
wichtigen Schluss, dass Much’s „granuläre“ Form des Tuberkulosevirus
im engeren Sinne nicht existiert. Mit der Much’schen Methode werden
keine anderen Formen des Tuberkulosevirus festgestellt als naohZiehl,
denn die in dem untersuchten Material bei der Färbung nach Muoh ge¬
fundenen Tuberkelbacillen erwiesen sich bei der Umfärbung nach Ziehl
stets als säurefest. In den nach Ziehl negativen Präparaten war auch
nach Muoh nichts zu finden, während sich die in den einzelnen Fällen
vorkommenden Granula der Much-Präparate bei der Umfärbung nach
Ziehl als kurze säurefeste Stäbchen darstellten. Auch in dem tuber¬
kulösen Material, das nach Muoh’s und seiner Schüler Meinung keine
säurefesten Tuberkelbacillen enthalten soll (Perlsuchtknoten des Rindes,
kalte Abscesse beim Menschen, primäre Drüsentuberkulose des Kindes),
konnten Verff. bei gründlichem Suchen säurefeste Tuberkelbacillen finden.
Rothe - Berlin: Studien über spontane Kaninehentuberkulose.
(Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 4, S. 1.) Verf. berichtet
über eine Perlsuchtepidemie unter dem Kanincbenbestaode einer Lungen¬
heilstätte. Von 51 dem Institut Robert Koch zur Untersuchung zur
Verfügung gestellten Kaninchen wiesen 26 tuberkulöse Veränderungen
auf, und zwar konnte durch Züchtung der Reinkultur und Verimpfung
auf Rinder einwandfrei festgestellt werden, dass es sich bei der enzootisch
aufgetretenen Kaninchentnberkulose um eine Infektion mit Persucht¬
bacillen handelte. Die Annahme, dass die Perlsuchtinfektion der
Kaninchen auf einen Kranken der Heilstätte zurückging, erwies sich bei
den vorgenommenen Untersuchungen als höchst unwahrscheinlich. Die
natürliche Infektion von Kaninchen mit für sie pathogenen Säugetier¬
tuberkelbacillen, d. h. mit solchen vom Typus bovinus, ist gewöhnlich
an das Vorhandensein eines lebenden Infektionsträgers gebunden, die
Infektion kommt also in der Hauptsache nur beim Zusammenleben mit
kranken Tieren zustande, wobei es fcictf in den allermeisten Fällen um
eine fnbalätionsiuberkulo&e handelt.
Fr. Fl. Krusius - Berlin: • Experimentelle Tuborknlosostudion.
(Veröffentl. d. Robert Koch-Stiftung, 1913, H. 5—7, S. 183.) Aus den
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UMIVERSITY OF IOWA
500
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
quantitativen Tuberkuloseimpfungen des Verf. geht hervor, dass zwischen
einem oberen Infektionsgrenzwerte, bei dem die Inkubationszeit gleich
Null, und einem unteren Grenzwerte, bei dem die Inkubationszeit gleich
unendlich ist, die Inkubationszeiten den Iofektionsquantitäten umgekehrt
proportional sind. Quantitative Tuberkuloseimpfungen einzelner Augen¬
teile ergeben, dass die Empfänglichkeit für Tuberkulose in der Reihen¬
folge: Glaskörper, Vorderkammer, Hornhaut, Bindehaut (Linse) abnimmt.
Die Strahlenenergien des Radiums, Mesothoriums und der Sonne sind
sämtlich nicht ohne Einfluss sowohl auf die Tuberkuloseerreger als auch
auf den infizierten Organismus. Es überwiegt die bacillentötende
bakteriotrope Wirkung die elektive organotrope Einwirkung. Henror-
zuheben ist in diesem Sinne die mehrfach erhöhte Wirkung der „Höhen¬
sonne“ gegenüber der „Tieflandsonne“. Alttuberkulin, in die vordere
Kammer des Auges gebracht, wirkt nach rasch ablaufenden Reiz¬
erscheinungen depigmentierend auf die Iris. Intracorneale Alttuber¬
kulindepots lösen an intraoornealen Tuberkuloseherden stärkere Herd¬
reaktionen aus als intracorneale Bacillenemulsionsdepots. Intracorneale
Bacillenemulsionsdepots haben einen knötchenförmig fortschreitenden
intracornealen Prozess zur Folge, dessen Progredienz wahrscheinlich aus
der Ueberimpfung vereinzelter, nicht abgetöteter Bacillen zu erklären ist.
Bei der bewiesenen immunisatorischen Wirkung aktiver Tuberkulose
darf nach Ansicht des Verf. gerade in dieser abgeschwächten Aktivität
und in der geringen Herdreaktionswirkung der Bacillenemulsion die Be¬
dingung einer experimentell nachweisbaren therapeutischen Wirksamkeit
erblickt werden. Selbst eine mehr als zehnfach überschwellige intra¬
corneale bovine Tuberkuloseimpfung beim Kaninchen führt nach an¬
fänglich starker Progredienz oft zu einer spontanen Narbenheilung, wenn
aauch erst nach mehrmonatigem Verlauf. Die einschleichende subcutane
Tuberkulintherapie lässt bei dieser intracornealen Impftuberkulose des
Auges vielleicht eine geringe zeitliche Abkürzung des Verlaufs, sicher
aber bei völliger Unschädlichkeit keine wesentliche und konstant ein¬
deutige spezifische Heilwirkung im klinischen Verlauf erkennen. Die
prophylaktische subcutane Bacillenemulsionbehandlung hat einer nach-
herigen überschwelligen intracornealen Impftuberkulose gegenüber in
einem Bruchteile der Fälle eine erkennbare relative Schutzwirkung zur
Folge gehabt. Möllers.
Tohl Sh m am ine -Breslau: Ueber die Reinz&chtnng der Spiroehaeta
pallida und der nadelförmigen Bakterien aus syphilitischem Material,
mit besonderer Berücksichtigung der Reinkultur von Spiroehaeta dentium
und des Bacillus fusiformis aus der Mundhöhle. (Centralbl. f. Bakterio¬
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 311.) In einem vom
Verf. angegebenen Nährboden, der in der Hauptsache aus Pferdeserum
und nucleinsaurem Natron Böhringer besteht, wächst die Spiroehaeta
dentium stets, die Spiroehaeta pallida, wenn auch nicht immer, so doch
besser als im Schereschewsky’schen Nährboden. Die beste Methode für
die Reinzüchtung der Spirochäten ist nach Verf. Versuchen die der
Schüttelkultur, die er in einer verbesserten Technik näher beschreibt.
Kulturelle, in der Arbeit angegebene Unterschiede zwischen Spiroehaeta
dentium und Spiroehaeta pallida sind für die Differentialdiagnose ver¬
wertbar. Im künstlichen Nährboden verändern die Spirochäten ihre
Form, Beweglichkeit und Färbbarkeit. Unter den verschiedenen Formen
kommen viele Uebergangsstadien vor. Die vom Verf. in den Spirochäten¬
mischkulturen stets gefundenen „nadelförmigen Bakterien“ können im
Verlauf der Züchtung in Spirochätenformen übergehen. In Reinkulturen
von Spiroehaeta pallida sind Refringensformen zu finden; Spiroehaeta
refringens stellt nach des Verf. Ansicht wahrscheinlich nur eine Ent¬
wicklungsform der Spiroehaeta pallida dar. Ein gezüchteter Pallida-
stamm konnte bis in die zweite Tiergeneration übertragen werden.
CI. Fermi und S. Lumbau-Sassari: Können Anophelesmüeken
auf den Menschen Malaria übertragen, ohne sich durch Besuch von
Malariakranken verseucht zu haben? Können dieselben sich die In¬
fektion aus anderen Tieren als dem Menschen holen? (Centralbl. f.
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3, S. 105.) Anopheles-
stechmücken, die malariakranke Menschen nicht gestochen haben, können
nach dem Ausfall der experimentellen Untersuchungen der Verff. Malaria
nicht übertragen. Ebenso kann Malaria nicht auf Menschen übertragen
werden durch Anophelen, die nur Fledermäuse, Sperlinge, Wachteln,
Eulen und Frösche aus malariaverseuchten Ortschaften gestochen haben.
H. Schmitz-Cöln: Bakteriologische Untersuchung eines Falles von
Polymyositis acuta. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig.,
Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 259.) Bei einem Falle von Polymyositis acuta
konnte bei Lebzeiten aus dem Blut wie auch nach dem Tode aus einer
steril entnommenen Blutprobe ein Staphylokokkenstamm gezüchtet
werden, der sich weder morphologisch noch kulturell von einem Staphylo-
coccus pyogenes aureus unterschied, jedoch eine experimentell nach¬
gewiesene ausgesprochene Neigung zur Lokalisation in der Muskulatur,
also eine spezifische Pathogenität für das Muskelgewebe besass.
Bierotte.
W. J. Stone und R. Schottstaedt - Toledo (0.): Ueber Kobra-
gifthämolyse bei Syphilis. (Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 1.) Ueber-
sicht über die Resultate der Kobragifthämolyse bei Syphilis und ver¬
schiedenen anderen Erkrankungen an der Hand von 130 Reaktionen.
Es reagierten von 4 Patienten mit primärer Lues einer positiv, von
22 Fällen sekundärer und tertiärer Lues 20 positiv, von 33 Fällen
latenter sekundärer und tertiärer Syphilis 29 positiv. Stets negativ fiel
die Reaktion bei 20 klinisch als geheilt angesehenen Fällen von Lues
aus. Die Weil’sche Reaktion ist im allgemeinen der Wassermann’schen
ebenbürtig, bei latenter Lues aber feiner als die letztere. Von den 43
angestellten Kontrollen fiel die Kobragiftreaktion nur in einem Falle
von morbillenähnlichem Exanthem (Scharlach? Ref.) positiv aus. Be¬
sonders empfindlich für die Reaktion schienen Patienten mit aktiver
Tuberkulose zu sein. C. Kays er.
Weil. F. B. Simon-Zürich: Ueber spezifische Absorption schützender
Antikörper aus Streptokokkenianainsenun. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 1—3, S. 206.) Aus den Versuchsergebnissen
wird geschlossen, dass das Streptokokkenimmunserum durch Kontakt
mit abgetöteten Streptokokken einen Teil seiner schützenden Eigen¬
schaften verliert. Der Verlust war am grössten bei Vorbehandlung mit
dem homologen Stamm, viel geringer bei Verwendung heterologer, viru¬
lenter Streptokokkenstämme. Kontrollversuche mit Staphylokokken er¬
gaben keine nachweisbare Abnahme der Wirkung des Serums. Hieraus
ist zu entnehmen, dass es gelingt, mit geeigneten Streptokokken in vitro
die spezifischen Immunkörper des Streptokokkenserums zu absorbieren.
Bierotte.
H. Aronson und P. Sommerfeld-Berlin: Weitere Mitteilungen
über die Giftigkeit des Harns bei Masern nnd anderen Infektions¬
krankheiten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) In Fort¬
setzung ihrer ersten Versuche fanden die Verff. auch weiterhin bei
Masern eine Steigerung der Harngiftigkeit, geprüft durch intravenöse In¬
jektion bei Meerschweinchen. Auch bei anderen Infektionen, wie Vari¬
cellen, Serumexanthemen, Vaccinierten, wurde diese Steigerung der
Giftigkeit öfter gefunden, nicht aber beim Scharlach. Ob dabei normale
Giftstoffe in vermehrter Menge ausgeschieden werden, oder ob besondere
spezifische Substanzen dabei in Frage kommen, ist noch nicht ent¬
schieden. Von Interesse ist der Befund, dass Urinasche öfter giftiger
wirkt als der Urin selbst. Wolfsohn.
E. C. Hort: Vaccine »ad Fieber. (Brit. med.journ., 8. Februar 1913,
Nr. 2719.) Das Fieber der Infektionskrankheiten ist die Folge der
Resorption eines Pyrogens, das durch die Krankheitserreger oder ihre
Produkte aus den Geweben des Erkrankten gebildet wird, nicht aber
aus dem Bakterienprotoplasma stammt. Nicht alle abgetöteten Bakterien¬
kulturen geben, injiziert, Fieber, sondern fast nur die gramnegativen,
manche erst nach mehrmaligem Umzücbten auf künstlichen Nährböden.
Aus den Nährböden wird ebenfalls eine pyrogene Substanz gebildet, die
den Bakterien fest anhaftet und durch Waschen nicht ganz zu ent¬
fernen ist; man findet sie im Nährboden, wenn die Bakterien daraus
durch Centrifugieren entfernt sind. Bei Versuchen mit den pyrogenen
Substanzen muss zur Verdünnung ein genügendes Quantum ganz reinen
Wassers genommen werden, da unreines Wasser und Kochsalzlösung an
sich Fieber erzeugen können. Die pyrogene Substanz, z. B. die des
Typhusbacillus, ist schwer löslich in Wasser, leicht in Gitratlösung,
noch besser in Aether; sie kann also kein Eiweisskörper sein. Die
Pyrogene scheinen spezifisch zu sein; nicht alle werden von Peroxyden
oxydiert; sie sind ziemlich hitzebeständig. Eine steigende Körper¬
temperatur ist nicht das Zeichen baktericider oder bakteriolytischer
Vorgänge, sondern im Gegenteil der Ausdruck lebhafter Tätigkeit der
lebenden Mikroorganismen. Es bleibt noch die wichtige Frage zu lösen,
bis zu welchem Grade der spezifische Antigenwert einer Vaccine von
pyrogenen Verunreinigungen aus dem Nährboden herstammt und in¬
wieweit von den reinen abgetöteten Bakterien. Wey de mann.
G. Simon - Strassburg: Ueber die supraintensive Methode der
Tollwntscbutzimpfong Ferrän’s. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt.,
Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 359.) Ausführliche Schilderung der „supra¬
intensiven“ Tollwutschutzimpfung nach Ferrän. Bierotte.
Siehe auch Kinderheilkunde: Klimenko, Blutuntersuchungen
bei Scharlach.
Innere Medizin.
V. Ellermann-Kopenhagen: Anwendung getrennter Pipetten und
Mischgefässe bei der klinischen Blutzählung. (Deutsches Archiv f. klin.
Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Die Blutzählung mit den üblichen Misch¬
pipetten hat viele Fehlerquellen. Verf. empfiehlt einen neuen Apparat,
bestehend aus zwölf kleinen cylindrischen Gläsern, ferner einer Pipette
für Aufsaugung des Blutes und vier weiteren Pipetten für die Ver-
dünnungsfiüssigkeiten. Die Zählung geschieht in den gebräuchlichen
Zählkammern. Die Vorteile der getrennten Pipetten und Mischgefässe
sind: Geringe Fehlergrenzen, einfache Technik, infolgedessen genauere
Resultate, Zeitersparnis und die Möglichkeit, mehrere Blutproben kurz
nacheinander durchzuzählen.
Fr. v. Roh den-Freiburg i. Br.: Zur Blnteircnlation in der Lunge
bei geschlossenem nnd offenen Thorax und deren Beeinflussung durch
Ueber- nnd Unterdrück. (Deutsches Archiv f. klin, Med., Bd. 109, H. 3
u. 4.) Bei geschlossenem Thorax ist die Kapazität der Lungencapillaren
abhängig vom intrapulmonalen Druck. Bei Erhöhung findet eine
schlechtere, bei Erniedrigung eine bessere Durchblutung statt. Bei
offenem Thorax ist der Blähungseffekt des extrapulmonalen Unterdrucks
grösser als der des gleichen intrapulmonalen Ueberdrucks. Bei offenem
Thorax findet bei intrapulmonalem Ueberdruck eine schlechtere Durch¬
blutung der Lunge statt als bei gleich grossem extrapulmonalem Unter¬
drück. Damit ist am lebenden Organ der experimentelle Beweis er¬
bracht für die physiologische Ueberlegenheit des Sauerbruah’schen Unter¬
druckverfahrens gegenüber dem Brauer’schea Ueberdruck verfahren.
G. Eisner.
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UNIVERSUM OF IOWA
17. Mär* 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
801
A. W. Harrington und A. M. Kennedy-Glasgow: Knoehcnmark-
metastasen and Anämie bei Magenkrebs. (Lanoet, 8. Februar 1913,
N. 4667.) Sektionsbericht. Bei jedem Falle von sohwerer Anämie sollte
das Vorhandensein von Schmerzen und Druckempfindlichkeit der Knochen
den Verdacht auf Carcinom des Knochenmarkes erregen. Wenn die
Blutuntersuohung die Symptome der perniciösen Anämie gibt, aber mit
übermässig viel Erythroblasten und Myelocyten, so ist die Diagnose
von Metastasen im Knochenmark höchst wahrscheinlich.
Weydemann.
Th. Deneke-Hamburg: Ueber die syphilitische Aortenerkranknng.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Vortrag im Hamburger ärzt¬
lichen Verein am 3. Dezember 1912. Wolfsohn.
W. V. B rem -Los Angeles: Ueber die Beziehungen zwischen Malaria
und anderen Erkrankungen, speziell Dysenterie. (Archiv of int. med.,
Bd. 9, Nr. 6.) In etwa 1 pCt. der Fälle fanden sich bei Malariafällen in
Panama Komplikationen mit akuter Dysenterie, Amöbendysenterie, Typhus,
Pneumonie, Lungentuberkulose und chronischer Nephritis. Abgesehen
von den beiden letztgenannten Krankheiten, bei denen es sich um eine
zufällige Coincidenz mit Malariaerkrankung handelte, bedingten die
übrigen Krankheiten ein Aufflackern einer latenten Malaria. Bei der
Dysenterie trat dieser Zusammenhang deutlicher zutage als bei Typbus
und Pneumonie. G. Kays er.
R. Lenk und L. Pollak«Wien: Vorkommen von peptolytischen
Fermenten in Exsudaten und dessen diagnostische Bedeutung. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Alle pathologischen Ergüsse
in die Körperhöhlen enthalten ein peptolytisches, glycyltryptophan-
spaltendes Ferment, dessen Menge jedoch nach Art und Herkunft des
Ergusses in charakteristischer Weise verschieden ist. Die quantitative
Bestimmung des Fermentgehaltes (peptolytischer Index) gibt einen dia¬
gnostisch wertvollen Behelf. Den höchsten peptolytischen Index weisen
tuberkulöse und carcinomatöse Exsudate auf, den niedrigsten reine
Stauungstranssudate. Zwischen beiden stehen die akut entzündlichen,
durch Eitererreger hervorgerufenen Ergüsse sowie die chronischen Ent¬
zündungen nicht tuberkulöser Natur. Bei Pleuraexsudaten sprechen sehr
hohe Werte für Tuberkulose, niedere gegen Tuberkulose. Bei Peritoneal¬
ergüssen sprechen erhöhte Werte für Tuberkulose, eventuell Carcinose.
Ebenso sprechen erhöhte Werte im Lumbalpunktat für Meningitis tuber-
culosa.
0. Hirschberg-Kiel: Zur Lehre der Hirnabseesse. (Metastatische
Hiraab 8 ee 880 aach Bronchialdrfisenabseess.) (Deutsches Archiv f. klin.
Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Beschreibung eines Falles von vereiterter
Bronchialdrüse mit multiplen Hirnabscessen. Die Diagnose konnte
klinisch nicht gestellt werden, vielmehr verlief der Fall unter dem Bilde
einer tuberkulösen Basalmeningitis. Eine alte Fistel vom Speiseröhren¬
divertikel zu einer Bronchialdrüse hin hatte zum plötzlichen Aufflackern
einer schweren Eiterung geführt. G. Eisner.
Th. B. Barringer jun. und W. Warren-New York: Die Prognose
der Albaminnrie mit oder ohne Cylinder. (Archiv of int. med., Bd. 9,
Nr. 6.) Bei jugendlichen Personen findet sich häufig eine Albuminurie
ohne Cylinder. Sie ist nur in Ausnahmefällen ein Symptom für eine
beginnende Nephritis. Im allgemeinen stellt sie nur ein Zeichen ver¬
minderter Resistenz mit Prädisposition zur Tuberkulose dar. Die Mor¬
talität solcher Individuen ist gegenüber der normaler Menschen erhöht.
Fälle von Albuminurie mit hyalinen Cylindern treten in allen Alters¬
klassen auf und zeigen keine erhöhte Sterbliohkeitsziffer. Bei Personen
mit Albuminurie und granulierten Cylindern ist der Prozentsatz der
Sterblichkeit grösser, und es besteht die Tendenz zur Ausbildung von
Nieren- und Gefässerkrankungen. Die Prognose jugendlicher Albumin¬
urien ist bezüglich der eventuellen Ausbildung einer späteren echten
Nephritis günstiger als die des höheren Alters.
CI. B. Farr und W. H. Welk er-Philadelphia: Ueber die Beein¬
flussung der Stickstoffangseheidnng durch Theophyllin. (Archiv of
int. med., Bd. 10, Nr. 1.) Durch Theophyllin wurde in zwei Fällen
zwar die Flüssigkeitsausscheidung vermehrt, die Stickstoffausfuhr aber
nur wenig oder gar nicht beeinflusst. In einem Falle von diffuser
Nephritis fehlte die diuretische Wirkung ganz, und die N-Elimination
sank stark ab. Nahezu normal wurden die Urinverhältnisse unter Theo¬
phyllin in einem Falle von chronisch-interstitieller Nephritis. Der nur
geringe Einfluss des Theophyllins auf die N-Ausscheidung und die aus¬
gesprochene Wirkung auf die Wasser- und Kochsalzabgabe lässt ver¬
muten. dass das Mittel vorzugsweise auf die Bowman’schen Kapseln,
aber so gut wie gar nicht auf die Harnkanälchen wirkt
C. Kayser.
J. Hefter - München: Pnrinbasenansscheidnng bei Gesunden und
Kranken. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 3 u. 4.) Im
normalen Urin beträgt bei purinfreier Kost der Anteil der Purinbasen
6—11 pCt. der Gesamtpurinausscheidung. Bei Zufuhr purinhaltiger
Nahrung ändert sich dieses Verhältnis zu ungunsten der Purinbasen.
Intravenöse Harnsäureinjektion bleibt ohne Einfluss auf die Menge der
ausgeschiedenen Purinbasen. Zusatz von harnsaurem Natron zu auto-
lysierenden Organen hat keine hemmende Wirkung aut die Umwandlung
der Purinbasen zu Harnsäure. Die Ergebnisse zeigen, dass die Um¬
kehrung des oxydativen Prozesses Purinbasenf—Harnsäure jedenfalls nicht
in merklichem Maa$se vor sich geht. Bei purinfrei ernährten Gicht¬
kranken verhält sich der Prozentanteil der Purinbasen an der Gesamt-
purinaussoheidung ähnlich wie beim Gesunden, doch kommen manchmal
auch höhere Werte vor. Der Prozentanteil der Basen ändert sich bei
Zulage von purinhaltiger Nahrung wie beim Gesunden, aber in geringerem
Maasse. Auch bei Gichtkranken wird die Purinausscheidung durch Harn¬
säureinjektion nicht beeinträchtigt. G. Eisner.
Tesche mach er-Neuenahr: Ein Fall von geheiltem (?) Morbns
Addisonii. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es wurde
Adrenalin und Levioowasser gegeben. Die Heilung scheint eine dauernde
zu sein.
F. Schütz und L. Schütz - Königsberg i. Pr.: Ueber das Vor¬
kommen von Typhasbaeillen aif den Tonsillen Typhnskranker.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei 37 Typhuskranken
gelang es den Verff. auch bei mehrmaliger Untersuchung niemals, Typhus¬
bacillen auf den Tonsillen nachzuweisen. Eine Verbreitung des Typhus
durch Sputum und feinste Tröpfchen dürfte demnach kaum zu befürchten
sein. Die Möglichkeit des Vorkommens von Typhusbacillen in der
Mundhöhle wird nicht geleugnet. Es treten dann aber richtige typhöse
Ulcerationen auf. Wolfsohn.
Siehe auch Chirurgie; Kuhn, Zur Technik der Kochsalzinfusion.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Siehe auch Physiologie: Grund, Einfluss der Inaktivitäts¬
atrophie auf die Stickstoff- und Phosphorverteilung im Muskel. —
Innere Medizin: Hirschberg, Metastatische Hirnabseesse nach
Bronchialdrüsenabscess.
Kinderheilkunde.
L. Kaumheimer- Heidelberg: Zusammenhang von Gesichtslage und
spontaner, infantiler Gebnrtslähmnng. (Monatssehr. f. Kinderheilk.,
1913, Originalien, Bd. 11, S. 455.) Bei Gesichts läge könne es infolge der
Deflexion zu Lähmungen beider oberen Extremitäten kommen, mit Wahr¬
scheinlichkeit spiele dabei die Intensität und die Dauer der Deflexion
eine ausschlaggebende Rolle. Die Lähmungen können ganz symmetrisch
sein und entsprächen dem unteren Typus (7., 8. Cervical- und 1. Dorsal¬
segment). Wahrscheinlich werden dabei die Wurzeln sehr nahe ihrem
Ursprung aus dem Marke oder innerhalb des Rückenmarkes selbst ge¬
schädigt.
W. Usener-Leipzig: Ueber Nabelschnnrbrnch. (Jahrb. f. Kinder¬
heilk., 1913, Bd. 77, S. 181.) Im Anschluss an die Mitteilung zweier
eigener Beobachtungen verbreitet sich Verf. über die Aetiologie des
Nabelschnurbruches, die keinesfalls eine einheitliche sein könne. Als
Ursachen kommen in Betracht: 1. Mechanische, Zug nach aussen: Per¬
sistenz des Ductus omphalomesentericus, abnorm kurze Nabelschnur;
abnorm erhöhte intraabdominale Druckverhältnisse: Dorsalkonkavität der
Wirbelsäule; intraabdominale Tumoren. 2. Echte Entwicklungshemmungen
an bestimmten Teilen der fötalen Anlage. Diese ätiologischen Momente
seien in jedem Falle gegeneinander abzuwägen.
E. Conradi-Cöln: Friedländer-Sepsis mit schweren Nebennieren-
blotnngen in einem Falle von Lnes hereditaria. (Jahrb. f. Kinderheilk.,
1913, Bd. 77, S. 190.) Kasuistik.
S. Wolf-Gnesen: Postdiphtherische Faeialislähnung. (Jahrb. f.
Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 194.) Bei einem 3 1 / 2 Monate alten Kinde
stellte sich nach einer Nasendiphtherie eine Facialislähmung ein, die
nach Injektion von 12 000 Immunisierungseinheiten (in zwei Dosen von
8000 und 4000 in zwei Tagen) ca. 8 Wochen nach der Erkrankung in
Heilung überging.
E. Rachmilewitsch-Strassburg: Hantreaktionen von Kindern mit
exsudativer Diathese. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 176.)
Bei Kindern mit exsudativer Diathese fand Verf. eine Reaktion, be¬
stehend aus Quaddelbildung, seröser Exsudation und schwerer Gerinn¬
barkeit des Exsudats bei Applikation eines Senfteiges auf die leicht
irritierte Epidermis. Bei Kindern ohne exsudative Diathese bleibt die
Quaddelbildung und Exsudation bei gleicher Reiztechnik aus. Bei Neu¬
geborenen fand Verf. diese Reaktion speziell bei schweren Kindern, was
vielleicht auf den höheren Wassergehalt dieser Kinder zu beziehen sei.
Verf. will diese Reaktion weiter ausarbeiten, um es zu ermöglichen, die
Diathese im latenten Stadium oder in zweifelhaften Fällen zu erkennen.
C. B e c k - Frankfurt a. M.: Die Beteiligung der Schleimhaut des
Urogenitalapparates am Symptomenkomplex der exsadativen Diathese.
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Originalien, Bd. 11, S. 468.) B. be¬
stätigt die Beobachtung Lust’s (vgl. diese Wochenschr., 1911, S. 2266),
dass bei den Kindern mit exsudativer Diathese in mehr als der Hälfte
der Fälle ein desquamativer Prozess der Harnwege zur Beobachtung
komme. Bisweilen ist dieser Befund als , das einzige Symptom dieser
Diathese zu eruieren.
i •» •
J. K. Friedjung: Wiederholte Erkranknng an Parotitis epidemica.
(Jahrb, f. Kinderheilk., 1913> Bd. 77, S. 197.) Verf. berichtet über die
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UNIVERSUM OF IOWA
502
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Nr. 11.
wiederholte Erkrankung eines Kindes an Mumps im Alter von 15 und
19 Monaten. Zwischen beiden Erkrankungen bestanden dauernd sub¬
febrile Temperaturen; das Kind hatte zu einer Neuinfektion an fremden
Kindern keine Gelegenheit; Verf. ist geneigt, die zweite Erkrnnkuog als
eine Exacerbation der ersten zu betrachten. R. Weigert.
W. N. Klimenko-St. Petersburg: Bakteriologische Blutunter¬
suchungen beim Scharlach. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig.,
Bd. 65, S. 45.) Die Untersuchungen sollten die Häufigkeit des Vor¬
kommens des Streptococcus im Blute der Scharlachkranken feststellen
und die Bedeutung seines Vorhandenseins im Blute für den Verlauf und
die Prognose des Scharlachs klarlegen. Kl. konnte ihn nur selten — in
etwa 2 pCt. aller Fälle — im Blute nachweisen. Ein Eindringen des
Streptococcus in das Blut im frühen Stadium der Krankheit findet nie
statt; erfolgt es, so treten die Erscheinungen der Septicopyämie in den
Vordergrund. Durch das Vorhandensein des Keimes im Blut wird die
Prognose bedeutend erschwert, wenn auch nicht unbedingt hoffnungslos.
Wechselbeziehungen zwischen Eindringen des Streptococcus in die Blut¬
bahn und zwischen Scharlachsynoviten, -nephritiden und -endocarditiden
bestehen nicht. Zwischen den Ergebnissen der vitalen und postmortalen
Untersuchung des Blutes an Scharlach verstorbener Personen existiert
keine volle Uebereinstimmung; aus dem postmortal entnommenen Blut
wird der Streptococcus öfter gezüchtet. Bei rein toxischen Scharlach¬
fällen enthält das Blut weder während des Lebens noch nach dem Tode
Streptokokken. Zwischen den geschwürigen Prozessen Scharlachkranker
und dem Eindringen der Streptokokken ins Blut gibt es zweifellos Be¬
ziehungen. Der aus Scharlachkranken- oder -Leichenblut gezüchtete
Streptococcus ist nach seinen morphologischen wie kulturellen Merk¬
malen ein Streptococcus longus s. erysipelatos. Bierotte.
N. Stricker-Strassburg: Zur Tuberknlindiagnostik im Kindes¬
alter. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 481.) Der
positive Ausfall der Tuberkulinreaktionen ist im Säuglingsalter so gut
wie immer für das Bestehen einer aktiven Tuberkulose beweisend. Im
späteren Kindesalter ist er nur ein Beweis einer einmal stattgehabten
tuberkulösen Infektion. Der negative Ausfall der Tuberkulinreaktionen
ist weder im Säuglings- noch im späteren Kindesalter streng beweisend
für das Fehlen von Tuberkulose. Die Cutanreaktion versagt häufig,
trotz vorhandener Tuberkulose, bei weit vorgeschrittenen Erkrankungen,
sowie bei Individuen, die an anderweitigen akuten Infektionen (Masern,
Pneumonien) erkrankt sind. Der Zustand der Haut ist für den Cha¬
rakter der Pirquet’schen Reaktion von Bedeutung. Exsudative Kinder
reagieren meist intensiv. Aus der Intensität und Dauer der Tuberkulin¬
reaktionen, sowie aus der Höhe der erfolgreichen Dosis bei subcutaner
Injektion ist kein Schluss erlaubt auf die Aktivität oder Inaktivität des
tuberkulösen Prozesses. Eine vorsichtige, kritische Beurteilung einer
Temperatursteigerung nach Tuberkulininjektionen ist absolut notwendig.
Kinder können schon aus geringfügigen Ursachen unvermutete, plötzliche
Temperatursteigerungen aufweisen. Besonders deutlich zeigt sich dies
bei Scharlachrekonvaleszenten und bei exsudativen Kindern, zumal
solchen mit chronischen Nasen-Rachenaffektionen. In allen zweifelhaften
Fällen ist die Wiederholung der Reaktion unerlässlich. Die sogenannte
Herdreaktion ist nur selten zu verwerten, weil die Intensität der Sym¬
ptome bei allen Lungenerkrankungen schnellem Wechsel unterliegt. Ist
sie einwandfrei nachweisbar, so ist sie ein sicheres Zeichen einer aktiven
Tuberkulose. Die positiven Resultate der Cutanreaktion bleiben hinter
den positiven Resultaten der subcutanen Reaktion zurück. Die sub-
cutane Injektion ist nicht ganz ungefährlich, und deshalb sind wir ver¬
pflichtet, bei ihrer Ausführung mit grösster Vorsicht vorzugehen. Die
Cutanreaktion ist praktisch ungefährlich, wenn es auch dabei gelegent¬
lich zu Allgemeinsymptomen, wie Fieber usw., kommen kann. Stich¬
reaktionen — von mehreren Autoren nioht übereinstimmend beschrieben
— sind nicht regelmässig zu beobachten und schliessen eine Temperatur¬
steigerung nicht aus. Die Intracutanreaktion besitzt alle Vorzüge der
Hamburger’schen Stichreaktion und schliesst eine Allgemeinreaktion
weit sicherer aus. Der diagnostische Wert der Tuberkulinreaktionen
ist vielfach überschätzt worden. Der positive oder negative Ausfall der
Tuberkulinreaktionen fügt sich, wie jedes andere Symptom in den Rahmen
des klinischen Bildes ein und darf nur in diesem Zusammenhang zur
Diagnose mit herangezogen werden.
G. v. Ritter-Pilsen: Ueber die klinische Verwendbarkeit der
Acetonreaktion in der Kinderpraxis. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913,
Bd. 77, S. 146.) Der Verf. macht auf die vermehrte Acetonausscheidung
im Urin beim „verdorbenen Magen“ der Kinder aufmerksam, wobei
gleichgültig ist, ob die Affektion fieberhaft oder (seltener) afebril ver¬
läuft. Die meist gleichzeitig bestehende katarrhalische Affektion der
Rachenorgane sieht Verf. im Gegensatz zu früheren Beobachtern dieses
Phänomens, die eine Infektion als das ätiologische Moment betrachten,
als eine sekundäre Erscheinung der Erkrankung an, und zwar als eine
Reizung der Schleimhaut durch exspiriertes Aceton. Der Befund der
Acetonurie verlangt eine spezielle Therapie: Entleerung des Darmes,
leere flüssige Kost unter Beigabe von Kohlehydraten, Verabreichung von
Alkalien.
E. Lief mann-Strassburg: Die Aeetonausseheidung im Urin ge¬
sunde? und spasmophiler junger Kinder. (Jahrb. f. KinderheiHr., 1913,
Bd. 77, S. 125.) Bei gesunden Säuglingen! schwankt nach 'den Unter¬
suchungen des Verf. die Acetonausscheidutig zwischen 1—5 mg, sowohl
bei Brustkindern wie künstlich ernährten* sofern die Nahrung der
letzteren genügend Kohlehydrate enthält. In den einzelnen Urinportionen
schwanken die Werte bei gleichbleibender Nahrung nur wenig. Im
zweiten Lebensjahr nimmt die Acetonausscheidung bei dem grösseren
Körpergewicht relativ zu; die physiologische Acetonurie ist aber um so
grösser, je jünger das Kind ist, wie schon Langstein fand. Die
Acetonausscheidung ist auch abhängig von individuellen Eigentümlich¬
keiten. Das Weglassen der Kohlebydratzulage (Milchzucker) vermehrt
die Acetonurie, ebenso Fettzulage (Lebertran) bei kohlebydratarmer
Nahrung. Die Schnelligkeit des Anstieges der Aceton werte bei Inanition
unterliegt individuellen Verschiedenheiten der Kinder, wie das auch
beim Erwachsenen beschrieben wurde. An heissen Sommertagen scheint
mehr Aceton in der Atemluft ausgeschieden zu werden, worauf die
Werte im Urin geringer werden. Bei Kindern mit Tetanie — speziell
solchen mit manifester Tetanie — konnte Verf. eine erhebliche Ver¬
mehrung der Acetonwerte selbst bei einer vorwiegend aus Kohlehydraten
bestehenden Kost feststellen. Dies bestätigt die Vermutung einer Stoff¬
wechselanomalie (AcidoseV) als Ursache der Tetanie. Auf die an inter¬
essanten Einzelheiten und Ausblicken reichen Untersuchungen der Verf.
sei ausdrücklich verwiesen.
Bauer - Düsseldorf: Ueber eine Reaktion zur UnterocheidiiBg von
Kuh- und Frauenmilch. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11,
S. 474.) Fügt man zu 2—3 ccm Kuh- bzw. Frauenmilch je einen
Tropfen einer V 4 P roz - wässerigen Lösung von Nilblausulfat (Grübler),
so färbt sich die Kuhmilch grünblau, die Frauenmilch violett. Schüttelt
man diese Milchen mit der fünffachen Menge Aether, so bleibt die Kuh¬
milch blau, während sich die Frauenmilch entfärbt, indem offenbar der
Farbstoff in den Aether übergeht. Alte, nnbrauchbar gewordene Frauen¬
milch gibt diese Reaktion nicht mehr, während sie, im Kühlraum auf¬
bewahrt, wochenlang diese Probe weiter besteht. Die Reaktion lässt
sich in ähnlicher Weise mit Neutralrot ausführen.
F. Pferrsdorff und K. Stolte-Strassburg: Ueber die Ausnatniig
voa Mehl- und Griessbreien beim Säaglinge. (Monatsschr. f. Kinder¬
heilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 476.) Die Verff. zeigten in Stoffwechsel¬
untersuchungen, dass es für den Säugling praktisch gleich ist, ob er
mit Mehl oder Griess zubereitete Breie erhält. Der Stickstoffansatz ist
in beiden Perioden fast gleich, der Verlust an zuckerbildendem und
brennbarem Material ist in der Griessperiode zwar ein wenig grösser,
doch kommen die Differenzen praktisch kaum in Betracht. Wir können
uns also mit Vorteil der cellulosehaltigen Kohlehydrate (Griess, Reis)
in der Säuglingsernäbrung bedienen, zumal die Erfahrung lehrt, dass bei
der Kohlehydraternährung des Kranken um so grössere Sicherheit be¬
steht, je länger der Weg ist, der beim Abbau vom verfütterten Kohle¬
hydrat bis zum Zucker zu durchlaufen ist.
E. A. Frank-Hannover: Die Anwendung der Molketherapie bei
rahrartigen Darmkatarrhen und ihre Erfolge. (Jahrb. f. Kinderheilk.,
1913, Bd. 77, S. 163.) Nicht beendet. R. Weigert
A. de Besche-Christiania: Untersuchungen über die taberkalose
Infektion im Kindesalter. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.)
B. bat Hals- und Mesenterialdrüsen von 134 Kindern auf Meerschwein¬
chen überimpft. Er fand so in etwa 39 pCt. der Fälle eine tuberkulöse
Infektion. Die Häufigkeit derselben nahm mit dem Alter der Kinder zu.
In vielen Fällen erwiesen sich beide Drüsengruppen als infiziert, so dass
man berechtigt ist, von einer generellen Lymphinfektion zu reden. Unter
50 Fällen fand sich 45 mal der Typus humanus, 3 mal der Bovinus,
einmal wahrscheinlich eine Mischkultur. Man muss demnach annehmen,
dass sich ungefähr 6—8 pCt. der tuberkulösen Infektionen von Kühen,
die übrigen sämtlich von Menschen herleiten. Wolfsohn.
Chirurgie.
H. Harttung - Breslau: Ueber Lokalanästhesie bei Operatioaen
am Brustbein. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es wurde
eine Mediastinotomia longitudinalis in lokaler Anästhesie ausgeführt.
Zu beiden Seiten des Sternums wurden je 5 Quaddeln gebildet und
durch Verbindung derselben das ganze Operationsfeld umspritzt. Das
Jugulum wurde tief infiltriert. Die Anästhesie war komplett.
Wolfsohn.
P. Babitzki - Kiew: Die Anästhesie des Nervus isehiadieus.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 7.) Bei intraneuralen Injektionen kommt
es darauf an, dass man die anästhesierende Lösung sicher in den Nerv
hineinbringt. B. verfährt so: Mit dem in das Rectum eingeführten
Finger palpiert er absolut sicher den Nerv und spritzt, immer unter
Kontrolle des Fingers, mit der durch die M. glutaei von aussen zum Nerv
vordringenden Nadel nun den Norv ein. Genial ist das Verfahren von
Perthes, der mit einer lackierten Nadel, deren Spitze allein elektri¬
siert, den Nerv injiziert. Nur wenn die entprechende Muskelgruppe
zuckt, injiziert er!
F. Kuhn - Berlin: Zur Technik der Koehsalainfusion. (Centralbl.
f. Chir., 1913, Nr. 9.) K. empfiehlt zur Infusion ein Gemenge von
Traubenzucker, Alkalizuckerbindungen und Kochsalz.» K. gibt einen
Apparat an, mit dam es möglich ist; jederzeit den Druok und die Menge
derjzu infundierenden Flüssigkeit zu regulieren. Sehrt,
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
503
S. Semenow ■ Blumenfeld - Rostow a. Don: Ein Beitrag zum
latente* Erysipel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Yerf.
hat zwei Fälle beobachtet, die sich an das jüngste von A. Schlesinger
beschriebene seltene Krankheitsbild des latenten Erysipels eng an-
schliessen. Die Infektion verlief in beiden Fällen erst mehrere Tage
lang in der Tiefe, um sich dann erst an der Oberfläche zu zeigen.
Wolfsohn.
A. Stoney - Dublin: Die Erfahrungen eines Jahres mit Dioradin
hei chirurgischer Tuberkulose. (Brit. med. journ., 1. Februar 1913,
Nr. 2718.) Der Verfasser hat im ganzen bisher 28 Fälle behandelt;
Dioradin ist kein sicheres Mittel für alle Fälle, in manchen heilt es
aber rascher und sicherer als irgendein anderes, besonders bei frischer
Gelenktuberkulose, aber auch bei Abscessen und Fällen mit septischen
Komplikationen. Die Infektionen waren stets unschädlich.
Weydemann.
W. Böoker - Berlin: Zur Frage der Indikationen der Arthrodese.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Kurze Zusammenstellung
der Indikationen für die verschiedenen Gelenke. Nichts Neues.
Wolfsohn.
G. Frattini - Modena: Eine neue Anwendung der freien Osteo¬
plastik in der Fixation des paralytischen Fasses. (Centralbl. t. Chir.,
1913, Nr. 7.) In einem Fall ist F. so vorgegangen: Er brachte ein
Knochenperioststück der Tibula zwischen den angefrischten Malleolus
ezternus und Galcaneus, fixierte dasselbe mit Seidennähten, frischte dann
die entsprechenden Gelenkflächen von Talus und Naviculare an. ver¬
nähte. Darüber wurden dann die ausgedehnten Sehnen des Tibialis
anticus und posticus vernäht. Guter Erfolg.
Friedemann - Langendreer: Zur Frage der freien Transplantation
des Peritonennis. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) Ein markstück¬
grosses Serosadefekt heilte ohne Deckung mit Peritoneum. Peristaltik
setzte sofort ein. Der Schluss, den Hof mann aus seinem Fall — wo
er einen ähnlichen Defekt mit frei transplantierten Peritoneum deckte —
zieht, dass das transplantierte Peritoneum angeheilt sei, ist also nicht
bindend.
M. Borchardt - Berlin: Behandlung beginnender Gangrän.
Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 9.) B. hat in einem Falle von beginnender
oder drohender Gangrän mit bestem Erfolge Wechselbäder angewandt.
B. empfiehlt für das intermittierende Hinken, das häufig der Beginn
einer Gangränbildung sein kann, ebenfalls diese Therapie. Auch ist
die Methode geeignet, anzuzeigen, bis wohin die Ernährung eines Beines
noch ausreichend ist (Hyperämiegrenze!). Sie dürfte daher ein wich¬
tiges Mittel sein, festzustellen, in welcher Höhe bei Gangrän amputiert
werden muss.
P. Schulze - Duisburg: Die Rekonstruktion der Bauchdeeken.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) S. erreicht dadurch eine gute
Adaption der Bauchdecken, dass er zuerst jede Wunde mit Roser’schen
Klauenschiebern verschliesst und dann erst die Naht an legt.
S. Galpern - Twer: Oesophagnsplastik mit der Magenwand.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 8.) G. hat sohon vor Jianii, dessen
Verfahren an Hunden und Leichen ausgeführt und kann seine Güte be¬
stätigen. (J. bildet bekanntlich aus der grossen Kurvatur einen ge¬
stielten Lappen, den er zur Röhre schliesst.) G. bat gefunden, dass
man so einen 22 cm langen Schlauch bilden kann, den er nach Roux-
Hersen suboutan bis ins Jugulum führte. Ist der Schlauch kürzer,
muss man die unterste Rippe resezieren und gewinnt so Raum.
W. Meyer - New-York: Ein Vorschlag bezügliob der Gastrostomie
und Oesophagnsplastik nach Jianii-Röpke. (Centralbl. f. Chir., 1913,
Nr. 8.) M. hat einen Fall mit Erfolg nach Jianii operiert. Er schlägt
für Fälle von Oesophagusresektion vor, den aus der Magenwand ge¬
bildeten, gut ernährten Schlauch durch den Schlundschlitz des Zwerch¬
fells durchzuführen und ihn mit dem Oesophagusende intrathoracal zu
vereinigen. 9
G. Farlavecchio-Palermo: Pylornsanssehaltnng mittels Schnur
und nicht mittels Fadens. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 9.) P. legt
um das Centrum eine 1 cm breite baumwollene Schnur, die er über¬
näht. Diese Methode dürfte durch die Wilms’sche Methode der Aus¬
schaltung durch einen frei transplantierten Fascienstreifen ausser Dis¬
kussion gestellt sein. Am besten ist wohl die Eiselsberg’sche Durch¬
trennung des Pylorus mit Verschluss von Duodenum und Magen.
0. Uffreduzzi und G. Giordano - Turin: Abänderungen an der
Ronx’sehen Gastro-jejnno-Oesophagostomie. (Centralbl. f. Chir., 1913,
Nr. 7.) Roux hat im Jahre 1907 folgende Methode des Oesophagus-
ersatzes publiziert: Aus dem oberen Teil des Jejunums hat er ein
genügend langes Stück reseziert, hat es jedoch mit dem Mesenterium
in Zusammenhang gelassen. Nach Ausschaltung der resezierten Darm¬
schlinge hat er dann die beiden zurückbleibenden Jejunumenden End zu
End aneinander genäht. Von oben nach unten hat er nun 4 bis
5 Mesenterialarterien der ausgeschalteten Schlinge unterbunden, da
bekannt ist, dass aus den letzten Arkadien kurze' Vasa recta auf-
stiegen, die eine Ernährung des oberen Jejunumteiles garantieren.
Auf diese Wei9e hat er das obere Jejunumende gut mobilisiert. Das
anale Ende der^ ausgeschalteten Schlinge hat er dann in den Magen
eingepßanzt. Das orale Ende zog er durch die Bauchwunde heraus und
führte es durch einen subcutanen Tunnel bis zum Jugulum herauf, wo
es in einem äusseren Hautschnitt zum Vorschein kam und fixiert wurde.
Die Italiener haben nun das Verfahren so modifiziert, dass sie das
Jejunum 15 cm unter der Plica jejunoduodenalis durchtrennten, das zu¬
führende Jejenumlumen 25 cm unter dem Durchtrennungsschnitt in das
anführende Jejunum einpflanzten und dann die 25 cm-Jejunum aus der
Bauchwunde heraus unter der Haut ins Jugulum führten. Im zweiten
Teil wurdo dann einfach eine Anastomose zwischen Magen und dem
nach dem Jugulum hinaufführenden, teilweise mit seinem Mesenterium
noch verbundenen Jejunum angelegt. Den „Roux innerhalb der Brust“
führten sie ähnlich aus: Resektion der verengten Stelle der Speiseröhre —
Cordia (seitlicher Pleuraschnitt), Verschluss und Versenkung der Cardia,
Vereinigung der auf obige Art behandelten Jejunumschlinge mit dem
Röhrenende (Durchziehen durch den Hiatus oesophagealis). Zum Schluss
Anastomose zwischen Magen und mobilisierter Jejunumschlinge wie
vorhin. Diese Modifikation wurde in Tierexperimenten erprobt.
Herzen hat bekanntlich das Roux’sche Verfahren als einziger an einer
20 jährigen Patientin mit Oesophagusstenose mit Erfolg ausgeführt.
T. Dergani - Laibach: Appendectomia subserosa. (Centralbl. f.
Chir., 1913, Nr. 8.) Jeder wissenschaftliche Chirurg sollte eine „Aus¬
schaltung“ des Processus nach Hof mann perhorrescieren (sehr richtig!
Referent). In Fällen, in denen die Appendix nicht entwickelt werden
kann, spaltete D. das bedeckende Gewebe longitudinal und zieht dann
den skalpierten Processus leicht heraus. Sehrt.
P. Herz - Berlin-Lichtenberg: Heber operative Behandlung der
Nierenentzündung. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Die
Nierendekapsulation und Nierenspaltung sind wirksam bei Koliken und
essentiellen Blutungen bei Anurie und Urämie. Heilung einer Nephritis
ist jedoch damit so gut wie nie beobachtet worden. Wolfsohn.
Röntgenologie.
0. W. Barratt-Liverpool: Die Wirkung von Sehtrlach-R
auf mit Röntgenstrahlen behandelte Haut. (Lancet, 15. Februar 1913,
Nr. 4668.) Wenn in das Kaninchenrohr, das vor längerer Zeit mit
Röntgenstrahlen behandelt worden ist, eine Lösung von Scharlach-R
eingespritzt wird, so folgt eine Epithelwucherung, die ausserordentlich
stark werden kann, wenn die Strahlen nicht übermässig zerstörend ge¬
wirkt haben. Gleichzeitig besteht eine deutliche Neigung zur Nekroti¬
sierung, und diese Neigung ist um so grösser, je stärker die Hautanhänge
zerstört sind. Weydemann.
Urologie.
K. M. Walker: Die Wege der Infektion bei der Urogenital-
tuberkulose. (Lancet, 15. Februar 1913, Nr. 4668.) Der Verf. neigt der
Ansicht von Keyes zu, nach der bei jeder tuberkulösen Epididymitis eine
Tuberkulose der Prostata vorhanden ist. Eine grosse Zahl der Prostata¬
tuberkulosen sind sekundäre Infektionen von den Nieren aus. Aber
auch wenn keine Niereotuberkulose vorhanden ist, können die Tuberkel¬
bacillen mit dem Urin zur Prostata gelangen, was sich klinisch und
pathologisch zeigen lässt. Mikroorganismen können auch von der
Urethra aus die Nieren erreichen, ohne dass der Harnfluss behindert ist.
Die Wanderung der Mikroorganismen geschieht in den Lympbgeflechten,
die den Ureter umgeben. Weydemann.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Buttersack - Trier: Seife nls Ursache des Hautjuckens. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Nach Fortlassen der Seife blieb auch
das Jucken allmählich fort.
M. Holth - Kristiania: Mit Salvarsan behandelte Mütter und ihre
Kinder. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Behandlung von
luetischen Graviden mit Salvarsan. Die Kinder wurden ausgetragen und
waren zum grossen Teil symptomfrei. Wolfsohn.
Siehe auch Pharmakologie: Kersten, Tierexperimente mit
Salvarsan und Neosalvarsan.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Henkel-Jena: Zur biologischen Diagnose der Schwangerschaft.
(Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Die Vermehrung des Antitrypsin -
gehalts in der Schwangerschaft gestattet keine diagnostische Verwertung,
weil der gleiche Befund auch bei den verschiedenen Erkrankungen er¬
hoben wird. Dagegen stellt die von Abderhalden angegebene Me¬
thode einen, sehr bedeutsamen Fortschritt dar. Es wurde sowohl die
optische Methode, die auch quantitative Messungen gestattet, als auch
das einfachere Dialysierverfahren angewandt. Beide Methoden verlangen
sehr sorgfältiges Arbeiten und Vermeidung aller möglichen Fehlerquellen.
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504
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Dann aber geben sie einwandfreie Resultate; in 40 Fällen kam kein
Irrtum vor. Besonders wichtig ist die Methode zur Differentialdiagnose
zwischen Pyosalpinx und Extrauteringravidität.
Gottschalk - Berlin: Beitrag zur Lehre von der Hydrorrhoea
nteri gravidi amnialis. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) In dem
betreffenden Falle gingen im siebenten Monat etwa 2 l j 2 Liter Frucht¬
wasser ab; der Abgang hielt an, bis nach 46 Tagen ein lebensfrohes,
normales Kind geboren wurde. Im Fruchtwasser konnte Harnstoff und
Lanugohärchen nachgewiesen und damit der amniale Ursprung der
Hydrorrhöe sicher gestellt werden, obgleich jeder Blutabgang fehlte, der
sonst als Kriterium dafür angesprochen wird. An der Placenta fand
sich keine Andeutung einer Margobildung. Die mikroskopische Unter¬
suchung der Eihäute ergab dieselben in der Umgegend des Eihautrisses
im Zustand völliger Nekrobiose. Als wahrscheinliche Ursache hierfür
fand sich am Placentarrand zwischen Chorion und Amnion ein dichtes
Leukocytenlager, das wohl die Ernährung des Amnion von seiten des
Chorion gestört hatte.
Dienst • Leigzig: Weitere Mitteilungen über Blitveränderuugen
bei der Eklampsie und Schwangerschaftsniere im Gegensatz zur
normalen Schwangerschaft und über Maassregeln, die sich daraus für die
Therapie ergeben. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Durch neue
Untersuchungen hat Yerf. wiederum festgestellt, dass bei Schwanger¬
schaftsniere und Eklampsie der Fibrinogengehalt des Blutes gesteigert
ist. Ferner lässt sich bei diesen Erkrankungen Fibrinferment, das er
als ätiologischen Faktor ansieht, direkt im Blut nachweisen; andererseits
fehlt das normalerweise vorhandene Antithrombin im Blut und in der
Leber. Gegen den durch das Fibrinferment verursachten Gefässkraropf
wirken Narcotica günstig (Stroganoffsche Methode); der Aderlass ent¬
fernt einen Teil des Ferments und stellt günstigere Circulationsver-
hältnisse her; aber trotzdem sollte man mit der Entfernung der Gift¬
quelle, der Placenta nicht zu lange zögern. Prophylaktisch zur Be¬
kämpfung der Neigung zur Thrombenbildung empfiehlt sich in der
Schwangerschaft der Genuss saurer Getränke. L. Zuntz.
M. Traugott und M. Goldstrom - Frankfurt a. M.: Bakterio¬
logische Untersuchung des Vaginalsekretes Kreissender und seine pro¬
gnostische Bedentnng für den Verlauf des Wochenbettes. (Centralbl.
f. Gynäkol., 1913, Nr. 7.) ln der Klinik wurden bakteriologische Unter¬
suchungen an 902 Kreissenden angestellt. Das Sekret wurde mit dem
Sekretpinsel entnommen, und dabei wurden nur solche Kreissenden berück¬
sichtigt, die fieberfrei eingeliefert waren, und bei denen nicht Gonorhöe
oder Lues vorlag. Die Temperatur wurde im Verlauf des ganzen Wochen¬
bettes täglich zweimal gemessen und als Fiebergrenze 38 angenommen.
Es verliefen spontan 839 Fälle, mit manueller Hilfe bei Beokenend-
lagen 40, durch Operation per vias naturales (Zange, Wendung, Per¬
foration) 23 Fälle. Es fieberten im Wochenbett über 38 Grad ohne
Streptokokken 12,3 pCt, welche spontan entbunden waren, 10,2 pCt.
Spontanentbundene mit anhämolytischen Streptokokken und 15,79 pCt.
von Spontanentbundenen mit hämolytischen Streptokokken. Von den
mit manueller Hilfe in Steisslage entbundenen Patientinnen fieberten
6,25 pCt., ohne dass sich Streptokokken nachweisen liessen, 8,38 pCt.
mit anhämolytischen Streptokokken. Von den per vias naturales künst¬
lich Entbundenen waren 30pCt. vorhanden, ohne dass sich Strepto¬
kokken nachweisen liessen, 15,37 pCt. mit anhäraolytischen Streptokokken.
Bei den künstlich Entbundenen fanden sich hämolytitische Strepto¬
kokken überhaupt nicht. Es hatten von 902 Frauen überhaupt Strepto¬
kokken nur 388, keine Streptokokken 514. Von den ersteren hatten
Temperaturen über 38 axillar 64 gleich 12,45 pCt, von den letzteren
nur 41 oder 10,5 pCt. Man kommt also zu dem Resultat, dass die¬
jenigen Frauen, welche vor der Entbindung keine Streptokokken im Sekret
hatten, weniger Temperatursteigerungen aufwiesen, als diejenigen, welche
vor der Entbindung im Sekret Streptokokken hatten. Die Verfasser
schliessen mit Recht hieraus, dass es ganz gleichgültig ist, ob die
Kreissenden, welche ohne Fieber zur Geburt kommen, bei ausschliesslioh
rektaler Untersuchung ante partum Streptokokken im Sekret haben
oder nicht. Siefart.
Els-Cöln: Giftigkeit und GerinnaDgsverzögeriing intraperi-
tonealen Blutergusses nach Tubenraptar. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99,
H. 1.) Vielerlei spricht dafür, dass die schweren klinischen Erschei¬
nungen bei Tubenruptur nicht nur auf die Grösse des Blutverlustes,
sondern auch auf eine GiftwirkuDg des resorbierten Blutes zurückzu¬
führen sind. Daher soll nicht nur sofort operiert werden, sondern bei
der Operation auch das Blut möglichst vollständig entfernt werden.
Unter Befolgung dieses Prinzips konnten von 31 Fällen 30 geheilt
werden. Die Giftigkeit sowohl wie die bei Tubenruptur auffällige Ge¬
rinnungsverzögerung möchte Verf. auf einen Einfluss der fötalen Elemente
beziehen.
Abels-Wien: Genese und Symptomatologie intracranieller
Bistiigei beim Neugeborenen. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.)
Die beiden beschriebenen Fälle gehören der sehr seltenen Kategorie der
intra partum entstandenen Ventrikelblutung an. Aetiologisch kommen
vor allem die Druckschwankungen in Betracht, die durch die Wehen ver¬
ursacht werden. Die genaue Diagnose konnte in keinem Falle gestellt
werden; der eine ähnelte in der Art der auftretenden Krämpfe ausser¬
ordentlich einem Tetanus; nur der Opisthotonus fehlte.
L. Zants.
F. Kuhn - Schöneberg: Das biologische Moment bei der Behand¬
lung der Vagina. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 7.) Verf. kommt
auf Grund eigener Beobachtungen sowohl, wie auf Grund der in der
Literatur über diesen Gegenstand vorhandenen Mitteilungen zu dem Re¬
sultat, dass alle pathogenen Keime, welche in der Vagina auftreten und
eine Entzündung derselben machen können, einschliesslich der Gono¬
kokken, nur in der Vagina existieren können, wenn sie in derselben ein
alkalisches Sekret vorfinden. Als Antagonisten wirken hierbei diejenigen
Keime, welche in saurem Sekret vegetieren. Wenn wir nun, worüber
kein Zweifel ist, von der Verwendung von Glycerin und Hefe oft über¬
raschend gute Resultate sehen, so beruht dies sicht, wie so viele Autoren
meinen, auf einer antiseptischen oder gar auf einer spezifischen Wirkung,
sondern lediglich darauf, dass das Glycerin, wenn es sich verflüssigt,
ebenso, wie der Zucker die Reaktion des Sekrets sauer macht. Dadurch
aber wird den pathogenen Keimen die Existenzmöglichkeit genommen«
Siefart.
Lenz-Prag: Vorzeitige Menstriation, Geschlechtsreife and Ent¬
wicklung. (Archiv f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Der genau beschriebene
Fall ist ein wichtiger Beitrag zur Erkenntnis der physischen Beziehungen
des Genitalsystems, besonders der Ovarien, zur Entwicklung des ganzen
Skeletts und des Wachstums. Die Ossifikation hängt von der Puber¬
tätsentwicklung ab. Dieser Zusammenhang kommt wahrscheinlich auf
chemischem Wege zustande. Bei dem 6 jährigen Mädchen war der linke
Eierstock vorzeitig entwickelt, vergrössert, höckerig und zugleich das
Skelett vorzeitig entwickelt, bereits ossifiziert wie bei einer 20jährigen
Frau. Die Pubertas praecox ist eine angeborene Wachstumsanomalie,
welohe durch eine excessive, vitale Energie der Frucht hervorgerufen
wird und sich in der ersten Zeit nach der Geburt sowohl durch vor¬
zeitige Geschlechtsreife als auch durch nachfolgende vorzeitige Entwick¬
lung des Gesamtwachstums äussert. Diese beiden voneinander ab¬
hängigen Zustände sind zumeist von Störungen der das normale Wachs¬
tum regulierenden Organe begleitet.
Zuntz-Berlin: Stoffwechsel verstehe bei Osteewalacie. (Archiv
f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1,) Der respiratorische Stoffwechsel bei
Osteomalacischen zeigt Werte, die innerhalb der normalen Grenze, eher
der unteren genähert, liegen. Dies spricht gegen den von Hoennicke
angenommenen Hyperthyreoidismus als ätiologischen Faktor, da man bei
einem solchen wie bei Morbus ßasedowii über der Norm liegende Werte
erwarten müsste. Nach der Kastration wurde in beiden Fällen die
Oxydation herabgesetzt, während bei früheren Untersuchungen von vier
aus anderen Ursachen kastrierten Frauen nur eine eine Verminderung
des respiratorischen Stoffwechsels zeigte. Der Eiweissstoffwechsel bei
Osteomalacie bietet nichts Charakteristisches. Durch die Kastration
scheint namentlich bei beginnender Erkrankung die Neigung zum Ei¬
weissansatz gesteigert zu werden. Das Verhalten der Phosphorsäure ist
ein sehr wechselndes; einigermaassen konstant ist eine hohe prozentische
Ausscheidung durch den Kot. Diese wird durch die Kastration in den
meisten Fällen herabgesetzt; die Neigung zur Retention von P 2 0 6 wird
verstärkt. Die Kalkbilanz ist in manchen Fällen, namentlich beginnender,
aber auch schwerer Osteomalacie negativ. Ein auffallend grosser Teil des
Kalkes wird durch den Kot ausgeschieden. Durch die Kastration, wenn
sie einen therapeutischen Effekt erzielt, wird die vorher negative Kalk¬
bilanz positiv oder die schon vorher positive wird in dieser Beziehung
noch verstärkt.
Ogörek-Wien: Postklimakterisches Myosarkom des Uterus. (Archiv
f. Gynäkol., Bd. 99, H. 1.) Die betreffende Patientin bemerkte erst
sieben Jahre nach dem Einsetzen des Klimakteriums ein Stärkerweiden
des Leibes; fünf Jahre später trat ein rapides Wachstum der Geschwulst
und schwere Allgemeinerscheinungen auf. Es wurde mit primär gutem
Erfolg ein Riesentumor entfernt; doch erlag Patientin bald einem Recidiv.
Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Myomsarkom, und zwar in
dem Sinne, dass sowohl das Bindegewebe als auch die Muskulatur am
Wachstum des Tumors teilnahmen, ersteres jedoch das primäre und
aktivere Element darstellte. L. Zuntz.
Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Holth,
Mit Salvarsan behandelte Mütter und ihre Kinder.
Augenheilkunde.
B. Möllers: Ueber den Typus der Taberkelbacillea bei P&riiaud-
scher Erkrankung (Conjunctivitis tuberculosa). (Veröffentl. d. Robert
Koch-Stiftung, 1913, H. 4, S. 48.) Aus zwei Fällen von Parinaud’scher
Conjunctivitis konnten Reinkulturen von Tuberkelbacillen gezüchtet
werden, welche nach dem Ergebnis der Tierprüfung dem humanen Typus
angehörten. Da bisher in keinem in der Literatur beschriebenen Falle
ein einwandfreier Nachweis von bovinen Bacillen bei Parinaud’soher
Conjunctivitis gelungen ist, so liegt kein Grund zu der Annahme vor,
dass diese in der Regel gutartig verlaufende Tuberkulose der Augen¬
bindehaut auf einer Perlsuchtinfektion beruht; ob sich bei weiteren
Untersuchungen anderer Fälle diese Erkrankungsform in einem gewissen
Prozentsatz als auf einer Infektion mit bovinen Bacillen beruhend heraus-
stellen wird, muss zunächst dahingestellt bleiben. Möllers.
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17. M8rz 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
605
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
H. Whale-London: Die Spätresnltate der Tonsillotomie und der
Tonsillektomie. (Lancet, 15. Februar 1913, Nr. 4668.) Die Nachteile
der Tonsillotomie sind: Leichte Möglichkeit einer Infektion und Lymph¬
adenitis und Wiederkehr der alten Beschwerden; die der Tonsillektomie
sind: Blutungsgefahr, Verwachsungen, Stimmstörungen, auch wenn gar
keine Deformität entstanden ist. Die Tonsillektomie ist also gefähr¬
licher, beseitigt aber die Beschwerden gründlicher. Analyse von
110 Fällen jeder Operation. Weydemann.
Walb-Bonn: Ueber den Schleimhaatlnpiis der Nase. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Der Schleimhautlupus der Nase ver¬
dient grössere Beachtung als bisher. Er geht fast stets dem Hautlupus
voraus, und zwar beginnt der Prozess im vorderen Abschnitt der Nasen¬
scheidewand. Die Krankheit kann entstehen durch digitale Infektion,
durch Einatmung und auf dem Blutweg. Besonders die digitale In¬
fektion, auf dem Boden von Ekzemen und Krusten, erscheint wichtig.
Die Behandlung ist, wenn möglich, eine blutige radikale Exstirpation
des Herdes. Zur Verhütung von Krustenbildung, die W. besonders bei
gleichzeitiger Tuberkulinkur sab, empfiehlt er eine Nachbehandlung mit
Sublimatgazestreifen (1 pM.). Wolfsohn.
Hygiene und Sanitätswesen.
J. S. Schurupoff-Kronstadt: Ueber die Vitalitätsdaiier des Pest-
hacillus in Leichen an der Pest Verstorbener. (Centralbl. f. Bakterio¬
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 4 u. 5, S. 225.) Als Haupt¬
ergebnis seiner die Lebensdauer der Pestbaoillen in Leichen an Pest
Verstorbener betreffenden Untersuchungen, die der Verf. gelegentlich
einer im amtlichen Aufträge ausgeführten Expedition in die Kirgisen¬
steppe ausführte, konnte er feststellen, dass Leichen an Pest Verstorbener
sehr lange nicht nur lebensfähige, sondern auch virulente Pestbacillen —
bis zu einem Jahre in seinen Versuchen — enthalten. Es ist deshalb
zu fordern, dass alle derartigen Leichen verbrannt werden, da sie Herde
für das Aufflackern der Pest darstellen können und wahrscheinlich auch
darstellen. Das gleiche gilt für Filzdecken, Teppiche, Kleider u. a.
F. H. Hehewerth-Amsterdam: Ueber den Wert der Gärungs-
prefee bei 46° C von Prof. C. Eijkman als Hilfsmittel bei der Trink-
wassernntersnchung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig.,
Bd. 65, H. 1—3, S. 213.) Der Verf. beurteilt nach dem Ergebnis seiner
Untersuchungen den Wert der Eijkman’schen Gärungsprobe bei 46° C
dahin, dass sie nicht imstande ist, mit genügender Sicherheit Bacteriqm
coli aufzufinden, dass sie deshalb nicht den ihr nachgesagten Wert als
Hilfsmittel bei der Trinkwasseruntersuchung besitzt. Bierotte.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
Süssen gut-Altona: Ein Fall von hochgradiger Exostosenbildang
nach einer sapracondyläreii Oberarmfraktnr. (Monatsschr. f. Unfall¬
heilkunde, 1913, Nr. 2.)
Marcus: Fall von Moskeldystropbie nach Unfall. (Monatsschr.
f. Unfallheilk., 1913, Nr. 1.) Ob eine Muskeldystrophie nach Unfall auf-
treten kann, ist noch keineswegs sicher, deshalb teilt Marcus einen
neuen Fall mit. Ein 23 jähriger Bremser war vor 8 Jahren mit linker
Schulter und Brust zwischen die Puffer zweier Eisenbahnwagen geraten.
5 Tage nach dem Unfall trat eine linksseitige Lungenentzündung auf.
Bereits 8 l / 2 Monate nach dem Unfall bestand eine stärkere Abmagerung
der Schulterblattmuskulatur und der vorderen Brustmuskulatur. Auch
war die aktive Beweglichkeit des Armes eine Zeitlang nach dem Unfall
ganz aufgehoben. l 8 / 4 Jahre nach dem Unfall stellte M. fest, dass die
Muskulatur der linken Schulter und des linken Armes stark abgemagert
war, und dass die Schulterblattmuskulatur teilweise fehlte. Ein Jahr
später war auch die Muskulatur des rechten Schultergürtels abgemagert,
und es war nunmehr klar, dass hier die Erb’sche juvenile Muskel¬
dystrophie vorlag. Die Frage des ätiologischen Zusammenhanges mit
dem Unfall wird eingehend erörtert und bejaht. Zwar steht Verf. auf
dem Standpunkt, dass es eine eigentliche traumatische Dystrophie in
wissenschaftlichem Sinne gar nicht geben dürfte, dass aber bei einem
zur Dystrophie veranlagten Menschen eine Verletzung den Anstoss zur
Entwicklung dieses Leidens geben könne. H. Hirschfeld.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. März 1913 (Fortsetzung der ordentl. Generalversammlung).
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr v. Hansemann.
Vorsitzender: M. H.! ; Ich war leider durch amtliche Verpflich¬
tungen verhindert, das vorige Mal hier zu sein. Ich habe nun durch
das Protokoll erfahren, dass Sie mir die Ehre angetan haben, mich
wiederzuwählen. Ich danke Ihnen dafür, muss mir aber die Entscheidung,
ob ich die Wahl annehme, so lange Vorbehalten, bis die übrigen Wahlen
erledigt sind.
Ausgeschieden aus der Gesellschaft ist Herr Privatdozent Dr. Nögge-
rath, der als Professor nach Freiburg i. Br. berufen worden ist.
Als Gast begrüsse ich Herrn Professor Eber aus Leipzig.
Tagesordnung.
Fortsetzung der Wahl des Vorstandes (zwei Stellvertreter des Vor¬
sitzenden, vier Schriftführer, einen Schatzmeister, einen Bibliothekar);
der Abnahmekommission für 1913 (18 Mitglieder).
Die Wahl beginnt mit der Stichwahl zwischen den Herren Bier
und Kraus für das Amt eines zweiten stellvertretenden Vorsitzenden.
Bei dieser Stichwahl, bei der die Herren Philippi, Pappenheim,
Neumann und Mankiewitz als Stimmzähler wirken, werden
170 Stimmzettel abgegeben. Die absolute Mehrheit beträgt somit 86.
Herr Kraus erhält 88 Stimmen, Herr Bier 82. Somit ist Herr Kraus
gewählt. Da er verreist ist, wird er erst später über die Annahme der
Wahl befragt werden.
Die weiteren Wahlen werden durch Zuruf vollzogen. Es werden
wiedergewählt als dritter Stellvertreter des Vorsitzenden Herr Henius,
als Schriftführer die Herren v. Hansemann, Israel, Fedor Krause
und Rotter, als Schatzmeister Herr Stadelmann, als Bibliothekar
Herr Hans Kohn.
Vorsitzender: Nunmehr erkläre ich, dass ich gern, Ihrem Rufe
folgend, den Vorsitz wieder annehme, und mir Mühe geben werde, Ihr
Vertrauen zu rechtfertigen.
Auch die anderen Gewählten, bis auf Herrn Kraus, der verreist
ist und später gefragt werden wird, erklären die Annahme der Wahl.
Die Aufnahmekommission wird gleichfalls durch Zuruf in ihrer
bisherigen Zusammensetzung wiedergewählt.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedentnng
der Rinderbacillen für den Menschen.
Hr. Westenhöfer: Einen Teil der Frage, die zur Diskussion steht
und die nun schon seit vielen Jahren auch uns hier in der Medizinischen
Gesellschaft beschäftigt, habe ich in verhältnismässig glücklicher Weise,
glaube ich, während meines Aufenthalts in Chile von einer ganz anderen
Seite aus in Angriff nehmen können, als dies in der Regel geschehen
kann. Ich habe schon früher irgendwo einmal gesagt, dass es sehr
schwierig sein dürfte, bei uns, bei der endemischen Verbreitung der
Tuberkulose, festzustellen, in welcher Weise der Infektionsmodus im
einzelnen Falle geschehen kann.
Ich möchte Ihnen nun ganz kurz hier vortragen, was ich erlebt und
erfahren habe. In dem Lande, in dem ich Gelegenheit hatte, die Tuber¬
kulose zu beobachten, verläuft sie anders als hier. Ich habe seinerzeit
schon in meinem Bericht von drüben 1 ) darauf hingewiesen, dass die
chronische Tuberkulose, d. h. die Form, die wir Schwindsucht nennen,
dort verhältnismässig selten sei, dass dagegen die akute, die rasch ver¬
laufende Tuberkulose unter der erwachsenen Bevölkerung die Regel dar¬
stelle. Unter meinem Sektionsmaterial in den ersten beiden Jahren war
die Gesamtzahl der Fälle mit tuberkulösen Erscheinungen überhaupt nur
33pCt., das heisst um die Hälfte geringer als die Zahlen, die die euro¬
päischen pathologischen Institute als mit Tuberkulose behaftet bezeichnen.
Ich glaube, dass also schon dieser Befund von grossem Interesse ist.
Ich habe nun diesen Sektionen der ersten beiden Jahre — das waren
nur 258 — noch die der beiden letzten Jahre hinzufügen können, so
dass ich im ganzen 664 Sektionen habe. Darunter waren überhaupt
nur 28,7 pCt. Leichen mit tuberkulösen Erscheinungen, also eigentlich noch
weniger, als aus meiner ersten Statistik hervorgeht. Als Todesursache
aber war die Tuberkulose dabei in 20pCt. aller Sektionsfälle anzu¬
sprechen. Das deckt sich mit der Statistik, die Orth wiederholt aus
dem pathologischen Institut in der Charite veröffentlicht hat. Die
Häufigkeit der Tuberkulosemortalität im Sektionsmaterial — nicht in der
Bevölkerung — ist in dem Lande dort verhältnismässig genau so gross
wie hier; aber die Morbidität an Tuberkulose ist um mehr als
die Hälfte geringer. Diese Tatsachen sprechen sehr zugunsten der
modifizierten Anschauung v. Bebring’s, dass nämlich die chronische
Tuberkulose der Erwachsenen wahrscheinlich auf eine in der Kindheit
erworbene latente Tuberkulose zurückzuführen sei, die den Organismus
immunisiere, so dass er später nur die chronische Schwindsuoht bekomme,
nicht aber die akute Tuberkulose.
Es waren in Chile für diese auffallende Erscheinung zwei Möglich¬
keiten vorhanden. Entweder es werden in der Kindheit nur sehr wenig
Individuen mit Tuberkulose infiziert, die später bei einer Reinfektion
die chronische Form der Tuberkulose bekommen, oder aber diejenigen
Individuen, die in der Kindheit die Tuberkulose erwarben, sind auch
fast alle daran zugrunde gegangen, so dass überhaupt keine oder nur
ein ganz geringer Prozentsatz übrig blieb, der für spätere chronische
Infektionen disponiert war.
Um das zu entscheiden, musste man natürlich Kindersektionen
machen. Ueber solche konnte ich in den ersten beiden Berichtsjahren
nicht berichten; aber ich kann jetzt darüber berichten. Ich habe im
1) Bericht über'die Tätigkeit des Patholog. Instituts der Universität
Santiago de Chile in den Jahren 1908 und 1909. Diese Wochenschr.,
1911, Nr. 23 bis 27.
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506
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Jahre 1911 175 Kindersektionen angeführt; das jüngste Kind war einen
Monat alt, das älteste 15 Jahre. Es waren alles Kinder aus dem Kinder*
hospital in Santiago. Tuberkulose wurde insgesamt in 75 Fällen ge¬
funden = 41,7pCt.; als Todesursache und Hauptkrankheit in 61 Fällen
= 34,9 pCt., als Nebenbefund mit mehr oder weniger geheilter Tuber¬
kulose nur in 6,8 pCt. Wenn ich dagegen die Statistik eines hiesigen
Kinderkrankenhauses nehme, so waren z. 6. im Kaiser und Kaiserin
Friedrich-Kinderkrankenhaus, dessen Statistik ich mir zu dem Zwecke
von Herrn Baginsky ausgebeten habe, im Jahre 1910 unter 471 Sektionen
71 Todesfälle an Tuberkulose angegeben, das sind 14,68 pCt., also mehr
als die Hälfte weniger als in Chile; d. h. die Kindersterblichkeit an
Tuberkulose — ich betone noch einmal, dass es sich immer nur um
eine Statistik über Sektionsmaterial handelt — ist in Chile über die
Hälfte höher als bei uns.
Ich halte es auf Grund meines Materials also für sehr wahrscheinlich,
wenn nicht gar für bewiesen, dass die ohronische Lungenschwindsucht
der Erwachsenen in Beziehung steht zu einer in der Kindheit erworbenen
Tuberkulose, denn
1. in einer Bevölkerung, in der es wenig chronische Tuberkulose
gibt, finden sich auch keine oder nur relativ wenig Zeichen
klinisch geheilter Tuberkulose;
2. das rührt davon her, dass ein grosser Teil der Bevölkerung in
der Kindheit überhaupt nicht infiziert wird, und
3. wenn er infiziert wird, auch meistens sofort daran zugrunde geht.
Diese letzte Tatsache bestätigt ferner, was ich unter Bezugnahme
auf Experimente des französischen Pathologen und Tuberkuloseforschers
Straus hier in dieser Gesellschaft vor fast 10 Jahren gegen v. Behring
ausgeführt habe, dass der kindliche Organismus einer Tuberkuloseinfektion
leichter erliegt als der erwachsene, während v. Behring und Baum¬
garten gerade eine erhebliche Widerstandsfähigkeit annohmen. Sie
bestätigt aber auf der anderen Seite aufs neue, was ich schon eingangs
betont habe, dass die endemische Verbreitung der Tuberkulose bei uns
eine einwandfreie Beurteilung der Infektionsverhältnisse ungemein er¬
schwert. Jedenfalls steht es für mich jetzt fest, dass hier bei uns die
Tuberkulose so innig mit dem Volke verwachsen ist, dass nicht einmal
mehr im Kindesalter die ursprünglichen natürlichen Infektionsverhält¬
nisse vorliegen, dass wir bei uns nicht nur eine verminderte Disposition
der Erwachsenen, sondern sogar schon durch Vererbung eine ver¬
minderte Disposition und erhöhte Immunität der Kinder
haben, die den Verlauf der Tuberkulose ganz anders • gestaltet als bei
Völkern, die noch nicht so durchseucht sind. Und insofern hat auch
v. Behring’s Anschauung eine gewisse Berechtigung, sie gilt aber nur
für unsere Verhältnisse und auch da nicht immer, darf aber keineswegs
verallgemeinert werden.
Was die Variabilität der Bacillen angeht, die Herr Geheimrat Orth
ja besonders erwähnt hat, so will ich dabei nur an einen Ausspruch
Hueppe’s erinnern, der mir ganz richtig erscheint, wenn er auch un-
gemein krass ist: Schicken wir die Menschen auf die Viehweide und
lassen sie Gras fresseD, dann kriegen sie Rindertuberkulose. Ich bin
fest davon überzeugt, was ich ebenfalls hier gelegentlich der Demon¬
strationen meiner Uebertragungsversuche der Tuberkulose vom Mensch
auf das Rind ausgeführt habe, dass die Bacillen sich im Organismus
akklimatisieren, dass tatsächlich die Variabilität der Bacillen hier eine
ganz grosse Rolle spielt, und ich glaube, dass Fälle, wie der von Herrn
Geheimrat Orth erwähnte, dass wir in den Bronchialdrüsen Perlsucht¬
bacillen finden, im anderen Körper aber Bacillen vom Typus humanus
häufiger sein werden, weil ich glaube, dass bei längerem Bestand die
Bacillen ihren Charakter, besonders ihre Virulenz ändern, wie andere
Bakterien auch.
Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Weber erscheinen unter
den Originalien dieser Wochenschrift.
Hr. Sticker: Die Tuberkulose vermag jederzeit das Interesse des
Arztes zu erregen. Wir verlebten vor kurzem im Schosse dieser Gesell¬
schaft die Wiederaufrollung der Frage der Heilbarkeit der Tuberkulose.
Heute steht die Aetiologie der Tuberkulose zur Diskussion.
Mit der epochalen Entdeckung des Tuberkelbacillus durch Robert
Koch setzte die zielbewusste ätiologische Forschung ein, mit seiner
Londoner Rede im Jahre 1901, in der Koch auf Grund seiner Arbeiten
mit Schütz die Ungefährlichkeit der Rinderbacillen für den Menschen
proklamierte und damit den Alpdruck wegzunehmen schien, dass bei
der unsagbar weiten Verbreitung der Rindertuberkulose der Menschheit
dauernd durch Milch- und Fleischgenuss die Gefahr der Ansteckung
drohe, schwoll die ätiologische Forschung gewaltig an.
Wichtig erschien jetzt vor allem, scharfe Merkmale zur Unter¬
scheidung beider Arten des Tuberkelbacillus, des Typus humanus und
des Typus bovinus, aufzustellen. Die morphologischen und kulturellen
Merkmale reichten nicht aus. Rückimpfungen von Tier auf Mensch
waren ausgeschlossen und die Forschung auf die wenigen zufälligen
Beobachtungen spontaner Uebertragungen angewiesen. Die Uebertragung
der menschlichen Tuberkulose auf das Rind konnte bei der hohen
Kostenfrage nur in massigem Umfange stattfinden. Da galt es, andere
Versuchstiere ausfindig zu machen, welche für die biologische Differential-
diaguose geeignet waren. Herr Orth hat Ihnen auseinandergesetzt, wie
erfolgreich er bei seinen Kaninchenübertragungen gewesen. War das
Kaninchen auch wie die meisten Tiere für beide Arten empfänglich, so
trat doch ein grosser gradueller Unterschied hervor.
Bei einer so wichtigen Frage wie die vorstehende wird die Forschung
sich aber nicht mit einem einzigen Wege begnügen können, und es ist
hier wohl der Ort und die Zeit, auf Versuche hinzuweisen, welche ich
mit Ernst Löwenstein, dem damaligen leitenden Arzt der Tuberkulose¬
heilstätte in Beelitz, vor Jahren begonnen und seitdem emsig fortgesetzt
habe. Eine vorläufige Mitteilung darüber erschien im Centralblatt für
Bakteriologie im Jahre 1910 und in der Festschrift, welche bei Gelegen¬
heit seines Jubiläums von Schülern und Mitarbeitern Herrn Geheimrat
Schütz überreicht wurde. Ich behalte mir vor, in allernächster Zeit
eine abschliessende Arbeit zu publizieren und begnüge mich für heute,
zur Ergänzung der Orth’scben Mitteilungen folgendes in Kürze hervor¬
zuheben.
Wir haben unsere differentialdiagnostischen Studien bei Hunden
gemacht und sind dabei zu dem praktisch verwertbaren Ergebnis ge¬
kommen, dass die Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft sich weit
pathogener beim Hunde erweisen als die Perlsuchtbacillen, und dass die
Unterschiede am deutlichsten bei der intraperitonealen Injektion hervor¬
treten. Wir fanden bei unseren intraperitonealen Impfungen, dass bei
den mit Perlsucht geimpften Hunden eine beschränkte tuberkulöse Ent¬
zündung des grossen Netzes, bei den mit Tuberkelbacillen menschlicher
Herkunft geimpften eine allgemeine Miliartuberkulose, welche sich auf
grosses Netz, Mesenterium, Leber, Milz und Nieren, ja bis auf die
sternalen Lymphdrüsen ausdehnte, auftrat. Die aufgestellten Präparate
und die Bilder, welche ich herumreiche, entheben mich der Mühe, in
eine genaue Schilderung einzugehen.
Es erscheint auffällig, dass dieser Unterschied in den Befunden
anderen Experimentatoren entgangen sein soll. Es erklärt sich zum
Teil daraus, dass die intraperitoneale Impfung ganz ausser acht gelassen
wurde, so z. B. von Tietze und Weid an z im Kaiserlichen Gesundheits¬
amt, welche zahlreiche subcutane und intravenöse Injektionen, zahl¬
reiche Inhalations- und Fütterungsversuohe bei Hunden sowohl mit
Perlsuchtbacillen als auch mit Bacillen des Typus humanus ausführten.
Robert Koch selber beschreibt drei Infektionsversuche, welche
mit Reinkulturen von menschlicher Miliartuberkulose intraperitoneal bei
Hunden vorgenoramen wurden. Alle drei Hunde zeigten nach 5 Wochen
bei der Obduktion das Bild einer ausgebreiteten Miliartuberkulose. Der
Befund deckt sich mit dem unserer analogen Fälle. Intraperitoneale
Versuche mit Perlsucht bei Hunden fand ich nicht beschrieben.
Die englische Tuberkulosekommission berichtet, dass ein
mit einer Kultur, welche von einer primären Mesenterialtuberkulose des
Menschen stammte, intraperitoneal geimpfter Hund nach 48 Tagen an
den Folgen einer Tuberculosis universalis starb; ein zweiter Hund soll
nur geringgradige Tuberkulose gezeigt haben.
Ein dritter Hund, welcher 1 mg einer Bacillenkultur boviner Her¬
kunft intraperitoneal erhielt, zeigte nach 5 Wochen nur wenige fibröse
Tuberkeln in den Lungen, kleine verdächtige Herde in Leber und
Nieren.
Löffler endlich berichtet auf der 4. Tagung der Freien Vereinigung
für Mikrobiologie in Berlin 1910') im Anschluss an die Mitteilung
unserer Versuche, dass er wie manche anderen Autoren von der An¬
nahme ausgegangen sei, dass die Rindertuberkelbacillen wie für viele
andere Tiere, so auch für Hunde virulenter sein würden wie die mensch¬
lichen Tuberkelbacillen; er habe demgemäss einige Hunde intraperitoneal
mit Rindertuberkelbacillen, und zwar mit je einer ganzen Serumkultur
behandelt. Die Hunde seien danach nur vorübergehend krank gewesen
und hätten später keine Spur von Tuberkulose gezeigt. Damals habe
er geglaubt, dass die Virulenz der Kulturen bei diesen Versuchen eine
Rolle gespielt habe. Von grösstem Interesse seien daher die Versuche
Sticker’s und Löwenstein’s. Sie müssen von möglichst vielen Seiten
wiederholt werden, es würde sich dann ergeben, ob in der Tat bei An¬
wendung einer bestimmten Menge und bei intraperitonealer Injektion
von Tuberkelbaoillen der Hund für die Differentialdiagnose von humanen
und bovinen Stämmen sich brauchbar erweisen werde.
Ob diesem Appell an anderen Forschungsstätten Folge geleistet
wurde, weiss ich nicht; in der Literatur finde ich bis jetzt keine An¬
gaben. Ich selbst habe seitdem zahlreiche Fälle von Lymphdrüsentuber-
kulose des Menschen (typische und atypische), welche das Material der
Königlichen chirurgischen Klinik bot, benutzt, um durch intraperitoneale
Verimpfung bei Hunden, sei es direkt, sei es nach Meerschweinchen¬
passage, die Herkunft der Bacillen festzustellen. Am meisten inter¬
essierte mich die von mir und Löwenstein auf Grund anderweitiger
Untersuchungen abgetrennte atypische Lyraphdrüsentuberkulose, welche
bisher unter dem Namen Sternberg’sche Erkrankung zu den pseudo¬
leukämischen Lymphomatösen gerechnet wurde. Es gelang mir in
manchen Fällen, bei Hunden Tuberkulose des Bauchfells zu erzeugen,
welche unter dem Bilde der milden, bovinen Infektion verlief. Ich bin
mir wohl bewusst, wie dies auch Orth für seine Kaninchenübertragungen
zugegeben, dass zum vollgültigen Beweise eine Impfung beim Rinde
als Endglied der Versuchsreihen sich notwendig erweist. Eine münd¬
liche Rücksprache mit Prof. Uhlenhuth vom Kaiserlichen Gesundheits¬
amt stellte seinerzeit eine gemeinschaftliche Arbeit in Aussicht. Viel¬
leicht interessiert sich sein Nachfolger für diese eminent wichtige Frage.
Zum Schlüsse möchte ich die Frage der von Herrn Orth berührten'
Bekämpfung der Tuberkulose mit wenigen Worten streifen. Durch die
1) Centralbl. f. Bakteriol., Beilage zu Bd. 47, Abt. 1.
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17. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
607
Londoner Rede Robert Koch’s schien die gemeinsame Bekämpfung der
Tuberkulose durch Human- und Veterinärmedizin unnötig. Dem Arzte
verblieb die Bekämpfung der Menschentuberkulose, dem Veterinär die
der Rindertuberkulose. Seit langem hatten sich beide Disziplinen der
Heilkunde gewöhnt, in Wort und Schrift, im Laboratorium und in der
Praxis gemeinschaftlich dem Tuberkulosefeinde zu Leibe zu gehen. Das
von mir lange Jahre herausgegebene Archiv für animalische Nahrungs¬
mittelkunde gibt davon beredte Kunde. Koch’s Autorität hat das ge¬
meinschaftliche Arbeiten und Kämpfen gemässigt, aber nicht zerstört.
Nachdem heute Herr Orth auf die Gefährlichkeit der Rindertuberkulose
so beredt hingewiesen, wird diese Gemeinschaft der Arbeit und des
Kampfes zum Wohl der Menschheit auch fernerhin bestehen bleiben.
Ich resümiere: 1. Der Hund ist ein wichtiges Versuchstier zur
Unterscheidung des humanen und bovinen Stammes der Tuberkulose.
2. Eine bisher noch ätiologisch unbekannte Krankheit des Menschen,
die Hodgkin-Disease oder Sternberg’sche Krankheit, ist einer Infektion
mit Tuberkelbacillen des Rindes zuzuschreiben; die Gefährlichkeit der
Rinderbacillen für den Menschen erfährt dadurch eine weitere Stütze.
3. Die Bekämpfung der Rindertuberkulose ist eine gemeinschaftliche
Aufgabe des Arztes und des Veterinärs.
Hr. Felix Klemperer: Als vor zehn Jahren, im Sommer 1903,
die Frage der Beziehungen zwischen Tier- und Menschentuberkulose hier
zur Diskussion stand, sagte Herr Orth: Wir müssen zwei Unterfragen
unterscheiden: die allgemeine, wissenschaftliche Frage: Kann überhaupt
Tiertuberkulose auf den Menschen übertragen werden? und die besondere,
die praktische Frage, die Herr Orth so formulierte: Ob der Mensch seiue
Tuberkulose öfter vom Vieh erwirbt, wie gross für den Menschen die
vom tuberkulösen Vieh drohende Gefahr ist?
Damals sagte Herr Orth: Die erste Frage ist erledigt: Eine Tuber¬
kulose kann vom Vieh auf den Menschen übertragen werden, man findet bovine
Bacillen beim Menschen; die zweite Frage wäre noch nicht entschieden.
Heute, nach zehn Jahren, sieht Herr Orth auch die zweite Frage als
entschieden an, und zwar in dem Sinne, dass die Tuberkulose des
Menschen öfter vom Vieh erworben werde, und dass die vom tuber¬
kulösen Vieh drohende Gefahr für den Menschen gross sei.
Nun, unterdes haben wir aber sichere Kenntnis davon erworben,
dass die Häufigkeit des Vorkommens von Tuberkelbacillen und die Frage
der Bedeutung derselben streng zu trennen sind, dass die von Herrn
Orth damals als zweite Unterfrage bezeichnete Frage zwei vollkommen
selbständig zu bearbeitende und zu beantwortende Fragen enthält. Die
erste, richtiger also die zweite Frage ist die: Ist das Vorkommen
von Tiertuberkulose bzw. von Tiertuberkelbacillen beim Menschen
häufig? — und die dritte, für sich getrennt zu beantwortende Frage
ist: Welche Bedeutung hat der Tuberkelbacillus des Tieres, wenn
er selbst häufiger beim Menschen vorkommt, für den Menschen?
Wir haben durch die anatomischen Untersuchungen von Nägeli,
Burckhardt u. a., sowie besonders durch die Resultate der Pirquet-
schen Impfung zur Genüge erfahren, dass tausendfach Tuberkelbacillen
beim Menschen Vorkommen, ohne eine krankmachende Bedeutung für
den Träger derselben zu haben. Und deshalb müssen wir auch bei der
Untersuchung auf bovine Bacillen in jedem Falle auseinanderhalten ihr
Vorkommen und die Bedeutung desselben. Wenn ich die Wichtigkeit
dieser Unterscheidung an einigen Fällen demonstrieren darf, so will ich
nicht Fälle aus der Orth’schen Statistik oder aus der Edinburger
Statistik wählen, weil da nicht genügende klinische Angaben über die
einzelnen Fälle gemacht sind, sondern ich will auf zwei Fälle exempli¬
fizieren, die auch aus dem Institut des Herrn Orth stammen und die
seine hochgeschätzte Mitarbeiterin Frau Rabinowitsch vor einiger Zeit
veröffentlicht hat (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 3). Es handelt
sich da um den Nachweis von Bacillen in der Galle Tuberkulöser. Frau
Rabinowitsch erhob den sehr bemerkenswerten und interessanten Be¬
fund, dass bei tuberkulösen Individuen häufig sich in der Galle Tuberkel¬
bacillen finden, und sie untersuchte nun bei sechs Fällen, bei denen sie
in der Galle Tuberkelbacillen gefunden hatte, um welchen Typus es sich
da handle. Sie fand viermal humane Bacillen und zweimal bovine
Bacillen, und die beiden letzten Fälle bezeichnet Frau Rabinowitsch
als „bovine Fälle“. Wenn ich diese Fälle genauer ansehe, so betrifft
der erste Fall einen Menschen von 24 Jahren mit chronischer doppel¬
seitiger Lungentuberkulose, Cavernen usw., ulceröser Tuberkulose des
Dickdarms u. a. m. Untersucht worden ist nur die Galle. Was in der
Lunge, was im Dickdarm für Bacillen waren, erfahren wir nicht.
Daraus, meine ich, lässt sich vorläufig durchaus nicht entnehmen, welche
Bedeutung der bovine Bacillus in der Galle für diesen Mann, für seine
Krankheit, für seinen Tod gehabt hat. In dem zweiten Fall, bei einem
21jährigen Mann, findet sioh ebenfalls Darmtuberkulose. Welche Bacillen
in den Geschwüren des Darms vorhanden waren, ist nicht untersucht.
Es bestand auch Lungentuberkulose und in der Lunge fand sich der
humane Bacillus. Aus der Galle aber und ausserdem aus einer ver¬
kalkten Hilusdrüse wurde ein boviner Stamm gezüchtet. Es ist nun
verschiedenster Deutung fähig, in welchem Verhältnis hier die beiden
Bacillen stehen, woran dieser Patient erkrankt war und starb. Ich
meine, an humaner Tuberkulose, und ich halte es nicht für berechtigt,
so wichtig auch dieser Befund in der Galle ist, den Fall für einen
bovinen anzusehen. Welchen Schluss zieht aber Frau Rabinowitsch
aus ihren Fällen? Sie sagt: „Die bisherigen Untersuchungen haben
einerseits das ziemlich häufige Vorkommen des Typus bovinus bei kind¬
licher Tuberkulose ergeben, andererseits in der Mehrzahl der Fälle den
Typus humanus beim erwachsenen Tuberkulösen, der ja seine Erkran¬
kung bereits in der Kindheit erworben hat. Wie anders sollte diese Tat¬
sache zu erklären sein als durch die Annahme einer Umwandlung der
einen Bacillenform in die andere.“ Nein, so einfach lässt sich die Um¬
wandlung doch nicht erweisen, und die Tatsache, auf die Frau Rabino¬
witsch Bezug nimmt, ist noch vielfach anders zu erklären. Ich sehe
ganz ab von dem eigenartigen Verhalten, dass der bovine Bacillus in
der Lunge und wohl auch im Darm sich zum humanen gewandelt haben
soll, dass er in demselben Organismus aber in der Hilusdrüse und in
der Galle bovin geblieben ist. Aber schlechterdings unvereinbar ist
doch die Annahme des regelmässigen oder auch nur überwiegenden
bovinen Ursprungs der menschlichen Lungentuberkulose mit den
klinisch-statistischen Tatsachen — und diese sind entscheidender als
anatomische und bakteriologische Untersuchungen, auf denen Herr Orth
fusst —, die Herr Weber schon angeführt hat, und die ich noch einmal
betonen möchte.
Kitasato 1 ) hat im Jahre 1904 mitgeteilt, dass in Japan die mensch¬
liche Tuberkulose ebenso häufig ist wie in Europa und in Amerika,
trotzdem die Japaner sehr wenig Kuhmilch geniessen und insbesondere
sie für die Ernährung der Kinder nicht viel benutzen. Es gibt, sagt
K., in Japan grosse Bezirke, in denen es überhaupt keine Rindertuber¬
kulose gibt, und in diesen ist die Menschentuberkulose genau so häufig
wie in anderen Bezirken. Auch bei den Untersuchungen, die B. Hey-
mann 2 ) vom Flügge’schen Institut aus der Türkei und aus Grönland
veröffentlicht hat — auch diese hat Herr Weber bereits erwähnt —,
ergibt sich, dass in diesen Ländern fast keine oder gar keine Ernährung der
Kinder mit Kuhmilch stattfindet und trotzdem die Verbreitung der
Tuberkulose eine enorme ist. Die Erfahrungen, die Herr Westenhöfer
vorhin aus Chile berichtet hat, so interessant sie an sich auch waren,
haben meiner Meinung nach mit der Frage der Beziehung zwischen
Menschen- und Rindertuberkulose vorläufig gar keinen Zusammenhang, denn
er hat uns nichts darüber gesagt, wie es in Chile um die Rindertuberkulose
und ihre Häufigkeit steht, und in welchem Maasse dort die Rindermilch
für die Ernährung der Kinder benutzt wird. Vielleicht holt Herr
Westenhöfer das noch nach.
Dass diese Verhältnisse bei uns ungefähr dieselben sind, geht aus
Statistiken hervor, wie sie A. Speck 8 ) veröffentlicht hat. Er unter¬
suchte die Ernährungsverhältnisse von 8000 erwachsenen Phthisikern
und stellte fest, dass davon 73 pCt. mit Frauenmilch und nur 27 pCt.
mit Kuhmilch aufgezogen waren. Mit Recht zieht Speck daraus den
Schluss, den ioh wörtlich verlese: „Die Kuhmilch ist daher als gar
keine oder als eine äussert geringfügige Quelle der Schwindsuchtsent¬
stehung beim Mensshen anzusehen.“
Also die klinisch-statistischen Erfahrungen sprechen vorläufig
gegen die Bedeutung der Rindertuberkulose für die Tuberkulose des
Menschen.
Die zweite Basis der Untersuchungen auf diesem Gebiet ist die ex¬
perimentelle, und da hat Herr Orth ausgeführt: Wenn man ein Tier
leicht infiziert und später eine zweite Infektion setzt, so sieht man
Lungentuberkulose, die man sonst beim Tier nicht sieht. Diese Tatsache
ist gewiss richtig, und wie alle anderen Autoren auf diesem Gebiete habe
auch ich sie bestätigt gefunden; aber die Deutung, die Herr Orth ihr gibt,
ist nicht richtig oder braucht wenigstens noch nicht richtig zu sein.
Die Tiere, die nicht vorbehandelt sind, erkranken nicht an Lungentuber¬
kulose, sondern an genereller Tuberkulose aller Organe; dass sie an
Tuberkulose der Lungen erkranken, also desjenigen Organs, welches
durch chemische Beschaffenheit, durch mechanische Umstände und viel¬
leicht noch andere Faktoren ganz besonders für Tuberkulose disponiert
ist, welches selbst in einem Körper noch an Tuberkulose erkrankt,
dessen andere Organe durch die Vorbehandlung schon gegen Tuberkulose
geschützt sind, dass weiter diese Lungentuberkulose nicht als miliare
Tuberkulose verläuft, sondern so langsam, dass sich Höhlen in der Lunge
bilden können, gerade dieses beweist, dass die Vorbehandlung eine ge¬
wisse Immunisierung gesetzt hat. Deshalb ist der Satz: Die kindliche
Infektion disponiert zu Lungentuberkulose in einem gewissen Sinne
richtig. Aber wenn die kindliche Infektion nicht stattgefunden hätte,
würde später nicht die Lunge, es würde generell der ganze Körper er¬
kranken. Also ist die Deutung zum mindesten zulässig, sie scheint mir
ebenso experimentell gestützt wie die Ansicht, die Herr Orth vorgetragen
hat, die Deutung, dass die kindliche Infektion und speziell die Infektion
mit Tuberkelbacillen des Rindes beim Menschen bis zu einem gewissen
Grade eine schützende Wirkung hat. Ich gehe gar nicht so weit, das
schon als gesichert hinzustellen. Nur darauf bestehe ich, dass auch die
Anschauung, die Herr Orth bezüglich der Bedeutung der Rindertuberkulose
für den Menschen vortrug, noch keineswegs gesichert ist.
Ich schliesse also: Das Vorkommen von Rindertuberkelbacillen
beim Menschen ist — das haben wir in den letzten zehn Jahren ge¬
lernt — ein häufigeres, als es früher schien. Freilich, wenn lOpCt. der
Kindertuberkulosen bovinen Ursprungs sind, dann bleiben immerhin noch
90 pCt. humanen Ursprungs, und da die Kindertuberkulose doch nur
einen Teil sämtlicher Tuberkulosen darstellt, so bedeutet selbst zahlen-
mässig das 10 proz. Vorkommen boviner Bacillen keine so überwältigend
grosse Häufigkeit, sondern dann darf ich immer noch sagen: die Rinder¬
tuberkulose spielt numerisob, nach der Häufigkeit ihres Vorkommens
1) Zeitsohr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., Bd. 48.
2) Ebenda. ...
3) Ebenda.
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508
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
beim Menschen eine, ich will nicht sagen, harmlose Rolle, aber dooh
eine relativ geringe Rolle, Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen
für den Menschen aber ist noch nichts Abgeschlossenes zu sagen; diese
Frage ist noch nicht spruchreif. Der Ansicht Orth’s, dass diese Be¬
deutung eine grosse ist, steht vorläufig noch die ebenso berechtigte und
gestützte, die ich vertrete, gegenüber, dass diese Bedeutung keine grosse
und dass sie vielleicht in gewissen Fällen sogar eine günstige ist. Ueber
die Frage der Bedeutung muss noch ruhig weiter gearbeitet werden.
Ich hoffe, dass, wenn Herr Orth nach wieder zehn Jahren über diese
Frage hier vor uns spricht, dass dann ein Material vorliegt, das diese
Frage zu entscheiden gestattet. Heute ist das noch nicht der Fall.
Hr. Orth: Ich möchte gleich eine Frage an Herrn Klemperer
richten: Hat Herr Klemperer meinen Vortrag gehört?
Hr. Felix Klemperer: Ich habe den Vortrag leider nicht selbst
hören können; ich wurde an dem Tage nach auswärts gerufen.
Hr. Orth: Das wollte ich nur konstatieren.
Hr. Felix Klemperer: Ich habe mir alle Mühe gegeben, den
Vortrag einzusehen; in der Druckerei wurde er mir nicht gegeben. Ich
habe aber mehrere Assistenten in die Sitzung geschickt, um recht genau
informiert zu sein; ich habe dann den Bericht über den Vortrag in der
Medizinischen Klinik gelesen, der sehr ausführlich ist. Auch sind die
Anschauungen des Herrn Orth bekannt, er hat sie ja in anderen Vor¬
trägen und Veröffentlichungen bereits mehrfach vertreten. Deshalb weiss
ich nicht, was es ausmachen soll, ob ich dem Vortrag beiwohnte oder
nicht; das Gewicht der von mir vorgetragenen Argumente wird dadurch
doch gewiss nicht berührt.
Hr. Orth: Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich eine Anzahl
von Fällen von Tod an Meningitistuberkulose, generalisierter Tuber¬
kulose und Abdominaltuberkulose hier tabellarisch vorgeführt habe, wo
man sehen konnte: die Menschen sterben an Rindertuberkulose. Wenn
das nicht von Bedeutung ist, dann weiss ich nicht, was von Bedeutung
sein soll.
Hr. Max Wolf: Die Frage über die Bedeutung der Rindertuber¬
kulose für die menschliche Tuberkulose ist seit dem Jahre 1901, seit
dem bekannten Vortrag von Koch auf dem internationalen Tuberkulose¬
kongress in London, nicht wieder von der Tagesordnung verschwunden.
Die damaligen mit seinen früheren Anschauungen über die Beziehungen
der menschlichen zur Rindertuberkulose und umgekehrt wesentlich
differierenden Auseinandersetzungen von Koch schlugen — so lauteten
die telegraphischen Zeitungsberichte — wie eine Bombe ein bei den
Kongressmitgliedern. Aber auch weit über ärztliche Kreise hinaus er¬
regten sie das grösste Aufsehen in breiten Interessentenkreisen, die
hofften, dass von jetzt ab sämtliche behördliche Maassregeln gegen die
Tuberkulose der Rinder aufgehoben würden.
Zur Begründung seiner jetzigen Schlussfolgerungen über die Un¬
empfänglichkeit oder mindestens äusserst geringe Empfänglichkeit des
Menschen für die Perlsucht des Rindes führt Koch an: einmal das
äusserst seltene Vorkommen der primären Darmtuberkulose beim
Menschen, besonders auch bei Kindern, und zweitens das bisherige ex¬
perimentelle Ergebnis mit Fällen solcher Art. Koch sagte: wenn die
Perlsuchtbacillen für den Menschen infektiös wären, dann müssten die
Fälle von primärer Darmtuberkulose viel häufiger sein unter der Be¬
völkerung grosser Städte, besonders bei Kindern; denn die Milch und
die Butter enthält sehr häufig und in nicht geringer Menge lebende und
virulente Perlsuchtbacillen, und nichtsdestoweniger war nach seinen
Erfahrungen die primäre Darmtuberkulose, besonders bei Kindern, ein
seltenes Leiden, und bei den seltenen Fällen, wo sie vorkam, war nach
ihm noch nicht einmal sicher nachgewiesen, dass es sich wirklich um
eine bovine und nicht um eine menschliche Tuberkulose handelte.
Und was den zweiten und wichtigsten Punkt anbetrifft, die ex¬
perimentelle Entscheidung der Frage, ob die Perlsucht auf den Menschen
übertragbar ist, so sprachen die damaligen Ergebnisse von Koch eben¬
falls nicht dafür, dass die Perlsucht beim Menschen vorkommt.
An einen solchen seltenen Fall primärer Darm tuberkulöse knüpfen
die Präparate an, die ich mitgebracht habe. Es handelt sich um einen
Mann, der während eines ganzen Jahres an starkem Durchfall und an
lebhaften Schmerzen im Leibe gelitten hatte. Die Sektion ergab
typische tuberkulöse Geschwüre im Darm, und von ihnen ausgehend
eine Eruption von Miliartuberkeln auf der Serosa des Darmes und am
Peritoneum parietale; die Milz enthielt ebenfalls miliare Knoten, be¬
stehend aus Epithelioidzellentuberkel mit Riesenzellen und Tuberkel¬
bacillen darin. Lungen und Bronchialdrüsen sind nach eingehender
Untersuchung frei geblieben. Mit der tuberkulösen Milz dieses Falles
wurde weiter geimpft, und zwar in der Weise, wie dies Herr Orth in
der vorigen Sitzung angegeben hat. Es wurde zunächst ein Meer¬
schweinchen geimpft, das Meerschweinchen wurde 7 Wochen nach der
Infektion getötet und ergab starke Tuberkulose der Lungen, Leber,
Milz. Mit den in sterilisiertem Wasser unter allen Kautelen verriebenen
Stücken von Lunge und Milz des Meerschweinchens wurde sodann ein
Kalb an der rechten Halsseite geimpft in der Weise, dass subcutan
12 ccm injiziert wurden. Das Kalb selbst war vor der Injektion pro-
batorisch auf Tuberkulin geprüft worden. Es hatte keine Spur von
Reaktion, konnte also als tuberkulosefrei gelten. Der weitere Krank¬
heitsverlauf bei dem Kalb war der: es schwoll unter unseren Augen
zunächst die injizierte Halsseite an, es entstand ein mannsfaustgrosser
Tumor, es entstanden mehrere kleinapfelgrosse Drüsen in der Nachbar¬
schaft des Tumors, die Bugdrüse schwoll an und wurde gänseeigross.
Einen Monat nach der ersten Injektion wurde eine zweite probatorische
Tuberkulininjektion, und zwar in derselben Dosis wie vor der Impfung
mit dem tuberkulösen Material gemacht. Das Tier reagierte jetzt nach
der Infektion auf dieselbe Dosis in der exquisitesten Weise um 3° C
bis 41,5°. 7 Wochen nach der vorigen Tuberkulinprobe wurde eine
dritte probatorische Injektion gemacht. Wieder dasselbe Resultat.
Auch dieses Mal tritt eine exquisite Tuberkulinreaktion ein bis auf
41,2° C, das Fieber fiel dann allmählich wieder ab, ganz, wie man das
beim Menschen zu sehen Gelegenheit hat.
Etwa 3 Monate nach der ersten Impfung wurde das Tier getötet
und ergab schwerste Veränderungen an der Impfstelle und in den
inneren Organen, wie sie für Perlsucht charakteristisch sind. An der
Injektionsstelle ein fast kindskopfgrosser Tumor mit centraler käsiger
Höhle. Die Drüsen in der Nachbarschaft, die Bugdrüse, die Kehlgangs¬
drüse der infizierten Seite stark geschwollen, mit reichlichen, in Ver¬
käsung und Verkalkung begriffenen Herden versehen. Die inneren
Organe zeigten nur ganz frische Perlsuchtknoten in ausserordentlich
grosser Zahl auf der Pleura, auf dem Pericard, im Netz, in der Leber¬
serosa, auf der Serosa der Milz. Auch im Lungengewebe, in der Pulpa
der Milz, im Parenchym der Leber und Nieren kleinere miliare bis
linsengrosse Knoten sichtbar. Was aber besonders hervorzuheben ist,
diese Perlsuchtknoten in allen entfernteren Gebieten (Pleura, Pericardium,
Lunge usw.) hatten stets einen ganz frischen Charakter, zeigten keine
Verkäsung, keine Verkalkung, gegenüber der Verkäsung und Verkalkung
in den Tuberkeln an der Injektionsstelle und den sich anschliessenden
Drüsen, zum sicheren Beweis, dass der tuberkulöse Prozess an der Hals¬
seite älteren Datums ist und von hier fortschreitend allmählich erst die
inneren Organe befallen hat.
Gegenüber dem von Koch erhaltenen negativen und nicht näher
definiertem Ergebnis mit dem Material dieses Falles muss ich hier
hervorheben, dass Herr Geheimrat Oster tag, der eine grosse Erfahrung
in der Tuberkulose der Haustiere hat, diesen Fall von der ersten Tuber¬
kulininjektion bis zum Tode des Tieres mitbeobachtet hat und in dieser
Phase den Versuch für vollkommen einwandfrei erklärt hat. Auch
Nocard, der bekannte französische Forscher, hat die Präparate gesehen
und diesen Fall für vollkommen einwandfrei erklärt.
Koch schliesst nun, dass bei der gelungenen Uebertragung des
tuberkulösen Materials eines solchen Falles von primärer Darmtuber¬
kulose auf das Rind die Diagnose sichergestellt wird, dass es sich um
einen Fall von Tuberkulose bovinen und nicht menschlichen Ursprungs
beim Menschen handelt. Dieser Fall von Perlsucht beim Menschen hat,
weil er damals der erste war, bei dem der experimentelle Nachweis ge¬
führt ist, ein gewisses Aufsehen erregt, später sind auch von anderer
Seite (Fibiger und Jensen u. a.) derartige Fälle mitgeteilt worden.
Auf Grund dieser und anderer hierhergehörigen Erfahrungen, auf
die ich bei der Kürze der Zeit hier nicht weiter eingehen kann, die ich
aber früher erörtert habe, habe ich damals ganz in Uebereinstimmung
mit dem Herrn Vorsitzenden die Forderung aufgestellt, dass sämtliche
behördliche Maassregeln gegen die von seiten perlsüchtiger Tiere die
Menschen bedrohenden Gefahren aufrecht zu erhalten sind. Wenn ein
Kind von mir oder von Ihnen zu den lOpCt. von den Kindern gehört,
die an Perlsucht erkranken, so genügt mir das und wahrscheinlich auch
Ihnen vollkommen, um gegen und nicht für die Aufhebung dieser Maass¬
regeln zu plädieren. Das Reichsgesundheitsamt hat auch diese Maass¬
regeln bisher nicht aufgehoben.
Hr. Eber-Leipzig (a. G.): Es ist sowohl im Vortrage als auch in
der Debatte der Versuche geflacht, die im Veterinär-Institut der
Universität Leipzig in der Zeit von 1903—1910 zur Klarstellung
der Beziehungen zwischen Menschen- und Rindertuberkulose ausgeführt
worden sind. Wie schon vom Vortr. erwähnt, befanden sich unter den
31 auf Rindervirulenz geprüften Fällen menschlicher Tuberkulose sieben
Fälle, bei denen der sofortige positive Ausfall des Rinder¬
versuchs direkt auf das Rind als Infektionsquelle hinwies, und sieben
Fälle, bei denen erst nach mehrfacher Rinderpassage eine
typische Rindervirulenz festgestellt werden konnte. Wir sind auf Grund
eingehender bakteriologischer Studien, die wir mit vier von diesen Fällen
durebgeführt haben, zu der Auffassung gelangt, dass die bei konsequenter
intraperitonealer Weiterimpfung auf Rinder allmählich auftretende Viru¬
lenzsteigerung als Beweis für die Umwandlung der Menschentuberkel¬
bacillen aufzufassen ist, und müssen diese Auffassung auch aufrecht
erhalten, solange das Fehlen oder Vorhandensein der Rindervirulenz als
einziges sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen- und
Rindertuberkelbacillen gilt.
Herr Weber hat bei der Besprechung unserer Versuche erwähnt,
dass in den Jahren 1910 und 1911 eine Nachprüfung derselben im
Kaiserlichen Gesundheitsamte vorgenommen sei, die unsere Ergebnisse
nicht bestätigt hätte. Er hat zugleich mitgeteilt, dass gegenwärtig eine
neue grosse Versuchsreihe in die Wege geleitet sei, durch die das
Kaiserliche Gesundheitsamt gemeinsam mit dem Veterinär-Institut in
Leipzig noch einmal die Umwandlungsfrage zu prüfen beabsichtige. Ich
möchte in Ergänzung der Mitteilung Weber’s noch hinzufügen, dass
sich bei der gemeinsamen Festsetzung des neuen Versuchsplanes ergeben
hat, dass die bei der ersten Nachprüfung unserer Versuche im Kaiser¬
lichen Gesundheitsamte gewählte Versuchsanordnung nicht in allen
Punkten strikte der in Leipzig geübten Versuchsanordnung ent¬
sprochen hat.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
509
17. März 1913.
Herr Weber hat weiterhin auch der atypischen Kulturen bzw. Um¬
wandlungsversuche der englischen Tuberkulosekommission
gedacht, die schliesslich dazu geführt haben, diese Kulturen — es
handelt sich im ganzen um fünf teils aus bronchialen, teils aus abdomi¬
nalen Lymphdrüsen des Menschen gezüchtete Reinkulturen — als
Mischkulturen aus Bacillen des Typus humanus und des Typus
bovinus aufzufassen. Herr Weber hat aber nicht erwähnt, dass die
genannte Kommission in ihrem Schlussberichte 17 neue Tuberkel¬
bacillenreinkulturen aufführt, die wiederum nicht ohne weiteres in
das Schema „ Entweder Typus humanus oder Typus bovinus“ einzureihen
sind. E 3 handelt sich um 17 Fälle vou Lupus (von 20 überhaupt
untersuchten Fällen), deren Reinkulturen in 8 Fällen typisches „bo¬
vines“ Wachstum ohne die für diesen Typus charakte¬
ristische Rindervirulenz und in 9 Fällen typisches „humanes“
Wachstum ohne die für diesen Typus charakteristische
Meerschweinchen- und Affenvirulenz zeigten. Dieses eigenartige
Verhalten gegenüber den genannten Versuchstieren konnte nur in zwei
Fällen mit „bovinem“ Wachstum durch mehrfache Rinderpassage und
in einem Falle mit „humanem“ Wachstum durch Affenpassage derart
beeinflusst werden, dass der betreffende Stamm schliesslich auch die
seinem Wachstum entsprechende charakteristische Virulenz erlangte, ln
allen übrigen Fällen konnte diese Virulenzsteigerung bei der gewählten
Versuchsanordnung (subcutanc Infektion) trotz mehrfacher Weiterimpfung
nicht bewirkt werden. Ich möchte hierbei die Vermutung aussprechen,
dass, wenn statt der subcutanen Infektion die yoii uns empfohlene
intraperitoneale gewählt worden wäre, wenigstens bei den Kulturen mit
„bovinem“ Wachstum wahrscheinlich ein höherer Prozentsatz von erfolg¬
reicher Virulenzsteigerung erzielt worden wäre. Die englische Kommission
befand sich diesen Stämmen gegenüber in einiger Verlegenheit, hat sich
aber schliesslich entschlossen, diese Kulturen als abgeschwächte
„humane“ bzw. „bovine“ Stämme anzusprechen. Es wäre aber auch
durchaus berechtigt, diese Stämme, bei denen das kulturelle Verhalten
und die Virulenz gegenüber den Versuchstieren nicht in Einklang stehen,
als „atypische Stämme“ zu bezeichnen und ihnen einen Platz
zwischen Typus humanus und bovinus einzuräumen.
Ich habe diese Beobachtung der englischen Tuberkulosekommission
etwas ausführlicher erläutert, um zu zeigen, dass mit der ja an sich
sehr zweckmässigen Einteilung der Tuberkelbacillen in solche des Typus
humanus und solche des Typus bovinus allein noch nicht alle Schwierig¬
keiten behoben sind, und dass es tatsächlich, ganz abgesehen von den
sogenannten Mischkulturen, Stämme gibt, die sich nicht ohne weiteres
in diese Einteilung einreihen lassen. Auch haben die Untersuchungen
der englischen Kommission einwandfrei dargetan, dass selbst das für die
Typeneinteilung zurzeit noch am höchsten bewertete Unterscheidungs¬
merkmal, die Rindervirulenz, durch den Tierversuch unter Umständen
gauz erheblich abgeändert werden kann. Es dürfte dann schliesslich
nur noch von der mehr oder minder engen Fassung des Begriffes Typus
abhängen, ob man nicht schliesslich von selbst dazu kommt, von einem
allmählichen Uebergang der beiden häufigsten Varietäten des Säugetier¬
bacillus ineinander zu sprechen.
Aber gesetzt nun, die von uns bemängelte strenge Typeneinteilung
ohne Uebergänge bestände tatsächlich zu Recht, und die durch unsere
Versuche nacbgewiesene allmähliche Steigerung der Rindervirulenz ge¬
wisser vom Menschen stammender Tuberkelbacillen sei nicht als Typen¬
umwandlung zu deuten, dann würde zur Erklärung unserer Befunde nur
die Annahme übrig bleiben, dass entweder in unserem Ausgangsmaterial
vou vornherein boide Bacillen typen in Mischkultur vorhanden
waren, oder dass es sich um Fälle von Menschentuberkulose mit ab¬
geschwächten Rinderbacillen gehandelt hat. Ich will an dieser
Stelle nicht untersuchen, welche Anhaltspunkte sich aus unseren Ver¬
suchen selbst für die eine oder die andere Auffassung ergeben, sondern
nur summarisch betonen, dass sich dann die Sachlage eigentlich noch
schwieriger und für die Gegenpartei — wenn ich diesen Ausdruck einmal
anwenden darf —, die ursprünglich mit Robert Koch von der Un¬
gefährlichkeit der Rindertuberkulose für den Menschen ausgegangen ist,
noch ungünstiger gestaltet; denn es würde daraus hervorgehen, dass
nicht nur in den Fällen mit typischer Rindervirulenz, sondern auch in
allen Fällen, in denen erst nachträglich bei entsprechender Versuchs¬
anordnung allmählich eine stärkere Rindervirulenz bei den gezüchteten
Kulturen hervortritt, Rinderbacillen von Anfang an im Ausgangsmaterial
vorhanden gewesen sein müssten. Dann aber würde der Rindertuber¬
kulose für den Menschen eine noch weit grössere Bedeutung zuerkannt
werden müssen, als selbst von den schärfsten Gegnern der Koch’schen
Auffassung im Jahre 1901 zum Ausdruck gebracht worden ist.
Man mag es also drehen, wie man will, von einer Ungefährlichkeit
der Rindertuberkulose für den Menschen kann keine Rede mehr sein,
und wir haben alle Ursache, im Interesse der Allgemeinheit auch diese
Gefahr nach Möglichkeit zu bekämpfen. Dass dieser Kampf aber wirk¬
samer geführt werden kann, wenn es feststeht, dass die Rindertuber¬
kulose nicht nur für den landwirtschaftlichen Viehbesitzer allein, sondern
für die Gesamtheit der Fleisch und Milch konsumierenden Menschheit
eine Bedeutung hat, dürfte ohne weiteres einleuchtend sein. Hierin
liegt auch der Grund, weshalb das Veterinärinstitut von Anfang an mit
allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht hat, an der Klar¬
stellung dieser wichtigen Frage mitzuarbeiten und die durch Robert
Koch 1901 proklamierte irrtümliche Auffassung von der Ungefährlichkeit
der Rindertuberkulose für den Menschen richtig zu stellen.
Hnfelandische Gesellschaft
(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin).
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Kraus.
Schriftführer: Herr J. Ruhemann.
1. Hr. Kraus: Ueber den Lungenabscess.
Indem Vortr. das klinische Ineinanderübergehen von Lungenabscess
und -gangrän schildert, wobei allerdings die Circumscriptheit des Herdes
und die Bildung des reaktiven Scbutzgewebes mehr für Abscess, die An¬
wesenheit von Eiter nicht gegen Gangrän spricht, erinnert er daran, dass
die emboliseben Abscesse und Gangränescenzen gewöhnlich multiple
Herde bedingen, dass bei den Fremdkörperabscessen die veranlassenden
Speisereste, der Echinococcus usw. die klinische Absonderung be¬
stimmen; ein besonderes luteresse beanspruchen die grossen singulären
Abscesse, welche nur ausnahmsweise den Ausgang der gemeinen crou-
pösen Pneumonie, meistens bei den grippalen centralen Pneumonien
Vorkommen, bei denen sich Pfeiffer’sche Bacillen mit anderen Bakterien
vergesellschaften. Hierfür wurde auch die Bezeichnung Lungenfurunkel
geprägt. Der traumatische Lungenabscess habe vorwiegend in der Gut-
achteupraxis seine Bedeutung. Vortragender geht alsdann auf die klinische
Diagnostik des Lungenabseesses ein, erwähnt den Fieberverlauf, die
cardiovasculären Symptome, Hyperleukocytose, Milzschwellung, Cyanose
und Dyspnoe, die Höbleubilduug, Schrumpfungsprozesse, Beteiligung der
Pleura (trockene Pleuritis), die Beschaffenheit des Eitersputums mit dem
Blutgebalt, den Lungenfetzen und elastischen Fasern; aber auch alle
diese Symptome differenzieren nicht immer Abscess und Gangrän. Hier
spielt die Röntgenuntersuchung eine entscheidende Rolle, welche zu¬
nächst die Stelle der Höhle (Vomica) und damit den diagnostischen und
prognostischen Ausspruch ermöglicht. Am besten heilen die Abscesse des
Oberlappens und der Mitte der Lunge, am schlechtesten die im hinteren
unteren Lungenabschnitt gelegenen, physikalisch schwer erkennbaren.
Das Röntgenbild lässt weiter die Form der Höhle, die Narbe, die Ver¬
kleinerung des Herdes in ihrem zeitlichen Verlauf deutlich verfolgen.
Bei der spontanen Ausheilungsmöglichkeit von Abscess und Gangrän
braucht nicht immer operativ eiugegriffen zu werden, höchstens bei
foudroyant entstehenden, sehr grossen, zum Durchbruch in die Pleura
neigenden chronischen Formen usw.
Röntgennachweis der Vomica, des Flüssigkeitsniveaus, des Ver¬
dichtungsringes, der Narbe in dem Falle der Erkrankung eines 21jährigen
Dienstmädchens, das am 6. Oktober normalen Partus hatte. 25. Oktober
Blutung aus den Genitalien, Uteruspolyp entfernt, 2 Tage später
40,5° C. Dyspnoe, rechts Bruststiche, geringes Sputum. 2. November
stinkende Lochien, auch links Dämpfung, wenig scharf umgrenzter Herd,
Bronchialatmen, Rasseln, bald eitriges Sputum. Septischer Lungen¬
prozess angenommen. Rechts Pneumonie nicht mehr nachweisbar.
Grampositive Diplokokken, nur wenig elastische Fasern, keine Lungen¬
fetzen, keine Blutkristalle, 250—300 ccm Sputum. Patientin wog
49,3 Kilo und jetzt 57,3 Kilo,
Kraus betont auf Grund der Demonstration den grossen Wert des
Röntgennachweises der Vomica und des die Prognose entscheidenden
Sitzes der Abscesshöhle.
Diskussion.
Hr. Strauss berichtet über zwei Fälle von metapneumonischem
Lungenabscess seiner Beobachtung, in welchen gleichfalls rasch Heilung
eintrat. In dem ersten Falle — eine junge Frau betreffend — trat im
Anschluss an eine Pneumonie eitriges Sputum auf, in welchem elastische
Fasern nachgewiesen werden konnten. Die Röntgenuntersuchung zeigte
in der Mitte der Lunge in einwandfreier Weise eine kleine Höhle. Drei
Wochen später war dieselbe nicht mehr uaebzuweisen und das Sputum
bis auf geringe Reste verschwunden. Die Patientin hat in der Zwischen¬
zeit erheblich an Gewicht zugenommen und verliess das Krankenhaus
geheilt. In dem anderen Fall, der schon in der Zeit vor der Einführung
des Rüntgenverfahrens beobachtet wurde, handelte ss sich um einen
jungen Menschen, der nach einer Pneumonie noch längere Zeit eine
Dämpfung des Oberlappens zurückbehielt. Plötzlich entleerte er 3 / 4 Spei¬
glas voll Eiter und am Orte der Dämpfung waren Metallphänoraene nach¬
weisbar. Auch bei diesem Patienten heilte der Lungenabscess spontan
aus. Strauss hat in der letzten Zeit auch einen Fall beobachtet, in
welchem eine kleiue Gangränhöhle des Oberlappens in einigen Monaten
restlos ausgeheilt ist.
2. Hr. Brngsch:
Znr Differentialdiagnose der chronischen Gelenkentzündungen.
Vortr. differenziert die chronischen Gelenkentzündungen, indem
er diagnostisch 1. die durch echte Gicht entstandenen, 2. die Arthritis
deformans (rheumatical gout) und 3. die primären sowie sekundären
chronischen Arthritiden unterscheidet. Bei 1 sind die röntgendiaguosti-
schen Uratherde gegenüber den adhäsiven Entzündungen hervorzuheben;
1 und 2 gemeinsam sind Exsudat und Proliferation von Knochen uud
Knorpel; er betont die für Gicht bedeutsame Affektion der an den
Gelenken sitzenden Schleimbeutel und die Wichtigkeit der Röntgenbilder
für die kleinen Gelenke, z. B. der Hände (Decalcination bei Gicht,
cystische Erweichung des Knochens).
Diskussion.
Hr. Goldscheider: Die Blut- und Röntgendiagnose der Gicht ist
schwer; er weist auf die praktisch wichtige und diagnostisch maass-
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510 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 11.
gebende sowie einfache Methode des Nachweises der kleinen, stecknadel¬
knopfgrossen Tophi in den präpatellaren Schleimbeuteln, dein Schleim¬
beutel über dem Olecranon, an den Malleolen, dem Kreuzbein hin,
Gegenden, die zur Eruierung der sandkörnigen Ansammlungen sorgfältig
untersucht werden müssen.
Hr. Hildebrand legt Wert auf die klinischen Unterschiede der
Gelenkaffektionen und zwar je nachdem sie entweder vom Knorpel aus¬
gehend zu Usur, Neubildung und Kapselaftizieruug oder in der Kapsel
beginnend Knorpelauffaserung und Kuochendestruktion im Gefolge haben.
Diese scharf an grossen Gelenken zu machenden Unterscheidungen sind
an kleinen nicht so deutlich wahrnehmbar. Das Endbild ist jedenfalls
dasselbe.
Hr. Umber betont gleichfalls die Notwendigkeit strenger Unter¬
scheidung der primären chronischen Polyarthritis destruens, die er
eigentlich als chronische Periarthritis bezeichnen möchte, von der
klinisch oft ähnlichen echten Gicht. Davon ist die Osteoarthritis
deformans streng zu sondern. Zum Zustandekommen der letzteren ge¬
hören offenbar pathologische Stoffwechselprodukte, z. B. Harnsäure kann
primäre Knorpelnekrosen machen (s. Abbildung 1, Umber’s Lehrbuch).
Ebenso sah U. bei einer durch vier Generationen verfolgbaren Alkapton-
urikerfamilie bei denjenigen Mitgliedern, die alkaptonurisch waren,
primäre KnorpelschädiguDgen (Ochronose) mit allmählich entwickelter
Osteoarthritis deformans. Hier hat also die Horaogentisinsäureschädigung
die Osteoarthritis deformans quasi experimentell hervorgerufen.
3. Hr. Peritz: Ueber Hypophysenerkranknng.
Junge Tiere, denen die Hypophysis entfernt ist, wachsen nicht, bei
älteren tritt Adipositas in Haut und Organen ein (durch Hyperglykämie).
Vortragender schildert die Beziehungen der Hypopbysis zu den Keim¬
drüsen, die Atrophie der letzteren bei Entfernung der Hypophyse, die Ver-
grösserung der Hypophyse bei Kastration und Gravidität.
Er demonstriert an Pat. einige Typen der Hypophysiserkrankungen.
Fall schneller Vergrösserung der Füsse, Fehlen der Axillar- und Ge-
siohtshaare, 0,35 pCt. Hyperglykämie.
Zwei Schwestern von 32 und 34 Jahren, ohne akromegale Zustände,
aber mit Dercum’scher Adipositas, welche von den Hüften aus die
unteren Extremitäten betrifft, Rumpf und obere Extremitäten aber voll¬
kommen freilässt. Die erste Pat. mit Kopfschmerz, schlechtem Sehen,
Stauungspapille, 0,2 pCt. Hyperglykämie. Bei der einen Pat. ist
Hypophysistumor ira Rüntgenbild nachweisbar, bei der anderen nicht.
Fall von Hypophysistumor bei 10 jährigem idiotischen Jungen. Vor¬
handensein der Milchzäbne, Hodenlosigkeit. Myxödem. Korrelation zu
allen Drüsen mit innerer Sekretion.
Diskussion.
Hr. Gottschalk: Hypophysistumoren führen zu Amenorrhoe.
Hr. Kraus: Der Grad der Beteiligung der Keimdrüsen ist quanti¬
tativ. Das Fehlen, z. B. der Amenorrhoe spricht nicht gegen die
Diagnose „Hypophysistumor“.
Hr. Erich Schlesinger bespricht das bei Hypopbysentumoren vor¬
kommende Symptom der hemianopischen Pupillenstarre. Mittels eines
von ihm konstruierten Apparates des Peripupillometers gelang es, in zwei
Fällen von Hypophysengeschwulst eine bitemporale Starre nachzuweisen.
In dem einen Falle hatte der heraianopische Ausschnitt die Gestalt eines
schmalen Sektors. Das dadurch bedingte Skotom war der Patientin gar
nicht zu Bewusstsein gekommen. Redner erwähnt als weiteres bei
Hypophysentumoren vorkommendes Symptom den Diabetes insipidus,
der durch Reizung der Neurohypophysis zustande käme, wie experi¬
mentelle Untersuchungen ergeben hätten. In einem dieser Fälle bestand
eine Tagesmenge von 7—8 Liter Urin.
Hr. Oppenheim weist ebenfalls auf die noch nicht genügend ge¬
würdigte Bedeutung der hemianopischen Pupillenstarre bei Hypophysis¬
tumoren hin. Die Vergrösserung der Sella turcica im Röntgenbilde
kommt auch bei Hydrocephalus vor und ist nicht unbedingt für Tumor
der Hypophysis beweisend.
Hr. Mosse fragt, ob in den Fällen der Dercum’schen Formen der
Kehlkopf vergrössert ist, was Vortragender verneint.
Hr. Strauss hat in Band 4 der Folia urologica zwei Fälle von
Entwicklungshemmung vom Typus der Dystrophia adiposo-genitalis be¬
schrieben, bei welchen gleichzeitig Diabetes insipidus bestand. St.
hat dabei die Hypothese ausgesprochen, dass in den betreffenden Fällen
Störungen der inneren Sekretion, welche von der Hypophyse ausgingen,
das Zustandekommen des Diabetes insipidus verschuldet haben. Neuer¬
dings bat dann Frank das experimentelle und klinische Material zu¬
sammengetragen und ist hierbei zu einer gleichen Auffassung gelangt.
Auf Grund physiologischer Experimente muss man die Quelle der Polyurie
in der schmalen Mittelschicht zwischen Vorder- und Hinterlappen der
Hypophyse suchen. Jüngst ist auch ein anatomischer Befund von Sim-
mond’s mitgeteilt worden, welcher die hier geäusserte Auffassung stützt.
Es liegt hier eine Funktionsstörung der Hypophysis vor, die in Fällen
von Diabetes insipidus noch weiter verfolgt werden muss.
Hr. J. Ci(ron: Zir Therapie der Plant-Vincent’schen Angina.
Bei den in den Geschwüren der Plaut-Vincent’schen Angina ge¬
fundenen Bacilli fusiformes und Spirochäten ist die Frage, ob es sich
um differente Mikroorganismen oder Entwicklungsstufen handelt, nicht
entschieden.
Nicht immer sind die Ulcerationen harmlos, oft bestehen sie wochen¬
lang, ja bis zu sechs Monaten; die statt der symptomatischen Therapie
augewandte Salvarsaninjektion (Rumpel. Gerber) bedingte baldiges
Verschwinden der Spirochäten und fusiformen Bacillen (in 5 bis 10
Tagen); das Bild ging zurück, die Geschwüre heilten. Aehnliehe Be¬
obachtungen wurden bei Pulpitis, Alveolarpyorrhöe gemacht; die relativ
kurz beobachteten Fälle galten als geheilt; aber die Rückkehr der
Bacillen und Spirochäten (Rumpel) Wessen lokale Salvarsanbehandlung
indiziert erscheinen, so auch bei Ulcerationen der Mundhöhle und der
ätiologisch zusammenhängenden Gingivitis marginalis, bei denen schnelle
Abheilung erfolgte. Vor 7 Wochen beobachtete Vortragender einen Fall
von Gingivitis marginalis und sekundärer Plaut-Vincent’scher Angina
mit Geschwür auf der linken Tonsille. Der Kranke wird demonstriert.
Nach intravenöser Injektion von 0,6 g Salvarsan waren nach 4 Tagen
keine fusiformen Bacillen noch Spirochäten mehr nachweisbar; aber es
musste doch ein kleiner Rest hinterblieben sein, denn nach 14 Tagen
war eine Fülle der typischen Mikroorganismen zu finden. Nach zwei
weiteren hintereinander vorgenommenen Injektionen von Salvarsan ver¬
schwanden jene nicht; gestern erfolgte lokale Applikation von 0,1 g
Salvarsan in Paraffinsuspension; Erfolg nach 24 Stunden. Die Bacillen
und Spirochäten sind fort; es besteht grosse lokale Besserung; es soll
weiter lokal behandelt werden. Diese noch sonst zu propagierende ört¬
liche Behandlung verspricht mehr Erfolg als die intravenöse Einver¬
leibung, weil in letzterem Falle das Mittel ven der Blutbahn aus nicht
genügend an die Mikroorganismen herankommt
Diskussion. Hr. S. Hirsch: Bei der Angina Vincenti wirkt die
lokale Behandlung mit Pergenol ausgezeichnet, wie reichliche Erfahrung
in der Heymann’schen Klinik ergeben hat.
Hr. J. Plesch-Berlin; Ueber halbseitige Schmerzen (Hemialgie).
Es kommt häufig eine halbseitige Anfälligkeit (Hemipathie) vor, die
sich in halbseitigen Kopfschmerzen, Oppressionsgefühl über dem Herzen,
Angina pectoris-ähnlichen Anfällen, Intercostalneuralgien, Rücken-
schmerzen, ischiasähnlichen Zuständen äussern. In solchen Fällen sind
gewisse Punkte der halben Körperhälfte auch dann schmerzhaft, wenn
die Schmerzen nur auf einem Teil des Körpers auftreten. Charakteristisch
für die Schmerzen ist, dass sie anfallsweise auftreten. Die wichtigsten
Schmerzpunkte sind: die Ansatzstellen des Muse, sternocleido mast.
(Proc. mast., sternum und clavicula und der Bauch des Muskels); die
Gegend des Muse, splenius capitis et colli, der occipitale Ansatzteil des
Muse, cucullaris und der Punkt, wo die Mamillarlinie den oberen Rand
schneidet; der höchste Punkt des Ansatzes des Muse, tempor.; der
Muse. pect, rainor; der Serrat. ant. an der 4., 5. und 6. Rippe; des
Muse, rhomboideus; die unteren Spitzen des Serratus post, in der Linie
desAug. scapulae; der iliacus internus an dem Labium intern, der Crista
ossis ilei in der Verlängerungslinie zwischen Condylus extern, und
Trochanter; der Punkt in der Mitte der Linie zwischen Trochanter und
Condylus externus; die Projektionsstelle des Muse, pyriformis auf den
Gluteus und die obere Ansatzstelle des Muse, adductor. Die Schmerzen
können von diesen Stellen ausser Massage usw. leichter und dauernder
durch die Injektion einer isotonischen NaCl - Lösung günstig beeinflusst
werden. Als eine solche isotonische Lösung wird empfohlen: Rp. NaCl 0,5,
Natr. cacodylic. 2,5, Novocain 0,3, Aquae dest. 100,0.
D iskussion.
Hr. Förster betrachtet das geschilderte Bild unter der Rubrik der
Neurasthenie und bezieht einen Teil der Beschwerden z. B. auf die
suggestive Einwirkung vorangegangener Cornelius’scher Nervenmassage.
Hr. Plesch bestätigt, dass eine solche bei dem einem Falle vor¬
hergegangen ist.
Hr. Peritz führt solche Bilder, wie der Vortragende sie geschildert
hat, auf Muskelkrankbeiten zurück, die durch Erkältung entstanden und
durch Kochsalzeinspritzungen zu beseitigen sind.
Hr. Goldscheider betont, dass Hyperästhesien (Myalgien, Neur¬
algien) sehr oft einseitig gefunden werden, zunächst einseitig ausstrahlen,
später auch auf die andere Körperhälfte irradiieren.
Hr. W. Alexander: Bei allen Neuralgien und den meisten
Myalgien ist gerade die Einseitigkeit so sehr die Regel, dass man
bei Doppelseitigkeit an der Diagnose zweifelhaft werden und an eine
spinale Ursache denken muss. Die weitere Pupille rechts ist vollkommen
durch den rechtsseitigen Lungenspitzenkatarrh als Sympathicussymptom
erklärt, besonders wenn sie gut reagieren sollte, worüber der Vortragende
nichts gesagt. Dass das Ulcus cruris auch rechts sitzt, dürfte Zufall
sein; jedenfalls kann man aus dem Zusammentreffen dieses rein lokalen
Leidens mit den übrigen Symptomen nicht einen pathologischen Zu¬
sammenhang konstruieren.
Hr. Kraus hält das von Herrn Plesch gezeichnete Krankheitsbild
ebenfalls für keine neue Krankheit, schliesst aber die rein psychogene
Entstehung aus. Das Eigenartige sind die von den Sehnen ausgehenden
Myalgien, die unter bestimmten Kombinationen auftreten und immer
Druckpunkte der einen Körperhälfte aufweisen.
6 . Hr. Oscar Rosenthal: Ich wollte Ihnen über Tierversuche a«s
dem Gebiete der Langendiiriirgie berichten, werde mich aber der vor¬
gerückten Zeit halber auf die Vorführung der Tiere beschränken. Bei
dem einen Hunde hier sind vor zwei Jahren die Arteria und Venae
pulmonales der ganzen linken Seite, bei dem zweiten vor einem Jahr
die ganze linke Arteria pulmonalis unterbunden worden, dem dritten
wurde kürzlich die ganze linke Lunge entfernt. Auf dem Röntgenbild
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
611
sieht man bei den ersten Tieren die Schrumpfung der ganzen linken
Lunge, während die rechte Lunge ersatzvergrösssert und gebläht das
Herz ganz in die linke Hälfte des Brustkastens hinüberdrängt. Bei der
völligen Entfernung einer Lunge macht es Schwierigkeiten, den Hohl¬
raum, in den hinein sonst immer Ergüsse stattfinden, auszufüllen. Nach
vielen Versuchen wende ich jetzt dazu Stickstoff, wie bei der Behand¬
lung der Lunge mit künstlichem Pneumothorax, an. Sie werden an dem
Gebahren dieser Hunde sicherlich keinerlei Ausfall an Beweglichkeit u. a.,
der auf die schweren Eingriffe und den Ausfall an Lungenarbeit bezogen
werden könnte, feststellen können.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 10. März 1913.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Schriftführer: Herr Hermes.
1. Hr. Holländer:
Zur Frage der Heschwnlstbildung nach Netzunterbindangen.
Vortr. hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, eine Epiploitis plastica zu
beobachten und glaubt, zur Frage ihrer Entstehung einen wichtigen Bei¬
trag geben zu können. Es handelte sich um einen 32 jährigen Patienten,
der wegen Netzhernie nach Bassini operiert wurde. Ein Stück Netz
wurde abgebunden; Heilung erfolgte per primam. Er war danach drei
Wochen ganz gesund und ging seinem Beruf als Reisender nach. Nach
2 Monaten bekam er Schmerzen, die als Blinddarmbeschwerden von
einem anderen Kollegen gedeutet wurden. Als Vortr. ihn sah, fühlte
er bei dem Patienten eine Resistenz zwischen Nabel und Lig. Pouparti.
Wieder nach 2 Monaten war es ein apfelgrosser Tumor, der sich der
Bauchwand genähert hatte. Inzision ergab ein fibromähnliches Gewebe,
das keine Cyste enthielt. Nach 3 Monaten war der Tumor kindskopf¬
gross; Röntgenbestrahlung erwies sich als nutzlos, ebenso Fibrolysin-
einspritzungen. Nach 10 Monaten war der Tumor noch gewachsen,
füllte die rechte untere Bauchgegend, hatte die Konsistenz eines Uterus¬
fibroms. Es wurde operiert. Dabei ergaben sich breite retroperitoneale
Verwachsungen; von Exstirpation wurde wegen des zu erwartenden sehr
grossen peritonealen Defekts abgesehen, nur ein Stück ausgeschnitten.
Der Tumor hatte überall das Aussehen eines Fibroms, auch mikro¬
skopisch. Wegen Blutung kleiner Tampon, sonst Verschluss der Wunde.
Nach 14 Tagen wird an der Stelle des Tampons ein eiternder Gang er¬
öffnet, der auf die ursprüngliche Seidenligatur führte. Danach verschwand
der Tumor: Jetzt, nach 2 l f 4 Jahren, ist der Patient vollkommen gesund.
1899 wurde zuerst auf dem französischen, 1900 von H. Braun auf
dem deutschen Chirurgenkongress über diese Tumoren verhandelt, zuletzt
31 Fälle zusammengestellt, die sich 1909 auf 44 erhöhten.
Man kann zwei Gruppen unterscheiden: 1. Fälle, die von vornherein
unrein sind, Unterbindungen im Anschluss an eitrige Operationen. Hier
entsteht nach einigen Wochen ein Tumor, geschwollenes Netz, das an
der Bauchwand adhärent ist. Es finden sich ein Abscess, der die Seiden¬
ligatur enthält, oder aber multiple kleine Abscesse. Der Seidenfaden
hat seine endständige Lage behalten. Heilung durch Exstirpation
der Ligatur, Drainage.
2. Aseptische Operationen. Drei Monate post Operationen) findet
sich eine Geschwulst. Medikamentöse Versuche sind zwecklos. Der
Tumor verschwindet manchmal von selbst; sonst schnelles Wachstum,
das zum Exitus führt oder grosse Operationen erfordert. Konstant findet
sich der Seidenfaden im Centrum dos Tumors. 1897 wurde in
Moskau ein Fall publiziert von Djemil Pascha: ein Tumor, der das
Quercolon umwachsen, Ileus herbeigefübrt hatte. Heilung durch Colon¬
resektion. Pathologische Diagnose: Fibrosarkom.
In zweifacher Weise wird das Entstehen des Tumors erklärt: erstens
durch Infektion. Schloffer in Innsbruck beobachtete das Entstehen
von Tumoren ein Jahr nach Blinddarmoperationen. Dabei ist die
Seidenligatur distal vom Netzstumpf gelegen, hinter und neben ihr die
phlegmonöse Entzündung. In den vom Vortr. beobachteten Fällen lag
die Seiden ligatur aber stets im Centrum der Geschwulst Daher stellt
Vortr. die zweite Hypothese dagegen: die Ligatur bedeutet einen
dauernden Reizzustand, es bildet sich eine fibromatöse Celoidnarbe.
Es ist gewiss selten, dass das Netzgebilde in dieser Weise reagiert.
Der Tumor zeigt oft excessives Wachstum, das zu Ileus führen kann.
Man soll darum nicht nur incidieren, sondern die Bauchhöhle eröffnen
und den Stumpf von neuem versorgen.
Vortr. ist nicht für Massenligatur, sondern für mehrfache Abbindung
des Netzstumpfes.
Diskussion.
Hr. Schmieden hat einen ähnlichen Fall beobachtet. Der Patient
hatte jedoch schon vor der Bruchoperation Stiche in der linken Bauch¬
höhle. *f 4 Jahre post operationem wieder Stiche; ein Tumor zu fühlen,
Resorbentien ohne Erfolg. Operation ergab einen Tumor, der das
Coecum einhüllte, ohne centrale Erweichung. Die Wnnde wurde teil¬
weise offen gelassen. Es erfolgte keine Entleerung. Nach kurzer Zeit
entstand eine Kotfistel, die bald heilte. Später auftretender Ileus
machte Ausschaltung des Ueocoecum notwendig. Danach verschwand der
Tumor;
Zur Einteilung bemerkt Vortr.: Küttner unterscheidet eine dritte
Gruppe, spontane Entstehung des Tumors ohne Hernienoperation. In
einem Falle des Vortr. handelte es sich um einen Tumor in der Gallen¬
blasengegend; es fanden sich Nekrosen im Netz, von denen der Tumor
ausgegangen war. Heilung durch Exstirpation.
Zur Technik ist zu sagen: dicke Stümpfe sind zu vermeiden, es
sind kleine Stückchen etwa mit zehn Ligaturen zu unterbinden, mit je
zwei an derselben Stelle. Die Tumoren sind auch bei Verwendung
resorbierbarer Ligaturen entstanden.
Hr. Sonnenburg teilt mit, dass er viele derartige Fälle gesehen
hat. Das Netz ist ein Organ, das auf entzündliche Reize leicht reagiert.
In einem Fall war ein Netztumor durch den Kotstein einer perforierten
Appendix entstanden. In der Mitte des Tumors sass der Kotstein.
Walter hat 1911 (franz. Kongress) einen ähnlichen Tumor beschrieben,
der in der Ueocoecalgcgend lag. Vortr. hat das Netzt schon lange in
kleinen Portionen unterbunden. Ein früherer Fall (Hernie) war be¬
sonders warnend: nach Massenunterbindung trat tödliche Blutung des
Stumpfes ein. Die Sektion ergab: das Netz war torquiert, hatte sich
ganz nach der linken Seite herüberbegeben. Daher ist sorgfältige Unter¬
bindung nötig.
Hr. Holländer: Schlusswort.
2 . Hr. NeMn&nn:
Weitere Erfahrungen mit der Netzmanschette, insbesondere bei der
Behandlung des perforierten Magengeschwürs.
Vortr. hat seine Methode vor 4 Jahren in der Chirurgen-Vereinigung
veröffentlicht. Sie besteht darin: Ein Drain wird in die Perforations¬
öffnung eiogeführt, der eine Teil ins Duodenum, der andere durch die
freie Bauchhöhle zur Wunde herausgeleitet. Um das Drain wird eine
Netzmanschette gebildet, zunächst der rechte, dann der hintere Rand
des Netzlappens auf die Magenwand aufgenäht, zuletzt der vordere
Rand der Manschette befestigt. Es genügt eine einfache Nahtreihe. Es
brauchen neben die Manschette keine Gazestreifen gelegt werden; es
kommt auch so zu Verklebungen.
24 Stunden post operationem beginnt die Ernährung nur durch das
Drain. Zuvor dient das Drain zur Entleerung des Mageninhalts, bis
1800 ccm in 24 Stunden. Am 6. Tag wird daneben auch per os er¬
nährt, am 12.—17. Tage das Drain entfernt. Die Vorteile sind: Es
kommt nie zu Erbrechen, die Patienten erholen sich schnell. In einem
Fall (Stenose) war die sekundäre Gastroenterostomie nicht nötig, viel¬
leicht war die Stenose durch Gelässneubildung erweitert. Ferner be¬
stehen nach der Operation keine Magenbeschwerden mehr. Von
34 Fällen seiner Abteilung waren 4 moribund, bei 13 wurde doppel¬
reihige Naht und Netzaufpflanzung gemacht; geheilt sind 6, gestorben 7.
Mit Netzeinpfropfung wurden 2 operiert; geheilt 1, gestorben 1. Mit
Vernähung bzw. Drainage und Gastroenterostomie 2; geheilt 1, ge¬
storben 1. Mit Netzmanschette 13; geheilt 7, gestorben 6, die alle in
desolatem Zustande eingeliefert wurden. In 2 Fällen fanden sich noch
ein zweites und drittes Ulcus. Von den 13 geheilten Fällen waren 4
günstige, d. h. Frühfälle, die anderen weniger günstige. Bei 31 Fällen
war die Mortalität 55 pCt., bei den in den ersten 12 Stunden operierten
7,7 pCt.
Die Methode ist einfach, die Nachbehandlung bequem. Die Methode
ist darum auch der Gastrostomie vorzuziehen (bei Carcioom), deren
Resultate so kläglich sind, weil die Mundverdauung nicht genügt, und
weil hierbei der schon durch den Tumor starre Magen noch an einem
anderen Punkt aufgehängt wird. Besser als die Gastrostomie ist darum
die Netzmanschette. Die Operation dauert auch nicht länger, als die
der am meisten beliebten WitzePschen Schrägfistel.
3. Hr. Kehr:
Ueber angeborene Anomalien der Gallenblase nnd der Arteria bepatiea.
(Eine anatomisch-chirurgische Studie.)
Vortr. will keine nackten anatomischen Tatsachen aufzählen, sondern
sie mit einem chirurgischen Mantel umhüllen. March and hat in Eulen-
burg’s Real-Encyklopädie zwei Anomalien aufgeführt: das angeborene
Mangeln der Gallenblase, die idiopathische Choledochuscyste. v. Barde¬
leben hat bis 1906 nur wenige Anomalien zusammengestellt, andere
Chirurgen sageD, dass sie überhaupt nie welche gesehen hätten. K. glaubt
nicht, dass sie so selten sind. Um sie zu entdecken, ist zweierlei er¬
forderlich: 1. grosse Schnitte, kleine passen nicht für die Gallen¬
chirurgie, wenn auch die Amerikaner (Mayo) behaupten, mit kleinen
Schnitten auszukommen, wie bei der Appendicitis; 2. muss man sich die
tiefen Gallenwege freilegen. Vortr. hat in seiner Berliner Zeit 370 mal
ektomiert mit Hepaticusdrainage, nur einmal Cholecystostomie ausgeführt.
Demonstrationen von Anomalien, die demnächst in einem Atlas der
Gallensteinchirurgie in Lehmann’s Verlag erscheinen.
Von Anomalien der Gallenblase finden sich: 1. Fehlen der Blase;
beobachtet bei einem Schauspieler, bei dem zuvor von Aerzten die Blase
mitsamt den Steinen gefühlt wurde. 2. Intrahepatische Entwicklung;
in einem Falle durch Punktion festgestellt. 3. Lageveränderungen bei
Situs transversus, Linkslagerung der Gallenblase, langem Mesenteriolum
der Blase (5 pCt. der Fälle). 4. Torsion der Blase.
Anomalien des Ductus cysticus: 1. Spitzwinkliger Verlauf.
2. Paralleler Verlauf. 3. Spiraliger Verlauf. Der dritte ist der häufigste.
Anomalien des Hepaticus: 1. Einmündung des Cysticus in Höhe
der Bifurkation des Hepaticus. 2. Doppelter Hepaticus. 3. Zwei starke
Hepaticusäste münden mitten in die Gallenblase. 4. Der rechte Hepaticus-
ast mündet in den Cysticus. 5. Ein starker Hepaticusast geht nach oben.
Anomalien der Arteria hepatica: Der rechte Ast der Hepatica
kommt aus der Mesenterica superior (Unterbindung der Hepatica com¬
munis bei Blutung zwecklos).
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UNIVERSUM OF IOWA
Nr. 11.
552 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Anomalien der Arteria cystica: 1. Ursprung aus der Arteria
hepatica propria, 2. aus der Gastro-duodenalis. 3. Zwei Arteriae eysticae,
eine aus dem Iiamus dexter hepaticus, eine aus der Gastro-duodenalis.
Holler.
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Mcdizinalstatistik
zu Berlin.
Sitzung vom 6. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Gottstein.
Schriftführer: Herr Lennhoff.
Tagesordnung.
Hr. Badtke: Aufgaben und Erfolge der Wohnungsaufsicht.
Vortr., Direktor des statistischen Amtes der Stadt Charlottenburg,
erwähnt, dass der neuerdings veröffentlichte Eutwurf eines preußischen
Wobnungsgesetzes noch nicht zu spät kommt, um die Wohnungsverhält¬
nisse zu bessern und dadurch das Ucbel der Tuberkulose, Säuglings¬
sterblichkeit, Geschlechtskrankheiten und des Alkoholismus an der
Wurzel erlassen und auszurotten. Bisher ist schon dank dem Eintreten
von Staat, Gemeinden und privaten Organisationen ein Anfang mit einer
Besserung der Wohnungsverhältnisse gemacht wordeD, um der Ueber-
füllung der Wohnungen mit ihren sanitären Folgen, dem Mangel an
Kleinwohnungen durch Herstellung einwandfreier zu angemessenem Miets¬
preise entgegenzuwirken.
Der erste Teil des Gesetzentwurfs enthält Maassnahmen gegen die
Bodenspekulation durch Aufstellung von Fluchtlinien, von Bebauungsplänen
mit den nötigen Freiflächen, um die Entstehung von Seitenflügeln und
Quergebäuden zu verhindern. Der zweite Teil enthält baupolizeiliche
Vorschriften, die ruhige Wohnviertel mit niedriger Bauweise vorschreiben,
der dritte Vorschriften über Wohnungsordnuug und der vierte über
Wohnungsaufsicht.
Wohnungsordnung und -aufsicht sind untrennbar, beide zusammen
ergeben die Wohnungspliege. Die Wohnungsordnung stellt die Grund¬
sätze auf, die Aufsicht sorgt für deren praktische Durchführung. Die
erstere sorgt dafür, dass die Neubauten den Anforderungen der Hygiene
entsprechen, die letztere dafür, dass die Wohnungen nicht durch die
Art der Benutzung verschlechtert werden. Für die schon bestehenden
Wohnungen kommt nur die Aufsicht in Betracht, die systematisch durch¬
geführt werden muss, und zwar obligatorisch, wie es in England der
Fall ist, wo z. B. der Londoner Grafschaftsrat G5 Millionen Mark für
Sanierung der Wohnungen ausgegeben hat. In Deutschland hat der
deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege in den achtziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts diese Frage propagandistisch bearbeitet, so
dass 1893 im Grossherzogtum Hessen eiu Wohnungsgesetz erlassen
wurde, dem 1898 Hamburg und später Gotha, Bayern, Württemberg und
Baden folgten. Der Regierungspräsident in Düsseldorf hat 1895 auf
Grund des allgemeinen Landrechts die Wohnungsaufsicht empfohlen,
dem andere Regierungsbezirke folgten.
Der Gesetzentwurf macht die Wohnungsaufsicht obligatorisch für
alle Gemeinden über 10 000 Einwohner, und für Gemeinden über
100 000 Einwohner ein Wohnungsamt mit beamteten Wohnungsinspek¬
toren. Der Entwurf lässt die Frage offen, ob auch die Wohnungen der
Hauseigentümer der Aufsicht unterliegen. Vortr. hält die Aufsicht auch
dieser für notwendig, da sonst die beanstandeten Wohnungen vom Eigen¬
tümer bezogen werden. Eine Aufsicht nur der Wohnungen, in denen
Schlafgänger einwohnen, wie sie in den ersten Verordnungen vorgesehen
war, ist nicht zweckmässig. Es müssen auch alle Wohnungen ohne
Rücksicht auf die Grösse der Inspektion unterstellt werden, wenn auch
praktisch die Aufsicht auf die Kleinwohnungen beschränkt wird. Beson¬
ders notwendig ist die Aufsicht bei Wohnungen mit Schla f gängern und
Zimmermietern und der Gelasse für Dienstboten und Gewerbegehilfen,
die in der Wohnung der Arbeitgeber aufgenommen sind. Ferner sollten
alle Orte ohne Rücksicht auf die Zahl der Einwohner der Wohnungs¬
ordnung unterstellt werden, denn auch auf dem Lande ist die Wohnuugs-
dichtigkeit mit ihren Folgen für die Sittlichkeit nicht besser als in der
Stadt, wie aus dem Bericht des hessischen Zentralwohnungsinspektors
für 1903 hervorgeht. Es ergaben sich für Gemeinden unter 2000, von
2000 bis 5000, von 5000 bis 20 000, und über 20 000 Einwohner 6,7,
7,0, 6,3 und 15,4 pCt. beanstandete Wohnungen. In Württemberg fand
man 1,18 pCt. überfüllte Wohnungen, d. h. solche, in denen fünf Per¬
sonen in einem Raume, oder neun Personen in zwei, oder dreizehn in
drei Räumen wohnten, während es in Gross-Stuttgart nur 0,25 pCt.
waren. Die Meinung, dass auf dem Lande eine geringere Ueberfüllung
der Wohnungen vorhanden sei, ist fälschlicherweise dadurch entstanden,
dass dort systematische Untersuchungen fehlen.
Welche Vorschriften eine Wohnungsordnung enthalten soll, zeigt
Vortr. am Beispiel Charlottenburgs. Sie enthält unter anderem Be¬
stimmungen über Trockenheit der Wohnungen, über Anzahl der Aborte,
über den Mindestluftraura und die Miudestbodenfläche (10 cbm bzw. 4 qm,
für Kinder die Hälfte). Von 92 überfüllten Wohnungen wurden 49 be¬
seitigt, und zwar 3 / 4 der Fälle ohne Anwendung polizeilicher Gewalt.
Er bedauert, dass der Eutwurf keine Bestimmung über Mindestluftraum
und Mindestbodenfläche enthält. Wegen fehlerhafter Belegung, Trennung
der Geschlechter vom 12. Jahre ab, kamen 455 Beanstandungen durch
die Wohnungspfleger vor, von denen 304 = 67 pCt. beseitigt wurden.
Die Wohnungsaufsicht soll, wie auch der Eutwurf verlangt, durch die
Gemeinden geschehen, da sie keine polizeiliche, sondern eine Woblfahrts-
maassnahrae sein soll, bei der ein Zusammenarbeiten mit anderen Wobl-
fahrtscinrichtungen (Säuglings-, Tuberkulose-, Alkoholfürsorge) nötig ist.
Eine Uebertragung der Wohnungspolizei auf die Gemeinde ist erforder¬
lich, da ein gedeihliches Zusammenarbeiten zwischen Polizei und Ge¬
meinde nicht garantiert ist, zum mindesten auf die Gemeinden, die ein
Wohnungsamt ciuriehten müssen, was schon für Gemeinden mit
50 000 Einwohnern wünschenswert wäre. Die Aufsicht selbst muss
durch technisch und hygienisch durchgebildete Berufsbeamte geschehen,
denen Hillsbeamte, auch Frauen, zur Seite stehen, die in vielen Fällen
die Schäden der Wohnung, die durch Untüchtigkeit der Hausfrau ent¬
standen sind, besser zu erkennen und zu beseitigen verstehen als Männer.
Die ehrenamtliche Mitwirkung der Bürger ist dabei nicht zu entbehren.
Mindestens alle zwei Jahre muss eine Besichtigung der Wohnungen vorge¬
nommen werden. Im Zusammenhang mit der Aufsicht muss eiu Wohnungs¬
nachweis stehen, d. h. die obligatorische Anmeldung aller freien Woh¬
nungen, die auch insofern prophylaktisch wirkt, als man die Mieter vor
ungeeigneten Wohnungen schützen kann. Bei allmählichem Vorgehen
werden den Hausbesitzern nicht zu grosse Lasten aufgebürdet, anderer¬
seits wirkt die Wohnungsaufsicht für sie auch günstig, indem sie er¬
zieherisch auf die Mieter einwirkt. Es ist zwar ein Eingriff in die indi¬
viduelle Freiheit, aber die Wohnungsfrage ist eine allgemeine Angelegen¬
heit, und wird sie durch die Aufsicht auch nicht gelöst, so führt sie
wenigstens zu einer gesunden Wohnungspolitik. J. Lilienthal.
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 14. Februar 1913.
Vorsitzender Hr. Bumm teilt mit, dass zu dem bevorstehenden
SO. Geburtstag von W. A. Freund eine Freund-Stiftung ins Leben ge¬
rufen werden soll. Wenn eine grössere Summe zusammenkommt, so soll
eine Stiftung für wissenschaftliche Leistungen gemacht werden, wenn
nur eine kleine Summe vorhanden ist, so soll eine Büste oder eine
Plaquette von dem Jubilar in Strassburg aufgestellt werden. Der Vor¬
stand schlägt vor, 100 M. zu bewilligen. Nach kurzer Diskussion wird
ein Vorschlag von Flaischien angenommen, 300 M. zu geben. Der
Vorsitzende teilt ferner mit, dass das verstorbene Mitglied Herr J aq uet
in seinem Testament bestimmt bat, dass nach dem Tode seiner Tochter
dereu Vermögen an die Gesellschaft fallt. Von den Zinsen soll alle
Jahre der dritte Teil demjenigen zufallen, der in der Gesellschaft den
besten Vortrag in dein betreffenden Jahr gehalten hat. Wer den Preis
erhält, soll der Vorstand bestimmen. Die Gesellschaft ehrt das An¬
denken des Stifters durch Erheben von den Sitzen.
Demonstrationen. Hr. ßehm zeigt einen Spüiapparat, der eine
Verbesserung seines Apparates sein soll. Der Zweck ist, die äusseren
Genitalien vor der Einwirkung des heissen Wassers zu schützen und zu
bewirken, dass das Wasser in alle Buchten und Nieschen der Vagina
kommt. Der Apparat leistet aus verschiedenen Gründen nicht das, was
er soll, und ist auch nicht ganz ungefährlich. Die Flüssigkeit kann
nämlich auch in den Uterus eindringen, ausserdem hat er den Nachteil,
dass er sich leicht verstopft. Vortr. zeigt noch einige andere Apparate
und teilt mit, dass nach einer ihm Vun Dr. Bürger gemachten Mit¬
teilung jährlich 10—12 Luftembolien durch diese Apparate gemacht
werden.
Hr. Carl Rage II: Corpas luteum und Menstruation.
Born bat behauptet, dass es sich um eiue innere Sekretion handelt,
die von grosser Wichtigkeit ist. Frankel meint, dass das Corpus
luteum die Menstruation direkt hervorruft. Er hat dasselbe besonders
bei Frauen studiert, die eine Laparotomie durchgeraacbt haben, ohne
dass die Genitalien erkrankt sind. Bei systematischer Untersuchung
bestätigt sich das nicht. Selbst bei schwersten Adnexerkraukungen ist
noch Corpus luteum-Bildung vorhanden. Fränkel glaubt, dass die
Menstruation IS—19 Tage vor der Ovulation statthat, was aber nicht
bewiesen ist. Auch nach den jetzigen Untersuchungen ist der Zusammen¬
hang zwischen beiden noch völlig unklar. Es werden dann Bil-der von
Corpora lutea und von der Schleimhaut in den verschiedensten Stadien
gezeigt. Die Ovarien wurden in Formalin gehärtet und in Paraffin ein¬
gebettet. Sie stammen von Myom- und Carciuomfällen. Zur Beob¬
achtung kamen alle Stadien. Bemerkenswert ist,, dass das Blütestadium
stets mit dem prämenstruellen zusammenfällt. Rückbildung der Schleim¬
haut und reifende Follikel fallen mit dem Intervallstadium zusammen,
ebenso Blütestadium und prämenstruelles Stadium der Schleimhaut.
Dagegen sind Rückbildung und prämenstruelles Stadium der Schleimhaut
stets getrennt. Das Berstungsstadium des Corpus luteum fällt stets mit
dem Menstrualstadiurn der Sehleimbaut zusammen, und zwar stets mit
dem Anfangsstadium. Welche Zeit zwischen beiden Stadien vergeht,
lässt sich nicht sagen. Es gibt auch eine Pseudomenstruation, z. B.
nach Exstirpation der Ovarien. Diese ist als die letzte Menstruation
aufzufassen, die noch infolge der vorhergehenden Ovulation auftritt.
Auch das ist eine Bestätigung der inneren Sekretion. Aus alledem ist
zu sehliessen, dass das Corpus luteum und die cyklischen Veränderungen
der Schleimhaut einen Zusammenhang haben, dass sie in ihrem Blüte¬
stadium aber abwechseln und das Blütestadium des Corpus luteum nie
in die Zeit der frischen Berstung des Follikels fällt.
Diskussion.
Hr. Strassmann hält für das Wichtigste, dass konstatiert ist, dass
es verschiedene Stadien der menstruierenden Schleimhaut gibt. Jedoch
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UNIVERSITÄT OF IOWA
17. März 1913.
513
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
bleibt dabei zweifelhaft, wie weit die Veränderungen, die man findet,
auf Gravidität und Endometritis beruhen. Wichtig ist auch, dass hier¬
mit die Periodicität der Ovulation eine neue Stütze bekommen hat.
Hr. Asch heim hält die letzte Blutung für eine Stauungsblutung.
Hr. Meyer bemerkt, dass er bei dem Befund an der Corpora lutea
nicht auf das Collabieren, sondern auf die Vascularisation der Wand
Wert legt. Der Zusammenhang zwischen dem Befund an der Schleim¬
haut und an den Ovarien ist so deutlich, dass er sich anheischig macht,
aus dem mikroskopischen Bild zu sagen, welches Schleimhautpräparat
mit diesem oder jenem Präparat eines Ovariuras zusammenhängt.
Siefart.
Breslauer chirurgische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Februar 1913 im Augustahospital.
Vorsitzender: Herr Partsch.
Schriftführer: Herr Gottstein.
Tagesordnung
1. Hr. Weil: Peritendinöse Angiome am Vorderarm.
Bericht über zwei Patienten der Küttner’schen Klinik, bei denen
sich kompressible Schwellungen direkt oberhalb des Handgelenks fanden,
die beim Erbeben des Armes sich verkleinerten, beim Herabsinkenlassen
an Volumen Zunahmen. Das Röntgenbild zeigte deutlich Angiolithen.
Diagnose: Cavernöses Angiom. Die Operation ergab als Sitz in
beiden Fällen den Raum zwischen Flexor carpi radialis und ulnaris;
distalwirts reichten die Angiommassen bis zum Carpalkanal, proximal
bis zur Muskulatur der Fingerbeuger. Die Fingerbeugesehnen waren von
den Angiommassen völlig umspounen und mussten einzeln scharf heraus¬
präpariert werden. Von der Palraarissehne, dem Nervus raedianus und
dem Pronator quadratus Hess sich die Geschwulst ohne Schwierigkeit
stumpf ablösen. Als Ausgangspunkt der Neubildung ist das die
Fingerbeugesehnen umgebende lockere Bindegewebe anzusehen. Beide
Male handelte es sich um jüngere weibliche Individuen. Die Geschwulst
war in beiden Fällen schon vor mehreren Jahren in Erscheinung ge¬
treten und langsam gewachsen. In dem einen Fall bestand eine Beuge¬
kontraktur der Finger, die sich verringerte, wenn die Geschwulst durch
Ausstreichen verkleinert wurde. Aehnliche .Geschwülste finden sich als
„erektile Tumoren am Vorderarm“ vereinzelt in der Literatur.
Diskussion.
Hr. Partsch bemerkt zu dem Falle von peritendinösera Anginom,
dass auch er einen gleichen Fall am Unterarm eines 18 jährigen jungen
Mannes beobachtet habe. In diesem Falle seien ganz besonders die
neuralgischen Beschwerden so stark gewesen, dass der Patient auf
Operation drängte. Bei Angiomen an anderer Stelle seien Beschwerden
von seiten des Nervensystems fast nie zu beobachten. Die cavernösen
Räume seien aber in seinem Falle nicht so weit gewesen wie in den
beiden vorgestellten und deshalb vielleicht auch die Exstirpation noch
schwieriger, weil die Abgrenzung gegenüber dem gesunden Gewebe un¬
deutlich war. Die Heilung trat auch vollständig primär ein und Patient
hatte eine Zeitlang vollkommen Ruhe. Nach ungefähr zwei Jahren trat
unter neuen nervösen Beschwerden, Schmerzen und Parästhesien ein
Recidiv auf. Patient entzog sich aber erneuter Operation durch Aus¬
wanderung ins Ausland.
2. Hr. Melchior: Ueber symmetrische Diaphysentnherknlose.
Der 22 jährige Patient, den Sie hier sehen, ging im Dezember 1912
der Küttner’schen Klinik mit folgender Anamnese zu: Früher gesund.
Keinerlei hereditäre Belastung. Im Oktober 1911 erkrankte Patient
während seiner Militärzeit an einer exsudativen Pleuritis, 4 1 / 2 1 Flüssig¬
keit wurden durch mehrfache Punktionen entleert. Im weiteren Ver¬
lauf stellten sich mehrere „Beulen“ im Bereich des behaarten Kopfes
ein, ferner indolente Anschwellungen über beiden Schienbeinen 1 ,
zuletzt — im Januar 1912 — Ohren laufen links. Nach seiner An¬
gabe sollen ihm damals einige „Grützbeutel“ vom Kopfe operativ ent¬
fernt worden sein, die Wunden heilten jedoch nicht zu, Patient sucht
aus diesem Grunde die Klinik auf. Bei der Aufnahme des im übrigen
leidlich kräftigen Mannes fand sich ausser geringen Veränderungen über
der linken Lungenspitze kein pathologischer Befund seitens der inneren
Organe. Im Bereiche des Stirnbeins sind zwei auf Knoten führende
Fisteln vorhanden, einen dritten Herd weist das Röntgenbild nach. Ueber
der inneren Fläche beider Tibiae findet sich beiderseits symmetrisch an
der Grenze von mittlerem und unterem Drittel eine umschriebene harte,
glatte, dem Knochen angehörende klein-wallnussgrosse, fast völlig in¬
dolente Auftreibung, die links im Centrum deutliche Fluktuation zeigt.
Die bedeckende Haut ist unverändert. Das linke Trommelfell weist
einen ausgedehnten Defekt auf, man sieht in der Tiefe nekrotischen
Knochen freiliegen. Bezüglich der diagnostischen Auffassung dieser
Veränderungen war es nun zunächst klar, dass es sich beim Schädel
um Tuberkulose handelte; das Röntgenbild zeigte den hierfür ge¬
radezu pathognomonischen Befund von etwas über linsengrossen, scharf
umschriebenen, den ganzen Knochen durchsetzenden, rundlichen Defekten,
bei gleichem Fehlen, der für Lues charakteristischen, periostalen Wuche¬
rungen. Auch-die Ohraffekfcion wurde von den konsultierten Otiatern
mit grösster Wahrscheinlichkeit als tuberkulös angesprochen. Schwieriger
gestaltete sich dagegen die ätiologischejAuffassung] der Tibiaherde.
Das Röntgenbild zeigte hier kleine, etwa taubeneigrosse, in der
Rindenschicht des Knochens gelegene, scharf umschriebene Auf¬
hellungen, die zunächst an Lues denken lassen mussten. Allerdings sprach
hiergegen wiederum das Fehlen jeglicher periostalen Auftreibung bzw.
einer Verdichtung des umgebenden Knochens. Da überdies die Wasser-
mann’sche Reaktion negativ ausfiel und sich auch sonst keinerlei Anhalts¬
punkte für bestehende Lues ergaben, wurde die Wahrscheinlichkeits¬
diagnose folglich auch hier auf Tuberkulose gestellt. Bei der am
28. XII. 1912 von mir vorgenommenen Operation wurden die dem
Stirnbein angehörenden Herde mittels Meisseitrepanation ausgiebig im
Gesunden entfernt; an drei Stellen zeigte sich bereits die Dura von
tuberkulösen Granulationen bedeckt. Es ist jetzt völlige Heilung ein¬
getreten. Ebenso wurden die Tibiaherde in toto ausgemeisselt; rechts liess
sich das völlig intakte Periost abschieben; links war das Periost
bereits perforiert, es entleerte sich ein von käsigen Bröckeln erfüllter
Abscess. Die Heilung der primär vernähten Wunden erfolgte rechts
ungestört, links erst nach vorübergehender Fistelbildung. Die histo¬
logische Untersuchung des sowohl dem Schädel wie der Tibia ent¬
nommenen Gewebes ergab einwandfrei Tuberkulose (Geheimrat
Ponfick); zur Vorsicht wurde ausserdem noch mit dem von der Tibia
stammenden Material ein Tierversuch angestellt, der positiv verlief.
Es handelt sich also um einen jener seltenen Fälle von primärer
Diaphysentuberkulose; ob überhaupt ein symmetrisches Auftreten
dieser Lokalisation bisher beobachtet worden ist, vermag ich nicht an¬
zugeben. Anatomisch unterscheidet man die Diaphysentuberkulose je
nachdem sie im Marke lokalisiert ist — Osteomyelitis tuberoulosa,
deren Kenntnis sich vor allem auf die Mitteilung Küttner’s gründet
(Bruns’ Beitr., Bd. 24) — oder wie hier (meist in Gestalt umschriebener
kleiner Herde) der Rindenschicht des Knochens angehört. Bezüglich
dieser letzteren Form hat nun Krause (Deutsche Chirurgie, Liefg. 28a)
bereits hervorgehoben, dass sie sich zumeist als Teilerscheinung einer
multiplen Tuberkulose findet, deren Auftreten mitunter sogar dem ent¬
spricht, was v. Volkmann als „akute Invasion vielfacher
Tuberkelherde bei bis dahin völlig gesunden Menschon“ zu
bezeichnen pflegte. Für diesen letzteren Modus bietet nun in der Tat
auch unser Fall, in dem das Auftreten von mindestens 6 isolierten
tuberkulösen Herden innerhalb weniger Wochen erfolgte, geradezu ein
Schulbeispiel. Man wird sich einen derartigen Vorgang nur dadurch er¬
klären können, dass von irgendeinem latenten Herde aus — etwa einer
verkästen Bronchialdrüse — plötzlich eine grössere Einschwemmung von
virulentem Material in die Blutbahn erfolgte. Es entspricht also dieser
Modus entschieden der von den Pathologen gewöhnlich als „disse-
minierte Tuberkulose“ bezeichneten Erscheinungsform dieser viel¬
gestaltigen Erkrankung, wobei es im Gegensätze zur eigentlichen Miliar¬
tuberkulose nicht zur Entstehung zahlloser kleinster Knötchen kommt,
sondern zu vereinzelten grossknotigen Bildungen in einer Reihe von
Organen. Es darf daher — auf Grund dieser Beziehungen — in Fällen
wie dem vorgestellten nicht überraschen, wenn hier etwa in der Folge
auch noch an anderen Stellen des Organismus — also etwa dem Uro¬
genitalsystem, dem Cerebrum usw. — Zeichen einer stattgefundenen
lokalen Infektion sich einstellen sollten. Gerade mit Rücksicht auf
diese prognostische Sonderstellung bedeuten daher derartige
Fälle von primärer Diaphysentuberkulose nicht nur eine spezialistisch-
chirurgische Rarität, sondern verdienen vielmehr ein allgemeineres ärzt¬
liches Interesse.
3. Hr. Goerke: a) Ein Fall von Sinusthrombose.
14 jähriges Mädchen mit akuter Mittelohrentzündung; am zweiten
Tage Paracentese. Dauernd hohn, Continua (39 bis 40°) mit leichten
Remissionen. Am 1. Tage Erbrechen und Schüttelfrost^ in der darauf¬
folgenden Nacht erneuter Schüttelfrost. Am 8. Tage Operation: Knochen
des Warzenfortsatzes byperämisch; keine demarkierte Eiterung. Sinus¬
wand scheinbar unverändert; Sinus zeigt keine Respirationsbewegungen,
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UNIVERSUM OF IOWA
514
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
collabiert nicht nach Abklemmung durch Whiting-Tampons. Inzision
des Sinus, Entfernung von Thromben, von oben starke Blutung. In der
Nacht und am nächsten Tage erneute Schüttelfröste, Erbrechen, Milz¬
schwellung, Temperaturanstieg bis 40,5°. Abends (36 Stunden nach der
ersten Operation) Unterbindung der blutführenden Jugularis; Freilegung
des Sinus bis zum Bulbus und Ausräumung erweichter Thromben¬
massen aus diesem. Von da an rapide Besserung.
Vortragender verbreitet sich über die Indikationen zu den Opera¬
tionen am Sinus und an der Jugularis bei Sinusthrombose im Gefolge
akuter Mittelohrentzündung.
b) Zur Pathologie der Mieraootitis.
Mann von 42 Jahren mit akuter Mittelohrentzündung, Anfang No¬
vember 1912. Nach 14 Tagen ist die Eiterung versiegt, Patient be¬
schwerdefrei. Am 15. Dezember Auftreten starker Kopfschmerzen und
einer Gesichtslähmung auf der kranken Seite. Aufsuchen des Hospitals
am 19. Dezember. Status von diesem Tage: Linkes Ohr ohne Besonder¬
heiten. Rechts Trommelfell getrübt; Ohr sekretfrei; Flüstersprache 2 m.
Leichtes Oedem an der Spitze des Prozessus. Periphere Facialisparese
in sämtlichen Aesten; Gaumensegel beweglich. Patient sieht verfallen
aus und macht einen schwerkranken Eindruck.
Operation am 21. Dezember: Antrum und Warzenzellen ohne Be¬
fund; bei Entfernung der Spitze des Processus mastoideus quillt massen¬
haft Eiter hervor; Knochendefekt medial von der Spitze; der Sinus
lateralis liegt in grosser Ausdehnung frei. Die Abscesshöhle geht längs
der Schädelbasis bis fast an die Wirbelsäule heran. Im Eiter Strepto¬
coccus mucosus (Thioninfärbung).
Nach der Operation Facialisparese stärker, geht dann allmählich
zurück; leichte Schwäche noch nach 3 Monaten wahrnehmbar.
Entlassung des Patienten 8 Tage nach der Operation zur ambulanten
Nachbehandlung.
Diskussion.
Hr. Rieh. Levy fragt an, wie die Diagnose auf Mucosus gestellt
worden ist. Sie wird nur durch Kultur auf festen Nährböden zu stellen
sein, aber nicht aus dem Ausstrichpräparat wegen der Aehnlichkeit mit
Pneumokokken. Der Nachweis, dass es sich um Mucosus gehandelt hat,
fehlt also in dem vorliegenden Fall. In der ersten und zweiten Gene¬
ration gelingt die Kultivierung gut, erst später entstehen Schwierig¬
keiten.
Hr. Goerke: Für praktische Zwecke genügt die Untersuchung auf
Streptococcus mucosus im Ausstrichpräparat (Vorschrift nach Witt-
maack). Das Kulturverfahren gelingt nicht immer; ausserdem verliert
der Mucosus ausserhalb des Tierkörpers die Eigenschaft der Kapselfarbung.
4. Hr. Goebel: a) Kiefercyste (einkammerige Follicularcyste des
Unterkiefers), plombiert nach Mosetig-Moorhof.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Partsch ist der Meinung, dass in dem vorliegenden Falle es
sich um eine folliculäre Cyste, nicht um eine Wurzelcyste gehandelt
habe. Die vollkommene Unversehrtheit des Eckzahns, von dem an¬
scheinend die Cyste ausgegangen, und die seiner Nachbarn machen es
unmöglich, eine Wurzelcyste anzunehmen. Auch sei die Gegend, in
welcher die Cyste sitze, besonders für Cystenentwicklung disponiert.
Was die fistulösen Durchbrüche anlangt, so seien sie sowohl bei
den Wurzelcysten, wie bei den folliculären Cysten beobachtet. Sie seien
oft so fein, durch Granulationswucherung nicht markiert, dass es oft
erst nach längerem Suchen gelinge, sie aufzufinden und in ihnen die
Erklärung zu geben für die Angabe der Patienten, dass sie plötzlich
einen ganz besonders widerlichen Geschmack im Munde verspürten.
Durch die feine Fistel kommuniziere der Inhalt der Cyste mit der Mund¬
höhle, und das sei ausreichend, um den Erregern Zutritt zum Innern
der Cyste zu geben, welche eine starke Zersetzung unter Bildung höchst
übelriechender Produkte in den Cysteninhalt bewirken. Die Menge
jauchig-eitrigen Inhalts kontrastiere mit der völligen Reaktionslosigkeit
der Umgebung. Das erkläre sich durch den Schutz des Epithels des
Cystenbalges.
Hinsichtlich der Behandlung der Cyste übe er neben der teilweisen
Resektion der Wand auch die volle Exzision der Cyste. Letztere komme
in Frage bei allen jenen Fällen, in denen die Höhle von Knochen um¬
geben ist, von dem sich der Cystenbalg ab lösen lässt, ohne dass die
Gefahr besteht, dass eine Nebenhöhle, wie das bei der Verbreitung der
Cystenhöhle im Oberkiefer sehr leicht möglich sei, eröffnet würde. Eine
solche Kommunikation mit der Nasen-, Kiefer- oder Mundhöhle er¬
schwere die Heilung wesentlich und sei deshalb möglichst zu vermeiden.
Die Höhle könne nach Exstirpation des Cystenbalges direkt mit der von
der Cyste vorher! abgelösten Schleimhaut gedeckt werden und schliesse
sich dann meistens primär. Er habe die Verwendung einer Knochen¬
plombe deshalb nie nötig gehabt. Nicht immer gebe nach den vorliegen¬
den Erfahrungen die Plombe ein so gutes Resultat wie im vorliegenden
Falle, weil man bei jauchig zersetztem Inhalt nicht immer in der Lage
sei, so aseptische Verhältnisse herzustellen, wie sie für die Einheilung
einer grösseren Plombe erforderlich sei.
b) Nagelextensionen.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Pen dl fragt den Vprtr., welche Technik der Extension er an¬
wendet.
Hr. Goebel: Nur in einem Falle (6 jähriger Knabe) habe ich zwei
Nägel eingeschlagen von beiden Seiten, und zwar um die Hebelwirkung
auf den Nagel selbst auszuschalteo, im spitzen Winkel zum Extensions¬
zug. Sonst wurden immer kräftige, gerade, runde Nägel durchgeschlagen.
Von den in der Mitte zusammenzusebraubenden Nägeln, die übrigens,
soviel ich weiss, zuerst von Becker-Hildesheim angegeben sind, kann
man wohl absehen. Eine Infektionsgefahr besteht kaum, und die für
den zusammengesetzten Nagel nötige Anwendung eines besonderen Bobr-
instruroentes kompliziert die Sache.
c) Eigenartige Osteomyelitisftlle.
1. Osteomyelitis radii et ulnae, über */< Jahr im Augusta-
Hospital behandelt. Schwere Sepsis, so dass schon Amputation in Er¬
wägung gezogeu wurde. Jetzt eigenartiges Bild: Der total sequestrierte
Radius liegt, nur am proximalen Ende von einer Totenlade festgehalten,
fast ganz auf der äusseren Haut, er ist allmählich herausgeeitert, und
die Haut hat sich unter ihm wieder geschlossen. Er ist so lange kon¬
serviert, um die Bildung der Totenlade nicht hintanzuhalten und soll
jetzt entfernt werden.
2. Wiedereinheilen eines osteomyelitischen Sequesters
der Ulna bei einem 5jährigen Kind. Anfang Juli 1912 erkrankt
mit Schmerzen im linken Unterarm ohne Rötung und nachweisbarem
Fieber; kommt ins Augusta-Hospital mit schmerzloser Anschwellung
des distalen Ulnarendes; das Röntgenbild zeigt fast die Hälfte der Ulna
blasig aufgetrieben. Die Operation zeigt aber, dass innerhalb des roten
Markes des Knochens ein wieder rotes Mark enthaltender Knochen liegt,
fest angewachsen. Die Wunde wird geschlossen, prima intentio. Röntgen¬
bild nach l l 2 Jahr ergibt vollkommene Wiederherstellung von Form und
Struktur der Ulna, dieselbe ist genau so wie an der anderen (rechten)
Seite. Vollkommene Funktion. Die Erklärung für den eigenartigen
Vorgang könnte vielleicht eine Periostitis ossificans geben, näherliegend
erscheint aber die Annahme einer Wiedereinheilung und allmählichen
Resorption eines, vielleicht nur teilweise nekrotisierten centralen Se¬
questers.
Diskussion.
Hr. Melchior erinnert im Anschluss an diesen Fall des Herrn
Goebel daran, dass im Verlaufe der Stapbylokokkenosteomyelitis doch
mitunter auch eigentümliche Spontanremissionen Vorkommen, die
zeitweise als echte Heilungen imponieren können. Ein eklatantes Beispiel
dieser Art wurde vor einiger Zeit in der Küttner’schen Klinik beob¬
achtet. Es bandelte sich hierbei um eine subakut einsetzende Osteo¬
myelitis des linken Humerus bei einem 14jährigen jungen Menschen;
wegen hohen Fiebers wurde am 1. Dezember 1911 die Abscessinzision
vorgenommen, die Nekrotomie dagegen wegen ungenügender Ausbildung
der Totenlade einstweilen aufgeschoben. Im Februar 1912 stellte sich
nun der inzwischen entlassene Patient mit völlig ausgeheilter
Fistel wieder vor; am Röntgenbild waren pathologische
Veränderungen nicht mehr sichtbar; da auch keinerlei sub¬
jektive Beschwerden mehr bestanden, schien objektiv alles
für eine echte Heilung zu sprechen. In Wirklichkeit war dieselbe
aber nur eine scheinbare, denn Ende Mai 1912 erschien der Patient
wiederum, diesmal mit den Zeichen einer erneuten akuten Abscess-
bildung, auch das Röntgenbild zeigte nunmehr eine fortschreitende Se-
questierung des Humerus.
d) Demonstrationen nr Abdominalckirnrgie.
1. Fall von Klappenbildung nach Magenresektion Bill-
roth II. Die oberste Jejunumschlinge war an die Resektionsöffnung des
Magens angenäht. 9 Tage lang Erbrechen, dann Relaparotomie und
Gastroenterostomia ant. Tod an Peumonie. Präparat zeigt einen cylinder-
förmig ausgezogenen distalen Magenteil, an dem quer vorbei, gut kom¬
munizierend, das Duodenum und Jejunum zieht Der proximale Teil
des Magens ausgeweitet. Dieser Teil hatte offenbar bei Füllung des
Magens auf den distalen Teil gedrückt, so dass ein Sporn entstand und
die Oeffnung klappenartig verlegt wurde.
2. Fall von erfolgreich operiertem Gallensteinileus.
55 jährige Frau. Aufnahme 1. Februar 1918. Vor Weihnachten traten
plötzlich Schmerzen im Kreuz auf. Der Leib war aufgetrieben, der Stuhl
angebalten. Sehr rasch trat Besserung ein. Die Anfälle wiederholten sich.
Mitte Januar trat ein Druck im Leibe vom Nabel rechts hinunter auf,
dann Uebelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Aufstossen. Seit 5 Tagen
wiederholtes Erbrechen, das heute morgen kotig ist. Leib aufgetrieben.
Stuhlgang zuletzt heute früh auf Einlauf, jedoch nur aus gefärbtem
Wasser bestehend.
Befund: Mittelgrosse, gutgenährte Frau, kommt zu Fuss ins
Hospital. Abdomen aufgetrieben, mässig gespannt. Tympanie. Keiu
Ascites. Tiefe Betastung schmerzhaft, aber nicht Mac Burney oder Gallen¬
blasengegend. Kleiner Nabelbrucb, offenbar nicht eingeklemmt. Magen¬
spülung ergibt fast reinen, flüssigen, braunen Kot.
Diagnose: Chronischer Ileus, wahrscheinlich durch Hindernis
(Tumor) im untersten Ileum.
Sofortige Laparotomie: Schnnitt in der Mittellinie. Etwa 50 cm
oberhalb der Bauhin’schen Klappe ein über walnussgrosser Tumor im
Darm, anscheinend am Mesenterialansatz festsitzend. Es wird verkalktes
Lipom angenommnn. Oberhalb ist der Darm dilatiert und gefüllt, aber
nicht maximal gedehnt, unterhalb collabiOrt. Resektion von etwaLÖ cm
Länge des Darmes. Seit-zu-Sedt-Anastomosei^ Schluss unter Radikal¬
operation des Nabelbruchs, in dem Nets adhärent.
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UNIVERSUM OF IOWA
17. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
515
Der Tumor (Demonstration) erwies sich als ein 16 g schwerer
Gallenstein. Er lag in einer Ausbuchtung des Darmes, ziemlich fixiert,
die Darmwandungen waren stark verdünnt.
Nachträglich gab Patientin an, dass sie seit 12 Jahren an Anfällen
von Magenkrämpfen gelitten, dabei trat Schwellung des Leibes auf.
Gelbsucht ist nie dagewesen. Die Diagnose auf Gallenkoliken ist nie
gestellt. In den letzten Jahren hatte sie Ruhe.
Verlauf reaktionslos. Es ist also wohl eine abnorme Kommunikation
zwischen Gallenblase und Darm anzunehmen. Die Anamnese liess, wie
so oft bei Einklemmuug von Gallensteinen im Darm, im Stich.
Auffallend war während der Operation das gänzliche Fehlen
von Drüsen im Mesenterium. Das hätte die Diagnose eines Tumors —
auch wohl eines entzündlich gereizten Lipoms - 1 - ausschliessen
können. Ich habe die Angabe dieses negativen Symptoms in den
Lehrbüchern vermisst. Es erscheint wichtig, wenn auch vielleicht
zuzugeben ist, dass eine längere zu Ulcerationen führende Einklemmung
von Steinen auch entzündliche Drüsenschwellung veranlassen könnte.
Bei der Operation war der Stein nicht beweglich, nur die Serosaseite
des Darms liess sich auf dem Stein etwas verschieben.
3. Fall von congenitalem Fehlen der Gallenblase.
(Ausführliche Veröffentlichung a. a. 0.)
Diskussion: Hr. Stumpf: Demonstration einer vor 10 Jahren an¬
gelegten Choleoystenteroanastomose, die durch entzündliche Prozesse
vollständig verschlossen war.
e) Coxa vara.
Der 17 jährige Schmiedelehrling war bis zum 14. Lebensjahre gesund.
Im Dezember 1909 traten zuerst spontan Schmerzen im linken Knie,
dann beim Laufen und Stehen in der linken Hüfte auf. Damals wurde
er schon in einem hiesigen Krankenhause unter der Diagnose Coxa vara
mit Gipsverband behandelt und nach zwei Monaten gebessert entlassen.
Kurze Zeit darauf Eintritt in die Lehre. „Er kam nicht recht von der
Stelle, wie ein gesunder Mensch“, das linke Bein konnte er nicht ganz
so beugen wie das rechte. Im allgemeinen aber beschwerdefrei bis
Neujahr 1913. Dann trat Stechen im rechten Knie auf, die später nach
oben ausstrahlten, er bekam die Beine nicht mehr in die Höhe, Laufen
und Gehen wurde schwerer.
Röntgenbild zeigt typische Coxa vara cervicalis beiderseits, Ab¬
rutschen der Epiphyse, links stärkere Anteflexio femoris und auch etwas
Knochenapposition am oberen Pfannenrand. Abduktion, Rotation und
Flexion in typischer Weise beschränkt, kann nur mit gekreuzten Beinen
sitzen oder knien. Aber kein Vorstehen der Trochanteren, keine Ab¬
fachung der Gesässgegend, kein Trendelenburg’sches Symptom, keine
Steigerung der Patellarreflexe. Aetiologisch spricht der Fall gegen
traumatische Genese.
(Die Knochenerkrankung zeigte sich auch bei der Redression am
folgenden Tage, die sehr glatt gelang und zweifellos eine abnorme
Weichheit des Halses usw. ergab, denn es gelang relativ mühelos, die
Beine in starke Abduktion und Innenrotation zu bringen durch Manöver,
wie bei der Einrenkung der Luxatio coxae congen. [Drehmann.])
Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung.
Sitzung vom 29. Januar 1913.
Hr. H. 0. Foerster: 1 . Fall von sogenannter Torsionsnenrose.
Der Fall ist dem Vortragenden durch Kollegen Bychowsky aus
Warschau zugeschickt worden, der ihn in Gemeinschaft mit dem Vor¬
tragenden ausführlich publizieren wird.
16 jähriger Knabe aus Russisch-Polen, Beginn der Krankheit vor
4 Jahren im rechten Fuss, der beim Gange immer nur mit der Fuss-
spitze aufgesetzt wurde. Einige Zeit später Störung im linken Arm,
indem beim Erfassen von Gegenständen jedesmal eine krampfhafte Pro¬
nation sich einstellte und die Finger schwer geschlossen werden konnten.
Später besserte sich der Zustand wieder. Seit einer Reihe von Wochen
hochgradige Verschlimmerung des Befindens mit rascher Progredienz.
Der Körper des Kranken befindet sich fortwährend in schwerer Unruhe.
Der Knabe kann weder liegen, noch sitzen, da sich dabei jedesmal eine
ausgesprochene krampfhafte Lordose der Wirbelsäule einstellt, die
äusserst schmerzhaft ist. Gleichzeitig geraten auch die unteren Extremi¬
täten zumeist in einen Extensionskrampf. Am erträglichsten ist der
Zustand noch, wenn der Kranke steht und sich am Bettrande mit den
Händen hält. Dabei befindet sich das rechte Bein im Knie gebeugt, der
rechte Fuss meist in starker Spitzfussstellung und der Oberkörper wird
stark vornübergebeugt gehalten. Das linke Bein ruht entweder leicht
gebeugt dem Boden auf oder führt scheuernde Bewegungen am rechten
Bein aus. Sehr häufig tritt nun ganz plötzlich intensive totale Lordo-
sierung der Wirbelsäule ein, wodurch der Rumpf vollständig nach hinten¬
über geworfen wird. Der Gang des Knaben hat eine recht auffallende
Eigenheit Er geht mit gebeugtem Knie und vornübergebeugtem Ober¬
körper. Der rechte Fuss wird fast durchweg in Spitzfussstellung auf¬
gesetzt. Wenn das rechte Bein als Stützbein fungiert, so beugt der
Knabe meist den Oberkörper noch mehr willkürlich nach vorn. Bedient
er sich. dieser Kunsthilfe nicht, so gerät der Oberkörper in krampfhafte
Lordosierung, wobei der Kranke nach hintenüber geschleudert wird.
Wenn das linke,Bein als Stützbein fungiert, so richtet sich der Ober¬
körper zumeist deutlich empor, es tritt auch dabei eine gewisse Lordose
in der Wirbelsäule manchmal zutage. Indessen besteht hierbei nicht so
sehr die grosse Gefahr, dass die Wirbelsäule in krampfhafte Lordose
gerät. Die grobe Muskelkraft ist durchweg gut. Auch ist die Koordi¬
nation an den Beinen und Armen bei Präzisionsbewegung nicht gestört.
Nur beim Ergreifen von Gegenständen mit der linken Hand zeigen die
Finger derselben etwas Gespreiztes. Hypotonie in den Fingern und
Zehen. Sensibilität und Reflexe normal. Intelligenz sehr gut.
Der Fall gehört in die Gruppe der von Ziehen, Oppenheim, Flatau
und Sterling beschriebenen Fälle. Ziehen hat diese Fälle als tonische
Torsionsneurose bezeichnet. Die Bezeichnung erscheint dem Vortr. un¬
zweckmässig, weil es sich sicher um ein schweres chronisch-progressives
Uebel mit offenbar organischer Grundlage handelt. Die Krankheit hat
die allergrösste Verwandtschaft mit der schweren Athetose. Auf
Berührungspunkte mit dieser hat Oppenheim schon hingewiesen, ebenso
auch Flatau. Iudessen haben doch alle Autoren die Fälle von der
Athetose abgrenzen wollen. Ziehen meinte, dass bei schwerer Athetose
die Wirbelsäule nicht beteiligt sei. Das ist nach den Erfahrungen des
Vortr. durchaus unzutreffend. Er demonstriert eine grosse Anzahl Bilder
von schwerer Athetose, die gerade die enorme Ueberstreckung der
Wirbelsäule zeigen. Die von Oppenheim hervorgehobene und auch in
diesem Fall vorhandene Hypotonie ist nach den Erfahrungen des Vortr.
in allen schweren Fällen von generalisiertem Spasmus mobilis vor¬
handen, bildet also auch kein Unterscheidungsmerkmal. Auch die
eigentümliche Gangstörung mit vornüber gebeugtem Rumpf hat Vortr.
bei schwerem generalisierten Spasmus mobilis verschiedene Male ge¬
sehen. Er zeigt diesbezügliche Bilder, welche an die von Oppenheim
gegebene Abbildung, sowie an das Bild, das der Kranke bietet, stark
erinnern. Dass bei angeborenem, schwerem generalisierten Spasmus
mobilis stets deutliche Zeichen gleichzeitiger spastischer Diplegie be¬
stehen müssten, ist nach den Erfahrungen des Vortr. auch nicht zu¬
treffend; Vortr. kennt eine ganze Anzahl von Fällen ohne Babinski,
ohne Fussclonus, ohne fixierte Dauerkontrakturen usw. Den Haupt¬
unterschied zwischen dem angeborenen generalisierten Spasmus mobilis
und der hier demonstrierten Gruppe von Fällen erblickt der Vortr.
darin, dass bei ersteren die krampfhaften Zustände Extremitäten, Gesicht
und Rumpf betreffen, während bei der hier besprochenen Gruppe ganz
vorzugsweise und in extremem Grade der Rumpf, speziell die Rücken¬
strecker betroffen sind, während die Arme und Beine weit weniger be¬
teiligt zu sein scheinen. Indessen sind auch diese eigentlich in keinem
der Fälle bisher ganz frei geblieben. Ein weiterer Unterschied liegt
nach der Ansicht des Vortr. darin, dass das Krankheitsbild in späterer
Kindheit beginnt, im Gegensatz zu den allgemeinen Fällen von schwerem
Spasmus mobilis.
Vortr. ist der Ansicht, dass im Wesen aber genau derselbe Krank¬
heitsprozess vorliegt und möchte deshalb diese Fälle als Athetose des
Rumpfes des Jünglingsalters bezeichnen.
Diskussion.
Hr. Sandberg berichtet über eine ähnliche Beobachtung, die im
Anschluss an Scarlatina entstanden und sich allmählich progressiv ent¬
wickelt hatte. Auffallend war besonders der Gang, der stampfend ab¬
wechselnd in Calcaneus- und Equinusstellung unter Verdrehungen des
Beckens vor sich ging. Die Reflexe waren lebhaft. Es bestand zugleich
Fettsucht und eine Verflachung der Sella turcica im Röntgenbild.
Hr. Alzheimer betont mit Rücksicht auf die Bezeichnung der Er¬
krankung, dass es sich um eine schwere organische Affektion handelt.
Aus der Beteiligung der Wirbelsäule würde er einen prinzipiellen Unter¬
schied gegenüber der Athetose double nicht herleiten.
Hr. Mann macht auf einen 1911 von Gauser als späte posthemi-
plegische Chorea veröffentlichten Fall aufmerksam, der vielleicht auch in
das hier besprochene Gebiet gehört.
Hr. Foerster stimmt Herrn Alzheimer ganz zu, dass die Be¬
zeichnung Torsionsneurose durchaus unzutreffend ist. Vortr. betont
noch einmal, dass auch er glaubt, dass es sich um eine der Atethose
durchaus eng verwandte chronische progressive Affektion mit schlechter
Prognose handelt, bei der offenbar die analogen Teile des Nervensystems
wie bei der Atethose betroffen sind. Vortr. berührt noch einmal kurz-
die Punkte, die seiner Ansicht nach die Fälle von der gewöhnlichen schweren
Atethose unterscheiden.
Hr. Ludwig Mann stellt einen Fall von sogenannter Torslons-
neiirose vor.
Es handelt sich um ein im Vergleich mit dem vorher von Herrn
Foerster demonstrierten Falle noch wenig ausgeprägtes, aber doch
charakteristisches Symptomenbild.
Der 24 jährige junge Mann (Deutscher, von christlicher Konfession)
hat seit etwa einem Jahre in langsam zunehmender Weise krampfhafte
Bewegungen der Bauchmuskulatur und des rechten Beines bemerkt.
Besonders die krampfhaften Bewegungen der Bauchmuskulatur sind sehr
auffallend; sie erinnern häufig an die bekannten Bewegungen des Bauch¬
tanzes. Sehr häufig verbreiten sie sich auch auf die Rücken- und
Schultermuskulatur, so dass eine Rückwärtsbiegung der Wirbelsäule,
also bereits eine Andeutung der von Oppenheim als besonders charakte¬
ristisch angegebenen Lordose eintritt. Das rechte Bein führt Bewegungen
hauptsächlich im Sinne einer Abduktion und Aussenrotation aus. Der
Charakter der krampfhaften Bewegungen .ist ein überwiegend clonischer,
bisweilen in einen kurzdauernden Tonus übergehend) dieselben scheinen
besonders ausgelöst zu werden durch willkürliche Bewegungen, ins¬
besondere durcjh den Gang. Auch Druclf in Epigastrium löst die¬
selben häufig in sehr heftiger Form aus. Eine neuropathische Belastung
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UNIVERSUM OF IOWA
516
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
in der Familie ist nicht nachweisbar. Die Untersuchung des Nerven¬
systems ergibt normale Verhältnisse, nur ist das Bestehen eines leichten
Facialisphänomens zu erwähnen. Der Fall dürfte sich aller Voraussicht
nach wie die anderen bekannten Fälle progressiv entwickeln.
Der Name „Torsionsneurose“ ist nur als ein vorläufiger anzusehen;
jedenfalls liegt ein organisches Leiden vor, welches wohl Beziehungen
zur Atethose haben dürfte.
(Ausführliche Publikation soll später erfolgen.)
Hr. F®erster:
2. Fall von notorischer Apraxie der rechten Kffrperhälfte.
Patient, 47 Jahre alt, leidet seit 11 Jahren an rechtsseitiger
Jackson’scher Epilepsie. Anfälle ungeheuer wechselnd, an Heftigkeit
und Häufigkeit. Bis vor kurzem dienstfähig. Seit einigen Wochen an¬
geblich rechtsseitige Lähmung sowie Sprachverlust. Bei näherer Be¬
trachtung zeigt sich, dass am rechten Arm eine ausgesprochene Apraxie
besteht. Sogar einfache Bewegungen der einzelnen Gliedabschnitte können
nicht einmal nachgemacht werden. Die erfasste Hand wird krampfhaft
geschlossen gehalten. Bei fast allen Bewegungen wird die Hand ähnlich
wie beim militärischen Gruss zur Stirn geführt, manchmal auch Dreh¬
bewegungen gleichzeitig. Am rechten Bein Parese der Prädilektions-
muskelu Babinski positiv, auch am rechten Bein deutliche Apraxie.
Der Kranke ist unfähig, zu stampfen, zu scharren, mit dem Bein be¬
stimmte Stellen am Boden zu treffen. Macht dabei ganz ungeschickte
E^satzbewegungen. Sensibilität durchweg normal. Keine Tastlähmung,
an der linken Hand sehr leichter Grad von Apraxie, der nur bei der
Ausführung von aufgetragenen Gesten (Ausdrucksbewegungen) hervor¬
tritt. Sprechen schwer gestört. Anfangs bestand totale transcorticale
motorische Aphasie. Kranker kann spontan fast nichts hervorbringen,
wiederholt in stotternder Weise immer nur bestimmte Worte. Er spricht
dagegen jedes Wort nach, wobei allerdings auch wieder einmal ein ge¬
wisses Stottern und eine gewisse Verwaschenheit auffällt. Mit der rechten
Hand kann Kranker gar nicht schreiben, mit der linken im wesent¬
lichen normal. Lesen intakt. Keine Stauungspapille, Augenhintergrund
normal.
Seit einigen Tagen nach einem stärkeren Anfall halbseitige motorische
Lähmung rechts. Sprechen verschlechtert, spontane Sprache fast ganz
aufgehoben. Nachsprechen ebenfalls geschädigt. Der Kranke soll in den
nächsten Tagen trepaniert werden, da ein irritativer Prozess in der
Nachbarschaft der linken Centralregion anzunehmen ist, dessen Natur
vorläufig schwer zu bestimmen ist. Lues ist höchst unwahrscheinlich,
da Blut und Liquor keine Veränderungen zeigen. Trotz fehlender
Stauungspapille und anderen Allgemeinerscheinungen muss an Tumor im
Stirnhirn gedacht werden.
3. Luetisch© spastische Spinalparalyse bei hereditärer Lues.
17jähriger Knabe, seit mehreren Jahren ganz langsame, immer
mehr zunehmende Gangstörung, zunehmende Steilheit der Beine. Niemals
Blasenstörung, niemals Schmerzen. Ausgesprochene Streckkontraktur an
den unteren Extremitäten, gesteigerter Patellarreflex, Fussclonus, Babinski,
Oppenheim, Mendel-Bechterew, Strümpell’sches Tibialisphänomen deutlich
positiv. Beim Gange werden die Knie kaum gebeugt. Die Fussspitzen
streifen über den Boden. Bauchdeckenreflex normal. In den oberen
Extremitäten sehr lebhafte Sehnen- und Periostreflexe, kein Nystagmus,
Augenhintergrund ganz normal. Niemals cerebrale Erscheinungen. Urin-
und Stuhlentleerung völlig normal, keine Sensibilitätsstörung. Wasser¬
mann im Blut und Liquor positiv. Nonne positiv, Eiweiss vermehrt,
starke Lymphocytose.
Es handelt sich um einen Fall von Erb’scher spastischer Spinal¬
paralyse mit luetischer Aetiologie, die durch hereditäre Lues bedingt wird.
4. Gastrische Krisen als einziges Symptom einer Tabes dorsalis.
85 jähriger Kaufmann, vor 12 Jahren Lues, seit 6 Jahren allmählich
immer schwerer werdende gastrische Krisen. Seit einem Jahre befindet
sich der Kranke in einem dauernden Status criticus. Nimmt dauernd
hohe Morphiumdosen. Nicht die geringsten anderen subjektiven Be¬
schwerden. Auch in objektiver Beziehung besteht nichts, nur ist die
rechte Pupille manchmal etwas weiter als die linke. Doch ist auch
dieses Symptom nicht konstant. Wassermann im Blut und Liquor positiv.
Nonne positiv, Lymphocyten vermehrt. Einleitung einer spezifischen
Kur, Calomel und Salvarsan; nach der dritten Salvarsaninfusion Schwin¬
den beider Patellar- und Achillesreflexe. Pupillenreaktion sehr träge,
Krisen unbeeinflusst.
5. Sensorische Aphasie and Alexie hei Laes eerebri.
Patient, 27 Jahre alt. Am 5. IX. 1912 nachmittags heftige links¬
seitige Kopfschmerzen, besonders auch im linken Ohr. Einige Tage
später, plötzlicher Verlust des Sprachverständnisses. Totale sensorische
Aphasie, keine motorische Aphasie, nicht die geringste Paraphasie, wohl
aber besteht optisch-taktile Aphasie und totaler Verlust des Lese¬
sinnverständnisses. Patient liest alles, was ihm vorgelegt wird,
laut und ohne Fehler, versteht den Sinn absolut nicht. Schreiben intakt.
Augenhintergrund ohne Besonderheiten. Am linken Trommelfell eine
alte Narbe, Schläfenlappenabscess von otiatrischer Seite nicht ange¬
nommen, obwohl Fieber besteht. Im Liquor starke Lymphocyten- und
Eiweissvermebrung, Nonne positiv, Wassermann negativ, trotzdem Ein¬
leitung einer spezifischen Kur. Rasches Schwinden der sensorischen
Aphasie, Störung des Lesesinnverständnisses und optische Aphasie
bleiben lange bestehen. Optische Aphasie weicht zuerst, zuletzt die Stö¬
rung des Lesesinnverständnisses. Nach 3 Monaten sind alle Symptome
geheilt. Einige Wochen später kurzes Recidiv. Diesmal auch leichte
paraphasiscbe Störung.
Rascher Rückgang unter weiterer spezifischer Behandlung. Be¬
merkenswert ist, dass unter der spezifischen Behandlung der Wasser¬
mann erst im Liquor, später auch im Blut positiv geworden ist, bei
vollem Rückgang aller klinischen Symptome. Vortr. hebt besonders
hervor die interessante Störung des Lesesinnverständnisses
bei erhaltenem Leselautverständnis. Er hat dies auch noch in
einem anderen Fall beobachtet und erblickt in dieser interessanten
Form der Lesestörung eine transcorticale Alexie, die das Analogon
der transcorticalen sensorischen Aphasie darstellt ln der Literatur ist
auf derartige Vorkommnisse bisher noch nicht hingewiesen worden.
6. Hysteroepiiepsie hei Lues eerebri.
28 jähriger Mann. Seit reichlich einem Jahre gehäufte Anfälle, die
als epileptische angesprochen werden, sich allmählich immer mehr
häufen, und derentwegen der Kranke grosse Bromdosen, bis 22 g täglich,
ohne jeden Nutzen bekommen hat.
Ein Teil der Anfälle besteht nach der Beschreibung der Umgebung
und der Aerzte in generalisierten, tonisch-clonischen Krämpfen am ganzen
Körper, mit Schaum vor dem Munde, stertorösem Atem, tiefer Bewusst¬
losigkeit und nachträglicher Amnesie. Die Anfälle kommen plötzlich,
der Kranke merkt angeblich nichts davon.
Bei einem anderen Teil der Anfälle merkt Kranker selbst den Be¬
ginn im linken Arm, manchmal beschränken sich die Anfälle auf den¬
selben, greifen aber auch manchmal auf das linke Bein und alsdann
auch auf die andere Körperhälfte über. Bei diesen Anfällen verliert
Patient nicht immer das Bewusstsein. Solche Anfälle hat Patient bis
zu 15 am Tage. Die objektive Untersuchung des Nervensystems ergibt
einen vollständig negativen Befund. Sämtliche Anfälle, welche ich in
der ersten Zeit bei dem Kranken beobachten konnte, waren ausge¬
sprochene hysterische Anfälle von meist ziemlich langer Dauer,
besonders schöner Are de cercle; die Anfälle klingen jedesmal ab mit
einer ausgesprochenen epileptiformen Phase, niemals Zungenbiss dabei,
Pupillen zeigen prompte Reaktion, keine Störung der Atmung und des
Pulses. Patient ist aus den Anfällen jedesmal in jedem beliebigen
Moment durch einen faradischen Reiz zurückzurufen. Zwischen den
Aufällen Klagen über Kopfschmerzen und Uebelkeit. Das Brom wird
mit einem Male ausgesetzt, Wassermann im Blut negativ, dagegen im
Liquor positiv. Einleitung einer spezifischen Kur, Nachlassen der An¬
fälle; es treten etwa nur noch drei oder vier pro Tag auf. Kein ein¬
ziger Anfall konnte als auch nur epilepsieverdächtig bezeichnet werden.
Nur zweimal wurden echte Jackson’sche epileptische Anfälle im linken
Arm, einmal mit Uebergreifen auf die ganze linke Körperhälfte und
Bewusstseinsverlust beobachtet.
Bei fortgesetzter spezifischer Behandlung schwinden alle Symptome.
Auch der Liquor wird ganz normal, der Kranke befindet sich jetzt seit
vielen Monaten bei voller Gesundheit.
7. Spinale Muskelatrophie auf laotischer Basis.
38 jähriger Mann, seit über Jahresfrist Schwäche und Abmagerung
der unteren Extremität, niemals Schmerzen, keine Blasenstörung. Rechts
totale Lähmung der Dorsalflexoren des Fusses und der Plantarflexoren,
Schwäche der Kniebeuger, mässige Parese des Quadriceps, der Adduk¬
toren und der Heber des Beines. Links Lähmung der Dorsalflexoren,
Schwäche der Piantarflexoren. In den gelähmten Muskeln besteht Ent¬
artungsreaktion, Sensibilität ganz normal, Patellar- und Achillesreflex
fehlen. Pupillen reagieren. Wassermann im Blut und Liquor positiv,
starke Lymphocytose, Nonne positiv, Eiweiss Vermehrung.
8 . Multiple Tuberkulose.
11 jähriger Knabe, hat früher viel an Kopfschmerzen gelitten. Im
August 1911 plötzlich Bewusstlosigkeit, rechtsseitige Hemiplegie und
Aphasie, dabei erhöhte Temperatur. Rasche Rückbildung der Hemi¬
plegie und Aphasie, doch bleiben Kopfschmerzen bestehen, dazu gesellen
sich Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr, Schwindel, schlechtes Sehen
auf dem linken Auge. Im Januar 1912 erneute Hemiplegie und Aphasie,
Benommenheit, heftige Kopfschmerzen. Lumbalpunktion zeigt sehr er¬
höhten Druok. Starke Lymphocytose, mässige Leukocytose, starke
Ei Weissvermehrung, Wassermann negativ. Linkes Auge total blind,
Atrophia nervi optici. Keine Stauungspapille. Besseruog des all¬
gemeinen Befindens, doch bleibt die Hemiplegie bis zu einem gewissen
Grade bestehen. Im März 1912 starke Schmerzen in den Zehen, be¬
sonders der linken Seite. Es entwickelt sich eine Gangrän, die zum Ab-
stossen der zweiten und fünften Zehe führt. Rechts und links Fuss-
pulse vollkommen erloschen. Im weiteren Verlauf tuberkulöse Peri¬
tonitis, hochgradige Milz- und Leberstauung und starke Erweiterung der
Venen der Bauchhaut. Allmählicher Rückgang der schweren Erschei¬
nungen, Wassermann dauernd negativ, Pirquet positiv, probatorische
Impfung mit Alttuberkulin. Patient bekommt eine typische meningeale
Reaktion. Es ist möglich, dass wir es hier also mit einer tuberkulösen
Affektion des Gehirns bei gleichzeitiger tuberkulöser Peritonitis zu tun
haben. Es ist auch möglich, dass die Gangrän des Fusses auf einer
Endarteritis tuberculosa beruht.
9. Lues oder Tuberculosis eerebri.
21 Jahre alt, stets gesund, Anfang August 1911 plötzlich krank
unter Schwindel, Augenflimmern, Kopfschmerzen, Erbrechen, zeitweilig
Benommenheit. Rechts Pupillenstarre, linke Pupille reagiert. Fehlen
des linken Patellar- und Achillesreflexes, hochgradige Druck- und Klopf¬
empfindlichkeit des Schädels. Babinski links positiv, im weiteren Ver-
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17. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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lauf reagiert die rechte Pupille wieder, die linke wird aber starr. Kopf¬
schmerzen und Schwindel halten an, linke Lungenspitze zeigt Dämpfung.
Wassermann im Blut und Liquor dauernd negativ. Auf probatorische
Impfung mit Alttuberkulin deutliche fieberhafte Reaktion. Durch fort¬
gesetzte Impfung in kleinen Dosen schwinden allmählich Kopfschmerz
und cerebrale allgemeine Erscheinungen. Bei grösseren Dosen treten
jedesmal meningeale Reaktionen auf in Form von Uebelkeit, Brechreiz,
Benommenheit und hoher Fiebersteigerung. Der Fall ist unklar, zu¬
nächst muss natürlich an Lues gedacht werden, trotz des dauernd
fehlenden Wassermann und des absolut normalen Liquors. Man kann
aber auch an eine tuberkulöse Affektion denken, etwa in der Gegend
der Sphincterkerne mit konkommittierenden meningealen Reizerscheinungen
ohne entsprechenden Liquorbefund.
Disk ussion.
Hr. Foerster bemerkt mit Bezug auf die Bedenken, die Herr Alz¬
heimer äussert, dass auch er keineswegs eine sichere Diagnose auf eine
tuberkulöse Affektion zu stellen wage, allerdings könne auch eine luetische
Affektion nicht ohne weiteres angenommen werden. Es fehle ja nicht
nur völlig der Wassermann im Blut und Liquor, sondern es sei der
Liquor auch sonst in jeder Hinsicht normal, und das käme nach den
Erfahrungen des Vortragenden bei anatomisch sicher nachgewiesener
tuberkulöser Affektion des Nervensystems vor. Pupillenstarre spräche
ja in erster Linie für Lues, sei aber bei tuberkulöser Affektion des Nerven¬
systems auch vorhanden.
Hr. H. 0. Foerster: 10. Progressive Paralyse, die klinisch völlig unter
dem Bilde der Phresbyophrenie verläuft.
Patientin ist vom Vortr. bereits wiederholt vorgestellt worden.
Gegenwärtig befindet sie sich in einer weitgehenden Remission. Sie ist
gut orientiert. Ihre Merkfähigkeit ist wesentlich gebessert. Dagegen
sind die konfabulatorischen Tendenzen noch ganz enorm ausgesprochen.
Manchmal zeigt die Sprache der Kranken ein leichtes Anstossen. Die
Diagnose der Paralyso wird an einem Präparat, das durch Hirnpunktion
gewonnen ist, demonstriert. Man sieht sehr schön mit der Unna- Pappen-
heim’schen Färbung die Plasmenzellen.
Hr. Reich: Fall tob SyringobBlbie.
35 jähriger Mann. 1907 luetische Infektion. 1908 Gefühlsstörungen
im Gesicht: Hypästhesie im Gebiete der Lippen, Parästhesien, Schmerzen.
Beginn in der rechten Gesichtsbälfte, später Uebergreifen auf die linke.
Wegen Verdachts einer Trigeminusneuralgie Behandlung mit Alkohol¬
injektionen usw. Kein Erfolg.
Juni 1912 Aufnahme: Starke, doppelseitige, dauernd bestehende
Schmerzen im Gesicht. Keine neuralgischen Anfälle.
Dissoziierte Empfindungsstörung im Gesicht und am behaarten Kopfe.
Die Begrenzung entspricht nicht dem Versorgungsgebiete der peripheren
Trigeminusäste, sondern den von Sold er bei Erkrankung des Trigeminus¬
kerns beobachteten Grenzlinien. Ausserdem Anästhesie des Gaumens,
Rachens und Kehlkopfes. Völlige Gesohmackslähmung. Andere Hirn¬
nerven sowie das übrige Nervensystem intakt.
Wassermann im Blut und Liquor negativ, auch sonst Liquor ohne
Besonderheiten.
Wegen der Luesanamnese spezifische Behandlung, ohne Erfolg.
Im weiteren Verlaufe Fortschreiten der Anästhesie peripherwärts
über das Trigeminusgebiet hinaus. Später gerioge Remission. Die
äusserste Anästhesiegrenze reicht vorn bis zur Zungenbeingegend, hinten
bis zur Haargrenze.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Syringobulbie. Dafür
spricht vor allem die streoge Dissoziation der Empfindungslähmueg sowie
ihr ausgesprochen segmentaler Charakter. Es muss ein Prozess ange¬
nommen werden, der, in der Medulla oblongata beginnend, nach unten
fortschreitet und bereits das Halsmark in grösserer Ausdehnung (bis
zum dritten bis vierten Segmente) ergriffen hat.
Diskussion.
Hr. H. 0. Foerster: Die in der Diskussion geäusserten Bedenken
haben auch wir uns zu so und so vielen Malen selbst erhoben. Der
Fall ist in jeder Hinsicht ein Unicum, passt aber nach unserer Ueber-
zeugung hinsichtlich der Symptomatologie eigentlich zu nichts anderem
als zur Syringobulbie. Die von Herrn Kuttner geäusserte Meinung, es
könne sich doch auch um Affektion des Ganglion Gasseri handeln, ver¬
trägt sich schlechterdings nicht mit der Ausdehnung der Sensibilitäts¬
störung in dem vorgestellten Falle: dieselbe greift nach hinten bis an
die Haargrenze über den ganzen Kopf hinüber; ausserdem ist der ganze
Mund, Rachen und Kehlkopf anästhetisch, und endlich besteht eine totale
Geschmackslähmung. Die Schmerzen, über die der Kranke klagt, sprechen
nicht gegen Syringobulbie.
Aerztlicher Yerein zu Hamburg,
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 4. Februar 1913.
1. Hr. Sehumm demonstriert Spektrophotogramme des Serums
einiger Fälle von Bacillus emphysematosus-Bakteriäraie, bei
welchen, zum Teil neben Methämoglobin, bedeutende Mengen von Hämatin
im Serum gelöst nachzuweisen waren.
2. Hr. E. Reye: Präparate eines Falles von Spondylitis acuta
staphyloebeeiea. Ein ß l ( 2 Wochen altes Kind wurdp stark abgemagert
sterbend ins Krankenhaus eingeliefert, ln der rechten Pleurahöhle 20 ccm
graubräunlicher Eiter (Staphylokokken), der seinen Ausgang nahm von
einem Eiterherd im völlig zerstörten 6. Brustwirbel, daselbst ein Gibbus.
Bemerkenswert ist an dem Fall der foudroyante Verlauf (das Kind soll
erst in den letzten 14 Tagen des Lebens krank geworden sein), sowie
das frühe Alter. Aetiologisch kommt in Betracht, dass bei der Mutter
des Kindes am 5. Tage des Puerperiums eine doppelseitige eitrige Mastitis
auftrat, sie stillte trotzdem weiter. Vielleicht wurde so der Eiter in den
Digestionstrakt des Kindes übertragen, und die Infektion kam von hier
aus zustande.
Diskussion.
Hr. E. Fraenkel weist auf den ausserordentlich raschen Verlauf
hin: in wenigen Wochen kam es zu totaler Eioschmelzung des Wirbel¬
körpers. Die Spondylitis infectiosa ist nicht so selten, wenn bei jedem
Fall von Pyämie mit okkultem Ausgangspunkt die Wirbelsäule makro¬
skopisch und mikroskopisch untersucht wird, wie das aus mehreren Bei¬
spielen seiner Erfahrung hervorgeht.
Hr. Halberstadt glaubt nicht, dass die Mastitis mit solcher Sicher¬
heit als Infektionsquelle des Kindes anzuschuldigen ist, dass in jedem
Falle von Mastitis etwa das Stillen prinzipiell verboten werden müsse.
Hr. Oehlecker erwähnt zwei Fälle von akuter bzw. subakuter
Osteomyelitis der Wirbelsäule, in beiden legte der Ausfall der Blutkultur
die Diagnose nahe.
3. Hr. E. Fraenkel:
Röntgenologische® über congenitale Syphilis platter Knochen.
Auf Grund seiner langjährigen Untersuchungen über die congenitale
Knochensyphilis bringt Vortr. an zahlreichen Röntgen- und Lumiere-
bildern den Beweis, dass die Diagnose der congenitalen Syphilis auch
durch (makroskopische, mikroskopische und röntgenologische) Unter¬
suchung der platten Knochen, speziell von Becken und Schulterblatt,
zn stellen ist. Ein Zusammenhang mit der Scapula scaphoidea ist
zweifelhaft, um so mehr, als letztere nach E. Reye’s Untersuchungen
zwar häufig, aber nicht immer als Zeichen einer hereditären Syphilis an¬
zusehen ist.
4. Hr. v. Bergmann: Experimentelles über Darmbewegung.
Hinweis auf die im Frühjahr 1912 an gleicher Stelle vorgeführte
Methode des „künstlichen Bauchfensters“ zwecks direkter Beob¬
achtung der Darmbewegungen. Es liegen dabei tatsächlich physio¬
logische Verhältnisse vor, wie auch aus der Tatsache hervorgeht, dass
die Versuchstiere durchschnittlich 15—20 Tage, einzelne auch über
50 Tage am Leben bleiben. Sehr schön lassen sich damit die Pendel-
bewegungen der Längs- und Ringmuskulatur des Dünndarms überblicken,
weiterhin die kleinen Colonbewegungen (haustrale Einschnürungen, Pillen¬
drehbewegungen) und die grossen Colonbewegungen, die zum Teil aktiv
antiperistaltisch verlaufen (z. B. im Coecum des Kaninchens). Ausser¬
dem lässt sich so die verschiedene Blutfüllung der Därme sehr gut beob¬
achten und die Einwirkung verschiedener Faktoren hierauf (Kälte, Wärme,
Massage, psychische Erregung, Trauma). Endlich kann mit Hilfe des
„grossen Bauchfensters“ im Tierexperiment die Wirkung der einzelnen
Pharmaka (Atropin, Pilocarpin, Adrenalin usw.) genauestens studiert
werden. Beim Menschen gibt das Röntgenbild nach hohen Wismutein¬
läufen unter der Einwirkung von Pilocarpin, Atropin usw. charakte¬
ristische Bilder, die an einer Reihe von Diapositiven erläutert werden.
Eine feste Einteilung der chronischen Obstipation, etwa in eine dys¬
kinetische und hypokinetische, ist damit noch nicht möglich, wohl aber
schon die Erkennung von Därmen mit erhöhtem und erniedrigtem Vago-
tonus.
Sitzung vom 11. Februar 1913.
Demonstration.
1. Hr. Mnx Fraenkel: Histologische Bilder eines Falles von aknt
verlaufener multipler Sklerose. Der 23jährige Patient war 3 Wochen
nach Beginn seiner Erkrankung ins Krankenhaus Eppendorf (Abteilung
Dr. Nonne) aufgenommen worden und zeigte deutliche Symptome von
multipler Sklerose. Lumbalpunktion: klarer Liquor, Druck nicht erhöht,
gerioge Lyraphocytose, Phase I negativ, Wassermann in Blut und Liquor
negativ. Später bulbäre Erscheinungen, Paresen der Extremitäten; Tod
nach 2 V 2 Monaten. Makroskopisch Hirn und Rückenmark ohne Besonder¬
heiten; histologisch: multiple Herde in Pons, Medulla oblongata und
oberem Brustmark.
2. Hr. Plate zeigt: a) 48jährigen Arbeiter, im Januar 1913 5 m
berabgefallen und mit dem Nacken aufgeschlagen. Kopf ängstlich vorn¬
übergebeugt, Halsmuskeln stark gespannt. Bei Röntgenaufnahme von
hinten nach vorn durch den Mund hindurch: Brach des Bogens des
dritten Halswirbels festzustelien. Keine Rückenmarkserscheinungen.
b) Röntgenbilder vom Hüftgelenk eines 21jährigen Kranken mit
goaorrhoischer Arthritis und Fixierung in stärkster Aussenrotation.
c) Bilder eines Vibrators der 18 400 Erschütterungen pro Minute
macht; der Apparat wurde von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall
nach seinen Angaben hergestellt.
3. Hr. Seeligmann demonstriert ein 29 jähriges Mädchen, bei welchem
er im August 1911 ein über kopfgrosses intraligamentäres Spindel¬
zellensarkom des rechten Ovarinms exstirpiert hatte; die Adnexe der
anderen Seite waren intakt. Glatte Rekonvaleszenz. Mai 1912 wieder
ein Tumor rechts ira Becken zu fühlen, anscheinend Drüsenmetastasen.
Rat zur Operation wurde nicht beachtet; Patientin kam erst im No¬
vember 1912 wieder zur Beobachtung: grosser Tumor, der den ganzen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Leib ausfüllte, Leber und Zwerchfell verdrängte und schon Metastasen in
die Wirbelsäule gemacht hatte (Röntgenbild). Probelaparotomie ergab:
riesiger Tumor, retroperitoneal von den Lymphdrüsen ausgehend, nicht
operabel. Unter kombinierter Behandlung mit Arsacetin intra¬
venös und Röntgenbestrahlung besserte sich der trostlose Zustand
der Kranken geradezu frappant, der grosse Tumor verschwand gänzlich,
die Schmerzen in der Wirbelsäule sind verschwunden; Patientin wird in
blühender Gesundheit vorgestellt.
4. Hr. Boettiger: 28 jähriger Herr mit fast totaler Isehiadicus-
iähmung infolge intraglutäaler Quecksilberinjektion. 1911 Lues, Fe¬
bruar 1912 erste Hg-Injektionskur, darauf dreimal Salvarsan intravenös,
dann wieder 7 Tage Hg-Injektionen, die letzte, links, am 13. Juni 1912
(sämtlich ausserhalb Hamburgs). Sofort Schmerzen im linken Bein,
Lähmung des Fusses, später Ea-R, trophische und sensible Hautstörungen,
Atrophie der Muskeln. Prognosis dubia.
5. Hr. Kotzenberg: a) 34 jährige Dame, seit acht Jahren Kolik¬
schmerzen in der rechten Nierengegend, zeitweise Hämaturie. Nephro¬
tomie: wallnusgrosse Cyste der Niere mit blutig-missfarbiger Flüssig¬
keit. Resektion des betreffenden Nierenteils. Jetzt völlig be¬
schwerdefrei.
b) Total verfettete Eiterniere, die lange Jahre ihrer Trägerin
(ältere Frau) heftige Nierenschmerzen verursacht hatte.
6. Hr. Hegler: Bilder einer 32jährigen, an Phthise verstorbenen
Kranken mit starken, eehtem Bartwuchs. Im übrigen völlig weiblicher
Habitus; Menses regelmässig. An Gesicht und Vorderarmen schmutzig¬
braune Pigmentierung; Vorderarme und Hände zwergartig klein. Kein
Anhalt für Erkrankung der innersekretorischen Organe. Hat niemals
besondere Medikamente gebraucht. Blutbefund völlig normal. Urin:
reichlich Albumen (Nierenamyloid), Farbe stets hellgeb, kein Blut, kein
Urobilin. Bei der Obduktion (siehe auch die folgende Demonstration
des Herrn E. Fraenkel): normale Genitalien, spez. Ovarien; dagegen
das linke Epoophoron sehr erheblich vergrössert. Vielleicht
ist der Bartwuchs, als „Pseudohermaphroditismus regionalis“ mit der
Vergrösserung, eventuell gesteigerten inneren Sekretion dieses der
Epididymis des Mannes entsprechenden „Zwitterorganes“ in Beziehung
zu bringen.
7. Hr. E. Fraenkel berichtet über den weiteren hochinteressanten
Sektionsbefund bei der soeben demonstrierten Kranken: Das gesamte
Knochensystem, einschliesslich Zahncement und verknöcherte Teile
des Schildknorpels wies eine gleichmässige, intensive Rotbraunfärbung
auf; die Knorpel waren absolut weiss. Durch Herrn Schümm (siehe
folgende Demonstration) wurde als Ursache der Knochenfärbung eine
Imprägnierung mit Hämatoporphyrin festgestellt. Es handelt sich um
einen der seltenen Fälle von Haematoporphyria congenita, wie sie
Günther 1911 als eigenartiges Krankheitsbild beschrieben hat. Die
gleichen Knochenveränderungen sind bei Tieren als (fälschlicherweise)
„Ochronose“ bezeichnet. Ursache: wohl starker Blutzerfall und Re¬
generation (in Knochenmarksabstrichen reichlich Normoblasten). Be¬
ziehungen zur Hydroa aestivalis hier nur angedeutet (Braunfärbung
von Gesicht, Vorderamen und Händen).
8. Hr. 0. Schümm demonstriert die Spektrophotogramme des Falles.
Direkte spektrophotographische Aufnahme eines dünnen
Knochenschliffs ergab reines Hämatoporphyrin; ebensolches war
auch im salzsauren Alkoholextrakt der Knochen sowie der Leber
nachzuweisen. In Milz, Knochenmark und Blutserum kein Hämato¬
porphyrin.
Vortrag des Hm. Jaeobsthal: Ueber die praktische Bedeutung
der Wusermann’schen Reaktion. I. Teil. C. Hegler.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
I. Hr. Sievers referiert über einen von ihm am 18. Januar beob¬
achteten Fall von Phreniculähmung nach snpraclavicularer Plexus¬
anästhesie nach Knien kam p ff. Heftiger Brustschmerz in Zwerchfellhöhe
und coupierte Atmung. Schlechte Verschieblichkeit der entsprechenden
(rechten) unteren Lungengrenze, Abschwächung des Atemgeräusches.
Röntgenologisch verminderte Beweglichkeit der rechten Zwerchfellhälfte.
Anhalten der Symptome fast drei Tage. Dann vollkommener Rückgang.
Am vierten Tag ergibt neues Röntgenbild normale Motilität des Dia¬
phragma. Als Ursache vermutet der Vortr. entweder subfasciale Diffusion
des Anästheticums zum Halsstamm des Phrenicus oder Ausbreitung der
Injektionsflüssigkeit auf der Pleurakuppe, über die der Phrenicus vorn
und medial verläuft. Einzelheiten werden im Centralblatt für Chirurgie
mitgeteilt.
Demonstration eines Falles von habitueller Sablnxation der linken
Unterkieferhälfte nach vorn, der durch eine einmalige Injektion von
etwa V 3 — 3 J 4 ccm öproz. Jodtinktur ins Kiefergelenk und anschliessende
dreiwöchige Stillstellung mit der Funda maxillae bisher geheilt ist (In¬
jektion am 31. Dezember 1912). Die sehr deutlich fühl- und hörbare
wie auch auf Röntgenbildern nachweisbare Verrenkung des linken Kiefer-
'köpfchens war drei Wochen zuvor spontan entstanden und hatte sich
dem 14jährigen Mädchen durch ein zunächst schmerzhaftes Schnappen
vor dem Ohre bemerkbar gemacht. Die Reposition fand von selbst beim
Mundsohluss statt. Das Tuberculum artieulare der gesunden rechten
Seite war grösser und steiler geformt als das linksseitige.
Demonstration eines 22jährigen Arbeiters, bei dem das durch In¬
zisionen wegen eines Panaritiums durchtrennte Ligamentum vaginale der
Beugesehnen des rechten Zeigefingers durch eine Faseienplutlk ersetzt
wurde. Der Patient hatte den Zeigefinger nur bis auf 4 oder 5 cm an
die Hohlhand heranbriogen können, da er nur das Grundglied ausgiebig
beugen konnte, während die Endglieder des Fingers nur bei Streck¬
stellung des Grundgliedes gebeugt werden konnten. Beim Einschlagen
der Finger zur Faust spannten sich die Beugesehnen in Form einer
strangartigen derben Prominenz über das Grundgelenk, konnten also in¬
folge der Verkürzung ihres Weges und der falschen Zugrichtung ihre
volle Zugkraft nicht ausnutzen. Das Ligamentum vaginale war ebenso
wie die Ausläufer der Fascia palmaris durchtrennt. Die Einpflanzung
eines Lappens aus der Fascia lata des linken Oberschenkels fixierte die
Sehnen wieder fest an ihrer knöchernen Unterlage und garantierte zudem
ihre freie Verschieblichkeit, so dass der Finger wieder bis in die Hohl¬
hand eingeschlagen werden konnte.
Freie Transplantation der Grundphalanx der linken vierten Zehe
an die Stelle einer wegon cystischea Riesenzellensarkom enucleieiten
Mittelphalanx des linken Ringfingers. Wiederherstellung der Beweglich¬
keit des Fingers. Ausfüllung des Zehendefektes durch einen Tibia¬
span.
Der t atient, der jetzt wieder arbeitet, ist auf der ersten Sitzung
der Freien Vereinigung sächsischer Chirurgen gezeigt worden.
Diskussion.
Hr. Heineke hat habituelle Luxation des Unterkiefers wiederholt
beobachtet. Einspritzung von Jodtinktur ins Gelenk hat sich nicht be¬
währt; er hat Besserung und Heilung durch Fixierung und beschränkte
Bewegung des Gelenkes mittels geeigneter Verbände erzielt.
Riesenzellensarkome der Knochen werden häufig durch Auskratzung
zur Heilung gebracht. . H. hat bei einem Falle von Sarkom des Unter¬
kiefers bei einem 11jährigen Mädchen durch Auskratzung völlige Heilung
erzielt.
Hr. Fabian hat bei supraclavioulärer Plexusanästhesie nach
Kulenkampff die gleichen Lungenerscheinung wie Sievers beobachtet,
sie sind aber nicht röntgenologisch verfolgt worden. F. hat wieder¬
holt dabei Collaps gesehen, vornehmlich dann, wenn die Patienten
sassen. ,
Hr. Sachse hat durch Anfertigung von Prothesen, welche das Kiefer¬
köpfchen in seiner Gelenkhöhle festhalten, die habituelle Luxation des
Unterkiefers verhindert.
Hr. Sievers (Schlussbemerkungen): Eine ähnliche Prothese hat
bereits Perthes durch den Zahnarzt Dr. Fritzsche bei »inam Fall
von habitueller Kieferluxation anfertigen lassen, der in der medizinischen
Gesellschaft vor 7 Jahren vorgestellt worden ist.
Die Gutartigkeit der Myeloidsarkome ist dem Vortr. wohl bekannt
gewesen, ebenso die Heilbarkeit derselben durch weniger radikale Ein¬
griffe, wie Wandresektion und Excochleation, doch kamen diese Verfahren
in dem vorliegenden Falle deswegen nicht in Frage, weil die Zerstörung
der Phalanx bereits zu weit fortgeschritten war.
II. Hr. Payr: Chirurgische Demonstratiaaen.
1. Fall von schnellender Hüfte bei einem jungen Mädchen. Die
Aetiologie dieser pathologischen Erscheinung ist nicht völlig geklärt,
jedenfalls ist in der Mehrzahl der Fälle das Hüftgelenk nicht beteiligt,
sondern es handelt sich in der Hauptsache um eine abnorme Beschaffen¬
heit des Tractus ileo-tibialis, der die Fortsetzung der Fascia lata bildet.
Dieser Tractus, der zuweilen durch ein Sehnenband des Muse, glutaeus
maximus verstärkt wird, gleitet über den Trochanter major und verur¬
sacht bei gewissen Beinbewegungen ein lautes, hörbares Knacken. Durch
eine ausserhalb der Klinik vorgenommene Durchtrennung dieses Tractus
sollte dieser Zustand behoben werden. Nach der Demonstration zu
urteilen, ist aber das Gegenteil eingetreten. Der Gang ist ausserordent¬
lich verschlechtert worden, das Knacken ist geblieben, und wenn die
Patientin auf dem kranken Beine steht, so senkt sich das Becken nach
der gesunden Seite. Der Fall ist noch nicht völlig geklärt. Augen¬
scheinlich handelt es sich um schwere Funktionsstörungen des Musculus
glutaeus medius und minimus, die bei aufrechter Stellung das Becken
nicht mehr fixieren können.
2. Ein 62 Jahre alter, bis dahin gesunder und kräftiger Mann er¬
krankt plötzlich an kurzdauernden neuartigen Erscheinungen. Die
Anfälle wiederholen sich in kurzer Zeit, der Kranke magert in wenigen
Wochen stark ab. Einlauf von Wismutbrei rectal, sowie die orale Ver¬
abreichung von Wismut lassen nicht mit Sicherheit den Sitz der Stenose
erkennen. Stuhluntersuohung ohne Befund, Erbrechen zuweilen leicht
kotartig riechend. Bei der Operation findet sich ein stenosierendes,
scirrhöses Caroinom des Dünndarms nahe der Bauhin'sohen
Klappe. Die Stenose war so hochgradig, dass eben noch eine dünne
Sonde passieren konnte. Totalexstirpation des Tumors durch Entfernung
einer 60 cm langen Dünndarmschlinge. Völlige Heilung. Die Prognose
ist gut. Unter 23 Fällen sind, wie Payr beobachtet hat, 16 Fälle über
3 Jahre recidivfrei geblieben.
3. Transplantation von Hant aus dem Oberschenkel und Ersatz
der Beugesehne am dritten rechten Finger durch einen Sehnenstreifen
der Fascia lata. DerVerlust dieser Beugesehne war schon vor 5 Jahren
erfolgt. Erläuterung der Operationstechnik.
4. Hufnagel aus dem rechten Bronchus mittels BroHChoseopia
snperior entfernt. Der Nagel, der angeblich verschluckt worden sein
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17. M&rz 1913.
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soll, war auf dem Röntgeubilde in seiner Lage erkannt vorden. Von
seiten der Lunge waren keine Erscheinungen vorhanden.
III. Hr. Laken stellt einen Fall von Basisfraktar mit Verletzung
des Nervus vagus und accssorius vor.
IV. Hr. Frangenheiai demonstriert mehrere Bilder von Knochea-
eystea. In dem einen Falle hatte sich eine Cyste nach Fraktur des Ober¬
schenkels gebildet, in einem anderen nach einer Malleolarfraktur.
Heilung erfolgte nach Eröffnung der Cysten und Entleerung des Inhalts.
Rösler.
Aerztlicher Bezirksverein za Zittan.
Erankenhausabend vom 6. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Körner.
Schriftführer: Herr K lieneberger.
1. Hr. Dreyzehner*.
Zwei Fälle von Perforation in die freie Bauchhöhle.
Der erste Patient wurde 8 Stunden nach der bei leerem Magen er¬
folgten Perforation operiert. Die Perforationsstelle befand sich an der
kleinen Curvatur in der Nähe des Pylorus; sie konnte leicht mit kleinem
Netz übernäht werden. Danach Gastroenterostomia retrocolica posterior.
Glatte Rekonvaleszenz.
ln dem zweiten Falle erfolgte die Operation erst 20 Stunden nach
der Perforation. Der Durchbruch war bei vollem Magen erfolgt. Der
Kranke hatte auch noch nach dem Durchbruch Milch getrunken. Er
fieberte bis 38,3°, hatte einen Puls von 160 und befand sich in einem
verfallenen Zustande. Die für einen Finger durchgängige Perforations¬
stelle lag nahe d6r Cardia. Die Operation musste sich zunächst auf
ausgiebige Tamponade und Drainage der seitlichen unteren Baucbgegend
beschränken. Die erste Zeit erfolgte extrabukkale Ernährung. Durch
Aufsetzen und feste Tamponade (Zusammenpressen der unteren Brust-
apertur durch mit Mastixlösung getränkte Binde) gelang es in der Folge
den Ausfluss der Nahrung aus dem Magen zu hindern und Granulation
herbeizuführen.
8. 73jähriger Mann, bei dem mit vollem Erfolg, trotz des elenden
Zustandes, die hypertrophische Prostata nach Frey ausgeschält war.
4. 32jähriger Patient, dem wegen Carcinoma penis die Amputation
mit Ausräumung der Leistengruben gemacht worden war. Die Urethral¬
öffnung- war nach Spaltung des Scrotums nach dem Damm verlegt
worden.
II. Hr. Kraef: Demonstration von 2 Präparaten von Stieltorsion
n4 dadurch bedingter Gangrän.
Das eine Mal handelte es sich um Torsion einer rupturierten Ovarial-
cyste. Das Krankheitsbild war das einer akuten Appendicitis mit peri-
tonitischen Symptomen. Die Stieldrehung betrug 3 mal 360°.
Das zweite Mal lag ein Hodengangrän infolge Stieldrehung des
Samenstranges um 270° vor. Aus der circumscripten Schwellung der
rechten Leiste, den fehlenden Zeichen eines völligen Darmverschlusses,
aus der Berührungsempfindlichkeit der Leistenschwellung bei Fehlen des
rechten Hodens im Scrotum wurde die Diagnose gestellt. Da die Re¬
position unmöglich war und Gangrän bereits bestand, war Semikastration
nach Bassi ni nötig.
III. Hr. Klieneber^er: 1. 22 jähriger Patient, der auf der Höhe
eines schweren Unterleibstyphus vor 3 Monaten ins Krankenhaus auf¬
genommen war. Zunächst normaler Verlauf. I Monat nach der Auf¬
nahme ein typisches Recidiv, dessen Fieberkurve das typische aber ab¬
gekürzte Gepräge zeigte, und bei dem am 12. Recidivtage eine schwere
Darmblutung (l f / 2 Liter Blut) auftrat. Unter absoluter Diät (48 Stunden),
Gelatineinjektion, Plumbum aceticum mit Opium stand die Blutung, und
es erfolgte Restitution. In der Rekonvaleszenz Erscheinungen von
Amentia, längere Zeit traumhafte Desorientiertheit.
Vortragender empfiehlt die Badebehandlung des Typhus, flüssige
Ernährung, symptomatische Therapie je nach den Komplikationen.
2. Paralysis agitans. 72 jähriger Mann, der seit vielen Jahren an
Schüttellähmung beider Arme und Faciales, geringerem Zittern der
rechten unteren Extremität leidet. Die Krankheit bat offenbar in der
rechten Hälfte begonnen. Es besteht mässige Demenz, keine bemerkens¬
werte Muskelspaunung; Propulsion und Retropulsion fehlen. Die Ver¬
langsamung der Bewegungen, die nach vorn gelegte Haltung ist recht
charakteristisch. Therapeutisch kommen Bäder und Hyoscinpräparate
(Podacktabletten) zur Verwendung.
3. Aneurysma aortae. Patient hat seit langer Zeit „Neuritische
Symptome“, Rücken-, Brust- und Schulterschmerzen (besonders bei ge¬
beugtem Sitzen). Im Laufe des letzten Jahres hat sich bedeutende Ab¬
magerung eingestellt. Abgemagerter Mann, an dem rechts vorn oben,
neben dem Brustbein erhebliche gestaute Venen hervortreten. Kleine
Herzdämpfung, aufsitzende intensive Dämpfung hinter und neben dem
Manubrium, systolisches Geräusch über dem Herzen und über der
Dämpfung, sehr starkes Oliver-Cardarelli’sches Zeichen, Verengung der
rechten Pupille, leichte Parese des linken N. recurrens. Keine Unter¬
schiede in Puls und Blutdruck, keine Voussure, keine Pulsation des
Sternums, kein diastolisches Geräusch (etwas Capillarpuls), negative
Wassermann-Reaktion (wiederholt). Charakteristisches Röntenbild, in
dem besonders die Grösse des Aneurysma im Gegensatz zu der Kleinheit
des ^erzens imponiert.
Naturhistorlseh-medizinischer Verein za Heidelberg.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Bettmann.
Schriftführer: Herr Fischler.
Zar Frage der Erkenoong and Behaadlaag luetischer Prozesse
(Wassermann, Salvarsau, Quecksilber).
Hr. Krehl: Die Wassermann’sche Reaktion hat die Fürchterlichkeit
der Lues in Beziehung auf ihre Häufigkeit und Resistenz erst klar dar¬
getan. Sie hat in manche Fragen entschieden Licht gebracht, insbe¬
sondere hat sie die Erb’schen Ansichten über den Zusammenhang der
Tabes und der Lues bestätigt, ferner hat sie gezeigt, dass Herz- und
Aortenlues viel häufiger ist, als man bisher annahm. Ausserdem hat
sie besonders die Resistenz der Lues gegenüber durcbgemachten Kuren
gezeigt. K. stellt drei Fragen zur Diskussion:
1. Wie soll man sich im Sekundärstadium bei negativer Wasser-
mann’scher Reaktion in bezug auf die Therapie verhalten?
2. Soll man bei Mangel von Krankheitserscheinungen bei positiver
Wassermann’scher Reaktion eine Therapie einleiten?
3. Welohe Erfahrungen haben die Kliniker in bezug auf Ver¬
schlechterungen der Krankheitserscheinungen durch antiluetische Kuren
gemacht?
K. selbst hat solche Fälle bei luetischen Herzerkrankungen mit
Sicherheit beobachten können. Er brachte diese zuerst in Zusammen¬
hang mit dem psychischen Einfluss, den die Erkenntnis der Natur des
Leidens auf die meist in ehrbaren Verhältnissen lebenden Patienten aus¬
übte. Doch hat er sich auch im Laufe der Zeit davon überzeugt, dass
neben hervorragend guten Beeinflussungen auch sichere organische Ver¬
schlechterungen auftreten. Dies gilt insbesondere für luetische Coronar-
arterienerkrankungen. K. glaubt dies mit Vorgängen erklären zu können,
die der Herxheimer’scben Reaktion ähneln. Er nimmt an, dass durch
die antiluetische Behandlung Reizerscheinungen an den sehr empfind¬
lichen Coronargefässen auftreten, die sogar zum Exitus führen können,
und er rät, gerade in diesem Punkte ausserordentlich vorsichtig zu sein.
Auch glaubt er, dass sich Vorgänge abspielen können, ähnlich wie bei
der Entstehung einer Miliartuberkulose bei brüsker Tuberkulinbehandlung.
K. hält die Frage noch nicht für beantwortet, in welchen Fällen man
eine unvollkommene und in welchen Fällen man eine vollkommene Be¬
handlung einleiten soll.
HHr. Nissl und 0. Ranke sprachen über die diagnostische Be¬
deutung der Wassermann’schen Reaktion und über ihre Bewertung bei
etwaigem therapeutischem Handeln auf Grund der Erfahrungen der Blut-
und Liquoruntersuchungen an der psychiatrischen Klinik und einer
Reihe von gleichzeitigen Paralleluntersuchungen gleicher Blutseren
mittels der ursprünglichen Wassermann’schen Methode und ihrer Modifi¬
kation nach Landsteiner an der dermatologischen und psychiatrischen
Klinik.
Ihre Ausführungen lassen sich folgendermaassen zusammen fassen:
1. Die Wassermann’sche Reaktion ist bei vorsichtiger Bewertung
eine wichtige Bereicherung unserer diagnostischen Hilfsmittel.
2. Bei der Wassermann’schen Reaktion kommt es in vielen Fällen
nicht zu einem ohne weiteres evidenten Ergebnis, sondern das Urteil:
ob positiv oder negativ ist ein komplizierter Schluss aus sorgfältiger
Beobachtung des zeitlichen Ablaufs und der quantitativen Verhält¬
nisse des hämolytischen Vorganges, sowie aus dem Vergleich dieser
Verhältnisse bei der zu beurteilenden Flüssigkeit mit anderen.
3. Es ist deshalb unbedingtes Erfordernis, dass diese Reaktion
durch einen technisch geschulten, kritischen und seiner Verantwortung
bewussten Arzt — nicht durch irgendwelche Hilfspersonen — ausge¬
führt wird.
4. Das Wesen der Wassermann’schen Reaktion ist ebenso unbe¬
kannt wie das Wesen der Stoffe, mit denen sie arbeitet („Komplement“,
„Antigen“, Amboceptor“).
5. Die Reaktion ist nicht spezifisch für luetische und meta-
luetische Krankheiten.
6. Ein Grund, der Wassermann’schen Originalmethode vor
der Landsteiner’schen Modifikation den Vorzug zu geben, besteht
nicht; es ist aber zu betonen, dass diese beiden Verfahren nicht etwa
nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede in der Reak¬
tion ergeben, indem manche Seren, deren positive Reaktion nach dem
klinischen Bilde und den Liquorveränderungen zu erwarten ist, mit der
einen Methode ein positives, mit der anderen ein negatives, andere um¬
gekehrt mit der einen ein negatives, mit der anderen ein positives
Resultat zeigen.
7. Ein Schluss auf die Wirksamkeit therapeutischen Han¬
delns aus einer Aenderung der Wassermann’schen Reaktion im Blute
ist nicht ohne weiteres gestattet, da nicht ganz selten die Reaktion
(ebenso wie der Zell- und Ei weissgeh alt, die Goldatol- und Wassermann-
Reaktion im Liquor) auch ohne jede Behandlung sich ändert.
8. Die Untersuchung der Wassermann’schen Reaktion im Blute
allein hat — speziell auf dem Gebiete des Centralnervensystems —
für die Beurteilung luetischer und metaluetischer Krankheiten nicht viel
Wert; wichtigeren Aufschluss gibt sie zusammen mit den verschiedenen
Reaktionen des Liquors; eine diagnostische. Entscheidung ist aber nur
bei gleichzeitiger Berücksichtigung des klinischen Bildes — und
auch dann nicht immer —<- möglich. i£s zeigt nämlich vielfache Beob¬
achtung, dass weitaus die meisten klinisch klaren Fälle eindeutige Reak-
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UNIVERSUM OF IOWA
Nr. 11.
520 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tionen geben, dagegen zahlreiche der klinischen Beurteilung Schwierig¬
keiten bereitende Fälle auch bei Heranziehung der Blut- und Liquor¬
reaktionen sich nicht sicher klären lassen.
Hr. Bettraann legt nochmals die Fragen Krehl’s, um die sich die
Diskussion drehen soll, fest und fordert auf zu ausgedehnten Vergleichs¬
untersuchungen in den verschiedenen Instituten. Das Vorkommen von
einer positiven Wassermann’schen Reaktion bei Leidenden, bei denen
weder die Anamnese noch das klinische Bild einen Hiuweis auf Lues
gibt, lässt sich dadurch erklären, dass solche Personen Abkömmlinge
Syphilitischer sind. Die Wassermann’sche Reaktion tritt dann ge¬
wöhnlich bei mehreren Geschwistern zugleich auf. Der Dermatologe
kann aus äusseren Gründen nicht regelmässig die wünschenswerte Lumbal¬
punktion vornehmen.
Hr. Erb: Im ganzen wurden die früheren Statistiken über den
Zusammenhang von Tabes und Lues durch die Wassermann’scbe Reaktion
bestätigt. E. hat zahlreiche gute und günstige Erfolge durch anti¬
luetische Kuren bei Tabes gesehen. Verschlechterungen wurden von ihm
selten beobachtet, was er darauf zurückführt, dass er nur mit Auswahl
antiluetische Kuren einleitete. Das gesamte klinische Bild muss be¬
stimmend auf die Behandlungsweise einwirken. Auch bei negativer
Wasserman’scher Reaktion leitete E. bei entsprechendem klinischen Bild
antiluetische Kuren ein.
Hr. v. Düngern: Die Wassermann’sche Reaktion ist heute abend
zu pessimistisch beurteilt worden. Sie zeigt nicht nur floride, sondern
auch latente Lues an. Dies ist doch ein Vorzug der Methode. Vortr.
hat ein Verfahren ausgearbeitet, durch das er Tumoren und Tuber¬
kulose gegenüber Lues abzugrenzen vermag. Er selbst zieht bei der
Anstellung der Reaktion Meerschweinchenherzeitrakt vor, da man ihn
stets haben kann. Die Resultate mit dem Verfahren sind stets gut.
Die Eigenhemmung mancher Sera scheinen ihm durch den Bakterien¬
gehalt des Serums bedingt. Er hat sie nur ganz vereinzelt angetroffen.
Er ist der Ansicht, dass die Wassermann’scbe Reaktion durch intelli¬
gente Laboranten angestellt werden kann.
Hr. Stark schliesst sich den beiden Vorrednern, die die Wasser¬
mann’sche Reaktion mehr gewürdigt haben, an. Auch er betrachtet sie
bei positivem Ausfall als Symptom. Im allgemeinen geht der Ausfall
der Wassermann’schen Reaktion mit dem klinischen Bildfc parallel. Er
kann sich Nissl nicht ansohliessen, der die Einleitung einer anti¬
luetischen Behandlung auf Grund des positiven Ausfalls der Wasser¬
mann’schen Reaktion allein als „Unfug“ bezeichnet. In zahlreichen
Fällen, wo es sich um den Ehekonsens handelt, hält er es für die
Pflicht des Arztes, eine Kur einzuleiten. Er steht auf dem Standpunkt,
die Lues so früh als möglich zu behandeln. Die Wassermann’sche
Reaktion wird dadurch allerdings fast nie negativ, doch ist er mit den
praktischen Erfolgen zufrieden. In dieser Ansicht wird er unterstützt
durch den erheblichen Rückgang der Lues in den Bordellen, der auch
in anderen Städten beobachtet worden ist.
Hr. Röraheld hat die Beobachtung gemacht, dass bei demselben
Serum die Resultate der Wassermann’schen Reaktion in verschiedenen
Instituten verschieden ausfallen können. Nur der wiederholte positive
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion ist beweisend für Beziehungen
zu Lues. Der negative Ausfall bei mangelnden Erscheinungen in Fällen,
in denen die Anamnese Luesinfektion ergibt, spricht für Ulcus molle,
wenn nie eine spezifische Therapie stattgefunden hat. Vortr. hat öfters
beobachtet, dass nach anfänglicher negativer Wassermann’scher Reaktion
nach einer antiluetischen Behandlung ein Umschlag zum Positiven
auf trat.
Hr. Bettmann: Ein positiver Ausfall der Wassermann’schen
Reaktion wurde nach Salvarsaninjektionen bei Massenuntersuchungen
öfters beobachtet. Er wurde sogar empfohlen, eine Injektion zu machen,
um den positiven Ausfall zu provozieren.
Hr. Szecsi erwähnt kurz einen Fall von Dementia paralytica. Der
Liquor bot den typischen paralytischen Befund, auch die Wasser¬
mann’sche Reaktion war mit Luesleberextrakt positiv. Der Liquor wurde
auch im serologischen Institut untersucht und dort fiel die Reaktion
mit Meerschweinchenherzextrakt zuerst zweifelhaft aus, da Nachlösung
eintrat. Es wurde noch einmal mit demselben Extrakt und anderem
Meerschweinchenserum untersucht, und jetzt war die Reaktion positiv.
In Bezug auf die Wahl des Extraktes kann also unter Umständen
nützlich oder notwendig sein, die klinische Diagnose vorher zu kennen.
Ferner betont S, dsss die cytologische Untersuchung des Liquors nicht
nur quantitativ, sondern in erster Linie qualitativ gemacht werden muss,
da eben das qualitative Bild der Zellvermehrung wichtige diagnostische
Schlüsse geben kann. Er weist noch auf die Buttersäurereaktion nach
Noguchi hiD, welche recht brauchbare Resultate gibt, so z. B. bei
Paralyse etwa 98 —lOOpCt. positive Fälle. In Bezug auf das von
Ranke erwähnte abnorme Verhalten der Kaninchensera erwähnt S.
eigene Versuche, die sich auf die Wassermann’sche Reaktion bei all¬
gemein syphilitischen Kaninchen beziehen. Es ergab sich, dass aktive
Kaninchensera normalerweise eine negative Wassermann’sche Reaktion
geben, während die aktiven Sera von allgemein syphilitischen Kaninchen
eine positive Reaktion geben.
Hr. Biermann referiert kurz über das neurologische Kranken-
raaterial der medizinischen Klinik aus den letzten zwei Jahren. Wasser¬
mann’sche Reaktion im Blut fand sich bei 45 Tabesfällen in etwa
60 pCt., bei 22 Fällen von Paralyse und Taboparalyse in 60 bis
70 pCt. positiv, Wassermann’sche Reaktion im Liquor bei Tabes in
50 bis 60 pCt., bei Paralyse und Taboparalyse in 80 bis 100 pCt.
positiv. Den Beweis für einen hohen Grad von Spezifizität der Wasser¬
mann’schen Reaktion für Lues sieht B. unter anderem darin, dass von
24 Tumoren des Gehirns und des Rückenmarks Wassermann’sche Reaktion
im Blute nur viermal positiv war. Den besten Erfolg glaubte B. auf
Grund der Krankengeschichten bei Tabes (nicht bei Paralyse) und den
tertiärsyphilitischen Erkrankungen des Nervensystems von einer Kom¬
bination von Hg- und mässiger Neosalvarsanbehandlung erwarten zu
dürfen.
Hr. Kronfeld: Bei Paralyse hat die Salvarsantherapie (nach
statistischen Zusammenstellungen der Literatur) nicht annähernd die
gleichen Erfolge wie andere Therapien (Natr. nuclein., Tuberkulin). Die
bisherigen Berichte lassen freilich trotz ihrer Zahl keine bindenden
Schlüsse zu. Einmal sind alle bisherigen Fälle viel zu kurze Zeit be¬
obachtet; dem entsprechen sicher zuviele „Erfolgs“fälle. Sodann sind
Begriffe wie Alt’s „Frühstadium“, ferner „Remission“, „subjektive
Besserung“ gerade bei Paralyse schwer bestimmbar und auf den Einzel¬
fall anwendbar. Endlich fehlen bei den meisten Publikationen syste¬
matische und ziffernmässige Angaben über das Verhalten der einzelnen
Symptome, besonders des neurologischen und Liquorbefundes. Erst
neuerdings werden diese Statistiken geliefert, und damit nimmt die
relative Zahl der Erfolgsfälle gegen die ersten Veröffentlichungen sehr
stark ab.
Hr. Bettmann (Schlusswort): Durch die Wassermann’sche Reaktion
wurde die ärztliche Tätigkeit nicht erleichtert, es sind neue Schwierig¬
keiten entstanden, neue Anforderungen an die Gewissenhaftigkeit des
Arztes und eine Menge neuer Fragestellungen. K o 1 b - Heidelberg.
Medizinische Gesellschaft zu Güttingen.
Sitzung vom 9. Januar 1913.
Hr. Henbner:
Erfahrung and Betraehtug über die Fnnktien des Skelettnnskels.
Nach des Vortr. Anschauung stellt der Skelettmuskel eine Kombi¬
nation zweier kontraktiler Mechanismen dar, und zwar besitzt er die
elementaren Eigenschaften der einfachen Muskeln, ausserdem aber noch
eine spezifische, die durch die Querstreifuog bedingt ist und ihn befähigt,
rasche Zuckungen auszuführen. Letztere überwiegt meist, so dass die
langsame tonische Zuckung nicht zur Geltung kommt. Dagegen treten
bei der Veratrixvergiftung die beiden kontraktilen Mechanismen hervor;
es entsteht eine Doppelzuckung, und zwar eine rasche und eine lang¬
same. An der Hand von Kurven demonstriert Vortr. die Abhängigkeit
der Kurvenform von der Belastung. Bei mehr Belastung wird die
tonische Kontraktion unterdrückt, bei stärkerer Vergiftung wird die
steile Kurve kleiner, die tonische grösser, zuletzt bleibt nur die tonische
Zuckung. Es kann also ein Veratrixmuskel auf einen einfachen Reiz
eine tonische Zuckung gegen ein Gewicht ausführen, das er bei gleichem
Reiz in rascher Zuckung überhaupt nicht mehr zu heben vermag. Aus
dieser Erscheinung schliesst Vortr. auf den Dualismus der Muskelfunktion.
An der Entstehung des Tetanus ist der langsame Mechanismus be¬
teiligt. Beim Herzmuskel zeigt die Druckkurve des Warmblüters einen
ähnlichen Dualismus.
Hr. Oehae: Ueber die Wirkungsweise des Histenias.
Die Erscheinung, dass Hunde mit Eck’scher Fistel durch reichliche
Eiweissmahlzeit in Intoxikationszustände gebracht werden können, hat
Vortr. veranlasst, zu untersuchen, ob giftige Eiweissderivate (z. B. Hista¬
min, das im Darm gebildet werden kann und in der Darmschleimhaut
nachzuweisen ist) in der Leber entgiftet werden. Bei mesenterial¬
venöser Injektion liegt die letale Dosis von Histamin und einigen anderen
geprüften Ei weissspaltstücken 2— 3mal höher als bei Applikation in eine
periphere Vene. Lässt man Histaminlösungen geeigneter Konzentration
langsam in eine Vene einfliessen, so verschwindet dieser vom Infektions¬
orte abhängige Unterschied. Man kann bei langsamer Infusion beliebig
grosse Giftmengen in das Tier (Kaninchen) einfübren, ohne Vergiftungs¬
erscheinungen auszulösen. In dieser Weise vorbehandelte Tiere sind
gegen rasch injizierte Giftdosen resistenter als nicht vorbehandelte.
Nach langsamer Histamininjektion ist das Gift zum grössten Teil aus
dem Blut verschwunden. Im Harn erscheinen nur ganz geringe Mengen.
Um zu entscheiden, ob das Gift zerstört wird oder nach Art der Potential¬
gifte im Sinne der Straub’sehen Definition wirkt, wurden Versuche am
isolierten Organ vorgenommen (Meerschweinchenuterus). Es ergab sieb:
Das Gift wird nicht zerstört, nicht gespeichert; es dringt aber in das
giftempfindliche Organ ein, wobei sich ein Gegengewicht zwischen dem
Zellinnern und dem umgebenden Medium einstellt. Das Organ ist un¬
empfindlich gegen Giftkonzentrationen, mit denen es sich ins Gleich¬
gewicht gesetzt hat. Alle Beobachtungen, die zu referieren im einzelnen
zu weit führen würde, erklären sich am besten durch die Annahme,
dass das Histamin ein Potentialgift ist; wahrscheinlich ist das Verteilungs¬
verhältnis zwischen Medium und giftempfindlicher Zelle bei den ver¬
schiedenen Organen ein verschiedenes. (Autoreferat.)
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UNIVERSUM OF IOWA
17. Mirs 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
521
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Wttrzburg,
Sitzung vom 23. Januar 1913.
Hr. Pelaae:
Deaonstratiea sar biologischen Sehwaagerschaftsdiagaose aaeh
Ahderhaldea.
Yortr. demonstiert, naoh Besprechung des von Abderhalden an¬
gegebenen Dialysierverfahrens, der zugrunde liegenden theoretischen Vor¬
stellung sowie der Technik, die Methode, die meistens einwandsfreie
Resultate liefert, bisweilen aber auch bei Niohtschwangeren positive
Resultate geben kann. Inwieweit diese Misserfolge in der Schwierigkeit
der Technik oder in der Unsicherheit des Verfahrens selber begründet
sind, ist vorderhand schwer entscheidbar. Der praktische Wert der Me¬
thode wird jedenfalls durch die vom Autor selbst hervorgehobenen tech¬
nischen Schwierigkeiten wesentlich beeinträchtigt. Nach den zahlreichen
Versuchen kann man diese Reaktion nicht, wie bisher angenommen, als
eine ausgesprochen „placentare* bezeichnen, da alle fötalen Organe
drüsiger und nichtdrüsiger Natur ebenso wie Fruchtwasser und fötales
Serum, mit Schwangerenserum kombiniert, diese Reaktion geben. Dieser
Umstand ist wichtig, da alle theoretischen Spekulationen, die verschleppte
Placentarelemente als Quelle dieser Serumreaktion aussprechen, unsicher
werden. Ebensogut könnten ausgeschiedene Stoffwechselprodukte des
Fötus, die durch die Placenta hindurchgehen, als Quelle der mütterlichen
Serumveränderung angesprochen werden. Vortr. hat dann im Anschluss
an frühere Untersuchungen, in denen er den Nachweis der quantitativen
und qualitativen Verschiedenheit von fötalem und mütterlichem Blut
erbrachte, analoge Unterschiede in dem Hämolysierungsvermögen von
Schwangeren- und Nichtschwangerenserum gegenüber verschiedenem Tier¬
blut feststellen können. Das Schwangerenblut ist reicher an Hämolysin
als z. B. Hammelblut. Zum Schluss bespricht Vortr. noch die blut-
auflösende Fähigkeit gekochter Placenta, einzelner fötaler Organe (vor
allem der Lunge) gegenüber menschlichen roten Blutkörperchen (Lipoid¬
wirkung?), die ebenfalls Erythrocyten Sohwangerer gegenüber, schon vom
zweiten Monat an, weit intensiver aufzutreten pflegt als bei Nicht-
schwangeren, wo das Phänomen völlig fehlt (Agglutination) oder viel
schwächer zu sein pflegt.
Hr. AekeraaM: Heber Cystinurie.
Vortr. berichtet über einen Fall von Cystinurie bei einem jungen
Manne, der schon seit seiner Kindheit Steinbeschwerden hatte und dem
bereits ein 48 g schwerer Cystinstein operativ aus dem Becken der einen
Niere entfernt wurde; auch der Vater des Patienten war steinleidend.
In der Erwartung, dass man im Harne derartiger Patienten neben den
öfters darin aufgefundenen Diaminen Cadaverin und Putresin (sogenannte
DiamiDurie) noch andere Fäulnisbasen, wie man deren durch die Unter¬
suchungen Ackermannes jetzt mehrere kennen gelernt hat, werde
finden können, wurden 80 1 des Cystinharns untersucht, und zwar naoh
der Harnuntersuchungsmethode von F. Kutsoher, die schon zur Auf¬
findung mehrerer, bisher unbekannter Harnbasen höchst interessanter
Konstitution geführt hatte. Es fanden sich nun keine neuen Fäulnis¬
basen (auch Aporrhegmen genannt), aber dafür die a-e-Diaminocapron-
säure, das sogenannte Lysin. Damit ist im Harn der Cystinuriker neben
dem bereits bekannten Cystin, Tyrosin und Leucin nun eine vierte
Aminosäure gefunden. Die Auffindung des Lysins im Cystinharn ist
auch deswegen von Bedeutung, weil dieses sicher die Muttersubstanz des
einen Diamins der Diaminurie, nämlich des Cadaverins, ist, das sich
auf dem Wege des bakteriellen Abbaues durch einfache Kohlensäure¬
abspaltung aus dem Lysin zu bilden vermag. Genau wie die Bakterien
verehrt nun auch der Warmblüter, und man kann mit Bestimmtheit
aonehmen, dass dieser Weg des Aminosäureabbaues nicht nur bei Cystin¬
urie, sondern (vielleicht in beschränkterem Maasse) normaliter einge¬
schlagen wird; denn die pathologischen Verhältnisse sind nach Claude
Bernard nur eine Steigerung physiologischer, so dass dieser Befund
auch physiologische Bedeutung hat. (Das Nähere bei D. Ackermann
und F. Kutscher: Ueber das Vorkommen von Lysin im Harn bei
Cystinurie. Zeitschr. f. Biologie, Bd. 57, S. 355.)
K. k. Gesellschaft der Amte zu Wien.
Sitzung vom 7. Februar 1918.
(Eigener Bericht.)
Hr. BArdny demonstrierte einen 83jährigen Mann, welche nach
einem Sturz auf den Hinterkopf beim Zeigeversuch Vorkeizeigea beider
Arme nach obea als isoliertes Symptom aufgewiesen hat.
Bei dem Unfall verlor der Kranke das Bewusstsein, er bekam Er-
brecheu, Kopfschmerzen links, Ohrensausen und Schwindel, ferner zeigte
er beim Zeige versuch mit beiden Armen nach oben vorbei. Das letztere
Symptom verschwindet wieder, wenn es isoliert bleibt, was äuch in dem
vorgestellten Falle, bei welchem es sich um eine* Ladion einer um¬
schriebenen Stellt des Kleinhirns gehandelt hat, der Fall war.
Hr Jekle führte einen Knaben mit orthostatischer Albumiiurie vor.
Das Kind hat eine starke Lendenlordose; wenn es ein Bein hoch¬
bebt, wird die Lordose ausgeglichen, und eine bestehende Albuminurie
verschwindet nach 10 Minuten vollständig.
jJIr.^BUai demonstrierte einen 65jährigen Mann mit Blaacaateiaefi;
Blaaciicsreinoni aad Prostataatrophie.
Dar Kranke Hät während seines ganden Lebens Blasenbeschkerden
.gehabt, seit 30 Jahren Katbeterismus, Cystitis und Blasenblutungen.
Vor 16 und vor 5 Jahren wurden Blasensteine durch Cystotomie ent¬
fernt Seit mehreren Jahren machte der Patient Blasenspülungen mit
Argentum nitricum, vor einem halben Jahre wurde ein Plattenepithel-
carcinom und eine Schwärzung der ganzen Blase nachgewiesen. Es
wurde das Neoplasma exzidiert und die geschrumpfte Prostata exstirpiert.
4 Wochen später konnte der Kranke normal urinieren.
Hr. Lanber führte einen 6jährigen Knaben mit cyklischer Oculo¬
motoriuslähmung vor.
Wenn der Knabe wach ist, steht der rechte Bulbus in Abduktions¬
stellung; in Intervallen von 15 bis 45 Sekunden erweitern sich die
Pupillen, um sich dann durch einige ruokartige Zuckungen zu kontra¬
hieren. Im Schlafe hebt sich zeitweise das paretische Augenlid, so dass
die Lidspalte ca. 4 mm weit wird. Auf der linken Seite besteht eine
Oculomotoriusparese, rechts ist der Trigeminus etwas hyperästhetisoh
und der Abducens vielleicht etwas paretiscb. Wassermann negativ.
HHr. Kraus und Heins:
Erfahrung«! nnd Erlebnisse ans dem Balkankriege.
Herr Kraus wurde nach Bulgarien berufen, um die Bekämpfung
der Cholera, welche in der Tschadtaltschalinie und in einigen Spitälern
ausgebroohen war, zu organisieren. Die Reise ging zuerst nach Tschorlu
und dann nach Kirkkilisse; in letzterer Stadt wurde die Centrale für
die Aktion eingeriohtet. In dem Infektionsspital in Tschorlu fehlte es
an Betten, Aerzten und Pflegepersonal, und es lagen Cholerakranke
unter anderen Patienten. In der Tschadtaltschalinie waren bei der
3. Armee bis Mitte November gegen 30 000 Erkrankungen, meist an
Magendarmaffektionen, mit ca. 2000 Todesfällen vorgekommen; in vielen
Fälleu liess sich in den Fäces der Choloravibrio nachweisen; bei der
geringen Mortalität ist anzunehmen, dass nioht alle Fälle Cholera waren,
man muss sie aber doch auf ca. 5000 veranschlagen. Die Ansteckung
dürfte durch das Trinken von Wasser aus dem Flusse erfolgt sein, in
welohem Leichen vorgefunden wurden. In den Spitälern kamen sporadische
Fälle von Cholera vor. Es wurden vorerst 9 bakteriologische Labora¬
torien eingerichtet, welche dazu bestimmt waren, in verdächtigen Fällen
die Diagnose zu stellen, Infektionsspitäler einzurichten, die Isolier¬
raaassregeln anzuordnen, für die Desinfektion vorzukehren und für die
Versorgung der Leichen sowie die Unterbringung der Rekonvaleszenten
Vorsorge zu treffen. Die Etablierung von Laboratorien ist nicht nur
in der ersten Linie, sondern auch bei Spitälern notwendig. Die
weiteren Maassnahmen bestanden in dem Befehl, nur gekochtes
Wasser zu trinken; dieser wurde von den Soldaten streng befolgt,
da sie durch einen Eid zur Beobachtung desselben verpflichtet
worden waren. Es wurde ferner eine strenge Scheidung der Ver¬
wundeten, Erkrankten, der Infektionskranken und einer Infektions¬
krankheit Verdächtigen schon vom Transport an durcbgeführt, ebenso
wurden spezielle Infektionsspitäler eingerichtet. Die transportfähigen
Kranken wurden in Etappenspitäler gebracht, Das Verbot, ungokoohtes
Wasser zu trinken, wurde auf die ganze Armee ausgedehnt, wodurch
auch die Bekämpfung des Typhus ermöglicht wurde. Bei der Zivil¬
bevölkerung kamen anfangs Dezember einige Cholerafälle vor, es wurde
daher eine Organisation des Sanitätsdienstes für das okkupierte Land
geschaffen. Da man mit dem Vorhandensein von Bacillenträgern rechnen
musste, wurden die ins Spital eingelieferten Verwundeten und später
auch ganze Truppenteile der Cholerascbutzimpfung unterzogen. In der
Tschadtaltschalinie erlosch die Cholera Mitte Dezember, gegen Ende Januar
auch in der ganzen Armee. Bei der Bekämpfung der Cholera und
Prophylaxe derselben bewährte sich die innerliche Darreichung von Jod¬
tinktur dreimal täglich sehr gut Vortr. führt gegenwärtig Versuche
über die Wirkung dieser Medikation auf die Darmbakterien durch. Es
wurde erwiesen, dass Choleravibrionen nach einigen Tagen infolge der
Verabreichung der Jodtinktur aus dem Darme verschwinden. Um die
Cboleraeinschleppung nach Bulgarien zu verhüten, wurden Quarantäne¬
stationen eingerichtet, ferner wird beabsichtigt, die gesamte Bevölkerung
von Bulgarien der Choleraschutzimpfung zu unterziehen. Da die Ver¬
luste durch Seuchen in den meisten Kriegen zwei- bis fünfmal so gross
sind wie die Verluste duroh Waffen, ist es wichtig, schon im Frieden
Vorkehrungen für die Bekämpfung der Kriegsseuchen zu treffen, es muss
für bakteriologische Laboratorien, für hygienisch geschulte Aerzte und
in der Pflege von Infektionskrankheiten ausgebildetes Pflegepersonal
sowie für Infektionsspitäler Vorsorge getroffen werden.
Hr. Heinz hat seine Kriegserfahren gen in dem Spital von Pod-
goritza in Montenegro gesammelt, welches unter dem Kommando von
Regimentsarzt Dr. Nürnberger stand. Dieses Feldspital wurde am
80. Oktober aktiviert. Vortr. beobachtete daselbst nur 140 Verwundete,
weil es auf dem Kriegsschauplätze nur zu kleinen Gefechten kam. Die
Verwundeten, welche teils zu Fuss, teils auf den landesüblichen Karren
ins Spital gelangten, waren hochgradig erschöpft, einen ordnungsmässigen
Verband gab es in der ersten Linie nicht. Es wurde ein möglichst kon¬
servatives Verhalten beobachtet, durch Ruhigstellung der Wunde und
Umschläge mit essigsaurer Tonerde wurden gute Resultate erzielt. Die
sanitäre Vorsorge Montenegros war sehr mangelhaft, in den Spitälern
wurden die Verwundeten von Studenten und selbst von Nichtärzten
behandelt. Vortr. betont, dass die Wunde nicht mit den Fingern be¬
rührt und womöglich in Ruhe gelassen werden soll. In Oesterreich sind
für die Wundbehandlung detaillierte Vorschriften von der Heeresverwal¬
tung für Aerzte bznf/ das Pflegepersonal und die Blflspiertenträger zu-
sämmengestellt Vortr. beobachtete unter dfp Gewehrschqssverfetaungen
solche mit dem 2,6<mm-Geschoss mit ovigaler<Spit*e upd Stahlmantel, es
gab aber auch Gewehrgeschosse aus Blei. Unter den Verwundeten
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522
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
fanden sich auch 7 Frauen, was dadurch zu erklären ist, dass der Nach¬
transport von Munition zu den Kämpfenden meist von Frauen und
Kindern durchgeführt wurde. Unter den Verletzungen fanden sich u. a.
3 Schädelschüsse, 8 Lungenverletzungen, 4 Unterleibsschüsse, 1G Knochen¬
schüsse, 3 Gelenkschüsse, fn einem Fall von septischer Infektion wurden
tetanusäbnliche Krämpfe beobachtet, welche jedoch mit Tetanus nichts
zu tun hatten. Die Schrapnell- und Granatschüsse sind meist infiziert,
weil in die Wunde Fetzen von der Kleidung vom Geschoss mit hinein¬
gerissen werden; die Entfernung der Gewebsfetzen, Kleiderpartikel ist
wichtig, dagegen soll nach Geschossen in der Wunde nicht unnötiger¬
weise gesucht werden, weil dabei viel gesundes Gewebe zerstört wird.
Da bei Montenegrinern eine verstümmelnde Operation als entehrend
gilt, wurden Amputationen immer verweigert. Schwere Verletzungen
wurden durch indirekte Schüsse hervorgerufen. Als lokaler Shock
wurden Lähmungen von Extremitäten oder einer von einem Nerven ver¬
sorgten Muskelgruppe beobachtet, welche längere Zeit anhielten. Von
den Verletzungen durch Mantelgeschosse waren 16 pCt. infiziert. Als
wichtige Erfordernisse des Kriegssanitätsdienstes bezeichnet Vortr. eine
genügende Anzahl von Aerzten in der vorderen Linie, Vorsorge für
günstige Transportverhältnisse, und gut eingerichtete Spitäler. H.
Medizinische Gesellschaft zn Basel.
Sitzung vom 20. Februar 1913.
Hr. B 0688 Ü: Medizinisches ans Grönland.
H. berichtet über die medizinischen Erfahrungen, die er als Arzt
der schweizerischen Grönlandexpedition 1912 gemacht hat. Bemerkungen
über den Stamm und Mischung der Eskimo mit den Europäern. Die
neueren Kolonien an der Ostküste sind von der dänischen Regierung
zweckentsprechend zur Erhaltung der Rasse eingerichtet (z. B. Ang-
magsalik), Acrzte auf Kosten der dänischen Regierung, ebenfalls Medi¬
kamente, verschiedene kleine Krankenhäuser mit etwa 8 Betten, die
übrigen werden in ihren Zelten, meistens unter ungünstigen hygienischen
Verhältnissen, behandelt. Trotz langen Sommers ist Tuberkulose häufig
(aber ebenfalls langer Winter) und wird durch das gehäufte Zeltleben
noch mehr verbreitet. Ostgrönland ist in gesundheitlicher Beziehung
besser, keine Centralisation in Ortschaften, typischec Jagd- und Wander¬
leben der Einwohner. Alkoholverbot der dänischen Regierung, vikariierend
unmässiger Kaffeegenuss (vielleicht in Zusammenhang mit Kajakschwindel).
Sanitärische Untersuchung der wenigen zu Studienzwecken eingelassenen
Fremden, deshalb keine Infektions- und venerische Krankheiten. Nur
jedes Jahr mit Ankunft des ersten Schiffes breitet sich eine Art In-
fiuenzaepidemie (Frübjahrsepidemie) unter den Eingeborenen aus, welche
auch die gesunden Expeditionsteilnehmer befiel, die doch jedenfalls die
Infektionskeime mitgebracht hatten, und die sich an jedem Ort, wo die
Expedition hin kam, wiederholte. Tuberkulose sehr verbreitet (schon im
18. Jahrhundert), zeichnet sich aus durch raschen, vorwiegend pneumo¬
nischen Verlauf mit geringen lokalen Erscheinungen, häufig sind Hämo-
physen, andere Formen der Tuberkulose (Knochen usw.) kommen häufig
vor, kein Lupus. Von Hautkrankheiten nur Ekzem, Impetigo, Furunkulose,
keine Lepra, keine Gonorrhöe. Alopecie unbekannt. Mongolenfleck
häufig. Keine Zahncaries, Hernien selten. Eine sichere Lebercirrhose
bei einem Phthisiker. Eine fragliche Tabes. Scrofulöse Erkrankungen
der Schleimhäute häufig, keine Rachitis. Relativ häufig Glaukom (Hyper-
metropie der Grönländer). Wolfer-Basel.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Sociötö medicale des höpitaux.
Sitzung vom 8. November 1912.
HHr. Menetrier und Legraia beschreiben den seltenen Fall einer
lobären Pnenmokokkenpnenmonie mit gleichzeitiger Miliartuberkulose
der Lungen und der übrigen Organe. Auf der Schnittfläche der roten
Hepatisation waren die tuberkulösen Granulationen der Miliartuberkulose
sichtbar, welche Tuberkelbacillen enthielten, während im intraalveolären
Exsudat Pneumokokken nachzuweisen waren.
Hr. Hirtz zeigt einen Jüngling mit gonorrhoischer Osteoperiostitis
der Clavicnla. Die Affektion imponierte zuerst für Osteosarkom. Herr
Hirtz hat schon zwei solche Fälle beobachtet. Der Verlauf des Leidens
ist gutartig.
Hr. Gau eher meinte, es könnte sich auch um Lues handeln, und
verlangte zur Kontrolle die Wassermann’sche Reaktion.
HHr. Sosn4 und Godlewsky haben eine Menge Gesunde und Herz¬
kranke auf ihren Bintdrnek untersucht und gefunden, dass Digital in
in therapeutischen Dosen, sogar in grossen und fortgesetzten Dosen
in keiner Weise den Blutdruck beeinflusst. Bei Asystdlie allerdings
hebt Digitalin den Blutdruck, indem es dem Myocard eine Energie ver¬
leiht. Man soll also ja nicht aus Furcht vor der Hypertension vor der
Digitalinbehandlung zurückschrecken. Wenn man Serienuntersuchungen
des Blutdrucks bei gesunden Individuen macht, kann man Schwankungen
des Blutdrucks nachweisen, die bis auf 4—5 cm Hg gehen, ohne dass
irgendein Medikament eingenommen wird. t
Diskussion.
Hr. Le Gendre betobt!, dass es wichtig ist, diese physiologischen
Blutdruckschwankungen zu kennen, um nicht fä'schlich Hypertension zu
diagnostizieren.
Nach Hr. Ribierre ist Hypertension keine Kontraindikation für
Digitalin.
Hr. Vaquez hat schon vor Jahren die Hypeitension in vorüber¬
gehende, oscillierende und kontinuierliche Formen eingeteilt Die oscil-
lierende Hypertension ist vielleicht gefährlicher als die kontinuierliche;
z. B. bei Bleivergiftungen siebt man Hirnblutungen eintreten im Moment,
wo der Anfall von Hypertension sich entwickelt.
HHr. Darier und Flaadia haben einen Tet&niskranken mit täg¬
lichen intravenösen Injektionen von 70—100 ccm Antitetanusserum
behandelt. Patient bekam in drei Tagen 242 ccm. Trotz dieser grossen
Dosen und der frühen Einleitung der Behandlung (19 Stunden nach
Eintritt des Trismus) starb der Patient am dritten Tag. Sofort nach
der ersten Injektion verschwanden die Schmerzen, und die Kontraktionen
wurden geringer, um am zweiten Tag zu verschwinden: das Fieber fiel
ab. Der Tod trat infolge Respirationsstillstand ein. Immerhin ermutigen
die guten Wirkungen auf die Schmerzen und Kontrakturen zur weiteren
Verwendung der Serotherapie.
Diskussion.
Hr. Renault hat ein 11 jähriges Mädchen mit schwerem Tetanus-
mit subcutanen starken Dosen von Antitetanusserum behandelt. In
fünf Tagen bekam das Kind 260 ccm Serum; die Erscheinungen nahmen
progressiv ab, nach fünf Tagen konnte die Behandlung ausgesetzt
werden, und das Kind heilte. Die Injektionen wurden subcutan ge¬
macht, weil die Venen zu klein waren. Jedenfalls war die thera¬
peutische Wirkung des Serums ausgezeichnet.
Sitzung vom 15. November 1912.
Hr. Ribadeaa-Daaias hat bei Säuglingen öfter die Association von
Laageataberkalose nit Poeimokekkeninfektioa beobachtet. Er be¬
schreibt zwei Fälle von eitriger Pneumokokkenpleuritis bei gleichzeitiger
Lungentuberkulose.
Nach HHr. Sosad und Godlewsky kann man den Blatdraek durch
eine einzige Bestimmung im Tag nicht recht beurteilen. Druck-
Schwankungen findet man nicht nur von einem Tag zum anderen,
sondern auch am gleichen Tag, und zwar nicht nur bei Hypertension,
sondern auch bei normalem oder niedrigem Blutdruck.
Hr. Clere beschreibt einen Fall von Tetanusheil aag dareh Sero
therapie. Der Tetanus war nach einer Verletzung der Hand eingetreten.
Die Heilung trat ungefähr nach 12 tägiger Behandlung mit Cbloral und
Serum (340 ccm) ein. Nach der fünften Injektion zeigten sich Oedeme
und urticariaartiger Ausschlag. 20 Tage naoh der letzten Injektion kam
noch ein rubeolaartiger Ausschlag.
HHr. Legendre, Soltraia und Ldvy - Fraeakel zeigen einen Fall
von ausgebreitetem XanlhoBi mit sekundären Koloidea. Die Affektion
begann vor 10 Jahren mit successiven Schüben, ohne Beeinträchtigung
des Allgemeinbefindens. Auf den Xanthomen der Ellbogen und Vorder¬
arme haben sich dicke, schmerzhafte Keloide entwickelt. Die ana¬
tomisch-pathologische Untersuchung zeigt die Umwandlung der Xanthi-
lasmazellen in Fibroblasten. Im Blutserum fand man Hypercholesterin-
ämie bis 4 und 6 g; Lipämie (40—50 g) und 3—4 g Lecithin. Im
Harn weder Pigmente, noch Zucker, Eiweiss oder Fette.
Diskussion.
Hr. Chauffard sah in einem ähnlichen Fall bei der geringsten
Hautverletzung eine Xanthombildung, in der man die Umwandlung der
Xanthilasmazellen in Fibroblasten nachweisen konnte.
Ein Fall von Hr. Siredey wurde erst als spontanes Keloid auf¬
gefasst, erst nachher fand man durch histologische Untersuchung, dass
es sich um Xanthom handle. An der Biopsiestelle entwickelte sich ein
enormes Keloid.
HHr. Achard und Desboais haben sehr frühzeitige akate syphi¬
litische Meningitis beobachtet. Die jugendliche Patientin hatte alle
Zeichen akuter Meningitis, starke Lymphocytose der Cerebrospinal¬
flüssigkeit, aber kein Fieber. Inguinaldrüsen lenkten die Aufmerksamkeit
auf die Genitalien, und man konnte erfahren, dass vorher an den grossen
Labien eine Verhärtung bestanden hatte. Wassermann mit dem Liquor
erst schwach, nach einigen Tagen stark positiv. Die Meningitis war also
eingetreten, während sich der positive Wassermann bildete.
Behandlung: intravenös Hg-Cyanur, nachher HgBijodur. Die
meningitischen Erscheinungen gingen rasch zurück, die Lymphocytose
blieb bestehen. Nach 2 monatiger Unterbrechung der Behandlung kam
Patientin, 7 Monate nach dem Initialaffekt, mit Roseola und papulo-
squamösen Syphiliden und Plaques muqueuses, also durch die Hg-Be-
handlung verspäteten Sekuodärerscheinungen. Die meningeale Reaktion
bestand noch. Injektionen von Neosalvarsan brachten diese bedeutend
zurück und heilten die sekundären Erscheinungen. Die syphilitische
Meningitis war also merkwürdig frühzeitig in diesem Fall, was auf die
Wichtigkeit der Wassermann’schen Reaktion bei gewissen Meningitis¬
formen hin weist.
'* 1 Diskussion. ^
Hr. Janselme hat zwei Fälle sekundärer syphilitischer Meningitis
beobachtet. Im ersten, sehr akuten Fall zeigte die Lumbalpunktion sehr
starken Eiweissgehalt des Liquors und reichliche Zellelemente, namentlich
Lymphocyten. Wassermann mit dem Liquor positiv, nur schwach mit
d,em Serum. Die Erscheinungen gehen nach zwei SalvarsaniDjektionen
zurück (0,20 und 0,40 innerhalb 3 Tagen). Die Lymphocytose geht auT
90 Zellelemente zurück, aber, der Liquof tyleibt sehp.eiweisshaltjg und
Wassermann stark positiv. Patientin starb an Gesichtsrose. Iu r einem
zweiten subakuten Fall brachte eine Salvarsaninjektion die Aphalie so-
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17. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
523
fort zum Schwinden, während die Lymphocytose nur langsam abnahm.
Der Wassermann, mit Liquor gemacht, war negativ, was bei schwachen
meningealen Reaktionen die Regel zu sein scheint, während er bei
starker Reaktion, wie im ersten Fall, positiv ausfällt.
Sitzung vom 22. November 1912.
Hr. Lereboüllet berichtet über einen Fall, von geheilter tuber¬
kulöser Pneumonie. Der Patient, scheinbar ganz gesund, bekam
plötzlich alle Zeichen der käsigen Pneumonie mit starker Abmagerung
und stark bacillenhaltigem Auswurf. Gegen alles Erwarten erholte sich
Patient nach einem neuen pneumonisohen Nachschub, nahm 40 kg zu
und ist nun nach 3 Jahren ganz wohl. Er wurde nur hygienisch¬
diätetisch behandelt.
Hr. March Labbö beschreibt einen Fall von Careinom des Pankreas-
kirpers, der trotz genauer Beobachtung nach den Angaben Ohauffard’s
nicht diagnostiziert wurde. Patient wurde progressiv kachektisch und
hatte starke Schmerzen. Man fühlte keinen Tumor, es bestanden keine
Zeichen von Pankreasinsufficienz, und nur vorübergehende Glykosurie.
Bei der Obduktion fand man einen grossen Pankreastumor mit ähnlichen
Herden der Leber.
HHr. Lemierre und Soltrain bringen die Krankengeschichte eines
Patienten, der nach akuter Otitis eitrige Typhusmeningitis bekam.
Plötzlich traten nach heftigen Schmerzen im linken Ohr mit serösem
Ausfluss schwere meningitische Erscheinungen auf. Das Fehlen jeglichen
Prodroms, das Ueberwiegen der meningitischen Erscheinungen, Kopf¬
schmerz, Kontraktionen, Erbrechen, Delirien, über die allgemeinen In¬
fektionssymptome, Milztumor, Durchfall Hessen die Idee, es liege Typhus
vor, nicht aufkommen. Die bakteriologischen Untersuchungen des Liquors
und des Blutes zeigten Typhusbaeillen und erlaubten die richtige
Diagnose. Patient starb am siebenten Tage. Die Obduktion zeigte
eitrige Meningitis und Schwellung der Peyer’schen Follikel.
HHr. G. Guillain und A. Baumgartner beschreiben einen meningi-
tiicfeca Zustand mit comatösem Beginn. Der 18jährige Patient, vorher
gesund, wurde in comatösem Zustand gefunden und ins Hospital ge¬
führt: Man konstatiert Hyperextension des Kopfes, Kernig, Hyper¬
ästhesie, vasomotorische Streifen, unregelmässige Respiration, Temperatur
38,2. Bei der Punktion: Liquor unter starkem Druck stark eiweisshaltig,
leicht gelblich, mit roten ßlutkörpern, polynucleären Zellen, zahlreichen
mononucleären, ohne Bakterien. Zu. den obigen Symptomen kamen
Agitation und Delirien, die 3 Tage anhielten und dann langsam ver¬
schwanden. Nach 8 Tagen war Patient normal, ausser etwas Lympho-
cytose des Liquors, und nach 14 Tagen wurde er geheilt entlassen.
Der comatöse Zustand und die Aufregungszustände Hessen eine schlechte
Prognose stellen; man soll daher auch bei schweren meningitischen
Erscheinungen vorsichtig sein mit der Prognose, wenn der Liquor
aseptisch ist.
Diskussion.
Hr. Barie sah einen solchen Zustand, der Meningitis tuberculosa
vor täuschte. Die 30 jährige Patientin wurde im Coma ins Hospital ge¬
bracht, hatte hohes Fieber, rechtsseitige Parese, Babinski, verstärkte
Reflexe und meningitische Erscheinungen, Nackenstarre, Kernig. Bei
Lumbalpunktion klarer Liquor, unter erhöhtem Druck nicht eiweiss¬
haltig, massige Lymphocytose, keine Bakterien, keine Tuberkelbacillen.
Man dachte an tuberkulöse Meningitis, und doch besserte sich der Zu¬
stand nach 4 Tagen, und nach 3 Wochen wurde Patient geheilt ent¬
lassen.
Sitzung vom 30. November 1912.
Ihr. Comby beschreibt zwei Fälle von Meningismus bei Kindern, wie
man ihn zurzeit viel beobachtet.
Ein 6 jähriger Knabe zeigte plötzlich meningitische Symptome. Die
Lumbalpunktion ergab klaren Liquor mit deutlicher Lymphocytose. Das
Kind heilte, hatte aber 6 Wochen lang funktionelle Schwäche der
unteren Extremitäten. Ein 7 jähriges Kind hatte die gleichen Symptome,
ebenfalls mit Lymphocytose des Liquor. Dazu kamen heftige Schmerzen
in den Beinen, und ein Aufregungszustand; ferner funktionelle Schwäche
der unteren Extremitäten, leichte infantile Paralyse. In beiden Fällen
war die Heilung vollständig; in beiden Fällen waren die Erscheinungen
plötzlich aufgetreten. Herr Comby glaubt, es handelt sich um die
meningitische Form der epidemischen akuten Poliomyelitis.
Diskussion. Hr. Nobecourt hat im vergangenen Sommer einige
ähnliche Fälle beobachtet. Immer war der Liquor steril. Einmal be¬
standen Gelenksergüsse der Kniee, so dass man an Rheumatismus dachte.
Herr Nobecourt glaubt auch, dass diese Fälle zur akuten Poliomyelitis
zu zählen sind, welcher meningitische Erscheinungen vorausgehen, oder
in deren Verlauf solche Erscheinungen auftreten. In anderen Fällen
kann die ganze Krankheit sich auf die meningitischen Symptome be¬
schränken.
Hr. Milian sucht die Chorea Sydenhami in den Kreis der syphiliti¬
schen Affektionen zu ziehen. Er stützt sich auf 15 Fälle, die er in
bezug auf Wassermann’sohe Reaktion, Nachweis dystrophischer Stigmata,
Untersuchung auf Lues bei den Patienten und den Eltern, genau unter¬
sucht hat. Von den 15 Patienten waren 11 sichere Heredosyphilitiker.
Zweimal war Lues wahrscheinlich, zweimal zweifelhaft. Keiner de£
)5 Patieüten batte je an Rheumatismus gelitten. Die Arsenikbehana-
lung[ die die Syphilis so günstig beeinflusst, hat auch zweifellos günstigen
Einfluss auf die Chorea. Diewassermann’sche Reaktion war bei acht
Patienten von 13 positiv. Es ist dies ein starker Prozentsatz,“ wenn man
bedenkt, dass bei dystrophischer Heredosyphilis Wassermann oft negativ
ausfällt. Die Behandlung kann den Wassermann positiv machen, was
bei den zuerst negativen Fällen auch geschah.
Diskussion.
Hr. Comby kann sich dieser Auffassung der syphilitischen Natur
der Chorea nicht anschliessen. Es ist eine Einwirkungskrankheit, die
man vorzugsweise bei Mädchen findet. Die häufige gleichzeitige Endo-
carditis deutet auf die rheumatische Natur der Affektion. Es ist sicher
eine Infektionskrankheit, die im Verlauf verschiedener Infektionen auf-
tritt: Rheumatismus, Influenza, Scharlach, Enteritis, Rbinopharyngitis usw.
Sie tritt immer infolge einer akuten Infektion auf. Herr Comby fand
bei Choreakranken nicht häufiger Heredosyphilis als bei anderen Kindern.
Die therapeutische Wirkung des Arseniks ist kein Beweis für die syphili¬
tische Natur.
Vom Standpunkt der Neurologen aus betrachtet, ist für Herrn
Guillain die Chorea eine organische Krankheit des Nervensystems,
die keineswegs mit Nervensyphilis Analogien hat. Bei Chorea zeigt der
Liquor keine Reaktion, während diese sonst bei Syphilis konstant ist;
das Symptom Argyll-Robertsan ist bei Chorea unbekannt. Bei tödlichen
Fällen der Chorea findet man keine arteriellen, meningitischen oder
corticalen Veränderungen wie bei hereditärer Lues der Nervencentren.
Ausserdem fehlen die nichtnervösen Erscheinungen der Chorea, Fieber,
Gelenkentzündungen, Endocarditis, bei Lues. Auch Herr Guillain hat
bei Chorea nicht besonders häufig Zeichen von Heredosyphilis beob¬
achtet. Die Quecksilberbehandlung der Chorea ist ganz erfolglos; Arsenik
kann heilen, aber auch nicht immer, und viele Fälle heilen ohne
Arsenik.
Auch Hr. Nobecourt verzeichnet bei Choreakranken nicht häufiger
heredosyphilitische Zeichen als bei anderen Kindern. Er fand oft
negativen Wassermann, während dieser bei Heredosyphilitischen mit
Nervenveränderungen meist positiv ist Rheumatismus ist häufig bei
Beginn der Chorea, aber man muss die abortiven Formen des Rheuma¬
tismus bei Kindern kennen; übrigens ist die Endocarditis der Chorea
deijenigen des Rheumatismus gleich. Die Salvarsanbehandlung einer
Patientin konnte wegen starker Reaktion nicht weiter geführt werden.
Salvarsanclysmen ä 0,10 wirkten unsicher.
Hr. Claude glaubt, dass ein der Chorea’ ähnlicher Symptomen
komplex durch Lues bedingt werden kann. Für alle seine Choreafälle
sind syphilitische Antecedentien nicht nachzuweisen; oftwurde Tuberkulose
notiert, ohne dass man diese mit Chorea in ein causales Verhältnis zog.
Bei mehreren tödlichen Choreafällen waren keine Veränderungen der
Meningoencephalitis nachweisbar.
Hr. Cronzan hat bei 20 Choreafällen keine syphilitischen Ante¬
cedentien gefunden. Achtmal wurde der Wassermann gemacht Acht¬
mal war er negativ.
Hr. Milian verlangt weitere, genauere Untersuchung aller Chorea¬
fälle; so werde man einsehen, dass oft die Chorea syphilitischen
Ursprungs ist.
Aus der II. medizinischen Universitätsklinik der Königl.
Charite (Direktor: Geheimrat F. Kraus).
Ueber chemische Einwirkungen des Thorium X
auf organische Substanzen, besonders auf die
Harnsäure.
Von
J. Plesch.
In Nr. 52, 1912, dieser Wochenschrift haben Falta und Zehner
unter diesem Titel Versuche publiziert, mit welchen sie den Einfluss des
Thorium X auf organische Substanzen, besonders auf die Harnsäure, be¬
weisen wollten. Ich habe die Autoren in Nr. 4, 1913, dieser Wochen¬
schrift aufgefordert, ihre Versuche anders zu deuten, indem ich darauf
hin wies, dass alle von Falta und Zehner angeführten Versuche mit
H 2 0 2 oder Os ausgeführt werden können, und so lange sie nicht bei
ihren Versuchen das durch die Radioaktivität sich bildende H 2 0 2 und 0 8
ausschliessen, ich die angeführten Versuche nicht als eine spezifische
Thoriumwirkung anerkennen kann. Darauf haben nun Falta und
Zehner in Nr. 9 dieser Wochenschrift geantwortet, in welcher sie meine
„Anregung zwar für überflüssig halten, aber doch jetzt (nachträg¬
lich! D. V.) den Gedanken für sehr naheliegend finden, dass
bei den von ihnen beschriebenen Wirkungen des Thorium X
die Bildung von Ozon oder eventuell auch von Wasserstoff¬
superoxyd, eine gewisse Rolle spielt 1 ). 1 * Wenn ich ihnen diesen
Gedanken nahegelegt habe, so habe ioh das, was ich mit meiner Auf¬
forderung bezweckt habe, auch vollkommen erzielt, weil mit
diesem Bekenntnis auch alles, was sie behauptet haben,
fällt, denn Falta und Zehner haben den Einfluss des H 2 0 2 und 0 8
in ihren Versuchen nicht ausgeschlossen. Danach hätten sich meines
Erachtens nach die Autoren nichts vergeben, wenn sie meine Worte ohne
weiteres beherzigt und sich die vielen nicht zutreffenden Worte um die Sache
herum erspart hätten. Statt dessen haben sie ihren Irrtum zu verhüllen
gesucht und durch persönliche Bemerkungen« den {Sachlichen Bodep ver-
1) Im Original nicht gesperrt gedruckt.
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UNIVERSUM OF IOWA
524
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
lassen. Falta und Zehner führen drei Gründe an, weshalb sie den
Einfluss des H 2 0 2 und 0 8 bei ihren Reaktionen nicht in Betracht ge¬
zogen haben bzw. unerwähnt Messen: 1. weil sie mit Wiener Kapazitäten
gesprochen haben, 2. weil die „Verhältnisse durchaus nicht so einfach
sind, wie ich es mir vorstelle“ (??) und 3. „weil sie für die medizinische
Seite der Frage vollständig belanglos sind“, lieber die ersten beiden
Argumente brauche ich kein Wort zu verlieren. Ueber das dritte Argu¬
ment nur wenige Worte. Wenn die Autoren nur die medizinische Seite
der von ihnen behandelten Frage in Betracht ziehen wollten, dann hätten
sie sich die ganze Publikation sparen können, denn für die medizinische
Seite ist es höchst belanglos, ob Cochenille ihre Farbe verändert,
Resorcin eine gelbe Farbe bekommt, und am allergleichgültigsten ist es,
ob im Reagenzglas y 4 g Harnsäure in 5 ccm Flüssigkeit mit 5000 es. E.
versetzt, gelöst wird. Medizinisch belanglos wäre die letzte Frage
sogar dann, wenn die Lösung der Harnsäure auch ohne den Einfluss von
0 8 und H 2 0 2 zustande käme. Würden wir nämlich aus diesem Versuch
die nötige Thorium X-Aktivität berechnen, den ein 70 kg schwerer
Mensch gebrauchen würde, um nur V« g seiner abgelagerten Harnsäure
zu lösen, müsste er 70 000 es. E. einverleibt bekommen, was in An¬
betracht dessen, dass 5000 es. E. tödlich sind, doch ausser den Rahmen
der medizinischen Verwendung fallt. Da aber die Gichtiker doch viel
mehr Harnsäure als V« g haben und die Einwirkungsdauer des Thorium X
im lebenden Organismus nicht so ungestört ist und so lange anhalten
könnte wie im Reagensglas, so müsste diese Dosis noch weiter multipli¬
ziert werden, und diese Zahl könnte so ins Unendliche wachsen. Wenn mich
also diese Argumente nicht befriedigen, so kann mir das keiner übelnehmen.
Genau so unbefriedigt haben mich die sachlichen Argumente ge¬
lassen, die Falta und Zehner anführen. Zunächst bezichtigen sie
mich eines ungenauen Lesens ihres Artikels, da ich den Versuch un¬
erwähnt liess, bei denen die Thorium X-Lösungen in zugeschmolzenen
Phiolen in die Farbstofflösungen gebracht wurden und der Effekt
qualitativ derselbe, quantitativ geringer war. Das Kontrollröhrchen mit
derselben Farbstofflösung blieb unverändert. Nichts beweist besser als
das Heranzieben dieses Versuches, dass die Verfasser an den Einfluss
des sich bildenden 0 8 bzw. H 2 0 2 nicht gedacht haben, sonst hätten sie
zur Kontrolle auch H 2 0 2 zugesetzt, und nur so hätte dieser Versuch
eine gewisse Bedeutung! Dies haben aber die Verfasser vergessen, und
es klingt deshalb merkwürdig, wenn sie in ihrer Erwiderung sagen:
„Jeder 1 )» der sich mit dem Studium radioaktiver Substanzen beschäftigt,
weiss, dass in der Umgebung stark radioaktiver Körper die Luft ozonisiert
wird.“ Noch merkwürdiger erscheint mir, wenn sie trotz dieser Selbst¬
verständlichkeit der Ozonbildung keine Reaktion des 0 8 selbst bei kon¬
zentrierten Thorium X-Lösungen finden konnten. Da die Autoren, meine
bisherigen „Anregungen“ schon für überflüssig hielten, so muss ich mir
es leider versagen, auf die Einzelheiten und Schwierigkeiten des Nach¬
weises des H 2 0 2 und 0 8 einzugehen. Von allgemeiner Bedeutung ist
aber die These, dass Falta und Zehner in den beschriebenen Re¬
aktionen im Gegensatz zum Radium eine spezifische Thorium X-Wirkung
erblicken. Darauf erlaube ich mir zu bemerken, dass Mesernitzky
mit Radiumsalzen von einer Aktivität von 150 000 es. E. ebenfalls eine
bessere Löslichkeit der Harnsäure erzielen konnte, wobei aber auch das
gebildete H 2 0 2 und 0 8 seinen Einfluss ausüben konnte.
Noch einen Satz der Falta-Zehn ergehen Erwiderung will ich an-
fübren: „Denn es ist absolut nicht einzusehen, warum diese Strahlen¬
wirkungen eventuell auch dann, wenn sie durch Bildung von Ozon oder
Wasserstoffsuperoxyd vermittelt wurden, nicht ebenso wie im Reagens¬
glas auch im Organismus vor sich geben sollen, da hier dieselben Be¬
dingungen vorhanden sind.“ Wenn im Organismus dieselben Bedingungen
vorhanden sind wie im Reagensglas, dann wäre die Gichttherapie sehr
einfach, denn wir brauchten nicht auf dem Umwege der radioaktiven
Substanz die Gicht zu heilen suchen, sondern könnten in beliebiger
Weise durch Einspritzen von Wasserstoffsuperoxyd dies sehr leicht er¬
reichen. Ich muss die Herren Falta und Zehner um Entschuldigung
bitten, wenn ich sie wieder „anzuregen“ gezwungen bin und sie darauf
aufmerksam machen muss, dass das H 2 0 2 durch die Katalasewirkung des
Blutes und der übrigen Gewebe sofort zerstört wird, was Herrn Falta
und Zehner ihre autoritativen Gewährsmänner gewiss nicht zu be¬
stätigen verfehlen werden.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In ihrer Sitzung vom 13. d. M. hat die Stadtverordneten¬
versammlung die Wahl des Stadtmedizinalrats vollzogen; sie ist,
wie nach den letzten Nachrichten zu erwarten stand, auf den Geheimen
Regierungsrat Dr. H. Weber, Direktor im Reicb9gesundbeitsamt, ge¬
fallen. Die hervorragenden Leistungen Weber’s auf hygienischem und
bakteriologischem Gebiete, weiter auch der bedeutsame Anteil, den er
an der Organisation der Dresdener Hygieneausstellung genommen hat,
berechtigen zu der Erwartung, dass durch ihn der schwierige und ver¬
antwortungsvolle Posten in würdiger Weise ausgefüllt werden wird.
— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft
vom 12. März demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Morgen-
1) hn Original nicht gesperrt gedruckt.
roth: Hämolytische Versuche über Gewebs- und Tumoreceptoren.
Hierauf fand der Schluss der Diskussion über den Vortrag des Herrn
Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den Manschen, statt,
an derselben beteiligten sich die Herren Eckert, F. Klemperer,
Auerbach, Weber, Westenhöfer, Orth. Alsdann hielt Herr E. Saul
den Schluss seines Vortrages: Beziehungen der Helminthen und Acari
zur Gesohwulstätiologie.
— In der am 13. März unter Vorsitz des Herrn Fritz Strassmann
tagenden Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft berichtete Herr
Dorendorf über vier Fälle von linksseitiger Recurrenslähmung bei
Mitralstenose (Diskussion: die Herren Killian, Zinn). Herr Finkei¬
stein demonstrierte einen Fall von Thymushypertrophie (Diskussion:
die Herren Hirschfeld, Dorendorf, Benda, Fr. Strassmann).
Herr Fr. Strassmann sprach über Sublimat- und Lysol Vergiftung
sowie über die Form der Knochenschusswunden (Diskussion: die Herren
Leibholz, Lehr). Herr P. Fränkel brachte pathologisch-anatomisches
Material betreffs der spontanen Aortenruptur bei (Diskussion: Herr
Benda). Herr L. Bürger demonstrierte den Wert der farbigen Photo¬
graphie in der gerichtlichen Medizin.
— Die II. Preussisohe Landeskonferenz für Säuglings¬
schutz findet am Mittwoch, den 26. März, vormittags 11 Vs Uhr, im
Plenaroitzungssaale des Preussischen Herrenhauses, Berlin, Leipziger
Strasse 3, statt. Folgende Tagesordnung ist festgesetzt: I. Der Wert
der Stillbeihilfen (Stillunterstützungen, Stillprämieu) als Mittel zur
Förderung des Stillens. 1. Die Entwicklung und der gegenwärtige Stand
der Stillbeihilfen (Stillunterstützungen, Stillprämien) in Preussen (Referent:
Oberarzt Dr. Rott-Berlin). 2. Die ärztlichen Forderungen zur Organi¬
sation der Stillbeihilfen auf Grund der bisherigen Ergebnisse (Referent:
Prof. Dr. Thiem ich -Magdeburg). 8. Die Durchführung der Organisation
der Still beihilfen in der Gemeinde (Referent: Stadtrat Paul-Magdeburg).
II. Die Organisation der Kleinkinderfürsorge. 1. Die ärzlichen Forderungen
für die Organisation der Kleinkinderfürsorge (Referent: Primararzt Dr.
Freund-Breslau). 2. Die Durchführung der Organisation der Klein¬
kinderfürsorge in der Gemeinde (Referent: Stadtrat Dr. Gottstein-
Charlottenburg).
— Der 34. Baineologenkongress (Balneologische Sektion des
IV. internationalen Kongresses für Physiotherapie) tagt vom 26. bis
81. März 1918 in Berlin. Die Sitzungen — auch die Generalversamm¬
lung am Mittwoch, den 26. März 1813, abends 6 Uhr — finden statt im
Hörsaale des Geheimrats Orth in der Charite. Auch am Sonntag vormittag
wird eine Sitzung abgehalten werden. Es sind über 80 Vorträge angemeldet
— Herr Dr. Curt Pariser-Bad Homburg v. d. H. ersucht uns um
Aufnahme folgender Erklärung: „Von einer Auslandsreise zurückgekehrt,
erfahre ich, dass in den letzten Wochen in der Anpreisung eines neuen
Heilmittels in Tageszeitungen das Attest einer Pflegeschwester abgedruckt
wird und dem Namen der Schwester der Name meines Sanatoriums in
irreführender und durchaus missbräuchlicher Weise hinzugefügt ist, wo¬
gegen ich hiermit aufs schärfste und nachdrücklichste Einspruch erhebe.
Ich habe das betreffende Präparat weder je angewandt noch empfohlen,
noch kannte ich bisher überhaupt seinen Namen.“
Hochschulnaohrichten.
Berlin. Geheimrat Heubner wurde durch Verleihung des Roten
Adlerorden9 2. Klasse mit Eichenlaub ausgezeichnet. — Giessen.
Habilitiert für Physiologie: Dr. Sülze. — Göttin gen. Habilitiert:
DDr. Oehme (innere Medizin) und Ebb ecke (Physiologie). — Cöln.
Der Dozent an der Akademie für praktische Medizin, Dr. Meder, erhielt
den Titel Professor. — Marburg. Habilitiert: DDr. Kiratein (Frauen¬
heilkunde) und Kleinschmidt (Kinderheilkunde). — Erlangen.
Habilitiert: Dr. Lobbenhofer für Chirurgie. — München. Habilitiert:
Dr. Ach für Chirurgie. — Prag. ao. Professor der Histologie und
Embryologie an der tschechischen Fakultät, Srdinko, wurde zum ordent¬
lichen Professor ernannt. — Zürich. Habilitiert: Dr. Ti b che für
Dermatologie.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Königl. Krone zum Roten Adler-Orden 2. Kl.:
ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. E. Bumm in Berlin.
Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub: ordentl. Professor,
Geh. Med.-Rat Dr. 0. Heubner in Berlin.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl: Geh. San.-Rat Dr. F. Hoeber in Bad
Homburg v. d. H.
Niederlassungen: Dr. F. Danziger in Berlin, Dr. L. Adler in
Berlin-Schöneberg.
Verzogen: Dr. A. Lorenz von Berlin nach Duisburg, Dr. E. Glom-
bitza von Berlin nach Hamburg, Dr. J. Thissen von Berlin nach
Neukölln. »
Verzogen ohne Aagabe des neuen Wohnortes*"Dr. A. Dopple
yon Danzig, Dr. H. Beutnagel, Dr. B. Latz, Dr. J. Heinemann
und Arzt E. Schlesinger von Berlin.
Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. 0. Horn in Löwenberg i. Schl.,
Dr. E. Cohn in Berlin.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hanl Sohn, Berte W, Bayreuther 8trasae ^3-
' Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Dl« Barliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden
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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Gth. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. Angost Hirsehwald, Verlagsbnchhandlmg in Berlin.
Montag, den 24. März 1913. M 12 .
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Originalton : Rubino: Behandlung der Basedowschen Krankheit. S. 525.
Bo thmann: Gegenwart und Zukunft der Rückenmarkschirurgie.
S. 528.
Weber: Ueher die Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen.
S. 588.
Hertzell: Die Stauungsreaktion bei Arteriosklerose. (Aus der
klinischen Abteilung der hydrotherapeutischen Universitäts-
Anstalt zu Berlin.) (Illustr.) S. 585.
Tobias: Ueher die praktische Bedeutung der Hochfrequenz¬
behandlung (d’Arsonvalisation) — insbesondere hei inneren und
Nervenkrankheiten. (Aus Dr. E. Tobias’ Institut für physikalische
Heilmethoden und der Poliklinik für Nervenkrankheiten von
Dr. K. Mendel und Dr. W. Alexander in Berlin.) S. 538.
Lewin: Die Wirkung von Schwermetallen auf die bösartigen Tier¬
geschwülste. (Aus dem Institut für Krebsforschung der König¬
lichen Charit A) S. 541.
Rindfleisch: Status thymolymphaticus und Salsvarsan. (Aus dem
städtischen Luisenhospital zu Dortmund.) S. 542.
Schippers und de Lange: Zur Bedeutung der Döhle’scben Zell¬
einschlüsse. (Aus dem Emma-Kinderkrankenhause zu Amsterdam.)
S. 544.
Bongartz: Sind die Einschlüsse in den polynucleären Leukocyten
hei Scharlach als pathognomonisch anzusprechen? S. 544.
Bunde: Ueher einen Fall von medianer Halsfistel. (Aus der chir¬
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Kreihich: Färbung der marklosen Hautnerven beim Menschen.
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Adler: Zur. Chirurgie der Gallenblase. (Illustr.) S. 547.
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Fisoher-Düokelmann: Die Frau als Hausärztin. S. 552. (Ref.
Melchior.)
Literatur-Anszfige: Physiologie. S. 554. — Pharmakologie. S. 554. —
Therapie. S. 554. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 554. — Parasitenkunde und Serologie. S. 555. —
Innere Medizin. S. 556. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 557. — Kinderheilkunde. S. 558. — Chirurgie. S. 558. —
Röntgenologie. S. 559. — Urologie. S. 559. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. S. 559. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 560. —
Augenheilkunde. S. 560. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 560.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Morgenroth: Hämolytische Versuche. S. 561.
Wahl des Ausschusses. S. 561. Schluss der Diskussion über den
Vortrag des Herrn Orth: Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen
für den Menschen. S. 561. Saul: Beziehungen der Helminthen und
Acari zur Geschwulstätiologie. S. 564. — Hufelandische Gesell¬
schaft. S. 564. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 565.
— Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu
Berlin. S. 566. — Verein der Aerzte Wiesbadens. S. 566. —
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg
i. Pr. S. 567. — Gesellschaft für Morphologie und Physio¬
logie zu Münohen. S. 568. — Medizinische Gesellschaft zu
Göttingen. S. 568. — Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M.
S. 569. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 569. —
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu
Wien. S. 570. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 570.
Armit: Londoner Brief. S. 570.
Tagesgeschiohtl. Notizen. S.572. — Amtl. Mitteilungen. S.572.
Behandlung der Basedowschen Krankheit.
Klinische Betrachtungen.
Von
Prof. Dr. Alfredo Rubino -Neapel.
Die Behandlung der Basedowschen Krankheit ist eine der¬
jenigen Fragen, welche seit langer Zeit diskutiert werden, ohne
dass man behaupten kann, dass eine Uebereinstimmung über die
Hanptprinzipien, von denen man sich dabei leiten lassen soll,
erzielt wäre, sei es auch nur betreffs der zweckmässigsten Mittel,
om die schweren Folgen zu verböten, deren Ursache in keines¬
wegs seltenen Fällen die Krankheit abgeben kann. Es ist daher im
Interesse der praktischen Aerzte angebracht, den gegenwärtigen
Stand dieser Frage auf Grund kritischer Studien zusammenzufassen
nnd festzulegen, welches Verfahren der Arzt zweckmässigerweise
dieser gefährlichen Krankheit gegenüber einschlagen soll. Diese
Aufgabe habe ich mir gestellt, indem ich mit der Erfahrung
anderer Beobachter meine eigene verbinde, die ich in den
zahlreichen Fällen meiner Hospital- und Privatpraxis ge¬
macht habe.
Vor allem möchte ich betonen, dass man sich hinsichtlich
der Therapie auf das ätiologische Kriterium nicht stötzen kann;
denn von den näheren und entfernteren Ursachen der Basedow¬
schen Krankheit wissen wir sehr wenig. Gewiss sind einige Be¬
dingungen, welche ihre Entwicklung zu begünstigen scheinen, be¬
kannt, wie Heredität, weibliches Geschlecht, Chlorose, Schwanger¬
schaft, Wochenbett, schwere Gemütsbewegungen. Diese sind
jedoch, wie mau leicht einsieht, so allgemeiner Natur und so ge¬
wöhnlich bei so vielen Krankheiten, dass sie uns nicht als Basis
für ein direktes Heilverfahren dienen können.
Es ist daher notwendig, zu untersuchen, ob nicht das patho¬
genetische Kriterinm sich besser für diesen Zweck eignet, d. h.
oh, wenn wir das Wesen der Krankheit erforscht haben, uns
Mittel zur Verfügung stehen, welche imstande sind, einen radikal
bessernden Einfluss darauf auszuüben. Nun, wenn wir auch noch
weit entfernt von der völligen Uebereinstimmung über die Patho¬
genese der Basedowschen Krankheit sind, ein Faktum ist ohne
Frage von der Wissenschaft anerkannt, nämlich dass die Schild¬
drüse (unter diesem Namen verstehe ich sowohl die eigentliche
Schilddrüse als auch die Nebenschilddrüse) nicht nur durch die
Zunahme ihres Umfangs einen beträchtlichen Anteil an diesem
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£26
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Krankheitsbilde hat, sondern auch der Hauptsitz, wenn nicht der
einzige derjenigen Veränderungen ist, welche den Basedowschen
Symptomenkomplex ausmachen.
Wir wissen noch nicht, welche Ursache dahin fährt, und
worin diese Veränderungen bestehen; wir wissen nicht, ob sie
primär sind, oder, im Gegenteil, von einer vorhergehenden Läsion
des Nervensystems (wie Sympathicus, Vagus, Bulbus und Protu-
tuberanz, die ganze Axe des cerebrospinalen Systems — so schwanken
die verschiedenen Meinungen) herrühren. Aber die physiologischen
Versuche wie die chirurgischen Operationen und klinischen Beob¬
achtungen haben uns bewiesen, dass der Schilddrüsen-Neben-
schilddrüsenapparat eine eigene innere Sekretion besitzt, welche,
von dem Lymphsystem absorbiert, die sehr bedeutsame Aufgabe
hat, den normalen organischen Stoffwechsel zu regulieren und
seine toxischen Abfallprodukte zu neutralisieren.
Wir können daher leicht begreifen, dass eine Störung
dieser Sekretion, welches auch immer ihr Ursprung sein mag,
ihren Ausgang in eine Vergiftung des Organismus nehmen muss,
gegen welche das Nervensystem im allgemeinen und irgendein
Abschnitt desselben im besonderen — wegen seiner besonderen,
angeborenen oder erworbenen Empfindlichkeit — in ihm eigen¬
tümlicher Weise die Abwehr ergreift und mit jenem eigenartigen
Bilde der diffusen Neurose antwortet, welche das Charakteristi¬
kum der Basedowschen Krankheit ausmacht.
Und noch ist es Gegenstand des Streites, ob eine solche
Störung in einer Zunahme der Quantität (Hy perthyreoidismus)
oder einer Modifikation der Eigenart (Dystbyreoidismus) des
Scbilddrüsensekrets besteht; ob bei seiner Genese der ganze
Thyreoparathyreoidalapparat mitwirkt oder nur der eine oder
andere Teil desselben, entsprechend dem verschiedenen Verhältnis
und Mechanismus. Diese Annahme dürfte berechtigt sein, da man
verschiedene Resultate erhält, wenn man experimentell die
Thyreoidektomie (Myxödem) oder die Parathyreoidektomie(Tetanie)
ausführt. Zugunsten des Hy perthyreoidismus, welcher heute
die grössere Zahl der Anhänger umfasst, sprechen viele, ge¬
wichtige Gründe: so die grössere Häufigkeit der Fälle von Base¬
dowscher Krankheit bei Vergrößerung der Schilddrüse; der
symptomatische Gegensatz zwischen dieser Krankheit und dem
Myxödem (dessen Ursprung man ohne Widerspruch auf Hypo¬
thyreoidismus zurückführt); der Parallelismus, welchen man oft
zwischen der Grösse der chirurgisch entfernten Schilddrüse und
der Abnahme der Basedowsymptome beobachtet; die Analogie
zwischen diesem Spoutansyndrom und demjenigen, das bei über¬
mässiger Zufuhr von Schilddrüse zu therapeutischen Zwecken
sich entwickelt. Der Einfluss des Hyperthyreoidismus würde sich
auch darin zeigen, dass, wenn die Menge des Sekrets der Schild¬
drüse grösser würde als zur Neutralisation der katabolischen
Gifte notwendig wäre, es auf den Organismus wie ein Gift auf
eigene Rechnung wirken würde. Gegen diese Beweisgründe
spricht aber der Umstand, dass sie keinen absoluten Wert haben,
und dass vor allem in nicht seltenen Fällen von Basedowscher
Krankheit die Schwellung der Schilddrüse fehlt oder ziemlich
mässig ist und dadurch eine Steigerung der sekretorischen Funktion
der Schilddrüse keine genügende Erklärung findet. Man kann
daher nicht ohne weiteres die Möglichkeit eines Dysthyreoi-
dismus ausschHessen, und zwar in dem Sinue, dass das Schild¬
drüsensekret, ohne in seiner Menge zugenommen zu haben, in
seinen biochemischen Eigenschaften eine solche Veränderung er¬
litten hat, dass es weniger brauchbar für seine physiologische
Funktion geworden ist. Auch ist andererseits, wenn man die Ver¬
schiedenheit der Struktur und Funktion zwischen der Schild
drüse und der Nebenschilddrüse in Betracht zieht, die Hypothese
nicht ganz abzuweisen, dass, wenn auch die, Schilddrüse intakt
ist, eine besondere funktionelle Störung der Nebenschilddrüse
Qrund zu Basedowerscheinungen abgeben kann.
Wie dem auch sei, die Annahme des Schilddrüsenursprungs
der Basedowkrankheit erklärt nicht nur besser als jede andere
die vielgestaltigen Erscheinungen dieses Leidens, sondern sie ist
auch 0 die einzige, welche sich auf woblbegfündete Tatsachen, stutzt
jund nicht auf hypothetische Annahmen. Es ist daher wohl zu
begreifen, >. dass sich hierauf mit Vorliebe die Methoden der
direkten Behandlung beziehen, welche zurzeit das Feld behaupten.
Ebenso ist es einleuchtend, dass diese Methoden logischerweise
bestrebt sind, die fraktionelle Störung der Schilddrüse mit den¬
jenigen inneren Mitteln zu heilen, welche mit mehr oder weniger
Glück heutzutage bei den Störungen der Drüsen mit innerer Se¬
kretion empfohlen werden. Ausserdem sucht man auch das Leiden
mit der Wurzel auszurotten, indem man die Drüse exstirpiert, in
welche es sich eingenistet hat. Mao kann sie also zusammen¬
fassen in der Schilddrüsen-, Thymus- und Antithyreoidintherapie
einerseits und der Thyreoidektomie andererseits.
Sicherlich sind das nicht die einzigen Mittel, mit deren Hilfe
man einen Damm gegen die zerstörende Tendenz der Basedow¬
krankheit aufzurichten sucht. Viele andere werden verschiedenen
Behandlungen und Spezialmethoden unterworfen, und je nach der
Erfahrung der einzelnen Autoren wird deren Wirksamkeit ver¬
schiedentlich beurteilt.
So erinnere ich auf dem Gebiete der inneren Medizin — wenn
ich von den hygienisch-diätetischen Verordnungen, den klimatischen
Kuren und den allgemeintherapeutischen Vorschriften absehe, ob¬
wohl sie alle zweifellos nicht ohne Nutzen sind, jedoch uns nur
die Wege ebenen oder eine Radikaltberapie unterstützen, sie nicht
ersetzen können —, an die Verordnung von Jodpräparaten, welche,
wie wir später sehen werden, in gewissen Fällen eine zweck¬
dienliche Indikation finden, zu welchen aber heutzutage niemand
vernünftigerweise seine Zuflucht nehmen wird in der Absicht,
den Schilddrüsenprozess, welcher den kranken Symptomenkom-
plex unterhält, zu beeinflussen. Ich verweise ferner auf die
Elektrotherapie und Radiotherapie, welche unter bestimmten Um¬
ständen auch Dienste leisten, jedoch keinen entscheidenden Ein¬
fluss auf den Verlauf des Leidens ausüben können. Endlich er¬
wähne ich die physikalischen und pharmazeutischen Heilmittel,
welche sich gegen die verschiedenen Krankheitssymptome richten,
jedoch nur von flüchtiger und palliativer Wirkung sind.
Auf dem Gebiete der Chirurgie ist zu erinnern an die doppel¬
seitige Resektion des Halssympathicus oder die Sympathek¬
tomie, welche — abgesehen davon, dass die Operation schwierig
und gefährlich ist — sich auf die, jetzt als irrtümlich erwiesene
Annahme stützt, dass das Leiden von einer Alteration dieses
Nerven herrühre. Ein anderes Verfahren besteht in der Ligatur
der Schilddrüsenarterien, welche zwar eine Atrophie der Schild¬
drüse herbeiführt, sie jedoch — abgesehen davon, dass der Aus¬
gang unsicher ist —, wie man leicht einsieht, der Gefahr des
Hypothyreoidismus aussetzt. Schliesslich sei der Exothy reopexie
(der Luxation und Freilegung der Schilddrüse) gedacht: ein Ver¬
fahren, welches dasselbe Ziel im Auge bat und zu denselben
Störungen führen kann.
Alle diese chirurgischen Eingriffe jedoch stellen nur mehr
oder weniger diskutable Versuche einer Radikalbehandlung dar,
sind jedoch bis jetzt von keiner genügenden Beweiskraft getragen und
sehr fraglich in der Gesamtheit ihrer Vorteile, die bei weitem
von den Risiken übertroffen werden, welchen die Patienten sicher
ausgesetzt sind. Wenn es auch meine Pflicht wäre, sie aufzu¬
führen, um uns über alles, was auf diesem Gebiete geschehen
ist, auf dem Laufenden zu erhalten, so wäre damit doch nur die
Zeit vertrödelt, ohne dass irgendwelcher Nutzen daraus für uns
entspringen würde.
Es bleiben demnach nur die beiden kurz zuvor angegebenen
Methoden übrig, welche ihre Stütze nicht nur in wissenschaft¬
lichen, wohlbegründeten Ueberlegungen finden, sondern auch in
einer auch anderweitig reichen und beweiskräftigen Reihe von
experimentellen und klinischen Dokumenten.
Therapia thyreoidea, thymica et antithyreoidea.
Die Therapia thyreoidea geht von der Lehre des Dys¬
thyreoi dismus aus, d. b. von einer qualitativen Veränderung
des Schilddrüsensekrets, wodurch dieses unfähig wird, die toxi¬
schen Produkte des cellulären Stoffwechsels zu neutralisieren. Sie
bezweckt, diese Störung zu heilen, indem die Schilddrüse gesunder
Tiere <^der der daraus gewonnene Extrakt dargereicht wird, d. h.
indem sie ein normales Schilddrüsensekret an die Stelle des
krankhaft veränderten setzt.
Die Therapia thymica, von demselben Gedankengang des
Dystbyreoidismus beeinflusst, bezweckt, an Stelle des kranken
Sekrets der Schilddrüse das der Thymusdrüse zu setzen, dessen
in Fällen von Basedowkrankheit beobachtete Heilwirkung an
die Möglichkeit einer Kompensierung 0er erkrankten Schild¬
drüse denken lässt, um so mehr, da zwischen der Schild- und
Thymusdrüse enge Beziehungen der Struktur und Funktion be¬
stehen.
Die Ther,apia antithyreoidea endlich, ausgehend von der
Lehre des Hyperthyreoidismus, d. h. von einer Schilddrüsen¬
sekretion, die reichlicher ist, als zur Neutralisation der organischen
Gifte nötig ist, und deren Excess deshalb schädlich an sich ist,
| verfolgt die Absicht, einer solchen Schädigung vorzubeugen, iq-
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24. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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dem sie Substanzen darreicht, welche den Ueberschuss des Sekrets
unschädlich machen.
Deber die Besonderheiten der Therapia thyreoidea braucht
man sich nicht weiter auszulassen. Denn es handelt sich um
eine allen längst vertraute Methode der reichlichen und von Er¬
folg begleiteten Anwendung von Schilddrüse, wie sie in den
Fällen von Hypothyreoidismus und besonders beim Myxödem,
welches dessen klassischen Typus darstellt, stattfindet. Es wird
genügen, daran zu erinnern, dass sie in der Darreichung der
Schilddrüse gesunder Tiere (mit Vorliebe der Hammel) besteht,
entweder frisch oder getrocknet und zu Pulver verrieben, oder
auch als Extrakt dieser Drüse in einer der vielen pharmazeuti¬
schen Formen (Tbyroidin, Tbyraden, Jodotbyrin usw.). Diese Ver¬
wendung muss abgestuft und in ihren Wirkungen überwacht
werden, um die Gefahren des Thyreoidismus zu vermeiden, d. h.
die toxischen Erscheinungen, welche durch den Gebrauch einer
überreichen Menge von Schilddrüsensubstanz auftreten und, mit
einer Steigerung der Tachycardie und des Tremors, der Unruhe,
Schlaflosigkeit, Hyperidrosis und Polyurie anfangend, schliesslich
zu sehr schweren gastro-intestinalen Störungen (Erbrechen und
unstillbare Diarrhöe), zur Paralyse und zu tödlichem Collaps
führen.
Was die Resultate dieser Methode betrifft, so gibt es viele,
die sie loben; die meisten jedoch bestreiten ihren Wert oder
halten sie sogar für gefährlich. Vielleicht haben alle recht.
Denn die Schilddrüsenbehandlung kann, wie wir schon früher be¬
tonten, nur in den seltenen Fällen von Dysthyreoidismus von Nutzen
sein, während sie in den viel häufigeren Fällen, welche von
Hyperthyreoidismus herstammen, offenbar das Leiden des Kranken
verschlimmern muss. Sie bat daher nur ein beschränktes
Wirkungsgebiet und sollte nur in solchen Fällen versucht werden,
bei welchen das Fehlen eines echten Kropfes und die mangelhafte
Ernährung des Kranken daran denken lassen, dass es sich um
eine mehr qualitative als quantitative Störung der Schilddrüsen¬
sekretion handelt.
Was die Thymusdrüse betrifft — von welcher Owen zu¬
fällig eine Besserung in einem Falle sah, bei welchem sie aus
Versehen an Stelle der Schilddrüse angewendet worden war —,
so wird deren Verordnung bei der Basedowkrankheit aus den
weiter oben angeführten Gründen empfohlen. Man muss zugeben,
dass dem Versuch mit dieser Methode nichts entgegensteht, zu
dereu Gunsten deren absolute Unschädlichkeit spricht. Die Be¬
obachtungen in dieser Beziehung sind jedoch noch zu spärlich
und widersprechend, als dass man ein überzeugtes Urteil über
den wirklichen W T ert der Wirkungen abgeben könnte.
Eine sehr genaue Beachtung verdient dagegen die Therapia
antithyreoidea, deren Zulässigkeit Ballet, Enriquez und
Dreyfus erkannten und welche Gioffredi in Italien zuerst
experimentell erprobte. Sie kam jedoch erst in den Gebrauch
nach den genialen Beweisführungen und eingehenden Studien von
Moebius. Sie stützt sich auf die folgende Ueberlegung: Wenn
die Basedowkrankheit bedingt ist durch die toxische Wirkung des
überschüssig erzeugten Schilddrüsensekrets, welches das Bedürfnis
für die Neutralisation der Stoffwechselgifte übersteigt, und man
führt in den kranken Organismus eine passende Menge analoger
Stoffwechselgifte ein, welche man ans einem gesunden Organismus
gewonnen hat, so gibt man dem überschüssigen Scbilddrüsensekret
Gelegenheit, sich an diese Gifte zu „binden“, d. h. an ihnen seine
antidotische Kraft zu erschöpfen. Auf diese Weise wendet man
jeden Schaden von dem Organismus ab, in welchen das Sekret
sieb ergiesst. Derartige Stoffwechselgifte sammeln sich im Blut
serum von Tieren an, welchen man die ganze Schilddrüse ex-
stirpiert hat, und denen daher die neutralisierende Wirkung des
Sekrets derselben fehlt. Wenn man also den Basedowkranken
das Serum von thyreoidektomierten Tieren verabfolgt, so wird es
geeignet sein, die Bedingung zu erfüllen, welche man beabsichtigt
bat. Aus diesem Grunde hat Moebius das Serum von thyreoi-
dektotnierten Ziegen in die Therapie eingeführt, ein Serum,
welchem er den Natnen Antithyreoidserum oder Anti-
tbyreoidin beigelegt und mit Welchem er reichliche und günstige
Versuche gemacht hat, die von zahlreichen anderen Autordb be¬
stätigt wurden.
■> Was mich betrifft, bo habe ich 'Cs mit sichtlichem Vorteil in
vielen Fällen verwandt, darunter solchen, welche tatsächlich
schwer waren und bis dahin jedem Heilversuch Widerstand ge¬
leistet hatten. Ich muss aus voller Ueberzeugung erklären, dass
ich bei den Formen von Basedow, bei welchen alles auf Hyper-
tbyreoidismus (wie reizbares Temperament, Neigung zu rapider
Abmagerung usw.) binwies, alle Ursache hatte, mit den Erfolgen des
Mittels zufrieden zu sein, welche bisweilen ganz unerwartet waren.
Sie bestanden in einer Verkleinerung oder Schwinden des Kropfes
und des Exopbthalmos, in einer Rückkehr der regelmässigen Herz¬
tätigkeit, im Aufbören des Tremors und in einer deutlichen Besse¬
rung des psychischen Zustandes und der Allgemeinernährung. Sie
können von kürzerer oder längerer Dauer sein. Sie treten aber
fast ausnahmslos wieder ein, sobald das Wiederauftreten der
Krankheitserscheinungen eine neue Verabfolgung des Mittels er¬
heischt. Dazu kommt, dass dieses Mittel — zweckmässig in der
Dosis und Zeit reguliert — nach dem übereinstimmenden Urteil
aller derjenigen, welche das Antitbyreoidin verwendet haben, nie¬
mals sekundäre, uuerwünschte Folgen hat, worüber so sehr bei
den Schilddrüsenpräparaten geklagt wird. Daraus geht deutlich
hervor, dass die Anwendung des Antithyreoidins zur Behandlung
des Basedow heutzutage vollkommen berechtigt ist.
Darf man jedoch, dank dem Antithyreoidin, auf eine definitive
Heilung der Basedowkrankheit hoffen?
Das ist eine Frage, auf welche es nicht leicht ist, eine be¬
friedigende Antwort zu geben, weil, gegenüber der oft ziemlich
langen Dauer der Krankheit, das Mittel eine relativ zu kurze
Zeit gebraucht wird und die ihm zugeschriebenen Heilungen jeder
Kontrolle entbehren. Ich selbst habe in manchem Falle einen
jahrelangen Stillstand der Symptome beobachtet, bin jedoch nicht
sicher, dass sie nicht wiederkehren werden, wie das so häufig bei
allen Arten von Neurose geschieht. Fest steht jedoch, dass die
Resultate, welche man mit dem Antithyreoidin erzielt, viel schneller
und greifbarer sind als diejenigen, welche man von irgendeiner
anderen internen Behandlungsmethode erwarten kann. Da es
ferner bei allen Methoden der inneren Behandlung gleich schwer
ist, zu beurteilen, ob die Heilung eine dauernde ist, so ist es
logisch, derjenigen den Vorzug zu geben, deren Resultate bis jetzt
die schnellsten und entschiedensten sind.
Was die Methode der Verabfolgung des Antithyreoidins be¬
trifft, so erschien es mir am zweckmässigsten, es eine Reihe von
20 Tagen hindurch, progressiv von 10 auf 100 Tropfen pro die
steigend, zu geben und dann in gleicher Weise abwärts zu gehen,
so zwar, dass ich zwischen der ersten und zweiten Reihe ein
Intervall von 4 oder 5 Tagen eintreten liess. Diese Serie wieder¬
holte ich so oft, wie es der beabsichtigte Zweck erforderlich
machte (gewöhnlich drei- oder viermal). Darauf gab ich das
Mittel noch weitere 20 Tage in halben Dosen und hörte dann
definitiv damit auf, um es eventuell in derselben Weise wieder
aufzunehmen, sobald ein Bedürfnis sich hierfür zeigte. Selbst¬
verständlich können die Gesamtmenge und die einzelnen Dosen
des Mittels in solchen Fällen gesteigert werden, bei welchen eine
energischere Wirkung notwendig erscheint, oder in anderen, aller¬
dings weit selteneren Fällen ermässigt werden, bei welchen die
grossen Dosen nicht vertragen werden.
In derselben Absicht wie Moebius bat Lanz die Milch
thyreoidektomierter Ziegen verwandt, welche, zu Pulver verrieben,
unter dem Namen Rodagen in den Handel gebracht wird. Die
klinischen Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser Substanz
Rind jedoch noch so spärlich, dass irgendeine Schlussfolgerung
nicht angängig ist. Ausserdem scheinen mir die leichte Veränder¬
lichkeit der Milch und die häufige Unverträglichkeit der Ziegen¬
milch nicht geeignet zu sein, diesem zweiten Erzeugnis den Vor¬
zug vor dem Original mittel zu geben.
Tbyreoidektomie. Die Idee der Exstirpation der kranken
Schilddrüse erscheint natürlich denjenigen, welche sie als die
Ursache der Basedowkrankheit ansehen, als das einzige in Wahr¬
heit radikale 1 Heilmittel, sowohl wenn es sich um Hyper- als
auch wenn es sich um Dysthyreoidismus handelt. Kann man sich
aber stets dieses blutigen Mittels bedienen, und entsprechen seine
Erfolge immer der theoretischen Forderung? Es sind dieses zwei
Fragen, auf welche man nicht mit einer bündigen Bejahung ant¬
worten kann. Vor allem anderen aber ist niemals an eine
Totalexstirpation iu denken, weil diese Operation, abgesehen
davon, dass sie eine unmittelbare Lebensgefahr durch Blutung
oder Tetanie herbeiführt, als unvermeidliche Folge'die Cachexia
strumipriva oder das postoperative Myxödem erzeugt, welche viel
sicherer und schneller tödlich sind^hls die 1 Krankheit, welche
man zu heilen beabsichtigt. Was die PaVtialettstirpatiob be¬
trifft, so ist sie zweifellos weit logischer, weil sie einen so grossen
Teil der Drüse zurücklässt, als nötig ist, um solche Vorkommnisse
zu verhüten. Wenn wir aber auch von den Gefahren absehen,
welche eine geübte Technik zu vermeiden befähigt ist, so ist es
doch nützlich, zu überlegen, dass ihre Resultate nicht stets so
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UNIVERSUM OF IOWA
528
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
zufriedenstellend sind, wie einige behaupten, dass ferner die Fälle
nicht selten sind, in welchen auf die Operation der Tod folgt,
und dass Recidive nach glücklich gelungener Operation alles
andere eher als Ausnahmen sind. Aus diesen Ueberlegungen
heraus erscheint es nicht unberechtigt, daran zu denken — und
darin stimmen, die Wahrheit zu sagen, die angesehensten Kliniker
fast ohne Ausnahme überein —, dass dieser chirurgische Eingriff,
auch wenn er sich auf die Partialresektion beschränkt, nicht syste¬
matisch empfohlen werden darf, sondern nur wenn woblbegründete
Verhältnisse ihn angezeigt erscheinen lassen. So ist es nicht
berechtigt, dazu seine Zuflucht zu nehmen, wenn die Krankheit
einen langsamen und milden Verlauf zeigt und eine innere Be¬
handlung Nutzen bringt, auch nicht, wenn der Kropf sich in
mässigen Grenzen hält und an sich keinen Anlass zu besonderen
Misshelligkeiten gibt. Der Eingriff wird dagegen berechtigt sein
und kann wertvolle Dienste leisten, wenn trotz irgendeiner anderen
Behandlung die allgemeine Abmagerung schnelle und bedrohliche
Fortschritte macht, oder ein stürmisches Wachstum oder die Ent¬
wicklung des Kropfes nach hinteu den Kranken der Gefahr der
Erstickung oder der Dysphagie aussetzt.
Welches ist nun die Schlussfolgerung, zu welcher wir nach
diesen meinen klinischen Erfahrungen kommen?
Die praktische Schlussfolgerung ist diese: Da heutzutage die
Ansicht vorherrschend ist, dass die Basedowkrankheit von einer
Störung der Schilddrüse und besonders — wenigstens in der
Mehrheit der Fälle — von einer Hypersekretion dieser Drüse ab¬
hängig ist, so ist die Behandlung, welche man mit Vorliebe ver¬
suchen soll, diejenige mittels Antitbyreoidin von Moebius in der
von mir angegebenen Weise. Mit dieser Behandlung werden wir
allgemeine hygienisch-diätetische Vorschriften, entsprechend dem
individuellen Temperament, verbinden, fassend auf dem Studium
der hereditären und persönlichen Verhältnisse, der Art der Ent¬
wicklung der einzelnen Funktionen, der Besonderheiten des
organischen Stoffwechsels, wie sie durch wiederholte exakte
chemisch-mikroskopische Analysen des Harns erforscht wurden.
Ein fundamentaler Unterschied wäre in dieser Beziehung zwischen
dem eretbischem Temperament mit seinem beschleunigten orga¬
nischen Stoffwechsel und vorschreitender Abmagerung und dem
tropiden mit der Verlangsamung des organischen Stoffwechsels
und seiner Neigung zur Fettleibigkeit zu machen. Den Kranken
der ersten Gruppe wäre zu empfehlen: die Ruhe, der Aufenthalt
in einem milden und ruhigen Klima (ein ebenes oder hügeliges,
mässig feuchtes Klima), eine kräftige Ernährung, warme
Bäder und, in den Pausen der Antithyreoidinbebandlung, die
Arsen- und Phosphorpräparate und die arsenhaltigen Mineral¬
wässer. Den Kranken der zweiten Gruppe dagegen (mit dem
torpiden, zur Fettleibigkeit neigenden Temperament) ist zu
empfehlen: regelmässige Bewegung, Aufenthalt in einem tonischen,
stimulierenden Klima (Berg- oder Meerklima), eine lakto-vegetabile
Ernährung, Hydrotherapie, Jodpräparate und alkalisch-salinische
Mineralwässer.
Bei den Kranken mit träger Ernährung könnte man, wenn
die Antithyreoidinbebandlung nicht zusagt, einen Versuch mit
Präparaten der Schilddrüse machen, deren Sekret, da es die
Eigenschaft besitzt, den Stoffwechsel zu beschleunigen, in diesem
Falle weniger Gefahr läuft, einen schädlichen Ausgang herbei¬
zuführen. Natürlich darf der Versuch nur unter sorgfältiger
Ueberwachung seiner Wirkungen unternommen und muss ein¬
gestellt werden, sobald die Erscheinungen des Thyreoidismus
auftreten.
Wenn die Hypertrophie der Schilddrüse einen auffälligen
Umfang annimmt und keine Neigung zeigt, unter der Anti¬
thyreoidinbebandlung sich zu verkleinern, dann ist der Fall ge¬
geben, eine doppelzeitige Galvanisation des Halssympathicus zu
versuchen, welche eine resorbierende Wirkung hat (und welche,
wie ich fand, im allgemeinen vorzuziehen ist), oder die Faradi-
sation der Schilddrüse, welche eine vasokonstriktorische Wirkung
ausübt, oder auch die Anwendung der Röntgenstrahlen, durch
welche man in manchen Fällen eine Abnahme des Kropfumfanges
erzielt hat. Selbstverständlich muss die Wirkung der verschiedenen
therapeutischen Hilfsmittel in bestimmten Grenzen gehalten werden,
damit man nicht dadurch, dass man die funktionelle Tätigkeit
der Schilddrüse zu sehr einschränkt, das Gegenteil von dem,
was man bekämpfen wollte, hervorruft, nämlich den Hypo¬
thyreoidismus.
Wenn es jedoch mit keinem dieser Mittel gelingt, die schnell
vorschreitende Zunahme des Schilddrüsenkropfes zu hemmen, oder
dieser von Beginn an eine unmässige Entwicklung nimmt und
schwere Kompressionserscheinungen mit der Zeit drohen, oder die
unaufhaltsame Verschlimmerung des Allgemeinzustandes jedes
Zaudern gefährlich macht, dann ist es ohne weiteres geboten,
den Kranken dem Chirurgen anzuvertrauen. Denn durch eine
Partialresektioo der hypertrophischen Schilddrüse befreit er den
Kranken von einer drohenden Gefahr und schützt ihn vielleicht
vor weiteren Schäden.
In jedem Falle wird das Vorwiegen dieses oder jenes von
den primären oder sekundären Krankbeitssymptomen den Gebrauch
derjenigen Hilfsmittel erforderlich machen, welche uns hierbei
auch bei jeder anderen Krankheit, bei welcher sie sich bewähren
können, zu Gebote stehen. Das gilt besonders für die Anfälle
von Tachycardie und Präcordialangst, bei Congestionszuständen
der Schilddrüse, beim Lagophthalmos, bei heftigem Tremor, bei
Schlaflosigkeit, bei Erregung, bei gastrointestinalen Störungen usw.
Es versteht sich ganz von selbst, dass, wenn sich trotz innerer
oder chirurgischer Behandlung jener Zustand der allgemeinen
fortschreitenden Dystrophie, welche unter dem Namen Gachexia
exophthalmica oder Basedowiana bekannt ist, eingestellt
bat, die Tätigkeit des Arztes sich darauf beschränken wird, mit
allen hygienischen und therapeutischen Mitteln, welche wir bei
jeder Art von Kachexie anwenden, den unerbittlichen tödlichen
Ausgang dieser jammervollen Auflösung des Organismus hinten¬
anzuhalten.
Gegenwart und Zukunft der RQckenmarks-
chirurgie.
Von
Max Rothmann.
(Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
12. Februar 1913.)
Die Entwicklung der Rückenmarkschirurgie in den letzten
Decennien ist eine staunenswerte gewesen, ln immer steigender
Zahl und mit immer besseren Resultaten sind genau diagnosti¬
zierte Geschwülste der Rückenmarksbäute operiert worden. Ueber
50 pCt aller operierten Fälle sind zur Heilung gekommen. Und
doch sind erst 25 Jahre vergangen, seit Horsley und Gowers 1 )
zum ersten Male einen Rückenmarkstumor diagnostizierten und
operativ entfernten. Es handelte sich um einen 42jährigen
Kapitän, bei dem nach anfänglichen linksseitigen Intercostal-
scbmerzen eine Paraplegie und totale Anästhesie bis zum Proc.
xiphoides herauf, sich in 2 1 ] 2 Jahren entwickelten. Der anfänglich
zu tief gesuchte Tumor, ein Fibromyxom, fand sich in der Höhe
der 3.—4. Dorsalwurzel, nicht mit dem Rückenmark verwachsen.
1) W. R. Gowers and Victor Horsley, A case of tumour of |
the spinal cord. Removal. Recovery. Med. chir. transactious, 1888, Bd. 31. i
Patient wurde geheilt und konnte schliesslich wieder längere
Strecken ohne Schwierigkeit zurücklegen.
Diese Operation war epochemachend, und in rascher Folge
häuften sich nun die Eingriffe bei Tumoren der Rückenmarks¬
häute, deren Diagnose irimer mehr verfeinert wurde, ln Deutsch¬
land sind es u. a. F. Schultze, H. Oppenheim, Bruns und
Nonne gewesen, die an einem reichen Material einschlägiger
Fälle die klinische Diagnostik wesentlich bereichert und zahl¬
reiche gute Operationsresuliate unter chirurgischer Mithilfe erzielt
haben. In F. Krause’s grossem Werk „Chirurgie des Gehirns
und Rückenmarks“ sind eine grosse Reihe derartiger Fälle in
ihrem klinischen Verlauf und ihren Operationsresultaten genau
geschildert worden. Im ganzen Bereich des Rückenmarks sind
Tumoren der Rückenmarkshäute erfolgreich entfernt worden.
Fälle, wie der von Krause * Oppenheim 1 ), in dem .ein Fibro-
sarkom in der Höhe des 2. und , 3. Halswirbelbogens sass,
j oder der von Söderberg - Akerblom 2 ), bei dem ein Endotheliom
sogar bis in Atlashöhe reichte, und die beide zur völligen
1) H. Oppenheim und F. Krause, Münchener med. Wochensohr.,
1909, Nr. 20—22.
2) Gotthard Söderbergh und Waldemar Akerblom, Ein Fall
von Rückenmarksgeschwulst der höchsten Cervikalsegmente. Mitteil. a.
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1912, Bd. 25, S. 42.
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24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
529
Heilung kamen, zeigen die ausserordentliche Vollkommenheit der
Rückenmarkschirurgie.
Aber diese so erfolgreich inaugurierte Rückenmarkschirurgie
ist im wahren Sinne des Wortes niemals eine Chirurgie des
Rückenmarks, sondern nur eine Chirurgie im Gebiete der Rücken¬
markshäute gewesen. Wenn auch die Diagnose nur auf Grund
der Ausfallserscheinungen von seiten des komprimierten Rücken¬
marks zu stellen ist, so war es doch ein feststehender Satz,
dass nur extramedulläre Tumoren zur Operation geeignet wären.
Dagegen galten bisher die im Rückenmark selbst liegenden
Tumoren als der operativen Behandlung nicht zugänglich, wie
Oppenheim 1 ) noch 1908 in der letzten Auflage seines Lehr¬
buches hervorhebt. Es war daher auch stets von besonderer
differentialdiagnostischer Bedeutung, extramedulläre und intra¬
medulläre Tumoren auseinander zu halten. Wenn das in der
Regel mit weitgehender Sicherheit möglich ist, so kommen
doch Fälle vor, bei denen das Fehlen von Wurzelsymptomen, die
rasche Ausbreitung in der Längsrichtung des Rückenmarks, das
Fehlen des Brown-Söquard’schen Symptomenkomplexes usw. eine
sichere Diagnose nicht gestatten. Auch in solchen Fällen wird
die explorative Laminektomie auszuführen sein, die auch bei
Fehlen eines extramedullären Tumors keinen Schaden zu ver¬
ursachen braucht, wie Oppenheim hervorhebt, ja in den Fällen
von Putnam - Warren*) und Auerbach 8 ) durch die Druck¬
entlastung sogar einen günstigen Einfluss auf die Symptome des
intramedullären Tumors hatte.
Dagegen galt es als ein feststehendes Gesetz, wenn sich kein
eitramedullärer Tumor fand, oder, wenn derselbe in das Rücken¬
mark eindrang, das Rückenmark nicht anzugreifen, sondern die
Affektion als inoperabel zu betrachten. So berichtet Oppen¬
heim 1907 4 ) über einen solchen Fall eines 41jährigen Mannes,
bei dem nach langer klinischer Beobachtung die Diagnose auf
Kompression des Rückenmarks in der Höhe des oberen Dorsal¬
marks, wahrscheinlich durch einen extramedullären Prozess, ge¬
stellt wurde. Die Operation (Borchardt) ergab keine extra-
dnrale Veränderung. Das Rückenmark erschien in der Höhe des
2.-3. Dorsalsegments etwas verbreitert. Da jedoch kein extra¬
medullärer Tamor zu eruieren war, so wurde die Wunde ge¬
schlossen, ohne dass natürlich ein Einfluss auf die Erkrankung
möglich war.
Es hatten nun aber die experimentellen Ausschaltungen
von grösseren Rückenmarksabschnitten bei Hunden und Affen,
sowie das genaue Studium der Ergebnisse der Stich Verletzungen
des Rückenmarks beim Menschen immer aufs neue gezeigt, dass
im Rückenmark weitgehende Restitutionen, selbst nach
Ausfall einer ganzen Rückenmarkshälfte, im Gebiet der Motilität
und Sensibilität möglich sind. Gelegentlich eines Vortrages von
H. Oppenheim „Zur Differentialdiagnose des extra- und intra¬
medullären Tumor medullae spinalis 11 führte ich daher in der
Diskussion ans 5 ), dass es möglich sein müsste, intramedulläre
Tumoren des Dorsalmarks durch Exstirpation eines Stückes der
einen Rückenmarkshälfte zu beseitigen, ohne dass eine dauernde
Lähmung eines Beins zu befürchten sei. Selbstverständlich käme
nur ein kleiner Teil der intramedullären Tumoren hier in Be¬
tracht. Diese Anregung wurde damals von Oppenheim auf
Grund der vorliegenden Erfahrungen zurückgewiesen, da scharf
abgegrenzt und umschrieben von den intramedullären Tumoren
fast nur die Gummata, die auf andere Weise behandelt werden
können, und die central sitzenden Tuberkel seien.
Aber schon im November 1907 wurde der erste Fall eines
intramedullären Tumors von v. Eiseisberg operiert. Der Fall,
über den Clairmont 6 ) auf der 3. Jahresversammlung deutscher
Nervenärzte in Wien berichtete, lag insofern günstig, als bei der
29 jährigen, an beiden Beinen paretischen und kontrakturierten
Frau mit Herabsetzung der Sensibilität bis 3 Querflnger über
dem Nabel nach Eröffnung des Dnralsacks in der Höhe des
1 ) H. Oppenheim, Lehrb. d. Nervenkrankh., 1908, 5. Aufl., Bd. 1,
S. 429.
2) Puttaam - Warren, Phil. med. j.oum,, 1899, Bd. 8.
3) Siegm. Auerbach, Ueber einen ■ bemerkenswerten Fall von
intramedullärem Rückenmarkstumor. Journ. f. Psyohol. u. Neurol.,
1910, Bd. 17, S. 159.
4) H. Oppenheim, Beiträge zur Diagnostik und Therapie der Ge¬
schwülste im Bereich des centralen Nervensystems, 1907, Beobachtung 14,
S. 184.
5) Verhandlg. d. Berliner Gesellsch. f. Psych. u. Nervenkrankh.,
18. Mai 1907. Archiv f. Psych., Bd. 45, S. 770.
6 ) Clairmont, Deutsch# Zeitgehr. f. Nervenheilk., Bd. 88, S. 286.
6. Brustwirbelbogens (13. XL 1907) auf der rechten Seite ein
bläulich ovaler Tumor hervörsprang, der von einer dünnen
Schicht von Rückenmarkssubstanz bedeckt war. Es handelte
sich um ein pflaumengrosses Neuroflbrosarkom, das sich gut' aus¬
schälen Hess. Es war der richtige Moment der Operation, da
der Tumor gerade im Begriff war, die Kapsel zu durchwachsen.
Es trat nun Besserung ein, so dass Patientin nach 22 Monaten
mit geringen Kontrakturen der Beine gehen konnte bei normaler
Sensibilität.
Kurz vorher hatte bereits F. Krause 1 ) einen intramedullären
Eingriff bei einer Rückenmarksaffektion vorgenommen, indem er
bei einer 51jährigen Frau mit den Erscheinungen der intraverte¬
bralen Geschwulstbildung in der Höhe des 7. Dorsalsegments am
24. September 1907 eine Schwieleubilduog im hinteren Gebiet
des Rückenmarks, die das Rückenmark einschnürte, entfernte,
darauf in die Fissura posterior des Rückenmarks einen ca. 2 cm
langen Einschnitt machte und so einen mindestens erbsengrossen
Erweicbungsherd mit graugelbem Brei bereits in 2 mm Tiefe er r
öffnete. Es trat nun wider Erwarten eine wesentliche Besserung
ein; nach mehr als 2 Jahren konnte Patientin mit Unterstütznng
etwas stehen, doch bestanden leichte Beugekontrakturen fort.
Auch war vorn von handbreit nnter dem Nabel nach abwärts
eine starke Herabsetzung der Sensibilität nachweisbar. Der mikro¬
skopische Befund der operierten Schwiele ergab mit Sicherheit
einen tuberkulösen Prozess.
Diesen beiden ersten Eingriffen in das Rückenmark sind nun
rasch weitere intramedulläre Operationen gefolgt, von denen mir
bisher 21 bekannt geworden sind. Man kann die Fälle in mehrere
Gruppen einteilen: 1. intramedulläre Tumoren, 2. extramedulläre,
in das Rückenmark eingedrnogene Tumoren, 3. Fremdkörper im
Rückenmark, 4. andere Rückenmarksaffektionen.
I. Intramedulläre Tumoren.
Bisher sind es 12 Fälle von intramedullärem Tumor, die zur
Operation gelangt sind, und bei denen der Tumor ganz oder zum be¬
trächtlichen Teil exstirpiert werden konnte: 1. der oben berichtete Fall
von v. Eiseisberg aus dem Jahre 1907, 2. und 8. zwei Fälle von
Eisberg und Beer 2 3 4 ). Der erste dieser Fälle betrifft ein intramedulläres
Gliosarkom des Halsmarks im 5.—7. Gervicalsegment hei einem
42jährigen Manne, bei dem im Verlauf von 3 Jahren zuerst Nacken¬
schmerzen, dann Schmerzen in Schulter und Armen, Taubheit der reohten
Hand, Schwäche des linken Armes und Beines, später auch der rechts¬
seitigen Extremitäten auftraten. Es kam zu Gaogstörungen, Steifigkeit
der Beine bei ausgesprochener Druokempfindlichkeit des 4.-6. Hals¬
wirbels. Anfang Januar 1910 waren alle Extremitäten sehr schwach,
links mehr als rechts, mit Maskelatrophie im Gebiet des linken Armes.
Die Sensibilität war bis zu den Mammiilae aufgehoben, bis zum Nacken
bestand Hyperalgesie. Die am 13. 1. 1910 ausgeführte Laminektomie
mit Entfernung der Processus spinosi vom 4. Cervical- bis 9. Dorsal¬
wirbel zeigte nicht den erwarteten extraspinalen Tumor. Das Rücken¬
mark war aber vergrössert, der Tumor drängte aus den Hintersträngen
heraus. Es wurde eine 1 cm lange Inzision in der Fissura posterior
vorgenommen, etwas von den Tumormassen entfernt, dann aber die
Wunde geschlossen. Als nach 7 Tagen die Wunde nochmals geöffnet
wurde, war der Tumor aus dem Rückenmark an der Schnittstelle heraus¬
gequollen und konnte gut her&usgehoben werden. Es .war ein weiches,
rotbraunes Gliosarkom von 15 g Schwere in der Grösse von 5,3:2 cm.
Es erfolgte glatte Heilung. Nach 4 Wochen konnte Pat. allein sitzen,
nach 2 Monaten stehen und gehen. Nach 8 Monaten bestand noch eine
leichte Steifigkeit der linksseitigen Extremitäten.
Nicht so gut verlief der zweite Fall von Eisberg und Beer; es
handelte sich um ein Gliom des Halsmarks in der Höhe des 4.-6. Cervical-
segments, d. h. in unmittelbarer Nachbarschaft des Atemcentrums, bti
einer 40jährigen Frau. Hier entwickelte sich in 2 Jahren Parese der
Arme, später der Beine mit gesteigerten Reflexen, Druckschmerz über
dem 3.—5. Cervioalwirbel und Atrophie der Interossei beider Arme. Die
Atmung war erschwert. Die am 19. II. 1910 vorgenommene Lamin¬
ektomie vom 4. Cervical- bis 1. Dorsalwirbel ergab eine Vergrösserung
des Rückenmarks im Gebiet des 4.—6. Cervioalsegments. Nach Pia-
inzision im Gebiet der Hinterstränge drang der Rückenmarkstumor vor
und war gut zu entfernen. Das cystisehe Gliom war 4V S :2 cm gross.
Nach 4 Stunden trat der Exitus an Atemlähmung ein. Am Rücken¬
mark fehlten die Hinterstränge, während es sonst ziemlich intakt war.
Eisberg und Beer empfehlen für die intramedullären Tumoren
die zweizeitige Operation mit Extrusion des Tumors. Ihrer Ansicht nach
kämen neben den Tumoren vielleicht auoh Syringomyeliefi, Gljosen,
Hämätomyelien für die Operation in Betracht. 4. Sie berichten w'eiter-
1) Fedor Krause, Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, Bd. 2, Beob¬
achtung XV 2, S. 763i
2) Charles A. Eisberg und Edwin Beer, The operability of
intramedullary tumonrs of the spinal cord. The amer. journ. of med.
Science, 1911, Bd. 142, S, 686.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
630
hin über einen Fall von Cashing 1 2 * }. der bei einem intramedullären
Gliom durch einen Einschnitt in den Hinterstrang ein kleines Stück der
Geschwulst entfernte und Besserung erzielte.
. 5. Aus der gleichen Zeit stammt die gelungene Operation eines
intramedullären Tumors durch Veraguth und Brun*). Es handelt
sich um einen subpialen, makroskopisch intramedullären Solitärtuberkel
in der linken Rückenmarksbälfte io Höhe des 4.—5. Cervicalsegments.
Bei einem 32jährigen, tuberkulös belasteten Manne, der an Phtbisis
pulmonum litt, kam es im Verlauf von 2 Monaten zu Steifigkeit und
Schmerzen im Nacken, besonders links, dann zu Schwäche und Par-
ästhesien erst im rechten, dann im linken Arm. Im Februar 1910 be¬
stand ein Brown-Sequard’scher Symptomenkomplex mit linksseitiger
Parese der Extremitäten und rechtsseitiger Sensibilitätsstörung bei
Stereoagnosie und Lagegefühlsstörung der linken Hand. Ausserdem Hess
sich röntgenologisch eine linksseitige Phtenicuslähmung nachweiseo.
Die Diagnose wurde auf einen subduralen extramedullären Tumor
links dorsal im 4.—5. Cervicalsegment gestellt. Bei der am 18. II. 1910
ausgeführten Operation mit Entfernung des 3. und 4. cervioalen Wirbel¬
bogens fand sich kein extramedullärer Tumor, aber eine Auftreibung
der Medulia. Nach Spaltung der Pia sah man links hinten einen kleinen
Fleck und fand einen vollständig in das Rückenmark eingebetteten
herauszuscbälenden Solitärtuberkel, der wahrscheinlich vom linken Hinter¬
hora ausgegangen war. Es trat rasche Besserung ein. Pat. wurde völlig
geheilt und kann über 7 km marschieren. Die Verff. betonen, dass
sich auch auf dem Gebiet der bis jetzt als gemeinhin inoperabel ge¬
goltenen, topisch intramedullären Tumoren ein unter Umständen dank¬
bares chirurgisches Feld eröffnet.
6. Hier anzureihen ist ein Fall von Krauss*). Bei einem 36jährigen
Manne mit linksseitiger Lungentuberkulose entwickelt sich eine Schwäche
der Beine mit Reflexsteigerung, Anästhesie bis zur Mammillarlinie und
Inkontinenz der Blase bei Druckempfindlichkeit der 3.-4. Spina dorsalis.
In dieser Höhe konnte ein P /2 cm im Durchmesser grosser, harter
Tuberkel, der intramedullär sass, herausgeschält werden; doch trat bald
darauf der Exitus ein.
7. Besonders bemerkenswert ist dann der Fall von Reichmann und
Röpke 4 ), da er die erfolgreiche Operation zweier extramedullärer und
eines intramedullären Tumors bei einem Patienten bringt. Es handelt
sich um einen 20jährigen Mann, der 1906 mit Ermüdung der Beine und
Spannungsgefühl in den Waden erkrankte. 1907 trat auch in den Ober¬
schenkeln Steifigkeit auf, es stellten sich Urinbeschwerden ein. 1908
konnte Pat. nur noch an Stöcken gehen. 1909 bestanden starke spastische
Lähmungen der Beine mit Krampfzuständen, 1910 traten vom Nabel
abwärts Sensibilitätsstörungen auf, am linken Bein stärker als am
rechten. Dazu kam ein zitronengelber, enorm ei weisshaltiger Liquor und
der Nachweis von Neurofibromen in der Haut. Es wurde daher die Dia¬
gnose auf ein extramedulläres Neurofibrom in der Höhe des 7.—9. Brust¬
wirbels gestellt. Am 4. VI. 1910 wurde die Operation ausgeführt: Nach
Entfernung der Wirbel bögen des 5.-9. Brustwirbels fanden sich zwei
von rechts her drückende intradurale Neurofibrome, ein oberes grösseres
und ein unteres kleineres, die entfernt wurden. Da nun aber das Rücken¬
mark spindlig aufgetrieben war, wurde noch ein Einschnitt in die Fissura
posterior gemacht und ein drittes, kirschkerngrosses intramedulläres
Neurofibrom mit dem stumpfen Löffel entfernt Es trat langsam Besserung
ein; nach 8 Monaten konnte Pat. ohne Stock gehen, zeigte nur noch links
leichte Ataxie und geringe Sensibilitätsstörung.
8. Hieran reiht sich ein Fall von v. Eiseisberg und Marburg,
der bisher noch nicht publiziert ist, und dessen Mitteilung ich der
Liebenswürdigkeit meines Kollegen Marburg verdanke. Bei einer
36jährigen Frau, die früher an Migräneanfällen gelitten batte, kam es
im September 1910 zu Heiserkeit, Schlingbeschwerden, Parästhesien der
linken Hand. Die Untersuchung ergab eine linksseitige Reourrensparese,
eine Herabsetzung der Sensibilität bis zum 2. Intercostalraum, eine Ver¬
engerung der linken Lidspalte, eine Druckempfindlicbkeit der oberen
Halswirbel. Die am 25. XI. 1910 ausgeführte Laminektomie im Gebiet
des 4.—6. Halswirbels zeigte keine extramedulläre Geschwulst, aber eine
Vorwölbung des Halsmarks. Bei Auseinanderdrängen der Rückenmarks¬
substanz fand sich dicht unter der Oberfläche eine etwa 2 cm lange,
*/ s cm breite Cyste, die mit dem scharfen Löffel aus dem Mark entfernt
wurde. Es trat Besserung ein. Bei der Entlassung am 17. XII: 1010
bestand eine Ungeschicklichkeit der Hände mit leichter Einschränkung
der tiefen Empfindung und angedeuteter Ataxie der Arme. Eine genauere
Untersuchung des cystischen Tumors liegt nicht vor.
1) Cushing, Bull, of the John Hopkins Hospital, November 1910.
2) Otto Vbraguth und Hans Brun*, Subpialer, makroskopisch
intramedullärer Solitärtuberkel in der Höhe des 4. und 5. Cervical¬
segments. Operation. Genesung. Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte,
1910, Nr. 32, S. 1097. . f
8) William C. Krauss, Tbree cases of spinal cordv tumour ob-
served within a period of ten days. Journ. of nerv, and ment, dis., 1910,
Nr. 4, Fall 1.
4) W. Röpke, Ueber die operative Entfernung intramedullärer
Rückenmarkstumoren. Archiv f. klin. Chir., 1911, Bd. 96, S. 963. —
V. Re ich mann, Ueber einen operativ geheilten Fall von mehrfachen
Rückenmarksgeschwülsten usw. Deutsche Zeitscbr. f. Nervenheilk., Bd. 44,
S. 95.
9. Ein zweiter, bereits am 21. IX. 1910 operierter Fall von Brun 1 )
betrifft ein subpial gelegenes, aber anscheinend dem Rückenmark nur
aufliegendes gliomatöses Gebilde in der Höhe des 6. Brustwirbelbogens
bei einem 28jährigen Mann, das gut entfernt werden konnte. Nach
14 Tagen kam es infolge einer Liquorinfektion zum Exitus. Bei der
Sektion faud sich noch ein kleiner gliomatöser Herd im linken Hinter¬
strang des 4. Dorsalsegments.
10. In einem einschlägigen Fall F. Krause’* 2 * ) wurde keine Besse¬
rung erzielt. Es handelte sich um einen 13jäbrigen Knaben, der im
September 1910 mit Kreuzschmerzen und Schwäche der Beine, besonders
des linken, erkrankte. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine spastische
Parese der Beine, links stärker als rechts, mit einer rechtsseitigen
Thermoanästhesie bis 2 Querfinger oberhalb des Poupart’schen Bandes.
Es wurde ein linksseitiger Rückenmarkstumor des 8.—9. Dorsalsegments
diagnostiziert, und am 5.1. 1911 wurden der 7. und 8. Brustwirbelbogen
entfernt. Extramedullär fand sich kein Tumor; aber das Rückenmark
erschien verdickt und elfenbeinfarben verfärbt. Bei Ritzung der Pia
drängte sich eine Neubildung vor. Es wurde nun eine Inzision in der
Fissura posterior der Hinterstränge gemacht; dabei quollen gliomatöse
Massen ohne Abgrenzung gegen die Umgebung heraus. Es musste des¬
halb die Operation abgebrochen werden. Der Status blieb trotzdem in
den nächsten Monaten der gleiche, das Allgemeinbefinden war ein gutes.
Irgendeine Besserung trat in der Folge nicht ein.
11. Sehr günstig war der klinische Verlauf in dem von Sohultze
beobachteten, von Garrö operierten Fall 8 ). Bei einem 29jährigen Mann
bildete sich vom Juli 1911 bis zum Februar 1912 eine Druckempfind¬
lichkeit des 6. Halswirbels mit Schiefhaltung der Halswirbelsäule, links¬
seitiger Sympathicuslähmung, Atrophie der linksseitigen kleinen Hals¬
muskeln und ein Brown-Sequard’scher Symptomenkomplex (linkes Bein
paretiscb, Thermanalgesie vorwiegend rechts) aus. Die Diagnose wurde
auf einen extramedullären Tumor im obersten Dorsalsegment gestellt.
Die am 19.11. 1912 ausgeführte Operation zeigte keinen extramedullären
Tumor; es gelang dann, durch einen Längsschnitt in die Hinterstränge
ein Angiom herauszuschälen. In einigen Monaten kam es zu fast völliger
Heilung.
12. Endlich verdanke ich einer brieflichen Mitteilung Marburg’s
die Nachricht, dass ein weiterer Fall von intramedullärem Tumor von
der Ghvostek'sehen Klinik in Wien erfolgreich operiert worden ist.
II. Extramedulläre in das Rückenmark eingedrungene
Tumoren.
Diesen zwölf Fällen von operiertem intramedullären Rückenmarks¬
tumor reihen sich dann drei weitere Fälle an, bei denen extramedul¬
läre Tumoren in das Rückenmark eingedrungen waren und nur
unter Eingehen in die Rückenmarkssubstanz entfernt werden konnten.
Einen derartigen Fall berichtet ganz kurz Schultze, der ihn zusammen
mit Ebers 4 ) beobachtete; es bandelte sich um ein Rückenmarkssarkom,
das extramedullär gelegen war,aber mit einem gut linsengrossen Geschwulst¬
zapfen das Rückenmark arrodierte. Gär re exstirpierte die extra- und intra¬
medullären Geschwulstmassen. Doch kam es zu keinem klinischen Erfolg;
es entwickelte sich Cystitis und Decubitus mit Exitus nach einem Monat.
Auf der VI. Jahresversammlung Deutscher Nervenärzte in Hamburg
hat dann soeben Nonne 6 ) zwei Fälle von extramedullärem Rückenmarks¬
tumor mit Eindringen in den spinalen Seitenstrang, die erfolgreich
operiert werden konnten, demonstriert. Der erste Fall betraf einen
Mann mit einem Fibroendotheliom zwischen 7. und 8. Cervicalsegment,
das in den rechten Seitenstrang hineingewachsen war, aus dem es heraus¬
geschält werden musste. Drei Monate nach der Operation war Pat.
arbeitsfähig. Naoh einem Jahr bestand nur eine geringe Ataxie des
rechten Beins.
Der zweite Fall, bei dem sich eine unvollkommene Querschnitte-
myelitis ohne nennenswerte Schmerzen entwickelt hatte, zeigte ein
Fibrosarkom zwischen 1. und 2. Dorsalsegment, das auch aus dem rechten
Seitenstrang herausgeschält werden musste. Nach vier Jahren zeigte
sioh nur eine leichte spastische Parese des rechten Beins.
Auch in einem von Oppenheim®) berichteten Fall von extra¬
medullärem Tumor in der Höbe des 5.—7. Dorsalsegments fand Bier
bei der Operation eine in das Mark eingedrungene Geschwulst, deren
völlige Exstirpation aber unmöglich war. Pat starb nach wenigen Tagen.
Derartige Fälle dürften ; wohl häufiger Vorkommen, ohne dass sie immer
zur Publikation gelangen.
1) Hans Brun, Ueber einen zweiten Fall von operativer Entfernung
eines subpial gelegenen Rückenmarktumors. Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
1911, Bd. 110, S. 487.
2) F. Krause, Chirurgie des Gehirns und Rückenmarks, Bd. 2,
Beobachtung XVI 1, S. 778. - *
3) Friedrieh Schultze, Weiterer Beitrag zur Diagnose und
operativen Behandlung von Geschwülsten der Rüekanmarkshäute und des
Rückenmarks. Erfolgreiche Operation eines intramedullären Tumors.
Deutsche med. Wocbenschr., 1912, Nr. 36, S. 1676.
4) F. Schultze, l. 0 ., Paul Ebern, Fall von operiertem Rücken-
roarkstumor. Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 2, S. 70.
5) Nonne, Zwei Fälle von operiertem extramedullären Rücken¬
markstumor. Neurolog. Centralbl., 1912, S. 1327.
6) H. Oppenheim, Diagnose und Behandlung der Gesohwülste
innerhalb des Wirbelkanals. Deutsche med. Woohensohr., 1908, S. 1906.
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24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
581
III. Fremdkörper im Rückenmark.
An diese 15 Fälle mit Eiogriflen in die Rückenmarkssubstanz bei
intra- und extramedullären Tumoren schliessen sich zwei besonders be¬
merkenswerte Fälle von Schussverletzung des Rückenmarks mit
erfolgreichem operativen Eingriff an. Der erste von Braun 1 2 ) operierte
Fall stellt im weiteren Sinne den ersten erfolgreichen intramedullären
Eingriff dar.
Der 13 jährige Knabe bekam am 27. IV. 1904 einen Schuss in den
Rücken mit einer Pistole von 5 mm Kaliber. Rechts neben der Mittel¬
linie fand sich zwischen 5. und 6. Brustwirbel die Wunde. Das linke
Bein war total gelähmt, das rechte zeigte Spuren von Bewegung. Zu¬
gleich bestand vom 7. Dorsalsegment au totale Anästhesie, dabei Pria¬
pismus und Blasenlähmung. In den nächsten Wochen entwickelte sich
ein Brown-Söquard’scber Symptomenkomplex. Nachdem die Röntgen¬
aufnahme das Geschoss im Wirbelkanal gezeigt hatte, wurde am
3. VI. 1904 die Laminektomie des 5.—7. dorsalen Wirbelbogens aus¬
geführt. An der rechten Durahälfte fanden sich Tuchfetzen, der rechte
Hidterstrang zeigte eine Delle. Nach Eröffnung der Dura und Einschnitt
io den linken Hinterstrang konnte das Geschoss, das in einer von Vorder-
slrang, Vorderseitenstrang und Vorderhorn gebildeten Höhle lag, ent¬
fernt werden. Es traten danach starke Spasmen der Beine auf, mit
Beugekontraktur des rechten Beines. Durch Tenotomien wurde erreicht,
dass nach zehn Monaten Stehen und Gehen möglich war. Auch nach
vier Jahren vermochte sich Pat. im Stützapparat mit zwei Stöcken fort¬
zubewegen. Die von Lewandowsky vorgenommene neurologische
Untersuchung stellte zunächst fest, dass das Geschoss 20 qmm bei
60 qmm des ganzen Rückenmarks gross war und vom rechten Hinterstrang
bis zum linken Vorderseitenstrang das Rückenmark durchquert hatte,
so dass zwei Drittel des Rücken mark querschnitts zerstört waren.
Auch musste die reaktive Entzündung um die Kugel herum Nerven-
substanz vernichtet haben. Dazu kam noch die Verletzung des linken
Hinterstrangs bei der Eotfernung der Kugel. Es waren daher beide
üinterstränge zum grössten Teil, ein Teil des rechten Hinterseitenstranges,
der linke Seitenstrang und der grösste Teil des linken Vorderstrangs
zerstört; erhalten war der rechte Vorderstrang und Vorderseitenstrang
und ein Teil des linken Vorderstrangs. Trotz dieser enormen Zerstörung
bestand die Möglichkeit des Stehens und Gehens bei starken spastischen
Kontrakturen. Die Sensibilität zeigte Störungen der Berübrungs-
empfindung die aber beiderseits nicht aufgehoben war. Schmerz- und
Temperatursinn zeigten rechts nur geringe Spuren einer Restitution
(„Spitz“ ohne Schmerz, Eis als „kalt“), links ziemlich gute Restitution.
Der Muskelsion war beiderseits vorhanden, rechts besser als links. Dieser
Fall lehrt mit seinem verhältnismässig vorzüglichen Resultat, wie un¬
geheuer gross die Restitutionskraft auch am menschlichen Rückenmark
sich darstellt.
Ein weiterer Fall von Schussverletzung des Rückenmarks mit erfolg¬
reicher Eotfernung der Kugel aus demselben wird von Alessandri und
Mingazzini 3 ) mitgeteilt. Ein Mann erhielt 1880 im Alter von 27 Jahren
einen Revolverschuss in den vorderen Teil der linken Halshälfte und
war sofort an Beinen und Rumpf bewegungs- und empfindungslos. Doch
gingen die Erscheinungen rasch zurück; es blieb eine Parese der links¬
seitigen Extremitäten bestehen. Nach 26 Jahren, im Januar 1906, wurde
eine Atrophie der ganzen Handmuskulatur des linken Armes mit Flexions¬
kontraktur der Finger und Herabsetzung der motorischen Kraft der Hand
festgestellt. Das linke Bein zeigte Pes-Equinus-Stellung des Fusses mit
Dorsalflexion der grossen Zehe und beträchtliche Abmagerung seiner
Muskulatur. Beim Gehen wurde das linke Bein steif bewegt mit Schleifen
der Fussspitze. Die Sehnenreflexe waren links gesteigert mit Fussclonus
und Andeutung von Babinski. An der linken Hand bestand eine An¬
ästhesie mit Aufgehobensein des Lagegefühls und der Stereognose. An
der linken unteren Extremität zeigten sich Störungen der taktilen Sensi¬
bilität, des Schmerz- und Temperatursinnes; am Fuss war das Lagegefühl
aufgehoben. Die Röntgenaufnahme zeigte das Geschoss in der Höhe des
füoften CervicalWirbels, etwas nach links. Es wurde am 14. I. 1906
eine Hemilaminektomie der linken Hälfte des 5. Halswirbelbogens und
des oberen Teiles des 6. Halswirbelbogens ausgeführt. Nach Eröffnung
der Dura zeigte sich das Rückenmark links am unteren Rande des
5. Halswirbels mit der Dura fest verwachsen. Nach Auseinanderbreiten
der oberflächlichen Rückenmarksbündel konnte das Geschoss aus dem
Rückenmark unter wiederholten olonischen Zuckungen ib der Muskulatur
des linken Armes entfernt werden. Die Kugel hatte 9 mm Kaliber,
3 mm Durchmesser. Die Heilung ging gut von statten; trotzdem blieben
die sensiblen Störungen fast unverändert bei Steigerung der motorischen
Ausfallserscheinungen. Auch hatte sich eine Thermanalgesie der rechts¬
seitigen Körperhälfte entwickelt. Die Kugel sass im Hinterstrang und
hinteren Teil des Seitenstranges der linken Seite in Höhe des 6. Cervical-
segments. War das funktionelle Resultat der Operation auch kein
glänzendes, äo bedeutet die Entfernurifc der Kugel doch den Schutz vor
drohenden Komplikationen.' . d a-_- -iJ
1) W. Brauq, Beitrag zur> Frage der operativen Behandlung der
Rückenmarksschüsse. Neurologische Bemerkungen von M. Lewan¬
dowsky. Deutsohe Zeitschr. f. Chirurgie, 1908, Bd. 94, S. 115.
2) B. Alessandri und G. Mingazzini, Beitrag zum Studium der
duroh Geschosse erzeugten Rüokenmarksverletzungen. Monatssohr. f.
Psych. u. Neurol., 1908, Bd. 24, S. 150.
IV. Andere Rückenmarksaffektionen.
Es bleiben nun noch eine Reihe von intramedullären Eingriffen
übrig, die, wie bei dem oben berichteten Fall von F. Krause, entweder
bei nicht geschwulstartigen Affektionen des Rückenmarks vorgenommen
wurden, oder bei denen doch der Tumorcharakter der Rückenmarks¬
affektion nicht sicher festgestellt werden konnte. Im ganzen sind es mit
der ersten Krause’schen Beobachtung vier Fälle. Betraf der erste
Krause’sche Fall einen Erweicbung9herd in den Hintersträngen bei
einem tuberkulösen Prozess, so gibt Krause 1 ) in einem zweiten Fall
die Krankengeschichte eines 41jährigen Arztes, der im Jahre 1905 mit
Schmerzen in der Lendengegend und Herpes zoster-Eruptionen in der
unteren Brustgegend erkrankte. Es kam zu Harnverhaltung und Sensi¬
bilitätsstörung an Füssen und Analgegend. Trotz negierter Lues Besse¬
rung durch Schmierkur. August 1906 trat Parese des linken Beines
mit Anästhesie des rechten auf, 1907 kam es zur Parese der linken
Bauchmuskulatur und zu tonischen Beinkrämpfen. Es wurde ein extra¬
medullärer Tumor links in der Höhe des 5. Dorsalsegments vermutet.
Die am 19. IV. 1908 ausgeführte Operation zeigte nach Entfernung des
4. —8. Brustwirbelbogens eine Schwarte in Höhe des 6.—8. Dorsal¬
segments. In der Höhe des 6 Dorsalsegments wurde eine Cyste in der
hinteren Rückenmarkssubstanz eröffnet. Es handelte sich offenbar um
eine Lues durae matris spinalis. Nach anfänglicher Verschlechterung
trat unter Mithilfe von Sublimat und Jod langsame Besserung ein.
Bailey und Beer 9 ) haben in einem Fall durch Extrusion ein
intramedulläres Blutcoagulum im Dorsalmaik mit Erfolg operiert. Es
lässt sich nicht entscheiden, ob hier vielleicht eine Hämorrhagie in ein
cystisches Gliom oder in eine Syringomyeliehöhle stattgefunden hat.
Jedenfalls trat Heilung mit weitgehender Besserung der Symptome ein.
Endlich liegt der Fall einer 36jährigen Frau von Hunt und
Woolsey 8 ) vor, bei dem sich innerhalb von zwölf Jahren allmählich
eine linksseitige spastische Hemiplegie mit Anästhesie der rechten Körper-
bälfte, vom Unterkiefer abwärts, entwickelte. Bei der Laminektomie in
der Höbe des 3.-5. Cervicalwirbels am 28. III. 1910 war das Rücken¬
mark stark verdickt. Ueber einer verfärbt aussehenden Stelle rechts
nahe der Mitte der hinteren Peripherie wurde die Rückenmarkssubstanz
punktiert und über zwei Drachmen klarer Flüssigkeit entleert. Danach
fiel das Rückenmark zusammen. Die Entleerung der offenbar vorhandenen
Cyste bewirkte in den ersten zehn Tagen eine wesentliche Besserung
der Lähmungserscheinungen bei unverändertem Verhalten der Sensibilität.
Es lässt sich nicht entscheiden, ob es sich hier um einen cystisch
veränderten Tumor oder um eine reine Cyste in der Rüokenmarkssubstanz
der Hinterstränge gehandelt hat.
Ein Rückenmarksabscess ist bisher nicht zur Operation gelangt.
Bei der vorwiegenden Lokalisation solcher Abscesse in den Hinter¬
strängen, wie sie die drei von Turner und Collier 4 ) mitgeteilten
Fälle zeigen, wäre aber ein operativer Eingriff in das Rückenmark bei
einem geeigneten Fall wohl denkbar.
Im ganzen sind es demnach 21 intramedulläre Eingriffe, die
in der kurzen Zeit von fünf Jahren aasgeführt worden sind;
12 intramedulläre Tumoren, 8 extramedulläre in das Rückenmark
eingedrungene Tumoren, 2 intramednllär gelegene Geschosse,
1 tuberkulöser Erweichungsherd, 2 Cysten, davon eine sicher
syphilitischen Charakters, und 1 Blutcoagulum. Von diesen
Fällen sind vier (Eisberg und Beer, Fall 2, Brun, Fall 2,
Krauss und Sohultze-Ebers) zum Exitus gekommen; in fünf
weiteren Fällen (den drei Krause’schen, dem Fall von Cushing
und dem Fall von Alessandri-Mingaziini) ist kein wesent¬
licher klinischer Erfolg eingetreten. In den übrigen zwölf Fällen
kann man von einem vollen operativen Erfolg und von weit¬
gehenden klinischen Besserungen bis zu völliger Heilung sprechen.
Es ist das ein ganz überraschend günstiges Resultat, das sicher¬
lich zu einem Fortscbreiten auf dem Wege der intramedullären
Operationen ermutigt. Zweifellos wird sich die Zahl der derart
operierten Fälle rasch vermehren.
Von den intramedullären Tumoren betreffen 2 Solitärtuberkel,
4 Gliome, 2 Neurofibrosarkome bzw. Gliosarkom, 1 Neurofibrom,
1 Angjom; einmal fehlt die nähere Angabe über die Natur des
Tumors. Von den in das Rückenmark eingedrungenen extra¬
medullären Tumoren sind zwei Sarkome, ein Fibroendotheliom.
Es dürfte kein Zufall sein, dass die Gliome die schlechtesten
Resultate ergebeu haben. Von den 4 Fällen sind 2 gestorben,
2 ohne radikale Operation im Status wenig verändert. Um so
mehr tritt das yorzüglichq Resultat bei allen übrigen Geschwulst-
arten hervor. , $ ■ ,,, r
1) F. Krause, Chirurgie des Gehirns und des Rückenmarks,Bd. 2, Be¬
obachtung XVi 8, S. 766. t * *) » . i / ■
2) Cit bei Eisberg und Beer, L o. - *
3) Hunt, Ramsay und George Woolsey, A contribution to the
symptomatology and surgical treatment of spinal cord tumours. Annals
of surg., September 1910, S. 289, Fall 8.
4) Wm. Aldren Turner und James Collier, Intramedullary
abscess of the spinal cord. An aooount of three oases. Brain, 1909,
Bd. 27, S. 199.
2 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Ueb ersieht der intramednllären Operationen.
I. Intramodulläre Tumoren.
1. v. Eiselsberg-Clairmont (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.,
Bd. 38, S. 236): 29 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt in Höhe des 6. Brust¬
wirbelbogens. — Dauer und Verlauf: Beginn der Erkrankung vor
1 j 2 Jahr. Kontrakturen in beiden Hüft- und Kniegelenken. Herab¬
setzung von Tast- und Schmerzempfindung bis 3 Querfinger- über
dem Nabel. Lumbalpunktion ergibt gesteigerten Druck, gelblich ge¬
färbtes Punktat. — Operation: 13. XL 1907. Laminektomie zuerst
des 7.—10. dorsalen Wirbelbogens, dann des sechsten. Rechts bläulicher
ovaler Tumor, von dünner Schicht von Rückenmarkssubstanz bedeckt.
Tumor abgegrenzt, mit Elevatorium ausschäl bar. — Ausgang: All¬
mähliche Besserung. Naoh 8 Monaten mit Streckappar&ten gehfähig.
Nach 22 Monaten leichte Kontrakturen der Beine. Gehen möglich. Sensi¬
bilität normal. — Natur des Tumors: Pflaumen grosses Neurofibro-
sarkom, 4 cm lang, 1 cm breit. Gerade im Begriff, durch die Kapsel zu
wachsen.
2. Eisberg und Beer (Amer. journ. of med. Sciences, 1911, Bd. 142,
S. 63fc, Fall 1): 42 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt im 5.-7. Cervical-
segment. — Dauer und Verlauf: Seit 1907 Schmerzen ira Nacken und
in den Armen. Sommer 1909 Schwäche zuerst der linken, dann der
rechten Extremitäten. 1910 Arme schwach, links mehr wie rechts; auch
das Bein links stärker befallen als rechts. Sensibilität bis Mammillae auf¬
gehoben. — Operation: 13. I. 1910. Laminektomie des 4. Ccrvical-
bis 1. Dorsalwirbel. Inzision der geschwollenen Hinterstränge. 20.1.1910
Exstirpation des vorgetriebenen rostbraunen Tumors. — Ausgang:
Rasche Besserung. Nach 4 Wochen Sitzen ohne Hilfe. Nach 2 Monaten
Stehen und Gehen. Sensibilität wiedergekehrt. Nach 8 Monaten Gehen,
Schreiben möglich. Links Extremitäten etwas steif. — Natur des
Tumors: Weiches Gliosarkom, 5,3:2 cm gross.
3. Eisberg und Beer (ebenda, Fall 2): 40 Jahre alte Frau; der
Tumor sitzt im 4.-6. Cervicalsegment. — Dauer und Verlauf: Vor
2 Jahren Beginn mit Schmerzen und Schwäche der Arme, dann der
Beine, links stärker als rechts. Seit 6 Monaten Gehen unmöglich. Blasen¬
lähmung, Paraplegie mit gesteigerten Reflexen. Atmen erschwert. —
Operation: 19. II. 1910. Laminektomie des 4- Cervical- bis 1. Dorsal¬
wirbel. Rückenmark zwischen 4.-6. Cervicalsegment vergrössert. In¬
zision der Hinterstränge. Tumor entfernt. — Ausgang: Nach 4 Stunden
Exitus an Atemlähmung. — Natur des Tumors: Cystisches Gliom
41/a *• 2 cm gross. Hinterstränge im Rückenmark fehlen.
4. Cushing (Bull, of the John Hopkins hospital, November 1910).
Rückenmarksgeschwulst. Operation: Einschnitt in den Hinterstrang.
Kleines Stück des Tumors entfernt. — Ausgang: Besserung. — Natur
des Tumors: ^Gliom.
5. Veragutb und Brun (Corr.-Blatt f. Schweizer Aerzte, 1910,
Nr. 33): 32 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt im 4.—5. Cervicalsegment.
— Dauer und Verlauf: Phthisis pulmonum. Seit 2 Monaten Schmerzen
im Nacken. Januar 1910 Schwäche und Parästhesien beider Arme.
Linke Hand Stereoagnosie. Linker Arm paretiscb, linkes Bein leicht
spastisch. Februar 1910 linksseitige Hemiparese mit linker Phrenicus-
lähmung, rechts Sensibilitätsstörung. — Operation: 18. II. 1910.
Laminektomie des 3. und 4. Proo. spin. cerv. Medulla aufgetrieben.
Links hinten kleiner Fleck. Tumor aus dem Rückenmark herauszuschälen,
-r- Ausgang: Rasche Besserung. Nach 56 Tagen geheilt entlassen. —
Natur des Tumors: Solitartuberkel.
6. Krauss (Journ. of nerv, and ment, disease, 1910, Nr. 4): 36 Jahre
alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe des 8.—4. Brustwirbelbogens. —
Dauer und Verlauf: Tuberkulose. Schwäche der Beine. Blasenstörung.
Anästhesie bis MammiUarlinie. — Operation: Intramedullärer Tumor
ausgeschält. — Ausgang: Exitus. — Natur des Tumors: Tuberkel.
7. Reichmann-Röpke (Archiv f. klin. Chir., Bd.*96, und Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 44): 20 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt
etwa in Höhe des 6. Brustwirbelbogens. — Dauer und Verlauf: 1906
Ermüdung und Spannung in den Waden. 1908 Gehen an Stöcken.
1909 spastische Parese der Beine. Sensibilitätsstörung vom Nabel ab¬
wärts. — Operation: 7. VI. 1910. Laminektomie des 10.—5. dorsalen
Bogens. Zwei extramedulläre Tumoren entfernt. Dann kirschkerngrosser
Tumor aus den Hintersträngen exstirpiert. — Ausgang: Langsame
Besserung. Nach 8 Monaten Gehen ohne Stock bei leichter Ataxie. —
Natur des Tumors: Multiple Neurofibrome.
8. v. Eiseisberg - Marburg (persönliche Mitteilung): 36 Jahre
alte Frau; Tumor sitzt in Höhe des 4.—6. Halswirbels. — Dauer und
Verlauf: September 1910 Heiserkeit, Parästhesien der linken Hand.
Links Recurrensparese. Sensibilität links bis 2. Intercostalraum herab¬
gesetzt. Obere Halswirbel druckempfindlich. — Operation: 25.XI. 1910.
Laminektomie des’4.—6. Halswirbels. Cyste aus dem Mark entfernt. —
Ausgang: Rasche Besserung. Ataxie der Arme. — Natur des Tumors:
Cystischer Tumor.
9. Brun (Deutsche Zeitsehr. f. Chili, Bd. ( 110): ,28 Jahre alter Mann;
der Tumor sitzt in Höhe des 6. Brustwirbelbogens. — Dauer und
Verlauf: Juli 1910 Schwäche des linken Beins. September 1910
Hypästhesie bis zum 8. dorsalen Proc. spin. Linkes Bein paretisch.
— Operation: 21. IX. 1910. Laminektomie des 6. und 7. Brustwirbel¬
bogens. Links hinten subpialer Tumor entfernt. — Ausgang: Nach
14 Tagen Exitus. — Natur des Tumors: Subpiales Gliom. Ausser¬
dem Gliom im linken Hinterstrang des 4. Dorsalsegments. .
10. F. K rause (Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, 2.Bd., Beob.XVI 1):
13 Jahre alter Knabe; der Tumor sitzt im 8.-9. Dorsalsegment. — Dauer
und Verlauf: September 1910 Schwäche der Beine, besonders des
linken. Januar 1911 spastische Parese der Beine, besonders des linken.
Thermoanästhesie rechts bis zwei Querfinger oberhalb des Poupart’schen
Bandes. — Operation: 5. L 1911. Laminektomie des 7.-8. Brust¬
wirbelbogens. Inzision der Hinterstränge. Herausquellen gliomatöser
Massen. — Ausgang: Status nach Monaten unverändert. — Natur
des Tumors: Gliom.
11. Fr. Schultze (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 86):
29 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe des 6. Halswirbels. —
Dauer und Verlauf: Juli 1911 Druckempfindlichkeit des 6. Hals¬
wirbels. Dann Atrophie der linken Handmuskeln. Brown-Säquard. —
Operation: 19. II. 1912. Laminektomie. Tumor aus den Hintersträngen
herausgeschält. — Ausgang: Fast völlige Heilung. — Natur des
Tumors: Angiom.
12. Klinik Chvostek (persönliche Mitteilung von Prof. Marburg).
Dauer und Verlauf: 1912 intramedullärer Tumor. — Operation:
Erfolgreich. — Ausgang: Heilung. — Natur des Tumors: ?
II. Extramedulläre, in das Rückenmark eingedrungene
Tumoren.
1. Schultze-Ebers (Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 36,
und 1913, Nr. 2): 23 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt im 4. Dorsal¬
segment. — Dauer und Verlauf: Entwicklung der Symptome eines
Rückenmarkstumors März bis Juli 1912. — Operation: 26. VII. 1912
(Garre). Laminektomie des 2. und 3. Brustwirbelbogens. Tumor
teils extramedullär, teils intramedullär (linsengros3er Geschwulst¬
zapfen in dem Rückenmark). — Ausgang: Nach kurzer Besserung
starke Verschlechterung des Zustandes. Exitus 25. VIII. 1912. — Natur
des Tumors: Grosszelliges Sarkom, von den Häuten ausgehend.
Sektion fehlt.
2. Nonne (Neurol. Centralbl., 1912, S. 1327): Mann; der Tumor
sitzt im 7.-8. Cervicalsegment. — Dauer und Verlauf: Sym¬
ptome eines extramedullären Tumors. — Op eration: Geschwulst extra-
' medullär, in den Seitenstrang hineingewachsen, wird herausgeschnitten.
— Ausgang: Nach 3 Monaten arbeitsfähig. — Natur des Tumors:
Fibroendotheliom.
3. Nonne (ebenda): Mann; der Tumor sitzt ira 1.—2. Dorsal¬
segment. — Dauer und Verlauf: Symptome einer unvollkommenen
Querschnittsmyelitis ohne wesentliche Schmerzen. — Operation:
Extramedulläre, iu den Seitenstrang eingedrungene Geschwulst. Aus¬
schälung. — Ausgang: Nach 4 Jahren loichte spastische Parese des
rechten Beins. — Natur des Tumors: Fibrosarkom.
III. Fremdkörper im Rückenmark.
1. Braun (Zeitschr. f. Chir., Bd. 94): 13 Jahre alter Knabe;
der Tumor sitzt in Höhe des 5.-6. Brustwirbels. — Dauer und
Verlauf: 27. IV. 1904 Pistolenschuss in den Rücken. Brown-Söquard.
Linkes Bein gelähmt, rechts Anästhesie. — Operation: 3. VI. 1904.
.Kugel aus Rückenmark durch linken Hinterstrang entfernt. — Ausgang:
Nach 4 Jahren Gehen im Stützapparat. Starke Sensibilitätsstörungen
rechts. — Natur des Tumors: Pistolenkugel, 5 mm Kaliber.
2. Alessandri und Mingazzini (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol.,
1908, Bd. 24, S. 150): 53 Jahre alter Mann; der Tumor sitzt in Höhe
des 6. Cervicalsegments. — Dauer und Verlauf: Vor 26 Jahren Pistolen¬
kugel in das linke untere Halsmark. Spastische Parese der linken Ex¬
tremitäten mit linker Sensibilitätsstörung. — Operation: 14.1. 1906.
Kugel aus linker Rückenmarkshälfte (Hinterstrang und Hinterseitenstrang)
entfernt. — Ausgang: Heilung. Keine funktionelle Besserung. —
Natur des Tumors: Pistolenkugel, 9 mm Kaliber.
IV. Andere Rüokenmarksaffektionen.
1. F. Krause (Chir. d. Gehirns u. Rückenmarks, 2. Bd., Beob. XV 2):
51 Jahre alte Frau; der Tumor sitzt im 7. Dorsaisegment. —
Dauer und Verlauf: Erscheinungen der intravertebralen Geschwulst¬
bildung. — Operation: 24. IX. 1907. Im 7. Dorsalsegment Schwarte
am Rückenmark entfernt; dann Eröffnung eines erbsengrossen Er-
weichungsherdes der Hinterstränge. — Ausgang: Wesentliche Besserung.
Nach 2 Jahren Stehen möglich. — Natur des Tumors: Tuberkulöser
Prozess.
2. F. Krause (ebenda, Beob. XV 3): 41 Jahre alter Mann;
der Tumor sitzt im 6. Dorsalsegment. — Dauer und Verlauf: 1905
Herpes zoster der unteren Brastgegend. Harnverhaltung. 1906 Parese
des linken, Anästhesie des rechten Beins. 1907 Parese der linken
Bauchmuskulatur. — Operation: 19. IV. 1908. Entfernung des 4. bis
8. Brustwirbelbogens. Schwarte in der Höhe des 6.—8..Dorsalsegmeuts.
Eröffnung einer intramedullären Cyste (6. Dorsalsegment). — Ausgang:
Langsaiöe Besserung unter Mithilfe von Quecksilber)und Jod. — Natur
des Tumors: Lues durae matris mit intramedullärer Cyste«
3. Bailey und Beer, citiert bei Eisberg und Beer, 1. c.: Der
Tumor sitzt im Dorsalmark. — Operation: Intramedulläres Blut-
coagulum entfernt. — Ausgang: Heilung. Besserung der Symptome.—
Natur des Tumors: Blutcoagulum.
4. Hunt and Woolsey (Annals of surgery, Sept. 1910): 36 Jahre
alte Frau, der Tumor sitzt in Höhe des 3.-4. Cervical Wirbels. —
Dauer und Verlauf: Seit 12 Jahren Entwicklung einer linksseitigen
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UNIVERSUM OF IOWA
24. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
B33
spastischen Hemiplegie mit Anästhesie rechts vom Unterkiefer an. —
Operation: 28. IIL 1910. Laminektomie des 3.-5. Cervicalwirbels.
Punktion einer Cyste in der Rütokenmarkssubstanz. — Ausgang: Nach
10 Tagen Besserung der Lähmung. — Natur des Tumors: Intra¬
medulläre Cyste.
(Schluss folgt.)
Ueber die Bedeutung der Rinderbacillen für den
Menschen.
Von
Geh. Reg.-Rat Dr. A. Weber.
(Diskussionsbemerkungen zu dem Vorträge des Herrn Geheimrats Orth
in Nr. 10 dieser Wochenschrift.)
M. H.! Aus dem Vortrage des Herrn Geheimrats Orth habe
ich za meiner Freude ersehen, dass er mit meinen Anschauungen
in der Tuberkulosefrage, wie ich sie in der Festschrift für
Löffler im 64. Bande des Centralblattes für Bakteriologie nieder¬
gelegt habe, in manchen wichtigen Punkten einverstanden ist,
und dass wir besonders in dem Hauptpunkte, in der Bekämpfung
der Tuberkulose, darin miteinander übereinstimmen, dass in erster
Linie die grosse, von den humanen Bacillen drohende, in zweiter
Linie die verhältnismässig kleine, den bovinen Bacillen beizu¬
messende Gefahr zu bekämpfen ist.
Io einer Unterfrage kann ich mich allerdings der Ansicht von
Herrn Geheimrat Orth nicht anschliessen, nämlich in der Frage,
wie gross denn nun eigentlich die Gefahr ist, die dem Menschen
von den bovinen Bacillen droht. Herr Geheimrat Orth bat in seinem
Vortrage in der Akademie der Wissenschaften vom 8. Februar 1912
sich dahin geäussert, dass, wenn es auch gelänge, die Bacillen vom
Typus bumanus zu vernichten, immer noch eine mit allen Hilfs¬
mitteln zu bekämpfende Volkskrankheit übrig bleiben würde.
M. H., ich bin der Ansicht, dass, wenn wir es wirklich einmal
so herrlich weit gebracht haben sollten, alle auf humanen
Bacillen beruhende Fälle auszuschalten, dann würden wir uns
mit dem Rest, der übrig bleiben würde, leicht abfinden können.
Herr Geheimrat Orth ist der Ansicht, dass diesem Rest, der
also boviner Infektion zuznschreiben ist, immer noch eine der¬
artig grosse Bedeutung zukomraen würde, dass die bovine In¬
fektion als Volkskrankbeit, als Volksseuche zu bezeichnen wäre.
M. H., wenn die Bedeutung der bovinen Infektion wirklich so
gross sein sollte, dass sie als Volkskrankheit imponiert, dann
müsste das meiner Meinung nach doch in den epidemiologischen
Verhältnissen zum Ausdruck kommen. Dies ist aber nicht der
Fall; wenigstens konnte bisher der Beweis dafür nicht erbracht
werden.
Flügge hat schon vor Jahren durch seinen Schüler Hey¬
mann ethnographisch-statistische Zusammenstellungen machen
lassen, die sich auf Japan, Grönland, die Färöer, Island, einige
Iodianerstämme Nordamerikas, auf die Türkei, auf Rumänien,
Aegypten und die Goldküste bezogen. Calmette bat vor kurzem
derartige Erhebungen für die französischen Kolonien in Afrika,
in Asien, in Amerika anstellen lassen. Es hat sich keinerlei
Parallelismus zwischen der Häufigkeit der Tuberkulose unter den
Menschen und der Häufigkeit der Tuberkulose unter dem Rind¬
vieh nachweisen lassen. Es hat sich hinsichtlich der Häufigkeit
der menschlichen Tuberkulose keinerlei Unterschied gezeigt
zwischen solchen Ländern, in denen Rindertuberkulose vorkommt,
und solchen Ländern, in denen sie fehlt, bzw. zwischen solchen
Ländern, in denen Kuhmilch zur Kindernahrang verwendet wird,
und solchen Ländern, in denen Kuhmilch aus irgendeinem
Grunde, z. B. religiöser Art, von der Kindernahrung aus¬
geschlossen ist.
In der neuesten Zeit hat auch Gosio für Italien ähnliche
Angaben gemacht. Man hat in Italien sein Augenmerk vor allem
auf die Hirtenfamilien gerichtet, die ihr ganzes Leben lang mit
dem Vieh zusammen leben; sie melken das Vieh, sie trinken j
rohe Milch, sie schlafen im Stall, sie stehen also in ununter¬
brochener Berührung mit dem Rindvieh, das nach Ausweis der
Tuberkulinprüfung bis zu 8$ pCt. perlsüchtig ist. Mehr als 1000
solcher Hirten wurden genau auf Tuberkulose untersucht. Es,bat
sich nur bei ganz wenigen Tuberkulose nachweisen lassen, und
auch unter ihren Kindern war die Tuberkulose sehr selten.
Ich möchte dann ferner darauf hinweisen, dass bereits im
Jahre 1875 auf Anregung des deutschen Veterinärrates eine
preussiscbe und eine sächsische Kommission zum Studium der .
Frage ernannt worden sind, ob der Genuss von Fleisch und Milch
perlsüchtiger Tiere für den Menschen nachteilig sei. Beide
Kommissionen, an deren Spitze Männer wie Virchow und
Siedamgrotzky standen, kamen, ebenso wie Erhebungen, die
die bayerische Regierung anstellen liess, zu dem Schluss, dass
sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass durch
Milch und Fleisch perlsüchtiger Tiere die Rindertuberkulose auf
den Menschen übertragen werden könne. M. H., dies war zu
einer Zeit, wo doch sicher viel mehr rohe Milch getrunken worden
ist als heutzutage; es war zu einer Zeit, wo wir noch kein Reichs-
Viehseucbengesetz, noch kein Schlachtvieh- und Fleischbescbau-
gesetz hatten, wo also sicher die Aufnahme von Tuberkelbacillen
durch den Menschen viel häufiger erfolgte als jetzt Dies, m. H.,
gibt doch zu denken.
Ich unterschätze die Bedeutung der experimentellen Wissen¬
schaft sicher nicht; dafür bin ich mit ihr viel zu sehr ver¬
wachsen. Ich verkenne auch sicher nicht die Fortschritte, die
wir in den letzten Jahren dank der bakteriologischen Forschung
gerade auf dem Gebiet der Tuberkulose gemacht haben; aber ich
glaube, wir müssen doch, ehe wir weitere Schlüsse ziehen hin¬
sichtlich der Grösse der Gefahr, versuchen, die durch den ex¬
perimentellen Laboratoriumsversuch und doch zum grössten Teil
an Leichenmaterial gewonnenen Resultate mit den praktischen
Verhältnissen, mit der Epidemiologie in Einklang zu bringen.
Dies ist uns bisher, glaube ich, noch nicht ganz gelungen.
Die Bemerkung von Herrn Geheimrat Orth, dass das Kaiser¬
liche Gesundheitsamt in früherer Zeit den bovinen Bacillen nicht
besonders wohlgesinnt gewesen sei, und dass man sich erst in
neuerer Zeit mehr seinen Anschauungen genähert habe, veranlasst
mich, die Tätigkeit der deutschen Tuberkulosekommission kurz
historisch darzulegen.
Die deutsche Tuberkulosekommission hat ihre Arbeiten auf
Grund eines Planes ausgeführt, der vom Unterausschuss für Tuber¬
kulose des Reichsgesundheitsrats aufgestellt worden ist. Dieser
Unterausschuss ist von deu Jahren 1901 bis 1907 jährlich ein¬
mal zusammengetreten, die Versucbsergebnisse wurden ihm vor¬
gelegt und durchgesprochen, so dass in diesen Jahren die Ver¬
suche unter der Kontrolle des Reichsgesundbeitsrats ausgeführt
worden sind.
Von Zeit zu Zeit fanden Veröffentlichungen in den Tuber¬
kulosearbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt statt. Wir
haben uns nun damals im Gegensatz zu der Gepflogenheit
mancher anderer Untersucher zum Grundsatz gemacht, alle weiter-
tragenden Schlussfolgerungen zu vermeiden und uns ledig¬
lich auf Festlegung der Resultate zu beschränken, die
sich jedesmal aus deu angestellten Versuchen unmittelbar
ergaben. Vielleicht bat diese, doch im allgemeinen, glaube ich,
anerkennenswerte Zurückhaltung zu dem Missverständnis geführt,
dass wir den bovinen Bacillen nicht die genügende Bedeutung
beigemessen hätten. Wir sind bei unseren Untersuchungen, wie
z. B. Alt schul anerkennt, schrittweise und systematisch vor¬
gegangen. Wir haben die bovinen Bacillen zunächst in den
Mesenterialdrüsen gesucht, wir haben sie gefunden und haben den
Schluss gezogen, dass bei primärer Abdominaltuberkulose die
bovinen Bacillen sich an der Eintrittsstelle finden. Wir haben
sofort den Plan gefasst, in Fällen von generalisierter Tuberkulose,
die vom Darm ausgeht, die bovinen Bacillen nicht nur an der
Eintrittspforte, sondern in sämtlichen Organen, namentlich in
den Organen, die entfernt von der Eintrittspforte liegen, nach¬
zuweisen. Das ist uns gelungen. Jetzt erst waren wir zu dem
Schluss berechtigt, dass die bovinen Bacillen auch eine gerali-
sierte tödliche Tuberkulose hervorrufen können, ein Standpunkt,
den die englische Kommission ausdrücklich als den richtigen an¬
erkennt. Wir haben dann unsere Untersuchungen weiter auf die
Halsdrüsentuberkulose, dann auf die Knochen- und Gelenktuber¬
kulose ausgedehnt, wir haben die Säuglingstuberkulose extra be¬
handelt, uud zurzeit sind wir mit Untersuchungen über den Lupus
beschäftigt.
So haben wir uns allmählich unsere Auffassung über die
Bedeutung der bovinen Bacillen gebildet;‘selbstverständlich musste
diese beim Fortscbreiten der Untersuchungen immer mehr tfnd
mehr zutage treten, und sie ist, glaube ich, auch dementsprechend
von uns anerkannt und zum Ausdruck gebracht worden.
Die ersten Veröffentlichungen von Kossel, Weber und Heuss
stammen aus dem Monat Oktober des Jahres 1903. Es wurde
darin festgestellt, dass unter 40 Fällen menschlicher Tuberkulose
io vier Fällen Tuberkelbacillen gefunden worden sind, die von
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UNIVERSUM OF IOWA
534
BERLINER KLINISCHE WO CHE NSCHRIFT.
Nr. 12.
Rinderfcuberkelbacillen nicht zu trennen waren, und zum Schlüsse
der Veröffentlichung wurde vorsichtshalber hinzugefügt: „vielleicht
ist es aber nicht überflüssig, darauf hinzuweiseo, dass eine Aende-
rung unserer Maassnahinen gegen die Tuberkulose zurzeit
weder in der einen noch in der andereu Richtung befürwortet
werden kann“.
Welchen Standpunkt das Gesundheitsamt damals in der Frage
der Gefährlichkeit der bovinen Bacillen für den Menschen ein¬
nahm, kann jetzt noch aus der Fassung des Gesundheitsbüchleins
und des Tuberkulosemerkblattes genau ersehen werden. Im Ge¬
sundheitsbüchlein heisst es:
„Seitdem auch eine häufige Tierkrankheit, die Perlsucht des
Rindviehs, als Tuberkulose erkannt worden ist, bat die Ueber-
zeugung Platz gegriffen, dass namentlich unter Kindern die Milch
kranker Kühe Tuberkulose verbreitet.“
Und weiter heisst es:
„Der Verkauf der Milch tuberkulös erkrankter Kühe ist zu
verbieten. Der Genuss unabgekochter Milch ist allgemein zu
widerraten, sofern man nicht über deren einwandfreie Herkunft
zuverlässig unterrichtet ist.“
Es ist dies die Fassung aus dem Jahre 1894, die nicht ge¬
ändert worden ist, auch nicht unter dem Eindruck der Erklärung
Robert Koch’s auf dem Tuberkulosekongress in London im
Jahre 1901.
Und im Tuberkulosemerkblatt heisst es:
„Tuberkelbacillen werden aufgenommen:
1. durch Einatmen . . .
2. mit der Nahrung: in erster Linie durch ungekochte Milch,
bei ungenügender Fleischschau, auch durch Fleisch tuber¬
kulöser Tiere, welches in den Verkehr gelassen und vor
dem Genuss nicht durchgekocht wurde;“
und weiter:
„Milch und Fleisch sind vor dem Genuss gründlich zu
kochen“.
Am 16. Mai 1904 erschien dann der zwei Druckseiten um¬
fassende erste Interimsbericht der englischen Kommission, in dem
ganz summarisch mitgeteilt wurde, dass unter mehr als 20 Fällen
menschlicher Tuberkulose in 7 bovine Bacillen gefunden worden
waren. Es wäre also, wie es in dem englischen Bericht weiter
heisst, unweise, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze gegen
die Infektion mit Rindertuberkelbacillen zu beschränken oder zu
modifizieren.
Im Jahre 1905 erschien die zweite Mitteilung von Kossel,
Weber und Heuss, die als Ergebnis die Feststellung brachte,
dass unter 64 Fällen tuberkulöser Veränderungen beim Menschen
8 Fälle waren, die dem Typus bovinus angehörten.
Erst auf Grund dieser Untersuchungen und der inzwischen
von anderer Seite beigebrachten Beiträge gingen wir daran, nun¬
mehr allgemeinere Schlussfolgerungen über die praktischen und
die wissenschaftlichen Ergebnisse der neueren Forschungen über
die Beziehungen zwischen Menschen- und Tiertuberkulose aufzu¬
stellen. Die Entwürfe sind von Kossel aufgesetzt, sie wurden in
einer Vorbesprechung am 6. Juni 1905 im engeren Kreise, dem
auch Herr Orth angehörte, durchberaten, und Herr Geheimrat
Orth hat damals seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, dass
er sich nach dem Durchlesen der Entwürfe vollkommen damit
einverstanden erklären könne. Die Entwürfe wurden dann am
nächsten Tage im Reichsgesundheitsrat durebberaten, und gerade
der Passus, den Herr Geheimrat Orth sowohl in dem bereits er¬
wähnten Vortrage in der Akademie der Wissenschaften als auch
hier .eitert hat, ist, von einer g^nz unbedeutenden redaktionellen
Aenaerung abgesehen, angenominen worden. Ich glaube, eine
schönere Uebereinstimmung zwischen Herrn Orth, Herrn Kossel,
dem Reichsgesundheitsamt und dem Reicbsgesundheitsrat ist wohl
kaum zu denken, und es dürfte daher wohl auf einem Miss¬
verständnis beruhen, wenn Herr Geheimrat Orth, wie ich aus
seinen Vorträgen entnehmen zu müssen glaube, einen Gegensatz
zwischen den genannten Herren und den genannten Stellen an¬
nimmt. Der Passus, den ich meine, ist Ziffer 7 und 9 der
„Praktischen Ergebnisse“, Er lalltet folgendermaassen:
7. „daher ist der Genuss Von Nahrungsmitteln, welche von
tuberkulösen Tieren stammen und lebende Tuberkelbacillen
enthalten, für die Gesundheit des Menschen, namentlich im
Kindesalter, nicht als unbedenklich zu betrachten.
8. Eine gewissenhaft durchgeführte Fleischbeschau bietet einen
erheblichen Schutz gegen die Uebertragung der Tuberkel¬
bacillen mit dem Fleisch auf den Menschen; ausserdem be¬
steht ein Schutz in der geeigneten Zubereitung des Fleisches
(gründliches Durcbkochen oder Durchbraten).
9. Die Möglichkeit der Uebertragung von Tuberkelbacillen mit
der Milch und den Milchprodukten auf den Menschen wird
durch wirksame Bekämpfung der Tuberkulose unter dem
Rindvieh erheblich verringert. Die in der Milch ent¬
haltenen Tuberkelbacillen können durch zweckentsprechende
Erhitzung abgetötet werden.“
Es hat sich bisher noch keine Veranlassung geboten, diese
praktischen Ergebnisse abzuändern.
Im Januar 1907 erschien der zweite Interimsbericht der eng¬
lischen Kommission, aus dem zu ersehen war, dass von 60 Fällen
menschlicher Tuberkulose 14 bovine Bacillen enthielten.
Vom Kaiserlichen Gesundheitsamt wurden dann in den fol¬
genden Jahren die Arbeiten von Weber, Taute, Oehlecker,
Dieterlen, Steffenhagen, Kersten, Ungermann, Linde¬
rn ann veröffentlicht. Im ganzen erstrecken sich die bisher ab¬
geschlossenen Untersuchungen des Gesundheitsamtes auf 352 Fälle
menschlicher Tuberkulose, aus denen 511 Kulturstämme gezüchtet
wurden.
1910/11 erschienen die Untersuchungen von Park und
Krumwiede aus dem Gesundheitsamt der Stadt New York, die
sich auf 478 Fälle menschlicher Tuberkulose erstreckten, und im
Juni 1911 erschien der Schlussbericht der englischen Kommission,
der 128 Fälle menschlicher Tuberkulose umfasste.
Betrachten wir die gesamten Resultate dieser drei grössten
Kommissionen, so ist, wie es auch Woodhead von der englischen
Kommission, die Amerikaner Park und Krumwiede, ferner ein
so unparteiischer Beobachter wie Altschul-Prag betont haben,
ganz auffallend, welche Uebereinstimmung sich in den Resultaten
dieser drei Kommissionen findet, und es ist nicht recht zu ver¬
stehen, wie gerade von deutscher Seite aus wiederholt behauptet
worden ist, die Ergebnisse der englischen Kommission ständen im
Widerspruch mit denen der deutschen Kommission.
Als Beweis für die Häufigkeit der bovinen Infektion hat
Herr Geheimrat Orth die erst vor kurzem erschienene Arbeit
von Fraser angeführt, der in 63 pCt. von Knochen- und Gelenk¬
tuberkulose bovine Bacillen gefunden haben will, während in den
bisher vorliegenden Untersuchungen, namentlich von Oehlecker
und Burckhardt, dieser Prozentsatz nur 4,3 beträgt. Ich will
die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass hier örtliche
Momente und örtliche Unterschiede eine Rolle spielen können.
Aber selbst bei Berücksichtigung dieser Möglichkeit muss ver¬
langt werden, dass eine Arbeit, die von den bisher vorliegenden
Resultaten so sehr ab weicht, in jeder Beziehung beweiskräftig
und einwandfrei ist. Das ist meiner Ansicht nach die Arbeit
von Fraser, so wie sie bisher im Journal of experimental medi-
cine vorliegt, nicht. Es ist dies eine ganz summarische Mit¬
teilung ohne Beigabe auch nur eines einzigen Versuchsprotokolls,
so dass man sich jedenfalls kein eigenes Urteil bilden kann.
Für mich scheidet daher die Arbeit von Fraser zunächst ans,
zumal da lediglich die intravenöse und nicht auch die subcutane
Kaninchenimpfung Anwendung gefunden hat.
Herr Geheimrat Orth hat dann ferner die im Kaiserlichen
Gesundheitsamt bearbeitete Sammelforschung über den Genuss
von Milch eutertuberkulöser Kühe einer Kritik unterbreitet und
ihr so gut wie jede Beweiskraft abgesprochen. Die Sammel¬
forschung erstreckt sich auf 687 Personen, unter denen sich
mindestens 280 Kinder befinden. Die Personen haben zum Teil
lange Zeit und in grosser Menge Rindertuberkelbacillen mit der
Milch aufgenommen. Unter den 280 Kindern konnten nur zwei
gefunden werden, bei denen mit Sicherheit die bovine Infektion
naebgewiesen wurde. In beiden Fällen handelte es sich um
Halsdrüsentuberkulose. In beiden Fällen reichte der Genuss der
Milch der eutertuberkulösen Kuh bis in das Säuglingsalter zurück,
in beiden Fällen lag eine sehr schwere Eutertuberkulose vor,
die sich auf alle vier Euterviertel erstreckte. In beiden Fällen
wurde die Milch der eutertuberkulösen Kuh nur mit der Milch
einer zweiten Kuh, also nicht der Milch mehrerer Kühe verdünnt
In einem Falle wurde die Milch ein Jahr lang genossen, im
zweiten Falle iy 2 Jahr. In beiden Fällen sind die übrigen
Familienmitglieder, acht weitere Kinder sowie Vater und Mutter,
die ebenfalls von der Milch der eutertu berkul Wen Kuh genossen
haben, gesund geblieben.
Dass die Sammelforschung nur bedingte Beweiskraft besitzt,
habe ich gleich bei meiner ersten Veröffentlichung selbst betont,
und in dem auf dem Internationalen Kongress für Hygiene und
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UNIVERSUM OF IOWA
24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
535
Demographie in Washington September 1912 erstatteten Referat
habe ich mich darüber folgendermaassen geäussert:
„Allerdings wissen wir nicht, wieviel von den übrigen
Kindern, sowohl von den 14 verdächtigen als auch von den ganz
gesund erscheinenden, auf bovinen Bacillen beruhende tuberkulöse
Herde in ihrem Körper tragen, nnd wie sich etwa eine zurzeit
noch keine Krankheitssymptome machendo tuberkulöse Affektion
im Laufe der Jahre weiter entwickeln wird. In der weiteren
Beobachtung der dem Genuss tuberkelbacillenhaltiger Milch aus¬
gesetzt gewesenen Kinder liegt der Hauptwert der Sammel¬
forschung. Das bisher vorliegende Ergebnis stellt erst den Beginn
oder höchstens die erste Phase der Einwirkung der bovinen
Bacillen auf den menschlichen Körper dar. Nur dann, wenn es
gelingen sollte, einen grossen Teil der Personen der Sammel¬
forschung weiter zu verfolgen und womöglich durch einen Ob¬
duktionsbefund und eine genaue bakteriologische Untersuchung
sich Klarheit über etwa vorhandene tuberkulöse Veränderungen
zu verschaffen, wäre die Sammelforschung in der richtigen Weise
verwertet. Und erst dann könnte, streng genommen, das Er¬
gebnis der Sammelforschung verglichen werden mit dem Resultat,
das auf dem umgekehrten Wege, nämlich durch Feststellung der
bovinen Tuberkelbacillen auf Grund bakteriologischer Unter¬
suchung am Leichenmaterial gewonnen worden ist.“
Ein Ergebnis der Sammelforschung kann ich Ihnen aber
heute schon mitteilen, m. H., nämlich das, dass von den 280 Kindern,
die die Milch eutertuberkulöser Kühe getrunken haben, bisher
kein einziges an Tuberkulose gestorben und auch keines an einer
offenkundigen schweren Tuberkulose erkrankt ist, obwohl die Kinder
zum Teil bereits sieben Jahre beobachtet werden. Es drängt
sich mir dabei immer die Frage auf, welches wohl die Wirkung
gewesen wäre, wenn diese Kinder statt der bovinen Bacillen
menschliche Tuberkelbacillen in derselben Menge mit der Milch
in ihren Körper aufgenommen hätten. Ich kann mich des Ein¬
drucks nicht erwehren, dass in diesem letzteren Falle ein grosser
Teil der Kinder nicht mehr am Leben wäre, und dass ein weiterer
Teil bereits offenkundige Tuberkulose zeigen würde.
Abgesehen von den immerhin nicht unbeträchtlichen In¬
fektionen mit bovinen Bacillen hat Herr Geheimrat Orth für die
Bedeutung der bovinen Bacillen die Umwandlungshypotbese ins
Feld geführt. Theoretisch kann die Möglichkeit einer Umwandlung
allerdings nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden.
Meine zahlreichen eigenen Versuche auf diesem Gebiet haben mich
jedoch stets zu negativen Resultaten geführt. Ich möchte ferner
die Erfahrungen der englischen Kommission erwähnen. Die
englische Kommission neigte im zweiten laterimsreport stark der
Umwandlungsanschauung zu. Ausser einer Gruppe boviner
Bacillen und einer Gruppe humaner Bacillen stellte sie eine
dritte Gruppe auf, in der alle die Kulturstämme untergebracht
waren, welche weder zu den humanen noch zu den bovinen
passten. Die englische Kommission hat auch in diesem zweiten
laterimsreport die beiden Möglichkeiten der Erklärung für diese
dritte Gruppe aufgestellt, nämlich erstens Mischkultur beider
Typen und zweitens Uebergangskultur; sie war sich auch der
Tragweite der Entscheidung dieser Frage bewusst. In dem Schluss¬
bericht dieser Kommission fehlt diese dritte Gruppe. Die englische
Kommission hatte sich inzwischen durch Versuche davon über¬
zeugt, dass es sich beinahe bei sämtlichen Kulturen dieser Gruppe
um Mischkulturen gehandelt hat, wie solche zuerst von der deut¬
schen Kommission festgestellt worden sind.
Vielfach citiert werden die Umwandlungsversuche von Eber.
Bber ist es angeblich durch eine besondere Art der Impfung ge¬
lungen, humane Tuberkelbacillen im Rinderkörper in bovine
Bacillen umzuwandeln. Die Untersuchungen sind von Neufeld,
Dold und Lindemann im Gesundheitsamt nacbgeprüft worden
und konnten nicht bestätigt werden. Neu fei d äussert starke
Bedenken gegen die Beweiskraft der Versuche Eber’s, und auch
ein so kompetenter Forscher wie Theobald Smith teile diese
Bedenken. Immerhin sind die Versuche Eber’u äussefst wichtig,
und das Gesundheitsamt ist daher gerne der Bitte des Herrn
Professor Eber naebgekommen, noch einmal in eine Prüfung
dieser Versuche einzutreten. Die Versuche werden nach meinem
Vorschlag in der Weise' ansgeführt, dass vop demselben, vom
tuberkulösen Menschen stammenden Material, das abwechselnd in
Leipzig und hier in Berlin entnommen wird, die eine Hälfte
im Veterioärinstitut in Leipzig, die andere Hälfte bei uns im
Kaiserlichen Gesundheitsamt verarbeitet wird. Wir hoffen, auf
diese Weise zu einer Klärung der Frage zu kommen.
Auch der umgekehrten Frage, ob bovine Bacillen bei ihrem
Aufenthalt im menschlichen Körper irgendeine Veränderung, etwa
eine Umwandlung nach der humanen Seite hin zeigen, haben wir
Beachtung geschenkt. Wir haben alle diejenigen Kinder, bei
denen wir eine Halsdrüsentuberkulose oder eine Knochen- und
Gelenktuberkulose auf bovinen Bacillen beruhend naebgewiesen
haben, in ständiger Beobachtung, und ich habe mit Herrn
Steffenhagen zusammen im 11. Heft der Tuberkulosearbeiten
über einen Knaben berichtet, der seit seinem zweiten Jahre an
einer Tuberkulose des vierten Mittelhandknochens leidet. Es war
uns möglich, in der Zeit vom achten bis dreizehnten Lebensjahr
fünfmal von diesem Knaben Material zu entnehmen und Kulturen
zu gewinnen. Die Kulturen zeigten typisch bovines Wachstum.
Die Virulenz wies Schwankungen auf; aber immerhin hat der bovine
Bacillus während seines lO 1 ^ jährigen Aufenthaltes im mensch¬
lichen Körper seinen Typus beibehalten; er hat sich nicht in einen
Humanus umgewandelt.
Ferner hat Herr Geheimrat Orth darauf hingewiesen, dass
ich in der Berliner mikrobiologischen Gesellschaft die Anregung
gegeben habe, die Untersuchungen über Mutation auch auf die
säurefesten Bacillen auszudehnen. Dies ist inzwischen geschehen.
Herr Baerthlein ist mit derartigen Untersuchungen im Gesund¬
heitsamt beschäftigt, die auch bereits bei Kaltblütertuberkulose
zu ganz interessanten Resultaten geführt haben. Aber es ist Baerth¬
lein, der sich schon 2 1 /* Jahre mit Mutationsuntersuchungen
beschäftigt und der eine grosse Erfahrung auf diesem Gebiete ge¬
wonnen hat, bisher niemals gelungen, durch Mutation verwandte
Bakterien einander näher zu bringen, es hat sich vielmehr ge¬
zeigt, dass die Mutanten auf beiden Seiten zum Teil so charakte¬
ristisch und konstant sind, dass sie eher zur Trennung nahe ver¬
wandter Arten herangezogen werden können.
Als dritter für die AbmessungderBedeutung der bovinen Bacillen
in Betracht zu ziehender Gesichtspunkt ist von Herrn Geheimrat
Orth die Hypothese angeführt worden, dass eine Infektion mit
bovinen Bacillen im Kindesalter eine Disposition zur Lungentuber¬
kulose bei Reinfektion im späteren Alter schaffen könnte. Aber,
m. H., wir brauchen dazu meiner Ansicht nach die bovinen
Bacillen gar nicht. Eine leichte Infektion mit humanen Bacillen
wird denselben Effekt haben, und für solche Länder, in denen
die Phthise eine grosse Verbreitung hat, in denen Rindertuber¬
kulose aber gar nicht vorkommt, können wir ja, die Richtigkeit
der Hypothese vorausgesetzt, lediglich die humanen Bacillen dafür
in Anspruch nehmen.
Bur net hat in der letzten Zeit im Laboratorium von
Metschnikoff aus Hauttuberkulose eines 19jährigen Mannes
eine für Meerschweinchen so gut wie avirulente Tuberkulose¬
kultur herausgezüchtet. Er ist der Ansicht, dass derartige aviru¬
lente, also im Meerschweinchenversuch nicht nachweisbare Tuber¬
kulosestämme sich wohl häufiger im Menschen finden könnten,
und er meint, dass vielleicht diese Tuberkelbacillenstämme, die
unseren bisherigen Untersuchungen entgangen sind, es sein
könnten, die bei der Infektion im Kindesalter eine gewisse Wider¬
standskraft oder Immunität den Kindern verleihen.
Sie sehen, m. H., es ist noch vieles in der Tuberkulosefrage
zu klären, ln aller Ruhe können wir an die Klärung dieser
noch schwebenden Fragen herangeben, denn in der Hauptfrage,
in der Bekämpfung der Tuberkulose, sind wir uns ja, wie ich
anfangs ausgeführt habe, einig.
Aus der klinischen Abteilung der hydrotherapeutischen
Universitäts-Anstalt 5 zu Berlin (Leiter: Geh. bat Prof.
Dr. L. Brieger).
Die Stauungsreaktion bei Arteriosklerose.
Von
f Dr. Carl Hertzeil, Assistent.'
Vor etwa einem halben Jahre begann ich zu untersuchen, in¬
wieweit sich der Blutdruck durch Verkleinerung des Kreislauf¬
querschnitts, wie es etwa durch vorübergehende Abschnürung von
Gliedmaassen geschehen kann, künstlich beeinflussen lässt. Bei
diesen Versuchen stiess ich auf bemerkenswerte Unterschiede in
dem Verhalten normaler Individuen und Arteriosklerotiker, die
mir für die Diagnostik der Arteriosklerose und überhaupt für
die Funktionsprüfung der Arterienwandungen von Bedeutung zu
3*
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UMIVERSITY OF IOWA
536
Nr. 12.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sein scheinen, und die ich darum in folgendem kurz beschreiben
möchte.
Die Versuchsanordnung wurde so getroffen, dass dem im Bette
liegenden Untersuchten um jede Extremität eine Gummimanscbette nach
Recklinghausen gelegt wurde. Während nun die Manschette des
einen Armes zu der üblichen Blutdruckmessung verwandt wurde, dienten
die drei anderen lediglich zu dem Zwecke, durch Herstellung eines den
Blutdruck des Individiums beträchtlich übersteigenden Luftdruckes in
ihnen die Circulation in der betreffenden Extremität plötzlich völlig
unterbrechen zu können. Da die Unterbrechung der Circulation aut
diese Weise nahezu schmerzlos und ohne jede Beunruhigung des Unter¬
suchten erfolgen kann, waren so alle psychischen und sonstigen Reiz¬
momente, die bekanntermaassen auf den Blutdruck von Einfluss sind,
nach Möglichkeit ausgeschaltet. Die weitere Untersuchung ging dann
in der Weise von statten, dass zunächst an einem Arm der Anfangsblut¬
druck festgestellt wurde. Hierauf pumpte ein Gehilfe in die Manschetten
der drei noch freien Extremitäten mittelst einer dreiteiligen Schlauch¬
verbindung Luft ein, und nachdem so der Kreislauf in ihnen völlig unter¬
brochen war, wurde während der folgenden drei Minuten das Verhalten
des Blutdrucks kontrolliert. Hierbei wurde der in den zur Stauung ver¬
wandten Manschetten herrschende Blutdruck mit Hilfe eines zweiten
Manometers beobachtet, während die Säule des zur Blutdruckmessung
dienenden Manometers dauernd auf einer dem jeweiligen Blutdruck nahe
kommenden^Höhe erhalten wurde.
Abbildung 1.
Die fortlaufende Kontrolle des Blutdrucks geschah in folgender
Weise: Anstatt des sonst zur Riva-Rocci’schen Blutdruckmessung ge¬
brauchten Gumraigebläses brachten wir eine kleine Sauerstoffbombe 1 )
(s. Abbildung 1) zur Anwendung, deren Hahn vor dem Versuche derart
eingestellt wurde, dass er fortdauernd nur eine geringe Luftmenge zum
Apparat einströmen liess, die gerade hinreichte, die Quecksilbersäule bei
geschlossenem Manometerventil langsam steigen zu lassen. Oeffnet man
jetzt das Manometerventil, so fällt die Quecksilbersäule herab, während
sie sich bei einer gewissen Mittelstellung des Ventils gerade auf ihrer
Höhe hält. Man ist also jetzt in der Lage, während der ganzen Dauer
des Versuches allein durch ständiges Anziehen und Wiedernachlassen
der Ventilschraube des Manometers die Quecksilbersäule immer wieder¬
holt den augenblicklichen Blutdruckspunkt in steigender und fallender
Richtung überschreiten zu lassen, wobei die jeweilige Höhe desselben
notiert wird. Wir bestimmten hierbei für unsere Zwecke den systolischen
Blutdruck mittelst Auscultation der Töne der Cubitalarterie nach
Korotkow 2 ) und Fellner 8 ). Um zu verhindern, dass bei fehlerhafter
Ventilstellung oder bei plötzlichen Muskelkontraktionen des Patienten
das Quecksilber aus dem Apparat geschleudert wird, Hessen wir an
unsere; Manometer je einen kleinen, im oberen Teile, dicht neben der
EinmünduDgsstelle des Manometerrohres, mit einer Oeffnung versehenen
gläsernen Schutzbehälter (s. Abbildung 1) anblasen, in dem sich bei ein¬
tretendem Ueberdruck das Quecksilber ansammelt, worauf es durch Um¬
kehren des Apparates leicht zurückgebracht werden kann.
Die beschriebene Versuchsanordnung hat den Vorteil, dass die bei
Anwendung des Gummigebläses wegen des ruckweisen Einströmens der
Luft unvermeidlichen groben Schwankungen der Quecksilbersäule hierbei
gänzlich fortfallen, und dass sich die Veränderungen des Blutdrucks mit
grösster Präzision längere Zeit hindurch fast kontinuierlich verfolgen lassen.
Bei diesen Untersuchungen ergab sich nun ein ganz auffälliger
Unterschied in dem Verhalten des Blutdrucks bei Individuen mit
--— ' *
1) Bezogen von der Oxygenia G. m. b. H., Berlin N., Schiffbauer-
daram.
2) Wratschebnaja Gaseta, 1906, Nr. 5 u. 6.
3) Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin, 1907, Bd. 24,
S. 404.
normalem Gefässystem und bei solchen, die im übrigen Zeichen
von arteriosklerotischen Gefässveränderungen darboten, wie das
Beispiel der nachstehenden beiden Kurven eineB Normalen und
eines Arteriosklerotikers zeigt (Abbildung 2 und 3).
Abbildung 2.
Beginn der Schluss der
Stauung Stauung
Abbildung 3.
Beginn der Schluss der
Stauung Stauuug ,
Ein Blick auf die Kurve des Arteriosklerotikers zeigt, dass
hier unmittelbar im Anschluss an den Beginn der Stauung ein
erheblicher Anstieg des Blutdruck einsetzte, dass der Blutdruck
mit dem Aufhören der Stauung sogleich unter die anfängliche
Höhe herabfiel, um dann allmählich zur Norm zurückzukehren.
Vergleichen wir hiermit die Kurve des normalen Mannes, so
ergibt sich, dass die Stauung bei ihm zwar im selben Sinne ge¬
wirkt hat wie beim Arteriosklerotiker, dass aber der Grad des
Blutdruckanstieges bei weitem geringer ist, dass mit anderen
Worten die regulatorische Funktion seines Gefässsystems die durch
die Stauung gesetzte Alteration des Kreislaufs mehr oder weniger
ausgeglichen hat.
Ueber den wesentlichsten Teil der Kurve, nämlich den
höchsten überhaupt durch die Stauung innerhalb drei Minuten er¬
zielten Blutdruckanstieg geben die folgenden beiden Tabellen
Auskunft* welche die an 30 normalen Fällen und 16 Arterio-
sklerotikern gemachten Beobachtungen enthalten.
Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass der Anstieg bei den nor¬
malen Fällen maximal 10 mm, im Durchschnitt nur 6 mm be¬
trug. Bei Arteriosklerose dagegen Erreichte der Anstieg im
Maximum 60, im Durchschnitt 27 mm, d. h. die Drucksteige¬
rung bei Arteriosklerose war durchschnittlich fünfmal
so hoch als bei den normalen Fällen.
Ein Abfallen des Druckes an Stelle des Anstieges wurde bei
den normalen Fällen nur zweimal beobachtet (Fall 8 und 18).
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24. März 1913.
BERLINER KLIN ISCHE WOCHE NSCHRIFT.
537
Tabelle 1.
(Normale Fälle.)
Nr.
Name und Alter
Datum
Anfangs-
blutdrock
mm Hg
An¬
stieg
mm
1
Mi.
41 Jahre
8. XI. 1912
115
10
2
Wi.
18
9. XII. 1912
100
2
3
Ba.
29
15. I. 1913
115
7
4
Ila.
21
18. I. 1913
105
5
5
Dr.
55
18. I. 1913
138
5
6
Frl. Kr.
24
21. L 1913
90
8
7
Fa.
49
22. I. 1913
106
2
8
Gr. W.
13
23. I. 1913
110
— 2
9
Fr. R.
35
23. I. 1913
95
7
10
Frl. Wi.
27
25. I. 1913
126
2
11
Fr. Sch.
46
25. I. 1913
104
4
12
- Ku.
41
25. I. 1913
112
10
13
Ma.
48
8. II. 1913
150
6
14
Wa.
45
13.11. 1913
135
5
15
An.
30
13.11. 1913
102
2
16
Hä.
29
13. II. 1913
118
6
17
Frl. K.
29
15.11. 1913
108
2
18
Frl. Gr.
15
15.11. 1913
115
— 1
19
Ja.
25
9
17. II. 1913
125
7
20
Dei.
40
9
17.11. 1913
120
6
21
Ro.
48
9
18.11. 1913
108
9
22
Ze.
68
9
19.11. 1913
102
4
23
Wa.
29
19. II. 1913
104
6
24
Bau.
44
9
21.11. 1913
126
5
25
Kr.
44
21.11. 1913
136
4
26
Gd.
37
22. II. 1913
104
2
27
He.
44
22. II. 1913
92
6
28
Mei.
63
8. III. 1913
110 j
6
29
Ku.
28
9
11. III. 1913
128
6
30
Ka.
27
»
11.III. 1913
116
4
Tabelle 2.
(Arteriosklerosen.)
Nr.
Name und Alter
Datum
Anfangs¬
blutdruck
Anstieg
Korri¬
giert
mm Hg
mm
1
We.
52 Jahre
8. XI. 1912
125
1
25U
38
2
Br.
56
6. XII. 1912
190
40«)
60
3
do.
8. III. 1913
195
19
57
(nur 1 Arm
gestaut!)
4
Kr.
57
15. I. 1913
122
20»)
30
5
do.
25. I. 1913
128
30
30
6
Fr. Br.
58
n
5. II. 1913
160
24
24
7
De.
85
»
6. II. 1913
120
28
28
9
do.
18.11. 1913
120
30
30
10
Be.
44
9
14.11.1913 !
110
12*)
18
11
Ru.
59
9
17.11.1918
102
8
8
12
Bo.
68
9
17.11.1913 1
165
19i)
29
13
Sch.
60
9
20.11.1913 j
158
10»)
15
14
We.
61
9
24.11.1913 1
124
20
; 20
15
Fr. Mi.
43
n
28.11.1913
134
24
24
1) Die mit 1 ) bezeichneten Werte sind niebt unter totaler Stauung
gemessen (2 Beine und 1 Arm), sondern unter Stauung yon nur 1 Arm
und 1 Bein. Um mit den übrigen Zahlen vergleichbare Resultate zu er¬
halten, wurden sie daher noch mit 1,5 multipliziert (siehe letzte Spalte
der Tabelle).
Hier handelte es sich in beiden Fällen nm ängstliche Kinder,
bei denen der psychische Faktor der Angst wahrscheinlich die
Drncksenkung verursacht hat.
Unter den Fällen von Arteriosklerose waren zwei, bei denen
eine Blutdrucksteigerung von nur 15 und 8 mm Hg eintrat. In
einem dieser beiden Fälle handelte es sich am einen über¬
standenen apoplektischen Insult. Der hohe Anstieg des Blut-
. drucks nach Unterbrechung der Circulation in den Extremitäten
bat also keineswegs als eine Regel ohne Ausnahme für die
Arteriosklerose zu gelten.
Wesentlich ist es dagegen, dass wir den abnorm hoben Blut-
druekanstieg in keinem einzigen Falle beobachtet haben, der
nicht objektive Zeichen von Arteriosklerose dargeboten hätte, und
interessant ist es ferner, dass ein hoher Anstieg des Blutdrucks
bei dieser Untersuchungsart keineswegs etwa immer mit einem
im allgemeinen bestehenden hohen Blutdruck zusammenfällt, wie
unter anderem das Beispiel der Fälle 4 und 13 (Tabelle 2) zeigt,
wo gerade das Umgekehrte der Fall ist.
Was nun die Ursache dieses auffallend hohen Blutdruck¬
anstieges bei Arteriosklerose aubetrifft, so könnte mau hierbei
an reflektorisch wirksame, den Tonus der Gefässmuskulatur ver¬
ändernde Nerveneinflüsse denken. Ohne das Mithineinspielen der¬
artiger Vorgänge gänzlich in Abrede stellen zu wollen, sind wir
aber doch der Ansicht, dass es sich hier vorwiegend um Vor¬
gänge rein physikalischer Natur handelt. Betrachtet man nämlich
die Verbindung der Arterien, Capillaren und Venen als ganzes,
so stellt sich der grosse Kreislauf dar als ein System parallel
geschalteter Röhren, die einerseits in die Aorta, andererseits
in die beiden Hohlvenen ausmünden. Durch dieses Röhrensystem
hindurch vollzieht sich dauernd der Ausgleich der durch die
Herzarbeit immer auf gleicher Höhe erhaltenen Druckdifferenz
zwischen Aorta und Vena cava. Wird jetzt plötzlich ein Teil
dieser parallel geschalteten Röhren durch Kompression unpassier¬
bar gemacht, wie in unserem Falle die Gefässe der Extremitäten,
während die Menge der in der Zeiteinheit vom Herzen beförderten
Blutmenge annähernd die gleiche bleibt, so kann nur zweierlei
eintreten. Entweder erweitern sich andere, nicht von der Kom¬
pression betroffene Gefässe derart, dass der Widerstand des
ganzen Systems derselbe bleibt wie vorher, und der Blutdruck
behält seine Höhe, oder aber der Blutdruck steigt so lange, bis
trotz der reduzierten Stromwege dieselbe Blutmenge vom arteriellen
in das venöse System geworfen wird wie vorher. Unsere Beob¬
achtungen des Blutdrucks weisen darauf hin, dass beim Gesunden
vorwiegend die erste Art des Ausgleichs stattfindet, während der
Arteriosklerotiker, dessen Gefässe die Fähigkeit der kompensa¬
torischen Erweiterung mehr oder weniger verloren haben, mit
abnormem Blutdruckanstieg auf die Unterbrechung der Circulation
in deu Extremitäten reagiert. Nach dem Gesagten ist es aber
klar, dass der hohe Blutdruckanstieg nur dann zur Beobachtung
kommen kann, wenn die Arteriosklerose entweder total geworden
ist oder doch gerade solche Gefässgebiete ergriffen hat, die für
die kompensatorische Erweiterung vorwiegend in Betracht kommen,
was die Zahlen der obigen Tabelle bestätigen.
Die Anwendung der hier beschriebenen Stauungsreaktion für
die Diagnose der Arteriosklerose uud der Gefässfunktionen über¬
haupt könnte dem Einwande begegnen, dass es seine Bedenken
habe, einen in vielen Fällen schon ohnehin durch seinen hohen
Blutdruck gefährdeten Patienten einer weiteren Blutdrucksteigerung
zu unterwerfen. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, dass es in
der Praxis keineswegs notwendig ist, die Stauung an sämtlichen
Extremitäten gleichzeitig vorzunehmen. Es genügt vielmehr, für
den Anfang nur einen Arm oder ausserdem noch ein Bein zu
stauen. Die erhaltenen Anstiegwerte sind dann entsprechend
kleiner, aber man hat es so in der Hand, den Untersuchten
keiner höheren Steigerung des Blutdrucks zu unterwerfen, als er
sie auch im täglichen Leben bei Muskelanstrengung usw. zeit¬
weilig zu ertragen hat. Auch in unserer obigen Tabelle haben
wir bei Arteriosklerotikern die Drucksteigerung meist nicht bis
zum äussersten getrieben, sondern teilweise nur einen Arm oder
1 Arm -f- 1 Bein gestaut. Um mit der Totalstauung (2 Beine -f-
1 Arm) annähernd vergleichbare Werte zu bekommen, multi¬
plizierten wir dann die erhaltenen Zahlen mit den empirisch er¬
mittelten Werten 3 bzw. 1,6.
Was die Grenze zwischen dem normalen und dem patho¬
logischen Blutdruckanstieg betrifft, so lässt sich dieser Wert aus
der relativ geringen Zahl der bis jetzt von uns vorgenommenen
Untersuchungen noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Er scheint
um 12 mm Hg zu liegen, doch muss seine genaue Festlegung
noch weiteren in grösseren Versuchsreihen vorzunehmenden Nach¬
prüfungen Vorbehalten bleiben.
Schlusssätze.
1. Unterbricht man bei einem ruhenden Patienten die Blut-
circulation in beiden Beinen und einem Arm vollständig durch
pneumatische Kompression, so tritt ein am anderen Arm zu
messender Anstieg des Blutdrucks ein (Stauungsreaktion), der ;
bei normalem Gefässsystem durchschnittlich 6 mm Hg beträgt,
bei Arteriosklerotikern dagegen bis zu 60 mm und mehr er¬
reichen kann.
2. Wir efblicken die Erklärung für diesen abnorm hohen
Anstieg des Blutdrucks darin, dass das arteriosklerotisch ver¬
änderte Gefässsystem die dem normalen eigene Fähigkeit mehr
oder weniger eingebüsst hat, sich in anderen nicht komprimierten
Abschnitten des Kreislaufs kompensatorisch zu erweitern, woraus
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UNIVERSUM OF IOWA
538
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
bei im übrigen unveränderten Kreislaufverhältnissen ein Blut¬
druckanstieg resultieren muss. Im Einklang damit steht es, dass
der abnorme Blutdruckanstieg nicht in allen Fällen von Arterio¬
sklerose in gleicher Weise auftritt, da seine Höhe naturgemäss
davon abbttngen muss, ob di« Arteriosklerose total oder partiell
ist, und we che Teile des Gefässsystems im speziellen davon be¬
fallen sind.
8. Dagegen sehen wir in dem positiven Ausfall der Stauungs¬
reaktion, d. h. der ausgesprochenen Steigerung des Blutdruck¬
anstiegs unter allen Umständen den Beweis für eine pathologische
Veränderung der Gefässwandungen im Sinne einer grösseren
Rigidität (Arteriosklerose) und betrachten ihr Auftreten im be¬
sonderen als eine Indikation, hydriatische Prozeduren, die grössere
Anforderungen an die regulatorischen Funktionen des Gefä*s
Systems stellen (kalte Duschen, Lichtbäder u. dergl.) entweder
ganz zu vermeiden oder doch nur mit grosser Vorsicht zu
gebrauchen.
Aus Dr. E. Tobias’ Institut für physikalische Heil¬
methoden und der Poliklinik für Nervenkrankheiten
von Dr. K. Mendel und Dr. W. Alexander in Berlin.
Ueber die praktische Bedeutung der Hoch¬
frequenzbehandlung (d’Arsonvalisation) — ins¬
besondere bei inneren und Nervenkrankheiten.
Von
Dr. Ernst Tobias-Berlin.
Etwa zwei Jahrzehnte sind verflossen, seitdem Nicola Tesla
und d’Arsonval die Hochfrequenzströme in die Therapie ein¬
geführt haben und von französischen Autoren die ersten
enthusiastischen Berichte über damit erzielte Erfolge nach Deutsch¬
land herüberkamen. Um die Jahrhundertwende veröffentlichten
dann Eulenburg, Toby Cohn, Kindler u. a. das Resultat
ihrer Nachprüfungen, und ich erinnere mich noch sehr wohl der
Versuche, die Kindler auf der Gol dscheider’scben Abteilung
im städtischen Krankenbause Moabit zu Berlin angestellt hat, die
ebenso wie die der genannten anderen Autoren fast durchweg
negativ verlaufen sind.
Die Hochfrequenztherapie bat danach einige Zeit in Deutsch¬
land geruht, bis unsere tberapiefreudige Zeit sie wieder zu neuem
Leben erweckte und sie, wenn wir nach der vorliegenden statt¬
lichen Literatur urteilen, mit mehr Aussicht auf Dauerhaftigkeit
und Bestand wieder eioführte, als es nach den ersten Veröffent¬
lichungen den Anschein hatte. Die wissenschaftliche Beschäftigung
mit dem neuen Zweige der Therapie hat auch zu ihrem Ausbau
geführt, indem v. Zeynek und Nagelschmidt die auch als
Trans- bzw. Diathermie bezeichnete Thermopenetrations-
behandlung inaugurierten, über die ebenfalls bereits zahlreiche
Publikationen vorliegen. So aussichtsreich dieselbe nach den
Mitteilungen der Literatur erscheint, das letzte Wort ist noch
nicht gesprochen, ob das Indikationsgebiet der Thermopenetration
wenigstens für innere und Nervenkrankheiten so umfangreich ist,
ob es so weit ausgedehnt werden darf, wie man heutzutage viel¬
fach annimrat.
Auf die ausserordentlich grosse Literatur der Hoch¬
frequenztherapie selbst näher einzugeben liegt nicht in meiner
Absicht. In den verschiedenen Arbeiten von A. Laqueur, Braun¬
warth und Fischer usw., in der Inauguraldissertation von
Lothar Wolf ist die historische Entwicklung der ganzen Behand¬
lung sowie die gesamte Literatur so genau angegeben worden,
dass es genügt, auf diese Autoren zu verweiseo. Auch die Ent¬
stehung und Art der Ströme selbst, ihr „Prinzip“ und Instru¬
mentarium ist in ihnen so genau geschildert, dass eine Wieder¬
holung sich im wesentlichen erübrigt.
Was für die Praxis vornehmlich von Interesse ist, ist die
Frage, ob die neuzeitigen Erfahrungen die Wiederaufnahme der
noch vor einem Jahrzehnt abgelehnten Therapie rechtfertigen, ob
wir überhaupt mit ihr Erfolge erzielen, und ob wir in der Lage
sind, zu entscheiden, worauf eventuelle Erfolge beruhen bzw. in¬
wieweit es bich nur um suggestive Einwirkungen handelt, ob wir
die Hochfrequenzbehandlung mit Fug und Recht als wirkliche und
wirksame Bereicherung unseres Behandlungsschatzes anzusprecben
berechtigt sind.
Die Hocbfrequenzbehandlong gelangt in verschiedener Weise
zur Anwendung. Ich seihst bediene mich, wie auch viele andere
Autoren, der ursprünglichen Methodik der d’Arsonvalisation und
wende die Hochfrequenzströme allgemein und lokal bzw. kombiniert
an. Die allgemeine Anwendung im Solenoid, die „Auto¬
konduktion“, wird seit Wiederaufnahme der therapeutischeu
Versuche vielfach weniger hoch geschätzt als die I.okalbebandlung,
die wir mono- oder bipolar ausfübren. Wir bedienen uns dazu
entweder der Kondensatorgraphitelektrode, die in die Nähe
der zu behandelnden Körperstelle gebracht oder direkt auf sie
aufgelegt wird, je nachdem wir Funken überspringen lassen
wollen oder nicht, oder der Effluvien, bei deneu wir ähnlich
wie bei der Franklin’schen Dusche kleinste oder grössere Funken
überspringen sehen. Eine eigene — wohl nicht spezifische —
Indikation der lokalen Behandlung beruht auf der Erzeugung
peripherer Reize durch Funkenentladungen. Zur Behand¬
lung von Hautaffektionen benutzen wir dann noch evakuierte
Glasröhren.
Neben dieser allgemein üblichen Methodik der d’Arsonvali¬
sation sind dann noch zwei Arten der Behandlung angegeben
worden, über die erst Braunwarth und Fischer in jüngster
Zeit wieder näher berichtet haben.
So berichtet zunächst Rumpf an wiederholten Stellen über
seine Methodik der Behandlung von Herzkrankheiten mit oscil-
lierenden Strömen. Die Anwendung geschieht in der Art, dass
der eine Pol in eine überzogene Metallelektrode geleitet und auf
diese oder ein dazwischengeschobenes Brett die beschuhten Füsse
gesetzt werden; die zweite Elektrode ist eine mit Staniol gefüllte
Glasflasche mit dünnem Boden. Diese Glasflasche, bei deren Auf¬
setzen die hochgespannten Ströme in oscillierende umgewandelt
werden, wird labil und stabil über die entblößte Herzgegend ge¬
führt, jeweils auch eine Minute zwei- bis dreimal in deo Nacken
gesetzt. Rumpf hat mit seiner Methode recht gute praktische
Erfolge erzielt, und zwar vor allem bei einfacher Dilatation des
Herzens ohne Arteriosklerose, aber auch bei Komplikation mit
Arteriosklerose. Herzdilatation und Herzhypertrophie bei Schrumpf¬
niere wurden nicht gebessert, unsicher war der Erfolg bei nervösen
Herzleiden. Rumpf fasst seine Erfahrungen dahin zusammen,
dass die hochgespannten oscillierenden Ströme auf die Muskulatur
des Herzens und der Gefässe stark tonisierend wirken und daher
bei manchen Fällen von Insuffizienz des Circulationsapparates
Nutzen zu schaffen geeignet sind. Braunwarth und Fischer
konnten in ihren Nachprüfungen die Erhöhung des Tonus durch
die Rumpf’sche Methode bestätigen; sie ist aber spezifisch zur
Druckerhöhung nicht benutzbar, die nach der Ansicht der beiden
Autoren lediglich die Folge von äusseren Momenten ist.
Endlich muss noch die Diathermiemethode erwähnt werden,
der sich Schittenhelm, Rautenberg usw. in ihren bekannten
Untersuchungen bedienen. Schittenhelm hat dazu das Kon¬
densatorbett angegeben. Braunwarth und Fischer fanden,
dass die Diatbermiemethode den erhöhten Tonus mehr und
konstanter herabsetzt als die d’Arsonvalisation, und dass sie ein
allmähliches Absinken desselben bei geeigneten Fällen im Laufe
der Behandlung erkennen lässt.
So viel zur Technik und Art des Verfahrens. Die Appli¬
kation selbst wird von allen Autoren einstimmig als ungefährlich
bezeichnet. Die subjektiven Empfindungen sind unerheblich.
Die im Solenoid allgemein behandelten Patienten fühlen zuweilen
ein leichtes Ziehen in den Unterarmen, welches von manchen als
einem milden faradischen Kribbeln ähnlich bezeichnet wird. Nach
Schluss der Solenoidbehandlung tritt sehr häufig ein allgemeines
Müdigkeitsgefühl mit Bedürfnis nach Ruhe ein. Bei Patienten,
welche zur Ermüdung disponieren, wie vor allem bei Tabikern,
schweren Neurasthenikern, die alles angreift, bei Hysterischen
steigert sich die Müdigkeit zu momentanem Schlafbedürfnis. Es
ist deshalb unbedingt notwendig, dass man Patienten nach Solenoid-
bebandlung ruhen lässt. Auf Zuwiderhandlungen sieht man leicht
Störungen des nervösen Gleichgewichts — ein Beweis dafür, dass
das Verfahren nicht als absolut indifferent angesehen werden
kann. Etwasanders verhalten sich die subjektiven Empfindungen
bei der lokalen Hochfrequenzbehandlung. Besonders die Effluvien
werden — nicht nur von ängstlichen Neurasthenikern — oft als
nicht angenehm empfunden, über Brennen oder Stechen geklagt.
Etwas milder wirkt die evakuierte Glasröhre, am wenigsten
störend die Kondensatorgrapbitelektrode. Durch langsames Ein¬
schalten oder — bei der evakuierten Glasröhre und der Kon¬
densatorgraphitelektrode — durch Aufsetzen vor der Einschaltung
lassen sich die unangenehmen subjektiven Empfindungen sehr
reduzieren. Hautschädigungen habe ich nie gesehen.
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UMIVERSITY OF IOWA
24. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
539
Wenden wir uns nach Schilderung der subjektiven Beob¬
achtungen zu den objektiven Ergebnissen der Hochfrequenz¬
therapie, so müssen wir davon ausgehen, dass für die Praxis nur
diejenigen Faktoren in Frage kommen, welche durch das Experi¬
ment oder durch die klinische Forschung bzw. die Erfahrungen
der Praxis als erwiesen angesehen werden können. Wenn von
französischer Seite hervorgehoben wird, dass sich die Behandlung
dadurch empfiehlt, dass sie den Stoffwechsel erhöht, so hat diese
Empfehlung für die Praxis wenig Bedeutung, weil die klinischen
Unterlagen dafür fehlen. Im Vordergründe der Beeinflussung
steht zweifellos die Einwirkung auf den Blutdruck, und
zwar wird der erhöhte Blutdruck erniedrigt, was nach Bonnefoy
durch Erweiterung der peripheren Gefässe herbeigeführt wird.
Ich stimme mit A. Laqueur sowie mit Braunwarth und
Fischer ganz darin überein, wenn ich als Bedingung für die
Blutdruckerniedrigung pathologisch gesteigerten Blutdruck fordere.
Die Grenzen, in denen es gelingt, ihn herabzusetzen, sind ausser¬
ordentlich variabel, ohne dass es gelingt, von Fall zu Fall be¬
friedigende Erklärungen anzuführen, warum einmal unter an¬
scheinend ungünstigsten Verhältnissen das Quecksilber ganz
erheblich sinkt, warum uns dies in einem anderen Falle miss¬
lingt, der nach den vorliegenden Erfahrungen geradezu ein Proto¬
typ für die Wirksamkeit der Hochfrequenzströme zu sein schien,
ln dieser unter anderem auch von F. Kraus betonten Unberechen¬
barkeit der Wirkung liegt meines Erachtens noch ein schweres
Hemmnis für die methodische Anwendung der ganzen Therapie
und eine Waffe für die allerdings geringer gewordene Anzahl
von Gegnern, welche nur suggestive Wirkungen der Behandlung
einräumen. An der Unbestimmbarkeit liegt auch mit Wahr¬
scheinlichkeit manche Differenz in den Anschauungen einiger
Autoren: Wenn z. B. Lothar Wolf meint, dass exzessiv hohe
Drockwerte, etwa über 180 mm, sich gewöhnlich der Behandlung
gegenüber refraktär zeigten, oder wenn der Blutdruck bei ihnen
nur vorübergehend herabgesetzt wurde, so kann ich ihm manche
klinischen Fälle entgegenhalten, welche bei exzessiv hohem Blut¬
druck sehr günstig beeinflusst werden konnten. Die Frage der
Blutdrucknntersuchung ist durch die Hocbfrequenzbehandlung
auch wieder zur Diskussion gestellt worden, und Braunwarth
und Fischer haben in dankenswerter Weise sich an ihr beteiligt.
Nach Ansicht dieser beiden Autoren ist der Blutdruck eine so
variable Grösse, dass man in der Beurteilung therapeutischer
Einflüsse auf ihn sehr vorsichtig sein muss. Ein Gedanke, ein
Unlustgefühl erhöht ihn bzw. verhindert seine Erniedrigung.
Ruhe setzt ihn herab. Aus diesem Grunde messen ihn Braun-
warth und Fischer so lange, bis er auf einer gewissen Höhe
8tehengeblieben ist. Sie geben dabei ganz kolossale Differenzen
in Zahlen an und verlangen Kautelen, welche die praktische
Handhabe überaus erschweren. Der Patient müsse bequem dabei
sitzen oder liegen, jede Unterhaltung, speziell über den Gesund¬
heitszustand vermeiden. . . Von Vorteil wäre, wenn zwei die
Untersuchung ans teilten, um möglichst objektiv sein zu können. .
Um zu einem brauchbaren Resultat zu gelangen, müsse man eine
halbe Stunde warten, bevor man mit der Untersuchung beginne. .
So sehr ich nun Braunwarth und Fischer in ihrem Verlangen
nach Exaktheit beipflichte, mit der Fülle der Bedenken und
Kautelen graben sie der Methode das Grab. Mit ihnen ist der
Praktiker ausserstande, von ihr Gebrauch zu machen. Das ist
sehr bedauerlich, denn die Blutdruckuntersuchung ergänzt nicht
nur io wertvollster Weise unsere diagnostischen Untersuchungs¬
methoden, sondern in vielen Fällen leitet sie der Verdacht erst
iu richtige Bahnen. Bei einigermaassen Vorsicht, bei einer ge¬
wissen Routine und vor allem bei Kontrolluotersuchungen, zu
denen es keineswegs kollegialer Hilfe bedarf, gelingt es, durch¬
aus brauchbare Resultate zu erhalten, ohne dass grosse Kosten
oder eingehende Literaturkenntnisse dazu erforderlich wären.
Neben der Erniedrigung des Blutdrucks wird auch von einigen
Autoren auf eine Verkleinerung der Pulsamplitüde durch die
Hochfrequenzbehandlung hingewiesen. Des weiteren wird der¬
selben auch ein Einfluss auf Herzdilatationen zugeschrieben,
der unabhängig von der Methodik (BraunwaVth und Fischer)
wiederholt angegeben worden ist.
Neben dieseu Beeinflussungen, welche speziell dem cardio-
vasculären System zugute kommen, übt die Hochfrequenztherapie
nach übereinstimmender Angabe der Autoren in hervorragender
Weise eine sedative Wirkung aus, welche das Indikations¬
gebiet wesentlich vergrössert hat. Dieser sedative Effekt kann
nun wiederum einerseits durch das Solenoid allgemein erzielt
werden, andererseits benutzt man die lokale Anwendung zur
Linderung lokalisierter Schmerzen. Neurologie und Dermatologie
machen von dieser Art der Wirkung der Ströme ausgiebigen Ge¬
brauch.
Durch die Hochfrequenzbehandlung wird dann weiter, worauf
vor allem A. Laqueur hingewiesen hat, die Atmung erleich¬
tert und vertieft, und zwar soll diese Wirkung bereits in der
ersten Sitzung eintreten und anhalten.
Sind die subjektiven und objektiven Wirkungen der
Hochfrequenztherapie somit ziemlich mannigfaltig, so kann es
nicht wundernehmen, dass eine grosse Menge von Indikationen
aufgestellt worden sind, in denen sie nach Angabe der Autoren
in wirkungsvoller Weise zur Anwendung gelangen darf. Der
Enthusiasmus der ersten Zeit hat eine Fülle von Erkrankungen
nominiert, in denen allen die Hochfrequenzströme von Wert sein
sollen. Nach Toby Gohn hat man sie bei folgenden Krank¬
heiten empfohlen:
1. Stoffwechselkrankheiten: Gicht, Diabetes, Fettsucht, Asthma,
Gallen- und Nierensteine, Rheumatismus, Blutarmut, bös¬
artige Tumoren.
2. Hautkrankheiten: Ekzem, Acne, Furunkulose, Herpes, Pso¬
riasis, Lichen ruber, Lupus, Erythema exsudativum. . .
3. Bei nervösen Symptomen: Neuralgien (namentlich Ischias),
tabischen Schmerzen, auch Krisen, Meralgia paraaesthetica,
Hermikranie, Cephalalgie, Obrgeräusehen, Magenatonie,
nervösen Herzbeschwerden.
4. Zur Herabsetzung des Blutdruckes bei Arteriosklerose bzw.
Präsklerose oder ähnlichen Zuständen.
5. Bei Erkrankungen der Urogenitalsphäre bei beiden Ge¬
schlechtern, Hämorrhoiden, Fissura ani.
6. Lungen-, Knochen-, Gelenk-, Drüsentuberkulose.
Toby Cohn ist völlig im Recht, wenn er gegenüber diesen
Empfehlungen zu grösster Skepsis rät. Die kritischen Nach¬
prüfungen haben denn auch die Mehrzahl der Indikationen weg¬
gefegt, und der Eindruck lässt sich nicht leugnen, dass im Laufe
der Zeit — wenigstens im Hinblick auf innere und Nervenkrank¬
heiten — eine weitere Einschränkung platzgreifen wird. Erst
dann wird man hoffen dürfen, dass der gute Kern der Hoch¬
frequenzbehandlung sich die Geltung erringen wird, die ihr bei
kritischer Beobachtung zukommt.
Was an Indikationen übrig geblieben ist, betrifft ausser
Hautaffektionen, bei welchen die Behandlung (z. B. beim
Pruritus, bei Frostbeulen usw.) zweifelsohne erfolgreich ist:
1. Die Erkrankungen des cardiovasculären Systems.
Verschiedene Autoren haben darauf hingewiesen, dass ein¬
fache Herzerweiterungen auf lokale d’Arsonvalisation der Herz¬
gegend zurückgehen bzw. zurückgehen können. Die Kardinal¬
indikation der Hochfrequenztherapie sind aber die mit Blutdruck-
erhöbung einhergehenden Erkrankungen des cardiovasculären
Systems. Im Vordergründe der Indikationen steht die Huchard-
sche Präsklerose, gegen welche die Kombination von all¬
gemeiner und lokaler Hochfrequenzbehandlung zu empfehlen ist.
Dabei ergibt sich nicht selten die Beobachtung, dass Fälle, die
sich den Hochfrequenzströmen gegenüber refraktär verhalten,
einen progredienten Charakter zeigen und auch in ihrem sub¬
jektiven Befinden nicht günstig oder nur unbedeutend beeinflusst
werden. Ueber die Anwendung bei ausgesprochener Arterio¬
sklerose selbst lauten die Anschauungen der Autoren nicht
gleichmässig. Mit Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, dass
arteriosklerotische Erkrankungen, bei denen der Blutdruck erhöht
und der Prozess nicht allzu weit vorgeschritten ist, oft noch sehr
günstig zu beeinflussen sind. Das Allgemeinbefinden bessert sieb,
das Nervensystem wird ruhiger, desgleichen der Schlaf, und auch
die diffusen rheumatoiden Beschwerden, über die Arteriosklerotiker
nicht selten klagen, werden unter systematischer Solenoidtherapie
milder. In vielen Fällen dieser Art ist die Allgemeinbehandlung
der lokalen Applikation vorzuziehen. Patienten mit schweren
arteriosklerotischen Störungen und markanten anatomischen Ver¬
änderungen reagieren schon auf einen milden Versuch mit Hoch-
frequehkströmen mit gegenteiligem Effekt: sie werden‘erregt statt
sich zu beruhigen, klagen über Schwindel usw. Von Wichtigkeit
ist die Beeinflussung vop lokalen arteriosklerotischen Störungen.
Bereits an anderer Stelle kopnte ich über gute Erfolge berichten,
die ich bei eihige'n Patienten mit Gehirnhyperämie und
Arteriosclerosis cerebri mit den Symptomen der motorischen
Unruhe, der Schlaflosigkeit, des Schwindels, der Kopfschmerzen .
erzielen konnte. Naturgemäss darf es sich dabei nicht um weit
vorgeschrittene Fälle von Arteriosklerose handeln. Besonders
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UNIVERSUM OF IOWA
540
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
bemerkenswert bessert sich bei diesen Patienten der Schlaf, so
dass ich die Empfehlung der Hochfrequenztherapie bei Schlaf¬
losigkeit wenigstens für die Fälle mit der geschilderten Aetiologie
durchaus bestätigen kann; die gewohnten therapeutischen An¬
ordnungen werden durch die Hochfrequenzströme in durchaus
wirkungsvoller Weise unterstützt. Von weiteren lokalen arterio¬
sklerotischen Erkrankungen bedarf dann hinsichtlich der Indi¬
kation der Hochfrequenztherapie vor allem das Aneurysma der
Aorta einer etwas eingehenderen Besprechung. Ich habe in
einigen leichteren Fällen von röntgenologisch bestätigten Aorten¬
aneurysmen durch Hochfrequenzbehandlung in bemerkenswerter
Weise subjektive Störungen schwinden sehen. Vor allem
schwanden die quälenden ausstrahlenden Schmerzen und der
Herzdruck; auch das Angstgefühl wurde milder, was vielleicht
mit einer Vertiefung der Atmung (A. Laqueur) erklärt werden
kann. Dabei braucht man nicht allzu ängstlich sich mit der
Solenoidtherapie zu begnügen; zumeist wird auch eine vorsichtige
Lokalbehandlung mit der Kondensatorgraphitelektrode durchaus
gut vertragen und zeigt eine gesteigerte Wirkung. Anders ver¬
hält es sich mit den schwereren und schwersten Formen von
Aneurysmen. Statt des erwarteten sedativen Effektes tritt schon
bei Allgemeinbehandlung — lokale Einwirkung ist in diesen
Fällen kontraindiziert! — starke motorische Unruhe mit Angst¬
zuständen und Beklemmungsgefühlen ein. Dementsprechend sieht
man bei der Nachuntersuchung, dass der ausserordentlich ge¬
steigerte Blutdruck völlig unverändert geblieben ist. Das Ver¬
halten des Blutdruckes dürfte bei der Indikationsstellung in der
Aneurysmatherapie mit Hochfrequenzströmen überhaupt von ent¬
scheidender Bedeutung sein. In einem Falle mittelschwerer
Endoaortitis mit anginösen Beschwerden zeigte sich die kom¬
binierte allgemeine und lokale Hochfrequenztherapie nur erfolg¬
reich, solange der Blutdruck erhöht war und successive erniedrigt
werden konnte. Die Beklemmungen Hessen nach, und die Anfälle
von Angina pectoris blieben aus. Bei Aneurysmen mit niedrigem
Blutdruck ist die Behandlung nicht indiziert. 3 .v* <•
Man hat dann weiterhin die Applikation von Hochfrequenz¬
strömen auch bei lokaler Arteriosklerose der Extremitäten, so bei
der Claudicatio intermittens, empfohlen. Die diesbezüg¬
lichen Versuche (Nagelschmidt) brauchen nicht ausführlich
besprochen zu werden, da sie mfehr auf dem Wege der Dia¬
thermiemethode angestellt wurden. Nach meinen eigenen noch
bescheidenen Erfahrungen gelingt es, nur das Kältegefühl, über
das die Patienten klagen, vorübergehend zu beeinflussen und
Schmerzen zu mildern. Eine Besserung der Circulation und der
Gehfäbigkeit habe ich nie gesehen, was auch den Angaben anderer
Autoren entspricht, die mit Wärmeeffekten bei dem inter¬
mittierenden Hinken nicht viel helfen konnten.
Von weiteren Erkrankungen, die als sehr charakteristisches
Symptom eine Blutdruckerhöhung aufweisen, steht die Schrumpf¬
niere, die interstitielle Nephritis, an oberster Stelle. Es
kann darum nicht wundernehmen, wenn von Anbeginn an die
Hochfrequenztherapie gerade auf sie ihr Augenmerk gerichtet
bat. Es herrscht auch darüber Einigkeit, dass in vielen Fällen
von Schrumpfniere der gesteigerte Blutdruck, wie F. Kraus sich
z. B. ausdrückt, mit einer gewissen Regelmässigkeit herabgedrückt
wird, und zwar um Beträge, die immerhin für das Wohlbefinden
mit in Betracht kommen. Der strittige Punkt betrifft nur die
Dauerhaftigkeit der Wirkung. Nach meinen eigenen Erfahrungen
gelingt es, unbedingt nachhaltig einzuwirken; allerdings muss
wieder hervorgehoben werden, dass in einzelnen Fällen der Effekt
ohne nachweisbaren Grund ausbleibt, ln den von mir behandelten
Fällen, in welchen der Blutdruck nicht unwesentlich sank, konnte
vor allem eine Linderung der sehr heftigen Kopfschmerzen sowie
ein Nachlassen vöta Beklemmungen konstatiert werden. Ein Ver¬
such mit Hochfrequenztherapie ist in Fällen von Schrumpfniere
wenigstens zur Unterstützung sonstiger physikalischer Maass¬
nahmen (kochsalzarme Diät, indifferente prolongierte Bäder . . .)
durchaus gerechtfertigt. .
Eine Affektion, welche nur zum Teil mit dem pardiö-
vasculären System in Verbindung gebrapht werden kann, sind die
Beschwerden des CIimacterium. Sowohl bei dem recht¬
zeitigen Eintritt der Wechseljahre wie auch bei dem
durch [aperative Eingriffe* vorzeitig , heubeigeführten,
Krankheitszustand kann eine systematische Solenoid¬
therapie eine wesentliche Linderung der Beschwerden
zur Folge haben. Wie wir nicht selten beobachten können,
ist beim Eintritt der Wechseljahre der Blutdruck erhöht, ohne
dass von Arteriosklerose oder selbst von Huchard’scher Prä¬
sklerose die Rede sein kann. Die Hochfrequenzbehandlung hat
in diesen Fällen eine allgemein sedative Wirkung. Neben der
Senkung des Blutdruckes sehen wir unter anderem ein Nach¬
lassen des Blutandranges zum Kopf und eine Besserung des
Schlafes. Da auch andere physikalische Maassnahmen in Form
einer milden ableitenden Hydrotherapie in lange nicht nach Gebühr
gewürdigter Weise auf die oft sehr lästigen Zustände günstig
einwirken, kann eine Kombination von Hochfrequenzbehandlung
mit physikalischer Therapie nur empfohlen werden. In neuerer
Zeit bat Kurt Mendel dann darauf aufmersam gemacht, dass
auch beim männlichen Geschlecht am Ende des fünften oder zu
Beginn des sechsten Lebensdezenniums ein Krankheitszustand von
günstiger Prognose zur Beobachtung gelangt, der den Wechsel¬
jahren der Frau analog ist und für den er den Namen CI imac¬
terium virile gewählt hat. Für diese durchaus nicht seltenen
Wechseljahre des Mannes gelten durchweg die therapeutischen
Bemerkungen, welche auf die Wechseljahre der Frau Bezug haben.
Die Hochfrequenztherapie umfasst dann als weiteres Gebiet:
2. Die Erkrankungen des Centralnervensystems.
Mehr noch als bei den Erkrankungen des cardiovasculären
Systems hat der Praktiker die Pflicht, den Hebel der Kritik an
die Fülle von Indikationen anzusetzen, die für die Erkrankungen
des Centralnervensystems von Berufenen und Unberufenen auf¬
gestellt wurden.
Zunächst die funktionellen Neurosen. Wenn die Wirk¬
samkeit einer Therapie, ausschliesslich auf suggestiven Momenten
beruhte, so müsste sie insbesondere bei den funktionellen Neurosen
am Platze sein. Dass dies nicht der Fall, kann mit Recht gegen
die rein suggestive Wirkung der Hochfrequenzströme angeführt
werden (Lothar Wolff). Was die Neurasthenie anbetrifft,
so muss als Uebergang zu den cardiovasculären Erkrankungen
die Berechtigung zur Hochfrequenzbehandlung für die Behandlung
derjenigen Fälle zugegeben werden, welche wir als „Neur¬
astheniker mit Blutdruckerhöhung u bezeichnen. Es erübrigt sich,
auf die Schwierigkeit der Abgrenzung dieses Begriffes näher ein¬
zugehen. Des weiteren kann aber nur von einer Beeinflussung
einzelner neurasthenischer Symptome durch Hochfrequenzströme
die Rede sein. Die Ansichten der Autoren über die Beeinflussung
von „Herzneurosen“ lauten mit wenigen Ausnahmen (Grabley)
ungünstig. Zur Behandlung geeignet sind dagegen Affektionen,
wie das „nervöse Hautjucken“, „nervöse Hyperästhesien“
und „Anästhesien* . . . Die Besserung der nervösen Schlaf¬
losigkeit wird von der Mehrzahl der Autoren (v. Jak sch,
Toby Cohn, A. Laqueur u. a.) angegeben. Ich kann mich
auf Grund zahlreicher eigener Erfahrungen den Empfehlungen
nur ganz bedingt anschliessen. Ich bin weit davon entfernt, den
sedativen Effekt der Hochfrequenzströme zu leugnen, und habe
bereits darauf hingewiesen, dass die Behandlung ein Müdigkeits¬
gefühl und ein Bedürfnis nach Ruhe erzeugt, dass manche
Patienten fest danach einschlafen. Aber eine wirklich dauernde
Besserung einer erheblichen neurasthenischen Schlaflosigkeit habe
ich kaum je gesehen. Fälle, welche auch durch sonstige physi¬
kalische bzw. sedative Maassnahmen leicht gebessert werden,
reagieren auch auf d’Arsonvalisation günstig, aber schwere
Agrypnien werden kaum durch sie beeinflusst. Einer grossen
Reihe neuerer therapeutischer Agentien wird Einfluss auf Schlaf¬
losigkeit nacbgerühmt. Daraus ergibt sich eine grosse Menge
von Empfehlungen gegen Schlaflosigkeit, und der praktische End¬
effekt ist äusserst dürftig. Gegen nervöse Kopfschmerzen
und nervöses Ohrensausen wird milde Effluvienbehandlung
im Sinne der Franklin’schen Kopfdusche empfohlen.
Nicht weniger ungünstig wie mit der Neurasthenie steht es
mit der Hysterie. Dass der komplizierte Apparat des Solenoids
oder der lokalen Hochfrequenzelektroden auf hysterische Stigmata
von Einfluss sein kann, bedarf nur der Erwähnung. Da es sich
aber ausschliesslich um suggestive Wirkungen bandelt, so ist es
ratsam, nur ganz kurzdauernde Sitzungen (1—3 Minuten) zu ver¬
anstalten* um die ungünstigen Nebenwirkungen (Ermüdung usw.)
zu vermeiden. Kurz erwähnt sei noch, dass v. Jak sch bei
hysterischen Lähmungen^und. Anästhesien mit lokalen Funken¬
entladungen ähnliche Erfolge wie mit analogen anderen elektri¬
schen Prozeduren erzielt hat. t
Auch zur Behandlung von Neuralgien hat man die Hoch¬
frequenzströme herangezogen und beispielsweise bei Ischias
lokale d’Arsonvalisation mit der Kondensatorgraphitelektrode
empfohlen. A. Laqueur und Lothar Wolf sahenjgewisse Er¬
folge von der Effluvienbebandlung in denjenigen ^Fällen von
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24. März 1913.
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Ischias, wo nach Rückgang der übrigen Symptome noch Schmerzen
mit Parästbesien im Ausbreitangsgebiete des Nervus peroneus
zurückgeblieben waren, und konnten besonders Ischiassensationen,
wie Kribbeln, Taubheitsgefühle, das Gefühl von Wundsein der
Haut, auf diese Art beseitigen. Zur Schmerzstillung bei Ischias
setzt A. Laqueur entweder eine Elektrode fest auf die Schmerz¬
punkte, oder er wendet kräftige Funken längs des Verlaufs der
Nerven an. Meine eigenen Erfahrungen stimmen mit denen der
genannten Autoren darin überein, dass von einer Ueberlegenheit
der Hochfrequenztherapie gegenüber den gebräuchlichen elektro-
therapeutischen und sonstigen physikalischen Maassnahmen keine
Rede sein kann. Nur Kabane berichtet über vollkommene
Heilungen, die er bei Ischias, Trigeminusneuralgie usw. allein mit
Hochfrequenzstrümen erzielt hat; aber dieser Autor steht mit seinen
enthusiastischen Berichten isoliert. Oft sehr wirkungsvoll zeigt
sich aber die Hochfrequenztherapie bei gewissen Schmerzzuständen,
welche recht quälend und hartnäckig auftreten können: bei
Tarsalgien, Achillodynien, Coccygodynien usw. gelingt
es zuweilen mit lokaler Anwendung von Hochfrequenzströmen
(Kondensatorgraphitelektrode oder Effluvien) einen schmerzlindern¬
den Einfluss auszuüben.
Was nun die Anwendung der Hochfrequenztherapie bei orga¬
nischen Nervenkrankheiten anbetrifft, so hat v. Jaksch
mit ihr bei multipler Sklerose Erfolge erzielt. Die Auto¬
konduktion soll den Intentionstremor, die Spasmen und die moto¬
rischen Störungen bessern. Selbstverständlich kann von markanten
Erfolgen keine Rede sein. Die Mitteilungen der nachprüfenden
anderen Autoren — ich besitze selbst keine eigenen Erfahrungen
darüber — lauten unbestimmt. Weit gebräuchlicher ist die An¬
wendung der Hochfrequenztherapie bei der Tabes dorsalis; sie
hat von jeher Lobredner gefunden, die teils der Anwendung im
Solenoid, teils der lokalen uni- und bipolaren d’Arsonvalisation
das Wort redeten. Man hat sie besonders gegen die lanci-
nierenden Schmerzen und gegen die Krisen empfohlen. Ins¬
besondere hat Nagelschmidt die Hochfrequenzströme bei
gastrischen Krisen angewandt und wiederholt über glänzende
Erfolge berichtet, eine Empfehlung, welche andere Autoren
(A. Laqueur) nicht immer bestätigen konnten, und welcher meine
eigenen Erfahrungen gleichfalls in der Mehrzahl der Fälle nicht
entsprachen. Auch bezüglich der lancinierenden Schmerzen sind
die Erfolge zuweilen recht unsicher. Oft stellt sich dann aller¬
dings noch eine Wirkung ein, wenn man an Stelle der Lokal¬
therapie die Solenoidbehandlung vornimmt. Besonders bei diffusen
Schmerzen lassen dann häufig die heftigsten Schmerzen nach, sie
werden milder oder treten seltener auf. So sah ich in einem
sehr schweren Falle von Tabes dolorosa, bei dem lokale
d’Arsonvalisation völlig versagt batte, von Solenoidbebandlung
unleugbar günstige Einwirkung. Immerhin scheint mir die Be¬
urteilung der Wirkung der Hochfrequenztherapie gegen tabische
Schmerzen doch vielfach vom subjektiven Urteil des im Einzelfall
behandelnden Arztes abhängig und lässt eine abschliessende Kritik
noch keineswegs zu. Nicht unerwähnt sei schliesslich, dass
Nagelschmidt mit intraurethraler Applikation von Hochfrequenz¬
strömen bei tabischer Inkontinenz gute Erfolge erzielt hat.
Von Einwirkungen der Hocbfrequenzbehandlung bei Gehirn¬
affektionen wurde bereits die Wirksamkeit bei Gehirnhyper¬
ämie und bei nicht zu schweren Fällen von Gehirnarterio¬
sklerose hervorgehoben.
Damit wären die wesentlichsten Indikationen der Hochfrequenz¬
therapie bei inneren und Nervenkrankheiten erschöpft. Auf die
Diathermiemethode, die von anderen Prinzipien ausgeht, soll an
dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. E9 bliebe nur
noch übrig, über die Begründung der Wirkung einige Worte
zu sagen. Es ist durchaus erklärlich, dass man den Wunsch hat,
sich nicht im Dunkeln zu bewegen, sondern klar zu sehen, worauf
die Erfolge beruhen, die unzweifelhaft für eine Reihe von Affek
tionen erwiesen scheinen. Aber man ist mit den vielfachen Er¬
örterungen, die sich fast ausschliesslich in theoretischem Fahr¬
wasser bewegen, meines Erachtens bisher nicht viel vorwärts ge¬
kommen und sollte sich mit dem Hinweis auf den uns viel länger
bekannten und doch noch vertrauteren galvanischen Strom be¬
gnügen, dessen spezielle Wirkung im Grunde immer noch nicht
geklärt ist. Nur auf einen Erklärungsversuch sei mit einigen
Worten eingegangen. Nagelschmidt war der erste, der von
einer Wärme Wirkung in der Hochfrequenztherapie gesprochen
hat. Nun haben Schemel und Fürstenberg diese Frage für
die Thermopenetrationsbehandlung erörtert. Es Hesse sich viel¬
leicht durch ähnliche Versuchsanordnung z. B. bei den gastrischen
Krisen der Tabiker auch für die eigentliche d’Arsonvalisation ein
Resultat erzielen, welches uns in dem Bemühen fördert, für die
Ursache der Wirkung der Hochfrequenzströme auch eine positivere
Erklärung beizubringen.
Literatur.
(Genaue Literatur bis 1912 bei Lothar Wolf, Inauguraldissertation.)
Ferner: 1. Braunwarth und Fischer, Zeitschr. f. pbysik. u. diätet.
Therapie, November 1912. — 2. Braunwarth, Vortrag im Verein für
innere Medizin am 2. Dezember 1912 und anschliessende Diskussion. —
3. TobyCohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie.
4. Aufl., 1912. — 4. Grabley, Deutsche med. Wochenschr., 1912,
Nr. 41. — 5. Derselbe, 83. Baineologenkongress. — 6. A. Laqueur,
Med. Klinik, 1911, Nr. 49. — 7. Derselbe, Fortschritte der deutschen
Klinik, 1912, Bd. 3. — 8. Lothar Wolf, Inauguraldissertation 1912. —
9. Diskussion im Verein für innere Medizin, 1913, Nr. 7, Vereinsbeilage.
Aus dem Institut für Krebsforschung der Königlichen
Charite (Direktor: Prof. Dr. G. Klemperer).
Die Wirkung von Schwermetallen auf die bös¬
artigen Tiergeschwülste.
Von
Prof. Dr. Carl Lewin.
Durch die bekannten Untersuchungen von Neuberg und
Caspari wissen wir, dass Schwermetalle eine besondere Ein¬
wirkung anf die malignen Geschwülste der Tiere zeigen, welche
von den genannten Autoren auf die Verstärkung der autolytischen
Vorgänge in den Geschwülsten durch die injizierten Metallver¬
bindungen zurückgeführt wird. Neu berg führt aus, dass ein¬
gespritzte Metallverbindungen, soweit es sich um einfache Salze
handelt, von den Proteinen des Körpers abgefangen werden, so
dass sie überhaupt gar nicht erst an den Tumor gelangen, dass
andererseits aber bei kolloidalen Verbindungen es lediglich vom
Zufall abbängt, ob dies Metall in den Tumor gelangt oder nicht.
Neuberg und Caspari haben daher Metall Verbindungen her¬
gestellt, welche bei intravenöser Injektion in den Tumor gelangen
und hier in der Weise zerlegt werden, dass das Metall abgespalten
wird und wahrscheinlich in kolloidaler Form zur Ausfällung gelangt.
Diese kolloidale Ablagerung soll demnach die Voraussetzung ihrer
Wirksamkeit sein. Denn alle solche Substanzen, welchen diese
Fähigkeit zur kolloidalen Ablagerung fehlt, haben sich in ent¬
sprechenden Versuchen als unwirksam erwiesen. Die Beeinflussung
des Tumors durch das injizierte Metall schildert Caspari in der
Weise, dass zunächst streng lokalisierte Blutungen im oder
am Tumor auftreten; an diese Blutungen schliesst sich alsdann
nach weiteren Injektionen des Mittels Erweichung und Zerfall
des Tnmorgewebes an. Die Wirksamkeit des Mittels ist um so
grösser, je mehr Blutgefässe den Tumor versorgen, es hängt also
die heilende Wirkung einer der benutzten Metall Verbindungen sehr
wesentlich von dem Verhalten der Gefässe ab.
Ich habe mich nun gefragt, ob es nicht möglich sei, gleiche
Beeinflussungen des Tumors zu erzielen, wenn intravenös Sub¬
stanzen injiziert wer.den, welche eine ganz besondere Wirkung auf
die Blutgefässe ausüben. Mich veranlassten zu diesen Unter¬
suchungen die Beobachtungen von W. Heubner aus dem Jahre
1907 1 ). W. Heubner schildert hier die durch Goldsalz hervor¬
gerufenen Erscheinungen der Capillarvergiftung bei Tieren. Die
augenblicklich tödliche Wirkung des Goldsalzes beruht anf seiner
ausschliesslich die Capillaren vergiftenden Eigenschaft, während
die Organzellen selbst fast ganz unbeeinflusst bleiben. Es kommt
dabei zu mächtigen Blutungen, besonders in das Abdomen, und
Heubner schildert, wie z. B. bei Hunden geradezu eine Ver¬
blutung in das Abdomen eintritt. Damit vergleiche man die Be¬
merkung von Caspari, dass man in einem Falle, wo das
Tier gleich nach der Injektion starb, den Eindruck hat, dass
sich das Tier direkt in den Tumor hinein verblutet.
Diese Aehulichkeit beider Beobachtungen gab mir Veranlassung,
zunächst die Wirksamkeit bekannter Gold Verbindungen auf die
Tiergeschwülste zu prüfen. Schon früher hatte Meidner in
unserem Institut bei der Injektion einiger uns von Exz. Emil
Fischer zur Verfügung gestellten Metallverbindungen (z. B.
1) Archiv f. experira. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 56.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Asparaginsilber, milchsaures Silber, glycerinsaures Kupfer) deut¬
liche Gefässbeeinflnssungen (Blutungen, Gefässerweiterungen) kon¬
statieren können, ohne dass allerdings die verwendeten Ratten¬
tumoren dadurch sonderlich geschädigt werden.
Ganz anders fiel der Versuch aber aus bei Verwendung der
von W. Heubner benutzten Goldverbindungen; die eine, in der
Industrie als Goldsalz bekannt, ist Auronatriumchlorid (AuCI 4 Na
2H 2 0), die andere ist kolloidales Gold, Goldsol, welches mir
von der Fabrik Kalle & Co. in Biebrich freundlichst zur Verfügung
gestellt wurde. Endlich benutzte ich zu meinen Experimenten das
Merck'sche Aurum-Kalium cyanatum, das Bruck und Gluck
jungst zur Chemotherapie der Tuberkulose anwandten.
Die Wirkung aller der erwähnten Goldverbindungen war nun
bei den Mäusecarcinomen eine eklatante. Schon nach zwei intra¬
venösen Injektionen kommt es zu Veränderungen des Tumors, die
mit den von Neuberg und Caspari beschriebenen fiberein-
stimmten. Diese Veränderungen bestehen in mehr oder minder
mächtigen Blutungen in das Tumorgewebe, in Blutextravasaten
und der Bildung von blutig gefärbten Zerfallsprodukten innerhalb
des Tumorgewebes. Es treten mehr oder minder grosse Hohl¬
räume auf, die mit blutigen Massen und Zelltrümmern angefüllt
sind. Nach drei bis vier Injektionen kann der Tumor in weitem
Umfange zu einer bröckligen, nekrotischen, blutig gefärbten
Masse umgewandelt sein. Auch lässt sich zuweilen schon durch
Betastung die Erweichung des vorher harten und soliden Tumors
feststellen.
Die Wirkung der verwendeten Goldsalze kann nur
als eine die Capillaren des Tumors vergiftende, analog
den Beobachtungen von W. Heubner, aogesprochen werden.
Auch die mikroskopischen Untersuchungen, die noch nicht ab¬
geschlossen sind, sprechen dafür. Die von mir benutzten Gold¬
verbindungen sind, abgesehen vom Goldsol, das an sich kolloidal
ist, Salze, die im Tumor eine Umwandlung in kolloidales Gold
erfahren können, um dann die von Neuberg und Caspari an¬
genommene spezifische Wirkung auf die Tumorzellen im Sinne
der gesteigerten Autolyse auszuüben. Indessen bedarf es dieser
spezifischen Wirkung auf die Tumorzellen nicht, um die hier
geschilderten Vorgänge zu erklären. Die Nekrosen und Er¬
weichungen sind vielmehr die auch sonst in der Pathologie be¬
kannten sekundären Störungen infolge der vernichteten Ernäbrungs-
möglichkeit nach der Zerstörung der Capillaren. E 9 sind also
die von mir beobachteten Blutungen in den Tumoren und ihre
Folgezustände nicht die Folge einer Affinität der Metalle
zu den Zellen, sondern zu den feinsten Blutgefässen im
Tumor.
Es bleibt natürlich zu untersuchen, warum die capillarver-
giftende Wirkung der Goldverbindungen gerade im Tumor be¬
sonders intensiv sich äussert. Das kann einmal deswegen ge¬
schehen, weil die im Tumor vorhandenen Capillaren die jüngsten
des Organismus sind und die Giftwirkung vielleicht ganz be¬
sonders stark die neugebildeten Capillaren trifft. Wahrschein¬
lich erscheint auch die Erklärung, welche ich in meinem
kürzlich erschienen Vortrage „Versuche über die Biologie der
bösartigen Tiergeschwülste“ 1 ) angedeutet habe. Ich glaube
nämlich, dass der Mäusetumor, der im allgemeinen abgekapselt
wächst und wie ein Fremdkörper von dem übrigen Organismus
relativ abgeschlossen ist, sehr leicht in seiner Ernährung zu
schädigen ist. Denn es wird offenbar den circulierenden
Körperflüssigkeiten infolge des Mangels an Lymphgefässen und
der mangelhaften Blutversorgung im Tumor ein ziemlich erheb¬
liches Hindernis bei der Durchströmung der Geschwulst bereitet.
Spritzt man also irgendwelche giftigen Substanzen in die Blut¬
bahn des Tieres, so wird ein grosser Teil der Substanz im Tumor
wie von einem Schwamm zurückgehalten und kann so hier
eine besonders grosse Wirkung entfalten, während die übrigen
Körperzellen der Schädigung durch die eingespritzten Zellgifte
mehr oder weniger weit entzogen werden, da die Giftkonzentration
in dem strömenden Blute schon, nach der einmaligen Durch¬
strömung des Tumors eine* weit/geringere geworden ist. Diese
Annahme stützt sich auf eine Reibe von Beobachtungen, über die
ich vorläufig noch nicht berichten kann. Welche Erklärung zu¬
trifft, soll noch Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Es
wird weiter von mir untersucht, ob auch andere Metallver¬
bindungen, welche eine dem Goldsalz und dem Aur. KaL cyanat.
ähnliche Struktur haben, die nach Heubner ebenfalls capillar-
vergiftend wirken, eine besondere Wirkung auf die Tumoren aus-
1) Diese Wochenschr., 1913, Nr. 4.
üben, ebenso ob auch einfache Metallsalze den gleichen Einfluss
zeigen. Von anderen Capillargiften, wie z. B. dem Arsen, kann
ich schon jetzt sagen, dass es in gewissen Verbindungen ebenfalls
grosse Blutungen im Tumor macht. Doch sind meine Arbeiten
io dieser Richtung noch nicht abgeschlossen.
Aus dem städtischen Luisenhospital zu Dortmund.
Status thymolymphaticus und Salvarsan.
Von
Dr. W. Rindfleisch,
Oberarzt der inneren Abteilung.
In den folgenden Zeilen sollen zwei Todesfälle nach Salvarsan-
applikation mitgeteilt werden, die .sich von der Mehrzahl der
übrigen einschlägigen Vorkommnisse in einigen wesentlichen
Punkten unterscheiden; sie zeichnen sich ferner durch einen inter¬
essanten, beiden gemeinsamen und, wie ich glaube, recht be¬
achtenswerten Sektionsbefund aus.
Die erste Beobachtung, die noch zwei weitere interessante Einzel¬
heiten aufweist, betrifft eine 50jährige Frau mit folgender Vorgeschichte:
Mit 20 Jahren kurzdauernde (wahrscheinlich katarrhalische) Gelb¬
sucht. Vor 16 Jahren einige Monate hindurch häufige Gallensteinkoliken
mit mehrfachem Steinabgang; Wiederholuug der Anfälle in langen
Pausen, zuletzt vor 2 Jahren.
Von Jugend auf Kropf, der in letzter Zeit nicht gewachsen ist;
seit etwa 10 Jahren recht stark, dabei schwach und anfällig.
Beginn des jetzigen Leidens vor 6 Wochen mit Schmerzen in der
Oberbaucbgegend, Appetitmangel und zeitweiligem Erbrechen, seitdem
grosse Mattigkeit, öfters Frösteln. Seit 3 Wochen fest zu Bett; regel¬
mässige Temperaturmessungeu ergaben intermittierendes Fieber (morgens
36—37°, abends um 40 °) ohne ausgesprochene Schüttelfröste; Ab¬
magerung von 20—30 Pfd. 4 gesunde Kinder; 1 Abort.
Status bei der Aufnahme am 3. VI. 1912: Guter Ernährungs¬
zustand. Gewicht ohne Kleider 71,5 kg. Fettpolster reichlich, aber
schlaff. Temperatur 36,7°, Puls 76. Kein Icterus. Hühnereigrosse,
derbe Struma; keine Basedowsymptome. Lungenbefund normal, ab¬
gesehen von erheblichem Hochstand der Lungen-Lebergrenze. Herz¬
befund normal. Puls voll, kräftig, regelmässig; keine merkliche Arterio¬
sklerose.
Leber gleichmässig stark vergrössert, derb, grobhöckerig; keine
tiefen Furchen; auffallend stark empfindlich; nirgends Fluktuation. Milz
nicht nachweislich vergrössert; kein Ascites.
Harn frei von Eiweiss und Zucker; Indikangehalt nicht wesentlich
vermehrt; reichlich Urobilin; kein Bilirubin. Stuhl fest, normal gefärbt,
blutfrei.
Magen keine Retention. Probefrühstück enthält ziemlich viel
Schleim. Gesamtacidität 28; freie HCl 12; mikroskopisch nichts Be¬
sonderes.
Blutbefund: Hämoglobin 50pCt., rote Blutkörperchen 4 650 000,
weisse 10 100.
Wassermann’sche Reaktion einwandfrei positiv.
Die weitere Beobachtung ergab als wichtigstes Resultat, dass die
Kranke in der Tat fortlaufend fieberte; die Morgentemperatur war stets
unter 37°; mittags stieg die Temperatur an und erreichte abends meist
39—39,5°; einmal stieg die Temperatur auf 40,2° an.
Die Leukocytenzahl stieg auf 17 100; es wurde auch ein Jenner-
präparat angefertigt, bei dessen Durchmusterung ausser einer poly-
nucleären Leukocytose nichts Auffallendes zu konstatieren war. Genaue
Zahlenverhältnisse vermag ich leider nicht anzugeben. Die Probe auf
alimentäre Lävulosurie ergab ein negatives Resultat.
In den Bereich der klinischen Diagnose wurden folgende
drei Krankheitszustände gezogen:
1. multiple eitrige Affektion der Leber, ausgehend von der
alten Choleiithiasis,
2. sekundäres Lebercarcinom, das, wie frühere Beobachtungen
mich gelehrt hatten, ohne Hinzutreten eines Infektes mit
langdauerndem Fieber einhergehen kann,
3. fieberhafte Leberlues.
Die Differentialdiagnose, die hier nicht erörtert werden soll,
war nicht ganz leicht. Schliesslich musste für unser praktisches
Handeln det unzweideutig positive Ausfall der Wassermann’schen
Reaktion den Ausschlag geben.
Pat. erhielt am 19. VI., vormittags 11 Uhr, 0,6 Neosalvarsan intra-
• venös. Die Infusion verlief ohne jede Störung. .
Als ich jedoch eine Viertelstunde später nach der Kranken sah,
war der vorher ruhige und kräftige Puls sehr klein und frequent ge¬
worden. Die Kranke hatte einen ängstlichen Gesicbtsausdruek; sie sah
blass und cyanotisch aus und war etwas dyspnoisch; Glühwein und
Kaffee änderten nichts an dem Zustande, der trotz reichlicher Anwendung
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UNIVERSUM OF IOWA
24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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tod Campher und Adrenalin yon Stunde zu Stunde bedrohlicher wurde.
Der Puls war bereits 1—2 Stunden nach der Infusion kaum noch
fühlbar; die Achselhöhlentemperatur schwankte um 37,5° herum, während
die peripheren Teile sich kühl und feucht anfühlten; von seiten des
Verdauungstraotus und des Nervensystems fehlten alle Erscheinungen;
das Sensorium blieb völlig klar bis kurz vor dem Tode, der 7 Stunden
nach der Infusion erfolgte.
Autopsie (Prof. Schridde): Carcinom der Gallenblase (zahlreiche
Steine in der geschrumpften Blase) mit reichlichen Metastasen in der
Leber und in den benachbarten Lymphknoten; geringer Ascites; Zwerch¬
fell durch die enorm grosse Leber besonders rechts stark in die Höhe
gedrängt. Struma nodosa colloides. Thymus persistens (44 g). Balg¬
drüsen an der Zungenbasis und Tonsillen etwas vergrössert. Milz etwas
gross (15,5; 7,5; 4). Pulpa weich; Bakterien weder mikro^ropisch noch
kulturell nachweisbar. *
Herz von entsprechender Grösse, schlaff; Klappenapparat intakt;
Endocard verdickt; massige Atherosklerose der Aorta; weder hier noch
anderorts bei genauester speziell darauf gerichteter Untersuchung Zeichen
von Lues. Mikroskopische Untersuchung des Herzmuskels ergibt braune
Atrophie und feinkörnige Verfettung.
Eine Epikrise des Falles im Sinne des Themas dieser
Arbeit soll zum Schluss gegeben werden. Hier sei als wichtigster
Nebenbefand die absolut glatte Hemmung der Hämolyse bei
einem Leberkrebskranken hervorgehoben, der sich bei sorgfältig
auf diesen Punkt gerichteter anatomischer Kontrolle als absolut
syphilisfrei erwies. In Anbetracht der prinzipiellen Bedeutung
dieser Beobachtung wurde die Wassermann’sche Reaktion mit
dem Leichenblut wiederholt, wieder mit eindeutig positivem Re¬
sultat.
In einer vor kurzem aus der Minkowski’schen Klinik er¬
schienenen Arbeit berichten Bittorf und Schidorski über eine
ganz analoge Beobachtung; aus dieser Arbeit geht hervor, dass
auch bei Zerstörung von Hirnsubstanz durch unspezifische Prozesse
Hemmung der Hämolyse herbeigefübrt werden kann; ihre Ansicht,
dass der Uebertritt von Lipoidsubstanzen hierfür verantwortlich
zu machen ist, haben die genannten Autoren auf experimentellem
Wege erhärten können. Der vorliegende Fall gibt der Hypothese
eine weitere klinische Stütze.
Dann will ich kurz noch einmal darauf hinweisen, dass auch
nach dem Resultat der Autopsie das wochenlange hohe Fieber
nur durch das enorm ausgedehnte Lebercarcinom erklärt werden
kann; es konnten weder in den Gallen wegen, noch in irgend¬
einem anderen Organ Anzeichen eines infektiösen Prozesses auf¬
gedeckt werden.
2. Fall. 11 jähriger, kräftig gebauter Knabe, am zweiten Tage
einer Scharlacherkrankung in schwerkrankem Allgemeinzustande auf¬
genommen.
Temperatur am ersten Tage zwischen 39,2° und 39,7°, Puls 120
bis 128, von mittlerer Füllung und Spannung; geringe Benommenheit
und leichte Unruhe, auf Packungen nur vorübergehende Besserung.
Temperatur am nächsten Tage 39,4°—40°; Puls 128—136, 5 l /s Uhr
nachmittags 0,5 Neosalvarsan intravenös; eine halbe Stunde später
Schüttelfrost; danach Temperatur 38,9°, Puls 160, sehr klein und weich;
mehrere dünnbreiige Darmentleerungen, zweimal Erbrechen.
Trotz reichlicher Anwendung von Campher und Adrenalin wird der
Puls immer elender; die Temperatur steigt auf 40,4°; Erbrechen und
Durchfalle wiederholen sich öfters; Unruhe und Benommenheit nehmen
zu; der Puls wird unfühlbar; 24 Stunden nach der Infusion erfolgte der
Exitus.
Autopsie (Prof. Schridde): Eitrige Tonsillitis mit septischer
Schwellung der Halslymphknoten; septische Milzschwellung: Milz sehr
gross (220 g), Pulpa dunkelrot, Lymphknötchen deutlich hervortretend.
Ausgesprochener Status thymolymphaticus; Thymus 23 g schwer; Ton¬
sillen haselnussgross, stark zerklüftet; Zungenbalgdrüsen sehr stark ent¬
wickelt; im Oesophagus zahlreiche bis über hirsekorngrosse weissliche
Knötchen. Lymphknoten in der Leberpforte und im Pankreaskopf bis
über haselnussgross, im oberen Teil des Darms nur mässig, naoh unten
zu stark vergrössert.
Herz für das Alter auffällig gross. Linker Ventrikel deutlich hyper¬
trophisch (Wand 11 mm); Herzklappen ohne Besonderheiten; Ausfluss¬
bahn der Aorta zeigt eine deutliche weissliche Endocardverdickung;
Foramen ovale offen.
Die mikroskopische Untersuchung ergibt auffällig Fragpentatio, viel-
! lache Vaouolisieruog des Protoplasmas, keine Verfettung des Herz¬
muskels.
In beiden Fällen hatten wir alle bei unbefangener Beob¬
achtung den entschiedenen Eindruck, dass der plötzliche Todi der
Salvarsaninfusion zur Last %u legen sei. Im ersten Fall handelte
es sich um eine durch ein schweres chronisches Leiden zwar
bereits recht geschwächte Frau, die sich indessen bis zu der In¬
fusion in einem durchaus komponierten Zustand befand, dass an
eine unmittelbare Lebensgefahr gar nicht zu denken war; ins¬
besondere war der Puls bis dahin voll, kräftig und regelmässig.
Der fatale Umschwung schloss sich an die Infusion so unmittel¬
bar an und war sofort so schwer, dass an dem inneren Zu¬
sammenhang beider Dinge gar nicht gezweifelt werden konnte.
Nicht ganz so klar war die Situation bei dem zweiten Fall.
Hier handelte es sich um einen Scharlach, der den Eindruck
einer schweren, aber durchaus nicht den einer schwersten malignen
Infektion machte.
Es musste eine ernste und zweifelhafte, aber keinesfalls eine
absolut infauste Prognose gestellt werden.
Der Exitus trat zwar erst 24 Stunden nach der Infusion ein,
aber der ZustaDd verschlimmerte sich unmittelbar danach so
rapide, dass wir auch hier den Eindruck einer deletären Beein¬
flussung haben mussten.
Als Angriffspunkt dieser fatalen Einwirkung musste zweifellos
der Circulationsapparat betrachtet werden.
Klarer liegt auch hier wieder der erste Fall, bei dem nervöse
Störungen jeder Art vorher und nachher völlig fehlten und der
Puls bis zu der Infusion gut und kurze Zeit danach kaum noch
fühlbar war.
Bei dem Scharlachkinde war die Verschlechterung des Pulses
ebenfalls das wesentlichste; indessen traten hier auch weitere
Vergiftungssyraptome in der Form von Erbrechen und Diarrhöen
auf; der ungünstige Umschwung in den Kreislaufverhältnissen war
zwar auch bald nach der Infusion sehr deulich, führte aber erst
nach 24 Stunden zum Tode.
Die Autopsie ergab nun in beiden Fällen als unerwarteten
Nebenbefund einen ausgesprochenen Status thymolymphati¬
cus. Im zweiten Falle ging das Gewicht der Thymus freilich
nur wenig über das Normalmaass hinaus. Dafür war aber die
Hyperplasie des lymphatischen Apparates sehr stark ausgeprägt,
und da^Herz wies die Charaktere des Thymusherzens sehr deut¬
lich auf. Der Obduzent, Prof. Schridde, lehnte einen Zusammen¬
hang der linksseitigen Herzhypertrophie mit den kleinen corti-
calen Scbrumpfungsherden entschieden ab und erklärte das Herz
speziell auch mit Rücksicht auf die Endocardverdickung an der
Ausflussbahn der Aorta für ein typisches Thymusherz. Ausserdem
fand sich in beiden Fällen die für den Status thymicus charak¬
teristische Hypertrophie des Markes auf Kosten der Rinden¬
substanz, auf die Hedinger zuerst aufmerksam gemacht bat.
Es entsteht nun die Frage, ob der in beiden Fällen so aus¬
gesprochene Status thymolymphaticus in Zusammenhang mit dem
plötzlichen Tode gebracht werden kann.
Ich will auf die komplizierte Frage des Thymustodes an
dieser Stelle nicht näher eingehen und will nur betonen, dass
die alten mechanischen Erklärungsversuche immer mehr an Kredit
verloren haben zugunsten einer chemischen Auffassung im Sinne
einer inneren Sekretion. Nach Bingel und Strauss soll das
Thymussekret blutdruckerniedrigend wirken.
Erinnert man sich nun, dass auch das Salvarsan, wie viel¬
fache, auch von mir vorgenommene Blutdruckmessungen ergeben
haben, dieselbe depressorische Wirkung besitzt, so liegt der
Schluss sehr nahe, dass die Coincidenz dieser beiden nach der
gleichen Richtung ungünstig wirkenden Momente für den fatalen
Ausgang, der unter dem Bilde desColIapses erfolgte, verantwort¬
lich gemacht werden muss.
Aehnliche Erfahrungen sind ja bei Thymikern mehrfach ge¬
macht worden; so erklärt Paltauf sie direkt für körperlich
minderwertig gegenüber geringen therapeutischen Eingriffen.
Ich will aus diesen beiden Beobachtungen nicht zu weit¬
gehende Schlüsse ziehen; immerhin scheinen mir folgende Forde¬
rungen gerechtfertigt:
Bei Todesfällen nach Salvarsanapplikation hat der Obduzent
auf das Verhalten der Thymus und des lymphatischen Systems
sorgfältig zu achten.
Der Kliniker wird bei Verdacht auf Status thymolymphaticus
Salvarsan nur mit äusserster Vorsicht an wenden dürfen; eine ganz
besonders grosse Bedeutung gewinnt' diese Mahnung naturgemäss
in der Kinderpraxis;
Der Morbus Basedowii, der in etwa 70 pCt. aller.Fälle von
der genannten Anomalie begleitet wird, dürfte als ein Noli me
tätigere für das Ehrl ich’sche Heilmittel anftusehen sein. M
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UNIVERSITÄT OF IOWA
544
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Aus dem Emma-Kinderkrankenhause zu Amsterdam.
Zur Bedeutung der Döhle’schen Zelleinschlüsse.
Von
Dr. J. C. Sehippers und Dr. Cornelia de Lange.
Die Beobachtang DöhleV) an neutrophilen polynucleären
Leukocyten hat natürlich allerwegen ein lebhaftes Interesse erregt,
gibt doch die Diagnose des Scharlachs gelegentlich zu grossen
Schwierigkeiten Anlass.
Nachdem Kretschmer 2 ) und weiter Nicoll und Williams 8 ) die
Beobachtungen und Schlussfolgerungen Döhle’s bestätigt hatten, ist
von anderer Seite eine Kritik nicht ausgeblieben. Preisich 4 5 ), Ahmed 6 ),
Scbwencke 6 ) und Bongartz 7 ) haben nachgewiesen, dass die von
Döhle beschriebenen Zelleinschlüsse gar nicht spezifisch für Scharlach
sind, vielmehr bei anderen Infektionen gelegentlich in ebenso grossen
Mengen auftreten. Zum Beispiel bei Masern, Diphtherie, Erysipelas,
Pneumonie, Keuchhusten usw. Diese Beobachtungen haben die Bedeu¬
tung der Döhle’schen Entdeckung natürlich erheblich verringert, wenigstens
in praktischer Hinsicht.
Es hat uns von Anfang an interessiert, inwieweit wir das Auftreten
der Zelleinschlüsse für die Diagnostik verwerfen könnten. Es zeigte
sich bald bei der Untersuchung von 20 wahllos zusammengenommenen
Scharlachkranken, dass die Einschlüsse während der ersten fünf Krank¬
heitstagen am zahlreichsten sind, jedoch, dass ihre Frequenz in den ver¬
schiedenen Fällen erheblichen Schwankungen unterworfen ist, und dass
nicht immer hohes Fieber und zahlreiche Einschlüsse coi'ncidieren. Auch
fanden wir einmal am zehnten Krankheitstag noch in 20 pCt. der poly-
nucleären Leukocyten Einschlüsse.
Durch Zufall fanden wir in einem Fall von schwerer Angina sehr
viel Einschlüsse, in einem anderen Falle (Furunkel) nur 2 in 200 Zellen,
im letzten Falle lag, wie sich zeigte, eine Staphylokokkeninfektion vor.
Diese Beobachtungen brachten uns auf den Gedanken, ob vielleicht
bei Scharlach die Streptokokkeninfektion die Ursache der Zelleinschlüsse sei.
Wir untersuchten alsdann das Blut eines Mannes mit Streptokokken-
abscess an der Hand und von einem Manne mit einem Karbunkel
(Streptokokkeninfektion), in beiden Fällen fanden wir zahlreiche
Zelleinschlüsse (in bzw. 66 und 26 von bzw. 166 und 200 Leuko¬
cyten.)
Bei Durchsicht der Literatur fiel es uns auf, wie oft die Untersucher
Streptokokkeninfektionen unter ihren positiven Befunden notiert haben
(siehe z. B. Vogt 8 ).
Weil Kretschmer vergebens versucht hat bei weissen Mäusen,
Kaninchen und Affen nach Verimpfung von Scharlachmaterial Zellein¬
schlüsse nachzuweisen, haben wir am Hunde unsere Versuche vorge¬
nommen. Es wurde eine Reinkultur von Streptokokken, welche von
einem Scharlachkranken herrührte, unter der Rückenhaut eingespritzt.
Das Tier reagierte nur einen Tag mit leichtem Unwohlsein. In
seinem Blute fanden wir eine deutliche, wenn auch nicht erhebliche Zu¬
nahme der Zelleinschlüsse:
Vor der Injektion . . von 200 Leukocyten hatten 2 Einschlüsse
1 Tag nach der Injektion * 230 „ „ 10 „
2 Tage „ , „ „ 192 „ H
3 » jj » » » 184 „ n 1 fl
Diese Zelleinschlüsse haben dieselben morphologischen Eigenschaften
wie jene des Menschen, auch sind sie bei der Färbung mit verschiedenen
Methoden von diesen nicht zu unterscheiden.
Was das Wesen der Zelleinschlüsse anbelangf, so scheint es uns
aus den verschiedenen Beobachtungen, wie auch aus unseren eigenen,
einzuleuchten, dass wir sie als Reaktionsprodukte des Protoplasmas den
Toxinen gegenüber zu betrachten haben. Dafür spricht an erster Stelle
das Auftreten bei den verschiedenen Infektionskrankheiten, bei Strepto¬
kokken- (Misch-) Infektionen, weiter bei Staphylokokken- (seltener)
Infektionen, Pneumonien, Masern, Diphtherie usw. Zweitens eine Beob¬
achtung Kretschmer’s, der bei Hunden, welchen er tödliche Dosen
Diphtherietoxins einverleibt hatte, einzelne Einschlüsse näbhweisen konnte.
Sie sind sicherlich keine Kernabkömmlinge, weil sie andere 'tinctorielle
Eigenschaften haben. Zum Beispiel werden sie mit Methylgrünpyronin
rosa, während die Kerne grüngefärbt werden.
Bei unseren Blutpräparaten vom Hunde fanden wir in einzelnen
Fällen im Protoplasma der neutrophilen Leukocyten Anhäufungen sehr
kleine Körnchen, ganz aussehend wie Zelleinscblüsse. Wir sind geneigt
sie für Einschlüsse in statu nascendi zu halten.
1) Centralbl. f. Bakteriol., 1912, Bd. 61, S. 63.
2) Diese Wochensehr., 1912, S. .499.
3) Arch. of Pediatrics, 1912, Bd. 29, S. 380.
4) Diese Wochenschr., 1912, S. 772.
5) Diese Wochenschr., 1912, S. 1232.
6) Verhandl. d. Gesellschaft f. Kinderheilk., Jahrb. f. Kinderheilk.,
1912, Bd. 76, S. 436.
7) Diese Wochenschr., 1912, S. 2124.
8) Diskussion. Gesellschaft f. Kinderheilk., Monatsschr. f. Kinder¬
heilkunde, 1912, Bd. 9, S. 382.
Zum Schluss sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass man die
Einschlüsse gelegentlich auch in den anderen weissen Blutelementen
finden kann.
Was jetzt die Bedeutung der Döhle’schen Zelleinschlüsse für
die Scharlacbdiagnose anbetrlfft, so möchten wir uns der Kon-
kulsion Schwencke’s anschliessen, dass das Fehlen der Ein¬
schlüsse bei hochfiebernden Kranken gegen Scharlach spricht.
Sind die Einschlüsse in den polynucleären
Leukocyten bei Scharlach als pathognomonisch
anzusprechen?
Von
Dr. H. Bongartl, Medizinalpraktikant.
Seit Abschluss meiner in Nr. 45, 1912, dieser Wochenschrift
veröffentlichten Untersuchungen habe ich meine Beobachtungen
ergänzen und erweitern und sie vor allem auch auf das Blut
Erwachsener ausdehnen können.
Unterdessen haben sich die Arbeiten über die in Frage stehenden
Bluteinschlüsse gemehrt, und in letzter Zeit sind drei neue Publikationen,
darunter zwei amerikanische, erschienen, ein Beweis, dass dem von
Döhle gemachten Funde doch ein gewisses Interesse entgegengebracht
wird, wobei auffallend bleibt, dass bei den heutzutage so vielfach ge¬
machten Blutuntersuchungen diese ohne weiteres auffallenden Einschlüsse
so lange dem Auge entgehen konnten.
Am 23. Mai d. J. hielt Döhle in der Medizinischen Gesellschaft in
Kiel einen leider nur im Referat vorliegenden Vortrag über Blutbefunde
bei Scharlach 1 ). Im grossen und ganzen bestätigt er seine früheren
Angaben und hält an dem diagnostischen Werte jener Einschlüsse fest,
auch gegenüber den Berichten Preisich’s 2 ), der sie auch bei Typhus
exanthematicus, Typhus abdominalis, Masern, Tuberkulose und Anämie
fand und ihnen deshalb für Scharlach sowohl jeden spezifischen als auch
diagnostischen Wert abspricht. Eine weitere Arbeit stammt von Ni coli
und Williams 3 ), die im wesentlichen auf dem Standpunkt der früheren
verharrt, aber doch schon anerkennt, dass der diagnostische Wert jener
Körperchen in etwa beschränkt ist. Eine ganz andere Auffassung zeigt
die Arbeit von John A. Kolm er aus Philadelphia, betitelt: Leukocytic
„inclusion bodies“ with special reference to scarlet fever 4 ). Sie ist
nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie den Rahmen, innerhalb dessen
bis dahin die Einschlüsse zur Beobachtung gelangten, wesentlich er¬
weitert, sondern vor allem, weil hier auch das ätiologische Moment in
den Kreis der Betrachtungen einbezogen wird. Wenn der Verfasser auch
immerhin einen gewissen Wert für die Differentialdiagnose zwischen
Scharlach, Röteln, Masern und (gastrointestinal) Exanthemen bei Er¬
krankungen des Magendarmkanals nicht von der Hand weist, so gibt er
doch zu, dass der diagnostische Wert notwendigerweise ein begrenzter
ist. Denn er fand, dass jene Einschlüsse ausser bei Scharlach auch bei
Streptokokkeninfektionen zu beobachten sind, und daraus wiederum sieht
er den Schluss, dass ihr Vorkommen auf die Gegenwart der Strepto¬
kokken zurückzuführen ist. Diese Annahme kommt meiner Auffassung,
wie ich sie im ersten Teil meiner Abhandlung unter 2 niedergelegt habe,
näher. Nur habe ich darin vorläufig die ätiologische Basis etwas breiter
genommen und mich nicht so bestimmt für eine einzige Bakteriengruppe
ausgesprochen. Was Wahres an den beiden Annahmen ist, will ich
weiter unten zu entscheiden versuchen.
Nach den in meiner früheren Arbeit aufgestellten Grundsätzen
habe ich in der gleichen Weise systematisch das Blut gesunder und
kranker Erwachsener untersucht. Dabei ist mir vor allem auf¬
gefallen, dass bei ihnen im Durchschnitt die Einschlüsse in ge¬
ringerer Menge vorhanden, ja vielfach nur in verschwindend wenig
Exemplaren nachzuweisen sind. In jedem Falle aber, wo sie ge
funden wurden, war kein Unterschied mit den bei Scharlach
nachgewiesenen zu bemerken. Meistens waren sie gross, länglich
bzw. halbmondförmig. Nur in wenigen Fällen — je drei Fälle
von akutem Gelenkrheumatismus, Lumbago, Osteomyelitis und
akuter fibrinöser Pneumonie — waren die Einschlüsse in fast
jedem polynucleären Leukocyten nachweisbar. Fasse ich meine
Befunde zusammen — ich verzichte auf Details —, so ergibt
sich ein positives Resultat in 86 pCt., in 14 pCt. ein negatives.
Im ganzen habe ich also bei 87—88 pCt. der Menschen die
fraglichen Einschlüsse gefunden. Nach alledfem muss man also
zu der Ansicht kommen, dass man es mit einem fast normalen
1) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 30.
2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 16.
3) Archives of pediatrics, 1912, Nr. 7.
4) Amer. journ. of diseases of ohildren, 1912, Nr. 1.
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24. Märe 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
645
Befand zu tun hat, dass aber za gewissen Zeiten, wo der Körper
unter bestimmten Einflüssen steht, sich die Einschlüsse in mehr
oder minder hohem Maasse vermehren. Daraus folgt von selbst,
dass sie für Scharlach absolut nicht als patbognomonisch zu be¬
trachten sind.
Damit ist aber die Frage der sogenannten Scharlachkörperchen
noch nicht abgetan. Wir haben nun einmal mit der Tatsache zu
rechnen, dass man in den polynucleären Leukocyten bis dahin
unbekannte Einschlüsse gefunden hat. Wir wissen auch, dass sie
in ihrem Vorkommen Schwankungen unterliegen und nur zu be¬
stimmten Zeiten in besonders hohem Maasse zu finden sind. Da
drängt sich doch unwillkürlich die Frage nach ihrem Wesen und
ihrem Ursprung auf: Stellen sie etwas Physiologisches oder
Pathologisches dar? Und weiter: W 7 as sind sie, und wodurch
entstehen sie?
Im ersten Augenblick scheint die Frage nach ihrem Wesen
recht leicht zu beantworten zu sein. Man könnte schliessen:
Wenn man die Einschlüsse so häufig findet, werden sie wohl
etwas Physiologisches sein. Dem ist aber nicht so, und ich be¬
trachte sie als eine pathologische Erscheinung, und zwar aus
folgender Beobachtung. Ich fand nämlich, dass das Blut Neu¬
geborener keine Einschlüsse aufwies bis zu dem Tage, wo eine
mit Fieber einhergehende Störung, also eine toxische Schädigung
einsetzte.
Ein in klinischer Beobachtung stehender Fall ist mir in dieser Hin¬
sicht sehr wertvoll geworden. Es handelte sich um ein. gesundes,
kräftiges Kind, das kurz nach der Geburt aus familiären Gründen in die
Klinik gebracht wurde. Hier gedieh es vorzüglich, und seine Temperatur¬
kurve zeigte eine ununterbrochene Monothermie, so dass, da auch seine
Gewichtskurve nichts zu wünschen übrig Hess, mit absoluter Bestimmt¬
heit eine Störung im Allgemeinbefinden in Abrede zu stellen war. ln
dieser Zeit untersuchte ich das Blut und konnte in zwei Präparaten
keine Einschlüsse konstatieren. Doch änderte sich das Bild mit einem
Schlage, als das Kind sich einen Katarrh zuzog, auf den es gleich mit
Fieber und schlechten Stühlen reagierte. Als ich am dritten Fiebertage
das Blut untersuchte, fand ich reichlich Einschlüsse. Erwähnt sei, dass
um diese Zeit auch die ersten Zeichen der exsudativen Diathese in die
Erscheinung traten.
ln diesem Falle konnte ich also das erste Auftreten der Ein¬
schlüsse zeitlich mit ziemlicher Sicherheit festlegen. Eine zweite
Untersuchung bei zwei ebenso noch in klinischer Beobachtung
stehenden gesunden Säuglingen — beide waren in geringem Grade
auch exsudativ — ergab wiederum ein negatives Resultat. Da¬
gegen fand ich bei den meisten Säuglingen, die bereits eine fieber¬
hafte Erkrankung durchgemachf hatten bzw. noch an einer solchen
litten, mehr oder weniger reichlich Einschlüsse. Aus diesen Tat¬
sachen ziehe ich den Schluss, dass letztere also eine pathologische
Erscheinung sind, wogegen sie in einem noch nicht geschädigten
Organismus fehlen, ferner, dass sie im Anschluss an eine mit
Fieber einhergehende Erkrankung auftreten.
Ein zweites Moment, das für die Pathogenität der Ein¬
schlüsse spricht, ist ihr Erscheinen, ihre Vermehrung zu Beginn
nnd ihre Verminderung beim Abklingen bestimmter Krankheiten.
Diese Tatsache haben für Scharlach Döhle, Kretschmer und
Nicoll gezeigt, während Preisich und Kolmer sie auch bei
anderen Infektionskrankheiten nach wiesen. Ich selbst habe schon
oben ausgesprochen, dass sie zur Zeit fieberhafter Erkrankungen
in bedeutend grösserer Zahl zu finden sind Wenn sie nach den
Angaben der erwähnten Autoren hauptsächlich im Beginn und in
den ersten Tagen der Erkrankung sich zeigen, dann aber bald an
Zahl abnehmen und endlich verschwinden, so lässt sich das recht
gut aus dem natürlichen Verlauf einer Infektionskrankheit er¬
klären. Dass sie aber auch in gesunden Tagen vereinzelt Vor¬
kommen, ist meiner Ansicht nach ziemlich leicht verständlich.
Denn einmal können es die Residuen einer überstandenen Störung
sein, dann aber wissen wir vielfach nicht, ob nicht doch irgend¬
ein schädliches Agens, ohne dass es sinnfällige Störungen macht,
seinen Einfluss auf den Körper ausübt. Dass man wiederum
andererseits bei Kindern die Einschlüsse etwas häufiger und
meistens in grösserer Anzahl vorfindet, ist auch leicht aus dem
bekannten Umstande zu verstehen, dass ja der kindliche Orga¬
nismus viel leichter und viel öfter einem infektiösen Prozesse
unterliegt.
Wodurch entstehen diese Einschlüsse, nnd was sind sie? Nach
meinen zahlreichen Untersuchungen bin ich zu der Ansicht ge¬
kommen, dass sie Absprengungen vom Zellkern darstellen. Ihr
Aussehen und ihr tinktorielles Verhalten lassen es als wahrschein¬
lich gelten. Diese Absprengnngen sind hervorgerufen durch die
toxischen Wirkungen von Bakterien ohne besondere Bevorzugung
einer bestimmten Bakteriengruppe. Dementsprechend fand ich
die Einschlüsse in erhöhter Menge regelmässig bei akuten fieber¬
haften Krankheiten (vgl. auch Preisich und Kolmer). Es ist
deshalb auch nicht verwunderlich, dass man die Einschlüsse zu¬
erst bei einer Krankheit beobachtet hat, bei welcher der ganze
Körper in besonders hohem Maasse der Wirkung von Toxinen
ausgesetzt ist. Ein weiterer Beweis für mich liegt in der Tat¬
sache, dass die Körperchen im Anfänge der Krankheit, ja sogar
schon im Inkubationsstadium zu finden sind, dann zunehmen und
nach 6—7 Tagen allmählich wieder verschwinden. In den meisten
Fällen wird man wohl damit rechnen können, dass nach dieser
Zeit die Höhe der Krankheit überschritten, der Körper Herr des
schädigenden Agens geworden ist bzw. die Toxine zum grössten
Teil an Antitoxingruppen verankert und so unschädlich gemacht
sind. Nicht in diese Theorie passen die Befunde bei Carcinom.
Und doch lässt sich auch dafür ungezwungen eine Erklärung
finden, wenn man sich erinnert, dass die Carcinoma durch Auto-
intoxikation, indem sie schädliche, vielleicht fermentartige Stoffe
produzieren und an die Körpersäfte abgeben, jene bekannte All-
gemeinschädiguog hervorrufen, die in der Kachexie ihren deut¬
lichen Ausdruck findet.
Fasse ich zum Schluss die Erfahrungen zusammen, so komme
ich zu der Ueberzeugung, dass es sich bei den Einschlüssen in
den polynucleären Leukocyten um Keroabsprengungen handelt, die
auf Grund toxischer Einflüsse entstehen.
Aus der chirurgischen Abteilung des Stadt. Kranken¬
hauses zu Potsdam (Dirigierender Arzt: Dr. Rosenbach).
Ueber einen Fall von medianer Halsfistel.
Von
Dr. G. Bude, Assistenzarzt.
Das Verständnis der medianen Halsfistel und ihrer Entstehung
hat uns His im Jahre 1891 durch seine eingehenden Unter¬
suchungen gebracht. Er wies nach, dass der in früher Fötalzeit
6ich bildende Ductus thyreoglossus, der einen feinen epithelialen
Gang zwischen dem mittleren Lappen der Schilddrüse und dem
Zungengrunde darstellt, zuweilen in seiner ganzen Ausdehnung
oder in seinen beiden Hauptabschnitten (Schilddrüse bis Zungen¬
bein = Ductus thyreoideus bzw. Zungenbein bis Zungengrund =
Ductus lingualis) persistieren kann. Dadurch nun, dass derjenige
Teil des Ganges, der sich in der Nähe der Hautoberfläche be¬
findet, später sekundär nach aussen perforiert, entsteht ein Fistel¬
gang, dessen Länge je nach der Grösse des Abschnittes, in dem
der Ductus thyreoglossus erhalten bleibt, variiert, und der die
mediane Halsfistel darstellt.
Einen solchen Fall von teilweisem Persistieren des Ductus
thyreoglossus mit sekundärem Durchbruch nach der Hautober¬
fläche konnten wir im vorigen Jahre in unserem Krankenhause
beobachten.
Anfang September 1912 wurde uns ein zwölfjähriges Mädchen von
seinen Eltern mit der Bitte zugeführt, dasselbe wegen einer „auf der
Vorderseite des Halses befindlichen nässenden Oeffnung in der Haut*
zu untersuchen und — eventuell — durch einen operativen Eingriff von
diesem Uebel zu befreien. Die Eltern fügten hinzu, dass diese Oeffnung
bald nach der Geburt des Kindes sich gebildet und intermittierend eine
„schleimartige“ Flüssigkeit sezerniert habe, durch die der benachbarte
Hautbezirk mehr oder weniger gereizt worden sei. Aus gesundheitlichen
und kosmetischen Rücksichten baten sie nun um Abhilfe.
Das körperlich leidlich entwickelte Mädchen wies in der Mittellinie
des Halses, dicht oberhalb der Prominentia laryngea eine stecknadel¬
kopfgrosse Fistelöffnung auf, deren Ränder leicht maceriert waren, und
aus der sich auf Druck eine schleimige, fadenziehende Flüssigkeit ent¬
leerte. Eise Sondierung der bei behutsamer Palpation sich als ganz
kurzer derber Strang markierenden Fistel ergab eine Läoge von 7 bis
8 mm. Versuche, sie mit Wismut auszufüllen und dadurch auf der
Röntgenplatte sichtbar zu machen, scheiterten an ihrer geringen Länge.
Auf Grund der Anamnese und des festgestellten Befundes diagnosti¬
zierten wir eine mediane Halsfistel, wobei wir uns sagten, dass der
kurze Fistelgang höchstwahrscheinlich mit einem mehr oder weniger
obliterierten Reste des früheren Ductus thyreoglossus in Verbindung
stehe, und entschlossen uns, die Totalexstirpation des ganzen noch vor¬
handenen Stranges vorzunehmen.
Die in Aethernarkose vorgenommene Operation wurde damit be¬
gonnen, dass nach Einführung einer feinen Sonde in die Fistel und nach
Isolierung ihrer Oeffnung durch einen Circulärschnitt der Gang durch
vorsichtiges Präparieren freigelegt wurde. Als wir das Ende desselben
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UMIVERSITY OF IOWA
546
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
erreicht hatten, zeigte es sich, dass unsere Vermutung, er würde mit
dem obliterierten Ductus tbyreoglossus Zusammenhängen, zu Recht be¬
stand, denn er teilte sich scheinbar in zwei derbe Stränge, von denen
der eine die Richtung nach dem Zungenbein zu einscblug, während der
andere sich abwärts wandte.
Es wurde zuerst der obere verfolgt. Er führte in gerader Richtung
zum Körper des Zungenbeins, um am unteren Rande desselben hinter
ihm zu verschwinden. Um nicht im Dunkeln arbeiten zu müssen, spal¬
teten wir den Zungenbeinkörper in der Annahme, dass sich der Strang
weiterhin durch die Zungenmuskulatur bis zum Foramen coecum fort¬
setzen würde. Dieses erwies sich jedoch als unrichtig, denn als er bis
zum oberen Zungenbeinrande frei präpariert worden war, stellte es sich
heraus, dass er hier endigte. Wir lösten ihn ab, nähten die durch¬
trennten Knochenhälften wieder zusammen und wandten uns dem unteren
Strange zu. Dieser zog vor dem Schild- und Ringkorpel zu der Schild¬
drüse hinab, in deren Gewebe er sich verlor. Freilegen und Abtragen
desselben boten keine Schwierigkeiten, und die Operationswunde wurde
alsdann bis auf ein dünnes Drain geschlossen. Nachdem letzteres am
sechsten Tage entfernt worden war, trat ein völliger Verschluss der
Wunde ein, die Knochennaht heilte glatt, und Pat. konnte mit einer
kurzen festen Narbe als geheilt entlassen werden.
Eine Sondierung des vom Zungenbein bis zur Schilddrüse
exstirpierten Stranges war nicht möglich, er war völlig obliteriert.
Wir hatten demnach den eigenartigen Fall vor uns, dass der
ursprünglich offene Ductus thyreoglossus sich völlig geschlossen
hatte, während der kurze Fistelgang, der sich durch sekundäre
Perforation nach Her Hautoberfläche zu gebildet hatte, offen ge¬
blieben war. Querschnitte durch den obliterierten Strang, die
wir sowohl kurz oberhalb wie unterhalb der nach aussen führen¬
den Abzweigung anlegten, zeigten unter dem Mikroskop neben
Muskelfasern auch Schilddrüsengewebe.
Aus der deutschen dermatologischen Klinik in Prag.
Färbung der marklosen Hautnerven beim
Menschen.
Von
K. Kreibich.
Das von Unna und Golodetz in die Färbetechnik ein¬
geführte Rongalitweiss 1 ) eine Mischung der Lösungen von redu¬
ziertem Methylenblau (Metbylenweiss) und Rongalit, einem
starken Reduktionsmittel, ist in seiner Affinität zum Achsen-
cylinder dem gewöhnlichen Methylenblau derart überlegen, dass
es Nervenfärbung auch dort ermöglicht, wo bisher letzteres ver¬
sagt hat. Wir geben im folgenden vorläufig wieder, an welchen
Objekten Neibenfärbung erzielt wurde, und welche Methoden dabei
angewendet wurden:
Am einfachsten überzeugt man sich von der Affinität des
Farbstoffes zum Achseneylinder am Kaninchenohr. Spritzt man
eine 1 proz. Lösung von Rongalitweiss in Kochsalzlösung (9,0:1000)
in die Haut des Kaninchenorhrs, so färbt sich die injizierte Stelle
blau, excidiert man nach 10, 15, CO Minuten (die beste Zeit ist
noch in weiteren Versuchen zu bestimmen) das betreffende Stück,
so tritt an der Luft eine weitere Bläuung der Schnittstellen ein;
beobachtet man nun einen mit dem Rasiermesser abgetragenen
Vertikalschnitt, so sieht man eine prachtvolle Färbung der Achsen-
cylinder in den markhaltigen Nerven, aber auch eine deutliche
Färbung der niarklosen Nerven, eventuell an manchen Stellen bis
in die Epidermis. Bei 10 proz. Lösung ist die Färbung am besten
am Rand. Verwendung von 0,5—0,2 pCt. eignet sich besser für
die Darstellung der feineren Nerven.
Wir erzielten noch Färbung nach Injektion in das Ohr bei
einem Tier, das bereits mehrere Stunden verendet war. Zwei
Kubikzentimeter einer 1 proz. Lösung, in die Bauchhöhle injiziert,
geben nach einer Stunde eine ausgezeichnete Färbung der Achsen-
cylinder. Für das Studium feinerer Verhältnisse werden geringere
Konzentrationen zu verwenden sein. ]^Die marklosen Nerven der
Cornea färbten sich am besten supravital, indem man die aus¬
geschnittene Cornea in eine Lösung von 0,3 pCt. (ca. 3 Tropfen
auf 50 ccm Kochsalzlösung) auf etwa x / 2 bis 1 Stunde bringt.
Entfernt man mit dem scharfen Löffel die Epitbelzellen, so kann
man direkt unter dem Mikroskop das feine Netz der ,Corueal-
nerven in der Fläche beobachten.
Zur Fixation verwendeten wir bisher ausschliesslich das von
Bethe vorgescblagene Ammoniummolybdat in 5 proz. wässeriger
1) Firma Grübler, Leipzig.
Lösung ohne Zusatz von Salzsäura. Fixation ca. y l 2 bis 1 Stunde.
Auswaschen in Wasser. Entwässern in Alcohol. absol., Xylol, für
Schnitte Paraffineinbettung, sonst Einbetten in Balsam am Objekt¬
träger. Die Nerven behalten ihre Färbung, für den Nerven¬
verlauf dicke Schnitte, für feinere Verästelungen dünnere Schnitte.
Ausgezeichnete Bilder gab uns so die Cornea vom Meerschweinchen
und die Cornea des Rinderauges. Obwohl letztere Augen erst
einige Stunden nach der Schlachtung zur Untersuchung kamen,
zeigten sie im Paraffinschnitt ausgezeichnet das Netz der Corneal-
nerven mit ihren Endigungen im Epithel.
Das leichteste Untersuchungsobjekt ist der Frosch. Intra-
vitale Injektion in die Bauchhöhle von 1 — 5 pCt., oder je nach
dem Zweck, den man verfolgt, Injektion geringerer Konzentration
gibt konstante Nervenfärbung. Intravitale Injektion von 1 pCt.
Lösung in die Zunge, supravitale Färbung der Zunge in der oben
für dieselbe angegebenen 0,3—0,5 proz. Konzentration gibt im
ersten Falle die tieferen Nerven, im zweiten Falle die Nervec-
endorgane wieder.
Aus den Versuchen an der Menschenhaut sei zusammen¬
fassend folgendes berichtet. Rongalitweiss, intracutan injiziert,
gibt konstante Nervenfärbung.
Wir injizierten am häufigsten einige Tropfen einer 10 proz.
Lösung in Kochsalz mittels feiner Spritze so oberflächlich als
möglich. Die Quaddel färbt sich blau. Die Blaufärbung hält
einige Stunden an. Wir excidierten bei dieser Konzentration
nach 1—4 Stunden. Betrachtet man das excidierte Stück
zwischen zwei Objektivträgern unter dem Mikroskop, so sieht man,
von der centralen blau gefärbten Partie die in ihren Achsen-
cylindem gefärbten markhaltigen Nerven, aber auch vereinzelte
raarklose Nerven abgehen. Die Färbung reicht aber selten bis
zur Epidermis. Der Versuch, durch höhere Konzentration (50 pCr.,
Injektion schmerzhaft) die Färbung höher in die Epidermis
hinaufzubringen, gab keine besseren Resultate. Sie wurden aber
erzielt durch intracutane Injektion von 0,5 pCt., 0,3 pCt., 0,1 pCt.,
und Excision der Stelle nach l / 2 — 1 / i Stunde. Die besten Resul¬
tate gab, wenn vielleicht auch weniger konstant, die supravitale
Färbung. (Vergl. Abbildung.) Dünne Thiersch’sche Läppchen
Hautnervenverteilung. Reichert ok. 4, obj. 4. Mit Zeichen-
caraera aufgenommen. Flächenbild.
wurden in eine Lösung von ca. 0,3 —0,5 pCt. (3 Tropfen
auf 50 ccm Kochsalzlösung) gebracht und verbleiben daselbst
etwa 1—2, Stunden, bis die Flüssigkeit dunkelblau geworden
ist. Man kontrolliert unter dem Mikroskop das Auftreten der
gefärbten Nerven zwischen den übrigen ebenfalls gefärbten Zellen
setzt nun das Präparat 1—2 Minuten der Luft aus und gibt es
dann 1 / 4 —V 2 Stunde in obige Fixationsflüssigkeit. Apswascben,
Alcohol. absol., Xylol, Balsam, Deckglas oder Paraffineinbettung
und typische Schnittbehandlung. Die Bilder sind schon nach
unseren jetzigen Befunden vielfach als ideal zu bezeichnen. Sa
sahen wir bei seniler Haut, die sich besonders eignet, im Flächen¬
bild marklose Nerven längs der Capillaren, ein Netz von Nerven,
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24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
647
welches der Subpapillarschichte entsprechen durfte, meist ein
dichtes Netz um die Follikel und feinste Endigungen in der
charakteristischen korallenschnurartigen Form, zwischen den
Epithelzellen endigen, ln sagittalen Schnitten durch eine senile
Warze fanden wir ein dichtes Nervengeflecht intensiv blauschwarz
gefärbter markloser Nerven in den Papillen, von hier zum Teil
sich zwischen die Epidermiszellen erstreckend, zum Endziel des
Nerven, damit aber auch zum Endziel der langgesuchten Nerven-
färbung.
Zur Chirurgie der Gallenblase.
Von
Dr. Adler-Berlin-Pankow.
(Nach einer am 13. Februar 1913 in der Hufelandischen Gesellschaft
gehaltenen Demonstration.)
M. H.! Wenngleich über die Indikationen für die chirur¬
gische Behandlung der Cholelithiasis und Cholecystitis noch nicht
in allen Punkten völlige Einigkeit erzielt ist, so herrscht doch
darüber allgemeine Uebereinstimmung, dass es in der überaus
grossen Mehrzahl der Fälle — meist wird angenommen, in
80 pCt. der Fälle — durch geeignete interne Behandlung gelingt,
die Cholelithiasis in das Latenzstadium überzuführen. Für die
Annahme, dass Steine in der Gallenblase unter dem Einfluss
normaler Galle sich wieder auflösen können, bieten die äusserst
interessanten Untersuchungen, über welche Herr v. Hansemann
erst neulich in der Berliner medizinischen Gesellschaft berichtet
hat, eine neue wichtige Stütze. Nur in etwa 20 pCt. aller Fälle
kommt eventuell eine chirurgische Behandlung in Frage, und
zwar handelt es sich hier um die schweren Fälle von akuter
infektiöser Cholecystitis, von Hydrops und Empyem der Gallen¬
blase, chronischem Choledochusverschluss, Cholangitis und die¬
jenigen Fälle von chronischer recidivierender Cholecystitis, bei
welchen die interne Therapie auf die Dauer versagt.
Hält man sich an diese, in Deutschland wohl ziemlich all¬
gemein gültigen Indikationen, so wird man relativ selten mehr
in die Lage kommen, die im Beginn der Gallensteinchirurgie
fast ausschliesslich geübte Cholecystostomie bzw. Cbole-
cystotomie zu machen, d. h. die Blase nach Entfernung der
Steine zu drainieren bzw. wieder zu verschliessen und zu ver¬
senken. Denn die neueren Untersuchungen, insbesondere die
klassischen Arbeiten von Aschoff und Bacmeister lassen einen
Zweifel darüber nicht bestehen, dass die Gallenblase in der über¬
aus grossen Mehrzahl dieser Fälle schon derartig schwere destruk¬
tive Veränderungen aufweist, dass ihr Zurücklassen für den
Kranken die Gefahr der Wiederkehr der Beschwerden und der
Neubildung von Steinen in sich birgt. Aber selbst bei makro¬
skopisch wenig verändertem Aussehen lässt die mikroskopische
Untersuchung meist noch erhebliche Abweichungen erkennen.
Insbesondere sind es die unter dem Namen der Luschka’schen
Gänge bekannten Einsenkungen des Epithels der Gallenblasen¬
schleimhaut, welche sich bei chronischer Cholecystitis aktiv stark
vermehren und erweitern, so dass sie die Wand der Blase in
Form kleiner und kleinster Divertikel bis unter den serösen Ueber-
zug durchsetzen. In diese zahlreichen Gänge werden beim Anfall
durch den gesteigerten Innendruck die infektiösen Entzündungs¬
produkte, sowie kleinste Concremente hineingepresst und bleiben
hier als eine dauernde Quelle neuer Reizungen und Anfälle liegen;
es ist auch erwiesen, dass das so gefürchtete Uebergreifen des
infektiösen Prozesses auf die Blasenwand, den Bauchfellüberzug
der Blase, ja sogar die Perforation der Blase mit ihren ver¬
hängnisvollen Folgen auf diesen präformierten Wegen zustande
zu kommen pflegt. Diese Tatsache ist ein weiterer wichtiger
Grund, die Gallenblase in der Regel mit zu entfernen.
Würden wir lediglich der Steine wegen operieren, so könnten
wir wohl öfter die Gallenblase erhalten. Die Veränderungen an
der Gallenblase sind aber meist schon makroskopisch so hoch¬
gradiger Natur, dass man unbedingt den 1 Eindruck gewinnen
muss, dass diese schweren entzündlichen Prozesse die Hauptquelle
der Beschwerden sind und nicht die Steine.
Dem pathologischen Anatomen ist es wohl ein fast tägliches
Vorkommnis, dass er bei Sektionen von Menschen, welche nife im
Leben an Gallensteinbeschwerden gelitten haben, Steine findet.
Nach den im Münchener pathologischen Institut angestellten Be¬
rechnungen werden durchschnittlich bei jeder achten Sektion
Gallensteine gefunden. Ich zeige Ihnen statt vieler nur zwei
solcher Sektionspräparate: das erste stammt von einer Frau,
welche dem Recidiv eines Mammacarcinoms erlegen ist und, wie
wir feststellen konnten, intra vitarn nie über Gallenbeschwerden
und dergleichen geklagt hat; wir fanden diesen hühnereigrossen
Stein, welcher das Lumen der ausgedehnten Blase völlig ausfüllte.
(Figur 1.)
Figur 1.
Hühnereigrosser, die ganze Blase ausfüllender Solitärstein ohne klinische
Symptome.
Das zweite Präparat stammt von einem 75jährigen Prostatiker,
welcher einer chronischen Pyelonephritis erlegen ist. Die Gallen¬
blase ist prall mit Steiuen vollgepfropft; auch hier waren, wie
die Erkundigungen ergaben, intra vitara nie Beschwerden vor¬
handen gewesen, die als Gallensteinleiden hätten gedeutet werden
können. (Figur 2.)
Figur 2.
Stark vergrösserte, mit Steinen prall ausgefüllte Gallenblase, ohne
klinische Symptome.
Die Steine werden erst bedenklich, wenn sich zu ihnen eine
Infektion der Gallenwege gesellt, oder wenn sie von der Blase
aus in den Cysticus und Choledochus getrieben werden und zu
gross sind, um auf natürlichem Wege entleert werden zu können.
Dann verlegen sie den Abflussweg der Galle und führen — zumal
bfci gleichzeitig bestehendem Infekt — zu den bekannten dele¬
tären Symptomen.
Gleichviel, ob der Verschluss des Cysticus durch Steine oder
entzündliche Vorgänge zustande kommt, der Effekt ist in beiden
Fällen derselbe: Es entsteht entweder ein Hydrops oder eine
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548 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 12.
Schrumpfung der Gallenblase. Ein Hydrops entsteht dann,
wenn zu der Occlusion noch entzündliche Prozesse hinzutreten.
Die Blase wird dann oft enorm ausgedehnt, ihre Wand wird
papierdünn. Bei Punktion oder Incision der Blase entleert sich
meist eine fast wasserklare schleimige Flüssigkeit. Der weitere
Verlauf gestaltet sich verschieden: Bleibt der Inhalt steril, so
kann sich der Hydrops immer mehr eindicken, und die Blase
schrumpft zusammen. Oder der Abfluss durch den Cysticus wird
wieder frei, so dass die Blase sich wieder erholen kann. (Figur 3.)
Fijiur 3.
Hydrops der Gallenblase, Verschluss des Cysticus durch Ventilstein.
Wand der Blase papierdünn.
Nicht selten aber bildet der Hydrops den Nährboden für Ansiedlung
von Keimen aus dem Darm, und es entsteht ein Empyem. Ich
zeige Ihnen ein derartiges Präparat: Hier bestand jahrelang die
leicht fühlbare, hydropisch erweiterte Gallenblase, bis der hinzu¬
tretende Infekt zum Empyem führte und die schleunige Chole¬
cystektomie erheischte, wobei diese enorm ausgedehnte eitergefüllte
Gallenblase entfernt wurde, deren papierdünne Wandung den Träger
stets der Gefahr der Perforation ausgesetzt hätte. (Figur 4.)
Besteht das Empyem schon längere Zeit, so finden wir neben der
Ausdehnung der Blase wohl meist eine Verdickung der Wand¬
schichten, wie im folgenden Falle, wo mit der eitererfüllten Blase
über 1100 kleine Concremente entfernt worden sind.
Noch schwerer sind die Veränderungen der Gallenblase in
den folgenden Fällen: Hier bandelt es sich um die akute,
eitrig - infektiöse Cholecystitis. Alle Wandschichten sind,
wie Sie sehen, intensiv gerötet, Ödematös gequollen, die natür¬
lichen Falten der Schleimhaut sind verschwunden, man sieht be¬
reits Geschwüre in der Schleimhaut, welche zum Teil als durch
den Druck der Steine erzeugte Decubitalgeschwüre anzusehen sind,
zum Teil aus den durch Ueberdehnung entstehenden Nekrose¬
herden sich entwickeln (Cbolecystis ulcerosa). Der Inhalt der
Gallenblase ist meist virulenter Eiter. Eine relativ seltene Unter¬
art dieser Form ist die Cholecystitis haemorrhagica, von
welcher Sie hier ein typisches Beispiel sehen. Bei der Eröffnung
der Blase enthielt diese ausser den Steinen nur frische und ge¬
ronnene Blutmassen. Neben einer starken hämorrhagischen In¬
filtration aller Wandschichten sehen Sie das Organ mit Nekrose¬
herden auf der Schleimhaut und intramural durchsetzt; bei Be¬
trachtung dieses histologischen Präparates können Sie sich davon
überzeugen, wie weit diese Zerstörungen schon gehen: die
Schleimhaut ist bis auf kleinste Reste zugrunde gegangen und an
ihrer Stelle finden sich zum Teil pseudodiphtherische Auflage¬
rungen. In* der Submucosa und Aluscularis finden Sie zahlreiche
Nekroseherde, miliare Abscesse und Hämorrhagien. Derartige
Fälle bilden schon den Uebergang zu der allerschwersten Form,
der Cholecystitis gangraenosa, von welcher Sie hier zwei
Beispiele sehen: einen Fall, in welchem die Gangrän zunächst
nur die Schleimhaut ergriffen hat, während die übrigen Wand¬
schichten hochgradig entzündet sind, und einen Fall von totaler
Gangrän der Gallenblase, welcher bereits mit Perforation und
diffuser eitriger Peritonitis dem Krankenhause zugeführt wurde,
Figur 4.
Empyem der Gallenblase.
aber trotzdem durch die sofortige Operation noch gerettet werden
konnte.
Die Betrachtung dieser Präparate lehrt uns, dass an der
Gallenblase — genau wie am Wurmfortsatz — alle Grade der
akuten Entzündung beobachtet werden, und zwar augenscheinlich
ganz unabhängig davon, ob Steine vorhandeu sind oder nicht, und
so ist denn auch in erster Linie der Zustand der Gallenblase be¬
stimmend für unser chirurgisches Handeln.
Dass in allen diesen schweren Fällen ein rasches operatives
Vorgehen angezeigt ist, unterliegt keinem Zweifel. Häufig gehen
uns derartige Kranke unter der Diagnose Appendicitis zu, und
sie verdanken vielleicht dieser irrigen Diagnose ihr Leben. Denn
es ist mindestens fraglich, ob sie sich unter der weniger ge¬
fahrvoll klingenden Diagnose „Gallensteinkolik“ so rasch zum
Eingriff bereit erklärt hätten.
Die Veränderungan der Gallenblase bei der chronischen
Cholecystitis, von welchen ich Ihnen hier sechs Beispiele zeige,
sind charakterisiert durch mehr oder weniger ausgedehnte
Schrumpfung des Organs, narbige Zerstörung der Alucosa, meist
ausgedehnten Schwund ihrer charakteristischen feinen gitter¬
förmigen Falten, Wucherung der Submucosa, Verdickung aller
Wandscbichten und pericholecystitische Verwachsungen. Derartige
Blasen sind sehr oft in starke narbige Adhäsionen zwischen Leber,
Magen, Duodennm, Colon, Transversum und Netz eingebettet, so
dass ihre Entfernung zuweilen auf nicht geringe Schwierigkeiten
stösst. Auch in solchen Fällen kann einzig und allein die
Cholecystektomie in Frage kommen; nicht nur, weil wir damit
die wesentliche Quelle der Beschwerden beseitigen, sondern weil
diese Blasen der Gefahr der malignen Entartung ausgesetzt sind.
Besteht gar Verdacht auf Cholangitis oder Steine in den Gallen¬
gängen, so bietet die Entfernung der Blase und Eröffnung des
Cysticus bis in den Choledochus hinein die sicherste Methode zur
Auffindung, zur gründlichen Entleerung und Drainage der tiefen
Gallenwege. 1 - '
Ich hoffe, m. H., dass Sie aus der Betrachtung dieser Prä¬
parate gleichfalls die Ueberzeügung gewinnen, dass die Verände¬
rungen der Gallenblasen, wie sie sich unter der bei uns
üblichen Indikationsstellung für das chirurgische Vorgehen präsen¬
tieren, meist dermaassen schwer sind, dass in der Regel nur die
Cholecystektomie in Frage kommen kann.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
649
Sport und Reizmittel.
Von
Ferdinand Hoeppe.
(Nach einem am 13. Dezember 1912 in Charlottenburg in der Vereinigung
zur wissenschaftlichen Erforschung des Sports und der Leibesübungen
gehaltenen Vortrage.)
(Schluss.)
Alkohol ist eindeutig ein wirkliches Nahrungsmittel und
seine Energie wird anch in Arbeit umgesetzt. In Schnelligkeit
der Verbrennung und Ueberführung in Arbeit ist er den anderen
C-haltigen Nahrungsmitteln sogar etwas überlegen, so dass er zur
Steigerung der Leistungsfähigkeit der übermüdeten Muskeln noch
am ehesten zu verwerten ist, wenn diesen schnell Energie an¬
geführt werden muss. Aber er kann nicht wie Kohlehydrate den
ganzen C-Bedarf decken, weil er wegen seiner Gift- und Rausch¬
wirkung sehr beschränkt werden muss. Allein ist er nnr für
ganz kurze Zeit ausreichend. Doch wirkt er dann nicht bloss
durch Beseitigung des Ermüdungsgefühls und Wegschaffung von
Hemmungen, sondern auch direkt, weil er eine kurze Arbeit selbst
leisten kann, so dass er nach H. Frey an Stelle einer Erholungs¬
pause zu treten vermag. Also nicht vor oder während der
Arbeit, sondern gegen Schluss könnte er einmal nützlich sein.
Bei sportlicher Tätigkeit heisst das aber klipp und klar, dass er
dabei als wirkliches Nahrqngsmittel unbrauchbar ist, weil wir
dazu Mittel gebrauchen, die bei gesteigerter Anforderung diesen
erhöhten Bedürfnissen entsprechend beliebig gesteigert werden
können. Dazu kommt, dass er die Arbeit unökonomischer macht,
so dass er dem Training entgegen wirkt, dessen Hauptaufgabe
es ist, die Arbeit ökonomischer zu machen. Zum Schlüsse einer
Dauerleistung mehr als während einer schnellen Arbeit kann er
aber durch seine Reizwirkung noch mehr als durch seine schnelle
EnergiewirkuDg gelegentlich wertvoll zur sicheren Erreichung eines
Zieles sein, vielleicht im Gebirge einmal lebensrettend wirken.
Dies kommt besonders in Betracht, wenn durch die Nervenüber-
müdung das Orientierungsvermögen leidet und die geistige Ab¬
spannung grösser und auffallender ist als die direkte Muskel-
ermüdung, so dass subjektive Unfälle durch Mängel in der Er¬
kennung der Situation drohen, was auch bei militärischen Gewalt¬
leistungen gelegentlich zu beachten ist. Für den Sport kommen
die alkoholischen Getränke nur als Reizmittel in Betracht.
Ziehen und Moritz hatten ermittelt, dass ein Erwachsener
etwa 30—40 g Alkohol mit 212—283 Calorien täglich ohne
Schaden aufnebmen kann, was z. B. etwa 1—IV 2 1 Bier ent¬
spricht. Ich würde allerdings nicht raten, etwa von Reichs wegen
Normal-Aichungskommissionen einzusetzen, um etwa die Studenten
bei Eintritt in die Hochschulen auf ihre Aufnahmefähigkeit für
Alkohol zu prüfen, weil sie dann glauben könnten, sie müssten
täglich einen bestimmten Alkoholstand erreichen.
Nun geniessen wir aber tatsächlich keinen Alkohol, sondern
alkoholische Getränke, ein Unterschied, den man leicht zeigen
kann. Wenn man z. B. den Alkohol aus einer Flasche Bier
destilliert und ein brennendes Streichholz hinein hält, so brennt
der Alkohol; wenn man aber das brennende Streichholz in das
Bier hält, so erlischt es. Bier und Wein enthalten Extraktiv¬
stoffe und Salze, die man bei der Ernährung neben dem Alkohol
nicht ausser acht lassen darf; Bier z. B. liefert daraus pro 100 g
45 Calorien. Wenn wir 10 g Alkohol zu uns nehmen wollen, so
würden wir dazu nötig haben: 40 ccm eines 25 proz., 100 ccm
eines 10 proz. und 1 / 3 1 eines 3 proz. Getränkes. Die Form, in
der der Alkohol verwendet wird, und seine Konzentration sind
aber von grösster Wichtigkeit für den Einfluss auf den Körper.
Es geht aus den obigen, immer wieder bestätigten Unter¬
suchungen eindeutig hervor, dass bei Stoffwechsel versuchen der
Alkohol auch als Nährstoff berücksichtigt werden muss, und ich
hatte schon früher darauf hingewiesen, dass, wenn dies ohne
Schaden geschehen soll, der Eiweissgehalt des Körpers ein aus¬
reichend hoher sein muss, weil Alkohol den Stickstoffgebalt der
Nahrung relativ herabdrückt. Ebenso verlangte Rubner aus¬
drücklich, dass der .Alkohol in einer Ernährungsbilanz a)s eine
„maatsgebende Grösse u eingestellt wird.
Der treffsichere Berliner Witz bat dieses wissenschaftliche
Resultat schon vorausgeahnf, indem er behauptete, die weltfremden
Gelehrten hätten die Aufschrift über der sogenannten Bücher¬
kommode, der früheren Königl. Bibliothek, „nutrimentum spiritüs“
falsch verstanden, und man kann ja tatsächlich mit blossem
Bücherwissen einen Menschen geistig nicht ausbilden. Es müsse
heissen: nutrimentum spiritüs — der Spiritus ist ein Nahrungs¬
mittel. Und so hatten sie recht gegenüber Kassowitz, welcher
die ganz unhaltbare und vollständig widerlegte Behauptung auf¬
stellte, Alkohol sei ein Gift und könne deshalb kein Nahrungs¬
mittel sein.
ln Japan mästet man die Ringer mit grossen Massen Fleisch
und Reis, die nur durch grosse Mengen Alkohol erträglich ge¬
macht werden, zu einer Grösse heran, die bis zu 1,80 m, ja
selbst 1,90 m reicht und sie unter ihren kleinen Landsleuten als
Riesen erscheinen lässt. So mästeten sich in Rom in der Zeit
des Niedergangs der Athletik die griechischen Berufsringer, und
es hiess von ihnen „inter oleum et vioum occupati sunt.“ Auch
in Deutschland waren früher die starken Männer auf einem ähn¬
lichen Wege und hielten mehr zu Jan Primus, dem Herzog und
Bierbrauer von Brabant, als zu dem kaffeetrinkenden Friedrich
Ludwig Jahn von der Hasenheide in Berlin.
Ich möchte mir aber bei diesem Punkte für besondere Fälle
eine rein ärztliche Bemerkung gestatten. Ich habe bei un¬
richtigem und übertriebenem Training einige Fälle beobachtet, bei
denen nicht nur die Nerven ganz herunter waren, sondern auch
der Körper aus einer nicbtinfektiösen Pbthisis nicht herauskam.
Ein regelmässiger Genuss von gutem Münchener Bier wurde da
zur Rettung, überwand die ganze Schwäche, so dass später wieder
zum normalen Betriebe und sogar zum alkoholfreien Training ge¬
schritten werden konnte. Arzt und Trainer müssen auch lernen,
die Gefahr des Uebertrainierens rechtzeitig zu erkennen, und
sollten stets wissen, wer zum Training zugelassen werden darf.
Das Training ist durch seine Askese eine sehr ernste Sache, die
sehr gewissenhaft durcbgefübrt werden muss.
Bei den Getränken spielt die Konzentration eine grosse Rolle,
weil von der Flüssigkeitsmenge auch die Arbeit des Herzens und
der Nieren abhängig ist. Gegenüber verschiedenen neuen An¬
gaben, dass das Trinken beim Essen für dessen Ausnutzung nichts
schadet, muss ich nachdrücklich auf die gegenteilige Erfahrung
hinweisen. Der Körper entledigt sich aller überflüssiger Getränke
schnell, und eine zu grosse Aufnahme von Flüssigkeit macht den
Körper dick und schwammig. Das gilt nicht nur vom Biertrinken,
sondern nach der Volkserfahrung in China, Japan und Russland
auch vom vielen Teetrinken.
Eine Ueberlastung des Blutkreislaufes beeinträchtigt das Herz
und führt sowohl zum Bier- als auch zum Teeberzen. Alles Der¬
artige ist einem rationellen Betriebe von Körperübungen abträg¬
lich. Nach meiner auf praktischer Erfahrung und Versuchen
beruhenden Definition erstrebt Training in bezug auf die Körper¬
verfassung „Abnahme des Wassergehaltes des Körpers, Erhöhung
des spezifischen Gewichtes, Erhöhung des Bestandes an circu-
lierendem aktiven Serumeiweiss und Vermehrung der roten Blut¬
körperchen 11 . Bei dieser Verfassung arbeitet der Körper ökono¬
mischer und technisch richtiger.
Die alkoholischen Getränke, die wenig Alkohol enthalten,
aber viel Flüssigkeit zuführen, arbeiten diesem Zustande direkt
entgegen, während die Gefahren der konzentrierten alkoholischen
Getränke darin liegen, dass der Körper in diesem Falle die nach¬
teiligen Giftwirkungen des Alkohols zu schnell und stark erfährt,
welche den körperlichen Leistungen entgegenarbeiten und sie un¬
ökonomischer gestalten.
Da wir im Sport vom Alkohol als Nahrungsmittel ganz ab-
sehen müssen, muss ich noch einiges zur Ergänzung über den
Alhohol als Reizmittel anführen. Man beobachtete dies zuerst
exakt an den Leistungen von kleinen Muskelgruppen, die an sich
zur Beurteilung sportlicher Arbeit ungeeignet sind. Als man z. B.
die Leistungen des Beugemuskels eines Fingers nach Zahl und Höhe
der Hebungen durch den Mosso’schen Ergographen feststellte, ergaben
Versuche von Deströe, Guilbaut, Kraepelin, Scheffer,
Glück, dass der Alkohol anfaugs und sofort die Leistungen er¬
höhte, aber m trat schneller eine Abnahme der Leistungen ein
als bei den alkoholfreien Versuchen.
Scheffer, der an täglichen Genuss von einem Glase Bier
gewöhnt war, nahm 10 g. Alkohol in 100 g Wasser, so dass die
Giftwirkung ausgeschlossen war; er hatte nach den Einnahme
sofort Wärmegefühl ,und geringere Arbeitslust, aber nach fünf
Minuten erfolgte sowohl am ermüdeten, wie am nicht ermüdeten
Muskel eine Steigerung der Arbeitsleistung, die eine halbe Stunde
anhielt, um dann eine Abnahme unter die Norm zu zeigen. Die
Beseitigung des Ermüdungsgefühls aber war nicht allein die
Ursache der ersten Mehrleistung. Nach Scheffer wirkt der
Alkohol nur durch Erhöhung bzw. Minderung der Erregbarkeit
des Nervensystems, während nach Blumenthal auch eine direkte
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
550
Erregbarkeit der Muskeln durch den Alkohol erfolgte. Da Gehirn,
Nervenbahnen und Muskel eine Arbeitseinheit darstellen, ist es
wichtig, festzustellen, dass die Reizbarkeit und Beeinflussung des
Gehirns grösser ist als die der Nerven und Muskeln. Gebirn-
anregung zur Ueberwindung der Müdigkeit ist also nicht in
gleichem Maasse eiue direkte Beeinflussung des Muskelproto¬
plasmas. Durch Ueberwindung deprimierender Eindrücke kann
Alkohol also manchmal direkt günstig wirken, wenn der Muskel
noch Reserven hat.
Wo Alkohol nicht als Nährstoff in Betracht kommt, sondern
als Reizmittel, betäubt er das Ermüdungsgefühl, wirkt also wie
eine Peitsche auf ein ermüdetes Pferd. Sind aber noch Kräfte
vorhanden und ist Aussicht auf späteren Ersatz durch ausreichende
Ruhe, so kann es dem Körper nichts schaden, wenn einmal durch
die Alkoholpeitsche das Ermüdungsgefühl überwunden und der
Körper dadurch zum Schlüsse veranlasst wird, den Kräftevorrat
ganz auszugeben, um ein wichtiges Ziel zu erreichen. Nur sollte
das nicht zu oft geschehen, weil das Ermüdungsgefühl ein
wichtiger Warner ist, der uns an Ersatz mahnt.
Aber durch Alkoholaufnahme vor oder während der Arbeit
tritt eine anregende Wirkung zur Unrechten Zeit ein und wirkt
der Kräfteökonomie entgegen. Gerade beim Training ist es
wichtig, dass der Organismus exakter arbeitet, um weniger Neben¬
verluste durch überflüssige Arbeit zu haben. In diese bessere
Koordination der Muskeln, das bessere Funktionieren der inneren
Organe und der Haut greift der Alkohol störend und in grossen
Mengen sogar aufhebend ein.
Es ist eine alte Erfahrung, dass Soldaten, wenn sie vor dem
Marsche Alkohol nehmen, besonders im Sommer bald schlapp
werden. Bei obigen Versuchen und bei Tierversuchen wurde aber
der Alkohol stets in dieser für die menschliche Arbeit un¬
geeigneten Weise vorher gegeben, während er nur und erst zur
Anspannung der letzten Kräfte oder zur Ueberwindung psychischer
Depression zum Schluss einer Uebnng gegeben werden sollte.
Bei den Tieren, die der Aufnahme widerstreben, wurde der
Alkohol ausserdem in zu konzentrierter Form gegeben, von 10
bis 25 pCt. Bei geringen Gaben zeigte sich dann weiter, dass
die bakterielle Infektion nach Laitinen, Koegler, W. Kern
begünstigt wurde. Aber wenn auch der Mensch .durch den
Alkoholmissbrauch weniger oder mehr Schweinchen werden kann,
so nimmt er doch nicht gerade die Natur eines Meerschweinchens
au. Gerade bei der Tuberkulose wissen wir durch B re hm er,
dass der Alkohol in Verbindung mit entsprechender Ernährung
glänzende Heilungen durch Erhöhung der allgemeinen Wider¬
standsfähigkeit hatte erzielen lassen. Bakteriellen Giften gegen¬
über wirkte der Alkohol in Tierversuchen eher günstig, und
damit in Uebereinstimroung steht die Erfahrung, dass gegen
Schlangengift der Alkohol in grossen Gaben sogar ein lebens¬
rottendes Mittel werden kann.
Friedberger, Fraenkel, Leva, R. Pfeiffer fanden bei
mässigen Gaben eine Begünstigung der Serumschutzstoffe, Laitinen
nur eine mässige Herabsetzung der Baktericidie des Blutes, während
Ab bot und Bergey ein Schwinden der Schutzstoffe gefunden
haben wollten, so dass diese Versuche nicht dagegen sprechen,
Alkohol in geringen Gaben als Reizmittel zu verwenden.
Für den Menschen haben diese Versuche aber insofern keine
Bedeutung, als mau durch ein Beefsteak oder einige Eier oder
ein Stück Käse einen etwaigen Ausfall durch Alkohol sogar
überkompensieren kann, und Förster hat ermittelt, dass die Ver-
dauungsfermente und Schutzstoffe des Körpers, deren der Organismus
zum Bekämpfen von Giften und Infektionsstoffen bedarf, eine
ausreichende Zufuhr von Eiweiss erfordern. Ist der Eiweiss¬
bestand der Nahrung ausreichend, so kommen alle diese eventuell
einmal möglichen ungünstigen Wirkungen kleiner Alkoholgaben
gar nicht in Betracht. Das muss natürlich bei der Alkobol-
auwendung mit berücksichtigt werden.
Für den sportlichen Betrieb von Körperübungen haben die
alkoholischen Getränke im allgemeinen mehr Nachteile als Vor¬
teile, und die nach Umständen verwertbare Reizwirkung kleiner
Alkoholmengen wird ganz überflüssig, wenn der Körper durch
zielbewusste Uebung und ein richtiges Training ökonomisch und
technisch besser arbeiten gelernt* hat. Aber bei der Art, wie ein
Volk unter natürlichen Verhältnissen auf dem Lande Körper¬
übungen betreibt, ist ein roässiger, nicht regelmässiger ÄlkoHöl-
genuss unbedenklich. Unter den Lebensverbältnissen der Gross¬
stadt wird man aber die Vorteile von Körperübungen nicht aus-
nützen können, wenn man die ruhebedürfrigen Nerven durch
häufigen nnd regelmässigen Alkoholkonsum überreizt.
In diesen Dingen sollte auch die Erfahrung nicht ganz un¬
berücksichtigt bleiben. Bei der Vorherrschaft des klassischen
Gymnasiums hätte man sich einer Episode erinnern dürfen, die
Homer berichtet; Hektor lehnte nach ihm die Aufforderung
seiner Mutter, sich vor dem Kampf mit Wein zu stärkeu, mit
vollem Rechte ab; nach dem Kampfe trank er aber ebenso wie
die anderen Helden seinen Gespritzten.
Der germanische Sturmgott Wodan wollte während des
Wandems nach der Edda nichts von Alkohol wissen: „Die
schlechteste Wegkost wählt, wer sich betrinkt“; aber nach einem
Marsche verschmähte der Wanderer beim Mahle den Met nicht.
Wirerkennen daraus einen gewissen Gegensatz in der Strenge
der Anforderungen zwischen dem harten, kurzen Training des
Athleten und dem mehrjährigen militärischen Training. Besonders
die Winterfeldzüge haben nns einige wichtige Lehren gegeben.
Die Deutschen würden 1870/71 in dem barten Winter wohl ohne
den französischen Rotwein nicht so gut über die Strapazen,
Schwierigkeiten der Ernährung und die ganze Summe ungünstiger
Einflüsse eines Winterfeldzuges hinweggekommen sein. Die
Japaner erhielten im letzten Feldzuge regelmässig Sake in be¬
sonders konzentrierter Form, den sie mit beissem Wasser ver¬
dünnt nahmen. Die jetzigen Ereignisse auf dem Balkan möchte
ich aber raten nicht gegen die Abstinenz zu verwerten, weil die
Türken den nicht abstinenten Balkanvölkern unterlegen sind.
Diese Niederlagen hatten doch ganz andere Gründe, ebenso wie
man die früheren Siege der Türken nicht auf ihre Abstinenz
schreiben kann. Dagegen steht nach Marin Bounoust und
v. Scherer fest, dass der unmässige Konsum von Branntwein
im Winterfeldzuge 1812 körperlich, aber auch geistig durch
Lockerung der Disziplin auf den Zusammenbruch der französischen
Armee von giösstem Einfluss war. Die mässigen Italiener über¬
standen damals die furchtbaren Strapazen am besten. Damals
begann die Branntweinpest ihren grossen Zug über Westeuropa.
Ungewohnte Getränke sind besonders gefährlich, und so unter¬
sagten nach Caesar die Sueben und Nervier die Einfuhr von Wein,
von dem sie fürchteten, weibisch und zum Ertragen von Kriegs¬
strapazen ungeeignet zu werden. Karl der Grosse ging scharf
gegen Soldaten vor, die sich mit Wein betranken und dadurch
gegen die Disziplin vergingen.
Gustav Adolf erliess als erster Feldherr ein bis zu seinem
Tode streng durchgefübrtes Schnapsverbot. Wilhelm 1. erliess
1861 seinen berühmten Erlass: „Bei der Verpflegung meiner
Armee soll fernerhin anstatt der Branntweinportion der Kaffee
treten.“ Schweden folgte 1870, England 1875. Schnapsverbote
wurden später 1900 von Gallifet für die französische Armee,
1902 vom Erbprinzen von Meiningen für das 6. und vom
Grafen Haeseler für das 16. preussische Armeekorps erneuert
erlassen.
Als man aber in Amerika auch das Bier in den Kantinen
ganz untersagte, stieg die schon durch Schnapsverbot gesunkene
Trunkenheit und deren Folgen unter den Soldaten wieder ganz
bedeutend an. ln den letzten Jahren wurde nach englischem
Beispiel in der deutschen Marine die freiwillige Abstinenz von
allen alkoholischen Getränken gefördert, während sie von der
österreichischen Marine, deren Leute an mässigen Genuss von
Dalmatiner Wein gewöhnt sind, abgelehnt wurde.
In den Polargegenden bat sich der Alkohol für die Körper¬
leistungen als überflüssig ergeben, seit John Ross bei seiner Polar¬
fahrt 1829 bis 1833 volle Abstinenz durcbgeführt hatte. Aber
es hat sich herausgestellt, dass ein gelegentlicher, geselliger
Alkoholgenuss wieder umgänglicher und verträglicher macht, wie
es die Kameradschaft unter solchen erschwerenden Verhältnissen
erfordert, wie dies Payer mit Rücksicht auf unerfreuliche Zu¬
stände bei Nansen’s Expedition zuerst betont batte, und wie es
alle Pularrxpeditionen der letzten Zeit gehalten haben.
Für waimes Klima hatte wohl Larey zuerst bei Napoleon’s
Feldzug in Egypten 1798 die völlige Abstinenz von Alkohol an¬
geraten. Die Engländer haben dann in Indien günstige Erfah¬
rungen damit gemacht, die sich wohl besonders aus dem Einfluss
des Alkohols auf die Haut ergeben, deren übermässiges Schwitzen
durch den Alkohohl begünstigt wird. Auf geistigem Gebiete
löst Alkohol wohl am leichtesten den Tropenkoller aus, dessen
'Folgen für die europäischen Kultut ägeir tief beschämend sind.
Die für 1910 und 1911 über den Alkoholverbrauch in Togo mit¬
geteilten Zahlen zeigen, dass noch fast alles zu tun ist, während
der französische General Duchesne in Madagaskar, General Coronat
in Saigon Alkoholverbote erliessen.
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Original fro-m
UMIVERSITY OF IOWA
24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Mao wird es im allgemeinen nicht nötig haben, bei unseren
klimatischen Zuständen unter militärischen Verhältnissen eine
völlige Enthaltung von Alkohol zu fordern. Man wird unter
Umständen sogar für Feldzöge, besonders im Winter und bei
schwieriger Ernährung, die Erfahrungen über dann sogar nützliche
Wirkungen oder Nebenwirkungen des Alkohols für die gesamte
Ernährung und für das psychische Verhalten beachten müssen,
wie es die Japaner mit grossem Erfolg getan haben.
Wo Alkohol nicht vertragen wird, kann man radikal zur
vollen Abstinenz übergehen, wie sie von Latoslaswski für
Alkohol, Tabak, Kartenspiel und Prostitution gefordert wurde,
während Frau Henderson die Abstinenz von allen Reizmitteln
mit Ausschluss der sexuellen forderte, wobei sie wohl an Roose-
velt’s Mahnung über den Rassenselbstmord der Amerikanerinnen
dachte.
Ganz ohne Ersatz durch andere Mittel wird man wohl bei
Verzicht auf alle alkoholischen Getränke nicht auskommen.
Allerdings „im Verhältnis zum Alkohol harmlose Gifte, wie
Arsenik und Blausäure“ nach Bonne oder Strychnin nach
Horseley, werden als Ersatzmittel für Leute mit gesundem
Menschenverstände wohl ausgeschlossen sein. Vor solcher „Ab¬
stinenzsimpelei“ — wie mir das ein Abstinentenführer schrieb —
wird endlich auch den Abstinenten selbst bange. Nur bei
Doping sollen auch diese Gifte neben Coca, Cola, Coffein und
Alkohol in Amerika noch verwendet werden.
Die sogenannten alkoholfreien Getränke enthalten zum Teil
Alkohol, sind zum Teil aber noch so geschmacklos, dass sie nicht
ernsthaft in Betracht kommen können. Das Wasser genügt rein
oder mit Fruchtsäften versetzt den meisten Menschen nicht, weil
es nur den Durst löscht, aber zur Geselligkeit nicht beiträgt;
ähnliches gilt von der Milch, deren Nährwert hier nicht in Frage
kommt.
In dieser Not kam man darauf, die alkoholischen Getränke,
an deren Geschmack und Genuss man gewöhnt war, des Alkohols
zu berauben, und Harnack nannte derartige Genussmittel, die
ihres spezifischen Stoffes beraubt waren, „kastrierte“. So haben
wir jetzt alkoholfreies Bier, alkoholfreien Wein, coffei'nfreien
Kaffee, theinfreien Tee.
Wenn wir dazu noch nehmen, dass es bei den Bestrebungen
um die Eiweisssynthese jetzt noch leichter gelingt, ein syntheti¬
sches Beefsteak eiweissfrei herzustellen, werden wir auch die von
den Vegetariern so krass geschilderten, aber doch fast ganz ein¬
gebildeten Gefahren des Fleischgenusses leicht meiden. Wenn wir
dann noch weiter berücksichtigen, dass die Frauenbewegung in
ihren anfänglichen Uebertreibungen auch in einer nicht gerade
sehr schönen Weise die reizlose Frau in der Oeffentlichkeit in
den Vordergrund gebracht hat, so wird auch diese Gefahr für
das Training bei uns nicht so gross werden, wie sie den Griechen
mit ihrer Venus von Milo gewesen sein muss.
Aber die meisten wollen doch von diesen ihres Wertes be¬
raubten Dingen nichts wissen und verlangen einfach, wenn ihnen
ein Genussmittel verweigert wird, ein anderes, da es eben für
den Kulturmenschen unmöglich ist, ganz ohne Reiz- und Genuss-
mittel zu leben, und deren Wechsel sich nach räumlich oder zeit¬
lich ändernden Verhältnissen richtet. Nur auf diesem Wege
kommen wir vielleicht einmal dazu, schädliche durch weniger
schädliche und schliesslich unschädliche zu ersetzen. Bis jetzt
ist das aber, wie der Missbrauch von Opium und Cocain lehrt,
gründlich vorbeigelungen, als man den Alkohol ganz ausschliessen
wollte.
Als unschädliche Reizmittel gelten meistens die zu einer
anderen physiologischen Gruppe gehörigen. Sie enthalten Coffein
und das damit identische Thein, welches chemisch Trimethyl-
xanthin ist, oder Theobromiu und das damit isomere, aber indiffe¬
rentere Theophyllin, das Diraethylxanthin ist. Der menschliche
Organismus führt Coffein über Theophyllin über zu Xanthin;
Xanthin aber gehört als sogenannte harnige Säure auch zu den
Abbauprodukten des Eiweiss und führt zur Harnsäure. Coffein
Jcommt vor in der JjCaffeekirsche, im chinesischen Tee,, im Para¬
guaytee oder Mate, in der Pasta guarana äus der Pautfinia sorbilis,
in Spuren auch in polanüssen und Kakao. Die beiden letzteren
enthalten daoebeq und vorwiegend Tbeobrorain. Theobromin ist
,das mildeste ^dieser Reizmittel. . In reiner Form sind Coffein jund,
Theobromin durchaus als Medikamente zu beurteilen, was wegen
der Anpreisung einzelner Präparate beachtet werden sollte; Coffein
wird auch bei Doping verwendet.
Von diesen Mitteln hat Kakao einen wirklichen Nährwert
und empfiehlt sich bei anstrengenden Märschen und sportlichen
Uebungen als Erfriscbungsmittel, ganz besonders, weil seine Reiz¬
wirkung kaum in Betracht kommt oder doch sehr milde ist.
Bedarf man kräftigerer Anregung, so ist allerdings der Kaffee
vorzuziehen, für die meisten noch mehr der Tee, der einige un¬
angenehme Wirkungen der Röstprodukte des Kaffees nicht ent¬
hält: beide enthalten keinen Nährwert. Die Colapräparate sollten
eigentlich so harmlos sein wie Kakaopräparate, aber sie werden
meist in alkoholischen Auszügen gegeben, so dass sie dann nicht
rein zur Wirkung kommen, während die Colaschokolade diese
Nachteile nicht hat; bei den als Geheimmittel angepriesenen
Colatabletten weiss man nicht, was man bekommt und ob die
Konzentration nicht zu gross ist.
Fleischextrakt wurde von Rohlfs in Afrika bei anstrengenden
Märschen als Genussmittel sehr hoch bewertet, und es ist nicht
recht verständlich, weshalb Leute mit gesundem Herzen und
gesunden Nieren nicht die Anregung des Fleischextraktes oder
der Fleischbrühe verwerten sollen, die physiologisch ähnlich wie
die des Coffeins in ihren Beziehungen zur Harnsäure und zum
Eiweissstoffwecbsel zu betrachten ist.
Nicolai, Förster und ich selbst haben schon früher anf
die Gefahren des Kaffeemissbrauchs nachdrücklich hingewiesen,
und die Chinesen mit ihren reichen Erfahrungen sagen „un¬
ersättlicher Teetrinker, armer Krückenhinker“ und bezeichnen
damit scharf die Gefahren des Missbraucbs dieser Getränke für
Herz und Muskulatur.
Dass die coffeiohaltigen Getränke durchaus nicht ganz harmlos
sind, erkennt man wie beim Alkohol erst bei ihrem Missbrauche,
dem Coffeinismus. Beim Menschen äussert sich derselbe in Herz¬
krämpfen, Halluzinationen und Angstzuständen, Schwindelanfällen,
Schlaflosigkeit; in akuten Fällen tritt durch Beeinflussung der
Atemmuskeln auch Atemnot und Beklemmung ein, durch un¬
geeignete Steigerung der Muskeltätigkeit auch vermehrter Eiweiss¬
zerfall. Infolge des Einflusses auf die Muskulatur vermag diese
zunächst besser zu arbeiten, d. b. wenn noch Energie vorhanden
ist, also noch zu einer Zeit, wo physiologisch bereits Ruhe ein¬
getreten wäre. Es liegt also genau dieselbe Möglichkeit, aber
auch dieselbe Gefahr vor wie bei Alkohol, wenn er als Peitsche
verwendet wird. Tritt dann keine vollständige Ruhe und kein
Ersatz ein, so kommt es zur wirklichen Vergiftung der Muskulatur
mit späterer Herabsetzung der Leistung, und unter dem Einflüsse
des Coffeins können Leute oft anstrengende Arbeiten nicht mehr
bewältigen, die sie früher leicht zu leisten vermochten. Im Orient
schreibt man die dort in den Basaren häufig zu beobachtende
Abnahme des Sehvermögens dem übertriebenen Kaffeegenusse zu.
Wie bei dem Alkohol spielt also auch bei diesen Getränken eine
gute Ernährung eine grosse Rolle. Alkoholabslinenten, die sich
ira Kaffee- oder Teegenuss selbst nicht mässigen können, sind
gefährliche Propheten für Sportsleute. Sophrosyne und selbst
Abstinenz kann auch diesen Mitteln gegenüber manchmal
nötig sein.
Die Volkserfahrungen und -anschauungen über die physio¬
logischen Reizmittel aus verschiedenen Zeiten und bei ganz ver¬
schiedenen Völkern stimmen auffallend überein. Das Volk
fürchtet vom Alkohol weniger eine unmittelbare Beeinträchtigung
der Körperkraft als mehr des Intellektes und dadurch indirekt
und allenfalls erst des Körpers. So z. B. wenn Wodan nach
der Edda den Wanderer vor dem Metgenusse warnt: „Ein jeder
Schluck raubt ihm ein Stück des Verstandes“, oder wenn Hektor
bei Weingenuss vor dem Kampfe fürchtet, dass er dann „des
Muts und der Kraft vergesse“. Und ebenso urteilen die Eskimos
über den Brayjitwein, den sie bezeichnen als „das, wodurch man
den Verstand verliert“. Die Eskimos ^ber erkannten den Kaffee
für Körperübungen und deren exakte Auslösung für direkt schäd¬
lich und fürchten ihn beim Kajakrudern und Robbenfang mehr
als den Alkohol. Dieselbe Erfahrung machte Nansen bei seiner
Grönlanddurchquerung.
Wenn diese Getränke sich auch nicht so unmittelbar auf die
Nachkommenschaft durch eine Vergiftung der Geschlechtsdrüsen
bemerkbar machen wie Alkohol, so darf man doch qichf ausser
acht lassen, dass die Verschlechterung der Körper beschaffen heit
durch ihren Missbrauch sich auqh vererbt.
Im normalen Tagesbetriebe verrät die Notwendigkeit des
Aqferl^gens der Abstinenz gegenüber Genusgmitteln oft eine un¬
erfreuliche Charakterschwäche, die sich aber einfach als eine
Notwendigkeit aus der Zunahme der Hysterie und Neurasthenie
durch unsere wirtschaftliche Entwicklung erklärt. Die Sophro¬
syne, die Selbstbeherrschung auch im Genüsse, erscheint kulturell
von höherem Werte, setzt aber auch eine gesunde, vernünftige
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UNIVERSITY OF IOWA
662
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Erziehung zur Selbstzucht voraus. Praktisch wird Abstinenz
immer eine von Fall zu Fall zu beurteilende Form der Mässig-
keit sein, wenn sie im Rahmen unserer gesamten Kulturzustände
und unter Berücksichtigung ihrer geschichtlichen Entwicklung
Erfolge erringen will.
Das wichtigste wird eine alkoholfreie und auch sonst in
Genussmitteln und Trinksitten vernünftige Erziehung von Jugend an
sein, wie sie Else Hueppe 1 ) schon 1890 forderte, deren Bedeutung
erfreulicherweise in der letzten Zeit mehr begriffen wird.
Mit blosser Verekelung der kulturnotwendigen Genüsse oder
mit rabiater Bedrohung anderer Auffassungen erst bei den Er¬
wachsenen ist auf die Dauer kein Erfolg zu erreichen, wie wir
ihn dem Missbrauch der Genussmittel gegenüber erzielen müssen,
wenn unser Volk seine führende Stelle und seinen Platz an der
Sonne halten will.
Dazu genügt die blosse Negation nicht, sondern dazu bedarf
es positiver Kampfmittel, und diese sind in erster Linie in der
Zunahme des Verständnisses für den Wert vernünftig betriebener
Körperübungen, besonders aber im regelmässigen Betriebe der
Körperübungen im Freien von Jugend auf zu erkennen. Nur so
erreichte ich im Wortsinne spielend selbst bei deutschen Studenten
Erfolge, wo vorher gar nichts zu machen war, Mässigkeit und
Abstinenz.
Bei uns Nordländern ist das unseren natürlichen alkohol¬
haltigen Genussmitteln gegenüber besonders schwierig, aber im
Sommer oder in wärmeren Klimaten auch besonders notwendig,
wenn wir unsere Herrschaft über die Welt sichern wollen. Im
klassischen Altertum waren es die thracischen Achäer und die
Hellenen, also zwei Völker des baltischen Nordstammes, die auf
ihrer Südwanderung nach dem Balkan und dem Peloponnes, nach
Kleinasien und den Inseln bis Kreta gelangten, sich durch syste¬
matische Körperübungen, durch Mässigkeit und bei den Spartanern
selbst durch Abstinenz von Alkohol dem wärmeren Klima erfolg¬
reich anpassten und sich sogar das Verständnis für die Askese
des Trainings erarbeiteten.
In der Neuzeit ist die Neuaufnahme und Entwicklung der
Körperübungen zur Volksnotwendigkeit wieder den Nord¬
völkern, Deutschen, Schweden und Engländern zu verdanken,
und wieder sind wir durch Mässigkeit im Genuss durch
die Körperübungen bis zur Askese des Trainings gekommen, um
Höchstes zu leisten.
Bei dem Betriebe unter einfachen, natürlichen, täglichen Ver¬
hältnissen erfordern Spiel, Sport und Turnen keine Reizmittel.
Aber eine völlige Enthaltung von denselben ist auch nicht not¬
wendig. Nur siebt man bald an der Zunahme der eigenen
Leistungen und beim Messen derselben mit anderen, dass man
sich um so wohler befindet und mehr leistet, je mehr man sich
der Reizmittel enthält.
Beim Betriebe in geschlossenen Hallen mit ihren der Reiz¬
werte entbehrenden, zu ruhigen und gleicbmässig warmen sonnen¬
losen Luft und meist auch mit ihrer stärkeren Staubentwicklung
bekommt man neben wirklichem Durst durch dieUebung ein manch¬
mal sehr lästiges Durstgefühl, dessen Befriedigung nach Genuss¬
mitteln verlangen lässt, aber dessen Stillung durch alkoholische
Getränke bei anschliessender Geselligkeit die eben für die Körper-
ertücbtigung erreichten Vorteile oft wieder gleich in Frage stellt
oder direkt aufbebt.
Ganz anders aber gewöhnt uns Licht- und Luftgeschöpfe
der Betrieb im Freien, in Luft und Licht und Sonne, besonders also
Spiel und Athletik, an ein geringeres Dorstgefühl, dessen natür¬
liche reizlose Befriedigung leichter ist und keine alkoholischen
Getränke erfordert, sondern im Gegenteil ganz von selbst von
ihnen fernhält, wenn wir etwas ohne Schaden leisten wollen.
So vorbereitet steht man auch dem ernsten Training gegenüber
ganz anders da, und die Askese desselben verliert das Un¬
angenehme durch die Vorbereitung zum erfolgreichen Kampfe.
Diese Organisation des Sieges durch erhöhte Selbstzucht enthält
gewaltige erzieherische und sittliche Werte, die man auch vom
nationalen, völkischen Standpunkte aus gar nicht hoch genug
schätzen kann. Wir lernen auch so die in unserer Nordrasse
vererbte schlechtere Anpassung an höhere Temperaturen in
praktisch ausreichender Weise überwinden.
Die Körperübungen haben so nicht bloss durch die Ent¬
wicklung des Körpers und ihren Einfluss auf Volksertüchtigung und
Volksgesundung, sondern auch durch die Erziehung zur Mässigkeit
1) Berliner klin. Wochenschr., Nr. 36.
und Selbstzucht im Genüsse eine hohe Kulturaufgabe zu erfüllen.
Wenn unsere neue ärztliche Vereinigung diese soziale Aufgabe im
Geiste der positiven aufbauenden Hygiene richtig erfasst, kann
sie dem öffentlichen Wohle wichtige Dienste leisten.
Bücherbesprechungen.
Max IeBselmann: Das Rtiatgenverfahren hei Erkraakiagea der
Hariorgane. Mit 28 Abbildungen auf 5 Tafeln und 42 Figuren
im Text. VI und 86 S. Berlin 1913, Hermann Meusser.
Immelmann, der seit vielen Jahren in erfolgreichster Weise die
Röntgendiagnostik gepflegt und durch seine vortrefflichen Aufnahmen
zahlreichen Aerzten wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung ihrer
Krankheitsfälle geliefert hat, bestimmt das vorliegende kleine Werk vor¬
nehmlich* denjenigen Medizinern, die sich schnell über die Anwendung
der Röntgenstrahlen bei den Erkrankungen der Harnorgane orientieren
wollen. Demgemäss nehmen die Angaben über die Technik der Unter¬
suchung den ersten Platz ein. In aller Kürze geben sie eine sehr nütz¬
liche Aufklärung über das, was mit den erprobten Methoden geleistet
werden kann; sie belehren uns darüber, inwieweit und mit welchen
Hilfsmitteln Niere, Blase, Harnleiter überhaupt durchforscht werden
können. In einem speziellen Teile werden dann die einzelnen Er¬
krankungen — Steinkrankheit, Lage-, Form- und Grössenveränderungen
der Harnorgane — durchgesprochen, wobei naturgemäss auf die Stein¬
krankheit der Löwenanteil entfällt Auch für die Erkenntnis der Tuber¬
kulose der Nieren, mindestens soweit sie zu Cavernenbildung geführt
hat, erklärt Verf. die Röntgenographie nach vorheriger Collargolfüllung
für sehr wertvoll. In einem besonderen Anhang werden dann die
Prostatakrankheiten abgehandelt, und hier tritt neben die (minder
wichtige) diagnostische Seite auch die therapeutische: Immelmann hält
sowohl die direkte Bestrahlung der Prostata als deren indirekte Beein¬
flussung durch Hodenbestrahlung in gewissen Fällen für wirksam und
des Versuches wert. Die beigegebenen Tafeln stellen vortreffliche
Specimina der wichtigsten Erkrankungen dar und lassen besonders den
Nutzen der Collargolfüllungen deutlich erkennen.
Das empfehlenswerte Werk bildet übrigens einen Band der von
Heinz Bauer herausgegebenen Bibliothek der physikalisch-medizinischen
Techniken. Posner.
H. E. Schmidt-Berlin: Kompendium der Röntgentherapie. 3. Aufl.
Berlin 1913, Verlag von A. Hirschwald. 227 S. Preis 5 M.
Entsprechend der grösseren Bedeutung der Röntgentherapie für die
gesamte Medizin hat das vorliegende Kompendium in seiner Neuauflage
sehr an Umfang zugenommen und ist um zahlreiche Kapitel mit den
neuesten Forschungen und Beobachtungen — zu seinem Vorteil — be¬
reichert worden. Hervorzuheben ist, wie schon in der vorigen Auflage,
der überaus leicht verständlich geschriebene allgemein physikalische Teil,
ans dem jeder Mediziner, auch wenn er auf physikalischem Gebiet völlig
Laie ist, sich alles für den Röntgenbetrieb Erforderliche leicht an¬
eignen kann.
Das Kapitel über die verschiedenen Röhrenarten, deren es jetzt so
viele gibt, ist sehr eingehend behandelt, ebenso ist die Beschreibung
aller vorhandenen Qualitäts- und Quantitätsmesser recht ausführlich.
Das für einen geregelten und zuverlässigen Röntgenbetrieb so überaus
wichtige Kapitel über das Aichen der Röhren {Konstantbrennen und
Dosierung) ist auch für den Anfänger trotz seiner Schwierigkeit gut ver¬
ständlich, weniger übersichtlich dagegen das übÄ Desensibilisierung und
Sensibilisierung, zwei Gebiete, die allerdings selbst noch sehr der Auf¬
klärung bedürfen.
Neu aufgenommen sind unter anderen die Abschnitte über die
Tiefenbestrahlung und deren Dosimetrie, die vorläufig auch noch recht
ungenau ist.
In dem speziellen therapeutischen Teil zieht Sch. die Indikations¬
grenzen für die Röntgenbestrahlungen allerdings sehr weit und warnt
nicht genügend vor der Anwendung der Strahlen, die oft nicht nur in
der Hand des weniger geübten und unerfahrenen Therapeuten Unbeil '
stiften können, sondern auch in der des gut durcbgebildeten Röntgeno¬
logen.
Trotzdem wird das Büchlein dem vorsichtigen Arzte stets als ein
guter Ratgeber zur Seite stehen.
Arthur Zehden - Charlottenburg.
Die Frau als Hausärxtin. Von Dr. med. Anna Fischer-Dückelmaan:
Gänzlich neubearbeitete und vermehrte Jubiläumsausgabe (750000).
Stuttgart (ohne Angabe des Jahres), Süddeutsches Verlagsinstitut.
Preis 16 M.
Dass Bücher von der Art des vorliegenden in der medizinischen
Fachpresse eine Besprechung erfahren, ist etwas Ungewöhnliches —
wenigstens in Deutschland. Wenn es jedoch speziell in diesem Falle
geboten erscheint, aus der sonst geübten Reserve hervorzutreten, so
wird dies veranlasst einmal durch die grosse Verbreitung des vorliegenden
Buches — s /t Millionen Exemplare —, nicht zuletzt aber auch durch
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UNIVERSUM OF IOWA
24. März 1918.
BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
653
den Umstand, dass im Prospekt des Werkes äusserst günstige Kritiken
von namentlich angeführten „ersten Aerzten“ figurieren.
Dass sich wirklich Aerzte bereitgefunden haben, in wahrhaft über¬
schwenglicher Weise dem Genius der Frau Dr. Fischer-Dückelmann
zu huldigen, muss eigentlich befremden, da das Werk selbst Invektiven
schwerster Art gegen den ärztlichen Stand enthält. So wird schon im
Vorwort den Aerzten vorgeworfen, „bisher ausschliesslich aus dem Elend
ihrer kranken Mitmenschen Nutzen zu ziehen“. Von der Allopathie,
auch „Schul- oder Staatsmedizin“ genannt, heisst es fernerhin auf
S. 450: „Wahre Gesundheitspflege und Vorbeugung (Hygiene und
Prophylaxe) hat sie nicht auszubilden verstanden; dafür geben die
städtischen Kliniken und medizinischen Lehrbücher traurige Be¬
weise .. usw.
Aehnliche Angriffe gegen die Stätten der öffentlichen Gesundheits¬
pflege finden sich zahlreich. So heisst es auf S. 452, dass selbst bei
sehr schweren Verwundungen und langwierigen Eiterungen es durch
sorgsame Pflege und Wundbehandlung möglich ist, das verletzte Glied
zu erhalten und auszuheilen: „Leider ist diese Art der Behandlung in
unseren Spitälern noch nicht eingeführt, und so werden dort alljährlich
Hunderte von Leidenden durch das vorschnelle Messer zu bleibenden
Krüppeln geschnitten.“
Zur Umgehung des Impfzwanges wird der Erwerb un¬
richtiger Impfzeugnisse im Ausland empfohlen (!). Ebenso glaubt
Verf. „mit Genugtuung“ konstatieren zu können, „dass die bakterio¬
logische Flut“ — gemeint ist die bakteriologische Forschung — „in
fühlbarer Abnahme begriffen ist“ (S. 446).
Wenn man die Vorsicht sieht, mit der Frau F. weiterhin ärztliche
Ratschläge aufzufassen lehrt, so erinnert dies stark an die Winke, die
etwa Reisehandbücher für den Verkehr mit sizilianischen Fremden¬
führern und dergleichen gelegentlich geben. So solle man sich
bei Osteomyelitis nur dann zu einer Inzision entschlossen, „wenn
mehrere Aerzte mit Sicherheit Eiter vorhanden glauben“ (S. 505).
Anerkannt wird bei den approbierten Aerzten allein die bessere Fähig¬
keit der Diagnostik; „man hole sich daher“ — z. B. bei Augenkrank¬
heiten — „immer zuerst die Diagnose von einem guten Augenarzt
und lasse sich dann von einem anderen, welcher die physikalisch-diä¬
tetische Heilmethode vertritt und Giftanwendung vermeidet, behandeln“
(S. 477). Im übrigen ist im Beginn von Erkrankungen oft nur eine
richtige Therapie notwendig, im Verlaufe der Krankheit ist dagegen die
Diagnose „sogar von unleugbarem Werte für den weiteren Gang der
Behandlung“! (S. 568). 1
Nach diesen Streiflichtern auf den wissenschaftlich-ethischen Grund¬
ton des Werkes wird eine speziellere Betrachtung desselben am
Platze sein.
Die Einteilung desselben gliedert sich in einen als Gesundheits¬
pflege bezeichneten Abschnitt, der anatomische, physiologische, diätetische
Angaben — sowie nicht zuletzt solche über das Geschlechtsleben —
enthält. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Menschwerdung,
der dritte Hauptabschnitt stellt schliesslich eine alphabetisch geordnete
Encyklopädie der Heilkunde dar, welche die Hausfrau befähigen soll,
die Behandlung ihrer Angehörigen in Krankheitsfällen zu übernehmen.
Das ganze bildet eine recht oberflächliche Kompilation aus verschieden¬
artigsten Quellen; es überwiegt hier die sogenannte Naturheilkunde,
ohne dass man jedoch von einem eigentlichen streng abgegrenzten System
sprechen könnte.
Dass bei dieser Art der Zusammentragung allerlei offensichtliche
Entgleisungen bzw. Missverständnisse mit unterlaufen sind, ist leicht
begreiflich. So berührt es etwas seltsam, folgende Definition der „Mehl¬
stoffe“ zu lesen: „Es gehören dazu alle jene Nahrungsmittel, die aus
Kohlenhydraten (sic!) bestehen, d. i. Wasser- und Kohlenstoff (also CH)“
(S. 69). Auf S. 57 werden die Extraktivstoffe des Fleisches —
Kreatin, Kreatinin usw. — mit den „eigentlichen Fleischgiften“, d. h.
den Ptomainen verwechselt. Dass diese Nieren Veränderungen zurück¬
lassen, „was viele Sektionen Verstorbener beweisen“ (S. 58), dürfte
nicht minder die Kliniker wie die Pathologen um eine neue Erfahrungs¬
tatsache bereichern. Den physikalischen Chemiker wird es besonders
interessieren, dass alle frischen Pflanzenstoffe „Sonnenenergie“ enthalten,
die den gekochten fehlt (S. 570). Quantitative Angaben hierüber werden
leider nicht mitgeteilt. Die Abneigung gegen die Fleischnahrung geht
dabei so weit, dass Verf. nicht vor der gänzlich aus der Luft gegriffenen
Behauptung zurückscheut, „dass mindestens V« alles verkäuflichen
Fleisches mehr oder minder kranken Tieren entstammt“ (S. 59).
An manchen Stellen begegnen wir Auswüchsen eines wilden Aber¬
glaubens, der in traurigster Weise an dunkle, zeitlich weit zurück¬
liegende Kulturepochen erinnert. So wird die Möglichkeit, eine äussere
Blutung durch „Blutversprecheh“ zu stillen, offen anerkannt und
gelehrt (S. 535). Eine grosse Rolle nimtht ferner trotz Herrmann’s
klassischen Untersuchungen die Magnetopathie — die therapeutische
Anwendung der menschlichen magnetischen Kräfte — ein (S. 737). Be¬
sondere Triumphe zeitigt dieses Verfahren bei der Behandlung schwerer
Fälle von ,Cholelithiasis. „Man lasse etwa dreimal wöchentlich
Streichungen über den ganzen Körper ausführen und die Hände des
Magnetopathen auf die schmerzhafte Leber legen. Sie wirken schmerz¬
lindernd und meist gehen nach 5—10 Sitzungen einige Gallensteine ab“
(S. 635). Bei Koliken wird — namentlich bei gleichzeitigen Gemüts¬
aufregungen! — folgendes Verfahren, das uns nicht ohne einen stark
sexuellen Beigeschmack erscheint, empfohlen: „in solchen Fällen hat
sich Zusammenschlafen mit nahestehenden, sehr geliebten Menschen, die
Wärme und Kraft abgeben, sehr bewährt“ (S. 706).
Die Mortalität der Diphtherie wird bei physikalisch - diätetischer
Behandlung auf kaum 10 pCt. angegeben, während dieselbe bei dem Ver¬
fahren der Schulmedizin zuweilen bis 60pCt. beträgt.
bezüglich der sonstigen Lehren der speziellen Therapie werde ich
mich vorwiegend auf chirurgische Affektionen beschränken. Dass das
oft so verhängnisvolle Verfahren, frische Wunden durch einen
„kräftigen Wasserstrahl“ zu reinigen, wiederum eine warme Empfehlung
findet (S. 889) wird nach den vorausgegangenen Ausführungen nicht be¬
sonders überraschen. Ebenso wird beim Panaritium auf den Nutzen
frühzeitiger Inzisionen verzichtet und eifrig Hydrotherapie getrieben; erst
„wenn darch Eiterung Knochen blossgelegt, hängen Sehnen vor, wuchert
„wildes Fleisch“, dann sind ärztliche Leitung und sorgfältigste Behand¬
lung notwendig, sonst geht der Finger verloren“ (S. 618).
Höchst einfach gestaltet sich auch die Behandlung von Knochen-
brüchen: die erste Hilfe bestehe hier „stets in der Feststellung des
verletzten Gliedes; dann mache man kühle Aufschläge und schaffe dem
Verletzten ein weiches, bequemes Lager. Sorgt man im ürigen für täg¬
liche Abwaschungen des ganzen Körpers, leichte Pflanzenkost, tägliche
Stuhlentleerungen und reichliche Zufuhr frischer Luft, so werden ein¬
fache und geschlossene Brüche ohne Schmerzen und Fieber heilen“
(S. 703). Gipsverbände sind heutzutage „überflüssig“ geworden
(S. 662).
Nicht ohne Humor ist folgende Vorschrift zur Behandlung der
Brucheinklemmung: „Vorsichtige Zurückbringung der Bruchmasse
durch geschickten Fingerdruck und Erhaltung des normalen Zustandes
durch Vermeidung aller Bewegungen sowie eine Druckkompresse ist das
erste, was zu tun ist“ (S. 543). Auf einer gleichen Höhe stehen die
Leitsätze zur Behandlung der Appendicitis: Die Therapie besteht
hier in Bettruhe, strengster Diät, kleinen Klystieren usw. „Leibauf¬
schläge von 20° C oder 30° C (je nach der Temperatur des Kranken),
Dampffusspackungen, bei vorhandener Bewegungsfähigkeit, Rumpfbäder
usw. werden die Gefahr beseitigen. Doch handle man nie nach eigenem
Gutdünken, sondern rufe sofort einen mit der Wassermethode wohl¬
vertrauten Arzt“ (S. 528).
Dem Carcinom steht nach den Ausführungen der Verf. die „wissen¬
schaftliche Welt“ bisher „machtlos“ (S. 716) gegenüber. „Ueber den
Nutzen der operativen Eingriffe gehen die Meinungen der Aerzte immer
mehr auseinander. Viele glücklich Operierte hat man sehr bald nach
der Operation sterben sehen, während Nichtoperierte mit wenigen
Ausnahmen jahrelang am Leben blieben. Bei richtiger Pflege
gewährt es oft mehr Nutzen, der Krankheit ihren ruhigen Verlauf und
eine Art Abzugskanal durch das erkrankte Organ zu lassen.“
Ich glaube, dass die angeführten Stichproben — die selbst eine so
deutliche Sprache führen, dass sie einen besonderen Kommentar über¬
flüssig machen — ausreichend sind, um zu erkennen, aus welchem Geiste
heraus das vorliegende Werk entsprungen ist Ganz abgesehen aber
davon, dass ihm jegliche wissenschaftliche Qualitäten völlig abgehen,
halten wir es für ein direkt gefährliches Buch, weil es in kritikloser
Weise die Heilkunst zu einer Materie zu stempeln sucht, die auch ohne
spezielle Vorbildung selbst dem Ungebildetsten zugänglich ist, indem es
ferner eine Missachtung vor den höchsten Errungenschaften der wissen¬
schaftlichen Gesundheitspflege, der Prophylaxe und Therapie lehrt. Wer
in der oben wiedergegebenen Form die Nutzlosigkeit der operativen
Carcinombehandlung einem zur ernsthaften Kritik nicht befähigten, meist
den untersten Ständen angehörenden Laienpublikura predigt, die Therapie
der Appendicitis, der Brucheinklemmung usw. gleichsam als eine Lapalie
hinstellt, die Selbstbehandlung von Knochenbrüchen lehrt, der bedroht
in gefährlichster Weise das öffentliche Wohl, und es erscheint als Pflicht,
derartige Strömungen nicht zu ignorieren, sondern ihnen mit allem
Ernste entgegenzutreten. Wenn leider auch das Publikum derartige
Kritiken nicht zu sehen bekommen wird, so dürfte es aber doch wohl
in der Möglichkeitssphäre der praktischen Aerzte liegen, in den Kreisen
ihrer Klientel derartigen traurigen Verirrungen zu begegnen und ihrer
Verbreitung vorzubeugen. Ja, da nun einmal der grosse Absatz von
Schriften dieser Art es unverkennbar lehrt, dass offenbar im Publikum
ein Bedürfnis nach populär gehaltenen medizinischen Darstellungen be¬
steht, so sollte man doch vielleicht den Gedanken ins Auge fassen —
etwa unter der Aegide ärztlicher Vereine —, auch von seiten der wissen¬
schaftlichen Medizin aus für eine derartige Literatur zu sorgen, um an
Stelle jener trüben Erzeugnisse lauterfliessende Quellen ins Leben
zu rufen.
Zum Schluss kann ich es nicht unterlassen, noch auf eine besondere
Seite des vorliegenden Buches hinzuweisen, die namentlich im Illustra-
tionsraaterial zutage tritt. Ich meine die vielfach ohne sichtliche Moti¬
vierung sich wiederholenden Darstellungen mehr oder minder unbeklei¬
deter weiblicher Individuen, welche die Prozeduren der Unterleibs-
waschuDgen, der Beckengüsse, der Kreuzabgiessungeri, der Sitzbäder in
allen möglichen Varianten zum Teil in farbiger Wiedergabe zeigen,
ebenso das Klystieren, die Temperaturmessung im After usw.; während
den Beschluss dieses doch in erster Linie für Frauen bestimmten Buches
ein anatomisches Modell mit aufklappbarem Penis darstellt.
Ich muss es dahingestellt sein lassen, wie weit diesem —- in
seiner Eigenschaft gekennzeichneten — Illustrationsmaterial mitj.die
Ursache an der grossen Verbreitung des Werkes zuzuschreiben ist. Es
erscheint jedenfalls dieser Umstand um so bedauerlicher, als es sich um
eine weibliche Verfasserin handelt. Wenn man im übrigen bedenkt,
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UNIVERSUM OF IOWA
554
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
wie jungen Datums die Zulassung von Frauen zum ärztlichen Beruf ist,
so liegt kein besonders erhebender Gedanke darin, dass diese kurze
Frist schon hingereicht hat, um die medizinische Pseudoliteratur mit
einem derartigen Produkt zu bereichern. Natürlich wäre es ungerecht,
die Allgemeinheit hierfür verantwortlich zu machen.
£. Melchior - Breslau.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
M. Jansen-Leiden: Die mechanische Bedeutang der Bronchien.
(Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Die Bronchien
sind als das innere Skelett der Lungen zu betrachten. Die Arbeit ist
zum kurzen Referat nicht geeignet. G. Gisner.
K. Kur6-Prag: Ueber die Pathogenese der heterotopon Reiz-
bildnng unter dem Einflüsse der extracardialen Herznerven. (Zeitschr.
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 389—459.) Faradische
oder dyspnoische Erregung des linken Accelerans führt bei vielen Ver¬
suchstieren zu atrioventrikulärer Automatic. Vorbedingung ist, dass die
Hunde morphinisiert sind, Vaguserregung fördert die Automatic. Die
durch kombinierte Wirkung des Vagus und des Accelerans entstandene
atrioventrikuläre Automatie lässt sich durch faradische Erregung eines
Vagus oder durch Steigerung einer dyspnoischen Vaguserregung frequenz¬
hemmend beeinflussen bzw. unterdrücken. Bei der durch Steigerung des
Vagustonus erzeugten atrioventrikulären Automatie kounte das Auf¬
treten von Herzschlägen mit normaler Succession von Vorhof und
Kammer in Form von Extrasystolen beobachtet werden.
v. Benczür und D. Fuchs-Budapest: Ueber die Wirkung der
Radiameuasatioi aaf des respiratorischen Stoffwechsel. (Zeitschr.
f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 564—567.) Selbst be¬
trächtliche Mengen von Radiumemanation, welche die therapeutisch üb¬
lichen Dosen mehr als hundertfach übersteigen, erzeugen nur eine
mässige Steigerung des respiratorischen Gaswechsels. Ob die Zuführung
durch Trinken oder durch Inhalation erfolgt, ist dabei gleichgültig.
Qualitativ werden die Verbrennungsprozesse im Organismus nicht be¬
einflusst.
A. Loewy-Berlin*. Das Thorium X in der Biologie und Pathologie.
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 573—574.)
Loewy erkennt die Kritik, welche Plesch, Karczag und Keetman
an seinen Versuchen über die Wirkungen der Radiumemanation geübt
haben, nicht an. Jacoby.
A. S. Granger- Los Angelos: Ueber blotdrncksteigenide Snb-
stanzea im Urin. (Arcb. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Aus faulendem
Fleisch lassen sich zwei blutdrucksteigernde Substanzen — Isoamylamin
und Parahydroxyphenylaethylamin — isolieren. Es ist wahrscheinlich,
dass diese Körper durch bakterielle Eiweis9fäulnis im Darm entstehen,
jedoch bleibt es fraglich, ob sie resorbiert und durch den Urin aus¬
geschieden werden. Die Angaben von Abelous und Bain, nach denen
aus normalem Harn sich blutdrucksteigernde Substanzen isolieren lassen,
konnte der Verf. nicht bestätigen. Ob die blutdrucksteigernden Basen
des Urins mit den aus faulendem Fleisch gewonnenen identisch sind,
muss noch bezweifelt werden. C. Kayser.
Pharmakologie.
H. Raubitschek-Czernowitz: Experimentelle Untersuchungen über
die W. H. Schultasche Oxydasereaktion. (Zeitschr. f. experim. Pathol.
u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 572.) Klopfer hat die Beobachtung von
Raubitschek, dass bei der Blausäurevergiftung die Oxydasereaktion
im Herzmuskel nicht nachweisbar ist, nicht bestätigen können. Nach
der Ansicht des Verf. erklärt sich das daraus, dass Klopfer zersetzte
Cyankaliumpräparate angewandt hat. Jacoby.
R. A. Hatcher-New York: Ueber die Dauerwirkung des Digitalin.
(Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Die Wirkung des Digitoxin und
Digitalis ist langdauernder als die der sonstigenDigitalispräparate.
Diese Dauerwirkung tritt bei Versuchen an der Katze noch deutlicher
zutage als bei Hunden, Kaninchen und weissen Ratten, überhaupt ist
die Empfänglichkeit und Giftigkeit derartiger Präparate bei den ver¬
schiedenen Tierspezies eine ungleichartige. Höchste, subletale Dosen
von Digitalin, Onabain oder Strophantus sind nur von kurzer Wirkung.
Wegen verschieden schneller Resorption i9t für den Tierversuch nur die
intravenöse Methode brauchbar. C. Kayser.
D. Fuchs und N. Roth - Budapest: Ueber die Wirkung des
Adrenalihe auf die Atmung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie,
Bd. 12, H. 3, S. 568—571.) Bei Kaninchen nimmt nach Injektion von
Adrenalin die Zahl der Atemzüge ab und die Atmung wird oberflächlich.
Dagegen bleibt beim Menschen die Frequenz der Atmung meistens un¬
verändert, bei einigen Fällen tritt eine mässige Beschleunigung ein.
Jacoby.
R. Dittler und R. Mohr-Leipzig: Neue Untersuchungen über das
Hormonal. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.)
Verff. konstatierten bei Kaninchen und Katzen eine Blutdrucksenkung
nach Hormonalinjektion. Bei Kaninchen wurde in den meisten Fällen
die Peristaltik angeregt; bei Katzen negative Resultate. Verff. glauben,
dass die Blutdrucksenkung den Anlass zum Auftreten der Peristaltik
geben kann. Auch Chloralhydrat macht Blutdrucksenkungen und ver¬
ursacht sehr kräftige Darmbewegungen. G. Eisner.
H. Fühner-Höchst a. M.: Ueber die isoliertet wirksame! Sih-
stanze! der Hypophyse. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.)
Es ist F. gelungen, aus dem Infundibularteil der Hypophyse eine „Hypo-
physin“ genannte, reine, kristallisierte Substanz darzustellen, der die
Gesamtwirkungen der Hypophysenextrakte auf die Gebärmutter, auf Blut¬
druck und Atmung zukommen. Wolfsohn
L. Choquard-Bern: Fortgesetzte Untersuchungen über die physio¬
logische Permeabilität der Zellen. V. Ueber die Narkose lipeidreieher
und lipoidarmer Gewebe gleicher Art. (Zeitschr. f. Biol., Bd. 60, H. 3
u. 4, S. 101—162.) Der Herzmuskel ist lipoidreicher als der Skelett¬
muskel. Verf. benutzte diese Erscheinung, um die Narkosetheorie von
Meyer-Overton durch vergleichende Versuche zu prüfen. Die Resultate
entsprachen nicht den Anforderungen der Theorie.
L. Zorn-Greifswald: Beiträge zur Pharmakologie der Misehaarkose.
II. Kombination der Lokalanaesthetiea. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u.
Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 529—548.) Bei der Kombination von Lokal-
anaestheticis erhält man bei Froschversuchen vielfach Resultate, die mit
dem Gesetz von Bürgi nicht befriedigend übereinstimmen. Während
die alte Versuchsanordnung nach Türck keine sicheren Resultate ergab,
war ein Verfahren brauchbar, bei dem die zu prüfenden Substanzen
direkt auf den Ischiadicus gebracht wurden. Jacoby.
Siehe auch Innere Medizin: Sardemann, Wirkungen von
Adregalin und Pilocarpin am Nierensystem.
Therapie.
J. H. Garrett-Gheltenharo: Eiseiehiorid bei Herpes tonsnraas
der Kopfhaut. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913, Nr. 2721.) Starke
Eisenchloridlösung (Liquor ferri perchlorati fortior Ph. Brit.) wird mit
einem Haarpinsel auf die Kopfhaut gebracht, bis diese gründlich gefärbt
ist. Die Lösung ist für Haut und Haar ganz unschädlich, die nicht er¬
krankten Teile können auch durch einen Verband geschützt werden.
Die Lösung wird dreimal jeden zweiten, dann sechsmal jeden dritten Tag
angewandt, wonaoh meist Heilung eingetreten sein wird. Der Schorf
stösst sich nach einigen Tagen ab und hinterlässt eine gesunde Epidermis.
Weydemann.
Eisner und Neader: Chronische Pnrpsra und die Behandlung
mit tierisehem Serum. (Americ. journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 2.)
Bericht über zwei Fälle, die mit Kaninchenserum sehr günstig beein¬
flusst wurden. Verff. empfehlen die Verwendung von stets frisch er¬
haltenem Serum, da der Erfolg besser sei. Schelenz.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
Lambert und Hanes: Beobachtungen an Gewebskaltarea ii
vitro. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. PhysioL, Bd. 211, H. 1.)
Die Technik war die, dass Verff. kleine Tropfen von Blutplasma
auf sterile Deckgläschen brachten und fein zerriebene Gewebsstücke dazu¬
taten. Sie beobachteten Einwachsen der Gewebsstücke in das Plasma
durch amöboide Bewegung der Zellen (Pseudopodienbildung;. Sarkom¬
zellen wandern einzeln, Carcinomzellen nur in Verbänden. Sehr rasch
häufen sich Fettkörnchen im Zellplasma an, ein Prozess, dessen Zwischen¬
stufen zu beobachten ihnen nicht gelang. Sie beobachteten ferner
Phagocytose und konnten künstlich Riesenzellbildung hervorrufen
(mehrere Zellen verschmelzen zu einer). Die Gewebe vertrugen eine
Temperaturerhöhung bis auf 48° ganz gut. Rattentumoren wuchsen gut
auch auf Meerschweinchenplasma, schlechter auf Kaninchen-, gar nicht
auf Ziegenplasma. Im menschlichen Plasma trat eine völlige Ver¬
flüssigung des Fibrins auf. Benn.
I. Haja-Tokio*. Die Erzeugung atypischer Epithel- ud Sehleim-
hantwacherong. (Zeitschr. f. Krebsforsoh., Bd. 12, H. 3.) Bericht über
eine lange Reihe von Versuchen, bei Tieren atypische Epithel¬
wucherungen hervorzubringen, deren Einzelheiten im Original nach¬
gelesen werden müssen, Verf. hatte, wie Bernhard Fischer, nur Er¬
folg mit Injektionen von Sud an öl, jedoch waren die so erzeugten
Wucherungen auch keine echten Geschwülste. A. W. Pinner.
Jaboulay: Die granulierte Substanz der Sareesporidiei bei
gutartigen epithelialen Tumoren. (Lyon med., 1913, Nr. 8.) J. macht
auf das Vorkommen von granulierter Substanz im Innern von Sarco-
sporidien, die bei gutartigen Epitheliomen gefunden werden, aufmerksam.
A. Münzer.
H. Rapp - Heidelberg: Was beeinflusst die Ueberimpfbarkeit van
Mäuse tamoren? (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 12, H. 3.) Unter Be¬
nutzung der Protokolle über die im Heidelberger 'Krebsinstitut ge¬
machten Impfversuche prüft Verf. die verschiedenen Einflüsse, die auf
die Ueberimpfbarkeit der Tumoren fördernd oder schädigend einwirken
können. Als solche Einflüsse kommen in Betracht: Alter des Impf¬
materials, Jahreszeit, thermische und elektrische Einwirkungen, Ver¬
schiedenheit der Stämme der Impftiere. A. W. Pinner.
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24. März 1018.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
665
E. Weishaupt - Berlin: Ein embryonaler Seitengang des Daetns
paretidens und seine Beziehungen zi) einigen Tumoren der Parotis.
{Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Der Ramus maudib. der Parotis
• kann beim Menschen als eine in der Regel vorhandene embryonale
Epithelanlage angesehen werden, die, von ihrer Abgangsstelle getrennt,
bis zur Geburt nur eine geringe Ausdehnung erlangt und eine vom
Epithel der Mundhöhle wie von dem des Ductus parotideus abweichende
Differenzierung erfährt. Bei Tumoren in dieser Gegend der Wangen¬
schleimhaut, deren Bau auf die Abstammung von embryonalem Mund¬
höhlenepithel oder der embryonalen Parotis hinweist, wird man an diesen
Seitengang denken müssen. Schliep.
C. Frottingham-Boston*. lieber* Arterienläsionen hei aknten
Infektionskrankheiten und über Tierversuche mit nichtinfektiösen
Toxinen. (Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 2.) Bei 8 von 48 Sektionen
von Fällen, die an Infektionskrankheiten starben, fanden sich schwere,
lokalisierte Arterienveränderungen, Wandnekrosen mit Fibrinablagerung
und zellulärer Infiltration. Der Versuch, degenerative Arterienläsionen
beim Tier duroh chemische Gifte oder durch Stoffwechselprodukte nach
doppelseitiger Nephrektomie zu erzielen, schlug fehl. G. Kays er.
Stein: Veränderungen der Arteria iliaca communis bei Syphi¬
litiker!. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol:, Bd. 211, H. 1.)
Verf. stellt neben die Mesaortitis syphilitica Doehle’s und neben die
Heubner’sche Endoarteriitis syphilitica eine dritte Form der luetischen
Gefasserkrankungen, die für die Gefässe mittleren Kalibers charakte¬
ristisch sei und der vulgären Arteriosklerose sehr nahe stehe.
Vallordi: Endotheliome der Lymphwege. (Virchow’s Archiv f.
Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf. beschreibt den Fall
eines Tumors im Mediastinum, dessen Hauptmasse die grossen Brust-
gefässe noch umlagerte. Die histologische Untersuchung sowie die
chemischen Reaktionen (keine Fettdegeneration) führen Verf. zu dem
Schluss, dass es sich um ein primäres Endotheliom der Lymphwege der
Adventitia der grösseren Mediastinalgefässe handele.
Tsiwidis: Drüsen ähnliche Epithelbildnng bei Pericarditis»
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf*
fand bei 8 Fällen von 15 untersuchten Pericarditiden kleine kugelige
Cysten, die von grossen epithelähnlichen Zellen ausgekleidet waren.
Verf. schliesst sich der Orth’schen Ansicht an, dass es sich dabei um
Regenerationsbestrebungen erhalten gebliebener Deckzellen des Pericards
handelt.
Bernard: Zur Kenntnis der Pleurasarkome. (Virchow’s Archiv
f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Beschreibung eines Tumors
der rechten Pleurahöhle, dessen mikroskopische Untersuchung über seine
Natur als Sarkom keinen Zweifel lässt. Einige histologische Besonder¬
heiten legen die Vermutung nahe, dass das Endothel der Pleura der
Ausgangspunkt gewesen sei. Eine definitive Entscheidung vermag Verf.
nicht zu treffen.
Simmonds: Ueber lymphatisch Herde in der Schilddrüse.
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) In der
Schilddrüse kommen herdförmige Wucherungen des lymphatischen Ge¬
webes unter verschiedenartigen Bedingungen vor. Verf. fand sie in
75 pCt. aller Basedow-Schilddrüsen, aber nur in 15 pCt. anderer Strumen.
Aber auch in unvergrösserten, mikroskopisch normal erscheinenden
Schilddrüsen finden sich öfter solche Herde. Sie kommen wesentlich
häufiger beim weiblichen Geschlecht vor, sind äusserst selten vor der
Pubertät, sind besonders reichlich bei anämischen Personen und ganz
besonders häufig bei hellen Individuen. Eine genügende Erklärung
für diese Tatsache vermag Verf. nicht zu geben. Benn.
A. Kutscbera - Innsbruck: Gegen die Wasserätiologie des Kropfes
und des Kretinismus. (Münchener med. Woohenscbr., 1913, Nr. 8.)
(Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein in München.) 1. Die Kropf¬
quellen halten einer Ueberprüfung nicht stand. 2. Kropf- und Kreti¬
nismusepidemien werden nur in Wohnungsgemeinsohaften, niemals aber
in Wassergemeinschaften beobachtet. 8. Die Tierexperimente beweisen
zum grössten Teil, dass Kropf und Kretinismus zum mindesten auch
ohne Wasser entstehen können. 4. Die epidemiologischen Erfahrungen
über Auftreten und Verschwinden von Kropf und Kretinismus in Familien
und Häusern weisen darauf hin, dass die Ursäche beider Störungen im
Hause und in der Wohnung in der nächsten Umgebung der Kranken
oder in diesen selbst zu suohen ist Die Uebertragung der Schädlichkeit
durch einen Zwischenwirt hat eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich.
Dünner.
B. Breitner-Wien: Kritische und experimentelle Untersuchungen
über die kropfigen Erkrankungen der Schilddrüse. (Mitteil. a. d.
Grenzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Zusammenfassung der Kennt¬
nisse und Theorien über die Kropfetkrankungen sowie eigene experi¬
mentelle Untersuchungen. Zum kurzen Referat nicht geeignet
G. Eisner.
'Roman: Zur Kenntnis des Nenroopitkolioma gliomatosnm.
(Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u, Physiol., Bd. 211, H. 1.) Mit¬
teilung eines Falles von einem malignen Tumor, teilh epithelialer, teils
gliöser Natur, der sich wahrscheinlich aus einem Ependympapillom ent¬
wickelte und dessen epitheliale Elemente analog dem embryonalen
Vorgang verschiedene Entwicklungsstufen von Neuraglia gebildet hatten.
Benn.
J. Mc Intosh und H. Turnbull - London: Uobertragnng des
Virus von englischen Fällen von Poliomyelitis auf Affen. (Lancet,
22. Februar 1913, Nr. 4669.) Ausführlicher Bericht über die ersten
Fälle von gelungener Uebertragung des Virus von Poliomyelitisfällen aus
London. Weydemann.
Gordinier und Sawyer: Primäres Leberadenom, eine hyper¬
trophische Lebercirrhose vortänsehend. (Americ. journ. of med.
Sciences, 1913, Nr. 2.) Krankengeschichte und ausführlicher Sektions¬
bericht. Scheie nz.
Lathes: Ueber Pankreasvergiftnng. (Virchow’s Archiv f. Pathol.,
Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.) Verf. injizierte Hunden intra-
peritoneal reines Pankreassekret, dann zusammen mit Darmsaft, mit
Kalksalzen, mit Leukocyten und Bakterien und schliesslich mit
maceriertem Pankreasgewebe. Die typischen Zeichen der Pankreas¬
vergiftung traten ein bei der Injektion zusammen mit Darmsaft oder
mit Pankreasextrakt. Durch beide wird, wie Verf. meint, eine beträcht¬
liche Wucherung der proteolytischen Kraft des Sekretes bewirkt.
Benn.
L. H. Newburgh - Boston und T. H. Kelly - Cincinnati: Ueber
den Einfiuss des Taberknlotoxins snf die Nebennieren. (Arch. of int.
med., Bd. 10, Nr. 3.) Ausgehend von den Untersuchungen von
Bernard und Bizard, die bei chronischer Tuberkulose eine Sklerose
und Atrophie der Nebennieren fanden, suchten die Verff. durch Tuber¬
kulininjektionen bei Kaninchen eine chronische Nebenniereninsuffizienz
zu erzeugen. Als Maass für die erzielte Wirkung wurde die Störung
der glykogenen und der blutdruckbeeinflussenden Funktion angenommen.
Dabei zeigte sich, dass die am längsten so behandelten Tiere eine er¬
hebliche Hypoglykämie bekamen, sonst aber keinerlei Symptome
Addison’scher Krankheit. Ein aus den Nebennieren der behandelten
Tiere hergestellter Extrakt hatte eine normale, blutdrucksteigernde
Wirkung. C. Kays er.
De Josselin de Jong: Subseröse Adenomyomatose des Dünn¬
darms. (Virchow’s Archiv f. Pathol., Anat. u. Physiol., Bd. 211, H. 1.)
Beschreibung eines klinisch wie histologisch gleich interessanten Falles
von primär subseröser Adenomyomatose des Dünndarms. Die Ge¬
schwülste sassen in der Nähe des Blinddarms; einer hatte eine beträcht¬
liche Stenose des Darms bewirkt. Mikroskopisch wurde konstatiert, dass
die Geschwülste aus einem Gewebe bestanden, das der Uterusschleim¬
haut glich, mit anderen Worten aus Adenom. Nirgends war irgendein
Zusammenhang mit der Darmschleimhaut nachweisbar. Die Adenome
waren infiltrierend gewachsen und reichten bis in die cirkuläre Muskel¬
wand. Am Genitalapparat war kein pathologischer Befund zu erheben.
Verf. hält dies für den einzigen derartigen Fall, der bekannt sei.
Benn.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Schong,
Inkubationszeit der Poliomyelitis.
Parasitenkunde und Serologie.
K. Saisawa-Berlin: Vergleichende Untersuchungen über den
Bacillus der Pseudotnberknlose. (Zeitschr. f. Hyg., 1912, Bd. 73, H. 3,
S. 401.) Verf. hat fünf verschiedene Stämme des Bacillus der Pseudo¬
tuberkulose miteinander verglichen, welche morphologisch und kulturell
keine wesentlichen Unterschiede zeigten. Die Serumreaktionen sowie der
Pfeiffer’sche Versuch ergaben sehr unsichere Resultate, so dass sie zur
Identifizierung der verschiedenen Stämme dieser Bakterienart wenig ge¬
eignet erscheinen. Dagegen sprach die Prüfung des durch aktive Immuni¬
sierung erzielten Impfschutzes gegen die nachfolgende Infektion mit
lebender Bacillenkultur einwandfrei für die Identität der fünf geprüften
Stämme.
K. Saisawa-Tokio: Ueber die Paendotuberkulose beim Menschen.
(Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 8, S. 353.) Bei einem japanischen
Soldaten fand Verf. im Blut einen Bacillus, der nach seinen biologischen
Eigenschaften, den Ergebnissen der Tierversuche und den pathologisch¬
anatomischen Untersuchungen zu den Pseudotuberkelbacillen gehört, wo¬
mit ein neuer Beweis für das Vorkommen der baciHären Pseudotuber¬
kulose bei Menschen erbracht ist. Der von dem Kranken gewonnene
Bacillus war identisch mit dem Pfeiffer’schen Pseudotuberkelbaoillus der
Nagetierö. 1 Möllers.
F. Neufeld, H. Dold und E. A. Lin de mann-Gross-Lichterfelde:
Ueber Passageversnche mit menschlichem Tnberknlosematerial nach
der Methode von Eber. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig.,
Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 467.) Die Verfasser teilen Versuche mit, die unter¬
nommen wurden, um die Behauptung Eber’s nachzuprüfen, dass es nach
einer von ihm angegebenen Methode gelinge, humane Tuberkelbacillen
m bovine umzuwandeln. Die einwandfreien Versuchsergebnisse beweisen
das Gegenteil. Weitere Untersuchungen mit demselben Material, die
gleichzeitig teils von Eber, teils vom Kaiserlichen Gesundheitsamt aus¬
geführt werden und bei der Wichtigkeit der Frage zu begrüssen sind,
sind im Gange. Bierotte.
■'E. Quern er - Hamburg: Vorkommen von Tabefrkelbacillen im
strömenden Blnte. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 8.) Zum
Nachweis von virulenten Tuberkelbacillen im strömenden Blute bei
87 Patienten mit chronischer Lungentuberkulose aller Stadien bediente
sich Q. lediglich des Tierversuches; auf mikroskopische Untersuchungen
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556
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
verzichtete er vollkommen. In keinem einzigen Falle waren Bacillen
nachweisbar. Zu ganz anderen Resultaten gelangte
£. Rosenberg - Hagen: Vorkommen von Tuberkelbacillen im
strömenden Blnte. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Aller¬
dings hat er lediglich die mikroskopische Untersuchung angewandt (die,
wie die neueste Literatur zeigt, keinen Anspruch auf exakte Resultate
erheben kann. Ref.). R. fand fast in allen Fällen von Lungen- und
chirurgischer Tuberkulose Bacillen im Blute, die er für Tuberkelbacillen
hält; bei Gesunden will er keine Bacillen gefunden haben.
Dünner.
K. Bundschuh-Darmstadt: Kann man in einem gesunden Tier
Tuberkulose-Antikörper erzeugen? (Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73,
H. 3, S. 427.) Vorstehende Frage glaubt Verf. bejahen zu müssen.
Nach seinen Untersuchungen ist es möglich, in gesunden, tuberkulös
nicht infizierten Versuchstieren mit Tuberkulin, das keinerlei körper¬
liche Elemente enthält, Antikörper zu erzeugen. Wenn der Titer der
verschiedenen Tiere auch kein sehr hoher war, so steht er doch hinter
demjenigen, den andere Autoren mit Hilfe von tuberkulös infizierten
Tieren erhielten, nicht zurück. Selbstverständlich soll damit nicht be¬
hauptet werden, dass zur Erzeugung von Tuberkulose-Antikörpern nur
Tiere verwendet werden sollen, die vorher nicht infiziert waren.
J. Kritschewsky und 0. Bierger-Moskau: Zur Frage über das
Verhältnis des Baeillus leprae Hansen zu einigen bei Lepra gezüchteten
Mikroorganismen. (Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 509.) Verff.
halten eine von Kedrowsky aus leprösem Material gezüchtete Kultur
für identisch mit dem Bacillus leprae Hansen, denn das Serum von
Leprösen enthielt in gleichem Maasse spezifische komplementbindende
Antikörper sowohl gegen die Kultur von Kedrowsky als auch gegen
Antigene aus Lepromen, in denen sich die Hansen-Stäbchen befanden.
Der Tuberkelbacillus steht in naher Verwandtschaft zum Bacillus leprae
Hansen und zu seiner reinen Kultur, als welche in dieser Arbeit die
Kultur von Kedrowsky auftritt. Das Serum von Leprösen zeigt nach
den Untersuchungen der Verff. keine Fähigkeit, mit jedem bakteriellen
Antigen Komplement zu binden. Möllers.
H. A. Gins-Frankfurt a. M.: Znr Färbung der Diphtheriebacillen.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Durch Einschaltung einer
kurzdauernden Behandlung mit Lugol’scher Lösung, die 1 pCt. Milch¬
säure enthält, zwischen die beiden Phasen der M. Neisser*sehen Doppel¬
färbung erhält man eine prägnantere Zeichnung des ganzen Bacillen¬
leibes und stärkeres Hervortreten der Polkörper beim Diphtheriebacillus.
Die Spezifität der Reaktion wird dadurch nicht verändert.
Wolfsohn.
M. Taute-Deutsch-Ostafrika: Zur Morphologie der Erreger der
Schlafkrankheit am Rovumafluss (Deutsch-Ostafrika). (Zeitschr. f. Hyg.,
1913, Bd. 73, H. 3, S. 556.) Die Erreger der im deutschen Rovuma-
gebiet aufgetretenen Schlafkrankheit zeigen nach den Feststellungen des
Verfassers im Affenblut die für das Trypanosoma rhodesiense beschriebenen
Charakteristika. Möllers.
Fr. Aenstoots-Stephansfeld i. E.: Waebstumsbemmungen von
Rnhrbacillen auf Malachitgrünagar. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 583.) Auf Malachitgrünagar zeigen
Dysenteriebacillen stark vermindertes bzw. gar kein Wachstum. Dieses
Verhalten ist eventuell zur Identifizierung derartiger Stämme zu. ver¬
werten. Bierotte.
D. M. ßertrand und A. Berthelot: Ptomainerzeugende Bakterien
in der Flora des menschlichen Darmes. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4669.)
Es gelang den Verfassern, aus menschlichen Stühlen ein Bacterium zu
isolieren, das /Mmidazoläthylamin bilden kann. Es ähnelt morphologisch
und kulturell dem Friedländer’schen Bacillus und dem Bacillus lactis
aerogenes. Die biologischen Eigenschaften, namentlich sein Verhalten
gegenüber den verschiedensten Kohlehydraten und stickstoffhaltigen
Körpern, werden beschrieben. Das /Mmidazoläthylamin kann aus Histidin
gebildet werden in Gegenwart von Pepton oder einer Mono- oder Di-
aminosäure aus Kasein; muss der Bacillus seinen N-Bedarf aus anorgani¬
schen Ammonsalzen decken, so wird das /Mmidazoläthylamin nicht ge¬
bildet, sondern nur Imidazolpropionsäure. Die Verfasser konnten aus
Stühlen noch zwei andere, vom genannten Bacillus aminopbilus intesti¬
nalis verschiedene Bakterien züchten, die ebenfalls /Mmidazoläthylamin
bilden können; sie fanden sich aber nur in Stühlen von Menschen, die
an Autointoxikation litten, nicht in denen Gesunder.
Weydemann.
S. Zarzycki-Wien: Verwertbarkeit der Aeetonextrakte bei der
Meiostagminreaktion. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Infolge
der leichten Herstellung und langen Haltbarkeit des Acetonlecitbin-
extraktes ist die Reaktion praktisch leichter ausführbar. Einen voll¬
kommenen Ersatz für die aus Carcinom und Pankreas hergestellten
Antigene bildet das Extrakt nicht. Der positive Ausfall der Reaktion
ist fast sicher, der negative dagegen nicht verwertbar.
R. Köhler und A. Luger-Wien: Znr Meiostagminreaktion. (Wiener
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Nach einer Mitteilung in der Sitzung
der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 24. Januar 1913. Referat
siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
K. E. Boehncke und K* Bierbaum-Frankfurt a. M.: Ueber die
Bedeutung der Eiweisssnbstanzen des Nährmedinms für die Anapbyla-
toxinabspaltang ans Bakterien. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt.,
Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 504) Die von Besredka und Strobel
vertretene Auffassung des Bakterienanaphylatoxins als eines aus dem
Pepton des Nährbodens entstandenen Giftes trifft nach den Unter¬
suchungen der Verfasser nicht zu: sowohl Bakterien von peptonfreien
wie auch von eiweissfreien Nährböden besitzen die Fähigkeit der Ana-
phylatoxinabspaltung. Bierotte.
A. Brügge mann-Kiel: Beitrag zur Serumdiagnose maligner
Tomoren (KeÜing’scbe hämolytische Proben, Asholi’sche Meiostagmin¬
reaktion und Wassermann’sche Reaktion). (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d.
Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Kelling hatte gefunden, dass Serum von
Tumorpatienten stärkere und schnellere Hämolyse für rote Hühnerblut¬
körperchen zeigt als das Serum anderer Kranker oder Gesunder. Verf.
untersuchte das Serum von 159 Patienten und 16 Graviden. Es ist auf¬
fallend, dass die Tumorpatienten viel häufiger stärkere Hämolyse zeigen.
Verf. glaubt nicht, dass die Tumorbildung die Ursache hierfür ist, viel¬
mehr ist er der Ansicht, dass die betreffenden Sera entweder stärkeren
Gehalt an natürlichen Hämolysinen aufweisen oder Zerfallsprodukte der
Tumoren (besonders des Magen-Darmtractus) die Hämolyse unterstützen.
Gravide zeigen auffallend oft ebenfalls gesteigerte Hämolyse. Die Meio¬
stagminreaktion wurde in 70 Fällen, darunter 40 Tumoren, geprüft.
Positive Resultate nur bei malignen Tumoren, und zwar in 52,5 pCt.
Die Meiostagminreaktion ist für maligne Tumoren keine spezifische
Reaktion, kann aber trotzdem als diagnostisches Hilfsmittel angesehen
werden. Die Wassermann’sche Reaktion war bei 18 Patienten mit
malignen Tumoren negativ. G. Eisner.
K. E. Boehnke • Frankfurt a. M.: Beobachtungen bei der Chemo-
Serotherapie der Pneumokokkeninfektion. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 8.) Wenn man Pneumokokkenserum und Aetbylbydro-
cuprein kombiniert bei experimentellen Pneumokokkeninfektionen an wendet,
so genügen schon Dosen zur Erzielung von Schutz- und Heilwirkungen,
die jede für sich gar keinen Einfluss ausüben. Es würde sich also
empfehlen, diese Kombinationstherapie auch bei der menschlichen Pneu¬
monie zu versuchen. Dünner.
H. Liefmann-Berlin: Ueber Vibriolysin. (Zeitschr. f. Hyg., 1913,
Bd. 78, H. 3, S. 421.) Studie über die Wirksamkeit des Lysins eines
vom Institut Robert Koch erhaltenen Vibrionenstammes gegenüber
Hammelblut. Möller.
Innere Medizin.
0. Müller und B. Forst er-Tübingen: Zur Frage des Herzscblag-
VoUmen8. 2. Mitteilung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie,
Bd. 12, H. 3, S. 472—488.) In dieser Mitteilung werden kritisch und
experimentell die Einwände diskutiert, welche von anderen Autoren gegen
die Versuche Müller’s gemacht worden waren.
0. Müller und Th. Oesterlen-Tübingen: Zur Frage des Herz-
scblagvolumens. 3. Mitteilung. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie,
Bd. 12, H. 3, S. 489—500.) Die mit Mül ler’s früherer Methode der
sogenannten centralen Flammentachographie bei der Einwirkung von
Bädern und Arzneimitteln erhaltenen Resultate waren richtig, während
die gasanalytischen Methoden anderer Autoren zu unzutreffenden Re¬
sultaten geführt haben. Die klinische Verwendbarkeit der Methodik hat
ihre Grenzen; die Methode gibt aber zurzeit genauere Aufschlüsse als
andere Verfahren. Die centrale Flammentachographie wird durch die
Schreibung des centralen Pulses nach Frank zu ersetzen sein, bis es
möglich ist, die Druckamplitüde centraler Gefasse nicht nur nach
relativem, sondern auch nach absolutem Maass darzustellen.
K. Kur6-Tokio: Klinische Beobachtungen über den Einfluss der
Vaguserregung auf das Auftreten heterotoper Herzreize. (Zeitschr. f.
experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 460—471.) In zwei Fällen
wurde durch Analyse gleichzeitig aufgenoramener Arterienpuls- bzw. Herz-
spitzenstoss- und Venenpulskurven das Vorhandensein einer heterotopen
Bradycardie festgestellt, die auf Vaguserregung zu beziehen ist.
J a c o b y.
Hecht: Zur physikalisch-diätetischen Behandlung pathologischer
Blutdrueksteigernngen. (Zeitschr. f. Balneol., Jahrg. 5, Nr. 22.) Hecht
schildert die physikalisch-diätetische Behandlung pathologischer Blut¬
drucksteigerungen. Die beobachteten Fälle sind teils mit Adiposita*
kombiniert, teils zeigen sie deutliche Albuminurie; in einer dritten
Gruppe vereinigt H. die Fälle, bei denen sich relativ quantitative Ueber-
ernährung ohne Albuminurie findet. Bei der Behandlung spielt neben
Ruhe und physikalischen Anwendungen die Diät die Hauptrolle; sie
muss reizlos sein, die Fleischzufuhr ist zu vermindern, dafür mehr für
vegetabilische Kost und Mineralsalzzufuhr zu sorgen, die Flüssigkeit
— besonders der Alkohol — und die Kochsalzzufuhr einzuschränken.
E. Tobias.
S. G. Shottock-London: Verschluss der Vena cava inferior als
Folge eines inneren Traumas. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913,
Nr. 2721.) Pat. erkrankte 1884 nach einem Wettlaufe, bei dem er den
Atem angehalten hatte, mit Oedem der unteren Körperhälfte, die monate¬
lang anhielt. Gleichzeitig trat Albuminurie auf, die bis zum Tode 1909
anbielt. Nach dem Tode fand sich völliger Verschluss der unteren Hohl¬
vene und ihrer Aeste, was der Verf. dadurch erklärt, dass die Intima
der Vene beim Anhalten des Atems gerissen sei und nun ähnlich wie
beim Aneurysma dissecans der Aorta ein Varix dissecans entstanden sei.
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24. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
557
Durch dieses Hämatom der Venenwand sei das Lumen der Hohlvene so
verengt worden, dass Thrombose eingetreten sei. Weydemann.
A. Wagner - Jena: Beitrag zur Aderlasstherapie bei Polycythämie.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Systematische Aderlässe
bei Polycythämie bringen subjektive Erleichterung; sie sind bei sekun¬
därer Hyperglobulie indiziert, wenn das primäre Leiden nicht zu beein¬
flussen ist. Der Erfolg liegt wohl in der Steigerung der Sauerstoff¬
kapazität des Blutes; da bei primärer Polycythämie die Sauerstoff¬
kapazität des Blutes und der Gaswechsel gesteigert sind, so ist in diesen
Fällen von regelmässig wiederholter Blutenlziehung kein Erfolg zu er¬
warten, ja sie ist sogar kontraindiziert. Dünner.
M. Rosen borg-Berlin: Die Bedeutung der intrueutunen Tiber-
kilinreaktion für die Diagnose und Prognose der Lngentnberkulose.
(Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bl 12, H. 3, S. 549—563.)
Die intracutane Tuberkulinreaktion ist in bezug auf ihre diagnostischen
Leistungen bei Lungentuberkulose der Ophthalmoreaktion zum mindesten
ebenbürtig, wenn man Vso ooo und Vkoo ooo com Tuberkulin zur Injektion
benutzt und bei der ersten Verdünnung nur den negativen, bei der
zweiten nur den positiven Ausfall verwertet. Sie verdient daher, in
allen den Fällen an Stelle der Ophthalmoreaktion angewandt zu werden,
wo eine Kontraindikation für' diese besteht. Bei Ausschluss einer rheu¬
matischen Diathese, sowie in erst beginnenden Tuberkulosefällen ist die
Intracutanreaktion der Ophthalmoreaktion überlegen und verdient vor
ihr, trotz der etwas umständlichen Technik, den Vorzug. Jacoby.
L. Hofbauer-Wien: Entstehung und Bekämpfung der konsekutiven
Störungen bei Pleuraschwarte. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 8.) Die Atelektase der unteren Lungenpartien und die Zirkulations¬
störungen sind durch den Tiefstand des Zwerchfells veranlasst. Zwecks
Hochtreibung des Zwerchfells und konsekutiver Hebung seiner Muskel¬
leistung ist Lagerung auf die kranke Seite, späterhin aktive Bauoh-
atmung zu empfehlen. P. Hirsch.
F. Oeri-Braunwald: Erstickingsanfall infolge Durehbriehs einer
tuberkulösen Drüse in den Broickns. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 8.) 16jähriger Knabe mit Bronchialdrüsentnberkulose. Bei
einem heftigen Hustenanfall plötzlich Cyanose, Erstickungssymptome.
Künstliche Atmung fördert Stücke verkästes Drüsengewebe hervor.
Patient erholte sich. Dünner.
H. T. Giliett- Oxford: Taceiiebehandlnig bei chronischer
Bronchitis. (Brit. med. journ., 22. Februar 1913, Nr. 2721.) Kranken¬
geschichten. Die Vaccine soll von frischen Kulturen von Mikroorganis¬
men des Auswurfs bereitet werden, Subkulturen sind zu vermeiden. Er¬
hitzen der Kulturen nur 15 Minuten auf 60° oder nur Zusatz von
0,5 pCt. Phenol. Die Dosis soll gross genug seio, um eine Reaktion
hervorzurufen, aber zu lange negative Phasen sind zu vermeiden.
Weydemann.
J. Severin-Breslau: Ueber Pieraokokkensepsis und Pneumo-
kokkenmeningitis im Anschluss an kalkulös purulente Cholecystitis
und abscedierende Cholangitis. (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir,
Bd. 25, H. 5.) Beschreibung zweier Fälle von Pneumokokkensepsis und
Pneumokokkenmeningitis, die von Pneumokokkeninfektion der Gallenwege
ihren Ursprung genommen hatten. G. Eisner.
A. Castellani-Colombo: Typhus- und Paratyphusbehandluug
mit lebender, abgeschwächter V&eciue; gemischte Vaccine. (Lancet,
1. März 1913, Nr. 4670.) Die lebende Typhusvaccine wird von einem
alten, nicht virulenten Stamm gezüchtet und eine Stunde lang auf 49
bis 50 9 erhitzt. Die erste Dosis beträgt 500 Millionen, später mehr.
Es folgt auf die Einspritzung eine allgemeine und lokale Reaktion, die
vielleicht etwas stärker ist als bei toten Vaccinen. Die Dauer der Im¬
munität berechnet der Verf. auf 1—2 Jahre. Die Vaccine ist ganz
harmlos und macht keinen Bacillenträger, wie an Versuchen an Mensohen
nachgewiesen ist. Agglutinine im Blut treten 8—10 Tage nach der In-
oculation auf; ihre Menge im Blut ist verschieden, aber C. hat nie eine
sehr hohe Agglutinationsgrenze beobachtet. Die Vaccine ist lange halt¬
bar, sowohl auf Eis als bei Zimmertemperatur. Aebnlich wird eine
lebende Cholera- und Dysenterievaccine hergestellt; die Choleravaccine
darf nur auf 45—48° erhitzt werden und* muss frisch verbraucht werden.
Die Reaktion ist viel heftiger als bei toter Vaccine. Dysenterievacdihe
muss statt mit Bouillon mit Peptonwasser hergestellt werden, sonst
macht ihre Einspritzung sehr schmerzhafte Infiltrate. Bei gemischten,
aus 2—3 Bakterien arten bestehenden Vaccinen bringt jeder Bacillus,
unabhängig vom anderen, die spezifische Immunität hervor; so hat der
Verf. eine Vaccine bereitet aus zwei Teilen Typhus und je einem Teile
Paratyphus A undß; nur ist zu bemerken, dass die Menge der Aggluti¬
nine für den Bacillus paratyphi A oft sehr gering ist»
J » ; * '* ' 'Weydemann.
E. ( F. Du Bois-New York: Ueber Nahrungsabsorption beim Typhus.
(Arch. of int. med., Bd. 10, Nr. 3.) Typhuskrinke absorbieren Kohle¬
hydrate und iüiweiss wie gesunde Individuen. Auch grosse Fettmengen .
können verarbeitet werden, doch steht deren Prozentsatz besonders im
Frühstadium der Krankheit hinter dem normalen Werte zurück.
C. Kayser.
Hirsohkowitz-Kissingen: Rüstweim als Diaetetieum. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Beitrag für den Diätzettel bei Obsti¬
pation, Neurasthenie, Herzleiden usw. Weizenkörner, hell geröstet und
zu einem grobkörnigen Pulver zermahlen, haben reiohen Cellulosegehalt
und sind infolgedessen ein sehr gutes DarmmassagemitteL
Dünner.
Determanji: Die diätetische Behandlung der Funktionsstörungen
des Mageadamkaaals auf pathologisch-physiologischer Basis. Nach
einem Fortbildungsvortrag. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie,
März 1913.) Determann beginnt mit einem Ueberblick über die Be¬
wegungsvorgänge, die Sekretionen und die Fermentwirkung, die Re¬
sorptionsvorgänge und die Bedeutung der Bakterien im Magendarmkanal
und stellt an der Hand der Hauptgruppen der Magendarmkrankheiten
zusammen, was aus den Ergebnissen der experimentellen Forschung für
die diätetische Behandlung der Magendarmfunktionsstörungen resultiert.
Die unklaren Begriffe „Magenstörung“, „Darmstörung“ müssen durch
klare Diagnosen auf pathologisch-physiologischer Basis ersetzt werden,
zu denen wir uns aller zu Gebote stehender Methoden der ausgebildeten
Diagnostik bedienen sollen. E. Tobias.
G. Sardemann-Düsseldorf: Ueber die Wirkungen von Adrenalin
Bild Pilocarpin am vegetativen Nierensystem gesunder und kranker
Menschen. (Zeitsohr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 12, H. 3,
S. 501—522.) Menschen, die allgemein nervöse Erscheinungen oder eine
besondere Erregung in einem der vegetativ innervierten Organe dar¬
bieten, reagieren kräftiger auf Adrenalin und Pilocarpin als völlig gesunde
Individuen. Jacoby.
Brosch: Die akute parenchymatöse Nephritis als baineothera¬
peutisches Problem. (Zeitschr. f. Balneol., Jahrg. 5, Nr. 23.) Man kann
die akute Nephritis anf dreifache Weise behandeln: mit der Verdünnungs¬
methode (Behandlung durch kopiöse enterale Wasserspülungen), durch
Ionenkorrektur (Behandlung durch kopiöse enterale Spülungen mit hypo¬
tonischen Na-freien Antagonistenlösungen), durch Salzbehandlung mit
hohen Kozentrationen (orale Verabreichung hoher Salzdosen, Klysmen mit
mehrfach hypertonischen Salzlösungen). Auch bestimmte Kombinationen
sind möglich. E. Tobias.
L. Hess und B. v. Frisch-Wien: Ueber ein Phosphatid im
menschlichen Har». (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) In acht
Fällen von langdauernden Narkosen gynäkologisch kranker Frauen haben
dieVerff. im Harn ein acetonunlösliches, ätherlösliches, phosphorhaltiges
rechtsdrehendes Lipoid nachgewiesen. Es ist möglich, dass das Phos-
phatid durch eine infolge der protrahierten Narkose herbeigeführte Lipoid¬
einschmelzung im Bereich des Nervensystems entsteht.
P. Hirsch.
E. Blumenfeldt-Berlin: Beiträge zur Kaliausscheiduag unter
normalen und pathologischen Verhältnissen. (Zeitschr. f. experim. Pathol.
u. Therapie, Bd. 12, H. 3, S. 523—528.) Bei Herz- und Nierenkranken
werden Kalisalze leicht retiniert, während das bei Gesunden nicht der
Fall ist. Jaooby.
J. Henderson - Glasgow: Bemerkungen zu einem Falle von Bence-
Jones’scher Eiweissausscheidung. (Lancet, 22. Februar 1913, Nr. 4669.)
Der Verf. konnte feststellen, dass sein Bence-Jones’scher Eiweisskörper
sich fast in jeder Hinsicht gerade so verhält, wie es Hopkins und
Savary beschrieben haben, so dass er als mit deren Substanz identisch
angesehen werden kann. Weydemann.
Schilling: Entwicklung, Resorption und Elimination der Darm-
gase. (Zeitsohr. f. physikal. u. diätet. Therapie, März 1913.) Schilling
bespricht die Entstehung, Entwicklung, Resorption und Elimination der
Darmgase und in Kürze auch die Therapie, die erforderlich ist, sobald
die Gasbildung zur Flatulenz ausartet. E. Tobias.
Siebe auch Therapie: Elsner und Neader, Chronische Purpura
und die Behandlung mit tierischem Serum. — Pathologie: Breitner,
Kropfige Erkrankungen der Schilddrüse, v. Kutschern, Gegen die
Wasserätiologie des Kropfes und Kretinismus. — Parasitenkunde und
Serologie: Saisawa, Pseudotuberkulose beim Menschen. Boehnke,
Chemo-Serotherapie der Pneumokokkeninfektion.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Podzalnarsky: Eine Bemerkung zum Artikel: Die Anwendung
der physikalischen Heilmethoden znr Behandlnng von centralen Er¬
krankungen. Geheimrat Goldsoheider. (Zeitschr. f. physikal. und
diätet. Therapie, März 1913.) Prioritätsdiskussion. E. Tobias.
C. Schong-Linköping (Schweden): Die Länge der Inkubationszeit
bei der akuten Kinderlähmung (Heine-Medin’schen Krankheit). (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) In einigen Fällen war es möglich,
die Inkubationszeit zu berechnen. Sie beträgt ungefähr vier Tage. Eine
Uebertragung der Krankheit durch Stechfliegen ist unwahrscheinlich.
Viel eher anzunehmen ist eine direkte Ansteckung durch Mund- und
Nasensektet.' Wolfs ohm
HaSkovec: Laterale Deviation der Finger der Hand. (Neurol
Centralbl., 1918, Nr. 5.) H. schildert einige Fälle von lateraler Deviation
der Finger. Man sieht dieselbe nicht nur nach mechanischen Insulten
und chronischen Gelenkaffektionen, sondern auch durch Rigidität der
kleinen Handmuskeln bedingt. In letzterem Falle erklärt sie sich mit
der Erklärung der Kontrakturen überhaupt als Ausdruck einer Inklination
zu Kontrakturen bei Läsionen der Pyramidenbahn und bei organischen
Gehirnstörungen sowohl bei Läsionen der motorischen als auch der
sensiblen Bahnen. Sie kann auch als reio funktionelle Erscheinung bei
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668
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
einer traumatischen Neurose auftreten, in deren Symptomenkomplex sie
als objektives Symptom einer wirklichen Erkrankung des Nervensystems
Bedeutung beansprucht.
R. Strasmann: Sehr seltene Formen von amyotrophiseher Lateral¬
sklerose. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 5.) Fall von amyotrophiseher
Lateralsklerose mit abnormem Verlauf und Lokalisation vorwiegend in
allen grossen Hand- und Fingerbeugern und dadurch erzwungener Aus¬
nutzung der sehr geschickt gewordenen kleinen Handmuskeln zu allen
Greifbewegungen. Eine abnorme Kiemenanlage, die als „angeborene
Halsfistei“ erkannt und operiert wurde, ist ein Hinweis darauf, dass
vielleicht auch eine abnorme Anlage des Nervensystems bei der centralen
Erkrankung eine Rolle gespielt hat. E. Tobias.
W. G. Mc Callum - New York: Uebererregbarkeit der Nerven bei
Tetanie. (Mitteil. a. d. Gronzgeb. d. Med. u. Chir., Bd. 25, H. 5.) Die
Uebererregbarkeit des neuromuskulären Apparates bei Tetanie stellt eine
wenigstens ebenso grosse Veränderung im peripheren Abschnitt wie im
centralen Nervensystem dar. Der periphere Abschnitt eines Neurons
kann übererregbar gemacht werden durch Bespülung mit tetanischem
Blute, während der centraler gelegene Teil in seinem normalen Zustande
verharrt. Es ist begreiflich, dass die Nervenendigung besonders affiziert
ist, da Schwankungen in der Erregbarkeit des Muskels auf direkte
Reizung nicht deutlich sind. Jene Uebererregbarkeit ist durch Ver¬
änderungen in der Beschaffenheit des kreisenden Blutes hervorgerufen.
Diese können in der Anwesenheit eines bestimmten kreisenden Toxins
bestehen, und dies Toxin kann wieder durch Entziehung von Calcium
wirken, da Durchströmung mit oxalisiertem Blute Wirkungen hervorruft
gleich denen, die der Durchströmung mit tetanischem Blute folgen.
G. Eisner.
Stewart: Progressiver Myotonus bei einer myodonisehen Kranken.
(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 5.) Krankengeschichte eines an Myoclonus
leidenden Mädchens aus belasteter myoclonischer Familie, das an
tonischem Spasmus in besonderen Muskelgruppen leidet. Elektrische
Reaktionen, Reflexe und Sensibilität normal. Am auffallendsten ist
die progressiv zunehmende Deformität der Schulterblätter.
E. Tobias.
Siehe auch Kinderheilkunde: Hamburger, Psychische Be¬
handlung im Kindesalter. Chirurgie: 0. Hildebrand, Chirurgie der
hinteren Schädelgrube. Pathologie: v. Kutschera, Gegen die Wasser¬
ätiologie des Kropfes und Kretinismus.
Kinderheilkunde.
F. Hamburger-Wien: Ueber psychisch* Behandlung im Kindes¬
alter. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Psychische Traumen
in Form von Kränkungen durch wirkliche oder vermeintliche Ungerechtig¬
keit können typische Erscheinungen von Neurasthenie hervorrufen.
Gelingt nun die wirkliche Entfernung des Traumas, so erzielt man
geradezu glänzende Heilresultate (Methode der Katharsis). Lässt sich
das psychische Trauma nicht mehr ungeschehen machen, so ist die Ab¬
lenkung (Abstraktion) oder die Hypnose anzuwenden. Die Wach¬
suggestion ist vom zweiten Lebensjahr an mit Erfolg verwendbar, und
zwar für Krankheitserscbeinungen des wachen Zustandes und für solche
des Schlafes. Vorzügliche Dienste leistet die Suggestivbehandlung zur
Entfernung des „psychogenen Restes“ nach organischen Erkrankungen
(z. B. nach Keuchhusten). P. Hirsch.
A. Epstein - Prag: Das Ohrringsteehen und seine Gefahren, ins¬
besondere die tuberkulöse Ansteckung der Stichöffnungen. (Zeitschr. f.
Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) Nach Besprechung der verschiedensten
Formen von Komplikationen des Ohrringstechens berichtet E. über zwei
Fälle von Erkrankungen, die im unmittelbaren Anschluss an das Durch¬
stechen der Ohrläppchen begannen. Die Stichkanäle bildeten den
primären Ausgangspunkt einer Tuberkulose der Ohrläppchen. Die Tuber¬
kulose erwies sich klinisch als typische Inoculationstuberkulose.
J. v. Bökay - Budapest: Ueber die infantile Lithiasis in Ungarn.
(Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) B. beweist an der Hand seines
reichen (1S36 Fälle) statistischen Materials, dass die Harnsteinkrankheit
der Kinder in Ungarn hauptsächlich im Tiefland vorkommt. Aetiologisch
bringt er nicht in jedem Falle die Lithiasis der Kinder mit der Nieren¬
infarktbildung in Einklang. Es haben nur 4 pCt. Mädchen seines
Materials Steinbildungen. Dagegen leistet die Phimose und Verlötung
des Präputiums mit der Glans der Entwicklung der infantilen Stein¬
bildung meist Vorschub. Der Ansicht familiärer Disposition schliesst er
sich für die Erkrankung des Kindesalters nicht an.
R. Zischl-Prag: Was lehrt mein Rachitismaterial? (Zeitschr. f.
Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) 1. Die Zahl der Rachitisfälle steigt in den
Frübjährsmonafen an,' mit Beginn des Sommers fällt sie jäh Ab und
bleibt im Herbst und Winter fast auf /dem Nullpunkt. 2. Die Reihen¬
folge des Eintritts der rachitischen Symptome vollzieht sich derart, dass
sich dem Alter der Patienten entsprechend a) Kopfschweisse, b) Frosch¬
bauch, c). Craniotabes, d) Verdickung der chondrocostalen Epiphysen,
e) rachitischer Querkopf, Caput natiforme usw., f) Verdickung der Epi¬
physen an den langen Röhrenknochen und Perlschnurfinger, g) Wirbel¬
säulenverkrümmungen und Deformation des Thorax, b) „Belastungs¬
deformitäten“ konstatieren lassen. Dieser zeitliche Ablauf der Ver¬
änderungen gestatte auch ein gewisses Urteil über das Alter der jeweils
vorliegenden Rachitis. 3. In den ersten drei Lebensmonaten lassen sich
bei einer nicht allzu geringen Zahl von Kindern schon Rachitissymptome
nachweisen, doch steht die Hauptzahl der rachitischen Kinder im zehnten
bis zwölften Monat. 4. Die Ernährungsweise übt nur auf den Grad der
vorhandenen Rachitis einen unleugbaren Einfluss aus. 5. Deutlicher
Zusammenhang der Spasmophilie und der Rachitis. Die Tetaniehöhe
geht dem Gipfelpunkte der Rachitiskurve zeitlich voraus (Februar, März
bis Juni, Juli); die Schädigung durch die unbekannte Noxe manifestiert
sich zeitlich früher am Nervensystem als an den wachsenden Knochen.
A. Gold re ich-Wien: Zur klinischen Diagnostik der latente* Lies
hereditaria (mit besonderer Berücksichtigung der Cubitaldrüsen. (Zeit¬
schrift f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) G. fasst die Symptome, auf Grund
deren man berechtigt ist, die Diagnose der latenten Lues hereditaria zu
stellen, folgendermaassen zusammen: 1. Hydrocepbalus mässigen Grades,
2. Caput natiforme, das dadurch entsteht, dass durch starke periostale
Wucherung der Stirn und Scheitelhöcker der Schädel in longitudinaler
Richtung eine muldenförmige Verdickung aufweist; 3. olympische Stirne;
dieses Stigma ist die Folge frühzeitiger periostaler Wucherungen der
Stirnhöcker, wodurch die Höcker sehr deutlich hervortreten und die
abnorm breite und abnorm hohe Stirn stark gewölbt erscheinen lassen;
4. Coryza, Destruktion der Nasenwurzel, Sattelnase und auffallende
Flachheit des Oberkiefers; 5. Narben, Residuen abgelaufener Haut- und
Schleimhautaffektionen, besonders an den Lippen und Mundwinkeln; sie
reichen über das Lippenrot, das oft durch einen hellen Saum gegen die
Haut abgegrenzt erscheint; 6. Hutohinson’sche Trias: Zähne, parenchy¬
matöse Keratitis, Taubheit infolge Neuritis acustica; 7. Cubitaldrüsen,
ohne sie allein als pathognomonisches Symptom zu preisen.
M. Calvary-Hamburg: Der Nährwert des Milchzuckers. (Zeitschr.
f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) C. fand den Milchzucker bei 10 Fällen
völlig gleichwertig den anderen gebräuchlichen Zuckern als Zusatz zu
Milchmischungen bei vorhandenen alkalischen Stühlen.
B. Grünfelder.
R. Lederer-Wien: Ueber ein noch nicht beschriebenes Krankheits¬
bild der spasmophilen Diathese. Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Es fiel dem Verf. in den letzten Jahren
mehrfach auf, dass Kinder, welche an irgendwelchen Erscheinungen
manifester Tetanie erkrankt waren, bisweilen einen eigentümlich ver¬
änderten Atemtypus aufwiesen. Es handelte sich offenbar um Spasmen
der kleinen Bronchialmuskeln. Durch diesen oft recht lange anhaltenden
Krampfzustand werden die Alveolen von der äusseren Luft abgeschlossen,
die in ihnen enthaltene Luft wird resorbiert, und der betreffende Lungen¬
abschnitt wird atelektatiscb. P. Hirsch.
Chirurgie.
H. Kon dring-Posen: Klinische Erfahrungen mit Chloruetakresol
zur Schnelldesinfektion der Hände. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 11.) Phobrol (1 pCt.), kombiniert mit 70proz. Alkohol oder
mit Acetonalkohol (20:100) eignet sich ausgezeichnet zur Schnell¬
desinfektion der Hände und des Operationsfeldes. Es genügt ein drei
Minuten langes Waschen mit Wasser und Seife und fünf Minuten langes
Abreiben mit Pbobrolalkohol. Wolfsohn.
Keppler-Berlin: Die Anästhesierung der unteren Extremität
mittels Injektion auf die grossen Nervenstämme. (Archiv f. klin. Cbir.,
Bd. 100, H. 2.) Durch Injektion von 2 proz. Novocainlösung mit
Adrenalinzusatz auf Ischiadicus, Cutaneus femoris posterior, Femoralis,
Obturatorius und Cutaneus femoris lateralis wird eine vollständige
Anästhesie der unteren Extremität erzielt. K. gibt die anatomischen
Unterlagen, um diese Nerven auch mit Bestimmtheit zu treffen, was bei
einiger Technik gar nicht sonderlich schwer ist. Das Verfahren wurde
an 20 Fällen der Bier’schen Klinik geübt. Bei Operationen vom Knie¬
gelenk abwärts wird um Ischiadicus und Saphenus major anästhesiert.
Schliep.
0. M. Chiari-Innsbruck: Zur Kenntnis des Verhaltens frei trans¬
plantierter Fascie im menschlichen Organismus. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 8.) Ein operativ gesetzter Duradefekt wurde durch
ein 8 cm im Durchmesser messendes Stück aus der Oberschenkelfascie
des Patienten gedeckt. Der Verf. schliesst aus den bisher vorliegenden
Beobachtungen, dass frei transplantierte Fascie am Leben bleiben kann
unter der natürlichen Anpassung an die künstlich geschaffene neue
Lokalisation. Die Erhaltung geschieht derart, dass die Fascie eine
Grundlage bildet, auf der das vom Rande her vordringende Granulations¬
gewebe sich ausbreiten kann, welches dann die Ernährung vermittelt.
P. Hirsch.
G. Magnus - Marburg: Wundbehandlung mit Zucker. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Zucker hat desinfizierende und fäulnisr
widrige Wirkung, löst Fibrin, regt die Sekretion an durch heftige,
osmotische Vorgänge — gleichsam eine Serumspülung der Wunden von
innen nach aussen. Diese Eigenschaften schaffen günstige Heilungs¬
verhältnisse, die sich in schneller Reinigung, Desodorierung, gesunder
Granulationsbildung und rascher Ueberbäutung manifestieren. Es ist ein
für praktische Zwecke selbst steriles Medikament. Die Behandlung
hat sich in 100 Fällen gut bewährt. Dünner.
Sato-Japan: Ueber das eavernöse Angiom des peripherischen
Nervensystems. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Aetiologisch
führt der Verf. das cavernöse Angiom auf krankhafte Gefässkeime zurück;
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24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
659
er glaubt, dass das Cavernom eine selbständige circumscripta Neubildung
ist ohne nachweisbaren Zusammenhang mit dem anderen Gefässsystem
and von den Gelassen innerhalb der Nervengewebe seinen Ausgang
nimmt.
0. Hildebrand*Berlin: Beitrag zur Chirurgie der hinteren
Schädelgrube auf Grund von 51 Operationen. (Archiv f. klin. Chir.,
Bd. 100, H. 3.) Verf. operierte 12 Fälle von Kleinhirnbruckenwinkel¬
tumoren, 6 Fälle von Meningitis serosa, 4 von Hydrocephalus internus,
4 Cysten des Kleinhirns, 5 solide Kleinhirntumoren, 8 Geschwülste des
Hirnstammes, 9 des Grosshirns, 1 der Hirnbasis. Zwei Fälle blieben
unaufgeklärt. Eine fünfte Kleinhirnoyste wurde nur punktiert. Von
diesen 51 Fällen starben an der Operation Und ihren unmittelbaren
Folgen 20. Unter den 12 Kleinhirnbrückenwinkeltumoren befanden sich
5 cystische; yon diesen Cysten starb keiner. Von den 6 Fällen von
Meningitis serosa starb gleichfalls keiner, ebenso von den 4 Fällen von
Hydrocephalus internus. Von den 5 Kleinhirncysten wurden 4 geheilt.
Von 20 Todesfällen waren nur 4 operabel gewesen. Von den 51 Fällen
waren 28 durch die Operation radikal zu heilen; von diesen 28 starben
im Anschluss an die Operation nur 4 Fälle. Es ist hervorzuheben, dass
in einer Anzahl von Fällen sich die Stauungspapille verlor, so dass
keinerlei Sehstörungen zurüokblieben. Verf. plädiert zum Schluss für
eine frühzeitige Explorativtrepanation, da in frühen Stadien die Diagnose
oft noch zweifelhaft ist und später chirurgische Hilfe bei Opticusatrophie
irreparable Störungen findet. Schließ.
E ding ton: Zwei ungewöhnliche Fälle von Spina bifida. (Glasgow
med. journ., 1913, Nr. 3.) Tm ersten Fall Sitz der Spina bifida am
3. und 4. Halswirbel, geheilt durch Operation. Im zweiten Fall sass
die Geschwulst unter dem rechten Musculus glutaeus. Die Oefifnung in
der Wirbelsäule sass nicht in der Mitte, sondern an der rechten Seite.
Die anatomische Untersuchung ist sehr genau durebgeführt. Das Kind
starb 24 Stunden nach der Operation. Schelenz.
E. 0. P. Schultze-Berlin: Das Alb. Kö’hler’sche Kioeheabild
des Os navicularis pedis bei Kindern — eine Fraktur. (Archiv f. klin.
Chir., Bd. 100, H. 2.) In einer grösseren Reihe von klinisch sicheren
Navicularfrakturen bei Kindern konnte S. bei jahrelanger Beobachtung
während des Heilungsverlaufs Bilder beobachten, die mit den von
Köhler seinerzeit beschriebenen identisch waren. Da in allen diesen
Fällen ein schwereres Trauma Vorgelegen hatte, andererseits aber im
ganzen Skelettsystem und speziell im anderen Naviculare Veränderungen
im Röntgenbild fehlten, so nimmt S. im Gegensatz zu Köhler u. a. an,
dass es sich nicht um eine Wachstumsvarietät handelt, sondern dass
das Bild Heilungsstadien einer Navicularfraktur darstellt. Einer der
Fälle ist dadurch besonders interessant, dass an den Navicularia beider¬
seits sich eine Wachstumsanomalie beobachten lässt, die aber in keiner
den Köhler’schen Bildern ähnelt.
E. 0. P. Sch ul tze-Berlin: Zur Schlatter’schen Krankheit. Sym¬
ptom einer Systemerkrankung. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 2.)
Verf. beobachtete Fälle von Schlatter’scher Krankheit, die ohne Trauma
entstanden waren. Da ausserdem in sechs von acht Fällen Doppel-
seitigkeit des Leidens beobachtet wurde, nahm er an, dass eine System¬
erkrankung dem Leiden zugrunde liegen müsste, und untersuchte das
gesamte Skelett der Kinder. Dabei fand er an den Ansatzstellen der
Muskeln, Sehnen und Gelenkbänder Veränderungen in der Kootur des
Knochenscbattens, die er als Periostausreissungen ansprach. Er hält
deshalb das Schlatter’sche Symptombild für eine Spontanfraktur auf
Grund einer herabgesetzten Festigkeit des Periosts. Schliep.
J. Berry-London: Die Chirurgie der Schilddrttse mit besonderer
Berücksichtigung der Basedow’schen Krankheit. I. (Lancet, 1. März
1913, Nr. 4670.) 751 grössere Operationen an der Schilddrüse. B.
glaubt, dass in allen Fällen von Basedowscher Krankheit auch die
Thymus vergrössert ist, hat aber ihre Entfernung wegen der operativen
Schwierigkeiten nicht versucht. Die Glandulae parathyreoideae hält er
aus histologischen und klinischen Gründen der eigentlichen Schilddrüse
für gleichwertig und für keine selbständigen Organe. Röntgenstrahlen
hält er für nützlich in frühen Fällen, Medikamente haben gar keinen
Wert, die Serumbehandlung scheint höchstens in frühen Fällen von
leichtem Hypertbyreoidismus, nicht aber l)ei ausgesprochenem Basedow
nützlich zu sein. t* Wey de mann.
Magnusson-Reykjavik: 214 'Eckinokokkeioperatioueu. Beitrag
zur Pathologie und Therapie der Echinokokkenkrankheit. (Archiv f.
klin. Chir., Bd. 100, H. 2.) Schon lange steht Island in dem Rufe, das
mit Echinokokken am meisten behaftete Land zu sein. Der Verf. be¬
spricht ausführlich das Vorkommen der Echinokokken, die pathologische
Anatomie, die Lokalisation in 169 operativen Fällen, die Symptome der
Krankheit. Weiter wird über Ruptur und Naturheilung« die operative
Behandlung und deren Resultate sowie über die pbstöperativen Kom¬
plikationen gespffoohen und zum Schluss eine grosse Tabelle über das
operative Material gegeben. Sohliep.
E. Unger-Berlin: Ueber totale Entfernung des Magens. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Vortrag in der Berliner Gesellschaft
für Chirurgie am 10: Februar 1013. Wolfsohn.
A. Füller ton-Belfast: Bemerkungen über eine Reihe von 55 Fällen
von saprap «bischer Prostatektomie mit vier Todesfällen. (Brit. med.
Journ., 15. Februar 1918, Nr. 2720.) Der Verf. empfiehlt dies Operations-
Verfahren. Wey de mann.
E. Löwenstein-Wien: Ueber Taberkelbaeillenbefande im Urin
bei Hodentnberknlose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.;
Auch nach Exstirpation eines tuberkulösen Hodens finden sich noch
lange Zeit Tuberkelbacillen im Urio. Sie stammen sehr wahrscheinlich
von der Prostata. Die isolierte Tuberkulose der Prostata ist nach L.
gar nicht so selten und verdient mehr Beachtung. Es besteht vielleicht
die Möglichkeit, dass nach Kastration eines kranken Hodens von der
tuberkulösen Prostata aus die Infektion auf die Harnblase oder den
anderen Hoden übergeht. Wolfsohn.
W. Danielssen - Beuthen: Allgemeine eitrige Peritonitis durch
Bandwurm. (Müochener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) Peritonitis
nach Darmperforation mit einem in der freien Bauchhöhle befind liehen
Bandwurm, dessen Kopf in die rechte Tube, neben der eine Ovarialcyste
bestand, eingedruDgen war. Die Erklärung für diesen auffälligen Be¬
fund ist folgendermaassen: Pat. hatte vor zwei Jahren eine eitrige
Oophoritis und Salpingitis, durch die es zu einer VerklebuDg zwischen
Fimbrien und Darm mit Perforation des Eiters in den Darm kam. Durch
diese Perforationsstelle gelangte der Bandwurm in die Tube. Die Ver¬
klebung lockerte sich später durch die Bandwurmbewegung. Austritt
in die freie Bauchhöhle. Dünner.
Fesenmeyer-Aachen: Zar Anwendung des Murpbykuopfes bei
der Gastroenterostomie retrocolica posterior. (Arohiv f. klin. Chir.,
Bd. 100, H. 2.) Der Verf. empfiehlt auf Grund von 81 Fällen die An¬
wendung des Murpbyknopfes. Schliep.
Röntgenologie.
Aschoff, Krönig und Gauss-Freiburg: Zur Frage der Beeiafliss-
barkeii tiefliegender Krebse durch strahlende Energie. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7 u. 8.) Die spezifische Einwirkung der
Röntgenstrahlen ist auch auf tiefliegende Krebsgewebe im Sinne einer
Rückbildung oder Umbildung zu weniger bösartigen Typen nachweisbar.
Diese spezifische Wirkung ist nur eine lokale, auf das Bestrahlungs¬
gebiet beschränkte. Eine Fernwirkung ist, wenn überhaupt, nur in
beschränktem Maasse anzunehmen. Die bisherigen Obduktionsbefunde
zeigen, dass der Organismus eine solche intensive Durchstrahlung ohne
nachweisbare Schädigung lebenswichtiger Organe ertragen kann. Ob
das auch für noch länger dauernde Bestrahlungen gilt, können erst die
zukünftigen Beobachtungen zeigen. In den bisher obduzierten Fällen
ist keine völlige Vernichtung des Krebsgewebes erreicht worden.
G. Holzknecht und *M. Haudek-Wfen: Bewegungsvorgänge am
pathologischen Magea auf Grund rftutgeakioeBiatographischer Unter¬
suchung. (Münchener med. Wochensohr., 1913, Nr. 8.) Bemerkungen
zu dem Artikel von G. Bruegel in Nr. 4 der Müochener medizinischen
Wochenschrift, der die horizontale Abschlusslinie des wismutgefüllten
Antrum pylori als den Ausdruck einer Behinderung des Ablaufes der
Kontraktionswellen am präpylorischen Anteil des Magens durch Wand-
iofiltrat oder Narbe, wahrscheinlich verbunden mit Verwachsungen, ansah.
Die Verff. sahen diese Konfiguration auch bei normalem Magen; sie
halten es für einen Pseudofüllungsdefekt, der bei mangelhafter Füllung
des Magens, beim Sedimentieren des Kontrastmittels, bei starkem Druck
von aussen und bei gewissen Lage Veränderungen im Abdomen entsteht.
Dünner.
Norris und Fetterolf: Die Topographie der Herzklappen, unter¬
sucht mit Röntgenstrahlen. (Americ. journ. of med. Sciences, 1918, Nr. 2.)
An einer Reihe von gefrorenen Leichen haben die Verff. die Herzklappen
auffällig gemacht und dann mit Rontgenstrahlen ihre Lage zur Brust¬
wand bestimmt. _ Schelenz.
Urologie.
Siehe auch Kinderheilkunde: v. Bökay, Infantile Lithiasis. —
Chirurgie: Fallerton, Suprapubische Prostatektomie. Cruet, Wert
der Cystoskopie zur Bestimmung der Operabilität bei Portiocervixcarcinom.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Antoni-Kiel-Wik: 7 Fälle von Reinfeetio syphilitica und Be-
traehtBBgea Aber schwere Salvarsanintoxikation. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Im Marinelazarett Kiel-Wik wurden im
letzten Jahre sieben sichere Reinfektionen nach kombinierter Salvarsan-
Kalomelbehandlung beobachtet. Bei der neuen Luesbehandlung muss,
wie Wechsel mann betont, der Zustand der Nieren besonders beob¬
achtet werden. Die Hauptgefahr liegt in der Ueberscbreitung der indi¬
viduell erträgliohen Salvarsaneinzeldosis. Bei kräftigen Individuen soll
eine Eipzeldosis von 0,5 nicht überschritten werden. Wolfsohn.
H. Müller - Mainz: Danererfolge der SalvarsaBahortivkoren im
Jahre 1910/1911. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.) 100 pCt.
sind klinisch symptomfrei und serologisch negativ geblieben.
' * - -b - Dünner.
Siehe auch Therapie: Garrett, Eisenchlorid bei Herpes ton-
surans.
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560
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
E. Abderhalden-Halle a. S.: Sernmfernieatwirknng bei Schwan-
geren und Tnmorkranken. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.)
Bemerkungen zu der Arbeit von Paul Lindig in Nr. 6 der Münchener
medizinischen Wochenschrift. A. fordert dringend, dass zur Anstellung
der Reaktionen alle von ihm gegebenen Vorschriften auf das genaueste
innegehalten werden. Da Lin dig dies nicht getan bat, können seine
Untersuchungen keinen Anspruch erheben, als vollwertig angesehen zu
werden. Dünner.
A. Herrgott-Nancy: Unstillbares Sehwangerschaftserbrechen
bei Retroversio nteri. (Annales d. gyn. et d’obst., Februar 1913.)
Nach Aufrichten des Uterus und Fixieren durch Pessar Aufhören des
Erbrechens.
Jeanselme - Paris: Behandlung der Lues mit Salvarsan bei
Schwaigers. (Annales d. gyn. et d’obst., Januar 1913.) J. hat eine
ausführliche Statistik mit ausgezeichneten Resultaten gegeben. Die
Schwängern wurden nur mit Salvarsan behandelt. Eine Schädigung der
Mütter trat nicht ein.
C. Sauvage-Paris: Die Behandlung syphilitischer Schwaagerer
Mit Salvarsaa. (Annales d. gyn. et d’obst., Januar-Februar 1913.)
Sehr ausführliches Referat über ein grosses Sammelmaterial, besonders
wertvoll, weil die Resultate der Quecksilber-, Jodkali- und der Salvarsan-
therapie miteinander verglichen werden. Es ergeben sich drei Haupt¬
punkte: Bei florider Lues in der Schwangerschaft gibt Salvarsan be¬
deutend schnellere und sichere Resultate für Mutter und Kind. Bei
latenter Lues ohne klinische Erscheinungen gibt Salvarsan bessere Er¬
folge in den vor der Schwangerschaft ungenügend behandelten Fällen.
S. empfiehlt es trotzdem hier nur bedingsweise, weil die Therapie trotz
sorgfältigen Ausschlusses von Herz-, Leber- und Nierenkranken mehr
Gefährdungen gebracht hat als die Hg-Behandlung. Bei latenter Lues,
die genügend vorbehandelt ist, leistet Hg und Jodkali dasselbe wie 606.
Auffallend ist die Klage von S. über die Unzulänglichkeit der Wasser-
mann’schen Reaktion. Auch von den nach Salvarsantherapie anscheinend
gesund geborenen Kindern ist ein grosser Teil später noch spezifisch
erkrankt. Es ist also scharfe Beobachtung und Ammenverbot nötig.
F. Jacobi.
Green: Bluttransfusion bei Ruptur der Tnbargravidität. (Boston
med. journ., 1913, Nr. 8.) Auf Grund eigener Erfahrung empfiehlt Verf.
sehr bei stark ausgebluteten, collabierten Patientinnen eine Bluttrans¬
fusion. Schelenz.
P. Cruet-Paris: Der Wert der Cystoskopie zur Bestimmung der
Operabilität bei Portio-Cervixcarcinom des Uterus. (Annales d. gyn.
et d’obst., Januar-Februar 1913.) Stärkere Veränderungen im Blasen¬
boden sowie in der Funktion der Ureteren geben eine Kontraindikation
zur Vornahme der Operation, auch wenn der klinische und palpatorische
Befund die Operationsmöglichkeit annehmen lässt. F. Jacobi.
Augenheilkunde.
F. Pinous: Die wissenschaftlichen Grnndlagen der Zeozon-
therapie. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Alle vom Verf. an-
gestellten Versuche liefern den einwandfreien Beweis, dass das Zeozon-
wasser nicht imstande ist, bei Einträufelung in das Auge dieses gegen
die Einwirkung ultravioletter Strahlen irgendwie zu schützen, ein Er¬
gebnis, das bei Erwägung der physikalischen Bedingungen der Ab¬
sorption von Lichtstrahlen durch Flüssigkeiten und der physiologischen
Vorgänge beim Hineingelangen einer Flüssigkeit in den Bindehautsack
von vornherein zu erwarten war. Zum Schutze des Auges gegen ultra¬
violette Strahlen müssen wie bisher Schutzgläser verwendet werden.
Sidler- Huguenin (Zürich): Conjunctivitis petriflcans. (Archiv
f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Wenn man den vom Verf. beschriebenen
Fall in klinischer, chemischer und pathologisch • anatomischer Hinsicht
mit den anderen publizierten typischen Fällen von Conjunctivitis petri-
fioans vergleicht, so muss zugegeben werden, dass die nicht artifizielle
und die künstlich provozierte Conjunotivitis petricans übereinstimmende
Resultate liefern kann.
B. Fleischer: Ueber einen doppelseitig anatomisch untersuchten
Fall von Keratoconus, über den Hämosiderinring in der Hornhaut bei
Keratoconns und über Hämosiderose des Auges bei Diab&te broazd.
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) ln der Hornhaut zweier Augen,
die von einem 23 jährigen, an Wirbelcaries und Decubitus gestorbenen
Manne stammten, der an einseitigem, hochgradigem, auf der anderen
Seite geringgradigem Keratoconus litt, wurden in der Hornhaut braune,
das Hornhautcentrum umkreisende Ringe festgestellt. Die anatomische
Untersuchung ergab, dass diese Ringe durch eine kreisförmige Imbibition
des Epithels mit Hämosiderin gebildet wurden.
B. Schloms: Ueber Schädigungen des Auges durch Kalomel-
einstäubnng in den Augenbindehautsack bei gleichzeitiger innerer Dar¬
reichung der Halogensalze (Jodkalium, Bromkalium und Kochsalz).
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Katomel in den CoDjunctivalsack
eingestäubt bedingt geringe Rötung und Schwellang, die innerhalb
24 Stunden wieder verschwinden. Bei gleichzeitiger Darreichung von
Jodkalium kommt es zu schweren entzündlichen Erscheinungen, die zu
starker Rötung der Augenbindehaut und einer vollkommenen Trübung
und Verätzung der Hornhaut führt Bei Einstäubung von Kalomel ins
Auge und Darreichung von grösseren Bromkalidosen kommt es zu ent¬
zündlichen Erscheinungen, die relativ schnell zurückgehen. Die Aetzung
am Auge bei Kalomel-, Jodkali- bzw. Bromkaliapplikationen beruht nicht
auf dem Jodür und Bromür, sondern auf der Bildung von Quecksilber¬
jodid und Bromid. Daher ist die Einstäubung von Kalomel und die
gleichzeitige selbst einmalige Darreichung von Jodkali zu vermeiden.
Auch vor Kalomeleinstäubuogen nach längerer Applikation von Brom¬
kali muss gewarnt werden. F. Mendel.
W. Collins - London: Orbitalgeschwdlste, eine Empfehlung der
Operation. (Brit. med. J., 22. Februar 1918, Nr. 2721.) Die Erfolge bei
Operationen bösartiger und Gefässgeschwülste der Augenhöhle, die häufiger
sind, als man annimmt, sind nicht so schlecht, wie manche Autoritäten
behaupten. Der Verfasser führt zum Beweise dafür fünf Kranken¬
geschichten an. Weydemann.
J. Hoppe: Ueber ein sternförmigesNachbild von ungewöhnlicher
Herkunft. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Nach anstrengendem
Bergstieg an einem sonnigen Sommervormittag war Verf. erhitzt in eine
dämmerige Alpenhütte eingetreten. Als er einige Minuten darauf zu¬
fällig durch die Fensteröffnung nach dem blauen Himmel sah, gewahrte
er mitten im Gesichtsfelde einen stern- oder rosettenförmigen Haufen
sich scharf abhebender lichter Flecken. Anfangs goldglänzend, nahmen
sie schnell nacheinander verschiedene Farbentöne an, allmählich blasser
werdend, und verschwanden plötzlich, indem sie ein freies Gesichtsfeld
hinterliessen.
M. Hoffmann: Ueber Erkrankung der Nervei des Auges bei
Diabetes mellitus. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 73, H. 4.) Bei ver¬
schiedenen Erkrankungen des Auges konnte in seinen Nerven das Vor¬
handensein von Glykogen festgestellt werden. Dies trat in zwei Fällen
von Diabetes auf. Mit dem Auftreten des Glykogens ist eine Schädigung
der Nerven, vor allem der Markscheide verbunden. F. Mendel.
Hygiene und Sanitätswesen.
K. Matsuo-Osaka: Ueber den Gazerespirator. (Centralbl. f.
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 573.) Mit Hilfe
eines einfachen, aus zwei bis drei Lagen Gaze bestehenden Apparates,
der Mund und Nase bedeckt, kann man bei Lungenpestkranken — ebenso
natürlich auch bei anderen, mit Infektionskrankheiten der Atmungs¬
organe behafteten Patienten — die Ausstreuung der Krankheitskeime
vermindern bzw. verhüten. Für Aerzte und Pflegepersonal ist die Be¬
nutzung eines solchen Apparates im Interesse ihrer eigenen Sicherheit
geboten. Am besten benutzt man trockene Gaze; feuchte gewährt keinen
sicheren Schutz. Bierotte.
R. P. Anderson: Ein tragbarer Pettersson Palmqvist-Apparat.
(Zeitscbr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 549.) Der Pettersson-Palmqvist-
Apparat dient zur Bestimmung von Kohlendioxyd in der Luft mittels
der gasvolumetrischen Methode, bei welcher das Kohlendioxyd durch die
Volumenkontraktion einer gemessenen Luftmenge nach Absorption des
Kohlendioxyds bestimmt wird. Die vom Verf. angegebene Modifikation
des Apparates bietet gewisse Vorteile gegenüber der ursprünglichen
Form. Möllers.
S. S. Mereshkowsky-St. Petersburg: Virns sanitär. (Centralbl.
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 488.) Das von
den Höchster Farbwerken unter dem Namen „Virus sanitär* in den
Handel gebrachte Mäuse- und Rattenvernichtungsmittel enthält nach
den Untersuchungen des Verfassers ausser dem Bacillus Danysz, dessen
Wirkung die Nagetiere erliegen sollen, noch ein Gemisch verschiedener
anderer Bakterien; da deren Einfluss auf Menschen und Haustiere un¬
bekannt ist, muss die Anwendung des Präparates als Ratten vertilgungs¬
mittel als unzulässig bezeichnet werden. Das zur Weiterzucht des Virus
sanitär angegebene Verfahren wird als nicht rationell bezeichnet.
Bierotte.
Schroeter-Jena: Die praktische Verwendbarkeit von Hansezoai-
siernngsapparaten. (Zeitscbr. f. Hyg., 1913, Bd. 78, H. 3, S. 483.) Die
mit zwei Hausozonisierungsapparaten, „Ozonisator Otto Nr. 4020“ und
„Zonhyd-Apparat“, angestellten Versuche zur Sterilisierung klaren
Leitungswassers hatten nicht den bakteriologischen Erfolg, welchen man
verlangen muss, um die Apparate für den praktischen Gebrauch empfehlen
zu können. Den Apparaten haften noch Mängel technischer Art an,
welche eine Sicherheit der Wirkung nicht zulassen. Die Ursachen für die
schlechten Leistungen lagen teils in der zu geringen Lieferung von 0 8
begründet, teils in der zu kurzen Zeit, während welcher das 0« mit dem
Wasser in Berührung war.
Kon rieh-Berlin: Zur Verwendung des Ozons in der Lifting*
(Zeitschr. f. Hyg., 1913, Bd. 73, H. 3, S. 443.) Verf. kommt auf Grund
eigener experimenteller Untersuchungen zu einer durchweg ablehnenden
Beurteilung der Verwendung des Ozons in der Lüftung. Eine Lüftungs¬
anlage, die ohne Ozon nicht auskommen kann, ist mangelhaft und einer
ozonfreien Anlage hygienisch unbedingt unterlegen. Die Luftozonisierung
ist immer nur ein Notbehelf, wenn es sich darum handelt, Gerüche zu
überdecken; insbesondere leistet sie keine Luftfeinigung.
Möllers.
K. Matsuo-Osaka: Gleichzeitiges plötzliches Auftreten von Pest-
f&ilen bei Menschen und hei Eseln in demselben Gehöft. (Centralbl.
f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 65, H. 6 u. 7, S. 417.) Gelegent-
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24. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
561
lieh der 1910/1911 in der Mandschurei herrschenden Lungenpestepidemie
konnte M. eingehende Beobachtungen anstellen, die ihm die Möglichkeit
der Uebertragung von Pest vom Esel auf den Menschen und umgekehrt
glaubhaft erscheinen lassen. Zutreffendenfalls müsste hierauf bei der
Bekämpfung der Pest künftig Rücksicht genommen werden.
Bierotte.
St. Riseley-Sheffield: Soll ein Bergmaaa mit seinem Nystagmas
arbeite!? (Lancet, 22. Februar 1913, Nr. 4670.) Ein Bergmann, der
wegen Nystagmus arbeitsunfähig ist, soll nach genügend langer Ruhe-
und Beobachtungszeit die Arbeit unter Tag wieder aufnebmen, nachdem
er zuerst eine Zeitlang über Tag beschäftigt worden ist. Denn mit
schwerem Nystagmus können mauche in der Grube ohne Beschwerden
gut arbeiten. Dass die Aerzte jeden mit Nystagmus für die Arbeit unter
Tag als arbeitsunfähig ansehen, hat dazu geführt, dass die Bergleute in
grosser Zahl Entschädigungsansprüche geltend machen.
Weyderaann.
Boruttau: Ueber ein neues dlickornbrot und seine Ausnutzung.
(Zeitscbr. f. pbysik. u. diätet. Therapie, März 1913.) Das „Kornmark¬
brot“ ist durch eine neue maschinelle Einrichtung gewonnen, bei der das
ganze Getreidekorn einschliesslich der Randzone nutzbar gemacht wird.
Das Getreide wird nicht zwischen Mühlsteinen oder Stahlwalzen zer¬
mahlen, sondern durch Centrifugalwirkung mit sehr grosser Geschwindig¬
keit gegen harte Flächen geschleudert. Das durch die dabei erfolgende
Zertrümmerung resultierende ganz feine Mehl wird zu Vollkornbrot ver¬
backen. Die angestellten Versuche ergaben Ausnutzungswerte, die besser
sind wie die für normales Roggenbrot aus gut ausgemahlenem Mehl ge¬
fundenen. E. Tobias.
Siehe auch Pathologie: v. Kutschera, Gegen die Wasser¬
ätiologie des Kropfes und Kretinismus.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 12. März 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr Israel.
Vorsitzender: M. H.! Ich habe Ihnen mitzuteilen, dass mir Herr
Kraus aus Paris geschrieben hat, er könne seine Wahl nicht einem
Zufall verdanken und lehne die Wahl ab. Ich habe diese Mitteilung
erst so spät bekommen, dass die Wahl nicht mehr auf die heutige
Tagesordnung gesetzt werden konnte. Es muss also das nächste Mal
eine Ersatzwahl vorgenommen werden.
Herr Dr. Loeb, seit 2 Jahren unser Mitglied, hat sich wegen Ver¬
zuges nach ausserhalb abgemeldet.
Ich habe dann darauf hinzuweisen, dass in wenigen Tagen, am
16. d. M., Herr Gebeimrat Boldt, seit 30 Jahren unser Mitglied, sein
50jähriges Doktorjubiläum feiern wird. Ich bitte die Gesellschaft, zu
genehmigen, dass wir in der üblichen Weise ihm unseren Glückwunsch
darbringen. (Allgemeine Zustimmung.)
Das ist angenommen.
Ich habe weiter von einem Eingang Kenntnis zu geben. Der
Generalsekretär des 4. Internationalen Kongresses für Physiotherapie,
Herr Dr. Immelmann, schreibt:
„Der Vorstand des 4. Internationalen Kongresses für Physiotherapie
gibt sich die grosse Ehre, die Berliner medizinische Gesellschaft zur
Teilnahme an der Veranstaltung des Kongresses hierdurch einzuladen,
bzw. zu bitten, einen Vertreter zu entsenden.“
Der grosse Berliner Aerzteausschuss hatte sich schon an uns ge¬
wandt und die Abordnung eines Vertreters erbeten. Da ich verreist
sein werde, hat Herr Landau die Vertretung der Gesellschaft über¬
nommen, und ich halte es für selbstverständlich, dass wir ihn auch dem
Generalsekretär als unseren Vertreter mitteilen. Wenn kein Wider¬
spruch erfolgt, nehme ich das an.
*i , , Vor der Tagesordnung.
Hr. Mtrgeiroth (Demonstration): loh möchte mir erlauben, Ihnen
in aller Kürze einige einfache hämolytische Versiehe zu demonstrieren,
die in den Gang einer grosseren Untersuchungsreihe gehören, mit welcher
ich in Gemeinschaft mit Herrn Medizinalpraktikanten R. Bieling be¬
schäftigt bin.
Im Jahre 1911 hat Forssman die überraschende und, wie ich
glaube, in verschiedener Hinsicht bedeutungsvolle Beobachtung gemacht,
dass hämolytische Amboceptoren nicht nur durch diet allgemein geübte
Vorbehandlung von Tieren mit den Erythrocyten fremder Spezies er¬
zeugt werden, sondern dass man durch Vorbehandlung von Kaninchen
mit Organemulsionen gewisser Tiere, .nicht aber durch Immunisierung
mit dem Blut dieser Tiere, hämolytische Amboceptoren für die Blut¬
körperchen anderer Spezies.,, erhält*. . Injiziert man einem Kaninchen
Emulsionen von Meerschweinchenorganen,'so finden sich nach ent¬
sprechender Zeit in oft sehr hoher Konzentration im Serum dieser
Kaninchen hämolytische Amboceptoren für Hammelblut (nicht für
Meerschweinohenblut). Dasselbe wird mit Organen von Pferden und Katzen,
nicht von Ratten erzielt.
Die erste Versuchsreihe hier zeigt nun die Wirkung eines hämo¬
lytischen Amboceptors auf Ziegenblut (in üblicher Weise mit Meer¬
schweinchenserum komplettiert), der durch Immunisierung von Kaninchen
mit der Niere der Maus — die Niere erwies sich auch in Forssman’s
Versuchen als das geeignetste Organ — erzielt wurde.
Die zweite Versuchsreihe zeigt Ihnen die analoge Wirkung eines
gleichfalls auf Ziegenblut wirkenden hämolytischen Amboceptors, den wir
durch Vorbehandlung eines Kaninchens mit einem transplantierten Mäuse-
carcinom, das wir Herrn Prof. C. Lewin verdanken, erhalten haben.
Es ist eine schwierige Aufgabe weiterer Untersuchungen, festzu-
stellen, ob diese beiden Amboceptoren in ihrer Zusammensetzung völlig
identisch oder etwa zum Teil verschieden sind.
Auf jeden Fall zeigen diese Versuche — analoge Versuche sind
auch mit menschlichem Material in Gang —, dass durch das Bindeglied
der Hämolyse für Ziegenblut, d. h. der entsprechenden hämolytischen
Amboceptoren eine zum mindesten partielle Receptoren-
gemeinschaft zwischen Mäuseorgan und Mäusetumor festzu¬
stellen ist.
Die Versuche lehren uns vor allem aber in den hämolytischen
Amboceptoren ein Reagens auf Tumorreceptoren kennen und er¬
öffnen den Weg zu zahlreichen Ueberlegungen und zu einer rationellen
Technik für das bis jetzt verschlossene Studium der Amboceptor-
immunität gegenüber Tumoren. Es werden Beziehungen zu einem
gut durchgearbeiteten Gebiet geschaffen, auf die an Hand eines grösseren
experimentellen Materials einzugehen sein wird.
Tagesordnung.
Wahl des Ausschusses.
Die Vorschlagsliste, die 27 Namen enthält, ist verteilt. Zu Stimm¬
zählern beruft der Vorsitzende die Herren Munter, Joachim,
Pappenheim und Hahn.
Hr. Güterbock (zur Geschäftsordnung): Ich möchte bemerken,
dass Herr Bier auf der Vorschlagsliste steht, der doch eventuell zur
Wahl als zweiter Vorsitzender ausersehen ist.
Vorsitzender: Das macht gar nichts, denn wenn er jetzt als
Ausschussmitglied und nachher als zweiter Vorsitzender gewählt wird,
dann scheidet er aus dem Ausschuss aus. Dieser Fall ist in dem Statut
vorgesehen. Da heisst es, wenn im Laufe des Jahres jemand ausscheidet,
so komplettiert sich der Ausschuss durch Zuwahl.
Die Wahl hat folgendes Ergebnis: Es werden 105 gültige Stimmen
abgegeben. Die Mehrheit beträgt demnach 53. Es haben erhalten:
Herr A. Fränkel 90, Herr Fürbringer 92, Herr Goldscheider 92,
Herr Hirschberg 84, Herr Lennhoff 92, Herr Vircbow 85, Herr
Waldeyer 95, Herr Bier 96 Stimmen. Diese 8 Herren sind somit ge¬
wählt. Auf die Herren S. Alexander und M. Borchardt sind je
29 Stimmen entfallen. Zwischen beiden hat nach der Satzung das durch
den Vorsitzenden zu ziehende Los zu entscheiden.
Das Los entscheidet für Herrn S. Alexander.
Schluss der Diskussion über den Vortrag des Herrn Orth: Ueber
die ßedeatang der Rinderbaeillen für den Menechen.
Hr. Eckert: Die Wichtigkeit der Frage nach der Bedeutung des Typus
bovinus gerade für die tuberkulöse Infektion des Kindes lässt es wünschenswert
erscheinen, nach Methoden zu suchen, die es auch den Praktikern ermög¬
lichen, an ihrer Lösung mitzuarbeiten. Die Heubner’sche Klinik ist auf
zwei Wegen vorgegangen. Einmal haben wir in Verbindung mit dem
Institut für Infektionskrankheiten Material von tuberkulös erkrankten
Kindern, Blut, exstirpierte Drüsen, Lumbalpunktate untersucht und den
Typ der Bacillen im Tierexperiment festgestellt. Diese Versuche sind
aber noch nicht abgeschlossen. Hierüber soll später berichtet werden.
Zweitens haben wir uns der Pirquet’schen Cutanreaktion bedient, die ja
jeder Praktiker leicht ausführen kann. Wir haben die Kinder gleich¬
zeitig einmal mit dem Kooh’schen Tuberkulin, das ja aus Bacillen des
Typus humanus gewonnen wird, und zweitens mit Perlsuchttuberkulin ge¬
impft. Unsere Resultate möchte ioh hier kurz in einigen Zahlen wiedergeben.
Ich verfüge über 189 Fälle. Von diesen reagierten 92 positiv. Von
diesen 92 infizierten Kindern gaben wieder 70, also 76 pCt., sowohl mit
humanem, wie mit bovinem Tuberkulin einen Ausschlag. Diese grosse
Zahl von simultan reagierenden Patienten lässt von vornherein geboten
erscheinen, bei der Kritik der weiteren Ergebnisse die grösste Vorsicht
walten zu lassen. Jedenfalls sind diese Zahlen keineswegs als Beweis
dafür anzusehen, dass der. Perlsuchtbacillus im kindlichen Organismus
eine Umwandlung erfährt, da sich auch Kinder der ersten Lebensjahre
unter den doppelt reagierenden Patienten befinden.
Von den restlichen 22 Patienten reagierten 12 allein auf das Perl¬
sucht- und 10 allein auf das humane Tuberkulin, also etwa die gleiche
Zahl. Hier möchte ich zunächst einmal die Kinder mit Meningitis her¬
vorheben, einmal, deshalb, weil die Meningitis gerade eine der häufigsten
Erscheinungsformen der kindlichen Tuberkulose ist, und weil Sie der
Kossel’schen Statistik, die Herr Geheimrat Orth hier demonstriert hat,
entnehmen körfnen, dass durch das itakte Tibrexperiment bei der tuber¬
kulösen Meningitis ib über 20pCt. der Fälle Bacillen vom Typus bovinus
gefunden worden sind. Von 19 meningitiskranken Kindern reagierten
14 simultan, 2 ausschliesslich auf Perlsucht und 3 ausschliesslich auf
das menschliche Tuberkulin. Sie sehen, dass diese Zahlen durchaus
nicht dem entsprechen, was im Tierexperiment gefunden wurde. Wenn
wir die Zahl der nur auf Perlsuchttuberkulin reagierenden Kranken
mit der Gesamtzahl der infizierten Kinder vergleichen, so ergibt
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UMIVERSITY OF IOWA
562
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 12.
sich, dass es llpCt. sind, die nur auf Perlsuchttuberkulin reagieren.
Diese Zahl stimmt ja mit der von Herrn Geheimrat Orth gefundenen
Zahl von llpCt. boviner Tuberkulose im Kindesalter recht gut überein.
Aber nachj dem, was ich hier schon angeführt habe, ist es unmöglich,
diesen Befund als einen direkten Beweis zu deuten. Es fehlt uns eben
noch ein Glied der Beweiskette, der Nachweis des bovinen Bacillus bei
den Kindern, die auf Perlsuchttuberkulin reagieren.
Wenn auch diese Versuche der Heubner’schen Klinik, soweit sie
bisher gefördert worden sind, zeigen, dass man bei der Beurteilung der
mit der Pirquet’schen Gutanreaktion gefundenen Resultate ausser¬
ordentlich vorsichtig sein muss, so kann man doch hoffen, dass man
durch Massenuntersuchungen, an denen sich jeder Praktiker leicht be¬
teiligen kann, tatsächlich in der Erkenntnis der Rolle des Typus bovinus
weiterkommen wird, besonders dann, wenn man die Kinder, die nur auf
bovines Tuberkulin reagieren, weiterhin untersucht und bei ihnen
im Blut und in dem sonstigen Untersuchungsmaterial den Typus bovinus
auch exakt im Tierexperiment nachweist.
Hr. Westenhöfer: Da Herr Geheimrat Orth schon so freundlich
war, Herrn Klemperer zu fragen, ob er beim Vortrage zugegen war,
habe ich es ja nicht mehr nötig, dieselbe Frage an ihn zu richten.
Aber ich glaube, es ist doch etwas viel, wenn einer, der den Vortrag
nioht gehört hat, einem anderen den Vorwurf macht, er hätte daneben
geredet, wie Herr Klemperer ihn mir gemacht hat. Ich glaube, meine
Ausführungen waren ganz wesentlich dem zweiten Teil des Vortrages
von Herrn Geheimrat Orth angepasst, nämlich der Frage der Ent
stehung der Lungenschwindsucht. Ich habe mich darüber auf Grund
meiner Statistik verbreitet.
M. H.l Ich möchte davor warnen, fremde Statistiken, wie sie von Herrn
Weber und Herrn Klemperer aus Japan, der Türkei und ähnlichen
Staaten angeführt worden sind, Statistiken, die kein Mensch kontrollieren
kann, auf die Verhältnisse hier bei uns in Europa anzuwenden. Ich
habe es erlebt, dass auf einem panamerikanischen wissenschaftlichen
Kongress von einem Universitätsprofessor eine Statistik über Carcinom
vorgebracht wurde, die ganz Südamerika inklusive sämtlicher Urwälder und
unbewohnter Gegenden einschloss, Feuerland, Patagonien usw., und daraus
Schlüsse auf die Häufigkeit des Carcinoms in Südamerika gezogen wurden.
Ich glaube also, dass man doch recht vorsichtig sein muss bei der Be¬
urteilung solcher Statistiken, deren Richtigkeit zu kontrollieren unmöglich ist.
Ich habe schon bei meinem ersten Bericht darauf hingewiesen, dass das
Material, über das ich verfüge, gerade im Gegensatz zu solchen Reise¬
berichten, Sektionsmaterial ist, das ich selbst untersucht habe, das von
Leichen gewonnen ist, die man gründlich nach allen Regeln der Wissenschaft
untersuchen konnte. Die Tuberkulose beim Kindvieh ist so unendlich ver¬
breitet, auch in exotischen Ländern, z. B. in Südamerika, dass ich nicht
glaube, dass es grössere Länder gibt, die Viehzucht treiben, wo die Tuber¬
kulose unter dem Rindvieh nicht vorhanden ist. Dass sie in Dänemark
z. B. nicht vorhanden ist, liegt wesentlich an der energischen Art der
Bekämpfung, die Bang unternommen hat, und über die wir in dieser
Gesellschaft auch vor langen Jahren einmal gelegentlich gesprochen
haben. Also ich glaube, daraus kann man gar keine Schlüsse ziehen.
Die Tuberkulose beim Rindvieh in Chile ist enorm verbreitet; sie
ist so verbreitet, dass ich in der Centralmarkthalle in Santiago einmal
tuberkulöse Organe eines Kalbes kaufen und in meinem Museum auf¬
stellen konnte, und als die Sache ruchbar wurde, berief man sich aus¬
gerechnet auf die Aeusserung von Koch, dass die bovine Tuberkulose
dem Menschen nichts schade. Sie sehen, wie weit derartige Folgerungen
gehen. Die Ernährung der Kinder geschieht dort ganz vorzugsweise
durch Kuhmilch und ihre Produkte.
Ich muss mich weiter über die ausserordentliche Hartnäckigkeit des
Kollegen Weber wundern, an der wir nun eigentlich seit über 10 Jahren
herumarbeiten, um ihn auf einen anderen Standpunkt zu bekommen.
Die Frage der Uebertragbarkeit der bovinen Tuberkulose auf den
Menschen und umgekehrt ist doch eigentlich schon seit den 70 er Jahren,
als Klebs, Chauveau, Orth und andere Leute ihre Uebertragungs-
experimente mit dem tuberkulösen Virus, wie man es damals nannte,
vom Menschen auf das Rind machten, längst geklärt, und die Angelegen¬
heit mit den beiden Typen ist doch eigentlich, man mag es drehen,
wio man will, eine etwas dialektische Geschichte; denn die praktische
Seite der Frage ist doch damit erledigt, dass es gelingt, vom Menschen
auf Rindvieh die Tuberkulose zu übertragen, und es ist doch zehn gegen
eins zu wetten, dass auch in umgekehrter Weise die Sache geschieht.
Ich weiss gar nicht, warum sich die Herren vom Gesundheitsamt gegen
diese Sache so sträuben.
Hr. Felix Klemperer: Nur eine kurze und sachliche Bemerkung.
Das Persönliche, ob ich hier beim Vortrag des Herrn Orth anwesend
war oder nicht, ist ja doch wirklich ganz gleichgültig. Uebrigens, der
Vortrag des Herrn Geheimrat Orth liegt jetzt gedruckt vor, und da
kann ich nur sagen, ich hätte meine Bemerkungen’ nicht viel-anders
gestalten können, wenn ich ihn mitangehört hätte. Herr Westenhöfer
aber hatte gewiss nicht nötig, daräuf zurückzukommen; denn seine Be¬
merkungen in der Diskussion habe ich ja, wie er wohl weiss, gehört.
Was nun die Verhältnisse in Chile anbetrifft, so sagt Herr Westen¬
höfer sehr mit Recht: Man soll Statistiken mit grosser Vorsicht hand¬
haben. Nun, wir wollen auch die Statistik von Herrn Westenhöfer
mit grosser Vorsicht handhaben. Mich hat der Zufall seit einigen Monaten
in recht enge Berührung mit einem chilenischen Arzt gebracht, der leider
krank liegt und deshalb heute nicht hier sein kann, der mich aber ge¬
beten hat, einiges über die chilenischen Verhältnisse hier in seinem
Namen zu sagen.
Es ist Dr. Ojarzun aus Santiago, der mir aus meiner Strassburger
Zeit her bekannt ist, wo er bei Recklinghausen seine Studien
vollendete. Ich erwähne das, damit Sie sehen, dass der Kollege an
deutscher Wissenschaft sich gebildet bat. Herr Ojarzun hat dort in
Chile 14 Jahre lang als Prosektor gewirkt, er schätzt die Zahl der
Sektionen, die er gemacht hat, auf mindestens 4000. Er sagt mir, ich
solle in seinem Namen erklären, dass die Verhältnisse der Lungentuber¬
kulose, soweit man sie vom Leichentisch beurteilen kann, in Chile nach
seiner Kenntnis der Dinge genau dieselben seien wie hier. Er hätte zu
Hunderten chronische Tuberkulosen mit Cavernen unter den Erwachsenen
gefunden und könne dem nicht zustimmen, dass die Verhältnisse in bezug
auf die Acuität des Prozesses bei Erwachsenen irgendwie anders lägen
als bei uns in Deutschland. Herr Ojarzun hat mir auch diese Zeitung
übergeben, die ich dem Herrn Vorsitzenden überreiche, in der Herr
Dr. Sierra, offizieller Vertreter von Chile auf dem römischen Tuber-
kulosekongress, auch ganz in diesem Sinne berichtet. Die Stellen, die
Dr. Ojarzun hier angestrichen bat — es ist spanisch geschrieben —,
sollen besagen, dass bei Kindern in den ersten zehn Lebensjahren Lungen¬
tuberkulose extrem selten sei, dass die älteren Kinder überwiegend auf
Pirquet reagieren, und dass bei Erwachsenen die chronische Lungen¬
tuberkulose ausserordentlich häufig vorkomme. Also: Tout comme chez
nous. —
Bezüglich der Rindertuberkulose sagt mir Herr Ojarzun, sie wäre
in Chile enorm häufig, aber für die Ernährung der Säuglinge spiele die
Kuhmilch eine minimale Rolle in Chile.
Ich meine, dass das alles mehr für die Schlussfolgerung spricht, die
ich in der vorigen Sitzung hier vertrat und die ja keineswegs heisst:
die Rinderbacillen sind bedeutungslos, sondern die nur besagt: Wir
können die unendliche Häufigkeit der Lungentuberkulose im Menschen¬
geschlecht nicht recht in einen ätiologischen Zusammenhang mit der
Kinderernährung durch Kuhmilch bringen, und die Rinderbaoillen sind
deshalb für den Menschen als nicht so bedeutungsvoll anzusehen.
Hr. Auerbach: Während nach den Ausführungen des Herrn Ge¬
heimrat Weber der bovine Typus des Tuberkelbacillus relativ harmlos
erscheint, sind doch die anderen Ratgeber der Regierung nicht der gleichen
Ansicht gewesen. Ich finde nämlich in den Ausführungsbestimmungen
des Viehseuchengesetzes vom Dezember 1911 folgendes:
„Die Milch von Kühen, bei denen das Vorhandensein von Euter¬
tuberkulose festgestellt oder in hohem Grade wahrscheinlich ist, darf
auch nach dem Erhitzen weder als Nahrungsmittel für Menschen weg¬
gegeben noch zur Herstellung von Molkereierzeugnissen verwertet werden.“
Also der Bundesrat hat sich noch nicht davon überzeugen können,
dass Milch von eutertuberkulösen Tieren für die Ernährung von Menschen
selbst nach dem Erhitzen brauchbar ist. In der Praxis besteht eine
sehr geringe Neigung, die Vorsichtsmaassregeln, welche die Tuberkulose¬
kommission vorgeschrieben hat, aufrecht zu erhalten. Ich habe dafür
ein ganz exquisites Beispiel. Im Jahre 1909 bildete sich hier der ge¬
meinnützige Verein für Milchausschank zu Berlin, an dessen Spitze ganz
hervorragende Männer, darunter zwei bedeutende Aerzte, standen. Der
Jahresbericht des Vereins für 1910 erwähnt rühmend, dass in den Milch¬
häuschen eine ausgezeichnete rohe Milch dargeboten worden wäre. Nun
hat dieser Verein keine eigenen Kuhställe gehabt, hat also für die ein¬
wandsfreie Beschaffenheit der Rohmilch keine Gewähr leisten können.
Dagegen führt der Bericht einige Zeilen später aus, dass Schwierigkeiten
in der Betriebsleitung waren, so dass trotz dauernder Geldopfer immer
wieder Missstände in der Molkerei einrissen. Ich meine, wenn von hier
gesagt wird: 200 Kinder haben lange Zeit Milch von eutertuberkulösen
Kühen getrunken, ohne dass es ihnen erheblich geschadet hat, so werden
natürlich auch Vereine, die sich an die Oeffentliohkeit wenden und etwas
Gutes leisten wollen, noch viel weniger geneigt sein, jene Vorsichts¬
maassregeln innezuhalten.
Hr. Weber: Ich kann das, was Herr Kollege Westenhöfer gesagt
hat, offen gestanden, nicht recht verstehen. Ich muss annehmen, dass
Herr Westenhöfer meinen Vortrag nicht recht gehört hat, denn ich
habe klipp und klar erklärt, dass die Rindertuberkulose auf den
Menschen übertragbar ist. Daraus ergibt sich von selbst, dass die
menschliche Tuberkulose, soweit sie auf bovinen Bacillen beruht,, auf
das Rind zurück üb ertragen werden kann; dafür habe ich selbst vielleicht
die meisten Beweise durch meine Untersuchungen erbracht. Allerdings,
soweit die menschliche Tuberkulose auf humanen Bacillen beruht, kann
sie nicht auf das Rind übertragen werden. Davon haben wir uns durch
ebenso viele Versuche überzeugt.
Zu den Ausführungen des Herrn Auerbaoh: Ich habe deutlich er¬
klärt, dass die Gefahr, die dem Menschen von den bovinen Bacillen
-.droht, nioht. zu unterschätzen ist. Ich habe auch darauf hingewiesen,
dass in allen in Betracht kommenden Druckschriften des Gesundheits¬
amts vor dem Genuss ungekochter Milch gewarnt wird. Ich möchte
nicht, .dass ich in dieser Beziehung missverstanden werde.
Hr. Westenhöfer: Nur feine ganz* kurze Bemerkung. Ich freue
mich über die Erklärung, die Herr Weber eben abgegeben bat. Er hat
sich nicht immer so klar ausgesprochen. Das ist eben der springende
Punkt, dass die Beamten des Gesundheitsamts in den für die Laien ver¬
ständlichen Publikationen immer auf die Gefahr hingewiesen haben, in
Wirklichkeit aber in ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen das nie
recht zugeben wollten. Es ist zu begrüssen, dass sich Herr Weber
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24. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
563
jetzt unserem Standpunkt nähert. Herrn Klemperer gegenüber möchte
ich noch bemerken, dass Herr Dr. Oyarzun einer der wenigen mir be-
freundeten chilenischen Aerzte ist. Er war mein indirekter Vorgänger
als Professor der pathologischen Anatomie, und ich schätze ihn sehr.
Ich schätze aber nicht, was er in bezug auf die Statistik gesagt bat.
Die Art der Sektionsausführung war nicht derart, dass man darauf gute
Statistiken hätte auf bauen können.
Zweitens möchte ich noch hinzufügen, dass Herr Dr. Sierra in
diesen Dingen überhaupt keine eigene Erfahrung besitzt. Kindersektionen
wurden vor meiner Zeit überhaupt nicht ausgeführt, da ich die erste
Prosektur am Kinderkrankenhaus eingerichtet habe, und ich verweise
ausdrücklich noch einmal auf die Ergebnisse der von mir sezierten
175 Fälle, woraus die Absurdität der Sierra’schen Ausführungen ohne
weiteres ersichtlich ist. Ich betone noch einmal und habe das in meinem
Bericht aus Chile mit den Sektionsnummern und Protokollen ausführlich
beschrieben, dass die akute Tuberkulose in Chile viel häufiger ist als die
chronische. Selbst wenn mein Material zu einseitig wäre, was aber nicht
zutrifft, so ist an der Tatsache nicht zu rütteln, dass nur 30 pCt. der
Leichen Zeichen alter Tuberkulose aufwiesen. Das ist ein so geringer
Prozentsatz im Verhältnis zu unserer Statistik, dass das sehr wohl ins
Gewicht fällt.
Hr. Orth (Schlusswort): Es sind in der Debatte wesentlich neue
Gesichtspunkte meines Erachtens nicht hervorgetreten. Es sind aber
allerhand Bedenken vorgebracht worden, freilich Bedenken über Punkte,
bei denen ich selber schon nicht mit Bedenken zurückgehalten habe.
Mein Hauptargument, nämlich der Nachweis von Bacillen des bovinen
Typus beim Menschen, speziell bei Kindern, ist nicht entkräftet, sondern
im Gegenteil ja von verschiedenen Seiten anerkannt worden.
Die von Herrn Fraser ausgehende Mitteilung habe ich selber als
auffällig charakterisiert. Indes, ich sehe nicht ein, warum man einem
solchen Forscher Misstrauen entgegenbringen soll, der an einem ge¬
eigneten Institut gearbeitet hat, und der, wenn er auch nicht jedes
einzelne Protokoll veröffentlicht hat, doch die Resultate der einzelnen*
Prüfungsmethoden, denen er die betreffenden Bacillen unterzogen hatte,
tabellarisch mitgeteilt hat. Ich bemerke aber noch einmal, ich habe
ganz besonderen Wert auf die Kossel’sche Zusammenstellung gelegt,
und da darf ich denn doch vielleicht noch einmal darauf hinweisen,
dass in dieser Zusammenstellung bei 209 Todesfällen von Kindern, die
an Meningitis, an generalisierter Tuberkulose oder an Abdominaltuber¬
kulose gestorben waren, in 58, d. h. in 28 pCt. der Typus bovinus vor¬
handen gewesen ist. Das waren also nicht Erkrankungen, sondern
Todesfälle an Typus bovinus.
Ist die bovine Tuberkulose des Menschen eine Volkskrankheit?
Nun, ich habe in meinem Vortrage den Ausdruck Volkskrankheit
diesmal nicht gebraucht, Herr Weber hat auch durchaus richtig er¬
wähnt, dass ich ihn in einem meiner Vorträge, die ich in der Akademie
der Wissenschaften gehalten habe, gebraucht habe; ich bin aber durch¬
aus erbötig, den Ausdruck auch hier zu vertreten. Es kommt nicht auf
relative, sondern auf absolute Zahlen an, wenn man wissen will, ob man
eine Krankheit als Volkskrankheit bezeichnen darf, und da darf ich
darauf hinweisen, dass Herr Bendiz in einem Vortrage, den er im
Jahre 1911 gehalten hat, dargelegt hat, dass im Deutschen Reiche
jährlich 27 200 Säuglinge an Tuberkulose sterben.
Wenn wir nun nachsehen: wie ist der Prozentsatz der bovinen
Fälle bei Säuglingen, so haben Sie aus meinem Vortrage entnommen,
dass er teilweise sehr hoch angegeben wird. Ich will mich aber be¬
scheiden und will das annehmen, was Herr Neufeld, ein Mitglied des
Kaiserlichen Gesundheitsamtes, festgestellt hat, der 40 Fälle von Säug¬
lingstuberkulose untersucht hat und dabei viermal reinen Typus bovinus
und noch einmal dazu bovinus gemischt mit humanus gefunden hat.
Lassen wir den letzten Fall ganz ausser acht, so haben wir lOpCt.
bovine Fälle. Nehmen wir lOpCt. von den jährlich an Tuberkulose
sterbenden Säuglingen, so haben Sie immerhin 2720 Säuglinge, die jedes
Jahr in Deutschland an boviner Tuberkulose sterben.
Wollen wir uns eine Vorstellung machen, wie gross die Zahl der
bovin infizierten Kinder in Deutschland überhaupt ist, so können wir
un9 ja natürlich nur an die Untersuchungen halten, die an Lebenden
vorgenommen sind. Ich habe schon in meinem Vortrage hervorgehoben,
dass man den Ausfall der Pirquet'schen Reaktion vielleicht nicht ohne
weiteres als Beweis nehmen kann. Aber wir haben vorläufig nichts
anderes, und Herr Eckert hat ja auch heute wieder aus der Heubner-
schen Klinik die Erfolge der Pirquet’schen Reaktion mitgeteilt. Nun,
Sie wissen, dass Herr Hamburger z. B. bei seinen Untersuchungen bei
Kindern von 12—13 Jahren 95pCt. mit Reaktion gefunden hat Herr
Jacob, der den verseucbtesten Ort in Deutschland untersucht hat, hat
bei schulpflichtigen Kindern 46pCt., in etwas späterer Lebenszeit sogar
bis 70 pCt. gefunden. Herr Hillenberg hat in ländlichen Bezirken,
wo teilweise seit 10 Jahren niemand an Tuberkulose gestorben war,
wenigstens nicht an Schwindsucht, als Durchschnitt bei den Kindern
zwischen dem 6. und 15. Lebensjahr 25,9 pCt. Tuberkulöse gefunden.
Wir werden vielleicht keinen Fehler begehen, wenn wir sagen, dass die
Kinder bis zum 15, Jahre hin,, bis zu ^OpCt. eine Tuberkuloseinfektion
erfahren haben. Das Deutsche Reich besitzt rund 60 Millionen Ein¬
wohner. Das Lebensalter bis zum 15. Lebensjahr umfasst rund Vs* fl. h.
also 20 Millionen. Wenn davon 20pCt. tuberkulös sind, so haben wir
4 Millionen tuberkulöse Kinder. Sind davon 10 pCt. — die Zahlen von
Herrn Eckert sprechen doch auch durchaus für diese lOpCt. — dem
Typus bovinus zuzurechnen, so haben wir pro Jahr 400 000 Kinder, die
vom Typus bovinus infiziert sind. Man macht Fehler in solchen Be¬
rechnungen. Wir wollen 50 pCt. Fehler rechnen, dann haben wir
immer noch 200 000 Kinder, welche mit Typus bovinus infiziert sind.
Was nennt man eine Volkskrankheit? Das ist objektiv. Ich über¬
lasse es Ihnen, ob Ihnen diese Zahlen schon genügen, um von einer
Volkskrankheit zu sprechen. Mir genügen sie. Dann kommt noch hinzu,
dass wir ja auch beim Erwachsenen Fälle von Typus bovinus haben und
vor allen Diogen beim Lupus. Man bat eine Gesellschaft begründet,
einen Bund zur Bekämpfung des Lupus, weil der Lupus eine Volks¬
krankheit sei. Die Hälfte der Lupusfälle gehört, wie es scheint, in das
Gebiet des Typus bovinus hinein. Also auch hier, meine ich, hat man
wohl das Recht, von einer Volkskrankheit zu sprechen.
Nun, mögen Sie das so nennen oder nicht — es kommt darauf
nicht an, sondern darauf, dass eine ganz erkleckliche Anzahl von
Menschen an Typus bovinus erkrankt und stirbt, und da müssen wir
fragen: Woher kommt denn der Typus bovinus? Wie die Sachen hier
liegen, kann er doch nur vom Rindvieh kommen, und wenn wir fragen,
auf welche Weise kommt er in den Menschen, dann bleibt doch gar
kein anderer verständlicher Weg als die Milch. Mögen also die Unter¬
suchungen über die Milch vorläufig noch wenig günstig dafür aus¬
gefallen sein — den Tatsachen gegenüber bleibt doch gar nichts anderes
übrig, als die Milch für das Vehikel anzusehen, und ich meine, wir
haben ein volles Reoht, bis uns etwas anderes bewiesen wird, mit an
Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Ueber-
tragung durch die Milch geschieht.
Nun habe ich das Hauptargument, das Vorkommen typischer Rinder¬
bacillen beim Menschen, noch durch zwei weitere Betrachtungen zu
unterstützen gesucht. Erstens durch den Hinweis darauf, dass es doch
sehr möglich ist, dass der Typus bovinus und der Typus humanus in¬
einander übergehen. Ich habe die Gründe gegen einen solchen Ueber-
gang, wie ich glaube, offen und ehrlich mitgeteilt. Ja, ich bin sogar,
wie ich meine, etwas zu weit gegangen, indem ich verlangt habe, es
sollten Uebergangsformen gefunden werden.
Was wir bis jetzt von der Mutation der Bakterien wissen*), spricht
nicht dafür, das9 Uebergangsformen da sind, sondern wir finden dicht
nebeneinander die Stammform und die modifizierte Form. Es gibt
Forscher, die sogar leugnen, dass bisher überhaupt eine Uebergangsform
gefunden worden sei. Das mag dahingestellt bleiben. Aber die Tat¬
sache ist sicher, dass man in derselben Kultur den primären und den
mutierten Organismus ohne Uebergänge nebeneinander hat.
Ich habe aber den Uebergang gefordert, weil ich überzeugt bin,
dass es atypische Formen von Tuberkelbacillen gibt. Auch die englische
Kommission hat ja nicht alle ihre Fälle als Mischfälle erkennen können.
Aber selbst wenn sich durch weitere Untersuchung heraussteilen sollte,
dass in allen Fällen, wo sogenannte atypische Formen gefunden worden
sind, nebeneinander Typus bovinus und Typus humanus vorhanden ge¬
wesen ist, so beweist das nichts gegen die Mutation, denn ich habe ja,
eben gesagt: was bis jetzt von der Mutation bekannt ist, zeigt, dass
ohne Uebergang nebeneinander die eine Form und die andere Form
vorhanden ist. Also auch wenn wir eine Mischung von Typus bovinus
und Typus humanus haben, so könnte da doch eine innere Beziehung
zwischen den beiden Formen existieren.
Ich habe dann weiter auf die Phthise hingewiesen. Es ist gesagt
worden: Wir brauchen die bovinen Bacillen für die Phthise nicht. Das
ist genau das, was ich gesagt habe, denn ich habe dargelegt, dass ich
die Ansicht, jede Phthise stamme von einer Jugendinfektion, nicht teilen
kann, sondern es ist ein erklecklicher Teil der Phthisen als aus pri¬
märer Infektion im späteren Lebensalter entstanden aufzufassen, und da
spielen die bovinen Bacillen keine Rolle. Ich habe freilich gesagt, bei
einem anderen Teil liegt die Möglichkeit vor, hinweisend auf die Beob¬
achtung bei Tieren, dass eine juvenile Infektion eine Disposition für
Lungenerkrankung gemacht hat. Bei den juvenilen Formen nehme ich
aber nur 10 pCt. für die bovinen Bacillen an, so dass also auch nach
meiner Meinung bei der Phthisis pulmonum die bovinen Bacillen als
Dispositionserzeuger keine grosse Rolle spielen, aber doch immerhin eine
gewisse Rolle.
Dass ich diese beiden letzten Möglichkeiten, die Mutation und die
Beziehung zur Lungenphthise nicht als sicherstehende Tatsachen ange¬
sehen habe, werden Sie aus der Veröffentlichung meiner Abhandlung,
die natürlich ein wenig erweitert nach dem Vortrage gemacht ist, lesen
können, denü da steht: Mäg man auch diesen Zuwachs der Bedeutung
der Rinderbacillen in den beiden letzten Beziehungen als einen mehr
oder weniger hypothetischen betrachten, so ist er doch jedenfalls dazu
angetan, die Forderung, welche sich aus der relativen Häufigkeit der
nachweislichen Rindertuberkulose beim Menschen von selbst ergibt, noch
weiter zu stützen.
Diese Forderung habe ich bereits vor 10 Jahren von dieser Stelle
aus aufgestellt und verteidigt, und die Forderung lautet: Kampf auch
gegen die bovinen Bacillen!
Herr Weber bat das Kaiserliche Gesundheitsamt gegen meine Be¬
merkung in Schutz genommen, dass es den Rinderbacillen nicht wohl
geneigt sei. Ich bin nicht der Meinung des Herrn Westenhöfer, dass
Herr Weber seine Meinung nicht klar und deutlich ausgedrückt habe.
Herr Weber hat aber selbst gesagt, die Anerkennung der Bedeutung
1) Vgl. Reiner Müller, Bakterienmutationen. Zeitsohr. f. indubt.
Abstammungs- und Vererbungslehre, 1912, Bd. 8, S. 305.
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564
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
der Rinderbacillen durch das Kaiserliche Gesundheitsamt sei im Laufe
der Untersuchungen eine grössere geworden. Sie war also ursprünglich
eine kleinere, und das kann uns auch nicht wundernehmen, wenn wir
die Beziehungen berücksichtigen, die zwischen dem Kaiserlichen Gesund¬
heitsamt und Robert Koch bestanden haben, Robert Koch, der doch
im Jahre 1901 gesagt hat, er halte es für nicht geboten, irgendwelche
Maassregeln dagegen — nämlich gegen die Rindertuberkulose — zu er¬
greifen. Noch 1905 hat Koch gesagt: Für Tuberkulosebekämpfung
kommen mithin nur die vom Menschen ausgehenden Tuberkelbacillen
in Betracht. Koch hat bekanntlich seine Ansicht geändert. Er hat
später die Bekämpfung auch der bovinen Bacillen als «sehr nützlich"
bezeichnet. Aber, wie es oft geht, so sind manche Schüler Koch’s
päpstlicher als der Papst gewesen, und zwar zum Teil unter direkter
Bezugnahme auf die Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.
Dass Herr F. Klemperer noch immer vor den Tatsachen hart¬
näckig die Augen verschliesst, haben Sie selbst bemerken können.
Wichtiger ist, dass Männer, welche bei der Tuberkulosebekämpfung an
hervorragender Stelle stehen, noch in jüngster Zeit die Irrlehre von der
Bedeutungslosigkeit der Rinderbacillen in das Volk hineingetragen haben.
Der Generalsekretär des Deutschen Centralkomitees zur Bekämpfung
der Tuberkulose, Prof. Nietn er, hat in einem populären Vor trage 1911
noch verkündet: dass der Mensch nicht vom Rind und das Rind nicht
vom tuberkulösen Menschen angesteckt wird, sei mit ziemlicher Sicher¬
heit festgestellt, und behauptet, alle Männer der Wissenschaft müssten
soviel zugeben, dass, wenn eine Ansteckung durch Milch, Butter usw.
für den Menschen möglich sei, diese nur so selten vorkomme, dass es
für die grosse Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit gar nicht
in Betracht komme.
Noch schärfer hat sich der Leiter der Medizinalabteilung des
Ministeriums des Innern, der schon durch diese seine Stellung eine
maassgebende Persönlichkeit in der Tuberkulosebekämpfung ist, Herr
Kirchner, in der „Woche“ im Jahre 1911 geäussert. Für ihn kann
die Tuberkulose des Menschen nicht entstehen durch Genuss von Milch
tuberkulöser Rinder, sondern allein durch Berührung mit tuberkulose¬
kranken Menschen. Der tuberkulosekranke Mensch ist für ihn die einzige
Quelle der Tuberkulose, und daher könne die Ausbreitung der Tuber¬
kulose nur durch Maassregeln verhütet werden, die sich gegen den
kranken Menschen richten. Als Grund für diese Behauptung wird an¬
geführt, dass durch grundlegende Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheits¬
amts und anderer Forscher mit Sicherheit festgestellt worden sei, dass
in der Tat die Tuberkelbacillen des Menschen für Rinder so gut wie
ungefährlich und umgekehrt die Rinderbacillen für den Menschen fast
völlig harmlos sind.
Sie werden es begreifen, dass ioh gegenüber diesen einseitigen und
irrigen, auf die Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheitsamts sich be¬
rufenden Lehren mich freue, nach den wiederholten Erklärungen des
Herrn Weber jetzt Arm in Arm mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamt
mein Ceterum censeo ins Volk rufen zu können: Kampf gegen die
humanen, aber auch Kampf gegen die bovinen Bacillen.
Hr. £. Saul:
Beziehungen der Helminthen und Aeari zur Geschwnlstätiologie.
(Mit Demonstrationen am Projektionsapparat.)
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Hufelandische Gesellschaft
(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin).
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr v. Hansemann.
Schriftführer: Herr J. Ruhemann.
1. Hr. Klapp: Einfaches Verfahren der Tonsillektomie.
Da die Tonsillotomie Mandelrestc hinterlässt, von denen Recidive
droben, und den bekannten sonstigen tonsillären Infektionen nicht völlig
vorbeugt, so tritt er für die totale Entfernung der Mandeln ein. Die
digitale Exstirpation ist nur bei derben, nicht bei den weichen oder
peritonsillitisch verwachsenen Formen indiziert. Das vom Vortr. vorge¬
schlagene Verfahren wird mit einem nach dem Prinzip der Lühr’schen
Hohlmeisselcange und mit beiden Händen au dirigierenden Instrument
ausgeführt; die Enucleation geschieht ohne Zerrung und ohne nennens¬
werte Blutung.
2. Hr. Schmieden: Ersatzmethode der Wangenschleimhaut.
Patient mit walnussgrossem Garcinom der Mundschleimhaut. Ent¬
fernung desselben und aller nahegelegenen Drüsen. Nach drei Monaten
Recidiv in loco. Fünfmarkstückgrosse Entfernung der Schleimhaut. Zum
Ersatz des grossen Defektes wird (italienische Methode) ein Stiellappen
vom Oberarm so eingepfianzt, dass die cutane Fläche nach der Mund¬
höhle zu liegen kommt; nach elf Tagen Durchtrennung des Stieles; der
Lappen wird nach zwei bis drei Wochen egalisiert und vernäht. Drüsen-
nachoperation. Seit einem halben Jahre kein Recidiv. Facialislähmung.
Patient kann die Zahnreihe 2—3 cm weit öffnen und kaueB. Anfangs
biss er sich auf das eingepflanzte Stück.
Diskussion.
Hr. v. Hanse mann: Wachsen Haare nach?
Hr. Schmieden: Das geschieht bei dieser Wahl des Lappens nicht.
Die Haut adaptiert sich, wird weiss und weich. Die Schweiss- und Talg¬
drüsen atrophieren. Einen histologischen Befund kann Vortragender
nicht geben.
3. Hr. t. Hanseniann:
Ucber Geschwülste der Eiugehoreuei unserer Kolouiea.
Vortr. berichtet über 106 Untersuchungen von Gesohwulstmaterial,
das durch das Reichs-Kolonialamt dem Deutschen Centralkomitee zur
Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit eingeschickt war. Aus
dem Material geht hervor, dass Carcinome keineswegs selten sind, wie
es fast überall angegeben wird. Es befanden sich unter dem über¬
sandten Material 20 Carcinome verschiedener Organe, 23 Sarkome und
4 sonstige bösartige Geschwülste. Ausserdem 32 verschiedene gutartige
Geschwülste. Das übrige Material betraf andere geschwulstartige Krank¬
heiten, die aber nicht zu den echten Neubildungen gehörten. Von den
Carcinomen entfallen 7 auf Samoa und die Südsee, 10 auf Ostafrika und
3 auf Nordwestafrika. Von den Sarkomen 14 auf Ostafrika, 3 auf Nord¬
westafrika und 6 auf die Südsee. Von den anderen bösartigen Ge¬
schwülsten entfallen zwei auf Ostafrika und 2 auf Samoa. Ueber die
Häufigkeit des Vorkommens an und für sich sagen diese Untersuchungen
natürlich nichts aus, da nicht kontrolliert werden kann, der wievielte
Teil der wirklich vorkommenden Geschwülste eingesandt wurde. Jedoch
geht das mit Sicherheit aus diesen Beobachtungen hervor, dass in
Deutschland keine Geschwulstart vorkommt, die nicht auch in den Tropen
bei den Eingeborenen vorkommt, und umgekehrt, dass sich dort keine
Geschwulst findet, die hier in Deutschland fehlt.
(Der Vortrag wird ausführlich in der Zeitschrift für Krebsforschung
veröffentlicht werden.)
Diskussion.
Hr. Koenig: Die Ausführungen des Herrn Vortragenden haben mich
besonders interessiert, weil ich in langjähriger Tätigkeit in den Tropen
(Zansibar) Gelegenheit gehabt habe, in unserer Poliklinik bei einem täg¬
lichen Zugang von 100 bis 150 eingeborenen Patienten Tumoren in
grosser Zahl zu sehen bzw. auf operativem Wege zu entfernen; ich kann
mich nicht besinnen, je einen malignen Tumor gesehen zu haben; da¬
gegen kamen Lipome, Fibrome und namentlich Geschwülste auf der
Basis der Elephantiasis sehr häufig zur Operation. Diese Erfahrungen
beweisen natürlich nichts gegen das Vorkommen von malignen Tumoren
in den Tropen; ich möchte aber glauben, dass das von Herrn v. Hanse¬
mann Yorgeführte Material immerhin für eine relative Seltenheit dieser
Geschwülste unter den Eingeborenen in tropischem Klima spricht. Herr
v. Hansemann hat auch nicht den Nachweis erbracht, dass es sich
dabei um Patienten aus rassereinen Stämmen, nicht etwa um Mischlinge
handelt; es ist eventuell ein solcher Nachweis auch sehr schwierig bzw.
ganz unmöglich. Es dürfte aber eine dankbare Aufgabe für das Central¬
komitee zur Krebserforschung sein, Forsoher in tropische Lande zu
schicken, die an Ort und Stelle Studien über das Vorkommen maligner
Tumoren zu machen hätten.
Hr. v. Hansemann: Die Erklärung für die scheinbare Seltenheit
maligner Tumoren ist damit zu geben, dass die Eingeborenen mit bös¬
artigen Geschwülsten nicht in die Krankenhäuser kommen und abseits
dahinsiechen; besonders ist dieses bei den malignen Tumoren innerer
Organe der Fall.
4. Hr. Adler: Demonstration zir C hirurgie der Gallenblase.
(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.)
Diskussion.
Hr. Ewald: Der schönen Demonstration ist nichts hinzuzufügen.
Welche Erfahrungen besitzt der Herr Vortragende über das sogenannte
Courvoisier’sche Gesetz, wobei die Gallenblase bei krebsiger Neubildung
vergrössert gefunden wird, während sie sich bei Steinen als klein erweist
Ich habe dasselbe keineswegs immer zutreffend gefunden.
Hr. Adler bestätigt nach seinen Erfahrungen ebenfalls die Unzu¬
verlässigkeit der sich auf die Grössenverhältnisse der Gallenblase
gründenden diagnostischen Vorausbestimmungen.
5. HHr. H. Stranss und S. Brandenstein:
Ergebnisse von Rdntgennntersnchungen bei chronischer Obstipation.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. S. Brandenstein hatte Gelegenheit, im Leuchtschirm das
medianwärts gerichtete Vorrücken des Kotes 48 Stunden nach der Auf¬
nahme des Baryum bei hochgradigem Ascendenstyp zu sehen sowie die
Lösung des Kotballens im Descendens, endlich bei Ascendens- und
Transversumfüllung nach 73 Stunden Wanderung durch das Transversum
und den retrograden Transport in das Transversum bei der Stuhl¬
entleerung.
6. Hr. v. Hansemann:
Fall von hochgradiger LipKmie bei Diabetes.
Es war so viel Fett im Blute, dass sich jenes wie Rahm auf der
Oberfläche desselben ansammelte;, ein gleicher Gehalt «fand sich in der
Spinalflüssigkeit. Die Lympbgefässe in* Peritoneum hatten weisse, von
Fett herrührende Streifen; am merkwürdigsten war der Befund an den
Gefassen des Gehirns; dieselben zeigten sich mit Fett infiltriert.
7. Hr. Hiltnann: Präparatdemonstrationen.
a) Fall von Carcinom des Oesophagus. Auf eine durch chronische
anthrakotische Hyperplasie der mediastinalen Lymphdrüsen verursachte
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24. Märs 1018.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
666
Pigmentperforation des Oesophagus mit multiplen Traktionsdivertikeln
desselben pflanzt sich ein oaroinomatöses Geschwür, perforiert in den
linken Bronchus und in das mediastinale Bindegewebe.
b) Eine tuberkulöse Bifurkationsdrüse perforiert in den Oesophagus,
die Trachea und in den Arous aortae. Tod durch Verblutung.
c) Chronische Anthrakose und Hyperplasis der mediastinalen Lymph-
drusen. Sekundäres Carcinom des unteren Speiseröhrendrittels. Per¬
foration in Bronchus und mediastinales Bindegewebe.
8. Hr. Friti Weiaberg:
Demonstration von Präparaten von Oesophagus- and Bronehial-
perforation.
Im Anschluss an die Demonstration des Herrn Hiltmann zeigeich
das Präparat eines Oesophagusgeschwürs, das perforiert war; die Per¬
foration einer verkästen Drüse in die Aorta; den Durchbruch eines
luetischen Aortenaneurysmas in ein Oesophaguscarcinom. Am inter¬
essantesten war das Präparat, wo auf Grund einer luetischen Oesophagus-
stenose sich ein über fünfmarkstückgrosses Oesophagusgeschwür gebildet
hatte, das in den rechten Bronohus und in die Aorta durobgebrochen
war und innerhalb des Geschwürs ein Carcinom sass. Der Tod erfolgte
io wenigen Augenblicken an Verblutung. Die Fremdkörperperforationen
sind sehr selten: Ich zeige ein Präparat, wo durch ein Stück eines ver¬
schluckten Gebisses eine Perforation in die Pleura erfolgt war; in einem
Präparat sah man ein Oesophagusgeschwür in die Aorta durobgebrochen.
Das Gewebe zwischen Oesophagus und Aorta war zu einem harten Strang
verdickt, der sich mikroskopisch als phlegmonöse Entzündung erwies.
Wir haben es hier wahrscheinlich mit einer Fremdkörperperforation
zu tun.
9. Hr. v. Mieleeki: Magengeschwüre bei Nengeboreien.
Demonstration eines Präparates vom Magen, der bei der Sektion
eines vier Tage alten Mädchens gewonnen wurde. Die Schleimhaut weist
zahlreiche punkt- bis linsengrosse Geschwüre auf. Mikroskopisch handelt
es sich um Epitheldefekte, die Submucosa liegt bloss, ist gewuchert und
entzündlich infiltriert. Die Affektion ist der Ausdruck einer schweren
katarrhalischen Entzündung des Magendarmtractus, die auch zu einem
allgemeinen Icterus geführt hat. Im Anschluss hieran demonstriert
Vortr. Magengeschwüre von Kindern im Alter von einem Monat bis zu
drei Jahren; diese Geschwüre haben mit dem ersten Fall nichts ge¬
meinsam; sie entsprechen dem Ulcus rotundum der Erwachsenen.
Berliner otologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Generalversammlung vom 24. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Passow.
Schriftführer: Herr Beyer.
Vorsitzender: Bevor, wir zu unserer Tagesordnung übergehen,
habe ich die Pflicht, an unser altes Mitglied, Richard Müller, zu er¬
innern, der vor einiger Zeit eines sehr traurigen Todes, an Carcinom der
Speiseröhre gestorben ist.
Sie wissen alle, dass Richard Müller ein treuer und erfolgreicher
Schüler von Trautmann gewesen ist, die Charitö-Ohrenklinik nach dem
Tode Trautmann’s ein halbes Jahr leitete und in dieser Zeit auch
den Unterricht der Studierenden übernommen hatte.
Richard Müller hat eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten ge¬
liefert. Eine neue Arbeit ist noch, wie ich glaube, nach seinem Tode
veröffentlicht. Wohl sein langes, schweres Leiden hat ihn verhindert,
in unserer Gesellschaft häufiger zu erscheinen. Wer ihn, wie ich, ge¬
kannt hat, wird wissen, dass er ein durchaus braver, lieber und treuer
Mensch war und für unsere otologische Wissenschaft hier wirklich sein
Ganzes eingesetzt hat.
Wir wollen ihm ein treues Andenken bewahren. (Die Anwesenden
erheben sich.)
Jahresbericht des Vorsitzenden, des Schatzmeisters und
des Bibliothekars.
Vorsitzender: Es fanden im Jahre 1912 7 Sitzungen statt mit
26 Vorträgen, worunter 7 mit Demonstrationen. 15 mal schlossen sich
daran Diskussionen an. Die Zahl der zahlenden Mitglieder beträgt 107,
aufgenommen wurden 10, gestorben ist einer..
Hr. Herzfeld: Kassenbericht für 1912.
Wir gingon mit einem Barbestand von 456,34 M. in das vergangene
Jahr. An Mitgiiederbeiträgen wurden 1070 M. bezahlt. An Zinsen
wurden 148,50 M. eingenommen, so dass die Gesamteinnahme 1674,84 M.
beträgt. Die Gesamtausgaben betrugen 1192,20 M. Es bleibt somit
ein Barbestand von 482,64 M.
Unser Vermögen besteht aus 3300 M. 4 proz. Neuen Berliner Pfaudr
briefen ttod 700 M. 4 proz. Deutsche Reichsanleihe, die einen Wert t ,von
rund 4000 M. repräsentieren, ferner aUs dem Barbestand von 482,64 M.
Die Kasse wurde von Herrn Haike und Herrn Grossmann revidiert.
Die Versammlung erteilt die Entlastung.
Hr. Blau berichtet über den Bestand der Bibliothek, die
61 Zeitschriftenbärfde, 138 Büchfr, 280 Sonderabdrücke, 28 Dissertationen
und 2 Kartenmappen enthält.
Wahl des Vorstandes und der Aufnahmekommission.
Die bisherigen Mitglieder des Vorstandes und der Abnahme¬
kommission werden wiedergewählt und nehmen die Wahl an.
Abstimmung über Bewilligung eines Beitrages zum Koch-Denkmal
sowie zur Gründung eines Fonds zu einem Schwartze-Denkmal.
Für das Koch-Denkmal wird ein Betrag von 200 M. bewilligt.
Zur Vorbereitung der von dem Vorsitzenden angeregten Frage der
Errichtung eines Schwartze-Denkmals wird ein Ausschuss gewählt, be¬
stehend aus den Herren Herzfeld, Schwabach, Wagener und Brühl.
Abstimmung über die Frage der Ernennung korrespondierender
Mitglieder. Die Ernennung korrespondierender Mitglieder wird abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag des Bibliothekars betreffend das An¬
erbieten der Laryngologischen Gesellschaft, für die Berechtigung der
Mitglieder beider Gesellschaften auch die der anderen Gesellschaft ge¬
hörenden Bücher mit nach Hause zu nehmen.
Bei der Erörterung stellt sich heraus, dass der Bibliothekar der
Laryngologischen Gesellschaft diese Vereinbarung von der Voraussetzung
abhängig machen will, dass die Berliner otologische Gesellschaft einen
gewissen Mindestbetrag für Zeitschriften aufwendet.
Durch Abstimmung wird festgestellt, dass Geneigtheit besteht, mit
der Laryngologischen Gesellschaft wegen der gemeinsamen Benutzung
der Bibliotheken in Verhandlungen zu treten. Die endgültige Ent¬
scheidung über die Angelegenheit wird vertagt. Vorher sollen die
Bibliothekare der beiden Gesellschaften miteinander verhandeln.
Beim Internationalen Kongress für Medizin, der in diesem Jahre in
London stattfinden wird, ist angefragt worden, warum die otologische
Ausstellung von der Gesamtausstellung getrennt werden soll. Darauf
ist die Antwort eingegangen, dass dies auf Wunsch des Vorstandes der
otologischen Sektion geschehen ist.
Hr. Bnseh:
Kosmetische Besserung der dirch Paeialislihmaog bedingtes Ent¬
stellung.
Vortr. zeigt die Bilder eines Patienten mit 8 Jahre alter otogener
Facialislähmung, bei welchem er versucht hat, den gelähmten, herunter¬
hängenden Mundwinkel durch eine kleine Operation zu heben und da¬
durch die Entstellung zu beseitigen. Während Vortr. früher hierzu
einen Draht benutzte (s. Passow’s Beiträge, 1910), empfiehlt er jetzt
hierzu ein Stück Fascia lata des Oberschenkels. Das Verfahren ist kurz
folgendes: Kleiner Schnitt am unteren Rand des Jochbogens und am
Mundwinkel; mit einer schmalen, spitzen Schere geht man hierauf von
der oberen zur unteren Wunde intrabuccal hindurch. Präparation eines
2 cm breiten Streifens der Facia lata vom Oberschenkel; freie Trans¬
plantation desselben in den Wundkanal innerhalb der gelähmten Wange.
Fixation des Fascienstreifens in der Wunde am Mundwinkel mittels
zweier Seitennähte; Korrektur des herunterhängenden Mundwinkels durch
Anziehen des Fascienstreifens von der oberen Wunde aus; Fixation des
oberen Streifenendes durch zwei Nähte im Periost des Jochbogens. Naht
der Hautwunden. Das Resultat ist, wie die Bilder zeigen, gut; auch ist
zu hoffen, dass der eingeheilte Fascienstreifen besser halten wird als der
früher vom Vortr. hierzu benutzte Draht.
Diskussion. Hr. Beyer bemerkt, dass vor etwa einem halben
Jahre Herr Ritter gesprächsweise diese Methode der kosmetischen
Besserung der Facialislähmung ihm gegenüber erwähnt bat.
Hr. Haenlein: Fall von Nasentnmor.
Im Sommer 1911 sah der Patient an seiner linken Nasenscheide¬
wand kleine Wucherungen. Sie wurden im September 1911 weg¬
genommen, es traten aber Recidive auf im Oktober 1911 und Juli 1912.
Wie Pat. angibt, wurde im Juli 1912 auch das knorpelige Septum ent-
fernt, doch wuchsen die Neubildungen rasch wieder.
Als Vortr. den Pat. Oktober 1912 sah, war die Nase fast
ganz durch ein über die Nasenöffnungen binausragendes Blumenkobl-
gewächs ausgefüllt. Der Tumor war weich, nicht ulceriert, graurötlich,
mit ganz dünnen Borken belegt. Die Moulage und Photographie geben
darüber ein gutes Bild. Drüsenschwellungen, für Carcinom sprechende
Erscheinungen fehlten. Dem besonders nach dem bisherigen Verlauf
gebotenen Vorschlag einer radikalen Operation wollte Pat. nicht folgen.
Deswegen wurde in Narkose mit dem scharfen Löffel der Tumor bis auf
gesundes Gewebe entfernt. Dann wurden Aetzungen mit konzentrierter
Milchsäure gemacht. Die Heilung war reaktionslos. Die histologische
Untersuchung ergab ein Epithelioma papillare. Diese Neubildung der
Nase ist ziemlich selten. 14 Tage nach der Operation wurde Zeller’s
Arsen-Zinnoberpaste Cinnabarsana auf die Wundfläche in der Nase auf¬
gestrichen. Bekanntlich bat Zeller seit 1910 äussere Krebse mit dieser
Paste behandelt und nach seinen Veröffentlichungen gute Erfolge damit
erzielt. Es wurde hier der Versuch gemacht, ob eine Wirkung der
Paste auch bei dieser mikroskopisch benignen, klinisch malignen Neu
bildung zu erzielen ist. Der Pat. bekam nach Anwendung der Paste
stets starke Schmerzen. Wie erwartet, bildete sich die Geschwulst
wieder, und zwar von zwei Stellen aus, von der Innenfläche des Nasen¬
daches, der Nasenspitze, sowie von der unteren linken Muschel. Das
Cinnabarsana hatte allerdings die gleiche Wirkung, wie Vortr. es bei
Krebs gesehen hatte. Vier bis fünf Tage nach der Anwendung stiessen sich
relativ grosse Stücke der Neubildung ab. Mikroskopisch handelt es sich
um nekrotisches Gewebe; trotzdem wuchs -die Neubildung, und so hat
die Geschwulst wieder 'einen ziemlichen Umfang erreicht; sie wächst
also rascher wieder, als neugebildetes Gewebe sich abstösst. Die
Zeller’sohe Paste ergibt in diesem Falle anscheinend keine Heilung.
Von einer Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase oder der Nasen-
sohleimhaut (Ozaena) ist nichts nachzuweisen.
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666
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Diskussion.
Hr. Wagener: Die pathologisch-anatomische Diagnose darf in diesem
Falle nicht ausschlaggebend sein. Zu berücksichtigen ist immer der
klinische Verlauf. Man weiss nicht, ob die Stellen aus dem gesunden
Gewebe herausgenommen sind, die ein Urteil darüber erlauben, ob
Carcinom vorliegt oder nicht.
Hr. Haenlein: Es wurden von verschiedenen Stücken der operativ
entfernten Neubildung histologisohe Untersuchungen gemacht, aber auch
nicht in tiefgelegenen Schichten bisher etwas für Carcinom Sprechendes
gefunden. Wenn auch eine scharfe Grenze zwischen Epithelioma papillare
und Carcinom besteht, so ist dooh die Möglichkeit, dass ein Carcinom
an einer Stelle sich entwickelt oder an einer von mir nicht gefundenen
Stelle besteht, vorhanden.
Hr. Wolff: In der Literatur sind eine Reihe von Fällen publiziert,
in denen zunächst histologisch ein Epithelioma papillare diagnostiziert
wurde, und wo sich erst im Laufe von drei bis vier Jahren der bösartige
Charakter histologisch herausstellte. Gerade die Epitheliomata papillaria
am Septum und am Naseneingang verlieren manchmal im Laufe von
Jahren ihren gutartigen Charakter.
Hr. Haenlein (Schlusswort): Sicher soll man derartige Fälle wie
maligne behandeln. Denn die wachsende Neubildung zerstört das um¬
gebende Gewebe. Weil der Patient einer grösseren Operation sich nicht
unterziehen wollte, wollte ich das Cinnabarsana versuchen, das nach den
vorliegenden Veröffentlichungen geeignet erschien, das erwartete Recidiv
zu verhüten.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zn Berlin.
Sitzung vom 3. März 1918.
Vor der Tagesordnung.
1. Hr. Bönniger: Zur Genese des Ulcns veotrienli.
v. Bergmann hat die Theorie aufgestellt, dass das Ulcus ventriculi
durch Spasmen der Magen muskulatur entstände, in deren Gefolge es zu¬
nächst zu Ischämie und dann zur Selbstverdauung kommt. B. zeigt nun
den Sanduhrmagen eines Falles von perniciöser Anämie mit spastischen
Kontrakturen der Schleimhaut, auf deren Höhen man Blutungen sieht.
Wegen des Fehlens der Salzsäure ist es hier natürlich nicht zur Selbst¬
verdauung gekommen. Man darf aber die Berg man n’sohe Theorie nicht
verallgemeinern und auf alle Arten von Ulcus ausdehnen.
2. Hr. Katzenstein:
Eiae aeae Methode zur direkten Besichtigung des Kehlkopfes.
K. demonstriert einen Apparat, mit dessen Hilfe eine direkte Be¬
sichtigung des Kehlkopfes sowie die Bronchoskopie möglich ist.
Tagesordnung.
1. Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Tachaa: Untersuchungen
aber den Znekergehalt des Blotes and deren klinische Bedeutung.
Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim-Blankenburg (Thür.) weist darauf
hin, dass er und E. H. Stein schon vor drei Jahren als die ersten
systematische Blutzuckerbestimmungen in kurzen Intervallen unter gleich¬
zeitiger Vornahme von Gasanalysen ausgeführt haben. Die Untersuchungen
wurden in der II. medizinischen Klinik der Charite gemacht. Reicher
und Stein führten eine neue colorimetrische Bestimmung ein, welche
die Gesamtkohlehydrate (KH) des Blutes bis zu den Pen tosen herab
umfasst, ihre Werte sind daher stets grösser, geben aber ein getreu-
liches Bild des Stoffwechsels wieder, was man von den Reduktionswerten
nicht immer behaupten kann. Erhält ein gesunder Mensch 100 g Trauben¬
zucker, so findet man in den nächsten Stunden in der Regel keine Ver¬
änderungen in den Reduktionswerten des Blutes, dagegen bei der KH-
Bestimmung eine typische Kurve, welche genau dem Respirations¬
quotienten der Gasanalyse entspricht, nämlich allmählichen Anstieg der
KH-Werte von 0,09 bis höchstens 0,25 pCt., parallel damit ein Wachsen
des Respirationsquotienten bis zum Werte der reinen KH-Verbrennung,
und als Effekt derselben nachher einen rapiden Abfall der KH-Mengen
im Blute. Die Reduktionsmethode sagt uns über diese Vorgänge gar
nichts aus; man wird daher der Methode von Reicher und Stein in
Zukunft mehr Beachtung schenken müssen, da sie einen tieferen Ein¬
blick in gewisse Vorgänge des Stoffwechsels gestattet als die bisherigen
Reduktionsbestimmungen des Blutes. Auch zeigt die KH-Bestimmüng
typische Unterschiede im Verhalten des Gesunden und des Diabetikers.
Beim Diabetiker beträgt der Nüchternwert des Blutes 0,2 bis 0,25, auch
0,3 pCt., und steigt bei obiger Belastungsprobe bis 0,4 (bis 0,6), und
zwar nicht nach einer Stunde wie beim Gesunden, sondern erst nach
zwei bis drei Stunden. Als Ausdruck verschlechterter KH-Verbrennung
steigt dabei der Respirationsquotient gar nicht oder jedenfalls nicht bis
zum Wert der reinen KH-Verbrennung. Es werden durch die KH-Be-
stimmung offenbar ausser Traubenzucker noch Zwischenstufen zwischen
dem Leberglykogen und dem Traubenzucker angezeigt, die für den Stoff¬
wechsel äusserst wichtig sind, jedenfalls aber keine Schlacken vorstelled*
wie die Breslauer Schule behauptet. Vielmehr entsprechen* ihre Werte
Claude Bernard’s Sucre imraediat + Sucre virtuel und ; ermöglichen
so einzeitig eine Wertbestimmung, die sonst nur zweizeitig durch
eine Reduktionsbestimmung im nativen und eine zweite in Säure be¬
handeltem Serum durchführbar ist.
Reicher und Stein konnten ferner als erste mit ihrer KH-Be-
Stimmung das Bild des latenten Diabetes aufstellen, bei dem es zu¬
nächst niemals zu Glykosurie, wohl aber zu diabetischen KH-Werten im
Blut mit pathologischem Verlauf des KH-StoffWechsels kommt. Hierher
gehören Fälle von Furunkulose, Neuralgien bzw. Ischias, Alveolarpyorrhöe,
recidivierendes Erysipel, Brand, unmotivierte Gewichtsstürze usw. Durch
strenge antidiabetische Diät lassen sich derartige Fälle vielfach unter
Herabgehen der KH-Werte im Blute bessern. Sehr schön kann man
ferner den Erfolg oder Misserfolg von Diät und Trinkkuren durch wieder¬
holte Vornahme obiger kombinierter Blut- und Gasanalysen verfolgen
und jedenfalls schon aus der KH-Bestimmung im Nüchternblute ersehen,
ob Besserung eingetreten ist oder nicht. Nach einer Kur mit Mergent-
heimer Karlsquelle sinken die Blutzuckerwerte in einzelnen Fällen
auf die Hälfte oder ein Drittel des ursprünglichen Wertes hinab. Mit
KH-Zulagen in der Nahrung ist erst dann vorzugehen, wenn der KH-
Nüchternwert im Blute gesunken ist, sonst steigen die Zuckerwerte im
Urin sofort wieder an. Die richtige Kontrolle unseres therapeutischen
Handelns beim Diabetiker ist also der Blutzucker, während der Urin¬
zucker vielfach irreführend wirkt. Bei nahendem Goma diabeticum gebt
der Urinzucker manchmal hinunter, der Blutzucker steigt dagegen an.
Auch die Blutfett- und -Lipoidmengen bewegen sich aufwärts. Ganz
ähnliche Verhältnisse fand Reicher in der Narkose. Durch Narkoti¬
sieren eines halbwegs schweren Falles von Diabetes setzt man auf eine
schon bestehende Störung des KH- und Fettstoffwechsels die bloss gra¬
duell verschiedene, aber sonst analoge Oxydationshemmung der Narkose
auf, daher die häufigen schlechten Folgen von Narkose bei Diabetes, der
sogar Coma in wenigen Stunden nachfoigen kann. Bei einer Gruppe
von Sklerodermiefällen, die mit Hyperthyreoidismus und Bronzeverfärbung
einhergehen, finden sich diabetische Werte von KH im Blote (Kraus
und Reicher) ohne Glykosurie, diese kann aber im späteren Verlaufe
auftreten (Uebergänge in Bronzediabetes).
Hr. Bönniger weist daraufhin, dass die Stein-Reicher’scheMethode
eine Fehlerquelle hat. Starkes Licht verändert die Farbe sehr schnell.
Er verweist dann auf seine eigenen Untersuchungen über den Blutzucker
und macht darauf aufmerksam, dass man überall dort, wo eine ungleiche
Verteilung des Zuckers angenommen werden muss, Blutkörperchen und
Serum getrennt auf Zucker untersuchen soll.
Hr. Reicher hat eine Beeinträchtigung der Färbung durch Licht
niemals gesehen.
2. Hr. OhM:
Ueber die Bedeutung des Venenpulses bei neuer kombinierter photo¬
graphischer Methodik.
Die von dem Vortragenden ausgearbeitete photographische Registrier¬
methode gestattet eine gleichzeitige Kurvenaufnahme von Arterienpuls,
Venenpuls und den Herztönen. An einer sehr grossen Zahl von Kurven
demonstriert er normale und pathologische Fälle und bespricht die Be¬
deutung der Kurvenbilder. H. Hirschfeld.
Verein der Aerzte Wiesbadens.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr R. Schütz.
I. Hr. Josef Müller: Röntgentherapie in der Gynäkologie.
Nach einem kurzen historischen Ueberblick über die Entwicklung
der Röntgentherapie in der Gynäkologie bespricht Vortr. das Anwendungs¬
gebiet der Röntgenstrahlen: Myome, Metrorrhagien, Menorrhagien, Dys¬
menorrhöe. Persönlich hatte er gute Erfolge bei 5 Fällen von Myom;
Erzielung der Menopause. Bei einer 6. Patientin, bei der bereits Meno¬
pause eingetreten war, erzielte er Schrumpfung des Kolossaltumors, so
dass die Distantia spinarum ileum ant. von 39 auf 30 cm zurückging.
Bei 2 Fällen von Metrorrhagien jüngerer Frauen wurden die Menses auf
die Norm zurückgebracht, jedoch war in einem Falle der Erfolg kein
dauernder. Sehr günstige Erfolge wurden in 2 Fällen von schweren
Menorrhagien junger Mädchen im Beginn der Pubertät erzielt Bei
Dysmenorrhöe war der Erfolg in einem Falle ein glänzender, im anderen
negativ. Die Technik des Vortr. ist eine intensiver gestaltete Modifikation
des Verfahrens von Albers-Schönberg: 2 bis 4 Felder von der Baueb¬
und ebensoviele von der Rückenseite dreimal, jedesmal mit Vs E.-D.
unter Anwendung der Kompressionsblende bestrahlt, mit Wiederholung
nach 14 tägiger Pause. Die Freiburger Intensiv-Methode kommt eventuell
für Fälle, die sich bet! mildem Vorgehen refraktär zeigen, sowie aus
vitaler Indikation bei völlig ausgebluteten Frauen in Betracht, als
reguläres Verfahren ist sie abzulehnen, da sie ohne zwingenden Grund
dem Organismus Röntgendosen einverleibt, die nicht als irrelevant zu
bezeichnen sind. Bei allen Blutungen nicht myomatösen Ursprunges ist
zur Sicherung der Diagnose unbedingt eine Abrasio vorauszuschicken,
die buch manchmal weitere Behandlung erspart. Bei Blutungen myoma¬
tösen Charakters ist auf genaueste Diagnosenstellung "der> allergrösste
Wert zy legen,.fegen der verhängnisvollen Folgen d$r Röntgenbehandlung
bei nicht erkannter Malignität. Aus diesem Grunde ist auoh für die
Röntgentherapie, falls sie nicht von einem sachkundigen Gynäkologen
geleitet wird, vorhergehende Untersuchung*, und dauernde Kontrolle durch
einen solchen unerlässliche Bedingung. .
II. Hr. Fendt: Röntgentherapie in der Dermatologie.
Vortr. bespricht die historische Entwicklung der Röntgenbehandlung
der Hautkrankheiten, die aus dem unsicheren empirischen Verfahren der
ersten Jahre , ihres Bestehens sich durch brauchbare Dosierungsmethoden
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24. Mftre 1dl 8.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
667
zu einem sehr schätzbaren, unliebsame Ueberraschungen, d. h. Schädigung
des Patienten vermeidenden Verfahren entwickelt hat. Zur Dosierung
sind in erster Linie die Sabouraud - Voirö’schen Baryumplatincyanür-
pastillen und das Kienböck’sche Quantimeter in seiner neuen Aus¬
gestaltung zu empfehlen, wonach Dritteldosen in etwa wöchentlichen
Zwischenräumen verabreicht werden. Die Röntgenbehandlung hat sich
in der Dermatologie besonders bewährt bei chronischem und subakutera
Ekzem, Lichen Simplex chronicus, Psoriasis, schwerer Acne vulgaris,
Acnekeloid, Epitheliomen, bei tiefgehender Sycosis parasitaria, Sycosis
non parasitaria, Pruritus pni, Pruritus vulvae. Bei Lupus erythematodes
lassen sich Besserungen erzielen, doch wohl kaum Heilungen. Auch bei
Lupus vulgaris lassen die Erfolge vielfach zu wünschen übrig.
Vorsichtig, d. h. unter Heranziehung eines zuverlässigen Dosierungs-
Verfahrens angewandt, darf der Arzt die Röntgenbehandlung gewisser
Hautkrankheiten, die sonst üblichen Methoden vielfach durch Promptheit
des Erfolges, Bequemlichkeit und Sauberkeit überlegen ist, getrost seinen
Patienten zur Anwendung empfehlen.
Diskussion.
Hr. Köhler sah bei Behandlung des Lupus vulgaris bedeutend
bessere Narben, wenn statt mit ganzen Erythemdosen mit 4 /s oder
5 /e Erythemdosen bestrahlt wurde. Ferner betont er die fast ausnahms¬
los vorzüglichen Erfolge bei essentiellem Pruritus ani und Pruritus
vulvae. Die zur Myom- und Menorrhagiebehandlung vorgebrachten Be¬
merkungen finden sich fast wörtlich in dem soeben erschienenem Heft 6,
Band 19, der „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 41 .
Hr. Julius Müller: Im allgemeinen kann man den Ausführungen
des Vortragenden zustimmen. An der Hand von über 2000 Fällen
möchte ich einige Bemerkungen hinzufügen; bei Psoriasis ist bei einem
akuten Ausbruch Vorsicht geboten, da im Anschluss an RöntgenBtrahlen
oft eine rapide Verschlimmerung eintritt. Die Behandlung bei Hyper-
trichosis ist bei grosser Vorsicht erlaubt. Ferner ist der Einfluss von
Rontgenstrahlen vorzüglich bei Hypertrichosia manum-Keloiden. In einem
Falle von einer ausgedehnten Verbrennung des ganzen rechten Beines
und zum Teil des linken mit fingerdicken netzförmigen Keloidbildungen
und starkem Jucken und infolge der keloidartigen Narben bi Idun gen Be¬
wegungsstörungen wurde ein sehr gutes Resultat erzielt. Auch bei einem
circumscripten Lichen ruber ist eine Röntgenbehandlung einer über
wochen- und monatelangen Arsenikbehandlung vorzuziehen. Bei Lupus
vulgaris darf die Röntgentherapie nur in bestimmten Fällen als unter¬
stützendes Mittel benutzt werden, da das hierdurch hervorgerufene starre
Narbengewebe der Lichtbehandlung widersteht und Carcinombildung nicht
so selten hervorruft.
Hr. Christ weist darauf hin, dass die trophischen Verhältnisse der
Haut und ihrer Anhangsgebilde in vielen Punkten noch sehr unklar
sind. Au9 dem von ihm in der Sitzung vom 18. Dezember v. J. dar¬
gestellten Falle von angeborenem Fehlen der Schweissdrüsen, Haar- und
Zahnkeime glaubt er eine Reihe von wichtigen Schlüssen ziehen zu
können, deren bedeutendster ihm der zu sein scheint, dass die von
R. Zander gefundene Doppelinnervation manoher Hautgebiete durch
Nerven der gleichen Seite eine Prädisposition zu trophischen Störungen
schafft. Christ wird in einer späteren Sitzung ausführlich auf diese
Befunde zurückkommen, die auch für die Prädilektionsstellen einer ganzen
Reihe von Hauterkraukuogen, einschliesslich des Carcinoms, ihm von
Bedeutung zu sein scheinen.
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr.
Sitzung vom 8. Februar 1913.
Hr. Boit: 1. 14 jähriger Knabe mit hypertrophisch-defermiereuder
Arthritis beider Kaifgelenke, entstanden im Anschluss an ein Trauma
des rechten Kniegelenks vor vier Jahren. Hochgradige Genuvalgum-
stellung beider Kniegelenke, Aussenrotation der Unterschenkel, laterale>
Luxation der Patellae. Wegen beträchtlicher Gehstörung Resektion der
Kniegelenke. Dadurch Besserung der Gehfähigkeit. Demonstration der
Präparate.
2. 11 Wochen alter Knabe mit Chenirodystrophia foetalis hyper-
plastiea. Starke Auftreibung der Gelenkenden der grossen Gelenke,
Verdickung nnd Verkürzung der Diaphysen und Verdickung der Knorpel¬
knochengrenzen der Rippen. Verzögerung der epiphysären Ossifikation.
Keine Schädel- und Gesiohtsveränderungen. Seitliche Eindellung des
Thorax durch die anliegenden Unterarme und Beugekontraktur der
HSft-, Knie-, Ellenbogen- und Handgelenke weisen auf eine intrauterine
Kompression de9 Fötus hin. Durch diesen Befund scheint die Theorie
von v. Franquö und Rindfleisch gestützt zu werden, nach der die
Chondrodystrophie als eine Hemmungsbildung aufgefasst wird, entstanden e
durch abnormen Druok auf den Fötus,in ider Eihöhle.
Hr. Amelung demonstriert einen Fall ton gestieKeil Myesarkom
der Magenwand. J ' ' ” 1
50 jähriger Patient, seit Jahresfrist unbestimmte Beschwerden; sechs
Wochen vor der Aufnahme ärdlicherseits eine Geschwulstbildung im
Leib festgestellt: Kindskopfgrosser, verschieblicher Tumor von prall¬
elastischer Konsistenz im rechten Epigastrium, bis zum Nabel reichend,
gegen den rechten Rippenbogen nicht abgrenzbar. Bei der Laparotomie
fand sich innerhalb des Leberrandes der glattwandige Tumor fest
zwischen die beiden Blätter des Neties eingewachsen; die Entwicklung
war erst möglich nach Punktion, durch die sehr reichlich rein hämor¬
rhagische Flüssigkeit entleert wurde. Der Tumor sass mit einem 2 1 /* cm
im Durchmesser betragenden soliden Stiel an der vorderen Magenwand,
7 cm oberhalb des Pylorus und bildete eine mehrkammerige Cyste,
deren Wandung an einzelnen Stellen papierdünn, transparent war.
Mikroskopisch fanden sich in den aus dem Stiel stammenden Schnitten
im derb fibrösen Gewebe vereinzelt glatte Muskelfasern, während die
Schnitte au9 der Cystenwandung das typisch sarkomatöse Bild zeigten,
also augenscheinlich ein Sarkom, auf der Basis eines Fibromyoms ent¬
wickelt. Sehr auffallend war das makroskopisch fast vollkommene Zu¬
grundegehen der ursprünglichen Tumorsubstanz an den transparenten
Wandstellen; mikroskopisch liess sich jedoch auch an diesen Stellen
neben dem fast rein fibrösen Gewebe noch vereinzelt die zellreiche Grund¬
substanz nachweisen, so dass die Entstehung der Cyste aus einem
ursprünglich soliden Tumor damit auf der Hand liegt. Die Cysten¬
bildung war wohl, worauf der hämorrhagische lohalt und Thromben¬
befunde in den Stielschnitten hinwiesen, mit Sicherheit auf eine Blutung
in das Tumorende zurückzuführen.
Diagnostisch ist der Fall bemerkenswert, da subjektiv keinerlei
Magenerscheinungen bestanden und auch objektiv die chemischen und
röntgenologischen Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte für den
Magen-Darmtractus als Sitz der Erkrankung ergaben, weshalb auch nur
an eine Pankreas- oder Mesenterialcyste oder an Leberechinococcus ge¬
dacht worden war. Jetzt, */ 4 Jahr nach der Operation, völliges Wohl¬
befinden des Patienten.
Hr. Friedrich bespricht das operative Vorgehen hei bösartigem
Ileoeoecaltamor. An drei Fällen der letzten Zeit, deren einer vorge¬
stellt wird, hat sich wieder die von ihm befolgte, 1905 in den „Archives
internationales de Chirurgie 44 beschriebene Methode der einzeitigen
Exstirpation bewährt und zu glatter Heilung geführt. Unter örtlicher
Anästhesie ist bei der vorgestellten Patientin das Ileum in die Mitte
des Colon transversum anastomosiert, der ganze zwischenliegende Darm¬
teil exstirpiert, das dorsale Peritoneum über Duodenum, Niere, Ureter
wieder durch Naht geschlossen und der vollständige Schluss der Bauch¬
wandwunde au9geführt worden.
Sodann demonstriert Friedrich die Patientin und die röntgo-
graphische Diagnose einer postappendicitisehen Colonsteuose und die
Einzelheiten des operativen Befundes, sowie ein 12 X 9 x 9 cm grosses
Dermoid, welches F. zwischen den Blättern der Mesoappendix
bei chronisch entzündeter und platt gedrückter Appendix durch Ope¬
ration gewonnen hat in einem Fall, der wegen appendicitischen Tumors
der Klinik zuging.
Weiter demonstriert Friedrich mehrere Fälle von subakntem
Volvo]tu der fibergrossen Flexora sigmoidea, deren er fünf Fälle im
Laufe dieses Jahres zu behandeln gehabt hat. Ein 61 jähriger Patient
mit vier Tage lang bestehendem Darmverschluss konnte nicht mehr
gerettet werden; die anderen vier wurden geheilt. Friedrich bevor¬
zugt die Ausschaltung der Flexursohlinge durch Anastomose am Fuss
der Schlinge mit Verengerung des aufsteigenden Schenkels der Schlinge.
In einem Falle war die Anastomose des Ileums am abführenden Schlingen-
schenket mit Erfolg ausgeführt worden.
Danach zeigt Friedrich mehrere neuerdings operativ behandelte
Fälle von einseitiger Lnngentoberkalose mit vorausgegangener
schwerer Hämoptyse, und wägt die Vorzüge und Nachteile der
umfangreicheren und beschränkteren Rippenresektion zur
Volumeinengung der krankseitigen Lunge ab. Die Einzelheiten werden
von F. demnächst im Anschluss an seine bisherigen Arbeiten auf diesem
Gebiet publiziert werden.
Endlich zeigt Friedrich einen geheilten Knaben im Alter von
7 Jahren, dem durch Messerstich im 8. Intercostalraum der Magen ver¬
letzt wurde, und wo sich ein Mageanetzprolaps durch Zwerchfell,
Pleura und Brustwandwunde gebildet hatte. Die Stichwunde des Magens
wurde zugenäht, das zum Teil beschmutzte Netz abgetragen, Zwerchfell
und Brustwandwunde durch Naht geschlossen, wobei unter Druckdifferenz
ein partieller Pneumothorax beseitigt wurde. Der Knabe war 28 Stunden
nach erlittener Verletzung in die Klinik eingeliefert worden. Es wurde
reaktionslose Heilung erzielt.
Hr. Haeeker spricht unter Vorführung einer grösseren Anzahl von
Röntgendiapositiven über die Erfahrungen, welche während der letzten
5 Jahre an den chirurgischen Kliniken in Marburg und Königsberg mit
der RöatgennnteraiiehaBg des Mageadarnkanals gemacht wurden. Er
weist dabei auf die Wichtigkeit des unmittelbaren Vergleichs von
Röntgenbild und anatomischen Befund hin, wozu nur dem Chirurgen
Gelegenheit geboten ist.
Ausgehend von der normalen Form und Lage des Magens
bespricht der Vortr. zunächst die pathologischen Lageverände¬
rungen, besonders Ptosis und Verziehung nach der rechten Seite hin
durch Verwachsungen. ’ ' '
Was die Veränderungen am Magenkörpbr selbst betrifft, so
haben die zahlreichen Untersuchungen ergeben, dass auch bei normalem
Magenbild das Vorliegen einer organischer* Veränderung nicht ausge¬
schlossen werden kann. An der Grenze deb Normalen steht die häufig
angetroffene spastische Einziehung an der grossen Curvatur, und
zwar meist am vertikalen Abschnitt des Magens, die vielleicht auch
normal sein kann, meist jedoch Folge eines lokalen Reizes, sei es eines
Ulcus oder einer Narbe ist.
Bezüglich der Ulousdiagnose ergibt sioh, dass fiaohe Geschwüre
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‘568
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12;
röntgenologisch nicht nachweisbar sind, weshalb bei Verdacht besonders
auf eine etwaige Veränderung der Motilität zu achten ist. Dabei bat
sich gezeigt, dass bei Ulcus ohne Stenose die Entleerung des Magens
gehemmt, bei Carcinom ohne Stenose dagegen meist beschleunigt ist.
Tiefer greifende Ulcera dagegen sind in den meisten Fällen auf dem
Röntgenbilde deutlich zu erkennen. Sie stellen sich dar als kleine, an
der kleinen Curvatur oder in der Nähe des Pylorus sitzende Aus¬
buchtungen des Wismutschattens.
Von den Folgeerkrankungen des Ulcus sind der Röntgen¬
diagnose besonders zugäogig die Sanduhrmagen, dessen maligne und
benigne Form auf dem Röntgenbild in den meisten Fällen zu unterscheiden
sind, insofern es sich beim gutartigen Sanduhrmagen in der Regel um
eine sehr tiefe Einschnürung an der grossen Curvatur handelt, welche
nahe an die kleine Curvatur herangeht, beim carcinomatösen Sanduhr¬
magen um eine langgestreckte Einziehung an der grossen Curvatur,
welcher in der Regel auch eine Aussparung an der kleinen Curvatur
entspricht. Hinzu kommt, dass sich beim gutartigen Sanduhrmagen der
pylorische Teil erst allmählich füllt, während beim carcinomatösen die
Füllung der beiden Magen schon während der Nahrungszufubr gleich¬
zeitig erfolgt.
Die Pylorusstenose zeigt sich auf dem Röntgenbild vorwiegend
als Querdehnung des meist monströsen Magens, im Gegensatz zur
atonischen Magenektasie, bei welcher der Magen einem längsgedehnten,
schlaffen Beutel gleicht, dessen untere Partien am meisten ausgedehnt
sind. Ein sehr zuverlässiges Frühsyraptom der Stenose ist die auf dem
Röntgenschirm zu beobachtende Antiperistaltik. Eine Unterscheidung
der gutartigen Stenosenbildung von der carcinomatösen ist durch das
Röntgenbild nicht immer möglich. Meist jedoch haben wir im letzteren
Fall am Pylorus eine unscharfere Zone mitunter mit höckerigen Aus¬
sparungen. Derartige Aussparungen sind für das Magencarcinom
überhaupt charakteristisch, vorausgesetzt, dass es schon eine gewisse
Ausdehnung erreicht hat.
Der Dünndarm eignet sich weniger zur röntgologischen Unter¬
suchung, einmal weil sich der Wismutbrei nur sehr ungleich in dem¬
selben verteilt und weil die hierfür in Betracht kommenden Erkrankungen,
besonders chronische Verschlüsse, viel seltener sind als z. B. am Dick¬
darm.
Ungleich günstiger für die Röntgenuntersuchung gestalten sich die
Verhältnisse beim Dickdarm (Lage- und Formveränderungen,
Motilitätsstörungen, Verengerung). Lokalisation einer Darm¬
stenose mit Hilfe des Röntgenverfahrens ist aber gewöhnlich nur bei
höheren Graden von Darmverengerung möglich. Deshalb hat auch die
Frühdiagnose des Darmcarcinoms durch die Röntgenmethode bis jetzt
keine wesentliche Förderung erfahren.
Die Röntgenuntersuchung der Speiseröhre gestaltet sich natur-
gemäss etwas anders als die des übrigen Nahrungsschlauchs. Die
photographische Platte wird nur in denjenigen Fällen Aufschluss geben
können, wo das Kontrastmittel durch irgendwelche pathologischen Ver¬
änderungen auf seinem Weg zum Magen festgehalten wird. Hierher ge¬
hören Verengerungen der Speiseröhre, Divertikel und Fremd¬
körper. Unter den Verengerungen treten bezüglich def Häufigkeit
die gutartigen hinter den auf carcinomatöser Basis entstandenen weit
zurück.
Von besonderer Wichtigkeit für den Chirurgen ist die genaue
röntgographische Untersuchung in Fällen von Oesophagusdivertikel,
denn nur durch sie lässt sich die genaue Lage des Divertikels mit
Sicherheit bestimmen.
Zum Schluss demonstriert Vortr. noch einige Röntgogramme von
Fremdkörpern im Magen und im Oesophagus.
Vortr. sieht in der Röntgendurchleuchtung des Magen-Darmkanals
ein besonders auch für den Chirurgen unentbehrliches Hilfsmittel für
Diagnosen- und Indikationsstellung. Er warnt jedoch davor, die alten
klinischen Untersuchungsmethoden darüber zu vernachlässigen.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zn München.
Sitzung vom 11. Februar 1913.
Hr. Goldschmidt:
Die männliche Pathogenese der Oenothera-Bastarde nnd die eelluläre
Grundlage der Vererbung.
Mit der allgemeinen Gültigkeit der Mendel’schen Gesetze für die
Vererbungsvorgänge stehen scheinbar nicht im Einklang folgende
Bastardierungsergebnisse von de Vries nit Oenothera biennis (B) und
Oenothera muricata (M):
B X M = patrokliner Bastard
$ s
M XB = patrokliner Bastard
-V
|BxH)X(«xB) = B
2
(M X B) X (B X M) = M
? s
Die Nachkommen der Bastarde spalten also nicht, wie nach Mendel
zu erwarten wäre, sondern züchten rein weiter. Diesen Widerspruch
erklärt G. unter Berufung auf neuere zoologisohe Forschungsergebnisse
damit, dass sehr entfernte Kerne sich nicht vereinigen lassen, sondern
sich gegenseitig ausschliessen. Und zwar schliesst der männliche Kern
den weiblichen au9. Die bisherigen — noch nicht abgeschlossenen —
mikroskopischen Untersuchungen sprechen für diese Hypothese: G. fand
öfter die haploide Chromosomenzahl von 7 Chromosomen; (B x M)-Bastarde
? <J
haben M-ähnliche Chromosomen.
Hr. Heiss: Die Entwicklung der menschlichen Lunge.
Auf Grund seiner Untersuchungen an 32 menschlichen Embryonen
gibt Vortr. folgendes Schema der Lungenentwicklung:
Einheitliches Lungensäckchen
rechte primäre X-Abschnitt linke primäre
Lungenknospe Lungenknospe
rechte sekundäre Lungenknospe linke sekundäre Lungenknospe.
Der mittlere (X-) Abschnitt wird in die rechte Lungenknospe ein¬
bezogen; daher sind rechte und linko Lungenknospe ungleich. Es re¬
sultiert eine wirkliche Asymmetrie, wenigstens eine Volumasymmetrie.
Wachstums- und Differenzierungsprozesse alternieren bei der Entwicklung
der Lunge. K. Süpfle-München.
Medizinische Gesellschaft zu Güttingen.
Sitzung vom 23. Januar 1913.
Hr. Jung: Ueher das querverengte Beherrsche Becken.
Vortr. demonstriert eine jugendliche Patientin mit dieser seltenen
Beckenanomalie; das Charakteristische besteht in dem Fehlen der Kreuz¬
beinflügel, wobei es sich um Entzündungsvorgänge an den Gelenkfiächen
zwischen Sacrum und Beckenring bandelt und nicht um eine Miss¬
bildung. Aetiologisch kommt bei der Patientin vielleicht kongenitale
Lues in Betracht. Die Wassermann’sche Reaktion war stark positiv;
das durch Kaiserschnitt entwickelte Kind war tot.
Hr. Uffenorde:
Ueher hyperplastische Entzündung der Nasennebenhöhlensehleimhaut.
Vortr. bespricht die Bedeutung der hyperplastischen Entzündungen
der Nebenhöhlen, die er den eitrigen gegenüberstellt. Die Entfernung
der polypösen Wucherungen nimmt er nicht mehr auf endonasalem Wege
vor, sondern durch eine Radikaloperation von aussen, die jedoch von
der Killian’schen Stirnhöhlenoperation in der Ausführung abweicht.
(Demonstration eines Patienten.)
Hr. Döring:
Retter’sche Lappenplastik zar Sicherung sekundärer Naht hei Rectum-
resektion.
Vortr. empfiehlt die Methode, die er mit gutem Erfolg bei einem
entsprechenden Fall ausgeführt hat.
Hr. Stich demonstriert mehrere schwere Verletzungen mit guten
Heilerfolgen.
a) Patient mit Qnerrnptnr des Jejunums und Entleerung voo
Darminhalt in die freie Bauchhöhle durch Hufschlag gegen die linke
Oberbauchgegend.
b) Aneurysma der Arteria femoralis durch Schnssverletznng.
c) Patient, der neben- einer Schädelbasisfraktur mehrere Stich¬
verletzungen am Rücken batte; wegen Hämatothorax wurde der Pleura¬
raum eröffnet, wegen gleichzeitiger Zwerchfell- und Leberverletzung die
Laparotomie angeschlossen.
d) Isolierte Pankreasrnptur nach Bauchkontusion.
e) Vortr. bespricht zwei Fälle von akuter Pankreasnekrose und
verbreitet sich im Anschluss daran im allgemeinen über Pankreas¬
chirurgie.
Hr. Fromme stellt 1. einen Kranken mit Bauchschuss vor, den er
12 Stunden nach der Verletzung operierte; im Abdomen fand sich Blut
und kotiger Inhalt; der Darm wies fünf Löcher auf. Fr. bespricht dann
die Behandlung von Bauchschüssen im Kriege;
2. berichtet er über zwei Kranke mit Darminvagination. In dem
einen Fall bandelte es sich um einen neunjährigen Jungen, bei dem
sich 50 cm Dünndarm in das Coecum und Colon ascendens eingestülpt
hatten. Die Entwicklung gelang, doch musste ein Stück Darmscblinge
reseziert* werden. In dem anderen Falle wurde ein etwa 1 cm langes
abgestossenes Darmstück durch eine Fistel entfernt;
3. demonstriert er einen Kranken mit durch Trepanation entferntem
Hämatom aus der Arteria meningealis media nach Sprung ins Wasser.
Hr. Creite zeigt ein Kind, das die klinischen Erscheinungen eines
Kleinhirntumors geboten hatte; nach Entleerung und Drainage der bei
der Operation gefundenen Cyste trat völlige Heilung ein; nur eine leichte
Schwäche in einem Arm ist zurückgeblieben.
Sitzung vom 14. Februar 1913.
Hr. Loew«:
Einige Untersuchungen zur toxämischen Genese der Epilepsie.
Nachdem er auf die negativen Resultate der bisherigen morpho¬
logischen Untersuchungen und Stoffwechseluntersuchungen bei der Epi-
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UMIVERSITY OF IOWA
24. Mär» 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
669
lepsie hinsichtlich ihrer Genese hingewiesen hat, bespricht er die toxi-
cotiscben Arbeitshypothesen, die ebenfalls bisher nur wenig Klärung
gebracht haben; immerhin sind einige Befunde erhoben worden, deren
weitere Verfolgung vielleicht Aufschluss bringen kann. So wurde beim
Epileptiker eine Vermehrung der nicht ätherlöslichen Kolloide festgestellt,
die, Kaninchen intravenös injiziert, Krampfanfälle auslösten, die denen
der Epileptiker sehr ähnlich waren. Die Toxicität wurde nur beim
Epileptiker gefunden; die nähere Natur dieser Harnkolloide ist noch
nicht ergründet. Ferner hat Loewe eine Vermehrung der beim Ge¬
sunden sehr konstanten Restkohlenstoffzahl des Blutes beim Epileptiker
nachgewiesen, und zwar ist sie bereits einige Tage lang vor dem Anfall
erhöht, während sie gleich nach dem Anfall zur Norm herabsinkt.
Damit werden extracerebrale Störungen in den Vordergrund ge¬
stellt. Vortr. weist noch kurz auf ähnliche Verhältnisse bei der
Eklampsie hin.
Hr. Voigt demonstriert einige bei der Operation gewonnene Prä¬
parate, darunter einen Uterus mit einem 4 Wochen alten Ovulum.
Hr. Eichelberg demonstriert ein sechsjähriges Mädchen mit einer
tinorähnlichen Erkrankung des Gehirns (Stauungspapille, Paresen
usw.), die wahrscheinlich nicht durch Lues bedingt ist uud zurzeit eine
wesentliche Besserung aller Erscheinungen bietet, ferner die anatomischen
Präparate eines Grosshirntumors, bei dem ebenfalls intra vitam durch
Jod und Sohmierkur ein deutlicher Rückgang aller Symptome für längere
Zeit eingetreten war. E. empfiehlt auch bei nichtsyphilitischen Tumoren
die Anwendung von Jod und Quecksilber.
Hr. Lichtwitz referiert über einige neuere Arbeiten aus dem Gebiet
der Ernährnngsphysiologie mit besonderer Berücksichtigung der Ver¬
hältnisse beim Skorbut, der Moeller-Barlow’schen Krankheit und Beri-
Beri. Port.
Aerztlicher Verein zu Frankfurt a. M.
Sitzung vom 17. Februar 1913.
1. Hr. Fischer (Demonstrationen): a) Primäres Adenocareinom der
Niere mit multiplen Metastasen in fast allen Organen und carcinomatöser
Infiltration der prävertebralen Drüsen, die in der Brusthöhle den ganzen
Mediastinalraum ausfüllen.
b) Tabes mesaraies bei einer Erwachsenen. Dasselbe Bild, wie man
es bei Säuglingen sieht.
c) Lebercirrhose mit Gallenstauung.
d) Carcinom der Gallenblase mit Metastasen.
e) Sublimatvergiftung. Durch Scheidenspülung vor und nach der
Menstruation mit einer hochprozentigen Sublimatlösung war es zu einer
Nekrose der Schleimhaut der Vagina und des Uterus gekommen. Die
Patientin starb nach 6 tägiger Anurie. Ausser Nephritis fanden sich
ausgedehnte Darmgeschwüre.
f) Vitium cordis congenitum. Gonusstenose der Pulmonalis und
Septumdefekt. Die 16 jährige Patientin war an Diphtherie gestorben.
2. Hr. Sehmiedieke: Kriegssanitätsdienst nnd -Ausrüstung.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 14. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Steiner, Hr. Tintner und Hr. Denk:
Brfabrnngen nnd Erlebnisse aus dem Balkankriege.
Hr. Steiner wurde auf den montenegrinischen Kriegsschauplatz
entsendet, um als leitender Delegierter des österreichischen Roten
Kreuzes bei dem fast vollkommenen Mangel einer Feldsanitätsorganisation
im montenegrinischen Heere Feldambulanzen und Feldspitäler zu
etablieren. Die Genannten waren sowohl in der ersten Linie als auch
im Spitale in Podgoritza tätig. Viele der Verwundeten kamen ohne
Verband im Spitale an, andere waren von den „Sanitari“, älteren, im
Verband unterrichteten Soldaten, in recht guter Weise mit Hilfe der
von Russland gelieferten Verbandpäckchen verbunden worden. Letztere
enthalten zwei Kompressen, eine Gazebinde und eine Sicherheitsnadel,
das Material ist bei den älteren Päckchen mit Sublimat imprägniert,
bei neueren sterilisiert. Vortr. legte in der ersten Linie nur trockene
Verbände an, eine Desinfektion der Hände war unmöglich. Jodtinktur
wurde nur bei einigen stark verunreinigten Wunden zum Bestreichen
ihrer Umgebung verwendet; sie entfaltet ihre volle Wirkung nur auf
trockener Haut. Zur Schienung wurden Verbandspäne und improvisierte
Verbände benutzt. Die Kranken gelangten vom Kampfplatze binnen
24 Stunden ins Spital, sie waren daher nicht besonders erschöpft.
Schwierigkeiten hatte Vortr. mit der Beleuchtung, es sollte kein Arzt
ohne Taschenlaterne ins Feld ziehen. Die meisten Verletzungen be¬
trafen die Extremitäten, drefr waren Schädelschüsse, ein Viertel aller
Verletzungen war durch Artilleriegeschosse erzeugt. Durch klein-
kalibrige Geschosse in Weichteilen gesetzte glatte Schusskanäle heilten
reaktionslos aus, auch jrenn sie gar nicht oder schlecht verbunden
waren. Grössere Verwundungen mit Zerreissungen von Geweben eiterten
meist, auch wenn der erste Verband tadellos war. Das Verband¬
päckchen bat ausgezeichnete Dienste geleistet. Den in der ersten Linie
befindlichen Aerzten und ihrem Hilfspersonal fällt die Aufgabe zu, den
Verwundeten transportfähig zu machen und gute Vorbedingungen für
die Heilung zu schaffen. Manche Verwundete kamen zu Fuss ins Spital,
unter ihnen auch solche mit leichten Lungenschüssen. Io der vorderen
Hilfszone soll die Wund Versorgung schematisiert werden, erst in den
rückwärts gelegenen Spitälern treten die Pflicht und das Recht zur
individuellen Behandlung in volle Kraft. Der Kern des Kriegssanitäts¬
wesens liegt in der Organisation, es ist nicht rein chirurgisch, da neben
den Verwundungen zahlreiche Krankheiten zu behandeln und Er¬
krankungen zu verhüten sind. Für diese Zwecke braucht die Armee
universell ausgebildete Aerzte, den Chirurgen wird eigentlich erst in
den Spitälern Gelegenheit zur Entfaltung ihres Könnens geboten. Den
ersten Wundverband soll jeder Arzt tadellos anlegen können. Wichtig
ist die Sicherstellung von Berufspflegerinnen, an welchen leider ein
grosser Mangel ist, daher kann auf die Hilfe freiwilliger Pflegerinnen im
Kriege nicht verzichtet werden. Der Balkankrieg hat keine eingreifende
Aenderung in den Anschauungen der Kriegschirurgen gebracht, er batte aber
für letztere eine grosse Bedeutung als Schule für die praktische Tätigkeit.
Hr. Tintner war mit Herrn Clairmont auf dem bulgarischen
Kriegsschauplätze in Stara Zagora, Jambol, Kirkkilisse und Sofia tätig.
Für die Aerzte auf dem Kriegsschauplätze ist die Kenntnis dessen von
grosser Bedeutung, was in der Front geschieht, da dadurch der Ort, die
Zeit und die Art des ärztlichen Eingreifens bestimmt werden. Die
Türken verwendeten Spitzgeschosse mit einem Stahlmantel, De¬
formierungen derselben wurden wiederholt beobachtet. Die Ein- und
Ausschussöffnung bei Mantelgeschossen waren, wenn die Kugel nicht
rotiert hatte oder Knochen und Sehnen getroffen wurden, sehr klein, und
der Wundkanal heilte rasch zu. Bei Verletzungen durch Artillerie¬
geschosse kamen sehr oft Infektionen vor. Die Hälfte aller Wunden war
infiziert. Der Sanitätsdienst in der vorderen Linie ist sehr erschwert
oder unmöglich gemacht, wenn die Schlacht mehrere Tage dauert oder
sich an sie ein Rückzug anschliesst. In der ersten Linie kann nur ein
Verband angelegt werden, die operative Behandlung bleibt den hinter
den Feldspitälern gelegenen Anstalten Vorbehalten. In manchen Fällen
ist es zweckmässig, den Verwundeten beim ersten Verband nicht zu
entkleiden, sondern nur den verwundeten Körperteil zu immobilisieren.
Die Anwendung der Jodtinktur hat sich im Feldspital im allgemeinen
sehr gut bewährt, am Hilfsplatz dürfte sie entbehrlich sein, sie soll nur
bei infizierten Wunden benutzt werden. Der Mastisolverband hat
manchmal zur Sekretion Veranlassung gegeben. Gips- und blaue
Binden sind unerlässlich notwendig, je weiter vorne sie angewendet
werden, desto besser für den Verwundeten, leider verdirbt der Gips
leicht. Das Fehlen eiuer Beckenstütze wurde beim Verbandanlegen sehr
unangenehm empfunden. Die Verwundeten soll man nicht unmittelbar
nach dem Transport operieren, sondern erst bis sie sich erholt haben,
da unter Ruhe und bei guter Pflege selbst schwere Fälle ohne Operation
ausheilen können. Die Hauptaufgabe der Verwundetenpflege in der
ersten Linie ist die Herstellung der Transportfähigkeit des Verwundeten.
Von Instrumenten sollen in die erste Linie nur die einfachsten mit¬
genommen werden, aber diese in hinreichender Menge. Die Feldtragen,
die Krankenautomobile und die improvisierten Transportwaggons haben
sich für die Durchführung der Verwundetenbeförderung sehr gut be¬
währt. Die sanitären Vorkehrungen in der bulgarischen Armee waren
mangelhaft, die SanitätsVorsorgen für den Krieg sind im österreichischen
Heere in ausreichendem Maasse getroffen.
Hr. Denk hat im Aufträge des Malteser Ritterordens in der Kriegs¬
schule in Sofia ein Notspital für mehrere hundert Verwundete ein¬
gerichtet. Der Allgemeinzustand der Verwundeten war von der Dauer
des Transportes abhängig, von Kirkkilisse dauerte letzterer 5—6 Tage.
Die Krankenpflege wurde von freiwilligen Krankenpflegerinnen ausgeübt,
mit welchen ungünstige Erfahrungen gemacht wurden; zu Beginn gab es
ungefähr 170 Pflegerinnen aus allen Ständen der Sofioter Gesellschaft,
von diesen bewährten sich nur ca. 10, als ein Cholerafall im Spital
vorkam, blieben die meisten Pflegerinnen aus. Da das Spital modern
eingerichtet war, konnten in demselben alle Operationen ausgeführt
werden. Bei diesen wurden Gummihandschuhe benutzt, als Narkose¬
mittel wurde fast ausschliesslich Aether angewendet. Es wurden viel¬
fach typische Verletzungen der beim Schiessen exponierten Körperteile
beobachtet, so z. B. des linken Ellbogens, des linken Fusses, des Zeige¬
fingers oder Daumens mit gleichzeitiger Verletzung der Nase oder
des rechten Auges. Unter den Wunden waren 28 perforierende Thorax¬
verletzungen, von welchen nur eine operiert wurde, 6 perforierende
Bauchschüsse, von welchen 2 operativ behandelt wurden, ferner ca. 100
Extremitätenschussfrakturen und 39 Fälle von Nervenverletzungen, von
welchen 13 operiert wurden, wobei es sich nicht um Nervendurch¬
trennung, sondern meist um Kompression durch Narbengewebe bandelte.
Hervorzuheben ist die leichte und rasche Heilung der Wunden, auf
1186 protokollierte und sicher noch einmal so viele nicht protokollierte
Fälle entfielen nur 13 Todesfälle. 18pCt. der Gewebrschusswunden und
26 pCt. der Artilleriegeschossverletzungen waren infiziert. Bei Ex-
tremitätensebüssen wurde auf frühzeitige Mobilisierung Gewicht gelegt.
In einem Spital sah Vortr. einen Fall von Verstümmelung durch Türken
(Abschneiden der Nase). Wiederholt wurden Fälle beobachtet, welche
tfich auf 25—30 m entfernt von einem explodierenden Artilleriegeschoss
befanden, vom Luftdruck weggeschleudert wur'den, einige Zeit bewusstlos
blieben und hierauf durch einige Tage stumm oder taub waren. Um
die Infektion zu verhindern, ist es zweckmässig, für den ersten Verband
einheitliche Instruktionen herauszugeben, den Soldaten den Gebrauch
des Verbandpäckchens zu lehren, für Verwundetenpflege und gute
Transportmittel sohon im Frieden vorzusorgen. H.
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UNIVERSUM OF IOWA
670
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Gesellschaft für innere Medizin nnd Kinderheilkunde zn Wien.
Sitzung vom 13. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Eppinger stellte eine 39 jährige Frau mit Aortenstenose and
offenem Ductus Botalli vor.
Der Puls hat durchschnittlich 100 Schläge, ist auffallend klein,
rhythmisch und zeigt stellenweise Extrasystolen, die Herzgegend ist
leicht vorgewölbt, der Spitzenstoss hebend, im sechsten Intercostal-
raume, in der Mamillarlinie. Ueber dem Herzen deutliches Fremissement.
Die relative Herzdämpfung ist um zwei Querfinger nach rechts ver¬
breitert.
An der Herzspitze hört man ein systolisches Geräusch; der Klappen¬
schluss der Aorta ist fast nicht zu hören. Patientin hat eine links¬
seitige leichte Pleuritis.
Das Elektrocardiogramm zeigt die Zeichen der Durchtrennung eines
Tavara’schen Bündels; das Röntgenbild zeigt ein Pulsieren der Hilus-
gefässe der Lunge und eine halbkreisförmige Verbreiterung des Herz¬
schattens nach oben. Möglicherweise hat eine angeborene Aortenstenose
das Offenbleiben des Ductus Botalli verursacht.
Hr. Eppioger demonstrierte die Hervorrafung von Urticaria durch
Ergamin.
Wenn man mit einer Nadel über die Haut der Versuchsperson
fährt und diese mit Ergamin 1:1000 bepinselt, so tritt an der ge¬
kratzten Stelle ein urticariaähnliches Exanthem auf. Da das Ergamin
auch bei der Eiweissverdauung sich bildet, so ist daran zu denken, dass
Basen, welche bei der Verdauung entstehen, die Urticaria hervorrufen.
Hr. Schlesinger demonstrierte einen 47 jährigen Mann mit ge¬
bessertem intermittierenden Hinken.
Der Kranke hatte vor Jahren Lues, Wassermann positiv. Eine
länger fortgesetzte antiluetische Behandlung hat einen so guten Erfolg,
dass der Kranke jetzt etwa eine Stunde lang gehen kann, ohne
stehenbleiben zu müssen. Seit einiger Zeit bemerkt der Kranke ein
intermittierendes Hinken in den Händen, ferner das Symptom der ver¬
drehten Innervation der Gefässe; d. h. Reize, welche sonst eine Er¬
weiterung der Gefässe herbeiführen, bedingen eine Verengerung derselben.
Hr. Schlesinger demonstrierte einen Mann, bei welchem er Natrium
nitrosnm gegen die Schmerzen bei intermittierendem Hinken an¬
gewendet hat.
Die Krankheit erfuhr eine Verschlimmerung durch eine Pystianer
Kur, und es stellte sich am linken Fuss Gangrän ein. Nach Injektionen
von Natrium nitrosum Hessen die Schmerzen sofort nach, und es konnte
das Morphium weggelassen werden, welches der Kranke früher anwenden
musste.
Hr. v. Müller demonstrierte die Temperaturkurve einer Patientin,
welche wegen Gelenkrheumatismus Atophan erhielt und eine eigentüm¬
liche Nebenwirkung zeigte.
Das 23 jährige Mädchen erhielt Atophan, dem eine harnsäureaus-
schwemmende Wirkung zugeschrieben wird. Der Gelenkrheumatismus
wurde sehr günstig beeinflusst, doch stieg die Temperatur nach den
intermittierenden Gaben von Atophan bis zu 39° an. Es trat Haut¬
jucken und ein scharlachartiges Erythem auf. Wenn Atophan weg¬
gelassen wurde, verschwand das Fieber und erschien wieder nach einer
neuen Atophangabe.
Hr. Löwy demonstrierte anatomische Präparate eines Falles von
fondroyanter Poliomyelitis, welche unter dem Bilde einer ascendierenden
Landry’schen Paralyse verlief.
HHr. Siess und Stoerk:
Das Blutbild bei lymphatischer Konstitution.
Die hämatologischen Untersuchungen an fieberfreien, gesunden
Lymphatikem ergaben, dass die vielfach postulierte Lymphocytose
der Lymphatiker tatsächlich nicht existiert. Ebensowenig lässt sich
angesichts der eindeutigen Befunde der beiden Autoren an der mehrfach
behaupteten Eosinophilie beim Status lymphaticus festhalten, auch ist
die Zahl der Neutrophilen nicht stets und nicht nennenswert gegenüber
der Norm erniedrigt. Manche der irrigen Angaben der bisherigen Lite¬
ratur beruhen auf theoretischen Vorurteilen und der Verquickung des
(heute noch nicht voll gewürdigten) Konstitutionsproblems mit gewissen
Fragen über Blutdrüsenerkrankungen bzw. der mit dem Lymphatismus
durchaus nicht identischen Vagotonie. Wirklich charakteristisch für
das Blut von Lymphatikern ist: 1. die oft enorme Vermehrung der Blut¬
plättchen, 2. die deutliche Verminderung der Eosinophilen. Die übrigen
Formen der Blutkörperchen finden sich in durchaus normalen Mengen¬
verhältnissen. Von einer Leukopenie oder Lymphocytose«kann bei
reinen, unkomplizierten Fällen von Lymphatismus (= Status thymico«-
lymphaticus) nicht die Rede sein. Die oft behauptete relative
Lymphocytose tritt freilich gelegentlich in Erscheinung, wenn bei
etwas niedrigeren Neutrophilenzahlen das Prozentverhältnis unter den
einzelnen Formen ein wenig zugunsten der — stabileren — Lympho-
cyten verschoben ist. Der Befund ist jedoch durchaus unspezifiscb, und
es sollte der Ausdruck überhaupt als sinnlos endlich eliminiert werden.
Nur die absoluten Zahlenangaben über die polymorphkernigen Neutro¬
philen usw. einerseits und die Lymphocyten andererseits geben ein wirk¬
liches Bild von dem funktionellen Zustand ihrer Bildungsstätten: dem
Knochenmark und dem lymphadenoiden System. Die beiden Autoren
bedienten sich zur Funktionsprüfung des Knochenmarkes der Lymphatiker
(bekanntlich zeigen diese oft rotes Mark) der bewährten Gelatineinjektion.
Bei diesen Versuchen zeigte es sich, dass sowohl der Granulocytenapparat
(im Sinne einer Vermehrung der Neutrophilen) als auch das lymphatische
System (im Sinne einer Verminderung der Lymphocyten) bei Lymphatikern
träger reagieren als bei normalen Menschen. H.
Verein deutscher Aerzte zn Prag.
Sitzung vom 21. Februar 1913.
Hr. Reisinger spricht über die Wasser Versorgung von Prag. Nach
einer kurzen historischen Skizze der Wasserversorgungsfrage für Prag
schildert der Vortr. das seiner Vollendung entgegengehende Projekt der
Wasserwerkanlage, welche Gross-Prag mit rund 500 000 Einwohnern
versorgen will. Aus der vorwiegend bewaldeten Gegend der Einmündung
der Iser in die Elbe wir nach dem Projekte des Leipziger Ingenieurs,
Baurat Thiem, das Grundwasser in den Diluvialschottern mittels
ca. 500 Rohrbrunnen von 200 mm Weite und 1 bis 2 Sek. - L.
Ergiebigkeit erschlossen, wozu später noch artesisches Wasser aus der
Kreideformation kommen soll. Die Härte des Wassers beträgt 11 1 / 2 bis
I 2 V 2 deutsche Grade und ist chemisch und bakteriologisch einwandfrei.
Die Temperatur beträgt 9 1 /* bis IO 1 /» 0 C. Die Gesamtergiebigkeit,
welche während der katastrophalen Trockenheit des Jahres 1911 bereits
ihre Probe bestanden hat, beträgt 700 Sek.-L. und kann durch Er¬
weiterung der Fassungsanlagen, welche jetzt schon eine Länge von mehr
als 25 km besitzen und auf 35 km gebracht werden können, sowie
durch Einbeziehung von artesichen Wässern, welche allerdings teilweise
erst der Enteisenung unterzogeu werden müssten, auf 1200 Sek.-L.
gebracht werden. Mächtige Purapanlagen drücken das Wasser aus den
Hauptsammelbrunnen bei Karany nach dem 23 km entfernten und
128 m höher gelegenen Hochreservoir bei Prag, von wo es entsprechend
den verschiedenen Druckzonen nach den einzelnen Verteilungsreservoiren
gelangt. Das Rohrnetz der bestehenden Flusswasserleituog wird auch
der Verteilung des einzuleitenden Grundwassers dienen, allerdings erst
nach entsprechender Reinigung und Durchspülung, welche unter
bakteriologischer Kontrolle stattfinden soll. Zusammen mit der der
Vollendung entgegengehenden Kanalisation (nach den Plänen Lindley’s)
von Gross-Prag, wird das neue Wasserwerk, dessen Kosten sich auf
beiläufig 20 000 000 Kr. belaufen, dazu beitragen, die alte Landeshaupt¬
stadt, welche bisher unter den unhygienischen Zuständen viel zu leiden
hatte, zu einer „gesunden“ Stadt zu machen. 0. Wiener.
Londoner Brief.
Das Versicherungsgesetz in England.
I.
Not bricht Eisen! Schade nur, dass die kommende Not nicht zeitig
von den Leitern der British Medical Association vorausgeseheu worden
ist. Manche Schwierigkeit hätte vermieden werden können, und was
noch wichtiger ist, die Associatiou wäre am Ende siegreich geblieben,
statt heute bekennen zu müssen, dass sie schwer geschlagen worden ist.
Eine Schilderung der wichtigsten Ereignisse seit September vorigen
Jahres ist nicht leicht zu geben. Verfasser findet sich umgeben von
Bergen offizieller und nicht offizieller Einladungen, Berichte und Er¬
lässe; von zahllosen Mitteilungen über das Geschehene und über das,
was hätte sein sollen, von Statuten endloser neuer Vereine, die die
Schwierigkeit zu lösen gedachten (und meistens der Aufgabe nicht ge¬
wachsen waren), und was noch verwirrender ist, von politischen Kritiken
über das Versicherungsgesetz, die Lage der Aerzte und den heutigen
Stand der Versicherten. Im Parlament wie ausserhalb desselben ist die
ganze Versicherungsfrage eine politische. Das Gesetz wird von den vor¬
geschrittenen Liberalen und von den Sozialgesinnten befürwortet und
von den Konservativen angegriffen. Erstere behaupten, dass das Gesetz
schon brillant funktioniere, dass die Aerzte im Paradies leben und
die, Versicherten in dem Finanzminister einen Schutzengel gefunden
haben. Letztere geben vor, zwingende Beweise gebracht zu babeD, dass
das Gesetz schon stockt, dass den Aerzten eine unausführbare Aufgabe
auferlegt worden ist, die sie langsam abstumpfen, womöglich sogar töten
wird, und dass den Versicherten keine nennenswerten Vorzüge zugute
kommen können. Solche Ansichten blenden. Klarheit kann nur ge¬
schaffen werden, wenn man unbeeinflusst von politischen Parteien die
Sache betrachtet und ohne Aufregung die Tatsachen zu wägen ver¬
sucht.
Die provisorischen Bestimmungen.
Die provisorischen Bestimmungen in bezug auf ärztliche Leistungen
erschienen am 1. Oktober. Die Insurance Commissioners haben sich be¬
müht, genaue Auskunft über diejenigen Punkte, die in dem Gesetz nicht
weiter auseinandergesetzt werden, zu geben. Dass sie vorbereitet waren,
dass manches nicht ohne weiteres annehmbar sein würde, beweist die
Tatsache, dass die Bestimmungen nur provisorisch waren; doch sind
diese so entworfen, dass sie als Grundlage für die endgültigen Bestim¬
mungen dienen und dass eventuelle Aenderungen eingeführt werden
können. Eine eingehende Besprechung derselben an dieser Stelle i*t
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UNIVERSUM OF IOWA
24. Märt 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
571
überflüssig geworden dadurch, dass die Aenderungen seitdem vollzogen
worden sind. Es dürfte genügen, hervorzuheben, dass die Verwaltung,
soweit dies möglich ist, den örtlichen Versicherungskomitees in die Hand
gegeben werden soll, dass von letzteren verlangt wird, dass in bezug auf
ärztliche Angelegenheiten die Wünsche der örtlichen ärztlichen Komitees
Berücksichtigung finden sollen, und dass die Commissioners als erste
Iostanz dienen sollen, falls Einigkeit nicht erzielt werden kann. Im
grossen und ganzen haben die Commissioners die Bestimmungen eng
innerhalb der Grenzen des Gesetzes gehalten und wenig Neues ein¬
geführt. Die Frage der Honorierung wurde auf die Weise gelöst, dass
fünf verschiedene Methoden zulässig sein sollen. Diese sind: a) Hono¬
rierung nach der Kopfzahl der Versicherten, die der Arzt sich verpflichtet,
im Krankheitsfall zu behandeln; b) Honorierung in der Hauptsache wie
unter a und, soweit die Mittel reichen, Honorierung für besondere
Leistungen; c) Honorierung in der Hauptsache wie unter a und, soweit
die Mittel reichen, Honorierung für sämtliche Leistungen; d) Honorierung
für besondere Leistungen in der Hauptsache und, soweit die Mittel
reichen, Honorierung nach der Kopfzahl der Versicherten; und endlich
e) Honorierung für sämtliche Leistungen. Die Höhe der Honorierung
wurde in den Bestimmungen nicht festgesetzt. Was die Beschränkung
der Versicherung auf diejenigen, deren Einkommen eine gewisse Summe
nicht übersteigt, anbetrifft, so bleibt es den örtlichen Komitees Vor¬
behalten, diesbezügliche Bestimmungen zu machen, die nur dann in Kraft
treten werden, wenn die Commissioners einverstanden sind.
Tuberkulosebehandlung.
Die Leser dieser Wochenschrift werden sich wohl erinnern, dass die
British Medical Association im Sommer bei der Jahresversammlung in
Liverpool beschlossen hatte, ihren Mitgliedern zu erlauben, Stellungen
als sogenannte Tuberkulosebeamten anzunehmen, unter der Bedingung,
dass die Verträge dem Ausschuss der Association vorgelegt würden, dass
die Besoldung für Hauptbeamte mindestens auf 10 000 M. und für
Assistenzbeamte auf 5000—6000 M. festgesetzt werden sollte, und dass
die Beamten nur als Verwalter und Konsiliarien, aber nicht als behandelnde
Aerzte wirken sollten. Schwierigkeiten entstanden dadurch, dass in
manchen Bezirken ein Vorsuch gemacht wurde, die Kreisärzte (Medical
Olficers of Health) in diese Stellungen zu ernennen, gelegentlich auch
ohne Erhöhung des Gehaltes. Ein Schema wurde von der British Medical
Association aufgestellt, wonach die Beziehungen der Aerzte zueinander
und zu den Kranken und die Begrenzung der Arbeit reguliert werden
sollten. Merkwürdigerweise hat sich seitdem herausgcstellt, dass die Zahl
der versicherten Schwindsüchtigen bedeutend niedriger ist, als voraus¬
gesehen war. Der Grund dafür wird wohl darin zu suchen sein, dass
der Arbeiter sich nur dann zu versichern hat, wenn er sich in Be¬
schäftigung befindet, und die Folge des bestehenden Unfallentschädigungs-
gesetzes ist, dass leidende Arbeiter jetzt kaum mehr Beschäftigung finden
können. Jedenfalls versprechen die Maassregeln, die für die Bekämpfung
der Tuberkulose eingeführt worden sind und noch eingeführt werden
sollen, höchst wirksam zu sein. Augenblicklich plant man die sach-
gemässe Behandlung sämtlicher tuberkulöser Menschen durch die Tuber¬
kulosebeamten; auch die nicht Zwangsversicherten sollen hierin einge¬
schlossen sein, doch können diejenigen, welche Privatbehandlung wünschen,
sich solche verschaffen. Tuberkulose-„Dispensaries“, Sanatorien, Ge¬
nesungsheime usw. sollen begründet werden, und Krankenhausbehandlung
wird geplant. Aussdem hat die Regierung vor, dem Rat des „Astor“-
Tuberkulosekomitees folgend, jährlich bis zu 1 200 000 M. für wissen¬
schaftliche Forschungen auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung
auszugeben. Es soll hier nicht näher auf die Einzelheiten dieses immer¬
hin sehr interessanten und wichtigen Themas eingegangen werden, denn
die Aerzteschaft hat sich im grossen und ganzen mit den diesbezüglichen
Vorschlägen und Maassregeln einverstanden erklärt, und es wird viel¬
leicht besser sein, die Entwicklung abzuwarten und später über das Ge¬
schehene zu beriohten, anstatt jetzt über das Geplante.
Vorbereitung zum Kampf.
Die British Medical Association sah sich um diese Zeit gezwungen,
Vorkehrungen zu treffen, um eventuell am 15. Januar, wo das Gesetz
in Kraft treten sollte, einen Ausstand ins Werk zu setzen. Die Aerzte
wurden aufgefordert, sämtliche bestehende Kassenstellungen niederzu¬
legen, damit mit einem Schlag die Regierung in Verlegenheit gesetzt
würde. In der Tat hatte es zu der Zeit (Anfang Oktober) den Anschein,
als ob die grosse Mehrzahl der Aerzte der Aufforderung Folge leisten
würde. Gleichzeitig gingen die Vorarbeiten zur Begründung eines Public
Medical Service langsam von statten. Merkwürdig, dass die verantwort¬
lichen Leiter der Association damals nicht einsahen, dass, selbst wenn
ein derartiges Unternehmen an Stelle des von der Regierung eingeführten
Planes überhaupt würde funktionieren können, die Zeit viel zu kurz
war, um eine brauchbare Organisation bis zum 15. Januar zu schaffen.
Heute, nachdem in der Zwischenzeit vieles sich zugetragen hat, dürfte
es die Mitglieder unangenehm berühren, wenn sie lesen, dass sie am
3 . Oktober beschlossen haben, keinesfalls die Sammlung der Beiträge
durch die Friendly Societies ausführen zu lassen. Hiervon wird später
die Rede sein. Am 23. Oktober hielt der t Finanzminister. eine grosse
Rede bei einer Versammlung des Advisory Committee. Diese Rede hat
die ganze Sachlage geändert, und obgleich die Aerzte und das konser¬
vative Publikum allerlei daraus gelesen haben, lässt sich nicht daran
zweifeln, dass ein bedeutendes Nacbgeben zu verzeichnen war. Nachdem
er eine sehr geschiokte Schilderung von Armen- und Kassenpraxis, wie
sie bis dahin ausgeführt worden sei, gegeben hatte, warf er einen kurzen
Blick auf die verschiedenen Stadien der Streitfrage und behauptete, dass
er immer im Interesse der Aerzte gehandelt habe. Dann sprach er von
den berühmten sechs Kardinalmindestforderungen der British Medical
Association. Einige seien, seiner Meinung nach, schon von der Regierung
zugegeben worden. Andere könnten unmöglich bewilligt werden, z. B.
das Feststellen eines Maximaleinkommens für versicherte Personen. Es
müsse dies den örtlichen Behörden überlassen bleiben. Hierauf ging er
auf die Frage der Honorierung ein. Die Forderung der Aerzte sei 8 sh
und 6 d pro Kopfzahl der Versicherten und ausserdem Bezahlung für
besondere Leistungen und für Arzneien. Dies würde, seiner Ansicht
nach, die Kosten pro Kopf auf etwa 13 sh bringen. Diese Forderung
sei zu hoch. Ehe er zu einem definitiven Anerbieten überging, legte er
klar und ausführlich auseinander, dass drei Wege offen ständen. Der
erste sei: Behandlung durch Aerzte unter Vertrag (Panel-System) mit
freier Arztwahl; der zweite sei, dass die volle Summe für ärztliche
Behandlung in die Kassen der Approved Societies fliessen sollte, um es
dieser zu ermöglichen, ein Abkommen mit den Aerzten abzuschliessen.
Der dritte Weg sei ein National Medical Service. Das Advisory Committee
schien sich für letztere Idee zu interessieren. Dies würde bedeuten,
dass die Behandlung von Aerzten ausgeführt werden sollte, die von der
Regierung mit einem bestimmten Gehalt angestellt würden. Er machte
darauf aufmerksam, dass das Gesetz auf der Basis von 6 sh pro Kopf
entworfen sei, obgleich diese Summe darin nicht erörtert worden
sei. Er erklärte sich bereit, diese Summe auf 9 sh zu erhöhen:
6 sh und 6 d für die Behandlung, 1 sh und 6 d für Arznei und 6 d
für Tuberkulosebehandlung. Die übrigbleibenden 6 d dürften ent¬
weder die Mehrkosten der Arzneien decken oder, wo dies nicht not¬
wendig wird, würden sie den Aerzten zugute kommen. Für diese
Erhöhung von 3 sh jedoch beanspruche er einen Gegendienst von den
Aerzten. Zuerst würden die Aerzte die Krankenscheine und dergleichen
ohne Extrabesoldung ausstellen müssen; dann würden sie einfache Be¬
richte über die Fälle erstatten müssen, und zwar würden ihnen von der
Regierung geeignete Bücher gratis zur Verfügung gestellt werden, worin
sie Namen, Geschlecht, Alter, Name der Krankenkasse, Diagnose, An¬
zahl der Besuche und eventuelle Genesung einzutragen hätten. Drittens
würde eine bessere Behandlung verlangt werden als diejenige, die bisher
den armen Krankenkassenpatienten zuteil geworden sei. Genügend Zeit
würde den Patienten gewidmet und moderne Hilfsmittel zur Diagnose
würden angewendet werden müssen. Der Finanzminister erklärte sich
bereit, das Parlament um 36 500 000 M. Zuschuss zu ersuchen.
Sofort danach wurden die Abteilungen der Assooiation zusammen-
gerufeu, und in jedem Teil Englands, Schottlands und Wales wurde die
Frage lebhaft diskutiert. Es handelte sich darum, die Vertreter der
einzelnen Abteilungen zu instruieren, damit auf dem bevorstehenden Re-
presentative Meeting, ein Entschluss gefasst werden könnte. Vielfach
wurde behauptet, dass die Sachlage ebenso so schlimm sei, wie vorher;
dass die erhöhte Honorierung die Mehrleistungen nicht decken würde
usw. Was nun? Der Central Council der British Medical Association
veröffentlichte einen Bericht, worin die Lage analysiert wurde, und die
Tatsachen erörtert wurden. Der Council machte keinen Vorschlag; er
überliess es den Abteilungen, zu entscheiden, ob sie das Anerbieten des
Finanzministers annehmen oder zurückweisen würden. Zu gleicher Zeit
wandte sich die Association an Mr. Lloyd George, um Klarheit in bezug
auf verschiedene Punkte zu gewinnen. Er erwiderte ausführlich und
erklärte, dass die Buchführung eine sehr einfache sein dürfte; zweitens,
dass die Commissioners nichts von den praktischen Aerzten verlangen
würden, was sie nicht gewöhnlich in ihrer Privatpraxis ausführen würden;
und drittens, dass die fraglichen 6 d nur dann dem Apotheker zugute
kommen würden, wenn die Kosten der Arznei 1 sh und 6 d pro Kopf
übersteigen sollten. Bald darauf erschienen die revidierten Bestim¬
mungen der Insurance Commissioners.
Beschränkung der Krankenversicherung.
Es dürfte hier am Platze sein, kurz zu beleuchten, inwieweit die
Zweckmässigkeit des Gesetzes durch die erläuternden Bestimmungen be¬
einflusst worden ist. Am schlagendsten springt die Tatsache in die
Augen, dass keine Vorkehrungen für Krankenhaus- bzw. Anstaltsbeband-
lung Schwerkranker getroffen worden sind. Mr. Lloyd George rechnete
ohne Zweifel damit, dass die existierenden Krankenhäuser, die, wie be¬
kannt, absolut von mildtätigen Beiträgen unterhalten werden, nach wie
vor den ärmeren Klassen Behandlung unentgeltlich bewilligen würden.
So lange die Kranken ambulatorisch oder im eigenen Hause behandelt werden
können, können die Versicherten darauf rechnen, dass ihnen ärztliche
Behandlung zuteil wird Die Krankenhäuser verweigern denVersicherten
poliklinisohe Behandlung, wenn nicht sofortige Hilfe dringend nötig ist,
und überweisen dieselben den Versicherungsärzten (Panel doctors). Die
Verwaltungen der Krankenhäuser jammern laut, dass infolge des Ver¬
sicherungsgesetzes ihre jährlichen Einkünfte ganz bedeutend abgenommen
haben. Auch für Spezialistenbehandlung sind keine Gelder vorgesehen.
Keine Vorkehrungen sind getroffen für die Aufdeckung von Simulanten
und für die Regulierung von Rentenansprücbqn in zweifelhaften Fällen.
Allerdings leiden die Approved Societies und nicht die Regierung unter
diese Unterlassung.
Dagegen scheint eine ganze Reibe von möglichen Schwierigkeiten
berücksichtigt und Vorkehrungen für ihre Beseitigung getroffen worden
zu sein. Don Aerzten wird freie Arztwahl, genügende Representation
in den verschiedenen Komitees, Unabhängigkeit von den Friendly Societies,
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UNIVERSUM OF IOWA
572
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
ein annehmbares Schiedsgericht um Streitigkeiten zwischen Kassenmit-
gliedern und Aerzten zu entscheiden, und schliesslich eine Gesamtsumme,
die für den Arzt von 6 bis 7 sh pro Kopf und pro Jahr representiert, bewilligt.
Dagegen wird es notwendig sein, dass die Aerzte örtlich Zusammenhalten,
um zu versuchen, Personen, die mehr als 60 M. wöchentlichen Lohn
haben, von der Versicherung auszuschliessen. Dieses „local bargaining“
dürfte kaum aussichtsvoll seio. Und endlich hat der Arzt kein Recht
auf Honorierung für besondere Leistungen, z. B. Narkose, kleinere
Operationen usw. H. W. Ar mit.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Die Osterwoche bringt uns diesmal nicht nur unsere altge¬
wohnten deutschen Gäste, die Teilnehmer an den Kongressen der Chirurgen,
Orthopäden, Röntgenologen und Baineologen, sondern auch in voraus¬
sichtlich sehr grosser Zahl Kollegen aus aller Herren Länder, die dem
IV. Internationalen Kongress für Physiotherapie beiwohnen
wollen. Wir haben wiederholt über die umfassenden Vorarbeiten be¬
richtet, die in den Händen der beiden Vorsitzenden, His und Brieger,
des Generalsekretärs M. Immelmann und einer Reihe unter ihrer
Leitung tätiger Ausschüsse lagen; wir dürfen sagen, dass alle die
Schwierigkeiten, die einem so grossen Kongress gegenüber die Fragen
der Räumlichkeiten, der geselligen Veranstaltungen, besonders aber der
rationellen Einteilung des riesigen Stoffgebietes bedingen, in trefflicher
Weise gelöst sind; gerade die Teilnahme der obengenannten Spezial¬
fächer, die sich als Sektionen dem grossen Ganzen eingeordnet haben,
gab von vornherein eine Grundlage, die das Gesamtgebäude sicherte und
stützte. Das Programm verheisst eine ungewöhnlich grosse Arbeits¬
leistung. Wir sprechen die Hoffnung aus, dass die illustren Gäste aus
dem Auslande empfinden werden, wie sehr sie hier willkommen sind,
und wie hoch wir ihre Mitwirkung zu schätzen wissen. Die Aerzteschaft
Berlins hat ein eigenartiges Fest vorbereitet, um dadurch ihrer Freude
über die unserer Stadt zuteil gewordene Ehre Ausdruck zu geben.
Auch wir wünschen dem Kongress einen nach jeder Richtung be¬
friedigenden, seiner Vorgänger würdigen Verlauf!
— In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft
vom 19. März demonstrierte vor der Tagesordnung Herr Mosse
einen Fall von chronischer Hautatrophie mit Splenomegalie. Hierauf
hielt Herr Stadelmann den angekündigten Vortrag: Ueber seltene
Formen von Blutungen im Tractus gastrointestinalis (Diskussion die
Herren Pick, Albu, Kraus, Lazarus, L. Kuttner, Stadelmann).
Zum stellvertretenden Vorsitzenden wird Herr Kraus gewählt.
— Die 16. Tagung der Deutschen pathologischen Gesell¬
schaft findet vom 31. d. M. bis 2. April in Marburg a. L. unter dem
Vorsitz von Herrn E. Fraenkel statt. Referat: Herkunft und
weitere Schicksale der Lymphocyten bei entzündlichen Pro¬
zessen (F. Marchand und C. Sternberg).
— Die für 1913 seitens der Südwestdeutschen und nieder¬
rheinischen Vereinigung für Kinderheilkunde gemeinsam mit
den Holländern geplante Tagung findet nicht statt, statt dessen bei ge¬
nügender Anmeldung eine gemeinsame Versammlung der beiden erst¬
genannten Gesellschaften am Sonntag, den 13. April in Wiesbaden.
— Als Direktor des städtischen Rettungswesens ist vom
Magistrat Dr. Paul Frank gewählt worden. So sehr wir uns freuen,
dass nun endlich das Rettungswesen überhaupt seitens der Stadt Berlin
in ein geordnetes System gebracht wird, dass also E. v. Bergmann’s
unvergesslicher Initiative endlich eine völlige Anerkennung zuteil wird,
so sehr müssen wir es bedauern, dass der Antrag des Kuratoriums auf
Ernennung zweier koordinierter Direktoren abgelehnt worden ist. In
der Geschichte unseres Rettungswesens sind die beiden Wurzeln, die
auf die Unfallstationen einerseits, auf die Rettungsgesellsohaft
andererseits zurückgehen, zu unterscheiden und müssen als mindestens
gleichwertig angesehen werden; es war ein glücklicher Gedanke, diese
Entwicklung auch in der doppelten Spitze zum Ausdruck zu bringen,
deren Existenz allein schon eine Anerkennung für alle hier tätig ge¬
wesenen Bestrebungen enthalten und demgemäss einen versöhnlichen
Abschluss alter Differenzen bedeutet hätte. Der peinliche Eindruck, als
sei mit der Person des um diese Entwicklung so hochverdienten Kollegen
George Meyer auch der Anteil, den die Aerzte Berlins in freiwilliger
Tätigkeit hieran genommen haben, ausgeschaltet worden, wird sich nicht
so leicht verwischen lassen; und es ist bedauerlich, dass in die erfolg¬
reiche Mühewaltung des Bürgermeisters Reicke auf diese Weise ein
Missklang gekommen ist!
— Herr Bauer in Kötschenbroda, bekannt als Diabetes-Bauer, der
wiederholt wegen Ehrenbeleidigung und unlauterer Reklame vorbestraft
ist, wurde neuerdings wegen einer anonym versandten Schmähschrift
gegen Dr. Kantor-Warnsdorf zu 6 Wochen Haft verurteilt, die dann
in eine Geldstrafe von 3000 Kronen umgewandelt wurden.
— Nach dem uns vorliegenden 82. Jahresbericht des Direktoriums
der Hufelandischen Stiftungen für notleidende Aerzte und Arztwitwen
sind im Jahre 1912 aus den Mitteln dieser Stiftungen 21 Aerzte mit
zusammen 7150 M. und 173 Arztwitwen mit zusammen 21 695 M. unter¬
stützt worden. An Beiträgen von Aerzten sind für die Aerztekasse
11 126,30 M., für die Witwenkasse 14 549,50 M. eingegangen. Das Vermögen
am Schlüsse des Jahres 1912 beträgt bei der Unterstützungskasse für Aerzte
5S5 166,45 M. und bei der Unterstützungskasse für Arztwitwen 323629,65 M.
Aus den Mitteln der bei den Hufelandischen Stiftungen mitverwalteten
Stiftung des Dr. med. Heinrich Goburek-Tilsit für notleidende Arzt¬
waisen sind in 54 Fällen für Arztwaisen an einmaligen Unterstützungen
zusammen 6250 M. gezahlt worden. Das Vermögen dieser Stiftung be¬
trägt am Schlüsse des Jahres 1912 224 449,76 M. Die bei den Hufe¬
landischen Stiftungen mitverwaltete Dr. Ignatz Braun’scbe Stiftung
besitzt ein Vermögen von 16 552,10 M.
Hochschulnachrichten.
Cöln. Prof. Seemann, Direktor des physiologischen Instituts der
Akademie für praktische Medizin, ist gestorben. — Strass bürg. Die
Privatdozenten DDr. Baer (innere Medizin), Berg (Anatomie) und
Pfersdorf (Psychiatrie) erhielten den Titel Professor. — Leipzig.
Habilitiert: Dr. Schweitzer (Gynäkologie). — Kiel. Habilitiert:
Dr. Käppis (Chirurgie). — Freiburg. Habilitiert: Dr. Oehler
(Chirurgie). — Lemberg, ao. Professor für Anatomie, Dr. Bikeles,
erhielt den Titel eines ao. Professors. — Budapest. Professor der
Pathologie Pertik ist gestorben. — Bern. Habilitiert: DDr. Dumont
(Chirurgie), Steiger (Gynäkologie).
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Ernennungen: der Arzt Dr. K.U.v. Klein in Graudenz zum Ehrenritter
des Johanniterordens.
Zu besetzen: zwei Assistentenstellen bei dem Königlichen Hygienischen
Institut in Beuthen i. Oberschi, mit durchschnittlich 2100 M. Jahres¬
remuneration; für eine Stelle ist Dienstwohnung gegen geringe Miet¬
vergütung vorhanden, mit der anderen Stelle sind voraussichtlich neben¬
amtliche Einnahmen verbunden. Meldungen sofort an den Instituts¬
direktor.
Niederlassungen: Dr. S. König in Gross-Strehlitz, Dr. U. Press
in Lippehne, Dr. R. Lauer in Halberstadt, Arzt P. Brandt in Dit-
furt, Arzt W. Westerhoff in Münstereifel.
Verzogen: Dr. E. Peiser von Berlin und Dr. Th. Freyhan von Char¬
lottenburg nach Berlin-Schöneberg, Dr. M. Hopp von Halle a. S., Dr.
G. Lenz von Biesenthal und Prof. Dr. G. Schütz von Berlin-
Lichterfelde nach Charlottenburg, Arzt G. Linzenmeier von Kiel,
Dr. R. Neumann von Cottbus, Dr. W. Pohl von Borbeck, Dr. J.
Prager von Leipzig, Dr. F. Raehter von Berlin-Schöneberg, Dr. E.
Puttkammer von Stettin, Dr. R. Kallmann von Freiburg i. Br.,
Dr. F. Rosenthal von Halensee (Berlin-Wilmersdorf), Dr. K. Schmidt
von Frankfurt a. M., Dr. E. Stricker von Münster* Dr. E. Wossidlo
von Schlachtensee, Dr. K. Brednow von Nauheim, Arzt A. Friedei
von Eberswalde und Dr. 0. Kraftmeier von Schulitz a. W. nach Berlin,
Dr. G. Rosenow von Berlin nach Königsberg i. Pr., Arzt. F. Pal-
mowski von Berlin nach Waitenburg, Arzt R. Nagel von Elbiog
nach Bayreuth, Arzt P. Pertzsch von Magdeburg nach Elbing, Dr.
A. Beyer von Sch wetz nach Altona zum Militär, Dr. K. Stade von
Berlin nach Berlin-Schmargendorf, Dr. M. Müller von Kauffung
a. d. Katzbach nach Guben, Dr. 0. Beyer von Hanau nach Calbe a. S.,
Dr. Hertz von Magdeburg nach Burg b. Magdeburg, Aerztin Dr. A.
Ben ecke von Braunschweig, Dr. E. Petzsoh von Augsburg und Dr.
J. Reinhardt von Osnabrück nach Magdeburg, Dr. G. Brinck von
Wolfenbüttel nach Wasserleben, Dr. F. Gerding von Diepholz nach
Hunteburg, Dr. J. Mebltretter von München und Dr. E. Loewen-
son von Linden b. Hannover nach Düsseldorf, Dr. J. Bollmann von
Reisen als Schiffsarzt nach Essen a. d. Ruhr, Dr. K. Buschmann von
Moers nach Solingen, Dr. H. Martius von Berlin, Dr. H. Hinsel¬
mann von Jena, Dr. K. Schilling von Leipzig, Dr. A. Hörder von
Reisen als Schiffsarzt, Dr. A. Koepchen von Cöln, Dr. 0. See¬
mann von Halaf (Türkei) und Dr. Th. Kohlhage von Stettin naeh
Bonn, Dr. F. Koehl von Erfurt, Dr. H. Meyer von Hamburg, Dr. A.
Pleuss von Wevelinghoven, Dr. F. W. Winter von Freibnrg i. B.,
Dr. 0. Hess von Göttingen, Arzt M. Dietlein von Kempten (Schwaben)
und Dr. F. A. Simons von M.-Gladbach nach Cöln, Dr. G. J. Lang von
Oberhausen nach Porz a. Rh., Dr. M. Weber von Bonn nach Stutt¬
gart, Dr. H. Oster von Flamersheim nach Bonn.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Vogel von
Paderborn, Dr. A. Ingendahl von Aachen.
Gestorben: Arzt F. Wahl in Wartenburg, Dr. P. Schröter in
Danzig, Dr. H. Wachsner in Gross-Strehlitz, Dr. H. Bohmeyer in
Lungenheilstätte Vogelsang, Kreisarzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr. A.
Brand in Geldern, Dr. E. Hart wich in Caputh, Generaloberarzt a.D.
Dr. H. Krause in Brandenburg a. H.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hane Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
Dl« B«rlia«r KllnUeh« Woeh«naohrtft erscheint Jeden
Montag In Nummern von oa. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis ▼lerteljihrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanatalten an.
BERLINER
Alle Einsendungen für die Redaktion and Expedition
«rolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linder
No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion : Expedition:
Geh. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Rohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 31. März 1913. M 13 .
Fünfzigster Jahrgang.
I n H
Originellen: Touton: Die jetzigen Heilmittel der Syphilis und ihre
Anwendung in der Praxis. S. 573.
Gutmann: Ueber Parallelversuche mit Alt- und Neosalvarsan.
(Aus dem. städtischen Krankenhause zu Wiesbaden.) S. 581.
Unna: Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauerstofforte des
tierischen Gewebes. S. 589.
Schmidt: Das Ulcus rotundum duodeni im ersten Lebensjahr.
(Aus dem pathologischen Institut der Universität Breslau.)
(Illustr.) S. 593.
Krause: Vergleich der Wirkung von Thorium X- und Röntgen-
Strahlen. (Aus der Privatklinik von Geh. Rat Bier in Berlin.)
S. 596.
Hirschberg: Das Thigenol in der gynäkologischen Therapie. (Aus
der Klinik und Poliklinik für Frauenkrankheiten von Professor
Dr. W. Nagel in Berlin.) S. 597.
Roth mann: Gegenwart und Zukunft der Rückenmarkschirurgie.
(Schluss.) (Illustr.) S. 598.
v. Tob old: Technische Neuheiten. S. 603.
Künne: Die Little’sche Krankheit. (Kritisches Uebersichtsreferat.)
S. 603.
Bfteherbesprechnngen : Ros ernannt L. Landois’ Lehrbuch der Physio¬
logie des Menschen. S. 607. (Ref. Loewy.) — Feer: Lehrbuch der
Kinderheilkunde. S. 607. (Ref. Müller.) — Aschaffenburg:
Handbuch der Psychiatrie. S. 607. (Ref. E. Meyer.) — Albu:
ALT.
Grundzüge für die Ernährung von Zuckerkranken. S. 607. (Ref.
Magnus-Levy.) — Hamburger: Die Tuberkulose des Kindesalters.
S. 607. (Ref. L. F. Meyer.) — Os man: Makroskopisch-diagnostisches
Taschenbuch der pathologischen Anatomie. S. 607. (Ref. Pinner.) —
Peckert: Einführung in die konservierende Zahnheilkunde. S. 607.
(Ref. Proei 1.)
Literatnr-Anszüge: Physiologie. S. 607. — Pharmakologie. S. 608. —
Therapie- S. 609. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 609. — Parasitenkunde und Serologie. S. 609. —
Innere Medizin. S. 610. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 611. — Kinderheilkunde. S. 611. — Chirurgie. S. 612. —
Röntgenologie. S. 613. — Urologie. S. 613. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. S. 613. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 614. —
Augenheilkunde. S. 615. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 615. —
Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 615. — Militär-Sanitäts¬
wesen. S. 615.
Verhandlungen Iritlieher Gesellschaften: Berliner ophthalmo-
logische Gesellschaft. S. 615. — Gesellschaft für soziale
Medizin, Hygiene und Medizinaistatistik zu Berlin. S. 616.
— Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu
Jena. S. 616. — Freiburger medizinische Gesellschaft.
S. 617.
Dworetzky: Brief aus Moskau. S. 618.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 619.
Amtliche Mitteilungen. S. 620.
Die jetzigen Heilmittel der Syphilis und ihre Anwendung in der Praxis.
Von
Prof. Touton- Wiesbaden.
Als vor 50 Jahren dieses Blatt das Licht der Welt erblickte,
leitete io Wien Friedrich Wilhelm Lorinser das k. k. Kranken¬
haus Wieden, „ein verdienstvoller Chirurg und mehrseitig ununter¬
brochen wissenschaftlich tätiger Arzt u . Dieses gute Zeugnis wird
aber von Proksch, der es aasstellte, sofort getrübt durch den
Zusatz, er „befleckte leider fast 40 Jahre hindurch zu wieder¬
holten Malen seinen guten Namen durch überaus gehässige, ab¬
scheuliche und unbegründete Schmähungen gegen alle Kollegen,
welche Quecksilber überhaupt und speziell gegen Syphilis an¬
wendeten 11 .
Ja, Lorinser wurde sogar zum Parteigänger und Eideshelfer
jenes berü—hmten Joseph Hermann, der der leidenden Mensch¬
heit die beiden Bücher mit den tröstlichen Titeln: „Es gibt keine
konstitutionelle Syphilis 11 and „Die Quecksilberkur ist ein Ver¬
brechen an der gesamten Menscheit 11 schenkte.
Und zwei Jahre vor der Geburt der Berliner klinischen
Wochenschrift erhielt Hermann v. Zeissl die Professur für
Syphilidologie, zu der sich 1869 die Primararztstelle einer neu¬
errichteten Abteilung für Venerische im allgemeinen Krankenhaus
io Wien gesellte, v. Zeissl behandelte die gewöhnlichen primären
und sekundären Syphilisfälle fast exspektativ, oder mit mässigen
Jodkalidosen (bis 3,0 pro die), dem er in allen Stadien der
Syphilis die ausgezeichnetsten Erfolge oacbrühmt, oder mit Decoct.
Zittmanni. Das Quecksilber aber verspart er sich für die
Fälle, für die seltenen Fälle, die seiner gewöhnlichen Therapie
nicht weichen wollten, und da genügten denn meist 10 bis 15
Innunktionen ä 2,0 zur Beseitigung der Symptome. Die schwersten
tertiären Erkrankungen schienen ihm die zu sein, die frühzeitig
und intensiv mit Quecksilber behandelt waren.
In Paris aber verschrieb Philippe Ricord, der geniale
Chef-Chirurgien des Höpital du Midi für Syphilitische seine be¬
rühmten Protojoduretpillen und freute sich, wenn er mit diesen
die eben gerade bestehenden; und sichtbaren Symptome der
Krankheit zum Schwinden gebracht hatte,. ohne sich in jedem
Falle viel Skrupel darüber zu machen^ wie es sieb dabei nun mit
der Krankheit selbst verhielt, und was die Zukunft den ein¬
zelnen Kranken bringen würde. Dazu genügten im schlimmsten
Fall 200 Gran in 1 bis l*/ 2 Monaten.
Boeck aber in Christiania verteidigte die Behandlung der
Syphilis durch die sogenannte „Syphilisation“, die Einimpfang
mit venerischem Geschwürssekret bis zum Erlöschen der Re¬
aktionsfähigkeit.
Das waren die Zeiten des grossen Rückschlags gegen die
farchtbar übertriebenen, oft noch durch Hunger- gelegentlich auch
Durstkuren verschärften Quecksilber- und Salivationskuren, wie
sie Louvrier und Rust aus der Nacht des Mittelalters wieder
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574
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
batten aufleben lassen, fast mehr unerbittliche Scharfrichter der
syphilitischen Sünder als vorsichtige Berater der bedauernswerten
Kranken.
Diese Reaktion war an Rieh natürlich und begreiflich, nur
hätte sich die Opposition nicht gegen das Mittel, sondern allein
gegen die Methode wenden müssen.
Begreiflich war diese oft an therapeutischen Nihilismus
grenzende Milde der Behandlung auch deshalb, weil man erstens
damals von vielen schweren Nachkrankheiten bzw. ihrem ätio¬
logischen Zusammenhang mit der Lues noch keine Ahnung hatte
(z. B. Tabes, Paralyse, Aortitis und Aortenneurysmen) und zweitens,
weil die Leiter der grossen Syphiliskliniken alles, was sich nicht
auf der Haut und Schleimhaut der oberen Luft- und Verdauungs¬
wege abspielte, kurzer Hand auf die entsprechenden Spezialkliniken
zu transferieren pflegten, so dass sie jedenfalls häufig nur ganz
mangelhafte Kenntnisse der Erkrankung innerer Organe, des
Nervensystems und der Sinnesorgane hatten, und deshalb auch
nicht die solchen Erkrankungen vorbeugende Bedeutung der
spezifischen Kuren in der Frübperiode kennen konnten.
Dieser Umstand war es auch, der ihnen ganz das Verständnis
für die therapeutischen Anstrengungen der Fournier-Neisser-
schen Richtung verschloss.
Wie nun über Alfred Fournier und seine auf die Chroni-
cität bzw. Latenz der Krankheit gegründete, an sich logisch
richtige, leider aber auch durch die Minderwertigkeit der Me¬
thode unvollkommene, chronisch intermittierende Quecksilber¬
behandlung hinaus bis zu Albert Neisser’s auf demselben
Prinzip aufgebaute, aber mit wirksameren Methoden durchgeführte
Behandlung neuerdings eine zwar immerhin noch längere Zeit
dauernde, aber doch erheblich abgekürzte, dafür aber fast per¬
manente Kombinationsbehandlung mit Quecksilber, Salvarsan
und Jod sowie der Hydro- und Balneotherapie herausgewachsen
ist, hat Neisser selbst in dem Artikel in Nr. 2 dieser
Wochenschrift in grossen Zügen geschildert und auch nach der
prinzipiellen Seite entwickelt. Er schliesst mit den Worten:
„Also in jedem Falle Salvarsan, in jedem Quecksilber- und
Jodpräparate, die'Hilfsmittel der Balneo- und Hydrotherapie, es
müssten denn beim einzelnen Kranken spezielle Kontraindikationen
gegen die eine oder andere therapeutische Maassnahme vor¬
liegen.“
Wenn ich nun auf Wunsch der Redaktion heute „eine aus
der Praxis geschöpfte und für diese verwertbare, spezielle Dar¬
stellung“ der jetzigen Syphilistherapie geben soll, so muss ich
von vornhein um Nachsicht bitten, wenn dabei etwas Unab¬
geschlossenes, wahrscheinlich an vielen Punkten Anfechtbares
herauskommt. Was ich geben kann und werde, ist ausser meinen
eigenen, auf eine nun fast 30jährige Praxis gegründeten Erfah¬
rungen gewissermaassen eine Momentphotographie der gerade eben
geltenden Anschauungen, wie sie sich aus dem grossen 1903 be¬
gonnenen Umschwung, um nicht zu sagen Umsturz in der ganzen
Syphilislehre, der natürlich die Therapie auch grundsätzlich be¬
einflusste, herauskristallisiert hat. Wer in 10 oder 20 Jahren
oder später der Aufgabe gegenübergestellt sein wird, einen Ueber-
blick über die spezielle Therapie der Syphilis zu schreiben, hat
es wahrscheinlich leichter. Denn bis dorthin werden sich
wohl an der Hand der Wassermann’schen Reaktion, dieses Prüf¬
steins jeglicher Therapie, endgültig und in schärfer umgrenzten
Zeiträumen als jetzt Heilung und Latenz präzise unterscheiden
lassen.
Heute aber ist die Zeit speziell nach der Einführung des
Salvarsans noch viel zu kurz, um ganz bestimmte Schlüsse und
unumstössliche Regeln aus dem bis jetzt Erlebten ableiten zu
können.
Quecksilber.
Deshalb stelle ich auch noch den Satz a^ die Spitze meiner
speziellen Ausführungen: Das Quecksilber ist vorläufig
das sicherste und — wenn richtig angewandt — auch
ein mit Rücksicht auf die Verträglichkeit seitens des
menschlichen Organismus ausgezeichnetes Heilmittel
der Syphilis, also derKrankheit selbst, nicht nur ihrer
Symptome. /
Wenn wir die Geschichte der Syphilistberapie vom Ende des
15. Jahrhunderts an uns vorbeiziehen lassen, erleben wir dasselbe
Schauspiel wiederholt,, was iph zj»m Teil in der Einleitung
kurz skizziert habe: d. h. zunächst grosse Begeisterung für das¬
selbe, Uebertreibung der Behandlung, Schädigung des Organismus,
Verwerfung bis zur heftigsten Bekämpfung, notgedrungene Wieder¬
aufnahme wegen Unzulänglichkeit der anderen Mittel, zuerst zag¬
haft, dann kühner, wieder bis zur Uebertreibung usw. Immer
aber und immer wieder ringt es sich empor und beherrscht die
Therapie der Syphilis, wenn auch in vielfach variierter Form und
Dosierung. Und auch der letzte und gewaltigste Schlag, der
vielen zuerst sein sicheres Ende bedeutete, im Zweikampf mit
dem Salvarsan, ging, wie es scheint, spurlos an ihm vorüber.
Ich will heute noch nicht absolut sicher sagen, dass es Sieger
auf der Wahlstatt blieb. Niemand kann aber auch heute um¬
gekehrt mit Sicherheit behaupten, dass das Salvarsan ihm be¬
züglich der Dauerheilung der Krankheit überlegen wäre, mit ein¬
ziger Ausnahme vielleicht als Abortivmittel im Primärstadium.
Am meisten Kraft scheinen beide verbündet zu ent¬
falten, worüber ich später ausführlich sprechen werde.
Der oben von mir vorangestellte Satz gründet sich haupt¬
sächlich darauf, dass es nun doch schon während der 67 2 Jahre
seit Entdeckung der Wassermannreaktion möglich war, in grosser
Anzahl Fälle dieser Prüfung wiederholt, manche sogar dauernd
zu unterwerfen, die von uns selbst oder von anderen Anhängern
der Fournier- Neisser 'sehen Methode vor 10—20 und mehr
Jahren nach derselben behandelt und klinisch wie serologisch
„geheilt“ befunden wurden. Bei der Beurteilung dieser Fälle
hiesse es meines Erachtens die Skepsis zu weit treiben, Spontan¬
heilungen anzunehmen, die nach Neisser 1 ) jedenfalls nur Aus¬
nahmen sind, oder zu glauben, dass trotz der langen symptom¬
losen Zeit, nach ausgiebiger Behandlung und trotz häufiger nega¬
tiver serologischer Untersuchung vielleicht doch später noch ein¬
mal ein positives Resultat kommen könnte. Freilich mathe¬
matisch sicher kann die absolute Heilung heute noch nicht aus
einer bestimmten Anzahl negativ verlaufener Untersuchungen und
ihrer Verteilung auf eine bestimmte Zahl von Jahren gefolgert
werden.
Ebensowenig hat bis heute die Wassermannreaktion eine
definitive Entscheidung darüber gebracht, welche von den zahl¬
reichen Einverleibungsmethoden und welches der noch zahl¬
reicheren Präparate durchgreifende Vorzüge vor den anderen hat,
d. h. welches die wirksamsten Mittel und Methoden zur Dauer¬
heilung sind. Eines aber hat sie mit Sicherheit bewiesen, dass
auch im Stadium der Latenz, also des nur positiven Wasser¬
manns, ein heilsamer Einfluss mit Quecksilberkuren im Sinne des
Negativwerdens ausgeübt werden kann, dass also das Fournier-
Neisser’scbe Prinzip der Behandlung auch ohne klinische
Symptome richtig war.
Wir erschliessen also gegenwärtig die Vorzüge verschiedener
Quecksilberkuren vor einander in erster Linie noch immer ans
ihrer klinischen Wirksamkeit auf die Symptome, natürlich auch
im einzelnen Falle aus ihrem Einfloss auf die Seroreaktion,
besonders auf die Dauer der Negativität, sollten aber, besonders
für die Privatpraxis, nie dabei vergessen die Verträg¬
lichkeit sowie die Bequemlichkeit der Anwendung mit
in das Kalkül einzusetzen. Ob absolut das prozentaal am
meisten Quecksilber enthaltende Präparat a priori das beste sein
müsse, wie man neuerdings manchmal meinte, scheint mir noch
gar nicht ausgemacht. Es ist sogar schon direkt erwiesen, dass
prozentual höherstehende Präparate nicht nur weniger wirksam
sein können als weniger quecksilberreicbe, sondern dass sie sogar
ganz unwirksam sein können, z. B. durch die feste Kuppelung
des Quecksilbers an zwei Benzolringe. Offenbar spielt hierbei das
Radikal, das neben dem Quecksilber dem Benzolkern angehäogt
ist, und dessen Avidität zu den Spirochäten, also ein eigentlich
chemotherapeutisches Prinzip die grössere Rolle [Ferd. Blumen¬
thal, Kollo, Rothermundt, Peschie und Abelin 8 )].
Während man in Deutschland alle internen Quecksilber¬
methoden $chon sehr lange als höchst zweifelhaft betrachtete,
und auch in den letzten Jahren die französsichen Kollegen sich
mehr und mehr von ihnen lossagten, wenden sich gegenwärtig
unter Neisser’s Führung eine Anzahl Syphilidologen ganz von
1) „Möglicherweise gibt es eine Spontanheilung, aber wir wissen
absolut nichts davon.“ (Diese Wochenschr., 1918, Nr. 2.)
2) Finger erklärt ganz neuerdings wieder die Wirkung des Queck¬
silbers sowohl als des Salvarsans picht als die von Parasiticidis. sondern
von Stimulantiis, als „die Abwehrerscheinungen des Organismus steigernd*.
Das spezifisch syphilitische Infiltrat (also nicht die Spirochäte) soll
dazu noch das Heilmittel aus der Circulation in grösserer Menge heran¬
locken und so dessen stimulierende Wirkung steigern. Vorläufig möchte
ich die Neisser-Ehrl ich’sehe Auffassung für wahrscheinlicher halten.
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
575
der Inunktionskur ab und degradieren sie za einer blossen
Lokalbehandlang der ersten sekundären Hanteruptionen. Ich
persönlich gehöre za den treuen Anhängern der
Inunktionskur, wofür« ich die Gründe in den letzten Jahren
bei verschiedenen Gelegenheiten mündlich und schriftlich, zuletzt
in der eben erscheinenden Festschrift zur Eröffnung unseres neuen
Kaiser Friedrichbades 1 ) auseinandergesetzt habe. Die entsprechen¬
den Sätze in Neisser’s Artikel sind als Grundlage für eine
Diskussion der gegenwärtig empfehlenswertesten Quecksilber-
methoden so wichtig, dass ich sie hier citiere: „Denn darüber
lässt sich doch nicht streiten, dass früher eine Unzahl von Kuren,
vielleicht die allermeisten, die überhaupt je gemacht worden sind,
gänzlich unzureichend waren, da man ja nie feststellen konnte,
ob eine genügende, d. h. eine wirksame Menge des Medikaments
dem Körper auch wirklich zugeführt worden sei. Aus diesem
Grunde habe ich ja auch schon seit langen Jahren von der Ein¬
reibungskur Abstand genommen, nicht als ob ich sie etwa für
gänzlich wirkungslos hielte, aber weil ich sie durch bessere
Methoden (sc. unlösliche Salz- oder graue Oelinjektionen; T.), die
mir eine sicherere und reichlichere Zufuhr von Quecksilber er¬
möglichen, ersetzen kann.“ Vorher hat Neisser schon strengste
Individualisierung bei Aufstellung des Heilplanes, besonders be¬
züglich „der Grösse der Einzeldosen, der Zahl der Injektionen,
der Länge der Intervalle usw. u , gefordert. Schon allein die rück¬
haltlose Zustimmung zu diesen letzten, selbstverständlichen Postu-
laten würde uns meines Erachtens dazu führen, die Inunktionskur
nicht zu verwerfen. Denn wir haben keine einzige Kur, bei der
wir so schonend in relativ kurzer Zeit die ausgezeichnetsten Heil¬
erfolge erzielt haben und stets wieder erzielen können, und wo
wir bei eintretenden Erscheinungen der Intoleranz so schnell die
Quecksilberaufnahme sistieren können. In letzterer Beziehung
kommen ibr die löslichen Salzinjektionen (besonders mit Sublimat)
am nächsten, die aber bei der grossen Menge (mindestens 80)
meist doch zuletzt Schmerzen machen, wenigstens bei empfind¬
lichen Patienten, und die durch die rasche Ausscheidung wieder
als weniger nachhaltig wirksam gelten. Darin stimme ich voll¬
ständig mit Neisser überein, dass wir früher sicher unzureichend
gerade die Inunktionskuren gemacht haben. Ich scbliesse aber
daraus nicht, dass deshalb die Inunktionskuren zu verwerfen sind,
sondern dass unsere Methodik derselben zu verbessern ist. Denn
auf Grund der ersteren Logik hätten wir gleich nach den Pferde¬
kuren von Louvrier-Rust jegliche Inunktionskur für immer ver¬
werfen müssen. Das haben wir aber nicht getan, sondern haben
sie verbessert, sind aber vielleicht in der Milderung zu weit ge¬
gangen.
Viele Inunktionskuren waren also zweifellos
1. von zu kurzer Dauer,
2. wurden mit ungenügenden Dosen durchgeführt,
3. wurden besonders nicht mit allmählich gesteigerten Dosen
gemacht,
4. wurden nicht regelmässig täglich,
5. wurden ohne die genügend grossen Abdunstungsflächen und
6. ohne eine genügend fein und trocken verreibbare Salbe vor
genommen.
Um ein zugrunde zu legendes, aber individuell immer zu
variierendes Mittel anzugeben, sollten bei einer Durchschnitts-
Inunktionskur
1. vier bis sechs Wochen lang,
2. 3,0—5,0—6,0,
3. allmählich gesteigert (etwa 5 k 3,0 + 10 h 4,0 -f- 15
a 5,0 oder -f- 25 a 5,0 oder -f- 15 a 6,0 -j- 10 a 6,0),
4. täglich,
5. auf etwa 1 / z der Körperoberfläche,
6. in Form von Resorbinhg. (3373 pCt.) mit der Hand ein¬
gerieben werden.
Diese Kur kann reinlich gemacht werden, erfordert täglich
mit An- und Ausziehen etwa 1 f 2 Stunde (10 Minuten einreiben),
ist adso nicht unbequem und ist eben vor allem schmerzlos,
ein in der Privatpraxis gar nicht hoch genug anzuschlagender
Faktor.
Den Vorwurf des Unexakten in der Dosierung bei der Schmier¬
kur habe ich ebenfalls wiederholt pariert:
1. durch die Möglichkeit der Vergleichung der während der¬
selben ausgeschiedenen Hg-M^engen (im Urin) mit den bei
1) Ueber den Einfluss der modernen Syphilislehre auf die Behand¬
lung der Sypbih* au Badeorten. Wiesbaden, F. J. Bergmann, 1913.
(Mit Literatur.) ’ - . f
anderen Einverleibungsmethoden, bei denen wir die täglich
einverleibte Menge kennen (z. B. Sublimatinjektionskuren),
ausgeschiedenen Tagesmengen und den durch diese Ver¬
gleichung gestatteten Rückschluss auf diebei der Inunktionskur
täglich aufgenommene Quecksilbermenge;
2. durch die Feststellung, dass wir bei den so hocbgepriesenen
unlöslichen Hg-Salzinjektionen (also besonders Salicylqueck-
silber, Thymolquecksilber und Calomel) ebenso wie bei den
Qaecksilberölen zwar die wöchentlich oder halbwöchentlich
einverleibte Hg-Menge kennen oder zu kennen glauben
— denn eine ganz exakte Verteilung des fest auf dem
Boden der Flasche sitzenden Medikamentes durch das Um¬
schütteln, so zwar, dass in den ersten Spritzen gerade so
viel enthalten ist wie in den letzten, halte ich für eine
Illusion —, aber durchaus nicht voraus wissen, wieviel
davon sich täglich der Organismus in „gelöster“ oder all¬
gemein gesagt „brauchbarer“ Form holt, so dass wir be¬
sonders bei Abkapselungen noch quecksilberhaltiger In¬
filtrate, die sehr lange bestehen können, eine ganz
ungleichmässige und durch gewisse mechanische Umstände
oft lange nach der Kur gefährliche Massenresorption nicht
mit Sicherheit ausschliessen können. Hier ist also de facto
die Dosierung, wenn wir darunter die täglich in den Orga¬
nismus aufgenommene und gegen die Syphilis verwendete
Hg Menge verstehen, ganz unexakt. Am besten scheint mir
noch das Breslauer Mercinol (40proz. Qaecksilberöl) za sein,
worauf ich noch zurückkomme.
Dazu kommt noch die nicht zu bestreitende theoretische
Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass gerade das in Dampf¬
form inhalierte Hg besonders leicht resorbiert wird und in und
mit dem Blute besonders leicht alle Syphilisherde durchdringt
(Merget).
Die Inunktionskur ist freilich kein Mittel, um sehr rasche
und akute starke Schläge zu führen, ein Prinzip, was neuer¬
dings im Anschluss an den Beginn der Salvarsanära die ganze
Luestherapie zu beherrschen anfängt. Ich kann dieses Prinzip nur
anerkennen, wenn es gilt, lebenswichtige Organe rasch der Ge¬
fahr der durch die Syphilis drohenden Zerstörang zu entziehen.
Für gewöhnliche, dieser Indikation entbehrende Fälle der
Sekundär- und auch der Tertiärperiode sowie der Parasypbilis
halte ich die schwächer anfangende und allmählich sich steigernde
Sterilisierung für sicherer und vor allem für ungefährlicher. Bei
den gradatim steigerungsfähigen und langsam das Mittel akkumu¬
lierenden Methoden, wozu ich in erster Linie die Inunktionskur
rechne, erreichen wir wie bei anderen differenten Medikationen,
z. B. mit Arsen, zunächst eine gewisse Gewöhnung des Organis¬
mus, die natürlich dann besonders wichtig ist, wenn wir die Ver¬
träglichkeit des Mittels im Einzelfalle noch nicht kennen, die es
aber vor allem gestattet, die Kuren auf längere Zeiträume aus¬
zudehnen. Ich glaube, dass auf diesem Wege auch die Zurück-
drängung des Virus an abgelegene Stellen minderen Stoffwechsels,
die so gefürchteten, der Dauerheilung den grössten Widerstand
leistenden, abgekapselten oder latenten Herde oder doch seine
besonders starke Vermehrung an diesen Stellen weniger zu
beklagen ist.
Jeder brüske Schlag in einer spirochätenreichen Periode,
also besonders der ersten sekundären Eruptionsperiode, hat eine
plötzliche Ueberschwemmnng des Organismus mit den frei werden¬
den Toxinen der in grosser Menge rasch abgetöteten Spirochäten
im Gefolge, wa9 nicht immer gleichgültig ist, besonders auch des¬
halb nicht, weil bei fast ganz, aber eben doch nicht absolut er¬
folgter Sterilisierung die Testierenden wenigen Herde um so mehr
sich ausdehnen (Thalmann, Bettmann, Ehrlich). Er kann
aber auch zur heftigen Reaktion vorher unbekannter, in
der Nähe wichtiger Organe (Nerven) sitzender Herde führen
(Neurorecidive). Ich kenne Patienten, die am Abend und in der
Nacht nach jeder gewöhnlichen Injektion von Salicylque<jksilber
Fieber bekommen, oft mit einer Art Schüttelfrost beginnend,
andere bekommen es nur nach der ersten. Diese Fiebernächte
sind nicht für jeden Organismus gleichgültig, mindestens aber
sind sie überflüssig, da wir ohne sie das gleiche Ziel erreichen
können. Und wie wenig nachhaltig wirkt nun gerade dieses so
rasche Erfolge zeigende Salicylquecksilber. Nach zwei Injektionen
kann die hartnäckigste Psoriasis palmaris unter J grosslämellöser
Schuppung total abheilen, und-kaum, dass die Kur mit ihren
10—15 Injektionen a 0,1 Sftf 1 Ende ist, klopft das Recidiv schon
aflMlie’Tür# Niemand 1 aber wird behaupten, dass er mit Sicher¬
heit efob>Salioylquecksttberkur ohne mehr oder weniger heftige
1 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18 .
lokale Reaktionen, besonders Schmerzen durchführen kann! Und
nun gar die Calomelinjektionen!
Eine sehr brauchbare und auch für die Praxis empfehlens¬
werte Methode neben und als Ersatz oder in Kombination mit
der Schmierkur ist die Mercinolinjektionskur. Wenn man
die von Neisser und Zieler wiederholt betonten Vorsichtsmaass¬
regeln, besonders aber auch das Breslauer Mercinol und die
Zieler’sche Spritze anwendet, so scheinen dieser Methode nur
in sehr geringem Maasse noch die gefürchteten Nachteile der
Depottherapie anzuhaften. Insbesondere soll man auch hier, wenn
man die Verträglichkeit des Hg überhaupt in einem bestimmten
Palle noch nicht kennt, also bei der ersten Hg-Kur nicht damit
anfangen, sondern mit einigen Inunktionen schwächerer Dosis oder
einigen Sublimatinjektionen. Auch soll man zuerst nur halbe
Dosen, also 0,075 Hg (wöchentlich 1—2) geben und später erst,
nachdem das Ausbleiben der Infiltratbildung sicher ist, die ganze
Spritze mit 0,15 Hg. Die ganze Kur mit 8—10 ganzen Spritzen
erstrecke sich auf etwa ein Vierteljahr, in der Hälfte mit einer
etwa einmonatlichen Pause. Wenn man ausserdem bei Anlegen der
Depots sich genau an die Schindler’schen Lokalisationen hält,
so wird man in dieser Behandlung eine von Beschwerden freie, hoch-
wirksame Quecksilbereinverleibungsmetbode schätzen lernen, die
sich für die Fälle eignet, in denen keine rasche Hg-Wirkung,
sondern mehr eine stetige und nachhaltige angezeigt erscheint.
Ausserdem ist sie denkbar bequem, da der Patient wöchentlich
nur einmal den Arzt aufzusuchen und in der Zwischenzeit jeden¬
falls mit der Einverleibung nichts zu tun hat.
Nun kommen aber in der Praxis immer einmal Fälle vor,
wo weder eine Inunktionskur noch eine Injektionskur möglich ist,
und doch unbedingt Hg eingeführt werden soll und muss, z. B.
bei Reisen in abgelegenen Gegenden, oder dass aus Gründen der
Verheimlichung während einer bestimmten Zeit kein Arzt auf¬
gesucht werden soll. Dann bleibt manchmal nichts anderes
übrig, als wenigstens für diese Zeit vielleicht nur als Fortsetzung
einer Inunktions- oder Injektionsknr auch einmal das Mittel per
os zu geben, am besten in der Form von Pillen aus Hydrar-
gyrum oxydulatum tannicum (Lustgarten). Ich erinnere
mich besonders aus der früheren Zeit, öfter ganz gute symptoma¬
tische Erfolge von 180 derartigen Pillen a 0,05 in einem Monat
ohne nennenswerte Reizungen des Darmkanals gesehen zu haben.
Auch das Mergal scheint empfehlenswert (6—8 Kapseln pro die,
800—350 pro Kur). Oder man lässt einen solchen Patienten ein
oder zwei Mercolintschürzen (Blaschko) je drei Wochen
lang tragen. So wird dann wenigstens während dieser Pause in
der energischeren Hg-Aufnahme dieselbe nicht ganz unterbrochen.
Jod.
Die Jodpräparate, insbesondere das Jodkalium, haben für
die rasche Heilung gummöser und ulceröser Produkte nichts von
ihrem Renommöe eingebüsst. Während man sie in den gewöhn¬
lichen Fällen gleichzeitig in der mässigen Dosis von 2,0 pro die
neben der Hg-Kur her gibt, feiern sie ihre grössten Triumphe in
malignen Fällen, in denen oft zuerst gar kein Hg ertragen wird,
wo man sie allein in steigenden Dosen von 2—4—6—8—10,0 pro
die und mehr (in Milch) mit den verblüffendsten Erfolgen gibt unter
ausserordentlicher Hebung des Allgemeinbefindens und Zunahme
des Körpergewichts. Wenn einer solchen Jodvorkur dann eine
Inunktionskur, mit kleinen Dosen beginnend (eventuell nur 2,0),
folgt, so kann man dieselbe oft ununterbrochen bis zu 6 Wochen
und schliesslichen Gaben von 5,0 bis 6,0 pro die ohne Anstand
ausdehnen mit der günstigsten Beeinflussung des weiteren Krank¬
heitsverlaufs im ganzen.
Da ich die Jodpräparate für besonders geeignet halte, den
Zugang zu latenten „eingekapselten“ Syphilisherden freizulegen
infolge ihrer besonderen Einwirkung auf das Lymphsystem und
ihrer resorbierenden Eigenschaften auf die Infiltrate, so lasse ich,
wenn irgend möglich, einen Monat vor deq Quecksilberkuren
auch in den früheren Stadien Jodkuren vorausgehen. Dabei be¬
diene ich mich auch öfter des Sajodins, was zu 2,0—3,0 pro
die fast immer frei von unangenehmen Nebenwirkungen ist.
Sal varsan.
Obwohl die Frage der Technik der SalvarsaneinVer¬
leihung gerade für den Praktiker ungemein wichtig ist, so würde
doch eine ausführliche Beschreibung und kritische Besprechung
hier zu weit führen. Da die subcutane und intramuskuläre In¬
jektion wegen der Necrosen oder schmerzhaften Infiltrate trotz
der erheblich grösseren Wirksamkeit zugunsten der intravenösen
Einverleibung leider ganz verlassen werden musste, so brauche
ich nur einiges zu dieser zu bemerken; am besten sieht sich doch
der, der die Methode noch nicht gemacht hat, die Sache einmal
bei einem Kundigen an. Der einfachste Apparat ist der beste:
ein graduierter Cylinder für ca. 300 ccm, ein — 2 m langer
Schlauch (mit zwei eingeschobenen Glasröhrchen), am Ende mit
einem in die Venennadel eingeschliffenen Conus, und die scharf-
geschliffene Venennadel genügen vollständig. Die Sterilisierung
des Apparates und des Patienten übergebe ich. Ob die Injektion
von 10 ccm Wasser, in dem das Neosalvarsan gelöst ist, mittelst
der Rekordspritze direkt in die Vene, wie es Dubot empfohlen
hat, sich bewähren wird, muss die Zukunft lehren. Diese er¬
hebliche technische Vereinfachung würde die Sal varsan therapie
in der allgemeinen Praxis sehr fördern. Duhot sah keine Nach¬
teile von dieser Konzentration.
Der Patient muss in der besten Verfassung sein, nicht an
anderen bakteriellen Erkrankungen leiden, Darm und Nieren
müssen tadellos funktionieren. Am Tage vorher, am Tage selbst
und am Tage nachher ist jeder Alkoholgenuss und jede An¬
strengung verboten. Alkoholiker, Patienten mit schwereren degeqe-
rativen Prozessen am Gefäss- oder Nervensystem sind auszuschliessen
von der Salvarsanbehandlung. Bei voraussichtlich noch sehr
spirochätenreichen Fällen empfehle ich dringend eine Vorbehand¬
lung von ca. 10 bis 14 Tagen mit einer milderen oder mässigen
Inunktionskur vor der ersten Salvarsaninfusion und ihre Weiter¬
führung bis zur 30. oder 40., während welcher dann noch zwei
Salvarsaninfusionen erfolgen können. Für die ambulante Privat¬
praxis gebe ich dem einfach zu lösenden Neosalvarsan den Vorzug.
Ich benutze zweimal gekochtes, keimfreies bzw. ganz keimarmes,
undestilliertes Wiesbadener Lei tu ngs wasser. Wer destilliertes
Wasser benutzt, muss es vor dem Gebrauch frisch destillieren
und sterilisieren, auch auf etwaige anorganische Beimengungen
(Blei, Kupfer, Kieselsäure) aus den metallischen und gläsernen
Teilen des Apparates achten. Der Patient liegt, auch bei absolutem
Wohlbefinden, bis gegen Abend zu Bett (leichte Kost) und misst
alle zwei Stunden die Temperatur. Am nächsten Morgen stellt
er sich in der Sprechstunde vor, wo auch der Urin untersucht wird.
Eine Vornahme der Salvarsaninfusionen im Kranken¬
haus bzw. ein Hospitalaufenthalt des Kranken einzig
und allein wegen des Salvarsans ist nicht erforderlich,
falls nicht der Krankheitszustand selbst oder eine
später eintretende zufällige Komplikation denselben
wünschenswert erscheinen lassen 1 ).
Ein merkwürdiger Zufall lässt mir heute in demselben
Moment, wo ich die Frage besprechen muss, welche Vorteile die
Einführung des Salvarsans und Neosalvarsans durch Ehrlich
der Syphilistherapie gebracht hat, zwei neue Bücher zusammen
in die Hände kommen, die 7. Auflage von Finger’s „Geschlechts¬
krankheiten“ und Wechselmann’s „Pathogenese der Salvarsan-
todesfälle“. Der letztere wünscht nur Salvarsan zur Syphilis¬
behandlung, oder wenn überhaupt Quecksilber, dann ja nicht mit
Salvarsan zusammen, sondern zeitlich durch grössere Intervalle
getrennt, weil die Kombination gefährlich sei. „Es steht un¬
bedingt fest, dass das Salvarsan ein unentbehrliches Mittel für
die Behandlung der Syphilis darstellt.“
Finger aber schreibt (S. 279): „Die ausschliessliche Sal-
varsantherapie ist heute allgemein aufgegeben. Es wird allgemein
eine Kombination mit Quecksilberkuren verlangt und dabei auf
so energische Quecksilberbehandlung Gewicht gelegt, dass das
Salvarsan auch bei jenen, die es noch häufig anwenden, immer
mehr in den Hintergrund tritt und nur mehr „pour l’honneor du
drapeau“ verwendet wird. Die Anwendung in Kombination mit
Quecksiber im primären Stadium zwecks Erzielen einer abortiven
Ausheilung, die sehr spärlichen Quecksilber-refraktären und Lues
maligna-Fälle gelten als wichtigste Indikation.“ Das sind
die beiden Antipoden der Salvarsantberapie: Wechselmann und
Finger! Beide Anschauungen schiessen nach den beiden entgegen¬
gesetzten Richtungen weit über das Ziel. Wir aber werden bei
unseren nun folgenden Betrachtungen gut daran tun, alle Stim¬
mungen, Gefühlsregungen und Affekte persönlicher Natur, pour
l’bonneur du drapeau ou pour le contraire aus dem Spiele zu
lassen. Es ist wichtig, dies vorauszuschicken; denn gerade diese
Momente haben die dunkelsten Schatten über die Salvarsanära
1) Cf. meine Artikel: „Darf Neosalvarsan ambulant angewandt
werden?“ (Diese Woehensohr., 1913, Nr. 11) und: „Ueber reaktionslose
Neosalvarsaninfusionen, Vermeidung des Wasserfehlers und» Kombinations¬
therapie bei Syphilis“ (ibidem, 1912, Nr. 24).
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31. MAn 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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gebreitet and den nüchternen Blick für das Wirkliche and Wahre
unheilvoll getrübt.
Finger gab kan vor dem oben citierten, ich möchte sagen
etwas ironischen, absprechenden Facit zu, dass dem Salvarsan eine
ganz hervoragende symptomatische Wirkung gegen die
Syphilis zukommt „ Alle Erscheinungen werden in einer raschen,
oft auffallend raschen Zeit zum Schwunde gebracht. Besonders
gilt dies bezüglich der Haut- und Schleimhauterscheinungen, wobei
aber die Form der Syphiliserscheinung, Grösse und Dichte der
Infiltration, mehr oder weniger günstige Blutversorgung eine
grössere Rolle spielen als der Spirochätengehalt.“ Dies sei aber
eben nur eine symptomatische Wirkung, genau wie beim
Quecksilber and Jod. Nun, über ein Mittel, was man den letzteren
beiden vorher hochgepriesenen Mitteln in symptomatischer Wirkung
auch nur gleichstellt, kann man logischerweise nicht gleich darauf
so etwas geringschätzig absprechend urteilen, selbst wenn sich
die anfängliche, leider zu sehr betonte und zu lange genährte
Hoffnuog der Eradizierung der ganzen Krankheit, der Sterilisatio
magna uno ictu therapeutico als trügerisch und sehr übertrieben
erwiesen hat. Es wäre schon nicht zu verachten, wenn man ein
drittes Mittel im Bunde gegen die Hydra dieser Krankheit hat,
was den beiden alten auch nur gleichstände, zumal es über jeden
Zweifel erhaben ist, dass es eine ungemein rasche, direkt ab¬
tötende Wirkung auf die von ihm getroffenen Krankheits¬
erreger aasübt. Ein solches Mittel kann man nicht leichten Herzens
wieder fahren lassen. Und wenn es noch häufiger unangenehme
Nebenwirkungen im Gefolge hätte, als bis jetzt beim Salvarsan
festgestellt sind, und von denen wohl heute niemand mit Sicherheit
sagen kann, ob sie prozentuarisch die des Quecksilbers über¬
treffen. Nein, da muss man suchen, ihre Ursachen auf¬
zuklären, und lernen, sie zu vermeiden, weil ja diesen
Fällen mit unangenehmen Nebenwirkungen auf der anderen Seite
eine unzählbare Menge solcher gegenübersteht, die in der aus¬
gezeichneten Weise beeinflusst wurden, oft nachdem alles Aodere
versagt hatte. Ein Mittel aber, was wie das Quecksilber kräftig
gegen die Symptome der Krankheit wirkt, sollte a priori wieder¬
holt in grösseren Zeiträumen angewandt wie dieses auch gegen
die Krankheit selbst, die ja doch nur die Summe der Symptome
darstellt, wirksam sein. Die direkte abtöteude Wirkung des Sal¬
varsans auf die von ihm getroffenen Krankheitserreger
scheint mir also nicht zu bezweifeln. Ebenso sicher ist aber, dass
sich ganze Krankheitsherde mit den Erregern, von denen dann die
Recidive oder die andauernd positive Serumreaktion ihren Aus¬
gang nehmen, der selbst mehrmaligen Applikation des Mittels ent¬
ziehen. Darüber habe ich mich in meiner ersten Salvarsan-
publikation 1 ) bereits ausführlich verbreitet. Daran scheitert bis jetzt
jede rasche Syphilisheilung nach der Verallgemeinerung. Des¬
halb ist das allergrösste Gewicht auf die Vermeidung der Ver¬
allgemeinerung und, wenn dies nicht mehr möglich war, die Er¬
schliessung der latenten Spirochätenherde, die vielleicht noch
ganz besonders zu attackierende Dauerformen enthalten, zu
legen, worauf ich später noch za sprechen komme. Dieser
Mangel haftet dem Salvarsan wie dem Quecksilber an. Dafür ist
aber die Wirkung auf den Initialaffekt vor der Allgemeinerkran¬
kong, besonders vor dem Positiv werden der Blutreaktion erheblich
eklatanter als die des Quecksilbers, um so mehr als in diesem
Stadium auch die gerade der allgemeinen Durchsetzung des
Körpers mit dem Virus anhaftenden unangenehmen Nebenwirkungen
(Fieberreaktionen durch Endotoxinüberschwemmung, lokale Re¬
aktionen wie bei den Neurorecidiven) fehlen, während kräftige
Qaecksilberkuren mit abortiver Tendenz auch in diesem Stadium
genau dieselben Unzuträglichkeiten haben können, wie nach der
Verallgemeinerung. Uni bedeutet es keinen Gewinn, wenn wir
nun bei absoluter Hg-Idiosynkrasie, die ja freilich nicht sehr
häufig ist, und bei der viel häufigeren, vorübergehenden Quecksilber¬
intoleranz der Malignen gleich mit einem anderen kräftig wirkenden
Specificum einspringen können, das meist sofort eine zauberhafte
Wirkung auf die lästigen Geschwüre und Zerstörungen entfaltet, an¬
statt erst lange „roborierende“ Kuren oder eine Jodbehandlung
nötig zu haben, die erst die dann um so viel spätere Qaeck-
silberbebandlung ermöglicht! Diese sowie die nun in einer
grossen Zahl von Fällen konstatierte abortive Wirkung des Sal-
varsaus allein schon macht es meines Erachtens zu einem unent¬
behrlichen Mittel io der Syphilistherapie.
1) Praktisches und Theoretisches vom Arsenobenzol. (Diese Wochen¬
schrift, 1910, Nr. 49 u. 60.)
Kombinierte Therapie.
Io jedem anderen Stadium und bei jeder Form der Lues
halte ich nun aber im strikten Gegensatz zu Wechselmann und
in üebereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der Fach¬
kollegen die Kombination einer milden bis mässig starken
Quecksilberkur mit einigen Salvarsan-, in der Privatpraxis ins¬
besondere Neosalvarsaninfusionen der Anwendung dieser Mittel
allein für entschieden überlegen gemäss dem von Kochmann
entwickelten Prinzip, dass sich bei Kombination mehrerer, in
demselben Sinne wirkender Medikamente in mittlerer Dosierung
die gewollten günstigen Wirkungen addieren bzw. potenzieren,
während die ungünstigen Nebenwirkungen der einzelnen Mittel
entsprechend der geringeren Dosis ganz oder zum grossen Teil
wegbleiben. Ich verfüge über eine Anzahl in der oben citierten
Festschrift publizierten Spätfälle mit hartnäckigem positivem
Wassermann, darunter solche, wo die Infektion 20—31 Jahre
zurücklag, die nach einer Inunktionskur von 30—40 Inunktionen
und drei Neosalvarsaninfusionen (mit zusammen 2,25 Neosalvarsan),
kombiniert mit einer Kochsalzbade- und -trinkkur, jedenfalls zu¬
nächst einmal negativ wurden. Da ich ferner Salvarsan fast
immer und Neosalvarsan immer in dieser Weise kombiniert ver¬
wendet habe, aber gerade dabei nie eine der gefürchteten
Nebenerscheinungen gesehen habe, so muss ich die gene¬
relle Trennung der Hg- und Salvarsankuren, wie sie Wechsel¬
mann verlangt, ablehnen. Darin stimme ich aber vollständig
mit Wechselmann überein, dass man keine starken Hg-Kuren
mit Salvarsan kombinieren soll, insbesondere keine Calomel-
injektionen. Wir müssen tatsächlich die wichtigsten Ausscheidungs¬
wege offen halten, also die Nieren und den Darm absolut schonen,
damit keine Retention weder des Quecksilbers noch des Salvarsans
eintritt. Denn alles oder fast alles, was bei Salvarsan als Ana¬
phylaxie oder anaphylactoid bezeichnet wird, halte ich der Haupt¬
sache nach für eine Cumulierung nicht genügend rasch wieder
ausgeschiedenen, aus dem Salvarsan freigewordenen und eventuell
durch neue chemische Bindungen giftiger gewordenen Arsens,
also für eine Arsenintoxikation, sei es nun, dass die Dosen an
sich zu hoch waren, oder die Intervalle zu klein, oder beides
(cf. Schreiber und Duhot, Wolff und Mälzer usw.), oder dass
wegen Nieren Schädigung die Ausscheidung stockte 1 ;. Daher
halte ich, abgesehen von der Vermeidung der Ueberdosierung
und zu rasch gehäufter Infusionen, eine Kontrolle des Urins für
unerlässlich, besonders bei der Kombinationsbehandlung.
Ebenso wie es mir bei der Quecksilberbehandlung allein
vorzuziehen scheint, lieber längere Zeit hindurch immer frisches
Qaecksilber zuzuführen und eher die Ausscheidung des alten zu
begünstigen und anzuregen, als für eine möglichst grosse Cumu¬
lierung Sorge zu tragen, so empfehle ich die Anwendung dieses
Prinzips ganz besonders auch für die Salvarsan- und die kombi¬
nierte Hg-Salvarsantberapie. Ich erachte also nicht diejenige
Quecksilbermethode an und für sich für die beste, bei der die
längste Remanenz stattfindet, besonders nicht während der Kur;
denn damit ist eben gerade die Möglichkeit einer Cumulierung,
die zur Intoxikation führt, gegeben. Anders ist es, wenn die
Zufuhr sistiert ist und das Mittel allmählich ausgeschieden wird.
Wenn sich diese Ausscheidung etwas langsamer vollzieht, so ist
nichts dagegen einzuwenden; denn sie ist doch stets wenigstens
mit einer Verminderung, nicht mit einer Vermehrung des Mittels
im Körper verbunden.
Die Ausscheidung unterstützende Behandlung.
Zur Erreichung dieses Zieles, einer möglichst glatten Aus¬
scheidung sowohl der Quecksilbermittel als des Salvarsans möge
man ja nicht die Anregungen des allgemeinen Körperstoffwechsels
vergessen, wie wir sie durch Schwitzen, durch Bade- und
Trinkkuren erreichen. Es ist z. B. sicher kein Zufall, dass
sowohl ich als andere hiesige Kollegen, die wir natürlich von
unserer milden Ko$hsalztherme während der antisyphilitischen
Kuren zu Bädern, ganz besonders aber auch zum Linken, Ge-
1) Oh mau diese Falle, also speziell die Encephalitis haemorrhagica,
deshalb nicht als Arsenintoxikationen bezeichnen will, weil das Arsen
selbst nicht die Gefässschädigung im Gehirn direkt macht, sondern
indirekt durch eine vorher schon vorhanden gewesene, durch das Sal¬
varsan in Erscheinung getretene Niereninsuffizienz und -retention sonst
ausgeschiedener Umsetzungsprodukte des Salvarsans (z. B. Arsenoxyd),
ist schliesslich ein Streit um Worte, zumal die vorbereitende, von
Wechsel mann am liebsten generell dem Quecksilber in die Schuhe
geschobene Schädigung der Nieren ge fasse oft klinisch mangels Eiweiis-
aussoheidung nicht oder nur schwer nachweisbar sein soll.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
brauch machen, keine ernsten Zufälle weder bei den Quecksilber¬
kuren noch bei den kombinierten Quecksilber-Salvarsankuren er¬
leben. Die Durchspülung des Organismus mit dieser „physio¬
logischen Kochsalzlösung“ während der Zeit der Einführung dieser
differenten Quecksilber- und Arsenmittel kann nach meinen obigen
Auseinandersetzungen und auch im Sinne der neuesten Wechsel-
mann’schen Publikation nur günstig wirken. Fast jeder, der
hier seine Kur macht, gibt ungefragt die kräftige Diurese bald
nach Beginn derselben an, die ja natürlich zum Teil auch von
dem Quecksilber selbst herrühren kann.
Aber nicht nur zur Verhinderung der einfachen Quecksilber-
und Sal varsanstauungen im Organismus sind derartige Vor¬
beugungsmittel angezeigt, sondern ganz besonders auch aus dem
Grunde, um die etwa im Körper bei längerem Aufenthalt sich
bildenden chemischen Umsetzungen, die unter Umständen viel
giftiger sein können als die eiugefübrten Bubstanzen (z. B. das
Arsenoxyd) rasch herauszubefördern und ihre Niederlassung und
Festsetzung in besonders dazu geeigneten Organen (z. B. der
Leber) zu verhindern. Ich kann mich von der Vorstellung nicht
losmachen, dass z. B. das Quecksilber- oder Quecksilbersalz-
molekül, welches bereits mit den Spirochäten zusammengeraten
ist und sie abgetötet hat, ausserdem die ganze Säftemasse durch
alle möglichen Organe hindurch, besonders aber auch die krank¬
haften Infiltrate, passiert bat, noch das gleich wirksame ist als
vorher, sondern ich glaube, dass es organische Bindungen ein¬
gegangen ist, die einerseits seine parasiticide Wirkung doch mehr
oder weniger lahmlegen, andererseits die toxische erhöhen können,
es im besten Falle aber zu einer unnützen „Schlacke“ stempeln,
welche das Schicksal eines jeden überflüssigen Ballastes verdient,
nämlich den Körper möglichst schnell zu verlassen.
Gerade im Lichte der neuesten Wechselmann’schen
Publikation über die Salvarsantodesfälle gewinnt diese
Anregung der Ausscheidung des Hg und Arsens noch
eine ganz besondere Bedeutung. Wir müssen uns daran
gewöhnen, alle die rasche Durchspülung des Queck¬
silbers wie des Salvarsans durch den vorher ganz be¬
sonders sorgfältig auf die Gesundheit seiner Nieren
geprüften Organismus fördernden Maassnahmen anzu¬
wenden, um cumulative Stauungen dieser Mittel oder
ihrer noch giftigeren chemischen Umwandlungspro¬
dukte zu vermeiden. Diese Angelegenheit ist so wichtig,
dass vielleicht mit ihr die ganze Zukunft der kombi¬
nierten Quecksilber-Salvarsantherapie oder auch der
letzteren allein steht und fällt. Also nicht möglichst
lange Remanenz, sondern möglichst rasche Expulsion
der verbrauchten oder veränderten mit, wenn nötig,
erneuter Einführung unveränderter Mittel ist die beste
Gewähr gegen die Schädigungen des Organismus durch
unsere etwas energisch gewordenen Heilbestrebungen.
Andernfalls wird eine Wiederholung des Rückschlags,
wie ich ihn in der Einleitung aus der Vergangenheit
kurz skizziert habe, nicht ausbleiben. Manche glauben
sogar, dass er schon im Gange ist. Im übrigen möchte
ich hier nur en passant daran erinnern, dass gesteigerte Koch¬
salzzufuhr auch die Quecksilberaufnabme und die Wiederauflösung
der zunächst ausgefällten Quecksilberalbuminate begünstigt.
„Mobilisierende“ Behandlung.
Hier würde sich nun am leichtesten eine Auseinandersetzung
anschliessen über die sogenannte mobilisierende Therapie,
d. h. diejenigen Maassnabmen, welche es ermöglichen sollen, dass
die spezifischen Parasiticida auch an die Parasitenherde heran¬
kommen, die als solche minderen Stoffwechsels von dem allge¬
meinen lebhafteren Körperstoffwechsel abseits liegen, die also
derartige Herde aufrühren, mobilisieren, ihre Schranken gegen¬
über dem übrigen Organismus durchbrechen und niederreissen
helfen. Von diesem allerdings nur theoretisch konstruierten, aber
durch die Erfahrung geradezu notwendig gewordenen und auch
durch das Beispiel des positiven Lumbalwassermanns bei gleich¬
zeitig stets negativem Blutwassermann ..gestützten Ideenkreis
kommen wir nicht los in der Sypbilistherapie. Einige Male ver¬
suchte es Wechsel mann eine derartige Stelle direkt zu attackieren,
er injizierte Salvarsan direkt iq den Subarachnoidal raum. Wie
diese Versuche ausgegangen sind, weiss ich nicht. Das aber wäre
das Ideal, eine topische Diagnose und direkte topische Therapie
noch anderer solcher latenter Herde, nachdem wir uns überzeugt
haben, dass auf dem Wegeder Blot- und Lymphbahn nichts oder
nicht genügend oäer in einer bereits unwirksam gewordenen Form
von unseren Heilmitteln in sie gelangt. Eine solche „Lokal“-
behandlung wäre erheblich viel wichtiger als das, was wir gegen¬
wärtig darunter verstehen. Von den Jodpräparaten glaube ich
sicher, dass sie diese Indikation erfüllen helfen, von dem Fibro-
lysin ist es mir theoretisch wahrscheinlich. Die oben gestreiften
Anregungen des allgemeinen Stoffwechsels, die Bade-, Trink- ond
Schwitzkuren, wozu auch die Zittmannkuren zu rechnen sind,
müssen vorläufig auch in dieser Richtung unterstützend angewandt
werden. Ich halte es gerade bei dieser Gelegenheit für meine
besondere Pflicht, diese sowohl das Virus als auch die verbrauchten
Arzneimittel mobilisierenden und zur Ausscheidung bringenden
Unterstützungen der spezifisch parasiticiden Kuren ganz energisch
dem Praktiker wieder in die Erinnerung zurückzurufen, da ihre
Wertschätzung durch die grossen modernen Umwälzungen un-
verdientermaassen stark in den Hintergrund gedrängt zu sein
scheint.
Lokale Behandlung.
So wichtig an sich die Lokaltherapie der Syphilisprodukte
ist, kann ich sie hier nicht speziell ausführlich besprechen. Nur
einiges sei hervorgehoben. Jeder geeignet sitzende Primäraffekt
soll excidiert werden. Ist es wegen des Sitzes unmöglich, so soll
er möglichst energisch mit Quecksilber (Calomel, Präcipitatsalbe
oder Empl. mercur.) behandelt werden. Ebenso die nässenden
Kondylome. Die Plaques muqueuses sind mit kräftigen, eventuell
alkoholisch-ätherischen Sublimat- (bis 1 proz.) oder mit 2 bis
5 proz. Ghromsäurelösungen zu pinseln. Tiefere ulceröse Prozesse
bestreue ich gerne nach Reinigung mit 1 prom. Sublimatlösung
mit einem Wundpulver von Bism. subnitr. mit 2 pCt. Europhen
und überklebe das ganze mit Mercurpflaster, welch letzteres allein
auf geschlossene gummöse lofiltrate, Tophi usw. zu liegen kommt.
Besondere Sorgfalt erfordert die gründliche tägliche Behandlung
ulceröser Prozesse im Nasenrachenraum und der Nase, die oft bei
maligner Lues, kompliziert mit allerlei Mischinfektionen, jeder
Allgemeintherapie trotzen, so lange nicht täglich die Krusten
mechanisch entfernt, die davon befreiten Ulcerationen mit des¬
infizierenden Lösungen abgespült und mit desgleichen Pulvern
eingestäubt werden. Man kann nicht oft genug daran erinnern,
bei innerem Jodgebrauch mit lokaler‘Qdecksilbertherapie besonders
an den Augen,, aber auch im Larynx vorsichtig zu sein bzw. an
die Aetzwirkung des sich bildenden Jodquecksilbers im Status
nascens zu denken. Die spezielle Lokalbehandlnng der Augen-,
Nasen-, Ohren-, Kehlkopf-, Nervenaffektionen usw. wird ja wohl
meist nicht von dem beschäftigten Praktiker, sondern von dem
betreffenden Spezialarzt gemacht, ebenso wie die eventuelle
chirurgische Nachhilfe bei Knochenaffektionen vom Chirurgen.
Kongenitale Lues.
Die kongenitale Lues wird, so lange der Magen- nnd
Darmkanal es verträgt, am besten mit Calomelpulvern 0,005 bis
0,06 zwei- bis dreimal täglich behandelt oder auch ebenso oft mit
Hydr. tano. oxydulat. 0,01—0,02. Diese Behandlung wird meistens
gut vertragen. Ist es nicht der Fall, so kann man sie durch
Bestreichungen der Haut mit Resorbinquecksilbersalbe oder durch
abwechselndes Bedecken der Beine, Arme und des Rückens mit
Quecksilberpflastermull ersetzen. Bei ausgedehnten Hautsyphiliden
kommen auch Sublimatbäder (1,0—2,0 pro balneo) in Betracht.
Kräftige Säuglinge können mit Salvarsan behandelt werden, wofür
ganz besonders Lesser eintritt; bei schwächlicheren ist eventuell
die indirekte Wirkung der Milch der mit Salvarsan behandelten
Mutter vorzuziehen 1 ).
Hygiene.
Bei jeder antisyphilitischen Behandlung sind die den Patienten
umgebenden Verhältnisse hygienischer Art im weitesten Sinne,
sowie die Ernährung, auch die Einwirkung auf die oft
sehr deprimierte Gemütsverfassung denkbar günstig zu
gestalten. Da eben jede wirksame antisypbilitische Behandlung,
besonders im weiteren Verlauf, gewisse Anforderungen an den)
allgemeinen Kräftezustand stellt, so muss dieser so gut als mög¬
lich beeinflusst werden durch kräftige Ernährung, Bewegung in
frischer Luft, leichte Ablenkungen und Zerstreuungen u. s. f.
Diese Umstände sowie die Anwesenheit spezialistisch gut gebildeter
Aerzte und eines guten Pflegepersonals, speziell, für die Inunktions-
1) Cf. auch Marie Ho Ith, Salvarsanbehandelte Mütter und Kinder
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 10). Bei 40 Frauen 180 stets
gut vertragene, nur ambulatorisch gemachte Salvarsaninfusionen.
Aeusserst günstiger Einfluss auf die Vitalität der ausgetragenen und
grosseuteils symptomfreien Kinder (Anmerkung bei der Korrektur)^
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81. März 1018.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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kur, sowie einige Momente äusserlicber Natur (Verheimlichung,
Entfernung aus der Familie usw.) sind es, die schon von alters-
her die Behandlung der Syphilis an Badeorten beliebt ge¬
macht hat.
Nebenwirkungen.
Dm manche mit den Quecksilber-, Jod- und Salvarsankuren
verbundene, unangenehme Nebenwirkungen lokaler oder all¬
gemeiner Art zu vermeiden, werden besondere Vorsichtsmaass-
regeln notwendig gemacht. Bleiben sie erfolglos, so erfordern
diese Nebenwirkungen eine besonders sorgfältige Behandlung schon
zur Ermöglichung der Weiterfährung der Kur. Insbesondere ist
dies vor und während der Quecksilber kuren notwendig. Ara
wichtigsten ist die Vorbereitung des Mundes durch den Zahnarzt
zur Vermeidung der Stomatitis mercurialis, die aber schon
einige Wochen vor Beginn der Kur angefangen werden muss, be¬
sonders wenn die Patienten ihre Kor an einem Badeort mit ge¬
messener, meist recht knapp bemessener Zeit durchmacben sollen.
Seitdem ich die Mundpflege mit Saluferinzahnpaste und
Mi Ile rascher Tinktur machen lasse, sehe ich kaum mehr als
eine leichte Gingivitis. Wird sie einmal stärker oder gibt es
ausnahmsweise oberflächliche Quecksilbergeschwurchen, so fuge
ich noch Wasserstoffsuperoxyd und im Notfall 2—5 proz. Chrom
säurepinselungen hinzu. Die Empfindlichkeit nur stärker ge¬
schwollenen Zahnfleisches wird durch Betupfen mit reiner
Myrrhentinktur (Andrucken auf einem Wattebausch) gut be¬
einflusst.
Zur Vorbeugung der Quecksilberdiarrhöen oder -dys-
enterie dient in erster Linie eine achtsame Regulierung des
Stuhlgangs von Anfang an, wobei Drastica zu vermeiden sind. In
leichten Fällen von nur gelegentlich auftretender Obstipation
genügt 1 Teelöffel Karlsbader Salz, was wir hier zweckmässig im
Kochbrunnen trinken lassen. Oder man lässt abends 1—2 mal
0,15 Casc. Sagrad.-Extrakt oder einen Esslöffel Califig nehmen.
Häufig reguliert sich der Stuhlgang auch schon durch tägliches
Essen von gekochtem Backobst und Trinken der Brühe. Ist eine
kräftigere Wirkung nötig, so ist das Oleum ricini das am
besten vertragene Mittel. Einläufe müssen diese Maassnahmen
manchmal unterstützen. Auch soll die ganze Diät darauf ein¬
gerichtet sein, den Stuhl im Gang zu erhalten, ohne den Darm
zu reizen. Ist aber nun — meist im Anschluss an eine vor¬
ausgehende Obstipation — doch die Diarrhöe eventuell mit Blut
und Tenesmus aufgetreten, so muss zunächst nach Aussetzen der
Hg Einverleibung und gründlichster Entfernung der etwa noch
vorhandenen Salbenreste auf der Haut (Seifenbad, Dampfbad)
nicht etwa Opiumtinktur gegeben werden, sondern durch Ricinusöl
sicher dafür gesorgt werden, dass alle harten, mit Hg impräg¬
nierten Kotreste entleert werden. Dann gelingt es fast immer
durch eine ganz blande Diät (Schleimsuppen, Reis, Reiswasser
mit Rotwein usw.) in ein paar Tagen der Sache Herr zu werden.
Diese Methode bat den Vorteil, dass man nicht erst wieder eine
durch Opiate künstlich geschaffene Obstipation bekämpfen muss
im Anschluss an die geheilte Merkurdysenterie. Die Schmerzen
werden durch heisse Umschläge gemildert.
Zur Vermeidung dieser Uebelstände ist vor allem ein gutes
Funktionieren der Nieren (vgl. oben) notwendig, damit eben
Quecksilberstauungen vermieden werden. Wiederholte Urinunter¬
suchungen, besonders auf Eiweiss, womöglich auch auf Cylinder,
sind unerlässlich. Sind die Nieren nicht intakt, so muss durch
reichlichere warme Bäder oder Schwitzprozeduren die Haut kom¬
pensatorisch herangezogen werden.
Bei einer echten Idiosynkrasie des ganzen Organis¬
mus (sehr selten) oder der Haut allein gegen Quecksilber
(scarlatiniforme, grosslamellös abschuppende Hg-Dermatitis) kann
die Verträglichkeit nicht erzwungen werden, wenn auch manch¬
mal eine Aenderung des Präparates zum Ziele führt. Ist, wie
meistens, nur die Haut idiosynkratisch, so treten die anderen Ein¬
verleibungsmethoden bzw. -wege in ihr, Recht. Die Miliaria
rubra, die mehr eine Wirkung des Schweisses und der Mineral¬
bäder ist, heilt rasch auf Aussetzen der Bäder und Tumenolzink-
paste (5—10proz.). Merkurfolliculitis tritt bei den kurzdauernden
Einreibungen mit ResorbiDquecksilber kaum noch auf. Ist es
doch der Fall bei Leuten, die viel Staphylokokken auf der Haut
liegen haben und sehr behaart sind, so vermeidet man, einige
Tage die befallenen Stellen einzufoiben/und'bedeckt sie höchstens
mit Salicylzinkpaste. Aber auch spontan trocknen die Pustel¬
chen ein.
Die unangenehmsten Zufälle bei den intramusculären un¬
löslichen Quecksilbersalzinjektionen und denen mit
grauem Oel vermeidet nan durch eine richtige Technik. Man
muss in den Glutaeus medius in die gefäss- und nervenfreie Zone
(Schindler - Duhot) injizieren, dabei aber noch den Lesser-
schen Kunstgriff anwenden, also die Nadel ohne Spritze ein¬
steeben und warten, ob Blut kommt, wenn nicht, mit der Spritze
aspirieren, dann, wenn auch dies kein Blut fördert, erst injizieren
und zuletzt Luft oder Paraffin zum Schutze des Stichkanals nach¬
spritzen. So vermeidet man Lungenembolien, Eiterungen und In¬
filtrate wenigstens möglichst und Nervenschmerzen ausstrahlender
Natur. Ungleichmäßige Resorption bzw. plötzliche, besonders
verspätete Massenresorption ist am wenigsten zu fürchten, wenn
keine Infiltrate sich bilden. Bei stärkeren Infiltraten verzichtet
man am besten auf diese Methode, was häufig schon die Schmerz¬
haftigkeit verlangt.
Absolute Jodidiosynkrasien, welche jegliche Jodtherapie
verbieten, sind häufiger als solche gegen Merkur. Darunter ver¬
stehe ich nicht die Neigung zu Acne und etwas Schnupfen, der
unter dem Weiterverbrauch und unter Steigerung der Dosis oft
aufhört, sondern schwere Reizung der oberen Luftwege mit Kopf¬
schmerzen, Störung der Verdauung, besonders des Magens mit
Appetitlosigkeit, Jodpurpura und Jodpemphigus. Natr. bicarb.
und Atropin ermöglichen manchmal noch den Weitergebrauch.
Beim Pemphigus muss schleunigst ausgesetzt und Sulfanilsäure
gegeben sowie die Ausscheidung durch gesteigerte Diurese ange¬
regt werden (Ehrlich). Wenn Jodkalium nicht vertragen wird,
gebt es manchmal mit Jodnatrium oder anderen Salzen, meist
mit dem Sajodin. Manchmal werden die Jodalkalien in Milch ge¬
löst per clysma vertragen, wenn der Magen sie ablehnt.
Eigentliche echte Idiosynkrasie gegen Salvarsan scheint
ganz selten zu sein, ebenso wie Anaphylaxie. Vorsichtige, all¬
mählich steigende Dosierung, einwandfreie Technik, besondere
Vorsicht in den spirochätenreichen Stadien, am besten Vor¬
behandlung und Kombination mit Quecksilber in milderer Form,
also Inunktionskur, Hessen meine sämtlichen Neosalvarsaninfu-
sionen reaktionslos verlaufen, auch ohne spätere Folgen. Auch
bei den vorausgehenden Altsalvarsaninfusionen konnte ich nur
die fieberhaften, mit Erbrechen und Diarrhöe begleiteten Wasser¬
reaktionen feststellen. Die „Neurorecidive“ — Reaktionen
vorher latenter perineuritischer Syphilisherde — sind überall
ganz selten geworden, nachdem man die unvorbereiteten, allzu
brüsken Schläge vermeidet. Die Todesfälle nach vorangegangener
Encephalitis haemorrhagica glaubt Wechselmann durch
grössere Sorgfalt in der Nierenbeobachtung eventuell zu ver¬
hindern. Diese Frage ist leider noch ganz ungeklärt, so dass
man als Prophylaxe dieses unheilvollen Ausganges nur die pein¬
lichste Sorgfalt in allem Technischen sowie in der klinischen
Untersuchung aller Organe vor der Salvarsanbehandiung ganz
allgemein dringendst befürworten kann. Bei dieser „akuten Hirn-
sch wellung“, die eben pathologisch anatomisch mit capillären
Blutungen der Hirnhäute und der Rinde einhergebt, könnte man
am ehesten noch an eine vorher nicht erkennbare, individuelle
Schwäche der betreffenden Teile, besonders ihrer Blutgefässe
denken. Periphere Arsenneuritiden haben nur die mit den un¬
verständigst hohen und zeitlich gehäuften Dosen arbeitenden
Autoren gesehen. Sie vermeidet man eben durch mässige, all¬
mählich verstärkte, zeitlich weit auseinanderliegende Incorpora-
tionen und durch Vorbeugung der Gumulierung mittels Anregung
der Ausscheidung (cf. oben).
Behandlungsplan für die ganze Krankheitsdauer.
Zum Schlüsse gebe ich noch einen Vorschlag zu einem Plan
der Behandlung der Gesamtkrankheit in den einzelnen Phasen,
der aber keineswegs als Schema oder überhaupt als etwas Ab¬
geschlossenes anzusehen ist. Nirgends in der Medizin ist die
Individualisierung wichtiger als bei dieser äusserst variablen Krank¬
heit und der Verschiedenheit ihrer Träger.
I. Primäres Stadium.
Die Behandlung strebt den Schutz des Organismus vor der
Verallgemeinerung an. Dies gelingt am ehesten vor dem Positiv¬
werden der Serumreaktion, also bis etwa zur 6. Woche nach der
Infektion. Jede nach einem suspekten Coitus auftretende Erosion
solP auch ohne Spirocbätenbefund entweder, wenn es der Sitz er¬
laubt, exzidiert oder tiefgreifend verschorft werden (Chlorzink,
reine Carbolsäure, kein Lapis). Insbesondere sei die Exzisioq,
empfohlen, wenn sich auch ohne Spirochätenbefund die leiseste
Andeutung einer derberen Infiltration oder eine reaktive Drüsen¬
schwellung zeigt. Neisser lässt schon in solchen — nur
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
suspekten — Fällen eine kräftige Allgemeinbehandlang folgen
(Hg, Salvarsan), wenn für den Betreffenden besonders viel auf
dem Spiel steht. Im allgemeinen wird man diese medikamentöse
Nachbehandlung generell nur dann fordern können, wenn die
Diagnose des syphilitischen Primäraffektes gesichert ist durch den
Spirochätennachweis, aber auch ohne denselben bei einem rein
klinisch als solchen imponierenden Geschwüre. Ist der Initial¬
schanker ganz ausgesprochen und nicht oder nicht mehr exzidier-
bar, vielleicht auch der Wassermann schon positiv, so behandelt
man lokal intensiv mit Quecksilber, fange eine womöglich sechs
Wochen dauernde Inunktionskur an (3,0—5,0—6,0 pro die),
kombiniert mit ca. drei Neosalvarsaninfusionen (0,6—0,75—0,9).
Wird oder bleibt dann der Wassermann negativ (nach 6 Wochen),
so kann man prophylaktisch noch eine derartige Kur machen,
man kann aber auch weiter klinisch beobachten und serologisch
untersuchen und bei Wiedereintritt der Positivität die Kur wieder¬
holen. Das erstere scheint empfehlenswerter. Jeder derartig
negativ gebliebene oder vor dem Ausbruch von Sekundärerschei¬
nungen gewordene Fall muss mindestens 2 Jahre etwa alle 2 bis
3 Monate serologisch kontrolliert werden.
II. Sekundäres Stadium.
Der erste Ausbruch sekundärer Symptome bedeutet den
Beginn einer mindestens 1—2 Jahre dauernden Behandlung
und noch weitere 2 Jahre dauernden klinischen und serologischen
Beobachtung.
Im Stadium der ersten Allgemeineruption gehe man nie zu
brüsk vor. Ich empfehle auch hier den Beginn mit einer all¬
mählich verstärkten sechswöchigen Inunktionskur, der von
der 2. Woche an intravenöse Salvarsan- oder Neosalvarsaninfusionen
in steigender Dosis hinzugefügt werden können, zu machen. Dann
warte man 6 Wochen, vorausgesetzt, dass die klinischen Er¬
scheinungen geschwunden waren, und untersuche das Blut. Reagiert
es positiv, wird wieder eine 4—6 wöchige, ähnliche Kur gemacht.
Bei negativer Reaktion wiederhole man die Blutuntersuchung
nochmals nach ca. 2 Monaten. Bleibt sie negativ, so würde ich
doch wieder eine als prophylaktisch zu betrachtende Kur wieder¬
holen. So würden bei positiver Reaktion ca. vier Kuren, bei
negativer ca. zwei Kuren auf das erste Jahr entfallen. Dasselbe
wäre im zweiten Jahre der Fall, mit dem bei dauernd negativer
Reaktion die Behandlung vorbehaltlich der weiteren Beob¬
achtung beendigt werden köunte.
Anstatt der Inunktionskuren mag auch einmal eine Subli¬
matinjektionskur mit etwa 30 Injektionen äO,l eingeschoben
werden. Besteht grosse Neigung zu Recidiven, so wäre eine
Mercinolinjektionskur mit 8 bis 10 Ziel er ’schen Spritzen und
einer einmonatigen Pause in der Hälfte am Platze. Erfordern die
Recidive besonders rasche Beseitigung, so fange man mit
Injektionen von Salicylquecksilber an, oder mache auch eine
ganze Kur aus 10 bis 15 (wöchentlich zwei) Injektionen ä 0,1.
Sind sie besonders schwer und gehäuft, so kommt eine Calo-
melinjektionskur (8 ä 0,1) in Frage.
Im Falle das Salvarsan bei der ersten Kur vertragen wurde,
kombiniere man, aber immer unter Vorausschickung von etwa
10 Innnktionen oder Sublimatspritzen oder zwei unlöslichen Spritzen,
auch die folgenden damit.
Jodpräparate sind besonders in den latenten Fällen mit
nur positivem Wassermann als mehrwöchentlicbe Vorkuren rationell,
ebenso wie Schwitz-, Bade- und Trinkkuren während der Queck-
silber-Salvarsankuren, wenn möglich an einem Badeort.
Sollten trotz dieser energischen Behandlung im dritten oder
vierten Jahre noch sekundäre Recidive kommen, oder sollte der
Wassermann nicht negativ werden, so muss die Behandlung
fortgesetzt werden.
Nur für den Fall, dass solche Kuren aus äusseren Gründen
einmal nicht gemacht werden können, kann man als schwachen
Ersatz Hydr. tann. oxydulat. oder Mergal geben, oder einen
Mercolintschurz tragen lassen.
Bei Syphilis praecox maligna, bei der* oft zeitweise wenigstens
Quecksilber nicht vertragen wird, muss wenigstens die Einleitung
der Behandlung häufig mit Jodkuren in steigenden Dosen oder
mit Salvarsan allein gemacht werden (Ernährung, allgemeine
Hygiene).
III. Jertiäres Stadium.
r DieBebandlung unterscheidet sich von der ebep geschilderten
dadurch, dass die, Jodpräparate und die mobilisierende Therapie
noch mehr in den Vordergrund treten, die ersteren besonders dann,
wenn es gilt, rasch gummöse oder ulceröse Formen zur Heilung
zu bringen. Hier gibt man am besten das Jod auch noch während
eines grossen Teiles oder der ganzen Quecksilbersalvarsankur.
Die zweite besonders in der Spätlatenz.
Die Häufigkeit der Kuren richtet sich hier nach der Schwere
der Erscheinungen und der Wicbtigkeit der befallenen Organe und
nach der NeiguDg zu Spätrecidiven, dann aber auch nach der In¬
tensität und der Beeinflussbarkeit der Wassermann’schen Re¬
aktion.
Alle Symptome, die lokal behandelt werden können, sollen
es womöglich mit spezifischen Mitteln in Verbindung mit denen
der allgemeinen Wundbehandlung auch werden.
Die Heilung kann nur dann als einigermaassen sicher gelten,
wenn ein bis zwei Jahre ohne Erscheinungen und mit bei etwa
alle zwei bis drei Monate wiederholter Serumreaktion stets negativem
Resultat verlaufen sind. Dabei ist eine vorausgegangene aus¬
giebige Behandlung Voraussetzung.
Provokatorische Salvarsaninfusionen sind eventuell zur Siche¬
rung der Diagnose der Heilung zu verwerten.
Die ganze „Heilungsfrage“ und ihre Abgrenzung von der
Spätlatenz bedarf noch genauer kritischer Fixierung nach weiteren
Erfahrungen.
IV. Metasyphilis.
Alle hierher gehörigen Prozesse sollten aber mit sehr genauer
Berücksichtigung der erkrankten Organe und des jeweiligen allge¬
meinen Kräftezustandes nach ähnlichen Grundsätzen behandelt
werden.
Die Tabes ist jedenfalls symptomatisch sehr günstig durch
individualisierende, kombinierte Quecksilber-8alvarsanbebandlung
zu beeinflussen, auch kann man den positiven Blutwassermann
negativ bekommen.
Auch von der Paralyse glaube ich, dass man Besserungen
bis zur Arbeitsfähigkeit unter Schwinden der Sprachstörung
erreichen kann, die weit über die spontanen Remissionen hinaus¬
gehen.
Leukoplakie ist durch kombinierte Hg-Inunktions-Salvarsan-
kuren heilbar.
Aortitis, spezifische Insuffizienz und beginnendes Aorten¬
aneurysma kann — vorsichtig ausgedrückt — sehr gebessert und
zum vorübergehenden Stillstand gebracht werden 1 ).
Die ganze Behandlung der Metasyphilis muss mit den neuen
Kombinationen, die individuell vielfach variiert werden müssen,
planmässig neu aufgebaut werden, diejenige der Nervenfälle unter
Kontrolle des Lumbalpunktates.
Rückblick und Ausblick.
Die Syphilisbehandlung steht gegenwärtig unter günstigen
Auspizien. Spezifisch wirkende und unterstützende Mittel haben
wir zur Genüge, die Form ihrer Darreichung ist ungemein
variations- und dem individuellen Fall anpassungsfähig. Hüten
müssen wir uns vor Debertreibungen und zu raschen Ueber-
tragungen der Laboratoriumsresultate auf die Menschenbehand¬
lung, stets eingedenk der Tatsache, dass die experimentelle Tier¬
syphilis besonders bezüglich der Oberflächlichkeit bzw. Eindring¬
lichkeit der Haftung der Krankheit an versteckten Stellen grund¬
sätzlich von der Menschensyphilis verschieden ist, und dass man
andererseits gerade den Organen, die das Tier vom Menschen
unterscheiden, also besonders dem Nervensystem relativ erheblich
viel mehr zumuten kann als dem menschlichen. .
Das Schwierigste ist die Verhinderung der Bildung latenter
Herde und ihre „Mobilisierung 1 * nach erfolgte Bildung. Daraufhin
sollten alle neuen Bestrebungen in erster Linie gerichtet sein.
Eine ganze Anzahl unangenehmer Nebenwirkungen haben wir za
vermeiden oder doch zu mildern gelernt. Weil wir es noch nicht
absolut sicher können, ^mit allen und in allen Fällen, deshalb
die doch weitaus überwiegend segensreichen Mittel verwerfen,'
wäre voreilig, unklug, ja unverantwortlich. Richtiger ist es,
alle unsere Kräfte zusammenzufassen, um zu lernen, wie wir
unsere für die ganze Menschheit wertvollen Heilmittel dieser
für einzelne störenden und unheilvollen Nebenwirkungen ent¬
kleiden können.
__ ' i
I) Cf. Deneke, Ueber die syphilitische Aortenerkrankung (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 10): „Die grundsätzlich in die erste Linie
zu 4 stellende Schmierkur“ usw. (Anmerkung bei der Korrektor.)
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81. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
B81
Aus dem städtischen Krankenhause zu Wiesbaden.
Ueber Parallelversuche mit Alt- und
Neosalvarsan.
Von
C. Gatmann -Wiesbaden.
Seit etwa einem halbeu Jahre habe ich, wo nur immer mög¬
lich, Parallelversuche mit Alt- und Neosalvarsan in der Weise
angestellt, dass ich beide Präparate in möglichst gleicher
Einzeldosis und möglichst gleichen Intervallen intra¬
venös injizierte. Es veranlasste mich zu diesem Vorgehen die
Ueberleguug, dass ein einigermaassen sicheres, vergleichendes
Urteil über die beiden so nahe verwandten Mittel eigentlich nur
auf Grund solcher Resultate zu gewinnen sein würde, die auf
einer möglichst gleichmässigen therapeutischen Basis beruhten.
Keinen Augenblick war ich natürlich im Unklaren darüber, dass
damit noch nicht die ständige Variabilität zweier anderer Grössen
von hoher Bedeutung, nämlich der jeweiligen Lues und des jeweils
von ihr okkupierten Organismus, ausgeschaltet war, aber es war
doch immerhin durch ein solches therapeutisches Handeln wenig¬
stens ein einigermaassen konstanter Faktor geschaffen, ein Faktor,
der, wie auch Simon 1 ) hervorhebt, bei der Beurteilung der
Leistungsfähigkeit und vor allem auch der Nebenwirkungen beider
Medikamente vielfach nicht genügend berücksichtigt worden ist.
Der Behandlungsplan war folgender: Zunächst erhielt der
Patient 0 2—0,3 Altsalvarsan, bzw. die entsprechende Menge Neo¬
salvarsan. Dann folgte ein Ruhetag. Am dritten Tage wurde
dieselbe oder eine etwas höhere Dosis einverleibt, je nachdem wie
die erste Injektion vertragen worden war. Darauf wurde 5 Tage
Hg inungiert — nur einige wenige Fälle erhielten Hg-Injektionen —;
am nun folgenden Tage wiederum Salvarsaninjektion, und zwar
in der Regel 0,5 Altsalvarsan bzw. 0,75 Neosalvarsan; die Dosis
0,6 (bzw. 0,9) wurde niemals überschritten. Alsdann folgte wieder
eine fünftägige Hg-Behandlung in der oben angegebenen Form,
darauf wiederum eine Salvarsaninfusion, u. s. f. Die geringste
Anzahl der während einer Kur applizierten Salvarsaninfusionen
betrug 3, die Höcbstzahl 9.
Natürlich musste nicht selten aus allen möglichen Gründen
von diesem Schema etwas abgewichen werden. In den Turnus
hineinfallende Sonntage veranlassten dazu, die betreffende Sal¬
varsaninjektion bereits 5 oder erst 7 Tage nach der vorhergehenden
zu machen, oder die Patienten erschienen nicht zum festgesetzten
Termin, sondern erst 1 oder 2 Tage später. Weiter zwangen bis¬
weilen interkurrente Erkrankungen, z. B. Angina, dazu, zwischen
je zwei Injektionen eine längere Pause einzuschieben, event. auch
die Dosis herabzusetzen. Dasselbe geschah, wenn die vorher¬
gegangene Injektion nicht ganz ohne Störung verlaufen war.
Prinzipiell und strikte wurde daran festgehalten, die Injektion
nur bei völligem Wohlbefinden und normaler Temperatur des
Patienten auszuführen.
Mit grossen Zahlenreihen kann ich leider nicht aufwarten.
Einmal strömt nicht ein allzu grosses Syphilismaterial unserem
Krankenhause zu, und andererseits konnte eine ganze Reihe von
Fällen nicht nach obigem Schema behandelt werden, weil dienst¬
liche Verhältnisse, Berufstätigkeit und sonstiges mehr hindernd
im Wege standen. Von einer Mitverwendung dieser Patienten im
Rahmen dieser Arbeit musste natürlich abgesehen werden, und
ebenso sind zahlreiche Einzelinfusionen und eine Anzahl von Nach¬
injektionen bei einem Teil des hier zu besprechenden Kranken¬
materials in den nachfolgenden Ausführungen unberücksichtigt
gelassen.
Immerhin verbleiben 101 Fälle, über die berichtet werden
kann. An diesen wurden im Verlaufe einer Kur insgesamt 625 In¬
jektionen ausgeführt. Darunter befinden sich 51 Altsalvarsanfälle
mit 296 und 50 Neosalvarsanfälle mit 329 Injektionen.
Von den 51 Altsalvarsanpatienten erhielten:
5 Fälle 3 Injektionen mit einer Gesamtdosis von 1,1 —1,5
„ „ n 2,0
„ n „1,6 -2,5
„ „ „ 2,4 3,2
„ „ „ 2,55—3,4
„ „ „ 6,4 3,6
„ „ „ 3,8 4,6
10
8
11
6
6
5
1) Münchener med. Wochenschr.,'1912, Nr. 43.
Von den 50 Neosalvarsanpatienten erhielten:
3 Fälle 3 Injektionen mit einer Gesamtdosis von 1,8 —1,96
6 „ 4 „ „ „ „ „ 2,1 3,45
2 „ 6 „ „ „ „ „ 2,7 3,9
8 „ 6 „ „ „ „ „ 3,9 4,35
4 „ 7 „ „ „ „ „ 3,7 4,95
10 „ 8 „ „ „ „ „ 4,35 6,15
11 ».2 „ . „ „ „ „ 5.85 7,05
In beiden Serien sind Fälle aus allen Stadien der Lues ver¬
treten, ganz überwiegend allerdings solche mit Erscheinungen
sekundärer Syphilis. An zweiter Stelle stehen Primärluiker mit
posiriver Wassermann Reaktion; ungefähr gleich gross ist die Zahl
der Fälle mit Lues latens. Ganz gering auf beiden Seiten ist die
Zahl der Fälle von primärer Lues mit negativer Serumreaktion,
mit tertiärer Lues, mit Syphilis des Centralnervensystems und
Metalues.
Wenn ich mich nunmehr den Nebenwirkungen, die wir
erlebt haben, zuwende, so möchte ich zunächst die Temperatur¬
kurven besprechen.
Von den 296 Altsalvarsaninjektionen konnte nach 283 In¬
fusionen, von den 329 Neosalvarsaninjektionen nach 313 In¬
fusionen die Temperatur genau, d. h. zweistündlich kontrolliert
werden.
Temperaturstürze bis auf 35,8 oder gar 35,1, wie sie
Touton 1 ) beschreibt, haben wir nicht gesehen; in vereinzelten
Fällen ging unmittelbar nach der Injektion die Temperatur auf
36,1 oder 36,2 herunter.
Temperatursteigerungen waren nicht selten zu ver¬
zeichnen. Wenn man davon berichten will, so müsste man sich
zunächst eigentlich darüber schlüssig werden, wo die Grenze ge¬
zogen werden soll, an der die normale Temperatur aufhört und
das Fieber beginnt. Man müsste, wollte man ganz korrekt ver¬
fahren, in jedem einzelnen Falle die Temperatur an den der In¬
jektion vorangehenden Tagen berücksichtigen, ebenso die Tempe¬
ratur kurz vor der Injektion, und man müsste alsdann logischer¬
weise schon von Fieber sprechen, wenn nach der Injektion diese
Temperaturen auch nur um wenige Zehntelgrade überschritten
werden. Man müsste also richtigerweise jeden einzelnen Fall
genau analysieren. Dies würde im Rahmen dieser Arbeit natür¬
lich viel zu weit führen, und es dürfte daher zweckmässig sein,
wie üblich 37.5 als oberste Grenze des Normalen festzusetzen,
zumal solche Temperaturen nach meinen Erfahrungen kaum jemals
mit dem Gefühl des Krankseins für den betreffenden Patienten
verknüpft sind.
Unter den 283 Altsalvarsaninfusionen waren nun von Fieber
gefolgt 46, und zwar entfielen auf
49 erste Injektionen 21 mit Temperatursteigerung,
49 zweite „ 7 „
49 dritte „ 7 „
41 vierte „ 4 „
35 fünfte „ 2 „
27 sechste „ 1 „
17 siebente „ 1 „
11 achte „ 2 „
5 neunte „ 1 „
Unter den 313 Neosalvarsaninfusionen stieg nach 40 In¬
jektionen die Temperatur über 37,5 hinaus, und zwar kamen auf
48 erste Injektionen 17 mit Temperatursteigeiung,
48 zweite
48 dritte
43 vierte
39 fünfte
31 sechste
25 siebente
20 achte
11 neunte
Es waren mithin fieberhafte Reaktionen zu verzeichnen:
a) unter der Gesamtheit der Injektionen
bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 16,26 pCt.
„ „ „ Neosalvarsan „ 12,46 „
b) unter den ersten Injektionen
bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 42,8 pCt.
„ „ „ Neosalvarsan „ 35,4 „
c) unter der Gesamtzahl der zweiten bis neunten Injektionen
bei Verwendung von Altsalvarsan etwa 10,68 pCt.
„ „ „ Neosalvarsan „ 8,67 „
1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 24.
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UNiVERSUY OF IOWA
582
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Es geht aus dieser statistischen Zusammenstellung hervor,
dass der Prozentsatz fieberhafter Reaktionen beim Alt*
salvarsan ein etwas höherer ist als beim Neosalvarsan.
Die Differenz ist jedoch so gering, dass an sich daraus Rück¬
schlüsse zugunsten des einen Präparates gegenüber dem anderen
nicht gezogen werden dürfen. Wenn man aber die Tatsache ins
Auge fasst, dass die Zahl der mit sechs bis neun Injektionen,
demgemäss mit den grössten Dosen behandelten Fälle in der
Serie der Neosal varsan-Patienten nicht unbeträchtlich diejenige
der entsprechend behandelten Altsalvarsanfälle übertrifft und nun
sieht, dass trotz dessen die fieberhaften Reaktionen bei Ver¬
wendung des Neosalvarsans durchweg in einem etwas geringeren
Prozentsatz aufgetreten sind, so erscheint vielleicht doch die An¬
nahme berechtigt, dass im allgemeinen nach Neosalvarsan-
Infusionen in etwas geringerem Umfange als beim Altsalvarsan
Temperatursteigerung erwartet werden dürfte.
Ueber die Ursachen des nach den ersten Injektionen mehr
oder minder oft sich einstellenden Fiebers kann ich mich hier
nicht des näheren verbreiten, zumal darüber ja oft genug und
nach allen Richtungen hin diskutiert worden ist, und die Be¬
sprechung dieser Dinge eigentlich nicht in den Bereich unseres
Themas gehört. Nur auf einen Punkt möchte ich zu sprechen
kommen. Ich hätte natürlich in beiden Versuchsreihen durch
Vorbehandlung mit Hg den Prozentsatz fieberhafter Reaktionen
nach der ersten Injektion erheblich, vielleicht auf ein Minimum
herabdrücken können. Ich habe dieselben aber mit in den Kauf
genommen, weil es mir eben in erster Linie darauf ankam, in
jedem einzelnen Falle an möglichst vielen Infusionen die Verträg¬
lichkeit und die Eigenschaften beider Präparate und die Wirkung
dieser gehäuften Injektionen auf den Ablauf der klinischen
Symptome und auf die Wassermann’sche Reaktion vergleichend
prüfen zu können. Keiner der Patienten hat einen ernstlichen
oder gar dauernden Schaden dadurch erlitten, dass die Kur sofort
mit einer Salvarsaninjektion eingeleitet wurde. Allerdings haben
wir es an der durchaus notwendigen Vorsicht nicht fehlen lassen
und als Anfangsdosis, speziell bei Lues 11, kaum jemals mehr
wie 0,2 Altsalvarsan (= 0,3 Neosalvarsan) gegeben, ja sind so¬
gar bei besonders gefährdet erscheinenden Fällen auf 0,1 berunter-
gegangen.
Was nun die Fieberreaktionen betrifft, die nach zweiten
und mehrfachen Injektionen beobachtet wurden, so ist
darüber folgendes zu sagen:
Zunächst erscheint die Zahl derselben nicht gross, nämlich
etwa 8,67 pCt. bei den mit Neosalvarsan und etwa 10,68 pCt.
bei den mit Altsalvarsan Injizierten.
Zweitens hielt sich das Fieber in der überwiegenden Zahl
dieser Fälle in mässigen Grenzen, wie ohne weiteres daraus
ersichtlich ist, dass bei den hierhergehörigen 23 Neosal varsan-
infusionen die Temperatur 16 mal unter 38,0° blieb, 6 mal 38,0
bis 38,6° betrug und nur einmal 39,7° gemessen wurden. Hin¬
sichtlich dieser letzteren Temperatursteigerung ist nun zu be¬
merken, dass sie im Anschluss an eine zweite Infusion sich ein¬
stellte, nachdem der Patient auf die erste Injektion mit 40,1°
reagiert hatte. In derart gelagerten, übrigens seltenen Fällen, in
denen sich auf die ersten Injektionen Fieber in absteigender Höhe
einstellt und die weiteren Injektionen dann reaktionslos vertragen
werden, dürfte, wie ich 1 ) bereits in meiner Arbeit über Neo¬
salvarsan ausgeführt habe, auch der Temperaturanstieg nach
zweiten und eventuell sogar dritten Infusionen durch weiteren
Untergang grösserer Spirochäten mengen hervorgerufen werden und
somit als Spirocbätenfieber zu deuten sein.
Weiterhin erfolgte der Anstieg der Temperatur allermeist
nicht rapide, in steiler Kurve, sondern allmählich, und ohne
von einem Schüttelfrost eingeleitet zu werden; über leichtes
Frösteln und Unbehagen klagten die Patienten dagegen des öfteren.
Schwere oder gar bedrohliche und langanhaltende Begleiterschei¬
nungen stellten sich nicht ein, wenn man von Erbrechen, Durch¬
fällen, sogenannten anaphylaktoiden Erscheinungeu und ähnlichem
mehr absieht. Das Fieber hatte fast stets in den späteren Abend¬
stunden — die Injektionen sind mit wenigen Ausnahmen zwischen
10—12 Uhr vormittags gemacht — wieder normaler Temperatur
Platz gemacht, und die Testierenden Fälle waren sämtlich am
nächsten Morgen fieberfrei. Dass ein Teil der Patienten an dem
einer solchen fieberhaft verlaufenen Infusion folgenden Tage
über eingenommenen Kopf und Mattigkeit klagte, soll nicht un¬
erwähnt bleiben.
1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 31.
Schliesslich möchte ich betonen, dass an keinem Tage die
Mehrzahl oder gar die Gesamtheit der jeweils Injizierten fieberte,
sondern es handelte sich stets nur um vereinzelte, fieberhaft
reagierende Fälle.
Alle diese Gesichtspunkte habe ich deshalb besprochen, weil
ich aus der Gesamtheit derselben schliessen zu dürfen glaube,
dass für das hier vorliegende Material der sogenannte „Wasser-
fehler 11 als Ursache der fieberhaften Reaktionen bei gehänften
Salvarsaninfusionen nicht in Betracht kommen kann. Eine
weitere Stütze erfährt diese Ansicht durch die Tatsache, dass
unter den 51 Altsalvarsanfällen 18 mit einer Gesamtzahl
von 103 Injektionen, and unter den 60 Neosalvarsanfällen
gar 24 mit 158 Injektionen überhaupt auf keine In¬
jektion hin fieberten. Diese Zahl nicht fiebernder Patienten
erhöht sich auf 31 bzw. 86, wenn man diejenigen Fälle hinzu-
addiert, die nur gelegentlich der ersten Injektion Fieber bekamen.
Eine so grosse Zahl nicht oder doch nur anfänglich reagierender
und während der ganzen Dauer der Versuche immer wieder¬
kehrender Fälle wäre meines Erachtens undenkbar, wenn wir mit
nicht einwandsfreiem Wasser gearbeitet hätten, das übrigens für
sämtliche Injektionen in ein und demselben Sterilisationsapparat
präpariert wurde 1 ).
Ich komme somit zu einer Ablehnung des Wasserfehlers
als Ursache der von uns beobachteten fieberhaften Reaktionen
bei mehrfacher Salvarsanzufuhr, und es müssen daher die Gründe
für das Auftreten derselben in anderer Richtung gelegen sein.
Zunächst trägt einen Teil der Schuld daran sicherlich das
Salvarsan selbst, sei es, dass die Einzeldosis zu hoch gewählt
war, sei es, dass die Injektionen sich in zu kurzen Intervallen
folgten und auf diese Weise eine Cumulierung des Mittels zu¬
stande kam, durch die das Fieber ausgelöst wurde. Aber zweifel¬
los gibt es auch Individuen, deren Organismus von Hause
aus offenbar sehr empfindlich gegenüber dem Salvarsan
ist. Nur auf diese Weise können doch wohl die allerdings sehr
seltenen Fälle erklärt werden, die nicht nur gelegentlich, viel¬
leicht ein- oder zweimal bei einer Reihe fortlaufender Infusionen,
sondern mehrfach, bisweilen sogar auf jede Injektion prompt mit
Temperatursteigerung antworteten. Wechsel mann 2 ) z. B. be¬
richtet über solche Beobachtungen, und auch ich sah ähnliches
in einem Alt- und drei Neosalvarsanfällen, die im Verlaufe einer
Kur acht- bis neunmal injiziert wurden. Drei dieser Fälle näm¬
lich reagierten auf nicht weniger wie vier, der eine Neosalvarsan-
fall sogar auf sechs Injektionen mit Fieber.
Für einen anderen Teil unserer Fieberreaktionen muss aber
vielleicht doch ein zweiter Faktor allein oder gemeinsam mit
dem Salvarsan verantwortlich gemacht werden. In der ersten
Zeit der Versuche verwandten wir nämlich nicht nur beim
Neosalvarsan, sondern auch bei einer Reihe von Alt-
salvarsaninfusionen statt NaGl-Lösung nur Aqua dest.
zur Verdünnung des Mittels. Wir injizierten also stark hypo¬
tonische Lösungen, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese
Hypotonie bei Verwendung des Altsalvarsans eine geringere war
als beim Neosalvarsan, da wir erstere stets nur in alkalischer
Lösung infundierten.
Eine Gegenüberstellung der mit NaCl - Lösung und Aqua
destillata gemachten Injektionen ergibt nun in bezug auf die
fieberhaften Reaktionen folgende Zahlen Verhältnisse:
Unter 234 zweiten bis neunten Altsalvarsaninfusionen sind
ausgeführt:
mit NaCl Lösung 148; danach Temperaturerhöhung 12 mal =
8.1 pCt.;
mit Aqua destillata 86; danach Temperatursteigerung 13 mal =
16.1 pCt.
Unter 265 zweiten bis neunten Neosal varsaninfusionen sind
ausgeführt:
mit NaCl-Lösung 115; danach Temperatursteigerung 4 mal =
8,47 pCt.;'
mit Aqua destillata 150; danach Temperatursteigerung 19 mal =±
12,6 pCt.
Es geht daraus hervor, dass Verwendung von Aqua
destillata zu den Injektionen den Prozentsatz der Fieber¬
reaktionen sehr erheblich in die Höhe treibt, mag man
Alt- oder Neosalvarsan in Anwendung ziehen, und zwar
1) Eioe nach Abschluss dieser Arbeit auf Wunsch von Exzellenz
Ehrlich im Laboratorium der Höchster Farbwerke ausgeführte Analyse
unseres Wassers hat ergeben, dass dasselbe in chemischer Hinsicht
„nicht zu beanstanden“ und „sehr schwach keimbaltig“ ist.
2) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 89.
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31. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
683
sehen wir, dass die Zahl dieser Reaktionen bei ersterem an¬
nähernd zweimal und bei letzterem fast dreimal so hoch ist, so¬
bald Aqna destillata statt NaCl-Lösung als Vehikel für die Ein¬
verleibung des Mittels dient. Von einem Zufall kann angesichts
dieser sehr erheblichen Differenzen nicht gut mehr die Rede sein,
und so müssen wir doch wohl zu der Vorstellung kommen, dass
das Wasser an sich die Schuld daran trägt, indem unter seinem
Einflüsse, wenigstens in einem Bruchteil der Fälle, eine mehr
oder minder beträchtliche Hämolyse sich herausbildet, die ihrer¬
seits wieder zum Auftreten pyrogener Substanzen Anlass geben
könnte. Es kann aber nun, abgesehen von der Temperatursteige¬
rung, ausserdem auch ein Exanthem sich einstellen, wie wir das,
allerdings nur ein einziges Mal, erlebten, und zwar im Anschluss
an die fieberhaft verlaufene Injektion einer wässerigen Neosal-
varsanlösung. Von diesem Fall wird weiter unten noch die Rede
sein. Häufiger dürfte, so könnte man sich denken, dieses letztere
Ereignis zum Fieber sich hinzugesellen, wenn man, statt dem
Organismus die nötige Ruhe zu gönnen, um der Hämolyse Herr
zu werden, eine Injektion sozusagen auf die andere aufpfropfen
würde, wodurch natürlich eine Potenzierung der hämolytischen
Vorgänge hervorgerufen werden muss.
Man könnte an und für sich in diesen durch klinische Ver¬
suche gewonnenen Ergebnissen und daraus resultierenden Er¬
wägungen eine Stütze für die Anschauungen Stühmer’s 1 )
erblicken, dass die bei der Hämolyse freiwerdenden Eiweisskörper
bei den Arsenexanthemen eine Rolle spielen könnten, eine An¬
nahme, die Stüh in er durch Tierversuche an Kaninchen stützt,
in denen es ihm gelang, sowohl mit in Wasser gelösten Blut¬
körperchen, wie mit intravenöser Einspritzung von blutlösenden
Mitteln eine Sensibilisierung hervorzurufen. Die Tiere antworteten
anf eine Reinjektion mit gelösten Blutkörperchen mit schwerem,
anaphylaktischem Ghock bzw. Tod. Es darf dabei aber doch
nicht vergessen werden, dass mit zunehmender Zahl schnell auf¬
einanderfolgender Injektionen wässriger Salvarsanlösungen nicht
nur die Hämolyse immer mehr eine Steigerung erfährt, sondern
gleichzeitig auch eine immer stärkere Anhäufung des Salvarsans
in den Organen Platz greifen muss, und ferner, dass gerade in
jener Periode, in der man, dem Vorgänge Sch reib er’s folgend,
eine Reihe von wässrigen Neosalvarsaninfusionen kurz hinter¬
einander machte, die Exantheme an manchen Stellen in fast
beängstigender Weise sich häuften und auch vielfach einen
schweren Verlauf nahmen. Es kann also meines Erachtens die
Frage, welcher von beiden Faktoren, ob das Wasser oder das
Salvarsan, für die Entstehung der Exantheme verantwortlich zu
machen sei, nicht mit aller Bestimmtheit in dem einen oder
anderen Sinne erledigt werden.
Damit möchte ich die Besprechung der fieberhaften Reak¬
tionen nach Salvarsanzufuhr beschliessen und wende mich nun¬
mehr den beobachteten Magen-Darmstörungen zu.
Von den 51 Altsalvarsanfällen reagierten
18 Patienten auf 26 Injektionen mit Erbrechen,
11 „ „ 17 „ „ Durchfall,
9 „ „ 9 „ „ Erbrechen und Durchfall.
Von den 50 Neosalvarsanfällen reagierten
13 Patienten auf 19 Injektionen mit Erbrechen,
4 „ „ 4 „ „ Durchfall,
1 Patient „ 1 Injektion „ Erbrechen und Durchfall.
Es zeigt sich demnach in Uebereinstimmung mit den An¬
gaben wohl aller Autoren und mit eigenen, bereits früher mit¬
geteilten Erfahrungen 1 ) zur Evidenz, dass das Altsalvarsan
weit häufiger als das Neosalvarsan Magen-Darm¬
erscheinungen verursacht. In dieser Hinsicht ist also zweifel¬
los mit der Einführung des Neosalvarsans ein ganz wesentlicher
Fortschritt erzielt worden.
Die weiteren nunmehr noch zu berichtenden Störungen
belasten ausnahmslos das Konto des Altsalvarsans, von
folgendem Falle abgesehen, auf den ich bei Besprechung
der Steigerung fieberhafter Reaktionen bei Verwendung wässriger
Lösungen bereits kurz hin wies. , ,,
23 jährige Frau mit latenter, völlig unbehandelter Lues. Infektion
ca. 3 Jahre zurückliegend; Wassermann +-1-. Liquor cerebrospinalis
völlig normal, speziell Wassermann, auch bei Auswertung. Pat. erhielt
folgende Neosalvarsandosen: 1
11. X. 1912. 0,45, Höchsttemperatur 37,4°.
14. X. 0,75, Höchsttemperatur 37,3°.
1) Münchener med. Wochen sehr., 1912, Nr. 45.
2) 1. c.
21. X. 0,75, Höchsttemperatur 38,6°. Einmal Erbrechen, Kopf¬
schmerz.
29. X. 0,3, Höchsttemperatur 37,3°. Einmal Erbrechen, etwas
Kopfschmerzen.
4. XI. 0,45, Höchsttemperatur 37,0°.
9. XI. 0,6, Höchsttemperatur 37,4°. Viermal Erbrechen.
15. XI. 0,45, Höchsttemperatur 37,3*. Einmal Erbrechen.
21. XI. 0,6, Höchsttemperatur 37,1*. Wassermann —.
Etwa l U Stunde nach der dritten, am 21. X., vormittags 11 Uhr,
ausgeführten Injektion stellten sich einmaliges Erbrechen und Kopf¬
schmerzen ein. Nachmittags 3Va Uhr war ein morbillöses Exanthem
im Gesicht, mit Ausnahme der Kinngegend, am Stamm und den Extremi¬
täten vorhanden. Ausserdem bestand erhebliche Rötung und Schwellung
der Conjunotiven. Temperatur abends 38,6°.
Am 22. X. Exanthem und Befund an Conjunctiva unverändert.
Temperatur morgens noch 37,4°, abends 37,0°. Allgemeinbefinden gut.
Am 23. X. nachmittags waren Exanthem und Conjunctivitis abge¬
klungen.
Wegen dieses Exanthems, das 10 Tage nach Beginn der Behandlung
einsetzte, wurde am 29. nur 0,3 Neosalvarsan injiziert. Abgesehen von
einmaligem Erbrechen und etwas Kopfschmerzen reaktionsloser Verlauf.
Im unmittelbaren Anschluss an die siebente Injektion, am 9. XI.,
mehrmaliges Erbrechen; ferner starke Rötung des Gesichts und der
ganzen Brust, Erscheinungen, die etwa 15 Minuten später wieder ver¬
schwunden waren. Das gleiche ereignete sieh nach der achten Injektion,
am 21. XI.
Am 22. XI. bei völligem Wohlbefinden entlassen.
Die nach der dritten Injektion zur Entwicklung gelangten
Erscheinungen müssen natürlich in die Gruppe der sogenannten
Arzneiexantbeme eingereiht werden. Dagegen gehören die nach
den beiden letzten Infusionen ganz akut einsetzenden und ebenso
rasch wieder abklingenden kongestiven Zustände meines Erachtens
in das Gebiet der flüchtigen Erytheme und unter die Rubrik des
sogenannten „angioneurotischen Symptomenkomplexes u . Derartige
Vorfälle sind bei Verwendung des Neosalvarsans offensichtlich
sehr selten. Simon 1 ) z. B. berichtet über ein ähnliches Er¬
eignis, desgleichen Bruhns 2 ), dessen Fall allerdings sehr viel
schwerer war.
Bemerkenswert an unserem Falle scheint mir einmal die
Entwicklung eines Exanthems und sogenannter „ana¬
phylaktoider Erscheinungen u bei ein und derselben mit
Neosalvarsan behandelten Patientin, ferner, dass trotz
Fortsetzung der Salvarsankur, allerdings zunächst mit herab¬
gesetzten Dosen, das Exanthem nicht recidivierte und endlich,
dass die nach der letzten Injektion sich einstellenden „anaphy¬
laktoiden Erscheinungen“ gegenüber ihrem erstmaligen Auftreten
keine Steigerung erkennen Hessen.
Bei unseren Altsalvarsanfällen nun habe ich überhaupt
kein Exanthem gesehen; dagegen erlebte ich bei nicht
weniger wie neun Altsalvarsanpatienten „anaphy¬
laktoide Erscheinungen“ in allen Varianten. In einem Teil
der Fälle war die Sache mit einer mehr oder minder starken
Kongestionierung des Gesichts abgetan, die plötzlich und uner¬
wartet im Anschluss an die Injektion, einmal auch während der¬
selben einsetzte und nach kurzer Zeit wieder verschwunden war.
Zweimal konnte ich auch gleichzeitig eine intensive Rötung der
Mundschleimhaut konstatieren. Stets war eine sehr erhebliche
Pulsbeschleunigung nachweisbar, bis zu ca. 140 Schlägen in der
Minute. Bei vier Patienten entwickelte sich ausserdem eine mehr
oder minder erhebliche Schwellung der Lippen und Augenlider,
bei einem dieser Fälle auch der Zunge. In mehreren Fällen ge¬
sellte sich dazu heftiges, mehrmaliges Erbrechen. Dagegen war
die Atmung nur wenige Male etwas erschwert, und das Auftreten
von starkem Hustenreiz bei Beginn dieser Zustände vermissten
wir sogar stets. Dagegen sah ich diese beiden Symptome, auf
die namentlich Wechselmann 9 ) als bemerkenswert hinweist, in
sehr charakteristischer Weise bei einem Patienten meiner Privat¬
klientel, der nicht unter die nach obigem Schema behandelten
Fälle gehört. Bei ihm steigerte sich der Husten zu „pertussis¬
ähnlichem Krampfhusten“ und hielt mindestens 5—6 Minuten an.
Es ist nüfa ohne weiteres zuzugeben, dass ein feil dieser
Zustände zunächst einen sehr beängstigenden Eindruck erweckte,
aber die Anfälle gingen sämtlich, zum Teil freilich erst nach vielen
Stunden, restlos vorüber und hinterliessen nicht die geringste
Schädigung des Patienten. Unsere diesbezüglichen Erfahrungen
decken sich also vollkommen mit denjenigen Wechselmann’s
und anderer.
1) 1. c.
2) Med. Klinik, 1912, Nr. 26.
8) Deutsehe med. Wochenschr., 1912, Nr. 25.
8 *
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UNIVERSUM OF IOWA
684
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Dieser Symptomenkomplex entwickelte sich bei unseren
Fällen einmal im Anschluss an die neunte, einmal im Anschluss
an die achte) je zweimal nach der siebenten und sechstel!) einmal
nach der vierten) einmal nach der dritten, und endlich einmal
bereits nach der ersten Injektion. In sieben von diesen
neun Fällen wurde die Salvarsanbehandlung trotz dieser
Zwischenfälle fortgesetzt, und zwar erhielten zwei Patienten
noch je eine, ein weiterer zwei und endlich zwei Fälle noch je
drei Injektionen, ohne dass von neuem solche Anfälle in Er¬
scheinung getreten wären; die beiden Testierenden Fälle dagegen
reagierten auf erneute Salvarsanzufuhr wiederum mit derartigen
Symptomen, aber nicht bei jeder nachfolgenden Injektion und
keineswegs in intensiverer Weise. Ein weiterer Fall (also der
achte von den neun Fällen), der gelegentlich der letzten Infusion
bei der ersten Kur solche Symptome gezeigt hatte, erhielt einige
Monate danach eine Reinjektion, die er völlig reaktionslos ver¬
trug. Diese Erfahrungen stehen in einem gewissen Gegen¬
satz zu denjenigen Wechselmann’s, der ausdrücklich hervor-
hebt, dass bei einzelnen der Anfall nur einmal auftrete, bei der
Mehrzahl dagegen die Ueberempfindlichkeit sich bei jeder Injek¬
tion steigere, so dass eine Salvarsanbehandlung kaum durch¬
führbar sei.
Ich möchte in Anbetracht dieser Differenzen wenigstens den
einen der beiden mehrfach reagierenden Fälle, die wir gesehen
haben, kurz mitteilen, zumal derselbe eine Form des angio-
neurotischen Symptomenkomplexes darbot, die, soweit ich
sehe, nur äusserst selten zur Beobachtung gelangt oder wenig¬
stens publiziert ist.
20 jähriges Mädobeö. Vom 12. XI. 1910 bis 7. XII. 1911 wegen
Lues II dreimal 0,8 Salvarsan. Zurzeit symptomlos; Wassermann -f- +.
Liquor cerebrospinalis: Pleocytose 8,9; Nonne-Apelt: geringe Opalescenz;
Wassermann bei Auswertung — (?).
24. VIII. 1912. 0,3 Altsalvarsan 11 ühr 40 Minuten vormittags,
Höchsttemperatur 37,3°. Vor und während der Injektion ausserordentlich
erregt. Ga. 10 Minuten später unter leichtem Frösteln Entwicklung eines
urticariellen, intensiv juckenden Exanthems, das binnen einer
Viertelstunde den ganzen Körper überzogen hat; Gesicht hochrot.
Gegen 6 Uhr abends Exanthem völlig geschwunden und völliges Wohl¬
befinden.
26. VIII. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 38,6°; dreimal Er¬
brechen und Durchfall; abends 7 Uhr Temperatur 37,0°; Befinden*
sehr gut.
2. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 36,4°; einmal Erbrechen.
Im übrigen dasselbe Bild wie am 24. VIII., nur mit dem Unterschied,
dass bereits nach 1*4 Stunden alles wieder normal ist.
7. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchstsemperatur 36,7°. Abgesehen von
der Entwicklung eines nur wenig ausgebreiteten und nur kurzdauernden
urticariellen Ausschlags keine Störungen.
18. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 37,2 °. Völlig reaktions¬
loser Verlauf.
19. IX. 0,5 Altsalvarsan, Höchsttemperatur 36.9°. Geringfügiges
urticarielles Exanthem, nach kurzem Bestände abklingend. Wasser¬
mann + -}-.
20. IX. Entlassen.
1. X. Reinjektion: 0,5 Altsalvarsan; Wassermann noch leicht -J-.
Keinerlei Reaktion.
21. XII. Wiederaufnahme zum Zwecke einer Nachinjektion. Wasser¬
mann +. 0,5 Altsalvarsan. Höchsttemperatur 86,9°. Unmittelbar nach
der Injektion starke Rötung des Gesichts und rapide Entwicklung eines
juckenden universellen Exanthems von urticariellem Charakter, das nach
ca. 2*4 Stunden spurlos verschwunden ist. Leichte Kopfschmerzen.
27. XII. Versuch, durch Injektion von NaCl-Lösung das
Symptomenbild vom 21. XII. hervorzurufen, misslingt.
31. XII. Gleicher Versuch wie am 27. XU., ebenfalls ohne
Erfolg.
6.1. 1913. Wassermann —.
Ich kann die Hauterscheinungen bei diesem Falle nur als
sogenannte anaphylaktoide ansprechen. Einmal sind dieselben
nämlich, wenigstens sobald das Exanthem universell auftritt, ver¬
gesellschaftet mit starker Kongestion nach dem Gesicht, anderer¬
seits sind sie ausgezeichnet durch das Einsetzen unmittelbar nach
der Injektion, durch rasche Entwicklung und mehr oder minder
schnelle Rückbildung. Der Fall lehrt in ausgezeichneter Weise,
dass nach dem erstmaligen Auftreten der Anfälle nunmehr nicht
unbedingt jede weitere Salvarsanzufuhr von den gleichen
oder gar schwereren Symptomen gefolgt sein muss,
vielmehr sehen wir, wie in bunter Reihe völlig oder fast völlig
reaktionslos verlaufende Infusionen abwecbseln können mit
solchen, die teils anaphylaktoide Erscheinungen von gleicher
Intensität wie zuvor, 1 teils auch solche geringeren Grades nach
sich ziehen.
Nun muss ich aber im Anschluss an diese Fälle noch auf
einen anderen Punkt kurz eingehen. Es war Wechsel mann 1 )
aufgefallen, dass bei seinen neun mit anaphylaktoiden
Zuständen reagierenden Fällen acht sichere Hirnlues
hatten, nämlich Apoplexie (zweimal), Frühmeningitis (dreimal),
Pseudoparalyse und Epilepsie (einmal) und ältere Basilarmeningitis
(zweimal). Und Iwanschewzow 2 ) sah solche Zustände unter
37 Nervenkranken bei der vierten Salvarsan injektion 14 mal auf-
treten.
Unter unseren neun Fällen boten klinisch acht keinerlei
Symptome, die auf eine Erkrankung des Centralnerven¬
systems hätten hindeuten können. Nur ein dicht vor dem
Ausbruch des ersten Exanthems stehender Primärsyphilitiker
klagte, dass er seit einiger Zeit an Kopfschmerzen leide. Alle
neun Fälle sind vor Beginn der Behandlung lumbal punktiert.
Bei sechs Fällen — unter diesen auch der zuletzt erwähnte, mit
Kopfschmerzen behaftete und später noch genauer zu besprechende
Patient — erwies sich das Lumbal punktat als völlig normal,
während bei den Testierenden drei Fällen die Untersuchung des
Liquor Veränderungen, in der Hauptsache Pleocytose geringen
bis mittleren Grades, aufdeckte, die auf spezifisch-entzündliche
Vorgänge am Nervensystem hindeuteten. Bei Wechsel mann
also unter neun mit anaphylaktoiden Symptomen Reagierenden
acht Hirnluesfälle, unter unseren neun Patienten dagegen nur
drei mit offenbar geringfügigen, erst durch die Lumbalpunktion
nacbgewiesenen Veränderungen am Centralnervensystem. Unter
den wenigen Fällen von schwerer Syphilis des Centralnerven¬
systems und Metalues, die ich einer Behandlung mit Alt-
salvarsan unterwerfen konnte, zeigte jedoch keiner das obige
Symptomenbild.
Unsere diesbezüglichen Erfahrungen decken sich also wohl
mit denjenigen Gennerich’s 3 ), stehen aber im Gegensatz zu
denjenigen von Wechselmann und Iwanschewzow. Daraus
wird mao nur den Schluss ableiten dürfen, dass gewöhnliche
Syphilitiker schliesslich doch einmal ebenso mit ana¬
phylaktoiden Erscheinungen auf Salvarsan reagieren
können wie solche, bei denen das Centralnervensystem mehr oder
minder schwer erkrankt ist.
Zur Aufklärung dieser anaphylaktoiden Anfälle kann ich
neue Momente nicht beibringen. Es ist mir ebensowenig wie
Wechselmann gelungen, durch Injektion von Kochsalzlösung
bei jenem oben mitgeteilten Falle, der wiederholt auf Salvarsan-
infusionen ein mehr oder minder ausgedehntes urticafielles
Exanthem bekam, ein derartiges Symptomenbild experimentell zu
erzeugen. Wechselmann hat im übrigen wohl Recht mit der
Annahme, dass der Anfall durch eine Reizung des vasomotorischen
Centrums hervorgerufen wird, und dass als auslösendes Moment
das Salvarsan als solches in Betracht kommt.
Hieran anschliessend möchte ich dann erwähnen, dass bei
dreien unserer Altsalvarsanfälle eine Angina während der
Kur zur Beobachtung gelangte. In dem einen handelte es sich
um eine ganz typische doppelseitige Tonsillitis follicularis, die
zwischen der achten und neunten Injektion zur Entwicklung
kam und ganz zweifellos nicht mit dem Salvarsan in Zusammen¬
hang stand.
Nicht sicher zu deuten waren der zweite und dritte Fall.
Das eine Mal konstatierten wir am neunten Tage nach der ersten,
fieberhaft verlaufenen Injektion auf. der einen Tonsille einen
diffusen graugrünen Belag bei hoher, 40° übersteigender Tempe¬
ratur und starker Prostration. Nach zwei Tagen kritischer Abfall
des Fiebers. Ein Exanthem an der Haut stellte sich nicht ein.
Bei dem dritten Patienten stellten wir am 13. Tage nach
Beginn der Behandlung eine doppelseitige Angina mit ähnlichen
Belägen fest wie im vorhergehenden Falle. Auch hier hohe
Temperatur und starkes Krankheitsgefühl. Hier währte es circa
eine Woche bis zur Abheilung der Halsentzündung. Ein Exanthem
blieb auch hier aus.
Ich muss unentschieden lassen, um welche Art von
Angina es sich in diesen beiden Fällen gehandelt hat; speziell
muss die Frage offen bleiben, ob diese Anginen als sogenannte
Salvarsanenantheme aufgefasst werden müssen oder nicht. . ",
Bei den ersten dieser in ihrer Aetiologie zweifelhaften
Anginafälle trat übrigens einen Tag nach der ersten Injektion
eine leicht icterische Verfärbung der Haut und Sklefefi
ein, die nach weiteren 1% Tagen geschwunden war.
1) 1. c.
2) Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 15.
3) Praxis der Salvarsanbehandlung. Berlin 1912.
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
585
Ferner erlebten wir beim Altsalvarsan dreimal einen
Herpes simples im Bereiche der Lippen bzw. am Mundwinkel.
Der eine entwickelte sich im Anschluss an eine reaktionslos ver¬
tragene zweite, die beiden anderen nach fieberhaft verlaufenen
dritten Infusionen.
Weiterhin sahen wir bei zweien unserer Altsalvarsan-
fälle eine Thrombose entstehen, beide Male in einer Vene,
die bereits wiederholt zur Injektion benutzt worden war. die¬
selbe nahm in beiden Fällen ihren Ausgang von der Gegend der
Einstichstelle, nicht da, wo der Oberarm zum Zwecke der Stauung
abgeschnürt worden war, und breitete sich fast nur proximalwärts
aus. Weiterer Schaden ist den betreffenden Patienten daraus
nicht erwachsen.
Albuminurie stellte sich weder bei unseren Alt- noch
bei unseren Neosalvarsanfällen ein, trotz Kombination mit
Hg-Behandlung. Bei drei Patienten, darunter zwei Graviden, die
bereits vor Beginn der Behandlung Eiweiss in geringen Mengen,
ohne Beimischung von Nierenelementen ausschieden, konnte die
kombinierte Salvarsan-Hg Therapie, ohne den geringsten Schaden
zu stiften, bis zu Ende durchgeführt werden. Beide Gravidae
waren sogar gegen Ende der Kur eiweissfrei.
Von Schädigungen der peripheren Nerven und vor
allem von Störungen im Bereiche des Centralnerven¬
systems sind wir verschont geblieben mit Ausnahme eines
einzigen Falles, den ich bereits bei Besprechung der sogenannten
anaphylaktoiden Erscheinungen kurz erwähnte und nunmehr aus¬
führlich mitteilen möchte.
W. R., kräftiger, gut genährter 28 jähriger Manu von blasser Gesichts¬
farbe. Bisher nicht geschlechtskrank.
Status am 7. XII. x 1912: Ulcus durum im Frenularwinkel links,
Spirochäten +.
Auf der Glans penis einige trockene, blassrote, flachpapulöse, scharf-
begrengte Effloreszenzen. Keine Induration des dorsalen Lymphstranges.
Inguinaldrüsen beiderseits mächtig geschwollen, sehr hart, zu einer
einzigen Masse konfluiert, etwas druckempfindlich. Am Abdomen einige
zweifelhafte Maculae. Wassermann +-|-.
Von seiten des Nervensystems keinerlei objektive Symptome, doch
gibt Pat. an, seit einer Reihe von Tagen an Kopfschmerzen, speziell
io der Schläfengegend, tagsüber, aber auch nachts zu leiden.
8. XII. Lumbalpunktion: Druck nicht gemessen; Liquor fliesst
nur tropfenweise ab, völlig klar. Nonne-Apelt negativ; 1,2 Zellen im
Kubikmillimeter. Wassermann negativ, auch bei Auswertung.
9. XII. 0,2 Altsalvarsan. Kein Herxheimer. Keinerlei sonstige
Reaktion.
11. XII. 0,4 Altsalvarsan. Reaktionslos vertragen.
16. XIL 0,4 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion.
18. XII. Primäraffekt restlos abgebeilt, die papulösen Effloreszenzen
auf der Glans penis desgleichen. Schwellung der Drüsen erheblich
zurückgegangen. Kopfschmerzen bisher nicht geschwunden. Sonst aus¬
gezeichnetes Befinden. Gegen Abend beim Lesen plötzliches Flimmern
vor den Augen und Doppeltsehen.
Befund: Fast komplette Lähmung des rechtsseitigen N. abducens.
Augenhintergrund normal, nur Venen rechts vielleicht etwas weiter und
stärker gefüllt als links.
21. XII. Lumbalpunktion: Da Pat. am nächsten Tage das
Krankenhaus verlassen muss, werden nur ca. 2 ccm Liquor abgelassen.
Liquor klar; Nonne-Apelt; Opaleszenz. Im Kubikmillimeter 18 Zellen.
0,3 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion.
27. XII. 0,4 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion.
Nur ab und zu noch Kopfschmerzen, und zwar jetzt nur im Be¬
reiche des rechten Stirn- und Scheitelbeins. N. supraorbitalis an der
Austrittsstelle druckempfindlich. Abducenslähmung zwar erheblich
zurückgegangen, aber immer noch Doppeltsehen beim Blick weit nach
rechts.
2. I. 1913. 0.5 Altsalvarsan. Keinerlei Reaktion.
Keine Doppelbilder mehr, doch besteht immer noch eine geringe
Parese des Abducens. Zeitweilig noch Kopfschmerzen im Bereiche des
rechten Stirnbeins.
8. I. 0,5 Altsalvarsan. Unmittelbar nach der Iojektion starke
Rötung des Gesichts und der Mundschleimhaut. Leichtes Unwohlsein.
Puls 108. Nach ca. einer Viertelstunde wieder völlig normale Verhält¬
nisse. Wassermann —.
13. I. 0,5 Altsalvarsan. Reaktionslos vertragen.
Es besteht immer noch eine minimale Parese des rechten Abducens.
Beim Blick möglichst weit nach rechts beträgt die Entfernung vom
lateralen Irisrand bis zum äusseren Augenwinkel am erkrankten Auge
ca. 2 mm. Kopfschmerzen seit einigen Tagen völlig geschwunden. In-
gninaldrüsen zwar vollkommen isoliert zu fühlen, aber immer noch zum
Teil kleinkirschgross. Wassermann wiederum —.
(Eine nochmalige Lumbalpunktion wegen der dienstlichen Verhält¬
nisse des Patienten augenblicklich und auch in absehbarer Zeit nicht
ausführbar.)
Es bandelt sich also hier um einen an Lues erkrankten,
dicht vor dem Ausbruch des ersten Exanthems stehenden Patienten.
Die Wassermann’scbe Reaktion ist positiv. Der Patient leidet seit
kurzer Zeit an Kopfschmerzen, besonders des Nachts; der Liquor
cerebrospinalis ist völlig normal. Er erhält vom 9. XII.
bis 16. XIL 1,1 Altsalvarsan in drei Injektionen, die ganz
reaktionslos vertragen werden, daneben Hg in Form von In-
unktionen. Am 18. XIL, also 9 Tage nach Beginn der Be¬
handlung, setzt plötzlich, mit Flimmern vor den Augen ver¬
bunden, eine fast totale, isolierte, rechtsseitige Ab¬
ducenslähmung ein. Im Lumbalpunktate findet sich nun¬
mehr eine mässige Pleocytose und eine schwach,
positive Nonne-Apelt’sche Globulinreaktion. Die anfangs
vorhandenen Kopfschmerzen sind mehr lokalisiert, und zwar im
Bereiche des rechten Stirn- und Schläfenbeins. Unter weiteren
Salvarsaninfusionen klingen die Kopfschmerzen, das Flimmern
vor den Augen und die Abducenslähmung allmählich ab,
so dass am 13. I. 1913, also 26 Tage nach Eintritt der letzteren,
nur noch eine minimale Parese des Nerven restiert 1 ).
Dieser soeben beschriebene Zwischenfall bat sich bei Ver¬
wendung von Altsalvarsan ereignet; das gleiche hätte aber
auch natürlich unter einer Neosalvarsanbehandlung ge¬
schehen können. Dieses Ereignis darf daher zunächst einmal
nicht auf das Schuldkonto des Altsalvarsans gesetzt werden. Es
kann und darf aber überhaupt nicht dem Salvarsan in die
Schuhe geschoben werden in dem Sinne, dass hier eine
toxische Schädigung der Nervensubstanz durch das Mittel
stattgefunden hätte. Denn wie Hesse sich eine solche Auffassung
damit in Einklang bringen, dass wir die Nervenlähmung sich
wieder zurückbilden sehen, obwohl die Salvarsankur nicht einen
Tag unterbrochen wurde, und obschoo nicht nur eine, sondern
noch weitere fünf Salvarsaninfusionen mit einer Gesamtdosis von
2,2 g dem Patienten verabfolgt wurden.
Ich möchte mir den Gang der Dinge und speziell die
Rolle, welche das Salvarsan dabei gespielt hat, folgender-
maassen vorstellen: Der normale Liquorbefund zu Beginn der
Behandlung bestimmte uns, anzunehmen, dass die Kopfschmerzen,
unter denen der Patient zu leiden hatte, nicht auf einer syphili¬
tischen Infektion der weichen Hirnhäute basierten, sondern spezi¬
fischen Veränderungen im Knochen, bzw. innerhalb der Dura ihre
Entstehung verdankten. Nun kam es infolge der Wirkung
des Salvarsan8 in diesem supponierten Krankheitsherd zu
einer Steigerung des spezifischen Prozesses, zur Ent¬
wicklung eines entzündlichen Oedems, ganz analog der an syphi¬
litischen Hauterscheinungen ja so häufig zu beobachtenden Herx-
heimer’schen Reaktion, und diese Steigerung fand zunächst ihren
Ausdruck in dem Persistieren der Kopfschmerzen. Aber
nicht genug damit, es gesellten sich vielmehr noch Liquor¬
veränderungen und eine Abducenslähmung hinzu. Erstere,
speziell die nachweisbare Lymphocytose, zeigten einmal klar, dass
für die zutage getretene Komplizierung des Krankheitsbildes nur
entzündliche Veränderungen verantwortlich gemacht werden
durften, und zweitens, dass der von uns angenommene Krank¬
heitsherd nur in der Dura, und zwar nabe dem Sub¬
duralraum seinen Sitz haben musste, weil sonst ein Uebergreifen
der Entzündung auf die der harten Hirnhaut anliegende
Arachnoidea und ein Uebertritt von Lympbocyten in die Cerebro¬
spinalflüssigkeit nicht denkbar gewesen wäre. Die isolierte
Abducenslähmung aber wies uns den Weg zu dem Sitz des
Prozesses, in dem nach Lage der Dinge eigentlich nur die
Gegend der Fissura orbitalis superior in Frage kommen
konnte. Durch diese tritt bekanntlich der N. abducens zugleich
mit dem N. oculomotorius und N. trochlearis in die Augenhöhle
ein. Nun sind zwar hier die drei Nerven nicht so dicht vom
Knochen umschlossen, wie z. B. der Facialis und Acusticus inner¬
halb des Meatus auditorius internus, aber der Annulus tendineus
communis bildet um die Nerven eine so feste Scheide, dass ein
Ausweichen nicht möglich ist. Und es genügt daher, um in dem
an sich schlecht vascülarisierten Nerven die Circulation zu er¬
schweren oder ganz aufzuheben und somit eine mehr oder minder
vollständige Lähmung herbeizufübren, ein geringfügiger Umstand
[Ehrlich]*); diesen letzteren aber möchte ich für den vorliegen¬
den Fall in einer Druckwirkung erblicken, bervorgerufen durch
ein nach unserer Annahme ja in dieser Gegend lokalisiertes, ent¬
zündliches Oedem der Meningen.
Nach alledem möchte ich den vorliegenden Fall als eine
1) Gelegentlich einer Untersuchung am 17. März zeigte sich, dass
der Abducens wieder völlig funktionsfähig geworden ist.
2) Ehrlioh, Abhandlungen über Salvarsan. München 1911, S, 884.
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586
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Herxheimer’scbe Reaktion ansprechen; dieselbe nimmt
allerdings insofern eine gewisse Sonderstellung ein, als wir
auf Grund klinischer Beobachtung und theoretischer Er¬
wägungen zu der Vorstellung gelangen mussten, dass sich die
Reaktion hier nicht in einem primär im Gehirn bzw. in dessen
weichen Häuten angelegten Syphilisherd abspielte. Vielmehr ist
unsere Auffassung der Sachlage die, dass eine entzündliche
Schwellung, welche sich in einer nahe der Durainnenfläche be¬
findlichen spezifischen Läsion etablierte, sekundär an circum-
scripter Stelle die Meningen und infolge ihres besonderen
anatomischen Sitzes auch den N. abducens in Mitleidenschaft ge¬
zogen bat.
Unser Fall bietet aber nun auch, von einem anderen
Gesichtspunkt aus betrachtet, ein gewisses Interesse.
Dreyfuss 1 ) schreibt nämlich wörtlich: „Niemals sahen wir
aber bei der Lues, die vor der Behandlung keine Lubalflüssigkeits-
Veränderungen hatte, unter, resp. nach Salvarsan solche auftreten!“
Und weiter: „Eine insuffiziente Salvarsanbebandlung vermag bei
eioem vorher nicht luetisch veränderten Oentralnervensystem keine
syphilitischen Hirnerscheinungen zu provozieren.“
In unserem Falle sehen wir nun trotz normalen
Liquors vorder Behandlung unter, resp. nach Salvarsan
Veränderungen der Lumbalflüssigkeit eintreten, und nicht
nur das, wir sehen anch zweitens, dass diese Veränderung des
Liquors sich vergesellschaftet mit Hirnerscheinungen.
Also ein Befund in unserem Falle, der auf den ersten Blick
anscheinend in keiner Weise in Einklang mit den obigen An¬
schauungen von Dreyfuss zu bringen ist! Und doch besteht ein
solcher Gegensatz meines Erachtens nicht. Wie bei einem bereits
luetisch erkrankten Nervensystem die Liquorveränderungen im
Beginn der Behandlung zunächst eine Steigerung erfahren können,
so kann auch, allerdings wohl nur in extrem seltenen Fällen,
unter gewissen Verhältnissen ein anfangs normaler Liquor sich
pathologisch verändern, nämlich dann, wenn, wie wir in unserer
Beobachtung angenommen haben, syphilitische Prozesse in solcher
Nähe der Meningen lokalisiert sind, dass ein unter dem Einfluss der
ersten Salvarsaninfusion oder auch Infusionen einsetzendes Auf¬
flammen der bestehenden Entzündung zu einem Uebergreifen der
letzteren auf die Meningen führt. Es ist aber auch weiter durchaus
verständlich, dass je nach dem Sitze der so reagierenden syphi¬
litischen Gewebsläsionen im Gefolge dieser Reaktion Hirnerscbei-
nungen auftreten oder ausbleiben können. Natürlich wird in An¬
betracht dessen, dass bei einem derartigen Ereignis in der Regel
doch wohl nur umschriebene meningeale Bezirke, und zwar nur
kurzdauernd affiziert werden dürften, kaum jemals mit erheblichen
und lange anhaltenden Veränderungen des Liquors zu rechnen
sein. Wenigstens spricht die in unserem Falle gefundene Zahl
von nur 18 Zellen im Kubikmillimeter in diesem Sinne. Leider
konnte, wie gesagt, nicht nochmals eine Lumbalpunktion gemacht
werden.
Nach alledem bin ich der Meinung, dass diese Beobach¬
tung nichts an der Richtigkeit der oben citierten An¬
sichten von Dreyfuss ändert. Diese Anschauungen er¬
fahren nur durch den Fall eine meines Erachtens nicht
unwesentliche Vertiefung und Ergänzung.
Hiermit möchte ich das Kapitel von den Nebenwirkungen im
Gefolge der Alt- und Neosalvarsaninjektionen beschliessen und
zunächst einige Worte über die Beeinflussung der jeweils
bestehenden klinischen Luessymptome durch die beiden
Präparate sagen.
Die Anschauungen darüber gingen von jeher auseinander und
sind bis zum heutigen Tage divergent geblieben, wenn auch die
Mehrzahl der Autoren in dem Neosalvarsan das weniger wirksame
Mittel erblicken zu sollen glaubt. Um die diesbezügliche Situation
zu kennzeichnen, möchte ich wenigstens die Ansicht zweier
Autoren aus jüngster Zeit hier wiedergeben. Während Heuck 2 3 )
z. B. die Meinung vertritt, dass das Neosalvarsan selbst in höherer
Dosis hinter der Wirksamkeit des Altsalvarsans zurückbleibt, ist
Almkwist 8 ) dazu geneigt, „die therapeutische Wirkung des Neo-
salvarsans wenigstens so gut, wahrscheinlich noch besser als die¬
jenige des Salvarsans anzusehen.“
Was nun unsere eigenen Erfahrungen betrifft, so fühle
ich mich, obwohl unsere Fälle auf das genaueste beobachtet sind,
ausser stände, mit Bestimmtheit das eine oder andere
1) Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 33 u. 34.
2) Therapeut. Monatsh., 1912, Nr. 11.
3) Dermatol. Wochensohr., 1913, Nr. 2.
Präparat als das bessere zu proklamieren. Wir haben mit
beiden Mitteln ganz überwiegend recht gute, in einem Teil der
Fälle sogar glänzende Resultate erzielt. Andererseits liess nicht
ganz selten der therapeutische Effekt zu wünschen übrig, indem
die Rückbildung der syphilitischen Läsionen nur langsame Fort¬
schritte machte. Erscheinungen, die dem klinischen Aspekt nach
als völlig oder nahezu identisch angesprochen werden mussten
und demgemäss das denkbar beste Vergleichsmaterial darboten,
reagierten ganz verschieden, bald gut, bald weniger gut auf das
eine wie auf das andere Salvarsan. Ganz besonders habe ich
dabei Primäraffekte und die sie begleitende Lymphdrüsenschwel-
lung im Auge. Ich verfüge über einige besonders markante Fälle,
in denen, mochten sie nun mit Alt- oder Neosalvarsan in reich¬
licher Dosis behandelt worden sein, die Induration des Primär¬
affektes oder die Drüsenscbwellung oder beides in mehr oder
minder grossem Umfange oft wochenlang bestehen blieben und
auch dann bisweilen noch nicht ganz beseitigt waren, wenn die
Wassermann-Reaktion sich bereits als negativ erwies. Statt vieler
Worte sei es mir gestattet, über zwei Beobachtungen zu be¬
richten, die einmal, z. T. wenigstens, diese Verhältnisse sehr gut
illustrieren, dann aber auch in anderer Beziehung mir nicht
uninteressant zu sein scheinen.
Fall 1. (Mit Neosalvarsan behandelt -J-, Hg-Inunktionen.)
Erste Aufnahme am 28. VI. 1912. 25 jähriger Mann. Auf dem dorsum
penis fast pfennigstückgrosser, erodierter Primäraffekt, mässig induriert
Spirochäten +. Inguinaldrüsen beiderseits stark geschwollen, links
stärker wie rechts. Wassermann H—j-. Kein Exanthem.
29. VI. Neosalvarsan 0,45. Lokal: Calomel.
I. VII. Neosalvarsan 0,75.
10. VII. Neosalvarsan 0,75.
II. VII. Primäraffekt höchstens zu einem Drittel überhautet.
Schwellung der Inguinaldrüsen kaum verändert. Wassermann
Effugit.
Zweite Aufnahme am 26. X. 1912.
Status: Auf dem Dorsum penis, an der Stelle des alten Primär¬
affektes, eine pigmentierte, ganz weiche Narbe. Distalwärts davon,
durch eine ca. */* cm breite, normale Hautzone davon getrennt, ein
ovaler, flacher Substanzverlust (Durchmesser 9 bzw. 6 mm), der seinem
ganzen Aussehen und seiner Beschaffenheit nach durchaus einem Primär¬
affekt gleicht. Spirochäten -{-. Dorsaler Lymphstrang ein wenig ver¬
dickt. Inguinaldrüsen beiderseits stark geschwollen, namentlich links.
Sonst keine Zeichen von Lues. Wassermann -|—|-.
An demselben Tage 0,45 Neosalvarsan. Lolal: Calomel.
27. X. Entlassung wegen Verweigerung der Weiterbehandlung.
Dritte Aufnahme am 14. XII. 1912.
Patient gibt an, dass das am 26. X. vorhandene Ulcus sehr schnell
zugeheilt, vor ca. 14 Tagen aber wieder aufgebrochen sei.
Status: Im Bereiche des damals konstatierten Ulcus ein etwa
zehnpfennigstückgrosser Substanzverlust. Derselbe ist polycyklisch be¬
grenzt und reicht proximalwärts bis an den Rand der vom ersten Ulcus
herrührenden Narbe heran. Mässige Induration. Spirochäten +.
Inguinaldrüsen wie am 26. X. Kein Exanthem oder sonstige Lues¬
symptome. Wassermann
16. XII. Neosalvarsan 0,6. Kein Fieber, jedoch viermal Durchfall.
Lokal: Calomel.
20. XII. Neosalvarsan 0,75. Kein Fieber, jedoch wieder Durchfall.
27. XII. Neosalvarsan 0,75. Keinerlei Reaktion. Wassermann
negativ.
31. XII. Ulcus bis auf ca. */a verkleinert. Inguinaldrüsen beider¬
seits zwar weniger, aber immer noch ziemlich erheblich geschwollen.
Effugit.
Der Fall zeigt zunächst, wie langsam unter der Neo¬
salvarsan behandlung die Ueberbäutung des am 29. VI. und
14. XII. jeweils bestehenden Ulcus von statten geht. Auch die
Rückbildung der Drüsen lässt zu wünschen übrig. Er
zeigt ferner (cf. dritte Aufnahme), dass trotz Persi stiere ns
einer noch ziemlich erheblichen Leistendrüsenschwellung
eine komplett positive Wasserman-Reaktion in die negative
Phase umschlägt, und zwar in der recht kurzen Zeit von
14 Tagen.
Von besonderem Interesse aber ist der ganze klinische
Verlauf des Falles. Im Juni 1912 typischer Primäraffekt. Ende
Oktotober desselben Jahres: Primäraffekt vom Juni mit weicher
Narbe abgeheilt; in unmittelbarer Nachbarschaft derselben, aber
nicht mit ihr zusammenhängend ein Ulcus, das klinisch durchaus
den Eindruck eines neuen Primäraffektes macht. Mitte Dezember
desselben Jahres: Erneute Ulceration im Bereich des im Oktober
konstatierten, inzwischen zur Abheilung gelangten Ulcus, und zwar
von grösserem Umfange wie ehedem.
Es ist natürlich hier nicht der Ort, in eine Diskussion der
Frage einzutreten, ob im vorliegenden Falle eine zweimalige In¬
fektion stattgefunden hat, oder ob die bei der zweiten und dritten
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
68?
Aufnahme zu konstatierenden spezifischen Ulcerationen als Recidive
der im Juni fesfgestellten Lues gedeutet werden müssen. Ich
glaube, dass die letztere Auffassung zu Recht besteht, und wir
hätten somit das gewiss recht seltene Ereignis zu verzeichnen,
dass hintereinander im Verlaufe etwa eines halben Jahres
Primäraffekt, Pseudoprimäraffekt in der unmittel¬
baren Nachbarschaft des ersteren und schliesslich Re-
induration oder, vielleicht besser gesagt, Reerosion des
Pseudoprimäraffektes zur Entwicklung und Beobachtung
gelangten.
Fall 2. (Mit Altsalvarsan behandelt + Hg*Inunktionen.)
Status am 30. X. 1912: 25jähriger Mann in mittlerem Ernährungs¬
zustand, von blasser Gesichtsfarbe. Drei Primäraffekte am inneren Prä-
putialblatt bzw. im Sulous coronarius; der in der Mittellinie gelegene
auf die Glans penis übergreifend. Starke Schwellung der Inguinal- und
Cruraldrüsen, mässige Schwellung einer Reihe von Cervicaldrüsen. Uni¬
verselles, dichtstehendes, vorwiegend klein-maculöses Exanthem. Wasser¬
mann -j"K Lumbalpunktat ohne Besonderheiten. Bisher keine Be¬
handlung.
81. X. Altsalvarsan 0,15. Keinerlei Reaktion. Lokal: Calomel.
2. XI. Altsalvarsan 0,3. Keinerlei Reaktion.
8. XI, Altsalvarsan 0,5. Keinerlei Reaktion. Exanthem völlig ge¬
schwunden. Ulcera dura zwar überhäutet, doch fällt auf, dass die In¬
duration im Bereiche derselben entschieden stärker geworden ist.
Inguinaldrüsen nur wenig beeinflusst.
14. XI. Altsalvarsan 0,5. Reaktionslos vertragen.
16. XI. Heute wird erstmalig bemerkt, dass am Abdomen eine
Reihe kleiner, hellroter, papulöser Effloreszenzen vorhanden sind. Ausser¬
dem fühlt sich das ganze innere Präputialblatt, nachdem es reponiert
ist, hart und derb an.
18. XI. Papulöse Effloreszenzen viel zahlreicher; dieselben sind
auch auf der Brust, am Rücken und vereinzelt am Halse und an den
Extremitäten wahrzunehmen.
21. XI. Der ganze Stamm mit Papeln, jetzt zum Teil von braun¬
roter Farbe, übersät. Auch an den Extremitäten sind dieselben viel
zahlreicher geworden. Die Induration des inneren Präputialblattes noch
verstärkt, an einzelnen Stellen desselben kleine, oberflächliche Erosionen.
Wassermann noch -\—
Altsalvarsan 0,5. Reaktionsloser Verlauf.
Trotz dessen breitet sich das Exanthem in den nächsten Tagen
noch weiter aus. Daher Unterbrechung der Salvarsankur und der Hg-
Inunktionen. Statt dessen Hg-Injektionen und Jodkali in steigenden
Dosen. Pat. erhält in der Zeit vom 28. XI. bis 26. XII. 10 Toxynon-
injektionen ä 0,05 g intramuskulär und 154 g Jodkali. Unter dieser
Therapie ganz allmähliche Rückbildung der Erscheinungen.
27. XII. Altsalvarsan 0,5. Reaktionslos vertragen.
28. XII. Entlassungsbefund: Exanthem mit ziemlich beträchtlicher
Pigmentierung abgebeilt; Infiltration im Bereich der früheren Papeln
nicht mehr zu fühlen. Inneres Präputialblatt immer noch ziemlich in-
duriert. Inguinal- und Cruraldrüsen noch deutlich, wenn auch mäs^ig
geschwollen. Wassermann fast negativ.
Der Fall zeigt zunächst, dass auch bei Verwendung von
Altsalvarsan die Rückbildung mancher Symptome zu
wünschen übrig lassen kann. Zwar heilt das vorhandene
Exanthem rasch ab und die Ulcera dura scbliessen sich
schnell, aber die Schwellung der Drüsen erscheint nach
neuntägiger Behandlung noch kaum merklich beein¬
flusst; ja, nach etwa achtwöchiger, und zwar kombinierter
Behandlung mit Salvarsan, Hg und Jod besteht noch eine
deutliche Vergrösserung der Drüsen, während die Wasser-
mann’sche Reaktion trotz Persistierens dieses Symptoms
fast negativ geworden ist.
Aber davon abgesehen liegt das Hauptinteresse des Falles
darin, dass mitten in der Salvarsanbehandlung die bereits
überbäuteten Schanker in stärkerem Grade sich indurieren,
allmählich das ganze innere Präputialblatt in diese Induration
mit bineinbezogen wird und ein sehr ausgedehntes Haut-
recidiv sich entwickelt. Und dieser Rückfall ist nicht macu-
löser, sondern papulöser Natur, repräsentiert also eine
schwerere Form des syphilitischen Exanthems, wie das zu An¬
fang der Kur beobachtete.
Recidive unter der Behandlung sind natürlich bekannt, so¬
wohl bei Hg Kuren, wie auch gelegentlich bei Verwendung des
Salvarsans. Bei letzterem batte ich selbst allerdings bis dahin
noch keines erlebt. Aber Ehrlich 1 ) selbst teilt z. B. einen Fall
mit, in dem bei einem Patienten mit Primäraffekt etwa 13 Tage
nach einer Salvarsaninjektion ein maculöses Exanthem des
Stammes in Erscheinung trat. Solche Rückfälle sind aber ge¬
wöhnlich mehr lokaler Natur, und es dürfte wohl ein Recidiv
1) Ehrlich, Abhandlungen über Salvarsan. München 1912. Bd. 2,
S. 586.
von solcher Ausdehnung wie das eben beschriebene als ein extrem
seltenes Ereignis anzusehen sein.
Die Ursache dafür kann füglich nur darin gesucht werden,
dass der hier angesiedelte Spirochätenstamm sehr bald
salvarsanfest wurde. Primär war er das sicher nicht, wie
die rasche Abheilung des bei Beginn der Behandlung bestehenden
Exanthems beweist. Die Schnelligkeit aber nun, mit der das
Recidiv sich einstellte, und vor allem die fast explosionsartig er¬
folgende weitere Ausbreitung desselben hach erneuter Salvarsan-
zufuhr lassen den Gedanken aufkommen, dass nicht nur eine
Gewöhnung der Spirochäten stattgefunden hatte, sondern dass
vielleicht das Salvarsan hier sogar eine die Entwicklung und
Vermehrung der Spirochäten fördernde Wirkung ausgeübt hat.
Ich komme nunmehr zu dem letzten, hier zu erörternden
Punkte, nämlich zu der Besprechung der Frage nach der Be¬
einflussung der Wassermann’schen Reaktion durch die
beiden Mittel. Unsere diesbezüglichen Resultate sind in den
beiden nachstehenden Tabelleo zusammengestellt, zu deren Er¬
läuterung ich folgendes' bemerken möchte.
Tabelle 1. (Altsalvarsan fälle.)
ft*
©
B
a
£
Stadium
der Lues
Zahl der
Injektionen
Gesamtdosis
Zeitdauer vom
Beginn d. Be¬
handlung bis
zur letzten
Blutentnahme
Wassermann-
Reaktion
l
Lues I.
3
1,2
14 Tage
++
2
n
3
1,8
16
++
3
„
4
1,7
1 22
++
4
' 99
5
2,4
21
++
5
5
2,2
23
+
6
5
2,2
35
—
7
5
2,3
35
:—
8
5
1,75
25
—
9
6
2,6
1 31
—
10
„
7
3,0
37
»
—
11
Lues II. recid.
5
2,3
26
++
12
. 99
5
2,4
27
+4-
13
5
2,1
1 26
■4~+
14
5
2,2
35
+
15
yy
6
2,9
32
++
16
n
6
2,4
32
++
17
ft
6
2,5
33
—
18
7
2,9
37
++
19
99
7
3,1
37
++
20
rt
7
3,0
87
+
21
99
8
3,3
42
99
++
22
99
8
3,45
44
99
+
23
99
8
4,1
45
99
+
24
99
8
3,3
43
V
—
25
Lues latens
5
2,3
26
99
++
26
19
5
2,7
26
99
++
27
99
7
3,1
40
99
++
28
Lues maligna
8
3,6
44
++
29
Tabes dors.
6
| 2,5
31
*
++
Die beiden Tabellen enthalten ohne Ausnahme aRe diejenigen
Fälle, welche bei positiver Wassermann-Reaktion zu Begiun der
Behandlung 6 Injektionen und mehr nach unserem Behandlungs¬
plan erhielten. Von den Fällen hingegen, die weniger als 6 mal
injiziert wurden, sind nur die Primäraffekte mit positivem Wasser¬
mann, und zwar sämtlich, notiert. Alle anderen, mit weniger als
6 Injektionen behandelten Patienten hatten auch beim Abschluss
der Kur noch eine positive Serumreaktion und sind deshalb fort¬
gelassen. Das in der letzten Rubrik verzeiebnete Resultat der
Blutuntersuchung datiert in allen Fällen vom Tage der letzten
Injektion einer Kur. Diese bzw. die mittels derselben einveTleibte
Salvarsandosis konnte natürlich auf den Ausfall der Schlussreak¬
tion keinen Einfluss mehr ausüben und ist deshalb überall bei
der Angabe der Zahl der Infusionen in Abzug gebracht, ebenso
die letztinjizierte Salvarsanmenge bei der Angabe der Gesamt¬
dosis. Bei den Fällen, die noch über die Zeit des Eintritts der
negativen Phase hinaus behandelt sind, ist nur die für die Er¬
zielung des negativen Umschlages erforderlich gewesene Zahl der
Infusionen und Gesamtdosis des Salvarsans angegeben.
Aus den Tabellen gebt zunächst hervor, dass, soweit nicht
primäre Syphilis vorliegt, nur ganz wenigeFälle am Ende einer
etwa 4- bis höchstens 7*wöchentlichen, durch Hg-Inunk*
4*
Digitized b"
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
668
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Tabelle 2. (Neosalvars an fälle.)
Nummer |
Stadium
der Lues
p
Ut ©
© p
*0 o
•sä
Gesamtdosis
(mit 8 / a zu
multi¬
plizieren)
Zeitdauer vom
Beginn d.Be-
handlung bis
zur letzten
Blutentnahme
Wassermann-
Reaktion
1
Lues I.
2
0,8
i 9 Tage
_
2
3
0,9
14
jj
++
3
»
3
1,7
21
+
4
4
1,6
15
n
++
5
4
1,6
23
»
—
6
»
4
2,0
21
n
—
7
5
2,3
25
n
—
8
»
5
2,3
26
n
—
9
LuesII.recens.
7
3,1
38
n
++
10
7
2,7
41
11
«*
7
2,7
41
+
12
8
4,1
49
++
13
Lues II. recid.
5
2,3
35
»
++
14
5
2,1
30
»
++
15
5
2,3
38
—
16
7
3,1
37
++
17
8
3,6
40
++
18
8
3,6
43
+
19
fi
8
4,0
43
jj
+
20
»
8
3,9
49
—
21
Lues latens
5
2,2
34
»
+
22
6
2,2
34
—
23
*
7
3,3
38
V
++
24
7
3,3
37
Ji
+
25
8
3,9
41
»
++
26
8
3,6
51
++
27
8
3,5
43
++
28
Lues congenita
7
2,9
43
»
++
tarda
29
Lues cerebri
7
3,7
43
»
++
30
Tabes dors.
5
2,2
30
»
++
31
n
7
3,1
36
++
32
Paralysis
8
3,7
39
jj
++
juvenilis?
tionen unterstützten Salvarsankur einen negativen Wasser¬
mann aufweisen, ganz gleichgültig, ob Alt- oder Neo-
salvarsan injiziert wurde. Weiterhin ist ersichtlich, dass nach
dieser Richtung in die Augen fallende Differenzen zwischen
den beiden Mitteln nicht existieren. Das gilt sowohl für die
Betrachtung der Gesamtheit der Fälle,’ wie auch der einzelnen
Gruppen. Wenn ich z. B. die Fälle von Lues II und Lues latens
auf jeder Seite znsammenfasse und nun konstatieren kann, dass
unter 17 solchen Altsalvarsanpatienten 2 eine negative, 4 eine
schwach positive und 11 eine komplett positive Serumreaktion
beim Abschluss der Behandlung haben, bei 19 Neosalvarsanfällen
aber die entsprechenden Zahlen 8, 5 und 11 sind, so muss das
doch als ein einigermaassen übereinstimmendes Resultat ange¬
sprochen werden. Dieses Ergebnis erleidet auch keine Ver¬
änderung, wenn wir die allerdings nur wenigen Fälle mitver-
werten, welche mehr oder weniger lange Zeit nach Abschluss der
Kur serologisch nachkontrolliert werden konnten. Es reagierten
gelegentlich dieser Nachuntersuchung nämlich von 15 Altsalvarsan¬
patienten 6 noch positiv, die übrigen 9 waren Wassermann-negativ
geworden, und unter 13 Neosalvarsanfällen war die Reaktion
5 mal noch positiv, 1 mal zweifelhaft und 7 mal negativ. Be¬
achtet man nun ausserdem noch, dass auch das Material in
beiden Serien von Fällen ein wenigstens annähernd äqui¬
valentes ist, so könnte man geneigt sein, den Schluss zu ziehen,
dass Alt- und Neosalvarsan ungefähr in gleicher Weise die Wasser-
mann'sche Reaktion beeinflussen. Es wäre indes ein solcher
Schluss vielleicht doch etwas voreilig zu nennen, da nicht über¬
sehen werden darf, dass in unserer Statistik die Zahl der mit
7 und mehr Injektionen, also mit den grössten Dosen
behandelten Patienten in der Neosalvarsanreihe die¬
jenige der ebenso oft injizierten Altsalvarsanfälle nicht
unerheblich übertrifft. Man müsste also, gleiche Wirksamkeit
beider Präparate vorausgesetzt, unter den Neosalvarsanfällen einen
höheren Prozentsatz negativer Reaktionen als bei den Altsalvarsan¬
patienten erwarten. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall,
sondern auf beiden Seiten herrschen, wie gezeigt, in dieser Be¬
ziehung annähernd die gleichen Verhältnisse, fic wfirde demnach
dieses Moment, wenn auch vielleicht nicht in erheblichem Maasee,
zu uogunsten des Neosalvarsans sprechen und dahin zu verwerten
sein, dass das letztere an Kraft der Einwirkung auf die positive
Wassermann’scbe Reaktion dem Altsalvarsan vielleicht doch etwas
nachstehen dürfte.
In der Literatur findet man fast durchweg, so unter anderen
von Gennerich 1 ), Heuck 2 ), Jordan 2 ), in mehr oder minder
bestimmter Form die Anschauung vertreten, dass das Neosalvarsan
die Wassermann-Reaktion schlechter beeinflusse wie das Alt¬
salvarsan. Sehr vorsichtig ist Wechselmann 4 ) in seinem Urteil.
Er stellt zwar die Tatsache fest, dass auffallend oft, auch bei
Verwendung sehr hoher Neosal varsandosen, die Wasser man n’sche
Reaktion bei sekundärer Syphilis unbeeinflusst blieb, weist aber
gleichzeitig auf die Schwierigkeit hin, „die therapeutische Wirkung
bei einer so proteusartig verlaufenden Krankheit, wie sie die
Syphilis darstellt, sicher zu beurteilen“.
Das mir vorliegende Vergleichsmaterial gestattet
nach den obigen Darlegungen keine bestimmte Stellung¬
nahme in der Frage der Beeinflussung der Wasser¬
mann-Reaktion durch die beiden Präparate, vor allem
deshalb nicht, weil die Zahl der Fälle, bei denen die Parallel¬
versuche durchgeführt werden konnten, eine viel zu geringe ist.
Weitere Versuche sind dringend notwendig. Die hier zur Dis¬
kussion stehende Frage kann nur an einem sehr grossen Material
gelöst werden, wie es uns nicht zur Verfügung steht. Uud zwar
müssen meines Erachtens Parallel versuche mit beiden Mitteln
unter möglichst gleichen Bedingungen angestellt werden. Es
sollten also möglichst die gleichen Einzeldosen und möglichst die
gleiche Gesamtdosis während einer Kur verabfolgt werden, und
die Dauer der letzteren müsste sich wenigstens annähernd über
denselben Zeitraum erstrecken. Zweckmässig dürfte es auch sein,
diesen Versuchen ein wenigstens ungefähr gleichmässiges Material
zugrunde zu legen. Nur bei solchem Vorgehen dürfte volle Klar¬
heit darüber zu gewinnen sein, ob dem Alt- oder Neosalvarsan
die grössere therapeutische Kraft innewobnt.
Für unser therapeutisches Handeln dürften sich aus den
bei diesen Parallel versuchen gewonnenen Erfahrungen vielleicht
folgende Gesichtspunkte ergeben: ln Anbetracht der auffallend
höheren Zahl fieberhafter Reaktionen nach wässerigen Alt- und
Neosalvarsaninjektionen gegenüber solchen, die mit NaCl-Lösung
ausgeführt wurden, verwende man sowohl beim Alt- wie beim
Neosalvarsan prinzipiell nur Kochsalzlösungen zur Infusion.
Im Hinblick auf die geringeren Nebenwirkungen des Neo¬
salvarsans dürfte es sich empfehlen, bei Fällen mit sehr ausge¬
breiteten Erscheinungen und vor allem dann, wenn der syphi¬
litische Prozess in lebenswichtigen Organen, z. B. im Nervensystem
lokalisiert ist, die Kur mit Neosalvarsan durchzuführen oder zum
mindesten zu beginnen, und zwar mit allerkleinsten Dosen von
0,15—0,3.
Um dem Auftreten sog. anaphylaktoider Erscheinungen, die
fast ausnahmslos an das Altsalvarsan gebunden sind und sich
meist erst bei späteren Infusionen Beinstellen, möglichst vorzu-
beugen, dürfte es vielleicht angebracht sein, in allen Fällen
während einer Kur beide Präparate kombiniert anzuwenden. Man
könnte entweder mit einigen (3—4) Altsalvarsaninjektionen be¬
ginnen und die Kur alsdann mit einigen Neosalvarsaninjektionen
bescbHessen oder auch den umgekehrten Weg einschlagen, oder
man könnte eventuell auch alternierend beide Präparate injizieren.
Sollten trotz dessen derartige Symptome gelegentlich einer Alt-
salvarsaninjektion in Erscheinung treten, so wird man zweck¬
mässigerweise, den Empfehlungen Gennerich’s 5 ) und Wechsel-
mann’s 6 ) folgend, die Kur mit Neosalvarsaninjektionen fortsetzen.
Die Ruhepausen zwischen den einzelnen Infusionen wähle
man noch etwas grösser als in unserem Behandlungsplan. Mao
injiziere vielleicht anstatt an jedem 6. jeden 7. oder 8. Tag. In
der Einzeldosis gehe man nicht über 0,5 Altsalvarsan = 0,76 Neo¬
salvarsan hinaus.
1) 1. c.
2) 1. c.
3) Dermatolog. Zeitschr., 1912, Nr. 11.
4) l. o.
5) 1. c.
6) 1. c.
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Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
31. Min 1013.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
589
Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauer¬
stofforte des tierischen Gewebes. 1 )
Von
P. G. Unna.
M. H.! Als der Vorstand Ihrer Gesellschaft mir die ehren¬
volle Aufforderung zuteil werden Hess, Ihnen über die Sauers toff-
orte des tierischen Gewebes einen Vortrag zu halten, war es
mir von vornherein klar, dass ich mich lediglich auf die Vorführung
von Tatsachen beschränken, diese aber so exakt wie möglich vor¬
führen müsse. Denn eigentlich gehört zu diesem Thema in weitester
Auffassung auch die Lehre von den Oxydationsfermenten der Ge¬
webe, und Sie wissen alle, dass diese Lehre ausser einer fast unüber¬
sehbaren Reihe von Tatsachen auch eiue Anzahl sich wider¬
sprechender Theorien umfasst. Bin kurzer Blick auf die Geschichte
dieser Theorien wird Ihnen aber zeigen, dass diese ganze Lehre für
unser heutiges Thema ohne Belang ist und ohne Nachteil über¬
gangen werden kann.
Anfangs war man allerdings geneigt, anzunehmen, dass alle
Oxydationen im tierischen Körper durch Oxydationsfermente be¬
wirkt würden, und in diesen Fermentwirkungen würde dann auch
eine hauptsächliche Quelle der Energieentfaltung des tierischen
Körpers zu sehen sein. Dieser alten von Schönbein und Moritz
Traube gehegten Anschauung schlossen sich später Jacquet
und der um die Oxydationsfermente so verdiente Bertrand an.
Dieselbe sieht in der Heranziehung von Fermenten, die ja auch
sonst gewisse schwierige Oxydationen spielend bewerkstelligen,
die einzige Möglichkeit, die bei der Atmung der tierischen Gewebe
stattfindende energische Oxydation zu erklären. Offenbar nimmt
diese Erklärung nur Rücksicht auf die Qualität der hier vor¬
handenen Schwierigkeit.
Als man aber daran ging, die hierbei in Betracht kommenden
Energiebeträge messend zu verfolgen, ergab sich alsbald (Portier,
En gl er), dass die oxydierenden Fermente viel zu schwache
Wirkungen ausüben, um die Verbrennnng von Eiweiss, Kohlen¬
hydraten und selbst von Fetten zu bewirken, die der tierische
Organismus mit Leichtigkeit vollführt. Da die vorhandeneSchwierig-
keit also quantitativ durch die Herbeiziehung der Oxydations¬
fermente gar nicht beseitigt wurde, nahmen mehrere Forscher an,
dass die tierischen Gewebe erst durch andere Fermente aufgespalten
werden, und dass die entstehenden Spaltungsprodukte dann leichter
durch Oxydationsfermente oxydiert würden, so Gautier und
Friedenthal und für die Pflanzen neuerdings Palladin. Bis
jetzt fehlt aber noch eine Abfaugung solcher Zwischenprodukte
bei der tierischen Atmung und der experimentelle Beweis, dass
diese sich leicht durch die bereits nachgewiesenen Oxydations¬
fermente bis zu C0 2 und Harnstoff oxydieren lassen.
Unter diesen Umständen muss wohl ein jeder, der sich mit
dem Thema des Sauerstoffwechsels, der Atmung de9 tierischen
Gewebes beschäftigt, zu einer Auffassung gelangen, der zuerst
Batelli und Stern einen einfachen Ausdruck gegeben haben,
indem sie Vorschlägen, zwischen einer Hauptatmung und einer
accessorischen Atmung zu unterscheiden. Nur die letztere
kann von Fermenten bewirkt werden. Diese lassen sich von dem
tierischen Gewebe trennen und zeigen isoliert die bekannten all¬
gemeinen Eigenschaften der Fermente. Sie bewirken hier und
da im tierischen Körper echte Oxydasewirkungen, die nach Portier
und Batelli zunächst Schutzwirkungen gegen bestimmte Schädlich¬
keiten sind; so die Tyrosinase, die Alkoholase und Urikase und
das Ghromogen der Pflanzen. Sie sind aber in spezifischer Weise
nur auf bestimmte Körper oder Körpergruppen eingestellt und
allein schon deshalb nicht für die in allen Zellen gleichmässig
vor sich gehende Atmung verantwortlich zu machen.
Diese, die Hauptatmung, dagegen ist an die Zelle und
zwar an jede Zelle gebunden. Ihr Substrat ist noch nicht so gut
studiert wie das der accessorischen Atmung. Aber so viel ist sicher,
wir können es nicht von der Zelle trennen, wir müssen es in den
Zellen selbst aufsuchen und betreten damit ein neues, aber sehr
aussichtsreiches Gebiet. Ehe wir dasselbe jedoch betreten, ist es
notwendig, dass wir uns von allen Ideen frei machen, welche sich
an vereinzelte Befunde von Fermentorten in bestimmten Organen
knüpften zu einer Zeit, als man noch eine willkommene Erklärungs-
möglichkeit der tierischen Oxydation in echten Oxydationsfermenten
fand. Unser Weg muss uns vielmehr in jede Zelle hineinführen;
täte er das nicht, so wäre es vergebens, auf ihm eine Aufklärung
über da9 Wesen der wirklichen Zellatmung, der Hauptatmung, der
Verbrennung von Zellsubstanz zu C0 2 und Harnstoff zu gewinnen.
Hieraus ergibt sich von selbst, dass der Träger der Haupt¬
atmung nur im Spongioplasma des Zellleibes gesucht werden kann
(im Kern: im Plastin), d. h. nur in der allen Zellen in gleicher
Weise zukommenden Grundsubstanz. Es ist von vornherein aus¬
geschlossen, dass die wechselnden Einschlüsse im Spongioplasma,
das Granoplasma und die verschiedenen Granula und Zellbegleiter,
wie Fett, Pigment usw., Träger der Hauptatmung sein können.
Ehe wir jedoch das Spongioplasma genauer auf sein Verhältnis
zum Sauerstoff untersuchen, bedarf es noch einer kurzen Erörterung,
in welcher Weise die Resultate einer solchen Untersuchung zur Dar¬
stellung gebracht werden müssen. Jede gewöhnliche histologische
Untersuchung und Darstellung lässt an zwei Stellen der persönlichen
Willkür des Forschers Raum, bei der Färbung der Schnitte und
bei ihrer bildlichen Wiedergabe. Beides muss vermieden werden,
ln der nun folgenden Demonstration ist beides vermieden. Die
betreffenden Schnitte werden nicht in gewöhnlicher Weise gefärbt;
sie färben sich selbst — automatisch — in nicht oder anders
gefärbten Flüssigkeiten, indem sie diese erst speichern und dann
durch Hinzufügung oder Entziehung von Sauerstoff den beweisenden
Farbenumschlag herbeiführen. Sodann schreibt sich die Natur
zum zweiten Male — automatisch — auf bei der Herstellung der
vorzuführenden Diapositive, indem diese nach der Methode Lumiere’s
ohne unser Zutun gleich in den beweisenden Farbenkontrasten
erscheinen. Mit diesen Hilfsmitteln ausgerüstet gehen wir an die
Untersuchung und Darstellung der Sauerstoffverteilung im Gewebe
heran und beginnen mit der Grundlage jeder Zelle, dem Spongio¬
plasma des Zellleibes (und dem Plastin der Kerne).
Wir wissen nun bereits, dass diese Grundsubstanzen (Spongio¬
plasma, Plastin) reducierende Körper sind. Ob in ihrer Sauer¬
stoffbegierde schon der letzte Grund jeder Zellatmung gegeben
ist, das kanu natürlich nur die übrigens nicht schwierige Rein¬
darstellung und chemische Prüfung des Spongioplasmas ergeben.
Zunächst haben wir eingehender, als das bisher üblich war, die
reducierenden Bestandteile der Zelle einzeln zu untersuchen. Hier¬
zu eignet sich in vorzüglicher Weise die Oberhaut der Fusssohle,
und da das Reduktionsvermögen der Gewebe durch Einlegen in
Alkohol, Aether und Celloidin nicht vernichtet oder verringert
wird, so können wir dazu sehr wohl Alkohol-Celloidin Schnitte
der Fusssohle benutzen. In einer roten Lösung von Kaliperman¬
ganat färben sich alle Reduktionsorte der Haut dadurch braun,
dass sie erst das übermangansaure Kali reducieren und dann das
entstehende Mangansuperoxyd aufnehmen [Demonstration 1 )]. Io
einer Mischung von Eisenchlorid und rotem Blutlaugensalz redu¬
cieren sie letzteres zu gelbem Blutlaugensalz, welches sich mit
dem Eisenchlorid an den Reduktionsorten zu Berlinerblau ver¬
bindet (Demonstration). In der gelben Lösung von Tetranitrochry-
sophansäure in Chloroform entsteht an den Reduktionsorten eine
rote Färbung, wie sie dem Reduktionsprodukt der Tetranitrochry-
sophansäure zukommt.
Fassen wir die grossen Epithelien der Stachelschicht ins
Auge, so bemerken wir an dem Manganbild, dass ihre dunkel¬
braune Farbe zwei scharfe Abgrenzungen zeigt, einmal gegenüber
der nur schwach gelblich gefärbten Cutis, sodann gegenüber sämt¬
lichen ebenso schwach gefärbten Kernen der Stachelzellen. Diese
beiden Teile, das Kollagen und die Kerne, haben nur ein äusserst
geringes Reduktionsvermögen. Während das Kollagen sich aber
nur sauerstoffgesättigt und indifferent erweist, werden wir alsbald
sehen, dass die Kerne bei Anwesenheit von Luft deren Sauerstoff
zu aktivieren vermögen. Uebrigens nimmt die kernreiche Keim¬
schicht des Epithels, die wie ein heller Saum die Stachelschicht
umgibt, an der schwachen Reduktionskraft der Kerne teil. Auf
der anderen Seite erweist sich die Hornschicht noch sauerstoff¬
ärmer als die Stachelschicht; sie färbt sich mit Kalipermanganat
am tiefsten dunkelbraun. Ganz analoge Beobachtungen machen
wir am Eisen-Cyan-Bild. Auch hier machen die Kerne den Ein¬
druck heller Lücken und die Keimschicht umgibt die dunkelblaue
Stacbelschicht als hellblauer Saum.
Wir wollen nun sehen, welche Bestandteile der Oberbaut
dieses Reduktionsbild hervorrufen. Hierzu müssen wir uns erst
das normale Bild der Oberhaut vergegenwärtigen. Ein Parallel-
scbnitt von derselben Fusssohle, mit polychromer Methylenblau¬
lösung gefärbt, zeigt dieses Ihnen allen wohlbekannte Bild, welches
1) Vortrag, gehalten in der Berliner physiologischen Gesellschaft am
24. Januar 1913.
1) Demonstration
Diapositivs.
bedeutet Vorführung eines betreffenden Lumiere-
5
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Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
690
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
auf der Färbung aller basophilen, sauren Teile des Schnittes mit
einer basischen Farbe beruht (Demonstration). Wir sehen die
Kerne und Kerukörperchen dunkelblau gefärbt (basophiles Nuclein
und basophiles Nucleolin), und auch das Protoplasma in grösserem
oder geringerem Umfange hat blaue Farbe angenommen (baso¬
philes Protoplasma = Granoplasma). Wichtig ist auch, wie wir
später sehen werden, dass die Hornschicht in raässigera Grade
gebläut ist. Lassen wir nun einen solchen Schnitt 36 Stunden
bei Zimmertemperatur in 5proz. Salzsäure liegen und färben ihn
dann mit polychromer Methylenblaulösung, so hat sich das Bild
sehr geändert (Demonstration). Wir sehen von der Stachelschicht
des Deckepithels überhaupt nichts mehr. Die starke basische
Falbflotte hat nach Einwirkung der Salzsäure in ihr nichts Färb¬
bares, d. h. keine sauren Bestandteile mehr vorgefunden; nur in
der Hornschicht sind noch saure (basophile) Substanzen verblieben,
und sie färbt sich demgemäss metiiylenblau. Hier haben wir
also einen Schnitt, aus dem alle basophilen Komponenten der
Stachelschicht (Granoplasma, basophiles Nuclein und basophiles
Nucleolin) entfernt sind und können demgemäss die Frage ent¬
scheiden, ob die basophilen Komponenten der Zelle an dem Reduk-
tionsbilde beteiligt sind oder nicht.
Das nächste Bild gibt eine klare Antwort darauf (Demonstra¬
tion). Hier ist ein auch mit 5°/ 0 HCl vorbehandelter Parallelschnitt
mit Kalipermanganat gefärbt, und Sie sehen, dass sich an diesem
Bild durch die Vorbehandlung nichts geändert bat: dieselbe
dunkelbraune Färbung der Stachelschicht (noch dunklere der
Hornschicht), dieselben hellen Lücken an Stelle der Kerne, die¬
selbe schwache gelbliche Färbung der Keimschicht. Mit einem
Wort: die basophilen (sauren) Zellsubstanzen erzeugen
das Reduktionsbild nicht.
Dann müssen es wohl die oxyphilen (basischen) Komponenten
der Zelle sein, welche das Reduktionsbild hervorrufen. In der
Tat, färben wir solch einen mit 6°/o HCl extrahierten Schnitt
mit einer sauren Beizenfarbe, mit Hämatein Alaun, so sieht es
aus, als wäre mit dem Schnitt nichts vorgenommen (Demonstra¬
tion). Wir erhalten das Ihnen bekannte Bild der gewöhnlichen
Hämateinfärbung: die Kerne und Kernkörperchen stark gebläut,
das Protoplasma schwächer, die Körnerschicht am stärksten ge
färbt. Wir wissen also nun, dass die oxyphilen (basischen) Zell
Substanzen, die das Hämateinbild hervorrufen, sich auch am
Reduktionsbild beteiligen: die basischen, oxyphilen Teile
der Zelle, des Kernes und Kernkörperchens reducieren.
Die nächste, woblberechtigte Frage ist nun die, ob diese
basischen, reducierenden Zellbestandteile eine nicht weiter teil
bare Einheit bilden. Das wird sich sogleich zeigen, wenn wir
dieselben weiter aufzuspalten suchen Wir brauchen auf dieselben
Schnitte von der Fusssohle nur statt der öproz. HCl eine25proz.
(concentrierte) HCl in gleicher Weise wirken zu lassen. Es ver¬
steht sich von selbst, dass dann keine Färbung mit Methylenblau
mehr möglich ist; ich brauche das nicht zu demonstrieren. Aber
jetzt versagt auch die Färbung mit Hämatein -f~ Alaun (Demonstra¬
tion). Die Stachelschicbt färbt sich nur noch ganz schwach und
diffus blau, zum Zeichen, dass das nackte, durch 25proz. HCl
blossgelegte Spongioplasma (und Plastin) ebenfalls basischer Natur
ist; aber sie speichert das Hämatein + Alaun nicht mehr; daher
die fehlende dunkle Färbung der Kerne, Kernkörperchen und der
Körnerschicht. Nur die für gewöhnlich farblos bleibenden Ränder
(Zellmembranen) der Stachelzellen färben sich etwas stärker, und
diese sind — in verhorntem Zustande — auch in der Hornschicht
etwas gefärbt. Die Hornzellen sind übrigens alle hohl geworden,
was wir sehr wohl verstehen, da ihr aus Hornaibumosen und
Keratin B bestehender Inhalt durch die concentrierte Salzsäure
aufgelöst ist.
Genau dieselbe schwache, diffuse Färbung wie mit der sanren
Beizenfarbe: Hämatein-|- Alaun erhalten wir, wenn wir den Zell¬
rest (Spongioplasma -|- Plastin des Kerns) mit einer beliebigen
einfachen sauren Farbe, z. B. mitSäurefuchsin färben (Demonstration).
Wir haben jetzt die durch ihre tinktoriellen Eigenschaften gut
gekennzeichnete letzte Zellgrundlage (Spongioplasma-f-Plastin) vor
uns uud können die wichtige Frage entscheiden, ob diese ebenfalls
reduziert oder nicht. Das nächste Bild (Demonstration) gibt die
Entscheidung. Der mit 25proz. HCl extrahierte Schnitt reduziert
Kalipermanganat in vollendeter Weise. Es erscheint wieder das¬
selbe braune Bild mit sehr dunkler Hornscbicht, dunkler Stachel¬
schicht, hellbtäunlicher Keimschicht und fast ungefärbten Kernen.
In der Hornschicht erblicken wir das äusserst zierliche, braun
gefärbte Hornnetz (Keratin A), in dessen Maschen vor der Be¬
handlung mit konzentrierter HCl der Hornzelleninhalt (Keratin B
und Hornaibumosen) vorhanden waren. Derartige Lücken kommen
aber in der Stachelschicbt nicht vor; die reduzierende Grundlage
der Zelleiber ist zwar auch hier viel tiefer gebräunt als die
schwächer reduzierende, gelbliche letzte Grundlage der Kerne
(PJastin), aber diese widersteht ebenfalls der Behandlung mit
konzentrierter HCl und wandelt sich nicht in leere Kernhöhlen um.
Die zuletzt vorgeführten Bilder geben den unanfechtbaren
Beweis, dass in der Zelle zwei gut unterscheidbare Gruppen
reduzierender Substanzen vorhanden sind, die (in HCl) äusserst
schwer lösliche, oxyphile Zellgrundlage (Spongioplasma
und Plastin) und die weitaus löslicheren oxyphilen Sub¬
stanzen. Beide sind basisch und färben sich diffus mit allen
sauren Farben. Der färberische Unterschied zwischen beiden ist
aber der, dass die oxyphilen Substanzen die Beizenfarbe
Hämatein -f- Alaun in spezifischer Weise speichern und dadurch
allein bestimmte Zellbestandteile: oxyphiles Protoplasma, oxy-
philes Nuclein und oxyphiles Nucleolin zur Anschauung bringen.
Das Spongioplasma (und Plastin) färbt sich dagegen mit Hämatein
-|- Alaun diffus, d. h. nicht anders als mit Hämatein allein und
mit allen einfachen sauren Farben.
Weiterhin folgt aus den Ihnen vorgeführten Bildern, dass,
wenn wir ein beliebiges Gewebe mit Hämatein -f- Alaun färben, wir
nur ein Bild der löslicheren oxyphilen, basischen Substanzen im
Gewebe geben, also eine ganz einseitige Darstellung desselben,
welche durch den Vergleich mit der Färbung der nicht reduzierenden,
sauren, basophilen Substanzen mit basischen Farben — einer
ebenfalls einseitigen Darstellung desselben Gewebes — ergänzt
werden muss. Die äusserst monotone Färbung der Gewebe mit
einfachen sauren Farben rührt davon her, dass mittelst dieser
nur die allen Zellen gemeinsame, schwer lösliche, basische Grund¬
lage und sonst nichts gefärbt wird. Die schon viel mannigfaltigere
Färbung mit Hamatein -f- Alaun gründet sich auf die isolierte
Speicherung dieses Beizenfarbstoffes in den löslicheren oxyphilen
Substanzen; aber erst die Färbung mit basischen Farben hat uns
den Reichtum an wichtigen basophilen Bestandteilen des Gewebes
kennen gelehrt (Mastzellenkörnung, Granoplasma, Plasmazellen,
saure Kerne usw.). Genauer, als wir es bisher ahnten, analysieren
wir bereits seit langer Zeit die Gewebe mit unseren verschiedenen
Farbgruppen (saure Farben, Hämatein -f- Alaun, basische Farben),
denn diese geben uns auch eine gute Vorstellung über die Ver¬
breitung der reduzierenden und nicht reduzierenden Substanzen.
An die beiden reduzierenden Gruppen von Zellsubstanzen
schliessen sich nun noch eine Reihe weit verbreiteter Reduktions¬
orte an, von denen ich Ihnen einige Bilder vorführen möchte.
Da sind besonders die tief und schwer atmenden Muskeln und
Nerven (Demonstration). Die Bilder stammen aus der Ratten¬
oberlippe, deren Tasthaare mit einem grossen Reichtum au
Nerven und Muskeln ausgestattet sind. Die Muskelqnerscbnitte
sind als Ganzes äusserst dunkel gefärbt; in den Nerven (Alkohol-
Celloidin-Präparat) reduzieren vor allem die Achsencylinder.
Unter den Intercellularsubstanzen reduziert in merklichem
Grade.nur das Elastin, offenbar wegen meines allerdings nur geringen
Tyrosingehaltes. Die feinsten Fasern kann man allerdings nicht
durch Kalipermanganat deutlich machen. Aber die dickeren heben
sich dabei in bräunlicher Farbe von dem gelben Kollagen ab
(Demonstration). Das Kollagen reduziert sehr schwach, es um¬
scheidet alle epithelialen, stark reduzierenden und daher braunen
Organe auf den Reduktionsbildern als eine vollkommen farblose
oder hellgelbliche Substanz. Die Wichtigkeit dieser Tatsache
leuchtet ein, da sie es ist, welche den ungehinderten Transport
des aktiven Sauerstoffs von den Blntgefässen durch das Kollagen
bis zu den epithelialen Organen garantiert.
Noch weniger als das Kollagen reduziert der Knorpel. Auf
dem Bilde, welches einen Schnitt durch eine Rattennase vorstellt,
liegt der Knorpel als helles Gebilde inmitten der stark reduzierenden
braunen Blutgefässe, Nerven und Muskeln (Demonstration
Ein besonderes Interesse haben noch die roten Blutkörperchen,
welche, solange sie ungeschädigt sind, starke Reduktionsorte
darstellen. Sie sehen das an diesem gewöhnlichen Blutpräparat
vom Menschen (Demonstration) und an diesem Schnitte mit blut¬
erfüllten Gefässen von derselben Rattennase, von der ich eben
den gar nicht gefärbten Knorpel zeigte. In der Tat gehört ein
sehr kräftig reduzierendes Stroma dazu, um den eingeschlossenen
Sauerstoff aus der Lungenkapillare unversehrt in die Gewebs-
kapillaren zu befördern. Das Stroma der roten Blutkörperchen
schliesst den Sauerstoff so gut ab, wie das Ventil einer eisernen
Sauerstoffbombe.
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
691
Ueberblicken wir diese verschiedenen Redaktionsbilder des
Gewebes, so gebt daraus mit Evidenz hervor, dass von einem
gleich massigen Sauerstoffverbrauch der Gewebselemeute nicht die
Rede sein kann. Auch wäre die Vorstellung völlig falsch, als
bildeten nach dem Tode — alle vorgeführten Bilder sind toten
Geweben entnommen — diese Elemente eine unterschiedslose,
reduzierende Masse. Allein schon die Kerne und der Knorpel,
dann auch das Kollagen sprechen dagegen, denn sie haben ein
sehr geringes Sauerstoffbedürfnis. Unter diesen Ausnahmen be¬
anspruchen unser grösstes Interesse die Kerne. Jenes Bild von
fast farblosen Kernlücken in der mit Kalipermanganat braun
gefärbten Oberbaut war in der Tat so auffallend und so konstant
dabei, dass es zu dem Versuche drängte, etwaigen freien Sauer¬
stoff im Kerne nachzuweisen.
Dieses gelang auf ziemlich einfache Weise, ähnlich wie die
Natur es bei den roten Blutkörperchen macht. Die Moleküle
einer Leukofarbe, z. B. von Leukomethylenblau wurden umhüllt
mit Molekülen eines stark reduzierenden Stoffes, z. B. Rongalit,
und unter dem Schutz dieser reduzierenden Hülle dringt die
Leukobase leicht in alle Gewebe ein, wo sie von den meisten
sauren Elementen (Granoplasma, basophilem Chroraatin, basophilem
Nucleolin) gespeichert wird. Nach einigen Minuten bat sich
der Schnitt gesättigt und wird dann rasch und lebhaft im Wasser
abgespült, sodass aller Ueberschuss von Leukobase und Rongalit
entfernt wird. Nun erscheint der Schnitt völlig farblos und bleibt
so, wenn wir ihn in eine reduzierende Umgebung bringen, z. B.
mit einem Tropfen Pyrogallolwasser bedecken. Lassen wir ihn
aber frei auf dem Objektträger liegen oder in gewöhnlichem,
lufthaltigem Wasser schwimmen, so beginnt er sich partiell
zu bläuen.
Bringt man ihn dann feucht unter das Mikroskop, so erhält
man z. B. von einem Schnitt durch die Fusssohle folgendes Bild,
das ich in Gedanken mit dem Reduktionsbild der Fusssohle zu
vergleichen bitte.
Zunächst bläuen sich stets gleichzeitig in der Tiefe der
Lederhaut die Knäueldrüsen und an ihrer Oberfläche die Papillen
und zwar in beiden Teilen nur die Kerne. Ganz besonders stark
bläuen sich die Spitzen der Papillen. Vom gesamten Deckepitbel
bläuen sich sodann zunächst die Zellen der Keimschicht und in der
Cutis die Gänge der Kräuseldrüsen, viel später bläuen sich die
Kerne der gesamten Stachelschicht und in individuell verschiedener
Weise der Leib der Stachelzeilen. Dagegen bleibt die saure
Hornschicht, die auch sicher das basische Methylenblau aufnimrat,
immer vollständig ungefärbt.
Nach 10—15 Minuten ist das Bild der Sauerstoffnrte voll¬
ständig und bildet den reinsten Gegensatz zum Reduktionsbild:
dort die Hornscbicht dunkelbraun, hier ungefärbt, dort die Kerne
ungefärbt, hier gebläut, dort die Keimschicht heller als die übrige
Stacbelscbicbt, hier mehr gebläut als diese.
Natürlich sind die Substanzen, die wir schon als Träger der
Reduktion kennen, die leichtlöslichen, oxyphilen Substanzen und
das schwer lösliche Spongioplasma, nicht auch zugleich Tiäger
des freien Sauerstoffs. Dieses ist vielmehr ein saurer Eiweiss¬
körper von Albumosencharakter, den ich Cytose genannt habe,
da er sich in den meisten tierischen Zellen befindet, und den wir
alsbald dort, wo er sich in grösserem Maassstabe anhäuft, in den
Plasmazellen und Ganglien, näher betrachten wollen.
Kerne und umgebendes Protoplasma der Epitbelien sind bei
der Rongalitweissfärbung um so blauer, je grösser die mitotische
Tätigkeit der Kerne ist. Also z. B. grösser in der Stachelschicht
der Haarbälge als in der des Deckepithels und am allergrössten in
der äasserst kernreichen Haarpapille und der Keimschicht des
Haares.
Es ist begreiflich, dass die Kerne, welche hier in höchster
Teilungsarbeit sich befinden, soviel Sauerstoff in und um sich
haben, aber es ist wichtig zu wissen, dass die Kerne auch dann
noch freien Sauerstoff enthalten und abgeben können, wenn sie
diese Funktion längst verloren haben und nur noch pyknotische
Reste darstellen. So schrumpfeu in der Talgdrüse die Kerne
der Talgdrüseuzellen sehr rasch bis auf kleine Reste und teilen
sich gewiss nicht mehr; aber sie bläuen, wie Sie auf diesem Bilde
sehen (Demonstration) trotzdem Rongalitweiss. Hier haben wir
einen der vielen Beweise, dass die Sauerstoffabgabe des Kerns
einerseits und seine mitotische Tätigkeit andererseits ganz von¬
einander getrennt werden müssen. Beide Funktionen haben im
Kern nur eine Personalunion, und die erste unterstützt die zwbite.
Beide werden aber difrehaus unabhängig voneinander ausgeführt.
Nicht nur alle Gewebskerne sind Sauerstofforte ersten Ranges,
sondern auch alle Kerne der weissen und roten Blutkörperchen.
Das erste Bild zeigt die roten Blutkörperchen eines Huhns (Demon¬
stration), und man sieht, dass nur die Kerne — nicht der Zellleib
— blau gefärbt sind. An diesem weist nur die Membran wieder
eine leichte Bläuung auf, gleichsam eine Schutzhülle für den
reducierenden Zellleib der Erythrocyten.
Im folgenden Bilde sehen Sie im gonorrhoischen Eiter
die Kerne der Leukocyten gebläut und zwar nur die Kerne und
nicht die neutrophilen Granula. Andererseits besitzen die Gono¬
kokken ebenfalls freien Sauerstoff und stellen sich als blaue Ein¬
schlüsse des farblosen Protoplasmas dar. Hier ist vielleicht eine
kleine Abschweifung am Platze, nämlich der Hinweis darauf, wie
verschieden die Kokkenarten sich zu den Leukocyten verhalten
und wie wenig passend diese verschiedenen Vorgänge mit dem
Namen: Pbagocytose bezeichnet werden. Die sauerstoffspeichern¬
den Gonokokken zerstören das Protoplasma der Leukocyten und
schmiegen sich dann eng an den sauerstoffreichen Kern an, von
dem sie ihren Sauerstoff beziehen. Will man schon von „Fressen“
reden, so sind es hier die Leukocyten, die gefressen werden.
Vergleichen wir mit diesem Bilde einmal das Verhalten der
gewöhnlichen Eiterkokken beim Furunkel, so ist es hier gerade
umgekehrt. Auch hier werden Leukocyten angelockt, aber ehe
sie die Kokken aufnehmen können, sterben sie ab, der Kern ver¬
liert seinen Sauerstoff, sie ersticken und bilden einen Eiterwall
um die centrale Kokkenkolonie. Wo ist hierbei etwas von Phago-
cytose? Die armen Leukocyten kommen auch hier um ihre
Mahlzeit.
Von inneren Organen will ich nur 2 Bilder vorführen, deren
Sauerstofforte besonders interessant sind, die Niere und Lunge,
beide vom Kaninchen. Die Niere (Demonstration) zeigt einen
Medianschnitt der Rinde, und es fallen auf demselben zunächst
die in ihren Kernen tief gefärbten Glomeruli auf. Dieselben sind
umgeben von viel blasser gefärbten gewundenen Harnkanälchen,
in denen die Kerne kaum von dem Protoplasma sich abheben.
Dazwischen verlaufen die geraden Harnkanäle und He nie sehen
Schleifen, welche wiederum stark gefärbte Kerne enthalten. Die
Hauptsauerstofforte der Niere sind mithin hauptsächlich die
Glomeruli und geraden Harnkanäle, während die gewundenen
mehr Reduktionsorte repräsentieren. Der grosse Sauerstoffreichtum
der Nierenpapille kommt auf dem folgenden Bilde zur Anschauung
(Demonstration), derselbe ist lediglich bedingt durch den grossen
Kernreichtum der AusführungMgänge. Seinerseits bedingt der¬
selbe aber den Gehalt des Ureterenurins an freiem Sauerstoff,
der Ehrlich bei seinen Versuchen schon aufgefallen ist. Der¬
selbe ist neuerdings auch beim Ureterencatheterismus von Herrn
Dr. Stammler, Sekundärarzt der Kümmell’schen Abteilung in
Hamburg, nachgewiesen und hat gewiss eine nicht geringe physio¬
logische Bedeutung.
Die geraden Harnkanäle sind aber nur Repräsentanten einer
ganzen Kategorie von Sauerstofforten. Es gibt zwei solcher
Kategorien: die Keimschichten der Drüsen und Oberhautanhänge
(besonders der Haare) und die Ausführungsgänge der Drüsen.
Dass alle Keimschichten, die dem Bindegewebe direkt aufsitzen,
die Funktion der Epithelneubildung besitzen und reich an Mitosen
sind, viel Sauerstoff besitzen, ist selbstverständlich.
Dass es aber mit den Ausführungsgängen sich ebenso ver¬
hält, das hat erst die Rongalitweissraethode gezeigt, und gleich¬
zeitig, dass der Ueberschuss von Sauerstoff in das Sekret diffun¬
diert. Der Sauerstoffgebalt vieler Sekrete (Tränen, Speichel usw.)
ist bekannt, und Paul Ehrlich zeigte schon vor langer Zeit,
dass die Sekrete stark reducierender Drüsen (Leber, Niere) sauer¬
stoffhaltig sein können. Die Constanz des Phänomens erklärt
sich aber nun erst durch den Kernreichtum und die Protoplasma¬
armut der z. T. überlangen und bisher unerklärlich langen Aus¬
führungsgänge.
Ein ebenso interessanter Unterschied wie in der Niere zwischen
gewundenen und geraden Harnkanälen findet sich in der Lunge
zwischen den Systemen der Luftröhren und der Alveolen.
Ersteres ist ein hervorragender Sauerstoffort. Das Epithel ist
— Kern wie Protoplasma — aufs tiefste gebläut; ebenso sauer¬
stoffhaltig sind die Schleimdrüsen und Knorpel der Broncbialscbleim-
haut (Demonstration). In den Alveolen dagegen sind wohl die
Kerne gebläut, aber das Protoplasma und das elastische Gewebe
stellen ausgedehnte Reduktionsoirte dar. Natürlich ist es sehr
praktisch eingerichtet, dass die eingesogene, Luft im Bronchial¬
system ihres Sauerstoffs nych nicht im mindesten beraubt wird,
sondern erst wenn sie in die Lungenalveole eintritt, wo hinter der
reduzierenden Epithelwand stark reducierende Erythrocyten in den
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592
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Capillaren kreisen (Demonstration). Auf diesem offenbar für die
Atmung notwendigen Sauerstoffreichtum der Bronchialschleimbaut
beruht wohl auch die ungemeine Lebenszähigkeit der überlebenden
Flimmerzellen derselben.
Ebenso constante Sauerstofforte wie die Kerne sind die
Granula der Mastzellen. Erst die Kenntnis dieser Funktion
hat ein Licht auf die Bedeutung der Mastzellen geworfen und
ihre Verteilung im Körper aufgeklärt. Ihr Vorkommen in der
menschlichen Haut ist sehr charakteristisch. Sie bilden eine
erste Kette um die zur Oberfläche ziehenden Blutcapill&ren und
sodann eine zweite um alle Epithelgebilde (Deckepithel, Haarbälge,
Knäueldrüsen). Alle Mastzellen besitzen natürlich auch Kerne,
wenn diese auch bei den gebräuchlichen Färbemethoden meistens
unsichtbar sind. Auch mit Rongalitweiss färben die Kerne der
Mastzellen sich ausnahmsweise nicht, besitzen mithin keinen freien
Sauerstoff; aber, wie wir das sogleich bei den Plasmazellen sehen
werden, nur deshalb, weil die Granula den freien Sauerstoff an¬
dauernd dem Kern entziehen.
Eine zweite Reihe von konstanten Sauerstofforten sind nicht
als Fabriken von freiem Sauerstoff zu betrachten, sondern nur
als Speicher von solchem. Sie sind aber auch von grosser Be¬
deutung; ich fasse sie unter dem Begriff der sekundären Sauer¬
stof forte zusammen. Es sind sämtlich Anhäufungen stark saurer
Ei weisskörper. Dahin gehört in erster Linie das Granoplasma,
die allen Zellen zukommende, schon bei der Bläuung des Epithel¬
protoplasmas erwähnte Albumose (Cytose), die aber in besonderer
Menge und in morphologisch eigenartiger Weise in den Plasma¬
zellen und Ganglienzellen auftritt.
Die Plasmazellen (Demonstration) können bekanntlich aus
jeder Bindegewebszelle durch Ansammlung von Granoplasma
(Cytose) werden. Die kleinen gewöhnlichen Bindegewebszellen
wandeln sich dann direkt und oft scharenweise in Plasmazellen
um, indem sie ihre Ausläufer einziehen und kugelig anschwellen.
Die grösseren Fibroblasten schwellen unregelmässig an und schnüren
einzelne Teile als kubische Plasmazellen ab oder zerfallen gleich¬
zeitig ganz in eine Reihe solcher. Es ist selbstverständlich, dass
derartige Formveränderungen und Abschnürungen nur bei den
weichen Bindegewebszellen Vorkommen können, wenn sie sich
mit Cytose füllen, nicht bei den Stachelzellen des Epithels,
welche durch ein besonderes Fasersystem in starre Gebilde um¬
gewandelt sind.
Mit Rongalitweiss behandelt, weisen die Plasmazellen, was
nach dem früher Gesagten zu erwarten war, einen durch gefärbtes
Granoplasma dunkelblauen Zelleib auf. Auch hier findet sich
dasselbe Phänomen, was wir eben bei den Mastzellen erwähnten,
die Desoxydation des Kerns durch das Granoplasma. Bei
reicher Ausbildung vieler Plasraazellen, z. B. in einem Syphilid
(Demonstration) ist dieses Bild von hellem Kern und blauer Schale
oft so eigenartig, dass man es zunächst kaum versteht, bis man
die vielen hellen Kreise als Kerne erkennt und dann an ihrer
Peripherie erst die konstante aber dünne Lage blauen Grano*
plasmas entdeckt.
Eine ganz ähnliche Sauerstoffansammlung wie die Plasma*
zellen zeigen die Ganglien (Demonstration). Auch hier beschränkt
sich die Blaufärbung auf das Granoplasma, auf die hier sogenannten
NjssTsclien Körper, und auch hier besteht die Ablenkung der
Blaufärbung vom Kern auf das Granoplasma, wie bei den Plasma-
zellen. Dass bei den Glanglien die Ansammlung von Granoplasma
keine Gestaltveräuderungen zur Folge hat, beruht wohl wie bei
den Epithelzellen auf der Einlagerung eines starren Fasernetzes
in die Ganglien.
Lösen wir aus den Plasmazellen die Cytose durch lproz. Bor¬
säure heraus, so geben auch diese Zellen das gewohnte Bild der
blossen Kernbläuung (Demonstration). Lassen wir sie ebenso
lange in 1 proz. Essigsäure, so wird die Cytose gefällt und er¬
halten und damit der Sauerstoffgehalt des Zelleibs. Solche
Schnitte zeigen natürlich wie die normalen eine Ablenkung des
Sauerstoffs auf das Granoplasma (Demonstration).
Eine womöglich noch saurere Substanz ist die chondroitin-
schwefelsäurehaltige Knorpelgrundsubstanz (Demonstration). Sie
bildet einen hervorragenden Sauerstoffspeicber für den in den
Knorpölkernen erzeugten freien Sauerstoff. Die Sauerstoffbilder
des Knorpels sind daher stets positiv und ungemein farbstark,
fallen aber verschieden aus, je nachdem unser Reagens den
Sauerstoff nur in dem Protoplasma der Knorpelzellen, in den
Knorpelkapseln und der Grundsubstanz nachweist oder auch noch
in den Kernen.
Ein Rückblick auf die Kette der Sauerstofforte belehrt uns
darüber, dass die chemischen Substanzen, welche sich zu Trägern
freien Sauerstoffs eignen, im Gegensatz zu den basischen, redu¬
zierenden Zellgrundlagen, sehr saure Stoffe sind: Nuclein, Cytose,
Mastzellenkörnung, Chondroitinschwefelsäure. Durch Erzeugung
dieser Stoffe schafft sich der Körper die Möglichkeit, mitten im
reduzierenden Gewebe stabile Sauerstofforte anzulegen, welche
für die Versorgung des ganzen Körpers mit Sauerstoff durchaus
notwendig sind.
Ich sage mit Absicht: stabile Sauerstofforte, weil ich
nach Demonstration derselben gewiss bei vielen der Frage be¬
gegnen werde, ob das Leukomethylenblau denn auch die Verhältnisse
im Leben richtig wiedergibt. Dieser Frage möchte ich gleich
mit der Antwort begegnen, dass die Sauerstofforte, wie sie das
Leukomethylenblau aufzeigt, von einer unerwarteten Stabilität sind.
Da ich anfangs selbst mit der Idee an ihre Erforschung heranging,
es mit schwer fassbaren, labilen Sauerstoffbefunden zu tunzu haben, so
muss ich heute nach zweijähriger Beschäftigung mit dem Gegenstände
um so mehr betonen, dass eine solche Annahme durchaus irrtümlich
wäre. Labil ist nur der von der Fabrik aktiven Sauerstoffs im
Kern abgegebene, in das umliegende reducierende Gewebe diffun¬
dierende Sauerstoff, und das muss er ja auch wohl sein, wenn er
nutzbar gemacht werden soll. Stabil ist aber die Fabrik aktiven
Sauerstoffs im Kerne selbst. Daher ist auch die Ueberzengung in
mir immer fester geworden, dass wir die Aktivierung des mole¬
kularen Sauerstoffs, wie er aus dem Blute bezogen wird, im Kerne
nicht gewöhnlichen Fermenten, sondern .einem mineralischen
Katalysator zu verdanken haben, den wir ja wohl in dem von
Macallum nachgewiesenen Eisen des Kerns bereits kennen.
Ein solcher wird sich nach dem Tode nicht viel und be¬
sonders nicht rasch verändern können. Ich möchte Ihnen eine
Reihe von Absterbebildern des Gewebes vorführen, die von einer
in Eis aseptisch auf bewahrten Kanincbenniere stammen (Demon¬
stration). Die Bilder der ersten Tage kann ich übergeben, da
sich zunächst keine Veränderung zeigt. Das Bild vom 4. Tage
(Demonstration) kann als Beweis dienen, wie langsam der Tod
Einfluss auf die Sauerstofforte gewinnt. Die Glomerulikerne sind
noch dunkelblau, die Kerne der geraden Kanäle noch immer etwas
stärker gefärbt als die der gewundenen. Nur ist der Schnitt
durchsetzt von kleinen Luftbläschen. Aber auch dieses Phänomen
ist nicht konstant und tritt zu sehr verschiedenen Zeiten auf,
manchmal am ersten Tage, um wieder zu vergehen. In dem
folgenden Bilde vom 6. Tage ist es nicht vorhanden; aber nun
fangen alle Sauerstofforte an abzublassen (Demonstration). Also
erst recht spät gewinnen die reducierenden Substanzen der Ver¬
wesung Macht über die noch immer weiterarbeitende Aktivierung
der Kerne.
Ebenso stabil sind die Sauerstofforte der Mastzellen. Das
nächste Bild zeigt die Oberlippe einer Ratte 4 Tage nach dem
Tode (Demonstration). Mastzellen und Kerne färben sich hier
mit Rongalitweiss fast noch besser als unmittelbar nach dem Tode.
So tapfer die Sauerstofforte gegen den Tod ankämpfen, so
widerstandsfähig sind sie auch gegen Erhitzung, der gewöhnliche
Fermente bekanntlich rasch erliegen. Sie sehen ein Bild von
Gonokokkeneiter (Demonstration). Inmitten der zahllosen Leuko-
cytenleichen, in denen die Kerne erstickt und kaum noch erkenn¬
bar gebläut sind, triumphieren als Sieger die Gonokokken, die
dunkelblau und reich an Sauerstoff einige Leukocyten erfüllen.
Das Bild ändert sich aber beim Erhitzen. Taucht man solche
Abstriche in Wasser von steigender Temperatur, so verlieren die
Gonokokken schon bei 50° ihren Sauerstoff vollständig, um ihn
bei weiterer Erhitzung nicht wieder zu gewinnen. Die Kerne der
Leukocyten jedoch bläuen sich zunächst mehr, wenn man sie
vorher erhitzt. Sie sehen hier ein Präparat von demselben gonorr¬
hoischen Eitertropfen, welcher 2 Minuten in Wasser von 80° G
verweilte (Demonstration), ehe er mit Rongalitweiss behandelt
wurde, und sehen, dass die Kerne sich in fast normaler Weise
bläuen. Sie haben sich also von ihrem Ersticken erholt. Weiter
geht diese Scheinbelebung aber nicht. In Wasser von 100° sterben
die Kerne bald und auf immer.
Die sekundären Sauerstofforte sind weniger stabil als die
primären; aber nicht deswegen, weil sie mit dem Tode ihren
Sauerstoff verlieren, den sie im Gegenteil eine Zeitlang noch
vom Kern zugefübrt bekommen, wenn man durch Aüsschneiden
der Organe nur für den Zutritt atmosphärischer Luft sorgt. Sondern
deswegen, wpil die Cytose der Zellen (Epithelien, Plasmazellen,
Ganglien), die der verbreitetste Träger des Sauerstoffs ist, im
alkalischen salzhaltigen Gewebssaft äusserst löslich ist und bald
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UNIVERSUM OF IOWA
31. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
593
nach dem Tode der Auslaugung verfällt. Bis zu diesem Augen-
blicke, also etwa noch 2—3 Tage nach dem Tode, enthalten die
sekundären Sauerstofforte sogar meistens mehr Sauerstoff als im
Leben. Es kommt hierbei in Betracht, dass der wenige noch
aktivierte Sauerstoff nicht mehr vom Lyrophstrom — wie im
Leben — abgeführt werden kann.
Uoser Leukomethylenblau kann also nur insofern die Ver¬
hältnisse im Leben unrichtig wiedergeben, als es möglicherweise
durch irgendwelche Sauerstofforte nicht gebläut wird. So unwahr¬
scheinlich das klingt, so wird es doch vorsichtiger sein, vorläufig
zu sagen, dass die Methode jedenfalls das Minimum von
freiem Sauerstoff der Gewebe anzeigt, welches sie im
Leben besitzen. Lehrt uns doch das Vorkommen farbloser Kerne
in gebläuten Mastzellen, Plasmazellen und Ganglien, dass bei Um¬
gebung mit sauerstoffgierigem Protoplasma selbst die unablässig
aktivierenden Kerne von der Rongalitweiss-Methode nicht als solche
gekennzeichnet werden.
Ich kann aber diesen Punkt nicht verlassen, ohne auch noch
mit kurzen Worten dem entgegengesetzten Einwurf zu begegnen,
dass das Leukomethylenblau viel mehr Sauerstofforte anzeige, als
in Wirklichkeit existieren, indem es nämlich als basischer
Farbstoff die Gewebe färbe. Man könnte sich wohl denken,
dass das Leukomethylenblau, ehe es ins Gewebe eindringt, bereits
zu Methylenblau oxydiert sei und nun eine gewöhnliche Methylen¬
blaufärbung hervorbringe. Freilich ist diese Möglichkeit eigent¬
lich schon durch die Technik der Methode ausgeschlossen, bei
der die Oxydation erst beginnt, wenn jeder Ueberschuss von Leuko¬
methylenblau aasgespült ist. Aber es ist bei der berechtigten
Skepsis, welcher die Methode begegnet, doch wohl gut, die Tat¬
sachen zu erwähnen, welche diese Annahme schlagend widerlegen.
Es sind deren hauptsächlich zwei.
Erstens die Empfindlichkeit der Sauerstofforte gegen
reduzierende Substanzen und Sauerstoffgifte, welche auf die Säure¬
orte, von denen die Färbung mit basischen Farben abbängt, ohne
merklichen Einfluss sind. So vernichtet ein Aufenthalt der Schnitte
eine Nacht in Sol. calc. bisulf. alle Sauerstofforte bis auf schwache
Reste (Demonstration), aber die Färbung mit polychromer Methylen¬
blaulösung ist gerade so stark wie vorher (Demonstration). Da
man dieselbe aber auf den Umstand zurückfübren könnte, dass
das Gewebe durch S0 2 und ihre Oxydation zu H 2 S0 4 saurer ge¬
worden sei, folgen noch 2 Bilder, in denen die Schnitte durch Cyan¬
kalium vergiftet sind. Das Bild der Sauerstofforte ist nahezu
verschwunden (Demonstration), das der Säureorte noch stärker
gefärbt als normal (Demonstration).
Denselben Beweis, dass nämlich eine Vergiftung in bezug auf
den Sauerstoffgehalt statthaben kann, ohne dass der saure Sauer¬
stoffträger vernichtet wird, kann man auch sehr bequem an den
Mastzellen führen. Hier genügt — z. B. an der Oberlippe der
Ratte — eine Behandlung der Schnitte mit 5proz. HCl während
weniger Stunden, um die besonders grossen und stark tingiblen
Mastzellen auf dem Sauerstoffbild zum Schwinden zu bringen.
Rongalitweiss färbt nur noch und schwächer als sonst die Kerne
und eine genauere Durchsicht zeigt, dass auch von den Mastzellen
die Kerne, die sonst ungefärbt bleiben, und nur diese schwach
gefärbt sind (Demonstration). Und trotzdem sind die Granula
der Mastzellen sehr wohl erhalten und besonders stark färbbar,
wie das folgende Bild zeigt (Demonstration). Dasselbe stellt
einen Schnitt durch die Rattenlippe dar, der auch erst mit
5proz. HCl behandelt, aber dann mit polychromer Methylenblan-
lösung gefärbt ist.
Schärfere Beweise dafür, dass die Bläuung der Sauerstofforte
and die der Säureorte durch Methylenblau nicht identisch sind,
kann man wohl nicht verlangen.
Ferner muss es doch jedem auf den ersten Blick auffallen,
dass die durch Leukomethylenblau aufgedeckten Sauerstofforte
an Zahl und Umfang viel geringer sind, als die durch
Methylenblau gefärbten Säureorte. Ein Vergleich der folgenden
ans schon bekannten Bilder, welche Parallelschnitte der Sauer-
stoflforte und Säureorte der Oberhaut von der Fussohle darstellen,
wird jeden von dem grossen Unterschiede beider überzeugen.
Ich brauche nur noch einmal auf die partielle Färbung der Hora¬
schicht durch Methylenblau binweisen und auf ihre absolute
Farblosigkeit bei Rongalitweissbehandlung.
Nur au einigen Stellen, welche sehr sauer sind (Kerne,
Cytose, Knorpel), fallen die Sauerstofforte mit den Säureorten
zusammen, da erstere eben nur an Säureorten entstehen; aber
es gibt auch saure Gewebe, wie Horn- und Muskelsubstanz, die
mit allen basischen Farben färbbar sind, sich aber mit Rongalit¬
weiss nicht bläuen, da sie starke Redaktionsorte darstellen.
Diese Demonstrationen, m. H., werden Sie wohl sicherlich
davon überzeugt haben, dass im tierischen Gewebe starke Gegen¬
sätze bestehen, welche auf die funktionellen Beziehungen der
Gewebselemente zueinander Licht zu werfen geeignet sind. Die
Lehre von der Gewebsatmung wird in Zukunft diese vorgebildeten
Gegensätze der Sauerstofforte und Reduktionsorte im Gewebe
nicht ausser acht lassen dürfen.
Aus dem pathologischen Institut der Universität Breslau
(Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. E. Ponfick).
Das Ulcus rotundum duodeni im ersten
Lebensjahr.
Von
Oberarzt Dr. Walther Schmidt, kommandiert zum Institut.
Sowohl die Kasuistik, als auch die Statistik über das runde
Duodenalgeschwür sind ungemein reich, so dass es einigermaassen
wundernehmen muss, dass hierbei das erste Lebensjahr eigent¬
lich nur sehr wenig Berücksichtigung findet. Dennoch gehört
auch hier die genannte Erkrankung keineswegs zu den Selten¬
heiten, sondern ist, wie ich im Verlauf meiner Abhandlung dar¬
legen werde, im Gegenteil recht häufig.
Ich möchte unter den neueren sich anf das Kindesalter be¬
ziehenden Publikationen die Arbeiten von Helmholz „lieber das
Duodenalgeschwür bei Pädatrophie u , der über 9 Fälle berichtet,
von denen jedoch einer nicht zur Autopsie gekommen ist, nnd
von Kuttner „Ueber das Vorkommen von Ulcüs duodeni im
ersten Dezennium“, der über 2 Fälle berichtet, erwähnen. Je
einen weiteren Fall beschreiben Sochaczewski nnd v. Torday.
Ganz kürzlich ist noch ein weiterer Fall von Flesch beschrieben
worden, der einen Säugling mit einem schweren Mehlnährschaden
betrifft.
Das heikle und nur wenig ergiebige Gebiet der Aetiologie
des Ulcus rotundum duodeni will ich hier nur kurz streifen und
anch nur so weit, als es sich auf das erste Lebensjahr bezieht.
Wie die Aetiologie des Ulcus pepticum des Magens und des Duo¬
denums beim Erwachsenen immer noch nicht geklärt ist, so be¬
stehen für das Zustandekommen des Ulcus duodeni bei Säuglingen
eigentlich nur Theorien. Sicheres hat bisher noch niemand an¬
zugeben vermocht. Helm holz nimmt eine Funktionsinsuffizienz
des Darmepithels, hervorgernfen durch die Decompositio, an. Die
Thrombose ist nach ihm nur als Vorläufer der eigentlichen An¬
dauung der Darinwand zu betrachten, die durch eine allgemeine
bei Decompositio bestehende Circulationsschwäche begünstigt wird.
Finkeistein hat seinen Standpunkt in einer Diskussionsbemerkung
zur Arbeit Knttner’s folgendermaassen festgelegt: „Die Ent¬
stehungsursache des Geschwürs hat man sich als eine Thrombose
zu denken, die auf chemische Weise zustande kommt infolge der
Einwirkung des Magensaftes durch die geschädigte Mucosa des
Duodenums hindurch auf die Gefässwand.“ Heubner hält es
bei den Fällen von Melaena vera neonatorum für möglich, dass
sich die normale Thrombose der Vena umbilicalis in eine Magen¬
vene fortsetzt. — Allerdings kommt bei Kindern in einem Lebens¬
alter, wo der Obliterationsprozess der Nabelvene bereits voll¬
kommen abgelaufen ist, diese ätiologische Erklärung von selbst
nicht mehr in Betracht.
Rössle fasst sowohl das Magen- als auch das Duodenal¬
geschwür als „zweite Krankheit“ auf und nimmt auf Grund sta¬
tistischer Untersuchungen an, dass das Ulcus im Anschluss an
bestimmte Quellaffektionen anftritt. Er nennt als solche besonders
alle in Narbenbildungen ausgehenden Entzündungen nnd Ver¬
letzungen am Peritoneum, unter diesen namentlich die Appendi-
citis, aber anch Affektionen an Hals und Kopf, sowie am Endo-
card. Nach ihm beruht die Entstehung des Ulcus duodeni dabei
sicher nicht auf der Vermittelung der Schädlichkeit durch die
Blutbahn, sondern höchstwahrscheinlich auf den Folgen reflek¬
torischer Nervenreize. Auf eine Vagnsreizang soll ein Spasmus
der Muscularis mucosae auftreten. Dieser Krampf, der, sei es
zur hämorrhagischen Infarcierung, sei es zu anämischer Nekrose
der Schleimhaut führt, lässt daun durch Andauung der erkrankten
Teile das Ulcus entstehen.
Flesch macht in dem von ihm beschriebenen Falle tteo
Mehlnährschaden und den hierdurch bervorgerufenen Hnnger-
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BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
zustand für das Zustandekommen des Geschwürs verantwortlich.
Er sagt: „Der Hungerxustand bat eine Ernährungsstörung der
Schleimhaut zur Folge, doch können auch in den die letztere ver-
sorgenden Gefässen leicht Circqlationsstörungen entstehen und
hierdurch die Schleimhaut ihre Widerstandsfähigkeit peptischen
Einflüssen gegenüber einbüssen und die dauernde Wirkung dieser
Einflüsse zur Geltung kommen.“
Das häufige Vorkommen des Geschwürs bei postoperativen
Eiterungen verleibt wohl auch der Annahme eine gewisse Wahr¬
scheinlichkeit, dass in der Infektion eiu ätiologischer Faktor zu
suchen sei.
Eine erschöpfende Darstellung aller seither aufgestellten
Theorien ist im Rahmen dieser Arbeit kaum möglich. Ich möchte
hier auf die neuerliche Zusammenstellung von E. Melchior ver¬
weisen.
Das relativ immerhin häufige Vorkommen des Ulcus dundeni
im ersten Lebensjahr rechtfertigt wohl die Durchsicht und Bear¬
beitung einer grösseren Zahl von Fällen, wie sie mir im hiesigen
pathologischen Institut zur Verfügung standen. Da hier sowohl
die Leichen aus der Universitäts-Kinderklinik, als auch die des
städtischen Säuglingsheims zur Sektion gelangen, so war ein un¬
gewöhnlich reiches Material von Kindersektionen der Bearbeitung
zugänglich.
Die ätiologisch ebenfalls noch dunkle Erkrankung Melaena
vera neonatorum soll im folgenden nicht weiter berücksichtigt
werden. Fälle mit dieser klinischen Diagnose sind in den zu
beschreibenden Sektionsergebnissen nicht einbegriffen, sofern die
klinischen Erscheinungen nicht durch ein typisches Ulcus rotuo-
dum duodeni (ein Fall) bedingt waren.
Es soll nun kurz über 20 Fälle von Ulcus duodeni im ersten
Lebensjahr berichtet werden, die ira hiesigen Institut in den
letzten 7 Jahren zur Sektion gelangt sind. Bei einer Gesamtzahl
von 1109 Kindersektionen im ersten Lebensjahr ergibt das
1,8 pCt. der ausgeführten Sektionen. Was das Alter der Kinder
anbelangt, so schwankt es in den zu beschreibenden Fällen zwischen
5 Tagen und 11 Monaten. Die Mehrzahl der Kinder stand im
2. bis 6. L^bensmonat. Vergleichsweise lasse ich hier kurz die
Sektionsstatistik für das Ulcus duodeni bei älteren Individuen
(vom 2. Lebensjahre aufwärts) folgen: Bei einer Gesamtzahl von
2715 Sektionen wurde das runde Duodenalgeschwür 17 mal ge¬
funden. Es ergibt sich somit die interessante Tatsache, dass das
Ulcus rotundum duodeni bei Individuen vom 2. Jahre aufwärts
bloss in 0,6 pCt. der Sektionen zur Beobachtung kam, während
es bei Kindern im 1. Lebensjahr in 1,8 pCt. der Sektionen ge¬
funden worden ist. Der Vollständigkeit halber sei noch kurz das
Alter auch der befallenen Individuen (vom 2. Lebensjahre auf¬
wärts) angegeben:
vom
2.
bis
10. Lebensjahr 1
Fall,
11.
20.
11
i
n
n
21.
»1
30.
2
Fälle
31.
»1
40.
»
3
r
41.
n
50.
11
4
n
51.
n
60.
n
4
n
61.
70.
1
Fall,
T)
71.
>5
80.
»
1
Bei dem langen Zeitraum von 7 Jahren, über den die Fälle
verteilt sind, und bei der grossen Zahl von Sektionen dürfte sich
hier wohl mit Sicherheit der Schluss ziehen lassen, dass das
Ulcus rotundum duodeni im ersten Lebensjahr bei weitem
häufiger ist, wie in jedem anderen Lebensalter. Dies ist
eine Tatsache, die ich noch in keiner statistischen Zusammen¬
stellung gefunden habe. Es mag das damit Zusammenhängen,
dass sich mit der Erforschung des Leidens meist Chirurgen be¬
fasst haben, Kinder im ersten Lebensjahre, noch dazu meist er¬
heblich reduzierte Individuen, für einen chirurgischen Eingriff
jedoch kaum in Betracht kommen. Aber auch Collin’s Sta¬
tistik, die sich auf Sektionsergebnisse erstreckt, lässt die Häufig¬
keit im ersten Lebensjahr nicht deutlich hervortreten. Bei ihm
liegt auch, wie in den anderen Statistiken, die grösste Zahl
zwischen dem 80. und 50. Lebensjahre.
Die bevorzugte Stelle für den Sitz der Geschwüre ist
zweifellos die Gegend dicht unterhalb des Pylorusringes, wie das
ja auch in den neueren Statistiken von Collin und Perry und
Shaw für das Ulcus rotundum duodeni angegeben wird. Das
Geschwür sass in weitaus der Mehrzahl der Fälle 2nmm bis
1 cm unterhalb des Pylorus, wobei die hintere Wand* des Duo¬
denums bevorzugt zu sein scheint. Doch fanden sich auch Ge¬
schwüre an jeder anderen zwischen Pylorus und Papille befind¬
lichen Stelle. Distalwärts der Papille wurde ein Geschwür nur
in einem einzigen Falle beobachtet. Dagegen wurde ein Ueber-
greifen der Ulceration auf den Pylorus, wie es bei Erwachsenen
ja nicht allzu selten vorkommt, in keinem Falle gefunden. Die
Nähe der Papille scheint keine besondere Prädilektionsstelle zu
bedingen. Ueberhaupt liess sich für all jene Geschwüre, die nicht
gleich unterhalb des Pylorus ihren Sitz hatten, eine bestimmte
Lokalisation nicht erkennen.
Nicht allzu selten wurden multiple Geschwüre gefunden: so
einmal 2, zweimal 3 und einmal sogar 5 Ulcera. Hierbei möchte
ich erwähnen, dass in diesen Fällen die Geschwüre nicht sämt¬
lich dasselbe Alter aufwiesen, sondern dass meist eines angesichts
teils der Tiefe der bewirkten Zerstörung, teils wegen seiner
Grösse mit Sicherheit als älter angesproeben werden konnte.
Dagegen ist das gleichzeitige Bestehen eines runden Magen¬
geschwüres, was bei älteren Individuen im übrigen nicht allzu
selten Vorkommen soll, nicht beobachtet worden.
Die Ausdehnung der Geschwüre schwankte zwischen Linsen-
und Fünfpfennigstückgrösse. In einem Falle wurde sogar ein
solches vom Umfange eines Markstückes gefunden.
Die Ulcera hatten sämtlich steil abfallende, nicht gewulstete
Ränder und sahen wie „ausgestanzt - aus. Der meist glatte Ge-
sebwürsgrund und die Ränder waren häufig gallig imbibiert, wie
überhaupt in allen Fällen eine Behinderung der Gallensekretion
nicht naebgewiesen werden konnte. Auf dem Boden der meist
runden oder länglichen Geschwüre waren öfters arrodierte Gefäss-
stümpfe zu sehen.
Was das Vordringen der Geschwüre in die Tiefe anbelangt,
so durchsetzten diese in der Mehrzahl der Fälle die ganze Darm¬
wand bis zur Serosa und durchlöcherten diese zum Teil. Doch
begegnete man auch solchen, die nur tiefe kreisrunde Schleim¬
hautdefekte darstellten oder doch bis in die Muscularis vorge¬
drungen waren.
Der Ernährungszustand der Kinder war meist ein sehr
schlechter. Magere Kinder ohne jedes Fettpolster mit typischer
Pädatrophie (10 Fälle) wechselten mit anderen, durch schwere
eitrige Entzündungen, Phlegmonen oder sonstige septische Prozesse
in ihrer Ernährung schwer geschädigten Säuglingen. Bei letzteren
war die Reduzierung des Ernährungszustandes die Folge von
Rachitis, Pertussis, Phlegmona colli, Empyema pleurae, einer
kongenitalen von Nephritis parencbymatosa begleiteten Stenose
des Duodenums, einer anscheinend primären Nephritis parencby¬
matosa, von Meningitis purulenta und tuberculosa. Ein Ulcus
nach Verbrennung der Haut wurde nicht beobachtet.
Im Hinblick auf diese Ergebnisse bin ich der Meinung, dass
das Ulcus rotundum duodeni nicht lediglich bei Kindern mit
Pädatrophie vorkommt, sondern dass jede Erkrankung, die den
Ernährungszustand stark schädigt, sei es nun schwere Rachitis,
sei es eine langwierige Eiterung oder ähnliche infektiöse Prozesse,
imstande ist, für das Entstehen eines Defektes im Duodenum
einen günstigen Boden vorzubereiten. Eine solche Auffassung
entspricht ja auch den Verhältnissen beim Erwachsenen. So
werden bei bestehender Sepsis Duodenalgeschwüre nicht selten
beobachtet. Perry und Shaw geben hierfür das Verhältnis von
1: 37 Fällen an.
Dass das Bestehen einer Tuberkulose das Vorhandensein
eines runden Duodenalgeschwüres nicht ausschliesst, beweist der
Fall eines 11 monatigen Kindes, das an schwerer Lungentuber¬
kulose litt, und das einer mit allgemeiner Miliartuberkulose ver¬
bundenen Meningitis tuberculosa erlag. Bei diesem Säugling
bestand dicht unterhalb des Pylorus ein ungefähr rundes Duodenal¬
geschwür von typischem Aussehen, dessen Durchmesser etwa den
einer Linse erreichte. Bemerkenswerterweise war der übrige Darm
frei, im besonderen auch von tuberkulösen Substanz Verlusten.
Nach diesem allgemeinen Ueberblick werde ich über das
Sektionsergebnis einiger teils besonders charakteristischer, teils
eigenartiger Fälle berichten:
Der 2^2 Monate alte, sehr atrophische Knabe M. B. hatte während
des Lebens wegen allgemeiner Ernährungsstörung in Behandlung ge¬
standen. In den beiden letzten Lebenstagen traten mehrmals blutige
Stühle auf, die den Verdacht auf ein bestehendes Ulcus rotundum duo¬
deni lenkten.
Offenes Foramen ovale. Starke Erweiterung des linken Ventrikels,
leichte des rechten. In beiden Unterlappen . konfluierende, broncho
pneumonische Herde. Diffuse Bronchitis der rechten Lunge. Tonsillen
zerklüftet. Otitis jnedia mit eiteriger Natur des Exsudats der linken
Seite, seröser der rechten.
Serosa des Darmes spiegelnd und glatt Magen gebläht l 1 /, cm
unterhalb des Pylorusringes bemerkt man an der hinteren Wand der
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81. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
595
Pars horizontalis superior des Zwölffingerdarmes ein der Schleimhaut an¬
haftendes Blutgerinnsel yon Bohnengrösse. Unter diesem ist ein tiefer,
scharlumrandeter Defekt von Linsengrösse wahrzunehmen. Die übrige
Schleimhaut des Duodenums bietet keine Besonderheiten. Im Darm lässt
sich sonst kein Blut entdecken. Die Gallenblase enthält wenig gelbe
dünnflüssige Galle; Gallenwege durchgängig.
Als Todesursache ist somit Pädatrophie nebst terminaler Bronoho-
pneumonie zu bezeichnen.
472 Monate altes Mädchen A. R., in gutem Ernährungszustände,
behandelt wegen Ernährungsstörungen.
Abdomen stark aufgetrieben. Foramen ovale ventilartig offen.
Tonsillitis lacunaris. Otitis media purulenta beiderseits.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich das Peritoneum und be¬
sonders das Netz bedeckt mit grünlicbgelben schleimigen Massen, welche
mit deutlichen Eiterfiooken vermischt sind. Auf ebensolche stösst man
auch in der Tiefe des kleinen Beckens, ferner unterhalb der Leber, des
Zwerchfells und des linken Hypochondriums. Peritoneum durchweg
diffus gerötet. Gedärme miteinander verklebt, Wurmfortsatz frei.
Im Duodenum gelblichgrüner Inhalt, Gallenwege durchgängig. In
der Pars superior duodeni, 3 mm unterhalb des Pylorus besteht an der
Grenze der hinteren und medialen Wand ein tiefer runder Schleimhaut-
defekt, dessen Durchmesser 7:5 mm beträgt und dessen glatte Ränder
steil abfallen. Der Geschwürsgrund ist mit einem schmierigen grau¬
grünen Belage versehen. In demjenigen Bezirke, der dem Pylorus zu¬
nächst gelegen ist, hat sich eine Perforation ereignet. Hier hängt die
Schleimhaut deutlich wulstig über den Rand hinüber, während sie an
dem distalen Ende des Substanzverlustes leioht zurückgestreift ist. Die
Perforationsöffnung ist 3:3 mm gross und liegt gleich über dem Kopfe
des Pankreas. Im übrigen Bereiche des Geschwürs besteht die Darm¬
wand lediglich aus Serosa. In der Nähe dieser Durchlöcherung der
Darmwand ist die Serosa nach dem Pankreas zu mit einem missfarbigen
grünlichgelben Belage bedeckt.
Im ganzen Ileum geschwollene Peyer’sche Haufen, teilweise mit
bräunlicher Begrenzung. Ebenso im Dickdarm sehr zahlreiche, stark
geschwollene Solitärfollikel, die stellenweise pigmentiert sind.
Der Tod war hier also an einer infolge des Durohbruohs eines runden
Duodenalgeschwürs eingetretenen Peritonitis purulenta erfolgt (vgl. unten
den histologischen Befund).
10 Wochen alter Knabe P. W., in stark reduziertem Ernährungs¬
zustände. Leib etwas aufgetrieben (intra vitam behandelt an Keuch¬
husten und Katarrh der oberen Luftwege).
Offenbleiben des Foramen ovale. Bronchopneumonie des Unter¬
lappens beider Lungen. Otitis media beiderseits.
Dünndarmschlingen leicht gebläht. Im Magen leicht galliger
Inhalt.
Das Duodenum zeigt fünf Defekte der Schleimhaut von Linsen- bis
fast Fünfpfennigstückgrösse, wie „ausgestanzt“. Einige Geschwüre sind
bis auf den Peritonealüberzug durchgedrungen. Demnach ist nur noch
eine ganz dünne durchscheinende Membran vorhanden, während die
anderen nur die Schleimhaut arrodiert haben. Zahlreiche Lymphdrüsen
am Duodenum sind leicht vergrössert und zeigen eine markige Schnitt¬
fläche. Gallenwege durchgängig.
Das Corpus des Pankreas ist an das Duodenum herangezogen und
angelötet an ein Ulcus der Uinterwand, bei dem der Peritonealüberzug
anscheinend noch vorhanden ist.
Leber ist 10: 8 :3 cm gross und von dunkelblauroter Farbe. Der
Bauchfellüberzug, vor allem des linken Lappens, ist verdickt. Ober¬
fläche spiegelnd, sonst normal. Im Leberparencbym gewahrt man schon
von aussen eine Unzahl runder weisslicher Herde von Stecknadelkopf¬
grösse. Deren Mitte nimmt jeweils eine dunklere Stelle ein, die in der
Färbung ganz der des Lebergewebes enspricht. Auf dem Durchschnitt
zeigt das Gewebe bei vermehrtem Blutgehalt eine dunkelblaurote Farbe,
ausserdem für das blosse Auge eine Menge der eben beschriebenen
Herde. Lichtung der portalen Verzweigungen frei.
Wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, enthält das Parenchym
multiple kleine Nekrosen und teilweise bereits leukocytäre Infiltration
dieser nekrotischen Bezirke.
Beide Ureteren und Nierenbecken etwas erweitert (Phimose).
Als Todesursache ist die Bronchopneumonie anzusehen.
12 Wochen alter Knabe K. I. in mässigem Ernährungszustände,
behandelt wegen Ernährungsstörung und Nephritis. Tod naoh plötzlichem
Auftreten einer Darmblutung.
Leichte Oedeme der Beine.
Brustorgane ohne Besonderheiten.
Beim Eröffnen des Abdomens zeigt sich der Darm stark gebläht,
besonders das Colon transversum und S romanum. In der freien Bauch¬
höhle etwa 20 ccm einer blutig gefärbten klaren Flüssigkeit. Peritoneum
frei von Auflagerungen. Farbe des Dünndarms blaurot, des Duodenums
blassgrau. Das Netz ist zwischen Magen und Colon transversum zu
einem kleinen Klumpen zusammengefaltet und leioht ödematös. Ersterer
enthält 40 ccm dünner, stark blutig gefärbter Flüssigkeit, daneben einen
festen Blutklumpen, dessen Durchmesser 4:3:2 cm betragen.
An -der Hinterwand des Duodenums befindet sich -dicht unterhalb
des Pylorus (2 mm) ein kreisrundes, 3:4 mm grosses Geschwür, das,
wie „ausgestanzt“ aussehend, die Mucosa völlig durchsetzt.
ln der Tiefe desselben bemerkt man, der Mitte entsprechend, zwei
kleine rundliche Oeffoungen, auf denen ein kleiner Blutschorf lagert.
Sobald man die eine, die distale Oeffnung passiert, dringt die Sonde
bequem in die Arteria lienalis ein, während das obere Loch in die
Arteria hepatica führt. Die Gallengänge münden 1 cm unterhalb des
geschilderten Defektes; ihre Wandung ist unversehrt. Dicht unterhalb
des ersten Geschwürs reiht sich ein zweites an, das jedoch nur wenig
in die Tiefe greift.
Im Duodenum dunkelblaurot gefärbter schmieriger Inhalt, des¬
gleichen im Jejunum, Ileum und Colon. In deren Schleimhaut bemerkt
man eine leichte Vergrösserung der Peyer’schen Plaques.
Ausserdem besteht eine Nephritis parenchymatosa.
Der Tod ist an Verblutung in den Darm hinein erfolgt.
Kurz erwähnen möchte ich noch einen Fall, wo das Ulcus
rotundum duodeni seinen Sitz unmittelbar oberhalb an einer an¬
geborenen Stenose des Duodenums hatte.
Der 5 Tage alte Knabe K. L. bot intra vitam die Erscheinungen
des Darm Verschlusses, an den sich eine Melaena vera schloss.
Die Sektion des im übrigen normal entwickelten Knaben ergab eine
nur für eine gewöhnliche Sonde eben durchgängige, im Durchmesser
2 mm lichte Stenose des Duodenums dicht oberhalb der Papilla duo-
denalis. Oberhalb der Striktur ist sowohl Duodenum als auch der
Magen stark gebläht, während an der Flezura duodeno-jejunalis das
Lumen des Darms wieder die normale Weite aufweist. Gleich neben
dem Punkte, wo sich die Stenose in den distalen Abschnitt des Duo¬
denums öffnet, findet sich ein rundes Duodenalgeschwür von typischem
Aussehen.
Der Tod ist hier an Darmverschluss eingetreten.
Entsprechend der Neigung des Ulcus rotundum duodeni, in
die Tiefe vorzudringen und schliesslich neben der Arrosion von
Gefässen die Darmwand zu perforieren, trat in den zusamraen-
gesteilten Fällen der Tod 7mal durch tödliche Blutung in den
Magendarmkanal ein, während 8 mal eine eitrig-fäkulente Peri¬
tonitis dem Leben des Kindes ein Ende machte. In den übrigen
Fällen erfolgte der Tod durch interkurrente Erkrankungen bzw.
an Entkräftung.
Was die Diagnose des Ulcus rotundum duodeni anbelangt,
so bestehen hier die > ungünstigsten Verhältnisse. Meist lässt ja
erst die tödliche Blutung, sei es per os, sei es per anum, den
Verdacht, dass eine derartige Erkrankung die Ursache sei, auf-
kommen. Dieser schweren Erkennbarkeit des Grundleidens ent¬
spricht es, wenn in den erwähnten Fällen das Ulcus duodeni nur
zweimal intra vitam angenommen worden ist. Mehrmals hatten
im Rectum, während der ganze Magen Darmtractus bis zum
S romanum mit Blut gefüllt war, feste Kotmassen gesessen.
Angesichts eines solchen Verhaltens ist es nur begreiflich, wenn
nach aussen hin kein Blut zum Vorschein gekommen war, also
das einzige auf intestinale Hämorrbagie deutende Symptom über¬
haupt nicht zur Entwicklung gelangte. In 14 Fällen vollends —
unter den besprochenen 20 — ist-das Leiden vollkommen sym¬
ptomlos verlaufen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass
es sich hier um Säuglinge handelt, und deshalb die Ergründung
des wahren Befundes in besonders hohem Grade erschwert ist,
weil als Kennzeichen eigentlich nur die Blutung, sei es per os
oder per rectum in Betracht kommt, stimmt dieses Zahlenver¬
hältnis ungefähr mit den Angaben Morot’s überein, der in
seinen auf Sektionsergebnisse gestützten Fällen beim Erwachsenen
in 20 pCt. einen symptomlosen Verlauf annimmt.
Dass das Ulcus rotundum duodeni. wie beim Erwachsenen
so auch bei Kindern der Heilung zugängig ist, beweist der Sek¬
tionsbefund eines 5 Wochen alten Mädchens M. R., das infolge
einer Sepsis, ausgehend von einer umfangreichen Phlegmone des
Rückens und der linken Seite des Rumpfes, gestorben war. Hier
fand sich im Duodenum eine linsengrosse Narbe mit zackigen
Rändern und einem deutlich pigmentierten Grunde, die meines
Erachtens nur von einem Ulcus rotundum duodeni herrühren
konnte. Im allgemeinen glaube ich freilich, dass der Ausgang
des Ulcus rotundum duodeni bei Säuglingen in Heilung zu den
grössten Seltenheiten gehört.
Ob das Ulcus rotundum duodeni ähnlich der Erkrankung
beim Erwachsenen ein bestimmtes Geschlecht, und zwar das
männliche, bevorzugt, wage ich bei der relativ doch geringen
Zahl der Fälle, nicht zu entscheiden. Immerhin ist es wohl
nicht ohne Interesse, wenn ich die von mir gewonnenen Zahlen
kurz mitteile. Es wurden* Knaben befallen 13 mal, Mädchen da¬
gegen nur 8 mal 1 ). 1
---r- 1(1 . '
1) Der Fall des durch Vernarbung geheilten Geschwürs ist hier
mitgezählt.
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Lassen Sie mich noch einige Worte über den histologischen
Befund sagen: Die Ränder des Geschwürs fallen xu dessen
Grunde steil mit leichten treppenartigen Stufen ab. Letzterer ist
in selteneren Fällen bedeckt mit einer dünnen Schicht schlaffer
Granulationen, ln fast allen von mir untersuchten Fällen bildet
die nekrotische Serosa bzw. Muscularis selbst die Unterlage des
Substanzverlustes.
Das mikroskopische Bild eines durch Serienschnitte zer¬
legten Geschwürs möchte ich etwas eingehender besprechen:
Kind A. R. Das Geschwür sass in der Pars superior duodeni gleich
unterhalb des Pylorus an der Grenze zwischen hinterer und medialer
Wand und war perforiert. (Sektionsbefund siehe oben.)
Das Präparat wurde durch parallel zur Darmachse geführte Serien¬
schnitte zerlegt.
Die Ränder des Ulcus fallen steil bzw. schräg gegen den Grund
desselben ab. Der Rand des Geschwürs in der Pylorusgegend zeigt
starke wulstig überhängende Schleimhautteile, während die Schleimhaut
in dem distal gelegenen Abschnitt des Defektes deutlich zurückgestreift
und hier infolgedessen ein leicht treppenförmiges Abfallen der Geschwürs¬
ränder zustande gekommen ist (mechanische Wirkung).
Die Muskulatur in der Umgebung des Defektes ist nach dem Pylorus
zu stärker entwickelt, und zwar namentlich die circuläre Schicht.
Im allgemeinen reicht das Geschwür bis zur Längsmuskelschicht
des Darmes in die Tiefe. Am Rande des Defektes ist diese noch gut
färbbar, während sie in den centralen Teilen des Geschwürsgrundes
schon vollkommen der Nekrose anheimgefallen ist. Schliesslich ist das
Ulcus an seinem, dem Pylorus zu gelegenen Abschnitt perforiert.
Der Geschwürsgrund und die Uter zeigen keinerlei kleinzellige
Infiltration, dagegen finden sich in der Schleimhaut des Duodenums in
näherer Umgebung des Defektes dichte Zellinfiltrationen, sowie deutliche
Schwellung der Solitärfollikel.
Ganz am Rande des Geschwürs, wo dasselbe gerade bis auf die
Längsmuskelschicht des Darmes in die Tiefe vorgedrungen ist, haben
einige Schnitte eine der circularen Muskelschicht noch angehörende
Arterie quer getroffen. Diese weist eine das Lumen zur Hälfte ver¬
legende Parietalthrombose auf; eine Organisation des Thrombus ist nicht
zu erkennen.
Das Gefäss ist eingebettet in nekrotische Teile der circulären Muskel¬
schicht und liegt mit seiner Adventitia im Niveau des Geschwürs¬
grundes.
Der Perforation bzw. der noch erhaltenen Serosa des Geschwürs¬
grundes liegt das Pankreas locker an. Zur Bildung von Verklebungen
ist es nicht gekommen. Die oberflächlichen, der Perforationsstelle an¬
liegenden Teile der Bauchspeicheldrüse sind nekrotisch geworden, doch
muss der Inhalt des Duodenums noch weiter entlang dem Pankreas ge¬
flossen sein, da auch von der Durchbruchsöffnung entfernt liegende Teile
des Organs durch die verdauende Wirkung des Darminhalts geschädigt
sind. Innerhalb der Bauchspeicheldrüse besteht geringfügige, herd¬
förmige, kleinzellige Infiltration in der Umgebung der nekrotischen
Partien.
In vielen Schnitten endlich berührt der Boden des Geschwürs auch
eine auf der Pankreasoberfläche verlaufende grosse Arterie und grössere
Nervenstämme. Letztere sind bereits zum Teil erheblich angedaut
worden und auch die Wand des Gefässes weist, wenn auch in geringem
Maasse, so doch in mehreren Schnitten, eine deutliche Schädigung auf.
Zu einer richtigen Arrosion der Gefässwand ist es jedoch noch nicht
gekommen.
Eine in der Nähe des Geschwürs liegende Lymphdrüse zeigt eine
bedeutende entzündliche Hyperplasie.
Nachstehendes Bild zeigt die geschilderten Verhältnisse.
Das von Aschoff und seinem Schüler Stromeyer be¬
schriebene Verhalten der Schleimhaut am Rande der peptischen
Geschwüre des Magens — Ueberhängen der Ränder an der proxi¬
malen und Zurückstreifung an der duodenalen Seite, wodurch die
Trichterform der Substanzverluste ihre Erklärung findet — hat
sich, wie im Vorangegangenen beschrieben, auch bei Duodenal-
x = tiefster Punkt des Geschwürs. P = Pankreas. L = Lymphdrüsen.
M = Muscularis.
geschwüren, wenn auch keineswegs konstant, gefunden. Bei dem
oben eingehend beschriebenen Geschwür (A. R) ist auch deutlich,
dass der tiefste Punkt des Defektes (Perforation) dem proximalen
Rande des Ulcus zunächst liegt, wie das ebenfalls von Aschoff
und Stromeyer jüngst für das Magengeschwür als charakteristisch
gekennzeichnet worden ist. Es mögen diese Verhältnisse in dem
von mir beschriebenen Falle besonders deutlich zutage getreten
sein, weil einerseits der Defekt sehr nahe am Pylorus lag,
andererseits aber auch das Geschwür in der direkten Fortsetzung
der „Magenstrasse“ seinen Sitz hatte.
Die in diesem Falle im Geschwürsgrund beobachtete parietal-
thrombosierte Arterie lässt Schlüsse für die Genese des Ulcus
rotundum duodeni nicht zu.
Wenn ich noch einmal kurz zusammenfassen darf, so er¬
gibt sich:
Das Ulcus rotundum duodeni ist im ersten Lebens¬
jahr häufiger als im allgemeinen angenommen wird
(1,8 pCt. der zur Sektion kommenden Fälle), und zwar tritt es
nach meiner statistischen Zusammenstellung, die sich über sieben
Jahre und über 3824 Sektionen erstreckt, gerade im ersten
Lebensjahre am häufigsten auf.
Nicht lediglich Pädatrophie begünstigt das Auftreten des
Leidens bei Säuglingen, sondern jede Erkrankung des Kindes, die
mit einer starken Schwächung des gesamten Organismus einher¬
geht: Ausser dem genannten Allgemeinleiden also in erster
Linie langwierige Eiterungen und Sepsis, aber auch Rachitis,
Nephritis und andere konsumierende Grundkrankheiten. Auch
Tuberkulose schliesst das Auftreten der Erkrankung nicht aus.
Literatur.
1. Aschoff, Ueber die mechanischen Momente in der Pathogenese
des runden Magengeschwürs und über seine Beziehungen zum Krebs.
Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 11. — 2. Co 11 in, Etüde sur
l’ulcere simple du duodenum. Steinheil. Paris 1894. — 3. Finkei¬
stein, Diskussionsbemerkung zu Kuttner. Diese Wochenschr., Bd. 45,
5. 1950. — 4. Hermann Flesch, Zur Diagnose und Pathogenese des
Duodenalgeschwürs im Säuglingsalter. Jahrbuch der Kinderheilk., 1912,
Bd. 26, H. 5. — 5. Henry F. J. Helmholz, Ueber Duodenalgeschwür
bei der Pädatrophie. Deutsche med. Wochenschr., 1909, S. 534. —
6 . Otto Heubner, Lehrbuch der Kinderheilk. Leipzig 1906. —
7. L. Kuttner, Ueber das Vorkommen von Ulcus duodeni im ersten
Decennium. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 45. — 8. E. Melchior, Das
Ulcus Duodeni. Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie, 1911, Bd. 2,
Nr. 7. — 9. Perry und Shaw, On diseases of the duodenum. Georgs-
Hospital. Report, 1894, Bd. 50, S. 171. — 10. Rössle, Genese der
Magen- und Duodenalgeschwüre. Naturwissenschaftliche medizin. Gesell¬
schaft Jena. Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 37, S. 1766. —
11. Rössle, Das runde Geschwür des Magens und des Zwölffinger¬
darmes als „zweite Krankheit“. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurgie, 1912,
Bd. 25. — 12. Walter Sochaczewski, Zur Pathogenese der Darm¬
blutungen im Säuglingsalter. Archiv für Kinderheilk., 1909, Bd. 50. —
13. Fritz Stromeyer, Die Pathogenese des Ulcus ventriculi, zugleich
ein Beitrag zur Frage nach den Beziehungen zwischen Ulcus und Carcinom.
Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anatomie u. d. allgem. Pathol., 1912, Bd. 54,
H. 1. — 14. F. von Torday, Duodenalgeschwür im Säuglinsalter.
Jahrb. f. Kinderheilk., 1906, Bd. 63.
Aus der Privatklinik von Geh. Rat Bier in Berlin.
Vergleich der Wirkung von Thorium X- und
Röntgen-Strahlen.
Von
Dr. Paal Krause.
Die Wirkung von Thorium X- und Röntgen-Strahlen zu vergleichen
bot mir ein Fall Gelegenheit.
Es handelte sich um einen 60jährigen Patienten mit multiplen
Lymphosarkomen, die zahlreich an Kopf und Hals sassen; ihre Grösse
war walnuss- bis kleinapfelgross. Ausser diesen äusserlich sichtbaren
Tumoren bestand noch ein walnussgrosses Lymphosarkom im Nasen¬
rachenraum, der Vorderfläche der oberen Halswirbel aufsitzend.
Die Röntgenbestrahlungen hatten in diesem Falle prompten Erfolg;
es handelte sich um ein so sensibles Geschwulstgewebe, dass nach Ver¬
abfolgung einer knappen Erythemdosis mit einer Röntgenröhre von
9 Wehnelt jeder der Tumoren im Zeitraum von zwei bis drei Tagen
völlig resorbiert war, am Tage nach der Bestrahlung zeigten sich die
Tumoren bereits regelmässig auf die Hälfte verkleinert. Nur dem Tumor
im Nasenrachenraum war infolge seiner ungünstigen Lage nicht beizu¬
kommen; weder mit Tiefenbestrahlungen durch Filter noch mit Be-
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Strahlungen durch den geöffneten Mund wurde eine wesentliche und
dauernde Rückbildung des Tumors erzielt.
Mau beschloss in diesem Falle mit Rücksicht darauf, dass die direkte
Bestrahlung der übrigen Tumoren so gut gewirkt hatte, den Tumor im
Nasenrachenraum durch Spaltung des weichen Gaumens in der Median¬
linie freizulegen und der direkten Bestrahlung zugängig zu machen. Der
Erfolg war zunächst ein prompter. Der Tumor schwand bis auf einen
Rest hinter dem rechten hinteren Gaumenbogen, wohin direkte Strahlen
nicht kamen. Von diesem restlichen Tumor entwickelte sich die Ge¬
schwulst aber bald wieder zu alter Grösse.
Unter diesen Umständen entschloss ich mich zu Injektionen von
Thorium X in den Tumor selbst.
Das Thorium X wurde von der Auergesellschaft täglich frisch ge¬
liefert, und zwar, wie gewünscht, in Ampullen von je 300 elektro¬
statischen Einheiten (= 800 000 Macheeinheiten); die Messung hatte
24 Stunden vor der Injektion stattgefunden, nach beigegebener Kurve
hatte bei der Injektion die Emanation ihren Höhepunkt erreicht, um
dann abzukliDgen. Jede Einspritzung hatte zwar eine deutliche Ein¬
wirkung auf das Tumorgewebe; 24 Stunden später sah man nämlich die
Stelle der Injektion und ihre nähere Umgebung in einem Durchmesser
von knapp 1 qcm braun verfärbt, während die übrige Geschwulst eine
rosarote Oberfläche hatte, ausserdem zeigte sich ebendort eine Einziehung;
der Tumor hatte sich an dieser Stelle verkleinert.
Aber ßraunfärbung und diese wenig umfangreiche Tumorverkleine¬
rung verschwanden jedesmal nach zwei bis drei Tagen endgültig.
So war also der Endeffekt der Tboriuminjektion trotz der hohen
Dosis und trotzdem in den ersten sechs Tagen 210 elektrostatische Ein¬
heiten und innerhalb von drei Wochen im ganzen 390 elektrostatische
Einheiten injiziert wurden, gleich Null.
Ohne Bedenken durfte die Gesamtdosis nicht mehr überschritten
werden. Die Behandlung wurde aufgegeben, Patient starb nach
einiger Zeit. '
Eine günstigere Applikation der Energie des Thorium X als die intra-
tumorale ist nicht denkbar; die Wirkung der Röntgenstrahlen wurde da¬
gegen noch gemindert durch Haut-, Fett- und obere Tumorschichten;
unter diesen Umständen ist folgende Schlussfolgerung berechtigt:
Die Strahlenwirkung von Thorium X und der Röntgenröhre kann in
diesem Falle messbar verglichen werden; es haben sich 210 elektro¬
statische Einheiten (= 2,1 Millionen Macheeinheiten), in sechs Tagen
verabfolgt, bzw. 390 elektrostatische Einheiten, in drei Wochen verab¬
folgt, nicht gleichwertig einer Erythemdosis der Röntgenröhre gezeigt,
die in einer Sitzung verabfolgt wurde.
Aus der Klinik und Poliklinik für Frauenkrankheiten
von Prof. Dr. W. Nagel in Berlin.
Das Thigenol in der gynäkologischen Therapie.
Von
Dr. A. Himhberg, 1. Assistenzarzt.
Bei der resorbierenden Behandlung der subakuten und chronischen
Erkrankungen der weiblichen Beckenorgane spielt die lokale Applikation
der Schwefelpräparate eine grosse Rolle. Sie ist an die Stelle der
früheren Jodverwendung getreten, die zuerst von Breisky 1 ) in Gestalt
eines Anstriches der Portio und des Scheidengewölbes mit Jodtinktur
geübt wurde.
Den Schwefelpräparaten wird ein beschleunigender Einfluss auf
die Resorption exsudativer Prozesse an den inneren Genitalien
der Frau nachgerühmt. Zu diesem Zwecke pflegt man einen Tampon
mit dem schwefelhaltigen Medikament zu tränken und zur direkten
Einwirkung auf die entzündeten Beckenorgane in das Vaginalgewölbe
einzuführeu. Zwar liegen keine experimentellen klinischen Beobachtungen
über die Resorptionskraft der Scheidenschleimhaut gegenüber den schwefel¬
haltigen Medikamenten vor, doch gestattet die klinische Erfahrung ein
Urteil über die erfolgreiche Wirkung dieser lokalen Behandlung.
Dass entgegen den Ausführungen Schwab’s 2 3 ), der die resorptive
Kraft des Scheidenepithels in Abrede stellt, das Scheidenrohr sehr wohl
Medikamente aufzunehmen vermag, beweisen die harnanalytischen Ver¬
suche von Higuchi 8 ), Falk 4 ) u. a., die im Ham den Nachweis der
Aufnahme von Arzneimitteln führen konnten, mit denen die Scheiden¬
tampons getränkt waren.
Nachteile der anorganischen Sohwefelverbindungen sind die Ver¬
anlassung gewesen, dass der reine Schwefel und seine anorganischen
Abkömmlinge durch synthetisch hergestellte organische Schwefel -
präparate verdrängt worden sind. In erster Linie haben die grössere
Reizlosigkeit der festeren organischen Sohwefelverbindungen und ihre
stärker reduzierenden und analgesierenden Eigenschaften die Substitution
des anorganischen Schwefels durch ihre organischen Derivate herbei¬
geführt.
1) Wiener Allgem. med. Ztg., 1883.
2) Münefcener med. Wochenschr., 1910.
3) Archiv f. Gynäköl., Bd. 86.
4) Centralbl. f. Gynäkol., 1910.
Lange Zeit hat das Ichthyol, das ein durch Destillation von bitumi-
minösem Sehiefer gewonnenes Sohwefelöl ist, im Vordergründe der
medikamentösen Schwefelapplikation gestanden. Der Ichthyoltampon
fand bei der Behandlung gynäkologischer Entzündungen eine vorwiegende
Verwendung. Bei dem Gebrauch des Ichthyols stört nur häufig sein
penetranter, faulenden Fischen ähnelnder Geruch und eine leicht reizende
Wirkung auf die Schleimhaut [Oppenheim 1 )]*
Das Streben der pharmazeutischen Chemie, ein Schwefelpräparat
ohne diese Nachteile des Ichthyols zu finden, hat eine Reihe schwefel¬
haltiger Präparate geschaffen, unter denen das Thigenol bald'eine
gewisse Bedeutung erlangt bat.
Das Thigenol wird von der Firma F. Hoffmann-La Roche & Co.
seit einigen Jahren in den Handel gebracht und ist eine konzentrierte
Lösung der Natriumverbinduog eines synthetisch hergestellten Sulfooleats,
die lOpCt. organisch gebundenen Schwefel enthält. Das Präparat ist
eine braune zähe Flüssigkeit von öliger Konsistenz, fast ohne jeden
Geruch, die sioh leicht in Wasser, verdünntem Alkohol und Glycerin
löst. Ueber die chemischen Eigentümlichkeiten des Thigenols orientieren
zahlreiche in der Literatur niedergelegte Angaben.
Die erste Prüfung des Thigenols erfolgte in der dermatologischen
Praxis. Hier erwies es sich als ein antiseptisohes und antiparasitäres
Mittel, das durch seine vasokonstriktorisehen Eigenschaften einen ent-
zündungswidrigen und schmerzstillenden Einfluss ausübte.
Da gleichzeitig seine leichte Resorbierbarkeit von der.Haut
und Schleimhaut offenbar wurde, fand das Thigenol schon bald Be¬
achtung in der gynäkologischen Therapie. Hier waren Merkel 2 )
und Flatau 8 ) die ersten, welche mit dem Thigenol Versuche bei der
Behandlung gynäkologischer Erkrankungen anstellten. Ihre günstigen
Erfahrungen wurden schon schnell von Hönigsohmied 4 ), Neumann 5 ),
Rousseau 6 ) u. a. bestätigt, die dem Thigenol in der Gynäkologie
8 chmerzstilleude, resorptionsfördernde und entzündungswidrige Eigen¬
schaften naohrühmen. In den experimentellen bakteriologischen Ver¬
suchen konnten dann Scarlini und Saladini 7 ) und Latteux 8 ) den
Beweis von der erheblichen Baktericidie des Thigenols erbringen.
Wir haben nun in der Nagel’schen Poliklinik eine grosse
Reihe von gynäkologischen Erkrankungen mit Thigenol be¬
handelt, um die Berichte über die Heilungsresultate mit diesem Mittel
einer Nachprüfung zu unterziehen. Es standen uns vier verschiedene
Verwendungsmöglichkeiten des Thigenols zur Verfügung, einmal die
Muttersubstanz, das reine Thigenol, dann ein 20proz. Thigenol-
glycerin, ferner ein gebrauchsfertiger Thigenol-Tampol und die
Thigenol-Ovules.
Für die poliklinische Praxis ist die Verwendung des mit 20proz.
Thigenol glycerin getränkten Tampons am rationellsten. Sein billiger
Preis (Originalflasche ä 100 g 1 M.) ist Veranlassung gewesen, dass es
für die Berliner Kassenpraxis freigegeben wurde. In der Praxis
elegans sind der Tampol „Roche“ und die Ovules wegen ihrer Handlich¬
keit und sauberen Verwendung besonders gut geeignet.
Das Thigenolglycerin fand bei allen denjenigen Fällen Verwendung,
bei denen wir durch eine medikamentöse Tampontherapie eine Heil¬
wirkung zu erzielen erwarteten. Ueberall dort, wo es darauf ankam,
subakute und chronische Entzündungen des Beckenbinde¬
gewebes, der Adnexe und des Beckenbauchfells zu lindern,
wurden in regelmässigen Zwischenräumen Thigenoltampons eingelegt.
Es war in erster Linie unser Bestreben, Reste von entzündlichen
intra- und extraperitonealen Exsudaten und ihre konsekutiven
Erscheinungen an den Nachbarorganen zu beeinflussen. Weniger
Wert möchten wir auf die Heilungsbestrebungen bei der Behandlung
ganz frischer Entzündungen mit eitrigem Katarrh legen. Hier versagt
meist der einfache Thigenoltampon. Dagegen hat sich für diese Fälle
mehr die von Nagel in Deutschland eingeführte „Kolumnisation“ erfolg¬
reich erwiesen, bei der es weniger auf die medikamentöse Durchtränkung
des Tamponadenmaterials als auf die mechanische Stützung. der er¬
krankten Unterleibsorgane ankommt.
In konsequenter Behandlung haben wir bei allen subakuten und
chronischen Prozessen in eintägigen Zwischenräumen einen Thigenol¬
tampon eingeführt. Die Kranken müssen am Tage darauf den Tampon
selbst entfernen und im Anschluss an die Entfernung eine Thigenol-
spülung im Liegen machen, die durch die Auflösung von zwei Esslöffel
der 20 proz. fertigen Thigenolglycerinlösung auf 1 1 warmes Wasser her¬
gestellt wurde. Unter diesen Maassnahmen, die durch allgemeine
diätetische Vorschriften unterstützt werden, konnten wir einen schnellen
Nachlass der entzündlichen Schmerzen beobachten. Dieser subjektiven
Besseruog pflegte alsbald der Rückgang der objektiven Krankheits-
ersoheinungen zu folgen. Die entzündlichen Schwellungen gingen zurück,
Exsudate wurden resorbiert, und das Verschwinden der entzündlichen
Verwachsungen der Unterleibsorgane konnte in ungestörtem Fortschritt
beobaohtet werden. Es decken sich diese unsere Beobachtungen mit
1 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912.
2) Münchener med. Wochenschr., 1902.
8 ) Münchener med. Wochenschr., 1902.
4) Wiener med. Presse, 1903:
5) Deutsche Aerzte-Ztg., 1903.
6 ) These de Paris, 1904. - — — -
7) Arch. ital. di gineool., 1905, Nr. 1.
8 ) Etüde sur le Thigenol, Paris.
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Nr. 13.
dem Bericht Nitze’s 1 ), der jüngst den Thigenol-Tampol für die
Behandlung chronischer Unterleibsleiden empfiehlt und besonders der
Tampolbehandlung warm das Wort redet, die wegen der rationellen und
handlichen Anwendungsform für den Praktiker besonders geeignet sein
dürfte. Es kann nicht jeder in der allgemeinen Praxis stehende Arzt
das ganze Rüstzeug bereithalten, das für die Tampontherapie notwendig
ist. Für diesen ist es bequemer, den fertigen Thigenol-Tampol zur An¬
wendung bereit zu haben, der ohne jede unterstützenden oder vor¬
bereitenden Maassnahmen appliziert werden kann.
ln anderen Fällen haben wir uns das Einführen der Thigenol-
tampons dadurch erleichtert, dass wir in das Scheidengewölbe ein
Thigenol-Ovule deponierten und zur Verhütung des Herausrutschens
dieses medikamentösen Eies einen trockenen Wattetampon in die Scheide
einlegten. Das Ovule löst sich leicht im Scheidensekret und kann hinter
dem schützenden Verschluss des Wattetampons seine resorbierende oder
schmerzstillende Wirkung entfalten.
Von einer internen Verwendung auf dem Umwege über den
Magendarrakanal haben wir Abstand genommen, da uns theoretisch ein
Erfolg nicht wahrscheinlich sein konnte.
Wir haben am Abschluss unserer therapeutischen Versuche mit dem
Thigenol in der konservativen Behandlung der weiblichen
Unterleibsleiden den Eindruck gewonnen, dass es ein wertvolles und
zuverlässiges Heilmittel überall dort ist, wo ein Schwefelpräparat
eine therapeutische Wirkung entfalten kann.
Gegenwart und Zukunft der Riickenmarks-
chirurgie.
Von
Max Rothmann.
(Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
12. Februar 1913.)
(Schluss.)
Können wir nach den vorliegenden Erfahrungen die intra¬
medulläre Operation als einen klinisch berechtigten Eingriff be¬
zeichnen, so erscheint es allerdings notwendig, darüber klar zu
werden, in welchem Umfange Operationen innerhalb des Rücken-
marksquerscbnitts mit einem annähernd befriedigenden funktio¬
nellen Resultat möglich sind. Von den intramedullären Ge¬
schwülsten, die zur Operation geeignet sind, muss man die
centralen, beide Rückenmarkshälften ziemlich gleichmässig
befallenden Tumoren, die bald im Gebiet der Hinterstränge, bald
noch centraler, im wesentlichen die graue Substanz einnehmend,
gelegen sind, und die in einer Rückenmarkshälfte, vor
allem im Gebiet eines Seitenstranges zur Entwicklung gelangenden
Geschwülste unterscheiden. Tumoren, die fast den ganzen Quer¬
schnitt des Rückenmarks einnehmen oder sich durch weite Ge¬
biete des Rückenmarks in der Längenausdehnung erstrecken,
kommen für die Operation nicht in Frage. Ebenso werden mul¬
tiple Rückenmarksgeschwülste nur selten, wie in dem schönen
Fall von Reichmann-Röpke, zur erfolgreichen Operation ge¬
langen. Oft genug wird, wie in dem Fall Brun, der eine Tumor
richtig diagnostiziert und operiert werden, während die Autopsie
erst ein zweites Neoplasma erkennen lässt. Tumoren, wie das
hier abgebildete intramedulläre Spindelzellensarkom von Gowers 2 )
(Figur 1), das im wesentlichen Hinterstränge und graue Sub-
Figur 1.
Intramedulläres Spindelzellensarkom nach Gowers.
stanz ergriffen hat, oder der von Schlesinger 3 ) beobachtete
intramedulläre Tuberkel mit ähnlicher Lokalisation (Figur 2)
oder das Epitheliom im oberen Dorsalmark von Friedmann 4 )
_ ‘ 'f . i i
1 ) Deutsche med. Wochenschr., 1912.
2 ) W. R. Gowers, Handb. d. Nervenkrankh., 1892, Bd. 1, S. 554.
3) Schlesinger, Handb. d. pathol. Anat. d. Nervenkrankh., 1904.
4) M. Fried mann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 39, S. 296.
(Figur 3) werden, vor allem in einem etwas früheren Stadium
ihres Wachstums, bei dem weitgehenden Intaktsein der Seiten-
und Vorderstlänge und den festen Tumorgrenzen der Operation
zugänglich sein.
Sehr viel schwieriger liegen schon die Verhältnisse, weun
der Tumor, wie in einem auderen Fall Sch I esi nger’s von
Konglomerattuberkel mehr ventralwärts im Gebiet des Vorder-
und Vorderseitenstrangs gelegen ist (Figur 4). Nicht nur, dass
Figur 2.
lutraraedullärer Tuberkel nach Schlesinger.
Figur 3.
c b
Epitheliom (3. Dorsalsegment) nach Friedman n.
: a = Tumor, b = erhaltenes Rückenmark, cj= Tumorspalten.
Figur 4.
Konglomerattuberkel des Rückenmarks nacb üchlesinger.
der Tumor nur mühsam von der hinteren oder seitlichen Peri¬
pherie aus zu erreichen ist, auch die Ausfallserscheinungen nach
Entfernung des Tumors müssen sehr viel schwerere sein.
Nach den übereinstimmenden Lehren der experimentellen
Physiologie bei Hunden und Affen und der menschlichen Stich¬
verletzungen des Rückenmarks kann nun der Verlust der
Hinterstränge verhältnismässig leicht funktionell überwunden
werden. Konnte beim Hunde überhaupt kaum eine Störung nach
Ausfall der Hinterstränge nachgewiesen werden, so^ lässt auch
beim Affen eine isolierte Durchtrennung beider Hinterstränge im
obersten Halsmark nicht die geringste Störung der Berührungs-
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empfindung nach weisen 1 ). Dagegen besteben beim Affen anfangs
nach der Operation ziemlich schwere Lagegefühlsstörungen der
Extremitäten, vor allem der Arme, die das Greifen zum Beispiel
sehr erschweren. Doch tritt in einigen Wochen eine weitgehende
Restitution ein, wenn auch eine mässige Ungeschicklichkeit der
Hände noch nach Monaten nachweisbar ist. Auch beim Menschen
hat das Studium der Stichverletzungen, wie Petren 2 3 ), Roth¬
mann 8 ), Fabritius 4 ) übereinstimmend feststellen konnten, das
Erhaltensein der Berührungsempfindung bei Hinterstrangsdurch-
trennungen ergeben, wenn die anderen Rückenmarksstränge zur
Leitung intakt sind. Dagegen dürften die Lagegefühlsstörungen
und damit vor allem die Ungeschicklichkeit der Hände die der
Affen noch wesentlich übertreffen. Doch wird sich auch hier
eine weitgehende Restitution bemerkbar machen. Darauf weisen
ja auch die Erfolge der oben geschilderten intramedullären Ope¬
rationen vom Hinterstrang aus hin. Denn die anatomische Unter¬
suchung des zum Exitus gelangten Falles von Eisberg und Beer
hat das völlige Fehlen der Hinterstränge ergeben, und in dem
Fall von Braun, in dem die Kugel durch den rechten Hinter¬
strang in das Rückenmark eingedrungen und durch den linken
Hinterstrang entfernt worden ist, so dass kaum Reste der Hinter¬
stränge vorhanden sein konnten, zeigten Berührungsempfindung
und Muskelsinn eine weitgehende Restitution.
Nach diesen Ergebnissen erscheint es unbedenklich, die
Hinterstränge, in welcher Höbe des Rückenmarks es auch sein
mag, zum Zweck einer lebenswichtigen, intramedullären Operation
sogar in toto zu zerstören. Die zweifellos nicht unbeträchtlichen
Lagegefühlsstörungen sind bis zu einer gewissen Grenze der
Restitution zugänglich und kommen neben dem lebensrettenden
Effekt der Operation nicht in Frage. Jedenfalls aber kann man,
ohne irgendwelche schwereren Ausfallserscheinungen befurchten
zu müssen, im Gebiet der Fissura posterior einen Längsschnitt,
sogar bis an die Commissura posterior der grauen Substanz heran,
au8fübren.
Auch die graue Substanz selbst, die ja häufig zusammen
mit den Hintersträngen Sitz einer centralen Rückenmarksgescb wulst
darstellt, kann in ein oder zwei spinalen Segmenten weitgehend
vernichtet werden, ohne dass es zu anderen Störungen als zu
lokalen Paresen und Atrophien in einzelnen Muskelpartien kommt,
die entweder funktionell von geringer Bedeutung sind oder weiter¬
hin durch Muskel- und Sehnentransplantationen gebessert werden
können. Nur ein cervicales Segment macht hier eine wesentliche
Ausnahme: das ist das IV. Cervicalsegment infolge seiner Be¬
ziehungen zu den Phrenicuscentren und daher zur Atmung. In¬
folge dieser Verhältnisse ist ja auch der zweite Fall von Eis¬
berg und Beer, bei dem der Eingriff von den Hintersträngen
her bia zum IV. Cervicalsegment heraufreichte, zum Exitus ge¬
kommen.
Wenn in dem Fall von Veraguth und Brun bei Operation
in der gleichen Höhe der unglückliche Ausgang nicht eintrat,
trotzdem sogar vor der Operation eine einseitige Phrenicus-
läbmung bestand, so liegt das an dem einseitigen Sitz der Ge¬
schwulst und dem Eingehen vom Seitenrand des Rückenmarks aus.
Im übrigen kann man aber sagen, dass die Entfernung einer
intramedullären Geschwulst mit Zerstörung der Hinterstränge und
der grauen Substanz des betreffenden Rücken markRsegments
möglich ist, ohne einen allzu schweren oder gar das Leben ge¬
fährdenden Defekt zu hinterlassen. Nun dringt aber bei vielen
dieser centralen Geschwülste der Tumor in die Vorderstränge
vor oder nimmt überhaupt nur die graue Substanz und die an¬
grenzenden Gebiete der Vorderstränge ein. In diesen Fällen
muss man bei dem Versuch einer Exstirpation der Geschwulst,
die nur von hinten her möglich sein dürfte, stets mit einer kom¬
binierten weitgehenden Zerstörung der Hinter- und Vorderstränge,
inklusive der zwischen ihnen gelegenen grauen Substanz rechnen.
Es ist aber zu betonen, dass in der Regel die medialen, der
grauen Substanz benachbarten Teile der Vorderstränge zuerst und
am stärksten betroffen werden, während in der Peripherie die
Nervenbahnen intakt bleiben oder doch nur einer mehr oder
weniger starken Kompression ohne Zerstörung ausgesetzt sind.
Man muss sich ja überhaupt bei dem Wachstum dieser centralen
Geschwülste immer vor Augen halten, dass die umgebende Nerven-
1) M. Roth mann, Demonstration zur flinterstrangsfunktion. Neurol.
Centralbl., 1911, Nr. 15. ' ,
2) Karl PetrSn, Skandinavisches Archjv f. Psych., 1902, Bp. 13,
und Archiv f. Psy£h., Bd. 47, H. 2.
3) M. Rothmann, diese Wochenschr., 1906, Nr. 2 u. 8.
4) H. Fabritius, Monatssohr. f. Psych. u. Neurol., 1912, Bd. 31.
Substanz bei der fortschreitenden Entwicklung des Tumors kom¬
primiert wird und daher oft der Eindruck ausgedehnterer Zer¬
störung entsteht, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Da nun
aber auch hier im Vorderstrang das Gesetz der exzentrischen
Lagerung der langen Bahnen gültig ist, so werden bei einem
Hineinwachsen der Geschwulst in die Vorderstränge von dorsalen
Gebieten aus zwar die am Sulcus anterior gelegenen Pyramiden-
vorderstrangbahnen frühzeitig ergriffen, die von den Pyramiden¬
seitenstrangbahnen funktionell völlig ersetzt werden können; die
funktionell vor allem für die Statik besonders wichtigen deitero-
spinalen Bahnen am ventralen Rande der Vorderstränge aber
werden gar nicht oder doch erst in einem sehr vorgeschrittenen
Stadium der Geschwulstbildung der Vernichtung anheimfallen.
Aber selbst die völlige Zerstörung von Hinter- und
Vordersträngen mit der dazwischen gelegenen grauen
Substanz in ein oder zwei Rückenmarkssegmenten dürfte bei
Intaktsein der Seitenstränge mit einem weitgehenden Erhaltensein
der spinalen Funktion einbergeben. Darauf weisen die von
Rothmann 1 ) ausgeführten kombinierten Zerstörungen von Vorder-
und Hintersträngen im 1. oder 2. Halssegment bei Affen und
Hunden hin. Beim Hunde hat dieser schwere Eingriff eine starke
Rumpfmuskelschwäche und eine mässige Ataxie und Lagegefübls-
störung der Extremitäten bei völliger Aufhebung der Berührungs¬
empfindung zur Folge. Aber die Lokomotion bleibt erhalten;
Drucksinn, Schmerzempfindung und Temperatursinn sind vor¬
handen, wenn auch bei schwerer Störung ihrer Lokalisation. Die
Störungen gehen im Laufe von Monaten entschieden zurück.
Auch beim Affen bedingt eine gleichzeitige Zerstörung beider
Vorder- und Hinterstränge im obersten Halsmark eine Aufhebung
der Berübrungsempfindung und schwere Störung des Muskelsinns.
Während derartig operierte Affen auf den Hinterbeinen gutes Laufen
zeigen, ja nach wenigen Tagen sogar auf die Stange springen
können, sind die Arme in den ersten Tagen fast bewegungslos
und zeigen auch in der Folge starke Ataxie bei den Greif¬
bewegungen. Es ist aber zu betonen, dass es sich hier um einen
Eingriff im obersten Halsmark handelt; bei derartigen Aus¬
schaltungen im Brustmark würden die Ausfallserscheinungen ent¬
sprechend geringer sein.
Beim Menschen muss eine derartige völlige Ausschaltung von
Vorder- und Hintersträngen bei den veränderten Verhältnissen
des aufrechten Ganges schwer schädigend einwirken; doch lässt
sich auch hier erwarten, dass die ausschliessliche Leitung durch
die Seitenstränge bei intakten Pyramidenseitenstrangbahnen Stehen
und Geben sowie die Uebermittelung von Druck-, Schmerz- und
Temperatursinn bei aufgehobener feinerer Lokalisation dieser
Empfindungen zustande bringen würde. Es sind aber derartig
ausgedehnte Zerstörungen bei den der Operation noch zugäng¬
lichen intramedullären Tumoren nicht zu erwarten.
Neben diesen centralen, beträchtliche Gebiete der Hinter-
und Vorderstränge sowie der grauen Substanz beider Seiten er¬
greifenden Tumoren sind es dann vor allem die in einem
Seitenstrang oder einer ganzen Rückenmarksbälfte zur
Entwicklung gelangenden Geschwülste, die einer Operation zu¬
gänglich sein werden. Die beiden bekanntesten derartigen Fälle,
der von Henneberg 2 ) und der von Müller 8 ), zeigen ausser¬
ordentlich grosse Tumoren. In dem Fall von Henneberg
nimmt ein sehr rasch gewachsenes Gliom im obersten Hals¬
mark den ganzen linken Seitenstrang ein und hat das erhaltene
Rückenmark nach rechts berübergedrängt. (Figur 5.) ln dem
Fall von Müller handelt es sich um einen Tuberkel, der die
ganze eine Rückenmarkshälfte ersetzt bat, während die andere
Hälfte als schmaler Halbmond der Geschwulst aufsitzt. (Figur 6.)
Es ist aber zu betonen, dass in beiden Fällen die Geschwulst
ungehindert bis zum Tode gewachsen ist, dass daher ein Eingriff
in früheren Stadien der Erkrankung sehr viel günstigere Ver¬
hältnisse angetroffen hätte. Bei den bisher bekannten intra¬
medullären Eingriffen ist von den intramedullären Tumoren nur
im Fall von Veraguth und Brun von der dorsolateralen Peri¬
pherie aus eingegangen worden. Vidieicht gehört hierher auch
der erste Fall von v. Eiselsberg-Clairmont, bei dem der auf der
rechten Seite hervorspringende Tumor von einer dünnen, leicht zu
durchtrennenden Schicht von Rückenmarkssubstanz umgeben war.
In den beiden von Nonne berichteten Fällen von extramedullärem
1) Max Rothmann/Zur Frage der Sensibilitätsleitung im Rücken¬
mark. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., 1912, Bd. 48.
2) Henneberg, Archiv f. Psyoh., 1900, Bd. 33, S. 978.
3) L. R. Müller, Deutsche Zeits^r. f. Nervenhheilk., 1898, Bd. 12,
S. 288.
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Nr. 13.
Figur 5.
Gliom im linken Seitenstrang des oberen Halsmarks nach Henneberg.
Figur 6.
Solitärtuberkel der rechten Rückenmarkshälfte (2. Dorsalsegment) nach
L. R. Müller.
Tumor war der Seitenstrang sekundär von der Geschwulst er¬
griffen, so dass derselbe bei der Operation weitgehend zerstört
werden musste. In allen diesen Fällen, in denen allerdings nichts
über die Ausdehnung der Seitenstrangläsion bekannt ist, ist eine
weitgehende funktionelle Besserung der Motilität eingetreten. In
dem Fall von Veraguth und Brun ist die linksseitige Parese
der Extremitäten völlig zurückgegangen; in den beiden Nonne-
schen Fällen, die im 7. und 8. Cervicalsegment bzw. im 1. und
2. Dorsalsegment sassen, ist nur eine leichte spastische Parese
des Beines der betreffenden Seite zurückgeblieben, die die Arbeits¬
fähigkeit nicht behindert.
Als Roth mann zum erstenmal nach weisen konnte, dass in
weitgehender Uebereinstimmung mit den Ergebnissen beim Hunde
auch beim Affen eine völlige Ausschaltung der Pyramiden-
leitung keine Lähmung zur Folge hatte und nur mit einer ge¬
wissen Plumpheit der im übrigen völlig erhaltenen aktiven Be¬
wegungen der Extremitäten einherging, schien es nach den vor¬
liegenden klinischen Erfahrungen sehr gewagt, für den Menschen
eine ähnliche, wenn auch nicht so weitgehende Ersetzbarkeit der
Pyramidenbahnen anzunehmen. Aber der Nachweis, dass der |
Zusammenhang zwischen dem Symptomenbild der spastischen
Spinalparalyse und der Degeneration der Pyramidenbabnen kein
so inniger ist, wie das früher angenommen wurde, dass es sich
hier vor allem nicht um eine Paralyse, sondern um eine Pseudo¬
paralyse handle, die Feststellung von Fällen, bei denen trotz
weitgehender Zerstörung der Pyramidenleitung, ja selbst einer
corticalen Extremitätenregion eine beträchtliche Restitution der
motorischen Funktion der Extremitäten eintrat, hat hier doch
eine Wandlung unserer Anschauungen herbeigeführt 1 ). Konnte
Roth mann bereits feststellen, dass Lähmungen und selbst
Spasmen nicht unbedingt mit der Pyramidenausschaltung ver¬
bunden sein müssen, dass daher nur die Steigerung der Sehnen¬
reflexe als dauerndes konstantes Symptom des Ausfalles der
Pyramidenleitung anzusprechen ist, so haben die Erfahrungen der
letzten Jahre mit der Förster’schen Operation der hinteren Wurzel¬
durchschneidung 2 ) und in neuester Zeit mit der Stoffel’schen
Operation der Durchtrennung einzelner Nervenfasern der hyper¬
tonischen Muskeln 3 ) diese veränderte Anschauung von der Be¬
deutung der Pyramidenleitung für die menschlichen Verhältnisse
aufs schönste bestätigt, ja bauen zum grossen Teil auf derselben
auf. So gelingt es heute bei Kindern mit Little’scher Krankheit,
bei der anscheinend schwerste spastische Lähmungen mit stärkster
Degeneration der Pyramidenbabnen einhergehen, durch Ab¬
schwächung der cerebropetalen Leitung (Förster) oder durch
richtige Verteilung der motorischen Innervation auf die Gesamt¬
muskulatur von Arm bzw. Bein (Stoffel) weitgehende motorische
Leistungen zu erzielen.
Aber auch das beim Menschen im grossen angestellte Ex¬
periment der Halbseitenläsion durch die Stichverletzungen
des Rückenmarks lehrt uns immer aufs neue, dass eine Durch-
trennung von Hinterstrang und Seitenstrang einer Seite zwar
anfangs völlige schlaffe Lähmung der Extremitäten der gleichen
Seite bedingt, dass aber in der Folge eine weitgehende Restitution
der Motilität Platz greift. So bedingt auch eine Stichverletzung,
wie sie Fabritius 4 ) anatomisch im mittleren Halsmark nach
fünftägiger Lebensdauer feststellen konnte (Figur 7), die den
Figur 7.
Stichverletzung des Rückenmarks (5. Cervicalsegment). Linker Seiten-
und Vorderstrang zerstört. Nach Fabritius.
Seitenstrang und einen grossen Teil des Vorderstrangs betroffen
hat, zunächst völlige schlaffe Lähmung der gleichseitigen Ex¬
tremitäten. Aber die gesamte, über 100 Fälle betragende Kasuistik
der Stichverletzungen lehrt immer aufs neue, dass das total
schlaff gelähmte Bein stets nach einigen Wochen wieder zu will¬
kürlicher Bewegung zurückkehrt, so dass nach einigen Monaten
eine Gehfähigkeit vorhanden ist und die Patienten nach Jahren
völlig arbeisfähig sind und längere Strecken zu Fuss zurücklegen.
1) M. Roth mann, diese Wocbenschr., 1902, Nr. 17 u. 18. Zeitschr.
f. klin. Med., Bd. 44 u. 48. Monatsschr. f. Psycb. u. Neurol., Bd. 16,
S. 589. Archiv f. Anatomie u. Physiol., pbys. Abt., 1907, S. 217.
2) 0. Förster, Wiener klin. Wocbenschr., 1912, Nr. 25.
3) A. Stoffel, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 47.
4) Fabritius, 1. c., S. 108.
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Nor eine mässige Atrophie der Muskulatur, leichte Spasmen nnd
Steigerung der Reflexe lassen die alte Schädigung noch erkennen.
Da in diesen Fällen niemals eine reine Hinterseitenstrangsläsion
(Areal der Pyramidenseitenstrangbabn) vorliegt, sondern der
ganze Seitenstrang, bald mit dem Hinterstrang, bald mit dem
Vorderstrang, bald sogar mit Teilen der anderen Rückeumarks-
hälfte zusammen, durchtrennt ist, so muss man bei einer reinen
Ausschaltung des Areals der Pyramidenbahn eine noch weiter-
gehende Restitution der Beinfunktion erwarten. Der Arm aller¬
dings scheint in den Fällen, bei denen die Läsion im Halsmark
sitzt, von einer schweren spastischen Parese mit Flexions-
kontraktur befallen zu werden, die die praktische Brauchbarkeit
des Armes aufhebt.
Weiterhin ist nun die Tatsache praktisch wichtig, dass die
von der Hirnrinde zum Rückenmark ziehenden Pyramiden fasern
im Seitenstrangareal derart innig gemischt sind, dass jeder Teil
des Querschnitts Fasern von jeder Rindenpartie der Extremitäten-
region enthält. Daraus erklärt es sich, dass beim Affen eine
partielle Läsion der Pyramidenbahn in der Kreuzung oder im
Seitenstrang überhaupt keine nachweisbare Störung erkennen
lässt. Wir dürfen daher erwarten, dass auch beim Menschen die
Zerstörung grösserer Abschnitte des Pyramidenareals bei Intakt¬
sein eines Teils der Pyramidenleitung im Seitenstrang eine sehr
weitgehende Restitution zur Folge haben wird, zumal wenn diese
Ausschaltung nicht von Mitläsionen des Hinter- bzw. Vorderstrangs
begleitet ist 1 ).
Aach über die Folgen einer Ausschaltung der vorderen
Abschnitte des Seitenstrangs sind wir vor allem durch das
Stadium der Stich Verletzungen des Rückenmarks genau unter¬
richtet. Die Durchtrennung des Vorderseitenstrangs einer Seite
führt beim Menschen im Gegensatz zu den niederen Tieren zunächst
zu einer völligen Aufhebung von Schmerzempfindung und
Temperatursinn in der gekreuzten Körperbälfte. Auch der
Drucksinn erscheint schwer geschädigt. Allerdings bleibt diese
Aufhebung von Schmerz- und Temperatursinn keine absolute;
aber die Restitution vollzieht sich sehr viel langsamer und un¬
vollkommener als die der Motilität. Auch nimmt die restituierte
Scbmerzempfindung nicht wieder ganz die Qualitäten der normalen
Empfindung an, sondern wird undeutlicher, weniger scharf lokali¬
siert empfunden (Dysästhesie [Charcot, Fabritius]). Dagegen
bleibt die Berührungsempfindung, die teils im gleichseitigen
Hinterstrang, teils im gekreuzten Vorderstrang geleitet wird, voll¬
kommen erhalten. Daneben lassen sich mässige Vasomotoren¬
störungen und bei Eingriffen im Halsmark der bekannte Sym-
pathicuskomplex des Auges, vor allem Verengerung der Pupille,
erwarten. Geschieht der Eingriff oberhalb des 4. Halssegments,
so kommt es zu einseitiger Schädigung der Phrenicusfunktion,
ohne dass hierdurch eine schwerere Behinderung der Atmung
bedingt wäre.
Die Ausschaltung eines Seitenstrangs in der Aus¬
dehnung von ein bis zwei Rückenmarkssegmenten zum
Zweck der Entfernung eines hier gelegenen Rückenmarkstumors
bedingt also eine Lähmung der gleichseitigen Extremitäten, die,
vor allem für das Bein, weitgehend restituiert wird, und eine
Aufhebung von Schmerzempfindung und Temperatursinn in den
gekreuzten Extremitäten, die auch bei langer Lebensdauer nur
unvollkommene Restitution zeigt. Da nun aber diese Ausfalls¬
erscheinungen bereits bei bestehendem Tumor des Seitenstrangs
in sehr viel stärkerer Ausdehnung infolge der Kompression des
übrigen Rückenmarkquerschnitts vorhanden sind und das Leben
aufs äusserste bedroht erscheint, so ist der operative Eingriff mit
Ausschaltang des gesamten Seitenstrangs unbedingt berechtigt.
Jedenfalls wird ein solcher Patient nach Monaten seine Gehfähig¬
keit wiedererlangt haben. In vielen Fällen, zumal bei recht¬
zeitigem Eingriff, wird aber nicht einmal die Zerstörung des
gesamten Seitenstrangs erforderlich sein, und es ist klar, dass
bereits mit dem Erhaltensein kleinster Seitenstrangabschnitte,
zumal im Areal der Pyramiden bahn, die Vervollkommnung und
Beschleunigung der Restitution wesentlich gefördert wird. Da¬
gegen bedeutet die Mitschädigung von Hinterstrangs- und Vorder-
L),Die gegen diese Anschauung von Fabritius (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenbeilk., Bd. 45, S. 225) vorgebrachten Einwände sind nicht
stichhaltig. Vor allem kann sein Versuch, die Ergebnisse der Marchi’schen
Methode als irreführend hinzustellen, nicht als geglückt gelten. Wohl
aber schliesst die Verteilung der Leitungsfasern jeder Rindenpartie über
das ganze Areal der Pyramidenbahn nicht aus, dass bestimmte Faser-
grup£en für bestimmte MuMcelfunktionen unter Normalen Verhältnissen
besonders gut ausgesobliflen sind.
Strangsabschnitten bei der Operation im Seitenstrang eine wesent¬
liche Verstärkung der Ausfallserscheinungen. Doch würde selbst
bei Ausschaltung der ganzen einen Rückenmarksbälfte noch die
Berührungsempfindung weitgehend erhalten bleiben und eine
Restitution der Gehfähigkeit des Beins zustande kommen 1 ).
Sowohl die centralen Geschwülste des Rückenmarks, die Teile
der Hinterstränge, graue Substanz und dorsale Abschnitte der
Vorderstränge betreffen, als auch die in einem Seitenstrang zur
Entwicklung gelangenden Tumoren sind bei rechtzeitiger Diagnose
und guter Abgrenzung dem operativen Eingriff zugänglich. Es
kommt zu einer Defektheilung, die jedoch bei beiden Eingriffen
mit einer weitgehenden motorischen Funktion, vor allem der
unteren Extremität, vereinbar ist. Bei der Ausschaltung der
Hinterstränge entwickelt sich eine nicht unbeträchtliche Ataxie
der Extremitäten, bei der Zerstörung des einen Seitenstrangs eine
gekreuzte Aufhebung von Schmerz- und Temperatursinn. Ein
operativer Erfolg ist zunächst nur bei gut gegen die Rücken¬
markssubstanz abgegrenzten Geschwülsten zu erwarten. Höchstens
kann bei cystisch entarteten diffasen Tumorbildungen die Er¬
öffnung und Entleerung der Cysten wenigstens vorübergehend
eine Besserung des Zustandes bewirken.
Neben diesen intramedullären Eingriffen bei Tumoren, die
sich im Innern des Rückenmarks entwickeln, oder bei Affektionen,
die tumorartige Symptome machen, wie kleine Erweichungsherde
in der Rückenmarkssubstanz (Fall von F. Krause), Blutkoagula
(Fall von Bailey und Beer), Pistolenkugel im Rückenmark (Fall
Braun), die wir als pathologische Eingriffe zusammen fassen
können, kommen nun aber physiologische Operationen im
Gebiet der Rückenmarkssubstanz in Betracht. Als physiologi¬
sche Operationen können wir Eingriffe bezeichnen, die nicht
den Ort der Erkrankung selbst betreffen, sondern ausgeführt
werden, um bei bestimmten Schädigungen der Funktion durch
Ausschaltung von Centren oder Leitungswegen, die uns in ihrer
Leistung genau bekannt sind, Besserungen des Zustandes herbei¬
zuführen. Solche „physiologischen“ Operationen im Bereich des
Nervensystems sind in der neuesten Zeit mehrfach ausgebildet
worden. Hierher gehört die Entfernung des „primär krampfenden“,
anatomisch oft nicht veränderten Hirnrindencentrums bei epilepti¬
schen Zuständen, hierher die Förster’sche Operation, bei der durch
Durchschneidung einiger normaler hinterer Wurzeln die spastischen
Zustände der Extremitäten gebessert werden, hierher endlich auch
die Stoffel’sche Operation, bei welcher der gleiche Erfolg durch
Durchtrennung einiger die hypertonischen Muskeln versorgender
motorischer Nervenfasern erreicht wird.
Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass wir über
den anatomischen Verlauf und die funktionelle Bedeutung der
Leitungsbahnen des Rückenmarks durch Experiment und Klinik
weitgehende Aufklärung gewonnen haben. Können wir diese
Kenntnisse zur Ausgestaltung „physiologischer“ Operationen im
Rückenmark selbst verwerten? Schüller 2 ) hat vorgeschlagen,
als Ersatz für die Förster’sche Operation bei spastischen Läh¬
mungen eine Durchscbneidung der Hinterstränge vorzu¬
nehmen, um den Tonus herabzusetzen, eventuell in Kombination
mit Ausschaltung der Kleinhirnseitenstrangbahnen. Der Vorteil
gegenüber der Förster’schen Operation mit Durchtrennung mehrerer
hinterer Wurzeln würde vor allem in der auf ein Rückenmark¬
segment beschränkten Operation liegen. Es erscheint mir aber
sehr zweifelhaft, ob die an sich leicht ausführbare Durchtrennung
der Hinterstränge in einer bestimmten Niveauhöhe des Rücken¬
marks den gewünschten Tonus - herabsetzenden Einfluss haben
würde. Der Vergleich mit den kombinierten Strangerkrankungen
mit ihren durch weite Gebiete des Rückenmarks reichenden
Hinterstrangs- und Seitenstrangsdegenerationen ist nicht stich¬
haltig. Vor allem aber beweisen die oben erwähnten Hinter-
strang8durchschneidungen am Affen, dass die Lagegefühlsstörungen
der Extremitäten hier doch bereits sehr beträchtliche sind. Beim
Menschen dürften sie noch wesentlich stärker ausgeprägt sein.
Müssen wir bei der Entfernung eines intramedullären Tumors
diese Störung mit in den Kauf nehmen, bei der Behandlung der
1) Es werden am Projektionsapparat mikroskopische Marchi-Präparate
vom Rückenmark von Affen und Hunden mit isolierter Ausschaltung der
Hinterstränge, der Vorderstränge, der Pyramidenkreuzung und des Hinter-
seitenstrangs demonstriert. Dazu kommen kombinierte Ausschaltungen
von' Hinter- und Vordersträngen, von. Seiten- und Vorderstrang einer
Seite bei Affen und Hunden und die partielle 1 Zerstörung einer Pyramide
" beim Schimpansen.
2) Arthur Schüller, Ueber operative Durchtrennung derRücken-
markssträuge (Chordotomie). Wiener raed. Wochenschr., 1910, Nr. 89.
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Nr. 13.
spastischen Affektionen der Extremitäten würde diese funktionelle
Störung sich doch sehr unangenehm bemerkbar machen.
Dagegen habe ich empfohlen 1 2 3 * * ), unsere Kenntnis von der ge¬
kreuzten Leitung der Bahnen des Schmerzsinns im Vorderseiten¬
strang des menschlichen Rückenmarks dazu zu verwenden, bei
inoperablen Geschwülsten des Beckens mit unerträglichen Schmerzen
in einem Bein den gekreuzten Vorderseitenstrang im
mittleren Brustmark zu durchschneiden. Durch diesen verhältnis¬
mässig kleinen Eingriff wird die betreffende Körperhälfte unter¬
halb der Operationsstelle für Schmerz- und Temperaturreize
empfindungslos, während ein geringer Drucksinn und die Be¬
rührungsempfindung erhalten bleiben und auch die Motilität
keine oder doch nur eine vorübergehende Schädigung erfährt.
Der Vorschlag ist in dieser Form bisher noch nicht aus¬
geführt worden. Dagegen haben Spill er und Martin*) die
sehr viel eingreifendere doppelseitige Durchschneidung des
Vorderseitenstranges in einem Fall von inoperablem Rückenmarks¬
tumor erfolgreich ausgeführt. Es bandelte sich um einen
47 jährigen Mann, bei dem sich eine schlaffe Lähmung der Beine
mit heftigen Schmerzen in denselben entwickelte und die im
unteren Teil des Rückenmarks sitzende Geschwulst nicht entfernt
werden konnte. Da die Schmerzen sich ausserordentlich steigerten,
führten Spiller und Martin die Durchtrennung beider Vorder¬
seitenstränge im mittleren Brustmark aus. Danach trat ein fast
völliger Schwund der Schmerzen in den Beinen auf, die auch
nach einem Jahr nur selten und in geringer Intensität in die
Erscheinung traten. — Diese Durchtrennung des Vorderseiten¬
stranges, ein- oder doppelseitig, je nach der Lokalisation der
Affektion, wird zweifellos bei andauernden heftigen Schmerzen
bei inoperablen Tumoren der unteren Körperhälfte in Zukunft
häufig ausgeführt werden und zum mindesten den unglücklichen
Kranken ein erträgliches Dasein schaffen. Dagegen ist es nicht
wahrscheinlich, dass diese Operation bei den Crises gastriques
der Tabiker, für die sie Schüller vorgeschlagen hat, grosse Ver¬
breitung finden wird. Es fällt hier schwer ins Gewicht, dass man
zur Beseitigung der gastrischen Krisen im oberen Teil des Brust¬
marks beide Vorderseitenstränge durchtrennen müsste, also die
Schmerz- und Temperaturempfindung nicht nur des Rumpfes,
sondern auch der gesamten unteren Körperpartien vernichten
würde. Da wir aber von der Förster’schen Operation her wissen,
dass selbst ausgedehnte Opferung von 7 bis 8 hinteren Rücken¬
markswurzeln auf beiden Seiten die gastrischen Krisen nicht mit
Sicherheit beseitigt, da hier offenbar eine Vagusleitung von
wesentlicher Bedeutung ist, so muss auch der Erfolg der Aus¬
schaltung der Vorderseitenstränge mindestens fraglich erscheinen.
Es kann bei einer derartigen Operation leicht passieren, dass man
die gesamte Schmerz- und Temperatursinnleitung der unteren
Körperhälfte opfert und doch die Crises gastriques nicht be¬
seitigt. Dazu kommt noch, dass nicht allzu selten die gastrischen
Krisen nach mehrjährigem Bestehen ganz von selbst nachlassen.
Es bleibt endlich die Frage zu erörtern, ob in bestimmten
Fällen ein Eingriff in das Areal der Pyramiden bahn als
physiologische Operation in Betracht käme. Aus den Ex¬
perimenten am Affen wissen wir, dass hier ein.e partielle Durch¬
trennung der Pyramidenseitenstrangbabn keine nachweisbare
Schädigung setzt, und dass selbst die völlige Durchtrenuung des
Hinterseitenstranges, bei der neben den Pyramidenfasern auch
das allerdings rudimentäre rubrospinale Bündel zerstört wird, die
Ausführung der Bewegungen der Extremitäten der gleichen Seite,
selbst der feinen Greifbewegungen nicht aufhebt. In neuester
Zeit sind uns auch einige Beobachtungen an Menschenaffen be¬
kannt geworden. Bei einem von Rothmann 8 ) operierten Schim¬
pansen war durch einen dicht oberhalb der Pyramidenkreuzung
geführten Schnitt das mediale Drittel der rechten Pyramide zer¬
stört worden, in Verbindung mit einer Durchtrennung der Schleifen¬
kreuzung. Bei diesem Schimpansen war nun zwar die Kraft des
linken Arms gegenüber der des rechten herabgesetzt; doch waren
die feinsten isolierten Bewegungen von Hand und Fingern nach¬
weisbar, ohne den Nachweis irgendwelcher spastischen Parese.
1) M. Rothmann, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 41,
S. 227.
2) William G. Spiller and Edward Martin, The treatment of
persistent pain of organic origin in the lower part of the body by
division of the anterolateral column of the spinal cord. Journ. of the
Amer. med. ass., L912, S. 1489.
3) M. Rothmann, Ueber experimentelle Läsjonen des Central -
nervensysteras am anthropomorphen Affen (Schimpansen). Arch. f.
Psychiatrie, Bd. 38, H. 3, Versuch Nr. 3.
Auch war der Schimpanse bereits nach 3 Tagen imstande, io der
Stube umherzulaufen; die dabei in beiden Beinen nachweisbaren
ataktischen Störungen dürften auf die weitgehende Zerstörung der
Schleifenkreuzung zu beziehen sein.
Beweist dieser Fall, dass die Zerstörung eines beträchtlichen
Teils einer Pyramide mit weitgehender motorischer Funktion der
Extremitäten, vor allem auch des Arms ohne spastische Kou-
trakturen beim Menschenaffen vereinbar ist, so haben Holmes
und May 1 ) bei einem Schimpansen den einen Pyramidenseiten¬
strang in toto durchtrennt und den Schimpansen 4 Wochen am
Leben erhalten. Es bestand anfänglich eioe Parese der gleich¬
seitigen Extremitäten. Doch kehrten bereits nach 36 Stunden die
aktiven Bewegungen in Arm und Bein wieder, ja der Affe ver¬
mochte sogar mit dem der Pyramidenleitung fast ganz beraubten
Arm wieder nach Nahrung zu greifen.
Auch beim Menschen weisen die Beobachtungen bei den
Stichverletzungen des Rückenmarks darauf hin, dass nur bei
totaler Durchtrennung des Hinterseitenstrangs eine länger dauernde
schlaffe Lähmung der gleichseitigen Extremitäten vorhanden ist,
während bei partieller Läsion schon in den ersten Tagen nach
der Verletzung die Restitution einsetzt und verhältnismässig rasch
zu grosser Vollkommenheit vorschreitet. Es würde demnach auch
die operative Ausschaltung eines Teils der Pyramidenseitenstrang¬
bahn, vor allem unterhalb der Armcentren im Dorsalmark möglich
sein, ohne dass eine besonders schwere dauernde Gangstörung
zu befürchten wäre.
Ein derartiger Eingriff würde nun bei schwerer Atbetose
eines Beines, sei es, dass sie spontan entstanden ist, sei es,
dass sie das Residuum eines Schlaganfalls darstellt, in Frage
kommen, indem man erwarten könnte, durch Abschwäcbung der
willkürlichen Innervation der unteren Extremität diese Zwangs¬
bewegungen zu beseitigen oder doch beträchtlich zu vermindern.
Diese Operation mit partieller Durchtrennung eines Pyramiden¬
seitenstrangs im mittleren Brustmark käme aber zunächst nur für
einseitige Affektionen und für die untere Extremität in Frage.
Erst nach Sammlung hinreichender praktischer Erfahrungen würde
eine Erweiterung der Indikationsstellung dieser „physiologischen“
Operation auf bilaterale Affektionen, eventuell auch auf einschlägige
Störungen im Gebiet der oberen Extremität diskutierbar sein.
Wenn wir nun aber überhaupt derartige „physiologische“
Rückenmarksoperationen in den Bereich der praktischen Er¬
wägungen ziehen, so erhebt sich die Frage, wer derartige Ope¬
rationen ausführen soll. Allerdings, die Freilegung des Rücken¬
marks ist ein rein chirurgischer Eingriff, der bei der ungenügen¬
den Ausgestaltung neurologischer klinischer Forschung, bei uns
in Deutschland wenigstens, die uneingeschränkte Domäne der
chirurgischen Klinik bleiben wird. Der chirurgische Neurologe
wird, von Einzelfällen abgesehen, noch auf lange hinaus ein
frommer Wunsch bleiben. Aberdie Ausführung des Rückenmarks¬
schnittes selbst erfordert eine so subtile Kenntnis der anatomischen
Verhältnisse des betreffenden Rückenmarksquerschnittes, dass es
immerhin zweifelhaft erscheint, ob er der Hand des Chirurgen
oder des Neurologen anvertraut werden soll. Hier wird sich eine
ähnliche Zweiteilung vielleicht als vorteilhaft erweisen, wie sie
Herr Förster in Breslau, der die „physiologische“ Operation der
Hinterwurzeldurchscbneidung inauguriert hat, für die letztere ein¬
gerichtet hat. Der Chirurg führt die Freilegung des Rückenmarks
bzw. der hinteren Wurzeln aus; die feine Kleinarbeit der Durch¬
trennung der Rückenmarksstränge bzw. der bestimmten Wurzeln
aber wird von dem hier anatomisch und physiologisch geschulten
Neurologen übernommen. Natürlich werden hier persönliche Be¬
gabung und die lokalen Verhältnisse in wechselnder Gestaltung
ausschlaggebend sein.
Fassen wir endlich die hier vorgetragenen Aus¬
führungen zusammen, so wird in Zukunft neben den alt¬
bewährten extramedullären, spinalen Operationen ein weites Feld
der intramedullären operativen Betätigung sich ausbreiten. Als
pathologische Eingriffe kommen hier vor allem die Exstirpationen
intramedullärer oder von aussen in das Rückenmark eingedrungener,
nicht zu ausgedehnter und umschriebener Geschwülste in Betracht,
die entweder, bei centralem Sitz, von den Hintersträngen aus ein-
oder zweizeitig in Angriff genommen werden können oder bei
einseitiger Entwicklung im Seitenstrang unter völliger Opferung
desselben der Operation zugänglich sind. Hierzu kommen dann
die Fremdkörper des Rückenmarks (Geschosse usw.) und die
1) Gordon Holmes and W\ P. May, On the exaot origin of the
pyramidal tracts in man and other mamals. Brain 1909, Bd. 32, S. 1.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Blutungen, Erweichungsherde, Cysten und Abscesse bei günstiger
Lagerung. Den pathologischen Operationen an die Seite treten
dann weiterhin die physiologischen Eingriffe, an erster Stelle die
Ausschaltung der Schmerzleitung, einseitig durch Durchtrennung
des gekreuzten Vorderseitenstranges, doppelseitig durch Durch-
trennung beider Vorderseitenstiänge, zunächst vor allem bei den
unerträglichen Schmerzen in der unteren Körperhälfte bei in¬
operablen Tumoren. Während die Ausschaltung der Hinterstränge
zunächst kaum neben der Förster’schen Operation der hinteren
Wurzeldurchschneidung oder der StoffeFschen Resektion moto¬
rischer Nervenfasern für die Beseitigung spastischer Zustände in
Betracht kommen wird, durfte die partielle Läsion des Hinter¬
seitenstranges bei athetotischen Prozessen wohl zur Herabminde-
rung der willkürlich motorischen Innervation und damit zur Be¬
seitigung oder wenigstens Besserung der Athetose herangezogen
werden können, zunächst bei Hemiathetose der einen unteren
Extremität.
Wenn die intramedullären Eingriffe wahrscheinlich stets an
Häufigkeit hinter den extramedullären innerhalb des Wirbelkanals
zurückstehen werden, wenn auch oft genug sich intramedulläre
Tumoren infolge ihrer zu grossen Ausdehnung und ihrer uu-
genügenden Abgrenzung als inoperabel erweisen werden, im ganzen
bedeuten diese neuen Operationen in der Rückenmarkssubstanz
selbst doch einen wesentlichen Fortschritt auf dem Gebiet der
Rückenmarkstherapie. Bei präziser Indikationsstellung und guter
Ausbildung der Technik werden wir auch bei den intramedullären
Operationen viele schöne Erfolge erwarten dürfen.
Technische Neuheiten.
Von
y. Tobold.
Die Firma W. Pfeiffer-Freiburg bringt eine Stirnlampe Sirius
auf den Markt, die äusserst kompendiös gebaut an einem schmalen,
leicht zusammenschiebbaren Vulkanfiber-Stirnreif befestigt und mittels
des Kirstein’schen Gelenkes nach jeder Richtung leicht drehbar ist.
Das durch eine Lampe von 4 Volt erzeugte Licht kann durch einen
verstellbaren cylindrischen Tubus mit Linse verstärkt werden. Die
• Lampe wird entweder an eine sechsstündige Dauerbatterie oder an eine
Lichtleitung angeschlossen und ist in einer Segeltuchtasche leicht unter¬
zubringen, also auch ausserhalb des ärztlichen Sprechzimmers bei Hals-,
Nasen-, Ohren-, Augen-, gynäkologischen Untersuchungen gut ver¬
wendbar.
Von derselben Firma ist nach Prof. Salge’s Angaben ein
Bronchitiskessel gebaut, der zur Erzeugung feuchter Luft im Kranken¬
zimmer dient. Der elektrisch geheizte Kessel fasst etwa 8 1 Wasser
und kocht mit einmaliger Füllung etwa 6 Stunden. Die wesentliche
Neuerung bei diesem Apparat besteht in einem elektrisch betriebenen
Läutewerk, das ertönt, sobald das Wasser des Kessels so weit ver¬
dampft ist, dass in einer Viertelstunde die Gefahr des Durchbrennens
des dann wasserleeren Kessels eintreten würde, die ja bei Apparaten
ohne diese elektrische Alarmvorrichtung leicht eintreten kann. Der aus
Kupfer hergestellte, vernickelte Apparat wird mittels Steckkontaktes an
jede Lichtleitung angeschlossen und für Spannung von 220 oder 110 Volt
Gleichstrom geliefert.
Dem Uebelstand, dass es häufig in der Privatpraxis nicht möglich
ist, am Bettende Extensionseinrichtungen vorzunehmen, will der nach
Prof. Heusner-Bremen konstruierte Extensionsrollenständer der
Firma Dr. Paul Koch in Neuffen (Württemberg) abhelfen, der aus
einem vom Bett ganz unabhängigen, freistehenden Dreifuss aus Eisenrobr
besteht. Durch seine Bauart gegen das Umfallen gesichert, ist der
Rollenständer am oberen Ende sowie in Betthöbe mit verschiebbaren
Extensionsrollen versehen, an denen horizontale, senkrechte und schräg
aufsteigende Gewichtszüge angebracht werden können. Der leicht trans¬
portierbare Ständer, der sowohl am Fussende wie an der Seite des
Bettes aufgestellt werden kann, ist nicht nur zur Anlegung von Streck¬
verbänden, sondern auch als Universal-Uebungsapparat zur Nach¬
behandlung nach Knocbenbrüchen, Gelenkerkrankungen geeigoet.
Eine praktische Tropfflaschenapotheke nach den Angaben des
Prof. Spiess der Firma Ludwig Dröll in Frankfurt a. M., für das
Sprechzimmer des Arztes bestimmt, hat den Zweck, eine bequeme Ent¬
nahme von Lösungen, wie Cocain, Novocain, Suprarenin u. a., aus Stand-
gefässen durch Druck auf dem Gummiball über dem Glasstopfen zu er¬
möglichen. Die entnommene Menge tropft in kleine Glasschalen, die
zur besseren Unterscheidung ihres Inhaltes aus verschiedenfarbigem
Glase bergestellt werden. Eine Verunreinigung der Lösungen ist durch
diese Vorrichtung ausgeschlossen. Diese Tropfflaschenvorrichtung ist
auf einem Alabastersockel treppenartig aufgebaut. Die Aufschriften für
^die Flaschen werden je nach Bestellung 'geliefert.
Unter Berücksichtigung der anatomischen Bewegungscentren ist ein
Normalgelenkstuhl der Firma Maurice Schaerer-Brüssel kon-
gtruiert, der ermöglicht, dass die Lagerfiächen des Stuhles in allen
Stellungen dem Körper des zu Untersuchenden sich ansebmiegen und
jeder Bewegung ohne die geringste Verschiebung folgen können. So
kann der auf dem Stuhl Sitzende ohne Mühe in eine halbliegende oder
ganzliegende Stellung, auch in Beckenhochlagerung gebracht werden,
ohne den Stuhl zu verlassen oder irgendwelche Verschiebung der Körper¬
teile auf den Liegefiächen zu erleiden. Kopf, Hände und Beine können
auch durch Bänder nötigenfalls unbeweglich gemacht werden.
Eio Beinlager Brunsvigia von Oscar Schaeffer in Braunschweig
dient zur Hochlagerung des Unterschenkels. Das in der Höhe verstell¬
bare Lager ist mit einem als Stützfläche des Unterschenkels dienenden
Segeltuch überzogen. Durch Verstellen der hieran befindlichen Leder¬
riemen lässt sich jede gewünschte Schrägstellung der Stützfläche erzielen.
Das aus Rohren gefertigte Gerüst des Beinlagers lässt sich für den
Nichtgebrauch zusammenklappen.
Ein Augenschutzapparat wird von der Firma Genz & Hoff¬
man n in Berlin C. 54, Sophienstr. 6, angefertigt. Die aus grünem Satin
gefertigte Bandage besteht aus zwei Klappen von etwa 10 cm Durch¬
messer nebst Befestigungsband und Schnalle. In die Längsachse jeder
Klappe ist ein Planchettestreifen genäht, durch welchen man den Stoff
beliebig weit vom Gesicht und Auge entfernen und so den Licht¬
abschluss dementsprechend in gewünschter Weise regeln kann.
Der Augenschutz ist nicht nur für Augenkranke, sondern auch für
Augengesunde gedacht, wie z. B. bei Liegekuren im Hochgebirge und
an der See, in Luft- und Sonnenbädern sowie für nervöse Personen,
denen die Lichtabblendung häufig zur Beruhigung und Schlaf¬
erleichterung dient.
Verstellbare Klammer zur Knochenfixierung nach Knie¬
gelenkresektion nach Prof. Wilms nennt sich eine von der Firma
Friedr. Dröll in Hamburg verfertigte Metall schiene, die aus zwei in¬
einander verschiebbaren Teilen zusammengesetzt ist. Diese können
mittels einer Flügelschraube in jeder Stellung gegeneinander gehalten
werden. Durch die an den Enden der Schiene angebrachten cylinder-
förmig durchbohrten Ansatzstücke werden Schrauben gesteckt, die die
Knochen fast ganz durchsetzen.
Nachdem die Sägeflächen der resezierten Knochen fest aneinander
gepresst sind, wird die Flügelscbraube der Schiene fest angezogen, die
etwa 2—3 cm über der Hautoberfläche zu liegen kommt, so dass der
Verbandwechsel dadurch nicht gestört wird.
Ein nach den Angaben von Dr. K. A. Fries von der Aktiebolaget
Stille-Werner in Stockholm hergestellter Apparat für künstliche
Atmung bezweckt, die zur Wiederbelebung Verunglückter mehrere
Stunden lang fortzusetzende, sehr ermüdende Arbeit zu erleichtern. Das
nach den Grundsätzen des Silvester’schen Verfahrens der künstlichen
Atmung, die von den schwedischen Aerzten als die den physiologischen
Verhältnissen am meisten entsprechende erprobt ist, gebaute Gerät hält
mit seinen Armhaltern während der Atmungsarbeit die Arme fest, so
dass sie den Bewegungen der zueinander gleichlaufenden Armhebel beim
Heben und Senken folgen.
Beim Vorbeugen der Arme wird ein Leibgürtel angezogen (Aus¬
atmung). Durch Zurücklegen der Armhebel über den Kopf lässt gleich¬
zeitig der Gürteldruck nach (Einatmungsstellung). Diese Atmungs¬
bewegungen können mittels der Armhebel ohne besondere Kraft¬
anstrengung, selbst von schwächlichen Personen, vorgenommen werden.
Das künstliche Atmungsgerät, das auch angeblich von Laien ohne Vor¬
kenntnis bedient werden kann, ist zusammenlegbar und leicht zu be¬
fördern.
Fingerlinge aus schwarzem Leder, bei denen ein keilförmiger
Schlitz durch eine Wachstucheinlage ersetzt ist, der durch eine Schnur
beliebig der Fingergrösse entsprechend gestellt werden kann, so dass
nur eine Grösse dieses Fingerlings vorrätig gehalten werden braucht,
erscheinen praktisch. Wozu aber solch ein von der Firma Lu sch er
& Kömper - Berlin hergestellter Verbandschutz mit dem Namen
„Anaprot“ bezeichnet wird, ist unverständlich.
Die von Reinh. Kirchner & Co. in den Handel gebrachte Jod¬
tinkturflasche „Steril“ entspringt dem praktischen Bedürfnis der
sicheren Unterbringung der Jodtinktur. Ob diese Unterbringung durch
die angegebene Flasche völlig gelöst wird, erscheint zweifelhaft. Jeden¬
falls ist durch Versuche erwiesen, dass Joddämpfe auch den angeblich
dichten Glasstopfenverschluss durchdringen. Werden die Joddämpfe
nicht in besonderer Weise absorbiert, wie dies durch die seitens der
Heeresverwaltung eingeführten, mit joddämpfebindender Flüssigkeit ge¬
tränktem Asbest ausgefütterten Bleohkästen erfolgt, so genügt auch die
verschraubbare Holzflasche nicht.
Vielleicht wird hierdurch der Firma die Anregung gegeben, die
Holzflasche mit einer solchen joddämpfebindenden Asbesteinlage zu versehen.
An Stelle des Pinsels aus gesponnenem Glashaar erscheint ein
Asbestpinsel dauerhafter. _
Die Little’sche Krankheit.
Kritisches Uebersichtsreferat.
Von
Dr. Brano Kttnse,
I. Assistent dor Prof. Bi^alski’schen Klinik. .
Nach wie vor nimmt die Little’sche Krankheit das Interesse zahl¬
reicher Forscher iü Anspruch, ffüd bei der geringen Möglichkeit anders¬
artiger therapeutischer Beeinflussungen ist es erklärlich, dass sie mehr
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604
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 13.
und mehr zu einer orthopädischen Erkrankung wird. Tatsächlich und
mit Recht sind daher die meisten Orthopäden heute geneigt, die Beseiti¬
gung der Bewegungsstörungen, welche die angeborene spastische Glieder¬
starre im Gefolge hat, als ihre ureigenste Domäne zu betrachten. Trotz
der erfreulichen Erweiterung der Heilungsmöglichkeiten, die der Affektion
von dieser Seite beschert worden, ist es vielleicht angebracht, heute
darauf hinzuweisen, dass nicht zugunsten roher Empirie die rein wissen¬
schaftliche, die pathologisch-anatomische Seite in den Hintergrund ge¬
drängt werde, und dass wir Grund haben, auch die Neurologen als mit¬
berufene Kenner und Erforscher der Krüppellähmungen anzuhören. Vor
allem wäre da der Name, wenigstens soweit er, wie üblich, mit unzu¬
länglicher Grundlage angewendet wird, zu beanstanden. Es ist eben
nicht alles Little, was ohne unmittelbar erkennbare Ursachen Spasmen
und Kontrakturen in den Beinen hat. Wir dürfen nicht mit der primären
Entwickelungshemmung der Pyramidenbahn, welche als Folge der Früh¬
geburt auftritt, und welche Little in guter Kenntnis ähnlicher Sym-
ptomenbilder als selbständige Krankheitsform beschrieb, alle möglichen,
auf die verschiedensten Ursachen zurückzufübrenden cerebralen Diplegien
und Tetraplegien willkürlich zusammentun. Pflegen wir doch auch
sonst Krankheiten nicht nach den Symptomen, sondern nach der patho¬
logisch-anatomischen Grundlage zu bezeichnen. Es ist doch ein wesent¬
licher Unterschied, ob von Anfang an eine Entwickelungshemmung der
Pyramidenbahn besteht, oder ob erst sekundär durch Herderkrankungen,
die wieder verschiedenster Natur sein können, eine Zerstörung dieser
Bahnen bedingt wird. Ziehen neuntes demnach mit Recht einen Miss¬
brauch, wenn der Name Little auf alle cerebralen Diplegien des Kindes¬
alters jedweden Ursprungs ausgedehnt wird. Bei ungenauer oder unzu¬
verlässiger Anamnese ist allerdings im einzelnen Fall die Entscheidung
oft recht schwierig, ob es sich um die Little’sche Krankheit sensu
strictiori oder um eine intrauterine, natale, postnatale Dysplasie oder
eine Abiotrophie handelt. In diesen unsicheren Fällen ist es aber besser,
sich mit der allgemeineren Diagnose paraplegische Form der cerebralen
Kinderlähmung zu begnügen.
Eine genauere Abgrenzung der aufgezäblten Affektionen erscheint
auch für den vorzugsweise aufs Praktische gerichteten Orthopäden schon
darum geboten, weil einige von ihnen, wie z. B. die auf kongenitaler
Syphilis beruhenden einer ätiologischen Behandlung sich als zugänglich
erwiesen haben. Ebenso können die übrigen Formen mehr als ein rein
theoretisches Interesse beanspruchen, weil die prognostischen Ausblicke,
die sie geben, in mancher Beziehung erheblich voneinander abweichen
und das therapeutische Tun und Lassen mit Vorteil von dieser Kenntnis
abhängig gemacht werden kann. Ziehen will im Sinne des ersten Be¬
schreibers nur diejenige Form cerebraler Diplegie als Little ange¬
sprochen wissen, welche auf einer primären, durch Frühgeburt bedingten
Entwickelungshemmung der Pyramidenbahn beruht. Ursache ist die
meist im 7. oder 8. Monat erfolgende Frühgeburt, ausnahmsweise soll
schon eine Verfrühung der Geburt um 2 Wochen zur Hervorbringung
der Krankheit genügen. Babonneix beobachtete einen leichten
Little’schen Symptomenkomplex bei dem Kinde einer Patientin, die
im 5. Schwangerschaftsmonate einen Mumps durcbgemacht hatte. Ebenso
wie es von Syphilis, Tuberkulose, Cholera, Erysipel der Mutter bekannt
ist, dass sie bei dem Neugeborenen Little’sche Zeichen hervorbringen
können, so hält Babonneix dasselbe bei der Parotitis für gut denk¬
bar, um so mehr als bei dieser Erkrankung doch speziell die Nerven-
achsen geschädigt werden.
Das Symptomenbild des engeren Little’schen Krankheitsbegriffes
wird beherrscht von der spastischen Paraplegie der Beine. Die Arme
sind relativ normal oder auch ganz frei. Bezüglich der Spasmen über¬
wiegt bald die Kontraktur, bald die Lähmung. Die Intelligenz der
reinen Little-Fälle ist vielfach ganz normal, in manchen besteht leichter
Schwachsinn. Die eigentümliche Mimik, der Speichelfluss, die Sprach¬
störung lassen, wie Borchardt richtig bemerkt, den Schwachsinn oft
grösser erscheinen, als er in Wirklichkeit ist. Epileptische Anfälle,
Athetose, Blasen- und Mastdarmstörungen gehören nach Ziehen nicht
zum typischen Bilde der Little’schen Krankheit. Wichtig ist, dass
eine gewisse Nachentwickelung vom 2. Lebensjahre ab einsetzen und
sich bis über die Pubertät hinaus fortsetzen kann. Sie kann zu fast
totaler Restitution führen, wenn auch ein Ausgleich aller Störungen nur
sehr selten stattfindet. Bei den Fällen, die mit athetotischen und
choreiformen Bewegungen einhergeben, kann nach Borchardt der resi-
duäre Zustand dann genau dem Bilde der genuinen Chorea oder Athetose
gleichen. Schwere choreatisch-athetotische Störungen sowie ausge¬
sprochener Intelligenzdefekt sind häufiger bei den asphyktischen Formen
cerebraler Diplegie. Auch ihnen ist eine gewisse regressive Tendenz
zueigen. Sehr gering ist letztere bei den natalen Fällen, die gröberen
corticalen Blutungen ihren Ursprung verdanken. Die intrauterinen
Dysplasien beruhen nach heute geltender Anschauung meist auf fötaler
Meningitis. Sie sind ausgezeichnet durch die Asymmetrie der Lähmungs¬
erscheinungen, durch das weniger starke Ueberwiegen der Störungen an
den Beinen, ausserdem ist Epilepsie bei ihnen häufig.
Für alle diese Affektionen ist in der orthopädischen Literatur die
Bezeichnung Little im Gebrauch; der Einfachheit halber will ich den
Namen im folgenden ebenfalls in diesem alten, eingebürgerten, wenn
auch wenig korrekten Sinne anwenden.
Die Symptomatologie der Erkrankung darf als soweit bekannt vor¬
ausgesetzt werden, dass eine Aufzählung der einzelnen Symptome sich
hier erübrigt. Sektionsbefunde sind meist negativ, Lederer fand in
einem Falle familiärer spastisoher Paraplegie Atrophie des Rückenmarks,
sowie unentwickelte Formen von Ganglienzellen in Stirn und Rücken¬
mark. Neuerdings ist den Gelenkveränderungen, welche bei Little-
scher Krankheit unter der Einwirkung der Muskelspasmen zustande
kommen, wieder ein besonderes Interesse zugewendet worden. Nachdem
schon früher von Ludloff und Wollenberg über Hüftluxation bei
Little berichtet worden war, haben jüngere systematische Untersuchungen
von Gaugele und Weber sogar die relative Häufigkeit dieser Kombi¬
nation und ihren unzweifelhaft kausalen Zusammenhang bestätigt. Dass
derartige Luxationen nicht nur an der Hüfte, sondern gelegentlich auch
an anderen Gelenken Vorkommen, zeigt eine Veröffentlichung von
Künne, der 2 Luxationen des Radiusköpfchens bei Littlekindero, welche
bis dahin als angeboren gegolten hatten, auf die Wirkungen der Muskel¬
spasmen zurückfübrt und den Begriff der spastischen Luxation dem
der paralytischen gegenübers'ellt. Nach neueren Untersuchungen, deren
Ergebnisse ich demnächst veröffentlichen werde, sind Gelenkver¬
schiebungen im Sinne beginnender Luxationen so ausserordentlich häufig,
dass man geradezu ein Recht hat, sie zum Symptomenbilde der spasti¬
schen Lähmung zu rechnen. Ueber das eigentliche Wesen der spasti¬
schen Lähmung besteht, wie Vulpius bemerkt, selbst bei den Neuro¬
logen noch keine Einigkeit der Anschauungen. Vulpius selbst hält für
feststehend, dass die Krampflähmung sich aus zwei Komponenten zu¬
sammensetze, aus dem Spasmus und der Lähmung. Auch Ziehen’s
Auffassung geht dahin, dass die Bewegungseinschränkung teils auf der
spastischen Kontraktur, andernteils auf einer wirklichen Lähmung be¬
ruhe. Die Stärke des Spasmus soll jedoch kein Ausdruck für die In¬
tensität der Lähmung sein. Foerster hebt hervor, dass die willkürliche
Beweglichkeit an sich oft recht gut erhalten sei und nur hinter den
schweren Spasmen versteckt liege. Die Tatsache, dass Spasmen vor¬
handen sind, beweist nach Vulpius’ Behauptung allein schon, dass die
Lähmung keine vollständige sein könne. Immerhin bleibt es nach diesen
Auslassungen zweifelhaft, ob eine wirkliche Lähmung, die man sich doch
immer nur als eine schlaffe vorstellen kann, mit der spastischen Er¬
krankung verbunden ist. Die Operationsbefunde scheinen eher dagegen
zu sprechen, und findet man auch degenerierte Muskeln, so kann die
durch die Kontraktur bewirkte dauernde Funktionsausschaltung allein
für das Zugrundegehen der Muskelfasern verantwortlich gemacht werden.
Die Therapie der Little’schen; Krankheit ist, wie schon oben an¬
gedeutet wurde, fast ganz in orthopädische Hände gekommen. Die
Hydrotherapie kommt als unterstützende Bebandlungsweise weiter in
Betracht. Auch die Kombination des Wasserheilverfahrens mit den
gymnastischen Methoden wird wegen ihrer besonders günstigen Heil¬
wirkungen vielfach geübt. So weiss jeder, der mit der Behandlung
spastischer Lähmungen zu tun hat, dass aktive und passive Bewegungen
bei Muskelrigidität im warmen Bade bedeutend erleichtert werden. Es
wirkt dabei einmal die gleichmässige Wasserwärme durch Erzeugung von
Hyperämie lösend auf die Spasmen, dann aber auch erleichtert das
durch Auftrieb verminderte Gewicht der Extremität die aktive Muskel¬
arbeit. Unter den konservativen Behandlungsarten spastischer Läh¬
mungen nehmen nach wie vor die Massage und die Elektrizität den
ihnen gebührenden Platz ein. Dabei entbehrt die Frage, wo und wie
massiert und elektrisiert werden soll, noch immer einer rechten wissen¬
schaftlichen Begründung. Während man der allgemeinen Körpermassage
krampflindernde Wirkungen zuschreibt und sie in dieser Absicht aus¬
übt, suchen andere nach Hoffa’s Rezept die paretischen Muskeln allein
durch Effleurage und Petrissage zu kräftigen, wogegen die spastischen
Muskeln, um ihren Widerstand zu brechen, mit einem brüsken Tapo¬
tement bearbeitet werden. Die Elektrizität soll bei spastischen Läh¬
mungen nur in Form des faradischen Stromes zur Anwendung kommen.
Gegenüber dem alten Elektrisieren empfiehlt Becker neuerdings wieder
den inzwischen verbesserten Myomotor, mit dem unter Anwendung eines
anschwellenden Leduc’schen Stromes die wunderbarsten Erfolge bei
schlaffen und spastischen Lähmungen zu erzielen seien.
Ein grosser Teil der Little’tchen Lähmungen ist jedenfalls mit Hilfe
der physikalischen Heilmethoden allein nicht wesentlich zu bessern,
sondern erfordert chirurgische Maassnahmeu. Drei Wege stehen heute
zu Gebote, um mit dem Messer den spastischen Kontrakturen der Little-
sehen Erkrankung zu Leibe zu gehen. Zu der altbewährten Methode
der Tenotomien sind in neuerer Zeit zwei Operationen getreten, welche
das abnorm funktionierende Nervensystem direkt im Sinne einer Aus¬
gleichung zu beeinflussen streben. Die Foerster’sche Operation sucht
das Uebel im wahren Sinne des Wortes an der Wurzel zu fassen, indem
sie die in das Rückenmark eintretenden sensiblen Wurzeln der spastischen
Muskelgebiete reseziert und dadurch die abnorm gesteigerte Reflexerreg¬
barkeit der Vorderhornzellen, die eben in den Spasmen ihren Ausdruck
findet, herabsetzt. Die Stoffel’sche Operation macht es sich zur Aufgabe,
dem mit unliebsamer Energie begabten spastischen Muskel den Kraft*
ström am motorischen Nerven abzuschneiden bzw. durch partielle Ver¬
nichtung der zuleitenden Fasern soweit zu lähmen, dass die bis dahin
zur Untätigkeit verurteilten Antagonisten wieder zu Worte kommen und
ein harmonisches Zusammenarbeiten im Sinne zweckmässiger Muskel¬
bewegung ermöglicht wird. Zu diesen drei Eingriffen kommt als vierte
Möglichkeit hinzu die Spitzy’sche Nervenplastik, welche nicht nur eine
Schwächung des funktionierenden Nerven bezweckt, sondern den abge¬
spaltenen Teil gleichzeitig zwecks Uebertragung des Kraftüberschusses
in den gelähmten Nerven der Antagonisten gruppe einpflanzt. Alle vier
Methoden haben ihre Verfechter und ihre Gegner gefunden, keiner ein¬
zigen ist bis heute bedingungslose Anerkennung zuteil geworden.
Die Forst er’sche Operation verdient wegen der ihr zugrunde
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81. M«r» 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
605
liegenden genialen Idee sowie wegen der Kühnheit des Operationsplanes
autiiobtige Bewunderung. Die seit der ersten Empfehlung und Aus¬
führung verflossenen Jahre haben inzwischen die theoretische Richtigkeit
des Förster’schen Gedankens vollauf erwiesen. Nach den ersten Opera¬
tionen haben schon wieder eine ganze Reihe von Autoren, wie Exner,
Stiefler, Goldenberg, Heile, Kotzenberg, Gümbel, Bülow-
Hausen, v. Rüdiger-Rydygier, die gute Wirkung der Radikotomie
bestätigt. Nicht immer scheint es sich um volle Heilerfolge im Sinne
der Herstellung der fehlenden Gehtähigkeit zu handeln, sondern die
Autoren begnügen sich vielfach mit der Konstatierung, dass die Spasmen
gebessert seien. So brachte Bülow-Hausen seinen Patienten wohl
zum Sitzen, aber noch nicht zum Stehen, v. Rüdiger-Rydygier hatte
bei einem Falle guten Erfolg, in einem anderen wurde nur Besserung
erzielt. Biesalski, der achtmal die Wurzelresektion ausgeführt hat, ist
nioht gerade sehr befriedigt von seinen Resultaten. Er betont mit Recht,
dass auch die Misserfolge veröffentlicht werden müssten, um ein zu¬
treffendes Urteil über den Wert der Operation zu gewinnen. Von der
Durchführung der Nachbehandlung, die ungemein schwierig und zeit¬
raubend sei, hänge letzten Eudes der Erfolg oder Nichterlolg des Ein¬
griffes ab. Er fasst seine Anschauung neuerdings in die Formel zu¬
sammen: Die Behandlung der Little’schen Krankheit steht und fällt mit
der Uebungstherapie; alle Operationen leisten nicht mehr, als dass sie
günstige Voraussetzungen dafür schaffen. Förster selbst gibt zu, dass
die Nachbehandlung mindestens auf 2 Jahre zu bemessen sei, und dass
sie grosse Anforderungen an Zeit und Geduld des Arztes stelle. Einen
Nachteil der Methode könne er in dem Umstande nicht erblicken, da
auch die anderen zur Beseitigung spastischer Lähmungen angewandten
orthopädischen Operationen langwierige Nachbehandlungen notwendig
machen. Jedenfalls können bei der verhältnismässigen Neuheit der
Operationsmethode erst die künftigen Jahre die Entscheidung bringen,
ob es sich bei den mit Erfolg operierten Fällen um definitive Heilungen
handelt oder nicht. Dass ohne intensive Nachbehandlung Recidive Vor¬
kommen, konnte ich in der Biesalski’schen Klinik mehrfach beobachten.
Wie Schulthess hervorbebt, ist über die Spätfolgen der Wurzelresek¬
tion noch nichts bekannt, auoh kann noch nicht übersehen werden, wie¬
viele Wirbelbogen entfernt werden dürfen, ohne die Statik und Funktion
der Wirbelsäule zu gefährden. Wenn aber die Nachbehandlung einen
so ungewöhnlichen Aufwand von Zeit und Mühe erfordert, so meinen
Schulthess und Vulpius mit Recht, man solle doch erst einmal fest-
xustellen versuchen, was die Medikomechanik allein in diesem Zeitraum
und bei so grossem Energieaufwand zu leisten vermöge. Auch die grosse
Gefährlichkeit der Förster’schen Operation muss abschreckend wirken,
um so mehr, als eine vitale Indikation wohl niemals vorhanden ist
Vulpius, Lange, Kofmann, Werndorff, Lorenz und Schulthess
haben dieser Ueberzeugung Ausdruck gegeben. Zu bedenken ist ferner,
dass Spastiker operative Eingriffe an sich schon ertahrungsgemäss viel
schlechter vertragen als Menschen mit schlaffen Lähmungen. Förster
selbst berechnet die Mortalität der Radikotomie auf etwa 10,8 pCt. Von
59 Littlefallen, die bis zum vorjährigen Orthopädenkongress operiert
wareD, nahmen 8 Fälle einen letalen Ausgang. Das ist gewiss eine
beträchtliche Sterblichkeitsziffer einer Operation, die gewissermaassen
als generelles Heilverfahren bei einer nicht allzu seltenen Krankheit in
Vorschlag gebracht werden will. Nun soll ja allerdings das Ergebnis in
der Hand der einzelnen Operateure, wie Förster hervorhebt, ein sehr
verschiedenes sein. So hätte Küttner unter 27 Patienten nur 2 ver¬
loren, in beiden Fällen hätte es sich noch dazu um die ungünstige
Kombination mit epileptischen Anfällen gebandelt, welche Förster auf
Grund der von ihm gemachten Erfahrungen jetzt von der Operation aus¬
geschlossen sehen will. Einen grossen Nachteil sehen ferner Lorenz,
Werndorff, Kofmann, Schulthess darin, dass sowohl die eigentliche
Lähmung als auch die Kontraktur nicht beseitigt wird. Biesalski hat
schon vor 3 Jahren darauf hingewiesen, dass man streng zwischen dem
nervösen Anteil und dem mechanischen, bestehend in Schrumpfung der
Weichteile, unterscheiden müsse, und dass die Radikotomie stets nur
den ersteren in Angriff nehme, während der zweite, häufig viel wichtigere
unbeeinflusst bleibe. Zur Bekämpfung der Sohrumpfungskomponente
sind in jedem Falle Sehnenoperationen erforderlich, welche entweder vor
oder nach dem Haupteingriff ausgeführt werden. Durch diese Not¬
wendigkeit wird natürlich die Beurteilung der Frage, was von dem Er¬
folge auf die Sehnenplastik, wieviel auf die Wurzeldurchschneidung zu-
ruckzu/uhren ist, sehr erschwert. Fast scheinen die obengenannten
Autoren mehr geneigt, den Sehnen Operationen einen wesentlicheren An¬
teil an der Besserung des Gesamtzustandes zuzuspreohen. Auf jeden
Fall haben die erhobenen Bedenken heute zu dem überall sichtbaren
Bestreben geführt, das Indikationsbereich der Förster’schen Operation
etwas enger als bisher abzugrenzen. Werndorff stellte zunächst in be¬
stimmter Form diese Forderung, die meisten anderen Operateure haben
dann Schritt für Schritt etwas zur Einengung der Indikation beigetragen.
Förster selbst will alle Fälle von Epilepsie, wie schon aogedeutet, als
prognostisch ungünstig ausgeschlossen wissen. Anschütz hatte bei
Kindern gute, bei Erwachsenen schlechte Resultate. Grundsätzlich muss
bei Idioten von der Operation Abstand genommen werden, da nach der
übereinstimmenden Erfahrung aller Autoren ein gewisses Maass von In¬
telligenz für die anzusohliessende Uebangsbehandlung unentbehrlich ist
Nach Groves darf die Pyramidenbabn nicht zu stark geschädigt sein.
Die meisten Autoren wollen die Radikotomie für die schwersten Fälle,
die unbeweglich im Bette liegen, reserviert wissen, doch warnt Wern-
dorff vor einer falschen, zu weit getriebenen Humanität, welche kost¬
bare Zeit und Arbeit an definitiv wertlose Individuen vergeudet. Ueber
die Technik der Operation sei hier nur kurz angeführt, dass Wilms
und Kolb, ähnlich wie Gulecke Vorteile darin erblicken, die Resektion
der Wurzeln extradural am Conus medullaris vorzunehmen. Diese an¬
geblichen Vorzüge bestreitet Küttner, wenigstens für die kleinen Ver¬
hältnisse bei Kindern. Gegenüber dem schweren Eingriff der Radikotomie
bietet die von Stoffel empfohlene Operation am peripheren Nerven den
grossen Vorteil fast absoluter Gefahrlosigkeit. Die Idee, den Reflexbogen
am motorischen Nerven zu schwächen, ist übrigens, worauf Lange hin¬
weist, schon vor einigen Jahren von 2 Amerikanern empfohlen und auoh
ausgeführt worden. Hutt durchschneidet den Nerven und vernäht ihn
daun wieder, in der Absicht, durch die temporäre LeituDgsunterbrechung
eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit zu erzielen. Allison benutzt
als zerstörendes Agens Injektionen von Alkohol in den Nerven. Je nach
der beabsichtigten Dauer der Lähmung bestimmt sich die Konzentration
des Alkohols. Die Zeit, während welcher die Lähmung anhält, wird zur
medikomechanischen Kräftigung der Antagonisten benutzt. Beideu Me¬
thoden, von denen übrigens recht gute Erfolge berichtet werden, gegen¬
über hat die Stoffel’sche Operation unzweifelhaft den Vorzug grösserer
Exaktheit und Dosierungsmöglichkeit. Was die totale Nervenresektion
anbelangt, die Stoffel neben der partiellen übt, so darf nicht ver¬
schwiegen werden, dass sie schon vor 20 Jahren von Lorenz am Obtu-
ratorius ausgeführt worden ist. Bemerkenswert ist, dass Lorenz damals
von dem Erfolg bitter enttäuscht wurde und die Methode wieder gänz¬
lich verlassen hat. Trotzdem bleiben die Verdienste Stoffel’s um die
Förderung der Topographie des Nervenquerschnitts, deren Verhältnisse
den Anatomen merkwürdigerweise völlig unbekannt geblieben waren, sehr
grosse. Ihm verdanken wir die wichtige Feststellung, dass die Nerven¬
fasern für die einzelnen Muskeln nicht regellos im Nervenstamm ver¬
laufen, sondern sich stets in ganz bestimmter Anordnung im Nerven-
querschnitt befinden und sich als isolierte Gebilde bis weit hinauf ver¬
folgen lassen. Als Grundbedingung für die Ausführung der Operation
ergibt sich aus diesen Tatsachen eine genaue Kenntnis der topogra¬
phischen Anatomie, insbesondere der Nervenverzweigungen. Der Eingriff
gestaltet sich, wie Kofmann hervorhebt, relativ einfach in Regionen,
wo die Aeste für die Muskeln ohne künstliche Isolation gut erkennbar
sind, dagegen schwieriger da, wo diese Aeste erst an dem Hauptstamme
herausgelöst werden müssen. Macht die Orientierung Schwierigkeiten, so
bedient man sich der Nadelelektrode zur Feststellung der einzelnen
Aeste. Der Strom soll dabei so schwaoh wie möglich gewählt und der
zu prüfende Ast durch Anheben gut isoliert werden, da sonst ein Ueber-
springen auf andere Bahnen stattfindet. Nach der Operation wird ein
Stärkeveiband auf 2 1 /*—3 Wochen angelegt. Gute Wundheilung ist zu
erstreben, da selbst kleine Epitheldefekte reizen und dadurch zur Quelle
neuer Spasmen werden können. Die Operation ist seit ihrer Empfehlung
9 von zahlreichen Autoren ausgefübrt worden. Von allen wird der ver¬
blüffende, momentan einsetzende Erfolg gerühmt. Oft sind beträchtliche
Spasmen, Deformität und Bewegungsdefekt mit einem Schlage beseitigt:
Stoffel hat solche Patienten gleich nach der Operation versuchsweise
auf die Beine gestellt und gehen lassen. Kofmann, der mit 2 Fällen
gute Erfolge hätte, tritt warm für den Stoffel’schen Voschlag ein und
gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der Eingriff bald Gemeingut aller
Orthopäden werden möchte. Lubinus erzielte ebenfalls bei einem
Littlekinde einen raschen und vollständigen Erfolg. Stein zollt der
Methode warme Anerkennung, doch müsse abgewartet werden, ob die
Resultate von Dauer seien, oder ob die durchschnittenen Faserbahnen sich
im Laufe der Zeit wiederherstellen. Anschütz begrüsst ebenfalls sym¬
pathisch die neue Operation, die im Falle eines Recidives ja leicht
wiederholt werden könnte. Biesalski hat an 16 Fällen, worunter sich
allerdings mehrere Hemiplegien befinden, recht Gutes gesehen, kann aber
nicht umhin, auch einige Unvollkommenheiten, die der Methode anhaften,
zu konstatieren. So wird die Athetose jedenfalls nicht beeinflusst. Eine
Pronations-Flexionskontraktur des Vorderarmes ging nach der Nerven¬
resektion in ihr Gegenteil über, wohl weil zu viel weggenommen war.
ln anderen Fällen fiel die Schwächung zu gering aus, und das Resultat
blieb unvollkommen. Die Athetotiker bekamen sämtlich als B’olge
der ständigen Insultierung der heilenden Wunde Narbenkeloide! An
die richtige Dosierung, für welche es aber vorläufig keinen zu¬
verlässigen Maassstab gibt, sei das Gelingen des Operationsplanes
geknüpft. Für die schweren Fälle kommt nach Biesalski das
Stoffel’sehe Verfahren wahrscheinlich nicht in Betracht. Lange
und Lorenz halten eine gewisse Gefahr bei der Resektion des Ob-
turatorius doch für vorliegend. Einmal wegen der unangenehmen
Tiefe, dann aber auch wegen der Infektionsmöglichkeit, die in der
Leistengegend in hohem Masse vorhanden sei. Lauge hatte unter drei
Fällen einen Misserfolg. An einem anderen Patienten, der auf der einen
Seite der gewöhnlichen Adduktorentenotomie, auf der anderen der par¬
tiellen Resektion des Obturatorius unterworfen wurde, ergab sich auf
beiden Seiten genau das gleiche Resultat. Biesalski hat an mehreren
Kindern die gleiche Erfahrung gemacht. Vulpius hat von der Stoffel-
schen Operation nur da Gutes gesehen, wo eine totale Resektion des
Nervenastes vorgenommen war. Partielle Resektionen, die er in grosser
Zahl nachuntersuchte, führten dagegen alle in kürzerer oder län¬
gerer Zeit zu Recidiven. Die Spasmen würden also auf die Dauer
nicht beseitigt. Vor allem aber sei das Verfahren darin unvollkommen,
dass es die nutritive Schrumpfung nioht beseitige. Auch hier seien also
wie bei der Förster’sohen Wurzel Operation nachträgliche Sehnenopera¬
tionen notwendig. Stoffel begegnet diesem Vorwurf mit der Behauptung,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
dass die Schrumpfungskontraktur, wenn der Nerv reseziert sei, einem
täglichen modellierenden Redressement sehr leicht and schnell nach¬
gäbe. Schwer fällt nach Vulpius ins Gewicht, dass durch die Nerven¬
durchtrennung eine partielle Muskellähmung geschaffen werde. Tatsäch¬
lich ist dieser Vorwurf wohl der schwerste, der gegen eine orthopädische
Operation erhoben werden kann. Die Vernichtung von lebendiger Nerven-
kraft, von aktiver Muskelkontraktion ist ein Eingriff, vor dem man bei
jeder Lähmungskrankheit die grösste Scheu empfinden sollte. Vielleicht
sollte der Ueberschuss von Nervenstrom grundsätzlich niemals vernichtet,
sondern immer den gelähmten Gebieten zugeführt werden. Diesem
Grundsatz wird allein die Spitzy’scheNervenplastik gerecht, und wenn
sie bisher in der Hand der Nachuntersucher auch noch zu keinen greifen -
baren Erfolgen geführt hat, so zeigt sie doch den Weg, der in der Be¬
handlung der Lähmungszustände aller Art der rationellste und ver-
heissungsvollste ist. Die hochbedeutsamen Forschungsergebnisse Stoffel’s
stellen heute dievonSpitzy zu neuen Ehren gebrachte Nervenpfropfung
auf eine neue und sichere Grundlage. Es ist vorauszusehen, dass aus
der bisherigen Abspaltung und Uebertragung eines beliebigen Nerven-
bruchteiles die planmässige Ueberpflanzung bestimmter, genau bekannter
Nervenbündel und-fasern auf der von Stoffel geschaffenen anatomischen
Basis hervorgehen wird. Die Spitzy’sche und die Stoffel’sche Idee werden
sich gegenseitig ergänzen, und aus der Verschmelzung beider wird die
von Stein schon mit einem treffenden Namen belegte lokalisierte
Nervenfaserplastik sich entwickeln. Möge sie die Erwartungen, die
der Orthopäde heute in sie zu setzen berechtigt ist, nicht enttäuschen!
Unter dem Einflüsse der Wandlungen und neuentstandenen Aus¬
blicke auf dem Gebiete der Nervenchirurgie ist auch die Wertschätzung
der altbewährten Muskel- und Sehnenoperationen neuerdings erheblichen
Schwankungen unterworfen worden. Nun stehen manche Autoren be¬
kanntlich auf dem Standpunkte, dass Sehnen- und Muskelplastiken für
spastische Lähmungen überhaupt nicht in Frage kommen können. So
hält Kofmann die operative Kraftverteilung der Muskeln nicht für an¬
wendbar auf spastische Lähmungen, und er beruft sich auf Hoffa, der,
wenigstens in schweren, über den ganzen Körper verbreiteten Spasmen,
eine Kontraindikation für die üblichen Operationen erblickte. Kofmann
selbst hat ein Kind nach Flexorentenotomie am 5. Tage nach der
Operation an allgemeinen Konvulsionen verloren. Dieses Bedenken mag
für die schweren Fälle zutreffen, doch hat die allgemeine Fassung, dass
spastische Lähmungen von Muskel- oder Sehnen Verpflanzungen auszu-
schliessen seien, sicherlich keine Berechtigung. Ich selbst kann mich
auf zwei Patienten berufen, welche ich in der Biesalski’schen Klinik
operierte, bei denen durch Muskel- resp. Sehnentransplantation eine volle
Beseitigung der Fussdeformität und eine zum mindesten sehr erhebliche
Besserung der Funktion erzielt wurde. Die Häufigkeit des Misslingens
dürfte auch hier wie bei den Operationen am Nervensystem auf die
grosse Schwierigkeit der Dosierung, der Herausfindung der äusserst«
schmalen Grenze des Muskelgleichgewichts zurückzuführen sein. In
vielen Fällen mögen auch die Inkonstanz und der lutensitätsWechsel der
Spasmen die Herstellung eines Gleichgewichtszustandes unmöglich machen.
Jedenfalls ist bemerkenswert, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von
Autoren — und zu diesen darf man Wohl auch diejenigen rechnen,
welche sich zu der Kontroverse Sehnen- oder Nervenoperationen bisher
nicht geäussert haben — der alten Methode der Sehnenverkürzungen
und Sehnenverlängerungen bei spastischen Lähmungen treu geblieben
sind. Einige geben letzterer in Theorie und Praxis entschieden den Vor¬
zug. Lorenz macht bei Adduktorenspasmen weiter seine Myorrhexis
Und ist sehr zufrieden mit ihren Ergebnissen, Lange und Biesaiski
erzielen mit einfachen Tenotomien resp. Längenveränderungen der
Sehnen das gleiche gute Resultat wie mit der Stoffel’schen Operation,
auch an Codivilla sei erinnert, der bekanntlich ein Kind durch Teno¬
tomien genau so weit förderte wie ein anderes analoges mit Hilfe der
Förster’schen Operation. Auch die gute Wirkung portativer Apparate
sollte nicht vergessen werden. Vulpius tritt warm für die Sebnen-
plastik ein, die allen Forderungen, welche die Therapie einer spastischen
Lähmung aufstellen kann, genüge: sie ist ungefährlich, sie löscht die
von der Sehnenspannung herrührenden Reize und beseitigt damit die
Quelle der Spasmen, sie korrigiert gleichzeitig die nutritive Schrumpfung,
sie stellt das Muskelgleichgewicht wieder her und ermöglicht dadurch
eine normale Funktion. Biesaiski betont den hohen Wert einer zweck¬
mässigen Medikomechanik, welche nach ihm die Schrumpfungen dehnt,
normale Bahnen einschleift und physiologische Erinnerungsbilder
schafft.
Dass die erwähnten Schwierigkeiten der Dosierung nicht nur den
Erfolg der Sehnenoperation beeinträchtigen, sondern auch zu direkt un¬
liebsamen Spätwirkungen führen können, ist seit längerer Zeit bekannt
und neuerdings von Peltesohn wieder hervorgehoben worden. So
weiss jeder Orthopäde, dass ein spastischer Spitzfuss durch zu ausgiebige
Verlängerung der Achillessehne leicht in einen Hackenfuss verwandelt
wird. Peltesohn berichtet von einem Kinde, bei dem 6 Jahre nach
Beseitigung einer Knieflexionskontraktur sich eine Ueberstreckungskon-
traktur entwickelt hatte. Bei einem anderen Kinde war die ursprüng¬
liche Adduktionsstellung der Beine in eine dauernde Abduktionshaltung
übergegangen, offenbar weil die Adduktorenmuskeln durch zu intensive
und zu lange fortgesetzte Ueberdehnung zugrunde gegangen waren.
Ein Beispiel für dieses Vorkommen konnte ich ebenfalls an der Biesalski-
schen Klinik beobachten. Um derartige üble Folgen zu vermeiden, rät
Peltesohn dringend, niemals bei spastischen Lähmungen vollständige
Kontinuitätstrennungen der Sehnen vorzunehmen, sondern grundsätzlich
nur Verlängerungen und Verkürzungen, und zwar stets nach Maassgabe
des vorhandenen Fehlers.
Wenn es erlaubt ist, aus dem gegebenen Ueberblick über die
bei spastischen Lähmungen geübten Heilmethoden einige Folgerungen
zu ziehen, so kann behauptet werden:
Die Schwierigkeiten aller Methoden liegen in der Dosierung
und erklären sich aus der Tatsache, dass das funktionelle Gleichgewicht
der antagonistischen Muskelgruppen wohl leicht verloren gehen, aber nur
auf unendlich mühevolle Weise wiedergefunden werden kann. Mag der
physiologische Gleichgewichtszustand eine gewisse Breite haben, der, den
wir künstlich herstetlen wollen, kann nur als von punktförmiger Aus¬
dehnung gedacht werden. Alle chirurgischen Maassnahmen be¬
dürfen einer gründlichen physikalischen Nachbehandlung, für
welche sie gewissermaassen nur die unerlässlichen Vorbedingungen zur
Heilung schaffen. Erst die Uebung unter den veränderten anatomischen
Verhältnissen bringt den Erfolg. So können gerade die neueren chir¬
urgischen Vorschläge für die Therapie der Little’sohen Krankheit uns
Anlass geben, auch die physikalisch-medikomechanischen als die eigent¬
lichen orthopädischen Behandlungsverfahren gründlicher als bisher auf
ihre wahre Leistungsfähigkeit zu prüfen und höhere Anforderungen an
sie zu stellen.
Literatur.
Allison, The treatment of the paralysis of the extremities. The
Amer. journ. of orthop. surg., Bd. 8, H. 1. — Allison und Schwab,
The results of muscle group isolation in the treatment of the paralysis
of the extremities. The Amer. journ. of orthop. surg., Bd. 9, H. 2,
Nov. 1911. — Babonneix, Contribution ä l’etude etiologique du Syn¬
drome de Little. Gaz. des höp., 85. annöe, Nr. 36, S. 522. — Becker,
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d. Berliner orthop. Gesellscb., 1912, Sitzung v. 15. 2. 1912. — Der¬
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heiten im Kindesalter. Berlin 1912, S. Karger. — Bülow-Hausen,
Paraparesis spastica nach Förster’s Methode mit Gulecke’s Modifikation
operiert. 9. Versamml. d. nord. Chirurg. Vereins in Stockholm, 8. bis
5. Aug. 1911, Ref. Centralbl. f. Chir., 1911, Nr. 39. — Einer, Little-
sche Krankheit. K. K. Gesellscb. d. Aerzte in Wien, 10. Nov. 1911,
Ref. Münchener med. Wochenscbr., 1911, Nr. 49, S. 2644. — Förster,
Die Behandlung spastischer Lähmungen mittels Resektion hinterer Rücken¬
markswurzeln. Verh. d. Deutschen Gesellscb. f. orthop. Chir., 1912. —■
Derselbe, Diskussion zu Stein, s. d., ebendas. — Frangenheim,
Förster’sche Operation. Verein f. wissenschaftl. Heilkunde in Königsberg,
27. II. 1911, Ref. diese Wochenschr., 1911, Nr. 14. — Golden borg,
Fortschritte auf dem Gebiete der chirurgischen Behandlung spastischer
Lähmungen. Aerztl. Verein in Nürnberg, 5. I. 1911, Ref. Münchener
med. Wochenschr., 1911, Nr. 18. — Groves, On the division of the
posterior spinal nerve roots: for pain, for visceral crises, for spasm.
Lancet, 8. VII. 1911, S. 79. — Guradze, Beitrag zur Stoffel’schen Ope¬
ration. Verh. d. Deutschen Gesellscb. f. orthop. Chir., 1912. — Heile,
Förster’sche Operation bei spastischen Zuständen. Verein d. Aerzte
Wiesbadens, 20. IX. 1911, Ref. diese Wochenschr., 1911, Nr. 48. —
Derselbe, Zur Förster’schen Operation. Münchener med. Wochenschr.,
1912, Nr. 3. — Kofmann, Erfahrungen mit der Stoffel’schen Operation,
diese Wochenschr., 1911, Nr. 48. — Kotzenberg, Aerztl. Verein in
Hamburg, 24. Okt. 1911, Ref. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 45.
— Künne, Demonstrationen aus dem Gebiete der Apparatotherapie.
Verh. d. Berliner orthop. Gesellsch., 1912 u. diese Wochenschr., 1912,
Nr. 34. — Derselbe, Die Combination der „angeborenen“ Luxation des
Radiusköpfchens mit der Little’schen Krankheit. Zeitchr. f. orthop. Chir.,
1913, Bd. 31, S. 138. — Derselbe, Die angeborene Hüftgelenkver¬
renkung. Kritisches Uebersichtsreferat. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 8.
— Lange, Diskussion zu Stein. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop.
Chir., 1912. — Lorenz, Diskussion zu Stein, ebendas. — Lubinus,
Förster und Stoffel bei spastischen Lähmungen. Med. Gesellsch. Kiel,
29. II. 1912. — Peltesohn, Ueber unbeabsichtigte Wirkungen der
Korrektur spastischer Deformitäten. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f.
orthop. Chir, 1912. — v. Ruediger-Rydygier, Erfahrungen über
die Resektion der hinteren Rückenmarkswurzeln bei spastischen Läh¬
mungen. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 117, H. 3—4. — Scheuer¬
mann, Ueber Behandlung von Little’scher Krankheit. 1911, Ref. Central¬
blatt f. Orthop., 1912, S. 74. — Schulthess, Ueber die Förster’sche
Operation. 5. Vers. d. Schweizer neurol. Gesellsch. in Aarau, 80. April
1911, Ref. Centralbl. f. Orthop., 1912, S. 124. — Stein, Stoffel’sche
Operation und Nervenplastik. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop.
Chir., 1912. — Stiefler, Beiträge zur Förster’sohen Operation. Wiener
klin. Wochenschr., Nr. 32. — Stoffel, Zum Bau und zur Chirurgie der
peripheren Nerven. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f. orthop. Chir., 1912.
Derselbe, Die Technik meiner Operation zur Beseitigung spastischer
Lähmungen. Ebendas. — Vulpius, Sehnenoperationen und Nervenope¬
rationen bei spastischen Lähmungen. Verh. d. Deutschen Gesellsch. f.
orthop. Chir., 1912. — Derselbe, Sehnenoperationen und Nervenope¬
rationen bei spastischen Lähmungen. Münchener med. Woohenschr., 1912,
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UNIVERSUM OF IOWA
81. Mär* 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
607
Nr. 27. Werndorff, Zur Indikationsstellung der Radikotomie. Verh. d.
Deutschen Gesellacb. i orthop. Chir. — Wilma und Kolb, Modifikation
der Förster’schen Operation, Resektion der Wurzeln am Conus medul-
laris. Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 37.
BQcherbesprechungen.
R. Rosemann: L. Landois* Lehrbuch der Physiologie des Menschen.
Erster Band. 13. Auflage. Berlin und Wien 1913. Urban &
Schwarzenberg. 464 Seiten. Preis 9 M.
Zum dritten Male von Rosemann bearbeitet erscheint nach kurzer
Frist Landois’ Lehrbuch der Physiologie in neuer (13.) Auflage, aber
im alten, bewährten Gewände. Der eben erschienene erste Band be¬
handelt die sogenannten vegetativen Funktionen: Blut und Blutkreislauf,
Atmung, Verdauung, Stoffwechsel, Sekretionsprozesse und tierische Würmer.
Durch Fortlassung älterer, unwichtiger Angaben ist der Umfang des
Bandes gegen die vorige Auflage verkleinert worden, eine im allgemeinen
seltene Erscheinung. Dabei sind die wesentlichsten neueren Forschungen
berücksichtigt worden; nur ist vielleicht die Lehre von den, in ihrer
Bedeutung immer mehr bervortretenden, inneren Sekretionen etwas knapp
geraten. Eine besondere Empfehlung bedarf das Werk nicht
A. Loewy.
Feer: Lehrbuch der Kinderheilkunde. Zweite Auflage. Jena 1912,
G. Fischer. 750 Seiten. Preis 12,50 M.
Das Lehrbuch ist nach kurzer Frist in zweiter Auflage erschienen.
Das spricht dafür, dass es den prophezeiten grossen Leserkreis ge¬
funden und sich viele Freunde erworben hat. Das neue System, die
Behandlung der einzelnen Knfbkheitsformen verchiedenen Autoren, die
auf ihren Sondergebieten besondere Kenntnisse besitzen, anzuvertrauen,
hat sich also bewährt.
Die Mitarbeiter sind die gleichen geblieben. Einzelne Abschnitte
sind mit Erfolg umgearbeitet worden, wenn auch der Inhalt naturgemäss-
bei der schnellen Folge der neuen Auflage grosse Veränderungen nicht
erfahren hat. Eine Reihe sehr guter Abbildungen ist neu hinzu¬
gekommen.
Bei der Therapie der angeborenen Syphilis finde ich — wie auch
in anderen Lehrbüchern —, dass die Notwendigkeit der Wiederholung
der antiluetischen Kuren nicht genügend betont wird. Die syphilitischen
Frühsymptome verschwinden erfahrungsgemäss sehr schnell, leichtere
auch ohne Behandlung. Aber die Wassermann’sche Reaktion bleibt
gerade bei der kongenitalen Lues im Gegensatz zu der acquirierten sehr
lange positiv oder wird immer wieder positiv. Es besteht vorläufig kein
Grund dagegen, die Syphilis der Säuglinge gleich der der Erwachsenen
mit sechs bis acht Kuren im Verlaufe von drei bis vier Jahren zu be¬
handeln, und zwar gleichgültig, ob neue Symptome auftreten oder nicht,
und ob die Wassermann’sche Reaktion negativ oder positiv ausfällt. Der
Begriff der Spätsyphilis oder Lues tarda sollte aus der Literatur ver¬
schwinden, er deckt sich vollkommen mit dem dritten Stadium der Lues
acquisita. Dieses Kranheitsbild wird bei der heute leichteren Diagnose
und bei intensiverer Behandlung der Säuglingssyphilis wohl auch seltener
werden. Die angeborene Syphilis ist bis heute mit Bezug auf ihre The¬
rapie ein Stiefkind der Pädiatrie. Erich Müller.
Asekaffenbirg: Handbneb der Psychiatrie. Allgemeiner Teil. 4. Abt.
Leipzig und Wien, Franz Deuticke. Preis 8 M.
1 . Kirchhoff, Geschichte der Psychiatrie. Ob in einem
Handbuch der Psychiatrie ein geschichtlicher Abschnitt nötig war, scheint
mir zweifelhaft. Es mutet leicht an wie der Versuch einer geschicht¬
lichen Rechtfertigung des Vorhandenseins der Psychiatrie. Davon abge¬
sehen bringt Kirchhoff, ein auf diesem Gebiete ja schon bekannter
Autor, eine klare Uebersicht über den Entwicklungsgang unseres Faches,
die auch die Schwierigkeiten der freien Entfaltung desselben erkennen
lasst.
2. A. Gross, Allgemeine Therapie der Psychosen. Gross
hat das wenig dankbare Gebiet der allgemeinen Behandlung der Geistes¬
störungen bearbeitet und gibt uns besonders in die Anstalten für
psychisch Kranke und ihre Einrichtungen einen guten Einblick. Die
anderen Kapitel der allgemeinen Therapie sind zum Teil etwas einseitig,
zum Teil etwas zu speziell ausgefallen, was aber bei der Schwierigkeit
des Themas nur zu begreiflich ist. Die im übrigen sachliche und
kritische Darstellung, die dabei doch der persönlichen Frisohe nicht ent¬
behrt, berührt wohltuend. E. Meyer - Königsberg i. Pr.
Albn*. Grundztige für die Ernährung von Zackerkranken. Nebst
praktischen Anweisungen für die Diabetesküche (nach weiland
Dr. Gilbert’s Diabetesküche). VII und 163 S. Halle 1912,
Carl Marhold. Geb. 4 M.
Albu hat aus der Gilbert’schen „Diabetesküche 0 eine „theoretische
und praktische Diätetik der Zuokerharnruhr“ zu machen gesucht. Damit
kommt er einem Bedürfnis zahlreicher Praktiker entgegen, die die Therapie,
losgelöst von dem umfangreichen, ihnen im wesentlichen geläufigen
Stoff der Pathologie, im einzelnen und übersichtlich dargestellt in Händen
zu haben wünschen. Die neugeschaffene erste Hälfte des Buches enthält
die Grundsätze der Ernährung des Zuckerkranken mit ausführlicher
Beschreibung der verschiedenen „Kuren“, Nahrungsmitteltabellen usw.;
der zweite Teil ist im wesentlichen ein durch manche, auch eigene
Rezepte des Verf. erweiterter Abdruck des Gilbert’schen Buches. Die
„sogenannte strenge Kost“ wird, dem Zug der Zeit entsprechend,
wenigstens räumlich etwas hintangesetzt, die vegetarische Kost, mit
Ko lisch, nachdrücklich hervorgehoben; dementsprechend ist auch im
zweiten Teil der Zubereitung der Salate, Gemüse, Pilze ein breiterer
Raum eingeräumt. Magnus-Levy.
Franz Hamburger: Die Tuberkulose des Kindesalters. Zweite ver¬
mehrte Auflage. Leipzig und Wien, Verlag Franz Deuticke.
233 Seiten.
Das ausgezeichnete Buch Hamburger’s, das nach kurzer Zeit zum
zweiten Male aufgelegt wird, führt in klarer, jede Weitschweifigkeit ver¬
meidender Darstellung die grossen Fortschritte und die Lücken in der
Erkenntnis der Tuberkulose vor Augen. In der vorliegenden Auflage
sind die Kapitel Prognose, Prophylaxe und Therapie neu hinzugekommen;
dem letzteren möchte Ref. einen breiteren Raum wünschen. Das Buch
sei jedem Arzte als Führer auf diesem praktisch so wichtigen Gebiete
erneut empfohlen. Ludwig F. Meyer.
M. Osmaa: Makroskopisch-diagnostisches Taschenbach der patho¬
logischen Anatomie. Ein Repetitorium für Rigorosanten und
Aerzte in 502 typischen Fällen mit 62 Abbildungen. Wien und
Leipzig 1912, Verlag von Josef Safar. 177 S. Preis 3,75 M.
Das Buch, in der Hauptsache, für Examenskandidaten als Repeti¬
torium bestimmt, bespricht in grösster Kürze die wichtigsten krankhaften
Veränderungen der Organe, indem es zugleich auf die differential¬
diagnostisch bedeutungsvollsten Tatsachen hinweist. Daher ist es auch
für den Arzt als Nachschlagebuch für Sektionen recht empfehlenswert,
ebenso für den Gebrauch in Kursen, für den es zweckmässig mit weissem
Papier durchschossen ist. Die Abbildungen, meist schlechte, stark ver¬
kleinerte Reproduktionen aus dem Kaufmann’schen Lehrbuch, sind recht
überflüssig; desgleichen enthält das Buch viele störende Druckfehler.
A. W. Pinner.
H. Peckert: Einfübrang in die konservierende Zahnbeilkande.
II. Teil. 173 S. mit 57 Abbildungen im Text. Leipzig 1912,
Verlag von S. Hirse I. Preis 6 M.
Wenn Peckert es unternimmt, den bisher erschienenen Werken
über konservierende Zahnheilkunde ein neues hinzuzufügen, so musste
es etwas Besonderes liefern, denn viele neue Methoden hat uns die
letzte Zeit nicht beschert. Aus dem vorliegenden zweiten Teil seiner
Einführung ersehen wir, dass P. vornehmlich Wert auf eine detaillierte
Darstellung der wichtigsten Füllmethoden gelegt hat. Daduroh, dass
der Verf. die Beziehungen zur Pathologie und Physiologie suchte, hat
er die an sich trockene Materie interessant zu gestalten gewusst.
In allem verrät sich der gewiegte klinische Lehrer wie der erfahrene
Praktiker.
In den ersten drei Kapiteln wird das Füllen mit Goldfolie, mit
Gold- und Porzellan-Inlays eingehend besprochen, die Vorzüge und Nach¬
teile der einzelnen Methoden gegeneinander abgewogen. In der zweiten
Hälfte wird die Diagnostik und Therapie des Zahnschmerzes abgehandelt.
Dieser Abschnitt dürfte manche Anregung auch für den praktischen
Arzt enthalten. Wie der Text, so sind auch Abbildungen und Aus¬
stattung vorzüglich — Vorzüge, die dieser Neuerscheinung eine günstige
Prognose geben. Proeil.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
E. Salkowski: Kleinere Mitteilangen. (Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 88, H. 2, S. 143.) Sie enthalten vorwiegend sehr wertvolle metho¬
dische Angaben über den Nachweis der Kieselsäure im Harn ohne Ver¬
aschung über das Verhalten der Harnsäure zu Ammoniak und Magnesium¬
salzen und die Bestimmung des Magnesiums im Harn, über die Be¬
stimmung des Eisens in Gegenwart organischer Substanzen, über den
störenden Einfluss von Alkohol auf einige Reaktionen.
L. Wegrzynowski: Beiträge zur Lehre von der Entstehung der
Oxalsäure im tierisohen und menschlichen Organismus. (Zeitschr. f.
physiolog. Chemie, Bd. 83, H. 2, S. 112.) Die Untersuchungen wurden
an Hunden und Menschen ausgeführt, und zur quantitativen Bestimmung
der Oxalsäure im Ham diente die Methode von Salkowski, die Verf.
für die beste aller bisher angegebenen Methoden hält. Als Resultat er¬
gab sich, dass die Eiweisskörper auf die Bildung der Oxalsäure keinen
Einfluss haben, wohl aber die Kohlenhydrate und Fette (bzw. das
Glycerin). Alle unsere Nahrungsmittel enthalten Stoffe, welche teils
indirekt, teils direkt zur Oxalsäurebildung beitragen. Indes scheint der
tierische Organismus nur eine beschränkte Fähigkeit der Oxalsäurebildung
zu besitzen. Wohlgemuth.
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UMIVERSITY OF IOWA
608 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 18.
H. Kämmerer und A. Wald mann - München: Blutmougebestim-
mungen nach v. Behring und andere quantitative Untersuchungen der
Blutbestandteile. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1918, Bd. 109, S. 5
u. 6.) Die Behringsche Methode zeigt sich den bisherigen Methoden
überlegen. Die normale Durchsohnittsmenge des Blutes ist 9,8 pCt. oder
1:10,2 des Körpergewichts. W. Zinn.
H. Beumer und M. Bürger - Charlottenburg: Zur Lipoidebemie
des Blutes. II. Ueber die Zusammensetzung der Stromata menschlicher
Erythrocyten, mit besonderer Berücksichtigung der Lipoide. (Archiv f.
experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 311—828.) Chemische
Untersuchungen der Blutkörperchenlipoide, bei denen auch die patho¬
logischen Verhältnisse berücksichtigt werden.
J. Bordet und L. Delange - Brüssel: Betrachtungen über die
Rolle der Lipoide bei der Blutgerinnung. (Archiv f. experim. Pathol.
u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 293—295.) Die Thrombokinase, die
Vorstufe des Fibrinfermentes, hat Lipoidcharakter. Diese Lipoide sind
löslich in Alkohol, Toluol und Petroläther, unlöslich in Aceton. Die
lipoide Thrombokinase findet sich unter den Blutbestandteilen in der
Hauptsache in den Blutplättchen. Jacoby.
Fr. Rolly und Fr. Oppermann: Das Verhalten des Blutzuckers
bei Gesunden und Kranken. III. Mitteilung. Der Blutzucker bei
künstlicher Hyperthermie. (Bioohem. Zeitschr., Bd. 48, H. 3, S. 200.)
Durch künstliche, mittels Glühlichtbäder hervorgerufene Steigerung der
Körpertemperatur wird sowohl beim normalen wie beim zuckerkranken
Menschen die Gesamtblutzuckermenge gesteigert. Mit dem Absinken der
Temperatur gebt beim normalen Menschen auch der Blutzuckergehalt
zurück, während beim Diabetiker der Zuckergehalt des Plasmas noch
etwas ansteigt, um dann abzufallen. Wohlgemuth.
G. G. Wi len ko-Graz: Ueber die Ursache des AdreDalindiabetes.
(Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 261—268.)
Bei der Arbeit des isolierten Herzens wird Zucker verbraucht. Dieser
Verbrauch wächst, wenn man der Nährflüssigkeit Adrenalin zusetzt. Die
Herzen von Kaninchen, welche intra vitam mit Adrenalin durch sub-
cutane Zufuhr vergiftet waren, verbrauchen weniger Zucker als normale
Herzen. Daraus schliesst Verf., dass die Adrenalinwirkung auf den
Zuckerverbrauch keine direkte Einwirkung auf die zuckerverbrauchenden
Organe sei, und dass der Adrenalindiabetes als Folge einer primären
Störung des Zuckerverbrauches angesehen werden könne.
Jacoby.
P. Waentig und 0. Steche: Ueber die fermentative Hydro-
peroxydzersetzung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83, H. 4, S. 315.)
Es wurde festgestellt, dass Katalaselösungen durch Trypsin ihrer Wirk¬
samkeit beraubt werden, während Pepsin und Papayotin ohne Einfluss
sind. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass die Katalase ei weissartiger
Natur ist. Ob dieser Eiweisskörper Polypeptidoharakter hat, dürfte
indes noch sehr fraglich sein.
V. Henriques und J. K. Gjaldback: Weitere Untersuchungen
über die Einwirkung von Pepsin-BC1 auf teilweise trypsinverdaute
Proteine. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83, H. 2, S. 83.) Teilweise
trypsin verdautes Hübnereiweiss und teilweise trypsin verdautes Casein
verhalten sich einer Einwirkung von Pepsin-HCl gegenüber verschieden
insofern, als ersteres sich durch Pepsin-HCl mehr beeinflussen lässt als
letzteres. Pepsin-HCl kann sowohl Hübnereiweiss wie Casein bis zu
einem Spaltungsgrad von etwa 88 pCt. spalten, aber während man
Hübnereiweiss mit Trypsin bis zu einem Spaltungsgrad von etwa 63 pCt.
formoltitrierbarem N spalten muss, bevor es sich nicht vom Pepsin be¬
einflussen lässt, braucht Casein nur bis zu einem Spannungsgrad von
etwa 40 pCt. formoltitrierbarem N gespalten zu werden, um sich nicht
vom Pepsin beeinflussen zu lassen.
H. Kämmerer und L. Aubry: Untersuchungen über die Be¬
ziehungen der Serumeiweisskürper zur Antitrypsinwirkung. (Biochem.
Zeitschr., Bd. 48, H. 3, S. 247.) Bei halb- bis einstündigem Erhitzen
des Serums auf 56° ist der Rückgang der Antifermentwirkung gegen
Pankreastrypsin bei der Albuminfraktion relativ grösser als bei der
Globulinfraktion. Die meist grössere Wärmeresistenz des Serumanti¬
trypsins gegen die verschiedensten Bakterienproteasen hängt demnach
wohl mit der grösseren Beteiligung der Globulinfraktion an der anti-
tryptisohen Wirkung zusammen. Wird die Wärmebehandlung des Serums
bzw. der Albumin- und der Globulinfraktion in halbgesättigter Ammon¬
sulfatlösung vorgenommen, so ist der Rückgang ihrer antifermentativen
Wirkung ein viel geringerer als ohne den Salzzusatz. Die Antitrypsine
verhalten sich demnach wie die Alexine, Enzyme und bakteriellen Tox-
albumineBuchner’s, und das würde für ihre Eiweissnatur sprechen.
Wohlgemuth.
E. v. Knaffl-Lenz und E. P. Pick-Wien: Ueber das Verhalten
der Plasteine im Tierkörper. I. Mitteilung. Die Beziehungen der
Plasteine zur Pepionvergiftung. (Archiv f. experim. Pathol. u. Phar¬
makol., Bd. 71, H. 4,S. 296—810.) Die Plasteine, die aus peptischen,
giftigen Verdauungsprodukten unter Einwirkung der Pepsinsalzsäure ent¬
stehen, sind ungiftige und höhermolekulare Substanzen. Aus den Plasteinen
können wieder durch Verdauung giftige Spaltprodukte gebildet werden.
Aus niederen Spaltprodukten können keine Plasteine entstehen.
Jacoby.
E. Grafe und K. Turban: Ueber Stickstofflreten Honen bei Fütte¬
rung von Harnstoff. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, B. 88, H. 1, S. 25.)
Aus den mitgeteilten Versuchen geht hervor, dass ebenso wie Ammoniak¬
salze auch Harnstoff, im Verein mit einer überreichlichen Kohlenhydrat¬
kost verabfolgt, beim Hunde erhebliche Stickstoffretention bedingt und
vorübergehend sogar Stickstoffgleichgewicht bewirkt. Ein kleiner Teil
des retinierten Stickstoffs wird in der Nachperiode wieder ausgeschieden,
die überwiegend grössere Menge aber wird anscheinend dauernd retiniert
Hieraus kann man folgern, dass dieselbe Eigenschaft bei der gleichen
Versuchsanordnung allen Substanzen zukommt, bei deren Verfütterung
intermediär oder als Endprodukt Harnstoff im Organismus entsteht.
V. Arnold: Weitere Beobachtungen über die Arnold’sehe Harn-
ronkftion mit Nitroprussidnatrium. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd.83,
H. 4, S. 804.) Harn nach einer Nahrungsaufnahme gibt mit Nitroprussid-
natrium eine violette Färbung, sie ist besonders intensiv nach Genuss
von Fleisch oder kräftiger Fleischbrühe. In voller Stärke findet man
diese Reaktion bei normalen Individuen, auf der Höhe schwerer In¬
fektionskrankheiten fehlt sie fast vollständig. Sie ist zurückzuführeo auf
die Bildung eines endogen entstandenen Harnbestandteiles.
R. Beutner: Einige weitere Versuche, betreffend osmotische und
kolloidale Quellung des Muskels. (Biochem. Zeitschr., Bd. 48, H. 3,
S. 217.) Gelöste Proteine beeinflussen den Wasseraustausch von Muskeln
und umgebender Lösung nicht in deutlich erkennbarerWeise. Wird ein
Muskel durch Säure unerregbar gemacht, so können osmotische Funktionen
noch sehr lange nach dem Eintritt der Unerregbarkeit nachgewiesen
werden. Wird ein Muskel durch Coagulation unerregbar gemacht, so
verschwinden die osmotischen Eigenschaften.
G. Buglia und A. Costantino: Beiträge zur Muskelchemie.
V. Mitteilung. Ueber die Purinbasen der glatten Muskeln der höheren
Tiere. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 88, H. 1, S. 45.) Verff. unter¬
suchten den aus glatten Muskelfasern bestehenden Retractor penis, in¬
dem sie die Muskeln pulverisierten und mit lproz. Salzsäure hydro¬
lysierten. Im Hydrolysat wurde dann der Purinbasengehalt bestimmt.
Es ergab sich, dass die Purinbasen der glatten Muskeln aus Oxypurinen
bestehen. Das Xanthin findet sich in einer Menge, die sich auch in
einer verhältnismässig kleinen Quantität des Muskels bestimmen lässt
Im Gegensatz hierzu enthalten die quergestreiften Muskeln vorwiegend
Hypoxanthin. Wohlgemuth.
E. Abderhalden - Halle: Zur Frage der Spezifität der Schuts¬
fennente. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) A. fordert
nochmals genauestes Innehalten der von ihm gegebenen Vorschriften
zur Anstellung der Reaktionen zur Diagnostik der Gravidität.
F. Kahn-Kiel: Einfluss von Thorium X auf keimende Pflanzen.
(Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 9.) Bei gleicher Versuohs-
anordnung zu verschiedenen Zeiten übte Thorium das eine Mal einen
hemmenden, das andere Mal einen fördernden Einfluss auf das Wachs¬
tum von Haferkörnern aus. Bei den Versuchen mit Kressesamen wirkte
Thorium in kleinen Dosen fördernd, in grossen hemmend. Ausserdem
zeigte sich, dass der definitiven Waohstumsförderung ein Stadium lang¬
samer Entwicklung vorausgeht, und umgekehrt sehen wir vor der
Wachstumshemmung ein beschleunigtes Wachstum. Dünner.
H. H. Escher: Ueber den Farbstoff des Corpus luteum. (Zeitschr.
f. physiol. Chemie, Bd.83, H. 3, S. 198.) Aus den Ovarien von Kühen
wurde ein Farbstoff isoliert, der mit dem von Wilstätter und Mieg
beschriebenen, aus Karotten gewonnenen Carotin identisch ist. Die
Identität zeigte sich in dem gleichen Schmelzpunkt, der gleichen Kristall¬
form und der Färbung von Lösungen in Chloroform, Benzol und Alkohol.
Wohlgemuth.
Siehe auch Innere Medizin: Landau, Nebenniere und Fett¬
stoffwechsel. Bacmeister und Henes, Cholestearingehalt des Blutes.
— Kinderheilkunde: Engel, Einwirkung mechanischer Erschütterung
auf die Frauenmilch.
Pharmakologie.
S. Meidner - Berlin: Ueber neuere Arsueimittel. (Therapie d.
Gegenw., Februar 1913.) Zusammfassende Uebersicht über neuere Schlaf-
und Beruhigungsmittel. Bromural, Adalin und Luminal sind als dauernde
Bereicherungen unseres Arzneimittelschatzes anzusehen. Auch mit
Sedobrol, Valisan und Adamon sind die Versuche günstig ausgefallen.
R. Fabian.
M. Cloetta-Zürich: Ueber die Wirkung des Scopolamins. (Archiv
f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 290—292.) Dis¬
kussionsbemerkungen zu einer Mitteilung von Cushny.
A. v. Kon sch egg-Graz: Ueber Beziehungen zwischen Herzmittel¬
und physiologischer KatioieuWirkung. (Archiv f. experiment. Pathol.
u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4, S. 251—260.) Strophantin wirkt auch
auf das Herz, welches mit caloiumfreier Lösung durchspült wird.
Strophantin ist ein funktioneller Antagonist der Kaliumsalze für das
Herz. Die Herzwirkung von Adrenalin, Campher und Coffein ist an die
Gegenwart von Calcium gebunden.
R. Boehm-Leipzig: Ueber die Wirkungen des Vcrutrins und Proto-
veratrin8. (Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 4,
S. 269—289.) Die Arbeit hat speziell-pharmakologisches Interesse.
Jacoby.
A. Loewy-Berlin: Versuche über die Wirkungen des Bürgerischen
Secalysats. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Das Secalysat ent¬
hält neben den wirksamen Bestandteilen des Secale noch 2—5pGt,
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UNIVERSUM OF IOWA
31. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
609
Cotarninum hydrochl. Aus den Versuchen des Verf. geht hervor, dass
die Secalewirkung durch Cotarninzusatz erheblich gesteigert werden kann
Das Präparat kann daher an Stelle der einfachen Secalepräparate mit
Erfolg bei atonischen Zuständen des Uterus und damit in Zusammen¬
hang stehenden Blutungen verwendet werden. R. Fabian.
Siehe auch Therapie: Schubert, Cymarin, ein Herz- und
Gefassmittel. _
Therapie.
Th. Mann - Freiburg i. B.: Klinische Erfahrungen mit Codeonal.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Bei nicht allzu schweren
Fällen von Schlaflosigkeit leistet Codeonal Gutes, besonders auch da,
wo man gezwungen ist, dauernd Schlafmittel anzuwenden; man kann es
hier allein oder auch abwechselnd mit anderen Schlafmitteln geben.
Dünner.
0. Hesse: Melnbrin als Antipyretienm bei Tuberkulose. (Therapie
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. empfiehlt, das Melubrin, ein Anti-
pyrinpräparat, in die Reihe der bei Tuberkulose gebräuchlichen Anti-
pyretica aufzunehmen. Es kann wochenlang angewendet werden, ohne
dass, abgesehen von Schweissen, irgendwelche Nebenerscheinungen beob¬
achtet werden. Dosis bei Erwachsenen dreimal */*—1 K» meistens
1—3 mal 0,5 g. R. Fabian.
M. E. Schubert - Sudenburg: Cymarin, ein neues Herz- und
Geflssmittel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Cymarin,
ein Extract. fluid. Apooyni cannab. ind., ist in der Herzwirkung der
Digitalis ähnlich. In kleinen Dosen (0,2—0,3 mg) führt es auch eine
erhebliche Steigerung der Urinmenge herbei. Die Applikation geschieht
am besten intravenös, allenfalls intramuskulär oder stomachal, keines¬
wegs subcutan wegen der nachfolgenden starken Gewebsreizung.
A. Strauss - Barmen: Zur Kupferbehandlung der äusseren Tuber¬
kulose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Die Wirkung der
Kupferpräparate bei äusserer Tuberkulose, insbesondere bei Lupus, ist
nicht etwa eine reine Aetzung (wie z. B. Pyrogallus), sondern eine ex¬
quisit elektive und spezifische. Auch vom Blute her lässt sich diese
Wirkung in augenfälliger Weise erzielen. Allerdings wird sie durch
lokale Applikation wesentlich unterstützt. Die Heildosis ist ein so
kleiner Bruchteil der toxischen, dass auch vom Blute her aktiotrop auf
die Tuberkelbacillen eingewirkt werden kann. Verf. empfiehlt eine
intermittierende Dauerbehandlung mit kleinen Dosen. In der Zwischen¬
zeit ist eine innere Behandlung mit Jod-Metbylenblaukapseln ange¬
bracht, um eine Kupferfestigkeit der Tuberkelbacillen zu verhindern.
Möglicherweise können auch kleine Tuberkulindosen das tuberkulöse Ge¬
webe für das Kupfer empfindlicher machen. Von den Kupferverbindungen
werden die Kupferlecithinpräparate am meisten empfohlen.
Wolfsohn.
K. Kolb und K. Laubenheimer-Heidelberg: Zur Beurteilung der
prophylaktischen Seramtherapie des Tetanns. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Im Sekret einer schweren Wunde fanden
sich Tetanusbacillen, ohne dass es zum Ausbruch tetanischer Er¬
scheinungen kam. Da der betreffende Kranke sofort beim Eintritt in
die ärztliche Behandlung Tetanusantitoxin subcutan erhalten hatte, so
sind die Verfi. geneigt, das Ausbleiben der Krankheitserscheinungen auf
Rechnung der prophylaktischen Serumbehandlung zu setzen.
Dünner.
C. Lewin: Wie behandeln wir inoperable Geschwülste. (Therapie
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. gibt eine zusammenfassende Ueber-
sicht über einige Behandlungsmethoden, die von jedem praktischen Arzte
leicht auszuführen sind. Alle die Mittel können selbstverständlich nur
ein Linderungsmittel darstellen. Besonders empfehlenswert ist die
Elarson- oder Atoxylbehandlung als Roborans in Verbindung mit inner¬
licher Darreichung von Pankreatin (dreimal täglich 0,25—0,5 g).
R. Fabian.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
L. Loeb, G. T. Moore und M. S. Fleisher - St. Louis: Ueber das
koubiaierte Wachstum tierischen Gewebes und einer Hefe im Blnt-
coagnlnm in vitro. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66,
H. I, S. 44.) Unter bestimmten Versuchsbedingungen können mit Hefe
infizierte Nierenstückchen neben der Hefe in Nährmedien eine Zeitlang
in vitro wachsen; dieses Wachstum kann sogar stärker sein als in
normalen Nierenstückchen infolge der früheren regenerativen Ver¬
änderungen der Gewebe. Hefe übt keine oder nur geringfügige Gift¬
wirkung aus, schädigt aber direkt durch mechanische Mittel die Zellen.
Bierotte.
H. Lüdke - Würzburg und L. Fejes - Budapest: Untersuchungen
über die Genese der kryptogenetischen pernieiüsen Anämien. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die experimentelle Er¬
zeugung einer pernieiösen Anämie bei Tieren gelingt durch die sub-
cutane wie intravenöse Einführung von alkohollöslichen Bakteriengiften
der Keime der Darmflora. Manche Formen der kryptogenetischen per-
niciosen Anämie des Menschen sind vielleicht auf die von den Autoren
beschriebene Wirkung der Bakterienhämolysine zurückzuführen.
G. Baehr-Freiburg: Polyarie bei stbakater Nephritis. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Bei der subakuten Uran¬
nephritis bestehen noch viele Widersprüche zwischen den Ausscheidungs-
vorgäogen und den Nierenveränderungen. Diese sind für die veränderte
Ausscheidung nicht ohne weiteres verantwortlich zu machen, da möglicher¬
weise die Uranvergiftung direkt eine schwere Schädigung des Gesamt¬
stoffwechsels verursaoht, die als weitere Folge eine Mehrarbeit der Niere
mit ihren verschiedenen Symptomen bedingt. W. Zinn.
L. Hess und J. Wiesel-Wien: Wirkung von Adrenalin bei akuten
experimentellen Nephropathien. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.)
Es ist möglich, uranvergiftete Kaninchen durch gleichzeitig ausgeführte
Adrenalininjektionen am Leben zu erhalten, wenn die Injektionen vor
Beginn der Anurie einsetzen. Als Zeichen einer funktionellen Besserung
der Nephropathie konnten die Verff. Absinken der Eiweissmengen und
Steigerung der Diurese feststellen. Eine anatomische Besserung infolge
der Injektionen ist nicht zu konstatieren. P. Hirsch.
S. Schoenborn und W. Cuntz-Heidelberg: Zur Frage der „Para¬
syphilis“. (Deutsche med. Wochenschr., 19.13, Nr. 12.) Der Begriff der
„Parasyphilis“ ist für die Affektion der Circulationsorgane, Nieren und
Leber nicht mehr aufrecht zu halten. Von keiner der erwähnten Er¬
krankungen lässt sich sagen, dass sie nur durch das hypothetische Toxin,
nicht auch durch die Spirochäte selbst hervorgerufen werden kann. Auch
die Tabes und Paralyse werden besser als syphilitische denn als meta¬
syphilitische Krankheiten bezeichnet. Zudem häufen sich in der letzten
Zeit die Spirochätenbefunde in den erkrankten Organen.
Wolfsohn.
Siehe auch Chirurgie: Küttner, Hyomandibularfistel. Oehler,
Histologisches Bild der Basedowstruma.
Parasitenkunde und Serologie.
A. Feeser - Stuttgart: Das Hämatoxylin in seinem Verhalten zur
Bakterienfarbnng. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66,
H. 1, S. 137.) Hämatoxylinlösungen, und zwar stärkere besser als
schwächere, eignen sich entgegen der Behauptung verschiedener anderer
Autoren durchaus zur Bakterienfärbung. Zum Färben von Ausstrich¬
präparaten von Bakterien empfiehlt der Verf. Jodbämatoxylin.
Bierotte.
G. Wagner-Kiel: Erfahrungen mit der Conradi-Troch’schen
Tellarplatte sam Diphtherienachweis. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 9.) 1. Die Conradi-Troch’sche Tellurplatte bedeutet wegen
der durch sie gewährleisteten grösseren Leichtigkeit und Sicherheit der
Auffindung der Diphtheriekolonien einen Fortschritt gegenüber der
Löfflerplatte, ohne indessen dem ungeübten Untexsucher wesentlich mehr
positive Befunde zu liefern. 2. Die von C. und T. empfohlene An¬
reicherung auf Löffierserum macht das Verfahren umständlich, zeit¬
raubend und kostspielig. 3. Vermieden werden diese Nachteile durch
auschliessliche Verwendung der Tellurplatte, wobei die erzielten Er¬
gebnisse hinter denen mit vorheriger Anreicherung auf Löffler-Serum
jedenfalls nicht zurückstehen. Dünner.
B. Schick und So-Wien: Ueber den Ablauf der Diphtherie-
intracutanreaktioa (Römer) am Meerschweinchen bei wiederholter In¬
jektion. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1,
S. 121.) Durch ihre Tierversuche konnten die Verff. feststellen, dass
selbst bei rasch aufeinanderfolgenden intracutanen Injektionen von
Diphtherietoxin in steigenden Mengen an der Injektionsstelle keine Ueber-
empfindlichkeitsreaktion nachweisbar ist. Die Ueberempfindlichkeits-
symptome fehlten auch bei viermaliger Vorbehandlung und Reinjektion
der gleichen Menge nach fünfwöchigem Intervall, sowie bei zweimaliger
Vorbehandlung mit kleinen Dosen und Reinjektion nach 4 Wochen.
Th. Messerschmidt-Strassburg: Ein paratyphnsähnlicher Ba-
eillns. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1,
S. 35.) In den diarrhoischen Entleerungen eines bereits längere Wochen
kranken Patienten fanden sich massenhaft morphologisch und kulturell
paratyphusähnliche Bacillen, die sich jedoch in eigenartiger Weise von
diesen unterschieden. Während die Wirkung der Gifte des Keimes auf
Laboratoriumstiere einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Bacillus
und Krankheit vermuten liess, fiel auffallenderweise die Agglutinations¬
prüfung des Patientenserums gegen die Reinkultur der so massenhaft
vorhandenen Bacillen negativ aus. Das Patientenserum agglutinierte
Reinkulturen von Bac. paratyph. B und suipestifer ebenfalls nicht.
0. Mayer - München: Eigenartige bakteriologische Befände bei Ge¬
sunden aus der Umgebung Rnhrkranker. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
I. Abt., Orig., Bd.66, H.5u.6, S.328.) In den Stuhlausstrichen zweier gesunder
Personen aus der Umgebung Ruhrkranker wurden dysenterieverdächtige
Kolonien gefunden, die zunächst kulturell ziemlich erheblich von dem
Dysenteriebacillentyp der Kranken abwichen. Durch eine kurze Zeit
nach der Isolierung aus den Fäces vorgenommene Tierpassagk wurden
aus ihnen echte Dysenteriebacillen gewonnen. Bei längerer Fortzüchtung
auf künstlichen Nährböden konnten aus den Ausgangskulturen durch
Tierversuch keine Dysenteriebacillen mehr erhalten werden. Nach diesen
Ergebnissen sollten nach dem Vorschlag des Verf.'s im Interesse der
praktischen Ruhrbekämpfung Kolonien, die sich zwar von Dysenterie¬
bacillen in einzelnen kulturellen Merkmalen erheblich unterscheiden, in
anderen jedoch wieder mit ihnen übereinstimmen und serologisch ver¬
dächtig sind, durch Tierversuch geprüft werden, ob aus ihnen echte
Dysenteriebacillen zu züchten sind. Leute, bei denen solche Kolonien
gefunden werden, müssen als Dysenteriebacillenträger angesehen werden.
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610
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Ob es sich in den vorliegenden Fallen um eine Verschmelzung von zwei
verschiedenen Bakterien in einer Kolonie oder um echte Mutation der
Dysenteriebacillen handelt, ist nioht zu entscheiden.
Thalmann.-Dresden: Streptococcus viridans im Blut ohne Ver¬
änderung; der Herzklappen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt.,
Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 240.) Bei zwei letal ausgegangenen Fällen
— es handelte sich um schwere, durch Mischinfektion bedingte lokale
Erkrankungsherde — konnte im Blut allein der Streptococcus viridans
nachgewiesen werden. Nach Th.’s Ansicht ist die Schottmüller’sche
Einteilung der Streptokokken in hämolytische und grüne zu Recht be¬
stehend.
H. Mandel - München: Zur Frage der Fleischvergiftung. (Central¬
blatt f. Bakteriol. usw., l.Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 194.) Bei einer
durch Schmorfische verursachten Massenvergiftung bei einem Truppenteil
konnte als Erreger ein Bac. proteus vulgaris mit Sicherheit ermittelt
werden. Die „Fleischvergifter“ wirken, wie wiederum festgestellt wurde,
nicht so sehr als solche, sondern vielmehr durch die auf den Nahrungs¬
mitteln von ihnen gebildeten giftigen Stoffwechselprodukte.
M. Müller - München: Heber die Natur der kugelförmigen Ge¬
bilde in den Aphthen maul- und klauenseuchekranker Tiere.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1, S. 103.) Die
Befunde Huntemüller’s, der in der Aphthenlymphe maul- und klauen¬
seuchekranker Tiere kleine Kugeln von Kokkengrösse gefunden, ihre
Natur und ihre Beziehungen zur Aphthen jedoch dahingestellt liess,
konnte Verf. bestätigen; diese Kugeln sind nach dem Ausfall seiner
Untersuchungen Fetttröpfcben.
B. J. Wi lamowski - St. Petersburg: Ueber einen Fall von Psendo-
authrax. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 1,
S. 39.) Bei einer Patientin mit einer akut-infektiösen Lungenerkrankung
wurde intra vitam im Pleuraexsudat ein beweglicher, grampositiver
Bacillus gefunden, der bei der Sektion ebenfalls aus dem Pleura¬
exsudat, sowie aus der Milz, Knochenmark und Leber gezüchtet
werden konnte. Die Stäbchen erwiesen sich als sporenhaltig und
glichen morphologisch Anthraxbacillen, von denen sie sich nur
durch ihre Beweglichkeit unterschieden. Auch kulturell bestand
grosse Aehnlichkeit mit jenen; ferner waren die isolierten Bacillen tier¬
pathogen. Der Verf. hält den Keim nach dem Ausfall der von bakterio¬
logischer Seite durchgeführten Untersuchungen für einen dem Bac.
anthracoides oder dem Bac. pseudoanthracis sehr nahestehenden Mikro¬
organismus. Klinisch sind derartige Fälle von Pseudoanthrax von echtem
Milzbrand eventuell nicht zu unterscheiden; sie verhalten sich zu¬
einander etwa wie Paratyphus zum Typhus.
G. Cosco, B. Rosa und C. De Benediotis - Rom: Ueber einen
Fall cntanor Rin der tuberkulöse beim Menschen. (Centralbl. f.
Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 161.) Ein Tierarzt
verletzte sich mit einem Messer, mit dem er eben Organe von tuber¬
kulösen Rindern geschnitten batte, oberflächlich an der Hand. Einige
Tage nachher trat an der betreffenden Stelle eine Entzündung auf und
etwas später ein kleines Knötchen, das sich wenig vergrösserte. Mit
dem käsigen Inhalt wurden Tierimpfungen an Meerschweinchen und
Kaninchen ausgeführt, die erfolgreich waren; auch eine Reinkultur, die
morphologisch und kulturell dem Typus bovinus entsprach, konnte ge¬
züchtet werden und* wurde subcutan auf ein Kalb verimpft, das nach
zwei Monaten an Perlsucht einging; ebenso wies ein mit Organmaterial
vom Kaninchen geimpftes zweites Kalb bei der Schlachtung perlsüchtige
Veränderungen der Drüsen und Lunge auf. Aus dem einwandfrei be¬
obachteten Fall lässt sich der Schluss ziehen, dass Rindertuberkulose,
unter die Haut des Menschen geimpft, eine starke Tendenz zeigt,
lokalisiert zu bleiben und zu heilen. Der Stamm hatte naoh
3Va monatigem Aufenthalt im Körper des Menschen seine Virulenz für
das Rind behalten und nicht im geringsten die Tendenz gezeigt, sich
aus dem einen in den anderen Typus umzuwandeln. Bierotte.
R. Kraus und G. Hofer-Wien und Ishiwara - Tokio: Ueber
Differenzierung von Leprabaeillen mittels Bakteriolyse. (Zur Frage
der Bakteriolyse säurefester Bacillen.) 8. Mitteilung. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Das Serum der mit Leprabacillen vor¬
behandelten Kaninchen nimmt spezifisch bakteriolytische Eigenschaften
an. Mittels dieser Methode ist eine Differenzierung säurefester Bakterien
durchführbar.
K. Ishiwara - Tokio: Experimentelle Studien über die Zellreaktion
nach Freund-Kaminer bei Ratten. (Wiener klin.Wochenschr., 1913, Nr. 10.)
Es scheint, dass die Zellreaktion bei Tieren etwas Erworbenes ist und
direkt vom Tumor abhängig ist. Mit dem wachsenden Tumor tritt die
Reaktion auf, nach der Exstirpation des Tumors verschwindet sie.
, , P. Hirsch.
Siehe auch Haut-und Geschlechtskrankheiten: Paldrock:
Nachweis von Leprabacillen in der Haut. — Augenheilkunde,
Lindner, Zur Biologie der Einschlussblennorhöe.
Innere Medizin.
H. v. Wyss-München: Ueber den negativen Drnek im Thorax.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Eine Trennung
der Pleura parietalis von der Pleura visceralis ist unter physiologischen
Verhältnissen undenkbar, ohne dass man die Adhäsion zur Erklärung
heranziehen muss. Ebensowenig ändert letztere das geringste an den
Druckverhältnissen im Thorax. Die Lehre vom negativen Druck an der
Berührungsfläche der Pleurablätter besteht bei richtiger Definition des¬
selben völlig zu Recht.
L. Lipowetzky-Bern: Spbygmobolometriscbo Untersuchungen an
Gesunden und Kranken mittels des Sabli’sehea sphygmobolographisebea
Verfahrens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.)
Die Methode Sahli’s ist ein brauchbares klinisches Verfahren, um über
den Zustand der Circulation bzw. die Grösse der Herzarbeit sowie der
Systole Aufschlüsse zu erhalten und speziell den Zustand der Circu¬
lation bei Herzkranken im Verlaufe einer Behandlung zu verfolgen.
W. Zinn.
A. Lippmann-Hamburg: Ein Fall von Aortitis auf Basis einer
kongenitalen Lies. (Dermatol. Wochenschr., 1918, Bd. 56, Nr. 8.) Ein
17 jähriger Mann, einziger lebender Sohn eines mit 43 Jahren an einem
Herzleiden gestorbenen Vaters ist seit seinem 13. Jahre herzleidend.
Befund: Einwandfreie Aortitis mit konsekutiver Aorteninsuffizienz, daneben
Venenveränderungen. Dabei sicher nachgewiesene Lues, die ausser den
Gefässveränderungen keinerlei Erscheinungen machte. Unter Digitalis¬
behandlung und Schmierkur bildeten sich die Stauungen und Herz¬
erscheinungen zurück; die vorher sehr stark positive Wassermann’sche
Reaktion wurde negativ und Patient arbeitsfähig. Immerwahr.
G. Klemperer und H. Hirschfeld: Weitere Mitteilungen über
die Behandlung der Blatkrankheiten mit Thorium X. Mit Bemerkungen
über die Beizoltberapie. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Unter
den Fällen von perniciöser Anämie, die Verff. mit Thorium X behandelten,
befand sich nur ein einziger, bei dem ein günstiger Erfolg erzielt wurde.
In allen anderen wurde nur bisweilen eine vorübergehende günstige
Einwirkung auf das Blutbild festgestellt. Auch die Kombination von
Thorium X mit Arsen oder Benzol zeigte keine besondere Wirkung.
Nach den Erfahrungen der Verff. steht es unzweifelhaft fest, dass kleine
Dosen von Thorium X eine Reizwirkung auf die blutbildenden Organe
ausüben. Die Hoffnungen, die man nach den ersten Mitteilungen auf
diese Substanz setzte, haben sich nicht erfüllt. Die Frage, ob das
Thorium dem Arsen überlegen ist, muss vorläufig noch offen gelassen
werden. Die Erfahrungen der Verff. über Thoriumbehandlung der
Leukämie zeigen, dass dieselbe eine ausserordentlich symptomatische
Beeinflussung der myeloiden Formen berbeifübrt. Eine Einwirkung
auf das Wesen der Krankheit findet nicht statt, und das tödliche Ende
kann wohl hinausgeschoben, aber nicht verhütet werden. Bei der lym¬
phatischen Leukämie findet ebenfalls eine symptomatische Wirkung
statt, indem die Drüsenpakete sich auffällig verkleinern, aber eine
wesentliche Modifikation des Krankheitsbildes wird nicht erzielt. Zum
Schlüsse werden die Versuche der Verff. mit Benzol besprochen. Aus
diesen geht hervor, dass das Benzol ein sehr gefährliches Mittel dar¬
stellt, welches die Leukocyten zerstört und daher bei Leukämie sympto¬
matisch wirken kann. Er ruft aber gleichzeitig so schwere Organ¬
nekrosen hervor, dass einer therapeutischen Anwendung grösserer Dosen
lebhafte Bedenken entgegenstehen.
W. Neu mann: Ueber BeizolbebaBdlmig der Leik&mie. (Therapie
d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. berichtet aus der medizinischen Klinik
in Giessen über einen Fall von ausgesprochener Myelämie, der nach der
Koranyi’schen Vorschrift mit Benzol behandelt wurde. Nach Beendigung
der Kur, die 36 Tage dauerte, war die Milz auf die Hälfte ihres
Volumens zurückgegangen, die Leukocytenzahl betrug 5300, subjektive
Heilung. Bald trat eine Verschlechterung in dem Befinden ein. Die
Leukocytenzahl ging weiter zurück, und auch die Milz zeigte eine weitere
Verkleinerung. Es traten Fieberanfälle und Durchfälle, reichliches
Nasenbluten auf sowie eine hämorrhagische Stomatitis und Rhinitis.
39 Tage nach Beendigung der Benzolkur trat der Exitus ein. Es ist
äusserste Vorsicht bei der Dosierung des Benzols geboten.
R. Fabian.
S. Stern-Budapest: Die Behandlung der Leukämie mit Benzol.
(Wiener klin. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Bei einem 52 jährigen Patienten
sank nach zweimonatiger Benzolbehandlung die Zahl der Leukocyten
von 264 000 auf 13 800, die Zahl der Erythrocyten stieg von S 1 /* auf
b l l 2 Millionen. Auch das quantitative Bild der Leukocyten änderte sich
in vorteilhafter Weise, die Milz, welche bei Beginn der Erkrankung bis
fast zur Mittellinie reichte, wurde bis zur Norm reduziert, das Körper¬
gewicht nahm um 2 kg zu. S. sieht im Benzol eine Bereicherung
unseres Arzneischatzes.
St. Kl ein-Warschau: Die Wirkung des Benzols auf den lem-
kämisebea Prozess. (Wiener klin. Wochanschr., 1913, Nr. 10.) Der
Verf. sieht in dem Benzol ein Mittel, welches in der Behandlung der
Leukämie eine grosse Rolle spielen wird. Wir sind jedoch nicht be¬
rechtigt, das Mittel als ein die Leukämie heilendes zu betrachten. Ein
Unterschied, in der Benzolwirkung auf die beiden Leukämieformen scheint
nicht zu bestehen. Ueber die Beständigkeit der Wirkung kann bei der
Kürze der bisherigen Beobachtungszeit noch nichts ausgesagt werden.
Eine kombinierte Behandlung mit Röntgenstrahlen ist der einfachen
Benzolbehandlung vorzuziehen. P. Hirsch.
H. Tachau-Berlin: Das Verhalten des Blatzackers und die klinische
Bedeutung der BlatznekerbestimmaDg beim Diabetes mellitas. (Deut¬
sches Archiv f. klin. Med., Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die Diagnose eines
Diabetes mellitus wird durch die Feststellung einer Hyperglykämie in
nüchternem Zustande gesichert Ist der Nüohternwert nicht erhöht.
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81. März 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
611
kann der Eintritt einer erheblichen alimentären Hyperglykämie eine
Stunde nach der Aufnahme von 50 g Weissbrot zur Diagnose führen.
Zur Diagnose eines Nierendiabetes ist die Feststellung eines normalen
Biutzuckerwertes in nüchternem Zustande und des Fehlens einer ab¬
normen Blutzuckersteigerung nach der Aufnahme von Kohlehydraten
notwendig. (Blutzuckergehalt beim Gesunden 0,084 pCt., beim Diabetiker
über 0,1—0,7 pCt.) Die Verfolgung der Blutzuokerwerte ist für die Be¬
urteilung der Schwere des Diabetes wichtig. W. Zinn.
•Bacmeister und Henes-Freiburg i. Br.: Untersuchungen über
den Cholesteringehalt des menschlichen Blutes bei verschiedenen
inneren Erkrankungen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.)
Vortrag in der Freiburger medizinischen Gesellschaft am 18. Februar 1913.
Cf. Gesellschaftsbericht der Berliner klin. Wochenschr.
M. Landau-Freiburg i. Br.: Nebenniere und Fettstoffwechsel.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Vortrag in der Freiburger
medizinischen Gesellschaft am 18. Februar 1913. Cf. Gesellschaftsbericht
der Berliner klin. Wochenschr. Wolfsohn.
M. Lau ritzen-Kopenhagen: Diabetische Acidose und ihre Be¬
handlung. (Therapie d. Gegenw., Februar 1913.) Verf. unterscheidet
eine spontane Acidose, die durch die Glykosurie bewirkt wird, und
eine alimentäre Acidose, die durch Ausschaltung der Kohlehydrate
aus der Kost entsteht. Nachdem ausführlich auseinander gesetzt wird,
in welcher Weise die verschiedenen Nährstoffe die Acidose beeinflussen,
gibt Verf. eine Uebersicht über die Behandlungsmethoden. Nach seinen
Erfahrungen soll man bei Diabetes mit starker Acidose die Diät un¬
gefähr wie an den „Gemüsetagen“ einrichten, aber doch mit Eiweiss¬
und Fettzulage, was für jeden einzelnen Patienten passt, also eine ge¬
mischte Gemüsediät, die man je nach Art des Falles kürzere oder
längere Zeit brauchen lässt. Bisweilen kann eine Kohlehydratkur
(Milchdiät, Haferkuren und andere Mehlkuren) bei Aoidose gute Wirkung
ausüben. Als wichtigstes medikamentöses Mittel wird das Natr. bicarb.
gegeben, und zwar bei leichten Fällen 10—20 g, bei schwerer Acidose
30—40 g pro die. Zum Schluss erwähnt Verf. noch die Kostrationen.
Bei leichtem Diabetes: 2 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht und periodisch
1,5 g Eiweiss pro Kilo. Bei mittelschwerem und schwerem Diabetes:
1,5 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht und periodisch 1 g Eiweiss pro
Kilo. Bei sehr schwerem Diabetes: 1 g Eiweiss pro Kilo Körpergewicht
und periodisch 0,5 g Eiweiss pro Kilo. R. Fabian.
J. Fischer-Tübingen: Ueber die Beziehungen zwischen anhaltender
Blutdrucksteigerung and Nierenerkrankung. (Deutsches Archiv f.
klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Die klinische und anatomische
Verwertung von 550 Fällen mit dauernder Blutdrucksteigerung ergab,
dass unter den Patienten mit einem dauernden Druck über 140 mm Hg
62pCt. eine siohere Nierenschädigung aufwiesen; bei dauerndem Druck
von 160 mm und mehr sogar 80pCt. In keinem einzigen obduzierten
Falle von dauernder Hypertension fehlten anatomische Veränderungen im
Sinne einer fortschreitenden Erkrankung bzw. Nephritis. W. Zinn.
L. Jehle-Wien: Beitrag zur sogenannten „Marschhämoglobinurie“.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Hämoglobinurie kann unter
Umständen durch die Wirkung einer Lordose entstehen. Doch lässt
sich die Hämoglobinurie in Form eines Anfalles nur zeitlich begrenzt
auslösen, wogegen die Möglichkeit einer Albuminurie bestehen bleibt.
L. Jehle-Wien: Wirkung neuer Korrektionsversnehe der Wirbel¬
säule bei der orthotischen Albuminurie. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 9.) Man beugt das eine Bein des Patienten im Hüft- und
Kniegelenk bis zu einem rechten Winkel und lässt das Bein auf eine
entsprechend hohe Unterlage stellen. Hierdurch wird die Lordose aus¬
geglichen, und nach kurzer Zeit wird die Eiweissmenge beträchtlich ver¬
mindert bzw. das Eiweiss schwindet völlig. Der Versuch zeigt eines¬
teils, dass der Begriff der orthostatischen Albuminurie sich mit dem
der lordotischen völlig deckt; andererseits kann der Versuch zur Diffe¬
renzierung dieser Erkrankung von einer Nephritis verwendet werden.
E. Langer-Wien: Die Cammidge-Reaktion und ihre Bedeutung für
die Diagnostik der Pankreaserkrankungen. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 9.) Die Reaktion ist keine für Pankreaserkrankungen spezi¬
fische. Sie scheint 'bedingt zu sein durch die beim Auf- und Abbau
des Glykogens gebildeten zusammengesetzten Zuckerarten. Gleichzeitig
scheint für ihr Zustandekommen ein Ueberwiegen des sympathischen
Nervensystems bzw. des chromaffinen Systems maassgebend zu sein.
S. Nagy-Kolozsvär: Zur Diagnose der akuten Entzündung des
Pankreas (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) ln einem sicheren
Fall von akuter Pankreatitis konnte N. feststellen, dass die Patientin
(50 jährige Frau) bedeutende Stickstoffverluste erlitt, doch war das pro-
centuale Verhältnis der stickstoffhaltigen Spaltungsprodukte im Harn
ein normales. Man ist, nach Ansicht des Verf., berechtigt, eine Funktions¬
störung des Pankreas anzunehmen, wenn die Fettspaltung bis unter
70pCt. gesunken ist; der Untersuchung der tryptischen und amylo¬
lytischen Fermente kommt in zweifelhaften Fällen keine entscheidende
diagnostische Bedeutung zu. P. Hirsch.
A. Weil - Strassburg: Ueber den Einfluss elektrischer Reize auf
Magenperistaltik und -sekretiou beim Menschen. (Deutsches Archiv
f. klin. Med., 1913, Bd. 109, H. 5 u. 6.) Direkte endostomaohale Gal¬
vanisation oder Faradisation unter Einführung einer Elektrode in den
Magen und Aufsetzen der anderen auf den Leib oder Nacken. Beim
Menschen hat die elektrische Reizung des Magens mit den therapeutisch
verwendbaren Stromstärken, sei es direkt oder vom Vagus, galvanisch
oder faradiscb, röntgenologisch nachweisbare Aenderungen der normalen
Magenperistaltik nicht zur Folge. Der Einfluss auf die Sekretion ist
zweifelhaft. Die therapeutischen Erfolge beruhen offenbar auf der
psychischen Komponente und auf den kräftigen Kontraktionen der
Bauchwand. W. Zinn.
E. Stoerk Wien: Ulcus rotundum ventricnli und Lymphatismus.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Es besteht die Auffassung
zu Recht, dass vielen Fällen von Ulcus ventriculi eine Konstitutions¬
anomalie zugrunde liegt. Als ein wesentlicher ätiologischer Faktor ist
der sogenannte Lymphatismus anzusehen. Bei der Entstehung des Ge¬
schwüres spielt die Follikelvermehrung der Magenschleimhaut eine Rolle,
desgleichen deren Neigung, auf Reize unbekannter Art mit Bildung eines
ötat mamellonö zu antworten. Weiterhin kommen in Betracht: die
häufige Enge des Gefässsystems und die daraus folgende schlechte
Vascularisation der Parenchyme; das gleichzeitige Bestehen einer so¬
genannten „Vagotonie“ und schliesslich die Minderwertigkeit der Ab¬
wehrvorrichtungen des Lymphatikers gegen bakterielle Invasionen.
Wolfsohn.
G. Grund-Halle: Ueber das festgebundene Chlor im Magensaft,
speziell bei Magenearcinom. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913,
Bd. 109, H. 5 u. 6.) Sowohl beim Magenearcinom wie bei Acbylien aus
anderen Gründen besteht eine Insuffizienz der Salzsäureproduktion.
Widerlegung der Reissner’schen Auffassung. W. Zinn.
Siehe auch Therapie: Hesse, Melubrin als Antipyreticum bei
Tuberkulose. Kolb und Laubenheimer, Prophylaktische Serum¬
therapie des Tetanus. — Parasitenkunde und Serologie: Thal¬
mann, Streptococcus viridans im Blut ohne Veränderung der Herz¬
klappen. Messersohmidt: Paratyphusähnlicher Bacillus. Wilia-
raowski, Pseudoanthrax. — Urologie: Heller, Pseudotrichiasis der
Blase und Pilimiktion. — Haut- und Geschlechtskrankheiten:
Arnold, Orthotische Albuminurie bei Hautkranken. Kaufmann-
Wolf, Hautmetastasen bei Caroinom innerer Organe. Andry, Arseno-
benzol und Hämoptoe.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
P. Leubuscher-Hoppegarten: Therapeutische Versuche mit
Phosphor bei Epileptikern. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.)
Phosphoröl (0,1:1000,0) hatte in einigen Fällen von Epilepsie einen
deutlichen Erfolg, bestehend in Reduktion der Krampfanfälle.
Wolfsohn.
L. Teleky - Wien: Isolierte Atrophie einzelner Daumenballen¬
muskeln bei Feilenhauern. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 10.)
Nach einer Demonstration in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der
Aerzte in Wien am 10. Januar 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Kinderheilkunde.
J. Peiser-Berlin: Eine Präzisionswage für die Säuglingsernäh-
mng. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Nach dem Prinzip
der Hebelbriefwage konstruiert. Dünner.
A. Schlossmann - Düsseldorf: Erfahrungen und Gedanken über
Austaltshehandlnng der Säuglinge. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913,
Bd. 11, Orig., S. 545.) Bericht über die erfolgreiche Sanierung der
Kinderabteilung des Pflegehauses in Düsseldorf. Auseinandersetzungen
über den „Hospitalismus“ in Säuglingskrankenhäusern, den Verf. zurück¬
führt auf die Unzulänglichkeit des Arztes, der Pflege, der Einrichtungen
und der Nahrung. Welche Forderungen der Verf. bezüglich dieser vier
Kardinalfaktoren erheben zu müssen glaubt, wird ausführlich besprochen.
H. Brüning - Rostock: Die Säuglingssterblichkeit im Grossherzog¬
tum Meeklenburg-Sehwerin im Jahre 1911. (Monatsschr. f. Kinderheilk.,
1913, Bd. 11, Orig., S. 604.) Das interessanteste Ergebnis dieser Arbeit
ist die Feststellung, dass im Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin die hohe
Sommersterblichkeit des Jahres 1911 weniger die grossen Städte, als das
Land und die kleinsten Ortschaften betroffen hat, uud dass das in
Mecklenburg-Schwerin beobachtete Ansteigen der Säuglingssterblichkeit
einzig und allein auf die zunehmende Mortalität unteijähriger Kinder
auf dem Lande zurückzuführen ist. R. Weigert.
A. Baginsky: I. Hygiene of city infants and babies. II. Kinder¬
krankheiten während des Schullebens. (Arch. f. Kinderheilk., Bd. 59,
S. 363.) Zwei zusammenfassende Referate für den Kongress für Hygiene
und Demographie in Washington 1911. Birk.
R. P. van de Kasteele - Leiden (z. Z. Strassburg): Einfluss des
künstlichen Pneumothorax auf die Atemmechanik des Kindes.
(Monatsschrift f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, Orig., S. 585.) Die Unter¬
suchungen wurden mit dem von Hürthle erfundenen Pneumatographen
an 6 Kindern im Alter von l 8 / 4 bis 14 Jahren ausgeführt. Bei allen
Kindern war schon früher ein Pneumothorax angelegt worden, so dass
lediglich der Einfluss von Nachfüllungen studiert werden konnte. Verf.
fand, dass die Kinder mit Pneumothorax durchschnittlich eine höhere
Atemfrequenz, eine kleinere Atemtiefe und eine grössere absolute Atem¬
grösse aufwiesen als die Kinder desselben Alters, an denen frühere
Untersucher (Gregor) ihre * Normalzahlen ermittelt batten.
R. Weigert.
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UNIVERSUM OF IOWA
612
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
G. S. Armand: Retard de däveloppement cliez un prdmatnrd
ber^do-tnbercaleux. (Bull, de la soc. de pediatrie ä Paris, Januar 1913,
S. 34.) Normalerweise findet sich bei Kindern bis zum Alter von
2 3 / 4 Jahren eine Steigerung der Sehnenreflexe, ein positiver Babinsky
sowie eine eigentümliche Suggestionsiähigkeit, derart, dass das Kind eine
bestimmte Körperhaltung, z. B. mit erhobenen Armen, unbegrenzt lange
und ohne zu ermüden einhalten kann (Co 11 in’s psyoho-neuro-muskulärer
Symptomenkomplex). — Findet sich das gleiche Syndrom aber bei
älteren Kindern, so ist es ein Zeichen von verlangsamter geistiger Ent¬
wicklung. Ein solches Kind beschreibt der Verf. hier. Möglicherweise
bestand in diesem Falle ein Zusammenhang der geistigen Debilität mit
der tuberkulösen Belastung des Kindes und seiner zu früh erfolgten
Geburt.
G. Caronia: Weiterer Beitrag zur Leishmania-Anämie. (Aus der
Kinderklinik in Palermo.) (Arch. f. Kinderheilk., Bd. 59, S. 321.) Die
Leishmaniosis kommt in Italien und den übrigen Küsten des Mittelmeeres
bei Kindern der ersten Lebensjahre recht häufig zur Beobachtung. Sie
wird durch einen Parasiten hervorgerufen, der mit dem bei Kala-azar
gefundenen identisch ist. Die Uebertragung geschieht durch Hunde oder
durch Stechmücken — doch weiss man darüber noch nichts Sicheres.
Die Prognose ist schlecht: von 37 Fällen, die der Verf. mitteilt, sind
nur 2 in Heilung ausgegangen; die übrigen starben, wenn nicht an inter¬
kurrenten Krankheiten, so an Kachexie. Im Verlauf der Krankheit unter¬
scheidet man 3 Stadien: im ersten besteht bei noch gutem Allgemein¬
zustand Fieber, Milztumor, Leukopenie und Oligocythämie. Das zweite
Stadium ist durch zunehmende Blässe, stärkeren Milz- und Lebertumor
und unregelmässiges Fieber charakterisiert. Im dritten Stadium besteht
ausgesprochene Kachexie, hohes Fieber, starke Oligocythämie, Oligo-
chromäraie, Leukopenie, daneben dyskrasische Störungen des Herz- und
Gefässapparates, ulceröse Enteritis, Noma, Kieferkaries, Nephritis. In
der Gegend von Palermo, aus der die vom Verf. mitgeteilten Fälle
stammen, führt die Krankheit den Namen „balatedda“ (kleine Stein¬
platte), wodurch die marmorartige Härte, die die vergrösserte Milz im
Laut der Krankheit annimmt, zum Ausdruck gebracht wird.
Comby et de Vaugiraud, Papillom es verriqueni bypertrophiqnes
de la vnlve, bons effets de la radiothörapie. (Bull, de la societc de
pödiatrie ä Paris, Januar 1913, S. 18.) Es handelte sich um ein drei¬
jähriges Kind — mit positivem Wassermann — bei dem unter Strahlen¬
therapie und gleichzeitiger Schmierkur die Papillome verschwanden.
Birk.
Engel - Düsseldorf: Die Wirkung der mechanischen Erschütterung
auf die Frauenmilch. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11,
Orig., S. 578.) Verf. teilt folgende interessante Beobachtung mit:
Unterwirft man Frauenmilch einem intensiven, maschinellen Schüttel¬
prozess, so kommt es in der Flüssigkeit zu einer feinflockigen Koagula¬
tion und einer Zunahme des Säuregrades. Die Veränderung ist in den
ersten Stunden am intensivsten, macht später nur langsam Fortschritte
und bezieht sich von der 3. bis 4. Stunde ab nur noch auf die Säue¬
rung. Diese Erscheinungen haben nach Untersuchungen des Verf.’s nicht
ihren Grund Mn bakterieller Zersetzung des Milchzuckers. E. konnte
fernerhin konstatieren, dass sie in (Frauen-)Magermilch nicht zur Beob¬
achtung kommen, dass also das Fett für das Zustandekommen der Säue¬
rung und Koagulation beim Schütteln der Frauenmilch unbedingt not¬
wendig sind. Weitere Mitteilungen in dieser Frage werden angekündigt.
R. Weigert.
M. Thiemich - Magdeburg: Ueber die Behandlung der Krämpfe
im frühen Kindesalter. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.)
Klinischer Vortrag. Wolfsohn.
J. E. Müller - Dortmund: Seltene, durch den Diphtheriehacillns
hervorgernfene Erkrankungen. (Deutsches Arch. f. klin. Med., 1913,
Bd. 109, H. 5 u. 6.) Geschwisterpaar mit tödlicher Diphtherie, kom¬
pliziert durch echte diphtherische Hautgeschwüre. Ferner tödliche
Rachendiphtherie bei einem dreijährigen Knaben mit echter diphtherischer
Entzündung des Dickdarms. W. Zinn.
Chirurgie.
F. A hl fei d-Marburg: Handschuh verietxnngen und Händedesinfek-
tion. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Kritische
Bemerkungen zur Händedesinfektion nach der vom Verf. seinerzeit an¬
gegebenen Heisswasser-Alkoholmethode und zur Frage der Möglichkeit
der Keimfreimachung der Hand, die nach A.’s Ansicht durch den Alkohol
zu erreichen ist.
W. Graef - Nürnberg: Bericht über Erfahrungen mit den intra¬
venösen Aether- und Isopraläthernarkosen. (v. Bruns’ Beitr. z. klin.
Chirurgie, 1913, Bd. 83, H. 1.) Bericht über 151 Aether- und 859
Isopraläthernarkosen. Als Gegenindikationen sind zu nennen: Myo-
degeneratio cordis, schwere Arteriosklerose, Nephritis, schwerer Icterus,
Cholämie, Stauungserscheinungen and allgemeine Plethora. Die Haupt¬
komplikationen, Thrombose bzw. Embolie und Infektion sind bei guter
Technik zu vermeiden. Die Narkosen verlaufen, besonders bei der kom¬
binierten Isopraläthernarkose ideal, glatt und ruhig.
N. Dobrowolskaja-Petersburg: Ueber .den klinischen Wert des
Scharlachrots und Amidoazotoluols. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
1913, Bd. 83, H. 1.) Bei den kritischen Untersuchungen, die Verf. an
11 klinischen Fällen ausgeführt hat, ergab die Anwendung von Scharlach¬
rot und Amidoazotoluol bei reinen granulierenden Wundflächen kein
wesentlich besseres Resultat als der trockene Verband oder die indiffe¬
rente Salbe. D. glaubt daher nicht, dass das Scharlachrot die alten
bewährten Behandlungsmethoden zu verdrängen imstande sein wird.
W. V. Simon.
0. Vulpius - Heidelberg: Zur Behandlung der inneren Verletzungen
des Kniegelenks. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) V. hält
einen partiellen Meniscusabriss auf der Höhe seiner Konvexität für
häufiger als den Abriss an der vorderen und hinteren Anheftung der
Knorpelscheibe. V. reponiert den Meniscus und stellt das Bein 5 bis
6 Wochen ruhig. Ist diese Methode ohne Erfolg, so setzt er an der
Lockerungsstelle einen entzündlichen Reiz, indem er zwischen Meniscus
und Tibia, an dem Orte der grösston Empfindlichkeit, einige Tropfen
absoluten Alkohol injiziert und dann das Gelenk stark mit Sauerstoff
aufbläht. Sechs- bis achttägige Fixation.
Jansen - Stralsund: Ein einfacher Verband zur Behandlung des
SchlÖ88elbeinbrnehes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.)
Muss im Original nachgelesen werden. Dünner.
H. Fowelin - Riga: Ein Fall von partieller Nabt der Arteril
brachialis und ein Fall von circulärer Nabt der Arteria femoralis,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, Bd. 88, H. 1.) Kasuistische Mittei¬
lung. Bei beiden Fällen handelte es sich um Schussverletzungen. Bei
fast total kalter Extremität konnte man eine leicht angedeutete Puls¬
welle sowohl in der Arteria radialis wie auch in der Arteria dorsalis
pedis nachweisen. Zur Sicherung der Diagnose auf Gefässverletzung
wird für solche Fälle das Wahl’sche Auskultationsverfahren empfohlen;
man hört über der Verletzungsstelle ein hauchendes, schabendes mit dem
Puls isochrones Geräusch. W.V. Simon.
H. Küttner-Breslau: Die Hyomandibnlarfistel, eine lene Fora
der angeborenen Halsfistel. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.)
Angeborene, mit dem äusseren Gehörgang kommunizierende seitliche
Halsfi9tel. Operative Entfernung. Genauer mikroskopischer Befund. K.
konnte weder in der chirurgischen noch in der otiatrischen Literatur
eine analoge Beobachtung finden. Wolfsohn.
H. Fowelin - Riga. Ein Fall von Stich Verletzung des Pericard 8
und der rechten Pleura, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913, Bd. 83,
H. 1.) Der vom Verf. */* Stunde nach erfolgter Verletzung (Stichver¬
letzung mit einem Schustermesser) operierte Pat. wurde geheilt. Pleura
und Herzbeutel wurden völlig geschlossen.
W. Lawrow-Petersburg: Die chirurgische Behandlung des Pleura¬
empyems. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Bei
den Empyemfällen, die nach der Operation nur eine schwache Neigung
zur Lungenentfaltung und zum Kleinerwerden der Höhle zeigen, soll
unbedingt zur Aspirationsmethode gegriffen werden, falls auf der Seite
des Empyems die Lunge gesund ist. Bei kranker Lunge ist Ruhig¬
stellung derselben nötig und daher die Aspiration zu widerraten. Bei
der Behandlung der chronischen Empyeme ist die Aspirationsbehandlung
ebenfalls am Platze; allerdings ist hier ihre Wirkung weit geringer.
Einzelheiten sind in dem ausführlichen Original nachzulesen.
W. V. Simon.
Wil ms-Heidelberg: Welche Formen der thorakoplastischen Pfeiler¬
resektion sind je nach Ausdehnung und Schwere der Longenerkranknng
zu empfehlen? (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 9.) Im Gegen¬
satz zu Sauerbruch hält W. eine vorbereitende Resektion der
7.—9. bzw. 10. Rippe bei tuberkulöser Erkrankung des Oberlappens
nicht für nötig, es sei denn, das9 auch im Unterlappen tuberkulöse
Prozesse vorliegen; die Gefahr der Aspirationspneumonie, die S. fürchtet,
besteht nach W. nicht in so starkem Maasse. W. reseziert oft auch
die Clavicula. Ausführliche Schilderung seiner Operationsmethode der
Pfeilerresektionen paravertebral und parasternal, deren Ausdehnung vom
Grade der Erkrankung abhängt. Dünner.
H. Simon-Breslau: Ueber einen Fall von Riedel’scher Struma,
nach Strumektomie aufgetreten, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 83, H. 1.) Referat siehe Sitzungsbericht der Breslauer chirurgischen
Gesellschaft vom 11. November 1912 in dieser Wochenschr., 1912,
S. 2497, unter: Br ade.
J. 0ehler-Freiburg i. Br.: Ueber das histologische Bild der
Basedow-Stroma in seinem Verhältnis zum klinischen Bilde der Base¬
dowschen Krankheit. (Zugleich Beitrag zur Kasuistik der Tuberkulose
der Basedow-Strnma.) (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83,
H. 1.) Es fand sich in den meisten Fällen eine auffallende Ueberein-
stimmung des histologischen Befundes mit dem klinischen Bilde. In
den typischen Fällen fanden sich auch typische Veränderungen; es be¬
stand Verminderung und Verflüssigung des Kolloids (schlechte Färbbar¬
keit); weiter Vergrösserung und Vermehrung der Epithelzellen, bald
mehr in Form von einschichtigem Cylinderepithel und Papillenbildung,
oder mehr in Form von mehrschichtigem Epithel und Epitheldesqua¬
mation, häufig auch von beiden zugleich, damit Hand in Hand Unregel¬
mässigkeit der Follikelform. Schliesslich fanden sich lymphocytäre An¬
häufungen in Form von regelmässig runden oder unregelmässigen Lympho-
cytenherden, oder in Form von wirklichen Lymphfollikeln mit Keim-
centren. ln dem einen der vom Verf. mitgeteilten Fälle fanden sich in
der Struma miliare Tuberkel in der Basedow-Struma, ohne dass sonst
im Körper Zeichen einer manifesten Tuberkulose vorhanden waren. Ob
die Tubetkulose auf den Verlauf und die Entstehung der Basedow’schen
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31. Märe 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
613
Krankheit oder auf die rasohe Entstehung des in diesem Falle einge¬
tretenen Recidiys irgendeinen Einfluss gehabt hat, will Yerf. nicht ent¬
scheiden. Nicht selten finden sich auch die histologischen Basedow¬
veränderungen in gewöhnlichen Strumen, und zwar meist bei Kindern,
dooh stets nur in ganz geringem Umfange und ohne den Charakter der
Progredienz. W. V. Simon.
A. Neu mann-Berlin: Weitere Erfahrungen mit der Netxman-
sehette, insbesondere bei der Behandling des perforierten Magea-
■ad Daodenalgeschwfirs. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.)
Vortrag in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 10. März 1913.
Wolfsohn.
G. Frising und E. Sjövall - Lund: Die phlegmonöse Enteritis
im Duodenum und im Anfangsteil des Jejunum, (v. Bruns’ Beitr. z.
klin. Chirurgie, 1913, Bd. 83, H. 1.) Verf. teilt zwei neue Fälle dieser
seltenen Erkrankung mit. Auffallend ist, dass bei der Schwere und
Heftigkeit der akut einsetzenden Symptome, die auf ein ernstes Bauch¬
leiden hindeuten, eine komplizierende Peritonitis erst verhältnismässig
spät eintritt. Bisweilen kann eine charakteristische Resistenz, die den
ergriffenen Darmteilen entspricht, palpiert werden. Die Diagnose wird
daher doch in manchen Fällen zu stellen sein. Bei der Frage, ob die
Erkrankung metastatisch oder von einer vorhandenen eventuell durch
einen Fremdkörper (z. B. Fischgräte) verursachten Schleimhautverletzung
aus durch bakteriell örtliche Infektion vom Darmlumen aus erfolgt, neigt
Yerf. der letzteren Ansicht zu. Dabei spiele sicherlich eine vorhandene
Sekretionsanomalie dos Magens, die eine Virulenzerhöhung der Bakterien
verursacht (Anacidität), eine wichtige Rolle. Bei der Lokalisation spricht
vielleicht eine Disposition der betreffenden Darmteile für eine mechanische
Schädigung mit Da es sich meist um ältere Personen handelt, muss
man wohl auch an eine bestehende Schwächung des Abwehrvermögens
denken.
L. Simon - Mannheim: Beitrag zur Behandlung der perforierten
Magen- nnd Diodenalnlcera. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913,
Bd. 83, H. 1.) Bericht über 15 Fälle aus den letzten 5 Jahren, von
denen neun zur Heilung kamen. Yerf. tritt für die möglichst frühzeitige
operative Behandlung ein sowie die Diagnose auf Perforation gestellt ist.
In den allermeisten Fällen wird man mit der einfachen Einspülungs¬
naht kombiniert mit Netzplastik auskommen. Gegen die Ränder -
anfriscbung und die Exzision des ganzen Geschwürs sprechen verschiedene
Gründe (grosser Defekt, Verlängerung der Operation usw.) Zur Siche¬
rung und Entlastung der Nahtstelle empfiehlt Yerf. besonders die An¬
legung einer Jejunostomie, die auch den Vorteil hat, dass sofort mit der
Ernährung des Patienten begonnen werden kann, was besonders bei
schlechtem Allgemeinbefinden sehr nutzbringend ist. Die Gastroenteros¬
tomie kann bei Geschwüren der Pars pylorica und kleinen Kurvatur,
wenn es sich um Stenosen handelt, in Betracht kommen.
0. Retzlaff - Magdeburg-Sudenburg: Ueber Fremdkörper des Darmes
und des Wurmfortsatzes, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurgie, 1913,
Bd. 83, H. 1.) Mitteilung eines Falles, bei dem ein Emaillesplitter zur
Perforation des Darmes oberhalb einer alten tuberkulösen Striktur ge¬
führt hatte. Des weiteren teilt Verf. einen Fall mit, bei dem eine Steck¬
nadel, die vor 19 Jahren verschluckt worden war, zur Appendicitis und
Perforation der Appendix geführt batte sowie einen weiteren, bei dem
sich in der perforierten Appendix lebende Taeniaglieder fanden. Schliess¬
lich erwähnt er noch ein zwölfjähriges Kind, bei dem per vias naturales
zahlreiche, etwa einen Tassenkopf füllende, hölzerne, an einer Seite ge¬
spitzte Schuhnägel abgingen, die den ganzen Verdauungstrakt passiert
hatten.
H. Harttung-Breslau: Ueber einen exträrenalen Nebennieren-
tamor. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 1.) Yerf.
teilt unter besonderem Eingehen auf die histologischen Präparate einen
operierten Fall von Nebennierentumor mit, bei dem die klinischen Er¬
scheinungen auf einen stenosierenden Pylorustumor hingewiesen hatten.
Bei der Operation stellte es sich heraus, dass die Geschwulst von einem
versprengten Nebennierenkeim ausging. W. V. Simon.
Röntgenologie.
E. Schlesinger - Berlin: Die Ergebnisse der Röntgennntersnchnng
beim Uleis ventrienli. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.)
Vortrag, gehalten in einer gemeinsamen Sitzung der Vereins für innere
Medizin und Kinderheilkunde mit der Berliner Gesellschaft für Chirurgie
am 20. Januar 1913. Wolfsohn.
j. F. M. Groedel - Frankfurt a. M.: Vieijährige Erfahrungen mit nnter-
breeberlosen (Gleichrichter) Röntgenapparatei und einige wichtige
Neuerungen an denselben. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Apparat¬
beurteilung durch den Arzt. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.)
Dünner.
Urologie.
F. Hagen-Berlin: Aufbewahrung nnd Sterilisation halbweicber
Initrnmente. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, R. 1.) Verf. konstruierte
zur Aufbewahrung und Sterilisation von Kathetern einen wenig Raum
beanspruchenden Wandschrank. Dieser enthält eine in Schienen gleitende
Nickelinplatte. Diese Platte ist in acht parallelen Reihen" genau nach
dem Maass der Charibre-Skala von 1 bis 30 durchlöchert. Am vorderen
Rand sind auf einer Metalleiste die Zahlen nach Chariöre genau den
Löchern entsprechend angebracht. Die Platte lässt sich in Gleitsohienen
bis zu einem Knopf leicht herausziehen, so dass auch die letzte Reihe
leicht zugänglich wird. Auf dem Boden des Schrankes steht eine Glas¬
schale mit Trioxymethylentabletten oder besser -Pulver und eine andere
mit Chlorcalciumtabletten. Auch zur Erzeugung von heissen Form¬
aldehydgasen ist eine Vorrichtung getroffen durch Erhitzen der auf dem
Boden liegenden Formalintabletten durch eine aussen einschiebbare
Spiritusflamme. Für die Schale mit Chlorcalciumtab letten ist ein Be¬
hälter an der Seitenwand angebracht Auf diese Weise gelingt es
erstens, die Katheter in kürzerer Zeit zu sterilisieren, und zweitens, auch
Katheter mit engerem Lumen zu sterilisieren. Der Wandschrank ist
hergestellt von der Firma W. Krahl-Berlin, Schiffbauerdamm 8.
B. Otto-Dorpat: Ein primäres (Irethralcarciaom der Fossa navi-
cularis. (Zeitschr. /.Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Bei einem 69jährigen
Manne fand man die Harnröhre vom Orificium externum um etwa 2—3 cm
lang verdickt zu einem unregelmässigen, harten, circa kleinfingerdickeu
Strang. Präputium und Glans penis frei. Es handelte sich um ein
primäres Plattenepithelcarcinom mit dem Ursprungsort in der Fossa
navicularis. Ein Urethralcarcinom mit dieser Lokalisation ist, soweit
Verf. die Literatur zur Verfügung stand, bisher noch nicht beobachtet
worden. Es wurde die Amputatio penis ausgeführt, bis zu einem halben
Jahre noch recidivfrei.
E. Heineoke-Braunschweig: Ueber angeborene Stenosen der Pars
posterior der Harnröhre. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Es
handelt sich in den Fällen angeborener Stenosen der hinteren Harnröhre,
von denen Verf. in der Literatur 19 erwähnt fand, um halbmondförmige
Falten, die vom vorderen Ende des Colliculus seminalis ausgingen und
von dort beiderseits gegen die Seitenwände der Harnröhre ausstrahlten.
Sie bildeten zwei mehr oder weniger tiefe Taschen, die nach der Blase
zu geöffnet waren. In anderen Fällen wurde das Hindernis durch eine
quer im Harnröhrenlumen stehende Membran mit kleiner Oeffnung be¬
wirkt oder durch eine Klappe, die an der vorderen Harn röhren wand be¬
festigt war, oder durch einseitige Lappenbildung. In einem anderen
Falle lag die Störung hinter dem Colliculus seminalis und wurde dort
ebenfalls durch zwei halbmondförmige Falten bedingt. Alle diese Fälle
kamen gleich nach der Geburt oder in den ersten Lebensjahren zur
Sektion. Das Hindernis hatte zu hochgradiger Stauung des Urins und
weiter zu schweren Veränderungen der aufwärts gelegenen Harnwege
geführt. Schwere Hydronephrose und Pyelonephritis stellte meistens die
Todesursache dar. Beschreibung eines einschlägigen Falles bei einem
fünfjährigen Knaben. Infolge kongenitaler Stenose der Urethra am
Uebergang der Pars membranacea (halbmondförmige Falten) war es zu
aufsteigender Pyelonephritis mit Dilatation der Ureteren und des Nieren¬
beckens gekommen.
J. Heller-Charlottenburg: Psendotriehiasis der Blase und Pili-
miktion. (Zeitschr. f. Urologie, 1913, Bd. 7, H. 1.) Fall von Blasenstein, bei
dessen Zertrümmerung zahlreiche Haare entleert wurden, die sich mikro¬
skopisch als Menschenhaare erwiesen. Diagnose lautete auf Dermoid¬
cyste. Bei der einige Tage darauf vorgenommenen Cystoskopie sah man
unterhalb der linken Ureteröffnung auf einer Unterlage von weissen
Concrementbröckeln ein grosses Konvolut brauner Haare, die nach einigen
Tagen ausgeschieden wurden. Einige Monate später hatten sich wieder
um den deutlioh verkleinerten Haarbüschel zwei kleine aufeinander-
sitzende Steine gebildet, die entfernt wurden. Danach wurden weder
Haare noch die vorher vorhandene Ausbuchtung mit dem Cystoskop ge¬
sehen. Es bestand demnach infolge fötaler Keimversprengung eine
Dermoidcyste des kleinen Beckens, die hinter der linken hinteren unteren
Blasenwand sass. Diese Cyste wurde bei einer gonorrhoischen Er¬
krankung infiziert, die vor mehreren Jahren bestanden hatte und eino
Cystitis im Gefolge hatte. Durch die Entzündung kam es zu einer Ver¬
wachsung der Cyste mit der Blasen wand. Infolge fettiger Degeneration
der Blasenwand kam es zum Durchbruch der Cyste in die Blase. Um
die in diese hinein wachsenden Haare bildete sich ein Phosphatstein. Da
bei der letzten Cystoskopie keine Haare mehr in der Blase gefunden
wurden, muss man annehmen, dass es zu einer breiten und festen Ver¬
wachsung zwischen der Blasenwand und der Dermoidcystenwand ge¬
kommen ist. Verf. hat aus der Literatur 56 Fälle von Trichiasis der
Blase und Pilimiktion zusammen gestellt. L. Lipman-Wulf.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
W. Arnold-Würzburg: Orthotische Albnminnrie und ihre Be¬
ziehungen zur Tuberkubse nach Untersuchungen bei Hantkranken,
insbesondere bei Hauttuberkulose und Syphilis. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Bei Hautkrankheiten der verschiedensten
Art ist orthotische Albumiqupe im allgemeinen nicht nachzuweisen. Bei
Hauttuberkulose findet sie sich nur relativ selten. Bei frischer, un¬
behandelter Syphilis des 1. und 2. Stadiums ist sie bei Ausschluss einer
Allgemeintuberkulose ebenso häufig wie im Frühstadium der Tuber¬
kulose (Lüdke und Sturm). Die orthotische Albuminurie ist nicht
charakteristisch für Tuberkulose; sie ist vielmehr nur ein Zeichen einer
chronischen Infektion bzw. Intoxikation. Dünner.
L. Meri an -Zürich: Positiver Leprabaeillenbefand in den Fäees
bei an leprösen Schleimhautverändernngea des Kehlkopfes leidenden
Patienten. (Dermatol. Woohenschr., 1913, Bd. 56, Nr. IO. 1 ) Der-Nach-
weis der Bacillen in den Fäees gelang mit dem Antiforminverfahren.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
A. Paldrook-Dorpat: Eine einfache Methode, Leprabacillei in der
zu untersuchenden Haut nachxnweisen. (Dermatol. Centralbl., Januar
1913.) Das eizidierte Hautstuck wird in destilliertem Wasser so lange
gespült, bis es kein Blut mehr abgibt, dann mit Filtrierpapier abgetrocknet,
dann mit der .Pinzette gefasst und mit demselben über ein Deckgläs¬
chen gestrichen, zuweilen es stärker ausdrückend, wobei die Lepra¬
bacillen aus der Haut berausgepresst werden. Dann Färben der
lufttrockenen und über der Flamme fixierten Präparate.
Immerwahr.
Hübner-Marburg: Ist die Psoriasis eia Hantsymptom konsti¬
tutionell-bakterieller Erkrankungen oder eine eckte Hautkrankheit?
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Menzer’s Behauptungen
über die Tuberkulidnatur der Psoriasis sind unhaltbar. Die Psoriasis
ist eine echte Hautkrankheit. Ihre Aetiologie ist nach wie vor unbekannt.
Wolfsohn.
Kreibich-Prag: Zur Anatomie des Eczema seborrhoicnm nud der
seborrhoischen Warzen. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114,
H. 3.) Die Endothelien der Papillargefässe sind von feinster submorphiler
Lipoidsubstanz durchsetzt. Der Form nach sind es feinste Kügelchen,
neben vereinzelten etwas grosseren Tropfen oder länglichen, anscheinend
mehr kristalloiden Stäbchen. Ein Beleg dafür, dass die Epidermis das
Fett selbst erzeugt, und dass es nicht aus den Talgdrüsen stammt.
R. Sabouraud-Paris: Neue Untersuchungen über die Ursachen
der Alopecie (Alopecie und Menopause). (Annales de dermatol. et de
syphiligraphie, Februar 1913.) Bei der Frau gibt es eine Alopecie,
welche der Menopause und auch dem längeren Ausbleiben der Men¬
struation folgt. Auch nach Ovariotomien kann Alopecie auftreten. In
ganz seltenen Fällen tritt dieselbe während der Schwangerschaft auf.
In allen diesen Fällen ist die Alopecie meist gutartig. In einem Falle
von Orchitis tuberculosa bei einem 40jährigen Manne trat eine totale
unheilbare Alopecie auf, bevor die Kastration bei ihm ausgeführt wurde.
A. Pö hl mann-München: Beiträge zur Aetiologie der Alopecia
acuta mit experimentellen Untersuchungen über die Thalliumalopecie.
(Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Die Alopecia
acuta ist eine selbständige, von allen anderen Alopecien leicht unter¬
scheidbare Krankheit. Die meisten Fälle können klinisch nicht anders
als durch die Annahme einer Uebertragung eines noch unbekannten
Kontagiums erklärt werden. Ab und zu kommen jedoch auch Fälle von
traumatischer und neurotischer Alopecie zur Beobachtung, bei welchen
eine Infektion auszuschliessen ist. Endlich können auch ganz vereinzelt
toxische Ursachen eine der Acuta sehr ähnliche Alopecie hervorrufen.
M. Kaufmann-Wolf - Berlin: Klinische und histologische Beob¬
achtungen bei Hantmetastasen im Anschluss an Careinom innerer
Organe. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Zu¬
sammenstellung von 65 Fällen von sekundärem Hautcarcinom, welche
häufiger aufzutreten scheinen, als gewöhnlich angenommen wird. Das
weibliche Geschlecht wird häufiger befallen.
G. No bl-Wien: TrichoBtasis spinulosa. (Archiv f. Dermatol, u.
Syphilis, 1913, Bd. 114, H. 3.) Die Veränderung ist durch die dichte
Einstreuung aus den Follikeln hervortretender, 1—l 1 ^ mm langer, spitz
zulaufender, schwärzlich gefärbter feiner Stacheln gekennzeichnet. Histo¬
logisch bandelt es sich um garbenförmig durch lamellöse Hornhülsen und
Bänder 'zusammengehaltene Büschel bräunlich gefärbter Kolbenhaare, die
in Verbänden von 10 bis 40 zur Formation der einzelnen Stacheln bei¬
steuern. Aetiologisch muss die kongenitale oder frühzeitig erworbene
Disposition einzelner Follikularbezirke zu dystrophischen Störungen an¬
genommen werden.
P. Sobotka-Prag: Pnstnlöshyperkeratotisches Exanthem bei
gonorrhoischer Allgemeinerkrankung. (Dermatol. Wochenschr., 1913,
Bd. 56, Nr. 7 und 8.) Der Fall ist durch die ungewöhnliche Aus¬
breitung des Exanthems über nahezu die ganze Haut des Körpers, ferner
auch durch die grosse Zahl der gleichzeitig an gonorrhoischer Arthritis
erkrankten Gelenke bemerkenswert. Systematisch merkwürdig aber war
der Fall durch die in dieser Weise noch nicht beobachtete Umwandlung
von kleinsten trüben Bläschen in molluskenartige Gebilde und schliess¬
lich typische Effloreszenzen des „hyperkeratotischen“ Exanthems.
G. Hügel-Strassburg i. E.: Ueber die Wirkung des atoxylsanron
Quecksilbers bei der menschlichen Syphilis. (Dermatol. Wochenschr.,
1913, Bd. 56, Nr. 10.) Verf. war mit dem atoxylsauren QuecksilLer in
jeder Hinsicht äusserst zufrieden, bis er einen Fall von schwerer Arsen¬
intoxikation hatte. Das Arsen hat sich gerade in den organischen Benzol¬
verbindungen als ein intensives Nervengift herausgestellt, das die ver¬
schiedenen Nervencentren in der heftigsten Art befallen kann. In den
meisten Fällen wird es ja in der Form von Atoxyl, Arsacetin und
Salvarsan gut vertragen; wird es aber bei $jnem Patienten angewandt,
der eine Idiosynkrasie gegen Arsen hat, so sieht man die verschiedensten
Nervenvergiftungen auftreten, von den sogenannten Neurorecidiven
leichterer und schwererer Art bis zu den schwersten, in einigen Stunden
zum Tode führenden Intoxikationen.
Ch. An dry-Toulouse: ArsehbbeBZOl and Hämoptoe. Psoriasis und
Tuberkulose. (Annales de dermatol. et de syphiligraphie, Februar l^iS.)
An dry warnt davor, bei syphilitischen Phthisikern, welche zur Hämoptoe
neigen, Salvarsan anzuwenden, da die Hämoptoe gefährlich werden kann.
Ferner maoht er darauf aufmerksam, dass häufig Psoriasis und Tuber¬
kulose^ sich bei denselben Individuum» finden. Immertabt,
Siehe auch Innere Medizin: Lippmann, Aortitis auf Basis
kongenitaler Lues. — Kinderheilkunde: Comby und Vaugiraud,
Verrucöse Papeln der Vulva. — Therapie: Strauss, Kupferbehand¬
lung der äusseren Tuberkulose.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
W. Rubeska-Prag: Normales Sehw&ngerensernm bei Hyperemesis
gravidarum. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 9.) Auf Grund der
Mitteilungen von May er-Tübingen und Freund-Berlin hat Verf. in
2 Fällen von Hyperemesis die genannten Injektionen versucht. Er be¬
richtet sehr genau über die in seinen Fällen sich zeigenden Erschei¬
nungen und kommt zu dem Resultat, dass die Methode in seinen Fällen
völlig versagt bat, und dass also die Injektionen nicht als ein Heilmittel
der Hyperemesis anzusehen sind.
A. Mayer - Tübingen: Heilung der Eklampsie duroh intralambale
Injektion von normalem Sehwangerscbaftssernm. (Centralbl. f. Gy¬
näkol., 1913, Nr. 9.) Verf. knüpft an seinen in Nr. 37, 1911, veröffent¬
lichten Fall an, in welchem er durch intravenöse Injektion von normalem
Schwangerenserum eine schwere Eklampsie unentbunden heilen sah. Er
hat nun dieselbe Methode intralumbal angewendet erstens bei einer
Kreissenden mit schwerer Eklampsie durch Injektion in den Lumbalsack,
zweitens bei einem Neugeborenen, dessen Mutter an leichter Eklampsie
litt. Beide starben zwar, jedoch zeigten sich bei der erstgenannten
Patientin so schwere Veränderungen der inneren Organe, dass man den
Fall nicht als Gegenbeweis ansehen kann. Bei dem Kinde hörte die
Eklampsie sofort auf, alle bedrohlichen Symptome besserten sich. Trotz¬
dem staib auch das Kind an Herzschwäche.
B. Stange - Magdeburg: Zur Eklampsiefrage. (Centralbl. f. Gy¬
näkol., 1913, Nr. 9.) Verf. hat das Abderhalden’sche Dialysierverfabren
auch bei zwei Fällen von Eklampsie angewendet und kommt zu dem
Resultat, dass das Serum die eigene Eklampsieplacenta viel stärker ab¬
gebaut hat als die normale. Es wurden die fremden eklamptischen
Placenten stärker abgebaut als die eigenen, normalen, was beweist, dass
die Ursachen dieser Erscheinungen in der Placenta liegen. Es ist also
nicht unwahrscheinlich, dass das Auftreten des eklamptischen Symptomeu-
komplexes mit der gesteigerten Abbaufähigkeit in Zusammenhang steht.
In beiden Fällen hatte der Organismus noch nicht die Kraft verloren,
abbauende Fermente zu bilden, deshalb trat Genesung ein. Ob die
stärkere Abbaufähigkeit sich plötzlich entwickelt oder sich lange vor¬
bereitet, müssen erst noch weitere Untersuchungen ergeben.
A. J. Jarzew - Moskau: Ueber Pathogenese und Behandlung der
Eklampsie. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 9.) Verf. steht auf dem
Standpunkt von Engelmann, dass die Eklampsie ihre Entstehung einer
erhöhten Viscosität zu verdanken hat. Er acceptiert die physikalisch¬
mechanische Theorie und erklärt die anfänglichen Misserfolge seiner
Untersuchungen damit, dass asphyktisches Blut schwerer gerinnt als
normales. Deshalb muss zu den Untersuchungen das Blut erst ent¬
nommen werden, wenn sich die Patientin vom Anfall erholt hat. Die
ganze Theorie hat durch ihre Einfachheit etwas Bestechendes, die Ueber-
füllung der arteriellen Gefässe bewirkt eine Hirnhyperämie, Reizung des
vasomotorischen Centrums und Gefässkrampf. Infolgedessen Steigerung
des intrakraniellen Druckes und Konvulsionen, wie bei Hirngeschwülsten.
Dauert dieser Zustand an, so tritt in den perivaskulären Räumen und
in den Ventrikeln Flüssigkeit aus, was zur Erklärung der ganzen Er¬
scheinungen genügt. Dazu kommt noch die unzweifelhaft feststehende
Tatsache der Ueberfüllung des Blutes mit Eiweisszerfallsprodukten, wie
Globulin, Kreatin, Kreatinin, Karbaminsäure, Milchsäure usw. Hierfür
kennt Verf. aber nur eine Ursache: den Ausfall der Funktion der Pla¬
centa. Woher dieser aber entsteht, darüber wird leider nichts gesagt.
Als Therapie empfiehlt Verf.: Beschleunigung der Entbindung mit mög¬
lichster Schonung (z. B. keine Metreuryse), ausgiebigen Gebrauch der
Narkotica nach den Vorschriften Stroganoff’s, Aderlass, Kochsalz¬
infusionen. Ob man zum Kaiserschnitt und zur blutigen Dilatation
schreiten soll, ist nur nach der Schwere der einzelnen Fälle zu ent¬
scheiden, ein Prinzip lässt sich bisher nicht darüber aufstellen.
Uthmöller - Osnabrück: Zur Behandlung der Eklampsie. (Central-
blatt f. Gynäkol., 1913, No. 9.) Verf. hält die Anwendung grosser Ader¬
lässe jeder anderen Therapie für überlegen. Er kommt unter Hinzu¬
ziehung seiner früher mitgeteilten Fälle zu einer Mortalität von 8,3 pCt.
Unter den hier beschriebenen Fällen sind 5 Wochenbetteklampsien, drei
ante partum, dabei nur ein Todesfall. Er entnimmt gleich mit einem.
Male sehr grosse Mengen von Blut und geht bis zu 1250 ccm. In 7 von
seinen 8 Fällen cessierten. die Krämpfe sofort. Er hält es für mogliab,
dass man so die Narkotica entbehren kann und dass man namentlich
das StroganofFsche Sohema völlig beiseite lassen kann. Den Unterschied,
den Lichtenstein zwischen Früh- und Wochenbetteklampsie macht,
kann er nicht anerkennen, weil wir nie wissen, wann das Ueberhand-
nehmen des eklamptischen Giftes begonnen hat. Siefart.
R. Marek-Prossnitz: Impetigo herpetiforais Hebra, zugleich ein
Beitrag zur Klärung der Pathogenese dieser Erkrankung. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Es ist möglich, dass es sich bei der Im¬
petigo herpetiformis um eine Kombination der Graviditätstetanie mit der
Schwangerschaftsintoxikation handelt. Wir müssen die Erkrankung zu
den gefährlichsten Komplikationen der Schwangerschaft rechnen, und es
dürfte angebracht sein, sofort nach Sicherstellung der Diagnose die
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31. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
615
Schwangerschaft za unterbrechen und nicht erst die Lebensfähigkeit der
Frucht abzuwarten. P. Hirsch.
Siehe auch Physiologie: Escher, Farbstoff des Corpus luteum.
Abderhalden, Spezifität der Schutzfermente.
Augenheilkunde.
Seidel: Ueber die Anwendung der Lokalanästhesie bei Exenteratio
orbitae. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Verwendet wurde einprozentige
Lösung von Novocain mit Adrenalin, die nach 28 Minuten eine ganz
schmerzlose Operation ermöglichte.
Meyer-Steineg: Augen ärztliche Instrumente der Alten. (Graefe’s
Archiv, Bd. 84, H. 1.) Aus der unter dem Einfluss Alexandriens stehen¬
den hellenistisch-römischen Epoche der Medizin, nämlich dem 2. Jahr¬
hundert v. Chr., hat Verf. eine Anzahl von augenärztlichen Instrumenten
ans Bronze aufgefunden, wie Spatel, Löffel, Lidsperrer, Cilienpinzette,
Kauter, Starnadel (aus Silber), ein silbernes Messerohen und ein zur
Empornähung benutztes Instrument.
L. Kugel: Ueber Knorpelausschälnng gegen Ectropium senile.
(Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die Ausscheidung der hinteren Lid¬
platte ist, obwohl der Bindehautsack dadurch verkürzt wird, dem Ver¬
fahren von Kuhnt-Szimanovski vorzuziehen. Die Verkürzung
vermeidet die Ausschälung des Lidknorpels, die zuverlässiger und besser
wirkt als die Kuhnt-Szimanovski’sehe Operation und vor Recidiven
sichert.
L. Kugel: Nachtrag: Ueber Knorpelausschälnng gegen Ectropium
senile. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) In einem Falle liess die Stellung
des auswärts gekehrten Lides zu wünschen übrig, so dass der Knorpel¬
ausschälung die Operation von Szimanovski nachgeschiokt werden
musste.
K. Lindner: Zur Biologie des Einschlussblennorrhöe-(Trachom-)
Viru. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Das von der Bindehaut des
Neugeborenen oder dem Genitale des Erwachsenen entnommene Virus
der Einschlussblennorrhoe erzeugt, auf die Bindehaut des Pavians ge¬
bracht, fast stets typische Einschlussconjunctivitis, die entweder akut
einsetzt, kürzer dauert und schneller heilt oder chronisch einsetzend
länger verläuft Die Einschlüsse oder freien Initialkörper sind nur kurze
Zeit nachweisbar. Das Virus ist gegen Eintrooknen, feuchte und hohe
Temperaturen sehr unbeständig. Trachom und Einschlussblennorrhoe
sind ätiologisch identisch.
M. v. Rohr und W. Stock: lieber eine Methode zur subjektiven
Prüfung von Brillen Wirkungen. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die
zu kurzem Bericht kaum geeignete Arbeit setzt frühere Mitteilungen der
Verff. fort.
Römer und Gebb: Weiterer Beitrag zur Frage der Anaphylaxie
durch Linseneiweiss. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Die Verff. halten
ihre Ein wände gegenüber den Resultaten von Krusius aufrecht. Ob
die Meerschweinchen ihrer Versuche mit homologem oder mit heterologem
Linseneiweiss vorbebandelt wurden, war gleichgültig: es traten keine
anaphylaktischen Symptome auf.
L. Andersen: Ein histologisch untersuchter Fall von papulös-
laotischer Iritis. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Der ausserordentlich
seltene Fall, dass der Bulbus einer an luetischer Iritis erkrankten Person
zur anatomischen Untersuchung kommt. Die Papel lag tief im Iris¬
gewebe, dicht vor dem Sphincter und enthielt keine für Syphilis
charakteristischen Zellelemente. Der Knoten war sicher kein Gumma,
sondern eine echte Papel.
I. Igersheimer: Syphilis and Aage. VII. Mitteilung: Beitrag zur
Klinik und pathologischen Anatomie der Augensyphilis. (Graefe’s Archiv,
Bd. 84, H. 1.) Verf. teilt den pathologisch-anatomischen Befund bei
einem Bulbus mit, der neben einer spezifischen Entzündung des vorderen
Uveaabschnittes eine spezifische, koordinierte Netzhautentzündung auf¬
wies, ohne dass die Aderhaut krankhaft verändert war.
Hajens: Zur Kenntnis der Retinitis exsudativa. (Graefe’s Arohiv,
Bd. 84, H. 1.) Aus dem mitgeteilten Falle folgert Verf., dass der Beginn
der Erkrankung eine Gefässalteration sei, die vielleicht kongenitalen Ur¬
sprungs ist.
A. Teil mann: Beitrag zur Frage der Amhlyopia sympathica
(Amblyopia sympathica maligna?). (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Ob¬
wohl die anatomische Untersuchung des mitgeteilten Falles nicht den
für sympathisierende Bulbi charakteristischen Befund ergab, glaubt Verf.,
die Diagnose „Amblyopia sympathica“ als Erklärung der Reizung und
Schwachsichtigkeit des nicht verletzten Auges aufrecht erhalten zu
können. Die Reizung verschwand nach der Enuoleation des sympathi¬
sierenden Auges, die retinale Amblyopie und Asthenopie, der mangel¬
hafte Licht- und Farbensinn, Lähmung des Sphincters und der Akkom¬
modation, schliesslich auch die Gesichtsfeldeinengung blieben bestehen.
G. Ischreyt: Zur pathologischen Anatomie der Netzhautablösung.
(Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Der Befund, dessen wesentlichstes Er¬
gebnis Glaskörperverdichtung ist, stützt die Leber-Nordenson’sche
Retraktionshypothese. 1
C. Harms; Arbeiten aus dem Gebiete der Pathologie des Central-
gefässsystems der Netihaat. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Verf.
berichtet über vier neue Fälle doppelseitiger .Erblindung bzw. Sehstorung
durch plötzliohen, gleichzeitigen oder ungleichseitigen Verschluss beider
A. centr. ret. oder ihrer Aeste und bespricht im Zusammenhang mit
ihnen die übrigen elf sicheren Beobachtungen anderer Verfasser. Die
Prognose ist in 40 pCt. der Fälle absolut ungünstig, in 60 pCt. besser.
A. de Klejn: Studien über Opticus and Retinateiden. (Graefe’s
Archiv, Bd. 84, H. 1.) In Verbindung mit N. Gerl ach teilt Verf.
„Pathologisch-anatomisches über den Zusammenhang zwischen Augen-
und Nasenleiden“ mit. Eine an Pansinusitis leidende Pat. starb an
akuter Pneumonie. Die mikroskopische Untersuchung liess einen Zu¬
sammenhang erkennen zwischen Infiltraten der Mucosa des Sin. sphenoid.
und circumscripten Infiltraten der Opticusscheiden gegenüber dem Sinus
sphenoid.
Seidel: Beitrag zur Frage des spontanen Auftretens isolierter
Sehnervenscheidenhämatome. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 1.) Plötz¬
liches Auftreten starker Sehstörung infolge von einseitiger Stauungs¬
papille bei einer Pat., die an Arteriosklerose mit Schrumpfniere litt und
eine Apoplexie erlitten hatte; wird auf eine isolierte Blutung in die Seh¬
nervenscheiden zurückgeführt. K. Steindorff.
Hygiene und Sanitätswesen.
W. Heimann - Göttingen: Ueber die durch einen sogenannten
„Paratyphus C“ -Bacillus verursachte Fleischvergiftungsepidemie in
Hildesheim im Frühjahr 1911. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt,
Orig., Bd. 66, H. 5 u. 6, S. 211.) Nach Genuss von Sohweinefleiseb,
das von Tieren stammte, die 11 Tage zuvor notgeschlachtet waren,
brach in Hildesheim eine Fleischvergiftungsepidemie aus, die, wie bak¬
teriologisch sichergestellt werden konnte, durch einen zur Enteritis-
Gärtner-Gruppe gehörigen Bacillus verursacht war. Dieser Stamm unter¬
schied sich von den gewöhnlichen Enteritisbacillen jedoch wesentlich
durch seine agglutininbindenden wie durch seine agglutininbildenden
antigenen Eigenschaften im Patientenserum und Kaninohenimmunserum.
M. 0. Romm und A. J. Balaschow - Kiew: Die Ruhrepidemien
der Jahre 1910/1911 in Kiew und ihre Erreger. (Centralbl. f.
Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 66, H. 2—4, S. 246.) Die in den
Jahren 1910/1911 in Kiew herrschenden Ruhrepidemien waren zum weit¬
aus grössten Teil (etwa 90 pCt.) durch Bacillen des Typus Shiga-Kruse
bedingt. Erkrankungen an Y- bzw. Flexner-Ruhr traten nur spora¬
disch auf und verliefen klinisch im allgemeinen viel leichter.
Bierotte.
K. J. Schopp er-Wien: Erfahrungen über die Cholera in
Ostravelien während des Balkankrieges 1912. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 10.) Nach Vorträgen in der Generalversammlung des
Wiener Aerztevereins am 6. Februar und in der k. k. Gesellschaft der
Aerzte in Wien am 27. B’ebruar 1918. Referat siehe den Sitzungsbericht
der k. k. Gesellschaft der Aerzte. P. Hirsch.
A. Wolff - Eisner - Berlin: Experimentelle Untersuchungen über
die von Aborten ausgehende Infektionsgefahr und ihre Verhütung.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Es besteht die Gefahr, dass
durch Verunreinigung der Abortplatten mit Infektionserregern wie Gono¬
kokken, Typhusbacillen usw. eine Weiterverbreitung erfolgen kann. Die
Clofeotor-Kompagnie hat einen Apparat angegeben, der, an dem Deckel
angebracht, Formalingase entwickelt und bis zu einem gewissen Grade die
Infektionserreger zu vernichten vermag. Dünner.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mandel,
Fleischvergiftung. Mayor, Eigenartige bakteriologische Befunde bei
Gesunden in der Umgebung Ruhrkranker. — Kinderheilkunde:
Brüning, Säuglingssterblichkeit in Mecklenburg-Schwerin.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
C. Waibel - Kempten: Verletzungen und traumatische Erkran¬
kungen und ihre Begutachtung in Unfallsachen. (Münchener med.
Wochensohr., 1913, Nr. 9.) Dünner.
JVUHtär-Sanitfttswesen.
J. Steiner-Wien: Feldärztliche Erfahrungen in der vordersten
Hilfszone. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 9.) Mitgeteilt in der
Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 14. Februar 1913.
Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
Verhandlungen Ärztlicher Gesellschaften.
Berliner ophthalmologische Gesellschaft.
Sitzung vom 23. Februar 1913.
1 . Hr. H. Lehmann: Zwei Fälle von Loehblldnng in der Macula,
der ein^e bei flacher centraler myopischer Ablatio retinae, der andere bei
fast totaler Ablatio retinae, die l 1 /* Jahre nach einer traumatischen
Durchbohrung eint^at.
2. H. West (a. G.): Demonstration einiger Patienten, denen er den
Tränensack, yon der Nase aus eröffnet hat. Das ( Verfahren ist der Bx-
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016
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
stirpation von aussen vorzuziehen, da es die physiologische Abfuhr der
Tränenflüssigkeit gewährleistet.
3. Hr. Ginsberg: Markhaltige Nervenfasern in der Netzhaut.
Es finden sich drei Herde, die 5—6 P.-D. von der Papille entfernt
liegen. Skotome waren nicht nachweisbar, die Sehschärfe = 1.
4. Hr. Adam: Demonstration von Kristallen in der Linse.
5. Hr. Napp:
Eigenartige Störung des Farbensinns bei zwei Soldaten.
Die Untersuchung mit Nagel’s Anomaloskop (Modell I und II),
Nagel - Köllner’s Farbengleichungslampe und Nagel’s Dreilichter¬
apparat wurde bestanden, während die Patienten bei Gohn’s und
Nagel’s Tafeln ganz, bei Stilling’s Tafeln teilweise versagten. Es
zeigt sich also, dass es Personen gibt, die sowohl an Nagel’s wie an
Stilling’s Tafeln nicht lesen könuen, ohne Dichromaten oder anomale
Trichromaten zu sein; dass die Prüfung mit Pigmentdrucken bisweilen
bei Personen mit normalem Farbensinn versagen kann; dass nicht
jeder, der eine normale Rayleigh-Gleichung einstellt, auch alle Tafeln
Stilling’s lesen kann. Stilling’s Tafeln sind denen Nagel’s also
nicht überlegen. Beide und ausserdem Nagel’s Anomaloskop sind zur
Prüfung des Farbensinns zu benutzen.
6. HHr. Schmidt und Haensch : Demonstration von Kngelepiskopen.
7. Hr. Kellner*. Tiefenseben bei einseitiger Myopie.
An dem „Dreifadenapparat“ arbeitet der Normale und die Mehrzahl
der korrigierten Anisometropen exakt, der Einäugige ist hilflos. Die Fein¬
heit des Tiefensehens in der Nähe bei einseitiger Myopie bis 4,0 bzw.
5,0 D. kann der normalen sehr nahe kommen, doch darf man nicht ver¬
allgemeinern und nicht von künstlicher auf natürliche Anisometropie
schliessen, da bei jener das Tiefensehen durchschnittlich viel geringer
ist. Annäherung und Uebung fördern das Tiefensehen, der grosse Ein¬
fluss des Gesichtswinkels benachteiligt es. Das Tiefensehen des ein¬
seitig Myopischen hat seinen Grund nicht in der Breite der Zerstreuungs¬
kreise, sondern im „Reizraaximum“. In der Strecke zwischen Fernpunkt
des myopischen und Nahepunkt des emmetropischen Auges „führt“ bei
einseitiger Myopie bald das eine, bald das andere Auge. Wird das Ob¬
jekt näher an das myopische Auge gebracht, so führt dieses. Beim
Lesen wird von einseitig Myopischen durchaus nicht in der Nähe das
myopische, in der Ferne das emmetropische Auge als führendes ge¬
braucht, sondern die Entfernung des Objekts ist bei Myopie von 8 bis
5 D. für den Gebrauch maassgebend. Im Interesse des Tiefensehens
korrigiere man entweder dauernd oder gar nicht.
8. Hr. Wätzold: Tumeren der Caruncula lacrimalis.
Unter 60000 Patienten sah W. 6 Fälle: je ein Papillom, Fibrom,
Fibroadenom, Dermoid und 2 Naevi. Bei dem Dermoid zerstörte Elektrolyse
die Kapsel und rief ein Granulationsgewebe mit zahlreichen Fremdkörper¬
riesenzellen hervor. Kurt Steindorff.
Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik
zu Berlin.
Sitzung vom 20. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Dietrich.
Schriftführer: Herr Lennhoff.
Tagesordnung.
Hr. Mngdan:
Die hygienische and soziale Bedeutung des Versicheriagsgesetzes fdr
Angestellte.
Eine grosse Zahl der in der Industrie und Handel angestellten
Personen gelangt nicht mehr zur Selbständigkeit; diese Privatbeamten
standen bis zur Einführung des Versicherungsgesetzes für Angestellte
schlechter da als die Staatsbeamten, indem für sie nicht gesorgt war
gegen frühzeitige Berufsunfähigkeit, für die Hinterbliebenen und für den
Verlust der Stellung, die besonders im Alter eintreten kann und dann
um so schlimmer wirkt, da die Erlanguog einer neuen Stellung
schwierig ist.
Das neue Gesetz lehnt sich in mancher Beziehung an die Invaliden¬
versicherung für Arbeiter an, hat aber auch manohe Verschiedenheiten.
So wird der Kreis der Versicherten nicht genau umschrieben, denn es
heisst in dem Gesetz, wo die Versicherten aufgeführt werden, „und andere
Angestellte mit ähnlicher Vorbildung“. Es besteht für ganz Deutsch¬
land nur ein Versicherungsträger, der mehrere Organe hat (Direktorium,
Versicherungsrat, Vertrauensmänner, Rentenausschüsse). Zur Erledigung
von Streitigkeiten sind Schiedsgerichte und Obersohiedsgerichte einge¬
richtet. Die Mittel werden aufgebracht durch Arbeitgeber und Angestellte
zu gleichen Teilen, der Beitrag beträgt etwa 8pCt. des Gehaltes. Der
Teil der Angestellten, der bis zu 2000 Mark verdient, ist doppelt ver¬
sichert, nämlich zugleich auch in der Invalidenversicherung. Es empfiehlt
sieb auch bei der Angestelltenversicherung, die Versicherung freiwillig
fortzusetzen. Beide Versicherungen zusammen leisten das, was der
Staat seinen Beamten gewährt.
Die Leistungen sind: 1. Die Fürsorge gegen die Berufsunfähigkeit,
d. h. wenn der Angestellte nicht mehr die Hälfte dessen verdient, was
der auf Grund des § 1 Versicherte zu verdienen pflegt. Ueber die
Schwierigkeiten, die entstehen, wenn Invalidengeld und Ruhegeld zu
gleicher Zeit verlangt werden, hat Mamelok schon gesprochen (vergl.
den Bericht über die Sitzung vom 29. XII. 1912). 2. Die Fürsorge für
die Hinterbliebenen. Für beides ist eine Wartezeit von 10 Jahren für
Männer und von 5 Jahren für Frauen vorgesehen. Das Ruhegeld beträgt
für Männer V4 der Beiträge in den 10 Jahren und Vs der weiteren Bei¬
träge, für Frauen V* der Beiträge der 60 Beitragsmonate. Die Hinter¬
bliebenenrente für Frauen und Kinder (auch uneheliche) wird im Gegen¬
satz zur Invalidenversicherung gewährt erwerbsfähigen Witwen und den
Kindern bis zum vollendeten 18. statt 15. Lebensjahr. Sich verheiratende
weibliche Angestellte erhalten einen Teil der Beiträge zurückerstattet,
auf Wunsch auch in Form einer Leibrente, dooh ist die Fortsetzung der
freiwilligen Versicherung anzuraten. Die Witwenrente ist 2 /s und die
Waisenrente 7s des Ruhegeldes. Die Versicherung leistet im Verhältnis
zu den privaten Versicherungsgesellschaften Bedeutendes, besonders wenn
man bedenkt, dass auch die schlechten Risiken aufgenommen werden
müssen.
Die dritte und hygienisch wichtigste Leistung ist das Heilverfahren
zur Verhütung der Berufsunfähigkeit. Für die Aerzte werden dadurch
Unzuträglichkeiten entstehen, einmal durch die Bevorzugung der Kreis¬
ärzte bei der Gutachtertätigkeit und andererseits durch Verringerung
der Einnahmen in der freien Praxis, indem für die Angestellten Heil¬
stätten errichtet werden. Trotzdem ist die Errichtung von Heilstätten
vom hygienischen Standpunkt nur zu begrüssen.
Die sozialpolitische Bedeutung der Beiträge zur Versicherung lässt
sich dahin definieren, dass sie eine andere Form des Gehaltes sind,
ähnlich wie das Gehalt der Staatsbeamten ergänzt wird durch die Pension
und Relikten Versorgung. Der Angestellte wird durch den Staat ge¬
zwungen, 4pCt. seines Gehaltes zu sparen. Es wird im Gegensatz zu
mancher Ansicht dadurch der Sparsinn geweckt, da die Bevölkerung ein¬
sieht, dass dieses nicht genügt und sich noch ausserdem privatim ver¬
sichert. Ob es deshalb erzieherisch wirkt, wenn der Arbeitgeber für
den Angestellten die Beiträge bezahlt, wie es vielfach bei der Invaliden¬
versicherung der Dienstboten geschieht, ist fraglich. Ein weiterer Vor¬
wurf, dass die Versicherung die Bevölkerung verweichliche, ist dahin zu
beantworten, dass es kulturell richtiger ist, den Kampf ums Dasein zu
mildern, das Leben der Bevölkerung wird dadurch sorgenfreier und besser.
Die Gesetzgebung wird auch auf den Geburtenrückgang günstig ein¬
wirken, da durch die durch das Gesetz bewirkte spätere Versorgung
mehr Leute heiraten werden, wenn sie wissen, dass sie und ihre Frau
und ihre Kinder vor der äussersten Not geschützt sind. Ausserdem
wird durch das Zusammenarbeiten der Arbeitgeber und der Angestellten
ein besseres Einvernehmen mit der Zeit hergestellt werden, wenn auch
nicht sofort; schon heute spielen sich die Kämpfe zwischen Arbeitern
und Unternehmern anders ab, wie noch vor 30 Jahren. Ohne die Mit¬
arbeit der Aerzte kann aber das Qesptz die gewünschten Erfolge nicht
haben, es ist deshalb die Pflicht dejr maassgebenden Organe, diese Mit¬
arbeit nach Möglichkeit zu erleichtern. J. Lilienthal.
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 13. Februar 1918.
Vorsitzender: Herr Rössle.
1. Diskussion zum Vortrage des Herrn Maurer rora
30. Januar 1913.
Hr. Riedel: Bei einem Kinde, dessen Vater an einer leichten an¬
geborenen Störung des Mittelohres leidet, bestand von Geburt an am
Kieferwinkel eine Fistel. Bei der Operation, die in Rücksicht auf
meningitische Reizerscheinungen ausgefübrt wurde, zeigte sich, dass die
Fistel vor dem Processus styloideus in das Mittelohr mündete. Die Ex¬
stirpation des Fistelgauges gelang bis auf den vom Processus styloideus
gedeckten Teil. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Missbildung,
die vom ersten Kiemengang ausgeht. Vielleicht kommen ähnliche Miss¬
bildungen auch bei drei anderen Patienten in Betracht, die Vortr. wegen
sehr tief liegender Phlegmonen am Kieferwinkel operieren musste, und
die sich bis an die Schädelbasis verfolgen Hessen. Da wegen der Dicke
des Knochens die Fortleitung einer Entzündung des Mittelohrs ausge¬
schlossen erscheint, solche auch klinisch nicht vorhanden war, vermutet
Vortr. angeborene Veränderungen im Sinne divertikelartiger Ausstülpung
des Mittelohres durch den kompakten Knochen hindurch, und zwar auf
dem Grunde von Hemmungsmissbildung. Bei einer 40 jährigen Frau mit
klinisch recidivierenden Schmerzen hinter dem Ohr fand er bei der Ope¬
ration einen langen bindegewebigen, zum Teil verkalkten Fortsatz, der
von der Schädelbasis ausging. Dahinter lag noch ein ähnliches Gebilde,
von dem ein Teil des Musculus biventer entsprang. Vielleicht gehört
auch dieser Befund in das Kapitel der Missbildungen des ersten Kiemen¬
bogens.
Hr. Rössle fragt, ob bekannt ist, in wieviel Fällen sioh der post-
branchiale Körper erhält, und ob er vielleicht für die sonst rätselhaft
erscheinende Entstehung von Plattenepithelcaroinomen in der Schilddrüse
verantwortlich gemacht werden kann.
Hr. Maurer besitzt über die letzte Frage keine Erfahrungen. Da
der postbranchiale Körper Cylinderepithel enthält, glaubt er nicht, dass
er als Quelle von Plattenepithelcaroinomen in Betracht kommen könnte.
Mit den Ausführungen des Herrn Riedel stimmt er im wesentlichen
überein, nur glaubt er, dass de* beschriebene Fistelgang sekundär aus
einer Cyste entstanden sei, und dass die eigentümlichen Fortsätze des
letzten Falles auf das primäre Kiefergelenk, wie es bei Amphibien
dauernd besteht, zurückzuführen sei. ,
Hr. v. Bardeleben schHesst sich dieser Definition an.
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81. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
617
2 . Hr. Berger: Zwei Fälle von familiäre; amaarotischer Idiotie.
Die Kinder stammen aus nervengesunder Familie. Hereditäre Lues
liegt nicht vor. Sie erkrankten beide nacheinander mit einer rasch zu
Amaurose führenden Sehstörung unter dem klinischen Bilde der Retinitis
pigmentosa. Später setzten bei den ursprünglich ganz normalen Kindern
epileptiforme Krämpfe ein, die auffallend rasch zur Verblödung führten.
Die erste Kranke starb mit 19 Jahren, während das zweite Kind noch
lebt. Die Sektion ergab keinen makroskopischen Befund. Dagegen
wurden bei der histologischen Untersuchung die typischen Veränderungen
sämtlicher Ganglienzellen des Centralnervensystems nacbgewiesen, wie
sie namentlich von Spielmeyer in letzter Zeit beschrieben wurden,
wogegen die Fibrillen völlig intakt, nur durch eigenartige Massen aus-
einandergedrängt erschienen. Das Sohädeldach war auffallend dick.
Diskussion.
Hr. Stock weist darauf hin, dass nicht das gewöhnliche Bild der
Retinitis pigmentosa in derartigen Fällen vorliegt, sondern dass es sich
um eine primäre Erkrankung der Ganglienzellen der Retina handelt.
Hr. Schaeffer bestätigt, dass es schwer ist, die Diagnose zu stellen,
zumal bei seiner Beobachtung die Demenz in den Hintergrund trat.
3. Hr. Berger: Traimatisehe Läsion des Kleinhirns.
Nach Sturz auf den Hinterkopf stellten sich bei einem 14 jährigen
Mädchen Symptome von cerebellarer Ataxie ein. Es wird eine Cyste
in der rechten Kleinhirnhemisphäre vermutet. Die Operation soll dem¬
nächst stattfinden. An einem anderen Falle zeigte Vortr. die bekannte
Schwierigkeit der Diagnose von Kleinhirntumoren. Bei einem 24 jährigen
Manne wurde ein Tumor des rechten Schläfenlappens vermutet. Es
handelte sich jedoch um eine Cyste des linken Kleinhirns, die den linken
Seiten Ventrikel komprimiert und zu Erweiterung des rechten Ventrikels
im Sinne des Hydrocephalus internus Veranlassung gegeben hatte.
Dieser erklärte die für einen Tumor des rechten Schläfenlappens sprechen¬
den Symptome.
Diskussion.
Hr. Stintzing erwähnt einen Fall von Kleinhirntumor mit unge¬
wöhnlich niedrigem Drucke der Lumbalflüssigkeit und nimmt Anlass,
die Gefahrlosigkeit der Spinalpunktion bei Hirntumoren anlässlich
seiner grossen Zahl von Beobachtungen zu betonen. Palliativ empfiehlt
er den Eingriff nicht.
Hr. Reichmann weist darauf hin, dass die Lumbalpunktion in
Seitenlage vorgenommen werden muss, dass bei fehlender Druckerhöhung
nur wenig Liquor abgelassen werden dürfe, dass dann aber die Lumbal¬
punktion bei Hirntumoren gefahrlos sei.
4. Hr. Hegiier: Embolie der Arteria centralis retiiae.
Bei einem Kranken mit schwerer Endocarditis verrucosa trat einige
Wochen vor dem Tode eine Embolie der Centralarterie ein mit typischem
ophthalmoskopischem Befunde. Die Untersuchung des Bulbus ergab den
Thrombus nabe der Papille. Durch die in ihm vorhandenen Mikro¬
organismen war es zu einer eiterigen Zerstörung der Gefässwand ge¬
kommen, so dass sich ein Aneurysma hatte entwickeln können. Der
Embolus lag scheinbar ausserhalb der Gefässwand.
5. Hr. Abrens: Ueber Endoskopie.
Wenn man über ein Cystoskop eine durchsichtige Gummiblase be¬
festigt nnd diese mit Wasser anfüllt, gelingt die Inspektion von Körper¬
höhlen, die sonst der endoskopischen Betrachtung nicht zugängig sind.
Der durchsichtige Blaseninhalt ersetzt die für die cystoskopische Be¬
trachtung notwendige Flüssigkeit. Auf diese Weise können Empyeme,
Gallenblasen, eiterige Blasenfisteln mit Cystitis usw. besichtigt werden.
6 . Hr. Klaubammer: Puerperale Sepsis.
Als Krankheitserreger wurden im Blute Staphylokokken nachge¬
wiesen; Collargol versagte. Die Abderhalden’sche Reaktion war noch
fünf Wochen post partum positiv. Wenige Tage vor dem Tode trat
eine doppelseitige metastatische Ophthalmie auf.
7. Hr. Erggelet: Metastatische Ophthalmie.
Der Mitteilung liegt die histologische Untersuchung der Bulbi des
vorher besprochenen Falles zugrunde. Der bestätigt die fast letale
Prognose, die bei Pyämie mit doppelseitiger Panophthalmie gestellt
werden kann. Die primäre Lokalisation ist in der Retina zu suchen,
von wo aus die sekundäre Infektion des übrigen Bulbus erfolgte.
Diskussion: Hr. Stock weist darauf hin, dass die hämatogene
Tuberkulose gewöhnlioh vom Uvealtractus ausgeht, während septisoh-
pyämische Prozesse sich primär in der Retina ansiedeln.
Freiburger medizinische Gesellschaft.
Sitzung vom 18. Februar 1913.
1 . Hr. Aschoff:
Beiträge zur Frage des Cholesterinstoffwechsels und der Cholesterin¬
aasscheidung. (Nach Beobachtungen des Dr. Mac Nee).
Zur Frage der Herkunft der Cholesterinester im Blut wurden von
englischen Autoren Fütterungsversuche angestellt, die negativ verliefen,
während voq An itsob ko w und Chalatownach Cholesterinfütterung eine
Ueberschwemmung des Organismus mit Cholesterinestern gefunden
wurde.
Vortr. konnte bei intraperitonealer Injektion von Cholesterin in
nooh nicht abgeschlossenen Versuchen nur eine gering« Vermehrung der
Ester in den Organen finden,. sohliesst daraus, dass die Ester im
Organismus aus den Komponenten gebildet worden können. Unter¬
suchungen über den Cholesteringehalt der Galle ergaben in der Leichen¬
galle etwas höhere Werte als in der Fistelgalle, noch höhere in der Galle
von Schwangeren. Die Cholesterinsteinbildung in der Gallenblase ist eine
Folge einer Stoffwechselstörung die unter Vermehrung des Cholesterin
im Blut eine vermehrte Ausscheidung in der Galle verursacht. Beim
Icterus der mit Toluylendiamin vergifteten Tiere lässt sich eine Ver¬
mehrung des Cholesterin im Blut nachweisen.
2. Hr. Bacmeister: Cholesterinämie bei inneren Erkrankungen
Beim gesunden Menschen findet man einen konstanten Cholesterin¬
gehalt des Blutes, der nur bei cholesterinreichen Mahlzeiten (z. B. Ei¬
gelb) ansteigt.
Das Blut von Kranken wurde morgens nüchtern untersucht.
Die Verteilung des Cholesterins zwischen Serum und Blutkörperchen
ist immer konstant (55 pCt.: 45 pCt.), so dass es gleichgültig ist, ob
man Serum oder Gesamtblut untersucht. Der Cholesteringehalt des
Blutes ist vermehrt: bei Nephritis, unabhängig von Eiweissgehalt, umso
stärker, je stärker die Funktionsstörung der Niere; ferner bei frischen
Fällen von Atherosklerose, nicht bei veralteteten Fällen, entsprechend
dem Cholesterinestervorkommen in den Gefässwänden; ferner bei Diabetes,
besonders den schweren Formen und bei Fettsucht. Bei Gicht ist der
Befund normal.
Der Cholesteringehalt des Blutes ist vermindert bei allen cachek-
tischen Zuständen, insbesondere Tuberkulose und Carcinom, unabhängig
von etwaiger gleichzeitiger Fettablagerung in Organen. Bei Fieber je
nach der Höhe, unabhängig von der Dauer ist das Cholesterin im Blut
vermindert, um nach Abklingen wieder anzusteigen. Nach Typhus ist
eine sekundäre Steigerung zu beobachten.
8 . Hr. Schlimpert:
Cholesterinämie bei geburtshilflichen and gynäkologischen Fällen.
(Untersuchung von M. Huffmann).
Die Methode der Versuche des Vortr. und des Vorredners ist von
Herrn Autenrieth angegeben: Das Blut wird mit 50proz. Kalilauge
gekocht und im Chloroformextrakt kolorimetrisch nach Ausführung der
Liebermeister’schen Reaktion das Cholesterin bestimmt. Die Resultate
bestätigen die Befunde französischer Autoren: In der Gravidität steigt
der Cholesteringehalt des Blutes an und ist vom sechsten Monat an
nachweislich vermehrt, erreicht gegen Ende der Zeit seinen Höhepunkt,
um nach der Entbindung ziemlich rasch wieder abzufallen. Das Still¬
geschäft hat auf das Cholesterin im Blut keinen Einfluss. Bei kachekti-
schen Zuständen infolge von Tumoren und bei schweren sekundären
Anämien ist das Cholesterin im Blut vermindert. Menses und Radium¬
bestrahlungen waren ohne Einfluss, dagegen worden bei Narkosen er¬
hebliche Anstiege des Blutcholesterins beobachtet. * Im Liquor cere¬
brospinalis wurde kein Cholesterin gefunden.
4. Hr. Landaa: Nebenniere nnd Fettstoffwechsel.
Französische Autoren stellten die Hypothese auf, die Nebennieren¬
rinde sei die Quelle der Cholesterinester. Fettvermehrung der Neben¬
nierenrinde kommt vor bei Zuständen, in denen der Stoffwechsel ver¬
mindert ist (z. B. Circulationsstörungen, Nephritis), bei Zerstörungspro¬
zessen lipoidreicher Organe (Leber, Nervensystem), bei grösseren
Eiterungen und bei Stoffwanderungen (Gravidität, Tumoren, Diabetes).
Es handelt sich dabei um eine Retention oder um eine vermehrte Pro¬
duktion der Lipoide; die Anhäufung in der Nebennierenrinde ist demnach
als sekundärer Prozess aufzufassen.
Ein derartiger Parallelismus besteht jedoch nicht immer. Bei
Diabetes kann der Befund wechseln, bei Inanition kommt ohne Vermeh¬
rung des Blutcholesterins eine Anhäufung von Cholesterinestern in der
Nebennierenrinde vor, die Vortr. als toxischen Prozess auffasst. Vortr.
glaubt nach diesen Befunden die Hypothese der französichen Autoren
nicht annehmen zu können und möchte der Nebennierenrinde nur die
Rolle der Produktionsstätte für die Lipoide des sympathischen Nerven¬
systems zusprechen.
Diskussion zu allen Vorträgen.
Hr. Bac meist er nimmt die vom Vorredner geäusserte Ansicht über
die Herkunft des Cholesterins der Nebenniere an. In der Cerebrospinal¬
flüssigkeit hat er normalerweise auch kein Cholesterin gefunden, das
jedoch darin in geringer Menge bei Entzündungen nachzuweisen ist.
Ebenso verhalten sich Transsudate und Exsudate. Das Cholesterin
befindet sich in der Lösung, nicht in den Formbestandteilen.
Hr. Hahn erwähnt eigene ältere Untersuchungen über das Ver¬
halten des Petrolätherextraktes bei der Autodigestion von Organen. Er
hält zur Beurteilung der Cholesterinbefunde eine gleichzeitige Bestim¬
mung des Gesamtfetts für erforderlich. Auch eine Beziehung der von
den Vorrednern gefundenen Cholesterinmengen auf den Trockenrück¬
stand ist nicht ersichtlich, die vielfach von entscheidender Bedeutung
wäre. Auf seine Anfrage stellt Herr MacNee fest, dass sich seine
Zahlen auf die feuchte Substanz beziehen.
Hr. Bacmeister möchte seine Versuche lediglich als Sammlung
von Beobachtungsmaterial gedeutet wissen und sich auf keine
theoretische Deutung einlassen.
HHr. Aschoff und Landau weisen auf die Sonderstellung des
Cholesterins im Organismus hin, das unentbehrlich und vielfach ver¬
wendet und transportiert, doch wahrscheinlich vom Tier Weder gebildet
noch verbrannt werden kann. Fromherz.
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618
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Brief aus Moskau.
Aus den russischen medizinischen Gesellschaften.
Auf dem II. russischen Bakteriologentag zu Moskau im April 1912
sprach Frau M. Margulies - St. Petersburg über die Anwesenheit
spezifischer Antikörper in dem Serum mit Salvarsan be¬
handelter Tiere. Die Vortragende injizierte mit Trypanosomen infi¬
zierten Ratten intraperitoneal das Serum von Ratten, die mittels Sal-
varsans von Trypanosomiasis geheilt worden waren. Gleichzeitig wurde
behufs Kontrolle mit Trypanosomen infizierten Tieren das Serum ge¬
sunder Ratten eingespritzt, die trotzdem ebenfalls Salvarsan ein verleibt
erhalten hatten. Im ersteren Falle trat eine ausgesprochene curative
Wirkung ein: am 5. bis 6. Tag nämlich verschwanden die Trypanosomen,
aber nach einiger Zeit fanden sie sich von neuem ein, es batte sich
somit ein Recidiv eingestellt. Im zweiten Falle kam nicht die geringste
Heilwirkung zur Beobachtung. Die Schutzwirkung dos Serums der
mittels Salvarsans geheilten Ratten äusserte sich darin, dass die In¬
kubationsperiode von 24—48 Stunden bis auf 26 Tage ausgedehnt
wurde; eine Erkrankung trat dennoch unweigerlich ein. Diese Versuche
sollen beweisen, dass das Salvarsan im Blute die Bildung spezifischer
Antikörper — höchstwahrscheinlich von Antiendotoxinen infolge rascher
und energischer Parasitolyse — hervorrufe, und dass das diese Sub¬
stanzen enthaltende Serum schwache präventive und curative Eigen¬
schaften besitze.
In der wissenschaftlichen Konferenz der Aerzte des Militär¬
hospitals zu Kasan teilte P. Gluschkow seine Beobachtungen über die
Autoserotherapie bei der Behandlung der Gonitis mit. In
zwei Fällen von Hydrops des Kniegelenks wandte der Vortragende mit
glänzendem Erfolg die Autoserotherapie nach Gilbert an. In dem
einen Falle konnte trotz 132 Tage langer Behandlung mit den üblichen
Mitteln und Verfahren ein befriedigendes Resultat nicht erzielt werden:
das Exsudat im Gelenk wollte nicht schwinden. Nach Anwendung der
Autoserotherapie (subcutane Injektion von 2 ccm des serofibrinösen
Gelenkinbalts) begann das Exsudat sich allmählich zu verringern und
war nach 12 Tagen vollständig resorbiert. In dem anderen Falle
wurden unter Hintansetzung jeglicher sonstigen Therapie dem Kranken
8 ccm des Exsudates subcutan injiziert, worauf nach 15 Tagen das Ex¬
sudat völlig geschwunden war.
In der russischen chirurgischen Pirogoff-Gesellschaft zu St. Peters¬
burg hielt A. Iljin einen Vortrag über die ascendierende In¬
fektion der Nieren nach Implantation der Harnleiter in den
Darm und ihre Bekämpfung durch Schutzimpfung und
Vaccinetherapie. Bei 11 Kranken, an denen die Operation der
Ureterimplantation in den Darm ausgeführt worden war und die sämtlich
die Symptome einer Pyelitis oder Pyelonephritis darboten, wandte der
Vortragende angesichts der Erfolglosigkeit der gewöhnlichen therapeutischen
Maassnahmen die Vaccinebehandlung (Colivaccination) an. Das Ergebnis
der Impfbehandlung war, dass in zwei Fällen (Pyelitis und Pyelo¬
nephritis) sämtliche Anzeichen einer Nierenaffektion vollkommen
schwanden, in einem Falle (Pyelitis) eine hochgradige Besserung eintrat
und in einem Falle (akute Pyelitis) von der Vaccination Abstand ge¬
nommen werden musste. Da bei der Implantation der Harnleiter die
Möglichkeit, dem Eintritt einer Nierenaffektion vorzubeugen oder sie
wenigstens beträchtlich abzuschwächen, von viel grösserem Werte wäre
als eine nachträgliche Behandlung, so stellte Iljin eine Reihe von Tier¬
versuchen an, um die Bedeutung der Schutzimpfung bei der Ableitung
des Harns in den Darm klarzulegen. Ein Teil der Tiere wurde mit
reinem Colivaccin, der andere mit einem Gemisch aus Colivaccin und
polyvalentem Staphylokokkenvaccin vorbehandelt. Von den 7 Hunden
•mit beiderseitiger Ureterenimplantation gingen nun 2 kurz nach der
Operation an zufälligen Ursachen zugrunde, während die übrigen 5
weder an eitriger Peritonitis, noch an akuter eitriger Pyelonephritis er¬
krankten. Diese überraschend günstigen Ergebnisse sind wohl gänzlich
auf Rechnung der Schutzimpfung zu setzen.
In der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau berichtete A. Gold¬
berg über seine Erfahrungen mit der Radiumemanation als Heil¬
mittel bei Gicht und Rheumatismus, ln Behandlung gelangten
ca. 30 Personen, die an gichtischen und rheumatischen Erkrankungen
von verschiedener Dauer und Schwere litten. Alle wurden sie ambula¬
torisch einer Trinkkur unterzogen, und zwar erhielten die Patienten
1000 Macheeinheiten täglich in V 2 Liter Wasser. Die erzielten Resultate
waren im allgemeinen recht gute. Mit keinem der bis dahin benutzten
Mittel war bei derartigen Kranken auch nur ein annähernd gleich guter
Erfolg zu erzielen. Der Vortragende kommt daher zu dem Schluss, dass
wir bei Gelenkleiden rheumatischer und gichtischer Natur in der Kadium-
eman&tion ein sehr wirksames Heilmittel besitzen. In leichten Fällen
ist fast stets eine völlige Genesung oder erhebliche Besserung zu kon¬
statieren. In Fällen jedoch mit bedeutenden anatomischen Verände¬
rungen ist natürlich auf eine Restitutio ad integrum der Knochen und
Knorpel nicht zu rechuen, aber die entzündlichen Veränderungen der
Weichteile verschwinden meist. Ein Schwinden oder eine Abnahme der
Schmerzen wird in fast sämtlichen Fällen beobachtet.
ln ' der mikrobiologischen Gesellschaft zu St. Petersburg machte
N. Ssyrensky Mitteilung über den Gehalt der Sera bei Ab¬
dominaltyphus und croupöser Pneumonie an hämolytischem
Komplement. Die im Institut für experimentelle Medizin zu Peters¬
burg ausgeführten Untersuchungen ergaben, dass in den «Seren an
croupöser Pneumonie und an Unterleibstyphus Erkrankter hämolytisohes
Komplement in grösserer Menge enthalten ist als im Serum gesunder
Personen. Ein gesteigerter Komplementgehalt ist auch einige Zeit nach
der Genesung vom Abdominaltyphus (noch 3—4 Wochen später) nach¬
zuweisen. Im Gegensatz zu dieser Erkrankung scheint der Komplement¬
titer einige Zeit nach der kritischen Lösung der croupösen Lungen¬
entzündung die Neigung zu besitzen, entweder zur Norm zurückzukehren
oder sogar etwas unter die Norm zu sinken.
Auf dem III. russischen Kongresse für innere Medizin zu Moskau
sprach A. Pesskow über die Eiweissreaktion des Sputums und
ihre praktische Bedeutung. Auf Grund von 67 Sputumunter-
suchungen an 65 Kranken gewann der Vortragende die Ueberzeugung, dass
die Eiweissreaktion ohne Zweifel eine diagnostische Bedeutung besitzt, und
zwar ist es hauptsächlich ihr negativer Ausfall, der zur Differenzierung
des Initialstadiums der Tuberkulose von der gewöhnlichen Bronchitis
herangezogen werden kann. Ist das Ergebnis ein völlig negatives, so
sind mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit destruktive Prozesse
im Lungenparenchym (insbesondere Tuberkulose) auszuschliessen. Sind
nur Spuren von Eiweiss im Sputum vorhanden, so scheint dies am
häufigsten ebenfalls für die Benignität des Prozesses zu sprechen. Ein
stark ausgeprägter positiver Ausfall der Reaktion bei Abwesenheit ob¬
jektiver Veränderungen in den Lungen soll stets den Gedanken an die
Möglichkeit eines akuten oder chronischen latenten pneumonischen
Herdes nahelegen.
Im Aerzte verein zu Sebastopol berichtete L. Kogan über seine
Erfahrungen mit Scharlachsohutzimpfungen. Als im März 1908
der Scharlach in der Stadt Sebastopol den Charakter einer Epidemie
annahm, führte der Vortr. an sämtlichen Pfleglingen eines Mädchenasyls
Scharlachschutzimpfungen mit dem Streptokokkenvaccin von Gabri-
tschewsky aus. Jedes der 62 Kinder wurde zweimal in einem Inter¬
vall von fünf Tagen geimpft. Die Dosis betrug für die erste Vaccination
halb so viel Decigramme, als dos Kind Jahre zählte; für die zweite
Impfung wurde meist die doppelte Anfangsdosis genommen, die jedoch
nie ein Gramm überstieg. Eine schwache Temperaturreaktion wurde
bei 48, eine mittelstarke bei 12, eine starke bei zwei Mädchen beob¬
achtet. Angina und Exanthem traten bei neun Kindern auf, Erbrechen
in zwei Fällen. Die zweite Impfung verlief stets völlig reaktionslos.
Von 1908 bis 1911 blieben die vaccinierten Kinder gänzlich von Schar¬
lach verschont. Im letztgenannten Jahre brach in der Stadt wiederum
eine heftigere Epidemie aus, und nun erkrankten von 26 neu ins Asyl
aufgenommenen nicht geimpften Pfleglingen acht (über 30 pCt.), während
von den 62 seinerzeit vaccinierten Mädchen bloss zwei (etwa 8 pCt.)
sich mit Scharlach infizierten.
In der Gesellschaft der Aerzte zu Odessa teilte A. Grünfeld seine
Beobachtungen über das Neosalvarsan mit. Der Vortr. wandte das
neue Mittel bei 35 Patienten an. Seine Erfahrungen resümierte er in
folgenden Sätzen. Das Neosalvarsan ist leicht löslich, was die Möglich¬
keit gewährt, rascher als mit dem alten Salvarsan zu arbeiten, besonders
bei einer grossen Anzahl von Kranken. Die Nebenerscheinungen sind
verhältnismässig weniger intensiv, so dass man imstande ist, grössere
Mengen des Präparates zu applizieren und auf diesem Wege vielleicht
sich noch mehr dem Ideal Ehr lieh’s, der Therapia sterilisans magna,
zu nähern. Schliesslich ist die Wirkung des Neosalvarsans ebenso
effektvoll wie die des Altsalvarsans.
In der dermatologischen und venerologischen Gesellschaft zu Odessa
machte E. Wainstein Mitteilung über die Vaccinetherapie bei
einigen gynäkologischen Erkrankungen. Das Material des Vortr.
umfasste 108 Fälle von Vulvovaginitis bei Kindern, 54 von Urethritis
gonorrhoica bei Frauen, 42 Fälle von Salpingitis gonorrhoica, 24 von
Endocervicitis, 14 von Cystitis colibaoillaris, 2 von Parametritis exsuda¬
tiva und einen Fall von Pyelitis staphylococcica, insgesamt 245 Fälle,
die mit den entsprechenden Vaccinen behandelt wurden. Ein positives
Resultat wurde bei 212 Kranken erzielt, d. i. in 86,5 pCt. der Fälle.
Von ihnen war bei 152 Patientinnen (62 pCt.) völlige Heilung und bei
60 (24,5 pCt.) bloss eine mehr oder minder ausgeprägte Besserung zu
konstatieren. Nur in 33 Fällen (13,5 pCt.) war das Ergebnis ein nega¬
tives. Die besten Resultate weisen solche Fälle auf, wo die Erkrankung
mehr frisch ist, jedoch nicht geradezu akut, und wo keine Temperatur¬
steigerung vorhanden ist. Hinsichtlich der Ausdehnung des krankhaften
Prozesses ist zu bemerken, dass die besten Ergebnisse beim Vorliegen
umschriebener Herde zu erzielen sind. Unter dem Einflüsse des Gono-
kokkenvaccins werden die Narben in den Scheidengewölben weicher,
nachgiebiger, verschwindet die Schmerzhaftigkeit und werden die
Patientinnen wieder arbeitsfähig. Ferner bewirken die entsprechenden
Impfstoffe ein Verschwinden der Gonokokken aus dem Urethral- und
dem Vaginalsekret (bei der Vulvovaginitis), sowie der Pneumokokken
aus den Cervicalausscheidungen. Die Injektionen sind, abgesehen von
einem geringen und rasch vorübergehenden Schmerz an der Einstich¬
stelle, sonst schmerzlos. Temperatursteigerungen nach den Ein¬
spritzungen kommen nur bei manchen Gonorrhöekranken vor. Der
Vortr. kommt zu dem Schluss, dass die Vaccinebehandlung stets absolut
unschädlich, meist sehr wirksam, mitunter jedoch nur als Hilfsmittel für
die kombinierte Therapie anzuwenden ist.
In der geburtshilflich-gynäkologischen Gesellschalt zu Moskau be¬
handelte Th. Johannsen die Pantopon-Scopolaminnarkose. Er¬
fahrungen in 50 Fällen von gynäkologischen Operationen zeigten folgen¬
des: Die Injektion von Pantopon-Scopolamin versetzt <Me meisten Kranken
in einen apathischen Schlummerzustand, wodurch die Furcht vor der
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UNIVERSUM OF IOWA
31. März 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
619
bevorstehenden Operation beseitigt wird. Ferner wird hierbei die Dauer
des Beginns der Narkose abgekürzt und die Menge des hierfür ver¬
brauchten Aethers in der Regel stark vermindert. Trotz alledem gelang
es dem Vortr. nicht, gynäkologische Operationen unter Scopolamin-
P&otopon allein, ohne Hilfe von Aether auszuführen. Dennoch genügt
es bei vaginalen Operationen, die Aethernarkose nur bis zum Schwinden
der Coroealreflexe fortxufiihren, wonach nur ganz geringfügige Mengen
von Aether erforderlich sind oder man auch unter Umständen ganz ohne
ihn auskommen kann. Sogar bei Laparotomien wird während der Ope¬
ration nur verhältnismässig wenig Aether verbraucht. Der Schlaf ist
während der Narkose tief, ruhig und geht nicht mit Speichelfluss einher;
Pals und Atmung erleiden nicht die geringsten Störungen. Nach der
Operation ist fast einen Tag lang bei den Kranken die Schmerzempfind'
liehkeit herabgesetzt. Erbrechen wird nur ausnahmsweise beobachtet.
In der therapeutischen Gesellschaft zu Moskau teilte L. Fe Id mann
seine klinischen Beobachtungen über das diastatische Fer¬
ment im Harn mit. ln der propädeutischen Klinik der Hochschul¬
kurse für Frauen in Moskau untersuchte der Vortr. den Harn von
88 Kranken und 6 Gesunden auf die Anwesenheit von diastatischem
Ferment Die Untersuchungen ergaben, dass in jedem Harn normaler¬
weise das genannte Ferment vorhanden ist. Bei Nephritis, Diabetes
und Anämie ist die Menge des diastatischen Fermentes im Urin herab¬
gesetzt. Doch konnte ein Parallelismus zwischen der Schwere der
Nierenentzündung und dem Gehalt des Harnes an dem bezeichneten
Ferment nicht nachgewiesen werden. Auch fand der von Marino an¬
gegebene Parallelismus zwischen der Anzahl der Erythrocyten und der
Menge des diastatischen Fermentes im Urin keine Bestätigung. Die Ab¬
nahme des Fermentes im Harn bei Herz- und Gefässerkrankungen spricht
allem Anschein nach für eine funktionelle Insuffizienz der Nieren. In
Anbetracht dieses Umstandes kann die Bestimmung des diastatischen
Fermentes in dem aus jeder Niere gesondert aufgefangenen Harn als
Verfahren für die Feststellung der funktionellen Leistungsfähigkeit der
Niere dienen. Eine hochgradige Steigerung des Gehaltes an dem in
Rede stehenden Ferment ist ein wertvolles diagnostisches Symptom bei
Erkrankung des Pankreas. A. Dworetzky-Moskau.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Die Kongresse, welche sich in der letzten Woche hier in Berlin
vereinigt haben, sind zur Stunde noch nicht geschlossen; über den nach
jeder Richtung befriedigenden Verlauf herrscht nur eine Stimme; ins¬
besondere wird anerkannt, dass das komplizierte Räderwerk des aus
verschiedenen Sektionen zusammengesetzten Internationalen Kon¬
gresses für Physiotherapie tadellos funktioniert. Die Eröffnungs¬
sitzung fand am 26. d. M. in Anwesenheit des Protektors, Sr. Königl.
Hoheit Prinz August Wilhelm, statt. Herr His hielt die Er¬
öffnungsrede, in der er die Entwicklung und Vielseitigkeit des physio¬
therapeutischen Problems in geistvoller Weise erörterte und die Ziele
der künftigen Forschung bezeichnete. Der Kultusminister Exzellenz
v. Trott zu Solz überbrachte die Grüsse der Reichs- und Staats¬
regierung, Stadtrat Sei borg diejenigen der Stadt Berlin; für Universität
und Falraltät sprach Geheimrat Heffter, weitere Begrüssungsansprachen
hielten die Herren Brieger, Spitzy, Strauss. Es folgten dann
die Ansprache der fremden Delegierten, unter denen sich Männer
wie Garrod, Landouzy, v. Noorden, Rein befanden. End¬
lich machte Herr Immelmann als Generalsekretär Mitteilungen
über die Organisation des Kongresses. Zu Ehrenpräsidenten wurden
gewählt: v. Schjerning und Kirchner - Berlin, Landouzy- und
d’Arsonval-Paris, A. Garrod-London; v. Noorden-Wien, Dol linger-
Budapest, Maragliano - Genua, Rein - Petersburg, Libott - Brüssel,
Petren-Lund, Decref - Madrid. Nach einer Pause schloss sich die
erste allgemeine Sitzung 3 p, in der das Thema „Die physikalische
Behandlung der Kreislaufstörungen" durch die Herren Otfried Müller-
Tübingen (Balneotherapie), Vaquez-Paris (Diättherapie) und Zander-
Stockholm (Kinesitherapie) abgehandelt wurde.
Am Donnerstag tagten die Sektionen, die sich, ebenso wie die Aus¬
stellung, eines starken Besuches zu erfreuen hatten; letztere ist reich
beschickt und sehr zweckmässig in den Erdgeschossräumen der neu er¬
bauten ersten medizinischen Klinik untergebracht. Den ersten Sitzungstag
beschloss das von der Aerzteschaft Berlins dargebotene Fest im Zoologischen
Garten, ein Musikabend, dessen Darbietungen um so mehr verdienten
Beifall fanden, als sich ausschliesslich kollegiale Kreise an ihnen beteiligten.
Die Besucherzahl des Kongresses übersteigt 700; auch zahlreiche Damen
sind anwesend, für deren Unterhaltung durch ein besonderes Komitee
hinreichend Vorsorge getroffen ist. Von den wissenschaftlichen Ver¬
handlungen werden unsere Leser einen wesentlichen Teil, nämlich die
Radium- und Thoriumvorträge, als Originalartikel kennen lernen.
Der Chirurgenkongress, der in der gleichen Wocheunter
dem Vorsitz von Geh. Rat v. Angerer tagte, war von über 1000 Teil¬
nehmern besucht. Die Sitzungen fanden auch in diesem Jahre in dem sehr
stark gefüllten Beethoven-Saal statt. Am ersten Tage fand die Verhand¬
lung über das Thema „Knochen- und Gelenktuberkulose“ statt (Herr
Gar re), das Hauptthema des zweiten Tages bildete Ulcus duodeni (Herr
KS'ttner). ' Besonderes Interesse erregten die Verhandlungen über
„plastische Chirurgie“ (Hildebrandt, Lexer, Röpke, Koenig,
Küttner, Schmieden u. a.). Zum Vorsitzenden ftfr das Jahr 1914
wurde Herr Prof. 'W. Müller-Rostock gewählt, als Ehrenmitglied Exz. !
v. Röntgen-München. ‘
— Der internationale Verein für medizinische Psycho¬
logie und Psychotherapie wird seine Jahresversammlung heuer in
Wien, und zwar am 18. und 19. September, unmittelbar vor dem Be¬
ginn desAerzte- und Naturforschertages, abhalten. Das Programm wird
rechtzeitig bekanntgegeben werden.
— In der Zeit vom 26. Mai bis 7. Juni 1913 findet wiederum in
der akademischen Kinderklinik Düsseldorf unter Leitung vou Professor
Dr. Schlossmann ein vierzehntägiger Ausbildungs- und Fortbildungs¬
kursus für Aerzte in der Physiologie, Pathologie und Hygiene des Säug¬
lingsalters und in der Säuglingsfürsorge statt. Ausser den Vorlesungen
und den Arbeiten in dor Klinik und im Laboratorium finden auch Be¬
sichtigungen moderner Einrichtungen in der Säuglingsfürsorge in Düssel¬
dorf und den benachbarten Städten statt, wobei dem Ziehkinderwesen,
der Versorgung hilfsbedürftiger Mütter und Kinder sowie der Versorgung
der Städte mit rationell gewonnener Milch besondere Beachtung ge¬
schenkt wird. Anmeldungen und Anfragen sind zu richten an die Ge¬
schäftsstelle des Vereins für Säuglingsfürsorge im Regierungsbezirk
Düsseldorf, Düsseldorf, Werstenerstr. 150, von wo auch auf Wunsch
Programme kostenlos versendet werden. Ausser einer Einschreibegebühr
von 30 M. wird ein Honorar nicht erhoben.
— Die Dresdener Universitätsfrage, die schon in negativem
Sinne erledigt zu sein schien, hat durch ein Exposä des Stadtoberhauptes
eine andere Wendung genommen. Er beantragt eine Zusammenlegung
der in Dresden bestehenden technischen und tierärztlichen Hochschulen
und ihre Angliederung an die bestehenden medizinischen Einrichtungen.
Diese sollen dann zusammen zu einer Universität umgewandelt werden.
Von den Kosten sollen etwa 10 Millionen durch die Stadt, die restlichen
8 durch Stiftungen aufgebracht werden.
— In Breslau hat sich eine Deutsche Vereinigung der Vor¬
klinikerschaft gebildet.
— In Plauen i. V. hat sich eine Medizinische Gesellschaft
für das Vogtland unter Vorsitz von Prof. Breitung gebildet.
— Der Provinzialausschuss von Westfalen hat beschlossen, zum
Ausbau der medizinischen Fakultät in Münster 250000 M. bei¬
zutragen, falls die Stadt die doppelte Summe bewilligt. — In einer an
uns gerichteten Zuschrift wird, wie bei dieser Gelegenheit erwähnt
werden möge, die Behauptung aufgestellt, dass die jungen Mediziner
in Münster nur an männlichen Leichen Sektionsübungen vornehmen
dürfen, da einflussreiche Kreise der Stadt sonst eine Gefährdung der
Sittlichkeit der Studentenschaft befürchten. Wir können kaum glauben,
dass unser Gewährsmann, Herr Professor v. N., richtig informiert ist; er
dürfte doch wohl einem Aprilscherz zum Opfer gefallen sein.
— Auf dem Gelände des ehemaligen Johannesstiftes bei Plötzensee
soll eine Städtische Anstalt für Leichtkranke errichtet werden,
die zur Entlastung der Krankenhäuser dienen soll.
— Die Prosektur des Krankenhauses der jüdischen Gemeinde zu
Berlin wurde, nachdem Herr Hans Kohn, Prosektor am poliklinischen
Institut der Universität, ihre Wiederübernahme definitiv abgelehnt hat,
dem Laryngologen Herrn Arth. Proskauer übertragen.
— Theodor Boveri, der bekannte Würzburger Zoologe, ist für
die Leitung des geplanten Biologischen Institutes in Dahlem in
Aussicht genommen.
— Das neue Physikalisch-radiologische Institut in Heidel¬
berg wird am 1. Mai eingeweiht. Es steht unter Leitung von Professor
Ph. Lenard. Seine medizinische Abteilung wird mit dem Institut für
experimentelle Krebsforschung zusammen arbeiten.
— Der in Berliner Aerztekreisen hochgeschätzte Kollege Bruno
Wolff, der bis vor einigen Jahren hier eine ausgedehnte gynäkologische
Praxis ausübte und dann nach Rostock übergesiedelt ist, hat sich jetzt
dort für das Fach der pathologischen Anatomie habilitiert.
— Prof. Mönckeberg-Giessen hat die Berufung als Nachfolger
Lub.arsch’s nach Düsseldorf angenommen.
— Dr. Benno Latz, der jahrelang gemeinsam mit Prof.R. Lenn-
hoff die Medizinische Reform geleitet hat, ist aus dieser Stellung
ausgeschieden und nach Homburg v. d. H. übergesiedelt, wo er ge¬
meinsam mit Dr. Pariser die ärztliche Leitung von dessen Sana¬
torium übernimmt.
— Herr Dr. G. Ritter, Berlin, ersucht uns um Veröffentlichung
eines an den Antimeristem-Erfinder und -Lieferanten, Herrn Wolf¬
gang Schmidt - Cöln, gerichteten Briefes, aus dem hervorgeht, dass in
der Reklame des genannten Laboratoriums ein von Herrn Richter in der
Laryngologischen Gesellschaft seinerzeit vorgestellter Fall noch als ge¬
heilt aufgeführt wird, obwohl er seit einem halben Jahre von einem
Recidiv befallen und die Firma durch eingeschriebenen Brief von diesem
Faktum unterrichtet worden ist.
— Der als Herausgeber der Zeitschrift „Freie Heilkunst“ und durch
Vorträge in Aerztekreisen übelbekannte Kaufmann Georg Gottlieb
aus Heidelberg, Vorsitzender des „Centralverbandes für paritätische
Heilmethoden“ wurde von Vorstandsmitgliedern des L. W. V. wegen Be¬
leidigung verklagt und zu 100 M. Geldstrafe verurteilt. Er batte be¬
hauptet, dass der Leipziger Verband von Farben- und ähnlichen Fabriken
grosse Summen erhalten habe, „dass der Verband einen ganz hinterlistig
gemein organisierten Kampf um Konkurrenz führe“ und ähnliche Freund¬
lichkeiten mehr.
— In das Herausgeberkollegium dejr Zeitschrift für Urologie,
dem bisher die Herren Casper, v.rrisoh, Lotynstein, Oberländer,
Posner und S£uckerkandl angehörten, sind folgende Herren neu ein¬
getreten: Bl er-Berlin, Döderlein-München, Franz-Berlin, v. Haberer-
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
620
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Innsbruck, v. Koranyi-Budapest, Küttner-Breslau, Minkowski-
Breslau, Payr-Leipzig, Wi 1ms-Heidelberg, Schloffer-Prag. Für die
Redaktion zeichnet in diesem Jahre L. Casper. Die Zeitschrift ist be¬
kanntlich seinerzeit aus der Verschmelzung des „Centralblattes“ mit der
„Monatsschrift für Urologie“ hervorgegangen. Im Gegensatz zu den hier¬
durch wie durch die Namen und die Arbeitsgebiete der neu eingetretenen
Herren zum Ausdruck gebrachten Einheitsbestrebungen steht freilich die
Gründung immer neuer Organe, von denen wir die Zeitschrift für
chirurgische Urologie (herausgegeben von Krönig, Kümmell,
Lichtenberg, Voelcker und Wildbolz) sowie die Zeitschrift für
die gesamte experimentelle Therapie (herausgegeben von vielen
Autoren, redigiert von Pirquet und Sauerbruch) nennen. Unzweifel¬
haft bürgen auch hier die Namen der Begründer dieser neuen Journale
für treffliche Leitung und gediegenen Inhalt. Aber man kann doch die
Befürchtung nicht unterdrücken, dass nun immer mehr Zusammengehöriges
auseinandergerissen wird. Eine neue Zeitschrift ist berechtigt, wenn
sie neue programmatische Gesichtspunkte verfolgt, einer neuen Richtung
sich dienstbar macht. Zwischen einem Organ, welches sich „Zeitschrift
für experimentelle Pathologie und Therapie“ nennt (Kraus, Brieger,
Pal tauf) und einem, welches als „Zeitschrift für die gesamte experi¬
mentelle Medizin“ firmiert, wird selbst das scharfsichtigste Auge keinen
prinzipiellen Unterschied erblicken, und so wird für spätere Literatur¬
angaben geradezu eine Quelle von Verwechslungen geschaffen. P.
— Gelegentlich der Ankündigung zweier neuen Centralblätter — des
„für die gesamte Chirurgie“ und des „für die gesamte Gynäkologie“
(Verlag J. Springer) — weist die Münchener medizinische Wochen¬
schrift auf den neuerdings immer mehr umsicbgreifenden Missbrauch
hin, medizinische Zeitschriften in „zwangloser“ Folge erscheinen zu
lassen, d. h., es wird nicht von vornherein gesagt, wieviel Hefte oder
Bände jährlich erscheinen werden und damit auch nichts über den die
Käufer noch mehr interessierenden voraussichtlichen Preis; der wird nur
pro Band angegeben; wieviel Bände aber erscheinen werden, bleibt der
Diskretion des Verlegers überlassen. Daraus ergibt sich der schwere
Missstand, dass der Käufer nicht imstande ist, vorher einen Etat für
seine Bücher aufzustellen, und gleich dem ärztlichen Verein in München
sah sich z. B. die Berliner medizinische Gesellschaft am Schlüsse des
Jahres 1912 der unliebsamen Ueberraschung gegenüber, lediglich durch
solche diskretionäre Gewalt der Verleger und Redaktionen ihren vorjährigen
Abonnementsetat bedeutend überschritten zu sehen. Aus diesem
räumlichen Absolutismus erwächst aber noch ein anderer Schaden: es
fällt für die Redaktionen die äussere Veranlassung fort, aus den ihnen
zugehenden Arbeiten eine sorgfältige Auswahl zu treffen und ins¬
besondere brauchen sie sich nicht mehr lange damit aufzuhalten, auf Kürze
der Darstellung zu dringen. „Es wäre an der Zeit, meint die Münchener
medizinische Wochenschrift, dass die medizinischen Bibliotheken und
andere Interessenten sich zusammenschlössen zur Abwehr gegen dieses
ganz ungewöhnliche Vorgehen einzelner Verleger“ — gewiss, es wäre zu
wünschen, aber von wo soll die Abwehr ausgehen, wenn die unter dem
Protektorat der ersten wissenschaftlichen Gesellschaften
Deutschlands erscheinenden C'entralblätter mit dem schlechten Beispiel
vorangehen? H. K.
— Dr. Hans Hohn ist von der Reise zurückgekehrt.
Hochschulnachrichten.
Bonn. Die Privatdozenten DDr. Bachem (Pharmakologie), v. Stürs¬
berg (innere Medizin) und Zurhelle (Gynäkologie) erhielten den Pro¬
fessortitel. — Düsseldorf. Prof. Mönckeberg-Giessen wurde zum
Direktor des pathologischen Instituts gewählt. Die Vorschlagsliste lautete:
primo loco Mönckeberg und Schridde; secundo loco v. Gierke und
Dietrich; tertio loco Ricker und Löhlein. — Königsberg. An
Stelle des nach Breslau übersiedelnden Herrn Hencke wurde Hedinger-
Basel als Professor der pathologischen Anatomie berufen. Habilitiert:
Dr. Reiter für Hygiene. — Rostock. Habilitiert: DDr. Hanscr und
B. Wolff für Pathologie. — Leipzig. Geheimrat Tillmanns wurde
zum ordentl. Honorarprofessor ernannt. — Breslau. Der Leiter der
Hilfsexpedition vom Deutschen Roten Kreuz nach Griechenland, Professor
Dr. Coenen, wurde von der medizinischen Gesellschaft in Athen zum
Ehrenmitglied ernannt. — Wien. Habilitiert: DDr. Neurath (Kinder¬
heilkunde) und Stern (Neurologie). — Prag. Als Nachfolger des nach
Königsberg übersiedelnden Prof. Ho ff mann sind für den Lehrstuhl der Phy¬
siologie vorgeschlagen: 1. Zoth-Graz, Tschermak-Wien, 2. v. Brücke-
Leipzig.
Wnrnunjp!
Neuerdings mehren sich die Fälle, dass Kassen Vorstände und Kassen¬
verwaltungen an einzelne Aerzte und ärztliche Lokalorganisationen mit
scheinbar vorteilhaften Anerbietungen auf Verlängerung oder Neu¬
abschluss von Kassenarztverträgen herantreten. Solche Anerbieten sind
irreführend und haben nur den Zweck, die Aerzte einseitig zu binden.
Nur sehr wenige Krankenkassen können mit Sicherheit behaupten, dass
sie nach dem 1. Januar 1914, dem Termin für das Inkrafttreten der
neuen Kassensatzungen, bestimmt noch bestehen werden. Und auch
diese wenigen sind nicht in der Lage, sichere Angaben über Zahl und
Art ihrer Mitglieder und über ihre Leistungen zu machen und können
das auch nicht eher, als der Bundesrat die Mustersatzungen herausgibt
und die Oberversicherungsämter die Zulassung ausgesprochen haben.
Wir warnen deshalb die Herren Kollegen und die Vorstände der
Kassenarztvereiue entschieden davor, mit Kassen jetzt schon in Vertrags-
yerhandlungen einzutreten, und bitten, falls Angebote gemacht werden,
in jedem Falle von der betreffenden Kasse den Nachweis der erfolgten
Zulassung und die Vorlegung der vom Oberversicherungsamte genehmigten
Kassensatzungen zu verlangen. Wir bitten ferner, uns als der vom
Geschäftsausschuss des Deutschen Aerztevereinsbundes eingesetzten Ver¬
tragscentrale von jedem solchen Angebote sofort Mitteilung zu machen
und den Vertragsentwurf oder das Vertragsangebot einzusenden und
unsere Gegenäusserung, welche umgehend erfolgen wird, abzuwarten, bevor
die Verhandlungen angefangen bzw. fortgesetzt werden.
Leipzig, Dufourstr. 18.
Der Vorstand des Leipziger Verbandes.
Hartmann.
Amtliche Mitteilungen.
PerMonalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife:
Generaloberarzt a. D. Prof. Dr. A. Köhler, bisherigem 1. Garnisonarzt
in Berlin, Generaloberarzt a. D. Dr. G. Langhoff, bisherigem Gar¬
nisonarzt in Potsdam.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: Stabsarzt Dr. F. Lotsch an der Kaiser
Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen.
Prädikat Professor: Privatdozenteu Dr. K. Bachem, Dr. H. Sturs¬
berg und Dr. E. Zurhelle in Bonn.
Zu besetzen: Die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten bei
dem Medizinaluntersuchungsamte in Gumbinnen. Jahresremuneration
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann
auch einem noch uicht kreisärztlich geprüften Arzte vorläufig kom¬
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen
Ablegung der Prüfung verpflichtet; zwei Assistentenstellen bei dem
Königlichen Hygienischen Institut in Beuthen i. 0berscht, mit durch¬
schnittlich 2100 M. Jahresremuneration; für eine Stelle ist Dienst¬
wohnung gegen geringe Mietvergütung vorhanden, mit der anderen
Stelle sind voraussichtlich nebenamtliche Einnahmen verbunden.
Meldungen sofort an den Institutsdirektor.
Niederlassungen: Stabsarzt Dr. Collmann und Arzt Dr. St.
Roman in Thorn, Dr. K. Fürstenheim in Biesenthal, Dr. K.
Schwarz in Barne witz, Arzt M. Ri eg er in Ambrock, Dr. W. Ray-
mann in Bochum, Dr. W. Pixis in Frankfurt a. M.
Verzogen: Stabsarzt Dr. M. Tollkühn von Bartenstein nach Schiess¬
platz Gruppe, Dr. 0. A. Sturmhöfel von Domnau nach Löbau, Dr.
L. Wien von Dühringsbof nach Wusterhausen a. D., Dr. J. Siegel
von Berlin nach Wilhelmshagen, Dr. H. Lehrecke von Saarmund
nach Seiffen i. Erzgebirge, Dr. H. Sieber von Berlin-Pankow nach
Berlin-Schmargendorf, Dr. H. Beutnagel von Neukölln nach Berlin-
Weissensee, Dr. H. Lippschütz von Bamberg nach Berlin-Pankow,
Dr. A. Paasche von Rostock nach Hoppegarten, Dr. R. Hinrichsen
von Berlin-Reinickendorf nach Berlin-Steglitz, Dr. R. Silberstein von
Berlin-Schöneberg nach Berlin-Keinickendorf, Arzt A. Jacobsohn von
Berlin nach Berlin-Weissensee, Dr. M. Ludwig von Wiesbaden nach
Berlin-Tegel, Dr. E. Krause von Lippehne naoh Oderberg i. M., Dr.
E. Jacoby von Berlin nach Falkenhagen, Dr. E. Hartwig von
Barnewitz nach Pritzerbe, Geh. San.-Rat Dr. E. Schwerin von Berlin
nach Wannsee, Dr. J. Wertheimer von Freiburg nach Berlin-Grune-
wald, Aerztin Dr. A. Schützer von Berlin-Friedenau nach Berlin-
Steglitz, Dr. F. Gutsmann von Markt Bohrau nach Saarmund, Dr.
P. Punse von Cottbus nach Kannenburg (Württemberg), Dr. K.
Laffert von Berlin nach Kolberg, Dr. F. Gahrmann von Reisen als
Schiffsarzt nach Greifswald, Arzt M. Görski von Frankfurt a. 0. nach
Posen, Dr. V. Thom von Breslau nach dem Balkan (Kriegsschau¬
platz), Oberstabsarzt Dr. H. Lischke von Cosel nach Schweidnitz,
Dr. H. Dengg von Kissingen nach Obernigk, Dr. P. Grosse-Bei-
lage von Berlin nach Gladbeck, Dr. J. Ebbert von Bremen nach
Münster, Arzt B. Stahr von Münster nach München, Dr. J. Kautak
von Berlin nach Hamm, Dr. K. Fischer von Düsseldorf nach Hagen,
Dr. H. Dessloch von Würzburg nach Wattenscheid, Dr. F. Silber-
siepe von Berlin nach Soest, Dr. J. Hermans von Kiel nach Dort¬
mund, Dr.R. Wessing von Duisburg nach Eickelborn, Dr.G. Sprave von
Neheim nach Hagen, Dr. L. Winter von Hanau nach Markt-Red witz,
Dr. J. Richard von Effelden nach Hanau, Dr. H. Marcus von
Frankfurt a. M. nach der Schweiz, Dr. P. Holtschmit von Bonn
nach Wiesbaden, Aerztin Dr. F. Leuss von Frauendorf nach Bendorf,
San.-Rat Dr. M. H. Bach von Bertrich nach Bad Elster, Arzt J. Haas
von Aachen nach Zweifall.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. W. Schwarz¬
bach von Greifswald.
Gestorben: Dr. P. Oppler, Dr. N. Loeser und San.-Rat Dr. H.
Seiffert in Breslau, Dr. P. Schäfer in Frankfurt a. M., Dr. A.
Schaffner in Wiesbaden.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Original frnrri
UNIVERSITÄT OF IOWA
BERLINER
Die Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Fostanataltcn an.
Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linder
No. 68, adressieren.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kolm.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 7. April 1913. M 14.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Originalien: Boas: Die Therapie der Magen-und Darmblutungen. S. 621.
Nauwerck und Lübke: Gibt es eine gallige Peritonitis ohne Per¬
foration der Gallenwege? (Aus dem pathologisch-hygienischen
Institut der Stadt Chemnitz.) (Ulustr.) S. 624.
Citron: Zur Therapie der Angina Plaut-Vincenti. (Aus der
II. medizinischen Klinik der Königl. Charite.) (Ulustr.) S. 627.
Kutscher: Ueber die Händedesinfektion mit Bolusseife und -paste
nach Liermann. (Aus der hygienisch-bakteriologischen Abteilung
des medizinischen Untersuchungsamtes bei der Kaiser Wilhelms-
Akademie.) S. 629.
Frank und Heimann: Ueber Erfahrungen mit der Abderhalden-
schen Fermentreaktion beim Carcinom. (Aus der medizinischen
Klinik und der Frauenklinik der Universität zu Breslau.) S. 631.
Proescher: Zur Aetiologie der Tollwut. (Illustr.) S. 633.
Magnus: Konservierung von Dauerpräparaten in konzentrierter
Zuckerlösung. (Aus der chirurgischen Klinik, Marburg.) S. 636.
Rous und Murphy: Beobachtungen an einem Hühnersarkom und
seiner filtrierbaren Ursache. (Aus den Laboratorien des Rocke-
feller Institute for Medical Research, New York.) S. 637.
Brünn und Goldberg: Das Cisternenproblem bei der Bekämpfung
der Malaria in Jerusalem. (Aus dem Health-Bureau Jew. Agr.
Exp. Stat. Jerusalem.) (Illustr.) S. 639.
Bücherbesprechmigeii: Jeger: Die Chirurgie der Blutgefässe und des
Herzens. S. 640. (Ref. Unger.) — Krause und Heymann: Lehr¬
buch der chirurgischen Operationen an der Hand klinischer Beob¬
achtungen. S. 641. (Ref. Borchardt.) — Müller: Vorlesungen über
Infektion und Immunität. S. 641. Denkschrift über die seit dem
Jahre 1903 unter Mitwirkung des Reiches erfolgte systematische
Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands. S. 641. Köhler:
Jahresbericht über die Ergebnisse der Tuberkuloseforschung 1911.
S. 642. Fraser: A Manual of Immunity for Students and Practi-
tioners. S. 642. (Ref. Möllers.)
ALT.
Literatnr-Aaszüge: Anatomie. S. 642. — Physiologie. S. 642. — Phar¬
makologie. S. 642. — Therapie. S. 642. — Allgemeine Pathologie
und pathologische Anatomie. S. 643. — Diagnostik. S. 643. —
Parasitenkunde und Serologie. S. 643. — Innere Medizin. S. 643. —
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 644. — Kinderheilkunde.
S. 645. — Chirurgie. S. 645. — Röntgenologie. S. 646. — Haut-
und Geschlechtskrankheiten. S. 646. — Geburtshilfe und Gynäko¬
logie. S. 647. — Augenheilkunde. S. 647. — Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten. S. 647. — Unfallheilkunde und Versicherungs¬
wesen. S. 647. — Militär-Sanitätswesen. S. 647.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Gesellschaft der Charite-
Aerzte. S. 647. — Verein für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde zu Berlin. S. 652. — Medizinische Sektion der
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu
Breslau. S. 653. — Wissenschaftlicher Verein der Aerzte
zu Stettin. S. 653. — Aerztlicher Verein zu Hamburg.
S. 655. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 655. —-
Naturwisse nschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena.
S. 656. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poli¬
klinik. S. 657. — Aerztlicher Verein zu München. S. 657. —
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg.
S. 658. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 658. —
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu
Wien. S. 659. — Aus Pariser medizinischen Gesell¬
schaften. S. 659.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin. S. 661.
XII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie
am 24. und 25. März 1913. S. 665.
Zur Mortalitäts-Statistik. S. 667.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 667.
Amtliche Mitteilungen. S. 668.
Die Therapie der Magen- und Darmblutungen.
Von
I. Boas-Berlin.
Die Fortschritte auf dem Gebiete der Magen- und Darm¬
krankheiten in den letzten fünf Decennien spiegeln sich natur-
gemäss auch in einer besseren Erkenntnis und einer zielbewussteren
Behandlung der Blutungen aus den Verdauungswegen ab. Die
richtige Einteilung des Wesens, der Art und des Sitzes der
Blutung bedingen in erster Linie unser Handeln. Von Voll¬
kommenheit aber sind wir noch weit entfernt. Nicht bloss in
nebensächlichen, sondern auch in kardinalen Punkten. Soll uns das
entmutigen oder sollen wir uns nicht vielmehr hier wie überall
der schönen Worte unseres unvergesslichen Meisters Nothnagel x )
erinnern: „Die Wissenschaft ist leidenschaftslos und
geduldig, sie ist weder stolz noch verzagt, sie kennt
nur eine Aufgabe: die Forschung und verfolgt nur ein
Ziel: die Erkenntnis.“
Die Therapie der Magen- und Darmblutungen ist eines der
wenigen Gebiete, das beinahe ausschliesslich dem Wirkungs¬
bereiche der inneren Medizin erhalten geblieben ist. Wenigstens
in den schweren, akuten Manifestationen. Um so grösser und
verantwortungsvoller die Pflicht des Internisten, gegenüber den
1) Nothnagel, Das Sterben. Wien 1908, S. 17.
Blutungen aus dem Verdauungskanal jederzeit gewappnet zu
sein, ihre Ursachen und ihren Verlauf zu kennen und darauf den
Plan zu ihrer Bekämpfung zielbewusst aufzubauen.
Besässen wir blutstillende Mittel, die wir lokal oder auf dem
Wege der Blutbahn an die blutende Partie heranbringen könnten,
so wäre hiermit die Gefahr des Verblutungstodes, der den
Krankeu in jedem ernsteren Falle einer abdominalen inneren
Blutung bedroht, mit einem Schlage beseitigt, und auch die
Furcht vor Recidiven hätte einen grossen Teil ihrer Schrecken
verloren. Leider ist dies bis heute nicht der Fall, wenngleich
es an zahlreichen Versuchen, solche Mittel ausfindig zu machen,
nicht gefehlt hat.
Es gibt aber noch einen anderen, erst in dem letzten Jahr¬
zehnt betretenen Weg, Blutungen des Verdauungskanals, wenn
auch nicht immer und wenn auch nur unter gewissen Vor¬
bedingungen, erfolgreich zu bekämpfen: das ist der Weg der
Prophylaxe.
Mehr und mehr müssen wir lernen, Blutungen aus den Ver¬
dauungswegen, speziell den so überaus gefährlichen, aus den
oberen, derart in ihren ersten Etappen zu erkennen und zu be¬
seitigen, dass die akute, schwere, lebensbedrohende oder gar
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
622
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
lebeDsvernichtende Blutung rechtzeitig verhütet wird. In dieser
prophylaktischen Bekämpfung abdominaler Blutungen,
auf die ich im folgenden des genaueren eingehen werde,
erblicke ich einen sehr erheblichen Fortschritt in der
Therapie der inneren Blutungen aus dem Magendarm¬
kanal überhaupt. Der erste Hinweis auf die Bekämpfung
solcher prämonitorischen Blutungen findet sich in einer Arbeit
von Koch mann und mir 1 ) vom Jahre 1902 und dann ausführ¬
licher in einer Arbeit von mir 2 ) vom Jahre 1906. Später haben
auch Joachim 3 ) und Ewald 4 ) auf die Bedeutung und prophy¬
laktische Bekämpfung solcher Blutungen hingewiesen, und auch
sonst wird man in der Literatur ab und zu entsprechenden Be¬
merkungen begegnen. Eine ausführliche und methodische Be¬
arbeitung und einen breiten Boden hat die prophylaktische
Bekämpfung der Magenblutungen bisher leider nicht gefunden.
Unter zweierlei Bedingungen kann man Blutungen aus dem
Magendarmkanal prophylaktisch bekämpfen: einmal bei solchen
Kranken, die bereits ein- oder mehreremal manifest geblutet
' batten, und bei denen es nun darauf ankommt, in Zukunft weitere
manifeste Blutungen gewissermaassen im Keime zu ersticken, und
zweitens bei solchen Individuen, die entweder durch das Bestehen
einer schweren Anämie auf gastrointestinale Blutungen verdächtig
sind oder sonstige klinische Symptome für die Annahme einer
zunächst noch okkulten Blutung aus den Verdauungswegen bieten.
Die Möglichkeit einer solchen Hämoprophylaxe betrifft rein
theoretisch betrachtet alle die zahlreichen Ursachen und Abarten
von gastrointestinalen Blutungen, die es überhaupt gibt, vom
Oesophagus angefangen bis zum Rectum, die Stauungsblutungen
und die hämorrhagischen Infarkte so gut wie die aus Geschwür¬
oder Geschwulstbildungen.
Naturgemäss erfordern aber unser grösstes Interesse die¬
jenigen, denen der Arzt gewissermaassen auf Schritt und Tritt
begegnet: die Blutungen bei Magengeschwüren oder Duodenal¬
geschwüren sowie die aus Carciuomen des Magen- und Darm¬
kanals. Voraussetzung für die Hämoprophylaxe aus dieser Provenienz
ist die in ihren Fundamenten seit 12 Jahren von mir be¬
gründete und gesicherte Lehre von den okkulten Blutungen.
Durch diese Lehre ist es als erwiesen zu betrachten, dass
das Ulcus ventriculi aut duodeni chronicum (auf letzteres
Attribut lege ich den grössten Wert) nicht, wie man früher an¬
nahm, plötzlich zu bluten beginnt, sondern dass es okkult schon
monate- oder jahrelang bluten kann, ehe es zu schweren mani¬
festen Blutungen kommt, und dass, wenn es recidiviert, dies
wiederum nicht ohne Vorboten geschieht, sondern dass der
recidivierenden manifesten Blutung häufig langdauernde Stadien
kleiner okkulter Blutungen vorauszugehen pflegen.
Dass wir dieses präparatorische Stadium nicht immer ent¬
decken, weil es auch für den Kranken, also auch für uns Aerzte
ganz latent verläuft, tut der Bedeutung dieser Lehre keinen
wesentlichen Abbruch.
Beim Carcinom des Magens und, wie ich gleich hinzufüge
auf Grund meiner heutigen Erfahrungen, auch bei den Carcinomen
des Oesophagus, des Dünn- und Dickdarms ist diese Tatsache zur¬
zeit nicht mehr diskutabel. Wie das charakteristische pathologisch-
anatomische Substrat eines Carcinoms das Vorliegen einer Ulceration
ist, so ist deren klinische Manifestation die okkulte Blutung.
Nach den ausgezeichneten, sich ausschliesslich auf Biopsien oder
Autopsien beziehenden Untersuchungen von Zöppritz 5 ), die mit
den meinen an sicherem Material gefundenen Zahlen merk¬
würdigerweise bis auf die Decimale übereinstimmen, beträgt die
Häufigkeit der okkulten Blutungen beim Magencarcinom 94,5 pCt.,
fehlt also nur ausnahmsweise.
Es ist selbstverständlich, dass für die prophylaktische Be- ,
kämpfung der Magenblutungen das Ulcus ventriculi weit bessere
Chancen bietet wie die Carcinome des Magens und des Colon.
Bei ersterem besteht unser Ziel darin, die okkulte Blutung
therapeutisch so in Behandlung zu nehmen, als wäre es eine
manifeste. Diese Behandlung fällt demnach zusammen mit der
Behandlung des Magengeschwürs nach den bewährten Grund¬
sätzen, die wir durch Leube’s klassische Behandlungsmethode
kennengelernt haben.
1 ) Boas und Kochmann, Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 8,
H. 1 u. 2, S. 58.
2) Boas, Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 18.
3) Joachim, Diese Wochenschr., 1904, Nr. 18.
4) Ewald, Diese Wochenschr., 1906, Nr. 9 u. 10.
5) Zöppritz, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. inneren Med. u. Chir.,
Bd. 24, H. 8.
Die Kranken mit okkulten Blutungen ex ulcere rotundo
ventriculi aut duodeni gehören also ins Bett und machen eine
systematische Milchkur (3—4 1) durch, trinken Karlsbader Mühl¬
brunnen mit oder ohne Salz. Handelt es sich um sehr intensive
okkulte Blutungen, so möchte ich auf Grund von recht üblen
Erfahrungen zu der gleichfalls von Leube inaugurierten „Brei¬
kur“ zunächst nicht raten, da ich mehrfach hierbei aus einer
okkulten eine manifeste Blutung sich auswachsen sab. Dagegen
ist gegen eine Behandlung mit feuchtwarmen Kompressen nichts
einzuwenden. Die Breikur beginne ich erst, falls der Kranke ent¬
weder nur ganz minimal oder überhaupt nicht mehr blutet.
Diese einfache Kur ist in den überwiegenden Fällen zur Beseitigung
okkulter Blutungen aus Magen- oder Duodenalgeschwüren völlig
hinreichend. Wie lange man sie durchzuführen hat, hängt neben
den subjektiven Symptomen, vor allem von dem Aufhören der
Schmerzen sowie von dem Verlauf der okkulten Blutungen ab.
Ich habe mich davon überzeugen können, dass die Dauer
der okkulten Blutungen sehr verschieden ist, bald nur wenige
Tage, in anderen (torpide Geschwüre!) viele Wochen beträgt. Ein
Schema für die Behandlung der okkulten Blutungen gibt es demnach
nicht. Jedenfalls erlaube ich keinem Kranken, das Bett zu ver¬
lassen und gehe nie von der Milch- zu einer erweiterten Kur
über, bis nicht die letzten Blutspuren, mit den feinsten kata¬
lytischen Blutreaktionen festgestellt, gänzlich und für mindestens
drei bis vier Tage hintereinander verschwunden sind.
Für die prophylaktische Bekämpfung der Blutungen beim
Magencarcinom ist die Tatsache maassgebend, dass auch bei
diesen sich manifeste Blutungen keineswegs so selten finden, wie
noch vielfach angenommen wird. Schon B rin ton 1 ) beziffert sie
auf 42 pCt., Rosenheim 2 ) auf 60 pCt., Lebert 8 ) dagegen nur
auf 12 pCt., wobei er allerdings nur die umfangreichen Hämor-
rhagien berücksichtigt. Nach meiner sich auf rund 100 Fälle
von sicherem Magencarcinom erstreckenden Statistik finden sich
makroskopisch sichtbare Blutungen in 36 pCt. Allerdings unter¬
scheiden sich die Blutungen aus Magencarcinom in fundamentaler
Weise von denen aus Magen- oder Duodenalgeschwür, dass erstere
fast nie einen lebensbedrohenden Charakter annehmen. Obgleich
es ferner durch die zahlreichen Untersuchungen und Nachunter¬
suchungen der letzten zehn Jahre festgestellt ist, dass carcino-
matöse Blutungen — wie dies ja ihrer ganzen Natur nach selbst¬
verständlich ist — nie zum Schweigen kommen, so ist es doch
eine wichtige prophylaktische Aufgabe, wenigstens dem Umfang
der Blutungen zu steuern. Auch hier wieder wird eine schonende,
möglichst flüssige und vorwiegend Suppen, Milch und Eier
in verschiedenen Formen und Zubereitungen als Substrat ent¬
haltende Diät die geeignetste Methode sein, schweren Blutungen
zu begegnen. Selbstredend wird man auf (vorübergehende) Bett¬
ruhe nur da bestehen, wo die Blutungen sich durch die Unter¬
suchung als besonders intensiv erweisen. Die genannten pro¬
phylaktischen Maassregeln gelten naturgemäss nur für solche Fälle
von Magencarcinomen, die einer operativen Behandlung überhaupt
nicht oder nicht mehr zugängig sind.
Die Lehre von der Hämoprophylaxe bei Magengeschwüren
stellt uns auch sonst vor ganz andere Aufgaben wie früher. Jetzt,
wo wir kennengelernt haben, dass zwar das einzelne Ulcus aus¬
heilt, die Disposition zur neuen Ulcusbildung aber bestehen bleibt,
muss der Ulcuskranke dauernd Gegenstand der ärztlichen Ueber-
wachung sein. Bei Auftreten neuer Schmerzen oder bei irgendwie
auffälliger Verfärbung der Stühle muss sofort eine erneute Unter¬
suchung auf ein etwa beginnendes Recidiv vorgenommen werden.
Das Recidiv als solches werden wir auch jetzt nicht immer ver¬
hüten können, wohl aber das Auftreten bedrohlicher, selbst im
Genesungsfalle für den Gesamtkörper folgenschwerer Blutverluste.
Haben wir es mit einer manifesten Blutung aus dem Magen¬
darmkanal zu tun, so tritt das Moment der diagnostischen Er¬
wägungen für einen Augenblick zurück hinter den therapeutischen
Forderungen, welche durch die drohende Lebensgefahr bedingt
sind. Für einen AugenblickI Denn jeder umsichtige und erfahrene
Arzt wird selbst unter solchen kritischen Verhältnissen den Ver¬
such machen, sich durch Erhebung einer möglichst gründlichen
Anamnese, durch die Besichtigung des per os oder per anum zu¬
tage geförderten Blutes, endlich auch durch eine selbstredend
äusserst vorsichtige Untersuchung des Kranken ein Bild von dem
Sitz und der Natur der stattgehabten Blutung zu verschaffen.
1) B rin ton, Die Krankheiten des Magens. Würzburg 1862.
2) Rosenheim, Pathologie und Therapie der Krankheiten der
Speiseröhre und des Magens. 1896. 1 1
3) Lebert, Die Krankheiten des Magens. Tübingen 1878.
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7. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Was den erstgenannten Punkt betrifft, so möchte ich ancb
an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Lehre von den okkulten
Blutungen von Neuem gezeigt hat, dass die früheren Dogmen von
der verschiedenartigen Beschaffenheit des Blutes je nach dem Orte
der Blutung keineswegs mehr aufrecht zu halten sind. Diese
Lehre lautete bekanntlich so, dass Umwandlungen des Hämo¬
globins in Hämatin — also mehr oder weniger schwarze Ent¬
leerungen — für einen hohen Sitz der Blutungen — d. b. Magen
oder Dünndarm —, während Entleerungen mit unverändertem
Hämoglobin für einen tiefen Sitz der Blutquelle sprechen. Dass
bei sehr schnellem Durchgang des Blutes und sehr copiösen
Blutungen eine Veränderung des Blutfarbstoffes nicht stattzufinden
braucht, dürfte bekannt sein. Dass aber auch umgekehrt bei
tiefem Sitz der Blutungen (Coecum bis zur Flexur) sich das Blut,
zumal bei Stagnation, sehr bald farblich verändern und ganz den
Charakter eines Teerstuhles annehmen kann, davon habe ich mich
im Laufe der letzten zwölf Jahre so häufig überzeugen können,
dass kein Zweifel mehr bestehen kann. Daraus folgt, dass ein
Urteil über den Ort der Blutung nur mit grosser Vorsicht abzu¬
geben möglich ist.
Bezüglich der Natur der Blutung ist, wo nicht die ganze
Anamnese, das Alter und die sonstigen Symptome das Krankbeits-
bild sichern, gleichfalls grosse Zurückhaltung geboten. Ohne hier
auf allbekannte Tatsachen zurückzukommen, möchte ich nur die
Notwendigkeit betonen, in jedem Falle einer schweren abdominalen
Blutung, die Leber und Milz sorgfältig zu palpieren und zu per-
kutieren. Ich habe in meinem Leben Blutungen bei jungen Leuten,
die ganz den Charakter von Ulcusblutungen zeigten, durch Kon¬
statierung einer starken Leber- und Milzschwellung beinahe prima
vista als luetische feststellen, entsprechend behandeln und heilen
können. Die Wassermann’sche Reaktion fiel in mehreren dieser
Fälle stark positiv aus.
Welches nun auch immer der Sitz und die Natur der Blutung
sein mag, die Grundsätze der Therapie weichen nur in wenigen
Punkten voneinander ab. Kranke mit schweren, gastrointestinalen
Blutungen bedürfen noch mehr wie solche mit minimalen absoluter
körperlicher und geistiger Ruhe. Gewährt die Augenblicksdiagnose
bestimmte Anhaltspunkte für das Vorliegen einer hochsitzen¬
den Blutung, so ist ausser der allgemeinen Immobilisierung auch
eine solche des Magens anzustreben. Sie wird am sichersten
durch möglichste Nahrungsabstinenz erreicht. Kalter Tee, eis¬
gekühlte Milch, Eiweissgelee, alles in kleinsten, exakt dosierten
Mengen, sind vollkommen ausreichend. Nicht die Gefahr der
Inanition, sondern die der Verblutung ist für unser
Handeln maassgebend.
In früheren Jahren, als noch die Calorienlehre die Gemüter
der Aerzte stark beherrschte, hat der Gedanke der Ernährung
ä outrance zur Etablierung der Nährklysmenbehandlung geführt
und lebhafte Diskussionen über Art und Form dieser Methode
gezeitigt. Da im Himmel mehr Freude über einen Sünder herrscht,
der Busse getan, als über tausend Gerechte, so stehe ich nicht
an, es offen auszusprechen, dass die Nährklysmenbehandlnng
in ihrer früheren Form entweder schon jetzt der Geschichte an¬
gehört oder ihr in naher Zukunft angehören wird. Ein englischer
Autor — sein Name ist mir entfallen — hat einmal den sehr
richtigen Ausspruch getan, dass die Nährklystiere mehr die
Phantasie als das Nahrungsbedürfnis befriedigen. Ich stimme ihm
vollkommen zu.
Dagegen ist die Zufuhr von Wasser per rectum in Gestalt
von Tropfklystieren mit physiologischer Kochsalzlösung ein aus¬
gezeichnetes Mittel, den Durst zu löschen und den ausgetrockneten
Geweben neuen Turgor zu verleihen. Sie belästigen den Kranken
sehr wenig, werden in den meisten Fällen schnell resorbiert und
bewirken sehr bald eine bessere Füllung und Retardierung des
Pulses. Im allgemeinen genügt 1 Liter in 24 Stunden. Zusatz
von 16 Tropfen 1 prom. Adrenalinlösung scheint die tonisierende
Wirkung der Tropfklystiere noch zu erhöhen.
Auch eine auf das Abdomen gelegtp Eisblase scheint nach
den neuesten Untersuchungen von Eichler und Schemel 1 ),
welche unter Anwendung der Eisblase auf die Magengegend eine
wesentliche Temperaturerniedrigung des Mageninnern feststellen
konnten, die Blutstillung zu begünstigen. Jedenfalls ist sie
schon als weiteres Mittel der Immobilisierung des Kranken ent¬
schieden zu empfehlen.
1) Eichler und Schemel, Deutsche med, Wocbenschr., 1912,
Nr. 51.
Besteht, wie häufig genug, grosse motorische Unruhe, so ist
diese mit kleinen Morphium- oder Pantopondosen zu bekämpfen.
Mit diesen Maassnahmen kommt man in Fällen von leichten
oder mittelschweren Blutungen vollkommen aus, ja, ich muss auf
Grund meiner Erfahrungen ausdrücklich davor warnen, in Fällen
dieser Art eine übel angebrachte Vielgeschäftigkeit zu entfalten.
Die Erfahrung, dass in schweren Fällen von gastrointestinalen
Blutungen trotz dieser Maassnahmen eine Thrombenbildung aus¬
bleibt, bat immer wieder den Wunsch nach spezifisch blutstillen¬
den Mitteln nahegelegt. Obgleich dieses Ziel noch nicht erreicht
ist, darf die Hoffnung, solche Mittel äusfindig zu machen, keines¬
wegs als ausgeschlossen betrachtet werden. Was wir jetzt davon
besitzen — ich erwähne das Wismut, das Escalin (G. Klemperer),
die subcutanen Einspritzungen von Ergotin —, sind nur Etappen
zu diesem Ziele.
Auch die Gelatineinjektionen haben sich nicht in dem Um¬
fange bewährt, wie man früher erwartet hat. Immerhin möchte
ich sie bei schweren Fällen innerer Blutungen nicht missen. Das
Gleiche gilt von den rectalen Cblorcalciuminjektionen, die ja auf
demselben Prinzip der Blutgerinnungsbeschleunigung beruhen.
Von Adrenalin, innerlich angewandt, habe ich ebensowenig wie
Ewald 1 ) besonders augenfällige Erfolge gesehen.
Für sehr abundante und lebensbedrohende Magenblutungen
haben Ewald 2 ), Minkowski 8 ) und in neuerer Zeit auch
Kehr 4 ) als ultimum refugium Eis Wasserspülungen des Magens
empfohlen. Ebenso empfiehlt Kaufmann 6 ), gestützt auf Erfolge,
die er auf der Kussmaul’schen Klinik beobachtet hat, Magen¬
spülungen bei schweren Blutungen ex ulcere rotundo. Das Ver¬
fahren hat anscheinend keine Verbreitung gefunden, ich bin
aber der Meinung, dass es doch eines Versuches in solchen Fällen
wert ist, in denen der Magen, wie mau sich durch Palpation
überzeugen kann, fest mit Cruormassen gefüllt ist und diese
Massen zu einer Hypertonie des Magens führen. Allerdings eignet
es sich mehr für das Krankenhaus als für die Privatpraxis.
Wenn auf diesem oder jenem Wege die Blutung für den
Augenblick zum Stillstand gekommen ist, so ist damit noch lange
nicht ihr dauerndes Stehen garantiert. Auch sind unsere Kriterien
für das dauernde Sistieren der Blutung nicht so sicher, wie es
den Anschein hat. Am besten unterrichtet uns hierüber noch
das Allgemeinbefinden und vor allem die Füllung und Frequenz
des Pulses. Schon kleine Pulserhöhungen und eine mangelhafte
Füllung der Arterien beweisen, dass wir noch lange nicht Herren
der Situation sind. Der Teerstuhl, ein ausgezeichnetes Stigma
für die stattgehabte Blutung überhaupt, lässt uns während der
folgenden Tage im Stich, da es uns im Unklaren lässt, ob altes,
noch nicht ganz ausgeschiedenes, ob frisches und altes oder ob
nur frisches Blut vorliegt.
In dubio werden wir daher gut tun, auch bei völliger
Euphorie des Kranken in den ersten 6—8 Tagen nach der Blutung
immer die grösste Vorsicht zu üben, namentlich bezüglich der
Diät und der körperlichen Ruhe.
Je tiefer eine abdominale Blutung sitzt, um so sicherer stehen
wir ihrer Lokalisation und ihrer Ursache gegenüber, und zwar
dank der recto romanoskopischen Untersuchungsmetboden, dereö
methodische Ausbildung wir in erster Linie Schreiber und
H. Strauss zu verdanken haben. Erst durch die hervorragenden
Arbeiten dieser beiden Forscher haben wir gelernt, Blutungen aus
Geschwüren und Geschwülsten, die bisher dem Auge verborgen
waren, mit Sicherheit zu erkennen. Das bedeutet auch für die
Therapie der Blutungen aus dem Bereiche der Flexura sigmoidea
einen ganz wesentlichen Fortschritt, insofern wir nicht bloss rein
symptomatisch die Blutung angreifen, sondern darüber hinaus —
z. B. bei hochsitzenden Carcinomen und bei Polypen — die krank¬
haften Partien selbst auf chirurgischem Wege, bisweilen früh¬
zeitig beseitigen können.
Aber auch da, wo zunächst eine aktive und radikale Be¬
kämpfung von Blutungen nicht indiziert ist, bieten tiefsitzende
Blutungen ein erheblich dankbareres Feld für die palliative
Behandlung als hochsitzende, schon aus dem Grunde, weil sie
selten zu einer akuten Lebensgefahr Veranlassung bieten und
mehr durch ihre Chronicität und die hierdurch bedingte Anämie
unser Eingreifen erheischen.
So gelingt es z. B. mitunter bei den auf das Rectum oder
1) Ewald, 1. c.
2) Ewald, Klinik am Eingänge des 20. Jahrhunderts, Bd. Ü, S;506.
3) Minkowski, Med. Klinik, 1905, Nr. 52.
4) Kehr, Münchener med. Wocbenschr., 1912, Nr. 25 u. 26.
5) Kaufmann, Americ. journ. of the medical Sciences, June 1910.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
die Flexura sigmoidea beschränkten Blutungen infolge von Colitis
ulcerosa durch Wismut oder Dermatoleingiessungen oder -In-
sufflationen der Blutungen entweder vorübergebend oder dauernd
Herr zu werden oder, wenn auch keineswegs immer, die Ge¬
schwürsbildung zur Heilung kommen zu sehen.
Auch gegenüber den Hämorrhoidalblutungen befinden
wir uns, wie ich auf Grund jahrelanger Erfahrungen behaupten
darf, in einer erheblich günstigeren Lage wie früher, seitdem ich 1 )
in der methodischen Anwendung der Chlorcalciuminjektionen ein
Mittel gefunden habe, das in den überwiegend häufigen Fällen
die Blutung zum Stillstand gelangen lässt. Es ist begreiflich,
dass hierdurch die Hämorrhoiden selbst nicht beseitigt werden,
aber es hindert nichts, bei neu auftretenden Hämorrhoidalblutungen
die Chlorcalciumbehandlung energisch, d. h. für einige Wochen
wieder aufzunehmen. Voraussetzung für die Wirksamkeit der
Chlorcalciuminjektionen ist, dass man über ein wirklich zuver¬
lässiges Präparat verfügt, was nach meinen Erfahrungen leider
nicht immer der Fall ist. Man vergesse auch nicht, das Prä¬
parat als Calcium chloratum cristallisatum zu verschreiben
und zur Vermeidung von Irrtümern die chemische Formel CaCl 2
hinzufügen.
Die Wirkung von Chlorcalciuminjektionen bei Hämorrhoidal¬
blutungen ist, richtig und methodisch angewendet, in den meisten
Fällen eine derart prompte, dass ich wegen Blutungen allein
schon seit Jahren weder zu einer operativen noch zu einer nicht-
operativen Behandlung der Hämorrhoiden rate. Nur, falls neben
häufig wiederkehrenden, schweren Blutungen ein Hämorrboidal-
prolaps mit seinen unangenehmen Nebenwirkungen entstanden ist,
1) Boas, Therapie d. Gegen w., 1904, Juliheft.
oder falls starke Defäkationsbeschwerden oder sonstige Kompli¬
kationen vorliegen, rate ich zu einer Beseitigung der Hämorrhoiden.
Die Magendarmblotungen, an welchem Sitz sie sich auch
befinden und welche Ursache sie auch immer haben mögen, sind
immer nur das Symptom einer Krankheit, nicht die Krankheit
selbst, aber ein Symptom, das in seinen leichten wie in seinen
schweren Aeusserungen ernstes und zielbewusstes therapeutisches
Vorgehen fordert.
Gestattet die Art und Lage des Falles, wie dies bei tief¬
sitzenden Blutungen zutrifft, nicht bloss den Sitz, sondern auch
die Ursache der Blutung sicher zu beurteilen, so ist die kausale Be¬
seitigung derselben, falls angängig, die Methode der Wahl. Falls
wie bei hochsitzenden Blutungen zwar der Sitz, nicht aber die
Natur der Blutungen ohne weiteres zu beurteilen ist, muss die
kausale Behandlung so lange verschoben werden, bis die Blutung
als solche dauernd behoben ist. Worin die kausale Behandlung
zu bestehen hat, das hängt von zahlreichen Gesichtspunkten ab:
zunächst der Möglichkeit, das Wesen und den Sitz des zugrunde
liegenden Leidens klar zu erkennen, sodann von der Fragestellung,
ob eine innere oder chirurgische Behandlung Platz greifen muss,
ferner dem Alter und der sozialen Stellung, etwaigen Kompli¬
kationen von seiten anderer Organe, der Gefahr von Recidiveo
der Blutungen oder Gefahren anderer Art u. a. m.
Allen diesen Erwägungen, die im einzelnen zu erörtern den
Rahmen des Themas weit überschreiten würde, muss in der
posthämorrhagischen Periode sorgfältig Rechnung getragen werden.
Die Behandlung der Magendarmblutungen ist demnach ein über¬
aus wichtiger, ja in vielen Fällen lebensrettender, oft aber
nur ein erster und vorläufiger Schritt. Die Beseitigung ihrer
Ursachen ist ein zweiter nnd häufig weit schwierigerer.
Aus dem pathologisch-hygienischen Institut der Stadt
Chemnitz.
Gibt es eine gallige Peritonitis ohne Perforation
der Gallenwege?
Von
Prof. C. Nauwerck und Assistenzarzt Dr. Lübke.
Durch die Mitteilung von Fritz Wolff 1 ), mit dessen Aus¬
führungen wir uns vielfach in erfreulicher Uebereinstimmung be¬
finden, dürften die Leser dieser Wochenschrift über den Gegenstand
unserer Fragestellung im wesentlichen unterrichtet sein. Gestützt
auf eine klinische und pathologisch-anatomische Beobachtung,
vor allem aber auf das Tierexperiment, haben Clairmont und
v. Haberer 1910 den Begriff einer „galligen Peritonitis
ohne Perforation der Gallenwege“ einzuführen versucht.
Nach ihrer Meinung gibt es bei Choledochusverschlüssen massige
Gallenergüsse im Bauchraum, die nicht auf einer Unter¬
brechung des Zusammenhanges der Gallenwege, sondern auf einer
„DurchWanderung, wir möchten fast sagen auf einem Filtrations-
Vorgang“ bei scheinbar intakter Wandbeschaffenheit beruhen; sie
nehmen einen pathologischen Prozess der Gallenwege an, der sich
der makroskopischen Beobachtung vollständig entzieht, dessen
Wesen in einer Durchlässigkeit der Wandungen besteht. Clair¬
mont und v. Haberer scheinen über die problematische Be¬
deutung ihres einen Falles nicht im unklaren gewesen zu sein,
denn sie hätten ihn „als ungeklärt ad acta u gelegt, wenn ihnen
nicht durch den Tierversuch mit seinen völlig adäquaten Befunden
der Weg zu der vorgetragenen Deutung gewiesen worden‘wäre.
Sie haben in der Folge nicht sowohl die eigentlich zu erwartende
Prüfung als vielmehr eine Zustimmung gefunden, die sich bei
Doberauer bereits zu dem etwas fragwürdigen Schlagwort von
einer „perforationslosen Perforationsperitonitis“ steigert;
er meint, die „abdominelle Chirurgie sei um ein neues Krank¬
heitsbild bereichert worden, auf welches in diagnostischer Hin¬
sicht sowie was Indikation und Art der Therapie betrifft, künftig
Rücksicht genommen werden müsse“.
Uns selbst kam auf dem Seziertisch ein Fall zu Gesiebt, der
uns, fast wider Willen, zunächst an die Auffassung von Clair¬
mont und v. Haberer denken liess; erst das Mikroskop
brachte die einfach geartete Erklärung im Sinne einer Perfo-
1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2354; daselbst Literatur¬
angaben. Von Gallenergüssen aus physiologisch oder pathologisch galle¬
führenden Hohlorganen (Darm, Magen) soll hier nicht die Rede sein.
ration der Gallenblase; wir stehen seitherder uns schon aus
allgemein-pathologischen Gründen zweifelhaften Filtrationslebre
mit noch vermehrten Bedenken gegenüber und möchten mit dieser
unserer Meinung in einer theoretisch und praktisch ja nicht un¬
interessanten Frage uro so weniger Zurückbalten, als wir glauben,
gewisse anatomische Folgezustände der Gallenstauung darlegen
zu können, die uns wenigstens bisher nicht genauer bekannt
waren.
Ein 56jähriger Pickermacher Oswald W. wird am 20. V. 1912 auf
die chirurgische Abteilung des Stadtkrankenhauses in Chemnitz auf¬
genommen 1 ); litt vor 12 Jahren au „Magenkrämpfen“; erkrankt jetzt
am 14. V. morgens mit Leibschmerzen und wiederholtem, heftigem Durch¬
fall; erbrach anfangs Schleim, später geringe Menge kaffeesatzartiger
Massen. Die Schmerzen waren besonders heftig in der Magengrube.
Seither kein Stuhl, Winde erst am Tage der Aufnahme. Klage über
fortwährendes heftiges Aufstossen und starke Trockenheit im Munde.
Bei der Aufnahme erscheint ein mittelgrosser Mann in stark
reduziertem Ernährungszustände mit eingefallenen Wangen, hohlen Augen;
mässig starker Icterus; Zunge vollständig trocken, stark belegt. Ständiger
Ructus. Puls mässig kräftig, hart, 94; Temperatur 37,6*.
Das rechte Hypogastrium ist sehr druckschmerzhaft, ebenso das
etwas gespannte, aber nicht aufgetriebene übrige Abdomen. Keine
Darmsteifung. Urin eiweisshaltig.
Die Magenspülung befördert 250 ccm grünlich-schwarze, nicht kotig
riechende Flüssigkeit zutage.
Am 21. V. noch immer heftiges, schmerzhaftes Aufstossen; der
Icterus ist stärker geworden; Puls 84, kräftig; Temperatur 86,2—38,5°.
Bei der Magenspülung 500 ccm grünliche, gallig gefärbte Flüssigkeit.
Operation: Der zunächst unterhalb des Nabels angelegte Schnitt muss
nach oben bis zum Schwertfortsatz erweitert werden, da sich Galle in
grosser Menge in der Bauchhöhle befindet. Die Leber wird nach
oben gezogen; die Gallenblase ist stark gefüllt; die Eingeweide sind
icterisch gefärbt. Zwischen Leber und Duodenum bestehen spangen¬
artige Verwachsungen. „Die offenbar vorhandene Perforation
im Gallensystem, aus der die Galle in die Bauchhöhle aus¬
getreten ist, kann nicht gefunden werden.“
Aus dem kleinen Becken und der übrigen Bauchhöhle werden
grosse Mengen Galle durch Austupfen entfernt. Die Punktion
der Gallenblase ergibt sirupartige, schwärzliche, zähflüssige Galle.
Naht der Gallenblase. Einlegen von Drains in die Bauchhöhle; Naht.
22. V. Temperatur 39°; Collaps und Tod.
Unserem Institut wurde alsbald erstens der punktierte Inhalt der
Gallenblase, zweitens ein Teil des Gallenergusses im Bauchraum
übersandt; die bakteriologisch - kulturelle Untersuchung
(Dr. Panofsky) ergab im Gallenblaseninhalt Bacterium coli; der
1) Herrn Hofrat Prof. Reichel danken wir verbindlichst für die
Ueberlassung der Krankengeschichte.
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UMIVERSITY OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
G25
Gallenerguss war steril. Auf Gehalt an Typhusbacillen ist dabei be¬
sonders aufmerksam gefahndet worden.
Die folgenden Tages von Nauwerck vorgenommene Sektion
(Sekt.-Nr. 346) ergab im wesentlichen folgenden Befund:
Allgemeiner Icterus. Kochsalzinfusionen an den Oberschenkeln und
am Brustkorb. Vernähte und drainierte Laparotomiewunde an dem etwas
aufgetriebenen Abdomen. Die Drains gehen teils ins kleine Becken,
teils gegen die Gallenblase hin. In der Bauchhöhle findet sich,
besonders im kleinen Becken sowie in der Gegend der rechten
Niere, eine schwarzgrüne, gallige, wenig getrübte Flüssig¬
keit in geringer Menge vor; die miteingelegten Gazebäusche sind
stark gallig durchtränkt. Im Epigastrium ist die zurückgesunkene
weiche Leber und der Magen nur wenig sichtbar. Colon transversum
gebläht; grosses Netz fettarm. Peritoneum durchweg feucht, gerötet,
mit kleinsten Blutaustritten, vielfach von Fibrin belegt.
Zwerchfellstand: 4. Intercostalraum rechts, 6. Rippe links.
Die mässig gefüllte, von Gazebäuschen überlagerte Gallenblase,
die den unteren Leberrand nicht erreicht, zeigt am Fundus einige strang¬
förmige Verwachsungen mit Duodenum und Colon transversum sowie
eine übernähte Punktionsstelle. Foramen Winslowii für den Zeigefinger
durchgängig. Das Duodenum enthält grünliche, gallige, schleimige
Flüssigkeit; die Schleimhaut ist blass. Pylorus für den Zeigefinger gut
durchgängig. Im Magen 420 ccm grün-schwärzliche Flüssigkeit; Schleim¬
haut raamelonniert, mit punktförmigen Blutungen.
Bei Druck auf den Ductus choledochus dringt reichlich flüssige,
dunkle Galle aus der Papille hervor; von einem stärkeren Druck auf
die Gallenblase wird abgesehen.
In den Gallengang wird durch eine eingebundene Kanüle
Wasser eingespritzt. Dabei füllt sich die Gallenblase sowie
ein erweiterter, subseröser Gallengang rechts vom Ligamentum
Suspensorium. Nirgends aber tritt Flüssigkeit aus den Gallen¬
wegen oder aus der Leber aus. Der Ductus choledochus erweist
sich beim Aufschneiden mässig erweitert, mit gallig imbibierter Schleim¬
haut; Ductus cysticus ebeuso, etwas erweitert.
Die Gallenblase enthält dunkle, durch das eingeführte Wasser
verdünnte Galle; die dunkelbraungrüne bis schwarzgrüne Schleimhaut
ist leicht geschwollen. Etwa in der Mitte zwischen Hals und Grund
fiudct sich rechterseits, nach aussen von der Linie, in der sich das Peri¬
toneum von der Gallenblase auf die Leber umschlägt, eine 11 mm lange,
quergestellte, 2 mm breite, ganz oberflächliche Schleimhauterosion A,
die sich wesentlich nur durch ihre hellere, goldgelbe Färbung kenntlich
macht; halswärts setzt sie sich als schmälere Zunge seitlich noch 6 mm
weiter fort, überall scharf, aber etwas fetzig abgegrenzt. Im Bereich
der Erosion ist die Wand der Gallenblase nicht sichtlich verdünnt, auch
nicht auffallend durchscheinend; das subseröse Gewebe ist daselbst leicht
ödematös gequollen. Dicht am Abgänge des Ductus cysticus liegt eine
ähnliche, rundliche, kleinere (3:3 mm)Erosion B. (Am gehärteten Präparat
endlich zeigt sich im Fundus eine lediglich durch ihre hellere Färbung
verdächtige, 4:5 mm messende Stelle C.) Es wird nun die Gallenblase
mit aller Aufmerksamkeit sowohl von der Schleimhaut als von der Serosa,
unter Zuhilfenahme von Borsten, auf Perforationen hin untersucht.
Aber ohne Erfolg. Die Serosa trägt an verschiedenen Stellen fädige
Fortsätze sowie umschriebene kleine Defekte, die von der operativen
Lösung feiner Adhäsionen herrühren. An der Schleimhaut der extra-
uud intrahepatischen Gallengänge fehlen Defekte oder sonst verdächtige
Stellen.
Die entsprechend grosse Leber zeigt ein ziemlich fettreiches, blass
braungelbes, trübes, gut gezeichnetes, am linken Lappen wenig, am
rechten stärker ikterisches Gewebe; sowohl an der Oberfläche als im
Innern fallen einzelne bis kleinerbsengrosse Stellen durch mehr grau¬
rötliche Färbung auf. Der rechte Lappen ist oberflächlich gallig imbibiert,
der linke nicht.
Jejunum und Ile um, dessen Schleimhaut fleckig gerötet, mit
Blutungen versehen und geschwollen ist, enthalten schleimige, dunkel¬
grünliche, stark gallige Flüssigkeit. Im Coecum ist geballter, grau-
grünlicher Kot. Im übrigen Dickdarm mit Einschluss des Rectums zeigt
sich breiiger oder geballter Kot von acholischer, grauer bis weiss-
licher Beschaffenheit. Gallensteine werden nicht vorgefunden. Der
Wurmfortsatz enthält wenig graugelblicben, zähen Schleim und in der
Spitze einen herzförmigen, konzentrisch geschichteten, grauweisslichen
Kotstein (8:5:2mm) mit brauner Schale; Bestandteile: kohlensaurer
und schwefelsaurer Kalk; kein Cholestearin. Schlaffe, ikterische Nieren.
In der Blase 300 ccm gelbbrauner, etwas trüber, eiweisshaltiger Harn
(mikroskopisch Leukocyten, hyaline und Epithel-Cylinder). Eitrige
Tonsillitis. Subepicardiale Blutungen; Sehnenflecke des Epicards. Herz¬
dilatation. Arteriosklerose. Pleuraverwachsungen. Lungenemphysem.
Centrale croupöse Pneumonie des rechten Unterlappens. Fibrinös¬
seröse Pleuritis. Hydrocele testis; Varicocele.
Der gallige Erguss im Bauchraum, wie er bei der Operation
gewonnen wurde, zeigte einen Wassergehalt von 92,91 pCt.; aus der
Leiche entnommen von 92,47 pCt. (Chemisches Untersuchungsaint, Direktor
Dr. Behre); Zahlen also, die mit den Normalverhältnissen der Galle
noch io Uebereinstimmung stehen würden.
Die an einer lückenlosen, quer zur Längsachse des Organs'gelegten
Sehnittreibe durchgeführte mikroskopische Durchmusterung des
ganzeo Gebietes der Gallenblasenerosion A erbringt sofort den
sicheren Beweis, dass tatsächlich eine Trennung des Zusammen¬
hanges durch die ganze Dicke der Wandung hindurch, wenn auch in
ungewohnter Form, vorliegt. Das nebenstehende, bei schwacher (sechs¬
facher) Vergrösserung aufgenommene Mikrophotogramm vermag die
Schilderung wesentlich zu erleichtern und abzukürzen; es gibt den
Schnitt wieder, in dem die Zerstörung ihren Höhepunkt erreicht.
Beherrscht wird das Bild durch ein klaffendes, gegen die Serosa
hin leicht konvergentes Auseinanderweichen der Tunica fibrosa, deren
dichtes, dunkles Gefüge besonders links plötzlich aufhört; die Grösse
dieser Lücke entspricht durchaus dem geschilderten Schleimhautdefekt,
und sie stellt demgemäss einen in der Quere bis zu 11 mm breiten, in
der Längsrichtung 8 mm hohen Riss dar, der ganz nahe der Haftlinie
der Gallenblase an der Leber (Figur) verläuft. An der erwähnten
zuogenförmigen Verschmälerung übertrifft sogar die Lücke der Fibrosa
an Grösse die Erosion. Sie setzt sich durch Subserosa und Serosa,
aber in weit geringerer Ausdehnung, bis etwa zu 1,5 mm, fort, deren
Ränder eine Strecke weit wellig gefaltet und an dem Defekt selbst nach
aussen umgeschlagen erscheinen (Figur). Etwas anders gestalten sich
die Verhältnisse an der Tunica muscularis; hier bestehen, den seit
liehen Begrenzungen der Fibrosalücke entsprechend, zwei kleinere, eben¬
falls ziemlich scharf abgesetzte Unterbrechungen der Muskelzüge, während
in den centraleren Teilen der Zusammenhang durch zum Teil gelockerte,
meist gallig imbibierte Muskulatur gewahrt bleibt. Die Mucosa endlich
fehlt über diesen seitlichen Muscularisdefekten ebenfalls fast völlig; über
der erhaltenen Muskulatur ist sie da und dort io kleineren, meist gallig
imbibierten Fetzen erkennbar.
Die geschilderten Lücken insbesondere in der Fibrosa bedeuten nun
keineswegs eine freie Passage durch die Wandung; sie erscheinen viel¬
mehr ausgefüllt durch lockeres Bindegewebe, das in Fasern oder
dünneren Bündeln straff ausgezogen oder aber in unregelmässig ge¬
stalteten zusammengerollten, vielfach gallig imbibierten Formen daliegt.
Dazwischen sind kleinere und grössere Lücken, die miteinander in Ver¬
bindung stehen, und zieht man die Reihe der aufeinanderfolgenden
Schnitte zu Rate, so ergibt sich, dass zwischen Lichtung der Gallenblase
und Peritoneairaura ein ununterbrochener Zusammenhang, aber gewisser-
raaassen mit Hindernissen besteht, so dass der übliche Nachweis einer
Perforation mittels Sondierung fehlschlagen musste, und auch die ange¬
wandte Wasserprobe versagte, indem sich wahrscheinlich, dem Innen¬
druck folgend, die verschiedenen Schichten ventilartig aneinander¬
legten.
Dass diese Wandstelle in der Tat einmal der Galle den Durchtritt
gewährt hat, sieht man ohne weiteres an der charakteristischen, gelben
bis gelbbraunen, gleichraässigen Färbung der Ränder, besonders an der
Fibrosa. Mikroskopisch treten ausserdem in den Maschen des ver¬
bleibenden Netzwerkes kleinere körnig-schollige und grössere, dunkel¬
grün durchschimmernde gallige Klumpen der verschiedensten Form
entgegen, besonders in den seitlichen Teilen (Figur); zum Teil
scheinen sie in Lympbgefässen als Ausgüsse zu liegen; ein grosser
kugeliger Klumpen füllt den epithelbekleideten erweiterten Grund eines
sonst zerstörten Luschka’schen Ganges aus. Diesen Gängen kommt
im übrigen hier keine weitere Bedeutung zu. Auch vereinzelte Bili¬
rubinkristalle sind zu sehen.
An den Rändern zeigt sich besonders im Bereich der Subserosa eine
entzündliche Infiltration durch polynucleäre Leukocyten.
Das geschilderte Netzwerk schliesst vereinzelte gramnegative Stäb¬
chen vom Aussehen von Colibacillen ein.
Die Erosion B, ebenfalls an einer Schnittserie untersucht, zeigt
kleine, rissige Defekte in der Schleimhaut, erhebliche Lockerung und
Trennung der Muscularis und Fibrosa; die Lücken enthalten bis in die
Subserosa hinein die gleichen galligen Schollen und Klumpen; die ent¬
zündliche Infiltration ist gleichfalls da. Die Serosa ist unverletzt,
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UNIVERSUM OF IOWA
626
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Die Stelle C endlich zeigt eine ganz oberflächliche, nur die Mitte
einnehmende, gallig imbibierte Nekrotisierung der Schleimhaut, der in
der Fibrosa ein grösseres, mit der Oberfläche parallel laufendes,
am Weigert-Präparat bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge sich
deutlich abhebendes Lager fädig-fibrinöser Eisudation entspricht. Der
Schleimhaut lagert sich eine körnige, Fibrinfärbung ablehnende Schicht
mit vereinzelten Leukocyten und Epithelien auf. Eine kleinzellige ent¬
zündliche Infiltration der Gewebe besteht nicht.
Ueberhaupt mag hier festgestellt werden, dass eine Cystitis im
Sinne einer gleichmässig verbreiteten, anatomisch nachweisbaren Ent¬
zündung nicht bestanden bat; das Epithel freilich war vielfach defekt,
die Bedeutung dieses Befundes bleibe dahingestellt.
Bei der schliesslich vorgenommenen Zerlegung der noch nicht unter¬
suchten Teile der Gallenblase stösst man an einer Stelle D, die der
Erosion A der Lage nach, aber links, entspricht, auf eine umschriebene
gallige Verfärbung der tieferen Wandschichten bis in die Subserosa
hinein. Der mikroskopische Befund gestaltet sich ganz ähnlich wie bei
Erosion B, nur dass der Schleimhautdefekt so unerheblich war, dass
er dem blossen Auge entgehen musste; die Serosa ist nicht durch¬
brochen.
Die Deutung unseres Falles bedarf der vielen Worte nicht.
Entscheidend fällt ins Gewicht, dass zeitweilig eine völlige
Gallenanstauung — Icterus, Acholie des Dickdarminhalts —
bestanden haben muss. Bereits vor der Operation zeigte die
zweite Magenspülung, dass das Hindernis beseitigt war, und
die Sektion erwies die Gallengänge wegsam, den Dünndarm gallen¬
haltig. Die Ursache der Gallenretention blieb ungeklärt und steht
auch für die uns hier beschäftigende Frage erst in zweiter Linie.
Immerhin möchte vor allem an Cholelithiasis — früher „Magen¬
krämpfe“ — zu denken sein; mit der Annahme einer Ein¬
klemmung im Ductus choledochus wäre das plötzlich einsetzende
Krankheitsbild der ersten Tage ebenso befriedigend zu erklären
wie die Behebung der Gallenretention durch freiwilligen Ueber-
tritt des Steins in den Darm. Eine andere Auffassung lässt sich
wenigstens aus dem Sektionsbefund schwerlich ableiten.
Die überdehnte Gallenblase ist gerissen, es erfolgte
der Erguss von Galle in den Bauchraum, ein Ereignis, dessen
Zeitpunkt aus den Angaben der Krankengeschichte nicht ersicht¬
lich wird; von einem Trauma im engeren Sinne ist nichts bekannt;
ob etwa Erbrechen oder Singultus mitgespielt haben, ist nicht
zu entscheiden. Die Ruptur tritt parallel dicht neben der Linie
ein, an der die Gallenblase auf der Leber fixiert ist; an einer
Stelle also, die mechanisch für eine Trennung des Zusammen¬
hangs veranlagt erscheint; für diese Auffassung spricht auch,
dass genau am gleichen Ort der anderen Seite sich ein aller¬
dings unvollständiger Einriss vorfindet. Durch ältere Adhäsionen
war die Gallenblase übrigens, wenn man so sagen darf, in ihrer
Bewegungsfreiheit behindert. Die Form des Wanddefektes ist
kaum anders denn auf mechanische Einflüsse zurückzuführen.
In erster Linie dürfte die überdehnte fibröse Schicht gerissen
sein, Mucosa, Muscnlaris, Serosa sind in ihrem Zusammenhänge
lange nicht so ausgiebig und in so scharfer Abgrenzung unter¬
brochen worden, haben sich vielmehr als dehnbarer erwiesen.
Keinesfalls bandelt es sich etwa um einen mit Perforation enden¬
den geschwürigen Prozess, der von der Oberfläche her eingesetzt
hätte; das Bild des Defektes müsste dann gerade an der Schleim¬
hautseite am stärksten entwickelt sein und überhaupt den nekroti¬
sierend eitrigen Charakter zeigen, der ihm abgeht. Zweifellos
war die Gallenblase zur Zeit der Operation infiziert, von einer
Cystitis aber lässt sich auch nach dem mikroskopischen Aussehen
nicht sprechen; die kleine Schleimhautnekrose C ist offenbar
ganz frisch entstanden.
Der Gallenerguss ins Peritoneum wird so lange angehalten
haben als das Abflusshindernis bestand. Hätte in diesem
Zeitpunkt die Operation oder die Sektion stattge¬
funden, so zweifeln wir nicht daran, dass die Perfo¬
ration gefunden worden wäre. Aber schon zur Zeit der
Laparotomie hatte die Gallenretention ihr Ende gefunden, die
Spannung nachgelassen, die Gallenblase als kontraktiles
Organ ihren Gleichgewichtszustand wiedergefunden, der patho¬
logische Gallenabfluss aufgehört. Und bei der Sektion ver¬
mochte unter diesen veränderten Verhältnissen nicht einmal die
von uns angestellte Wasserprobe die Rissstelle der Gallenblase
zu verraten. Der Vorstellung, dass unter günstigeren Bedingungen
der Riss zur narbigen Ausheilung gekommen wäre, steht ein
stichhaltiger Einwand nicht entgegen.
Welche Folgerungen haben wir nun aus vorstehender Mit¬
teilung zu ziehen, um ^zur Beantwortung unserer Frage zu ge¬
langen? * ;
Erstens: Die Unmöglichkeit, bei der Operation oder Sektion
den Nachweis einer Perforation der Gallenwege zu leisten, be¬
weist noch nicht, dass eine solche nicht vorher bestanden und
den peritonealen Gallenerguss verursacht hat, denn die Perforation
kann sich zu dieser Frist derart verschlossen haben, dass sie
nicht aufgefunden wird.
Zweitens: Ein Urteil, welches auf Grund der Betrachtung
mit blossem Auge gefällt wird, genügt nicht, um in diesem Sinne
das Vorhandensein einer Perforation auszuscbliessen; Sicherheit
wird nur durch eine erschöpfende mikroskopische Unter¬
suchung zu gewinnen sein. Alle Fälle also, bei denen lediglich
die operative Autopsie in Tätigkeit trat, müssen als nicht beweis¬
kräftig von vornherein abgelehnt werden. Wir halten es Übrigens
auch sonst nicht für durchführbar, bei der Operation alle
Möglichkeiten sogar noch offener Perforation aufzusuchen und
auszusch Hessen, die hier in Betracht kommen; wir denken dabei
z. B. an die Rupturen snbseröser Gallengänge der Leber
bei Gallenstauung, auf die besonders Nauwerck 1 ) selbst und durch
Karrillon 2 ) aufmerksam gemacht hat; diese Perforationen ent¬
ziehen sich sogar bei der Sektion vermöge ihrer Kleinheit ond
des öfter verzwackten Sitzes leicht der Betrachtung, so dass sie
unter Umständen erst bei der Wasserprobe erweislich werden.
Seither sahen wir einen weiteren Fall allgemeiner fibrinöser Peri¬
tonitis bei einer 73 jährigen Frau mit 1200 ccm fast reiner Galle
im Bauchraum; der Ductus choledochus war durch einen Stein
verlegt, die prallgefüllte Gallenblase enthielt Steine; an der Ober¬
fläche des rechten Leberlappens bestand eine durch Fibrin ver¬
deckte stecknadelkopfgrosse Perforation, die in einen erweiterten
subserösen Gallengang führte.
Lassen wir nun von diesem neugewonnenen Standpunkt aus
die bisher beschriebenen Fälle an uns vorübergehen. Da ist zu¬
nächst die grundlegende Beobachtung von Clairmont und
v. Haberer: GallessteinVerschluss des Ductus choledochus, der
an dieser Stelle „dunkel verfärbt scheint, so dass der Verdacht
auf beginnende Gangrän naheliegt“. Der Stein wird bei der
Operation in die Gallenblase zurückgedrängt und extrahiert. Die
Sektion ergab: Im Gallengang noch zwei Steine; die Gallen¬
blase „zeigte ziemlich ausgedehnte Entzündung ihrer Schleimhaut
mit mässiger Schrumpfung ihrer Wand. Eine Perforation der
Gallenwege konnte nirgends gefunden werden, auch keine daraufhin
verdächtige Stelle. Es fand sich auch kein geschwüriger Prozess
im Ductus choledochus“. Das Verhalten der Leberoberfläche ist
nicht ausdrücklich erwähnt, doch zweifeln wir keinen Augen¬
blick, dass sie sorgfältig abgesucht worden ist. Dagegen ver¬
missen wir die mikroskopische Untersuchung der doch nicht
intakten Gallenblase und der suspekten Stelle des Gallen¬
gangs. Für uns gilt die Beobachtung somit um so weniger als
beweiskräftig, als die Krankengeschichte geradezu auf eine akute
Perforation am Gallengangsystem, und zwar der Gallenblase,
nicht aber auf einen langsamen Filtrationsvorgang hindeutet:
„In den letzten Tagen des Januar nahmen die Schmerzen im
Bauche wieder an Intensität wesentlich zu. Pat. hatte das
Gefühl, als wenn ihm im Bauch etwas platze; der Stuhl
blieb, trotz abnehmendem Icterus vollkommen acholisch.
Am 30. Januar war zum erstenmal freie Flüssigkeit im Banch
nachgewiesen worden, die nun von Tag zu Tag zunahm. Der
Gallenblase entsprechend war keine Resistenz mehr tastbar;
während Mitte Januar die Gallenblase deutlich palpabel
war.“ Zwischen der Operation, die die Gallenretention beseitigte,
und dem Tode lagen vier Tage, Zeit genug, an der Gallenblase
ähnliche Verhältnisse wie in unserem Falle zu schaffen.
Ueber ihre Tierversuche, denen entscheidende Bedeutung
beigelegt wird, machen Clairmont und v. Haberer lediglich
folgende Angaben: Unter zahlreichen Hunden, denen wir den
Ductus choledochus unwegsam machten, fanden sich vier Tiere,
die einen ganz auffallenden Verlauf zeigten: ein stärkerer Icterus
blieb aus; es fiel eine Zunahme des Bauchumfanges auf und alle
diese Tiere gingen f plötzlich ein. Obduktion: Intensiver Icterus
der Bauchdecken, während die übrige Haut und Muskulatur keine
oder nur geringe icterische Verfärbung zeigte. Im Abdomen fand
sich gallige Flüssigkeit in ausserordentlich reichlicher Menge.
In keinem der Fälle war der Ductus choledochus durchgängig.
Die Gallenblase war jedesmal vergrössert, aber nicht prall ge¬
füllt, und trotz genauem Zusehen war eine Perforation der Gallen¬
wege nicht zu finden.
1) Münchener med. Wochensohr., 1905.
2) Zur Statistik und Kasuistik der Gallensteinkrankheit. Inaug.-Diss.
Leipzig 1909. (4 Chemnitzer Fälle.) ^
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UNIVERSUM OF [OWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
627
Unterbindungen des Choledochos sind an Tieren, auch an
Händen, bekanntlich schon vielfach gemacht worden 1 )) ohne dass
unseres Wissens die Beobachter genötigt gewesen wären, ähnliche
Ueberlegungen wie Clairmont und v. Haberer anzustellen.
Wohl aber sind dabei, wenigstens bei Meerschweinchen, Rupturen
der Gallenblase mit den entsprechenden Gallenergüssen im Bauch¬
raum vorgekommen 2 ). Die subjektive Ueberzeugung der beiden
Autoren in allen Ehren; den unbeteiligten Leser aber ohne weiteres
zu ihrer neuen Ansicht, dass die Galle bei den vier Hunden
durch eine Art von Filtration ausgetreten sei, zu bekehren, wäre
die Mitteilung genauer Einzelprotokolle und die Benutzung des
Mikroskops doch wohl erforderlich gewesen. Zunächst können
wir also auch den experimentellen Beweis ihrer Lehre nicht für
sicher erbracht halten.
Doberauer’s erster Fall, der eine rein operativ gewonnene
Beobachtung darstellt, scheidet schon aus diesem Grunde für uns
aus; Fritz Wolff nimmt wohl mit Recht an, dass es sich nur
um eine nicht aufgefundene, traumatische Perforation eines
galiefUhrenden Organs gehandelt habe.
Bei Doberauer’s zweitem Falle, bei dem der dunkle, zäbe,
mit wenig Eiter vermischte Gallenerguss in der Bauchhöhle
Typhusbacillen in Reinkultur enthielt, wurde die Cholecysto-
tomie an dem gefüllten, glatten, 'zarten Organ vorgenommen;
Heilung. Auch hier fehlte die Gelegenheit zu genauer, nament¬
lich mikroskopischer Untersuchung. Doberauer’s Beobachtungen
fallen übrigens ein Jahr vor die Publikation Clairmont’s und
v. Haberer’s, die ihm so überzeugend erschien, dass er die
neue Lehre auf seine bis dabin vorsichtiger beurteilten Fälle über¬
tragen zu sollen glaubte.
Fritz Wolff endlich meint, den „experimentellen Studien
von Clairmont und v. Haberer sei natürlich die Beweiskraft
nicht abxusprechen“; eigene klinische Beobachtungen im Sinne
dieser Autoren, die doch ausschliesslich die Folgen eines Chole-
dochusverschlusses im Auge haben, bringt er nicht bei; deun
sein dritter Fall, an den allenfalls noch gedacht werden könnte,
muss schon deshalb hier grundsätzlich ausgeschlossen werden,
weil der Gallengang frei war.
Damit sind wir unseres Wissens schon am Ende der Reibe
angelangt; sie ist sehr kurz; zu kurz, als dass wir die von uns auf¬
geworfene Frage bejahen könnten. Unseres Erachtens soll erst
noch durch neue, einwandfreie Beobachtungen gezeigt werden, dass
wirklich eine gallige Peritonitis in dem Sinne, wie es die Erst¬
autoren meinten, vorkommt: massiger Gallenerguss im Bauch¬
raum im Verlauf von Gallenstauung bei scheinbar intakter
Wandbeschaffenheit der nicht perforierten Gallenwege.
Dass bei eitrigen, nekrotisierenden oder gangränösen
Prozessen der Gallenblase mit oder ohne Gallenstauung sich
mehr oder weniger gallig gefärbte peritonitische Ergüsse ohne
nachweisbare Perforationen vorfinden können, steht dabei als eine
besonders den Chirurgen längst geläufige Tatsache unberührt fest.
Friedrich 3 ) berichtete neuerdings über interessante derartige Be¬
obachtungen und scheint andeuten zu wollen, dass das Mikroskop
unter solchen Verhältnissen vielleicht doch hier und da richtige
Unterbrechungen des Zusammenhangs aufdecken könnte. Die
lehrreiche Beobachtung und Beschreibung einer, nach Doberauer
als gangränös zu bezeichnenden, gallig gefärbtes Exsudat allent¬
halben ausschwitzenden Gallenblase durch Schievelbein steht
schon unter dem Einfluss der ArbeitClairmont’s und v.Haberer’s,
und vermögen wir auch deren Auffassung nicht zuzustimmen, so
bleibe ihnen das Verdienst ungeschmälert, eine Anregung ge¬
geben zu haben, die sich noch weiterhin als fruchtbringend er¬
weisen dürfte.
Aus der II. medizinischen Klinik der Königl. Charite.
Zur Therapie der Angina Plaut-Vincenti. 4 )
Von
Jnliis Citroa.
Die Angina Plaut-Vincenti besitzt ihre klinische Bedeutung
vor allem dadurch, dass sie in ihrem äusseren Anblick eine
grosse Aehnlichkeit mit der Diphtherie und der Lues hat. Sie
1) Tsunoda, Virchow’s Archiv, 1908, Bd. 193.
2) Ogata, Ziegler’s Beitr., 1913, Bd. 55.,
3) Akute Gallenblasengangrän, unit ,und ohne Steinbefund in der
Gallenblase. Deutsche med. Wochensehr., 1911, Nr. 19.
4) Nach einer Demonstration in der Hufelandisohen Gesellschaft.
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ist seinerzeit, im Jahre 1894, auch in der Tat von Plant in der
Weise entdeckt worden, dass er bei der bakteriologischen Unter¬
suchung einer grossen Reibe von Diphtheriefällen auf Kranke
aufmerksam wurde, die im Rachen an den Tonsillen geschwürige
Prozesse besassen, die von den Aerzten ohne weiteres als Diph¬
therie angesprochen worden, sich aber dadurch von dieser Krank¬
heit unterschieden, dass im Ausstrich mikroskopisch keine Diph-
theriebacilleD, sondern andere, eigentümliche Mikroorganismen
nachgewiesen wurden. Auch bei der Anwendung des Kultur¬
verfahrens wuchsen ans solchen Erkrankungsformen keine Diphtherie¬
bakterien. Die für die Angina Plaut-Vincenti charakteristischen
Mikroorganismen sind eigentümlich grosse, stets za zweit liegende,
spiessförmige Bakterien, die sogenannten Bacilii fusiformes, und
mit ihnen fast immer kombiniert vorkommende Spirochäten. So¬
wohl die fusiformen Bacillen als auch die Spirochäten waren
schon vorher als mehr oder minder harmlose Mund- und Zahn¬
bakterien bekannt gewesen, insbesondere zeigte es sieb, dass unter
dem Zahnfleisch, häufig auch bei ganz Gesunden, diese Mikroben
vorzukommen pflegen. Was die Angina Plaut-Vincenti bakterio¬
logisch charakterisiert, ist demnach nicht da9 blosse Zusammen¬
sein dieser beiden Mikroorganismenarten, sondern vielmehr die
Tatsache, dass sie bei der Angina Plant-Vincenti in den er¬
krankten Fällen in ungeheurer Menge und nahezu in Reinkultur
vorzukommen pflegen. In den meisten Fällen findet man beide
Mikroparasiten in Symbiose miteinander vor, jedoch sind ein-
wandsfreie Fälle bekannt, in denen entweder nur fusiforme
Bacillen oder nur Spirochäten sich fanden. Die ausserordentlich
häufige Symbiose der fusiformen Bacillen mit den Spirochäten
hat schon sehr früh den Gedanken nahegelegt, dass es sich gar
nicht um zwei differente Mikroorganismen handle, sondern viel¬
mehr am verschiedene Entwicklungsstadien desselben Mikropara¬
siten. Erst die neueren Versuche von Müh lens, dem es gelang,
sowohl fusiforme Bacillen als auch Spirochäten in Reinkultur zu
züchten and dabei den Nachweis zu führen, dass es sich uih an¬
aerobe Lebewesen handelt, zeigten, dass es sich wirklich um zwei
verschiedene Mikroorganismen handeln müsse. Die Untersuchungen
von Mühlens wurden in allerjüngster Zeit dnreh Shma-
mine bestätigt, dem es gelang, die Bacilii fnsiformes dnreh
89 Generationen weiter zu züchten, ohne dass er jemals einen
Uebergang derselben in Spirochäten gesehen hätte.
Was die Natur der bei Angina Plaut-Vincenti gefundenen
Spirochäten betrifft, so wurden diese früher einfach als Miller’sche
oder Zahnspirochäten knrzweg bezeichnet. Seitdem in neuerer
Zeit da9 Interesse für die einzelnen Spirochäten formen grösser
geworden ist, haben jedoch eingehende Untersuchungen gezeigt,
dass es im Munde eine grössere Reibe verschiedenster Spiro-
cbätenarten gibt, deren Differenzierung bisher in einwandsfreier
Form noch nicht geglückt ist. Besondere Verdienste am die
Spezialforschung auf diesem Gebiete haben sich Gerber und
Commandon erworben. Gerber unterscheidet im Monde sechs
verschiedene Arten von Spirochäten:
1. Spirochaeta undulata,
2.
n
inaequalis,
3.
n
dentinm,
4.
ti
recta,
5.
tennis,
6.
n
denticoli.
Commandon unterscheidet sogar acht verschiedene Arten.
Die Differenzierung der einzelnen Spirochätenarten ist da¬
durch erschwert, dass ihre Form und ihr Anssehen in hohem
Maasse von der Untersnchnngsmethode, die man anwendet, ab¬
hängig ist. Konnte doch Gerber zeigen, dass bei dem gleichen
Material sich z. B. im Dunkelfeld massenhaft Spirochäten and
nnr ganz vereinzelt fusiforme Bacillen nachweisen Hessen, während
bei der Metbylgrün-Pyroninfärbung die Spirochäten fast gar nicht
zur Darstellung gelangten, während die fusiformen Bacillen in
ungeheuren Massen vorhanden erschienen. Für meine eigenen
Untersuchungen zog ich die Färbung mit Carboifuchsin vor, in
welchem beide Mikroorganismenarten in ziemlich gleich guter
Weise zur Darstellung gelangen. Welche von den vielen Spiro¬
chätenarten des Mundes die mit den fusiformen Bacillen meist
kombinierte Spirochäte der Angjna Plant-Vincenti ist, lässt sich
bisher noch nicht mit Sicherheit ingeben, 'doch dürfte in den
meisten Fällen nicht die Spirochaeta dentinm, sondern vielmehr
die früher als Spirochaeta buccalis bekannte in Betracht
kommen, die allem Anschein nach der Spirochaeta undulata
Gerb er’s entspricht ., Es wäre aber ein grosser Fehler, wollte man
annehmen, dass es sich hei den fnsiformen Bacillen und den Spiro-
2 *
Original from
Universität of iowa
628
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
chäten um Erreger handelt, die ausschliesslich bei der Angina
Plaut Vincenti Vorkommen würden, vielmehr hat schon Miller
darauf hingewiesen, dass sich die gleichen Infektionserreger auch
bei einer Reihe anderer Mundkrankheiten vorfinden, so insbesondere
bei der Gingivitis marginalis, ferner bei einer bestimmten Form
von Pulpitis und bei gewissen Periostitiden und Abscessen. Man
kann ganz allgemein sagen, dass alle diejenigen Krank¬
heiten, die zu Geschwürsbildung in der Mund-Rachen¬
höhle Anlass geben, auch sekundär von fusiformen
Bacillen und Spirochäten infiziert werden können. Dem
entspricht es, dass man diese Mikroben auch bei der Stomatitis
mercurialis, bei der Alveolarpyorrhöe, bei Noma, bei Skorbut, bei
syphilitischen Geschwüren, mögen diese primärer, sekundärer oder
tertiärer Art sein, bei Krebs usw. gefunden hat. Es beschränkt
sich die Infektionsmöglichkeit der genannten Mikroben auch keines¬
wegs nur auf die Mund-Rachenhöhle, es sind vielmehr auch In¬
fektionen an andererStelle bekannt. So sind von Verneuilh und
Clado Fälle von'Abscessen der Sublingualisspeicheldrüsen und
einmal ein Abscess an der Fingerspitze beschrieben worden, der
durch Verletzung mit einem alten künstlichen Gebiss verursacht
worden ist.
Was das klinische Bild der Angina Plaut-Vincenti betrifft, so
ist es meist dadurch ausgezeichnet, dass dem ausserordentlich
auffälligen Lokalbefunde meist nur eine geringe subjektive
Störung entspricht, und dass das Fieber oft ganz fehlt oder nur
in den ersten Tagen vorhanden ist. Gerade diese Differenz
zwischen dem objektiven Befund und dem subjektiven Befinden
der Kranken ist es, welche zuerst Befremden erregen muss und
insbesondere an der Diagnose Diphtherie zweifeln lässt. Zur
Differentialdiagnose gegen Syphilis, mit der die Angina Plaut-Vin¬
centi gleichfalls leicht verwechselt werden kann, hat Andreya
das Aufbringen von verdünnter Chromsäurelösung empfohlen,
welche die Syphilisplaques gelb färben soll, während die Beläge
der Diphtherie und der Angina Plaut-Vincenti diese Farbe nicht
annehmen. Sicherer als dieses Verfahren ist jedoch die sero¬
logische Blutuntersuchung nach Wassermann. Zwar hat Much
in einer Arbeit einmal die Behauptung aufgestellt, dass auch die
Angina Plaut-Vincenti Anlass zu einer positiven Wassermann-
schen Reaktion geben könne; glücklicherweise hat sich jedoch
diese Angabe Much’s, wie fast alles, was dieser Autor zur Frage
der Wassermann’schen Reaktion publiziert hat, als unrichtig
erwiesen. Die Beobachtungen aller Autoren, die sich seitdem
mit dieser Frage beschäftigt haben, Rumpel, Plaut, Sobern-
heim sowie meine eigenen Fälle, sprechen dafür, dass die
Wassermann’sche Reaktion ein ausgezeichnetes differential¬
diagnostisches Mittel zur Unterscheidung von Syphilis und Angina
Plaut-Vincenti ist. Besonders lehrreich in dieser Beziehung sind
die Fälle Sobernheim’s. Sobernheim hatte Gelegenheit, drei
Fälle von Plaut-Vincenti’scher Angina zu untersuchen. Er fand
nur einen dieser Fälle negativ, die beiden anderen aber positiv
reagierend. Der eine der beiden positiv reagierenden Fälle hatte
jedoch nachweislich Syphilis gehabt, während bei dem zweiten
dieses vorher unbekannt war. Kurze Zeit jedoch nach der Unter¬
suchung stellten sich bei diesem Kranken sekundäre syphilitische
Erscheinungen ein und bewiesen damit, dass in der Tat die
Wassermann’sche Reaktion mit Recht positiv ausgefallen war.
Wir hatten schon vorher erwähnt, dass die Kombination der
sekundär infizierten Syphilisgeschwüre mit fusiformen Bacillen
und Mundspirochäten nichts Seltenes darstellt. Ganz neuerdings
erst hat wiederum Fritsch einen derartigen Fall demonstriert,
bei dem sich auf der rechten Tonsille ein Ulcus vorfand und zu¬
gleich eine Halsdrüsenschwellung bestand. Die bakteriologischen
Untersuchungen ergaben das Vorhandensein von Mundspirochäten
und fusiformen Bacillen. Die Wassermann’sche Reaktion fiel da¬
gegen positiv aus. Auch in diesem Falle hat eine syphilitische
primäre Affektion auf der Tonsille den Boden für die Angina
Plaut-Vincenti bereitet.
In den allerhäufigsten Fällen freilich dürfte die
Angina Plaut-Vincenti mit Zahnerkrankungen im Zu¬
sammenhang stehen. Insbesondere scheint es, als ob die
Gingivitis marginalis, die ja, wie bereits erwähnt, den gleichen
Bakterien ihre Entstehung verdankt, den Anlass zur Entstehung
der Angina Plaut-Vincenti abgäbe. Bei der Durchsicht der in der
deutschen Literatur publizierten Krankeitsfälle fiel es mir auf, dass
bei zahlreichen Patienten irgendein Zusammenhang mit einer Zahn¬
erkrankung vorzuliegen schien. Vielleicht würde dieser Zusammen¬
hang noch offensichtlicher sein, wenn die untersuchenden Aerzte
häufiger an die Möglichkeit eines derartigen Zusammenhanges ge¬
dacht und entsprechend die Patienten gefragt hätten. Auch in den
Fällen, über die ich nachher zu berichten haben werde,
bestand eiu derartiger Zusammenhang. Der eine der Patienten
zeigte deutliche Uebcrreste einer Gingivitis marginalis. Der
andere Patient ist seinem Berufe nach ein Zahntechniker und
hat als solcher häufiger mit erkrankten Zähnen zu tun.
Auch gibt er selbst an, dass, bevor an der Tonsille Krankheits¬
erscheinungen auftraten, er an dem Zahnfleisch der unteren
mittleren Schneidezähne ein weisses Fleckchen beobachtet habe.
Die Tatsache nun, dass bei der Angina Plaut-Vincenti
Spirochäten eine zweifellose Rolle spielen, gleichviel ob man nun
in den fusiformen Bacillen oder in den Spirochäten die eigent¬
lichen Erreger sehen mag, hat den Anlass gegeben, der ätio¬
logischen Behandlung der Angina Plaut-Vincenti den Weg zu
ebnen.
Die erste Beobachtung, die die Berechtigung zu einer
spezifischen Therapie zu bieten schien, war die Gerber’s, dass
bei der Salvarsanbehandlung von Syphilitikern mit syphilitischen
Erscheinungen in der Mundhöhle nicht nur die luetischen Pro¬
zesse und die in ihnen enthaltenen Sypbilisspirocbäten ver¬
schwanden, sondern dass vorüb?rgehend auch die nicht pathogenen
Mundspirochäten mit beeinflusst wurden. Gerber sah, dass die
Beweglichkeit der Mundspirochäten litt, und dass sie schliesslich,
wenngleich nur vorübergehend, ganz aus der Mundhöhle ver¬
schwanden. Diese Beobachtung legte naturgemäss den Schluss
nahe, dass das Salvarsan, ebenso wie es auf die meisten Spiro¬
chätenarten (Syphilisspirochäten, Recurrensspirochäten, Framboesie-
spirochäten, Hühnerspirochäten usw.) wirkt, auch eine spezifische
Wirkung auf die verschiedenen Mundspirochäten zu entfalten ver¬
mag. Rumpel, Gerber und Plaut hatten auch sehr bald Ge¬
legenheit, in einer Reihe von Fällen die Wirkung des Salvarsans
auf die Angina Plaut-Vincenti zu studieren. Sie berichten über¬
einstimmend, dass sie mit der intramuskulären und intravenösen
Injektion von Salvarsan gute therapeutische Erfolge erzielten, in
dem Sinne, dass sowohl die Spirochäten und auffälligerweise
auch die fusiformen Bacillen sehr bald verschwanden, als
auch die klinischen Erscheinungen schnell zurückgingen, d. h. die
Beläge sich abstiessen und die tiefen Geschwüre ausheilten. Im
ganzen sind, soweit ich die Literatur übersehe, bisher neun Fälle
der Angina Plaut-Vincenti in dieser Weise erfolgreich behandelt
worden.
Ich selbst hatte nun in jüngster Zeit Gelegenheit, zwei Fälle
von Angina Plaut-Vincenti zu beobachten. Der erste dieser Fälle
trifft einen Zahntechniker, der Anfang Dezember 1912 erkrankte.
Am 17. Dezember wurde er bei uns aufgenommen. Er hatte auf
der linken Tonsille ein tiefes Geschwür mit mächtiger diphtherie-
ähnlicher Auflagerung (Fig. 1). Regionäre Lymphdrüsen am Halse
geschwollen. Die bakteriologische Untersuchung des Belages zeigte
Figur 1.
i
massenhaft fusiforme Bacillen und Spirochäten (Fig. 2). Ich gab dem
Patienten eine intravenöse Injektion von 0,6 g Salvarsan (19. De¬
zember) und sah, in Uebereinstimmung mit den genannten Autoren,
einen scheinbar ausserordentlich grossen Erfolg dieser Behand¬
lung. Bereits am dritten Tage nach der Injektion waren die
Spirochäten anscheinend verschwunden, und aus der Tiefe des
Geschwürs schimmerte frische Granulation hervor. Der Erfolg,
den wir für gesichert hielten, hielt jedoch nicht sehr lange vor.
Als wir nach 14 Tagen Gelegenheit zu einer erneuten mikroskopi¬
schen Untersuchung fanden, zeigte es sich, dass in dem schmierigen
Belag wiederum eine Reinkultur von Spirochäten und fusi-
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
629
Figur 2.
Fusiforme Bacillen und Spirochäten. (Zeiss, Immersion. Oc. 8.)
formen Bacillen vorhanden war. Wir versuchten erneut, durch
intravenöse Salvarsaninjektion (11. und 17. Januar) zu einem Er¬
folge zu gelangen. Im kurzen Zwischenräume von sechs Tagen
erhielt der Patient zweimal je 0,6 g Salvarsan als intravenöse
Injektion. Auch dieses Mal war ein gewisser Einfluss der
Behandlung festzustellen. Wiederum verkleinerte sich der Belag,
und die Mikroorganismen verringerten sich an Zahl. Allein, es war
von vornherein eigentlich nicht zu erwarteu gewesen, dass ein
voller Heilerfolg eintreten würde, denn wir mussten uns sagen,
dass es dem Salvarsan kaum möglich war, in diesen schmierigen
Belag selbst einzudringen und die dort in Reinkultur in Massen
wuchernden Mikroben zu erreichen. Wenngleich also für uns
die spirochätentötende Wirkung ausser Zweifel stand,
so mussten wir doch zu dem Schluss kommen, dass das
Salvarsan nur dort wirken könne, wo es auch wirklich
hingelangt, dass demgemäss für manche Fälle der
Angina Plaut-Vi ncenti bei der Einverleibung des
Salvarsans auf dem Blutwege nur ein vorüber¬
gehender oder zweifelhafter Erfolg zu erzielen sein
würde. Nun war uns aus der Literatur bekannt, dass Zilz
bei einer Reihe von anderen Mund- und Zahukrankheiten, in
denen sich die Spirochäten als sekundäre Infektionserreger
angesiedelt hatten, therapeutische Erfolge erzielte, wenn er
diese Mundulcerationen lokal mit Salvarsan behandelte. Ferner
hatte ein französischer Autor, Marcel Sourdel, vor kurzer
Zeit in der Societö therapeutique zu Paris über zwei Fälle
von Angina Plaut-Vincenti berichtet, in denen der zweite Fall
bereits über zwei Monate mit allen anderen Mitteln vergebens
behandelt worden war und durch eine zweimalige lokale Appli¬
kation von Salvarsan geheilt wurde. Ich entschloss mich
also, auch in unseren Fällen das Salvarsan lokal anzuwenden,
indem ich mir einfach eine Glycerin-Salvarsanaufschwemmung 1 )
machte, die ich mit einem Wattetupfer auf die erkrankte Ton¬
sille aufbrachte. Der Erfolg war ein sehr frappanter. Nach
24 Stunden waren die fusiformen Bacillen und Spirochäten ver¬
schwunden, und die Heilung begann nun in unzweideutigerWeise.
Um uns jedoch vor allen Rückfällen zu sichern, setzten wir die
Lokalbehandlung in der Weise fort, dass wir noch an zwei
folgenden Tagen je einmal die erkrankte Stelle pinselten. Nach
fünf Tagen war das Geschwür, das nun schon fast zwei Monate
bestanden hatte, vollkommen geheilt.
Der zweite der Fälle von Angina Plaut Vincent kam in meine
Behandlung gerade an dem Tage, an dem ich die lokale Be¬
handlung des ersten Patienten begonnen hatte. Das Krankheits¬
bild war vollkommen analog dem des ersten Patienten. Hier
entschloss ich mich sofort, mit der lokalen Behandlung vorzu¬
gehen. An drei aufeinanderfolgenden Tagen wurde der Patient
in der gleichen Weise gepinselt. Der Erfolg dieser Therapie war
der gleiche wie bei dem ersten Fall. Die Membran verschwand
innerhalb fünf Tagen völlig, das Geschwür reinigte sich, und die
1) 0,1 Salvarsan mit 5 ccm Glycerin im Mörser verrieben, t
fusiformen Bacillen und Spirochäten verschwanden. Die Ulceration
heilte ab. Patient konnte nach zehn Tagen geheilt entlassen
werden. Eine Nachuntersuchung einige Wochen später ergab,
dass trotz der Abheilung sich wieder vereinzelte fusiforme Bacillen
und Spirochäten auf der jetzt gesunden Tonsille fanden. Diese
Wiederkehr ist typisch und wurde auch von Rumpel beobachtet.
Ich teile diese beiden Fälle deswegen mit, weil sie einer¬
seits einen neuen Beweis für die ausserordentliche elektive Wirkung
des Salvarsan auf die Spirochäten aller Arten darbieten, dann
aber auch nicht nur, wie mir scheint, für die Behandlung der
Angina Plaut-Vincenti, sondern auch für die anderen Spirochäten¬
erkrankungen uns einen wichtigen Hinweis für eventuell mögliche
therapeutische Lokalan wendunggibt. Es wäre wohl der Prüfung
wert, ob nicht auch schwer zu beseitigende lokale syphilitische
Erscheinungen bei Primäraffekten, Gummen, sowie die mit Mund¬
spirochäten im Zusammenhang stehenden Zahnerkrankungen, wie
Alveolarpyorrhöe, Gingivitis marginalis usw. auf diesem Wege
schneller zur Heilung gelangen könnten. In schwierigen
Fällen von Angina Plaut-Vincenti sowohl als bei den
anderen genannten Krankheiten erscheint es mir sehr
ratsam, wenn man die allgemeine Behandlung mit der
lokalen Applikation verbinden würde, um mit der einen
Methode die im Gewebe liegenden Spirochäten zu er¬
reichen, während mit der Lokalapplikation besonders
die Spirochäten in den toten Massen, die vom Blut-
und Säftestrom nicht mehr erreicht werden, vernichtet
werden sollen.
Aus der hygienisch-bakteriologischen Abteilung des
medizinischen Untersuchungsamtes bei der Kaiser
VV ilhelms- A kademie.
Ueber die Händedesinfektion mit Bolusseife
und -paste nach Liermann.
Von
Stabsarzt Dr. Kutscher.
Liermann 1 ) geht von dem Gedanken aus, die in der Wund¬
behandlung erprobte und bewährte austrocknende, adstringierende
Wirkung der Bolus alba auch für die Hautdesinfektion nutzbar
zu machen. Infolge der genannten Eigenschaften der Bolus tritt
nach seiner Ansicht auf mit Bolus behandelten Hautflächen eine
mechanische Keimzurückhaltung und besonders infolge der aus¬
trocknenden Wirkung auch eine Abtötung etwa vorhandener
Keime ein. Die keimfixierende Wirkung sucht er noch dadurch
zu verstärken, dass er die Bolus, zu gleichen Teilen mit 96 proz.
Alkohol gemischt, als Paste verwendet. Hierbei wird gleichzeitig
beabsichtigt, dem Alkohol mit der feingepulverten Bolus als
Träger das möglichst tiefe Eindringen in die Haut und damit
eine ausgesprochene Tiefenwirkung zu ermöglichen. Der Bolus¬
paste werden ausserdem noch zur Erhöhung der austrocknenden
Wirkung geringe Mengen von Glycerin und für eventuelle Be¬
nutzung als Wundpaste als die Granulationsbildung anregendes
Mittel Azodermin zugesetzt.
Vor der eigentlichen Desinfektion der Haut bzw. der Hände
mit der Boluspaste empfiehlt Liermann eine mechanische
Reinigung der zu desinfizierenden Teile mit einer von ihm an¬
gegebenen Bolusseife, einer ebenfalls pastenähnlichen Masse aus
Bolus, Kaliseife, Glycerin und Alkohol.
Bolusseife und -paste werden von der Aktiengesellschaft für
Anilinfabrikation, Berlin, hergestellt und in Tuben verpackt in
den Handel gebracht.
Nach der Vorschrift Liermann’s sollen die Hände und
Unterarme zunächst mit heissem Wasser abgebraust und dann
nach gründlicher Nagelreinigung und nochmaliger Abbrausung
unter Benutzung des zurückbleibenden Wassers mit 2—3 g Bolus¬
seife kurz gewaschen werden. Nach Abbrausung der Seife werden
die Hände usw. hierauf mit einem sterilen Tuch abgerieben.
Dann werden nach Anfeuchtung der Hände und Unterarme mit
etwa 5 g Alkohol (96 proz.) 2—3 g Boluspaste durch Massage¬
bewegungen gut in die Haut eingerieben, bis die eintrocknende
Bolus die Zeichnung der Papillarlinien deutlich erkennen lässt.
Während längerdauernder Operationen wird empfohlen mehrmals
1) Liermann, Deutsche raed. Wochenschr., 1911, Nr. 40 u. 41.
3
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
630
geringere Mengen von Alkohol auf den Fingern bzw. der. Haut
zu verreiben und eventuell auch eine erneute Imprägnierung mit
Boluspaste vorzunehmen.
Wie Liermann angibt, ist die Vorbereitung der Hände mit
Boluspaste allein in ihrer keimznrückhaltenden bzw. desinfizierenden
Wirkung gleichzusetzen derjenigen der Fürbringer’schen Methode
der Händedesinfektion und der reinen Alkoholwaschung. Stets
bessere Resultate soll noch die gleichzeitige Behandlung mit
Boluspaste und -seife geben.
Küster und Geisse 1 ), die die Bolusmethode der Haut¬
desinfektion prüften, kamen zu verhältnismässig recht günstigen
Ergebnissen. Die Keimabimpfuog erfolgte bei ihren Versuchen
durch Abkratzen der vorher in steriler physiologischer Kochsalz¬
lösung abgespülten Finger bzw. Onternagelräume mittels steriler
Hölzchen, Ausschütteln der letzteren in steriler Kochsalzlösung
und Einsaat der ausgeschüttelten Keime in Agar. Die Resultate
entsprachen etwa den oben von Liermann bezüglich der des¬
infizierenden Wirkung gemachten Angaben, die dieser übrigens
auf Grund der Untersuchungen von Küster und Geisse bekannt¬
gegeben hatte. Bemerkt sei hierzu allerdings, dass Küster und
Geisse die Waschung mit konzentriertem Alkohol bei der ver¬
gleichsweisen Prüfung des letzteren nur auf 2, nicht, wie sonst
üblich, auf 5 Minuten ausdehnten.
Auch im Handschuhsaft konnten die genannten Autoren
selbst nach längeren Operationen an mit Bolus behandelten
Händen nur sehr wenige Keime nachweisen.
Bei den hier vorgenommenen Versuchen mit dem Liermann-
sehen Verfahren, die schon vor der Veröffentlichung von Küster
und Geisse abgeschlossen waren, aber aus äusseren Gründen
jetzt erst mitgeteilt werden, waren die Ergebnisse, wie gleich
vorweg bemerkt sei, leider nicht so günstig.
Die Versuchsanordnung war folgende. Von den mindestens
24 Stunden nicht mit Desinfektionsmitteln in Berührung ge¬
kommenen Händen des Verfassers und eines Laboratoriumsdieners
wurde vor und nach der gemäss der Liermann’schen Vorschrift
vorgenommenen Behandlung mit Bolusseife und -paste in der
Weise abgeimpft, dass die Fingerspitzen nach dem Vorgänge von
Schumburg 45 Sekunden lang in flüssigem, auf etwa 45° ab¬
gekühlten, schwach alkalischen Agar in grösseren sterilen Petri¬
schalen unter Hin- und Herbewegen abgespült wurden. Bei den
Versuchen 6—8 (s. Tabelle) wurden nach der Imprägnierung mit
Boluspaste die Fingerspitzen unter Nachahmung der Verhältnisse
bei der Operation kurze Zeit — etwa eine Minute — in steriler
körperwarmer, physiologischer Kochsalzlösung erweicht* und dann
erst wurde die Keimentnahme bewirkt. Während des Abspülens der
Finger in Agar wurde eine etwaige Luftinfektion der Platten
jedesmal nach Möglichkeit dadurch zu vermeiden versucht, dass
über die Agarschalen, welche auf einem mit Sublimatlösung ge¬
tränkten Tuch standen, eine grosse mit der gleichen Lösung
feucht ausgewischte Glasglocke gehalten wurde.
Die Platten wurden 48 Stunden bei 87° gehalten und dann
ausgezählt. Das Ergebnis ist aus der folgenden Tabelle 1 er¬
sichtlich, die einige der in grösserer Anzahl ausgeführten, in
gleichem Sinne verlaufenen Versuche wiedergibt.
Tabelle 1.
•s-
Ä _
J3 fl
Vorher
Nachher
Bemerkungen
o o
gl
>
«5 Gk
>■
l
L.
20 200 Keime
L.
80 428 Keime
Ku.
R.
1560
R.
1 894
—
2
L.
62 755
L.
24 570
—
R.
6 075
R.
496
—
3
L.
680
L.
5 630
—
R.
466
R.
524
—
4
L.
80 658
»
L.
62 512
—
Sch.
R.
64464
R.
70 218
m
—
5
L.
90 400
L.
50 264
—
Ku.
R.
165 620
R.
1 200
—
6
L.
40 500
L.
80428
Vor der rweilon Ab-
R.
60 776
ff
R.
130 554
V)
impfungeine Minute in
steriler NaCI-Losung
nachgespult
7
L.
66 426 .
i , »
L.
54 860
n
do.
n 1
R.
18j900
überwuchi
r>
R.
6 224
n
,. do.
1
8
L.
Brt
L.
560
n
*do.
Sch.
R.
74 210 Keime
R.
9 042 (f
ü”
do.
ii* i
1) Küster und Geisse, Deutsche med.Vl'hohenschr’., 1912, N*\ 34.
Nach dem Erscheinen der Veröffentlichung von Küster und
Geisse wurden noch einige Versuche mit der von ihnen an¬
gewandten Methode der Keimabimpfung angestellt, deren Resultate
aus der folgenden Tabelle 2 zu ersehen sind.
Tabelle 2.
Sehr intensives dreimaliges Abkratzen der Häode bzw. Ausräumen der
Unternagelfäume mit sterilen Hölzchen vor und nach der Desinfektion. Bei
letzterer werden 10 ccm konzentrierter Alkohol verwandt. Schütteln der
Hölzchen in steriler physiologischer NaCI- Lösung, Einsaat in 45° warmen
flüssigen Agar. Bebrütung 24 Stunden bei 37°.
Versuch
Nr.
Vorher
Nachher
Versuchs¬
person
9
L. Hoblband ....
2 500 Keime
907 Keime
Ku.
L. Unternagelrand . .
60 670 „
3 951 ff
L. Handrücken . . .
24 300 „
336 ff
10
L. Hoblband ....
48 460 „
925 „
L. Unternagelrand . .
150 284 „
7 558 „
In beiden Versuchsreihen wurde jedesmal die Sterilität der
bei den Versuchen verwandten Kochsalzlösung und Hölzchen kon¬
trolliert. Sie waren, ebenso wie die benutzten Handtücher,
stets vorher frisch sterilisiert worden. Aussaaten von Boluspaste
in Agar wurden während der Versuche mehrmals vorgenommen
und ergaben niemals Wachstum von Keimen.
Die Ergebnisse zeigen, dass bei der gewählten Versuchs¬
anordnung durch die Behandlung der Hände mit Bolusseife und
-paste eine Zurückhaltung oder gar Abtötung der Hautkeime an
den Händen nicht erfolgte.
Die zweite Versuchsreihe nach dem Hölzchenverfahren ist
wohl im allgemeinen etwas günstiger ausgefallen als die in
Tabelle 1 bechriebenen Versuche. Jedoch waren die Ergebnisse
auch hier bei weitem nicht so gute wie die von Küster und
Geisse mitgeteilten. Eine Erklärung hierfür ist nicht ohne
weiteres zu geben, dürfte aber in erster Linie in der Intensität
der Keimabimpfung zu suchen sein. Dass auch die Methode der
Keimabimpfung im allgemeinen auf das Ergebnis von Haut-
desinfektionsversuchen nicht ohne einen gewissen Einfluss ist, ist
leicht verständlich und geht auch wohl in diesem Fall aus den
wesentlich schlechteren Resultaten der Tabelle 1 hervor, die
durch direktes Abspülen der Fingerspitzen in Agar gewonnen
wurden.
Bei vielen Versuchen war die Zahl der von den Händen ab-
spülbaren Keime nach der Bolusbehandlung sogar noch grösser
als vorher. Die Verhältnisse liegen hier offenbar ähnlich wie
bei der einfachen Seifenwascbung der Hände mit heissem Wasser,
die ja einen nicht unwesentlichen Teil der Liermann’schen Bolus¬
behandlung ausmacht. Man sieht hierbei ebenfalls häufig nach
der Waschung ein starkes Hervortreten der in der Tiefe der Haut
sitzenden Keime infolge der Auflockerung der Haut durch die
Seife und das heisse Wasser.
Beim Abspülen der Fingerspitzen in körperwarmer physio¬
logischer NaCl-Lösung bzw. warmem Agar löste sich die an¬
getrocknete Boluspaste sofort von der Haut und liess diese frei
zutage treten. Irgendeine Härtung oder Schrumpfung der letzteren
war nicht zu bemerken. Die bei der Vorbereitung der Haut
nach Liermann angewandten sehr geringen Mengen konzentrierten
Alkohols r- insgesamt für beide Hände und Unterarme etwa
7—10 ccm — sind offenbar nicht imstande, eine nennenswerte
Keimfixierung auf der Hart zu bewirken. Diese Beobachtung
stimmt auch durchaus mit der früher hier (Veröffentl. a. d. Geb.
d. MUitärsanitätswesens, H. 44) und von anderer Seite — Schum¬
burg 1 ) u. a. — bei der Händedesinfektion mit Alkohol ge¬
machten Erfahrung überein, dass zur ausreichenden Keimfixiernng
bei der chirurgischen Vorbereitung der Häode mindestens 150
bis 200 ccm Alkohol zur Waschung erforderlich sind. Dem
günstigen Urteil von Küsterund Geisse überdas Liermann’sche
Verfahren, besonders der Ansicht, dass es der reinen Alko¬
holwaschung überlegen sei, kann daher nach den hier ge¬
machten Erfahrungen nicht zugestimmt werden.
1) Schumburg, Archiv f. klin. Chft., Bd. 79. H. 1.
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
631
Aus der medizinischen Klinik (Direktor: Geheimrat
Minkowski) und der Frauenklinik (Direktor: Geheimrat
Küstner) der Universität zu Breslau.
Ueber Erfahrungen mit der Abderhalden’schen
Fermentreaktion beim Carcinom.
Von
Dr. Erich Frank, und Priv.-Doz. Dr. Fritz Heimana,
Assistent der med. Klinik, Assistent der Frauenklinik.
So interessant die in neuerer Zeit angegebenen Carcinom-
reaktionen vom theoretisch-biologischen Standpunkte aus sind, so
umstritten ist ihre praktische Verwertbarkeit. Die Hemmung
tryptischer Fermentwirkungen durch Carcinomseren pflegt erheb¬
lich stärker zu sein als durch normale Sera, Krebszellen werden
vom Serum des Gesunden aufgelöst, von dem des Krebskranken
nicht; aber in der vorliegenden Form ist von diesen beiden
Feststellungen die erste, der erhöhte antitryptische Titer nach
Brieger-Trebing (1) zur Diagnose überhaupt nicht, und die
zweite, die Zellreaktion nach Freund-Kaminer (2) noch nicht
recht geeignet; ebenso wird noch zu entscheiden sein, ob die
neue Gestalt, die von Düngern (3) seiner Komplementablenkungs¬
reaktion gegeben hat, sich bewähren wird. Günstig schneidet
bis jetzt die Meiostagminreaktion nach Ascoli-Izar (4) ab, aber
auch hier werden noch weitere Bestätigungen abzuwarten sein;
ausserdem ist die Anstellung dieser Reaktion recht subtil.
Unter diesen Umständen ist jeder neue Weg, der sich gang¬
bar erweist, zu beschreiten: Die Abderbalden’sche Ferment¬
reaktion, die sich für die Schwangerschaft bewährt bat, auf das
Carcioom anzuwenden, liegt nahe, und Abderhalden hat bereits
in seinen ersten Veröffentlichungen das Verhalten maligner
Tumoren unter den Anwendungsgebieten, für die sich die Methode
möglicherweise werde ausbauen lassen, genannt.
Die Technik, deren wir uns bei der Garcinomreaktion bedienten,
war im wesentlichen die bei der Schwangerschaftsdiagnostik ge¬
übte, doch haben sich seit unserer letzten Publikation 1 ) über die
biologische Schwangerschaftsreaktion mit 1 zunehmender eigener
Erfahrung und auf Grund einer Reihe weiterer Arbeiten Abder-
halden’s die technischen Schwierigkeiten, die häufig das Gelingen
der Reaktion in Frage stellten, beseitigen lassen. Wir hatten
damals schon auf die Unzuverlässigkeit der seinerzeit als Dialysier-
scbläuche angewendeten Fischblasen aufmerksam gemacht und
besonders die Schwierigkeiten der Beurteilung der Biuretreaktion
betont. Abderhalden bat die gleichen Erfahrungen gemacht:
er hat aus diesem Grunde als Reagens das Triketohydrindenhydrat
oder Ninhydrin empfohlen, das die Abbauprodukte im destillierten
Wasser in recht einfacher Weise erkennen lässt. Auch wir haben
uns dieses Reagens bedient und uns bei unseren vorliegenden
Untersuchungen streng an die Abderhalden’schen Vorschriften ge¬
halten. Die hierfür verwendete Placenta wurde in vorgeschriebener
Weise zubereitet; als Dialysierschläuche wurden die Hülsen der
Firma Schleicher & Schüll benutzt, die uns wirklich aus¬
gezeichnete Dienste verrichteten. Jede Hülse wurde vor ihrer
Inanspruchnahme auf Durchlässigkeit usw. geprüft und erst, wenn
sie den Ansprüchen in genügender Weise gerecht wurde, zu den
Versuchen verwendet; wir möchten hierbei hervorheben, dass man
doch von Zeit zu Zeit die Hülsen erneuern soll, da trotz Aus¬
kochens und Aufhebens unter Toluol sich Fäulniserscheinungen
bemerkbar machen können, die dann natürlich den Ausfall der
Reaktion fälschen. Das zu untersuchende Serum wurde durch
Centrifugieren gewonnen und vorsichtig abpipettiert, damit es völlig
ohne Blutkörperchen verwendet werden konnte. Hämolytisches
Serum wurde nicht benutzt. Selbstverständlich wurde auch als
Kontrolle bei diesen Versuchen stets das Serum ohne Zusatz von
Placenta geprüft, um eventuell darauf zu ächten, ob das Serum
allein schon Abbauprodukte enthält. Die Aussenflüssigkeit und das
Serum wurden mit Toluol überschicbtet und etwa 16 Stunden im
Brutschrank belassen. Erst dann wurde auf Abbaupftdukte ge¬
prüft, und zwar so, dass 10 ccm des toluolfreien destillierten
Wassers mit 0,2 ccm einer 1 proz. Lösung des Triketohydrinden-
hydrates eine Minute lang gekocht wurde. Bei positivem Ausfall
tritt dann eine Blauviolettfärbung, bei negativem Ausfall eine
schwache Gelbfärbung ein oder die Lösung bleibt farblos.
Zunächst wurde nun (hese Reaktion bei Schwangeren an¬
gewendet, und wir haben aie Sera einer grossen Anzahl von
1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 36.
Graviden aus allen Stadien der Schwangerschaft zur Untersuchung
herangezogen. Die Ninhydrinreaktion hat sich hierbei ausgezeichnet
bewährt. Es kam zuweilen vor, dass das Dialysat des Serums allein
sjich färbte; selbstverständlich konnten derartige Sera keine Aus¬
kunft über eine eventuell vorliegende Gravidität geben; in solchen
Fällen muss man eben auf eine biologische Diagnose der Schwanger¬
schaft verzichten. Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass
Stets eine Kontrolle angesetzt wurde, die in der Hülse nur Placenta
und physiologische Kochsalzlösung enthielt, um zu zeigen, dass
die Placenta allein keine dialysablen Abbauprodukte mehr abgab.
Es war, wie bereits erwähnt, von grösstem Interesse, diese Ver¬
hältnisse beim Carcinom zu studieren, worauf bereits Abderhalden
selbst aufmerksam gemacht hatte. Wir haben uns mit dieser
Frage eingehend beschäftigt, und unsere Untersuchungen erstrecken
sich bisher auf 46 maligne Tumoren, und zwar 30 Uteruscarcinome
und 16 andere Garcinome bzw. Sarkome. Als abzubauendes
Substrat wurden hier Garcinommassen gewählt, die in unserem
Fall von Uteruscarcinomen stammten und in derselben Weise
vorbereitet wurden, wie die Placenta. Auch hier wurde stets als
Kontrolle das Carcinomserum allein angesetzt, schliesslich wurde
auch noch Placenta statt des Carcinoma genommen, um zu sehen,
ob das Carcinomserum auch Placenta abbaut. Infolge dieser Ver¬
suchsanordnung war es natürlich von Interesse zu erfahren, wie
sich das Schwangernserum Carcinom gegenüber verhält, und so
wurden stets neben Carcinomseren auch sichere Schwangerenseren
mit Carcinom angesetzt. Auf die Resultate bei normalen, also
sicher Nichtschwangeren und Nichtcarcinomkranken, kommen wir
bald zu sprechen.
Unsere Untersuchungen reichen lange Zeit zurück; wir
haben also bereits die Reaktion angestellt, ehe Abderhalden
sein Ninhydrin empfohlen hatte; infolgedessen wurden,] die ersten
Untersuchungen noch mittels der Biuretreaktion ge*prüft; wir
müssen übrigens hierbei hervorheben, dass auch die von Abder¬
halden selbst angegebenen Resultate über die Carcinomdiagnose,
die meistens negativ ausfiel, nur vermittels der Biuretreaktion
erzielt wurden. Diese negativen Ergebnisse wären nach Abder¬
halden vielleicht darauf zurückzufübren, dass es sich meist um
inoperable Carcinome handelte, bei denen der mit Metastasen
überschwemmte Organismus nicht mehr imstande wäre, Schutz¬
fermente zu bilden. Von uns wurden auf diese Weise sechs
Carcinomsera und zwei Schwangerensera untersucht. Das Resultat
war, dass bei den Carcinomen nur in einem Falle eine positive
Reaktion insofern zu verzeichnen war, als das Serum Carcinom
und Placenta abbaute; das Serum allein war negativ, in sämt¬
lichen übrigen Fällen war die Reaktion stets negativ. Bei den
Schwangerenseren war in beiden Fällen Serum mit Carcinom und
Placenta positiv, das Serum allein negativ. Wir möchten hierbei
erwähnen, dass der einzige positive Fall ein sehr schlechtes, be¬
reits inoperables Uteruscarcinom war, wir haben also hier wie
übrigens auch später die oben erwähnte Hypothese Abder-
halden’s nicht bestätigen können. Bei späteren Untersuchungen
haben wir dann die Biuret- mit der Ninhydrinreaktion verglichen und
konnten uns den Angaben Abderhalden’s, dass der Ausfall der
Reaktionen nicht parallel geht und die Triketohydrindenhydrat-
reaktion im allgemeinen schärfer anzeige als die Biuretreaktion,
anschliesseD. In der Mehrzahl der Fälle sahen wir nämlich, dass
die Biuretreaktion bei den Carcinomseren sowohl mit Carcinom
wie mit Placenta negativ war, während die Ninhydrinreaktion
hierbei positiv ausfiel. Aehnlich verhielt es sich mit den
Schwangerenseren. Schwache positive Reaktion bei Biuret, starker
positiver Ausfall bei Ninhydrin und zwar sowohl bei Zusatz
von Placenta wie von Carcinom, allerdings erstere in viel
stärkerem Grade.
Aus diesem Grunde batten wir uns entschlossen, in Zukunft
von der Auwendung der Biuretreaktion völlig abzusehen und nur
die Ninhydrinreaktion in Betracht zu ziehen. Und daher wurden
sämtliche folgenden Seren nur auf diese Weise untersucht. Die
Erfahrungen, die wir hierbei gemacht haben, sind nun folgende:
Sämtliche Uteruscarcinome boten das gleiche Ergebnis:
die Sera zeigten mit Carcinom zusammen positive
Reaktion, und dasselbe fand sich häufig sogar noch stärker,
wenn statt des Carcinoma Placenta verwendet wurde. In einigen
wenigen Fällen baute auch das Serum allein schon ab, diese
Fälle wurden natürlich von der Betrachtung ausgeschlossen, sie
können eben gerade wie bei der Schwangerschaftsdiagnostik
biologisch nicht verwendet werden. ’
Wir haben bereits erwähnt, dass auch Schwangerenseren mit
Qarcigom angesetzt,.wurden, und auch hierbei fanden wir, ab«
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UNIVERSUM OF IOWA
632
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
gesehen von zwei Fällen, stets positive Reaktion, allerdings war
hier der Ausfall bei Zusatz von Placenta ein wesentlich stärkerer
als bei Hinzufugung von Carcinom. Natürlich wird auch hier
stets eine Kontrolle: Carcinom und physiologische Kochsalzlösung
angesetzt.
Die Untersuchung der 16 Seren von Patientinnen, die
an Carcinomen anderer Organe; Mamma, Magen, Oesophagus,
Ovarien usw. litten, ergab folgendes Resultat: 14 mal war
die Reaktion positiv; 2mal Hess sie im Stieb, bzw. der Aus¬
fall war so schwer zu erkennen, dass man ihn nicht verwerten
konnte. Es handelt sich um ein Gallenblasencarcinom und um
ein Sarkom, ausgehend vom Mesenterium; bei alleu übrigen
malignen Tumoren war die Reaktion so, wie wir sie beim Uterus-
carcinom sahen, also bei Zusatz von Placenta und Carcinom
positiv, Serum allein negativ. Vielleicht lässt sich der negative
Ausfall so erklären, dass man als Abbausubstrat Uteruscarcinom
gewählt hat. Tumorgewebe des in diesem Falle betroffenen
Organs hätte vielleicht einen positiven Ausfall der Reaktion ver¬
anlasst.
Bei der Untersuchung der Normalseren bandelte es sich um
Patienten, die an leichten Erkrankungen ohne Temperatur¬
steigerung litten. In einem Fall aber fand sich bei einem Mann
eine positive Reaktion, ohne dass Anhaltspunkte für ein Carcinom
Vorlagen. Dreimal löste das Serum allein eine positive Reaktion
aus, selbstverständlich war dies dann auch bei Zusatz von
Placenta und Carcinom der Fall, in allen übrigen Fällen war die
Reaktion negativ.
Bevor wir auf die Schlüsse, die wir aus diesen Beobachtungen
ziehen können, eingehen, wollen wir noch einige Zufälle, die wir
beim Anstellen der Reaktion erlebten und die häufig die Resultate
trüben können, eingehen. Es ist unbedingt notwendig, dass man
sich genau nach den gegebenen Vorschriften richtet, da geringste
Aenderungen sofort auch Aenderungen im Ausfall der Reaktion
zur Folge haben können. Wir haben z. B. in der ersten Zeit zu¬
weilen nur 5 ccm des destillierten Wassers genommen und dazu
0.1 ccm einer 1 proz. Lösung Ninhydrin gegeben. In solchen
Fällen hatten wir eine negative Reaktion. Wurden nun noch
0,1 ccm hinzugefügt und noch einmal gekocht, so wandelt sich
die negative Reaktion in eine positive um; dasselbe konnten wir
auch erleben, wenn das Kochen länger als eine Minute fort¬
gesetzt wurde, auch hierbei konnten wir beobachten, dass eine
zuvor negative Reaktion in eine positive umschlug. Allerdings
sehen wir hierbei niemals diese schöne blauviolette Färbung,
sondern es kam mehr ein schmutzig graublauer Farbenton heraus.
Hierunter hatten wir übrigens eine ganze Zeitlaog zu leiden, und
solche Resultate können natürlich nicht verwendet werden. Ob¬
wohl genau auf Zubereitung des Serums, steriles Arbeiten usw.
geachtet wurde, obwohl die Placenta und das Carcinom dasselbe
war, mit dem wir einige Tage vorher die schönen Färbungen
erhalten batten, war plötzlich der Aasfall der Reaktion stets ein
fraglicher geworden und trotz eifriger Bemühungen war es uns nicht
möglich, den Fehler zu entdecken. Wir haben in solchen Fällen
das Carcinom bzw. die Placenta frisch zubereitet und eine neue
Lösung anfertigen lassen und konnten uns dann wieder auf die
Reaktion verlassen. Man sieht daraus, wie dringend nötig es ist,
seine Reagentien stets naebzuprüfen.
Ferner muss auch darauf geachtet werden, dass die Brut¬
schranktemperatur streng innegebalten wird. Durch einen un¬
glücklichen Zufall passierte es einmal, dass 37° erheblich über¬
schritten wurden, und der Erfolg war, dass sämtliche Reaktionen
negativ waren. Aus alledem geht hervor, dass es mitunter nicht
ganz leicht sein kann, die Resultate, die die Reaktionen ergeben
haben, abzulesen. Es gehört auch hier namentlich bei schwach
positivem Ausfall Uebung und Aufmerksamkeit dazu, um nicht
Irrtümern zu begegnen.
Wir haben schliesslich noch fragliche Uteruscarcinome — eine
Frage, die doch für die Frühdiagnose eine wesentliche Rolle
spielt — zur Untersuchung herangezogen und konnten bis jetzt in
3 Fällen den Ausfall der Reaktion später mit dem mikroskopischen
bzw. makroskopischen Befund bei der Operation vergleichen; auch
hier bat die Reaktion bisher nicht im Stich gelassen.
Fassen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammen, so
können wir folgendes sagen: Die Ninbydrinreaktion hat bei
Schwangerschaft stets richtige Resultate — auch in frühesten
Monaten — ergeben; allerdings wurden auch positive Reaktionen
erhalten, wenn statt der Placenta Carcinom gewählt wurde. In
derselben Weise sehen wir stets Odrcinomseren Carcinom wie
auch Placenta abbaüen, vorausgesetzt, däs4 es sich um Uterus^
carcinom handelt; bei anderen malignen Tumoren war der Ausfall
ganz überwiegend positiv. Dies Resultat zunächst besagt, dass
wir biologisch Carcinom und Schwangerschaft nicht unterscheiden
können; in gewissem Sinne ist dadurch die Spezifität der Reaktion
in Frage gestellt.
Dieser Parallelismus in biologischer und chemischer Hinsicht
ist übrigens lange Gegenstand eifrigster Studien gewesen.
Salomon und Saxl (6) konnten sowohl im Harn von Graviden
wie in dem von Krebskranken eine gesteigerte Ausscheidung der
Oxyproteinsäure feststellen. Falk und Hesky (8) fanden im
Harn von Schwangeren, allerdings erst in späteren Monaten, eine
Vermehrung der Polypeptide, und dieselben Eigenschaften konnten
Falk, Salomon und Saxl (7) für Krebskranke nach weisen.
Aber auch serologisch hat das Blut von Schwangeren und
Krebskranken grosse Aebnlichkeiten aufzuweisen. Freund und
Kam ine r konnten beobachten, dass das Serum gesunder
Menschen menschliche Krebszellen löst, während dies das Serum
von an Carcinom erkrankten Menschen nicht tut. Durch
Kraus und v. Graff (9) wurde nun das Serum schwangerer
Frauen bezüglich dieser Eigenschaft untersucht, und diese Autoren
konstatierten, dass Serum von Frauen am Ende der Gravidität
bzw. unter der Geburt menschliche Krebszellen nicht löst, also
sich genau wie Carcinomserum verhält, während in frühen
Monaten das Serum Gravider sich wie das Serum Gesunder ver¬
hält, also Carcinomzellen löst. Auch bezüglich des Verhaltens
der Blutkörperchen gegen Kobragift bei Schwangeren und Tumor¬
trägern sind von einigen Untersuchern (10) Aehnlicbkeiten ge¬
funden worden; auch das Verhalten embryonaler Zellen gegen
die Seren der oben erwähnten Kategorien ist berücksichtigt
worden; wir wollen noch auf eine Reaktion aber ausführlicher zu
sprechen kommen, das ist die Aktivierung der Kobragiftpferdeblut¬
hämolyse durch Serum von Schwangeren und Krebskranken. Bauer
und Lehndorff (12), später Heynemann (13), Graff und
v. Zubrzycki (14) u. a. haben die von Calmette als spezifisch
für Tuberkulose angegebene Reaktion in der Schwangerschaft nach¬
geprüft und fanden ziemlich übereinstimmend, dass die Reaktion
in den ersten zwei Monaten sehr selten positiv war, vom dritten
Monat an begann und vom vierten Monat an stark positiv war.
Zur Frühdiagnose war also die Reaktion nicht geeignet. Schon
Heynemann hatte das Serum von Carcinomkranken für diese
Untersuchungen herangezogen, aber mit negativem Erfolge. Diese
Studien wurden später von Kraus, Ranzi, Graff und
v. Zubrzycki (5,14) in ausgedehntem Maasse wieder aufgenommen,
und diese Autoren fanden, dass die Carcinomsera in über20pCt.
der Fälle die Kobragiftpferdebluthämolyse aktivieren; aber auch
Normalsera und Sera andersartig Erkrankter tun dies in etwa
10 pCt. der Fälle; damit ist nach ihnen die Reaktion dia¬
gnostisch nicht zu verwerten, da z. B., wie Graff und
v. Zubrzycki angaben, auch operierte, jahrelang recidivfrei ge¬
bliebene Frauen eine positive Reaktion geben.
Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass sowohl bei
graviden Frauen wie bei Carcinomkranken eine starke An¬
reicherung des Blutes mit antitryptischen Substanzen gefunden
wurde und dass die Meiostagminreaktion bei Schwangeren häufig
positiv ausfällt.
Wenn wir jetzt noch einmal unsere Resultate beim Carcinom
zusammenfassen, so hat sich ergeben, dass von 46 Carcinomen
45, d. h. 97,8 pCt. der Fälle positiv reagierten, während
von 20 Normalseren 19 =* 95 pCt. der Fälle negativ rea¬
gierten. Hier muss nochmals betont werden, dass wir bisher nur
Uteruscarcinome als Substrat verwendet habeD, dass es sich für
die allgemeine Carcinomdiagoose empfehlen dürfte, mit Carcinomen
verschiedener Organe zu arbeiten.
Unsere Ergebnisse sind nur als Vorstudien aufzufassen: soll
eine brauchbare Carcinomdiagnostik daraus entstehen, so müssen
folgende Fragen, mit denen wir zurzeit noch beschäftigt sind,
beantwortet werden:
1. Wie, verhält sich die Reaktion bei anderen Erkrankungen
(Tabes, Lues, Kachexien, akuten Infektionskrankheiten, Basedow
usw.)?
2. Ist das Substrat ein spezifisches oder kann es durch andere
Proteine (Leber, Muskel usw.) ersetzt werden?
8. Fällt die Reaktion auch in den frühesten Stadien der
Carcinomqptwicklung positiv aus?
Anmerkung bei der Korrektur: Abderhalden bat in
Nr. 8 und 9 der Münchener med. Wochenschrift neue Anforde¬
rungen an die Zubereitung der PlaceQla gestellt, ,vqp -denen*,
früher nicht die Rede war, die er aber neuerdings für unerlässlich
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UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913.
ß E RLIXER KLINISCHE WOCH ENSCH RI FT.
633
hält, wenn die Resultate verwertbar sein sollen. Wir haben
unsere Ergebnisse auf Grund der Vorschriften gewonnen, auf deren
Basis Abderhalden seine Schwangerschaftsreaktion proklamiert
hat, und die er auch im Handbuch der biochemischen Arbeits¬
methoden, Bd. VI (Dezember 1912), gibt.
Er fordert jetzt, dass 5 ccm des Hochwassers der Placenta,
mit 1 ccm 1 proz. Ninhydrinlösung gekocht, keine Blaufärbung
mehr geben dürfen, während es vordem genügte, wenn 10 ccm
des Kochwassers mit 0,2 ccm der 1 proz. Ninhydrinlösung keinen
Ausschlag mehr geben. Bei diesem Vorgehen reagierten, wie er
kursorisch mitteilt, 15 Fälle von Carcinom nur mit Carcinom-
gewebe und Hessen sich 20 Fälle von Carcinom scharf von
Schwangerschaft unterscheiden.
Wir haben alsbald auch mit dieser neuen Methodik ge¬
arbeitet; naturgemäss ist die Anzahl der untersuchten Fälle noch
klein; immerhin verfügen wir bereits über ein Material von
19 Beobachtungen (10 Schwangere und 9 Carcinome). Der Aus¬
fall der Reaktion war der gleiche wie in unseren früheren Ver¬
suchen: Die Carcinomsera bauten Carcinomgewebe, aber auch
Placenta (und zwar gar nicht unerheblich) ab, die Sera der
Schwangeren sowohl Placenta als auch Carcinom (letzteres aller¬
dings in deutlich geringerem Grade als Placenta); Placenta
wurde also stets deutlich abgebaut. Wir möchten demnach
unsere oben aufgestellten Behauptungen aufrecht erhalten.
Wir verfügen mithin jetzt über 54 Carcinome mit
53, d. h. 98,2 pCt. positiver Reaktionen.
Literatur.
1. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 22. — 2. Biocbem. Zeitschr., 1910,
Bd. 26, S. 312. — 3. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 2854
bis 2856. — 4. Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 8, 22 u. 41;
Wiener klin. Wochenschr., 1912, S. 1237 u. 1938. — 5. R. Kraus,
E. v. Graff, E. Ranzi, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 28. —
6. Salomon und Saxl, Beitr. z. Carcinomforsch., 1910, Bd, 2. —
7. Falk, Salomon und Saxl, Med. Klinik, 1910. — 8. Falk und
Hesky, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 71. — 9. R. Kraivs und
E. v. Graff, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 6. — 10. R. Kraus,
0. Pötzl, E. Ranzi und H. Ehrlich, Wiener klin. Wochenschr., 1909,
Nr. 20. — 11. E. v. Graff und J. v. Zubrzycki, Archiv f. Gynäkol.,
1912, Bd. 96. — 12. Bauer und Lehndorff, Folia serologica, 1909,
Bd. 3, S. 87. — 13. Heyneraann, Archiv f. Gynäkol. u. Geburtsh.,
1910, Bd. 90. — 14. E. v. Graff und J. v. Zubrzycki, Münchener
med. Wochenschr., 1912, Nr. 11.
Zur Aetiologie der Tollwut.
Von
Dr. Fr. Proescher-Pittsburgh, Pa., U. S. A.
Der einwandsfreie Nachweis eines spezifischen Mikroorganismus
im Centralnervensystem wutkranker Tiere mit Hilfe der gebräuch¬
lichen Färbemethoden ist bisher nicht erbracht.
Sieht man von den älteren Befunden ab, so haben weder die
Negri’schen Körperchen 1 ), noch die von Babes 2 ) dargestellten
staubförmigen Granulationen, noch die von J. Koch und Ries¬
ling 3 ) beschriebenen kokkenartigen Gebilde allgemeine An¬
erkennung als Erreger der Tollwut gefunden. Die Bedeutung der
Negri’schen Körperchen ist in den letzten Jahren zur Genüge
diskutiert worden und dürfte heute dahin entschieden sein, dass
dieselben zelluläre Reaktionsprodukte sind, die möglicherweise
den Erreger als solchen oder in veränderter Form einschliessen.
Auf keinen Fall sind sie als protozoenartige Gebilde aufzufassen.
Dessen ungeachtet sind die Negri’schen Körperchen zur raschen
Diagnosestellung der Tollwut äusserst wertvoll.
Die von Babes mit Hilfe der Cajal’schen Silbermethode und
Giemsafärbung dargestellten intraplasmatischen Granulationen
halte ich nach eigenen Untersuchungen nicht für den Erreger der
Tollwut. Wahrscheinlich handelt es sich hier um die Sichtbar¬
machung pathologischer Zellstrukturen, wenn nicht um äusserst
feine Metallniederschläge. Die von J. Koch und Riesling mit
1) Negri, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., 1903, Bd. 42
bis 44.
2) Babes, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh., 1907, Bd. 56,
S. 435.
3) Koch und Riesling, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh.,
1910, Bd. 65, S. 85. J. Koch (2: Mitteilung), Zeitschr. f. Hygiene u.
Infektionskrankh., 1910, S. 443.
Hilfe der Heideuhain’schen Ilämatoxylinmethode und der van Krog-
sehen Färbung gefundenen kokkenartige Gebilde kann ich nach
eigenen Untersuchungen bestätigen. Ich zweifle nicht daran, dass
ein Teil dieser Gebilde parasitärer Natur ist, speziell die
grösseren, an denen man Teilungsvorgänge beobachten kann.
Eine einwandsfreie Differenzierung ist leider nicht möglich, da
beide Methoden eine grosse Anzahl zellulärer Degenerations¬
produkte zur Darstellung bringen, die sich von Mikroorganismen
nicht mit Sicherheit unterscheiden lassen.
Bevor ich weitere Untersuchungen zur Sichtbarmachung des
Tollwuterregers unternahm, unterzog ich zunächst die von Rem-
linger 1 ), di Vestea, Berteralli 2 ) und Schüder behauptete
Filtrierbarkeit desselben einer erneuerten Prüfung. Nach Rem-
linger und Berteralli soll das Tollwutvirus, wenn auch nicht
regelmässig, so doch häufig, das Berkefeld-Filter V passieren.
Das Filtrat soll nicht den gesamten Infektionsstoff enthalten, der
Filterrückstand soll mehr virulent sein als das Filtrat. In mehreren
Filtrationsversuchen, die jedesmal mit neuen Berkefeld-Filtern V
angestellt wurden, konnte ich in keinem Falle ein infektiöses
Filtrat erhalten. Die Gehirnsubstanz wurde vor jeder Filtration
sorgfältig zerrieben und mehrere Stunden im Schüttelapparat ge¬
schüttelt und im Verhältnis 1 : 100 mit steriler Kochsalzlösung
verdünnt. Auf Grund dieser Veisuche halte ich vorläufig an der
Unfiltrierbarkeit des Tollwuterregers fest. Ob die positiven
Filtrationsversuche der vorgenannten Autoren auf defekte Filter
oder sonstige technische Fehler zurückzuführen sind, lasse ich
unentschieden.
Die Annahme, dass Filtrierbarkeit eines Virus gleichbedeutend
sei mit mikroskopischer Unsichtbarkeit, muss heute als unwahr¬
scheinlich bezeichnet werden. Wir wissen, dass der Erreger der
Peripneumonie der Rinder, das Spirillura parvum, trotz Filtrier¬
barkeit mikroskopisch sichtbar ist.
Sollten weitere Versuche trotzdem die Filtrierbarkeit des
Tollwuterregers bestätigen, so wäre damit noch nicht gesagt, dass
er ausserhalb der mikroskopischen Sehbreite liegt, zumal auch in
den positiven Versuchen eine vollständige Filtration nicht gelang
und anscheinend der grösste Teil des Virus auf dem Filter zurück¬
bleibt.
Auf Grund dieser Beobachtungen und Ueberlegungen schienen
also weitere Versuche znr färberischen Darstellung des Tollwut¬
erregers nicht vollkommen aussichtslos. Ich versuchte zunächst
empirisch, an Ausstrich- und Schnittpräparaten des Gehirns von
Kaninchen, die mit Virus fixe infiziert waren, mit Hilfe der ver¬
schiedensten Fixations und Färbemethoden (ausschliesslich Anilin¬
farben) Mikroorganismen zu differenzieren. Unter mehreren Hundert
in Sublimatalkohol fixierten und nach der Gram Much’schen Me¬
thode gefärbten Ausstrichen gelang es in einigen eine grosse An¬
zahl sehr kleiner Kokken und Bacillen (Figur 1) aufzufinden.
Figur 1.
Virus fixe. Pittsburgh. Sublimatalkohol. Gram-Much. (Leitz Vie
Oelimmersion. Ocular 4.)
1) Remlinger, Annales de l’inst. Pasteur, 1903, Bd. 17, S. 834,
und 1904, Bd. 18, S. 150.
2) Beteralli, Centralbl. f. Bakteriol., I. Abt., Orig., 1905, Bd. 39,
S. 408.
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634
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Um banale Mikroorganismen konnte es sich nicht handeln, da
das Virus fixe auf allen gebräuchlichen Nährböden steril blieb.
Dieser interessante Befund blieb vereinzelt. Ich konnte ihn
weiterhin trotz Färbung zahlreicher Ausstriche mit derselben
Methode nicht wieder erheben. In einer anderen Serie von in
Sublimatalkohol fixierten Ausstrichen, die nach Löffler’s
modifizierter Gram-Methode gefärbt waren, fand ich in einem
Ausstrich morphologisch ähnliche Mikroorganismen (Figur 2) wie
mit der Gram-Much’schen Methode.
Vollkommen negative Resultate hatte ich mit beideu Gram-
Methoden an Schnittpräparaten. Dagegen gelang es hier mit
polychromem Methylenblau und vorsichtiger Differenzierung mit
Anilinalkohol in einzelnen Schnitten reichlich gut differenzierte,
sehr kleine Kokken zu färben. Die Färbung erwies sich aber
nicht haltbar, die Kokken entfärbten sich innerhalb einiger
Stunden.
Figur 2.
Virus fixe. Pittsburgh. Sublimat¬
alkohol. Gram-Loeffler. (Leitz
Vi 6 Oelimmersion. Ocular 4.)
Warum in Hunderten von Ausstrichen und Schnittpräparaten
nur in ganz vereinzelten Mikroorganismen gefunden wurden, trotz
Verwendung gleicher Fixations- und Färbemethoden, konnte ich
nicht feststellen. Es handelt sich ohne Zweifel um sehr schwer
färbbare Mikroorganismen, die zu den gewöhnlichen Farbstoffen
äusserst geringe Affinität besitzen und nur ausnahmsweise von
denselben unter unbekannten Bedingungen gefärbt werden.
Diese Misserfolge Hessen mich zunächst von weiteren Färbe¬
versuchen Abstand nehmen und eine andere Methode, gestützt
auf gewisse biologische Eigentümlichkeiten des Strassenvirus, zur
Lösung des Problems heranziehen. Die Erfahrung hat gezeigt,
dass das Strassenvirus im Gegensatz zum Virus fixe gegen Fäulnis
resistent ist. Die Annahme lag daher nahe, dass das Slrassen-
virus auch gegenüber gewissen chemischen Agentien, die, obwohl
die Gehirnsubstanz auflösend, das Virus intakt lassen. Ich ver¬
suchte daher das in neuerer Zeit mit so ausgezeichnetem Erfolge
zur Isolierung der Tuberkelbacillen verwandte Antiformin 1 ). Die
frischen oder in Formol gehärteten Gehirne von an Strassenwut
verendeten Tieren wurden in 15 proz. Antiformin gelöst, die klare
Lösung centrifugiert und das geringe Sediment nach dem Aus¬
streichen auf Deckgläser nach Gram gefärbt. Hier fanden sich
Mikroorganismen (Figur 3, 4, 5 und 6) in Form von sehr kurzen,
plumpen, grampositiven Bacillen, 0,5 bis 1 Mikron lang und
0,2 Mikron dick, sowie Kokken in Gruppen oder in kurzen
Ketten, ca. 0,3 Mikron im Durchmesser. In drei zur Sektion
gelangten Fällen von menschlicher Tollwut konnte ich mit der
Antiforminmethode dieselben Mikroorganismen (Figur 8) nach-
weisen. In derselben Weise wurden die Gehirne von einer
grösseren Anzahl Kaninchen, die mit Virus fixe infiziert wären,
verarbeitet. Hier gelang es in drei Fällen, eine sehr geringe
Anzahl Kokken aufzufinden. Hatten diese Mikroorganismen
ätiologische Beziehung zur Tollwut, so sollten sie sich auch in
den Speicheldrüsen und Nervganglien wutkranker Tiere finden.
Es gelang auch hier, in einigen Fällen mittels Antiformin und
Gramfärbung morphologisch ähnliche Mikroorganismen (Figur 7,
9, 10 und 11) grösstenteils in Form von Kokken aufzufinden.
Zur Kontrolle wurde eine grössere Anzahl normaler Gehirne und
Speicheldrüsen von Hunden sowie anderweitig pathologisch ver¬
änderte Menschengehirne mittels der Antiforminmethode unter¬
sucht, mit vollkommen negativem Erfolg.
Die mittels Antiformin isolierten Mikroorganismen sind, wie
die Vergleichung mit den früher in vereinzelten Ausstrichen mit
der Grammethode gefundenen, morphologisch identisch. Ohne
Zweifel wirkt das Antiformin als Beize und verleibt den sonst
schwer färbbaren Mikroorganismen chromatophile Tendenz zu den
gewöhnlichen Farbstoffen.
Um die ätiologische Bedeutung dieser Mikroorganismen 2 ) für
die Tollwut noch weiter zu sichern, versuchte ich, ob es nach
Auflösung des frischen Gehirnes von an Strassenwut verendeter
Hunden in 15 proz. Antiformin und intracerebraler Verimpfung
des Sediments auf Kaninchen gelingt, Tollwut zu erzeugen. Eine
grössere Reihe von Versuchen ergab, dass gewisse Strassenvirus-
stämrne 10 Minuten eine 15 proz. Antiforrainlösung vertragen,
ohne ihre Virulenz einzubüssen. Unter 13 Strassenvirusstämmen
zeigten 3 eine ausgesprochene Antiforminresistenz. Kaninchen,
die mit dem gewaschenen Sediment intracerebral geimpft waren,
gingen in ca. 3 Wochen unter den typischen Symptomen der
paralytischen Wut zugrunde.
Figur 4.
StrassenvirusII. Aotiformin 15pCt.
Gram. (Leitz Vie Oelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 6.
StrassenvirusIV. Antiformin 15pCt.
Gram. (Leitz , / l6 Oelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 8.
Lyssa humana. Anliforrain 15 pCt.
Gram. (Leitz '/is Oelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 10.
1) F. Proescher, New York med. journ., 22. April 1911.
2) F. Proescher, New York med. journ., 29. Juli 1911.
Speicheldrüse (Hund). Antiformin
15pCt. Gram. (Leitz 7ie Oel¬
immersion. Ocular 4.)
Figur 3.
Strassenvirus I. Antiformin 15pCt.
Gram. (Leitz Vi« Oelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 5.
Strassenvirus III. Antiformin 15pCt.
Gram. (Leitz Via Oelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 7.
Speicheldrüse (Hund). Antiformin
15pCt. Gram. (Leitz Vie Oel¬
immersion. Ocular 4.)
Figur 9.
Ganglion von Kuh. Antiformin
15 pCt. Gram. (Leitz J /i« Oel¬
immersion. Ocular 4.)
Figur 11.
Speicheldrüse (Kuh). Antiformin
15pCt. Gram. (Leitz V,e Oel¬
immersion. Ocular 4.)
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7. April 1913.-
BERLINER!KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
G35
Versuche, die mit dem Passagevirus unseres Laboratoriums
unternommen wurden, ergaben, dass die Virulenz innerhalb
weniger Sekunden vernichtet wird. Ob alle Virus fixe Stämme
das gleiche Verhalten zeigen, bleibt weiteren Untersuchungen Vor¬
behalten.
Nachdem mittels der Antiforminmethode die Existenz eines
mikroskopisch sichtbaren Mikroorganismus im Gehirn tollwut-
kranker Tiere und Menschen festgestellt war, nahm ich von
neuem die substantive Färbung dieser Mikroorganismen wieder auf.
Wie bereits erwähnt, batte ich früher in Sublimat fixierten
und mit polychromem Methylenblau gefärbten Gehirnschnitten
von Kaninchen, die mit Virus fix infiziert waren, zahlreiche
Kokken gesehen. An Ausstrichpräparaten ergab die Methode
vollkommen negative Resultate. Ich versuchte dann beide Färbe¬
komponenten des polychromen Methylenblaus, das Metbylenviolett
und das Methylenazur, in chemisch reiner Form zur Färbung von
Ausstrichpräparaten von Virus fixe. Das Methylenazurchlorid und
Methylenviolettchlorid waren für die Färbung ebenfalls un¬
brauchbar. Dagegen gelang es, mit Methylenazurcarbonat (Unna-
Giemsa) Mikroorganismen in grosser Anzahl zur Darstellung zu
bringen. Bei der ungleichmässigen Verteilung des Tollwut¬
erregers im Centralnervensystem ist es am besten, verschiedene
Teile desselben in einem sterilen Mörser zu zerreiben und von
dieser Emulsion möglichst dünne Ausstriche auf sorgfältig ge¬
reinigten Deckgläsern herzustellen. Die lufttrockenen Ausstriche
werden 10 Minuten in Methylalkohol fixiert und für 30 Minuten
bis mehrere Stunden in einer 1 proz. Lösung von Methylenazur¬
carbonat, mit Zusatz von 1 proz. Carboisäure gefärbt. Bei zu
starker Färbung des Untergrundes kann man die Ausstriche für
mehrere Sekunden in eine Mischung von gleichen Teilen Aceton
und absolutem Alkohol eintauchen, mit destilliertem Wasser ab-
waschen, trocknen und in Damarbalsam einschliessen.
Für die Färbung von Schnittpräparaten hat sich vorläufig
die Sublimatfixation am besten bewährt. Einbetten in Paraffin,
Färbung der Schnitte eine halbe Stunde oder länger in Azur¬
carbonatlösung, Differenzieren in Acetonalkohol, Aufhellen in
Xylol, Einschliessen in Damarbalsam.
Die Prüfung verschiedener Proben Azurcarbonat von Grübler,
hat ergeben, dass nicht alle eine gleichmässige und intensive
Färbung garantieren. Die nach Unna’s Vorschrift hergestellte
Azurcarbonatlösung ist ebenfalls brauchbar. Man löst 0,1 g Me-
thylenazurchlorid in 10 ccm 0,1 proz. Kaliumcarbonatlösung und
gibt 0,1 ccm konzentrierte Karbolsäure zu. Am besten hat sich das
Ludwigshafener Methylenazurchlorid bewährt. Zuverlässig und
intensiv färbt das reine Azurcarbonat, das man auf folgende
Weise erhält: Man gibt zu einer wässerigen Lösung von Me¬
thylenazurchlorid frischgefälltes Silberoxyd im Ueberschuss, extra¬
hiert die freie Methylenazurbase, ohne vom Silberoxyd abzufiltrieren,
mit Aether im Scheidetrichter. Die in Aether mit roter Farbe
lösliche Methylenazurbase färbt sich nach dem Verdampfen des
Aethers durch Aufnahme der Kohlensäure der Luft tiefblau. Am
besten entzieht man der ätherischen Lösung durch Ausschütteln
mit kleinen Mengen kohlensäurehaltigen Wassers, das freie Me-
tbylenazur und erhält so eine reine Azurcarbonatlösung.
Mit Hilfe dieser Färbmethode 1 ) ist mir der Nachweis folgender
Mikroorganismen (Figur 12—17) im Virus fixe gelungen. Es fanden
sich äusserst kleine an der Grenze der Sichtbarkeit stehende Kokken
in Form von Diplokokken oder Gruppen, blassblau, teilweise meta¬
chromatisch, violettblau gefärbt. Durchmesser schätzungsweise etwa
0,2 Mikron. Etwas grössere Kokken, ähnlich Gonokokken, tief¬
blau gefärbt, etwa 0,3 Mikron im Durchmesser. Kurze, ovale
Bacillen, etwa 0,3 bis 0,5 Mikron lang, 0,2 Mikron dick. Schlanke
Bacillen, gerade oder leicht gebogen, einzelne an beideu Enden
zugespitzt, ähnlich den fusiformen Bacillen, etwa 1,5 Mikron lang
und 0,1 Mikron dick, mit leicht abgerundeten Enden, tiefblau
gefärbt. Sehr vereinzelte Spirochäten mit flachen Windungen,
blassblau gefärbt, etwa 5 bis 7 Mikron lang. Ferner komma-
förmige oder flach S-förmige gebogene Gebilde, mit einer knopf¬
förmigen Anschwellung an einem Ende oder in der Mitte.
Die überwiegenden Formen sind die Kokken und die kleinen
kurzen Bacillen, die Spirochäte wurde in drei verschiedenen Virus
fixe Stämmen gefunden. Die Mikroorganismen fanden sich in
einigen Ausstrichen in ganz enormer Menge. Sie lagen extra-
1) Ueber mikroskopische Befunde, die ich mit der gleichen Färbe-
raethode bei Variola und Poliomyelitis erhoben habe, werde ich dem¬
nächst berichten.
cellulär oder fanden sich häufig im Protoplasma sowie im Kern
der Nervenzellen.
Der Nachweis dieser Mikroorganismen gelang mir konstant
im Passagevirus unseres Laboratoriums sowie im Virus fixe
folgender Wutschutzinstitute: Paris, New York, Chicago, Washington
(U. S. Marine-Hospital Service). Ebenso wurden dieselben Mikro-
Figur 12.
Virus] fixe. Paris. Originalausstrich. Methylenazurcarbonat. (Leitz Via
Oelimraersion. Ocular 4.)
Figur 13.
Virus fixe. New York. Methylenazurcarbonat. (Leitz 1 / l2 Oeliramersion.
Ocular 4.)
Figur 14.
Virus fixe. Washington (siehe Spirochätenform). Metbylenazurcarbonat.
i (Leitz V12 Oelimmersion. Ocular 4.)
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Original fro-m
UNIVERSITV OF IOWA
636
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Figur 15.
Virus fixe. Chicago. Metbylenazurcarbonat. (Leitz VizlOelimmersion.
Ocular 4.)
Figur 16. Figur 17.
Virus fixe. Chicago (s. Spirochäten- Virus fixe. Pittsburgh. Paraffin¬
form). Methylenazurcarbonat. (Leitz schnitt. Methylenazurcarbonat.
Vi 2 Oelimmersion. Ocular 4.) (Leitz Vi6 Oelimmersion. Ocular4.)
Organismen in zehn bisher zur Untersuchung gelangten Strassen-
virusstämmen regelmässig gefunden.
Auffallend ist der ausserordentlich grosse Pleomorphismus
dieser Mikroorganismen. Die sichere Beurteilung aller Formen
wird erst möglich sein, wenn die künstliche Züchtung des Virus
gelingt.
Auf Grund der klinischen und experimentellen Erfahrung
müssen wir annehmen, dass eine bewegliche Form des Tollwut-
erreges existiert. Wir wissen, dass das Virus ausschliesslich den
Nervenbahnen entlang wandert. Da eine passive Fortbewegung
innerhalb der Axencylinder ausgeschlossen ist, so muss es aktiv
weiter wandern. Die Spirochätenform würde dafür in Betracht
kommen. Die Erfahrung mit anderen Spirochäten (S. gallinarum,
S. duttoni) hat es wahrscheinlich gemacht, dass die Ruhestadien
kokkenartige Gebilde sind, aus denen sich unter geeigneten Be¬
dingungen wieder Spirochäten entwickeln. Wie oben erwähnt,
fanden sich im Antiforrainsediment der Speicheldrüsen reichlich
Kokken, die dem Ruhestadium der Spirochätenform entsprechen
dürften, und die nach Uebertragung in die Bisswunde eines
disponierten lndividiums sich zu Spirochäten umbilden, und in
die Nervenbahnen einwandern. Die eigenartigen Komma- und
S-förmigen Gebilde mit den knopfförmigen Anschwellungen sind
möglicherweise die ersten Involutionsstadien der Spirochätenform.
Alle übrigen Formen entwickeln sich aus diesen Kokken.
Die Stellung dieser Mikroorganismen im System, ob Protozoen
oder Bakterien oder eine besondere Klasse zwischen beiden, bleibt
vorläufig offen. In morphologischer Beziehung zeigen sie die
Charakteristika der Bakterien. Die Spirochäten können wir nach
den neueren Anschauungen zu den Bakteriacaen rechnen. Chemisch
scheint die Leibessubstanz dieser Mikroorganismen, soweit sich
aus dem tinktoriellen Verhalten schliessen lässt, „basophile
Azurophilie“ den Chromatin der Protisten ähnlich zu sein; mit
dem Unterschied, dass letzteres neutrophil azurophil ist.
Der entgültige Beweis, dass die von mir gefundenen Mikro¬
organismen die Erreger der Tollwut sind, wird durch die künst¬
liche Züchtung und Uebertragung der Reinkulturen auf Tiere zu
erbringen sein.
Zusatz bei der Korrektur. In der vorliegenden Mit¬
teilung war ich absichtlich nicht auf den Chemismus der Färbung
eingegangen, weil ich noch weitere Erfahrungen mit anderen
Farbstoffen aus der Tbiazinreihe sammeln wollte. Meine weiteren
Untersuchungen haben zu interessanten und wichtigen Ergebnissen
geführt, so dass ich hier kurz das Wesentliche schon mitteilen
möchte.
Wie oben angegeben, hatte sich zur Färbung nur das
Methylenazurcarbonat bewährt, mit Methylenazurchlorid sowie
Methylenviolettchlorid gelang die Färbung nicht. Ich vermutete
daher, dass das Tollwutvirus nur dann färbbar sei, wenn das
Azur in Form des stark basischen, labilen Carbonats angewandt
wird. Das stabilere, salzsaure Azur ist offenbar wegen seiner
geringen Dissociation zur Färbung nicht brauchbar.
Die Richtigkeit dieser Annahme konnte ich weiter damit be¬
stätigen, dass zwei weitere Thiazinfarbstoffe, das Methylenviolett
und Dimethylthionin in Form ihrer freien Basen in schwach
alkalischer Lösung das Tollwutvirus färben, während ihre salz-
sauren Salze für die Färbung ebenfalls unbrauchbar sind.
Ferner konnte ich mit der freien Base des Toluidinazurs und
Aethylenazurs, die ich aus Toluidinblau resp. Aethylenblau dar¬
gestellt habe, positive Färberesultate erzielen.
Weitere Untersuchungen werden festzustellen haben, ob es
sich hier ausschliesslich um eine spezifische Eigenschaft der
Thiazinfarbbasen handelt, oder ob auch die freien Basen gewisser
anderer Farbstoffklassen (Triamidotriphenylmethane, Eurhodine)
das gleiche Verhalten zeigen.
Zur weiteren Aufklärung des hier vorliegenden Färbeprozesses
habe ich mit den obenerwähnten Thiazinfarbstoffbasen Färbe¬
versuche an einer Reibe chemisch gut definierter Substanzen
angeführt, welche darauf hinweisen, dass die Leibessubstanz des
Tollwut-, Poliomyelitis- und Pockenvirus eigenartige Lipoproteine
sind. Die lipoide Komponente scheint den Oelsäure-Glycerin-
äthern oder Lecithinen ähnlich zu sein.
Dieser besondere lipoide Charakter erklärt vielleicht in un¬
gezwungener Weise die Eigenschaft der Filtrabilität. Die lipoide
Komponente verleiht dem Protoplasma grössere Plastizität und
verringert die Cohäsion, so dass die Mikroorganismen die Filter¬
poren passieren können. Die mikroskopische Unsichtbarkeit
dieser Mikroorganismen im nativen Präparat, die Resistenz gegen
Austrocknen, Einfrieren und die Virulenz konservierende Eigen¬
schaft des Glycerins sprechen ebenfalls für die Gegenwart einer
lipoiden Substanz.
Aus der chirurgischen Klinik Marburg (Direktor:
Prof. Dr. König).
Konservierung von Dauerpräparaten in kon¬
zentrierter Zuckerlösung.
Von
Dr. Georg Magnus, Assistent der Klinik.
Die Erfahrung lehrt, dass man mit Zucker eine stark anti¬
septische Wirkung ausüben kann. Konzentrierte Lösungen be¬
einflussen ihre Umgebung so heftig osmotisch, dass etwa vor¬
handene Keime sich nicht ausbreiten können, oder sogar ver¬
nichtet werden 1 ). Gemahlener Zucker wirkt auf seine Nachbar¬
schaft so stark, dass er für steril gelten kann. Sporen sind zwar
gegen Schädigung durch Wasserentziehung absolut geschützt,
können jedoch im Zucker oder in starker Lösung nicht zum Aus¬
keimen kommen. In der Tat führten Untersuchungen über den
Gehalt des käuflichen Zuckers an Keimen zu dem Resultat, dass
von 44 Kulturen verschiedener Art überhaupt nur 5 angingen,
2 mit Heu-, 3 mit Kartoffelbacillen. Eine Selbstreinigung des
Zuckers in Substanz in starker Lösung ist also nicht nur
theoretisch durchaus plausibel, sondern tatsächlich vorhanden.
Von dieser Tatsache hat man schon lange empirisch Gebrauch
gemacht, ehe die theoretische Grundlage geschaffen wurde. Die
Alten behandelten ihre Leichen zum Zwecke der Konservierung
mit Honig und Zucker und schützten sie so vor Fäulnis. Im
Haushalt wird jetzt vielfach so verfahren, dass man Obstkonserven
in dem Gefäss durch Kochen sterilisiert, in welchem die Früchte
bleiben sollen. Früher füllte man allgemein das Kompott in un¬
sterile Gefässe ab und schützte es durch starken Zuckerzusatz
vor dem Verderben. „Pfund auf Pfund“ war das Prinzip der
Häusfrau beim Einmachen, wobei man in Rechnung ziehen muss,
dass die Früchte ja an sich schon sehr reichlich Zucker enthalten,
und ausserdem beim Kochen erhebliche Mengen Wasser abgeben.
Infolgedessen wurde der Zuckergehalt des Kompotts stets erheblich
höher als 60 prozentig.
Diese Erwägungen sowie die Beobachtung, dass derartig kon¬
servierte Früchte meist sehr schön ihre Farbe behalten — man
1) Magnus, Wundbehandlung mit Zucker. Münchener med.
Wochenscbr., 1913, Nr. 8.
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
687
denke nur an das kalifornische Obst —, führten zu Versuchen,
anatomische Präparate in starken Zuckerlösungen zu konservieren.
Bringt man ein Organ sofort in eine derartige Lösung, so tritt
eine starke Hämolyse ein; die Lösung färbt sich lackfarbenrot,
das Präparat wird vollkommen ausgelaugt und blass. Deshalb
wurden die Präparate zuerst fixiert. Ich nahm dazu die übliche
10 proz. Formalinlösung und liess die Gewebsstücke je nach der
Grösse 6 bis höchstens 12 Stunden darin. Hierauf kamen sie für
dieselbe Zeit oder etwas länger — bis zu 24 Stunden —, in
50 proz. Alkohol, dann in die Zuckerlösung. Es wurde stets
konzentrierte Lösung verwendet. Käuflicher Rübenzucker wurde
mit so wenig Wasser versetzt, dass er im Ueberschuss blieb.
Dieser Ueberschuss setzt sich zu Boden, und man hat darüber eine
klare, gesättigte Lösung. Es ist wichtig, keinen minderwertigen
Zocker zu nehmen. Derselbe ist geblaut, und man erhält eine trübe,
schmutziggraue Lösung. Filtriert man diese, so wird das Filter
blauschwarz, das Filtrat ziemlich intensiv gelb. Eine solche
Flüssigkeit ist natürlich für unseren Zweck unbrauchbar. Guter
Zucker gibt eine klare, absolut farblose, sehr dicke, sirupäbn-
liche Lösung. Dieselbe braucht nicht sterilisiert zu werden. Io
keinem Falle wurde nachträglich irgendeine Veränderung an ihr
wabrgenommen. Versuche, sie mit Schimmel zn infizieren, miss¬
langen.
Die Konservierung ergab recht ermutigende Resultate. Im
Alkohol kehren die Farben zurück, die im Formalin etwas ab¬
geblasst sind; man muss sich nur hüten, die Gewebe zu lange
der Wirkung des Formalins auszusetzen, da sonst die Farben zu
stark zurückgehen. Aus dem dünnen Alkohol kommen die Prä¬
parate dann in die konzentrierte Zuckerlösung. Meist wurden die
Gläser sofort mit Gelatine verschlossen, einige blieben offen, um
eine Infektion durch Luftkeime zu ermöglichen; es trat nie etwas
Derartiges ein. Dann wurde ein Teil der Präparate 6 Wochen
lang auf einem Fensterbrett im Laboratorium hellstem Tageslicht
ausgesetzt, um die Dauerhaftigkeit der Farben zu beanspruchen.
Das Resultat war, dass alle ihre Farben genau so schön behielten,
wie sie am ersten Tage gewesen waren. In der Tat sind sämt¬
liche Präparate, die so behandelt wurden, als in den Farben sehr
gut erhalten zn bezeichnen, und zwar zeigte sich dieser Vorgang
in ganz gleichmässiger Weise.
Nach 6 Wochen wurde ein so konservierter Wurmfortsatz,
der sehr schön und lebenswahr eine schwere, hämorrhagische Ent¬
zündung zeigte, der Zuckerlösung entnommen und zur mikro¬
skopischen Untersuchung verarbeitet. Ein Stück kam für zwölf
Stunden in fliessendes Wasser und wurde dann mit dem Gefrier¬
mikrotom geschnitten. Es war weder hart noch spröde und liess
sich vorzüglich schneiden. Die Präparate wurden mit Hämatoxylin-
Eosin gefärbt. Die Untersuchung ergab, dass Farben und Strukturen
sich in keiner Weise von denen eines frisch verarbeiteten Prä¬
parates unterschieden. Die Kerne waren scharf Umrissen und die
Kernstruktur deutlich, die Fasern des Bindegewebes und der
Muskelschicht nirgends geschrumpft oder mangelhaft gefärbt.
Die Erythrocyten hatten sogar eine auffallend leuchtende Farbe
angenommen.
Mithin ergaben unsere Versuche, dass die Konservierung von
Dauerpräparaten in konzentrierter Zuckerlösung nicht nur ein
sicheres, billiges und bequemes Verfahren darstellt, sondern dass
auch die Resultate in bezug auf Erhaltung der natürlichen Farben,
selbst bei starker Belichtung, auf Gleichmässigkeit und auf
bleibende Möglichkeit der mikroskopischen Verarbeitung durchaus
befriedigend waren.
Aus den Laboratorien des Rockefeller Institute for
Medical Research, New York.
Beobachtungen an einem Hühnersarkom und
seiner filtrierbaren Ursache.
Von
Peyten Rois, M. D., und James B. Murphy, M. D.
Der heutige Beitrag betrifft ein Sarkom des Huhns, das
in 82 Hühnerserien von einem zum anderen Exemplar verpflanzt
worden and auf diese Weise während eines Zeitraums von bei¬
nahe drei Jahren in unserem Laboratorium im Wachstum er¬
halten worden ist. Das Hauptinteresse der Erkrankung liegt
nicht in der Belehrung über das Verhalten verpflanzbarer Tumoren
beim Vogel — ein sehr wenig bekannter Gegenstand —, sondern
in der Tatsache, dass die Ursache des Gewächses in einer filtrier¬
baren Substanz 1 ), fast ohne Zweifel einem lebenden Organismus,
entdeckt worden ist. Die natürliche Voraussetzung wäre, dass
ein auf solche Art verursachtes Gewächs ein Granulom, aber
nicht eine Geschwulst darstellt; und aus diesem Grunde sind die
Merkmale der Krankheit einer besonders sorgfältigen Prüfung
unterzogen worgen.
Das spontane Gewächs fand sich im Unterhautgewebe eines
jungen Huhns und wurde verpflanzt, während der Träger noch
am Leben war. Histologisch war es ein Spindelzellensarkom,
stellenweise myxomartig, während es an anderen Stellen Riesen¬
zellen vom Sarkomtypus enthielt, verschieden von den in Hühner¬
granulomen oder um Fremdkörper vorkommenden. Die Ver¬
pflanzung des frischen Gewebes in andere Hübner gelang,
und somit war das Gewächs für Versuchszwecke gewonnen. Im
Laufe wiederholter Uebertragung nahm es stark an Bösartigkeit
zu. Von den vielen Hundert daraus abgeleiteten Gewächsen
batten die meisten den Bau eines Spindelzellensarkoms. Sie be¬
standen ans grossen, mehr oder weniger gestreckten Spindel¬
zellen, die in unregelmässigen Strängen verliefen, gestützt von
einem spärlichen vasculären Gerüst. Die übrigen Gewächse
zeigten auffallende Abarten innerhalb des Typus, erinnernd an
diejenigen, welche von Zeit zu Zeit (Bashford, Lewin) in den
übertragbaren bösartigen Geschwülsten der Säuger beobachtet
worden sind. Zum Beispiel besteht das Sarkom zuweilen aus
baferförmigen oder stumpfspindeligen oder abgerundeten Zellen,
oder es finden sich zahlreiche Riesenzellen durch das Gewebe zer¬
streut, oder es kann eine bunte Mischung aller obenerwähnten
Zellen vorliegen, so dass ein auffallend vielgestaltiges Bild ent¬
steht. Derartige Veränderungen sind erst in letzter Zeit deut¬
licher geworden 2 ). Im histologischen Sinne sind alle diese Ge¬
wächse Tumoren. Mit den gewöhnlichen Granulomen oder mit
den Geweben bei chronischen Entzündungen sind dieselben nicht
zu verwechseln.
Makroskopisch ist das nach systematischer Einpflanzung des
Sarkomgewebes in die Brustmuskulatur des Huhns auftretende
Gewächs eine umschriebene elastische, linsenförmige, rundliche
oder elliptische Masse, die meist schnell an Grösse zunimmt und
bald mehr oder weniger scharf sich von den Körperlinien abhebt.
Bei widerstandsfähigeren Tieren ist dieselbe besonders deutlich
abgegrenzt und öfters eingekapselt. Sie neigt dann zur myxoma-
tösen Veränderung und ist halbgallertartig. Bei anderen, teil¬
weise resistenten Trägern ist die Geschwulst hart und faserig,
feinstreifig im Querschnitt und von gelblichgrauer Farbe. Bei
sehr emfänglichen Hühnern dringt sie diffus vor und ist rötlich¬
grau, homogen, spröde oder häufiger noch brüchig. Besonders
im letzteren Falle neigt sie zur centralen nekrotischen Erweichung
und ausgedehnten Blutungen mit Cystenbildung.
Die Wachstumsscbnelligkeit des Sarkoms ist zuweilen sehr
gross, jedoch alles in allem genommen nicht mehr als bei ge¬
wissen Tumoren der Säuger, besonders einem von Ehrlich be¬
schriebenen Mäusesarkom. Innerhalb dreier Wochen nach der
Einpflanzung eines weniger als 2 mm im Umfang messenden
Gewebsstückchens kann sich aus demselben eine 12:6:6 cm
grosse Masse entwickeln. Ueber 40 pCt. der Zellen in den
aktiveren Teilen eines derartigen Gewächses können zu gleicher
Zeit im Teilungsvorgang begriffen sein 8 ). Ami tose kommt viel
häufiger vor als Mitose.
Begleitet wird die Grössenzunahme des Sarkoms gewöhnlich
von einem Vordringen in die normalen Gewebe und deren Sub¬
stituierung. Besonders schön zeigt sich das, wo das Gewächs im
gestreiften Muskel liegt. Die neoplastischen Zellen dringen
häufig in die einzelnen Fasern ein, wo sie sich vermehren und
durch Erosion der Muskelsubstanz dieselbe im 'ganzen ersetzen,
obgleich der Umriss der Muskelfaser erhalten bleibt. Die Blnt-
und Lympbgefässe werden oft ergriffen, was Metastasen zur Folge
bat. Ueber die Hälfte der eben an dem Gewächs zugrunde
gehenden Hühner hat sekundäre Knoten in den Eingeweiden. Die
Verbreitung findet meist durch den Blutstrom statt, wie bei
anderen Sarkomen auch; erst werden die Lungen ergriffen, dann
1) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198;
Joum. exp. med. 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosopb.
soc., Bd. 51, S. 201.
2) Eine Arbeit über diese Veränderungen erscheint demnächst ira
Journal of experimental medicine.
3) J. B. Murphy und Peyton Rous, Journ. exp. med., 1912,
Bd.'lö, S. 119.
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638
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
die vom grossen Kreislauf versorgten Organe. Die Lungen sind
zuweilen beinahe durch zusammcnfliessende Knötchen ersetzt und
können um das Doppelte vergrössert sein. Metastasen finden
sich häufig in Leber, Herz und Eierstock, weniger oft in Niere,
Milz, Kropf und Knochenmark. Eine weitverbreitete Ausstreuung
kann sich auf der Oberfläche der Bauchhöhle finden.
Der Träger scheint zwar anfangs nicht unter dem sich ent¬
wickelnden Gewächs zu leiden, verliert aber bald an Gewicht,
wird blutarm und magert ab, um ohne Zwischenfall im Coma zu
verenden.
Diese oberflächlichen Kennzeichen einer Geschwulst sind
jedoch nicht ausreichend, um das Gewächs zu einer solchen zu
stempeln. Das wesentliche Merkmal von Geschwülsten, wodurch
dieselben sich von anderen Gewebsneubildungen unterscheiden,
bleibt noch übrig, nämlich das Wachstum durch Teilung der
bereits neoplastischen Zellen, im Gegensatz zum Wachstum durch
eine pathologische Veränderung von früher normalen Zellen. Sind
die Ausbreitung und Verteilung des Hühnersarkoms dieser Ursache
zuzuschreiben ?
Diesem Problem wurde auf verschiedenen Wegen beizukommen
versucht. Die vorliegenden direkten histologischen Beweise
würden im Falle jedes anderen Gewächses zur Bestimmung ge¬
nügen. Die histologische Natur des Gewächses, die Zahl der
Teilungsfiguren, die Zeichen von Druck auf die Umgebung, das
merkwürdige Eindringen und Ersetzen durch ein Gewebe, welches
oft stark von demjenigen der ergriffenen Struktur abweicht, das
Einwachsen von Geschwulststrängen in das Lumen von Blutgefässen,
die Entstehung von Zellembolien und das Anwachsen und Gedeihen
dieser Embolien an entfernter Stelle, — dies alles lässt sich
hier anführen als hindeutend auf ein Wachstum „aus sich heraus“,
um mit Ribbert zu reden. Wiederholt fanden wir alle Stadien
in der Metastasenbildung mittels Zellverschleppung. Experi¬
mentelle Beweise besitzen noch grössere Ueberzeugungskraft. Eine
Aufschwemmung von frischem Tumorgewebe wurde intravenös
einer Anzahl von normalen Hühnern eingespritzt; einige Tage
später wurden die Tiere getötet und dio Lungen in Serienschnitten
untersucht. Es zeigte sieb, dass die Sarkomknötchen sich aus
Tumorstuckcben entwickelten, die sich in den Aesten der Arteria
pulmonalis festgesetzt und hier gewuchert waren, um schliesslich
durch die Gefässwandungen in das Lungengewebe einzudringen.
Viele von den Tumorembolien waren abgestorben, und um diese
herum entwickelte sich kein Sarkom. Durch Verfolgen des
Schicksals von zahlreichen Ablegern eines einzigen Sarkoms, das
einem empfänglichen Huhn eingepflanzt war nnd durch Operation
an aufeinanderfolgenden Tagen entfernt wurde, fand sich, dass
das Sarkomgewebe die Verpflanzung in andere Wirte verträgt,
vascularisiert wird und durch Proliferation das neue Gewächs her¬
vorbringt 1 ). Bei widerstandsfähigen Hühnern stirbt das einge-
pflanzte Gewebe ab, und es entsteht kein Sarkom.
Soviel ist also gewiss, dass das Hühnersarkom „aus sich
heraus“ wächst, also mit anderen Worten den grundlegenden
Cbarakterzug besitzt, an welchem wir jetzt die Geschwülste er¬
kennen. Es fragt sich nur, verbreitet sich das Gewächs nicht
auch durch Infektion benachbarter Zellen? Eine solche Möglich¬
keit lässt sich allerdings nicht auf Grund histologischer Beweise
allein verneinen, wie auch nicht bei den Sarkomen der Säuger;
dabei würde a priori die Demonstration eines das Gewächs ver¬
ursachenden Agens eine solche Infektion in diesem Falle sehr
wahrscheinlich erscheinen lassen. Doch haben wir gefunden, dass
durch eine Anzahl später zu erwähnender Umstände das Agens
in seiner Tätigkeit gehemmt wird, in solchem Maasse, dass es
uns sogar mit besonders ausgedachten Versuchen nicht zu zeigen
gelang, dass eine Infektion der erwähnten Art irgendeinen Anteil
an den gewöhnlichen Manifestationen des Sarkoms bat. Letztere
ist ganz und gar dem Wachsen nnd Verbreiten „aus sich heraus“
zuzuschreiben.
Ein weiterer interessanter Beweis dafür, dass das Hühner¬
sarkom neoplastischer Art ist, findet sich im Verhalten des Ge¬
wächses bei den verschiedenen Trägern, in die es verpflanzt wurde.
Seit einiger Zeit weiss man, dass der Erfolg von Tumorverpflan¬
zungen von gewissen Bedingungen beeinflusst wird, die entweder
gänzlich von den die Uebertragung von Infektionskrankheiten
beeinflussenden abweichen oder viel prägnanter in ihrer Wirkung
sind (L. Loeb, Schöne, Bashford, Fichera, Rous). Im
grossen ganzen sind diese Bedingungen dieselben, welche die Ver¬
pflanzung von normalen Geweben beeinflussen. Es ist dies eine
1) Rous und Murphy, Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 270,
der bedeutsamsten aus der neueren Krebsforschung gewonnenen
Tatsachen und eine starke Stütze jener Theorien, welche die Ur¬
sache des Krebses in einer inneren Störung der Zellen im Gegen¬
satz zu einem Infektionsstoff suchen. Es trifft sich nun, dass das
Hübnersarkom, obgleich zweifelsohne durch ein äusseres Agens
veranlasst, stark von den oben erwähnten Bedingungen beein¬
flusst wird.
Die Blutsverwandtschaft, derselbe Faktor, der eine so grosse
Rolle beim Erfolg der operativen Transplantationen spielt, ist
eine der wichtigsten dieser Bedingungen. Unser ursprüngliches
Hühnersarkom kam bei einem reinrassigen Huhn vor und liess
sich zuerst nur auf die nächsten Anverwandten des Tieres ver¬
pflanzen (nämlich solche Hühner, die im VerwandtscbaftsVerhältnis
von Halbbruder, Halbschwester, Onkel und Tante zu ihm standen).
Bei nicht blutsverwandten Hühnern von genau derselben Rasse
(gestreifte Plymouth Rock) wuchs es nicht. Erst nach wieder¬
holten Ueberpfianzungen und daraus resultierender erhöhter Bös¬
artigkeit wurde es weniger wählerisch in bezug auf den Wirt
Selbst bei der letzten Untersuchung (achte Tumorgeneration)
wuchs es am besten bei Hühnern von der ursprünglichen Sorte. Trotz
wiederholter Versuche Hess es sich nie mit Erfolg auf Säuger
(Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse) oder andere Vögel
(als Hühner, Tauben, Enten) übertragen.
Der Körperzustand des Trägers hat einen deutlichen Einfluss
auf das Hühnersarkora, umgekehrt wie bei den gewöhnlichen In¬
fektionskrankheiten und ähnlich wie es von den übertragbaren
Geweben, normal oder neoplastiscb, bei Säugern bekannt ist.
Eine erschöpfende Krankheit macht den Träger nicht etwa be¬
sonders empfänglich, sondern verhältnismässig unempfindlich und
kann die schnelle Rückbildung oder sogar ein zeitweiliges Ver¬
schwinden von gut entwickelten Sarkomen verursachen 1 ). Das Ge¬
wächs ist leichter auf junge als auf alte Träger übertragbar und
wächst bei ihnen auch schneller, wie das schon von den ver¬
pflanzbaren Geweben der Säuger bekannt war. Durch Einimpfung
in Hühnerembryonen (7—10 Tage), ohne deren Entwicklung zu
stören, fanden wir, dass die Embryonen besonders empfängliche
Wirte sind 2 ). Einige ansgewachsene Hühner zeigen eine natür¬
liche Widerstandskraft, unabhängig von Alter, Zustand oder Ab¬
art. Obgleich sie sehr passende Träger für den Tumor zu sein
scheinen, entwickelt sich bei ihnen kein Gewächs, auch nicht
nach wiederholten Inoculationeo mit aktivem Tumorgewebe. Bei
einigen Hühnern verkleinert sich das Sarkom nach einiger Zeit
ohne sichtbaren Grund und verleiht dem Träger eine vorüber¬
gehende Resistenz. Die oben erwähnten Resistenzformen finden
sich ebenso bei Säugern. Die histologischen Vorgänge um den
sich zurückbildenden Tumor oder das erfolgreiche Transplantat
herum gleichen sich wesentlich im Falle des Hühnertumors und
bei Ratten- 8 ) oder Mäusetumoren.
Das wären also die Kennzeichen des Hühnersarkoms. Sie
stempeln das Gewächs zum Tumor im vollen Sinne des Wortes,
jetzt, wo unsere Auffassung des neoplastischen Vorgangs nicht
nur auf klinischen und anatomischen Daten, sondern auf weiteren
experimentellen Befunden beruht. Eine derartige Uebereinstimmung
der Tumorphänomene beim Vogel und beim Säuger hätte sich
kaum erwarten lassen.
Unsere ersten Versuche zur Erforschung der Ursache des
Hühnersarkoms wurden angestellt ohne die Erwartung, dass sie zu
bestimmten Resultaten führen würden. Durch dreierlei Methoden
wurde ein ätiologischer Faktor nachgewiesen, nämlich durch
Filtrieren, durch Austrocknen und durch Glycerinisieren 4 ) 5 ) 8 ). Die
daraus erzielte Flüssigkeit, die als ein Extrakt von frischem
Sarkomgewebe in Ringer’scher Lösung durch ein Berkefeld-Filter
getrieben wird, erzeugt den Tumor; Sarkomgewebe, das in vitro
über Schwefelsäure getrocknet, zu Pulver verrieben, und so während
Wochen oder Monate aufbewahrt worden ist, erzeugt ihn auch,
• 1) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198;
Journ. exp. med., 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosoph. soc.,
1912, Bd. 51, S. 201.'
2) Rous und Murphy, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 741;
Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 119.
3) Rous und Murphy, Journ. exp. med., 1912, Bd. 15, S. 270.
4) Peyton Rous, Journ. exp. med., 1910, Bd. 12, S.696; Journ.
am. med. ass., 1910, Bd. 54, S. 1805.
5) Peyton Rous, Journ. am. med. ass., 1911, Bd. 56, S. 198;
Journ. exp. med., 1911, Bd. 13, S. 397; Proceedings am. philosoph. soe.,
1912, Bd. 51, S. 201.
6) Rous und Murphy, Journ. ameriean med. assoc.. 1912, Bd. 58,
S. 1938,
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7. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
639
and ebenfalls Geschwulstgewebe, das mehrere Wochen in 60 proz.
Glycerin gelegen hat 1 ). Beim Gebrauch dieser Versuchsanordnung
ergaben sich keine besonderen Verwicklungen. Die durch ein
Filtrat oder durch getrocknetes oder glycerinisiertes Gewebe er¬
zeugten Tumoren unterscheiden sich nicht von den aus Ver¬
pflanzung hervorgegangenen, ausser dass sie gewöhnlich viel
längere Zeit zum Erscheinen brauchen und oft bedeutend lang¬
samer wachsen. Sie bilden Metastasen, sind übertragbar und
die mögliche Quelle einer beliebigen Anzahl von Gewächsen,
von deren jedem das Agens in Menge erzielt werden kann.
Die Kennzeichen des Agens sind diejenigen, welche wir als
charakteristisch für Mikroorganismen ansehen 2 ); und es scheint zu
den grösseren der filtrierbaren Krankheitsverursacher zu gehören, da
es nicht durch ein Chamberland-Bougie hindurcbgeht, obgleich es
leicht durch einen für B«cillus fluorescens liquefaciens un¬
passierbaren Berkefeld-Cylinder (N oder V) hindurcbgeht. Unsere
wiederholten Versuche, das Agens direkt zu beobachten und in vitro
zu züchten, sind bisher misslungen. In ausgetrocknetem oder
glycerinisiertem Gewebe wird es allmählich abgeschwächt. In
frischem Sarkomgewebe überlebt es wiederholtes schnelles Ge¬
frieren und Auftauen, wodurch das Gewebe selbst breiig wird.
Es wird inaktiv durch Hitze (55° C während 15 Minuten), die etwas
höher ist als die Hitze, welche die dazugehörigen Tumorzellen
zerstört (50° C), wie aus unseren Versuchen, dieselben in vitro
zu züchten, hervorgeht. Schnell wird es inaktiv gemacht durch
Autolyse, durch Chloroform und Toluol in den Verhältnissen, wie
sie zur Verhinderung des Bakterienwacbstums in autolytischen
Lösungen dienen: durch 2proz. Carbolsäure und durch 50proz.
Alkohol. Wie die tierischen Organismen, im Gegensatz zu den
meisten pflanzlichen (v. Prowacek), wird es durch starke Ver¬
dünnungen von Saponin und durch Galle zerstört.
Das Verhältnis des Agens zu der Krankheit, die es erzeugt,
ist eben einzig dastehend in der Pathologie. Denn das Verhalten
des Sarkoms ist allein den dasselbe zusammensetzenden Zellen
zuzuschreiben. Neuere Arbeiten haben einige Gründe hierfür
klargestellt.
Erstens erzeugt das Agens selbst keine bemerkenswerte Im¬
munität. Die beim Huhn durch die Rückbildung des Sarkoms
hervorgebrachte Widerstandskraft ist sehr gering, öfter vorüber¬
gehend, und ihr histologischer Ausdruck um ein frisches Trans¬
plantat von Sarkomgewebe ist von der Art, wie sie jetzt als auf
Widerstand gegen das fremde Gewebe als solches deutend, aus¬
gelegt wird. In der Absicht, eine ausgesprochenere Resistenz zu
erzielen, wurden viele Hübner mit allmählich zunehmenden
Mengen von getrocknetem Sarkomgewebe, das erst durch Hitze
abgeschwächt worden war, gespritzt. Bei den meisten dieser
Tiere entwickelte sich früher oder später das Sarkom und tötete
den Träger. Die Seren der überlebenden Hühner und von ähn¬
lich gespritzten Kaninchen zeigten nur sehr zweifelhafte Neutrali¬
sierungskräfte bei Inkubation in vitro mit dem Agens. Die Ab¬
wesenheit deutlich markierter, gegen das Agens als solches
gerichteter Immunisierungsprozesse erklärt sehr wohl, warum die
gegen das verpflanzte Tumorgewebe als fremdes Gewebe ge¬
richteten und auf jeden Fall vorhandenen Immunisierungsvorgänge
die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ihr Vorhandensein im Falle
dieses und anderer Gewächse bedeutet nicht notwendigerweise,
dass ein anderes ätiologisches Agens als die Zellen selbst fehlen
muss. Es bedeutet einfach, dass die Resistenzphänomene gegen
ein solches Agens, wenn vorhanden, doch weniger ausgesprochen
sind als die gegen die Zellen selbst gerichteten.
Zweitens wirkt das Agens nicht auf normales Bindegewebe.
Um eine neoplastische Veränderung bervorzubringen, muss es
Gelegenheit haben, auf Bindegewebe einzuwirken, in welchem
eine Wucherungsreaktion vor sich geht. Eine grosse Menge von
das Agens in aktiver Form enthaltendem, durch eine feine Nadel
in normales Gewebe eingebrachtem Berkefeld-Filtrat erzeugt nur
selten ein Gewächs, und ein solches entwickelt sich im Pfade der
spritzenden Nadel; wird aber dem Filtrat etwas steriles Kiesel¬
gur zugesetzt — was eine reichliche Bindegewebsreaktion hervor¬
ruft, wie Podwyssozki gezeigt hat —, so folgen einem hohen
Prozentsatz der Inokulationen Tumoren, und dieselben entwickeln
sich in mehreren Herden, wo die Reaktion auf das Kieselgur
vor sich geht.
1) Zwei andere Methoden, nämlich Gefrieren und Auftauen des
frischen Tumorgewebes und Erhitzen auf 50—53° C, gestatten eine
weniger befriedigende Differenzierung des Agens von den Zellen.
2) Rous und Murphy, Journ. american med. assoc., 1912, Bd. 58,
S. 1988. .
Drittens ist die Wirksamkeit des Agens, Tumorgewebe durch
eine Veränderung in früher nicht neoplastischen Zellen hervor¬
zubringen, eine sehr langsame im Vergleich zu der Wucherung
dieser Zellen, nachdem die neoplastische Veränderung einmal er¬
folgt ist. Die ersten wenigen Zellen, die sarkomatös werden,
teilen sich schnell und bewirken die Tumorgewebsmasse. Die
Tätigkeit dieser Zellen überwiegt irgendwelche gleichzeitige neo¬
plastische Umwandlung, gesetzt den Fall, dass der hierzu erforder¬
liche Faktor der Zellstörung vorhanden ist.
Die Existenz dieser drei Einschränkungen der Tätigkeit des
Agens erklärt grossenteils, dass letzteres keinen hervorstehenden
Anteil nimmt an dem gewöhnlichen Wachstum des Tumors und
seiner Verteilung im Träger. Die Existenz weiterer hemmender
Faktoren würde erklären, warum diese mangelnde Anteilnahme
eine nahezu absolute ist. Derartigen entdeckten oder unentdeckten
Faktoren ist es auch zuzuschreiben, dass das Sarkom nicht als
epidemische Krankheit auftritt und durchaus nicht ansteckend im
gewöhnlichen Sinne ist. Während des vergangenen Jahres haben
wir ungefähr 30 natürliche Hühnertumoren gesammelt, ohne
wieder das Bild des Sarkoms anzutreffen. Während der letzten
3 Jahre wurden in unserem Laboratorium in engem Quartier
zahlreiche Hühner mit und ohne Erkrankung gehalten, doch hat
sich ein Beispiel von einer natürlichen Uebertragung unter diesen
Verhältnissen noch nicht finden lassen.
Die Ergebnisse dieser kurz zusammengefassten Forschung
enthalten mehr als eine Andeutung in bezng auf die Aetiologie
von bösartigen Geschwülsten. Sie geben eine rationelle, auf ein
tatsächliches Vorkommnis begründete Erklärung für einige der
rätselhafteren Eigentümlichkeiten dieser Gewächse. Die Besonder¬
heiten im Auftreten von bösartigen Geschwülsten, die Bedeutung
der Zellstörung in ihrer Aetiologie, Wachstum und Verbreitung
derselben mittels Zellen, ihr Verhalten beim Verpflanzen, sind
durchaus vereinbar mit der Annahme, dass dieselben durch ein
Agens erzeugt werden, dessen Tätigkeit gehemmt ist durch Be¬
dingungen, die etwas Aehnlichkeit besitzen mit den das ursäch¬
liche Agens des Hübnertumors beeinflussenden, obgleich sie
zweifelsohne von verwickelterer Natur sind. Ob diese Annahme
richtig ist, muss die Arbeit der Zukunft zeigen. Jedenfalls
werden die theoretischen Einwendungen gegen eine äusserliche
Krebsursache stark erschüttert durch die Befunde bei dem Hühner¬
sarkom *).
Seit der Fertigstellung dieses Berichtes ist es uns zu zeigen
gelungen, dass ein filtrierbares Agens die Ursache eines kürzlich
in diesem Laboratorium gezüchteten Osteochondrosarkoms des
Huhnes ist. Das dieses Gewächs hervoi bringende Agens erfordert,
gleich dem des Spindelzellensarkoms, zu seiner Tätigkeit eine
gleichzeitige Zellstörung. In dem von ihm erzeugten Gewächs
findet sich echtes Knorpelgewebe.
Aus dem Health-Bureau Jew. Agr. Exp. Stat. Jerusalem
(Leiter: Dr. Brünn).
Das Cisternenproblem bei der Bekämpfung der
Malaria in Jerusalem.
Von
Dr. W. Brünn und Dr. Goldberg.
Im vorigen Jahre wurde in Jerusalem durch den Philanthropen
Nathan Straus ein Gesundheitsamt errichtet zum Zwecke der
Bekämpfung der endemischen Krankheiten, im besonderen der
Malaria.
Das Gesundheitsamt begann seine Arbeit in Jerusalem und
Hederab, einer malariaverseuchten jüdischen Kolonie, ln Jerusalem
haben wir parallel mit der von Herrn Prof. Müh lens geleiteten
Malariaexpedition gearbeitet, mit der die Vereinbarung getroffen
war, dass wir in den jüdischen Stadtteilen, Herr Prof. Mühlens
in den christlichen und mohammedanischen arbeiten. Wir haben
über 2000 Blutuntersuchungen in den verschiedensten Stadtvierteln
und geschlossenen Anstalten vorgenommen und bei mehr als
600 Leuten Milz und Leber untersucht — da bekanntlich diese
Organe bei Malaria sehr häufig Veränderungen erleiden. Wir
haben in 21,5 pCt. der untersuchten Blutpräparate Malaria-
1) Peyton Rous, J. B. Murphy und
am. assoc., 1912, Bd. 59.
W. H. Tytler, Journ.
5 *
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UNIVERSITÄT OF IOWA
640
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
parasiten gefunden und in 67 pCt. deutliche Milzveränderungen
nachgewiesen. (Der ausführliche Bericht erscheint an anderer
Stelle.) Das heisst also, dass jeder fünfte Bewohner Malaria¬
parasiten im Blut, jeder zweite eine VergrÖsserung der Milz —
die in Malariagegenden ruhig auf diese Krankheit zurückgeführt
werden kann — hat.
Als Ursache der Malaria in Jerusalem kommen in der Haupt¬
sache die mangelhaft angeordneten Cisternen (Wasserreservoire)
in Betracht. Hier brüten zu jeder Jahreszeit die Anopheles¬
mücken. Darum ist in Jerusalem ein Kampf gegen die
Malaria ein Kampf gegen die schlechten Cisternen.
Diesen Standpunkt haben wir bereits ausführlich in einem
im Oktober 1912 von der ottomaniscben Regierung ein¬
geforderten Bericht vertreten. Wir erklärten damals, dass, wo¬
fern man nicht eine Wasserleitung und Kanalisation in der Stadt
schafft und dann behördlicherseits die Cisternen ganz und gar
schliesst — was nach Lage der Dinge noch in weitem Felde
steht — man durch Abdichtung der Cisternen dafür sorgen muss,
dass den Anophelesmücken, den Ueberträgern der Malaria, das
Brüten unmöglich gemacht wird. Die Stadtbehörde, die sich für
unsere Arbeit sehr interessiert, hat uns in liebenswürdiger Weise
in einigen der malariaverseuchtesten Stadtteilen ihre administra¬
tive und polizeiliche Gewalt zur Verfügung gestellt, um uns die
Durchführung unserer Anordnungen zu erleichtern.
Zum besseren Verständniss unseres Vorgehens ist eine Be¬
schreibung der jetzigen Cisternenverhältnisse notwendig.
Die gewöhnliche Beschaffenheit einer Cisterne ist aus der
Abbildung zu ersehen (Figur D).
Die Cisterne wird aus Stein — dem in Jerusalem üblichen
Baumaterial — und Zement hergestellt. Grösstenteils wird die
Cisterne in den Boden des Hofes hineingebaut; ein kleiner Teil
ragt über die Erdoberfläche hervor, oft überhaupt nichts. Auf
der Cisterne befindet sich ein kleiner Aufbau, in dessen Mitte
sich eine 30—40 cm im Durchmesser haltende Oeffntmg befindet,
die im allgemeinen mit einer Eisengittertür verschlossen ist —
verschlossen, um die Nachbarn an der Ausschöpfung des in
Jerusalem kostbaren Wassers zu hindern. Durch diese Oeffnung
wird das Wasser mittels eines kleinen Blecheimers geschöpft.
Die Auffüllung der Cisterne erfolgt durch Regenwasser, das
ihr durch Dachrinnen und Wandrohre zugeführt wird. Die Rohre
sind aber grösstenteils nicht ins Innere der Cisternen hinein¬
geleitetet, man sieht sie häufig in einem kleinen Klärbecken an
der Seite der Cisternen enden.
Die Schöpföffnung stellt für die Mücken nicht die einzige
Möglichkeit dar, in die Cisterne hineinzugelangen und sich dort
zu vermehren. Oft ist im Aufbau ein Stein gelöst oder fehlt
überhaupt, und auch sonst findet man nicht selten allerhand un¬
nötige, meist durch Nachlässigkeit entstandene Löcher.
Uns war kein Mittel bekannt, dessen Zusatz zum Wasser das
Brutgeschäft der Mücken verhindert hätte, ohne die Gebrauchs¬
fähigkeit oder den Geschmack des Wassers herabzusetzen. Daher
entschieden wir uns für die mechanische Abdichtung der Cisternen,
eine Mückenbekämpfung, die auch vom hygienischen Standpunkt
aus am meisten zu bevorzugen ist. Die Abdichtung wollen wir
auf folgende Weise vornehmen.
Jede Cisterne erhält eine Pumpe; die Schöpföffnung wird
dicht verschlossen oder vermauert. Die Wasserzufuhrrohre werden
ins Innere der Cisterne hineingeleitet und in der Wand der
Cisterne ringsum abgedichtet. Alle sonstigen Löcher werden ver¬
mauert. Nun galt es noch eine Fehlerquelle zu beseitigen. Da
die Dächer meist nicht hoch und die Rohre oben offen sind,
hätten die Mücken durch die Wasserzufuhrrohre eindringen können.
Hierzu haben wir einen Apparat konstruiert, der in das Regenrohr
eingeschaltet wird (Figur A).
Durch eine Klappe, die sich oben im Apparat befindet, wird
das Rohr verschlossen. Die Klappe ist beweglich, wird im Ruhe¬
zustand durch ein aussen angebrachtes Gewicht hocbgedrückt, so
dass sie das Rohr verschliesst (Figur B). Regnet es, so genügt
der Druck des Regenwassers, um die Klappe hinunterzudrücken,
so dass das Wasser frei in die Cisterne einfliessen kann (Figur C).
Hört aber der Druck des fliessenden Regenwassers auf, so wird
die Klappe durch das Gewicht wieder hochgedrückt und ver¬
schliesst das Rohr.
Nun war noch eine Forderung zu erfüllen: dass das Wasser
in der Cisterne mit der Aussenluft kommunizieren kann, da doch
dieses Wasser viele organische Bestandteile enthält, die sich zer¬
setzen können. Diese Frage haben wir folgendermaassen gelöst:
Bei den Cisternen, die ein besonderes Luftloch besitzen, haben
wir ca. 10 cm unterhalb der Oberfläche einen Rahmen, der mit
feinem Drahtnetz beschlagen ist, eingesetzt und oben zum Schutze
des Drahtnetzes die Oeffnung mit einem festen Eisengitter ver¬
schlossen. Bei den anderen benutzen wir die Regenzufuhrrohre,
um der Cisterne auch Luft zuzuführen. Aus diesem Grunde haben
wir (siehe Figur C) den Körper der Verschlussklappe aus ver¬
zinktem Drahtnetz hergestellt, das durch zwei auf der Unterseite
befindliche Querleisten noch besonders widerstandsfähig gemacht
ist. Durch die Klappe geht der Luftaustausch bequem vor sich.
Die Apparate werden während der Regenzeit (Oktober bis
März) alle vier Wochen kontrolliert.
Wir haben begonnen, bei 200 Häusern die Cisternen derartig
instandzusetzen, und hoffen damit nicht nur der Malaria, sondern
auch der Mückenplage entgegenarbeiten zu können. Selbst¬
verständlich werden wir uns bei der Malariabekämpfung, wo es
angebracht ist, auch der anderen Malariabekämpfungsmittel (Aus¬
räucherung, Petrolisierung, individuelle Chininpropbylaxe) be¬
dienen.
Wir hoffen, wenn die ersten Versuche gut ausfallen, die
Cisternenabdicbtung im grossen Maassstabe aufnehmen zu können;
zumal Herr Nathan Straus jüngst in grossherzigerWeise grössere
Mittel für den Kampf gegen die Malaria unserem Institut zur Ver¬
fügung gestellt hat.
Bücherbesprechungen.
Ernst Jeger: Die Chirurgie der Blutgefässe und des Herzens. Mit
231 Abbildungen, 330 S. Berlin 1913, A. Hirschwald. Preis
9 M.
So hat nun auch der jüngste Spross am Baume der operativen
Chirurgie, die Gefässchirurgie, seinen Biographen gefunden: Der Autor,
der sein Werk A. Carrel, dem Schöpfer der experimentellen Gefäss-
cbirurgie, widmet, gibt in den ersten Kapiteln einen umfassenden Ueber-
blick über die Technik der Gefässnaht; alle Methoden werden geschil-
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UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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dert und auf Grund reicher eigener Erfahrung -wird Kritik geübt.
Weitere Abschnitte zeigen die Bedeutung der Gefässchirurgie für die
experimentelle Medizin und ihre praktische Anwendung am kranken
menschlichen Organismus: eine Verbindung von Arterie und Vene z. B.,
früher nur von rein physiologischem Interesse, hat durch Wieting bei
Gangrän der Extremitäten Bedeutung gewonnen; die Eck’sche Fistel,
von hohem Interesse für die Physiologie des Pfortaderkreislaufs, ist bei
Ascites auch am Menschen ausgeführt, weiter: Die Drainage der Ven¬
trikel mit freien Gefässen, die Behandlung der Aneurysmen, der Ersatz
einer vernichteten Urethra, endlich die Bluttransfusion. Ein Kapitol ist
der experimentellen Herzchirurgie und der Aorta thoracica gewidmet;
auch hier hat das Experiment schon eine Reihe Erfolge gezeitigt — bis
zu ihrer Anwendung am Menschen ist noch ein weiter Weg. Die Trans¬
plantation der Organe ist eingehend behandelt; anschaulich beschreibt
Verf. seine Teohnik der thorakalen Eingriffe am Tier, für die er die
Insufflation der Lungen nach Meitzer bevorzugt.
Der Verf. hat sich ein grosses Verdienst erworben, dass er in über¬
sichtlich klarer Darstellung alles Wissenswerte für die Gefässchirurgie
kritisch zusammengestellt hat. Die 231 sehr klaren Abbildungen er¬
leichtern die Lektüre des Buches, dessen Preis als sehr mässig bezeichnet
werden kann. Ernst Unger-Berlin.
F. Krause und E. Hey mann: Lehrbuch der chirurgischen Operationen
an der Hand klinischer Beobachtungen. Verlag Urban &
Schwarzenberg. I. Abteilung Preis 12,50 M. (gedacht sind 6 Ab¬
teilungen mit ca. 2000 Abbildungen).
Um das Schreiben von Lehrbüchern ist es oft ein eigen Ding.
Hat man Zeit, so fehlt in der Regel die genügende Erfahrung, hat
man genügende Erfahrung, so fehlt es meist an Zeit! Dieser Ausspruch,
wenn ich nicht irre, Fürbringer’s hat gerade in unserer schnell¬
lebigen Zeit seine Berechtigung.
Um so erfreulicher und dankenswerter ist es, wenn ein so erfahrener
Kliniker wie Krause es unternimmt, ein chirurgisches Lehrbuch zu
schreiben, unterstützt von seinem langjährigen Oberarzt Hey mann.
Das grosszügige, glänzend ausgestattete Werk, dessen I. Abteilung
vorliegt, mutet uns an wie eine Sammlung sorgsam ausgewählter und
durchgearbeiteter klinischer Vorlesungen, deren Studium dem angehenden
Arzte sowie dem beschäftigten Spezialchirurgen und Krankenhausleiter
eine Fülle von Rat und Belehrung gibt.
Eine allgemeine Operationslehre leitet das Lehrbuch ein. In ihr
werden die Vorbereitung des Kranken und des Operateurs, die Be¬
täubungsmethoden, die Lokalanästhesie, die Bedeutung der Asepsis und
der Antisepsis, die Desinfektion und die Nachbehandlung besprochen.
Die Kapitel sind klar und anregend geschrieben; überall zeigt sich das
Streben naoh möglichst einfachen Methoden, mit denen man bei richtiger
Anwendung nicht selten bessere Resultate erzielt als mit den kom¬
plizierten.
Der spezielle Teil beginnt mit der Chirurgie des Kopfes; die Behand¬
lung der Weichteilwunden, der Schädelfrakturen, der entzündlichen
Affektionen des Kopfes und des Gesichts, der Schädelgeschwülste, die
Technik der plastischen Operationen am Kopfe sind ausführlich be¬
sprochen und vortrefflich dargestellt. Dem Grundsatz treu, dass nur
der ein guter Chirurg sei, der wenigstens bis zu einem gewissen Grade
auch die Grenzgebiete beherrscht, sind einige Kapitel auch der Ohren-
und Nasenchirurgie gewidmet.
Obwohl sich Krause ausschliesslich auf eigenes Material und eigene
Erfahrungen stützt, wird man Lücken kaum finden, jedenfalls nichts
Wissenswertes vermissen.
Frei von jedem unnützen Ballast und doch vollständig erschöpfend
wird die Symptomatologie der einzelnen Krankheiten und Verletzungen
an der Hand selbsterlebter Fälle besprochen, der Heilplan begründet,
dann die einzelnen Phasen der Operation beschrieben und durch ebenso
zahlreiche wie ausgezeichnete, nach der Natur vom Maler Landsberg
angefertigte Zeichnungen illustriert, so dass man ein klares, anschauliches
Bild von dem Gang der Operation bekommt.
Vielfach finden wir lehrreiche Hinweise auf fehlerhafte Behandlungs¬
weisen.
Das Kapitel über die chirurgische Behandlung der Trigeminus¬
neuralgie beschliesst die I. Abteilung. Die grundlegenden Arbeiten
Krause’s auf diesem Gebiete sind zur Genüge bekannt; sie nochmals
von ihm zu lesen ist immer ein Genuss.
Jeder Chirurg, auch der kenntnisreiche, wird das Buch mit Ver¬
gnügen und Nutzen studieren, es wird ihm ein treuer Ratgeber sein in
einfachen und in schwierigen Fragen.
Wir dürfen uns schon jetzt auf die folgenden Abteilungen freuen
und die Hoffnung aussprechen, dass das grosse, schöne Werk bald seiner
Vollendung entgegengehen möge. M. Borchardt-Berlin.
Paal Th. Müller-Graz: Vorlesungen über Infektion and Immunität.
Mit 21 Abbildungen im Text. Vierte erweiterte und vermehrte
Auflage. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912. 474 Seiten
Preis 8 M. geb. 9 M. „
Wenn in heutiger Zeit ein Lehrbuch über Infektion und Immunität
bereits die vierte Auflage erreicht, so ist diese Tatsache allein schon
das beste Zeichen dafür, dass es den Ansprüchen seiner Leser ent¬
sprochen hat. Auch diese Auflage der „Vorlesungen“ hat eine Reihe
von Ergänzungen und Umarbeitungen aufzuweisen, die durch das stetig
anwachsende Tatsachenmaterial notwendig geworden waren. Mit Rück¬
sicht auf die Sonderstellung, welche den anaphylaktischen Phänomenen
zukommt, wurde die Anaphylaxie von den anderen Formen der Ueber-
empfindlichkeit abgetrennt und ihr ein besonderes Kapitel gewidmet.
Gleichzeitig wurde ein Abschnitt über die giftbildenden und entgiftenden
Wirkungen der Sera eingeschaltet, der sich mit den mannigfachen Tat¬
sachen der Anaphylatoxinbindung und -entgiftung auseinauderzusetzen
sucht. Mancherlei Ergänzungen hat auch das Kapitel über die praktischen
Anwendungen der Immunitätslehre, speziell über die Erfolge der Schutz¬
impfung und Serumtherapie erfahren, wobei auch die Tiermedizin ein-'
gehend berücksichtigt wird.
In einem Schlussabschnitt bespricht Verf. die Anwendung der Im¬
munitätsreaktionen zu diagnostischen Zwecken, wobei er die allergischen
Reaktionen, bei denen die veränderte biologische Reaktionsweise des
immunen oder erkrankten Organismus als diagnostisches Kriterium be-
nutzt wird, von den baktericiden Reaktionen trennt. Auch die anderen
diagnostischen Untersuchungsmethoden wie Präzipitation, Agglutination,
Koraplementbindung finden neben den hämolytischen, antihämolytischen,
antifermentativen, phagocytären und physikalisch-chemischen Reaktionen
eine eingehende Besprechung.
Da Verf. es versteht, den teilweise spröden Stoff möglichst klar und
leicht verständlich zu behandeln, so steht zu erwarten, dass auch die
vierte Auflage der „Vorlesungen über Infektion und Immunität“ sich
ihren Freundeskreis erwirbt und sowohl zur Einführung in dieses inter¬
essante Gebiet wertvolle Dienste leistet, als auch zur Mitarbeit auf dem¬
selben anregt. _
Denkschrift über die seit dem Jahre 1903 unter Mitwirkung des
Reiches erfolgte systematische Typhusbekftmpfang im Siidwesten
Deutschlands. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, 1912,
Bd. 41. Verlag von Julius Springer. 604 Seiten. Preis 26,40 M.
Die reichen Erfahrungen, welche die durch Robert Koch ins Leben
gerufene systematische Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands
in wissenschaftlicher wie in wirtschaftlicher und verwaltungstechnischer
Hinsicht gebracht hat, sind in dieser Denkschrift niedergelegt, welche
einen stattlichen Band der „Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt“
ausfüllt. Die Bearbeitung des einleitenden Abschnitts über „Die wissen¬
schaftlichen Grundlagen für den Versuch einer Typhusbekämpfung“,
welche Robert Koch sich Vorbehalten hatte, wurde, nachdem der un¬
erbittliche Tod den grossen Meister abgerufen hatte, durch M. Kirchner
übernommen. Die Errichtung der ersten Typhusstation in Trier und
den Vorversuch in den Hochwalddörfern des Kreises Trier hat P. Frosch,
„Die Typhusbekämpfung als Verwaltungsmaassnahme“ der frühere Reichs¬
kommissar Schreiber bearbeitet. Der dritte Abschnitt schildert die in
der eigentlichen TyphusbekämpfuDg von den Stationen gemachten Be¬
obachtungen und gewonnenen Erfahrungen. Nachdem Prigge die Er¬
mittlung der Typhusfälle auseinandergesetzt hat, folgt eine Besprechung
der bakteriologischen Typhusdiagnose durch 0. Lentz und H. Conradi
sowie eine Statistik der bei der bakteriologischen Untersuchung ge¬
machten Befunde unter besonderer Berücksichtigung des Zeitpunktes
der bakteriologischen Krankheitsfeststellung von Händel.
Die Absonderung der Kranken in Krankenhäusern und die sonstigen
Maassnahmen zur Verhütung der Weiterverbreitung des Typbu3 schildert
Fehrs, während E. Levy und Gaehtgens die Eigenschaften der
Typhusbacillen, v. Drigalski die Uebertragungsweise der Bacillen von
Mensch auf Mensch behandelt. Auf den Abschnitt „Bacillenträger und
Dauerausscheider“ von Prigge folgt die Besprechung des örtliehen und
zeitlichen Verhaltens der Krankheit durch Hertel, während Fischer
die Desinfektion behandelt. In die Darstellung der allgemeinen gesund¬
heitlichen Verhältnisse im Typhusgebiete haben sich Schlecht,
Demuth, Schmidt und Pawolleck geteilt. Die Mitwirkung der
praktischen Aerzte und des Publikums bei der Typhusbekämpfung
schildert Sy man ski, die Beziehungen des Typhus zur Industrie P. Neu -
mann, während die Besonderheiten der Typhusbekämpfung auf dem
Lande und in den grösseren Städten von Klinger bearbeitet sind. Das
statistische Material über den Typhus und die Typhusbekämpfung be¬
spricht W. Fornet, welcher zum Schluss auch die Ergebnisse der Be-
kämpfungsmaassnahmen zusammenfasst. Die Rolle der bacillären Ruhr
und des Paratyphus in der organisierten Typhusbekämpfung behandelt
W. Ri mp au, die anderweitigen bakteriologischen Untersuchungen
Megele.
Dieser kurze Hinweis auf den reichhaltigen Inhalt der Denkschrift
zeigt schon zur Genüge, welche Fülle wertvoller wissenschaftlicher Be¬
obachtungen diese organisierte Typhusbekämpfung geliefert hat. Bei der
Schwierigkeit, die einzelnen Abschnitte der Denkschrift scharf zu um¬
grenzen, war es nicht zu vermeiden, dass in manchen Berichten Wieder¬
holungen Vorkommen. Es wurde aber davon abgesehen, deswegen
Streichungen vorzunehmen, um nicht die Selbständigkeit der einzelnen
Abhandlungen zu beeinträchtigen.
Für jeden, der sich mit den Fortschritten der modernen Typhus¬
bekämpfungvertraut machen will, bildet die Typhusdenkschrift ein wert¬
volles Nachschlagewerk. Es wäre daher zu begrüssen, wenn überall in
Deutschland die im Südwesten des Reichs so bewährt befundene Me¬
thode des Vorgehens gegen den Typhus nach den Ratschlägen Robert
Kocb’s sowohl im allgemeinen wie auch im einzelnen vorbildlich würde
für die Abwehr dieser Krankheit.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
P. Köhler-Holsterhausen bei Werden: Jahresbericht über die Er¬
gebnisse der Taberknioseforsehang 1911. Abdruck aus dem
Klinischon Jahrbuch, Bd. 26. Verlag von Gust. Fischer. Jena 1912.
194 Seiten. 6 M.
Hervorragendes Nachschiagebuch für jedeo, der sich leicht auf sämt¬
lichen Gebieten der Tuberkulose von den Fortschritten, die das Jahr 1911
gebracht hat, orientieren vrill.
Elizabeth T. Fraser: A Mannal of Immnnity for Student« and
Practitioners. Glasgow 1912. James Maclehose and Sons.
199 Seiten.
ln den heutigen Zeiten der Serodiagnostik und der Vaccine- und
Serumtherapie gehört die Kenntnis der Grundbegriffe der Immunität und
der grossen Fortschritte, welche dieses Wissensgebiet in dem letzten
Jahrzehnt zu verzeichnen hatte, zu den Forderungen des Tages. Dem
leicht verständlich geschriebenen Werkchen, welches alle wichtigen
Fragen der Immunitätswissenschaft kurz behandelt, ohne auf Einzelheiten
näher cinzugehen, ist daher nicht nur bei den Studenten, sondern auch
bei den praktischen Aerzten ein weiter Leserkreis zu wünschen.
Möllers - Berlin.
Literatur-Auszüge.
Anatomie.
O. Renner - Augsburg: Ueber die Innervation der Niere. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die Erforschung der
Innervation der Niere ist schwierig, weil das Produkt dieses Organs
nicht wie das einfacher Drüsen auf einfachem Wege zustande kommt.
Vielmehr ist die Nierensekretion ein aus zwei Komponenten zusammen¬
gesetzter Vorgang: ein im Nierengefässsystem sich abspielendes und von
ihm abhängiges Geschehnis und eine Funktion der Nierenepithelien in den
Harnkanälchen. Nur der Nerveneinfluss auf die Vasomotoren der Niere
ist bisher untersucht. Welchen Nerveneinflüssen der drüsige Teil der
Niere zugänglich ist, ob vor allem hier wie bei den anderen doppel-
innervierten Organen der Antagonismus zwischen Vagus und Sympathicus
gewahrt ist, ist eine ungelöste Frage. Der grosse Nervenreichtum der
Niere an und für sieb, die zahlreichen eingelagerten sympathischen
Ganglienzellen, die Nervenendigungen in den Gefässen und namentlich
an den Epithelien der Harnkanälchen machen das Bestehen eines mannig¬
faltigen Nerveneinflusses auf die Nierensekretion wahrscheinlich.
W. Zinn,
Physiologie.
F. G. Benedict - Boston: Der Einfluss der Nahrnngsanfnahmen
auf den Stoffwechsel. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110,
H. 1 u. 2.) Aus der Nahrung werden Stoffe aufgenommen, welche,
durch das Blut an die Zellen gebracht, dieselben zu erhöhter Tätigkeit
anregen (F. Müller). Wahrscheinlich haben diese Stoffe Säurecharakter.
W. Zinn.
G. Neuberg: Einiges über die Bedeutung des Lichtes für die
Organismen. (Zeitschr. f. Balneologie, 5. Jahrgang, Nr. 22—24 ) Neu-
berg bespricht den Anteil der normalen Lichtzufuhr an der Entwicklung
von Tier und Mensch. Der wachsende Organismus bedarf des Lichtes
wie der Luft und der Nahrung. Lichtmangel scheint bei Gewöhnung
wenig schädlich zu sein. Auch Schädigungen sind durch Licht be¬
obachtet worden wie Hautstörungen und Hautverbrennungen; die Netz¬
haut des Auges kann ebenfalls vorübergehend geschädigt werden. Ge¬
fährlich ist das Licht bei dem seltenen Xeroderma pigmentosum. Ob
die Pellagra eine Lichtkrankheit ist, ist nicht sicher. Eine deutliche
Schädigung durch Licht wird bei den Zuständen beobachtet, bei denen
Hämatoporphyrinurie auftritt. Tiefgreifender als bei Mensch und Tier
ist die Bedeutung des Lichts bei Pflanzen und für Kleinlebewesen. Die
direkten Sonnenstrahlen schädigen oder hemmen das Wachstum zahl¬
reicher Bacillen; auch Pilze werden durch Insolation abgetötet. Das
Milieu, in dem die Bakterien leben, bleibt unverändert. Konzentriertes Licht
tötet schneller Bakterien ab als Sonnen- und Tageslicht. E. Tobias.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: v. Valken-
burg, Lokalisation im Kleinhirn.
Pharmakologie.
0. C. M. Davis - Bristol: Der Gebrauch physikalischer Konstanten
in der Toxikologie. (Brit. med. journ., I. März 1913, Nr. 2722.)
Mischungen zweier Substanzen haben meist einen viel tieferen Schmelz¬
punkt als die einfachen, auch liegen die Grenzpunkte der Schmelz¬
temperatur weiter auseinander, weil es sich um eine Lösung des einen
Körpers im anderen handelt. Zum Beispiel schmelzen Antifibrin und Anti-
pyrin bei 110—113°, ihre Mischung bei 57—74°. Der Verfasser führt
eine Reihe von Schmelztemperaturen an. Da es sich bei toxikologischen
Bestimmungen oft um sehr kleine Mengen handelt, die oft keine chemi¬
schen Proben zulassen, so schlägt der Verfasser vor, den Schmelzpunkt
der zu bestimmenden Substanz und den einer Mischung derselben mit
der vermuteten Substanz zu bestimmen: Haben beide denselben Schmelz¬
punkt, so müssen beide Substanzen gleich sein. Weydemann.
W. Hildebrandt - Freiburg i. B.: Chloroformnarkose md Leber¬
krankhelten. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 10.) Man weiss.
dass Chloroform schwere Degenerationszustände der gesunden Leber be¬
wirken und dass es zusammen mit bakteriellen Einflüssen zur akuten
gelben Leberatrophie führen kann. Nicht ganz sicher ist, ob Chloroform
allein ohne Mitwirkung von anderen Faktoren akute gelbe Leberatrophie
erzeugt. H. nimmt an, dass ausser Chloroform noch ein zweiter Faktor
erforderlich ist: Allgeraeininfektionen, die die Leber in Mitleidenschaft
ziehen (Hepatitis) oder Leberkrankheiten wie Stauungsleber usw. Eine
zweckmässige Prophylaxe gegen Schädigungen der ChloroformnaTkose be¬
steht in einer exakten Leberuntersuchung, am besten Funktionsprüfung.
Unbedingt ist die Untersuchung auf Urobilin zu verlangen, bei dessen
Anwesenheit im Urin unter keinen Umständen Chloroform gegeben
werden darf. Dünner.
H. Leo-Bonn: Ueber die Wirkung gesättigter wässeriger
Campherlösangen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Vor¬
trag in der medizinischen Abteilung der Niederrheinischen Gesellschaft
für Natur- und Heilkunde in Bonn am 10. Februar 1913.
A. Feld-Höchst a. M. : Zar Chemotherapie der Taberkalose mit
Gold. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Das Gold ist zur
Zeit als das intensivste Mittel unter den Tuberkelbacillen schädigenden
Substanzen zu betrachten. Tuberkulöse Tiere zeigen 24 Stunden nach
Einverleibung der Au-Salze eine überraschend starke lokale Reaktion, die
sich nur durch eine intensiv einsetzende Baktericidie erklärt („sekundäre
Tuberkulinreaktion“). Zu therapeutischen Versuchen wurden bei Meer¬
schweinchen und Kaninchen subcutane bzw. intravenöse Einspritzungen
von Goldpräparaten gemacht, in Kombination mit Cantharinäthylendiamin,
das eine ausgesprochene Affinität zu entzündlichen Herden besitzt und
den baktericiden Goldsalzen als „Leitschiene“ im Organismus dient. Bei
den Kaninchen gelang es, dank der intravenösen Einverleibung, deutliche
Heilungsprozesse hervorzurufen. Die Meerschweinchenversuche ergaben
ein solches Resultat nicht, da die Au-Präparate bei subcutaner Einführung
reduziert und von den Körperzellen verankert werden, ehe sie an den
tuberkulösen Herd herangelangen. Kleine Lymphdrüsen Hessen jedoch
auch hierbei eine Einwirkung erkennen. Bei fortgesetzter Zuführung der
Goldpräparate dürfte eine „Au-Festigkeit“ des behandelten Stammes ent¬
stehen, welcher weiteren Heilungsprozessen hemmend entgegentritt. In
vitro wachsen Tuberkelbacillen nach 6 wöchiger Behandlung bereits in
einer Goldcyanidverdühnung von 1 : 400 000, während eine frische Kultur
dieser Verdünnung komplett standbält. Es wäre daher wünschenswert,
bei der Tuberkulose eine kombinierte Therapie anzustreben, durch die
die erworbene Festigkeit durch ein zweites Agens durchbrochen wird.
Wolfsohn.
Siehe auch Therapie: Frankel, Hustenstillende Mittel; ein
neues Codeinpräparat. _
Therapie.
A. Fraenkel - Badenweiler-Heidelberg: Hastenstillende Mittel und
ein neues Codeinpräparat. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.)
Paracodin ist Dihydrocodein. Es wirkt rascher hustenstillend, oft schon
nach wenigen Minuten; die Wirkung hält länger an als die Wirkung
doppelt so grosser Codeindosen; im Gegensatz zu Codein hat es auch
in kleinen Dosen eine leichte narkotische Wirkung. Keine störenden
Nebenwirkungen. Dünner.
Travaglino: Der Einfluss des Tiodins auf den Organismus.
(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 20.) Durch die günstige
Beurteilung von Murreil, Brik, Partschewski, Kraepelin u. a.
dieses Mittels angeregt, versuchte Verf. es bei mehreren Patienten mit
Arteriosklerose und Hirnleiden. Die psychischen Defekte fand er wenig
oder nicht beeinflusst, dagegen erfolgte Blutdrucksenkung nach jeder
Einspritzung, die noch längere Zeit nach der Kur anhielt. Für den
Neurologen ist das Tiodin entbehrlich, für den Internisten glaubt Verf.
es von Wert, zumal bei beginnender Arteriosklerose, weil gerade der
erhöhte Blutdruck die wichtigste Ursache dieses Leidens ist.
v. d. Valk: Das Formalin als Mittel gegen Hantpilskrankheitea.
(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 22.) Schon längere Zeit
wird das Formalin auf endogenem Wege in der Form von Urotropin an¬
gewandt. Verf. wurde dadurch angeregt, es auch direkt auf die kranke
Haut zu applizieren, wobei er guten Erfolg hatte. Bei Favus, Mikro¬
sporie und Trichophytie wirkte es nicht besser als die bis jetzt ge¬
brauchten Mittel, namentlich die Jodtinktur. Anders aber bei Pityriasis
versiculor, Erythrasma und Eczema marginatum, die bei der gewöhnlichen
Behandlung meist wieder recidivieren. Mit der Betupfung einer lOproz.
Formalinlösung konnte Verf. diese drei Erkrankungen gründlich heilen.
v. Suchtelen.
W. W. Nack - Penbridge: Natrinmcarbonat bei Herpes tonsarans.
(Brit. med. journ., 8. März 1913, Nr. 2723.) Folgendes heroische Ver¬
fahren soll unfehlbar helfen. Ein wallnusgrosses Stück Soda wird an ein
rotglühendes Stück Elsen, z. B. ein Schüreisen, angeschmolzen und damit
dfe erkrankte Stelle eingerieben, besonders energisch, wenn sie auf
der Kopfhaut sitzt. Hier muss das Verfahren meist nach 6—7 Tagen
wiederholt werden. Verband ist meist nicht nötig, eventuell Borsalbe.
Das Einreiben der geschmolzenen Soda soll fast schmerzlos sein.
* Weydemann.
T. Parisot und L. Heully: Versuch der Behandlung von kon¬
genitalem hämolytischen Icteras mit Röntgenbestrahlung der Mili.
(Gaz. des höp., 1913, Nr. 18.) In zwei Fällen von kongenitalem
Icterus, die mit Röntgenbestrahlung der Milz behandelt wurden, trat
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nach anfänglicher Verminderung der Erythrocyten, Vergrösserung der
Milz und lokaler Hyperthermie eine sehr starke Besserung ein: die
Widerstandskraft der Erythrocyten gegenüber der Lyse wurde normal,
die Zahl der Erythrocyten ging zur Norm herauf, der Icterus schwand,
die Milz verkleinerte sich sehr stark. Wartensleben.
R. Matzenauer - Graz: Durch Alkaliabgabe des Glases bedingte
toxische Nebenwirkungen nach intravenösen Salvarsaninjektionen
(„Glasfehler“). (Wiener klin. Wochenscbr., 1913, Nr. 11.) Es kann eine
ziemlich bedeutende Menge Alkali aus dem Glas in das zu intravenösen
Injektionen verwendete Wasser re9p. in die Kochsalzlösung übergehen.
Da dieses Alkali keine chemisch reine Natronlauge, sondern mit
Silikaten und anderen Substanzen verunreinigt ist, so ist es selbst¬
verständlich, dass eine Salvarsanlöiung dadurch eine Zersetzung erleiden
kann, welche toxische Erscheinungen hervorruft. Um vor dem „Glas¬
fehler“ geschützt zu sein, lässt der Verf. die Flaschen mit verdünnter
Salzsäure vor dem Gebrauch auskochen. P. Hirsch.
E. K night-Gravesend: Pilze als Blutstillungsmittel. (Brit. med.
journ., 1. März 1918, Nr. 2722.) Ausser anderen Pilzen hat sich Lyko-
perdon giganteum als Blutstillungsmittel bewährt. Eine Sterilisierung
ist nicht nötig, kann aber vorgenommen werden, ohne die blutstillende
Wirkung zu schädigen. Weydemann.
B. Spiethoff: Zur therapeutischen Verwendung des Eigenserums.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei verschiedenen Haut¬
krankheiten injizierte Sp. zwei- bis dreimal wöchentlich mit wechselndem
Erfolge 10 bis 25 ccm inaktiviertes Eigenserum intravenös. Manchmal
traten Allgemein- und Herdreaktionen auf, nach deren Abklingen oft
eine Wendung zum Besseren erfolgte. In einzelnen Fällen injizierte
Verf. abwechselnd Eigenserum und arteigenes Serum, oder auch Mischungen
von drei Teilon Eigenserum und einem Teil artfremdem Serum.
Dünner.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
J. E. Adams-London: Bauchfellverwachsnngen ; eine experimen¬
telle Studie. (Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Von den Versuchs¬
ergebnissen des Verf. sei erwähnt, dass in die Bauchhöhle gebrachte
Schwammstückchen nicht gleich fixiert, sondern durch die Bewegungen
der Bauchorgane hin und her bewegt wurden; sie haften schliesslich am
Netze fest, nicht an den Därmen. Wuchsen die Stückchen einmal nicht
am Netze an, so gingen sie feste Verwachsungen mit Därmen oder
anderen Organea ein. Drainage der Bauchhöhle hat wenig Zweck, ausser
bei Abscesshöhlen mit gut ausgebildeten Wänden, denn die Oeffnungen
der Röhren werden rasch mit Fibrin verschlossen, und bei septischen
Fällen kann der Druck der Röhren die Auswanderung von Mikroorga¬
nismen aus dem Darm begünstigen. Dass zurückgelassenes Blut in der
Bauchhöhle Verwachsungen begünstigt, lässt sich nicht beweisen. Zum
Hervorrufen von Bindegewebsneubildung hat sich nur die Einführung
steriler Fremdkörper als geeignet erwiesen; chemische Reizmittel, auch
Scharlachrot hatten keine Wirkung; Wundreiben der Peritonealflächen
und Scarifikationen gibt nicht mit Sicherheit Verwachsungen. Die Be¬
weglichkeit des Netzes ist nicht gross und entspricht der Peristaltik der
Därme. Infizierte Fremdkörper machen raschere Verwachsungen als
sterile. Die angegebenen Mittel zur Verhütung von Verwachsungen
haben meist keinen Erfolg; auch das Bedecken der vom Bauchfell ent-
blcssten Stollen mit Netz hat ungleiche Resultate ergeben; wo der Er¬
folg gefehlt hat, hat es sich wahrscheinlich um Infektionen der zu be¬
deckenden Stelle gehandelt. Weydemann.
F. Meursing: Ueber eine seltene Anastomose zwischen Vena
portae und Vena eava. (Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2,
Nr. 20.) Bei einem an Lebercirrhose, eitriger Nephritis und Para¬
nephritis verstorbenen Manne wurde folgender Befund erhoben: Beim
Eiuspritzen von Parafin in die linke Nierenvene füllten sich Vena
renalis sinistra, die Vena spermat. inf. sioistra und von diesem Ge-
fäss aus eine Verbindung mit der Vena lienalis, durch welche sich die
Vena portae, die Venae mesenteriae superiores et inferiores füllten. Ausser¬
dem schwollen die Vena suprarenalis sinistra und Aeste der Vena coro-
naris ventriculi an. Weiter bestand noch eine Verbindung zwischen
dem oberen Teil der Vena spermat. und dem zuerst erwähnten ab¬
normen Gefäss, welche Verbindung überdies noch mit der Vena raesen-
teria kommunizierte. Verf. fand diese Anastomose nirgends beschrieben,
meint aber, dass sie wohl bei jedem Menschen bestehen wird, hier aber
sieh so sehr au*»gebildet hat, weil wegen der Verödung des Nierengewebes
die Nierenvene ganz zur Verfügung stand. v. Suchtelen.
Diagnostik.
F. Erne-Freiburg: Funktionelle Nierenprüfung mittels Phenol¬
sulfonphthalein nach Rowntree und Geraghty. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Empfehlung der Methode. Die Bestimmung
mit dem Autenrieth-Königsberger’schen Kolorimeter ist sehr einfach,
genau und in kaum 10 Minuten zu bewerkstelligen. Die Resultate sind
zahlenmässig mit anderen vergleichbar, und dadurch lassen sich Aende*
ruugen im Funktionszustande leicht feststellen, was keine andere
Methode leistet. Sie zeigt Funktionsstörungen an, wo die Ei Weissreaktion
im Stiche lässt. Die Grenze der Ausscheidung bei intraglutäaler In¬
jektion bei gesunder Niere liegt bei 45 pCt. nach einer Stunde und bei
70pCt. nach zwei Stunden. Dünner.
Parasitenkunde und Serologie.
A. Serra-Cagliari: Letzte Untersuchungen über die Einimpfung
von Lepramaterial in das Kaninehenange. (Lepra, Bibliotbeca inter¬
national«, 1913, Bd. 13, H. 4.) Leprabacillen aus Lepraknoten in die
vordere Augenkammer des Kaninchens gebracht erzeugen eine Anzahl
von Knötchen ähnlich den Lepromen und enthalten den Leprabacillen
ähnliche Bacillen. Histologisch haben die erzeugten Knötchen sehr
grosse Aehnlichkeit mit jungen Lepromen, es fehlt nur der stringente
Nachweis, dass die Bacillen auch echte Leprabacillen sind.
Immerwahr.
B. Möllers - Berlin: Serologische Untersuchungen bei Leprösen.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Bei der tuberösen Form
der Lepra gibt das Serum in 95 pCt. der Fälle mit Tubcrkulinpräparatdn
eine positive Komplementbindungsreaktion, während die anästhetische
oder nervöse Form nur in 25 pCt. diese Reaktion zeigt. Die komplement¬
bindenden Antikörper sind besonders stark gegen die Bacillenemulsion
gerichtet. Ein Rückschluss auf eine gleichzeitig bestehende Tuberkulose
kann aus diesen Befunden nicht gezogen werden. Bei ausgeheilter Lepra
fällt die Reaktion negativ aus. Wolfsohn.
Siehe auch Innere Medizin: Frank, Paratyphus B in einem
Pleuraerguss. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Gougerot,
Lepröse Anaphylaxie.
Innere Medizin.
Schulhof: Beitrag zur Rolle der nassen Einp&cknngen bei Thermal-
kuren. (Zeitschr. f. Balneol., 5. Jabrg., Nr. 24.) S. hat im Bade Ilcviz
in Ungarn Studien mit Einpackungen mit und ohne vorangegangenen
Thermalbädern gemacht. Die Reaktion war die gleiche, ob ein Bad
Yoranging oder nicht, was S. der dortigen Radioaktivität zuschiebt, der
der Organismus länger ausgesetzt wird durch die lange Dauer der Ein¬
packung. E. Tobias.
W. A. Freund: Ueber das Emphysem. Zur Kritik der in den
Charite-Annalen, 36. Jahrg., 1912, S. 74 publizierten Arbeit des Herrn
J. Plesch. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Aus Freund’s
Ausführungen geht hervor, dass Plesch die Anschauungen des Verf.
über die Pathogenese und die Operation des Emphysems missverstanden
hat. Die Unhaltbarkeit der Freund’schen Theorie erscheint durch die
Ausführungen von Plesch in keiner Weise bewiesen.
Wolfsohn.
N. D. Bardswell-Midhurst: Die Behandlung der Lungentuber¬
kulose. (Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Statistischer Bericht über
die im König Eduard Vll.-Sanatorim in den Jahren 1907—1911 be¬
handelten Fälle von Lungentuberkulose. Weydemann.
M. Piöry und ß. le Bourdelles: Die klinischen Resultate der
Forl&nini’schen Methode. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 2.) Die Insuffla-
tion von N bewirkt in den günstig reagierenden Fällen eine rasche
Besserung der subjektiven Beschwerden und ist jetzt noch die einzige
Methode, die wirksam den ungünstigen Verlauf des Leidens aufzuhalten
vermöchte. Aber man kann mit diesem Verfahren auch Dauerbeilungen
erzielen, solcher werden drei, die die Verf. selbst behandelt haben, mit¬
geteilt. Am besten wirkt die Methode wohl bei chronischen oder sub¬
akuten, einseitigen Affektionen in möglichst frühem Stadium. Die Be¬
handlung muss mindestens 2 Jahre fortgesetzt werden.
Wartensleben.
D. W. Samways-Mentone: Der Vorhof bei der Mitralstenose.
(Brit. med. journ., 8. März 1913, Nr. 2723.) Dio etwas komplizierte
Folge von Geräuschen bei der Mitralstenose ist leicht und natürlich
dadurch zu erklären, dass die Vorhofskontraktion nicht mit dem Be¬
ginne der Kammerkontraktion aufhört, sondern während derselben noch
eine Zeitlang andauert. Weydemann.
Wittich-Dresden: Ueber den Wert der Carellknr zur Behänd lang
von Kreislanfstörangen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110,
H. 1 u. 2.) Klinische Beobachtungen an 100 Fällen von Herzinsuffizienz
verschiedener Aetiologie mit der Carellkur. Die Erfahrungen waren
reoht günstige. Den eigentlichen Wert der Kur macht die Summation
der beiden wirksamen Komponenten, Beschränkung der Kochsalzzufubr
und Beschränkung der Herzarbeit durch Flüssigkeitsentziehung, aus.
W. Zinn.
Frank: Bacillus paratyphns B in einem plenritisehen Erguss.
(Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 3.) Ein zweijähriger Knabe
erkrankt an Pneumonie, welche von einer Pleuritis begleitet wird. Im
Exsudat wird Bacillus paratyphus B in Reinkultur gefunden, der vom
sehr verdünnten Blutserum des Patienten agglutiniert wird. In den
übrigen Exsudaten und Exkreten sowie im Blut wird der Bacillus nicht
gefunden. v. Suchtelen.
L. Boidin: Das Bild der Meningitis im Anfang einer schweren
und langdauernden Iufektion mit Paratyphns B. (Gaz. des höp., 1913,
Nr. 15.) Bei einem mit hohem Fieber eingelieferten Patienten standen
13 Tage lang die Symptome einer durch Toxine bewirkten Meningitis
im Vordergrund. Erst dann traten die typischen Erscheinungen ein.
Das Fieber war erst nach 7 Woehen ganz geschwunden. Spezifische
Bacillen wurden in dem am 13. Tage entnommenen Blut gefunden.
Wartensleben,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
F. H. Mc Crudden-New York: Die Bedeutung des Calciums für
das W&chstam. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1
u. 2.) Studien über Infantilismus, angeregt durch einen Typus mit
Stoffwecbselstörungen, besonders des Darmkanals. In manchen Fällen
von Zurückbleiben im Wachstum besteht eine mangelhafte Entwicklung
des Skeletts und Störungen des Calciumstoffwechsels. Die Knochen sind
zart und leicht brüchig. Es werden grosse Mengen Calcium durch die
Fäces verloren. Der Harn ist frei von diesem Metall. Wahrscheinlich
beruht das Zurückbleiben in der Entwicklung des Skeletts in diesen
Fällen auf einer Abwesenheit der zum Wachstum der Knochengewebe
notwendigen Calciumsalze. Andere Formen des Zwergwuchses zeigen
keine Störung des Calciumstoffwechsels, das Knochengewebe ist fest.
Hier besteht mehr eine fundamentale Abwesenheit des „Wachstums¬
triebes“ als ein Mangel an Wachstumsmaterial. W. Zinn.
S. Jonas-Wien: Ueber das Verhalten verschiedenartiger Striktoren
im Magen und Duodenum bei Milchdiät und ein Verfahren zur Dia¬
gnostik spastisch-nlceröser Striktoren daselbst. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 11.; Nach einer Demonstration in der Gesellschaft
für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien am 6. November 1912.
Referate siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
P. Baetge-Düsseldorf: Zur Eventratio diaphragmatica mit elektro-
cardiographischen Untersuchungen. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Drei Fälle. B. nimmt die Eventratio als
eiüe Folge des gestörten intrathorakalen Gleichgewichts mit sekundärer
Zwerchfelldegeneration an. Zur Diagnose der Lageveränderung des
Herzens bezeichnet im Elektrocardiogramm das Auftreten der Q Zacke
ein Rechtsherz, der S-Zacke ein Linksherz. Das Röntgenbild lehrt diese
Tatsache deutlicher. Bei der Differentialdiagnose zwischen einem wirk¬
lichen Situs inversus und einem extrem nach rechts verlagerten Herzen
wird indessen eine Fehldiagnose manchmal nur durch das Elektrocardio¬
gramm allein mit Sicherheit vermieden. W. Zinn.
Chantemesse: Die prophylaktische Impfung gegen Typhns ab¬
dominalis. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 9.) Das vom Verf. 1887/88 aus¬
gearbeitete Verfahren, gegen Typhusinfektion zu immunisieren mit in
der Hitze abgetöteten Typhusbacillen, hat sich als ausserordentlich
wirksam erwiesen. So liessen sich von etwa 70 000 Seeleuten 3000
impfen; von diesen erkrankte keiner. Von den übrigen wurden innerhalb
von 8 Monaten über 500 von Typhus befallen.
A. Schmidt: Zur Diagnose und Therapie chronischer Durchfälle.
(St. Petersburger med. Zeitschr., 1913, Nr. 2.) Eine kurze, präzise Ab¬
handlung über die modernen Anschauungen, in der die alte Methode
verworfen wird, Diarrhöen schematisch mit Stopfmitteln zu behandeln.
Die Durchfälle werden nach der Art ihrer Entstehung analysiert und
darauf eine sinngemässe Therapie aufgebaut. Wartensleben.
L. Jacob-Würzburg: Ueber das spezifische Gewicht des Harns
bei Krankheiten, seine Abhängigkeit vom Gesamttrockenrückstand und
von einzelnen Bestandteilen des Harns. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die Gesamtmenge der festen Stoffe des
Harns ist sehr wechselnd (Trockensubstanzbestimmung nach Neubauer).
Der sogenannte reduzierte Trockenrückstand (= Summe aller festen
Stoffe des Harns ohne Harnstoff und Kochsalz) beträgt bei Gesunden
14—24 g, bei Kranken zwischen 1—48 g. Dieses schwankende Ver¬
halten gewährt einen tieferen Einblick in die Ausscheidung der festen
Stoffe überhaupt als Kryoskopie und spezifisches Gewicht. Aus dem
Vergleich des spezifischen Gewichts mit dem Trockenrückstand und mit
einzelnen seiner Bestandteile ergeben sich manche neuen Anregungen.
W. Nonnenbruch-Würzburg: Zur Kenntnis der Funktion der
Stannngsniere. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1
u. 2.) Die Stauungsniere kann funktionell der echten Nephritis, und
zwar der diffusen Form mit Störung der Glomeruli und der Tubuli,
gleichen. Es finden sich dann bezeichnende Störungen der Kochsalz-
und Stickstoffausscheidung. Die Ursache aller Funktionsstörungen, zu
denen die Stauungsniere führt, ist die gestörte Wasserausscheidung.
Kommt die Wasserausscheidung wieder in Gang, so arbeitet die Niere
wieder wie eine gesunde, und dies ist der wichtigste Punkt, in dem sie
sich von der echt nephritischen Niere unterscheidet. W. Zinn.
Boks: Kongenital familiäres Oedem der unteren Gliedmaassen.
(Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 10.) Bei einem 22 jährigen,
wegen Hydrocele testis aufgenommenen Mann, fand Verf. ein Oedem der
unteren Gliedmaassen und des Scrotums, welches auch nach längerem
Liegen nicht verschwand und angeblich schon von der Geburt an von
dem Vater des Patienten beobachtet war. Es zeigte sich nun, dass in
der Verwandtschaft des Mannes mehrere mit demselben Oedem behaftete
Personen vorkamen. Keine derselben empfand nur die geringsten Be¬
schwerden. Das Oedem war in allen Teilen, röntgenologisch auch im
Periost nachweisbar. Oberhalb der Kie verschwand es, um im Scrotum
wieder zutage zu treten. Die Testikel waren doppelt so gross wie sonst,
im übrigen aber zeigte der Patient keine einzige krankhafte Abweichung,
ausgenommen einige kleine trophische Störungen im Oedemgebiet in
Form von kleinen Ulcerationen. Verf. neigt zu der Annahme einer
Trophoneurose als Ursache dieses Leidens. v. Suchtelen.
H. Freund und F. Marchand-Heidelberg: Ueber das Verhalten
des Blntznckers im Fieber. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913,
Bd. 110, H. 1 u. 2.) Die häufig zu beobachtende Hyperglykämie im
Fieber ist nur zum Teil durch die erhöhte Körpertemperatur hervor¬
gerufen. Das Wesentliche scheint die Art und Schwere der Infektion
zu sein. Der erhöhte Zuckergehalt des Blutes ist also als Symptom der
Infektion neben dem Fieber aufzufassen, ohne in ursächlichem Zu¬
sammenhang mit der erhöhten Körpertemperatur zu stehen.
W. Zinn.
G. R. Ward-London: Das Blut bei Krebs mit Knochenmetastasen.
(Lancet, 8. März 1913, Nr. 4671.) Im Anschluss an eine kürzlich in
der Lancet erschienenen Arbeit von Harrington und Kennedy gibt
der Verf. eine tabellarische Uebersicht über den Blutbefund bei vier
Krebskranken. Wey dem an n.
0. Roth-Zürich: Zur Frage des „Ictere hemolysinique“ (Chauf-
fard). Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 1 u. 2.) Bei
einem Fall von pernieiöser Anämie, mit den Zeichen hochgradigster
Erythrocytenzerstörung, konnten die Erscheinungen der Autohämolyse
und Autoagglutination nachgewiesen werden. Wahrscheinlich sind diese
Erscheinungen die Folgen einer primären, strukturellen Schädigung der
Erythrocyten, wodurch dieselben imstande sind, die eigenen Isohämo-
lysiue und Agglutinine zu binden. Die Bildung eines spezifischen Auto¬
hämolysins und Autoagglutinins ist abzulehnen. Der Chauffard’sche
Symptomenkomplex (Anämie, Icterus, Urobilinurie) kann nicht als
typisches Krankheitsbild betrachtet werden. W. Zinn.
Siehe auch Anatomie: Renner, Innervation der Niere. —
Therapie: Parisot und Heully, Behandlung von kongenitalem hämo¬
lytischen Icterus mit Röntgenbestrahlung der Milz. — Diagnostik:
Erne, Funktionelle Nierenprüfung mittels Phenolsulfonaphthalein. —
Unfallheilheilkunde und Versicherungswesen: Miller, Morbus
Basedowii nach Trauma.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
v. Valkenburg: Beitrag zur Kennntnis einer Lokalisation in
menschlichen Kleinhirn. (Ned. Tijdscbr. v. Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 1.)
Die verschiedenen Teile des menschlichen Kleinhirns, beim Erwachsenen
von einer einförmigen Rinde umgeben, zeigen sowohl in der Entwicklung
ihrer Rindenschichten als in ihrer gröberen Morphogenese gleichartige
Zeitdifferenzen. Das nämliche gilt für die verschiedenen cerebellären
Kerne und die Myelogenese einiger Bahnen (cerebellipetale und cortico-
nucleäre). Die gefundenen Tatsachen in Verbindung mit der Ausdehnung
der gekreuzten Kleinhirnatrophie deuten mit Sicherheit auf einen Zu¬
sammenhang der einzelnen Bezirke der Kleinhirnoberfläche mit ge¬
sonderten Teilen erstens von gewissen Kernen, zweitens des centralen
Nervensystems, drittens des Körpers, mit anderen Worten: dass in der
Kleinhirnrinde im Prinzip eine Lokalisation besteht. Das Studium des
Verf. stützt im allgemeinen die vonBolk gegebene morphologische Ein¬
teilung und steht mit den Auffassungen Edinger-Comolli’s nicht im
Widerspruch.
de Vries: Atrophie der Sella tarciea und die Diagnose eines
Hypophysentumors. (Ned. Tijdschr. f. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 19.)
Den Beschwerden nach wurde beim Patienten ein Tumor im mittleren
Sohädelraum vermutet. Weil aber bei der Röntgendurchleuchtung die
Sella turcica sehr stark erweitert gefunden, wurde die Diagnose auf
Hypophysentumor gestellt. Bei der Operation erwies sich dies aber als
irrig. Patient starb nach einigen Tagen. Die Sektion ergab die Richtig¬
keit der ersten Diagnose. Die Sektion zeigte auch, weshalb bei
normalgrosser Hypophyse die Sella im Röntgenbild erweitert schien.
Sella und rechter Sphenoidealraum hatten nämlich einen einzigen Raum
gebildet. In einem zweiten Falle, nämlich von Kleinhirnbrückenwinkel¬
tumor, wurde bei der Sektion bei normaler Hypophyse der Boden der
Sella papierdünn gefunden. Später fand Verf. bei einem dritten Patienten
multiple Hirnhernien im Sinne v. Recklinghausen. Verf. findet eine
Uebereinstimmuog in der Entstehung solcher Hirnhernien und dem
Sattelbodenschwund, indem die Hypophyse infolge des allgemeinen Hirn-
drucks als Hernie zur Usur dieses Bodens führt. Grosses Interesse
haben solche Fälle für die Diagnose, indem richtige Röntgenbilder
dennoch auf eine falsche Spur führen können. v. Suchtelen.
de Vries: Epilepsia alternans. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.)
Ein 2*/ 2 jähriger Knabe erkrankt plötzlich — wahrscheinlich an Encepha¬
litis. Von dem Tage an bestehen neben leichter linksseitiger Hemi¬
parese und horizontalem Nystagmus nur des rechten Auges Anfälle von
tonischer Kontraktur im linken Facialis, Arm und Bein, mit zwangs¬
weise konjugierter Deviation des Kopfes uud der Augen nach rechts.
Bewusstsein ist völlig erhalten, die willkürliche Beweglichkeit der vom
Anfall betroffenen Muskeln nicht aufgehoben. Der Herd, welcher diese
Anfälle von Epilepsia alternans auslöst, kann annähernd lokalisiert
werden.
Wersilow: Zur Frage über die sogenannten „serösen“ Cysten des
Kleinhirns. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.) W. teilt die Kranken¬
geschichte einer Patientin mit, deren Symptome die Stellung der Dia¬
gnose eines rechtsseitigen Kleinhirntumors veranlassten. Die Autopsie
ergab eine Cyste. W. bespricht die Genesis der Cysten. Der mit¬
geteilte Fall ermöglicht die neue Annahme, dass die Ependymitis chro¬
nica cum sclerosi neurogliali, durch die Hydrocephalus, Syringomyelie
und Hydromyelie hervorgerufen werden, die Ursache solcher Cysten
bildet. E. Tobias.
Berger-Jena: Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung der
Blntzofohr für das Centralnervensystem des Menschen. (Monatsschr.
f. Psychiatrie u. Neurol., 1913, Februarheft.) Verf. beschreibt einen
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7. April 1913,
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
645
Fall, wo innerhalb der ersten zehn Minuten nach einem Chloroform¬
scheintod durch direkte Herzmassage noch eine Wiederbelebung erfolgte.
Der Kranke (ein 15jähriger Knabe) starb aber nach zweitägiger Somno¬
lenz; die Sektion ergab eine fibrinös-eitrige Perioarditis und schwere
Herzveränderungen. B. fand bei genauer Durchsicht des Gehirns mehr¬
fache kleine Blutungen, die durch Zerreissungen von Venen, in denen
Thrombose eingetreten war, bedingt waren. Im übrigen waren Zeichen
von Stauung nachzuweisen. Der Befund, auch der klinische, spricht
nicht für eine unbedingt unausgleichbare Schädigung der Grosshirn¬
rinde durch kurz vorübergehende Anämie. E. Loewy - München.
H. Paillard und J. de Fontbonne: Die Reaktionen der Meningen
bei den Intoxikationen. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 7.) Während früher
die Vermehrung der zelligen Elemente im Liquor cerebrospinalis für ein
Zeichen der Infektion angesehen wurde, weiss man jetzt, dass sie auch
eine Folge von Intoxikation sein kann. Als wichtigste Vergiftungen, die
cerebrale Symptome hervorrufen könnon, wurden die durch Blei,
Alkohol, Kohlenoxyd und bei der Urämie untersucht auf die Reaktionen,
die sie an den Meningen verursachen.
R. Voisin und H. Stövenin: Die Pneumokokkenueaingitis.
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 174.) VerfF. beschreiben, fast ausschliesslich
auf Grund der französischen Literatur das Krankheitsbild, die Patho¬
genese und die pathologische Anatomie und kommen zu dem Schluss,
dass die Pneumokokken als Erreger der Meningitis keine typischen Sym¬
ptome machen, dass sie nur vermutet werden können, und dass diese
Art der Meningitis nur durch die Lumbalpunktion sicherzustellen ist.
Wartensleben.
H. Barkan-San Francisco: Zur Frage der infantilen nnd juve¬
nilen Tabes. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Mitteilung von
drei Fällen. Die Prognose ist absolut ungünstig. Quecksilber scheint
den Verlauf der Krankheit nicht aufzuhalten, sondern zu beschleunigen.
P. Hirsob.
H. Claude und A. Sözary: Adipositas dolorosa mit Asthenie.
(Gaz. des höp., 1913, Nr. 5.) 80jährige Patientin, bei der die Krank¬
heit seit etwa vier Jahren bestand und das Gewicht von 120 auf
148 Pfund gestiegen war, kam durch langauernden Genuss von Schild¬
drüse wieder auf ihr altes Gewicht, die bestehende Asthenie liess nach.
Bei Aussetzen der Schilddrüse bildete sich rasch wieder Fettansatz.
Wartensleben.
M. Bernhardt: Beitrag zur Lehre von den Verletzungen des
N. radialis am Unterarm. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 6.) Viel
häufiger als vollkommene, alle motorischen Aeste beteiligende Radialis-
lähmungen sind partielle Lähmungen. B. teilt zwei Fälle eigener Beob¬
achtung mit, von denen es sich bei der einen um eine partielle Ver¬
letzung des Radialisgebiets am Unterarm durch Säbelhieb, bei der
anderen um eine isolierte Verletzung des N. radialis superficialis am
Unterarm durch Revolverschuss handelt. E. Tobias.
Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Altmann
und Dreyfuss, Salvarsan und Liquor cerebrospinalis. — Unfall¬
heilkunde und Versicherungswesen: Harttung, Hysterische
Kontrakturen nach Unfall. — Therapie: Travaglino, Tiodin. —
Innere Medizin: Boidin, Meningitis im Anfang einer Infektion mit
Paratyphus B. — Chirurgie: Andree, Exstirpation eines Hirnhaut¬
tumors in Lokalanästhesie.
Kinderheilkunde.
E. Homa-Brünn: Ueber Dauererfolge und Schicksale von im See¬
hospiz zu Triest 1896—1903 behandelten Brünner Kindern. (Wiener
klin. Wochenschr., 1918, Nr. 11.) Im Triester Seehospiz, in dem haupt¬
sächlich Kinder mit chirurgischer Tuberkulose und Scrofulose unter¬
gebracht werden, wurden vorzügliche Heilerfolge erzielt. In 60,65 pCt.
der Fälle wurde völlige Heilung erzielt, in 24,59 pCt. wurde den Kindern
so weit geholfen, dass sie ihren Lebensunterhalt ohne Armenunterstützung
bestreiten konnten. P. Hirsch.
H. Mauban: Ueber einige Darmreaktionen der Kinderbei leichter
Leherinsnffizienz. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 15.) Bei nicht rationell
ernährten oder überfütterten Kindern kommt es ziemlich oft zu leichter
Leberinsuffizienz, die eine Obstipation oder eine solche gefolgt von
Durchfällen bewirkt. Wartensleben.
E. Conradi-Cöln: Vorkommen von Diphtheriebacillen im Nasen-
nnd Rachensekret ern&hrungsgestörter Säuglinge. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Bei 10 Säuglingen Hessen sich im Nasen¬
sekret bzw. im Rachen Diphtheriebacillen nachweisen, ohne dass jemals
Symptome einer klinisch manifesten Diphtherie auftraten. Diese Säug¬
linge, die alle elend waren, lagen zusammen mit anderen, bei denen die
bakteriologische Untersuchung negativ ausfiel; interessant ist, dass diese
letzteren in ihrem Allgemeinzustand gebessert waren. Eine Infektion
durch das Pflegepersonal usw. hatte also nicht stattgefunden. Aus
alledem geht hervor, dass im Nasen- und Rachensekret schwer ge¬
schädigter Säuglinge echte und virulente Diphtheriebacillen Vorkommen
können, ohne klinische Erscheinungen hervorzurufen. Dünner.
Biooker: Zwei Fälle gleichzeitigen Auftretens von Masern und
Scharlach. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 26.) Eiu Kind
erkrankte an Scharlach, wozu sich nach fünf Tagen Masern hinzugesellten.
Das Masernexantbem blasste vor dem des Scharlachs ab. Kurz nachher
fing die typische lamellöse Hautabschuppung an. Acht Tage nach dem
Auftreten des Scharlachexanthems bei diesem Patienten zeigte sich ein
solches bei seinem Bruder, und elf Tage nach dem Masemexanthem des
erstercu trat ein solches bei dem zweiten auf. Am selben Tage er¬
krankte ein zehnmonatiges Schwesterchen an Masern, während bei ihr
Scharlach ausblieb, was in diesem Alter aber nicht wundernimmt.
v. Suchtelen.
Chirurgie.
v. Delden: Ueber die Anwendung der venösen Anästhesie. (Need.
Tijdschr. v. Geneesk., 1912, Bd. 2, Nr. 24.) Verf. berichtet sehr Günstiges
über diese Anästhesie, zumal nach der Verbesserung nach Momburg.
Nie wurden üble Zufälle beobachtet. v. Suchtelen.
H. Andree-Bremen: Exstirpation eines kleinfaustgrossen Hirn-
hanttnmors in Lokalanästhesie. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 10.) Psammom der Dura mater. Dünner.
M. Strauss*. Frakturen, Verletzungen und traumatische Erkran¬
kungen der Knochen. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Sammelreferat aus den Jahren 1908
bis 1911.
Gebhardt: Zwei Fälle von Doppelbildungen der Zehen. (Archiv
f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.)
Bericht über zwei Fälle von doppelseitiger, überzähliger Zehenbildung,
die auf enorme Verengerung des Amnions zurückgeführt werden.
K. Gramer? Beitrag zur Plattfussfrage. (Archiv f. Orthop., Mechaoo-
therapie u. Unfallchir., 1912, Bd. 13, H. 1 u. 2.) Verf. macht für die
Entstehung des Plattfusses in erster Linie Insuffizienz der Muskeln und
Knochen verantwortlich. Hierdurch kommt es zu einer Verschiebung
des Fersenbeins, die sich auch auf dem Röntgenbild feststellen lässt. Im
späteren Verlauf kommt es auch zu einer Verschiebung von Kahn- und
Würfelbein. Therapeutisch kommt in Anfangsstadien Redression der
subluxierten Knochen, Fixierung im Gipsverbänd und nachfolgende
Massage in Betracht. Eingetretene Deformation lässt sich nur operativ
beseitigen, wobei die verschiedensten Methoden in Frage kommen.
M. Strauss.
A. Young-Glasgow: Luxation der Mittelfussknochen. (Brit. med.
journ., 1. März 1913, Nr. 2722.) Klinische Besprechung der verschiedenen
Formen der Luxationen des Metatarsus und Mitteilung dreier Kranken¬
geschichten. Weydemann.
Z. Brind: Luxatio centralis femoris. (Archiv f. Orthop., Mechano¬
therapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Luxatio centralis
femoris findet sich fast durchweg bei Männern im kräftigsten Lebens¬
alter. Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle Fall oder Schlag auf die
Hüfte. Für die Diagnose kommt das Röntgenbild, weiterhin die Rectal¬
untersuchung (Vorsioht wegen Verletzung innerer Organe), der Trochanter¬
stand ausserhalb der Roser-Nelaton’schen Linie und näher zur Mittel¬
linie, die veränderte Stellung des Beines und die Leichtigkeit, mit der
sich das Bein wieder in die richtige Lage bringen lässt, in Betracht. Die
häufigste Fehldiagnose ist die der Schenkelhalsfraktur. Prognose quoad
functionem ist immer ungünstig. Therapeutisch kommt bei der frischen
Verletzung Extensionsverband für 6—10 Wochen, bei älteren Fällen
Medico-Mechanik in Frage. M. Strauss.
A. Frenzei-Berlin: Interdentalschiene oder extraoraler Verband
bei Behandlung von Kieferbrttchen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 12.) Wenn feste Zähne vorhanden sind, sollen die Unterkieferbrüche
von Zahnärzten mit der Interdentalschiene behandelt werden. Nur hohe
Frakturen des aufsteigenden Astes, Querfrakturen beider Aeste und
Brüche des zahnlosen Kiefers bedürfen der Nabt bzw. eines extraoralen
Verbandes. Aehnliches gilt auch von den Frakturen des Oberkiefers;
auch hier korrigiert der dentale Apparat alle Bruchschäden am besten,
soforn feste Zähne vorhanden sind. Chirurg und Zahnarzt sollten bei
Behandlung der Kieferbrüche stets Hand in Hand arbeiten.
Wolfsohn.
V. Mönard: Einführung in das Studium der tuberkulöse! Osteo¬
arthritiden. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 11 u. 12.) Verf. hat als Leiter
eines Seehospizes Gelegenheit, die tuberkulösen Knochenerkrankungen
jahrelang im Auge zu behalten. Denn so lange Zeit bedürfen diese
Affektionen zur Heilung. Die Therapie beschränkt sich auf absolute
Fixation des erkrankten Gelenkes. Jedes aktive Vorgehen wird als un¬
nütz und schädlich verworfen. Die Seeluft hebt den Allgemeinzustand,
kürzt aber den Heilungsprozess nicht ab. Warten sieben.
Lotsoh-Berlin: Ueber die Wirkung von Spitzgeschossen. (Deutsche
med. Wochenschr., 1918, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner
Gesellschaft für Chirurgie am 3. März 1913. (Siebe Gesellschaftsbericht
in dieser Wochenschrift.)
L. Schliep-Berlin: Ueber Gelenkschüsse. (Deutsche med. Wochen¬
schr., 1913, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für
Chirurgie am 3. März 1913. (Siehe Gesellschaftsber. in dieser Wochenschr.)
R. Mühsam-Berlin: Chirurgische Erfahrungen im Deutschen Roten
Kreuz-Luzarett in Belgrad. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.;
Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 3. März
1913. (Siehe Gesellschaftsber. in dieser Wochenschr.) Wolfsohn.
0. Heinz-Wien: Kriegschirurgische Erfahrungen vom monte¬
negrinisch-türkischen Kriegsschauplatz. (Wiener klin. Wochenschr.,
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616
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
19! 3, Nr. 2.) Nach einem Vorträge, gehalten am 7. Februar 1913 in
der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. Referat siehe den Sitzungs¬
bericht. P. Hirsch.
J. Lewy-Freiburg: Angeborene Skoliosen. (Deutsche raed. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 13.) Zwei Fälle angeborener Skoliose, durch das
Vorhandensein eines Keil Wirbels hervorgerufen. Behandlung rein ortho¬
pädisch. Wolfsohn.
K. Gramer: Fascienplastik bei kongenitalem Cncnllarisdefekt.
(Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfallcbir., 1913, Bd. 12, H. 1
u. 2.) In einem Falle beiderseitigen Cucullarisdefektes (flügelförmiges
Abstehen des Schulterblattes) führte der Verf. eine Plastik in der Weise
aus, dass er die Sehnen der kontrakturierten Antagonisten verlängerte
und in einer zweiten Operation ein Stück der Fascia lata zwischen die
beiden Schulterblätter einsetzte.
W. Becker: Zwölf Jahre Orthopädie. Therapeutische Erfahrungen
und Behandlungsmethoden. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) M. Strauss.
K. Black: Eine Methode zur Ausführung der Gastroenterostomie.
(Brit. med. journ., 1. März 1913, Nr. 2722.) Der Verf. benutzt zur Ab¬
klemmung des Magens und Darmes kurzarmige Zangen; die grösseren
Gefässe bleiben so erkennbar und werden während der Operation unter¬
bunden. So vermeidet man Nachblutungen. Die kurzarmige Zange
kann rascher angelegt werden und erlaubt, eine längere Oeffnung zwischen
Magen und Darm anzulegen. Etwa austretendes Blut oder Mageninhalt
kann während der Operation leicht abgetupft werden.
A. W. Bourne-London: Die spätere Geschichte bei Gastroentero¬
stomie wegen Ulcns peptienm. (Brit. med. journ., 1. März 1913,
Nr. 2722.) Die Operationen ergaben im allgemeinen entweder glänzende
Heilungen oder völlige Fehlschläge (43 und 38 pCt.). Die Prognose ist
besser bei Männern über 40 Jahre als bei jungen Frauen. Die besten
Resultate geben Geschwüre in der Nähe des Pylorus und die Pylorus¬
stenose; Duodenalgeschwüre geben bessere als Magengeschwüre. Von
Wichtigkeit ist die Zeit, die zwischen der Mahlzeit und dem Auftreten
der Schmerzen liegt; je länger diese ist, desto besser die Prognose.
Bei Hyperchlorhydrie mit 0,2 proz. Salzsäure und darüber ist die Aussicht
besser als bei normaler Acidität. Wey de mann.
0. Witzei-Düsseldorf: Allgemeines über Brnehbeliandlung und
Besonderes über den Riesenbrach (Hernia permagna). (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 10.) (Nach einem Vortrag, gehalten in der
medizinischen Gesellschaft zu Düsseldorf.) Kein Bruch, sei er noch so
gross, ist an sich eine Kontraindikation für Operation. Prinzip bei
jeder Bruchtherapie ist: Fort mit Bruchband und Taxis. Dünner.
Mo mbürg-Bielefeld: Die intraperitoneale Oelanwendnng. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) M. warnt vor der intraperitonealen
Anwendung von Campheröl nach Laparotomien. Das Oel ruft eine mehr¬
tägige Peritonitis hervor und schädigt den gesamten Organismus, was
bei geschwächten Individuen nicht belanglos ist. In drei Fällen traten
heftige Lungensymptome auf, die wohl auch mit der Oelanwendung zu¬
sammenzubringen sind (zweimal Pneumonie, einmal Hustenreiz, der sich
nach einer Relaparotomie wiederholte). Zudem ist der Nutzen des
Campheröls ein durchaus problematischer. Der Verlauf einer schon be¬
stehenden Peritonitis wird in keiner Weise günstig beeinflusst, auch
Verwachsungen werden nicht verhütet, wie M. bei einer zweiten Lapa¬
rotomie sehen konnte. In einem Fall versuchte M., die Bauchhöhle
durch 1 j 2 proz. Novocainöl zu anästhesieren. Auch dieser Versuch hat
mehr geschadet als genutzt. Will man überhaupt Oel nach Laparotomien
an wenden, so begnüge man sich mit einem einfachen Anstrich der
Operatiousstelle und der näheren Umgebung. Wolfsohn.
Häuer-Hohenstein: Ein seltener Fremdkörper in der männlichen
Harnröhre. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 10.) Ein 70 Jahre
alter Mann, der infolge Prostatahypertropbie an Urinverhaltung litt,
steckte sich in die Harnröhre eine alte 15 cm lange Hutnadel, die
durch Urethrotomia externa entfernt werden musste. Glatte Heilung.
D ünner.
H. Nebel: Zwanzig Jahre Erfahrungen mit Dr. Gustav Zander’s
medico-mechanischer (d. b. vom Arzte geleiteter, durch Apparate ver¬
mittelter) Heilgymnastik. (Archiv f. Orthop., Mechanotherapie u. Unfall¬
chirurgie, 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Ausführliche Darlegung über den
Weit der beilgymnastischen Therapie bei Kreislaufstörungen, bei denen
die Medico-Mechanik in allen Fällen am Platze ist, sofern nicht Myo-
degeneratio vorliegt. Besonders günstig erscheint nach Verf. Dar¬
legungen die Heilgymnastik bei der Arteriosklerose. M. Strauss.
Siehe auch Pharmakologie: Hildebrand, Chloroformnarkose
uud Leberkrankheiten.
Röntgenologie.
M. Cohn-Berlin: Der Warmfortsatz im Röntgenbilde. (Deutsche
med. Wochenschr, 1913, Nr. 13.) Vortrag, gehalten in der Berliner
Gesellschaft für Chirurgie am 10. Februar 1913. (Siche Gesellschafls-
bcricht in dieser Wochenschrift.) Wolfsohn.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
P. G. Unna - Hamburg: Ein typischer Fall von Papierwissen-
sebaft. (Lepra, Bibliotbeca international^, 1913, Bd. 13, Nr. 4.) U.
sucht nachzuweisen, dass die Zaraath der Bibel nichts mit Lepra zu
tun hat. Ein weiterer Irrtum war die Verwechslung der Elephantiasis
arabum mit der Lepra oder Elephantiasis graecorum.
E. Hoffmann - Bonn: Einiges aus dem Leben Julius Bcttinger’s,
des Pfälzer Anonymus. (Dermatol. Zeitschr., März 1913.) Bettinger
wurde am 31. März 1802 in Zweibrücken geboren, wurde mit 22 Jahren
Assistenzarzt an der Kreis-, Armen- und Krankenanstalt zu Frankentbal
in der Pfalz, übernahm 1836 die ärztliche Leitung dieser Anstalt, legte
1885 sein Amt nieder und starb am 6. Februar 1887.
H. Gougerat - Paris: Lepröse Anaphylaxie (Lepra, Bibliotbeca
internationalis, 1913, Bd. 13, Nr. 4.) Ebenso wie das Tuberkulin
bei Tuberk lösen ruft das Rost’sche Leprolin bei Liprösen Lokal-
und Allgemeinreaktionen hervor. Die gleichen Reaktionen kann
man mit einer Emulsion von abgetöteten Leprabacillen erzeugen. Diese
Tatsachen beweisen die Existenz einer aktiven leprösen Anaphylaxie.
Zweimal bat nun G. Meerschweinchen mit Lepraserum intraperitoneal
und mit Leprabacillen intracerebral injiziert und dadurch eine passive
Anaphylaxie erzeugt. Tuberkulin ruft bei Leprösen sehr selten eine ge¬
ringe Allgemeinreaktion hervor, und ebenso umgekehrt Leprolin bei
Tuberkulösen, was beweist, dass beide Toxine nicht absolut spezifisch sind a
F. Schnab 1 - Prag: Ueber eine eigentümliche Missbildung der
Gesichtshant und der Augenlider. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis,
1913, Bd. 115, H. 6.) Die Missbildung bestand bei dem sieben Wochen
alten Kind in einer Bildung von runzelförmigen Hautwülsten auf der
Stirn und einem insuffizienten Lidschluss, bedingt durch rudimentär ent¬
wickelte Lider. Daneben zeigte das Kind noch mehrere andere Ab¬
normitäten hinsichtlich der Gesichtsbildung, der Behaarung und der
sonstigen Hautbeschafienheit, die dünn und faltenreich ist.
Bachrach - Frankfurt a. M.: Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis
des Liehen nitidus. (Dermatol. Zeitschr., März 1913.) Trotzdem der
Pat. an Lungentuberkulose litt, gelang es nicht, den Nachweis irgend¬
einer Beziehung der Knötchen zur Tuberkulose zu führen.
Immerwahr.
Ruger: Sporotrichose. (Ned. Tijdschr.v.Geneesk.,1912,Bd. 2, Nr. 21.)
An der Hand einiger von ihm beobachteten Fälle, die vorher längere
Zeit vergeblich als Tuberkulose behandelt worden waren, bespricht Verf.
ausführlich die Geschichte, Aetiologie, Diagnose und Therapie derSporo-
trichosis. v. Suchtelen.
F. v. Veress - Klausenburg: Ueber die Behandlung des Trippers
und ihre häufigsten Fehler. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56,
Nr. 11.) V. ist beim akuten Tripper der Anhänger sofort einsetzender
schonender Janet’schen Spülunger mittelst 100 ccm fassender Spritze.
Bei subakutem und chronischem Tripper hält er ausser den Spülungen
die Anwendung des Uretbroskops und schonende, mechanische Behand¬
lung für unerlässlich. Die Einspritzung starker konzentrischer Silber¬
lösungen verurteilt er bei akuter Gonorrhöe und hält sie für gefährlich;
in hartnäckigen Fällen von Gonorrhoea anterior hält er dagegen zur
Unterstützung der übrigen Behandlung prolongierte Einspritzungen
organischer Silbersalze in schwachen Lösungen für zweckmässig. In
Fällen, die zu Abortivkuren geeignet sind, kann der Arzt Vz* bis 1 proz.
Lapislösung in die vordere Harnröhre einspritzen. Die Vaccination hält
er bei Komplikationen der Gonorrhöe zur Ergänzung und Unterstützung
der übrigen Behandlung für einen grossen Fortschritt.
F. Lesser - Berlin: Zur Verfeinerung der Wassermann’schen Re¬
aktion und Vermeidung divergenter Resultate. (Dermatol. Zeitschr.,
März 1913.) L. lehnt alle Verfeinerungen der Wassermann’schen Re¬
aktion ab, die mehr positive Reaktionen herauszuarbeiten suchen. Nur
die Verfeinerungen haben sich als wertvoll erwiesen, welche den indi¬
viduellen Eigenschaften der einzelnen Seren Rechnung tragen und da¬
durch die Spezifität der Reaktion erhöhen. Diese beiden Bedingungen
werden durch die Norraalamboceptorkontrolle und die aktive Serura-
kontrolle erfüllt. Immer wahr.
R. Müller und R. 0. Stein-Wien: Die Hautreaktion bei Lues
und ihre Beziehung zur Wassermann’schen Reaktion. (Wiener kiin.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) In einem Fall tertiärer Lues, der jahrelang
frei von syphilitischen Erscheinungen und Wassermann - negativ ge¬
wesen war, wurde nach Einverleibung von sterilem Extrakt luetischer
Organe im Verlauf weniger Tage die Wassermanu’sche Reaktion positiv.
P. Hirsch.
A. Herpin: Die frustrane Form der Stomatitis mereurialis. (Gaz-
des hop., 1913, Nr. 5.) Diese Form ist charakterisiert durch das Auf¬
treten von keilförmigen Lücken im Zahn und wird verursacht durch die
zerstörende Einwirkung des Quecksilbers auf den Zahn, zu der dann
sekundäre Infektion hinzukommt. Die Therapie besteht in dem An¬
bringen von Plomben, wenn diese nichts helfen, muss die spezifische
Kur abgebrochen werden.
Fr. Escaudc: Meningo-Encephalitis nach der Neosalvarsanbehaad-
liandlung einer sekundären Syphilitis. (Gaz. des böp., 1913, Nr. 12)
Im unmittelbaren Anschluss an NeosalvarsanbebandluDgen entwickelten
sich sehr bedrohliche Symptome vom Centralnervensystem aus, die vom
Verf. als Aequivalent der Herxheiraer’schen Reaktion gedeutet werden.
Wartenslebens.
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UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
G47
W. Lier-Wien: Erfahrungen über Neosalvarsan. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) L. hat 425 Injektionen mit Neosalvarsan
gemacht. Neosalvarsan ist infolge seiner leichten Löslichkeit bei neu¬
traler Reaktion bequem anwendbar, am besten in Verbindung mit Queck¬
silber. Es ist besonders indiziert in den Fällen, in denen es nach Queck-
silkerkuren zu schweren Stomatitiden oder Nierenreizungen gekommen
ist. Auch die intramuskuläre Applikation ist empfehlenswert, sie ist
kaum schmerzhaft, hinterlässt keine Infiltrate und kann ambulatorisch
ausgeführt werden. P. Hirsch.
M. Demjanowitsch - Moskau: Ueber eine seltene Form von se¬
kundärer Lues (Syphilis cutanea verrncosa). (Dermatol. Zeitschr.,
März 1913.) In deu Hautschnitten fanden sich reichliche Spirochaetae
pallidae. Der warzenförmige Charakter der Effloreszenzen ist bei
sekundärer Syphilis eine äusserst seltene Erscheinung.
Immerwahr.
Altmann und Dreyfuss: Salvarsan und Liqnor cerebrospinalis
bei Frühsypbilis nebst ergänzender Bemerkung in der Latenzzeit. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 9 u. 10.) Dünner.
Siehe auch Therapie: Matzenauer, Durch Alkaliabgabe des
Glases bedingte toxische Nebenwirkungen nach intravenösen Salvarsan-
iojektionen. Nack, Natriumcarbonat bei Herpes tonsurans. v. d. Valk,
Formalin bei Hautpilzkrankheiten. — Parasitenkunde und Sero¬
logie: Serra, Impfung von Lepramaterial ins Kaninchenauge.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
M. S. Al perin-Moskau: Reflektorische SchmerzempflndiiBgen bei
Drack auf den Plexus coeliacus bei entzündlichen Erkrankungen der
weiblichen Geschlechtsorgane. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 10.)
A. stellte seine Untersuchungen in der Weise an, dass er auf die Nabel¬
gegend einen Druck ausübte, der bis auf die Wirbelsäule ging, und be¬
merkt, dass die Schmerzen dann bald nach oben, bald nach der Sym¬
physe, bald nach den Seiten ausstrahlen. Danach stellt er ein be¬
stimmtes Schema auf, aus dem man ersehen soll, welche Schlüsse aus
einer solchen Untersuchung zu ziehen sind. Strahlt der Schmerz nach
oben aus, so spricht dies für Erkrankung der Uterusschleirahaut, nach
der Syrapbyse zu entspricht der ausstrahlende Schmerz einer Para- oder
Perimetritis usw. Der Verf. behauptet, dass er diese Beobachtungen
streng objektiv gemacht und ihre Richtigkeit zum Teil durch den ob¬
jektiven Befund bei der nachfolgenden Operation bestätigt gefunden hat.
Aber so einleuchtend das auch alles klingt, so wird man doch nicht
umhin können, es nach der bei uns zu Lande herrschenden Auffassung
etwas phantastisch zu finden. Siefart.
Siefart-Charlottenburg: Interstitielle Gravidität. (Centralbl. f.
Gynäkol., 1918, Nr. 11.) Verf. hat einen Fall von ektopischer Gravidität
beobachtet und operiert, den er nach dem Befund für eine interstitielle
Gravidität ansieht. Er bemerkt dabei, dass dieser Begriff ein sehr
schwankender und nicht gut zu definierender ist, was namentlich für
die späteren Monate zutrifft. Er führt an, dass Werth von allen in der
Literatur zu findenden Fällen nur etwa 40 gelten lässt und selbst unter
120 Fällen von ektopischer Gravidität nicht ein einziges Mal eine inter¬
stitielle sah. Auf Grund der von ihm in diesem Falle gemachten Er¬
fahrung kann Verf. sagen, dass die interstitielle Gravidität deshalb als
gefährlicher als andere ektopische Graviditäten anzusehen ist, weil die
Diagnose entschieden schwerer gestellt wird, was aus anatomischen Ur¬
sachen leicht zu verstehen ist. Auch dieser Fall, der trotz schneller
und gut gelungener Operation tödlich endete, hat wieder bewiesen, wie
falsch es ist, wenn man mit der Operation zögert. (Autoreferat.)
Lieven-Bonn: Zur Wirkung des Hypophysenextr&ktes. (Centralbl.
f. Gynäkol., 1913, Nr. 10.) Verf. hat bei einer 37 jährigen 6 para 1 ccm
Pituglandol zum Zweck der Wehenanregung gegeben. Es trat eine so
heftige Kontraktion des Uterus eio, dass die Herztöne des Kindes auf
82 sanken, und dass man, zumal auch Meconium abging, gezwungen
wurde, beim hoohstehenden Kopf die Zange anzulegen, um das Leben
des Kindes zu retten. L. gibt an, dass dies der einzige von ihm be¬
obachtete Fall ist, in dem die Anwendung des Pituglandol solche Folgen
hatte. Die Geburt der Placenta machte keine Schwierigkeiten.
Peters-Wien: Bestimmung der Schwangersch&ftsdaaer auf Grund
histologischer Plaeentarbefonde und über etwaige praktische Verwert¬
barkeit dieser Befunde. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 11.) Verf.
kritisiert die auoh hier seinerzeit referierten Angaben von Schott-
länder. Er kommt zu dem Resultat, dass unsere bisherigen Kenntnisse
und die Mitteilungen von Schottländer uns nicht gestatten, aus dem
Placentarbefund einen Rückschluss auf das Alter der Schwangerschaft
zu machen, was namentlich für forensische Fälle von Bedeutung ist.
Guggisberg-Bern: Zur Ekl&mpsiebekandlung durch Injektionen
in den RäekenmarkskaaaL (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 11.)
Verf. hat in zwei Fällen nach den Angaben von Meitzer den Lumbal¬
sack punktiert und nach Ausspülung mit physiologischer Kochsalzlösung
das eine Mal 10, das andere Mal 6 ccm einer 15 proz. Lösung von Mag¬
nesium sulf. injiziert. Der Erfolg war ein völlig negativer, in beiden
Fällen trat der Exitus ein. Siefart.
J. Charrier: Die Blateysten oder Hämatome des Ovarinms. (Gaz..
des höp., 1913, Nr. 16.) Diese Hämatome, die auf sehr verschiedene
Weise entstehen können, sind sehr schwer oder überhaupt nicht zu dia-*
gnostizieren. Sic können sich von selbst langsam zurückbilden oder,
wenn sie mit starker Blutung entstehen, wird meist eine Operation unter
dem Verdacht einer Extrauteringravidität vorgenommen. Eine sichere
Diagnose kann nur gestellt werden, wenn die mikroskopische Unter¬
suchung keinen Anhaltspunkt für eine Ovarialschwangerschaft ergibt.
Wartensleben.
Siehe auch Chirurgie: Moraburg, Intraperitoneale Oelanwendung.
Augenheilkunde.
Leeman: Ueber das Heben des Einäugigen. (Ned. Tijdscbr. v.
Geneesk., 1913, Bd. 1, Nr. 11.) Bei der Anpassung des Einäugigen an
die Berufstätigkeit spielt das Intellekt eine grosse Rolle, dass Einförmig¬
keit der Arbeit einer baldigen Anpassung günstig, Berufswechsel ihr un¬
günstig sein wird. Mit Fischer meint Verf., dass Messapparate zur
Beurteilung des monoculären Tiefensehens nicht zulänglich sind. Bei
der scheinbar vollkommensten Anpassung findet sich immer noch ein
beträchtlicher Unterschied zwischen dem Ein- und Zweiäugigen selbst
in der grösseren Tiefenschätzung. Wie dem aber auch sei, der normale
Mensch ist der grösseren Anstrengung beim einäugigen Sehen immer
gewachsen. v. Suchtelen.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
van Gilse: Eine Sinosentztindung bei Mittelohreiternng mit merk¬
würdiger Teraperaturkurve. (Ned. Tijdschr., 1912, Bd. 2, Nr. 20.) Bei
einem 16 jährigen Mädchen wurde die Mastoidoperation ausgeführt.
Stinkender Eiter entleerte sich, und die Wunde reinigte sich bald. Die
Temperatur war septisch, obgleich die objektiven Erscheinungen damit
nicht stimmten. Da auch Milzvergrösserung bestand, wurde auf Malaria
untersucht. Im Blute Malariaerreger. Heilung. v. Suchtelen.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
G. Soheutz: Ueber die Gewtfhnang an Unf&llfolgen. (Archiv f.
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. I u. 2.)
Kurze Anführung von 12 schweren Verletzungen, darunter Verrenkung
von Halswirbelsäule und Beinbruch mit 7 cm Verkürzung und fehler¬
hafter Stellung des Fusses. In keinem Falle bestand eine wesentliche
Erwerbsbeschränkung, so dass die Gewöhnung als wesentliches Moment
bei der Unfallbegutachtung zu betrachten ist.
M. Miller: Morbns Basedowii nach Trauma. (Archiv f. Ortho¬
pädie, Mechanotherapie u. Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Typischer
Basedow nach einem Schädeltrauma (Gehirnerschütterung). Gedächtnis¬
schwäche war kurze Zeit nach dem Unfall aufgetreten, aber von den
bisherigen Gutachtern als unwesentlich nicht beachtet worden.
H. Harttung: Kasuistischer Beitrag zur Lehre der hysterischen
Kontrakturen nach Unfall. (Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u.
Unfallchir., 1913, Bd. 12, H. 1 u. 2.) Bei einem 41jährigen Schlosser,
der vor droi Monaten eine nicht erkannte Ellbogenluxation nach hinten
erlitten hatte uod trotzdem nach wenigen Wochen wieder arbeitsfähig
geworden war, kam es infolge einer schweren Kontusion desselben Ell¬
bogens zu einer Kontraktur im Bereiche des linken Schultergelenks so¬
wie des linken Hand- und der Fingergelenke. Bei dem Fehlen aller
sonstigen Störungen im Bereiche der betroffenen Gelenke und bei dem
Vorhandensein typischer hysterischer Allgemeinerscheinungen musste
eine hysterische Kontraktur angenommen werden. Verf. führt diese
darauf zurück, dass die Kontrakturstellung diejenige Steilung war, in
der das Glied in der zweckmässigsten Stellung fixiert war. Nach der
operativen Beseitigung der Ellbogenluxation und der dadurch bedingten
Veränderung der Armhaltung verschwanden die Kontrakturen.
M. Strauss.
Militär-Sanitätswesen.
Siehe auch Chirurgie: Lotsch, Wirkung vou Spritzgeschossen.
Schliep, Gelenkschüsse. Mühsam, Chirurgische Erfahrungen in Bel¬
grad. Heinz, Vom montenegrinischen Kriegsschauplatz.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Gesellschaft der Charite-Aerzte.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Bonhoeffer.
Schriftführer: Herr Lotsch.
Tagesordnung.
1. Hr. Bonhoeffer: Ich stehe auf dem Programm mit Demonstrationen
zur klinisohen Hirnpathologie — zur Kleinhirnpathologie sollte es
heissen —; da mir der wichtigste Patient abhanden gekommen ist,
möchte ich Sie bitten, Ihnen etwas anderes demonstrieren zu dürfen,
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UMIVERSITY OF (OWA
648
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
und zwar den anatomischen Befund eines nicht ganz uninteressanten
organischen Hirnfalies, eines Falles von Apraxie and motorischer
Aphasie. Der klinische Befund — ich habe den Kranken seinerzeit
noch in der Medizinischen Gesellschaft in Breslau demonstriert — war
folgender: Es handelt sich um einen 50jährigen Kranken, der im Laufe
von 2 Tagen eiuen in drei Etappen verlaufenden apoplektischen Insult
bekam. Das augenfällige Ergebnis dieses apoplektischen Insults war
zunächst eine motorische Aphasie und rechtsseitige Lähmung. Die
Lähmung bildete sich schnell zurück und war, als wir den Kranken
4 Monate nach dem Insult in die Klinik bekamen, nur noch in Gestalt
einer geringfügigen rechtsseitigen Schwäche des unteren Facialis, rechts¬
seitiger Reflexsteigerung und Babinski nachweisbar. Ausserdem war der
Kranke vollständig wortstumm. Sowohl die spontane Sprache als das
Nachsprechen war noch 4 Monate nach dem Insult so gut wie gänzlich
aufgehoben. Lautlesen war zunächst unmöglich. Mit der Zeit wurde
Lesen von einzelnen Buchstaben und Worten paraphasisch möglich.
Das Leseverständnis war von Anfang an nicht ganz erloschen. Mit der
rechten Hand schrieb er unleserliche, aber doch einzelne erkennbare
Buchstaben und paraphasische Worte. Links war ihm das Schreiben
absolut unmöglich. Das Wortverständnis zeigte keine erkennbare
Störung. Der Kranke zeigte ein höchst eigentümliches motorisches Ver¬
halten. Er war links vollständig motorisch apraktisch. Darauf ge¬
richtete Untersuchungen: Drohen, Faust machen, schwören, Leier
drehen usw. lösten nichts aus als Streckbewegungen der Hand oder
Hochheben des Armes. Rechts war die Fähigkeit zu Zweck- und Aus¬
drucksbewegungen erheblich besser, aber auch dort war eine leichte
Störung nachweisbar. Nachahmen von Bewegungen gelang besser als
aus dem Gedäohtnis. Beim Manipulieren mit beiden Händen kamen
auch Entgleisungen vor, teils motorischer, teils solche ideatorischer Art,
die letzteren recht selten. Ich hatte damals auf Grund des Befundes
eine Läsion der Broca’schen Gegend angenommen und eine Läsion des
Balkens bzw. seiner Ausstrahlung als Unterlage für die linksseitige
Dyspraxie. Der Kranke ist nach mehrmonatigem Aufenthalt in der
Klinik apoplektisch gestorben. Der frische Insult hatte die rechte
Hemisphäre getroffen. Es fand sich hier eine frische Blutung aus der
Randarterie des Linsenkernes.
(Demonstration des anatomischen Befundes an Lichtbildern.)
Der anatomische Befund der Balkenläsion von vorn bis nahe zum
Splenium erklärt uns ohne Schwierigkeiten die linksseitige Apraxie.
Wir wissen seit den Untersuchungen von Liepmann, dass die Durch¬
brechung der Balkenfasern, und zwar insbesondere der mittleren Gebiete
des Balkens, mit einer Dyspraxie und Apraxie der linken Hand beant¬
wortet wird. Dagegen haben wir keine ganz völlig befriedigende Er¬
klärung für die geringere Apraxie der rechten Hand. Man kann daran
denken, insbesondere wenn man die Erfahrungen von Hartmann u. a.
und auch neuerdings von Förster heranzieht, dass das linke Stirnhirn
mit der rechtsseitigen Apraxie in Beziehung zu bringen ist. Jedenfalls
können wir das eine sagen, dass durch eine Läsion des Stirnhirns, wie
wir sie hier vor allem auf die erste Stirnwindung uüd den Gyrus
foruicatus sich erstrecken sehen, eine schwere Apraxie, wie wir sie auf
der linken Seite gefunden haben, nicht verursacht wird. Dass der Herd,
der im Occipitalhirn gesessen hat, für diese motorische Apraxie in Be¬
tracht zu ziehen ist, lässt sich nicht absolut ausschliessen, für besonders
wahrscheinlich halte ich es nicht, weil der Herd doch hinter der Angu¬
laris und Marginalis, der Stelle, die mit der Apraxie in Verbindung ge¬
bracht wird, gelegen ist. Als ungewöhnlich muss es bezeichnet werden,
dass wir bei dem klinischen Bilde einer Brooa’schen Aphasie keinen
Herd in der Broca’schen Windung oder im Marklager dieser Windung
gefunden haben, und dass auch die Inselwindungen nicht alteriert
waren. Ich möchte hier nicht näher auf die Frage der Lokalisation der
Aphasie in unserem Falle eingehen. Der Befund des Herdes in den
vorderen Partien des Linsenkernes scheint zunächst der Pierre Marie¬
schen Auffassung von der Bedeutung des Linsenkernes recht zu geben.
2. Hr. Borehardt: Rfiekennarkskraakheitei naeh Unfall.
M. H.! Ich möchte Ihnen ein paar Fälle von chronisch pro¬
gressiven Rückenmarkskrankheiten demonstrieren, die sich zeitlich im
Anschluss an einen Unfall entwickelt haben; Fälle, die mir nicht bloss
klinisch-diagnostisch von Interesse zu sein scheinen, sondern auch mit
Rücksicht auf die Unfallgesetzgebung für den Praktiker eine gewisse
Bedeutung haben. (Demonstration.) Dieser Kranke ist ein jetzt
87 jähriger Zimmermann, der folgende Anamnese bat: Er ist früher
immer gesund gewesen, hat im Jahre 1899 eine Gonorrhöe und im
Jahre 1904 eine Lues acquiriert. Er ist in einem hiesigen Kranken¬
hause spezifisch behandelt worden und hat in den Jahren 1904 und
1905 noch wiederholt spezifische Kuren durchgemacht. Am 23. Januar
1908 ist er in folgender Weise verunglückt: er wollte einen Haufen
stürzende Bretter mit der Hand aufhalten und stiess dabei mit dem
rechten Daumen gegen diese fallenden Bretter, wobei er sich den
Daumen verstauchte; keine Fraktur. Der Daumen war geschwollen, hat
noch längere Zeit geschmerzt und kam nicht mehr in Ordnung. Pat.
hat seit der Zeit zwar noch arbeiten können, aber nur leichte Arbeit
verrichtet. Erst im August ist ihm aufgefallen, dass die rechte Hand
schwächer wurde. Diese Schwäche ist allmählich schlimmer geworden,
ist im Jahre 1909 auch auf die linke Seite übergegangen und hat sich
allmählich zu dem Krankheitsbild entwickelt, was Sie jetzt sehen. Wir
finden an dem Pat. jetzt keinerlei nachweisbare Zeichen einer Lues.
Am Kopf besteht eine sehr seltene Hautaffektion, die von der Hautklinik
als Cutis verticis gyrata gedeutet wird und die mit Lues nichts zu tun
hat. Die Pupillen reagieren gut. Es bestehen schwere Atrophien in
beiden Armen und in der Schultermuskulatur sowie ganz schwere
atrophische Veränderungen an beiden Händen, eine totale Atrophie des
Daumenballens und des Hypothenar. Die Reflexe sind erloschen. Die
Motilität der Arme ist so gut wie vollkommen aufgehoben. Es ist nur
noch eine Deltoideswirkung zu erzielen, im übrigen sind die Arme
motorisch total funktionsunfähig. Im Gegensatz zu diesen schweren
motorischen Ausfallserscheinungen finden wir keinerlei sensible Ausfalls¬
erscheinungen, speziell Schmerz- und Temperatursinn ist ungestört.
Was das elektrische Verhalten betrifft, so haben wir mehr oder minder
hochgradige EqtartuDgsreaktion bzw. quantitative Herabsetzung io der
Mehrzahl der Muskeln; einige sind weder galvanisch noch faradisch zu
erregen. An Rumpf und Beinen sind die Reflexe sowie die Motilität
und Sensibilität ganz normal. Andere Erscheinungen seitens des Nerven¬
systems, Schmerzen, Blasenstörungen oder dergl. haben nie bestanden.
Was zunächst die Diagnostik des Falles betrifft, so gehört er in das
Gebiet derjenigen Rückenmarkskrankheiten, die man als chronische
spinale Muskelatrophie resp. chronische Poliomyelitis anterior bezeichnet.
Ausserdem käme noch die Syringomyelie in Frage. Letztere ist, glaube
ich, nicht sehr wahrscheinlich, immerhin ist sie natürlich nicht ganz
auszuschliessen. Schwieriger ist es, eine amyotrophische Lateralsklerose
auszuschliessen, aber nachdem die Krankheit seit 1908 besteht, ohne
dass bisher Seitenstrangerscheinungen dazugetreten sind, wird die
Diagnose einer amyotrophischen Lateralsklerose kaum gestellt werden
dürfen.
Was die Frage nach dem Zusammenhang mit dem Unfall betrifft,
die ich vorhin aufwarf, so ist zunächst zu erwähnen, dass solche Krank¬
heiten auch ohne Unfall zur Beobachtung kommen. Der Zufall fugt es,
dass ich einen ganz analogen Fall zeigen kann, wo ein Unfall nicht in
Frage kommt. Ich will ihn ganz kurz demonstrieren. Es ist ein
jetzt 41jähriger Herr, der seit etwa 5 bis 6 Monaten eine Schwäche erst
in der einen, dann in der anderen Hand gespürt hat (Demonstration).
Hier liegt eine spezifische Infektion nicht vor, auch die Blutuntersuchung
ist negativ. Ebenso zeigt die Lumbalflüssigkeit nicht die Veränderungen,
die wir von der Lues des Centralnervensystems zu sehen gewohnt sind.
Auch bei diesem Kranken sehen Sie eine deutliche Atrophie im Daumen-
und Kleinfingerballen, eine Andeutung von Krallenhandstellung, im
übrigen aber ist der Fall nicht soweit vorgeschritten. Die Reflexe sind
noch vorhanden, aber auch nicht sehr lebhaft; besonders die Radius¬
periostreflexe sind schon recht schwach. Die Sensibilität und die unteren
Extremitäten sind ganz intakt; Pupillen sind leicht different. Es ist
dies also ein Fall, den man diagnostisch wohl zweifellos in dieselbe
Kategorie rechnen muss, wo aber von einem Unfall nicht die Rede ist.
Demgegenüber ist die Frage von autoritativer Seite bejaht worden, dass
eine chronische Poliomyelitis sich im ursächlichen Zusammenhang mit
einem Unfall entwickeln kann. Insbesondere hat Erb schon 1897 auf
die traumatischen Amyotrophien spinaler Herkunft die Aufmerksamkeit
gelenkt und neuerdings in einer Arbeit alle Fälle wieder zusammen¬
gestellt. Er spricht sich ganz entschieden dafür aus, dass eine chro¬
nische spinale Muskelatrophie auf diesem Boden entsteht, und legt sogar
Wert darauf, dass nicht immer ein schweres Trauma nötig ist; vielmehr
betreffen die Fälle, die er in der letzten Arbeit zusammenstellt, im
wesentlichen leichtere Traumen, z. B. Schlag gegen die Halswirbelsäule
und dergl.; ein Fall wird angeführt, wo lediglich im Anschluss an einen
psychischen Shock die Erkrankung eingetreten sein soll. Ein psychischer
Sbock ist ja wohl bei einem Unfall kaum jemals auszuschliessen. In
unserem Fall ist der Unfall nicht sehr schwer gewesen, insbesondere ist
hier von irgendeiner Kommotion des Centralnervensystems nicht die Rede.
Was die Entstehung durch sogenannte ascendierende Neuritis betrifft,
die ja auch für ähnliche Fälle verantwortlich gemacht worden ist, so
kann man diesen Weg der Entstehung überhaupt ablehnen. Dagegen
ist es sehr leicht möglich, dass die ganze Krankheit luetischer Genese
ist, und dass der Unfall damit gar nichts zu tun hat, höchstens ein
accessorisches Moment darstellt. In diesem Sinne etwa, dass die Lues
die Krankheit hervorgerufen hat und nicht der Unfall, ist der Kranke
auch begutachtet worden, zumal er dem Gutachter (im Jahre 1909) an¬
gab, dass er schon seit ein paar Jahren die linke Hand nicht ordentlich
bewegen könne. Der Kranke hat natürlich nachher diese Angabe
anders erklärt und behauptet, dass er nur so starke Exkursionen,
wie sie der Gutachter von ihm verlangt habe, nicht ausführen konnte.
Mir scheint aber nach der ganzen Anamnese die Sache so zu liegen,
dass in geringem Grade vielleicht die Krankheit zurzeit des Unfalls
schon bestanden hat. Man muss sich wohl in diesem Falle gutachtlich
dahin äussern, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und
spinaler Muskelatrophie wenig wahrscheinlich ist, dass wahrscheinlich
vielmehr die Krankheit auf luetischer Basis entstanden ist, dass natürlich
die Möglichkeit einer ungünstigen Beeinflussung durch den Unfall nicht
ganz ausgeschlossen werden kann.
Einen ganz ähnlichen Fall möchte ich Ihnen ausserdem zeigen. Es
handelt sich um einen 42 jährigen Mann, der im Jahre 1903 verunglückt
ist. Er war Monteur und hatte ein Gerüst aufzuschlagen, ist bei dieser
Gelegenheit zu Fall gekommen und aus einer Höhe von etwa 3 m auf
die Seite gefallen; er hat sich dabei einen Knöchelbruch des linken
Fusses zugezogen. Die Residuen sehen Sie noch hier; der Fuss ist noch
geschwollen, leicht ödematös und im Gelenk steif. Ausserdem hat Pat.
eine «Sehnenverrenkung“ des linken Arms, wie es in der Unfallanzeige
heisst, davon getragen. Was das gewesen ist, lasst sich jetit nicht fest-
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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stellen; jedenfalls ist nach Angabe des Kranken wohl ein Bluterguss
dagewesen, der Arm soll blutunterlaufen gewesen sein. Im Anschluss
daran hat der Kranke natnrgemäss nicht arbeiten können. Er hat im
Gipsverband sechs Wochen lang zu Bause gelegen, hat dann wieder an¬
gefangen, auf Stöcken zu gehen, konnte aber seiner Arbeit wegen der
Fussverletzung nicht nacbgehen. Er bezog deswegen 40pCt. Rente.
Dann bat der Kranke im März 1904 — im September 1903 war der
Unfall — gemerkt, dass er im linken Arm ein taubes Gefühl habe und
mit dem Arm nicht so recht vorwärts käme wie früher. Ganz all¬
mählich hat sich dann eine Lähmung im linken Arm entwickelt, die
denselben charakteristischen Typus hat wie bei dem Kranken, den ich
eben zeigte, nämlich eine atrophisch-degenerative Lähmung der
beiden Arme, die den Kranken vollkommen hilflos macht; er kann sich,
wie Sie sehen, gar nicht allein ausziehen. Die Reflexe sind in diesem
Falle nicht erloschen, sondern erhöht resp. mindestens sehr lebhaft. Die
Sensibilität ist an den Armen vollkommen intakt, auch für Schmerz-
und Temperaturreize. Die Erkrankung geht aber doch über das hinaus,
was die anderen Patienten zeigen. Er hat nämlich neben seiner Pupillen-
und Lidspaltendifferem auch eine Spur von Nystagmus und dann eine
leichte Atrophie der Zunge; wenigstens fühlt sich die Zunge weicher an
als normal und zeigt deutliche fibrilläre Zuckungen. Der elektrische
Befand ergibt auch ungefähr ein ähnliches Bild wie bei den anderen
Kranken, am linken Bein findet sich eine Atrophie, die man wohl zum
Teil als arthrogen bezeichnen kann; aber doch nur zum Teil, denn im
linken Tibiatis anticus besteht auch eine Entartungsreaktion. Zweifellos
finden sich also auch nervöse Störungen in den Beinen; beiderseits
konstatiert man das Babiuski’sche Phänomen. Hier geht also die Störung
über die Vorderhörner entschieden hinaus. Eine Zeitlang hatte Pat.
anscheinend auch Sensibilitätsstörungen für Schmerz- und Temperatur*
reize, die aber jetzt nicht mehr vorhanden sind.
Dieser Fall ist diagnostisch nicht ganz einfach zu bewerten. Es
handelt sich um eine Erkrankung der Vorderhörner zugleich mit einer
Erkrankung der Pyramiden, die ich vorhin als amyotropbisohe Lateral¬
sklerose schon erwähnt habe. Ich möchte aber nicht mit aller Sicher¬
heit behaupten, dass eine amyotropbisohe Lateralsklerose hier vorliegt,
denn es ist das bekanntlich eine Krankheit, die verhältnismässig schnell
zum Tode führt, indem sehr bald die bulbären Centren auch ergriffen
werden. Im allgemeinen setzt man den Verlauf der amyotrophischen
Lateralsklerose auf 3—5 Jahre, vielleicht etwas länger, fest. Dieser
Kranke ist aber schon seit 1904 krank und hat noch so wenig spastische
Erscheinungen, dass eigentlich nur der Babinski beiderseits und die
lebhaften Reflexe am Arm die spastische Komponente repräsentieren.
Aueh die Sprache ist vollkommen intakt. Dazu kommt, dass auch von
früheren Gutachtern Sensibilitätsstörungen im Sinne einer dissoziierten
Empfindungsstörung gefunden wurden; es dürfte sich demnaoh hier
wohl um eine Syringomyelie handeln. Allerdings ist auch dafür der
Verlauf atypisch, insbesondere das Verschwinden der früher vorhandenen
SensibilitätsstöruDgen ist nicht ganz leicht zu erklären. Für eine
luetische Erkrankung sind in diesem Fall keine Anhaltspunkte vor¬
handen. Erstens entspricht das Krankheitsbild nicht dem einer Lues
cerebrospinalis; ferner ist die Wasser mann’sehe Untersuchung negativ,
der Patient hat drei gesunde Kinder, die Frau hat nie abortiert. Ich
glaube also, es handelt sich hier entweder um eine amyotropbisohe
Lateralsklerose oder um eine Syringomyelie von atypischem Verlauf.
Was die Frage nach dem Unfall betrifft, so nimmt man ja im all¬
gemeinen an, dass die Syringomyelie auf einer Entwicklungsanomalie
beruht, die späterhin durch irgendeine Gelegenheitsursache, die wir meist
nicht naebweisen können, manifest wird. Diese Ursache kann nach
allem, was wir wissen, auch gelegentlich durch ein Trauma gegeben
sein. Wir müssen also wohl daran festhalten, dass auf dem Boden
irgendeiner Prädisposition, die wir noch nicht kennen, durch ein Trauma
eine Syringomyelie hervorgerufen werden kann. Wie die traumatische
Syringomyelie entsteht, ob zunächst bei dem Trauma capilläre Blutungen
zustande kommen, aus denen sich Gliawucherungen entwickeln, oder ob
nur feine molekulare Veränderungen durch die Erschütterung vor sich
gehen, aus denen dann die Syringomyelie resultiert, das steht dahin.
Dass die Krankheit erst mehrere Monate nachher angefangen hat, spricht
nicht gegen die traumatische Genese; die Kranken pflegen, wie ich schon
vorhin erwähnte, bei so schleichender Entwicklung der Krankheit anfangs
nicht auf ihr Leiden zu aohteB. Ich zeige Ihnen ein demonstratives
Beispiel dafür bei einer Kranken, die ich kurz zu betrachten bitte.
(Demonstration.) Sie kam vor ein paar Tagen in die Poliklinik wegen
einer »ganz anderen“ Erkrankung. Sie hatte früher eine spezifische
Infektion durebgemaoht und bekam jetzt auf dieser Basis eine Ptosis.
Bei der Untersuchung ist als „zufälliger Nebenbefund“ diese starke
Atrophie an der Hand gefunden worden. Von dieser Atrophie weiss
die Frau angeblich gar nichts. Es ist natürlich ganz ausgeschlossen,
dass sie erst vor kurzem entstanden sein kann; der Beginn der atropbi-
soben Veränderung liegt nach meiner Ueberzeugung Monate zurück. So
glaube ich auch in unserem Falle, dass der Kranke dadurch, dass er
wegen seines Fusses im Bett gelegen hat und keine Gelegenheit hatte,
die Kraft seiner Hände zu erproben, auf den Beginn seines Spinalleidens
nicht aufmerksam geworden ist. Ich meine also: es ist 9ehr wohl mög¬
lich, dass in diesem Falle der Unfall zum Manifestwerden der Krankheit
beigetragen bat.
Diskussion.
Hr. Bonboeffers Zum ersten Falle möchte ich mir die Bemerkung
gestatten, dass ich bei einer Konkurrenz von Lues und einem ver¬
hältnismässig leichten Trauma des Daumens doch im Hinblick auf andere
Erfahrungen bei spinaler Muskelatrophie der Lues eine grössere Be¬
deutung für die Aetiologie der Spinalerkrankung beimessen würde als
dem Trauma. Ich weiss nicht, ob das bei der Demonstration ganz
deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Eigentlich sind Sie doch wohl
auch der Ansicht? (Zustimmung des Herrn Borohardt)
3. Hr. Förster: Paralysis agitans mit Hypotonie.
M. H.! Ich möchte Ihnen hier einen Patienten zeigen, bei dem
Sie sofort die richtige Diagnose stellen werden, wenn Sie ihn herein¬
kommen sehen; aus der charakteristischen Haltung, dem etwas gebeugten,
vorgestreckten Kopf und aus dem charakteristischen Zittern geht ohne
weiteres die Diagnose Paralysis agitans hervor. Sie finden noch zur
Unterstützung der Diagnose das Fehlen der Mitbewegung beim Gehen,
das normale Pendeln der Arme fehlt. Sie sehen, wie der Kopf ganz
steif und bewegungslos gehalten wird; auch sonst fällt die Steifigkeit in
der Haltung beim Patienten auf. Irgendwelche sonstigen Symptome,
wie Propulsion usw., fehlen. Trotzdem dürfte an der Diagnose wohl
schon nach dem Anblick kein Zweifel sein. Das Zittern ist vielleicht
nicht ganz typisch. Die Exkursionen sind etwas gross. Es besteht auch
nicht die typische Fingerbeugung, sondern die Finger sind eher etwas
gestreckt. Es sind aber sehr viele Fälle beschrieben worden, bei denen
eine Streckhaltung der Finger vorliegt, ebenso wie es nicht immer zur
Rumpfbeugung kommt, es wird auch hier Streckung gelegentlich beob¬
achtet. Der Verlauf ist vollkommen typisch. Das Leiden hat sich seit
1901 allmählich entwickelt. Es wäre weiter kein Grund, Ihnen diesen
Fall zu demonstrieren, wenn nicht ein auffälliges Symptom noch vor¬
handen wäre. Patient zeigt nämlich nicht die erwartete Muskelrigidität,
sondern es ist auffällige Hypotonie vorhanden. Ich kann sie Ihnen im
Ellenbogen- und Handgelenk demonstrieren. (Demonstration.) Sie sehen,
wie die Gelenke schlenkern. Auch in den anderen Gelenken ist der
Tonus eher herabgesetzt. Es ist ein ganz auffälliges Symptom. Man
ist gewohnt, bei Paralysis agitans als eines der wesentlichsten Sym¬
ptome die Rigidität, die Muskelsteifigkeit anzuführen. Es ist zwar schon
von Oppenheim und anderen darauf hingewiesen worden — ich selbst
habe früher auch schon solche Fälle gesehen —, dass die Rigidität nicht
in allen Fällen vorhanden sein muss, sie kann manchmal fehlen; aber
einen Fall mit Hypotonie bei Paralysis agitans habe ich bisher noch
nicht gesehen.
Ich kann Ihnen einen zweiten Fall zeigen. Es handelt sich eben¬
falls um eine Patientin, bei der das Bild der Paralysis agitans auf den
ersten Blick erkennbar ist, hier noch deutlicher al9 bei dem anderen
Patienten, weil auch die Haltung der Finger typisch ist. Wenn Sie die
Patientin ansehen, so bemerken Sie das für Paralysis agitans typische
Zittern. Auch beim Gehen fällt das Zittern deutlich auf, ebenso die
steife Kopfhaltung, die etwas vorgebeugte Haltung und das Fehlen der
Mitbewegungen. Das können wir auch erkennen, wenn die Patientin
sich hinsetzt und aufsteht. (Demonstration.) Die Patientin steht auf,
ohne dass sie die Füsse unter den Stuhl zieht. Auch hier lässt sich
deutlich die Hypotonie demonstrieren; in Schultern und Ellenbogengelenk
ist sie nicht sehr ausgesprochen, im Handgelenk ist sie zweifellos zu
demonstrieren. Bei dieser Patientin besteht das Leiden auch seit vier
Jahren und hat sich progressiv entwickelt.
Wir müssen mit einigen Worten darauf eingehen, wie wir die Hypo¬
tonie bei Paralysis agitans erklären können. Wir wissen, dass Paralysis
agitans kaum als einheitliches Krankheitsbild gedeutet werden kann.
Früher meinte man, dass man fast alle Symptome der Paralysis agitans
auf Muskelrigidität zurückführen könnte. Von dieser Anschauung ist
man allmählich zurückgekommen und hat einsehen gelernt, dass die ver¬
schiedenen Störungen bei Paralysis agitans gleichwertig nebeneinander
hergehen, und dass jedes einzelne dieser Symptome fehlen kann. Am
längsten war es bekannt für das Zittern. Die Fälle von Paralysis agitans
sine agitatione sind seit langer Zeit bekannt. Wir müssen uns denken,
dass die Symptome auf Störungen ganz bestimmter Bahnen beruhen,
dass verschiedene Bahnen, die wir anatomisch im einzelnen noch nicht
kennen, für die verschiedenen Symptome verantwortlich gemacht werden
müssen. Es fragt sich nun, ob die Hypotonie sich da anreihen lässt.
Das ist sehr gut möglich. Wir wissen, dass Muskelsteifigkeit mit Mangel
an Antrieb auftritt. Wir kennen die Muskelsteifigkeit auch sonst bei
Kleinhirnerkrankungen; wir brauchen nur zu denken an die Unfähigkeit
der Kranken, hintereinander schnell Bewegungen auszuführen. Anch
Hypotonie ist bei Kleinhirnerkrankungen kein unbekanntes Symptom.
Ich brauche bloss auf die choreatischen Muskelstörungen hinzuweisen.
Wie wir wissen, sind choreatische Störungen in sehr vielen Fällen auf
Erkrankung von Kleinhirnbahnen zurückzuführen. Ich brauche nur an
einen der bekanntesten Fälle zu erinnern, den Bonhoeffer beschrieben
hat, bei dem leichte Verminderung des Tonas in dem betreffenden Gliede
vorhanden war. Bekannt ist auch, dass Athetose und Hypotonie zu¬
sammen Vorkommen, sowie dass athetotische Erscheinungen fliessende
Uebergänge zu choreatischen wie zu Paralysis agitans ähnlichen Zitter¬
bewegungen zeigen können. Hier finden wir also überall Brücken, und
es wird verständlich, dass wir bei Paralysis agitans Hypotonie finden.
Es ist eigentlich sogar wunderbar, dass nicht schon früher häufiger Fälle
beschrieben worden sind, wo statt Rigidität Hypotonie vorliegt. Viel¬
leicht liegt das weniger daran, dass es solche Fälle bisher nicht gegeben
hat, als daran, dass man unter der Suggestion, dass bei Paralysis agitans
immer Rigidität vorhanden sein muss, wenn die anderen Symptome fest¬
standen, zu wenig hierauf geachtet hat. Wir müssen dieses Symptom
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
so erklären, dass auch hier die Gegend, die sonst für das Entstehen der
Paralysis agitans verantwortlich gemacht werden muss, also die Gegend
der Kleinhirnbahnen, besonders die Verbindung mit den subcorticalen
Centren. erkrankt ist, und dass sich die Erkrankung, die wahrscheinlich
in kleinen, wenn auch heute noch nicht sicher nachweisbaren Herden
besteht, sich in das Gebiet der Bindearme hinein fortgesetzt hat. Ob
es unbedingt die Bindearme sind, die mit der Hypotonie Zusammen¬
hängen, ist allerdings nicht sicher.
4. Hr. Kramer: Atrophische Myotonie.
M. H.! Der Patient, den ich mir erlaube Ihnen zu demonstrieren,
ist yor etwa vier Wochen in unsere Behandlung gekommen. Er wurde
uns überwiesen von der Lungenfürsorgestelle, die er aufgesucht hatte,
weil er seit einigen Jahren über zunehmende Schwäche klagte, die sich
besonders in den Beinen geltend machte, so dass er Beschwerden beim
Laufen hatte. Er klagte auch ausserdem über Kreuzschmerzen. Sonst
hatte er keine weiteren Beschwerden, gab uns nur auf Befragen an, dass
im letzten Jahre seine Potenz in auffälligem Maasse abgenommen hat.
Der Patient ist 42 Jahre alt. Die Untersuchung ergab zunächst an den
Beinen, dass eine geringe Schwäche der Dorsalüexion beiderseits vorliegt.
Die Patellarreflexe sind normal, die Achillessehnenreflexe dagegen fehlen.
Die weitere Untersuchung zeigte, dass ein sehr auffälliger Befund im
Gesicht und am Halse vorliegt, eine Atrophie, die die gesamte Gesichts¬
muskulatur betrifft; auch die Kaumuskulatur ist etwas atrophisch. Sie
sehen eine etwas eingesunkene Schläfengrube. Auch die Masseteren
springen beim Zubeissen etwas wenig hervor. Die Augenlider sind dünn,
die Kraft des Augenschlusses ist schlecht. Beim Lippenschluss ist eben¬
falls die Kraft relativ gering. Dann ist ein Ausfall am Sternocleidomastoideus
zu bemerken. Sie sehen, dass der Hals einen etwas mageren Eindruck
macht, dass die Konturen des Sternocleidomastoideus auf beiden Seiten
fehlen, dass dieser Muskel auch bei Kopfdrehung nicht hervorspringt,
sondern nur die Konturen des Omohyoideus. Bei genauem Nachsehen
lässt sich feststellen, dass ein geringer Rest des Muskels vorhanden ist.
An den Armen ist die Kraftentfaltung nicht sehr gross, doch lässt sich
hier eine ausgesprochene Parese nicht nachweisen, auch keine lokalisierte
Atrophie. Die Muskulatur ist nur überall nicht gut entwickelt. * Als
wir die elektrische Untersuchung anstellten, speziell an den atrophischen
Muskeln, fanden wir, dass bei galvanischer Reizung überall träge Zuckung
auftrat. Bei genauem Zusehen liess sich nachweisen, dass diese nicht
auf Entartungsreaktion zurückzuführen ist; sie fand sich auch in Muskeln,
die normal funktionieren, die faradisch gut erregbar sind. Es stellte
sich heraus, dass es sich um myotonische Reaktion handelte, die sich
vor allem von der Entartungsreaktion dadurch unterscheidet, dass bei
der gut erhaltenen faradischen Erregbarkeit eine deutliche Nachdauer
der Kontraktion nach dem Aufbören des elektrischen Reizes vorhanden
ist. Als wir untersuchten, ob der Patient auch sonst myotonische Er¬
scheinungen hat, fand sich, dass er beim Handschluss deutlich eine
Nachdauer der willkürlichen Kontraktion erkennen lässt. (Demon¬
stration.) Sie sehen, dass, wenn der Patient die Hand geschlossen hat,
die Muskeln in Kontraktion bleiben. Es dauert längere Zeit, bis er sie
wieder öffnen kann. Erst allmählich lässt die Kontraktion nach. Wir
haben den Körper im übrigen auf myotonische Erscheinungen unter¬
sucht; sie haben sich in so ausgesprochener Weise wie beim Hand¬
schluss nirgends gefunden. Gelegentlich lässt es sich auch beim Auf¬
stehen vom Stuhl nachweisen. (Demonstration.) Auch in der Waden¬
muskulatur haben wir gelegentlich die Erscheinung beobachtet, jedoch
nicht in sehr ausgesprochener Weise. Bemerkenswert ist, dass der
Patient angibt, dass er erst durch diese Untersuchung auf die Bewe¬
gungsstörung aufmerksam geworden ist; es war ihm nie besonders auf¬
gefallen, und es lässt sich auch nicht eruieren, wie lange er die Be¬
wegungsstörung hat, ob sie von Jugend an schon bestand, oder ob sie
im späteren Leben etwa gleichzeitig mit der Atrophie, die wir auf sechs
Jahre zurückdatieren können, sich eingestellt hat. Die elektrische Unter¬
suchung ergab, wie erwähnt, eine ausgesprochene myotonische Reaktion,
die ich mir erlauben werde kurz zu demonstrieren. (Demonstration.)
Die myotonische Reaktion besteht vor allem darin, dass hei faradischen
Reizungen die Kontraktion der Muskeln auch nach dem Aufhören des
Stromes andauert. Bei der Reizung mit galvanischem Strom ist
charakteristisch, dass bei indirekter Muskelreizung vom Nerven aus die
Zuckungen normal schnell erfolgen. (Demonstration.) Sie sehen, dass,
wenn ich vom Nervus ulnaris aus reize, ganz normale Zuckung erfolgt.
Wenn ich dagegen direkt reize, so erfolgt die Kontraktion der Finger¬
beuger ganz träge, und sie hält so lange an, wie der Strom geschlossen
bleibt; wenn ich-jetzt öffne, geht sie langsam wieder zurück. Dann
lässt sich auch noch die myotonische Reaktion beim mechanischen Be¬
klopfen der Muskeln nachweisen. (Demonstration.) Wir sehen, dass
die Sehne des Flexor carpi radialis sich anspannt und auch noch
längere Zeit angespannt bleibt; sie geht erst allmählich zurück.
M. H.! Was der Patient uns darbietet, ist eine Kombination von
zwei Arten von Erscheinungen. Einmal sind es die myotonischen Er¬
scheinungen, wie sie der Myotonia congenita, der Thomsen’schen Krank¬
heit, angehören, und dann Erscheinungen der Muskelatrophie. Es ist
die Frage, wie wir die Muskelatrophie aulzufassen haben, ob es sich um
spinale Muskelatrophie oder um myopathische Atrophie handelt. In den
ersten Fällen dieser Art, die publiziert sind, findet man gelegentlich die
Meinung ausgesprochen, dass es sich um spinale Muskelatrophie handle
wegen der vorhandenen Entartungsreaktion. Demgegenüber ist schon
von Hoffmann im Jahre 1900 mit Recht darauf hingewiesen worden,
dass es sich in diesen Fällen um eine Verwechslung der myotonischen
Reaktion mit der Entartungsreaktion handelt, die ziemlich naheliegend
ist. Ich möchte noch etwas erwähnen, was ich vorhin anzuführen ver¬
gessen habe, dass nämlich die myotonische Reaktion sich nicht in gleicher
Weise in allen Muskeln findet; sie findet sich am ausgesprochensten in
den Beugern der Hand, im Daumenballen, in allen kleinen Handmuskeln;
sie findet sich in etwas modifizierter Art in den Muskeln des Gesichts
und des Halses. Hier fand sich nur die abnorme Reaktion bei direkter
galvanischer Reizung, dagegen nicht die Nachdauer bei faradischer
Reizung. Diese findet sich in diesen Muskeln nur angedeutet. Dieser
Befund ist von Remak zuerst beschrieben und als partielle myotonische
Reaktion bezeichnet worden. Bei dieser Form liegt die Verwechslung
mit der Entartungsreaktion noch näher. Es ist wohl wahrscheinlich,
dass die früher beschriebenen Fälle auf derartige Verwechslungen zurück¬
zuführen sind. Es kann meines Erachtens kein Zweifel sein, dass es sich
nicht um Entartungsreaktion, sondern um myotonische Reaktion handelt.
Nach dem ganzen Typus, nach der Verteilung der Lähmung kann es
auch nicht zweifelhaft sein, dass wir die Atrophie als myopathische
Atrophie au (fassen müssen.
Nun ist die Frage, ob dieses Zusammentreffen der beiden Krank¬
heitsbilder zufällig oder auf dieselbe Ursache zurückzuführen ist. An
sich wäre ja ein zufälliges Zusammentreffen sehr merkwürdig, denn es
handelt sich in beiden Fällen um eine keineswegs sehr häufige Er¬
krankung. Myotonie ist recht selten, Muskeldystrophie ist nicht gerade
sehr häufig. Weiter ist bemerkenswert, dass, besonders seitdem Hoff¬
mann im Jahre 1900 auf diese Fälle aufmerksam gemacht hat, schon
eine ganze Reihe von Fällen beschrieben worden sind, die durchaus mit
dem hier demonstrierten Krankheitsbilde übereinstimmen — es handelt
sich um Myotonie, die gelegentlich familiär auftritt —; bei diesem
Patienten ist von Familiarität, von Heredität niohts bekannt —, und
bei denen im späteren Leben, gewöhnlich im zweiten, dritten Lebensjahr
beginnend, in der Regel nicht so spät wie bei diesem Patienten, sich
Muskelatrophie einstellt, ganz regelmässig in den gleichen Muskeln, wie
sie auch hier sich betroffen finden: Gesichtsmuskeln, Kaumuskeln, Sterno¬
cleidomastoideus, sodann, wenn die Extremitäten betroffen sind, die
Dorsalflexion des Fusses und Vorderarmmuskeln. Dieser Typus, der ja,
wie Hoffmann hervorhebt, sonst keinem bekannten Typus der Muskel¬
dystrophie entspricht, ist regelmässig in diesen Fällen vorhanden ge¬
wesen. Er weist darauf hin, dass wir es hier durchaus mit einem
typischen Krankheitsbilde zu tun haben, bei dem sich die myotonischen
Erscheinungen mit muskelatrophischen Erscheinungen kombinieren. Es
ist die Frage viel erörtert worden, wie sich diese Erkrankung zu der
echten Thomsen’schen Krankheit verhält, ob wir es mit einer eigenen
Krankheit oder nur mit einer Varietät der Thomsen’schen Krankheit zu
tun haben. Hoffmann vertritt den Standpunkt, dass die Myotonie das
Primäre ist, das Sekundäre die Muskelatrophie. Jendrassik nimmt
den Standpunkt ein, dass es sich um zwei Formen der Heredodegeneration
handle, die sich, wie alle verschiedenen Abarten der Heredodegeneration,
gelegentlich kombinieren. In neuerer Zeit ist dann von Hirschfeld
der Standpunkt vertreten worden, den ich doch wohl für den richtigsten
halte, dass es sich hier um ein eigenes spezifisches Krankheitsbild
handelt. Es wird besonders hervorgehoben, dass in den familiären Fällen,
die beschrieben worden sind, in der Regel immer bei allen Familien¬
mitgliedern die Kombination von Myotonie mit Atrophie vorhanden war,
nicht etwa in dem einen Falle ein gewöhnlicher Thomson und im
anderen Falle die Kombination mit Muskelatrophie sich gezeigt habe.
Ich möchte auch noch betonen, dass noch in einer Beziehung der Fall
typisch ist, als nämlich in fast allen diesen Fällen von Atrophie und
Myotonie die Impotenz als vorhanden angeführt wird und iu einem Falle
von Steinert, der zur Autopsie gelangt ist, eine Atrophie der Testes
gefunden worden ist. Was die fehlenden Sehnenreflexe anlangt, so ist
bemerkenswert, dass auch in dem Fall von Steinert eine Degene¬
ration der Hinterstränge, die auch sonst bei Heredodegeneration nicht
selten ist, gefunden wurde.
Ich möchte mir dann noch erlauben, im Anschluss an diesen
Patienten einen anderen Kranken zu demonstrieren, ebenfalls einen Fall
von Myotonie, der vorgestern zu uns in die Klinik gekommen ist. Es
handelt sich um einen Herrn von 35 Jahren, der uns mit Bestimmtheit
angibt, dass er die myotonische Störung nicht von Jugend an habe,
sondern dass sie sich erst seit etwa zwei Jahren eingestellt habe. Es
ist ja sehr schwer, hierüber ein sicheres Urteil zu gewinnen, weil in einer
ganzen Reihe von Fällen von Myotonie die Störungen den Patienten
lange Zeit entgehen; sie haben von Jugend an daran gelitten, es fällt
ihnen gar nicht besonders auf, sie halten die Erscheinungen, wenn sie
nicht sehr schwer sind, für normal. Es ist bekannt, dass oft erst beim
Militär die Fälle entdeckt werden. Dieser Patient gibt an, beim Militär
gedient und keine Störung gehabt zu haben. Das spricht dagegen, dass
er damals Myotonie gehabt hat Die Erkrankung hat sich vor zwei
Jahren im Anschluss an eine Intestinalerkrankung zu entwickeln be¬
gonnen. Er klagte damals über Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung und
Kolikschmerzen. Im Anschluss an diese Erkrankung hat sich die Muskel¬
steifigkeit ausgebildet, die seitdem nicht mehr vollständig verschwunden
ist Nach der ersten Attacke ist nach etwa zehn Wochen eine ganz
erhebliche Besserung eingetreten. In ähnlichen Schwankungen ist die
Krankheit bis jetzt verlaufen. Patient gibt an, dass die Schwankungen
in dem Zustande der Muskeln — er klagt ausserdem über Steifigkeit
und Schwäche beim Gehen — ziemlich parallel gehen den Verschlimme¬
rungen seines Magendarmleidens. In den letzten 14 Tagen sind die Er-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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scheinungen wieder stärker hervorgetreten. Die Untersuchung ergibt,
dass die Muskulatur des Patienten nicht besonders gut entwickelt ist,
aber keine lokalisierte Atrophie zeigt. Die myotonische Störung ist er¬
heblich weiter verbreitet als bei dem anderen Patienten, sie findet sich
speziell auch in der Gesiohtsmuskulatur ausgesprochen. (Demonstration.)
Sie sehen, dass beim Lidschluss die myotonische Nachdauer der Kon¬
traktion sehr deutlich ist. Wir haben dasselbe auch gelegentlich bei
den Augenbewegungen nachweisen können; doch ist das nicht konstant.
Auch die Nachdauer der Kontraktion beim Handschluss ist besonders
deutlich. Nach mehrfachen Bewegungen tritt eine Besserung ein, doch
nicht so schnell und eklatant, wie es gewöhnlich der Fall ist. Auch
beim Gang ist eine Steifigkeit deutlich erkennbar. Wenn man. den
Patienten längere Zeit gehen lässt, ist die Besserung deutlich zu sehen.
Bei wiederholten Bewegungen macht sich jedoch eine schnell eintretende
Ermüdung geltend. Die elektrische Untersuchung ergibt dasselbe Bild
wie bei dem anderen Patienten. Ich will mich darauf beschränken, die
faradische Reaktion zu zeigen. (Demonstration.)
Vor allen Dingen ist bei dem Patienten der Umstand bemerkens¬
wert, dass es sich nicht um angeborene, sondern aller Wahrscheinlich¬
keit nach um erworbene Myotonie handelt. In der Literatur ist eine
Reihe von solchen Fällen beschrieben, die jedoch der Kritik durchaus
nicht alle standhalten, weil, wie ich schon vorhin erwähnte, nicht mit
voller Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Myotonie doch
vielleicht angeboren war. Bemerkenswert ist, dass von Talma mehrere
Fälle beschrieben worden sind, wo myotonische Erscheinungen im An¬
schluss an Intestinalerkrankung, und zwar vorübergehender Natur auf¬
getreten sind, die sich dann wieder vollständig mit der Besserung der
Magendarmerkrankung verloren haben. In neuerer Zeit ist dann von
Grund darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese Fälle vielleicht
Beziehungen haben zu den peripheren Muskelkrämpfen, und dass von
diesen, von denen wir annehmen, dass sie auf neuritischer Basis ent¬
stehen, allmähliche Uebergänge zu den myotonischen Erscheinungen
stattfinden. Dieser Patient zeigt einige Andeutungen in dieser Be¬
ziehung, indem einerseits Druckempfindliohkeit der Muskulatur vorhanden
ist, andererseits ein Symptom, das für die Myotonie ungewöhnlich ist,
dass nämlich gelegentlich die Muskelkrämpfe speziell im Quadriceps mit
Schmerz verbunden sind. Es wäre daran zu denken, dass wir es hier
mit einem Krankheitsbilde zu tun habeD, das nur in der Symptomato¬
logie mit der Thomsen’schen Krankheit übereinstimmt, aber nichts damit
zu tun hat, dass es sich um eine erworbene Krankheit handelt, die auf
toxischer Basis entstanden ist.
5. Hr. Lotsei. j Isolierte Schnssverletznng des Halssynpathicns.
M. H.! Sympathicuslähmungen auf traumatischer Basis sind nichts
Alltägliches; Schussverletzungen des Halssympathicus sind schon recht
selten, und isolierte Schussverletzungen des Sympathicus sind Raritäten
erster Ordnung, so dass ich mich berechtigt glaube, Ihnen einen Fall,
den ich auf dem bulgarischen Kriegsschauplätze beobachtet habe, vor¬
zutragen.
Ich übernahm als Stationsarzt und Operateur in dem zweiten Etappen¬
spital in Losengrad-Rirkilisse eine Station und fand unter den dortigen
Kranken einen, aus dem man nicht so recht klug geworden war. Ich
habe ein besonderes Interesse für Sympathicusverletzungen und sah
sofort, dass der Mann eine Ptosis und Miosis batte. Ich habe ihn später
genauer untersucht, und es fand sich eine Sympathicusverletzung der
linken Seite. Der Mann hatte einen Schuss aus mittlerer Entfernung
bekommen. Es handelte sich um ein Mauserspitzgeschoss von 7,65 mm.
Der Einschuss, der fast verheilt war, sass in der linken Wange an der
vorderen Grenze des Backenbarts, ungefähr in Höhe des Nasenflügels,
der Ausschuss zwei Querfinger breit links von der Mittellinie am Nacken
unterhalb der Haargrenze. Wenn man den Schusskanal in eine gerade
Linie bringen wollte, musste man das Kinn der Brust nähern. Tatsäch¬
lich war der Schuss auch erfolgt, während der Mann im Anschlag war.
Eigentümlicherweise war trotz dieses Schuss Verlaufs nichts verletzt,
wenigstens waren keine Nervenverletzungen nachweisbar, keine Blutungen,
auch keine Knochenverletzung. Der grosse, muskelkräftige, junge Mensch
war eigentümlich psychisch gehemmt. Er lag während meiner 14tägigen
Beobachtung fast immer in derselben Haltung in seinem Bett, gab nur
einsilbige Antworten und hatte trotzdem über nichts zu klagen. Die
Symptome, die sich bei der genaueren Untersuchung — soweit man eine
solche in einem Kriegslazarett ausführen kann — ergaben, sind folgende:
es bestand eine deutliche Verengerung der linken Pupille, die fast nur
halb so weit war wie die rechte. Die Pupille reagierte auf Lichteinfall
und Konvergenz zwar träge, aber doch deutlich nachweisbar. Auf
sensible Hautreize reagierte sie nicht. Dagegen wurde sie bei Be¬
schattung und wenn der Kranke erregt war — z. B. beim Versuch, bei
Augen-Fussschluss das Schwanken zu prüfen —, weiter als die gesunde.
Ferner bestand deutlich nachweisbare Verengerung der linken Lidspalte,
die auf Ptosis des Oberlides beruhte. Zurücksinken und weichere Kon-
sisteoz des linken Bulbus konnte ich nicht nachweisen. Weiter bestand
eine Rötung der ganzen linken Gesichtshälfte; sie war hyperämiscber
und für das Gefühl wärmer als die rechte. Eine Anomalie der Schweiss-
sekretion habe ich nicht nachweisen können. Die Untersuchung mit
Pilocarpininjektion liess sich unter den dortigen Verhältnissen nicht
ausführen. Trophische Störungen, ein Einsinken der Wange u. dergl.
war noch nicht nachweisbar. Die Verletzung lag ungefähr 8 Tage zurück.
Ueber die psychische Störung bin ich mir nicht ganz klar geworden.
Ich verstand die balgarische Sprache nicht, hatte nicht allzuviel Hilfe
vom Unterpersonal — kurz, es war nicht herauszubekommen, ob der
Mann immer so indolent war. Die Untersuchung der übrigen Hirnnerven
und der sonstigen wesentlichen Gebilde, die durch den Schuss hätten
verletzt werden können, ergab keinerlei Verletzung.
Der Fall bietet ja ein lediglich wissenschaftliches Interesse. Der
Schusskanal war nicht infiziert; nur am Ausschuss befand sich ober¬
flächlich eine kleine Infektion, die bald geheilt war. Die Erscheinungen,
die eine Sympathicusverletzung macht, entsprechen bekanntermaassen
genau den experimentellen Erscheinungen. Wir unterscheiden die drei
Arten: die oculo-pupillären Symptome, die vasomotorischen und die
trophischen Symptome. Die oculo-pupillären Symptome sind die kon¬
stantesten; vor allem sind Miosis und Ptosis absolut konstante Symptome
bei Sympathicusverletzungen. Die trophischen Störungen treten erst sehr
spät auf und waren in meinem Falle noch nicht zu erwarten. Die an
zweiter Stelle genannten vasomotorischen waren insoforn wenigstens nach¬
weisbar, als eine deutliche Hyperämie durch Lähmung der Vasokon¬
striktoren bestand. Sekretanomalien Hessen sich nicht nachweisen. Der
Sympathicus hat anatomisch eine so geschützte Lage, dass es schon
ganz eigentümlicher Umstände bedarf, um ihn durch Schuss isoliert zu
verletzen. Ob die Gefässe ausgewichen sind oder der Schusskanal so
lag, dass tatsächlich ohne Verletzung der Gefässe der Sympathicus ge¬
troffen werden konnte, weiss ich nicht. Interessant wäre eine Unter¬
suchung gewesen, auf die Cords hingewiesen hat, ob es sich nämlich
in diesem Falle um eine Verletzung des Sympathicus oberhalb oder
unterhalb des oberen Ganglions, um eine prä- oder postganglionäre Ver¬
letzung gebandelt bat. Dazu eignet sich die Instillation von 0,lproz.
Adrenalin in den Bindehautsack. Ich habe Adrenalin in dieser Kon¬
zentration nicht gehabt, hatte ausserdem auch keine Zeit zu derartigen
wissenschaftlichen Untersuchungen.
Von isolierten Verletzungen des Sympathicus sind drei Stich- bzw.
Hiebverletzungen bekannt geworden. Die eine stammt aus dem Kriegs¬
jahre 1870/71. Es war ein Säbelhieb, der nur ganz kurz mitgeteilt
worden ist. Ferner sind zwei Fälle von Stichverletzungen bekannt, der
eine von Möbius, der andere von van der Briele aus Magdeburg be¬
schrieben. Es war eine Stichverletzung, die bei einer Rauferei ent¬
standen war. Der Stich in den Hals hatte nur den Sympathicus ver¬
letzt. Die Symptome waren die typischen, wie ich sie vorhin an¬
geführt habe.
An der Diagnose des raitgeteilten Falles ist wohl kein Zweifel
möglich. Das wesentliche ist das Fehlen jeglicher Nebenverletzung.
Die sonstigen Fälle von Schuss Verletzungen bezogen sich meist auf
Plexusverletzungen. Es ist bekannt, dass Plexusverletzungen meist mit
Lähmung des Sympathicus einhergehen. Nebenverletzungen des Hals¬
sympathicus sehen wir Chirurgen, wenn wir darauf achten, nicht so
selten. Es ist aber nicht richtig, dass jede Schussverletzung des Plexus
mit Sympathicusverletzungen einhergeht. Ich habe selbst darauf ge¬
achtet und erinnere mich dreier Armplexusschüsse, die mit Arm¬
lähmungen kombiniert waren, von denen keine eine irgendwie nachweis¬
bare Sympathicuslähmung darbot. Die Mitbeteiligung des Sympathicus
bei Plexusläsion ist auch durch das Experiment erhärtet. Claude
Bernard hat bereits festgestellt, dass die Verletzung der Kommuni¬
kationsfasern vom Sympathicus zum Plexus zur Auslösung der oculo-
pupillären Symptome und der Lähmung genügt. Später ist festgestellt,
dass die Verletzung einer einzigen, nämlich der dem ersten Dorsal¬
segment entsprechenden Kommunikationsfaser genügt, um die oculo-
pupillären Symptome hervorzurufen.
6. Hr. Seelert:
Demonstration eines eigenartigen Falles von Hydrocephalus.
M. H.! Die Patientin (G. F., 8 Jahre alt), die ich zeigen will, wird
vielleicht einigen von Ihnen bekannt sein. Sie hat, bevor sie zu uns
kam, in der Kinderklinik der Charitö gelegen. Bei uns ist sie im April
vergangenen Jahres aufgenommen worden, in die Kinderklinik im Fe¬
bruar vorher. Aus der Vorgeschichte will ich kurz erwähnen, dass die
Kleine aus gesunder Familie stammt, dass ihre Geburt und die erste
Entwicklung ganz normal gewesen sind. Sie hat einige Krankheiten
durchgemacht, hat Brechdurchfall gehabt, Röteln, Angina, und ist im
Jahre 1910 an Masern erkrankt. Längere Zeit hiernach, aber noch in
demselben Jahre, traten bei ihr anfallsweise Kopfschmerzen auf. Nach
dem Bericht der Mutter sollen diese Kopfschmerzen stets ganz plötzlich
aufgetreten sein, etwa eine halbe Stunde angebalten haben und ebenso
schnell wieder vergangen sein. In der Zwischenzeit war das Mädchen
munter und vergnügt. Im Frühjahr des Jahres 1911, als das Kind zur
Schule kam, soll die Intensität und auch die Häufigkeit dieser Kopf¬
schmerzen erheblich zugenommen haben. Die Patientin war aber da¬
durch nicht so stark behindert, dass sie vom Schulbesuch ausgeschlossen
werden musste. Im August 1911 soll das Kind gefallen und mit dem
Hinterkopf aufgeschlagen sein. Etwas Genaueres und Sicheres darüber
liess sich nicht eruieren. Es sind nur Angaben, die die Kleine der
Mutter einmal gemacht hat. Ungefähr um dieselbe Zeit, im August
1911, traten Anfälle auf, die wir ihrer Symptomatologie nach als Petit
mal-Anfälle deuten können. Die Mutter erzählt, dass das Mädchen
plötzlich, wenn sie bis dahin ganz munter gespielt hatte, zu spielen
aufhörte, starr vor sich binblickte, auf die Mutter zukam, sich an sie
anlehnte, ein paar Sekunden stehen blieb, dann wieder fortging und
vergnügt und munter war wie vorher. Diese Anfälle sollen sich von
dem ersten Tage ihres Auftretens an täglich wiederholt haben, im Laufe
der nächsten Wochen uud Monate soll ihre Intensität allmählich zuge-
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652
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
nommen haben. Irgendwelche andere an die Anfälle anschliessenden
Störungen sind niemals beobachtet worden. Im Oktober 1911 traten
neben diesen Anfällen, die mit Bewusstseinstrübungen einhergingen,
motorische Reizerscheinungen auf. Die Matter gibt ganz bestimmt an,
dass sie zuerst nur auf das Gebiet des rechten Facialis beschränkt
waren und in einzelnen Zuckungen der Gesiohtsmuskulatur bestanden.
Ein paar Wochen danach änderte sich der Charakter der Anfälle inso¬
fern, als sie jetzt nicht nur Facialisgebiet betrafen, sondern auf die ge¬
samte Körpermuskulatur übergingen: sie sollen aber, wie die Mutter
erzählt, stets im Facialisgebiet angefangen und von da aus dann die
übrigen Körpermuskeln ohne Ausnahme in gleicher Weise betroffen
haben. Im November 1911 hatte das Mädchen einen ungewöhnlich
schweren Krampfanfall, und unmittelbar im Anschluss an diesen trat
bei ihr eine Unfähigkeit zu sprechen auf. Sie konnte nur einzelne
Laute, einzelne kurze Silben, wie Ja und Mama, hervorbringen, im
übrigen machte sie sich durch Gesten verständlich.
So war etwa das Krankheitsbild, als die Patientin im April des
vergangenen Jahres zu uns in die Klinik kam. Sie war damals moto¬
risch apbasisch. Spontane Sprechversuche wurden von ihr zunächst
überhaupt nicht gemacht. Nachsprechen konnte sie wohl einzelne Vokale,
es kamen auch einmal kurze Silben heraus, sie lernte dann das Wort
Hulda und Mama; aber weitere sprachliche Aeusserungen wurden zu¬
nächst von ihr nicht erzielt. Es fiel dabei auf, dass die Aussprache
dieser Laute und Silben mit einer ungewöhnlich starken, einer über¬
triebenen Innervation der Gesiohtsmuskulatur einherging, und dass die
Patientin niemals einzelne Vokale und Laute hervorbrachte, sondern
immer perseveratorische Reihen der gleichen Laute. Ausser einer Parese
im Gebiet der beiden unteren Aeste des rechten Facialis waren Läh¬
mungen bei ihr nicht vorhanden. Im Gebiet der Sinnesorgane und der
Sensibilität liess sich etwas Pathologisches nicht nachweisen. Auch
psychisch bot die Kranke nichts Abnormes. Sie war ganz munter,
interessierte sich für alle Vorgänge auf der Abteilung, suchte sich, so
weit es ihr möglich war, zu beschäftigen; sobald jemand an ihr Bett
trat, sah sie ihn an, sie reichte die Hand; in jeder Weise war ihr Ver¬
halten lebhaft und zeigte nichts von irgendwelchen Störungen des Sen-
soriums. Es liessen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass
irgendwelche Defekte auf intellektuellem Gebiet vorhanden waren oder
dass affektive Störungen bestanden. Gleich vom ersten Tage der Auf¬
nahme in die Klinik an hatte die Patientin Anfälle. Es waren Anfälle
epileptischer Natur. Irgendeine Prädilektion bestimmter Muskelgruppen
wurde hier nicht mehr beobachtet. Bei den Anfällen sahen wir wieder¬
holt weite lichtstarre Pupillen. Von den übrigen Untersuchungsbefunden
will ich noch erwähnen, dass niemals bei der Patientin Stauungserschei¬
nungen am Augenhintergrund bestanden. Niemals ist Nystagmus beob¬
achtet worden, niemals Nackensteifigkeit. Die serologische Untersuchung
des Blutes und des Liquors war Degativ. Der Zellgehalt und Eiweiss¬
gehalt des Liquors war nach dem Befunde der Kinderklinik ganz
normal.
In dem weiteren Verlaufe der. Erkrankung war dann eine häufige
und sehr ausgeprägte Schwankung in der Intensität der Krankheits¬
symptome auffällig. Die Anfälle nahmen zeitweise ganz erheblich zu;
sie stiegen in den ersten 14 Tagen, die die Patientin bei uns war, auf 20
bis 30 im Tage. Während der Zunahme dieser Krampfanfälle traten
bei der Patientin noch andere Symptome auf, die ebenfalls auf eine schwere
Schädigung des Nervensystems hinwiesen. Es entwickelte sich bei ihr
eine ganz hochgradige cerebellare Ataxie. Die Extremitäten wurden
hochgradig hypotonisch, die Sehnenreflexe liessen sich meistens nicht
oder nur ganz schwach auslösen. Nur selten kam es vor, wenn die
Anfälle sehr häufig gewesen waren, dass auf beiden Seiten Fussolonus
bestand. Das Babinski’sche Phänomen kam niemals zur Beobachtung.
Dieser schwere Zustand mit der cerebellaren Ataxie, bei dem es der
Pat. ganz unmöglich war, zu gehen, zu stehen — sobald man sie auf¬
stellte, knickte sie zusammen, taumelte nach der Seite und fiel um —,
dauerte von Ende Juni etwa ein bis zwei Wochen hindurch. Dann
besserte sich der Zustand, die Zahl der Anfälle nahm ab, die Ataxie
und Hypotonie schwanden, die Sehnenreflexe kehrten wieder. Der
psychische Zustand der Patientin, die in dieser schweren Zeit teilweise
benommen, schläfrig war, in ihrem Bette lag und kaum auf Ansprache
reagierte, besserte sich wieder; die Patientin wurde wie vorher. Dann
trat auf einmal Ende Juli des vergangenen Jahres eine gleichartige Ver¬
schlimmerung mit den gleichen Symptomen auf. Die Anfälle stiegen
jetzt bis zur Höohstzahl von 66 innerhalb von 24 Stunden, die Krampf¬
erscheinungen traten dabei zurück; es waren jetzt nur Anfälle von
Bewusstlosigkeit, bei der lichtstarre, weite Pupillen beobachtet wurden.
Eine gleiche Periode mit denselben Erscheinungen hatte das Mädchen
auch im Februar in der Kinderklinik durcbgemacht.
Im Juli des vergangenen Jahres trat dann sehr schnell eine sehr
günstige Wendung des Krankheitszustandes ein. Innerhalb ganz weniger
Tage hörten die Anfälle vollkommen auf und sind seitdem nie wieder
aufgetreten. Die Ataxie, die Hypotonie schwanden, die Sehnenreflexe
kehrten wieder, und der psychische Zustand der Patientin wurde besser.
Die motorische Aphasie, die bis dahin noch unverändert bestanden
hatte, besserte sich im Verlaufe der nächsten Wochen und Monate. Die
Kleine lernte mehr Worte aussprechen, und als sie im November bei
uns entlassen wurde, war sie wieder so weit, dass sie sich sprachlich
sehr gut ausdrücken konnte. Das Sprachverständnis ist niemals gestört
gewesen. Wie wir jetzt sehen, ist von Resten der motorischen Aphasie
kaum noch etwas zu bemerken. Sie spricht jetzt ganz geläufig; wenn
man sich längere Zeit mit ihr unterhält, kommt es gelegentlich vor,
dass sie einzelne Worte langsam hervorbringt Von den übrigen
Symptomen ist gar nichts mehr zu bemerken. Sie ist seitdem zu Hause
ganz gesund gewesen, hat niemals mehr über irgendwelche Störungen
geklagt. In der intellektuellen Entwicklung ist das jetzt 8 Jahre alte
Mädchen zurückgeblieben. Bei der Intelligenzprüfung nach Binet er¬
reichen ihre Leistungen nur die Altersstufe von 6 Jahren. Die an¬
gewandte medikamentöse Therapie, Bromkali und Amylenhydrat, liess
keinen Einfluss auf den Krankheitszustand erkennen.
Das ist die Symptomatologie des Falles. Wir stehen jetzt vor der
Frage: Was für ein Krankheitsprozess liegt vor, und wie sollen wir uns
ihn .lokalisiert denken? Das eine ist wohl klar: es handelt sich um
ein organisches cerebrales Leiden. Alle Symptome, die auftraten, waren
sicherlich organisch bedingt. Irgendwelche funktionellen Beimengungen
sind niemals von uns beobachtet worden; aueh die früheren Beob¬
achtungen und das Verhalten der Patientin nach der Erkrankung zeigen
keinerlei Andeutung, die darauf hinweisen könnte. Zurzeit, wo das
Symptomenbild am stärksten ausgeprägt war, in diesen drei Perioden
mit den schweren Störungen, waren die Symptome derartig, dass wir
sowohl an eine Beteiligung der vorderen Hirnpartien denken als auch
eine Schädigung des Kleinhirns annehmen mussten. Die motorische
Aphasie, die Facialisparese sprechen dafür, dass die Gegend der linken
dritten Stirnwindung und angrenzende Teile der vorderen Central¬
windung affiziert waren, die cerebellare Ataxie, die Hypotonie und
eventuell die Abschwächung der Sehnenrefiexe sind auf eine Schädigung
des Kleinhirns zu beziehen. Wir hätten damals annehmen können, dass
bei der Patientin eventuell zwei Herde vorliegen, einer vorn und einer
in der hinteren Schädelgrube, oder dass ein Herd vorliegt, der durch
Fernwirkung, durch fortgeleiteten Druck oder durch sekundären Hydro-
cephalus die entfernt gelegenen Partien affiziert hat. Eine grobe
anatomische Läsion kann nicht Vorgelegen haben, denn dann wäre die
Rückbildung der Symptome bis zur vollständigen Integrität, wie wir sie
jetzt sehen, nicht möglich gewesen. Wie sollen wir uns den Krankbeits-
prozess denken? Lucs kommt nicht in Betracht, dagegen spricht der
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion und das Resultat der Unter¬
suchung des Liquors, Epilepsie auch nicht, denn die Symptome, die wir
hier zu sehen bekommen haben, gehen weit über das hinaus, was bei
Epilepsie gelegentlich Vorkommen kann. Für irgendeinen toxischen
Prozess haben sich auch keinerlei Anhaltspunkte gefunden; der Urin ist
stets frei von Eiweiss und Zucker gewesen.
Einzelne Symptome im Krankheitsbild weisen darauf hin, dass hier
ein Prozess vorlag, der mit periodischer Steigerung des intracraniellen
Druckes einherging. Hierfür können wir verantwortlich maehen die
periodisch auf tretenden Kopfschmerzen, die, was ich noch nach tragen
will, mitunter mit Erbrechen einhergingen, auch die Anfälle, bei denen
oft Erbrechen vorkam, könnten dadurch bedingt gewesen sein. Die Tat¬
sache, dass die Symptome, die wir wohl auf Schädigung des Kleinhirns
beziehen müssen, mit ausserordentlich häufigen und scharf abgesetzten
Schwankungen ihrer Intensität einhergingen, und dass sie ganz akut
vollkommen abklangen, spricht auch viel mehr dafür, dass die Klein¬
hirnsymptome nicht durch einen lokalen Prozess bedingt waren, sondern
dass sie vielleicht auf eine Druckschädigung des Kleinhirns infolge einer
allgemeinen Erhöhung des intracraniellen Druckes zu beziehen sind.
Es liegt nun die Möglichkeit vor, dass bei dem Mädchen das ganze
Krankheitsbild vielleicht durch einen Hydrocephalus verursacht worden
ist. Derartige Schwankungen im Krankheitsverlauf, wie wir sie hier zu
sehen bekamen, sind beim Hydrocephalus recht häufig. Auch Herd¬
symptome sind bei idiopathischem Hydrocephalus durchaus nichts
Seltenes. Auffällig ist nur in dem Falle hier, dass das Herdsymptom
der motorischen Aphasie so ausserordentlich lange bestanden hat
Daraus haben sich hier die hauptsächlichsten diagnostischen Schwierig¬
keiten ergeben. Die Tatsache, dass am Augenhintergrund niemals
Stauungserscheinungen bestanden haben, und dass irgendwelche Deformi¬
täten des Schädels bei dem Mädchen nicht vorliegen, braucht nach den
klinischen Erfahrungen nicht gegen diese Diagnose zu sprechen. Der
Kopfumfang beträgt jetzt 52 cm, er entspricht ungefähr der dem Alter
von 8 Jahren zukommenden normalen Grösse von 51 Vs cm. Die Diagnose
Hydrocephalus werden wir in diesem Falle jedoch nur mit einer gewissen
Vorsicht stellen können, und wir werden sie weniger aus dem Symptomen-
bilde, das die Patientin früher geboten hat, als aus dem ganzen Verlauf
der Erkrankung stellen.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkude zu Berlin.
Sitzung vom 17. März 1913.
1. Hr. Bönniger: Magenfnnktien nid Psyche.
Vortr. hat die Angaben Cloetta’s nachgeprüft, wonach junge Hunde,
die nur mit Milch ernährt werden, im Magensaft keine freie Salzsäure
haben. Einige Tiere wurden in seinen Versuchen mit Milch, ebensoviele
Kontrolliere mit Fleiseh gefüttert. Nach zwei Monate währender der¬
artiger Ernährung bekamen sie ein Probefrühstück, das ihnen mit der
Schlundsonde beigebracht und nach l 1 /* Stunde ausgehebert wurde. Im
Gegensatz zu Cloetta fand B. bei seinen Tieren freie Salzsäure. Wenn
er aber nach Einführung des Probefrühstücks die Tiere ängstigte, batten
sie keine freie Salzsäure, und der Magen enthielt grosse Flüssigkeits¬
mengen. Durch diesen Vorsuch ist jedenfalls der Einfluss der Psyche
auf die Magensaftsekretion erwiesen. Zwar sind an Fistelhunden ähn-
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
653
liehe Versuche gemacht worden, doch können dieselben nicht als ganz
normale Tiere angesehen werden, während B unter möglichst natürlichen
Verhältnissen arbeitete. Er glaubt, dass viele Atonien beim Menschen
psychischer Aetiologie sind und daher nicht mit Medikamenten und
diätetisch, sondern psyohisch behandelt werden müssen.
Diskussion: Hr. Fuld weist auf die Versuche von Schepelmann
hin, der Gänse teils mit Körnerkost, teils mit Fleischkost gefüttert hat.
Erstere regt in viel höherem Maasse die Magentätigkeit an und kräftigt
die Magenmuskulatur.
2. Hr. Ranteaberg: Vorhofspals and Veneapals.
R. berichtet über seine seit Jahren fortgesetzten Versuche, die Tätig¬
keit des linken Vorhofes durch einen in den Oesophagus eingeführten
Ballon, der die Pulsation nach aussen fortleitet, zu registrieren. An der
Hand zahlreicher Kurven bespricht und demonstriert er die Vorhofspulse
normaler und kranker Mensohen. Durch diese Untersuchungen sind
manche Fragen gelöst, die vorher unlösbar erschienen. Es gibt aber
noch viele theoretische Streitpunkte, die weiterhin mit dieser Methodik
studiert werden müssen. Festgestellt ist durch seine Untersuchungen,
dass die Hauptwellen und Senkungen des Vorhofspulses am Veneopuls
sichtbar und registrierbar sind. Doch muss man bei der Deutung des
Venenpulses grosse Vorsicht beachten. Er geht dann auf den Ohm¬
schen Vortrag ein. Die Methode von Ohm ist ausgezeichnet, doch sind
Herrn 0. einige Fehler unterlaufen.
Diskussion: HHr. Bönniger, Rehfisch, Lilienstein.
Schlusswort: HHr. Ohm und Rautenberg. H. Hirschfeld.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Minkowski.
Schriftführer: Herr Rosenfeld.
Hr. Klaatsch:
Die Einwirkung der aufrechten Körperhaitang and ihre Folgen für
den menschlichen Organismus.
Der Vortr. fasst die Ergebnisse seiner bis auf ein Jahrzehnt zurück¬
reichenden Forschungen über das Gebiet zusammen, besonders mit Rück¬
sicht auf die neueren Arbeiten von klinischer Seite (Klapp-Berlin,
Hasebrock-Hamburg), die bereits praktische Konsequenzen aus den
neuen Anschauungen gezogen haben. Obwohl zum Teil an die Arbeiten
des Redners sich anlehnend, haben sie doch in manchen Punkten
den Sachverhalt unrichtig aufgefasst. So geht Klapp von der Vor¬
stellung aus, dass eine horizontale Rückstellung der aufrechten Haltung
unmittelbar vorangegangen sei, und lässt daher seine Patienten eine
solche einnebmen. Nach den Untersuchungen des Redners ist diese Vor¬
aussetzung unzutreffend, denn die vergleichenden Untersuchungen über die
Gliedmaassen des Menschen, der anderen Primaten und der Säugetiere
im ganzen zeigen, dass eine halbaufrechte Kletterhaltung den Vorfahren¬
zustand der Hominiden darstellt. Greiforgane an beiden Extremitäten¬
paaren — ein quadrumaner Zustand ist das Ursprüngliche. Schon die
ältesten Spuren — Abdrücke von Hand und Fuss von Landwirbeltieren
(Tambacher Fährten aus dem Perm, Cleirotherien der Trias) — zeigen
dies Verhalten, von dem aus erst der quadrupede Zustand der meisten
Säugetiere unter Rückbildung von Fingern und Zehen entstanden ist.
Bezüglich der ganzen Literatur des Problems uüd der Lehre des
Vortragenden über die Heranbildung der ganz aufrechten Körperhaltung
des Menschen sei auf dessen zusammenfassende Darstellung in Abder-
balden’s Fortschritten der naturwissenschaftlichen Forschung 1 ) verwiesen.
Der Hauptpunkt der Ergebnisse des Vortragenden ist gegeben durch seinen
neuen Erklärungsversuch der Eigentümlichkeiten des Menschenfusses.-
Während man früher geneigt war, den Stützfuss als einen Folgezustand
des aufrechten Ganges zu betrachten, bat Redner naebgewiesen, dass
bei der ursprünglichen kletternden Lebensweise der Menschen Vorfahren
ein bestimmter Faktor vorhanden gewesen sein muss, der die Umwand¬
lung des hinteren Greiffusses in den Gangfuss veranlasst hat. Dieser
Faktor muss den inneren Fussrand betreffen und den Verlust der
Oppositionsfähigkeit der Haltung bei gleichzeitiger Vergrösserung des¬
selben bewirkt haben.
Redner findet dieses umwandelnde Moment in der eigentüm¬
lichen Kletterweise der primitiven Menschheit, wobei der Fuss als Ganzes
zum Abrollen beim Ersteigen von Baumstämmen benutzt wird, die teils
mit natürlichen Kerben, teils mit künstlichen Einschnitten versehen
sind. Die Verschiedenheiten des Kletterns beim Menschen und Menschen¬
affen — die sekundäre Verlängerung der Arme bei letzterem, die dem
Menschen niemals eigen war — wird von dem Vortr. durch zahlreiche
Lichtbilder erläutert, ebenso das Klettern der Australier an glatten
hohen Baumstämmen. Der Mensch besitzt eine gymnastische Fähigkeit
von solcher Mannigfaltigkeit, wie kein anderes Wesen. Diese ist dank
des Kletterns an einzelstehenden Bäumen entstanden, ebenso die spe¬
zifisch menschliche Ausprägung der Schulter- und Ghitäalmuskulatur,
1) Klaatsch, Die Entstehung und Erwerbung der Menschenmerk¬
male. 2. Teil. Der'Menschen fuss und der aufrechte Gang. Abderhalden’s
Fortschritte, 1912, S. 210-268.
die nur durch Klettermechanismen verständlich wird. Diese Umwand¬
lungen haben in ihrer vererbten Wirkung die aufrechte Haltung auf
ebener Erde erleichtert und so den aufrechten Gang ermöglicht.
Die niederen Menschentypen haben in ihrem Skelett noch eine Fülle
von Restzuständen, die auf die ehemalige Kletterhaltung hinweisen. Erst
allmählich haben sich die sekundären Anpassungen an die neue Körper¬
haltung eingestellt, die wir besonders bei Europäern ausgeprägt sehen.
Am Skelett ist es besonders die Umformung der unteren Extremität,
die sich deutlich verfolgen lässt, selbst individuell in den verschiedenen
Altersstufen. Das Europäerkind vor der Pubertät wiederholt noch die
alten Zustände des Unterschenkelskeletts. An der Wirbelsäule lässt
sich die Anpassung an die aufrechte Haltung deutlich nachweisen. Das
Volumen der Wirbel im ganzen ist bei den Europäern relativ grösser
als bei Australiern, besonders aber hat die Lendenwirbelsäule sich ver¬
stärkt, womit erst die Abknickung gegen das Sacrum in Form des Pro¬
montoriums sich ausprägte.
Die Wirkungen der Erwerbung sind überwiegend günstig gewesen,
besonders die Möglichkeit der Balancierung des Kopfes hat für die Fort¬
entwicklung des Menschenhirns neue Bahnen eröffnet. Andererseits aber
lässt sich nicht verkennen, dass der neue Modus, durch den der Mensch
sich über das Tierreich erhebt, auch schwere Opfer gekostet hat.
Die Anpassung der unteren Extremität an eine übertriebene Streck¬
steilung bat erst die Disposition zu Hernien bedingt. Der Locus mi-
noris resistentiae, der durch den Hoden-Desensus schon in früheren
Perioden der tierischen Vorgeschichte des Menschen entstanden war, ist
durch die aufrechte Haltung aufs neue verhängnisvoll geworden. Die
Veränderung der Fascienbedeckung des Oberschenkels Hess die Mög¬
lichkeit der Schenkelbrüche hervorgehen. Die bedeutenden Umwand¬
lungen der Circulationsverhältnisse in der Beckenregion und am Bein
wurde Anlass zu krankhaften Störungen mannigfacher Art, wie der
Varicen.
Der Naturmensch ist von diesen Schädigungen noch nicht betroffen,
da er in einem niederen Zustand verharrt, und da seine überaus straffen
Gewebe noch nicht jene Ermüdung und Erschlaffung der Stützsubstanzen
zeigen, auf die Bier bei Europäern mit Recht hingewiesen hat.
Hr. 0. Förster:
Phylogenetische Gesichtspunkte bei Erklärung der spastischen
Lähmungen.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Die Diskussion wird vertagt.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin.
Sitzung vom 4. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Haeekel.
Schriftführer: Herr Buss.
Hr. Gehrke: Io der Zeit vom 1. Januar bis zum 1. Februar d. J.
(1. bis 5. Jahreswoche) sind in Stettin sanitätspolizeilich gemeldet worden:
150 (175) Fälle von übertragbaren Krankheiten, und zwar:
G.-A. 1 )
Polizei-Präs. 2 )
1918
1913
1912 |
44
51
119
Fälle von Diphtherie,
71
92
53
„ „ Scharlach,
1
2
2
; „ „ Typhus,
5
1 5
l _
„ „ Rindbettfieber,
—
i ~
! i
1 „ „ Kinderlähmung,
28
39
| 35
1 Todesfälle an Tuberkulose.
Hr. Krösing: a) Demonstration einer Mycosis fangoides d’emblee
bei einem erst seit November 1912 daran erkrankten Manne; der Fall
ist durch eino akute Ueberschüttung der gesamten Bauchdecke mit un¬
zähligen Tumoren ausgezeichnet, von Linsen- bis Pflaumengrösse, zum
Teil unter der Haut verschieblich, zum Teil mit ihr verwachsen und in
diesem Falle die Haut im Bereich des Tumors braunrot verfärbt, während
dieselbe über den verschieblichen Tumoren ein unverändertes Aus¬
sehen hat.
Centrale Erweichung verschiedensten Grades bei zahlreichen Tumoren
bis zum Durchbruch und zur Geschwürsbildung zu verfolgen. Besonders
bemerkenswert ist ein gleichartiger infiltrativer Prozess in den Neben¬
hoden, die knollig verdickt zu fühlen sind.
Sonstige innere Metastasen sind nicht nachweisbar, kein Milztumor,'
keine lymphatischen Drüsenschwellungen. Patient fühlt sich elend und
sieht elend und anämisch aus, organische Erkrankungen sind aber nicht
vorhanden. Auf beiden Augen besteht Neuroretinitis. Ob dieselbe eine
Teilerscheinung der Mycosis ist, ist ophthalmoskopisch nicht zu ent¬
scheiden.
Die Erscheinungen der pr^mycotischen Vorstadien sind nicht vor¬
handen, daher der Fall als Mybosis fungoides d’emblöe zu registrieren.
1) Ermittelt im Gesundheitsamt auf Grund der einzelnen, abschrift¬
lich mitgeteilten Anzeigen.
Zusammengestellt auf Grund der Wochennachweise des König¬
lichen Polizeipräsidiums.
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G54
Nr. 14.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Diskussion.
Hr. 0. Meyer: Die histologische Untersuchung der mir übersandten
Knötchen des von Krösing demonstrierten Falles hat ergeben, dass es
sich um Granulationsgewebe handelt, in dem relativ zahlreiche eosino¬
phile Leukocyten, dagegen sehr spärlich Lymphocyten und Plasmazellen
vorhanden sind. Die Leukocyten liegen besonders in der Nachbarschaft
von nekrotischen Herden, die ziemlich ausgedehnt sind. Das Grauulations-
gewebe reicht bis in die Epithelschicht hinein.
Die von mir vorgenommene Blutuntersuchung ergab nur einen
geringen Grad von Anämie, im übrigen vollkommen normas Blutbild.
Es kommt demnach nur ein infektiöser, mit Bildung von Granu¬
lationsgeschwülsten einhergehender Prozess in Frage. Trotz der wenig
charakteristischen histologischen Veränderungen wird man wohl nicht
fehlgehen, wenn man die vorliegende Erkrankung zu der Mycosis
fungoides rechnet. Man hat in neuerer Zeit die Ansicht geäussert,
dass die Mycosis fungoides dem malignen Granulom zuzurechnen sei.
Ich habe infolgedessen sehr intensiv nach Tuberkelbacillen und Much¬
seben Granula gefahndet, auch mit Hilfe des Antiforminverfahrens, jedoch
mit negativem Resultat. Auch in dem ersten, in der letzten Sitzung
von Herrn Krösing demonstrierten Falle ist diese Untersuchung negativ
ausgefallen. Auch in diesem Falle bot übrigens das histologische Bild
keinen Anhaltspunkt für malignes Granulom. Ich möchte mich deshalb
der Ansicht von Arndt anschliessen, dass die bisherigen Befunde uns
nicht berechtigen, in der Mycosis fungoides ein besonders lokali¬
siertes malignes Granulom zu sehen.
Hr. Krösing: b) Tnberoserpiqoinöses nlceröses Syphilid von grosser
Ausdehnung auf dem Rumpf bei einem noch nicht an Lues behandelten,
übrigens sich durchaus gesund fühlenden, kräftigen Manne; ein Beweis,
dass die tertiäre Lues eine durchaus benigne Form der Lues sein kann,
wenn nicht lebenswichtige Organe ergriffen sind.
Hr. Liehtenaner: Ueber chirurgisch* Epilepsiebehandlung.
Der Patient, den ich Ihnen hier vorstelle, wurde im Dezember 1910
durch einen Kugelsohuss in den Schädel verletzt. Einschuss in der
licken Schläfengegend, Ausschuss nicht vorhanden. Nach anfänglich
schweren Erscheinungen, derentwegen er im hiesigen städtischen Kranken¬
hause behandelt wurde, trat Heilung ein, doch blieb eine kleine ab¬
sondernde Fistel an der Einschussöffnung zurück. Im Jahre 1911 war
er in Amerika. Nach seiner Rückkehr von dort trat elf Monate nach
der Verletzung der erste epileptische Anfall auf. Die Anfälle wieder¬
holten sich zunächst alle 14 Tage, später häufiger. Auch nahm die
Schwere derselben allmählich zu. Am 11. Oktober 1912 sah ich den
Patienten zum erstenmal. In der linken Schläfengegend fand sich eine
kleine eiternde Fistel, sonst war nichts Krankhaftes an dem Patienten
festzustellen. Ueber die Art des Anfalls war wenig Positives zu erfahren.
Jedenfalls war nicht festzustellen, dass der Anfall an irgendeiner Stelle
des Körpers seinen Anfang nahm. Ich machte zunächst eine Röntgen¬
aufnahme des Schädels von vom nach hinten, um festzustellen, auf
welcher Kopfseite die Kugel zu suchen sei, da man darüber im Zweifel
sein konnte, ob der Anfall durch die Eiterung an der Einschussöffnung
oder von dem im Gehirn steckenden Projektil seinen Ausgang nahm.
Die Aufnahme ergab, dass die Kugel an der rechten Schädelseite sass,
also weit entfernt vom Einschuss.
Ich entschloss mich nun, zunächst den Versuch zu machen, durch
Ausschaltung des Reizes am Einschuss die Anfälle zu beeinflussen, da
ich mir sagte, dass es unter allen Umständen angebracht sei, die nun¬
mehr seit über einem Jahr eiternde Fistel zur Heilung zu bringen. Am
16. Oktober Operation in Narkose. Nach FreileguDg der Knocbenlücke
fand ich eine Randnekrose des Knochens, darunter festes Narbengewebe.
Hirnpulsation an dieser Stelle nicht vorhanden. Ich schnitt etwas von
dem Narbengewebe fort; da ich sonst hier nichts fand, tamponierte ich
die Wunde. Der Verlauf war reaktionslos. Da kein Anfall auftrat,
wollte ich den Patienten bereits zunächst entlassen, als plötzlich in der
Nacht vom 26. zum 27. Oktober ein schwerer epileptischer Anfall ein¬
trat, der bis zum nächsten Mittag dauerte und einen direkt beängstigen¬
den Eindruck machte. Im Vordergründe standen schwere Atmungs¬
störungen, die sogar einen letalen Ausgang befürchten liessen. Ein Aus¬
gangspunkt wurde auch diesmal nicht beobachtet.
Ich entschloss mich nunmehr, da man annehmen musste, dass doch
das im Gehirn steckende Projektil diese Anfälle ausgelöst habe, die
Herausnahme desselben vorzunehmen. Nach nochmaliger Röntgen¬
aufnahme, bei der ich mir die Lokalisation am Schädel möglichst weit
vornahm,S legte ich mir die Dura durch einen Wagnerischen Lappen an
dem mutmaasslichen Sitz der Kugel frei. Ich fand an der Dura nichts.
Da ich nun nicht in das Gehirn eingehen wollte, ohne die Kugel noch
einmal unter dem gebildeten Knochen lappen genau lokalisiert zu haben,
entschloss ich mich, zweizeitig vorzugehen. Ich klappte also den Lappen
in seine Lage zurück und nähte die Weichteile vollkommen zu. Nach¬
dem der Patient sich von dem Eingriff erholt hatte, machte ich noch
einmal je eine Röntgenaufnahme im frontalen und sagittalen Durch¬
messer und konnte mir nun genau unter meinem ‘Lappen die Kugel
lokalisieren. (
Am 8. November, also acht Tage nach dem ersten Eingriff, öffnete
ich die per primara geheilte Wunde wieder und öffnete nun am vorderen
Rande des Lappens die Dura. Hier fand ich die Kugel in der Gehirn¬
substanz sitzend und konnte sie ohne Schwierigkeiten extrahieren. Ich
vernähte die Dura vollkommen, ebenso den Weichteil-Knochenlappen bis
auf kleine Drainagestelle.
Der Eingriff wurde vorzüglich ertragen. Am Tage nach der Ope¬
ration stand der Patient in einem unbewachten Augenblicke aus dem
Bett auf und fiel mit dem Kopf gegen den Nachttisch. Es entstand
eine ziemlich reichliche Blutung aus der Wunde. Doch' auch diesen
Insult hat der Patient anstandslos vertragen. Die Wunde heilte wieder
per primam.
Auch die Wunde an der linken Kopfseite heilte, nachdem ich noch
einmal unter Lokalanästhesie einige kleine Sequester extrahiert hatte.
Ein Anfall zeigte sich nicht wieder, so dass ich den Patienten für voll¬
kommen geheilt hielt und Ihnen den Fall zu demonstrieren mich ent¬
schloss.
Am 20. Januar hatte ich das Thema bei dem Herrn Vorsitzenden
angemeldet, am 21. Januar wurde mir mitgeteilt, dass wieder ein leichter
Anfall aufgetreten sei. Am nächsten Tage wieder zwei kleine Anfälle.
Seitdem kein Anfall.
Soweit die Krankengeschichte.
Der Vortragende bespricht nun im Anschluss an diesen Fall die
einzelnen Formen der Epilepsie und die Indikationen sowie die Art des
chirurgischen Eingriffes.
Diskussion. Hr. Jod icke wendet sich gegen die bisher übliche
chirurgische Methode der Ventilbildung und Exzision des krampfenden
Centrums bei genuiner Epilepsie, da sich diese bei dem Mangel an
groborganischen Veränderungen des Centralnervensystems auf Hypothesen
aufbaue, die mit dem Wesen nichts zu tun haben.
Hr. Oskar Meyer:
Die Hypophyse im Lichte der moderaea anatomischen, physiologischen
und klinischen Forschung.
Vortr. bespricht ausführlich die inneren Untersuchungen über die
Histologie der Hypophyse und erörtert insbesondere die Veränderungen,
bei der Schwangerschaftshypophyse. Sodann geht er auf die Befunde
ein, die bei Akromegalie und bei der Dystrophia adiposo-genitalis erhoben
sind. Auf Grund dieser Befunde steht es fest, dass bei der Akromegalie
stets Hyperplasien der chroraophilen Zellelemente, und zwar meist der
eosinophilen Zellen bzw. Tumoren, die von diesen Zellelementen ihren
Ausgang genommen haben (Adenome und Carcinome) gefunden werden
(Bender - Fischer). Darauf gründet sioh die Theorie des Hyper¬
pituitarismus für die Akromegalie. Für die Dystrophia adiposo-genitalis
dagegen ist entweder eine Schädigung des Hinterlappens der Hypophyse
(B. Fischer) oder eines Punktes an der Hirnbasis in der Nähe des In-
fundibulums (Erdheim) als Ursache anzusehen.
Daraus geht hervor, dass Tumoren von ganz differentem Bau und
verschiedenstem Ausgangsferment die Dystrophia adiposo-genitalis ver¬
ursachen können, auch starker Hydrocephalus kann als Ursache in Be¬
tracht kommen.
Daraus ergibt sich, wie von Pick mit Recht hervorgehoben wird,
eine grössere Schwierigkeit in der Diagnostik bei reinen Fällen von
Dystrophia adiposo-genitalis und auch eine ungünstigere Prognose hin¬
sichtlich des operativen Effekts. Am günstigsten für operative Ein¬
griffe stellen sich dagegen die Fälle von reiner Akromegalie ohne
Adipositas,
Vortr. erörtert ausserdem die merkwürdige Thatsache, dass die
pharmakologisch wirksame Substanz der Hypophyse aus dem Hinterlappen
derselben gewonnen wird, der histologisch einen ganz primitiven Bau
und eigentlich gar keine Zellen aufweist, denen eine sekretorische
Funktion zugeschrieben werden kann. Eine befriedigende Erklärung
dieser Tatsache ist bisher nicht zu geben.
Zum Schluss werden mehrere anatomische Präparate demon¬
striert, u. a.:
1. Ein Präparat von Hypophysenadenom ohne granulierte Zellele¬
mente bei einem 19 jährigen Mädchen, das nie menstruiert hatte und
einen vollständig infantilen Uterus und infantile Ovarien aufwies neben
einer kongenitalen Scheidenharnröhrenfistel. Daneben bestand ein mässger
Grad von Adipositas. Hinterlappen und Infundibulargegend war durch
Operation zerstört, so dass über das Verhalten des Tumors zu diesen
Teilen nichts Bestimmtes zu ermitteln war.
2. Präparate eiues Sarkoms, das die Hyphophyse vollkommen zer¬
stört hat, einschliesslich Hinterlappen und Infundibularteil, mit Me¬
tastasen in der Brücke und dem Tentorium.
Histologisch handelt es sich um ein kleinzelliges Sarkom mit in¬
differenzierten Zellelementen, über deren Abstammung kein sicheres
Urteil möglich ist. Nach dem makroskopischen Befund muss aber auch
hier die Hypophyse als Ausgangspunkt angenommen worden. Hypo-
pbysenreste waren auch mikroskopisch nicht nachzuweisen. Die Prä¬
parate stammen von einer 48jährigen Frau, die weder Akromegalie-
noch Adipositassymptome gezeigt hatte.
Ausserdem wird noch ein Patient, ein 17jähriger Junge, mit typischen
Akromegaliezeiche,p, ohne Hirnsymptome und ohne röntgenologisch
nachweisbaren Hypophysentumor demonstriert.
Diskussion.
Hr. Jödicke teilt seine Versuche über innersekretorische Stoff¬
wechselstörungen bei Akromegalie mit, nach denen er Beziehungen zwischen
Hypophysis und Pankreas feststellen konnte. Fänden sich neben den
akromeganischen Körperveränderungen, * Erweiterung der Sella turcica
durch eine im Röntgenbilde nachweisbare Geschwulst, Diabetes oder
alimentäre Glykosurie, könne auf einen proliferierenden, entwicklungs¬
fähigen Tumor geschlossen werden, dessen operative Entfernung anzu-
raten sei. Erscheine unter denselben Bedingungen keine Dextrose im
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UNIVERSITY OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Urin, so sei der Schlusssatz auf Degeneration der Geschwulst berechtigt,
eine Operation wahrscheinlich zwecklos.
Hr. Richter weist hin auf die neuerdings versuchte Behandlung
der (nicht Gravidität»-) Amenorrhoe mit Hypophysenpräparaten und den
interessanten Zusammenhang der innersekretorischen Drüsen auch hin¬
sichtlich der Beeinflussung genitaler Funktionen.
Hr. Adler berichtet über die vorzüglichen Erfolge der rein endo-
nasalen Hypophysenoperationen des Herrn Hirsch in Wieu. Er hebt
besonders hervor, dass es für einen Erfolg nicht auf möglichst radikale
Entfernung alles Kranken ankomme; es genüge schon die Fortnahme
einer massigen Menge Geschwulstmasse bei Vermeidung jeglicher Neben¬
verletzung, um eine Besserung zu erzielen, wenn solche überhaupt
möglich.
Hr. 0. Meyer (Schlusswort): Herrn Adler bestätige ich, dass die
Hypophysentumoren, insbesondere bei Akromegalie, fast stets gutartigen
Charakter haben, insbesondere meist sehr langsam wachsen, selbst wenn
sie histologisch als typische Carcinome sich darstellen. Ich stelle ferner
fest, dass fast sämtliche Autoren sich darüber einig sind, dass von einer
Radikaloperation bei Hypophysentumoren nicht die Rede sein kann.
Auch die bisher mit Erfolg operierten Fälle sind nicht radikal operiert.
Die günstigen operativen Erfolge trotz ungenügender Exstirpation des
Tumors finden ihre Erklärung eben durch den gutartigen Charakter
der Tumoren. Es muss sogar betont werden, dass für den operativen
Erfolg eine Schonung des Hinterlappens und der Infundibulargegend
nach Fischer Vorbedingung ist.
Auf die Beziehungen der Hypophyse zu der Schilddrüse, den Neben¬
nieren und dem Pankreas konnte ich bei der Kürze der Zeit nicht ein-
gehen. Die Indikation zur Operation von dem Vorhandensein oder
Fehlen vou Glykosurie bei Akromegalie abhängig zu machen, wie Herr
Jödicke vorschlägt, ist weder durch unsere bisherigen theoretischen
Kenntnisse über die Hypophysenveränderungen bei Akromegalie noch
durch die praktische, klinische und operative Erfahrung auf diesem Ge¬
biet begründet.
Herrn Richter erwidere ich, dass man zwischen Vorderlappen
und Hinterlappen der Hypophyse unterscheiden muss. Das Pituitrin
wird gewonnen aus dem Hinterlappen. Seine therapeutische Wirkung
hat mit der Theorie des Hyperpituitarismus bei Akromegalie nichts
zu tun.
Hr. Maass zeigt als Abnormität ein Präparat von übermässiger Hyper*
keratosis der Fussnägel, die er operativ hat entfernen müssen.
Aerztlicher Verein za Hamburg«
(Biologische Abteilung )
Sitzung vom 18. Februar 1913.
1. Hr. Hegler: Bemerkungen zur diabetisehen Lipftmie.
Bei einem 22jährigen Manne mit Xanthoma diabeticum ergaben sich
am 30. IV. 1912 bzw. am 10.1. 1913 (im Stadium schwerer Acidosis und
Coma diabeticum) folgende Werte: Blutzucker 0,3 bzw. 0,62 pCt., Ge¬
samtfett des Blutes 1,33 bzw. 20pCt., Cholesteringehalt des Blutes 0,27
bzw. 1,06 pCt. Der Gesamtfettgehalt des Serums am 10.1. 1913
betrug 38 pCt.! ln den letzten Tagen vor dem Tode wurden bei einer
Diurese von 12 bis 16 1 pro die je 780 bzw. 870 g Dextrose im Urin
ausgeschieden. Am Augenhintergrund exquisite lipämische Veränderungen.
Bei der Sektion fand sich ein Tumor der Hypophyse, womit ein in den
letzten Monaten aufgetretenes Plumpwerden der Füsse und Hände sowie
des Unterkiefers in Beziehung gebracht werden kann. Die Lipämie ist
entschieden selten: unter 180 Fällen von Diabetes in den Jahren 1910
bis 1912 (wovon 69 starben und 47 obduziert wurden) fanden sich nur
zwei Fälle.
2. Hr. E. Frankel:
Demonstrationen znr diabetisehen Lipämie. (Organe und Photographien
von Schnitten.)
Vortr. bestätigt die Seltenheit der diabetischen Lipämie auf Grund
seines Sektionsmaterials und erläutert an Hand von Lumiere-Bildem das
makroskopische und mikroskopische Verhalten der verschiedenen Organe,
speziell der Netzhaut und der Nieren.
3. Hr. Schnmm demonstriert die aus dem Serum des von Herrn
Hegler besprochenen Falles gewonnenen grossen Fettmengen. Nicht
alle derartigen Fälle sind als Lipoidämie aufzufassen, bei vielen liegt
eine tatsächliche Vermehrung des Rohfettes bei nur wenig erhöhtem
Gebalt des Serums an Cholesterin vor.
Diskussion zum Vortrag des Herrn v. Bergmann: Experimentelles
Uber Darmbewegung.
Hr. Sehmilinsky hat mehrfach bei Röntgenuntersuchungen Anti¬
peristaltik beobachtet; nach Darmresektionen können antiperistaltische
Bewegungen gelegentlich recht unangenehme Komplikationen auslöseu.
Hr. Moeller bespricht ebenfalls die Frage der Antiperistaltik und
empfiehlt für die Analyse der einzelnen Bewegungen in erster Linie die
Methodik nach Magnus-Levy-
Hr. Hegler empfiehlt bei Fällen von Ascites nach Abblassen des¬
selben und teilweisem Ersatz durch Luft die Laparoskopie nach
Jacobaeus als einfache Methode, um sich über die Darmbewegungen
zu orientiere». - •
Hr. v. Bergmann (Schlusswort).
655
Hr. Allard: Zur Diagnose des Ulcus duodeni.
Hinweis auf die sehr differenten Angaben betreffs Häufigkeit des
Ulcus duodeni. Von den subjektiven Symptomen ist das wichtigste der
Schmerz, als „Hunger“- und „Nachtschmerz“ oftmals charakteristisch
auftretend, oft periodisch exacerbierend. Das Erbrechen soll beim Ulcus
duodeni im ganzen seltener sein als beim Ulcus ventriculi; der Druck¬
schmerz strahlt nicht nach dem Rücken hin aus; während der Schmerz¬
anfälle häufig intermittierende motorische Insuffizienz des Magens durch
Pylorospasmns. Wichtig ist der Nachweis von Blut im Stuhl als Aus¬
druck okkulter Blutungen. Verlässlicher als die Einborn’sche Faden¬
probe erwies sieb die Verwendung des Oelprobefrühstücks mit chemischem
Nachweis von Blut im Duodenalsaft. Beurteilung des Röntgenbildes oft
schwierig, wichtig kann ein konstanter, druckempfindlicher Duodenal¬
schatten sein; Nachweis von motorischer Insuffizienz, eventuell auch
vermehrte Antrumperistaltik. Die Diagnose soll stets nur aus dem Zu¬
sammentreffen mehrerer Symptome gestellt werden, letzten Endes hat
die Probelaparotomie zu entscheiden.
Sitzung vom 25. Februar 1913.
Demonstrationen.
1. Hr. Lippmann: Junger Mann mit hochgradigem Morbus ceeruleus
infolge kongenitaler Pulmonalstenose: systolisches Geräusch über Pulmo-
nalis, negative J-Zacke im Elektrocardiogramm; Polycythämie von
12 Millionen bei 130pCt. Hämoglobin; Umlaufszeit des Blutes (nach
Bornstein bestimmt) nicht verlängert. Starke Trommelschlegelfinger.
2. Hr. Saenger: a) 27 jähriger Mann mit Cysticerkenepilepsie.
Seit 1905 Schwindelanfälle; Brom ohne Erfolg. In der Haut verschiedene
erbsengrosse Knoten, die sich bei histologischer Untersuchung als Cysti¬
cercusblasen herausstellten. Mit Sedobrol wesentliche subjektive
Besserung.
b) 54 jähriger Mann mit Polyeythämia megalosplenica: 9,1 Millionen
Erythrocyten, 105 pCt. Hämoglobin. Blutdruck 150 mm. Augenhinter¬
grund dunkel cyanotisch, Venen erweitert.
c) 53 jähriger Tabiker mit hochgradiger Verkalkung der Unter¬
sehenkelarterien (Röntgenbilder) ohne intermittierendes Hinken.
8. Hr. Brauer: Photographien und Gewichtskurven einer sehr fett¬
leibigen Patientin, welche in nicht ganz li/ 2 Jahren von 170 auf 72 kg
an Gewicht abnahm! Es wurde anfangs strenge Carellkur, später
eine stark reduzierte Kost von niemals über 1900 Calorien pro die
durobgeführt. Glänzender Erfolg, insbesondere auch bezüglich der
Leistungsfähigkeit.
4. Hr. Allard zeigt den Fettstuhl eines Falles von chronischer
Pancreatitis und bespricht die verschiedenen diagnostischen Methoden
bei dieser Erkrankung.
5. Hr. Simmonds zeigt Geschwülste der Carotisdrüse, die unter
Umständen zu mächtigen, schwer exstirpierbaren Tumoren heran wuchern
können.
6. Hr. Meldola berichtet über sehr güte Erfolge mit Luminal bei
zwei äusserst schweren Fällen von Epilepsie.
Hr. Jacobsthal:
Ueber die praktische Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion.
Durch die Wassermann’sche Reaktion werden nicht Antikörper nach¬
gewiesen, sie ist (ebensowenig wie die Agglutination bei Typhus, Para¬
typhus usw.) auch nicht spezifisch, wohl aber charakteristisch.
Nach den Ergebnissen der neuesten Untersuchungen gewinnt die von
Weil und Braun aufgestellte, von Gennerich erweiterte Hypothese
an Wahrscheinlichkeit, dass bei der Wassermann’schen Reaktion in vitro
Fermente nachgewiesen werden, die unter dem Einfluss eines Zellzerfalls
entstehen. Als besonders wichtig werden die Gennerich’schen Beob¬
achtungen hervorgehoben. In letzter Zeit macht sich mit Recht das
Bestreben geltend, unter Wahrung der Spezifität der Reaktion dieselbe
zu verfeinern. Notwendig ist eine richtige Absteckung der Grenzen der
Reaktion; empfehlenswert ist die ungefähre Bezeichnung des Resultats
als +, ++, H—|—b bzw. + und —. Negativer Ausfall der Wasser¬
mann’schen Reaktion kann bedingt sein durch Fehlen von Syphilis,
Heilung von Syphilis, mangelnde Ausbildung des Reaktionskörpers und
endlioh durch Fehlen des Reaktionskörpers bei vorhandener Möglichkeit,
ihn durch provokatorische Behandlung zu erzeugen.
Im zweiten Teil seines Vortrages geht J. auf die Bedeutung der
Wassermanu’schen Reaktion für die einzelnen Disziplinen der Medizin
ein und bespricht ihre Verwendung als Anhaltspunkt für das thera¬
peutische Handeln, für die Frage des Ehekonsens, für Ammenuntersuchung,
Prostituiertenüberwachung, Lebensversicherung, Diagnostik von Nerven-,
Gefäss- und Nierenkrankheiten. Zum Schluss wird die Frage einer ein¬
heitlichen Standardmethode erörtert, neben welcher für bestimmte
Zwecke noch besondere, verfeinerte Methoden Verwendung finden können.
C. Hegler.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
Sitzung vom 13. Februar 1913.
Hr. Kehrer stellt einen Fall vor, der als eine Kombination von
Seelentaubheit für Gerftnsehe mit sieh rückbildender sensorischer
Aphasie aufzufassen wäre 1 ).
1) Der Fall wird in extenso an anderer Stelle veröffentlicht.
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UNIVERSITY OF IOWA
656
BERLIN KR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Es handelte sich um einen 67 Jahre alten Mann, der vor 7 Jahren
wegen einer arteriosklerotischen Erregung klinisch vorübergehend be¬
handelt wurde und im November 1912, bis zu welchem Zeitpunkt er
sich wieder völlig ruhig und geordnet hielt, seiner Frau gegenüber unter
wachsender Erregung klagte, dass er durch Geräusche aus den Telephon¬
drähten über seinem Hause belästigt werde. Diese isolierten akustischen
Halluzinationen führten zu Beeinträchtigungsideen und wachsender Er¬
regung, die erneute Klinikaufnahme notwendig machte. Er wurde dann
allmählich wieder ruhiger, bis eines Mittags ohne jede Insulterscheinungen
eine Totalaphasie sich feststellen liess. Bei tadellosem Gestenverständnis
und Ausdrucksvermögen war er akustisch völlig unerweckbar und konnte,
auch im Affekt, nur die Worte „Vater“ und „Frau“ herausbringen.
Während in der Folge ganz allmählich das Laut- und Sinnverständnis
für lautlich besonders prägnante Worte und kongruent damit die
Spontansprache im Sinne reiner Literalparaphasie sich wiederherstellte
und auch von spezialistischer Seite bei negativem äusseren Befund am
Ohr eine annähernd intakte Tonreihe festgestellt wurde, blieb von An¬
fang an eine totale, vor dem Eintreten der Aphasie nicht vorhandene
Unerweckbarkeit für Geräusche und musikalische Klänge bestehen, die
besonders gegen die lebhafte Erweckbarkeit für alles Nichtakustische
kontrastierte. Vortr. deduziert, dass es sich um eine Ausschaltung
beider Schläfenlappen mit relativer Funktionsfähigkeit der Wernicke’schen
Zone handelt, eine Annahme, die auch besonders geeignet sei, die an¬
fangs bis auf „Wortreste“ vorhandene Wortstummheit zu erklären.
Interessant war besonders, wie sich unter ärztlicher Beobachtung
aus dem Reizzustand der centralen Sinnesflächen, der in den isolierten
Akoasmen zum Ausdruck kam, der Lähmungszustand entwickelte: die
temporale Wortstummheit und Worttaubheit. Der Fall nimmt dadurch
auch gegenüber ähnlichen Beobachtungen von Anton, Bonvicini,
Fick, Serieux et Mignot eine Sonderstellung ein. Ob die Aus¬
schaltung auch des rechten Schläfenlappens auf einen zweiten Herd oder
etwa auf Wirkung der Diaschise zurückzuführen ist, wird offengelassen.
Vortr. erörtert noch kurz die Literalparaphasie, die in diesem Falle nur
die affektbetonten Worte in kleinen Würmchen und Floskeln ver¬
schonte, dagegen schon einfache Worte betraf, die er unmittelbar vor-
oder nachher nach ihrem Sinn verstanden hatte. Dass derselbe Laut¬
komplex durch den eindeutigsten Reiz, das Hören aus fremdem Mund,
noch korrekt erweckbar ist, nicht aber beim normalerweise schon auto¬
matisierten gleichzeitigen inneren Anklingen oder bei der später
kommenden Selbstwabrnehmung des Eigengesprochenen scheint Vortr.
ein wesentlicher Punkt in der Erklärung der am glücklichsten von
Go Idstein als „Störung der Successivassociation der Buchstaben zum
Wort“ umschriebenen Paraphasie zu sein.
Hr. Kahn:
Ueber physiologische, chemische und biologische Eigenschaften des
Thorinm X.
Vortr. bespricht zunäohst die wesentlichsten physikalischen Eigen¬
schaften des Thorium X und hebt besonders den raschen Zerfall dieser
radioaktiven Substanz hervor. An einem festen Thorium X-Präparat wird
die a-Strahlung und die Thoriumemanation mit der Sidotblende de¬
monstriert.
Die chemischen Einflüsse von Thorium X auf Anilinfarben,
hydroxylierte Benzolderivate und andere leicht oxydable Substanzen
konnten nur teilweise bestätigt werden. Die baktericide Kraft von
Thorium X ist an Luftkeimen in deutlicher Weise zu erkennen. An
Pflanzenkeimlingen (Gartenkresse) ist eine ausserordentliche biologische
Einwirkung mit kleinen Dosen erkennbar. Die einmalige Applikation
kleiner Dosen bewirkt eine Wachstumsförderung, grosser Dosen eine
Wachstumshemmung. Besonders auffallend ist noch dabei eine Ver¬
schiedenheit in der Bildung der Blattkronen, indem die Gabelung des
Pflanzenstengels um so eher erfolgt, je grösser die Gabe von Thorium X
ist. Am tierischen Organismus kann die elektive Schädigung der weissen
Blutkörperchen durch hohe Dosen bestätigt werden.
Nach klinischen Beobachtungen scheinen auch kleine Dosen in
manchen Fällen nicht indifferent zu sein. So traten bei einem Patienten,
der täglich 50 El.-E. per os erhielt, schon nach 9 Tagen ein Exanthem
und heftige Parästhesien im ganzen Körper auf.
(Erscheint ausführlich in der „Strahlentherapie“.)
Hr. Meyer:
Ueber Sensibilisierung des Gewebes für Röntgenstrahlen.
Vortr. bespricht nach eingehender Darlegung der allgemeinen bio¬
logischen Wirkungsweise der Röntgenstrahlen die moderne Strahlen¬
therapie der malignen Tumoren in ihren Grundzügen an der Hand von
Patientenvorstellungen.
Bei der modernen Strahlentherapie der Geschwülste handelt es sich
um Sensibilisierung der Tumoren für Röntgenstrahlen, die erfolgen kann
einmal durch Diathermie (Experimente von Meyer und Bering,
klinische Erfolge von Müller-Immenstadt), weiter durch Thorium X
(Experimente von Meyer und Rost werden später in der „Strahlen¬
therapie“ veröffentlicht) und schliesslich dyreh Cholininjektion (Imitation
der biologischen Strahlenwirkung von Werner-Heidelberg). Die Sensi¬
bilisierung des Gewebes wird sich — soweit experimentelle Unter¬
suchungen bis jetzt lehren — auch für die gynäkologische Tiefen¬
therapie von grosser Bedeutung erweisen. Ferner wird an Patienten
mit Epitheliomen demonstriert, wie unter Umständen auch eine Reiz¬
wirkung durch die Röntgenstrahlen eintreten kann, so dass das an sich
harmlose Cancroid unter dem Einfluss der Strahlenwirkung anlängt zu
wuchern und malignen Charakter annimmt.
An einem sehr instruktiven Fall von universeller Hautcarcinomatose,
wo die Rumpfhaut mit kleinsten Carcinommetastasen übersät war,
konnte sehr gut die Wirkung des Thorium X mit der Röntgenstrahlen¬
wirkung verglichen werden.
Die Röntgenstrahlen hatten überall einen völligen Rückgang der
Tumoren herbeigeführt, nur an denjenigen Stellen, die mit Blei ab¬
gedeckt waren, wo also die Thorium X-Wirkung allein sich geltend
machte, war keine Spur einer Beeinflussung vorhanden. In diesem
Falle war also ganz offensichtlich die Röntgenwirkung der Thorium X-
Wirkung überlegen. Trotzdem ist das Thorium X als Sensibilisator für
die Röntgentiefentherapie von grossem Werte.
(Wird demnächst in extenso in der „Strahlentherapie“ veröffentlicht.)
Hr. Rost berichtet im Anschluss daran über die Ergebnisse seiner
experimentellen Untersuchungen znr gynäkologischen Tiefentherapie
und demonstriert mikroskopische Schnitte von Kaninchenorarien, an
denen in sehr eklatanter Weise die Verschiedenheit in der Wirkung ge¬
filterter und ungefilterter Strahlung zu erkennen ist.
(Die Arbeit ist ausführlich mit den Abbildungen der demonstrierten
Präparate in der „Strahlentherapie“, 1918, Bd. 2, H. 1, veröffentlicht.)
E. Richter.
Naturwissenschaftlich-medizinische Gesellschaft zu Jena.
(Sektion für Heilkunde.)
Sitzung vom 27. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Lex er.
1. Hr. Böhm: a) Klappenbildung in der Banchaorta.
Nahe der Durchtrittsstelle durch das Zwerchfell fand sich in der
klnst nicht veränderten Aorta ein einziges, gegen den Strom gerichtetes
niappenartiges Gebilde, für das entwicklungsgeschichtlich eine Erklärung
socht gefunden werden kann. Der Fall dürfte ein Unikum sein.
b) Vierte Klappe am Ostinm pnlmoiale.
Demonstration der kleinen vierten Klappe und Diskussion über die
Entstehungsmöglichkeit.
c) Ueber Dünndarmcarcinoide.
Aelterer, wahrscheinlich an Perforationsperitonitis gestorbener Mann,
der einige bis erbsengrosse Dünndarmcarcinoide aufweist, die den be¬
kannten, gegen die Umgebung durch Bindegewebe abgegrenzten Bau
zeigen und an einer Stelle in die Muscularis in Form einzelner Zellen
und Zellnester vorgedrungen sind. Aus .der Reaktionslosigkeit des um¬
gebenden Gewebes schliesst Vortr. auch hier infiltrierendes Wachstum
aus. Wenn auch die Färbung mit Methylgrün-Pyronin wegen des Alters
der Präparate keinen Anhaltspunkt für Pankreasgewebe mehr bot, so
neigt Vortr. doch der Ansicht zu, dass die Dünndarmcarcinoide aus ver¬
sprengten Langerhans’schen Inseln bzw. aus Pankreaskeimen hervor¬
gegangen seien. Er verweist die beobachteten Geschwülste in die Klasse
der Gewebsmissbildungen.
2) Hr. Pfreimbter-. Ueber sogenannte angeborene Wassersucht.
Es handelt sich um ein totgeborenes Kind im neunten Monat mit
ausserordentlich zahlreichen Blutbildungsherden in den Organen, be¬
sonders in der Leber, die in den sehr schönen Präparaten gezeigt werden.
Die Aetiologie des Leidens ist unbekannt. Lues kann wohl ausge¬
schlossen werden. Entweder handelt es sich um einen Zustand, der an
den Befund bei Leukämie oder an den bei pernieiöser Anämie erinnert,
was von Herrn Rössle in der Diskussion nochmals betont wird.
8. Hr. Schässler:
a) Ueber die Beziehungen der Lymphogranulomatose zar Tuberkulose.
Bericht über die zurzeit gültigen Anschauungen aus der Literatur
unter Betonung des Befundes Much’scher Granula. Die Lymphogranulo¬
matose ist demnach vermutlich das Produkt der chronischen Einwirkung
eines vielleicht modifizierten tuberkulösen Virus. Um eine maligne Ge¬
schwulst bandelt es sich sicher nicht. Demonstration eigener Präparate
und Beobachtungen, die dadurch ausgezeichnet sind, dass in einigen
Organen (Leber) neben den typischen Drüsenveränderungen Herde ge¬
funden wurden, die bei oberflächlicher Betrachtung durchaus an Miliar¬
tuberkulose erinnern. Die genauere Untersuchung ergab aber eine weit¬
gehende morphologische Uebereinstimmung dieser Herde in der Leber
mit den Drüsenveränderungen. Diese Befunde stellen also, soweit
morphologische Veränderungen iu Betracht kommen, Uebergänge dar
zwischen Tuberkulose und Lymphogranulomatose,
b) Ueber Selbstheilnngsvorgänge in Krebsen.
Zum Teil verhornender Plattenepithelkrebs der Speiseröhre, der
klinisch fast symptomlos verlief. Als Charakteristicum der Selbstheilung
kommt die phagocytäre Vernichtung der Verhornung durch zahlreiche
Fremdkörperriesenzellen, sowie die Produktion derben fibrösen Binde¬
gewebes aus dem Carcinom in Betracht. Aehnliches fand sich bei
einem Leukoplaciecarcinom, einem Plattenepithelcarcinom vom Kiefer
und einer Magencarcinommetastase in der Pleura.
4. Hr. Rössle: Ueber die Hypophyse nach Kastration.
Schilderung des anatomischen Baues der Hypophyse, deren drüsiger
Teil auf Grund cytologischer Befunde, die vielleicht mit der Physiologie
des Organs etwas zu tun haben, weiter analysiert wird; Vortr. weist
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
657
n&ob, dass unter dem Einflüsse der Kastration ein konstanter Umbau
des Organs in dem Sinne statthat, dass die eosinophilen Zellen vermehrt
werden. Den interessanten, für ein kurzes Referat nicht geeigneten
Beobachtungen liegt ein Material von über 100 Hypophysen zugrunde.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
Sitzung vom 13. Februar 1913.
Hr. J. Kran demonstriert 1. Einen Mann, dem am 15. Januar 1913
eio etwa 400 g schweres Ahornstück von der Kreissäge gegen das linke
Auge geschleudert worden war. Durch den heftigen Anprall stürzte der
Verletzte sofort zusammen, konnte sich aber rasch wieder erheben. Etwa
s /s Stunden nach dem Unfall sah K. den Patienten zum ersten Male.
Dicht unterhalb der inneren 2 /s der Augenbraue eine seichte, leicht ge*
lappte Hautwunde, Augenlider suggilliert, subconjunctivale Blutungen,
massiger Ezophthalmns, Cornea, Iris intakt, Linse an Ort und Stelle.
Pupille mittelweit, starr. Ophthalmoskopisch ausgedehnte präretinale
und retinale Blutungen, besonders in der Papillengegend, Papille selbst
nioht zu sehen. Bulbusbewegungen, besonders nach oben und unten
schmerzhaft, erscheinen nicht gestört. Da keinerlei Lichtempfindung
vorhanden, sich auch in den folgenden Tagen keinerlei Besserung ein¬
stellte, musste die Diagnose Verletzung bzw. Zerreissung des Opticus
gestellt werden, und zwar wurde dieselbe nahe dem Opticuseintritt in
den Bulbus angenommen wegen der wohl sicherlich nach dem Spiegel¬
bild vorliegenden Gefässzerreissungen am Opticuseintritt. Eine Ver¬
letzung des Opticus im knöchernen Kanal erschien ausgeschlossen, da
für eine SchadeIbasisfraktur keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Mit der
zunehmenden Resorption der Blutungen kam allmählich an Stelle der
Papille ein weisser Schimmer zum Vorschein, doch ist erst jetzt die
ursprüngliche Optiouseintrittsstelle zum grössten Teil zu übersehen. Im
umgekehrten Bild sieht man ein nicht absolut scharf begrenztes weisses
Oval, in dem die mittlere Partie einen mehr grauen Farbenton hat, Ge-
fässe sieht man nur am unteren inneren Rand austreten, über der Aus¬
trittsstelle noch eine kleine Blutung, von derselben Gegend zieht in den
auch sonst grosse geformte Trübungen zeigenden Glaskörper ein schlauch¬
artiges Gebilde, dass wohl mit Bestimmtheit als ein abgerissenes Retinal-
getäss anzusehen ist, das flottierend nach vorne zieht. Oben innen am
Rand der Opticuseintrittsstelle noch grössere Blutungen, am oberen
Rand frische chorioretinitisohe Veränderungen, zwischen denen die Sclera
durchschimmert. Gefässe, die nach oben innen und oben aussen von
der Papille ziehen, sind nicht zu entdecken. Das ophthalmoskopische
Bild der Papille entspricht einer Colobombildung des Opticus. Diagnose:
Ruptur des Opticus dioht am Eintritt in den Bulbus durch
stumpfe Gewalt. Die Hautwunde, die anfangs eiterte, heilte gut
durch Granulation, Lid ebenso wie Bulbus vollkommen normal beweg¬
lich. Sensibilität der Cornea. Nach völliger Resorption aller Blutungen
soll Pat. nochmals demonstriert werden.
2. Ein Mann, der im Jahre 1905 wegen einer Episeleritis in Be¬
handlung kam. Die damals vorgenommene Spiegeluotersuchung ergab
beim Blick ganz nach rechts das Vorhandensein eines breiten weiss¬
grauen Stranges, der gleich der Sehne eines Bogens durch den Glas¬
körper zog. Um die weiter rückwärts gelegene Ansatzstelle des Narben¬
stranges war ein Pigmentsaum und alte kleine chorioretinitisohe Herde
zu sehen, die nach vorne gelegene Insertionsstelle des Narbenstranges
war auch nach Atropinisation nicht zu sehen. Auf Grund dieses Spiegel¬
befundes stellte K. die Frage, ob Pat. früher eine Verletzung erlitten
habe, die bejaht wurde. Im Jahre 1889 sei ihm ein Eisensplitter ins
Auge geflogen, der Splitter aber nicht gefunden worden. Angestellte
Siderosbopuntersuchung positiv. Die Eintrittsstelle des Splitters muss
in der Sclera gelegen sein, sie ist nicht mehr zu erkennen, zudem be¬
steht eine massige Pinguecula. Wo der Splitter zu suchen, war nach
dem ophthalmoskopischen Bilde klar, nämlich ausserhalb des Bulbus in
der Nähe des Rectus externus. Inzision der Bindehaut über der In¬
sertion des Rectus externus. Durchtrennen der Tennon’sohen Kapsel,
Einführen des grossen Haudmagneten mit spitzem Ansatz. Mit dem-
selbe wird der in Narbengewebe eingebettete Splitter nach vorne ge¬
zerrt, mit der Schere abgetrennt, Naht der Bindehautwund. Nach der
Operation waren die bei seitlicher Bewegung des Bulbus angegebenen
leichten Schmerzempfindungen geschwunden, die Episeleritis heilte bald,
ist aber in der Zwischenzeit wieder zweimal wiedergekehrt und hat mit
dem Unfall nichts zu tun. Pat. ist Rheumatiker und leidet an chroni¬
scher Nephritis.
3. Ein aus kosmetischen Gründen entfernter Bulbus Bit hoch¬
gradiger StaphyleuMldug.
Hr. Grünhanm demonstriert 1. ein durch Operation gewonnenes
riesiges Portioeareinom, das er nach Wertheim operiert hat. Die
hiutere Blasenwand wurde zum Teil mitentfernt wegen Verdachts carci-
nomatöser Erkrankung. Eine sekundär entstandene Blasenscheidenfistel
wird durch eine neuerliche Operation zum Verschloss gebracht. An der
Hand dieses Falles verbreitet sich Herr G. über die Greqzen der Ope¬
rabilität.
2. Einen kiidskopfgrossen Tumor (Elephantiasis der ClHoris).
Die Patientin bekam nach Entbindung vor vier Jahren Oedem an den
Beinen, das sich allmählich nach oben über den<Mons veneris aus-
breittte, •dann entwickelte sieh eine Elephantiasis der äusseren
Genitalien. ? , ” rr
Die aus der Oberpfalz stammende Frau suchte erst ärztliche
Hilfe, als der zwischen den Beinen herabhängende Tumor sie am Gehen
behinderte.
Hr. flö’rl: Subjektives cor Salvarsaotherapie.
Zunächst befasst sich Vortr. mit der Wassermann’sohen Reaktion,
die an Exaktheit nicht an die anderen Komplementablenkungsreaktionen
heranreicht. Als Wegweiser der Behandlung darf sie nioht angesehen
werden. G. hat sicher Luetische gesehen nicht nur mit tertiärer,
sondern auch mit sekundärer und primärer Lues, die von anderer Seite
wegen negativen Ausfalls der Reaktion als nicht luetisch erklärt worden
waren. Die von G. eingeleitete Behandlung bewies aber, dass es sicher
luetisch Erkrankte waren. G. spricht die Befürchtung aus, dass speziell
bei der jüngeren Generation allzuviel auf die Anstellung und den Aus¬
fall der verschiedensten Reaktionen gegeben wird und dadurch die
Schärfung des Auges und Ohres für die ärztliche Untersuchung not¬
leiden. Auch von dem Wert der grossen Statistiken, die sich oft über
Tausende von Fällen erstrecken, ist G. nicht überzeugt, da die Mehr¬
zahl der Patienten im ganzen Krankheitsverlauf weder vor Anwendung
des neuen Mittels noch nach derselben verfolgt werden. Hinsichtlich
der v. Dungern’schen Reaktion ist G. auf Grund seiner Erfahrungen der
Ansicht, dass sie bei ausgesprochen positivem und negativem Ausfall der
Originalreaktion gleichwertig ist. Mit Salvarsan hat G. etwa 500 Fälle
behandelt; er wendet es meist in Kombination mit Quecksilber an,
nur bei rezenten Fällen allein. Die hohen Dosen verbieten sich von
selbst in der ambulanten Praxis, sie sollten nur in der Klinik zur An¬
wendung kommen. Die Domäne des Salvarsans sind die primäre und
die tertiäre Lues. Nur einmal sah G. ein Neurorecidiv am Acusticus.
Kraus.
Aentlicher Verein zu München.
Sitzung vom 12. Februar 1913.
1. Hr. Kimmerer: Zar Diagnose der Aktinomykose.
Ein 28jähriges Mädchen erkrankt 1909 im Anschluss an Einschnitte
in der Umgebung des linken unteren Weisheitszahns an einer Abscess-
bildung in der Umgebung dieses Zahns und am Kieferwinkel Die Eite¬
rung nimmt trotz chirurgischer Behandlung einen sehr chronischen, hart¬
näckigen Verlauf mit mehrfacher Fistelbildung, ist 1912 noch nicht ge¬
heilt. Knochen frei. Aktinomycesdrusen waren nicht gefunden worden.
Der Vortr. konnte Aktinomyces in Reinkultur züchten und demonstriert
die Kulturen. Auch glückt es, mit Hilfe der Gram’schen Färbung in
mehreren mikroskopischen Eiterpräparaten charakteristische Mycelfäden,
wenn auch keine Kolben naebzuweisen. Silbersohmidt hat schon
darauf aufmerksam gemacht, dass bei manchen Aktinomycesfällen Drusen
und auch Kolben vermisst werden, dass oft nur die typischen ver¬
zweigten und verfilzten, mit sporoiden Körnchen bedeckten Fäden ge¬
funden werden und zur Diagnose genügen. Dieser Autor weist auch
ganz besonders auf die grosse Variabilität der Aktinomycesgruppe, auf
die fliessenden Uebergänge einer Unterart bzw. Varietät in die andere
hin. Der von Berestrew eingeführte Begriff der Pseudoaktinomykose
hat nach ihm keine Berechtigung zu einer Sonderstellung. An den
mikroskopischen Eiterpräparaten des Vortr. fällt noch auf die über¬
wiegend polymorphkernige Beschaffenheit der Leukocyten, die zahlreichen
riesenzellenähnlichen Gebilde, die häufige Phagocytose sporoider gram¬
positiver Körnchen. K. bespricht sodann die Aetiologie der Aktino¬
mykose und weist auf die häufigen Beobachtungen eines Zusammenhangs
mit Zahnaffektionen in den letzten Jahren hin. Von verschiedenen
Autoren wurden in den Tonsillarkrypten und besonders in dem Inhalt
cariöser Zähne von ganz gesunden Menschen in erstaunlicher Häufigkeit
Aktinomycespilze gefunden. Vor allem Lord konnte mit so gewonnenem
Material auch durch Tierimpfung Aktinomykose erzielen. Wenn in diesen
Fällen vielleicht auch nicht immer für den Menschen infektiöse Stämme
bzw. Varietäten Vorlagen, so ist nach Ansicht des Vortr. doch der Ge¬
danke an die Bacillenträger von anderen Erregern, z. B. Meningokokken,
Diphtheriebacillen usw. naheliegend; eine Gelegenheitsursache, z. B. bei
der Aktinomykose nicht selten ein Trauma, und ganz besonders die so
häufige Möglichkeit eines Zahntraumas mag dann oft eine auslösende
Rolle spielen. Bei Besprechung der Lokalisation der Aktinomykose im
Abdomen wird vom Vortr. auf das häufig erwähnte primäre Befallensein
der Appendix hingewiesen; Appendieitiseiter sollte öfter durch Züchtung
und Gramfärbung auf Aktinomykose untersucht werden. In der The¬
rapie hat neben der chirurgischen immer noch die Jodbehandlung
(neuerdings speziell auch Injektionen mit 25proz. Jodipin Merck) eine
dominierende Stelle. (Projektionen, Demonstration mikro- und makro¬
skopischer Präparate.) Der Liebenswürdigkeit von Prof. Kitt der tier¬
ärztlichen Hochschule verdankte der Vortr. schöne Präparate tierischer
Aktinomykose.
2. Hr. Seif: Nete Wege der Neareseiforsehaig and -kehaadlang.
Der Vortr. verbreitet sich über Wesen und Bedeutung der Psycho¬
analyse und bringt als einfaches Beispiel eine psychoanalytische Er¬
klärung der sogenannten Waschroanie, bei welcher ein Ersatz eines ver¬
drängten, unbewusste^ Komplexes, psychischer sexueller Unreinheit,
durch die Idee physischer Unreinheit stattfinden soll. Er versucht die
'gegnerischen Angriffe gegen: die >*A‘nnahme zugrunde liegender sexueller
Komplexe im jr eitere» Sinne $urückzuweisen und bebt die guten,den
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658
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 14.
mit der bisherigen Psychotherapie erzielten Erfolgen meist überlegenen
therapeutischen Ergebnisse der Psychoanalyse hervor.
Diskussion: HHr. Isserlin, Kraepelin, Löwenfeld, v. Ma¬
laise, Wittenberg. Hans Bachhammer - München.
Natnrhistorisch-medizinischer Yereiu za Heidelberg,
Sitzung vom 11. Februar 1913.
Vorsitzender*. Herr Bettmann.
Schriftführer: Herr Fischler.
1. Hr. Holthusen stellt einen Fall von Zenker’sehem Oesophagus-
divertikel bei einem 70 jährigen Patienten vor. Demonstration von
Röntgenbildern. Es handelt sich um einen gänseeigrossen Sack links
vom Oesophagus, der bis zum oberen Sternalrand herabreicht. Die
topographischen Verhältnisse wurden nach Sondeneinführung radio¬
graphisch festgestellt. Eine äussere Geschwulst am Halse war nicht
wahrnehmbar, dagegen bestanden typische Halsgeräusche,
2. Hr. Grafe:
Unter welchen Umstünden lässt sich mit NH s -Salzen oder Harnstoff
ein Stickstoffansatz erzielen?
Vortr. bat die Versuche über Stickstoffretentionen bei Fütterung
von Ammoniaksalzen, über welche er an gleicher Stelle vor ca. 1 Jahr
berichtete, fortgesetzt und auch auf das Schwein, das sich für derartige
Versuche weit besser eignet als der Hund, übertragen. Die dort ge¬
wonnenen Ergebnisse waren die gleichen, wie sie früher beim Hunde
erzielt wurden. Es gelingt, durch Fütterung reichlicher Mengen von
Ammoniaksalzen und sogar auch von Harnstoff bei gleichzeitiger Ueber-
ernährung mit Kohlehydraten sehr erhebliche, dem Gleichgewicht sich
nähernde Stickstoffretentionen zu erhalten.
Die Untersuchungen, über die Grafe im einzelnen berichtet, sollen
die Bedingungen eruieren, welche zur Erreichung eines N-Ansatzes nötig
sind. Die Versuche über die Frage, wie weit ist bei einer ganz abun¬
danten Darreichung von Ammoniaksalzen und Harnstoff Stickstoffansatz
möglich, sind noch zu keinem endgültigen Resultat gekommen; jedoch
konnte Grafe zeigen, dass man bei Verfütterung von mittelgrossen
Mengen von Ammoniaksalzen und Harnstoff und sehr kleinen Eiweiss-
mengen, die weit unter der Menge liegen, mit der allein ein N-Gleich-
gewicht erreicht werden kann, tatsächlich ein anscheinend dauernden
Stickstoffansatz bewirken kann. Die Methodik und die Resultate wurden
an der Hand eines 65 tägigen Versuches an einem Schwein demonstriert.
Die Deutungsmöglichkeiten für diesen Stickstuffansatz werden erörtert,
ohne dass Grafe eine Entscheidung trifft, da er hofft, durch weitere
Versuche eine zuverlässige Erklärung finden zu können.
3. Hr. Emmerieh:
Ueber Aareieherangen von Spirochäten and Trypanosomen im
Kaninchenhoden.
Ausgehend von den Uhlenhuth und Mulzer’schen Arbeiten über
experimentelle Kaninchensyphilis bespricht Vortr. die Bedeutung der
Tierimpfung bei Syphilis in diagnostischer Hinsicht und besonders als
Kontrolle für die Bewertung der Wassermann’schen Reaktion bei primär
und sekundär luetischen Erkrankungen. Die histologische Untersuchung
derartig luetisch infizierter Tiere ergibt eine Reihe sehr interessanter
Befunde, auf die bisher nur Koch hingewiesen hat, dem das Uhlenhuth
und Mulzer’sche Material zur Verfügung stand. Bei der grossen Aelin-
lichkeit, die das klinische Krankheitsbild bei experimenteller Kaninchen¬
syphilis und experimenteller Trypanosomenerbrankung bietet, war es
interessant zu sehen, wie sich das histologische Bild gestalten würde.
E. untersuchte im Uhlenhuth’schen Institut eine grosse Reihe von Fällen
von Dourine, Nagana und Schlafkrankheit, und hier ergab sich eine auf¬
fallende Uebereinstimmung mit den Veränderungen bei experimenteller
Kaninchensyphilis. Vortr. wird diese Befunde später ausführlich mit-
teilen.
Vortr. berichtet weiter über gemeinsam mit Uhlenhuth angestellte
Versuche, die den Zweck hatten, festzustellen, ob die Affinität zum
Hodengewebe, die sich bei der Spirochaeta pallida als charakteristisch
herausgestellt hatte, auch für die Trypanosomen Geltung habe. Zahl¬
reiche Versuche mit dem Trypanosoma equiperdum bestätigen vollauf
die Annahme; doch müssten natürlich diese Befunde noch bei ver¬
schiedenen Stämmen erhoben werden, um sie im Falle der Bestätigung
auch als diagnostische Methode verwerten zu können. Bei Trypanosoma
Brucei und Lewisi liess sich keine Anreicherung im Hoden bei Kaninchen
und Ratten erzielen. Dagegen zeigten vielfache Versuche bei Schlaf¬
krankheit das gleiche Verhalten der Trypanosomen wie bei Dourine.
Auch hier müssten weitere Kontrollen die Brauchbarkeit der Methode
für die Praxis feststellen, die, eventuell eine Frühdiagnose der Schlaf¬
krankheit ermöglichen könnte. (Demonstration syphilitischer, dourine-
und naganakranker Kaninchen.) Kolb - Heidelberg.
K. k. Gesellschaft der Aerzte za Wien.
Ausserordentliche Sitzung vom 19. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Hochenegg: Die sanitäre Kriegsbereitschaft Oesterreichs.
Das Urteil des grossen Publikums über die sanitären Vorbereitungen
für <}en Fal|, dass Oesterreich in einefy Krieg verwickelt werden würde,
ist s^hr geteilt, es schwankt zwischen O^ptjmismus und Pessimismus.
In Deutschland ist jeder bedeutende Chirurg eo ipso Militärarzt,
der dadurch auch in Friedenszeiten Einfluss auf die Organisation der
sanitären Vorbereitungen hat. In Oesterreich ist diese Einrichtung nicht
vorhanden, die Zivilärzte dienen ihre Militärzeit ab und haben von nun
an nichts mehr mit dem Militär zu tun; der wertvolle, Anregung gebende
Kontakt zwischen den Zivilärzten und dem Militär fehlt so für diese
Fragen vollkommen. Es besteht auch kein richtiger Kontakt zwischen
dem Roten Kreuz und den Aerzten; der Leitung des letzteren sind nur
einige wenige Aerzte beigezogen, die meisten Aerzte stehen dem Roten
Kreuz und dessen statutarischen Bestrebungen fremd gegenüber.
Die Gebiete, auf welche sich die sanitären Vorbereitungen im Fall
eines Krieges zu beziehen haben, lassen sich in drei Gruppen einteilen:
die ärztliche Hilfe, das Pflegerinnenwesen, das Sanitäts¬
material und die Ausgestaltung der diversen Kriegsspitäler. Die
Bereitstellung und organisatorische Verteilung auf diesen drei Gebieten
verteilen sich auf die Friedensarbeit, auf die Arbeiten bei drohender
Mobilisierung und auf die Arbeiten während des Krieges. Vortr. be¬
schränkt sich nur auf jene Vorkehrungen, welche in dem jetzigen
Moment der noch nicht vollkommen beigelegten Kriegsgefahr geboten
erscheinen.
Um sich nun annäherungsweise einen richtigen Ueberblick über den
Umfang der nötigen Vorbereitungen in Lazaretten und Kriegsspitälem
in bezug auf die früher genannten drei Gebiete verschaffen zu können,
muss man zunächst die Anzahl der in einem grösseren Kriege Oester¬
reichs zu erwartenden Verletzungen und Erkrankungen in Erwägung
ziehen. Auf Grund statistisch erhobener Erfahrungen aus Kriegen der
letzten Vergangenheit nimmt man für den Fall eines grösseren Krieges
Oesterreichs 100000 Verletzte an. Von diesen würden 60000 auf die
diesseitige, 40 000 auf die ungarische Landeshälfte entfallen. Da für
10 000 Verletzte vom Roten Kreuz vorgesorgt ist, reduziert sich die An¬
zahl der Verletzten, für welche weitere Vorbereitungen nötig sind,
auf 50 000. Für diese Verwundeten, welche auf dem Schlacbtfelde den
ersten Verband bekommen haben, in den Feldspitälern transportfähig
gemacht und nach rückwärts transportiert werden, ist für Unterkunft in
Spitälern oder in solchen improvisierten Lokalen für chirurgische Behand¬
lung und sachgemässe Pflege zu sorgen. Hier müssen Chirurgen wirken,
welche auf Grund ihrer bei Verletzungen der Friedenspraxis gewonnenen
Erfahrungen die Indikation zu eventuell einzuleitenden Operationen zu
stellen imstande sind. Die Bestimmung der zu Spitälern auszuwählenden
Lokale muss natürlich ganz der Militärsanitätsbehörde überlassen bleiben.
Wenn man annimmt, dass eine Spitalsstation 200 Verletzte aufnehmen
und versorgen kann, so sind für die angenommenen 50 000 Verletzten
250 solcher Stationen nötig; wenn 20 Verwundete in einem Saale unter¬
gebracht werden, so ergeben sich 2500 Krankenzimmer. Für jede dieser
Stationen würden mindestens 3 chirurgisch geschulte Aerzte nötig sein,
also im ganzen 750 Chirurgen. Von diesen sollte in jeder Station ein
vollwertiger Chirurg mit eigener Erfahrung und erprobter Aktionsfähig¬
keit als Chefoperateur fungieren, welchem zwei jüngere chirurgisch ge¬
schulte Assistenzärzte zuzuteilen wären. Es wären also 250 Cbef-
cbirurgen und 500 Assistenzärzte nötig. Es kann nicht schwer fallen,
200 vollwertige Chirurgen für die berechneten Stationen als Chef¬
operateure zu akquirieren, da nebst den im aktiven Dienste stehenden
Militärchirurgen namentlich unter den Reserveärzten und den Aerzten
der Evidenz genügend chirurgisch geschulte Aerzte, vor allem gewesene
Assistenten der Kliniken und Abteilungen, noch als Militärärzte kriegs¬
verpflichtet sind. Diese Chirurgen müssen aus der grossen Anzahl von
militärpflichtigen Aerzten auserlesen und den in Aussicht genommenen
Stationen namentlich zugeteilt werden. Vortr. kann sich der Befürchtung
nicht verschliessen, dass bei der Zuteilung von Reserveärzten nicht
genügend auf die spezialistiscbe Ausbildung Rücksicht genommen wird;
die chirurgische Hilfe an einer Station müsste sehr insuffizient sein,
wenn der Zufall einer solchen nur chirurgisch unerfahrene Aerzte zu-
teilen würde.
Die Organisation einer Anregung, welche Herr v. Eiseisberg und
Vortr. der Kriegsverwaltung zur Annahme empfohlen haben, und welche
darin bestand, dass an die verschiedenen Stationen die Zuteilung der
Aerzte gruppenweise erfolgen sollte, wäre geradezu segensreich zu nennen.
Sie stellten für die Zuteilung an die diversen Verwundetenspitäter aus
ihren klinischen Aerzten Gruppen zusammen, von denen jede aus einem
gewesenen oder noch funktionierenden Assistenten und zwei aus der¬
selben Schule stammendem Operateurzöglingen besteht.
Bezüglich der Pflegerinnen ist Vortr. der Meinung, dass derzeit
in Oesterreich weder für die Friedenspraxis, aber noch viel weniger für
den Fall eines Krieges eine halbwegs genügende Anzahl geschulter
Pflegerinnen zur Verfügung steht, während Deutschland für den Friedens¬
stand ca. 76 000 geschulte und im praktischen Dienst erprobte Schwestern
hat, von denen ungefähr die Hälfte für den Dienst im Felde sicher-
gestellt ist, für welche die kriegsmässige Ausrüstung vorhanden ist. In
einem modernen Kriege kann man auf die Mithilfe von weiblichen
Pflegerinnen nicht mehr verzichten. Da für die oben berechneten
2500 Krankenzimmer vollwertiges Pflegerinnenpersonal derzeit in Oester¬
reich nicht zur Verfügung steht, so empfiehlt es sich, für die Berechnung
von vornherein zwei Kategorien von Pflegerinnen zu unterscheiden: die
chirurgisch geschulten und im praktischen Dienst erprobten Pflegerinnep
(Oberschwestern) und Helferinnen demselben (Schwestern).'* Jeder der
Stationen müssten mindestens 2 Oberschwestern zugeteilt werden, es
wärep also mindestens 500 derselben notwendig. Dp ^ffir 2Q Kranke
mindestens 3 Schwestern nötig wären, Würden mindestens 7500 solche
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
659
Schwestern für die berechneten 250 Stationen beansprucht werden. Es
wäre dringend nötig, schon jetzt eine Uebersicht darüber zu gewinnen,
wieviel solche Pflegerinnen zweiter Kategorie für die Kriegsspitäler dis¬
ponibel sind, damit man eine ungefähre Berechnung anstellen kann, wie
gross die Ergänzung durch freiwillige Helferinnen sein muss.
Die berechnete Anzahl von 7500 Pflegerinnen wird nur für die
Vorwundetenspitäier beuötigt, eine mindestens ebenso grosse Anzahl ist
für die Marodenhäuser und eine noch grössere Zahl für die Infektions-
spitäler nötig; man kann also das unumgänglich nötige Bedürfnis im
Falle eines Krieges auf rund 25 000 Pflegerinnen schätzen.
Wenn man bezüglich des Bedarfs an Verbandstoffen die Er¬
fahrungen von v. Frisch zugrunde legt, welcher im Spital in Sofia bei
200 Betten innerhalb 60 Tagen 42 000 m Kaliko verbrauchte, so kann
man für die berechneten 250 Stationen für die gleiche Zeit des Betriebes
auf den Bedarf von 10 500 000 m Kaliko rechnen. Aehnlich hohe
Zahlen würden sich für die anderen Verbandutensilien berechnen lassen.
Fast nach jedem Kriege wurden Reformvorschläge auf dem Gebiete
der Verwundeten- und Krankenpflege laut; dem Vortragenden erscheint
gerade der jetzige Moment günstig, um die Notwendigkeit von Reformen
in der Frage der sanitären Kriegsvorbeitung einer Erwägung weiterer
Kreise zu unterbreiten. H.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien.
Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 20. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Zarfi berichtete über drei Fälle von nekrotisiereider Zahn-
keimeutzündnng.
Die Krankheit ging in einem Falle mit Fieber einher; Zahnkeime
wurden als Sequester ausgestossen. Ein Kind starb an eitriger Menin¬
gitis infolge der Fortpflanzung der Entzündung durch die Augenhöhle
nach der Schädelbasis.
Hr. Nobel zeigte ein 15 Monate altes Kind mit Anfallen von toni-
seheu Krämpfen, welche seit 472 Monaten bestehen.
Die Anfälle, die auf der linken Körperhälfte beginnen und auf die
rechte Seite übergehen, treten im Anschluss an einen Schreck oder auf
akustische Reize auf. Es handelt sich vielleicht um eine organische
Veränderung im Gehirn (encephalitische Narbe oder Cysticercus).
Hr. v. Pirquet demonstrierte ein 27a Monate altes Kind mit lokalem
Sklerem.
Am linken Oberschenkel und in der Genitalgegend ist die Haut
bretthart infiltriert; eine Ursache lässt sich für die Affektion nicht
finden.
Hr. v. Pirquet demonstrierte ein Kind mit einem erythrodermie-
mrtigen luetischen Exanthem.
Das Kind hatte eine intensive Rötung am Gesäss und auf den Fuss-
sohlen, am Körper sah das Exanthem wie ein akuter Ausschlag aus.
Dann blasste die Rötung ab, und im Gesicht trat ein luetischer Aus¬
schlag auf.
Hr. v. Pirquet demonstiierte ein Kind, welches auf Chlorom ver¬
dächtig ist.
Das Kind bekam vor zwei Monaten eine rechtsseitige Facialis-
lähmung, später wurde der linke Facialis gelähmt; seit 14 Tagen sind
die Augen vorgetrieben. Der harte Gaumen und die beiden Zahnleisten
sind stark infiltriert. Das Blut enthält viele grosse weisse Blutkörper¬
chen mit einem blassen Kern; Hämoglobingehalt 40 pCt.
Hr. Jannsehke demonstrierte einen geheilten epileptischen Knaben
und sprach über die Bromwirkung bei der Epilepsie.
Der Knabe bekam dreimal täglich 1 g Brom und 17« g Kochsalz.
In betreff der Bromwirkung herrschen zwei Auffassungen. Das
Brom verdrängt das Chlor, oder das Brom entfaltet eine spezifische
Wirkung. Bei grossen Dosen von Bromiden zeigen die Versuchstiere Er¬
scheinungen, wie wenn das Grosshirn ausgöschaltet wäre; sie verfallen
in eine tiefe Narkose. Durch chronische Brombehandlung wird bei
Tieren eine aufsteigende Lähmung erzeugt.
In dem vorgestellten Falle ist die Heilwirkung nicht durch Chlorid¬
veränderung, sondern durch die spezifische Wirkung der Bromionen her¬
beigeführt worden. Diese spezifische Wirkung, wird durch Kochsalzzugabe
verstärkt. H.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Acaddmle de mddecine.
Sitzung vom 7. Januar 1913.
Hr. Moreau berichtet über eine kleine Diphtheritisepidemie, die
ihre Entstehung einem Bäcker verdankt, der mit seinem Brot die Diph¬
therie seiner Frau und seines Sohnes in verschiedene Gemeinden ver¬
schleppte.
Hr. Pozzi berichtet über neue f Versuche H.'Garrel's, vom
Körper total, abgotronnte Eingeweide am Leben zn erkalten. Es
handelte sich darum, die Brust und A,bdominaleingeweide im Zusammen-^
hauaseptisch meist bei Katzen, zu entfernen und 1 , in einem Behälter
nfitmnger'scher Lösuttg in einer Temperatur von 38° am Leben zu er¬
halten. r ' 91
Nach Anästhesie und Desinfektion wird der Oesophagus unter¬
bunden, in die Trachea, nach Durchtrennung, die Kanüle eingeführt,
um die künstliche Atmung einzuleiten. Dann wurden nach den nötigen
Gefässligaturen erst die Brust-, dann die Brusteingeweide heraus¬
genommen und das Ganze in die Lösung eingelegt. Anfänglich schlug
das Herz regelmässig und langsam, aber der Blutdruck sank, der Puls
war schwach, die Eingeweide blass. Nach einigen Minuten hob sich der
Blutdruck fast bis zur Norm. Meist wurde in diese Eiogeweidemasse
Blut einer anderen Katze transfundiert, worauf die Eingeweide rosig
wurden, der Blutdruck stieg und das Herz 120—150 Kontraktionen
aufwies. Ausser den Pulsationen der verschieden Arterien sah man die
peristaltischen Bewegungen des Magendarmtractus. Der Oesophagus
wurde, wie die Trachea, mit einer Kanüle verbunden, so dass man in
den Magen Wasser oder Speisen einführen konnte; gleichzeitig wurde
der Darm durch einen Anus praeternaturalis aus dem Behälter heraus¬
geleitet. In diesen Konditionen leben die Eingeweide ganz gut, die
Herzkontraktionen sind regelmässig, die Circulation der Organe genügend.
Der Darm entleert sich regelmässig; wenn er leer ist, fliesst aus dein
Anus praeternaturalis Galle und Darmschleim ab. In einigen Versuchen
starben die Eingeweide nach 3—4 Stunden ab, die meisten hatten nach
11—13 Stunden noch aktives Leben. Das Absterben wurde durch un¬
regelmässige, schwache Herzkontraktionen eingeleitet, dann blieb das
Herz plötzlich still. Verbesserungen der Technik werden erlauben, die
Organe noch länger am Leben zu erhalten, aber schon so können zahl¬
reiche physiologische oder biochemische Vorgänge genauer verfolgt
werden. An den Carrel’schen Versuchen ist neu, dass die Organe durch
ihre eigene Circulation lebend erhalten werden mit ihrem eigenen Blut,
das sich in den Lungen mit Sauerstoff sättigen kann. Neu ist das
Lebenderhalten nicht eines einzelnen Organs, sondern einer ganzen
Organgruppe.
Sitzung vom 14. Januar 1914.
Hr. A. Castex hat die günstigen und ungünstigen Bedingungen für
die Funktion des Gehörs und der Stimme untersucht. Die griechischen
und römischem Architekten achteten besonders auf gute Akustik (z. B.
im Theater des Dionysos in Athen). Sie stellten an die Mauern eherne
Gefässe oder Tongefässe, welche die Stimme verstärken sollten. Die
Untersuchung vieler Räume ergab, dass namentlich drei Schwierigkeiten
für den Redner und den Zuhörer ins Gewicht fallen: die Taubheit des
Raumes, die Resonanz und das Echo. Die verwendeten Baumaterialien
spielen eine grosse Rolle: Marmor, Holz und Glas haben viel Resonanz;
Vorhänge und Teppiche absorbieren den Ton, Gips und Stein sind ohne
Einfluss. Die Säle verbessern sich mit der Zeit durch Austrocknen.
Im allgemeinen sind lange Säle ohne Kuppeln und ohne tiefe Logen
und reiche Ornamente am günstigsten. Die Halbtauben sind am meisten
durch schlechte Akustik gestört, sie hören oft besser im Freien. Be¬
merkenswert für ihre Akustik sind das antike Theater in Orange, die
Säle in Mailand, der Saal des Konservatoriums in Paris, Sankt Peter in
Rom und die Kathedrale von Bourges. Gewisse Säle sind günstig für
den Reder und schlecht für den Zuhörer und umgekehrt; dies ist durch das
Echo bedingt. Wenn ein Saal schlecht ist, muss man nicht die Stimme
verstärken, sondern gut artikulieren. Die Tragweite des Tones, sei er
durch ein Instrument erzeugt oder durch den Kehlkopf, wird durch dessen
Reinheit vergrössert.
Sitzung vom 21. Januar 1913.
Hr. Louis Renan bespricht den theoretischen und praktischen Wert
des künstlichen Pneumothorax bei der Behandlung der Lungen¬
tuberkulose. Die Methode beruht auf dem therapeutischen Grundgesetz
der Immobilisation und der funktionellen Ruhe des kranken Organs
und ist von der Beobachtung am Krankenbett abgeleitet. Radiographie
und Radioskopie und die Technik von Küss mit seinem Apparat er¬
lauben eine ganz wissenschaftliche Verwendung des Verfahrens. Leider
ist der praktische Wert viel geringer. Die Seltenheit einseitiger Er¬
krankungen, die Häufigkeit ausgedehnter pleuritischer Verwachsungen
verhindern oft die Verwendung des künstlichen Pneumothorax. Ausser¬
dem sind die Endresultate noch bestritten, während die sofortige Wirkung
bei schweren febrilen Tuberkulosen, bei Lungenblutungen und gewissen
cavernösen Form sehr bemerkenswert sind. Der Krankheit wird hier und
da auf ganz hervorragende Weise Einhalt geboten, und so erlaubt der
künstliohe Pneumothorax namentlich Zeit zu gewinnen. Die Methode
bat also in der Phthisiotherapie ihren Platz als provisorische Behandlung
bei ganz bestimmten Indikationen, die vorher ganz genau klinisch und
radiologisch festzustellen sind.
Sitzung vom 28. Januar 1913.
Hr. A. Robin hat die chemische Zusammensetzung des Leber-
earcinams untersucht, insbesondere den Gehalt an anorganischen Sub¬
stanzen. Die kranken Stellen sind reicher an mineralischen Substanzen
als die gesunden; eine Ausnahme macht die Magnesia bei rasch ver¬
laufendem Lebercarcinom. Die Uebermineralisation betrifft nicht alle
anorganischen Stoffe in gleicher Weise: Phosphor, Natron, Kalium,
Magnesia und Silicium sind im Ueberschuss vorhanden; Kalk und Eisen
sind im Gegenteil in verminderter Menge da. Aber diese Zusammensetzung
ist für Carcinom nicht typisch; der Autor hat auch bei drei Tuberkulösen
Kalk im Mindermaass gefunden, und Eisen bei zweien davon,'ausserdem
war das Kalium sowohl in zwei carcinomatösen Lebern als ip zwei von
drei tuberkulösen ftf vermehrtem Maasse vorhandeq. Man könnte glauben,
die Vermehrte Zelltätigkeit der Neoplasmen verwende mehr Natron als
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660
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Kali, während umgekehrt bei Tuberkulose mehr Kali als Natron zum
Aufbau der Zellen gebraucht werde. Silicium, Phosphor, Kali, Natron
und Magnesia sind, ohne für Carcinom spezifisch zu sein, Elemente zum
Zellaufbau, während die im Mindermaass vorhandenen Elemente der
Abwehr des Organismus gedient haben. Silicium ist an den am meisten
erkrankten Stellen in grösserer Menge vorhanden als an den übrigen
Stellen. Es ist das spezifische Element für den Aufbau der Binde-
gewebe und der fibrösen Stränge, seine Vermehrung kann als Zeichen
der vermehrten defensiven Vorgänge des Organismus gegen das Neo¬
plasma gedeutet werden. Die Tatsache, dass die carcinomatösen Ge¬
webe die Fähigkeit besitzen, gewisse mineralische Substanzen zu fixieren,
eröffnet den therapeutischen Forschungen neue Wege. Uebrigens weiss
man schon, dass Carcinomgewebe Jod, Arsenik in organischen Ver¬
bindungen und Selen festzuhalten vermag. Es ist also nicht un¬
wahrscheinlich, dass sich andere anorganische Substanzen finden lassen,
die eine therapeutische Wirkung auf diese Zellen auszuüben vermögen.
Hr. Hallopeau ist immer noch der Meinung, dass Salvarsan unsicher
und gefährlich sei, während Hectin und Hectargyr wirksam und un¬
gefährlich seien. Zweimal wurde nach den Kuren neues Auftreten eines
Schankers verzeichnet. Die Hectindosis muss vergrössert werden; man
muss täglich 0,35 cg einspritzen; die Kuren von 10 Spritzen müssen
nach Pausen von 5 Tagen wiederholt werden. Injektion in der Nähe
des Schankers ist nicht nötig.
Soctätd mMicale des hdpitanx.
Sitzung vom 10. Januar 1913.
HHr. Claisse, Thibaot und Gillard berichten über zwei Fälle von
Reenrrensparalyse bei Mitralstenose. In beiden Fällen war die Aphonie
durch Lähmung des linken Stimmbandes bedingt Einer der Patienten
ist noch in Beobachtung. Die Radiographie ergab eine starke Erweite¬
rung des linken Vorhofes. Aorta und Mediastinaldrüsen normal. Der
andere Patient ist gestorben; die Obduktion zeigte grosse Erweiterung
des linken Vorhofes, normale Drüsen; ausserdem fibröse Entartung im
Bindegewebe des Mediastinums, welche vielleicht mit der Läsion des
Recurrenz im Zusammenhang steht. Beide Fälle deuten auf Kompression
des Recurrens durch den erweiterten Vorhof.
HHr. Bensande und Emery beschreiben einen Fall von Langen-
syphilis. Heilung durch Hectin und Salvarsan seit zwei Jahren, mit
radiologischer Untersuchung vor und nach der Behandlung. Bei dem
49 jährigen Patienten hatten vor zwei Jahren mehrere Aerzte Lungen-
carcinom diagnostiziert. Patient hatte damals Dyspnoe, Hustenanfälle,
anfangs ohne Auswurf, später mit reichlich eitrigem Auswurf, ohne
Tuberkelbacillen; hier und da Erstickungsanfälle; Schwellung der supra-
claviculären Drüsen, leichte Dämpfung mit verstärktem Stimmfremitus
auf den unteren Lungenpartien rechts. Die Radioskopie ergibt über dem
unteren Drittel der rechten Lunge einen dreieckigen Schatten, dessen
Basis gegen das Mediastinum liegt, während die Spitze in die Lunge
vordringt. Patient hatte Fieber, hatte in wenigen Monaten 20 Kilo an
Gewicht verloren, war anämisch und so schwach, dass er das Bett hüten
musste. Eine Untersuchung der Nase wegen Obstruktion des Nasen¬
rachenraums zeigte das Vorhandensein eines Gummas. Patient wusste
nichts von Syphilis; Wassermann positiv. Die zuerst eingeleitete Hg-
Behandlung blieb erfolglos, Hectininjektionen verbesserten den Zustand,
aber erst nach Salvarsaninjektionen trat eine plötzliche Aenderung ein.
Die Respirationsstörungen nahmen ab und verschwanden, Patient nahm
an Gewicht zu, und die Radiographie zeigte das progressive Verschwinden
des genannten Schattens.
Diskussion. Hr. Nobecourt erwähnt einen Fall von Kompressions¬
erscheinungen bei einem zweijährigen Kind, so dass man an Thymus-
hypertrophie dachte oder an Schwellung der tracheobronchialen Drüsen.
Da der Vater Syphilis gehabt hatte, wurde, trotzdem das Kind keine
Zeichen von Heredosyphilis aufwies, die spezifische Behandlung eingeleitet,
die prompt die Erscheinungen zum Schwinden brachte.
Hr. Emile Weil hat sechs Fälle vieariierender Blutungen beobachtet.
Diese Blutungen zeigen sich unter zwei Formen: entweder bestehen
neben Menorrhagien andere Blutungen (Epistaxis purpura, Zahnfleisch¬
blutungen), oder diese Blutungen ersetzen schwache und kurzdauernde
Menstruationsblutungen. Diese Formen sind ein Uebergang zu richtig
vicariierenden Blutungen, welche die ausgebliebene Menstruation ersetzen.
Solche pathologische Blutungen können in der Pubertät auftreten oder
später, z. B. nach Geburten. In beiden Fällen handelt es sich um
Frauen, die in der Kindheit schon Neigung zu Blutungen hatten, welche
auch bei den Vorfahren mütterlicherseits zu verzeichnen sind. Ferner
zeigen diese Frauen Blutveränderungen, verspätete Coagulation, ver¬
minderte Refraktilität des Gerinnsels usw. Klinisch sind diese Blut¬
erscheinungen als Störungen der Leberfunktion anzusehen. Die Be¬
handlung muss sich bestreben, die Blutveränderungen zu beseitigen durch
subcutane Seruminjektionen, Serumklysmen. Nach Stillung der Blutung
werden Rückfälle durch entsprechende Opotherapie bekämpft.
Sitzung vom 17. Januar 1913.
HHr. Grenet und Sehillot zeigen zwei Mädchen mit €horea. Bei
dem einen findet sich kein Zeichen von Syphilis, Wassermann war bei
Vater, Mutter und Kind negativ. Also kann sicher Chorea ganz ohne
syphilitische Aetiologie auftreten. Der zweite Fall spricht für die An¬
nahme Mi li an’s: der Vater hat progressive Paralyse,. die Mutter vor¬
zeitige Geburten, das Kind Dystrophien, durch Hg gebesserte Iritis,
schwachpositiven Wassermann, also sicher Lues. Die Chorea hat sich
nicht nur bei einem Heredosyphilitischen entwickelt, sondern bei einem
Heredosyphilitischen mit aktiven Erscheinungen, mit einer wohl durch
Hg gebesserten, aber noch evoluierenden Iritis. Die Lues scheint in dem
Fall das Kind zur Chorea prädisponiert zu haben.
Eine 80jährige Patientin von HHr. Dofoir und Bertoa hat seit
zwölf Jahren typischen Paget mit heftigen Schmerzen au den unteren
Extremitäten. Wassermann positiv, obwohl in den Antecedentien nichts
auf Syphilis wies. Trotz des Alters wurde Patientin mit drei intra¬
venösen Ncosalvarsaninjektionen behandelt. Daraufhin verschwanden die
Schmerzen und Patientin fühlte sich viel besser; Blutreaktion und Erfolg
der Therapie erweisen die syphilitische Natur dieses Falles von Paget¬
krankheit.
HHr. Jeaaselme, Verne und Bloch haben 18 Schwangere Bit
Salvarsan behandelt. Davon hatten 16 aktive Lues; zwei von diesen
Patienten hatten Totgeburten; eines der Kinder war aber schon vor der
Behandlung abgestorben, im anderen Falle hatte die Mutter nur eine
Salvarsaniojektion bekommen. Die anderen 14 Frauen hatten lebende
Kinder, über die später referiert wird. Die beiden anderen Frauen
hatten nicht aktive Syphilis, hatten aber eine Reihe Fehlgeburten durch¬
gemacht, ohne ein lebendes Kind zur Welt zu bringen. Beide hatten
nach Salvarsan lebende Kinder.
HHr. Jeaaselme und P. Jaeqaet betonen, dass Salvarsan das syphi¬
litische Fieber zum Abfall bringt, aber bei erstmaliger Anwendung
Fieber erzeugt, aber nur bei aktiver Lues. Die erneute Salvarsan-
injektion macht kein Fieber. Cyansaures Hg, Enesol geben intravenös
verwendet bei gleichen Bedingungen auch Fieber und auch nur bei
der ersten Injektion. Diese Medikamente haben unter sich eine Art
Aequivalenz. Nach einer ersten massiven Injektion von Cyanquecksilber
tritt Fieber auf, das sich nach darauffolgender Salvarsaniojektion nicht
wiederholt, und umgekehrt.
Sitzung vom 24. Januar 1913.
HHr. Sonque8, Barrä und Pastear Vallery-Radot bringen fünf Be¬
obachtungen von Paget’schcr Kraakheit. Bei drei Fällen war der
Wassermann positiv, zweimal negativ, so dass ihnen bereits aus der
Literatur 14 Fälle bekannt sind, bei denen fünfmal die Reaktion positiv
war und neunmal negativ.
HHr. Pedevin und Dafoar zeigen eine Frau von 42 Jahren mit
totaler Inversion der Organe. Das Herz ist total nach rechts verlagert,
Spitze gegen die rechte Mammillarlinie, Basis hoch links; die Leber ist
links, der Magen rechts, Appendix und Coecum links. Patientin
braucht nicht vorzugsweise die linke Hand.
HHr. Aviragaet und Halld haben in seltenen Fällen bei Kindern
im Laufe der antidiphtheritischen Serumbehandlung lokale Er¬
scheinungen beobachtet, die sie mit der Bezeichnung „Phdnom&ne
d’Arthas gaagrdaeax“ taufen möchten. Diese Erscheinungen verdanken
in ihren Fällen dem Zusammenwirken von vier Bedingungen ihre Ent¬
stehung: 1. Frühere Injektionen von Serum, 2. kürzlich durch¬
gemachtes Eruptionsfieber, 3. aktive Diphtherie, 4. schwerer, infek¬
tiöser Zustand im Moment der Seruminjektion. In einem Falle fand
man auf dem Brandschorf einen sehr virulenten Streptococcus, aber keine
Anaeroben, wie man sie bei gangränöser Phlegmone und anderer Haut¬
gaugrän findet. Es ist, als ob das Serum eine latente Infektion lokali¬
sierte und begünstigte und ihr einen Verlauf verleihen würde, der einer
infektiösen, sich ausbreitenden GaDgrän gleicht. Das „Phenomene
d’Arthus“ zeigt sich sofort nach der Injektion als hämorrhagische Nekrose
der Haut. Die Gangrän kann stationär bleiben oder sich ausdehnen.
Die vier beobachteten Fälle endeten letal. In zwei Fällen waren die
Patienten schon schwer krank, als das „Phänomene d’Arthus“ auftrat;
in den anderen Fällen kamen zur Diphtheritisintoxikation und zu der
schon sehr ausgeprägten Infektion noch die toxisch infektiösen Erschei¬
nungen ausgedehnter Gangrän hinzu. Diese Fälle sind Ausnahmen, die
in nichts die Regeln der antidiphtheritischen Serotherapie zu ändern
vermögen.
Diskussion.
Hr. Notter sah bei grossem Material einen einzigen solchen Fall,
der heilte. Das Kind hatte Masern durchgemacht und bekam eine
präventive Injektion, auf welche kein Ausschlag und Induration sich
einstellten. Nach 14 Tagen wurde wegen Angina eine neue Injektion
von 40 ccm gemacht, worauf neuer Ausschlag, lokale Iuduration mit
folgender Gangrän eintraten.
Hr. Martin hat zwei ähnliche Fälle beobachtet. Ein Kind hat drei
Jahre zuvor Serum bekommen; wegen Streptokokkenangina wurde Anti¬
streptokokkenserum injiziert. Es bekam ausgedehnte Gangrän der Bauch¬
wand und heilte. Im anderen Falle handelt es sich um einen Tuber¬
kulösen mit sekundärer Streptokokkeninfeklion, der mit Antistrepto¬
kokkenseruminjektionen in grossen Behandlungspausen # behandelt wurde.
Nach einer dieser Injektionen kamen zuerst Zeichen* von Anaphylaxie
mit lokaler Induration und folgendem Abscess. Es sind zwei Bedingungen
zur Entwicklung der Gangrän nötig; Patient muss durch voraus¬
gegangene Seruminjektion sensibilisiert sein, und er muss von Strepto¬
kokken infiziert sein. Ausserdem spielen lokale Bedingungen mit,
namentlich zu oberflächliche Subculaninjektionen.
Hr. Hai 16 betont, dass es sich bei dem Phenomöne d’Arthus nur
um eine lokale, nicht um sich greifende Gangrän handelt. Für diese
letztere muss wohl eine Infektion*mitwirken.
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
661
Sitzung vom 31. Januar 1913.
Hr. Jouset kann dem von Herrn Aviragnet gegebenen Ent-
stehungsraodus bei dem sogenannten „Phcnomene d’Arthus“ nicht bei¬
stimmen und tadelt die Bezeichnung dieser Erscheinung. Nach ihm
entsteht die Erscheinung unter den verschiedensten Bedingungen. Es sind
zur Entstehung multiple, prädisponierende Injektionen erforderlich, die zu
Nekrosen oder aseptischen Eiterungen führen. Herr Jousset bezeichnet
sie als banale infektiöse Metastase, es handelt sich eher um Fixations-
abscess oder Fixationsnekrose.
HHr. alliard und Chifolian bringen einen Fall von nekrotiseher
Pankreatitis. Die 23 jährige, fettsüchtige Frau hatte zwei Schwanger¬
schaften, jedes Mal gefolgt von Icterus. Nach der zweiten Geburt traten
sehr heftige Unterleibsschmerzen mit Erbrechen und hohem Fieber ein.
Dann wurde ein fluktuierender Tumor nachgewiesen. Die Operation
förderte nicht fötiden Eiter und Fetzen nekrotischen Gewebes zutage.
Patientin starb nach elf Tagen. Die Obduktion zeigte, dass es sich um
Pankreatitis handelte.
HHr. Valette und L. Ramond beschreiben einen neuen Fall von
Pnenmobacillenseptikämie. Der 69 jährige Patient batte keine visceralen
Lokalisationen, und doch ergab die Blutkultur zu Lebzeiten des Patienten
reinen Pneumobacilius. Die Krankheit dauerte 19 Tage. Der Allgemein-
zustand blieb gut bis zum letzten Tag. Der Tod trat unerwartet nach
einigen Stunden Collaps ein. Dieser Verlauf ist für Pneumobacillen-
septikämie charakteristisch.
HHr. Barid und Colombe berichten über zwei Patienten, die im
Verlaufe einer Aorteninsnffizienz gastrische Krisen bekamen, die
von einer Aortitis abdominalis abhängig waren. Es handelt sich
um heftige epigastrische Schmerzen, verbunden mit Brechen und mehr¬
fach gebessert durch Rumpfbeuge nach vorne. In einem Falle stehen
die Anfälle, die mit Anfällen von Aortitis thoracica alternieren oder
gleichzeitig auftreten, in keiner Beziehung zu den Mahlzeiten; im anderen
Falle kommen sie mit Vorliebe direkt nach dem Essen. In beiden Fällen
fand sich eine unvollkommene Obstruktion des Truncus coeliacus durch
eine Atheromplatte.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin.
(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.)
1. Hauptthema: Behandlung der Knochen- und Gelenk-
tuberkulose.
Referent: Herr Garre-Bonn.
Als Leiter der chirurgischen Kliniken in Rostock, Königsberg,
Breslau und Bonn hat Vortr. seit 19 Jahren 1000 Fälle von Knochen-
und Gelenktuberkulose stationär behandelt. Für den Erfolg der Behand¬
lung sind lediglich spät unternommene Nachuntersuchungen maass¬
gebend. Diese hat Vortr. in einer möglichst grossen Anzahl ausgefuhrt.
Die Behandlung soll nicht einseitig sein, sondern möglichst modifiziert
werden, je nach dem Alter, den sozialen Verhältnissen, sowie auch nach
dem jeweiligen, dem betreffenden Chirurgen zur Verfügung stehenden
Krankenmaterial, das in den verschiedenen Gegenden und Kranken¬
häusern ganz verschieden ist. Verschieden war auch die Behandlung
der Tuberkulose in den einzelnen Gelenken.
Die Schultergelenkstuberkulose wurde meistens mit Jodo¬
forminjektionen konservativ behandelt. Die Resultate waren bezüglich
der Ausheilung gut, sie erfolgte jedoch fast ausnahmslos mit vollkommener
Ankylose. Nur in einem Fall, bei dem es zu einer Atrophie des Caput
humeri kam, trat Beweglichkeit im Gelenk ein. Die Resektion wurde
nur in schweren Fällen vorgenommen, und zwar nach Langenbeck’s
Methode. Von 22 nachuntersuchten Fällen zeigte sich als Höchstmaass
auf Va verminderte Kraft und auf a /s verminderte Beweglichkeit.
Bei der Tuberkulose des Ellbogen ge lenks wurde im kindlichen
Alter meist konservativ verfahren und die JodoformiDjektion mit Fixation
des Gelenkes angewendet. Bei Erwachsenen wurde die Resektion be¬
vorzugt. 22 Fälle von Resektion konnten nachuntersucht werden, hier¬
von waren 19 Fälle vollkommen ausgeheilt, 11 Fälle vollkommen
leistungsfähig bei bestehender Ankylose. Es wurde niemals Schlotter-
gelenk beobachtet und bisher nie die Muskelinterposition nach Helfe rieh
zwecks Erzielung einer Beweglichkeit ausgeführt. Die Eröffnung des
Gelenkes bei der Resektion wurde vermittelst des Ollier’schen Schnittes
ausgeführt.
Bei der Tuberkulose des Handgelenks waren die Resultate bei
konservativer Behandlung sehr günstig. Weniger erfreulich waren die
Erfolge bei der Resektion. Diese sollte niemälA in typischer Weise
ausgeführt werden, da aus naheliegenden Gründen alsdann die funk¬
tionellen Resultate ungünstig sind.
Die Hüftgelenkstuberkulose wurde ebenfalls vorzugsweise
konservativ behandelt. Kontrakturen in Flexionsstellung versuchte man
durch Extensionsverband in bessere Stellungen überzuführen, das Brise¬
ment zum gleichen Zwecke ist durchaus zu vermeiden. War die Stellung
gut, dann wurde sofort der fixierende und entlastende Geh-Gipsverband
angewendet. Jodoformiojektionen wurden nur bei der abscedierenden
Form der Hüftgelenkstuberkulose angewendet. War der‘Prozess aus¬
geheilt, so wurde zur Vermeidung einer sekundären Flexionskontraktur
ein sogenannter Badehosen-Gipsverband mit freiem Kniegelenk angelegt.
Die Ausheilung der Hüftgelenkstuberkulose nahm im Durchschnitt eine
Dauer von 3 Jahren in Anspruch. Die Resektion wurde auch bei Zer¬
störung des Schenkelhalskopfes sowie der Pfanne vermieden. Sie wurde
nur aus vitalem Interesse, nicht zur Besserung der Resultate ausgeführt,
bei Eiterungen mit Fieber sowie bei der schweren fungösen Form, bei
der das Allgemeinbefinden in hohem Maasse gestört ist. Im allgemeinen
operierte Vortr. nach König, nur wenn der Sequester vorn lag, wurde
der Hüter-Schede’scbe Schnitt angewendet. Die Nachuntersuchung ergab
bei den konservativen Fällen ein wesentlich günstigeres Resultat als in
den Fällen, wo operiert werden musste.
Die Kniegelenkstuberkulose ist die Form der Gelenkstuber -
kulose, bei der Ref. vorzugsweise die Resektion anwendet. Er hat sie
in 268 Fällen ausgeführt und wendet den Textor’schen Querschnitt an.
Bei Kindern muss zur Vermeidung der sekundären Flexionskontraktur
jahrelang eine Hülse getragen werden. Von 188 Nachuntersuchungen
waren 14 gestorben, 7 davon an Tuberkulose. In den 174 Testierenden
Fällen war die Tuberkulose in 92 pCt. ausgeheilt. Bei der Resektion
im kindlichen Alter wird die Epiphyse möglichst geschont, der Knorpel
oberflächlich mit dem Messer weggeschnitzt. Infolgedessen war in den
meisten Fällen die Verkürzung der Extremität nicht sehr hochgradig.
Bei einer Verkürzung bis zu 3 cm ist sie ohne Bedeutung. Nur wenn
die Epiphysenknorpel durch den tuberkulösen Prozess zerstört waren,
wurde später eine grössere Verkürzung beobachtet. Bei entsprechender
Nachbehandlung sind Fiexionskontrakturen vollkommen vermeidbar. In
14pCt. der Nachuntersuchungen wurden stärkere Kontrakturen beob¬
achtet, bei 31pCt. war eine Kontraktur bis zu 150° vorhanden, und
in 53,4 pCt. war überhaupt keine Kontraktur nachweisbar. Das Gesamt¬
resultat bei der Kniegelenkstuberkulose war ein ausserordentlich günstiges,
da die Funktion des Beins sowie die Stellung im Kniegelenk in 83 pCt.
der nachuntersuchten Fälle ein gutes war. Aus diesem Grunde wird
die Kniegelenkstuberkulose auch im Kindesalter besser operiert als
konservativ behandelt.
Die Fussgelenkstuberkulose (220 Fälle) wurde in 60pCt.
konservativ und in 40pCt. operativ behandelt. Die Resektion wurde
bei schwerem Fungus, bei Sequestern und in Fällen von Eiterung vor¬
genommen. Von S7 Resektionen waren die Hälfte Kinder, ein Viertel im
zweiten Lebensdecennium. Die Resektion des Fussgelenks wurde nach
König ausgeführt. Die Resultate dürfen in bezug auf die definitive
Ausheilung der Tuberkulose und vor allem in bezug auf gute Gelenk¬
beweglichkeit als sehr gut bezeichnet werden (80pCt.).
Im Anschluss an diese Schilderung seines Beobach tun gsmaterials
geht Ref. noch auf Einzelheiten neuer Behandlungsmethoden ein. Wegen
der Gefahr der Sekundärinfektion warnt er vor der Inzision von Ab-
scessen. Fisteln sollen möglichst durch Resektion des tuberkulösen
Herdes zur Ausheilung gebracht werden. Bei der Stauungsbehandlung
hat Ref. wenig Erfolge gesehen, Tuberkulin hat er nie angewandt. Auch
die Röntgenbehandlung war nicht sehr befriedigend, da bei der Knochen-
und Gelenkstuberkulose die Strahlen wegen der mangelhaften Tiefen¬
wirkung und wegen der Dichtigkeit des Knochens nicht an die kranke
Stelle gelangen können. Ein grosser Wert ist auf die gute Allgeraein-
bebandlung zu legen, und zum Schluss seines Vortrages verweist G. auf
die glänzenden Ergebnisse, die Rollier mit der Freiluft- und Sonnen¬
behandlung im Hochgebirge erzielt hat. Da aber die in Rede stehende
Erkrankung 99 pCt. unbemittelter Personen betrifft, so kommen diese
Faktoren für die Mehrzahl der davon Betroffenen nicht in Betracht.
Hr. 0. Vulpius - Heidelberg: Die Heilstättenbehandlung der
chirurgischen Tuberkulose.
Die Bedeutung der Allgemeinbehandlung vor allem macht die Ver¬
bringung der chirurgisch Tuberkulösen aufs Land nötig; Hocbgebirgs-
und Seeklima sind nicht erforderlich, wohl aber reichlich Luft und Licht.
Der Enthusiasmus für physikalische Heilmethoden und für operationslo.se
Therapie der chirurgischen Tuberkulose schiesst übers Ziel, Chirurgie
und Orthopädie sind zu kombinieren mit jenen. Das Spezialsanatorium
muss also Einrichtungen für das gesamte Heilverfahren aufweisen.
Schon rechtfertigen die Erfolge die Forderung nach solchen Heil¬
stätten. Vortr. hat durch seine Erfahrungen in dem von ihm geleiteten
Sanatorium Rappenau die Ueberzeugung gewonnen, dass auoh im
Binnenlande bei richtiger Ortswahl überraschend gute Heilerfolge während
des ganzen Jahres zu erzielen sind.
Hr. Fran gen heim-Leipzig: Zur Behandlung der chronischen
Osteomyelitis am unteren Femurende.
Bei einem Patienten, der seit 15 Jahren an Fisteln des Ober¬
schenkelknochens infolge chronischer Osteomyelitis litt, und bei dem
vielfache Operationen nicht zum Ziele geführt hatten, wurde durch Im¬
plantation des M. vastus externus in die Knochenhöhle des Oberschenkel¬
knochens eine dauernde Heilung erzielt.
Demonstration des Operationsverfahrens an Bildern.
Hr. W. v. Wrzesniowski - Czestochowa: Operation und offene
Behandlungsmethode der eitrigen fistulösen Gelenkstuber¬
kulose.
Breite Eröffnung des Gelenks mit, Querschnitt von der Extensions¬
seite, im Bedarfsfälle mit Hinzufügung von beiderseitigen Längsschnitten.
Dann Aufklappen des Gelenks, wodurch die Möglichkeit einer genauen
Besichtigung geboten wird, Ausschneiden der tuberkulösen Wucherungen
in den Weichteilen und Entfernung der Krankheitsherde des Knochens.
Hierauf' Tamponade ‘des Gelenks mit Vermeidung einer Naht und
Immobilisierung Vä richtiger Stellung des kranken uelenks.’' Bei jedem
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UNIVERSUM OF IOWA
662
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Verbandwechsel wird das Gelenk aufgeklappt, der Mull entfernt, alle
Vertiefungen genau angesehen und eventuelle neue Herde der Tuber¬
kulose aufgesucht und vernichtet, dann das Gelenk nach neuerlicher
Ausfüllung mit Mull zugeklappt und immobilisiert.
Diskussion.
Hr. Bier-Berlin demonstriert eine grössere Anzahl von Patienten
mit verschiedenen Gelenkstuberkulosen, bei denen er auffallend günstige
Resultate mit Beweglichkeit der Gelenke erzielt hat. Bier vermeidet
die Fixierung der Gelenke und kombiniert mit der Stauung, die täglich
12 Stunden dauern soll, eine kräftige Jodtherapie. Kinder erhalten 2 g,
Erwachsene 3 g pro Tag. Durch diese Jodanwendung werden die sonst
bei der Stauung leicht auftretenden kalten Abscesse fast sicher ver¬
mieden. Bei 57 Fällen wurden nur zweimal Abscesse beobachtet. Sind
solche Abscesse schon vorhanden, so gehen sie auf Jodverabreichung
zurück. c
Hr. de Quervain-Basel sieht den Hauptfortschritt in der modernen
Tuberkulosebehandlung in der Berücksichtigung des Allgemeinzustandes
der Patienten. Seit 10 Jahren beschäftigt er sich mit der Sonnen- und
klimatischen Behandlung der Gelenkstuberkulose. Ungeeignet für diese
Behandlung sind die Fälle, die sekundär infiziert sind, oder bei denen
schon Amyloid der Organe vorhanden ist. In den übrigen Fällen ist ein
sehr bedeutender Prozentsatz von Heilungen beobachtet worden. Die
Dauer der Behandlung beträgt zwei Jahre, jedoch kommen auch bei ihr
zuweilen Recidive vor.
Hr. Ritter-Posen empfiehlt statt der venösen die arterielle Hyper¬
ämie, zugleich mit Anwendung des Gipsverbandes und hat hierbei vor¬
zügliche Resultate gesehen.
Hr. König-Marburg: Eine Beurteilung des Wertes der einzelnen
Verfahren ist nur möglich, wenn die behandelten Kranken einer Dauer¬
kontrolle der Kliniken, die durchaus möglich ist, unterstehen. Erst die
Zusammenstellung einer solchen von vielen Kliniken lange durcbgeführten
Kontrolle lässt eine Entscheidung über die Bedeutung der verschiedenen
Behandlungsarten zu. Zurzeit steht er ganz auf dem Standpunkt wie
Garre bezüglich der konservativen und operativen Behandlung der ver¬
schiedenen Gelenkstuberkulosen. Es müssen jedoch ausserdem die
modernen Verfahren berücksichtigt werden. Da die Mehrzahl der
Kranken die Sonnenbehandlung im Hochgebirge nicht haben kann, so
muss man nach Ersatz suchen. Die Wirkung der Sonnenstrahlen ist
durch die ultravioletten Strahlen bedingt, und solche stehen uns in den
Quarzlampen zur Verfügung. Diese Quarzlampenbestrahlung hat K. zu¬
erst bei schwer heilenden Hautwunden, dann bei Hauttuberkulose mit
gutem Erfolge angewandt Er ging alsdann zur Behandlung von
Gelenk- und Knochentuberkulosen über. Er verwendet sie als lokale
sowie auch als allgemeine Bestrahlung. Die lokale Bestrahlung des
tuberkulösen Herdes wird in einer Entfernung von 30 bis 40 cm bis zu
30 Minuten alle zwei Tage ausgeführt Es entsteht danach eine intensive
Rötung, ähnlich wie beim Gletscherbrand. Danach sehr günstige Be¬
einflussung des tuberkulösen Prozesses. Die Allgemeinbestrahlung findet
täglich statt. Es wird hierbei der nackte Körper in einer Entfernung
von einem Meter fünf Minuten bis eine Stunde lang bestrahlt. K. hat
nie eine Schädigung von dieser Behandlung gesehen, im Gegenteil,
ausserordentlich günstige Wirkungen. Lokal trat eine Besserung und
Heilung des tuberkulösen Prozesses ein, das Allgemeinbefinden hob sich,
der Appetit wurde besser, ebenso der Schlaf, die Patienten nahmen an
Gewicht zu. Nur dreimal fand eine Gewichtsabnahme statt. Im ersten
Falle handelte es sich um eine Spondylitis mit sekundärer Infektion,
im zweiten Falle lag eine Komplikation durch Herzfehler vor, und im
dritten Falle handelte es sich um ein sehr fettreiches Individuum mit
Spondylitis.
Hr. Wilms-Heidelberg hat ausgezeichnete Erfolge von der Röntgen¬
therapie gesehen, die er mit Sonnenstrahlenbehandlung kombiniert. Die
Operation wird nur bei Sequesterbildung und bei der Kniegelenkstuber-
kulose alter Leute vorgenommen.
Hr. Voelcker-Heidelberg hat in 8 Fällen von Recidiven nach Knie¬
gelenksresektion mit gutem Erfolge das Kniegelenk aufgeklappt und die
offene Behandlung durcbgeführt.
Hr. Iselin-Basel, der Begründer der Röntgentherapie, berichtet
ausführlich über seine Erfahrungen mit diesem Verfahren.
Hr. Müll er-Rostock bezweifelt die Notwendigkeit der von Herrn
Frangenheim mitgeteilten Operation.
Hr. Rosenbach-Göttingen begründet theoretisch die Wirkung des
von ihm dargestellten Tuberkulins.
Hr. Menne-Bad Kreuznach bat mit den konservativen Methoden
bei der Gelenktuberkulose vorzügliche Erfolge gesehen.
Hr. Friedrich-Königsberg warnt vor einem allzu schematisch
durchgeführten konservativen Verfahren bei der Behandlung der Gelenks¬
tuberkulose. Er ist im Laufe der Jahre immer mehr zur operativen Be¬
handlung übergegangen, deren Ergebnisse ihn weit mehr befriedigen.
Vor der von Bier angewendeten allzu reichlichen Joddarreichung bei
jugendlichen Personen warnt er wegen der Gefahr der Atrophie der
Geschlechtsdrüsen. ,,
Hr. Müller-Rostock: Zur Entstehung und Behandlung der
Gasphlegmonen;'
Die Aetiologie der Erkrankung ist keine einheitliche, jedoch wird
sie meistens durch den Bacillus caps. aerogenes hervorgevufen« Die
schweren Fälle (meist nach Schussverletzungen) geben eine schlechte
Prognose. Günstiger stehen die mittelsohweren Fälle, die nach Ver¬
letzungen der Mundhöhle sowie nach Operationen der Magen-Darm-
8chleimbaut, auch nach der Intervalloperation der Appendicitis Vor¬
kommen. Hier liegt meistens eine Mischinfektion vor. Die Therapie
der Erkrankung bestand bisher in frühzeitigen und ausgiebigen InzisioneD.
Die Mortalität betrug im ganzen 30pCt. Berücksichtigt man nur die
schweren Fälle allein, so liegt eine Mortalität von SO pCt. vor. Vortr.
selbst hat im Anschluss an eine aseptische Kniegelenksoperation eine
derartige Gaspblegmone entstehen sehen. Wie die bakteriologische
Untersuchung ergab, lag eine Reinfektion durch den Bacillus aerogenes
vor. In diesem Falle brachten die von Thiriard eingeführten Sauer-
stoffinsufflationen momentan eine Besserung des schweren Allgemein¬
zustandes. Vorübergehend wurde dieser jedoch wieder schlechter, um
bei nochmaliger Anwendung der Sauerstoffinsufflationen in eine end¬
gültige Heilung dieser gefährlichen Komplikation überzugehen.
Diskussion.
Hr. Kirschner - Königsberg hat auf dem Kriegsschauplatz des
Balkankrieges zwei solcher Fälle von Gasphlegmone gesehen. Im ersten
im Anschluss an die Zerschmetterung des Unterschenkelknochens.
Heilung durch Amputation. Im zweiten Falle trat die Gasphlegmone im
Anschluss an einen Schulterscbuss auf, breite Spaltungen führten zur
Heilung.
Hr. Wohlgemuth-Berlin hat auch bei anderen Eiterungen günstige
Erfolge durch die Sauerstoffinjektion gesehen.
Hr. W. Kausch-Berlin: Ueber Collargol.
Bei echter Sepsis mit remittierendem Fieber hat K. das Collargol
Credä nie im Stich gelassen. K. demonstriert zunächst eine Anzahl
solcher Temperaturkurven; die Temperatur steigt zuerst meist noch an,
fällt dann entweder rapid zur Norm oder auch allmählich. Gegen ein
zufälliges Zusammentreffen von spontanem Temperaturabfall und
Collargolinjektion spricht die Regelmässigkeit dieses Vorkommnisses.
Noch beweisender sind die Fälle, in denen Collargol nochmals ein¬
gespritzt werden musste, weil es zunächst nur vorübergehend half.
Demonstration von fünf solcher Kurven.
Geringen oder keinen Erfolg sah K. bei Sepsis mit kontinuierlichem
hohen Fieber. Demonstration zweier solcher Kurven.
Bei kleinen Eiterherden hilft Collargol auch, nicht bei grösseren.
Ausgezeichnet wirkt es, wenn das Fieber nach Eröffnung der Eiterherde
bestehen bleibt. Demonstration dreier solcher Kurven (Diphtherie-
halsabscess, Ohrsepsis, Empyem).
Prophylaktisch hat K. bisher Collargol noch nicht angewandt, wird
es aber tun.
K. verwendet ausschliesslich das von Credö angegebene Heyden’sche
Präparat. Die intravenöse Injektion ist die einzig rationelle Methode,
die rectale kommt nur in Betracht, wenn die intravenöse nicht gelingt
oder nicht gestattet wird.
Bei kleineren Dosen, bis 20 ccm, versucht K. die percutane Ein¬
spritzung in die Vene, bei der geringsten Schwierigkeit wird die Vene
freigelegt. Die gewöhnliche Dosis ist 10 ccm der 2 proz. Lösung, bei
ausbleibender Wirkuug und schwerster Sepsis täglich oder jeden zweiten
Tag 20—80 ccm. Die Injektion muss ausserordentlich langsam ge¬
schehen, dann ist sie völlig gefahrlos.
Dann hat K. 11 Fälle von inoperablem Krebs mit grossen Collar-
goldosen behandelt, bis 100 ccm, einen Teil davon kombiniert mit
Röntgenstrahlen. Geheilt wurde kein Fall; die Patienten liessen aller¬
dings auch nicht energische Fortsetzung der Behandlung zu.
Ein Pall von Leberkrebs, solitäre, ireigelegte Metastase nach Magen-
carcinomresektion, wurde deutlich vorübergehend gebessert. Ein Fall
zeigte bei der Sektion in den multipeln Knochenmetastasen überall
hämorrhagische Cysten (Demonstration); ein Zusammenhang mit der
Collargolbehandlung ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Fall starb
im Anschluss an die Collargolinjektion (80 ccm) drei Tage nach derselben.
Die Niere war mit Silber vollgepfropft.
Die Versuche mit Collargol bei Carcinom werden fortgesetzt, ausser¬
dem solche mit anderen Schwermetallen.
Diskussion.
Hr. Pflugrad • Salzwedel hat in vier Fällen von inoperablem
Carcinom grosse Dosen von Collargol nach dem Kausch’schen Vorschläge
injiziert und danach stets eine Reaktion, bestehend in abnormen Sensa¬
tionen im Tumor und Euphorie gesehen. Auch traten Besserungen auf.
Bei einem Falle von Struma maligna trat jedoch eine hämorrhagische
Nephritis, die zum Tode führte, danach ein. Die Drüsenmetastasen
waren in diesem Falle zurückgegangen.
Hr. Eyff - Nimptsch hat von der Anwendung des Collargols bei
puerperaler Sepsis keine sicheren Erfolge gesehen. Dagegen hat er mit
gutem Erfolge bei Erysipel zweimal das Collargol intravenös angewendet
Es wurden mehrere Tage hintereinander 10 g Collargol intravenös injiziert
Hr. Bier-Berlin-warnt vor der Ueberschätzung der Reaktion, die
nach Anwendung irgendwelcher Mittel bei Carcinom auftritt. Er hat
solche Reaktionen bei den verschiedensten Anwendungen beobachtet,
ohne aber je eine Dauerbeilung zu sehen.
Hr. Schlossmann - Tübingen: Welchen praktischen Wert
haben Blutgerinnungsbestimmungen für die Chirurgie?
Die Grundlage zur praktisohen Verwertung von Blutgerinnungs--
bestimmungen i$t das Vorhandensein eines möglichst einfach zu hand¬
habenden, dabei möglichst genau < arbeitenden .Gerinnnngsapparates.
Redner hält für die Praxis den von Bürker angegebenen für am zweck-
mässigsten.
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UNIVERSUM OF IOWA
7. April 1913,
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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GerinnungsbestimmuDgen sind in diagnostischer Beziehung chirur¬
gisch irertvoll zur Erkennung verkappter und unvollständiger Hämo-
philiefälle, bei denen die klinischen Bluterscheinungen mehr oder weniger
fehlen, trotzdem Schwergerinnbarkeit des Blutes vorhanden ist.
Als differentialdiagnostisches Hilfsmittel für klinisch zweifelhafte
Fälle von Hyper- oder Hypothyreoidismus (Kocher) bewährten sich die
Gerinnungsuntersuchungen des Blutes nicht. Nur bei ausgesprochenen
Fällen von Basedow oder Myxödem fanden sich schwache Gerinnungs¬
veränderungen in dem von Kottmann festgestellten Sinne.
Prognostisch sind Gerinnungsbestimmungen sehr bedeutungsvoll bei
chirurgischen Eingriffen bei Cholämie. Sie geben einen guten pro¬
gnostischen Anhalt sowohl für die allgemeine Widerstandskraft des
cbolämischen Organismus als auch für die Grösse der eventuell zu er¬
wartenden Nachblutungsgefahren.
Die therapeutischen Folgewirkungen der Gerinnungsuntersuchungen
sind bisher praktisch noch wenig befriedigend. Mittel zur allgemeinen
Beeinflussung von Gerinnungs&törungen sind durchaus unsicher in ihrer
Wirkung. Fortschritte hat nur die lokale Blutstillung gemacht durch
Anwendung gerinnungsfördernder Gewebssäfte. Die nach der Methode
des Redners steril und haltbar bereiteten Presssäfte aus menschlichen
Strumen und tierischem Organgewebe haben ihre gute blutstillende
Wirkung bei parenchymatösen Operationsblutungen und besonders bei
Blutungen infolge krankhafter Gerinnungsverhältnisse bewährt.
Diskussion.
Hr. Un ger- Berlin weist darauf hin, dass bei vergleichenden experi¬
mentellen Untersuchungen über den Einfluss gewisser Substanzen auf
die Gerinnbarkeit des Blutes das zu untersuchende Blut in der Weise
dem Gefäss entnommen werden muss, dass es nur das Endothel berührt.
Es muss die Vermischung des Blutes mit auch nur geringen Mengen von
Gewebssaft vermieden werden. Die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wird
durch konzentrierte Salzlösungen ausserordentlich erhöht.
Hr. Petroff-Petersburg: Es ist praktisch, nicht nur die zu lang¬
same, sondern auch die zu rasche Gerinnung des Blutes, besonders bei
der Extremitätengangrän zu berücksichtigen. Die gerinnungsbeschleuni¬
gende Eigenschaft des Presssaftes kann auch er bestätigen.
Hr. Wrede-Jena: Ueber Herzmassage.
Bei plötzlicher Herzsynkope bezweckt die direkte Herzmassage zu*
nächst eine Blutcirculation, durch die das Chloroform den Gewebszellen
entrissen werden soll. Dass tatsächlich eine solche Circulation möglich
ist, hat Vortr. durch ein Experiment erwiesen. Beim toten Hunde
wurde eine solche Herzmassage ausgeführt und ein Farbstoff in die Vena
jugularis injiziert. Dieser Farbstoff konnte in Arterien, sowie auch in
der Vena portarum nachgewiesen werden.
Weiterhin soll durch die Herzmassage eine mechanische Erregung
auf das Herz ausgeübt werden, vor allem aber soll damit eine Circu¬
lation in den Gefässen des Herzens erzielt werden. Die Vorbedingung
hierfür ist, dass ein hoher Druck in der Aorta vorhanden ist, damit das
aus dem Herzen ausströmende Blut nicht nur in diese, sondern auch in
die Herzgefässe fliesst. Diese Druckerhöhung in der Aorta wird erreicht
durch Hochlagerung, Abbindung der unteren Extremitäten, Injektion
von Nebennierenpräparaten, sowie auch durch Erregung der Medulla
oblongata.
Sehr wichtig ist die künstliche Atmung, weil hierdurch vor allem
das Narkoticum eliminiert wird. Die verschiedenen Gewebe sind ver¬
schieden empfindlich gegenüber dem Aussetzen des Blutstromes. Das
Grosshirn kann schätzungsweise nur 15 Minuten der Blutcirculation
entbehren, ohne abzusterben, während das Herz bei künstlicher Durch¬
blutung noch 24 Stunden nach Aufhören der Blutcirculation rhythmisch
zu schlagen beginnt. Demnach muss spätestens 10 Minuten nach Be¬
ginn der Herzsynkope mit der Herzmassage begonnen werden wegen der
Gefahr des Gehirntodes. Die Herzmassage muss möglichst lange fort¬
gesetzt werden. Vortr. hat bei einem Patienten noch nach 1 7a Stunden
das Auftreten normaler Herzkontraktionen beobachtet. Der Kranke ging
allerdings gleichwohl nach 3 Tagen unter den Erscheinungen des Herz¬
todes zugrunde. Bei der Sektion fanden sich circumscripte Nekrosen,
die Vortr. auf eine zu kräftige Herzmassage zurückführt. Einschlägige
Experimente, die noch nicht abgeschlossen sind, bestätigen diese Auf¬
fassung. Auf Grund dieser Beobachtung empfiehlt Vortr. in allen Fällen
schwerer Herzsynkope die Anwendung der direkten Herzmassage.
Diskussion.
Hr. Kümmell - Hamburg hat in zwei Fällen von Herzsynkope, die
nach Ausführung der Laparotomie auftrat, die direkte Herzmasssage
vom Zwerchfell aus ausgeführt und in beiden Fällen eine Heilung
erzielt.
Hr. Sie vers - Leipzig hat Experimente ausgeführt über den Einfluss
der künstlichen Atmung, Sauerstoffinjektion in das Blut, sowie von
Natrium percarbonicum. Die Experimente bezweckten die Beantwortung
der Frage, wie lange Aorta und Art. pulmonalis bei der Trendelenburg-
schen Operation ohne Tod des Tieres ausgeführt werden können. Ohne
künstliche Atmung: 27* Minuten. Mit künstlicher Atmung: 3 1 /« bis
4 Minuten. Sauerstoffinjektion: Minuten. Herzmassage: 672 Minuten.
Natrium percarbonicum in die Blutbahn: 372 Minuten. Sauerstoff¬
injektion in die Blutbahn plus Adrenalininjektion ins Herz: 7 bis
8 Minuten;
Hr. Wendel - Magdeburg hat bei einer: Herzsynkope, die während
einer Laparotomie auftrat, durch Herzmassage vom Zwerchfell aus die
Patientin retten können. . Io einem zweiten Falle, bei dem' er die Herz¬
massage nach Eröffnung des Thorax ausführen musste, lebte zwar der
Patient noch 24 Stunden, ging aber dann, ohne das Bewusstsein wieder¬
erlangt zu haben, zugrunde.
Hr. Sprengel - Braunsohweig: Die Wahl des Narkotioums bei
Operationen wegen akut entzündlicher Prozesse in der
Bauchhöhle.
Vortr. geht von dem in den Mitteilungen von Reichel (1900) und
Amberger (1909) geschilderten und als postoperative Sepsis gedeuteten
Krankheitsbilde aus, bestehend in Icterus, Unruhe, Schlafsucht, Coma,
das meist zum Exitus führt, ausnahmsweise in Heilung ausgeht. Er
selbst bat es in einer grösseren Reihe von Fällen nach Appendicitis-
operationen im akuten Stadium gesehen und hält es nach den Arbeiten
von Sippel, Stierlin u. ,a. für zweifellos, dass die ursprüngliche
Deutung des Symptomenkomplexes und seiner anatomischen Unterlage
(Verfettung innerer Organe, Herz, Nieren, und besonders Leber) unzu¬
treffend war, dass es sich vielmehr um Chloroformspätwirkung handelt.
S. hat, nachdem er zu dieser Erkenntnis gelangt war, bei der Ope¬
ration entzündlicher Erkrankungen des Abdomens das Chloroform prin¬
zipiell fortgelassen und seitdem (Oktober 1911) keinen einzigen ein¬
schlägigen Fall mehr gesehen, während er noch von Februar bis Ende
September 1911 nicht weniger als sechs Fälle (davon drei tödlich) be¬
obachtet hatte.
Er hält das Chloroform für diese Krankheitsgruppe für absolut
kontraindiziert und empfiehlt statt dessen die zweifellos für diese Fälle
ungefährlichere, vielleicht allgemein zu propagierende Morphium-Aether-
narkose.
Diskussion.
Hr. Kümmell - Hamburg empfiehlt wärmstens die Anwendung der
intravenösen Aethernarkose. Er hat bei 200 Fällen nie eine Störung
gesehen.
Hr. Finsterer-Wien bestätigt die Anschauungen SprengePs. Er
wendet bei entzündlichen Bauchafiektionen zur Eröffnung der Bauchhöhle
die Lokalanästhesie an. Bei der Eventration wird ein leichter Aether-
rausch ausgeführt.
Hr. Petroff - Petersburg empfiehlt die intravenöse Hedonalnarkose
in allen Fällen, in denen die Allgemeinnarkose gefährlich ist. Er hat
sie bis jetzt 100 mal angewandt.
Hr. Meisei - Konstanz bat schon im Jahre 1903 auf die Gefahr
hingewiesen, die das Chloroform bei allen peritonealen Infektionen hat,
und wendet seitdem nur Aether an. Hierauf führt er es zurück, dass
er in den letzten 200 Fällen einer akuten Appendicitis keinen opera¬
tiven Todesfall erlebt hat. ,
Hr. Stammler - Hamburg: Behandlung bösartiger Ge¬
schwülste mit dem eigenen Tumorextrakt. Demonstration
eines geheilten Falles.
Demonstration einer 65jährigen Patientin, bei der ein reci di vieren des
Uteruscarcinom mit Metastasen durch Behandlung mit dem eigenen Tumor
vollkommen zum Verschwinden gebracht wurde. Der Tumorextrakt
wurde aus einer Drüsenmetastase hergestellt und stellt einen sterilen
wässerigen Auszug dar, der mit etwas Toluol versetzt wurde. Injiziert
wurde, nachdem das Extrakt zwei Tage der Autolyse überlassen war.
Vortr. berichtet über seine Erfahrungen mit dieser Methode und erwähnt
einige Fälle, bei denen eine deutliche Einwirkung auf den Tumor zu
beobachten war. Ein Fall von Schleimkrebs des Netzes ist sehr ge¬
bessert. Vortr. erinnert daran, dass schon einige Fälle publiziert sind,
wo maligne Tumoren durch Behandlung mit dem eigenen Tumorbrei
geheilt wurden.
Wenn er auch dieser Therapie keine allzu grosse Bedeutung bei¬
legen möchte, so empfiehlt er sie doch in allen Fällen, wo es möglich
ist, steriles identisches Tumormaterial zu bekommen und in Kombination
mit anderen Methoden.
Demonstrationsabend.
Hr. A. Fränkel - Berlin: Ein Fall von hoohsitzendem, frei¬
beweglichem Carcinom der Flexur.
Auf Grund des Röntgenbefundes hätte der Tumor mit guter
Prognose auf abdominalem Wege entfernt werden können, auf Grund
der blossen Digitalexploration resezierte der Chirurg das Kreuzbein infolge
von Komplikationen (Patient war Diabetiker). Exitus.
Die Röntgenkinematographie des Magens erlaubt oft Vorhersagen
über die Ausdehnung und Beweglichkeit des Tumors und damit über
die Operationsprognose. Demonstration von Fällen, darunter eines, in
welchem, entfernt von dem Pylorustumor, noch zwei weitere Knotenpunkte
(an der Peristaltik nicht teilnehmende Magenregionen) festgestellt waren.
Die Palpation, selbst nach der Laparotomie, ergab keine Unterlage für
diesen Befund; erst nach der Eröffnung des Magens konnten doch
Krebsknoten palpiert werden; die Röntgendiagnostik erwies sich mithin
der Probelaparotomie überlegen und gab die Richtschnur für die allein
zureichende Operationsmethode, die subtotale Resektion.
Hr. Max Cohn-Berlin berichtet über das Ergebnis seiner
systematischen Untersuchungen des Wurmfortsatzes.
Danach zeigt dieser im Verlauf einer Verdauungsperiode weitgehende
Eigenbewegungen, er wird passiv gefüllt, entleert sioh aktiv, ändert
seine Gestalt und seine Lage mit dem Coecum und zu diesem usw.
Viele Operationsbefunde, dieuals pathologisch angesehen wurden, finden
sieb als Phasen während einer Verdauungstätigkeit Scharfe Knickungen
scheinen stets pathologisch zu sein, nbenso tage langes Gefülltbleiben.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Hr. Schmieden: Zur operativen Behandlung der schweren
Obstipation.
Unter den zahlreichen, nach Aetiologie und klinischem Befund ver¬
schiedenen Formen der chronischen Obstipation bieten diejenigen eine
günstige Prognose, bei welchen man durch vorherige exakte Röntgen¬
untersuchung Sitz und Ursache genau ermitteln und eine logisch be¬
gründete Operation ausfübren kann. Vortr. kann die interessante Beob¬
achtung eines Falles mitteilen, bei dem es sich um eine Mischform von
schwerer, über das ganze Colon ausgedehnter Atonie und massiger
Dilatation (im Sinne Sti erlin’s) mit angeborener enormer Verlängerung
der Dickdarmmesenterien handelte; der Zustand hatte zu schwerster,
seit früher Kindheit begonnener und schliesslich unerträglicher Funktions¬
störung geführt. Die Röntgenuntersuchungen zeigten, dass die grossen
und die kleinen Colonbewegungen nur äusserst schwach vorhanden
waren, und dass der hauptsächlichste, tagelange Aufenthalt der Kot¬
massen im Colon transversum stattfand. Vortr. demonstriert die radio¬
logische Funktionsprüfung vor und nach der Operation und erörtert die
Beziehungen des Leidens zur Hirschsprung’schen Krankheit.
Da bei diesen Fällen eine kausale operative Therapie unmöglich ist,
so muss man sich mit Anlegungen neuer Passagewege behelfen; die
Pointe solcher Obstipationsoperationen ist es, später Rückstauungs¬
beschwerden unmöglich zu machen. Zur Erreichung dieses Zweckes hat
Vortr. im vorliegenden Falle mit vortrefflichem Erfolge eine doppelte
Anastomosierung ausgeführt, erstens zwischen den Fusspunkten der
enorm verlängerten Fleiura sigmoidea und zweitens zwischen dem Colon
transversum und der Kuppe der Sigmaschlinge. (Demonstration der
vorhandenen Verhältnisse und der Operationstechnik an Projektions¬
bildern.)
Hr. Josef-Berlin: Cy stoskopische Bilder von Bilharzia der
Blase.
Man sieht die Bilharziaeier und Granulationstumoren in der Gestalt
des Champignons sowie ulceriert in Erdbeerform.
Hr. Oehlecker - Hamburg: Demonstration einiger inter¬
essanter und seltener Röntgenbilder.
Zwei kongenitale Skoliosen (Spina bifida anterior mit Rippen¬
anomalien — weiterer Fall von kongenitaler Skoliose mit Rippen-
anomalieu, bei der in der Pubertätszeit eine Paraplegie der Beine
auftrat). — Multiple Myelome bei einer 24jährigen Patientin. — Oesophagus-
carcinommetastasen in den Knochen beider Schultern und im Nasen¬
septum. — Uebersichtsbilder von der ganzen Halswirbelsäule mit einer
neuen Kassette mit Sehulterausschnitt. — Drei knöcherne verheilte Knie¬
gelenksresektionen bei tabischer Arthropathie. — Ersatz eines Mittel¬
handknochens bei Enchondrom der Hand. — Verdrängung des Mediasti¬
nums und des Oesophagus bei akutem Hämatopneumothorax.
Hr. E. Rehn-Frankfurt berichtet über Experimente zur Physio¬
logie und Pathologie des Pericards aus seinem Laboratorium.
Resektion desselben wird ohne Schaden vertragen. Resorption von
Kristalloiden erfolgt genau wie aus der Subcutis. Geformte Bestand¬
teile — Tuschepartikel und Bakterien — wandern durch die Lymph-
wege des Mediastinums, welches überhaupt ein Sammelbecken für die
Brustorgane darstellt. Daher wird es auch samt seinen Drüsen von der
bakteriellen Entzündung der genannten Organe ergriffen, im Gegensatz
zu der herrschenden Lehrmeinung. Pericarditis mit Adhäsionen wurde
erzielt durch Injektion von Jodtinktur und Aleuronat, aber auch von
Olivenöl; durch (Jodipin und) Sesamöl kann diesen Adhäsionen vorgebeugt
werden. Das Pick’sche Syndrom, Cirrhose bei Pericarditis konnte ex¬
perimentell reproduziert werden, es erklärt sich durch Einbeziehung der
Cava inferior in die Verwachsungen, der Blutstrom geht durch die
Azygos, und nur im Pfortadersystem kommt es zur gleichen Stauung.
Hr. Coenen-Breslau demonstriert wichtige Kriegsverletzungen
in Diapositiven, die er zusammen mit Thom-Breslau während des
Balkankrieges auf Grund eigener Beobachtungen in Athen gesammelt
hat. Die gewebszerstörende Wirkung der Infanteriekugel erkennt man
an der scharfen Begrenzung der Schussöffnungen in den Weichteilen
und an der narbigen Einziehung, die die Haut bei Haarseilschüssen er¬
leidet. Die Weichteilschüsse am Oberarm sind nicht selten von Läh¬
mungen der Nerven (N. musculocutaneus, radialis, raedianus) begleitet.
Ein Patient hatte von einem Sprenggeschoss (5 Schüsse am rechten Arm
erhalten und eine komplette Musculocutaneus- und Radialislähmung.
Die Handschüsse mit kleinem volaren Einschuss und sternförmigem
Ausschuss am Handrücken und Zerschmetterung der Mittelhandknochen
sind typisch. Bei den Gelenkschüssen fehlen oft alle Erscheinungen,
es treten aber auch fungusartige Schwellungen auf. Im Gegensatz zu
dem kleinkalibrigen Mausergeschoss ist die knochenzerstörende Wirkung
der dicken Martinikugel viel erheblicher, so dass der Knochen in grosser
Ausdehnung splittert und der Gedanke an Dumdumgeschoss aufkommen
kann. Schwere Erfrierungen an den Füssen kamen bei der Belagerung
von Janina vor, so dass ganze Teile der Füsse sich gangränös demar¬
kierten. Schüsse durch den Stirnhirn- und Gesichtsschädel machten oft
gar keine Erscheinungen, dagegen traten bei solchen durch das Hinter¬
haupt meist hemianoptische Störungen in den Vordergrund. Die Rumpf¬
schüsse, die den Thorax und die Bauchorgane in langen Schusskanälen
durchsetzten, heilten glatt. Typisch sind Durchschiessungen eines Armes
mit Fraktur und des Thorax. Dies erklärt sich aus der Haltung des
Körpers bei der Anschlagstellung. In der Tibia, Scapula, Radius, Cal-
eaneus wurden einfache Lochschüsse beobachtet. Aneurysmen wurden
in der A. radialis, brachialis, tibialis postica und zweimal an den Vasa
femoralia gesehen. Bei einem hochgelegenen arteriovenösen Aneurysma
am Oberschenkel wurde nach der Exstirpation der Arteria und Vena
femoralis durch die implantierte V. saphena mit Erfolg überbrückt
(23. II. 1913). Rinnenschüsse der Röhrenknochen und solche, bei denen
die Kugel im Mark stecken geblieben ist, können die Symptome einer
Osteomyelitis machen. Die infratrochanteren und supracondylären
Sohussfrakturen des Oberschenkels sind häufig. Zum Schluss wurden
thebanische Knochen aus der Schlacht bei Chäronea (Nationalmuseura in
Athen) demonstriert, an denen man noch die Spuren der macedonischen
Waffen deutlich erkennen kann.
Hr. Mühsam - Berlin zeigt an einer grösseren Zahl vorzüglicher
Bilder die Wirkung von Schussverletzungen des Gehirns und Rücken¬
marks. Der Schusskanal war dadurch bezeichnet, dass Aufnahmen von
vorn und von hinten gemacht und Aus- und Einschuss durch kleine
Heftpflasterstücke angedeutet war.
Hr. Goebel: Projektionsvortrag über die Einrichtung des Roten
Kreuz-Lazaretts in Tripolis.
Hr. B. Heile-Wiesbaden: Zur Darstellung des Epidural¬
raumes.
Vortr. macht seit Jahren Kochsalzeinspritzungen in den Epidural¬
raum zur Beeinflussung der Wurzelischias. Hierbei fiel ihm auf, dass
die Kranken bei der Einspritzung nur über einseitige Schmerzen klagen.
Dies war der Anlass, die Anatomie des Epiduralraumes zu revidieren.
Vortr. spritzte eine Emulsion von möglichst hochprozentigem Quecksilber
in Terpentin in den Epiduralraum, und da ergab sich, dass die einseitig
eingespritzte Flüssigkeit auch tatsächlich nur halbseitig den Epidural¬
raum ausfüllt. Nach der bisherigen anatomischen Vorstellung war der
Epiduralraum ein in seinen beiden Hälften frei kommunizierender Raum,
der nach unten frei übergeht in den Sacralraum und oben am Hinter¬
hauptsloch endet. Vortr. fand, dass in Wirklichkeit (er bestätigte dieses
Resultat an IO Leiohen) in der Mitte eine Scheidewand beide Hälften
des Epiduralraumes trennt. Diese Scheidewand sehliesst sich an der
Vorderwand des Ligamentum longitudinale posterius an und wird zum
Teil nur durch eine dünne Membran dargestellt, die aber funktionell
einen absoluten Abschluss beider Hälften gegeneinander zustande bringt
Es darf allerdings die Flüssigkeit in den Epiduralraum nicht mit starker
Gewalt eingespritzt werden, da sonst die Scheidewand nachgibt. Nach
der Demonstration des Vortr. gibt bis zu einem gewissen Grade auch
der Abschluss des Epiduralraumes nach aussen in den Intervertebral-
löchern nach. Die eingespritzte Flüssigkeit drängt an den austretenden
Nervenwurzeln den Duraraum weiter hinaus, bleibt aber immer im
Duraraum drin, während im eigentlichen Saoralraum, der nach unten zu
die Fortsetzung des Epiduralraumes bildet, unterhalb des zweiten Sacral-
wirbels die Flüssigkeit durch die Foramina sacralia in das lockere
Beckengewebe hinaustritt. Dies erklärt, warum z. B. eine Sacral-
anästhesie gut auszuführen ist, weil hier die Flüssigkeiten auf den peri¬
pheren Teil ausserhalb der Wirbelsäule im Beckenbindegewebe wirken.
Reine Epiduralanästhesien dagegen sind bislang kaum erzielt, wenn man
nicht zugleich andere Narkotica hinzufügte, weil die Flüssigkeiten nur
innerhalb des epiduralen Raumes wirken, hier aber sind die durch¬
tretenden Nerven durch eine Durascheide stark isoliert. Vortr. zeigte,
dass nach seinen Versuchen etwa 10 — 15 ccm Flüssigkeit, die in den
Sacralkanal eingespritzt wird, hinaufreicht bis zum untersten Ende der
Lendenwirbelsäule. 30 ccm reichen bis zum oberen Teil der Lenden¬
wirbelsäule und 50 ccm reichen ungefähr halbseitig bis zur Höhe der
Halswirbelsäule. Der Epiduralraum endet nach den Demonstrationen
des Vortr. nach oben nicht, wie man bislang annahm, am Hinterhaupts-
locb, sondern setzt sich, wenn auch als sehr schmaler Spalt, fort bis
zum Ansatz des Tentoriums an der Schädelbasis. Vortr. macht auf die
Bedeutung der geänderten anatomischen Vorstellung des Epiduralraumes
aufmerksam und besonders auf die Trennung des Epi dural raumes für
die beiden Körperhälften. Die Einspritzungen in den Epiduralraum
lassen sich nach der Demonstration des Vortr. nicht allein vom Sacral¬
raum aus machen, sondern sind ebensogut möglich durch die Inter¬
vertebrallöcher. Dies hat deshalb grössere klinische Bedeutung, weil
man auf diese Weise direkt Nervengebiete mit der Einspritzung treffen
kann, die man vom Sacralkanal aus erst sehr indirekt durch die hoch¬
steigende Flüssigkeit beeinflussen kann.
Hr. Perthes-Tübingen demonstriert als Belegstücke zu seinem
Vortrag Präparate von Osteochondritis deformans, der fälsch¬
lich so genannten Arthritis deformans juvenilis.
Hr. Muskens- Amsterdam demonstriert im Namen von Herrn
Krause - Berlin drei Fälle von erfolgreich operierter trauma¬
tischer Epilepsie, vou denen zwei bereits über drei Jahre ge¬
heilt sind.
Hr. Voelcker - Heidelberg: Demonstration von Pyelographien.
Die Ureteren werden durch schattengebende Katheter markiert. Das
Nierenbecken in einzelnen Fällen durch Aufrollung des Katheters, in
anderen durch Collargolinjektion. Interessant sind zwei Fälle von In¬
suffizienz des Ureterverschlusses, von denen der eine mit Verdoppelung
des einen Ureters. Bei Verschluss der Harnröhren und Aufforderung,
Harn zu lassen, injizieren diese Kranken selbst von der Blase aus
Ureteren und Nierenbecken, so dass die kongenitale Erweiterung des
ganzen Harnapparates sichtbar wird.
(Fortsetzung folgt.)
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UMIVERSITY OF IOWA
7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
665
XII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Orthopädie am 24. und 25. März 1913.
(Referat von Dr. Siegfried Peltesohn-Berlin.)
Sitzung yom 24. März (Projektionssitzung).
1 . Hr. E.G.Abbott-Portland (Maine): Ergebnisse der Skoliosen-
behandlüng.
Vortr. unterscheidet zwei Klassen von Deformitäten, solche mit und
solobe ohne circumscripten Krankheitsherd. Bei letzteren, wozu die
Skoliose zu rechnen ist, muss die Behandlung erstens in Ueberkorrektur,
zweitens in Festhalten der Ueberkorrektur bis zur absoluten Dehnung
der Bänder bestehen. Ist die Ueberkorrektur erzielt, dann kann die
definitive innere Architekturänderung nach dem WolfFschen Gesetz vor
sich gehen. Die Skoliose ist eine Steigerung und Festhaltung der
physiologisch möglichen Bewegung.
Seine Methode besteht darin, dass der Kranke in Rückenlage auf
eine Art HäDgematte mit verschieden langen Seiten gelegt wird, dass
nun der Körper flektiert wird, indem die Arme und die Beine durch
nach oben gehende Zügel aufwärts gezogen werden, während der Rumpf
einsinkt. Durch verschieden angeordnete Züge wird nun noch eine seit¬
liche Biegung und gleichzeitig eine Detorsion erzeugt. In dieser Stellung
wird für mindestens 6 Wochen ein Gipsverband angelegt; der jetzt vor¬
gebuckelten hinteren Rippenpartie entsprechend wird ein grosses Fenster,
diagonal dazu vorn werden zwei schiessschartenartige Fenster angebracht.
Durch Einschieben von Filzplatten kann die Detorsion verstärkt werden.
Die seitliche Verbiegung ist schwerer zu korrigieren als die Torsion.
Nachbehandlung in Celluloidkorsett in Ueberkorrekturstellung für
mindestens ein Jahr und mit Gymnastik ist wichtig. Air Bildern werden
die Resultate gezeigt, die auch durch mehrmonatliche Nachuntersuchung
verifiziert sind. Vortr. verwahrt sich dagegen, dass mit seiner Methode
jede Deformität korrigierbar sei.
2. Hr. Vulpius-Heidelberg: Bilder zur Technik der Abbott-
sohen Verbandbehandlung.
Vortr. hat den Originalapparat von Abbott mit gutem Erfolg be¬
nutzt und kontrolliert seine Fälle durch Moulagen.
3. Hr. Joachimsthal-Berlin: Zur Abbott’schen Behandlung
der Skoliose.
(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
4. Hr. Erlaoher-Graz: Zur Abbott’schen Behandlung.
Der Heranziehung der Atmung ist bei der Skoliosenbehandlung
grösstes Gewicht beizulegen. Vortr. hat einen Respirationsmesser kon¬
struiert, der zeigt, wie die Respirationstiefe der vorher konkaven Thorax¬
seite sofort nach Anlegung des Abbott’schen Verbandes sechs- bis acht¬
mal so gross wird wie vorher. Im Röntgenbilde kann man die Aufhellung
der entsprechenden Lungenhälfte sehen. In der Vorbehandlung sind
Respirationsübungen wertvoll.
Diskussion. Hr. Böhm-Berlin: Das Verfahren von Abbott hat
ihm nur vorübergehende Erfolge gegeben. Da 60—70pCt. Skoliosen
schon im vorschulpflichtigen Alter entstehen, muss die Skoliosenbehand¬
lung auch mit Gipsverband schon früher beginnen.
5. Hr. Axhausen - Berlin: Untersuchungen über die Genese
der Arthritis deformans.
Vortr. hat durch Elektropunktur Knorpelnekrosen bei Tieren er¬
zeugt, an die sich typische Arthritis deformans angeschlossen hat. In
den Knorpelnekrosen erblickt er das Primäre der menschlichen Arthritis
deformans. Er zeigt Mikrophotogramme, die seine Anschauung unter¬
stützen.
Diskussion. Hr. Wollenberg - Berlin: Röntgenologisch ist die
Diagnose der Arthritis deformans nicht sicher zu stellen. Er zeigt
Radiographien von primär und sekundär chronischem Gelenkrheumatismus,
macht auf die Merkmale der tuberkulösen, gichtischen, gonorrhoischen,
syphilitischen Gelenkentzündungen aufmerksam.
6 . Hr. Gramer-Cöln: Zur Anatomie der Spina bifida
occulta.
Gramer demonstriert Photographien von Becken mit Spina bifida
occulta. Er unterscheidet als Ausfallserscheinungen bei Spina bifida
occulta Klauenfuss (50 pCt.), Hohlfuss und poliomyelitisähnliche Befunde.
Bettnässer zeigen in 80 pGt. röntgenologisch Spina bifida occulta. Diese
dokumentiert sich in 40 pCt. durch Fovea coccygea.
7. Hr. Bibergeil-Berlin: Die Beziehungen der Spina bifida
occulta zum Klauenhohlfuss.
Unter 14 Kindern der Joachimsthal’schen Abteilung, die Klauen-
hoblfüsse hatten, fand er ohne jede äusseren, Symptome Spina bifida
occulta. Der neurologische Befund ist recht verschieden. Liegt eine
Myelodysplasie zugrunde, dann haben Operationen an der Spina bifida
occulta keinen Zweck.
8 . Hr. Gocht-Halle: Einige seltenere bzw. schwierigere
Frakturen.
G. empfiehlt unter anderem nach der unblutigen oder blutigen Re¬
position der Fragmente ausgedehnten Gebrauch von Schienenhülsen¬
apparaten, die den Patienten schon sehr früh gehfähig machen.
9. Hr. Delovme - Halle: Ueber Veränderungen in den Epi¬
physen bei Gelenktuberkulose.
Reizung der Epiphysen bei Gelenktuberkulose lässt sich durch
Höhen- und Breitenzunahme röntgenologisch feststellen.
10. Hr. Drehmann - Breslau: Zur Coxa vara.
D. demonstriert Röntgenbilder von Coxa vara verschiedener Aetio-
logie und weist auf die Zusammenhänge mit dem kongenitalen Femur¬
defekt, mit der Luxatio coxae usw. bin. In 13 Fällen von Coxa vara
adolescentium hat er mit bestem Erfolge sein unblutiges Redressement
ausgeführt. Je früher dieses beginnt, desto besser die Ergebnisse.
11. Hr. Brandes - Kiel: Die Heilung grösster Tibiadefekte
durch Transplantation.
Er hat die freie Transplantation bei solchen Defekten zugunsten
der modifizierten Hahn’schen Einpflanzung der Fibula aufgegeben. Er
implantiert erst das proximale Ende der benachbarten Fibula in den
oberen, nach Heilung in einer zweiten Sitzung das distale Ende der
Fibula in das untere Tibiastück. Gutes Resultat in zwei Fällen; die
Malleolengabel bleibt erhalten.
12. Hr. Peltesohn - Berlin: Transplantation bei Ulnadefekt-
Vortr. demonstriert die Bilder eines durch Tuberkulose der Dia-
physe hervorgerufenen Defektes in der Ulna mit sekundärem Radius
curvus und Luxatio radii. Wegen einer recidivierenden Fraktur des
Radius und zunehmender Verbildung des Armes implantierte er ein den
ganzen Querschnitt mit Periost umfassendes, 4 cm langes Stück der
Fibula. Glatte Einheilung. Der artifizielle Defekt in der Fibula hat
sich nach 672 Monaten bereits total und spontan ausgefüllt. Knochen¬
defekte regenerieren sich dann schnell und vollständig, wenn man für
einen genügenden Bluterguss und Verhinderung der Interposition von
Weich teilen sorgt (Bier), auch wenn sie den ganzen Querschnitt betreffen
und die Knochen in Diastase gehalten werden; das kann man auch experi¬
mentell beweisen.
13. Hr. van Assen - Rotterdam: Einige seltene Fussver-
letzungen. (Demonstration von Röntgenbildern.)
Sitzung vom 25. März 1913, vormittags.
Vorsitzender Hr. Spitzy - Graz: Begrüssung. Hinweis auf die Be¬
deutung der Orthopädie nicht nur bei der Heilung schon bestehender
Leiden, sondern auch für die Prophylaxe der Deformitäten zur Er¬
tüchtigung der Jugend, Verbesserung der Rasse, Steigerung der Militär-
fäbigkeit.
Hauptthema: Chronische Arthritis und Arthritis deformans.
a) Referate.
1. Hr. F. Kraus-Berlin: Symptomatologie, pathologische
Anatomie und interne Behandlung der chronischen Arthritis.
Die Einteilung der chronischen Arthritiden auf Grund des Röntgen¬
bildes, welches einen Schluss auf die zugrundeliegende pathologische
Anatomie zulässt, in atrophische und hypertrophische Formen (naoh
Jacobsohn - Berlin) findet seine Billigung. Bei der chronischen poly-
articulären Arthritis unterscheidet man am besten 1. Formen, deren in¬
fektiöse Basis (Tonsillitis, Gonorrhöe usw.) sicher ist; bei manchen, z. B.
dem „Rheumatismus“, ist der Infektionserreger noch unbekannt;
2. Arthritis urica; 3. primär chronische Polyarthritis (rheumatic gout
der Engländer) ohne infektiöse Erscheinungen, auf Diathesenänderung
beruhende Form. Beginn in der Synovialis, Knotenbildung, Knorpel¬
verdickung sind charakteristisch. Chirurgisches Interesse haben die
neuropathischen Formen. Therapeutisch ist bei der ersten Form das
Grundleiden zu behandeln; die sekundären Folgen können hier und bei
den anderen Formen durch Behandlung mit radioaktiven Elementen, be¬
sonders Thorium X, günstig beeinflusst werden. Bei der Gicht will er
diese Elemente lieber als das Atophan entbehren. Bei chronisch-infektiöser
Arthritis scheint die Adrenalininjektion wertvoll zu sein.
2. Hr. Poncet-Lyon: Les formes des arthrites chroniques
et de rhumatisme tuberculeux.
Die ätiologischen Formen der chronischen Gelenkentzündungen sind
sehr zahlreich. Bei den einen ist die Aetiologie offensichtlich (Trauma,
abgeschwächte Infektion wie Gonorrhöe, Diathese, Störung der inneren
Sekretion), bei den anderen ist sie unbekannt. Diese hält er für einen
Ausdruck einer „entzündlichen Tuberkulose“, d. h. einer solchen, deren
Virus zu schwach ist, um spezifische Läsionen zu erzeugen. So entsteht
der „tuberkulöse Rheumatismus“. Hierfür werden Beweise beigebracht.
Die Behandlung der chronischen Arthritiden muss besonders auf diese
Aetiologie Rücksicht nehmen. Hierhin gehören Klimato-, Diäto-, Tuber¬
kulintherapie usw. Lokal wirken gut Immobilisation, Hyperämie, Wärme-
und Lichtbäder usw. Die Radiotherapie hat gewöhnlich keine günstige
Wirkung. Die beste Behandlung ist die Heliotherapie, die er seit über
15 Jahren an wendet. Nur bei Kontrakturen soll reseziert werden.
3. Hr. Ibrahim-München: Die chronische Arthritis im
Kindesalter.
Er hat in der Literatur nur 273 Fälle gefunden. Einige Gegenden,
z. B. Graz, scheinen bevorzugt, ebenso weibliche Kinder. Beginn am
häufigsten in den ersten fünf Lebensjahren. Bei einem Drittel der Fälle
besteht eine hereditäre Disposition. Klinisch sind sekundär und primär
chronische Formen zu unterscheiden. Bei den ersteren sind Steifigkeit
und Kontrakturen, Halswirbelsäulensteifigkeit häufig; für die letzteren
ist die beschleunigte Progredienz, das centripetale Fortschreiten, die
kugelige Gelenkanschwellung, die Nackensteifigkeit mit einem eigenartigen
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666
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Augenaufschlag charakteristisch. Es werden die Komplikationen and
die Röntgenbilder besprochen. Solange wir nicht die Erreger kennen,
muss die klinische Einteilung beibehalten werden. Die innere Therapie
ist ziemlich erfolglos; die Orthopädie hat die Kontrakturen zu
strecken.
4. Hr. Preiser-Hamburg: Die orthopädische Behandlung
der chronischen Arthritis mit besonderer Berücksichtigung
der Statik.
Verwiesen wird auf diese Wochenschr., 1912, Nr. 50, S. 2384, Pro¬
tokoll der Berliner orthopädischen Gesellschaft. Demonstration von
Apparaten zur Behandlung und Präparaten zur Illustration der Ent¬
stehung von Arthritiden durch Unterbrechung der statischen Einheit und
Anomalien der Beckenstellung.
Diskussion.
Hr. Wollenberg-Berlin empfiehlt, bei chronischer Arthritis Schienen¬
hülsenapparate tragen zu lassen.
Hr. Axhausen-Berlin weist auf di? pathogenetische Bedeutung der
Knorpelnekrosen hin, die, wie seine Fälle beweisen, eine unmittelbare
und eine Fernwirkung haben.
Hr. Walkhoff-Lichterfelde: Die Knorpelnekrosen treten gegen die
Knorpel degeneration in den Hintergrund. Die Knorpel Wucherung ist
eine Reizwirkung. Aenderung der mechanischen Kraft mit Gelenkflächen¬
inkongruenz bewirkt die Knorpeldegeneration.
Hr. Schanz-Dresden: Um ein Gelenk zur Arthritis deformans zu
führen, müssen seine natürlichen Kräfte aufgebraucht sein. Vorzeitiger
Verbrauch ist durch entlastende Schienenhülsenapparate zu inhibieren.
Hr. Wern dorff-Wien wünscht, dass bei der Arthritis deformans
juvenilis der Röntgenbefund rigoroser beurteilt wird; manche der als
Arthritis deformans juvenilis publizierten Fälle sind Caries sicca des
Hüftgelenks, zu deren Diagnose das sogenannte regionäre Oedem
leider zu wenig herangezogen wird.
Hr. Perthes-Leipzig: Manche der Fälle sogenannter Arthritis de¬
formans juvenilis zeichnen sich aus durch fehlende Krepitation und
radikale Ausheilung; der Gelenkknorpel bleibt intakt.
Hr. Be eher-Münster: Demonstration eines duroh Resektion ge*
wonnenen Präparates von schwerer Arthritis deformans genus.
Hr. Tietze-Breslau billigt die Einteilung der Arthritis deformans
in eine atrophische und eine hypertrophische Form. Nach Resektion
wurden die von ihm operierten Knie fest, bekamen kein Recidiv.
Hr. Röpke-Barmen empfiehlt bei chronischer Arthritis deformans
der Finger-, Hand-, Ellbogen-, Schultergelenke charnierartige Resektion
mit Weichteilinterposition.
Hr. Jacobsohn-Charlottenburg weist auf die Vorzüge seiner Ein¬
teilung in Arthritis atrophicans und hypertrophicans hin.
Hr. Vulpius-Heidelberg spricht über Rheumatismus tuberculosus
und die Anwendung der Sauerstoffinsufflation hierbei.
Hr. Bibergeil-Berlin: Seine von Werndorff erwähnten Fälle
gehörten sicher nicht zum Typus der Caries sicca.
Hr. Wern dorff-Wien: Die 0 2 -Insufflationen stammen von ihm,
nicht von Hoffa-Wollenberg.
5. Hr. Bade-Hannover: Die Beziehungen zwischen Arthritis
deformans juvenilis und dem eingerenkten kongenital
luxierten Hüftgelenk.
Bei 131 bis zu 10 Jahren beobachteten eingerenkten Hüften mit
konzentrischer KopfstelluDg findet er in 50 pCt. röntgenologische Ver¬
änderungen teils am Kopf, teils an der Pfanne, teils an beiden. Dem
Repositionstrauma misst er keine Bedeutung bei; von Arthritis deformans
juvenilis kann man in diesen Fällen nicht sprechen.
6. Hr. Ludloff-Breslau: Die Behandlung des Hallux
valgus.
Unter Demonstration einer erfolgreich operierten Patientin teilt er
mit, dass er in 9 Fällen durch schräg von vorn unten nach hinten oben
gehende Osteotomie des Metatarsus I volle Korrektur erzielte.
Dazu weist Hr. Klaar - München darauf hin, dass der Hallux valgus
in 50pCt. kongenital-hereditär ist.
7. Hr. Henschen-Naef - Zürich: Die intrapelvine Pfannen¬
wanderung der Hüfte auf coxitisch - arthropathischer Grund¬
lage (Otto-Chrobrak’sohe Hüftdeformation).
Bericht über einen einschlägigen Fall.
8. Hr. Lorenz-Wien: Unblutige Behandlung der Pseud-
arthrosis colli femoris.
Die Diagnose der letzteren wird wegen des schleichenden Verlaufs
oft erst spät gestellt. Bei jüngeren Fällen empfiehlt sich Exasperation
in Narkose, Gipsverband in Innenrotation und Sohienenhülsenapparat; bei
alten die sogenannte Inversion, deren Erfolg auf der Anstemmung des
Trochanters an die Beckenschaafel beruht.
9. Hr. Kölliker-Leipzig: Zur Technik der Osteotomie.
K. befürwortet, die Osteotomie prinzipiell ohne vorherige Ab¬
schiebung des Periosts auszuführen; hier bewährt sich auch die
Kreissäge.
10. Hr. Stoffel - Mannheim: Neues über das Wesen der
Ischias.
Der N. ischiadicus ist keine Einheit; bei Ischias liegt eine Erkran¬
kung nur der sensiblen Bahnen vor. Die Topographie des Querschnitts
des N. ischiadicus wird an Modellen demonstriert. Je nachdem einzelne
sensible Nervenstämme erkrankt sind, resultieren verschiedene Neuralgie¬
formen. Er empfiehlt Freilegung des N. ischiadicus und Neurexhairese
nur der erkrankten Bahn. Die Schmerzen hören momentan auf; über
Dauerresultate kann er noch nicht berichten.
11. Hr. Stoffel - Mannheim: Neue Gesichtspunkte auf dem
Gebiete der Sehnenüberpflanzung bei spinaler Kinder¬
lähmung.
Bei der Transplantation ist nur ein solcher Muskel als Kraftspender
geeignet, der einen ähnlichen anatomischen Bau wie der zu ersetzende
hat. Die Spannung und Richtung des Kraftspenders muss genau be¬
rücksichtigt werden. Der Kraftspender ist periostal zu befestigen, der
gelähmte ist in ein Ligament zu verwandeln. Die elektrische Muskel¬
untersuchung während der Operation ist empfehlenswert.
Dazu bemerkt Hr. Gocht- Halle, dass auch ohne die Kenntnis
der von Stoffel beigebrachten, theoretisch vielleicht richtigen Er¬
wägungen praktisch durch die bisherigen Operationen ausgezeichnete
Transplantationsresultate erzielt worden sind.
In der Mittagspause demonstrieren Hr. Caro - Hannover einen Uni¬
versalapparat für passive Bewegungen, Hr. Legal - Breslau einen
Uebungsstuhl zur Skoliosenbehandlung und einen häuslichen Scbreibsitz
für Schulkinder, Hr. Weber-München einen neuen Extensionstisch zur
Einrenkung angeborener Hüftluxationen.
Nach mittagssitz an g.
1. Diskussion über die Abbott’sche Skoliosenbehandlung.
Hr. Riedinger - Würzburg zeigt an einem Modell, wie jede Seiten¬
beugung der Wirbelsäule mit Rotation einhergeht. Die detorquierte Ein¬
stellung lässt sich sowohl in Kyphose (Abbott) wie in Lordose (Klapp)
mit demselben Effekt erreichen, ln letzterer zu fixieren schlug er schon
früher vor. Die Extension kann man bei der Umkrümmung nicht ent¬
behren. Bei Abbott’s Behandlung wird die Reihe der Wirbelkörper
nicht beeinflusst; daher die Skoliose im Röntgenbilde nach wie vor er¬
scheint.
Hr. Lange - München meint, dass Spitzy’s sogenannte biologische
Mittelstellung die beste ist, fragt dann, ob sich später schädliche Folgen
der Kyphosierung gezeigt haben. Die nooh bis zu einem Jahre fort¬
gesetzte Nachbehandlung in Ueberkorrektur erscheint ihm bedeutungsvoll.
Hr. Biesalski - Berlin: An seinen abbottierten Skoliosen zeigte sich
die Schwierigkeit der Technik. Die Abbott’sche Haltung ist die erstarrte
Kriechstellung. Atemübungen während der Verbandperiode hält er für
wichtig. In 6 Fällen sah er conseoutive Trichterbrust.
Hr. Schanz-Dresden: Die Abbott’sche Behandlung verändert
nur den Thorax, nicht das Rückgrat. Einwirkung auf die Wirbelsäule
durch den Thorax hindurch ist unmöglich.
Hr. Lorenz-Wien: Neu ist bei Abbott’s Vorgehen die Kypho¬
sierung, die als Prophylakticum gegen Skoliose bekannt ist. Entlastung
der Wirbelkörper geschieht nur in lordotischer Stellung. Die Kypho¬
sierung scheint ihm ein gesundheitsschädliches Moment.
Hr. Vulpius - Heidelberg geht auf die technischen Schwierigkeiten
des Verfahrens ein, speziell auf die Verhütung der kompensatorischen
Lumbalkrümmung.
Hr. Spitzy - Graz: Kyphose ist die Mittel- und embryonale Stellung,
woraus die schlaffen Skoliosen entstehen. In extremer Lordose ist wegen
Verzahnung Detorsion unmöglich. Von der Kyphosierung hat er bisher
Schäden nicht gesehen. Bei linkskonvexer Skoliose kann es zu Kom¬
pressionserscheinungen des Herzens kommen. Das wichtigste und beste
bei Abbott’s Behandlung ist die Veränderung der Atmung.
■Hr. Calve-Paris hält das Verfahren für einen grossen Fortschritt
bei nicht fixierten Skoliosen.
Hr. Wullstein-Halle: Die von Abbott gezeigten Korrekturen sind
nur Scheinkorrekturen, d. h. Umformungen des Thorax. Die Wirbel¬
säule selbst kann nur durch Zugredressement beeinflusst werden. Die
Erfolge beruhen auch auf unterlassener vorheriger Mobilisierung.
Hr. Fränkel-Berlin zeigt, dass der Klapp’sche Kniegang einen
korrigierenden Einfluss auf Verkrümmungen im untersten Dorsalteil hat.
Hr. Hofbaur-Wien hält die Einengung der Bauoh&tmung bei
Abbott’s Verband für bedenklich.
Hr. W i e r z e j ew s ki - Posen: Bei angeborener Skoliose bleibt A b b o 11 ’s
Verfahren erfolglos.
Hr. Abbott-Portland beantwortet im Schlusswort eine Reihe der
an ihn gestellten Fragen und verweist auf seine Resultate. (Er demon¬
strierte am 26. März die Anlegung eines Verbandes in allen Einzel¬
heiten.)
2. Hr. Bade-Hannover: Zur Behandlung der spondylitischen
Lähmungen.
B. demonstriert einen früher spondylitisch Gelähmten, der durch
Anwendung der vertikalen Extension, Schienenhülsenapparate usw. ge¬
heilt wurde.
3. Hr. Brüning-Giessen: Statistisches zur Entstehung und
Verbreitung der Rückgratsverbiegungen.
In Städten kommen doppelt so viel Skoliosen wie auf dem Lande
vor; schlechte Ernährung ist bedeutungsvoll.
4. Hr. Müller-Berlin: Fall von Riesenwuchs.
7 jähriger Knabe mit abnorm langem Rumpf.
Hierzu zeigt Hinterstoisser-Graz ein Präparat von partiellem
enormen Riesenwuchs der Finger.
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7. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
667
5. Hr. Sohlee-Braunschweig: Einfaches Verfahren zur exakten
Skoliosenmessung.
Zwischen Rücken und einem photographischen Apparat wird ein
Messgitter eingeschaltet. Dieses wird auf den Rücken durch eine neben
der Kamera angebrachte Lichtquelle projiziert und mitphotographiert.
Hr. S oh an z- Dresden bemerkt, dass das Verfahren schon von
Semeleder ganz ähnlich beschrieben wurde.
Hr. Schlee weist auf die grossen Unterschiede beider Verfahren hin.
6. Hr. v. Saar-Innsbruck: Beitrag zur Nervenplastik.
Duroh periphere totale Implantation des Radialis in den Medianus
erzielte er bei Radialislähmung nach 2 Jahr 2 Monaten volle Heilung.
Hierzu empfiehlt
Erlacher-Graz, die Implantationsstelle stets möglichst dicht an
den Muskel zu verlegen.
7. Hr. Jansen-Leiden: Muskelbündellän'ge und neurogene
Kontrakturen.
Beide stehen miteinander insofern in einer Wechselwirkung, als die
proximierenden Muskeln kurze, die distierenden lange Muskelfasern haben,
die Masse der ersteren diejenige der letzteren übertrifft. Ein die ganze
Extremität treffender Spasmus führt daher zur Proximationskontraktur.
Der Förster’schen wie der Stofferschen Operation ist die Tenotomie oder
Myotomie vorauszuschicken.
8. Hr. Stoffel-Mannheim: Zur Behandlung der spastischen
Lähmungen.
St. bespricht seine Ansicht über das Wesen der spastischen Kon¬
traktur und deren rationelle Behandlung. Es werden verschiedene
Muskeloperationen, die man bei spastischer Lähmung ausführte, und die
■ Nerventransplantation einer Kritik unterzogen. St. erläutert kurz die
Idee und die wissenschaftliche Grundlage der von ihm angegebenen
Nervenoperation (Resektion an den motorischen Bahnen der spastisch
kontrakturierten Muskeln). Er berichtet über seine Erfahrungen mit
seiner Methode, die er an einer grösseren Serie von Patienten zur An¬
wendung bringen konnte.
Um den hypotonischen Muskeln sofort nach der Operation einen
kräftigen elektrischen Strom zuführen zu können, befestigt St. an die
Seite des diese Muskeln versorgenden Nerven einen dünnen Silberdraht,
den er aus der Wunde und aus dem Verband herausleitet. Am Tage
nach der Operation wird mit dem Elektrisieren begonnen. Sobald der
Silberdraht mit der Elektrode berührt wird, kontrahieren sich die Anta¬
gonisten der spastisch kontrakturierten Muskeln maximal.
Diskussion.
Hr. Foerster-Breslau weist darauf hin, dass die von Stoffel be¬
kämpfte Spitzy’sche Radialis-Medianusplastik theoretisch und praktisch
gut ist.
Hr. Hohmann-München befürwortet die partielle Neurektomie; sie
bewährte sich in Fällen, wo die Tenotomien nicht genügt hatten. Ob
die Resultate dauerhaft sind, ist fraglich.
Hr. Stein-Wiesbaden ist mit den Operationsergebnissen zufrieden;
Recidive kommen vor; er rät, den abgespaltenen Nervenlappen nach oben
ins Fettgewebe zu schlagen.
Hr. Erlacher-Graz betont, dass Spitzy bereits 1905 die Ana¬
tomie des Nervenquerschnittes und die Nadelelektrode beschrieben hat.
Am Untersohenkel erreicht man mit der Unterbrechung der centralen
Leitung in den sensiblen Aesten denselben Effekt wie mit der Stoffel-
seben Operation.
Hr. Peltesohn-Berlin: Die Stoffel’sche Operation hat an den
Beinen nach seinen Erfahrungen (9 Operationen) nur einen engen
Aktionsradius; am besten eignet sie sich noch für die Knieflexoren.
Hr. K o fman n- Odessa äussert sich günstig über diese Operation.
Hr. Biesalski-Berlin: Die Behandlung der spastischen Lähmungen
steht und fällt mit der postoperativen Uebungstherapie. Zwei Fragen
bleiben zu beantworten: 1. Bilden sich die spastischen Lähmungen
später spontan zurück und wann? 2. Welches sind die physiologischen
Gesetze der Uebungsbehandlung?
Hr. PlagernaD n - Stettin: Die von Stein vorgeschlagene Ver¬
sorgung des Nervenstumpfes ist bereits früher angegeben worden.
Hr. Lorenz-Wien ist bei Spasmen der unteren Extremität bisher
stets ohne Nervenschwächung mit Tenotomien ausgekommen. Die In¬
tentionsspasmen sind das Störendste.
Hr. Hertzei 1-Berlin demonstriert eine neue Gehstütze.
Hr. Guradze-Wiesbaden: An den Beinen sind die Tenotomien
nicht zu entbehren.
Hr. Stoffel (Schlusswort): Die Nachbehandlung ist sehr wichtig,
ebenso wichtig wie die Operation, das habe er stets betont. Am
N. obturatorius kommen Varietäten in Form von drei Aesten vor.
9. Hr. v. Aberle-Wien: Beiträge zur Klinik und Therapie
der Fettembolie.
Diese ist die grösste und einzige Gefahr bei orthopädischen Ope¬
rationen. Um bei Korrektur einer Kniekontraktur das Eintreten von
Fett in die Blutbahn zu verringern, ist die paraartikuläre Infraktion zu
verhüten, bei hochgradigen Fällen offen zu operieren, dabei die Vena
poplitea bis zur vollkommenen Fixation im Gipsverband zu kompri¬
mieren. Esmarch’sche Blutleere ist kontraindiziert, bei Fettembolie die
Herzkraft zu erhalten.
10. Hr. Streissler - Graz:, Ueber Madelung’sohe Hand-
deformit&t. '
St. berichtet über syringomyelitisohe, chronisch-rheumatische, trau¬
matische Handgelenksdeformitäten mit Madelung’^chem Typus. Die
Gelenkfläohe des Radius sieht hierbei nach abwärts; die Seitendeviation
ist nicht bedeutungsvoll. Die Aufrichtung des Radiusendes ist operativ
durch bogenförmige Osteotomie zu bewirken.
11. Hr. Springer-Prag: Operation der Gabelhand, speziell
bei der Madelung’sohen Deformität.
Die Fälle des Vorredners sind keine „Madelung'schen Deformitäten“
gewesen. Bei der Behandlung der Gabelhand ist die Durchscbneidung
des Pronator quadratus, die quere Osteotomie und Detorsion des Radius
im Sinne der Supination mit Eingipsen in Ueberkorrektur die physio¬
logisch richtigste und praktisch beste Operation.
12. Hr. Röpke-Barmen: Ueber die Verwendung frei trans¬
plantierter Sehnen in der Behandlung des paralytisohen
Klumpfusses.
Er verwendet hierzu die Sehne des Palmaris longus, die auf die
Peronealseite des vorher vollkorrigierten Klumpfusses zu implantieren ist.
13. Hr. Glässner-Berlin: Zur Aetiologie und Therapie der
Coxa vara.
Demonstration von unblutig redressierten Patienten mit Coxa vara.
14. Hr. Maass - Berlin: Zur. Operation der kongenitalen
Vorderarmsynostose.
Bei einem 11 Monate alten Kinde mit Synostosis radioulnaris re¬
sezierte er das obere Radiusende und entfernte einen Keil aus dem
proximalen Ende der Ulna mit hinterer Basis.
Hierzu bemerkt Hr. Rosenfeld-Nürnberg, dass die einfache Osteo¬
tomie des Radius genügt.
15. Hr. Müller - Stuttgart empfiehlt bei der Behandlung der
Klumpfüsse die Keilosteotomie.
16. Hr. v. Mayersbach - Graz: Operative Behandlung des
Pes adductus.
Zur Vermeidung eines Pes valgus infolge Ueberdehnung der kleinen
Fussmuskeln wird versucht, den vorderen Insertionspunkt des M. abduct.
hallucis vom lateralen auf das mediale Sesambein zu verlegen. Dadurch
wird auch die Adduktionstendenz des Vorderfusses ausgeschaltet.
Verschiedenes.
Zur Mortalitätsstatistik.
Nach einer soeben erfolgten Zusammenstellung Robert Behla’s
im Preussischen Statistischen Landesamt für das Jahr 1912 in Preussen
zeigt sich, dass 1912 viel günstiger abschneidet als das Hitzejahr 1911.
Es tritt wieder eine dem Hochstand unserer modernen Hygiene ent¬
sprechende abnehmende Tendenz hervor in bezug auf die Gesamtmorta¬
lität sowie die Säuglingsmortalität. Gestorben sind im ganzen 1912 nur
636 078 gegen 696 854 im Jahre 1911 und 637 982 im Jahre 1910.
Gestorben im ersten Lebensjahr sind 1912 171 3S2 gegen 223 229 im Jahre
1911 und 191901 im Jahre 1910, d. h. auf 1000 Lebende starben über¬
haupt 1912 = 15,46, 1911 = 17,21, 1910 = 16,13, auf 1000 Lebend-
geborene starben Säuglinge 1912 = 144,74, 1911 = 187,71, 1910 = 157,37.
Die Promillesätze für die Gesamtbevölkerung und der Säuglinge zeigen 1912
Ziffern, wie sie früher noch nicht erreicht worden sind. Dies in bonam
partem, in malam partem sind allerdings auch wieder weniger geboren: 1912
= 1 184036, 1911 = 1 189217, 1910 = 1219 447; auf 1000 Lebende
1912 = 28,79, 1911 = 29,36. Behla hat vom bevölkerungsstatistischen
Standpunkt die Frage gestellt: Lässt sich bei diesen Ziffern eine Grenze
voraussehen? Mit Berücksichtigung aller einschlägigen Faktoren und des
schon Erreichten kommt er zu der Folgerung, dass für die Heirats- und Ge¬
burtenziffer eine bestimmte Grenze nicht festzusetzen ist, auch nicht für die
bei der Bewegung der Bevölkerung eine wichtige Rolle spielende Wande¬
rungsziffer, da — der menschlichen Willkür unterworfen. Anders bei
der Mortalitätsziffer. Hier sind natürliche Grenzen gesetzt, und diese
dürften betragen für die Gesamtsterblichkeit auf 1000 Lebende = 12,
für die Säuglingssterblichkeit auf 1000 Lebendgeborene = 100 — in An¬
betracht von Zuständen, die in einigen Ländern und Orten schon erreicht
worden sind. Weiter hinunter wird man aber im allgemeinen nicht
kommen, wenn auch einzelne Städte schon niedrigere Ziffern aufweisen.
Letztere wollen aber statistisch kritisch betrachtet sein; sie sind nicht
ohne weiteres ein Gradmesser für besonders sanitäre Städte. Bei den
Mortalitätsziffern der Städte kommen in Betracht, ob An- oder Ab¬
wesenheit von Krankenhäusern, Garnisonen, Einwanderung von Leuten
im kräftigen Mannesalter etc. Derartige Momente müssen bei der Be¬
urteilung niedriger Zahlen stets in Rechnung gezogen werden.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose hält seine Generalversammlung im Reicbstagsgebäude am
8. Mai ab. Vortragsthema: „Heilstätte und Krankenhaus in der Ver¬
sorgung der Tuberkulösen.“ Besondere Einladungen ergehen nur an die
Mitglieder. Den interessierten Kreisen stehen in der Geschäftsstelle des
Zentralkomitees, Linkstrasse 29, soweit der Platz reicht, Einlasskarten
zur Generalversammlung unentgeltlich zur Verfügung. Am 7. Mai
findet die Ausschusssitzung statt.
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668
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
— Das Internationale Komitee für das ärztliche Fort¬
bildungswesen versendet folgende Mitteilung: Als „Assooiation inter¬
nationale de Perfectionnement Scientifique et Medical“ bezeichnet sich
seit einiger Zeit die Vereinigung für ärztliche Reisen unter der Leitung
des Herrn Bazot. Da das Internationale Komitee für das ärztliche
Fortbildungswesen mehrfach entsprechende Anfragen erhielt, so teilt es
hierdurch mit, dass es in keinem Zusammenhänge mit der genannten
privaten Reisevereinigung steht. Der Zweck des Internationalen Komitees
ist die Förderung der gemeinsamen auf den ärztlichen Unterricht sich
erstreckenden Fragen und die gegenseitige Belehrung auf Grund der in
den einzelnen Ländern gewonnenen Erfahrungen. Mitglieder des Inter¬
nationalen Komitees und der Konferenz sind ausschliesslich die von den
zuständigen Landesorganisationen oder den Staatsregierungen der be¬
teiligten Länder ernannten amtlichen Delegierten. Die nächste Sitzung
des Internationalen Komitees betrifft eine internationale Konferenz für
das ärztliche Unterrichts- und Fortbildungswesen im August d. J. in
London, im Anschluss an den dort tagenden XII. „Internationalen
medizinischen Kongress“. Bureau: Kaiserin Friedrich-Haus iür das ärzt¬
liche Fortbildungswesen, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4.
— Am 25. März tagte in Berlin zum ersten Male die neubegründete
Vereinigung der Krankenhausärzte. Der Vorsitzende, Prof. Dreesmann-
Cöln, wies in seiner Eröffnungsansprache auf die Notwendigkeit des Zu¬
sammenschlusses und Beitiittes zu dieser Vereinigung hin. Die An¬
wesenheit der Herren Kuhns und Dumas vom Leipziger Verbände und
des Herrn Herzau vom Deutschen Aerztevereinsbund bewiesen, dass
sonderbündlerische Interessen in der neuen Vereinigung nicht verfolgt
werden sollen. Hierauf erstattete Pagenstecher-Wiesbaden den Be¬
richt, aus welchem wir entnehmen, dass die Vereinigung zurzeit schon
über 300 Mitglieder zählt. P. besprach die Zwecke der Vereinigung,
worunter zu nennen sind: Pflege der wirtschaftlichen und sozialen
Stellung des Krankenhausarztes (Eingriffe Vorgesetzter Behörden in die
Hocorarrechte der Aerzte, Anstellung auf Kündigung, ein sehr wunder
Punkt, trotz der Beschlüsse des Aerztetages). Vor allem Pflege des
inneren Krankenhauswesens und Krankenhausbetriebes, endlich Organi¬
sationsfragen. Darauf referierte Geheimrat Sprengel - Braunschweig
über die Assistenten- und Praktikanten frage; die Ausführungen gipfelten
in folgenden Thesen: 1. Der Gedanke des sogenannten praktischen
Jahres, d. h. der einjährigen praktischen Ausbildung jedes Arztes nach
Beendigung der Universitätsstudien, ist im Prinzip richtig. 2. Die ideale
Form der Ausführung dieses Gedankens ist die Assistententätigkeit;
erst in zweiter Linie und als Notbehelf die Praktikantentätigkeit. 3. Des¬
halb sind diejenigen gesetzlichen Vorschriften zu beseitigen, welche
diesem Grundsatz im Wege stehen, vor allem die Bestimmung, dass nur
der Assistent werden kann, der das sogenannte praktische Jahr
erledigt hat. 4. Die Versammlung hält es für das Einfachste, Freiheit¬
lichste und praktisch Zuverlässigste, den § 59 der Prüfungsordnung für
Aerzte dahin umzuändern, dass „nach bestandener ärztlicher Prüfung
eine einjährige praktische Ausbildung im Krankenhause oder in einer
Universitäts-Poliklinik vorgeschrieben wird, die als Assistent oder
als Praktikant zu erlangen ist, und zwar in jeder der grossen Dis¬
ziplinen: Interne Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Irrenheilkünde, patho¬
logische Anatomie“. 5. Um dem formellen Bedenken bezüglich der
Vorschriften über Attestieren und Rezeptieren zu begegnen, empfiehlt es
sich, die „Approbation“ zu teilen in eine bedingte, für den Dienst
des praktischen Jahres, und eine definitive für die freie Praxis. — Nach
längerer, eingehender Diskussion, aus welcher sich ergab, dass die Frage
zurzeit völlig spruchreif ist, aber trotzdem nicht recht vorrückt, wurden
die obigen Leitsätze einstimmig angenommen. Der Vorstand wurde be¬
auftragt, seine Ansicht an geeigneter Stelle vorzubringen. Zum Schluss
verlas Kühler - Kreuznach kurz seine Thesen über Krankenhausärzte
und Versicherungsgesetze.
— Im Kaiserin Auguste Viktoria-Hause zur Bekämpfung der Säug¬
lingssterblichkeit traten mit Beginn des neuen Etatsjahres am 1. April
folgende Stellenveränderungen ein: Die bisherigen Oberärzte Dr. Bahrdt
und Dr. Rott sind zum stellvertretenden Direktor bzw. Dirigenten des
Organisationsamtes für Säuglingsschutz der genannten Anstalt ernannt
und der I. Assistent Dr. Thomas zum Oberarzt bestellt worden.
Memmingen. Medizinalrat Dr. Huber, der bekannte Helmintho-
loge und medizinische Historiograph, ist im Alter von 83 Jahren ge¬
storben. Er war einer der Aerzte der alten Schule, die inmitten einer
allgemeinen ärztlichen Praxis es fertig brachten, auch auf wissenschaft¬
lichem Gebiet Hervorragendes zu leisten.
— Um die weitverbreiteten Seuchen aller Art in Jerusalem zu
bekämpfen und die gesundheitlichen Uebel der vielbesuchten Stadt mit
ihren heiligen Stätten zu beschränken, hat sich vor einiger Zeit ein
Komitee gebildet, dem hervorragende Männer der ärztlich-hygienischen
Wissenschaft und Vertreter aller Konfessionen angehören. Das Komitee
hat im Sommer v. J. zur Erforschung der Sachlage unter Führung von
Prof. Dr. Müh lens vom tropenhygienischen Institut in Hamburg eine
wissenschaftliche Expedition nach Jerusalem entsandt und dort unter
Mitwirkung der Behörden und Aerzte eine hygienische Untersuchungs¬
stelle begründet. Sie hält enge Fühlung mit der von dem Philantropen
Nathan Strauss in New York für die Gesundheitspflege in den jüdi¬
schen Quartieren eingerichteten Fürsorgestelle. Prof. Dr. Mühlens,
der auf kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt ist, wird über seine
Forschungsergebnisse und die zur Assanierung Jerusalems geeigneten Maass¬
nahmen am 9. April, abends 8 Uhr, in der Singakademie zu Berlin einen
populären Vortrag halten mit Lichtbilderdarstellungen der heiligen
Stätten usw. Eintritt zu der Verammlung frei.
Hochsohulnaohrichten.
Berlin. Der Privatdozent für Neurologie, Dr. Förster, Dr. Vogt,
Vorsteher am neurobiologischen Laboratorium und Dr. Bielschowsky,
Abteilungsleiter an demselben Instistut, erhielten den Titel Professor. —
Breslau. Geheimrat Küstner, Direktor der Universitäts-Frauenklinik,
feierte sein 25 jähriges Jubiläum als Ordinarius. — Bonn. Prof.Verworn,
Direktor des physiologischen Instituts, und Prof. Westphal, Direktor
der psychiatrischen Klinik, wurden Geheime Medizinalräte. — Königs¬
berg. Dr. Bartels, Privatdozent für Anatomie, erhielt den Titel Pro¬
fessor. — Strassburg. Prof. Spiro wurde Honorarprofessor. — Wien,
ao. Prof. Chiari erhielt die Ernennung zum Ordinarius der Laryngologie
und Rhinologie. Der Privatdozent für Orthopädie, Dr. Reiner, ist ge¬
storben. — Graz. Die ausserordentliche Professur für Ohrenheilkunde,
die Prof. Hab er mann innehat, wurde in ein Ordinariat umgewandelt.
— Lemberg. Prof. Jurasz wurde Ordinarius für Laryngologie und
Ohrenheilkunde.
Amtliche Mitteilungen.
Feznsonal ien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Geh. San.-Rat Dr.
W. Boldt in Berlin, San.-Rat Dr. M. Alsberg in Cassel.
Charakter als Geheimer Medizinalrat: ordentl. Professoren Dr.
M. Verworn und Dr. A. Westphal in Bonn.
Prädikat Professor: Privatdozenten Dr. E. Förster und Dr. G.
Levinsohn in Berlin, Dr. P. Bartels in Königsberg und Dr. F.
Eichelberg in Göttingen; Vorsteher des Neuro-biologischen Labora¬
toriums der Universität in Berlin Dr. 0. Vogt; Assistent am Neuro¬
biologischen Laboratorium daselbst Dr. M. Bielschowsky.
In den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Esch-
Waltrup in Cöln; Wissenschaft. Mitglied der Versuchs- und
Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in
Berlin, Prof. Dr. H. Wo Iper t.
Ausgeschieden aus dem Staatsdienste: Kreisassistenzarzt Dr.
Wrobel in Kattowitz.
Versetzt: Kreisarzt Dr. Heinze von Potsdam nach Angermünde, Kreis¬
arzt Dr. Stoffels von Wipperfürth nach Cöln.
Ernennungen: Prof. Dr. L. Jores in Cöln zum ordentl. Professor in
Marburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Lubarsch in Düsseldorf zum
ordentl. Professor in Kiel, Privatdozent Prof. Dr. K. Spiro in Strass¬
burg zum Honorarprofessor daselbst; Kreisassistenzarzt Dr. J. Mar-
mann in Koblenz zum Kreisarzt und Vorsteher des Medizinalunter¬
suchungsamtes in Potsdam, Kreisassistenzarzt Dr. A. Suessmann in
Liegnitz zum Kreisarzt in Wipperfürth, Arzt Dr. R. Rüdlin in
Triebei (N.-L.) zum Kreisassistenzarzt in Kattowitz, Arzt Dr. B.
Kerckhoff in Haren zum Kreisassistenzarzt in Liegnitz, Arzt Dr. F.
Schrammen in Cöln zum Kreisassistenzarzt in Königsberg i. Pr.
Zu besetzen: zwei Assistentenstellen bei dem Königlichen Hygieni¬
schen Institut in Beuthen i. Oberschi, mit durchschnittlich 2100 M.
Jahresremuneration; für eine Stelle ist Dienstwohnung gegen geringe
Mietvergütung vorhanden, mit der anderen Stelle sind voraussicht¬
lich nebenamtliche Einnahmen verbunden. Meldungen sofort an den
Institutsdirektor.
Niederlassungen: Dr. G. Neugebauer in Striegau, Dr. E. Lange
in Halle a. S., Dr. F. Th. G. A. Alb recht in Bodenfelde.
Verzogen: Dr. J. Zabbe von Königsberg nach Domnau, Arzt M.
Brexendorf von Lauenburg i. P. nach Neu-Ruppin, Dr. M. Her¬
ford von Altona nach Görlitz, Arzt L. Langer von Breslau nach
Beuthen O.-Schl., Dr. W. Armbruster von Schkeuditz nach Henfen-
feld i. Bayern, Dr. E. Boehnke von Königsberg i. Pr. und Dr. Th.
Voeckler von Leipzig nach Halle a.S., Dr. J. Basten von Bad Orb
nach Bonn, Dr. A. Ko.ppel von Dresden nach Cöln, Arzt P. Berger¬
hoff von Bedburg nach Rosbach a. Sieg, Dr. J. Th au er von Erlangen
naoh Neunkirchen, Dr. A. Saveis von Cöln nach Saarbrücken.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. E. Hirsch¬
feld und Dr. H. Cobliner von Berlin, Dr. E. Jacoby von Slawen-
tzitz, Arzt H. Irsch Von Trier.
Gestorben: Dr. L. Eisengräber in Eisleben, Dr. Fritsohe in
Bodenfelde. ,
Berichtigung.
In dem Artikel Ton ton in Nr. 13 dieser Wochenschrift muss es
auf Seite 580, 1. Spalte, Zeile 43 von oben heissen: Mit etwa 30 In¬
jektionen ä 0,01, nicht 0,1.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. HanB Kohn, Berlin W., Bayrouther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Oie Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis Tierteljährlich <$ Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen nnd PostanBtalten an.
BERLINER
Alle Binsendungen ffcr die Redaktion und Bxpeditioh
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirsehwald in Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
KL1NM3IE WOCHENSflffiTFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen*
Redaktion: Expedition:
Geh. Mcd.-Rat Prof. Dp. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirsehwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 14. April 1913.
M 15.
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Originalton: Westphal: Ueber die Behandlung der progressiven Para¬
lyse. S. 669.
Joachimsthal: Ueber Abbott’s Methode der Behandlung seitlicher
Rückgratsverkrümmungen. (Aus der Universitäts-Poliklinik für
(22 ? orthopädische Chirurgie zu Berlin.) (IUustr.) S. 671.
8H^Arnoldi: Der prozentuale Chlorgehalt des Blutserums bei koch¬
salzarmer und kochsalzreicher fleischfreier Ernährung sowie bei
verschiedener Flüssigkeitszufuhr. (Aus dem medizinisch - poli¬
klinischen Institut der Universität Berlin.) S. 675.
Pfeiffer: Quantitative Eiweissbestimmungen im Urine für den
praktischen Arzt. S. 677.
Huber: Ueber die Blutveränderungen bei Icterus haemolyticus.
(Aus dem Auguste Viktoria-Krankenhause Berlin-Schöneberg.)
S. 681.
Mosse: Zur Frage des hämolytischen Icterus. S. 684.
Ephraim: Beiträge zur endoskopischen Diagnostik und Therapie
endothoracischer Tumoren. (IUustr.) S. 685.
Freudenthal: Ein (neuer) Kunstgriff zur (unblutigen) Erweiterung
des grad-verengten Beckens. S. 688.
Gessner: Ueber die Wirkung des Phosphors im Phosphorlebertran
bei Rachitis als Inflammator. S. 688.
Büeherbesprechungen : Rubens: Die Entwicklung der Atomistik. S. 690.
(Ref. Buttersack.) — Passow: Trommelfellbilder. S. 690. (Ref.
Schwabach.) — Schottlaender und Kermauner: Zur Kenntnis
des Uterusoarcinoms. S. 690. (Ref. Aschheim.) — Neuberg: Be¬
ziehungen des Lebens zum Liebt. S. 691. (Ref. Haberling.) —
Bang: Der Blutzucker. S. 691. (Ref. Schirokauer.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 691. — Pharmakologie. S. 692. —
Therapie. S. 692. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 692. — Diagnostik. S. 698. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 693. — Innere Medizin. S. 694. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten. S. 694. — Kinderheilkunde. S. 695. —
Chirurgie. S. 695. — Röntgenologie. S. 696. — Urologie. S. 696. —
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 696. — Geburtshilfe und
Gynäkologie. S. 696. — Augenheilkunde. S. 697. — Hals-, Nasen-
und Ohrenkrankheiten. S. 697. — Hygiene und Sanitätswesen.
S. 697. — Militär-SanitätsweseD. S. 697.
Verhandlung«! ärztlicher Gesellschaften: Verein für innere Medizin
und Kinderheilkunde zu Berlin. S. 698. — Gynäkologische
Gesellschaft zu Berlin. S. 698. — Medizinische Sektion der
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu
Breslau. S. 699. — Breslauer psychiatrisch-neurologische
Vereinigung. S. 701. — Verein der Aerzte Wiesbadens.
S. 703. — Aerztlieher Verein zu Hamburg. S. 704. —
Aerztlioher Verein zu Frankfurt a. M. S. 704. — Aerztlieher
Verein zu München. S. 705. — Physikalisch-medizinische
Gesellschaft zu Würzburg. S. 705. — Naturhistorisch¬
medizinischer Verein zu Heidelberg. S.706. — Nürnberger
medizinische Gesellschaft und Poliklinik. S.707.— Unter-
elsässischer Aerzteverein zu Strassburg i. E. S. 707. —
Medizinische Gesellschaft zu Basel. S.708. — K.k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien. S. 708. — Gesellschaft für
innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien. S. 709. —
Verein deutscher Aerzte zu Prag. S. 709.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 709.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 716.
Amtliche Mitteilungen. S. 716.
Ueber die Behandlung der progressiven Paralyse.
Von
A. Westphal- Bonn.
Die Frage der Behandlung der progressiven Paralyse ist erst
vor kurzem Gegenstand eines ausführlichen von Spiel ineyer
und E. Meyer 1 ) auf der Kieler Versammlung des Deutschen
Vereins für Psychiatrie erstatteten Referats gewesen, in dem dieses
Thema in kritischer Weise nach den verschiedensten Richtungen
bin erschöpfend behandelt worden ist. Bei der an dieser Stelle
gebotenen Kürze sei es mir gestattet, nur anf einige jetzt be¬
sonders aktuelle Punkte, welche bei der Behandlung der pro¬
gressiven Paralyse in Frage kommen, hinzuweisen.
Ist die Dementia paralytica überhaupt einer Heilung zu-
gängig? Das ist die Frage von prinzipieller Bedeutung, welche
sich ans zunächst aufdrängt. Es ist allgemein bekannt, dass die
Paralyse in der Regel in wenigen Jahren, seltener nach einer
längeren Reihe von Jahren zum Tode führt, dass aber in den
verschiedensten Stadien der Krankheit Remissionen Vorkommen,
in denen die krankhaften Erscheinungen oft für lange Zeit ver¬
schwinden und sich zurückbilden können. Das Vorkommen
solcher weitgehender Remissionen sowie die Beobachtung von
Fällen sogenannter „stationärer“ Paralysen hat den Gedanken
1) Archiv f. Psychiatrie u. Nenrenkrankh., Bd. 50, H. 1.
nabegelegt, dass vielleicht auch einmal eine dauernde Heilung
der Krankheit Vorkommen könne. Eine ganze Reibe solcher an¬
geblich geheilter Paralysen sind in der Literatur beschrieben
worden, welche jedoch fast ausnahmslos einer Kritik, die wir auf
Grund unserer heutigen diagnostischen Hilfsmittel, vor allem der
Untersuchung des Serams und des Liquors, anlegen müssen,
schon vom klinischen Standpunkte aus betrachtet, nicht stand¬
halten. Auch der berühmte Tuczek’sche Fall kann heute nicht
mehr als einwandfrei bezeichnet werden, wie der Autor selbst
auf Grund seiner nenen Erfahrungen zugibt.
Noch zweifelhafter erscheinen die Fälle von geheilter Para¬
lyse im Lichte unserer vorgeschrittenen Kenntnisse der patho¬
logischen Anatomie des Leidens.
Die von Alzheimer aufgestellte Forderung, dass alle
Zeichen einer Progression des krankhaften Prozesses fehlen, nur
die irreparablen Störungen nachweisbar bleiben müssten, bat sich
bisher nicht erbringen lassen, so dass Spielmeyer (1. c.) zu¬
sammenfassend hervorhebt, dass wir heute noch keinen anatomisch
bewiesenen Fall geheilter Paralyse besitzen.
Wenn demnach nach dem heutigen Standpunkt unserer
Kenntnisse der Beweis der Heilung einer Paralyse noch in keinem
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UNIVERSUM OF IOWA
670
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Falle in einwandfreier Weise erbracht ist, soll die Möglichkeit
des Vorkommens eines Dauerzustandes, der praktisch einer
Heilung nahekommt, nicht bestritten werden. Vor allem
fordern die Fälle von langdauernden und gut ausgebildeten
Remissionen dazu auf, die Bedingungen zu erforschen, unter denen
dieselben aufgetreten sind, um auf diese Weise Anhaltspunkte
für ein therapeutisches Eingreifen zu gewinnen. Was den Zeit¬
punkt des Einsetzens therapeutischer Maassnahmen bei der Para¬
lyse betrifft, so sollte man bei dem fortschreitenden Charakter
des Leidens annehmen, dass eine möglichst frühzeitige Behandlung
noch am ehesten einen Erfolg erwarten lasse, und dass die Er¬
kennung der Paralyse in ihren Frühstadien schon aus diesem
Grunde von der grössten Wichtigkeit sei. Besonders ist es das
sogenannte „neurasthenische“ Vorstadium der Paralyse, dessen
Verkennung und falsche Beurteilung für den Kranken und für
dessen Familie nicht selten verderbliche Folgen hat. Wenn auch
eine Reihe von Erscheinungen dieses Stadiums, Reizbarkeit,
Stimmungswechsel, Schlaflosigkeit, Gedächtnisstörungen, Gefühl
von Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit weitgehende Aehn-
lichkeit mit einfachen neurasthenischen Störungen haben kann,
weist doch oft die eigenartige Stumpfheit, mit der die Para¬
lytiker ihre Klagen Vorbringen, im Gegensatz zu der scharfen
Selbstbeobachtung des Neurasthenikers, die Schlaffheit und Leere
der Gesichtszüge, Angaben über Charakterveränderungen des
Kranken und über Veränderungen ihres sozialen Verhaltens auf
die Natur des Leidens hin, auch wenn die körperliche Unter¬
suchung zu dieser Zeit noch keine deutlichen Störungen er¬
kennen lässt.
Bei früher syphilitisch infizierten Neurasthenikern gestaltete
sich bis vor kurzem in solchen Fällen die Diagnose mitunter zu
einer recht schwierigen, so dass oft längere Zeit eine Entscheidung,
ob Neurasthenie oder Paralyse vorlag, nicht getroffen werden
konnte, bis das Auftreten oder das Fortbleiben von körperlichen
Lähmuogserscheinugen der Diagnose den richtigen Weg wies.
Diese diagnostischen Schwierigkeiten sind in letzter Zeit
durch die serologischen Untersuchungen und besonders durch die
Untersuchung des Liquors verringert worden. Schon der Nach¬
weis der Lymphocytose im Liquor wird in Fällen dieser Art von
grosser Bedeutung sein, da er auf eine organische Erkrankung
des Centrainervensystems hinweist, allerdings mit der Ein¬
schränkung, dass nach den neuen Untersuchungen Haupt-
mann’s 1 ) auch im Sekundärstadium der Lues Lymphocytose Vor¬
kommen soll, ohne dass eine Erkrankung des Centralnerven¬
systems vorzuliegen braucht. Findet sich ausser der Lympho¬
cytose noch positiver Wassermann und Phase I Nonne-Apelt,
dann wird das Vorliegen einer organischen, auf Syphilis be¬
ruhenden Erkrankung des Centralnervensystems sehr wahrscheinlich.
Für die schwierige und therapeutisch wichtige Differential¬
diagnose zwischen progressiver Paralyse und syphilitischer Pseudo¬
paralyse wird dann die Stärke der Lymphocytose und der Ei-
weissvermehrung im Liquor, die bei Paralyse in der Regel er¬
heblicher ist als bei der Pseudoparalyse, in die Wagschale fallen,
ohne dass jedoch im speziellen Falle diesem Verhalten immer
eine ausschlaggebende Bedeutung zuzukommen braucht. In zweifel¬
haften Fällen spricht dann der positive Wassermann im Blut für
Paralyse, während er bei Anwendung derselben Liquormengen bei
syphilitischer Pseudoparalyse meist negativ ausfällt. So über-
eiqstimmend die Ansicht der meisten Autoren über die Wichtig¬
keit des positiven Wassermann im Liquor für die Diagnose der
Paralyse ist, sind die Ansichten über das Vorkommen des
negativen Wassermann bei dieser Krankheit noch geteilt. Io
jüngster Zeit hat Kircbberg 2 ) bei einer grösseren Zahl von
Paralysen negativen Wassermann — wenigstens vorübergehend —
weit häufiger gefunden, „als unter dem Einfluss der positiven Er¬
gebnisse allgemein geglaubt wird 11 .
Zu ähnlichen Ergebnissen war schon früher Bonhoeffer 3 )
gekommen. Bei unseren eigenen Untersuchungen haben wir bei
Fällen sicherer Paralyse positiven Wassermann fast ausnahmslos
im Liquor gefunden.
So ausserordentlich wichtig demnach die Untersuchung des
Liquors, in erster Linie die Wassermann’sche Reaktion in diagnosti¬
scher Hinsicht ist, müssen wir uns doch stets vergegenwärtigen,
dass diese Reaktion nur ein sehr wesentliches Symptom schon in den
1) Die diagnostische Bedeutung der Lumbalpunktion. Alt-Hoche’s
Sammlung, 1913.
2) Archiv für Psychiatrie, 1913, Bd. 50, H. 3.
8) Bemerkungen zur Behandlung und Diagnose der progressiven
Paralysen. Diese Wochenschr., 1910, Nr. 29.
Frühstadien der progressiven Paralyse darbieten kann, neben dem
die klinischen Erscheinungen volle Berücksichtigung in jedem
Falle erfordern, wenn wir nicht zu Trugschlüssen gelangen wollen.
Ganz besonders möchten wir hervorheben, es ist das ein Punkt,
auf den Nonne 1 ) vor kurzem nachdrücklich bingewiesen bat,
„dass sich die Untersuchungen des Liquor bei Fehlen subjektiver
und objektiver nervöser Erscheinungen noch in den Anfangs¬
stadien befinden, und dass weitere Untersuchungen dieser Art un¬
erlässlich sind, um die Frage zu lösen, ob positive Befunde im
Liquor, welche refraktär gegen antisyphilitisebe Behandlung
sind, einen frühen Hinweis liefern auf das spätere Eintreten
syphilogener organischer Nervenerkrankung“.
Von ganz ähnlichen Vorstellungen gebt Hauptmann aus
wenn er (1. c.) angibt, dass die Lymphocytose im Sekundärstadium
der Syphilis möglicherweise durch eine Infektion mit für das
Centralnervensystera besonders virulenten Spirochäten: „Nerven¬
system Spirochäten“ bedingt sein könne, und dass die thera¬
peutische Forderung nur unterstützt werden könne, Syphilitiker
zur Kontrolle zu lumbalpunktieren, und wenn Lymphocytose
vorhanden sein sollte, so lange zu behandeln, bis sie verschwunden
ist. Konsequent durebgeführte Behandlungen (Dreyfuss) hätten
gezeigt, dass dies Ziel erreicht werden könne.“
Um diese noch schwebenden diagnostischen nnd thera¬
peutischen Fragen der Lösung näher zu bringen, wird es, unserer
Ansicht nach, noch vieler lange Zeit fortgesetzter, sorgfältiger
und kritisch durebgeführter Zusammenarbeit von Neurologen
und Syphilidologen bedürfen.
Fragen wir uns nun, ob die therapeutischen Erfolge mit den
zweifellos vorhandenen diagnostischen Fortschritten bei der Paralyse
Hand in Hand gegangen sind, so müssen wir diese Frage ver¬
neinen.
Die gegen die spezifische Ursache der Paralyse, die Syphilis,
gerichteten therapeutischen Maassnahmen sind nach wie vor er¬
folglos geblieben, und nur zu häufig sieht man nach Quecksilber¬
kuren Verschlechterungen des Zustandes, Häufung von Anfällen
und einen rapideren Verlauf des Leidens eintreten.
Nur bei beginnenden Fällen, im Initialstadium der Paralyse,
scheinen nach den Erfahrungen, besonders der Wiener Schule,
milde Hg-Kuren mitunter einen gewissen Erfolg gehabt oder
wenigstens nicht geschadet zu haben.
Stets sollen Hg und Jod angewandt werden in Fällen, bei
denen die Diagnose Paralyse nicht ganz sicher feststeht, in denen
an die Möglichkeit einer syphilitischen Pseudoparalyse gedacht
werden kann.
Auch gegen das Salvarsan, welches auf die meisten syphili¬
tischen Prozesse in so ausgezeichneter Weise wirkt, zeigt sich die
Paralyse nach den Erfahrungen fast aller Autoren refraetär, hatte
ja Ehrlich von vornherein zu grösster Vorsicht bei dieser Krank¬
heit geraten und vor weitgehenden Hoffnungen gewarnt. Ob die
von einzelnen Autoren nach Salvarsanbebandlung beschriebenen
vorübergebenden Besserungen des Leidens auf die Behandlung
zurückzuführen sind oder ob es sich um Remissionen bandelt, die
auch ohne Salvarsan eingetreten wären, ist im Einzelfalle oft
schwer zu entscheiden.
Das Verschwinden der Wassermann’scben Reaktion, welches
in einer Reihe von Fällen bei der Paralyse nach Salvarsan-
behändlung konstatiert worden ist, scheint, vom therapeutischen
Standpunkt aus betrachtet, belanglos zu sein, da nach den Unter¬
suchungen Nonne’3 u. a. kein Parallelismus zwischen Rückgang
der Wassermann’schen Reaktion und dem Verlauf der Paralyse
besteht, so dass bei dieser Krankheit dies sonst so wichtige
Kriterium für die Behandlung ohne Nutzen ist, ein Punkt, den
auch Oppenheim besonders hervorgehoben hat.
Neben der spezifischen Behandlung der Paralyse hat man
versucht, auf die toxischen und Autointoxikationsvorgänge, wie
sie von einer Reihe von Forschern als Ursache dieser Krankheit
angenommen wurden, heilend einzuwirken. Von ähnlichen Grund¬
sätzen ausgehend, die der in früheren Zeiten wiederholt an¬
gewandten Behandlungsmethode der Erregung von Eiterungen
durch Einreiben von BrechWeinstein auf den Schädel zugrunde
lagen, ist besonders in Oesterreich (v. Wagner-Pilcz) in jüngster
Zeit der Versuch gemacht worden, durch Tuberkulininjektionen
den paralytischen Prozess zu beeinflussen, indem man „allgemeine
nicbtspezifische Gegenwirkungen“ durch die diese Injektionen be¬
gleitenden Temperaturerhöhungen und durch die Vermehrung von
Leukocyten hervorrufen wollte. Was den Erfolg dieser Behandlungs-
1) Neurolog. Centralbl., 1918, Nr. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
671
methode betrifft, können wir wohl mit E. Meyer (I. c.) sagen,
dass sie ohne Schaden durchgeführt werden kann, ond dass viel¬
leicht häufiger als ohne Behandlung sich bei ihr Besserungen und
Remissionen einstellen.
Durch Hervorrufen analoger Reaktionen bei Paralytikern
durch Injektionen von Pflanzeneiweiss in Form von nucleinsaurem
Natron glauben Donath und Fischer sehr günstige Erfolge bei
der Behandlung erzielt zu haben. Diesen günstigen Resultaten
stehen ungünstige Erfolge anderer Autoren (z. B. K ieneberger’s)
gegenüber, und auch durch die von Jolowicz 1 ) auf der Flecbsig-
schen Klinik vor kurzem versuchte kombinierte Behandlungs¬
methode mit Natrium nucleinicum und Salvarsan konnte eine
irgendwie nennenswerte Beeinflussung des Krankheitsbildes nicht
festgestellt werden.
Zusammenfassend werden wir zu dem Schluss ge¬
langen, dass für diese nichtspezifischen Behandlungs¬
methoden ebensowenig wie für die spezifischen bisher
der Beweis erbracht ist, dass sie auf die Dauer das
Fortscbreiten des paralytischen Prozesses zu ver¬
hindern imstande sind. Ob diese Behandlungsmethoden, ver¬
einzelt oder in Kombinationen angewandt, den Weg für Re¬
missionen zu ebnen imstande sind oder vorübergehende Besserungen
hervorzurufen, darüber können erst weitere Erfahrungen entscheiden.
Zunächst werden der Prophylaxe die wichtigen Aufgaben
zufallen, einerseits die Syphilis selbst und ihre Weiterverbreitung
zu bekämpfen, andererseits die Infizierten möglichst gründlich
zu behandeln und sie auf ihrem weiteren Lebenswege zu über¬
wachen. Die Frage, ob durch regelmässig fortgesetzte Liquor-
oder serologische Untersuchungen der syphilitisch Infizierten, be¬
sonders, auch der anscheinend „leichten 11 Fälle unser therapeu¬
tisches Handeln schon frühzeitig bestimmte Richtungslinien,
welche geeignet sind, dem Ausbruch der Paralyse vorzubeugen,
erhalten könnte, harrt noch der Lösung.
Das auffallend refraktäre Verhalten der Paralyse gegenüber
Quecksilber, Salvarsan, Jod hatte io Verbindung mit Eigentüm¬
lichkeiten des klinischen Bildes und des pathologisch-anatomischen
Befundes dieser Krankheit zu der Hypothese geführt, dass wir
es bei der Paralyse nicht mit einem eigentlich syphilitischen
Prozess zu tun haben, sondern mit einer meta- oder para¬
syphilitischen Erkrankung, bei der die Erreger selbst nicht mehr
vorhanden sind.
Der fast regelmässig positive Ausfall der Wassermann’schen Re¬
aktion bei der Paralyse hatte aber von vornherein bei v. Wasser¬
mann und Ehrlich Zweifel an der Richtigkeit dieser Hypothese
erweckt und diese Forscher zu der Annahme geführt, dass die
Spirochaeta pallida wohl doch bei der Krankheit noch vorhanden
sein müsse, wenn auch ihr Nachweis bisher nicht geglückt sei.
Der in jüngster Zeit von Noguchi erbrachte Nachweis, dass
etwa in 20 pCt. von paralytischen Gehirnen in der Rinde Spiro¬
chäten vorhanden sind, hat die Richtigkeit dieser Ansicht in
überzeugender Weise dargetan. Die Paralyse ist nach diesem
für die Lehre dieser Krankheit epochemachenden Befunde eine
echt syphilitische Erkrankung des Centralnervensystems, und die
Unwirksamkeit aller antisyphilitischer Mittel durch diese Ent¬
deckung eine noch rätselhaftere geworden.
Zar Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache kann man sich
1) Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 4.
mit Ehrlich 1 ) vorstellen, „dass sich bei der Paralyse, die so
lange nach der Infektion aufzutreten pflegt, ein Recidivstamm
vorfinden muss, der in seinen biologischen Eigenschaften von den
die frischen Infektionen bedingenden Spirochäten weitgehend ver¬
schieden sein kann, und dass diese Verschiedenheit auch in einer
Resistenz gegen die therapeutischen Agentien zutage tritt“.
In ähnlichem Sinne hat sich auch vor kurzem Fr. Schnitze 1 )
ausgesprochen.
Andererseits muss auch an die Möglichkeit gedacht werden,
dass infolge der besonderen Ernährungs- und Circulations-
verhältnisse des Gehirns die therapeutischen Agentien vielleicht
nicht in genügender Menge und in genügender Intensität auf die noch
vorhandenen Spirochäten einwirken können, um sie zu zerstören.
Die eigentümliche, diffus zerstreute Lage der in der Regel nicht
in der Nähe von Gefässen liegenden Spirochäten in den tieferen
Rindenschichten, wie sie mir bei Durchsicht des mir freundlichst
von Herrn Kollegen E. Hoff mann zur Verfügung gestellten
Präparates Noguchi’s auffiel, schien auf eine solche Möglichkeit
hinzuweisen.
Sioli s ) machte darauf aufmerksam, „dass die Meningen und
die adventitiellen Scheiden der Gefässe im allgemeinen bei Para¬
lyse eine Grenzmauer für Infiltrationszelien sind; die über die
beschränkte Permeabilität der Meningen bekannten Befunde lassen
vermuten, dass hier auch für Arzneimittel eine Sperre besteht;
für die Spirochäten besteht offenbar diese Sperre nicht, worauf
gerade das Noguchi’scbe Präparat hinweist. Praktisch käme also
bei der antiluetiscben Behandlung der Paralyse der Versuch in
Betracht, die Permeabilität der Meningen zu erhöhen
(sekretionserhöhende Mittel, venöse Halsstauung)“.
Wir sehen, dass der wichtige Befund Noguchi’s auch neue
Perspektiven für unser therapeutisches Handeln eröffnet, wie ja
auch Ehrlich (1. c.) betonte, „dass man nun versuchen müsse, die
Wirkungsweise der Arsenikalien zu verschärfen und sich nicht
auf ein einziges Arsenikale zu beschränken, sondern verschiedene
Typen mit differenten Angriffspunkten für die Kombinations¬
behandlung heranzuziehen“.
Auf jeden Fall glauben wir mit Ehrlich, „dass der positive
Befund Noguchi 1 s Veranlassung geben muss, noch einmal die
Behandlung der Paralyse mit aller Energie in die Hand zu
nehmen, da sie keine Nachkrankheit, sondern ein aktiver Infek-
tionsprozess ist“. /
Nach den bisherigen Erfahrungen muss man aber auch bei
dem jetzigen Standpunkt unserer Kenntnisse von der Natur des
Leidens vor zu weitgehenden Hoffnungen auf therapeutische Er¬
folge warnen, um vor Enttäuschungen gesichert zu sein.
Wir werden uns, bevor sich nicht für eine spezi¬
fische Behandlung neue Wege geöffnet haben, im wesent¬
lichen auch fernerhin darauf beschränken müssen, durch eine
symptomatische Behandlung und sorgfältigste Pflege das Los
unserer Kranken nach Möglichkeit zu erleichtern.
1) Demonstration eines Präparats mit Spirochäten eines Falles von
Paralysis progressiva. Münchener raed. Wochenschr., 1913, Nr. 8, S. 448.
2) Diskussion zu dem Vortrag von Erich Hoffmann: Ueber den
Nachweis von Syphilisspirochäten in der Hirnrinde bei der Dementia
paralytica durch Noguchi (mit Demonstration). Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 11, S. 532.
3) Diskussion zu E. Hoffmann’s Demonstration (1. c.).
Aus der Universitäts-Poliklinik für orthopädische
Chirurgie zu Berlin.
Ueber Abbott’s Methode der Behandlung seit¬
licher Rückgratsverkrfimmungen. 1 )
Von
Prof. Dr. Joaehim8thal.
Im verflossenen Jahre ist zuerst durch eine ausführlichere
Mitteilung von Abbott im New York medical Journal 2 ) sowie
weiterhin durch Diskussionen in amerikanischen und französischen
medizinischen Gesellschaften 3 ) die Aufmerksamkeit weiterer Kreise
1) Nach einer Demonstration auf dem 12. Kongress der Deutschen
Gesellschaft für orthopädische Chirurgie am 24. März 1913.
2) E. G. Abbott, Correction of lateral curvature of the spine.
New York medical Journal, 27. April 1912, S. 833; s. auch New York medical
Journal, 24. Juni 1911, S. 1217.
3) Soci6t6 de pediatrie, 12. November 1912; Soci6t6 de l’internat
des höpitaux de Paris, 28. November 1912.
auf eine Behandlungsmethode der Skoliose gelenkt worden, welche
sich zu unseren bisherigen bei der Therapie dieses Uebels durch¬
geführten Prinzipien in einen gewissen Gegensatz stellt und deren
Resultate — wenigstens nach den bisherigen Publikationen —
günstige zu sein scheinen.
Wir verwenden bekanntlich bei der Bekämpfung der seit¬
lichen Rückgrats Verkrümmungen neben der Gymnastik, deren
Wert für die Kräftigung der Muskulatur und der so bewirkten
Beschaffung eines die Stützung des Körpers besorgenden „Muskel¬
korsetts“ neuerdings mit Recht auch für die Behandlung der
tuberkulösen Erkrankungen der Wirbelsäule (Rollier) betont
wird, neben der Anwendung der altbewährten Massage und der
redressierenden Manipulationen, welche teils manuell, teils instru-
mentell — wenn auch nur vorübergehend — die Abweichung zu
korrigieren suchen, endlich neben Lagerungsvorrichtungen auch
portative Apparate. Dieselben suchen ausser einer Druckwirkung
auf die abgewichenen Teile vornehmlich eine Streckung der
Wirbelsäule zu erreichen. Die zu ihrer Herstellung verwendeten
1 *
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UNIVERSUM OF IOWA
672
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Gipsmodelle werden dabei meist in Suspension gefertigt. Ausser¬
dem kommen vorübergebend unabnehmbare Gipskorsetts zur
Verwendung, bei deren Herstellung von einzelnen Seiten ausser
dem Zug am Kopf auch noch ein solcher an den Füssen benutzt
wird. Um mit grösserer Sicherheit eine Beseitigung der Ab¬
weichungen der Wirbelsäule zu erreichen, wurde es sogar für er¬
forderlich erachtet, auch den Kopf mit einzuschliessen, um
zwischen diesem und dem Beckenteil des Verbandes eine voll¬
kommene Streckung der Wirbelsäule zu erreichen. Dass gelegentlich
die bei diesem Vorgehen eintretende Abflachung auch der sagittalen
Krümmungen für die Beseitigung der skoliotischen Einstellungen
der Wirbelsäule nicht von Vorteil ist, hat bereits Lovett hervor¬
gehoben, indem er darauf hinwies, dass man eine straff gespannte
Saite schwerer nach der Seite biegen kann als eine schlaffe, und
darauf aufmerksam machte, dass korrigierende Verbände besser in
vorgebeugter Haltung angelegt werden.
ln dieser Beziehung sucht nun Abbott noch einen wesent¬
lichen Schritt weiter zu gehen, indem er bei seiner Methode der
Anlegung redre8sierender Gipsverbände die Korrektur der Wirbel¬
säulenabweichung in starker Beugestelluug vornimmt und
durch Ausnutzung von Naturkräften, wie sie namentlich die ver¬
änderte Schwerlinie des Körpers und ganz besonders die für die
speziellen Zwecke umgeleitete Atmung abgeben, die Skoliose
weiter zu beeinflussen sucht.
Wir haben bei dem Aufsehen, das die bisherigen Veröffent¬
lichungen über die Methode hervorgerufen hat, auch unsererseits
geglaubt, dieselbe nachprüfen zu müssen.
Abbott sucht in ähnlicher Weise wie bei der Behandlung
des Klumpfusses möglichst eine Ueberkorrektur zu erzielen und
will den Thorax in der erzielten Stellung so lange fixieren, bis
die Teile sich der neuen Stellung angepasst haben. Es muss
darauf Rücksicht genommen werden, dass bei der Skoliose neben
der rein seitlichen Abweichung auch eine Rotation der Wirbel¬
säule besteht, welche in einer Prominenz der Rippen hinten an
der Seite der Konvexität, vorn an derjenigen der Konkavität
ihren deutlichen Ausdruck findet. Die Rippen sind weiterhin an
der Seite der Abweichung des Dorsalabschnitts mit der ent¬
sprechenden Schulter gehoben, an der anderen Seite gesenkt.
Diesen verschiedenen Aeusserungen des Uebels sucht Abbott
zu gleicher Zeit bei der Ausführung der Korrektur entgegen¬
zuarbeiten, indem er den Patienteu io eine Stellung zwingt,
welche genau der ursprünglichen Stellung entgegengesetzt ist.
Die niedrige Schulter wird mit den gesenkten Rippen in die Höhe
gehoben, die höhere gesenkt, die hinten hervortretenden Rippen
werden nach vorn gezogen, und endlich wird ein Zug gegen
die seitliche Biegung ausgeübt, während ein Gipskorsett
angelegt wird, das die erreichte Korrektion aufrecht erhält.
Es ist die besondere Eigentümlichkeit der Methode, das Re¬
dressement in stark vornübergeneigter Stellung des Kranken zu
vollführen.
Abbott lagert den Patienten in eine an einem besonderen
Rahmen befestigte Hängematte. Seine Methode ist in letzter
Zeit mehrfach modifiziert worden, ohne dass sich indessen das
Prinzip geändert hätte.
Figur 1 zeigt einen Rahmen, wie wir ihn uns nach den Angaben
Abbott’s in dem New York medical journal haben konstruieren
lassen und zur Nachprüfung der Methode benutzen. Er ist aus
Gasrohr gearbeitet (die von Abbott gewünschten Masse sind
1,70 m Länge, 70 cm Breite, 75 cm Höhe). Seine Vorder- und
Hinterstützen bestehen aus je zwei in Rinnen verschiebbaren
Eisenstäben. Auf diese Weise kann der vordere Stützpunkt des
Rahmens aus der horizontalen Einstellung um 30 cm erniedrigt,
der hintere Stützpunkt um 45 cm erhöht werden. Zur
Lagerung des Patienten auf diesem Rahmen dient eine Art
von Hängematte, die Abbott aus leichtem Drell herstellt,
während wir selbst gewöhnliche Sackleinwand verwenden. Sie soll
ungefähr 90 cm lang und 40 cm breit sein. Ihre Enden werden
umgeschlagen und in der Weise vernäht, dass sowohl oben als
auch unten je ein Saum offen bleibt, bestimmt zur Aufnahme
zweier Eisenstäbe, mit welchen die Matte an dem Rahmen be¬
festigt wird. Um hierbei eine mehr oder minder starke
Anspannung und damit ein mehr oder weniger hochgradiges Ein¬
sinken des auf die Matte gelegten Patienten zu ermöglichen, wird
die obere Stange durch Schnüre mit einer zweiten Eisenstange
in Verbindung gebracht, die mit Hilfe einer Schraubenvorrichtung
nach oben oder unten geführt werden kann. Die durch den
unteren Saum der Matte gezogene Stange wird gleichfalls mit
Nr. 15.
Figur 1.
Hilfe von Schnüren entweder an den Rahmen selbst oder den
unteren Teil eines etwa an der Grenze seines letzten Drittels be¬
festigten, in verschiedener Winkelstellung zu fixierenden Halb¬
rahmens angebracht, der mit Quergurten versehen ist und bei der
Lagerung des Patienten seine senkrecht erhobenen Beine stützen
soll. Die Hängematte selbst ist dem Kopfende entsprechend
schräg geschnitten, so dass ihre beiden Längsseiten bei paralleler
Einstellung der sie tragenden vorhin erwähnten Eisenstangen
eine ungleiche Länge aufweisen.
Der Patient wird für die Anlegung des Korsetts in der Weise
vorbereitet, dass er mit einem doppelten Trikotschlauch bekleidet
wird, dessen Enden einerseits oberhalb der Schulter, andererseits
vorübergehend zwischen den Beinen vernäht werden. Zwischen
beiden Trikotschläuchen werden Filzplatten an solchen Stellen
eingelegt und befestigt, welche bei der Anfertigung des Gips¬
korsetts besonders vor Druck geschützt werden sollen, so am
Kreuzbein, an den Spinae und Cristae ilei, den Achseln. Endlich
wird noch ein besonders dickes Kissen hinten auf die
abgeflachte Rippenpartie der konkaven Seite gelegt.
Es soll nach dem Erhärten des Gipskorsetts durch ein in diesem
angebrachtes Fenster entfernt werden und den Raum aussparen
für eine kräftige Entfaltung der an dieser Stelle stark
Figur 2.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
673
Figur 3. Figur 4. Figur 5.
Abbott’scher Verbaud bei einer Patientin mit fixierter rechtsseitiger Dorsalskoliose.
eingesunkenen Thoraxpartie, eine Entfaltung, welche, wie
wir sehen werden, unter dem Einfluss der nach der Anlegung
des Korsetts veränderten Atmung berejts nach kurzer Zeit vor
sich geht.
ln der beschriebenen Weise vorbereitet, wird der Patient so
in die Hängematte gelegt (Figur 2), dass der Kopf der oberen,
die Matte tragenden Stange, das Gesäss der unteren Stange und
die Beine dem nunmehr steilgestellten Halbrahmen anliegen.
Durch entsprechende Schraubenwirkung gelingt es leicht, eine
hochgradige Kyphose zu erzeugen. Dabei wird der Kranke
so auf die Matte gelegt, dass die kürzere Seite derselben der
konvexen Seite, die längere Seite der konkaven Seite der Krümmung
entspricht. Schon auf diese Weise finden die zusammen¬
gepressten Rippen der konkaven Seite Platz sich aus¬
zubreiten. Die so eingeleitete Neigung zur Umkrümmung wird
durch andere Maassnabmen unterstützt. Bei der folgenden Dar¬
stellung setzen wir das Vorhandensein einer rechtsseitigen Dorsal¬
skoliose voraus.
Die linke sonst tiefer stehende Schulter wird entweder in
der Weise mit den Rippen in die Höhe gebracht, dass ein
Assistent die linke Hand des Patienten umgreift und kräftig nach
oben zieht, oder der Kranke kommt dieser Forderung selbst da¬
durch nach, dass er mit dem linken Arm oberhalb des
Kopfes herumgreift und mit der linken Hand einen Teil des
Rahmens auf der entgengesetzten Seite umfasst. Die rechte Hand
greift nach einem fusswärts gelegenen Teil der entsprechenden
Seite des Rahmens und zieht damit die früher hochstehende
Schulter mitsamt den Rippen nach abwärts.
Es folgt nunmehr die Anlegung einer Anzahl von
Zügeln aus festem Leinenstoff.
Der eine greift um die linke Spina herum und findet an der
rechten Seite des Rahmens seine Befestigung; er fixiert das
Becken. Ein zweiter wird in die linke Achsel gelegt und schräg
über den Rahmen zur entgegengesetzten Seite desselben nach
vorn gezogen und dort befestigt. Ein dritter mindestens 10 cm
breiter Streifen endlich wird über den Thorax im Bereiche der
Hauptkrümmung ausgebreitet und entweder an der entgegen¬
gesetzten Seite des Rahmens oder an einem in verschiedener
Höhe unterhalb desselben zu fixierenden Stabe befestigt. Auf diese
Weise vermag man mehr oder minder stark detor-*
quierend einzuwirken, lu den oberen Streifen dieses Zügels
wird ein Haken eingehängt, welcher zur Aufnahme von Gewichten
dient, die wir bis zu einer Menge von 15 kg gesteigert haben.
Hierdurch wird in kraftvoller Weise nicht nur der seitlichen Ab¬
weichung, sondern auch der Torsion entgegengearbeitet und eine
Umkrümmung in rationellster Weise herbeigeführt. Um das
Körgergewicht zur Unterstützung der Korrektur heranzuziqhen,
wird schliesslich der Fussteil des Apparates gehoben und der
Kopfteil desselben gesenkt. An die zunächst recht unbequeme
Stellung gewöhnt sich der Kranke bald, auch die anfangs nach
Anlegung des Gewichtszuges erschwerte Atmung wird meist nach
kurzer Zeit wieder freier. Man macht dabei die Beobachtung,
dass Patienten mit linksseitigen Abweichungen die An¬
legung der Verbände wesentlich schlechter vertragen
als solche mit rechtsconvexen Skoliosen. Offenbar spielt hier
die Lage des Herzens eine Rolle. Linksseitige Verkrüm¬
mungen erfordern daher besondere Vorsicht oder sind
ganz von dieser Behandlung auszuschliessen.
Das Gipskorsett wird nun mit Einschluss der Hängematte in
gleicher Weise wie jeder gewöhnliche Gipsverband angelegt, nur
wird es entsprechend’ der erhöhten (linken) Schulter weit nach
hinten ausgedehnt bis zur gleichen Höhe mit dem Akromion.
Mit dem Herausziehen der die Hängematte tragenden Eisen¬
stangen gelingt es, den Kranken aus dem Rahmen zu entfernen.
Beim Zurecbtschneiden wird das Korsett unten kürzer gestaltet,
hinten länger gelassen, um auf diese Weise die Flexion, wenn
der Patient sitzt oder steht, möglichst zu erhalten. Entsprechend
dem erhobenen linken Arm soll man es vorn möglichst weit aus-
schneiden, so dass die Schulter nach vorn fällt; unter dem anderen
(rechten) Arm wird es niedrig geschnitten. Hier lässt man es
vorn möglichst hoch, damit die Schulter nicht ihrer früheren
Neigung entsprechend nach vorn fallen kann. Es wird viel¬
mehr hinten freigemacht, so dass die Schulter nach hinten ge¬
drängt wird (Figur 3—5).
Von Bedeutung ist dann namentlich die Anlegung
von Fenstern im Verbände, welche gewöhnlich an zwei
Stellen erfolgt. Linkerseits wird hinten eine möglichst grosse
Oeffnung im Gipsverband angelegt, und zwar nicht nur an der
Rückseite, sondern auch seitlich. Es soll dem Rückgrat eine
weitere Umkrümmung nach der der Verbiegung ent¬
gegengesetzten Seite und den bisher eingesunkenen und
zusammengekrümmten Rippen eine vermehrte Aus¬
dehnung gestatten. Das zweite Fenster oder eine Reihe von
kleinen schiessschartenartigen Oeffnungen wird vorn an der ent¬
gegengesetzten Seite angebracht; von hier aus kann man durch
successives Einlegen von Filzstücken die Umkrümmung
weiter steigern.
Das in Rede stehende Verfahren haben wir in den letzten
sechs Monaten bei 36 Patienten, darunter 6 aus meiner Privat¬
praxis, zur Durchführung gebracht. Die Kranken befanden sich
im Alter von 8 bis zu 20 Jahren. Stets wählten wir fixierte,
meist rechtsseitige Skoliosen, bei denen seit Jahren ohne wesent¬
lichen Erfolg Massage, Gymnastik neben Lagerungsapparaten
und verschiedenartigen Korsetts zur Durchführung gebracht worden
war. Vorzugsweise handelte es sich um Totalskoliosen oder
solche mit vorherrschender Dorsalabweichung; diese sind offen-
2
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674
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Figur 6. Figur 7.
8 jährige Patientin mit fixierter rechtsseitiger Dorsalskoliose vor der Behandlung.
Figur 9. Figur 10.
Dieselbe Patientin nach dreimonatlicher Verbandbehandlung.
bar für das Verfahren besonders geeignet. Mehrfache gleich¬
zeitig bestehende Verkrümmungen lassen sich mit dem Abbott-
schen Verfahren nur unwesentlich beeinflussen.
Ein abschliessendes Urteil über den Wert der geschilderten
Behandlungsmethode lässt sich bisher noch nicht geben. Hier
soll nur so viel gesagt werden, dass sich unsere Kranken
ausnahmslos gut befanden und vielfach auch an Ge¬
wicht Zunahmen. Die Verbände wurden meist nach 4—6 Wochen
gewechselt und ira Durchschnitt 3 Monate getragen. Eine klinische
Behandlung wurde nur in wenigen Fällen einige Tage hindurch
als notwendig erachtet. Meist konnten wir die Patienten schon
einige Stunden nach Anlegung der Verbände nach Hause ent¬
lassen; in einem Falle habe ich ein 8 jähriges Mädchen sogar
nach einigen Wochen, nach erreichter Umkrümmung in ihre
Heimatstadt fahren und nur zum Wechseln des Verbandes
und zur Nachbehandlung wieder zurückkommen lassen. Der Ver¬
bandperiode folgte eine energische Kur mit Massage, Uebungen,
Lagerungsapparaten und Celluloid- oder Stoffbügelstablkorsetts,
mit welchen wir die korrigierte Stellung möglichst aufrecht zu
erhalten suchten.
Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich schon nach kurzer Zeit
im Verbände die vorher zusammengesunkenen Thorax¬
partien der konkaven Seite in dem hier angebrachten
F'enster entfalten und energisch an der Atmung beteiligen.
Aeltere Kranke empfinden zunächst an dieser Stelle ein recht un¬
angenehmes Gefühl der Spannung, was sich wohl aus der grösseren
Starre der Rippen und der anfangs bestehenden Schwierigkeit,
dieselben für die neue Art der Atmung zu verwenden, ohne
weiteres erklärt. Ich teile hier ganz die vor kurzem von
Spitzy 1 ) vertretene Anschauung, dass einer der Haupt¬
faktoren bei der Wirksamkeit des Verfahrens die Umleitung
der Atmung und die Heranziehung der respiratorischen Kräfte
für die Umkrümmung darstellt.
1) H. Spitzy: Zur Ausnützung der respiratorischen Kräfte in der
Skoliosenbehandlung. Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11, S. 577.
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14. April 1913,
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676
Eine ausgiebige Atemgymnastik muss daher von
Anfang an geübt werden.
Ich kann weiterhin sagen, dass sich bei den Kranken und
selbst bei zwei bereits im Alter von 20 Jahren stehenden
Patienten nach Abnahme des Verbandes oft Überrascheode
unmittelbare Resultate in bezug auf die äussere Gestalt des
Thorax ergaben, die, wie die Kontrolle an Röntgenbildern ergab,
allerdings zum Teil durch die Ausbildung einer kompensatorischen
Gegenkrümmung in der Lendenwirbelsäule zu erklären waren.
Der Vergleich der Figuren 6—11 lässt die durch die An¬
wendung des Verfahrens zu erzielenden Umgestaltungen des
Körpers erkennen. Es handelt sich um ein 8jähriges Mädchen,
das beim Eintreten in meine Behandlung (Fig. 6—8) eine hoch¬
gradige seit 2 Jahren bestehende fixierte Dorsalskoliose mit
starkem Rippenbuckel und beträchtlicher Rechtsverschiebung des
Körpers aufwies. Wegen des Anliegens der rechtsseitigen unteren
Rippen an dem Darmbeinkamm war es unmöglich, ein brauchbares
Korsett zu fertigen und damit wenigstens auf die die Deformität
dauernd steigernde Rechtsverscbiebung einzuwirken. Hier gelang
es uns, durch zwei je 6 Wochen getragene Abbott’sche Verbände
die Verschiebung des Brustkorbs gegenüber dem Becken voll¬
kommen zu beseitigen, rechts eine tiefe Tailleneinsenkung zu
schaffen und eine derartige Beeinflussung der Verbiegung der
Wirbelsäule zu erzielen, wie dieses bisher in so kurzer Zeit wohl
durch keine andere Behandlungsmethode zu erreichen war. Es
war nun mit Leichtigkeit möglich, durch ein Celluloidkorsett
und durch entsprechende Uebungen der Wiederkehr der Ver¬
krümmung entgegen zu arbeiten, was in der Zeit der Beobachtung,
die allerdings bisher nur 2 Monate beträgt, auch gelungen ist.
Jedenfalls besitzen wir, wenn auch gegenüber den Mit¬
teilungen Abbott’s betreffs der zu erzielenden Erfolge Ein¬
schränkungen zu machen sein werden, in dem Verfahren
ein Mittel, bei einzelnen Formen seitlicher Rück¬
gratsverkrümmungen, speziell bei rechtsseitigen Total¬
oder vorwiegenden Dorsalskoliosen, in kurzer Zeit
energische Umkrümmungen zu erzielen. Ob es möglich
sein wird, die durch das Abbott'sche Redressement erzielten
Resultate io vollem Umfange aufrecht zu erhalten, wird erst
durch die weitere Beobachtung festgestellt werden können.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬
versität? Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Goldscheider).
Der prozentuale Chlorgehalt des Blutserums bei
kochsalzarmer und kochsalzreicher fleischfreier
Ernährung sowie bei verschiedener Fl&ssigkeits-
zufuhr.
Von
Dr. Walter Arnold!.
Verschiedentlich wurde bereits früher untersucht, ob ein
hoher bzw. geringer Kochsalzgehalt der Nahrung einen Einfluss
auf den Chlorgehalt des Blutes ausübe. Schenk 1 ), Förster 2 ),
Picard 3 ), Rosemann 4 ) fanden keine oder nur unwesentliche
Veränderungen bei Versuchen an Hunden und Kaninchen, Klein
und Verson 5 6 ) bei einem achttägigen Selbstversuch mit kochsalz-
armer Ernährung eine geringe Verminderung des Blutcblors.
Nachdem ich in einer früheren Arbeit*) — bei Peracidität
mit Ulcus ventriculi war dies vereinzelt schon vordem beobachtet
worden [Biernacki 7 8 ), A. Loeb*)J — nachgewiesen hatte, dass
1) Schenk, Allgem. Wiener med. Ztg., 1872, Nr. 17.
2) Förster, Versuche über die Bedeutung der Aschebestandteile
der Nahrung. Zeitsohr. f. Biol., 1873, S. 298.
3) Picard, Recherch.sur le chlordusang.Gaz, m4d.de Paris, 1880,Nr. 1.
4) Rose mann, Ueber den Gesamtchlorgehalt des tierischen Körpers
usw. Archiv f. Physiol., 1911, Bd. 142, S. 447.
5) Klein und Verson, Ueber die Bedeutung des Kochsalzes für
die menschlichen Organe. Sitzungsber. d. Kgl. Akad. d. Wissensch. zu
Wien, mathemat.-naturwissensebaftl. Abt., 1867, Bd. 55, Abt. 2, S. 627.
6) Ueber Aenderungen des Chlorgehalts desBlutserums beiSekretionsst
des Magens. Zeitschr. f. klin. Med., 1912, Bd. 76, H. 1 u. 2.
7) Biernacki, Untersuchungen über die chemische Blutbeschaffen¬
heit bei pathologischen, insbesondere bei anämischen Zuständen. Zeit¬
schrift f klin. Med., 1894, Bd. 24, S. 460.
8) A. Loeb, Beitrag zum Stoffwechsel Magenkranker. Zeitschr. f.
klin. Med., 1905, Bd. 56, S. 100.,
bei Per- und Subacidität nahezu konstant eine Verminderung bzw.
Vermehrung des prozentualen Chlorgehalts des Serums in der
physiologischen Breite festzustellen sei, lag es nahe, mit der an¬
gewandten genaueren analytischen Methode die erwähnte Frage
nochmals in Angriff zu nehmen. Die engen Beziehungen zwischen
Chlor- und Wasserstoffwechsel machten es von vornherein wahr¬
scheinlich, dass die Grösse der Wasserzufuhr dabei ebenfalls eine
wichtige Rolle spielte.
Für die Zwecke meiner Untersuchungen wählte ich Patienten
der hiesigen klinischen Station, bei denen es sich im wesentlichen
um keine Erkrankungen handelte (z. B. schwere Herz- oder
Nierenaffektionen)) die einen erheblichen Einfluss auf den Chlor¬
gehalt des Blutes haben konnten. Auch die beiden Fälle von
Polycythämie wichen in dieser Beziehung nicht von den anderen
ab. Die Diät war bei allen Fällen die gleiche: morgens 330 ccm
Milch, 4 kochsalzfreie Brötchen, 50 g Butter; zum zweiten Früh- ^
stück 1—2 Esslöffel weichen weissen Käse; mittags 300 g Kartoffel¬
brei, 250 g Gemüse, 100 g Kompott, 330 ccm Milch, 1—2 Flaschen
Selterwasser (bei der Zubereitung des Kartoffelbreies und des
Gemüses wurden etwa noch 50 g Butter verwandt), nachmittags
330 ccm Milch und abends ebensoviel Milch und zwei Eier; je
nach der gewünschten Flüssigkeitszufuhr wurde das Milch- und
Wasserquantum erhöht oder erniedrigt. Nicht immer wurde das
Quantum abgewogen; nachdem sich gezeigt hatte, dass auch die
kräftigsten Patienten bei dem ruhigen Aufenthalt im Kranken¬
hause mit dieser Kost vollkommen ausreiebten, konnte man an¬
nehmen, dass auch die anderen Patienten nie wesentlich mehr
zu sich nahmen. Den Kochsalzgehalt dieser Ernährung kann man
schätzungsweise mit 4—5 g in Rechnung setzen. Die Zugaben
von Kochsalz in den kochsalzreichen Perioden geschahen erst nach
der vollkommen salzfreien Zubereitung der Speisen.
Da ich mich überzeugte, dass die Speisen (die Getränke
wurden im allgemeinen nach Vorschrift getrunken) nicht immer
vollständig aufgegessen worden, sah ich bald von exakt quanti¬
tativen Stoffwechselversuchen ab. Einem gewissen Minimum an
Nahrungskochsalz (4—6 g pro die) steht ein Maximum (15—20 g
pro die) gegenüber; meine Untersuchungen beziehen sich also,
wie ich nochmals betonen möchte, auf diese Grenzwerte.
Das Chlor im Serum wurde nach der in meiner früheren
Arbeit genauer angegebenen Methodik von Ehr mann und Wolff,
die sich an die Bestimmung nach v. Moraezewski 1 ) anschliesst,
bestimmt, der Trockenrückstand bzw. der Wassergehalt des Serums
durch langes Trocknen im Exsiccator über Schwefelsäure und
Wägen bis zur Gewichtskonstanz gewonnen.
Alle Untersuchungen wurden im nüchternen Zustande der
Patienten vorgenommen. Die Krankengeschichten lauten wie folgt:
Fall 1. 16 Jahre alter Mechaniker, klagt über Schmerzen unter¬
halb des Nabels nach dem Essen. Keine Druckschmerzhaftigkeit der
Magengegend, Röntgenbefund ohne Besonderheiten. Im Stuhl kein Blut.
Obstipation. Pat. ist empfindlich und ermüdet leicht. Neurasthenie und
Obstipation.
Fall 2. 53jähriger Mann, litt als Kind an häufigen Anginen. Mit
20 Jahren Bleivergiftung, mit 24 Jahren Gonorrhöe und Lues, bekam
eine Spritzkur und nahm später Jod. Seit einigen Jahren Gesicht auf¬
fallend rot und häufige Blutungen aus dem Zahnfleisch. Druckgefühl
in den Augen, desgleichen in der Milz- und Lebergegend. Zuletzt
Atemnot and Herzklopfen bei der Arbeit. Starker Raucher, mässiger
Trinker.
Haut im Gesicht, an den Händen und Ohren sowie die Schleim¬
häute stark gerötet; Bleisaum. Ueber der Patella rechts ein Tophus.
Herz nach beiden Seiten vergrössert, 2. Aortenton klappend. Puls ge¬
spannt, schwer unterdrückbar, Blutdruck 160 mm Hg. Thorax fassförmig,
über den Lungen rechts hinten unten pleuritisohes Reiben. Leber
und Milz vergrössert und induriert.
Im Urin geringe Mengen Albumen, keine Cylinder. Blut: 9 600 000
Erythrocyten, 6400 Leukocyten, Hämoglobin = 180. Polycythaemia
rubra megalosplenica V&quez.
Der Patient blieb 18 Tage in der Klinik und führte dann zu Hause
die kochsalzfreie, fleischfreie Diät, bei der er sich am besten befand,
weiter fort. Während der salzreichen Periode trank er einen Tag vor
der Blutuntersuohung wegen des starken Durstes 5 Gläser Wasser. Da
man annehmen muss, dass hierdurch ein Teil des im Körper vor¬
handenen überschüssigen Kochsalzes ausgeschwemmt wurde, ist der
Unterschied des Chlor- und Wassergehaltes des Serums gegenüber der
kocbsalzarmen Periode nicht so deutlich ausgefallen, wie er es sonst ge¬
worden wäre.
Fall 3. 40jähriger Mann, erkrankte vor 4 Wochen plötzlich unter
Schüttelfrost an Gelenkschmerzen, denen Gelenkschwellungen folgten.
Polyarthritis rheumatica.
1) v. Moraezewski, Die Mineralbestandteile der menschlichen
Organe. Zeitsohr. f. phys. Chemie, 1897, Bd. 23, S. 483.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Fall 4. 50jähriger Mann, erkrankte mit 12 Jahren an Masern,
mit 14 Jahren erlitt er eine starke Verbrennung. Vor 4 Jahren Fall auf
dem Eise. Schon längere Zeit fiel dem Patienten eine auffallende Röte
des Gesichts auf. Vor 4 Wochen begann eine allmählich fortschreitende
Lähmung der linken Körperhälfte.
Starke Röte des Gesichts, der Hände und Ohren sowie der Schleim¬
häute. Die vorgestreckte Zunge weicht nach links ab. Linker Arm
gelähmt, geringe aktive Beweglichkeit im linken Schultergelenk noch
möglich. Finger in krallenartiger Korrektur. Rigidität der Muskeln im
linken Arm deutlich. Aktive Bewegungen in den übrigen Eitremitäten
frei. Babinski und Fussclonus nicht vorhanden. Berührungsempfindlich-
keit des rechten Armes und Beines herabgesetzt.
Herz und Lungen ohne Besonderheiten. Leber und Milz erheblich
vergrössert und induriert. Blutdruck 140 mm Hg; Hämoglobin = 160 pCt.
Blut: 6 400 000 Erythrocyten (bei früheren Untersuchungen erheblich
mehr); Leukocyten 5500.
Polycythaemia rubra megalosplenica Vaquez und Hemiplegie.
Fall 5. 22jähriger Arbeiter, leidet seit einigen Monaten an an¬
fallsweise auftretenden Schmerzen im Magen, unabhängig von der
Nahrungsaufnahme. Kein Erbrechen, Magengegend druckempfindlich.
Sonst gibt die Untersuchung des Magens keine Anhaltspunkte einer
organischen Läsion. Costa decima fluctuans, Skoliose, Rosenbach’sches
Lid 2 ittern, Neurasthenie.
Fall 6. 36 jähriger Aufseher, starker Raucher, klagt seit 3 Wochen
über Schmerzen in der Nierengegend, die nach der Blase zu ziehen.
Innere Organe ohne Besonderheiten. Im Urin zunächst kein Eiweiss;
im Sediment vereinzelte Leukocyten und Epithelien, viel harn- und
phosphorsaure Salze. Nachdem er einige Tage kochsalzreiche Nahrung
erhalten hatte, trat Eiweiss im Urin auf, im Sediment waren die Leuko¬
cyten reichlicher, ausserdem sehr viele Bakterien, dagegen keine Cylinder.
Pyelitis und Cystitis.
Fall 7 (nicht in der Tabelle angeführt, da der Patient nur koch¬
salzfreie Nahrung bei verschiedener Wasserzufuhr erhält). 29jähriger
Kammerdiener, früher starker Raucher und Trinker; als Kind hatte er
Scharlach, ferner leidet er von Kindheit an an anfallsweise auftretenden
kolikartigen Schmerzen. Seit 4 Wochen kurz nach dem Essen saures
Aufstossen, Sodbrennen und Magenscbmerzen, selten Erbrechen.
Seit einem halben Jahre häufig nächtliche Pollutionen. Schlaf
schlecht.
Magengegend unter dem Schwertfortsatz druckempfindlich. Nach
Probefrühstück freie HCl 39, Gesamtacidität 68, später 20 und 43.
Milchsäure vorhanden. Im Röntgenbilde sieht man einen Senkmagen
mit lebhafter Peristaltik und grosser Magenblase, ferner eine Ver-
grösserung des Magens.
Atonia et Ectasia ventriculi.
Fast allgemein fühlten sich die Patienten, namentlich in den
ersten Tagen der kochsalzarmen Diät, matt, unruhig und reizbar,
hatten zum Teil schlechten Schlaf und Appetitlosigkeit. Stärker
waren die Beschwerden, wenn die Flüssigkeitszufuhr gering war.
Einige Tage später, in letzterem Falle aber erst nach Vermehrung
des Flüssigkeitsquantums, wichen diese Beschwerden, und die
meisten baten um Beibehaltung der fleisch- und kochsalzfreien
Diät, bei der sie sich am wohlsten befänden.
Die abundante Kochsalzzufuhr — die abgewogenen Mengen
NaCl wurden unter die Speisen verrührt — wurde sehr ungern
genommen. Es stellte sich reichlicher Durst ein und meist
Widerwillen gegen das Essen.
Besonders betonen möchte ich, dass in keinem Falle Diarrhöen
auftraten, die etwa zu Kochsalzverlusten durch den Darm hätten
führen können. Da bekanntlich das Kochsalz fast vollkommen
resorbiert und durch den Urin wieder ausgeschieden wird, muss
man annehmen, dass die eingeführten Salzmengen auch nahezu
vollständig in den Kreislauf bzw. Organismus gelangten.
In der nun folgenden, die Untersuchungsresultate zusammen¬
stellenden Tabelle sind neben dem CI* und Wassergehalt des
Serums die pro die und Kilogramm Körpergewicht zugeführten
und durch den Urin ausgeschiedenen Flüssigkeitsmengen be¬
merkenswert. Die Zahlen für die täglichen Urinmengen wurden
mit Ausschluss der ersten drei Tage einer Periode berechnet,
damit der Einfluss der vorausgehenden Ernährung möglichst aus¬
geschaltet bliebe. Die Reihenfolge richtet sich nach der stei¬
genden Flüssigkeitsaufnahme. Das nähere werde ich später im
Zusammenhang besprechen.
Die geringen Werte des CI und die hohen Werte des Wassers
im Serum im Fall 3 sind daraus zu erklären, dass hier aus¬
nahmsweise das Blut nicht centrifugiert, sondern nach dem Ab¬
setzen der Blutkörperchen im Eisschrank das Serum verarbeitet
wurde. Dabei kam es durch Wasserabgabe der Blutkörperchen
zu einer starken Verdünnung und deshalb Verminderung des pro¬
zentualen Cl-Gehaltes des Serums.
Das zu untersuchende Blut wurde mittels Strauss’scher Kanüle
aus der Armvene des Patienten entnommen.
Vergleichen wir die kochsalzarme mit der kochsalzreichen
Periode, so zeigt sich bei geringer oder mässiger Flüssigkeits- /
zufuhr eine Verminderung, bei reichlicher Flüssigkeitszufubr ein
Gleichbleiben oder eine Vermehrung des prozentualen Cl-Gehaltes
des Serums. Die Grenze für dieses Verhalten liegt bei 24 bis
25 ccm Wasser pro die und pro Kilogramm Körpergewicht.
Zur Erklärung hierfür sind folgende Erwägungen maass¬
gebend: Das eingeführte Kochsalz wird, wie bekannt, vorzüglich
resorbiert und gelangt fast ausschliesslich durch den Urin wieder
zur Ausscheidung. Ist die Wasserzufuhr genügend, dann erhöht
sich bei starker Kochsalzzufuhr die Urinmenge, wie dies aus der
Tabelle zu ersehen ist, und mit Hilfe des Wassers gelingt es dem
Körper, sich seines Ueberschusses an Kochsalz zu entledigen.
Anders bei ungenügendem, disponiblem Ausscheid ungs wasser.
Hier staut sich das Kochsalz und hält seinerseits Wasser zurück;
die Urinmenge sinkt in der kochsalzreichen Periode, und es
kommt zu einer Verminderung des prozentualen Serumchlors des¬
halb, weil das überschüssige CI des Blutes in ganz erheblichem
Grade Wasser zurückbehält und das Blut verdünnt. Dies wird
durch die Erhöhung des Wassergehaltes des Serums in der koch¬
salzreichen Periode (Fall 2 und 3) gekennzeichnet.
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Obstipat.
Neurasth.
45
666
14,80
7 Tage
0,396
-
20
8 Tagei 0,364
-
14
+ 0,032
—
+ 6
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2. L.
Poly-
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19,47
9 *
0,386
89,15
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90,69
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— 12
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9 600 000
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24. 6.
9 500 000
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89,92
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Original frn-m
UNIVERSITY OF IOWA
14. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
677
Das Wasser „reinigt“ den Körper von überschüssigem Koch¬
salz. Seine Einschränkung führt zu Stauungen, die sicher nicht
nur das Kochsalz, sondern auch andere Stoffe betreffen, deren
Ausscheidung mit dem Kochsalzstoffwechsel in mehr oder weniger
inniger Wechselwirkung stehen.
Hier möchte ich noch kurz einen Versuch erwähnen (Fall 7),
bei welchem ich einer wasserarmen, kochsalzarmen Periode eine
wasserreiche, kochsalzarme Periode folgen Hess.
Periode 1: 8 Tage lang, getrunkene Flüssigkeit pro die und
und pro Kilogramm Körpergewicht 12,80 ccm H 2 0. 0,378 pCt.
CI im Serum; Urinmenge pro die und pro Kilogramm Körper¬
gewicht 4,3.
Periode 2: 7 Tage lang, getrunkene Flüssigkeit pro die und
pro Kilogramm Körpergewicht 21,43 ccm H 2 0. 0,384 pCt. CI
im Serum; Urinmenge pro die und pro Kilogramm Körper¬
gewicht 7,6.
Es fand sich demnach nach Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr
eine geringe und noch gerade in der Fehlergrenze (= 0,01)
liegende Vermehrung des CI.
Die beiden Fälle von Polycytbämie konnten während der
Untersuchung noch in anderer Richtung beobachtet werden. Es
erhob sich nämlich die Frage, ob die beschriebene kochsalzfreie
oder kochsalzhaltige Kost einen Einfluss auf den Blutbefund aus¬
üben würde. Indessen schwankte die Zahl der Erythrocyten nur
in der auch schon vordem beobachteten Breite, dagegen änderte
sich das Verhältnis des Serums zu den Blutkörperchen im Sinne
einer Vermehrung des ersteren.
Fall 2; 12. VI.' 1912 = 1:7,47
20. VI. 1912 = 1: 6,17
6. VII. 1912 = 1:4,7
13. VII. 1912 = 1 : 3,72
20. VII. 1912 = 1:3,46
Fall 4: 19. VI. 1912 = 1:2,64
28. VI. 1912 = 1:1,01
Die allmähliche Annäherung des Quotienten —— ~ - e - ru ™ -—
Blutkörperchen
zu der Zahl 1 ist um so erstaunlicher, als, wie erwähnt, die Zahl
der Erythrocyten im ganzen nicht abnahm. Es muss daher die
Grösse der roten Blutkörperchen abgenommen haben; diesbezüg¬
liche Messungen worden nicht gemacht. Exorbitant hohe Werte
für den Cl-Gehalt des Serums zeigte der Fall 2, der über zwei
Monate kochsalzarme Nahrung genoss. Der Patient fühlte sich
dabei viel besser als vorher. Es wäre erwünscht, noch weitere
Untersuchungen über lange Zeiträume bei kochsalzarmer Kost,
besonders beim normalen Menschen anzustellen, um festzulegen,
ob der abnorm hohe Wert von z. B. 0,444 nicht über die physio¬
logische Breite hinausgeht. Bei meinen früheren Unersuchnngen
fand ich bei magengesuoden Personen als höchsten Wert 0,387 pCt.
Jedenfalls stehen die Werte in der kochsalzarmen Periode bei
den Fällen 1 und 2 an der obersten Grenze der physiologischen
Breite.
} Die kochsalzarme Ernährung führt, wenn dadurch dieChlor-
entziebuog erheblich wird, wie von vielen Seiten festgestellt
wurde [Klein und Verson 1 ), Förster 2 ), Tigerstedt 3 ), Grün¬
wald 4 ), Hermannsdorfer 5 ) u. a.] zu Allgemeinerscheinungen:
^Mattigkeit, Unruhe, Appetitlosigkeit, Erhöhung der Reflexe (Grün-
wald) u. a. m. Wie ich schon erwähnte, sah ich bei mässig
salzarmer Kost diese Symptome nur im Anfang, sie gingen dann
o nach und nach zurück. Bei starker Cl-Entziehung kommt es zu
Zittern, Krämpfen, Lähmungen und schliesslich zum Tode [Tiger-
^stedt 6 ) u. a.). Eine Verminderung des Blut CI sah Grün wald 7 )
erst kurz ante exitum bei Kaninchen einsetzend. In mancher
Hinsicht geben meine Beobachtungen Anhaltspunkte für eine Er¬
klärung dieser Erscheinungen. Die prozentuale Gl-Konzentration
wird durch längere kochsalzarme Kost gesteigert, bei erhöhter
Salzkonzeotration aber fand Hirschmann 8 ) am Froschnerven-
1) Klein und Verson, 1. c.
2) Förster, 1. c.
3) Tigerstedt, Lehrb. d. Physiol. des Menschen, S. 164.
4) Grünwald, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der
Niere. Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1909, Bd. 60, S. 860.
5) Hermannsdorfer, Ueber die Verteilung der täglichen Chlor¬
ausscheidung im Harn. Archiv f. Physiol., 1912, Bd. 144, S. 169.
6) Tigerstedt, 1. o.
7) Grünwald, 1. o.
8) Hirschmann, Ueber Reizung motorischer Nerven durch Lösungen
von Neutralsalzen. Archiv f. Physiol., 1891, Bd. 49, S. 301.
muskelpräparate die Latenz für elektrische Reizung herabgesetzt
bei erhöhter Tätigkeitsdauer.
Aus meinen Untersuchungen geht hervor:
1. Bei kochsalzarmer fleichfreier Ernährung hat
der Organismus die T*odenzj den prozentualen Cl-
Gehalt des Blutserums zu erhöhen, um so stärker, je
länger* die kochsalzarme Kost beibehalten wird. „
2. Bei kochsalzreicher fleischfreie* Ernährung und
Wassermangel kommt es zu einer Verminderung des pro¬
zentualen Cl-Gehalt es des Serums, wahrscheinsich durch
primäre Retention von CI im Blute und sekundärer Wasserretenlion
daselbst.
(Die Urinmenge nimmt hierbei gegenüber der kochsalzarmen
Periode ab.)
3. Bei kochsalzreicher fleichfreier Ernährung und
Wasserüberschuss erhöht sich gegenüber der kochsalzarmen
Periode der prozentuale Cl-Gehalt des Serums.
(Die Urinmenge nimmt gleichzeitig zu.)
4. Der Uebergang in diesem Verhalten bei geringer bzw.
reichlicher Wasserzufuhr liegt bei einem Flüssigkeits-
quantum von etwa 24—25 ccm H 2 0 pro die und pro
Kilogramm Körpergewicht.
Quantitative Eiweissbestimmungen im Urine für
den praktischen Arzt.
Von
Geh. Sanitätsrat Dr. Emil Pfeiffer,
prukt. Arzt in Wiesbaden.
Die Unzuverlässücbkeit der allgemein in der Praxis üblichen
Esbach’schen Methode Jzur quantitativen Eiweissbestimmung im
Urine, auf welche (in den letzten Jahren wiederholt hingewiesen
wurde, hat eine ganze Reihe von Vorschlägen hervorgerufen,
welche dahin zielen, an Stelle der Esbach’schen Methode eine
sicherere Methode zu setzen. Veranlasst durch die in Nr. 3> dieser
Wochenschrift im Jahre 1912 veröffentlichten, völlig unzuläng¬
lichen und irreführenden Resultate mit. der Esbach’schen und
Aufrecht’schen Methode zur quantitativen Eiweissbestimmung habe
ich nun eine Anzahl der als Ersatz der Esbach’schen Methode
empfohlenen Methoden an einer grossen Reibe von eiweisshaltigen
Urinen der verschiedensten Art und Provenienz geprüft, indem
ich ihre Resultate mit den Resultaten der Gewichtsanalyse ver¬
glich. Die Resultate sind auf der untenstehenden Tabelle zu¬
sammengestellt.
Diese Vergleichung haben auch die Autoren der verschiedenen
Methoden vorgenommen und dann auf Grund einiger mit der
Gewichtsanalyse übereinstimmender Resultate ihre Methoden als
brauchbar empfohlen.
Wenn man nur an wenigen Urinen prüft, oder wenn man
nur die günstigen Resultate heraussucht, wird man jede dieser
Methoden als brauchbar empfehlen können, denn jede dieser
Methoden gibt zuweilen ganz genaue Resultate. Wenn man z. B.
aus der untenstehenden Tabelle nur die Nummern 13, 23, 29,
46, 50, 52, 82 herausnimmt, so würde man die Esbach’sche
Methode als die sicherste aller Methoden empfehlen können.
Diese absichtlich oder unabsichtlich getroffene Auswahl
weniger mit der Gewichtsanalyse übereinstimmender Resultate,
sowie der Umstand, dass auch die Nachprüfer der Methoden sich
mit wenigen Versuchen begnügten und besonders, dass sie ihre
Originalzahlen nicht veröffentlichten, sondern nur unbestimmte
Angaben, manchmal sogar Durchschnittsberechnungen gaben, hat
den Praktiker verhindert, sich über den Wert oder Unwert der
empfohlenen Methoden ein eigenes Urteil zu bilden.
Diesen Uebelständen suchte ich nun dadurch abzuhelfen,
dass ich eine grosse Anzahl von Urinen untersuchte, und dass
ich alle Originalzablen ohne jede Beschönigung oder Unter¬
drückung gebe, wodurch jeder sich ein Urteil über die Methoden
selbst bilden kann.
Die Gewichtsanalysen wurden zum grössten Teile in dem
Laboratorium Fresenius unter persönlicher Leitung der Herren
Wilhelm Fresenius und Grünhut, zweier unserer ersten
Analytiker, zum kleineren Teile im Untersuchungslaboratorium
des hiesigen Apothekers Herrn Stephan von demselben persön¬
lich mit grösster Gewissenhaftigkeit ausgefübrt 1 ).
1) Herrn Stephan sage ich an dieser Stelle für seine mit grosser
Genauigkeit und Liberalität ausgefübrten zahlreichen Analysen verbind¬
lichsten Dank.
3
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UNIVERSUM OF IOWA
678
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Die übrigen Bestimmungen wurden zum grössten Teile von
mir selbst und nur einige Kontrollbestimmungen in den Labora¬
torien oder von praktischen Aerzten vorgenommen, ln allen
Fällen wurde mit der peinlichsten Genauigkeit und unter Beob¬
achtung aller von den Erfindern der Methoden angegebenen Vor¬
sichtsmaassregeln verfahren, so dass die angegebenen Resultate
dem entsprechen, was der praktische Arzt im günstigsten Falle
mit diesen Methoden erreichen kann. Die Ablesungen erfolgten
alle ohne Kenntnis des Resultates der Gewichtsanalyse.
Die Röhren für die Sedimentierungsmethoden (Esbach,
Tsuchiya, Pfeiffer) wurden alle in einem Raume stehen ge¬
lassen, welcher Tag und Nacht die gewöhnliche Zimmertemperatur
batte, schwankend zwischen 12 und 15° R.
In der Tabelle sind zunächst die Resultate der Gewichts¬
analyse angegeben, und zwar getrennt nach dem Laboratorium
Fresenius (Fr.) und Stephan (St.), dann die Resultate für
Esbach getrennt für die abgerundete Röhre und die unten zu¬
gespitzte (verjüngte) Röhre (Spitz), endlich die Resultate für die
anderen Methoden, wobei für Tsuchiya und Pfeiffer zwei
Rubriken gegeben werden, eine für die Ablesung nach 24 Stunden
und eine nach 48 Stunden.
Wo zwei oder mehr Zahlen bei einer Nummer stehen, handelt
es sich um Parallelbestimmungen.
Gewichtsanalyse.
Was die Gewichtsanalyse betrifft, so gilt dieselbe bis jetzt als
die beste und sicherste Methode zur Bestimmung des Eiweissgehaltes
eines Urines. Aber auch für diese Methode gibt es gewisse Grenzen,
innerhalb deren ihre Sicherheit etwas hin- und herschwankt. Die
Resultate verschiedener Beobachter bei demselben Urine, ja auch die
Resultate desselben Untersuchers bei demselben Urine können innerhalb
gewisser Grenzen schwanken. Durch die verschiedenen Abmessungs¬
maassregeln, die Verdünnungen, die Wägungen und besonders die Trock¬
nung der Filter können bei eiweissreichen Utinen die unvermeidlichen
Fehler sioh so sehr summieren, dass grössere Differenzen entstehen.
Allerdings sind dies Ausnahmefälle. In den meisten Fällen werden bei
sorgsamer Untersuchung die Differenzen sich auf 0,1—0,2 pM. reduzieren.
Besonders die Temperatur, bei welcher die Niederschläge getrocknet
werden, ist von Bedeutung. Das Laboratorium Fresenius, von welchem
die meisten der unten aufgeführten Gewichtsanalysen ausgeführt wurden,
trocknet bei 100° C bis zur Gewichtskonstanz. Die meisten Lehrbücher
schreiben 110° C als Trockentemperatur vor, und Claudius trocknet
sogar bei 125° C. Demgegenüber hält das Laboratorium Fresenius
an der Ansicht fest, dass alle Temperaturen über 100° C unzulässig
sind, da sie Zersetzung des Eiweisses veranlassen. In den sehr eiweiss-
reicben Urinen muss auch die Gewichtsanalyse mit Verdünnungen arbeiten,
da Urine über 4 oder 5pM. Eiweissgehalt sich nicht verarbeiten lassen,
indem sie zu langsam filtrieren und der sehr volumöse Niederschlag sich
nicht trocknen lässt. Bei exzessiv eiweisshaltigen Urinen, wie Nr. 17
der untenstehenden Tabelle, muss der Urin um das 10- bis 20 fache
verdünnt werden, wodurch der Versuchsfehler um das 10- bzw. 20 fache
vermehrt wird. Es wird daher nicht in Erstaunen setzen, dass die
Differenz zwischen den beiden Untersuchern Fr. und St. auf 2,4 pM. ge¬
stiegen ist. St. trocknete bei 110° C. Solche exzessiv eiweisshaltigen
Urine gehören aber zu den grossen Seltenheiten, und es kommt in der
Tat nicht darauf an, ob in solchen Urinen 2—3pM. Eiweiss mehr oder
weniger nachgewiesen werden. Es muss aber daran festgehalten werden,
dass in solchen Fällen auch die Gewichtsanalyse in gewissem Sinne
versagt.
Für die gewöhnlich in der Praxis vorkommenden Fälle von mittlerem
Eiweissgehalt zwischen 0,5 und 5,0 pM. sind aber die Resultate der
Gewichtsanalyse bei Kontrollbestimmungen auf 0,1— 0,2 pCt. überein¬
stimmend. Die in Nr. 35 beobachtete Differenz von 0,61 zwischen Fr.
und St. muss als die äusserste Grenze betrachtet werden, innerhalb
deren die einzelnen Parallelbestimmungen untereinander und mit der
Gewichtsanalyse differieren können, um eine Methode als brauchbar er¬
scheinen zu lassen.
Uebersteigt die Differenz zwischen zwei Parallelbestimmungen und
gegenüber der Gewichtsanalyse 1 pM., so ist die Methode als unbrauch¬
bar anzusehen, und zwar als um so unbrauchbarer, je grösser die Diffe¬
renzen werden.
Esbach.
Bei Durchsicht der Tabelle sieht man sofort, wie erschreckend die
Unsicherheit dieser Methode ist. Fast kein Resultat ist auch nur an¬
nähernd richtig, zahlreich aber die Fälle, in denen die Differenz bis 3
oder 4 pM. steigt, sowohl gegenüber der Gewichtsanalyse, als auch
zwischen Parallelbestimmungen nach derselben Methode. Eine Me¬
thode, die statt 7,4 nur 4,5 (Nri-,10), statt 1,46 nur 0,5 (Nr. 55),
statt 10,02 nur 7,2 (Nr. 1), statt 10,96 nur 7,6 (Nr. 18), auf der anderen
Seite aber wieder statt 13,7, 24,0 (Nr. 33), statt 5,8 aber 12,2 (Nr. 34)
zeigen kann, ist absolut unzuverlässig.
Der praktische Arzt, indem er sich auf diese Methode ver¬
lässt, setzt sich den grössten Selbsttäuschungen aus. Wenn er
z. B. an seinem Esbach 1,8 pM. abliest, so kann der Urin nach
der Tabelle (Nr. 25 und 1) ebensogut 1,7 pM. wie 2,86 pM. ent¬
halten, oder wenn er 3,2 abliest (Nr. 20 und 11), so kann der
Urin ebensogut 2,64 wie 7,02 enthalten. Ein Kriterium, ob eine
Abweichung überhaupt vorhanden ist und ob sie nach oben oder
unten ausschlägt, ist absolut nicht da; der Arzt ist also ganz
schütz- und kritiklos den Unsicherheiten der Methode preis¬
gegeben. Wegen dieser grossen Schwankungen nach oben und
unten hat die Methode auch keinen approximativen Wert.
Dass eine solche Methode verlassen werden muss, ist wohl
für jeden Einsichtigen klar.
Die Methode hat ja ausserordentlich viel Bestechendes. Ihre
leichte Ausführbarkeit, welche sie sogar dem Laien zugänglich
macht, besonders aber der Umstand, dass sie mit ganz bestimmten
quantitativen Angaben operiert, hat sie sich derartig einbürgern
lassen, dass sogar auf den Kliniken, in den Krankenhäusern und
den Apotheken mit derselben gearbeitet wird.
Für Kliniken und Krankenhäuser, in welchen die Eiweiss¬
bestimmungen in die Krankenjournale für die Nachwelt einge¬
tragen werden, ist die Methode absolut unzulässig, und die nach
derselben in die Krankenjournale eingetragenen Zahlen sind gänz¬
lich wertlos.
Dass sie für wissenschaftliche Untersuchungen nicht io An¬
wendung kommen kann, darüber sind ja schon längst alle einig.
Die schlechtesten Resultate erzielt man mit der unten ver¬
jüngten, d. b. konisch ausgezogenen Röhre.
Zu dieser gänzlichen Unsicherheit ihrer Resultate kommt
dann bei der Esbach’schen Methode noch hinzu, dass sie in einer
ganzen Reihe von Fällen überhaupt versagt, indem durch das
Reagens trotz Ei weissgeb altes kein Niederschlag entsteht, und
dass sie eine ganze Reihe von anderen Stoffen mit fällt, welche
nicht Eiweiss sind.
Eine sehr wichtige Fehlerquelle bei der Esbach’schen Methode
ist die Nichtbeachtung der Temperatur, bei welcher der Nieder¬
schlag sich absetzt. Es muss genau die gewöhnliche Zimmer¬
temperatur zwischen 12 und 15° R eingehalten werden. Schon
Temperaturen von 20° R lassen das Resultat sich sehr verändern,
d. h. der Niederschlag setzt sich viel rascher und fester zusammen
und die Ablesungen werden viel zu niedrig. Im hohen Sommer
und unter den Tropen ist das wohl zu beachten. Sinkt die
Temperatur zu sehr, so feetzt sich der Niederschlag viel zu lang¬
sam und zu voluminös ab, und die Ablesung wird viel zu hoch.
Die Röhre darf daher auch nicht kalt stehen. Wie gross die
Unterschiede sind, auf die zuerst Christensen 1 ) aufmerksam
gemacht hat, geht aus folgendem Versuche hervor: Derselbe Urin
gab nach 24 Stunden bei einer Temperatur von 25—30° R nur
1,2 und 1,2 pM. Eiweiss, während er bei Zimmertemperatur
(13° R) 5,7 und 6,2 und bei 3—4° R sogar 10 und 12 pM. er¬
gab. Ein anderer Versuch gab bei 20° R 1,7 pM. und bei 13° R
5,5 pM.
Aufrecht.
Noch schlechter als die Resultate der Esbach’schen Methode
sind die mit der Aufrecht’schen, welche, wie bekannt, darauf
beruht, dass der durch ein dem Esbach’schen nachgebildetes
Fällung8mittel erzeugte Niederschlag durch Centrifugieren in dem
unteren Teile der Röhre angesammelt wird. Die Tabelle zeigt
ihre Unbrauchbarkeit. Die Methode versagt ausserdem ausser¬
ordentlich häufig gänzlich, indem der Niederschlag sich nicht in
dem graduierten Teile der Röhre ansammelt, sondern in der
Flüssigkeit suspendiert bleibt, besonders da, wo der weitere Teil
der Röhre in den engeren übergeht.
Walbum.
Diese Methode beruht darauf, dass in einer graduierten Röhre durch
Trichloressigsäure im Urine eine Trübung erzeugt wird, welche mit einer
matten Glasplatte verglichen wird. Aus der Verdünnung mit 10 proz.
Kochsalzlösung, welche notwendig ist, um die Trübung in der Röhre
genau der der matten Glasplatte gleichzumachen, wird der Eiweissgehalt
berechnet.
Dass die Methode unbrauchbar ist, geht aus der Tabelle hervor.
Tsuchiya 2 ).
Die Methode ist der Esbach’schen nachgebildet, mit dem Unter¬
schiede, dass zur Fällung eine Lösung von Phosphor-Wolframsäure io
Salzsäure und Alkohol verwandt wird. Die für die Methode hergestellteo
empirisch graduierten Röhren haben eine nach unten zu konisch ver¬
jüngte Gestalt. Die Methode unterscheidet sich von der Esbach’scheo
1) Virchow’s Archiv, Bd. 115.
2) Centralbl. f. innere Med., 1908, Nr. 5.
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14. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
679
vorteilhaft dadurch, dass sie anscheinend niemals versagt. Unter
200 Fällungen kam keine einzige Versagung vor. Die mit derselben
erzielten Resultate sind jedoch nicht besser, als die mit der Esbach’schen,
wenigstens wenn man die von Tsuchiya angegebene Vorschrift befolgt,
nach 24 Stunden abzulesen. Besser werden die Resultate, wenn man
erst nach 48 Stunden abliest, doch kommen auch hier noch Differenzen
bis zu 1,8 pM. gegen die Gewichtsanalyse und zwischen Parallelbestim¬
mungen vor.
Auch bei dieser Methode ist die Höhe des Niederschlages
sehr abhängig von der Temperatur, in welcher die Röhre zum
Absetzen hingestellt wird. Auch hier darf nur mit Temperaturen
zwischen 12 und 16° R gearbeitet werden. Wie gross der Ein¬
fluss der Temperatur auf die Höhe des Niederschlags ist, zeigt
folgender Versuch: Derselbe Urin gab bei 30—85° R nach
24 Stunden , nur 0,7 pM., dagegen im Zimmer bei 13° R 6,2 und
6,6 pM. und bei 2—3°R blieb die obere Grenze des Nieder¬
schlages 9 mm über der Marke U der Röhre.
Wenn die Methode auch zuverlässiger ist wie die Esbach’sche,
so ist sie doch noch unzuverlässig genug und wird daher am
besten durch die später zu beschreibende von mir ausgearbeitete
Modifikation derselben ersetzt.
Brandberg.
Die Methode ist aufgebaut auf der alten Heller’schen Probe mit
konzentrierter Salpetersäure. Durch Versuche mit Eiweisslösungen von
bekanntem Gehalte hat Brand borg nachgewiesen, dass eine Lösung,
welche mit Salpetersäure nach 2 1 / 2~8 Minuten noch einen Niederschlag
gibt, einen Eiweissgehalt von 0,033 pM. hat. Durch successive Ver¬
dünnung wird dieser Punkt ermittelt und dann aus der vorgenommenen
Verdünnung und dem Faktor 0,033 der Eiweissgehalt berechnet.
Die von Brandberg selbst unter Hammarsten’s Leitung vor¬
genommene Prüfung der Methode gab Differenzen bis zu 2—3 pM.
gegen die Gewichtsanalyse.
Meine Bestimmungen haben noch grössere Differenzen, be¬
sonders bei eiweissreichen Urinen ergeben, so dass die Methode
als unbrauchbar bezeichnet werden muss.
Claudius.
Ganz neuerdings hat Claudius in Kopenhagen eine Methode ver¬
öffentlicht ! ), welche sehr schöne Resultate gibt. Dieselbe beruht darauf,
dass der Fällungsflüssigkeit (Trichloressigsäure mit Gerbsäure) ein Farb¬
stoff (Säurefuchsin) zugesetzt wird, welcher zum Teile von dem Nieder¬
schlage aufgesaugt wird. Je mehr Eiweiss in dem Urin enthalten ist,
desto mehr Farbstoff wird von dem Niederschlage absorbiert und desto-
weniger Farbstoff bleibt im Filtrate zurück. In diesem wird dann der
Farbstoffgehalt colorimetrisch bestimmt und dadurch der Einweissgehalt
ermittelt. Die Verminderung des Farbstoffgehaltes im Filtrate entspricht
gesetzmässig einem grösseren Eiweissgehalte. Die Methode arbeitet sehr
exakt und gibt, wie die Tabelle zeigt, sehr gute Resultate. Ein Ver¬
sagen der Methode ist mir nicht vorgekommen. Allerdings kommen auch
bei dieser Methode noch Differenzen gegen die Gewichtsanalyse und
zwischen Parallelbestimmungen bis zu 0,7 pM. vor, doch sind dies seltene
Ausnahmen. Besonders in den am häufigsten vorkommenden mittleren
Eiweissgehalten ist die Methode vorzüglich. Urine mit einem höheren
Ei weissgeh alte als 5 pM. müssen verdünnt werden. Das Arbeiten mit
der Methode ist wegen ihrer Exaktheit eine Freude. Sie hat den grossen
Vorteil, dass sie in kurzer Zeit ein Resultat gibt. Der für die Methode
notwendige kleine Apparat ist mit den Reagentien von der Firma
Dr. G. Grübler & Co. in Leipzig zum Preise von 23 M. zu beziehen.
Die Methode bat für den Praktiker vielleicht den Nachteil,
dass auch bei völliger Bereitschaft aller Utensilien, Apparate und
Reagentien die Bestimmung eine ununterbrochene Arbeit von
25—80 Minuten erfordert. Der allgemeinen Einführung in die
Praxis und in die Apotheken und Kliniken würde es ausserdem
hinderlich sein, wenn die Rezepte für die Reagentien nicht be¬
kannt gegeben würden, weil das Bestellen und Beziehen der
Reagentien von der Firma Dr. G. Grübler zu zeitraubend und
kostspielig wäre.
Endlich gibt die Methode bei künstlicher Beleuchtung keine
Resultate; wenigstens ist es mir nicht gelungen, den Uebergang
von den letzten Stadien der Reaktion zur Endreaktion bei künst¬
licher Beleuchtung mit der nötigen Schärfe zu erkennen.
Emil Pfeiffer.
Die Beobachtung, dass bei den Bestimmungen nach Esbach die
unten konisch zugespitzte Röhre die allerschlechtesten Resultate gab,
und dass bei den Bestimmungen nach Tsuchiya in dem unteren koni¬
schen Teile der Röhre sich häufig Zwischenräume zwischen den Nieder¬
schlagmassen bildeten, welche sich durch Aufstossen der Röhre nicht
beseitigen Hessen und welche doch sicherlich das Resultat wesentlich
und ungünstig beeinflussen mussten, veranlassten mich, unter Weglassen
der konischen Verjüngung im Gegenteil ziemlich weite, nicht veijüngte
1) Münohener med. Wochensohr., 1912, Nr. 41.
Röhren zu verwenden und ausserdem die bei Esbach und Tsuchiya
auf den Röhren eingravierte empirische Graduierung, welche auch nach
oben hin immer enger wird, zu verlassen und auf den Röhren die ge¬
wöhnliche Graduierung nach Kubikcentimeterinhalt anzuwenden.
Diese weiten Röhren mit grader Wand lassen den Niederschlag sich
unbehindert und gleichmässig absetzen und geben dadurch schon sicherere
und zuverlässigere Resultate und die Graduierung nach Kubikcentimetern
hat den Vorteil, dass dieselbe immer ganz gleichmässig hergestellt
werden kann. Allerdings muss dann die abgelesene Niederschlaghöhe
nach einer empirisch gefundenen Formel auf Eiweiss umgerechnet
werden.
Diese Methode gibt, wie die Tabelle zeigt, die allerbesten Resultate,
welche ohne weiteres denen der Gewichtsanalyse gleichgestellt werden
können.
Ein Versagen der Methode findet nicht statt.
Die grössten Differenzen gegen die Gewichtsanalyse betrugen in
26 Bestimmungen 0,61 pM., in der Mehrzahl der Fälle aber nur 0,1 bis
0,2 pM. und die Differenzen zwischen zwei Parallelbestimmungen nicht
mehr wie 0,3 pM.
Es ist also diese Methode die sicherste und genaueste aller
bis jetzt bekanntgegebenen.
Sie teilt mit der Esbach’schen die Einfachheit der Hand¬
habung und hat nur den Nachteil, dass man auf das Resultat
48 Stunden warten muss. Das ist ja auch bei der Gewichts¬
analyse notwendig. Wenn man einen Urin zur Eiweissbestimmung
durch Gewichtsanalyse in ein Laboratorium gibt, so wird man
selten vor 48 Stunden ein Resultat erhalten.
Wer ungeduldig ist und schon nach 24 Stunden ein Resultat
haben will aus alter Gewohnheit an die Esbach’sche Methode,
der kann auch nach 24 Stunden ablesen, und nach der Umrech¬
nungstabelle den Eiweissgehalt berechnen, er muss nur dann das
Resultat um 20 pCt. vermindern und wird auf diese Weise immer
noch ein viel besseres und sichereres Resultat erhalten als mit
Esbach.
Die Röhren, welche zu der Methode verwandt werden,
müssen ein ganz bestimmtes Kaliber haben. Ich habe dieselben
in der Fabrik in der Weise hersteilen lassen, dass dieselben
etwa 14,5 cm hoch und 2 cm weit sind. Sie tragen eine
Graduierung 10—20—30 ccm, aber nur der untere Teil von
0 bis 10 cm ist in einzelne Kubikcentimeter eingeteilt, und zwar
auf beiden Seiten, damit, wenn die Oberfläche des Niederschlages
nicht ganz horizontal ist, man auf beiden Seiten ablesen und den
Durchschnitt bestimmen kann. Die Graduierung in einzelne
Kubikcentimeter ist nur im unteren Drittel durchgeführt, da nur
dieses benutzt wird, da stärker ei weisshaltige Urine verdünnt
werden müssen.
Da es sehr wesentlich auf ein bestimmtes Kaliber der Röhren
ankommt, so ist am besten, dieselben von der Firma Stoss, Wies¬
baden, Taunusstrasse 2, zu beziehen, da dieselbe die Röhren in
einem ganz bestimmten Kaliber hersteilen lässt. Diese Firma
liefert einen Kasten mit vier Röhren von dem genauen Kaliber
und mit der oben angegebenen genauen Graduierung und einer
Flasche für 200 Kubikcentimeter Reagens zum Preise von 9 M.
Die Röhren sind numeriert, um Verwechselungen zu verhüten.
Ein ähnlicher Kasten mit nur zwei Röhren kostet 7 M., doch ist
gut, vier Röhren zu haben, da man am besten immer zwei
Parallelbestimmungen ansetzt.
Das Reagens ist 1,0 Acidum Phosphor-Wolframicüm,
5,0 Acidum hydrochlor. concentr.,
100,0 Spirit, vini (96 proz.).
Die Ausführung des Verfahrens ist nun folgende:
Durch Kochen im Reagenzglase wird zunächst der Eiweissgehalt des
Urines festgestellt.
Ist der Eiweissgehalt so hoch, dass sich nicht einzelne durch
Flüssigkeitsspatien getrennte hanfkorngrosse Flocken nach dem Kochen
zeigen, sondern das Goagulum grosse Ballen oder gar zusammenhängende
Massen bildet, so muss verdünnt werden, zunächst auf 1:1 Wasser, und
wenn diese Verdünnung nicht ausreichend ist, auf 1:2 Wasser oder
sogar 1 :3 Wasser. Die Methode gibt in Verdünnungen die besten Re¬
sultate, doch dürfen die Verdünnungen nicht gar zu gross sein, da sich
sonst die Versuchsfehler zu sehr vervielfältigen. Zur Herstellung der
Verdünnungen lassen sich die graduierten Röhren sehr gut verwenden.
Jetzt wird der Urin bzw. die Verdünnung in eine oder am besten
zwei der graduierten Röhren bis zur Marke 10 ccm eingefüllt und dann
von dem Fällungsreagens bis zur Marke 20 ccm zugegossen. Durch
zehnmaliges Umkehren und Wiederaufrichten der Röhre wird Urin und
Reagens gut gemischt. Es tritt hierbei eine Erwärmung bis zu 27° G
ein. Nun wird die Röhre in den Kasten gestellt und dieser bei ge¬
wöhnlicher Zimmertemperatur, welche nicht unter 12° R sinken und
nicht über 15 0 R steigen darf, 48 Stunden stehen gelassen. Im Sommer
muss daher dpr JKasteq an einem kühlen Ort, eventuell in den Keller
gestellt werden. Diese Maassregel ist absolut notwendig, da bei Ab-
8 *
Digitized b)
Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
680
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
weichungen von derselben ganz falsche Resultate erzielt werden. Sollte
nach einigen Stunden ein Teil des Niederschlages nach oben gestiegen
sein, so wird er mit einem dünnen Glasstabe vorsichtig angestossen,
worauf er zu Boden sinkt.
Die Empfindlichkeit des Niederschlages gegen ErwärmuDg hat mich
veranlasst, ein abgekürztes Verfahren zu versuchen, bei welchem der
Niederschlag sofort nach seiner Bildung in höhere Temperatur gebracht
und längere Zeit in dieser erhalten wird. Dies wird dadurch erreicht,
dass die Röhre in eine kleine Thermosflasche eingesetzt wird. Dadurch
wird das Verfahren auf die Dauer von einer Stunde abgekürzt. Diese
abgekürzte Methode gibt zwar keine so genauen Resultate, wie die
48 Stunden-Methode, aber immer noch bessere, als die Esbach’sche, und
kann, um ein vorläufiges Resultat zu erlangen und im Sommer, mit
Vorteil angewandt werden. Wenn die Röhre 15 Minuten in der Thermos¬
flasche verweilt hat, wird nachgesehen, ob nicht Teile des Niederschlages
nach oben gestiegen oder sich zu grossen Massen zusamraengeballt
haben. Mit einem dünnen Glasstabe werden dann diese Massen vor¬
sichtig zerteilt, aber nicht zu stark umgerührt. Nach einer halben
Stunde wird wieder nacbgesehen und eventuelle Unebenheiten der Ober¬
fläche des Niederschlages mit dem Glasstabe vorsichtig geebnet. Nach
einer Stunde wird dann das Resultat abgelesen und nach der Um¬
rechnungstabelle auf Eiweiss berechnet. Die Tabelle ist empirisch für
30° R und eine Stunde Aufenthalt in der Thermosflasche gefunden.
Die Zeiten und Temperaturen müssen aufs genaueste eingehalten werden.
Die Tabelle zur Umrechnung der Höhe des Niederschlages in pro
Mille Eiweiss ist folgende. (Tabelle 1.)
Tabelle 1.
Höhe des
Nieder¬
schlages in
Kubik-
centimeter
Eiweiss
bei 12—15°R
nach
48 Stunden
3 r o Mille
bei 12—150 R
nach
24 Stunden
Höhe des
Niederschlages
bei 30° R nach
einer Stunde
Eiweiss
pro Mille
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0,5
0,4
0,5
1,0
1,5
0,75
0,6
1,0
1,5
2,0
1,0
0,8
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2,5
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1,0
1,4
2,0
3,0
1,5
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3,5
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6,0
4,5
3,6
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6,5
5,0
4,0
—
j —
Eine Abkürzung der Methode der Fällung mit Phosphorwolfram¬
säure durch Centrifugieren gibt ebensowenig brauchbare Resultate, wie
das Centrifugieren des Esbach’schen Niederschlages.
Tabelle 2*).
Gewichts¬
analyse
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Esbach
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Aufrecht
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Tsuchiya
24St.'48St.
Brandberg
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4,5
3,5
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1) Die Urine stammten zum grössten Teile aus dem hiesigen
städtischen Krankenhause. Ich bin den Herren Wein trau d und
Göronne für die Erlaubnis, diese Urine zu beziehen, und den Schwestern
vom Roten Kreuz Annemarie und Anita für die Besorgung derselben
zu besonderem Danke verpflichtet.
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1
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—
—
—
—
—
2,4
2,0
1,5
1,75
1,6
_
2,0
1,6
90
3,39
—
2,1
—
—
—
—
—
—
3,6
2,9
3,1
2,1
3,7
3,2
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—
—
—
—
—
—
—
—
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0,8
1,3
1,0
1,1
93
2,75
—
—
—
—
—
—
—
—
2,9
2,8
2,9
94
1,37
—
—
—
—
—
—
—
—
1,2
—
—
95
2,3
—
1,8
—
—
—
—
—
—
1,6
2,0
1,7
1,9
1,4
2,1
2,2
96
2,72
—
2,1
—
—
—
—
—
2,5
2,8
2,7
2,7
2,7
97
1,36
—
1,4
—
—
—
—
—
—
0,8
—
1,5
98
1,95
1 —
1,5
—
—
—
—
—
—
1,8
1,3
1,5
1,3
99
3,62
3,8
—
—
—
—
—
—
3,2
3,6
3,5
3,6
3,6
100
1,81
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1,8
—
—
—
—
—
—
1,5
1,6
1,7
i —
1,6
1,7
101
1,2
—
—
—
—
—
—
—
1,0
1,0
1,3
1
1
1,2
1,0
1,3
Schlusssätze.
Die Esbach’sche Methode zur quantitativen Eiweiss¬
bestimmung im Urin ist wegen ihrer Unsicherheit und der auch
bei sorgfältigster Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln in hohem
Maasse unrichtigen Angaben vollständig zu verwerfen. Sie hat
auch keinen approximativen Wert. Die mit ihr erhaltenen Re¬
sultate sind völlig wertlos.
Brauchbare Methoden sind die von Claudius angegebene
und die von mir oben beschriebene Modifikation der Tsuchiya-
schen Methode der Fällung mit Phosphorwolframsäure.
Aus dem Auguste Viktoria-Krankenhause Berlin-
Schöneberg.
Ueber die Blutveränderungen bei Icterus
haemoly ticus.*)
Von
Prof. Huber.
M. H.! Ich habe hier mikroskopische Präparate aufgestellt,
um bestimmte Blutveränderungen zu demonstrieren, die man bei
Icterus haemolyticus findet, und möchte mir im Anschluss daran
einige Bemerkungen über diese bei uns noch wenig studierte
Krankheit erlauben, ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen.
Wir sind über das Wesen und die tiefere Ursache dieser merk¬
würdigen Krankheit noch ganz im unklaren, trotzdem erlaubt die
Analyse der Blutveränderungen einen interessanten Einblick in
die Vorgänge, die sich hier abspielen. Das, worauf es bei der
Beurteilung von Blutveränderungen ankommt, liegt darin, dass
man die Erscheinungen der Regeneration von den Schädigungen, den
degenerativen Processen herausschält, um die eigentliche Krank¬
heit erkennen zu können.
Die Bezeichnung Icterus haemolyticus ist unglücklich ge¬
wählt, denn der Icterus ist nur ein Symptom, das zuweilen sogar
sehr im Krankheitsbilde zurücktreten kann, und die Beifügung
des Wortes haemolyticus macht die Bezeichnung nicht klarer, da
hämolytische Prozesse mit Icterus ganz differenter Natur sein
können. Ich erinnere nur an Icterus bei Vergiftung mit blut¬
schädigenden Substanzen, wie Kalium chloricum, an Icterus bei
Hämoglobinurie, bei schweren infektiösen Prozessen usw. Auch
die neuerdings vorgeschlagene Bezeichnung Anaemia haemolytica
ist nicht mehr befriedigend. Richtiger wäre es, die Krankheit
nach den Autoren zu bezeichnen, die sie zuerst in ihrer allge¬
meinen Bedeutung richtig erkannt haben, nämlich Minkowski
und Chauffard.
1) Nach einem Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft
am 8. Januar 1913.
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UNIVERSUM OF IOWA
082
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Die Hauptsymptome der Krankheit sind in erster Linie ein
chronischer Icterus, der nicht die Folge einer Lebererkrankung,
sondern die Folge des massenhaften Zugrundegehens von roten
Blutkörperchen ist, ferner Vergiösserung der Milz und gewisse
tilutveränderungen. Das Krankheitsbild mit dem chronischen
Icterus ist deswegen so auffallend, weil es Jahre und Jahrzehnte
bestehen kann, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der Ge¬
sundheit zu kommen braucht. Ja, es sind Fälle bekannt, wo
Menschen von der Geburt oder frühesten Jugend an ikterisch
waren, ohne je in ihrer Leistungsfähigkeit gestört worden zu sein,
ln anderen Fällen kommt es aber zu mehr oder weniger schwerer
Anämie, besonders anfallsweise treten Verschlimmerungen ein,
zum Teil mit heftigsten Beschwerden in der Milz. Manche
Fälle nähern sich dabei sehr dem Bilde der perniciösen Anämie.
Das, was die Krankheit von anderen unklaren Formen von
Icterus und Anämien mit Megalosplenie heraushebt, ist eine Herabsetzung
der Resistenz der Erythrocyten gegen hypotonische Kochsalzlösung, wie
zuerst von Chauffard nachgewiesen wurde. Normale rote Blutkörper¬
chen bleiben in einer NaCl-Lösung von 0,6 bis 0,5 unveränderterhalten
und erst bei einer Konzentration unter 0,5 pCt., etwa bei 0,46 tritt
eine Auflösung ein, indem das Hämoglobin aus dem Stroma der Blut¬
körperchen herausgebt und so eine lackfarbene Blutlösung entsteht.
Beim Icterus haemolyticus sind nun die Erythrocyten viel empfindlicher,
schon ganz geringe Verdünnung der isotonischen Kochsalzlösung bringt
sie zur Aullösung (0,7—0,6 pCt.). Worauf diese Veränderung der
Erythrocyten beruht, ist noch ganz unbekannt, sie ist aber für den
Icterus haemolyticus sehr charakteristisch und erklärt nach Chauffard
das massenhafte Untergehen der Erythrocyten, die Hämolyse, die ihrer¬
seits den Icterus zur Folge hat. Im Gegensatz zum hämolytischen
Icterus ist beim Retentionsicterus die Resistenz der roten Blutkörper¬
chen gesteigert, d. h. sie werden erst durch NaCl-Lösungen unter
0,40 pCt. aufgelöst. Es muss aber erwähnt werden, dass in manchen
Fällen von Icterus haemolyticus die Resistenzverminderung derErytbrocyten
sehr gering ist oder ganz zu fehlen scheint, und dass auf der anderen
Seite auch bei anderen Krankheiten eine Herabsetzung der Resistenz Vor¬
kommen kann (Mosse), dass sie also nicht ganz spezifisch ist.
Eine weitere Eigentümlichkeit der roten Blutkörperchen besteht
darin, dass eine grosse Anzahl derselben bei der sogenannten Vital¬
färbung die Substantia reticulo-filamentosa, eine basophile, netzartige
Struktur aufweist, während im normalen Blut nur vereinzelte derartige
Erythrocyten Vorkommen. Man bezeichnet sie als „bernaties granu-
leuses“, als granulierte Erythrocyten, im Gegensatz zu den sogenannten
punktierten, die im fixiert gelärbten Präparat basophile Körnchen zeigen.
Zum Nachweis dieser Erscheinung setzt man dem frischen Blut eine
Spur basischen Farbstoffs hinzu, und zwar geschieht dies am einfachsten,
indem man auf dem Objektträger eine dünne Schicht alkoholischer Farb¬
lösung antrockneu lässt und dann ein Deckgläschen mit dem frischen
Blutstropfen darauf legt. Nach einigen Minuten treten dann in den be¬
treffenden Erythrocyten intensiv gefärbte fadenartige, netzartige Figuren
auf, und es ist erstaunlich, wie gross die Masse der basophileu Substanz
ist, die in den Erythrocyten enthalten sein kann, ohne dass in dem
normal fixierten und gefärbten Präparat irgendetwas davon zu bemerken
ist. Ausser den netzartigen Figuren sieht man auch stets einige kleine
Körnchen, die sich in dem Blutkörperchen lebhaft hin- und herbewegen,
und die besonders bei Färbung mit Brillantkresylblau einen meta¬
chromatischen, roten Farbenton annehmen.
In manchen Präparaten findet man bei der Vitalfärbung zahlreiche
Zellen nur mit mehreren metachromatisch, bräunlich gefärbten Kügel¬
chen, während die eigentliche Reticulärsubstanz fehlt oder spärlich vor¬
kommt. Zieht man aber die Deckgläschen vom Objektträger vorsichtig
ab, lässt die Rlutscbicht eintrocknen und untersucht sie nun, in Kanada¬
balsam eingelegt, so findet man die kugelförmigen Einschlüsse meist
verschwunden und dafür reichlich gewöhnliche Reticulärsubstanz auf¬
getreten. Ich habe diese Erfahrung häufig bei menschlichem Blut wie
auch besonders bei anämisierten Kaninchen machen können 1 ).
Diese Erscheinung der vitalen Färbbarkeit entspricht in Wirklich¬
keit nicht einer echten Vitalfärbung, sondern sie ist eine Absterbe¬
erscheinung. Die im Innern der Blutkörperchen diffus verteilte Sub¬
stanz ist im fixierten Präparat durch die eosinophile Aussenscbicht vor
einer Färbung geschützt. Dagegen dringt der Farbstoff im nativen Prä¬
parat in das Innere des Blutkörperchens ein und briugt die basophile
Substanz zur Gerinnung, zur Ausfällung, wobei diese den Farbstoff an sich
reisst. Verschiedene Farbstoffe verhalten sich dabei in bezug auf die
Intensität ihrer Wirkung, gewissermaassen ihrer Giftigkeit, sehr ver¬
schieden. So tritt die Färbung bei Anwendung von Kresylblau viel
schneller und intensiver auf als bei Methylenblau. Basophile Innen¬
substanz findet sich wohl normalerweise in jedem Blutkörperchen, nur
ist ihre Menge sehr gering. Man kann sich davon oft überzeugen an
Präparaten, die bei der Herstellung etwas gequetscht sind, so dass
einige Blutkörperchen zum Platzen gebracht sind. Bei Färbung mit
Eosin und Methylenblau sieht man dann zuweilen deutlich den aus¬
getretenen Inhalt blau gefärbt, während die Hülle mit Eosin schön rot
gefärbt ist. Ist sehr viel basophile Innensubstanz vorhanden, so hat
1) Wahrscheinlich sind die von Maliver beschriebenen Befunde
(Deutsche med. Zeitschr., 1913, Nr. 4) in diesem Sinne zu erklären.
man im gefärbten Präparat polychromatische Erythrocyten. Freilich
spielt dabei vielleicht auch noch eine anormale Beschaffenheit, eine
Schädigung der Aussenhülle, eine Rolle. Polychromatische Erythrocyten
geben bei der Vitalfärbung stets die Fadenstruktur, aber die Poly¬
chromasie ist keine Vorbedingung für die Vitalfärbbarkeit, sondern auch
im orthochromatischen Blutkörperchen kann so viel basophile Innen¬
substanz vorhanden sein, dass es bei der Vitalfärbung zur Ausfällung der
Fadensubstanz kommt. Man hat viel über die Bedeutung und die Herkunft
der Substantia reticulo-filamentosa diskutiert und besonders italienische
und französische Forscher haben diesen Fragen eingehende Studien
gewidmet, es würde aber zu weit führen, auf dieselben näher einzugehen.
Soviel darf heute wohl als sicher angenommen werden, dass sie nicht
von der Kernsubstanz abstaramt, sondern dass sie plasmatischer Her¬
kunft ist und dass sie ein Zeichen der Unreife und Jugendlichkeit der
Zellen ist. Je jünger die Blutkörperchen sind, um so mehr basophile
Substanz enthalten sie, je älter sie sind, um so mehr schwindet die baso¬
phile Substanz, und es wird mehr Hämoglobin gebildet. Dementsprechend
findet sich die Vitalfärbung bei ganz verschiedenen Krankheiten, An¬
ämien, Bleivergiftung usw., besonders reichlich scheint sie sich freilich
bei Icterus haemolyticus zu finden, obwohl auch da Fälle Vorkommen,
wo sie fehlt oder wenigstens schwach vertreten ist. Experimentell kann
man mit Leichtigkeit bei Kaninchen das Auftreten massenhafter vital¬
färbbarer Erythrocyten hervorrufen, wenn man durch mehrfache Ent¬
nahme von 20 bis 30 ccm Blut die Regeneration anregt. Chauffard
sah ursprünglich in den „granulierten“ Erythrocyten den morphologi¬
schen Ausdruck der Fragilität, der Herabsetzung der Resistenz, doch
hat sich diese Anschauung nicht halten lassen. Herabgesetzte Resisten»
und Vitalfärbbarkeit haben nichts miteinander zu tun, beide gehen
durchaus nicht parallel, und nach manchen Autoren bleiben gerade die
granulierten Erythrocyten bei der künstlichen Hämolyse am längsten er¬
halten.
Von weiteren Blutveränderungen sind zu erwähnen: Polychromasie, auf¬
fallende Anisocytose, Erythroblasten. Die Zahl der roten Blutkörperchen
kann entsprechend der Anämie mehr oder weniger herabgesetzt sein, dabei
entspricht der Hämoglobingehalt meist ziemlich der Erythrocytenzahl, der
Färbeindex kann aber auch herabgesetzt sein, auf der anderen Seite aber
auch über 1 betragen. Poikilocytose fehlt meist ganz, punktierte Erythro¬
cyten sind selten. Hämolysine fehlen bei reinen Fällen im Blute.
Nach dem klinischen Verlauf sind hauptsächlich zwei Gruppen
zu unterscheiden. Zu der einen gehören die angeborenen und
familiären Fälle, die besonders häufig gutartig verlaufen. Auf
der anderen Seite stehen die erworbenen Fälle.
Die hier aufgestellten Präparate stammen von einem erworbenen
Icterus haemolyticus. Die Patientin, ein IS jähriges Dienstmädchen, be¬
kam zum erstenmal mit 12 Jahren deutliche Gelbsucht, die damals über
ein halbes Jahr angedauert hat. Sie soll dabei über Mattigkeit,
Schwindel und Rückeuschmerzen geklagt haben, doch sind die Angaben
sehr unsicher. In der Familie angeblich nie Gelbsucht vorgekommen.
1911 zweimal monatelang andauernde Gelbsucht mit heftigen Schmerzen
im Abdomen und Fieber. Im Aprill 912 wurde Patientin in das Scböne-
berger Krankenhaus gebracht, da sie wieder seit zwei Monaten icteriscb
war und über heftige Schmerzen im Abdomen und äusserste Mattigkeit
klagte. Hier wurde folgendes festgestellt: Massig starker Icterus, Milz
vergrössert, überragt den Rippenbogen zwei Querfinger, Leber wenig ge¬
schwollen, druckempfindlich. Im Urin reichlich Urobilin, kein Bilirubin,
bei der Gmelin’schen Probe dunkelbrauner Ring, Stuhl dunkel gefärbt.
Wassprmanu’sche Reaktion negativ.
Während des Aufenthaltes im Krankenhaus wechselte der Icterus
und das Befinden mehrmals. Im Anschluss an eine Fieberattacke, für
die kein besonderer Grund vorlag, besserte sich der Zustand allmählich,
so dass Patientin sich wieder arbeitsfähig fühlte. Milzschwellung und
leichter Icterus bestanden aber noch fort.
Anfangs betrug die Zahl der Erythrocyten 3 000 000, die der Leuko-
cyten etwa 13 000, dabei war der Färbeindex ziemlich = 1,0. Später
stieg die Erythrocytenzahl auf 4 000 000, sank aber wieder auf unter
3 000 000, die Leukocyten gingen auf etwa 6000 herunter. Der Färbe¬
index wechselte, ging zeitweise über 1,0.
Die Untersuchung des Blutes ergab eine hochgradige Herabsetzung
der Resistenz der Erytrocyten. Schon bei 0,7 proz. NaCl-Lösung trat in
15 Minuten starke Hämolyse ein. Dabei machte es keinen Unterschied,
ob man gewaschene oder ungewaschene Erythrocyten benutzte. Da9
Serum hatte keine lytische Eigenschaft gegen die eigenen oder fremden
roten Blutkörperchen. Keine Autoagglutination. Mikroskopisch fand sieb
auffallend starke Anisocytose, ferner reichlich Polychromasie, reichlich
Zellen mit Reticulärsubstanz (etwa 35 pCt.). Manche Erythrocyten er¬
schienen entschieden hyperchrom. Vereinzelte Erythroblasten. Keine
Poikilocytose. Unter den weissen Blutkörperchen fanden sich 1,5 pCt.
Myelocyten, 32 pCt. Lympbocyten, 7 pCt. Mononucleäre. Blutplättchen
reichlich.
Ausser diesen Veränderungen habe ich einen besonderen Befund in
meinem Fall zu erwähnen, der bisher bei Icterus haemolyticus nicht be¬
schrieben ist, nämlich eigentümliche Einschlüsse in den roten Blut¬
körperchen, und zwar sind zweierlei Arten zu unterscheiden. Die einen,
spärlich vorkommend, sind kugelrund und färben sich nach Giern sw
dunkelrot, lassen also ihre Herkunft von der Ghromatinsubstanz leicht
erkennen. Die anderen sind rein basophil, färben sich mit allen Kern-
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
683
Farbstoffen und erscheinen bei Giemsafärbung rein blau. Zur Darstellung
■dieser Veränderungen ist Pappenheim’s May-Giemsafärbung gaoz be¬
sonders geeignet. Die Form der letzterwähnten Einschlüsse ist sehr
verschieden, aber sie sind nie scharf abgerundet wie die ersteren. Bald
sind sie punktförmig, eckig, rundlich, bald stellen sie ein gröberes
Klötzchen oder einen längeren Splitter dar. Meist kommen sie in der
Einzahl vor, zuweilen aber auch zu mehreren, zwei bis fünf. Sie sind
nicht immer leicht zu erkennen, da man sie leicht mit Niederschlägen
verwechseln kann. Deshalb ist es immer notwendig, verschiedenerlei
Färbungen anzuwenden, um sicher zu sein. Diese Einschlüsse liegen
meist io ganz normal aussehenden orthochromatischen Erytbrooyten. Zwar
findet man ähnliche Körperchen vereinzelt auch bei manchen schweren
Anämien, aber hier ist die grosse Zahl auffallend und weiter ist auf¬
fallend, dass sie in einem Blut Vorkommen, bei dem morphologische
Zeichen von Anämie fast ganz fehlen, und dass eigentliche Punktierung
daneben nicht vorkommt. Bei der Vitalfärbung färben sich die Körperchen
intensiv, und zwar zeigt sich dabei keine weitere Reticulärsubstanz in
der Blutsoheibe. Im Gegensatz dazu siebt man in den punktierten
Erythrocyten, z. B. bei Bleivergiftung, bei der Vitalfärbung stets die
Reticulärstruktur reichlich auftreten. Was die Herkunft dieser basophilen
Körperchen anlangt, so darf man sie wohl nach Färbbarkeit und Form
nicht vom Kern ableiten, sondern muss sie als ein Produkt der baso-
plasmatischen Substanz betrachten und sie mit der Vermehrung der
vitalfärbbaren Reticulärsubstanz in Beziehung bringen. Es hat sich hier
schon intra vitam eine Verklumpung dieser Substanz ausgebildet. Da¬
nach wären diese Einschlüsse auch als Zeichen der Unreife und Jugend¬
lichkeit, also als besondere Regenerationserscbeioung aufzufassen.
Die anderen runden, giemsaroten Einschlüsse sind bekannt als Jolly-
körper oder Howellkörper. Sie sind nach Pappenheim verflüssigte
Kernreste, also Zeichen mangelhafter Entkernung der Erythrocyten. Bei
manchen Tieren, Katzen, Mäusen usw., sind sie schon länger bekannt.
Bei Menschen sind sie auch beschrieben, aber nur selten, z. B. von
Morris. Eine Bedeutung haben sie bisher nicht erlangt. Neuer¬
dings ist aber die Aufmerksamkeit auf diese Jollykörperchen gelenkt
worden durch Roth, der einen Fall beschreibt, wo sich nach Milz¬
exstirpation bei e : nem Patienten mit Icterus haemolyticus ausserordent¬
lich viel Jollykörperchen zusammen mit einfachen basophilen, punkt¬
förmigen Einschlüssen fanden. Roth bringt das Auftreten der Jolly¬
körperchen mit der Milzexstirpation zusammen, da bei Icterus
haemolyticus derartige Körperchen nie beschrieben sind, und er weist
auf einen ähnlichen Befund hin, der von Schur bei einem Fall von
Anämie mit Milzatrophie beschrieben ist. Unser Fall zeigt nun, dass
Jollykörper auch bei Icterus haemolyticus ohne Milzexstirpation Vor¬
kommen, und ich habe Gelegenheit gehabt, Präparate von vier Fällen
von Icterus haemolyticus, die mir von Kollegen zur Verfügung gestellt
waren, durchzuseben, und habe in allen Jollykörper, wenn auch sehr
spärlich, finden können. Dagegen habe ich nur in einem Fall rein
basophile Einschlüsse gesehen. Am zahlreichsten habe ich die Jolly¬
körper aber bei einem Fall von Polyglobulie, bei dem die Milz exstirpiert
war, gefunden. Auch Morris erwähnt einen Fall von Anämie mit Milz¬
exstirpation, bei dem zahlreiche Jollykörper nachweisbar waren. Ich
irabe nun versucht, die Beziehungen der Milzexstirpation zum Auftreten
von Jollykörpern experimentell zu untersuchen. Bei den meisten Tieren
batte ich einen negativen Erfolg. So findet man bei spienektomierten
Kaninchen nur ganz vereinzelt Jollykörper, auch wenn man die Tiere
durch Blutentziehung anämisch macht. Ebenso vermehrt sich auch bei
weissen Mäusen die Zahl der normal vorhandenen Jollykörper nicht.
Dagegen treten bei Ratten sehr viel Erythrocyten mit Joilykörpern auf.
Es entwickelt sich dabei ein sehr interessantes Blutbild: Sehr starke
Polychromasie, zahlreiche Erythroblasten mit ganz strukturlosem, pyk-
ootischem Kern, Vermehrung der Leukocyten, besonders lymphatischer
Elemente usw. Nach diesen verschiedenen Erfahrungen darf man viel¬
leicht doch annebmen, dass der Ausfall der Milzfunktion unter Umständen
die Blutregeneration beeinflusst, so dass die normale Entkernung der
Erythrocyten gestört wird. Normalerweise scheint freilich die Milz keine
wichtige Funktion auszuüben bzw. kann ihre Funktion von anderen
.Stellen leicht übernommen werden. Wie die Verhältnisse aber unter
pathologischen Umständen liegen, darüber sind wir noch ganz im Un¬
klaren. Deshalb sind vielleicht unsere Beobachtungen von Bedeutung
für die Pathogenese des hämolytischen Icterus.
Ueberblickeo wir die gesamten Veränderungen des Blutbildes:
Polychromasie, Vitalfärbbarkeit, Anisocytose, Erythroblasten,
Kernreste, so haben wir an der roten Komponente alle Zeichen
auffallend starker Regeneration. Ein grosser Teil der Erythro*
eyten ist vorzeitig in die Circulation gelangt and kreist hier in
unreifem Zustande. Auf der anderen Seite haben wir in dem
chronischen Icterus das Zeichen für dauernden Untergang massen¬
hafter Erythrocyten, die in der Milz zerstört werden. Dazu
kommt noch die eigentümliche Veränderung der Resistenz. Es
fragt sich nnr, worin das Wesentliche des Krankheitsprozesses
besteht, wo die primäre Störung liegt, in dem Untergang der
Blutkörperchen, in der Störung der Regeneration, in der Bildung
minderwertiger Erythrocyten. Die meisten Antoren nehmen an,
dass das Primäre in der Bildung minderwertiger, aresistenter
Erythrocyten liegt, nnd dass diese den Einwirkungen der blut¬
zerstörenden Organe leichter unterliegen, und dass danach der
Miiztumor als sekundär bedingt, als spodogen za betrachten ist.
Damit stimmt gut überein, dass bei Verschlimmerungen des
Krankheitsprozesses, bei Zunahme des Icterus auch meist eine
Zunahme der Milzschwellung zu konstatieren ist. Dementsprechend
betrachtete man ursprünglich auch die Milzexstirpation als
kontraindiziert, da man die Stätte der Elimination der ab¬
sterbenden Blutkörperchen nicht aasschalten wollte. Neuere Er¬
fahrungen haben aber gezeigt, dass die Milzexstirpation bei
hämolytischem Icterus nicht nur nicht schadet, sondern sogar
Besserung und Heilung herbeiführen kann. Man musste also die
primäre Störung in die Milz verlegen und nahm an, dass die
Milz infolge einer Ueberfunktion Stoffe produziere, die das
Knochenmark zur Bildung minderwertiger Blutkörperchen anrege.
Dem widerspricht aber unbedingt der oben erwähnte Fall von Roth,
bei dem noch Jahre nach der Milzexstirpation starke Herabsetzung
der Resistenz und Störung der Regeneration (Jollykörper) vor¬
handen waren. Es liegt daher näher für die veränderte Blut¬
bildung als Erklärung eine negative Störung der Milzfunktion,
einen Ausfall der Milzfunktion heranzuziehen, der die Reifung der
Blutkörperchen im Knochenmark hindert. Sie bat die Fähigkeit
verloren, gewisse das Knochenmark reizende Substanzen absu-
fangen, so dass die Blutkörperchen zu früh, unreif in die Circu¬
lation gelockt werden. Dabei braucht man die Veränderung der
Resistenz von der allgemeinen Regeneration nicht als selbständiges
Symptom abzutrennen, sondern kann sie als eine sekundäre Folge
der mangelhaften, peripheren Reifung der Erythrocyten betrachten.
Auf der anderen Seite aber stebt die sicher positiv schädigende
Wirkung der Milz, die die Zerstörung der roten Blutkörperchen
innerhalb der Milz, die Hämolyse zur Folge hat. Nur hierdurch
erklärt sich die Besserung der Krankheit nach Milzexstirpation.
Damit ist aber das Wesen des Krankheitsprozesses durchaus noch
nicht erschöpft, denn unter normalen Verhältnissen bleibt der
Ausfall der Milzfunktion beim Menschen ohne wesentliche Wirkung,
aber über die weiteren pathologischen Vorgänge und Ursachen
sind wir noch ganz im Unklaren. Nur in einem neuerdings von
französischen Autoren veröffentlichten 1 ) Fall von erworbenem,
hämolytischem Icterus konnte die Ursache in einer intestinalen
Intoxikation, bedingt durch Darmstenose, festgestellt werden.
Durch operative Beseitigung der Ursache wurde vollkommene
Heilung erzielt. Wir haben also ganz analog der pernieiösen
Anämie eine primäre, kryptogene und eine sekundäre Form des
hämolytischen Icterus zu unterscheiden.
Zum Schluss muss ich noch besonders auf ein Symptom hin-
weisen, das bisher wenig beachtet ist und das nicht ganz in den
Rahmen des Blutbildes zu passen scheint, das ist die Hyper-
chromie. Nach Pappenheim ist die Hyperchroraie als ein rein
degeneratives, hämotoxisebes Symptom aufzufassen. Nun handelt
es sich beim Ieterus haemolyticus nicht um eine bämofoxische
Anämie, denn morphologische degenerative Veränderungen fehlen
gerade, solange nicht sekundäre Aoämie hinzutritt. Man muss
also hier die Hyperchroinie anders auffassen. Entweder entsteht
sie durch die Ueberfunktion des Knochenmarkes, wäre also
regenerativ, oder aber — was weniger wahrscheinlich ist — ent¬
steht sie sekundär durch Absorption des in der Milz frei-
werdenden Hämoglobins. Dass Erythrocyten tatsächlich freies
Hämoglobin absorbieren können, ist erst neuerdings durch
Iscovesco*) nachgewiesen worden.
Ich komme nun noch kurz auf den Gehalt des Blutserums
an Gallenpigment zu sprechen. Entsprechend dem Icterus ent¬
hält das Blut stets Bilirubin, dagegen findet man im Urin auf¬
fallenderweise kein Bilirubin oder wenigstens nur vorübergehend
geringe Mengen, aber der Urin enthält reichlich Urobilin, das
Reduktionsprodnkt des Bilirubins. Umgekehrt ist im Serum Uro¬
bilin nur selten und in geringer Menge nachzuweisen. Der Stuhl
ist dabei gut gefärbt. Diese Tatsachen, die auch bei anderen
Formen des acholuriscben Icterus gefunden werden, sind unschwer
zu erklären. Die Nieren sind für Bilirubin bis zu einem gewissen
Grade undurchlässig, ebenso wie dies für den Blutzucker der
Fall ist. Erst wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten
wird, kann das Nierenfilter das Bilirubin nicht mehr zurückhalten
und lässt es in den Urin passieren. Da die Gallenwege frei sind,
wird immer genng Gallenfarbstoff von der Leber abgefangen and
ausgeschieden, um den Gehalt im Blut nicht zu hoch ansteigen
1) Widal, Abrami und Brulö, Bull, do la soc. des hop. de Paris,
1912, 28, Nr. 13.
2) Sem. möd., 1912, Nr. 39.
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UNIVERSUM OF IOWA
684
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
zu lassen, so dass also das Bilirubin nicht in den Urin gelangt.
Demgegenüber ist das Urobilin (oder richtiger Urobilinogen) ausser¬
ordentlich diffusibel, es passiert viel leichter das Nierenfilter, so
dass es sich im Serum gar nicht anhäufen kann. Aus diesem
Grunde ist es so schwer im Serum aufzufinden. Wenn aber be¬
sonders reichlich Urobilin im Urin vorhanden ist, kann mau es
auch stets im Serum nachweisen, wie ich früher gegenüber
H es eher gezeigt habe 1 ). Man muss nur eine geeignete Methode
anwenden. In dieser Hinsicht ist die Methode Schlesinger’s
mit Zinkacetat nicht brauchbar, da sie wie die anderen Zink-
fiuoreszenzmethoden eine Probe auf Urobilin, nicht auf Uro¬
bilinogen, das ja im Blut enthalten ist, darstellt. Setzt man
aber der Probe 1—2 Tropfen Lugollösung hinzu, um das
Urobilinogen zu oxydieren, so erhält man sofort prächtige
Fluoreszenz. Ich erwähne dies, da in den Lehrbüchern immer
noch die alte Methode ohne Jodzusatz angeführt wird.
Dass das Urobilin aus dem Darm stammt, ist wohl aus¬
reichend sichergestellt. Normalerweise wird das Urobilin vom
Darm resorbiert, aber es wird in der Leber festgehalten
und weiter verarbeitet. Ist die Leber aber in ihrer Funktion ge¬
stört, z. B. durch Ueberladung mit Bilirubin, so vermag sie das
Urobilin nicht mehr festzuhalten, es gelangt in die Circulation
und wird dann schnell durch die Nieren ausgeschieden. Aus
diesem Grunde ist die Urobilinurie immer ein Zeichen einer
Störung der Leberfunktion, was in der Praxis wohl häufig ver¬
nachlässigt wird.
Ausser dem Urobilin kommt noch ein weiterer Gallenfarb¬
stoffabkömmling im Urin vor, der denselben braun färbt und bei
der Gmelinreaktion einen mahagonibraunen Ring gibt. Er bat
mit Urobilin nichts zu tun, da urobilinreiche Urine hell sein
können und dann nicht den braunen Ring geben. Dieser Farb¬
stoff spielte früher bei französischen Autoren in der Erklärung
des acholurischen Icterus eine grosse Rolle, da man in ihm die
Ursache des Icterus sehen wollte. Man bezeichnete ihn als
Hemapheine und sprach von H6raapbeine-lcteru9. Mit der Ent¬
deckung des Urobilins im Hemapheine-Urin geriet dieser Körper
dann in Vergessenheit, und es ist bisher nicht weiter untersucht,
um was für einen Farbstoff es sich genau handelt.
Es bliebe nur noch die Frage nach der Herkunft des Bili¬
rubins im Blute zu erwähnen, da gerade wieder beim hämo¬
lytischen Icterus die alte Theorie vom hämatogenen Icterus von
einigen Autoren vorgebraebt wird, d. h. es wird behauptet, dass
das Bilirubin im Blute aus dem freigewordenen Hämoglobin direkt
gebildet wird, ohne Mitwirkung der Leber. Die Gründe, die für
diese Ansicht herbeigezogen werden, sind nicht stichhaltig. Wenn
die Störungen fehlen, die bei Retentionsicterus auftreten und die
auf Resorption der gallensauren Salze zurückzuführen sind, so
erklärt sich das, wie Stadel mann gezeigt bat, dadurch, dass
die Galle bei hämolytischer Entstehung von Icterus besonders
farbstoffreich ist und dementsprechend relativ mehr Gallenfarb¬
stoff resorbiert wird, und dass andererseits die Gallensalze leichter
ausgeschieden werden als das Bilirubin. Bei mässiger Resorption
der Galle sammeln sich daher auch wenig gallensaure Salze im
Blute an. Der Icterus ist daher zwar ein hämolytischer, aber
kein hämatogener, sondern ein hepatogener im Sinne Stadel-
mann’s, bedingt durch Pleiochromie. Welche mechanische
Momente dabei noch mitspielen, bleibt ohne wesentliche Bedeutung.
Zur Frage des hämolytischen Icterus. 2 )
Von
M. Mosse-Berlin.
In meiner Mitteilung über den familiären hämolytischen
Icterus 3 ) bin ich bemüht gewesen, den Stand der Frage ergänzend
zu den Darstellungen in den Lehrbüchern (Naegeli, Türk) zu
schildern und dementsprechend auch literarische Hinweise zu
bringen. Meine heutigen Bemerkungen sollen anknüpfen an eine
kürzlich erschienene bemerkenswerte Arbeit von Lommel 4 ), der
1) Ueber Urobilinurie. Med. Klinik, 1910, Nr. 2.
2) Nach Diskussionsbemerkungen in der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft am 8. Januar 1913.
3) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 88.*
4) Verhandlungen der Naturwissenschaftlich-medizinischen Gesellschaft
zu Jena, cf. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 2314. Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1912, Bd. 109.
über zwei Fälle vom Typus des familiären hämolytischen
Icterus (bei Mutter und Kind) berichtet, die dadurch ausgezeichnet
waren, dass keine Verminderung der osmotischen Resistenz der
roten Blutkörperchen naebgewiesen werden konnte. Nun ist
allerdings zu betonen, dass die Lommerschen Untersuchungen
insofern eine Lücke aufweisen, als über Prüfungen der Resistenz
der Erythrocyten sowohl dem eigenen Serum wie dem Serum
gesunder Individuen gegenüber nicht berichtet wird. Es gibt
eine Mitteilung von Hijmans van den Bergh 1 ), die dartat,
dass Fälle vom Typus des hämolytischen Icterus dadurch aus¬
gezeichnet sein können, dass das Verhalten der Erythrocyten
Kochsalzlösungen gegenüber normal ist, dass dagegen eine abnorm
geringe Resistenz gegen eigenes und fremdes Serum vorhanden
sein kann. Des weiteren ist an die Beobachtungen von Chauffard
(Hämolysinicterus) zu erinnern.
Auf Grund seiner Resistenzbestimmungen kommt Lommel zu
dem Ergebnis, dass die Herabsetzung der osmotischen Resistenz
der Erythrocyten keine für die Diagnose des kongenitalen acbo-
lurischen Icterus mit Splenomegalie charakteristische Erschei¬
nung sei.
Uebrigens haben schon Claus und Kalberlah (1906) über
einen Fall von chronisch-acholurischem Icterus mit Splenomegalie
vom familiären Typ berichtet, bei dem sich bei der Unter¬
suchung durch Hans Sachs keine Veränderung der osmotischen
Resistenz der roten Blutkörperchen gegen Wasser mit aufsteigendem
NaCl-Gehalt der Norm gegenüber zeigte. Auf Grond des Fehlens
der Anämie, der Anifcocytose sowie der verminderten Wider¬
standskraft der Erythrocyten rechnet R. Rosenfeld einen ähn¬
lichen Fall von familiärem Icterus nicht zur Gruppe des hämo¬
lytischen Icterus, eine Auffassung, der sich Isaac anschliesst.
Jedenfalls muss man wohl die Tatsache als zu Recht be¬
stehend anerkennen, dass es Zustände gibt, die die klinischen
Kennzeichen des familiären hämolytischen Icterus aufweisen, sieb
aber von dem klassischen Bild durch das Fehlen der Resistenz¬
verminderung der Erythrocyten unterscheiden.
Ich selbst verfüge über einschlägige Beobachtungen bei zwei
Fällen von chronischem acholurischen Icterus mit Spleno¬
megalie, die dem erworbenen Typus angehören.
Fall 1. Frau H., 26 jährig. Pat. hat als Kind die üblichen Kinder¬
krankheiten durchgemacht und will immer schwächlich gewesen sein.
Bis zu ihrem 18. Lebensjahr will sie dann stets gesund gewesen sein.
Sie überstand damals einen schweren fieberhaften Gelenkrheumatismus,
von dem sie einen Herzfehler zurückbehielt. Seit dieser Zeit will
die Pat gelb aussehen und fühlt sich leidend; sie klagt immer über
grosse Mattigkeit und knappe Luft bei den geringsten körperlichen An¬
strengungen und konnte immer nur mit grossen Unterbrechungen ihrer
Tätigkeit als Kartonarbeiterin nachgehen. Es hat nie Hautjucken be¬
standen; der Stuhlgang sah immer dunkel aus. Seit ca. 9 Wochen ist
sie wegen zunehmender Hinfälligkeit und Stiche in der Brust bei Herrn
Dr. S. Rothmann in Behandlung, der sie am 81. März 1911 meiner
Poliklinik überwies.
Pat. ist verheiratet, hatte zwei Kinder, von denen das eine mit
19 Tagen, das andere mit 8 Monaten starb (beide an „Herzschwäche“);
keine Aborte. Erste Menses im 15. Lebensjahre, immer regelmässig,
massig reichlich, ohne Beschwerden.
Status: Pat ist eine gracil gebaute Frau, von schwächlichem
Körperbau, mässig entwickelter Muskulatur und spärlichem Panniculus
adiposus. Farbe der Haut und auch der sichtbaren Schleimhäute deut¬
lich ikterisch; sonst Haut ohne Besonderheiten; keine Exantheme, keine
Oedeme, keine Drüsenschwellungen.
Es besteht kein Fieber.
Puls: Regelmässig, Frequenz 90, leidlich gute Füllung und Spannung.
Arterienrohr ohne Besonderheiten.
Cor: Spitzenstoss in der Mammillarlinie fühlbar, ziemlich breit und
hebend: man fühlt hier ein deutliches präsystolisches Schwirren. Grenze
nach rechts bis zur Mitte des Sternums, nach oben bis zum oberen
Rand der 4. Rippe. Ueber der Spitze hört man ein lautes präsystolisches
Geräusch, das auch, aber schwächer, über den anderen Ostien hörbar
ist. 2. Pulmonalton deutlich aoeentuiert.
Pulmones: Grenze vorn rechts: Unterer Rand der 6. Rippe, gut
verschieblich; hinten: unterer Rand des 10. Brustwirbels, ebenfalls gut
verschieblich. Ueber der rechten Spitze hört man deutlich verschärftes
Atemgeräusch und vereinzelte knackende Rhonchi, der Perkussionsschall
ist hier auch leicht abgeschwächt.
Sonst ergibt die Auscultation und Perkussion überall vesikuläres
Atemgeräusch und lauten vollen Schall. Kein Sputum.
Halsorgane: Ohne Besonderheiten.
Abdomen: üeberall weich und nachgiebig, nirgends druck¬
empfindlich.
1) Guillain et Troisier, Congres fran<;ais de mödecine, Lyon
1911, Verhandlungen S. 181, und Maly’s Jahresbericht über das Jahr
1911, S. 627.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
685
Abdominalorgane: Im linken Hypochondrium fühlt man deutlich
zwei Querfinger unterhalb des Rippenbogens den unteren scharfrandigen
Milzrand hervortreten.
Sonst Abdominalorgane ohne Besonderheiten.
Genitalorgane: Ohne Besonderheiten.
Nervensystem: Pupillen reagieren prompt auf Lichteinfall,
Patellarreflexe in normaler Stärke auslösbar, keine Sensibilitätsstörungen.
Urin: Von hellgelber Farbe, kein Albumen, kein Saccharum.
Kein Gallenfarbstoff. Urobilin +.
Blutuntersuchung: 75 pCt. Hämoglobin, 4410 000 rote, 6500
weisse Blutkörperchen, im gefärbten Präparat normaler Befund. Keine
Herabsetzung der Resistenz der gewaschenen Erytbrocyten NaCl-Lösungen
gegenüber.
Januar 1913. Status unverändert. Milz überragt den Rippenbogen
um zwei Qierfiager. Im Harn Urobilin und Urobilinogen. Blutserum
gelbgrüalich, enthält Bilirubin, kein Urobilin (D. Gerhardt-Syllaba).
80 pCt. Hämoglobin; 5 210 000 rote Blutkörperchen, 19 062 weisse. Die
gewaschenen roten Blutkörperchen zeigen gegen NaCl
normale Resistenz und werden weder durch eigenes noch
fremdes Serum (ohne Gegenwart von C0 2 untersucht) hämolysiert.
Kein Isolysin nachweisbar. Keine Autoagglutination.
(Zusatz April 1913: Status wie oben).
Fall 2 (Vorstellung des Patienten): Fritz W., 23 jährig. Die Mutter
soll leberleidend gewesen sein. Er hat fünf Geschwister, mit denen er
aber nicht zusammen kommt. Vor zwei Jahren ist zum ersten Male
„Gelbsucht“ bemerkt worden, die seitdem unverändert fortbesteht. Der
Urin soll immer hell gewesen sein; dagegen soll der Stuhl damals vor
zwei Jahren heller als normal gewesen sein. Er hat nie an Hautjucken
gelitten. Vor drei Wochen war er bei einem Arzte, der ebenfalls seine
Gelbsucht und im Mageninhalt „zu viel Säure“ feststellte. Seine Klagen
sind allgemeiner Natur; es besteht allgemeine Mattigkeit und Schwäche.
Die Untersuchung ergibt einen deutlichen Icterus. Die Milz über¬
ragt den Rippenbogen um zwei Querfinger; die Milzdämpfung ist intensiv.
Leber nicht palpabel; Gallenblasengegend nicht schmerzhaft. Blutunter¬
suchung ergibt einen Hämoglobingehalt von 100 pCt., 3 760 000 rote,
12 800 weisse Blutkörperchen. Das Blutserum ist deutlich gelbgrünlich;
es enthält Bilirubin, dagegen kein Urobilin. Die Untersuchung der
Resistenz der gewaschenen roten Blutkörperchen gegen ab¬
gestufte NaCl-Lösungen, gegen eigenes und fremdes Serum
ergibt normales Verhalten. Kein Isolysin, keine Autoagglutination
nachweisbar.
Der Urin ist hell, frei von Bilirubin. Urobilin und Urobilinogen
deutlich +.
Beide bier mitgeteilten Fälle haben das Gemeinsame, dass
es sich nm das Bild des erworbenen chronischen acholuri-
schen Icterns mit Splenomegalie bandelt, dass aber der
typische Befund der Resistenzverminderung der roten Blutkörperchen
Kochsalzlösungen gegenüber, des weiteren auch gegen eigenes and
fremdes Serum nicht erhoben werden konnte. —
Wenn man nun die Frage aufwirft, welche Krankheitszustände
differentialdiagnostisch gegenüber dem gewöhnlichen Bilde des
„hämolytischen Icterus“, d. h. dem chronisch-acholurischen Icterus
mit Splenomegalie in Betracht kommen oder aber als ähnliche
zu bezeichnen sind, so sind es die folgenden:
1. die perniciöse Anämie (vgl. die Beobachtungen von
v. Stejskal, Ohalier u. a.);
2. die Gilbert’sche familiäre Cholämie, die nach Gilbert
nicht identisch ist mit dem familiären hämolytischen Icterus.
Auch Chauffard und Widal vertreten diese Ansicht. Aber
Beobachtungen von Chalier zeigen, dass bei verschiedenen
Familienmitgliedern die Verhältnisse sich verschieden ver¬
halten; das eine Mitglied zeigte normale osmotische Resistenz
der Erytbrocyten, das andere veränderte, so dass Chalier
den hämolytischen Icterus als eine „exageration de la
cholömie familiale“ bezeichnet;
3. die Banti’sche Krankheit und die splönomögalie hömo-
lytique von Banti (Beobachtungen von Banti, Micheli,
Lommel);
4. die Polyglobulie, und zwar
a) kompensatorische Polyglobulie: es entwickelt sich während
der Beobachtung und Behandlung aus der — hämo¬
lytischen — Anämie eine Polyglobulie. Einschlägige
Mitteilungen sind von Widal, Abrami und Brule 1 )
sowie von Renon und Riebet 2 ) gemacht worden;
b) Cyanose mit Polyglobulie und dem „syndrorae hemo-
lytique ictörigene“ [Jean Troisier 3 )]. Man hat auch
experimentell im C0 2 -haltigen Medium die Resistenz
1) Bullet, soc. m6d. des höpit., söance du 9 juillet 1909 und
11 octobre 1912.
2) Bullet, soc. möd. des höpit., söance du 26 juillet 1912.
3) Bullet, soo. de biol., söance du 27 mai 1911.
der Erythrocyten vermindert gefunden [Teissier et
Duvoir 1 )];
5. die Splenomegalie Typ Gaucher, die ich besonders deshalb
erwähne, weil in der Literatur dieses anatomisch gut charak¬
terisierte Krankheitsbild von den Fällen des chronisch-acho¬
lurischen Icterus mit Splenomegalie zum Teil nicht ausreichend
genug abgesondert wird 2 ).
Beiträge zur endoskopischen Diagnostik und
Therapie endothoracischer Tumoren. 3 )
Von
Dr. A. Ephraim in Breslau.
Im Laufe des vergangenen Winters erlaubte ich mir, Ihnen
die Radiogramme und histologischen Präparate einiger Lungen¬
tumoren zu demonstrieren, deren Diagnose nur auf dem Wege der
bronchoskopischen Untersuchung möglich gewesen war 4 ). Heute
möchte ich Ihnen über zwei weitere Fälle berichten, die ich
zwar auf der vorjährigen Versammlung deutscher Laryngologeu
schon ganz kurz erwähnt habe, die mir jedoch einer etwas
genaueren Beschreibung wert erscheinen, nicht nur, weil sie
wiederum die Ueberlegenheit der endoskopischen Methode für
gewisse Fälle dartun, sondern weil sie auch in allgemein klini¬
scher Hinsicht Interesse verdienen.
1. Echinococcus oder Tumor der Lunge?
Clara U., 59 Jahre alt, trat am 9. V. 1912 in meine Beobachtung.
Vor 23 Jahren ist sie wegen Gewächses im Leibe, im Jahre 1904 wegen
Gebärmutterblutung operiert worden. Beginn der jetzigen Krankheit im
Herbst 1909 mit Husten. Im Juni 1911 plötzliche Entleerung einer
grossen Menge Blut per os, dessen Herkunft nicht sichergestellt werden
konnte. Die Blutung wiederholte sich zunächst nicht, der Husten blieb
trotz ärztlicher Behandlung, Badekuren usw. Am 1. XI. 1911 wiederum
starke Blutung per os, die eine halbe Stunde dauerte und sich nach
einigen Stunden noch einmal wiederholte. Die Untersuchung des Magens
durch einen Magenspezialisten ergab ein negatives Resultat; auch sind
bisher Magenbeschwerden niemals aufgetreten. In der letzten Zeit
wieder öfters geringe Blutmengen im Auswurf, Husten ständig vorhanden,
neuerdings auch dauernde, wenn auch nicht sehr erhebliche Atemnot,
bisweilen Nachtschweisse. Schmerzen nicht vorhanden.
Status praesens: Atmung massig, bei leichter Anstrengung stark
beschleunigt; die linke Seito bleibt zurück. Leichte Skoliose der Brust¬
wirbelsäule nach rechts. Temperatur normal.
Perkussion: Links hinten normal, dagegen zeigt die ganze
Axillargegend starke Dämpfung, die in die Herzdämpfung übergeht.
Rechts normaler Schall bis auf eine geringe Dämpfung dicht an der
Wirbelsäule vom 4. bis 9. Brustwirbel; wegen der bestehenden Skoliose
kann sie nicht als krankhaft angesehen werden.
Das Atemgeräusch ist rechts vorn normal, rechts hinten leicht
verschärft, neben der Wirbelsäule schwach bronchial, links ist das In-
spirium durchweg sehr abgeschwächt, dabei etwas verschärft, exspira-
torisch GiemeD. Der Spitzenstoss befindet sich in der linken vorderen
Axillarlinie, die Herzdämpfung ist nach rechts normal, links geht sie in
die grosse seitliche Dämpfung über. Herztöne rein und kräftig, Kehl¬
kopf normal, keine Stimmbandlähmung, Bauchorgane normal.
Das Röntgenbild zeigt eine Skoliose der Brustwirbelsäule nach
rechts. Diese scheint einem grossen Schatten zu folgeD, der fast die
ganze linke Brusthälfte einnimmt. Dieser Schatten zeichnet sich durch
seine fast kreisrunde Gestalt sowie durch seine Grösse aus; er reicht
von der Wirbelsäule bis an die äussere Brustwand und von der vierten
hinteren Rippe bis an das Zwerchfell; somit schliesst er den als solchen
nicht erkennbaren Herzsohatten ein. Die seitlich und unten ganz
scharfe Kontur muss jedoch nicht auf den pathologischen SchatteD,
sondern, wie ein Vergleich mit der anderen Seite ergibt, auf den sehr
ausgesprochenen Mammaschatten bezogen werden. Indes ist auch die
Kontur des pathologischen Anteils, der im oberen Abschnitt sichtbar
ist, auffallend scharfrandig. Ferner findet sich rechts in der Höhe des
sechsten hinteren Intercostalraums ein gleichfalls scharf konturierter
kreisförmiger Schatten; medial und etwas aufwärts von diesem ein
segmentförmiger, an der medialen Seite gleichfalls scharfrandiger kleinerer
Schatten.
Die Diagnose begegnete in diesem Fall grossen Schwierig¬
keiten. Gegen Aneurysma sprach die Form des linksseitigen
Schattens, das Fehlen von Geräuschen, Pulsationen, Stiramband-
1) Bullet, soc. de biol., seance du 19 fevrier 1910.
2) Weitere Literatur über den hämolytischen Icteru3 in meiner
Arbeit 1. c. und in den dort erwähnten zusammenfassenden Berichten.
3) Vortrag, gehalten am 31. Januar 1913 in der medizinischen
Sektion der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur.
4) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
lähmung usw. Gegen einen Tumor sprach vor allem die aus¬
gesprochene Schärfe der Konturen.
Vielmehr nahm sowohl Herr Kollege Geldner, der Haus¬
arzt der Patientin sowie Herr Kollege Goetsch, der die Röntgen¬
aufnahme gemacht hatte, Lungenechinococcus als höchst wahr¬
scheinlich an, zumal Patientin Jahre hindurch einen Hund gehalten
hatte.
In der Tat stimmt das Röntgenbild des vorliegenden Falles
ganz ausserordentlich mit solchen überein, die als für Lungen¬
echinococcus charakteristisch veröffentlicht worden sind. Ist deren
Zahl auch nur gering — es liegen bisher nur 16 Beobachtungen
vor (Rosenfeld, Levy-Dorn, Zadek, Wadsack, Holz¬
knecht, Krause, Mollow [3 Fälle], Albers-Schönberg,
Axhausen, Weber and Behrenroth [4 Fälle]) —, so stimmen
sie, wenn auch nicht durchweg, so doch zum grösseren Teil darin
überein, dass sie ein- oder beiderseitig einen kreis- oder scheiben¬
förmigen, bald helleren, bald tieferen, jedoch ganz scharf kon-
turierten Schatten zeigen, von dem Holzknecht besonders her¬
vorhebt, dass er eine Verdrängung des Lungegewebes beweise
und eine Substituierung desselben ausschliesse. Diese Erschei¬
nungen finden sich nun in dem vorliegenden Röntgenbilde so aus¬
gesprochen, dass die Diagnose mit Recht auf Echinococcus ge¬
stellt wurde, zumal auch die klinischen Erscheinungen ein¬
schliesslich der Lungenblutungen und die Anamnese damit
übereinstimmten.
Da hiermit die Frage der operativen Behandlung auftauchte,
war es ganz besonders erwünscht, die Diagnose möglichst zu
sichern; und da die Komplementbindungsmethode sich bisher nicht
als zuverlässig erwiesen hat, wurde ich zur Vornahme der broncho-
skopischen Untersuchung aufgefordert.
10. V. 1912. Bronchoskopie: Trachea normal, Bifurkations¬
steg von normaler Konfiguration, schräg von rechts vom nach
links hinten; im Inspirium bewegt er sich nach rechts vorn
(Zeichen einer verminderten Beteiligung der linken Lunge). Der
rechte Bronchus ist im oberen Teil normal, in der Tiefe zeigen
sich jedoch die Teilungsstellen der kleineren Bronchien ver¬
breitert, vorgewölbt und auffallend weiss. Der linke Bronchus
zeigt sich l x / 2 cm unter der Bifurkation durch rötliche
Massen so ausgefüllt, dass nur ein kleines, annähernd centrales
Lumen bleibt. Das Bild erinnerte sehr stark an eine Zeichnung
in Schrötter’s Klinik der Bronchoskopie, die eine Stenosierung
des linken Bronchus bei Aortenaneurysma darstellt 1 ); ein Fall,
in dem Schrötter, in der Meinung, einen Tumor vor sich zu
haben, die Probeexzision vornahm und dabei das Unglück hatte,
das Aneurysma mit der Folge des sofortigen Exitus zu er¬
öffnen.
Obwohl mir das hier in genaue Erinnerung kam, so ent¬
schloss ich mich doch zur Probeexzision. Vor allem, weil die
klinischen Erscheinungen sehr stark gegen Aneurysma sprachen;
ferner, weil andererseits aus der blossen Betrachtung kein Schluss
auf die Art der vorliegenden Erkrankung gezogen werden konnte.
Kommen ja doch auch bei allen verdrängenden Prozessen, so
auch beim Lungenechinococcus, sekundäre fibrinöse Entzündungen
der Bronchien vor, die einen derartigen Befund ergeben können.
1) Tafel I, Figur 12.
Immerhin beschloss ich, jede Gewaltanwendung zu vermeiden,
und ging mit einer stumpfen (sogenannten Bohnen-)Zange ein.
In der Tat fasste diese, ohne dass von einem eigentlichen Zuge
die Rede sein konnte, ein Stück des ganz weichen Gewebes,
worauf ich den Tubus entfernte. Blutungen oder sonstige Zufälle
folgten dem Eingriff nicht.
Die histologische Untersuchung des exzidierten Stückes
ergab nun, dass es sich nicht um fibrinöse Massen, sondern um
einen grossen, soliden Tumor handelte, und zwar wahrscheinlich
um ein Endotheliom, worauf besonders eine Stelle hinweist.
(Demonstration.)
So wurde auf bronchoskopischem Wege der nach dem Röntgen¬
bilde anzunehmende Echinococcus ausgeschlossen, dagegen die
Diagnose eines Tumors der linken Brusthälfte gesichert; wegen
seiner Grösse und Lage wurde von einem operativen Eingriff Ab¬
stand genommen. Ueber die Schatten der rechten Seite gab die
Bronchoskopie keine Aufklärung; hier waren, wie erwähnt, zwar
Verdrängungserscheinungen, nicht aber die verdrängende Ursache
selbst zu sehen. Indes müssen wir wohl, falls wir nicht zwei
ganz verschiedene Affektionen in den Lungen der Patientin an¬
nehmen wollen, nunmehr auch die rechtsseitigen Schatten trotz
der scharfen und kreisförmigen Kontur als den Ausdruck von
Tumoren betrachten; und wir dürfen das um so eher, als Weil 1 )
neuerdings einen Fall beschrieben hat, in welchem ein gleichfalls
ganz scharfrandiger und kreisförmiger Schatten als Lungenechino¬
coccus gedeutet wurde, bis die Sektion — eine bronchoskopische
Untersuchung war hier nicht erfolgt — einen soliden Tumor
aufdeckte.
Vor kurzem hat Hampeln 2 ) davor gewarnt, das Röntgen¬
bild des Lungenechinococcus als ganz charakteristisch zu be¬
trachten und darauf hiugewiesen, dass unter Umständen ein ganz
gleiches durch ein Aortenaneurysma bervorgerufen wird. Der
Fall von Weil wie auch der oben angeführte zeigen die Be¬
rechtigung einer derartigen Warnung auch mit Rücksicht auf die
Verwechslung mit Tumoren, da eben die Röntgenbilder derselben
alle für Echinococcus als charakteristisch geltenden Merkmale
haben können. Andererseits fehlen diese Merkmale einer ganzen
Zahl der bisher publizierten Röntgenbilder von Lungenechino¬
coccus, wie deren Durchsicht ergibt. So sagt Otten 3 ) ganz aus¬
drücklich, dass die bisher (1910) beobachteten Fälle von Lungen¬
echinococcus keinen charakteristischen Röntgenbefund ergaben.
Das erklärt sich ja ohne weiteres aus den sekundären Ver¬
änderungen, die das Bild sehr modifizieren können.
Reicht also das Röntgenverfahren nicht aus, um in allen
derartigen Fällen die Diagnose zu sichern, so zeigt die vor¬
stehend beschriebene Beobachtung ebenso wie die schon früher
mitgeteilten, dass uns dann die bronchoskopische Methode die
gewünschte, für die Therapie manchmal unbedingt nötige Klarheit
schaffen kann. Ganz besonders gross ist ihr Wert bei denjenigen
Prozessen, die sich im Bereich des Mittelschattens abspielen. Es
ist daher schwer verständlich, dass für die Diagnose von Lungen¬
tumoren und ähnliche Erkrankungen das Röntgenverfahren noch
immer als das allein in Betracht kommende bezeichnet wird.
2. Lokales Amyloid der unteren Luftwege.
Die zweite Beobachtung, über die ich Ihnen heute berichten
möchte, ist deswegen bemerkenswert, weil sie in pathologischer
Hinsicht eine Rarität vorstellt, und weil sie nicht nur in
diagnostischer, sondern auch in therapeutischer Beziehung Interesse
verdient.
Die jetzt 37 jährige Frau Emma Kr. konsultierte mich zum ersten¬
mal am 14. VI. 1901 wegen einer seit zwei Jahren bestehenden, an¬
geblich nach Influenza entstandenen Heiserkeit. Keine Abmagerung oder
Nachtschweisse, etwas Hüsteln, keine Halsschmerzen. An den Lungen
nichts Abnormes, Gaumen sehr blass, das rechte Taschenband stark
infiltriert, blassrosa, bedeckt das rechte Stimmband völlig. Diagnose:
Tuberculosis laryngis.
18. VI. Entfernung des Infiltrats mit der Landgraf sehen Curette;
versehentlich werden die exzidierten Stücke entfernt, so dass eine histo¬
logische Untersuchung unterbleibt. Nachbehandlung mit Phenol, sulfo-
ricinic.
29. XL Kontrolluntersuchung: Das rechte Taschenband ist völlig
restituiert, glatt, aber noch etwas breiter als normal und leicht gerötet.
Das normale rechte Stimmband ist sichtbar.
5. III. 1912. Bis vor einem Jahre ist es der Patientin gut gegangen.
Seitdem besteht jedoch wieder Heiserkeit, ferner starker quälender
1) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 19.
2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25.
3) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 15.
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14. April 1913,
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
687
Husten, spärlicher, schleimiger Auswurf. Vor allem klagt Pat. über
häufige, erstickuogsartige Zustande, die besonders beim Husten auftreten.
Häufige abendliche Temperatursteigerungen. Seit längerer Zeit steht
Pat. mit der Diagnose eines Lungenleidens io anderweitiger ärztlicher
Behandlung.
Kehlkopf: Grosser, lappiger, rötlicher Tumor, der die vorderen zwei
Drittel des linken Taschenbandes einnimmt. Das rechte Taschenband
ist in ungefähr gleichem Zustande wie bei der letzten Untersuchung im
Jahre 1901; Stimmbänder und Kehlkopfhinterwand sind normal. Lungen:
Der ganze linke Oberlappen zeigt deutliche Dämpfung, das Atemgeräusch
über ihm ist verschärft, jedoch frei von Geräuschen. Der spärliche
schleimig-eitrige Auswurf ist frei von Tuberkelbacillen und lässt keine
Besonderheiten erkennen.
6. III. Entfernung des Tumors des linken Taschenbandes mit
schneidender Pinzette. Seine histologische Untersuchung ergab nichts,
was für Tuberkulose sprach, vielmehr war Amyloid wahrscheinlich.
Allerdings gelangen die spezifischen Farbreaktionen nicht, was aber
darauf beruhen mochte, dass die Stücke längere Zeit in Formalin ge¬
legen hatten.
Da die Diagnose der Lungenafifektion nicht zu stellen ist, nahm
ich am 15. 111. 1912 die bronchoskopische Untersuchung vor.
Hierbei fiel zunächst die Beschaffenheit der Trachea auf. Ihre Schleim¬
haut sah nämlich durchweg ganz glasig, wie ödematös aus. Au einigen
Stellen befanden sich kleine graue Gebilde, die wie Schleimpolypen aus¬
sahen und im Atemstrom flottierten; ein Bild, wie ich es bisher weder
gesehen noch beschrieben gefunden habe. Bei der Berührung durch den
Tubus blutet die Schleimhaut leicht, so dass die Orientierung etwas er¬
schwert ist; jedoch lässt sich an der linken Seite der Bifurkation ein
grösserer, bei der Atmung flottierender grauer Tumor erkennen. Der
Versuch, ihn an dieser Stelle zu ergreifen, misslingt, weil er wiederholt
der Zange entgleitet; dagegen gelingt es, ihn bei Eingehen in den linken
Bronchus zu fassen, und mit leichtem Zuge wird ein graues derbes
Stück (13:8 mm) zutage gefördert, das teilweise von Schleimhaut ent-
blösst ist (vermutlich war diese bei den vorangegangenen Extraktions¬
versuchen abgelöst worden); darauf wird der Tubus entfernt.
Schon nach wenigen Minuten gab die Patientin ganz spontan an,
dass sie jetzt viel leichter atmen könne; und die sogleich vorgenommene
Perkussion zeigte jetzt eine wenn auch nicht vollständige, so doch sehr
erhebliche Aufhelluog der Dämpfung im Bereich des linken Oberlappens.
Danach konnte es nicht zweifelhaft sein, dass es sich um eine Ver¬
legung des linken Oberlappenbronchus gehandelt hatte, die durch den
soeben entfernten Tumor verursacht worden war.
Die Untersuchung des letzteren ergab nun, dass es sich in
der Tat um Amyloid handelte. Zunächst zeigte sich das mit
Evidenz durch den positiven Ausfall der spezifischen Farb¬
reaktionen mit Jod und Methylviolett. Aber auch das histo¬
logische Bild ist völlig eindeutig: bis an das Epithel sehen Sie
die Tumormasse beranreichen, die aus rundlichen oder mehr
länglichen strukturlosen Schollen besteht. Es lässt sich, wie das
auch sonst angegeben ist, verfolgen, wie das Amyloid sich um
Blutgefässe und Drüsengänge bildet, so dass diese durch die neu¬
gebildeten Massen immer mehr komprimiert werden; und man
ist wohl berechtigt, die einzelnen Konglomerate als das End¬
stadium eines derartigen Umschnürungsprozesses anzusehen. Das
Verhältnis des Amyloids zu den noch vorhandenen strukturierten
Gewebsteilen lässt sich am anschaulichsten an Präparaten ver¬
folgen, die nach van Gieson gefärbt sind.
Ueber den weiteren Verlauf ist folgendes zu berichten:
17. III. 1912. Husten viel geringer als bisher, Atem ganz frei.
Die Dämpfung des linken Oberlappens ist ganz geschwunden. Die Brust¬
organe geben überhaupt einen völlig normalen Auskultations- und Per¬
kussionsbefund. Eine jetzt vorgenommene Röntgenaufnahme ergibt einen
circumscripten wimpelförmigen Schatten in der rechten Hilusgegend,
der sich unmittelbar an den Mittel schatten anschliesst.
4. VI. 1912. Pat. hat sich dauernd wohl gefühlt, Husten kaum
noch vorhanden, Heiserkeit sehr gering. Die Taschenbänder — in¬
zwischen hatte eine Nachbehandlung mit Höllensteinpinselungen statt¬
gefunden — sind glatt, leicht gerötet. Da der Perkussionsschall jetzt
auf der rechten Seite auffallend tympanitisch klingt, nochmalige
Bronchoskopie: Die Trachealschleimhaut gegen die erste Untersuchung
unverändert; es lässt sich jetzt deutlich erkennen, dass die Bifurkation
stark verbreitert (Schwellung der intrabifurkalen Drüsen) und ihre
Schleimhaut leicht ödematös ist. Im linken Bronchus finden sich dicht
unter der Bifurkation einige kleine graue Excreszenzen ( Amyloid), die
mit der Zange entfernt werden; im rechten Bronchus dicht unter der
Bifurkation eine ringförmige, durch zartgrauen Saum gebildete Stenose,
die das Lumen auf kaum die Hälfte verengt.
8. VI. 1912. Die Stenose des rechten Bronchus wird durch Spreizen
der Hohlkörperzange erweitert un§ ein etwas dünnerer Tubus durch¬
geschoben, es zeigt sieb, dass in der Tiefe alles normal ist.
13. VI. 1912. Nach dem letzten Eingriff hat Pat. leichte Atem¬
beschwerden, auch etwas Rasseln gehabt; seit 3 Tagen ist aber alles
wieder in Ordnung. Von jetzt an: Arsen in Form von Sol. Fowleri.
14. VIII. 1912. Pat. nimmt noch Arsen. Es geht ihr dauernd gut,
Temperatur dauernd’ normal, Atem frei, Husten ganz gering. Taschen¬
bänder leicht gerötet und verdickt, aber glatt. Lungen perkutorisch
und auskultatorisch normal. Die bronchoskopische Kontrolluntersuchung
ergibt: Die Trachea zeigt bis auf diffuse Rötung ein ganz normales Bild,
das glasige Aussehen ist gauz geschwunden. Die Bifurkation ist nach
wie vor stark verbreitert. Ara linken Bronchus nichts Abnormes, im
rechten ist die oben beschriebene Stenose noch nachweisbar, aber deut¬
lich geringer als vorher. Eine Nachuntersuchung im Januar 1913 ergab
unveränderten Befund.
Eine Zusammenfassung der vorstehenden Krankengeschichte
ergibt:
Eine 37 jährige Frau erkrankt 9 Jahre, nachdem sie wegen
eines für tuberkulös gehaltenen, aber histologisch nicht unter¬
suchten Tumors des rechten Taschenbandes mit gutem Erfolg
operiert worden ist, wieder an Heiserkeit, ferner an Husten mit
schleimig-eitrigem Auswurf und AtembeBchwerden. Nach etwa
1 Jahr wird ein tumorartiges Infiltrat des linken Taschenbandes,
Dämpfung und verschärftes Atmen über dem linken Oberlappen
festgestellt, Sputum ohne besonderen Befund. Das Röntgenbild
zeigt einen kleinen rechtsseitigen Hilusschatten. Der Tumor des
Kehlkopfs wird entfernt. Die Besichtigung der tieferen Luftwege
ergibt ödemartige Beschaffenheit der Trachealschleimhaut, Ver¬
breiterung des Bifurkationssporns, eine Stenose des rechten
Bronchus, die aber so gering ist, dass sie keine erheblichen Er¬
scheinungen macht, und einen Tumor des linken Bronchus,
nach dessen Entfernung die Atembeschwerden sogleich nachlassen
und die Dämpfung über dem linken Oberlappen verschwindet.
Die histologische Untersuchung der entfernten Tumoren ergibt
Amyloid.
Der Mechanismus der Lungenerscheinungen bedarf kaum
einer weiteren Erläuterung. Denn es ist nach dem Verlauf klar,
dass diese in der Hauptsache durch den Tumor hervorgerufen
waren, der, im oberen Teil des linken Hauptbronchus inserierend,
diesen in geringem Grade, die Mündung des Oberlappenastes
jedoch sehr stark verlegt und zu Atelectase sowie sekundärer
Bronchitis mit gelegentlicher Temperatursteigerung geführt hatte.
Die beim Husten aufgetretenen Erstickungsbeschwerden sind jeden¬
falls darauf zurückzuführen, dass der Tumor durch den Husten-
stoss nach oben geschleudert wurde und so den ganzen linken
Bronchus, vielleicht auch den untersten Teil der Trachea obturierte.
Mit Rücksicht auf die Seltenheit des hier vorliegenden patho¬
logischen Prozesses dürfte es angebracht sein, hervorzuheben,
dass dieser mit den bekannten sekundären Amyloidosis der
Bauchorgane, soweit bekännt, nichts zu tun hat, sondern dass
es sich hier um das seltene, sogenannte lokale Amyloid handelt.
Kaufmann unterscheidet in Uebereinstimmung mit anderen
Autoren eine infiltrierende Form desselben, wie sie besonders in
der Harnblase, im Darm und der Conjunctiva beobachtet worden
ist, und eine knotige, in Form von Tumoren auftretende, bei der
wiederum eine solche, bei der es sich um aroyloide Umwandlung
echter Geschwülste handelt, von der zu trennen ist, bei der die
amyloiden Tumoren primär auftreten. Anlässlich eines eigenen
Sektionsbefundes hat P. Seckel 1 ) vor kurzem die in der Literatur
niedergelegten Beobachtungen zusammengestellt, und zwar von
der ersteren, sekundären Form 20, von der primären 26 Fälle
(einschliesslich seines eigenen), von denen übrigens bei 15 die
Affektion erst bei der Sektion gefunden wurde. Abgesehen von
3 Fällen, in denen das Knochenmark bzw. Urethra und Schild¬
drüse betroffen war, handelte es sich ausschliesslich um Lokali¬
sationen an der Zunge und den Luftwegen. Einmal war der
Pharynx, 9 mal die Zunge, 13 mal der Kehlkopf erkrankt. In
2 von diesen 13 Fällen war zweimal auch die Trachea und in
einem dieser beiden letzteren waren auch die Bronchen mit¬
ergriffen. Auffallend ist es, dass von allen 11 klinisch beob¬
achteten Fällen die richtige Diagnose intra vitam nur einmal ge¬
stellt worden sein soll.
In unserem Fall hat es sich anscheinend um eine Kom¬
bination der infiltrierenden Form [an der Trachealscbleim-
haut, in gleicher Weise von Baiser 2 ) beschrieben] mit der pri¬
mären Tumorform (Kehlkopf, Bronchen) gehandelt. Während das
lokale Amyloid hauptsächlich bei Männern über 50 Jahre beob¬
achtet wurde, betraf es hier eine etwa 30 jährige Frau. Aber
die wesentliche Bedeutung unseres Falles liegt wohl darin, dass
es vermittels der endoskopischen Methode hier zum ersten Male
möglich gewesen ist, eine derartige Erkrankung in den tieferen
Luftwegen nicht nur in vivo festzustellen, sondern auch sie wie
die ernsten Folgeerscheinungen zu beseitigen; ein Erfolg, der des-
1) Archiv f. Laryngol., Bd. 26, H. 1.
2) Virchow’s Archiv, Bd. 91.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
wegen um so höher zu veranschlagen ist, als die Neigung dieser
Tumoren zur Recidivierung sehr gering ist, soweit die bisherigen,
allerdings sehr beschränkten Erfahrungen annehmen lassen.
Bemerkenswert ist ferner der günstige Einfluss, den das Arsen
gehabt zu haben scheint, ein Punkt, über den bisher keine An-
gaben vorliegen.
Ein (neuer) Kunstgriff zur (unblutigen) Er¬
weiterung des grad-verengten Beckens.
Von
Dr. Gustav Fr eudenthal - Peine.
Im März 1911 wurde ich bei einer ca. 28 jährigen, gracil gebauten
Primipara zur Entbindung nach auswärts geholt; den Anlass boten die
Wehenschwäche und grad-verengtes Becken.
Nach 4 ständigem Abwarten und dem vergeblichen Versuche einer
hohen Zange wurde der in erster Stellung befindliche Kopf des lebenden
Kindes angebobrt, da keine Möglichkeit vorlag, in anderer Weise die Ge¬
burt zu beenden. Sogar die Extraktion mit dem grossen Kranioklast
gestaltete sich noch schwierig, und auch die Schultern mussten durch
manuelles Einhaken hervorgezogen werden.
Das Kind (Knabe) war aussergewöhnlich stark entwickelt und wog
ca. 9 Pfund.
(Der Vater ist ein grosser, kräftiger Schmiedemeister; die Schwester
der Pat. wird jedes Mal wegen Beckenenge künstlich entbunden.)
Mit Rücksicht auf diese unheilvoll verlaufene Geburt hatte sich die
Ende 1911 abermals Geschwängerte auf Zureden ihrer Angehörigen und
Bekannten entschlossen, zu der im November 1912 bevorstehenden Ent¬
bindung die Göttinger Frauenklinik aufzusuchen. In dieser Absicht wurde
sie noch dadurch bestärkt, dass bei einer gelegentlichen Untersuchung
in der Göttinger Frauenklinik mässige Verengerung des Beckens im
Graden festgestellt wurde; nach Bekanntgabe des ersten Geburtsverlaufes
wurde ihr dringend anempfohlen, beizeiten die dortige Entbindungs¬
anstalt in Anspruch zu nehmen. Trotzdem habe ich die Gravida über¬
redet, zumal es ihren eigenen Wünschen entsprach, die Geburt daheim
abzuwarten. Denn einmal böte die Dauer (6 Stunden im ganzen) und
Schwierigkeit der ersten Geburt keinen Maassstab für den Verlauf der
folgenden, sodann hätte die Hauptschuld an dem unglücklichen Geburts¬
ausgange nicht so sehr das enge Becken, wie das abnorm grosse Kind
getragen.
Um die Erheblichkeit dieses letzteren, ungünstigen Faktors von
vornherein möglichst auszuschalten, schlug .ich der Gravida vor, wenig¬
stens vom 6. Monat ab Proschownik’sche Diät (zur Verkleinerung des
kindlichen Körpers) einzuhalten.
So geschah es.
Zum vorher berechneten Zeitpunkte (Anfang November 1912) trat
die Geburt ein. Am 4. November um 11 Uhr nachts machten sich die
ersten Wehen bemerkbar, die dann in mässiger Kraft etwa 1 j A stündlich
sich wiederholten. (In banger Voraussicht setzte sich der Ehemann so¬
gleich mit mir in telephonische Verbindung und liess diese die Nacht
hindurch bestehen; doch erst morgens 7 Uhr wurde wiederum davon
Gebrauch gemacht.)
Bei der ersten Untersuchung, etwa um 9 Uhr morgens, wurde
folgender Befund erhoben:
Urin und Stuhlgang entleert. Wehen mittelkräftig, etwa l /< stündlich
Muttermund fast verstrichen. Blase stehend. Erste Schädelstellung.
Kopf über dem Becken, noch beweglich; Pfeilnaht quer über der
Symphyse.
Da die Kreissende schon ziemlich erschöpft ist und über die grosse
Schmerzhaftigkeit der Wehen klagt, wurde Pantopon (0,01) und Scopo-
lamin. hydrobr. (0,001) aus einer Ampulle (La Roche & Co. in Basel)
eingespritzt. Vorweg bemerkt, habe ich keinen besonders schmerz¬
lindernden Einfluss wahrgenommen; vielleicht ist dieser Misserfolg der
zu kleinen Dosis zuzuschreiben. Daher liess ich, zumal nach gleich¬
zeitiger Pituitrineinspritzung (1,0) die Wehen an Häufigkeit, Kraft und
Schmerzhaftigkeit Zunahmen, jedesmal bei einer Wehe etwas Chloroform
inhalieren. — Inzwischen ist der Muttermund verstrichen, und daher wird
die Blase gesprengt. Um die sagittale und frontale Einstellung der
Pfeilnaht und den Ein- und Durchtritt des Kopfes ins und durchs
Becken zu befördern, wird der Kr. eine Rolle unter das Kreuz ge¬
schoben, und sie selbst veranlasst, die Kniee an den Bauch zu ziehen,
(Diese Haltung sollte, wie ich gelegentlich gelesen hatte, eine Erweite¬
rung des knöchernen Beckens erzielen.) Da jedoch die halbbetäubte Kr.
die Beine unabsichtlich wieder ausstreckt, wird von mir und der
Hebamme je ein Knie (Unterschenkel nach aussen) bei jeder
Wehe mit aller Kraft, zumal sich die Kr. unwillkürlich, aber zweck¬
mässig entgegenstemrat, nach der Mitte des Bauches zu mög¬
lichst an diesen angepresst.
Die vorausgesetzte Wirkung bleibt nicht aus, die Geburt geht jetzt
schnell voran. Pfeilnaht im Graden, Kopf im Beckenausgang, Kopf¬
knochen (Parietalbeine) stark übereinander geschoben. Um den Damm zu
schützen, der bei der ersten Geburt gerissen und genäht war, wird der
Kopf während der Wehen zurückgepresst und in der Wehenpause
manuell entwickelt; Extraktion an den Schultern. Um 1 Uhr ist die
Geburt eines lebensfrischen, kräftigen (ca. 7 Pfd. schweren) Mädchens
vollendet. Placenta etwas adbärent, daher Ergotineinspritzung und
Tamponade des Uterus und der Scheide. Wochenbettsverlauf ungestört.
Epikrise: Die Pan topon-Scopolamin-Anästhesie trat vielleicht
wegen zu kleiner Dosis nicht merkbar in Erscheinung. Die Pituitrin¬
wirkung liess an Schnelligkeit und Kraft nichts zu wünschen übrig,
vermochte aber ebensowenig wie die beschriebene Lageänderung (Rolle
unters Gesäss und aktive Anziehung der Kniee) die Geburt zu Ende zu
bringen. Von einer Hochschnallung der Kniee durch einen Gurt oder
Handtuch wurde abgesehen, da diese Haltung einmal in den Wehen¬
pausen von der sensibelen Kr. unangenehm empfunden wäre, besonders
aber, weil auch dieser halb passive Widerstand dem kräftigen, passiv¬
manuellen (ego und Hebamme) Gegendruck nicht gleichwertig erachtet
wurde.
Wie wäre nun die wenigstens in diesem Falle unbestreitbare Wirkung
und Erweiterung bei dem (knöchernen) Becken zu erklären? Durch die
passive Fixation der Femora wirken die an den Trochanteren inserierenden,
ursprünglichen Beckenhalter (Glutaeen usw.), wenn sie von der Kr.
zwecks Streckung der Beine nolens volens in Funktion gesetzt werden
sollen, als Auswärtszieher an den Darmbeinen. Dadurch werden die
Bänder des sacro iliacalen Gelenkes gedehnt, das Promontorium tritt
zurück, und das ganze Becken wird besonders im Graden erweitert.
Auch die durch das Gegenpressen der Femora vielleicht verstärkte Bauch¬
presse in ihrer Druckrichtung nach hinten und unten wird wohl das
Endresultat (der Beckenerweiterung) günstig beeinflussen.
Jedenfalls ist der oben beschriebene, einfache Hand- und Kunstgriff
bei einschlägigen Fällen (Beckenverengung) jedem Praktiker zur Nach¬
prüfung auf seinen Erfolg hin dringend zu empfehlen.
Ueber die Wirkung des Phosphors im Phosphor¬
lebertran bei Rachitis als Inflammator.
Von
Dr. Wilhelm Gessner-Olvenstedt-Magdeburg.
So verschieden auch heute noch die Meinungen über die
Aetiologie der Rachitis sind, so einstimmig lautet wohl das
Urteil über die Wirksamkeit des Phosphors gerade in seiner
Lösung in dem an freien Fettsäuren reichen, gewöhnlichen Leber¬
trane. Denn der Phosphor als Element gegeben erwies sich bei
den dahingehenden Untersuchungen Scbabad’s 1 ) als völlig un¬
wirksam, und auch der Lebertran allein gegeben war auch nicht
annähernd so wirksam, wie gerade die von Kassowitz auf
Grund der Wegener’schen Tierversuche empfohlene und allgemein
gebräuchliche Phosphorlebertranlösung. Weshalb nun gerade
diese letztere Medikation so schöne Erfolge bei Rachitis zeitigt,
wissen wir nicht, da unsere Kenntnisse von dem Fettstoff Wechsel
im allgemeinen noch als recht bescheidene bezeichnet werden
müssen und bei der ungemeineü Schwierigkeit der Materie auch
noch lange bleiben werden. Ist doch auch heute die Frage noch
nicht mit Sicherheit entschieden, ob das in der Nahrung zu¬
geführte Fett vor seiner Resorption vollständig oder nur zum Teil
durch einen Verseifungsprozess in seine Komponenten Glycerin
und Fettsäuren zerlegt und in der Zelle dann erst wieder zu¬
sammengesetzt wird.
Dass per os zugeführte Fettkörper auch unzersetzt resorbiert
und vom Körper assimiliert werden können, haben die Versuche
Rosenfeld’s 2 ) bewiesen, welcher zeigte, dass, wenn man einen
hungernden Hund, dessen Fettdepots auf diese Weise zum
Schwinden gebracht waren, ausschliesslich mit einem jodierten
Fettkörper (Jodipin) oder mit dem schwer schmelzenden Hammel¬
fette in seiner Nahrung später fütterte, diese Fettsubstanzen un¬
verändert in den Fettdepots der Tiere wiedergefunden werden,
was bei einem vorherigen Verseifungsprozesse im Darmkanale
ausgeschlossen wäre. Es ist daher sicher, dass mindestens ein
Teil des infolge seines Reichtums an freien Fettsäuren besonders
leicht und fein emulgierbaren Phosphorlebertrans auch unzerlegt
die Darmwand des Kindes passiert und in die Cbylusgefässe
Übertritt, von wo er dann fortwährend in kleinen Portionen auf
dem Wege des Ductus thoracicus dem Blut zugefübrt wird und *
schIlesslich in den Körperzellen der Verbrennung unterliegt.
Der als Element allein gegebene Phosphor gelaugt meiner
Ansicht nach bei der hohen Oxydabilität dieses Körpers einer¬
seits und den nur äusserst geringen Dosen, welche man bei seiner
Giftigkeit einem kleinen Kinde geben kann, andererseits überhaupt
1) Zeitschr. f. klin.Med., Bd. 67, 68 u. 69.
2) Asch off in Ziegler’s Beitr., Bd. 47.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Dicht als solcher zur Resorption, sondern wird schon im Magen
bzw. Darmkanal durch Oxydation unwirksam gemacht und lässt
daher jeden therapeutischen Ginfluss auf die Rachitis vermissen.
Gerade die Lösung des Phosphors in einem Pettkörper schützt
den Phosphor bis zu deren Emulgierung relativ noch am besten
vor der Oxydation im Magen und Darmkanal, und da Lebertran
äusserst schnell und fein emulgiert und damit der Resorption
auch leicht zugänglich gemacht wird, so gestattet gerade der
Phosphorlebertran, dem kindlichen Organismus überhaupt Phosphor
zuzuführen.
Nun glaube ich nicht, dass der zugeführte Phosphor etwa
zur Bildung des phosphorsauren Kalkes der Knochen Verwendung
findet — man gab ja früher in dieser Absicht auch die ver¬
schiedensten Kalkverbindungen bei Rachitis —, denn die zuge¬
führte Milchnahrung enthält sowohl Phosphorsäure- wie auch
Kalkverbindungen in genügender Menge, sondern ich glaube, dass
der in jedem einzelnen Fetttröpfchen des im Darm emulgierten
und schliesslich auf dem Chylus- und Blutwege den einzelnen
Organen und ihren Zellen zugeführten Phosphorlebertrans ent¬
haltene Phosphor für diese Fetttröpfcben als Inflammator, d. h.
als Sauerstoff Überträger dient, welcher die Verbrennung derselben
nicht nur erleichtert, sondern auch viel lebhafter macht, da ja
die Affinität des Sauerstoffs zum Phosphor eine sehr intensive
ist, so dass es besonderer Vorsichtsmaassregeln, z. B. der Ab¬
sperrung der chemisch wirksamen Lichtstrahlen bedarf, um die
Oxydation des Phosphors fcicht schon im Arzneiglase vor sich
geben zu lassen. Wie man bei dem alten Phosphorschwefelholze
den Phosphor als ioflammator des Schwefels und diesen wieder
als luflammator des Holzes benutzte, genau so wirkte auch der
Phosphor im Phospborlebertrane als Inflammator der einzelnen
Fetttröpfchen. Der Vorgang, der sich hierbei im Stoffwechsel
des lebenden Organismus abspielt, ist ein ganz ähnlicher, wenn
auch, wie ich ausdrücklich hervorhebe, nicht der gleiche, wie
bei der Katalyse. Denn während die Katalyse nach der Ostwald¬
echen Definition einen chemischen ümsetzungsVorgang darstellt,
der durch die Anwesenheit eines dritten Stoffes, nämlich des
Katalysators, in seinem zeitlichen Ablaufe beschleunigt wird, ohne
dass dieser Stoff in die Endprodukte des Vorganges übergeht,
wird der Inflammator gerade selbst verbrannt und damit die
Oxydation der einzelnen Fetttröpfchen nicht nur beschleunigt,
sondern auch der Intensität nach verstärkt.
Auch der Stoffwechsel unseres Körpers stellt einen Ver¬
brennungsprozess dar und speziell die kindliche Rachitis wird
von den meisten heutigen Autoren, und wohl mit Recht, als eine
Störung des kindlichen Stoffwechsels aufgefasst, durch welche
erst sekundär die rachitischen Knochenveränderungeu bedingt
sind. Nun hat man bei dieser an sich wohl richtigen Anschauung
bisher bei der Erklärung der Rachitis meiner Ansicht nach ganz
unberücksichtigt gelassen, dass sich gerade während des ersten
Lebensjahres am kindlichen Knochensystem — allerdings ganz
im Verborgenen — eine für den kindlichen Stoffwechsel überaus
wichtige Veränderung vollzieht bzw. vollziehen soll, nämlich die
Umwandlung des fötalen, blutreichen roten Knochmarkes io das
bleibende, fettreiche, gelbe Knochenmark des späteren Lebens,
indem die in den grossen Markräumen liegenden Markzellen eine
Umwandlung in Fettzellen erfahren. Welche Bedentuug dieser
Umwandlungsprozess für den wachsenden kindlichen Knochen hat,
wissen wir noch nicht, und was wir überhaupt über die Be¬
deutung des Knochenmarkes an sich Sicheres wissen, ist noch
relativ wenig. Soviel lässt sich aber bestimmt behaupten, dass
diese Metamorphose des kindlichen Knochenmarkes den Fettstoff-
Wechsel ganz wesentlich belastet. Man hat beim rachitischen
Knochen bisher immer nur auf die Kalkarmut und den Blut¬
reichtum bingewiesen, mir scheint gerade die Fettarmut des¬
selben das eigentlich primäre Moment zu sein, welches als eine
Entwicklungsstörung bzw. Entwicklungshemmung des kindlichen
Koochensystems infolge der chronischen Fettarmut der kindlichen
Nahrung speziell bei der künstlichen Ernährung aufzufassen ist
und eine normale Knochenbildung nicht zulässt, sondern nur
weiches, blutreiches, gleichsam fötales Knochengewebe hervor¬
bringt. Denn dass alle jene Kinder, welche auf künstliche Er¬
nährung angewiesen sind — und diese stellen doch das Gros
unserer Rachitiker dar —, in den üblichen Milchverdünnungen
viel zu wenig Fettkörper zugeführt erhalten, haben früher be¬
sonders Biedert (Ramogen) und später vornehmlich Schloss¬
mann (Isokerdie und Anisokerdie bei an sich mit der Mutter¬
milch isody Damischen Milcbgemischen; vgl. Verhandl. d. Gesellsch.
f. Kinderheilk., 1909) hervorgehoben und auf die dadurch be¬
dingte Belastung des kindlichen Stoffwechsels, welcher die
fehlenden Fettkörper aus den übrigen Kohlehydraten der Nahrung
erst bilden muss, aufmerksam gemacht. Diese nicht nur für die
Diätetik des Säuglings, sondern auch für die Ernährungsphysiologie
im allgemeinen m. E. überaus wichtigen Ausführungen Schloss-
mann’s lehren weiter, dass es beim Fettmangel in der Nahrung
und Bildung der nötigen Fettkörper aus deren Kohlehydraten
zur Kohlensäureüberladung des Blutes mit ihren schädlichen
Folgen für den Gesamtstoffwechsel kommen muss, wenn die
Kohlensäure nicht durch erhöhte Atmongstätigkeit ausgeschieden
wird. Die Fettkörper der Nahrung haben meiner Ansicht nach
für den menschlichen Stoffwechsel eine ganz bestimmte unersetz¬
bare Bedeutung; das geht schon daraus hervor, dass für sie allein
ein ganzes Gefässsystem — Chylusgefässe — angelegt ist, welche
die Fettkörper der Nahrung erst auf Umwegen mit den ins Blut
aufgenommenen anderen Verdauungsprodukten zusammenführen,
damit sie mit ihren weit grösseren Calorienwerten — Fett pro
Gramm 9,3 Calorien und Zucker pro Gramm 4,1 Calorien — die
Stoffwechselintensität auf ihrer normalen Höhe halten. Io dieser
Hinsicht lassen sich die Fettkörper höchstens durch den Alkohol
ersetzen, welcher einen ähnlich hohen Calorienwert, pro Gramm
nämlich 7,0 Calorien, repräsentiert und daher auch fettsparend
wirkt.
Fehlt es andauernd an Fettkörpern in der kindlichen Nah¬
rung, so kommt es zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels, zu
einer Herabsetzung der Stoffwecbselenergie, und es treten Zwischen¬
produkte des Stoffwechsels im Blut und den Gewebssäften auf,
welche Säurecharakter tragen und zuerst das Blutalkali der
resorbierten Nahrungsprodukte angreifen. Da von dem Alkali¬
gehalt des Blutes besonders an einfach kohlensaurem Natron und
phosphorsaurem Natron wiederum die Koblensäureabgabe abhängig
ist, so kommt es bei Abnahme des Alkaligehalts zur Kohlensäure¬
überladung des Blutes, die ihrerseits wiederum die roten Blut¬
körperchen schädigt und damit wieder die Sauerstoffaufnahme er¬
schwert und so ebenfalls die Oxydationskraft des Blutes schwächt.
Damit ist schon ein Circulus vitiosus gegeben, und wenn alles
im Blut verfügbare Alkali verbraucht ist, dann greifen die Säuren
auch das Erdalkali der im Blut kreisenden resorbierten Nahrungs¬
stoffe an, und diese können nicht zum Aufbau des Körperskeletts
und der Gewebe, speziell der Muskeln Verwendung finden, der
Kalkhunger der Gewebe ist da, und dieser wird sich am stärksten
an der Verkalkungszone der Knochen bemerkbar machen; aber
auch die Weichheit der Knochen überhaupt wie auch die Schlaff¬
heit der Muskulatur beweisen, dass ihr Kalkgebalt ebenfalls ganz
wesentlich herabgesetzt ist. Diese durch die Stoffwechselschwäcbe
des Rachitikers herbeigeführte allgemeine Demineralisation der
Knochen und Gewebe kann nur durch einen Körper, welcher auf
dem Wege der Inflammation die Stoffwechselintensität zu heben
imstande ist, wieder gutgemacht werden, und wie prompt hier
gerade der Phosphorlebertran wirkt, haben die Stoffwechselunter-
sucbungen von Birk 1 ) und Sch ab ad 2 ) erwiesen, wonach schon
wenige Tage nach Darreichung des Phosphorlebertrans nicht nur
die Kalkretention, sondern, was besonders interessant ist, auch
der Stickstoffwechsel steigen, womit die durch den Phosphor¬
lebertran herbeigeführte Steigerung des gesamten Stoffwechsels
bewiesen ist.
Welche überaus grosse Verbreitung die Fettkörper und die
fettähnlichen Körper (Lipoide) in allen Zellen und Gewebsflüssig¬
keiten unseres Organismus und welche Bedeutung sie für den
Stoffwechsel der einzelnen Zelle haben, ist erst durch neuere,
hauptsächlich von Asch off 3 ) und seinen Schülern ausgeführte
Untersuchungen gezeigt worden, welche in dem Werke von
Kawamura, „Die Cholesterinverfettung“ zusammengefasst sind,
auf das ich verweisen muss, da auch nur eine skizzenhafte
Wiedergabe der Resultate an dieser Stelle unmöglich ist. Nur
so viel sei erwähnt, dass durch diese Arbeiten erwiesen ist, dass
für den Nachweis von Fett und Lipoiden die bisherigen Färbe¬
methoden nsw. allein nicht genügen, und erst durch neuaus-
gebildete Untersuchungsverfahren hat sich das universelle Vor¬
kommen von Fett und Lipoiden in allen Zellen und Gewebs¬
flüssigkeiten unseres Körpers nachweisen lassen. Für unsere Be¬
trachtung des Phosphors als Inflammator ist es nun besonders
interessant, dass sich bei Jenen Untersuchungen eine Gruppe von
sehr fettähnlichen Körperu hat ermitteln lassen, welche eben-
1) Monatschr. f. Kinderheilk., Bd. 7, S. 450.
2) Diese Wochensohr., 1909, Nr. 20.
8) Ziegler’s Beitr., Bd. 47, vgl. auch Kaiserliog, Med. Klinik, 1909,
| Nr. 49, und Jo lies, Chemie der Fette. Strassbarg, Trübner’s Verlag.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
falls das Phospboratom io ihrem Atomenkomplex enthalten und
deshalb den Namen Phosphatide erhalten haben. Zu ihnen
gehören die verschiedenen Arten der in allen Säften und Zellen
des menschlichen Körpers reichlich enthaltenen Lecithine, z. B.
das Kephalin, Myelin, Cholin, Jecorin, Spingomyelin usw.
Die Natur hat also in den Phosphatiden schon längst in aus¬
gedehntem Umfange für die Unterhaltung des gesamten Stoff¬
wechsels von einer ähnlichen Kombination des Phosphoratoms
mit einem Fettkörper Gebrauch gemacht, welche in der ein¬
fachsten Form ja auch der Phosphorlebertran darstellt. An Stelle
des letzteren hat Carriere 1 ) in Frankreich den halbprozentigen
Lecithinlebertran gegen Rachitis empfohlen. Neuerdings hat auch
Klotz 2 ) die Wirksamkeit der Lecithinmedikation bestätigen und
mit einem phosphorhaltigen Hypopbysenextraktstoff eklatante Er¬
folge bei Rachitis gesehen. Auch ist es meiner Ansicht nach
durchaus kein Zufall, wenn ärztliche Erfahrung als Verdünnungs¬
mittel der Kuhmilch bei künstlicher Ernährung gerade Hafer-
und Gerstenmehlabkochungen empfiehlt, oder wenn bei einer
schweren Stoffwechselstörung der Erwachsenen der sogenannten
Zuckerkrankheit sich gerade Haferkuren besonders bewähren,
denn der Hafer enthält nach J. König, „Chemie der mensch¬
lichen Nabrungs- und Genussmittel“ 6,04 pCt. Fett, die Gerste
2,12 pCt., der Roggen 1,71 pCt., der Weizen 1,70 pCt., der Reis
nur 0,51 pCt. Fett. Die Fettkörper der Samenkörner gehören
fast ausschliesslich zu den phosphorhaltigen Lecithinen, den so¬
genannten Phosphatiden, welche auch im Hühnerei sehr reichlich
enthalten sind.
Zusammenfassung.
Die kindliche Rachitis stellt meiner Ansicht nach eine
typische Stoffwechselerkrankung, speziell eine Störung des kind¬
lichen Fettstoffwechsels dar, an welchen gerade während des
ersten Lebensjahres, in welchem sich physiologischerweise das
fötale, rote Knochenmark in das bleibende, gelbliche, stark fett¬
haltige Knochenmark umbilden soll, besondere Ansprüche gestellt
werden, welche bei den üblichen künstlichen Milchgemischen, die
wohl isodynamisch, aber nicht isokerdisch im Sinne Schloss-
mann’s mit der Muttermilch übereinstimmen, in keiner Weise
erfüllt werden. Ein anisokerdisches Milchgemisch belastet, da
der kindliche Organismus die fehlenden Fettkörper erst aus
Kohlehydraten bilden muss, in mehr oder minder starkem Grade
den kindlichen Stoff- und Kraftwechsel. Kann der kindliche
Organismus dieser dauernden Stoffwechselbelastung und Kraft¬
vergeudung nicht mehr nachkommen und erlahmt seine Stoff-
weckselintensität allmählich, dann ist der Fettbunger der Gewebe
da, und die physiologische Umwandlung des fötalen roten Knochen¬
marks in das bleibende gelbe, welche sicherlich auch für die
Entwicklung des Knochens von Bedeutung ist, kann nicht er¬
folgen, der Knochen bleibt bluthaltig wie der fötale. Und was
die Rachitis daher allein heilen kann, ist ein leicht emulgier¬
barer und damit schnell resorbierbarer und durch den Phosphor¬
zusatz leicht oxydabler Fettkörper, wie wir ihn im Phosphor¬
lebertran zur Verfügung haben, welcher die sekundäre Deminerali-
sation der Gewebe sofort zum Stillstand bringt. Bei dieser
Auffassung der Rachitis als eine Störung des kindlichen Fett¬
stoffwechsels ist es ohne weiteres erklärlich, dass der Beginn der
Krankheit meistens in die Winter- und Frühjahrsmonate zu fallen
pflegt, in welcher Zeit ein chronischer Fettmangel der Nahrung
bei der kälteren Aussentemperatur doppelt ungünstig wirken
muss, und es ist ferner klar, dass die häufigsten und schwersten
Komplikationen der Rachitis gerade vom Gehirn und Rückenmark
auszugehen pflegen, da die Fettkörper für das Gesamtnerven¬
system das normale Brennmaterial darstellen und gleichsam eine
Unterernährung von diesem Organ schlecht vertragen wird.
Für die inflammatorische Wirkung des Phosphors im Phos¬
phorlebertran geradezu beweisend ist aber noch die weitere Tat¬
sache, dass eine andere chemische Substanz, welche ebenfalls im
Wege der gegenseitigen Lösung eine enge Verbindung mit Fett¬
körpern eingeht, nämlich der Alkohol, ebenso wie der Phosphor
den menschlichen Stoffwechsel steigert und bei den verschiedensten
Stoffwechselstörungen (Diabetes, Blutarmut) den Stoffwechsel ver¬
bessert, genau wie der Phosphor eine ausgesprochene Kalkretention
im Organismus zustande bringt, wie dahingehende genaue Stoff¬
wechselversuche am Menschen von Rösenfeld 3 ) und Prings-
1) Ref. cfr. Archiv f. Kinderheilk., Bd. 39, S. 186.
2) Münchener med. Wocbenscbr., 1912, S. 1145.
8) Sammlg. zwangl. Abhandl. aus dem Gebiete der Verdauungs- u.
Stoffwechselkrankh., Bd. 1, H. 5.
heim gezeigt haben. Auch der Alkohol (Aether) ist ein Stoff¬
wechselstimulans, ein Inflammator wie der Phosphor, und darauf
beruht nicht zuletzt sein bleibender, durch nichts zu ersetzender
Wert.
Olvenstedt-Magdeburg, 30. Oktober 1912.
Bficherbesprechungen.
Heinrich Rubens: Die Entwicklung der Atomistik. Rede am 2. De¬
zember 1912, am Stiftungstag der Kaiser Wilhelms-Akademie.
Berlin 1913, A. Hirschwald. 40 S. 1 M.
Zwischen der Medizin und der Physik bestehen seit altersher enge
Beziehungen. Aristoteles, Berzelius, Borelli, Galilei, Galvani,
Glisson, Humphry Davy, Helmholtz, Rob. Mayer und so viele
andere stellen gewissermaassen die Lichtbogen dar, in welchen die Funken
neuer Erkenntnisse zwischen beiden Disziplinen übersprangen. Darum
war es ein glücklicher Gedanke, den künftigen Militärärzten an der
Schwelle ihrer Laufbahn die Entwicklung und den dermaligen Stand der
Atomistik vorzuführen und ihnen diese Basis der Naturwissenschaften
eindringlich mitzugeben. Freilich, das Atom von heute ist etwas ganz
anderes geworden, als es in unserer Jugend oder gar bei Dal ton oder
Demokrit gewesen war. Es ist an sich schon ein komplizierter Körper,
der dazu nicht einmal in beschaulicher Ruhe verharrt, sondern mit
grosser Geschwindigkeit herumfliegt. Man kann diese Geschwindigkeit
messen und ebenso die Grösse, Masse und Anzahl der Moleküle und
fernerhin die Elektrizitätsquanta, mit welchen sie beladen sind. Der
Vortrag von Rubens setzt auseinander, wie sich die kinetische Gas¬
theorie, die elektrischen Vorgänge, die Kathoden- und Röntgenstrahlen,
die Optik und sogar die Zerfallsprozesse des Radiums dieser Lehre willig
fügen. Man ist versucht, eine Parallele zu ziehen zwischen diesen
komplizierten Gebilden der Physik und den zelligen Elementarorganismen
unserer Physiologie, und wenn jene zeigt, wie die gleichen Fundamental¬
gesetze in ihren verschiedenen Einzeldisziplinen gelten, so mag das für
uns Mediziner ein Anstoss sein, auch in unserem Spezialitätentum weniger
die trennenden, als die gemeinsamen Momente wieder mehr zu betonen.
Buttersack-Trier.
A. P&880W: Trommelfellbilder. Ein Atlas für den praktischen Ge¬
brauch. Mit 26 farbigen lithographischen Tafeln. Jena 1912,
Gustav Fischer. Preis 32 M.
Im vorliegenden Atlas gibt Passow auf 26 farbigen lithographischen
Tafeln eine reiche Sammlung von Trommelfellbildern, die in den zehn
Jahren seiner Tätigkeit in Berlin gesammelt und von dem bekannten
Maler Hel big in vortrefflicher Weise dargestellt worden sind. Besonders
hervorzuheben ist, dass in zweckdienlicher Weise die Veränderungen der
Trommelfellbilder so wiedergegeben sind, wie sie sich in verschiedenen
Zeitabschnitten, bei Erkrankungen, Verletzungen, nach Paracentesen, bei
verschiedener Beleuchtung und nach äusserer Einwirkung (Ausspülung)
darbieten. Der Atlas wird sich zweifellos beim Unterricht als sehr nütz¬
lich erweisen, wozu die jeder Figur beigegebene Erklärung noch wesent¬
lich beitragen wird. Die Ausstattung des Buches lässt nichts zu wünschen
übrig. Schwabach.
S. Sehottlaender und F. Kermanner: Zar Kenntnis des Uternscarei-
noms. Mit 268 Abbildungen im Text und 16 Tafeln. Berlin 1912,
Verlag von S. Karger.
Das grosse Werk Schottlaender’s und Kermauner’s über das
Uteruscarcinom stellt ein Muster emsigen Fleisses und exakter wissen¬
schaftlicher Arbeit dar. Ein Material von 135 Garcinomen, fast durch¬
weg durch Operation gewonnen, ist in eingehendster Weise anatomisch
und histologisch durchgearbeitet und die Ergebnisse dieser Forschung
kritisch zusammengestellt. Dabei ist die Literatur in vollkommenster
Weise berücksichtigt. Zahlreiche Skizzen und Zeichnungen illustrieren
den Text des vom Verleger glänzend ausgestatteten Werkes.
Wer immer über Carcinom, speziell über das Uteruscarcinom arbeiten
will, wird sich an diesem Werk ein Vorbild nehmen, und jeder Unter¬
sucher wird es den Verff., speziell Sehottlaender, Dank wissen, ein
solches Riesenmaterial in erschöpfender Bearbeitung vorgelegt zu haben.
Dogmatismus und schematischer Schlendrian reissen auf jedem Gebiet,
das eine Zeitlang sorgfältig studiert worden war, dadurch geklärt zu
sein schien und lange Zeit nun nicht mehr neu bearbeitet wurde, ein
— für die Gynäkologie sei nur auf die Endometriumfrage und ihre Um¬
wertung durch Hitschmann und Adler hingewiesen. — Dass mit alt¬
hergebrachten Thesen, mit falschen, aber immer wieder geglaubten An¬
schauungen aufgeräumt wird, ist also nicht der geringste Nutzen dieser
Arbeit. Dazu kommt dann eine Fülle von Einzelheiten, die nachgeprüft
werden müssen und Anregung zu neuer Arbeit liefern.
Das Werk, das einer Anregung v. Rosthorn’s, dessen Andenkeq
es gewidmet ist, seine Entstehung verdankt, bringt zuerst einen Beitrag
zur Technik und klinischen Statistik der abdominalen Carcinomopera-
tionen.
Die Technik wechselte, wie bei vielen Operateuren, besonders in
bezug auf die Versorgung der Wundhöhlen: anfangs Drainage der para-
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
691
metraoen Wunden und Verschluss des Peritoneums, später Drainage des
Peritoneums. Die Operabilität betrug etwa 55pCt. bei grossen Schwan¬
kungen in den einzelnen Zeitabschnitten; die Gesamtmortalität 18pCt.,
ebenfalls mit grossen Schwankungen, abhängig von der Operabilität und
der zunehmenden Uebung. Die absolute Heilung beträgt etwas über
13 pCt., die Wiener Zahlen kommen noch nicht in Betracht. Dem
cystoskopiscben Befunde misst Herrnauner keine grosse Bedeutung zu.
Aus den Ergebnissen der anatomischen Untersuchung, gewonnen
an Sagittal- und Querschnitten, sei folgendes hervorgehoben:
Wirklich parenchymatös liegendes Carcinom hat Sch. nicht gesehen.
Nur in 8 von 120 Fällen war die eine Wand auch mikroskopisch un¬
beteiligt. In über der Hälfte der Fälle, die klinisch als Collumcarcinom
imponierten, war das Parenchym des Corpus mehr oder weniger ergriffen,
in nahezu der Hälfte der Fälle die Scheide miterkrankt.
Als Wachstumstypen werden aufgestellt:
1. Endophytisches Wachstum, d. i. in die Tiefe. 2. Ezophytisches
Wachstum, d. i. über die Oberfläche. (Kombination beider ist sehr häufig.)
3. Oberflächenwachstum.
In rund 75 pCt. der Fälle hat das Carcinom die Grenzen des Uterus
überschritten. Relativ selten ist eine Erkrankung der Blase, zweimal
fanden sich Metastasen im Ovarium, zweimal war der Ureter erkrankt.
Bei der grossen Mehrzahl der Fälle lässt sich sicher entscheiden, ob sie
im Corpus oder im Collum entstanden sind, niemals dagegen mit voller
Gewissheit, ob es sich um Cervix- oder um Portiocarcinome handelt.
Ein Teil der Collumcaroinome entsteht im Gebiet des äusseren Mutter¬
mundes.
Aus der histologischen Untersuchung sei angeführt die Einteilung
in 1. solide und 2. primär drüsige, sekundär solide, 3. Kombination von
primär soliden und primär drüsigen Carcinomen.
Die soliden Carcinome teilt er in reife (Vorhandensein deutlicher
Riffzellen), unreife (kleine rund oder länglich gestaltete oder unregel¬
mässige Zellformen) ein, zwischen denen mittelreife stehen, die in
grösserer Menge polygonale und gut abgrenzbare Zellen enthalten; nach
der Grösse der Alveolen erfolgt eine weitere Einteilung, ebenso nach
der Beschaffenheit des Zwischengewebes.
Dass das Einteilungsprinzip der Verff. aber kein befriedigendes ist,
geht schon aus der Schaffung der „Mittel“ formen hervor.
Im weiteren Verlaufe der histologischen Untersuchung sind dann
Infiltrationszellen, Bindegewebsveränderungen, Riesenzellen studiert;
Einzelheiten aufzuzählen, würde zu weit führen.
Das Adenoma maligaum erkennt Sch. an.
Bei der morphologischen Diagnose erkennt Sch. Lubarsch’s An¬
sicht, der die Mehrzahl der Pathologen bekanntlich folgen, dass die
Krebsdiagnose erst im destruierenden Stadium gestellt werden kann, für
das Uteruscarcinom nicht an und sieht in Veränderungen der Zellen und
der Kerne Anhaltspunkte für die Carcinomdiagnose. Ref. hat sich durch
die Ausführungen Sch.’s nicht überzeugen lassen können, dass eine ob¬
jektive Diagnose auf Carcinom so gestellt werden kann, und kann mit
dem von Sohottlaender öfter gebrauchten Ausdruck praecancerös
absolut niohts anfangen; derartige Ausdrücke rufen nur Verwirrung hervor
und sind durchaus abzulehnen.
In der Frage der Genese des Carcinoms spricht sich Sch. dahin
aus, dass umgebildetes in situ befindliches Schleimhautepithel als Sub¬
strat des Krebses die Hauptrolle spielt. Für die kausale Genese zieht
Sch. die Annahme embryonaler Zellveränderungen heran.
Den Schluss des Buches bildet eine ausführliche klinische Epikrise,
die von Kermauner geschrieben ist und dem Kliniker viele interessante
Einzelheiten bietet. Asohheim.
C. Nettberg: Beziehungen des Lebens zam Licht. Berlin 1913, All¬
gemeine med. Verlagsanstalt. 63 S. Preis 1,50 M.
Der Verf. hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen auf Grund
der Tatsachen, die bisher von der Wirkung des Lichtes auf Bakterien
und Pflanzen, auf Tiere und Menschen bekannt waren, und die er in
bunter Folge zusammenstellt, zu untersuchen, auf welchem Wege das
Licht diese Wirkungen entfaltet. Er zeigt, dass das Licht unter Um¬
ständen energisch in den Chemismus der Lebewesen eingreift und
führt als Beispiele an: die Abtötung pathogener Keime im Licht, die er
als eine katalytische. Lichtreaktion ansieht, die kräftigen biologischen
Wirkungen einer Reihe von fluorescierendeu Substanzen im Licht, nach
v. Tapp ein er eine photodynamische Wirkung, die auch bei dem Assi-
milationsvorgange in den grünen Pflanzen eine Rolle spielen dürfte,
ebenso enthalten bei der Pellagra und der Buchweizenkrankheit bestimmte
Stoffe im Lichte Giftwirkungen. Ebenso sind normalerweise oder unter
pathologischen Verhältnissen im Tierkörper auftretende Farbstoffe, z. B.
Gallenpigment und Hämatoporphyrin befähigt, strahlende Energie in
chemische uraznwandeln. Zum Schluss versucht der Verf. den Nachweis
zu führen, dass dem Licht eine überragende Rolle für die Bäderforschung
zufällt, und er stellt den Satz auf, dass jede Bade- und Brunnenkur,
sowie jede klimatische Behandlung bei „Licht besehen“ eine Licht¬
therapie ist. Diese geistreiche Hypothese wird vom Verf. durch die
Annahme gestützt, dass einmal durch Trinkkuren in unsern Körper
Lichtkatalysatoren mit den Mineralwässern ein verleibt werden, dass wir
durch Bäder diese auf die ganze Hautoberfläche bringen, und dass bei
klimatischen Kuren vor allem die Sonnenbestrahlung wirkt. Wieviele
voa diesen Annahmen der Wirklichkeit entsprechen, und ob wirklich
dem Licht eine so ausgesprochen chemische Wirkung auf die Organismen
zufällt, müssen nach Ansicht des Ref. weitere ausgedehnte Untersuchungen
lehren. Dazu in seiner fesselnden Arbeit einen weiteren Anstoss ge¬
geben zu haben, ist das Verdienst des Verf. Haberling-Köln.
Ivap Bing: Der Blutzucker. Wiesbaden 1913, Verlag von J. F. Berg¬
mann. 162 S. Preis 7 M.
Die Frage des Blutzuckers ist eines der wichtigsten Probleme auf
dem Gebiet des Zuckerstoffwechsels. Dafür zeugen die zahlreichen, diesem
Thema gewidmeten Forschungsarbeiten der letzten Jahre. Es ist daher
eine dankenswerte Aufgabe gewesen, der sich Bang, einer der Berufensten
auf diesem Gebiete, unterzogen hat, das gesamte, grosse Material über
unsere Kenntnisse vom Blutzucker in seiner übersichtlichen Monographie
zu sammeln in einer Weise, die nicht nur dem Forscher, sondern eben¬
so dem Kliniker Interesse abgewinnen wird. Besonders übersichtlich
sind die Kapitel VI und VII über die physiologischen Schwankungen
des Blutzuckers und über die experimentelle Hyperglykämie gehalten.
Hinsichtlich der Methodik der Blutzuckerbestimmung, über die noch
lange nicht das letzte Wort gesprochen ist, bringt Bang insofern etwas
Neues, als er eine Mikromethode, d. h. eine Zuckerbestimmung in kleinsten
Blutmengen (Tropfen) angibt. Ob diese freilich die von ihm selbst
postulierten Bedingungen der Einfachheit für den Gebrauch sogar in der
Klinik erfüllt, scheint mir nicht ganz zweifellos. Ob sie wenigstens hin¬
reichend genaue Resultate ergibt, darüber werden Nachprüfungen zu
entscheiden haben. * H. Schirokauer.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
K. Hürthle - Breslau: Ueber Förderung des Blutstroms durch
den Arterienpils. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.) Zur
Entscheidung der Frage, ob am Zustandekommen der Blutstromkurve
die Arterien auch aktiv mitbeteiligt sind, hat H. Stromuhrversuche mit
Erregung und Lähmung der Gefässwand angestellt. Nach Erregung mit
Adrenalin, Pituitrin und Digitalis war eine Verstärkung der systolischen
„Abweichung“ der Stromkurve wahrzunehmen. Die pulsatorische Dehnung
der Gefässe stellt einen Reiz dar, der die Muscularis zur systolischen
Kontraktion veranlasst, und zwar ist die Reizwirkung nicht allein von
der Grösse, sondern auch von der Schnelligkeit der Druckschwankung
bzw. Dehnung der Wand abhängig. Durch den Nachweis von Aktions¬
strömen und durch Einschaltung eines Windkessels in die Strombahn
konnte dieser Satz verifiziert werden. Wolfsohn.
P. F. Zuccola*. Untersuchungen über die Mftgentätigkeit. (H
Morgagni (Archivio), 1912, Nr. 3 u. 4.) Der neutralisierte Magensaft
kann die emulgierten Fette spalten; diese Eigenschaft muss an die An¬
wesenheit eines Fermentes gebunden sein, weil er bei Erhitzung auf 100*
jegliches Vermögen verliert. Das lipolytische Magenferment wirkt
energischer in neutraler Flüssigkeit und minder lebhaft in alkalischer
oder saurer; es ist gegen die Einwirkung der Säuren widerstandsfähiger
als gegen jene der Alkalien. Obwohl das Bestehen einer Magenlipase
nicht anzuzweifeln ist, so besitzt sie höchstwahrscheinlich keinen solchen
Wert, dass sie auch nur im entferntesten die Pankreasfunktion zu er¬
setzen vermöchte. M. Segale.
Ehrmann - Berlin: Untersuchungen über die Verdauung der
Amylaceen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Um die tür die
Ernährung wichtige Art der Verdauung der Amylaceen zu studieren, hat
E. an Fistelhunden zunächst mikroskopische Untersuchungen der Fäces
vorgenommen. Es wurden Fisteln zum Teil vor, zum Teil hinter dem
Coecum angelegt, um die Bedeutung sowohl des Dickdarms wie die des
Dünndarms für die Amylaceenverdauung zu studieren. Es ergab sich
folgendes: Aeltere Individuen zeigten eine bessere Ausnutzung als
jüngere. Nach Ausschaltung des Dickdarms ist die Fleiscbausnutzung
nicht verschlechtert, die Ausnutzung der Amylaceen dagegen herab¬
gesetzt. Der Dickdarm spielt daher bei der Verwertung der Amylaceen
eine wichtige Rolle.
Ehrmann und H. Wolff - Berlin: Untersuchungen über die Ver¬
dauung der Amylaceen. II. Mitteilung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77,
H. 1 u. 2.) In weiteren Versuchen haben E. und W. die Menge der
Stärke und der Zellulose im Kot auf chemischem Wege direkt bestimmt.
Ihre Ergebnisse sind folgende: Die chemische Ausnutzung der verschiedenen
Amylaceen ist abhängig von der zugeführten Menge, der vorausgehenden
Zerkleinerung, vor allem aber vom vorhergehenden Kochprozess. Indi¬
viduelle Unterschiede in der Nahrungsverwertung bestehen auch bei ge¬
sunden Individuen. Bei Uebergang zu Amylaceenkost besteht eine all¬
mählich eintretende bessere Nahrungsverwertung. Damit ändert sich
gleichzeitig die Bakterienflora, indem die Stäbchen die Ueberband ge¬
winnen und ihre Fähigkeit, sich mit Jod zu färben, fortschreitend eine
grössere wird. Ob die bessere Ausnutzung der Amylaceen auf der
Wirkung allmählich sich bildender diastatischer Fermente der Bakterien
beruht oder aber durch eine allmähliche Einstellung der Bauchspeichel¬
drüse auf eine stärkere Sekretion infolge erhöhter Inanspruchnahme be¬
wirkt wird, kann vorläufig nicht entschieden werden.
H. Fron zig- Berlin: Ueber die Verwendbarkeit der Schmidt’8cheu
Ker» probe zur Paukreasfanktieisprüfung. (Zeitschr. f. klin. Med.,
Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die Brauchbarkeit der Schmidt’sohen Kernprobe
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
und die Richtigkeit ihrer theoretischen Grundlagen ist vielfach ange-
zweifelt worden. F. hat die Frage aufs neue studiert, indem er einmal
Decbglastrockenpräparate von Froschblut und angetrocknetes Frosch¬
peritoneum den isolierten Verdauungssäften aussetzte und zweitens
Patienten defibriniertes und gewaschenes Gänseblut, mit Bariumsulfat
aufgeschwemmt, einnehmen Hess. Er fand, dass weder Magensaft noch
Darmsaft mit oder ohne Galle einen verdauenden Einfluss auf Zellkerne
ausüben, dass aber der Pankreassaft allein imstande ist, Kerne auflösen
zu können. Basen, wie NaOH, KOH, NH 8 , sind schon in sehr schwacher
Konzentration imstande, Kerne zu zerstören, doch werden bei der Fäulnis,
falls sie 96 Stunden nicht überschreitet, diese Stoffe nicht in genügender
Menge gebildet, um die Zellkerne zum Verschwinden zu bringen. Die
Schmidt’sche Kernprobe ist demnach theoretisch wohl begründet.
A. Oszacki - Wien: Ueber Enteiweissung und Reststiekstoff-
kestimmnng des Blotes ond seröser Flüssigkeit®! mittels Uranilacetats.
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Zur Enteiweissung des
Blutes oder seröser Flüssigkeiten muss man eine Methode benutzen, die
alles Eiweiss ausfällt, keine anderen stickstoffhaltigen Körper mitreisst
und keine stickstoffhaltigen Komplexe bei der Enteiweissung abspaltet.
Die Hitzecoagulation mit ihren Modifikationen erfüllt diese Bedingungen
nicht, wohl aber die Fällung mit Uranilacetat, eine Substanz, deren
eiweissfällende Wirkung zuerst von Kowalewski gefunden wurde. Die
für Serum und seröse Flüssigkeiten zu benutzende Methode schildert 0.
ausführlich und berichtet dann von 19 Reststickstoffbestimmungen in
verschiedenen klinischen Fällen. Die Zahl derselben ist noch zu gering,
um allgemeine Schlüsse zu ziehen, doch bestätigen die Ergebnisse, dass
nicht die Konzentration des Reststickstoffes in der Volumeinheit Blut,
sondern seine Gesamtmenge in allen Flüssigkeiten des Organismus für
Urämie maassgebend ist. Es wird ferner die Ansicht von Hohlweg
bestätigt, dass nur diejenigen chronischen Nephritiden mit oder ohne
Urämie erhöhte N-Werte zeigen, welche eine schlechte Prognose haben.
Unter vier malignen Neoplasmen ohne Erscheinungen der Niereninsuffizienz
zeigten zwei eine Erhöhung des Reststickstoffes. Die geringste Serum¬
menge, mit der man noch zuverlässige Resultate erzielt, beträgt 15 ccm.
H. Hirschfeld.
R. Binaghi: Die elektrisch® Leitfähigkeit der Mileh und ihre
Verwendung zum Nachweise der Wasservermischung und der allenfallsigen
Hinzufügung von Elektrolyten. (Biochimica e ter. sper., 2. Jabrg., H. 9.)
Die elektrische Leitfähigkeit ist bei der Milch einer gewissen Gattung von
Säugetieren beständig, so dass ihre Bestimmung ein annäherndes Urteil
über die Natur einer zu prüfenden Milch gestattet: sie nimmt in un¬
mittelbarem Verhältnis zur Wasservermengung ab. Die Elektrolyte, wie
doppeltkohlensaures Natron, kohlensaures Salz, Borax, Borsäure, die zur
Konservierung der Milch beigefügt werden, erhöhen ganz bedeutend die
elektrische Leitfähigkeit, welche mithin bei der hygienischen Kontrolle
der Milch vorzügliche Dienste zu leisten vermag. M. Segale.
0. Rössler - Baden-Baden: Ueber Qnellprodnkte. (Therapeut.
Monatsh., März 1913.) Verf. führt Beispiele an, um zu zeigen, welche
Endergebnisse beim Abdampfen eines Mineralwassers erhalten werden
und inwieweit aus den gewonnenen Salzen durch Auflösen das ursprüng¬
liche Heil wasser wiederhergestellt werden kann. Es ergibt sich, dass
man durch das Auflösen eines aus einem Mineralwasser gewonnenen
Quellsalzes nie mehr wieder das ursprüngliche Mineralwasser mit allen
seinen Eigenschaften und Wirkungen herstellen kann. H. Knopf.
C. Foa-Turin: Hypertrophie der Hoden und des Kammes nach
Abtragung der Zirbeldrüse beim Hahn. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 90,
S. 445.) Die Zirbeldrüse übt mittelbar oder unmittelbar eine hemmende
Wirkung auf die Entwicklung der Hoden aus. Durch frühe Ausrottung
der erwähnten Drüse tritt die Entwicklung der Hoden und der sekundären
geschlechtlichen Eigentümlichkeiten vorzeitig ein. Wahrscheinlich deckt
sich auch normal diese Entwicklung mit der physiologischen Rückbildung
der Zirbeldrüse. M. Segale.
Pharmakologie.
H. Fühner- Freiburg i. Br.: Ueber die Wirkung von Pituitrin und
Histamin an der isolierten Gebärmutter. (Therap. Monatsh., März 1913.)
Das Tierexperiment ergab, dass die Wirksamkeit von 1 ccm Pituitrin
Parke-Davis (= 0,2 g Hypophyse) ungefähr derjenigen von 1 j 2 mg
Histaminchlorhydrat entspricht. An Katze, Kaninchen und Meer¬
schweinchen hat das Histamin die gleiche Wirkung wie Hypophysen¬
extrakte. An der Ratte wirkt es verschieden. Inwieweit in der ärzt¬
lichen Praxis ein Präparat das andere ersetzen kann, lässt sich erst
an der experimentellen Prüfung am Menschen entscheiden. Nach den
Erfahrungen von Kehrer scheint das Histamin auch hier nicht unwirk¬
sam zu sein, doch muss es wegen zu befürchtender Atmungsstörungen
und Krämpfe sehr vorsichtig gebraucht werdeu. H. Knopf.
Fornet - Berlin: Untersnchongen überQaecksilbercyanid. (Deutsche
militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Unter Berücksichtigung des höheren
Preises, der grösseren Giftigkeit, der nur etwas geringeren Schädlichkeit
für Hände und Instrumente, besonders aber auf Grund des Ausfalls der
zahlreichen vergleichenden bakteriologischen Untersuchungen kam man
zu einer unbedingten Ablehnung des Quecksilbercyanids als Ersatzmittel
für Sublimat. Schnütgen.
P. Werner und J. v. Zubrzycki-Wien: Beeinflussung der Opsoiine
durch Elektrargol. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Die
Kolloidmetalle besitzen baktericide Eigenschaften. Die Untersuchung®!
der Verff. zeigen, dass sie geeignet sind, die opsonisohe Kraft des Serum»
in hohem Grade zu vermehren. Wenn die therapeutischen Erfolge in
vielen Fällen ausbleiben, so muss man andere Faktoren dafür zur
Rechenschaft ziehen: verschiedene Virulenz der Keime und Widerstands¬
kraft des Körpers. Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Selter, Heilungsversuche bei
Tuberkulose.
Therapie.
Strauss - Berlin: Ueber KoBibinatioBSwirkungen von Medikamente!
bei der Behandlung der Herz- nnd NiereawaMenaeht. (Therap,
Monatsh., März 1913.) Verf. empfiehlt folgende Kombinationen; Rp,
Inf. e fol. Digit, titr. 1,0, Bulb. Scillae 5,0, cum aqu. dest.; adde:
Diuretin. 10,0, Tct. Strophanthi 3,0, Spartein. sulf. 0.1, Sir. Juniperi ad
180,0. M. D. S. 4 mal tägl. 1 Essl. Bei Fällen von Dyspepsie wurde
dieses Gemisch unter Beifügung von Tct. Opii sirapl. rectal gegeben.
Verf. hat den Eindruck, dass man es bei der Anwendung der hier ge¬
nannten Gemische nicht mit einer blossen Additionswirkung zu tun habe,
sondern mit einem Effekt, welcher die einfache Summationswirkung dei
einzelnen zur Anwendung gelangenden Substanzen erheblich übersteigt.
H. Knopf.
Mehliss - Hannover: Trivalin. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 14.) Trivalin (Overlach) enthält in 1 ccm 0,01935 Morph, valer.,
0,0037 Coffein, valer. und 0,00506 Cocain, valer. Es kann Morphium al»
Analgeticum in allen Fällen ersetzen, ohne dabei Herz- und Atem¬
centrum zu beeinflussen. Auch das Sensorium bleibt frei. In seltene»
Fällen treten leichte Magenstörungen danach auf. Wolfsohn.
E. Gehna: Schilddrüsentherapie nnd Epilepsie. (Revue de möd.,
1913, Nr. 1.) Es gibt eine Reihe von Epileptikern, bei denen sich Ano¬
malien der Schilddrüse finden. In solchen Fällen erzielt man mit Dar¬
reichung von Schilddrüsensubstanz gute therapeutische Erfolge. Mit¬
teilung zweier Fälle. A. Münzer.
Siehe auch Kinderheilkunde: Terrier, Suprarenaler Ursprung
des sogenannten Acetonerbrechens.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie*
Ssamoylenko: Ueber das End»st. (Virohow’s Archiv f. pathol.
Anatomie u. Pbysiol., Bd. 211, H. 2.) Das Endost bildet sich während
der periohondralen Ossifikation aus dem Hineinwachsen von Periostfasern
in die Knochenzwischenräume; während der enchondralen Ossifikation
entweder nach Umwandlung des Knorpels in fibrilläres Gewebe oder
vielleicht nach Hineinwachsen eines Gefässes in den Knorpel. Es ist
dem lockeren Bindegewebe zuzuzählen und ist funktionell dem Periost
identisch. Benn.
Fr. Rost: Ueber agonale Blitgerinnnig. (Centralbl. f. Pathol.,
Bd. 24, Nr. 3.) Das Vorkommen von Leukocytengerinseln auf Cruor-
und Speckhautgerinseln beweist deren agonale Entstehung. Experimentell
lassen sich solche Gebilde durch intravenöse Collargoleinspritzung er¬
zeugen. Vielleicht kommt den sogenannten LeichengeriDseln manchmal
eine grössere Bedeutung zu. Dietrich.
Sato: Ueber die Atherosklerose der AtrioveBtrienlarklapp*!.
(Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Aus
einer Tabelle über 82 untersuchte Fälle aller Lebensalter geht zunächst
hervor, dass eine Atherosklerose im Gebiet des Mitralissegel eigentlich
stets zu finden ist. Makroskopisch war sie zuerst 2 */i Monate nach der
Geburt wahrzunehmen; nach ungefähr einem Jahr ist sie schon immer
makroskopisch deutlich erkennbar. Die Tricuspidalklappen sind gewöhn¬
lich sehr schwach und erst in späterem Alter an der Atherosklerose be¬
teiligt. Hier tritt der „gelbe Fleck“ am stärksten und häufigsten auf
dem vorderen Segel auf, bei der Mitralis stets nur auf der Ventricular-
seite des Segels. Verf. bespricht dann die Ursachen bzw. Bedingungen
der Atherosklerose und vertritt den AschofFschen Standpunkt der „Ab¬
nutzungstheorie“.
Anitschkow: Ueber die Histogenese der Myocardveründeraage!
bei einigen Intoxikationen. (Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u.
Physiol., Bd. 211, H. 2.) Injektionen von Diphtherietoxinen bei Kaninchen
rufen folgende Veränderungen am Myocard hervor: körnigen Zerfall,
Verfettung, Homogenisation bzw. Nekrotisation. Daneben reaktive Er¬
scheinungen von seiten des Herzstromas, namentlich in der Umgebung
der zugrunde gegangenen Muskelelemente. Injektionen von Adrenalin-
Spartein bewirkten hochgradiges Oedem desMyocards mit nachfolgenden
diffusen Veränderungen des Stromas; daneben herdartige Wucherungen
des Stromas entzündlicher Natur.
Hummel: Ueber straklige Einschlüsse 1b Riesenzellen. (Virchow’s
Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H, 2.) In den knötchen¬
förmigen fibrösen Verdickungen der Lungen Oberfläche einer an Ent¬
kräftung gestorbenen Frau fand Verf. mikroskopisch zwischen Bündeln
elastischer Fasern liegend reichlich Riesenzellen, durch die sich ein Netz¬
werk feiner, durch Weigert-Hämatoxylineosin intensiv violett gefärbter
Strahlen zog. Verf. setzt diesen Befund in Beziehung zu den von Ernst
in Krebszellen beschriebenen Einschlüssen.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Wilke: Ueber Riesenzellenbilduiig io Thyreoidea and Prostata.
(Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Von
chirurgischer Seite sind einige Fälle von durch Operation entfernten
Strumen veröffentlicht, bei denen sich mikroskopisch Riesenzellen vom
Langhans’schen Typus fanden; daraufhin wurde die Diagnose auf primäre
Thyreoideatuberkulose gestellt. Verf. wendet sich gegen die Auslegung
solcher mikroskopischer Bilder und gibt Material dafür, dass diese Riesen¬
zellen als Fremdkörperriesenzellen aozusehen seien, für die als Reiz das
gesunde Kolloid anzusehen sei. Am Prostataconoremente fand er ganz
die gleichen Riesenzellen. Bonn.
Monogenow: Ueber Kolloidreteition in den Knotenkrtipfen.
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 4.) Die Kolloidknoten werden auf
das Fehlen normaler Lymphgefässe und ungenügender Verbindung mit
dem lymphatischen System der Nachbarschaft zurückgeführt. Stielartige
GefässVersorgung begünstigt durch Stauung die Retention des Kolloids.
W. Hueck: Ueber Verknlknng von AlveolarepUhelien. (Central¬
blatt f. Pathol., Bd. 24, Nr. 4.) Es werden drei Fälle von Petrifikation
der Alveolarepithelien beschrieben, aus verschiedenen Lebensaltern. Für
die Entstehung kommt die Ausfällung des im C0 2 reichen Blut leichter
löslichen Kalks bei Abgabe der CO* in Betracht. Dietrich.
Ceelen: Ueher Plasmazelles in den Nieren. (Virchow’s Archiv
f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Verf. untersuchte
Nieren von 52 Erwachsenen und 10 Neugeborenen anfangs „in der stillen
Hoffnung, in einer Konstanz der Plasmazellen vielleicht ein gutes
Criterium für die Diagnose der syphilitischen Nierenveränderungen ge¬
funden zu haben“. Dies erwies sich jedoch in dieser Allgemeinheit für
irrtümlich. Nur bei Neugeborenen scheint das Auftreten von peri-
vasculären und periglomerulären und intertubulären Plasmazellinfiltra¬
tionen charakteristisch für kongenitale Syphilis zu sein. Bei Erwachsenen
finden sie sich bei allen, auch nur geringfügigen Nierenveränderungen;
sitzen besonders an der Peripherie der Gefässe und in der Nähe der
Malpighi’scben Körperchen; sie entstehen histidjgen, über ihre Funktion
ist nichts Bestimmtes zu sagen.
Berner: Zur Cystenniercnfrage. (Virchow’s Archiv f. pathol.
Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Verf. verfügt mit 23 von ihm
untersuchten Fällen über das grösste bisher beschriebene Material in
dieser Frage, deren Hauptproblem „Die Missbildungs- oder Gescbwulst-
theorie bei der Entstehung der Cystenniere“ er in dem Sinne löst, dass
er in allen Fällen gefunden habe, dass die Cystenniere Entwicklungs¬
störungen von wechselnder Art und Ausdehnung ausgesetzt gewesen sei.
Cystennieren mit ausgesprochenem Geschwulstcbarakter fänden sich aller¬
dings auch oft; doch handele es sich hierbei regelmässig um Misch¬
geschwülste (mit Knorpel, glatter Muskulatur, Hornperlen).
Benn.
C. Ciaccio: Ueber einen seltener^ benignen Tumor des Snmen-
fttraags (Fibroplasmocytom). (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, Nr. 3.)
Kleinorangegrosser, benigner Tumor des Samenstrangs bei einem 38 jährigen
Mann, mikroskopisch aus fibröser Grundsubstanz mit eingelagerten Plasma¬
zellen bestehend. Dietrich.
Fischer und Yokoyama: Ueber eine eigenartige Form knotiger
Hyperplasie der Leber, kombiniert mit Gehirnveränderungen. (Virchow’s
Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211, H. 2.) Klinisch war
der Fall interessant, da sich bei einem bis dahin völlig gesunden Mädchen
im Alter von 19 Jahren im Anschluss an einen Schreck allmählich zu¬
nehmende Demenz, Intentionszittern, spastisch paretischer Gang, positiver
Romberg einstellten. Nach einigen Jahren trat der Exitus ein. Die
Sektion ergab diffuse grossknotige Hyperplasie der Leber und Verände¬
rungen im Linsenkern. Lues ist sowohl anamnestisch, wie histologisch
auszuschliesen. Die Verf. rechnen diesen Fall einer noch sehr wenig
bekannten, in letzter Zeit von den Engländern eingehender beschriebenen
Krankheit zu, über deren Wesen nichts Näheres zurZeit bekannt ist.
Meyer: Zur Kasuistik der epidermoidalen Cholesteatome des Ge¬
hirns. (Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie u. Physiol., Bd. 211,
H. 2.) Sechs derartige Fälle sind bisher in der russischen Literatur be¬
schrieben worden. Verf. fügt einen weiteren Fall aus dem Charkower
Institut hinzu. Die Geschwulst sass zwischen Pons Varoli und linkem
Schläfenlappen, war haselnussgross und hatte keine klinische Erschei¬
nungen gemacht. Benn.
G. Anzillotti-Pisa: Experimentelle Untersuchungen über die Patho¬
genese der tuberkulösen Gelenkerkranknngen. (Pathologica, Bd. 4,
Nr. 98, S. 709.) Durch Tuberkelgifteinspritzungen entstehen leichte, un¬
beständige Veränderungen, welche pathologisch-anatomisch durch entzünd¬
liche Infiltration der Synovialhaut charakterisiert sind. Ausgesprochenere
Veränderungen wurden dagegen in jenen Gelenken beobachtet, die gleich¬
zeitig mit den Einspritzungen ein leichtes Trauma erlitten hatten,
welches an sich, wie an den Kontrollieren nacbgewiesen wurde, nicht
fähig war, die beobachteten Veränderungen hervorzubringen. Typischer
sind die Veränderungen bei tuberkulös gemachten Meerschweinchen oder
bei solchen, denen in die Gelenke Toxin eingespritzt worden war; die
Infiltration ist augenscheinlich, aber es bestehen keine spezifischen
Tuberkelknoten. Die Injektionen mit heterogenen Bacillen verursachten
Arthritis und Periarteriitis mit kleinzelliger Infiltration der Synovialhaut
und sekundäre sklerotische Veränderung. Mittels der Einspritzung natür¬
licher toxischer Produkte und besonders des sterilisierten Tuberkeleiters
erhält man einfache Entzündungsinfiltrationen, die zur fibrösen und
fettigen Umbildung neigen. Die Inokulationen mit toter Tuberkulose
ergeben die meisten Erscheinungen von Infiltration, Sklerose und endo-
artikulären Ergüssen mit allen Anzeichen der typischen Synovitis, die
man auch in der menschlichen Pathologie beobachtet; es sind diese
Veränderungen im Falle von Inokulation getrockneter und mit Aetber be¬
handelter Kulturen mehr lokalisiert; manchmal erhält man auch
Riesenzellen. In den Epiphysen tuberkulösen Prozessen naher Gelenke
zeigt sich Entwicklung einfacher entzündlicher Synovitis mit Neigung
zur Sklerose ohne Bildung wirklicher Tuberkeln. Durch Einspritzung
von Emulsionen mit abgeschwächten Kulturen ergeben sich oft Syno-
viten mit kleinzelliger Infiltration, Sklerose und fibröse Umwandlung.
Alle diese Verletzungen gehen allmählich in Heilung über, und es bleibt
nur Sklerose der Synovialhaut, wie sie bei einigen Formen trockener
Arthritis des Menschen als Folge einer chronischen Synovitis, die tuber¬
kulöser Natur ist, vorkommt. M. Segale.
Diagnostik.
Fr. Fromme und C. Rubner - Berlin: Nierenfunktionspriifung
mittels des Phenolsulfonphthaleins. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 11.) Die Phenolsulfonphthaleinprobe gibt bei intramuskulärer An¬
wendung absolut unsichere Resultate. Konstante Resultate erhält man
bei intravenöser Injektion. Dünner.
Parasitenkunde und Serologie.
A. Bruschettini-Genua.: Die Impfung gegen Rindertnherknlose
an Kaninchen und Meerschweinchen. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 98, S. 716.)
Der Gehalt des Blut an agglutinierenden, präcipitierenden usw. Elementen
ist bei geimpften Kaninchen oder Meerschweinchen nicht bedeutend höher
als bei den künstlich tuberkulös gemachten Tieren. Dessenungeachtet
ist sowohl bei den Kontrollieren als bei den verschiedenen Gruppen das
Verhalten gegen eine Einspritzung lebender und virulenter Bacillen sehr
verschieden. Einige Gruppen zeigen nur schwache Widerstandskraft,
während andere lange widerstehen und manchmal auch in dem Kampfe
Sieger bleiben. Unter den verschiedenen Vaccinen gab eine Emulsion
von Bacillen, die mit lebenden Leukocyten in Kontakt geblieben waren,
die besten Resultate. Der Autor beschreibt die einschlägige Technik.
G.Gennari-Deplano - Cagliari: Impf? ersieh© mit den autolytiseben
Produkten von Organen, die mit Kuhpoekengift infiziert worden waren.
(Pathologica, Bd. 4, Nr. 96, S. 645.) Mit den Nierenautolysaten von
subcutan mit Rinderpockengift geimpften Hunden könuen Kaninchen
gegen diese Infektion immunisiert werden. Die Vaccinwirkung ist von
einer das Berkefeldfilter nicht passierenden Substanz abhängig, die weder
von dem autolysierten Virus allein noch von dem Nierensafte allein
dargestellt wird, und die sich nur nach einiger Zeit der Anwesenheit
des Virus in den Nieren in diesen vorfindet.
G. Caronia-Palermo: Versuohe zu wirksamer Immunisierung gegen
die menschliche Leishmania beim gesunden Kinde. (Pathologica, Bd. 4,
Nr. 98, S. 724.) Die von Di Gristina am Kaninchen mittels lebender
Kulturen erhaltenen spezifischen Immunkörper können beim gesunden
Menschen mittels toter Kulturen erzeugt werden. Die Leishman’schen
Parasiten verhalten sich biologisch wie die anderen pathogenen Keime
bezüglich der Erzeugung spezifischer Antikörper im Organismus, daher
besteht die Möglichkeit, künstlich solche Antikörper in den an Leishman-
scber Anämie Erkrankten hervorzurufen, bei welchen solche bis jetzt
spontan fast noch von keinem Forscher gefunden wurden.
S. Cannata-Palermo: Ueber die immunisierende Wirkung der
Nueleoproteide des Meningococcus Weichselbaura.) Pathologica, Bd. 4,
Nr. 95, S. 607.) Im Blutserum von Kaninchen, die mit Einspritzungen
von Nucleoproteid des Diplococcus Weichselbaum behandelt worden
waren, bilden sich Immunkörper, spezifische Antikörper (Amboceptoren
und Agglutinine) hinsichtlich des Meningococcus. Nueleoproteide des
letzteren sind also mit antigener Eigenschaft ausgestattet, ähnlich den
Nucleoproteiden anderer Keime.
C. Mantelli: Ueber die Methode Grossieh bezüglich der Haut¬
desinfektion. (II Morgagni, Archivio, 1912, Nr. 5.) Unerlässliche Be¬
dingung ist bei dieser Methode, dass die Jodpinselung auf trockener
Haut ausgeführt wird und nicht auf vom Schweisse durchfeuchteter.
Der Autor hat Kulturen angelegt von Hautstückeben, die 10 Minuten
nach der letzten Bepinselung keimfrei entnommen worden waren, ln
25 Fällen von trockener Haut hatte er 23 negative Kulturen und zwei
positive. In 25 Fällen von sch weissfeuchter Haut waren 16 Kulturen
negativ und 9 positiv. Indes auch in dem Falle positiver bakterio¬
logischer Kultur ist das praktische Resultat gut, und die Heilung er¬
folgt ohne weiteres, sei es infolge der Abschwächung der die Jodwirkung
überlebenden Mikroorganismen, sei es infolge der erhöhten Widerstands¬
kraft und des erhöhten phagocytären Vermögens, die in situ durch die
Jodanwendung wachgerufen wurden. M. Segale.
Siehe auch Innere Medizin: Matson, Sputumuntersuchung auf
Tuberkelbacillen. — Augenheilkunde: Wissmann, Pilzconcremente
in Tränenkanälchen. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten:
Fauser, Spezifische Schutzfermente im Serum Geisteskranker. —
Geburtshilfe und Gynäkologie: Engelhorn, Biologische Diagnose
der Schwangerschaft.
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UMIVERSITY OF IOWA
694
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Innere Medizin.
PI ehn-Berlin: Ein Fall von Herzblock Bit Adam-Stokes’sehem
Symptonenkomplex. (Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 14.) Vor¬
trag, gehalten im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in
Berlin am 3. Februar 1913. Wolfsohn.
W. B. Thorne - London: Manifestationen eines gesunden Herzens.
(Brit. med. journ., 8. März 1918, Nr. 2723) Thorne hält die Ansicht
Mackenzie's, dass Geräusche und Unregelmässigkeiten bei gesunden
Herzen juoger Leute Vorkommen, uicht für richtig. Er hält diese Er¬
scheinungen vielmehr für Zeichen einer Atonie des gesamten Gefäss-
systems und ernster Beachtung für wert. Die Aetiologie ist meistens
Autointoxikation, Gicht, Rheumatismus, Rachitis usw. Unter dem Medi¬
kamenten stehen Nebennierenpräparate obenan. Weydemann.
R. C. Matson: Der Vergleichungswert einiger der neueren
Methoden der Spotnmuntersuchung auf Tnberkelbacillen des Ziehl-
schen und Much'sehen Typus. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24,
H. 2.) Eine Gruppe gab positive Resultate sowohl nach Ziehl wie nach
Much, eine andere nur nach Much. In 27 pCt. fanden sich nur
Much'sehe Formen, jedoch sind die mikroskopischen Befunde hierbei sehr
schwer zu deuten, vereinzelte Granula sind mit grösster Vorsicht autzu-
nehmen. Für Ziehl’scbe Typen gibt die Schulte’sche Anreicherung
bessere Resultate als die Uhlenhuth’sche. Beiden letztgenannten ist
Ellermann-Erlandsen überlegen, dauert aber wesentlich länger.
Wolff: Moderne Fieberforsehnng and Tnberknlosefieber. (Beitr.
z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.)
H. Selter: Heil tags versuche bei Tuberkulose. Polemik gegen
v. Linden, Meissen und Strauss mit Entgegnungen der genannten Autoren
und Schlusswort von Selter. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.)
Schut: Die Lungentuberkulose im Röntgenbide. (Beitr. z. Klinik
d. Tuberklul., Bd. 24, H. 2.) Bei der Schilderung der Technik hebt
Verf. den Wert stereoskopischer Aufnahmen hervor. Zur besseren Orien¬
tierung und nach den Prädilektionsstellen verschiedener Lungenaffekttonen
wird das Lungenbild unterhalb der Spitzen in drei Flächen geteilt, ein
oberes und ein unteres Dreieck, dazwischen die Flügel. Nach allge¬
meinen Gesichtspunkten über Röntgenbilder von Lungen wird die Tuber¬
kulose, die Miliartuberkulose^ das Emphysem, Bronchiektasien, Pneu-
monia crouposa und Pleuritis abgehandelt. Energisch wird gegen die
Auffassung Rieder’s über die Cavernen bei Initialtuberkulose Front
gemacht. Der Arbeit sind 27 Röntgenphotographien beigegeben.
R. Dietschy: Ueber Albnnosnrie bei Tuberkulose. (Beitr. z.
Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) Bemerkungen zu der gleich¬
namigen Arbeit von H. Deist in Bd. 23, H. 4 der Beiträge.
Hinze und So rin: Zur orthostatischen Albuminurie der Tuber¬
kulösen. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 2.) Von 106 Kranken
gaben 18 nach 20 Minuten langem Stehen Eiweiss, 37 Kranke gaben alle
nach 20 Minuten langem Stehen kein Eiweiss, nach 40 Minuten jedoch
9 mal. Beide Gruppen gaben meistens nur das „Essigeiweiss“, seltener
auch das Serumeiweiss.
A. Lorey: Ueber Milztuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 24, H. 2.) Fall, der ursprünglich als Banti'sche Krankheit dia¬
gnostiziert worden war und sich nach der Milzexstirpation als Tuberku¬
lose erwies. Die Milztuberkulose ist zwar ein selbständiges Krankheits¬
bild, „primäre Milztuberkulose" wird aber beanstandet.
J. W. Samson.
K.Glaessner und J. Kreuzfuchs - Wien: Py lorospasmus. (M ünchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) 1. Bei normalen Aciditätswerten des
Magens und intaktem Duodenum erfolgt nach Uebertritt der Ingesta ins
Duodenum ein Pylorusversohluss und Nachlassen des Tonus der Magen¬
muskulatur, der so lange anbält, als die Säure im alkalischen Duodenum
neutralisiert ist. 2. Bei Ulcus ventriculi tritt bald nach der Nahrungs¬
aufnahme ein Pylorusversohluss (Immediatpylorospasmus) auf, bei Duo¬
denalaffektionen hingegen erst nach einiger Zeit (Tardiopylorospasmus).
3. Bei normalem Magen bewirkt die Zufuhr von HCl gar keine Aenderung,
bei ulcerösen Prozessen des Magens entsteht ein reflektorischer Pyloro-
spasmus, bei Duodenalaffektionen schliesslich wird die Peristaltik ver¬
mehrt und die Entleerung des Magens beschleunigt. Aus ihren Beob¬
achtungen wollen die Verff. den Schluss ziehen, dass bei der Frage des
Pylorospasmus das Verhältnis zwischen Magenacidität und Alkalescenz
des Duodenums die grösste Rolle spielt, und zwar in dem Sinne, dass:
HCl grösser als Alkalescenz = Pylorusversohluss bzw. Pylorospasmus,
HCl = oder kleiner als Alkalescenz = offener Pylorus und Magen¬
automatismus. Man muss also in allen diesen Fällen die Alkalescenz
des Duodenums kennen.
Deck er-München: Gutartige Polypen des Mastdarms und des
S romanum. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Abschnürung
bei gestielten Polypen der Ampulla recti. Bei Polypen der Flexur
empfiehlt sich wegeu der schwierigen Zugänglichkeit zur Stillung einer
Nachblutung Entfernung mit Paquelin, den D. an seinem oberen Ende
schmal konstruieren liess, um möglichst freies Gesichtsfeld zu haben.
Den beim Abbrennen sich entwickelnden Rauch aspiriert ein Assistent
durch einen in das Rectoskop an einer Spritze befestigten dünnen Gummi¬
schlauch. D ü n o e r.
G. Vitry und A. Sezary: Kritische Phänomene bei der Resorption
des cirrhotischen Ascites. (Mittels Autoserotherapie behandelter Fall.)
(Revue de möd., 1913, Nr. 2.) Bei einem mittels Autoserotherapie be¬
handelten Fall von Lebercirrhose wurde während der Resorption des
Ascites eine deutliche Hyperchlorurie zugleich mit einer Verminderung
des Säuregehalts im Urin beobachtet Der Stickstoffstoffwechsel war nur
wenig verändert.
J. Goldberg und R. Hertz-Warschau: Die Elimination der
Chloride bei einfacher Polyurie und der Einfluss des Natrinnbiearbo-
nats auf diese Ausscheidung. (Revue de möd., 1913, Nr. 2.) In drei
Fällen von einfacher Polyurie haben die Verff. nach Kochsalzzufuhr eine
deutliche Erhöhung der Salzkonzentration im Urin festgestellt. Zugleich
waren die Harnmengen vermehrt. Durch Natriumcarbonat gelang es
jedesmal, die Salzkonzentration im Urin herunterzudrücken.
A. Rodriguez: Neue Gesichtspunkte zur Diabotesfrage. (Revue
de möd., 1913, Nr. 2.) Es gibt keine Krankheit Diabetes, sondern eine
Reihe diabetischer Krankheitszustände, die aus der unregelmässigen
Assoziation mehrerer diabetogener Elemente resultieren. Als einer dieser
ursächlichen Faktoren ist eine übermässig chlorreiche Nahrung anzu¬
sprechen. A. Münzer.
Galambos und Tausz - Budapest: Ueber Riweissstoffweehsel-
Störungen bei Diabetes Mellitus. Das Verhalten der Aminosäuren im
Urin bei normalen und pathologischen Zuständen. (Zeitschr. f. klin.
Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die Verff. wollten feststellen, ob beim Dia¬
betes eine ähnliche Störung im Eiweissstoffwechsel besteht wie im Kohle¬
hydratstoffwechsel, ausgehend von der durch Eppinger wahrscheinlich
gemachten Annahme, dass der Ausfall der Pankreasfunktion auch auf
den Abbau der Eiweissstoffe einen Einfluss ausübt, speziell, dass beim
Aminosäurenabbau der inneren Sekretion des Pankreas eine Rolle zu-
komrae. Sie fanden, dass bei schweren Diabetesfällen sowohl die ab¬
soluten wie die relativen Aminosäurewerte bedeutend vermehrt sind, und
dass in diesen Fällen die alimentäre relative Hyperaminosurie sehr
häufig vorkommt. Sie sind daher geneigt, die Ursache der Glykosurie
und der Hyperaminosurie auf einheitlicher Basis zu erklären. Wenn sie
auch nicht leugnen wollen, dass Lebererkrankungen eine Hyperaminos¬
urie erzeugen können, so halten sie es doch auf Grund ihrer Befunde
für sehr wahrscheinlich, dass die Erkrankungen des Pankreas in einem
sehr engen Zusammenhang mit der Vermehrung der Aminosäuren im
Urin stehen. H. Hirschfeld.
E. Grafe-Heidelberg: Die Stellung des Riweisses im Stoffwechsel
des fieberndes Menschen und ihre theoretische und praktische Be¬
deutung. (Münchener med. Wochenschr, 1913, Nr. 11.) Die Beteiligung
des Eiweisses ist im Fieberstoffwechsel beim Hungern durchschnittlich
die gleiche wie im Hungerzustand ohne Fieber. Der Stoffwechsel, ins¬
besondere die Eiweissverbrennung im Fieber, folgt keinen anderen Ge¬
setzen, als sie von den Regulationsvorgängen im normalen Organismus
bekannt ist. Daraus ergibt sich die praktische Forderung, jeden Verlust
an Eiweiss und Körpergewicht selbst bei schwerster Infektion durch
rationelle Ernährung zu verhindern. Man kann von einem toxischen
Einfluss auf den Eiweissstoffwechsel nur dann sprechen, wenn bei genauer
Berücksichtigung der ealoriseben Verhältnisse die Eiweissverbrennung
einen erheblich grösseren Anteil an der Gesamtwärmeproduktion hat
wie io der Norm bei gleichem Ernährungszustände. Dünner.
Siehe auch Physiologie: Zuccola, Magentätigkeit. Ehrmann,
Verdauung der Amylaceen. Ehr mann und H. Wolff, Verdauung der
Amylaceen. Fron zig, Schmidt’sche Kernprobe zur Pankreasfunktions¬
prüfung. Oszacki, Enteiweissung und Reststickstoffbestimmung. —
Therapie: Strauss, Kombinationswirkung von Medikamenten bei Herz-
und Nieren Wassersucht. — Geburtshilfe und Gynäkologie: Rubner,
Elektrocardiogramm bei Schwangeren.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten«
F. Lade- Hamburg: Anwendung der Herutaun-Perutc’schen Reaktion
bei der Prüfung von Lnmbalpnnktaten. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 11.) Die Reaktion hat, wie L. glaubt, auch bei der An¬
wendung von Spinalflüssigkeiten diagnostische Bedeutung.
A. Fauser - Stuttgart: Zur Frage des Vorhandenseins spezifischer
Sehnt (fernen te im Serum von Geisteskranken. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) F. berichtet weiter über seine Versuche,
in denen er den Nachweis der Spezifität der Abderhalden’schen Reaktion
bei organischen Geisteskrankheiten, Basedow zeigen konnte; bei funktio¬
nellen Psychosen Hessen sich keine Schutzfermente nachweisen.
Dünner.
L. Edinger: Zur Funktion des Kleinhirns. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vortrag, gehalten im Verein für innere
Medizin und Kinderheilkunde in Berlin an\ 24. Februar 1913.
R Bä ran y - Wien: Lokalisation in der Rinde der Kleinhirn-
hemisphärea (Funktionsprüfung und Theorie). (Deutsche med. Wochen-
s<*hri't, 1913, Nr. 14.) Diskussion in der Berliner Gesellschaft für innere
Medizin und Kinderheilkunde und Chirurgie am 24. Februar 1913.
Wolfsohn.
J. Froment und 0. Monod: Gibt es wirklich notorische Artiku-
lations-ErinnernngNbilder? (Lyon möd, 1913, Nr. 10.) Die Hypothese
motorischer Erinnerungsbilder der Artikulation ist zur Erklärung des
Mechanismus der artikulierten Sprache nicht notwendig. Vielmehr ist
die Artikulation — genau wie die Schrift — bedingt durch einfache
motorische Gewöhnungen. A. Münzer.
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
695
Luithlen: Ueber einen Fall von Qaiaeke’sehen aigioieuroti-
sehei Oedem. (Deutsobe militärärztl. Zeitse.hr., 1913, H. 5.) Verf. be¬
schreibt einen einschlägigen Fall mit Durchfällen bei einem nervös ver¬
anlagten Soldaten. Das Oedem bat eine nahe Zugehörigkeit zur Urti¬
caria. Das geht bei diesem Kranken daraus hervor, dass er eine
Ueberempfindlichkeit gegen Sauerkraut hat. Angabe von Unterschieden
zwischen der Nesselsucht und dem Quincke’schen angioneurotischen
Oedem.
Coste - Magdeburg: Die Kommotionsiieiirose mit vasomotorischem
Symptomenkomplex. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 5.)
Verf. skizziert die Kommotionsneurose mit vasomotorischem Symptomen¬
komplex, deren Möglichkeit unbedingt zuzugeben ist. Weiterhin liefert
er den Beweis, dass man berechtigt ist, das klinische Bild als auf
vasomotorischen Veränderungen basierend anzunehmen.
Schnütgen.
Huber-Schöneberg: Ueber die Rückenmarks Veränderungen hei
spinaler progressiver Mnskelatrophie. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 14.) Demonstration im Verein für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde in Berlin am 2. Dezember 1912. Wolfsohn.
Siehe auch Militär-Sanitätswesen: Oesterlein, Schuss¬
verletzung de3 Rückenmarks. — Physiologie: Foä, Hypertrophie der
Hoden und des Kammes nach Abtragung der Zirbeldrüse beim Hahn. —
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten: Lange, Labyrinthverände¬
rungen bei Tumoren des Kleinhirns. — Therapie: Gehna, Schild¬
drüsentherapie und Epilepsie. — Kinderheilkunde: v. Biehler,
Heine-Medin’sche Krankheit in Polen. Zuber, Kongenitales Myxödem.
Kinderheilkunde.
Möry, H. Salin und A. Wilborts: Zwei Fälle von familiärer
Hämophilie. (Bullet, de la societe de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2,
S. 86.) Eines der beiden Kiuder wurde wegen unstillbaren Nasen¬
blutens eingeliefert. Die Anamnese ergab familiäre Hämophilie. — Das
zweite kam wegen eines grossen Gelenktumors, der erst als Osteomyelitis
angesehen wurde, sich späterhin aber als Bluterguss ins Gelenk infolge
Hämophilie entpuppte.
M. Zuber: Kongenitales Myxödem. (Bullet, de la societö de
pödiatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 57.) Fortlaufende Beobachtung eines kon¬
genitalen Myxödems vom 8.—21. Lebensjahre. Während der ganzen
Beobachtungszeit Behandlung mit Schilddrüsentabletten. Der Erfolg der
Behandlung ist derart, dass der junge Mann sich selbständig als
Schreiber sein Brot verdienen kann. Eine gewisse Verzögerung der
geistigen Entwicklung hat sich jedoch auch durch die Schilddrüsen-
behandlung nicht verhindern lassen.
E. Terrien: Ueber den snprarenalon Ursprung des sogenannten
Acotoaerhrecheas. (Bullet, de la societe de pediatrie de Paris, 1913,
Nr. 2, S. 66.) Bericht über drei Fälle von cyklischem Acotonerbrechen,
wovon der erste zum Exitus kam, während die zwei anderen — an¬
geblich dank der Verabreichung von Adrenalin — geheilt wurden. Ex
juventibus schliesst der Verfasser, dass das Erbrechen durch eine In¬
suffizienz der Nebennieren hervorgerufen wurde. Birk-Kiel.
W. Beyer: Zur Frage der Wirksamkeit des Diphtherieserams
bei Beteiligung des Nervensystems usw. Entgegnung auf die Be¬
merkungen von H. Kleinschmidt. (Zeitschr. f. Kinderheilk., 1918, S. 356.)
Polemik.
M. v. Biehler: Ein Beitrag zur Epidemie der Heine-Medin’schen
Kraakbeit im Königreich Polen im Jahre 1911. (Zeitschr. f. Kinder¬
heilkunde, 1913, Bd. 77, S. 348.) Vortrag auf dem I. internationalen
Kongresse für Pädiatrie in Paris (Oktober 1912), der sich hauptsächlich
mit epidemiologischen Momenten beschäftigt. Die Epidemie bot kaum
Besonderheiten. Hervorgehoben sei lediglich die Empfehlung des Verf.,
bei den Patienten eine Lumbalpunktion zu machen und nach Ablassen
von 10 ccm Flüssigkeit ebensoviel Elektrargol zu injizieren. Er sah da¬
von in zwei Fällen schönen Erfolg.
F. Lust-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Mageadarmkanals
für heterologes Eiweiss bei eraähruugsgestörtea Säuglingen. (Zeit¬
schrift f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 243.) Nicht beendet.
R. Weigert.
Nageotte-Wilbonohewitsch: Trockenmilch. (Bullet, de la
sociöte de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 41.) Empfehlung von
„Trockenmilch“ zum Gebrauch bei der Ernährung von Säuglingen.
Variot, Lavialle und Rousselot: Studie über die anti-emeti-
schea Eigenschaften von gerackerter kondensierter Milch. (Bullet,
de la sociltö de pediatrie de Paris, 1913, Nr. 2, S. 44.) Bei Kindern
mit Erbrechen — sei es infolge von Dyspepsie, von Ueberfütterung oder
von Unterernährung — sistierte dasselbe sofort, wenn gezuckerte, ein¬
gedickte Milch gereicht wurde. Bei nichtgezuckerter Milch war der Er¬
folg nicht so prompt. Birk-Kiel.
E. A. Frank - Hannover: Die Anwendung der Molketherapie bei
rnhrartigen Dannkatarrhen und ihre Erfolge. (Zeitschr. f. Kinderheilk.,
1913, Bd. 77, S. 163.) (Schluss.) Der Verf. berichtet über Erfolge, die
in der Göttinger Kinderklinik in der Behandlung von ruhrartigen Darm¬
katarrhen mit Kuhmilchmolke erzielt wurden. Die Molke wird zu gleichen
Teilen mit Haferschleim in kleinsten, aber bald steigenden Mengen ver¬
abreicht, nachdem der Darm durch 01. Rioini und ausgiebige Darm¬
spülungen entleert und eine kurzfristige (höchstens 8 Stunden dauernde)
Teediät eingeschaltet wurde. Am 5.—8. Tage wird die Molke allmählich
durch Kuhmilch ersetzt. Dieses Vorgehen hat seine Vorzüge in der
Vermeidung einer gefährlichen Unterernährung und bedrohlicher Ge¬
wichtsstürze. Ein grosses Material an Krankengeschichten wird vorgelegt
und demonstriert die Wirksamkeit der Methode. Die Verwendung der
Molke in der Therapie der Ernährungsstörungen steht im Gegensatz zu
verbreiteten theoretischen Anschauungen über die Gefährlichkeit der
Kuhmilchmolke für den magendarmkranken Säugling. Auch der Ref.
macht seit langer Zeit von der Molke in der Therapie gerade der
schwersten Ernährungsstörungen mit befriedigenden Erfolgen Gebrauch.
M. Kassowitz - Wien: Ueber Rachitis. III. Rachitis bei Neu¬
geborenen. (Zeitschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 277.1 Der Verf.
plädiert des weiteren (cf. diese Wochenschr., 1912, S. 2237), in der
Hauptsache gegen Wieland polemisierend, dafür, dass die bei Neu¬
geborenen zur Beobachtung gelangenden Anomalien am Schädel und an
den Knorpelknochengrenzen als Symptome einer Rhachitis aufzufassen
seien. Zum Beweise bringt er ein grosses Material klinischer Gesichts¬
punkte und anatomischer Unterlagen, mit denen er gleichzeitig den
syphilitischen Ursprung jener Veränderungen ablehnt. Die Annahme
der Kassowitz’schen Lehre hat auch eine grosse praktische Bedeutung: sind
solche Fälle von Schädelweichheit und Rosenkranz beim Neugeborenen
rachitischer Natur, so ermöglichen sie eine wirksame Bekämpfung mit
Ernährung, hygienischen Maassnahmen und mit der Verabreichung von
Phosphorlebertran. R. Weigert.
Chirurgie.
0. Vulpius - Heidelberg: Die Behandlung des angeborenen Klump-
fasses. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
H. Spitzy-Graz: Zur Ausnutzung der respiratorischen Kräfte in der
Skoliosenbehandlnng. (Münchener med. »Wochenschr., 1913, Nr. 11.)
Näheres siehe Bericht des Orthopädenkongresses in Nr. 14 dieser Wochen¬
schrift. Dünner.
R. Vogel-Wien: Oberkieferbräche, eiu kasuistischer Beitrag.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) V. berichtet auszugsweise
über zehn in der neueren Literatur beschriebene Fälle von Oberkiefer¬
fraktur. Es handelte sich viermal um Hufschlag, viermal um Sturz und
zweimal um Schlag in das Gesicht. Acht Fälle wurden geheilt, zwei
sind gestorben, und zwar einer an Meningitis, der andere an Pyämie.
P. Hirsch.
J. Berry - London: Die Chirurgie der Schilddrüse, mit besonderer
Berücksichtigung der Basedow’schen Krankheit. III. (Lancet, 15. März
1913, Nr. 4672.) Der Verf. bespricht die übrigen Erkrankungen der
Schilddrüse, die nicht als Basedowsche Krankheit anzusehen sind, mehr
von seinem persönlichen Standpunkt aus. Bei kleinen Kindern will er
überhaupt nicht operieren; möglichst auch nicht bei parenchymatösem
Kropf, der innerlich behandelt werden soll und oft seinen Grund in
chronischer Verstopfung hat. Die Operation des Kropfes soll auf beiden
Seiten gemacht werden, da eine einseitige zu stärkerer Dyspnoe durch
Verlagerung der Trachea Anlass geben kann; Berry entfernt dabei den
einen Lappen fast ganz, vom anderen die Hälfte oder ein Drittel. Bei
Adenomen und Cysten kommt er von der einfachen Enucleation mehr
und mehr ab, weil die kombinierte Resektion und Enucleation bessere
Erfolge hat. Bei malignen Erkrankungen will er nicht die ganze Drüse
entfernen, er lässt meistens die obere Ecke des anderen Lappens zurück;
eine frühzeitige Tracheotomie hält er nicht für wünschenswert; er macht
sie erst, wenn der Patient selbst danach verlangt. Weydemann.
0. Orth-Innsbruck: Partieller Volvulus des Magens. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Es handelt sich um einen chronisch-
partiellen Volvulus bei einer 49jährigen Patientin nach einer vor
l*/ 4 Jahren ausgeführten Gastroenterostomie. Durch Detorsion und An¬
legung einer Jejunostomie wurde Heilung erzielt. P. Hirsch.
Sorge - Cassel: Zur Ricinusbehandlung der Blinddarmentzündung.
(Therapeut. Monatsh., März 1913.) Auf Grund der beobachteten und
mitgeteilten Krankengeschichten ist Verf. der Ansicht, dass man bei
chronischen und subakuten Fällen von Blinddarmentündung zur Siche¬
rung der Diagnose im Krankenhauze Ricinus geben könne; treten
Reizerscheinungen danach auf, so operiere man sofort. Bei akuten
Fällen rät er von der Darreichung des Ricinus entschieden ab.
H. Knopf.
A. Kr ecke-München: Chronische Appendieitis. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Zwischen klinischen Erscheinungen der chro¬
nischen Appendieitis undOperationsbefund besteht oft ein Missverhältnis:
allerdings findet man in einer Reihe von Fällen, bei denen der Blind¬
darm makroskopisch nicht erkrankt ist, mikroskopisch starke Verände¬
rungen. Zur Beurteilung der Appendicitisfrage ist daher zu fordern,
dass in jedem Falle neben der makroskopischen auch eine exakte mikro¬
skopische Untersuchung zu erfolgen hat. Es gibt Fälle, bei denen
absolut keine Erkrankung am Wurmfortsatz zu sehen ist, bei denen aber
trotzdem der subjektive Erfolg der Operation erreicht wird. Wenn
Patienten, deren Appendix einwandfrei chronische Erkrankung zeigt,
keine Besserung durch die Operation erfahren, so muss man annehmen,
dass neben der Appendieitis noch eine Affektion des Dickdarms be-
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UMIVERSITY OF IOWA
696
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
standen hat, die mit ersterer in Zusammenhang steht. K. gibt einige
differentialdiagnostiscbe Symptome zwischen chronischer Appendicitis und
Colonerkrankung an. Dünner.
H. Hinterstoisser - Teschen: Ein Ascaris im Ductus hepaticus (Ope¬
rationsbefund). (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.; Der Ascaris
war durch die infolge von Lithiasis mächtig erweiterten Gallengänge ein¬
gedrungen. Der Yerf. glaubt, dass die kontinuierlichen Schmerzen, die
in den letzten vier Wochen vor der Operation bestanden, durch die An¬
wesenheit des Wurmes bedingt waren. P. Hirsch.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mantelli,
Grossich’sche Hautdesinfektion. — Militär-Sanitäts wesen: Oester¬
lein, Schussverletzung des Rückenmarks.
Röntgenologie.
C. Brügel: Bewegnngsvorgänge am pathologischen Magen auf
Grund röntgenkinomatographischer Untersuchungen. (Münchener raed.
Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Erwiderung auf die Bemerkung von Holz¬
knecht und Haudek in Nr. 8 der Münchener med. Wochenschrift.
Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Schut, Lungentuberkulose im
Röntgenbilde. Glaessner und Kreuzfuchs, Pylorospasmus.
Urologie.
O. Loose und E. Steffen-Berlin: Ueber Corpora amylacea im
endoskopischen Befände der hinteren Harnröhre. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Kasuistischer Beitrag mit Abbildung.
Wolfsohn.
C. Bruck-Breslau: Die Behandlung der Gonorrhöe und ihrer Kom¬
plikationen. II. Teil. (Therapeut. Monatsh., März 1913.) Ergebnisse
der Therapie der Urethritis gonorrhoica posterior, der Epididymitis und
Prostatitis nach den Erfahrungen der Neisser’schen Klinik. Ergebnisse
der Vaccinbehandlung der Gonorrhöe. Vgl. auch Therapeut. Monatsh.,
Januar 1913. H. Knopf.
Siehe auch Diagnostik: Fromme und Rubner, Nierenfunktions¬
prüfung mit Phenolsulfonphthalein.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
L. Freund-Wien: Die Strahlenbehandlung der Psoriasis vulgaris.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die Therapie der Psoriasis
gewinnt durch die Verbindung der Strahlenbehandlung mit der vor¬
bereitenden Excochleation. Die Ursache der Erkrankung wird hierdurch
selbstverständlich nicht beeinflusst, auch das Auftreten der Krankheit
an anderen Stellen nicht verhindert. Doch ist das Verfahren kürzer
und, durch die geringere Dosis, gefahrloser als die blosse Röntgen¬
bestrahlung. P. Hirsch.
A. Sezary und G. Sales-Paris: Bacilläre Elephantiasis. (Revue
de med., 1913, Nr. 2.) Elephantiasis auf tuberkulöser Grundlage.
A. Münzer.
Fr. Schaefer*Breslau: Ein Beitrag zur Wirkung des per os ge¬
nommenen Quecksilbers. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.)
Ein Luespatient erhielt graue Quecksilberkapseln ä 0,3 zum Schmieren
und Zahnpasta zur Mundpflege. Er verwechselte beides und nahm täg¬
lich eine der Kapseln per os, 8 Tage lang. Es trat etwas Brechreiz
und geringer Durchfall ein sowie eine leichte Stomatitis mercurialis. Im
übrigen war aber die Wirkung auf die Roseola eine entschieden günstige.
Wolfsohn.
R. Polland - Graz: Zur Bewertung der internen Hg-Darreichnng.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Merjodin ist ein brauch¬
bares Antisyphiliticum. 150—200 Merjodinpastillen (5—6 Stück pro die)
entsprechen einer schwachen Schmierkur. Die dabei im Harn nach¬
weisbare Menge des ausgeschiedenen Hg steht im richtigen Verhältnis
zum einverleibten Quantum und ist nahezu so gross wie bei einer
leichten Inunktionskur. Diese Tatsache erklärt die Wirksamkeit des
Präparats.
A. Pöhlmann - München: Ist die Ausführung der Brendel-Mfiller-
schen Reaktion durch den praktischen Arzt empfehlenswert? (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) Nein! Dünner.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
E. Engelhorn-Erlangen: Zur biologischen Diagnose der Schwanger¬
schaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.) E. stellte die
Abderhalden’scbe Reaktion an Schwangeren, Nichtschwangeren, Carcinom-
kranken, Puerperen, Myomkranken usw. an und kommt auf Grund dieser
Untersuchungen zu dem Resultat, dass das Verfahren keine spezifische
Reaktion ist. Dünner.
M. Hirsch-Berlin: Ueber das Verhältnis der Geschlechter. Eine
Anregung. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Auf Grund der be¬
stehenden Statistiken kommt Verf. zu dem Schluss, dass es weit mehr
männliche als weibliche Föten gibt, dass die männlichen eine geringere
Widerstandskraft gegenüber den Schädlichkeiten haben, welche zum
Abort führen. Ferner, dass das Geschlechtsverhältnis in der fötalen
Entwicklungszeit noch mehr zugunsten der Knaben verschoben wird,
dass die männlichen Föten den fruchtscbädigenden Einflüssen gegenüber
eine geringere Widerstandskraft haben, und dass sie um so mehr über¬
wiegen, je früheren Schwangerschaftsmonaten sie entstammen. Verf.
weist darauf hin, dass eine viel vielseitigere und umfassendere Statistik
nötig ist, wenn man aus dem Verhältnis der Geschlechter zueinander
ihrer Zahl nach irgendwelche bindenden Schlüsse über ihre Ent¬
stehung usw. ziehen will.
C. Rubner-Berlin: Ueber das Elektroeardiogramm bei Sekwaa-
gerei. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Durch die bisherigen
Untersuchungen an Schwangeren kann als festgestellt gelten, dass die
Massenzunabme des Herzens in der Gravidität nur proportional der ver¬
mehrten Körpermaasse ist und gewisse Grenzen nicht überschreitet.
Exakte Messungen hat aber erst das Elektrocardiogramm ermöglicht.
Solche Messungen wurden an fünf Schwangeren in Abständen von 2 bis
4 Wochen angestellt. Das Resultat ist, dass die Ventrikelzacke allmäh¬
lich ansteigt. Die übrigen bleiben so gut wie unverändert. Es kann
dies auf das Hochheben des Diaphragmas und die seitliche Verschiebung
des Herzens bezogen werden, welche zu einer grösseren Querlagerung
führt, und passt völlig in den Rahmen unserer bisherigen Auffassung.
E. Gerstenberg-Berlin-Wilmersdorf: Bemerkungen zu H. Rotteris
Verfahren zur Heilung enger Becken. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913,
Nr. 12.) Verf. hat im Anschluss an die seinerzeit auch hier referierten
Mitteilungen von Rotter über die Vergrösserung der Conjugata vera
durch Abmeisselung des Promontoriums anatomische Untersuchungen an
Leichen gemacht und kommt zu dem Resultat, dass sich allerdings die
CoDjugata vera auf diese Weise um etwa 2 cm vergrössern lässt. Sehr
wichtig is, worauf Kehrer hingewiesen, dass dabei zugleich auch der
quere Durchmesser erweitert wird. Springt das Promontorium sehr vor,
so ist es klar, dass beim Durchtritt des Schädels in Querstellung der
ganze Schädel nach vorn verlagert, also an einer Stelle zum Durchtritt
kommt, an welcher der Querdurchmesser kleiner ist, als er an seiner
weitesten Stelle sein würde. Auf diese Weise wird jedes platte Becken
bis zum gewissen Grade zugleich zum allgemein verengten. Jedoch
glaubt Verf., dass Rotter zu weit geht, wenn er seine Operation für
Becken mit 7 cm Conjugata empfiehlt. Die erzielte Besserung ist
immerhin nur so gering, dass man unter 8,5 nicht herabgehen sollte.
Im Gegensatz zu Rotter glaubt Verf. ferner, dass gerade die künstliche
Frühgeburt durch diese Operation nicht ersetzt werden kann, mit der
in Verbindung sie sich vielmehr gerade nützlich erweisen dürfte. Wegen
engen Beckens allein kommen Sectio caesarea, Hebosteotomie usw. in
Betracht.
C. U. v. K lein- Graudenz: Uterus bicornis supraseptas als Aetio-
logie chronischer Querlage (sechs eigene Wendungen in einem, Sectio
caesarea in einem anderen Falle). (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.)
Inhalt ergibt s,ich aus dem Titel.
0. Krug-Magdeburg: Ein neuer Handgriff (KreuEgriff) bei Ent¬
bindungen. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 12.) Verf. hat schon vor
2 Jahren diesen Handgriff beschrieben und hat ihn in einem neuen
Falle wieder angewendet. Bei einer Diagonalis von 11 cm wollte der
Schädel trotz starker Impression und Walcher’scher Hängelage und trotz
2 Stunden langen Wartens nicht ins Becken eintreten. Mit seinem
Kreuzgriff kam er in 5—6 Wehen zum Ziele. Verf. will das Urteil
darüber, ob die Wirkung mehr auf einer Dehnung aller Bänder oder
nur auf Erweiterung bestimmter Teile beruht, anderen überlassen, glaubt
aber, dass es zu bedauern wäre, wenn man in der Geburtshilfe die
enorme Hebelkraft der gekreuzten Hände nicht ausnutzen wollte. Bei
richtiger Dosierung der Kraft sind Verletzungen unmöglich.
A. Solowij-Lemberg: Ueber die Kontrolle des Verhaltens der
Gebärmutter in der Nachgebnrtsperiode nnd in den ersten drei
Stunden nach derselben. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 13.) Verf.
bespricht die Dubliner und Dresdener Methode, welche in krassem
Gegensatz zu den Angaben von Crede und Spiegelberg stehen, und
erwähnt, dass Ahlfeld auch diese Methoden verwirft und den Grundsatz
„Hand weg von der Gebärmutter“ aufgestellt hat. Im grossen und
ganzen ist er auch ein Anhänger der abwartenden Methode, will aber
doch sich nicht völlig Ahlfeld anschliessen, und hält es vielmehr für
richtig, die Gebärmutter durch ganz sanftes Auflegen der Hand zu kon¬
trollieren. Jedoch ist jedes auch noch so leises Reiben und Kneten zu
vermeiden und bis zu drei Stunden abzuwarten, ehe man den Cr6de-
schen Handgriff anwendet. Siefart.
A. Rieck-Altona: Zur Therapie übermässig starker menstrueller
Blutungen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vortrag im
Hamburger ärztlichen Verein am 14. Januar 1913. Wolfsohn.
K. Fl ei sch mann-Wien: Beitrag zur operativen Myembehandlung.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) In 6 Jahren wurden vom
Verf. 251 operationsbedürftige Myome operiert. Wenn der Verf. auch
glaubt, mit der erreichten Mortalitätsziffer von 2 pCt. zufrieden sein zu
müssen, so ist doch jede Methode zu begrüssen, die eine noch geringere
Ziffer verspricht; dies scheint mit der Röntgenbehandlung der Fall zu
sein. Sollte auch die von Krönig angegebene Heilungsziffer von
100 pCt. nicht erreicht werden, so bedeutet,dooh die Röntgenbehandlung
eine wesentliche, willkommene Bereicherung unseres Könnens.
P. Hirsch.
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
697
L. Desgouttes und R. Olivier*. Ueber die Bedeutung von Dann¬
läsionen für die operative Prognose tuberkulöser Adnexentznndungen
(hauptsächlich Läsionen des Dünndarms). (Lyon m6d., 1913, Nr. 11.)
Die operative Prognose tuberkulöser Adnexentzündungen hängt zum
grossen Teil von den Läsionen der Naohbarorgane ab, speziell vom Zu¬
stand des Darmes. Mitbeteiligung des letzteren erhöht die Gefahr. An¬
gabe genauer operativ-technischer Vorschriften bei Ergriffensein des
Rectum und S romanum einerseits, des Dünndarmes andererseits.
A. Münzer!
Siehe auch Pharmakologie: Fühner, Wirkung von Pituitrin
und Histamin an der isolierten Gebärmutter. — Parasitenkundeund
Serologie: Mantelli, Grossich’sche Hautdesinfektion.
Augenheilkunde.
E. Wölfflin: Wie kann man das Rotwerden von Eserinlösnngen
vermeiden? (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., März 1913.) Um Eserin¬
lösungen unverändert lange Zeit zu erhalten, müssen möglichst alkali¬
freie Glassorten gewählt werden. In dieser Hinsicht ist dem Schottglas
das Quarzglas noch wesentlich überlegen.
R. Wissmann: Ueber Pilzconeremente im Tränenkanälchen, zu¬
gleich ein Beitrag zur Frage der Streptotricheen. (Klin. Monatsbl. f.
Augenheilk., März 1913.) Die aus den Tränenröhrchen gezüchteten
Streptotrixstämme besitzen Eigenschaften, die in der grösseren Mehrzahl
allen Stämmen gemeinsam sind und sie von den an anderen Stellen ge¬
fundenen pathogenen Streptotricheen unterscheiden lassen. Bei dem
stets charakteristischen klinischen Bilde erscheint es nicht unwahr¬
scheinlich, dass auch der bakteriologische Befund einheitlicher Natur
ist. Die einfache Bezeichnung „Pilzeoneremente“ dürfte wohl am zweck¬
entsprechendsten sein. Nach der Ansicht des Verf. hat man es zum
allergeringsten Teil mit echter Aktinomykose zu tun, und so entbehrt
von diesem Standpunkt aus die Bezeichnung Aktinomykose der Tränen¬
röhrchen jeder Berechtigung.
J. Strebei und 0. Steiger: Ueber Keratoconns, seine Beziehungen
zur inneren Sekretion und zum intraoeul&ren Drnek. (Klin. Monats¬
blätter f. Augenheilk., März 1913.) Veröffentlichung von neun Kranken¬
geschichten, im Anschluss daran Tabelle der Tensions- und Blutdruck¬
werte bei den Keratoconuapatienten, sowie die Resultate der Blutunter¬
suchungen, die ergänzt wurden durch Bestimmungen der Viscositäts-
grössen und der Wassermann’schen Reaktion. Daran anschliessend
epikritische Schlüsse aus den Blutuntersuchungen, sowie Erwägungen
über den Wert und die Fehlerquellen der Schiot’schen Tonometrie bei
Anomalien der Hornhautkrümmung und Beobachtungen beim Tonometrieren
von Keratoconuspatienten. Zum Schluss quantitative Diagnostik speziell
des Keratoconus incipiens. F. Mendel.
R. Halben - Berlin: Die Indikation zur Monokelbehandlnng.
(Therapeut. Monatsh., März 1913.) Das Monokel ist angebracht: 1. Wo
nur ein Auge vorhanden oder brauchbar. 2. Wo nur ein Auge korrek¬
tionsbedürftig, a) weil das andere normale Refraktion hat (meist gar
kein Glas nötig!), b) weil das andere auch ohne Korrektion zur Gewähr¬
leistung von Tiefenwahrnehmung ausreichendes Sehvermögen hat (weit¬
aus die grösste Gruppe aller Gläserbedürftigen; also Einglas nicht nach
Laienanschauung bei nur einseitiger Refraktionsanomalie, sondern viel
häufiger bei doppelseitiger!). Das Monokel ist, wo es angebracht ist,
Kneifer und Brille vorzuziehen wegen seiner Billigkeit, Bequemlichkeit,
Handlichkeit, Haltbarkeit und Einfachheit. H. Knopf.
F. Grignolo-Genua: Aktuelle Reaktion und osmotischer Druck
des menschlichen Kammerwassers unter normalen und pathologischen
Bedingungen. (Pathologica, Bd. 6, Nr. 97, S. 675.) Das normale Kammer-
waaser weist bei Hunden und Kaninchen eine annähernd neutrale Reak¬
tion auf, die jener des Serums entspricht. Weder bei den verschiedenen
Formen von Glaukom noch bei vielen anderen Augenerkrankungen er¬
leidet das Kammerwasser bedeutende Veränderungen seiner wirklichen
Reaktion. Der mittels der kryoskopischen Methode bestimmte osmotische
Druck ist in der Mehrzahl der Fälle höher als jener des entsprechenden
Serums und von Tier zu Tier verschieden. Ebenso ist der osmotische
Druck des einem normalen menschlichen Auge und anderen Augen in
verschiedenen pathologischen Zuständen entnommenen Kammerwassers
höher als jener des Serums und wechselt von Fall zu Fall. Syste¬
matische Untersuchungen mit Vergleichung der Serumswerte können erst
feststellen, ob Beziehungen zu den Schwankungen des Serums bestehen.
M. Segale.
Moreau: Geschichte der Heilung eines Blindgeborenen. (Schluss.)
(Lyon möd., 1913, Nr. 11.) Hochinteressanter Bericht über operative
Heilung eines blindgeborenen Knaben, der 15 Monate nach der Ope¬
ration beobachtet werden konnte. Es geht daraus hervor, dass die
Fähigkeit des Sehens keineswegs mit beendeter Operation erlangt wird,
sondern dass der konsequenten Erziehung des Auges die wesentliche
Rolle zufällt. A. Münzer.
E. v. Hippel: Ueber einen bisher niebt bekannten ophthalmo¬
skopischen Befand. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., März 1913.) Un¬
mittelbar unterhalb und etwas temporal von der Papille erhebt sich ein
bei stereoskopischer Betrachtung walzenförmiger, sehr stark nach vorn
vorspringender Tumor, der unter der Retina liegt und diese mit sich
emporhebt. Von der Vorderfläche des Tumors erhebt sich auf der
temporalen Seite ein glänzend weisser, zum Teil etwas grünlich
schillernder pyramidenförmiger Zapfen, der sehr weit vorragt und an
seiner Spitze drei ziemlich regelmässige knopfförmige Anschwellungen
trägt, die in verschiedenen Ebenen liegen. Die Diagnose ist unsicher.
F. Mendel.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
J. Veis-Frankfurt a. M.: Flttstersprache and Konversationssprache
in ihren Beziehungen Zueinander. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, H. 3.)
Die Prüfung der Konversationssprache neben der Flüstersprache ist bei
jedem Fall von stärkorer Schwerhörigkeit (Flüstersprache unter 1 m) zu
prüfen, weil in diagnostischer, therapeutischer und prognostischer Hin¬
sicht wiohtig. Die Prüfung der Flüsterspraohe allein ergibt kein ge¬
nügendes Bild der Hörschärfe. Bei Otosklerose und bei manchen Fällen
von abgeheilter Mittelohreiterung wird die Konversationssprache (tiefe
Töne) nicht weiter gehört als die Flüstersprache (hohe Töne), während
umgekehrt bei der „nervösen“ Schwerhörigkeit und bei exsudativen
Mittelohrprozessen die Konversationssprache unverhältnismässig viel besser
gehört wird als die Flüstersprache. Wenn die Konversationssprache
weit die Flüstersprache überwiegt, bietet die Behandlung mehr Aussicht
auf Erfolg. Die Besserung des Gehörs durch Lufteinblasung betrifft
manchmal nur die Konversationssprache, während die Flüstersprache
unter Umständen gar nicht oder nur unbedeutend gebessert wird.
K. Lübbers - Greifswald: Hirnabscess. Osteomyelitis des Stirn¬
beins, Stirnhöhlenempyem. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90, H. 3.) Das
Stirnhöhlenempyem mit seinen bekannten Beschwerden, Eiterausfluss
aus der Nase, Kopfschmerzen usw., bestand jahrelang und konnte nur
durch ausgiebige Operation von aussen geheilt werden; die Heilung
drohte unvollständig zu werden und in chronische Fistelbildung aus¬
zulaufen, wenn nicht ein Vierteljahr nach der grossen Operation noch¬
mals eine energische Ausschabung der Stirnhöhlengranulationen vor¬
genommen wäre. Die Entstehungsursache dieses Stirnhöhlenempyems
war wahrscheinlich eine frühere Osteomyelitis des Stirnbeins, die sich
aus dem örtlichen Knochenbefund schliessen liess. Charakteristisch ist,
dass vor 10 Jahren bereits eine Operation des Stirnbeins von anderer
Seite gemacht war und Lues lediglich nach dem Aussehen der operierten
Stelle angenommen worden war, obgleich sonstiges jegliches Zeichen für
Lues fehlte. Auoh jetzt war die Wassermann’sehe Reaktion negativ.
Lange - Greifswald: Labyrinthverändernngen bei Tumoren des
Kleinhirns nnd Kleinhirnbrückenwinkels. (Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 90,
H. 3.) Fälle von Kleinhirnbrückentumoren usw. könnten geeignet sein,
auoh über die Labyrinthveränderungen bei Erhöhung des intraoraniellen
Druckes überhaupt Aufschluss zu geben. Die in der Regel hochgradigen
Befunde am Augenhintergrund machen analoge Erscheinungen im Laby¬
rinth nicht unwahrscheinlich. Es ist darüber pathologisch-anatomisch
wenig bekannt. Naheliegend wäre es, die Ansammlung eines eiweiss¬
reichen Transsudats, die hochgradige Hyperämie, die Blutungen und den
Reichtum an Pigment als Ausdruck dieser Drucksteigerung anzusehen.
Sichere Angaben darüber können aber nur auf Grund der Untersuchungen
beider Felsenbeine gemacht werden. Da aber dem Autor derartiges
Material nicht vorlag, so kann er leider allgemeine Schlüsse nicht ziehen;
auf der Seite der Erkrankung bestehen die Vorbedingungen einer ein¬
seitigen Drucksteigerung, besonders wenn die Folgen der Operation
hinzukommen. M. Senator.
Hygiene und Sanitätswesen.
C. Prausnitz: Isolierung bei ansteckenden Krankheiten (Hospital
isolation in infectious diseases). (Journ. of state med., 1912, Vol. 20,
Nr. 11, S. 658.) Bei der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten
kommt der Absonderung der einzelnen Krankheitsfälle in gesonderten
Krankenhäusern eine grosse Bedeutung zu. In England sind nach dieser
Richtung weitergehende Versuche gemacht als in Deutschland. Die
gleichzeitige Behandlung verschiedener Infektionskrankheiten in dem¬
selben Raum lässt sioh wohl unter Umständen bei sehr geübten Pflegern
durchführen, wird aber kaum jemals zu einem allgemein zuverlässigen
Verfahren werden können.
H. Sutherland: Tuberkulosebekämpfung in Edinburg (The
Edinburgh System for the control and eradication of tuberculosis).
(Journ. of state med., 1912, Bd. 20, Nr. 11, S. 641.) Beschreibung der
in Edinburg durchgeführten und bewährten Maassnahmen zur Bekämpfung
der Tuberkulose, die im einzelnen grosse Aehnlichkeit mit den bei uns
üblichen Verfahren zeigen. W. H. Hoffmann.
Militär-Sanitätswesen.
Schmidt-Berlin: Die persönliche Feldausrüstung und die Aus¬
rüstung des Reitpferdes der Stabs-, Ober- und Assistenzärzte bei den
leitenden Sanitätsdienststellen, bei den Truppen des Feldheeres, bei den
Sauitätskompagnien und Feldlazaretten. (Deutsche militärärztl. Zeitschr.,
1913, H. 4.)
Hammer: Eine Offizier-Taschenapotheke. (Deutsche militärärztl*
Zeitschr., 1913, H. 4.) Enthält das allernotwendigste mit Gebrauchs¬
anweisung. Preis 6 M. In den Apothekon erhältlich. Ist zu empfehlen.
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UNIVERSUM OF IOWA
698
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Flath - Königsberg: Chirurgische Neurungen und ihre Bedeutung
für die militärärztliche Praxis. (Deutsche railitärärztl. Zeitschr., 1913,
H. 5.) Verf. bespricht als Neuerungen, die für Militärchirurgen und
Militärärzte eine besondere Bedeutung haben, die Jodtinkturdesinfektion
des Operationsfeldes nach Grossich, die Anwendung der Michel^cben
Wundklammern und die Nagelextension nach Steinmann bei der
Behandlung von Knochenbrüchen.
Hufnagel-Bad Orb: Krafträder im Feldsanitätsdienst. (Deutsche
militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Es hat vor dem Fahrrad sowohl wie
vor dem Kraftwagen mancherlei Vorzüge. Angabe derselben. Nach
seinen Ausführungen glaubt Verf., dass die Krafträder sich hervorragend
für den Felddienst eignen. Schnütgen.
D. J. P. Mo Nabb: Das Lazarettschiff im Flottendienst (The
hospital ship as a permanent unit of the fleet). (Journ. of state med.,
1912, Bd. 20, Nr. 11, S. 678.) In der englischen Flotte war seit zehn
Jahren ein besonderes Lazarettschiff im Gebrauch, und die Einrichtung
hat sich so gut bewährt, dass die Forderung nach einem solchen Schiff
als ständigem Bestandteil einer Flotteneinheit für begründet erachtet
wird. Die Verwendung und der Betrieb des Lazarettschiffes im Frieden
und im Kriege werden eingehend besprochen. W. H. Hoff mann.
Morgenroth: Ueber Wahrnehmung des Gesundheitsdienstes im
Felde durch den Truppenarzt. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913,
H. 6.) Zusammenstellung von Gesichtspunkten, die für den in Kriegs¬
zeiten hygienisch wirkenden Truppenarzt von besonderer Bedeutung sind.
Als Grundlage seiner Ausführungen hat dem Verf. die Kriegs-Sanitäts¬
ordnung gedient. Dabei hat er trefflich seine eigenen, in das Gebiet der
Feldgesundheitspflege fallenden Erfahrungen aus der Cbinaexpedition
1900/1902 und aus dem südwestafrikanischen Kriege 1904/1906 ein¬
zuflechten verstanden. Er beweist, wie man unter Vermeidung alles
Ueberflüssigen im Felde praktische Gesundheitspflege treiben kann. Man
muss vor allen Dingen hygienische Maassnahmen in Vorschlag zu bringen
vermeiden, die nicht durchführbar sind. Anhäufung einer Reihe von
wichtigen Aufgaben. Schnütgen.
W. Denk -Wien: Erfahrungen und Eindrücke aus dem Balkan¬
kriege. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Vorgetragen in der
Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 14. Februar 1913.
Referat siehe den Sitzungsbericht. P. Hirsch.
Oesterlen-Schwäb. Gmünd: Schussverletzang des Rückenmarks.
(Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1913, H. 4.) Mitteilung eines ein¬
schlägigen Falles. Schnütgen.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Verein für innere Medizin and Kinderheilkunde za Berlin.
Sitzung vom 31. März 1913.
Tagesordnung.
1. IIHr. v. Bergmann-Altona und Katsch (a. G.):
Ueber Darmbewegung and Darmform. (Experimentelles und Klinisches.)
In einem früheren Vortrag hat B. die grossen Colonbewegungen be¬
schrieben; die Begriffe Vagotonie und Sympathicosie enthalten sehr viel
Konstruktives, da die Symptome nie rein sind. Trotzdem will er vom
Adrenalinsystem im Sinne vom Sympathicussystem, vom Pilocarpin- und
Cholinsystem im Sinne vom Vagussystem sprechen.
Am Herzen sind die Verhältnisse am meisten studiert, der
Sympathicus fungiert als Hemmer des Darmes, der erweiterte Vagus als
Reizer des Darmes. Am Tier gibt das sogenannte Bauchfenster in Ver¬
bindung mit dem Röntgenverfahren wertvolle Aufschlüsse.
Hr. Katsch demonstriert an zwei Kaninchen die Methode des Bauch¬
fensters. Das Röntgenverfahren ist ein indirektes, das nur die Verschie¬
bung des Inhalts demonstriert. Ein synthetisches Verfahren wie das
Bauchfenster erlaubt den bis dahin vollkommen ungeklärten Einfluss
kleiner und grosser Atropindosen zu analysieren, da die auf die Reiz-
und Heramungsnerven ausgeübten Effekte sich theoretisch in entgegen¬
gesetzter Richtung bewegen können. Am Bauchfenster sieht man, wie
Abkühlung die Därme blutleer macht und die Bewegungen hemmt,
während psychische Tasteffekte, wie Fressen, die Bewegungen stark ver¬
mehren.
Die kleinen Colonbewegungen bestehen zum Teil in einem langsamen
Fliessen der Haustra, welche langsam die Skybala vorwärtsschieben.
Daneben demonstriert er andere Bewegungen der Haustra von Kaninchen
und Affen. Die Haustra sind nach ihrer Auffassung rein funktionelle
Gebilde, die sich durchaus frei verschieben.
Beim Menschen zeigen Röntgenbilder, dass nach Atropin das Colon
transversum sich ändert, in dem der Tonus der Taenie nachlässt., bei
Pliocarpin schneiden die Haustra tief ein (spastische Kontraktion).
Alle diese Dinge können am Darm sponton bisweilen auftreten, doch
lassen sie sich konstant durch die genannten Pharmaka erzeugen. Man
darf vielleicht annehroen, dass in dem betreffenden Nervensysteme zu
analogisierende Reize kursieren. Atropin sprengt oft den toxischen Ver¬
schluss der Valvula Baubinii, so dass Wismutbrei in den Dünndarm ein¬
läuft. Adrenalin lässt die haustrale Konfiguration verstreichen. In einem
Falle spastischer Obstipation wurde die Stuhlbewegung durch Pliocarpin
im Gegensatz zu Atropin beschleunigt, obwohl sich die spastische
Komponente vermehrte.
Zu einer Analyse der Obstipation liegt bisher kein genügendes
Material vor. Nach den Erfahrungen am Bauchfenster werden alle Be¬
wegungstypen synchron vermehrt oder alle gleichzeitig vermindert.
2. Hr. M. Senator:
Weiteres über ätiologische Beziehungen zwischen Rbeunatosen and
nasal Erkrankungen.
Vortr. hatte früher darauf hingewiesen, dass als Eingangspforte für
die Gelenkrheumatismusinfektion Nase und Nasenrachenraum in Frage
kommt. Die sogenannten Rheumatosen, Erytheme, Peliosis, Chorea rainor
beruhen ebenfalls auf Infektionen, für welche ebenfalls als Eingangs¬
pforte die nasalen Luftwege io Betracht kommen.
Als Beispiel führt er ein lOjähriges Mädchen an, bei dem am dritten
Tage nach der Entfernung der adenoiden Vegetationen eine Chorea minor
eintrat. Vortr. lehnt einen Zufall ab.
Die Operation der Rachenmandel ist nicht so harmlos, wie man
manchmal denkt. Es treten doch öfter Infektionen auf, die allerdings
meist leichter Natur sind.
Vortr. erwähnt noch einen zweiten analogen, von anderer Seite be¬
obachteten Fall. H. H.
Gynäkologische Gesellschaft za Berlin.
Sitzung vom 14. März 1913.
Hr. Scbäffer:
Statistische Beiträge znn Geburtenrückgang in Deutschland.
Er legt seinem Bericht sein poliklinisches Material zugrunde, das
er für sehr brauchbar hält, da es gleichmässig ist. Io den letzten
16 Jahren finden sich 7300 verwertbare Fälle, welche geeignet sind, als
Material zu dienen. In den Journalen sind verzeichnet und zu berück¬
sichtigen: Das Lebensalter, ob verheiratet oder nicht, die Zahl der Ge¬
burten, die Zahl der lebenden Kinder, die Zahl der Aborte. Er teilt
das Material in zwei Serien vom Jahre 1897 bis zum Jahre 1904, und
von 1905 bis 1912. Aus der Gruppierung lassen sich nun allerlei Rück¬
schlüsse machen, wobei allerdings zu bedenken ist, dass es sich um
Krankenmaterial handelt. Das fällt aber nicht so sehr ins Gewicht, weil
es ja nur anamnestisch betrachtet wird. Auf 100 Fälle der Gesamtzahl
kamen 198 Geburten bei Unverheirateten, 265 bei Verheirateten, d. h.
31 bzw. 35pCt. Beim Vergleich beider Serien kommen auf 100 Fälle
der ersten Serie 284, auf 100 Fälle der zweiten Serie 245 Geburten,
d. i. 100:86. Für die Unverheirateten ist ein Zuwachs von 100 auf
106 zu konstatieren. Dieselben Zahlen weist auch die Reicbsstatistik
auf. Teilt man die Geburten in 10 verschiedene Kolumnen nach den
Lebensaltern ein, so ergibt sich eine stetige gleiohmässige Abnahme für
alle Lebensalter. Bei jüngeren Personen ist der Rückgang noch auf¬
fallender, woraus zu schliessen ist, dass die Abnahme noch weitergehen
wird. Die Zahl derer, die 0 und 2 Geburten haben, hat zugenommen.
Das beweist, dass das Vielkinderbekomraen abnimmt, und dass diese
Abnahme eine künstlich gemachte ist. Dagegen glaubt Vortr. nicht,
dass die Aborte, wie immer gesagt wird, zugenommen haben. Er hält
diese Behauptung für eine Verkennung der Zahlen. Zugenommen bat
nur die Zahl der in Behandlung kommenden Aborte, was an der Zu¬
nahme der Heilanstalten liegt, die sich um das 7 fache vermehrt haben,
und am Krankenversicherungsgesetz. Die Fälle, in denen ein Arzt zu¬
gezogen wird, haben sich um mehrere Millionen vermehrt, und so maoht
es den Eindruck, als ob die absolute Zunahme der Aborte eine grössere
ist, als dies tatsächlich der Fall ist. Bei Vergleich mit den Geburten
zeigt sich, dass die Zahl proportional der Zahl der Geburten steigt,
woraus zu schliessen ist, dass dies wesentlich auf Abtreibung zurück-
zufübren ist. Er schliesst ferner aus seinen Zahlen, dass nicht die
Conceptionsfähigkeit abgenommen, sondern dass die Gonceptionsunlust
zugenommen hat. So findet man denn auch eine gewaltige Zunahme
der Conceptionsverhütungsmittel. Eine rationelle Therapie muss also
darauf eingehen und die Aufzucht der Nachkommenschaft erleichtern.
Diskussion.
Hr. E. Martin bestätigt die Angaben des Vorredners aus seinen
Erfahrungen, die er bei der poliklinischen Tätigkeit gemacht hat, und
gibt eine statistische Uebersicht über die Einnahmen und Ausgaben des
Durchschnittsarbeiters, woraus hervorgeht, dass der Durchschnitt der
Bevölkerung im Norden Berlins etwa 100 Mark mehr ausgibt, als Ein¬
nahmen vorhanden sind, so ist es denn klar, dass für die Kinder¬
erziehung nichts übrig ist.
Hr. Heymann hat seine Statistik von den letzten 10 Jahren durch¬
gesehen und kam bei 2300 Fällen ebenfalls zu dem Resultat, dass die
Conception zurückgegangen ist.
Hr. Gottschalk meint, dass hier noch viele andere Faktoren mit¬
sprächen, besonders die Frauenbewegung und die enorme Zunahme der
Gonorrhöe.
Hr. Strassmann legt Wert $uf den Willen zur Beschränkung der
Kinderzahl. Das ist nur zu bessern durch Erleichterung der Steuern
und eine vernünftige Bodenreform.
Hr. Bumm hält für die Hauptsache die allgemeine Tendenz, die
in einem Sinken der Moral ihren Ausdruck findet. Der Mangel an
Achtung vor der Heiligkeit der Ehe ist eine geistige Epidemie, die nur
mit den Mitteln der Religion zu bekämpfen ist.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
699
Hr. Nagel fragt, ob es denn sich nachweisen Hesse, dass der Zustand
in katholischen Ländern besser wäre.
Hr. Schaffer will auf das sozialpolitische Problem nicht Angehen,
da dies vollständig in der Arbeit von Pistor und Dietrich enthalten
sei. Am umfassendsten spricht sich Born träger darüber aus. Von
ethischem Gesichtspunkte aus die Sache zu betrachten, hält er nicht für
angezeigt. Man kann mit demselben Recht sagen, dass es auch eine
ethische Forderung wäre, die Zahl der Kinder einzuschränken, damit sie
besser erzogen werden können und die Familie nicht durch die Kinder¬
zahl verarmt. Ob die Religion von Einfluss ist, ist schwer zu sagen,
da auch die Rasse mitsprioht. Tatsache ist, dass gerade in rein katho¬
lischen Ländern, wie Frankreich, Spanien, Italien der Geburtenrückgang
ein ganz auffallender ist. Dagegen spricht die angeborene Sterilität gar
nicht mit. Siefart.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom Sl. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Neisser.
Schriftführer: Herr Minkowski.
Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Foerster.
Hr. Tietze: M. H.! Der Gedanke, den Herr Foerster in seinem
Vortrage ausgesprochen und in interessanterWeise entwickelt hat, näm¬
lich, dass ein Teil der bei spastischen Lähmungen beobachteten Kon¬
trakturen auf atavistische Rückschläge zu beziehen und durch diese zu
erklären sei, lässt sich, wie es scheint, noch auf ein anderes Gebiet
übertragen, nämUch auf dasjenige der bei manchen chronischen Gelenk¬
erkrankungen zu beobachtenden Verkrümmungen. Ich möchte Ihnen,
m. H., über eine Reihe gemeinsam mit Herrn Foerster bei ver¬
schiedenen Formen von Gelenkkrankheiten angestellter Beobachtungen
beriohten, die allerdings mit grosser Reserve mitgeteilt werden müssen,
da es sich vorläufig nur um Hypothesen handelt. Immerhin ist das
Material dooh so weit durebgearbeitet, dass es erlaubt erscheint, in der
Diskussion davon Gebrauch zu machen. M. H.! Dass bestimmte Gelenk¬
erkrankungen ganz bestimmte und typische Kontrakturen zur Folge
haben, ist eine sehr geläufige Tatsache. Das einfachste Beispiel ist das
der tuberkulösen Coxitis. Hierbei liegen nun allerdings die Verhältnisse
sehr kompliziert. Schmerz, Eiterung, Destruktion des Gelenkes beein¬
flussen das Bild derartig, dass man gut daran tut, zum Studium und
zur Erklärung dieser Vorgänge einfachere Verhältnisse zu wählen. Wir
gingen von jenen Erkrankungen aus, die allerdings mit einem sohlecht ge¬
wählten und nichts sagenden Namen als chronischer Gelenkrheumatismus
bezeichnet werden, die auch unter dem Namen der Arthritis pauperum
geben und sich im wesentlichen als ein atrophischer Prozess an den
Gelenkenden mit mässiger Verdickung der Kapsel, hochgradiger Atrophie
der Muskulatur darstellen. Zu der deformierenden Arthritis (Arthritis
hypertrophicans nach Jacobsohn) stehen sie in einem scharf aus¬
geprägten anatomischen Gegensatz. Durch die Liebenswürdigkeit von
weil. Geheimrat Jacobi und des Herrn C. S. Freund habe ich Gelegenheit
gehabt, viele Fälle dieser Art am Claassen’schen Siechenhaus zu beob¬
achten und mehrere auch anatomisch zu untersuchen. Bei dieser Er¬
krankung, die an grossen und kleinen Gelenken, namentlich auch Hand
und Fingern auftritt, beobachtet man nun höchst eigentümliche Kon¬
trakturen, die schon lange die Aufmerksamkeit der Forscher auf
sich gezogen haben und auch lebhaft beschäftigten. Ursprünglich
glaubte ich die Erklärung in bestimmten Abschleifungen der Gelenk¬
enden oder in desmogenen oder myogenen Kontrakturen suchen zu
müssen, aber die anatomische Präparation ergab dafür keinen Anhalt.
Als ich diese Formen dann Herrn Foerster zeigte, machte er mich auf
die Aehnlichkeit dieser Vorstellungen mit bestimmten Formen der
spastischen Lähmungen aufmerksam. Und in der Tat ist diese Aehn¬
lichkeit eine ganz auffallende und weitgehende (Redner demon¬
striert eine ganze Anzahl von Lichtbildern). Als einen Haupttypus
hat man zu betrachten die Abduktionsstellung von Zehen und Fingern,
aber auch an den Fingern eigentümliche Kombinationen zwischen Hyper¬
extension und Flexion: Grund- und Mittelphalanx hyperextendiert,
Nagelphalanx gebeugt — eine ganz typische Form der Fingerbewegung
beim Little und von mir auch bei einem normalen Individuum beob¬
achtet. Diese Stellung der Glieder bei gewissen chronischen Gelenk¬
erkrankungen ist nach meinen bisherigen Untersuchungen rein funktio¬
nell, und es liegt also die Tatsache vor, dass durch den vom Gelenk aus
wie auch immer gesetzten Reiz ganz bestimmte Muskelkombinationen
in Szene gesetzt werden, die denen bei spastischen Lähmungen sehr
ähnlich sehen. Früheren Autoren ist das natürlich nicht entgangen, es
wurden zur Erklärung gesetzmässiges Auftreten von Muskelatrophien
herangezogen. Das Interessanteste der von Herrn Foerster auch auf
die Gelenkkontrakturen übertragenen Theorie scheint mir eben zu sein,
dass er für diese. Gesetzmässigkeit nach einer Hypothese sucht. Wie
weit dieselbe sich als stichhaltig erweisen wird, ist abzuwarten. Die
Tatsachen als solche glaubte ich hier schon festlegen zu dürfen.
Hr. Ludwig Mann: Die Ausführungen des Herrn Foerster und
die von ihm vorgefübrte Bilderreihe haben mich nicht vollkommen von
der Richtigkeit .seiner Hypothese überzeugen können, so geistreich die¬
selbe auch ersonnen und durchgeführt ist. Es scheint mir zur Er¬
klärung der spastischen Lähmungen und Kontrakturen nicht notwendig,
auf einen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzugehen; dieselben er¬
scheinen mir vielmehr aus dem Bewegungsmechanisrius, wie wir ihn
heim Menschen vor uns sehen, erklärbar. Bekanntlich beschränkt sich
die Lähmung bei allen Läsionen der Pyramidenbahn auf ganz be¬
stimmte Muskelgruppen, während andere Muskelgruppen relativ intakt
bleiben. Ich habe zuerst im Jahre 1895 im Anschluss an eine Beob¬
achtung meines Lehrers Wernicke diesen Lähmungstypus studiert und
habe darauf aufmerksam gemacht, dass einerseits die gelähmten, anderer¬
seits die intakten Muskelgruppen bestimmte funktionell zusammen¬
gehörige Bewegungskomplexe darstellen, und dass speziell beim Gange
diejenigen Muskeln gelähmt sind, welche in dem Zeitabschnitt, zu
welchem das Bein vorwärts schwingt, dasselbe „verkürzen“, während
diejenigen intakt bleiben, welche dasselbe beim Aufsetzen vom Boden
abstossen, also die Extremität „verlängern“. Dieser Wechsel von Ver¬
kürzung und Verlängerung liegt im Grunde genommen in verschiedenen
Modifikationen allen lokomotorischen Funktionen unserer Extremitäten
zugrunde. Die typischen hemiplegischen Lähmungen und ebenso die
Spasmen kommen nun dadurch zustande, dass der eine Teil der Musku¬
latur ausfällt, der andere Teil erhalten bleibt und dieser dadurch das
Uebergewicht erhält. Es resultiert daher eine fehlerhafte, unzweck¬
mässige Haltung und Bewegung, gewissermaassen ein Zerrbild der
normalen menschlichen Bewegung, aber meiner Ansicht nach nicht
ein Rückschlag in eine frühere Bewegungsform.
Die von Herrn Foerster besonders hervorgehobene Supination des
Fusses kann meiner Ansicht nach dadurch erklärt werden, worauf ich
schon früher hingewiesen habe, dass der M. tibialis anticus von dem
gesamten, der Dorsalflexion dienenden Muskelkomplex der am leichtesten
erregbare ist und infolgedessen relativ am besten erhalten bleibt.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse an der oberen Extremität; ich
kann jedoch auf die Einzelheiten hier nicht eingehen.
• « Zu den Bildern von Herrn Foerster möohte ich ferner bemerken,
dass die gezeigte Beugekontrakturstellung durchaus nicht die Regel bei
den spastischen Lähmungen bildet, dass vielmehr am Bein, jedenfalls
bei den Lähmungen der Erwachsenen die Streckkontraktur das durchaus
regelmässige und typische ist. Die Beugekontrakturen kommen gerade
bei den infantilen Lähmungen häufig vor; überhaupt finden sich hier
viel mehr Abweichungen von dem regelrechten Typus, und dies ist
meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass beim Kinde noch nicht
die festen, funktionell zusammengelügten Muskelsynergien bestehen,
welche der Erwachsene bei der Erlernung seiner zweckmässigen Bewe¬
gungen allmählich erworben hat. Infolgedessen treten bei der infantilen
Hemiplegie viel wechselndere Bilder auf, als bei den Lähmungen der
Erwachsenen.
Es scheint mir schon aus diesem Grunde nicht angängig, wie Herr
Foerster will, alle spastischen Lähmungsformen, ganz gleich von
welcher Art und welcher Lbkalisation die Läsion der Pyramidenbabn
sei, auf seinen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzuführen.
Was nun die interessante Mitteilung des Herrn Tietze anbetrifft,
so scheinen mir die von ihm angeführten Beobachtungen durchaus nicht
in das in Rede stehende Gebiet zu gehören. Es handelt sich hier
offenbar um Muskelatrophien im Zusammenhang mit Gelenkleiden, soge¬
nannte arthropatbische Muskelatrophien, und es ist schon seit langem
bekannt und experimentell nachgewiesen (Charcot, Vulpian), dass
diese Muskelatrophien neurogenen Ursprungs sind, und dass sie erzeugt
werden durch Reizung des sensiblen Anteils des durch die Vorderhörner
hindurebgehenden spinalen Reflexbogens. Dass von diesen Atrophien
ganz bestimmte Muskeln überwiegend betroffen werden, und dass da¬
durch typische Kontrakturstellungen zustande kommen, scheint mir recht
bemerkenswert, und es entspricht der auch sonst in der Nervenpathologie
zu beobachtenden Tatsache, dass bestimmte Anteile eines nervösen
Apparates einer gewissen Schädlichkeit gegenüber vulnerabler sind als
andere. Die Aehnlichkeit mit der Extremitätenhaltung der kletternden
Affen scheint mir jedoch nicht charakteristisch genug, um danach diese
Muskelatrophien auf eine Unterdrückung des Pyramidenbahneinflusses
und Rückfall in die „Grundkomponenten des Klettertypus“ erklären zu
können.
Hr. Goerke: Den interessanten Ausführungen des Herrn Vor¬
tragenden kommt nicht bloss eine speziell-neurologische oder chirurgische
Bedeutung zu, sondern auch eine viel weitergehende allgemein-patho¬
logische. Sie geben eine vorzügliche Illustration zu der schon mehrfach
erörterten, aber vielleicht doch noch zu wenig bekannten Erscheinung,
dass phylogenetisch jüngere Organe viel leichter erkranken, toxischen
und infektiösen Einwirkungen gegenüber viel weniger widerstandsfähig
sind als phylogenetisch ältere Organe. Ein prägnantes Beispiel hierfür
bietet uns das Ohrlabyrinth, ln diesem ist die Schnecke phylogenetisch
wesentlich jünger als die Pars superior (Utriculus mit Bogengängen).
Während sie bei den Fischen einen unbedeutenden Appendix des
Saoculus, die sogenannte Lagena bildet, zeigt sie eine immer weiter
fortschreitende Entwicklung, je höher man in der Wirbeltierklasse empor¬
steigt; erst bei den Reptilien lässt sie eine deutliche Spiraldrehung
sowie die Ausbildung einer Papilla acustica erkennen, während das
Corti’sche Organ erst bei den Säugern seine höchste vollendete Diffe¬
renzierung aufweist. Demgegenüber hat die Pars superior bei der höchst
entwickelten Klasse der Wirbeltiere den Höhepunkt ihrer Ausbildung
bereits überschritten, ist dagegen in den niederen Wirbeltierklassen
mächtig entwickelt.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Die Pars inferior (Schnecke) ist nun unleugbar weniger widerstands¬
fähig als die Pars superior. Bei den meisten toxischen und infektiösen
Erkrankungen ist* es die Schnecke, die vorwiegend oder auch isoliert
erkrankt, während die Pars superior labyrinthi intakt oder nahezu un¬
berührt bleibt; ich erinnere an die Erkrankungen durch bestimmte Gifte
(Chinin, Salicyl), an die toxischen Erkrankungen des Labyrinths bei
Tuberkulose, Typbus usw. Auch Entwicklungsstörungen treffen die
Schnecke viel eher und viel intensiver als Vorhof und Bogengänge; was
ohne weiteres sich aus der Tatsache erklärt, dass erstere auch onto-
genetisch das jüngere Gebilde darstellt.
Die vom Herrn Vortragenden beigebrachten Tatsachen bilden einen
weiteren Beleg für die Annahme, dass phylogenetisch jüngere Organe
vulnerabler sind als phylogenetisch ältere, die gewissermaassen schon
zum eisernen festen Besitztum des Organismus geworden ist. Ueberhaupt
ist meines Erachtens diese Betrachtungsweise geeignet, dem Pathologen
manche Erscheinung (Disposition bestimmter Organe, Systemerkrankungen
usw.) auf ansprechende Art zu erklären.
Hr. Foerster (Schlusswort): Ich habe ja in meinem Vortrag aus¬
drücklich hervorgehoben, dass durch die hier herangezogenen phylo¬
genetischen Gesichtspunkte keineswegs sämtliche Erscheinungen
der spastischen Lähmung erklärt werden können oder sollen. Das
paretische Moment, die Reflexsteigerung, die Spastizität der Muskeln im
allgemeinen bedürfen alle dieser Gesichtspunkte nicht. Insoweit richten
sich also die Ausführungen, die Herr Mann soeben gebracht hat, gegen
Dinge, die von mir gar nicht behauptet worden sind. Ich habe ja auch
ausdrücklich hervorgehoben, dass keineswegs alle Kontrakturstellungen
bei den spastischen Lähmungen ohne weiteres von diesen Gesichts¬
punkten erklärt werden sollen. Für einen Teil der Kontrakturstellungen,
besonders am hemiplegischen Bein der Erwachsenen ist sicher einfach
die passive Lagerung der Schwere entsprechend maassgebend, sodann
kommt für die Kontrakturstellung in Frage die Verteilung der willkür¬
lichen Lähmung. Es sind das ja Dinge, auf die ich so und so oft schon
ausführlich hingewiesen habe. Das Gros der Kontrakturstellungen kann
aber durch diese Momente nicht erklärt werden, so die Beugekontraktur
der Beine und die Supinationsstellung des Fusses in Fällen von schwerer
spastischer Paraplegie mit totaler willkürlicher Lähmung der Beine, in
allen Fällen von Diplegie, von infantiler Hemiplegie, die Kontraktur¬
stellung des Armes in Beugung, die Pronation der Hand und Flexion
der Finger, die ebenfalls bei totaler willkürlicher Lähmung vorkommt.
Um diese Dinge kann Herr Mann doch einmal nicht herumkommen.
Natürlich muss die Stellung der Kontraktur von Fall zu Fall vaiiieren,
weil ja eben verschiedene Faktoren nebeneinander und zum Teil gegen¬
einander wirken.
Wenn aber Herr Mann meint, dass der von mir geschilderte Typus
nicht der Regel entspräche, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Typus
sich sogar in jedem Fall zum mindesten angedeutet findet und nur
mehr oder weniger stark hervortritt, je nachdem auf die definitive Aus¬
gestaltung der Kontraktur verschiedene Faktoren Zusammenwirken. So
befindet sich selbst am hemiplegischen Bein des Erwachsenen, das die
einzige Ausnahme darstellt, die Herr Mann anbringt, in der Mehrzahl
der Fälle die grosse Zehe in Dorsalflexion, der Fuss in Supination, das
Knie zeigt in einer grossen Anzahl von Fällen auch eine leichte Flexions¬
stellung, die etwas grösser ist, als es der normalen Ruhelage entspricht,
worauf alle Autoren, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben,
bereits hingewiesen haben. An der oberen Extremität kommt in der
Tat Extensionsstellung des Handgelenks manchmal vor, das ist aber bei
weitem seltener als die Flexionsstellung. Vor allen Dingen aber sind
die von mir genau bezeichneten typischen Bewegungen und Reflex¬
synergien nicht, wie Herr Mann will, aus dem normalen Bewegungs-
Vorgänge des Menschen zu erklären. Wenn Herr Mann darauf
hinweist, dass die synchrone Beugung von Hüfte und Knie und Fuss
und umgekehrt Streckung von Hüfte, Knie und Fuss bereits die
Grundkomponenten des menschlichen Ganges darstellen, so ist
dagegen nichts einzuwenden, und wenn unser Erklärungsbedürfnis mit
dem Fusse aufhören dürfte, soweit es sich einfach um Dorsal- und
Plantarflexion handelt, so hätte Herr Mann recht. Aber welcher normale
Mensch setzt denn seinen Fuss in Supination auf den Boden und krallt
seine Zehen beim Aufsetzen in den Boden ein? Dies ist derartig un¬
zweckmässig und schmerzhaft, dass es für viele Spastiker ein reguläres
Crux darstellt. Noch ein anderes Beispiel dafür, wie unrichtig die Be¬
hauptung von Herrn Mann ist. Beim normalen Gange schwingt mit
dem rechten Bein gleichzeitig der linke Arm nach vorn, wenn ein
Kranker mit rechtsseitiger Hemiplegie sein rechtes Bein beim Gange
hocbzieht, so flektiert er dabei auch seinen rechten Arm, und Fälle von
spastischer Diplegie beugen sogar alle vier Extremitäten synchron, wie
ich dies in zahlreichen Bildern demonstriert hatte. An der oberen Ex¬
tremität hatte ich besonders auf die Unzweckmässigkeit der Pronations¬
bewegung am hemiplegischen Arm hingewiesen, die so viele Verrichtungen
durchkreuzt und unmöglich macht. Gerade also das Gegenteil von dem,
was Herr Mann sagt, ist der Fall. Die ßewegungssynergien bei spasti¬
schen Lähmungen können nicht aus den normalen Bewegungsvorgängen
erklärt werden. Dagegen ähnelt sie den Kletterbewegungen der Affen
in bezug auf die Grundkomponenten in einer ganz auffallenden Weise.
Das ist unabstreitbar. Es braucht ja niemand den von mir heran¬
gezogenen Gesichtspunkt zu acceptieren, aber jedenfalls ist das sicher,
dass bisher niemand eine bessere Erklärung gegeben hat. Die von Herrn
Mann gegebene ist absolut unzureichend.
Hr. Ephraim:
Beiträge zur endoskopischen Diagnose and Therapie endothoraeiseher
Tumoren.
(Der Vortrag ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.)
Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Klaatseh: Die Einwirkung
der aufrechten Körperhaltung und ihre Folgen für den menschlichen
Organismus.
Hr. Asch: In seinen ausserordentlich interessanten Ausführungen
über die Folgen des aufrechten Ganges beim Menschen hat Herr
Klaatseh schon eines pathologischen Vorkommnisses Erwähnung getan,
das nur beim Menschen vorkommt und Vorkommen könne: der Hernien.
Ich möchte hier noch auf einige andere Erkrankungsformen hinweisen,
die lediglich Folge der aufrechten Haltung sind und den Kliniker im
allgemeinen, den Frauenarzt ganz besonders interessieren müssen, die
mich seit langen Jahren beschäftigen und über die ich in Aerztekursen
und bei ähnlichen Gelegenheiten oft gesprochen habe.
Vergegenwärtigt man sich, dass beim vierfüssig laufenden, höheren
Wirbeltier das Beckenende meist den höchsten Punkt des Rumpfes dar¬
stellt, mindestens viel höher als das Herz gelegen ist, so kann man
leicht begreifen, dass die vom Becken zum Kreislaufcentrum führenden
Venen die Klappen leicht entbehren können. Es bedarf für den gleicb-
mässigen Blutabfluss hier keiner Rückstauventile. Anders beim Menschen:
Hier macht sich der Mangel solcher Stützpunkte für die Blutsäule er¬
heblich bemerkbar. Zwei Drittel der Lebenszeit muss das Blut in den
grossen Venen, die es von den Beckenorganen zum Herzen führen, zu¬
meist fast senkrecht gepumpt werden und damit ist die Anlage zur
Ausbildung von Hämorrhoidalknoten, Venenerweiterungen in den Genital¬
plexus, Varicocelen gegeben. Wir haben oft Gelegenheit, solche Varico-
celen auch an den inneren Beckenorganen, in den Ligamentis latis als
Krankheitserscheinungen zu beobachten, die erhebliche Störungen ver¬
ursachen. Jede weitere Stauung im Abdomen, der schwangere Uterus,
Tumoren usw. erhöhen diese ätiologischen Momente, deren hauptsäch¬
lichstes aber eben in der physikalisch ungünstigen Anordnung liegt.
Den Mangel der Klappen tragen wir als altes Erbstück aus einer Zeit,
wo es noch kein Mangel war, von Vorfahren, die die Klappen hier noch
nicht brauchten; an einen Ausgleich durch Variation und Auslese im
Kampf ums Dasein ist noch nicht zu denken.
Am meisten leidet die schwangere und gebärende Frau unter der
aufrechten Haltung.
Schon unter den Vorläufern der Säuger, bei den Beuteltieren, ver¬
sucht eins der jetzt noch lebenden, das Känguruh, mit Erfolg die auf¬
rechte Haltung; stark entwickelte hintere Extremitäten bilden den
Gegensatz zu den zierlichen, fast zum Handgebrauch freigewordenen
vorderen. In der mehr sitzenden als stehenden Stellung kann es seinen
Schwanz, stark entwickelt, zur Stütze gebrauchen; seine Genitalien leiden
unter der senkrechten Anordnung wenig, weil es seine Jungen in so
frühem Stadium der Entwicklung legt, dass eine Schwierigkeit beim Ge¬
bärakt kaum eintreten kann. Anders beim Menscbenweibchen: Die
aufrechte Haltung erfordert hier eine Verwendung der Reste der Schwanz¬
muskulatur als Stütze der sonst dem Herabsinken ausgesetzten
Genitalien. Schatz hat das einmal in geistreicher Weise erwähnt:
„Die Menschen mussten ihren Schwanz gehörig einkneifen, um ihre
Scheide und Gebärmutter am Herausfallen zu hindern. 0
Aber auch das höhere Säugetier leidet nicht an den Folgen des
Geburtsvorganges und der Geburtsverletzungen. Einerseits ist das Ver¬
hältnis der Jungen zum Muttertier, zu dessen Becken und Weichteilen
noch ein viel günstigeres als beim Menschen; wird das Kalb noch leicht
mit beiden Vorderbeinen neben dem Kopf geboren, so ist der Schädel
des vollentwickelten Menschenkindes schon bei der Geburt so gross,
dass er knapp das Becken passieren kann, dass Weichteilzerreissungen
zu den häufigen Erscheinungen gehören und die Grenze des physio¬
logischen vom pathologischen Vorgang hier schon verwischt ist. Aber
auch wenn der Damm, die Stützmuskulatur beim vierfüssigen Säugetier,
zerrisse, die Folgen wären keine besonders schweren.
Anders beim aufrechten Homo sapiens; der nun fehlende Stütz¬
apparat lässt die Scheide herabsinken, die Gebärmutter ihre Lage ver¬
ändern, ein Vorfall ist die Folge, die eine Menge anderer Krankheits¬
erscheinungen nach sich zieht, Cystocelenbildung, Rectocele u. a. m.
Sehen wir doch von der veränderten Beckenstellung bei nicht genügen¬
der Neigung, einem infantilen oder besser atavistischen Zustande, Pro¬
lapse der Genitalien auch bei Nulliparen, ja bei Virgines auftreten,
selbstverständlich nur möglich durch den aufrechten Gang.
Auch an den höherliegenden Organen, den Bauoheingeweiden, macht
sich dieser Mangel, den wir mit den Vorteilen der aufreohten Haltung
in Kauf nehmen müssen, bemerkbar.
Mögen die Bauchdeoken eines Vierfüssers durch wiederholte
Schwangerschaften noch so gedehnt, die Organe durch den mangeln¬
den Halt an diesen oder durch Schwund der Fettpolsterung noch so
beweglich geworden sein, immer finden sie an der oberen Begrenzung,
dem festen Zwerchfell mit seinem starken Widerhalt am Thorax und
dessen Inhalt ihre Stütze.
Sind aber die an sich nicht allzustark entwickelten Bauchwand-
rauskeln durch häufig oder schnell sich folgende Schwangerschaften bei
der Frau gedehnt, auseinandergewichen, so vermögen sie den Bauch-
eingeweiden nicht mehr genügenden Halt zu gewähren. Die Saugkraft
der capillären Peritonealräume, die Dupplikaturen des Bauchfells selbst
und die Bandapparate sind nioht mehr imstande, der Schwere der
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Organe genügend entgegenzuwirken, und wir sehen das Bild der Entero-
ptose sieh entwickeln, ein rein „menschliches“ Elend. Störungen in der
Funktion der Organe, zum mindesten heftige Beschwerden durch die
Zerrung sind die unliebsamen Folgen. Beim höheren Kulturweib sind
nicht einmal Schwangerschaften notwendig, um diesen Symptomenkoraplex
in Fällen schwach entwickelter oder vernachlässigter Bauchmuskulatur
hervortreten zu lassen.
Auch an die übrige Rumpfmuskulatur stellt die aufrechte Haltung
erhöhte Ansprüche, die bei schwächeren Individuen nicht erfüllt werden.
Heftige Kreuz* und Rückenschmerzen, wie sie bei jungen oder ge¬
schwächten Individuen so häufig Vorkommen, sind oft nichts als der
Ausdruck dauernder Uebermüdung der überanstrengten Muskelgruppen,
die den Oberkörper in seiner Balancelage zu unterstützen gezwungen sind.
Ganz besonders treten diese Beschwerden in den Vordergrund, wenn
nach überstandenen Erkrankungen der Wirbelkörper Verkrümmungen
oder Verbiegungen der Wirbelsäule das Balanzieren des aufrecht zu er¬
haltenden Oberkörpers einzelnen, einseitigen Muskelgruppen zufällt.
Ich bin überzeugt, dass manches von dem, was ich hier in aller
Kürze vorgebracht habe, den Aerzten schon vielfach aufgefallen ist; es
hat aber meiner Meinung nach bisher zu wenig Beachtung gefunden;
es ist nicht nur von erheblichem, theoretischem Interesse im Sinne des
von Herrn Klaatsch hier erörterten Themas, sondern dürfte auch in
bezug auf die klinischen Erscheinungen, deren Deutung und Behandlung
nicht unterschätzt werden.
Die Aufmerksamkeit der Kollegen mehr, als es bisher der Fall war,
auf diese Verhältnisse zu lenken, durch sie zur Aufklärung der unter
diesen Bedingungen Leidenden beizutragen, war der Grund zu meinen
Bemerkungen.
Breslauer psychiatrisch-neurologische Vereinigung.
Sitzung vom 17. Februar 1913.
Hr. Alzheimer demonstriert 1 . eigenartige metasyphilitisehe Er¬
krankung.
32 jähriger Kaufmann, vor 14 Jahren luetisch infiziert. Seit 1908
gastrische Krisen. Aus diesem Anlass allmählich Morphinist in mässigen
Grenzen. Auffallend rascher sozialer Verfall. 1908 in der Klinik behufs
Morphiumentziehung. Damals entrundete, differente, träge reagierende
Pupillen, leichte Facialisdifferenz, Flattern der Gesichtsmuskeln, schlaffe
Gelenke bei lebhaften Sehnenreflexen an den Beinen, etwas unsichere
Sprache. Wassermann: Blut +, Liquor —, Lymphocytose ziemlich stark,
Eiweissvennehrung. Psychisch wehleidig, schlaff, indolent, ohne Initiative
für die Zukunft. In Anbetracht des nur mässigen Morphiumgebrauchs
wurde die Wahrscheinlichkeitsdiagnoso auf beginnende Paralyse gestellt.
Letzte Aufnahme November 1912: Morphiumgebrauch jetzt unbedeutend,
dennoch keine Aenderung des psychischen Verhaltens bei ebenfalls
stationärem organischen Befund. Hat nur wenig und unzureichend ge¬
arbeitet. Intellektuell sind im übrigen irgendwie gröbere Defekte nicht
nachweisbar. Das Gedächtnis und die Merkfähigkeit verhalten sich
normal. Da keine Progredienz der Erkrankung innerhalb der zwei¬
jährigen Beobachtungszeit zu konstatieren ist, verliert die Diagnose der
Paralyse ganz an Wahrscheinlichkeit.
Vortr. vermutet, auch im Hinblick auf frühere Erfahrungen, dass
es sich hierbei um eine Kombination metasypbilitischer Erkrankung des
Rückenmarks mit einer eigenartigen psychischen Schwäche nichtparaly¬
tischer Art bandelt.
Diskussion.
Hr. Förster betont, dass gastrische Krisen lange Zeit ohne sonst
sehr ausgeprägte tabische Symptome bestehen können, hat auch gelegent¬
lich Fälle dieser Art mit psychischer Abschwächung gesehen, die nach¬
her wieder besser wurden.
Er stellt die Frage, ob Hirnpunktion nicht in solchen Fällen als
diagnostisches Hilfsmittel heranzuziehen wäre.
Hr. Alzheimer lehnt Hirnpunktion zu lediglich diagnostischem
Zweck ab in Hinblick auf damit verbundene Gefahren. Sie kann nur
empfohlen werden, wo therapeutische Eingriffe durch das Punktions¬
ergebnis ermöglicht würden.
Hr. Förster hält gerade nur in Fällen von Hirntumor die Hirn¬
punktion für gefährlich, bei allen anderen Hirnkrankheiten für ganz un¬
bedenklich.
Hr. Alzheimer erwähnt einen Fall von Verblutung nach Hirn¬
punktion, die aus differentialdiagnostischen Gründen ausgeführt war
(Epilepsie? Tumor?). Die Obduktion ergab dabei keinen Tumor.
Hr. Stöcker erwähnt die Gefahren der Punktion bei Hydrocephalus
durch spätere Infektion von Liquorfisteln.
Hr. Aliheimer: 2. Residuäre H&llucinose.
48jährige Frau, die nach einem längeren depressiven Vorstadium
im Jahre 1911 eine mehrmonatige akute Psychose mit starker Angst,
entsprechenden Sinnestäuschungen optischer und akustischer Art, Eigen¬
beziehungen, zeitweisen Muskelspannungen und Mutacismus durch¬
gemacht hat. Nach Abklingen der akuten Symptome blieben als Dauer¬
erscheinung massenhafte Phoneme bestehen bei Krankheitseinsicht und
soost ganz normalem Verhalten. Patientin sorgt für ihre fünf Kinder
sehr ordentlich. Die Stimmen begleiten ständig ihr Denken und Handeln.
Es seien nicht eigene Gedanken, die laut werden. Sie registrieren,
kritisieren im wohlwollenden und ungünstigen Sinne, gehen die Ver¬
gangenheit durch („allwissende Stimmen“). Auch Phoneme imperativer
Form, aber ohne zwingenden Charakter, keine Eigenbeziehungen, keine
Verfolgungsideen, keine Systematisierung, keine Projektion, keine Er¬
klärungsideen. Etwas weitschweifig und labil im Affekt, sehr unglück¬
lich über die Stimmen. Nicht zerfahren. Im motorischen Verhalten
nichts Auffallendes. Es handelt sich mithin um eine reine Gehörs-
hallucinose, die Vortr. auch in anderen Fällen als Residuärsymptom von
akuten Psychosen beobachtet hat. Die Unterbringung in eine der üb¬
lichen Gruppen, speziell in die Dementia praecox bietet bei diesen
Fällen und namentlich auch dem vorliegenden erhebliche Schwierig¬
keiten.
3. Zur Frage der Spätepilepsie demonstriert Vortr. eine 44jährige
Frau, welche, nach unglücklichen Familienverhältnissen geschieden, vor
einem Jahr den ersten epileptischen Krampfanfall bekam. Später häufige
Anfälle mit Zungenbiss und Urinverlust, manchmal täglich und mehr¬
mals am Tage. Bei der Aufnahme, die nach gehäuften Anfällen erfolgte,
starke Bewusstseinstrübung. Lues und Potus wird negiert.
Organische Symptome sind am Nervensystem nicht festzustellen,
doch reagiert Blutserum und Spinalflüssigkeit nach Wassermann + ; es
besteht starke Lymphocytose (141 pro Kubikmillimeter) und Eiweissver¬
mehrung nach Nonne und Nissl. Zeichen von Arteriosklerose sind
nicht vorhanden. Aufhellung des Sensoriums nach einigen Tagen.
Schmierkur und Jodkali. Vereinzelte, immer seltenere Anfälle. Im
ganzen etwas euphorisch, aber reizbar. Gedächtnis und Merkfähigkeit
im allgemeinen nicht gestört, doch bestehen für die Wochen vor der
Aufnahme grosse Erinnerungslücken. Ausgesprochene Intelligenzdefekte
lassen sich nicht nachweisen. Das Vorliegen einer Paralyse schliesst
Vortr. auf Grund des Fehlens von organischen Symptomen und einer
charakterischen Demenz aus. Die Deutung des Krankheitsprozesses
macht Schwierigkeiten, da einerseits der Lumbalbefund auf eine starke
chronisch-entzündliche Erkrankung der Meningen hindeutet, andererseits,
abgesehen von den epileptischen Anfällen, alle anderen Zeichen einer
Erkrankung des Centralnervensystems fehlen. Nur dass die Erkrankung
ätiologisch mit Lues zusammenbängt, lässt sich sagen.
Diskussion: Hr. Förster kennt zwei Fälle von Spätepilepsie mit
geringerer Lymphocytose und positivem Blutserum. Den einen Fall,
der jährlich zwei Kuren macht, beobachtet er seit zwei Jahren, ohne
dass neue Symptome aufgetreten sind, während die Anfälle allmählich
fortblieben. Der zweite Fall wurde ohne nennenswerten Erfolg be¬
handelt.
Hr. Alzheimer:
4. Eigenartiger Verblödungsznstand auf arteriosklerotischer Grundlage.
Der 60 jährige Mann erkrankte in seinem 55. Jahr mit Veränderung
seines Wesens, Reizbarkeit, Neigung zu zornmütiger Erregung ohne Rück¬
sicht auf seine soziale Position, verlor dadurch seine Stellung, konnte
sich auch in anderen nicht halten. In Ausdruck und Schrift machte
sich Wortarmut durch häufige Wiederkehr derselben Wendungen bemerk¬
bar. Brutal auch gegen die Familie. Nie Schwindelanfälle. Bei der
Aufnahme erregt und euphorisch, gesteigertes Gesundheitsgefühl, ab¬
wechselnd mit einzelnen Klagen über Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust,
Müdigkeit. Einengung der Sprache auf stereotype Wendungen, die
Aeusserungen über seinen Zustand, Klagen über die Umgebung, Wünsche
enthalten. Sie werden stets in agrammatischer Form (Telegrammstil)
vorgebracht, die einzelnen Silben werden nach Art eines übertriebenen
Skandierens auseinandergerissen, zuweilen sind leichte artikulatorische
Störungen in Gestalt von Stolpern und Schmieren bemerkbar, auch
einzelne Paraphasien. Die Prüfung ergibt ausgesprochene amnestisoh-
aphasische Defekte, Einengung des Sprachverständnisses. Mehrsilbige
Worte versteht er meist nicht, ebensowenig einfache Aufforderungen.
Nachsprechen einfacher Worte gut, sonst paraphasisch und ohne Ver¬
ständnis. Lesen erhalten, aber ohne Verständnis der Sätze. Schreiben
mit vielen Paragraphien. Abschreiben besser. Deutliche aparaktische
Störungen bestehen nicht. Rechenaufgaben löst er gut. Merkfähigkeit
für das ihn Interessierende ganz gut, Gedächtnis nicht grob beeinträchtigt.
Interessen kreis und Initiative eingeengt. Etwas träge Pupillenreaktion,
lebhafte Reflexe. Keine hemiplegischen Symptome. Deutliche periphere
Arteriosklerose. Wassermann im Blutserum +, im Liquor —. Keine
Lymphocytose, keine Eiweissverraehrung. Differentialdiagnostisch sind
Paralyse und präsenile Demenz auf Grund des eigenartigen circumscripten
psychischen Defektes, erstere auch auf Grund des Verhaltens der Spinal¬
flüssigkeit auszuschliessen. Der Beginn mit Wesensveränderung und die
chroniche Entwicklung aphasischer Störungen ohne Anfälle lässt den
Fall vielleicht einer Gruppe arteriosklerotischer Erkrankungen (Pick)
einordnen, bei denen anatomisch der Befund des spongiösen „Rinden¬
schwundes“ gefunden wurde, und die sich klinisch zur allgemeinen
Arteriosklerose verhält wie die Lissauer’sche Paralyse zur typischen
Paralyse.
Hr. Stertz: 1. Hysterische Pseudo bnlbärparalyse.
Die 27 jährige Patientin erkrankte im März 1912 in London, nach¬
dem zuvor allerlei missliche Verhältnisse ihr Seelenleben in depressiver
Richtung beeinflusst hatten. Bei der Ankunft zu Haus Veränderung der
Sprache (Bradylalie), später Schwäche und Schmerzen im linken Arm,
unsicherer, taumelnder Gang. Gedrückte zum Weinen geneigte Stimmung.
Vielfach ohne Erfolg behandelt. Bei der Aufnahme Amnesie für den
Beginn der Krankheit und für Ueberfahrt nach Deutschland bei sonst
gutem Gedächtsnis. Klagt über heftige Krämpfe und Schmerzen im
linken Arm. Befund: rechte Pupille weiter als linke bei guter Reaktion.
Spontan schlaffe Innervation des Gesichts, besonders der Mundpartie
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702
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
(Analogie zur Facies myopathica), bei der Prüfung keine Paresen.
Gaumensegel bei der Phonation kaum bewegt, gut beim Schlucken.
Selten — nur in Anwesenheit des Arztes — Verschlucken (Kehlkopf).
Die Sprachstörung besteht wesentlich in einer bei vielen Worten sich
geltend machenden Bradylalie und Auseinanderziehen der Silben bei sehr
ungleichraässiger Stimmstärke und sehr mangelhafter Regulierung der
In- und Exspiration sowie in nasalem Beiklang. Doch werden sonst die
Laute (Vokale wie Konsonanten) einzeln und zu Testworten verbunden
ohne grobe Störung gebildet. Im übrigen ergibt die genaue Unter¬
suchung der bulbären Nerven inklusive elektrischer Erregbarkeit einen
durchaus normalen Befund. Die Sprachstörung wechselt in hohem Grade
und ist während der Demonstration kaum nachweisbar.
Es besteht ein dauernder Krampfzustand der linken oberen Extre¬
mität, an welchem Schulter (Hochstand; Adduktion des Armes), die ge¬
samte Oberarm- und Unterarmmuskulalur beteiligt sind, nur dass eine
ziemlich freie Beweglichkeit der Finger verbleibt. Ab und zu, besonders
untur psychischen Einflüssen, treten schmerzhafte Beugekrämpfe des
Armes auf, späterhin auch zu gleicher Zeit krampfhafte Streckung des
linken Beines und Vorwärtsbeugen des Oberkörpers. Die Patellarreflexe
sind etwas schwach, scheinbar different (r < 1) doch ist es niemals ge¬
lungen, völlige Entspannung zu bewirken. Der sonstige Nervenstatus
ist in jeder Beziehung normal. Der Gang ist manchmal übertrieben
taumelnd und geschieht oft unter mühsamem Schleifen des linken Beins,
das mit dem äusseren Fussrand aufgesetzt wird. Zeitweise Besserungen
wechseln mit Verschlechterung, psychische Einflüsse evident, in letzter
Zeit Tendenz zur Besserung, besonders der Sprache. Zeitweise depressiv,
weinerlich, die Attacken des Weinens haben bei der Untersuchung manch¬
mal einen krampfhaften Charakter. Bei der Deutung des Bildes wird
hervorgehoben, dass sichere organische Symptome nicht vor¬
handen sind.
1. Es fehlen eigentliche Lähmungserscheinungen organischer Art.
2. Es fehlt Atrophie und Abänderung der elektrischen Reaktion. 3. Es
fehlen begleitende spastische Symptome organischer Art. 4. Es fehlt die
Beteiligung der Sensibilität, des Reccurrens, der Atmung, des Pulses.
5. Es fehlen wesentliche Charakteristica der bulbären oder pseudo¬
bulbären Sprache.
Andererseits ist bemerkenswert: 1. Der grosse Wechsel der Er¬
scheinungen. 2. Die offenkundige psychogene Beeinflussbarkeit. 3. Das
allgemein hysterische Verhalten. 4. Die systematische Amnesien. Die
Krarapferscheinungen, sowohl der dauernde Crarapus als auch die
Paroxysmen sind eigentlich nur unter dem Gesichtspunkt psychogener
Entstehung erklärbar. Vortragender kommt mithin zu dem Resultat,
dass trotz teilweiser Aehnlichkeit mit bulbären Krankheitsbildern hier
ein seltener hysterischer Symptomkomplex vorliegt, dem man nach den
dominierenden Symptomen die obige Bezeichnung geben könnte.
Diskussion.
Hr. Ludwig Mann: Ich habe die demonstrierte Pat. vor der
Aufname in die Königliche psychiatrische Klinik drei Monate lang in
meiner Privatklinik beobachtet und bin auf Grund dieser Beobachtung
zu einer anderen Auffassung des Falles gekommen wie der Herr Vor¬
tragende. Ich glaube, dass es sich um eine organische Affektion handelt,
zu der allerdings im Laufe der Zeit hysterische Erscheinungen hinzu¬
getreten sind. Auch nach der heutigen Demonstration habe ich keinen
Anlass, von dieser Auffassung abzugehen.
Die bulbären Erscheinungen waren, als ich die Patientin übernahm,
so ausgeprägt, dass ich sie nicht anders als organisch bedingt ansehen
konnte. Es fand sich damals eine vollständige Lähmung des Gaumen¬
segels, die sowohl die charakteristische Sprach- wie auch Schlingstörungen
verursachte. Die Zunge wich deutlich nach rechts ab und zeigte be¬
sonders auf der rechten Seite fibrilläre Zuckungen. Auch der Mund-
facialis war zeitweise rechts leicht paretisch, der Lippenschluss etwas
schwach. Das Gesicht hatte iu noch höherem Maasse wie jetzt den
charakteristischen schlaffen, myopathiseben Zug. Der Gaumenreflex
konnte früher nur bei sehr starkem Reiz ausgelöst werden; bei mässigem
Reize sowie bei willkürlicher Intonation fehlte jede Bewegung des Gaumen¬
segels. Die elektrische Erregbarkeit desselben war vorhanden, es schien
jedoch eine leichte Differenz zwischen links und rechts zu bestehen. Die
auch jetzt noch vorhandene Pupillendifferenz war konstant nach¬
weisbar; zeitweise reagierte die rechte, weitere, Pupille entschieden
schwach.
Der Patellar- und Achillessehnenreflex war konstant rechts schwächer,
zeitweise gar nicht auslösbar. Diese Reflexdifferenz ist ganz überein¬
stimmend von allen Beobachtern, von mir ebenso wie von dem früher
behandelnden Kollegen und auch jetzt wieder von dem Herrn Vor¬
tragenden beobachtet worden; sie kann daher meiner Ansicht nach nicht
auf mangelnde Entspannung der Muskulatur zurückgeführt werden.
Auch den eigentümlichen tonischen Krampf des linken Armes
möchte ich als organisch bedingtes Symptom auffassen. Dafür scheint
mir besonders die Art der Verteilung des Krampfes in der Muskulatur
zu sprechen. Der tonische Krampf ist nämlich lokalisiert in den Schulter-
und Oberarmmuskeln und in einem Teile der Unterarmmuskeln. Von
letzteren ist nur der Supinator longus befallen, so dass das Handgelenk
eine radialwärts aufgerichtete Stellung einnimmt. Die anderen Hand¬
gelenkstrecker sowie die Fingerstrecker und -beuger waren stets frei
vom Krampfe. Ich habe dieses Verhalten andauernd ganz überein¬
stimmend beobachtet. Diese Dissoziation des Krampfes spricht meiner
Eifahrung nach gegen einen hysterischen Krampf, bei welchem die
Muskeln eines Gliedabschnittes in toto befallen zu sein pflegen, und ver¬
einigt sich gut mit der Annahme eines von den Kernen des Halsmarke 9
ausgehenden Krampfes, da die vom Krampf befallenen Muskeln ihre Ver¬
tretung in benachbarten Segmenten haben; der Kern des M. radialis
externus longus schliesst sich nämlich an die Kerne der Oberarmmuskeln
und des Supinator loDgus an, während die anderen Handgelenks- und
die Fingermuskeln eine tiefere Vertretung haben.
Noch eine andere Eigenschaft des Krampfes ist zu erwähnen; der¬
selbe war nicht konstant vorhanden, sondern in völliger Ruhe erschlaffte
die Muskulatur. Er trat aber sofort wieder auf, wenn die Patientin an¬
gestrengt intonierte, ganz besonders aber dann, wenn das krampfhafte,
zwangsmässige Weinen (seltener bestand auch Zwangslachen) auftrat,
welches bei ihr in der für Bulbärerkratikungen ausserordentlich
charakteristischen spastischen Form lange Zeit vorhanden war, durch
den geringsten Affekt ausgelöst wurde uud dem Gesicht oft einen voll¬
kommen blöden Ausdruck verlieh. Ganz synchrom mit diesem bulbären
Reizzustand trat nun jedesmal der Krampf in den Armmuskeln hervor,
so dass ich im Zusammenhang mit der obenerwähnten Lokalisation mich
dem Eindruck nicht verschliessen konnte, dass es sich bei dem Krampf
der Armmuskeln um einen Reizzustand der Vorderhornzellen im Hals¬
mark analog dem der Bulbärkerne handele. Mir ist allerdings etwas
ähnliches bisher nicht bekannt. Wir nehmen sonst an, dass Erkran¬
kungen der Vorderhornzellen Lähmungs- und nicht Reizerscheinungen
machen. Immerhin erscheint das Auftreten des letzteren unter be¬
sonderen Verhältnissgn doch nicht ganz unmöglich. (Die fibrillären
Zuckungen, deren Wesen als Reizerscheinungen von Strümpei kürzlich
betont worden ist, könne vielleicht als Analogie herangezogen werden.)
Vielleicht handelt es sich nicht um eine Reizung der Vorderhornzellen
selbst, sondern gewisser supranucleärer Apparate.
Alles zusammengenommen möchte ich meinen, dass es sich um eine
organische Erkrankung handelt, die im Gebiete der Vorderhornzellen
disseminiert lokalisiert ist, also einerseits die Bulbärkerne, dann Kerne
im Halsmark und schliesslich auch im Lendenmark (Abschwäcbung des
Patellarreflexes) befällt. Vielleicht liegt eine Infektionskrankheit vor,
vielleicht eine botulismusartige Intoxikation. Für letztere könnte eine
in der Anamnese erwähnte schwere Magendarmaffektion sprechen. Zu
der für die Patientin sehr qualvollen Affektion sind allmählich, wie es
ja häufig der Fall ist, hysterische Manifestationen, insbesondere eine
hysterische Gangstörung, hinzugetreten; ich habe die Entwicklung der¬
selben selbst beobachtet. Diese scheint mir aber nicht das Wesen der
Sache, sondern nur eine Begleiterscheinung darzustellen. Für den
wesentlich organischen Charakter des Leidens spricht auch der Umstand,
dass trotz aller therapeutischen Bemühungen bisher eine deutliche
suggestive Beeinflussung nicht zu erzielen gewesen ist. Eine allmähliche
leichte Besserung der organischen Symptome ist eingetreten, wie dies
ja wohl verständlich ist. Auch waren von jeher gewisse Schwankungen
im Befinden und eine gewisse Beeinflussbarkeit desselben durch psy¬
chische Momente unverkennbar, eine Beobachtung, die wir ja bei orga¬
nischen Affektionen oft genug machen können.
Ich glaube also, dass es sich um eine eigenartige organische bulbär-
spinale Affektion handelt, die nach Ueberwindung des Höhestadiums
jetzt eine gewisse Tendenz zur Besserung zeigt, und die kompliziert ist
durch hysterische Erscheinungen.
Hr. C. S. Freund hat die Patientin früher in der Sprechstunde ge¬
sehen. Damals waren „bulbär“ aussehende Symptome noch nicht vor¬
handen. Die schmerzhaften Krämpfe hielt er für Crampi, die eventuell
durch leichte ueuritische Affektion ausgelöst wäreö. Herrn Mann gegen¬
über betont er, dass Zwangsweinen nicht auf eine Affektion der
bulbären Kerne, sondern auf supranucleäre Centren bezogen werden
müsste.
Hr. Foerster hält die Auslösung eines Monate dauernden Krampf¬
zustandes und der hier bestehenden schmerzhaften Paroxysmen durch
einen „ReizzustaDd“ der grauen Vordersäulen nicht für möglich.
Hr. Alzheimer hält ebenfalls eine solche Entstehung der Krämpfe
für ausgeschlossen. Eine seit fast einem Jahre bestehende Erkrankung
bulbärer Kerne würde längst zur Atrophie usw. geführt haben. Bei
dieser systematischen Verteilung der Symptome lässt sich eine organische
Erkrankung vom anatomischen und lok&lisatorischen Standpunkt aus
nicht vorstellen. Die klinische Beobachtung hat die stark psychogene
Beeinflussbarkeit ergeben.
Hr. Stertz bat sich von der von Herrn Mann erwähnten, „nur
organisch erklärbaren“ Auswahl der krampfenden Muskeln nicht über¬
zeugen können, ebensowenig von einem inneren Zusammenhang zwischen
dem Sprechakt, dem Weinen und den schmerzhaften Krämpfen.
Hr. Stertz: 2. Katatonische Papillen starre. (A. Westphal.)
21 jähriges Mädchen, seit 1902 chronisch erkrankt, seitdem ohne Be¬
schäftigung. Jetzt wortkarg, negativistische und läppische Züge, ziemlich
stumpf und gehemmt. Gehörshalluzinationen. Cyanose des Gesichts
und der Hände, etwas lebhafte Reflexe. Pupillen etwas different. Die
rechte, weitere, reagiert bei wiederholter greller Belichtung nicht mehr,
erweitert sich vielmehr und verzieht sich ein wenig. Bei der anderen
Pupille ist es nicht so deutlich ausgesprochen. Das Phänomen ist
flüchtig und nicht immer nachweisbar. Ein gewisses Widerstreben der
Patientin begünstigt sein Auftreten. Druck auf die Ileoooecalgegend
(Meyer) hat keinen erkennbaren Einfluss.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
703
Hr. Stöcker:
Kombinierte Hinterseitenstrangerkranknng bei Arteriosklerose.
A. H., Schneider, 54 Jahre alt. Früher angeblich stets gesund, die
Frau machte zwei Fehlgeburten durch; nie geschlechtliche Infektion;
kein Trinker. Im Juli 1912 habe er eines Morgens beim Aufstehen
bemerkt, dass er auf der linken Seite nicht mehr fortkomme. Seit der
Zeit sei die linke Seite so schwach; im Laufe des letzten halben Jahres
sei dann auch die rechte Seite allmählich immer schwächer geworden.
Das Wasser komme ihm oft von selbst, ohne dass er es merke, seit
Jahren sei er impotent. Schmerzen irgendwelcher Art habe er nicht.
Hagerer Mann in dürftigem Ernährungszustände; kam mit blauen
Flecken am ganzen Körper in die Klinik, die von Misshandlungen von
seiten der Frau, die Trinkerin ist, herrührten.
Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin frei von Eiweiss und
Zucker. Arteriosklerose der Speichenarterien mässigen Grades. Schlaffe
dürftige Muskulatur, elektrische Erregbarkeit gut; Kraftleistung ent¬
sprechend.
Pupillen eng, etwas verzogen, reagieren prompt auf Konvergenz,
wenig ausgiebig jedoch auf Licht.
Rechter Mundfacialis weniger gut als linker; beim Gehen werden
die beiden Arme abduziert gehalten, pendeln wenig mit; rechts mehr
als links.
Die oberen Bauchdeckenreflexe sind bisweilen auslösbar, erschöpfen
sich jedoch sehr leicht, bisweilen sind sie nicht auszulösen; die unteren
fehlen konstant.
Die Patellarreflexe sind beiderseits lebhaft, mitunter beiderseits
Clonus. Die Achillesreflexe sind ebenfalls lebhaft, zeitweise Andeutung
von Clonus. Rechts mitunter fragliches Babinski’sches Phänomen.
Tonus nicht erhöht, eher nach einigen Bewegungen etwas schlaff.
Keine Paresen, nur rechts Dorsalflexion vielleicht eine Spur schwächer
als links.
Patient geht breitbeinig, stampfend, setzt die Hacken zuerst auf,
dabei werden jedoch die Beine deutlich etwas steif gehalten, auch etwas
circumduziert.
Es besteht ausgesprochene Ataxie der Beine in Rückenlage, die
bei Augenschluss deutlich zunimmt. Romberg'sches Phänomen ist positiv.
Wassermann’sche Reaktion in Blut und Liquor negativ; keine
Lymphocytose, keine deutliche Eiweissvermehrung. Blutbild normal.
Psychisch machte Patient stets einen etwas indolenten Eindruck,
zeigte wenig Neigung, sich zu beschäftigen, hat wenig Interessen, kennt
ausser dem Namen des Stationsarztes keinerlei Namen; doch sind deut¬
liche gröbere Defekte der Intelligenz nicht nachweisbar.
Der Vortragende meint, dass sich zunächst auf Grund des negativen
Blut- und Liquorbefundes eine luetische Erkrankung mit Sicherheit aus-
schliessen lasse.
Auch eine multiple Sklerose schliesst er aus, einmal auf Grund
des hohen Alters des Patienten, dann wegen des Fehlens jeglicher
Augensymptome; des weiteren auch irgendwelche toxische oder infektiöse
Erkrankung, da hierfür keinerlei Anhaltspunkte vorliegen.
Der Vortragende kommt schliesslich auf Grund der Tatsache, dass
es sich doch wohl bei der CerebralerkrankuDg um eine arteriosklerotische
Erkrankung handelt, zu dem Schlüsse, dass auch das Spinalleiden als
arteriosklerotisch bedingt aufzufassen sei.
Diskussion. Hr. Förster hat eine 75jährige Frau beobachtet,
die ein ähnliches Krankheitsbild bot, nur dass die Hinterstrangssymptome
mehr dominierten. Er ist geneigt, in seinem Falle die gleiche Aetio-
logie anzunehmen.
Hr. Golla: Kongenitale Muskel defekte bei einem Tabiker.
34jähriger Patient, der sich mit 26 Jahren luetisch infiziert hat.
Seit 4 Jahren lancinierende Schmerzen in den Beinen, Parästhesien,
Gürtelgefühl. Blasenbeschwerden.
Pupillen rechts > links, entrundet. Wenig ausgiebige Lichtreaktion.
Ataxie der Beine in Rückenlage. Rhomberg -f-, Patellar- und
Achillesreflexe fehlen beiderseits.
Hypalgesie am Rücken im Bereich des 4. bis 11. Brustwirbels, sich
nach vorn verlierend.
Bewegungsempfindungsstörung an den grossen Zehen.
Wassermann in Blut und Liquor +.
Zell- und Eiweissvermehrung im Liquor.
Abflachung der rechten Brustseite, Rippen scheinen deutlich durch.
Inspektion und Palpation ergibt das Fehlen der Pars sternocostalis, des
Pectoralis major; der Pectoralis minor fehlt anscheinend ganz. Die
Pars clavicularis des Pectoralis major ist in fingerförmiger Anordnung
vorhanden. Zwischen Wirbelsäule und rechtem inneren Schulterblatt¬
rand, etwa in Höhe des 3. Brustwirbels, flache, dreieckige Grube. Etwas
nach unten und aussen davon eine zweite, ebenfalls etwa dreieckig an¬
geordnete Vertiefung; die Basis entspricht annähernd dem Schulterblatt¬
rand. Es fehlen Bündel des Trapezius und Rhomboidei.
Elektrische Reizung in den defekten Partien ohne Erfolg, die Rest-
bfindel zeigen normales elektrisches Verhalten und normale mechanische
Erregbarkeit.
Trophische Veränderungen der Haut: abnorm dünn, straff. Fett¬
polster fehlt, besonders fällt der Mangel an Fett in den Achselhöhlen
auf. Die rechte Mamille ist etwas kleiner als die linke, steht etwas
höher. Hochstand der rechten Scapula, Abstehen des inneren Scapula¬
randes.
Dextero-konvexe Skoliose der unteren Hals- und oberen Brustwirbelsäule.
Keine Rippendefekte.
Keine Beeinträchtigung der Funktion. (Einstellung auf einen ge¬
ringen Muskelbestand seit frühester Kindheit.)
Für die Annahme erworbener Defekte spricht das Vorhandensein
von trophischen Störungen und die Beschränkung der Defekte auf einzelne
Muskeln bzw. Teile einer Seite. Gegen tabische Atrophien, die ein
ähnliches Bild bieten können, muss die Anamnese hervorgehoben werden.
Der Patient selbst und seine Angehörigen geben bestimmt aD, dass die
Abflachung der rechten Brustseite seit seinem 6. Lebensjahr beobachtet
worden ist.
Yereia der Aerzte Wiesbadens.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr R. Schütz.
1. Hr. Herxheimer: Pathologisch - anatomische Demonstrationen.
Vortragender demonstriert: 1. ein Magencarcinom, welches zu aus¬
gedehntesten, teils mehr knötchenförmigen, teils mehr diffusen Me¬
tastasen in den weichen Hirnhäuten, besonders oberhalb der
Medulla oblongata, in der Gegend des Chiasma und der Hypophyse, aber
auch über den Hemisphären geführt hat. Makroskopisch erscheinen die
Veränderungen der Pia nicht sehr bedeutend, aber wie sich öfters eine
gewisse Inkongruenz des makroskopischen und mikroskopischen Befundes
gerade in den weichen Hirnhäuten feststellen lässt, deckt das Mikroskop
ausgedehntes Carcinom, und zwar in den Lymphgefässen und -spalten
verbreitet auf.
2. Carcinom des Magens, direkt übergegriffen auf die verwachsene
Leber mit Metastasen in dieser. Von besonderem Interesse ist der Tumor,
weil es sich mikroskopisch um ein sogenanntes Adenocancroid handelt,
d. h. ein grosser Teil desselben typisches Plattenepithel mit aus¬
gedehntester Verhornung aufweist, wie solche Fälle im Magen nur
äusserst spärlich, so von Lubarsch und in einom früheren Falle von
dem Vortragenden veröffentlicht, bekannt sind.
3. Lymphosarkom von den rechtsseitigen Bronchiallyraphdrüsen aus¬
gehend und die Lunge sowie das ganze vordere Mediastinum tumorartig
ergreifend. Mikroskopisch fällt auf, dass die den Tumor zusammen¬
setzenden Zellen grösser und ungleicbmässiger als wie die Lymphooyten
des gewöhnlichen Lymphosarkoms-Kuodrats sind.
4. Lebercirrh086 bei einem IV 2 jährigen Kinde. Syphilis war aus-
zuschliessen, auch erinnerte das makroskopische und mikroskopische Bild
keineswegs daran. Darreichungen von Alkohol oder dergleichen sowie
besondere Medikamente waren anamnestisch auszuschliessen; hingegen be¬
standen schon seit etwa einem halben Jahre Verdauungsstörungen, und
es fand sich bei der Sektion chronischer Katarrh des Dünndarms und
besonders des Dickdarms mit tiefen Geschwüren in letzterem. Die
Lebercirrhose ist auf jeden Fall als die Folge der Darmerkrankung auf¬
zufassen. Es wird die Girrhose in ihrer Abhängigkeit von Alkoholismus
auch von diesem Gesichtspunkte aus besprochen.
Diskussion.
Hr. Ährens bemerkt, dass auch er an keine atavistische Aetiologie,
zumal er den Beweis für eine entwicklungsgeschichtliche Ursache solcher
fremden Epithelansiedelungen im normalen Epithel in einer Veröffent¬
lichung auf dem Chirurgenkongress iu Berlin 1901 gegeben zu haben,
glaubt. Es handelt sich um eine zweite Magendarmanlage bei einem
16jährigen Mädchen: Ein vier Liter Magensaft und Blut enthaltender
Magen, mit etwa 25 cm langem Darmanhang, sitzend am persistierenden
Gekröse des Colon ascendens. Die Blutung war durch Magengeschwüre
entstanden, und die mikroskopische Untersuchung ergab, dass diese nur
da sassen, wo fremdes Epithel vorhanden war. Es war einfaches und
kubisches Plattenepithel, Flimmerepithel und gewöhnliches Cylinder-
epithel vorhanden, wie es im Magen vorhanden ist. Es war eben eine
noch nicht differenzierte Magendarmanlage des primitiven Urdarms, der
noch Magendarm, Speise- und Luftröhre, Thymus und Leber zusammen
darstellte, vorhanden, als Entwicklungskeim.
Hr. Proebsting gibt zu dem Fall von Lymphosarkom des Me¬
diastinum einige klinische Daten: Anfangssymptom äusserst intensiver,
quälender Husten; frühzeitige laryngoskopisch sichtbare Stenose der
unteren Trachea. Differenzialdiagnose zwischen Basedow mit Struma,
Lymphom und Lymphosarkom. Tracheotomie bestätigte das letztere,
brachte wochenlang Euphorie ohne Husten und Dyspnoe; dann rapides
Wachstum des Tumors in Mediastino und Exitus unter zunehmender
Kompression.
Hr. Böttcher erwähnt zur Demonstration des Lymphosarkoms, dass
Otto Lassen in Hospitalstidende, 1912, Nr. 49 einen Fall von Lympho¬
sarkom des Mediastinums bei einem 17 jährigen jungen Manne raitteilt,
als ein weiteres Beispiel des öfters beobachteten Vorkommens von posi¬
tiver Wassermannreaktion bei malignen Tumoren.
2. Hr. Alfred Stephan (a. G.): Ueber Trockenhefepräparate.
Der Vortragende spricht zuerst über die historische Entwicklung der Er¬
forschung der Gärwirkung der Hefe, beginnend mit der Entdeckung
Lavoisier’s betr. die Zerlegung der Zuckerlösungen im Kohlendioxyd
und Alkohol und endend mit Buchner’s Isolierung der Cymase, des
die Gärung verursachenden Enzyms, wodurch die von Traube aufge¬
stellte Enzymtheorie bewiesen wurde. Die Entdeckung Buchner’s war
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704
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
die Veranlassung zur Herstellung von Trockenhefepräparaten, welche
einen Ersatz bieten sollen für die leicht verderbliche und oft recht un¬
angenehm schmeckende frische Hefe.
Häufige Klagen über erfolglose Hefekuren veranlassten den Vor¬
tragenden, sich mit der Untersuchung der im Handel befindlichen me¬
dizinischen Trockenhefepräparaten zu beschäftigen.
Da von den drei in der Hefezelle enthaltenen Enzymen — In¬
vertin, Endotrypsin, Cymase — das die Gärung verursachende Enzym,
die Cymase, am leichtesten der Zersetzung anheimfällt, so ist für die
Beurteilung der Trockenhefepräparate ihr Gehalt an Cymase bzw. ihre
Gärkraft maassgebend.
Die Gärkraftbestimmungen wurden in Koch’schen Gärcylindern
unter Verwendung von 1 g Trockenhefe suspendiert in 50 ccm 10 proz.
Traubenzuckerlösung bei 35 °C vorgenommen. Nach 24 Stunden wurde
der Kohlensäureverlust der Zuckerlösungen bestimmt; die erhaltenen
Zahlen bilden einen Wertmesser für Gärkraft und Haltbarkeit der unter¬
suchten Präparate.
Während bei allen Trockenhefepräparaten die Versuchsdauer auf
24 Stunden ausgedehnt werden musste, um wenigstens einen geringen
Teil des Traubenzuckers zu vergären, genügte bei frischer Hefe und bei
Biocyme bereits die Zeit von neun Stunden zur vollständigen Vergärung
des Zuckers.
1 g Cymin (2 Präparate) . .
0,2 g Kohlensäureverlust in 24 Std.
1 g Levurinose (3 Präparate) 0,0-
-0,05 g
* 24
„
1 g Furunkulin (3 Präparate) 0,0-
- 0,3 g
. 24
»
1 g Merk’sche Hefe (3 Präpar.) 0,2-
- 0,3 g
* 24
„
1 g Faexpillen (1 Präparat)
0,0 g
„ 24
»
4 g Presshefe (25 pCt. Trocken¬
substanz) .
1,9 g
n 9
1 g Biocyme ......
1,8 g
» 9
n
1 g Biocyme (nach 1 jähriger
Aufbewahrung) . . .
1,78 g
» 9
»
Die Versuche zeigen, dass die meisten Präparate nur eine minimale
Gärkraft bzw. Haltbarkeit besitzen, was teils auf Herstellung teils auf
nicht luftdichte Verpackung zurückzufübren ist.
Nachdem der Vortragende über seine Verdauungsversuche zur Fest¬
stellung der Wirkung des Endotrypsins gesprochen und über seine
kulturellen Versuche berichtet hat, teilt er mit, dass Levurinose und
Furunkulin etwa 50 pCt. Stärke enthalten, während in den übrigen Prä¬
paraten keine Stärke nachweisbar war.
Es ist zu beanstanden, dass die Verpackungen von Furunkulin und
Levurinose mit keinem Vermerk über die nicht unwesentliche Zumischung
von Stärke versehen sind, denn erstens tritt eine Wertverminderung von
etwa 50 pCt. ein, und zweitens ist die Stärke beim Diabetes mellitus
keine indifferente Zugabe.
Ueber den Wert der verordneten Trockenhefepräparate, hinsichtlich
Gärkraft und Gehalt an lebenden Zellen kann sich der Arzt leicht Ge¬
wissheit verschaffen, indem er die Gärkraft mittelst des Lohnstein’schen
Apparates kontrolliert. Der Gehalt an lebenden Zellen lässt sich
leicht mikroskopisch in wässriger Hefeaufschwemmung durch Farben mit
neutraler Methylenblaulösung feststellen.
Biocyme eignet sich vorzüglich zur Feststellung kleinster Mengen
von Traubenzucker, welche mittelst Nylander’s und Fehling’s
Reagens nicht mehr sicher naohgewiesen werden können. Man fügt zu
10 ccm Urin eine kleine Menge Biocyme und lässt es sechs Stunden
stehen; setzt man dann die genügende Menge von Kalilauge und Lugol-
scher Lösung zu, so gibt der Urin, auch wenn er nur 0,1 pCt. Zucker
enthält, eine zweifelsfreie, durch den Geruch wahrnehmbare Jodoform¬
reaktion. _
Aerztlicher Verein zn Hamburg.
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 4. März 1913.
1. Hr. Stamm berichtet über ein neugeborenes Kind, das in den
ersten sechs Lebenstagen, trotz guter Nahrungsaufnahme, keinen Stuhl
entleerte. Nach Rioinus erfolgte ein intensiv stinkender Stuhl. Bei der
Obduktion fand sich eine Enteritis necroticans als Ursache des Krank¬
heitsbildes.
2. Diskussion zum Vortrag des Herrn Allard: Zar Diagnose des
Uicns dnodeni.
Hr. Schmilinsky glaubt nicht, dass durch das Oelprobefrübstück
die Diagnose wesentlich gefördert wird; der Nachweis von Blut darin ist
jedenfalls sehr vorsichtig zu beurteilen. Häufig fiel Schm, eine gewisse
Periodizität der Schmerzanfälle auf (Frühjahr und Herbst), oft war die
Gewichtsabnahme eine relativ erhebliche.
Hr. Oehlecker hat im vergangenen Jahre sieben perforierte Ulcera
operiert, wovon zwei Ulcera duodeni waren; sechsmal mit Erfolg, ein
Patient starb. Häufig war die Erkrankung vorher anscheinend voll¬
kommen symptomlos verlaufen.
Die Unterscheidung zwischen Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni
ist oftmals, auch bei der Operation, ganz ausserordentlich schwer! Die
Zahlen der Gebrüder Mayo hält er, auf Grund persönlicher Eindrücke
in Rochester, für unbedingt zuverlässig.
Hr.Schottmüller: In einer ganzen Reihe von Fällen ist die Dia¬
gnose objektiv kaum zu stellen. Gelegentlich kann auoh bei offenen
Ulcera duodeni Blut im Stuhl fehlen.
Hr. v. Bergmann beobachtete im letzten Jahre 30 Fälle von Ulcus
duodeni; er bespricht eingehend die Röntgendiagnostik desselben (Dauer¬
bulbus bei Hyperacidität, manchmal Hypomotilität mit starker Nüchtern¬
sekretion, fast an das Bild bei Morbus Reichmann erinnernd). Vaso¬
motorische Symptome finden sich bei Ulcus duodeni besonders häufig:
unter 25 Fällen fand v. B. 24 mal Dermographie, 21 mal starke Schweisse,
16 mal weite Pupillen, 18 mal Glanzaugen, 21 mal starke Pilocarpin-
und 16 mal starke Atropinreaktion.
Hr. Simmonds bemerkt, dass bei Säuglingen das Ulcus duodeni
nicht so selten vorkommt.
Hr. Luce: Gewisse Typen des Ulcus duodeni verlaufen ganz unter
dem Bilde des Morbus Reichmann, meist Patienten im 5. bis 7. De¬
zennium. Morphium bewirkt in solchen Fällen Verschlimmerung,
während auf Atropin wesentliche, oft erstaunliche Besserung erfolgt.
Hr. E. Fraenkel betont die oft auch am Sektionstisch grosse
Schwierigkeit, zu entscheiden, ob ein Ulcus am Pylorus oder am Duo¬
denum liegt. Blutentleerung per os und Stuhl bei Neugeborenen ist
sehr häufig durch hämorrhagische Erosionen bedingt.
Hr. Westphal hatte bei den 16 Fällen, die Herr v. Bergmaan
operieren Hess, keine Schwierigkeit, als Grenze zwischen Pylorus und
Duodenum die „Vene quer über den Pylorus“ zu benutzen.
Hr. Allard: Schlusswort.
3. HHr. Sch amm und Fleiscbmaun:
Befände von Alkohol in der Spinalflässigkeit and in BlnL
a) Hr. Schümm bespricht die Methodik des quantitativen Nach¬
weises und demonstriert eine von ihm ausgearbeitete einfache qualita¬
tive Probe.
b) Hr. Fl ei sch mann teilt die klinischen Ergebnisse der gemein¬
samen Untersuchungen mit. Die Vorfrage, ob aus Kohlehydraten
der Nahrung gebildeter Alkohol in den Liquor übergeht, ist zu ver¬
neinen. Bei 7 Betrunkenen (1. Untersucbungsreihe) fand sich starke
Alkoholreaktion im Liquor. Bei 10 weiteren Betrunkenen ergab sich
Gehalt von bis zu 0,4 pCt. Alkohol im Liquor (Schweissheimer fand
im Blut nach Zufuhr von 385 ccm reinen Alkohols nur bis 0,22 pCt.).
Unter 13 Deliranten hatten 10 keinen Alkohol mehr im Liquor nachzu-
weisen; das Delirium tremens ist nicht durch Alkoholanhäufung im
Liquor bedingt, sondern eine Abstinenzerscheinung.
An einer Reihe dementer Paralytiker und senil Dementer wurden
die Ausscheidungszeiten nach experimenteller Alkoholzufuhr geprüft; es
zeigte sich, dass im allgemeinen der Alkoholgehalt des Liquors ziemlich
parallel dem des Blutes geht; nach der ersten Stunde pflegt er im Liquor
höher zu sein als im Blut.
Diskussion.
Hr. Schottmüller ist seit seinem Vortrag über den Alkoholgehalt
des Liquors der Frage ebenfalls weiter nacbgegangen. Quantitative Ana¬
lysen mit dem Kaliumdichromatverfahren ergaben bis zu 0,5 pCt.
Alkohol (nach 1 Liter Wein); einmal sogar, bei einem Schwerbetrunkenen,
0,8 pCt.! In manchen Fällen geht nach seinen Beobachtungen die
Alkoholausscheidung langsamer vor sich, als Herr Fleischmann fand.
Hr. Nonne: Der Lumbaldruck ist in manchen, seltenen Fällen von
Alkoholismus erhöht, meist aber, wie Herr Fleischmann schon angab,
nicht gesteigert. Theoretisch interessant ist, dass bei Delirium tremens
im Liquor kein Alkohol gefunden wird, man hat eine kumulative
Schädigung der Nervenzellen durch im Liquor vorübergehend vorhandenen
Alkohol anzunehmen; der Alkoholismus selbst ist wohl als Einzel¬
symptom einer allgemeinen Degeneration anzusehen.
Hr. Bornstein fand im Blut von Alkoholikern vermehrte Lipoid¬
substanzen.
Hr. Holzmannn weist auf die Untersuchungen von Pighini
hin, der grosse Mengen von Cholesterin im Liquor von Alkoholisten
nachwies.
Hr. Jakob betont die toxische Komponente beim Zustandekommen
des Delirium tremens.
Hr. Troemner: Das Delirium tremens ist keine Abstinenzerschei¬
nung. Delirium tremens und akuter Rauschzustand zeigen bis zu einem
gewissen Grade entgegengesetztes Verhalten.
Hr. Kafka: Das interessante Ergebnis, dass der Liquor mehr Alkohol
enthalten kann als das Blut, spricht dafür, dass gelegentlich eine Alkohol¬
retention im Liquor vorkommt. Vielleicht ergibt sich ein Unterschied
im Gehalt des Liqors und der Ventrikelflüssigkeit.
Hr. Brückner fragt, ob bei starkem Alkoholgehalt des Liquors
positive Wassermann’sche Reaktion beobachtet wurde.
Hr. E. Reye fand bei 60 Alkoholisten stets negative Wasser¬
mann’sche Reaktion im Liquor.
Hr. Fleischmann: Schlusswort C. Hegler.
Aerztlicher Verein zn Frankfurt a. M.
Sitzung vom 3. März 1913.
1. Hr. Fischer demonstriert zahlreiche pathologisch-anatomische
Präparate.
2. Hr. C. Haeberlin-Nayheim: Demonstration des Präparates einer
Herzverletzung bei unverletztem Pericard.
Das Projektil hatte das Pericard, ohne es zu verletzen, in die Ven¬
trikelwand hineingetrieben. Die Perforation des Herzmuskels führte zum
Exitus.
3. Hr. Hirsch-Tabor stellt einen Fall von atypischer Myotonie vor.
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
705
4. Hr. A. Friedländer*.
Klinik und Therapie der Alkaloidvergiftugen, speziell des Morphi¬
nismus.
Wegen vorgerückter Zeit bespricht Vortr. nur die wichtigste der
Alkaloidvergiftungen, den Morphinismus. Bei der Therapie der akuten
Morphiumvergiftung, die nur gestreift wird, macht er auf den Erfolg der
Verabreichung von Kalium permanganatum aufmerksam. Zu den Morphi¬
nisten stellen ein grosses Kontingent die Aerzte. Der Krankheitszustand
wird fast ausschliesslich durch die subcutane Applikation hervorgerufen.
In den schwersten Fällen werden bis zu 5 g pro die genommen. Der
Morphinismus entsteht fast stets auf dem Boden einer psychopathischen
Konstitution. Die Euphorie und die vorübergehend gesteigerte Lebens¬
energie befähigt die Leute häufig, ihrem Beruf nachzugehen. Die Sym¬
ptomatologie ist bekannt. Am schwersten von den Erscheinungen ist
die Abstumpfung des ethischen Gefühls, die demoralisierende Wirkung
des Morphiums. Einen geradezu gefährlichen Charakter können die
, Abstinenzerscheinungen“ annehmen, deren schlimmste der CoUaps ist.
Die Diagnose ist nicht schwer. Enge Pupillen, Stiohe der Injektions-
spritze usw. Die Prognose des Morphinismus in bezug auf völlige
Heilung ist ungünstig. Wohl gelingt es, die Entziehung durchzuführen,
doch verfallen die meisten, da es sich um psychopathische Individuen
handelt, nach mehr oder minder langer Zeit wieder dem Laster. Die
Therapie darf sich daher nicht darauf beschränken, die Entziehung
durchzuführen, sondern es muss eine Beeinflussung der psychopatbisohen
Konstitution auf psychotherapeutischem Wege versucht werden. Am
sichersten ist die Behandlung in geschlossener Anstalt, Dauer der Be¬
handlung 4—5 Monate. In den meisten Fällen gelangte Vortr. mit der
plötzlichen Entziehung zum Ziel, bei den Fällen, in denen die langsame
Entziehung vorgenommen wurde, leistete die Kombination des Morphiums
mit Scopolamin gute Dienste. Dem Gebrauch von Ersatzmitteln, wie
Cocain usw., widerrät Vortr. aufs dringendste. Gegen die Schlaflosigkeit
gibt es Veronal und Brom in grossen Dosen.
Diskussion.
Hr. Hainebach macht darauf aufmerksam, dass man bei akutem
Morphinismus unbedingt Magenspülung vornehmen müsse.
Hr. Hahn bestätigt die von Herrn Fr. bei der plötzlichen Ent¬
ziehung in geschlossener Anstalt gemachten Erfahrungen.
Hr. Dreyfuss stellt die Schwierigkeit, ausserhalb der geschlossenen
Anstalt das Morphium zu entziehen, dar.
Hr. Schulze-Kahle dagegen behauptet, dass es durchaus nicht
notwendig sei, die Entziehung in der geschlossenen Anstalt vorzu¬
nehmen.
Hr. Ei er mann berichtet von einem Patienten, der infolge von
Osteomyelitis zum Morphinisten geworden war. Er machte verschiedene
Entziehungskuren in geschlossenen Anstalten du^h, bis schliesslich ent¬
deckt wurde, dass er grosse Mengen Morphium uad die Injektionsspritze
in einer Hautfalte verborgen hatte, die infolge Narbenbildung durch die
Osteomyelitis entstanden war.
Hr. Löwe hat auf einer Schiffsreise die Beobachtung gemacht, dass
Opiumraucher wegen Mangels an Opium infolge eines Sturmes massenhaft
collabierten und zum Teil zum Exitus kamen.
Hr. Friedländer: Schlusswort. L.
Aerztlicher Verein zu München.
Sitzung vom 26. Februar 1913.
1. Hr. Bann:
Die triMatuehe Tfcroabose an der oberen ExtreMit&t.
Die schon 1885 von Schrötter zuerst beschriebene Armvenen-
thrombose nach übermässiger Muskelanstrengung ist erst in den aller¬
letzten Jahren wieder durch Schittelmann, Heinecke und Rosen -
thal beobachtet worden. Der Vortragende berichtet über einen ganz
analogen Fall, bei dem nach wiederholtem Heben sehr schwerer Gegen¬
stände eine Thrombose der Vena brachialis auftrat unter heftigen
Schmerzen, hochgradiger Muskelschwäche, Blaufärbung und Weichteil'
Schwellung, die bis auf denn M. pectoralis maior und die Fossa supra-
clavicularis Übergriff. Eine motorische Lähmung bestand dabei nicht,
die Vena brachialis war nicht iühlbar, es kam nicht zur Ausbildung
eines Collateralkreislaufes. Auf Ruhe, Suspension, Hydrotherapie und
endlich ganz leichte Massage trat wesentliche Besserung ein. Anatomisch
handelt es sich dabei um keine Coagulation, sondern, wie Ebert,
Sehimmelbusch und Schwalbe gezeigt haben, um eine Konglutination
der Blutplättchen. Diese kommt zustande: 1. durch eine Stromstookung,
da der Stillstand der Atmung bei starker Muskelanstrengung die venöse
Strömung verlangsamt, eventuell sogar aufhebt. Einfache Rückstauung
würde jedoch nioht genügen, es muss 2. zu einer Schädigung der
Venenwand kommen, die durch starke komprimierende Anspannung be¬
sonders des M. latissiums dorsi und pectoralis in Form einer Intima¬
läsion herbeigeführt wird. Die Prognose quoad vitam ist immer gut, die
quoad restitutionem nicht.
2. Hr. Döderleia:
lieber Radiotherapie in der Gynäkologie, insbesondere beim Uterns-
carcinom.
Es ist ein besonderes Verdienst der Freiburger Schule, dass die
gynäkologische Röntgentechnik im Laufe des letzten Jahres so grosse
Fortschritte zu verzeichnen hat, wie sie in der Bekämpfung der Metror¬
rhagien durch Ovarialbestrahlung erzielt worden sind. Die schon von
Perthes versuchte Filtrierung der weichen, nicht penetrierenden, d. b.
die Haut schädigenden Strahlen von den harten, in die Tiefe wirkenden
unschädlichen Strahlen durch eine 3 mm dioke Aluminiumplatte ist von
den Freiburgern weiter ausgebaut worden, ihnen ist auch im wesent-
liohen eine weitere Errungenschaft zu verdanken, nämlich die sogenannte
Felderbestrablung, d. h. die Bestrahlung des Bauohes an bis zu zwölf
verschiedenen quadratischen oder sektorenförmigen Feldern. Die Ver¬
wendung, vornehmlich harte Strahlen aussendender, harter Röhren und
die sorgfältige Abdeckung der nicht der Bestrahlung auszusetzenden
Körperstellen durch Bleischutz ist dabei selbstverständlich. Seitdem ist
die gynäkologische Röntgentechnik viel gefahrloser geworden; man kann
heute weit über die sogenannte Erythemdosis hinausgehen und erzielt,
während man früher immer Pausen von mindestens 3 Wochen zwischen
die nur kurzen Bestrahlungen einschieben musste, eine bedeutend
kürzere Dauer der Behandlung. Der Vortragende berichtet sodann über
eine Reihe ausgezeichneter Erfolge mit derartiger Röntgenbehandlung
von Metrorrhagien an der Münchener Frauenklinik; es gelang, Blutende
an einem Tage und in einer Sitzung amenorrhoisch zu machen und
manchmal auch zu einem Schwinden von Myomen beizutragen.
Höchst überraschende Wirkungen konnte D. auch bei ulcerierenden
Portio- und Cervixcarcinomen durch kombinierte Mesothorium- und
Röntgenbestrahlung erzielen. Es wurde nachts von der Scheide aus
Mesothorium in Substanz in die Carcinomhöhle eingelegt, sodann bei
Tag naoh Wegnahme des Mesothoriums die Geschwürsfläche vaginal
durch eine Art von Tubus röntgen bestrahlt. Nach achttägiger Behand¬
lung verschwand jede Spur von Jauchung, und es zeigte sich das
Garcinomgeschwür ganz gereinigt und vernarbt. Excidierte Stückchen
ergaben Zuammenschmelzung, Pyknose und Auflösung der Caroinom-
zellen und Ersatz durch ein narbiges, ziemlich straffes Bindegewebe.
Gesunde Epithel- und Drüsenzellen erschienen nicht verändert. In der
Tiefe bestand das Garcinom allerdings noch fort, wie gelegentliche
Operation bewies.
Diskussion: HHr. Klein, Kästle, Sielmann, v. Seuffert.
Hans Bachhammer - München.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzbnrg.
Sitzung vom 6. Februar 1913.
Hr. Wessely:
Die Behandln]; des Uleas serpens mit dem Dämpfkanier, sowie
■ene Versuche in der Therapie der Dacryocystitis.
Das Verfahren der Behandlung des Ulcus serpens mit dem Dampf¬
kauter hat Vortr. bereits auf dem vorjährigen Ophthalmologenkongress
in Heidelberg kurz mitgeteilt, so dass von einer Beschreibung hier Ab¬
stand genommen werden kann. Die weiteren Erfahrungen, die sich jetzt
auf 59 Fälle erstrecken, waren mit wenigen Ausnahmen sehr befriedigend.
Die vorgelegte Statistik wird Vortr. an anderer Stelle ausführlich publi¬
zieren; in 80pGt. der Fälle genügte eine einmalige Kauterisation, um
den Prozess zum Stehen zu bringen.
Das im Anschluss mitgeteilte Verfahren der konservativen Behand¬
lung der Dacryocystitis besteht in der Injektion von einigen Tropfen
Jodtinktur in den Tränensack. Sie wird mittels einer mit einem Gummi¬
hütchen versehenen kleinen Platinkanüle ausgeführt, nachdem vorher
24 Stunden eine Dauersonde gelegen hat. Der momentane Erfolg ist
ein auffälliger. Io 24 von 32 Fällen hat nach 1 bis 4 maliger Injektion
die Absonderung völlig aufgehört. Um Dauererfolge zu erzielen, ist
gleichzeitige Behandlung der vorhandenen Rasenaffektion erforderlich.
Recidive wurden bisher nur dreimal beobachtet, doch ist, um nach dieser
Richtung ein Urteil zu fällen, die Beobachtungszeit heute noch zu kurz.
Sitzung vom 20. Februar 1913.
Hr. Flnry: Ueker Trichinös!«.
Vortr. berichtet über seine Untersuchungen über das Wesen der
trichinösen Infektion vom toxikologisoh-chemisohen Standpunkte
aus. Um giftige Substanzen aus den Organen und Ausscheidungen
trichinenkranker Tiere zu isolieren, werden Meerschweinohen, Kaninchen,
Hunde und Katzen mit trichinösem Material infiziert und deren Organe
sowie das Muskelfleich von Ratten und Schweinen mittels chemischer
Methoden verarbeitet. Da bei den ersten orientierenden Tierversuchen
unter den äusserlich wahrnehmbaren Vergiftungserscheinungen besonders
auffallende Ermüdungssymptome und Störungen der Muskelfunktionen
in den Vordergrund traten, wurde der Gehalt der trichinösen Muskeln
an dem „Ermüdungsstoff“ Kreatin und den Muskelstarre erregenden
Purinbasen festgestellt. Es zeigte sich jedoch im ersten Stadium der
Miwkeltrichinose eine deutliche Verminderung des Kreatins und der
Purinbasen. Die im Anschluss daran unternommene vollständige che¬
mische Untersuchung stark trichinöser Muskeln führte zu zahlreichen
neuen Befunden, die unsere Kenntnis der chemischen Pathologie des
Muskelgewebes in verschiedener Richtung fördern. Je nach dem Stadium
und der Intensität der trichinösen Infektion zeigen sich Veränderungen
in der chemischen Zusammensetzung des Muskels. Der Wasser¬
gehalt des Muskels ist insbesondere in den ersten Wochen sehr ver¬
mehrt und die Menge der festen Bestandteile herabgesetzt. In dem
Glykogengehalt des Muskels tritt bald ein starker Abfall ein, der fast
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706
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
bis zu dessen Schwund nicht nur in der befallenen Faser und ihrer
nächsten Umgebung, sondern auch in der gesamten Körpermuskulatur
führen kann. Bei der Färbung soloher chemisch als fast glykogenfrei
gefundenen Muskeln mit Besl’scher Carminlösung zeigen sich nur die
Trichinen in ihrem Hautmuskelschlauch strotzend mit diesem Reserve¬
stoff gefüllt. Die wasserlöslichen Bestandteile, die sogenannten Extraktiv¬
stoffe, speziell die nicht coagulierbaren Anteile derselben, das „Nicht-
siweiss“, zeigen deutliche Vermehrung auf Kosten des Gehaltes an
Muskelfasern, die sich in manchen Fällen bis auf die Hälfte der normalen
Werte reduziert erweist. Der anfänglichen Verringerung des Kreatin- und
Puringehaltes kann im späteren Verlauf der Trichinosis eine starke
lokale Häufung im Muskel folgen. Während der Gesamtstickstoff ver¬
mindert ist, ist der Gehalt an Ammoniak vermehrt. Grösser ist auch
der Gehalt an Milchsäure und flüchtigen Fettsäuren und die direkt durch
Titration bestimmbare Acidität. In der Leber: weit geringerer Gehalt
an Glykogen, dagegen viel grösserer Betrag an Stickstoffsubstanz als bei
den Kontrolltieren. Im Harn: anfangs weniger Kreatinin und Purine
als bei gleicher Ernährung vor der Infektion; später Vermehrung dieser
Stoffe. Bei der Katze zeigte sich eine starke Zunahme der durch Phos¬
phorwolframsäure fällbaren Basen, des Ammoniaks, der flüchtigen Säuren,
der Phenole und des Indicans. Abgesehen von den bekannten morpho¬
logischen Veränderungen des Blutbildes ist der Wassergehalt des Blutes
im 1. Stadium sehr hoch: starke Hydrämie. Durch die gesteigerte
Ueberschwemmung mit den zur Resorption kommenden Zerfallsprodukten
des Muskels können im späteren Verlauf gerade entgegengesetzte Ver¬
änderungen auftreten: abnorm hohes spezifisches Gewicht des Serums
und derartige Veränderung der Erytbrocyten, dass sie sowohl von
0,85 proz. Kochsalzlösung wie von Ringerlösung hämolysiert werden. Bei
einem Dialyseversuch erstarrte das Serum eines schwer trichinösen
Kaninchens zu Gallert. Das Serum von Katzen und Kaninchen enthielt
grössere Mengen von Albumosen und Nucleoproteiden. Ueber eingreifende
Veränderungen im Gesamtstoffwecbsel wird Vortr. in Gemeinschaft mit
Hermann Groll noch ausführlicher berichten. — Die Tierversuche mit
den Bestandteilen normaler und trichinöser Muskeln usw. führten zu
folgenden, in toxikologischer Hinsicht bedeutsamen Schlüssen. Auch
bei Tieren, besonders Fleischfressern, zeigen sich die aus der mensch¬
lichen Pathologie bekannten äusseren Krankheitserscheinungen im Muskel-
und Nervensystem, Eosinophylie und, wenigstens bei Hunden und Katzen,
starke Diazoreaktion. Für die heftigen Schmerzen bei der Trichinosis
sind neben den osmotischen und sonstigen physikalischen Störungen im
Muskel die lokalreizend wirkenden freien Säuren und wohl auch
die vermehrt auftretenden basischen Abbauprodukte und sonstige Zerfall¬
stoffe des trichinösen Muskels verantwortlich, desgleichen zum Teil auch
für Magen- und Darmerscheinungen. Die brettharten Infiltrationen der
Muskeln sind Wirkungen von freien Purinen und nahestehenden Giften
(pharmakologische Gruppe des Coffeins). Daneben handelt es sich um
basische Stoffe mit curarinartiger Wirkung, welche die moto¬
rischen Nervenendigungen lähmen und zu der Erschöpfbarkeit des Muskels
beitragen. Es sind dies vielleicht in erster Linie Zersetzungsprodukte
des Kreatins (Guanidinderivate) und andere Gifte der Pyridin- und
Chinolinreihe. Ferner sind im trichinösen Muskel noch kolloidale und
und anscheinend sehr labile Stoffe, wie sich aus der stark lähmenden
Wirkung beim Tierversuch feststellen lässt. Alle diese Verbindungen
bilden neben den normalen Stoffwechselprodukten des Muskels eine grosse
Gruppe von „Ermüdungsstoffen“, denen sich noch eigenartige
Oedeme hervorrufende Gifte anreihen. Hier ist von grosser Be¬
deutung die Auffindung eines Capillargiftes im trichinösen Muskel,
das zu Darmblutungen, Lungenblähung und Lungenödem führen kann
und wohl das Frühödem, die Ecchymosen usw. bei Trichinosis bedingt.
— In biologischer Hinsicht ergaben sich folgende Resultate: Die Trichine
schliesst sich auch nach ihrer Lebensweise eng an die Darmhelminthen
an. Sie besitzt hohen Glykogen gebalt, es spielt also der Kohle-
bydratstoffwechsel eine grosse Rolle und deshalb findet die junge
Trichine gerade im Muskel günstige Vorbedingungen. Wegen des
Mangels an freiem Sauerstoff treten infolge der anoxybiotischen
Lebensweise zahlreiche Produkte unvollkommener Verbrennung auf,
besonders freie Fettsäuren. Die sonstigen sicher noch gelieferten
Ausscheidungen sind wahrscheinlich grösstenteils mit den intermediär
auftretenden Produkten des normalen Stoffwechsels des Wirtes identisch.
Die jungen Trichinen werden also zu ihrem Aufenthalt im Muskel durch
den Selbsterhaltungstrieb veranlasst.
i
Hr. Gerhardt:
Ueber Störungen der Waeserbilans bei Herzkranken.
Vortr. berichtet über einige Beobachtungen, welche den prompten
Erfolg der Karelischen Milchkur bei Herzkranken deutlich demonstrieren.
Gegenüber den Darlegungen einiger neuerer Autoren ist zu betonen,
dass solche gute Wirkungen, bei denen das Körpergewicht einmal in
8 Tagen um 17,5 kg sank, auch ohne Digitaliszugabe, ja mehrfach nach
vorangehender wochen langer erfolgloser Digitalisbehandlung erzielt
wurden. Für die Frage, ob Durstkuren mehr (nach Oertel’s Lehre)
das Herz oder mehr (nach moderner Auffassung) die Nieren entlasten,
lassen sich folgende Beobachtungen verwerten: Zwei Herzkranke mit
mässiger Kompensationsstörung erlitten nach einmaliger Zulage von
1 Liter Tee eine deutliche Steigerung der Störung; es blieb nicht nur
die sonst zu erwartende Vermehrung der Urinmenge aus, sondern die
Harnmenge sank am,.p'age nach dem reichlichen Trinken auf die Hälfte
der früheren Höhe nerab.« Die hierdurch nahegelegte Vermutung, dass
durch solch reichliches Trinken nicht die Nieren, sondern das Herz
stärker belastet und überanstrengt werde, fand eine Bestätigung in
folgendem Fall: Eine Herzkranke, welche 1 Liter superponierte Flüssig¬
keit retiniert hatte, schied 600 ccm intravenös injiziertes Salzwasser
prompt aus. _
N&tnrhistorlsch-medizinischer Verein zn Heidelberg.
Sitzung vom 25. Februar 1918.
Schriftführer: Herr Bettmann.
Vorsitzender: Herr Fischler.
1. Hr. Frennd:
Weitere Beiträge zia nervösen Meebanismns der Wftraeregnlatitn.
Wie früher gezeigt wurde, ist bei Tieren nach Brustraarkdurch-
schneidung bis hinauf zum zweiten Segment nur die physikalische Wärme¬
regulation gestört; eine völlige Störung der physikalischen und der che¬
mischen Regulation resultiert nach Halsmarkdurchschneidung. Es war
zu untersuchen, wo der Sitz der chemischen Regulation liege und auf
welchen nervösen Wegen ihre Beeinflussung möglich sei. Gegen die
überwiegende Bedeutung der motorischen Innervation der Muskulatur
sprach die Erfahrung nach Durchschneidung der peripheren Nerven und
nach Gurarisierung (Stoffwechselversuche, Wärmestichfieber, aseptisches
Fieber). Es ist daher das Hauptaugenmerk auf die Bauchorgane zu
richten. Die nervöse Versorgung des Bauches erfolgt auf drei Wegen:
1. Vagi, 2. Splanchnici, 3. Grenzstrang. Durchschneidung von Splanchnici
und Vagi unter dem Zwerchfell schädigt das Regulationsvermögen sehr
wenig (zum Teil kaum merklich). Werden aber Vagusdurchschneidung
und Brustmarkdurcb8chneidung oberhalb des 6. Segments kombiniert, so
verhalten sich die Tiere wie nach Halsmarkdurchschneidung „poikilo-
therm' 4 . Der gleiche Effekt tritt ein, wenn nach Brustmarkdurch-
schneidung noch die beiden Ganglia stellst«, oder die 8. Cervical- und
1. Dorsalwurzeln durchschnitten werden. Das alles sind Operationen,
welche den Grenzstrang teilweise vom Wärmecentrum abtrennen. Man
muss mit der Möglichkeit rechnen, dass die nervöse Beeinflussung der
Wärmebildung nicht unmittelbar, sondern auf dem Umweg über die
Drüsen mit innerer Sekretion (Nebenniere, Thyreoidea, Hypophyse) er¬
folgt. So wäre es vorstellbar, dass die Muskulatur auch ohne direkte
Innervation auf chemischem Wege für die Wärmeregulation in Betracht
kommen kann.
2. Hr. Fahreikaap:
Ueber das Saiteagalvanoneter aad seiae klinische Bedeitnng.
Nach einführenden Erklärungen über die Methodik und den Wert
des normalen Elektrocardiogramms zeigt der Vortr., wie das Electro-
cardiogramm imstande gewesen ist, die Arhythmie perpetua besser ver¬
ständlich zu machen. Die Arbythmia perpetua zeigt im Elektrocardio-
gramm ein charakteristisches Verhalten der Vorhofzacken, indem für
gewöhnlich an die Stelle der P-Zacken frequente Oscillationen getreten
sind, die den Erregungen der flimmernden Vorhöfe entsprechen sollen.
Neben Fällen von reinem Vorhofflimmern kann man zuweilen bei dem¬
selben Kranken Elektrocardiogramme aufnebmen, die bald mehr das
Bild der flimmernden Vorhöfe zeigen, bald deutlich erkennen lassen,
dass die Vorhöfe nicht flimmern, sondern nur tachycardisch schlagen.
Es lässt sich bei demselben Kranken zu verschiedenen Zeiten das ver¬
schiedene Verhalten der Vorhöfe zeigen. Bei einem Kranken bestand
eine Arhythmie mit tachycardischen Anfällen. Die Vorhöfe zeigten eine
Tachysystolie von 240, die Ventrikel schlugen arbythmisch 46 mal pro
Minute. In einem tachycardischen Anfall traten 240 Ventrikelschläge
auf, am Ende der Krankenhausbehandlung konnte man bei dem gleichen
Kranken ein normales Elektrocardiogramm erhalten. An zahlreichen
anderen Kurven lässt sich zeigen, dass bei der Arhythmia perpetua Ueber-
gänge bestehen zwischen Vorhofflimmern, arhythmischen Vorhofstachy-
systolien und rhythmischen Vorhofstachysystolien bei langsam oder
schnell arbythmisch schlagendem Ventrikel, und dass diese Rhythmus-
störungen zur Norm zurückkehren können.
Vortr. demonstriert ferner an Elektromyogrammen den Rhythmus
der Innervation bei dem Willkürtetanus (Unterarmflexoren), dem Strychnin¬
tetanus (Ratte), dem Tetanus eines Wadenkrampfes und dem tonischen
Krampfe (des Quadriceps) bei einem Falle von Jakson’scher Epilepsie.
Bemerkenswert ist, dass der Tetanus bei der Jakson’schen Epilepsie mit
einer Innervation beginnt, die einen ganz regelmässigen Rhythmus von
12 pro Sekunde hat Dieser Rhythmus ist noch längere Zeit zu er¬
kennen, während später ein frequenterer Rhythmus in die einzelnen
Phasen hineingesetzt erscheint.
8. Hr. Rnben:
Ueber Lokalisationsfehler bei AngennoskellähiiaBgen and bei Fusions-
bewegoigen.
Ueber den Einfluss der Augenbewegungen auf die absolute Lokali¬
sation, die Richtung, in der ein Gegenstand gesehen wird, stehen sich
im wesentlichen drei Anschauungen gegenüber, die sämtlich die Lokali¬
sationstäuschungen bei Augenmuskellähmung als Beweis für sich in
Anspruch nehmen. Die Anhänger der Innervationsempfindungen nehmen
einen falschen motorischen Innervationsimpuls an, Hering und Mach
eine falsche Richtung der Aufmerksamkeit; ihnen gegenüber führt James
die Täuschung auf veränderte, peripher ausgelöste Empfindungen von der
Stellung, des Augapfels zurück. , Sie , soll durch Mitbewegungen des
zweiten Auges zustande kommen, indem sich die Lokalisation des ge-
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14. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
707
lähmten Auges nach der des in Schielstellung befindlichen gesunden
richtet.
Diese Hypothese lässt sich experimentell prüfen. Nach ihr muss
sich die Lokalisation des gelähmten Auges ändern, wenn sioh dio Stellung
des gesunden ändert. Der Versuch wurde so ausgeführt, dass in einem
Falle von Abducenslähmung das verdeckte, gesunde Auge mit einer
Pinzette an der Conjunctiva gefasst und gedreht wurde. An sioh selbst
stellte Rüben ihn in der Weise an, dass ein Auge ständig, das zweite
abwechselnd mit einer Pinzette fixiert wurde. Das Resultat war, dass
der Lokalisationsfehler des gelähmten Auges immer genau der gleiche
blieb.
Zur Messung des Lokalisationsfehlers diente eine besondere An¬
ordnung des Gräfe’schen Tastversuches. Vor das zu prüfende Auge wird
ein Maddoxstab gesetzt und der Patient aufgefordert, mit einem Stock
auf den Liohtstreif zu deuten, als welcher ihm eine Kerzen flamme er¬
scheint, die vor einer Tangentenskala in 1 m Entfernung aufgstellt ist.
Gegen James sprechen auch die Fälle von frischer, unkomplizierter
Lähmung, in denen auch das gesunde Auge falsch lokalisiert. Diese
bisher sehr selten beschriebene Lokalisationstäuschung wurde in zwei
Fällen von Abducenslähmung beobachtet. Sie ist nach Rüben eine
indirekte Folge der Parese am anderen Auge der einzigen somatischen
Störung und beruht sehr wahrscheinlich auf der Nachwirkung von
Fusionsbewegungen im Entwicklungsstadium der Parese. Bei letzteren
treten infolge gleicher Kombination von willkürlichen und unwillkürlichen
Bewegungen die gleichen Lokalisationsfehler auf wie bei Vorsetzen eines
Prismas vor ein Auge.
Der Einfluss der Fusionsinnervation auf die Lokalisation lässt sich
mit Hilfe des oben näher beschriebenen Tastversuches untersuchen. Als
Beleg für Hering’s Lehre von der gleichmässigen Innervation beider
Augen kann angeführt werden, dass der Lokalisationsfehler annähernd
gleich der Hälfte der prismatischen Ablenkung war. Haben sich durch
Uebung die Handbewegungen der veränderten optischen Lokalisation an¬
gepasst, so besteht noch längere Zeit nach Fortnahme des Prismas eine
Nachwirkung der veränderen Einstellung, so dass ein Tastfehler nach
der entgegengesetzten Seite gemacht wird.
Zum Schluss wird kurz angedeutet, in welcher Weise eine Verbindung
zwischen den oben skizzierten Theorien möglich ist.
(Ausführliche Veröffentlichung im Gräfe’schen Archiv für Ophthalmo¬
logie.) Kolb-Heidelberg.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
Sitzung vom 27. Februar 1918.
Hr. Federlein demonstriert vor dem Röntgenschirm einen Fall von
Dextroeardie. Es besteht vollkommener Situs inversus.
Hr. Rodler demonstriert einen Patienten mit Platteaepithelcarci-
■om der Stirn, den er zurzeit mit Röntgenbestrahlungen behandelt.
Hr. Heinlein berichtet die Krankengeschichte eines 67jährigen Fein¬
goldschlägers, welcher seit SO Jahren mit verschiedenen Unterbrechungen
im Sebastian-Spital wegen der Folgen des chronischen Alkoholtests
untergebracht war und dort verstorben ist. Patient hat im Rausch
verschiedentlich Traumen erlitten, besonders im Jahre 1884 durch Sturz
von der Treppe eine starke Brustwandquetschung erlitten, die jahrelang
viel zu subjektiven Klagen Anlass gab, aber objektiv stets nur einen
geringen positiven Befund ergab.
Bei der Sektion fand H. eine 12 cm lange und 4 cm breite Kalk¬
platte der rechten Lungenpleura, welche, der Umgrenzung der
hinteren Achselhöhlenlinie entsprechend, der 8. Rippe derbzellig ad-
härent war. Diese Rippe selbst zeigte an ihrer Innenfläche in der Aus¬
dehnung des durch das derb-fibröse Gewebe hergestellten Kontaktes mit
der Kalkplatte kleine, ziemlich dicht stehende, warzige Osteopbyten.
Gröbere Veränderungen an der Rippe fehlten, eine Rippenfraktur war
auszuschliessen. Infolge günstiger Elastizitätsverhältnisse bei diesem
Patienten hat das Trauma lediglioh Kontinuitätstrennungen des Rippen¬
periosts an der Innenseite mit nachfolgender ossifizierender Periostitis
und Läsionen der benachbarten Lungenpleura gesetzt, an die sioh die
Entwicklung der in der Ausdehnung genau der Kontur der angrenzenden
8. Rippe entsprechenden Kalkplatte anschloss. H. weist darauf bin,
welche Schwierigkeiten der Fall geboten hätte bei den jahrelang be¬
stehenden erheblichen subjektiven Beschwerden und dem geringen ob¬
jektiven Befund für die Festsetzung einer Unfallrente. Die bei der
Sektion gefundene beträchtliche Hypertrophie des rechten Ventrikels
— ein Mitralisfehler oder ein stärkeres Emphysem bestanden nieht —
illustriert den Folgezustand der durch die ausgedehnte Obliteration der
Pleurahöhle und vielleicht auch durch die bestehenden Schmerzen hervor¬
gerufenen Beeinträchtigung der Costalatmung, des dadurch bedingten
erschwerten Zuströmens des Blutes in die Lungen und des daraus her¬
vorgehenden Widerstandes für die rechte Kammer. Das Leichenpräparat
wird demonstriert.
(Der Fall wird in extenso in der Deutschen medizinischen Wochen¬
schrift publiziert.) _
Sitzung vom 13. März 1913.
Hr. Fttnrohr: Die Binet-Simon-Bobertag’sehe Intelligeisprobe.
Vortr. bespricht eingehend die Probe und illustriert dieselbe mit
Resultaten, die er bei verschiedenen Patienten erhielt. Kraus.
<;
Unterelsftsslscher Aerztevereln zu Strasburg i. E.
Sitzung vom 25. Januar 1913.
1. flr. Madelung (Vorführung von Kranken): a) Wiedervorstellung
eines Knaben, welcher in der Sitzung des Vereins vom Dezember 1911
demonstriert wurde. Gewaltiger rechtsseitiger Stimhirnprolaps, im
Anschluss an Hufschlag entstanden. Komplizierte Schädelfraktur. Bei
Anwendung einer konservativen Therapie tritt spontane Zurückbildung
des Prolapses ein. Derselbe bat sich überhäutet und ist vernarbt.
Vortr. gedenkt die pulsierende Lücke im Knochen nach einigen Jahren
durch eine osteoplastische Operation zu schliessen.
b) Wiedervorstellung eines 15 jährigen Burschen, bei welchem wegen
elephantiastischer angeborener Verdickung des linken Armes vor einiger
Zeit die Lymphangloplastik (Handley’s Fadendrainage) ausgeführt
worden war. Der Patient wurde vollständig arbeitsfähig und ist gesund
geblieben. Die Methode hat sich also auch für die kongenitale
Elephantiasis bewährt.
c) Heilung einer Halswirbelfraktur bei einem 59 jährigen Mann,
der in der Trunkenheit in einem Keller die Treppe hinabgestürzt war-
Beide Arme waren gelähmt. Durch die Röntgenuntersuchung wurde
festgestellt, dass eine komplette Luxation des 5. Halswirbels bestand.
Das Rückenmark war offenbar unverletzt geblieben. Auffällig ist der
Kontrast des Röntgenbildes mit der schweren Läsion der Wirbelsäule
und den geringen klinischen Erscheinungen. Komplette Brüche der
Halswirbelsäule können sogar symptomlos bleiben und werden nur
durch das Röntgenverfahren aufgeklärt, welches darin Ausgezeichnetes
leistet.
d) Habituelle Luxation des linken Sehultergelenks bei einer
36 jährigen Frau. Dieselbe ist zum erstenmal vor einem halben Jahre
spontan ohne Trauma eingetreten. Diese Luxation kann jederzeit bervor-
gerufen werden (Demonstration). Unter Knacken geht der Kopf aus der
Pfanne, und zwar nach vorn (nicht unter den Processus coracoides) und
wieder zurück. Die Röntgenplatte zeigt Kopf und Pfanne normal.
Wahrscheinlich handelt es sich um Syringomyelie. Mit Erfolg wurde
ein Apparat angewendet, um den Arm in normaler Lage zu halten.
e) 37 jähriger Patient, der in eine Abfallgrube, die er reinigen
sollte, gefallen war. Nach 8 Tagen trat Fieber, Schwellung des Gesichts
und Eiterung aus der Nase ein. Die Jauche war in die Nase und in
die Nebenhöhlen eingedrungen. Radikale Operation der Stirnhöhlen
mit Entfernung eines grossen Teiles des rechten Stirnbeins. Spaltung
des Abscesses und Abtragung des nekrotischen Knochens.
f) Russ oder Teerkrebs des Scrotums bei einem Arbeiter aus den
Petroleumwerken in Pecbelbronn.
g) Zwei Fälle von Leberabseessen, deren Aetiologie nicht fest¬
zustellen war, da weder Amöben noch Bakterien nachweisbar waren.
Der eine Fall stammt aus Mexiko. In beiden Fällen wurde transpleural
vorgegangen.
2. Hr. Tilp: Demoustratiou eiues Steinkindes.
Bei der Sektion einer an chronischer Nephritis, Arteriosklerose und
Herzhypertrophie gestorbenen 56 jährigen Frau fand sich ein Lithopädion.
Dasselbe hing am unteren Ende des Omentum majus und war steinhart.
Die bedeckenden Weichteile waren geschwunden und die Teile des
Skeletts gut sichtbar. Der Kopfumfang betrug 16,25 cm, die Länge des
Oberschenkelknochens 4,5 cm und die des Humerus ebenfalls 4,5 cm.
Diese Maasse entsprechen, wie durch vergleichende Messungen festgestellt
wurde, einem Fötus vom Ende des 5. Monats. Wie die Anamnese ergab,
hatte die Frau keine Kinder gehabt. Die Menses waren bereits mit
35 Jahren cessiert Daraus ergibt sich, dass der Fötus mindestens
21 Jahre lang getragen wurde. Während die rechten Adnexe normal
waren, zeigte die linke Tube in ihrem ampullären Teil eine Narbe mit
Bildung eines derben weisslichen, fibrösen Knopfes. An dieser Stelle
war das Tubarrohr inviabel. Diese Stelle muss als die Beratungsstelle
der schwangeren Tube angesehen werden. Von Placenta und Eihäuten
konnten makroskopisch keine Residuen gefunden werden. (Dieser Fall
wird von Herrn stud. med. Bien er genauer beschrieben und mikro¬
skopisch untersucht werden.)
3. Hr. Vogt:
Icterus nach rectaler Salvarsaaiajektioi bei eiaem Falle yqb kon-
genitaler Lues.
Etwa 6 jähriger Knabe mit Hautausschlag, der nach anti luetisch er
Behandlung verschwand. Jetzt linksseitige Pupillenstarre und Erlosohen-
sein der Patellarreflexe. Wassermann positiv. Nach rectaler Applikation
von 0,2 Salvarsan, die nach 8 Tagen erneuert wurde, trat Appetitlosig¬
keit, Erbrechen, Zeichen von Nierenreizung, Gewichtsabnahme, Leber-
vergrösserung und Icterus auf. Vortr. erwähnt die Möglichkeit eines
Zusammenhangs zwischen der Injektion und dem Icterus, obwohl er
katarrhalischen Icterus und eine luetische Lebererkrankung nicht aus-
schliessen kann. Jedenfalls seien die ersten Salvarsaninjektionen sehr
vorsichtig zu dosieren, da die Möglichkeit einer Uebererapfindlichkeit
bestehe.
Diskussion: HHr. Wolff, Cahn,,jlügel.
4. Hr. Reicher- Bad Mergentheim (a. G.):
Ueber die Bedeataag von BlutzuekerbcstiaimnBgen für die Diagnose
und Therapie des Diabetes Mellitus.
Die vom V$rf. ausgearbeitete Methode der Bldtzuokerbestimmung
ermöglicht ew, mit einfachen Mitteln und geringen Blutmengen zu arbeiten.
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UNIVERSUM OF IOWA
708
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
(Vorführung der Technik.) Die Vorzüge dieser Methode sind: 1. Es
lassen sich Fälle von latentem Diabetes finden; 2. besitzt man eine
Kontrolle für den Erfolg einer Diät- oder Trinkkur; 3. hat man ein An¬
zeichen für das Herannahen des Comas. Tilp-Strassburg i. E.
Medizinische Gesellschaft za Basel.
Sitzung vom 6. März 1913.
1 . Hr. Gelpke (Demonstrationen): 1 . Incarcerierte Hernie mit aus¬
gedehnter Gangrän des Darmes, welche Resektion einer Darmschlinge von
75 cm notig machte. Bruchsack wurde abgestossen, der rechte Hoden
ebenfalls, Heilung.. 2. Magenresektionen mit ein- und zweizeitiger Ope¬
ration infolge Carcinoms mit guten Erfolgen quoad Allgemeinbefinden,
die vorher marantischen Patienten erholten sich post operationem gut.
3. Einige Fälle von llens.
2. Hr. Fisch: Pestepidemie an der Goldktiste.
Ref. berichtet über die Erfahrungen, die er als Missionsarzt während
einer Pestepidemie in Agra gemacht hat. Früher war in Agra Cholera,
Pest, Typhus, Diphtherie unbekannt. Im Jahre 1907 ereigneten sich
viele Todesfälle, welche, da keine amtliche Todesstatistik vorliegt, den
Eingeborenen auffielen; gleichzeitig wurden sehr viele tote Ratten vor¬
gefunden. Nachforschung im Jahre 1908 ergab, dass die Ratten Pest¬
ratten waren und es sich um eine Pestepidemie handelte. Die Erkran¬
kungen lokalisierten sich auf das Eingeborenenvierte], wo die Neger,
namentlich die armen, unter sehr ungünstigen hygienischen Verhältnissen
und in tiefem Schmutz leben; im europäischen Viertel, das etwas ab¬
seits liegt, keine Pesterkrankung. In zwei kleinen Krankenhäusern —
nicht modern eingerichtet — pflegte Ref. im ganzen 38 Pestkranke mit
einer Letalität von 58 pCt. Seine Beobachtungen stimmen in bezug auf
das prozentuale Verhältnis des Befallenseins der verschiedenen Drüsen¬
regionen mit der Statistik von Aleppo überein. Symptome — abgesehen
von lokalen — hochgradiger Status typhosus, selten Herpes labialis,
grosse Hinfälligkeit, Dyspnoe, vermehrter Hautturgor, Milz und Leber
vergrössert. Nervöse Symptome trüben Prognose nicht. Primäre und
sekundäre Lungenpest haben absolut infauste Prognose, sämtliche Kranke
starben. An Bubonenpest starben von Erwachsenen 2 / 8 , v° n Kindern l /s-
Ref. schildert die Verschleppung der Epidemie in zwei benachbarte
Dörfer durch an Lungenpest erkrankte Individuen. Die dort ent¬
standenen Epidemien kounten in relativ kurzer Zeit durch entsprechende
Maassnahmen: Desinfektion, Isolation der Kranken, Verbrennen der
Häuser, zum Verschwinden gebracht werden. Ref. rühmt das unbedingte
Vertrauen, das die Neger ihm und seinem ärztlioben Handeln entgegen¬
brachten und das ihm die Arbeit weitgehend erleichterte.
Wolfer - Basel.
K. k. Gesellschaft der Aerzte za Wien.
Sitzung vom 21. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Benedikt demonstrierte eine Frau mit einem neuen Symptomen-
komplex.
Die Kranke hatte vor 6 Wochen vollständige Taubheit auf dem
rechten Ohr, Parese und leichte Anästhesie auf der linken Seite uud
eine Schwellung der Lymphdriisen. Ferner hatte die Kranke die Ten¬
denz, nach vorn zu laufen, die Hände hatten die Stellung einer Schreiben¬
den. Derzeit geht es der Kranken besser, die Drüsenschwellungen sind
verschwunden, der Ohrbefund ist normal, Wassermann negativ.
Hr. Finsterer demonstrierte 3 Fälle, bei welchen er ein Magen-
carcinom zur Röntgenbestrahlung vorgelagert hatte.
An der Klinik Höchen egg wurden bisher 8 Fälle in dieser Weise
behandelt. Es wird durch einen medianen und einen sich anschliessen¬
den queren Schnitt das Magencarcinom freigelegt und vorgelagert. Der
Tumor wird mit grossen Röntgendosen behandelt. Die Vorlagerung und
Bestrahlung bilden eine palliative Behandlung und sind nur bei inope¬
rativen Fällen anzuwenden.
Hr. Terc führte 2 Fälle vor, bei welchen akute retrobulbäre Neu¬
ritis durch Nasenbehandlung beseitigt wurde.
Die Symptome bestanden in Verschlechterung des Sehvermögens
eines Auges fast bis zur Amaurose; es wurde ein grosses centrales Skotom
nachgewiesen. Der Befund am Auge war normal.
Als Ursache dieses Leidens wurde eine Verdickung des vorderen
Eudes der mittleren Nasenmuschel gefunden. Nach Scarifikation der
Schleimhaut verschwand das Skotom.
In den meisten Fällen reicht man mit der Cocainisierung des vor¬
deren Teiles der mittleren Nasenmuschel aus. Wenn dies binnen einigen
Tagen nicht zum Ziele führt, so wird scarifiziert. Wenn auch dieser
Eingriff versagt, müssen die Nebenhöhlen der Nase auf eine Erkrankung
untersucht werden.
Hr. Schwarzwald zeigte das anatomische Präparat einer mit
Kollargol bei Pyelographie imprägnierten Niere.
Eine 42jährige Frau bekam eine linksseitige Pyelonephritis. Es
wurde die Pyelographie ausgeführt und das Nierenbecken mit Kollargol
ausgefüllt. Die Niere wurde exstirpiert; an derselben fanden sich buck¬
lige Hervorragungen und auf dem Querschnitt keilförmige, durch Kollargol
pigmentierte Herde. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass nur
die schon früher erkrankten Teile der Niere mit dem Pigment impräg¬
niert waren.
Hr. Schwarzwald berichtete über einen Fall von Naht der arro-
dierten Iliaca exteraa.
Nach einer Appendioitisoperation bei einem 10jährigen Knaben trat
eine schwere Blutung auf, welche aus einem Längsriss der Iliaca externa
stammte. Nach der ausgeführten Gefässnaht wurden Teile von 3 Zehen
gangränös. Der Kranke starb an Ileus. Bei der Obduktion erwies sich
die Gefässnaht als suffizient, im Gefässinnern sass über ihr ein Thrombus.
Hr. Schopper:
Erfahrungen über die Cholera in Ostrnmclien während des
Balkaakrieges.
Die ersten Cholerafälle wurden im türkischen Heere im November
bei San Stefano beobachtet; als die Bulgaren in die türkischen Stellungen
einrückten, trat die Cholera auch im bulgarischen Heere auf. Die bul¬
garische Heeresleitung verordnete deshalb für die nach Bulgarien Zurück¬
kehrenden eine 5 tägige Quarantäne auf türkischem Gebiete. Vortr.
reiste mit 3 Aerzten auf Aufforderung der bulgarischen Regierung nach
Sofia, um die Bekämpfung der Cholera zu organisieren. Es wurde ein
bakteriologisches Laboratorium mitgenommen, und ein zweites wurde
später nacbgeliefert. Da es unmöglich war, an allen Orten, wo die
Cholera auftrat, bakteriologische Laboratorien zu errichten, reiste ein
Arzt immer in den verseuchten Ort und untersuchte die verdächtigen
Fälle, die Kulturversuche wurden erst nach Rückkehr in den Standort
des Laboratoriums vorgenommen. Die Expedition arbeitete durch fünf
Wochen in zwei Partien, deren Standorte Stara Zagora und Dimotikä
waren. Die verseuchten Kasernen wurden desinfiziert und die Kranken
isoliert. Als Vermittler der Choleraübertragung wurden die Transport-
kutseber eruiert. Unter den am 10. Dezember gefangen genommenen
16 000 Türken fanden sich’ mehrere Fälle von Cholera, auch hier wurden
die nötigen Vorkehrungen getroffen. Unter 120 bakteriologisch unter¬
suchten Fällen fand sich in 28 Cholera, in 2 Typhus, in 8 Paratyphus,
ausserdem Dysenterie. Der aus den Fällen gezüchtete Vibrio hatte eine
verhältnismässig geringe Virulenz, da die Mortalität nur 85,7 pCt. betrug.
Das klinische Bild der Cholera war bloss bei wenigen Fällen ganz deut¬
lich ausgeprägt.
Sitzung vom 28. Februar 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Freud berichtete über die Wirkung des Mesothorinns bei
einem Lnpnsfalle.
Das Mesothorium sendet ß - und y-Strahlen aus, welche eine etwas
geringere Penetrationskraft als die Radiumstrahlen haben. Bei dem vor¬
gestellten Lupusfalle zeigten Mesothorium und Radium gleiche Ver¬
änderungen.
Hr. Alt demonstrierte eine Frau, bei welcher er wahrscheinlich
durch ein Aneurysma erzeugte Ohrgor&oschc dnreh Gefässnnterbindnng
beseitigt hat.
Die Frau litt, bei normalem Ohrbefunde, an Ohrgeräuschen, welche
auch objektiv wahrnehmbar waren. Es handelte sich zweifellos um ein
kleines, nicht nachweisbares Aneurysma in der Nähe des Ohres. Nach
Unterbindung der A. occipitalis, auricularis posterior und Carotis
externa über dem Abgänge der Maxillaris externa verschwanden allmäh¬
lich die Geräusche.
Hr. ßachrach führte eine 30 jährige Frau mit einem Speichelsteil
der Sabmaxillardrfise vor.
Patientin hat seit drei Jahren starke ausstrahlende Schmerzen in
der Submaxillardrüse, diese und die Umgebung sind geschwollen, die
Geschwulst geht zeitweise unter starkem Speichelfluss zurück. Die
Röntgenuntersuchung ergab einen Speichelstein im Ausführungsgang der
Submaxillardrüse.
Ferner demonstriert Hr. Bachrach zwei Blaseisteine toi Warei-
ballenform.
Man sieht auch deutlich eine Verschnürung derselben, ein organisches
Gebildes ist an den Steinen nicht nachzuweisen. Die Steine sind bei
einem 76 jährigen Manne durch Sectio alta entfernt worden.
Hr. Breltner:
Ueber kriegschirargische Erfahrungen im Balkankriege.
Vortr. bringt in Vertretung von Herrn Clairmont eine Richtig¬
stellung gegenüber Herrn Steiner. Clairmont habe nicht gefordert,
dass die zur Hilfeleistung im Kriege beigezogenen Aerzte Chirurgen sein
sollen, sondern dass die Aerzte auch Wundärzte sein müssen, d. h. sie
müssen es verstehen, die Wundbehandlung nach modernen Prinzipien
durch zu führen, und dies muss gelernt sein. Im bulgarischen Kriege hat
gerade die unzweckmässige Behandlung der Wunden zu irreparablen
Schädigungen geführt. Neben dem Chirurgen, welcher in einer weiteren
Etappe die notwendigen Operationen auszuführen hat, sind auch Ver¬
treter anderer Spezialfächer im Kriege notwendig. Die Kritik über die
Pflegerinnen bezog sich nur auf die freiwilligen Pflegerinnen, welche
Clairmont und dem Vortr. zugeteilt waren, nicht aber auf andere
Pflegerinnen. Den ersteren hat der Wille zur Arbeit gefehlt, und sie
haben alle versagt. Die Aerzte mussten selbst Betten machen und die
Patienten reinigen, eine Diensteinteilung durchzuführen war unmöglich.
Um 6 Uhr abends verliessen alle Pflegerinnen das Spital, unbekümmert
darum, ob noch Verwundete zu versorgen waren. Sie haben auch in
psychischer Beziehung versagt. _
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UNIVERSUM OF IOWA
14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
709
Hr. Benedikt:
Ueher die gekreiste Lfihnnng des Acustitus nd der Extremitäten.
Yortr. erinnert an den in der vorigen Sitzung demonstrierten Fall
von Taubheit an einem Ohre mit gekreuzter schwacher Lähmung und
Anästhesie der Extremitäten und Sohwaohsinn. Die Labyrinthnerven
waren intakt, ebenso die vasomotorischen Nerven, welche im Acusticus
verlaufen. Es ist anzunehmen, dass die Läsion in dem sensorischen
Ganglion des Acusticus sitzt, welches im äusseren oberen Winkel des
Raumes liegt, welcher von den Corpora restiformia und der Acustious-
strahlung begrenzt wird. Bei der Kranken war ferner Propulsion vor¬
handen, diese kommt auch als einziges Symptom bei manchen Fällen
von Paralysis agitans vor. Magen di hat die Propulsion bei Tieren
duroh Abtragung des Streifenhügels erzeugt. M. Schiff in Florenz hat
naobgewiesen, dass die Versuchstiere Magendi’s nicht an Propulsion,
sondern an Flexibilitas cerea leiden, dass sie zur Vorwärtsbewegung
durch einen Reiz angeregt werden, und dass sie in derselben nicht will¬
kürlich aufhören können. Vortr. hat den Satz aufgestellt, dass die
Pyramiden nichts mit den willkürlichen Bewegungen zu tun haben,
sondern dass sie die Festlegung der Gelenke bei Bewegungen besorgen.
Der Kern für diese Fixation befindet sich zwischen den Oculomotorius-
und Acustiouskernen. Bei einem Fall von geheilter Myelitis hat Vortr.
beobachtet, dass der Pat nicht ruhig stehen bleiben konnte, sondern
immer Bewegungen vor- und rückwärts machte. H.
Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde zu Wien.
Sitzung der pädiatrischen Sektion vom 6. März 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. T. Khautz demonstrierte ein 5 jähriges Mädchen mit über¬
standener akuter eitriger Osteomyelitis der Clavicula.
Hr. Bergmeister stellte einen Knaben mit angeborener beider¬
seitiger Linsenektopie vor.
Der Knabe kann grössere Ziffern lesen; er hat an einem Auge
zweierlei Refraktion, indem der obere Teil der Pupille wegen der starken
Wölbung der Linse myopisch, der untere, linsenfreie Anteil hyper-
metropisch ist. Gegenwärtig ist bei dem vorgestellten Falle ein thera¬
peutisches Vorgehen nicht indiziert.
Hr. Frtisehels demonstrierte einen 10 jährigen Knaben, welchen er
vor 3 Monaten mit absoluter Stummheit, aber normalem Sprach¬
verständnis vorgestellt batte.
Das Kind kann jetzt, nach normalem Taubstummenunterrichte, viele
Gegenstände benennen und kurze Sätze sprechen.
Hr. Mayerhofer demonstrierte ein 5 Wochen altes Kind mit Mikro-
myelie infolge Chondrodystrophie.
Das Kind hat abnorm kurze Extremitäten, eine Plattnase; die Haut
sieht aus, als wenn sie zu gross wäre, und es besteht eine Andeutung
von Uvulaspaltung.
Hr. Rach zeigte einen Säugling mit verrueöser Form des Brom¬
exanthems.
Das Kind bekam einer schweren Pertussis wegen binnen 25 Tagen
20 g Natrium bromatum, kaffeelöffelweise in wässriger Lösung.
Hr. Hochsinger:
Ueber bedeutungslose Geräusche in der Präcordialgegend von Kindern
nnd Jugendlichen.
Geräusche in der Präcordialgegend ohne pathologische Bedeutung
kommen in jeder Epoche des Kindesalters vor, sind aber erst nach dem
3. Lebensjahre häufiger und zwischen dem 10. und 14. Lebensjahre am
allerhäufigsten. Man kann diese Geräusche einteilen in solche, welche
durch eine Beeinflussung der inspiratorisch gefüllten Lungenränder
seitens der Herzkontraktionen zustande kommen, sogenannte Herz-
Lun gen geräu sehe, und in solohe, welche im Herzinnern selbst ent¬
stehen, sogenannte accidentelle oder funktionelle Herzgeräusche.
Diese bedeutungslosen Geräusche zeigen gewisse Unterschiede, welche
eine klinische Abgrenzung ermöglichen. Das wichtigste ist, dass die
Herz-Lungengeräusche bei sistierender Atmung verschwinden, während
die endooardialen accidentellen Geräusche vom Atmungsstillstand un¬
beeinflusst bleiben. Körperliche und psychische Erregung wirkt auf
beide Geräuscharmen verstärkend. Endocardiale accidentelle Geräusche
kommen nach den Erfahrungen des Vortr. im Säuglings- und frühen
Kindesalter nicht vor, wohl aber Herz-Lungengeräusche und atonische
Herzgeräusche, aber auch diese ganz ausserordentlich selten. Die
Differenz der Anschauungen über das Vorkommen oder Fehlen von
accidentellen Herzgeräusohen in der frühesten Kindheit beruht darauf,
dass zwischen Herz-Lungengeräuschen, accidentellen und atonischen
endocardialen Geräuschen der Kinder bisher nicht genügend differenziert
wurde. Der von Schlieps eingeführte Terminus „atonische Herz-
geräusche w deckt sich nicht mit dem, was die Autoren accidentelle
oder funktionelle Herzgeräusche nennen, ist aber sehr bezeichnend für
jene Geräusohe, welche bei nachweisbaren Zuständen von kindlicher
Herzatonie (niederer Blutdruck, schlechte Arterienfüllung, dilatative
Schwäche) Vorkommen. Diese Geräusche besitzen im Gegensätze zu den
cardiopulmonalen una accidentellen Geräuschen eine erhebliche patho¬
logische Bedeutung, sind aber gleichfalls im frühen Kindesalter ausser¬
ordentlich selten. H.
Verein deutscher Aerzte zu Prag.
Sitzung vom 7. März ; 1913. . > .
Hr. Pueher-Kladno:
Ueber kriegsehirurgisehe Erfahrungen im letzten Balkankriege.
Der. Vortr. weist zunächst auf die erheblichen Schwierigkeiten hin,
die die österreichische Hilfsexpedition des „Roten Kreuzes“ (zwei Aerzte,
zehn Krankenschwestern, reichliches Sanitätsmaterial) in der Türkei zu
überwinden hatte, bevor sie ihre Tätigkeit entfalten konnte. Die
Expedition führte erst nach Saloniki und von dort nach kurzem Aufent¬
halte nach Konstantinopel, wo sie in der als Notspital eingerichteten
Taschkischlikaserne tätig war. Behandelt wurden 650 Verwubdete, von
denen ca. 1 pCt. starb, 67 pCt. geheilt und 32 pCt. invalid wurden. Das
Verhältnis der Verwundungen duroh Gewehrprojektile zu denen durch
Geschützprojektile war 58: 42. 70 pCt. waren Extremitätenverletzungen,
3 pCt. Lungenschüsse (von denen alle geheilt wurden), 2 pCt. Kopf¬
schüsse und 4 pCt. Bauchschüsse kamen zur Beobachtung. 75 pCt. aller
eingelieferten Verwundeten waren infiziert. Alle Frakturen kompliziert.
Von vier Tetanusfällen starb einer. Antitoxinbehandlung erwies sich
als wertlos.
Die Narkose bei den (ausschliesslich türkischen) Verwundeten zeigte
auffallende Erscheinungen. Fehlendes Exzitationsstadium, keinerlei Uebel-
keiten nach dem Erwachen. Die Therapie war möglichst konservativ,
Jodtinktur und Mastinol bewährten sich bestens. Peinlichste Asepsis
(Gummihandschuhe). Die konservative Behandlung erfordert vielfach
plastische Operationen, derentwegen die Patienten viel länger in Spitals¬
behandlung bleiben müssen, als bei weniger konservativer Behandlung.
Darin liegt nach der Meinung des Vortr. eine gewisse Gefahr, da die für
den Kriegsfall vorbereiteten Spitäler eventuell nicht ausreichen könnten.
Mit Rücksicht auf diesen Umstand müssen die Vorbereitungen noch er¬
weitert werden. Die kleinkalibrigen Infanteriegewehre erweisen sich als
die humansten Geschosse, vielleicht für den Kriegszweck zu human, da
doch der Verwundete für den ganzen Krieg ausgeschaltet sein soll. ! Da¬
gegen stellen sich die Geschützprojektile als fürchterliche Geschosse dar.
Im Anhänge berichtet Herr P. über die gemachten Cholera¬
erfahrungen, wobei er bemerkt, dass das angewendete Serum keinerlei
Erfolg brachte.
Die freiwillige Krankenpflege durch Frauen bewährte sich nach der
Ansicht des Vortr. nicht. Für das Allerwichtigste hält Herr P. die
primäre Anlegung eines aseptischen Verbandes und empfiehlt Päckchen
mit aseptischer Gaze, nicht mit imprägnierter. 0. Wiener.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin.
(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.)
(Fortsetzung.)
Hr. Brandes-Kiel berichtet über experimentelle Untersuchungen
aus der Anschütz'sehen Klinik, welche vorgenommen waren, um den
zeitlichen Ein tritt der durch Inaktivität bedingten Knochen¬
atrophie im Röntgenbilde festzustellen.
Es war bei Kaninchen ein Stück der Achillessehne reseziert worden,
um die Funktion des Fusses, vor allem des Calcaneus herabzusetzen
und den Einfluss dieser Funktionsberaubung auf das Knochenskelett in
verschiedenen Versuchsserien zu studieren. Ausserdem wurde die durch
Gipsverbände bedingte Immobilisationsatrophie am Kaninchenfusse eben¬
falls im Röntgenbilde untersucht. Die projizierten Röntgenbilder zeigen
das auffallend frühe Entstehen und die weitere Entwicklung der In¬
aktivitätsatrophie.
Die aus den verschiedenen Untersuchungen gewonnenen Resultate
fasst Brandes in folgende Sätze zusammen:
1. Der Kanlnchencalcaneus ist ein ausgezeichnetes Objekt für der¬
artige röntgenologische Untersuchungen über Knochenatropbie. Voraus¬
sichtlich lassen sich auf diesem Wege auch wertvolle vergleichende Re¬
sultate über die verschiedenen Atrophieformen gewinnen.
2. Die Inaktivitätsatrophie des Knochens kann nicht als eine spät
eintretende Form der Atrophie charakterisiert werden; an geeigneten
Untersuchungsobjekten lässt schon eine einfache Funktionsverminderung
eine rapide eintretende und schnell fortschreitende Knochenatrophie des
Fussskeletts in Erscheinung treten.
3. Auch nach Immobilisation tritt in kurzer Zeit eine Inaktivitäts-
atropbie am Knochen ein.
4. Die in diesen Experimenten gefundenen Zeiten des Eintritts der
Ioaktivitätsatrophie sind noch kürzer als die für den Menschen ange¬
gebenen Zeitwerte des Eintritts der akuten, reflektorischen Atrophie.
5. Nach diesen Ergebnissen der Experimente scheint die sogenannte
akute, reflektorische, trophoneurotische oder entzündliche Knochenatrophie
der Hauptstütze ihres Existenzbeweises beraubt zu sein, genau so wie
auch die Existenz einer reflektorischen, akuten Muskelatrophie durch
die Arbeiten von Schiff und Zack-Wien erneut bezweifelt werden
konnte.
Hr. Axbausen-Berlin: Ergebnisse der experimentellen freien
Schleim h au tüberp fl an zung.
Magen- und Blasensohleimhaut bleiben bei autoplastischer Ueber-
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UMIVERSITY OF IOWA
710
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Pflanzung erhalten. Das Epithel breitet sich aus und schliesst sich zur
Cyste ab. Homöoplastisohe Transplantate gehen zugrunde.
Hr. Glaessner- Berlin: Zur Entstehung der Coxa vara.
Es handelt sich um eine Krankheit des Epipbysenknorpels; der
Parallelismus der Aohsen von Schenkelhals und -köpf wird gestört, die
Kopfkappe sinkt allmählich herab. Durch Redressement und Fixierung
im Gipsverband gehen die Veränderungen zurück.
2. Hauptthema: Ulcus duodeni.
Referent: Herr Köttner-Breslau.
Auf Grund seiner eigenen Erfahrungen sowie einer Rundfrage an
80 Chirurgen, die 800 Fälle ergibt, bespricht Ref. die wichtigsten Fragen
zur Pathologie und Therapie des Ulcus duodeni. Die scheinbaren Wider¬
sprüche zwischen den deutschen und anglo-amerikanischen Zahlen lösen
sich bei gebührender Berücksichtigung der Verhältnisse (dort Zusammen¬
strömen der Fälle in wenige Hände, hier Operation nur in vorgeschrittenen
Stadien) restlos auf. Die Vorbedingungen der Entstehung eines akuten
Ulcus duodeni: Laparotomie* Appendicitis, septische Infektion usw., zu
denen nach den Erfahrungen in seiner Klinik auch die Amputationen
hinzukommen, gelten zum Teil auch für das chronische Ulcus, wiewohl
hier verschiedene Bedenken stattfinden. Von der Symptomatologie wird
seit Moynihan die Anamnese in den Vordergrund gerückt. Der Hunger¬
schmerz, gleichbedeutend mit dem Spätschmerz und dem Nachtschmerz
und die Periodizität. Die Schmerzen beruhen auf Pylorospasmus und
sind in ihrer Eigenart nicht streng pathognomonisch. Ulcus ventriculi
und Carcinome können sie auch bewirken.
Konstanter ist die Periodizität als Ausdruck von Heilungsvor¬
gängen und Recidiven — daher auch das Fehlen okkulter Blutungen
im Intervall.
An objektiven Symptomen ist in letzter Zeit einiges ermittelt
worden. Die Hyperchlorhydrie ist nicht konstant, auch nicht über¬
wiegend häufig. Achlorhydrie kommt vor. Wichtiger ist die Hyper¬
sekretion, auch im nüchternen Magen. Die Motilität zeigt intermittierende
Insuffizienzen, transitorische 12 Stunden-Retention (Kämp). Okkultes
Blut kann selbst im floriden Stadium fehlen. Der spontane Schmerz
wird ins Epigastrium, meistens wenig rechts von der Mittellinie verlegt.
Der Druckschmerz sitzt an gleicher Stelle, noch häufiger ist die Empfind¬
lichkeit diffus. Sichtbar und tastbar sind nach der Laparotomie nur
die Geschwüre der Vorderwand, daher ist die Eröffnung des Duodenums
für den tastenden Finger notwendig (Wilms). Komplikationen sind sehr
häufig, so dass Simmonds z. B. das Ulcus duodeni in 70pCt. als Todes¬
ursache (Blutung, Perforation) findet, das Ulcus ventriculi dagegen
meistens als Nebenbefund. Als Grenze zwischen Magen und Duodenum
ist (zwar nicht für wissenschaftliche, aber für praktische Zwecke) die
Mayo’sche Vene ausreichend. Die Unterscheidung des Ulcus pylori
vom Ulcus duodeni ist wegen der Verschiedenheit der Prognose von
Wichtigkeit.
Die Heilungstendenz ist gering, vernarbte Ulcera duodeni sind sehr
selten. Die Behandlung muss, so lange die Erfolge der inneren Therapie
unsicher bleihen, eine chirurgische sein, und zwar seltener eine direkte,
da die Resektion nur bei Geschwüren der Vorderwand möglich ist, dort
gefährlich ist und selbst da gegen Recidiv nicht schützt, als eine indirekte.
Von den indirekten Methoden bewirkt die Gastroenterostomie beim
Fehlen der Stenosen keine ausreichende Ausschaltung. Daher ist
sie durch künstliche Stenosierung zu ergänzen. Die Uebernähung des
Geschwürs nebst Raffung von Moynihan befriedigt nicht allgemein und
zeigt sich im Experiment unzulänglich. Aehnliches gilt von der Faden¬
umschnürung. Auch die von Tappeiner experimentell gegrüfte Wilms-
sche Fascienstreifenschnürung scheint nicht ganz sicher. Ideal ist die
Durchtrennung des Pylorus nach Eiseisberg, doch gibt sie eine Er¬
höhung der Operationsmortalität um lOpCt. der Operierten und schützt
nicht gegen Nachblutung. Sie ist daher nur da auszuführen, wo sie
technisch einfach ist. In allen Fällen ist eine systematische Nach¬
behandlung notwendig. Von den Komplikationen erfordert die Per¬
foration eine Frühbehandlung. Schon nach 48 Stunden ist die Operation
aussichtslos. Die Gastroenterostomie ist je nach den Umständen primär
oder sekundär anzuschliessen. Die Behandlung der Blutung erfolgt nach
denselben Prinzipien wie beim Magengeschwür; nur mittelschwere oder
recidivierendo leichte Fälle sind zur Operation geeignet. Die Exzision
des Ulcus verbietet sich meistens durch dessen Sitz an der Hinterwand.
Hr. van den Velden-Düsseldorf: Pharmakotherapeutisohes
zur Behandlung des Magen-Duodenalgeschwürs.
Durch intravenöse Injektion von 5 ccm einer 5—lOproz. Kochsalz¬
lösung kann man prompt eine Beschleunigung der Blutgerinnung und
häufig eine Sistierung von Blutungen erreichen. Die Injektion von
Gelatine oder artfremdem Eiweiss vermehrt den Fibrogengehalt des
Blutes auf mehrere Tage und ist als Vorbereitung zum Eingriff empfehlens¬
wert. Die Opiate stellen den Magen nicht ruhig, sondern vermehren
seinen Tonus und führen bei erkranktem Magen direkt Schmerzen herbei.
Will man sie unter diesen Umständen anwenden, so muss man den Vago-
tonus durch Atropinisierung ausscbalten.
Hr. G. v. Bergmann-Altona: Ulcus duodeni und vegetatives
Nervensystem.
v. Bergmann betont, in Uebereinstimmung mit dem Referenten,
dass die Seltenheit der Diagnose Ulcus duodeni in Deutschland kaum
auf geographische Verhältnisse zu beziehen ist. Er sah in 3 /s Jahren in
Altona 30 durch Operation oder Melaena sichergestellte Fälle, im ganzen
musste 40 mal die Diagnose gestellt werden. Die meisten, früher nicht
diagnostizierten Fälle sind als Allgemeinneurosen oder Organneurosen
aufgefasst worden. Untersucht man die Kranken mit Ulcus duodeni genau,
so findet sich in der Tat auffallend häufig eine ganze Reihe neurotischer
Zeichen. Nebenher wird die diagnostische Bedeutung des duodenalen
Druckpunktes und der Unterscheidung von Schmerz bei Magenentleerung
(2—5 Stunden post coenam) und Hungerschmerz (z. B. nächtlicher) be¬
tont, beides meist Pylorospasmus.
Es werden an der Hand von 25 Röntgenbildern erwiesener Ulcera
duodeni die charakteristischen, wenn auch nicht pathognomonisch ent¬
scheidenden Befunde demonstriert. An v. B.’s Abteilung haben West-
phal und Katsch eine Gliederung der Ulcera duodeni derart vor¬
genommen, dass zwei Extreme, „die hyperperistaltischen“ und die
„maximalsekretorischen Ulcera“, zu unterscheiden wären. Neben diesen
reinen Formen, Mischformen beider Typen. Der „maximalsekretorische“
Typ kann absolut unter dem Bilde der Gastrosuccorrhöe (Reichmann-
sche Krankheit) verlaufen, also unter dem Bilde einer klassischen sekre¬
torischen Magenneurose.
Nicht nur am Magen finden sich aber die Zeichen gestörter Motilität
und Sekretion in allen nur möglichen Kombinationen, sondern auch
sonst im visceralen Nervensystem vor. Von 30 in diesem Sinne genau
untersuchten Fällen werden die Befunde tabellarisch demonstriert, um
die Häufigkeit der sogenannten „Stigmata des vegetativen Nervensystems“
zu beweisen. Dabei ist zu betonen, dass sowohl Zeichen geänderter
Sympathicuseinstellung (z. B. Glanzauge, weite Pupille) als auch solche,
die auf den Vagus bezogen werden (z. B. Hypersekretion, Bradycardie
usw.) beim selben Kranken vorhanden sind, in bunter Mischung. Es ist
keine Rede von isolierten Vagus- oder Sympathicuserkrankungen. Der
Vortragende will es ausdrücklich vermeiden, für die Tatsache, dass
Neurosen mit dem Ulcus pepticum (es gilt ganz das Gleiche für das
Ulcus ventriculi) so häufig zusammen Vorkommen, den Kausalnexus hier
zu erörtern. Nach seiner Hypothese ist die Neurose oft das Primäre,
die anatomische Erkrankung (das Ulcus) das Sekundäre. Jedenfalls ist
es aber an der Zeit, sich klar zu machen, dass der andere Kausalnexus,
der anscheinend williger angenommen wird, ebenfalls blosse Hypothese
ist. Es muss erst ein Verständnis dafür angebahnt werden, wie es
möglich ist, dass ein linsengrosses Ulcus am Duodenum beispielsweise
Pylorospasmus mit kolossalsten Schmerzen und Saftsekretionen von einem
halben Liter und mehr erzeugt, ausserdem noch auch ausserhalb der
Schmerzen etwa vermehrte Schweisssekretion, Blähhals oder ein Glanz¬
auge, um ganz beliebige Beispiele zu nennen.
Der Kausalnexus ist in beiden Fällen heute noch hypothetisch.
Die häufige Goincidenz aber von Symptomen, die zum vege¬
tativen Nervensystem Beziehung haben, und von Ulcus duo¬
deni ist auf Grund des vorgelegten Belegmaterials Tatsache.
Hr. Gundermann bespricht kurz die Experimente Fried rieh’s
und Engelhardt’s über Erzeugung von Magengeschwüren
durch Netzgefässunterbindung, sodann die Versuche Payr’s,
der durch Injektion ätzender Flüssigkeiten in die Magengefässe Geschwürs-
bildungen hervorgerufen hat. G. konstatiert dabei, dass diese Autoren
bei ihren Versuchstieren auch Leberveränderungen beobachteten.
Die Beziehungen der Leber zur Gerinnbarkeit des Blutes im Verein
mit den experimentellen Ergebnissen vorgenannter Autoren brachten ihn
auf den Gedanken, den Versuch zu machen, durch partielle Pfortader¬
ausschaltung Magen- resp. Darmgeschwüre zu erzeugen. Durch Unter¬
bindung des linken Pfortaderhauptastes erhielt er bei Kaninchen aus¬
nahmslos zahlreiche, akute Magengeschwüre, in einzelnen Fällen auch
Duodenalgeschwüre. Die meisten Tiere starben in den ersten 48 Stunden.
An den überlebenden Versuchstieren, die in verschiedenen Zeitintervallen
nach der Operation getötet wurden, war eine starke Tendenz zur Ge-
sohwürsheilung erkennbar. Immerhin fand Gundermann nach 22 Tagen
noch ein nicht vernarbtes und, wie die Gewebsneubildung bewies, chroni¬
sches Geschwür an der kleinen Kurvatur.
Die vom Pfortaderkreislauf abgeschnittenen Leberlappen zeigten das
Bild einfacher Atrophie, keine Nekrose. Der normal versorgte Leberrest
zeigte rasche kompensatorische Hypertrophie.
G. bespricht dann die verschiedenen in Betracht kommenden Mög¬
lichkeiten der Geschwürsbildung und kommt zu dem Schluss, dass allein
in dem des Pfortaderblutes beraubten Leberteile die Quelle der Ver¬
änderung in der Magen- und Darmwand zu suchen sei. Nach seiner
Ansicht handelt es sich um toxisch wirkende Stoffe, die in der normalen
Leberzelle bereits vorgebildet sind, die von der normal funktionierenden
Zelle aber zurückgehalten, bzw. weiter verarbeitet werden. Aus dem
Umstande, dass er durch Injektion von Leberextrakt gleichfalls Magen¬
geschwüre und Darmblutungen erzeugen konnte, folgert G., dass von
der toten Leberzelle ähnliche Substanzen abgegeben werden, wie von
der das Pfortaderblut entbehrenden.
Nach Anführung mehrerer Beispiele aus der menschlichen Pathologie,
die seine Ansicht über den Zusammenhang von Leberscbädigung und
Magen- und Darmgeschwüren stützen sollen, bespricht G. Doch einen
Fall, in welchem es ihm gelungen ist, auch beim Hunde durch partielle
Pfortaderausschaltung mehrere Duodenalgeschwüre zu erzeugen.
Infolge der Analogie zwischen Mensch und Tier hält G. es für wahr¬
scheinlich, dass auch das menschliche Ulcus ventriculi et duodeni seine
Ursache hat in einer Dysfunktion der Leber.
Hr. Haudek-Wien führt folgende Röntgenbefunde bei Ulcus
duodeni an:
1. Die Duodenalstenose, die als Folgeerscheinung — Narbe —
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14. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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oder als Begleiterscheinung — Spasmus — eines Geschwürs auftreten
kann. Stenosen werden zumeist im unteren Anteile des Duodenums ge¬
funden.
2. Persistierende Schatten im oberen Duodenum. Ein
grosser persistierender Schatten im oberen Duodenum kann durch eine
Stenose, durch Taschenbildung infolge eines Ulcus, sowie bei abnorm
starker Knickung des Duodenums durch Entzündung Vorkommen, dooh
ist seine Unterscheidung von der normalen Bulbusfüllung schwierig. Die
Pars superior kann nämlich auch, ohne dass eine pathologische Ver¬
änderung vorliegt, gegen die Pars descendens stark abgeknickt sein, sie
verläuft bei tiefstehendem Pylorus nicht horizontal, sondern steil auf¬
steigend, dann ist die Pars superior oft stark entfaltet und lange Zeit
gefüllt.
8. Die Nische ist ein gewöhnlich sehr kleiner Wismutschatten
ausserhalb der normalen Duodenalfüllung, der den Krater eines tief¬
greifenden Geschwürs ausfüllt.
4. Ein umschriebener Druckpunkt, der sich genau auf das
Duodenum, gewöhnlich auf die Pars superior projiziert.
5. Abnorm schnelles Uebertreten von Mageninhalt in
das Duodenum, das namentlich unmittelbar nach Nahrungsaufnahme
deutlich ist und dem Bilde einer Pylorusinsuffizienz gleicht. Die Ent¬
leerungszeit ist häufig verkürzt; manchmal kommt es zu einer Ver¬
zögerung der Austreibung der letzten Portionen und Rückständen nach
6 Stunden. Beträchtliche Retention und Dilatation des Magens wird nie
beobachtet
6. Die Magenperistaltik ist zumeist sehr tief, der Tonus
häufig verstärkt.
7. Pylorusfixation. Der Magen liegt gelegentlich auffallend
schräg, die passive Verschieblichkeit der Pars pylorica ist vermindert
oder aufgehoben, doch kann auch Perigastritis oder Pericholecystitis
den gleichen Befund hervorrufen.
8. Die Röntgenbefunde, die bei Magengeschwüren Vor¬
kommen, fehlen. Die Resultate der Röntgenuntersuchung können
folgendermaassen verwertet werden:
a) Positive Befuude können die Diagnose unterstützen, gelegentlich
auch sichern; doch ist die Verlässlichkeit und Eindeutigkeit der Röntgen¬
befunde bei Ulcus duodeni keine so grosse wie die der positiven Befunde
des Magengeschwürs.
b) Ein normaler Röntgenbefund des Magens und Duodenums ge¬
stattet niemals, Ulcus duodeni auszuschliessen. Ist nach dem klinischen
Befunde, z. B. Magenblutungen, Ulcusbeschwerden, Hyperacidität ein
flaches Ulcus anzunehmen, so spricht ein normaler Röntgenbefund, ins¬
besondere das Fehlen von Retention im Magen dafür, dass das vermutete
Ulcus eher im Duodenum sitzt als im Magen.
o) Bei normaler oder beschleunigter Magenentleerung erscheint die
blosse Ausführung der Gastroenterostomie widerraten, selbst wenn das
Ulcus bei der Operation am Pylorus gefunden wird, ohne dass der
Magen dilatiert ist, da die radiologische Erfahrung in Uebereinstimmung
mit der klinischen lehrt, dass in solchen Fällen die Speisen nach der
Gastroenterostomie zum grössten Teile den Magen durch den alten Aus¬
gang verlassen. Für solche Fälle empfiehlt sich die Hinzufügung der
Ausschaltung oder Verengerung des Pylorus.
Hr. Richter Berlin betont die Wichtigkeit von Adhäsionen und
eventuell durch diese herbeigeführten Spasmen. Erstere sollen durch
Dickdarmbakterien bewirkt werden. Das Nervensystem ist von wesent¬
lichem Einfluss, wie er an einem Fall erläutert, in welchem bei gleich-
bleibendem anatomischen Befund Symptome auftraten, nach Probe¬
laparotomie auf viele Jahre verschwanden und nach längerer Pause
wiederkehrten.
Hr. v. Haberer-Innsbruck bespricht an der Hand von drei, mit
gutem Erfolge operierten Fällen von Ulcus peptioum jejuni nach
Gastroenterostomie diese postoperative Spätkomplikation der Gastro¬
enterostomie. Sie ist häufiger, als man annehmen möchte. Wenn es
viele Chirurgen gibt, welohe diese Komplikation am eigenen Material
nie gesehen haben, so beweist das nicht, dass sie nicht doch
auch Ulcera peptica jejuni naoh ihren Gastroenterostomien hatten.
Viele dieser Patienten gehen nämlich nicht mehr zu dem Chirurgen
zurück, der bei ihnen die Gastroenterostomie ausgefübrt hat, sondern
wenden sich einem zweiten Chirurgen zu, weil sie durch die Operation
des ersten nicht die gesuchte Hilfe fanden. So hatte v. Haberer im
ganzen fünfmal Gelegenheit, bei Ulcus pepticum postoperativum zu
intervenieren, während nur zwei Fälle auch primär von ihm operiert
waren. Man muss zwischen dem Ulcus am Gastroenterostomiering
und dem Ulcus pepticum jejuni unterscheiden, da manche Erklärung
für das erstere (Nekrosen im Bereiche der Schleimhautnaht, kleine
Nahtabscesse im Schleimbautring usw.), für das Ulcus pepticum
jejuni nicht ausreicht. Zudem werden manche sekundäre Verände¬
rungen des Gastroenterostomieringes ganz fälschlich einem Ulcus
pepticum jejuni in die Schuhe geschoben. Hierher gehören viele
von den sekundären Veränderungen des Gastroenterostomieringes, wie
sie z. B. nach Knopfanastomosen oder nach Anastomosen mit Naht
auftreten, wobei die Anastomose im Verhältnis zur Wandhypertrophie
des Magens von vornherein zu klein angelegt war. v. Haberer hat im
letzten Jahre drei solcher Fälle zu operieren Gelegenheit gehabt, in
denen es sich um einfache Verengerungen von Gastroenterostomie¬
fisteln handelte, und bei denen jede Spur von irgendwelchen frischeren
oder älteren Entzündungserscheinungen fehlte. Bedenkt man nun .die
allgemein anerkannte Hartnäckigkeit und Torpidität des Ulcus pepticum
postoperativum, so ist man angesichts vollständig negativer Befunde am
Gastroenterostomiering wohl nicht berechtigt, von einem abgelaufenen
Ulcus pepticum zu sprechen. Diese Fälle gehören vielmehr in die
Fragen der Technik, womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass ein
Ulcus pepticum nicht auch zur Verengerung der Gastroenterostomie
führen kann. Aber man wird dann, wenn schon nicht mehr das frische
Ulcus, so doch die Residuen eines Ulcus am herausgeschnittenen
Anastomosenring finden. Ueber die letzte Ursache des Ulcus pepticum
jejuni wissen wir nichts Sicheres, sondern sind diesbezüglich mehroder minder
auf Hypothesen angewiesen. Sicher ist bloss, dass der Hyperacidität
des Magensaftes dabei eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
Die drei, von v. Haberer operierten Fälle von Ulcus pepticum
jejuni betrafen Männer von 29, 30 und 36 Jahren, welche laut
Anamnese (alle drei) jahrelang an typisohen und zwar schweren Sym¬
ptomen von Magenulcus litten, ehe sie in chirurgische Behandlung kamen.
In allen drei Fällen wurde bei der Operation ein Ulcus am Pylorus ge¬
funden, und deshalb die Gastroenterostomie ausgeführt. Die Operation
war in allen drei Fällen von anderen Operateuren ausgeführt worden,
doch konnte ermittelt werden, dass jedesmal eine Gastroenterostomia
retrocolica posterior mit kürzester Schlinge angelegt worden war. Nur
ein Patient fühlte sich zunächst wohl, bekam aber nach 8 / 4 Jahren
wieder starke Magenbesohwerden. Die beiden übrigen Patienten waren
trotz der Gastroenterostomie nicht beschwerdefrei geworden, sondern
blieben ungebessert. Der eine von Ihnen kam nach einem Jahre wegen
zunehmender Beschwerden zu v. Haberer. Die Diagnose konnte mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf Ulcus pepticum jejuni gestellt werden.
Bei der Laparotomie fand sich bei vollständig zartem Gastroenterostomic-
ring ein Ulcus peptioum jejuni genau gegenüber der Gastroenterostomie.
Das Ulcus war im Begriffe zu perforieren, so dass nur seine Resektion
in Frage kommen konnte. Diese war durch die Gastroenterostomie mit
kurzer Schlinge sehr kompliziert, weil dadurch die Resektion bis hart an
die Duodenojejunalgrenze heranging, was die folgende Versorgung dieses
Darmteiles recht sehr erschwerte. Dazu kam noch die weithin reichende
Infiltration im Mesenterium, welche, durch das Ulcus hervorgerufen, die
anatomische Orientierung beeinträchtigte. Die Resektion musste wegen
der weit reichenden entzündlichen Infiltration den ganzen pylorischen
Magenabsohnitt inklusive Gastroenterostomiefistel und die zur Gastro¬
enterostomie verwendete erste Jejunumschlinge umfassen. Dabei konnte
nun allerdings auch das alte Pylorusgeschwür entfernt werden. Die
Versorgung wurde in der Weise ausgeführt, dass oardialer Magenbürzel
und Duodenum blind vernäht wurden, während von den beiden Darm¬
lumina das unmittelbar dem Duodenum benachbarte End zu-Seit in das
Jejunum, das Lumen des Jejunums End-zu-Seit in den Magen zwecks
Herstellung einer neuen Gastroenterostomie eingepflanzt wurde, so dass
jetzt eine Gastroenterostomie nach der Y-Methode resultierte. Glatte
Heilung, Patient seither 3 Monate vollständig beschwerdefrei.
Der zweite Patient, 30 Jahre alt, war wegeu Ulcus pylori gastro-
enterostomiert worden, und nachher ®/ 4 Jahre beschwerdefrei gewesen.
Dann wieder starke Beschwerden. Diagnose Ulcus pepticum jejuni.
v. Haberer laparotomierte, fand das Ulcus am Pylorus vernarbt,
Gastroenterostomie zart, aber ihr genau gegenüber im Jejunum am
Mesenterialansatz ein ins Mesenterium penetrierendes Ulcus pepticum,
das auch mit dem Colon und Mesocolon transversum bereits innig ver¬
wachsen war. Am Magen konnte sich v. Haberer in diesem Fall mit
der partiellen Resektion begnügen, da das Pylorusulcus bereits ver¬
narbt war. Hingegen musste ausser der zur Gastroenterostomie
verwendeten Jejunumschlinge, die das Ulcus pepticum trug, auch noch
ein grosses Stück des Colon transversum reseziert werden. Versorgung
von Magen und Dünndarmlumina in ähnlioher Weise, wie im ersten
Fall, die Colonstümpfe werden blind vernäht und dann eine seitliche
Colocolostomie hinzugefügt. Glatte Heilung, Patient seither 2 Monate
vollständig beschwerdefrei.
Der dritte Patient hat insofern die komplizierteste Krankengeschichte,
als er bereits 1905 wegen eines blutenden Ulcus pylori gastroenterosto-
miert worden war. Die Anastomose, mit Knopf ausgeführt, hatte sich
verengert, der Patient seine alten Beschwerden behalten. Das Ulcus
blieb offen. Obtober 1911 zum ersten Male von v. Haberer laparoto-
miert. Schweres callöses Ulcus, am Pylorus starke Stenose, Gastio-
enterostomie hochgradig verengert, aber ihr Ring ganz zart. Ablösung
der Schlinge und neue hintere Gastroenterostomie mit kürzester Schlinge.
Zunächst glänzende Erholung, seit Mai 1912 wieder starke Beschwerden
und Blutung. Februar 1913 unter Diagnose eines Ulcus pepticum jejuni
wieder von v. Haberer laparotomiert. Ulcus am Pylorus scheint in
Ausheilung, Gastroenterostomie weit und zart, im Jejunum genau gegen¬
über der Gastroenterostomie ein ins Mesenterium bereits perforiertes
Ulcus jejuni. Resektion nur unter querer Resektion des ganzen, die
Gastroenterostomie tragenden Magenabschnittes möglich. Ulcus am
Pylorus bleibt unberübt, wird nach Art der unilateralen Pylorusaus-
schaltung versorgt. Magendarmnähte genau so, wie im ersten Fall.
Heilung nach kleinem Bauchdeckenabscess. Patient seit der Operation
beschwerdefrei.
Die guten Ausgänge in diesen drei Fällen berechtigen zur Empfehlung
der Radikaloperation des Ulcus pepticum jejuni in so schwer liegenden
Fällen, wenngleich man ja nach einem so schweren Eingriff leider das
missliche Gefühl hat, mit dem Ulcus nicht auch die Disposition zum
Recidiv herausgeschnitten zu haben. Vielleicht hilft aber doch die be¬
trächtliche Nervendurchschneidung bei der Resektion die Gefahr des
Recidivs herabsetzen. Für die Frage naoh der Aetiologie kann aus den
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
mitgeteilten Beobachtungen nichts Positives abgeleitet werden; immerhin
ist es v. Haber er aufgefallen, dass alle drei Patienten so lange an
Ulcusbeschwerden gelitten haben, ehe sie überhaupt zur Operation kamen;
Es wäre immerhin denkbar, dass bei dem bekannten Circulus vitiosus,
der zwischen Ulcus und Hyperacidität besteht, dadurch auch die Dis¬
position zum Ulcus peptioum jejuni erhöht würde. Daraus würde sich
allerdings dann logisoherweise die Forderung nach möglichst früh¬
zeitiger und möglichst radikaler Operation . des Magenulcus ergeben.
Sehr wesentlich ist strengste, interne Nachbehandlung aller am Magen
Operierter.
Hr. Schmieden-Berlin: Der Vortr. hat in Bier’s Klinik Studien
über die Pathogenese des Duodenalgeschwürs gemacht und glaubt, dass
hierfür die operative Autopsie verbunden mit der klinischen Beobachtung
die besten Aufschlüsse zu geben imstande ist. Er hält den radiologisoh
so häufig beim Duodenalgeschwür nachweisbaren konstanten
Wismutsohatten im obersten Teil des Duodenums für einen
wichtigen Hinweis auf die Aetiologie des Ulcus duodenale.
Das Duodenum soll den Inhalt sehr rasch passieren lassen; dauernde
Anwesenheit sauren Speisebreis führt zu Reizung und Geschwürbbildung
an hierfür prädisponierten Stellen. In erster Linie führt die Formver¬
änderung des Magens im Sinne der Ptose zu scharfwinkliger Knickung
im Gebiet der Pars superior duodeni oud zur Inhaltsretention; anderer¬
seits verhindert diese Knickung den Eintritt der neutralisierenden alka¬
lischen Darmsäfte in den oberen Duodenalteil. Unter diesem Gesichts¬
punkt erscheint das Duodenalgeschwür indirekt abhängig von der
aufrechten Körperhaltung des Menschen. Auch bei dem zweiten Haupt¬
typus der Form Veränderung des Magens beim Ulcus duodeni, bei der
Rechtsfixation des Pyiorus muss diese Lageveränderung der Pylorus-
gegend nach den Beobachtungen des Vortr. zunächst nicht als die Folge,
sondern als die einleitende präexistierende Ursache des Duodenal¬
geschwürs betrachtet werden. Auch hierbei lassen sich abnorme kon¬
stante Duodenalfüllungen nachweisen. Es handelt sich dabei um peri-
colitisohe und pericholecystitische Verwachsungsstränge, welche die
Motilitätsstörung des Pylorusgebietes herbeifübren. Es fehlt in solchen
Fällen die peristaltische Selbstreinigung des Duodenums. Ein einmal
vorhandenes peptisches Geschwür hält dann später stets saure Inhalts-
massen in seiner Tiefe zurück. Bei der Betrachtung dieser Ver¬
änderungen ist also bisher Urs.aohe und Wirkung ver¬
wechselt worden.
Analogien zu dem beschriebenen Entstehungsmodus finden sich
reichlich im übrigen Darmkanal. Der Vortr. zweifelt nicht daran, dass
bei sorgfältiger Anwendung des Röntgenverfahrens und bei kritischer
Beobachtung des operativen Befundes die Operateure bald diese Auf¬
fassung bestätigen werden, und erinnert daran, dass auch andere Be¬
gleiterscheinungen des Magen- und Duodenalgeschwürs, so die digestive
Hypersekretion und Hyperacidität und vor allem auch nach v. Berg-:
mann’s Ansicht die spastischen Zustände im Geschwürsgebiet nicht
mehr allein als ein Symptom der Erkrankung betrachtet werden dürfen,
sondern dass sie an ihrer Entstehung ursächlich beteiligt sind.
Hr. Friedrich-Königsberg bespricht Pankreasaffektionen (unge¬
wöhnlich grosse Steinbildung, Pancreatitis) und seltenere Affek¬
tionen des Duodenums (Carcinom, Polyposis, Divertikel¬
bildung) in ihrer Bedeutung für die Differentialdiagnose des Ulcus
duodeni, auf Grund von 16 Fällen eigener Beobachtung. (An der
Königsberger Klinik kamen in dem Zeitraum von IV 2 «fahren auf
193 Magen- und Duodenaloperationen nur fünf Ulcera duodeni
und zwei Carcinome.) Bei seinen Fällen von Duodenalulous ist immer
die lange Dauer des vorausgegangenen Krankseins, fast ausnahmslos als
„Magen“leiden bezeichnet, durchschnittlich häufiger als sonst berichtet,
Erbrechen, fast regelmässig nächtlicher Schmerz, hin und wieder, die
Belbst beobachtete Abmagerung aufgefallen. Stenosenerscheinungen und
Blutbrechen fanden sich namentlich beim Duodenalcarcinom; blut¬
haltige Stühle auch beim Duodenalulcus. Das Symptom des „Hunger-
scbmerzes“ trat ihm beim Ulcus nur vereinzelt entgegen, das der
Duodenalblähung wurde häufiger bei gleichzeitigen oder isolierten
Affektionen des Pankreas (Pankreatitis, Pankreasstein, Pankreasdermoid)
beobachtet. Unter 14 Fällen von Ulcus und Carcinom des Duodenums
fand sich sechsmal, und zwar dreimal bei Ulcus, eine Mitbeteiligung des
Pankreas. Die von ihm beobachteten sechs Carcinome des Duodenums
gingen in zwei Fällen mit lebenbedrohender Rückwirkung auf Chole-
dochus (Melanicterus, Pankreasnekrose) und Pancreaticus einher. Ausser¬
dem berichtet Friedrich über zwei Fälle, wo ein grosses Divertikel
des Duodenums hart an der Choledochusmündung, bzw. ein ungewöhn¬
lich grosser (3,9 X 3 cm) Pankreasstein tödliche• Komplikationen
herbeiführten.
Hr. Bier-Berlin hat das Ulous duodeni zuerst häufiger, dann auch
richtiger diagnostizieren gelernt. Auf okkulte Blutungen legt er grossen
Wert, fast stets führt er die Gastroenterostomie aus und verschliesst
den Pyiorus nach verschiedenen Methoden, ohne von irgendeiner be¬
friedigt zu sein. Bei einer Relaparotomie nach Verschluss mittels
Fascienstreifen sah er perigastritische Schwielen. Gegenwärtig zieht er
die Einfaltung nach Moynihan vor. Die Resektien vermeidet er wegen
der Schwierigkeit der Stumpfversorgung.
Hr. Kolb-Heidelberg berichtet über 18 Fälle von Umsobnürung
mit autoplastischem Material. Neun mindestens 6 Monate alte Fälle
wurden röntgenologisch nachuntersucht mit bestem Ergebnis für die
Methode. Der Streifen aus Fascia lata — eventuell einmal auch aus
Netz — soll 3 cm breit sein und nicht übermässig angespannt werden.
' Hr. Voelcker-Heidelberg: Der Circulus vitiosus kommt nach seiner
Ueberzeugung durch kleine technische Fehler zustande. Um ihn zu ver¬
meiden, markiert man sich die Stelle, wo der Magen die Plica duodeno-
jejunalis berührt und legt von da aus die Verbindung steil nach oben
an. Nach der Reposition resultiert dann ein völlig ungeknickter Ver¬
lauf; wollte man bei dem eventrierten Magen die Verbindung anlegen,
so würde man nach der Reposition Abkniokungen erhalten.
Hr. Hofmeister - Stuttgart: Die angeblichen Schwierigkeiten der
Pylorusausscbaltung nach v. Eiseisberg fallen fort, wenn man 8 cm
oberhalb des Pyiorus durchtrennt. Er selbst bat 8 Ausschaltungen,
3 Resektionen und 3 Gastroenterostomien wegen Ulcus duodeni aus¬
geführt, ohne in dieser Serie einen Todesfall zu zählen.
Hr. Ke Hing - Dresden: Die Differentialdiagnose zwischen Ulcus
pylori und Ulcus duodeni ist nicht ausführbar, ebensowenig die Ab¬
grenzung gegen Cholecystitis. Gegen Blutungen — er bat zwei Nach¬
blutungen gesehen — empfiehlt er Auflegen von Sandsäcken und Auf¬
blähung des Colons.
Hr. Boit - Königsberg: Auch das Symptom der Blutungen ist un¬
sicher. Sie können, wie ein Fall von ihm zeigt, capillaren Ursprungs
sein, ohne dass Ulcus da ist. Die Gastroenterostomie gibt selbst da,
wo alle klinischen Symptome vorhanden sind, kein besonderes Resultat;
er macht daher Probelaparotomien und macht einfach wieder zu, wenn
er nicht selbst das Ulcus sieht.
Hr. Adolf Schmidt - Halle a. S.: Zur Operation kommen meist
nur vorgeschrittene Fälle, callöse Ulcera duodeni. Diesen müssen aber
Sehleimhautulcera vorausgehen, deren Frühdiagnose anzustreben ist.
Hier liegt der Wert der Säurebestimmungen. Hyperchlorhydrie und
Hypersekretion, deren Unterscheidung undurchführbar ist, indem beide
ein Missverhältnis zwischen Sekretion und Abfuhr ausdrücken, müssen
den Verdacht , auf Ulcus lenken; bloss nervös sind sie niemals,
können dagegen auf einem Katarrh . beruhen. Vielleicht wird die
Röntgenuntersuchung hier weiterführen können. Was bei dem häufigen
Zusammentreffen nervöser Symptome und Ulcus auch ursprünglich Ur¬
sache und was Wirkung sein mag, jedenfalls bilden beide einen Circulus
vitiosus. Es liegt ein Widerspruoh darin, wenn man auf Grund patho¬
logisch-anatomischer Statistiken die Heilungsmöglichkeit des Ulcus
duodeni bestreitet (dabei weiss man doch, dass Sehleimhautulcera spurlos
verschwinden können) und andererseits die Remissionen im Krankheiten
verlauf auf Heilungsprozesse zurückführt. Redner ist überzeugt, dass
Sehleimhautulcera unter fachgemässer interner Behandlung auch im
Duodenum häufig ausheilen, und betont, dass die Unmöglichkeit, den
Erfolg der Therapie von spontanen Remissionen zu unterscheiden, die
chirurgische Behandlung in dem gleichen Grade trifft wie die inter¬
nistische.
Hr. A. Thies-Giessen: Behandlung akuter chirurgischer
Infektionen mit rhythmischer Stauung.
Auf Grund physiologischer Ueberlegungen empfiehlt Vortr. bei akuten
Entzündungen anstatt nach der Empfehlung Bier’s, ununterbrochen
über den grössten Teil des Tages zu stauen, eine häufig unterbrochene
Stauung, etwa derart, dass 1—2 Minuten gestaut, ebensolange die
Stauung ausgesetzt wird, wiederum eine Stauphase einsetzt usw.
Diese „rhythmische“ Stauung erzielt er mit einem Apparat, der
unter Zugrundelegung des Perthes’scben Dauerstauapparates konstruiert
ist. Mit ihm lässt sich ein beliebiger Rhythmus in der Stauung erzielen^
Die Methode hat folgende Vorzüge vor der Dauerstauung: Man kann
die rhythmische Stauung ohne längere Unterbrechung über viele Tage
hin anwenden. Es bildet sich auch bei intensiver langdauernder Stauung
kein so starkes Oedem, dass die Entstehung der Hyperämie beeinträchtigt
wird, wie dieses bei der gleichmässigen Dauerstauung der Fall ist. Die
gestaute Extremität bleibt stets warm. Die Endothelzellen der .Capillaren
werden offenbar geschont, da sie immer wieder mit frischem Blut in
Berührung kommen. Sie sind daher ihrer Aufgabe, die Toxine zu binden,
mehr gewachsen. Es tritt kein „Stauungsfieber“ auf, das man sonst
nach Lösung der Staubinde wohl beobachtet. Man kann die rhythmische
Stauung auch bei Patienten anwenden, bei denen Sensibilitätsstörungen
bestehen. Auch kleine Kinder können ununterbrochen über viele Tage
gestaut werden. Die rhythmische Stauung hat sich in einer Reihe von
Fällen akuter Entzündung gut bewährt.
Hr. Vorschütz - Cöln: Behandlung septischer Prozesse
durch Darreichung von Alkalien.
Die Darreichung der Alkalien bei septischen Prozessen auf Grand
der im Körper auftretenden Säuren und der physiologischen Wirkung
der Alkalien wurde seit Jahren in der chirurgischen Klinik von Herrn
Geheimrat Ti 1 man vorgenoramen, indem bei schweren Eiterungen mit
septischem Charakter hohe Alkalidosen verabreicht wurden, 10—20 g
bei Erwachsenen, 5—10 g bei Kindern. Um im Experiment die An¬
schauung am lebenden Tier zu beweisen, welche von Ehrlich an Serum¬
platten schon im Jahre 1890 auf Grund seiner Experimente ausgesprochen
wurde, dass die baktericide Kraft des Blutes abhängig sei von seinen
Salzen, wurde das Blut von Kaninchen angesäuert und dann eine be¬
stimmte Menge Ricin eingespritzt. Hierbei zeigte sich — es wurden
50 ccm einer Vio*Normalsalzsäurelösung eingeführt —, dass das so an¬
gesäuerte Blut nicht imstande war, dieselbe Menge Gift zu binden als
das normale Blut. Wenn man durch entsprechende Mengen Alkali die
Ansäuerung behob, blieben die Tiere am Leben.
Die günstigen Erfolge der Alkalien beruhen 1. auf ihrer katalytischen
Wirkung, 2. auf Wasserzurückhaltung im Gewebe (Turgescenz, Oedem),
3. auf ihrer Nieren Wirkung, indem eine starke Vermehrung des Urins
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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aoftritt, 4. auf der starken Sekretion der Drüsen, die für den Ver-
dauungstractus einen grösseren Appetit bedeuten, 5. in der Erhöhung
des Blutdruoks.
Hr. Ch. Girard-Genf: Dysphagia und Dyspnoe lusoria.
Als Dysphagia lusoria bezeichnet« der englische Arzt Bayford vor
ungefähr einem Jahrhundert die Dysphagie, welche entsteht, wenn die
Arteria subclavia dextra auf der linken Seite des Aortenbogens ent- >.
springt und als Subclavia dextra recurrens, zwischen Speiseröhre und
Wirbelsäule oder Trachea, quer verläuft, um zur rechten oberen Ex¬
tremität zu gelangen. Der Druck des Gefässes auf dem Oesophagus,
namentlich bei starker Arterienfüllung, kann Schlingbeschwerden ver¬
ursachen. Diese Dysphagia lusoria (ex lusu naturae, wie man damals die
angeborenen Anomalien nannte) ist in Vergessenheit geraten, nachdem
eine Reihe von Autoren das Vorkommen eines solchen Zustandes
leugneten. Im Jahre 1880 äusserte sich Franz König dahin, dass es
in der damaligen neueren Literatur kein einziges verbürgtes Beispiel
dieser Art gebe.
G. hat jedoch in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, zwei Fälle
von Dysphagia lusoria zu beobachten und operativ zu behandeln. Aber
diese Fälle zeichneten sich dadurch aus, dass die Arteria subclavia
recurrens nicht hinter der Trachea oder dem Oesophagus, sondern, was
viel seltener ist, praetracheal verlief, so dass es nicht nur zu einer Dys¬
phagia infolge indirekten Druckes, sondern auch, durch direkte Kom¬
pression der Luftröhre, zu einer Dyspnoe lusoria gekommen ist.
In einem Fall, Frau von 22 Jahren, bestand ausserdem noch die
Thymusdrüse. Die Diagnose war übrigens darauf gestellt worden. Bei
der Exstirpation der ziemlich dünnen Thymus musste man sich über¬
zeugen, dass die Druckerscheinungen durch die Anwesenheit der Drüse
nicht erklärlich seien. Beim weiteren Nachforschen fand sich, auf der
Trachea direkt aufliegend, die quer verlaufende Arteria subclavia dextra
recurrens. Durch eine Arteriopexie gegen das Manubrium, Umschlingung
des Gefässes mittels eines gestielten Streifens aus dem sehnigen Rande
des linken Musculus sternomastoideus mit Naht des freien Endes am
unteren Ansatz des rechten Sternomastoideus konnte die Arterie von der
Trachea entfernt gehalten werden. Die Patientin ist sofort von ihren
Beschwerden befreit worden.
Im anderen Falle (48 jähriger Hann) waren früher die vorhandenen
Erscheinungen von Tracheostenose und Dysphagie auf die Anwesenheit
eines bilateralen Kropfes zurückgeführt worden. Ein Chirurg entfernte
die eine Kropfhälfte, aber unter Zurücklassung einer Stimmbandlähmung
(Recurrensverletzung) und ohne jede Besserung der Beschwerden.
Ein anderer Chirurg entfernte später den grössten Teil der anderen
Kropfhälfte, ebenfalls ohne Erfolg. Darauf trat eine ausgesprochene
Cachexia thyreopriva ein.
G. entschloss sich, den Patienten operativ zu behandeln, in der Ab¬
sicht, durch successive Eingriffe zuerst die Cachexia thyreopriva durch
Implantation von gesundem Schilddrüsengewebe vor der Luftröhre zu
heben, dann eine Anastomose des Stumpfes vom Nervus recurrens mit
dem Nervus descendens hypoglossi vorzunehmen und zuletzt die ver¬
meintlich durch Kropfdruck entstandene Trachealstenose plastisch zu
korrigieren. Der letzte Eingriff wurde nicht ausgeführt, weil als Ursache
der Schluck- und Atmungsbeschwerden der abnorme Verlauf der Arteria
subclavia dextra vorgefunden wurde. Eine Arteriopexie half auch hier
in vollkommener Weise, soweit es sich nur um die Dysphagie handelte.
Die Dyspnoe hingegen wurde in diesem Falle nur aut einige Monate ge¬
bessert und stellte sich später wieder ein, so dass Patient in einer
anderen Stadt, wo er sich damals aufhielt, schliesslich tracheotomiert
werden musste. Offenbar war beim Alter des Patienten die von narbigen
Geweben umgebene Trachea ausserstande, sich zu erholen.
Hr. Tiegel - Dortmund: Ueber Spontanheilung von Lungen¬
wunden.
Ein Fall von sehr schwerer Lungenruptur, bei welchem eigentlich
alle Indikationen für eine breite Thoracotomie und Nahtversorgung der
Lungenwunde gegeben waren (erheblicher Hämothorax, Spannungspneumo¬
thorax und hochgradiges Zellgewebsemphysem, das schliesslich auch auf
das Mediastinum Übergriff), kam ohne jeden grösseren Eingriff zur Aus¬
heilung.
Das interstitielle Emphysem, das bereits zu Erstickungsnot geführt
hatte, wurde zwei Tage lang ständig abgesaugt, und zwar von einem
kleinen Schnitt im Jugulum aus, über welchen eine mit einer Wasser¬
strahlsaugpumpe in Verbindung gebrachte Bier’sche Saugglocke gestülpt
wurde. Der starke Hämo- und Pneumothorax wurde durch ein in Lokal¬
anästhesie eingelegtes Ventildrain beseitigt. Der Verlauf war ein fieber¬
freier. In kurzer Zeit erfolgte völlige Wiederherstellung.
Die Beobachtung dieses Falles regte dazu an, der Frage der Spontan¬
heilung von Lungenwunden experimentell näher zu treten. Es wurden
bei 88 Hunden sehr ausgedehnte Riss- und Schnittverletzungen der
Lungen gesetzt, die nicht versorgt wurden. Die anfangs meist sehr
abundante Blutung kam auffallend rasch spontan zum Stillstand. Die
Lungenwunden verklebten im Verlauf einiger Tage so fest, dass sie bei
Aufblähung der Lungen Druckwerte von 80 bis 60 mm Hg aushielten.
Die Resultate waren gleich günstige bei primärem Schluss der Pleura-
wie bei Ventildrainage, bei glattem aseptischen Verlauf wie bei ein¬
tretender Infektion.
Die «rosse Tendenz der Lungenwunden zur Spontanheilung, die in
vorliegenden Versuchen festgestellt wurde, und die auch klinisch nicht
selten sich beobachten lässt, spricht sehr zugunsten eines mehr konser¬
vativen Vorgehens.
Diskussion.
Hr. Burckhardt - Berlin hat experimentelle Studien über die In-
fektionsempfängliobkeit in der Brusthöhle mit und ohne Pneumothorax
ausgeführt und festgestellt, dass beim Vorhandensein eines Pneumo¬
thorax eine grosse Prädisposition für Infektionen besteht. Die praktischen
Folgerungen ergeben sich von selbst.
Hr. Guleke - Strassburg berichtet über penetrierende Brust-Bauch-
wunden. Im Gegensatz zur reinen Bauchverletzung ist bei diesen
kombinierten Wunden ein langsamer, kräftiger Puls infolge Vagusreizung
vorhanden. Auch andere für Bauchverletzung charakteristische Symptome
versagen hierbei oft. Während man bei Thoraxverletzungen sich ab¬
wartend verhalten kann, muss man bei diesen kombinierten Wunden
operativ Vorgehen, da sonst die Prognose äusserst ungünstig ist. Es
empfiehlt sich das transpleurale Vorgehen, da die Naht des meist ver¬
letzten Zwerchfells von der Pleuraseite aus leichter ausführbar ist. Bei
vier einschlägigen Verletzungen hat Vortr. zweimal die Thoracolaparo-
tomie und zweimal die Laparotomie ausgeführt. Einmal handelte es sich
um eine Schussverletzung des Herzens und Milzverletzung. Ausgang in
Heilung. Im zweiten Falle lag eine Peritonitis infolge Stichverletzung
mit einem Stockdegen vor, der im siebenten linken Intercostalraum ein¬
gedrungen war und den Magen quer durchbohrt hatte. Trotz des Ein¬
griffes war die Peritonitis nicht mehr aufzuhalten.
Hr. Schumacher - Zürich: Vortr. hat in zwei protrahiert verlaufen¬
den Fällen von Lungenembolie als diagnostisch bemerkenswertes
Symptom ein Klappen des zweiten Pulmonaltones, sowie eine Vergrösserung
des rechten Herzens festgestellt. Die Diagnose der Embolie ist häufig recht
schwierig, da dieselben Symptome bei plötzlich eintretender innerer
heftiger Blutung, sowie auch bei Myodegeneratio cordis auftreten können.
In zwei Fällen einschlägiger Art wurde auf Grund einer solchen Diagnose
die Trendelenburg’sche Operation ausgeführt.
Vortragender unterscheidet drei Arten von Lungenembolie:
1. Die momentan zum Tode führende Embolie, meist bedingt durch
den enormen Shock, da hierbei nur eine partielle Verstopfung der Pul-
monalis gefunden werden kann.
2. Die in einigen Minuten zum Tode führende Embolie. Hierbei
findet ein vollkommener Verschluss der Pulmonalis und damit eine
Trennung des kleinen vom grossen Kreislauf, sowie eine Ueberdehnung
des rechten Herzens statt.
8. Die protrahiert verlaufende Embolie. Die meisten Fälle verlaufen
in dieser Weise. Es findet hierbei primär der Verschluss nur eines
Hauptastes und eines Nebenastes statt, und nur allmählich wird die
ganze Pulmonalis verstopft.
Von diesen Arten der Embolie ist die Möglichkeit der Trendelen-
burg’schen Operation abhängig. Bei den momentan zum Tode führenden
Fällen kommt sie nicht in Betracht, am günstigsten liegen die Fälle,
wo ein Embolus die ganze Pulmonalis verstopft. Indessen ist hier die
Zeit zum Eingreifen meist zu kurz. Bei den allmählich zur vollkommenen
Verstopfung führenden Fällen ist die Frage der Operation deshalb so
schwierig, weil sie klinisch nicht immer von den Fällen zu unterscheiden
sind, die spontan zur Ausheilung führen. Die Operation sollte dann
ausgeführt werden, wenn trotz innerer Behandlung eine Besserung der
Symptome nicht stattfindet.
Hr. Läwen - Leipzig hat mehrfach die Trendelenburg’sche Operation
gemacht, jedoch stets ohne Erfolg, weil sie nur bei Moribunden aus¬
geführt wurde. Statt der von Trendelenburg empfohlenen und sehr
gefährlichen temporären Abschnürung der Art. pulmonalis und der Aorta
empfiehlt er, vermittels des Rehn’schen Handgriffes die beiden Venae cavae
zu komprimieren, da hierdurch eine Entlastung des rechten Herzens
stattfindet. Weiterhin empfiehlt er die Anwendung der künstlichen
Atmung, die Injektion von Adrenalin ins Herz, jedoch die Vermeidung
der Herzmassage.
Hr. Schmid-Prag schlägt auf Grund von Leichenversuchen vor,
das Herz vermittels Trennung des Sternums freizulegen.
Hr. Rehn - Frankfurt durchtrennte in einem Falle das Sternum von
unten her und klemmte die Venen in der besprochenen Weise ab, ohne
jedoch den Patienten retten zu können.
Hr. Müller - Rostock demonstriert Modelle, aus Filz dargestellt,
mit deren Hilfe sich in sehr anschaulicher Weise zu Lehr- und Uebungs-
zwecken plastische Operationen darstellen lassen.
Hr. Zondek - Berlin: Zur Lehre von der Struktur des
Knoohenoallus.
Während Julius Wolff die Knochenstruktur nach vollendeter
Heilung festgestellt hat, hat Z. diese Strukturverhältnisse im Verlaufe
der Heilung untersucht. Der Vortragende berichtet über seine neuen
einschlägigen Untersuchungen und die Bedeutung der Befunde für die
Vorgänge in der Frakturheilung und die Maassnahmen bei der Fraktur-
Behandlung.
Hr. Friedrich • Königsberg bespricht, unter Vorstellung des ent¬
sprechenden Kranken, die bemerkenswerte Rückwirkung einer aus¬
gedehnten Brustwandresektion auf bestehendes hochgradiges
Lungenemphysem. Ein 54jähriger russischer Kranker (Kutscher von
Beruf) mit hochgradigem Lungenemphysem mit Thoraxstarre kam zur
Aufnahme wegen periostalen Rippensarkoms, welches vom zweiten
Intercostalraum bis zur vierten Rippe rechts als zusammenhängender,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
massiger, fester Tumor sieh umgrenzen liess. Das Röntgenbild zeigte in
der Lunge keine Tumormetastasen, zahlreiche verkalkte Hilusdrüsen.
In örtlicher Anästhesie und unter Druckdifferenz wurde zur Tumor¬
entfernung die Brustwand aufgeklappt: Das Brustwandloch umfasste
den Bereich der dritten, vierten, fünften, sechsten Rippe rechts, je 12 cm
lange Rippenresektion, hatte also die Grösse von rund 120—150 qcm.
Die Tumormasse hatte die Pleura costalis nach innen vorgebeult. Ein
schmaler bandartiger Adhäsionsstreifen führte gegen die respiratorisch
auf- und niedergehende Lunge. An der Lungenbasis dieses Streifens
finden sich mehrere Metastasen des Tumors in der Lunge. Die Lunge
wird vorgewälzt und ist im übrigen metastasenfrei. Daher wird der
Metastasenherd aus der Lunge ausgeschnitten, die Lungenwunde genäht,
die Lunge selbst in die Brustwandlücke nicht eingenäht, sondern ihrem
freien Spiel überlassen, der über dem Tumor abtrennbare Hautlappen
wieder dicht eingenäht, so dass nach Luftaustreibung aus dem Tborax das
ganze Wundgebiet vollkommen geschlossen ist. Rasch überwundene, doch
deutliche pneumonische Reaktion im' Operationsgebiet der Lunge; im
übrigen reaktionslose Heilung per primam. In den der Operation
folgenden Wochen der Beobachtung macht sich eine ganz auffällige
Besserung der Emphysembeschwerden bemerkbar. Das Zusammentreffen
kann natürlich ein zufälliges sein. Doch gibt Friedrich, mit aller
Reserve, der Vorstellung Ausdruck, dass hier durch Anlegung der grossen
Brustwandlücke, in der sich die in- und exspiratorischen Bewegungen
der Lunge extensiv verfolgen lassen (Vorblähung und tiefes Einziehen),
ähnliche Verhältnisse geschaffen worden sein könnten, wie durch die
Rippendurchschneidung oder -Resektion im Freund’schen Sinne: mit
der freieren Bewegung eines grösseren Lungenabschnittes fällt ein Teil
des beim Emphysem bestehenden Widerstandes für den Pulmonalkreis¬
lauf fort. Die ganze Erwägung würde im Einklang stehen mit der von
Friedrich entwickelten Theorie zur Erklärung des operativen Erfolges
beim Emphysem mit Thoraxstarre, wie sie zum Chirurgenkongress 1911
von Friedrich entwickelt wurde, und wie sie von pathologisch-anato¬
mischer Seite (Kaufmann) in Sumita’s Arbeit adoptiert worden ist.
Hr. Klapp - Berlin: Ueber einen neuen Deberdruckapparat.
K. bat den Vorversuch gemacht, die bisher nicht völlig gelösten
Forderungen bei seiner Konstruktion zu berücksichtigen, und zwar haupt¬
sächlich die Vermeidung des Erbrechens und die Vermeidung der Auf¬
blähung des Magens. Diese beiden Forderungen sind dadurch gelöst,
dass die Luft durch zwei in die Nase eingesteckte elastische Röhrchen
eingeblasen und eine Magensonde in den Magen eingeführt wird. Nach
dem Prinzip der kommunizierenden Röhren wird eine Ansammlung von
Luft im Magen verhindert, der Mageninhalt fliesst durch den Katheter
ab. Im übrigen ist auf möglichste Einfachheit Rücksicht genommen.
Der Luftdruck wird durch einen Blasebalg erzeugt, die Gleichmässigkeit
des Luftstromes durch einen am Anfang und Ende der Schlauchleitung
eingeschalteten elastischen Beutel gewährleistet.
Plastische Chirurgie.
Hr. Hildebrand-Berlin: Ueber die Behandlung der Facialis-
lähmung mit Muskelplastik.
Ein junges Mädchen litt infolge einer Ohrenoperation an einer
Facialislähmung, zu deren Heilung schon vorher neun Operationen der
verschiedensten Art ausgeführt worden waren. Vortr. hat durch Ver¬
lagerung der sternalen Partie des Sternocleidomastoideus an den Mund¬
winkel eine wesentliche Besserung des Zustandes zu erzielen vermocht.
Die Patientin wird demonstriert.
Hr. Stein-Wiesbaden: Operative Korrektur der Facialis¬
lähmung.
Vortr. hat in einem Falle, in welchem ohne Erfolg von anderer
Seite eine Nervenplastik bei kompletter, seit vielen Jahren bestehender
Facialislähmung versucht worden war, die kosmetische Korrektur des
Leidens durch eine freie Fascienplastik vorgenommen. Ein aus der
Oberschenkelfascie präparierter 20 cm langer und 2 cm breiter Fascien-
streifen wurde von der Jochbeingegend her mit einem besonderen In¬
strument durch die Wange zu dem Mundwinkel der gelähmten Seite
geführt und von dort wieder durch die Wange nach dem Jochbogen
zurückgeleitet. Auf diese Weise wurde der herabhängende Mundwiukel
mit Hilfe der Fascie an dem Jochbogen aufgehäDgt. Am Mundwinkel
war als Voroperation drei Wochen vor Vornahme des Haupteingriffs ein
kleines subcutanes Paraffindepot geschaffen worden, welches dem um
dasselbe herumgeführten Fascienstreifen als Widerlager diente. Der Er¬
folg der Operation war gut und hat sich bisher ein Jahr lang erhalten.
Die Operation eignet sich sowohl für Fälle, in denen eine Heilung der
kompletten Facialislähmung auf andere Weise nicht gelang, als auch
als Ersatz dieser Methoden, solange sichere chirurgische Methoden zur
Heilung der Lähmung noch nicht zur Verfügung stehen. In psychischer
Beziehung ist der Eingriff ausserordentlich wirksam, und in sozialer Hin¬
sicht ist er in vielen Fällen sehr vorteilhaft.
Diskussion.
Hr. Kofmann - Odessa hat in einem Falle von Ostitis fibrosa der
rechten Augenhöhle durch plastische Operation eine wesentliche Besserung
erzielt.
Hr. Küttn er-Breslau berichtet über Dauerresultate der Trans¬
plantation an der Leiche und dem Affen. Demonstration zweier Prä¬
parate von Hüftgelenkstransplantation aus der Leiche. Im ersten Falle
war einer Leiche 35 Stunden nach dem Tode der Hüftgelenkskopf ent¬
nommen und einem Menschen, dem wegen Chondrosarkoms der Schenkel¬
halskopf entfernt worden war, implantiert worden. Der Fall wurde vor
zwei Jahren demonstriert und ging ein Jahr einen Monat nach Aus¬
führung der Transplantation an Lungenraetastasen zugrunde. Im zweiten
Falle musste wegen Lokalrecidivs die Exartikulation im Hüftgelenk vor¬
genommen werden, das Transplantat war einer Leiche drei Stunden nach
dem Tode entnommen und hatte drei Jahre zwei Monate funktioniert.
Der Befund war in beiden Fällen der gleiche: der Knochen war bei der
mikroskopischen Untersuchung tot und wurde vom lebenden Knochen
langsam substituiert. Ganz besonders auffallend war die innige und
funktionell richtige Verwachsung der Muskulatur mit dem toten Knochen.
Weiterhin demonstriert Vortr. ein Kind, bei dem er vor einem
Jahre wegon kongenitalen Defektes der Fibula die Fibula eines Affen
implantiert hat. Die Affenfibula ist, wie die Demonstration von Röntgen¬
bildern ergibt, vollkommen eingeheilt.
Hr. Lexer-Jena hat zweimal Leichengelenke transplantiert. In
einem Falle trat eine Infektion ein, und im zweiten Falle, bei dem das
Kniegelenk eines Hingerichteten kurz nach dem Tode verwendet wurde,
nahm L. infolge der schlechten Funktion sekundär die Resektion des
transplantierten Gelenks wieder vor. Bei der mikroskopischen Unter¬
suchung des Präparats ergab sich, dass der Knochen tot war. Die
Fragestellung dreht sich aber nicht darum, ob die transplantierten
Knochen am Leben sind, sondern ob ihre Resorption nicht so rasch
vonstatten gebt, dass ihre Tragfähigkeit darunter leidet. Die besten
Aussichten ergeben immer noch die horaoplastischen Transplantationen.
Aber auch diese versagen, wenn der Empfänger tuberkulös oder luetisch
ist. Die Heteroplastik macht deswegen so grosse Schwierigkeiten, weil
die Eiweissarten der verschiedenen Individuen verschieden sind. An
seiner Klinik sind erfolgreiche Versuche im Gange, durch entsprechende
Vorbehandlung des Blutserums auch die Heteroplastik praktisch durch¬
führbar zu gestalten.
Hr. Lexer - Jena berichtet über einen neuen Fall von idealer
Aneurysmaoperation, welcher nach den von ihm 1907 aufgestellten
Regeln operiert worden ist. Zur Erhaltung des Kreislaufs in normalen
Bahnen wurde nach vollkommener Entfernung des oberhalb des Leisten¬
bandes beginnenden und bis ‘ unterhalb der Arteria profunda herab¬
reichenden spindelförmigen Aneurysmas der Gefässdefekt durch ein 18 cm
langes Stück der Vena saphena ersetzt. Die stark durch Atherosklerose
veränderte Wand der Arterie liess die Fäden der fortlaufenden Naht
nach Carrel durchschneiden. Dagegen bewährte sich ausgezeichnet die
fortlaufende ausstülpende Matratzennaht, deren Fäden nicht nur
gut hielten, sondern auch jede Blutung verwehrten. Der starke Lumen¬
unterschied des Venenstückes und der erweiterten Arterie bot bei der
Naht weniger Schwierigkeit. Der glanzende Erfolg zeigt auch, dass eine
Erweiterung des Venenstückes wie im Experiment eingetreten sein muss.
Der Fall, ein 62 jähriger Mann, bringt den sicheren Beweis, dass das
eingepflanzte Stück gut durchgängig geblieben ist, denn die ebenso
kräftig wie auf der anderen Seite pulsierenden Fussarterien verlieren
sofort ihren Puls, wenn die Arteria femoralis im Gebiete des Ersatz¬
stückes komprimiert wird. Der vor */ 4 Jahr operierte Patient ist voll¬
kommen beschwerdefrei.
Hr. Coenen - Breslau hat bei einem hochsitzenden arteriovenösen
Aneurysma des Oberschenkels durch einen Mauserschuss, da kein hin¬
reichender Collateralkreislauf vorhanden war, nach Exstirpation des
Aneurysmas die Kontinuität der Gefässbahn der resezierten Arterie und
Vene wiederhergestellt durch Implantation der Vena saphena vom
anderen Bein (23. II. 1913). Der Erfolg war vollkommen, der Puls in
der Arteria dorsalis pedis gut fühlbar. Trotz der vielen Manipulationen
in der Wunde, die die vier Gefässnähte erforderten, trat keine Wund¬
störung ein.
Hr. Jeger-Berlin demonstriert einen Hund mit beiderseitiger Ver¬
pflanzung der Nierenvenen 10 Monate post operationem. Nierenfunktion
völlig normal. Ferner zeigt er einen Hund, dem vor 3 Monaten ein
Stück seiner Aorta abdominalis durch ein solches seiner eigenen Carotis
in der Weise ersetzt worden ist, dass aus letzterer durch eine plastische
Operation ein weites Gefässstück gebildet und letzteres zum Ersatz der
Aorta verwendet wurde. Demonstration von Präparaten (sämtlich von
Hunden, die die Operation um längere Zeit überlebt haben): 1. nach
Operationen, wie eben beschrieben; 2. Ueberbrückung einer Ligaturstelle
der Vena oava durch ein Stück der Vena jugularis desselben Tieres;
8. End-zu-Seitimplantation einer durchschnittenen Arteria anonyma in
die Arteria pulmonalis (künstlicher Botallo’scher Gang); 4. End-zu-End-
anastomose zwischen dem centralen Ende einer durchschnittenen Arteria
anonyma und dem peripheren der durchschnittenen linken Arteria pulmo¬
nalis; 5. freie Implantation eines Endes der herausgeschnittenen klappen¬
haltigen Vena jugularis in die linke Herzhöhle, des anderen in den
Aortenbogen.
Hr. Röpke - Barmen: Ueber die Verwendung freitrans¬
plantierten Fettes in der Gelenkchirurgie.
Vortr. hat seit seinen ersten Mitteilungen über die Verwendung
freitransplantierten Fettes in der Knochen- und Gelenk Chirurgie auf der
Naturforscherversamralung in Karlsruhe im Jahre 1911 klinisch und
experimentell mit diesem Material weitergearbeitet. Die klinischen Be¬
obachtungen haben ergeben, dass der freitransplantierte Fettlappen
selbst bis zu Handtellergrösse ohne Wundstörung in den Geleuken zur
Eioheilung gelangt. Die spezielle funktionelle Inanspruchnahme des
Fettlappens im Gelenk bedingt ein anderes Endergebnis der Regene¬
rationsvorgänge im Fettlappen, als wenn er ins Subcutangewehe ver-
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pflanzt worden ist, indem die Neubildung von Bindegewebe zwischen
den lastenden und sich bewegenden Knochenenden mehr in den Vorder¬
grund tritt Dort aber, wo bei der funktionellen Inanspruchnahme Fett¬
gewebe bestehen bleiben kann, findet sich nach anfänglichen Degene-
rationsvorgängen nach etwa 24 Wochen wieder normales Fettgewebe.
Ueber die feineren histologischen Vorgänge wird an anderer Stelle be*
richtet werden.
Mit der Interposition eines freien Fettlappens sind von Röpke
13 Gelenke operiert worden. Sie verteilen sich auf Finger, Hand, Ellen¬
bogen-, Schulter-, Hüft- und Kniegelenk bei Fällen, die wegen veralteter
Luiation synostotischer und fibrös ankylotischer Gelenke zur Behandlung
kamen. Am Ellenbogengelenk soll vom Kocher'schen Schnitt aus ope¬
riert werden. Die Einheilung erfolgte in allen Fällen primär. Die
funktionellen Resultate sind gut.
Auch auf dem Gebiet der operativen Behandlung der Gelenktuber¬
kulose hat Vortr. die freie Fetttransplantation angewandt und hier wie
in den anderen Fällen neben primärer Heilung ein gutes funktionelles
Resultat erzielt. Am Hüftgelenk wurde nach Entfernung der erkrankten
Kapsel, nach Ausräumung der Pfanne und Abtragung des erkrankten
Kopfes der Rest des Halses modelliert, der Pfannenraum mit einem
grossen Fettlappen ausgefüllt und hier wie in allen anderen Fällen das
Gelenk primär geschlossen, das Gelenk im Gipsverband auf 3 Wochen
ruhiggestellt. Danach beginnen aktive Bewegungen, die allmählich mit
anderen orthopädischen Maassnahmen kombiniert werden. Robuste Be¬
wegungen sind in den ersten Wochen zu unterlassen, um keine Nach¬
blutungen beim Losreissen der Lappen und Störungen der aktiven Be¬
wegungsübungen zu veranlassen. Am Kniegelenk ist von zwei seitlichen
nach hinten konvexen Bogenschnitten aus, nach T-förmiger Spaltung der
Fascie Abtrennen der Seitenbänder von den Femurepikondylen, die er¬
krankte Kapsel exstirpiert, die Gelenkfläche der Patella, der Femur-
und Tibiakondylen bogenförmig abgetragen, eine Fossa intercondylica
am Femur, eine Aushöhlung der Tibiacondylen und eine Eminentia
capitata wiederbergestellt, das Femur mit einem handtellergrossen
Fettlappen überzogen, ein ebensolcher in das Lager des oberen Recessus
durch Nähte fixiert, die Seitenbänder angenäht und das Gelenk ge¬
schlossen. Nach 3 Wochen dauerndem Gipsverband Beginn der aktiven
Bewegungen und Massage der sehr atrophischen Streckmuskulatur. Die
Stellung des Beines ist ausgezeichnet, und da der Streckapparat bei der
Operation in keiner Weise geschädigt ist, kann das Bein bereits nach
8 Wochen in Strecksteilung gehoben werden, im Pendelapparat ist zu
dieser Zeit eine Beugung bis zu etwa 45° bereits möglich.
In einem Falle mit Ellenbogengelenktuberkulose mit alten Fistel¬
narben hat sich die freie Fettinterposition ebenfalls sehr gut bewährt.
Vortr. empfiehlt auf Grund seiner klinischen und experimentellen
Beobachtungen den freitransplantierten Fettlappen als ausgezeichnetes
Interpositionsmaterial in der Gelenkchirurgie, auch bei noch bestehender
Tuberkulose.
Hr. Fr. König-Marburg a. L.: Klinische und experimentelle
Beobachtungen über Elfenbeinimplantation.
Im Anschluss an früher erfolgreiche Implantationen (Unterkiefer,
Oberarm) berichtet K. über Einheilung und Technik. Bei guter Asepsis
treten Knochen- und Weichteile in innigste Beziehung zum Elfenbein,
das sogar vom Knochen durchwachsen und substituiert wird. Weichteile
besonders wichtig. Wenn, wie es vorkommt, ein grosser Bluterguss zu
fistulösem Durchbruch geführt hat, so vermag eine Umhüllung des
Elfenbeins mit sekundärer Muskelplastik die Fistel zum Schluss zu
bringen. Bei Infektion ist das ausgeschlossen.
Sichere Verankerung der Elfenbeineinlagen mit dem Knochen,
innigste Umhüllung mit den sorgfältig zu schliessenden Weichteilen ist
Bedingung. Die grossen Gelenke machen besondere Schwierigkeiten;
hier können vielleicht die Muskeln direkt an die Elfenbeinprothese ver¬
näht werden.
Zu den erfolgreichen Fällen — der 1912 vorgestellte von Elfenbein¬
kieferimplantation ist geheilt geblieben — fügt K. einen weiteren. Die
mitgebrachte Patientin trägt seit einem Jahre einen Elfenbeinersatz eines
grossen Teiles des Gelenks (Trochlea samt handbreitem Stück des unteren
Humerus) im rechten Ellbogen. Sie bewegt das schmerzlose Gelenk,
kann mit dem Arm heben, es besteht keine Fistel.
K. empfiehlt erneut das Elfenbein bei Frakturen, bei Knochen¬
defekten, einschliesslich Gelenkenden, zu implantieren. Eine grössere
Arbeit wird die genaueren Daten liefern.
Hr. Eden-Jena: Tendo- und Neurolysis mit Fettplastik.
In der Lexer’schen Klinik wurde in sechs einschlägigen Fällen durch
Autoplastik Fett zur Tendo- und Neurolysis benutzt. Bei der Tendo-
lysis handelte es sich um eine sekundäre Verwachsung der Extensoren¬
sehnen, bei der durch Fetttransplantation eine vollkommene Streck¬
fähigkeit erzielt wurde. Bei den vier Fällen von Neurolysis konnte
einer nicht nachuntersucht werden, und einer ist erst vor vier Wochen
operiert. In den beiden übrigen Fällen handelte es sich um eine
Medianuslähmung, die durch Salvarsaninjektion entstanden war, und um
eine Radialislähmung nach Radiusfraktur. In beiden Fällen wurde
durch Lösung der Nerven aus den Verwachsungen und Umhüllung
mit Fett eine Heilung der Lähmung erzielt.
Hr. Rehn-Jena demonstriert Patienten aus der Lexer’schen Klinik,
bei denen durch autoplastische Sehnentransplantation eine Heilung von
Sehnenverletzungen erzielt wurde.
Es wurden im ganzen acht Patienten operiert, von denen vier
demonstriert werden konnten.
1. Verletzung der Strecksehne des Zeigefingers und sekundäre In¬
fektion. Transplantation der Sehne des Palmaris longus. 2. Verletzung
der Strecksehne des zweiten, dritten, vierten und fünften Fingers mit
sekundärer Infektion. Ersatz durch die Sehne des Extensor communis
vom Fusse. 3. Verletzung der Beugesehnen des vierten und fünften
Fingers mit sekundärer Infektion. Ersatz durch die Sehne des Palmaris
longus.
In sämtlichen drei Fällen vollkommene Resultate.
Im vierten Fall waren beide Beugesehnen des vierten Fingers ver¬
loren gegangen und durch den Palmaris longus ersetzt worden. Resultat
fast vollkommen.
Hr. Schmieden-Berlin: Ersatz von Unterkieferdefekten.
Der Vortr. hat sehr viel Gelegenheit gehabt, Erfahrungen über die
freie Knochenverpflanzung zu sammeln, und bevorzugt dieses Ver¬
fahren auch für den Ersatz von Kontinuitätsdefekten des Unterkiefers.
Er zeigt einen Patienten, dem durch Knocheneiterung mit Sequester¬
bildung fast der ganze linksseitige horizontale Unterkieferast
verloren gegangen war und bei dem Operationen von anderer Hand zur
Wiederherstellung der Kontinuität des Knochens versagt hatten. Mit
Prothesenbehandlung war nichts mehr zu erreichen, da kaum noch
Zähne vorhanden waren. Unter Vorlegung einer schematischen Zeichnung
erörtert Vortr., wie er durch sechs feste Drahtnähte eine starke Knochen¬
spange zum Ersatz des Defektes einfügte, nachdem die stark atrophi¬
schen Stümpfe unter peinlicher Vermeidung einer Eröffnung der Mund¬
höhle freigelegt waren. Während der Operation und später bis zum
Festwerden des Implantats wurde durch eine von Prof. Schröder an¬
gefertigte Prothese die richtige Stellung des ganzen Unterkiefers
garantiert. Ideale Heilung mit voller knöcherner Festigkeit.
In einem zweiten Falle von traumatischem Defekt des Unter¬
kiefers wurde ebenfalls die freie Knoohenplastik angewandt mit Ein¬
setzung eines ganz besonders naoh Modell geformten Knochenstückes
aus der Tibia, welches durch seine Gestalt eine Spreizung der zu der
typischen Dislokation der losen Unterkieferfragmente neigenden Stümpfe
gewährleistete. In dieser Stellung wurde das an einer Zeichnung illu¬
strierte Knochenersatzstück mit Drahtnähten fest fixiert. Leider ver¬
starb der Kranke vor der Heilung an Pneumonie.
Der Vortr. fordert, Unterkieferdefekte nach Möglichkeit durch freie
Knochenverpflanzung zu decken, die beim Geschlossenbleiben der Mund¬
höhle während der Operation beste Chancen für Einheilung und spätere
knöcherne Festigkeit bieten. Die Knocbenstücke müssen durch absolut
sichere Drahtnähte eine primäre, hochgradige Festigkeit erlangen und
müssen sorgfältig nach Form zugeschnitten sein. Während und längere
Zeit nach der Operation muss eine Prothese für Normalstellung der
Unterkieferfragmente Sorge tragen.
Hr. Hayward-Berlin berichtet über 4 Fälle von Fetttransplantation
aus der Bier’schen Klinik. Es handelte sich hierbei um teilweise oder
vollkommene Entfernung der Mamma wegen gutartiger Affektion, bei
denen der Defekt durch autoplastische Fetttransplantation ersetzt
worden war.
Das kosmetische Resultat war, wie die Demonstration ergab, ein gutes.
Hr. Ach-München: Fascientransplantation zum Zwecke der
Rectopexie und Nephropexie.
Bei der Rectopexie geht Vortr. dermaassen vor, dass er mittels
suprasymphysären Querschnittes bei Beckenhochlagerung und starkem
Anziehen des Colon pelvinum den Douglas freilegt. Nach Inzision des
Peritoneums mobilisiert er ringsherum das Rectum sehr weit nach unten
bis in die Nähe des Sphincters, ausserdem dringt er weit zwischen
Scheide und Rectum nach unten vor. Nun entnimmt er dem Ober¬
schenkel einen etwa 25 cm langen, 8 cm breiten Lappen der Fascia
lata und überträgt ihn als Fixationsmaterial für das Rectum und die
Vagina. Der unten längsgespaltene Lappen wird mit dem einen Streifen
hinten um das Rectum fast circulär herumgeführt und mit einer grösseren
Anzahl von Nähten am Rectum fixiert. Der andere Streifen wird vorne
zwischen Rectum und Vagina weit nach unten gebracht und mit seinen
freien Rändern zunächst am Rectum und dann auch an der oberen
Hälfte der Vagina fixiert. Um Adhäsionen vorzubeugen, wird der
Fascienlappen extraperitoneal gelagert, und zwar derart, dass das Peri¬
toneum nach Herauspräparieren und Zurücklagern des rechten Ureters
durch das rechte Ligamentum latum bis zum horizontalen Scbambeinast
unterminiert wird. Hier wird nun der Fascienlappen, nachdem durch
starkes Anziehen desselben Rectum und Vagina so weit als möglich
nach oben gezogen sind, mit einer Reihe von Knopfnähten am Cooper-
schen Ligament fixiert. Der freistehende Rand wird nun abermals extra¬
peritoneal in die Bauchdeckenwunde verlagert und hier an der Musku¬
latur mit Nähten fixiert.
Nach dieser Methode hat Vortr. vor ®/ 4 Jahr eine Patientin mit
hochgradigem Mastdarm- und Scheidenprolaps operiert. Der Fascien¬
lappen heilte glatt ein, und die Patientin ist trotz des ausserordentlich
erweiterten geschwächten Beckenbodens recidivfrei.
Zum Zwecke der Nephropexie hat Vortr. ebenfalls als Fixations¬
material einen Fascienlappen verwendet. Der Gang der Operation war
folgender:
Freilogen der Niere mit Simon’scbem Lendenschnitt und Luxation
derselben. Hierauf wird an der vorderen wie an der hinteren Fläche
der Niere eine etwa 7 cm lange Inzision durch die Capsula fibrosa an¬
gelegt und die Capsula fibrosa stumpf von dem Nierenparenchym von
einer Inzision über die Konvexität der Niere zur anderen Inzision ab-
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UMIVERSITY OF IOWA
716
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
gelöst. Einen etwa 20 cm langen nnd 6 om breiten, dem Oberschenkel
entnommenen Fascia lata*Lappen zieht man nun von einer Inzision zur
anderen unter der Capsula fibrosa hindurch und vernäht die beiden In¬
zisionen, indem man hierbei gleichzeitig den Fascienlappen mit jeder
einzelnen Naht zweimal durchsticht. Als Endresultat hat man nun die
in ihrem Capsula fibrosa-Sack vollständig eingehüllte Niere mit einem
derben vorderen und hinteren Zügel, die sich zur Fixation sehr gut
eignen. Nach Reposition der Niere werden diese Zügel an das tiefe
wie an das obetfiächliche Blatt der Fascia lumbodorsalis fixiert.
Vortr. hatte bis jetzt Gelegenheit, bei 10 Patienten die erwähnte
Methode durchzuführen. Die ersten Operationen liegen schon fast zwei
Jahre zurück. Die Fascienlappen heilten in allen Fällen glatt ein. Der
operative Erfolg ist in allen 10 Fällen ein vollständiger, es wurde keine
Niere mehr mobil, der kurative Erfolg ist in allen bis auf einen Fall
vorhanden, hier handelte es sich um eine Hysterica, die zwar eine
Besserung zugibt, aber nicht geheilt ist
(Fortsetzung folgt.)
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Am 9. März d. J. fand in Dresden eine Sitzung des Gesamt¬
vorstandes der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kur¬
pfuschertums statt, in der sich der geschäftsführende Ausschuss neu
konstituierte. Es wurden gewählt: als Vorsitzender Prof. Dr. Beythien,
als stellvertretender Vorsitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schmorl,
als Schriftführer Dr. Neustätter, als stellvertretende Schriftführer
Dr. Decker und Dr. H. Weber, als Kassenführer Dr. Eger, als Bei¬
sitzer Exzellenz Geh. Med.-Rat Dr. Fiedler, Med.-Rat Dr. Thiersch,
Prof. Dr. Rietschel, Dr. Weisswange, Dr. Leonhardt. Sämtliche
Herren haben ihren Wohnsitz in Dresden. Zuschriften werden erbeten
an den Schriftführer Dr. Neustätter, Dresden-Hellerau, auf dem Sand.
— Der II. Tag der Fürsorgestellen für Lungenkranke wird
in diesem Jahr vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose zum 22. Oktober nach Berlin einberufen werden im An¬
schluss an die Internationale Tuberkulosekonferenz. — Auch die Tuber¬
kuloseärzteversammlung soll mit dieser Konferenz verbunden werden.
— Der Berlin-Brandenburger Heilstättenverein für Lungenkranke,
welcher die Lungenheilstätte Belzig betreibt, hält am Freitag,
den 11. April, mittags 12 Uhr, im Landeshause, Mattbäikirchstrasse 20/21,
seine XIX. Generalversammlung ab, zu der alle Freunde der Anstalt
eingeladen sind. Ein Vortrag wird Aufschluss geben über die neueren
Behandlungsmethoden der Lungentuberkulose.
— Die Vereinigung zur Förderung des Hebammenwesens
hält am Dienstag, dem 13. Mai, in Halle, Königl. Universitäts-Frauen¬
klinik, ihre 6. Versammlung ab. Als Hauptthemata kommen zur Ver¬
handlung: 1. Wiederholungskurse und Nachprüfungen. 2. Organisation
der Hebammenschulen.
— Vom 16. Februar bis 8. März 1914 findet an der psychiatrischen
Klinik in München der nächste psychiatrische Fortbildungs¬
kurs statt. Als Dozenten beteiligen sich die Herren: AIlers: Chemische
Pathologie und Diätotherapie der Psychosen. Bro dm an n-Tübingen:
Topographische Histologie der Grosshirnrinde. Isserlin: Experimentelle
Psychologie. Psychotherapie. Kraepelin: Psychiatrische Klinik.
Liepmann - Berlin: Ueber aphasische, agnostische und apraktische
Störungen. Plaut: Liquor-und Serumuntersuchungen. Demonstrationen
zur forensischen Psychiatrie, einschliesslich der psychiatrischen Jugend¬
fürsorge. Rüdin: Ueber Entartung und über Vererbung geistiger
Störungen. Spielmeyer: Anatomische Grundlagen der Geisteskrank¬
heiten. Weiler: Psychopathologische Untersuchungsmethoden. — An¬
meldungen an Herrn Dr. Rüdin, Nussbaumstrasse 7.
— Der I. Congresso Italiano di Radiologica Medica findet
in Mailand im Oktober 1913 statt.
— Am 9. d. M. hielt Herr Müh lens einen Vortrag, in dem er über
das Resultat der von ihm geleiteten Vorexpedition zum Studium der
hygienischen Zustände in Jerusalem berichtete. Die Expedition wurde
ausgeschickt von dem Deutschen Komitee zur Bekämpfung der Malaria
in Jerusalem, das von dem Frb. v. Mirbach ins Leben gerufen wurde
und unter dem Präsidium des Ministerialdirektors Kirchner steht. Es
wurde ein Gesundheitsamt in Jerusalem errichtet, dessen Hauptziel die
Bekämpfung der ganz ungeheuer verbreiteten Malaria ist, und Vortragender
spricht die Hoffnung aus, dass dieses, uobeengt durch nationale und
konfessionelle Eifersüchteleien, die ja dort eine so traurige Rolle spielen,
sich seiner Aufgabe wird widmen können. (Vgl. hierzu den Artikel von
Brünn und Goldberg in Nr. 14 dieser Wochenschrift.) Neuerdings
wurde dem Institut auch eine Station zur Behandlung der Tollwut an¬
gegliedert.
— Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien schreibt neuerdings
den von Dr. med. Moritz Goldberger gestifteten Preis im Betrage
von 2000 Kr. für die beste Beantwortung des vom Präsidium gestellten
Preisthemas: „Entstehung und Therapie der Ref lexanurie“ aus.
Um diesen Preis können Aerzte aus Oesterreich-Ungarn und ganz
Deutschand konkurrieren. Berücksichtigung finden nur Arbeiten, welche
in deutscher Sprache verfasst, bis längstens 15. Mai 1915 an das Prä¬
sidium, mit einem Motto versehen, eingesendet werden.
— Die Niederlassung ausländischer, vorwiegend russischer
Aerzte in deutschen Badeorten, mehr aber nooh das damit an¬
scheinend untrennbar verbundene Agentenunwesen hat, wie behauptet
wird, solchen Umfang angenommen, dass der nächste deutsche Aerzte-
tag veranlasst werden wird, dazu Stellung zu nehmen. Schon haben
zahlreiche Aerztekammern sich mit der Angelegenheit befasst und aus
den Vorschlägen zur Abwehr geht der Wunsch und die Absicht hervor,
bei den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches eine Aenderung der
bisherigen Bestimmungen über die Kurierfreiheit zu beantragen. Und
zwar soll nicht erst versucht werden, die Kurierfreiheit im ganzen auf¬
zuheben, denn die von uns Aerzten dann voraussichtlich verlangte Gegen¬
leistung der Annahme des Kurierzwanges wäre ein zu hoher Kaufpreis;
sondern es sollen blos Bestimmungen getroffen werden, die es aus¬
ländischen Aerzten nur unter den gleichen Bedingungen ermöglichen,
bei uns Praxis zu treiben, denen die deutschen Aerzte im Ausland
unterworfen sind. Dies dürfte ganz gewiss nicht unbillig sein und doch
zur Abhaltung der von der einen Seite drohenden Gefahr zunächst genügen.
— Der bisherige ao. Professor der Dermatologie Wo 1 ff - Strassburg
wurde zum ordentlichen Professor ernannt. Das Ordinariat ist zunächst
ein persönliches, ist jedoch mit allen Rechten und Pflichten der übrigen
Ordinariate verbunden.
— Dem Leiter des neurobiologisohen Instituts der Universität,
0. Vogt, und dem Abteilungsvorsteher am gleichen Institut, Max Biel-
schowsky, wurde durch Verleihung des Professortitels eine wohl¬
verdiente Anerkennung zuteil.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Der Privatdozent für Ophthalmologie, Dr. Köllner, ist
nach Würzburg als Oberarzt der Augenklinik übergesiedelt. Dr. Levin-
sohn, Privatdozent für Augenheilkunde, erhielt den Titel Professor. —
Göttingen. Dem Privatdozenten Dr. Eichelberg wurde der Titel
Professor verliehen. — Cöln. Prof. Dürck in München wurde als
Direktor des pathologischen Instituts der Akademie für praktische
Medizin berufen. — Königsberg. Dr. 0. Elieneberger wurde Ober¬
arzt der psychiatrischen Klinik in Bonn. Prof. Hedinger in Basel
hat den Ruf als Ordinarius der Pathologie abgelehnt. — München.
Dr. Cieszynski wurde zum ao. Professor der Zahnheilkunde in Lemberg
ernannt. — Lausanne. Privatdozent Dr. Vulliet wurde zum ao. Prof,
für Chirurgie ernannt und ihm der Lehrauftrag für Unfallheilkunde über¬
tragen. — Prag. Prof. Schmidt in Innsbruck wurde zum Ordinarius
der inneren Medizin an der deutschen Universität ernannt.
Wir bitten für uns bestimmte Mannskripte, wenn irgend mög¬
lich, in Maschinenschrift einsenden ca wellen. Red.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. mit Eichenlaub:
ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr. E. Ponfick in Breslau.
Ernennungen: Arzt Dr. W. Klimm in Landeshut i. Schl, zum Kreis¬
assistenzarzt in Kattowitz, die Ernennung des Arztes Dr. R. Rüdlin
in Triebei (N.-L.) zum Kreisassistenzarzt in Kattowitz ist auf seinen
Antrag rückgängig gemacht worden.
Zu besetzen: am 1. Juli 1913 die Stelle des Kreisassistenzarztes und
Assistenten bei dem Medizinaluntersuchungsamte in Hannover. Jahres¬
remuneration 2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die
Stelle kann auch einem noch nicht kreisärztlicb geprüften Arzte
vorläufig kommissarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen
für die Zulassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur
alsbaldigen Ablegung der Prüfung verpflichtet.
Niederlassungen*. Privatdozent Prof. Dr. G. Joachim in Königs¬
berg i. Pr.
Verzogen: Oberarzt Dr. F. Coler von Uchtspringe nach Spandau,
Aerztin J. Cohn von Charlottenburg und Arzt H. Meltz von Loitz
i. Pomm. nach Stettin, Arzt L. Alefeld von Stettin nach Wilden¬
sorg (Oberfranken), Arzt A. Kost von Bonn naoh Treptow a. Rega,
Dr. D. Ges ter ding von Bergquell nach Dresden, Dr. G. St ehr von
Breslau nach Lüben i. Schl., Arzt A. Lamers von Halle a. S. nach
Herzogenbusch (Niederlande), Dr. W. Kiesow von Wusterhausen a. D.,
Dr. A. Reue von Hamburg und Dr. K. Behne von Berlin und Dr.
E. Jooss von Ludwigsburg (Württemberg) nach Kiel, Dr. E. F.
Berger von Ober-Jersdal nach Schleswig, Dr. E. Goetze von Glowno
b. Posen und Dr. A. Pongs von Reisen nach Altona, Dr. J. H. Tb.
Piening von Rendsburg nach Elmshorn, Arzt W. Andree von Kiel
naoh Jever (Oldenburg), Geh. San.-Rat Dr. S. Fries von Nietleben
nach Göttingen.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Beumer
von Charlottenburg auf Reisen, Arzt J. Fischer von Berlin-Nordend,
Arzt G. Neugebauer vou Greifswald, Dr. A. Hoppe von Altona,
Dr. 0. Rössle von Neustadt i. Holst, auf Reisen als Schifisarzt.
Gestorben: Dr. J. Karstensen in Altona.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Original frorri
UNIVERSUM OF IOWA
Dl* Berliner KUnisohe Woehenschrift erscheint jeden
Montag in Nummern von es. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstaiten an.
BERLINER
Alle Einsendungen Ihr die Redaktion und Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linder
No. 68, adressieren.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungene
Redaktion: Expedition:
Geb. Mcd.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 21. April 1913. Mm.
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Originaliei: Cushney: Digitalistherapie. (Illustr.) S. 717.
Stern: Ueber die Wirkung des Hocbgebirgsklimas auf die Puls¬
frequenz. (Aus dem physiologischen Institut der Universität
Strassburg.) (Illustr.) S. 720.
Heinrich: Zur Prognose der Herzklappenfehler. (Aus der Poliklinik
für innere Krankheiten von Prof. M. Mosse zu Berlin.) S. 723.
Mueller: Morpbiumentwöhnung mit Scopolamin? S. 724.
Piotrowski: Ueber einen neuen antagonistischen Reflex. S. 726.
Hübner: Ueber die accessorisohen Gange am Penis und ihre
gonorrhoische Erkrankung. (Aus der Hautkrankenstation der
medizinischen Klinik zu Marburg.) S. 728.
Blumherg: Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes mit
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Fruchtbarkeit.
(Illustr.) S. 729.
Peltesohn: Ueber einen Fall von operativ behandelter angeborener
Missbildung der unteren Extremitäten. (Aus der Königl. Uni¬
versitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie zu Berlin.) (Illustr.)
S. 731.
Ehrenreich: Die röntgenologische Diagnostik der Magenkrankheiten.
(Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität zu
Berlin.) (Illustr.) S. 734.
Btteherbespreehangei: Tarasewitsch: Handbuch der medizinischen
Mikrobiologie. S. 738. (Ref. Rabinovritsch.) — Prutz und Monnier:
Die chirurgischen Erkrankungen und die Verletzungen des Darm¬
gekröses und der Netze. S. 739. (Ref. Adler.) — v. Jauregg:
Myxödem und Kretinismus. S. 739. (Ref. Meyer.) — Jacobi:
Atlas der Hautkrankheiten mit Einschluss der wichtigsten venerischen
Erkrankungen. S. 739. (Ref. Joseph.) — Bahrdt: Bibliographie
der gesamten Kinderheilkunde für das Jahr 1911. S. 739. (Ref.
Weigert.) — Reyn: Die Finsenbehandlung. S.739. (Ref. Schmidt.) —
Cornet: Die akute allgemeine Miliartuberkulose. S. 739. (Ref.
Aufrecht.) — Krohne: Die den Hebammen, Hebammenlehrern und
Kreisärzten durch die Neuauflage des preussischen Hebammenlehr¬
buches erwachsenden Aufgaben. S. 739. (Ref. Holste.)
Literfttnr-Auzüge : Physiologie. S. 740. — Pharmakologie. S. 740. —
Therapie. S. 741. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 741. — Diagnostik. S. 742. — Parasitenkunde und
Serologie. S. 742. — Innere Medizin. S. 743. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten. S. 743. — Kinderheilkunde. S. 744. —
Chirurgie. S. 745. — Röntgenologie. S. 747. — Urologie. S. 747. —
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 747. — Geburtshilfe und
Gynäkologie. S. 747. — Augenheilkunde. S. 748. — Hals-, Nasen-
und Ohrenkrankheiten. S. 748. — Hygiene und Sanitätswesen.
S. 748. — Technik. S. 748.
Yerhandlangei ärztlicher Gesellschaften: Laryngologische Gesell¬
schaft zu Berlin. S. 748. — Berliner Gesellschaft für
Psyohiatrie und Nervenkrankheiten. S. 749. — Berliner
mikrobiologische Gesellschaft. S. 751. — Medizinische
Sektion der sohlesischen Gesellschaft für vaterländische
Kultur zu Breslau. S. 752. — Medizinische Gesellschaft zu
Kiel. S. 754. — Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
S.754. — Medizinische Gesellschaft zu Göttingen. S.755.—
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften. S. 755.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 757.
Löwenstein: Ueber durch Nematoden hervorgerufene Geschwulst¬
bildungen bei der Ratte. S. 761. — Fihiger: Erwiderung zu Vor¬
stehendem. S. 762.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 763.
Amtliche Mitteilungen. S. 764.
Digitalistherapie.
Yon
A. R. Cushney- London.
Es gibt wenige Drogen, welche mehr die Aufmerksamkeit
der klinischen und experimentellen Beobachter auf sich gezogen
haben als die Glieder der Digitalisreibe. Doch besteht ein grosser
Zwiespalt zwischen den beiden Arten von Beobachtungen, und
bis jetzt ist keine befriedigende Regel für die Bestimmung der¬
jenigen Herzkrankheiten gefunden worden, welche aus dem Ge¬
brauch dieser wichtigen Gruppe von Heilmitteln Nutzen ziehen.
Das liegt hauptsächlich an dem Mangel sorgfältiger Beobachtungen
des Herzzustandes seitens der Kliniker vor und nach dem Digitalis¬
gebrauch. Andererseits haben experimentelle Forscher zwar ge¬
naue Methoden der Analyse in Anwendung gebracht, jedoch im
allgemeinen Digitalismengen injiziert, welche ausserhalb der
Grenzen der Therapie liegen. Ausserdem haben sie oft ange¬
nommen, dass die von ihnen nach massiven Dosen erhaltenen
Resultate qualitativ, wenn auch in sehr verstärkter Form, den¬
jenigen äbniich sind, welche man bei bettlägerigen Kranken erhält.
Die genaueren jetzt im Gebrauch befindlichen klinischen
Untersacbungsmethoden scheinen uns zu versprechen, einiges Licht
anf eine Seite des Problems zu werfen. Ich habe daher mit
Freuden die Einladung James Mackenzie’s begraset, mit ihm
zusammen die Wirkungen der Digitalis in seiner Herzabteilung
zu beobachten. Diese Tätigkeit hat sich auf mehrere Jahre er¬
streckt, und es kam eine sehr erhebliche Anzahl von Patienten zur
Beobachtung, in manchen Fällen einige Monate auf einmal. Die
von uns angewandten Beobachtungsmethoden waren von Mackenzie
angegeben; daneben worden, wenn nötig, von Lewis elektrocardio-
grap bische Kurven aufgenommen. Die Resultate sind bereits aus¬
führlich iu einer Anzahl von Artikeln (1) veröffentlicht worden,
und ich habe hier nun die Absicht, ein kurzes Resümee derselben zu
gehen, am sie den deutschen Kollegen zugänglicher zu machen.
Die Pharmakologie bat oft darunter gelitten, dass sie sich
von der praktischen Medizin fernhielt. Ich ergreife daher diese
Gelegenheit, um Mackenzie meinen Dank für das grosse Inter¬
esse auszusprechen, welches er an diesem Bemühen, die Kluft
zwischen der Wissenschaft und der Kunst der Therapie zu über¬
brücken, genommen hat. Es ist zu wünschen, dass dieses Bei¬
spiel auf anderen Gebieten des Studiums Nachfolge finden und
beide Seiten der Therapie sich mehr und mehr verbinden möchten.
Die erste Frage, welche uns gegenübertrat, war diejenige,
welche Präparate der Droge untersucht werden sollten, ln
den letzten Jahren wnrden die Präparate der mehr oder weniger
reinen Prinzipien der Digitalisgmppe mit freigebiger Hand auf
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UNIVERSUM OF IOWA
716
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
den Markt geworfen, and es scheint der Entschuldigung zu be-
dürfen, dass wir unsere Beobachtungen fast ausschliesslich auf
die Tinkturen der Digitalis, der Scilla und des Strophanthus be¬
schränkt haben. Unser Grund ist der, dass diese Präparate hier¬
zulande in allgemeinem Gebrauche und durchaus konstant in
ihrer Wirkung sind, wenn die Standardpräparate benutzt werden;
dass ferner zwar einige der aktiven Prinzipien in reiner und be¬
ständiger Form (z. B. das Strophanthin) erhältlich sind, dieses
jedoch nicht der Fall ist beim Digitalis, dem Hauptglied der
Gruppe. Die bei unseren Arbeiten benutzten Tinkturen wurden
alle durch einen von uns am Froschherzen normiert.
Anfänglich wurde Tinctura digitalis gegeben. Da es jedoch
oft Uebelkeit und Erbrechen in den angewandten Dosen hervorrief,
so versuchten wir, ob wir nicht dieselbe therapeutische Wirkung
mit der Strophanthus- und Scillatinktur erhalten konnten. Diese
Tinkturen wurden am Froschberzen normiert, und die kleinsten
letalen Dosen ergaben daa Verhältnis von Tinctura digitalis 20,
Tinctura scillae 15 und Tinctura strophanthi 1. Per os beim
Menschen gegeben, erleidet Strophanthin zum sehr grossen Teil
eine Zersetzung oder wird nicht absorbiert, wie allgemein bekannt
ist. Verglichen wir die Dosen, welche imstande waren, die Sym¬
ptome bei unseren Patienten schnell zu bessern und im Maximum
ohne störende Erscheinungen ertragen werden konnten, so fanden
wir ungefähr das Verhältnis: Tinctura digitalis 1, Tinctura scillae 2,
Tinctura strophanthi 2
Die besten und schnellsten Resultate erhielten wir durch die
Maximaldosen; war jedoch Besserung eingetreten, so konnten wir
sie durch kleinere Mengen aufrecht erhalten, ln den meisten
Fällen war die Besserung in den Kreislaufstörungen von Appetit¬
verlust, Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen und oftmals Diar¬
rhöe begleitet. Digitalis, Scilla und Strophanthus haben alle
diese Symptome hervorgerufen; es schien uns jedoch, dass Stro¬
phanthus und Scilla eine etwas grössere Neigung hatten, Darm¬
störungen zu erzeugen als Digitalis, andererseits aber von ge¬
ringeren Kopfschmerzen und geringerer Uebelkeit begleitet waren.
Indessen war der Unterschied zwischen den drei Mitteln in dieser
Hinsicht ein sehr geringer. Das ist bereits früher durch die
jüngsten Untersuchungen von Hatcher und Eggleston (2) fest¬
gestellt worden, welche gezeigt haben, dass die emetische Wir¬
kung dieser Mittel centralen Ursprungs ist und nicht auf einer
lokalen Reizung im Magen beruht. Die Wirkung auf das Herz
geht ebenso von dem Mittel im Blut aus, und es ist daher nicht
überraschend, dass eine gleiche therapeutische Wirkung von den
gleichen Nebenwirkungen begleitet wird. Abgesehen von diesen
leichten und unbestimmten Schwankungen, waren wir nicht im¬
stande, eine Differenz in der Wirkung dieser drei Mittel zu ent¬
decken. Man kann die Frage aufwerfen, wie es möglich sei, bei
Patienten die entsprechende Wirksamkeit dieser drei verschiedenen
Tinkturen zu bestimmen? Die Antwort darauf lautet, dass das
ebenso exakt geschehen kann wie in dem experimentellen Labo¬
ratorium, nämlich durch die Reaktion beim Auricularflimmern
mit Pulsbeschleunigung. Es wurde z. B. ein Patient in diesem
Zustande mit Tinctura digitalis so lange behandelt, bis der Puls
auf 65 fiel, die dazu gebrauchte Menge notiert und die Behand¬
lung eingestellt. Nach 10 bis 14 Tagen war wieder eine Puls¬
beschleunigung in früherer Höhe aufgetreten und nun wurde
Tinctura scillae verabfolgt, die zur Herabsetzung derselben not¬
wendige Menge wieder notiert und mit der von Digitalis verglichen.
Auf diese Weise erhielten wir eine grosse Statistik, aus welcher
die relative Kraft der Mittel abgeleitet werden konnte. Dieselbe
relative Stärke erhalten wir bei einigen nicht flimmernden Fällen, bei
welchen eine ziemlich bestimmte Reaktion beobachtet werden konnte.
Wir haben oft festgestellt, dass Digitalis den Puls verlang¬
samt, aber die Untersuchung zeigt, dass die gewöhnlichen thera
peutischen Dosen diese Wirkung nur in einer beschränkten An¬
zahl von Fällen besitzen. Der Zustand, von welchem die Digitalis
ihren Ruf der Pulsverlangsamung herleitet, ist das Auricular¬
flimmern, bei welchem Mackenzie zuerst gezeigt hat, dass der
therapeutische Nutzen ungleich auffälliger ist als bei anderen
Arten von Herzkrankheit. Die Besserung in der Girculation
schreitet in gleichem Schritt mit dem Sinken der Pulsfrequenz
vorwärts. Ferner bietet sich in einigen Fällen von Auricular¬
flimmern, bei welchen der Puls nicht sehr beschleunigt ist und
die Digitalis die Pulsfrequenz nicht herabzumindern vermag, kein
1) Tinotura digitalis B. P. wird hergestellt aus 12,5 g Blättern in
100 ccm Alkohol; Tinctura scillae aus 20 g in 100 ccm und Tinctura
strophanthi aus 2,5 g in 100 ccm. Die Dosen, welche wir gaben, ent¬
sprachen 0,5 Digitalis, 0,2 Strophanthus und 1,5 Scilla pro die.
so auffälliges Zeichen von Allgemeinbesserung dar. In der
grossen Mehrzahl der Fälle von Herzflimmern jedoch setzt Digitalis
die Pulsfrequenz herab und beseitigt gleichzeitig die Cyanose, das
Oedem und andere Symptome. So zeigten in 16 Fällen von
Auricularflimmern, welche mit Digitalis behandelt wurden, 13
(d. h. über 80 pCt.) eine deutliche Abnahme der Pulsfrequenz.
Eine gewisse Anzahl Fälle von Auricularflimmern zeigen keine
sehr deutliche Aenderung in der Pulsfrequenz unter Digitalis, und
das ist besonders der Fall, wenn aus irgendeinem Grunde Fieber¬
temperatur vorhanden ist. Die auffälligste Abnahme der Puls¬
frequenz sah man bei jungen Menschen, deren Krankengeschichte
auf Rheumatismus hin weist, während in einigen Fällen von alten
Herzkrankheiten, bei welchen eine ausgedehnte Degeneration des
Herzmuskels bestanden haben mag, der Puls nicht in gleichem
Grade vor der Behandlung beschleunigt und das Sinken des¬
selben relativ gering war oder ganz fehlte. Als allgemeine Regel
verlief die allgemeine Besserung der Symptome so genau parallel
mit der Pulsverlangsamung in diesen Fällen von Auricular¬
flimmern, dass letzteres Symptom als Maassstab für die thera¬
peutische Wirkung des Mittels genommen werden kann. Der zu¬
grundeliegende Zustand des Herzens bleibt durch die Behandlung
unverändert, denn die Herzohren fahren fort zu flimmern, wie
das durch die Polygrapbkurven und ebenso durch das Elektro-
cardiogramm bewiesen wird. Die Pulskurve bietet jedoch oft
einen mehr regelmässigen Rhythmus dar, und sie wurde in einigen
wenigen Fällen fast ganz regelmässig, und die Schwankung in
der Grösse des Herzschlags, welche so charakteristisch für das
unbehandelte Herzflimmern ist, war unter der Digitalisbehandlung
oft weniger auffällig. Wurde die Behandlung mit grossen Dosen
fortgesetzt, so war das Sinken der Pulsfrequenz oft ein extremes,
z. B. von 130 auf 40 bis 50 pro Minute, und hierbei entwickelte
sich in manchen Fällen ein merkwürdiger Pulsus bigeminus,
wobei die Herzschläge paarweise durch einen Intervall getrennt
sind und das zweite Paar schwächer als das erste ist. Die
elektrocardiographische Untersuchung durch Lewis zeigte, dass
der erste Schlag des Bigeminus die gewöhnlichen Wellen ergab,
woraus hervorgeht, dass er von der normalen Stelle im Ventrikel
ausging, d. h. vom His’schen Bündel. Der zweite, kleinere Puls,
welcher auf den ersten sehr schnell folgte, gab kein so elektro-
cardiographisches Bild und entstand offenbar von einer ungewöhn¬
lichen Stelle des Ventrikels. Der Bigeminus oder gekoppelte
Rhythmus lehrte durch sein Bild, dass die zweite Kontraktion als
eine direkte Folge des ersten oder normalen Ventrikelschlages
auftrat. Das erhält eine gewisse Stütze durch Experimente, in
welchen ein Bigeminuspol von etwas ähnlicher Form bei Tieren
erhalten wurde, und wobei der zweite Schlag verschwand, wenn
der erste unterdrückt worden war (8). Man kann daher an¬
nehmen, dass in diesen Fällen von Flimmern die Digitalis das
Maass des gewöhnlichen Ventrikelrhythmus in solchem Grade
herabsetzt, dass er nicht ausreicht, die spontane Rhythmicität an
einer gewissen Stelle im Ventrikel zu erschöpfen, und dass das
Auftreten des gewöhnlichen Impulses an dieser Stelle sie entladet
und Anlass zu einer sekundären Kontraktion gibt. Dieser
Bigeminusrhythmus wurde sehr leicht in einigen Fällen von
Flimmern hervorgerufen und bestand bisweilen noch einige Tage
lang, nachdem die Behandlung eingestellt worden war. Es schien
das die Kranken nicht zu stören, welche sich oft in dem Stadium
des niedrigen Pulses sehr wohl fühlten.
Die experimentellen Studien über Digitalis haben seit
Traube’s Untersuchungen darin übereingestimmt, dass sie die
Verlangsamung des Herzschlages bei Tieren unter Digitalis auf
eine Reizung des Hemmungsmechanismus zurückführten, und das
wurde allgemein auf die klinischen Beobachtungen übertragen.
Ueberdies zeigten einige direkte klinische Beobachtungen, dass
die Verlangsamung beim Auricularflimmern unter Digitalis die
Folge einer Hemmungswirkung war. So fand Wenckebach in
einem Falle, dass Druck auf den Vagus am Halse dieselbe
Wirkung auf die Pulsverlangsamung hatte wie die Darreichung
von Digitalis, während in einem anderen Falle, bei welchem der
Druck keine Wirkung auf die Herztätigkeit ausübte, auch die
nachherige Verabfolgung von Digitalis ebenso erfolglos auf die
Verlangsamung des Pulses blieb. Wir erwarteten daher, dass,
wenn während des durch Digitalis verlangsamten Rhythmus der
Vagus gelähmt würde, der Puls sich dann zu dem anfänglichen
Rhythmus erheben würde, wie er vor der Injektion von Digitalis
bestand. Wenn man jedoch Atropin (0,001—0,002) subcutan in
diesen Fällen injizierte, so fanden wir nur eine sehr geringe Zu¬
nahme der Pulsfrequenz, welche allgemein Behr viel geringer war,
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719
als man bei Atropin erhielt, bevor die Digitalisbebandlung ein¬
geleitet worden war.
So war z. B. in einem Falle bei der Aufnahme die Puls¬
frequenz 120 in der Minute und, bevor irgendwelche Behandlung,
ausser Ruhe, unternommen war, hob eine lujektion von Atropin
den Puls auf 150—160 pro Minute. Darauf wurde einige Tage
hindurch Digitalis gegeben und der Puls auf 70—77 pro Minute
herabgesetzt. Wenn diese Verlangsamung von einer Vagusreizung
herrührte, so müsste Atropin durch Lähmung der Hemmung die
Pulsfrequenz wieder auf 150—160 Schläge erhöhen. Aber tat¬
sächlich steigerte Atropin den Puls nur auf 79—82 pro Minute.
Die Resultate in einem anderen Falle von Auricularfiimmern
finden sich in der Tabelle und der Kurve.
Tabelle der Pulsfrequenz unter Atropin vor und während der Be¬
handlung eines Falles von Auricularfiimmern mit Tinctura digitalis.
0,001 Atropin wurde subcutan eingespritzt und die Pulskurven in der
nächsten Stunde verzeichnet. Die Zeit in Minuten nach dem Atropin
wird durch Abscissen angegeben.
7. Juni, Aufnahme vor der Digitalisbehandlung __
12. „ nach 5 Tagen mit Digitalis
16. w w 9 „ w „
21. * * 15 „
—O—0 — 0-
Pulsfrequenz
vor Atropin
Pulsfrequenz
bei Atropin
Prozentuale
Beschleunigung
bei Atropin
Vor Digitalis
83-87
130—150
59
Nach
6 Tagen Digitalis
68
102
50
10
65
82—84
28
15
57
76
33
5
* ohne „
74—76
84—86
13
12
84
98
11
30
n » v
96-98
140-145
47
Die Schlussfolgerung ist nicht abzuweisen, dass die Puls¬
verlangsamung durch Digitalis beim Auricularfiimmern nicht von
einer Hemmungswirkung herrührt, sondern von irgendeiner Ver¬
änderung im Herzen selbst. Ob diese Veränderung den Ventrikel¬
muskel oder das His’sche Bündel betrifft, das ist zurzeit unmöglich
festzustellen. Man kann keine analoge Wirkung bei Tierherzen
während des Auricularflimmerns bei akuten Experimenten erhalten.
Es ist also möglich, dass die typische Digitalisverlangsamung,
welche man bei Patienten beobachtet, nur in Fällen von ge¬
schwächter Kraft des Ventrikelmuskels vorkommt.
Dieselben Resultate erhielt man bei einer Anzahl von
Patienten, welchen man intravenöse Injektionen mit Strophanthin
(0,0002) gemacht hatte. Hier fiel der Puls in drei bis vier
Tagen so stark wie in sieben bis zehn Tagen bei Digitalis.
Diese Abnahme wurde jedoch nicht verhütet, wenn man Atropin
gleichzeitig oder vor dem Strophanthin injizierte, so dass auch
hier die Verlangsamung keine Hemmungswirkung war. Bei
Fällen von Herzkrankheit, bei welchen kein Auricularfiimmern
vorhanden ist, sind die Wirkungen der Digitalisbebandlung weit
weniger auffällig. Eine allgemeine Besserung tritt in diesen Fällen
zwar ebenfalls ein; sie ist jedoch langsamer, und hier besteht
immerhin der Zweifel, wie weit sie von der Bettruhe, wie weit sie
von der speziellen Behandlung herrührt. In diesen Fällen zeigt
eine sehr viel kleinere Anzahl derselben eine Pulsverlangsamung.
So zeigten von 21 Fällen nur 7, also etwa 30 pCt. eine deutliche
Verlangsamung, und diese zeigte keinen Zusammenhang mit der
Besserung in den Allgemeinsymptomen, da der Fortschritt nicht
grösser war bei solchen Fällen, in welchen der Puls verlangsamt
war, als bei solchen, in welchen keine Veränderung eingetreten
war. In fast allen denjenigen Fällen, bei welchen solche Ver¬
langsamung auftrat, bewirkte der fortgesetzte Gebrauch von
Digitalis in grossen Dosen eine deutliche Arhythmie in Form von
Sinusarhythmie oder Herzblock. Diese wurden von einer Anzahl
Beobachter bei der Digitalis beschrieben und allgemein als Be¬
weis der Hemmungswirkung angesehen. Das wurde in einer
Anzahl von Fällen durch die Tatsache bestätigt, dass sie unter
Atropin verschwanden, welches das Herz zu seinem normalen
Rhythmus zurückführte. Wir konnten diese Beobachtung in einer
Reihe von Fällen bestätigen, bei denen Atropin den Herzrhytbmus,
welcher durch Digitalis unregelmässig geworden war, wiederber¬
stellte, was beweist, dass diese Unregelmässigkeiten in ihrem Ur¬
sprung hemmender Natur waren. Das ist jedoch nicht immer
der Fall, denn in zwei Fällen von normalem Rhythmus, bei
denen Digitalis eine Sinusarhythmie und einen Auriculo-Ventricular-
block herbeiführte, gelang es dem Atropin nicht, sie zu beseitigen.
Daraus geht hervor, dass Digitalis neben einer Reizwirkung auf
das Hemmungssystem in diesen beiden Fällen noch eine mehr direkte
Wirkung auf das Herz, und zwar anscheinend auf die Sino-Auricular-
und Auriculo-Ventricularverbindungen hatte. In einem Falle waren
diese beiden Wirkungsarten vorhanden; denn im Beginn der Be¬
handlung beseitigte Atropin den Block, während es später versagte.
Diese beiden Fälle sind nicht nur an sich von Interesse, sondern
auch deshalb, weil sie vielleicht einiges Licht auf die Wirkung
beim Auricularfiimmern zu werfen vermögen. Denn es dürfte plau¬
sibel erscheinen, die Verlangsamung hier einer direkten Wirkung auf
das Auriculo-Ventricularbündel zuzuschreiben. Es bestehen jedoch
in dieser Hinsicht einige Schwierigkeiten, und wir müssen betreffs
der Beweisführung auf unsere ausführlichen Arbeiten verweisen.
Digitalis und seine Verwandten wirken besonders beim
Auricularfiimmern. Es bereitete daher einige Verlegenheit, als
man fand, dass dieses Mittel in einigen Fällen Auricularfiimmern
bei Patienten hervorrief, deren Herzen zuvor in normaler Weise
geschlagen batten. Aber das kam in verschiedenen Fällen vor,
und das Vorhandensein des Flimmerns war durch den Poly¬
graphen und Elektrocardiographen sichergestellt. Der Zustand
ging vorüber, sobald man die Behandlung aufgab. Diese Fälle
liefern einen gewichtigen Beitrag zu dem Problem der Puls¬
verlangsamung, welche so spezifisch für die Digitalis beim Herz¬
flimmern ist. Denn der Puls wurde nicht durch Digitalis ver¬
langsamt, solange der normale Rhythmus fortbestand, obwohl
Uebelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen vorhanden waren. Wenn
jedoch Flimmern selbst vorhanden war, dann nahm der Puls so¬
fort den langsamen Typus an, welcher bei OriginalfäUen von
Flimmern, die mit Digitalis behandelt wurden, beobachtet wird. Die
Verlangsamung durch Digitalis beim Auricularfiimmern ist so spe¬
zifisch für diesen Zustand, dass sie viel mehr hierbei als bei Verände¬
rungen mit normalem Rhythmus durch dieses Mittel anzutreffen ist.
Zum Schluss wäre zu bemerken, dass keine Veränderung in
der Grösse der Herzdämpfung zu entdecken ist, selbst wenn der
Patient sich sehr erheblich durch die Darreichung des Mittels
gebessert fühlt. Auch hat beim normalen Rhythmus Digitalis keine
sichtbare Wirkung auf den Blutdruck. Beim Herzflimmern sind keine
zuverlässigen Beobachtungen über den Blutdruck möglich, weil
grosse Schwankungen in der Stärke des Herzschlages vorhanden sind.
Zum Schluss erlaube ich mir, dem Herausgeber dieser
Wochenschrift meinen Dank für seine Freundlichkeit auszusprechen,
dass er mir diese Spalten zur Verfügung gestellt hat, und ich
hoffe, dass die Wochenschrift in der Zukunft dieselbe hervor¬
ragende Stellung im medizinischen Journalismus einnehmen wird,
die sie in den verflossenen fünfzig Jahren innegehabt hat.
Literatur.
1. Turnbill, Heart, 1911, Bd. 2, S. 15. Mackenzie, Heart,
1911, Bd. 2, S. 873. Cushnyv Marris und Silberberg, Heart, 1912,
Bd. 4, S. 33. — 2. Hatcher und Eggleston, Journ. of pharm, and exp.
therap., 1912, Bd.4, S. 113. — 8. Cushny, Heart, 1912, Bd. 8, S. 357.
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720
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Aus dem physiologischen Institut der Universität
Strassburg.
Ueber die Wirkung des Hochgebirgsklimas auf
die Pulsfrequenz.
Von
Erich Stern.
Der Einfluss des Hochgebirgsklimas auf die verschiedenen
Funktionen des menschlichen Körpers ist seit längerer Zeit
Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Bekannt sind
hierüber die Arbeiten von Zuntz, die sich in erster Linie mit
dem Stoffverbrauch beschäftigen, und die Arbeiten von Durig.
Wenig untersucht ist aber bisher der Einfluss des Hochgebirgs¬
klimas auf die Herztätigkeit, und alle bekannten Beobachtungen
beschränken sich, soweit aus der mir zugänglichen Literatur er¬
sichtlich ist, darauf, festzustellen, dass im Hochgebirge die Puls¬
frequenz im allgemeinen steigt und kurze Zeit nach Rückkehr in
die Ebene wieder auf die Norm sinkt. Dies berichten auch Zuntz 1 )
und Durig 2 ), die gelegentlich der wissenschaftlichen Exkursion
auf den Monte Rosa auch den Puls untersuchten. Durig und
Kolmer 2 ) berichten auch bereits, dass Muskelarbeit die Puls¬
frequenz im Gebirge mehr beeinflusse als in der Ebene. Ge¬
nauere Angaben hierüber fehlen. So schien bei dem Mangel an
systematischen Untersuchungen über den Einfluss des Hochgebirgs¬
klimas auf die Pulsfrequenz, insbesondere über den Einfluss, den
Muskelarbeit ausübt, eine genauere Prüfung geboten. Die Ver¬
suche wurden auf Anregung von Herrn Prof. Dr. I. Rieb. Ewald-
Strassburg im August und September 1912 in Arosa ausgefübrt
und mit den im Oktober 1912 in Strassburg gewonnenen Daten
in Vergleich gesetzt.
Wenn auch Arosa nur 1800 m ü. M. liegt, also der Einfluss nicht
so erheblich sein kann wie auf dem Monte Rosa, so sind die Ein¬
wirkungen, die ich fand, doch sehr bedeutend.
I.
Während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes in Arosa zählte ich
meinen Puls regelmässig viermal am Tage, und zwar um 8 Uhr morgens,
um 12 Uhr mittags, um 4 Uhr nachmittags und um 10 Uhr abends. Ich
zählte meinen Puls selbst, doch glaube ich, dass infolge der grossen
Uebung psychische Momente ausgeschlossen sein dürften. Ich zählte
jedesmal viermal, und zwar stets sitzend. Die Mahlzeiten wurden täglich
um die gleiche Zeit eingenommen, das Frühstück um ^StUhr morgens,
das Mittagessen um 1 Uhr, das Nachtessen um 7 Uhr. Das Körpergewicht,
das ich wöchentlich kontrollierte, blieb während der ganzen Dauer
konstant, es betrug im Mittel 64 kg und schwankte um Va hg. Die Blut¬
temperatur zeigte im Gebirge keine wesentliche Aenderung, sie betrug
am Morgen 36,3, mittags 36,8 und abends 36,4.
Zunächst fand ich, was ja lange bekannt ist, dass ira Gebirge die
Pulsfrequenz eine grössere ist als in der Ebene, und zwar sind die Diffe¬
renzen zu den verschiedenen Tageszeiten ganz verschieden. In Arosa
sowohl wie in Strassburg wurden 'die Beobachtungen an 30 aufeinander¬
folgenden Tagen gemacht und das Mittel aus diesen Zahlen genommen.
Dabei zeigte sich, dass man die Zahlen, die für Morgen und Abend ge¬
funden wurden, ohne weiteres in Vergleich setzen konnte, nicht aber
die für Mittag und Nachmittag. Denn der Vormittag wurde in Arosa
oft zu grösseren Bergspaziergängen benutzt, infolgedessen war an diesen
Tagen (in zehn Fällen) die Pulsfrequenz mittags und nachmittags be¬
trächtlich erhöht. Die Differenz zwischen Arosa und Strassburg würde
zu gross ausfallen; deshalb wurden diese 10 Tage, wo am Vormittag
grössere Arbeit geleistet wurde, bei Verwertung der Ergebnisse unberück¬
sichtigt gelassen. Die Resultate gibt folgende Tabelle 1.
Es zeigt sich aber, dass die Differenz zu den verschiedenen Tages¬
zeiten verschieden ist, dass sie am grössten mittags ist, wo sie selbst
nach Ausschaltung der zehn Beobachtungen an Tagen, wo grössere
Muskelarbeit geleistet wurde, doch noch 13,02 beträgt, dass sie ferner
am Abend 5,68, am Morgen 3,54 beträgt und nachmittags um 4 Uhr
0,34, also fort verschwindet. Interessant ist ferner folgende Tatsache.
Wenn man die Pulszahlen am Morgen (69,54 in Arosa, 66,0 in Strass-
1) Zuntz, Ueber die Wirkungen des Sauerstoffmangels im Hoch¬
gebirge. Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft, Engel-
mann’s Archiv, 1905, S. 416.
2) Durig und Kolmer, Ueber das Verhalten von Puls, Blut¬
druck und Körpertemperatur. Denkschrift der mathematisch-natur¬
wissenschaftlichen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaft,
Wien 1909.
Tabelle 1.
Pulsfrequenz in Arosa und Strassburg.
>_
ja
P
Mittags 12 Uhr
Nachmittags
4 Uhr
i*
ja
P
Differenz
CO
o
co
• ö
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<U
ja
Morgen
bis Abend
<a cq
3 Jl-i
«S c!
3 X
<5
Arosa. . .
69,54
87,17
84,70
80,80
76,95
83,04
— 13,50
Strassburg .
66,00
71,68
71.68
76,60
76,60
77,36
— 13,36
Differenz
3 54
15,49
13,02
4,20
0,35
5,68
— 0,14
bürg) mit den Pulszahlen am Abend (83,04 in Arosa, 77,36 in Strass¬
burg) vergleicht, so findet man deren Differenz für Arosa — 13,5, für
Strassburg — 13,36.
Die Pulsfrequenz sinkt in Hochgebirge und Ebene
bei Nacht um annähernd denselben Betrag. Die Schwan¬
kungsbreite während der Nacht ist also gleich.
II.
Von besonderem Interessse erscheint der Einfluss der Muskel¬
arbeit auf die Herztätigkeit im Hochgebirge. Es hat sich nämlich
herausgestellt, dass bei Aufenthalt io höheren Berglagen, sowie
bei Ballonfahrten stets diejenigen Personen von der Berg- und
Höhenkrankheit befallen wurden, die körperliche Arbeit leisteten,
während andere, welche sich absolut ruhig verhielten, von den
Krankbeitssymptomen verschont blieben oder diese wenigstens
erst viel später und in viel milderer Form bei ihnen auftraten.
Wenn man nun einen besonders grossen oder von dem in der
Ebene abweichenden Einfluss der Muskelarbeit auf die Herztätig¬
keit im Hochgebirge konstatieren könnte, so wäre vielleicht
daraus ein Anhaltspunkt für die Aetiologie dieser Krankheit zu
gewinnen.
Dass Muskelarbeit die Pulsfrequenz steigert, ist allgemein bekannt,
wenn auch über die Ursachen dieser Steigerung keine einheitliche An¬
schauung herrscht. Guy 1 ) fand, dass bei einem Manne, der lief, die
Pulsfrequenz bis auf 150 und mehr anstieg. Lichtenfels und Froeh-
lieh 2 ) fanden, dass die Pulsfrequenz von 82 auf 156 stieg, als sie
eine Versuchsperson mit dem mit zwei Pfund belasteten rechten Arm
30 Sekunden lang eine Pcndelbewegung ausführen Hessen. Sie fanden
die Grösse der Frequenzsteigerung abhängig von Geschwindigkeit und
Dauer der Bewegung. In neuerer Zeit wurde dieser Frage wieder mehr¬
fach die Aufmerksamkeit zugewendet. So fand Aulo 3 ), dass lediglich
aktive Bewegung die Pulsfrequenz erheblich steigert. Seine Versuche
sind an Tieren ausgeführt, und er gibt an, dass Veränderungen der
Atembewegung und des Kreislaufs nicht genügen, um die Beschleunigung
zu erklären. Er schreibt sie der Erregung der Centren der Herznerven
zu. In einer späteren Arbeit 4 ) führt Aulo aus, dass die Beschleunigung
der Herzschläge bei Muskelarbeit durch Abnahme des Vagustonus be¬
dingt sei. Johansen 5 ) hält die Miterregung des Atemcentrums sowie
die Wirkung von Stoffwechsel Produkten für möglich. Geppert und
Zuntz 6 ) schreiben die Frequenzsteigerung den im tätigen Muskel ge¬
bildeten Stoffwechselprodukten allein zu. Mansfeld 7 ) steht auf dem
Standpunkt, dass die vom tätigen Muskel gebildete Wärme als Reiz
wirkt, der die motorische Acceleration verursache. Die Steigerung der
Temperatur ist der „Blutreiz“, der vom Herzen aus reflektorisch die
acceleratorischen Centren erregt.
Frank 8 ) bestätigt dies dadurch, dass er zeigt, dass beim Kaninchen
1) Guy, Tood’s Cyclopedia of anatomy and pbysiology, 1852,
Bd. 4.
2) Lichtenfels und Froehlich, Denkschriften der Kaiserl. Aka¬
demie der Wissenschaften, mathemat.-naturw. Klasse 8, 1852, Bd. 2.
3) Aulo, Muskelarbeit und Pulsfrequenz. Skandinavisches Archiv
f. Physiol., Bd. 21.
4) Aulo, Beschleunigung der Herzschläge bei Muskelarbeit. Skan¬
dinavisches Archiv f. Physiol., Bd. 25.
5) Johansen, Ueber die Einwirkung der Muskeltätigkeit auf Atem-
und Herztätigkeit. Skandinavisches Archiv f. Physiol., Bd. 5.
6) Geppert und Zuntz, Ueber die Regulation der Atmung.
Pflüger’s Archiv, Bd. 42.
7) Mansfeld, Die Ursache der motorischen Acceleration des Herzens.
Archiv f. d. ges. Physiol., 1908, Bd. 134.
8) 0. Frank, Der Einfluss der Herztemperatur auf die Erregbarkeit
der beschleunigenden und verlapgsamenden Nerven. Zeitscbr. f. Biol.,
1907, Bd. 40.
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
721
die Frequenz mit zunehmender Temperatur erst allmählich, dann schnell
ansteigt. Bei Aoceleration wirkt die sinkende Temperatur dagegen
stetig vermindernd auf die beschleunigende Wirkung.
Hering 1 ) führt beim Kaninchen die Vagotomie aus und findet,
dass danach die Schlagzahl steigt. Das Maximum tritt erst einige Zeit
nach der Vagotomie auf. Er führt aus, dass die Steigerung der Herz¬
frequenz bei Muskelarbeit an die Integrität der Herzbeschleunigungs¬
nerven gebunden ist. Unterstützt wird die Wirkung durch gleichzeitige
Abnahme der Erregung der herzhemmenden Nerven. Diese Abnahme
wird reflektorisch erzeugt durch Atembewegungen.
Athanasiu und Cavolla 2 3 ) führen die Frequenzsteigerung bei
willkürlicher Anstrengung auf eine von den Muskeln ausgehende, rein
nervöse Hemmung des Vaguscentrums zurück.
Soweit reichen, wie aus der mir zugänglichen grösseren
Literatur ersichtlich ist, die Beobachtungen. Hingegen habe ich
noch nirgends Untersuchungen über die Nachwirkung der Fre¬
quenzsteigerung und über ihren Abfall gefunden.
Tigerstedt 8 ) gibt zwar an, dass körperliche Arbeit relativ schnell
vorübergeht, etwa nach 5—10 Minuten, wenn die Arbeit eine Minute
gedauert bat. Anders wirken langdauernde Bewegungen, auch wenn sie
an und für sich massig sind, aber bis zur Ermüdung fortgesetzt werden.
Ihr Einfluss auf die Pulsfrequenz dauert oft stundenlang. Wenn eine
Versuchsperson nur ein paar Kilometer zurückgelegt hat, so müssen
wir mindestens 1 j 2 Stunde warten, bis die Frequenz auf die Norm
gesunken ist. Die Dauer der Nachwirkung richtet sioh weniger nach
der Grösse als nach der Dauer der Arbeit.
Da hierüber aber genauere, zahlenmässige Angaben fehlen,
so wollte ich die Art des Abfalls der Pulsfrequenz auf die Norm
nach Muskelarbeit mit besonderer Berücksichtigung ihrer Ab¬
hängigkeit vom Hochgebirgsklima bestimmen.
Als Arbeitsleistung wurde dabei ein Dauerlauf von 5 Minuten ge¬
wählt, während deren eine ebene Strecke zurückgelegt wurde. Die
Frequenz wurde unmittelbar vor und unmittelbar nach dem Dauerlauf
sowie in Abständen von 5 Minuten nach Beendigung des Dauerlaufs
gemessen. Gezählt wurde stets sitzend der Puls der linken Arteria
radialis und während der Zeit nach dem Dauerlauf jede Muskelarbeit
vermieden. Die Nachwirkung wurde 45 Minuten lang beobachtet, und
in Arosa sowohl wie auch in Strassburg zeigte sich während dieser Zeit
ein Abfall bis nahezu auf die Norm. Wenn dabei in der Dauer der
Nachwirkung in Hochgebirge und Ebene wesentliche Differenzen nicht
festgestellt werden konnten, so zeigten sioh um so auffallendere Unter¬
schiede in der Art des Abklingens. Ich werde zunächst die Ergebnisse
von 15 Arosaer und sechs Strassburger Beobachtungen tabellarisch
wiedergeben. Die Strassburger Versuche sind alle frühmorgens ange¬
stellt, von der Arosaer habe ich drei Serien zu je fünf, woran die erste
Versuche frühmorgens um 9 Uhr, die zweite Versuche mittags um
12 Uhr, die dritte Versuche abends um 6 Uhr behandelt. Der grösseren
Uebersichtlichkeit halber werde ich von jeder Serie eine Beobachtung
graphisoh darstellen; dies wird genügen, da die Kurven alle ganz gleich
aussehen. (Tabelle 2.)
Tabelle 2.
Pulsfrequenz vor und nach Muskelarbeit in Arosa.
A. Morgens 9 Uhr.
Zeit
Beobachtung
I
II
III
IV
V
9 Uhr a. M.
81
76
79
84
76
9. bis 9,05 ....
Dauerlauf von 5
Minuten
—
—
9,05.
13t
124
132
129
128
9,10.
100
98
106
100
101
9,15.
95
94
100
94
98
9,20..
94
93
95
92
96
9,25.
93
91
96
90
89
9,80.
89
86
94
88
87
9,35.
88
86
88
85
88
9,40.
87
85
87
85
86
9,45.
87
84
85
84
85
9,50.
86
84
84
83
85
1) Hering, Ueber die Beziehungen der extracardialen Herznerven
zur Steigerung der Herzscblagzahl bei Muskeltätigkeit. Archiv f. d. ges.
Physiol., 1905, Bd. 60.
2) Athanasiu et Cavolla, La travail musculaire et le rbythme
du ooeur. Archive de physiol. normal et pathol., 1898. — Nagel’s Hand¬
buch d. Physiol., Bd. 1, S. 757.
3) Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufs. Leipzig 1893, S. 29.
Kurve 1.
Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Höhenklima. Morgens.
Sekundäre Erhebung.
B. Mittags 12 Uhr.
Zeit
Beobachtung
I
II
III
IV
V
12 Uhr mittags . . .
90
88
82
92
86
12 bis 12,05. . . .
Dauerlauf von 5
Minuten
—
• —
12,05.
146
139
124
141
132
12,10.
110
107
100
101
101
12,15.
107
102
98
98
98
12,20.
106
100
96
96
96
12,25.
105
99
91
95
91
12,30 ......
99
92
90
94
90
12,35.
98
90
90
90
93
12,40.
97
89
89
90
92
12,45.
96
89
88
89
90
12,50.
96
89
88
89
89
Kurve 2.
Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Höhenklima. Mittags.
Sekundäre Erhebung.
C. Abends 6 Uhr.
6 Uhr p. M.
92
90
1 79
80
95
6 bis 6,05 ....
Dauerlauf von 5 Minuten
—
—
6,05.
138
140
127
130
141
6,10.
111
101
97
99
107
6,15.
107
98
99
98
100
6,20.
104
96
86
97
98
6,25..
102
95
85
89
96
6,30.
96
94
83
88
89
6,35.
96
91
82
87
89
6,40.
95
91
81
87
89
6,45.
94
91
80
86
89
6,50.
94
90
79
86
90
Es zeigt sich hier, dass in Arosa im Durchschnitt die Frequenz
nach einer Muskelarbeit von 5 Minuten Dauerlauf um 48,8 stieg,
während sie, wie die folgende Tabelle zeigen wird, in Strassburg
nur um 40,7 stieg, was also einen Unterschied von 8,1 Pulsen
bedeutet. (Tabelle 8.)
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722
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Nr. 16.
Kurve 3.
Pulsfrequenz in der Nachwirkung nach Muskelarbeit, Höhenklima. Abends.
Sekundäre Erhebung.
Tabelle 3.
Pulsfrequenz nach Mukelarbeit in Strassburg
Zeit
I
II
B e o b a
111
chtun
IV
S
V
VI
8 Uhr a. M. . . .
66
67
64
71
69
60
8 bis 8,05 . . .
—
Dauerlauf von 5
Minuten
—
—
8,05.
109
102
107
112
110
101
8,10.
79
75
81
89
76
72
8,15.
78
73
78
87
74
70
8,20.
77
72
75
85
72
68
8,25.
76
71
73
83
72
66
8,30.
76
71
72
81
72
65
8,35.
76
70
71
79
71
64
8,40.
75
70
69
78
71
64
8,45.
75
70
68
78
71
64
8,50.
74
70
68
77
70
63
Kurve 4.
Pulsfrequenz in der Nachwirkung von Muskelarbeit, Ebene. Morgens.
Keine sekundäre Erhebung.
Sehr merkwürdig erscheint bei diesen Untersuchnngen die
Art des Abfalls der Pulsfrequenz auf die Norm. Wie aus den
Tabellen 2 und 3, noch deutlicher aber aus den beigegebenen
Kurven ersichtlich ist,' zeigt die Kurve im Gebirge
eine zweite relative Erhöhung (einen Wendepunkt), d. h.
die Frequenz fällt erst schnell, dann langsam, dann wieder
schneller und dann wieder langsamer zur Norm ab, während
dies in der Ebene nicht der Fall ist, sondern die Puls¬
frequenz hier in glatter Kurve abfällt. Diese Erscheinungen
habe ich an mir ausnahmslos beobachtet; ausserdem war ich aber
in der Lage, sie auch an einer anderen Versuchsperson in zwei
Versuchen in ganz gleicher Weise feststellen zu können. Ich
glaube mich daher zu der Annahme berechtigt, dass es sich um
eine durch das Höhenklima bedingte allgemeine Erscheinung
handelt. Dass hier irgendeine pathologische Erscheinung vorliegt,
erscheint ausgeschlossen, da nach ärztlicher Untersuchung mein
Herz vollkommen gesund ist.
Ich habe nun noch über einige andere Beobachtungen zu be¬
richten, die ich gelegentlich einiger Bergtouren machen konnte.
Die Beobachtungen stimmten ziemlich genau unter sich überein,
so dass ich mich begnügen kann, die Zahlen einer der in Frage
kommenden Touren hier anzuführen. An dieser Tour nahmen zwei
Herren und drei Damen teil. Die Schwankungen in der Pulsfrequenz
traten bei allen Personen in der gleichen Weise auf. (Tabelle 4.)
Tabelle 4.
Beobachtungen auf einer Bergtour.
Zeit
Höhe
Herr S.
Herr C.
Frl. R.
FrauA.
Frl. A.
7 Uhr ... .
1750 m
92
87
102
102
94
10,30 ....
2190 „
118
108
121
119
110
12,00 ....
2375 „
118
103
99
108
116
1,10 ....
2600 „
126
109
107
116
122
1,15 ....
2600 „
132
109
114
117
129
3,15 ....
2150 „
136
113
114
123
129
4,35 ....
1575 „
143
119
125
139
126
5,20 ....
1650 „
124
114
120
126
123
6,00 ....
1750 w
114
107
114
120
121
Zunächst ist aus der Tabelle 4 ersichtlich, dass die Puls¬
frequenz beim Abstieg mehr ansteigt als beim Auf¬
stieg, bei dem sie sogar teilweise etwas sinkt. Als ich am
Morgen nach der Tour den Puls zählte, fand ich bei sämtlichen
Teilnehmern noch eine deutliche Nachwirkung; so war bei mir
die Frequenz 78 (gegen 69 normal). Erst am anderen Morgen
war die Frequenz wieder zur Norm zurückgekehrt. Dann aber
zeigt sich weiter, dass bei fast allen der fünf Personen fünf Minuten
nachdem die Höhe von 2600 m erreicht war, die Pulsfrequenz
weiter anstieg, was höchstwahrscheinlich durch beschleunigte
Atmung zu erklären ist. Denn ich habe sowohl an mir, wie
auch an anderen Personen die Beobachtung gemacht, dass kurze
Zeit nach Beendigung grösserer Muskelarbeit dis Atem¬
frequenz zunächst steigt, eine Tatsache, die meines Wissens
in der einschlägigen Literatur noch nicht in Betracht gezogen
worden ist. Dass dies bei den in der Tabelle 2 angeführten Ver¬
suchen nicht beobachtet wurde, rührt davon her, dass die Dauer
der ausgeführten Arbeitsleistung zu kurz war und das in Rede
stehende Phänomen nur nach Muskelausschlagung von längerer
Dauer eintritt.
III.
Bei näherer Betrachtung der gewonnenen Resultate fallen
vor allem zwei Tatsachen auf: 1. Der Puls steigt beim Berg-
abgehen noch weiter an. 2. Die Nachwirkung bei Muskelarbeit
ist im Gebirge eine andere als in der Ebene.
Gehen wir zunächst auf die erste Erscheinung ein; sie steht
im offenbaren Widerspruch mit der allgemein verbreiteten Ansicht,
dass Bergabgehen weniger anstrengt als Bergaufwärtsgehen. Dies
ist nun, vom physikalischen Standpunkt aus betrachtet, nicht der
Fall. Wenn man ein Kilogramm 1 m hoch hebt, so leistet man
dabei die Arbeit von 1 m kg. Wenn man dann das Gewicht
fallen lässt, ist dazu keine Arbeit nötig, es erhält eine gleich¬
förmige Beschleunigung durch die Schwerkraft; wenn man da¬
gegen das Gewicht mit ganz gleichförmiger Geschwindigkeit ab¬
wärts bewegt, so muss man der auf das Gewicht wirkenden
Schwerkraft Widerstand leisten, und dazu ist die gleiche Arbeit
erforderlich, die notwendig war, um das Gewicht emporzuheben.
Das gilt auch vom Bergsteigen. Würde man sich den Berg ein¬
fach heruntergleiten lassen, wie dies z. B. bei einer Rutschbahn
geschieht, so ist dazu keine Arbeit erforderlich. Wenn man aber
den Berg absteigt, so ist die Arbeit um so grösser, je mehr
Widerstand der Schwerkraft zu leisten ist, d. h. auch je steiler
der Berg ist. Nur eines kommt einem dabei zugute. Die Reibungs¬
widerstände, die beim Aufstieg hemmen, d. h. die Arbeit ver-
grössern, helfen beim Abstieg mit, der Schwerkraft Widerstand
zu leisten. So kommt es, dass die physikalische Arbeit beim
Abstieg doch geringer ist als beim Aufstieg. Für die physio¬
logische Arbeit beim Abstieg kommt dann aber noch in Betracht,
dass infolge der nach dem Aufstieg eingetretenen Ermüdung die
Arbeitsbedingungen ungünstiger geworden sind.
Das zweite in Rede stehende Phänomen, dass die Frequenz¬
steigerung anders abklingt, zeigt eine Kurve mit einer zweiten
relativen Erhöhung im Gebirge, die in der Ebene fehlt. Die
Kurve macht den Eindruck, als ob sie durch Superposition zweier
Kurven entstanden ist; es müssen also zwei Komponente vor¬
handen sein, von denen wenigstens die eine im Gebirge anders
abläuft als in der Ebene. Und hier müssen Stoffwechsel und
Atmung zweifellos eine Rolle spielen. So haben schon Durig
und Zuntz gezeigt, dass das absolute Atemvolumen auf dem
Monte Rosa doppelt so gross ist, als in Berlin. Andererseits ist
durch die Arbeiten von Zuntz und seinen Mitarbeitern bewiesen,
dass der Stoffwechsel im Gebirge in Anderer Weise vor sich geht.
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
723
Muskelarbeit beschleunigt nun aber die Atmung 1 ) dadurch, dass
vom arbeitenden Muskel Stoffe gebildet werden, die ins Blut über¬
gehen und als Reiz für eine beschleunigte Atmung dienen.
Zu diesen eben erwähnten Tatsachen kommt noch folgendes
hinzu: Im allgemeinen kehrt das Blut, wieZuntz 2 ) gezeigt hat,
mit einem grossen Ueberschuss an Sauerstoff ins rechte Herz
zurück. Dieser Ueberschuss nimmt in höheren Berglagen ab und
kann schliesslich ganz verschwinden. Wenn ein Ueberschuss an
Sauerstoff besteht, wird dieser zunächst bei der Arbeit verbraucht
und das Blut wird sauerstoffärmer ins rechte Herz zurückkehren.
Tatsächlich zeigte sich auch bei Versuchen von Zuntz und Hege¬
mann 3 ), dass der Gehalt an Sauerstoff des dem rechten Herzen
entnommenen Blutes bei Muskelarbeit geringer ist als bei Ruhe.
Nun stammt aber das Blut, das dem rechten Herzen zufliesst,
aus dem ganzen Kreislauf, und eine geringe Sauerstoffabnahme
im rechten Herzen kann lokal zum völligen Sauerstoffaufbrauch
führen. Im Gebirge ist der Sauerstoffgehalt des Blutes im rechten
Herzen schon in der Ruhe geringer, er ist noch mehr vermindert
bei der Arbeit. Die Stoffwechselprodukte, die vom tätigen Muskel
gebildet werden, können also nur langsamer oxydiert werden, und
darum muss, wie Loewy 4 5 ) tatsächlich nachgewiesen hat, der
Sauerstoffverbrauch nach Muskelarbeit im Gebirge länger anhalten
als in der Ebene, und indem also die beiden Prozesse, Respiration
und Stoffwechsel, im Gebirge anders als in der Ebene verlaufen,
bewirken sie auch, dass die in der Ebene glatt ablaufende Kurve
der Pulsfrequenz nach Muskelbewegung in dem Höhenklima die
von mir zuerst beobachtete zweite relative Erhöhung zeigt.
Aus der Poliklinik für innere Krankheiten von Prof.
M. Mosse zu Berlin.
Zur Prognose der Herzklappenfehler.
Von
Dr. Max Heinrich,
Spezialarzt für innere Krankheiten in Charlottenburg.
Wie in den letzten Jahrzehnten für das gesamte Gebiet der
Herzpathologie eine neue Aera angebrochen ist, so haben sich
auch bezüglich der Prognose der Klappenerkraukungen die An¬
schauungen wesentlich gewandelt. Während noch vor etwa
50 Jahren das Schicksal eines Patienten mit einem Vitium cordis
als besiegelt galt, so stehen wir heute mit berechtigten Hoff¬
nungen am Bette eines solchen Kranken. Wissen wir doch sogar,
dass Patienten mit einem Vitium cordis congenitum, dessen Pro¬
gnose ja erheblich ungünstiger ist als die der erworbenen Herz¬
fehler und früher als ganz infaust galt, ein reiferes, ja sogar ein
höheres Lebensalter erreichen können.
So berichtet Benfey 8 ) in seiner auf Veranlassung von M. Mosse
verfassten Arbeit über fünf Fälle, in denen die Kranken 17, 20, 27, 42
bis 69 Jahre alt wurden.
Allerdings muss es, wie Cassel 6 ) ausfübrt, als seltene Ausnahme
bezeichnet werden, wenn solche Kranke das Mannesalter erreichen, ein
grosser Teil geht frühzeitig zugrunde und nur ein kleinerer erlebt die
Pubertätsjahre.
Um wieviel besser müssen die Aussichten für die erworbenen
Klappenerkrankungen sein, wenn die kongenitalen Vitien eine
verhältnismässig so günstige Prognose bieten. Allgemein be¬
kannt ist es ja, wie häufig und oft wie schnell im kindlichen
Lebensalter erworbene Klappenprozesse vermöge der enormen
Regenerationskraft des jugendlichen Organismus zur Ausheilung
gelangen.
Cassel 7 ) berichtet über drei Fälle von Heilung einer Mitralinsuffi¬
zienz bei Kindern, Gerhardt 8 ) beobachtete Heilung bei einem jungen
Zimmermannslehrling, und auch Baginsky 9 ) gibt zu, dass mau sicher
1) Durig und Zuntz, Beiträge zur Physiologie des Menschen im
Hochgebirge. Engelmann’s Arhiv, 1904.
• > 2) Zuntz und Geppert, Ueber die Regulation der Atmung.
Pflüger’s Archiv, Bd. 42.
3) Zuntz, Ueber die Wirkung des Sauerstoffmangels im Hochgebirge.
Engelmann’s. Archiv, 1905.
4) Citiert nach voriger Arbeit.
5) Inaug.-Dissert., Berlin 1903.
6) Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 48, H. 5 u. 6.
7) Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 48.
8) Lehrb. d. Kinderkrankh., 2. Aufl., $ 224.
9) Lehrb. d. Kiaderkrankh., 1899.
erwiesene Klappenfehler bei Kindern sich wieder vollständig zurück¬
bilden sieht.
Wie steht es nun um die Prognose der Klappenfehler bei
Erwachsenen?
Auch hier ist eine verhältnismässig grosse Anzahl von Heilungen
beobachtet worden. Die grösste Mehrzahl der Fälle betrifft Mitralinsuffi¬
zienzen, wie dies auch Leyden in seinem grossangelegten Vortrag „Zur
Prognose der Herzkrankheiten“ 1 ) bestätigt.
Aber auch Fälle von Heilung bei Aorteninsuffizienz finden sich ver¬
einzelt in der Literatur. So berichtet Jacksch 2 ) bereits im Jahre 1860
über drei geheilte Kranke mit Aorteninsuffizienz, ebenso Gerhardt 8 ) im
Jahre 1868 über einen geheilten Aortenfehler.
v. Leyden 4 ) beobachtete Heilung bei einem 37 jährigen Kutscher mit
Aorteninsuffizienz, Senator 6 ) in einem Falle, wo das Leben 33 Jahre
fortbestanden hatte. Auch Lewinski 6 ) berichtet über einen geheilten
Fall von Aorteninsuffizienz.
ln der allergrössteu Mehrzahl der Fälle, in denen es nicht
zur Heilung kommt, können die Patienten — was zunächst die
Mitralfehler betrifft — unter einigermaassen günstigen äusseren
Lebensverhältnissen viele Jahre lang ein glückliches Dasein
führen. Treffend bestätigt dies Sir Andrew Clark in seinem
im Jahre 1887 in der British med. association gehaltenen Vor¬
trage, der über 684 Kranke berichtet, bei denen das Vitium
mindestens 5 Jahre laug bestanden hatte, ohne dass seine An¬
wesenheit durch Symptome angezeigt war, welche die Gesundheit
merklich störten.
Viel ernster ist im allgemeinen die Prognose der Aorten¬
insuffizienz, bei der ein plötzlicher Tod leider nicht zu den Selten¬
heiten gehört, wie dies auch Leyden in seinem oben erwähnten
Vortrage anerkennt.
Wenn man aber von den auf arteriosklerotischer Basis ent¬
stehenden Fällen älterer Leute absieht, die mit schweren struktu¬
rellen Veränderungen der Herzwand einhergehen, und von den
auf luetischer Eudarteriitis beruhenden Formen, hinter denen sich
sehr oft ein Aneurysma versteckt, so können auch solche
Kranke mit Aorteninsuffizieoz bei günstigen Lebensbediuguugen
eine Reihe von Jahren ein leidliches Dasein fristen.
Die Beobachtung eines in der Poliklinik behandelten Falles von
seit 30 Jahren bestehender Aorteninsuffizienz war Veran¬
lassung, die Literatur der letzten Jahrzehnte daraufhin zu prüfen, ob
ähnliche Fälle mit nur annähernd so langer Erhaltung des Lebens vor¬
handen seien.
Selbst der vorhin erwähnte Senator'sohe Fall, bei dem das Leben
noch 33 Jahre forbestanden hatte, was Senator selbst als „bis jetzt
wohl unerhört“ bezeichnet, wird noch übertroffen durch eine Beobachtung
des englischen Arztes Forler 7 ). Dieser stellte in der Clinical society
in London einen Mann von 66 Jahren vor, der eine Erkrankung der
Aorten- und Mitralklappen von etwa 53jähriger Dauer aufwies. Er
hat während der letzten 53 Jahre kaum einen Tag die Arbeit ausgesetzt.
Sein Herz sollte auch jetzt noch keine Erscheinungen gestörter Kompen¬
sation zeigen.
Eine 38jährige Dauer vollständiger Kompensation eines Klappen¬
fehlers fand Romberg 8 ) in den Krankengeschichten der Leipziger
Klinik, gibt aber leider nicht an, ob es sich um ein Aorten- oder
Mitralvitium bandelte. Auch Gerhardt 9 ) beobachtete unter seinen
300 Fällen bei 23 eine ungewöhnlich lange Dauer des Kompensations¬
stadiums, 30, 40, bei zweien sogar 41—44 Jahre. Aber auch hier ver¬
missen wir nähere Angaben über die Art des Vitiums.
Von einem 15 jährigen Bestand einer Aorteninsuffizienz bei Fehlen
jeglicher Kompensationsstörungen berichtet Leyden in dem mehrfach
erwähnten Vortrage.
Nun die Krankengeschichte des von mir beobachteten Falles:
Es handelte sich um die jetzt 54 jährige Wirtschafterin Frl. B., die
mit 16 Jahren einen Gelenkrheumatismus acquirierte. Mit 24 Jahren,
im Jahre 1882, suchte sie wegen geringer Herzbeschwerden die Königl.
Charit! auf, wo damals von Senator die Diagnose Aorteninsuffizienz
gestellt wurde. Sie erinnert sich heute noch lebhaft, wie sie damals in
allen Kursen den Studenten als Schulfall einer Aorteninsuffizienz demon¬
striert wurde. In den nächsten 10 Jahren war ihr Befinden dann ein
so ausgezeichnetes, dass sie niemals ärztliche Hilfe in Anspruch zu
nehmen brauchte. Erst im Jahre 1892 musste sie wegen Atem-
1) Deutsche med. Wochenschr., 1889.
2) Vierteljahrsschr. f. d. prakt. Heilk., 17. Jahrg.
3) Lehrb. d. Auscultation u. Perkussion, 1868.
4) Deutsche med. Wochensohr., 1892.
5) Therapie d. Gegenw., 1901. 1
6) Deutsche med. Wochenschr., 1882. ’’ 1
7) Clin. soc. of London, ref. in Deutsche med. Wochenschr., 1S88.
8) Lehrbuch der Krankheiten des Herzens und der Blutgefässe, II,
S. 221. '
9) Gerhardt, Herzklappenfehler. Wien und Leipzig 1913,
2 *
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724
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
beschwerden das Krankenhaus Gitsohinerstrasse aufsuchen, wo sie
16 Wochen an einer Pericarditis behandelt wurde. Später hat sie dann
bis auf den heutigen Tag nie einen Grund zur Klage über ihren Gesund¬
heitszustand gehabt.
Die Patientin ist eine kräftige Person und in gutem Ernährungs¬
zustände. Die inneren Organe zeigen mit Ausnahme des Herzens keine
Besonderheiten. Am Cor finden sich die typischen Zeichen der Aorten¬
insuffizienz, lautes diastolisches Geräusch über der Aorta, Hypertrophie
und Dilatation des linken Ventrikels, starkes Hüpfen der Carotiden usw.
Der Herzfehler besteht also 30 Jahre bei einer Patientin, die Zeit
ihres Lebens in dienender Stellung war, stets schwere körperliche Arbeit
verrichten musste, und hat fast 20 Jahre ununterbrochen der Trägerin
überhaupt keine Beschwerden verursacht.
Die Veröffentlichung des letztgenannten Falles liefert einen
weiteren Beitrag zur Kenntnis der Herzklappenfehler, die sich
durch eine aussergewöhnlich lange Dauer auszeichnen.
Morphiumentwöhnung mit Scopolamin?
You
Dr. Franz Hubert Mueller,
Sanatorium Schloss Rheinblick, Bad Godesberg bei Bonn.
In dieser Wochenschrift (1912, Nr. 29) erschien ein Aufsatz
von Herrn Dr. Arnold Fromme in Stellingen bei Hamburg mit
dem Titel „Die protrahierte Scopolaminnarkose bei der Morphium¬
entziehung“. Herr Fromme schliesst mit den Worten: „Wir
haben jetzt in der protrahierten Scopolaminnarkose das einzige
und sichere Mittel, die Morpbiumentziehung nicht nur allein
zu einer beschwerdelosen zu gestalten, sondern auch die
Heilung des Morphinismus mit Bestimmtheit zu er¬
reichen.“
Herr Fromme hat also wieder einmal die „einzige and
sichere und beschwerdelose Heilung des Morphinismus“ entdeckt.
Zum ersten Male tat er dies 1898, da gab er ein Buch heraus:
„Der Missbrauch von Morphium und Cocain und seine schonende
Behandlung“. In ihm heisst es, „dass man durch Codeinum phos-
phoricum die letzten 5 Centigramm bei der Morphiumentwöbnnngs-
kur ersetzen kann“. — „So treten nachher nach dem Weg¬
lassen des Mittels keine abstinenzartigen Erscheinungen auf.“
Im Jahre 1899 kehrt Fromme diesem tadellosen Mittel
aber den Rücken, wendet sich dem Dionin zu und lobt es dem¬
entsprechend in Nr. 14, Jabrg. 1899, dieser Wochenschrift. Das
grösste Lob der Dioninbebandlung liegt allerdings in dem durch
sie verursachten Verzicht auf Codein.
Herr Fromme war aber mit Dionin auch nicht lange
zufrieden, denn schon 1900 verbessert er sich, indem er in seinem
Anstaltsprospekt schreibt: „Neueste Form der Morphiuraentziebung.
Es ist dem Unterzeichneten gelungen, eine schon seit langer Zeit
bei den chinesischen Völkern gegen den dort herrschenden
Opiummissbraucb bekannte Pflanzenabkochung zu erhalten, welche
die bei der Morphiumentziehung auftretenden Abstinenz¬
erscheinungen (Unruhe, Angst, Ziehen in den Gliedern, Gähnen,
Niesen usw.) vollständig zum Schweigen bringt, ohne dabei
die allergeringsten schädlichen Wirkungen auf das Nervensystem
auszuüben. Eine Angewöhnung an diese Abkochung ist voll¬
ständig deshalb ausgeschlossen, weil dieselbe keinerlei Sparen
von narkotischen Mitteln enthält, vor allen Dingen keine
Opiate. Infolge der ausgesprochenen Wirkung gegen die Ab¬
stinenzerscheinungen bei der Morphiumentziehungskur ist es für
den Kranken sehr leicht, eine Entziehungskur durchzumachen,
da sich hierbei keinerlei Qualen noch unangenehme Erscheinungen
einstellen.“
Aber schon 1902 hat Fromme auch dieses Mittel verlassen
und empfiehlt nun das „Antimorphin“, von dem er sagt: „Die
neue Droge gewährleistet eine leichte, schmerzlose,
vollständige und dauernde Heilung.“ — „Kurz, diese
neue Form der Morphiumeutziehung ist die idealste
und vollkommenste, die kaum übertroffen werden
kann.“ Die neue Methode stammte diesmal aus Südamerika.
Es wird nicht nötig sein, Antimorphin hier näher zu be¬
schreiben. Alle Welt wird sich noch erinnern, dass, nachdem
ich das Antimorphin ebenso wie seine Schwester, das famose
Nicolicin, als 3—4 proz. Morphiumlösung entlarvt hatte 1 ), dieses
Mittel ungestraft allerorts als Schwindel bezeichnet wurde 2 * ), und
1) Pharmac. Ztg., 1902, Nr. 78 u. 98; 1903, Nr. 4 u. 49.
2) Prof. Lewin-Berlin in der Deutschen med. Wochenschr.; das
Berliner Tageblatt die Münchener Neueste Nachrichten, der Tag usw.
dass der Herr Polizeipräsident von Berlin gegen Antimorphin eine
öffentliche Warnung erliess 1 ).
Aber schon im darauffolgenden Jahre hat Herr Fromme
wieder eine neue Methode fix und fertig, nämlich die Ent¬
ziehungskur mit Brucio 2 ), das jetzt in der gleichen emphatischen
Weise angepriesen wurde, wie die verschiedenen ebengenannten
Mittel vorher gelobt worden waren.
Leider aber taugte Brucin nichts. Schon in der Münchener
med. Wochenschrift, 1903, Nr. 29, wies ich auf die eminenten
Gefahren der Brucinbehandlung bin; tatsächlich hat auch niemand
Brucin bei der Morphiumentziehung mit Erfolg angewandt,
höchstens als Amarum bei Abstinenzerscheinungen von seiten
des Magens.
Jetzt bat Fromme selbst der Brucinbehandlnng das Todes¬
urteil gesprochen, indem er 1912 das Scopolamin anf den
Schild hebt. Beklagenswerter Vater, der immer die eigenen
Kinder morden muss! Damit kehrt Fromme aber zu einem
Mittel zurück, das er selbst früher mit den Worten: „Jedoch ist
meiner Ansicht nach die Sache (sc. Hyoscinscopolamin) ein
bisschen reichlich gefährlich, und man sollte lieber etwas Leiden
erdulden, als eine derartige Kur unternehmen,“ als höchst gefährlich
verworfen hatte 8 ).
Nach meiner Kenntnis, die ich mir in umfangreicher, etwa
vierzehnjähriger Spezialtätigkeit auf dem Gebiete der Entwöhnungs¬
kuren sammeln konnte, muss ich sagen, dass die Anwendung
der Narkotica — von Scopolamin gar nicht zu reden — bei
den meisten Fällen der Morphiumentwöhnung absolut
nicht nötig und vielfach sehr schädlich ist. Meine Er¬
fahrungen basieren in der Hauptsache auf dem „Substitutions-
verfahren“, das ich zurzeit wie seit etwa 10 Jahren für das
mildeste und darum erfolgreichste Verfahren halte. Selbst
Fromme, der es in seinem Scopolaminartikel natürlich im
Verhältnis zu dem Spritzverfahren der Scopolamin- usw. Behand¬
lung nicht allzu sehr lobt, sagt von der Substitutionsmethode:
„Speziell die Substitutionsmethode ist geeignet, die Entziehung
ohne Beschwerde auszuführen. Bei ihr wird das bisher mittels
Spritze eingeführte Morphium innerlich gegeben, und zwar in
einer Komposition mit geeigneten Nervinis und Magen anregungs¬
mittein“. — Das Substitutionsverfahren — und das ist auch ein
Vorzug — zwingt zugleich zur individuellen, angepassten Be¬
handlung des einzelnen Falles. Ich möchte übrigens hier die
Gelegenheit nicht versäumen, eine andere Bezeichnung für die
einzelnen Entziehungs- oder Entwöhnungsverfahren vorzuschlagen.
Bis heute erben sich die autiken Ausdrücke plötzliche, modifiziert
plötzliche (in etwa 8 bis 10 Tagen) oder allmähliche Entziehung
wie eine ewige Krankheit fort. Die erste Art, die plötzliche,
führte ihren Namen zu Recht. Sie war die schematische Prozedur,
der sich der Morphiumkrauke nolens volens unterwerfen musste,
ob alt oder jung, ob stark oder schwach, ob Weib oder Mann,
ob krank oder gesund, ob viel oder wenig Morphium, ob lange
oder kurze Gewöhnung, alles gleich, plötzliche Entziehung. Sie
war natürlich total falsch, denn io der Krankenbehandlung ist
und muss alles Schematische falsch sein, denn Kranke gibt’s
und nicht Krankheiten. Die Methode hat heute noch Verteidiger
trotz ihrer Brutalität, Misserfolge, Todesfälle usw.; geübt wird sie
wohl wenig mehr, da das Publikum zu aufgeklärt ist.
Die beiden anderen Verfahren, das „modifiziert plötzlich“
und das „allmähliche“, tragen ihre Namen mit Unrecht. Jeder
Morphiumkranke entzieht verschieden. Oft kann man im „an¬
gepassten“ Verfahren grosse Mengen Morphium sehr schnell ent¬
ziehen, in 3, 6, 8, 10, 14 usw. Tagen, ohne dem Patienten wehe
zu tun, und oft braucht man bei kleinen Quanten lange Zeit,
vier bis sechs und wohl noch mehr Wochen. Oft entzieht der
Schwache, Hinfällige gut und schnell und der Starke schlecht,
mit starken Entbehrangserscheinungen. Eine Entziehung bei
Menschen, die in etwa einer Woche bei „angepasster“ Behandlung
entziehen, würden also auch in dem „modifiziert plötzlichen Ver¬
fahren“ eine individuelle „angepasste“ Behandlung finden. Für
alle anderen Patienten aber wäre diese modifiziert plötzliche Ent¬
ziehung ein unangepasstes und damit nicht mehr zweckdienliches
Verfahren. Dieselben Missverhältnisse finden sich, wenn man die
Bezeichnung „allmähliche Entziehung“ anwendet. Wer sich, wie
1) Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 10. Mai 1903, Aktenzeichen
I Aa. 2075. 03, I Aa. 2730.
2) Münchener med. Wochenschr., 1903, No. 27.
3) Münchener med. Wochenschr., 1903, Nr. 27,
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UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
725
oben geschildert, gut zur Entziehung eignet, also in etwa ein bis
zwei Wochen frei ist, der hat keine allmähliche Entziehung ge¬
macht im Sinne dieses Verfahrens. Diese Bezeichnungen „plötz¬
lich 14 , „modifiziert-plötzlich“ und „allmählich“ sind also falsch und
müssen schwinden; eine Entwöhnungskur — ich gebrauche stets
das Wort Entwöhnung und nicht Entziehung — richtet sich ent¬
weder nach der individuellen Leistungsfähigkeit, die bestimmt ist
durch Anlage, Alter, Geschlecht, Gesamtbefinden, Dauer der Ge¬
wöhnung, Menge der Droge usw., und dann ist sie eine „ange¬
passte“, richtige Behandlung, oder sie richtet sich nicht danach,
und dann ist sie eine „schematische 14 , also falsche Kur.
Viele Entwöhnungskuren verlaufen bei dem Substitutions¬
verfahren absolut ohne jede Abstinenzerscheinung derart, dass
3uch Klagen von seiten der Patienten kaum oder gar nicht vor¬
handen sind. Ein zweiter Teil der Morphiumkranken zeigt bei
der Entwöhnungskur wirklich Abstinenzerscheinungen, und zwar
entweder hauptsächlich von seiten des Herzens und der Gefässe
oder mehr von seiten des Magens und Darms, d. h. der Vege¬
tationsorgane. Letztere Erscheinungen werden durchaus erfolg¬
reich und unter absolutem Ausschluss irgendwelcher Narkotica
wie ein akuter (saurer) Magen-Darmkatarrh behandelt. Diese
Erscheinungen sind fast nur die Folge der abundant arbeitenden
Drusen gegen Ende der Entwöhnungskur. Eine geeignete Diät
hilft meist schon allein; sonst wird ein alkalisches Wasser (Vichy
oder Fachinger), eventuell noch Belladonna weiter helfen. Bett¬
ruhe, Wismut und Tanninpräparate bringen auch den Stuhl in
Ordnung.
. Die Abstinenzerscheinungen von seiten des Herzens und der
Gefässe weichen klinischer Behandlung. Tun sie das nicht, so
liegen nicht mehr funktionelle Störungen vor, nicht mehr Herz¬
schwäche, sondern Herzmuskelschwäche, schwere organische, nie¬
mals durch Morphium gesetzte Veränderungen, und da wäre aller¬
dings neben der Therapie das Narkoticum indiziert. Hat aber
ein Morphiumkranker, wohlverstanden ein Morphiumkranker, eine
organische Läsion am Herzen, so gibt es nur ein Narkoticum,
das therapeutisch wirklich hilft, und das ist Morphium. Es
wäre ein Fehler, diesen Kranken durch irgendwelche Prozeduren
oder Narkosen, selbst wenn er sie uberstände, das Morphium zu
entziehen, denn für diese Kranken ist Morphium das einzige Heil¬
mittel, weil e» unser stärkstes Toni cum ist. ln den meisten
Fällen wird ein solcher Kranker derartige unzweckmässige Trac-
turen auch nicht aushalten, sondern entweder mit dem letzten
Rest der Kraft abreisen, sich also dieser Behandlung entziehen,
oder er wird daran zugrunde gehen. ;. $$
Uogefähr das gleiche gilt von der dritten Kategorie der
Abstinenzerscheinungen, die sich mehr von seiten des Nerven¬
systems offenbaren. Der Kranke ist überaus nervös, neurasthenisch
oder psychopathisch (meist aber schon vor seinem Morphinismus).
Er kann kein Glied ruhig halten; alles an ihm ist in fortwähren¬
der Unruhe, die ihn nicht stehen, nicht sitzen, nicht ruhen lässt.
Dazu gesellt sich ein fortgesetztes Angstgefühl, eine weiche, weiner¬
liche Stimmung, hartnäckigste Schlaflosigkeit usw.
Diese drei Gruppen von Abstinenzerscheinungen treten natürlich
nicht immer schön gesondert auf, sondern mischen sich, und nament¬
lich die Erscheinungen der nervösen Abstinenz sind meist — darin
stimme ich Er lenmey er vollständig bei — nur ein erweiterter Aus¬
druck für dieUnzulänglichkeit des Herzens. DieserTyp der Abstinenz-
erBcbeinungen, also der sogenannte nervöse, ist für den Patienten
der bei weitem unangenehmste und zugleich für den Arzt der
schlimmste. Dieser Abstinenzzustand bietet seiner Geschicklich¬
keit ais Mensch und Arzt, seinem ganzen Können, seiner Geduld
und Erfahrung die schwierigsten Aufgaben. Natürlich liegt es
nun gerade bei diesen Fällen sehr nabe, Absperrmaassregeln und
Narkotica zu verwenden, um durch Schlafmittel oder gar Scopolamin
irgendwie den Patient endlich „ruhig“ zu machen, niederzu¬
schlagen, besonders da die Ursache dieser Erscheinungen, das
kranke Herz, noch in den weitesten Kreisen unbekannt ist. Der
erzielte Effekt ist aber meist nur gering und steht fast ohne Aus¬
nahme auf keinen Fall auch nur im entferntesten in einem be¬
rechtigten Verhältnis zur Gefährlichkeit der angewandten Mittel.
Die Anwendung von narkotischen Mitteln am Ende der Ent¬
wöhnung, namentlich die gehäufte und in grossen Dosen, halte
ich überhaupt für unangebracht, denn in nicbtkritischen Fällen
sind die Narkotica durchaus unnötig und schädlich, und in
kritischen Fällen sind die Narkotica das Gefährlichste, was es
nur geben kann, ln diesen Fällen, in denen der Fortfall des
letzten Restes wirklich erhebliche Schwierigkeiten macht, droht
neben allen Maassnahmen der Collaps. Tritt der Collaps ein
oder droht er auch nur, so ist die Anwendung von Morphium
sofort nötig, um nur das Leben zu retten. Jetzt Morphium noch
zurückhalten zu wollen wäre ein Fehler, der dem Patienten
aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben kostet. Der in Ent¬
wöhnungskuren erfahrene Arzt hat seine Anzeichen für den
drohenden Collaps, die Vorboten: u. a. der Patient, der vorher
noch lebhaft Morphium verlangte, wird allgemach ruhig und zu¬
frieden und verlangt gar nicht mehr nach Morphium. Er legt
sich auch ruhig zu Bett und läuft nicht mehr umher; alle Klagen
verstummen; dabei zeigt er aber Koordinationsstörungen und vor
allen Dingen Schluckbeschwerden und Störungen in der Artikulation
der Sprache usw. Jetzt ist der Patient durch richtig angewandtes
Morphium und nur durch Morphium noch zu retten. Wird Morphium
nicht gegeben, so schlummert der Kranke ohne jede weitere Auf¬
regung hinüber. Ist der Kranke in dieser Zeit nicht von narko¬
tischen Mitteln beeinflusst, so zeigt ein Blick, eine Unterhaltung
oder der Versuch zu einer solchen dem geübten Auge des Arztes
die Situation klar; er fühlt genau, ob er Morphium geben muss
oder ob er es noch weiter riskieren und verantworten kann. Ist
das Krankheitsbild aber von der Einwirkung irgendwelcher
Nakotica verschleiert, so kann zuletzt kein Mensch mehr unter¬
scheiden, was natürlicher Ausdruck der Krankheit ist und was
Folge der Medikamente. Veronal z. B. und fast alle Narkotica
machen ähnliche Erscheinungen wie der drohende Collaps. Aus
diesem Grunde vermeide ich gerade am Ende der Entwöhnungskur
die narkotischen Mittel, wo und wie ich nur kann. Sie ver¬
schleiern die bei diesem nervösen Abstinenzzustand stets be¬
stehende Todesgefahr, setzen also den Patienten dringender Gefahr
aus — ohne Zweck.
Ausserdem wird aus Menschen, die so mit Ach und Krach
gerade am Collaps vorbeigesegelt sind, meist doch nichts Rechtes.
Sie waren fast alle vor dem Morphinismus schon Neuro- oder
Psychopathen; durch diese Entwöhnung sind sie erst recht aus¬
gepumpt und schlaff, dass sie niemals recht auf die Beine
kommen. Mouate oder Jahre zur Erholung stehen nicht jedem
zur Verfügung; die meisten müssen bald ins Geschirr; arbeiten
sollen sie und können nicht; also wird die Spritze genommen;
der Rückfall ist hier Zwang; der Rückfall ist eine soziale
Frage 1 ).
Um aber ein Resultat vielleicht zu erreichen, das aller
Wahrscheinlichkeit nach doch nicht gehalten werden kann, setzt man
keinen Menschen der Gefahr aus, zu sterben. Meines Erachtens
hat kein Arzt das Recht, einen Morphiumkranken lediglich der
Entwöhnung wegen so akuter Lebensgefahr auszusetzen. So
schlimm ist der Morphinismus gar nicht, dessen Folgen im Ver¬
hältnis zu anderen Gewöhnungen, z. B. Alkoholismus, immer
übertrieben werden. Auf alle Fälle weiss ich, dass jeder Mensch
lieber mit Morphium weiter leben, als durch die Entwöhnung
sterben will; und die Angehörigen wollen lieber einen Ernährer,
der Morphium nimmt, als einen, der tot ist.
Alles, was ich hier gegen die Narkotica sage, gilt erst recht
für Scopolamin. Von diesem Mittel gilt für seine allgemeine Brauch¬
barkeit das Dichterwort: „Von der Parteien Hass und Gunst zer¬
rissen schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Gewiss mag
Scopolamin von nicht wenigen Aerzten in mancher Beziehung
bei Gesunden als ein brauchbares Mittel gelten; der Stimmen
dagegen sind aber mehr. Jede Stimme gegen ein Mittel gilt
aber vielemal soviel als eine Stimme dafür. Die bei jedem der
vielen neuen Mittel immer gleich zu hörenden lobenden Press¬
stimmen von manchen Aerzten, die immer gleich so und soviele
„Fälle“ haben, sind ja überhaupt für sich ein nicht ganz helles
Kapitel. Fest steht, dass Scopolamin allein nicht selten einen Herz-
collaps verursacht. Es ist hier nicht der Ort, zu entscheiden, wo
Recht, wo Unrecht, zu entscheiden, ob nicht in einzelnen Fällen bei
sonst gesunden Menschen Scopolamin mit guter Wirkung angewandt
werden kann. So wie kein Arzt bei einem Menschen eine In¬
jektionsnarkose machen wird, wenn er nicht die Ueberzeugung
haben darf, dass der Betreffende zum mindesten herzgesund ist,
so ist auch aus dem Für und Wider Scopolamin soviel heraus-
geschält, dass gerade Scopolamin das Gift ist, das niemals ange¬
wandt werden darf bei einem Morphiumkranken zu der Zeit, wo
er durch eine solche zehrende Entwöhnung in einen zum mindesten
kritischen Zustand versetzt ist. In diesem Zustand eine Dauer-
narkose von drei bis acht Tagen ä la Fromme machen zu wollen,
hätte zum mindesten zur Voraussetzung: 1. dass Tag und Nacht
1) Vgl. meinen Aufsatz: Morphinismus. Diese Wochensohr., 1908.
Nr. 49.
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726
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
ärztliche Ueberwachung, in die sich also mehrere Aerzte za teilen
hätten, stattfände, 2. dass die überwachenden Aerzte die Möglich¬
keit hätten, ans dem Lebensaasdrock des narkotisierten Patienten
sichere Schlüsse zu ziehen über den jeweiligen Zustand des
Patienten, 8. dass der überwachende Arzt dann in jeder Minute
mit Sicherheit in gewollter Weise wirksam eingreifen, die Nar¬
kose beenden usw. konnte.
Die erste Forderung ist nicht zu erfüllen, und was den
zweiten und dritten Punkt angeht, so bestreite ich, dass ein Arzt
überhaupt in der Lage ist, am Narkotisierten etwa einen
drohenden Collaps festzustellen, und vor allen Dingen be¬
streite ich, dass er imstande wäre, bei solchem Narkotisierten
dann wirksam einzugreifen. Es fehlt ihm z. B. jedes Mittel, die
Narkose zu unterbrechen.
Auch muss man die individuelle Empfindlichkeit für Scopol-
amin (Kochmann, Kobert, Kessel) in Rechnung ziehen.
Und was gegen die Anwendung von narkotischen Mitteln
bei schwierigen MorphiumentwOhnungskuren gilt, das gilt zehn¬
mal gegen Scopolamin. Dieses Gift ist nach meiner lücken¬
losen Erfahrung ein Herzgift und damit sicher das allergefähr¬
lichste Narkoticum; ich habe so schlimme Wirkung immer nur
von ihm gesehen, dass ich schon seit Jahren im Prospekt meines
Sanatoriums Schloss Rheinblick besonders betone, wie sehr ich
die Anwendung von Scopolamin verabscheue. Auch da, wo es
nur bei Gesunden gelegentlich zur Injektionsnarkose angewandt
wird, bat es gegen die Inhalationsanästhesie grosse Nachteile.
„Denn bei der Einführung nichtflüchtiger Narkotica begibt man
sich des grössten Vorteils beim Auftreten gefahrdrohender Sym¬
ptome, die Narkose auf dem raschesten Wege der Giftelimination
durch die Lungenausscheidung wieder zu unterbrechen 1 ).“
Nach seinem Scopolaminartikel zu urteilen, hat Fromme in
den langen Jahren seiner Spezialtätigkeit die Tatsache nicht
erkannt, die, früher bestritten, heute jedem Fachmanne ge¬
läufig und in der ganzen Literatur ausgesprochen ist, dass
es auch unheilbare Morphiumkranke gibt, ohne dass den
Patienten oder den behandelnden Arzt eine Schuld trifft. Ehrliche
Arbeit hat Gott sei Dank allgemein auch dem Morphiumkranken
das Recht des Kranken erworben und die Ueberzeugung ver¬
breitet, dass der Morphinismus nicht ein Laster, sondern eine
Krankheit ist. Gewiss, über die Art, wie der Morphinismus im
einzelnen Falle entstand, mag man rechten können, obwohl noch
immer richtig ist das Wort in Kobert’s klassischem Lehrbuch der
Intoxikationen: „Der Morphinismus ist ein medizinisches Kunst¬
produkt.“
Tatsache ist und Tatsache wird angesichts der Verschieden¬
heit der Persönlichkeiten der starken, schwachen und schwächsten
bleiben, was ich seit mehr als einem Jahrzehnt, damals gegen
alle herrschende Meinung, ausgesprochen habe, und was Kraepelin
in seiner Psychiatrie, 7. Auflage, Bd.2, S. 153, sagt: „Die vollständige
und dauernde Entziehung des Morphiums erweist sich selbst beim
besten Willen des Arztes und des Kranken in einer Reihe von
Fällen als undurchführbar. Abgesehen von jenen Kranken, denen
das Leben wegen irgendeines unheilbaren schmerzhaften Leidens
nur durch das Morphium erträglich wird, sieht man bei älteren
Personen jenseits der fünfziger Jahre sowie bei sehr lange (Jahr¬
zehnte) bestehendem Morphinismus unter Umständen die Ent¬
ziehung des Morphiums zu einem langsam fortschreitenden Siech¬
tum führen, welches die Lebensfähigkeit in höherem Grade
beeinträchtigt als das Morphium selbst. Hier muss man sich
damit begnügen, die Gabe des Mittels nach Möglichkeit niedrig
zu halten und den Kranken dauernd unter ärztliche Aufsicht zu
stellen.“
Das ist die Wahrheit. Der Kraepelin’sche Ausdruck
„ältere Personen“ ist zwar etwas unglücklich, denn Alter ist ein
sehr verschiedener Begriff, und ich würde „verbraucht“ Vor¬
schlägen; auch weiss ich nicht, wie Kraepelin es sich vorstellt,
„die Gabe nach Möglichkeit niedrig zu halten“, denn der Arzt
bat doch auf den Verschleiss seines morphiumkranken Patienten
in der Praxis gar keinen Einfluss. Jeder Morphiumkranke nimmt
erfabrungsgemäss so viel Morphium, als seine Natur verlangt;
diese zwingt ihn, und die erzwungene Menge führt der Morphium-
kranke auch ein, ob mit oder ohne Arzt, das ist allbekannt.
Verweigert der Arzt das Rezept, so zwingt er den Morphium¬
kranken eben zur Fälschung oder zur Beschaffung aus dem Aus¬
lande U8W.
Unverständlich ist mir darum auch der letzte Rat Kraepelin’s:
1) Meyer - Gottlieb, Experim. Pharmakol., 1. Aufl., S. 72.
„. . . . nnd den Kranken dauernd unter ärztliche Aufsicht zu
stellen.“ Ja, soll da jeder Morphiumkranke auf Lebenszeit ins
Hospital oder sich mit einem ärztlichen Begleiter bewaffnen?
Wer täte das? Wer kann das? Mit Rücksicht anf diese beiden
beanstandeten Punkte wäre also Kraepelin's Satz in meinen»
Sinne wie folgt zu formulieren: „Nicht wenige Morpbiumkranke
sind unheilbar. Unheilbar sind u. a. die Morphiumkranken,
bei denen ein unheilbares schmerzhaftes Leiden vorliegt}
ferner die „Verbrauchten“; letztere würden ein irgendwie er¬
zwungenes Freisein von Morphium mit dauerndem Siechtum be¬
zahlen, so dass bei diesen das Morphium besser nicht entzogen,
sondern weiter als unentbehrliches Hilfsmittel in Anwendung
kommt.“ Wie Morphium in solchen Fällen dauernd benutzt
werden kann, ohne unerwünschte Begleiterscheinungen aufkommei»
zu lassen, darüber will ich an anderem Orte sprechen. Bemerken
müsste ich nur noch, dass der Hausarzt, der einen solchen Patienten
kennt, das Recht und die Pflicht hat, das benötigte Morphium zt»
verschreiben.
Ueber einen neuen antagonistischen Reflex.
Von
Dr. med. et phil. A. Piotrowski,
Nervenarzt in Charlottenburg.
In Nr. 51, 1912, dieser Wochenschrift beschrieb ich ein
Unterschenkelphänomen, welches darin besteht, dass nach Per-
kussion des M. tibialis anterior, etwas unterhalb seiner Ursprungs¬
stelle (zwischen der Tuberositas tibiae und dem Capitulon»
fibulae), eine reflektorische Dorsalflexion und Supination de»
Fasses erfolgt; ich nannte diese Erscheinung Anticusreflex.
Der Anticusreflex kommt bei Gesunden nicht häufig vor, da¬
gegen ist er oft anzutreffen bei Individuen mit allgemeiner Hyper-
reflexie.
Seine Bedeutung liegt darin, dass er bei Personen mit orga¬
nischen Läsionen des Centralnervensystems, insbesondere ber
solchen mit spastischem Symptomenkomplex, aber auch bei an¬
deren, durch verändertes Verhalten — excessive Stärke, asym¬
metrischer Intensitätsgrad, einseitiges Auftreten — auffällt und
infolgedessen als patbognomonisches Zeichen verwertet werdet»
kann.
Meine diesbezüglichen Nachuntersuchungen haben die bis¬
herigen Erfahrungen bestätigt und mir gleichzeitig ein andere»
Phänomen offenbart.
Bei Perkussion des entspannten M. tibialis anterior, zwischen
der Tuberositas tibiae und dem Capitulum fibulae, beobachtet
man in manchen Fällen anstatt der erwarteten Dorsalflexion und
Supination des Fasses, wie dies beim Anticusreflex gewöhnlich
der Fall ist, eine ganz andere, eigenartige Reaktion, nämlich eine
kräftige Plantarfiexion des Fusses, einen Effekt, wie er nur dem
Achillessehnenreflex eigen ist. Tatsächlich siebt man auch eine
deutliche Kontraktion des Gastrocnemius. Anstatt des M. tibialis
anterior kontrahiert sich dessen Antagonist und bewirkt jene,
dem Anticusreflex durchaus konträre Reaktion. Man kann die
Wirkung verstärken, indem man den Fuss ein wenig passiv
dorsal flektiert und dann den M. tibialis anterior perkutiert.
Das Phänomen kommt bei Gesunden nicht vor, auch nicht
bei Nervösen oder anderen Kranken mit Hyperreflexie; es ist nur
bei Individuen mit spastischen Erkrankungen vorhanden. Da¬
durch unterscheidet es sich vom Anticusreflex, welcher a priori
kein pathologisches Symptom ist, sondern erst infolge abnormer
Aenderung seines Charakters diagnostisches Kriterium wird.
Demgegenüber ist jener Reflex von vornherein pathologisch, und
seine Existenz weist mit Bestimmtheit auf ein organisches Nerven¬
leiden bin. Mitunter beobachtet man, dass beide Reflexe neben¬
einander bestehen; derselbe Reiz ruft das eine Mal den Anticus¬
reflex, das andere Mal, besonders bei erhöhter Intensität, die
Plantarflexion des Fusses hervor. Diese durchaus pathologische
Reaktion steht auf derselben Stufe wie Babinski, Rossolimo,
Oppenheim, Mendel - Bechterew, Schaefer usw.
Mit dem von Schaefer im Jahre 1899 beschriebenen Reflex
— Streckung der Zehen bei seitlicher Kompression der Achilles¬
sehne mit den Fingern in Fällen von Hemiplegie und ähnlichen
Affektionen des Centralorgans — ist er verwandt; auch er ist
wie jener ein antagonistischer Reflex 1 ).
1) Ebenso das Wadeuphänomen.
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UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
727
Uoter 19 Patienten mit organischen Erkrankungen des Central-
cervensystems — Sclerosis multiplex (5), Myelitis, Wirbelerkran¬
kung, cerebrale Kinderlähmung, Lues cerebrospinalis, Hemiplegia
luetica, Paralysis progressiva, Taboparalyse, spinale Muskel¬
atrophie, Apoplexie (2), Tabes dorsalis (4) — war das Symptom
6 mal vorhanden, und zwar bei Sclerosis multiplex (4), Myelitis
und Wirbelerkrankung, also in Fällen mit spastischen Erschei¬
nungen. Zweimal war das Phänomen mit dem Anticusreflex ver¬
gesellschaftet; es trat bei stärkerer Reizung des M. tibialis anterior
in die Erscheinung.
Zur Illustrierung des Gesagten lasse ich die entsprechenden
Krankengeschichten in extenso folgen.
1. Hermann E., 81 Jahre alt, Schuhmacher, Sohn eines Potators,
litt als Kind an Enuresis nocturna; keine luetische Infektion; seit zehn
Jahren an Sclerosis multiplex leidend; in letzter Zeit Verschlimmerung
des Zustandes. Objektiv sind folgende Krankheitszeicben wahrzunehmen':
Patellarreflex rechts > links: Patellarclonus rechts +; Fussclonus
rechts -f-, links +; Mendel-Bechterew rechts +; Babinski rechts -f-,
schwach; Bauchdeckenreflex links gesteigert, rechts unten erloschen;
Romberg + ; Händedruck links > rechts; Armreflexe rechts > links;
Hypertonie, Schwäche, Koordinationsstörungen im rechten Bein; Sensi¬
bilität links für alle Qualitäten herabgesetzt; Hyperästhesie rechts.
Bei Perkussion der Mm. tibial. ant. erfolgt Plantar¬
flexion des Fusses rechts.
2. Otto Sch., 22 Jahre alt, Kaufmann, Sclerosis multiplex. Seit
einigen Jahren unsicherer Gang; Schwere und Steifheit in den Beinen.
Objektiv bestehen folgende Symptome: Horizontalnystagmus,
Intentionstremor, Romberg, Hyperreflexie, Spasmen an den Unter¬
extremitäten, Fussclonus, spastisch-paretischer Gang, Babinski rechts.
Bei Beklopfen des M. tibialis anterior sieht man eine
Plantarflexion des Fusses beiderseits.
3. Martha K., 22 Jahre, Putzmacherin, Sclerosis multiplex. Pat.
leidet an Ohnmachtsanfällen mit Bewusstseinsverlust; seit 10 Wochen
hat sie quälende Kopfschmerzen, Ohrensausen links, Aengstlichkeit,
Schmerzen im linken Knie. Das Treppensteigen falle ihr schwer; sie
habe an den Unterschenkeln das Gefühl von Ameisenlaufen. Bei
seelischen Emotionen lasse sie unwillkürlich Urin unter sich. Sie fühle
eich matt, die Sprache ist verlangsamt, die Beine seien steif und
schwer.
Objektiv ist Folgendes wabrzunehmen.
Horizontaler Nystagmus, Hyperreflexie an den Unterextremitäten,
Rosenbach’sches Symptom.
Bei Beklopfen des M. tibialis anterior erfolgt Plantar¬
flexion des Fusses links.
4. Fr. W., 40 Jahre alt, Kaufmannsfrau. Sclerosis multiplex. Seit
etwa einem Jahre könne sie nicht gehen; die Beine versagen ihr den
Dienst.
Objektiv bestehen folgende Symptome; Spastisch-paretischer Gang,
besonders rechts Hypertonie und motorische Schwäche, Babinski und
Rossolimo, Romberg, Intentiontremor.
Bei Beklopfen des M. tibial. ant. erfolgt links Anticus¬
reflex, rechts Plantarflexion des Fusses.
5. Kurt Sch., 33 Jahre alt, Monteur. Myelitis.
Nicht belastet, früher gesund. Mit 19 Jahren Gonorrhöe. Militärzeit
Absolviert. Keine luetische Infektion. Massiger Trinker, starker Raucher.
Beit zwei Jahren leidend. Plötzlicher Beginn der Krankheit mit Urin-
und Stuhlverhaltung.
Die Beine wurden schwer, steif, schwach; auf einmal Zusammen¬
bruch. Lähmung und Gefühllosigkeit der Unterextremitäten. Gürtel¬
förmig ausgebreitete Schmerzhaftigkeit des Leibes. Nach achtwöchiger
Bettruhe langsame Besserung und Beweglichkeit der Beine. Seit drei¬
viertel Jahren Hyperästhesie derselben.
Objektiv ist zu Anden: Hypertonie, Hyperreflexie, Hyperästhesie au
den Unterextremitäten, Patellar-, Fussclonus beiderseits, Babinski, Rosso¬
limo, Mendel-Bechterew, Oppenheim beiderseits, Anticusreflex 1 > r.
Bei stärkerem Beklopfen des M. tibialis anterior Plantar¬
flexion des Fusses beiderseits.
6. Arthur Sch., 27 Jahre alt, Techniker. Wirbelerkrankung. Nicht
belastet. Wegen Armbruch nicht Soldat gewesen. Früher gesund;
zweimal Gonorrhöe gehabt. Keine Lues. Seit sechs Wochen Schmerzen
im Rücken, in der Wirbelsäule, besonders bei Bewegungen des Rumpfes
und der Arme; ausserdom Schmerzen im linken Knie und in der
rechten Hacke.
Objektiv bietet der Kranke folgendes Bild: Mittelgross', mager,
blass. Druokempfindlichkeit in der Gegend des vierten Dorsalwirbels.
Hyperreflexie der Unterextremitäten. Antiousreflex 1. > r.
Bei stärkerem Beklopfen des M. tibialis anterior erfolgt
Plantarflexion des B'usses links.
Der Fall 1 präsentiert sich in der Form des Brown-Söquard-
echen Symptomenkomplexes. Nr. 2 ist eine vorgeschrittene
multiple Sklerose. Nr. 3 befindet sich im Anfangsstadium der
Entwicklung und ist deshalb interessant, weil das einseitige Vor¬
handensein der antagonistischen Plantarflexion den einzigen
pathologischen Reflex an den Unterextremitäten darstellt.
Babinski, Oppenheim, Rossolimo, Mendel-Bechterew, Schaefer
usw. fehlen. Der Fall demonstriert deutlich, dass das Phänomen
mitunter für die neurologische Diagnostik als Frühsymptom
Geltung haben kann. Bei den Fällen 5 und 6 sind Anticusreflex
und Plantarflexion des Fusses bei Reizung des M. tibial. ant.
nebeneinander vorhanden.
Das Zustandekommen der antagonistischen Plantarflexion des
Fusses erklärt sich dadurch, dass bei Unterbrechung des Reflex¬
bogens im spinalen Schaltstück (4. bzw. 5. Lumbalsegment) oder
im motorischen Abschnitt desselben der peripher applizierte Reiz
die Lumbalregion verlässt und vermittelst Collateralscbaltungen
auf die Sacralsegmente überspringt, von hier auf andere,
motorische Bahnen übergeht und den antagonistischen Effekt be¬
wirkt. In denjenigen Fällen, wo dieser Effekt gleichzeitig neben
dem Anticusreflex besteht, handelt es sich offenbar um Ausschal¬
tung der cerebralen Einflüsse. Infolge deren Ausbleiben wird der
ordnungsmässige Ablauf des Reflexes gestört; der peripher appli¬
zierte Reiz gerät auf Abwege und ruft an Stelle der typischen
Reaktion eine völlig entgegengesetzte Wirkung, nämlich eine
Plantarflexion des Fusses hervor, die sonst nur bei Gesunden
durch Perkussion der Achillessehne zu erzielen ist. Die
antagonistische Plantarflexion zeigt ebenso wie der Schaefer’sche
Reflex 1 ), dass zwischen der Innervation der antagonistischen
Muskeln in der intraspinalen Sphäre enge Beziehungen be¬
stehen.
Erwähnenswert ist noch eine andere Erscheinung, auf die
ich bei meinen Untersuchungen gestossen bin. Ich sali nämlich
in zwei Fällen an Stelle des Anticusreflexes nicht eine Plantar¬
flexion des Fusses, sondern eine solche der Zehen, ähnlich wie
beim Rossolimoreflex.
Der eine Fall betraf ein junges, gesundes Mädchen, bei dem
keine Zeichen einer organischen Erkrankung des Centralnerven¬
systems zu konstatieren waren; die Plantarflexion der Zehen,
vergesellschaftet mit einer Adduktion des Hallux, trat symmetrisch
auf, d. h. an beiden Füssen gleichmässig und gleichartig. Die
physiologischen Reflexe waren in normalen Grenzen auszulösen.
Der andere Fall betraf den oben erwähnten Patienten mit
Myelitis. Hier bestand blosse Piantarflexion der Zehen ohne
Adduktion des Hallux, und zwar nur einseitig, nämlich links.
Ob die Erscheinung im ersten Falle eine abnorme war, lässt sich
bei dem im übrigen durchaus negativen Befund nicht mit Be¬
stimmtheit sagen; wohl aber darf das Phänomen im zweiten Falle
den Umständen gemäss als ein krankhaftes Symptom, als ein
pathologischer Reflex neben den anderen anfgefasst werden.
Das Resümee obiger Ausführungen ist folgendes:
Bei Perkussion des Musculus tibialis anterior beobachtet man
entweder
1. eine reflektorische Dorsalflexion und Supination des Fusses
(Anticusreflex) oder
2. eine reflektorische Plantarflexion des Fusses (antagonistischer
Plantarreflex) oder
3. eine reflektorische Plantarflexion der Zehen (antagonistischer
Zehenreflex).
Der Anticusreflex ist bei Gesunden inkonstant und a priori
kein pathologischer Reflex. Erst durch Charakteränderung wird
er ein pathognomonisches Zeichen und ist dann bei organischen
Erkrankungen des Centralnervensystems anzutreffen.
Der antagonistische Plantarreflex kommt bei Gesunden nicht
vor; er ist a priori pathologischer Natur; seine Existenz deutet
auf Organerkrankung des Nervensystems hio. Auch der anta¬
gonistische Zehenreflex scheint ein pathologischer Reflex zu sein.
Alle drei Phänomene sind verschiedene Aeusserungen oder
Folgeerscheinungen eines und desselben Reizes; sie bilden ein
Gegenstück zum Babinski’schen Zeichen, welches seinerseits eine
und dieselbe Reaktion auf vier verschiedenartige Reize darstellt.
Denn Babinski wird bervorgerufen 1. durch Bestreichen der Fuss-
sohle (Babinski), 2. durch Bestreichen der medialen Fläche des
Unterschenkels mit der Pulpa des Daumens im kräftigen Zuge
(Oppenheim), 3. durch kräftigen Druck mit der Daumenkuppe
gegen die Innenkante der Tibia, etwa an der Grenze zwischen
dem mittleren und unteren Drittel (Oppenheim-Druck) und
schliesslich 4. durch raschen, energischen Druck in das Fuss-
gewölbe unterhalb des Grosszehenballens (Babinski - Druck¬
phänomen).
Wie die Perkussion des Musculus tibialis anterior das eine
Mal den Anticusreflex, das andere Mal den antagonistischen
1) Und das Wadenph&nomen.
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UNIVERSUM OF IOWA
72«
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Plantarreflex oder Zebeureflex auslöst, so wird umgekehrt das
Babinski-Pbänomen das eine Mal durch Bestreichen der Fusssohle,
das andere Mal durch Bestreichen des Unterschenkels oder durch
Druck auf denselben oder auf die Sohle hervorgerufen. Dort
verursacht der gleiche Reiz drei verschiedene Wirkungen, hier
erfolgt die gleiche Reaktion auf vier verschiedene Reize.
Obgleich diese Erscheinungen durch ein gemeinsames Merk¬
mal, sei es durch den gleichen Reiz oder durch dieselbe Art des
Effektes untereinander eng verbunden zu sein scheinen, so sind
sie in Wirklichkeit voneinander ganz verschiedene Phänomene,
jedes für sich ein selbständiger Reflex. Je nach dem Grade oder
Sitz des einer Krankheit zugrunde liegenden pathologischen Pro¬
zesses können sie entweder nebeneinander zu gleicher Zeit auf*
treten oder isoliert, d. h. es lässt sich nur das eine oder das
andere Zeichen bervorrufen; daher verdienen alle die Reflexe
gleichmässig kultiviert zu werden; bei der vollständigen Unter¬
suchung muss nach jedem von ihnen gefahudet werden, damit
eine Frühdiagnose möglich werde. Das gilt von allen Reflexen,
die infolge ihres besonderen Charakters pathognomonische Be¬
deutung haben.
Man darf sich nicht mit dem Babinski-Zeicben allein be¬
gnügen, und wenn dasselbe fehlt, nun eine organische Erkrankung
ausschliessen, denn häufig ist ein anderes der genannten Phäno¬
mene vorhanden und Babinski nicht. Bei Fall 3 dieser Abhand¬
lung z. B. ist nur der antagonistische Plantarreflex da, kein
Babinski, kein Oppenheim, kein Mendel-Bechterew, kein Rosso-
lirao usw.; seine Existenz ermöglichte in diesem Falle die Er¬
kennung des organischen Leidens. Damit ist sein diagnostischer
Wert erwiesen.
Zum Schluss spreche ich dem Herrn Prof. Dr. Georg
Klemperer meinen verbindlichsten Dank aus für die gütige
Erlaubnis, an seinen Kranken die beschriebenen Phänomene stu¬
dieren zu dürfen.
Aus der Hautkrankenstation der medizinischen Klinik
zu Marburg (Leitender Arzt: Prof. Dr. Hübner).
Ueber die accessorischen Gänge am Penis und
ihre gonorrhoische Erkrankung.
Von
Prof. Dr. Hübler.
Wie sehr die Syphilisforscbung der letzten Jahre die Blicke
der Autoren auf sich hingelenkt hat, erkennt man vielleicht am
besten aus der Tatsache, dass ein Thema, ich meine das der
accessorischen Gänge am Penis und ihre gonorrhoische Erkrankung,
das. früher zu den meistdebattierten gehörte, seit 1905, dem Jahre
der Entdeckung der Spirochaete pallida, kaum noch eine Be¬
arbeitung gefunden hat. Schon aus diesem Grunde glaube ich
berechtigt zu sein, zwei Beobachtungen mitzuteilen, die ich kurz
nacheinander hier machen konnte.
In dem ersten Falle handelte es sich um einen 25jährigen Schneider,
der wegen eines harten Schankers an der hypospadiseben Uretbral-
mündung auf meine Abteilung aufgenommen wurde. In der Mitte der
Glans penis befand sich eine normal grosse Fossa navicularis, die, wie
man beim Auseinanderziehen der beiden Seiten sehen konnte, von dem¬
selben verhornten Epithel ausgekleidet war wie die Oberfläche der
Eichel. Von dem Grunde der Grube führte ein feiner Gang io die Tiefe,
in den man mit einem dünnen Uretherenkatheter etwa 9 mm weit
hineindringen konnte. Die eigentliche Urethralmündung war nach hinten
verlagert, an die Stelle, wo normalerweise das hier fehlende Frenulum
sitzt. Die vordere Wand der Urethra setzte sich bis über die Mitte der
Glans hin als eine flache, von weichem Schleimhautepithel ausgekleidete
Grube fort. In der letzteren fällt eine in der Medianlinie gelegene
punktförmige Oeffnung auf, in die ein dünner Uretherenkatheter 4 mm
weit hineingeführt werden kann. Es zeigt sich bei diesem Versuch,
dasä der Gang fast parallel zur Urethra unter der Schleimhaut in der
genannten Länge dahinläuft. Ausser dem vorhergenannten Primäraffekt
bestand bei dem Patienten seit mehreren Monaten eine chronische
Gonorrhöe mit positivem Gonokökkenbefund. Aus dem eben be¬
schriebenen Gange konnte jedoch kein Sekret herausgedrückt werden;
seine Umgebung zeigte auch keine entzündlichen Veränderungen. Die
Ezcision des Ganges konnte wegen seiner Lage in der Nähe des Corpus
cavernosum glandis leider nicht in Frage kommen.
Den zweiten Patienten, einen 20jährigen Studenten, hatte ich be¬
reits vor einem halbeh Jahre zum ersten Male gesehen. Er kam damals
wegen einer schmerzhaften, eiternden Anschwellung an der Rückseite
des Penis zu mir. An der bezeichneten Stelle sah man, etwa 3 cm
vom äusseren Präputialrande entfernt, eine etwa erbsengrosse, stark ent- I
zündlich gerötete Vorwölbung der Haut, die auf ihrer Kuppe eine feine
Oeffnung trug, aus welcher sich auf Druck Eiter entleerte. Nach der
dem Präputialrande zugekehrten Seite setzte sich die Anschwellung
wurstförmig etwa in einer Läoge von 2 cm fort und verlor sich dort
mit unscharfer Grenze im Gesunden. Da in dem exprimierten Eiter
zahlreiche typisch intracellulär gelagerte Gonokokken gefunden werdep
konnten, war die Affektion als ein gonorrhoisch infizierter Gang in der
äusseren Haut des Penis zu diagnostizieren.
Der Patient konnte sich damals noch nicht entschliessen, meinem
Rate zu folgen und sich den Gang exstirpieren zu lassen. Er versuchte
— natürlich vergeblich — durch Borwasserumschläge die Entzündung
zu bekämpfen und kam erst ein halbes Jahr später wieder. Die Ent¬
zündung bestand noch in derselben Weise fort, nur war die Oeffnung,
aus der sich der noch immer gonokokkenhaltige Eiter ausdrücken liess,
etwas grösser geworden; die Harnröhre war während der ganzen sechs
Monate uninfiziert geblieben. Jetzt willigte der Patient in die Ex¬
stirpation ein, die unter Lokalanästhesie ausgeführt wurde. Der Gang
wurde in toto entfernt, die 3Vz cm laDge Wunde heilte per primam.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Präparates, die Herr
Privatdozent Dr. Berblinger im hiesigen pathologisch-anatomischen
Institut ausführte, zeigte es sich, dass der Gang von der Raphe des
Penis seinen Ausgang nahm und, von dieser in spitzem Winkel sich ab¬
zweigend, unter der Haut weiterlief. Die entzündliche Leukocyten-
infiltration des Bindegewebes begann bereits unter der Raphe, ging also
beträchtlich über den eigentlichen Gang hinaus. Deshalb ergab sich das
folgende Bild von den ersten, den Gang noch nicht treffenden Schnitten:
Mehrschichtiges Epithel mit deutlich pigmentiertem Stratum germinativum
grenzt beiderseits an ein schmäleres Epithel mit vorwiegend isodiametri¬
schen Zellen. Die mittlere Epithelschicht (i. e. die Raphe penis) zeigt
eine starke Ausbildung der Epithelsprossen in die Tiefe, ist aber überall
gegen das Corium hin scharf abgegrenzt. In dem letzteren finden sich
zahlreiche Lymphocyten, Plasmazellen und spärliche polynucleäre Leuko-
cyten. Letztere durchsetzen in grosser Zahl den verbreiterten Epithel¬
bezirk. Die entzündliche Infiltration im Corium reicht nicht sehr tief
und beschränkt sich im Corium auf die perivasculären Zonen. Gono¬
kokken wurden in diesen ersten Schnitten nicht gefunden. Erst in
weiteren Schnitten — der Gang war ja ganz im Gesunden exstirpiert —
sah man, dass ein feiner Spalt sich in das verdickte Epithel (die Raphe)
einsenkte, bald ganz von ihm umschlossen wurde und dann in das
Corium eindrang. Dort verlief er als ein von mehrschichtigem, in den
oberen Schichten verhornendem Epithel ausgekleideter Gang, der von
einer starken zelligen Infiltration umgeben war. Hier fanden sich auf
der Oberfläche und zwischen den oberen Lagen der Pflasterzellen sowohl
freie wie in Eiterzellen typisch gelagerte Gonokokken.
Dieser histologische Befund beweist zunächst auf den ersten
Blick, dass es sich bei diesen Gebilden nicht um Fisteln handelt,
wie Le Fort 1 ) und Wallerstein 2 ) sie nennen. Es sind viel¬
mehr präformierte, mit Epithel ausgekleidete Gänge, die man am
besten, da normalerweise die Urethra der einzige Gang am Penis
ist, als „accessorische“ zu bezeichnen bat.
Diese Gänge sind an der Mündung der weiblichen Harnröhre
viel früher gefunden worden als an der männlichen. An ersterer
sind sie zuerst im Jahre 1864 von Guerin beschrieben worden,
der auch ihre Wichtigkeit für den Ablauf der Gonorrhöe eikannte
und den Namen „Urethritis externa“ für ihre gonorrhoische Er¬
krankung prägte. Einem schwedischen Autor, Oedmansson 8 )
verdanken wir die Kenntnis entsprechender Gebilde an der männ¬
lichen Urethra. Er fand sie bei 10 Patienten, 3 mal beiderseitig,
7 mal einseitig. Ausserdem sah er in 6 Fällen feine Gänge
zwischen den beiden Blättern des Präputium, die an der Innen¬
fläche desselben mit feiner Oeffnung mündeten. Oedmansson
sah diese letzteren Gänge als dilatierte Lympbgefässe an, die
nach aussen durchgebrocben seien.
In Deutschland ist erst im Jahre 1889 durch Touton*) die
Aufmerksamkeit auf diese Gänge am Penis gelenkt worden. Er
beschrieb zwei Fälle. Als Folliculitis prae.putiali* gonorrhoica be-
xeichnete er eine 7 bis 8 mm lange, drüsenähnliche, mit oinem
spaltförmigen Lumen versehene und von geschichtetem Pflister-
epitbel ausgekleidete Einsenkung, die aussen am Präputium als
eine erbsengrosse, scharf vorspringende, entzündliche Geschwulst
sichtbar war. Touton fasst dieses Gebilde als eine versprengte
Tyson’sche Drüse auf, die ja auch im eigentlichen Sinne nur Ein¬
senkungen der äusseren Haut sind Im zweiten Falle Touton s
lag die Mündung eines kleinen, etwa 5 mm langen Ganges einige
Millimeter von dem Orificium urethrae entfernt auf der Glans
penis.
Touton’s Mitteilung hatte eine grosse Anzahl casuistisrher
Beiträge in der deutschen Literatur zur Folge. Der für die
1) Annales des malad, des org. gönito-urin., 1896.
2) Dissertation Strassburg.
3) Nord. med. Ark., 1885, Bd. 17.
4) Archviv f. D., 1889, Bd. 21.
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
729
Weiterbildung unserer Kenntnisse von diesen Gebilden wichtigste
ist anstreitig der von Jadassohn 1 ). Er fugt den bis dahin be¬
kannten beiden Gruppen von Gängen am Penis — im Präputium
und am Orificium urethrae — noch eine dritte hinzu, die er nicht
benennt, aber beschreibt: die Gänge in der äusseren Haut des
Penis in der Raphe.
Das Jahr 1897 bringt dann eine bedeutsame Arbeit von
Rona 2 3 ) aus der Ebrmann’schen Poliklinik, in der an der Hand
der bisher in der Literatur niedergelegten und sieben weiterer
eigenen Beobachtungen ein Versuch der Erklärung der Genese
und eine neue Einteilung dieser Gebilde gegeben wird.
Rona unterscheidet 1. solche Gänge, die an den Rändern
der Urethra bzw. am Orificium ausmfinden. 2. Gänge bei
Hypospadie. 3. Die präputialen Paraurethralgänge. 4. Präputiale
Hautgänge. 5. Paraurethrale Gänge im Frenularkörper und
6. solche, an der Hinterfläche des Penis in der Raphe oder schräg
über diese verlaufend.
Bei der Erklärung der Genese dieser Gänge geht Rona von
der Entwicklungsgeschichte des männlichen Genitales aus. Er
macht dabei folgende Ausführungen: Die Harnröhre bildet sich
im vierten Monat durch Schluss einer vofher angelegten Rinne.
Die Raphe am Scrotum und Penis und das Frenulum zeigen den
Verlauf dieses Verschlusses an Störungen bei der Bildung dieses
Verschlusses in Form von sekundären Leisten der Schleimhaut,
die ebenfalls mit ihren Rändern verwachsen, geben dann die
Veranlassung zu der Entstehung dieser accessorischen Gänge.
Die später zwischen Urethra und Haut sich einschiebenden Cor¬
pora cavernosa drängen diese Gänge eventuell weit von der
Urethra ab bis unter die Haut.
Rona’s vom Standpunkt des Klinikers aus gewonnene Ein¬
teilung der Gänge steht eine andere, vom Standpunkt des Anatomen
gegenüber, die von Paschkis 8 ) aus dem Weichselbaum’schen
anatomischen Institut in Wien herrührt. Paschkis unterscheidet
1. Crypten, das sind Einsenkungen der äusseren Haut von mehr
oder weniger beträchtlicher Tiefe, die bis an ihr Ende von
typischen Hautepithel samt Hornschicht bekleidet sind. 2. Irregu¬
läre Talgdrüsen, deren Ausführungsgänge ohne Vermittelung von
Haaren an der Oberfläche frei enden. 3. Paraurethrale Gänge
sensu strictori. Gänge mit geschichtetem Pflasterepithel oder mit
Uebergangsepithel bekleidet, zum Teil mit Drüsen, aber so¬
wohl entwicklungsgeschichtlich als histologisch zur Urethra
gehörig.
In den zahlreichen Arbeiten über diesen Gegenstand, die im
Laufe der Jahre erschienen waren, hatte sich mehr und mehr
eine Verwirrung in der Nomenclatur geltend gemacht, indem alle
überzähligen Gänge am Penis, nicht logischerweise nur die mit
der Urethra in Beziehung stehenden, als „paraurethrale** bezeichnet
wurden. Es ist ein Verdienst von Stieda 4 ) mit seiner Arbeit
hierin Ordnung und Klarheit gebracht zu haben. Stieda ordnet
die Gebilde in folgende Gruppen: 1. Ductus parurethrales (so
schreibt er richtig an Stelle des gebräuchlichen paranrethralis).
2. Ductos präputiales, zwischen den Blättern des Präputium ver¬
laufend. 3. Ductus dorsales, am Rücken des Penis. 4. Ductus
cutanei an der Unterfläche, in der Raphe des Penis.
Hinsichtlich der Genese der Gänge schliesst sich Stieda im
allgemeinen Rona an. Nur in betreff der Hautgänge in der
Raphe entfernt er sich etwas von der Rona’schen Auffassung.
Er schreibt darüber: „Die Raphe, die sich durch Schluss der
Genitalrinne gebildet bat, ist nicht glatt, sondern hat Leisten.
Die Leisten und die zwischen den Leisten befindlichen, von den
Leisten umschlossenen Rinnen sind es, die meiner Ansicht nach
zur Entstehung der subcutanen Ductus Veranlassung geben, indem
die Ränder der Leisten in einer unbestimmten Ausdehnung ver¬
wachsen und dadurch den Gang bilden. 1 * Selbstverständlich muss
ein solcher Gang mit dem Epithel ausgekleidet sein, das der
äusseren Haut entspricht.
Diese Anschauung Stieda’s wird durch unseren mikro¬
skopischen Befand durchaus bestätigt: Wir sahen in den ersten
Schnitten in der Mitte des Präparates das verdickte Epithel der
Raphe, wir konnten in späteren Schnitten direkt verfolgen, wie
sich aus den stark entwickelten Epithelsprossen, die von der
Raphe in die Tiefe zogen, der Gang entwickelte, sich bald ganz
vom Epithel abzweigte und in die Tiefe drang.
1) Vierter Congress der Deutschen Dermatol. Ges., 1894.
2) Archiv f. Dermatol., 1897, Bd. 89.
3) Archiv f. Dermatol., 1902, Bd. 60.
4) Archiv f. klin. Chirurgie, 1905, Bd. 77.
Interessant war es nun, dass wir im Gegensatz zu Stieda,
diesen Gang im Zustande der gonorrhoischen Entzündung unter¬
suchen konnten. Er war, wie schon vorher gesagt, entsprechend
seiner Genese mit verhornendem Plattenepithel ausgekleidet.
Dieses hielt man früher auf Grund der Anschauungen von
Bumm 1 ) und Jadassohn für unzugänglich für den Gonococcus.
Bumm bat die Möglichkeit der Infizierung dieses Epithels durch
den Gonococcus geradezu geleugnet. Wo er es an gonorrhoisch
erkrankten Schleimhäuten fand, erklärte er sein Vorkommen als
das Produkt einer Metaplasie des Epithels unter dem Einfluss
der gonorrhoischen Entzündung. Weiterhin, so führte Cohn 2 )
in einer aus der Jadassohn’schen Klinik stammenden Arbeit
aus, verwandelt sich dies Plattenepitbel wieder in Cylinderepithel
zurück, und dies sei dann immun gegen die Gonokokken. Warum
aber einzelne Herde von Plattenepithel auf gonorrhoisch er¬
krankten Schleimhäuten so oft Zurückbleiben und eine Brutstätte
für die Gonokokken bilden, das musste für Cohn bei dieser Auf¬
fassung der Wirkung der gonorrhoischen Entzündung auf das
Epithel natürlich ein Rätsel bleiben.
Ich habe in einer Arbeit 8 ), deren Ergebnissen meines Wissens
bisher noch nicht widersprochen ist, schon vor mehreren Jahren
ausgeführt, dass die Annahme einer doppelten Metaplasie des
Cylinderepithels unter dem Einflüsse der gonorrhoischen Ent¬
zündung zum mindesten unnötig geworden ist, seitdem wir durch
Cederkreuz’ 4 ) Untersuchungen, die ich durch die meinigen be¬
stätigen konnte, wissen, dass in der männlichen Urethra gar nicht
selten grössere oder kleinere eingesprengte Inseln von Platten¬
epitbel schon normalerweise Vorkommen. Diese bilden, wie ich
dort ausgeführt habe, im Falle einer gonorrhoischen Infektion für
den Gonococcus zunächst freilich bei seinem Vordringen in die
Tiefe des Epithels ein Hindernis; hat er sich aber erst einmal
zwischen den eng miteinander verzahnten Pflasterzellen festgesetzt,
so findet er gerade dort durch letztere einen starken Schutz vor
der Einwirkung der Medikamente usw. Durch diese Annahme
wird die Tatsache, dass wir die Gonokokken gerade immer im
Plattenepithel zu finden gewohnt sind — die Cohn bei der
Untersuchung seines parurethralen Ganges so sehr auffiel —
meiner Ansicht nach viel zwangloser erklärt, als durch die Hypo¬
these einer doppelten Epithelmetaplasie.
Die Ductus cutanei penis enthalten nun zweifellos primär
Plattenepithel (Paschkis u. a.), und dies ist in unserem Falle
mit gonokokkenbaltigen Eiterzellen durchsetzt, von einem ent¬
zündlichen Infiltrate umgeben, also gonorrhoisch infiziert. Ja, es
geht diese Entzündung, wie die ersten Schnitte des Präparates
deutlich sehen liessen, noch über die Umgebung des eigentlichen
Ganges hinaus und war schon nnter der Raphe — und zwar nur
unter dem verdickten Epithel der letzteren, nicht unter dem der
benachbarten Haut — deutlich nachweisbar. Wir können hier
fast von einer gonorrhoischen Entzündung der äusseren Haut
sprechen.
In klinischer Hinsicht ist vielleicht noch darauf aufmerksam
zu machen, dass die Gonorrhöe des accessorischen Ganges am
Penis im zweiten Falle mindestens ein halbes Jahr bestehen
konnte, ohne zu einer Infektion der Urethra zu führen, während
paradoxerweise im ersten Falle die schon lange bestehende
Gonorrhöe nicht zu einer Miterkrankung des in die Fossa navi-
cularis einmündenden Ganges geführt hatte.
Neue Operation zur Sterilisierung des Weibes
mit Möglichkeit der späteren Wiederherstellung
der Fruchtbarkeit.
Von
Dr. Blomberg-Berlin.
(Nach einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 26. Februar 1913
gehaltenen Vortrag.)
M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihnen eine Operations¬
methode zu demonstrieren, die ich bisher in sechs Fällen an¬
gewendet habe.
Die Frage der Einleitung des künstlichen Abortes in ge-
1) Veit’s Handbuch der Gynäkologie, 1897, Bd. 1.
2) Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 1.
8) Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., 1909, Bd. 2, H. 4.
4) Archiv f. Dermatol., 1906, Bd. 79.
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780
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
wissen Fällen]} von Tuberkulose, Herzfehlern, psychischen Er¬
krankungen oder sonstigen Fällen, in denen eine Schwanger¬
schaft mit besonderen Gefahren verbunden ist, ist im
letzten Jahrzehnt viel diskutiert worden, und die Entscheidung ist
im positiven Sinne gefallen. Noch viel übereinstimmender sind
die Ansichten über die Notwendigkeit der künstlichen Sterili¬
sierung solcher Frauen, damit sie erst gar nicht den bei ihnen
besonders grossen Gefahren einer Schwangerschaft ausgesetzt
werden.
Der Entschloss zar operativen Sterilisierung ist für den
Operateur ein besonders schwerer und sehr verantwortungsvoller,
wenn durch die Operation die Conceptionsfähigkeit dauernd,
irreparabel aufgehoben bleibt. Leider besitzen wir jedoch,
wie ich an anderer Stelle nacbgewiesen habe, kein Verfahren,
bei welchem später mit einiger Sicherheit die Sterili¬
sierung wieder rückgängig gemacht werden kann. Die
einzige konkurrierende, am Menschen angewandte Methode, näm¬
lich die Seil heimische, erzeugt, wie die Erfahrung gezeigt
hat, einerseits keineswegs mit Sicherheit eine Sterilisierung,
andererseits ist die Möglichkeit der späteren Wiederherstellung
der Conceptionsfähigkeit durchaus zweifelhaft. Günstige
praktische Erfahrungen darüber sind bisher nicht bekannt ge¬
worden.
Ich möchte mir nun erlauben, Ihnen eine Methode zu de¬
monstrieren, die es ermöglicht, die Fruchtbarkeit
später wiederherzustel.len, falls die Krankheit, derentwegen
die Sterilisierung ausgeführt wurde, ausgeheilt ist oder sonst ein
Grund es wünschenswert macht. Mein Plan bei der Operation
ging dabin, das Ovarium in einer für sich völlig abge¬
schlossenen kleinen Tasche des Peritoneums zu lagern,
so dass das Ovum nicht in die Tube gelangen kann,
sondern unbefruchtet resorbiert wird. Ich erreichte
dies dadurch, dass ich die Ala vespertilionis wie einen
Mantel auf die Rückseite des Uterus herumklappte und
die freien Ränder der Ala vespertilionis an die hintere
Fläche des Uterus, also unter Belassung der Tube im
freien Peritonealraum, mit Seidennabt lückenlos annähte;
die Naht wird durch dieMesosalpinx bis an die Seitenkante des Uterus
fortgeführt (siehe Figur 1). Da nun das Ovarium an der Rückseite
Figur 1.
Linke Tube.
Nabt, durch die das Lig. latum
auf der RUckwand des Uterus
fixiert wird. (Durchscheinend
das Ovarium.)
Schematische Darstellung der konservativen Sterilisierungsoperation. Die
schraffierte Stelle stellt das auf die Rückwand des Uterus herübergezogene
Ligamentum latum sin. dar.
des Ligamentum latum gelegen ist, kommt es auf diese Weise in eine
allseitig abgeschlossene, von Peritoneum überzogene Tasche zu
liegen: auf der Vorderseite die Serosa der Hinteren Uteruswand,
auf der Rückseite die beiden Blätter des Ligamentum latum. Das
Ovarium gelbst bleibt also frei beweglich in dieser Tasche, da
nur die Ränder des Ligamentum latum angenäht werden (siehe
Figur 1 und 2). (Demonstration eines Präparates, an welchem
die Art der Anlegung der Naht gezeigt wird.) Die Operation
muss im Normalfalle selbstverständlich rechterseits und linker¬
seits ausgeführt werden.
Die eventuelle Wiederherstellung der Conceptionsfähigkeit,
die ja erst nach einer ganzen Reihe von Jahren in Betracht
kommen kann, würde in der Lösung der Naht und Herstellung
des früheren Zustandes bestehen.
Bei der Ausführung der Operation sind folgende Einzelheiten zu
beachten:
Die Ligamenta lata müssen gut beweglich sein bzw. gut beweg¬
lich gemacht werden.
Es empfiehlt sich, einen Fadenzügel durch das Ligamentum ovarii
temporär zu legen, um an dem Zügel das Ovarium während der Sterili¬
sierungsnaht in der gewünschten Lage halten zu können; sonst ent¬
schlüpft es leicht und müsste wieder herangeholt werden; der Zügel er¬
leichtert die Operation wesentlich; nach Benutzung wird er wieder
entfernt.
Zur Erzielung eines sicheren Abschlusses der kleinen Peritoneal¬
tasche, in die das Ovarium zu liegen kommt, ist eine ganz exakt
abschliessende Naht unbedingt erforderlich. Um die Adhäsionen am
Rande der Tasche noch fester zu machen, werde ich künftig eventuell
die Stelle der Uterusserosa, durch welche die Sterilisierungsnaht ge¬
legt wird, mit etwas Jodtinktur bestreichen, jedoch nur im Be¬
reich der Naht selbst, nicht im Bereich des Innern der
Tasche oder ausserhalb derselben; die Jodtinktur wird dann durch
den Rand des Ligamentum latum gedeckt; keineswegs darf auf der
nach der freien Peritonealhöhle zu gelegenen Fläche des Ligamentum
latum eine Spur Jodtinktur sein wegen Gefahr von Verwachsungen der
Därme mit dieser Stelle. Eventuell könnte auch in diesem schmälsten
Bezirk, der Sterilisierungsnaht entsprechend, die Uterusserosa etwas
angefrischt werden, um eine festere fibroseröse Vereinigung herzustellen.
Um das Operationsgebiet möglichst übersichtlich zu machen, habe
ich mir ein Speculum anfertigen lassen, über das ich eventuell später
berichten werde.
Die Operation kann auf vaginalem oder abdominalem Wege
aasgeführt werden. Bisher ist es mir stets gelungen, die Sterili¬
sierung anf dem vaginalen Wege durchzufübren.
Ich möchte mir nun erlauben, Ihnen die Patientin vorzu¬
stellen, bei der ich zum ersten Male die Operation ausgeführt
habe und zwar vor 2 Jahren. Patientin leidet an Tuberculosis
pulmonum. Sie ist 82 Jahre alt, erste Menses mit 16 Jahren,
die Menses waren mittelstark und schmerzlos. Patientin hat
8 Partus durchgemacbt, davon einmal Zwillinge geboren. Von
den 4 Kindern ist jedoch nur eins am Leben geblieben, die
anderen sind im Alter von 4 bis 6 Monaten gestorben, wie das
frühzeitige Hinsterben der Kinder tuberkulöser Mütter ja so häufig
zu beobachten ist. Am 15. XI. 1910 war ich genötigt, bei ihr
den künstlichen Abort einzuleiten, nachdem die Indikation von
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenkranke bestätigt war.
Die Sterilisierungsoperation führte ich bei ihr am
28. Februar 1911 aus, und zwar auf vaginalem Wege durch
Colpotomia anterior. Die rechten Adnexe exstirpierte ich, da das
rechte Ovarium eine walnussgrosse Cyste aufwies; die Sterili¬
sierungsoperation wurde also in diesem Falle nur linkerseits aus¬
geführt— ich habe sie anderweitig auch doppelseitig ausgeführt.
Die Operation sowohl als auch die Rekonvaleszenz ver¬
liefen glatt. Patientin wurde 18 Tage post operationem geheilt
aus der Klinik entlassen. Es sind bei allen 6 operierten
Fällen nach der Operation keinerlei Unterleibs-
bescbweiden, weder während noch ausserhalb der
Menses aufgetreten; die Menses selbst sind stets un¬
verändert wie vor der Operation bestehen geblieben.
Patientin bat nach der Operation an Gewicht bis zu 8—10 Pfund
zugenommen. Ihre Lungentuberkulose ist noch nicht geheilt, so
dass das Gewicht der Patientin Schwankungen unterliegt.
M. H.L Eine Sterilisierungsoperation ohne die Mög¬
lichkeit der Wiederherstellung der Conceptionsfähigkeit ist in
vielen Fällen nicht angebracht, wo sie sonst indiziert wäre,
z. B. wenn es sich um jüngere Frauen mit einer heilbaren Form
der Tuberkulose bandelt, wenn nur ein oder wenige Rinder vor¬
handen sind, wo später sehr wohl noch der Wunsch nach einem
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
731
weiteren Kinde auftreten kann, sei es, dass alle Kinder ge¬
storben sind oder dass die Frau eine neue Ehe eingegangen
ist, aus der sie wieder ein Kind haben möchte, ln psychischer
Beziehung fernerhin ist es durchaus nicht gleichgültig, wenn
die Patientin das Bewusstsein hat, dass ihre Fruchtbarkeit un¬
rettbar verloren ist. Schliesslich ist aber prinzipiell ceteris
paribus eine konservative Methode einer Opferung von Organen
vorzuziehen.
Ich glaube. Ihnen die Methode empfehlen zu können,
weil an den Tuben und Ovarien selbst sozusagen nicht
gerührt wird, sondern alles sich am Ligamentum latum
abspielt, so dass die grösstmögliche Garantie für die
Möglichkeit der späteren Wiederherstellung der Con-
ceptionsfähigkeit gegeben ist.
Aus der Königlichen Universitätspoliklinik für ortho¬
pädische Chirurgie zu Berlin (Direktor: Professor Dr.
Joachimsthal).
Ueber einen Fall von operativ behandelter
angeborener Missbildung der unteren Ex¬
tremitäten. 1 )
Von
Dr. Siegfried Peltesohn, I. Assistenten.
M.H.! Ich erlaube mir, Ihnen heute ein Kind mit schweren
kongenitalen Missbildungen der unteren Extremitäten zu demon¬
strieren. Der Fall ist in morphologischer und ätiologischer Be¬
ziehung ebenso bemerkenswert, wie in bezug auf den thera¬
peutischen Erfolg.
schenke! sehen wir einen der oberen Tibiahälfte entsprechenden Knochen;
rechterseits fehlt fast jede Ossifikation. Nur etwa in der Mitte zwischen
Femurepiphyse und Fussansatz ist ein bohnengrosser, unregelmässiger
Kuochenschatten erkennbar. Das Kind war imstande, sich mühsam fort¬
zubewegen, wobei es sich auf die konvexen Unterschenkelrudimente
stützte.
Es entstand die Frage, wie man der geistig regen, durch
ihre Missbildung stark deprimierten und dem Spott anderer
Kinder ausgesetzten kleinen Patientin schnell ein möglichst
normales Aussehen und möglichst gute Gehfähigkeit verschaffen
konnte. Es musste zu diesem Zwecke zunächst eine Umformung
der Beine bewirkt werden, um zweckmässige Apparate anlegen
zu können. Demgemäss mussten die Knie gestreckt und die
Figur 1.
Das Kind ist im November 1907 geboren, stammt aus gesunder
Familie, insbesondere sind der Vater und die Mutter wohlgebildet. Die
Mutter hat ein älteres gesundes Kind zur Welt gebracht; wärend sie
mit dem in Frage stehenden jüngsten Kinde schwanger ging, ist sie
nicht krank gewesen. Die Geburt des Kindes
war normal. Das Kind selbst ist als Krüppel
zur Welt gekommen. Es hat, bevor es in unsere
Beobachtung trat, lVW&hr in einem Krüppel¬
heim zugebracht. Dort wurde es an einer rechts¬
seitigen Fingersyndaktylie operiert. Man fertigte
dem Kinde Apparate an, um es gehfäbig zu
machen, was aber in nur recht unvollkommener
Weise gelangen war. Schon kurze Zeit nach
Verlassen des Krüppelheims, in welchem es u. a.
an Scharlach darniederlag, mussten die dem
Kinde gegebenen Apparate fortgelassen und die
Kleine von da ab getragen werden. Die Eltern
sowohl, wie das geistig sehr rege Kind litten
unter diesen Umständen seelisch ausserordentlich.
Ende Februar 1912 wurde uns das Kind von den
Eltern zugeführt.
An dem 4 1 /* Jahre alten Mädchen von grosser
Regsamkeit des Geistes sehen Sie, dass Kopf und
Rumpf normal gebildet sind. An den Oberarmen,
den Unterarmen und der linken Hand finden
sich keine Anomalien. An der rechten Hand
fehlen der vierte und fünfte Finger. Die drei
anderen Finger sind normal beweglich und ihr
Skelett wohlgebildet. Sie erkennen weiter aus den
vor der Behandlung aufgenommenen Bildern (Fig.
la undb), dass, während dieOberschenkel normal
gebildet sind, die Unterschenkel und Füsse rudi¬
mentär sind. Im besonderen ist der linke Unter¬
schenkel etwa halb so lang wie normal. Das
linke Knie ist ankylotisch in einem Flexions¬
winkel von 140°; der Fuss ist adduciert und
in Varusstellung und weist nur zwei Zehen auf.
Der rechte Unterschenkel ist noch kürzer als der
linke, auch er steht zum Oberschenkel, gegen welchen er anscheinend
einige Wackelbewegungen auszuführen erlaubt, in starker Beuge¬
stellung, weist eine hochgradige Bogenform nach hinten auf und
ist straff mit einem sehr kurzen, in Varität befindlichen Fuss, der
eine grosse und zwei zu einer Zehe syndaktyl vereinigte Zehen auf-
weist, verbunden. Die Röntgenbilder (Fig. 2) zeigen, dass die Femora
normal gebildet sind. Die an ihrem distalen Ende befindlichen Epi¬
physen sind etwas grösser, als es der Norm entspricht. Im linken Unter-
1) Nach einem Vortrag, gehalten am 6. Januar 1913 in der Berliner
orthopädischen Gesellschaft.
Unterschenkel und Füsse in eine bessere Richtung mit den Ober¬
schenkeln gebracht werden.
Die Behandlung begann ich Ende Juli 1912. Am 29. Juli resezierte
ich aus der Knie-Epiphyse des linken Beines einen niedrigen Keil mit
vorderer Basis von l^cm Höhe, ohne die Wachstumszonen zu lädiereu.
Die Form des angelegten Querschnitts bestätigte mir, dass die genannte
Epiphyse je einen Kern für Femur und Tibia hatte, also eigentlich aus
zwei Epiphysen bestand. Dann redressierte ich nach Bayer’scher
Tenotomie der Achillessehne den Klumpfuss in plantarer Richtung.
Etwas anders verfuhr ich am rechten' Bein. Da hier eine, wenn auch
nur sehr geringe Beweglichkeit im Kniegelenk zu bestehen schien (eine
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732
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Figur 3.
Figur 4.
Annahme, die sich später als unrichtig und durch die Elastizität der
fibrös-knorpeligen Unterschenkelknochen vorgetäuscht herausgestellt hat),
so führte ich, um die angenommene Beweglichkeit an die richtige Stelle
zu verlegen, die para-artikuläre Korrektur der Flexion des Knies in Form
der subcutanen suprakondylären Femurosteotomie aus und stellte das
distale Stück in Ueberstreckung zu dem proximalen ein. Weiterhin ver¬
längerte ich plastisch die Achillessehne offen, da die Untersuchung eiue
aktive Kontraktibilität des Triceps surae gezeigt hatte, um die Beweg¬
lichkeit später vielleicht ausnützen zu können. Auch hier folgte das
Redressement des Kusses. Nach Anlegung eines das Becken und beide
Beine umschliessenden Gipsverbandes wurde das Kind nach Hause ge¬
schickt. Die Heilung erfolgte per primam ohne jede Störung. Es waren
noch mehrfach adressierende Verbände nötig, bis auch die Füsse die
gewünschte Stellung und Form hatten (Fig. 3). Das Resultat sehen Sie
hier im Röntgenbilde (Fig. 4).
Schon drei Monate nach der Operation konnten Prothesen konstruiert
werden. Die Apparate, die ich für das Kind habe herstellen lassen und
die es jetzt trägt, bestehen jeder aus zwei seitlichen, am Oberschenkel
durch zwei Schellen, die vorn seitlich durch Schnallen geschlossen
werden, verbundenen Schienen. Die rudimentären Unterschenkel und
Füsse ruhen in je einem einfachen Ledertrichter und helfen mit, die
Last des Körpers zu tragen. Das untere Ende der künstlichen Unter¬
schenkel wird durch je einen zurzeit noch unbeweglich mit dem Unter¬
schenkelteil verbundenen Holzfuss gebildet, über welchen ein gewöhn¬
licher Stiefel gezogen ist (Figur 5).
Heute, erst fünf Monate nach Beginn unserer Behandlung, kann das
Kind — wie Sie sehen — tadellos in aufrechter Stellung gehen. Der
Gang ist, wie es bei doppelseitiger Knieankylose nicht anders zu er¬
warten ist, etwas schwerfällig, weil ja bei einem solchen Zustand das
Becken stärkere Pendelbewegungen ausführen muss. Hier kommt noch
hinzu, dass auch die Fussgelenke aktiv und zurzeit auch passiv noch
unbeweglich sind.
Der vorliegende Fall gibt zu einer Reihe von Bemerkungen
Anlass. Rein morphologisch genommen handelt es sich hier bei
in der Form normalen Oberschenkeln jederseits um eine Anky¬
losenbildung der Kniegelenke in Flexionsstellung,
Defektbildung im Bereich der Unterschenkelknochen,
Defektbildung und Syndaktylie an den Füssen, Klurap-
fussstellung der letzteren.
Was diese Deformitäten im einzelnen anbetrifft, so sehen
wir an den Röntgenbildern die Details noch einmal genauer an.
Am linken Kqie erkennen wir das untere Ende des Femur, ein¬
genommen von einer grossen, derben, massiven Epiphyse, die für das
Alter von vier Jahren, in welchem das Kind steht, ein wenig zu gross
ist. Auffallender ist schon ihre Form; die hinteren Teile sind wulstig
nach abwärts aufgetrieben. Die Epiphysenlinie zeigt keine Anomalien.
Soweit zu sehen, hat der sich im stumpfen Winkel anschliessende Unter¬
schenkelknochen keine Epiphyse. Dieses Fehlen der proximalen Epi¬
physen der Unterschenkelknochen ist nach unseren teromorphischen
Kenntnissen von vornherein höchst unwahrscheinlich. Und in der Tat
ist auch in unserem Falle der Epiphysendefekt nur scheinbar
vorhanden. Es handelt sich hier um eine Verschmelzung der Epi-
Figur 5.
physen von Femur und Tibia. Spricht dafür schon die Grösse
und Form des bezeichneten Knochenkerns, so zeigte sich bei der
von mir ausgefürten Resektion, dass zwei durch eine dünne, schräg
verlaufende Knorpelmasse getrennte Epiphysenkerne vorhanden waren.
Während es sich an diesem linken Knie um eine echte knorpelige
und knöcherne Ankylose handelt, lag eine solche Gewissheit über den
Zustand des rechten Knies zunächst nicht vor. Hier schien es mir bei
den verschiedenen Bewegungsversuchen, dass sich in Höhe des Knie¬
spaltes Bewegungen ausführen Hessen. Dagegen schien auch das
Röntgenbild nicht zu sprechen. In diesem Punkte habe ich mich aber
wohl getäuscht. Ich möchte annehmen, dass auch rechterseits eine
knorpelig-knöcherne Ankylose des Knies besteht, bzw. in Ausbildung
begriffen ist. Die Täuschung ist leicht entschuldbar und dadurch her¬
vorgerufen, dass die proximalen Teile des Unterscbenkelknochens, ja
fast der ganze Unterschenkel selbst nur knorpelig ist; seine Elastizität
täuschte Beweglichkeit vor. JZu der Annahme, dass . dieses rechte Knie
ebenso knöchern-ankylotisch werden wird, wie es das linke bereits ist
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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werde ich unter anderem durch den jetzigen (postoperativen) Befund
veranlasst, der eine Verknöcherung der proximalen Unterschenkelteile
zeigt; darauf werde ich später noch zurückkommen. Wir haben es also
in unserem Fall mit doppelseitiger kongenitalerKernverschmelzung
der Knieepiphysen zu tun.
Es muss weiterhin die Frage aufgeworfen werden, welche Form
der Defektbildung am Unterschenkel vorliegt. Wir sehen linkerseits
das Knoohengerüst des Unterschenkels durch eine abnorm kurze, aber
massive, kalkreiche Tibia repräsentiert. Ein zweiter Unterschenkel'
knochen, eine Fibula, fehlt durchaus. Wir würden es demnach mit einem
kongenitalen Fibuladefekt zu tun haben, der, wie so häufig, mit einer
Hypoplasie und Formänderung der Tibia kombiniert ist. Was die
anatomischen Verhältnisse des rechten Unterschenkels betrifft, so zeigt
sich, dass zur Zeit unserer ersten Röntgenaufnahme fast der gesamte
Unterschenkel ossifikationslos ist. Einzig und allein ein auf der Röntgen¬
platte etwa bohnengrosser, unregelmässiger, zerklüfteter Schatten lässt
erkennen, dass auch hier Ossifikationsvorgänge Platz greifen. Es ist
wohl kein Fehlschluss, wenn wir annehmen, dass auch hier ein Defekt
der Fibula voriiegt; dafür spricht die sonstige symmetrische Anlage der
bestehenden Deformität und die sich jetzt nach der Operation ein¬
stellende Ossifikation in der Tibia.
Die Literatur der kongenitalen Missbildungen lehrt, dass der Fibula¬
defekt mit fast gesetzmässiger Regelmässigkeit mit einer Valgität der
Füsse begleitet ist. Wir haben in unserem Falle aber eine Varität der
Füsse vor uns. Da nur wenige Autoren, z. B. Kirmisson, Blumen¬
thal, Scharff, bei kongenitalem Fibuladefekt Verbildung der Füsse
mit einer Varuskomponente gesehen haben, so würden wir in unserem
Falle die seltene Tatsache zu verzeichnen haben, dass der Fibuladefekt
mit Fussvarität vergesellschaftet ist. Betrachten wir die Füsse unserer
Eatientin genauer, so zeigt sich die grosse Zehe beiderseits gut aus¬
gebildet. Nach den lateralen Seiten hin folgt dann jederseits ein ziem¬
lich tief eingeschnittener Raum und dann noch eine bzw. zwei rudimentäre
Zehen, welch letztere miteinander verbunden sind. Röntgenologisch
sehen wir, dass der ganze Tarsus beiderseits völlig knorpelig ist. Das
Fussskelett wird durch zwei bzw. drei Metatarsaldiaphysen und einige
Phalangen repräsentiert. Diese gehören den medial gelegenen Zehen an.
Es fehlen die lateralen Fussstrahlen. Diese Feststellung ist insofern
von Bedeutung, als wir daraus den Schluss ziehen können, dass es sich
auch am Unterschenkel um eine Nichtausbildung des lateralen Strahles
handeln wird, also um eineh Fibuladefekt. Die Fussanomalie unter¬
stützt also unsere Diagnose, dass es sich um doppelseitigen Fibuladefekt
handelt Es fragt sich nur, wie hier die Varusstellung der Füsse zu
erklären ist. Ich glaube, dass dieselbe durch die Torsion der zum
Teil knorpeligen Unterschenkel vorgetäuscht wird. Am linken Fuss be¬
steht allerdings eine Varität am Fuss selbst, ähnlich wie sie bei den
oben citierten Fällen vorlag.
Interessant ist ferner die Hypoplasie der Tibien, die auf der
rechten Seite zurzeit noch geradezu einer Aplasie gleichkommt. Letztere
wird wahrscheinlich später einer ausgedehnten Knochenausbildung weichen,
so dass dann die Uebereinstimmung der Anomalienbefunde der beiden
Seiten noch ausgesprochener sein wird.
Die hier genau analysierte Deformität gehört sicher zu den
selteneren; unter den von Haudek und Scharff zusammen¬
gestellten Fällen von Fibutadefekten und den von Joachimsthal
gesammelten Tibiadefekten finde ich keinmal das Vorkommen
einer kongenitalen Ankylose des Kniegelenks verzeichnet. Dass
der letztgenannte Zustand nicht schon beobachtet worden ist,
wage ich nicht zu behaupten. So häufig auch Anomalien im
Bereich des Femur bei den Defekten der Unterschenkel knochen
beschrieben worden sind, fast immer bestand eine Beweglichkeit,
ja, manchmal eine übermässige, zwischen Ober- und Unterschenkel.
Eine Analogie findet die kongenitale Verwachsung von Femur-
und Tibiaepipbyse in den seltenen Fällen von Verwachsung des
Radius mit dem Humerus bei Ulnadefekt.
Wie die ganze Aetiologie der beschriebenen Deformität zu
denken ist, und zu welcher Zeit bei meiner Patientin diese Miss¬
bildung ihren Anfang nahm, ist nicht leicht zu sagen. In
dieser Hinsicht ist zunächst zu bemerken, dass eine Erblichkeit
oder ein familiäres Auftreten in der Verwandtschaft der kleinen
Patientin nicht festzustellen ist. Auch die Multiplizität der De¬
formitäten scheint mir gegen die Annahme einer im Keime selbst
gelegenen und zur Deformität führenden Anomalie zu sprechen,
denn dann würde auch wohl die letzte der vier Extremitäten,
die linke Hand, nicht so völlig unbeteiligt geblieben sein, wie
es hier tatsächlich der Fall ist. Wir müssen hier vielmehr das
Obwalten intrauteriner raumbeschränkender Momente zur Er¬
klärung heranziehen. Der abnorme Druck, unter dem der Fötus
stand, ist kein diffuser, sondern ein lokalisierter, auf gewisse
prominente Teile beschränkter gewesen. Ob dabei eine Ver¬
wachsung des Amnion mit den geschädigten Teilen die Entwick¬
lung gestört hat oder ob dadurch entstandene Simonart’sche
Bänder die Deformität verursacht haben, will ich hier nicht ein¬
gehend untersuchen, neige aber der ersten Annahme zu. Be¬
merkenswert ist jedenfalls, dass ausser den Beinen auch die
lateralen Finger der rechten Hand lädiert worden sind und dass
gerade der rechte Unterschenkel schwerer in der Entwicklung
gestört worden ist als der linke. Man kann demnach eine inten¬
sivere Einwirkung des schädigenden Agens auf die rechte Seite
des Fötus annehmen. Zu gleicher Zeit dürften die verschiedenen
Missbildungen nicht herbeigeführt worden sein. Es ist vielmehr
nach den entwicklungsgeschichtlich bekannten Tatsachen und der
verschiedenen Schwere der Missbildungen wahrscheinlich, dass
die rechte Hand zuerst, dann das rechte Bein; zuletzt das linke
Bein betroffen worden sind. Ich muss es mir leider versagen,
an dieser Stelle ausführlich darauf einzugehen, wann die Ver¬
bildungen entstanden sein können. Die Hand bildet sich bekannt¬
lich beim Fötus schon sehr früh, etwa io der fünften Lebens¬
woche; zu dieser Zeit muss die erste Einwirkung auf den Fötus
stattgefunden haben. An den unteren Extremitäten ist es nun zwar
in unserem Fall zu einer Differenzierung von Femur und Tibia,
aber nicht mehr zur Bildung des Gelenks zwischen beiden ge¬
kommen. Nach His, Bernays u. a. steht nun wohl ziemlich
fest, dass der Fötus in der neunten Woche noch keinen Knie¬
gelenkspalt hat, während ein solcher in der zwölften Woche
schon deutlich vorhanden ist. Da in der neunten Woche die
Gelenkenden von Femur und Tibia normaliter bereits ausgebildet
sein sollen, so würden wir die Haupteinwirkung des deformieren¬
den Faktors in unserem Falle in die Zeit zwischen fünfter und
neunter Woche zu verlegen habeo. Die hier festgestellte Tat¬
sache, dass die Knochen von Unter- und Oberschenkel ihre Epi¬
physenanlagen, wenn auch verkümmert, besitzen, ist von einiger
Bedeutung; denn wenn im späteren Alter bei unserer Patientin
die Epiphysenfugen verknöchern, so ist mit ziemlicher Sicherheit
eine völlige Verwachsung, ein völliges Aufgehen der beiden
Knochen ineinander zu erwarten, so dass Unter- und Oberschenkel
einen einzigen Knochen mit kontinuierlicher Markhöhle bilden
werden. Das darf man wohl aus den analogen Befunden am
Ellbogengelenk bei Ulnadefekten schliessen. Bekommt man aber
eine solche, eigentlich aus zwei Knochen bestehende Extremität
zu Gesiebt, so ist der Rückschluss auf den früheren Zustand,
nämlich auf das ursprüngliche Vorhandensein beider Epiphysen,
nachträglich kaum noch zu ziehen und scheint mir auch in
manchen Fällen kongenitaler Ellbogenankylose nicht gezogen
worden zu sein.
Nicht uninteressant ist, und das sei hier noch einmal kurz
hervorgehoben, dass bei unserer Patientin die rechte Tibia äusserst
knochenarm ist, die linke einen relativ dazu gut entwickelten
Knochen darstellt. Erstere ist offenbar in einem noch früheren
Stadium der Entwicklung von der knorpligen zur knöchernen Be¬
schaffenheit und schwerer den schädigenden Einflüssen ausgesetzt
worden. Diese intensive Schädigung hat aber die Bildung der
geschützter gelegenen Tibia nicht hindern können, und so sehen
wir denn schon etwa 3 Monate nach Ingebrauchnahme des Beins
an einem Röntgenbilde, wie die bis dahin fast rein knorpelige
rechte Tibia sich stärker mit Kalksalzen imprägniert. Weitere
2 Monate später ist der ursprüngliche Knochenschatten weiter
gewachsen, und es bildet sich ein Kalkdepot auch im distalen
Teil der Tibia (Figur 4). Wir erkennen also daraus die Fähig¬
keit dieser in so früher Zeit der Entwicklung schwer geschädigten
Teile des Skeletts, noch nachträglich, und zwar ziemlich schnell
zu verknöchern. Es bedarf aber dazu günstiger mechanischer
Verhältnisse. Dieser höchst interessante Befund nähert sich einer
Beobachtung Parona’s, welcher bei einem Tibiadefekt das gleiche
Verhalten des fibrösen, die Tibiaanlage repräsentierenden Stranges
feststellen konnte, nachdem er die Fibula in die Fossa intercondy-
loidea femoris implantiert batte.
Ich bin damit zur Besprechung der Therapie gekommen.
Eine Norm lässt sich für die Behandlung derartig komplexer
Missbildungen nicht aufstellen. Immerhin lassen sich doch ge¬
wisse allgemeine Gesichtspunkte festlegen, die vor oder bei der
Behandlung erwogen werden müssen.
Die Gebfähigkeit derartiger Krüppel sobald als möglich her¬
zustellen, muss unser erstes Bestreben sein. Die untere Alters¬
grenze dürfte mit Beendigung des zweiten Lebensjahres gegeben
sein. Vor dieser Zeit ist es nicht ratsam, solche Kinder Opera¬
tionen zu unterwerfen oder sie mit irgendwelchen komplizierteren
Apparaten zu versehen. Andererseits darf man nicht zu lange
warten. Es gilt allgemein als Prinzip, krüppelhafte Menschen
soweit zu bringen, dass sie möglichst wenig der Umgebung als
krüppelhaft auffallen. Das trifft ebensowohl für Erwachsene wie
für Kinder zu, denn die zarte Psyche des Kindes empfindet das
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Gebrechen schon frühzeitig and intensiv. Es nach Möglichkeit
vor dem Spott anderer Kinder za bewahren, ist eine berechtigte
Aufgabe. Das hat aber nicht za geschehen, indem man es in
ein Krüppelheim sperrt. Meine kleine Patientin hat sich, seitdem
sie selbständig gehfäbig geworden ist, auch in psychischer Be¬
ziehung prächtig entwickelt, sie möchte ihre künstlichen Füsse
nicht mehr missen.
Was nun die Frage betrifft, welche Maassnahroen bei der¬
artigen Defektbildongen zu treffen sind, so müssen die Prinzipien
konservativer Chirurgie innegehalten werden. Die ältere
Literatur weist eine grosse Reihe von Fällen auf, bei denen die
deformen Unterschenkel und Füsse, sei es, dass es sich um Tibia¬
oder Fibuladefekte handelte, amputiert wurden. Albert ist der
erste gewesen, der in einem Fall von Tibiadefekt konservativ
vorgegangen ist, indem er bei einem neun Monate alten Rinde
eine Einpflanzung der Fibula in das Femur vorgenommen hat.
Er scheute also nicht vor einer künstlichen Versteifung des bis
dahin beweglichen, allerdings funktionsuntüchtigen Knies zurück.
Auch in meinem Falle habe ich konservativen Maassnahmen den
Vorzug gegeben, indem ich operativ die Unterschenkel in die
Verlängerung der Oberschenkel eingestellt, die Unterschenkelver¬
biegungen gerade gerichtet und die Füsse in plantigrader Richtung
redressiert habe. Zu dem von mir gewählten konservativen Vor¬
gehen sah ich mich aus verschiedenen Gründen veranlasst. Mit dem
eingeschlagenen Verfahren habe ich die Beine des Kindes verlängert
und verhältnismässig feste Streben geschaffen, welche für die An¬
legung von orthopädischen Apparaten sehr geeignet sind, wesentlich
geeigneter, als es vorher der Fall war. Auf diese Weise haben
wir in kürzester Zeit das Kind zum aufrechten Gang gebracht.
Ein anderer Vorteil ist der, dass wir mit verhältnismässig ein¬
fachen Apparaten auskommen. Je kürzer der Stumpf, um so
länger muss der Apparat sein, je länger er ist, um so kürzer
kann dieser sein. Das ist ein für die Kostenfrage wichtiger Punkt.
Ich glaube sicher, dass es in diesem Falle gelingen wird, das
Kind an Apparate zu gewöhnen, die, nur bis dicht oberhalb der
Knie reichend, hier mit einer Schelle endigen.
Wir haben also dem Kinde den Gang ermöglicht; allerdings
nur mit doppelseitiger Knieankylose. Indessen bestand diese
schon vorher. Es entsteht natürlich die Frage, ob man dem
Kinde die Unannehmlichkeiten dieses Zustandes ersparen konnte,
oder ob man wenigstens das eine Knie hätte so gestalten können,
dass ein im Knie artikulierter Apparat angefertigt werden könnte.
Das wäre mit der Amputation der oder wenigstens des einen
Unterschenkels zu erreichen gewesen. Dass ich in dem vor¬
liegenden Fall dem mir von kollegialer Seite gegebenen Rat, die
Amputation auszuführen, nicht gefolgt bin, war richtig, denn dann
wäre es sicher nicht möglich gewesen, das Kind so schnell gut
gehfähig zu machen. Die Amputation, die ja schliesslich immer
noch übrig bleibt, hätte wieder klinische Behandlung erfordert,
und die Kosten der Prothese wären, wenn man die dadurch ge¬
schaffene Bewegungsmöglichkeit hätte ausnutzen wollen, ganz be¬
trächtliche geworden. Solche den Eltern, die durch fast
l 1 /* jährige Unterbringung des Kindes in einem Krüppelheim eine
beträchtliche Schuldenlast (über 1600 M.) gegenüber ihrer Stadt¬
gemeinde kontrahiert haben, aufzubürden, war unmöglich. Nun
war endlich noch die Möglichkeit gegeben, die vorhandenen
Flexionsankylosen einfach weiter bestehen zu lassen und dem
Kinde Beinprothesen zu geben. Die Flexionsstellung der Knie
und die AdduktionssteHung der Unterschenkel Hessen dieses Ver¬
fahren als unzweckmässig erscheinen. Und tatsächlich hatte es
sich ja auch gezeigt, dass diese Form der Prothesen dem Kinde
keine guten Dienste geleistet batte.
Endlich wäre noch eine letzte Möglichkeit hier ins Auge zu
fassen, nämlich die, ob man nicht operativ eine Mobilisierung
der oder wenigstens des einen Knies vornehmen sollte. Die
anatomische Möglichkeit liegt vor. Aber es ist nach den Prin¬
zipien, welche Payr für die Mobilisierung ankylotischer Gelenke
festgelegt hat, klar, dass zur Zeit dieser Weg nicht beschriften
werden kann. Gegen eine operative Mobilisierung spricht nicht
zuletzt die bekannte Tatsache, dass die kongenitalen Ankylosen
eine schlechte Prognose für die Mobilisierung geben, indem die
Knochen * die ausgesprochene Tendenz zur Wiederverwacbsung
zeigen. Später wird ein solches Vorgehen in diesem Falle in
Erwägung zu ziehen seio. Der Fall ist schon aus dem Grunde
besonders hierfür geeignet, weil wir ja hier der funktionell
störenden doppelseitigen Knieankylose gegenüberstehen.
M. HJ Ich glaube, dass wir mit unserer Therapie allen
berechtigten Ansprüchen genügt haben, indem wir in kürzester
Zeit aus einem sich mühsam fortschleppenden Krüppel ein
äusserlich kaum eine Missbildung mehr zeigendes, gut gehendes,
frohes Kind geschaffen haben. Ich betone zum Schluss, dass die
gesamte Behandlung ambulant ohne Schäden durchgefübrt worden
ist, ein Punkt, der für die Kostenfrage von allerhöchster Be¬
deutung ist und nach meinem Empfinden vielfach nicht genügend
berücksichtigt wird.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Uni¬
versität zu Berlin (Direktor; Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Goldscheider).
Die röntgenologische Diagnostik der Magen¬
krankheiten.
Kritisches Uebersichtsreferat.
Von
M. Ehrenreieh-Bad Kissiogen.
Zur Methodik. Um eine radiologische Untersuchung des Magens
vornehmen zu köonen, ist es zunächst erforderlich, dass der zu Unter¬
suchende eine, nach dem Begründer der Magenradiologie so benannte,
Rieder’sche Kontrastmahlzeit zu sich nimmt, welche aus etwa 350g in¬
differenten Breies aus Gries, Mehl, Kartoffeln oder dergl. zu bestehen
pflegt, in den etwa 50 g Bismuth. carbon. oder eine entsprechende Menge
eines anderen Schwermetallsalzes (z. B. Bariumsulfat, Zirkonoxyd) hinein¬
gerührt wurden. Leider herrscht keine Einheitlichkeit über die Art der
zu verwendenden Kontrastmahlzeit. Infolgedessen sind die Resultate der
einzelnen mit verschiedenen Kontrastmahlzeiten arbeitenden Untersucher
in bezug auf die sekretorische und motorische Funktion des gesunden
und kranken Magens nur in beschränktem Maasse vergleichbar, worüber
weiterhin noch einiges gesagt sein soll.
Nach Holzknecht gibt man zweckmässigerweise vor dem Brei
eine Aufschwemmung von Wismut in Wasser zu trinken, um auf diese
Weise feine, für den Brei nicht durchgängige Stenosen zur Darstellung
zu bringen sowie um in bestimmten Fällen das Duodenum mit dem
Pulver füllen zu können, bevor sich der Pylorus schliesst, was bald
nach dem Eindringen der ersten Bissen der Kontrastmahlzeit in den
Magen einzutreten pflegt.
Die eigentliche Untersuchung besteht in der Beobachtung der
Aufnahme und Weiterbeförderung dieser Mahlzeit durch den Magen vor
dem Röntgenschirm (Röntgenoskopie) und nötigenfalls in der
Fixierung des Befundes auf der photographishen Platte (Röntgeno¬
grap hie). Die Röntgenoskopie ist der bei weitem wichtigere Teil der
Untersuchung, jedoch kann man der Röntgenographie in einem grossen
Teil der Fälle nicht entraten. Insbesondere sollte sie nie unterlassen
werden, wenn Verdacht auf Garcinom oder Ulcus callosum besteht, da
auf der Platte oft Feinheiten in die Erscheinung treten, die der Beob¬
achtung vor dem Röntgenschirm entgingen. Die Photographie muss eine
sogenannte Momentphotographie sein, sonst besagt sie für die Differential-
diagnose nichts. Für diejenigen Fälle, bei denen es darauf ankommt
festzustellen, ob die Peristaltik an irgendeiner Stelle unterbrochen ist,
eignen sich sehr gut die Polygrammaufnahmen (Levy-Dorn und
Silberberg), bei denen mehrere Aufnahmen auf eine Platte überein¬
ander gebracht werden. Für den gleichen Zweck leistet auch sehr gutes
die Röutgenkinematographie (Kästle, Rieder, Rosenthal),
deren hohe Kosten allerdings eine allgemeine klinische Anwendung vor¬
läufig aussch Hessen. Eine andere Art von Polygrammen hat
de Quervain vorgeschlagen, nämlich mehrfache Aufnahmen auf einer
Platte zur Feststellung der Verschieblichkeit des Magens oder anderer
Organe sowie Tumoren im Verhältnis zum Magen. Alle derartigen Poly¬
gramme sind ausführbar und zweckmässig besonders zu Zwecken der
Demonstration, doch werden durch die mehrfache Belichtung die Bilder
weniger scharf, so dass stets die Anfertigung einer besonderen Moment¬
aufnahme neben dem Polygramm zu empfehlen ist.
Die Röntgenoskopie hat im einzelnen folgende Punkte zu be¬
achten: die Passage des Breies durch Oesophagus und Cardia, die
Entfaltung des Magens, seine Form, Grösse, Lage und Beweglich¬
keit, und zwar sowohl die aktive als die passive (Massage), die Kon¬
turen des Organs, die Form der Luftblase, die Peristaltik, die
Arbeit des Antrum pyloricum, den Uebertritt des Breies ins Duo¬
denum, den Tonus der Magenwand, den Grad der Saftsekretion und
die Länge der Austreibungszeit.
Die Beobachtung der Passage des Breies durch die Cardia ist
wichtig bei Verdacht auf bestehende Veränderungen der Cardia selbst
oder der Pars cardiaoa ventriculi. Die Entfaltung des Magens durch
die ersten Bissen des Breies soll durch den mehr oder minder grossen
Widerstand, den die Magenwand dabei leistet, einen Hinweis auf den
Tonus des Magens, i. e. seine peristolische Funktion (Stiller) geben.
Die Beweglichkeit des Magens oder seiner einzelnen Teile kann durch
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Verwachsungen, Schrumpfungen und Adhäsionen beeinträchtigt sein.
Man soll es nie versäumen, den Magen auch bei schräger und seitlicher
Durchleuchtung zu betrachten. Manche scheinbare Anomalien, ins-
besondere der Antrumperistaltik, werden dann als solche erkannt, iso¬
lierte Fixationen der Magenwand können genauer lokalisiert werden, der
Tiefendurchmesser des Magens kann ermittelt und damit erst ein sicheres
Urteil über sein wirkliches Fassungsvermögen abgegeben werden.
Dass man sich auch über die sekretorische Funktion des
Magens radiologisch bei der Untersuchung nach Rieder-Mahlzeit ein
sicheres Urteil verschaffen kann, dies gezeigt zu haben, ist das Verdienst
E. Schlesinger's. Beobachtet man nämlich den Magen während der
Verdauung der Bismutmahlzeit in grösseren Zeitabständen, so bemerkt
man, dass sich beim sekretionstüchtigen Magen zwischen dem Brei und
der Luftblase eine für die Strahlen halbdurchlässige, Succusion zeigende
Schicht bildet und sich allmählich verbreitert. Sie wird gebildet durch
das über die Mahlzeit ergossene Magensekret und wird als Inter¬
mediär- oder Saftschicht bezeichnet. Beim achylischen Magen fehlt
sie entweder ganz, oder sie tritt nur in sehr geringem Maasse auf.
Findet sie sich gleich zu Beginn der Mahlzeit, so ist dies nach
Schlesinger ein Hinweis darauf, dass der Magen bereits nüchtern
Sekret enthielt, dass also Supersecretio continua vorliegt. Es kann je¬
doch in solchen Fällen, wenn es sich um ektatische Mägen mit flüssigen
Retentionsmassen handelt, die Intermediärschicht durch eben diese
flüssigen Retentionsmassen gebildet sein (Schmieden und Härtel). In
diesen Fällen wird man besonders darauf achten, ob die Schicht sich im
weiteren Verlauf verbreitert oder nicht.
Zur Beurteilung der Intermediärschicht muss man sich vor Augen
halten, dass ihr Vorhandensein zunächst nur die Anwesenheit einer
Flüssigkeit im Magen beweist. Diese kann sich aus verschiedenen Kom¬
ponenten, wie Speichel, Magensaft, Darmsaft und Verdünnungsekret
(Strauss) zusammensetzen. Insbesondere ist zu bedenken, dass die
vielfach zum Anrühren des Griesbreies verwendete Milch in den meisten
Fällen zu einem dauernden Rückfluss flüssigen Duodenalinhalts führen
wird, wodurch sich der Befund einer dauernden Iutermediärschicht auch
bei vollständigem Darniederliegen der Magen Sekretion erklärt (Schle¬
singer). Man kann sich nach Schlesinger allenfalls noch überzeugen,
ob der Magen Salzsäure enthält, indem man eine Lösung von Natrium
bicarbonicum nachtrinken lässt und feststellt, ob sich infolge Bildung
von C0 2 die Magenluftblase vergrössert. Jedoch erscheint es gewagt,
aus dem Maasse dieser Zunahme oder der Breite der Intermediär¬
schicht feinere Störungen der Sekretion erschliessen zu wollen.
Wollte man die Methode aber nach dieser Richtung ausbauen, so müsste
man stets die gleiche Kontrastmahlzeit geben, die verschiedene Be¬
dingungen zu erfüllen hätte. Sie dürfte zunächst, um Rückfluss tunlichst
auszuschliessen, keine Fettbestandteile enthalten, sie sollte ferner mög¬
lichst wenig säurebindende Stoffe führen, und sie müsste schliesslich
schmackhaft sein, um die Sekretion anzuregen. Es wäre aussichtsreich,
mit Einhaltung dieser Kautelen sondenscheue, ältere Leute mit nach¬
gewiesenem Ulcus unter dauernder röntgenologischer Kontrolle zu halten,
um aus dem Zurückgehen der Sekretion möglichst zeitig feststellen zu
können, ob das Ulcus in Carcinom übergeht, was bisher mit den ge¬
bräuchlichen röntgenologischen Methoden kaum zu erkennen möglich war.
Eine andere Methode zur Prüfung der sekretorischen Magenfunktion
stammt von Schwarz und besteht darin, dass der zu Untersuchende
mit einem Probefrühstück eine Fibroderm-Pepsin-Wismutkapsel zu sich
nimmt, deren bindegewebige Hülle durch den salzsäurehaltigen Magen¬
saft aufgelöst wird, ein Vorgang, den man röntgenologisch verfolgen
kann. Die Methode dürfte jetzt nur selten mehr zur Anwendung ge¬
langen.
Empfehlenswert scheint eine neuerdings von Fujinami angegebene
Prüfung des nüchternen Magens auf Anwesenheit von Sekret. Er ver¬
abreicht den Patienten morgens nüchtern mit etwas Wasser zwei Wismut-
kapselo, von denen die eine spezifisch schwerer, die andere spezifisch
leichter als Wasser ist, so dass eine Kapsel auf den unteren Magenpol
sinkt, die andere auf dem Flüssigkeitsniveau schwimmt. Solche Kapseln
hat zuerst Schwarz angewandt. Die Methode ist natürlich nur an¬
wendbar bei Mägen, die keine motorische Insuffizienz zweiten Grades
aufweisen, wovon man sich vorher überzeugen muss.
Die Prüfung der motorischen Magenfunktion geschieht durch
Ermittelung der Austreibungszeit der Kontrastmahlzeit (Rieder,
Jolasse, Schwarz und Kreuzfuchs, Kästle, Haudek u. a.).
Die Anschauungen über die normale Austreibungszeit der Rieder-
Mahlzeit haben im Laufe der Zeit vielfache Wandlungen erfahren. Die
Verschiedenheit der verschiedenerorts üblichen Kontrastmahlzeiten hat
sicherlich hierbei mit verwirrend gewirkt. Es ist gewiss für die Aus-
treibuogszeit nicht gleichgültig, ob die Mahlzeit Fett enthält oder nicht,
da bekanntermaassen Fett die Verweildauer der Speisen im Magen ver¬
längert. Zurzeit ist es ziemlich allgemein üblich, als oberste Grenze für
die Verweildauer der Wismutmahlzeit im Magen den Termin von sechs
Stunden anzunehmen. Nach Haudek ist der gesunde Magen nach
dieser Zeit leer, oder er enhält nur noch geringe Reste, etwa bis der
Mahlzeit. Die Festsetzung der Sechsstdndengrenze ist äber ziemlich
willkürlich und steht im Widerspuch mit der Tatsache, dass die meisten
gesunden Mägen in zwei bis fünf Stunden mit der Mahlzeit fertig werden.
Andererseits gibt es erwiesenermaassen Mägen, die die Mahlzeit erst in
sechs bis acht Stunden bewältigen, ohne dass bei ihnen ein anatomisches
Passagehindernis vorliegt. Die Ursache dieser physiologischen Schwan¬
kungen aufzuklären bat Holzknecht mit Erfolg unternommen. Er
knüpfte an die Vorstellung Schlesinger’s an, der vier Grundformen
des Magens unterscheidet, die durch den Tonus der Mägen bedingt sind,
und zwar 1. hypertonische, 2. orthotonische, 3. hypotonische,
4. atonische Mägen.
Hypertonischer Magen Orthotonischer Magen Hypotonischer Magen Atonischer Magen
c*. 2—3 Std. ca. 3—5 Std. ca. 4-6 8td. ca. 6-8 Std.
1 und 2 entsprechen den sonst als normal angenommenen Formen
der Holzknecht’schen Stierhorn- bzw. Grödel’schen Hackenform,
3 und 4 entsprechen graduell verschiedenen Ptosen. Holzknecht hat
nun angegeben, dass jeder dieser Formen eine andere — auf der obigen,
der Holzknecht’schen Arbeit entlehnten Skizze angegebene — Aus¬
treibungszeit eigen sei. Demnach ist z. B. die Zeit von acht Stunden
bei einem atonischen Magen noch als normal anzusehen, während sie
beim hypertonischen Magen als Zeichen geringer motorisoher Insuffizienz
zu betrachten wäre. Diese Auffassung hat sehr viel Bestechendes und
stellt, wenn sie sich bewährt, eine ausserordentliche Verfeinerung der
Motilitätsprüfung dar. Bis zu weichem Grade man aus der vermehrten
Austreibungszeit dabei Schlüsse auf ein anatomisches Passagehindernis
ziehen kann, müssen erst weitere, an operativ kontrolliertem Material
gemachte Beobachtungen erweisen. Zu beachten ist die von Schle¬
singer gemachte Erfahrung, dass die einzelnen Formen während der
Nahrungsaufnahme oder auch während der Verdauung (Haudek) in die
nächstfolgende übergehen können.
Von Haudek stammt der Vorschlag, die Motilitätsprüfuug der
eigentlichen Röntgenoskopie in der Weise vorauszuschicken, dass man
die Patienten sechs Stunden vor der Untersuchung eine Rieder-Mahlzeit
zu sioh nehmen lässt und die Untersuchung mit der Restbestimmung be¬
ginnt. Diese Methode bietet einige Vorteile vor der gesonderten Bestim¬
mung der Austreibungszeit, insbesondere den der Zeitersparnis. Auch
ist es in vielen Fällen, wenn Reste vorhanden sind, möglich, aus deren
Form Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden pathologischen Prozess
zu ziehen. Dem stehen aber auch eine Reihe von Nachteilen gegenüber,
z. B. der Umstand, dass durch die Vorfüllung auf der Platte manchmal
störende Schattenbildungen seitens der mit Wismut gefüllten Därme
auftreten, welche die Deutung des Bildes erschweren können. Ausser¬
dem ist die Beurteilung der sekretorischen Funktion des Magens bei
derartigem Vorgehen ausserordentlich erschwert, da die Magensaft¬
sekretion stets eine viel reichlichere ist, wenn der Patient nüchtern
war, als wenn sein Magen eben eine Rieder-Mahlzeit bewältigt hat, wovon
man sich leicht überzeugen kann. Dazu kommt der Nachteil, dass
die Hypermotilität auf diese Weise leicht der Beobachtung entgehen kann.
Eine andere Prüfung auf „rohe Motilität“ nach Sahli ist neuer¬
dings von Fujinami und Holzknecht empfohlen worden. Sie besteht
darin, dass man durch radiologische Beobachtung der oben erwähnten
schwimmenden und sinkenden Kapseln die Verweildauer von 200 ccm
Wasser im Magen feststellt, wie dies Kästle zur Bestimmung der Ver¬
weildauer von Flüssigkeiten bereits früher empfohlen hatte. Die Methode
ist einfach auszuführen und entspricht der klinischen Methode von
Sahli und der Chlorophyllmethode von Boas. Die Ergebnisse der
beiden Methoden zeigen jedoch unaufgeklärte Differenzen. So fanden
Holzknecht und Fujinami als normale Verweildauer für 200 ccm
Wasser 60—70 Minuten, Kästle für 250 ccm Wasser etwa
110 Minuten, Boas dagegen für 400 ccm Wasser nur 25—30 Minuten.
Ob die Angabe Holzknecht’s und Fujinami’s, dass es mit Hilfe
dieser Methode möglich sei, zu entscheiden, ob die verlängerte Aus¬
treibungszeit der Rieder-Mahlzeit eine Folge von Spasmus oder so¬
genannter Stenose im bestimmten Fall sei, sich bewähren wird, muss
unter diesen Umständen weiteren Untersuchungen Vorbehalten bleiben.
Die Lage- und Formveränderungen des Magens sind
radiologisch ohne” weiteres erkenntlich. Von den Lageanomalien
gebührt von altersher der Gastroptose der Rang eines selb¬
ständigen Krankbeitsbildes. Bei der erworbenen Gastroptose be¬
trifft die. Senkung anfangs nur die mittlere Magenpartie, da der
Magen an Cardia und Pylorus fixiert ist. Dadurch entsteht eine
Sdhlauchform mit einem längeren absteigenden und einem kürzeren
aufsteigenden Schenkel. Erst später erfolgt Lockerung und
Tiefer treten des Pylorus — Pyloroptose (Grödel). Die Be¬
urteilung des Grades der Ptose bat die Zugfoirkung des Gewichts
der Mahlzeit in Rechnung zu stellen, die beim muskelkräftigän
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Magen nur einen geringen, beim ptotisch-atonischen Magen einen
um so stärkeren Ausschlag gibt (Bloch, v. Elischer). Ptose
und Atonie sind sehr häufig vereint. Die Atonie äussert sich als
fehlende Peristole, doch braucht bei ihr die Austreibungszeit nicht
verlängert zu sein. Nach Grödel kann es bei hochgradiger
Atonie zur Ectasia ex atonia kommen. Viele Röntgenologen
gebrauchen diesen Ausdruck in seinem ursprünglichen klinischen
Sinne, als ob eine wirkliche Magenerweiterung infolge der Ektasie
entstanden wäre, eine Auffassung, die Boas mit Recht als im
Widerspruch mit den Erfahrungen der Klinik stehend, entschieden
ablehnt.
Das Dlcus ventriculi.
Das flache Ulcus ventriculi ist der direkten röntgenologischen
Darstellung nicht zugänglich. Darin sind sich jetzt nahezu alle
Röntgenologen einig. Bis vor kurzem hat man immer wieder,
von der Tatsache ausgehend, dass auf dem Gescbwürsgrunde
Wismutpartikel längere Zeit fest haften bleiben, versucht, ein
circumscriptes Wismutdepot auf dem Ulcus zu erzeugen und radio¬
logisch darzustellen. Alle derartigen Versuche sind als gescheitert
zu betrachten, was um so bedauerlicher ist, als sich das nicht
blutende, unkomplizierte Ulcus auch allen klinischen Unter¬
suchungsmethoden gegenüber als recht unzugänglich erweist. Es
gibt radiologiscb nur eine Reihe von Symptomen, die mit
mehr oder minder grosser Sicherheit zugunsten der Diagnose
Ulcus simplex verwertet werden können, deren Fehlen aber gar
nichts gegen die Diagnose Ulcus beweist.
Das wichtigste dieser Symptome ist die tiefe, schmale Ein¬
ziehung der grossen Kurvatur, die sich zuweilen jedoch
durchaus nicht immer findet, wenn das Ulcus an der kleinen
Kurvatur sitzt. Wird diese Einziehung bei mehrfacher Unter¬
suchung konstant und an derselben Stelle gefunden, und ver¬
schwindet sie auch nicht nach Injektion von 1 mg Atropin, sulf.
(Rieder), so ist das Vorhandensein eines floriden Ulcus oder
einer Narbe (Schmieden und Härtel) an der entsprechenden
Stelle der kleinen Kurvatur sehr wahrscheinlich. Die sonstigen
radiologischen Ulcussymptome sind noch unsicherer. Als ein solches
wird die verlängerte Austreibungszeit des Bi-Breies an¬
gegeben, die ihrerseits eine Folge des durch Superacidität be¬
dingten Pyloro8pasmus sein soll, der angeblich bei jedem, auch
dem Pylorus fernen, Ulcus vorhanden sein soll (Haudek). Gegen
diese Auffassung sind verschiedenfach Einwendungen gemacht
worden (Faulhaber). Nun sprechen sicherlich manche Momente
für die Richtigkeit der Anschauung, dass die längere Verweilzeit
bei Superacidität eine Folge von Pylorospasmus ist, doch geht
es gewiss zu weit, aus der verlängerten Austreibungszeit zu
schliessen, dass Superacidität bestehe, und dass diese durch Ulcus
bedingt sei, denn einmal gibt es Superaciditäten anderer Aetio-
logie und ausserdem ist nicht jedes Ulcus von Superacidität be¬
gleitet.
Jonas hat als radiologisches Ulcussymptom angegeben das
Vorhandensein eines auf eine bestimmte Stelle des Magens be¬
schränkten Druckpunktes, der mit der Lageveränderung des
Magens durch Baucheinziehen oder Massage entsprechend seine
Lage verändert. Faulhaber u. a. fanden dies Symptom wenig
ergiebig.
Nach Schmieden und Härtel spricht für Ulcus ad Curvat.
minor. die sogenannte „schneckenförmige Einrollung“ der
kleinen Kurvatur, die dadurch zustande kommt, dass das Ulcus
immer mehr der gesunden Schleimhaut seiner Umgebung in sich
hineinfrisst, so dass in ausgesprochenen Fällen der Pylorus in die
Nähe der Cardia zu liegen kommt. De Quervain hat jedoch
neuerdings gezeigt, dass auch dieses als sehr zuverlässig geltende
Symptom zu Täuschung Anlass geben kann, da er in einem
ausgesprochenen derartigen Fall operativ keine Veränderung an
der kleinen Kurvatur finden konnte.
Günstiger für den radiologischen Nachweis liegen die Ver¬
hältnisse beim Ulcus callosum und Ulcus penetrans. Vor
allem Haudek, neben ihm Faulhaber, ferner Reiche haben
gezeigt, dass es gelingt, diese Ulcera, wenn sie günstig sitzen,
zur direkten radiologiscben Darstellung zu bringen. Sie prä¬
sentieren sich als divertikelartige Ausbuchtungen, die breit oder
pilzförmig dem Magenschatten aufsijzen oder auch räumlich voll¬
ständig von ihm getrennt erscheinen können. Findet sich über
einer Nische noch eine kleine Luftblase, so ist nach den über¬
einstimmenden Berichten aller bisherigen Beobachter der Schluss
gestattet, .dass Ulcüs perforans vorliegt. Dieser Befund scheint
für das Ulcus perforans in der Tat pathognomonisch zu sein.
Haudek gibt als weitere Kennzeichen dieser Nischen an, dass
sie längere Zeit zu persistieren pflegen, wenn der Brei den
Magen bereits verlassen hat, dass sie meist palpatorisch nicht
zu beeinflussen sind, sowie dass sie zuweilen durch ent¬
sprechende Lagerung des Patienten angereichert werden können.
Manchmal muss man seitlich durchleuchten, um sie aufzufinden.
Nach Faulhaber findet sich häufig spastischer „Sanduhr“-
magen mit Ulcus callosum bzw. penetrans kombiniert. So
beweisend dieser Symptomenkomplex für Ulcus callosum und
gegen Carcinom ist, so muss man doch nicht vergessen, dass
häufig das callöse Geschwür in Carcinom übergeht, ein Vorgang,
der, wie einige Fälle zeigten, der radiologischen Beobachtung
leicht entgehen kann (Strauss, Brandenstein, Holzknecht).
Von den Folgezuständen des Ulcus sind röntgenologisch
interessant der Sanduhrmagen und die Pylorusstenose.
Der Sanduhrmagen wird von den Radiologen immer als
diejenige Magenerkrankung hingestellt, die erst durch die Rönt¬
genologie in ihrer Häufigkeit richtig erkannt wurde. Das ist
sicher richtig. Aber ebenso richtig ist es, dass gerade durch die
Röntgenmethode die Häufigkeit des Sanduhrmagens ausser¬
ordentlich übertrieben und der klinische Begriff desselben ver¬
wirrt wurde. Denn durchaus nicht alles, was sich radiologisch
als Sanduhrmagen darstellt, ist anatomisch ein solcher. Oft zeigt
die Platte einen Magen, der förmlich in zwei Säcke gespalten ist, die
manchmal sogar überhaupt keine Verbindung miteinander zu
haben scheinen. Wird nun das Abdomen operativ eröffnet, so
findet sich oft ein ganz anderes Bild (Faulhaber). Der Magen
stellt sich dann als einheitlicher Sack dar, der an der Stelle der
röntgenologisch sichtbaren Einziehung etwa eine Narbe oder peri-
gastrische Verwachsungen zeigt, die vielleicht auch eine gewisse
Verengerung des Lumens bewirkt haben, durch die man aber
immerhin eine Kinderfaust bequem hindurchführen kann, so dass
also von einer funktionellen Passagestörung keine Rede sein kann.
Merkwürdigerweise haben solche Mägen gerade den Namen
„funktionelle“ Sanduhrmägen bekommen. Besser ist die vielfach
gebrauchte Bezeichnung: spastischer Sanduhrmagen, da es tat¬
sächlich ein Spasmus war, der die Sanduhreinschnürung vor¬
getäuscht oder zum mindesten stark übertrieben hatte (Jonas,
A. Schmitt). Aber auch die Bezeichnung spastischer Sanduhr¬
magen besagt zuviel, denn in Wirklichkeit handelt es sich gar
nicht um einen anatomischen Sandubrmagen. Richtiger wäre
schon die Bezeichnung Ulcus spasticum bzw. Perigastritis
spastica. Die Radiologen haben es aber nicht über sich gebracht,
diese Formen aus dem Kapitel: Sanduhrmagen in dasjenige, in
welches sie eigentlich gehören, nämlich: Ulcus und Perigastritis
zu überweisen. Würde dies geschehen, so würde sich bald heraus-
stellen, dass der echte anatomische Sandubrmagen eine ziemlich
seltene Erkrankung ist. Ist man sich erst darüber klar, dass
alle spastischen (auch intermittierende, funktionelle, entzündliche
genannten) „Sanduhrmägen“ diese Bezeichnung nicht verdienen,
so ergeben sich auch ohne weiteres die Fragen, welche die radio¬
logische Untersuchung zu beantworten hat, sobald auf dem
Röntgenschirm das Bild des in der Mitte abgeschnürten Magens
erscheint. Diese Fragen sind:
Echter oder falscher Sanduhrmagen?
Wenn echter: Gutartiger oder bösartiger Sanduhr¬
magen?
Wenn falscher: Wodurch verursacht?
Dabei wäre zunächst allgemein die Vorfrage zu ent¬
scheiden, von welchem Grade der Verengerung ab man überhaupt
von anatomischen Sanduhrmägen reden will, denn der echte
Sanduhrmagen entsteht nicht plötzlich, sondern er bildet sich
allmählich durch narbige Schrumpfung. Solange die Enge noch
so wenig ausgesprochen ist, dass die Ingesta glatt passieren,
kann man nicht gut von einer Sanduhrenge sprechen. Es wird
sich vielleicht empfehlen, eine solche anzunehmen, wenn das
Lumen so eng ist, dass eine dicke Sonde nicht mehr durchgeht,
da dann ungefähr eine funktionelle Beeinträchtigung der Passage
zu beginnen pflegt.
Zur Entscheidung der Frage „wahrer oder spastischer Sand¬
uhrmagen“ werden verschiedene radiologische Kennzeichen an¬
gegeben. Für Spasmus soll es sprechen, wenn sich.bei Beginn der
Mahlzeit sö|leich der untere, pylorische Sack füllt (Faulhaber),
was — nebenbei — am besten beweist, dass ein funktionelles
Passagehindernis durch den Spasmus nicht gebildet wird, ferner
wenn das Lumen inkonstant ist (Härtel), wenn die Einschnürung
sich nach Verabreichung von 1 mg Atropin löst (Rieder). Für
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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wahren Sandnhrmagen spricht es, wenn der Brei sich zunächst
lange Zeit im oberen, cardialen Sack aufbält und nur zögernd
in den unteren Sack gelangt (Faulhaber), ferner wenn der
cardiale Sack eine divertikelartige Ausbuchtung zeigt. Finden
sich diese Zeichen, so ist die Enge auch wahrscheinlich so hoch¬
gradig, dass eine dicke Sonde nicht passieren kann. Ein radio¬
logisches Mittel, den Grad der Verengerung festzustellen, haben
wir nicht, da man nicht ermitteln kann, weicher Anteil der Ver¬
engerung auf das Konto etwa begleitender Spasmen zu rechnen
ist. Sicher ist, dass die angeführten radiologischen Kennzeichen
des wahren Sanduhrmagens sich erst bei hochgradigen Ver¬
engerungen finden, woraus also folgt, dass die Röntgenunter¬
suchung den echten Sanduhrmagen einerseits nur in sehr vor¬
geschrittenem Stadium erkennen kann, andererseits aber oft einen
Sanduhrmagen vortäuscht, wo es sich nur um ein mit Spasmen
kombiniertes Ulcus oder Perigastritis oder Erosion oder gar um
Spasmen ohne anatomische Ursache handelt.
Leichter zu entscheiden ist oft die wichtige Frage, ob
benigne oder maligne Sanduhrform. Bei den benignen Formen
sitzt die Enge meist an der kleinen Curvatur, woraus eine B-Form
des Magens resultiert; die Konturen der grossen Curvatur pflegen
scharf zu erscheinen, die Querraffung des Magens ist oftmals der
Länge nach wenig ausgedehnt (Kretschmer, Haudek), der
cardiale Sack ist elastisch dehnbar (Faulhaber), es finden sich
manchmal streifenförmige Stränge im oberen Sack (Schmieden).
Beim carcinomatösen Sanduhrmagen pflegt die Enge mehr median
oder nahe der grossen Curvatur zu liegen (X-Form), die Curva-
turen zeigen verwaschene Konturen, zackige Begrenzungslinien
oder auch kleine Füllungsdefekte, die Wandverengerung ist häufig
der Länge nach sehr ausgedehnt bei relativ geringer Schrumpfung.
Ist der Sanduhrmagen durch einen infiltrierenden Scirrhus ver¬
ursacht, so können allerdings die Konturen sehr glatt und scharf
erscheinen, doch fehlt dann meist die Peristaltik, auch zeigt der
cardiale Sack dann oft Trichterform und mangelnde Elastizität.
Alle diese Kennzeichen können versagen, und man sieht
zuweilen echte gutartige Sanduhrmägen, deren sichere radio¬
logische Unterscheidung von carcinomatösen unmöglich ist.
Die Beantwortung der Frage nach den Ursachen des
spastischen Sanduhrmagens im einzelnen Fall ist röntgenologisch
und auch klinisch vorläufig nur in einem kleinen Teil der Fälle
möglich. Als veranlassende Ursachen für spastischen Sandahr¬
magen sind beschrieben: Ulcerationen der kleinen Curvatur (de
Quervain, Faulhaber), Perigastritis, Ulcusnarben (Schmieden-
Härtel), Operationsnarben (de Quervain, Stierlin), Ulcus
duodeni (Baron-Barsony). Es kommen aber auch spastische
Einziehungen ohne jegliche anatomische Ursache vor (de Quer¬
vain, Stierlin), doch dürften sie zu den grössten Seltenheiten
gehören. Sie sollen sich durch Inkonstanz von den anatomisch
bedingten unterscheiden. Die radiologische Entscheidung der
Frage, welche der genannten Ursachen im gegebenen Falle die
Einziehung bewirkte, ist eigentlich nur in den Fällen mit
Sicherheit möglich, bei denen sich neben dem Spasmus eine
Haudek’sche Nische findet.
Zu erwähnen ist noch die Tatsache, dass wahre Sanduhr¬
mägen auch der röntgenologischen. Kognition leicht in jenen
seltenen Fällen entgehen können, bei denen die Stenose dicht
vor dem Pylorus liegt, sowie dass das Bestehen einer Sanduhr
vorgetäuscht werden kann durch den Druck benachbarter Tumoren
oder gasgeblähter Darmschlingen auf den Magen, sowie durch die
Ausziehung der oberen Magenpartie bei Gastroptose.
Die Pylorusstenose mit konsekutiver Magenektasie macht
in ausgesprochenen Fällen ein wohl charakterisiertes radiologisches
Bild. Der Magen ist nach der Länge, mehr noch nach der
Breite und Tiefe vergrössert, der Pylorus liegt weit nach
rechts (Rechtsdistanz von Strauss). Die Austreibungszeit
ist enorm verlängert, sie beträgt oft 24 Stunden bis mehrere
Tage (Jolasse, Kästle, Haudek), die Mahlzeit füllt den er¬
weiterten Magen nicht aus und liegt als breiter, halbmondförmiger,
weit nach rechts reichender Schatten im tiefsten Teil des Magens.
Bei beginnender Stenose ist die Hackenform des Schattens meist
noch erhalten. Die Peristaltik verhält sich verschieden. Bei
guter Kompensation der Stenose ist sie sehr kräftig, tief ein¬
schneidend und sehr hoch einsetzend, bei bestehender Dekompen¬
sation zeigt sie baldige Erlahmung. Antiperistaltik wurde
\ron einzelnen Beobachtern sehr häufig, von anderen nur ganz
selten beobachtet; wahrscheinlich sind Verschiedenheiten der
gebrauchten Kontrastmahlzeiten dafür die Ursache. Ein Früh¬
symptom der Pylorusstenose, wie Jonas ursprünglich annahm,
ist die Antiperistaltik nicht, da sie auch bei organischen Affektionen
der Pars pylorica beobachtet wurde (Haudek, Holz kn echt).
Man hat versucht, den Grad der Verengerung bei Pylorus- und
anderen intestinalen Stenosen mit Hilfe säurefester, wismuthaltiger
Kapseln von verschiedener Grösse festzustellen. Die Zwecklosig¬
keit solcher Untersuchungen hat Fujinami erwiesen, der fest¬
stellte, dass derartige Kapseln einerseits im Magen stark quellen,
andererseits aber so weich werden, dass sie sich durch ganz enge
Stenosen hindurchzwängen können.
Das Magencarcinom.
Die Differentialdiagnose des Magencarcinoms hat durch die
radiologischen Untersuchungen speziell von Holzknecbt, sowie
von Jonas, Fanlhaber, Schmieden und Härtel, Haudek u. a.
eine wesentliche Förderung erfahren. Die röntgenologischen
Symptome sind verschieden, je nach Sitz und Art des Carcinoms.
Der Scirrhus des Magens, der infiltrierend wächst, führt jene
Magenform herbei, die als Schrumpfmagen (Jonas) bezeichnet
wird. Der Schrumpfmagen verrät sich radiologisch durch seinen
Hochstand, seine Kleinheit, geringe aktive und passive Beweg¬
lichkeit und fehlende Peristaltik an den infiltrierten Partien.
Oftmals findet man eine links konvexe Ausbuchtung der kleinen
Curvatur, manchmal eine Erweiterung der Pars superior. Beim
Schrumpfmagen ist die Hackenform stets aufgehoben, der Pylorus
bildet den tiefsten Punkt des Magens. Ist die Cardia mitergriffen,
so staut sich der Speisebrei in den Oesophagus hinein. Fast
immer besteht Insuffizienz des Pylorus, durch den der Brei in
kontinuierlichem Strom den Magen verlässt. Die Austreibungszeit
ist verkürzt. Gelegentlich sieht man die linke Zwerch feil kuppe
durch die Schrumpfung herabgezogen.
Die fungösen und medullären Magencarcinome bewirken
Scbattenaussparungen oder Füllungsdefekte im Schatten¬
bilde des Magens. Die Grenzlinien zwischen Füllungsdefekten
und Magenbild pflegen dabei verwaschen und oft gezackt auszu¬
sehen. An der Pars pylorica machen die medullären Carcinome
besonders charakteristische Bilder. Oft fehlt die ganze Pylorus-
partie auf dom Bilde, der Brei erscheint erst wieder im Duo¬
denum. So entsteht die sogenannte Carcinomdistanz. Der
Kanal, der durch das Carcinom führt, ist dann so eng, dass seine
Füllung auf dem Bilde nicht in Erscheinung tritt. Manchmal
ist der Kanal weit und dauernd mit Bi-Brei gefüllt, dann er¬
scheint er auf dem Bilde als Zapfen mit mehr oder weniger un¬
scharfen Konturen. Solche, Carcinomzapfen genannte, Gebilde
findet man jedoch zuweilen auch dann, wenn der Tumor nur eine
kleine Stelle der Circumferenz einnimmt und auch, wenn er prä-
pylorisch sitzt. Den Sitz des Carcinoms kann man dann daran
erkennen, dass an ihm die Peristaltik abbricht, während sie an
der gegenüberliegenden Seite noch vorhanden ist. Der medulläre
Krebs des Pylorus führt selbst bei ziemlich hochgradiger Stenose
nicht immer zu radiologisch nachweisbarer Retention, in anderen
Fällen bildet sich wiederum Ektasie und Stauung aus. Die Ur¬
sache dieser Verschiedenheiten ist noch nicht geklärt. Findet
man eine sehr hochgradige Ektasie und Dilatation in Verbindung
mit Pyloruscarcinom, so ist die Annahme berechtigt, dass das
Carcinom auf dem Boden einer alten Ulcusstenose gewachsen ist,
da der Verlauf des Carcinoms meist ein zu rascher ist, als dass
es zur Ausbildung einer hochgradigen Magenerweiterung kommen
könnte. Dagegen führt nach Faul h ab er der Scirrhus des
Pylorus stets zur Stauungsinsuffizienz.
Medulläre und fungöse Carcinome der Pars media er¬
kennt man ebenfalls an den durch sie bewirkten Schattenaus¬
sparungen und dem Fehlen der Peristaltik an der Stelle ihres
Sitzes. Sie zeigen zuweilen das Bild des carcinomatösen Sand¬
uhrmagens, dessen Differentialdiagnose gegenüber dem benignen
Sandubrmagen oben abgehandelt wurde. Carcinome der
Vorder- und Hinterwand entziehen sich leicht der Beob¬
achtung bei sagittaler Durchleuchtung. Sie werden oft erst
sichtbar, wenn man mit dem Schirm einen leichten Druck auf
den Bauch ausübt und so den Brei wegdrängt, der zwischen
Carcinom und gegenüberliegender Magenwand liegt. Es empfiehlt
sich bei allen carcinomverdächtigen Mägen, die Füllung des
Magens vor dem Röntgenschirm während des Essens zu beob¬
achten, da man hierbei manchmal kleine Füllungsdefekte sieht,
die bei weiterer Anfüllung wieder verdeckt werden.
Carcinome der Cardia erkennt man an der durch sie be¬
wirkten Stauung und Regurgitation des Breies in den
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
unteren Oesopbagasabschnitt. Bei circulärem Cardiacarcinom
kann man gewöhnlich den das Carcinom durchbohrenden Kanal
erkennen. Tumoren der Pars cardiaca, die die Cardia selbst nicht
ergriffen haben, sind röntgenologisch sehr schwer zu diagnostizieren,
da die Breifüllung nicht so weit hinaufreicht. Für darauf ver¬
dächtige Fälle empfiehlt Faulhaber die Aufblähungsmethode.
Durch die Aufblähung sollen diese Tumoren als Schattenbildungen
innerhalb des Fundusteiles zum Vorschein kommen.
Verschiedene Autoren (de Quervain, Dietlen, Strauss)
haben darauf hingewiesen, dass sowohl das Bild des carcinoma-
tösen Schrumpfmagens als auch Füllungsdefekte, Schattenaus¬
sparungen usw. vorgetäucbt werden können durch extraventri-
culäre, mit dem Magen verwachsene Tumoren und durch peri-
gastrische Stränge. Auch der Druck der lordotischen Wirbelsäule
auf den Magen soll gelegentlich Füllungsdefekte vorspiegeln,
v. Bergmann sah vollständigen Pylorusdefekt infolge von Spas¬
mus bei Ulcus.
Ueber die Frage, ob ein Tumor noch resezierbar ist, soll die
Röntgendurchleuchtung ebenfalls Aufschluss geben können. Für
Resezierbarkeit spricht angeblich das Erhaltensein der Hacken¬
form (Haudek) die Rotatio post coenam, d. i. die Drehung des
palpablen Tumors im Sinne des Uhrzeigers bis 90° bei Füllung
des Magens (Holzknecht), beides Symptome, die darauf hin¬
deuten, dass noch eine erhebliche Strecke der kleinen Curvatur
frei ist. Gegen die Resezierbarkeit spricht nach Fränkel die
kinographische Unbeweglichkeit der oberen Magenpartie.
Bezüglich des Wertes der Röntgenmethode bei der Unter¬
suchung des Magens herrscht jetzt allgemeine Uebereinstimmung
darüber, dass sie nur als Ergänzung der klinischen Untersuchung
Gutes leisten kann. Fraglich ist es aber, ob aus dieser Erkenntnis
in der Praxis auch immer die Konsequenzen gezogen werden.
Aus der Röntgenuntersuchung allein kann gewiss öfters eine
richtige Diagnose gestellt werden, ebensogut wie dies manchmal
allein aus der Anamnese oder allein aus dem Mageninhaltsbefund
geschehen kann. Der eigentliche Wert der Methode liegt darin,
das9 durch sie die Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Carci¬
nom stets gefördert, in den meisten Fällen sogar entschieden
werden kann. Dies allein genügt schon, um die Methode heute
jedem Internisten als unentbehrlich erscheinen zu lassen. Es
muss jedoch an der Forderung festgehalten werden, dass der
röntgenologischen Untersuchung stets die klinische voranzugehen
habe, und dass der Röntgenologe vor der Untersuchung über
den klinischen Befund und die diflferentialdiagnostische Frage¬
stellung aufs genaueste informiert sein muss.
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tractus. Diese Wochenschr., 1912, S. 725. — Derselbe, Zur Aciditäts¬
prüfung des Mageninhalts mittels des Röntgenverfabrens. Deutsche med.
Wochenschr., 1911, S. 1608. — G. Schwarz und S. Kreuzfuchs,
Ueber radiologische Motilitätsprüfung des Magens. Die Schlusskontraktion.
Wiener med. Wochenschr., 1907, S. 443. — E. Stierlin. Röntgeno¬
logische Erfahrungen über Magenspasmen. Münchener med. Wochenschr.,
1912, S. 796. — H. Strauss, Zur Differentialdiagnose des Ulcus pene-
traus carcinomatosum. Diese Wochenschr., 1912, S. 2165. — H. Strauss
und S. Brandenstein, Ueber Ulcus penetrans ventr. und Sanduhr¬
magen. Diese Wochenschr., 1911, Nr. 28, S. 1269. — J. Tornai, Bei¬
träge zur Röntgendiagnostik der Stenosen des Verdauungstractus.^ Diese
Wochenschr., 1910, Nr. 29.
Bücherbesprechungen.
L. A. Tarsgewitsch: Handbuch der medizinischen Mikrobiologie-
Für Aerzte und Studierende mit einer Vorrede von Metchnikoff
* unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben. 2 Bände
mit 154 Abbildungen im Text und einem Atlas von 16 Tafeln mit
194 Photogrammen, zusammengestellt von Abrikosoff und Marzi-
nowsky. Petersburg und Kiew 1912/1913, Sotrudnik; russisch.
Mit grosser Freude ist es zu begrüssen, dass Tarasewitsch es
unternommen hat, sowohl seinen Landsleuten, wie der gesamten medi-
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UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
739
zinischen Welt zu zeigen, dass die russische Wissenschaft sich nicht
mehr auf die Uebersetzung deutscher und französischer Werke zu be¬
schränken braucht, sondern aus eigenen Kräften imstande ist, gute
Handbücher zu schaffen. Der Herausgeber hat mit gutem Recht mög¬
lichst viele Mitarbeiter für sein Handbuch herangezogen, soweit als
möglich Fachleute, welche auf den speziellen Gebieten gearbeitet haben.
Trotz der verhältnismässig grossen Zahl von Mitarbeitern von über 30
ist der Einheitlichkeit des Ganzen in keiner Weise Abbruch getan. In
der Vorrede gibt Metchnikoff einen Ueberblick über die geschicht¬
liche Entwicklung der Mikrobiologie und spricht sein Befremden darüber
aus, dass die sonst allem Neuen huldigenden Russen bis jetzt noch kein
eigenes Lehrbuch in dieser Disziplin geschaffen und sich mit Ueber-
setzungen begnügt haben. Der erste 428 Seiten starke Band enthält
den allgemeinen Teil und bringt zuförderst die Morphologie und Physio¬
logie der Mikroorganismen, dann folgt in überaus klarer und fesselnder
Sc reibweise die Lehre von der Infektion und Immunität usw. Der
vierte Abschnitt des ersten Bandes enthält die bakteriologische Technik
und Methodik, unter denen einzelne von Diatroptow geschriebene
hervorzuheben sind.
Der zweite spezielle Teil ist bereits in der zweiten Auflage (700Seiten)
erschienen, da es aus redaktionellen Gründen unmöglich war, denselben
schon in erster Auflage vollständig herauszugeben. Es liegt nicht im
Rahmen eines Referates, hier alle einzelnen, von sachkundiger Feder
geschriebenen Artikel aufzuzählen, deren wissenschaftlicher Wert natur-
gemäss verschieden ist. Angenehm berührt auch in diesem speziellen
Teil die ziemlich gleichmässige Berücksichtigung der ausländischen, zu¬
mal der französischen wie deutschen Literatur. Wir können nicht umhin,
uns der Ansicht Metchnikoff’s anzuschliessen, der im Vorwort betont,
dass so viele der in die russische Sprache übersetzten Lehrbücher einer¬
seits des weiten Blickes ermangeln, andererseits eine Anzahl mehr oder
minder tendenziös geschrieben ist. Wissen wir ja, dass auch bedeutende
Forscher leider die Gewohnheit angenommen haben, nur diejenigen
Autoren zu citieren, die ihre Ansichten bestätigen, während sie die
anderen verschweigen. Vergleichen wir in dieser Hinsicht verschiedene
Abschnitte des russischen Handbuches mit den gleichen Kapiteln unserer
bakteriologischen Literatur, so finden wir erfreulicherweise mitunter
einzelne Fragen von ganz anderen und neuen Gesichtspunkten beleuchtet.
— Die Anordnung der einzelnen Kapitel ist nicht immer glücklich ge¬
wählt; so findet sich z. B. manches im speziellen Teil, was in den all¬
gemeinen gehört. Auch sind einzelne wichtige Kapitel nicht eingehend
genug bearbeitet worden. Diese vom Ref. zu erwähnenden und in neuen
Auflagen zu berücksichtigenden Mängel tun jedoch dem ganzen und
gross angelegten Werk, welches eine Zierde der russischen medizinischen
Literatur bildet, keinerlei Abbruch. Lydia Rabinowitsch.
W. Prntz und E. Monier: Die chirurgischen Erkrankungen und
die Verletzungen des Darmgekröses nnd der Netze. Mit
66 Textabbildungen. (Deutsche Chirurgie, Lieferung 46 K.) Stutt¬
gart 1913, Ferd. Enke. 406 S. Preis 18 M.
In vorliegender Monographie erfährt die Chirurgie der Netze und
der Mesenterien eine so umfassende, die gesamte Literatur berück¬
sichtigende Darstellung, wie sie uns bisher nicht zu Gebote stand. Das
71 Seiten im Kleindruck füllende Literaturverzeichnis ist gut gegliedert
und bildet eine höchst wertvolle Sammlung des in der Weltliteratur
zerstreuten Materials. Die ersten sechs Abschnitte behandeln die Ent¬
wicklungsgeschichte und Anatomie von Netz und Mesenterium, die Falten
und Taschen bi Idungen in denselben sowie die daraus resultierenden
Störungen, abnorme Lagerungen, Lücken, Spalten und Hernien im Netz
und Gekröse. In besonderen Kapiteln sind dargestellt die Verletzungen,
die akuten und chronischen Entzündungen, die Netztorsion, die Geläss¬
erkrankungen, die Cysten und Geschwülste des Gekröses und der Netze.
Die Darstellung ist alleothalben sehr anschaulich, die Abbildungen
sind gut und instruktiv. Das Werk gibt einen ausgezeichneten Ueber¬
blick über den gegenwärtigen Stand der Materie und wird gewiss jedem
Fachmann willkommen sein. Adler-Berlin-Pankow.
Wagner v. Janregg: Myxödem nid Kretinismus. Handbuch der
Psychiatrie, herausgegeben von Aschaffenburg, spez. Teil,
2. Abt., 1. Hälfte. Leipzig und Wien, Deuticke. 91 S. Preis
3,50 M.
W. bringt eine sehr klare und übersichtliche Darstellung des Myx¬
ödems der Erwachsenen — das infantile Myxödem wird an anderer Stelle
geschildert —, des operativen Myxödems (Cachexia strumipriva), des
endemischen und sporadischen Kretinismus, mit besonderer Berück¬
sichtigung der psychischen Störungen bei denselben, deren Wesenart
und Bedeutung, wie W.’s Zusammenfassung ergibt, noch sehr der Klärung
bedürfen. Besonders sorgfältig werden wir über die Therapie orientiert.
Dort wie auch sonst macht sich W.’s reiche eigene Erfahrung in erfreu¬
licher Weise bemerkbar. E. Meyer-Königsberg i. Pr.
E.Jaeobi: Atlas der Hantkmkheiten mit Einschluss der wichtigsten
venerischen Erkrankungen. 5. Auf!., 2 Bände. Berlin 1913,
Urban und Schwarzenberg. 45 M.
Wenn in noch nicht zehn Jahren ein Werk bereits seine 5. Auflage
erlebt» so ist das ein sioheres Zeugnis für den Wert des Buehes sowie
für das gelungene Bestreben des Verfassers, jeder neuen Auflage Ver¬
besserungen und Vervollkommnungen hinzuzufügen. Neue Fortschritte
der Technik, wie der Vierkartendruck oder die Verwendung plastischer
(Moulagen) anstatt flacher Vorlagen zur Reproduktion wurden von
Jacobi zuerst für die Wissenschaft verwertet. Die Feinheiten und
Schärfen des Modells treten bei seiner Wiedergabe mit bisher unerreichter
Deutlichkeit hervor. In der neuesten Auflage kommen zu den alten
Vorzügen des Atlas erhebliche Vermehrungen hinzu. Statt 243 farbiger
Abbildungen auf 132 Tafeln finden wir jetzt 266 farbige Abbildungen
auf 161 Tafeln, und zwar betreffen diese neuen Illustrationen seltenere
Erkrankungen, wie Sporotrichosis, Hydroa vacciniformis u. dgl., welche
in der allgemeinen Praxis kaum zur Beobachtung kommen und daher
um so notweniger zu Lehrzwecken exakt abgebildet sein müssen. Aerzten
und Studierenden, die sich in diesem Spezialfach unterrichten wollen,
kann auch diese neue Auflage des vorzüglichen Werkes aufs wärmste
empfohlen werden. Max Joseph-Berlin.
H. Babrdt-Berlin: Bibliographie der gesamten Kinderheilkunde für
das Jahr 1911. Berlin, Julius Springer. Preis 12 M.
In dieser Bibliographie sind alle im Jahre 1911 erschienenen Arbeiten,
die in den Bänden 1, 2, 3 des Referaten feiles der Zeitschrift für Kinder¬
heilkunde referiert sind, aufgefübrt. Es sind dies 4500 Arbeiten, die
nach grösseren Kapiteln geordnet sind. Besonders wertvoll ist ein
alphabetisches Namen- und Sachregister. R. Weigert.
Axel Reyn -Kopenhagen: Die Finsenbehandlung. (6. Band der
„Bibliothek der physikalisch-medizinischen Techniken“, heraus¬
gegeben von Heinz Bauer.) 126 S. 86 Abbildungen im Text.
Berlin 1913, Verlag von Hermann Meusser.
Keiner ist wohl berufener, die Finsenbehandlung zum Gegenstand
einer Monographie zu machen als Axel Reyn, der Schüler und lang¬
jährige Mitarbeiter Finsen’s, welcher jetzt die Hautklinik des Finsen-
Institutes in Kopenhagen leitet.
Jedem, der die Grundlagen, die Technik und Anwendung dieser
Methode kennen lernen will, kann das Büchlein auf das Angelegentlichste
empfohlen werden.
Eine grosse Anzahl guter Abbildungen gibt uns eine recht lebendige
Vorstellung von der Konstruktion der Apparate, der Ausübung der Be¬
handlung selbst und den erzielten Erfolgen. Auch die Rotlichtbehandlung
der Pocken und die Behandlung interner Erkrankungen mit chemischen
Bogenlichtbädern, welche ebenfalls auf die Initiative Finsen’s zurück¬
zuführen sind, finden die gebührende Würdigung. Das Literaturverzeichnis
am Schlüsse enthält alle wichtigen Arbeiten über Finsenbehandlung,
resp. über Untersuchungen, welche mit dieser Methode in irgendeinem.
Zusammenhang stehen.
Referent hätte demnach an dem Werk nur eines zu monieren: Der
Preis von 6,20 M. für eine Broschüre von 112 Seiten ist bei aller An¬
erkennung der guten Ausstattung etwas hoch.
H. E. Schmidt-Berlin.
fl. Conet: Die aknte allgemeine Miliartnberkolese. Zweite, gänz¬
lich umgearbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1913, Alfred
Holder. 79 S. Preis 2,30 M.
Der Verf. gibt in knappster Form eine vollkommene Uebersicht über
alle Gesichtspunkte, die bezüglich der akuten allgemeinen Miliartuber¬
kulose in Frage kommen. Besonderer Erwähnung wert ist die Erörterung
der Heilbarkeit in bejahendem Sinne. Er sagt mit Recht: „Nach meinem
Ermessen liegt die Gefahr für den Miliartuberkulosen oft viel weniger
darin, dass die einmal gesetzten tausend und abertausend Tuberkel
nicht heilen könnten, als darin, dass er durch neue Nachschübe von dem
alten Gefässherd oder einer anderen Einbruchstelle aus, dass er durch
die Vergiftung zugrunde geht, bevor noch eine richtige „Naturheilung
in die Wege geleitet ist“.
Ein eingehendes Literaturverzeichnis ermöglicht das genauere
Studium aller für die Genese und den Verlauf des Leidens wesentlichen
Umstände. Aufreoht.
Krohie: Die den Hebammen, Hebammenlebrern nid Kreisärzten
durch die Neuauflage des prenssischen Hebammenlehrbuehes
erwachsenden Aufgaben. Veröffentlichungen aus dem Gebiete
der Medizinalverwaltung. Bd. I, H. 16. Berlin 1912, Verlag von
Richard Schoetz. 69 S. Preis 2 M.
Die Veröffentlichung soll in erster Linie eine Begründung der
wichtigsten Aenderungen des Hebam men 1 ehrbuch es sein. Als solche
sind aufzufassen: Die Umgestaltung der Desinfektionsvorschriften, die
Einschränkung der inneren Untersuchung, die Erweiterung der operativen
Befugnis der Hebammen. Ueber diese drei Fragen ist an anderer Stelle
ausführlich gesprochen worden. Von einem Verbot der Nachgeburts¬
lösung durch die Hebammen, das gleichfalls der Kommission zur Er¬
örterung vorlag, wurde abgesehen. Wenn wir auch im Prinzip dieser
Entscheidung, ebenso wie der Beibehaltung der Tamponade zustimmen,
so müssen wir doch Bedenken erheben gegen die Beweiskraft der
statistisch festgestellten Infektionen nach Placentarlösungen, die in den
drei Jahren 1909—1911 von den Hebammen in Preussen ausgeführt
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
wurden. Nach Ermittelungen der Regierungspräsidenten betrug die
Morbidität der Fälle nur 4pCt., die Mortalität nicht mehr als 2,9 pCt.
Nach Erledigung dieser Hauptpunkte citiert Kr., teilweise mit besonderer
Begründung, in der Reihenfolge der Paragraphen die übrigen Abände¬
rungen, die zu zahlreich sind, als dass sie sich im Rahmen eines kurzen
Referates des näheren besprechen lassen. C. Holste-Stettin.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
H. Stassano*. Beitrag zur Kenntnis des Plasmas von Propepton.
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 9.) Ungeronnenes
Plasma von Propepton coaguliert durch Verdünnung mit destilliertem
Wasser, selbst wenn diesem ein anticoagulierendes Salz zugesetzt wird.
Salzhaltiges Plasma gerinnt unter dieser Bedingung nicht. Dieses ent¬
hält vor der Verdünnung das Fibrinferment in der inaktiven Form des
Profibrinferments, während in dem Plasma von Propepton aktives Fibrin¬
ferment ist.
Desgrez und Dorlöans: Einfluss der Aminogruppe auf den Blut¬
druck. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 10.) Die von
den Verff. früher ausgesprochene Vermutung, dass das Guanin durch
seine Aminogruppe Blutdrucksenkung macht, wird durch Versuche mit
anderen Aminokörpern bewiesen. Man fand daneben, dass grössere
Dosen dieser Körper, zu denen auch die Ptomaine und Glukomaine ge¬
hören, eine Steigerung des arteriellen Druckes hervorrufen. Dies ist eine
Bestätigung der von Bouchard bei Autointoxikation gemachten Beob¬
achtungen. Wartensleben.
A. Tominelli: Die Veränderungen des Glykogens in der Leber
und in den Maskein infolge Abbindang des Gallenganges. (Gazz. intern,
med., chir. e igiene intern., 1912, Nr. 16, S. 866.) Bei Gallenstauung
geht die Verringerung der Quantität des Leberglykogens gleichmässig
mit dem Fortschreiten des Uebels vor sich, bis nach 20 Tagen der Ab¬
bindung des Gallenganges das Glykogen fast vollständig verschwunden
ist; dabei wird bedeutende Bindegewebshyperplasie und bis zur voll¬
ständigen Entartung fortschreitende Veränderung des Zellprotoplasmas
beobachtet. Es scheint dies grösstenteils von der toxischen Wirkung
der Galle sowie von dem unmittelbar auf die Zellen und Blutcapillaren
seitens des Bindegewebsgerüstes ausgeübten Drucke abzuhängen. In den
neugebildeten Leberzellen konnte kein Glykogen nachgewiesen werdeu,
was zu der Annahme berechtigt, dass die zuckerbildende Funktion aus¬
schliesslich der erwachsenen Zelle zukommt utad in unmittelbarer Be¬
ziehung zur Unversehrtheit des Protoplasmas steht. M. Segale.
J. Grode und E. J. Lesser- Mannheim: Ueber die Wirkung des
diastatischen Ferments auf das Glykogen innerhalb der Zelle. (Zeit¬
schrift f. Biol., Bd. 60, H. 8 u. 9, S. 371—387.) Im Winter findet in
Froschorganen ein postmortaler Glykogenschwund nicht statt. Die Zer¬
störung der Organzellen beschleunigt deutlich die Umwandlung des
Glykogens. Anscheinend besteht intra vitam eine Trennung von Glykogen
und Diastase, welche innerhalb der verschiedenen physiologischen Be¬
dingungen sich ändern kann. Vielleicht unterscheiden sich die diabetische
und die normale Leber in ähnlicher Weise. Es würden also strukturelle
Momente physikalisch-chemischer Natur ausschlaggebend sein. Die
Untersuchung von Organextrakten beweist immer nur, dass in dem Organ
ein Ferment vorhanden ist, aber nicht, dass es in Wirksamkeit ist.
L. Wacker und W. Hu eck - München: Chemische und morpho¬
logische Untersuchungen über die Bedeutung des Cholesterins im Orga¬
nismus. (Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 5,
S. 873—394.) Der Gehalt an Cholesterin der Nebennierenrinde scheint
auch unter pathologischen Bedingungen konstant zu bleiben, während
der Gehalt an Cholesterinestern Schwankungen unterliegt. Die mikro¬
skopische Untersuchung auf doppeltbrechende Substanz ergibt einen un¬
gefähren Anhaltspunkt für die Menge der vorhandenen Cholesterinester.
Die Nebennierenrinde zeigt häufig einen sehr reichlichen Gehalt an
Cbolesterinestern bei Atherosklerose, chronischen Nierenleiden, Diabetes
und während der Schwangerschaft, einen stark herabgesetzten Gehalt
bei allen etwas länger bestehenden infektiösen Prozessen, chronischen
ulcerierenden Carcinomen und Tuberkulosen. Injiziert man Katzen töd¬
liche Dosen Saponins, so nimmt im Serum das Cholesterin ab, während
gleichzeitig die Cholesterinester in der Nebennierenrinde schwinden. In¬
jiziert man allmählich in Zwischenräumen kleinere Saponinmengen, so
nimmt der Cholesteringehalt des Serums und der Cholesterinester der
Nebennierenrinde zu. Jacoby.
A. Mayer und G. Schaeffer: Der Gehalt der Gewebe an nicht-
flüchtigen Fettsäuren und an Cholestearin und die mögliche Existenz
einer lipocytischen Konstante. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences,
1913, Nr. 6.) Bei der gleichen Tierart ist der Gehalt eines Organs an
Fettsäuren und an Cholestearin fast konstant; bei verschiedenen Arten
ist die Menge dieser Körper sehr verschieden. Jedoch sind sie reich¬
licher vorhanden bei den Vögeln als bei den Säugern. Das Verhältnis
von Cholestearin zu Fettsäuren ist für ein bestimmtes Organ ziemlich
charakteristisch. Das Verhältnis von Fettsäuren zu Cholestearin (oder
lipocytischer Koeffizient) hat oine grosse physiologische Bedeutung.
R. Fosse; Bildung von Harnstoff durch zwei Schimmelpilze. (Compt.
rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 3.) Harnstoff entsteht nicht
allein aus Eiweiss, sondern, bei Anwesenheit von Arsenik, auch aus dem
Glycerin der Fette und den Kohlehydraten. Als Hauptfaktor bei der
Ureogenese muss ein Oxydationsprozess, nicht eine Diastase angesehen
werden. Durch Oxydation von Zucker und Ammoniak entsteht Harnstoff
im Aspergillus niger und Penecillium glaucum, in deren Zellen er nach¬
gewiesen werden konnte.
J. Stoklasa, J. Sebor und T. Zdobnicky: Ueber die Synthese
von Zucker aus den radioakliven Emanationen. (Compt. rend. de
l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 8.) Untor dem Einfluss der Radium¬
emanation (wie auch der ultravioletten Strahlen) entsteht aus Wasser¬
stoff und Kohlensäure in Gegenwart von Kaliumbicarbonat Aldehyd, das,
mit Pottasche in Berührung, sich polymerisiert und reduzierende Zucker
ergibt. Wartensleben.
W. Gessner - Olvenstedt - Magdeburg: Fettstoffwechsel. (Wiener
klin. Wocbenschr., 1913, Nr. 13.) Die Lehre vom Fettstoffwechsel hat
in den letzten Jahren ganz bedeutende Fortschritte gemacht, wenn auch
eine ganze Reibe von Fragen noch als absolut unaufgeklärt gelten
müssen. Als Körper, welche den Fettstoffwechsel direkt oder indirekt
zu beeinflussen imstande sind, haben wir Phloridzin, Phosphor, Alkohol
und Aether kennengelernt. Alkohol und Phosphor wirken in kleinen,
therapeutisch anwendbaren Dosen direkt fett- und eiweisssparend, also
ganz im Sinne eines Tonicums. Bedingung für die Wirksamkeit des
Phosphors ist seine Darreichung in einem leicht emulgierbaren Fett¬
körper (Lebertran), während der als Element gegebene Phosphor sich
als völlig unwirksam erwiesen hat. Der Verf. sieht auch bei den Noorden-
schen Haferkuren der Diabetiker die in dem Hafer enthaltenen Phos-
phatide als die wirkenden Bestandteile an. P. Hirsch.
A. Labat: Ueber das normalerweise bestehende Vorkommen von
Brom in den Organen des Menschen. (Compt. rend. de Pacad. des
Sciences, 1913, Nr. 3.) Die Schilddrüse enthält stets Brom, allerdings
in viel geringerer Menge als Jod. Ebenso findet man Spuren im Gehirn,
in relativ grosser Dosis im Urin. Leber, Herz, Milz, Nieren und Blut
sind gewöhnlich frei von Brom. Es wird in den Körper eingeführt mit
der Nahrung, ausgeschieden durch den Urin. Wartensleben.
F. Eberstadt - Heidelberg: Ueber den Einfluss chronischer ex¬
perimenteller Anämien auf den respiratorischen Gasweehsel. (Archiv f.
experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 5, S. 329—363.) Kaninchen,
die infolge von Aderlässen anämisch sind, zeigen meist nur eine geringe
Steigerung der Oiydationem Toxische Anämie durch Injektion von
Phenylhydrazin führt zu einer Verminderung der Wärmeproduktion. Die
Verminderung der Oxydationen wird sekundär durch die Hypoplasie des
Knochenmarks bedingt, welche von der Anämie bewirkt wird.
J acoby.
Bergeil: Ueber die Aktivierung der Fermente durch Badiim-
emanation. (Zeitschr. f. BalneoL, 6. Jahrg., Nr. 1.) Die Radium¬
emanation hat zweifellos Einfluss auf manche Fermentkatalysen. B. ist
der bestimmten Ansicht, dass Radiumemanation ein für Gicht spezifisches
Gift ist. Bei manchen Gichtikern lösen einige Tausend Mache-Einheiten
einen Anfall aus, während der normale Mensch Millionen Einheiten ver¬
tragen kann. Auch im Abklingen des Anfalls kann Emanation ver¬
schlimmern. Bei deformierender Gicht und chronischem Rheumatismus
wirkt Emanation lokal angewandt in jüngeren Fällen eklatant, bei hohem
Alter ungünstig. Milder Diabetes, milde Schrumpfniere werden durch
jahrelange grosse Dosen günstig beeinflusst. E. Tobias.
H. Bierry und Lucie Fandard: Adrenalin und Glykämie.
(Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 6.) Die intraabdominelle
Injektion von Adrenalin macht beim Hunde eine bis zur dritten oder
vierten Stunde steigende Vermehrung von freiem Zucker im Blute; bei
intravenöser Injektion tritt das Maximum früher ein. Die Menge des
gebundenen Zuckers nimmt dagegen viel länger zu, und es ist an¬
zunehmen, dass so ein Teil des nach Adrenalininjektion ins Blut über¬
tretenden Zuckers dem Organismus erhalten bleibt.
Wartensleben.
Pharmakologie.
0. Gros - Leipzig: Der pharmakodynamische Grenzwert des Stro¬
phantins für das Eskulentenherz. (Archiv f. experim. Pathol. u.
Pharmakol., Bd. 71, H. 5, S. 364—372.) Die Untersuchung ist von
speziell pharmakologischem Interesse. Jacoby.
B. A. Houssay - Buenos-Ayres: Ueber die Kombination von
Adrenalin und Hypophysin und deren klinische Verwendbarkeit.
(Wiener klin. Wochenscbr., 1913, Nr. 13.) Durch entsprechende Kom¬
bination beider Substanzen wird die intensive Adrenalinwirkung auf Hera
und Gefässe mit der protrahierten Hypophysinwirkung vereinigt. Die
Harmlosigkeit des Hypophysins gestattet eine Reduzierung der Adrenalin¬
dosis unter Steigerung der günstiger), Wirkung. Es scheint ratsam, die
Kombination im Verein mit den lokal anästhesierenden Substanzen in
der Ophthalmologie und in der Oto-Rhino-Laryngologie zu erproben.
P. Hirsch.
R. Dalimier: Wirkung der arsenoaromatisehen Verbindungen
auf das Hämoglobin des Blutes. (Compt. rend. de i’aead. des Sciences,
1913, Nr. 8.) Das Salvarsan wirkt weder in vitro, nooh in vivo auf das
Hämoglobin des Blutes. Das Neosalvarsan hämolysiert in vitro in be¬
trächtlichem Maasse das Blut und reduziert es vielleicht durch die
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Sulfoxylgruppe, die die Lösung erleichtert, aber ein wirksames Re¬
duktionsmittel ist. In vivo beobachtet man keine Reduktion, die Hämo¬
lyse ist nur ganz flüchtig. Doch könnten bei empfänglichen Individuen
diese Reaktionen viel ausgeprägter sein und Störungen verursachen.
Wartens leben.
P. D. Siccardi: Wirkung des Bleisalzes auf den Tonus und die
rhythmischen Bewegungen des Darmes. (Accademie Medien di Padova,
Seduta 28 Ginguo 1912.) Sehr kleine Dosen Bleisalz lösen Erniedrigung
des Tonus und Verringerung des Umfanges der rhythmischen Bewegungen
des Darmes aus. Mittlere Dosen haben die gleiche Wirkung der geringen
wie der starken Dosen. Auf den Darm übt somit das Blei hinsichtlich des
Tonus eine gegensätzliche Wirkung je nach der Dose aus. Auch die
verschiedenen Segmente des Darmkanals weisen verschiedenes Verhalten
auf: Die gleiche Toxinquantität kann hypertonisch auf den Dünndarm
und hypotonisoh auf den Dickdarm wirken.
G. Tonnini: Untersuchungen über die morphologischen Elemente
des Blutes hei akuter und subakuter Phospborvergiftung. (Patho-
logica, Bd. 4, Nr. 97, S. 683.) Bei akuter und subakuter Phosphor¬
vergiftung besteht beständig Leukocytose; die Einspritzung einer geringen
Quantität Phosphor ruft schon rasche Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen hervor. Mit der Verschlimmerung des Zustandes des Tieres
nehmen die Lymphocyten und polymorphen Neutrophilen zu, während
die Lymphocyten und Eosinophilen fast gänzlich verschwinden, um
dann, wenn die Giftdose nicht tödlich ist, wieder in grösserer oder ge¬
ringerer Anzahl zu erscheinen, je nach den natürlichen Verteidi*
gungskräften des Tieres. Im subakuten Stadium und noch mehr im
akuten Stadium der Phosphorvergiftung treten die Rieder’schen Zellen
auf, welche mit der Zunahme der Anzahl der grossen Mononuclearen
Schritt halten und bis zum Todes des Tieres im Kreislauf verbleiben.
Die von Ragazzi beschriebenen Zellen bei chronischer Phosphorvergiftung
besitzen keinen Spezifizitätswert, weil sie nicht nur bei anderen Ver¬
giftungen ebenfalls angetroffen werden, sondern auch manchmal im
Blute normaler Hunde; sie sind nur grosse Mononucleare, mit amblyo-
chromatischem Kerne (nach der Benennung von Pappen heim). Wie
Cevidalli behauptete, weisen die roten Blutkörperchen keine be¬
merkenswerten qualitativen Veränderungen auf, sondern nur leichte
quantitative. _ M. Segale.
Therapie.
A. Swauw: Behandlung der Urticaria mit Snprarenin. (Americ.
journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 3.) Mit kleinen subcutanen Gaben von
Suprarenin sah Verf. ein schnelles Zurückgehen des Erythems und
Oedems. Er empfiehlt die Anwendung auch bei Angioneurosen, dem
bedrohlichen Larynxödem bei der Anaphylaxie. Sehe lenz.
L. Fischel-Berlin: Jodipin per elysma bei Prostatitis. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) 10 g einer Lösung von 100 25proz.
Jodipin und 200 01. oliv, werden als Clysma gegen. Gute Erfolge.
Dünner.
L. Jaubert: Ueber die Bedingungen, welche die Anwendung der
Heliotherapie begünstigen. (Lyon med., 1913, Nr. 12.) Die Sonnen-
liohtbestrahlung ist möglichst an einem nach der Südseite gelegenen
Platz, im Frühjahr oder Sommer bei klarer Luft mit mässigem Feuchtig¬
keitsgehalt und leichter Windströmung durchzuführen. Am besten
eignen sich zu der Kur einerseits Hochgebirgsplätze, andererseits die
Mittelmeerkurorte. A. Münzer.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
Läwen: Ueber einen Fall von kongenitaler Wirbel-, Baach-,
Blasen-, Genital- and Darmspalte mit Verdopplung des Coecums and
des Wurmfortsatzes. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem.
Pathol., Bd. 55, H. 8) Die seltenste unter den angeführten Miss¬
bildungen ist die Verdopplung des Wurmfortsatzes. Nur zwei sichere
derartige Fälle sind in der Literatur beschrieben. Hinsichtlich ihrer
Entstehung nimmt man an, dass das Material zu seiner Bildung von
beiden Seiten des Darmrohres geliefert wird, und dass die beiden korre¬
spondierenden Punkte nicht zur Vereinigung gekommen sind.
Zalewska-Ploska: Ueber zwei Fälle von Zweiteilung des
ßiiekenmarks. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol.,
Bd. 55, H. 3.) Bei dem einen Fall war das Rückenmark in der Höhe
des 2.—5. Lumbalsegmentes in zwei annähernd symmetrische Stränge
geteilt, die auf einer Strecke von 3 Va cm getrennt nach abwärts ver¬
liefen. Jeder der Teile hatte einen Centralkanal und ausgebildete graue
Substanz. Beim zweiten Fall begann die Zweiteilung im unteren Brust-
mark und reichte bis zum Ende des Rückenmarks. Die linke Hälfte
war bedeutend besser ausgebildet als die rechte. Benn.
B. Morpurgo und A. Donati - Turin: Beitrag zur Frage der
Vererbung der Anlage zur Beschwulstentwicklang. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Aus den Versuchen geht hervor, dass die
Impfausbeute bei den unmittelbaren Abkömmlingen von Geschwulst¬
trägern nicht grösser war als bei Abkömmlingen von Müttern derselben
Kasse, und dass die Neigung zur Rückbildung der mehr oder weniger
entwickelten Geschwülste bei den ersteren mehr ausgeprägt ist als bei
den letzteren. Es ist daher eine Vererbung der individuellen Anlage
zur Entwicklung von gepfropften Geschwülsten nicht anzunehmen.
Dünner.
Dam mann: Zur Pathologie der Adipositas dolorosa (Derenm’sehe
Krankheit). (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Be¬
schreibung eines Falles von Dercum’scher Krankheit, der ebenso wie
alle bisher beschriebenen derartigen Fälle durch die histologische Unter¬
suchung gar keine Aufklärung über diesen seltenen Krankheitsprozess
bringen konnte.
Schmey: Ueber Ochronose bei Mensch und Tier. (Frankfurter
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Die Ochronose beim Tier ist prinzi¬
piell verschieden von der menschlichen. Beim Menschen entsteht das
Pigment durch Abbauprodukte des Eiweisses und gehört in die Gruppe
der Melanine. Beim Tier stammt es zweifellos vom Blutfarbstoff. Verf.
schlägt daher für die tierische Ochronose den Namen Osteohämochro-
matose vor, mit dem gleichzeitig die Hauptlokalisation, nämlich im
Knochen, ausgesprochen ist.
Kusama: Ueber Aufbau und Entstehung der toxischen Thrombose
und deren Bedeutung. (Ziegler’s Beitr. z. pathol. Anat u. z. allgem.
Pathol., Bd. 55, H. 3.) Verf. knüpft an die Versuche Dietrich’s an,
die in der Hämolyse, Agglutination, Präcipitation gegebenen Bedingungen
für die Thrombose zu ergründen. Er injizierte Kaninchen intravenös
zunächst homologes Serum, dann Hämoglobinlösungen und Blutschatten
allein; ferner artfremdes Serum, Glycerin, Ricin, Bakterienaufschwem-
mungen, Fremdkörper, Sublimat. Verf. kommt zu dem Schluss, dass
bisher nicht der geringste Beweis erbracht sei, dass eine primäre direkt
ausgelöste Fibringerinnung bei einer bisher bekannten Thrombenform
als ausschlaggebende Bedingung in Betracht komme, dass es ferner
typische Plättchenthromben gibt, für deren Entstehung eine primäre
Endothelschädigung in keiner Weise verantwortlich zu machen sei, dass
jedoch nie als Bedingung für die Entstehung einer Thrombose Verände¬
rungen der Blutzellen selbst und die Stromverlangsamung auszuschliessen
seien.
F. Albrecht: Zur Entstehung der myeloiden Metaplasie bei
experimentellen Blntgiftanämien. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.,
Bd. 12, H. 2.) Verf. stellte eine Versuchsreihe mit je zwei Kaninchen
an, von denen eines vorher entmilzt war, und injizierte steigende Dosen
von Pyrodin. In dem einen entmilzten Fall liess sich einwandfrei eine
myeloide Metaplasie in der Leber nachweisen. Es kann also die An¬
nahme nicht zu Recht bestehen, dass eine Einschleppung von Zell¬
elementen aus der Milz zur Entstehung jener Metaplasie notwendig sei.
Als Nebenbefund ergab sich, dass durchgehende die entmilzten Tiere die
Vergiftung leichter ertrugen als die nichtentmilzten, und dass die
Lebern weniger schwer verändert waren.
Anitschkow: Experimentelle Untersuchungen über die Neubildung
des Granulationsgewebes im Herimnskel. (Ziegler’s Beitr. z. pathol.
Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 8.) Sterile mit Celloidin durch¬
tränkte Ligaturen oder dicke Fäden aus trockenem Celloidin wurden
Kaninchen ins Myocard eingeführt. In bestimmten Zeitabständen wurden
die Tiere getötet, das Material in Helly’scher oder Zenker’scher Flüssig¬
keit fixiert und dann untersucht. Von den hämatogenen Zellen er¬
schienen zuerst die gewöhnlichen polymorphkernigen Blutleukocyten;
etwas später lymphoide Wanderzellen, von denen ein Teil bald zugrunde
ging, ein anderer, sehr geringer Teil sich in Plasmazellen umwandelte.
Die fixen Zellen des Myocardstromes quollen zunächst auf, vermehrten
sich dann lebhaft und bildeten schliesslich collagene und elastische
Fasern. In gewissen Entzündungsperioden fanden sich ferner besondere
Zellformen, die sich aus den Resten zerfallener Herzmuskelfasern bil¬
deten oder sozusagen „Muskelfasern mit verloren gegangener kontraktiler
Substanz darstellend Verf. misst ihnen einen ganz besonders spezifischen
Wert bei und glaubt sie auch im Myocard beim Menschen gefunden zu
haben.
Baehr: Ueber experimentelle Glemernlonepliritis. (Ziegler’s
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allgem. Pathol., Bd. 55, H. 3.) Bei sub-
cutaner Injektion von Urannitrat (0,00035 g) erkrankte von zehn Kanin¬
chen eines und starb. Die Untersuchung ergab, dass in der Niere
Schädigungen Vorlagen, die fast ausschliesslioh die Glomeruli betrafen.
Bei Injektion von Urannitrat in die Arteria renalis Hessen sich bei
sämtlichen Versuchstieren schwere glomeruläre Veränderungen erzeugen,
während die Schädigung der Tubulusepithelien verhältnismässig gering
blieb. Injektionen von Jod, Crotonöl und Chromkali riefen keine Glo¬
merulonephritis hervor; mit Jod liess sich jedoch eine tubuläre Schrumpf¬
niere mit sekundärer Gefässsklerose erzeugen. Aus den Versuchen
Parallelen zu den spontanen Nephritiden des Menschen zu ziehen, lehnt
Verf. jedoch ab. Benn.
G. Gargiulo: Ueber die Beziehung der Nierenstö'rnngen durch
Uran und der Phloridzinglykosurie. (Gazz. osped. e olin., 1912, Nr. 29.)
Phloridzin und Uran verursachen im 4 gros&n Ganzen beim Kaninchen
so ziemlich die gleichen Funktionsstörungen der Nieren; die Wirkung
des Urans äussert sich mehr durch Albuminurie, jene des Phloridzins
mehr in Glykosurie. Wenig heftige und mit geringer Albuminurie ver¬
bundene Nierenverletzung durch Uran kann beim Kaninchen durch Ein¬
wirkung von Phloridzin tödlich enden, wenn dieses heftige Glykosurie
herbeigeführt hat. Wenn die Glykosurie infolge Phloridzins beim
Kaninchen sehr bedeutend ist und tödlich endet, so ist sie stets mit
mehr oder minder heftig auftretender Albuminurie verbunden. Der
Autor führt aech einige bemerkenswerte Schlussfolgerungen aus seinen
Untersuchungen an. M. S e g a 1 e.
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UMIVERSITY OF IOWA
742
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Schönberg: Zur Aetiologie der Cystitis emphysematos*. (Frank¬
furter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Die Cystitis emphysematosa
ist wie das Emphysem der Vagina und des Mesenteriums durch gas¬
bildende Bakterien hervorgerufen. Und zwar scheinen Bakterien aus
der Coligruppe hierbei eine ausschlaggebende Rolle zu spielen.
Benn.
V. Nicoletti: Die Abbindang der Leberarterie und ihrer Aeste.
(Policlinico, sez. chir., Bd. 17, Nr. 3, S. 134.) Die Abbindung des
Stammes der Leberarterie vor dem Ursprünge der Arteria gastroduodenalis
ruft zwar beim Kaninchen mehr oder minder umschriebene krankhafte
Veränderungen des Leberparenchyms hervor, jedoch veranlasst sie keine
allgemein klinisch beachtenswerten Erscheinungen. Die Abbindung der
Leberarterie unmittelbar nach dem Ursprünge der Arteria gastroduodenalis
ist beim Kaninchen beständig tödlich infolge der ausgedehnten Nekrose
im Leberparenchym. Die Abbindung eines der beiden Hauptäste der
Leberarterie hat beim Kaninchen verschiedene Folgen, je nachdem die
Leberlappen genau voneinander getrennt oder mehr oder minder mit¬
einander verschmolzen sind. Im ersteren Falle tritt der Tod des Tieres
vorzeitig ein, im letzteren Falle erweist sich die Abschliessung des
arteriellen Zuflusses vollkommen unschädlich, und dementsprechend sind
die pathologisch-anatomischen Verletzungen des der arteriellen Durch-
tränkung ermangelnden Lappens sehr gering und auf die Ränder und
die Rindenzone der konvexen Oberfläche desselben beschränkt.
M. Segale.
A. Robin: Ueber den Mineralgehalt der vom Krebs befallenen
Leberteile, verglichen mit dem relativ gesunder Partien. (Compt. rend.
de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 4.) Die Krebsleber ist reicher an
anorganischen Stoffen als die gesunde, auch die vom Krebs ergriffenen
Teile haben höheren Mineralgehalt als die relativ gesunden. Vermehrt
findet man Phosphor, Natrium, Kalium, Magnesia und Silicium. Herab¬
gesetzt ist dagegen der Gehalt an Eisen und Kalk. Fast das gleiche
findet man bei tuberkulösen Organen, nur dass hier mehr Kalium als
Natrium vorhanden ist, im Krebsgewebe das Natrium vorwiegt.
W artensieben.
v. Wer dt: Zur Histologie und Genese der miliaren Lebergammen.
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Verf. bespricht die
Differentialdiagnose zwischen den miliaren Lebergummen und den Blut¬
bildungsherden, die streng voneinander zu trennen seien. Bei den
Gummen handelt es sich teils um echte knötchenförmige Granulome,
teils um miliare Nekrosen in einem diffusen Granulationsgewebe. Die
Blutbildungsherde sind in der Leber normaler Föten bis zum 9. Monat,
höchstens bis zur Geburt vorhanden; bei luetischen Kindern dagegen
auch noch nach der Geburt gut nachweisbar.
A. In gier: Ueber die bei der Schnttlfelkrankheit am Rampf- and
Extremitätenskelett auftretenden Veränderungen. (Frankfurter Zeitschr.
f. Pathol., Bd. 12, H. 2.) Bei der Schnüffelkrankheit der Schweine
treten am Rumpf- und Extremitätenskelett dieselben Veränderungen auf
wie am Schädel, jedoch nicht so hochgradig. Der Krankheitsprozess
stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der menschlichen Ostitis
fibrosa überein.
Fl ebbe: Ueber das Magensarkom. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.,
Bd. 12, H. 2.) Magensarkome sind äusserst selten. Nach einer Statistik
nur 2 pCt. normaler Magentumoren. Andere fanden unter 3500 Sar¬
komen nur ein Magensarkom. Verf. beschreibt einen solchen Fall, der
histologisch als Lymphsarkom anzusprechen war. Benn.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Henne¬
berg und Westenhöfer, Asymmetrische Diastematomyelie.
Diagnostik.
A. F. Hertz • London: Bastedo’s Zeichen, ein neues Symptom bei
chronischer Appendiritis. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der
Verf. hält nach seinen Erfahrungen das Bastedo’sche Zeichen (Schmerzen
beim Aufblähen des Dickdarmes mit Luft) für ein diagnostisch sicheres
Zeichen bei chronischer Appendicitis. Weydemann.
Parasitenkunde und Serologie.
E. Job: Die Paratyphas B - Infektionen. Nosologische und
epidemiologische Studie. (Revue de medicine, 1913, Nr. 3.) Zusammen¬
fassende Uebersicht mit reichhaltigen Literaturangaben.
A, Münzer.
A. Berthelot: Untersuchungen über die Fähigkeit des Protens
vulgaris, Indol zu erzeugen. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences,
1913, Nr. 8.) Die von van Loghem aufgestellte Art des Bacillus
proteus anindologenes besitzt keine Existenzberechtigung, da jeder
Proteus Indol zu produzieren vermag, wenn er sich auf geeignetem
Nährboden befindet. Proteus gibt auf 3proz. pankreatischem Pepton
nur Indolacetsäure, auf 1 oder 2 pro M. Tryptophan mit sehr wenig
Gelatine oder auf Caseinnäbrboden Indol. Wartensleben.
P. Uhlenhutb und E. Emmerich-Strassburg: Ueber das Verhalten
des Kaninchenhodens hei experimenteller Trypanosomen- und Spiro-
chateninfektion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Bei
direkter Impfung von Trypanosomen der Dourine und Schlafkrankheit in
den Hoden von Kaninchen war eine Anreicherung festzustellen; be
einem Naganastamm war sie nicht augenfällig. Auch bei der Impfung
in die BLutbahn konnte bisweilen eine stärkere Vermehrung der Trypano¬
somen im Hoden als in der Blutbahn und anderen Organen festgestellt
werden. Die Anreicherung ist oft so ausgesprochen, dass die Unter¬
suchung des Hodenpunktats der Kaninchen eine frühere Diagnose ge¬
stattet als die Untersuchung des Blutes der gleichzeitig und mit der¬
selben Menge geimpften Mäuse. Wolfsohn.
J. Courmont und A. Rochaix: Ueber die Immunisierung gegen
den Staphyloeoccas pyogenes anf intestinalem Wege. (Compt. rend.
de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 7.) Die Einführung von abgetöteten
Kulturen des Staphylococcus pyogenes in den Dickdarm des Kaninchens
macht bei diesem einen gewissen Grad von Immunität, die in einem
Ueberleben gegenüber den Kontrollieren sich äussert. Das Tier geht
zugrunde an einer Infektion der Synovien, des Knochengewebes und der
serösen Häute. Wartensleben.
J. Bartel-Wien: Das Stadium „lymphoider“ Latenz im Infektions¬
gange bei der Tuberkulose. (Wiener ktin. Wochenschr., 1913, Nr. 13.)
Polemik gegen Cornet (Die Scrophulose, 1912). Verf. hält an der
Latenzmöglichkeit lebensfähiger und infektionstüchtiger Tuberkelbacillen
auch in anscheinend unveränderten Geweben fest. Das Problem der
Disposition in Verbindung mit den Erfahrungen der Infektionslehre ist
berufen, uns der befriedigenden Lösung des Tuberkuloseproblems näher
zu bringen. P. Hirsch.
A. Verbizier: Neue Untersuchungen über das Vorhandensein des
Koch’schen Baeiilns im strömenden Blnt der Tuberkulösen. (Revue
de med., 1913, Nr. 3.) Im Gegensatz zu neueren Forschungen konnte
Verf. bei 15 Tuberkulösen den Koch’schen Bacillus im strömenden Blut
nicht nachweisen. Er hält daher die Bakteriämie bei tuberkulös Er¬
krankten für eine sehr seltene Erscheinung. A. Münzer.
E. Rothe und K. Bierbaum - Berlin: Ueber die experimentelle
Erzengang von Taberkaloseantikörpern beim Rind; zugleich ein Bei¬
trag zur Taberkuloseimmanisierang. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 14.) Durch einmalige intravenöse Injektion toter Vollbakterien
gelingt es, bei Rindern, auch bei nicht tuberkulösen, einen hohen Gehalt
des Serums an spezifischen komplementbindenden Amboceptoren und
Präcipitinen zu erlangen. Die Bildung dieser beiden Antikörper verläuft
quantitativ nicht immer ganz parallel. Auch bei Pferden gelingen
analoge Experimente. Durch mehrmalige Injektion toter Bacillen er¬
halten Rinder einen erheblichen Schutz gegen eine spätere Infektion mit
Perlsuchtbacillen. Sera, die reich an Antikörpern sind, üben auch auf
virulente Tuberkelbacillen einen Einfluss aus, in dem sie im Reagenz¬
glase deren Virulenz herabsetzen. Die nach den intravenösen Injektionen
auftretenden Temperatursteigerungen sind diagnostisch nicht zu ver-
werten, ebensowenig wie der Nachweis experimentell erzeugter Anti¬
körper. Wohl aber eignen sich hochwertige Sera mit experimentell er¬
zeugten Antikörpern zur Wertbemessung der verschiedenen Tuberkuline.
Vorzugsweise empfiehlt sich hier die Präcipitationsmethode.
Wolfsohn.
F. Perussia - Mailand: Untersuchungen über die toxische Wirkung
der Organextrakte. (Pathologica, Bd. 4, Nr. 95, S. 616.) Die Organ¬
extrakte sind sowohl für das Tier, von dem das Organ stammt, toxisch,
als auch für die Tiere derselben oder verschiedener Gattung. Die Er¬
höhung der Widerstandskraft eines Tieres gegen einen autologen toxi¬
schen Extrakt durch entsprechende Einspritzungen ist möglich, aber es
gelingt nicht, einen Ueberempfindlichkeitszustand bervorzurufen, indem
man die Tiere mit Organextrakten, die von ihrem eigenen Organismus
stammen, behandelt. Während toxische Dosen von Organextrakten fähig
sind, die Temperatur des Tieres, dem sie eingespritzt werden, zu er¬
niedrigen, kommt eine pyrogene Wirkung der Organextrakte in kleinen
und kleinsten nicht toxischen Dosen niemals zur Beobachtung, im
Gegensätze zu dem, was bei Anaphylaxie einzutreten pflegt. Die
Giftigkeit der Organextrakte verschwindet durch Erhitzung auf 100°,
selbst wenn die Reaktion durch Hinzufügung von HCl sauer ist. Es
genügt auch die Einwirkung kleiner Quantitäten von Alkalien oder
Säuren, während weniger Minuten bei Zimmertemperatur, um den Organ¬
extrakten jedes toxische Vermögen zu entziehen. Letztere sind für die
neugeborenen wie für die erwachsenen Tiere gleich toxisch. Ebenso¬
wenig es möglich ist, in vitro mittels biologischen Verfahrens die
Giftigkeit der Organextrakte zu neutralisieren, ist auch eine Erhöhung
ihrer Giftigkeit mittels der Verdauung während 12 Stunden bei Zimmer¬
temperatur in homologem oder heterogenem Blutserum zu erzielen.
M. Segale.
A. Desmouliere: Das Antigen bei der Wassermann’schen Re¬
aktion. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 4.) Verf. gibt
die genaue Formel des in früheren Mitteilungen schon beschriebenen
synthetischen Antigens und schildert die Bedingungen, unter deden es
verwandt werden muss. Bei 150 Versuchen ergab es das gleiche Re¬
sultat wie ein Antigen aus heredosyphilitischer Leber.
L. Tribondeau: Ueber die Anwendung vegetabilischer Extrakte
bei der Wassermann’schen Reaktion. (Compt. rend. de l’acad. des
Sciences, 1913, Nr. 4.) Mit Mehlen kann man gute Extrakte erhalten.
Bisher das beste ist das Acetonextrakt von Erbsen, das mit Aether be¬
handelt wurde. Dieses gibt die gleiche Reaktion wie tierische Antigene,'
hat aber vor diesen Vorzüge. Wartensleben.
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
743
Innere Medizin.
B. Berliner: Einige Richtlinien der klimatopsychologischen
Forschung. (Zeitschr. f. Balneol., 6. Jahrg., Nr. 1.) Für die Er¬
forschung der physikalischen Grundursachen einer kliraatophysiologischen
oder klimatopsychologischen Reaktion muss, so weit wie irgend möglich,
der gesamte atmosphärische Zustand in allen seinen Elementen und in
seiner für die betreffende Reaktion in Betracht kommenden zeitlichen
Ausdehnung untersucht werden. Erst durch Vergleichen und Abstrahieren
aus komplexen Beobachtungsergebnissen kann auf die Elementareinflüsse
geschlossen werden. Die Kenntnis der seelischen Klima- und Wetter¬
wirkungen wird durch subjektive Selbstbeobachtung, durch Beobachtung
der psychischen Aeusserungen anderer Personen einschliesslich der Tiere,
durch statistische Feststellungen psychischer Phänomene und durch ex¬
perimentell-psychologische Untersuchungen ermittelt. Der Kernpunkt
des klimatopsychologischen Problems liegt in der Frage nach dem
Kausalzusammenhänge zwischen den physikalischen Reizen und den
seelischen Reaktionen. E. Tobias.
Grober-Jena: Allgemeine Behandlung der Infektionskrankheiten.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
D. Vandini und F. Parisi: Die Albaminreaktion des Answnrfes.
(11 Morgagni [Archivio], 1912, Nr. 1.) Durch eine Reihe persönlicher
Beobachtungen bestätigen die Autoren die Wichtigkeit, welche der
Albuminreaktion des Auswurfes klinisch zukommt, sowie den fast aus¬
schliesslichen Wert, den ihr Ausfall hinsichtlich der akuten und chroni¬
schen Erkrankungen des Atmuugsapparates besitzt. Bei tuberkulösen
Lungenerkrankungen ermöglicht die Albuminreaktion eine frühzeitige
Diagnose, wenn der bakteriologische Befund noch negativ ist; bei
Lungenentzündungen verfolgt sie die Phasen des Krankheitsprozesses,
bei Rippenfellentzündungen hilft sie zur Aufklärung der Aetiologie und
zur Stellung der Prognose. M. Segale.
A. Pic: Die entzündliche Tuberkulose. (Revue de m6d., 1913,
Nr. 8.) Kritik des kürzlich von Poncet und Leriche über die ge¬
nannte Frage publizierten Werkes. A. Münzer.
Ad. Schmidt: Diätetische Zeitfragen. (Zeitschr. f. physikal. u.
diätet. Therapie, April 1918.) Verf. zeigt den Umschwung in der diäte¬
tischen Therapie vom Schematismus zum Individualismus an der Hand
einiger Beispiele. So lautet heute das Prinzip beim Diabetes, die
Kohlehydrate soviel als möglich am Stoffwechsel teilnehmen zu lassen.
Bei der Fettsucht kommt es nicht auf bestimmte Schemen an, der
Galorienwert und der N-Gehalt der Nahrung muss sich an die Grund¬
regeln halten usw. Die Aerzte müssen nicht nur auf dem Gebiete der
Ernährungslehre besser durchgebildet sein, sie müssen sich auch in der
diätetischen Küche umsehen, die für Krankenhäuser und Sanatorien
neben der Hauptküche unbedingt notwendig ist. Für klinische Verhält¬
nisse sind fünf Standard Kostformen notwendig: die Schmidt’sche Probe¬
kost, eine salzhaltige und eine salzfreie laktovegetarische Kostform, eine
Eiweiss-Fettkost mit koblehydratarmen Gemüsen und ohne Gemüse und
Kartoffelo, die gemischte Schonungsdiät für Magendarmkranke sowie die
flüssig-breiige Kost für Fiebernde. Aber die Diätküche muss ausserdem
im Bedarfsfälle alles zu liefern imstande sein. Auch künstliche Nähr¬
präparate sind nicht immer zu entbehren.
Einhorn: Weitere Bemerkungen über Cardiospasmus and idio¬
pathische Dilatation des Oesophagus. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet.
Therapie, April 1913.) Idiopathische Oesophagusdilatation ohne wirk¬
liche Stenose ist gewöhnlich das Resultat eines lange bestehenden und
häufig wiederkehrenden Cardiospasmus. Cardiospasmus kann auch durch
bösartige Geschwülste des Magens hervorgerufen werden. Der Cardio¬
spasmus in der benignen Form wird durch forcierte Streckung der
Cardia mittels des Cardiodilatators, in leichteren Fällen mit sedativen
Medikamenten und stärkeren Bougies behandelt. E. Tobias.
E. Ruggeri: Beitrag zum Studium des Stickstoffwechsels hei
Magenkrebs. (Gazz. int. med., chir., igiene, 1912, Nr. 14, S. 230.)
Die Beobachtung des Stickstoffwechsels bei Magenkrebs gibt verschiedene
Resultate, die mit der Nahrung, dem Krankheitsstadium, dem Sitze der
Neubildung und den besonderen während der Entwicklung des Tumors
frei und vom Organismus absorbiert werdenden Produkten im Zusammen¬
hänge stehen. Die Aufsaugung des Stickstoffes ist schwer geschädigt.
Der Ursprung dieser Störungen im Aufsaugungsvermögen liegt ausser in
dem Reflex, den die Neubildung im allgemeinen im Organismus erzeugt,
auch im Sitze des Tumors und in den fast immer durch katarrhalische
Prozesse des Magens und Darmes veränderten Zuständen. Hinsichtlich
des Chlornatriums konnte der Autor bedeutende Retention feststellen.
Harnstoff wurde im allgemeinen weniger ausgeschieden. Bezüglich der
Harnsäure entfernten sich die erhaltenen Resultate nicht von den physio¬
logischen Grenzen. M. Segale.
Funder-Altheide: Ueber den Einfluss intraabdominaler Druek-
steigerung nid des Fülluagszustandes des Magens auf den Blntdrnck.
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 14.)/ Bei den Herzstörungen
digestiver Natur handelt es sich nicht einfach um mechanische Einflüsse
auf den Kreislauf, sondern auch um reflektorische Vorgänge.
Wolfsohn.
M. Piery und A. Mandoul-Lyon: Zum Studium der entzünd¬
lichen Tnberknlose des Diekdarms. (Revue de möd., 1913, Nr. 3.)
An 20 eigenen Beobachtungen wird das Bild der entzündlichen Tuber¬
kulose des Dickdarms erläutert; die Verff. unterscheiden 4 Formen der
Erkrankung. Als wichtig hervorzuheben ist, dass auch in der Aetiologie
der Hirschsprung’schen Krankheit die Tuberkulose bisweilen eine be¬
deutsame Rolle spielt. A. Münzer.
R. Ehrmann: Zur diätetischen Therapie der chronischen Pankreas¬
erkrankungen. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.)
An der Hand des Fleisches, der Fette und der Kohlehydrate werden die
Funktionen der Bauchspeicheldrüse erörtert und aus ihren Störungen
die diätetisch-therapeutischen Folgerungen abgeleitet. Man sieht bei
gestörter Pankreassekretion die Ausscheidung von unveränderten Muskel¬
fasern und Muskelfaserkonglomeraten mit erhaltener Längs- und Quer¬
streifung — Kreatorrhöe. Therapeutisch wird man Fleisch geben dürfen
bei vorhandener Magensaftsekretion, aber den Aufenthalt im Magen durch
Sahne oder Butter verlängern. Dazu kommt von den Fetten erhöhter
Fettgehalt des Stuhles. Butter ist daher einzuschränken, dafür mehr
Milch und etwas Sahne zu geben. Gelbei ist in nicht allzu grossen
Mengen bei vermehrter Lecithinausscheidung zu geben. Gemüse, Kom¬
potte u. dgl. sollen fein gerührt genossen werden. Zu empfehlen ist
Pankreatin oder Pankreon, ferner Salzsäure. E. Tobias.
K. Glaessner - Wien: Ueber Pankreassteine. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 13). Die Erkrankung an Pankreassteinen ist
bei weitem nicht so selten, wie man im allgemeinen anzunehmen pflegt.
Der Verf. selbst hat bereits fünf Fälle beobachtet. Wie bei den Gallen-
und Nierensteinen handelt es sich bei dieser Litbiasis nur um eine vor¬
übergehende Insuffizienz des Organes, und darauf ist auch die Schwankung
im Untersuchungsergebnis zurückzuführen. Boi diesen Erkrankungen
sollte stets nach Schmerzanfällen auch eine Untersuchung des Stuhles
vorgenommen werden, damit wichtige Veränderungen nicht übersehen
werden. Interessant ist folgendes Phänomen: Bei der Anstellung der
alimentären Zuckerproben, die in allen Fällen im Anfall positiv war,
trat in zwei Fällen nach der Zufuhr von Glykose Temperaturerhöhung
bis auf 39° auf. P. Hirsch.
G. Pari und A. Zanorello: Ueber Galakturie bei Lebereirrkose.
(Clinica med. italiana, 1912, S. 72.) Wegen der ausgedehnten indi¬
viduellen Verschiedenheiten der Assimilationsgrenze hinsichtlich des
Milchzuckers bei normalen Individuen kann oft aus der Bestimmung
dieser Grenze bei Lebercirrhosepatienten (wenn diese Bestimmung nur
einmal ausgeführt wird) nicht geschlossen werden, ob die Grenze ver¬
ringert ist oder ob Leberinsuffizienz besteht. Es hat daher die Probe
in dieser Weise wenig diagnostischen Wert. Sie gewinnt jedoch an Be¬
deutung, wenn die Bestimmung wiederholt an dem Kranken vorge¬
nommen wird und sich fortschreitende Verringerung der Grenze ergibt.
M. Segale.
H. Taohau-Berlin: Ueber den Zackergehalt des Blutes. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vortrag im Verein für innere Medizin
und Kinderheilkunde in Berlin am 3. Februar 1913. Wolfsohn.
R. Stock mann-Glasgow: Die Wirkung der Salieylsäare und
chemisch verwandter Körper bei Gelenkrheumatismus. (Brit. med.
journ., 22. März 1913, Nr. 2725.) Als wirksam beim akuten Gelenk¬
rheumatismus erweisen sich ausser der Salicylsäure und des salicylsauren
Natriums das Saligenin, Salicin, die Acetylsalicylsäure, das Methyl-
salicylat und die Kresotinsäure. Unwirksam waren Phenol, die Meta-
und Paraoxybenzoesäure, Salol, salicylsaures Chinin, Glykosal, Dimethyl-
salicylsäure, Methoiybenzoesäure, Populin, Tetrabenzoy lsalicin, die
Zimtsäure und die Cumerinsäure. Geringe Wirkung hat die Phthal¬
säure. Lokal wirksam sind Metbylsalicylat, Mesotan, Aethylsalicylat
und Methylmetakresotinat; letztere beiden riechen stark. Spirosal und
Ulmaran sind wirkungslos. Natr. salicyl. (0,12—0,18 in 0,5 Wasser)
subcutan lindert rasch die Schmerzen, wirkt aber nur vorübergehend.
Die Wirksamkeit aller dieser Verbindungen häugt von ihrem Gehalte an
Salicylsäure ab, die wohl eher antitoxisoh als antibakteriell wirkt.
Weydemann.
Lamp 6 : Ueber die prognostische Bedeutung von Haferknren.
(Zeitschrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Verf., der
bisher bei 513 Fällen von Diabetes die Haferkur angewandt hat, be¬
spricht an der Hand einiger Beispiele ihre prognostische Bedeutung.
Der Einfluss der Haferkur gestattet Rückschlüsse auf die Prognose des
betreffenden Falles. E. Tobias.
Siehe auch Physiologie: Gessner, Fettstoffwechsel. —
Diagnostik: Herz, Symptom der chronischen Appendicitis. —
Parasitenkunde und Serologie: Verbizier, Tuberkelbacillen im
strömenden Blut. — Chirurgie: Sauerbruch: Phrenikotomie bei
Lungenkrankbeit. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Drey-
fuss, Neosalvarsan. t
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Schnitzler: Zur Technik der Markscheidenfdrbung. (Neurol.
Centralbl., 1913, Nr. 7,). Schnitzler benutzt eine Modifikation der
PaPschen Markscheidenlärbung. Die Vorbehandlung der Schnitte erfolgt
in Blutlaugensalz-Lithiumcarbonat. Die Methode und ihre Vorteile werden
genau beschrieben.
Sohüchterer: Eine bequeme Methode zur Darstellung der Zellen
des Liquor cerebrospinalis. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 7.) Sch.
setzt zum Liquor Sublimateisessig in bestimmter Lösung und nach
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UNIVERSUM OF IOWA
744
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
bestimmter Vorschrift hinzu und beschreibt genau die Methode, mit
der er vorzügliche, scharfe, klare Zellbilder des Liquors erhält.
E. Tobias.
Kutzinski - Berlin: Ueber die Beeinflussung des Vorstellongs-
ablaufe« durch Gesiehtskemplexe bei Geisteskranken. (Schluss aus
Nr. 1 und 2 d. Monatsschr. f. Neurol. u. Psych., März 1913.) Von der
grossangelegten Versuchsreihe, deren Deutung sich hauptsächlich gegen
die Ansichten von Jung und Riklin richtet, interessieren besonders
folgende Resultate: Bei geisteskranken Versuchspersonen sind Ausfalls¬
reaktionen (keine Reaktion auf Reizwörter nach 30 Sekunden) nicht nur
die Folge von verdrängten Gefühlskorapleien, sondern jeder Wettstreit
zwischen geläufigen und frischen eindrucksvollen Vorstellungen verzögert
oder hemmt die Reaktion auf Reize. Der Einfluss des Komplexes kann
sich bald in einer Verflachung, bald in einer Verinnerlichung der Objekt¬
associationen äussern. Welcher von beiden Faktoren überwiegt, scheint
nicht vom Individuum, sondern vom Krankheitstypus abzuhängen.
E. Loewy-München.
Dubois: Die Isolierknr in der Behandlung der Psychoiearosen.
(Zeitschr. f. Balneol., 6. Jahrg., Nr. 1.) Die Hauptsache in der Behand¬
lung der Psychoneurosen ist eine rationelle Psychotherapie. Zur Unter¬
stützung können einzelne Faktoren der Weir-Mitehell’schen Kur dienen.
Eine relative Isolierung ist indiziert, wenn der Patient sie wünscht oder
wenn der Verkehr mit den Verwandten ungünstig einwirkt; auch zu¬
gunsten der Angehörigen kann sie notwendig werden. Dubois hat im
Verlauf der Jahre immer mehr auf die Isolierung verzichtet.
E. Tobias.
H. K ah an e-Wien: Angstznstäide. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 13.) Der Verf. schlägt für eine gewisse Psychoneurose die
Bezeichnung „Phobothymie“ vor. Er versteht hierunter eine gewisse
Seelenverfassung, die besonders stark zu Angstaffekten neigt, solche
selbst ohne wahrnehmbare objektive Veranlassung produziert, sie auffällig
mit Ausdrucksreaktionen betont, aber auch in oft schwer verständlicher
Weise die buntesten somatischen Symptome zeitigt. Die Therapie kann
nur eine psychische sein. P. Hirsch.
V. J. Müller-Zürich: Zur Kenntnis der Leitangsbahnen des
psychogalvanischen Reflexphänomens. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol.,
März 1913.) Der Autor beweist, dass das psychogalvanische Phänomen
auch bei höheren Tieren vorkommt. Bei perineuraler Injektion eines
Anästheticums in die sensiblen Nerven der Elektrodenansatzstellen ist
es möglich, das Phänomen an der anästhetischen Stelle zu unterdrücken,
ebenso bei operativer Durchtrennung dieser Nerven. Die übrigen Resultate
der interessanten — unter Veraguth — angestellten Versuche sind nur
von spezialistischem Interesse.
Henneberg und Westenhöfer - Berlin: Ueber asymmetrische
Dia8tematomyelie vom Typus der „VorderhomabschnüniDg“ bei Spina
biflda. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol., März 1913.) 17jähriges
Mädchen mit Blasenbeschwerden und Geschwulst (Muskel- und Fettteile)
in der Kreuzgegend, Fehlen der Sehnenreflexe an beiden Beinen und
einseitigem Babinski, wird dural operiert und stirbt nach mehrtägigem
Erbrechen und hohem Fieber. Die Sektion ergibt ausser starken Nieren¬
veränderungen (Eiterung und Doppelbildung auf einer Seite) Verdoppe¬
lung des Lendenmarks auf eine Strecke von 4—5 cm. Die genaue
Durchsicht ergab Verkleinerung des linken Hinterstranges im Cervical-
und Dorsalmark, Auftreten eines medialen Vorder- und Hinterbornes
und eines rudimentären medialen Hinterstranges in LIl—V. Iu S I zwei
völlig getrennte vollständige Rückenmarksquerschnitte, dann Verschmelzung
beider Querschnitte und Schwund sämtlicher vier Hinterhörner. Im
mittleren Sacralmark erneute Trennung beider hinterhornloser Säulen.
Genaue Literaturdurchsicht und Warnung vor Kunstfehlern, die man
fälschlich für Doppelmissbildungen des Rückenmarks sehr oft angesehen
habe. Besprechung der Aetiologiehypothesen, besonders der Hertwig-
schen, dass ein Missverhältnis zwischen Dotter und Keimanlage bestehen
müsse. E. Loewy-München.
0. Maas: Störung der Sehmerzempflnding bei Kleinhirnerkranknng.
(Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 7.) Maas berichtet über die klinische
Beobachtung eines 74 jährigen Mannes mit linksseitigem Kleinhirnherd,
bei dem eine zuerst von Lotmar beschriebene Störung sich findet: es
besteht eine deutliche Unterschätzung von Gewichten in der linken Hand.
Vorderhand können Schmerzempfindungsstörungen nur dann auf Klein¬
hirnaffektion zurückgeführt werden, wenn keine anderen Teile des Central¬
nervensystems geschädigt sind.
Marinesco: Behandlung syphilitischer Erkrankungen des Nerven¬
systems mittels intraarachnoidealer Injektion von Neosalvarsan. (Zeit¬
schrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) M. hat 13 Kranke
(darunter Meningomyelitis, Tabes, Paralyse usw.) mit intraarachnoidealen
Injektionen von Neosalvarsan behandelt; die luetische Infektion lag
wenigstens 2 Jahre zurück. Der Injektion ging immer die Entnahme
der gleichen Menge von Cerebrospinalflüssigkeit voraus. Die erhaltenen
Resultate haben den auf sie gesetzten Hoffnungen im ganzen nicht ent¬
sprochen. Die Mehrzahl der Patienten zeigte stürmische Allgemein¬
erscheinungen, zum Teil auch mit Fieber. Sehr häufig waren Urin¬
beschwerden, einige Male verschlimmerte sich der Allgemeinzustand er¬
heblich. E. Tobias.
K. Biesalski- Berlin: Die spastische Lähmung ia Kindesalter und
ihre Behandlung. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vortrag
im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am
17. Januar 1913. Wolfsohn.
W. Scbüffner - Deli: Ist die Beri-Beri eine auch in Europa
heimische Krankheit? (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.)
Beri-Beri ist eine Polyneuritis, die durch alimentäre Schädigung ent¬
steht. Verf. wirft die Frage auf, ob unsere sogenannten idiopathischen
Polyneuritiden nicht auch auf eine alimentäre Schädigung zurückzu¬
führen sind. Dünner.
W. Alexander: Die Fortschritte der physikalischen Therapie
bei Trigeminusneuralgie, einschliesslich der Injektionsmethoden. (Zeit¬
schrift f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Von den neueren
physikalischen Heilmethoden können alle gelegentlich leichtere und ver¬
einzelt schwere Fälle günstig beeinflussen. Einen grossen Fortschritt hat
die Iojektionstherapie angebahnt. Die Alkoholinjektionen haben die Re¬
sektionen vollkommen ersetzt; die Exstirpation des Ganglion Gasseri ist
nicht zu verdrängen, ein Versuch mit Einspritzung in das Ganglion zu
empfehlen, aber derart, dass der erste Ast zwecks Vermeidung einer
Keratitis verschont bleibt.
L. Mann: Die Elektrotherapie der Lähmungen und Miskel-
atrophien. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, April 1913.) Als
Wirkungsweise des elektrischen Stromes bei Lähmungen kennen wir die
erregbarkeitssteigernden, die erfrischenden und kraftsteigernden, die
trophischen und circulatorisohen und ganz besonders die kontraktions-
erregenden Wirkungen. Letztere dominieren. Sie sind das eigentliche
therapeutische Agens. Zu ihnen bedienen wir uns vor allem des faradi-
schen Stroms, des sinusoidalen Wechselstroms, des undulatorischen Stroms
und des Leduc’schen intermittierenden Gleichstroms. Nur bei Lähmungen
mit Entartungsreaktion können sie nicht angewandt werden. Mit der
Elektromechanotherapie steigern wir den Kontraktionseffekt durch An
Wendung von Widerständen. Empfehlenswert sind langdauernde Sitzungen.
E. Tobias.
Siehe auch Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie: Zalewska, Zweiteilung des Rückenmarks. — Chirurgie:
Cade und Leriche, Gastrische Krisen der Tabes dorsalis. Lau en¬
stein, Grosshirnschussverletzung. Eguchi, Traumatische Epilepsie. —
Geburtshilfe und Gynäkologie: frayer, Bossi und die Gynäko¬
logie.
Kinderheilkunde.
L. Maier - München: Einfluss hygienischer Verhältnisse auf die
Morbidität und Mortalität der Masernpnenmonie. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die Letalität auf der Masernabteilung in
der Münchener Universitäts-Kinderklinik sank ungefähr auf die Hälfte
(Vergleich der Jahre 1906—1909 und 1910-1913); diese Verminderung
ist durch ein beträchtliches Absinken der Frequenz der Komplikationen
bedingt. Als Grund für diese Verbesserung müssen unbedingt die neu¬
geschaffenen guten hygienischen Verhältnisse angesehen werden.
Dünner.
E. Seligmann und E. Schloss-Berlin: Beiträge zur Epidemiologie
und Klinik der Diphtherie. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 6.)
Seligmann und Schloss stellen auf Grund ihrer Erfahrungen durch
Schulepidemien an sechs Schulen, durch eine Hausepidemie in einer ge¬
schlossenen Anstalt und schliesslich an der Hand ihrer Erfahrungen an
Krankenhausmaterial folgende Grundsätze zur Diphtheriebekämpfung auf:
1. Io seuchenfreien Zeiten bakteriologische Untersuchung aller ver¬
dächtigen Hals- und Nasenerkrankungen. 2. Bei Epidemien in Schulen,
Anstalten usw. bakteriologische Untersuchung auf gesunde Bacillen träger.
3. Bakteriologische Untersuchung der Rekonvaleszenten.
G. Nobel-Wien: Zur Pathologie vaccinogeier Aisschläge. (Zeit¬
schrift f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 5.) Unter Hinweis auf Behauptungen
der Impfgegner weist N. darauf hin, dass die Lymphe virulenter Impf¬
pusteln vom Patienten mit recenter Syphilis keine Spirochäten führt, da¬
her kann Impfsyphilis nicht durch Keimübertragung aus Vaccineinsertionen
resultieren; ferner, dass Vaccina generalisata, bei der es sich um
exanthematisch ausgestreute mikropapulöse Erytheme handelt, auf dem
Wege der Autoinoculation oder durch accidentelle Uebertragung des
Vaccinevirus zustande kommt. Er weist es nicht ganz von der Hand,
dass Vaccinosen den hämatogenen Verbreitungsweg in Anspruch nehmen
können, ist aber überzeugt, dass sie fast immer durch exogene Infektion
Zustandekommen. In einer sehr grossen Beobachtungsreihe bei Kindern
mit pruriginösen Hautzuständen ergab sich bei subcutaner Vaecioation
kein einziges Mal eine Vaccinose. Dieser Umstand spricht zwar nur
scheinbar gegen die Möglichkeit einer hämatogenen Verbreitung; denn
der minimale Keimgehalt der Lymphe kommt hierbei ebenso in Betracht,
wie die Herabsetzung der Vermehrungsmöglichkeit durch die frühzeitige
Antikörperbildung. B. Grünfelder.
E. Mensi: Ueber die Hautveränderungen bei Sclerema der Nei-
geborenen. (Giorn. it. delle malattie veneree e delle pelle, Bd. 52, Nr. 2,
S. 207.) Es bestehen zwei deutlich unterschiedene Formen von Sclerema
neonatorum, je nachdem die Haut starr, gespannt, verdickt, wie succu-
lent, oder verdünnt, verkürzt, wie ausgetrocknet erscheint. Diesen
beiden Formen entsprechen besondere Hautverletzungen, die der Autor
durch Mikrophotographien erläutert. Bei der Pathogenese ist das in-
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
745
fektiöse Element von Wichtigkeit und vielleicht das durch Hypo- oder
mangelnde Funktion der Schilddrüse dargestellte angeborene Element.
M. Segale.
Cb. Watson-Edinburg: Bemerkungen über den Nahrungsbedarf
der Kiader. (Erli, med. Journ., 22. März 1913, Nr. 2725.) Aus den
Analysen der täglichen Nahrungsmenge einer Anzahl von Kindern aus
gut situierten Familien berechnet Watson einen Durohschnitt von 72 g
Eiweiss, 69 g Fett und 198 g Kohlehydrate = 1751 C&lorien für das
Alter von vier bis sieben Jahren. Da die Kinder sehr gut entwickelt
waren, glaubt er, dass dieser Durohschnitt richtiger sei als der von
Atwater mit 48 g Eiweiss und 30 g Fett Tuberkulöse Kinder erhalten
etwas mehr Eiweiss, gichtisch veranlagte weniger. Weiter gibt der Verf.
einige Beispiele und Analysen von Mahlzeiten, die für eine billige Massen¬
ernährung von Schulkindern geeignet sind. Wey de mann.
A. v. Reuss-Wien: lieber die Bedeutung der Unterernährung in
der ersten Lebenszeit. (Zeitschr. f. Kinderheilk., Bd. 4, H. 6.) R. trennt
bei der Beurteilung der Inanitionszustände den Begriff der Unterernährung
von dem der Austrocknung. Die Ursachen der Unterernährung können
von seiten des Kindes durch Saugschwäche, Trinkfaulheit und Scheu vor
der Brust bedingt sein, andererseits kann die Schwierigkeit auf seiten
der Mutter zu suohen sein, sei es, dass die Warze nicht den Anforde*
rungen entspricht oder die Brust schwer in Gang zu bringen ist. Ausser
bei trinkschwachen Kindern, bei denen Vermehrung der Mahlzeit an¬
gezeigt erscheint, hält auch R. an fünf bis sechs Mahlzeiten fest. Zur
Verhütung der Ernährungsschwierigkeit von seiten der Mutter empfiehlt
R. schon in den ersten Tagen der Lactation das manuelle Abdrücken
bzw. Abpumpen der Milch, um so der Stauung und Versiechung vorzu¬
beugen und um auch die Sekretion zu steigern. Die Ezsiccation bzw.
Unterernährung durch Hypogalaktie würde am besten durch abgedrückte
Frauenmilch behoben, deren Fehlen im Privathaus durch Flüssigkeits-
sufuhr bis in die zweite Woche hinein ersetzt werden kann. Zufütterung
von Kuhmilch empfiehlt R. erst dann, wenn die Brustdrüsensekretion
einigermaassen in Gang gekommen ist und dadurch die Aussicht für ein
erfolgreiches Allaitement mixte gegeben ist.
N. Krasnogorski(-Petersburg)-München: Ueber die Herkunft des
Harneiweisses bei Albuminurien der Säuglinge. (Zeitschr. f. Kinder¬
heilk., Bd. 4, H. 6.) K. fand auf Grund von Untersuchungen mit der
Präcipitin- und der Komplementablenkungsmethode bei Albuminurien
von 20 bzw. 16 Säuglingen, dass das durch die Nieren ausgeschiedene
Eiweiss kein artfremdes, sondern ausschliesslich menschlich arteigenes
Eiweiss darstellt. B. Grün fei der.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Bie-
salki, Spastische Lämung des Kindesalters.
Chirurgie.
H. Reichel- München: Erfahrungen mit dem Seopolamindänmer-
sehlaf in Verbindung mit Morphium, Pantopon und Narkophin.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Günstige Erfahrungen
mit der Scopolamin-Narkophinnarkose. Dünner.
R. Dubois: Ueber die Anästhesie dureh den Verdauungstrakt'
(Compt. rend. de Tacad. des Sciences, 1913, Nr. 3.) Die Anästhesierung
mit Chloroform auf rectalem Wege ist zu verwerfen. Die Methode von
P. Best mit titrierten Gemischen ist am besten, der nach diesem Prinzip
vom Verf. konstruierte Apparat erlaubt, eine Anästhesie herbeizuführen,
wo diese sonst nicht möglich wäre Warten sieben.
P. Babitzki - Kiew: Zur Anästhesierung des Plexus braehialis
■aeh Kulenkampff. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Zur
Entfernung einer Nadel in der Hand wurden 15 ccm 3 proz. Novocain¬
lösung in den Plexus braehialis injiziert. Operation in Blutleere
(Schlauch). Wochenlange Parese des ganzen Armes, die sich ganz all¬
mählich zurückbildete. B. glaubt, dem Schlauch die Schuld beimessen
zu müssen (nach einer so kurzen Operation? Ref.). Wolfsohn.
F. Rost - Heidelberg: Anatomische Untersuchungen einiger für
die Lokalanästhesie wichtigen Hautnerven bezüglich ihrer Durchtritts¬
stellen durch die Fascien. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 5
u. 6.) Versager bei der Anästhesie des Hautnerven bestehen auf un¬
genauer Kenntnis ihrer Austrittsstelle. An der Hand exakter Schilde¬
rungen und guter Illustrationen gibt R. eine Schilderung ihres ana¬
tomischen Verhaltens. Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
J. Becker.
D. F. D. Turner • Edinburg: Mit Radium behandelte Fälle im
Kgl. Krankenhause in Edinburg im Jahre 1912. (Läncet, 22. März 1913,
Nr. 4673.) Behandelt wurden 12 bösartige Erkrankungen, je 11 Ulc.
rodent. und Naevi und je 1 Leukoplakie, Lymphadenom, Frübjabrskatarrh,
tuberkulöse Lymphdrüse, tuberkulöses Geschwür am Handrücken, Papillom
und Hypertrichose. Besonders zugänglich für die Behandlung waren die
Ulc. rodent.; auch das Papillom und das tuberkulöse Geschwür wurden
geheilt. In den anderen Fällen war der Erfolg teilweise negativ.
Weydemann.
0. Grüne - Cöln: Die moderne Bardenhener’sehe Extensionsbehand 1
im Vergleich zur Steinmann’schen Nagelextension. (Deutsche
Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) G. plädiert für eine ausgiebige
Anwendung des Bardenheu er’schen Verfahrens, das gegenüber dem
Steinmann’schen gänzlich gefahrlos und nach Einführung der Semi-
flexion und modifizierter Heftpflasterzüge direkt ideal ist.
W. Keppler - Berlin: Die blutige Stellung schlecht stcheuder
Frakturen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Die
Methode will Verf. hauptsächlich für Frakturen der oberen Extremität
angewendet wissen. Sie ist ein harmloser Eingriff, der sehr vorteilhaft
ist und am besten etwa acht Tage nach dem Trauma vorgenommen
werden soll.
O. Grüne-Cöln: Ein Fall von isolierter Kahnbeinfraktur des
Fusses. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Fraktur kam
zustande durch Fall auf den Grosszehenballen. Behandlung mit Streck¬
verband und Rotationszug verhütete die Plattfussbildung.
J. Becker.
C. S. Walaoe-London: Hyperextension und Rttckschlagver-
letiungen des Handgelenks. (Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der
Verf. glaubt aus seinen Beobachtungen an einigen Verletzten schliessen
zu können, dass ein gewaltsames Zurückbeugen der Hand zwei Ver¬
letzungen verursachen kann: Bruch des Kahnbeines und Verrenkung des
Mondbeines. Es kommen zwei mechanische Einwirkungen in Betracht:
eine direkte, nämlich Druck der Handwurzelknoohen gegen das Radius¬
ende und eine indirekte, nämlich Hyperextension oder -Abduktion. Ebenso
wie ein Fall auf die ausgestreckte Hand wirkt der Rückschlag beim
Ankurbeln eines Motors; der verschiedene Verlauf der Bruchrichtung hat
seinen Grund in dem Winkel, in dem die Hand im Augenblick des
Schlages zum Unterarm steht. Weydemann.
M. Hol lensen - Hamburg: Ein Fall von Hallux varu«. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Mitteilung eines sehr seltenen
Falles von Hallux varus, der ohne Klumpfussbildung bestand. Operative
Heilung.
P. Ewald - Hamburg-Altona: Die Ursachen des Kniek- und Platt-
fisses. (Deutsche Zeitschr. f. Cbir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Seit der
Röntgenära ist die alte Einteilung der Formen des Plattfusses nicht mehr
haltbar, vielmehr sind seine hauptsächlichsten Formen und Unterarten
in Erkrankungen des Unterschenkels (Frakturen usw.) oder in Läsisnen
der Fusswurzelknochen zu suchen. Einzelheiten der lesenswerten Arbeit,
eignen sich nicht für ein kurzes Referat.
0. Grüne-Cöln: Zur Luxatio pedis snb talo. (Deutsche Zeitschr
f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Kasuistische Mitteilung zweier Fälle.
J. Becker.
H. M aass-Berlin: Die kongenitale Vorderarmsynostose. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Demonstration in der Berliner Gesell¬
schaft für Chirurgie am 10. Februar 1913. Wolfsohn.
G. Koga - Kyoto: Zur Therapie der Spontangangrän an den Extremi¬
täten. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die in
Japan häufige Spontangangrän infolge von Sklerose der Gefässe bei
jugendlichen Individuen beruht nach Ito’s Ansicht auf der haupt¬
sächlich vegetabilischen Nahrung, wodurch die Gefässe bisweilen un¬
günstig beeinflusst werden. Verf. erzielte durch Herabsetzung der Viscosi-
tät des Blutes durch Infusion von Kochsalz- bzw. Ringer’schen Lösungen
günstige Heiluogsresultate. J. Becker.
Miyauchi-Japan: Die Häufigkeit der Varieen am Unterschenkel
bei Japanern und der Erfolg einiger operativ behandelter Fälle. (Archiv
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Unterschenkelvaricen sind in Japan selten.
Verf. führt das auf die Sitzweise der Japaner zurück. Bekanntlich sitzt
der Japaner derart auf Fussmatten, dass er die Beine im Knie voll¬
ständig beugt und die Fusssohlen unter das Tuber isohii bringt, dadurch
wird die Vena saphena magna nicht gedrückt und infolgedessen keine
venösen Stauongen hervorgerufen. Verf. bespricht kurz die Trendelen-
burg- und Madelung’sche Operationsmethode, die Babcock’sche Operation
kennt er nicht. Drei Krankengeschichten.
Goto-Japan: Pathologisch-anatomische und klinische Studien über
die sogenannte Myositis ossifieans progressiva mnltiplex. (Archiv f.
klin. Chir., Bd. 100, H. 3.) Es handelt sich um eine progressive, nicht
hereditäre Krankheit, welche hauptsächlich im Kindesalter auftritt. Der
Prozess nimmt seinen Ausgang von der Fascie bzw. Aponeurose, Sehne
oder dem Periost, eventuell auch vom Bandapparat. Das Intcrstitium
des Muskels wird nur sekundär von der Nachbarschaft in Mitleidenschaft
gezogen. Die rationellere Bezeichnung dieser Krankheit wäre: „Hyper-
plasia fascialis ossifieans progressiva/ Der Verlauf lässt sich einteilen
in 1. das Stadium der Bindegewebshyperplasie ohne Entzündung, 2. das
Stadium der fibrösen Induration, 3. das Stadium der Verknöcherung.
Der neugebildete Knochen zeigt immer einen normalen Knochenbau.
Aetiologisch ist eine chronische Entzündung, speziell Lues, sicher aus-
zusohliessen, als Prädisposition ist wichtig das Trauma, jedoch ist auch
eine spontane Entstehung der lokalen Veränderung möglich. 19 Text¬
figuren. Schliep.
C. Lauen stein »Hamburg: Grosshirnsehuss Verletzung durch ein
7 mm-Geschoss ohne erhebliche Folgen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
Bd. 121, H. 1 u. 2.) Verf. schiebt in dem mitgeteilten Falle das Aus¬
bleiben übler Nachwirkungen seitens des Geschosses auf dessen kleines
Kaliber und auf das Ausbleiben einer Deformierung des Geschosses und
dadurch eventuell bedingter Blutung.
A. Horrwitz - Berlin: Uebei 1 eine neue Methode zur operativen
Behandlug der isehämiseben Kontraktur. (Deutsche Zeitschr. f.
Chir., Bd. 121, H. 5. u. 6.) Es ist möglichst bald zu operieren,
sobald die ischämische Kontraktur sich ausgebildet hat, denn
nur dadurch sind die Muskeln usw. noch wenig geschädigt und besser
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UNIVERSITY OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
regenerationsfahig. Klapp machte in einem Falle ischämischer Kon¬
traktur nach Fr. humeri, die mit Versteifung des Handgelenks aus¬
geheilt war, eine Resektion der proximalen Reihe der Handwurzelknochen
und erzielte einen glänzenden Erfolg. (Modifikation der Henle’schen
Operation.) J. Becker.
Lucas-Trier: Ueber die freie Plastik der Fascia lata. (Archiv
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Verf. hat bei Operationen ausgiebigen
Gebrauch von der Fascia lata gemacht und empfiehlt dieselbe angelegent¬
lich. Bei Danndefekten, Biasenwanddefekten, zur Sicherung der Naht
bei der Magen- und Darmchirurgie, als Ersatz von Sehnen und Bändern,
bei Blasenektopie, bei grossen Bruchpforten, bei Trachealdefekt und als
Ersatz für Peritoneum hat sich Fascia lata ausgezeichnet bewährt.
Schliep.
T. Eguchi: Zur Kenntnis der traumatischen Epilepsie nach Kopf¬
verletzungen im japanisch-russischen Kriege. (Deutsche Zeitschr. f.
Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Uebersicht über die bisherigen Mitteilungen
traumatischer Epilepsie durch Geschosse. In den Fällen des Verf. trat
in 3 pCt. nach Kopfverletzung traumatische Epilepsie auf, doch zeigt sie
sich erst später nach eingetretener Narbenbildung. Sagittale Schuss¬
wunden rufen sie häufiger hervor als Querschüsse. Verwachsungen der
Knochen oder Haut mit der Dura raater oder dem Gehirn rufen auch
manchmal Epilepsie hervor. Therapeutisch nützen Medikamente nichts,
doch können nach einer Operation, die Verf. stets anrät, die Anfälle,
welche sich nach derselben noch einige Male wiederholen würden, mit
Hilfe der Medikamente schneller beseitigt werden.
A. Cade und R. Leriche - Lyon: Klinische, pathogenetische und
therapeutische Studie über die gastrischen Krisen bei der Tabes dor*
salis. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) C. gibt eine
übersichtliche Schilderung der Symptomatologie, Pathologie und internen
Therapie bei Krisen der Tabiker. Versagen die internen Medikationen,
so ist chirurgisch vorzugehen. L. schildert die einzelnen Eingriffe nach
Foerster, Guleke, Franke und König.
G. Lerda-Turin: Beitrag zur totalen Meloplastik. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Totaler Wangenersatz ist sehr
kompliziert, und es sind für ihn viele Wege angegeben worden. Verf.
vollfühlte nach Exstirpation eines linksseitigen Wangencarcinoms eine
Mobilisation der rechten Wange und Unterlippe von der Schleimhaut¬
seite her. Die nach der linken Seite verlagerte Mundöffnung schloss er
später durch Anfrischung und legte einen neuen Mund an der richtigen
Stelle an durch Vernähung der Haut und Schleimhaut.
Molineus - Düsseldorf: Kleidoplastik aus der Spina scapnlae.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) In zwei Fällen eines
Claviculartumors wurde durch Witzei nach Resektion der Clavicula der
Defekt aus der Spina scapulae ersetzt. Der Erfolg war in beiden Fällen
ein guter.
Neu-Bonn: Wirkung der RÖntgenstrahlen bei chirurgischer
Tuberkel ose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H.- 3 u. 4.) Die
lesenswerte Arbeit bringt die Erfolge, die die Röntgentherapie bei
Drüsen-, Gelenk- und Bauchfelltuberkulosen gezeitigt hat. Die bis¬
herigen guten Resultate fordern zu ausgiebigem Gebrauch der Strahlen
bei Tuberkulose auf.
E. Gergö - Budapest: Subcntanes Emphysem nach Laparotomien.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Bei einer Laparotomie
und Hydrocelenoperation beobachtete G. einige Tage post operationem
Auftreten eines subcutanen Emphysems. Das Emphysem kann durch
Trauma oder Anaeroben bedingt werden. G. sucht in seinen Fällen die
Aetiologie in anaeroben Bakterien.
C. Lauenstein - Hamburg: Quetschung des Leibes durch Fahr¬
stuhl. Intraperitoneale Zerreissung der Blase. Laparotomie, Naht der
Blase, Heilung. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.) Das
Wesentliche des Falles ist in der Ueberschrift enthalten. Heilung.
E. Pfister - Cairo: Beiträge zur Histologie der ägyptischen Blasen¬
steine. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die Ansicht,
dass die mit Bilharziasis in Verbindung zu bringenden Harnsteine als
Fremdkörpersteine, bedingt durch die Eier der Parasiten, aufzufassen
seien, ist nicht mehr haltbar. Die Mehrzahl der Steine muss als Ent¬
zündungssteine betrachtet werden.
M. zur Verth und K. Scheele: Indnratio penis plastica.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Die Krankheit ent¬
steht meist im höheren Alter am Dorsum des Penis. Die Aetiologie ist
unbekannt, doch scheinen Traumen, Konstitutionskrankheiten (Gicht,
Arteriosklerose, Diabetes) eine Rolle zu spieleu, da sie schädigend auf
das elastische Gewebe einwirken. Bei der Verknöcherung scheint es
sich um raetaplastische Veränderungen zu handeln. Interessant ist es,
dass die Induratio penis oft mit der Dupuytren’schen Kontraktur ver¬
gesellschaftet ist. Therapeutisch wird mit operativer Entfernung der
Platten mitsamt dem Rückenteil der Fascia penis das beste Resultat
erreicht.
A. Pawloff - St. Petersburg: Ueber accessorische Harnleiter.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) An der Hand von
einschlägigen Beobachtungen gibt P. eine Schilderung der Entwicklung des
Harnapparates. Einzelheiten sind im Original nachzulesen. Die acces-
sorischen Harnleiter bilden die Ursache verschiedener Nierenerkrankungen.
J. Becker.
F. Sauerbruch - Zürich: Beeinflussung von Liflgenerkrankvagei
durch künstliche Lähmung des Zwerchfells (Phrenikotomie). (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Die durch Phrenikotomie hervor¬
gerufene Zwerchfeilähmung bewirkt Kompression der Lunge. Sie kommt
als Operationsmethode entweder allein oder in Verbindung mit Thorako-
plastik bei Lungentuberkulose in Betracht. Speziell ist sie indiziert bei
Oberlappentuberkulose, weil durch die alsdann erfolgende Kompression
des Unterlappens die Aspirationsgefahr von dem Oberlappen her herab¬
gesetzt wird. Ebenso ist die Phrenikotomie bei Unterlappentuberkulose
in Erwägung zu ziehen. Es liegen noch nicht viele Erfahrungen vor;
ein abschliessendes Urteil steht also noch aus. Die Phrenicusdurch-
schneidung selbst ist einfach. Dünner.
Heyrovsky-Wien: Casuistik und Therapie der idiopatbisehei
Dilatation der Speiseröhre. Oesopbagogastroanastonose. (Archiv f.
klin. Chir., Bd. 100, H. 3.) Die Erkrankung besteht in einer hoch¬
gradigen spindelförmigen Erweiterung der Speiseröhre ohne anatomisch
nachweisbare Cardiastenose. Die daraus resultierende Schluckstörung
wird oft so hochgradig, dass Gefahr der Inanition besteht. Der Verf.
machte bei zwei derartigen Fällen eine Anastomose zwischen Oesophagus
und Magenfundus, nachdem der unterste Abschnitt des Oesophagus in
die Bauchhöhle gezogen war. Als Voroperation war eine Gastro¬
stomie gemacht wprden. Der Verlauf war glatt, der Erfolg ausgezeichnet.
W. Meyer-New York: Der Oesophagaskrebs vom Standpunkt der
thorakalen Chirurgie. (Archiv f. klin Chir., Bd. 100, H. 3.) Der Verf.
berichtet über 4 Patienten, bei welchen er die operative Entfernung des
Oesophaguscarcinoms versucht hat. Er beschreibt seine Operations¬
technik und die Erfahrungen, die er bisher bei dieser Operation gemacht
hat. Obgleich auch bei ihm sämtliche Fälle kurz nach der Operation
starben, glaubt er doch, dass es späterhin einmal gelingen wird, auch
das Oesophaguscarcinom mit Erfolg operativ anzugreifen.
Schli ep.
F. Sasse - Frankfurt a. M.: Uless callosnm ventricnli totale
(Schrumpfmagen, Exstirpation, nebst Bemerkungen über den dauernden
Verlust sowie über die Technik der Magenresektion). (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Inhalt ergibt sich aus dem Titel. Inter¬
essant ist, dass die Patientin, bei der eine Jejunumschlinge an die
Cardia genäht wurde, alles essen kann. Dünner.
G. Wetterstrand - Helsingfors: Zur Klinik und Therapie des per¬
forierten Magen- nnd Dnodenalgesehwiirs. (Deutsche Zeitschr. f. Chir.,
Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Arbeit bringt nur Bekanntes. W. fordert
zur Erzielung guter Resultate möglichst frühzeitige Operation. Im Gegen¬
satz zu anderen findet W., dass in Finnland vorwiegend Männer von der
Magenperforation betroffen werden. J. Becker.
Röpke-Barmen: Ueber die operative Behandlung der durch stumpfe
Gewalt entstandenen Dnodenalverletzaagen. (Archiv f. klin. Chir.,
Bd. 100, H. 3.) Verf. operierte mit gutem Erfolg einen einschlägigen
Fall, der von einem Wagen überfahren worden war, bei welchem eine
totale Zerreissung des Duodenums und eine teilweise des Colon trans-
versum bestand. Der proximale Abschnitt des Duodenums wurde
End-zu-Seit mit dem Jejunum vereinigt, der distale mit der Hinterwand
des Magens anastoraosiert. Prophylaktisch wurde noch eine Cöcalfistel
angelegt. Schliep.
E. Pölya - Budapest: Jejanemcoloii- und Mageneoionfistel nach
Gastroenterostomie. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 1 u. 2.)
Diese immerhin seltene Komplikation wird nach der Gastroenterostomie
beobachtet. Eine genaue Diagnose lassen die Erscheinungen und be¬
sonders Röntgendurchleuchtungen stellen. Die einfachste Operation be¬
steht in der Trennung der Fistelränder und in der Vereinigung der
hierdurch entstandenen Oeffnungen. Erweist sich die alte Gastroentero¬
stomie als zu eng, so ist eine neue anzulegen.
Knape - Teuplitz: Die Pankreashämorrbagie. (Deutsche Zeitschr.
f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Genese der Pankreashämorrhagie ist
keine einheitliche. Lipomatose, Gallensteine, Traumen, Sekretioustätig-
keit sind die Faktoren, welche sich in Form von Kombinationen meistens
finden. Meist liegen mehrere Ursachen der Pankreasblutung zugrunde.
E. A. Delfino - Genua: Ueber eine peripankreatische, zwischen
den Blättern des Mesocolon transversum entstandene Cysto. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 3 u. 4.) Kasuistische Mitteilung des
Falles und Angabe einiger in der Literatur befindlicher Fälle sowie Be¬
sprechung der Genese.
S. Rubascho w - Moskau: Ueber Bradycardie bei Leberver-
letznngen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Verf. tritt
der Ansicht von Finsterer entgegen, wonach die Bradycardie ein
wichtiges, charakteristisches Symptom für Leberverletzungen sei. Auch
ist die Erklärung Finsterer’s, dass die Brachycardie bei Leberver¬
letzungen durch Gallensäurewirkung beim Uebertritt der Galle ins
Blut (?) zustande kommt, nicht wahrscheinlich. Eine Ansicht, die auch
Thöle angenommen hat.
H. Finsterer-Wien: Ueber Bradycardie bei Leberverletznngei.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) F. verteidigt seine
Ansicht der Bradycardie bei Leberverletzüngen und verlangt eine
mindestens alle halbe Stunde vorzunehmende Kontrolle des Pulses, um
selbige feststellen zu können. Dabei ist zu beachten, dass ein voller,
kräftiger und längsaraer Puls nicht gegen die Diagnose einer inneren
Blutung durch Leberverletzung verwertet werden darf.
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UNIVERSUM OF IOWA
2i. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
747
R. Roaenthal - Karlsruhe: Ueber Ascaridiasis mit Berücksichti¬
gung eines selbst beobachteten Falles. (Deutsche Zeitschr. f. Chir M
Bd. 121, H. 6 u. 6.) Wegen des Bildes einer Cholelithiasis wurde bei
einer Patientin die Laparotomie gemacht. Es fand sich im Choledochus
ein Spulwurm, der den Gang verstopfte. Besprechung des Hinein-
gelangens des Parasiten in die Gallenwege. Eine sichere Diagnose lässt
sich ante op« wohl nur bei Erbrechen von Ascariden stellen.
J. Becker.
•Sasse-Frankturt a. M.: Ueber Choledocho-Dnodenostomie. (Archiv
f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Bericht über zehn operierte Fälle von Er¬
krankungen des Gallensystems, bei welchen sich dem Yerf. die Chole-
dochus-Duodenostomie ausgezeichnet bewährt hat. Bei recidivierender
Cholangitis cum et sine concremento bei der entzündlichen Stenose der
Papille ist die Choledocho-Duodenostomie der Choledochus- bzw. Hepaticus-
drainage weit überlegen, da diese Methode einen freien Gallenabfluss
garantiert und vor Recidiven, auch solchen ohne Steinbildung, schützt.
Sogenannte Recidive nach radikal ausgeführten Gallensteinoperationen
beruhen nicht immer auf zurückgelassenen oder neugebildeten Steinen,
sondern oft auf Stauung und Infektion infolge Stenose der Papille.
Yerf. begnügt sich während der Operation auch nicht mit Sondierung
der Papille allein, sondern stellt den ungehinderten Abfluss der Galle
durch die Papille durch Einspritzen von Kochsalzlösung fest. Wenn
jedoch die Kochsalzlösung leicht in den Darm abfliesst, wird ausser
einer Cholecystektomie nur die primäre Choledochusnaht gemacht.
Schliep.
Molineus - Düsseldorf: Ueber die Möglichkeit eines Choledochns-
ersatzes durch Einpflanzung des Processus vermiformis. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) M. schlägt vor, bei grossen De¬
fekten des Choledochus diesen Defekt durch den Processus vermiformis
zu ersetzen, und gibt eine Schilderung seiner an Leichen angewandten
Technik. J. Becker.
Henschen-Zürich: Nephropexie vermittels transplantativer Bildung
einer fascialen Aufhängekapsel. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.)
Die Operation besteht in der Einpackung der Niere in einen grossen,
frei überpflanzten Lappen der Fascia lata. Dieser bildet um die Niere
eine zweite neue Kapsel und dient der flächenhaften Fixation an der
muskulären Hinterwand des Nierenlagers. Yier Textfiguren.
Hadda-Breslau: Die Exzision der Hämorrhoiden nach Whitehead.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Nach einem Ueberblick über die
heutigen Behandlungsarten der Hämorrhoiden bespricht Verf. die Technik
der Wbitehead’schen Operation und empfiehlt diese Methode sehr auf
Grund von 223 operierten Fällen. Zehn sehr schöne Bilder illustrieren
die Operation. Schliep.
H. Hart tun g-Breslau: Ueber Hypernephrome der Niere. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5 u. 6.) Die Grawitz'sche Theorie, dass
die Hypernephrome von versprengten Nebennierenkeimen ausgehen, hat
durch die Untersuchungen von Stoerck an Wahrscheinlichkeit verloren.
Dieser wies nach, dass die Geschwülste vom Nierenepithel abstammen,
welcher Meinung sich auch Yerf. anschliesst. Klinisch verlaufen sie
unter Schmerzen, Fieber (Israel), Hämaturie. J. Becker.
Dobbertin - Berlin-Öberschöneweide: Die direkte Danerdrainage
des chronischen Aseites durch die Vena sapheaa in die Blutbahn.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 100, H. 4.) Verf. gibt eine neue Operations¬
methode an zur Dauerdrainage des Ascites direkt in dieBlutbabn. 1. Die
Yena saphena wird freigelegt, in Ausdehnung von etwa 10 cm ab-
präpariert, peripher unterbunden und durchschnitten. 2. Inzision dicht
oberhalb des Poupart’schen Bandes, Eröffnung der Bauchhöhle durch
Bildung eines dreieckigen Lappens aus Peritoneum und Faso, transversa.
8. Unterminierung der Haut, so dass die Saphena stumpf nach oben ge¬
zogen werden kann. 4. Einnähen ins Peritoneum und Schluss der Wunde.
Schliep.
R. Herzenberg - Moskau: Ueber sogenannte Nabelsteine. (Deutsche
paed. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Im Anschluss an ein leichtes Trauma
entwickelte sich eine umschriebene Nabelphlegmone. Bei der Operation
glitt aus der Nabelhöhle ein mandelförmiger harter Körper, bestehend
aus Cholestearin, Fettsäurekristallen, Epithelzellen und centralen an¬
organischen Körpern. Wolfsohn.
Brüning-Coblenz: 100 Bände Archiv für klinische Chirurgie.
(Supplement zum 100. Band.) Verf. gibt eine sehr interessante und
lesenswerte Uebersicht über den Inhalt der 100 Bände von Langenbeck’s
Archiv. Wir erhalten dadurch einen ausgezeichneten historischen Ueber¬
blick der grössten Entwicklungszeit der Chirurgie der letzten 50 Jahre.
Mit. grosser Sachkenntnis und ausserordentlichem Fleiss hat sich Verf.
bemüht, kurz und bündig alle hervorragenden Arbeiten zu besprechen.
Das Studium dieser schönen Zusammenstellung kann sehr empfohlen
-werden. Namen- und Sachregister von Band 1—100. Schliep.
F. Kuhn - Berlin-Schöneberg: Der Lnftkompressor im Krankenhaus.
<Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 121, H. 5. u. 6.) K. empfiehlt die von
ihm eingefübrte Hochdruckmassage bei allen mit eventuellen Versteifungen
einhergehenden Traumen (Frakturen, Luxationen), ferner bei allen Arten
-von Oedemen, sowie, bei Ischämie und drohender Gangrän. Auch bei
subcutanen Infusionen vermag Heissluft eine schnellere Rssorption der
JHüssigkeit herbeizuführen. J. Becker.
Siehe auch Diagnostik: Herz, Symptome der chronischen
Appendicitis. — Innere Medizin: Glaessner, Pankreassteine.
Ehrmann, Chronische Pankreatitis. — Technik: Bley, Instrument
zum Oeffnen von Gipsverbänden.
Röntgenologie.
P. Goby: Die Mikroradiographie, eine neue Methode der Röntgen-
nntersaehnng. (Compt. rend. de l’acad. des Sciences, 1913, Nr. 9.) Die
Mikroradiographie soll die Objekte in ihrer inneren Struktur erkennbar
machen, die mikroskopisch klein sind, aber infolge ihrer Opacität durch
das Mikroskop nicht betrachtet werden können. Beschreibung der
Apparatur. Wartensleben.
Siehe auch Chirurgie: Neu, Röntgen strahlen bei chirurgischer
Tuberkulose.
Urologie.
Siehe auch Chirurgie: Zur Verth und Schiede: Induratio
penis plastica. Pfister, Aegyptische Blasensteine. Pawloff, Accesso-
rische Harnleiter. — Therapie: Fischei, Jodipin bei Prostatitis.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
A. Mac nab - London: Ionenbehandlnng bei Herpes zoster. (Lancet,
22. März 1913, Nr. 4673.) Die Ionenbebandlung hat dem Verf. bei der
Behandlung der Herpes zoster des Gesichts sehr gute Dienste getan;
angewandt wurde Chininsulfat an der positiven Elektrode, 1—1,5 Mill.
für den Quadratzoll, Dauer 15—30 Minuten; zwei Sitzungen innerhalb
7—10 Tagen waren genügend. Die Bindehaut wurde ausserdem mit
schwächeren Strömen und kürzere Zeit behandelt. Erfolg: sofortiges
Aufhören der neuralgischen Schmerzen und der Sensibilitätsstörungen,
Verschwinden der Iritis, Wiederkehr des Gefühls in der Hornhaut und
der Bindehaut. Die Pustel- und Narbenbildung kann auch dies Verfahren
nicht verhindern. Weydemann.
L. Dreyfus - Frankfurt a. M.: Neosalvarsan. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 12.) Man kann wöchentlich 2 mal 0,7 Neo¬
salvarsan (die ersten Injektionen müssen mit kleinen, allmählich an¬
steigenden Dosen gemacht werden) ä 1 /* Wochen hintereinander in Kom¬
bination mit Quecksilber geben; insgesamt 7,5 Neosalvarsan. Man kann
die Nebenerscheinungen bei wirklich exakter Technik auf ein Minimum
herabdrücken. Was den Unterschied zwischen Alt- und Neusalvarsaii
anlangt, so empfiehlt sich Neosalvarsan in allen den Fällen, wo man
eine milde Salvarsanwirkung haben will, z. B. Anfangsbehandlung bei
luetischer Meningitis, bei spezifischen Gefässerkrankungen, ferner bei
Lues mit nicht spezifischer Nephritis usw. Dünner.
Siehe auch Therapie: Swauw, Behandlung der Urticaria mit
Suprarenin.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
W. B. Bell-Liverpool: Die Bedeutung der Drüsen ohne Ausführungs¬
gang für die Geschleehtsfnnktionen des weiblichen Geschlechts. I.
(Lancet, 22. März 1913, Nr. 4673.) Der Verf. beleuchtet unter Zu¬
grundelegung seiner eigenen Versuche und der Arbeiten anderer den
Einfluss der Ovarien auf den Uterus, den Stoffwechsel und auf die übrigen
Organe der inneren Sekretion. Die Ovarien unterstützen in gewissem
Grade die Implantation des Eies, wahrscheinlich durch ein Sekret der
Luteinzellen; das der interstitiellen Ovarialzellen scheint dazu zu dienen,
die Tätigkeit des Uterus und regelmässige Kontraktionen auszulösen. Im
allgemeinen Stoffwechsel scheint die gesamte Sekretion des Ovariums die
Kalkausscheidung zu fördern, die Phosphorausscheidung zu verringern.
Insuffizienz der Ovarialsekretion steigert die Tätigkeit der übrigen Drüsen
ohne Ausiührungsgang. Weydemann.
W. Rübsamen - Dresden: Klinisch-experimentelle Untersuchungen
über die Wirksamkeit der Wehenmittel in der Nachgehartsperiode.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 12.) (Vortrag, gehalten auf
dem internationalen Gynäkologenkongress am 11. September 1912 in
Berlin und modifiziert am 16. Januar 1913 in der Dresdener gynäko¬
logischen Gesellschaft.) Cf. Kongressbericht der Berliner klin. Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 41, S. 1959. Dünner.
A. Mayer-Tübingen: Die Lehre Bossi’s und die Gynäkologie.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) M. wendet sich gegen Bossi
(Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 47.), der die Lehre aufgestellt hat,
dass die Hälfte aller Frauenselbstmorde gynäkologischen Ursprunges und
hauptsächlich durch Endometritis und Retroflexio bedingt seien. Die
Behandlung und Heilung des Genitalapparates sei bei solchen Patientinnen
unabweisbare Notwendigkeit und bedeute die gynäkologische Prophylaxe
des Wahnsinnes. Der Verf. tritt Bossi recht energisch entgegen, er
bezeichnet Bossi’s Erfolge als Suggestiverfolge. P.'Hirsch.
L. Seeligmann - Hamburg: Ueber ein erfolgreiches Heilverfahren
bei einem Sarkom (Recidiv) des Eierstockes, das die Wirbelsäule er¬
griffen hatte. (Münchener med. Wochenschr., 1913,- Nr. 12.) (Nach
einer im ärztlichen Verein in Hamburg gehaltenen Demonstration am
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UNIVERSUM OF IOWA
748
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
11. Februar 1918.) Arsacetinipjektionen und Röntgenbestrahlung
besserten ein Ovarialsarkomrecidiv mit Metastasen in der Wirbelsäule
ganz erheblich. Dünner.
Augenheilkunde.
Gastpar - Stuttgart: Angenuntersuchuugeu bei Sehulkindern.
(Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.) Dünner.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Gerb er-Königsberg: Die bisherigen Erfahrungen mit der Salvawan-
und Neosalvarsanbehandlung der lokalen Spirochätosen. (Münchener
med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.) Die lokalen Spirochätosen, speziell
im Munde, lassen sich durch Salvarsan sehr gut beeinflussen. Es emp¬
fiehlt sich zunächst lokale Behandlung von 5 bis lOproz. Salvarsan in
Glycerin; man muss natürlich kräftig touchieren. Dünner.
Hygiene und Sanitätswesen.
Kuhn-Schöneberg: Die erste Hilfe bei Asphyxien mittels direkter
Einblasung von Lnft. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 12.)
Dünner.
Technik.
Bley-Wiesbaden: Ein nenes Instrument zum Oelfnen der festen
Verbände, speziell der Gipsverbände. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 15.) Wolfsohn.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Laryngologlsche Gesellschaft zu Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Februar 1918.
Vorsitzender: Herr Killian.
Schriftführer: Herr Grabower.
Zur Verlesung gelangt ein Dankschreiben des Herrn Ghiari aus
Wien für die ihm durch den Vorstand der Gesellschaft anlässlich seines
60. Geburtstages übersandte Glückwunschadresse.
Dem Aerzteausschuss von Gross-Berlin werden zur Unterstützung
bei den Vorbereitungen für den Internationalen Kongress für Physio¬
therapie auf Vorschlag des Vorstandes 100 M. überwiesen.
1. Hr. Th. Gluck:
Erfahrungen auf dem Gebiete der Operationen der oberen Luft- und
Speisewege.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
2. Hr. P. Heymann : M. H.! Ich habe einen Patienten mitgebracht,
von dem ich gern möchte, dass die Herren mir eine Diagnose stellen.
Es handelt sich um einen 33 jährigen Mann, der vor ungefähr vier
Wochen mit Heiserkeit und stechenden Schmerzen auf der linken Seite
des Halses erkrankte. Seitdem ist es nach seiner Angabe etwas besser
geworden. Seit 14 Tagen kenne ich ihn. Das Bild hat sich in diesen
14 Tagen nicht viel geändert. Sie sehen auf dem linken Stimmband,
etwa im vorderen Teil des mittleren Drittels, eine ungefähr halblinsen¬
grosse Stelle, die weisslich belegt ist. Ich glaubte erst, es handele sich
um eine weiss belegte Operationswunde. Der Patient leugnet aber, dass
eine Operation gemacht sei. In den 14 Tagen, wo wir ihn ab und zu
gesehen haben, hat sich dieser Belag etwas gelockert, ist etwas dünner
geworden, ist aber noch vorhanden. Eine sichere Diagnose zu stellen
bin ich nicht imstande. Herr Killian, der die Güte hatte, den Fall
eben ; vor der Sitzung anzusehen, ist der Meinung, dass es sich um einen
Belag bei einer schweren akuten Laryngitis handelt. Das ist möglich,
doch ist dagegen anzuführen, dass die Aflektion ganz einseitig ist. Auch
habe ich bei akuter Laryngitis einen so dicken vortretenden Belag noch
nicht gesehen.
Das Resultat der Wassermann’schen Prüfung war negativ. Der Ge¬
danke, dass es sich hier um Syphilis handelt, liegt ja nahe. Sehr inter¬
essant ist die Tatsache, dass der Patient vor sechs Jahren wegen eines
akuten Rachenkatarrhs in unserer Behandlung war und ebenfalls eigen¬
tümliche weissliche Beläge hatte, so dass der Arzt, der ihn zuerst unter¬
suchte, in das Journal einschrieb: Lues secundaria. Ich erinnere mich
des Falles nicht mehr genau. Das L. II ist dann durchstrichen und da¬
hinter w Pharyngitis acuta“ geschrieben. Der Patient hat im übrigen
noch eine Kieferhöhleneiterung, die ja diese Frage nicht angeht.
Ich habe .dann noch eine kurze Mitteilung zu machen. Die älteren
Herren von Ihnen werden sich erinnern, dass vor ungefähr 80 bis
40 Jahren in der Rhinologie die Ausspülung der Nase ein sehr häufig
geübtes Verfahren war. Es wurden dann eine ganze Menge Bedenken
erhoben, dass die Ausspülung der Nase eventuell gefährlich sein könne,
und es wurden damals eine Reihe von Fällen publiziert, wo nach Aus¬
spülung der Nase Mittelohrentzündungen entstanden waren. Auch ich
selbst erinnere mich aus den Anfängen meiner Praxis eines für mich
sehr unangenehmen Falles dieser Art. Durch den positiven Druck, der
in der Nase entstand, wurde der Eintritt der Spülflüssigkeit plus eines
Teiles des Nasensekrets und des aus den Nebenhöhlen fliessenden Sekrets
in das Mittelohr leicht ermöglicht. Darüber existieren Untersuchungen
von Hartmann, Weber-Liel und vielen anderen Autoren. Allmählich
wurde dann dieser Gefahren wegen die Ausspülung der Nase immer
seltener geübt Es wurden die verschiedensten Methoden ersonnen, um
den Druck herabzusetzen. Vor ungefähr 14 Tagen brachte mir ein
hiesiger Mechaniker, Herr Hendrichs, einen Apparat, bei dem es ihm
gelungen ist, den positiven Druck gänzlich auszuschalten, indem er an
Stelle des positiven Druckes, der die Flüssigkeit durch die Nase hinauf¬
treibt, den negativen setzt, der die Flüssigkeit durch die Nase hindurch¬
saugt. Auf diese Weise ist es möglich, die Nase ohne den geringsten
positiven Druck auszuspülen. Ich habe an einer Nachbildung aus Glas
den Versuch gemacht, ob es gelänge, auch die Nebenhöhlen auszuspülen.
Das scheint nicht jedesmal der Fall zu sein. Wenigstens bedarf es dazu
ziemlich langer und mühseliger Bemühungen, um an dieser Glasnach¬
bildung die die Nebenhöhlen darstellenden Räume zu Bäubern. Ich muss
aber hinzufügen, dass auch mit starkem positiven Druck die Ausspülung
nicht gelungen ist.
Ich habe gefunden, dass diese Durchspülung mit negativem Druck,
die dem Patienten sehr angenehm ist — ich habe es an mir selbst ver¬
sucht und kann es bestätigen —, einen Fortschritt in der Behandlung
der Nase bedeutet, und dass es auf diese Weise leichter möglich sein
wird, Mittelohrerkrankungen zu vermeiden. Ich darf natürlich nicht
unterlassen, anzugeben, dass mir wohl bekannt ist, dass ein wesentlicher
Teil der Mittelohrerkrankungen, die sich an Durchspülungen anschliessen,
nicht durch den positiven Druck bei der Spülung entsteht, sondern durch
Schneuzen und Schlucken während und nach der Spülung. Doch ist
immerhin eine Ursache der Folgekrankheiten ausgesohaltet. Herr
Hendrichs ist so freundlich, den Apparat im Nebenzimmer zu zeigen und
die Ausführung an sich selbst vorzunehmen.
3. Hr. Stephan: Es handelt sich um Geschwalstbildnngeu seitlich
am Halse bei zwei operierten Patienten. Schon die äussere Unter¬
suchung deutete darauf hin, dass cystische Tumoren in Frage kamen.
(Demonstration des Präparats.) Von oystischen Tumoren kommen
differentialdiagnostisch im wesentlichen in Betracht die sogenannten
Kiemengangscysten, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Cysten, die aus
fötalen Kiemengangsresten entstehen, Dermoidcysten, die durch ver¬
sprengte und gewucherte Hautkeime gebildet werden und Cysten von
Strumen, die sich durch abgetrennte Strumenlappen bilden. Im vor¬
liegenden Falle handelt es sich zweifellos, nach Beschaffenheit, Sitz und
mikroskopischem Befund, um Dermoide. Ihre Kapsel besitzt eine derbe
bindegewebige Struktur; sie sind mit einem Brei angefüllt, der mikro¬
skopisch Epithelmassen sowie Cholestearin zeigt, im übrigen aus Detritus
besteht. Ein Gang war nicht vorhanden, die Cysten waren vollkommen
abgeschlossen, sie lagen den grossen Halsgefässen dicht auf. Die Ab¬
lösung machte jedoch keine besonderen Schwierigkeiten. Die eine Cyste
war seit sieben Jahren, die andere war erst seit kürzerer Zeit bemerkt
worden.
4. Hr. Sonntag: M. H.! Ich möchte mir gestatten, Ihnen einen
Fall zu demonstrieren von Enbolie der Arteria centralis retinae nach
Paraffininjektion; glücklicherweise ist nur ein Ast der Arteria centralis
retinae betroffen. Die Patientin, ein 17 jähriges Mädchen, kam am
28. Januar d. J. mit typischer Ozaena zu uns. Sie erhielt in einer
Sitzung auf beiden Seiten unter die Schleimhaut des Septums und der
unteren Muschel im ganzen 2 com Paraffin injiziert. Sieben Tage danach,
am 4. Februar, nachdem sie bis auf ein leichtes Spannungsgefühl unter
dem linken Auge keine Beschwerden gehabt hatte, bemerkte sie plötz¬
lich beim Sehen auf die linke Seite eine Verdunkelung. Der augenärzt-
liche Befund, den die Herren Lehmann und Paderstein feststellten,
ergab, dass sich von dem oberen inneren Rand der Papille entsprechend
dem Laufe des oberen nasalen Astes der Arteria centralis retinae nach
der Peripherie hin eine gräuliche Trübung erstreckte, ln der Netzhaut
war keine Blutung zu sehen. Die Sehschärfe war normal. Das Gesichts¬
feld zeigte einen entsprechenden Trübungsumfang von 20 bis 40 Grad.
Es handelt sich, da keine Blutung vorhanden ist, nach Ansicht der
Herren zweifellos um eine Embolie eines Astes der Arterie, und zwar
im Bereiche des oberen nasalen Astes. Zur Einspritzung wurde die
Onodi’sche Spritze benutzt. Eine Anfrage in der Apotheke, die das
Paraffin geliefert hatte, ergab, dass es sich um Hartparaffin handelte,
vom Schmelzpunkt 58 bis 60°. Die Schmelzpunktbestimmung, die ich
im Institut von Aufrecht vornehmen liess, zeigte, dass der niedrigste
Schmelzpunkt bei 48,5° C. lag, der höchste bei 52° C. Herr Kollege
Eckstein, mit dem ich über die Sache sprach, meinte, es hätte doch
vielleicht eine Mischung von Hart- und Weichparaffin Vorgelegen. In¬
zwischen hat er selbst das Paraffin untersucht und glaubt feststellen zu
können, dass es sich um Hartparaffin gehandelt hat. Ich habe bereits
weit über 100 Injektionen mit diesem Paraffin gemacht, ohne dass ein
derartiger Fall jemals eingetreten ist. Soweit mir bekannt, ist in der
Literatur kein Fall von Hartparaffinembolie veröffentlicht worden. Vor
allen Dingen ist bemerkenswert, dass sieben Tage nach der Injektion
erst die Embolie eingetreten ist. Ich glaube also, dass man auch bei
Injektion von Hartparaffin auf üble Zufälle gefasst sein muss. Möglich
ist auch, dass solche Fälle öfter passieren und vom Patienten und Arzt
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UNIVERSITY OF IOWA
1. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
749
nicht bemerkt werden. Ein intelligenter Patient merkt auch eine geringe
Verdunkelung des Gesichtsfeldes sofort, während ein unintelligenter
Patient über eine kleine Verdunkelung des Gesichtsfeldes vielleicht
hinwegsieht.
5. Hr. Hirschmann : M. H.! Ich möchte Ihnen eine junge Dame
von Mitte der zwanziger Jahre zeigen mit einer Ulceration von etwa
Fünfmarkstückgrösse an der rechten Seite des harten Gaumens, bei der
ich mich für die Diagnose eines Lupus der Schleimhaut entscheiden
möchte. Als Patientin vor etwa einem Jahre in meine Behandlung trat,
fand sich an der rechten Seite des harten Gaumens eine etwa mark¬
stückgrosse flache Erhebung, die aus weisslichen Bläschen von der Grösse
von Stecknadelköpfen zusammengesetzt erschien. Keinerlei Symptome
von Lues nachweisbar. Wassermann negativ; keine Spirochäten im Be¬
lag. Keinerlei Symptome manifester Tuberkulose; Lunge vollkommen
gesund; Pirquet negativ; keine Tuberkelbacillen im Belag. Keine
Schmerzen, keine Beschwerden. Eine dennoch eingeleitete autiluetische
Kur (Hg und KJ) war vollkommen negativ. Als Patientin nach einem
vierteljährigen Fernbleiben wieder erschien, waren die weisslichen Er¬
hebungen oberflächlich ulceriert. Das Sekret ergab keioe Tuberkel-
baoillen. Die mikroskopische Untersuchung eines probeexzidierten
Sütckes ergab nur die Diagnose einer entzündlichen Granulation. Bei
dem Verdacht auf Lupus habe ich die ulcerierte Stelle verschorft und
mit Milchsäure geätzt, und ich hatte den Eindruck entschiedener Besse¬
rung. Die Patientin blieb dann mangels Beschwerden längere Zeit aus
der Behandlung. Jetzt ist die Geschwürsfläche, ohne die Mittellinie zu
überschreiten, auf Fünfmarkstückgrösse angewachsen, mit nicht bloss
oberflächlichen Ulcerationen, sondern auch kraterförmigen Vertiefungen.
Auch jetzt hat die Probeexzision wieder die Diagnose auf entzündliche
Granulationen ohne charakteristische Eigenschaften ergeben. Keine
Tuberkelbacillen im Belag. Lungen intakt. Kein Husten. Keine Ge¬
wichtsabnahme. Bei dem gesicherten Ausschluss von Lues sowie eines
Carcinoms, das im Laufe eines Jahres tiefgehendere Zerstörungen her¬
vorgerufen haben würde, möchte ich per exclusionem bei der Diagnose
Lupus der Schleimhaut bleiben und bitte Sie um Ihr Urteil.
6. Hr. West: Demonstration einer Reihe von Patienten aus der
Klinik von Prof. Silex, die an den verschiedenen Angenerkranknngen
gelitten haben, die durch Dakryostenose hervorgerufen werden können
und durch seine Operation, die Eröffnung des Tränensackes von
der Nase aus ausgebeilt worden sind.
Fall 1. Patientin, die an einer Tränenfistel gelitten hat und
deswegen an einer hervorragenden Augenklinik behandelt und sieben¬
mal von aussen vergeblich operiert worden ist. Nach der An¬
legung einer Kommunikation zwischen Fistel und Nase von der Nase
aus, so dass Drainage nach der Nase zu erzielt wurde, wurde die Fistel
innerhalb zweier Tage zugeheilt und ist jetzt, nach drei Wochen, immer
noch geheilt geblieben. Patientin hat selbstverständlich Tränen träufeln,
weil die grosse Narbe (das Resultat der sieben Operationen von aussen)
an dem Tränenröhrchen so fest zieht, dass er nicht mehr funktioniert.
Fall 2. Im Gegensatz zu Fall 1 stellte er eine Patientin vor, die
auch an einer Tränenfistel gelitten hat, aber von vornherein wurde
der Tränensack von der Nase aus eröffnet. Resultat: gleich geheilt,
ohne entstellende Narbe. Das Auge ist auch normal trocken, kein
Tränenträufeln, weil die physiologische Funktion des Tränenweges
wiederhergestellt ist. Als Beweis dafür: der Fluorescinversuch ist positiv.
Fall 3. Tränensackphlegmone, geheilt durch Eröffnung des
Tränensackes von der Nase aus. An dieser Patientin ist überhaupt
nicht zu sehen, auf welchem Auge die Phlegmone gewesen ist.
Fall 4. Tränensackeiterung, gleich geheilt durch dieselbe
intranasale Operation. Jetzt ist das Auge trocken, und der Tränenweg
funktioniert wieder normal.
Fall 5. Dakryocystitis mit Ektasie des Sackes (Tumor
lacrimalis). Nach derselben Operation ist die Eiterung und auch der
Tumor lacrimalis versohwunden.
Fall 6. Tränenträufeln nach Entfernung des Tränensackes von
aussen wegen Tränensackeiterung. Die Epiphora wurde gleich geheilt
nach der Anlegung einer Kommunikation zwischen Bindehautsack und
Nase. West macht darauf aufmerksam, dass die Epiphora, die nach
der Exstirpation des Sackes von aussen besteht, selten durch die intra¬
nasale Operation zu beseitigen ist, weil die Oeffnung, durch das narbige
Gewebe angelegt, gewöhnlich zuwächst. Fall 7 ist eine glückliche Ausnahme.
Bei allen den vorgestellten Patientinnen mit Ausnahme von Fall l,
der schon vorher siebenmal von aussen operiert worden war,
ist die physiologische Funktion des Tränenweges vollständig wiederher¬
gestellt. Man kann Flüssigkeit von dem Tränenröbrchen aus durch
die Nase spülen (Demonstration), und auch der Fluorescinversuch ist positiv..
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Bonhoeffer.
Schriftführer: Herr Henneberg.
■* j Vor der Tagesordnung:
1. Hr. Lewandowsky: 1 0
Kampressionsfraktir des 3. Lendenwirbels. (KrankenVorstellung.)
Es handelt sioh um einen typischen Fäll der in der Ueberschrift
genannten Verletzung. Er war nicht, wie gewöhnlich, dureh Verhebung
zustande gekommen, sondern dadurch, dass der Mann mit einer schweren
Last auf der Schulter ausglitt und auf die Seite fiel. Der Mechanismus
ist der gleiche wie bei der Verhebung. Die Wirbel werden, wenn die
Absteifung der Wirbelsäule durch die Muskeln versagt, gegeneinander-
gedrückt, nur der 5. Lendenwirbel, der gegen den festen Widerstand
des Kreuzbeins stösst, wird komprimiert und frakturiert. Von nervösen
Erscheinungen waren im Beginn Incontinentia urinae und Hypästhesie
der Genitalgegend vorhanden gewesen, aber bald geschwunden. Kreuz¬
schmerzen traten erst ein, als der Mann, der wegen einer gleichzeitig
erlittenen Fussverletzung 4 Wochen zu Bett geblieben war, wieder an¬
fangen wollte, zu arbeiten. Der Mann ist seitdem bis heute O/2 Jahr)
von eiuer grossen Anzahl von Aerzten (Internen, Neurologen, Chirurgen)
für arbeitsfähig und für einen Simulanten erklärt worden, das typische
Schicksal gerade dieser Verletzung (Feinen, Pförringer u. a.).
Vortr. hat vor einigen Monaten die Diagnose aus den klinischen Er¬
scheinungen (Inkontinenz im Anfang, Steifigkeit und Stauchungsschmerz
der Wirbelsäule) und aus der Art der Gewalteinwirkung ohne weiteres
stellen können. Trotzdem ist der Patient noch weiter für arbeitsfähig
erklärt und mit seiner Familie in die grösste Bedrängnis gekommen,
weil ein Röntgenlaboratorium der Kasse erklärt hatte, an der Wirbel¬
säule wäre nichts Pathologisches. Vortr. zeigt demgegenüber das von
Dr. Schmidt nunmehr aufgenommene Bild, aus welchem der Kom¬
pressionsbruch mit seitlichen Absprengungen auf das sicherste zu er¬
kennen ist. Er macht darauf aufmerksam, dass schlechte Röntgen¬
aufnahmen eine neue Komplikation der neurologischen Diagnostik sind.
(Autoreferat.)
Diskussion.
Hr.Schuster hat gleichfalls ziemlich häufigLendensäulenverletzungen
gesehen, welche anfänglich nicht erkannt worden waren. Allerdings
handelte es sich fast nie um die unteren Lendenwirbel, sondern meist
um die oberen. Die Röntgenaufnahmen führen nur dann zur Diagnose,
wenn sie absolut einwandfrei sind; sie lassen sich übrigens oft ent¬
behren, und die Diagnose kann auch ohne sie gestellt werden, wenn —
wie im Falle des Herrn Lewandowsky — eine so charakteristische
Wirbelsäulendeformität besteht. Viel schwerer zu beurteilen sind die
Fälle, welche nach anfänglichen suspekten Erscheinungen (Urin¬
beschwerden usw.) später einen neurologisch fast negativen Befund auf¬
weisen und ausserdem keine sichere Wirbelsäulendeformität haben.
2. Hr. Stier: Neurofibromatose mit Myxödem. (KrankenVorstellung.)
35jähriger Lehrer, bis vor 10 Jahren völlig gesund, seitdem zu¬
nehmende Entwicklung von multiplen Fibromen von zum Teil erheblichem
Umfang. Seit 3 Jahren ausserdem grosse Mattigkeit trotz soheinbar
gutem Ernährungszustand, Verlangsamung und Schwerfälligkeit des
Denkens, Gedächtnisabnahme, Gleichgültigkeit; musste s / 4 Jahre den
Dienst aussetzen. Dazu traten: rauhe, heisere Stimme, dauernde Ver¬
mehrung der Sekretion der Nase, Blaufärbung und Vergrösserung des
Umfanges der Finger und Zehen, blasses, gedunsenes Gesiebt, zu¬
nehmende, aber leichte Verdickung der Lippen, Rauheit der Haut an
einigen Stellen, Abnahme des Schwitzens.
Der Befund ergibt ausser diesen, dem Patienten selbst merkbar
gewordenen Symptomen eine starke Vorwölbung des Bauches, kleine
Polster von weichem, fettartigem Gewebe in den Oberschlüsselbein¬
gruben, gesteigerte Sehnenreflexe. Die Schildrüse ist links deutlich,
etwa in normaler Grösse, rechts nicht sicher fühlbar. Die Hautverände¬
rungen halten sich überall in mässigen Grenzen, die Haare, auch die
Augenbrauen und Wimpern sind voll erhalten; die Potenz soll sich ein
wenig vermindert haben.
Für die Diagnose dürfte in erster Linie die Neurofibromatose in
Betracht kommen, doch sind die zum Myxödem gehörigen Symptome
immerhin so zahlreich und so ausgeprägt, dass sie nicht übersehen
werden können. Eine Schilddrüsentherapie soll eingeleitet werden.
Tagesordnung.
Hr. Sehnster:
Anatomischer Befand eines radikotomierten Falles von multipler
Sklerose.
Vortr. berichtet über die anatomische Untersuchung eines Falles
von multipler Sklerose, welcher im Anschluss an die Ausführung der
Foerster’schen Operation zur Autopsie gekommen war. 33 jährige Frau
mit ausgesprochener spastischer Parese der Beine, Steigerung der
Tricepsreflexe, jedoch ohne Erscheinungen seitens der Hirnnerven. Im
Laufe der etwa drei Jahre dauernden Beobachtung trat eine leichte
Gesichtsfeldeinengung und eine unerhebliche Opticusabblassung sowie —
in den letzten Monaten — leichter Nystagmus auf. Jede Behandlung,
auch wiederholte Schmierkuren waren vollkommen erfolglos, und die
spastische Parese der Beine nahm dauernd zu, so dass die Patientin
schliesslich ganz unbeweglich war. Leichte Sensationsstörungen an den
Beinen. Durchschneidung der 2., 3. und 5. Lumbalwurzel und der
1. Sacralwurzel beiderseits (Prof. Bockenhetmer). Nach der Operation
mittlere .Temperatursteigerung (zwischen 38 und 39®). Exitus nach
7 Tagen an Pneumonie. ~
Bei der Sektion zeigte sich makroskopisch nichts Auffälliges, kein
Wundbelag, keine meningitischen Erscheinungen am Rückenmark.
Es wurde zuerst auf das Vorhandensein von Vorderhornveränderungen
in den operierten Segmenten gefahndet Kurzer Ueberblick über die
Literatur der diesbezüglichen Frage (Kahler und Piok, Friedländer
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Original fro-m
UMIVERSITY OF IOWA
750 _BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT_ _____ Nr. 16.
und Krause, Homen, Flemming, Warringtou, Bräunig, Onu-
frowicz u. a.). Fast alle Experimentatoren fanden besonders die hintere
laterale Zellgruppe im Vorderhorn befallen. Von Untersuchungen am
Menschen nach Wurzeldurchschneidung fand ich nur einen von Groves
im Lancet publizierten Fall, bei welchem nach Durchschneidung der
7. bis 10. Dorsalwurzel Chromatolyse der Vorderhornzellen aufgetreten war.
Vortr. fand in sämtlichen Segmenten des Lendenmarks und im
1. Sacralsegment deutliche und frisch veränderte Zellen mit Chromato¬
lyse, Verschwinden des Kerns, Zellschatten usw. In jedem Vorderhorn
ungefähr 4—5—6 derartige Zellen. In den Segmenten des Cervical-
und Dorsalmarkes wurden diese akut erkrankten Zellen nie gesehen.
Die Beziehung dieser Zell Veränderungen auf die Wurzeldurchschneidung
ist deshalb nicht ohne weiteres möglich, weil für die Zellveränderungen
auch andere ätiologische Momente in Betracht kommen konnten: der
sklerotische Grundprozess, eine (bei der mikroskopischen Betrachtung
zutage getretene) frische Leptomeningitis sowie der fieberhafte Prozess
als solcher. Da jedoch alle diese Momente im Cervical- und Dorsal¬
mark ebenso stark eingewirkt hatten wie im Lendenmark (die menin-
gitischen Erscheinungen und die Erscheinungen des sklerotischen Grund¬
prozesses waren sogar in den Dorsal- und Cervicalsegmenten viel stärker),
so kommt der Vortragende per exclusionem zu dem Wahrscheinlichkeits¬
schluss, dass die Zellveränderungen auf die Wurzeldurchschneidung
zurückzuführen sind. Er betont dabei aber, dass es sich lediglich um
einen Wahrscheinliohkeitsschluss handelt, und dass erst weitere
Untersuchungen bei ähnlichen Fällen eine sichere Entscheidung der
Frage ergeben könnten.
Weiter betont der Vortragende, dass auf Marchi-Präparaten keine
frischen Veränderungen, keine Degeneration der Hinterstränge oder der
extraspinalen Wurzeln zu sehen waren, trotzdem die Präparate gut ge¬
lungen waren. Der Zeitraum von 7 Tagen hat also offenbar zur Ent¬
wicklung der Marchi-Veränderungen nicht ausgereicht.
Sodann demonstriert Vortr. eine Reihe von weiteren Präparaten,
welche die Ausbreitung des sklerotischen Grundprozesses in den ver¬
schiedenen Höhen des Rückenmarks zur Anschauung bringen.
Nissl- und von Gieson-Präparate zeigten das Negativ der Weigert-
Präparate. Bei Betrachtung der von Gieson - Präparate erschien die
Diagnose der multiplen Sklerose anfänglich erschüttert durch die vor¬
handenen, stark entzündlichen Veränderungen an der Pia, in den extra-
spinalen Wurzeln und den Gefässen, welche zum grossen Teil irischer
Natur waren. Es fanden sich Fibringerinsel auf der Pia und in der
Höhe des ersten Lumbalsegmentes, in der Pia und auch im Gewebe selbst
Staphylokokken. Pia und Gefässe haben Kerninfiltrate zum Teil von
lymphocytärem Charakter, zum Teil von polynucleärem Charakter. Die
polynucleären Zellen sassen bemerkenswerterweise in der Hauptsache
dorsalwärts auf dem Querschnitt. Die Intima der Gefässe war sehr wenig
verändert, hauptsächlich die Adventitia. In den Gefässen und im Qe-
webe zahlreiche Mitosen. Manche Gefässe, besonders die des vorderen
Spaltes zeigten eine eigentümliche gruppenweise erfolgte Anlagerung von
Kernen. In den Gefässscheiden wurden nicht selten auch Plasmazellen,
jedoch keine Mastzellen gefunden.
Die sklerotischen Herde waren in ihrem Centrum völlig unentwirr¬
bar: an der Peripherie konnte man die Entstehung des Herdes verfolgen.
Die Gliabälkchen waren verbreitert und verdickt, die Gliakerne vermehrt,
und es zeigte sich ein Protoplasmasaum um die Gliakerne. Es fanden sich
zahlreiche Spinnzellen. Die nervöse Substanz war jedoch kaum ver¬
ändert, höchstens waren die Markscheiden etwas geschwollen. Es be¬
standen die allerdeutlichsten Beziehungen jedes einzelnen kleinen Herdes
zu centralen kleinen Gefässen (Demonstration eines eben entstehenden
kleinen Herdes in der weissen Substanz). Bielschowsky-Präparate zeigten
massenhafte freie Achsencylinder, welche übrigens gleichfalls verändert
(teils verdickt, teils verdünnt) waren, an denjenigen Stellen, welche bei
Weigert vollkommen ungefärbt geblieben waren.
Der vorliegende Fall spricht durchaus gegen die allgemeine
Gültigkeit der von der Wiener Schule (Marburg) betonten primären
Genese des Krankheitsprozesses im Bereiche der nervösen Substanz.
Die Inkongruenz zwischen der kolossalen Gliawucherung und den mini¬
malen Veränderungen der nervösen Substanz waren so ausserordentlich
in die Augen springend, und die primäre Vermehrung der Glia in den
in Entstehung begriffenen Herden war so eklatant, dass für den vor¬
liegenden Fall unbedingt die primäre Entstehung des Krankheitsprozesses
im gliösen Gewebe behauptet werden muss. Die Herde waren offen¬
sichtlich in ihrer Lokalisation abhängig von Gefässen. Sekundäre De¬
generationen nennenswerter Art fehlten, die Ganglienzellen waren —
wie gewöhnlich — dem Krankheitsprozess gegenüber ausserordentlich
refraktär.
Zum Schluss stellt Vortragender zur Erwägung, ob angesichts des
ausserordentlich ungünstigen Verlaufes der Foerster’sohen Operation bei
den Sklerotikern (von sieben operierten Fällen starben sechs) uicht eine
besondere Empfindlichkeit des sklerotischen Rüokenmarks gegenüber
operativen Eingriffen anzunehmen sein wird.
h Diskussion. '
Hr. L. Jacobsohn meint, dass die Veränderungen an den Zellen
des Vorderhorns in dem von Herrn Schuster vorgetragenen Falle nicht
von eventuell bei der Operation mitgeschädigten vorderen Wurzeln, an
welche man hier denken könnte, berrühre, sondern wahrscheinlich von
den toxischen Einflüssen der hinzugetretenen Meningitis oder von dem
eigentlichen Prozess, der sich im Rückenmark abgespielt hat. Wären sie
Folge der Wurzelschädigung, so müssten die Zellen das typische Aus¬
sehen der sekundären Chromolyse zeigen, was nicht der Fall wäre. Wenn
ferner auch bei dem vorgestellten Fall vieles dafür spräche, dass es sich
um eine multiple Sklerose handele, so sei es doch recht auffallend, dass
der Prozess sich so ausserordentlich diffus ausgebreitet habe, während
es doch gerade für die Plaques der multiplen Sklerose charakteristisch
sei, dass sie sich gegen das gesunde Gewebe recht scharf absetzen.
Hr. Lewandowsky: Für die Frage der Degeneration der Vorder¬
hornzellen nach Hinterwarzeldurchschneidung ist der Fall völlig unge¬
eignet. Wo so viele schädigende Momente Zusammenkommen: multiple
Sklerose, Freilegung des Rückenmarks, Meningitis, vielleicht Schädigung
der vorderen Wurzeln, Fieber, kann man die eventuelle Wirkung der
Hinterwurzeldurchschneidung gar nicht herauserkennen. In experi¬
mentellen Untersuchungen, die an dem geeigneten Objekt, der ohne Er¬
öffnung des Rückenmarkskanals zu durchschneidenden zweiten Cervical-
wurzel der Katze, angestellt waren, habe ich keine Veränderungen der
Vorderhornzellen findeu können. Was die Meningitis, an welcher die
Kranke des Vortr. doch offenbar starb, angeht, so ist nicht einzusehen,
was damit die multiple Sklerose zu tun haben soll. Die Kranke ist
eben durch einen Fehler der Asepsis infiziert worden. Es kommt nicht
so selten vor, dass auch bei Infektion im Bereiche des Rückenmarks die
spinalen Meningen verhältnismässig wenig betroffen erscheinen, weil der
Spinalraum ziemlich gut drainiert wird. Hätte Vortr. eine Schädelsektion
gemacht, so würde er da wahrscheinlich sehr viel stärkere Entzündung
gefunden haben. Man soll zwar wohl bei multipler Sklerose überhaupt
keine Foerster’sche Operation machen, weil sie keinen Zweck hat, aber
die Gefahr der Infektion kann keine besondere Kontraindikation bei
multipler Sklerose bilden.
Hr. Bonhoeffer hat in einem (nicht auf seinen Rat) radikoto-
mierten Fall von multipler Sklerose ebenfalls raschen Exitus ge¬
sehen.
Hr. Schuster (Schlusswort): Der von Herrn Jacobsohn erhobene
Einwand — sofern ich Herrn Jacobsohn richtig verstanden habe —
trifft für den vorliegenden Fall wohl nicht ganz zu, denn die nach Durch¬
schneidung des motorischen Nerven entstandenen Veränderungen der
Vorderhornzelle können doch wohl nicht ohne weiteres mit den
Zellveränderungen des Vorderhorns, welche nach Durchschneidung
der hinteren Wurzeln eintreten, auf eine Stufe gestellt werden.
Die von Herrn Jacobsohn erwähnte Schwellung der Zellen ist auch
im vorliegenden Fall stellenweise vorhanden. Allerdings sind die
sklerotischen Herde des vorliegenden Falles nicht überall scharf begrenzt,
und der vorliegende Fall ist in dieser Hinsicht kein Schulfall. Bei
starker Vergrösserung zeigt sich, dass die unscharfe Begrenzung zum
Teil dadurch hervorgerufen wird, dass an der Peripherie eines grossen
Herdes in Entstehung begriffene zahlreiche kleinere Herde liegen.
Uebrigens habe ich auch in den in der Literatur gegebenen Abbildungen
nicht selten derartig unscharf begrenzte Herde gesehen.
Wenn Herr Lewandowsky die Beziehung der ZellveränderuDgen
der Vorderbörner auf die Wurzeldurchschneidung deshalb beanstandet,
weil jene Zellveränderungen durch viele andere Schädlichkeiten hervor¬
gerufen sein können, so ist dem zu entgegnen, dass Vortr. selbst ja
ausführlich gerade über diese Möglichkeit gesprochen hat, dabei aller¬
dings naebgewiesen hat, dass jene anderen Schädlichkeiten für das
Londenmark viel weniger als für das Dorsal- und Cervicalmark in Be¬
tracht kämen, und dass trotzdem in jenen Bezirken die Vorderhornzellen
keine frischen Erkrankungen darboten. Eine Schädigung der vorderen
Wurzeln, an die Herr Lewandowski denkt, hat nicht stattgefunden,
das kann mit Bestimmtheit behauptet werden.
Jedenfalls ist es aber in höchstem Grade gezwungen gegenüber
dieser nur vermuteten, ganz hypothetischen Schädigung der vorderen
Wurzeln, den gewaltigen Eingriff der achtfachen Durchschneidung der
hinteren Wurzeln als ätiologisch unerheblich und unwirksam für die
Veränderung der Vorderhornzellen aufzufassen.
Experimentelle Untersuchungen am Tier liegen in grosser Zahl
schon vor (Flemming, Onufrowicz, Warrington, Bräunig,
Kopczynski, Lambert, Mann) und ergeben, wie schon oben erwähnt,
fast übereinstimmend eine Veränderung der Vorderhornzellen nach der
Durchschneidung der hinteren Wurzeln. Die Arbeit wird auswärts in
extenso veröffentlicht werden.
Hr. Bürger: Demonstration farbiger Photographien.
Vortr. zeigt an der Hand von 40 farbigen Photographien die Be¬
deutung dieser für die Medizin und speziell für sein Spezialfach, die
gerichtliche Medizin, so z. B. für die Identifizierung von Personen,
speziell Ertrunkener. Blutbesudelungen und Blutspuren, die für die
gerichtliche Medizin von grosser Bedeutung sind, werden durch die
farbige Photographie ausgezeichnet wiedergegeben, ebenso Blutunter¬
laufungen, ferner Verbrennungen verschiedener Grade, endlich die Aus¬
dehnung des Pulverschraauohes und der Pulvereinsprengungen bei
Schussverletzungen, die ja auch eine grosse Rolle spielen. Auch patho¬
logisch-anatomische Präparate, deren Konservierung in natürlichen Farben
nur schwer gelingt, wie z. B. Cyankaliraagen, liefern gute Lumierebilder.
Bei forensischen Blutuntersuchungen geben die für Blut charakteristischen
Spektren, die Blutkristalle usw., die sich zum Teil schlecht längere Zeit
konservieren, gute Lumierebilder. Für den Unterricht sind diese Bilder,
wie in allen Zweigen der Medizin, besonders in der gerichtlichen Medizin,
von grossem Wert. ' ‘
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UNIVERSITY OF IOWA
21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
751
Berliner mikrobiologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. März 1913.
Vorsitzender: Herr Abel.
Schriftführer: Herr Friedberger.
Tagesordnung.
1. Hr. Weber:
Die Bedentug der Rindertaberknlose für die Entstehung der mensch¬
lichen Tuberkulose.
Der Vortr. gibt einen Ueberblick über den derzeitigen Stand der
Frage. Es sei in dieser Beziehung verwiesen auf das vom Vortr. auf
dem XV. Internationalen Kongress für Hygiene und Demographie
zu Washington, September 1912, erstattete und in der Zeitschrift für
Tuberkulose, Bd. 19, H. 6, S. 521, erschienene Referat sowie auf die
in Nr. 12, S. 533 d. J., der Berliner klin. Wochenschr. veröffentlichten Dis¬
kussionsbemerkungen zu dem Vortrage des Herrn Geheimrats Orth in
Nr. 10 derselben Wochenschrift.
Des weiteren führt der Vortr. über den Tierversuch zur Unter¬
scheidung zwischen humanen und bovinen Baoillen folgendes aus:
»Als Versuchstier zur Prüfung der Typen haben wir (Kossel,
Weber und Heuss)in den ersten Jahren das Rind verwandt und dabei
folgendes feststellen können.
Während die Bacillen des Typus humanus, in einer Menge von
0,05 g einem jungen Rinde unter die Haut am Halse gebracht, nur eine
lokale, in den regionären Drüsen Halt machende Infektion setzen, und
die dadurch bedingten Veränderungen mit der Zeit immer mehr und
mehr wieder zurückgehen, dringen die Bacillen des Typus bovinus un¬
aufhaltsam vorwärts und führen zu einer fortschreitenden Tuberkulose.
Die Methode, 50 mg subcutan am Halse zu verimpfen, ist von
Robert Koch auf Grund seiner reichen Erfahrung empfohlen worden;
es war dies ein besonders geschickter Griff, denn gerade diese Dosis
gibt die deutlichsten Unterschiede. Nimmt man geringere Dosen, so
macht sich, wie die englische Tuberkulosekommission 1 ) gefunden hat,
die individuelle Verschiedenheit in der Empfänglichkeit der Tiere störend
geltend.
Neben dem Rind wurden von uns in jedem einzelnen Fall Kaninchen
subcutan unter die Bauchhaut mit 0,01 g Reinkultur geimpft; in letzter
Zeit wird jedesmal gleichzeitig auch ein Kaninchen mit 0,01 mg intra¬
venös injiziert.
Die Bacillen des Typus bovinus, in einer Menge von 0,01 g sub¬
cutan unter die Bauchhaut geimpft, rufen beim Kaninchen eine All¬
gemeine, in verhältnismässig kurzer Zeit zum Tode führende Tuberkulose
hervor, die Bacillen des Typus humanus dagegen nicht. Bei Impfung
mit humanen Bacillen unter die Bauchhaut des Kaninchens bildet sioh
ein Abscess an der Impfstelle, die regionären Drüsen bleiben makro¬
skopisch frei von Veränderungen, dagegen zeigen die Lungen oft mehr
oder weniger tuberkulöse Herde.
Die Bacillen des Typus bovinus, in einer Menge von 0,01 mg intra¬
venös injiziert, töten Kaninchen innerhalb 3 Wochen, die Bacillen des
Typus humanus, in derselben Menge injiziert, rufen zunächst keine auf¬
fallenden Krankheitserscheinungen hervor, erst nach Monaten können
sich Zeichen einer chronischen Tuberkulose, die am häufigsten in den
Gelenken, Nieren, Lungen, Hoden lokalisiert ist, zeigen.
Ich habe mich seinerzeit dahin ausgesprochen, dass der Kaninchen-
versuch an Stelle des Rinderversuches treten könne, was deswegen sehr
erwünscht ist, weil das Rind als Versuchstier zu teuer ist. Ich habe
aber auch darauf hingewiesen, dass es im allgemeinen, namentlich bei
nicht genügender Erfahrung, nicht angängig ist, schon auf Grund eines
einzigen Unterscheidungsmerkmals die endgültige Diagnose zu stellen,
dass vielmehr das Hauptgewicht darauf zu legen ist, dass die Unter¬
suchung nach den verschiedenen Richtungen (Kultur, Kaninchenpatho¬
genität usw.) übereinstimmende Resultate liefert. Entstehen in dieser Be¬
ziehung irgendwie Zweifel, so ist stets der Rinderversuch mit heranzuziehen.
Das Kaninchen ist nach den jetzt vorliegenden Erfahrungen wegen
seiner hohen Empfänglichkeit für die Bacillen des Typus bovinus und
seiner nur geringen Empfänglichkeit für die Bacillen des Typus humanus
allerdings entschieden das geeignetste Versuchstier zur Unterscheidung
der Typen. Aber man muss sich auf den Kaninchenversuch verstehen
und vor allem ihn richtig zu deuten wissen. Wir haben dies seinerzeit
dadurch leicht gelernt, dass wir in etwa 100 verschiedenen Fällen von
Verimpfung tuberkulösen Materials verschiedener Herkunft jedesmal
gleichzeitig ein Rind und ein Kaninchen impften. Dagegen habe ich
die Erfahrung gemacht, dass Untersuchern, die noch keine Uebung auf
dem Gebiet der experimentellen Tuberkuloseforschung haben, denen
keine Gelegenheit geboten ist, Rinderversuche auszuführen, die Deutung
de$ Kaninchenversuches in der ersten Zeit nicht immer ganz leicht wird.
Beim Kaninchenversuch ist auf peinlichste Ausführung der Impfung
besonderer Wert zu legen. Schon früher habe ich darauf aufmerksam
gemacht, dass bei der subcutanen Impfung am Bauche darauf zu achten
ist, dass die Tuberkelbacillenaufschwemmung nur unter die Haut und
nicht etwa, wie es bei unruhigen Tieren unbeabsichtigt geschehen kann,
unter die Fascie in die Muskulatur gespritzt wird. In letzterem Falle
wuchern nämlich die humanen Tuberkelbacillen durch das Peritoneum
durch, und es entwickelt sich im Laufe der Zeit ein perlsuchtartiges
Krankheitsbild, das fortschreitenden Charakter hat.
Das Studium der englischen Tuberkuloseberichte hat mir ferner ge¬
zeigt, dass es nicht gleichgültig ist, an welcher Körperstelle man Kaninchen
subcutan impft. Wir selbst haben stets, wie bereits bemerkt, unter die
Bauchhaut geimpft, dabei hat sich als besonders charakteristisches Unter¬
scheidungsmerkmal ergeben, dass bei humanen Bacillen im Gegensatz zu
bovinen nie eine Verkäsung der regionären Drüsen, der Leisten- und Achsel¬
drüsen eintrat. Vor allem Oehlecker hat diese Verhältnisse besonders
eingehend studiert. Die englische Kommission 1 ) hat unter die Rücken¬
haut in der Scapulargegend geimpft. Bei dieser Impfung kommen die
Scapulardrüsen, die im Winkel zwischen Musculus biceps und den
Scapularmuskeln gelegen sind, als regionäre Drüsen in Betracht Unter
122 Tieren, die mit humanen Bacillen am Rücken geimpft waren, er¬
wiesen sich nun diese Drüsen 54 mal tuberkulös und 6 mal geschwollen.
Dio englische Kommission verwandte ferner frische, nicht über 3 Wochen
alte Serumkulturen, während wir stets G lycerinbouillonkulturen’gebrauchten.
Infolge dieser abweichenden Versuchsanordnung hat die englische
Kommission bei den bovinen Bacillen auch einen akuteren Krankheits¬
verlauf bei Kaninchen erhalten als wir. Parallel versuche, die sie an¬
stellte, batten folgendes Ergebnis: 14 mit 1 rag boviner Tuberkelbacillen
unter die Rückenhaut geimpfte Kaninchen gingen durchschnittlich nach
59,25 Tagen, 35 mit derselben Dosis unter die Bauchhaut geimpfte
Tiere durchschnittlich nach 75,5 Tagen zugrunde.
Dies zeigt deutlich, wie vorsichtig man bei Beurteilung von Experi¬
menten an ein und demselben Tiere sein muss, und klärt manchen
Widerspruch auf. So erinnere ich mich noch deutlich einer Kontroverse,
die ich seinerzeit mit v. Baumgarten in einer Reichsgesundheitsrats¬
sitzung hatte, v. Baumgarten vertrat entgegen meiner Ansicht die
Anschauung, dass auch humane Bacillen gar nicht so selten eine Ver¬
käsung der regionären Drüsen hervorrufen. Wie ich jetzt aus der im
v. Baum garte naschen Institut angefertigten Arbeit von Mietzsch er¬
sehe, ist dort ebenso wie von der englischen Kommission unter die
Rückenhaut geimpft worden, während ich unter die Bauchhaut impfte.
Nicht für überflüssig halte ich es, auch wieder einmal darauf hinzu¬
weisen, dass zu allen, die Typentrennung betreffenden Untersuchungen
nur frisch gezüchtete, keine alten Laboratoriumskulturen verwandt
werden dürfen.“
Diskussion.
Hr. Titze: Stützen Tierversuche und Beobachtungen aus der Tier¬
pathologie die Hypothese der Entstehung der Lungenphthise durch tuber¬
kulöse Reinfektionen? Nein.
In unverseuohten Rinderbeständen, die es in manchen Gegenden
Deutschlands gibt, verläuft die Tuberkulose genau so wie in verseuchten
Herden. Auch bei älteren Rindern ist, wie beim Menschen, die chro¬
nische offene Lungentuberkulose weit häufiger als beim Jungvieh. Dass
die Eigentümlichkeiten in der Disposition der Organe bei Tuberkulose
nicht Folge von tuberkulösen Reinfektionen zu sein brauchen, sehen wir
z. B. an dem unterschiedlichen Verhalten der Nieren und Milz des Meer¬
schweinchens einerseits und der Nieren und Milz des Kaninchens anderer¬
seits. Bei Jungrindern ist Nierentuberkulose selten, bei älteren Rindern
häufig. Am empfänglichsten sind bei allen Tierarten die Lungen und
die Mamma. Vielleicht hängt hier das bessere Gedeihen der Tuberkel¬
bacillen mit dem höheren Sauerstoffgehalt zusammen. Künstlich lassen
sich die Lungen ganz junger Tiere leicht infizieren. Die Lungen sind
aber bei jungen Tieren besser gegen das Eindringen von Tuberkelbacillen
geschützt (bessere Flimmerepithelien, dichtere Lympbdrüsen). Auch
Auftreten von Cavernen nach Infektion vorbehandelter Versuchstiere ist
kein Beweis, da Lungencavernen nach Erstinfektionen bei Ziegen und
Hunden häufig, bei Meerschweinchen und Kaninchen nicht selten ent¬
stehen, wie die mitgebrachten Präparate von Ziegen- und Meerschweinchen¬
lungen zeigen. Somit sind meiner Ansicht nach Beweise aus Tier¬
versuchen für die Entstehung von Lungenphthise auf der Grundlage
tuberkulöser Reinfektionen nicht vorhanden.
Hr. Davidsohn: Aus den Tabellen geht hervor, dass.lOpCt. der
1400 untersuchten Fälle von bovinen Bacillen herrühren.
Ist es da nioht sehr wahrscheinlich, dass die Möglichkeit alle Tage
gegeben ist, dass die neu erkrankenden Kinder von diesen 10 pCt.
mit bovinen Baoillen infizierten Kranken sich anstecken,
denn dass sie von der Milch tuberkulöser Kühe ihre Krankheit direkt
erhalten, ist unbewiesen, lässt sich auch niemals bei dem allgemeinen
Genuss von Milch und der allgemeinen* Verbreitung der Tuberkulose
wirklich beweisen.
Wie ist es mit den Räumen, in denen die Kaninchen stalle stehen,
bestehen getrennte Ställe oder" findet ein Luftverkehr zwischen den ver¬
schieden geimpften Tieren statt?
Hr. Weber: Zu den Ausführungen des Herrn Davidsohn möchte
ich bemerken, dass bei den Tuberkuloseversuchen im Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamt stets besonderer Wert darauf gelegt werden ist, 'dass die
mit humanen und bovinen Bacillen'geimpften grossen und kleinen Ver¬
suchstiere in getrennten Stallgebäuden oder doch getrennten Stallräumen
untergebracht und von verschiedenen Stalldienern gepflegt wurden. Die
einzelnen kleinen Versuchstiere (Meerschweinchen und Kaninchen) werden
innerhalb dieser Stallräume nach 'den einzelnen zur Untersuchung
1) Griffith, Final Report, Teil 2, Bd. 1, S. 22.
1) FinaLReport of the Royal Conjmis^ion on human and bovine
tuberculosis, Teil 2, Anhang, Bd. 1, S., 32. ,
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UNIVERSUM OF IOWA
762
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
kommenden Fällen getrennt in besonderen Töpfen und Käfigen gehalten.
Es geschieht in dieser Beziehung alles, was geschehen kann.
Die Möglichkeit, dass von einem mit bovinen Bacillen infizierten
Menschen eine weitere Uebertragung auf Menschen, namentlich Familien¬
angehörige stattfinden kann, ist natürlich nicht zu leugnen. Ich habe
selbst darauf hingewiesen, dass in dieser Richtung hin Untersuchungen
angestellt werden müssen. Bisher sind sichere Fälle nicht bekannt. Die
Gefahr dürfte auch eine nur sehr geringe sein, denn es handelt sich bei
den bovinen Infektionen doch meist um geschlossene Tuberkulosen. Die
Fälle von Lungentuberkulose beruhend auf bovinen Bacillen, welche noch
die grösste Gefahr bieten, sind sehr selten.
Hr. Abel: A. dankt dem Vortragenden für seine Zusammenfassung
des augenblicklichen Standes der Forschung; er stellt fest, dass aus der
Versammlung die Prämisse des Herrn Weber, humane und bovine
Tuberkelbacillen seien verschiedene Arten, unwidersprochen geblieben
sei (während von bestimmter Seite bekanntlich noch die Identität beider
Arten vertreten wird) und hebt hervor, wie ira Laufe der Zeit die An¬
nahme, dass die bovinen Tuberkelbacillen für die menschliche Patho¬
logie ohne Bedeutung seien, habe verlassen werden müssen, ohne dass
man freilich zurzeit schon zu völliger Einigkeit über die praktische
Bedeutung der Infektion mit den bovinen Bacillen habe gelangen
können.
2. Hr. H. Ziemann:
Ueber die künstliche Knltnr vonlPiroplasma canis and des Perniciosa-
parasiten.
Ziemann versuchte bereits seit November 1912, nachdem Bass
von seiner erfolgreichen Kultivierung der Malariaparasiten berichtet hatte,
auch Piroplasma canis künstlich zu kultivieren. Nach manchen Miss¬
erfolgen fand er folgenden Modus am sichersten: Man entnimmt einem
piroplasmakranken Hunde aus der Carotis absolut steril Blut, lässt es
in ein wagerecht gehaltenes Gefäss einlaufen, defibriniert durch Um¬
rühren mit sterilem Glasstab, entfernt das Fibrin, setzt dann auf je
5 ccm Blut 0,1 ccm 50proz. Dextroselösung und auf je 10 ccm Blut
0,3 ccm 2 proz. Natrium citricum-physiologische Kochsalzlösung, mischt
sorgfältig, füllt in Centrifugenröhrcben ab, centrifugiert, aber nicht zu
lange und nicht zu scharf, um die Leukocyten aus der Tiefe in die
Höhe zu treiben. Man pipettiert dann das Serum ab, inaktiviert das¬
selbe eine Stunde bei 45° und überträgt es in sterile Serumröhrchen.
Die betreffende Serumschicht muss mindestens 2.5 cm hoch sein. Noch
besser ist es, schon vorher, um keine Zeit verlieren zu brauchen,
sich inaktiviertes Hunde-Dextrose-Natrium citricum-Serum von oben¬
erwähnter Zusammensetzung vorrätig zu halten, aber von einem gesunden
Hunde. Dann überträgt man mit sterilen Pipetten aus der Mitte des
Centrifugenröhrchens das leukocytenfreie Piroplasmablut auf den Boden
der Serumröhrchen und stellt sie aufrecht in den Brutschrank bei 37°.
Statt Hundeserum kann man auch inaktiviertes menschliches Ascites¬
serum nehmen, dem in gleichen Prozentverhältnissen Dextrose und
Natrium oitricum zugefügt worden ist. Bedingung für erfolgreiche Kultur
ist, dass man junge, kräftige Hunde nimmt, womöglich am ersten Tage
der Infektion. Schon schwer erkrankte Hunde, mit zahlreichem Parasiten¬
befunde im peripheren Blute, zeigen bald Absterben der Parasiten in
der Kultur. Analoges haben wir bei Trypanosomeninfektion, wo bei
zahlreicher Vermehrung der Trypanosomen schliesslich auch ein rapides
Abnahmen ihrer Vitalität eintritt. In der Kultur rapide Vermehrung
der Piroplasmaparasiten, oft 16, nicht selten bis 32 Merozoiten in einem
roten Blutkörperchen. Abimpfen des Piroplasmahundeblutes am besten
aus zwei Tage alter Kultur, spätestens aber aus vier Tage alter Kultur.
In drei bis sechs Tage alten Kulturen sterben die meisten Parasiten ab.
Für die Anlegung von Subkulturen muss man leukocytenfreies Piro¬
plasmablut mit dem fünf- bis sechsfachen Volumen leukocytenfreier
normaler roter Hundeblutkörper auf dem Boden neuer Serumröhrchen
übertragen. Die Parasiten gedeihen dicht unter der Oberfläche der roten
Blutkörperschicht des Sediments. Ziemann empfiehlt, wenn keine
kleinen Hunde zu erhalten sind, um positive Infektion zu bekommen,
die Hunde zu entmilzen und ihnen drei bis vier Tage später, je nach
der Grösse, aus der Jugularis zur Anämisierung Blut zu entnehmen.
Dann gelingt die Infektion, wenn man mindestens 10, wenn möglich
20 ccm infektiösen Blutes überträgt, immer. Ziemann spricht die feste
Hoffnung aus, dass man mit derselben Technik auch die Parasiten des
Texasfiebers der Kinder kultivieren können müsste, eventuell unter ge¬
wisser Modifikation der Temperatur des Brutschranks.
Die Kultur des Perniciosaparasiten erfolgte mit Blut eines Falles
von Kameruner Malaria perniciosa. Am besten zeigte sich inaktiviertes
Dextrose-Ascitesserum (vgl. oben), aber ohne Natrium citricum-Zusatz,
Kultur bei 37°. Günstig wirkte Einstellen der Kulturröhrchen
in den Brutschrank bei 40° während und dicht vor der
Sporulation. Es gelang, in sechs Tage alter Kultur bereits drei Gene¬
rationen hintereinander zu verfolgen, ferner zweimal eine Subkultur am
zweiten und fünften Tage zu erhalten. In der sechs Tage alten Kultur
erhebliche Anreicherung der Parasiten, häufig drei-, vier- bis fünf¬
fache Infektion der roten Blutkörperchen. Halbmonde entwickelten sich
nicht weiter. Kopulation junger Parasiten, die zur Erklärung der
Dauerformen angenommen wurde, wurde nie gesehen, auch kein Wandern
der Parasiten von einem roten Blutkörperchen zum anderen, wie es
Mary Rowley Lawson neuerdings behauptete, um die bei Malaria oft
akut eintretende Anämie zu erklären.
Die erfolgreiche Kultur des gewöhnlichen Tertianparasiten hatte er
bereits Anfang Februar 1913 in dem Verein für innere Medizin in Berlin
demonstriert. Z. stellt auch weitere Mitteilungen über gelungene künst¬
liche Züchtung von Tryp. gamb. im flüssigen Medium und Versuche
einer aktiven und passiven Immunisierung mit avirulent gewordenen
Kulturformen (vom vierten Tage der Kultur an) in Aussicht.
(Der Aufssatz erscheint im Original im Archiv für Schiffs- und
Tropenhygiene.)
Diskussion.
Hr. Arnheim: Wenn ich den Herrn Vortr. richtig verstanden habe,
so ist ihm eine Uebertragung mittels des von ihm kultivierten Tryp.
gamb. auf Meerschweinchen nicht gelungen. Das würde auch in Ein¬
klang zu bringen sein mit den Erfahrungen, die mit anderen Kultur¬
trypanosomenarten gemacht worden sind. So gelingt es nur höchst
selten, mit Kulturen von Schizotrypanon Tiere zu infizieren. Auch mit
Kulturen anderer Protozoen derselben Familie der Flagellaten sind
pathogene Wirkungen nur ausnahmsweise zu erzielen. Bekanntlich sind
die Erreger der Kala-azar leicht zu kultivieren. Aber diese Leishmanien
sind nur selten pathogen. „Erst vor kurzem gelang es durch Injektion
von Kulturen, Laboratoriumstiere zu infizieren (Jemma, Kongressbericht
der Internat, pädiatr. Gesellschaft, Paris 1912, ref. Deutsche med.
Wochenschr., 1912, Nr. 46, S. 2199).“ Auch bei den Kulturspirochäten
liegen die Dinge ganz ähnlich. Das Auftreten syphilitischer Erschei¬
nungen nach Einverleibung fortgezüchteter Spirochäten aus syphiliti¬
schem Ausgangsmaterial gehört zu den seltenen Vorkommnissen, und es
hat dieser Umstand zu der Annahme verschiedener Autoren geführt, dass
die in Kulturen vorhandenen Spirochäten vorwiegend dem Genus der
Spir. refringens angehören. Meiner Ansicht nach zu Unrecht. Ich halte
vielmehr auf Grund der vorstehend beschriebenen Analogien mit anderen
ähnlichen Protozoen die Abnahme der Virulenz in Kulturen bei diesen
Mikroorganismen für einen regelmässigen Vorgang, bedingt durch die
ganz abnormen Lebensbedingungen dieser Individuen in künstlichen
Nährsubstraten.
Hr. Ziemann (Schlusswort): Dem Herrn Vorredner möchte ich be¬
merken, dass die Versuche der künstlichen Züchtung des Perniciosa¬
parasiten ja eben erst begonnen haben und aus diesem Grunde Tier¬
versuche noch nicht haben stattfinden können. Im übrigen haben bereits
die Italiener, ich selber und auch Robert Koch immer wieder ver¬
sucht, die menschlichen Malariaparasiten auf Tiere zu übertragen, stets
ohne Resultat, so dass wir wohl annehmen dürfen, dass diese Parasiten
nur für die Menschen pathogen sind. Wenn dann ferner der Vorredner
meint, dass die künstlich gezüchteten Leishmanien nicht virulent seien,
so scheinen einige neuerliche Versuche gezeigt zu haben, dass bei endo-
venöser Verabfolgung auch Kultur Leishmania unter Umständen viru¬
lent werden können. Weitere Untersuchungen sind darüber aber not¬
wendig. Im übrigen -handelt es sich bei den Kulturformen von Leish¬
mania um Gebilde, die als Produkte von abnormen Entwicklungsbedingungen
zu betrachten, morphologisch jedoch zu trennen sind von den Leish¬
mania innerhalb des Organismus, während die von mir gezüchteten
Piroplasmen und Malariaparasiten in der Kultur sich mit
den im peripheren Blute gefundenen absolut identisch ver¬
hielten. Da ich selber bereits an Perniciosa erkrankt war, war ich
nicht in der Lage, an mir selbst das Experiment zu machen und mir
eine Kultur einzuspritzen. Die betreffenden Tierversuche mit Kultur -
piroplasmen des Hundes sind noch im Gange. Ich betone jedenfalls
noch einmal, dass die von Bass und mir gezüchteten Kulturformen
des Malariaparasiten und des von mir gezüchteten Piroplasma
canis absolut in keine Parallele zu stellen sind mit den
Kulturformen der Leishmania und mancher Trypanosomen, die auf be¬
stimmten Blutagarnährböden abnorme Entwicklungsformen zeigen, die
jedenfalls nicht zu den normalen zu gehören scheinen.
3. Hr. Schuberg:
Ueber Hühnerpocken. (Mit Demonstrationen und Lichtbildern.)
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Medizinische Sektion der gchlesischen Gesellschaft für yater-
l&ndische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr A. Neisser.
Schriftführer: Herr Ponfick.
Hr. Minkowski demonstriert vor der Tagesordnung a) einen Fall
von Tabes dorsalis mit Spontanfrakturen der Wirbelsäule und des
Unterkiefers. Erstere trat beim Heben eines erwachsenen Mannes,
letztere beim Beissen auf eine harte Brotkruste ein. Erst mehrere Jahre
später machten sich die tabischen Bewegungsstörungen bemerkbar;
b) das Röntgenbild einer Oesopbagusbronchialfistel. Man sieht
deutlich die Anfüllung des Bronchi alb au ms nach dem Verschlucken einer
Bismutaufschwemmung;
c) Fettstihle von einem Falle von Pankreaserkrankung vor und
nach Verabfolgung von Pankreon. Gegenüber einer Angabe von Albu,
dass Entleerungen eines flüssigen Oels, das nach der Abkühlung er¬
starrt, zuerst von Ury und Alexander im Jahre 1894 als patho-
gnomonisch für Pankreaserkrankungen beschrieben seien, weist Redner
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
763
darauf hin, dass bereits Bright im Jahre 1833 eine sehr charakteristische
Beschreibung der eigenartig öligen und fettähnlichen Entleerungen gegeben
hat, die er in mehreren Fällen von Pankreaserkrankungen beobachtet
hatte. Schon vorher (1820) ist von Kuntzmann Abgang von Fett mit
dem Stuhl in einem Falle von Pankreasinduration beschrieben worden.
Nach der Totalexstirpation des Pankreas beim Hunde treten nach reich¬
licher Fettfütterung regelmässig ähnliche Entleerungen auf, wie das Redner
schon 1889 bei seinen mit Abelmann ausgeführten Untersuchungen
beobachtet hat. Das Eigenartige ist, dass das Fett nicht emulgiert
ist; die Fettspaltung vollzieht sich auch nach vollständiger Aus¬
schaltung des Pankreas. Nach Darreichung von Pankreon erschien das
Fett, das zwar in geringerer, aber immer noch in beträchtlicher Menge
entleert wurde, nicht mehr in öl artiger, sondern in fein verteilten
Formen wie bei den gewöhnlichen Fettstühlen der Icterisohen. Die
Störung der Pankreasfunktion konnte in dem vorliegenden Falle übrigens
auch durch die Abwesenheit von Trypsin im Darminhalt nachgewiesen
werden.
Hr. Felix Rosenthal:
Experimentelle Untersuchungen über das Wesen nnd die Genese des
Reeidivs.
Es liegt in der praktischen Seite des Infektionsproblems begründet,
dass im Vordergründe der Immunitätsforschung stets das Studium der
-Abwehrmaassregeln des erkrankten Organismus gestanden hat. So wird es
verständlich, dass die Immunitätsvorgänge, wie sie sich auch im Para¬
siten unter dem Einfluss der baktericiden Wirkungen der Körpersäfte
abspielen mögen, bisher nur wenig in den Kreis der experimentellen
Untersuchungen gezogen worden sind. Dass auch der Mikroorganismus
den Antikörpern des infizierten Organismus gegenüber nicht untätig
bleibt, zeigt sohon die grob sichtbare Eigenschaft einer ganzen Reihe
pathogener Bakterien, im Tierkörper Kapseln zu bilden, in denen eine
wichtige Schutzvorrichtung der Mikroorganismen zu erblicken sein dürfte.
Es sei weiter an die Umwandlung der Darmamöben in Cysten er¬
innert, ferner an die Unempfindlichkeit von Typhusbacillen gegen
spezifische Agglutinine, wie man sie häufig bei frisch aus dem Blute
von Typhuskranken gezüchteten Stämmen beobachtet.
In grosser Fülle und Mannigfaltigkeit drängten sich die Phäno¬
mene der Selbstwehr der Mikroorganismen gegen sie bedrohende
Schädlichkeiten der Beobachtung auf, als es der experimentellen Therapie
gelang, durch Auffindung optimal wirksamer ohemischer Verbindungen
die Trypanosomeninfektion im Laboratoriumsversuch willkürlich zu
beherrschen. Ehrlich, der diese Erscheinungen zuerst erkannte und
sie mit seinen Mitarbeitern eingehend studierte, fasst sie unter dem
Namen der Arzneifestigkeit zusammen. Was das Wesen der Vor¬
gänge betrifft, die zur Arzneifestigkeit führen, so rechnet sie Ehrlich
zu den Mutationen im Sinne von de Vries.
Es vollziehen sich in den Mikroorganismen unter dem Einfluss
des chemotherapeutischen Agens tiefgreifende biologische Veränderungen,
die sich als Mutationen charakterisieren erstens dadurch, dass die er¬
worbenen en Eigenschaften der Arzneifestigkeit in der Tat ganz neue
sind, wie sie ursprünglich auch nicht einzelnen Individuen der betreffenden
Mikroorganismen zukamen, und zweitens dadurch, dass diese erworbenen
Eigenschaften wie die einer selbständigen Art erblioh bleiben.
Wie in dem Kampfe zwischen den Mikroorganismen und den sie
schädigenden chemotherapeutischen Agentien spielen sich auch in dem
Kampfe zwischen den Mikroorganismen und den spezifischen Antikörpern
des erkrankten Organismus analoge Prozesse ab. Ist es dort die
Arzneifestigkeit, so ist es hier die Serumfestigkeit, die Unempfind¬
lichkeit gegen die Schutzstoffe des Wirtsorganismus, in der die Selbst¬
wehr der Mikroorganismen in die Erscheinung tritt. Auch hier hat
Ehrlich die fundamentalen Richtlinien gewiesen.
Derartige Umsetzungen innerhalb der Mikroorganismen spielen nun
eine gauz besonders grosse Rolle bei dem Phänomen des Reeidivs.
Die Genese des Frührecidivs, das in deutlich verfolgbarem Zu¬
sammenhänge mit der früheren Krankheitsperiode auftritt, aber doch
von ihr durch eine scheinbar krankheitsfreie Zeit getrennt ist, ist bisher
schwer verständlich gewesen, da wir auf Grund unserer heutigen Kennt¬
nisse zu der Annahme berechtigt sind, dass im Blute des Genesenden
Schutzstoffe gegen die Erreger der abgelaufenen Krankheit meist in
grosser Menge kreisen. Es sei z. B. an die von Jürgens mitgeteilten
Typhusfälle erinnert, wo bei hohem baktericiden Titer des Blutserums
sich trotzdem Recidive einstellten.
, Hier ergibt sich die für die Genese des Reeidivs entscheidende
Frage, warum in den Fällen, in denen die Rekonvaleszenz durch das
Erscheinen des Reeidivs unterbrochen wird, die in der Girculation vor»
handenen Schutzstoffe den Kranken vor einer zweiten Attacke der eben
niedergekämpften Infektionserreger nicht zu bewahren vermögen.
Die bisherigen Erklärungsversuche für das Zustandekommen des
Reeidivs, soweit sie überhaupt diesen Namen beanspruchen dürfen,
werden kurz gestreift (Henoch, Wolff - Eisner, Bungart, Menzer).
Für das Studium der an die Heilung der Infektion sich an-
schliesseuden Vorgänge, deren Wechselspiel schliesslich das Auftreten
des Reeidivs bewirkt, bietet die Febris recurrens und vor allem die
Trypanosomeninfektion besonders günstige experimentelle Bedingungen
dar. Die experimentelle Analyse des Reeidivs wird dadurch auf
breitester Basis ermöglicht, dass auch bei Uebertragung auf das Tier,
z. B. das Meerschweinchen, die Infektion spontan in exquisit recidi-
vierender Form verläuft, und ferner bei den Tieren, bei welchen der
Reoidivtypus spontan nicht hervortritt, wie z. B. bei der Maus, die
gerade auf dem Gebiete der Protozoenerkrankungen so erfolgreiche
Chemotherapie dem Experimentator die Mittel gibt, das Recidiv künstlich
auszulösen und willkürlich zu beherrschen.
Die geschilderten Versuche, welche an das zuerst von Ehrlich bei
Trypanosomen-Recidivstämmen erforschte Phänomen der Serumfestigkeit
anknüpfen, wurden mit einem Naganastamm (Trypanosoma Brucei) aus¬
geführt. Behandelt man mit Trypanosomen infizierte Mäuse mit zur
völligen Heilung ungenügenden Dosen trypanocider Agentien, so treten
nach einiger Zeit Recidive auf (Demonstration). Die nun wieder im
Blut erscheinenden Recidivtrypanosomen unterscheiden sich durch die
Immunitätsreaktion von den ursprünglich zur Infektion verwendeten so,
als ob es sich um eine andere Art handle (Demonstration von Tabellen).
Von derartigen Recidivstämmen, selbst wenn sie von dem gleichen
Ausgangsstamm sich ableiten und unter der gleichen chemotherapeutischen
Behandlung entstehen, ist eine Vielheit möglich (Neumann, Ehrlich,
Braun und Teichmann, Vortragender). *
Die so erzeugte Abänderung der Parasiten ist nicht oberflächlicher
Natur, sondern kann durch viele Monate uud Jahre bei Passagen durch
normale Tiere fortgeführt werden, sie ist erblich (Ehrlich, Röhl und
Gulbrausen). Doch kommt es auch vor, dass im Verlaufe der
Passagen der Recidivstamm sich allmählich zum Ausgangsstamm zurück¬
bildet (Neumann, Mesnil und Brimont, Braun und Teichmann,
eigene Erfahrungen).
Auch durch Einwirkung eines Immunserums in vitro, und zwar in
äusserst kurzer Zeit kann diese Serumfestigkeit eintreten (Ehrlich,
Roehl und Gulbransen, Levaditi und Mutermilch, eigene Ver¬
suche).
Nach Ehrlich vollzieht sich die Bildung des Reoidivstammes aus
dem Ausgangsstamm in der Weise, dass bei Anwesenheit ge¬
nügender, aber nicht letaler, spezifisch gegen den Ausgangs¬
stamm gerichteter Antikörpermengen ein Umschlag der Trypanosomen
in einer Richtung erfolgt, die die Erhaltung der Rasse auch unter den
neuen Lebensbedingungen ermöglicht.
Nach den vom Vortragenden demonstrierten Reagenzglasversuchen
erscheint das recidivstammbildende Vermögen des Immunserums weit¬
gehend unabhängig von der Trypanocidie des Serums. (Demonstration
von Tabellen.)
Trypanocidie und Recidivstammbildungsvermögen sind hiernach nicht
Funktionen eines einzigen Serumsubstrates, sondern mit Wahrscheinlich¬
keit Eigenschaften differenter Serumkörper (trypanocide Immunkörper
und Recidivkörper). Versuche, welche für eine Trennung der trypano-
ciden Körper von den „Recidivkörpern“ sprechen, werden demonstriert.
Nicht als das Spiel von Zufallsmomenten, sondern als die Resultate
wohl definierbarer biologischer Prozesse, die die grossen fundamentalen
Lebensprobleme der Vererbung und der Umwandlung der Arten aufs
innigste berühren, muss das Wesen des Frührecidivs begriffen werden.
| Nicht in einem Aufhören der Immunität des Wirtsorganismus, sondern
in der gerade unter dem Einfluss dieser Immunität sich vollziehenden
biologischen Wesensänderung der Parasiten zu Individuen mit neuen
Artcharakteren liegt die Genese des Frührecidivs begründet.
Die Ausblicke, welche möglicherweise diese experimentellen Er¬
gebnisse für die Klinik des Frührecidivs eröffnen, werden im einzelnen
bei den Recidiven der Pneumonie, des Typhus, des Scharlachs, der
Masern, der Syphilis und dem Recidiv maligner Tumoren geschildert.
(Die Arbeit erscheint ausführlich in der Zeitschrift für klinische Medizin,
1913. Weitere Ergebnisse werden in der Zeitschrift für Hygiene und
Infektionskrankheiten mitgeteilt.)
Hr. Biberfeld: Ueber Atopban.
Die wesentlichste Wirkung der Phenylchinolincarbonsäure, des
Atophans, nämlich die Vermehrung der Harnsäureausscheidung beim
Menschen, wird verschieden gedeutet; von Weintraud und seinen
Schülern wird als eine selektive Wirkung des Mittels auf die eine
Funktion der Niere, eben die U-ausscheidung, angesehen; Stark en¬
stein dagegen hat auf Grund seiner Tierversuche, in denen er eine
Verminderung der Allantoinaussoheidung festgestellt hatte, eine Störung
des PurinstofiWechsels angenommen, die sich beim Menschen in einer
Steigerung des Zerfalls der zum Abbau reifen Harnsäurevorstufen
äussert. Eine reine Nierenwirkung würde plausibler erscheinen, wenn es
gelänge, noch andere gleich gerichtete Wirkungen des Atophans festxu¬
stellen. Der Vortragende hat deshalb untersucht, wie Atophan die Aus¬
scheidung eines anderen Purinkörpers, des Hydroxycoffeins, beeinflusst;
diese Substanz wurde gewählt, da sie den menschlichen und tierischen
Organismus unverändert passiert, während die meisten anderen Purine
quantitativ im Stoffwechsel nioht verfolgbar sind. Am Menschen und
Tier zeigte sieh nun, dass die Substanz unter Atophanwirkung keines¬
wegs schneller, sondern eher langsamer sezerniert wurde. Ferner wurde
das Schicksal in grosser Menge subcutan injizierter Harnsäure beim
Hunde untersucht. Im normalen Stoffwechsel scheiden alle Tiere nur
sehr geringe Mengen von U aus, da sie diese zu Allantoin weiter
oxydieren. Führt man aber grössere Mengen von Harnsäure subcutan
ein, so kann der Körper nicht die Gesamtmenge bewältigen und die
U-ausscheidung im Harn wächst infolgedessen an, aber unter Atophan¬
wirkung nicht mehr als ohne dieses. Eine spezifische Nierenbeeinflussung
war somit an Purinsubstanzen nicht zu erweisen. Weiterhin versuchte
der Vortragende, ob eine sicher auf die Niere beschränkte pharmako-
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UMIVERSITY OF IOWA
764
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
dynamische Wirkung, die des Phlorhizins, sich durch Atophan beein¬
flussen lasse; auch hier war das Resultat für die Weintraud’sche Auf¬
fassung nicht günstig; durch Atophan wird die Zuokerausscheidung ver¬
zögert und auch quantitativ vermindert. Von verschiedenen Beobachtern
wird angegeben, dass Atophan beim Menschen keine Vermehrung der
Phosphorsäureausscheidung bewirke; das wurde gegen die Anschauung
verwertet, dass Atophan eine Beschleunigung des Nucleinzerfalls ver¬
ursache. Dieses Argument^ beweist nicht viel, da die beim Entstehen
von beispielsweise 0,5 g U aus Nucleinsäure freiwerdende Phosphor¬
säure noch nicht einmal ebensoviel beträgt und eine relativ so geringe
Menge sich im menschlichen Stoffwechsel kaum nachweisen lässt.
Ausserdem ist es möglich, dass Atophan wohl eine schnellere Aus¬
scheidung von Phosphorsäure in den ersten Stunden nach seiner Dar¬
reichung hervorufe, dass diese aber in dem bisher allein bestimmten
Tagesharn nicht in Erscheinung trete. Versuche an Hunden zeigten,
dass Atophan tatsächlich eine Beschleunigung der Ausscheidung sub-
cutan injizierter ionaler und nicht ionaler P s O* (Natrium glycerino-
phosphoricum) erzeuge,
Diskussion.
Hr. E. Frank: Ein französischer Autor, Fauvel, hat sich bereits
vor mehreren Jahren die Frage vorgelegt, ob auch Purine, die im
Organismus nicht zu Harnsäure werden, eine Steigerung der Ausschei¬
dung erfahren in Fällen, in denen die Harnsäure vermehrt ausgeschieden
wird. Er glaubt das für das Theobromin bejahen zu dürfen. Er be¬
diente sich allerdings zur Steigerung der Harnsäureausfubr nicht des
Atophans, sondern des Natrium salicylicum. Das ist aber, wie ich
glaube, im Prinzip das gleiche, denn die lange schon bekannte steigende
Wirkung der Salicylsäure auf die Harnsäureausfuhr ist wohl mit der des
Atophans identisch. Wenigstens suggerieren mir diese Ansicht neue
Untersuchungen, die Fräulein med. pract. Pietrulla auf der hiesigen
medizinischen Klinik ausgeführt hat. Bei Verwendung von 6 g Acidum
salicylicum pro die zeigte sich, dass (bei geringfügiger Leukocytose) die
Vermehrung der Harnsäureausscheidung ganz die gleiche ist wie durch
Atophan und dass nach Aussetzen des Mittels ganz der gleiche tiefe
Absturz zu konstatieren ist wie beim Atophan. In einem Falle stieg
die Harnsäure von einem endogenen Werte von 0,26 g bei purinarmer
Kost unter Acid. salicyl. auf 0,58, 0,63, 0,601 g während der drei
Tage, die das Mittel gegeben wurde, dann fiel sie auf 0,444, 0,11,
0,09, 0,05 g.
In einem zweiten Fall fand sich ein Anstieg von 0,226 auf
1,001 g.
Danach hat es den Anschein, als ob die Gruppe der Nervina, Anti-
pyretioa, Antirheumatioa doch ganz gesetzmässig eigenartige Beziehungen
zur Harnsäure hat, nur dass beim Athophan diese Wirkung schon bei
viel geringeren Dosen imponierend wird als bei Salicylsäure.
Was nun die Frage nach dem Angriffspunkt des Atophans betrifft,
so lässt sich mangels eines Einblicks in den feineren Mechanismus seiner
Wirkung eine endgültige Antwort nicht geben; nur die Alternative, ob
primärer Nudeinzerfall oder primäre Begünstigung der Harnsäure¬
elimination, lässt sich wohl sicher zugunsten der letzteren Vorstellung
beantworten. Wie sollte man sich sonst die auffallende Heilwirkung
beim Gichtanfall, wie das Schwinden der Tophi erklären. Wie wäre es
sonst zu verstehen, dass eine Beschleunigung und Vermehrung der Harn¬
säureausscheidung unter Atophan stattfindet, gleichgültig, ob man
Nucleinsäure, Hypoxanthin oder Harnsäure selbst einverleibt. Speziell,
dass iojizierte Harnsäure auch vom Gichtkranken, der Atophan nimmt,
rasch und quantitativ ausgeschieden wird, beweist, dass die Harnsäure
selbst, d. h. die günstigere Gestaltung ihrer Eliminationsbedingungen
das eigentliche Wirkungsbereich der Substanz darstellt.
Hr. Minkowski bemerkt ergänzend, dass die von Herrn Frank
erwähnten Untersuchungen des Fräulein Pietrulla nicht mit Atophan
ausgeführt wurden, sondern mit dem Ester, der neuerdings als „Aoitrin“
in den Handel gebracht wird. Redner ist von Anfang an der Ansicht ge¬
wesen, dass die Wirkungen des Atophans auch auf die Harnsäure nur
graduell von denen der Salicylsäure verschieden sein könnten. Vieles
spricht dafür, dass es sioh um eine Einwirkung auf die Elimination
der Harnsäure handelt Aber ob diese die primäre Wirkung und ihrer¬
seits die Ursache für die Besserung der gichtischen Erscheinungen ist,
oder umgekehrt eine Einwirkung auf die dem Purinumsatz zugrunde
liegenden Stoffwechselvorgänge erst indirekt die Harnsäureausscbeidung
beeinflusst, ist noch nicht entschieden. Die Hauptfrage bei der Gicht
ist ja auch: warum wird die im Uebersohuss vorhandene Harnsäure nicht
eliminiert? Wenn man von einer „Dichtigkeit des Nierenfilters“ spricht,
so ist das zunächst nur eine Umschreibung der Tatsache. Es liegt kein
Grund für die Annahme vor, dass die Durchlässigkeit der Nieren nur
speziell für eine ganz bestimmte Substanz geändert werden könnte.
Wahrscheinlich handelt es sich bei der Gicht und wohl auch bei der
Wirkung des Atophans um eine Beeinflussung von gewissen Stoffwechsel¬
vorgängen bei dem Abbau der Purinverbindungen. Es könnte ja sein,
dass sich diese Vorgänge auch in der Niere abspielen, nur ist es dann
nicht nur die „Durchlässigkeit“ der Niere, auf die es ankommt. Wahr¬
scheinlicher ist es, dass die entscheidenden Prozesse sich diesseits des
Nierenfilters abspielen.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
Sitzung vom 27. Februar 1913.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt der Vorsitzende in einer
Ansprache der grossen Verdienste und der wissenschaftlichen Bedeutung
des verstorbenen Mitgliedes, Geheimrats Heller. (Die Anwesenden er¬
heben sich von ihren Sitzen.)
Vorstandswahl: Erster Vorsitzender Herr v. Starck.
Diskussion zu den Vorträgen der Herren Kahn, Rost und
Meyer.
HHr. Goebell, Stoeokel (beide über die Strahlenbehandlung
maligner Tumoren; es darf sich nur um inoperable Geschwülste handeln).
Hr. Rost (Bericht über einen durch Röntgenstrahlen augenscheinlich
geheilten Fall von Sarkom des Abdomens [Metastase eines Hodensarkoms]).
Hr. Kahn.
Hr. Miehaod:
Ueber die Bedeitug des Reststickstoffs im Blute bei Nephritis.
Die bisherige Klassifizierung der Nephritiden nach pathologisch¬
anatomischen Gesichtspunkten genügt für den Kliniker nicht; man ist
deshalb zu physiologischen Methoden übergegangen und beurteilt die
Nierenfunktion nach der Ausscheidung bestimmter Stoffe. Bei der Ur¬
ämie werden toxische Stoffe im Körper retiniert. Widal unterscheidet
zwei Formen: 1. Die Chlorämie, die klinisch durch starke Oedeme
und akut einsetzende Krämpfe gekennzeichnet ist, und 2. die Azot-
hämie, wobei es sich um einen mehr chronischen, mit Kopfschmerzen,
Erbrechen usw. einhergehenden Vergiftungszustand infolge von Anhäufung
stickstoffhaltiger Substanzen im Blut — nicht in den Organen — handelt.
Diese Substanzen sind keine Eiweisskörper, sondern lösliohe Stoffe, der
Rest-N. Strauss, der zum ersten Male quantitative Bestimmungen
des Rest-N im Blute machte, fand bei Schrumpfniere eine Erhöhung ira
Gegensatz zur chronisch-parenchymatösen Nephritis. Andere Autoren
kamen zu anderen Resultaten. Vortr. hat nach der Methode von Meyer-
Hohlweg ebenfalls quantitative Bestimmungen im Serum Gesunder und
Nierenkranker gemacht und glaubt zu eindeutigen Resultaten gekommen
zu sein. Demonstration verschiedener Tabellen. Danach bietet der
Rest-N nichts Charakteristisches bezüglich der einzelnen
Nephritisformen. Um die Frage zu entscheiden, ob etwa die Des-
amidisierung in der Leber dabei eine Rolle spielt, hat Vortr. an
23 Leberkranken, bei denen eine wenigstens teilweise Leberinsuffizienz
angenommen werden musste, sowie an Hunden mit Eck’scher Fistel
Rest-N-Bestimmungen gemacht. Bei den Hunden stieg der Rest-N-Wert
auch nach dem Genuss von Pferdefleisch nicht an, obwohl Urämie ein¬
trat. Vortr. kommt auf Grund der Beobachtungen an Leberkranken zu
dem Resultat, dass extrarenale Faktoren dabei keine Rolle spielen. Da¬
gegen konnte Vortr. feststellen, dass bei Nephritikern eine plötzliche
sehr starke Steigerung des Rest-N den nahe bevorstehenden Tod be¬
deutete.
Diskussion: HHr. Lüthje, Höher, Ginsberg, Miohaud.
HHr. Weiland und Schlecht:
Ueber den anaphylaktischen Chok im Rffntgeibild.
Vortr. haben bei anaphylaktisch gemachten Tieren die Magen- und
Darmbewegungen am Röntgenschirm während des Anfalls studiert und
eine stark vermehrte Peristaltik und Kontraktion des Magen-Darmkanals
mit nachfolgender Lähmung beobachtet. Es werden einige Röntgen¬
photographien demonstriert.
(Ausführliche Veröffentlichung erfolgt demnächst in der Zeitschrift
f. experim. Pathol. u. Therapie.)
Hr. Weiland: Ueber Alkalibehandlnag der AlbnHinnriea.
Vortr. teilt seine Beobachtungen über den Einfluss der oralen
Natrium bicarbonicum-Verabreichung bei Nephritiden und Albuminurien
auf die Eliweissausscheidung im Urin mit. Die Resultate waren in 17
von 24 Fällen negativ. Vortr. warnt vor der Natrium bicarbonicum-
Medikation wegen der mehrfach beobachteten Tatsache, dass Oedeme,
Verschlimmerungen des Krankheitszustandes, im Anschluss an diese
Therapie auf traten. E. Richter.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
Sitzung vom 25. Februar 1013.
1. Hr. v. Strümpell:
Klinische Demonstration zweier typischer Fälle von Myotonie.
2. Hr. Payr bespricht die operative Behandlang abstehender grosser
Ohren.
3. Hr. Niessl v. Mayendorf: Beiträge znr Aphasielehre.
Vortr. bespricht zwei Fälle von motorischer Aphasie, deren Deutung
nach der herrschenden Lehre auf unüberwindliche Schwierigkeiten stösst.
Im ersten Fall hat sich die Sprachstörung sowie die rechtsseitige Ex¬
tremitätenlähmung binnen wenigen Wochen bis auf Rudimente zurück¬
gebildet, obgleich, wie an einer Serie von Weigert-Präparaten gezeigt
wird, ein sehr umfangreicher Erweichungsherd den grössten Teil des
linken Klappdeokels, und zwar Rinde und Mark verheert hat. Unter¬
gegangen waren die Pars triangularis und opercularis frontalis, das
Operculum, Rolandicum und eine Markfaserentartung erstreckte sich im
Operculum parietale weit nach hinten. Die linke Pyramidenbahn erwies
sich zum grössten Teil als sekundär degeneriert. Welche noch leistungs¬
fähige Gehirnsubstanz mochte die rasche Restitution ermöglicht haben?
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UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
756
Die einzig hier zulässige Erklärung appelliert an die korrespondierenden
Hirnpartien der reohten Hemisphäre. Unterstützt wird dieselbe durch
die auffallende Volumverschiedenheiten der beiden Hemisphären zu¬
gunsten der rechten. Durch die Anwesenheit typischer Symptome einer
sich restituierenden Aphasie: „Anarthrie“, „erschwerte Wortfindung in
der spontanen Rede“, „anstandsloses Nachsprechen“ bei ausserordentlich
reduziertem Wortschatz in der spontanen Rede, „Paragraphie“, von
denen sich die erste Erscheinung auf mangelnde Uebung der rechten
motorischen Sprachsphäre, die anderen Symptome auf mangelhaft ein¬
geübten Verbindungen zwischen linkem Klangbildcentrum und rechter
motorischer Sprachsphäre zurückführen. Drittens lassen sich die normalen
markbekleideten Faserzüge in den äussersten Paketen der inneren Kapsel,
innerhalb der Opercularregion der Centralwindungen, an der erkrankten
Hemisphäre nachweisen, welche offenbar aus der Balkenbrücke hervor¬
gehen. Da gerade in diesen Bündelgruppen die gekreuzten absteigenden
hier entarteten Bahnen von der Rinde für die Phonationskerne verlaufen,
scheint eine Anlage von Leitungen aus beiden Hemisphären durch den
Balken auch anatomisch sichtbar zu sein. Der zweite Fall betrifft
eine nur etwa 8 Wochen währende motorische Aphasie, durch Embolie
eines grossen Astes der Arteria fossae sylvii bei einem Herzkranken.
Daneben eine rechtsseitige Parese, die sich bald verliert, hingegen per¬
manente Agraphie in allen Formen, keine Wortblindheit, Gedrucktes und
Geschriebenes wird verstanden. Sektionsbefund: Linke Hemisphäre: ein
enormer Erweichungsherd, welcher den hinteren Teil des ganzen Schläfen-,
Scheitel-, Hinterhauptslappens zerstört. Ausserdem ein Plaque jaune
in der hinteren Centralwindung und ein dritter in der hinteren Insel.
Schräg von oben vorn nach hinten unten angelegte Schnitte naoh
Weigert-Pal behandelt, lassen einen spaltförmigen Defekt in der
Capsula externa hervortreten, die vordere Temporalquerwindung völlig
intakt. Die Rinde der hinteren temporalen Querwindung zerfressen, wie
angenagt, der Herd in der hinteren Centralwindung reicht mit einem
Zapfen in die vordere hinein, deren corticaler Klappdeckelanteil weiss
und faserleer ist Die motorische Aphasie erklärt sich hier aus einer
Läsion des Operculum Rolandicum und dem spaltförmigen Herd in der
Capsula externa, welcher die vom Klangbildcentrum beider Hemisphären
aufsteigenden Assosationsbündel gleichzeitig unterbricht. Die Intaktheit
des akustischen Wortsinnverständoisses erklärt sich aus der Intaktheit
der vorderen temporalen Querwindung, das Erhaltenbleiben des Schrift¬
verständnisses aus der Unberührtheit der Sehstrahlungen. Rösler.
Medizinische Gesellschaft za Güttingen.
Sitzung vom 27. Februar 1913.
Hr. Creite demonstriert: a) jungen Mann mit symmetrischer Biegung
in der Mittelphalanx beider Kleinfinger; die Deviation verursacht keine
Funktionsstörung. Nach dem Röntgenbild bestehen trophische Störungen
an der Epiphysenlinie;
b) kleinen Jungen mit einem quer verengten Nägele’schen Becken;
es bandelt sich um eine Synchondrosis sacroiliaea sinistra.
Hr. Bode demonstriert ein achtjähriges Kind mit Little’scher Krank¬
heit und bespricht die eingeschlagene Behandlung, die in Tenotomien
(Adduktoren, Kniebeuger, Achillessehne) und aktiven sowie passiven Be¬
wegungsübungen bestand. Das Kind, das bei der Aufnahme weder gehen
noch stehen konnte, ist jetzt imstande, sich mit Hilfe eines Stockes fort¬
zubewegen. Wichtig ist, dass die Behandlung genügend lange Zeit fort¬
gesetzt wird. Auch im vorliegenden Fall war nach einer nur vierzehn¬
tägigen Unterbrechung ein starker Rückschlag zu konstatieren. Im An¬
schluss an den Fall wird die Indikation zur Foerster’schen Operation
besprochen.
Hr. Roggenbau erörtert an der Hand von Röntgenbildern die neueren
Resultate auf dem Gebiet der Röntgendiagnostik bei Magen- und Dana-
erkrankungen.
Hr. Port demonstriert einen 36 jährigen Eunuchoiden vom Typus
des abnormen Fettwuchses und bespricht kurz die chemischen Corre-
lationen zwischen Keimdrüsen, Hypophyse und Schilddrüse; er be¬
richtet über Versuche, bei dem Kranken durch die Acetonitrilreaktion
eine Hypofunktion der Schilddrüse nachzuweisen. Seine Vorversuche an
normalen weissen Mäusen haben jedoch ergeben, dass dieselben gegen
Acetonitril sehr verschieden resistent sind, weshalb er an dem Wert der
Acetonitrilreaktion zum Nachweis einer abnormen Schilddrüsenfunktion
zweifelt.
Hr. Reicher (als Gast): Ueber Fett- und Lipoidstoffwechsel.
Nach Verabreichung von reinen Triglyceriden entsteht im Blut vor¬
übergehend eine Vermehrung nicht nur des Fettes, sondern auch von
Lecithin und Cholesterinestern. Dabei sinkt der respirative Quotient
zunächst langsam, dann stärker und erreicht seinen Treffpunkt zurZeit,
wo die Fette und Lipiode im Blut rapide zu sinken beginnen. Dies
scheint dafür zu sprechen, dass die Fette im wesentlichen nicht als
solche, sondern einerseits gebunden an Glycerophosphorsäure- Cholin als
Lecithin andererseits an Cholesterin als Cholesterinester verbrannt werden.
Eine ähnliche Vermehrung der obengenannten Lipoide kann man zeit¬
weise bei phosphorvergifteten und bei anämischen Tieren sowie bei
schweren Diabetikern beobachten, dergleichen in Hungerzuständen. Dies
weist darauf hin, dass auch die Mobilisierung des Fettes aus den Depots
heraus in Form des Lecithins und der Cholesterinester stattfindet und
ihre Bildung die Vorbedingung für die Fettverbrennung bildet, ähnlich
wie die Umwandlung des Glykogens in Traubenzucker der Kohlehydrat¬
verbrennung vorausgehen muss.
Beim Diabetiker kann man ebenso wie beim Alkoholiker beobachten,
dass die Kurve der Lipoidvermehrung im Blute nach Fettnabrung einen
langsameren Ablauf und einen höheren Anstieg zeigt, und diese Ab¬
weichung von der Norm ist um so grösser, je stärker die Acidosis aus¬
geprägt ist. Durch Konkurrenz mit der vorher erwähnten Fettmobili¬
sierung in Form von Lipoiden wird die Kurve in Fällen mit starker
Acidosis dahin umgeformt, dass ein Absinken bis zurAbscisse überhaupt
nicht mehr stattfindet, sondern nur Gipfel mit geringen Wellentälern
nachzuweisen sind. Port.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Acadömie de mddecine.
Sitzung vom 4. Februar 1913.
HHr. Doainici, Cheroi und Rabens-Daval teilen ihre Reealtate
der Radiambehaadlang bösartiger Tiaoren mit. Sie haben tiefliegende
Angiome und oberflächliche Cancroidc regelmässig geheilt. Für tief¬
liegende Carcinome wurde Radium nur als palliatives Mittel verwendet
und gab meist vorübergehende Besserungen. In einigen Fällen von
Carcinom der Parotis, des Halses, des Uterus scheint klinisch die Heilung
seit 3—4 Jahren vollkommen. Für tiefliegende Carcinome ist es vorzu¬
ziehen, Radium in Verbindung mit chirurgischer Behandlung zu ver¬
wenden.
Sitzung vom 11. Februar 1913.
Hr. Kirmisson bespricht die Ankylose des Kiefergelenks, nament¬
lich in diagnostischer Beziehung. Diese wird namentlich bei Kindern
beobachtet und zwar entweder infolge von Infektionskrankheiten wie
Scharlach oder nach eitriger Mittelohrentzündung verbunden mit
diffusen Eiterungen, die bis ins Kiefergelenk sich erstrecken können. In
solchen Fällen kann die Resektion des Gelenkkopfes besten Erfolg
geben. In einem Fall des Autors war die Heilung noch nach 8 Jahren
vollkommen. Die Schwierigkeit ist die Diagnose; vor allem muss man
feststellen, ob die Ankylose beiderseitig oder einseitig, und in diesem
Fall auf welcher Seite sie sitzt. Aufschluss darüber gibt die Unter¬
suchung der seitlichen und Vorwärtsbewegungen, welche bei doppel¬
seitiger Ankylose fehlen, bei einseitiger weiter bestehen. Der Condylus
der gesunden Seite bewegt sich nach vorn und beschreibt so einen
Kreis um das Gelenk der kranken Seite, so dass das Kinn gegen die
kranke Seite verschoben wird. Gewöhnlich ist die Kiefergelenksankylose
mit Atrophie der entsprechenden Seite des Gesichts verbunden; diese
Beobachtung ist richtig, soweit sie das Skelett betrifft. Bei oberfläch¬
licher Betrachtung scheint die Atrophie auf der gesunden Seite zu sein,
die Wange der ankylosierten Seite ist stärker vorgewölbt und mehr vor¬
springend, aber genau betrachtet, ist die ganze Unterkieferhälfte der
kranken Seite atrophisch, während auf der gesunden Seite der Knochen
sich normal entwickelt, so dass das Kinn ganz nach der kranken Seite
verschoben wird. Die gleiche Verschiebung erfahren die Weichteile, so
dass die Wange der gesunden Seite flach erscheint, während sie auf der
kranken, von einem verkleinerten Kiefer eingerahmt, stark nach aussen
gedrängt wird.
Hr. M. v. Galippe beschreibt einen besonderen Ausseheidangsnodas
der Harn8Üire. In den auf gewöhnliche Weise im Harn ausgeschiedenen
Harnsäurekristallen findet man Mikroorganismen, welche man durch
Impfung der Kristalle auf gewöhnliche Nährböden züchten kann. Diese
Mikroorganismen sind nicht zufällig in diesen Kristallen, sondern sie
sind die Ursache ihrer Ausscheidung. Wenn man diese Mikroorganismen
in normalen Harn überträgt, so werden rasch reichliche Harnsäure¬
kristalle ausgeschieden, während in einer anderen Probe des gleichen
Harns die Ausscheidung langsam und gering ist. Die Harnsäurekristalle,
welche durch Zusatz von 1 proz. Salzsäurelösung zum Harn aus-
geschieden werden, enthalten keine Mikroorganismen.
Sitzung vom 25. Februar 1913.
Hr. Chanffard lenkt die Aufmerksamkeit der Versammlung auf die
von Herrn Rogers-Calcutta mit Erfolg eingeführte Eaetiabehandloiig der
Aaöbendysenterie. Nach Rogers (1907) ist Ipecacuanha in hohen Dosen
imstande, das Auftreten der Leberabscesse zu verhindern, ohne ihr Eiter¬
stadium einzuschränken. Durch subcutane Injektion von Emetinum
hydrochloricum in Dosen von 3—4 cg, 1—2 mal täglich während 4 bis
Tagen erzielt man fast sofortige Heilung der Amöbendysenterie. Es
handelt sich um eine spezifische Wirkung, denn in vitro tötet eine
Emetinlösung von 1:10 000 die Amöben sofort; eine Lösung von
1:100 000 in wenigen Minuten. Herr Chauffard hat bei einem in die
Bronchien durohgebrochenen Leberabscess mit der Methode ein sehr
schönes Resultat erzielt. Die Leberbronchialfistel bestand schon seit
5 Monaten; täglich wurden 200—250 g rötlichen Eiters ausgeworfen;
ausserdem bestand im Rectum ein dysenterisches Geschwür; Temperatur
zwischen 37—88°, mässiger Allgemeinzustand, radiologisch ein Schatten
im rechten Unterlappen der Lunge, auf den Leberschatten übergehend.
Vom 21.—26. Dezember wurden 6 Injektionen Emetin, muriat. 0,04
gemacht und gut ertragen. Der Auswurf sank am 2. Tage von 200 ccm
auf 150 ccm, am 3. Tage auf 60 ccm, dann auf 45 ccm und hörte dann
auf. Die Temperatur sank unter 37° und blieb tief. Das Darm¬
geschwür heilt, die rechte Lungenbasis klärt sich auf. Patient ist
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UNIVERSUM OF IOWA
756
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
seither geheilt und hat 6 kg zugenommen. Die Methode ist weiterer
Nachuntersuchungen wert.
Hr. Bazy berichtet über die Prognose der Nephrektomien. Wenn
die zurückgelassene Niere wirklich gesund war, verhalten sich diese
Patienten, wie wenn sie noch beide Nieren hätten, was man besonders
bei Anlass neuer Operationen ersehen kann. Eine vor 11 Jahren
nephrektomierte Patientin ertrug eine Uterusexstirpation wie eine sonst
normale Person, ln bezug auf die Prognose muss man je nach den
Ursachen drei Gruppen unterscheiden: 1. Nephrektomie wegen Tumoren
sind sehr günstig. Herr Bazy hat Patienten, die seit 14, 11, 8, 5 und
3 Jahren geheilt sind. 2. Bei den Tuberkulosen hängt das Resultat vom
Zustand der Blase ab. Wenn diese frei ist, so ist die Gesundheit der
Patientin ganz gut. Ist die Blase mitergriffen, so bessert sich der Zu¬
stand um so rascher, je weniger diese erkrankt ist, daher die Not¬
wendigkeit möglichst frühzeitiger Operation. 3. Neprektomien wegen
einfacher Eiterungen heilen ganz, und wenn die gesunde Niere eiweiss¬
haltigen Harn ausschied, verschwindet dieser, sobald die Eiterung durch
Nephrektomie beseitigt ist.
B[r. Delarme teilt einen Bericht des Herrn Laurent aus einer
Ambulanz in Philippopolis mit. Hervorzuheben ist die Seltenheit der
Unterleibsverletzungen und Laparotomien, die geringe Zahl der Schrapnel-
verletzungen, relative Häufigkeit der Aneurysmen und Nervenverletzungen,
Seltenheit der Amputationen; Leichtigkeit der Heilung der Weichteil¬
wunden, die Gefahr der Chloroformoperation bei infizierten Verletzten.
Am interessantesten sind die Fälle von Aneurysraenexstirpation und die
Behandlung der Nervenverletzungen, die Herr Laurent meist durch Ein¬
wicklung in die Aponeurose eines benachbarten Muskels zu lösen
suchte.
Soctätä medicale des hopitaux.
Sitzung vom 7. Februar 1913.
Hr. Lesoä berichtet über einen Fall von Paget mit positivem
Wassermann. Patientin hatte starke Schmerzen der Beine, welche durch
subcutane Hg-Behandlung gebessert wurden.
Hr. Camby erinnert an die guten Resultate, die Herr P. Massi
durch Salvarsanbehandlnng der Chorea erzielte, und meint, man er¬
ziele ebenso gute durch Injektionen mit Acid. arsenicos. 300 mit
Liqueur de Bondin behandelte Patienten heilten durchschnittlich in
28 Tagen. Dabei wurde nur eine Arsenikvergiftung beobachtet, eine Arsenik¬
lähmung bei sehr hohen Dosen. Das Kind muss zwei Wochen zu Bett
liegen und isoliert sein, Milchdiät während der ganzen Arsenikkur. Am
ersten Tage erhält das Kind 5 g Liqueur de Bondin (= Lösung von
Acid. arsenic. 1:1000, also in 1 g Liqueur de Bondin 1 mg Acid.
arsenic.) und 120 g Gummisirup, vor jeder Milcheinnahme ein Esslöffel
der Lösung. Am zweiten Tage erhält das Kind 10 g Liqueur de Bondin,
am dritten 15 g, am vierten 20 g, am fünften 25 g, dann geht man
wieder herunter auf 20, 15, 10 und 5 g. Die Dauer der Kur ist 7 Tage.
Kindern unter 7 Jahren gibt man kleinere Dosen.
Diskussion. Hr. P. Massi: Die Salvarsanbehandlung der Chorea
ist die beste Krankenhausbehandlung. Man hat keine Unannehmlichkeiten
und keine Misserfolge. Heilung in 4—5 Wochen.
Hr. Thiroloix bringt die Krankengeschichte eines ehemaligen
Syphilitikers mit chronischer Nephritis, der von neuem mit Schmierkur
behandelt werdeu sollte. Bei der zweiten Einreibung trat eine heftige
Nierenblutung ein; Patient starb trotz Decapsulation. Gewöhnlich
werden die kongestiven Nachschübe der Nephritis infolge Intoxikation durch
die Operation gebessert.
HHr. Canssade und Soltrain bringen drei Beobachtungen von
Diphtherieansteckung durch Bazillenträger mit niehterkannten Bacillen¬
herden. Ein Mädchen von 9 Jahren behält noch einen Monat nach
Heilung Klebs-Löffler-Bacillen im Rachen und wird dann nach negativem
bakteriologischen Befund entlassen und infiziert trotzdem nachher den
jüngsten Bruder. Ein Kollege infiziert sich bei Behandlung eines Kindes;
er bleibt Bacillenträger, ohne dass die bakteriologische Untersuchung
des Halses solche nachzuweisen vermochte. Er bekam dann Bronchial¬
diphtherie, der er erlag. Ein dritter Patient behielt während zwei
Monaten Bacillen im Halse nach einer leichten Angina, die ohne Serum
heilte. Er wurde später der Ausgangspunkt einer kleinen Schulepidemie.
Die Autoren betonen die Notwendigkeit häufiger bakteriologischer Unter¬
suchungen nach der Heilung, und zwar mit Proben aus dem Rachen,
der Nase und dem Nasopharynx. Nur nach vollkommenem Verschwinden
der Bacillen dürfen die Patienten entlassen werden.
Diskussion.
Hr. Thiroloix fragt, welchen Wert man den Pastillen von Anti¬
diphtherieserum zuschreiben könne, welche in solchen Fällen Verwendung
finden könnten.
Hr. Martin erklärt, dass die vom Institut Pasteur hergestellten
Tabletten in gewissen Fällen gut sind, aber bei infiziertem Rachen, in¬
fizierten adenoiden Wucherungen können diese nicht die Sterilisation
erzielen. Uebrigens liefert das Institut die Pastillen nicht mehr, weil
man beobachtet, dass zurzeit bei den Aerzten die nachteilige Tendenz
existiert, die Seruminjektionen durch Pastillen oder Serumverabreichung
per os zu ersetzen. Diese Tendenz entstand durch die Furcht vor
anaphylaktischen Erscheinungen. Herr Martin bekämpft lebhaft diese
Tendenz, er zeigt an der Hand der Statistik, dass die Diphtheritismortalität
zunimmt, und citiert zahlreiche Fälle schwerer Diphtherien, die in das
Spital kamen, weil aus Furcht vor Anaphylaxie die Seruminjektion ver¬
zögert wurde. Die Anaphylaxie hat die Seruminjektioo diskreditiert.
Herr Martin kennt nur drei bis vier Todesfälle durch Anaphylaxie. Es
ist ungeheuer, dass durch diese ^wenigen Fälle nun Hunderte von
Diphtherien vernachlässigt werden. Die. Stadt Paris hatte eine aus¬
gezeichnete Diphtheriestatistik, die sich nun verschlechtert, weil man die
Seruminjektionen vernachlässigt.
Hr. Rist lehnt sich auch gegen den Ersatz der Injektion durch
Ingestion auf. Er sah ein Kind sterben, das nur durch Ingestion von
Serum behandelt worden war.
Hr. Pissavy bat an der Hand von 400 Fällen die ätiolegisclien
Faktoren der Arteriosklerose untersucht. Er bestätigt den Einfluss
des Alters und des Geschlechts. Die meist inkriminierten pathologischen
Zustände sind: Syphilis, Alkoholismus, Bleivergiftung, Malaria und Tabak¬
vergiftung. Der Autor bestätigt auch diese Faktoren mit Ausnahme der
Syphilis, die nach ihm einen ganz geringen Einfluss bat.
Hr. Beins hat drei Fälle von Zosterernption bei Gallen- nnd
Nierensteinkolik beobachtet. Neuralgie und Zostereruption sind lokali¬
siert auf die Nierenzweige, welche den Zonen der Gallenblase und der
Nieren entsprechen. Gestützt auf diese Fälle, auf post operationem ein-
tretenden Zoster, auf traumatischen Zoster, nimmt er an, dass es reflek¬
torischen Zoster gebe, bald internen, visceralen, bald externen, peri¬
pherischen Ursprungs.
Sitzung vom 14. Februar 1913.
Hr. Martin zeigt, wie die Statistiken der Diphtheritismortalität in
Paris und in Frankreich seit der systematischen Anwendung der Serotherapie
günstige waren. Wohl zeigen sich Perioden, in denen die Mortalität
höher ist. Diese entsprechen Zeiten, in denen man dem Praktiker vor
dem Serum Angst gemacht hat. In einer derartigen Periode sind wir
zurzeit. Man muss absolut auf die von den Herren Serestre,. Netter
und Martin aufgestellten Behandlungsmethoden zurückkommen, d. h. eine
gute Prophylaxe schaffen, diese durch präventive Seruminjektionen unter¬
stützen, nie zweifeln, in einem Falle, der klinisch für Diphtherie im¬
poniert, Serum einzuspritzen.
HHr. Lesnä und Dreyfas beweisen die Nutzlosigkeit der Sero¬
therapie der Diphtheritis per ingestionem. Klinisch ist sie leicht zu
sehen und lässt sich auch experimentell leicht feststellen. In den Magen
eines Meerschweinchens in einer grossen Dosis oder mehrere Tage hinter¬
einander injiziert ist das Antidiphtherieserum vollkommen wirkungslos.
Es schützt die Tiere nicht gegen Minimainjektionen von Diphtherietoxinen
unter die Haut. Das Antitoxin ist durch den Magensaft inaktiv ge¬
worden, besonders aber auch durch den Pankreassaft und die Wirkung
der Leber. Nur die subcutane Injektion des Serums hat eine Heil¬
wirkung.
Hr. Tribonlet bringt bezüglich Arsenikbehaadlong der Chorea
seine persönliche Statistik. Von 350 Fällen heilten 335 ohne Arsenik,
also 97 pCt. Bei einer Krankheit, deren Intensität sich nicht voraus¬
sehen lässt, deren Beginn oft schwer zu bestimmen ist, macht man sich
leicht therapeutische Illusionen. Eine wirklich wirksame Ghoreatherapie
mu'js sich auch in schweren und recidivierenden Fällen als gut erwiesen
haben. Diese Therapie muss auch schadlos sein, was mit Arsenik und
Liqueur de Bondin nicht der Fall ist, sind doch Arseniklähmungen
bekannt. Nach Herrn Triboulet kann Chorea mit Arsenik und trotz
Arsenik heilen; man soll nicht vergessen, dass Chorea von selbst
heilen kann.
Bezüglich des syphilitischen Ursprungs der Chorea erbringt Herr
Appert zwei Fälle, bei denen wohl Heredosyphilis vorhanden ist, bei
denen aber auch andere Faktoren in Betracht zu ziehen sind. Eine
jüngere Gravida hatte leichte Chorea, einige Stigmata von Heredosyphilis
und teilweise positiven Wassermann. Ein 18jähriges Mädchen hatte
schwere Chorea mit Fieber und Decubitus. Es besteht Heredosyphilis
mit Plaques muqueuses der Zunge; positiver Wassermann. Schmierkur
und Jodkali erfolglos. Da gleichzeitig Endocarditis besteht, wird Natr.
salicylicum verabreicht, das sehr gut wirkt. Patientin heilt. Es ist also
schwer festzustellen, inwieweit in dem Falle die Chorea vom Rheuma¬
tismus oder von der Lues abhängig ist.
HHr. Pruvo8t und Mosny bringen die Beobachtung einer Pnenme-
bacillenpnenmonie mit Septikämie. Die Patientin bekam Seitenstechen,
Auswurf mit Husten, arbeitete aber weiter. Nach einem Monat neuer¬
dings heftiges Seitenstechen am gleichen Ort, Dyspnoe. Drei Tage
nachher fand man pneumonische Erscheinungen an den zwei unteren
Dritteln der rechten Lunge, der Zustand verschlimmerte sich, Patientin
starb nach vier Tagen. Pneumobacillen waren im Sputum, im Blut und
im Lungensaft einer Probepunktion in der Gegend des pneumonischen
Herdes nachgewiesen. Hervorzuheben sind der wenig heftige Beginn,
ohne Frost, ohne Herpes, blutige, nicht rostfarbene Sputa; langsamer
Verlauf im Beginn, rasche Verschlimmerung. Es handelte sich um eine
multilobäre nekrotisierende Pneumonie mit dickem, klebrigem Exsudat
HHr. Mery, Salin und Wilbarts beschreiben einen Fall von Para-
meningokokkenmeningitis. Das 3jährige Mädchen hatte die klassischen
Symptome der Cerebrospinalmeningitis. Antimeningokokkenserum ohne
Erfolg.
Hr. Dopter konnte durch Agglutination den Parameningococcus
feststellen. Patientin heilte nach Injektion von Antiparameningokokken¬
serum. Dieses wirkte trotz der schweren Symptome wunderbar. Es
blieb als Spätfolge völlige Taubheit durch Labyrinthaffektion.
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UNIVERSUM OF IOWA
21. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
767
HHr. SmliB und Rolly beschreiben einen anderen Fall von Menin¬
gitis, der mit Dopter’schem Serum geheilt wurde. Anfänglich wurde
das Antimeningokokkenserum mit Erfolg verwendet. Dann traten
kaohekti9che Erscheinungen, Arayotrophie, Hautpigmentierungen, intellek¬
tueller Torpor ein.
Hr. Dopter konnte Parameningokokken nachweisen. Das spezifische
Serum, erst subcutan, dann intradural verwendet, brachte in drei Tagen
Heilung.
Sitzung vom 21. Februar 1913.
Hr. Triboulet spricht über Pneamokokkeninfektioneii nnd Dann¬
reaktionen. Die normale Pneumonie hat keine Darmreaktionen im Ge¬
folge. Hartuäckige Diarrhöen nach Ablauf der Pneumonie lenken den
Verdacht auf eine abnorme Dauer der Infektion und lassen Komplikationen,
wie eitrige Pleuritis, Peritonitis oder Pneumokokkenotitis, befürchten.
Handelt es sich um ausserordentliche Virulenz der Keime oder um
Schwächung des Organismus? Die Pneumokokkeninfektionen nach
Masern deuten mehr auf die durch Schwächung des Organismus ge¬
schaffene Prädisposition. Masern haben gewöhnlich keine Darmkompli¬
kationen. Beim abgewöhnten Kinde mit gemischter Kost ist der Stuhl
alkalisch. Auftreten neutraler oder saurer Diarrhöen bei Masern deuten
auf gleichzeitige Pneumokokkeninfektion. Die Masern haben den Orga¬
nismus geschwächt und zur sekundären Pneumokokkeninfektion vor¬
bereitet.
HHr. Dnfoir-Thiers und Charron bringen einen Fall von syphi¬
litischer Hemichorea. Der 21jährige Patient hat seit zwei Jahren
Hemichorea mit Remissionen; Wassermann positiv, deutliche Lympho-
cytose des Liquor cerebrospinalis. Da andere infektiöse Antecedentien
wie Rheumatismus nicht bestehen, beziehen die Autoren die Hemichorea
auf die vorhandene Heredosyphilis. In einem ähnlichen Fall brachte
Salvarsan rasche Heilung. Es gibt neben der gewöhnlichen Chorea
Formen von Chorea, die immer an andere Symptome der Heredosyphilis
gebunden sind.
Hr. Dnfoar hat seit Jahren die Natur der Veränderungen festzu¬
stellen versucht, welche bei Nierenkranken mit vorübergehenden
Lähmungen diesen mechanischen Störungen zugrunde liegen; er kommt
zu dem Schluss, dass es sich nicht um einfache funktionelle Störungen
handle, sondern dass ihnen immer Erweichungsherde oder hämor¬
rhagische Herde des Gehirns zugrunde liegen. Die Gifte des urämischen
Zustandes machen nur die klinischen Symptome einer dauernden Ver¬
änderung der Centren erkenntlich. Als Beispiel citiert er einen
37jahrigen Nephritiker mit vorübergehender Hemiparese und Babinski;
die Behandlung der Nephritis bringt diese Symptome zum Verschwinden.
Nach einigen Wochen neue Urämie mit Hemiparese. Exitus. Autopsie:
Hämorrhagischer Herd, vom ersten Anfall stammend und im Linsenkem
lokalisiert.
HHr. Monier-Vinard und Donzelot berichten über einen Fall von
eitriger Pnenmokokkenmeningitis, sowohl cerebral als spinal, bei der
die Punktion eine reichlich Pneumokokken enthaltende Flüssigkeit zu¬
tage förderte, ohne Zellelemente. Die Autopsie zeigte ein dickes fibrinös¬
eitriges Exsudat auf den ganzen Meningen, ausserdem Hepatisation in der
rechten Lunge mit starkem Oedem. Das Fehlen der Zellen ist bedingt
durch Einschluss der Leukocyten in der fibrinösen Masse; bei der Punktion
der tiefsten Teile wurde nur die ödematöse Exsudation mit den Pneumo¬
kokken gewonnen.
HHr. Menetrier und Legrain haben einen Fall von Parameningo-
kokkenmeningitia beobachtet. Die Affektion begann bei einer 29jährigen
Patientin plötzlich mit schweren Erscheinungen und wurde in der ersten
Woche mit Antimeningokokkenserum behandelt. Wegen des Misserfolges
und Verschlimmerung des Zustandes wurde dann Antiparameningo¬
kokkenserum verwendet, Patientin bekam bis 150 ccm intradural. Der
Liquor wurde besser, die Mikroben verschwanden, Lymphocyten nahmen
zu. Patientin starb an einer Lungenkomplikation: eitrige Broncho¬
pneumonie mit Gangrän. Die meningitischen Erscheinungen waren be¬
schränkt, das Serum hat weitere Diffusion verhindert. Der Misserfolg
ist durch den concomittierenden Alkobolismus zu erklären und durch
andere erschwerende Umstände: beginnende Lebercirrhose, Nierensklerose,
fibrinöse Verdickung der Meningen. Ferner wurde Antimeningokokken¬
serum zu spät verwendet.
Sitzung vom 28. Februar 1913.
HHr. Ri badean-Dumas, Thilibert und Mad. Wolfromm beschreiben
einen Symptomenkomplex von Seknndärinfektion bei bronchopneu-
monisChen Zuständen des frühesten Kindesalters. Dieser Symptomen-
komplex ist immer gleich und ist das Signal eines raschen Todes. Die
Kinder heilen relativ rasch von ihrer primären Infektion, Broncho¬
pneumonie, Bronchitis, Rhinitis oder einfachem Schnupfen; bald tritt
Erbrechen ein, dünne Stühle, neue Lungenerscheinungen, sehr hohes
Fieber, und die Patienten sterben nach einigen cerebralen oder menigi-
tischen Erscheinungen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Symptomen-
komplex einer Lokalisation der Infektion auf ein bestimmtes Organ ent¬
spreche. Bei der Autopsie findet man in der Tat diffuse Veränderungen,
degenerative, ödematöse und kongestive Störungen. Einmal ergab die
Lumbalpunktion eine massive Infektion mit Pneumokokken. Der gleiche
Mikroorganismus fand sich auch in den untersuchten Organen. Wahr¬
scheinlich sind diese Kinder durch die vorausgegangene Infektion sensi¬
bilisiert und in einem Zustand von Hyperergie, der die ausserordentlich
rasche Entwicklung der Pneumokokken erklärt.
Hr. Emile Weil beschreibt einen Fall von Menorrhagien mit
Störuugcu der Blutcoagulation. Die 46 jährige Patientin hat seit 20 Jahren
alle 14 Tage ihre Menstruation, die jeweils 8 Tage dauert. Die Patientin
hat keine hereditäre Belastung für Hämorrhagien, der Genitalapparat ist
normal. Nur eine Blutveränderung kann diesen Zustand erklären. In
der Tat: das Venenblut coaguliert mit 30 Minuten Verspätung und das
Serum ist dunkelgelb. Es handelt sich also um Störungen der endo-
crinen Drüsen (in dem Fall Cholämie und Hypertbyreoidie). Bei profusen
Blutungen muss man das Blut untersuchen und dann medikamentös be-
handeln, ohne speziell den Uterus zu behandeln, der meist normal ist.
HHr. Achard und Ribot haben bei einem Fall von Lebereirrhose
mit Ascites, der mit Milchdiät sich langsam besserte, den Einfluss der
Einnahme von Natr. bicarb. und von Kochsalz verglichen. Jedes
der Salze wurde während drei Tagen eingenommen mit sechs Tagen
Ruhepause zwischen den beiden Behandlungen. Die Kochsalzzufuhr be¬
wirkte eine Retention d69 Natriums, welches nachher in den sechs Tagen
fast ganz ausgeschieden wurde. Während der drei Tage der Zufuhr des
Bioarbonats wurde Natrium zurüokgchalten, und es bestand nachher noch
eine Natriumretention in Form von Chlorür. Jedesmal nahm das Gewicht
zu, aber mehr mit dem Kochsalz. Jedesmal sank das Gewicht, wenn
die Salzzufubr aufhörte; aber die Entwässerung nach Aussetzen des
Chlorürs geschah mit Ausscheidung des zurückgehaltenen Chlorürs. Nach
Aussetzen des Bicarbonats machte sich die Entwässerung, trotzdem das
Natrium des Bicarbonats zurückgehalten blieb. Das Bicarbonat hat eine
hydratische Wirkung, indem es sekundär zur Retention von Kochsalz
führt.
Hr. Gnisez hat neuerdings einen Fall von Lingengangräu durch
intrabronchiale Injektionen von Gornenolöl geheilt. E9 handelte sich
um doppelseitige schwere Gangrän. Die Heilung war trotz ausgedehnter
Störungen vollständig. Die öligen Heilmittel (Gornenol, Gaiavol) wurden
in grossen Mengen, bis 20 ccm, eingeführt. Es handelt sich um einen
Oelverband des Lungengewebes. Bei Hunden durchtränken solche In¬
jektionen sofort das ganze Lungengewebe.
HHr. Caryilos und Perakiski haben in Saloni vier Fälle von
Recarrensfieber beobachtet. Ein Fall heilte mit Salvarsan sofort.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin.
(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.)
(Fortsetzung.)
3. Hauptthema: Hirn- und Rückenmarkschirurgie.
Referenten: Herr v. Eiselsberg-Wien und Herr Ranzi-Wien*
Hr. v. Eiselsberg-Wien teilt die Statistik der in seiner Klinik
unter der Diagnose Hirntumor operierten (162) Fälle mit. Unter
69 diagnostizierten Grosshirntumoren waren 20 Fälle, in denen blo9s
aufgeklappt und nichts gefunden wurde — 7 von diesen starben. 40 mal
wurde der Grosshirntumor exstirpiert, 9 mal kam os zu einem operativen
Exitus, darunter 5 mal durch Meningitis; in 2 von diesen Fällen war
drainiert worden, in 3 anderen war die Dura offen geblieben. 9 weitere
Fälle erlagen in einigen Monaten dem Tumor, einige andere einem
Recidiv. 3 blieben ungeheilt wegen diffusen Glioms usw. 9 wurden
geheilt, 6 gebessert. Günstiger war das Ergebnis bei den Hypopbysis-
tumoren, unter 16 Fällen 4 Todesfälle, 12 Heilungen oder Besserungen,
unter diesen 3 Fälle von Gystenoperation. Die Meningitis serosa erkennt
Redner im wesentlichen nur als Symptom, nioht als Krankheit sui
generis an, unter 3 Fällen blieben 2 ungeheilt. Von den Kleinhirn¬
tumoren erlagen 9 nach der ersten Operation; 12 mal wurde nichts ge¬
funden, nur 8 mal der Tumor. Im Gegensatz dazu wurde die Dia¬
gnose des Acusticusturaors in allen 17 Fällen bestätigt. 2 Patienten
gingen nach dem ersten Akt zugrunde, 11 hatten Tumoren von mehr
als Eigrösse, nicht wenigor als 10 von diesen starben. In Zukunft wird
Redner zur Verhütung des Shocks in solchen Fällen die Geschwulst per
morcellement entfernen, ohne bei diesen relativ benignen Tumoren eine
Dissemination oder ein Zurücklassen von Tumorresten allzu sehr zu
fürchten, ln einem Fall von beiderseitigem Acusticustumor, wo Blind-
und Taubheit bereits absolut waren, aber kein Kopfschmerz bestand,
wurde der Eingriff abgelehnt. 2 Fälle von Ventrikeldrainage gingen zu¬
grunde. Da um das Drainrohr in einem Fall sich entzündliche Ver¬
änderungen etabliert hatten, wird Vortr. in Zukunft den Balkenstich
vorziehen. Epikritisch bemerkt er zu 3 Fällen von diffuser Gliomatose,
in welchen der Tumor nicht gefunden wurde, dass bei der Operation
ein erfahrener pathologischer Histologe zur Untersuchung von Probe¬
exzisionen zugezogen werden sollte. Ferner hat er einige Male die An¬
wesenheit von Cysten verkannt, weil er ihren Inhalt für Liquor hielt.
Zur Vorbereitung für die Operation gibt Vortragender zwecks Begünstigung
der Blutgerinnung Calcium lacticum und als Desinfizienz für den Liquor
Urotropin. Der erste Akt der Operation wird unter Novocain-Adrenalin
ausgeführt. Er bespricht die Einzelheiten seiner Technik. Häufig hat
er die Duraplastik mittels Fascia lata ausgeführt, 14 Fälle, von denen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
mir 2 starben. Dies Verfahren erscheint berufen, die Gefahr der In¬
fektion zu verringern. 17 mal sah er Meningitis, darunter 4 mal bei
Hypophysistumoren, die nach Schloff er auf nasalem Wege exstirpiert
waren. Krause-Berlin hat bei doppelt so grossem Material keine In¬
fektion gesehen.
Ausser dem Zufall sind für diesen Unterschied vielleicht verant¬
wortlich zu machen Quetschungen, Tamponaden, Drainagen und der
Zustand der Patienten — unter den Privatfällen kam Meningitis nicht
vor. Wahrscheinlich wurde auch zu selten der Verband gewechselt.
An Shock und Atemlähmung starben 29 Kranke; diese Zahl wird sich
vielleicht verkleinern lassen durch mehrzeitiges Vorgehen,- sorgfältigere
Blutstillung und Morcellement. Wichtiger als alles dies wird indessen
die Frühdiagnose bleiben. Wenn auch die Resultate der Hirntumor¬
operationen weit hinter denen anderer chirurgischer Eingriffe zurück¬
stehen, so ist doch der Zustand der von Kopfschmerzen gequälten, der
Blindheit entgegengehenden Kranken ein so trauriger, dass der Eingriff
mit all seinen Gefahren vollauf gerechtfertigt erscheint.
Hr. Ranzi-Wien gibt eine Statistik der Rückenmarksoperationen
von der gleichen Klinik. Von 5 extramedullären Tumoren wurden 3
geheilt, 1 gebessert, 1 starb. 2 intramedulläre Tumoren kamen zur
Heilung. Schlecht ist die Prognose bei Wirbeltumoren. Bei Carcinom
aussichtslos. 5 Fälle mit 3 Todesfällen, 2 Besserungen. Der angenommene
Tumor wurde in 5 Fällen nicht gefunden, 2 mal bestand eine Meningitis
serosa circumscripta, 3 mal wurde die Dekompression vorgenommen, in
1 Fall mit bleibendem, in 2 mit vorübergehendem, in 3 ohne Erfolg.
Unter 5 Fällen von Fraktur der Wirbelsäule wurde 3 mal die neuerdings
empfohlene frühzeitige Operation ausgeführt mit wenig befriedigendem
Ergebnis. Erfolglos war die Operation in 2 Fällen von Spondylitis. Wegen
Spasmus wurden 16 Operationen bei 15 Patienten vorgenommen. Bei
Spasmus der unteren Extremität 4 Erfolge unter 6 Fällen, weniger
günstig bei Spasmus der oberen Extremität, bei Athetose kein Resultat.
Ebensowenig Erfolg hatte die Foerster’sche Operation in 1 Fall von
gastrischen Krisen, in dem auch schon die doppelte Vagotomie vergeb¬
lich ausgeführt worden war. Im ganzen kamen auf 40 Fälle 13 Todes¬
fälle, 5 operativ, 2 durch Meningitis, diese bedingt durch Incontinentia
urinae. Die Heilungen und Besserungen zeigen sich erst nach langer
Zeit und entwickeln sich allmählich. Operiert wurde einzeitig unter
Ailgemeinnarkose. Die Dura soll vorsichtig in kleinstem Umfange er¬
öffnet werden, um ein plötzliches Abstürzen des intramedullären Drucks
zu verhüten. Aus dem gleichen Grunde operiert man in Beckenhoch¬
lagerung. Die extradurale Wurzeldurchschneidung nach Guleke stellt
gegenüber dem ursprünglichen Förster’schen Verfahren eine technische
Erschwerung, jedoch einen entschiedenen Fortschritt dar. Die Chancen
der Rückenmarksoperationen sind besser als bei Hirnoperationen.
4 Fälle sind seit Jahren (2—5 1 /») dauernd geheilt.
Hr. Gold mann-Freiburg: Experimentelle Untersuchungen
über die Funktion der Plex. chorioid. und der Hirnhäute.
Angeregt duroh die Erfahrungen, die G. mit seiner Methode der
Vitalfärbung an der Placenta gesammelt, hat er analoge Versuche für
das Centralnervensystem unternommen. Hierbei hat er feststellen
können, dass bei Tieren, bei denen die vitale Färbung durch mehrfache
Farbstoffinjektionen in die Höhe getrieben worden ist, die Cerebrospinal¬
flüssigkeit ähnlich dem Fruchtwasser ungefärbt bleibt, trotzdem alle
sonstigen Körperflüssigkeiten, wie Harn, Galle, Milch, ja selbst das
Kammerwasser gefärbt sind. Desgleichen hat er Färbungen am Central¬
nervensystem, wie am Fötus vermisst, wenngleich alle sonstigen Organe
des betreffenden Tieres in stärkerem oder geringerem Grade tingiert
waren. Nur in einer einzigen Stelle des Centralnervensystems wird der
Farbstoff nach subcutaner oder intravenöser Injektion gespeichert, und
zwar in der Epithelzelle der Plexus choroidei. Dabei kommt es zu einer
vitalen Färbung der für die Plexuszelle so charakteristischen Proto¬
plasmagranula. Einen Uebertritt gefärbter Granula in die Cerebrospinal¬
flüssigkeit hat G. nie beobachtet. Von dieser Tatsache ausgehend, hat
er es unternommen, zwei Fragen genauer zu prüfen:
1. Ob dem Plexusepithel eine sekretorische Fähigkeit zukommt.
2. Ob die Plexus chorioidei, wie die Placenta den Fötus, als eine
physiologische Ganzmembran das Centralnervensystem vor einem Ueber¬
tritt des Farbstoffes schützen.
Bezüglich des ersten Punktes haben ihm Untersuchungen am fötalen
Nervensystem eindeutige Resultate für das Sekretionsvermögen der Plexus¬
zellen gegeben. Wiederum ist die Plexuszelle die einzige des Central¬
nervensystems, die Glykogen im fötalen Leben intracellulär beherbergt.
Sie sezerniert das Glykogen in Form von Kugeln und Tropfen in die
Ventrikelflüssigkeit. Von hier aus wird das Glykogen in die intra-
arachnoidealen Räume bzw. in das Centralnervensystem geschwemmt,
wo es an Stellen lebhafter Zellentätigkeit in grösseren Depots‘abge-
lagert wird.
Zur Prüfung der Frage nach der Funktion der Plexus im Sinne
einer „Ganzmembran“ hat G. zunächst die pharmakodynamische Wirkung
seiner Farben geprüft, je nachdem sie von der Blutbahn oder dem
Lumbalsack dem Nervensystem zugeführt werden. Hierbei ergab sich
folgendes: * !
Ein Kaninchen verträgt eine wiederholte intravenöse Injektion von
50 pCt. einer 1 proz. Trypanblaulösung, ohne dass irgendwelche nervösen
Symptome ausgelöst werden. Wird jedoch l / 2 ccm einer i J i proz. Lösung
dem Tiere durch Lumbalpunktion eingefübrt, so geht es unter den Er¬
scheinungen schwere^ Konvulsionen, im tiefen Coma, in 2—3 Stunden
post injectionem zugrunde. Die Ursache dieses stürmischen Verlaufes
ist durch makroskopische und insbesondere mikroskopische Untersuchung
des Centralnervensystems leicht festzustellen. Vom Lumbalsack aus
verbreitet sich die Farbstofflösung, ganz unabhängig von ihrer Kon¬
zentration, rasch über den ganzen Bereich des Rückenmarks, der Medulla
oblongata, des Hirnstammes und der cerebralen Nerven bis zur Sclera
einerseits, zur Regio olfactoria andererseits. Mikroskopisch findet man
z. B. am Rückenmark neben Imbibitionserscheinungen an den Pialsepten
und Glianetzen vitale Ganglienzellenfärbungen, wobei neben diffusen
Protoplasmafärbungen Kernfärbungen bemerkbar werden. Das letztere
deutet bekanntlich auf einen Zelltod hin. Demgemäss veranlasst die
Lumbalinjektion einer Farbstofflösung, die in hundertfacher
Menge bei intravenöser Applikation anstandslos vertragen wird,
binnen kurzer Zeit eine diffuse Zerstörung von Ganglienzellen und da¬
mit den Tod des Versuchstieres. Die Wege, die von dem intra-
arachnoidealen Raum zu den Ganglienzellen führen, hat G. durch Modi¬
fikation seiner experimentellen Methodik sicher nachweisen können. Dabei
zeigten sich echte vitale Färbungen von Zellen, die den Reticulumzellen
der Lymphdrüsen gleichen, an den Wänden der die Gehirn- und Rücken-
marksgefässe umsoheidenden perivasculären Räume. Es führten also
gleichsam gefärbte Zellstrassen vom Grunde der Pialtricbter zu den die
Ganglienzellen umgebenden freien Räumen. Auch über die Strömungs¬
verhältnisse und Abflusswege der Cerebrospinalflüssigkeit hat G. mit
seiner vitalen Färbung neue Beiträge geliefert. Er hat mit Sicherheit
nachweisen können, dass die Cerebrospinalflüssigkeit zum Teil in die
tiefen prävertebralen Lymphgefasse abströmt, in deren Verlauf gefärbte
Lymphdrüsen sich nachweisen lassen.
Zum Verständnis der pathologischen Veränderungen der Cerebro¬
spinalflüssigkeit ist nach G.’s Ansicht die Kenntnis des normalen Auf¬
baues der Meningen unerlässlich. Er hat nun festgestellt, dass die
Meningen, insbesondere die Leptomeninx, sich, was ihre Zellenbewohner
anbetrifft, genau wie das Peritoneum bzw. das Netz verhält. Neben
eosinophilen Leukocyten, an denen G. stets Oxydasefermente entdeckte,
finden sich in der Leptomeninx vereinzelt und in Zellhaufen seine
„Pyrrbolzellen“, deren Granuloplasma vitale Farben anzieht. Diese
Zellen sind chemotaktisch ausserordentlich reizbar, äusserst locomotions-
fähig und in hohem Maasse phagocytär. Bei zahlreichen Versuchen, die
G. am Gehirn vorgenommen (artificielle Blutungen, Entzündungsherde,
Wunden usw.) hat er ausser massenhafter Vermehrung der Pyrrholzellen
in den Meningen selbst dieselben frei in der Cerebrospinalflüssigkeit
und insbesondere an der Stelle der Gehirnläsion angetroffen. G. steht
nicht an, seine „Pyrrholzellen“ für identisch mit der bekannten „Körnchen¬
zeile“ des Centralnervensystems zu erklären. Ihre Brutstätte sind die
Meningen. Genau die gleichen Zellen finden sich in den Spinalganglien
und den peripheren Nerven, ein neuer Beweis für die Kontinuität der
Hüllen des Central- und peripheren Nervensystems.
Goldmann ’s ausführliche Arbeit wird demnächst in den Abhand¬
lungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften erscheinen.
Hr. Küttner-Breslau: In den letzten b l l 2 Jahren wurden
92 Operationen ausgeführt. 42 mal blieb es bei einer Entlastungs¬
trepanation wegen Unzulänglichkeit der Diagnose oder Ausbreitung des
Prozesses. Bei rechtzeitiger Operation sind die Resultate besser, daher
55 pCt. Dauerresultate bei den Privatpatienten. Die diagnostischen
Schwierigkeiten werden durch folgende Fälle illustriert: in einem Fall
gingen die Tumorsymptome spontan zurück,, so dass die Operation ab¬
gelehnt wurde. Als die Patientien mit neuen Symptomen wieder kam,
war es bereits zu spät zur Operation, zwei andere Patienten, die
zur Operation bereits vorgesehen waren, wurden ohne solche bleibend ge¬
sund. Es gibt auch Herderscheinungen ohne raumengende Prozesse. So
fand er in einem Fall von Bonhoefer nur einen arteriosklerotischen Er¬
weichungsherd. Umgekehrt ergab die histologische Prüfung eines wegen
posttraumatischer Krämpfe entfernten Facialiscentrums eine Gliomatose.
Bei der daraufhin vorgenommenen zweiten Operation fand sich in der
Nachbarschaft ein inoperables Gliom, das keine Erscheinungen gemacht
hatte. Uebedeuteud sind die Erscheinungen häufig, selbst wenn der
Tumor gross ist und in der Nähe der Centralwindung sitzt, so lange er
subcortical ist. Bei einem faustgrossen Tumor dieser Art war Stauungs¬
papille erst am Tag vor der Operation aufgetreten. Besonders bei Glia-
tumoren kommt es zum Prolaps mit Parese. Allerdings könnte man
durch Duraplastiken diesem Vorbeugen, jedoch nicht ohne dem Zweck
der Dekompression untreu zu werden. Die dekompressive Trepanation
versagte öfters, wenn sie mangels einer exakteren Lokaldiagnose
fern von dem Herd angelegt wurde. Da es bei einmal ausgebildeter
Stauungspapille nicht statthaft ist, im Interesse einer genaueren Lokali¬
sation zuzuwarten, so wären zwei Trepanationsöffnungen, entsprechend
der vorderen oder hinteren Schädelgrube anzulegen. Vom Balkenstich
hat er wenig gesehen, im Gegenteil, gelegentlich einer Sektion die
Oeffnung nach 7 Wochen zugeheilt gefunden. Ebenso verwirft er die
Lumbalpunktion. Die diagnostische Hirnpunktion ist wertvoll, ihre ver¬
meintlichen Gefahren sind illusorisch: einmal zeigte die Sektion, dass
der Sinus transversus durchstochen war, ohne dass etwa eine Blutung
eingetreten wäre, in einem anderen Fall war der Kanal der Meningca
media durchsetzt, aber die Arterie war ausgeglitten. Er operiert zwei¬
zeitig unter Lokalanästhesie, die Dura vernäht er nicht, ebensowenig
über der hinteren Schädelgrube den Knochenlappen, ln 30,5 pCt. der
Fälle wurde der Tumor entfernt; in 32 pCt. fand er sich bei der Autopsie.
In 15 pCt.’handelte es sich um Hydrocephalus und dergleichen. Von
den Kranken erlagen 30,5^>Ct. der Operation oder ihren unmittelbaren
Folgen. Die Zahl der noch Lebenden ist genau ebenso gross. Zehn
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
76Ö
Patienten sind yoll arbeitsfähig. Davon hatten 6 einen Hydrocephalus
internus, 4 hatten Tumoren. Im Ioteresse des Sehvermögens muss bei
Stauungspapille, soweit dieselbe nicht sicher auf syphilitischen Prozessen
beruht, stets die Dekompression ausgeführt werden. Nur viermal kam
es zur Opticusatrophie, dem stehen gegenüber 20 Fälle von dauernder
und 5 von vorübergehender Besserung des Visus. Die Prognose ist bei
den unter der Diagnose „Hirntumor“ operierten Patienten nicht ganz
schlecht, allerdings grossen Teils dank den Fällen, bei welchen sich die
Diagnose als irrig herausstellt.
Hr. H. Oppenheim - Berlin: Der zunehmenden Häufigkeit des
operativen Eingriffs sowie der Hand in Hand damit gehenden Verfeine¬
rung der Diagnostik entspricht durchaus keine Verbesserung der operativen
Resultate. Im Gegenteil, diese haben sich seit 1896 verschlechtert, und
der Prozentsatz der Dauerheilungen ist z. Zt. nur 8 pCt. Diese Ver¬
änderungen im ungünstigen Sinn beruht nicht auf Zufälligkeiten oder
persönlichen Gründen, vielmehr auf einer Ausdehnung der Indikationen
und auf dem zunehmenden Drängen der Patienten. Indessen haben wir
in der Zwischenzeit eine Mannigfaltigkeit an Krankheitsbildern kennen
gelernt, die als Tumor imponieren können, ohne es zu sein: Pseudo¬
tumoren, die wir als kongenitale ansprechen müssen, die jahrelang be¬
stehen, ohne Symptome zu machen und, nachdem sie solche bewirkt
haben, ohne Operation auf Jahrzehnte symptomlos werden können, ein
Ergebnis, das durch Operation bisher noch niemals erreicht wurde.
Im Gegensatz zu Horsley empfiehlt Redner daher eine Einschränkung
der operativen Indikationen.
Hr. Schloffer-Prag: Zur Behandlung der Sehstörungen
beim Turmsohädel (Kanaloperation).
Sch. hat in zwei Fällen von Sehstörung beim Turmschädel nach
Lüften des Stirnhirns samt der Dura das Dach des knöchernen Canalis
opticus entfernt. Die Operation wurde an zwei Knaben, und zwar bei
beiden am schlechteren Auge vorgenommen. Veranlassung zu diesen
Eingriffen gab die von Sch. mehrmals beobachtete Erfolglosigkeit der
druckentlastenden Operation (einmal Balkenstich, zweimal Dekompressiv-
trepanation), ferner die in der Literatur immer wiederkehrenden An¬
gaben über Kompression des Opticus im Canalis opticus oder hinter
diesem als Ursache der Sehstörung bei synostotischem Schädel.
Das Ergebnis der „Kanaloperation“ war zunächst unveränderter
Visus und Spiegelbefund [von ophthalmologischer Seite (Elschnig) unter¬
sucht]. In einem der drei Fälle war drei Wochen nach der Operation
an dem bis dahin amaurotischen Auge Lichtempfindung vorhanden, nach¬
dem zuvor die Dekompressivtrepanation an diesem Auge wohl zu einer
Wiederkehr der Pupillenreaktion geführt, aber in den letzten vier Monaten
vor der Kanaloperation den Zustand nicht weiter geändert hatte.
Sch. zieht aus seinen bisherigen Erfahrungen nur den Schluss, dass
man, wenn Balkenstich und Dekompressivtrepanation erfolglos geblieben
wären, einen Versuch mit der Kanaloperation machen dürfe, während
bisher diese Gegend als unangreifbar gegolten hatte, offenbar wegen der
befürchteten Verletzung des Nervus opticus.
Ueber die Aussichten der Kanaloperation, über ihre Indikationen,
den Zeitpunkt des Eingriffs müssen erst weitere Erfahrungen entscheiden.
Es wird in dieser Hinsicht sehr darauf ankommen, ob die neueren
Theorien in bezug auf Einklemmung des Nerven im Foramen opticum
(Behr) zu Recht bestehen. Nach Sch.’s Untersuchungen an skelettierten
Schädeln ist dies wahrscheinlich.
Hr. Sauerbruch-Zürich: Ueber das Zustandekommen der
Epilepsie.
In einer ersten Versuchsreihe untersuchte er die Bedingungen, unter
denen es zur traumatischen Rindenepilepsie kommt. Bei Affen wurde
auf verschiedene Weise die motorische Rindenregion geschädigt. Längere
Zeit nach diesem Eingriff verabreichte man ihnen Cocain und konnte
nun feststellen, dass die Schädigung der Hirncentren eine gesteigerte
Erregbarkeit derselben hervorgerufen hatte. Kleine Dosen Cocain* die
bei einem Kontrollier keinen Anfall auslösen, rufen hier eine Attake
hervor. Werden diese Cocainkrämpfe in Intervallen längere Zeit wieder¬
holt, so können schliesslich bei den Tieren auch spontane Krämpfe ent¬
stehen. Bei solchen Tieren genügen schon sehr kleine Anlässe, um
einen Anfall auszulösen.
In einer zweiten Versuchsreihe konnte gezeigt werden, dass ana¬
tomische Schädigungen der Rinde keineswegs notwendig sind, um eine
gesteigerte Erregbarkeit mit Neigung zu Anfällen hervorzurufen. Wenn
bei einem Affen eine Vorder- oder Hinterpfote zwei Stunden durch
passive Beuge- und Streckbewegungen ermüdet wird, so wird dadurch
eine gesteigerte Erregbarkeit des korrespondierenden motorischen Centrums
hervorgerufen. Es genügen kleinere Cocaindosen als in der Norm, um
Krämpfe hervorzurufen, und bei längerer Fortdauer der Cocainverab¬
reichang kann es gelingen, die Tiere epileptisch zu machen.
Das Hauptergebnis dieser Versuche ist der Nachweis, dass zwei
Faktoren zur Auslösung der epileptiformen Anfälle und der später sich
daraus entwickelnden Krankheit notwendig sind. Im Anschluss daran
bespricht S. die Therapie und weist darauf hin, dass nur bei groben
anatomischen Veränderungen in der motorischen Rindenregion die
chirurgische Behandlung gute Resultate gezeitigt. In den anderen
Fällen, besonders^ bei der sogenannten genuinen Epilepsie, kommt es
mehr darauf an, die Erregbarkeit der Hirnrinde herabzusetzen. Hier
scheint die von Trendelen bürg in die experimentelle Physiologie
eingeführte reizlose Ausschaltung durch Kälteeinwirkung ein Verfahren zu
sein, das in Zukunft auch bei der Behandlung der menschlichen Epilepsie
in Anwendung kommen kann.
Hr. J. J. Muskens - Amsterdam; Traumatische Epilepsie mit
Schädelläsion.
Vortr. legt Nachdruck auf die Seltenheit dieser Form von Epilepsie.
Unter 1200 Nichtepileptikern, innerhalb 10 Jahren untersucht, fanden
sich nur vier. Zwei Fälle wurden vor drei Jahren operiert und blieben
seither recidivfrei. Die eine Kranke hatte in früher Jugend sich eine
Schädelfraktur in der Parietalgegend zugezogen; im Jahre 1902 traten
unlaterale Anfälle auf. Sie wurde anderweitig operiert (Wagner-Lappen),
worauf die vorhanden gewesene Lähmung zurückging, die Anfälle blieben
aber und verallgemeinerten sich. Im Anfang 1910 fanden sich in der
Mitte des Wagoerlappens zwei kleine Sequester in einem lacerierten
Defekte der Dura, nach deren Fortnahme die Anfälle bestehen blieben. Sie
verschwanden erst nach Freilegung der Cortex und nach Aufsuchen und
Ausscheiden des Centrums, von wo aus, (nach Winkler) genau der früher
beobachtete Anfall hervorgerufen wurde. Im vierten Falle hatten sich
12 Jahre nach einem Bruch im Frontalknochen schwere Kopfschmerzen
und noch später epileptische Anfälle Jackson’schen Charakters ent¬
wickelt. Es fand sich bei der Operation unter der Dura ein Venen¬
geflecht, nach dessen Wegnahme Heilung (bis jetzt, nach drei Jahren)
eintrat.
Der ursprüngliche Rat Horsley’s, dass man erst die erkrankte
Schädelstelle entfernt und später, wenn diese Maassnahme sich als un¬
genügend erweist, die Dura breit, wegen der so oft festgestellten Dis-
cordanz zwischen Läsionsstelle und dem entladenden Centrum, eröffnet,
ist immer noch wohl der beste. Das Aufsuchen geschieht auf elektrischem
Wege, und zwar nur auf diesem, und zwar muss dessen Reizung stereotyp
die beobachteten Anfälle hervorrufen, worauf man das Centrum excidiert.
Die Indikation und Prognosis ist in hohem Grade von den Verhältnissen
abhängig; nur als maassgebend können die Fälle betrachtet werden, in
welchen sowohl die Beobachtung (spezielles Spital für nicht demente
Epileptischen) als die Nachbehandlung sowie auch der chirurgische Ein¬
griff unter den der Zeit nach verfeinerten Umständen stattfindet.
Hr. Ritter-Posen: Ueber Verminderung des Blutgehaltes
bei Schädeloperationen.
Das in drei Fällen angewendete Verfahren besteht in der tempo¬
rären Abklemmung der Carotiden. Arterielle Blutungen kommen nicht
zustande, venöse versiegen nach kurzer Zeit; die Patienten sind be¬
wusstlos und bedürfen keiner Narkose.
Hr. Hildebrand-Berlin fand bei 50 mit der Diagnose Kleinhirn¬
tumor ausgeführten Operationen die operativen Chancen besser als bei
seinen 80 Grosshirntumoren. Bei der geringeren funktionellen Wichtig¬
keit des Kleinhirns kann man dort nach allgemein chirurgischen Prin¬
zipien im Gesunden operieren, am Grosshirn geben eigentlich bloss die
von den Hirnhäuten aus hereingewachsenen Geschwülste (Endotheliome)
eine leidliche Prognose. Am günstigsten ist die Operationsprognose bei
den Rückenmarkstumoren, welche meistens ebenfalls von den Häuten
ausgehen und nur geringe Tendenz haben, in die Medulla hineinzu-
wuchern. Er stellt fünf dauernd (d. h. mehr als drei Jahre) ge¬
heilte Patienten vor, die sämtlich schwere Ausfallserscheinungen gehabt
hatten.
Hr. Küttner-Breslau: Demonstration eines Falles von angeborenem
Turmsohädel.
Hr. F. Krause-Berlin: Die Operationsprognose bei den Grosshirn¬
tumoren hat sich bei der erheblichen Zunahme der Operationen etwas
verschlechtert, doch bleibt die Operation indiziert, sobald Verdacht auf
Tumor besteht. Von den Tumoren der hinteren Sohädelgrube geben
solche, der Kleinhirnsubstanz — und selbst solche des Daches des
4. Ventrikels — eine leidliche Prognose. Recht schlecht waren seine
Dauerresultate bei Acustioustumoren: unter 40 Fällen nur vier gute
Erfolge. Stets waren die Tumoren gross, hatten Pons und Oblongata
komprimiert, so dass nach ihrer Entfernung häufig das Atemcentrum
gelähmt wurde. Es wäre nötig, diese Fälle in einem früheren Stadium
zur Operation zu bekommen, zumal die Diagnose im allgemeinen leicht
ist. Hypophysistumoren hat K. nach allen beschriebenen Methoden
operiert, auch einmal nach derjenigen von Hirsch.
Diese erfordert eine spezialistisch rhinologische Vorbildung, liegt
dem Chirurgen wenig, hat indessen vor derjenigen Schloffer’s den
Vorzug, dass sie keine entstellenden Narben hinterlässt und nicht zu
Ozaena führt. Nach Schloffer bat er 7 mal operiert, konnte jedoch
nur ein einziges Mal den ganzen Tumor exstirpieren. Er kommt daher
auf seine Operation von der Stirn aus zurück. Eine auf diese Weise
vor 4 V 2 Jahren wegen eines über pflaumen grossen Tumors operierte
Patientin hat alle akromegalisohen Symptome verloren, und die Menses
sind wiedergekehrt. Diese radikale Methode muss jedesmal angewendet
werden bei Verdacht eines Uebergreifens des Hypophysistumors auf das
Stirnhirn, überhaupt auf die benachbarten Hirnteile.
Auf Grund mehrerer Dauerbeilungen hält er daran fest, dass die
Meningitis serosa des Rückenmarks eine eigene Krankheit ist, mehrere
Fälle sind seit 5 Jahren geheilt. Auch für die gleiche viel seltenere
Krankheit des Gehirns verfügt er über zwei Dauerheilungen. Die In¬
zision in der hinteren Kommissur des Rückenmarks — genau in der
Mittellinie — wird ohne bleibenden Sohaden vertragen. K. bat sie bei
Rückenmarksoperationen mehrmals ausgeführt, um einen intramedullären
Erkrankungsherd aufzusuchen.
Hr. Stieda-Halle: Exstirpation eines 125 g schweren Hirn¬
tumors bei einem zehnjährigen Kinde d,urch v. Bramann.
Krankenvorstellung.
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760
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Hr. Zander-Halle demonstriert zwei durch Laminektomie von
Spondylitis tuberculosa nebst Rückenmarkskompression geheilte Kinder.
Hr. Schloffer-Prag demonstriert ein Gehirn mit einem mächtigen
Gliom der linken Grosshirnhemisphäre, an welchem die ungünstigen Be¬
dingungen für die Ausführung des Balkenstiohes bei mächtigen Gross¬
hirntumoren besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Schon bei
Ausführung des Balkenstiches (links) war es aufgefallen, dass die Kanüle
eine schiefe Lage annahm, dass wenig und sehr bald blutig tingierter
Liquor abfloss. Der Kranke starb nach der Palliativtrepanation, und
es zeigte sich, dass der Tumor, der vom Gyrus hippocampi (links) seinen
Ausgang genommen hatte, den Seitenventrikel weitgehend erfüllte. Kein
Hydrooephalus der Seitenventrikel. Der Balkenstich war gelungen, aber
die Oeffnung durch den Plexus chorioideus verlegt.
Hr. Cr eile-Göttingen: Operation einer Kleinhirncyste, welche sich
nach Fall auf die Stirn ausgebildet hatte. Subcutane Drainage.
Hr. y. Saar-Wien: Zwei Fälle von tumorartiger, epiduraler Granu¬
lationswucherung tuberkulösen Ursprungs.
Hr. Becker-Coblenz empfiehlt an der Hand einer Kranken¬
geschichte statt der Sondierung des Rückenmarks Punktion mit einer
feinen Spritze.
Hr. Borchardt-Berlin: Sinus pericranii.
Zu den Erkrankungen des Gehirns, welche Erscheinungen von Hirn¬
tumor hervorrufen, kann ausnahmsweise der Sinus pericranii gehören.
Sieht man von den traumatischen Formen ab, so handelt es sich meist
um circumscripte Varicen und Angiome, die mit einem Sinus in Ver¬
bindung stehen und nur lokale Erscheinungen machen. Gelegentlich
aber treten die schwersten Hirnerscheinungen auf, bedingt durch eine
mehr oder weniger diffuse Beteiligung der Schädel- bzw. Hirngefässe.
B. fand bei einer 26 jährigen Frau neben einem pulsierenden
Cavernom am Hinterhaupt, an der Grenze von Sagittal- und Parietal¬
naht doppelseitige Stauungspapille, die er auf gleichzeitige Cavernom-
bildung an einer anderen Stelle des Gehirns bezog. Das Röntgeno¬
gramm des Schädels zeigte erweiterte Knochenkanüle, die auch als kon¬
genital aufgefasst wurde. Die vorgeschlagene Operation wurde abgelehnt.
Nach einigen Wochen schneller Verfall der Kranken unter heftigsten
Kopfschmerzen, Halbseiten- und Schlucklähmung und Exitus letalis.
Die Sektion zeigte das Cavernom am Sinus sagittalis mit dem
Cavernom der Kopfsohwarte in Verbindung, Erweichung fast sämtlicher
Sinus, Erweichung, Schlängelung und streckenweise Varicenbildung der
Venae meningeae. Erweichung und Vertiefung der den Gefässen ent¬
sprechenden Knochenkanäle, an mehreren Stellen Perforationen der
Schädelknochen, also eine mehr oder weniger diffuse Beteiligung des
ganzen Venensystems, die stellenweise zu einfacher Erweichung, stellen¬
weise zur Erweichung, Schlängelung, Varicen- und Cavernombildung
geführt hatte, eine Erkrankung, die man als Phlebectasia progressiva
cranii et cerebri zu nennen berechtigt ist, zumal die Arterien alle
normal waren.
Die Therapie müsste in solchen Fällen in der Exstirpation der
eventuell vorhandenen Gefässgeschwulst und dekompressiver Trepanation
bestehen.
Bezüglich der Operation der Acusticustumoren empfiehlt B. wie
v. Eiseisberg möglichst schonendes Vorgehen und den weiteren Aus¬
bau der von ihm zuerst vorgeschlagenen Methode durch die Felsenbein¬
pyramide hindurch. Zur Bekämpfung der häufig deletären Atem-
störungen empfiehlt er ausgiebigste Anwendung der künstlichen Atmung,
eventuell der Tracheotomie. Er warnt vor Einführung der Melzer’schen
Intubation in Fällen, wo die Trachea schon voll Schleim ist.
Die Tubage wäre als Prophylacticum statt der gewöhnlichen Nar¬
kose zu empfehlen, um das Auftreten der Atemstörungen zu verhindern.
Er selbst operierte allerdings meist in Lokalanästhesie.
Hr. Mertens-Zabrze hat einen Fall von Acustioustumor mit Erfolg
exstirpiert.
Hr. Franke-Braunschweig erinnert an die Möglichkeit nichtopera¬
tiver Heilung gewisser Hirnerkrankungen. Er hat mit intravenöser
Sublimatinjektion einen Fall von Hirngummi, sowie eine Erkrankung an
akut epileptischen Anfällen geheilt.
Hr. Meisei -Konstanz hat einen Fall von Epilepsie durch Einwirkung
einer Cocain-Adrenalinlösung auf die Dura des freigelegten Gehirns
geheilt.
Hr. Spechtenhauer-Wels demonstriert Instrumente, die rasche
Ausführung der Trepanation ermöglichen.
Hr. v. Eiselsberg-Wien bemerkt in seinem Schlusswort, dass er
das Vorhandensein der Meningitis serosa als Ursache schwerer Störungen
leugne, dass diese Erkrankung zu häufig diagnostiziert werde. Bei
der Operation der Hypophysistumoren scheint die radikale Entfernung
der Geschwulst nicht unbedingt erforderlich, wie mehrfache Beobachtungen
ergeben haben.
Hr. Kümmell-Hamburg: Das spätere Schicksal der Nephrek-
tomierten.
Mitteilung der Späterfolge seines eigenen unter einheitlichen Ge¬
sichtspunkten behandelten Krankenmaterials. Im ganzen wurden
782 Nierenoperationen ausgeführt; davon 70 Nephropexien, 51 Decapsu-
lationen, 7 Resektionen, 238 Nephrotomien, 386 Nephrektomien und
etwa 30 andere Operationen.
Die Tuberkulose der Nieren bildet gerade in bezug auf das end¬
gültige Schicksal der Operierten ein sehr interessantes Gebiet. Bei
150 wegen Nierentuberkulose Operierten lagen fünf doppelseitige Er¬
krankungen vor, infolgedessen nur die Nephrotomie ausgeführt werden
konnte.
Von den 145 Nephrektomierten starben 30 innerhalb der ersten
6 Monate nach der Operation. Von den überlebenden 115 starb ein
Fall nach einem Jahr, einer nach 1 , / 2 Jahren, vier nach 2 Jahren,
einer nach 3 und sieben nach 4—5 Jahren, meist an Tuberkulose der
anderen Niere oder allgemeiner Tuberkulose. Eine Dauerbeilung von
2—25 Jahren weisen 75—80 pCt. der Operierten auf. Die wegen einer
Geschwulst Nephrektomierten geben bezüglich der Dauerheilung keine
so günstigen Resultate. Die Prognose ist eine günstigere, wenn die
Kapsel noch nicht durchbrochen ist. Wegen bösartiger Geschwülste
wurden 58 Patienten operiert, es starben im Laufe der ersten 6 Monate
19, von den 39 Testierenden wurden vier nicht eruiert. 2 und
3 Jahre nach der Operation waren noch zehn ohne Recidiv; zwölf Pa¬
tienten zwischen 4 und 15 Jahren. Sechs Patienten waren noch in Be¬
handlung. Es geht demnach ein grosser Teil der Operierten bei fort¬
geschrittenem Tumor innerhalb des ersten Jahres an Recidiv zugrunde,
nach vieijähriger Recidivfreiheiheit kann man von einer Dauerheilung
sprechen.
Das spätere Schicksal der wegen Hydronephrose (35 Fälle) und der
wegen Pyonephrose (118 Fälle) Operierten ist ein gutes, vorausgesetzt, dass
die andere Niere gesund ist. Dagegen gehen die wegen Nephritis Nephrekto¬
mierten einer ungünstigen Zukunft entgegen. Nicht absolut infaust
ist die Prognose bei den Fällen, bei denen zur Zeit der einen Niere
auch die andere erkrankt ist. Es bessern sich die Erscheinungen bei
der leicht erkrankten Niere zuweilen, nachdem das schwer infizierte
Schwesterorgan entfernt ist. Individuen mit einer Niere sind gegen be¬
stimmte Gifte empfindlicher, deshalb ist bei Operationen solcher Patienten
Aether zu verwenden. Vortr. hat auch die Schwangerschaft bei Ein-
nierigen studiert und 17 Graviditäten zusammenstellen können. Mit
Ausnahme eines Falles, bei dem eine Nephritis auftrat, verlief die Ent¬
bindung ebenso normal und ungestört wie bei normalen Frauen. Kon¬
genitale Defekte einer Niere sowie Hufeisennieren hat Vortr. sechs bzw.
vier beobachtet. Wird, wie Vortr. beobachtete, bei einem solchen
Menschen die einzige Niere durch ein Trauma schwer zertrümmert oder
durch Stein u. dgl. obturiert, so ist die Prognose sehr ungünstig.
Wenn auch Patienten mit einer Niere als militäruntauglich gelten,
so hat Vortr. eine Erfahrung von der grossen Leistungsfähigkeit eines
Offiziers, dem eine Niere entfernt war, beobachten können. Er ist auch
dafür, Frauen mit einer Niere die Heiratserlaubnis zu geben oder Indi¬
viduen die Aufnahme in eine Lebensversicherung nioht zu verweigern,
wenn vier Jahre seit der Operation vergangen sind.
Hr. Baetzner - Berlin teilt die Erfahrungen aus der Bier’schen
Klinik mit. Von 100 Nephrektomierten leben zurzeit 60. Die un¬
günstigsten Verhältnisse zeigen die Tumoren; alle 18 beobachteten Fälle
sind an lokalem Recidiv oder an Metastasen gestorben. Sehr günstige
Resultate ergeben dagegen alle übrigen Fälle. Nicht nur die wegen
Hydronephrose und Pyonephrose, sondern auch die wegen Tuberkulose
Nephrektomierten. Von 27 wegen Tuberkulose Nephrektomierten leben
20, davon sind 14 vollkommen gesund und arbeitsfähig. Sechs haben
Blasenbeschwerden. Auch hier handelte es sich fast ausschliesslich um
schwerste Formen. Diese Erhebungen ergeben, dass die durch Ver¬
besserung der funktionellen Untersuchungsmethoden gemachten Fort¬
schritte sehr wesentlich sind.
Hr. Voelcker- Heidelberg tritt ebenfalls energisch für die operative
Behandlung der Nierentuberkulose ein. Denn wenn auch die Herde oft
nur klein seien, so sei eine Heilung eines circumscripten Knotens kaum
möglich und führe allmählich im Laufe von Jahren zur käsigen Ein-
scbmelzung der gesamten Niere. Nur ausnahmsweise sollte man unter
dem Drucke äusserer Verhältnisse konservativ verfahren, dann aber
stets nur unter genauer Berücksichtigung der Funktion der erkrankten
Niere.
Hr. Tietze - Breslau betont, dass nach Nephrektomie weiblicher
Personen möglichst die Gravidität zu vermeiden sei, da er die Schädigung
der Niere durch Ureterkompression auf Grund von experimentellen Unter¬
suchungen befürchtet.
Hr. Zondek - Berlin betrachtet das Herz und das gesamte Gefass-
system nioht allein in genetischer, sondern auch funktioneller Hinsicht
als homologe Gebilde und findet darum die sehr nahen Beziehungen
zwischen Herz und Niere in gewisser Hinsicht in dem sehr grossen Ge-
fässreichtum der Niere begründet. Aber auch bei bestehendem Herz¬
fehler kann, wie der Vortr. beobachtet hat, nach Nephrektomie das
Leben viele Jahre erhalten bleiben. Ferner zeigt Z. an einem Fall von
Nephrektomie und schwerer Erkrankung der Testierenden Niere, mit wie
wenig Nierenparenchym der Organismus auskommen kann.
Hr. Graser - Erlangen: Klinische Beobachtungen über
Nerveneinflüsse auf die Nierensekretion.
Vortr. betont, dass trotz aller Fortschritte der Nierendiagnostik
ein Bedürfnis bleibt, auch einfachere Hilfsmittel für Diagnose aus¬
zubauen. Bei den bekannten Schwierigkeiten der Feststellung, ob
eine Reihe von unklaren Beschwerden im Abdomen überhaupt auf die
Niere oder ein anderes Organ zu beziehen sind, bat sich ihm ein ein¬
faches Hilfsmittel als wertvoll erwiesen. Bei einer grossen Reihe, be¬
sonders einseitiger, Nierenerkrankungen (schwerere Fälle von Wander¬
nieren, Steinerkrankungen, Tumoren, Tuberkulose) hat er gefunden, dass
die einzelnen Urinportionen, wie sie von den Patienten gelassen wurden,
sehr auffallend regellose Schwankungen im spezifischen Gewicht aufwiesen,
die sich nicht nur durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr und entsprechende
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21, April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
761
Verdünnungen erklären lassen. Aus Kontrollyersuchen hat sich ergeben,
dass unter normalen Verhältnissen in der Regel die Schwankungen nicht
mehr als etwa 10 Einheiten betrugen, und dass Differenzen von 15 Ein¬
heiten von der einen Portion zur anderen doch immer stutzig machen
müssen, ob hier nicht besondere Einwirkungen einer kranken Niere auf
die Sekretion stattfinden. Bei einem Fall von einseitiger Nierentuber¬
kulose mit Verschluss des Ureters konnte Graser nachweisen, dass die
vorher sehr starke Verschiedenheit in der Konzentration nachher nach
der Entfernung der kranken Niere einer auffallenden Gleichmässigkeit
Platz machte. Er hält daher auch die nächstliegende Erklärung, dass
der dünne Urin durch starke Beteiligung der kranken Niere entsteht,
für falsch und glaubt vielmehr die merkwürdigen Schwankungen auf
fordernde oder hemmende Nerveneinflüsse, die von der kranken Niere
auch auf die gesunde einwirkeD, zurückführen zu müssen. Er bespricht
die anatomischen und physiologischen Verhältnisse, soweit sie bekannt
sind, und betont namentlich die Häufigkeit der Reflexe im Experiment
und in klinischen Beobachtungen. Man muss sich aber heute noch mit
Allgemeinausdrücken wie „Nerveneinflüssen“, „Schädigung“, „Ueber-
empfindlichkeit“ begnügen, da uns diese Gebiete noch nahezu unzu¬
gänglich sind. Zum Schlüsse verweist Graser auf den Beginn einer
exakten Aufklärung, wie dies die Studien eines seiner Schüler eingeleitet
haben.
Hr. Lobenhoffer - Erlangen: Physiologisches über Nieren¬
innervation.
L. hebt hervor, wie wenig geklärt bisher noch unsere Kenntnisse
von der Abhängigkeit der Niere vom Centralnervensystem sei. Die bis¬
her gültige Lehrmeinung war, dass die Arbeit der Niere allein geleitet
werde von nervösen Reizen, die ihr von Centren im Hirn oder Rücken¬
mark aus zugeleitet würden durch die vielen Nervenfasern, welche mit
den Gefässen in den Nierenhilus eintreten. Das fast stets beobachtete
Aufhören jeder Nierensekretion nach Durchtrennen dieser Nerven einer¬
seits und der Erfolg von Reizungsversuchen an bestimmten Stellen des
Centralnervensystems und den peripheren Stümpfen der Nierennerven
andererseits hatten diese Anschauung erweckt und gestützt. In manchen
Experimenten schien ihm ein Widerspruch gegen diese Lehre zu liegen;
er verfolgte deshalb diese Frage, die ihm vom physiologischen wie
vom klinischen Standpunkte aus gleich wichtig erschien, experimentell
genau.
Die Transplantation mittels Gefässnaht diente ihm dabei als beste
physiologische Arbeitsmethode; die Nieren wurden auf den Milzstiel
verpflanzt. Solche Organe sind dann vollkommen aus jedem Nerven-
zufluss für die Dauer ausgeschieden und andererseits unter Lebens- und
Ernährungsbedingungen, die den normalen entsprechen. Die andere
Niere wurde entfernt.
Schon die bekannte Tatsache, dass Tiere mit solchen Nieren lange
am Leben bleiben können — er konnte Hunde a / 4 Jahre und ein Jahr
beobachten — entscheidet eigentlich die Frage.
Mit Hilfe histologischer und physiologischer Untersuchungsmethoden
suchte L. nach eventuellen Veränderungen der einzelnen Vorgänge der
Nierenarbeit. Das Mikroskop zeigte, dass die Granulierung des Proto¬
plasmas, in der ein Ausdruck der sekretorischen Tätigkeit der Nieren¬
zellen gesehen werden muss, vollkommen den an normalen Nieren ge¬
wonnenen Bildern entsprach. Hier war also keine Veränderung durch
den Ausfall der Verbindung mit dem Centralnervensystem zu finden;
die sehr empfindlichen Bestandteile dos Protoplasmas, die Granula,
präsentierten sich in ungestörter Form. Mit Diurese- und Ausscheidungs¬
versuchen bestrebte er sich dann die Tätigkeit tubulären und vasculären
Anteiles der Nierensubstanz zu verfolgen: die Wasser- und Kochsalz¬
elimination einerseits und die Ausscheidung körperfremder Substanzen
des Indigearmius, Milchzuckers und Phlorizins andererseits wurden dazu
benutzt und ergaben ganz den normalen gleichende Ausschläge (Kurven).
Auch Ueberlastungen konnten die transplantierten Organe gut über¬
wältigen.
Damit war bewiesen, dass die Niere allein für sich, ohne irgend¬
einen Nervenzufluss von aussen her ihrer physiologischen Aufgabe vor¬
stehen kann, dass sie ein viel selbständigeres Organ ist, als man bisher
glaubte. Namentlich die Diurese kann nur duroh aktive Tätigkeit der
kontraktlichen Elemente der Gefässe sich in der normalen Form ab¬
spielen, dazu gehören aber unbedingt Nervenreize, diese müssen in der
Niere selbst entstehen und können es nur in dem den Anatomen längst
bekannten, aber von den Physiologen bisher fast nicht beachteten Plexus
renalis. Die in den Hilus eintretenden Stämme können nur Bahnen
führen mit regulatorischen und centripetal leitenden Einflüssen, keine
Bahnen mit sekretorischen Fasern, weitere Versuche werden es hoffent¬
lich noch möglich machen, diese Einflüsse schärfer abzugrenzen, denn
Ausfallserscheinungen müssen sich doch irgendwo finden lassen. Soviel
ist jetzt aber gesichert, dass die Niere ein weitgehendes selbständiges
Nervencentrum in sich selbst trägt, von dem der grösste Teil der zur
normalen Funktion ihrer beiden Hauptbestandteile, des tubulären und
vasculären notwendigen Nierenimpulses ausgehen.
Diese Kenntnis ist sioher wichtig für die Erklärung mancher patho¬
logischer Zustände und klinischen Erscheinungen bei Nierenkranken und
mehr als bisher dabei in Rechnung zu ziehen.
Hr. Riedel-Jena: Ueber angeborene Harnröhrenstrik-
turen.
19 Fälle angeborener Harnröhrenstriktur bat Riedel beobachtet;
sie bestanden teils seit früher Jugend, teils maohten sie erst später Er¬
scheinungen. Unbeb&ndelt ergeben diese Fälle eine ungünstige Pro¬
gnose. Und sie bleiben unbehandelt, weil sie vielfach nicht erkannt
werden, weil sich die Patienten an ihren Zustand gewöhnen. Es tritt
danach sehr häufig Phlegmone und Eiterung ein, lOpCt. der Fälle ging
an Pyelitis, Stein und ein Fall an Garcinom zugrunde. Die Behand¬
lung besteht im Anfangsstadium in Dehnung, bei den fortgeschritteneren
ist Exzision und gegebenenfalls die Transplantation des Appendix er¬
forderlich.
Hr. Eugen Joseph - Berlin: Primäre Heilung ausgedehnter
Urethralresektionen.
Es lässt sich mit Hilfe der Marion’schen Modifikation der
Beck - Hacker’schen Methode die Urethra in grosser Ausdehnung
resezieren und zu einer Harnröhre von normaler Weite wieder vereinigen,
welche nach der Operation einer Nachbehandlung nicht mehr bedarf.
Nach Exzision des narbigen Teils der Urethra wird die Harnröhre nach
vorn und hinten ausgiebig mobilisiert durch Präparation aus den Cor¬
pora cavernosa penis. Selbst Defekte von 7 bis 8 cm lassen sich da¬
durch überbrücken und ohne Spannung durch exakte Naht decken.
Wichtig ist, dass man nach Rekonstruktion der Harnröhre dem Rate
Marion’s folgend den gesamten Urin durch eine suprapubische Drainage
für etwa zwölf Tage ableitet. Dadurch wird der sonst in der Nach¬
behandlung übliche Dauerkatheter überflüssig und die primäre Heilung
der Urethranaht garantiert, während unter dem Einfluss des reizenden
Däuerkatheters leicht eine Dehiszenz der Naht und damit erneute
Narbenbildung und Strukturierung entstehen kann. Nach zwölf Tagen
wird die Blasendrainage entfernt. Nunmehr fängt der Patient sehr bald
durch die jetzt normal weite Harnröhre zu urinieren an. Die Blasen¬
wunde schliesst sich in kurzer Zeit.
Hr. Goldmann • Freiburg hat die nämliche Operation schon vor
vielen Jahren ausgefübrt und beschrieben.
Hr. Garre-Bonn macht darauf aufmerksam, dass Socin schon in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die nämliche Operation
vielfach ausgeführt hat und dass das Verfahren genauestens be¬
schrieben ist.
Hr. Frank-Berlin hat zwei Fälle von kongenitaler Harnröhren¬
striktur beobachtet. In beiden Fällen bestand Inkontinenz. Sie wurden
beide durch innere Urethrotomie geheilt.
(Fortsetzung folgt.)
Ueber durch Nematoden hervorgerufene Ge¬
schwulstbildungen bei der Ratte.
Von
Dr. S. Lifwensteii-Frankfurt a. Main.
In der Nr. 7 dieser Wochenschrift stellt Fibiger den Satz auf,
dass bei allen seitherigen Untersuchungen über den Befund von
Nematoden in Geweben mit geschwulstartiger Umbildung es noch in
keinem Falle festgestellt worden sei, dass in solchen Fällen etwas
anderes als ein zufälliges Zusammentreffen von Parasiten und Neu¬
bildungen vorliege, und will als „Erster“ durph seine Arbeit den Nach¬
weis erbracht haben, dass Nematoden wirklich die pathogenetische Be¬
deutung haben, die ihnen beigelegt wird.
Es soheint mir, dass Fibiger nur meine erste Arbeit, die als vor¬
läufige Mitteilung bezeichnet war und den Titel „Epithelwucherungen und
Papillombildungen der Rattenblase, verursacht durch Trichosoma *)“ trug,
bekannt ist. Dagegen blieben ihm offenbar meine weiteren Veröffent¬
lichungen unbekannt. Es erscheint mir deshalb am Platze, auch hier
auf dieselben zu verweisen.
Schon der Titel der zweiten zusammenfassenden Veröffentlichung
„Trichodes crassicauda specifica, eine Causa directa in der Aetiologie
der Tumoren“ 2 ) beweist, dass ich den Nematodenfund in meinen
Papillomen nicht als ein zufälliges Zusammentreffen auffasse, sondern
eben als eine Causa directa gegenüber der Tumorerstehung anspreche.
In diesen beiden Arbeiten besprach ich meine Untersuchungen und
kam auf Grund von 32 wiedergegebenen Mikrophotogrammen zu folgenden
Resultaten (siehe 2, Seite 765 und 766):
Ich glaube, dass diese kleine, hier und in der früheren Arbeit ver¬
öffentlichte Auswahl aus einer grossen Anzahl von Präparaten leicht
davon überzeugen muss, dass Trichodes crassicauda specifica kein harm¬
loser Blasenschmarotzer und kein zufälliger Nebenbefund sein kann,
sondern dass dieser Parasit eine ätiologisch recht verantwortliche Rolle
spielt, eine Rolle, die ich nicht anders denn als Causa directa der mit
Epithelzellenwucherung und -Proliferation beginnenden und dann bis
zum infiltrierenden Papillom führenden Charakterveränderung ehedem
normaler Gewebszellen bezeichnen muss.
Wir sehen dabei, dass in erster Linie die Eier und Jungformen des
Trichodes — letztere aber auch erst von einem gewissen Grade der
Entwicklung an — es sind, die die Zellen zu infektiös wuchernden
machen und viel weniger die erwachsenen, älteren Tiere. Diese ver¬
hängnisvolle Veränderung des Charakters der Epithelzellen beruht gewiss
nicht im rein mechanischen Reiz des Parasiten aufs Gewebe, sondern ist
1) Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1910, Bd. 69, H. 2.
2 ) Ebenda, 1911, Bd. 76, H. 3.
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762_ BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 16.
bedingt durch chemische Stoffe — eventuell Toxine oder Stoffwechsel¬
produkte — insbesondere des Eies und der jüngeren Entwicklungsstadien.
Dass solche Stoffe vorhanden sein müssen, bewiesen ja schon einige der
Mikrophotogramme, deren Vorhandensein ergibt sich aber auch weiterhin
unbedingt aus der in mehren Fällen von mir gemachten Beobachtung
von Blasenpapillomen ohne Parasiten in der Blase oder von Nieren¬
tumoren ohne Würmer in der Niere; Fälle, in denen ich aber jeweils
Trichodesformen noch in der Niere oder im Ureter resp. schon herunter¬
geschwemmt in die Blase gefunden habe.
Sehen wir also eio Blasenpapillom bei freier Blase aber infizierter
Niere, so ist die Annahme sicher zulässig, dass eben chemische oder
toxische, vom in der Niere sich findenden Parasiten stammende, Reiz¬
stoffe mit dem Urin vermengt in die Blase gelangten und dort die
Epithelzellen zu wuchernden und infektiösen Zellen umwandelten.
Analog können Nierenepithelwucherungen bei schon wieder freier Niere,
aber bereits infizierter Blase nur dadurch erklärt werden, dass eben
diese chemischen oder toxischen Reizstoffe in der Niere zurückblieben
oder aufgespeiohert wurden, während die grobcorpusculären Parasiten¬
bestandteile bereits die Nieren verlassen hatten. Ebenso sind die Fälle
zu erklären, in denen der Parasit nur im Ureter, die Epithelverände¬
rungen aber in der Niere oder in der Blase sich zeigen.
Es ergibt sich also der logische Schluss aus dem, was wir effektiv
im Mikroskop sehen, und den eben angestellten Erwägungen, dass nicht
allein der Parasit und von diesem insbesondere seine Ei- und Jung¬
formen die Epithelzellen elektiv zur Wucherung und Tumor¬
bildung anregen, sondern, dass auch vom Parasiten produzierte
chemische oder toxische Reizstoffe, die möglicherweise Stoff¬
wechselprodukte sind, die Eigenschaften besitzen, Epithel zellen aus
normalen in wuchernde Tumorzellen umzuwandeln.
Auf der II. internationalen Krebskonferenz in Paris 1910, auf dem
Naturforscher- und Aerztetag in Karlsruhe 1911 und an anderen Stellen
mehr demonstrierte ich Präparate und Mikrophotogramme, die keinen
anderen Schluss als den des zwingenden ursächlichen Zusammenhanges
zwischen Triohodes crassioauda specifioa und Geschwulstbildung zu-
liessen, was ich auch bei jeder Gelegenheit deutlich ausgesprochen habe.
So. z. B. im Bericht über die Verhandlungen der II. Pariser Kon¬
ferenz für Krebsforschung 1 2 3 ):
Löwenstein - Frankfurt demonstriert an einer grossen Anzahl
von Bildern Papillome und Epithelwucherungen der Blase und Niere,
sowie Ureteren der Ratte, die er als unmittelbar und nicht etwa indirekt
durch Entzündung durch eine Trichodesart erzeugt, anspricht und diese
Annahme erhärtet durch eine den allmählichen Uebergang von Reizung
in Wucherung und Papillombildung dokumentierende Bilderserie. Redner
weist auf die Wichtigkeit dieser Würmer als Versuchsmaterial hin und
betont, dass die Wucherung einmal vom Parasiten oder seinen Eiern
Jungformen erregt, in ihrem weiteren Wachsen nicht mehr von deren
Gegenwart abhängig ist (vgl. diesbezüglich auch 2).
Auf dem Naturforscher- und Aerztetag lautete der Schlusssatz meines
Demonstrationsvortrages 8 ):
Die naoh Infektion mit Trichodes crassicauda specifica entstehenden
Tumoren sind der Ausdruck einer elektiv auf die Epithelzellen selbst im
Sinne der Wucherung und Neubildung einwirkenden parasitären — chemi¬
schen oder toxischen — Reizung, also unmittelbar bedingt durch den
Parasiten, nicht auf Umwegen entstanden, sondern in direkter Auf¬
einanderfolge von Ursache und Wirkung. Ferner führte ich im Laufe
des Vortrages wörtlich aus:
Ich glaube, dass diese kleine Auswahl aus einer grossen Anzahl
von Präparaten uns leicht davon überzeugen musste, dass Trichodes
crassicauda specifica kein harmloser Blasenschmarotzer und kein zu¬
fälliger Befund sein kann, sondern dass dieser Parasit eine ätiologisch
recht verantwortliche Rolle spielt, eine Rolle, die ich nicht anders denn als
Causa directa der mitEpithelzellenwucherungund-Proliferation beginnenden
und dann bis zum infiltrierenden Papillom führenden Charakterverände¬
rung ehedem normaler Gewebszellen bezeichnen muss.
Zum Schluss möchte ich nur noch meiner Vermutung Ausdruck
geben, dass Fibiger’s Spiroptera und die von mir gefundene Nematode
(Trichodes crassicauda specifica) zum mindesten eine recht grosse Aehn-
lichkeit miteinander aufweisen, nicht nur die Würmer, die Eier und das
Verhalten des Embryos in denselben, sondern vor allem auch dann,
wenn man die Schnittbilder von Papillomen mit Nematoden, wie sie
Fibiger veröffentlicht und wie ich sie in 1) und 2) veröffentlichte, mit¬
einander vergleicht. Auch in meinen Fällen war die Tumorerkrankung
eine endemische, wie ich dies auch in meinen Veröffentlichungen be¬
kanntgegeben habe. Bezüglich aller Detailfragen verweise ich auf meine
Arbeiten.
Durch die Fibiger’schen Fütterungsversuche mit Periplaneta lernen
wir Zwischenwirte kennen, die das Problem der Geschwulsterstehung
durch Parasiten, insbesondere durch Nematoden, sehr wesentlich er¬
weitern. Darauf aber, dass eine Nematodenart, Trichodes crassicauda
specifica, als direkte Ursache für Papillombildung bei der Ratte zu er¬
weisen ist, wiesen, wie aus den vorstehenden Sätzen wohl deutlich
hervorgeht, schon vor Fibiger meine Arbeiten hin.
1) Wiener klin. Wocbenschr., 1910, Nr. 45.
2) Cancer Conference, Paris. Librairie Alcan, 1911, S. 774—776.
3) Verhandlungen, 1911, Bd. 2, 2. Hälfte, S. 162-166.
Erwiderung zu Vorstehendem.
Von
Prof. Johanaes Fibiger.
Ich will Dr. Löwenstein gern einräumen, dass mir nur seine erste
Arbeit 1 ) bekannt gewesen ist. Wenn ich seine zweite Arbeit gekannt
hätte, würde ich seine darin enthaltenen Untersuchungen einer näheren
Besprechung unterworfen haben, denselben aber beweisende Bedeutung
in dem hier diskutierten Thema zuzuschreiben, wäre mir aber doch un¬
möglich gewesen.
Dr. L. hat in seiner ersten Arbeit — wie schon früher Borrel —
behauptet, dass Nematoden eine kausale Bedeutung für die Entwicklung
von Geschwülsten gebührt, und hat gleichwie Borrel, Haaland u. a.
seine Anschauung darauf basiert, dass Nematoden und Geschwulstbildung
in einem und demselben Organe zusammen Vorkommen. Eine beweisende
Bedeutung kann jedoch derartigen Beobachtungen nicht beigelegt werden,
es sei denn, dass es, wie es bei der Bilharziose der Fall ist, unzweifel¬
haft festgestellt wird, dass die Geschwulstbildungen entweder ausschliess¬
lich oder jedenfalls so ausserordentlich häufig mit den Parasiten zu¬
sammen auftreten, dass ein zufälliges Zusammentreffen schon der Statistik
wegen auszuschliessen ist.
Wie grosse Bedeutung man den bei der statistischen Beweisführung
notwendigen Kontrolluntersuchungen zusebreiben muss, zeigen die auf
demselben Gebiet liegenden Arbeiten von Orth und Tsunoda über
das Vorkommen des Demodex in der Mamma bei gesunden und bei
krebskranken Frauen mit besonderer Deutlichkeit.
Die in der ersten Abhandlung Dr. L.’s mitgeteilten Beobachtungen
wurden an vier verschiedenen Stämmen von Ratten gemacht. „Nur
ein Stamm erwies sich als derjenige, der die parasitäre Infektion primär
zeigte“, und zwar wurdon Epithel Wucherungen und Papillome der Harn¬
wege nur bei den infizierten Ratten gefunden. Leichte parasitäre In¬
fektion der Harnblase und kleinste „Epitbelzellenaufstülpungen“ wurden
aber auch bei zwei unter elf von den den anderen Stämmen angehörigen
Ratten nachgewiesen.
Inwieweit Dr. L. ausserdem Kontrolluntersuchungen angestellt hat,
und in wie grossem Umfange dieselben gemacht sind, ging aus seiner
Arbeit nicht hervor. Zahlenmässig beweisend kann die veröffentlichte
Statistik doch entschieden nicht genannt werden.
Es sei hier nur noch hinzugefügt, dass bei von mir angestellten
Untersuchungen festgestellt worden ist, dass Trichosomen (Trichodes)
bei Ratten hier in Kopenhagen so häufig Vorkommen, dass nicht ohne
Schwierigkeit eine Ratte sich auftreiben lässt, deren Harnblase diese
Parasiten nicht enthält.
Aus meinen diesbezüglichen Aufzeichnungen sei z. B. folgendes an¬
geführt:
Unter 64 wilden Ratten aus verschiedenen Bezirken von Kopenhagen
wurden bei 48 Trichosomen in der Harnblase vorgefunden.
Unter 55 bunten und weissen Ratten aus verschiedenen Laboratorien
wurden sie bei 47 vorgefunden.
Im ganzen bei 95 von 119 Tieren.
Nur bei 3 von diesen 95 Ratten fanden sich in der Harnblase aus¬
gesprochene Papillombildungen, während unter den übrigen, von denen
eine grosse Anzahl mikroskopisch untersucht wurde, nur in wenigen
Fällen eine Verdickung des Epithels sich vorfand, die als unzweifelhaft
pathologische Hyperplasie und nicht allein als auf Kontraktion der
Blasenwand beruhend aufgefasst werden konnte.
Es war also weder durch Dr. L.’s noch durch meine Untersuchungen
gelungen, einen statistischen Beweis des ätiologischen Zusammenhanges
zwischen Trichosomen und den in der Harnblase der Ratte vorkommen¬
den epithelialen Hyperplasien und Papillombildungen zu erbringen. Es
liess sich somit nicht sicher ausschliessen, dass hier nichts anderes als
ein zufälliges Zusammentreffen oder lediglich eine sekundäre Invasion
von Würmern in das Geschwulstgewebe vorläge, ein Einwand, der schon
im Jahre 1909 von Lewin gegen die von Borrel veröffentlichten ana¬
logen Angaben gemacht wurde, die, obgleich sie weit früher erschienen,
von Dr. L. doch nicht citiert werden.
Und eben auf der Internationalen Krebskonferenz in Paris 1910, wo
Dr. L. zuerst seine Untersuchungen vorlegte, erwähnte C. 0. Jensen
in seinem Vortrag „Von echten Geschwülsten bei Pflanzen“, dass
Schmarotzer — darunter Nematoden —, welche früher in eine kausale
Verbindung mit solchen Geschwulstbildungen gebracht worden waren,
nur in beschädigten und hinfälligen Teilen des Geschwulstgewebes Vor¬
kommen, und dass derartige Geschwülste keinen parasitären Ursprung
hätten. Dass das Vorhandensein von Nematoden in Geschwülsten auf
sekundärer Invasion beruhen könne, ist demnach kein bloss hypothetischer
oder a priori ablehnbarer Einwand.
Statistische Beweisführung der parasitären Wirkungen kann nur
als eine Nothilfe aufgefasst werden. Um endgültig festzustellen, dass
eine Nematode imstande ist, Geschwulstentwicklung zu verursachen,
muss man natürlicherweise — in Uebereinstimmung mit xler Beweis¬
führung über die Wirkungen anderer Parasiten — experimentell, d. h.
durch Uebertragung der Nematode an gesunde Tiere Ge¬
schwulstentwicklung hervorrufen können.
Eben mein Wunsch, meine statistischen Untersuchungen mit einem
solchen endgültigen Beweis ergänzen zu können, war die Ursache, dass
1) Bruns’ Beitr., September 1910.
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21. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
763
ich meine Arbeiten jahrelang fortsetzte und nicht schon im Jahre 1908
eine Mitteilung erscheinen liess, obgleich ich dann mit gleichem Recht,
wie früher Borrel und später Löwenstein, hätte behaupten können,
dass den Nematoden eine Bedeutung gebührt, die ich schliesslich ex¬
perimentell nachzuweisen imstande gewesen bin.
Auch Dr. L.’s zweite Arbeit, auf die meine Aufmerksamkeit erst
jetzt hingelenkt worden ist, enthält meiner Meinung nach keine anderen
Anhaltspunkte für die Annahme, dass Trichosoma (Trichodes) tatsächlich
Geschwülste bei Ratten verursachen kann, als dass dieser Parasit im
Epithel ßei Papillombildung in den Harnorganen vorgefunden worden ist.
Dr. L. teilt nur mit, dass die parasitäre Infektion sich durch
gemeinschaftliche Käßge sowie durch die Hände des Laboratoriumsdieners
leicht überträgt; es liegt aber kein Bericht über experimentelle Ueber-
tragung auf vorher parasitenfreie Ratten und hierdurch hervorgerufene
Papillombildung vor, und eine erschöpfende, von den notwendigen
Kontrolluntersuchungen begleitete, geschweige denn eine nur detaillierte
Statistik wird nicht veröffentlicht. Ausserdem teilt der Verfasser mit,
dass er ein Blasenpapillora gefunden habe, ohne Parasiten in der Blase,
den Ureteren oder den Nieren entdeckt zu haben. Dr. L. glaubt, dass der
Wurm in diesem Fall die Organe schon wieder verlassen hat. Auch ich
habe bei Papillombildung in der Harnblase der Ratte Parasiten vermisst.
Ich glaube selbst, dass Dr. L.’s hier citierte Erklärung für das
Fehlen der Parasiten die wahrscheinlichere ist, es lässt sich aber doch
Dicht leugnen, dass ebensogut eine von Parasiten unabhängige
Papillombildung vorliegen könnte, und die Annahme einer ätiologischen
Bedeutung des Trichodes wird jedenfalls durch solche Beobachtungen
eher abgeschwächt als gestützt.
Alles in allem möchte ich jedoch meine kritischen Bemerkungen
nicht missverstanden sehen. Die Möglichkeit, dass nur ein zufälliges
Zusammentreffen oder eine sekundäre Invasion der Parasiten in das Ge¬
schwulstgewebe vorliegen könnte, ist zwar von L. nicht widerlegt worden,
aber auch ich bin der Anschauung — wie es übrigens aus meiner
kurzen Mitteilung in dieser Wochenschrift hervorgeht —, dass die
Papillombildung durch Trichodes verursacht wird, muss aber
daran festhalten, dass der endgültige Beweis dieser Annahme noch
nicht erbracht worden ist, und dass eine solche Annahme nur feste
Anhaltspunkte erhält durch den Hinweis einerseits auf die Wirkungen
des Bilharzioseparasiten, andererseits gerade auf meine Untersuchungen,
bei denen es zum ersten Male gelungen ist, endgültig (statistisch und
experimentell) festzustellen, dass eine Nematode tatsächlich eine solche
Wirkung haben kann.
Dass den Wirkungen des Trichodes wahrscheinlich eine Toxin¬
produktion zugrunde liegt, betrachte auch ich als die natürliche Erklärung,
es ist mir aber völlig rätselhaft, dass L. zu behaupten wagt, dass Mikro¬
photogramme oder mikroskopische Untersuchungen eine derartige Annahme
„beweisen“ können. Ich bitte Dr. L., sich der Untersuchungsmethoden
zu erinnern, die bei der Beweisführung der Toxinproduktion von Bakterien
oder Helminthen (Bothriocephalus) sonst angewendet werden.
Dr. L.’s Bemerkung, er habe in Schnittpräparaten eine „mindestens
recht grosse“ Aehnlichkeit zwischen der von ihm Vorgefundenen Tricho¬
soma (Trichodes) und der von mir nachgewiesenen Spiroptera beobachtet,
ist durchaus überflüssig. Es ist doch wohl — hoffentlich — Dr. L. be¬
kannt, dass in Schnittpräparaten als Regel eine sehr grosse Aehnlichkeit
zwischen verschiedenen Genera von Nematoden besteht?
Wenn Dr. L. obendrein die Bemerkung wagt, dass auch zwischen
den Eiern der von ihm und den Eiern der von mir nachgewiesenen
Parasiten eine Aehnlichkeit sich vorfindet, dann stehe ich ganz ver¬
ständnislos da. Die ausserordentlichen Verschiedenheiten zwischen den
Eiern einer Spiroptera und denjenigen eines Trichodes sind zweifellos
jedem Sachverständigen bekannt. Nicht-Sachverständige dagegen erlaube
icb mir zu bitten, z. B. Leuckart’s Abbildung der Eier der Spiroptera
obtusa 1 ) mit v. Linstow’s Abbildung der Trichodeseier 2 ) oder mit den
Abbildungen in den Mitteilungen des Dr. L. selbst zu vergleichen.
Um die Vergleichung zu erleichtern, sollen obenstehende, bei der¬
selben Vergrösserung hergestellte Photogramme beigefügt werden, von
1) Die menschlichen Parasiten. 1876, Bd. 2, S. 113.
2) Beobachtungen an Trichodes crassicauda Bell. Troschel’s Arch. f.
Naturgeschichte, 40. Jahrgang, 1874, Bd. 1, S. 271, Taf. VIII, Fig. m und n.
denen Figur 1 die reifen Eier des Trichodes crassicauda, Figur 2
hingegen die reifen Eier der von mir gefundenen Spiroptera wiedergeben.
Und die Verschiedenheiten dieser Eier verschwinden nicht in Schnitt¬
präparaten.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Der 30. deutsche Kongress für innere Medizin wurde
am 15. d. M. in Wiesbaden von Geheimrat Pentzoldt eröffnet. In seiner
Eröffnungsrede wies er u. a. auf die beiden neuen Unternehmungen des Kon¬
gresses hin, die Arzneimittelliste und das Centralblatt für innere Medizin;
und letzteres gab ihm Anlass zu Aeusserungen über das Anwachsen der
medizinischen Publizistik, denen man im Interesse der Wissenschaft nur
wünschen kann, dass sie bei alt und jung auf fruchtbaren Boden fallen
mögen. Als erstes Thema stand das „Fieber“ auf der Tagesordnung,
über das die Herren H. H. Meyer-Wien und Krehl-Heidelberg das
Referat erstatteten. — Bei Erwähnung der Arzneimittellisten des Kon¬
gresses hatte Pentzoldt dem Wunsche nach Errichtung einer staat¬
lichen Arzneiprüfungsstelle Ausdruck gegeben. Dass eine solche nur
mit sehr beschränkter Kompetenz möglich wäre, nämlich lediglich dem
Recht der Prüfung, ob chemische Zusammensetzung und Dekla¬
ration übereinstimmen, wurde vielfach, u. a. auch von uns, wiederholt
hervorgehoben. Neuerdings schlägt im Aerztlichen Vereinsblatt Apotheker
Wickboldt-Darmstadt vor, diese Prüfung nicht in einer Zentralstelle,
sondern in den Fabriken selbst von staatlich beauftragten Apothekern
vornehmen zu lassen.
— Am 30. April findet in Breslau die Hauptversammlung der
Deutschen Gesellschaft für Volksbäder statt. Folgende Vorträge werden
gehalten werden: Ueber Nutzen und Schaden von Bädern bei gesunder
und kranker Haut (Prof. Dr. Carl Bruck); Die Uebertraguog von Augen¬
krankheiten in Berliner Volksbadeanstalten (Dr. H. Liefmann-Berlin);
Deutsche Bäderhygiene im Mittelalter (Dr. med. H. Koenigsfeld-
Breslau); Der jetzige Stand der Volksbäderversorgung in England (Dr.
Carl Prausnitz); Die Bedeutung der Bäder für Technik und Industrie
(Prof. Dr. R. Scheller); Die badetechnische Einrichtung des Stadtbades
Mülheim a. d. Ruhr (Klaus).
— Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin. Der
Kursus über „Diagnostik, Pathologie und Therapie der Krankheiten des
Herzens und der Gefässe“, welcher unter Leitung von Professor August
Hoffman n alljährlich an der medizinischen Klinik der Düsseldorfer
Akademie für praktische Medizin abgehalten wird, wird auch in diesem
Jahre zum sechsten Male in der Zeit vom 20. bis 29. Oktober stattfinden.
Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie, Moorenstrasse.
— Auf dem letzten Röntgenkongress ist von dem Vorsitzenden
Im melmann - Berlin angeregt worden, von Zeit zu Zeit röntgenologische
Studienreisen zu veranstalten. Der Vorschlag ist auf fruchtbaren Boden
gefallen, und eine grosse Reihe von Röntgenlaboratoriurabesitzern ist
bereit, die Teilnehmer der Studienreisen bei sich zu empfangen. Die
erste dieser Reisen wird vom 15. bis 20. September dieses Jahres nach
Wien unternommen werden. Für die zweite Studienreise ist die Woche
vor Pfingsten nächsten Jahres in Aussicht genommen. Diese Reise wird
sich auf die Städte Bremen, Hamburg, Altona, Cöln, Bonn, Frankfurt,
Nauheim, Erlangen und München erstrecken. Vom Ausschuss der
Deutschen Röntgengesellschaft ist eine Studienreisekommission gewählt,
der die Herren Eberlein, Levy-Dorn und Immelmann - Berlin an¬
gehören. Alle die Reise betreffenden Anfragen sind an den letzteren,
Berlin, Lützowstrasse 72, zu richten.
— Die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft hat den
Sömmeringpreis, der alle vier Jahre für eine besonders hervorragende
Arbeit auf dem Gebiete der Anatomie oder Physiologie erteilt wird,
Herrn Prof. Correns-Münster für dessen Studien „über die Gesetze der
Vererbung“ zuerkannt. Die Preiskommission legt Wert darauf, mit¬
zuteilen, dass in die engere Wahl noch die Arbeiten der Herren
E. Goldmann-Freiburg: „Ueber Vitalfärbungen“ und 0. Kalischer-
Berlin: „Ueber die Dressurmethode in der Psychologie“ gekommen sind.
— Die Preisaufgabe der Dr. Heinrich Brock-Stiftung der Balneo-
logLchen Gesellschaft lautet: „Bedeutung und Durchführung
einer rationellen Krankendiät in Kurorten.“ Der Preis beträgt
800 M. Die Arbeiten sind bis zum 1. Januar 1914 an Herrn Geheirarat
Professor Dr. Brieger, Berlin N. 24, Ziegelstr. 18/19, einzusenden. Die
Arbeiten müssen mit einem Motto versehen sein, welches auf einem
dabei einzureichenden Briefkouvert, in dem eingescblossen sich der Name
des Verfassers befinden soll, zu stehen hat.
— In Bad Landeck (Schlesien) wurde ein Standesverein der
reichsdcutschen Badeärzte gegründet, zu dessen Vorsitzendem
Geheimrat Röchlin-Misdroy gewählt wurde. Vereinsorgan wurde die
Zeitschrift für Balneologie.
— Dem ärztlichen Zentralausschuss in Hessen wurde seitens des
Ministeriums der Entwurf einer Aerzteordnung und eines Gesetzes zur
Errichtung einer Aerztekamraer und eines Ehrengerichts vorgelegt.
— Im Anschluss an die Notiz in Nr. 15 über die Zunahme nicht¬
deutscher Aerzte in Badeorten verdient Beachtung, dass aus dem Be¬
scheid des bayerischen Staatsministeriums auf die Eingabe der Aerzte-
kammern hervorgeht, dass das bayerische Ministerium mit der Reichs¬
regierung in Fühlung getreten ist wegen eines Verbots der ärztlichen
Tätigkeit durch nicht in Deutschland approbierte Aerzte.
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UNIVERSUM OF IOWA
764
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
— Der Senior der Nürnberger Aerzte, Hofrat Wilhelm Merkel,
feierte am 11. d. M. seinen 80. Geburtstag; er übte bis vor kurzem eine
umfangreiche gynäkologische Praxis aus.
— Für die innere Abteilung des städtischen Krankenhauses in
Hildesheim wurde beschlossen, einen eigenen Oberarzt anzustellen und
Privatdozent v. Cri ege rn-Leipzig dafür gewählt; der bisherige Oberarzt des
ganzen Krankenhauses, Medizinalrat Becker, wurde zum Direktor ernannt.
— Das Gehalt der Assistenten an den städtischen Kranken¬
häusern bat eine Neuregelung erfahren. Es beträgt von jetzt ab bei
freier Station 1200, 1500 und 1800 M. (bisher 12—1500 M.). Auch die
Unfallversicherung hat die Stadt für ihre Assistenten übernommen.
— Wie die „Statistische Korrespondenz“ angibt,• ist der Geburten¬
überschuss in Preussen im Jahre 1912 um 55 595, und zwar von
492 863 auf 547 958, gestiegen; die Steigerung ist, wie nach den viel¬
fachen Abhandlungen über die Abnahme der Geburten wohl selbst¬
verständlich, nicht auf eine absolute Zunahme der Geburten zu setzen;
diese ist im Gegenteil weiterhin im Sinken begriffen, und zwar trotz
steigender Ehefrequenz. Während von 1902 bis 1911 die
Geburtenzahl durchschnittlich 1 284 110, die der Sterbefälle 725 241,
der Geburtenüberschuss somit 558 869 betrug, ist die Geburtenzahl im
Jahre 1911 bereits um 59 019 unter dem zehnjährigen Durchschnitt ge¬
blieben, 1912 aber sogar um 64 243. Die Zahl der Todesfälle ist 1911
7487 über dem zehnjährigen Durchschnitt gewesen, dagegen 1912 um
53 332 unter dem zehnjährigen Durchschnitt geblieben. Also lediglich
aus dem Sinken der Todesziffern resultiert der Geburtenüberschuss. —
Neu ist weiter die Ermittlung, die uns Herr Geh. Rat Behla freundlichst
zur Verfügung stellt, dass die Sterblichkeit an Tuberkulose im
Jahre 1912 auf 14,49 pro 10 000 Lebende gesunken ist, gegen 15,2
im Vorjahre, ihre sinkende Tendenz also in erfreulicher Weise anhält.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Otto Hildebrand ist zum ordentl.
Mitgliede der Kgl. wissenschaftl. Deputation für das Medizinalwesen ernannt
worden. — Frankfurt a. M. Prof. Dr. Strasburger in Breslau wurde
zum Direktor der neu zu begründenden medizinischen Poliklinik ernannt. —
Cöln. Prof. Dr. Dürck in München hat den Ruf als Direktor des
pathologischen Instituts abgelehnt. Geheimrat Bardenheuer gedenkt
das Direktoriat der chirurgischen Abteilung an der Akademie für prak¬
tische Medizin niederzulegen. — Rostock. Zu Geheimen Medizinal¬
räten wurden ernannt die Professoren Müller (Chirurgie), Peters
(Ophthalmologie), Pfeiffer (Hygiene), Körner (Oto-Rhino-Laryngologie).
— Prag. Habilitiert: Dr. V. Guttmann für Oto-Rhino-Laryngologie.
— Graz. Der Privatdozent Dr. Possek erhielt den Titel eines ausser¬
ordentlichen Professors. — Lemberg. Dr. Markovsky wurde Ordinarius
der Anatomie. — Padua. Habilitiert: DDr. Baratozzi und Farini
(medizinische Pathologie), Cecca und Marchetti (externe Pathologie),
Megardi (Ophthalmologie), Silvestri (Pädiatrie). — Turin. Habilitiert:
Dr. Provera (Chirurgie).
Zur Einführung der neuen Krankenversicherung.
Die von der Krankenkassenkommission des Deutschen Aerztevereins-
bundes ausgearbeiteten und vom Geschäftsausschuss genehmigten Muster¬
verträge sind jetzt in der Buchhandlung des Leipziger Verbandes
erschienen und können von dieser bezogen werden. Sie enthalten das
Mindestmaass dessen, was wir Aerzte in unseren Beziehungen zu den
Krankenkassen von diesen fordern müssen, und sind in ihren Einzel¬
heiten den Beschlüssen der Aerztetage, insbesondere denen des Stutt¬
garter Aerztetages, gleichzeitig aber auch den Bestimmungen der vom
Reichskanzler erlassenen Mustersatzungen für Krankenkassen angepasst.
Wir empfehlen den Herren Kollegen, besonders den Vorsitzenden der
kassenärztlichen Lokalorganisationen und derVertragsprüfungskommissionen
das Studium der Musterverträge und bitten sie, nach diesem Muster
jetzt schon Vertragsentwürfe für den Abschluss mit den für sie in Be¬
tracht kommenden Krankenkassen vorzubereiten. Aber nur vor¬
zubereiten. Wir warnen dringend und immer wieder davor, etwa jetzt
schon sich in Verhandlungen mit den Kassenvorständen einzulassen.
Die Kassen müssen erst ihre Statuten neu errichten und deren Ge¬
nehmigung, vor allem aber ihre fernere Zulassung überhaupt abwarten,
ehe sie imstande sind, ihrerseits Abmachungen, die für die Zukunft tat¬
sächlich Wert haben, zu treffen. Es empfiehlt sich aber, die Kassen¬
vorstände auf die Musterverträge hinzuweiseu und ihnen anheimzugeben,
deren Bestimmungen bei der Aufstellung der Kassensatzungen Rechnung
zu tragen. Auf keinen Fall dürfen jetzt schon Verträge abgeschlossen
oder — auch nicht unter Vorbehalt — unterzeichnet werden.
Wer das tut, gefährdet das vom Stuttgarter Aerztetag beschlossene ein¬
heitliche, gleichzeitige, gleichmässige und geschlossene Vorgehen. Im
Interesse eines solchen liegt es auch, dass laufende Verträge nicht über
den 31. Dezember d. J. in Kraft bleiben, und deshalb sind alle künd¬
baren Verträge unbedingt rechtzeitig für den letzten Tag 1913 zu
kündigen.
Dr. Dippe,
Vorsitzender des Deutschen Aerztevereinsbundes.
Dr. Hartmann,
Vorsitzender des Leipziger Verbandes.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Med.-Rat Dr. A.
Gilbert in Dresden, Geh. San.-Rat Dr. R. Paprosch in Berlin,
Marinestabsarzt Dr. Fr. Weispfenning vom Stabe S. M. kl. Kreuzers
„Cöln“.
Ernennungen: ordentl. Professor Dr. F. Hofmann in Prag zum
ordentl. Professor in Königsberg, ausseretatsmässiges wissenschaftl. Mit¬
glied der Königl. Landesanstalt für Wasserbygiene in Berlin-Dahlem
Dr. J. Wilhelmi zum etatsmässigen Mitgliede der Anstalt.
Niederlassungen: Aerztin Dr. G. Böhm in Berlin, Arzt H. Cohn
und Dr. M. Schönenberg in Berlin-Schöneberg, Marinestabsarzt a. D.
Dr. W. Bugs in Fürstenwerder, Dr. P. Syring in Teupitz, Dr. W.
Tauscher in Hohensalza, Arzt V. Szatkowski in Luisenfelde (Kr.
Hohensalza), Dr. G. Fl ebbe in Fallingbostel, Arzt A. Ko 11 in
Aachen, Dr. H. Wildt in Eupen.
Verzogen: Dr. H. Simons von Harburg a. E. nach Pasing bei
München, Dr. G. Cäsar von Bonn nach Bethel b. Bielefeld, Oberarzt
Dr. K. Rabiger von Pless nach Cöln, Stabsarzt A. Casten von
Breslau nach Aachen, Stabsarzt Dr. G. Scholtze von Stettin nach
Bischofsburg, Dr. A. Tietz von Stettin nach Berlin, Dr. H. Mück
von Berlin nach Berlin-Wilmersdorf, Dr. G. Benn von Spandau nach
Charlottenburg, Dr. L. Caro von Berlin, Dr. L. Adler von München
und Dr. J. Miekley von Breslau nach Berlin-Schöneberg, Dr. W.
Eg 1 off von Berlin nach Stuttgart, Dr. R. Kall mann von Berlin
nach Freiburg i. B, Dr. J. Köllner von Berlin nach Würzburg,
Aerztin Dr. P. Selig von Berlin nach Worms, Dr. F. Kretschmer
von Mainz, Arzt H. Neuhaus von Frankfurt a. M., Dr. E. Sohwarz
von Breslau, Arzt K. Weber von Neuburg und Dr. L. Weiss¬
brenner von Halle a. S. nach Berlin, Dr. F. Ideler von Fürsten¬
werder nach Gramzow, Dr. A. Kaul von Breslau nach Woltersdorf,
Dr. W. Schönebeck von Berlin nach Buch, Dr. E. Schnürpel von
Berlin nach Biesdorf, Dr. K. Arendts von Reisen und San.-Rat Dr.
Wachenfels von Berlin nach Strausberg, Dr. J. Hensen von Berlin
nach Wittstock (Dosse), Aerztin Dr. A. Gehaab - Lieberknecht von
Berlin-Lichterfelde nach Zehlendorf, Geh. San.-Rat Dr. M. Kaiser von
Charlotten bürg nach Berlin-Schmargendorf, Dr. C. Jo chem von Berlin
nach Berlin-Steglitz, Dr. W. Kotei mann von Wehrsdorf nach Bee¬
litz, Dr. H. Raettig von Wackersleben nach Caputh, Dr. E. Krause
von Beelitz nach Brandenburg a. H., Dr. 0. Kirchhübel von Crim¬
mitschau nach Senftenberg, Dr. K. Hartig von Berlin nach Clett-
witz, Dr. E. Flügge von Essen nach Waldfrieden b. Fürstenwalde, Dr.
P. Flemming von Uchtspringe und Dr. J. Konietzny von Rybnik
nach Städtel Leubus, Dr. 0. Kotzulla von Beuthen (O.-Schl), Geh.
San.-Rat Dr. A. Kratzert von Pless und Dr. G. Lichtenstein von
Bad Jastrzemb nach Breslau, Dr. P. J. Leupolt von Breslau nach
Gleiwitz, Dr. F. Schröder von Gleiwitz nach Rostock, Dr. F. Zahn
von Erlangen nach Uchtspringe, Dr. F. Rehra von Blankenburg a. H.
nach Friedrichsbrunn, Dr. A. Haffner von Friedrichsbrunn nach
Alexandersbad (Bayern), Dr. K. Wichura von Schierke nach Blanken¬
burg i. Thür., Dr. 0. Polz von Ilsenburg nach Jena, Dr. J. Bren-
ning von Schraplau nach Ilsenburg, Dr. L. Gürich von Eidelstedt
i. Holst, nach Schraplau, Dr. W. Hochgeschurz von Halle a. S.
nach Nürnberg, Dr. E. A. Jüngermann von Hamburg und Dr. F.
Knoff von Minden i. W. nach Hannover, Dr. E. Glombitza von
Hamburg nach Harburg, Arzt J. Junkermann von Berlin und Arzt
W. Schlüter von München nach Dortmund, Arzt K. Eyselein von
Recklinghausen und Arzt E. Tuhr von Kottbus nach Bochum, Dr. M.
Meyer von Strassburg nach Gelsenkirchen, Dr. F. Reuter von
Herschbach nach Herdecke, Dr. W. Fenkner von Eschwege nach
Braunschweig, Oberstabsarzt a. D. Dr. K. Vehling von Görlitz nach
Duisburg, Dr. W. Steenbeck von Berlin nach Wesel, Dr. F. Wese-
ner vom Ausland nach Aachen, Arzt F. Hofstadt von Aachen nach
München.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. K. Brock¬
mann von Charlottenburg, Arzt R. Bock von Berlin, Dr. S. Bloch
von Berlin-Schöneberg, Dr. F. de Bra von Carolath, Dr. J. Less-
hafft von Weissenfels auf Reisen, Arzt R. Kurtz und Dr. E. Lippert
von Dortmund.
Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Roeper in Arnsberg, Dr. P.
Werner in Allenstein, Dr. 0. Pielicke und Dr. M. Schlie in
Berlin, Dr. 0. Faber in Ratibor, Geh. San.-Rat Dr. G. Ihlefeldt in
Quedlinburg, Kreisarzt a. D , Geh. Med.-Rat Dr. F. Limper in
Gelsenkircben, Arzt H. Meuser in Merken, Geh. San.-Rat Dr. F.
Lucas in Erkelenz, Dr. A. Pellengahr in Waldfeuoht.
Bekanntmachung. Die bisher in Berlin, Kochstrasse 73, befind¬
liche Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wassersorgung und
Abwässerbeseitiguog ist nach Berlin-Dahlem, Ehrenbergstrasse 38/42
(Post: Berlin-Lichterfelde), verlegt worden. Sie führt jetzt die Bezeich¬
nung: „Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene“.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn , Berlin W., Bayrenther 8trasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Schumaoher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden
Montag ln Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis Tiertelj&hrlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
BERLINER
Alle Einsendungen für die Redaktion and Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden
' No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dp. Hans Rohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 28. April 1913. M 17.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origiaaliei: Fraenkel: Ueber die Behandlung der Arteriosklerose. S.765.
Uhlenhuth und Mulzer: Weitere Mitteilungen über die In¬
fektiosität des Blutes und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer
Mensehen für das Kaninchen. (Aus dem Institut für Hygiene und
Bakteriologie und der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten
der Universität zu Strassburg i. E.) S. 769.
Meyer: Infektion und Verdauung. (Aus dem Waisenhaus der
Stadt Berlin.) S. 775.
Markus: Untersuchungen über die Verwertbarkeit der Abder-
halden’schen Fermentreaktion bei Schwangerschaft und Carcinom.
(Aus der gynäkologischen Abteilung des Hospitals zu Allerheiligen,
Breslau.) S. 776.
Münzer: Ueber die Bedeutung der Ahderhalden’schen Forschungs¬
ergebnisse für die Pathologie der inneren Sekretion. S. 777.
Drews: Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei ausgedehnter
halbseitiger Teleangiektasie und Varicenbildung mit lymph-
angiektatischer Elephantiasis. (Aus der geburtshilflichen Abteilung
des städtischen Krankenhauses Charlottenburg.) (Illustr.) S. 779.
Katz: Zur Behandlung des Ausflusses der Frau. (Aus der Privat-
Frauenklinik von Professor Dr. A. Pinkuss zu Berlin.) S. 780.
Stern: Diplomelliturie. S. 782.
Loevy: Ein Beitrag zur Behandlung schwerer Formen von Tri¬
geminusneuralgie mit Alkoholinjektionen ins Ganglion Gasseri.
(Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen Rudolf
Virchow-Krankenhauses.) S. 784.
Bäeherbesprechiingeii: Sonnenburg: Pathologie und Therapie der Peri¬
typhlitis (Appendicitis). S. 784. (Kef. Beoker.) — Ach: Beiträge
zur Oesophaguschirurgie. S. 784. (Ref. Unger.) — Horn: Ueber
nervöse Erkrankungen nach Eisenhahnunfällen. S. 784. (Ref.
Seiffer.) — Fischer: Grundriss der sozialen Hygiene. S. 785.
Lundborg: Medizinisch-biologische Familienforsohungen innerhalb
ALT.
eines 2232 köpfigen Bauerngeschlechts in Schweden. S. 785.
Tugendreich und Mosse-. Krankheit und soziale Lage. S. 785.
(Ref. Weinberg.)
Literatiir-Aiiszfige: Physiologie. S. 785. — Pharmakologie. S. 787. —
Therapie. S. 787. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 787. — Parasitenkunde und Serologie. S. 788. —
Innere Medizin. S. 789. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 789. — Kinderheilkunde. S. 790. — Chirurgie. S. 790. —
Röntgenologie. S. 791. — Haut-und Geschlechtskrankheiten. S. 791.
— Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 791. — Augenheilkunde.
S. 791. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 792. — Unfallheilkunde
und Versicherungswesen. S. 792. — Technik. S. 793.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaftern: Berliner Gesellschaft
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 793. — Hufe-
landische Gesellschaft. S. 795, — Physiologische Gesell¬
schaft zu Berlin. S. 796. — Berliner ophthalmologische
Gesellschaft. S. 796. — Medizinische Sektion der schlesi¬
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau.
S. 797. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. S. 798. — Aerzt-
licher Bezirksverein zu Zittau. S. 800. — Gesellschaft für
Natur* und Heilkunde zu Dresden. S.800. — Medizinische
Gesellschaft zu Leipzig. S. 801. — Unterelsässischer
Aerzteverein zu Strassburg i. E. S. 802. — Aerztlioher
Verein zu München. S. 803. — Aus Pariser medizinischen
Gesellschaften. S. 804.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin. (Fortsetzung.) S. 805.
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. S.808.
Unna: Chemiker und Biologe. S. 809.
Tagesgeschiohtliche Notizen. S. 811.
Amtliche Mitteilungen. S. 812.
Ueber die Behandlung der Arteriosklerose.
Von
A. Fräenkel,
Direktor des städtischen Krankenhauses am Urban in Berlin.
Die erfolgreiche Behandlung der Arteriosklerose setzt eine
genaue Kenntnis ihrer Pathogenese und Semiotik voraus. Be¬
sonders auf dem erstereo Gebiete sind in den letzten anderthalb
Dezennien Fortschritte zu verzeichnen; aber auch die Kenntnis
der klinischen Erscheinungsformen hat sich wesentlich vertieft.
Von seiten der pathologischen Anatomen hat man neuerdings
nach einem von Marcband gemachten Vorschläge die alte Be¬
zeichnung Arteriosklerose mit dem die mechanischen Verände¬
rungen in einem Worte kennzeichnenden Ausdruck Atherosklerose
vertauscht. Das hat augenscheinlich den Vorzug, dass dieselbe
Bezeichnung auch auf analoge Prozesse an den Herzklappen und
in den Venen angewandt werden kann. Für die Klinik fällt
dieser Umstand jedoch wenig ins Gewicht; für sie stehen die
Vorgänge im arteriellen Abschnitt des Circulationsapparates so
sehr im Vordergründe des Interesses, dass sie berechtigt ist, an
der ursprünglichen Benennung Arteriosklerose festzuhalten.
Marcband und Romberg definieren die Arteriosklerose als
eine Ernährungsstörung infolge von Abnutzung der Gefässwand.
Die Untersuchungsergebnisse von Jo res sowie vou Tor hörst
und namentlich von Hallenberger, welcher unter Aschoff
arbeitete, sprechen für die Berechtigung dieser Auffassung. Ins¬
besondere hat die methodische Verfolgung der Wandveränderungen,
welche die Arterie fortschreitend vom kindlichen Alter bis in die
späten Lebensjahre erfährt, auf klärend auf unsere Vorstellungen
über das Wesen der Arteriosklerose gewirkt. Der Gefässdruck
wirkt, wie Aschoff sagt, während der Wachstnmsperiode als
formatier Reiz and bedingt zunächst die Verdickung des
elastischen Rohres durch Anlagerung gleichwertigen Materials.
Ohne in anatomische Details einzugehen, sei bemerkt, dass die
Neubildung elastischen Gewebes, welche schon bald nach der Ge¬
burt einsetzt, in Form einer Abspaltung elastischer Streifen von
der Elastica interna der Intima erfolgt. Hand in Hand damit
findet ein Einbau muskulöser Elemente statt und beteiligt sich aq
der Dickenzunahme des Gefässes. Nachdem mit dem Abschluss
des Wachstums eine Art stabilen Zustandes der anatomischen
Wandbeschaffenheit erzielt ist, beginnen von der Mitte bzw. dem
Ende des vierten Lebensjahrzebnts die Involutionsvorgänge, welche
schliesslich zur Sklerose führen. Sie bestehen zuvörderst in einer
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UNIVERSUM OF IOWA
766
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Einlagernng von Bindegewebe zwischen die einzelnen elastischen
Streifen und auf die alte Intima, wodurch die Gefässe zwar an
Vollkommenheit der Elastizität verlieren, d. h. weniger dehnbar
werden, gerade aber dadurch befähigt werden, bis zu einem ge>
wissen Grade den unaufhörlich dehnenden Kräften des Blutdrucks
Widerstand zu leisten. Diese Entwicklung von Bindegewebe ver¬
bindet sich allmählich — zum Teil gewiss wiederum infolge der
direkten Wirkung des Gefässdrucks — mit degenerativen Pro¬
zessen, d. h. Verfettung und Nekrose, womit der Uebergang zur
eigentlichen Atheromatose eingeleitet wird.
Es versteht sich von selbst, dass die relative Schnelligkeit,
mit welcher sich die eben skizzierten Veränderungen vollziehen,
wesentlich durch die Lebensweise beeinflusst werden, und dass
dadurch recht erhebliche Differenzen in dem Verhalten der
einzelnen Individuen zur Wahrnehmung gelangen müssen. So
werden z. B. die aussergewöbnlichen Muskelleistungen
eines Arbeiters, welcher jahrein jahraus tagtäglich mit dem
Tragen und Heben schwerer Lasten beschäftigt ist, oder die nicht
minder grossen Anstrengungen eines Bergsteigers durch die mit
ihnen verbundenen Insulte des Gefässsystems verhältnismässig
früh zur Ausbildung sklerotischer Wandveränderungen führen
können. Dennoch darf man die Bedeutung solcher rein mechani¬
schen Einflüsse nicht überschätzen und auf sie nicht allein alle
frühzeitigen Sklerosen zurückführen. Noch weniger ist es erlaubt,
das Gros der übrigen, erst im späten Lebensalter offenbar
werdenden Erkrankungen des arteriellen Gefässapparates als
blosse und ausschliessliche Folgen der Blutdruckwirkung an¬
zusehen. Hier kommt vielmehr ausser dem mechanischen
Moment noch die ursächliche Bedeutung toxischer Ein¬
flüsse in Betracht. Menschen, bei welchen solche nicht
wirksam waren, und die sich einer mässigen Lebensweise be-
fleissigten, bei denen auch besondere Erregungen des Nerven¬
systems nicht statthaben, pflegen, wie die klinische Erfahrung
lehrt, erst in ziemlich vorgerücktem Alter, d. h. in den sechziger
oder gar siebziger Jahren ihres Lebens an arteriellen Circu-
lationsstörungen zu erkranken. Die toxischen Ursachen, welche die
Entwicklung der Arteriosklerose begünstigen, sind entweder durch
Abweichungen des Stoffwechsels oder durch von aussen in den
Körper aufgenommene Giftsubstanzen bedingt, oder sie sind bak¬
terieller Natur. Unter den Stoffwechselstörungen ist vor allem
die Gicht zu erwähnen, ferner der Diabetes. Bei diesem ist
wiederum das Freibleiben jugendlicher Individuen bemerkenswert.
Dass er trotzdem eine wesentliche Rolle spielt, geht unter
anderem aus dem so häufigen Vorkommen von Angina pectoris bei
Diabetikern, welche das mittlere Lebensalter wenig überschritten
haben, hervor. Der Unterschied ist wohl kaum anders als da¬
durch zu erklären, dass im jugendlichen Alter eben die Gefässe
noch widerstandsfähiger gegenüber der einwirkenden Schädlichkeit
sind. Von den mit der Nahrung zogeführten Giftstoffen kommt
unzweifelhaft dem Alkohol die hauptsächlichste Bedeutung zu.
Er wirkt um so schädlicher, als seine Aufnahme meist zugleich
mit der Zufuhr grösserer Flüssigkeitsmengen verbunden ist, in¬
folgedessen sich hier wiederum das mechanische mit dem che¬
mischen Moment paart. Wie weit die chronische Bleiintoxikation,
insofern sie nicht die Entwicklung eines Nierenleidens oder der
Gicht verursacht, zur Sklerose disponiert, lässt sich schwer be¬
urteilen. Dass die chronische Nephritis nicht selten selbst bei
verhältnismässig jungen Menschen von Arteriosklerose gefolgt ist,
darf als sicher angesehen werden. Unter den bakteriellen In¬
toxikationen steht endlich die Syphilis als häufigste Ursache
der Sklerose obenan. Aber auch manche akuten Infektions¬
krankheiten scheinen einen pathologischen Reiz auf die Gefässe
ausüben und die Entwicklung der hierher gehörigen krankheit-
lichen Veränderungen herbeiführen zu können. Am wahrschein¬
lichsten ist mir dies von der Influenza. Dass es sicht nicht um
blosse hypothetische Bewertung dieser ätiologischen Einflüsse
handelt, geht einerseits aus den anatomischen Untersuchungen
Wiesel’s hervor; er fand bei den verschiedensten akuten Infek¬
tionskrankheiten, insbesondere bei Scharlach und Diphtherie, und
zwar auch in den Herzen jugendlicher Individuen Veränderungen
an den Arteriae coronariae cordis, die eine grosse Aehnlichkeit
mit denjenigen der Arteriosklerose haben und in herdweiser
Nekrose der Media und Intima mit sekundärer Verkalkung be¬
stehen. Andererseits gelang es Klotz und Saltykow experi¬
mentell durch Einspritzung von Bakterientoxinen nach dem Vor-
gange von Gilbert und Lion der Sklerose nahe verwandte
Gefässveränderungen zu erzeugen. — Endlich sei noch eines ätio¬
logischen Faktors Erwähnung getan, dessen Einfluss nicht zu
unterschätzen ist, das sind schwere und andauernde Gemüts-
depressionen. Viele Neurastheniker werden verhältnismässig
früh von Arteriosklerose befallen. Die Frage, wie durch Ver¬
mittlung des Nervensystems die Krankheit zustande kommt, lässt
sich nur veimutungsweise beantworten. Ich glaube nicht, dass
hier blosse mechanische Einwirkungen der mit abnormer Erregung
der Herztätigkeit verbundenen Schwankungen des Gefässdrucks
in Betracht kommen, sondern bin eher geneigt, einen prädispo¬
nierenden Einfluss allgemeiner Schädigung der Ernährung durch
die anormale Reaktionsweise des Nervensystems anzunehmen.
Berücksichtigt man die verschiedenen Eotstehungsursachen der
Arteriosklerose, so ergibt sich, dass die erste Aufgabe einer
rationellen Behandlung des Leidens darauf gerichtet sein muss,
dasselbe an der Wurzel anzugreifen, d. h. die Schädlichkeiten, welche
seine Entwicklung begünstigen, von vornherein abzuwenden oder
in solchen Fällen, wo dies nicht mehr möglich ist, ihre Wirkung
in einem möglichst frühen Zeitpunkt zu beschränken, v. Basch
hat den Begriff der latenten Arteriosklerose eingeführt, Andere
sprechen von einem präsklerotischen Stadium. Die Vorstellung
einer gewissermaassen inkubatorischen Entwicklungsperiode gründet
sich im wesentlichen auf der durch Messung gewonnenen Beobachtung,
dass der Blutdruck zuweilen schon erhöht gefunden wird, wenn
andere klinische Zeichen ausgeprägter sklerotischer Veränderungen
am arteriellen Gefässapparat noch fehlen. Die Möglichkeit eines
wirksamen Eingreifens der Behandlung in diesem Zeitraum muss
zugegeben werden, und ihre Verwirklichung erscheint soweit
tunlich durchaus geboten. Aber man muss sich darüber klar
sein, dass das Verhalten des Blutdrucks keineswegs bei allen
Formen der Sklerose zur frühzeitigen Erkennung ihrer Entwick¬
lung ausreicht, da in nicht wenigen Fällen die arterielle Span¬
nungszunahme vermisst wird und selbst im weiteren Verlauf
ausbleibt. Hier sind wir also ausschliesslich auf die Erfahrung
angewiesen, dass das Vorhandensein gewisser Schädlichkeiten für
die betreffenden Individuen eine Gefahr bedeutet, und sie müssen
daher zunächst bekämpft werden. Wir werden also da, wo eine
Luxuskonsumption besteht, sei es mit, sei es ohne übermässigen
Alkoholgenuss, für eine entsprechende Regelung der Lebens¬
weise Sorge zu tragen haben. Neben der Einschränkung solcher
Ueberscbreitungen ist bei denjenigen Patienten, welche sich zu
wenig körperliche Bewegung machen, auf gesundheitsgemässe
Betätigung der Muskulatur zu achten und darauf einzuwirken,
dass sie ihre träge Circulation durch methodische und zweckmässige
hydrotherapeutische Maassnahmen befördern. Ueberaus
vorteilhaft ist die tägliche Vornahme zimmergymnastischerUebungen,
unter besonderer Berücksichtigung der Atmung. Dass langsame
tiefe In- und Exspirationen ein wichtiges Förderungsmittel zur
Entleerung des Venen- und Capillarsystems sind, bedarf keiner
weiteren Begründung. Auch die günstige Wirkungsweise anderer
gymnastischer Uebungen dürfte darauf beruhen, dass durch die
damit verbundene lebhaftere Blutdurchströmung der Muskeln eine
Entlastung der inneren Organe herbeigeführt und damit der
Blutstase in ihnen entgegengearbeitet wird. Und das Gleiche
gilt von einer zweckmässigen Anwendung der Kaltwasserproze¬
duren. Diese lasse man zunächst in Form von Schwammdouchen,
Uebergiessungen und Abreibungen mit etwas über Zimmer¬
temperatur erwärmtem Wasser (22° Reaumur) unter Zuhilfenahme
eines Lufahandschuhes, nicht durch einen Badewärter, sondern
von dem Patienten selber vornehmen; erst allmählich wird mit
der Temperatur bis auf 16—18° R (sommerliche Zimmerwärme)
heruntergegangen. Kräftige Trockenfriktionen der Haut müssen
jedesmal nachfolgen, um eine tüchtige Erweiterung der Haut-
gefässe hervorzubringen. Am rationellsten werden die Abreibungen
des Morgens unmittelbar nach dem Aufstehen ausgeführt und
ihndn die gymnastischen Uebungen unmittelbar angeschlossen.
Alle derartigen Maassnabmen zielen, wie gesagt, darauf ab, den
Blutgehak der inneren Organe, insbesondere der abdominellen zu
regulieren, ihrer Ueberfüllung mit Blut entgegenzuarbeiten und
damit die Ausbildung einer stärkeren Sklerose ihrer Gefässe zu
verhindern. Das Bestreben ist insofern rationell, als ja be-
kanntermaassen der vom Splanchnicus innervierte Gefässapparat
der Unterleibsorgane eine Nebenschliessung des gesamten Kreis¬
laufes darstellt und gerade die an ihm sich entwickelnde
abnorme Wandstarre der Arterien eine Rückwirkung auf die
Druckverhältnisse im ganzen Aortensystem ausüben muss. Zu¬
gleich kommt jenen Behandlungsmethoden ein tonisierender
Einfluss auf das Nervensystem zu, weswegen ihre Anwendung
auch bei neurasthenischen Individuen angezeigt ist. Nur boü
man sie dem Einzelfalle anpassen und sich vor Uebertreibungefi
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28. April 1913,
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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io acht nehmen. Selbst diejenigen Kranken, welche zunächst
eine ausgesprochene Abneigung gegen die Kaltwasserbehandlung
an den Tag legen, kann man durch anfänglich möglichst milde
gewählte Verfahren und allmähliche Steigerung an sie gewöhnen.
Legen wir somit einerseits den zweckmässig abgemessenen
Leibesöbungen einen prophylaktischen Wert zur Verhinderung
vorzeitiger Sklerosen bei, so muss andererseits im Einklänge mit
dem in der Einleitung Gesagten betont werden, dass solche
Patienten, welche berufs- oder gewohnheitsmässig abnorm starke
Muskelleistungen ausüben, rechtzeitig auf das Bedenkliche der¬
artigen Verhaltens hinzuweisen sind. Um so mehr ist das ge¬
boten, wenn es sich am Menschen handelt, deren Herz von Hause
aus nicht besonders leistungsfähig ist, und welche die betreffenden
Ueberanstrengungen nur unter Aufwendung eines hohen Maasses
psychischer Kraft auszuführeo imstande sind.
Von Bedeutung sind weiterhin — gleichfalls in prophylak¬
tischer Beziehung — die sachgemässe Behandlung vor¬
handener Stoffwechselstörungen und die Maassregeln,
welche in Betracht kommen, wenn voraufgegangene Syphilis ent¬
weder durch die Anamnese oder durch die Wassermann’sche
Reaktion sichergestellt ist. Auf die zur Bekämpfung der Gicht
geeigneten Methoden kann hier nicht näher eingegangen werden.
Ueber die ätiologische Bedeutung der Fettleibigkeit gehen die
Ansichten auseinander. Jedenfalls ist es geboten, bei korpulenten
Menschen, deren Arterienspanuung erhöht ist, eine Verminderung
des Körpergewichts anzustreben, da der abnorme Fettbestand eine
Belastung für das Herz bedeutet. Unter den Aerzten ist vielfach
die an sich durchaus richtige Vorstellung verbreitet, dassArterio-
sklerotiker ein lakto-vegetabilisches Regime innehalten und
sich übermässigen Fleischgenusses enthalten müssen. Da Kohle¬
hydrate und Fettsubstanzen restlos im Körper verbrennen, während
die stickstoffhaltigen Nahrungsmittel Schlackenbildner sind, so ist
bei den Diätvorschriften auf reichlichen Genuss nicht blähender
Gemüse und von Obst besonders Gewicht zu legen. Im allge¬
meinen sollen derartige Patienten bei mittlerem Körpergewicht
nicht mehr als 200—250 g Fleisch in bereitetem Zustande pro
Tag gemessen. Die Flüssigkeitszufubr ist auf 1—l 1 /* Liter zu
beschränken. Bouillonsuppen werden am besten vermieden; ein
mässiger Milcbgenuss ist dagegen vorteilhaft und wird bei
Neigung zur Fettleibigkeit oder Flatulenz durch Buttermilch
ersetzt.
Bei allen frühzeitig in die Erscheinung tretenden Arterio¬
sklerosen ist der Arzt verpflichtet, auf Syphilis zu fahnden.
Ergibt die Anamnese keinen bestimmten Anhaltspunkt, so muss
unter allen Umständen die Wassermann’sche Reaktion vorge¬
nommen werden; sie beweist natürlich nur bei positivem Ausfälle.
Es ist erstaunlich, wie schnell sich io vielen Fällen schwerste
Gefässveränderungen und ihre Folgen: Herzhypertrophie, chro¬
nische Nierenentzündungen mit Uebergang in Schrumpfung, Angina
pectoris, Sklerose der Hirngefässe bei Luetikern entwickeln. Ich
habe ausgesprochene Sklerose des peripheren Gefässapparates mit
beträchtlichen Störungen der Herz- und Nierentätigkeit schon zwei
Jahre nach der Infektion auftreten gesehen. Solche Erfahrungen
fordern dringend dazu auf, mit energischen antiluetischen Kuren
vorzugehen auch in Fällen, in denen erheblichere Beschwerden
noch nicht bestehen. Jedenfalls erstrebe man, bei positiver Blut¬
reaktion diese durch Wiederholung von Salvarsan- und Queck¬
silberkuren in mehrmonatlichem Abstande zum Schwinden zu
bringen. Und auch wenn das gelungen ist, soll der Patient im
Jahre mindestens zweimal eine Anzahl von Wochen Jod ge¬
brauchen, wozu nicht gerade besonders grosse Tagesdosen (siehe
weiter unten) erforderlich sind. Ich habe die feste Ueberzeugung,
dass durch ein derartiges planvolles prophylaktisches Vorgehen
die Entwicklung von Aneurysmen, deren gewöhnlichste Ent¬
stehungsursache ja bekanntlich Syphilis ist, ebenso wie die Aus¬
bildung anderer Formen der Gefässsyphilis in vielert Fällen
hintenangehalten werden kann. i
Sobald ernsthaftere Störungen im Befinden der Kranken einen
vorgeschritteneren Grad von Arteriosklerose offenbaren, erweitern
sich die Indikationen der Behandlung. Man ist gewohnt, die¬
selben je nach dem Abschnitte des Gefässapparates, welcher vor¬
wiegend befallen ist, zu gruppieren und zu unterscheiden: 1. Die
Sklerosen mit gesteigertem arteriellen Druck und Herzhyper¬
trophie; 2. die Fälle mit hauptsächlicher Beteiligung der auf¬
steigenden Aorta; 3. diejenigen mit cerebralen Erscheinungen.
Hieran scbliessen sich als etwas seltenere Formen: 4. Sklerosen
mit besonderen Funktionsstörungen der Extremitäten und 5. mit
solchen des Darms und einzelner grosser Unterleibsdrüsen, z. B.
des Pankreas. Die Nieren sind in den meisten Fällen, in denen
eine Herzhypertrophie besteht, mit ergriffen, ja anscheinend dabei
die hauptsächlich erkrankten Organe. Doch sind weniger ihre
anatomischen Veränderungen der Angriffspunkt der Therapie, als
die durch sie verursachten allgemeinen Kreislaufstörungen. Diese,
welche, wie gesagt, sich einerseits in der vermehrten Arterien-
spannung, andererseits in der durch sie verursachten Mehrarbeit des
Herzens äussern, legen den Versuch nahe, das bestehende Missver¬
hältnis zwischen Herzkraft und circulatorischen Widerständen durch
Herabsetzung des Druckes auszugleichen. Leider sind die Be¬
handlungsmethoden, welche uns in dieser Beziehung zur Verfügung
stehen, beschränkt und nur für kurze Zeit von Erfolg begleitet.
Die mildeste und einfachste ist die durch Anregung der Darm-
tätigkeit erzielbare Depletion. Regelmässige Abführungen mit
salinischen Mitteln, entweder in Form der einfachen Bitterwässer
oder von Kuren in Karlsbad erleichtern viele der Kranken, so
lange das Herz noch einigermaassen leistungsfähig ist, sichtlich und
ermässigen geringgradigere Atmungsbeschwerden. Unter Umständen,
namentlich dann, wenn man es mit vollsaftigen Individuen zu
tun bat, sind auch ab und zu zu wiederholende kleine Blut¬
entziehungen durch Schröpfköpfe, Aderlässe wirksam. Von
sonstigen Verfahren hat in den letzten Jahren die Behandlung
mitHochfrequenzströmen und mitVasotonineinspritzungen
viel von sich reden gemacht. Doch darf man nicht allzuviel
von ihnen erwarten, und die Erfahrungen lauten zum Teil wider¬
sprechend. Es liegen darüber eine Anzahl von Mitteilungen
nüchterner Beobachter vor.
Die d’Arsonvalisation sowohl in Gestalt der Solenoidanwen¬
dung als auch der lokalen Applikation haben sich Braunwarth
und Fischer weniger wirkungsvoll erwiesen als der Gebrauch
der Dialhermiemethode. Immerhin sind beide so leicht anwend¬
bar und mit so geringen Unbequemlichkeiten für die Patienten
verknüpft, dass Versuche mit ihnen anzuraten sind namentlich
bei solchen Kranken, welche zugleich an Angina pectoris leiden.
Das Vasotonin — bekanntlich keine chemische Verbindung,
sondern ein blosses Kombinationsmittel von Yohimbin und
Urethan — übt unzweifelhaft bei manchen Kranken einen druck-
herabsetzenden, ausschliesslich auf Rechnung des Yohimbins
kommenden Einfluss aus. Es zeigt auch wenig von den un¬
angenehmen Reizwirkungen dieser ersten Komponente auf den
Geschlechtsapparat; aber es muss, wenn überhaupt ein Erfolg
sich bemerkbar macht, längere Zeit fortgebraucht werden, um
ihn einigermaassen nachhaltig zu gestalten. Man injiziert von
den im Handol vorkommenden Ampullen eine halbe bis eine
zwei- oder selbst dreimal wöchentlich subcutan und lässt nach
8 bis 10 Injektionen eine Pause eintreten. Wie die Beobachtungen
am Tier und am Menschen dargetan haben, beruht die Wirkung
des Yohimbins auf einer Erweiterung der Haut- und Extremitäten-
gefässe, ist demnach an und für sich für die Behandlung der Arterio¬
sklerose rationell begründet. In der Tat habe ich bei einer An¬
zahl von Kranken danach Abnahme der Atmungsbeschwerden
eintreten gesehen; auch bei solchen, welche subcutane Injektionen
scheuten und denen statt ihrer die gebräuchlichen Tabletten
von Yohimbin, hydrochlor. zu 0,005, dreimal täglich verabfolgt
wurden. Um Reizsymptome zu vermeiden, lasse ich bei letzterer
Gebrauchsweise, die gegenüber dem Vasotonin noch den Vorzug
grösserer Billigkeit hat, nach jeder Dosis eine kleine Menge ge¬
pulverter Muskatnuss nehmen. Im übrigen besitzt, wovon ich mich
selbst durch Druckmessungen überzeugt habe, eine gleiche tensions-
vermindernde Wirkung wie das Vasotonin das Nitroglycerin
in kleinen Gaben (1,5—8 mg ipro die) und kann an Stelle des¬
selben gegeben werden.
Zur Bekämpfung stärkerer cardial asthmatisch er Anfälle reichen
die Vasotonineinspritzungen oder das Nitroglycerin nicht aus. Hier
muss zur Digitalis-Morphiumtherapie geschritten werden.
Durch sie wird die der Dyspnöe zügrunfle liegende Blutstauung in
den Lungen beseitigt. Die Digitalis und ihr verwandte Präparate
sind zwar imstande diese Wirkung allein auszuüben; aber dazu
gehört eine gewisse Zeit, während das in genügender Dosis (0,01 bis
0,015) subcutan eingespritzte Morphin sofort coupierend wirkt. Doch
haftet auch dieser Behändlungsweise ein Nachteil an. Bei sich
häufenden Anfällen und dadurch geforderter Wiederholung der
Morphininjektionen nimmt die Wirksamkeit mehr und mehr ab, so
dass man zu immer grösseren Dosen des Narkoticums greifen muss.
Für solche Fälle habe ich den Ersatz durch Einspritzungen von
Heroin 1 ) vorgescblagen, dessen Empfänglichkeit weit weniger
_i_
1) Therap. MoSatstt., 1912, Januarheft.
1 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
schnell erlischt, so dass man mit der annähernd gleichen Dosis
verhältnismässig lange Zeit anskommt. Ich beginne mit 0,006
bis 0,01 Heroinum hydrochl. subcutan und habe dadurch bei
selbst täglicher Wiederholung der Einspritzung die überaus qual¬
vollen Atemnotsanfälle der Patienten immer von neuem zu be¬
seitigen vermocht. Allerdings stellen sich nach längerem Ge¬
brauch des Mittels Abstinenzerscheinungen, eine Art Heroinismus
ein, so dass man, sobald nach einigen Stunden der Effekt ab¬
zunehmen beginnt, die Einspritzungen wiederholen muss; andern¬
falls geraten die Patienten in höchst unangenehme Erregungs¬
zustände. Wie man sich die günstige Wirkung des Morphins
bzw. Heroins auf das cardiale Asthma erklären soll, ist nicht
ganz leicht zu beantworten. Die blosse Annahme einer durch
das Mittel erzeugten Verringerung der Erregbarkeit des Atmungs¬
centrums reicht augenscheinlich nicht aus, da ja dann mit dem
Abklingen der Wirkung die Dyspnöe sofort wiederkehren müsste,
was tatsächlich — wenigstens in der ersten Zeit der Behandlung —
keineswegs der Fall ist. Ich habe erwogen, ob nicht ein durch
die Stauung im Pulmonalgefässgebiet herbeigeführter Spasmus
der Bronchiolenmuskulatur an dem Auftreten des cardialen Asthmas
mitbeteiligt ist und auf seine Beseitigung der günstige Einfluss
der Morphin-Heroineinspritzungen zurückzuführen sei. Es ist aber
noch an eine andere, wie ich glaube, näherliegende Möglichkeit zu
denken. Durch die infolge der Stauung stattfindende Verminde¬
rung der Sauerstoffzufuhr zur Medulla oblongata wird das in der¬
selben befindliche vasomotorische Centrum übermässig erregt.
Das bedingt für das Herz vermehrte Arbeit durch Steigerung
der Widerstände im arteriellen Kreislauf. Indem das Narkoticum
den Gefässkrampf löst, erleichtert es die Tätigkeit des Herzens,
ermöglicht ihm, sich wieder vollständiger zu entleeren und damit
auch aus den überfüllten Lungengefässen mehr Blut auszuschöpfen.
Somit würde neben der Ruhigstellung des Atmungs¬
centrums der Hauptvorzug der Morphintherapie beim
cardialen Asthma in einer Verringerung der diesem
Symptomen komplex zugrunde liegenden ci reu lato rischen
Störung, der Lungenstauung zu suchen sein.
Hat man durch die geschilderten Maassnabmen die Kranken
über die ersten schweren Zufälle ihres Gefässleidens weggebraebt,
so können, wie jeder Praktiker weiss, längere Ruhepausen ein-
treten, während deren die Patienten sich wieder in einem relativ
erträglichen, nicht selten sogar völlig beschwerdefreien Zustande
befinden. Dieser Zeitraum darf nicht ungenützt vorüber gelassen
werden; er muss durch fortgesetzte Unterstützung und Kräftigung
der Herztätigkeit ausgefüllt werden. Auch jetzt noch soll man,
so lange die Gefässspannung wesentlich erhöht ist, durch metho¬
dische Abführungen die arteriellen Widerstände zu vermindern
trachten. Ich lasse die Patienten selbst bei genügenden Spontan-
entleerungen zwei- bis dreimal wöchentlich nüchtern 200 g Apenta
trinken. Daneben kommt die übliche Jodtherapie in Anwen¬
dung, und zwar in Form kleiner Dosen des Mittels, d. h. täglich
nicht mehr als 0,5 g Natrium jodatum oder zwei Sajodintabletten.
Für Kranke, deren Gefässdruck bereits eine Tendenz zur Erniedri¬
gung aufweist, sind koblensaure Salzbäder am Platze, und
nicht wenige von ihnen erzielen durch den Gebrauch der Kuren
in Nauheim, Kissingen usw. einen wesentlichen Vorteil. Es ver¬
steht sich von selbst, dass diese Bäder, welche zum Teil eine
drucksteigernde Wirkung ausüben, nur unter Beobachtung ge¬
nügender Vorsicht angewandt und jede Ueberanstrengung des
Herzens vermieden werden muss. Von den Wechselstrom¬
bädern berichtet neuerdings Strubel 1, im Gegensatz zu Franze,
dass dieselben öfter die Pulsfrequenz und die Arterienspannung
erniedrigen als umgekehrt. Französische Autoren behaupten,
dass speziell der Dreiphasenstrom den Blutdruck herabsetze, und
erachten daher denselben für Arteriosklerotiker, welche sich noch
im Stadium der Hypertonie befinden, für besonders geeignet. —
Unter den Störungen, welche die Sklerose de* Brustaorta,
insbesondere ihres Anfangsteiles, kennzeichnen, steht die Angina
pectoris obenan. Auch ihre Behandlung hat in den letzten
Dezennien wesentliche Fortschritte zu verzeichnen, so dass wir
dem gefahrvollen Symptomenkomplex nicht mehr so ungewappnet
gegenüberstehen wie früher. Ausser dem Jod und den Nitrititen
(Amylnitrit, Natrium nitrosum), sowie den Salpetersäureestern
höherer Alkohole (Nitroglycerin, Erythroltetranitrat), welche im
Organismus ebenfalls in Nitrite verwandelt werden, verdienen
hauptsächlich zwei Medikamente Berücksichtigung, die eine elek-
tive Wirkung auf die Coronargefässe ausüben — das Theocin
und Diuretin (Theobrominum natrio-salicylicum). Dieselben er¬
weitern die genannten Gefässe und ermöglichen dadurch eine
bessere Durchblutung des Herzmuskels. Ich bevorzuge im all¬
gemeinen das Theocin, und zwar der leichteren Löslichkeit wegen
dessen Doppelverbindung, das Theocin. natr. acet., weil man, was
für die Schonung des Magens wichtig ist, mit kleineren Dosen
(0,4—0,5 g pro die) auskommt als beim Diuretin. Ist die Arterien¬
spannung gering, so kombiniert man zweckmässigerweise mit
kleinen Gaben Coffein (Coffein, natrio-benz. 0,1, zwei- bis
dreimal täglich). Diese Mittel bieten auch den Vorzug,
dass ihre Wirkung ziemlich schnell eintritt; es empfiehlt
sich, sie eine Reihe von Tagen hindurch gebrauchen zu
lassen. Neben der medikamentösen Behandlung ist noch die
Beachtung einiger hygienisch-diätetischer Vorsicbtsmaassregeln von
Bedeutung. Die Patienten müssen Ueberladung des Magens, Kälte¬
einwirkungen und abnorme Erregungen des Nervensystems ver¬
meiden, dürfen auch nicht unmittelbar nach den Mahlzeiten gehen
und haben vor allem den Tabakgenuss aufzugeben. Das über¬
mässige Rauchen scheint in keiner direkten ätiologischen Be¬
ziehung zur Entstehung der Arteriosklerose zu stehen, sondern
nur insofern fördernd auf den Eintritt anginöser Beschwerden zu
wirken, als es angiospastische Zustände auslöst. Sein deletärer
Einfluss beweist die Richtigkeit der Ansicht Neusser’s, dass dem
Auftreten der Angina pectoris nicht bloss anatomische Verände¬
rungen der Coronargefässe zugrunde liegen, sondern dass zu
diesen wahrscheinlich noch krampfartige Zusammenziehungen der
Herzgefässe sich hinzugesellen müssen, damit der Anfall in die
Erscheinung tritt, daher auch die coupierende Wirkung subcutaner
Morphiumeinspritzungen.
Bei weitem schwieriger ist die erfolgreiche Behandlung
anderer, hinsichtlich der Entstehung der Angina pectoris nahe
verwandter Folgezustände der Sklerose der peripheren Gefässe
— des intermittierenden Hinkens und des sogenannten
arteriosklerotischen Leibwehs. Dass bei der Aetiologie
des ersteren, der Claudication intermittente par Obligation
arterielle (Charcot), bzw. der Dysbasia angiosclerotica (Erb)
Tabakmissbrauch eine wesentliche Rolle spielt, hat Erb zuerst
gezeigt, und haben Andere nach ihm, wie noch neuerdings J. Pick,
bestätigt. Ob das ursächliche Moment der Syphilis demgegenüber
so sehr in den Hintergrund tritt, wie die genannten Beobachter
behaupten, scheint mir noch zweifelhaft und müsste erst durch
weitere Untersuchungen mittels der Wassermann "sehen Reaktion
erhärtet werden. Jedenfalls sind aber auch hier wie bei der
Angina pectoris vasokonstriktorische Einflüsse mitbeteiligt. Die
Behandlung muss, worin Erb durchaus beizupflichten ist, eine
recht vorsichtige sein, und alle gewaltsamen Eingriffe, z. B.
Massage, Gymnastik, Einwirkung hoher Temperaturen sind durch¬
aus zu vermeiden, um die erkrankten Gefässe nicht noch mehr
zu schädigen. Am wirksamsten erweist sich eine milde Jod¬
therapie. Vom Gebrauch des Diuretin« und Theocins habe ich
gar keinen Nutzen gesehen. Das gleiche gilt bezüglich des
arteriosklerotischen Leibwehs, der Dyspragia intermitlens angio¬
sclerotica abdominalis (Ortner). Einen der schwersten Fälle
dieser Erkrankungsform habe ich in letzter Zeit zu behandeln
Gelegenheit gehabt. Die ungemein schmerzhaften Attacken der
78 jährigen Patientin dauerten über 1 Jahr bis zum Tode an und
wiederholten sich täglich mehrere Male. Erleichterung brachte
ausschliesslich Heroin innerlich und subcutan, während Atropin
und verwandte Präparate, z. B. Scopolamin, abprallten.
Auf die Behandlung der Sklerose der Cerebralgefässe
an dieser Stelle eiezugehen, verbietet die Kürze der Darstellung.
Ich möchte nur noch eines lästigen hierher gehörigen Symptoms kurz
Erwähnung tun, der arteriosklerotischen Kopfschmerzen.
Sie sind für manche Patienten überaus qualvoll, werden meist
als Druck auf dem Scheitel oder als Schmerz im Hinterkopf
empfunden und brauchen nicht mit anderen Cerebralerscheinungeo,
wie Schwindel, Erbrechen usw., verbunden zu sein. Die kom¬
binierte Anwendung von Jodbrompräparaten ist imstande, die Be¬
schwerden der Patienten zu verringern und dieselben sogar manch¬
mal vollkommen zum Schwinden zu bringen.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
769
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie
(Dir.: Geh. Rat Prof. Dr. Uhlenhuth) und der Klinik
für syphilitische und Hautkrankheiten (Dir.: Prof.
Dr. A. Wolff) der Universität zu Strassburg i. E.
Weitere Mitteilungen über die Infektiosität des
Blutes und anderer Körperflüssigkeiten syphi¬
litischer Menschen für das Kaninchen. 1 2 )
Von
P. Uhlenhnth und P. Mälzer.
Wir haben bereits an anderen Stellen mitgeteilt, dass es
uns in einer Anzahl von Fällen gelungen ist, durch Verimpfung
von Blut und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer Menschen
in die Hoden von Kaninchen in diesen Organen eine Haftung des
syphilitischen Virus zu erzeugen, die sich darin äussert, dass
typische spirochätenhaltige Hodensyphilome entstehen.
Wir haben nun diese Untersuchungen in grösserem Maass-
stabe fortgesetzt und können heute auf Grund zahlreicher neuer
Befunde jene Ergebnisse ergänzen und erweitern*).
Im Vordergrund unserer diesbezüglichen Untersuchungen
stand auch bisher die Verimpfung von Blut florid syphi¬
litischer Menschen, die sich in verschiedenen Stadien ihrer
Erkrankung befanden.
Um noch einmal kurz die Versuchsanordnung mitzuteilen, so gingen
wir in der Weise vor, dass wir nach gründlicher Desinfektion der Ellen¬
beuge aus der Vena mediana Blut in ein steriles, mit Glasperlen ver¬
sehenes Glas einfliessen Messen und dieses etwa 5 Minuten lang schüttelten.
Um dem Einwande zu begegnen, dass vielleicht von der äusseren Haut
stammende Spirochäten bei dem Einstich mit in das Blut gelangen
könnten, was ja bei ausgebreiteten syphilitischen Manifestationen der
Fall sein könnte, haben wir die ersten 10 ccm in ein Reagenzglas ab¬
laufen lassen und für die Seroreaktion verwendet. Nach dem Defibrinieren
wurden von diesem Blute dann mittels einer sterilen Rekordspritze in
jeden Hoden eines Kaninchens 1—2 ccm langsam eingespritzt. In einer
Anzahl von Fällen haben wir nur links in das Hodenparenchym geimpft,
während wir rechts das Blut unter die Scrotalhaut spritzten, ähnlich
dem Verfahren, das Tomasczewski seiner Angabe nach mit beson¬
derem Vorteil bei der Verimpfung von Stückchen menschlicher Primär¬
affekte und Papeln angewandt hat. Die Impfung der Kaninchen erfolgte
in der Regel spätestens 10 Minuten nach der Entnahme des Materials
vom Menschen. Im Blut waren mikroskopisch (Dunkelfeld) Spirochäten
niemals nachzuweisen.
Wenn irgend möglich, haben wir mit dem so gewonnenen Blute
eines Kranken immer drei Kaninchen, und zwar, wie eben bemerkt, in
beide Hoden geimpft.
Die geimpften Tiere wurden durchschnittlich 4 Monate lang beobachtet,
und zwar wurden während dieser Zeit mindestens einmal wöchentlich
die Hoden palpiert und nur bei nachweisbarer Verdickung derselben,
bzw. bei Verdacht einer syphilitischen Erkrankung dieser Organe eine
Punktion mittels steriler Glascapillaren vorgenommen und die Punktions¬
flüssigkeit im Dunkelfeld auf die Anwesenheit von Spirochäten unter¬
sucht. Als positive Ergebnisse wurden nur solche Fälle
notiert, bei denen sich in den Hoden mit Sicherheit typische
Pallidae nachweisen Hessen.
Im Laufe dieser Beobachtungszeit starben nan immer - eine Anzahl
der geimpften Tiere, ohne dass für ihren Tod etwa das eingeführte
syphilitische Virus verantwortlich gemacht werden konnte. Wenn auch
nur eines der drei jeweilig geimpften Kaninchen die Zeit von 4 Monaten
überlebte, ohne syphilitisch erkrankt zu sein, so wurde das Ergebnis
dieses Versuches als negativ betrachtet. Starben aber alle drei Tiere
kurz nach der ImpfuDg, bzw. zu einer Zeit, innerhalb der noch kein
positives Ergebnis zu erwarten war, so musste der ganze Versuch als
unbrauchbar aus der jeweiligen Serie ausscheiden.
Wie ans der nachfolgenden Tabelle 1 ersichtlich ist, haben
wir in dieser Weise bis Anfang Januar 1913 das Blut von
23 Syphilitikern, die sich in der ersten Periode ihrer Er¬
krankung befanden, verimpft.
Hierzu wählten wir nur Patienten, die einen klinisch voll¬
kommen einwandfreien Primäraffekt mit oder ohne die
bekannten charakteristischen lokalen Lympbdrüsenschwellungen
aufwiesen, dessen syphilitische Natur mit Ausnahme eines Falles
stets durch den Nachweis von typischen Spirocbaetae
1) Nach einem auf der diesjährigen Tagung der mikrobiologischen
Vereinigung (1. April) zu Berlin gehaltenen Vortrage.
2) Die Untersuchungen sind ausgeführt mit Geldmitteln, die uns in
dankenswerter Weise von Herrn Geheimen Kommerzienrat Dr. jur. et med.
Eduard Simon, Berlin, sowie vom Reichsamt des Innern und der
Cunitz-Stiftung in Strassburg zur Verfügung gestellt wurden.
pallidae gesichert war. In dem einen Falle Hessen sich
selbst bei wiederholten diesbezüglichen Untersuchungen keine
Spirochäten auffinden, obwohl die klinische Diagnose ausser
allem Zweifel stand. Stets wurde ausserdem noch die Wasser-
mann’sche Reaktion vorgenommen. Die Patienten waren sämt¬
lich noch unbehandelt.
Von den 23 bisher verimpften Fällen primärer Lues müssen
nach unseren Protokollen vier Fälle ausscheiden, da sämtliche
Tiere noch innerhalb der Inkubationszeit starben. Unter den
19 Fällen aber, von denen wenigstens ein Kaninchen länger
wie 4 Monate am Leben blieb und beobachtet werden konnte,
sahen wir 16mal ein positives Resultat. Mindestens waren
dabei immer ein oder beide Hoden eines der geimpften Tiere
syphilitisch erkrankt; in einigen Fällen fanden wir aber auch
bei zwei oder bei allen drei Kaninchen spirochätenhaltige syphi¬
litische Hoden.
Die Erkrankung selbst dokumentierte sich entweder als
kleine meist circumscripte Verdickung im Hodenparen¬
chym (Orchitis circumscripta syphilitica) oder, weit seltener,
als ausgesprochene diffuse Orchiti9. Niemals sahen wir
sogenannte periorchitische Knötchen oder reine Primäraffekte.
Die Inkubationszeit betrug bei den Impfungen dieser Serie
durchschnittlich 60 Tage.
In Prozenten ausgerechnet haben wir bei 19 verimpften
und genügend lange (bis Anfang März 1913) beobachteten Fällen
primärer Syphilis 16 mal = 84,2 pCt. positive Impfungen
erhalten, wobei es gleichgültig war, ob bei klinisch
einwandfreien Primäraffekten Spirochäten gefunden
worden waren, ob gleichzeitig lokale Lymphdrüsen-
erkrankungen bestanden oder ob „der Wassermann 11
positiv oder negativ war.
In gleicher Weise haben wir nun auch das Blut syphilitischer
Menschen, die sich in der sekundären Periode ihrer Lues
befanden, verimpft. Bei allen diesen Fällen handelt es sich um
Kranke in der sogenannten frühsekundären Periode mit ver¬
schiedenen manifesten syphilitischen Erscheinungen
(Exanthemen, Polyscleradenitis, Schleimhauterkrankungen, Papeln
und positiver Wassermann’scber Reaktion).
Nach der Tabelle 2, in der wir alle diese Fälle zusammen¬
gestellt haben, ist von uns bis Anfang dieses Jahres das Blut von
38 Patienten in oben angeführter Weise verimpft worden. Wenn
wir infolge des noch vor Ablauf der typischen Inkubationszeit er¬
folgten Todes sämtlicher jeweilig geimpfter Tiere zwei Fälle aus¬
schalten müssen, so haben wir unter 36 Impfungen mit Blut
von sekundär syphilitischen Menschen mit manifesten
Erscheinungen in 27 Fällen, also in 75 pCt., positive
Resultate erzielt. Auch hier wieder erkrankten die Hoden
in der oben angegebenen charakteristischen Weise und enthielten
stets massenhaft typische Pallidae. Die Inkubationszeit betrug
ebenfalls im Mittel 60 Tage. Nur in einigen Fällen war sie hier
wesentlich höher, so in einem Falle 101 Tage und in einem Fall
109 Tage.
ln einem Falle betrug die Inkubationszeit dagegen nur
48'Tage, einmal sogar nur 38 Tage.
Auf die Gesamtzahl aller Fälle primärer und sekun¬
därer Syphilis, von denen wir, wie aus dem Vorhergehenden
ersichtlich ist, nach Ausscheidung der nicht geeigneten Fälle 55
in der angegebenen Weise verimpft haben, berechnet,
haben wir mittels dieser Blutimpfung 78,1 pCt. positive
Impfresultate erhalten.
Wir haben nun auch eine Anzahl verschiedener Kontrollimpfungen
in genau der gleichen Weise vorgenommen. Wir haben Blut von drei
vollkommen gesunden jungen Menschen verimpft, die nie¬
mals Syphilis acquiriert hatten. Sodann haben wir Blut von zwei
unter 20 Jahre alten Patienten, die an einem akuten Ekzem litten und
sich ebenfalls niemals syphilitisch infiziert hatten, verimpft. Ausser¬
dem haben wir noch Blut von einem Patienten verimpft, der eine sehr
starke Plaut-Vincent’sche Angina mit massenhaften Spirillen aufwies.
Wie bei unseren Impfungen mit syphilitischem Blute haben wir auch
hier jedesmal beide Hoden von drei Kaninchen mit je 2 ccm Blut ge¬
impft, ohne jedoch, hier bei über fünfmonatiger Beobachtung, ein
einziges Mal ein positives Impfresultat zu erzielen. So¬
dann haben wir sechs Kaninchen in beide Hoden mit je 1 ocm zahlreiche
Spirochäten enthaltenden Blutes von Hühnern, die an der Hübner-
spirillose erkrankt waren, drei Kaninchen mit je etwa 0,5 ccm massenhaft
Spirochäten der Recurrens enthaltenden Mäuseblutes, drei Kaninchen
mit einer Kochsalzaufschwemmung von Mundspirochäten und drei
Kaninchen in gleicherweise mit Plaut-Vincent’schen Spirochäten
geimpft, ebenfalls ohne den geringsten Erfolg.
2
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Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
770
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
□Tabelle 1 . (Primäre Syphilis.)
sJ
<D
32
Anamnestische und klinische
Angaben, insbesondere Status
praesens
Spirocbät.-
Unter-
suchung
Wasser-
mann’sche
Reaktion
Anzahl der geimpften
i Kaninchen und Menge
des Impfmaterials
Tag der
Impfung
Impfresultat
• •**
•O M
es «
M 5
fl °
Tf
Be¬
merkungen
1
Herr Sch., Primäraffekt im Sulcus
positiv
positiv
3 Kan. (332—334) mit
7. II.
Kan. 332 vorzeitig gestorben
coronarius mit typ. Leistendrüsen;
je 2 ccm Blut geimpft.
1912
„ 333 syph. erkrankt
72
unbehandelt
„ 334 gesund gestorben
—
2
Frau K., Primäraff. auf linker Labie,
n egativ
3 Kan. (335—337) mit
10. II.
„ 336 gestorben
—
keine Drüsenschwellung;
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 337 syph. erkrankt
69
unbehandelt
„ 335 ohne Besonderheiten
—
3
Herr Kl., Primäraffekt an der Lippe;
»0
3 Kan. (371, 373 und
8. III.
„ 371 syph. erkrankt
70
keine typischen Drüsen; un-
395) mit je 2 ccm Blut
1912
» 873 j,
70
behandelt
geimpft
„ 375 ohne Besonderheiten
—
4
Herr Schl., Primäraffekt auf dem
positiv
3 Kan. (458, 460, 462)
19. III.
„ 458 gestorben
—
Blathalb geronn. 1
Präputium; keine Drüsen; un-
mit je 2 ccm Blut ge-
1912
ft 460 dauernd gesund
—
behandelt
impft
. *62
—
5
Frl. M., Primäraffekt auf linker
negativ
3 Kan. (468, 470, 472)
26. IV.
* 468 beide Hoden vereitert
—
Scheidet dem-
Labie; keine Drüsen; un-
mit je 2 ccm Blut ge-
1912
ff 470 gestorben
—
nach für d. Be-
behandelt
impft
» 472
—
Wertung aus!
6
Herr St, zwei Primäraffekte im
positiv
3 Kan. (474, 477, 479)
15. IV.
ff 474 syph. erkrankt
65
Sulcus; starke linksseitige Sclera-
mit je 2 ccm Blut ge-
1912
ff 477 gestorben
—
denitis
impft
, 479
—
7
Herr Kl., Primäraffekt an der
3 Kan. (489, 491, 493)
2. V.
» 489 ohne Besonderheiten
—
Glans; typische Drüsen; unbe-
mit je 2 ccm Blnt ge-
1912
„ 491 syph. erkrankt
82
handelt
impft
ff 493 gestorben
—
8
Frau S., Primärafiekt an der linken
r
negativ
1 Kan. (486) mit
18. IV.
4 Wochen später beide Hoden
—
Scheidet aus!
kleinen Labie; keine Drüsen
2 ccm Blut geimpft
1912
total vereitert
9
Herr Th., Primäraffekt am Prä-
negativ
3 Kan. (505, 507 und
4. V.
Kan. 505 syph. erkrankt
54
putium; keine Drüsen; un-
509) mit je 2 ccm Blut
1912
ff 507 gestorben,
—
behandelt
impft
. 509
—
10
Herr K., Primäraffekt an der Lippe;
positiv
3 Kan. (526, 528, 530)
15. V.
,, 526 syph. erkrankt
62
typische Drüsen; unbehandelt
mit je 2 ccm Blut ge-
1912
ft 530 gestorben
—
impft
ff 528 syph. erkrankt
62
11
Herr B., Primäraffekt am Prä-
negativ
3 Kan. (549, 541 und
20. V.
,, 549 gestorben,
—
putium; typische Drüsen; un-
543) mit je 2 ccm Blut
1912
„ 541 ohne Besonderheiten
—
behandelt
impft
» 543 .
—
12
Herr F., Primäraffekt am Prä¬
positiv
3 Kan. (581, 583 und
22. VI.
„ 583 gestorben
—
putium mit typischen Drüsen; i
585) mit je 2 ccm Blut
1912
,, 581 syph. erkrankt
61
unbehandelt
geimpft
f, 585 ohne Besonderheiten
—
13
Herr Sch., kleines, kaum induriertes
negativ
3 Kan. (607, 609, 611)
i7.VII.
jf 607 gestorben
—
Geschwürchen am Penis; keine
mit je 2 ccm Blut ge¬
1912
. 611
—
Drüsen; unbehandelt
i
impft
„ 609 ohne Besonderheiten
—
14
Herr R., typischer Primäraffekt
negativ
n egativ
3 Kan. (728, 730, 732)
24.
„ 728 gestorben
—
im Sulcus; keine Drüsen; un¬
mit je 1 ccm Blut ge¬
VIII.
. 730
—
behandelt
impft
1912
„ 732 syph. erkrankt
52
15
Herr D., Primäraffekt am Penis
positiv
positiv
3 Kan. (752, 754 und
30.
ii 752 ff
46
mit typischen Drüsen; unbe¬
756) mit je 1 ccm Blut
VIII.
ff 754 ohne Besonderheiten
—
handelt
geimpft
1912
,, 756 syph. erkrankt
76
16
Herr Sch., Primäraffekt am Penis
w
3 Kan. (832, 834 und
25. IX.
ff 832 gestorben
mit typischen Drüsen; unbe¬
S36) mit je 1 ccm Blut
1912
„ 834 syph. erkrankt
63
handelt
geimpft
ff 836 gestorben
—
17
Herr G., Primäraffekt am Penis;
B
3 Kan. (861, 863 und
8. X.
ff 861 ohne Besonderheiten
—
keine Drüsen; unbehandelt
S65) mit je 1 ccm Blut
1912
,, 863 syph. erkrankt
51
geimpft
. 865 „
66
18
Herr M., Primäraffekt am Penis
B
3 Kan. (1290, 1292,
11.XI.
„ 1290 gestorben
—
mit typischen Drüsen; unbe¬
1294) mit je 2 ccm Blut
1912
. 1292 ff
—
handelt
geimpft
n 1294 syph. erkrankt
68
19
Herr R., Primäraffekt am Penis
B
3 Kan. (1344, 1846 u.
23.XII.
ff 1344 gestorben
—
mit typischen Drüsen; unbe¬
1348) mit je 2 ccm Blut
1912
» 1346
—
handelt
geimpft
ff 1348 syph. erkrankt
50
i
20
Herr Sch., Primäraffekt am Penis
B
B
3 Kan. (1102, 1104 u.
25.XII.
„ 1102 gestorben
—
Scheiden dem¬
mit typischen Drüsen; unbe¬
1106) mit je 2 ccm Blut
1912
* H04
—
nach aus!
handelt
geimpft
»1106 *
—
21
Herr H., Primäraffekt am Penis;
3 Kan. (1160, 1162 o.
10.XII.
„ 1160 syph. erkrankt
64
keine Drüsen; unbehandelt
1164) mit je 2 ccm Blut
1912
ff 1162 gestorben
—
geimpft
. H64
—
22
Herr R., Primäraffekt am Penis
»
„ •
3 Kan. (1338, 1340 u.
23.XII.
. 1838
—
Scheiden mit¬
mit typischen Drüsen; unbe¬
1342) mit je 2 ccm Blut
1912
. 1340 ff
—
hin aus.
handelt
geimpft
n 1342 ff
“ii 1
23
Herr B., Primäraffekt am Penis
V
3 Kan. (1408, 1410 u.
11. I.
ff 1408 syph. erkrankt
53
mit typischen Drüsen; unbe¬
1412) mit je 2 ccm Blut
1913
ff 1410 ohne Besonderheiten
—
handelt
geimpft
„ 1412 syph. erkrankt
53
(Beobachtet bis 1. März 1913.)
Auf Grund unserer Versuche können wir wohl mit
vollem Recht derartige spirochätenbaltige Hoden-
syphilome, wie wir sie mit dem Blute manifest syphilitischer
Menschen erzielten, als spezifisch für Syphilis bezeichnen.
Dass die nach unserer Technik vorgenommene Verimpfung
von Blut recent syphilitischer Menschen mit manifesten Erschei¬
nungen nicht in allen Fällen, sondern nur in 78 pCt. der Fälle
positive Resultate ergibt, spricht nicht gegen den Wert dieser
Methode, daja andere biologische Untersuchungsmetboden
mit einem ähnlichen Prozentsatz negativer Ergebnisse
arbeiten (z. B. die Wassermann’sche Reaktion bei Primäraffekten)
und trotzdem einen grossen klinischen Wert besitzen.
Es erschien uns nun weiterhin sehr wichtig, zu eruieren, ob
es gelingt, mittels dieser Methode auch klinisch nicht
sichere, bzw. syphilisverdächtige Krankheitsfälle und
die sogenannte latente Syphilis zu diagnostizieren.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
771
□Tabelle 2. (Sekundäre Syphilis.)
55 Anamnestische und klinische
4 Angaben, insbesondere Status
2 praesens
Spirochät.-
(Jnter-
suchung
Wasser-
mann’sche
Reaktion
Anzahl der geimpften
Kaninchen und Menge
des Impfmaterials
Tag der
Impfung
Impfresultat
£ S
m a Bemerkungen
“•43
Tage
1 Frau Z., nässende Papeln am After;
positiv
positiv
4 Kan. (12—15) mit je
28. X.
Kan. 12 syph. erkrankt
73
kein Exanthem; unbehandelt
2 ccm Blut geimpft
1911
„ 13 gestorben
—
„ 14 syph. erkrankt
60
60
2 Herr Cb., maoulo-papul. Exanthem;
3 Kan. (23—25) mit je
17. XI.
» 23 ,
75
Scleradenitis univ., Impet. capitis;
2 ccm Blut geimpft
1911
* 24 „
42
Plaques derTonsillen; vo^/zMon.
n 25 „ „
38
zweimal Salvarsan ä 0,6 g
3 Frau Fl., maculo-papul. Syphilid;
2 Kan. (33 u. 34) mit je
29. XI.
„ 33 gestorben
—
Papeln unbehandelt
2 ccm Blut geimpft
1911
„ 84 syph. erkrankt
101
4 Herr S., Roseola, Scleradenitis uni?.,
n
3 Kan. (60—62) mit je
5.1.
. 60 ,
95
Primäraffekt; unbehandelt
2 ccm Blut geimpft
1912
. 61 .
54
„ 62 gestorben
—
5 Herr Sp., Roseola, Soleradenitis;
3 Kan. (78—75) mit je
6.1.
. 78
—
Primäraffekt; unbehandelt
2 ccm Blut geimpft
1912
„ 74 syph. erkrankt
53
n 75 „
67
6 Frau B., maculo-papul. Exanthem;
—
n
3 Kan. (140—142) mit
17. [.
„ 140 gestorben
—
gravid im 9. Monat; unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 141 syph. erkrankt
47
„ 142 gestorben
—
7 Herr Ch., derselbe Patient wie Nr. 2
positiv
3 Kan. (131—133) mit
16.1.
„ 131 syph. erkrankt
62
nach Behandlung von 30 Hg succin.;
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 132 gestorben
—
die letzte Iojektion vor circa einem
* 183
—
Monat. Jetzt Plaques an den
Tonsillen und Impetigo spezif.
8 Herr M., maculo-papulös. Exanthem;
3 Kan. (327—829) mit
2. II.
. 327
—
Plaques; unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 828 syph. erkrankt
72
„ 329 gestorben
—
9 Herr M., nässende Papeln; Sclera-
w
2 Kan. (338 u. 339) mit
10. II.
„ 338 ohne Besonderheiten
_ B1 u t f a s t g a n 7.
denitis; unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 339 gestorben
10 Herr H., Roseola; Primäraffekt;
3 Kan. (348—345) mit
12. 11.
■ 343
—
unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 344 syph. erkrankt
61
„ 345 gestorben
—
11 Herr D., maculo-papulös. Exanthem;
3 Kan. (349—851) mit
14. II.
„ 849 ohne Besonderheiten
—
Papeln ad gen.; unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 350 gestorben
—
, 351
—
12 Frl. Gr., kleinpapulöses Syphilid;
—
n
3 Kan. (352—854) mit
15. II.
„ 852 ohne Besonderheiten
—
unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 353 gestorben
—
» 354 .
—
13 Frau M., maculo-papulös. Exanthem;
»
5 Kan. (359—363) mit
26. II.
* 359
—
Primäraffekt; unbehandelt
je 2 ccm Blut geimpft
1912
t) 360
—
„ 361 syph. erkrankt
63
„ 362 gestorben
—
„ 363 ,
—
14 Herr D., Primäraffekt, Roseola;
w
r>
3 Kan. (377,879 u. 381)
19. III.
* 377
—
unbehandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 879 syph. erkrankt
51
„ 881 ohne Besonderheiten
—
15 Herr B., Primäraffekt, Roseola und
»
3 Kan. (499,501 u. 503)
3. V.
„ 499 gestorben
—
nässende Papeln; unbehandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 501 syph. erkrankt
81
„ 503 gestorben
—
16 Herr M., Reste von Primäraffekt und
n
3 Kan. (513,515 u. 517)
15. Y.
, 313
—
nässende Papeln; unbehandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 515 syph. erkrankt
62
B 517 gestorben
—
17 Herr S., Primäraffekt, Roseola; un¬
B
3 Kan. (519,521 u. 523)
15. V.
„ 519 ohne Besonderheiten
—
behandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
»521 B
—
„ 523 gestorben
—
18 Frl. W., Primäraffekt an der Lippe;
n
3 Kan. (531,533 u: 535)
17. V.
■ 531
—
Roseola; unbehandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
. 533
—
„ 535 ohne Besonderheiten
—
19 Herr G., Primäraffekt, Roseola; un¬
n
3 Kan. (587, 589 n. 591)
22. VI.
. 587 ,
—
behandelt
mit je 2 ccm Blut geimpft
1912
„ 589 Hoden vereitert
—
„ 591 gestorben
—
20 Herr E., Primäraffekt und Roseola;
n
3 Kan. (663,665 u. 669)
2. VII.
„ 663 syph. erkrankt
56
unbehandelt
mit je 1 ccm Blut geimpft
1912
» 665 ,
56
„ 669 gestorben
—
21 Frau F., fapeln an den Genitalien;
n
B
3 Kan. (722, 724 u. 726)
25.
„ 722
— Da die Tiere vor
früher schon behandelt
” ;
mit je 2 com Blut geimpft
VIII.
- 724
_ Ablauf der In-
1912
v> 726 *
atorben sind,
22 Frau W., papulöses Exanthem,
—
2 Kan. (762 u. 764) mit
80.
* 762
— scheidet dieser
Fieber; Gelenkschmerzen ; früher
je 1 ccm Blut geimpft
VIII.
„ 764 syph. erkrankt
Versuch aus
schon behandelt
1912
23 Herr M., Primäraffekt, typ. Drüsen
positiv
B
2 Kan. (758 u. 760) mit
30.
„ 758 ohne Besonderheiten
—
und Roseola (schwächer); un¬
je 1 ccm Blut geimpft
VIII.
* 760 syph. erkrankt
60
behandelt
1912
24 Herr RI., papulöses Exanthem;
—
n
3 Kan. (850, 852 u. 854)
26. IX.
„ 850 gestorben
—
Salvarsanrecidiv; vor einem
mit je 1 ccm Blut geimpft
1912
„ 852 ohne Besonderheiten
—
Jahre zweimal Salvarsan ä 0,6 und
„ 854 syph. erkrankt
61
30 Hg succin. Injektion
25 Frl. W., papulo-macolöses Syphilid;
—
n
3 Kan. (838,840 u. 842)
25. IX.
• 838 „
62
unbehandelt
mit je 1 ccm Blut geimpft
1912
„ 840 gestorben
—
„ 842 syph. erkrankt
62
2*
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UNIVERSUM OF IOWA
772
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
ü
55
Anamnestische und klinische
Spirochät.-
Wasser-
Anzahl der geimpften
1*
« a
jrg
<y
Angaben, insbesondere Status
Unter-
mann’sche
Kaninchen und Menge
SPS*
H £
Impfresultat
s
Bemerkungen
2
praesens
Buchung
Reaktion
des Impfmaterials
Tage
26
Frl. H., papulöses Exanthem; Re-
positiv
3 Kan. (844, 846 und
25. IX.
Kan.
844
ohne Besonderheiten
cidiv; vor 4 Wochen letzte 30 Hg
848) mit je 1 ccm Blut
1912
846
syph. erkrankt
48
succin. Spritzen
geimpft
99
848
69
27
Frl. Sch., papulo-maculöses Eian-
positiv
2 Kan. (857 u. 859) mit
25. IX.
857
ohne Besonderheiten
—
them; nässende Papeln ad gen.;
unbehandelt
je 1 ccm Blut geimpft
1912
99
859
syph. erkrankt
109
C)
28
Herr R., Roseola und Primäraffekt;
n
1 Kan. (875) mit 1 ccm
15. X.
875
I 58
unbehandelt
Blut geimpft
1912
29
Herr D., maculöses Exanthem; Pa-
»
3 Kan. (883, 885 und
21.X.
883
gestorben
—
peln ad gen.; unbehandelt
887) mit je 1 ccm Blut
1912
885
syph. erkrankt
82
geimpft
887
ohne Besonderheiten
—
30
Herr M., Roseola und Primäraffekt;
5Kan.(1226,1228,1230,
5. XI.
1226
gestorben
—
unbehandelt
1232 und 1234) mit je
1912
1228
—
1 ccm Blut geimpft
1230
ohne Besonderheiten !
—
1232
—
1234
.—
31
Frl. B., Papeln ad gen.; behandelt
»
2 Kan. (1256 und 1258)
5. XI.
1256
gestorben
—
in früheren Jahren
mit je 1 ccm Blut geimpft
1912
99
1258
ohne Besonderheiten
—
32
Frl. H., Roseola und Papeln ad
n
3 Kan. (1260, 1262 u.
5. XI.
99
1260
—
gen.; unbehandelt
1264) mit je 1 ccm Blut
1912
1262
syph. erkrankt
77
geimpft
99
1264
ohne Besonderheiten
—
33
Frau W., Papeln ad gen.; vor
n
»
1 Kan. (1364) mit 2 ccm
23.XII.
99
1364
gestorben
—
Scheidet aus
2 Jahren eine Schmierkur
Blut geimpft
1912
34
Frau W., maculo-papulöses Exan¬
v
3 Kan. (1372, 1374 u.
23.XII.
99
1372
syph. erkrankt
64
them ; Papeln ad gen.; unbehandelt
1888) mit je 2 ccm Blut
1912
99
1374
gestorben
—
geimpft
19
1888
99
—
35
Herr R., nässende Papeln am Scro-
3 Kan. (1118, 1120 u.
3. XII.
99
1120
99
—
tum u. an der Eichel; unbehandelt
1116) mit je 2 ccm Blut
1912
99
1118
ohne Besonderheiten
—
geimpft
1116
syph. erkrankt
70
36
Frl. Sch., Papeln ad gen.; Plaques
V
*
3 Kan. (1166, 1168 u.
23.XII.
99
1166
gestorben
—
der Schleimhaut; unbehandelt
1170) mit je 2 ccm Blut
1912
99
1168
99
—
geimpft
99
1170
ohne Besonderheiten
—
37
Herr Sch., maculo-papulöses Exan¬
—
v
5Kan.(1324,1326,1328,
23.XII.
99
1324
syph. erkrankt
51
them; unbehandelt
1330 und 1332) mit je
1912
99
1326
99 99
51
2 ccm Blut geimpft
99
1328
gestorben
—
99
1330
99
—
99
1332
99
—
38
Herr T., Papeln ad gen.; Sal-
positiv
2 Kan. (1382 und 1384)
2. I.
99
1382
sypb. erkrankt
62
varsanrecidiv
mit je 2 ccm Blut geimpft
1913
99
1384
ohne Besonderheiten
(Beobachtet bis 1. März 1913.)
Wir haben bisher folgende Fälle dieser Kategorien verimpft
und klinisch verfolgt:
A. Suspecte Lues.
1. Herr R., suspectes, spirochätenfreies Ulcus im Sulcus
coronarius (keine Drüsen). Wassermann negativ.
5. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 64, 65 und 66 geimpft.
10. III. Kaninchen Nr. 64 gestorben; Hoden normal.
18. Y. Kaninchen Nr. 65 und 66 normal. Versuch beendet. Im
Laufe der klinischen Beobachtung sind keinerlei syphilitische Er¬
scheinungen aufgetreten. Wassermann dauernd negativ.
2. Frl. Kr., Mutter eines fraglich-luetischen Fötus (in der
Leber keiue Spirochäten; Extrakt aus dieser unbrauchbar für Wasser¬
mann; Knorpelknochengrenze normal). Wassermann schwach
positiv.
5. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 70, 71 und 72 geimpft.
18. Y. Alle drei Tiere normal; Versuch beendet. Auch klinisch
niemals irgendwelcher syphilitischer Befund.
3. Herr H., Ulcera mollia; Spirochäten —, Wassermann
negativ.
4. V. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 511, 103 und 105, mit je 2 ccm
Blut geimpft.
20. V. Ohne Besonderheiten.
23. VI. Ohne Besonderheiten.
26. VII. Ohne Besonderheiten.
5. VIII. Ohne Besonderheiten. Dauernd kliilisoh syphilisfrei.
4. Frl. B., fragliche Lues (papelähnliche Ulceration an
der Scharalippe, keine Spirochäten), Wassermann negativ.
22. VI. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 593, 595 und 597, mit 2 ccm
Blut geimpft.
22. VII. Kaninchen Nr. 595 gestorben.
23. VIII. Kaninchen Nr. 593 und 597 ohne Besonderheiten.
20. X. Status idem. Niemals irgendwelche syphilitischen
Symptome.
5. Herr Z., fragliche Lues (kleines, herpesartiges Geschwürchen
im Sulcus coronarius; Spirochäten —). Wassermann negativ.
17. VII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 613, 615 und 617, mit je 2 ccm
Blut geimpft.
25. VII. Kaninchen Nr. 615 gestorben.
20. IX. Kaninchen Nr. 613 und 617 ohne Besonderheiten.
2. X. Kaninchen Nr. 613 ohne Besonderheiten; Kaninchen
Nr. 617 ohne Besonderheiten, wegen Seuche getötet.
Patient kommt am 5. X. 1912 mit zahlreichen nässenden
Papeln ad genitalia (Spirochäten +) und positivem Wasser¬
mann.
13. X. Kaninchen Nr. 613 ohne Besonderheiten. Versuch
beendet.
6. Herr W., fragliche Lues (Paraphimose; nach Reposition und
später Circumcision Testierendes Ulcus im Sulcus, das zwar verdickte
Ränder hat, aber doch mehr gangränösen Ursprungs scheint und auf
Dermatolpuderung heilt; Spirochäten —). Wassermann negativ.
26. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 740, 742 und 744, mit je 1 ccm
Blut geimpft.
20. IX. Kaninchen Nr. 740 und 742 gestorben.
13. XII. Kaninchen Nr. 744 ohne Besonderheiten. Patient
dauernd ohne luetische Symptome; Wassermann stets
negativ.
7. Herr M., Ulcera mollia im Sulcus coronarius und auf der Eichel;
Bubo inguinalis sinister. Wassermann negativ.
8. IX. 1912. Zwei Kaninchen, Nr. 766 und 768, mit je 2 ccm Blut
in beide Hoden geimpft.
10. IX. Beide Kaninchen ohne Besonderheiten.
29.X. Patient kommt in die Klinik mit starker typischer
Roseola syphilitica und Scleradenitis universalis; Wasser¬
mann positiv.
Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten!
27. XL Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten.
12. XII. Kaninchen Nr. 766 und 768 ohne Besonderheiten.
11. I. 1913. Kaninchen Nr. 766 gestorben.
Kaninchen Nr. 768 ohne Besonderheiten; Versuch beendet.
B. Latente Lues.
1. Frau D., Lues latens (symptomlose Mutter eines 18 Tage alten
syphilitischen Kindes — Pemphigus syphiliticus. Der Mann hatte vor
vier Jahren Lues acquiriert; Frau seit dieser Zeit drei Aborte; vorher
zwei gesunde Kinder), unbehandelt. Wassermann positiv.
26. I. 1912 mit Blut Kaninchen Nr. 306, 307 und 808 geimpft;
mit Serum Kaninchen ,Nr. 312, 3}3 und 314 geimpft.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
773
1. V. Kaninchen Nr. 306—309 normal.
Kaninchen Nr. 314 etwa linsengrosse spirochätenhaltige
Erosion ohancreuse an der Impfstelle. Inkubation 93 Tage 1 ).
Bei der Frau selbst bestanden zu dieser Zeit keinerlei syphilitische
Symptome.
2. Herr D., Lues latens (symptomloser Mann der vorhergehenden
Patientin). Wassermann positiv.
26. I. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 318, 319 und 320, erhielten je
2 ccm Blut.
17. II. Sämtliche Tiere in der Zwischenzeit gestorben.
3. Frau Sch., Lues latens (symptomlose, aber kurz vor der Ge¬
burt spezifisch behandelte Mutter eines anscheinend gesund geborenen
Kindes). Wassermann positiv.
10. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 712, 714 und 716, mit je 2 ccm
Blut geimpft.
15. IX. Kaninchen ohne Besonderheiten; Kind und Mutter gesund.
15. XII. Zwei Kaninchen gestorben; sonst Status idem.
4. Frau W., Leucoderma colli; Wassermann positiv. Sonst ohne
Besonderheiten.
30. VIII. 1912. Drei Kaninchen, Nr. 746, 748 und 750, mit je 2 ccm
Blut geimpft.
29. X. Kaninohen Nr. 750 gestorben.
Kaninchen Nr. 746 und 748 ohne Besonderheiten.
22. XII. Status idem.
Aus diesen wenigen Untersuchungen, die wir bisher mit dem
Blute latent syphilitischer Personen oder solcher, bei denen
wir aus den vorhandenen klinischen Symptomen eine Syphilis nur
vermuten konnten, angestellt haben, lassen sich noch keine be¬
stimmten Schlüsse ziehen. Soviel ergibt sich jedoch schon, dass
auch bei latenter Lues die B)utverimpfung ein positives Resultat
ergeben kann. Als beweisend kann auch hier nur der
positive Ausfall in Betracht kommen.
Wir haben in letzter Zeit auch damit begonnen, derartige
Fälle der Früh- und Spätlatens mit positivem Wasser¬
mann zu verimpfen und glauben, mittels dieser Methode die
wichtige Frage einigermaassen lösen zu können, ob ein positiver
Ausfall der Wassermann’schen Reaktion bedeutet, dass noch
aktives Virus im Organismus vorhanden ist, oder ob er nur
anzeigt, dass das betreffende Individuum zu irgendeiner Zeit ein¬
mal eine Lues acquiriert hat, ohne dabei noch syphilitisch
krank zu sein.
Ferner wollen wir versuchen, ob wir dieses Tierexperiment
zur Beurteilung und Bewertung der Einwirkung spezifi¬
scher Medikamente, bzw. antisyphilitischer Kuren ver¬
wenden können. Ans diesem Grunde haben wir bereits in einer
Anzahl von Fällen das Blut florid syphilitischer Menschen vor
und acht Tage nach einer spezifischen Kur (Schmierkur,
Hg-Injektionskur, Injektionen von Hg atoxylicum und Salvarsan) in
oben angegebener Weise verimpft.
Unsere bisherigen Versuche, die sich auf diese beiden Fragen
beziehen, sind sämtlich nach einer derartigen Medikation
negativ ausgefallen, doch sind ihrer noch so wenig vorgenommen
und diese selbst noch nicht genügend lange beobachtet worden,
dass wir noch keine bindenden Schlösse aus ihnen ziehen
können.
Eine Verimpfung von Blut Syphilitischer, die sich in der
tertiären Periode ihrer Erkrankung befanden, bzw. tertiäre
Erscheinungen aufwiesen (ulcerierte Gummen der Nase, der
Zunge; und der Unterschenkel), haben wir bisher in vier Fällen
vorgenommen. In einem Falle, wo ein typisches zerfallenes
Gumma der Zunge vorlag (Wassermann positiv), ergab die
Blutimpfung ein positives Resultat; sämtliche anderen
Fälle waren negativ.
Desgleichen ergaben ein negatives Resultat der Blut-
irapfung zwei Fälle von Syphilis hereditaria tarda mit
ulcerösen Erscheinungen (Wassermann positiv).
Bald nachdem wir unsere ersten positiven Resultate bei Verimpfung
von Blut und anderer Körperflüssigkeiten syphilitischer Menschen Mit¬
teilung gemacht hatten 2 * ), wurden unsere Ergebnisse von verschiedenen
Seiten nachgeprüft. Frühwald 8 ) gelang es auffallenderweise nie, durch
Blutimpfung syphilitischer Menschen in die Kaninchenhoden in diesen
Organen Syphilome zu erzielen. Graetz konnte bereits auf dem vor¬
jährigen Kongress dieser Vereinigung gelegentlich unseres Vortrags über
1) Erwähnen möchten wir hier, dass es Busohke seinerzeit gelungen
ist (diese Wochenschr., 1906, Nr. 13), bei einer völlig symptomlosen
Mutter eines hereditär-syphilitischen Kindes in einer etwa bohnen- bis
haselnussgrossen, harten, rechtsseitigen Cubitaldrüse typische Spiro-
chaetae pallidae nachzuweisen.
2) Diese Wochensohr., 1912, S. 152.
8) Frühwald, Wiener klin. Wochenschr., 1912, Nr. 16, S. 586.
dieses Thema berichten, dass er in Gemeinschaft mit A um an n in einigen
Fällen unsere Befunde bestätigen konnte. Auch E. Hoff mann 1 ) hatte
ein positives Resultat bei einer derartigen Impfung. In der letzten Zeit
hat nun Aumann 2 ) in zwei Publikationen über seine Resultate bezüg¬
lich der Infektiosität des Blutes Syphilitischer für Kaninchen berichtet.
Da beide Mitteilungen in verschiedenen Punkten mit unseren Resultaten
in Widerspruch stehen, wollen wir hier etwas ausführlicher auf
diese eingehen.
Aumann hat zunächst einen geringeren Prozentsatz positiver
Resultate bei seinen Verimpfungen von Blut- und Blutserum
syphilitischer Individuen erzielt. „Von 16 Kaninchen, die mit dem
spezifischen Material geimpft worden waren, erwiesen sich 7 als syphi¬
litisch infiziert, während bei den übrigen auch trotz längerer Beob¬
achtungszeit nie der Nachweis von Spirochäten erbracht werden konnte
(= 43,7 pCt; auf die Anzahl der einzelnen Fälle berechnet jedoch
63,5 pCt.).“
Wie aus unseren beiden Tabellen ersichtlich ist, findet eine Haftung
des syphilitischen Virus im Kaninchenhoden keineswegs gleichmässig
statt, etwa in der Weise, dass sämtliche der in einem Falle geimpften
Tiere syphilitisch werden. Man kann dies möglicherweise damit erklären,
dass im Blute nur wenig Virus enthalten ist, und dass man deshalb
auch, wie bereits Ho ff mann betont hat, immer grössere Mengen davon
verimpfen muss (12 ccm auf drei Kaninchen). Abgesehen davon, dass
fast niemals alle drei in jedem einzelnen Versuch geimpften Kaninchen
die für die Beurteilung des Versuches unbedingt notwendige vier-
monatige Beobachtungszeit überleben, kommt es auch, wie eben¬
falls aus unseren Tabellen ersichtlich, nur verhältnismässig selten
vor, dass von den Tieren eines Versuches, die am Leben
bleiben, mehr als eins syphilitisch erkrankt. Selten erkranken
übrigens auch bei einem Kaninchen beide geimpfte Hoden gleich¬
zeitig. Aehnliche Erfahrungen, die wir an unserem ausserordentlich
zahlreichen Kaninchenmaterial schon bei anderen Versuchen wiederholt
gemacht haben, haben uns daher veranlasst, gleich von Anbeginn unserer
diesbezüglichen Untersuchungen immer drei Kaninchen in beide
Hoden mit dem Blute eines Patienten in der oben angeführten
Weise zu impfen und denVersuch als „positiv" zu bezeichnen,
wenn mindestens ein Hoden dieser drei Tiere typisch ver¬
dickt war und lebende Pallida enthielt. Für die Beurteilung
eines Versuches war es uns demnach auch gleichgültig, ob beide Hoden
desselben Tieres oder ob noch ein anderes oder ob, was nur einmal vor¬
gekommen ist, sämtliche Tiere syphilitisch wurden. Nur in dieser
Weise kann unseres Erachtens nach diese Blutimpfung in die Hoden
praktisch verwertet werden. Nur dann und nur bei genauer Innehaltung
unserer Technik wird man bei Nachprüfung unserer Resultate an einem
grösseren Tiermaterial ähnlich hohe Prozentsätze erhalten wie wir.
Aumann hat nun zwar von jedem einzelnen Falle immer drei
Kaninchen geimpft, aber einige von diesen teils mit Blut und teils
mit Blutserum, und zwar im gleichen Versuch. Nun haben wir an¬
fänglich vier florid syphilitische Patienten vergleichsweise mit Blut
und mit Blutserum geimpft, und zwar auch hier wieder in jedem einzelnen
Falle je drei Kaninchen in beide Hoden. Wir haben nun mit Blutserum
nur bei zwei dieser Patienten positive Impfresultate erhalten (Fall 2
und Fall 4 der Tabelle 2), bei der Verimpfung des Blutes aber
auch in den beiden anderen Fällen (Fall 7 und Fall 14 der
Tabelle 2), also bei allen vier Fällen, positive Ergebnisse
erzielt. Aehnliche divergierende Resultate hat übrigens auch Aumann
erhalten. Aus diesem Grunde haben wir in der Folgezeit für die Be¬
antwortung der Frage nach der Infektiosität des Blutes syphilitischer
und syphilisverdächtiger Menschen ausschliesslich die Verimpfung
von Blut gewählt.
Wir haben ferner in allen Fällen, mit Ausnahme von einem, nur
defibriniertes, also flüssiges Blut verimpft, und zwar höchstens
10 Minuten nach der Entnahme desselben aus der Armvene.
In dem einen Fall war das Blut infolge zu kurzen Schütteins nicht
genügend defibriniert, so dass es bei der Verimpfung halb geronnen war.
Wahrscheinlich bleibt bei der Gerinnung des Blutes eine grosse Menge
des Virus im Blutkuchen sitzen, worauf es wohl auch zurückzuführen
ist, dass reine Serumimpfungen weniger positive Resultate ergeben. Der
Versuch fiel demnach negativ aus (Fall 4 der Tabelle 1). Um übrigens
eine zu rasche Gerinnung des Blutes zu verhüten, ist es nach unseren
Erfahrungen gut, die Blutentnahme mindestens 3 Stunden nach
der letzten, nioht zu reichlichen Mahlzeit vorzunehmen.
Der Umstand, dass die Ergebnisse von Aumann „in allen Fällen
durch Verimpfung von nicht mehr ganz frischem und zum Teil
sohon geronnenem Material gewonnen werden" hat unserer Ueber-
zeugung nach die Resultate dieses Autors und die von Frühwald be¬
einträchtigt
Sodann müssen wir mit einigen Worten noch auf die Frage der
Länge der Inkubationszeit eingehen, da auch hier die Angaben von
Aumann mit den unseligen erheblich differieren.
Nach Aumann schwankt die Inkubationszeit in genauer Uebcrein-
stimmung mit allen seinen Versuchen „zwischen 6 bis 8 Wochen". Auch
1) Hoffmann, Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 1, S. 15.
2) Aumann, Kaninchenimpfung mit Syphilitikerblut und Blut¬
serum. Med. Klinik, 1912, S. 1710. Ferner: Weiteres über die In¬
fektiosität des Blutes Syphilitischer für Kaninchen. Dermatol. Wochen¬
schrift, 1913, S. 81.
8
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UNIVERSUM OF IOWA
774
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Kan. 140
t
Tabelle 3.
Berta B. (6. Fall der Tabelle 2).
3 Kaninchen mit je 2 ccm Blut in beide Hoden
” 17. I. 1912 (beide Hoden)
Kan. 141
links 2 kleine Knötchen im Hoden (+ Spir.)
Inkubation 47 Tage
Kan. 142
t
Kan. 406
beiderseits diffuse Orch. (-}- Spir.)
Inkubation 34 Tage
16. III. 1912 (beide Hoden)
Kan. 408
beiderseits diffuse Orch. (+ Spir.)
Inkubation 34 Tage
Kan. 676
o. B.
Kan. 555 Kan. 557
kleines periorohitisches Knötchen (+ Spir.) +
Inkubation 93 Tage (!)
6. VIII. 1912 (beide Hoden) ~" —
Kan. 678 Kan. 680 Kan. 682
o. B. starke linksseitige schwache rechtsseitige
Orchitis Orchitis
Inkubation 42 Tage Inkubation 34 Tage
Kan. 410
linksseitige diffuse Orch. (-f- Spir.)
Inkubation 84 Tage
24. IV. 1912 (beide Hoden)
1 Kan. 559 Kan. 561 Kan. 563
f o. B. o. B.
Kan. 684 Kan. 686
o. B. schwacheiinksseitige
Orchitis
Inkubation 34 Tage
2. Passage.
= 3. Passage.
: 4. Passage.
25. IX. 1912 (beide Hoden)
Kan. 22 (Neue Nr.) Kan. 23 (Neue Nr.) Kan. 24 (Neue Nr.) \
o. B. rechtsseitige Orchitis + l —5. Passage.
Inkubation 40 Tage 9
16. XI. 1912 (beide Hoden)
Kan. 1010 Kan. 1012 Kan. 1014 Kan. 1016 Kan. 1018 Kan. 1020 Kan. 1022 Kan. 1020
f beiderseitige linksseitige beiderseitige + o. B. o. B. rechtsseitige
Orchitis Orchitis Orchitis Orchitis
Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage Inkubat. 48 Tage
27. II. 1913 (beide Hoden)
Kan. 1709 Kan. 1710 Kan. 1712 Kan. 1712 Kan. 1717
t
6. Passage.
J = 7. Passage.
nach unseren eben beschriebenen Versuchen schwankt die Inkubations¬
zeit. Aber während sie bei uns durchschnittlich 60—70 Tage beträgt,
haben wir auch Inkubationszeiten von über 100 Tagen, und zwar
sicher einwandfrei, gesehen! Nun kommt es bei der Beurteilung
dieser Divergenz der Angaben natürlich darauf an, wann wir einen
Befund als positiv ansehen. Wie wir bereits berichtet haben, unter¬
suchen wir alle Tiere mindestens wöchentlich einmal. Wir
nehmen aber nur dann eine Punktion des Hodens mittels der Capillaren
vor, wenn sich palpatorisch einwandfrei bereits eine circura-
scripte oder diffuse derbe Verdickung in einem Hoden
nachweisen lässt. Finden wir dann typische Pallidae, dann notieren
wir den Versuch als positiv. Es ist wohl möglich, dass schon 8, ja
vielleicht auch 14 Tage vorher vereinzelte Spirochäten im Hoden sich
auffinden lassen. Wir haben aber die zu frühzeitige Punktion nur
„verdächtiger“ Hoden unterlassen, da wir, wie wir bereits wiederholt
mitgeteilt haben, die Punktion insbesondere noch nicht völlig ausge¬
bildeter Hodensyphilome ihre Rückbildung zu beschleunigen scheint, was
sich vor allem darin dokumentiert, dass bei einer zweiten am anderen
Tage vorgenommenen Punktion häufig keine Spirochäten im Punktions¬
safte aufzufioden sind, während der Hoden 24 Stunden vorher bei der
ersten Punktion zahlreiche Spirochäten enthalten hatte.
Was endlich die Angaben von Aumann betrifft, „dass ein Ab¬
brechen der Passagen, wie es sonst häufig beobachtet wird“, sich bei
der Weiterverimpfung von aus menschlichem Blute gewonnenen Hoden-
syphilomen auf andere Kaninchen „sich nicht mehr störend bemerkbar
macht“, so können wir auch hier nicht ganz seiner Meinung sein. Wir
haben wiederholt versucht, durch Blutimpfung gewonnene ausgesprochene
Hodensyphilome auf andere Kaninchen, teils in die Hoden und teils auf
intravenösem Wege, zu übertragen, aber nur von einem Falle gelang
es uns bisher, wie obenstehende Tabelle 3 zeigt, das Virus bis zur
7. Passage durchzuführen. In den anderen Fällen gelang die Weiter¬
impfung mit lokalen Gewebsveränderungen entweder gar nicht (besonders
bei intravenöser Impfung), oder aber die Passagen brechen in der 2. oder
3. Passage ab. Eine so ausgesprochene Verkürzung der Inkubations¬
zeit, wie sie Aumann gesehen hat' (von 2 Wochen DÄuer), haben wir
aber auch dabei niemals notieren können.
Wie wir bereits mitgeteilt haben, fanden wir trotz wieder¬
holten eifrigen Nachsnchens in dem von uns verimpften Blute,
in Analogie mit Aumann, niemals Spirochäten. In letzter Zeit
haben wir das Blut auch auf die Anwesenheit der von Ross
angegebenen und för Syphilis als spezifisch ange¬
sprochenen Körperchen und intracellulären Einschlüsse
nach der Agarfärbemethode untersucht, aber ebenfalls mit
negativem Erfolg. Verschiedene intracelluläre Einschlüsse,
die wir mittels der Ross’schen Technik in Leukocyten sahen, und
die vielleicht eine gewisse Aehnlichkeit mit den von ihm be-
sehriebeneh Gebilden aufwiesen, fanden sich in gleicher Weise
auch im normalen Blut. Diese Nachprüfungen sind indes bisher
auch noch nicht so zahlreich und exakt durcbgefübrt worden,
dass wir uns in dieser Frage ein sicheres Urteil bilden konnten.
In einem Falle (18. Fall von Tabelle 1) haben wir ferner
das Blut in üblicher Weise unmittelbar nach der Entnahme ver-
impft und 24 Stunden später. Eines der Tiere, die mit
frischem Blute geimpft waren, erkrankte, während
sämtliche drei Tiere, die nach 24 Stunden mit dem¬
selben Blute geimpft worden waren, gesund blieben.
Ferner haben wir in einem Falle 6 Tiere mit Blutserum ge¬
impft, so zwar, dass wir zuerst 8 Tiere mit je 1 ccm in beide
Hoden möglichst rasch nach der Blutentnahme mit unfiltriertem
Serum impften und dann mit der gleichen Menge desselben
Serums, das aber nun durch einen frischen Berkefeld-Filter
filtriert worden war. Während die Impfungen mit nicht
filtriertem Strum in zwei Fällen positive Resultate
ergaben, zeitigten die Impfungen mit keimfrei
filtriertem Serum keinerlei positive Ergebnisse. Dieser
Versuch bestätigt früher von uns mit spirochätenhaltiger Hoden¬
aufschwemmung vorgenommene gleiche Versuche.
Ausser diesen Blut- und Blutserumimpfungen haben wir nun
auch noch andere Körperflüssigkeiten florid syphili¬
tischer Menschen in gleicher Weise verimpft. Ausser
der einen Spermaverimpfung, die, wie wir bereits mitgeteilt
haben, bei drei Tieren positive Resultate ergab 1 ), haben wir Harn,
Sputum (in je einem Falle), Milch 2 ) (in acht Fällen) und Spinal¬
flüssigkeit verimpft. Letztere Untersuchungen nahmen wfr zu¬
sammen mit Herrn Dr. Steiner, Assistent an hiesiger psychia¬
trischer Klinik, vor, und uwar verimpften wir bisher sowohl
Spinalflüssigkeit recent-syphilitischer Personen (sieben Fälle)
als auch solche von Tabikern und Paralytikern (vier Fälle).
1) Aus Mangel an geeigneten Fällen konnten wir diese Versuche
bisher noch nicht wiederholen.
2) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen konnten wir bei zwei
von den Fällen, in denen Milch verimpft worden war, positive Impf¬
resultate erzielen, in dem einen Fall handelte es sich um eine sym¬
ptomlose Mutter (Wassermann positiv) eines kongenital-syphilitischen
Kindes, im anderen Fall um eine frisoh sekundär-syphilitische Schwangere
mit manifesten luetischen Symptomen, deren Milch, in die Hoden von
von Kaninchen “in üblicher Weise verimpft, nach etwa Z l J 2 Monaten,
bzw. nach etwa 2 Monaten spirochätenhaltige Hodensyphilome in den
geimpften* Organen hervorrief. Wir werden über diese Ergebnisse in
Kürze ausführlicher berichten.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
775
Sämtliche derartige Impfungen, die natürlich fortgesetzt
werden, ergaben bis jetzt ein vollkommen negatives
Resultat. Auch Impfungen von Gehirnsubstanz von Paralytikern
in die Hoden von Kaninchen sind im Gange.
Aus dem Waisenhaus der Stadt Berlin (Oberarzt:
Prof. Finkeistein).
Infektion und Verdauung.
Von
Privatdozent Dr. Ladwig F. Meyer.
Die engen Beziehungen zwischen Infektion und Verdauung
oder, allgemeiner ansgedrückt, zwischen Fieberzustand und
Verdauung sind bereits seit den ältesten Zeiten bekannt. Die
Bedeutung dieser Beziehungen wurde jahrhundertelang überschätzt,
solange die Lehre des Hippokrates galt, Fieberkranken die
Nahrung fast völlig zu entziehen. Erst in neuerer Zeit wurde
dank der Arbeit von Männern wie Graves, v. Hösslin,
v. Leyden die Einschätzung der Beziehungen zwischen Fieber
und Verdauung auf das richtige Maass zurückgeführt. Heute weiss
man durch rationelle Ernährungsweise den fiebernden Erwachsenen
sowohl vor Verdauungsstörungen als vor Konsumption zu schützen,
und damit ist das vor einem Jahrhundert noch so rege Interesse
des Klinikers für den Einfluss der Infektion auf die Verdauung
in den Hintergrund getreten.
In einem gewissen Gegensätze dazu ist das Interesse des
Pädiaters an den Beziehungen zwischen Infektion und Verdauung
in den letzten Jahren gewachsen. Finkeiste in’s Lehre vom ali¬
mentären Fieber hat eine schärfere Trennung zwischen Störungen
auf alimentärer und infektiöser Basis ermöglicht. Und je mehr
mit dem Fortschreiten der Ernährungstechnik bei natürlicher und
künstlicher Ernährung des Säuglings die Störungen durch Er¬
nährungsfehler in der Häufigkeit zurückgetreten sind, desto mehr
ist die Bedeutung der Infektion für den Ablauf des Brnährungsvor-
ganges in die Erscheinung getreten.
Die Zeichen der Verdauungsstörung ex infectione sind bei
älteren Individuen und Säuglingen bei aller Aehnlichkeit in
wichtigen Punkten voneinander verschieden. Appetitmangel und
Erbrechen finden sich hier wie da, aber während das Erbrechen
beim Erwachsenen meist nur als Prodrom der Infektion auftritt,
herrscht es beim Säugling während der ganzen Dauer der In¬
fektionserkrankung vor und nimmt bisweilen so excessive Formen
an, dass Tage hindurch die Aufnahme des notwendigen Nahrungs¬
quantums verhindert wird.
Gänzlich verschieden ist das Verhalten des Darmkanals.
Beim Erwachsenen findet sich bei fieberhaften Erkrankungen —
wenn man von lokalen Erkrankungen des Darmes absieht — in
der Regel Obstipation, beim Säugling Diarrhöe. Selbst¬
verständlich findet diese Regel sowohl beim Säugling als auch
beim Erwachsenen bisweilen Ausnahmen. Beim Säugling ist der
Eintritt des Durchfalles im Speziellen abhängig: von der Art der
Infektion, der Jugend des Erkrankten, der Art der Ernährung und
der Konstitution.
Zweifellos disponiert eine Infektion mehr, die andere weniger
zum Durchfall. So löst im Säuglingsalter z. B. Furunkulose seltener
Diarrhöen aus als Pyelitis und vor allem die Grippe (klinische und
nicht ätiologische Bepennung), die sich von allen infektiösen
Erkrankungen am häufigsten mit Verdauungsstörungen verbindet.
Uebrigens scheinen .sich auch beim Erwachsenen bei der Influenza
(ätiologische Benennung) häufiger Diarrhöen zu finden als sonst;
nach Stintzing 1 ) in 25 pCt., nach Ristowe 1 ) in 12 pCt., nach
Anton 1 ) in 8 pCt. der Fälle.
Innerhalb des Säuglingsalters selbst sinkt die Neigung zu
Diarrhöen von Monat zu Monat; von einer grossen Anzahl an der
gleichen Infektion (Grippe) erkrankter Kinder war der Durchfall
die Reaktion des Darmkanals auf den Infekt, bei über drei Monate
alten Kindern in 54 pCt., bei unter drei Monate alten Kindern in
74,5 pCt., bei Neugeborenen (in den ersten 14 Lebenstagen) in
87 pCt. der Fälle. Je jünger also das Kind, je labiler der Darm,
desto häufiger der Durchfall.
Der Einfluss, den Ernährungszustand tynd Ernährungsart, auf
1) Gittert nach der Monographie von Leiohtenstern: Influenza,
S. 139.
den Eintritt des Durchfalles ausüben, ist ohne weiteres verständ¬
lich. Je mehr eine bestimmte Diät als solche zu Gärungen und
Durchfall geneigt macht, je schwächer von vornherein der Wider¬
stand des Darmkanals ist, desto leichter wird Durchfall eintreten.
Der häufige Eintritt des Durchfalls auch bei an sich harmlosen
Infektionen im Säuglingsalter ist es, der diese so gefährlich macht.
Denn manches künstlich genährte Kind kommt so — nicht durch
die primäre Erkrankung, sondern durch die sekundäre Ernährungs¬
störung — in Lebensgefahr.
Trotz dieser hohen Bedeutung der Infektion für den Ver¬
dauungsablauf beim Säugling ist man bezüglich des inneren Zu¬
sammenhanges zwischen Infektion und Verdauungsstörung hier
ebensowenig orientiert wie beim Erwachsenen. Ueber die ganze
Frage liegen überhaupt nur sehr spärliche Untersuchungen vor.
Beim Erwachsenen hat man gewisse Abweichungen im Chemismus
und in der Funktion des Magens festgestellt. Nach überein¬
stimmenden Befunden von Hildebrand, Klemperer, Brieger
und anderen findet sich eine Herabsetzung der freien Salzsäure
und in schweren Fällen eine Störung der Magenmotilität. Auch
die Resorptionstüchtigkeit der Magenwände soll zur Zeit fieber¬
hafter Erkrankungen nach Sticker und Zweifel (geprüft an
Jodkalium) hinter der Norm Zurückbleiben. Resorptionsstörungen
des Darmes sind niemals gefunden worden. Um die eingangs er¬
wähnte Trias von Erscheinungen — Appetitlosigkeit, Erbrechen,
Obstipation — in ihrer Pathogenese aufzuhellen, reichen die Be¬
funde nicht aus.
Ueber das Zustandekommen der Verdauungsstörungen ex. in¬
fectione beim Säugling gibt der Nachweis einer Motilitätsstörung
im Sione einer Verlangsamung der Magenentleerung und einer
Verminderung bzw. Fehlens der freien Salzsäure (Czerny-Keller)
ebensowenig Aufklärung. Man ist deshalb geneigt, die erwähnten
Störungen ganz allgemein als Reaktionserscheinungen auf central-
angreifende toxische Reize aufzufassen. Dass Säugling und Er¬
wachsener verschiedenartige Reaktionen zeigen, dass der Ver¬
dauungskanal des Säuglings viel erheblicher alteriert wird, wäre
bei der Labilität des Magendarmkanals im Säuglingsalter ver¬
ständlich. Nun fragt es sich aber, ob man sich mit dieser all¬
gemeinen Erklärung beweits zufrieden geben muss, ob nicht durch
die Infektion doch Veränderungen im Chemismus des Magendarm¬
kanals gefunden werden können, die für die Pathogenese der Ver¬
dauungsstörung von Bedeutung sind.
Bei der Schwierigkeit diesbezüglicher Unsersuchungen am
Menschen habe ich zunächst den Tierversuch zu Hilfe genommen.
In ähnlicher Weise, wie das jüngst Salle 1 ) zum Studium der
Hitzewirkung getan hat, experimentierten wir an zwei Hunden
mit Pawlow’schem Magenblindsack (Herr Professor Bickel war
so freundlich, die dazu notwendige Operation auszuführen). Bei
diesen Tieren wurden verschiedene fieberhafte Erkrankungen
hervörgerufen und in mehreren Versuchsreihen die Wirkung dieses
willkürlich erzeugten Fieberzustandes auf die Saftsekretion des
Magenblindsackes verfolgt. Die Hauptresultate dieser Versuche,
die Herr Kollege Grünfelder ausgeführt hat und demnächst an
anderer Stelle ausführlich publizieren wird, sollen im folgenden
besprochen werden.
Zunächst galt es, die normale Sekretion beider Tiere festzustellen.
In länger dauernden Vorversuchen überzeugten wir uns von der Gleich-
mässigkeit der Sekretion jedes Hundes und von der Art des Sekretions¬
verlaufes bei verschiedenen Nahrungsreizen. Es zeigte sich dabei, dass
Hund I stets etwas schwächer, aber schneller sezernierte als Hund II.
Die in normalen Zeiten ermittelten Sekretionswerte dienten als Unter¬
lage für die Veränderung der Sekretion während der Versuchszeit.
Im ersten Versuch wurde durch Injektion einer Reinkultur von
Staphylokokken (die wir 4er Freundlichkeit Professors Morgenroth’s
verdankten) ein geringes zweitägiges Fieber bis3 9,7° erzeugt; die lokalen
Reizerscheinungen an den Injektionsstellen blieben gering. Trotz der
iGeringfügigkeit der Erkrankung zeigte sich sofort eine Veränderung
in der Funktion der Magendrüsen. Während an sieben vorher¬
gehenden Tagen auf eine in bestimmter Menge dargebotene Lösung von
Liebig’s Fleischextrakt im Durchschnitt 22,1 ccm Magensaft sich aus
dem Pawlow’sohen Magen entleerte, verringerte sich die Absonderung
an den beiden Fiebertagen nun fast bis auf die Hälfte der früheren
Menge, 11,9 und 12,7.
Neben dieser Verringerung trat eine gewisse Veränderung im Se¬
kretionstyp auf, indem die Hauptmenge des Saftes nicht wie sonst in
der ersten Halbstunde nach der Nahrungsaufnahme, sondern erst in der
zweiten zur Absonderung kam.
1) Salle, Ueber den Einfluss hoher Sonnentemperaturen auf die
Funktion des Magens. Verhandlungen der Gesellschaft für ifinderheil-
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776
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17«
Liebig nach Halbstunden 1. Tag 2. Tag
1 .13,7 5,1 4,0
2 . 7,3 5,7 7,7
3 . 1,3 0,7 0,7
4 . 0,7 0,4 0,3
Die Veränderung und Hemmung der Saftsekretion wird noch viel
deutlicher bei höherem Fieber und schwerer Allgemeinerkrankung. Das
zeigte sich bei einer experimentell erzeugten Erkrankung der oberen
Luftwege, die wir wählten, weil Verdauungsstörungen bei der Grippe
ganz besonders häufig sind. Die Auslösung einer solchen Erkrankung
gelang nach einer Reihe von Vorversuchen durch Einblasen einer
Mischung von Schnupfensekret an Rhinitis erkrankter Tiere und Staub in die
Nase der Tiere. Bei beiden Hunden stellten sich nach zwei Tagen Fieber
bis über 40°, Rhinitis und Dyspnoe ein. Der eine Hund erlag am vierten
Tage der Erkrankung, der zweite erholte sich nach sieben Tagen völlig
und bot in der ganzen Zeit ausgezeichnete Gelegenheit zur Beobachtung,
da trotz sichtlicher Depression des Allgemeinbefindens — Mattigkeit,
struppiges Fell, schwankender Gang — die Versuchsnahrung spontan und
restlos aufgenommen wurde.
Die Senkung der Saftmenge war während der ganzen Zeit der Er¬
krankung sehr beträchtlich. Auf die Verfütterung von Liebig’s Fleisch¬
extrakt sank die Quantität des Saftes von 37,2 auf 15,7. Noch deut¬
licher trat diese Sekretionsverminderung bei Verfütterung von Pferde¬
fleisch zutage, bei der zu normalen Zeiten bekanntlich eine bedeutend
grössere Saftmenge als bei Fleischextrakt ergossen wird. Von 154,9 ccm
in der Zeit vor dem Versuch fiel die Sekretion auf 39,5, als auf den
4. Teil des normalen Wertes.
Ausser der Verringerung machte sich auch hier eine Verzögerung
des Sekretionsverlaufs bemerkbar, indem die Absonderung statt 6 Stunden
71/2 Stunden währte. Die Qualität des Magensaftes wich ebenfalls von
der Norm ab im Sinne einer Verminderung der gesamten Acidität und
der freien Salzsäure. Während in der fieberfreien Zeit die Werte für
die Gesamtacidität 130 und freie Salzsäure 110 betrugen, fielen sie
nun auf 100 und 70.
Um endlich die Frage zu prüfen, ob die Infektion oder das
Fieber als solches ohne die Mitwirkung bakterieller Prozesse die
depressiven Veränderungen der Magenfunktion hervorruft, unter¬
suchten wir die Magensekretion bei aseptischem Fieber, und zwar
durch Injektion von Terpentinöl.
Nach einer solchen Injektion von 5 ccm in die Glutäen entstanden
unter mehrtätigem Fieber (bis 40,5) Abscesse, die auf ausgiebige Inzision
hin abheilten.
Die Magensaftsekretion unterschied sich nicht von der bei
bakterieller Infektion. Auch hier waren Verringerung und Ver¬
zögerung der Absonderungen festzustellen.
In allen Fieberversuchen erhielten wir also das gleiche, fast
monotone Ergebnis einer je nach der Schwere der Erkrankung
abgestuften Herabsetzung der Magensaftabsonderung. Ob man
ausser dieser quantitativen Veränderung auch eine qualitative des
Magensaftes anzunehmen berechtigt ist, möchte ich dahingestellt
sein lassen.
Wie Pawlow hervorhebt, erhält man bei Hunden mit
Magenblindsack den Magensaft nicht direkt aus den Labdrüsen,
sondern „er fliesst, von ihnen ausgeschieden, längs der von alkali¬
schem Schleim bedeckten Magenwandung herab und wird teilweise
neutralisiert“. Bei spärlicher Sekretion, wie sie in unseren Versuchen
stattfand, muss die Acidität schon deshalb eine geringere sein, weil
der Saft bei dem langsamen Abfluss ausgiebige Gelegenheit zur
Neutralisation hat. Die festgestellte Verminderung der Acidität,
die nach den Beobachtungen Pawlow’s von der Gleichmässigkeit
der Zusammensetzung des Magensaftes bereits unwahrscheinlich sein
musste, fände damit eine plausible Erklärung.
Inwieweit darf man nun die gefundene Verminderung der
Saftsekretion in Beziehung zu den Verdauungsstörungen ex in-
fectione setzen? Von den Erscheinungen des Erwachsenen durfte
so die Anorexie eine Erklärung finden. Freilich könnte man da¬
gegen einwenden, dass die Appetitlosigkeit — als Folge centraler
toxischer Wirkung — das primäre sei, die Verminderung des
Saftes ausschliesslich durch den völligen oder teilweisen Ausfall
der psychischen Saftsekretion zustande käme. Dieser Einwand
ist aber nicht berechtigt; denn, wenn man nach Pawlow das
Maximum der durch psychische Reize bedingten Magensaftmenge
von der Gesamtsekretion in Abzug bringt, so würde eine Er¬
niedrigung auf 8 / s der Normalsekretion ihre Erklärung finden
können, nie aber bis zu 1 / 3 oder 1 / i herab, wie wir sie fest¬
stellten.
Für den Säugling wäre ein derartiges Darniederliegen der
Magenverdauung von ungleich grösserem Belang, denn der kind¬
liche Darm ist mehr auf die Vorarbeit der Nahrung durch den
Magen angewiesen. Eine ungenügende Erfüllung dieser Vorarbeit,
wie sie als Folge der geringen Saftsekretion eintreten muss, ist
beim Säugling von um so grösserer Bedeutung, als durch den Weg¬
fall der baktericiden Kraft der Salzsäure allzu üppige, die normale
Verdauung störende Wucherung der Darmbakterien zu erwarten
ist. So ist wenigstens die Möglichkeit nicht von der Hand zu
weisen, dass Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit bei den Ver¬
dauungsstörungen ex infectione im Säuglingsalter in pathogene¬
tischen Beziehungen zu den beobachteten Erscheinungen der ver¬
minderten Drüsentätigkeit stehen.
Und diese Möglichkeit könnte zur Sicherheit erhärtet werden,
wenn der Nachweis gelingt, dass der Infekt auf die Tätigkeit der
anderen Verdauungsdrüsen in derselben Weise hemmend einwirkt
wie auf die der Labdrüsen.
Aus der gynäkologischen Abteilung des Hospitals zu
Allerheiligen, Breslau (Primärarzt Dr. R. Asch).
Untersuchungen über die Verwertbarkeit der
Abderhalden’schen Fermentreaktion bei
Schwangerschaft und Carcinom.
Von
Dr. N. Markos, Sekundärarzt
(Nach einer Diskussionsbemerkung zum Vortrag Frank und Heymann,
gehalten am 14. März 1913 in der Schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zu Breslau.)
Die grosszügigen Untersuchungen AbderhaldenV) über die
Schutzapparate, welche der Organismus bei dem Eindringen blut-
fremder Substanzen in die Circulation in Aktion treten lässt,
haben schliesslich zu der praktisch bedeutsamen Fragestellung
geführt, ob sich während der Schwangerschaft proteolytische Fer¬
mente in der ßlutbahn finden.
Im Verlaufe eingehender Untersuchungen gelang es Abder¬
halden schliesslich, den Nachweis zu führen, dass das Serum
von schwangeren Menschen und Tieren Fermente enthält, die
Placenta abzubauen vermögen. Was die Technik anbetrifft, mit
der dieser Nachweis geführt wird, so dürfte es wohl genügen,
auf die bekannten Publikationen Abderhalden’s zu verweisen,
in denen er seine Anschauungen eingehend begründet und de¬
taillierte Angaben über das bei der Fermentreaktion, insbesondere
der Schwangerschaftsreaktion zu beobachtende Verfahren macht
Soweit Erfahrungen von Abderhalden selbst, von Frank und
Heymann, Franz und Jarisch, Henkel vorliegen, hat die
Schwangerscbaftsreaktion, sofern Erkrankungen anderer Organe mit
Sicherheit auszuschHessen waren, niemals versagt. Dagegen sind
in letzter Zeit von Engelhorn*) aus der Erlanger Frauenklinik
Bedenken über die Zuverlässigkeit der Schwangerschaftsreaktion
gsäussert worden, der dem Abderhalden’schen Verfahren
eine diagnostische Bedeutung abspricht. Desgleichen berichtet
Herzberg 8 ) über Untersuchungen in der Fränkel’schen Privat¬
klinik in Breslau, nach denen der positive Ausfall der Schwanger¬
scbaftsreaktion mit dem klinischen, zum grossen Teil autoptischen
Befände nicht übereinstimmte. Sie berichtet unter anderem über
ein Myom, bei dem eine positive Schwangerschaftsreaktion nach¬
zuweisen war, bei sicherem Ausschluss einer etwaigen Gravidität
Ich habe mich bald nach dem Erscheinen der Abder¬
halden’schen Arbeiten mit der Nachprüfung der Schwanger¬
scbaftsreaktion beschäftigt und hieran auch Versuche über das
Verhalten des Serums von Carcinomkrankeh gegen Placenta und
Carcinomgewebe geknüpft, Der Gedanke, das Verhalten von
Carcinomserum gegen Carcinom zu prüfen, ist von Abderhalden
bereits in seinen ersten Arbeiten in den Kreis der experimentellen
Untersuchungen gezogen worden. Es lag naturgemäss nahe, nach¬
dem im Serum Schwangerer Fermente gegen Placenta nach*
gewiesen waren, auch im Serum Carcinomkranker nach ähnlichen
Fermenten gegen Carcinom zu suchen. Abderhalden selbst hat
bereits über günstige Resultate in dieser Richtung mitgeteilt und
gibt in seinen letzten Arbeiten an, dass seine Scbutzfermente
einen gewissen spezifischen Charakter anfweisen, indem er stets
1) Abderhalden, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 24:
1912, Nr. 36; 1913, Nr. 8.
2) Engelhorn, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.
3) Diskussionsbemerkung zum Vortrag Frank und Heymann in
der Sitzung vom 14. März 1913 der medizinischen Sektion der Schlesi¬
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
777
einen Abbau von Gareinom dnrch Carcinomserum, nicht aber
s. B. einen Abbau des Carcinoms durch Schwangerenserum und
umgekehrt einen Abbau von Placentargewebe durch Garcinom-
serum beobachten konnte.
Die Methodik, die Abderhalden bei der Anstellung der Ferment¬
reaktion vorschreibt, ist im Verlaufe der Zeit vielfachen Modifikationen
unterlegen. So gibt Abderhalden in seinen ersten Publikationen und
auch weiter im Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden noch an,
dass es zur Anstellung der Reaktion genüge, Placentargewebe mit der
zehnfachen Menge Wassers so lange zu kochen, bis 10 ccm der Wasch¬
flüssigkeit mit 0,2 ccm einer lOproz. wässrigen Ninhydrinlösung keine
Blaufärbung mehr ergeben. Neuerdings hält Abderhalden diese
Methode anscheinend nicht mehr für einwandsfrei, da er verlangt, dass
die bereits vorher in der üblichen Weise ausgekoohten Placentarstück-
chen vor der Anstellung der Reaktion nochmals mit der fünffachen
Wassermenge so oft gekocht werden, bis 1 ccm einer 1 proz. Ninhydrin¬
lösung zusammen mit 5 ccm des Waschwassers keine Reaktion mehr
zeigen.
ich habe mich in meinen Versuchen peinlichst an die Abder-
balden’schen Vorschriften gehalten und muss entsprechend den
Wandlungen, welche die Abderhalden’sche Methodik im Laufe der
Zeit erfahren bat, auch meine Versuche in zwei grosse Abschnitte
teilen. Ich habe meine ersten Versuche nach der ursprünglichen
Methode Abderbalden’s angestellt und nach diesem Verfahren
15 Gravide bzw. Puerperae fast ausschliesslich unmittelbar nach
der Geburt untersucht. Bei diesen liess sich überall mit Hilfe
der Abderhalden’schen Fermentreaktion die Diagnose Schwanger¬
schaft mit Sicherheit stellen. Unter den von mir untersuchten
Fällen verdienen besonders vier ein weitergehendes klinisches
Interesse, da sie meiner Ansicht nach geeignet sind, über die
Grenzen Aufschluss zu geben, innerhalb deren man mit einem
positiven Ausfall der Schwangerschaftsreaktion rechnen kann. So
habe ich einen Fall acht Tage nach dem Ausbleiben der Menses
untersucht, zu einer Zeit, wo sich noch nicht der geringste Pal¬
pationsbefund erheben liess, und in diesem Fall einen starken
Abbau der Placenta durch das Serum feststellen können. Weiter
habe ich es mir andererseits znr Aufgabe gemacht, auch den
Zeitpunkt des Verschwindens der Reaktion zu bestimmen, und
habe dabei gefunden, dass eine Wöchnerin noch 10 Tage post
partum, eine andere 18 Tage usw. positiv reagierte, während bei
bei einer dritten 4 Wochen nach der Geburt die Schwangerschaf ts-
reaktion negativ war. Es tritt somit die Abderhalden’sche
Schwangerschaftsreaktion bereits 8 Tage nach dem Ausbleiben
der Menses auf und ist etwa 4 Wochen nach dem Partus ver¬
schwunden.
In drei Fällen von Extrauteringravidität war die Schwanger¬
schaftsreaktion immer positiv. Die Extrauteringravidität wurde
jedesmal durch die Operation bestätigt. Zur Kontrolle habe ich
18 nicht schwangere Frauen, zum Teil ganz gesunde, zum Teil
Frauen mit Ovarialtumoren, gonorrhoischen Anexitiden untersucht
und in keinem der 18 Fälle eine positive Schwangerschaftsreak¬
tion gesehen. Es hat somit in keinem Falle die Schwangerschafts¬
reaktion, nach der ursprünglichen Methode Abderhalden’s ange¬
stellt, ein irreführendes Resultat ergeben, und ich möchte es
dahingestellt sein lassen, ob nicht schon in dieser Form die
Abderhalden’sche Fermentreaktion eine brauchbare klinische Unter-
suchungsmethode darstellt.
Ich muss allerdings sofort einschränkend bemerken, dass nach
dieser Methode auch fünf Sera von Carcinomatösen eine positive
Reaktion bei Verwendung von Placenta ergaben, wobei es frei¬
lich noch dahingestellt bleiben muss, ob nicht hier die auch
sonst bekannten biologischen Analogien zwischen Schwangerschaft
und Carcinom zum Ausdruck gelangen.
Als dann Abderhalden mit Nachdruck die Anwendung
seiner neuen Vorschriften zur Anstellung der Schwangerschafts¬
reaktion bzw. zum eventuellen Fermentnachweise bei Tumorkranken
verlangte, habe ich mich in meinen weiteren Untersuchungen nur
an diese gehalten. Ich bin hierbei zu einer fast vollständigen
Bestätigung der Abderhalden’schen Befunde gelangt. In sämt¬
lichen Fällen von Gravidität (20 Fälle) habe ich stets eine posi¬
tive Schwangerscbaftsreaktion auch nach der neuen Methode be¬
kommen. Dieselbe fiel auch positiv aus, allerdings nur schwach
f iositiv, bei einer Frau, 10 Tage nach dem Ausbleiben der Menses,
ch habe weiter 11 Carcinomsera, darunter Oesophaguscarcinome,
Pharynx-, Uterus- und Magendarmcarcinome auf ihr Verhalten
gegen Placentareiweiss geprüft und habe hierbei in 7 Fällen eine
absolut negative Reaktion und in 4 Fällen einen sehr schwachen
Abbau der Placenta durch Garcinomseren gefunden.
Es scheint somit, wenn auch Abderhalden seine Schutz¬
fermente nicht als spezifisch bezeichnet hat, doch eine gewisse
Spezifität zu bestehen, die in meinen Versuchen darin hervortritt,
dass bei Anwendung der neuen Abderhalden’schen Methode
Placenta stets stark und deutlich von Schwangerschaftsserum ab¬
gebaut wird, während Garcinomserum im allgemeinen keine
placentaabbauenden Fähigkeiten besitzt. Worauf die Differenz in
den Ergebnissen von Frank und Heymann 1 ) und meinen, die
sich mit den Abderhalden’scben Befunden fast völlig decken, be¬
ruht, lässt sich natürlich nicht ohne weiteres sagen. Möglicher¬
weise spielen da individuelle Differenzen in der Zusammensetzung
der verschiedenen Placenten eine gewisse Rolle.
Ich habe weiterhin Versuche über das Verhalten von
Garcinomserum gegen Garcinomgewebe bzw. Schwangerenserum
gegen Carcinomgewebe angeknüpft und bin hierbei zu folgenden
Resultaten gelangt: Als abzubauende Substanz benutzte ich Uterus-
carcinom, das nach den neuesten Abderhalden’schen Vorschriften
behandelt wurde. Von 8 Garcinomseren, darunter Portio-
carcinome, Oesophagus - Magendarmcarcinome reagierten 5 mit
Uteruscarcinomgewebe positiv, 3 negativ. In diesen 3 Fällen
handelte es sich ausschliesslich um das Serum von Magendarm-
carcinomen.
Von 7 Schwangerschaftsseren reagierten 5 völlig negativ; in
2 Fällen ergab jedoch das Dialyast mit Ninbydrin eine schwache
Blaufärbung.
Fasse ich meine Resultate zusammen, so hat sich in sämt¬
lichen untersuchten Fällen die Schwangerschaftsreaktion als eine
sichere diagnostische Untersuchungsmethode erwiesen. Dagegen
erfordert die Beurteilung der Schwangerschaftsreaktion bei Tumor¬
verdacht eine gewisse Vorsicht, da wir, wenn auch;nur in einer
geringen Anzahl von Fällen und auch dann nur schwach,
immerhin einen Abbau der Placenta durch Tumorserum nachweisen
konnten.
Inwieweit die Abderhalden’sche Fermentreaktion bei sicherem
Ausschluss von Schwangerschaft für die Garcinomdiagnose ver¬
wertbar ist, darüber möchte ich mich auf Grund meiner Erfah¬
rungen vorläufig mit Reserve aussprechen. So weisen vor allem
meine Versuche darauf hin, dass, wenn auch Carcinomserum
häufig Garcinomgewebe abbaut, der negative Ausfall der Reaktion
nicht mit Sicherheit gegen das Vorhandensein von Garcinomen
spricht. Es muss natürlich abgewartet werden, ob sich nicht die Re¬
sultate durch Verwendung verschiedener Carcinome entsprechend
den zu untersuchenden Fällen verbessern lassen. Hierfür sollen
weitere bereits im Gange befindliche Untersuchungen Aufschluss
geben.
Ueber die Bedeutung der Abderhalden’schen
Forschungsergebnisse für die Pathologie der
inneren Sekretion.
Vo«
Dr. Arthur Münzer -Berlin-Schlachtensee.
Durch die bahnbrechenden Untersuchungen Abderhalden’s 3 ),
welche bereits in der biologischen Diagnose der Schwangerschaft
ihre eminent praktische Bedeutung erkennen liessen, sind auch
auf dem Gebiete der inneren Sekretion neue Strecken urbar ge¬
macht worden; eine ganze Reihe von Problemen ist nunmehr mit
einem Schlage einem wirklichen Erfassen und Durchdringen näher
gebracht. — Bis jetzt wussten wir immer nur von der vermehrten
und verminderten Sekretion einer Gefässdrüse, und stets wurde
einer Hyper- bzw. Hyposekretion des Drüsenorgans ein
bestimmtes Krankheitsbild zugrunde gelegt. Gewiss sprach man
auch von einer Dyssekretion, einer Abscheidung qualitativ ver¬
änderter Drüsenstoffe, und es wurde ja auch z. B. der Morbus
Basedowii nicht selten als ein Dysthyreoidismus, als eine Para-
thyreoidose gedeutet. Aber dieser Begriff war für uns nicht weiter
fassbar, er blieb uns ein leeres Wort, weil zu seiner Begründung
positive Argumente fehlten. Nun aber kommt zur rechten Zeit
die neue Lehre und drängt unsere Gedanken in folgende Richtung:
zweifellos existiert neben einer gesteigerten und einer verringerten
1) Frank und Hey mann, Vortrag, gehalten in der Sitzung vom
14. März 1913 der medizinischen Sektion der schlesischen Gesellschaft
für vaterländische Kultur zu Breslau.
2) Abderhalden, Die Sohutzfermente des tierischen Organismus.
Berlin 1912, J. Springer.
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UNIVERSUM OF IOWA
778
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Absonderung (Hyper- and Hyposekretion) auch eine Dyssekretion,
und diese besteht vermutlich in einer Produktion von unge¬
nügend oder falsch abgebauten Drüsensubstanzen. In solchen
Fällen also mag die erkrankte Drüse Stoffe entsenden, die
infolge ihres mangelhaften Abbaues noch nicht reif zur Aufnahme
in das Circulationssystem sind und daher als blutfremdes Material
eine verderbenbringende Wirksamkeit entfalten. Durch einwand¬
freie Methoden gelingt es, die Existenz dieser nicht genügend
nivellierten Stoffe im Blutstrom nachzuweisen.
Unmittelbar ersteht vor unseren Augen das Bild jener Base¬
dowfälle, die trotz verhältnismässig kleiner Struma dennoch mit
den schwersten toxischen Erscheinungen einhergehen, und anderer¬
seits treten in unsere Erinnerung jene riesengrossen Strumen,
welche ungeachtet ihrer Ausdehnung der charakteristischen Base¬
dowerscheinungen völlig ermangeln. Nicht die Quantität der
Drüsensekrete ist das Wesentliche, nur ihre Qualität bedingt
Gesund- bzw. Kranksein. Die QüantitätsVeränderung der Drüsen¬
produkte erzeugt, um gleich bei dem Beispiel der Schilddrüse zu
bleiben, eine Lokalerkrankung (Struma), die Beeinträchtigung der
Qualität hingegen führt zu einem schweren Allgemeinleiden
(Basedow), durch welches unter Umständen das Leben ernstlich
bedroht wird.
Es wird in der Folgezeit überhaupt schwer werden, Hyper-
bzw. Hyposekretion von einer Dyssekretion auf Grund klinischer
Befunde zu scheiden. Möglicherweise ist jede Alteration der
Quantität auch von einer solchen der Qualität begleitet und um¬
gekehrt. Eines erscheint aber schon jetzt sicher: in Zukunft
wird bei den Erkrankungen der Blutdrüsen den dyssekretorischen
Schädigungen ein weit grösserer Spielraum zugemessen werden
müssen, als dies bisher geschehen; wir werden also mit kombinierten
Störungen zu rechnen haben. Hierbei wird nun weiter zu ergründen
sein, in welchem Abhängigkeitsverhältnis die beiden Gruppen von
Sekretionsstörungen zueinander stehen: Inwieweit bzw. wann
führt eine quantitative Aenderung der Drüsenabsonderung eine
materielle Schädigung der glandulären Produkte herbei und um¬
gekehrt?
Seitdem die reizvollen Probleme der inneren Sekretion im
Vordergrund des Interesses steheti, ist auch die Frage nach Ur¬
sprung und Wesen des Diabetes immer wieder und wieder zur
Diskussion gestellt worden. Jedoch sind wir noch fern von
einer endgültigen Lösung. Die erste grosse Etappe bedeutete die
Entdeckung des experimentellen Pankreasdiabetes durch v. Meri'ng
und Minkowski. Endlich schien der rechte Weg gefunden;
denn was lag näher, als die Genese der Zuckerkrankheit auf eine
verringerte bzw. fehlende Sekretion des Pankreas zu beziehen!
Auch die pathologische Anatomie erhärtete anscheinend die
Richtigkeit dieses Gedankenganges, indem sie für die Mehrzahl
der Diabetesfälle eine Atrophie des Pankreas nachweisen konnte.
Aber es waren doch von vornherein mehrere Momente da, welche
den aufmerksamen Beobachter stutzig machen mussten. Da war
zunächst die unbestreitbare Tatsache, dass die erwähnte Pankreas-
atrophie keineswegs in allen Fällen zu finden war. Ein klinisch
fixiertes Krankheitsbild ohne einheitlichen anatomischen Be¬
fund weckt in uns aber stets ein gewisses Gefühl des Unbehagens.
Und dann war von Anfang an sehr auffällig das völlige Versagen
der Organtherapie. Warum sollte, wenn es sich um eine einfach
verringerte Sekretion des Pankreas handelte, die Zufuhr von
Drüsen material so absolut nicht helfen! Hatten wir doch beim
Myxödem mit der Verabreichung von Scbilddrüsensubstanz so glän¬
zende Erfolge erzielt, und passte doch beim Diabetes unsere Auf¬
fassung des Krankheitsprozesses in eben den gleichen Rahmen!
Aber die klinische Beobachtung lehrt uns immer wieder, dass
wir nicht schematisieren dürfen. Auch in dem Kapitel von der
Pathogenese der Zuckerkrankheit stimmten die theoretischen An¬
schauungen, zu denen wir nach langjährigen Stadien gelangt
waren, mit den Erfahrungen der Realität nicht überein. Wenn
wir nun aber, gestützt auf Abderhalden, annebmen, es handle
sich nicht um eine reine Hyposekretion, sondern um eine fehler¬
hafte Absonderung, um einen mangelhaften Abbau der Drüsen¬
stoffe, so ändert sich die Situation mit einem Schlage. Erstens
können wir nunmehr auch für die anatomisch negativen Fälle
postulieren, dass die Funktion des Pankreas in der erwähnten
Weise beeinträchtigt sei; und diese Hypothese bleibt keine leere
Hypothese mehr, sondern wird sich mit den Abderbalden’schen
Methoden intra vitam für alle Diabetesfälle nachprüfen lassen.
Es kommt also der Begriff der Funktion bzw. der Funktions¬
störung wieder zu seinem Recht. In den Fällen aber, in denen
eine reelle Pankreasatrophie vorliegt, da wird^auch wahrschein¬
lich, so meinen wir, die Qualität der Drüsenstoffe geschädigt
sein. A priori kann man sich ja kaum denken, dass ein atro¬
phischer Prozess in einem Drüsenorgan die glandulären Pro¬
dukte völlig unangetastet lässt. Wir können aber auch, wie
bereits oben hervorgehoben, auf Grund klinischer Erfahrungen
(Morbus Basedowii) schliessen, dass fast immer eine Quantitäts¬
veränderung der Sekretion mit einer Alteration der
Qualität Hand in Hand geht. Es ist also, so meinen wir, für
die Entstehung des Diabetes sehr wohl eine kombinierte Sekretions-
störung in Betracht zu ziehen (Hypo- -f- Dyssekretion). — Keines¬
wegs dürfen wir unserer Auffassung nach den experimentell er¬
zeugten Tierbiabetes mit der menschlichen Zuckerkrankheit ohne
weiteres auf eine Stufe stellen. Allerdings ist hier wie dort der
Krankheitsprozess Folgewirkung ein und derselben Ursache — als
solche wird nach modernen Theorien der Fortfall der Dämpfung
der Zuckerproduktion angesprochen, also vermehrte Zuckerbildung.
Aber dieses Ziel scheint auf zwei verschiedenen Wegen erreicht
zu werden, im ersten Falle durch absolutes Fehlen der Pankreas¬
sekretion, im zweiten vielleicht durch eine kombinierte Sekretions¬
störung (Hypo- + Dyssekretion). — Die Identifizierung beider
Krankheitsprozesse ist für die Erkenntnis des Wesens der Zucker¬
krankheit entschieden nicht förderlich gewesen.
Das Versagen der Organtherapie beim Diabetes führt uns als¬
bald auf das umfassendere Problem, warum überhaupt bei einer
Reihe von Krankheitszuständen, die auf mangelhafter Funktion
von Blutdrüsen beruhen sollen, die Organtherapie — mit Aus¬
nahme des Myxödems — so völlig im Stich lässt. Auch dieser
Tatsache scheinen wir mit Hilfe der Abderhalden'scben Forschungen
mehr auf den Grund zu kommen. Wenn ein Organismus unter
irgendwelchen Einflüssen die Fähigkeit verliert, die Produkte
einer bestimmten, ihm zugehörigen Blutdrüse richtig und voll¬
kommen abzubauen, so kann er natürlich auch nicht solche, die
ihm von aussen zugelührt werden, gesetzmässig verarbeiten;
sondern er muss sie — in gleicher Weise wie die seiner eigenen
Drüse entstammenden — ungenügend abgebaut dem Blutstrom
überliefern. Somit kann also die krankhafte Störung nicht be¬
hoben werden. Ja man könnte sich sogar vorstellen, dass unter
ständiger Zufuhr von Drüsenprodukten das Leiden eher ver¬
schlimmert wird; und in der Tat finde ich bei Leschke 1 ) die
Angabe, dass frischer Pankreasextrakt bei diabetischen Tieren und
Menschen die Zuckerausscheidung steigert. Vielleicht wäre in be¬
stimmten Fällen der Versuch angebracht, zu organotherapeutischen
Zwecken nicht mehr die reine Drüsensubstanz, sondern ent¬
sprechend abgebaute Organpräparate zu verwenden.
Mit brennendem Interesse musste jedermann die Untersuchungen
Fauser’s 3 ) verfolgen, der als erster aus den Forschungsergeb¬
nissen Abderhalden’« die praktische Nutzanwendung für die
Psychiatrie gezogen hat. Gerade in dieser jung erblühenden
Wissenschaft, die noch so viele der ungelösten Probleme bietet,
musste die neue Lehre verheissungsvolle Ausblicke eröffnen. So
haben denn auch schon jetzt Fauser’s Untersuchungen eine Reihe
wichtiger Ergebnisse beigebracht: es gelang nämlich bei be¬
stimmten psychischen Erkrankungen (Psychosen bei Schilddrüsen¬
erkrankungen, Dementia praecox, luetischen und metaluetischen
Psychosen) blutfremde Stoffe im Circulationssystem nachzuweisen.
Wenn wir jetzt also hören, dass im Blute von Dementia
praecox - Kranken mit vollkommener Sicherheit in der Mehrzahl
der Fälle Geschlecbtsdrüsensubstanz aufgefunden wird, so müssen
wir ehrlich zugeben: Jetzt scheint endlich ein Weg gebahnt,
auf dem wir vielleicht zur Erkenntnis so mancher Psychosen ge¬
langen. Hier tasten wir nicht mehr im Dunkeln, sondern jetzt
haben wir wirklich ein Fundament, auf dem weiter gebaut werden
kann. Bezüglich aller näherer Einzelheiten verweise ich auf
Fauser’s Arbeiten. Mir sei nur noch folgendes zu bemerken
gestattet: es scheint — speziell für die psychischen Erkrankungen —
geraten, nicht nur das Blut auf blutfremdes Material zu unter¬
suchen, sondern auch in der Cerebrospinalflüssigkeit auf
„Liquor-fremde“ Bestandteile zu fahnden. So könnte bei Para¬
lyse wie auch bei Dementia praecox der Liquor auf Hirnsubstanz
geprüft werden. Für letztere Erkrankung käme naturgemäss auch
die Untersuchung auf Keimdrüsen resp. Schilddrüse in Betracht
Vielleicht würden auch bei manisch-depressivem Irresein, das bis
jetzt eine nur geringe Ausbeute geliefert hat, positive Befunde im
1) Leschke, Die Pankreastherapie der Diabetes. Münchener med.
Wochenschr., 1911.
2) Fauser, Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 52, und Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 7.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
779
Liquor zu erheben sein; wichtig wäre hier einerseits die Unter¬
suchung auf Gehirnmaterial, andererseits auf Schilddrüse. Be¬
züglich der Epilepsie müsste auf Hirn, auf Nebenschilddrüsen
[Curschmann] 1 ) und auf Keimdrüsen geprüft werden. Weiterhin
sollten sämtliche Formen der Tetanie auf Nebenschilddrüsen¬
substanz durchuntersucht werden (Kindertetanie, Maternitätstetanie,
Tetanie gastrointestinalen Ursprungs), damit endgültig die Ein¬
heitlichkeit dieser Krankheitsformen festgestellt werden könnte.
Von Bedeutung erschiene es auch, das Verhalten der Lumbal¬
flüssigkeit gegenüber Nebenschilddrüsenbestandteilen bei Paralysis
agitans zu beobachten. Bekanntlich wurde dieses Leiden neuer¬
dings mit einer Insuffizienz der Epithelkörperchen in Zusammen¬
hang gebracht. Auch für die seltenere Erkrankungsformen, wie
z. B. die Myasthenie usw., wäre ähnlich zu verfahren. Endlich
wäre es bei der Hysterie, die ja mit der Sexualsphäre in so
innigen Beziehungen steht, von Interesse, nach Keimdrüsen¬
substanz zu forschen. Die hier gegebenen Andeutungen möchte
ich nicht weiter ausspinnen; es sollten nur einige Richtlinien für
eventuelle weitere Untersuchungen gezeichnet werden.
Schliesslich noch ein Wort zur Therapie. F'auser 2 ) hat be¬
reits den Gedanken ausgesprochen, dass die Ergebnisse Abder-
halden’s vielleicht dereinst zu einer spezifischen Therapie
psychischer F)rkrankungen führen würden. Von diesem so heiss
ersehnten Ziel sind wir indessen wohl noch eine ganze Strecke
entfernt. Vielleicht scheint folgende Anregung brauchbar: Be¬
kanntlich stehen im polyglandulären System eine Reihe von Blut¬
drüsen in einem antagonistischen Verhältnis zueinander, d. h.
also eine bestimmte Blutdrüse hemmt die Sekretion ihres Antago¬
nisten. Nun circulieren, wie wir von Fauser gehört haben, im
Blute von Dementia praecox - Kranken Keimdrüsenstoffe — die
Folge einer Dyssekretion der Geschlechtsdrüsen. Solange wir
noch nicht imstande sind, diese krankhaften Stoffe im Blut zu
zerstören, müssten wir versuchen, die Sekretion der betreffenden
Drüse — in unserem F'alle also der Keimdrüsen — möglichst
einzuschränken. Das liesse sich vielleicht durch Verabreichung
von antagonistischen Organen entstammender Drüsensubstanz er¬
reichen. ln diesem Sinne mag versuchsweise bei Dementia
praecox eine kombinierte Opotherapie [Hypophysis, Nebenniere,
Zirbeldrüse (?)] instituiert werden, deren Wirksamkeit unter Um¬
ständen die Absonderung der Keimdrüsen zurückzudrängen fähig
wäre.
Aus der geburtshilflichen Abteilung des städtischen
Krankenhauses Charlottenburg (Prof. Dr. Keller).
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei
ausgedehnter halbseitiger Teleangiektasie und
Varicenbildung mit lymphangiektatischer Ele¬
phantiasis.
Von
Dr. med. H. Drews, Assistenzarzt.
In dem beobachteten Falle handelt es sich um eine 23 jährige Ipara
mit hochgradiger Teleangiektasie, varicöser und elephantiastischer Ver¬
änderung der Haut der rechten Körperhälfte vom Kopf bis zum Fuss.
Rechts und Links steht in scharfem Kontrast zueinander sowohl an
Farbe wie an Konsistenz und Beschaffenheit der Hautoberfläche. Die
Grenzlinie ist auf der Vorderseite des Körpers scharf gegogen wie mit
dem Lineal und entspricht der Linea alba. Links davon ist die Bauch¬
haut normal, rechts gebräunt und mit durchschimmernden varicösen Er¬
weiterungen der Venen, der grösseren sowohl wie der kleinen. Die
Oberfläche erscheint rechts gegenüber links etwas erhaben, die Betastung
hinterlässt zwar keine Delle, erweckt aber den Eindruck eines weichen
teigigen, leicht infiltrierten Gewebes. Auf Druck schwindet die bläuliche
Färbung, und zurückbleibt allein die rötlich-braune Pigmentierung.
Wie median so grenzt sich auch nach oben die Veränderung scharf
ab in der Höhe der rechteu Mamma. An der rechten Aussenseite des
Körpers wird die obere Grenze undeutlich, um auf der Rückenseite ganz
zu verschwinden und einem allmählichen Uebergang zum normalen Ge¬
webe Platz zu machen. Während die Veränderung an dem unteren
Teil des rechten Glutaeus noch stark ausgeprägt ist, erscheint dieselbe
1) Curschmann, Cerebrale Syndrome der Tetanie und Calcium¬
therapie. Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Nervenärzte, Leipzig
1912.
2) Anmerkung bei der Korrektur: Vgl. auch die letzte Arbeit von
Fauser, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 11.
im oberen Teil schon wesentlich geringer und geht von hier aus allmählich
in das Normale über.
Besonders stark sind die Veränderungen ausgesprochen an der
rechten unteren Extremität und hier wieder besonders am Fuss. Der
Fuss und der Unterschenkel geben den vollständigen Eindruck elephan¬
tiastischer Veränderung der Haut. Daneben grössere und kleinere beulen¬
artige Vorsprünge von prallgefüllten Varicen.
Nach oben zu nehmen die varicösen Veränderungen ab, und am
Bauche treten sie gegenüber den feineren teleangiektatischen Anomalien
der Haut mehr in den Hintergrund.
Die strenge Halbierungslinie läuft über den Mons veneris und teilt
entsprechend auch die äusseren Genitalien, um nach hinten in die Rima
ani überzugehen. Das rechte Labium tritt stark hervor in bläulich-röt¬
licher Farbe, von dicken varicösen Venen durchzogen; das linke Labium
ist klein, von normaler Beschaffenheit.
Besonders in die Augen fallend ist die starke Asymmetrie beider
Gesichtshälften, indem die rechte wesentlich voluminöser als wie die linke
erscheint.
Die verdickte Backe hängt rechts schlaff herunter wie bei einer
Facialislähmung mit nach unten verzogenem Mundwinkel. Die Nasolabial-
falte ist verstrichen. Das obere rechte Augenlid steht tiefer als links,
wie bei einer Ptosis. Es ist eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Aussehen
vorhanden, wie es bei apoplektischen Zuständen hervortritt.
Auch die rechte obere Extremität ist, neben die linke gehalten, von
letzterer verschieden. Die Haut ist diffus braunrot verfärbt, zugleich er¬
scheint sie etwas dicker, von weicher, leicht teigiger Konsistenz mit
einzelnen kleineren und grösseren tiefblauen Fleckchen, welche Tele¬
angiektasien entsprechen.
Irgendwelche Anomalien sowohl der Schädel- wie Extremitäten¬
knochen konnten durch Röntgenaufnahmen nicht festgestellt werden.
Pathologisch-anatomisch handelt es sich um Teleangiektasien der
kleinen und Varicenbildung der grösseren venösen Gefässe und des Lymph-
gefässsystems mit diffuser Bindegewebsvermehrung, entsprechend der
Elephantiasis.
Die streng halbseitige Lokalisation der Veränderungen legt den Ge¬
danken nahe an eine ursächliche Nervenbeeinflussung. Die genaue Unter¬
suchung des Nervensystems ergab jedoch keine Anhaltspunkte dafür.
Die Reaktion auf elektrische Ströme erfolgt beiderseits prompt in nor¬
maler Stärke, die Temperaturmessungen beider Körporhälften ergeben
keine Differenzen, die Schweissproduktion ist beiderseits eine gleich-
mässige, ebenso die Sensibilität. Die Pat. war bei der Aufnahme im
5. Monat gravid.
Die sonstige Untersuchung der inneren Organe, insbesondere der
Zustand des Uterus und seiner Adnexe ergab vollständig normale Ver¬
hältnisse. Auch die chemische Untersuchung des Urins konnte keinerlei
abnorme Bestandteile nachweisen.
Bemerkenswert für die Vorstellung der Stärke und Ausdehnung der
halbseitigen Veränderung ist vielleicht, dass sie dem zu Rate gezogenen
Arzt wegen der Arbeitsbehinderung die Indikation zur Unterbrechung
der Schwangerschaft begründete.
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780
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Anamnestisch war, wie in ähnlichen Fällen, nur zu ergründen, dass
die Veränderungen bis auf die Geburt zurückgingen. Schon damals soll
die rechte Gesichtshälfte und das rechte Bein dicker gewesen sein als
links. Dasselbe gilt bezüglich der Krampfadern and Hautveränderungen.
Bei den Eltern, Geschwistern und sonstigen Verwandten sind ähnliche
Vorkommnisse nicht beobachtet.
Wie die Pat. augenblicklich, abgesehen von den beschriebenen Ver¬
änderungen, im allgemeinen den Eindruck der zurückgebliebenen körper¬
lichen Entwicklung macht, so spricht dafür auch die Angabe, dass sie
erst mit 4 Jahren laufen gelernt hat und mit 18 Jahren zum ersten
Male menstruierte.
Auch geistig erscheint sie äusserst schwerfällig und gibt auch zu,
in der Schule schwer vorwärts gekommen zu sein.
Traumatische Verletzungen, welche bei der Ausdehnung der Ver¬
änderung kaum in Frage kommen, haben niemals stattgefunden.
Das Fehlen frischer und alter luetischer Symptome, besonders der
negative Ausfall der Wassermann'schen Reaktion sprechen gegen ein
derartiges ätiologisches Moment.
Mit dem Beginn der Schwangerschaft haben sich angeblich die be¬
stehenden Hautveränderungen allmählich verstärkt. Dieses gilt besonders
bezüglich der Anschwellung des rechten Beines, welche das Gehen und
Arbeiten erschwerte.
Da die Pat. wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit unter die Hausschwangeren
der Anstalt aufgenommen wurde, war es möglich, die weiter im Laufe
der Schwangerschaft eintretenden Veränderungen genau zu beobachten.
Die Pat. wurde zunächst einige Tage zu Bett gelegt mit Hoch¬
lagerung des rechten Beines. Die Wirkung war keine bemerkenswerte,
weshalb man die Pat. bald wieder aufstehen liess. Wir begnügten uns
nun, durch eine entsprechende Binde bis zum Knie die Schwellung nach
Möglichkeit zu beschränken und auch die Pat. vor Schädlichkeiten durch
Stoss usw., wozu die Kranken erfahrungsgemäss besonders neigen, zu
schützen. Im weiteren Verlaufe der Gravidität wurde die scharfe Grenze
der Veränderung auf der Bauchhaut durch eine diffuse bräunliche Pigmen¬
tierung der Haut allmählich ganz verwischt, so dass bei der Geburt nur
mit Mühe die alte Trennung zwischen Rechts und Links wahrgenommen
werden konnte. Es blieb nur die leichte Erhabenheit der Haut rechter-
seits gegenüber links bestehen.
Die Geburt erfolgte am normalen Termin und verlief spontan. Mit
dem Wehenbeginn trat eine Gestalt des Uterus entsprechend dem Uterus
arcuatus mit deutlicher medialer Einkerbung zutage, die vorher nicht
konstatiert werden konnte. Die Eröffnungsperiode verlief sehr langsam
und dauerte 2 Tage. Als Grund dafür ist wohl eine geringe Leistungs¬
fähigkeit der Uterusmuskulatur anzusehen, wie sie mit der hypoplastischen
Form eines Uterus arcuatus wohl verbunden sein wird. Nach zweitägigem
Kreissen war zwar die Cervix verstrichen, aber der Muttermund noch so
grübchenförmig klein, geschlossen, die Cervixwand straff über den im
Becken stehenden Kopf gespannt. Durch Eindringen des Fingers gelang
es rasch, den Muttermund auf Zweimarkstückgrösse zu erweitern, so dass
von einer gewissen Rigidität des Orifioium ext. im Sinne der alten Con-
glutinatio orificii ext. gesprochen werden kann. Unter Verstärkung der
Wehen durch Pituglandol ging die Geburt rasch vorwärts und kam zum
spontanen Abschluss.
Im Wochenbett galt es in erster Linie einer Thrombose in
den zahlreichen Varicen, ihrer Fortleitung in die grossen Gefäss-
stämme und damit der Gefahr einer Embolie vorzubeugen. Dieser
Komplikation sind solche Kranke, nach der Veröffentlichung von
Wolff aus der Kgl. Universitätsklinik für Haut- und Geschlechts¬
kranke, Charit^, besonders ausgesetzt, wie seine einschlägige Be¬
obachtung zeigt. Allerdings handelt es sich in dem erwähnten
Fall um gleichzeitiges Ekzem und Ulcus cruris an dem befallenen
Bein, Komplikationen, welche die Entwicklung schwerer Thrombo¬
phlebitiden wesentlich erleichtern. In dem beschriebenen Fall
trat der Exitus infolge Embolie ein.
Demnach hielten wir eine gewisse Prophylaxe auch in unserem
Falle für wünschenswert. Wir wählten Lagerung des rechten
Beines auf schiefer Ebene mit sofortiger Bewegung desselben unter
gleichzeitiger Anregung der Circulation durch kleine Dosei}
Digalen. In Betracht gekommen wäre noch sofortiges Aufstehen
und Umhdrgehen. Wir entschlossen uns zu ersterem, da Hoch¬
lagerang und Bewegung uns die beste Unterstützung der Circu¬
lation erschien. Eine Komplikation trat nicht ein; die Patientin
verliess am fünften Tage das Bett und befand sich vollständig wohl.
Die Hautveränderungen haben sich an sich im Wochenbett nicht
wesentlich verändert, vielleicht ist eine geringe Abnahme der
Schwellung des rechten Beines zu bemerken, welche naturgemäss
post partum infolge der enormen Entlastung der Circulation durch
Ausstossung der Frucht eintreten musste.
Schon seit Jahren herrscht in unserer Anstalt folgendes
Prinzip in der Behandlung der Wöchnerinnen. Schon am ersten
Wochenbettstage Seitenlage, Bewegungen der Beine, ebenso am
zweiten Tage; am dritten und vierten Aufsitzen im Bett, am
fünften Tage Aufstehen eine halbe Stande, ebenso am sechsten
Tage. Den nächsten Tag (siebenten) verlassen die Wöchnerinnen
vormittags und nachmittags je eine halbe Stunde das Bett, am
achten Tage morgens und nachmittags je eine Stunde. Am neunten
Tage kommen sie gewöhnlich zur Entlassung.
Mit dieser Behandlungsmethode sind wir äusserst zufrieden,
da das Auftreten irgendwelcher Komplikationen als Thrombose
und Embolie zu den Seltenheiten gehört.
Fälle halbseitiger teleangiektatischer Veränderungen von der
Ausdehnung wie in dem von mir beschriebenen Falle sind nach
der Durchsicht der einschlägigen Literatur eine Seltenheit Wolff,
der die Erkrankung des ausführlicheren beschreibt und die
fremden Fälle dabei berücksichtigt, bringt einen selbstbeobachteten
Fall.
M. P. Gas ton 1 ) veröffentlicht einen ähnlichen Fall, wo sich
die Veränderungen mit strenger Halbseitigkeit auf die linke untere
Extremität, linke Hälfte des Scrotum und auf die linksseitige
Region zwischen Steissbein und AnuR erstreckt.
Heller 2 ) und Duzea 8 ) veröffentlichen beide je einen Fall
von halbseitiger Teleangiektasie von ähnlicher Ausdehnung wie
bei dem unsrigen. Häufiger beschränkt sich die Veränderung auf
einzelne kleine Körperregionen, wie das Gesicht, die Geschlechts¬
teile und die Analgegend. Allen gemeinsam ist die Zurückführung
der Abnormität auf die Geburt, Zunahme in der Pubertät und
nach Traumen. Als Komplikationen wären zu nennen leichtes
Ekzem und Geschwürsbildung an sich, wie insbesondere nach
Traumen, des weiteren Thrombophlebitis mit der Gefahr der
Embolie.
Die Aetiologie liegt noch vollständig im Dunkeln. Weist
die Verteilung der Veränderungen auch auf eine Beteiligung des
Nervensystems hin, so sind doch Anhaltspunkte dafür selten ge¬
funden.
Gaston beobachtete in seinem Fall anch auf der erkrankten
Seite verminderte faradische Erregbarkeit, ferner herabgesetzte
Temperatur und vermehrte Schweissproduktion. Das letztgenannte
Symptom findet sich auch bei dem Patienten Duzöa’s, dagegen
ist hier die Temperatur der befallenen Seite um 4 / 10 —®/ 10 ° höher
als die der gesunden. Jedenfalls sind diese Befunde Symptome,
welche auf irgendeine Beteiligung des vasomotorischen Centroms
hinweisen, ohnö uns jedoch in der Frage der Aetiologie weiter¬
zubringen.
Trotz genauester Anamnese, auch hinsichtlich der Familie,
war auch bei dem von mir beschriebenen Fall nichts zu eruieren,
was von ätiologischer Bedeutung hätte sein können.
Aus derPrivat-Frauenklinik von ProfessorDr. A. Pinkuss
zu Berlin.
Zur Behandlung des Ausflusses der Frau.
Von
Dr. med. Georg Kate, Assistenzarzt der Klinik.
Ein nicht geringer Teil der Klientel des praktischen Arztes
besteht aus Frauen, die ihn wegen ihres Ausflusses konsultieren.
Bevor die Frauen aber den Schritt zum Arzt machen, haben sie
vorher meist den Rat ihrer Mütter, Freundinnen oder Hebammen be¬
folgt und auf eigene Faust medikamentöse Ausspülungen gemacht, ohne
dass sie zumeist von ihren Leiden befreit wurden. Ein bisschen Ausfluss
— dies hört man oft von Frauen — hat ja schliesslich jede Frau, und
so warten sie eben weiter ab, statt die falsche Soham oder Nachlässig¬
keit zu überwinden und sich gleich sachverständigen Rat zu holen. Es
ist erstaunlich, wie nachlässig sich viele Frauen ihrem eigenen Körper
gegenüber verhalten und müssig abwarten, bis sie schliesslich einsehen,
dass es ohne Hilfe des Arztes ni<&t geht, und sich dann endlich bequemen,
'dessen Rat in Anspruch zu nehmet, nachdem ihnen vorher vielleicht
erst noch ein Kurpfuscher gehörig Geld abgenommen hat, ohne ihnen
Besserung zu verschaffen.
Schon die Tatsache, dass ein scheinbar „harmloser* Ausfluss das
erste Zeichen eines sich im Uterus oder Vagina etablierenden Carcinoms
sein kann, macht es den Aerzten zur Pflicht, bei jedem Ausfluss genau
nach dessen Aetiologie zu fahnden und sich nicht darauf zu be¬
schränken, mechanische Spülungen oder Pulverbehandlung zu ordinieren.
Wie behandelt man nun am zweckmässigsten den Ausfluss
der Frau?
1) Annales de dermatologie, 1894.
2) Diese Wochenschr., 1898, S. 1002.
3) Gaz. des böp., 1885, Nr. 90.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
781
Die Arbeiten von Nassaner und anderen Autoren haben die
Aneflusstberapie in eine neue Bahn gelenkt, in die der Trocken*
behandlung. Sie haben die alte Spülungsbehandlung als unzweck¬
mässig, schädlich usw. aus der Therapie verwiesen. Jede neue
Therapie, wie überhaupt jeder neue Gedanke muss, um durch¬
zudringen, „fanatische Anhänger“ haben. So ist es auch hier
der Pall gewesen. Jedem muss sich aber die logische Frage auf¬
drängen: Demnach sind also alle Frauen vor der Trockenbehand¬
lung, denen man Spülungen verordnete, falsch und erfolglos be¬
handelt worden? Ferner: Demnach sind all dieAerzte, die heute
noch Spülungen verordnen, veraltet und rückständig? Mit nichten!
Tausende und Abertausende von Frauen sind und werden
noch in Zukunft mit Spülungen behandelt und geheilt
werden. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Man
kommt mit verschiedenen Methoden zum Ziele. Extreme An¬
sichten sind selten, besonders in der Medizin richtig gewesen.
Wir sind durchaus keine Gegner der Trocken behandlung, wie wir
weiter unten zeigen werden, haben aber die Ueberzeugung, dass
man in jedem Fall individualisieren muss und nicht gleich bei
jeder Patientin mit Ausfluss zum Pulverbläser greifen soll. Ist
doch der Ausfluss in mancher Beziehung zu vergleichen mit
katarrhalischen Affektionen der Halsrachenhöhle, und wo ist der
Arzt, der bei einfachen Halskatarrhen sofort zur Einpulverung
oder Aetzung der kranken Halspartien schreitet? Auch er wird
es erst mit desinfizierenden Gurgelungen, Inhalationen usw. ver¬
suchen. Auch die neuerdings wieder empfohlene Trockenbehand-
lung des Ausflusses durch Einlegen von Gaze (Tryen und der¬
gleichen) ist nicht unbedingt in allen Fällen angebracht, be¬
sonders nicht in Fällen, wo eine Endometritis corporis besteht,
zumal in solchen Fällen durch die lokale Behandlung mit Uterus¬
tamponade Anlass zur Entstehung von pelveoperitonitischen Pro¬
zessen gegeben werden kann, ln solchen Fällen (bei Endometritis
corporis): Finger weg von intrauterinen Eingriffen mit Gaze
usw. Wie oft geschieht es doch auch, dass ohne alles Zutun,
ohne Spülungen usw. ein Cervixkatarrh ausheilt, wenn von der
Frau die nötigen hygienischen Maassnahmen beachtet werden:
strengste Reinlichkeit, unbedingte Enthaltsamkeit vom Geschlechts¬
verkehr und dergleichen.
Der Erwähnung bedarf hier der Fluor albus der chlorotischen
jungen Mädchen und Frauen. Gerade hier wird wie selteu in der
Medizin schädliche Polypragmasie getrieben. Beim Weissfluss
der jungen Mädchen bedarf es nur allgemeiner, tonisierender-
roborierender Maassnahmen, um den Ausfluss zum Verschwinden
zu bringen. Jede lokale Behandlung — ob durch Spülung oder
Pulverbehandlung — ist mit seltenen Ausnahmen durchaus un¬
angebracht. Eine Virgo intacta sollte uuhedingt ein Noli me
tangere sein.
Wir meinen, der richtige Weg der Behandlung des Ausflusses
liegt in der Mitte. Wir gehen, um es vorweg zu sagen, dabei
so vor, dass wir erst Spülungen mit leicht desinfizierenden
oder adstringierenden Mitteln verordnen (bei Ausfluss, Katarrh,
infektiösen Prozessen usw.), und oft haben wir dabei einen ekla¬
tanten Erfolg gesehen. Erst da, wo wir mit der Spülung nicht
zum Ziele kommen, gehen wir zur Pulverbehandlung über, allein
oder ro, dass wir abwechselnd trocken und feucht behandeln. Es
will uns nicht einleuchten, dass Spülungen allein nach Ansicht
der trocken behandelnden Aerzte mehr schaden als nützen sollen.
Die Schleimhaut der Scheide ist bei gesunden Frauen durch das
physiologische Sekret stets mehr oder weniger feucht. Ein völliges
Austrocknen der Scheide gibt es selbst bei ausgedehntester Pulver¬
behandlung nicht, ist an sich auch schon dem Charakter einer
„Schleimhaut“ nicht angepasst. Vielmehr entfernen wir bei
katarrhalischen Entzündungen der Scheide das stagnierende Se¬
kret am besten durch Herausspülen, eventuell mit dem bekannten
Pinkuss’schen Spülapaparat oder ähnlichen Apparaten.
Schon vor Nassauer’s Vorschlag hat man die Trocken¬
behandlung des Ausflusses mit Borsäure und anderen Medika¬
menten, später mit Tann argentan (Wille) und Xerase (Abraham)
versucht. Als bestes Mittel aber hat sich dabei die Bolus alba,
die wewse Tonerde, bewährt. In neuerer Zeit eröffneten sich
durch die Herstellung des Lenicets (polymerisierte essigsaure
Tonerde) eine neue Anwendungsmöglichkeit der Bolus in Ver¬
bindung mit Lenicet. Nassauer, Liepmann und Wille be¬
dienten sich des 20proz. Lenicet-Bolus mit gutem Erfolge, zumal
das Präparat seines billigen Preises wegen auch für ärmere
Patientinnen in Betracht kommt. Neuerdings sind nun zur Ver¬
vollkommnung der Bolus-Therapie eine neue Reihe von Präparaten
hergestellt 1 ), die ausser der Bolus und Lenicet noch Sauerstoff,
Argentum und Jod enthalten. Es sind dies: 1. Lenicet Bolus
mit Peroxyd 5 pCt. 2. Lenicet-Bolus mit Silber 0,5 pCt. 3. Lenicet-
Bolus mit Jod 1 pCt.
Lenicet-Bolus mit Peroxyd enthält 5 pCt. Peroxyd, 20 pCt.
Lenicet und 75 pCt. sterilisierte Bolus. Lenicet-Bolus mit Silber
enthält statt des Perborats ein zusammen mit Lenicet gefälltes
basisches Silberacetat. Auf metallisches Silber berechnet enthält
Lenicet-Bolus mit Silber l j 2 pCt. Metallsilber.
Wir haben bei unserem reichlichen poliklinischen und klini¬
schen Material die beiden ersteren Präparate in ausgedehntem
Maasse verwandt bei jeder Form von Ausfluss, ob infektiös, ob
nicht infektiös bei Erosionen, Cervix- und Scheidenkatarrhen.
Als besonders glücklich kann der Gedanke betrachtet werden,
dem die Präparate 1 und 2, die wir ausschliesslich verwandten,
ihre Entstehung verdanken. Die Bolus absorbiert die Bakterien
und legt die Schleimhäute trocken, der Sauerstoff desinfiziert und
das wegen seiner Schwerlöslichkeit lang vorhaltende Lenicet wirkt
mild adstringierend und hemmt gleichzeitig die unerwünschte
auflockernde Sauerstoffnebenwirkung. Beim Lenicet-Bolus mit
Silber tritt an die Stelle der Sauerstoffwirkung die oberflächlich
ätzende des Argentums. Wir verfolgten bei der Therapie des
Ausflusses, welcher der blossen Spülbehandlung nicht wich, wie
gesagt, zumeist die abwechselnde Methode, Spülung und Trocken¬
behandlung und gingen folgendermaassen vor: Wir vergewissern
uns erst, woher der Ausfluss stammt, ob aus der Scheide
allein, oder der Cervix bzw. dem Corpus uteri (Gonokokken¬
befund usw.).
In einem der Weite des Vaginalrohres entsprechenden Milchglas-
speculum wird die Portio vaginalis eingestellt, die linke Hand fixiert
das Speculum, während die rechte mit einer langen Pinzette zuerst
den äusseren Muttermund, die Portio und das hintere Fornix vaginae
mit kleinen Wattestückchen vom Sekret frei tupft Darauf wird unter
langsamem Herausdrehen des Speculums die Scheide mit neuen Watte¬
stückchen rein getupft. Dann schieben wir das Speculum wieder bis
zur Portio vor und schütten direkt aus der Lenicetsauerstoff- bzw.
Argentumbüchse das Pulver in das Speculum in der Menge von etwa
2 bis S Teelöffeln je nach der Weite der Scheide. Die mit frischer
Watte armierte Pinzette verteilt nun das Pulver gut um den äusseren
Muttermund herum, so dass er von Pulver völlig umgeben ist und nach
der Scheide zu einen Abschluss bildet, damit das aus der Cervix fliessende
Sekret in diesen Pulverwall hineinsickert und sofort fixiert und ab¬
sorbiert wird.
Auf diese Weise wird das etwa infektiöse Sekret auf dem Wege zur
Scheide aufgefangen und kann in der Scheide keine neue Entzündung
hervorrufen bzw. die alte nicht weiter auf der Höhe bleiben. Nach
diesem ersten Akt der Umwallung der Portio vaginalis mit Lenicet-
Bolussauerstoff ziehen wir das Milchglasspeculum centimeterweite heraus
und bringen mit der Wattepinzette in alle Nischen der Scheide das
auftrocknende Pulver. Ein trockener Tampon fixiert zum Schluss das
Pulver in der Vagina.
Wir lassen das Pulver bis zum nächsten Tag in der Scheide wirken
uod dann die Patientinnen nach 24 Stunden den Tampon herausziehen
und unter schwachem Druck eine lauwarme Spülung mit Kamillentee
machen oder einem anderen indifferenten Mittel und bestellen sie dann
am überfolgenden Tag unserer ersten Behandlung wieder zu uns, wo
wir wieder, wie vorher, die geschilderte Einpulverung des Vaginalrohres
vornehmen. Nach abermals 24 Stunden machen die Patientinnen zu
Hause wieder nur eine lauwarme Kamillenteespülung.
Die Spülung hat nur den Zweck, das mit Sekret imbibierte ver¬
backene Pulver mechanisch zu entfernen und alte, abgestossene Epithelien
wegzuschwemmen.
Wir haben mit Lenicet-Bolus-Sauerstoff und Lenicet-Bolus-Argentum
Frauen mit folgenden Erkrankungen behandelt: akute und chronische
Gonorrhöe, Erosionen gonorrhoischen und nicht gonorrhoischen Ursprungs,
Cervixkatarrhe, alle Formen von Colpitis und Vulvitis.
ln fast allen Fällen haben wir mit verschwindend wenig Ausnahmen
mit Lenicet-Bolus-Sauerstoö und dem Argentum-Präparat sehr gute Er¬
folge (auch Dauererfolge) erzielt, wobei wir bei jedem Fall abwechselnd
Lenicet-Bolus mit Peroxyd und Lenicet-Bolus mit Silber verwandten.
Bei der akuten Gonorrhöe behandelten wir täglich, bis das eitrige
Sekret geschwunden war, was in etwa 8 bis 10 Tagen eintrat. Dann
liessen wir die Patientinnen alle 3, dann alle 5 Tage kommen und
nahmen eine neue Einpulverung vor. Zu Hause machten die Frauen
täglich, auch an den Tagen, wo wir nicht trocken behandelten, eine
lauwarme Kamillentee-Ausspülung. Ein Ascendieren der Gonorrhöe haben
wir dabei nicht beobachtet, falls die Frauen nicht schon mit Adnex-
erkrankuDgen zu uns kamen. Wenn das eitrige Sekret geschwunden
war, bestellten wir die Patientinnen alle 8 Tage wieder und pulverten
an den Tagen nochmals gründlich ein. Später liessen wir die Frauen
alle 14 Tage zum Nachsehen sich vorstellen und (fanden fast immer die
1) Rheumasan- und Lenicet-Fabrik Dr. R. Re iss, Charlottenburg.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Entzündung abgeheilt oder nur noch einen geringen Rest derselben, der
durch Spülung allein verschwand. Es erübrigt sich eigentlich hervor¬
zuheben, dass wir während der Menstruation jegliche Manipulationen
unterliessen. Bei Endometritis corporis uteri hat die Pulverbehandlung
keinen Zweck, da wir es für falsch halten, intrauterin Pulver oder Gaze
zu applizieren aus den Eingangs erwähnten Gründen. Eine Autorin
will neuerdings 1 ) Fälle von chronischer Endometritis mit dem Symptom
des Mittelscbmerzes durch die Trockenbehandlung mit Xerase geheilt
haben. In der Xerase ist das wirksame Prinzip m.E. einzig und allein die
Bolus alba. Es wäre interessant zu erfahren, welche, medizinische Vor¬
stellung sich die Autorin von der „Tiefenwirkung“ der Xerase auf den
Uterus bei genannter Erkrankung gemacht hat. Absolute Ruhe, ver¬
nünftige Hygiene, eventuell andere Maassnahmen kommen hier in Be¬
tracht. Bei gewöhnlichen Cervix-Katarrhen behandelten wir im Verein
mit Spülungen trooken in einem dreitägigen Zwischenraum mit bestem
Erfolge, ebenso bei Erosionen, die unter dieser Behandlung oft flacher
wurden, abblassten, bis sie schliesslich verschwanden. Bei der Behand¬
lung der Colpitis squammosa entfernten wir mehrere Tage hintereinander
durch Auswaschung oder Ausreibung der Scheide die typischen weiss-
lichen Beläge und Hessen danach zu Hause Spülungen mit Liq. plumbi
oder Acet. bor. machen und erreichen hiermit zumeist Heilung innerhalb
weniger Tage. Kommen wir dabei nicht zum Ziele, so leiten wir die
Trockenbehandlung täglich ein und lassen zu Hause keinerlei Spülungen
machen; die Entzündung der Scheide geht dann meist nach 4 bis 5
maliger Einpulverung zurück. Der bei der Colpitis squammosa meist
bestehende und als Hauptbeschwerde der Patientin hervortretende Pruritus
vulvae verschwindet unter dieser Behandlung sehr bald. Ist die Ent¬
zündung geschwunden, so lassen wir noch Spülungen mit indifferenten
Medikamenten, kühlem Kamillentee oder Liquor plumbi subacetici
machen.
Ein Wort noch über die Pulverbläser (Siccator usw.), die vota vielen
Autoren den Patientinnen selbst in die Hand gegeben werden, damit
sie die Einpulverung zu Hause vornehmen können. Wir halten sie nicht
für empfehlenswert; denn erstens ist es immer ein Missding, einer Frau
einen Apparat in die Hand zu geben, der möglicherweise zu mastur-
batorischen Manipulationen Anlass geben könnte, andererseits aber —
und das ist die Hauptsache — kann die ungeübte Hand der Patientin
niemals so sorgfältig und exakt das Pulver an die Stelle bringen, wo
es wirken soll und muss. Das ist einzig und allein Sache des behandelnden
Arztes, denn man weiss aus Erfahrung, dass die Frauen den Apparat
oft nur bis zur Mitte der Scheide und nicht bis zum Orte der Wirkung
— der Portio vaginalis — führen, und so die Wirkung des Pulvers
illusorisch machen.
Wir kommen also zu dem Ergebnis unserer Erfahrungen:
der Ausfluss der Frau wird zumeist mit Spülbehandlung geheilt.
Führt diese nicht zum Ziele, so ist die Trockenbehandlung ein¬
zuleiten, eventuell in der oben beschriebenen Weise, kombiniert
mit den Spülungen. Bei der Trockenbehandlung haben sich das
Sauerstoffpräparat, die Lenicet-Bolus mit Peroxyd 5 pCt. und
Lenicet-Bolus mit Argentum 1 / 2 pCt. bei den beschriebenen Ent¬
zündungen der Scheide vortrefflich und dauernd bewährt.
Diplomelliturie.
Von
Prof. Dr. Heinrich Stern-New York.
Unter Diplomelliturie verstehe ich das gleichzeitige oder ab¬
wechselnde Vorkommen von diabetischer und' nichtdiabetischer
Glykosurie bei demselben Individuum. Obwohl ich bereits im
Jahre 1904 in einem Vortrage vor der medizinischen Gesellschaft
des Staates New York auf das Zusammentreffen von Zucker¬
ausscheidungen verschiedenen Ursprungs aufmerksam gemacht
habe, bleibt dieser pathologische Zustand t; doch allgemein un¬
erkannt. Immerhin sehe ich mich durchs die verhältnismässige'
Häufigkeit dieser Erscheinung — bis jetzt habe ich über 50 Fälle
beobachtet, , und durch die n^cty unwichtige Frage der -ge¬
eigneten Behandlung solcher 'Fälle veranlasst, auf das Thema der
Diplomelliturie zurückzukqmmen und meine vor 9 Jahren gemachten
Angaben zu wiederholen.
Glykosurie ist nur eine Folge, nur eine Manifestation einer
Mannigfaltigkeit von Ursachen. Der diabetische Zustand kommt
in ihr in gleicher Weise zum Ausdruck, wie sie ein Symptom
verschiedenartiger Störungen ektogenen oder endogenen Ursprungs
ist. Die Zuckerausscheidung stempelt einen Menschen nicht
a priori zum Diabetiker, ebensowenig wie die Abwesenheit von
Zucker im Urin einen schlüssigen Beweis für das Nichtvorhanden¬
sein des diabetischen Zustandes liefert, falls andere Symptome
von Zuckerkrankheit vorliegen.
1) Dr. Hedwig Prager, Vaginale Behandlung mit Xerase.
Die Glykosurie als Symptom eines diabetischen Krankheits-
znstandes ist eine feststehende Tatsache. Mit den ihr zugrunde
liegenden Ursachen kommt oder verschwindet sie, verstärkt sie
sich oder lässt sie nach. Sie kann daher ein vorübergehendes
Symptom sein, sie kann aber auch bis zu einem gewissen Grade
einen chronischen Charakter annehmen. Fälle von langdauernder
Glykosurie, die durch ein zucker- und stärkefreies Kostregime
nicht gemildert werden, sind in der Regel nicbtdiabetischer
Natur. Dies trifft besonders dann zu, wenn auf ein antidiabetisches
Kostregime, das längere Zeit ohne Unterbrechung verabreicht
wurde, fortschreitender Körperverfall folgt. Selbstredend nehme
ich dabei den Fall aus, dass der Patient sich im Endstadium des
Diabetes befindet.
Abgesehen von der Unähnlichkeit des klinischen Bildes,
welches der echte Diabetes und die nicbtdiabetische Glykosurie
darbieten, unterscheiden sich diese beiden Typen, wie von mir
gezeigt worden ist, in folgenden Beziehungen (Tabelle).
Nichtdiabetische
Glykosurie
Diabetische
Glykosurie
Ursache
Dauer
Stärkegrad (unbeein¬
flusst)
Harnmenge (unbeein¬
flusst)
Stickstoff und Ammo¬
niak im Harn (un¬
beeinflusst)
Einfluss der anli-
diabetischen Diät
Einfluss der auf Ent¬
fernung oder Milde¬
rung der (bekannten)
ätiologischen Unter¬
lagen gerichteten
Maassnahmen
In den meisten Fällen
nachweisbar.
Von der Natur und dem
Stärkegrad der zugrunde
liegenden Ursachen abhängig.
Geringe Zuckerausscheidung
im Harn, gewöhnlich weniger
als 1 pCt.
Normal oder vorübergehend
leicht erhöht.
Normales Verhältnis.
Häufig gar nicht oder nur
in geringem Grade nach¬
weisbar. Gerhardte Reaktion
stets negativ.
Häufig positiv; Aufhören oder
Abnahme.
Unbekannt.
Chronisch.
Ueber 1 pCt. Zuoker-
aussoheidungim Harn.
Ausgesprochene
dauernde Vermehrung
der Harnmenge.
Vermehrt
Stets nachweisbar.
Gerhard Ps Reaktion
gelegentlich positiv.
Indem ich daran erinnere, dass ausser den obengenannten
Punkten, in welchen die beiden G ly kosarietypen voneinander ab¬
weichen, der klassische Symptomenkomplex des Diabetes bei dem
mit Glykosurie einbergehenden nichtdiabetischen Krankheits¬
prozess entweder ganz feblt oder nnr teilweise vorhanden ist,
und indem ich nochmals betone, dass in der Mehrzahl der Fälle
eine nachweisbare Ursache für die nicht auf Diabetes beruhende
Grundlage der Glykosurie spricht, komme ich zu dem Schluss,
dass die klinische Unterscheidung der diabetischen und nicht¬
diabetischen Formen der Melliturie durchaus keine Schwierig¬
keiten bereitet.
Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Faktoren kann
das Vorkommen von diabetischer und nichtdiabetischer Glykosurie
bei einem und demselben Iudividuum diagnostiziert werden. Wir
wissen, dass einfache Glykosurie nicht selten durch sicher kon¬
statierten Diabetes aufgehoben wird. Immerhin kann in solchen
Fällen nicht von gleichzeitiger oder abwechselnder Glykosurie,
Sondern nur von aufeinanderfolgendem Vpritommen beider Melliturie-
typen in der Weise die Rede sein, dass dar eine zurücktritt und
der andere, auf diabetischer Grundlage beruhende Typus sich
dauernd : festsetzt, tS elbstverständlich gehören solche Fälle nicht
in das Gebiet der DiplomeUiturie, die sich meiner Auffassung
nach nnr auf das gleichzeitige oder abwechselnde Vorkommen
von diabetischer und nichtdiabetischer Glykosurie bezieht 1 ).
Während die Diplomelliturie ihrem Wesen nach gleichzeitig
sein muss, kann sie klinisch nur durch das zeitweilige Nachlassen
eines der zu ihr gehörigen Symptomenkomplexe nachgewiesen
werden. Es ist charakteristisch für die in der Diplomelliturie
vereinigten Affektionen, dass die auf die Verordnung anti¬
diabetischer Diät rasch, wenn auch vielleicht nnr vorübergehend
1) Ich mache hier darauf aufmerksam, dass die durch Phloridzin
induzierte Glykosurie zusammen mit einer schon bestehenden Glykosurie
eine Diplomelliturie bedeuten.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
788
folgende Besserung sich auf den Diabetes bezieht. Daher rührt
es, dass beim Abfallen oder Aufhören des diabetischen Sym-
ptomenkomplexes die krankhaften Aeusserungen einer damit ver¬
bundenen oder hinzukommenden Störung, einschliesslich der
Glykosuriesymptome, meist erkennbar werden oder deutlicher
hervortreten. Die Diagnose der Diplomelliturie hängt deshalb
von der Art und Weise ab, wie bald der eine, bald der andere
Symptomenkomplex abwechselnd in den Vordergrund tritt.
Wenn die nichtdiabetische Glykosurie ihr Erscheinen gleich¬
zeitig mit der diabetischen Melliturie macht, kann sie schwerlich
jemals diagnostiziert werden. Diplomelliturie ist ebensogut eine
durch das Glykosuriesymptom des Diabetes verschlimmerte ein¬
fache Glykosurie, wie sie eine Komplikation des Diabetes mit
einfacher Glykosurie ist. Die beiden Glykosurietypen können
wechselseitig voneinander abbängen. In der Mehrzahl der Fälle
jedoch kommen sie augenscheinlich unabhängig voneinander vor.
Sie mögen gleichzeitig entstehen, wofür der Beweis uoerbringlich
ist. Vom klinischen Standpunkt aber geht ein Glykosurietypus
dem anderen voraus, da der mit dem einen verbundene Symptomen¬
komplex stets die den anderen betreffenden Krankbeitszeicben in
den Hintergrund drängt.
Diplomelliturie ist das Resultat des Zusammentreffens oder
Hinzukommens zweier Affektionen verschiedenen Charakters,
welche das eine Symptom, die Glykosurie, gemeinsam haben.
Kein vernünftiger Grund steht der Annahme entgegen, dass die
Glykosurie gleichzeitig der Ausdruck zweier pathologischer Zu¬
stände sein könne, wie es ja auch beispielsweise beim Fieber der
Fall ist. Der Umfang, in welchem jeder GlyJosurietypus zur
Diplomelliturie beiträgt, lässt sich nur durch das Abfallen des
neuen Typus bestimmen. Immerhin kann als allgemeine Regel
gelten, dass die diabetische Glykosurie, wie bereits hervorgehoben,
die nichtdiabetische Form an Stärke übertrifft. Beispielsweise
scheidet ein Patient, welcher alle klinischen Symptome des
Diabetes zeigt, täglich 8000 ccm Harn aus, der 8 pCt. (90 g)
Harnstoff, übermässige Mengen anderer Stoffwechselprodukte, ins¬
besondere Ammoniak, sowie 5 pCt. (150 g) Glukose enthält.
Nach Einhaltung eines antidiabetischen Kostregimes auf die Dauer
von vier Wochen sind alle Aeusserungen des Diabetes zurück¬
gegangen, die tägliche Harnmenge hat sich auf 1500 ccm ver¬
mindert, der Harnstoff bat sich ungeachtet der grösseren Menge
eiweisshaltigen Nährmaterials nicht vermehrt, was in Wirklichkeit
einer entschiedenen Reduktion gleichkommt, der Ammoniakgehalt
des Harns ist bedeutend geringer geworden, aber die Glukose-
ausscheidung des Patienten beläuft sich dauernd auf 0,88 pCt.
täglich (4,95 g). Diese Menge repräsentiert aller Wahrscheinlich¬
keit nach die Glykosurie nichtdiabetischen Ursprungs. Natürlich
kann in weit vorgeschrittenen Diabetesfällen eine ähnliche Unter¬
scheidung zwischen den beiden grossen Glykosurietypen nicht
gemacht werden. Hier bleibt die diabetische Glukose ungeachtet
aller diätetischen Maassnahmen ein dauerndes Symptom, ebenso
wie die anderen Manifestationen des diabetischen Zustandes.
Bei unkompliziertem Diabetes geht, solange er noch nicht
in das Endstadium eingetreten ist (dann ist er eo ipso ein kom¬
plizierter Krankheitsprozess), die Verminderung der Glykosurie
unter dem Einfluss einer spezifischen Diät in der Regel Hand in
Hand mit dem Verschwinden der übrigen diabetischen Symptome.
Anscheinend ist die Mehrzahl der Diabetesfälle, in welchen bei
fortgesetzter Diät der gesamte Symptomenkomplex mit Ausnahme
einer geringfügigigen Glykosurie schwindet, mit Störungen kom¬
pliziert,? aus welchen diese Glykosurie folgt. Dies trifft ins¬
besondere dann zu, wenn der noch strikt antidiabetische Diät.,
einhaltende Patient fortgesetzt herunterkommt, nachdem die ,pia-
bdtessymptome aufgehört haben? <1
beim unkomplizierten Diabetes wird der Körper verfall, nicht
nur flach dem zeitweilige^ Rückgang der GtykosuriÄ und der
übrigen dazugehörigen Phänomene zum Stillstand gebracht,
sondern der Patient nimmt häufig sogar dann, wenn er lange
Zeit bei der .eintönigen, aber genügend Eiweiss und Fett
enthaltenden Ernährung verharrt, an Körpergewicht und
Kraft zu.
Weiterhin können im diabetischen Harn Acetonkörper und
Acid. diacet. in übermässigen Mengen auftreten, und nach einer
langdauernden Diät mag sich sogar Acid. betaoxybutyr. zeigen.
Die nichtdiabetische Glykosurie wird zwar hinsichtlich der Glu¬
koseausscheidung von der Diät nur in beschränktem Maasse be¬
einflusst, dagegen habe ich niemals ungehörige Mengen von
Acetonkörpern oder Acid. diacet. beobachtet, noch konnte ich
jemals die Anwesenheit von Acid. betaoxybutyr. feststellen, deren
klinische Bedeutung weit überschätzt wird.
Fälle von Diplomelliturie können ausgesprochene Unter¬
schiede in ihrer allgemeinen Symptomatologie zeigen, allen ist
jedoch ein echter Diabeteszustand plus einer anderen Störung ge¬
meinsam, die ebenfalls durch eine mehr oder weniger deutliche
Glykosurie charakterisiert ist. Die das Glykosuriesymptom dar¬
bietende andere Störung kann sehr verschiedener Natur sein. Sie
mag auf einer leichten Funktionsänderung eines ziemlich un¬
wichtigen Organs beruhen, es kann ihr »aber auch eine organische
Veränderung oder der Verlust eines sehr wichtigen Organs zu¬
grunde liegen. In vielen Fällen ist Diabetes das ursprüngliche
Leiden, in anderen geht die nichtdiabetische Glykosurie ohne
Zweifel dem Diabetes voraus. In fast allen Fällen, die unter
meiner Beobachtung standen, hat das Körpergewicht bei Einhaltung
einer strengen Diät, solange der Patient wirklich diabetisch war,
zugenommen. Sobald jedoch der Diabetes latent wurde und die
Phänomene der mit ihr zusammentreffenden Affektion in den
Vordergrund traten, blieb das eingeschränkte Kostregime ohne
entscheidenden Einfluss auf das absolute Körpergewicht. Von
einigen wenigen Fällen abgesehen waren sämtliche diätetischen
Einschränkungen nicht imstande, die geringe begleitende Glykos¬
urie nichtdiabetischen Charakters vollständig zu unterdrücken.
Der nichtdiabetische Charakter dieser Glykosurie geringen
Grades geht aus folgenden Gründen hervor: 1. Aus ihrer Fort¬
dauer nach der raschen Unterdrückung der Symptome eines
milden oder mässig starken Diabetes. 2. Aus ihrem Fort¬
bestehen nach einer langdauernden und strengen antidiabetischen
Diät. 8. Aus der Zunahme des Körpergewichts trotz des Fort¬
bestehens der Glykosurie. 4. Aus der normalen oder nahezu
normalen Harnmeuge, welche nach dem Verschwinden der Glykos¬
urie hohen Grades entleert wird. 5. Aus der Ausscheidung ver¬
hältnismässig kleiner Harnstoffmengen trotz langdauernder Ein¬
verleibung stickstoffhaltigen Nährmaterials in grossen Quantitäten.
6. Aus dem stärkeren Hervortreten gewisser, nicht bloss vorüber¬
gehender Symptome eines anderen als des diabetischen Krank-
keitszustandes, nachdem die Latenz des Diabetes auf künstliche
Weise herbeigeführt worden ist.
Man könnte einwenden, der niedere Grad der Glykosurie sei
nichts weiter als der nicht unterdrückbare Teil der diabetischen
Glykosurie. Hierzu muss jedoch bemerkt werden, dass die nicht¬
diabetische Glykosurie nicht allein der diabetischen Glykosurie
vorausgehen und in unveränderter Form nach dem Verschwinden
der diabetischen Manifestationen weiterbestehen kann, sondern
dass auch die diabetischen Erscheinungen meist einem Typus an¬
gehören, welcher bereitwillig und vollständig auf diabetische
Maassnahmen reagiert und bei welchem die ausgeschiedene Glu¬
kose lediglich das Resultat unrichtiger Stärkeverdauung ist.
Dass der begleitende niedere Grad von Glykosurie nicht auf
unrichtiger Peptonisierung des einverleibten Nährmaterials oder
des Körpereiweisses beruht, einer Proteolyse, die auf die
schwereren und schwersten Formen des Diabetes hinweist, wird
mit aller Bestimmtheit durch die fortschreitende Zunahme des
Körpergewichts und die damit verbundene Verminderung der
Stickstoffausscbeidung nach Aufhören der nachweisbaren diabeti¬
schen Erscheinungen ausgeschlossen.
Aus dieser Arbeit lassen sich folgende Ergebnisse ableiten:
1. Die diabetische Glykosurie ist weiter nichts als das her¬
vorstechendste Symptom des sogenannten diabetischen Zustandes
in einem gewissen Stadium.
2. Glykosurie ist eine Krankhflitserscheinung, in welcher
mannigfache andere Störungen sowohl ektogenen wie endogenen
Ursprung^ zum Ausdruck kommen. ' i * . ,
3. Mit Hilfe Verschiedener klinischer Untersuchungsmethoden
können wir zwischen' den diabetischen und flicfrtdiabettechen
Formen der Glykosurie unterscheidet!.
4. Diplomelliturie ist das Resultat zweier zusammen treffen¬
der oder hinzukommender Affektionen verschiedenen Charakters,
welche das eine Symptom, die Glykosurie, gemeinsam haben.
5. Die Erkennung der Diplomelliturie hängt von dem
wechselnden Hervortreten eines der Symptomenkomplexe, ein¬
schliesslich der betreffenden Glykosurie, ab.
5*
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Aus der II. chirurgischen Abteilung des städtischen
Rudolf Virchow-Krankenhauses (Direktor: Professor
Dr. M. Borchardt).
Ein Beitrag zur Behandlung schwerer Formen
von Trigeminusneuralgie mit Alkoholinjektionen
ins Ganglion Gasseri.
Von
Dr. Arnffld Loevy, Assistenzarzt
Die von Haertel aus der Bier’schen Klinik angegebene
Methode der Injektionen ins Ganglion Gasseri durch das Foramen
ovale hindurch, die im Anschluss an das von Schlösser geübte
Verfahren ausgearbeitet wurde, batte ich Gelegenheit, an einer
ganzen Anzahl von Leichen, in einem Falle auch am Lebenden,
im hiesigen Krankenhause zu erproben.
Die an über 40 Leichen ausgeführten Versuche bestätigten die An¬
gaben des Autors der Methode in jeder Hinsicht. Unter strikter Be¬
folgung seiner Angaben passierte die Kanüle immer ziemlich leicht den
Kanal des Foramen ovale mit Ausnahme eines Falles, wo ein Knochen¬
vorsprung am vorderen Rande des Foramen diesem eine Nierenform gab,
wodurch ohne Richtungsänderung es unmöglich war, in das Foramen zu
gelangen. Ein seitliches Abweichen der Kanüle nach medial in Pharynx
oder Tube oder auch lateral in die Fossa infratemporalis ist gar nicht
möglich, wenn man nach der Vorschrift den Patienten geradeaus
blicken lässt und dann Kanüle und Pupille in eine von vorn ge¬
sehen sagittale Verbindungslinie bringt. Leicht möglich ist es aber,
dass die Kanüle zu weit nach hinten gelangt; auch ich sah sie manchmal
durch das Foramen jugulare hindurcbgehen oder noch weiter dahinter
am Hinterhauptsbein anstossen; ich schiebe die Schuld daran dem Um¬
stande zu, dass das Tuberculum articulare des Jochbogens, auf das bei
seitlicher Betrachtung die Kanüle zeigen soll, ein nicht so eng um¬
grenzter Bezirk ist, wie ihn die Pupille darbietet, und deshalb grössere
Ausschläge der Kanülenspitze nach vorn oder hinten möglich sind.
Auch hier sind die Fehler zu vermeiden, wenn man sich an die Vor¬
schrift Haertel’s hält, die glatte Knochenfläche des Planum infra¬
temporale nicht zu verlassen, sondern „langsam tastend* auf ihr nach
hinten zu gehen. Man fühlt deutlich, wenn die Kanülenspitze auf
rauher, knorpeliger Fläche sich befindet und muss dann wieder zurück.
Hält man sich an diese Angaben, und kommen dann noch die auf jeden
Fall wertvollen Schmerzäusserungen des Patienten hinzu, so ist es —
abgesehen natürlich von abnormen anatomischen Verhältnissen — nicht
schwer, in das Foramen zu gelangen. Das Mittelmaass der Länge des
eingeführten Kanülenteiles extracraniell betrug 5 1 /*— 6 cm, des intra-
craniellen 1—1 */ 4 cm, dabei ist allerdings zu bemerken, dass die Kanüle
nicht allzu selten sich neben und nicht in dem Ganglion befand, und
zwar lateral von diesem nur einige Bündel durchbohrend. Obwohl sich
die Kanüle wenn auch nur zum Teil im Ganglion befindet und man
annehmen kann, dass der Alkohol in einem solchen Falle doch das
ganze Ganglion durchtränkt und zerstört, ist ebenso das Gegenteil mög¬
lich; und wenn nur ein kleiner Teil des Ganglion intakt bleibt, wäre
ein Erfolg infolge unserer Erfahrung über das Vorkommen gewisser
regenerativer Prozesse doch wohl zweifelhaft. Ob das Ganglion, selbst
wenn es central getroffen wird, völlig zerstört wird, kann trotz des
klinischen Befundes nur der mikroskopische entscheiden.
Noch einige Gefahren der Injektion seien erwähnt, so die der Ver¬
letzung der Arteria meningea media, wenn die Kanüle das Foramen
spinosum fälschlich passiert oder die des Sinus cavernosus; es sind
selten eintretende Vorkommnisse, die durch Entfernen der Kanüle ohne
weiteres beseitigt werden.
Beim Lebenden angewandt ergab die Methode einen sehr
guten Erfolg.
Es handelte sich um einen 77 jährigen Mann, der am 24. XI. 1912
zur Aufnahme kam. Seit über einem Vierteljahr bestehende, an In¬
tensität rasch zunehmende Neuralgie des dritten, dann auch des ersten
und zweiten Trigeminusastes.' Patient habe seit über 3 Wochen keinen
festen Bissen mehr kauen können, das Sprechen sei ihm unmöglich,
selbst seinen Auswurf könne er wegen der Schmerzen nicht mehr aus¬
werfen. Er wird vom Arzt, da alle inneren Mittel i versagt hatten, aus¬
drücklich zur GaDglionexstirpation hereingeschickt.
Status: Aeusserst elender, alter Mann; Haut sehr welk. Patient
kann weder kauen noch sprechen, noch seinen Auswurf herausbefördern.
Es sind alle drei Aeste des linken Trigeminus ergriffen. Es besteht
schwere Arteriosklerose und Bronchitis. Wegen des elenden Zustandes
war an eine Operation nicht zu denken.
4. XII. Injektion von 0,8 ccm Alkohol in das Ganglion Gasseri in
typischer Weise.
Während der Injektion gab Patient an, er habe das Gefühl, als ob
der Blitz in seine linke Kopfhälfte einschlage. Nach etwa 1—2 Minuten
erst hörten die Schmerzen auf. Prüfung der Sensibilität ergab Störung
derselben in der ganzen linken Gesichtshälfte bis fast zum Scheitel
herauf; linke Wangenschleimhaut und vordere Hälfte der linken Zungen¬
partie waren anästhetisch; Patient hatte das Gefühl, als ob diese Teile
„geschwollen“ seien. Corneal- und Niessreflex waren links erloschen.
Als der Patient darauf den ersten festen Bissen seit „Wochen* wieder
genoss, ohne eine Spur von Schmerzen, erklärte er, an Wunder zu
glauben, denn mit dem Leben hätte er abgeschlossen gehabt. Leider
lehnte er jeden Schutzverhand des Auges ab, obwohl man ihn auf die
Gefahren aufmerksam machte; aber er blieb trotzdem von der Keratitis
neuroparalytica verschont. 8 Wochen nach der Injektion ist Patient
weiter schmerzfrei, hat an Gewicht zugenommen, die Bronchitis ist fast
völlig geschwunden 1 )*
In diesem Falle hat sich die Methode also sehr gut bewährt,
sie ist lebensrettend gewesen; eine Operation hätte dieser Patient
nicht mehr überstanden.
Was die Indikation betrifft, so ist es selbstverständlich,
dass man zur Ganglioninjektion nur die schwersten Fälle heran¬
zieht, bei denen alle drei Aeste erkrankt sind, and wo das All¬
gemeinbefinden derartig ist, dass man ihnen eine Operation nicht
mehr zumuten kann, zu der ihre Erkrankung reif wäre. Tritt
ein Recidiv auf, so kann man ja die Injektion wiederholen; über¬
flüssig aber wird man damit die Ganglionexstirpation nicht
machen, die gegen Recidive das sicherste Mittel ist Glückt
aber die Injektion bei schwer heruntergekommenen Individuen,
bei denen ausserdem infolge von Arteriosklerose oder Diabetes
schwere Symptome bestehen, so ist die Methode sicher als ein
erheblicher Gewinn zu bezeichnen.
Bücherbesprechungen.
E. Sonienburft: Pathologie und Therapie der Perityphlitis (Appendl-
citis). Leipzig 1913, F. C. W. Vogel. 7. Aufl. 267 S. Preis
geh. 6 M., geb. 7,25 M.
Das in Fachkreisen sehr geschätzte Buch liegt jetzt io der siebenten
Auflage vor. In Form einer Monographie enthält es den gegenwärtigen
Stand der Lehre von der Perityphlitis, illustriert mit Beispielen aus dem
reichen Erfahrungsschatz des Verfassers. Erneut weist S. auf die von
ihm ausgebaute Lehre von dem Blutbilde bin, die sich „wie ein bunter
Faden* durch das Werk hinziebt. Die Schreibweise ist klar und knapp,
36 teils farbige gut reproduzierte Abbildungen erhöhen den Wert des
Buches. Wir glauben, dass nicht nur der Chirurg vom Fach, sondern
auch der beschäftigte Praktiker in dem Werk eine Fundgrube reichen
Wissens und mancherlei Anregungen finden wird. — Mehr als Worte
dürfte die rasche Folge der Auflagen das Buch empfehlen.
J. Becker-Halle a. S.
A. Ach: Beiträge nr Oesophaguschirurgie. München 1913, Leh-
mann’s Verlag. 136 S. Preis 4 M.
A., dessen Habilitationsschrift für München hier vorliegt, gibt eine
gute Uebersicht über den Stand der heutigen Oesophaguschirurgie, dazu
reichliche Literaturangaben und eine neue Methode der Operation.
Die Operationen am Halsteil (Strikturen, Divertikel) sind verhältnis¬
mässig einfach und haben auch Erfolge gezeitigt. Dagegen sind trotz
vieler experimenteller Vorarbeiten am Tier beim Menschen im Brustteil
der Speiseröhre noch keine Erfolge erzielt. Die Schwierigkeiten be¬
ginnen mit der Narkose: A. empfiehlt das Ueberdruckverfahren, Ref. be¬
vorzugt gerade für die in Frage stehenden Operationen die Insuffl&tions-
methode Meltzer’s nach eigenen Erfahrungen am Menschen. Zur
Vereinigung der Oesophagusstümpfe nach Resektion empfehlen Sauer-
bruch und Tiegel besonders konstruierte Knöpfe; die Methode ist un¬
sicher; ebenso verwirft A., wohl mit Recht, den Vorschlag, das obere
Ende der Speiseröhre blind zu schliessen. Er selbst empfiehlt, den
oberen Stumpf am Halse herauszuziehen und hier einzunähen, ein Ver¬
fahren, das Levy schon 1898 empfohlen hat. Ein Patient A.’s über¬
lebte den Eingriff 17 Tage. Die gleiche Methode scheint unabhängig
von Ach Rehn am Tier eben versucht zu haben (diese Wochenschr.,
1913, S. 330) und Ref. hat sie ebenfalls schon am Menschen ausgeführt.
Bis jetzt sind alle Versuche am Menschen fehlgeschlagen; wer aber die
Arbeit des Verf. studiert, mit den jüngsten Darlegungen von W. Meyer,
Heyrowski u. a. vergleicht, wird sich dem Eindruck nicht entziehen
können, dass wir in kurzer Zeit auch auf diesem bisher so trostlosen
Gebiete Erfolge erringen werden. Ernst Unger-Berlin.
Paul Horn-Bonn: Ueber nervig® Erkrankungen naeh Eisenbuba-
tnfällen. Mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beeinflussung
durch Kapitalabfindung bzw. Rentenverfahren. (Aus dem Seminar
für soziale Medizin an der Universität Bonn. Mit einem Vorwort
von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Th. Rumpf.) Bonn 1913, A. Marcus
und E. Weber’s Verlag, Dr. jur. Alb. Ahn. 152 S. Preis
brosch. 4 M., geb. 4,80 M.
Die Anschauungen über die sogenannten „traumatischen Neurosen*,
besonders über ihre Prognose, beginnen sich allmählich zu wandeln.
1) Nachtrag bei der Korrektur** Bei einer am 14. IV. 1913, fast
4V 2 Monate nach der Injektion vorgenommenen Nachuntersuchung be¬
steht absolute Schmerzfreiheit im ganzen linken Trigeminus; keine Kera¬
titis; gutes Allgemeinbefinden.
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UNIVERSITY OF IOWA
28. April 1913,
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
785
Auoh die vorliegende, tüchtige Arbeit P. Horn’s, welche unter der
Aegide und mit dem Material Rumpf’a entstanden ist, betont wieder,
dass die Unfallneurosen bei weitem nicht so häufig sind, wie vielfach
noch angenommen wird, und dass die fast allgemeine Behauptung ihrer
höchst ungünstigen Prognose nicht mehr haltbar 'ist. Damit ist indessen
das Ergebnis dieser wichtigen Untersuchungen nicht erschöpft, dem Yerf.
kam es auch darauf an, an einer grossen Zahl gut untersuchter und in
ihrem Verlauf verfolgter Krankheitsfälle eine schärfere Umgrenzung der
Krankheitsbilder zu versuchen, was schon längst ein dringendes Be¬
dürfnis ist, und weiterhin im Lichte seiner Untersuchungen alle übrigen
Fragen zu erörtern, welche auf dem Gebiet der Unfallneurosen noch un¬
gelöst sind.
Wegen der Wichtigkeit für den Praktiker seien einige seiner Ergeb-
oisse hier angeführt. Er unterscheidet mehrere Krankheitstypen, denen
eine durchaus verschiedene Beurteilung zukommt. Die vielfach recht
günstige Prognose hängt ausser von der Art der Störung wesentlich ab
von der Art des Entschädigungsverfahrens. Renten sollten nur selten,
in zweifelhaften Fällen gewährt werden; die besten Resultate in medi¬
zinischer wie sozialer Hinsicht, für Patient und Behörde gibt die ein¬
malige Kapitalabfindung. Aeusserst wichtig ist die möglichst frühzeitige
und möglichst eingehende erste Untersuchung mit Klarstellung der
Anamnese. Das beste Heilmittel ist allmähliche Wiederaufnahme der
Arbeit, lang dauernde Rentengewährung trägt zur Fixierung der nervösen
Beschwerden mit bei. Gesetzlich sollte die Möglichkeit geschaffen werden,
nervöse Unfallpatienten auch gegen ihren Willen einmalig abzufinden.
Im übrigen muss jeder Praktiker selbst zu diesem kleinen Büchlein
greifen: was er hier findet, steht in keinem Lehrbuch, ist klar und ruhig,
mit sachlicher Kritik vorgetragen und gehört zum nötigsten Wissens-
bestande für die Unfallpraxis. W. Sei ff er.
Alfons Fischer: Grundriss der socialen Hygiene. 70 Abbildungen
im Text. Berlin 1913, Springer. VI und 448 S. Preis 14 M.
Das vorliegende Buch gibt eine kurze, im ganzen befriedigende
Uebersicht über den derzeitigen Stand der sozialen Hygiene; in manchen
Kapiteln wäre etwas mehr Vollständigkeit und kritische Auswahl der
gebotenen Literatur zu wünschen gewesen, wie z. B. bei dem Kapitel
Krebs. Es muss aber anerkannt werden, dass das Gebiet der sozialen
Hygiene bereits einen derartigen Umfang angenommen hat, dass es einem
einzelnen Autor, der nicht völlig in diesem Gebiet aufgeht, schwer wird,
das ganze Gebiet zu beherrschen. In der Anführung von Tabellen hat
sich der Verf. einer lobenswerten Zurückhaltung befleissigt. Zu wünschen
ist nur, dass jetzt einmal eine Zeitlang mit derartigen Werken Schluss
gemacht wird, da das Bedürfnis der Leser nach solchen völlig ge¬
sättigt ist.
H. Landborg: Medizinisch-biologische Familienforschangen inner¬
halb eines 2232köpfigen Baaerngeschlechts in Schweden. Mit
einer Vorrede von Prof. Max von Grüber in München. 7 Karten,
5 Diagramme, 37 Abbildungen auf 10 Tafeln und 51 Descendenz-
tafeln. Jena 1913, Gustav Fischer. XII und 519 und 220 S.
Folio. Preis 120 M.
Das vorliegende vorzüglich ausgestattete Werk ist allen Interessenten
für Familien- und Vererbungsforschung zur Anschaffung zu empfehlen.
Es stellt die umfassendste Leistung auf dem Gebiete der Vererbungs¬
und Degenerationsforschung beim Menschen dar und zeigt, was durch
Vereinigung der beim Menschen anwendbaren statistischen und individual¬
analytischen Methoden mit Ausdauer und Umsicht erreicht werden kann.
Der durch seine Monographien über die Myoclonusepilepsie weithin
bekannte Verf. bat nicht nur keine Mühe gescheut, um das über sieben
Generationen sich erstreckende Material zu seiner Arbeit durch
zahlreiche Untersuchungen von Personen und Studium der verschiedensten
Akten zusammenzutragen; er hat sich auch bemüht, bei der Verwertung
des gesammelten Materials den Rat der Sachverständigsten an Ort und
Stelle einzuholen, und so darf man wohl sageD, dass die Arbeit von
mehr als einem Jahrzehnt von dem verdienten Erfolge gekrönt wurde.
Zu diesem Erfolge hat aber auch die vorbildliche und für unsere
deutschen Verhältnisse etwas beschämende Opferwilligkeit seiner Lands¬
leute wesentlich beigetragen. Staat und Stiftungen haben gewetteifert,
um ihm die Verfolgung der gewählten Aufgabe finanziell zu erleichtern,
und soviel wir wissen, ist ihm auch künftig die Möglichkeit grosszügiger
Untersuchungen ganzer Bezirke gesichert.
In einem ersten Teile behandelt Lund borg die geographischen,
kulturellen, anthropologischen und sozialen Verhältnisse der Provinz
Biekinge, in der das untersuchte Geschlecht lebte, im Vergleich mit
ganz Schweden. Sodann untersucht er die Personalgeschichte des Ge¬
schlechtes, seine demographische Statistik und Pathologie, vor allem auch
seine Kriminalität. Es zeichnet sich durch einen Prozentsatz von
mindestens 20 pCt. Minderwertigen aus, der in einzelne Generationen bis
auf 30 pCt. steigt. Trotzdem zeigt es keine besonders hohe Sterblich¬
keit und eine grosse Fruchtbarkeit, nicht auffallend viel Tuberkulose
und wenig Syphilis.
Es liess sioh die enorme Zahl von 33 pCt. Verwandtenehen nach-
vreisen. Bei einer Reihe der gefundenen Minderwertigkeiten, insbesondere
bei Dementia praecox und der Myoclonusepilepsie ergab sich der Ver¬
dacht auf ein recessives mendelndes Merkmal, der sich durch Anwendung
einer von dem Referenten angegebenen Methode als richtig erwies und
bezüglich der letzteren Krankheit auch noch durch Verwertung der
ganzen vorliegenden Literatur weiter bestätigte.
Die Ursachen der starken Degeneration des Geschlechtes findet
Lundborg in einer ungünstigen Rassenmischung, starker Inzucht und
Alkoholismus. In einem Schlusswort betont er die Notwendigkeit der
Errichtung von Instituten für Familienforschung und Vererbungsforschung
am Menschen und die Wege für die Gewinnung eines brauchbaren medi¬
zinisch-biologischen Materials.
Zahlreiche Auszüge aus Gerichtsakten, Krankengeschichten, Proto¬
kolle über die untersuchten Angehörigen des Geschlechtes und Stamm¬
tafeln geben einen tiefen Einblick in die Verhältnisse des Geschlechtes
und die Möglichkeit einer weitgehenden Kontrolle. Auch in dieser Hin¬
sicht ist die Arbeit in hohem Grade instruktiv.
Tngendreieh und Mosse: Krankheit und soziale Lage. 3. Lieferung.
München 1913, J.F.Lehmann’s Verlag. S. 407—636. Preis 4M.
Blasohko und Fischer behandeln die Abhängigkeit des Auftretens
der Geschlechtskrankheiten und ihres Verlaufes von der sozialen Lage.
Reiche gibt eine Uebersicht über das bis jetzt über den Einfluss der
sozialen Lage auf Mortalität, Morbidität und Verlauf der Infektionskrank¬
heiten Bekannte, er betont, dass die Mortalitätsuntersuchung für diesen
Zweck nicht ausreicht, und dass noch viele Arbeit auf dem Gebiete der
Morbiditätsstatistik zu leisten sei. Mosse behandelt das schwierige
Kapitel der Tuberkulose sehr gewissenhaft und vollständig. Mit den
Beziehungen zwischen Krebs und sozialer Lage und Beruf beschäftigt
sich Theilhaber. Die grosse englische Berufsstatistik des Krebses ist
leider von ihm nicht verwertet, ausserdem findet er es für nötig, sich
gegen Ausstellungen an seinen eigenen krebsstatistischen Arbeiten zu
wenden, indem er die Erfahrung des ärztliohen Praktikers höher stellt
als die technischen Ausführungen der „Berufsstatistiker“, die hinter dem
grünen Tisch arbeiten. Wer eine solche Auffassung hat, der würde die
Beschäftigung mit Statistik besser ganz aufstecken, da sie ja für ihn
überflüssig, im übrigen nur als eine exakte Methode von Wert ist, deren
Anwendung auch ein bisschen Selbstkritik erfordert. Den Beschluss
dieser Lieferung bildet eine kurze Uebersicht über die Beziehungen
zwischen sozialer Lage und Zahnkrankheiten von Williger.
We i n b e r g - Stuttgart.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
P. Lasareff: Studien über das Weber-Feehier’gch© Gesetz. 2. Mit¬
teilung. Ueber den Einfluss der Geschwindigkeit des Reizzuwachses
auf den Schwellenwert der Gesichtsempflndnng. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 150, H. 6—8.) Auf Grund von Versuchen wird mathematisch die Be¬
ziehung zwischen optischer Wahrnehmung und der Geschwindigkeit, mit
der der optische Reiz seine Intensität ändert, abgeleitet.
S. Baglioni*. Ueber eine besondere Drnckempfindliehkeit der
Glans penis. Ein Beitrag zur Kenntnis der an dem Geschlechtsakt teil¬
nehmenden peripheren Empfindungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6
bis 8.) Nach B. wird durch breitflächige mechanische Reize an der
Haut der Glans penis eine besondere, nicht den gewöhnlichen Tast¬
empfindungen gleichende, wollustbetonte Empfindung hervorgerufen, die
besonders an der Corona glandis ausgesprochen ist. Sitz dieser Empfin¬
dung sind besondere, an der Corona mancher Individuen sichtbare
Papillen. Die Empfindung wird in die Tiefe lokalisiert. Die Erregbar¬
keit wechselt je nach den Zuständen der sexuellen Centren und der
Geschlechtsorgane und ist nach längerer sexueller Abstinenz besonders
hoch. Anästhesierung der Glans stumpft sie ab.
T. Kato: Zur Physiologie der Binnenmuskeln des Ohres. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) K. beobachtete am freigelegten Mittelohr
von Katzen und Kaninchen das Verhalten des Tensor tympani und
stapedius gegen Pfeifentöne verschiedener Höhe und ^Intensität. Er
findet, dass bei schwachen akustischen Reizen nur der M. strapedius
zuckt, und zwar auf kurzdauernde Reize mit kurzer, auf längere mit
entsprechend längerer Kontraktion. Bei stärkeren Reizen tritt in
analoger Weise auoh der Tensor tympani in Tätigkeit. Bei sehr starken
Reizen kommt es zu tetanisohen Kontraktionen beider Muskeln. Hohe
Töne stellen stärkere Reize dar als tiefe. Bei lange dauernder Ein¬
wirkung starker Schallreize kommt es zu eiuer Schädigung des Laby¬
rinthes, die früher eintritt, wenn die Mittelohrmuskeln ausser Funktion
gesetzt sind. Im Anschluss an diese Befunde erörtert K. unter Be¬
sprechung aller darüber vorliegenden Theorien die physiologische Be¬
deutung der Binnenmuskeln des Obres. Er hält sie für Schutzapparate
des Labyrinthes, die die Aufgabe haben, durch ihre Kontraktion die
Intensität der Schallreize abzuschwächen, wobei der Stapedius die
grössere Bedeutung hat. Sie stellen einen automatisch einsetzenden
Dämpfungsapparat dar.
B. Bocci: Die mit der komplexen Morphologie des Cortischen
Organes am meisten im Einklang stehende Theorie des Gehö'rs. Ueber-
setzt von Dr. Ph. Verderame. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.)
B. weist darauf hin, wie unbefriedigend die bisherigen Theorien der Ge¬
hörswahrnehmung sind, da sie immer nur eiozelne Teile des kompliziert
zusammengesetzten Corti’schen Organes in Betracht ziehen. Er kritisiert
in dieser Hinsicht die verschiedenen Anschauungen. Als Empfindungs¬
elemente kommen nur die Haarzellen in Betraoht, deren Schwingungen
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UNIVERSUM OF IOWA
786
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
nur einfache sein können; ihnen passt das Protoplasma der Corti-
schen Zellen seine Molekularbewegungen an. Die einzelnen Schwingungen
kommen erst im Gehörscentrum wieder zur Verschmelzung. Mitwirkend
ist dabei die besondere Endigungsweise der Schneckenfasern, die von
zwei oder mehr peripherischen Zellen ausgehend zu einer cerebralen
Aufnahmezelle führen soll, in denen die phonetische Schwingung zum
akustischen Bilde wird.
R. Dittler: Ueber die Begegnung zweier Erregungswelleii in der
Skelettmnskelfaser. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Reizte D.
Skelettmuskeln mit einzelnen Induktionsöffnungsströmen zugleich an
zwei Stellen maximal, so fand er, dass die beiden sich begegnenden
Wellen nicht übereinander fortliefen, vielmehr an der Begegnungsstelle
erloschen. Submaximale Erregungen laufen an- und übereinander
vorbei, wobei sie sich jedoch schwächen. Die Aktionsströme zeigen bei
Begegnung zweier maximaler Wellen keine Addition, vielmehr tritt nur
der Effekt ein, der einer maximalen Erregung entspricht.
R. Dittler: Berichtigung. Zur Arbeit: „Ueber die Begegnung
zweier Erregungswelleii in der Skelettmiskelf&ser. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 150, H. 1—3; Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Bezieht sich
auf die zu einer Kurve gegebene Erläuterung.
P. Schiefferdecker: Untersuchung einer Anzahl von Muskeln
von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) Sehr umfassende mikroskopische
Untersuchungen an Vogelmuskeln. Das Bindegewebsgerüst hat für die
verschiedenen Muskeln einen spezifischen Bau, doch so, dass sich be¬
stimmte Gruppen bilden lassen. Auch in bezug auf den Kernreichtum
des Bindegewebes bestehen Unterschiede. Die Lage der Kerne der
Muskelfasern ist bei den einzelnen Muskeln ganz verschieden; zum Teil
sind sie binnen-, zum Teil randständig, auch sind sie bald mehr rund¬
lich, bald abgeplattet. Kernreihen fehlten stets; die Zahl der Muskel¬
kerne ist bei verschiedenen Muskeln verschieden; alle Vogelmuskeln sind
jedoch kernreich. Die Querschnittsgrösse der Muskelkerne wächst so
gut wie gar nicht mit der Zunahme der Faserdicke; sie ist gering. Da¬
gegen sind die Kerne verhältnismässig lang. Je länger der Kern im
Verhältnis zum Durchmesser, um so grösser seine Oberfläohe. Das soll
den Stoffwechsel zwischen Kern und Zelle begünstigen. Wieweit die
morphologischen Eigentümlichkeiten mit der Funktion Zusammenhängen,
muss weiter untersucht werden. Untersucht wurden Huhn, Grünfink,
Sperling.
R. Sieb eck: Ueber die Wirkung des Kaliumchlorids auf Froseh-
mu8keln. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) In neutraler isotonischer
Chlorkaliumlösung werden Froschmuskeln unter Gewichtszunahme schnell
unerregbar. Die Wirkung ist reversibel. Organe, deren Struktur durch
Gefrieren und Wiederauftauen verändert ist, nehmen in Chlorkalium¬
lösung nicht an Gewicht zu. Faradische Reizung beschleunigt die Ge¬
wichtszunahme normaler Muskeln in Chlorkalium, ebenso alkalische
Flüssigkeiten (Viooo n NH 8 ) und Narkose. Die Grenzschicht der Zellen
ist für Chlorkalium im Gegensatz zu den meisten anderen Salzen durch¬
lässig.
F. Mares: Aenderungen der Reaktion8weise des Nerven auf die
Pole des galvanischen Stromes. Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung
physikalisch-chemischer Theorien in der Physiologie. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 150, H. 9—12.) Ausführliche kritische und experimentelle Unter¬
suchungen. Nach M. kommt bei schwacher elektrischer Reizung nur
eine Kathodenschliessungszuckung zustande. Wird aber bei absteigendem
Strom die Schliessungserregung ausgeschaltet, so tritt eine Anoden¬
öffnungserregung hervor. Diese erscheint auch bei auf steigendem Strom,
wenn die Kathode durch Anlegung an eine abgetötete oder durch starke
Abkühlung unerregbare Stelle unwirksam gemacht wird. Die normale
Prävalenz der Kathodenschliessungserregung ist danach mit einer
Hemmung der ^nodenöffnungserregung verbunden. Durch Ausschaltung
der Kathode beim absteigenden Strom kann eine monopolare Reizungs¬
methode gewonnen werden, mittels der die erregende Wirksamkeit der
Anode untersucht werden kann. Am unversehrten Nerven bewirkt
sie nur Oeffnungserregung; wird sie jedoch nahe einem Nervenquer-
schnitt gelegt, so erfolgt Schliessungserregung. Die Nervenerregbar¬
keit am Querschnitt ist also qualitativ verändert, es besteht eine Um¬
kehr der Reaktion gegen die Pole des elektrischen Stromes. Sie hängt
mit dem Absterben des Nerven zusammen. r
E. Th. v. Brücke und J. Satake: Beiträge zur Physiologie der
autoriom innervierten Muskulatur. VI. Ueber die Aktionsströme des
Kaninchenösophagus während des Ablaufes einer Schluekwelle.’ (Pflüfcer’s
Achiv, Bd. 150, H. 3—5,) Die Verflf. erzeugten durch Reizung des
centralen Stumpfes des Nervus laryngeus bei Kaninchen Schluckwellen
und verzeichneten die dabei am quergestreiften Halsteil des Oesophagus
auftretenden Aktionsströme. Es ergab sich, dass die Schluckwelle einer
tetanischen Kontraktion, die über den Oesophagus fortläuft, ent¬
spricht.
H. Laurens: Die atrioventricnläre Erregnngsleitnng im Reptilien¬
herzen und ihre Störungen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) In
L.’s am isolierten und in situ gelassenen Herzen von Schildkröten und
Eidechsen ausgeführten Versuchen, in denen Vorhof- und Ventrikelkon¬
traktion graphisch verzeichnet wurden, ergab sich, dass bei diesen Reptilien
eine physiologische Differenzierung der atrioventriculären Leitungsbahnen
besteht. Nur die seitlichen Verbindungsbündel zwischen Vorhof und
Ventrikel leiten die Erregungen. Nach ihrer Durchschneidung existiert
auch bei Erhaltensein der vorderen und hinteren Bündel keine Coordination
mehr zwischen Atrium und Kammer. Die normale Frequenz de9 Herz¬
schlages beträgt bei der Eidechse 50, bei der Schildkröte 27,8 pro Minute,
die der Ueberleitungszeit bei ersterer 0,51, bei letzterer 0,6 Sekunden.
Im Anschluss an operative Eingriffe können letztere Werte sich erheb¬
lich verlängern. Durch verschiedene Schädigung der Ueberleitungsbündel
Hessen sich die verschiedensten Ueberleitungsstörungen bis zu voll¬
kommener Dissociation herbeiführen. Diese können sich jedoch allmäh¬
lich wieder ausgleichen, so dass bei ihrem Zustandekommen wohl noch
ein im Ventrikel selbst gelegener Faktor mitwirken muss.
W. Einthoven, G. Fahr und A. de Waart: Ueber die Richtung
und die manifeste Grösse der Potentialschwankngen im menschlichen
Herzen und über den Einfluss der Herzlage auf die Form des Elektro-
cardiogramms. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Die Darlegungen
der Verflf. betreffen die Aenderung der Form des Elektrocardiogramms
durch Lageveränderungen des Herzens. Solche kommen bei manchen
Menschen durch die Atembewegungen zustande. Zur Beseitigung der
Unklarheiten, die bezüglich der mit Lageveränderungen des Herzens
einhergehenden, im Einzelfalle ganz verschiedenen Aenderungen des
Elektrocardiogramms bestehen, führen die Verflf. den Begriff der „mani¬
festen Grösse* ein, welche die Potentialunterschiede im Herzen selbst
besitzen. Sie erörtern den Begriff an einem Schema (dem Schema des
„gleichseitigen Dreiecks*), mittels dessen sie zeigen, dass während der
Exspiration das Herz sich um eine sagittale Achse dreht, entsprechend
den Befunden im Röntgenbilde. Der „manifeste Potential unterschied
im Herzen“ ist diejenige Grösse, die sich bei einer der üblichen drei
Stromableitungen ergibt, sobald die* Stromrichtung zwischen den Ab¬
leitungsstellen mit der Richtung des resultierenden Potentialunterschiedes
im Herzen übereinstimmt. Die Verflf. besprechen den Einfluss ver¬
änderter Körperlage, gesteigerter Frequenz der Herzkontraktion und auch
den von Herzerkrankungen. Einzelheiten lassen sich im Auszuge nicht
gut wiedergeben.
C. J. Rotbberger und H. Winterberg: Ueber den Einfluss von
Strophantin auf die Reizbildangsf&higk.eit der automatischen Centren
des Herzens. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Im Anschluss an
frühere Untersuchungen suchen die VerflF. im wesentlichen die Frage zu
entscheiden, ob die Erregbarkeit der tertiären Herzcentren durch Stro¬
phantin ebenso gesteigert wird wie durch Baryum. Beide wirken ähn¬
lich, wenn auch quantitativ verschieden, indem vom Strophantin grosse
Dosen erforderlich sind, um einen nur geringen Grad von Erregbar¬
keitssteigerung der tertiären Centren hervorzurufen, also ventrikuläre
Tacbycardie zu erzeugen. Dabei ist diese stets geringer als nach
Baryum Vergiftung. Auch über die Beeinflussung des Elektrocardiogramms
durch Strophantin berichten die Verff. Kleine Strophantingaben ändern
nichts Wesentliches, nach grösseren entstehen Aenderungen des Elektro¬
cardiogramms infolge der einsetzenden automatischen Kammerschläge.
Da, wo infolge längerer Isolierung des Herzens vom Centralnervensystem
die P- und T-Zacke verkleinert ist, wird duroh Strophantin die normale
Gestalt des Elektrocardiogramms wiederhergestellt. A. Loewy.
0. Loewi und Weselko-Graz: Abhängigkeit experimentell dia¬
betischer Störnngen von der Kationenmischnng. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Der Zuckerverbrauch der Herzen von dia¬
betischen Tieren ist bei verschiedenen Durchströmungsflüssigkeiten ver¬
schieden. So ist der Zuckerverbrauch normaler Herzen bei Tyrode’scher
Flüssigkeit grösser als bei Binger-Locke’scher; diabetische Herzen ver¬
brauchen bei Durchströmung mit Tyrode’scher Flüssigkeit genau so viel
Zucker wie normale Herzen. Die Verflf. fanden nun, dass eine wesent¬
liche AenderuDg im Zuckerverbrauch eintrat, wenn sie den KCl-Gehalt
der Locke’schen Flüssigkeit, der normalerweise 0,04 pCt. beträgt,
variierten: bei 0,02pCt. KCl war der Zuckerverbrauch des diabetischen
Herzens zum Teil sogar über den normalen Wert erhöht, beiO,04pCt. KCl
bedeutend erniedrigt. Durch Herabsetzung der Kalikonzentration wird
also der herabgesetzte Zuckerverbrauch diabetischer Herzen zur Norm
gehoben, eventuell sogar erhöht. Dünner.
A. S. Loevenhart: Die Beziehungen des Atmungsceatriiiiis za
OxydatioDsprozesseii. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) Auf Grund
allgemeiner Betrachtungen und von Versuchen mit jod-, jodoso- und
jodobenzoesaurem Natrium, von denen die beiden letzteren aktiven Sauer¬
stoff abspalten und, Tiereo injiziert, Apnoe machen, kommt L. zu 4er
Anschauung, dass 'Oxydationsabnahmen im Atemcentrum zu Reizung,
Oxydationszunahmen zu Verminderung seiner Tätigkeit führen. Wird
die Oxydationsabnahme zu weit getrieben, so tritt Lähmung ein. Auch
SäurQn sollen .(lie Atmung durch Oxydatiönsbehinderung im Atem¬
centrum reizen^ umgekehrt Alkalien sie durch OxydationssteigeruDg
schwächen. Wie das Atemcentrum verhält sich auch das für die Vaso¬
motoren.
E. Maydell: Zur Frage des Magensekretins. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 150, H. 6—8.) Im Anschluss an Edkins zeigt M. an nach Pawloff
operierten Hunden, dass Extrakte aus dem Pylorusteil des Magens auf
den Magen wirksame Sekretine enthalten; ihre subcutane Injektion ruft
eine Absonderung von Magensaft hervor, dessen Gesamtacidität und
Menge an freier Salzsäure dem des „psychischen“ Magensaftes ähnlich
sind. Injektionen von Extrakten anderer Magenabschnitte haben keine
magensafttreibende Wirkung.
W. Sawitsch und G. Zeliony: Zur Physiologie des Pylerns.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 3—5.) Ausgehend von der Beobachtung
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
787
von Edkins, dass intravenöse Injektion von Pylorussohleimhautextrakt
die Magensaftsekretion anregt, haben die Verff. bei Hunden den Pylorus-
teil des Magens vollkommen isoliert und durch eine Fistel von aussen
zugängig gemacht. Ausserdem legten sie Magenfundus* und Darmfisteln
an. Sie brachten nun in den Pylorussack Lösungen von Fleischextrakt,
oder ölsaurem Natrium, oder Säuren, Natrium biarbonicum, Cblornatrium,
Wasser und beobachteten die Menge des aus der Magenfundusfistel aus-
fliessenden Saftes. Sie finden, dass vom Pylorus her die Sekretion der
Fundusdrüsen von allen Stoffen, die als Erreger der Magensaftsekretion
bekannt sind, angeregt wird.
M. Ghiron: Ueber die Nierentätigkeit. Nach mikroskopischen
Beobachtungen am lebenden Organ. Uebersetzt von Dr. Friedrich
Mueller. (Pflüger’s Archiv, BJ. 150, H. 6—8.) Nach Injektion verschiedener
Farbstoffe wurde die freigelegte Niere nach einer besonderen Methode
direkt mit Hilfe des Mikroskopes betrachtet. Dabei zeigt sich, dass
wenige Stunden nach der Injektion der Farbstoff im Bürstensaum der
Tubulusepithelien erscheint, sich dann am äusseren Epithelsaum sammelt,
um dann zu verschwinden. Bei reduzierbaren Farbstoffen (Methylen¬
blau) tritt die Reduktion in der äusseren Epithelzone ein. Das spricht
für eine schnelle Eliminierung der Farbstoffe durch die Glomeruli und
für ihre Absorption in den Tubuli und Wiederüberführung in den Kreis¬
lauf nach eventueller chemischer Umwandlung. Wahrscheinlich sind die
Vorgänge gegenüber den normalen Harnbestandteilen die gleichen, so
dass die Tubuli die Aufgabe hätten, das chemische Gleichgewicht in den
Organflüssigkeiten zu erhalten und chemische Umwandlungen zu leisten.
A. Loewy.
L. Arzt und W. Kerl-Wien: Zur Kenntnis der biologischen
Wirknngen des Radiums. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.)
A. und K. fassen ihre Versuche in folgende Sätze zusammen: Der in¬
duzierten Radioaktivität kommt eine, wenn auch schwach baktericide
Wirkung zu. Durch Bestrahlung von Lecithin, insbesondere in Sub¬
stanz scheinen Veränderungen vorzugehen, die sich zwischen dem be¬
strahlten und unbestraften Lecithin in bezug auf die Aktivierung der
Cobragifthämolyse ergeben. Radium in Substanz ist, an Trypanosomen
bemessen, eine baktericide Wirkung eigen, die im Tierversuche zum
Ausdruck gebracht werden kann. P. Hirsch.
Siehe auch Technik: Dautwitz, Vorrichtung zur Emanations¬
entnahme.
Pharmakologie.
Brunnthaler: Die toxischen Wirkungen des Formsldehyds.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 7.) Ueberbliok über unsere jetzigen
Kenntnisse der giftigen Wirkungen des Formaldehyds an der Hand der
Literatur. H. Hirschfeld.
R. Co bet: Ueber die Resorption von Magnesinmsnlfatlösnngen im
Dünndarm und die Wirkungsweise der salinischen Abführmittel. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 150, H. 6—8.) C. brachte Bittersalzlösungen steigender Kon¬
zentration, zum Teil mit Kochsalzzusatz, in abgebundene Darmschlingen
von Hunden und untersuchte nach bestimmter Zeit Menge und Zu¬
sammensetzung des Darminhalts. C. findet, dass nach Einführung
hochconcentrierter Salzlösungen nicht mehr Flüssigkeit in den Darm
Übertritt als bei niedrig concentrierten. Osmotische Prozesse hätten
demnach nur geringen Anteil am Flüssigkeitsübertritt io den mit Bitter¬
salzlösung gefüllten Darm, die wesentliche Rolle spielt vielmehr die
Sekretion von Darmsaft. Dass von dem Bittersalz etwas resorbiert wird,
führt C. auf Diffusionsvorgänge zurück. Zudem kommt dem Darm die
Fähigkeit zu, die Diffusion von Kochsalz in den Darm zu hemmen,
ebenso den Uebertritt von Wasser in ihn. Dagegen vermögen die
unteren Darmabschnitte entgegen dem Diffusionsgefälle zu resorbieren.
W. J. Beresin: Ueber den Einfluss der Gifte auf das isolierte
Fischherz. (Pflüger’s Archiv, Bd. 150, H. 9—12.) Strophantin wirkt
auf das isolierte Herz des Hechtes wie auf das des Warmblüters und
Frosches. Erythrophlein macht in geringer Konzentration Verlangsamung
des Herzschlages und Zunahme seiner Amplitude, in höherer (1: 500 000)
Arrhythmie und Stillstand des Ventrikels in Systole, des Atriums in
Diastole. Coffein (1: 25 000 bis 1: 2000) bat höhere Schlagfrequenz und
Aüiplitudenzunahme zur Folge. Ebenso wirkt Adrenalin 1:1 000 000,
während bei einer Concentration 1: löö 000" Verlangsamung eintritt.
Auf Nikotin 1: 10 000 tritt Herzstillstand in Diastole ein. Vorübergehend
kommt dies auch bei Pilocarpin 1:2 000 000 bis 1:100 000 zustande.
Veratrin machte neben Frequenzänderungen Unregelmässigkeit der Herz¬
aktion. Chloroform macht Verlangsamung und Stillstand; Aether wirkt
verhältnismässig wenig. Blausäure 1 :100 000 verminderte die Kon¬
traktionsstärke des Herzens ohne Beeinflussung des Rhythmus.
A. Loewy.
OliVa-Genua: Einfluss der Chloroform-, Aether und Misch-
Narkose auf die physikalisch-chemische Beschaffenheit des Blutes. (Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Bei der Aethernarkose findet
eine Zunahme der Gefrierpunktserniedrigung, der Viscosität, des re-
fraktometrischen Index, des spezifischen Gewichts, des elektrischen Wider¬
standes sowie eine Abnahme der Oberflächenspannung im Serum statt,
woraus Verf. eine Zunahme der Albuminoide und Kolloide, dagegen eine
Unveränderlichkeit oder vielleicht Abnahme der Kristalloide annimmt.
Diese Veränderungen zeigen sich sofort nach der Aethernarkose. Ganz
ähnlich verhält sich das Blutserum bei der Chloroformnarkose, ohne dass die
Ergebnisse so konstante wären, dass daraus auf eine Zunahme der Kolloide
geschlossen werden könnte. Die nach reiner Chloroformnarkose fest¬
gestellten Veränderungen waren nicht wesentlich anders, als die bei
gleichzeitiger Morphiumverabreichung aufgefundenen. Bei der gleich¬
zeitigen Narkose mit Chloroform und AeÜier ergaben sich keine kon¬
stanten Veränderungen im Serum, die irgendwelche Schlüsse gestatteten.
H. Hirschield.
Siehe auch Physiologie: Rothberger und Winterberg, Ein¬
fluss von Strophantin auf die Reizbildungsfähigkeit der automatischen
Centren des Herzens.
Therapie.
R. Poll and - Gratz: Zur internen und externen Anwendung des
Hefepräparates „Fnrniikaliii“. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf.
berichtet über günstige Erfahrungen mit dem „Furunkulin Zyma“. Für
den inneren Gebrauch eignet sich am besten das Pulver, von dem täglich
3 bis 4 Kaffeelöffel genommen werden: Es ist indiziert bei Furunkulose,
Acne juvenilis, Seborrhöe usw. Zur äusseren Anwendung bei Impetigo,
Furunkel, Acne, Folliculitis usw. wird die Furunkulinpasta „Zyma“
empfohlen. Weiter ist das Furunkulin indiziert bei Katarrhen der Vagina
und des Cervicalkanals, bei denen Gazetampons mit Furunkulinpulver
3 bis 5 Stunden eingelegt werden. R. Fabian.
R. Hoffmann-München: Aiovarthyreoldsernm. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Von physiologischen Ueberlegungen, die
die Wechselwirkung der Drüsen mit innerer Sekretion betreffen, aus¬
gehend, hat Verf. ein Serum von thyreoid- und ovariektomierten Schafen
herstellen lassen. Mit diesem Serum wurde bei einer Patientin mit
Osteomalacie Besserung erzielt. Dünner.
M. Nemmser-St. Petersburg: Wiederholte Seraminjektionen and
Ueberempfindlichkeit (Serananaphylaxie). (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 16.) Die Gefahr der Anaphylaxie nach wiederholten Serum¬
injektionen ist nicht eben gross. Für wiederholte Einspritzungen müssen
möglichst hochwertige oder, noch besser, fremdartige Sera (z. B. Hammel¬
serum) benutzt werden. WolfsohD.
P. Schrumpf-St. Moritz: Die spezifische Tuberknlosetherapie nach
Maragliano. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf. berichtet aus der
medizinischen Universitätsklinik zu Genua (Direktor: Prof. Maragliano)
über die Behandlung von Tuberkulose mit dem Sero Maragliano-Bacterio-
lysin. Das Serum wird, wenn möglich, direkt in loco (Pleura- und
Peritonealhöhle, Gelenke) injiziert, sonst subcutan, und zwar im all¬
gemeinen: 1. Monat jeden zweiten Tag 1 ccm, dann zehn Tage Pause.
2. Monat jeden zweiten Tag abwechselnd 1 ccm und 2 ccm; zehn Tage
Pause. 3. Monat und folgende wie im zweiten Monat. Die Verab¬
folgung des Bacteriolysins per rectum scheint weniger wirksam zu sein.
Gute Resultate wurden mit der direkten Verbitterung des Blutes und
der Milch immunifizierter Tiere erzielt (Hämoantitoxin). Anführung von
drei Fällen, die durch das Maragliano-Serum günstig beeinflusst wurden.
Sippell-Bad Sooden a. Werra: Zur Behandlung der herabgesetzten
Atmnngsenergie bei Anämischen. (Therapie d. Gegenw., März 1913.)
Verf. empfiehlt bei Anämischen neben der Behandlung mit Kohlensäure-
Solbädern zur Erhöhung der gesamten Muskelkraft eine Atmungs¬
gymnastik, die eine aktive ohne Zuhilfenahme von Apparaten sein
soll. Die Erfolge sind in allen Fällen, wo eine Verkümmerung der
Lungenspitzenatmung bei Blutarmen sich findet, sehr gute.
R. Fabian.
H. W4n kl er - Berlin: Snlfldal, ein modernes Schwefelpräparat zur
Behandlung der Krätze. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 12.)
Sulfidal wird 3—4 Tage lang täglich einmal anfgetragen, am 5. Tage
wird es mit Salioylvaselin entfernt. Die Krätze heilt unter dieser Be¬
handlung meist in 8—10 Tagen. Immerwahr.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
G. Lewin-Berlin: Die Aetiologle der malignen Geschwülste.
(Therapie d. Gegenw., März 1913.) Verf. behandelt in neuer zusammen¬
fassender Uebersicht die Ergebnisse der Untersuchungen von Professor
Fibiger (vgl. diese Wochenschr., 1913, Nr. 7) und Jensen, durch
welche die Entstehung mancher bösartigen Tumorep als Folgen para¬
sitärer Einflüsse aufzufassen sind. . . R. Fabian.
G. Ferrarini-Pisa: Die toxische Lehre in der Pathogenese des
Verhrenniingstodes. (Dermatol. Woohenschr., 1313, Bd. 56, Nr. 12
u. 13.) Von den zahlreichen Theorien, die aufgestellt werden, um das
Zustandekommen jener äusserst komplexen Erscheinung zu erklären,
welche der Tod infolge von Verbrennungen darstellt, ist die sogenannte
toxische Lehre die am meisten bestechende; sie ist aber trotz der
grossen Anzahl von klinischen und experimentellen Arbeiten, die ihr
gewidmet wurden, die am wenigsten sicher begründete.
Immerwahr.
Krokiewicz: Ein Fall von Situs viscerum inversns completns.
(Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 8.) Bericht über einen klinisch fest¬
gestellten totalen Situs inversus und Diskussion der experimentell er¬
hobenen Befunde hinsichtlich der Aetiologie seiner Entstehung. Verf.
sieht als das Primäre oine Umlagerung der Mesoentodermalplatte an,
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UMIVERSITY OF IOWA
788
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
wodurch eine Verlagerung der Baucheingeweide und dann erst sekundär
die des Herzens stattfindet. Benn.
Blauel-Ulm und A. Reich-Tübingen: Versuch über künstliche
Kropferzeugnng. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.)
Verff. haben an Berliner Ratten Tränkversuche mit Wurmlinger,
Hirsebauer und Tübinger Wasser ausgeführt, uod zwar an den be¬
treffenden Orten selbst mit stets frischem Wasser, bei welcher Versuchs¬
anordnung allerdings ein Nachteil dadurch entsteht, dass die Versuche
nicht an einem kropfimmunen Ort durchgeführt wurden, so dass auch
andere nicht an das Wasser, sondern an die Oertlichkeit gebundene
Noxen mitspielen könnten. Doch glauben Verff. diese Bedenken durch
die Kontrollversuche Bircher’s, Wilm’s und Repin’s widerlegt. Bei
den Versuchen waren ausser einer makroskopisch wahrnehmbareu Schild-
drüsenvergrösserung geringeren Grades als besonders wichtig mikro¬
skopische Veränderungen zu konstatieren, die sich in dem gehäuften
Vorhandensein kleiner Follikel und solider Epithelkomplexe und dem
Neuerscheinen von atypischen adenomatösen Follikelbildungen dokumen¬
tierten. Diese histologischen Befunde sind als Ausdruck einer be¬
stehenden abnormen Wucherungstendenz aufzufassen. Ausserdem scheint
eine Prädisposition für Degenerationsvorgänge und Armut an histologisch
nachweisbarem Kolloid vorhanden zu sein. Aus ihren Versuchen ziehen
die Verff. den Schluss, dass die Kropfursache mit dem Wasser über¬
tragen wurde und dort jedenfalls noch die Kropfursache gefunden werden
kann. Noch unbewiesen ist aber, ob das Wasser der alleinige Kropf¬
vermittler ist. Die geologische Wassertheorie (Bircher) kann noch
nicht als einwandfrei bewiesen gelten. Die vorliegenden Versuche
liefern den Beitrag, dass Wasser aus Keuperregion bei Ratten kropf¬
artige Veränderungen verursacht. Eine Prädisposition des weiblichen
Geschlechts wurde nicht beobachtet. Die histologische Untersuchung
vermag die Anwesenheit einer Kropfnoxe im Wasser früher anzuzeigen
als die Prüfung auf makroskopische Vergrösserung. Daher haben der¬
artige Versuche auch praktisches Interesse, z. B. vor dem Bau einer
neuen Wasserleitung, zur Bekämpfung des endemischen Kropfes usw.
Zur Beseitigung der Kropfursache aus dem Wasser muss das Wasser
gekocht und filtriert werden. Alleiniges Kochen oder alleiniges Filtrieren
genügt nicht. W. V. Simon.
Geigel: Die Mechanik der Embolie. (Virchow’s Archiv, Bd. 211,
H. 3.) Verf., in der Meinung, dass die Pathologen nicht gern von den
mechanischen Ursachen sprächen, durch die ein hämorrhagischer Infarkt
bei Embolie eines Lungenarterienastes zustande komme, stellt gegen¬
über anderen „hohläugigen Erklärungen“ eine neue auf, in denen er die
hydrodynamischen Gesetze für diese Verhältnisse in Geltung setzt. Sehr
schwierige mathematische Berechnungen bilden den Hauptteil der Arbeit
(die mit längst überwundenen Ansichten hinsichtlich von Blutgerinnung
und Thrombosenbildung operiert).
Fukushi: Pathologische Histologie der syphilitischen Aortitis mit
besonderer Berücksichtigung des Vorkommens von Plasmazellen.
(Virohow’s Archiv, Bd. 211, H. 3.) Umfangreiche histologische Unter¬
suchungen an luetischen Aorten (92 Fälle). Abgesehen von den all¬
gemein bekannten Veränderungen (Entzündungsherden in Media und
Adventitia, Verdickung und Obliteration der Vasa vasorum) fand Verf.
reichliches Vorkommen von Plasmazellen in Media, Adventitia und
Intima. Im allgemeinen treten sie nicht unregelmässig mit Lympho-
cyten vermischt auf, sondern sie sind besonders gruppiert. Sie treten
sehr oft sogar stärker als Lymphooyten auf und umgeben oft in vielen
konzentrischen Kreisen die Vasa vasorum. Bei der gewöhnlichen
Skleratherose dagegen kommen nach Verf. fast gar keine Plasmazellen vor.
Kato - Yasukichi: Ueber angeborenen Relief- und Leistcnschüdel
bei Spina biftda and Encephaloeele. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H.3.)
Unter Schädelrelief versteht Schwalbe gewisse Vorwölbungen an der
Aussenfläcbe des Schädeldaches, die nach Lage und Form genau den
darunter liegenden Hirnteilen entsprechen. Dieses bilde sich jedoch
nicht vor Ablauf des ersten Jahres aus. Demgegenüber fand Verf. bei
8 mit Spina bifida behafteten Kindern, die in den ersten Lebenstagen
verstorben waren, ein — allerdings pathologisches — Schädelrelief.
Verf. sieht in ihm nicht den Ausdruck eines eventuell vorhanden ge¬
wesenen hohen intracraniellen Druckes, fasst es vielmehr als eine der
Spina bifida koordinierte Bildung auf.
Saalmann: Ein Fall von Morhas Recklinghausen mit Hyper-
nepbrom. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 3.) Verf. sieht zwischen den
beiden Krankheitsbildern, die der Fall bot, keinen direkten ursächlichen
Zusammenhang, glaubt aber doch, dass eine Erkrankung des chrom¬
braunen Gewebes, zu dem in weiterer Beziehung auch die Carotis- und
Steissdrüse gehören, als zum Morbus Recklinghausen gehörig betrachten
zu müssen.
Saltykow: Zur pathologischen Anatomie des Paralyphns. (Virchow’s
Archiv, Bd. 211, H. 3.) Die anatomischen Befunde bei dem typhus¬
ähnlichen Paratyphus und den verwandten Krankheiten sind keine ab¬
solut typischen. Sie nähern sich, im Gegensatz zu der in der Literatur
wiederholt ausgesprochenen Ansicht, in der grossen Mehrzahl der Fälle
denjenigen bei Typhus.
K. Koch: Bedeutung der Langerhans’schen Inseln im mensch¬
lichen Pankreas. (Virchow’s Archiv, Bd. 211, H. 8.) Verf. studierte
nach Anwendung der Methylgrün-Pyroninfärbung Pankreasschnitte unter
dem Gesichtspunkt: sind die Langerbans’schen Inseln als Gebilde sui
generis anzusehen oder nicht? Er kommt zu einer Verneinung der
Frage und erklärt die Inseln als rückgebildete, wahrscheinlich nicht
funktionierende Parenchymteile. Benn.
Siehe auch Physiologie: Ghiron, Nierentätigkeit. — Para¬
sitenkunde und Serologie: Jastremby, Negri’sche Körperohen. —
Chirurgie: Hassel, Mundbodendermoide. — Unfallheilkunde und
Versicherungswesen: Weber, Commotio cerebri. Hiltmann,
Duodenalgeschwür und Trauma.
Parasitenkunde und Serologie,
E. Morelli-Pavia*. Die Pankreatin]ösnng znr Knltnr der Mikro¬
organismen und besonders des Choleravibrio. (Centralbl. f. Bakterio¬
logie usw., 1. Abt., Orig., Bd. 66, H. 5 u. 6, S. 465.) Pankreatin in
2 proz. Lösung ist ein ausgezeichneter Nährboden für viele Mikro¬
organismen und eignet sich, wenn man ihn stark alkalisiert, besonders
für die Kultur des Choleravibrio.
D. Jastrembsky - Kiew: Zur Frage über die Negri’schen
Körperchen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abt., Orig., Bd. 67,
H. 1 u. 2, S. 65.) Die Behauptung einiger Autoren, dass ausser bei
Tollwut auch bei anderen Erkrankungen und sogar im Gehirn völlig
normaler Tiere Gebilde, die von den Negri’schen Körperchen nicht zu
unterscheiden sind. Vorkommen, ist vom Verf. an einer Reihe normaler
Katzen nachuntersucht. Zwar konnte er 6 mal unter 19 Fällen Ein¬
schlüsse nachweisen, die den Negri’scben Körperchen ähnlich zu sein
schienen, doch fehlten die charakteristischen Merkmale, so dass er zu
dem Schluss kommt, dass sie gar nichts mit jenen zu tun haben.
Bierotte.
E. Fränkel-Bonn: Tnberkelbacillen im strömendes Blit. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Systematische Parallel versuche mit
mikroskopischer Untersuchung und Tierversuch ergaben, dass der mikro¬
skopische Nachweis von Tuberkelbacillen im Blut unzureichend ist.
Unter 25 Fällen mit 42 Tierimpfungen wurden nur zweimal positive
Impfungen erzielt. Wolfsohn.
A. Moeller - Berlin: Ueber aktive Immunisierung und Behandlung
der Tuberkulose mit lebenden Kaltblütertuberkelbacillen. (Die Nicht¬
berechtigung der Patentschntzanwendnng lebender Bakterien.) (Therapie
d. Gegenw., März 1913.) Verf. gibt eine zusammenfassende Uebersicht
über seine immunisierungsversuche mit Kaltblütertuberkulose, die im
Jahre 1899 an Versuchstieren begonnen und dann 1902 am Menschen
fortgesetzt wurden. Verf. erhebt gegen die Patentanmeldung lebender
Bakterien durch F’riedmann Widerspruch, da er die Priorität für die
Behandlung und Immunisierung von Tieren und Menschen mit lebenden
säurefesten Bakterien und insbesondere mit Kaltblütertuberkulose be¬
ansprucht. R. F’abian.
M. 0. Romm und A. J. Balaschow - Kiew: Ueber Agglutinine im
Krankenserum bei der Baeillearahr. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., 1. Abi,
Orig., Bd.66,H.5u.6, S.426.) Bei Dysenterie ist die Widal’sche Reaktion eine
sehr beständige, nur selten fehlende Erscheinung. Als spezifisch hat die
Agglutination für Shiga-Kruse-Bacillen in einer Verdünnung 1:50, für
die anderen Typen bei 1:100 zu gelten. Das Auftreten der Reaktion
schwankt zwischen 5.—14. Tag. Die Beständigkeit ihres Bestehen¬
bleibens nimmt von den leichten zu den schweren Fällen zu. Die
Bildung von Agglutininen im Krankenserum ist anscheinend bei der
Shiga-Kruse-Ruhr am energischsten; bei dieser Erkrankungsform ist die
Gruppenagglutination für die übrigen Typen eine fast ständige Er¬
scheinung. Bei den durch die Mannitvergärer bedingten Erkrankungen
fehlt die Agglutination gegenüber Shiga-Kruse-Bacillen entweder völlig
oder ist nur sehr schwach vorhanden. Durch die Widal’sche Reaktion
als diagnostisches Hilfsmittel ist zu entscheiden, ob eine Ruhrerkrankung
durch Shiga-Kruse-Bacillen oder eine der mannitvergärenden Typen be¬
dingt ist. Bierotte.
F. Schenk-Prag: Zur Serodiagnostik der malignen Geschwülste.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) S. hat mit der von Dungern-
schen Methode seine Versuche angestellt. Es ist zweifellos, dass maligne
Tumoren häufiger positiv reagieren als andere Fälle. Ob die Methode
v. Dungern’s jedoch einer derartigen Ausgestaltung fähig ist, dass sie
sich zu einer klinisch verwertbaren Reaktion wird ausbauen lassen, kann
jetzt nooh nicht entschieden werden. P. Hirsoh.
Bernbach - Cöln: Beitrags zur Serologie der Geschwülste. »
(Aerztl. Sachverständigen-Ztg., 1913, Nr. 4.) Verf. berichtet, dass es ibm
gelungen ist, mit dem Serum zweier an Uterusoarcinom leidender Frauen
Komplementfixation mit Carcinomantigen zu erzielen. Die ungewandte
Methodik wird nicht mitgeteilt. In einem dritten Falle fiel die Kom¬
plementbindung schon positiv aus, als die histologische Untersuchung
ausgekratzter Massen noch kein Caroinom ergab, während bei einer
später folgenden nochmaligen Auskratzung Garcinom gefunden wurde.
H. Hirschfeld.
E. v. Gierke-Karlsruhe: Ueber eigenlösende Eigenschaften des
Meerschweinehenserums. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.)
G. beginnt die Wassermann’sche Reaktion stets mit der Prüfung des
Komplements auf Eigenlösung. Er fand Eigenlösung öfter bei tuber¬
kulösen und jungen Meerschweinchen. Im ganzen „scheint es sich um
ein Phänomen der Cachexie zu handeln“. Die Wassermann’sche Reaktion
ist eine völlig objektive Untersuchung. Subjektiv kann höchstens die
klinische Bewertung sein.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
789
G. Shibayama-Tokio: Ueber die Wirkung von Seron und Toxin
bei rectaler Anwendung. (Deutsche raed. Wochenschr., 1913, Nr. 16.)
Bei der rectalen Anwendung des Ziegenblutes beim Kaninchen entstehen
Hämolysin und Präcipitin, wenn auch in geringerer Menge als bei sub-
cutaner Anwendung. Bei rectaler Anwendung von Hundeblut bei Kanin¬
chen entsteht Agglutinin, aber kein Präcipitin. Diphtherietoxin und
Tuberkulin können, auch in grosser Dosis, bei rectaler Anwendung keine
Giftwirkung bei Tieren ausüben. Sie können dann vielleicht nicht als
Antigen wirken. Die Diphtherie-, Typhus- und Cholerapferdesera geben
bei rectaler Anwendung Tieren keine passive Immunität. Diese Tat¬
sache beweist sehr wahrscheinlich die Unmöglichkeit der Resorption der
Antitoxine sowie Bakteriolysine durch das Rectum in einem wirksamen
Zustand. Wolfsohn.
R. Freund - Berlin: Zur Geschichte der Serodiagnostik der
Schwangerschaft. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.)
E. Abderhal den - Halle a. S.: Bemerkungen zu diesem Artikel.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Prioritätsstreitigkeiten.
R. Freund und C. Br ahm -Berlin: Die Schwangerschaftsdiagnose
mittels der optischen Methode und des Dialysierverfahrens. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Untersuchung' an 135 Fällen, bei
denen das Dialysierverfahren 99 mal, die optische Methode 134 mal an¬
gewandt wurde. Der klinische Befund deckte sich mit dem optischen
Untersuchungsergebnis unter den 134 Fällen 97 mal = 72,4 pCt. und
mit dem Ergebnis der 99 mal angewandten Dialyse 66 mal = 66,7 pCt.
An den Versagern der optischen Verfahren ist zunächst das wechselnde
Verhalten eines Placentarpeptons verschiedenen Seris gegenüber schuld,
wie die Verff. durch Versuche zeigen; man muss daher in zweifelhaften
Fällen das Drebungsvermögen eines Serums mit einem zweiten oder
dritten Pepton nachprüfen. Als zweite Quelle des Versagens kommt
manchmal eine zu kurze Beobachtungszeit in Betracht; infolgedessen
muss die Beobachtungszeit gelegentlich auf 36 und 48 Stunden ausge¬
dehnt werden. 3. Die Beschaffenheit der Sera ist Ursache der Versager:
Primär trübe und hämolytische Substrate müssen unberücksichtigt
bleiben. Bei den 99 Fällen, bei denen das Dialysierverfahren angewandt
wurde, war 61 mal Uebereinstimmung mit der optischen Methode, und
zwar 43 mal in positivem Sinne, 18 mal in negativem Sinne; es harmo¬
nierten demnach 31 Untersuchungsbefunde nicht.
H. Schlimpert und J. He n dry-Freiburg: Erfahrungen mit der
Ahderhalden’sehen Sehwangerschaftsreaktion. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Die Verff. können auf Grund einer grösseren
Serie einwandfrei angestellter Reaktionen, bei denen sie keine Fehl¬
resultate beobachteten, den Wert der Reaktion bestätigen. Nur Unter¬
suchungsergebnisse, die durch Kontrollen an zahlreichen nichtschwangeren
Individuen bestätigt sind, können Ansprüche auf Geltung erheben, da auch
bei mangelhafter Technik bei Schwangeren scheinbar positive Resultate
zustande kommen können. Eine der wesentlichsten technischen Schwierig¬
keiten, die Unmöglichkeit der Herstellung völlig blutfreien Placentar-
gewebes, kann durch die Beschaffenheit des zur Auswaschung verwendeten
Wassers bedingt sein. Diese Schwierigkeit ist durch Verwendung von
Kochsalzlösung, speziell von 0,9 pCt., leicht zu beheben.
P. Lindig: Serum fermentwirknng bei Schwangeren nnd Tumor-
kranken. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.) Zu Abder-
halden’s Kritik in Nr. 8 der Münchener med. Wochenschr.
Dünner.
R. Bottler-Berlin: Ueber die Brauchbarkeit von Rinderherz¬
extrakten mit Cholesterinzusatz hei der Wassermana’schen Reaktion.
(Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Normale alko¬
holische Rinderherzextrakte mit Zusatz von Cholesterin geben bfei der
Wassermann’schen Reaktion häufig feinere Resultate als Rinderherz¬
extrakte allein. Vielleicht geben die Extrakte hin und wieder zu feine
Ausschläge, deshalb sollten sie nur neben den gewöhnlichen Rinderherz¬
extrakten benutzt werden. Besonders wertvoll sind die Cholesterin¬
extrakte aber bei beginnender und bei latenter Lues.
H. Nakano• Japan: Ueber Immnnisierongsversaehe mit Spiro-
ehätea rein kalt drei. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116,
H. 1.) Im Serum von Kaninchen, die mit abgetöteten Spirochäten¬
kulturen vorbehandelt sind, lassen sich Spirochätenagglutinine nach-
weiaen. Präoipitine sind nicht auffindbar. Eine aktive Immunisierung
durch Vorbehandlung von Kaninchen mit Spiroohätenkulturen gibt kein
Resultat. Ebensowenig lassen sich Erfolge von einer Spirochäten-
Vaccinebehandlung beim Menschen erkennen. Das Serum ^vorbehandelter
Kaninchen hat auf die Kaninchensyphilis weder eine Schutz- noöh eine
Heilwirkung. Immerwahr.
A. Glück-Breslau: Experimenteller Beitrag zur Frage der „Idio¬
synkrasien“. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) In je einem
Fall von Neosalvarsan-, Kawa-Santal- und Primelidiosynkrasie konnte
der Verfasser die passive Uebertragung der Ueberempfindlichkeit auf das
Meerschweinchen nicht nachweisen. Diese Resultate stehen den bei
anderen Idiosynkrasien erhobenen gegenüber. P. Hirsch.
Siehe auch Haut- und Geschlechtskrankheiten: Lade,
Erfahrung mit der Hermann-Perutz’schen Syphilisreaktion.
Innere Medizin.
L. Huismans - Cöln: Die Heilwirkung der deutschen Seebäder.
(Therapie d. Gegenw., März 1913.) Vortrag, gehalten am 10. Februar 1913
im Allgemeinen ärztlichen Verein zu Cöln. R. Fabian.
J. Hatiegan - Kolozsvär: Die klinische Bedeutung der Winkler-
Sehulze-Oxydasereaktion. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.)
Die Reaktion ist eine Eigentümlichkeit der Knochenmarkszellen (Granulo-
cyten). Infolge ihrer leichten Ausführbarkeit ist sie auch für die Praxis
geeignet, ihre Anwendung bei der akuten Leukämie ein klinisches
Postulat. Die Reaktion bei Infektionskrankheiten gleicht der unter
physiologischen Verhältnissen. P. Hirsch.
W. Sternberg-Berlin: Die Therapie der Appetitlosigkeit. (Therapie
d. Gegenw., März 1913.) Nach Ansicht des Verf. besteht das einzige
Mittel, den Appetit zu erregen, in der Hebung des Geschmacks. Da
gerade die gute Mundküche auf die vollkommene Steigerung der Schmack¬
haftigkeit zu achten hat, ist die gute Mundküche als das Muster der
diätetischen Küche anzusehen.
W. Ruland - Schiefbahn: Ein Fall von Darmverschlnss durch
Ascariden. (Therapie d. Gegenw., März 1913.) Kasuistischer Beitrag.
Heilung. Empfohlen wird als Medikament das Extr. chenopodii anthel-
minthici. R. Fabian.
E. Schum ach er-Trier: Ueber Spätansscheidnngen bei Typhus-
rekonvaleszenten. (Centralbl. f. Bakt. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66, H. 7,
S. 481.) Beobachtungen an einem grossen Typhuskranken material haben
gezeigt, dass eine zwei- bis dreimalige, bis in die dritte Woche sich er¬
streckende negative bakteriologische Schlussuntersucbung der Ent¬
leerungen nicht die Gewähr dafür bietet, dass die Rekonvaleszenten
nicht doch noch Typhusbacillen ausscheiden und damit zu Sekundär¬
infektionen führen. Der Verf. berichtet über 10 Fälle, die sämtlich aus
derselben Epidemie stammen, und bei denen nach anfänglich wiederholt
negativem Befund noch nach Wochen wieder Bacillen naebgewiesen
werden konnten. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Kranken bzw.
Rekonvaleszenten volle 6 Wochen nach der Entfieberung noch unter
Beobachtung zu halten. Bierotte.
Karas-Warschau: Ueber die Cammidgereaktion. (Zeitschr. f. klin.
Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Nach den Untersuchungen des Verf. spricht
ein positives Resultat der Reaktion von Cammidge in hohem Maasse
für Pankreaserkrankung, wenn es auch vom Verf. bei Lungentuberkulose,
Lymphämie und putrider Bronchitis gefunden wurde. Die Mutter¬
substanz der Cammidge’schen Kristalle befindet sich wohl in allen
parenchymatösen Organen und ist vielleicht ein Nucleoprotoid.
Gomolitsky-St. Petersburg: Beiträge zur Lehre von der ortho-
statisehen Albuminurie. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.)
Die Verfasserin hat experimentell an Menschen und Tieren geprüft, in¬
wiefern traumatische Schädigungen der Nieren bei der orthostatischen
Albuminurie eine Rolle spielen. Palpation der verlagerten Nieren bei
Tieren und bei Menschen führte nur selten zur Eiweissausscheidung.
Bisweilen wurde bei nepbritischen Nieren eine Abnahme der Eiweiss¬
ausscheidung nach der Palpation gefunden. Nur in zwei Fällen von
Nephroptosen wurde Eiweissausscheidung nach Bewegungen oder bei
orthostatischer Stellung konstatiert. Die durch Palpation hervorgerufene
Albuminurie schwindet . meist nach 45—60 Minuten. Mechanische
Vibration, starkes Schütteln des Patienten, Abkühlung der Nieren,
galvanische und faradische Behandlung derselben führten nicht zu
Albuminurie. Am häufigsten ist orthostatische Albuminurie bei Kindern
zur Zeit des stärksten Körperwachstums. Infektionskrankheiten, ins¬
besondere Scharlach, disponieren dazu. Die orthostatische Albuminurie
verschwindet nach längerem Stehen wieder, rascher allerdings in hori¬
zontaler Lage. Im Sitzen findet keine Albuminurie statt, beim Gehen
beobachtet man keine oder spurenweise Eiweissausscheidung. Eine
orthostatische Eiweisausscheidung hört auf, wenn man den Bauch mit
festen Bandagen bewickelt. Durch Lendenlordose kann man nicht alle
Fälle orthotischer Albuminurie erklären. Im allgemeinen kommt Verf.
zu dem Schluss, dass traumatische Schädigungen als ursächliches
Moment der orthostatischen Albuminurie keine Rolle spielen. Zur Aus¬
lösung einer orthostatischen Albuminurie gehört offenbar eine funktionelle
Minderwertigkeit der Niere. H. Hirsch fei d.
Siehe auch Therapie: Schrumpf} Tuberkulosetherapie. Sippel,
Behandlung der herabgesetzten Atmungsenergie bei Anämischen. —
Haut- und Geschlechtskrankheiten: Nanta, Syphilis und Lympho¬
matösen. — Parasitenkunde und Serologie: Frankel, Tuberkel-
. bacillen im strömenden piut. — Unfallheilkunde und Ver¬
sicherungswesen: Bernhardt, Herzaffektion und elektrischer Unfall.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
H. Obersteiner-Wien: Ueber pathologische Veranlagung am
Centralnervensystem. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Vor¬
trag, gehalten in der Sitzung der K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien
am 14. März 1913. Referat siehe den Sitzungsbericht.
P. Hirsch.
Mathies - Hamburg: Vier familiäre Fälle multipler Neuromyxo-
fibro8arkomatose. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 1 u. 2.) Die vier
mitgeteilten interessanten Fälle dieser seltenen Krankheit betreffen eine
Mutter und drei Söhne. Bei der Mutter und dem einen Kind waren
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
nicht nur die peripheren Nerven, sondern auch einige Hirnnerven Sitz
von Geschwülsten und hatten, besonders bei der Mutter, zu schweren
cerebralen Erscheinungen geführt. Bei letzterer bestand völlige Taub¬
heit und Blindheit. Die Mutter starb infolge einer Atmungslähmung,
so dass ein sehr ausführlicher Sektiousbefund vorliegt. Bei allen vier
Fällen bestanden Kachexie-, dagegen nicht die in anderen Fällen viel¬
fach beobachteten Intelligenzstörungen. Die Wassermann’sche Reaktion
war bei der Mutter und ihren gesunden Töchtern negativ, bei zwei der
erkrankten Knaben positiv. Auch beim Vater war sie negativ.
H. Hirschfeld.
Siehe auoh Pathologie: Saalmann, Morbus Recklinghausen
mit Hypernephrom. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen:
Weber, Commotio cerebri. Sachs, Traumatische Neurose ohne Renten¬
anspruch. Wohl will, Posttraumatische Psychose. Enge), Syringo¬
myelie, irrtümlich diagnostiziert.
Kinderheilkunde.
F. Lust-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Magen darmkanals
für heterologes Eiweiss bei ernährnngsgestärten Säuglingen. (Jahrb.
f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 383.) Die Untersuchungen des Verf. er¬
gaben, dass die Toleranz des gesunden Darmes gegen Hübnereiweiss bei
Säuglingen nur eine begrenzte ist. Bei Eintritt einer Ernährungsstörung
sinkt die Resistenz des Darmes, und zwar am tiefsten, wenn es sich um
eine schwere akute Störung handelt, besonders aber, wenn sie unter dem
Bilde einer alimentären Intoxikation verläuft. In diesen Fällen können
schon sehr kleine Mengen Hübnereiweiss, wenigstens teilweise, die Darm¬
wand in nichtdenaturiertem Zustande passieren und im Urin nachweis¬
bar sein. Jedoch auch bei chronischen Ernährungsstörungen und speziell
bei Dekomposition ist diese Permeabilität der Darmwand für heterologes
Eiweiss grösser als in der Norm, wenn auch nicht in dem Maasse wie
bei den akuten Störungen. Auch beträchtliche Störungen der Permea¬
bilität sind durchaus nicht der Ausdruck einer irreparablen Störung der
Darmwand. Das Hühnereiweiss ist für diese Vorgänge ein besonders
feines und geeignetes Reagens, doch auch andere Eiweisskörper (Rinder¬
und Pferdeeiweiss) passierten in den Untersuchungen des Verf. den
Darm. Zwischen Hühner- und Serumeiweiss bestehen in dieser Hinsicht
nur graduelle Unterschiede.
H. Hahn-Heidelberg: Die Durchlässigkeit des Magendarmkanals
ernährangsgcstö'rter Sängliage für an heterologes Eiweiss gebundenes
Antitoxin. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 404.) Verf. konnte
nachweisen, dass Antitoxin, das in grösserer Menge verfüttert wird, die
Darmwand, speziell von jungen und ernährungsgestörten Säuglingen, zu
passieren vermag, auch wenn es an heterologes Eiweiss gebunden ist.
Zum Nachweis bediente sich H. der sehr empfindlichen Methode von
Römer im Gegensatz zu Salge, der die Methode von Marx benutzt
hatte. Dies, die Verabreichung von grösseren Immunitätseinheiten und
die Ausführung der Versuche an ernährungsgestörten Kindern erklärt
die von den Ergebnissen der Salge’schen Untersuchungen abweichenden
Resultate der Experimente Lust’s.
A. Benfey-Berlin: Die Finkeistein-Meyer’sehe Eiweissmilch.
(Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 475.) Sammelreferat.
E. A. Frank - Hannover: Die Anwendung der Molketherapie hei
ruhrartigen Darnkatarrhen und ihre Erfolge. (Jahrb. f. Kinderheilk.,
1913, Bd. 77, S. 422.) Schluss. Krankengeschichten.
M. Soldin - Berlin: Ueber einen Fall von verengertem Meconium-
abgang. (Jahrb. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 77, S. 453.) Es handelt sich
um einen Fall von hochgradiger Retention des Meconiums unter dem
Bilde eines vollständigen Darmverschlusses. Es kam zu einem schweren,
das Leben des Kindes gefährdenden Zustande, bis sich am fünften
Lebenstage die gesamte Meconiummenge spontan entleerte, worauf eine
normale Entwicklung des Kindes eintrat. Im Meconium fanden sich
zwei Schleimpfröpfe, die als das den Darmverschluss hervorrufende
Hindernis angesehen werden müssen. R. Weigert.
0. Meyer - Berlin: Frühformen der Möller-Barlow’sehen Krank¬
heit und ihre Behandlung. (Ther. d. Gegenw., März 1913.) Nach einer
Demonstration im Verein der Schöneberger Aerzte am 9. Januar 1913.
Verf. behandelt ausführlich die Krankengeschichten, von i drei Fällen von
larvierter Barlowerkrankung. Es waren Säuglinge, bei denen für die
vorhandene Anämie und Atrophie keine andere Ursache nachzuweisen
war. In solchen Fällen ist therapeutisch ein Versuch mit Rebmilch,
frischem Gemüse und Obst zu machen. R. Fabian.
Chirurgie.
0. Bernhard-St. Moritz: Verletzungen heim Wintersport, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Verf. gibt aus seinen Er¬
fahrungen im Oberengadin innerhalb 27 Jahren einen Ueberblick über
die bei den verschiedenen Arten des Wintersportes vorgekommenen Ver¬
letzungen.
R. Hassel-Greifswald: Die Mundbodendermoide. (v. Bruns’Beitr.
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Verf. glaubt nicht, dass die Kiemen¬
bögen direkt an der Entstehung der Mundbodendermoide beteiligt sind,
da sie in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Verhalten viel zu wenig
Chancen für Ektodermretention zu bieten scheinen. Allein derVesicula
cervicalis zu beiden Seiten des Halses, als der Stelle, an der auch
normalerweise Ektoderm zurückbleibt, möchte er in den meisten Fällen
bei ihrem abnormen Bestehenbleiben die Bildung von Mundboden-
dermoiden zuschreiben. Dass die Mundbodendermoide trotzdem später
fast ausschliesslich in der Medianlinie liegen, erklärt der Verf. mit der
Möglichkeit, dass die abgeschnürten Ektodermreste der dritten und
vierten Kiemenfurche, die Vesicula cervicalis, ihrem ursprünglich dorso-
ventral gerichteten Wachstum nach ihrer Abtrennung weiter folgen und
mit dem Weiterwachsen des umgebenden Gewebes schliesslich zur, oder
doch fast zur Medianlinie gelangen. Die Wahl des operativ einzuschlagen¬
den Weges ist je nach der Lage der Cyste zur Mundbodenmuskulatur
zu wählen.
W. Jaroschy-Prag: Zur Kenntnis des klinischen Bildes der
Chondrodystrophia foetalis. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 83, H. 2.) An Hand mehrerer sehr genau untersuchter Fälle gibt
Verf. einen Beitrag zur Klinik der Chondrodystrophia foetalis.
W. V. Simon.
H. Heinlein-Nümberg: Zur Aetiologie and Therapie des Gern
valgum. (Deutsche med. Wocbenschr., 1913, Nr. 15.) Angiofibrom im
unteren Ende der medialen Vastusausbreitung. Consecutives Genu
valgum. Nach Exstirpation der Geschwulst heilte das Genu valgum
spontan, augenscheinlich infolge Wiederherstellung der normalen Muskel¬
spannung und Muskelfunktion.
0. Vulpius-Heidelberg: Die neue Verbandbehandlung der Skoliose
nach Abbott. (Deutsche med. Wochensohr., 1913, Nr. 15.) Es werden
Abbott’s Ideen und Verbandtechnik referierend wiedergegeben. Auf
Grund eigener Erfahrungen wird die neue Skoliosenbehandlung warm
empfohlen. Wolfsohn.
W. Hering-Zwickau: Luxationen im Kniegelenk, (v. Brun’s Beitr.
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Von vier Fällen waren drei duroh
zu hartes Aufsetzen des Förderstuhles im Bergwerk erfolgt. Zwei von
diesen waren durch subcutane Zerreissung der Art. poplitea kompliziert,
die die Amputation wegen Gangrän nötig machte. Verf. tritt der Auf¬
fassung entgegen, dass die Luxation nach hinten die Art. poplitea mehr
gefährde als die Luxation nach vorn. Das Gegenteil scheint der Fall
zu sein. Nervenverletzungen scheinen seltener zu sein. In dem einen
mitgeteilten Fall wurde eine Lähmung der Wadenbeinnerven festgestellt,
die aber etwa nach einem halben Jahre wieder zurückging.
W. V. Simon.
0. Vulpius-Heidelberg: Arthrodese des Hüftgeleaks. (Münchener
med. Wocbenschr., 1913, Nr. 13.) Angabe der Operationsmethode, die
eine Ankylosierung mit gutem Funktionsresultat ermöglicht.
Dünner.
A. L. Mathey-Wiesbaden: Ueber sogenannte eingeklemmte Hernien
der Adnexe, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Mit¬
teilung des Falles eines 3 Monate alten Mädchens, bei dem sich in
einer incarcerierten rechtsseitigen Leistenhernie das Ovarium und die
Tube befanden. W. V. Simon.
0. Harzbeck er-Berlin: Ueber die Entstehung der Hernia pectiaea.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Vortrag in der Berliner
Gesellschaft für Chirurgie am 13. Januar 1913. Wolfsohn.
Hauch-Hamburg: Ueber Späthlutungen bei Appendicitis. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.) Die Veranlassung zu der vor¬
liegenden Arbeit gaben vier im Laufe des letzten Jahres auf der Kümmell-
schen Abteilung beobachtete Todesfälle dieser Art. In Betracht kommt
die Gruppe der Arrosionsblutungen, ganz besonders aber die Blutungen
aus Geiässen des Magendarmschlauches in das Lumen dieser Organe
hinein; auf die verschiedenen zur Erklärung ihrer Aetiologie aufgestellten
Theorien geht Verf. näher ein und widmet schliesslich der Therapie
einen besonderen Abschnitt. W. V. Simon.
Merrun - Königsberg i. Pr.: Appendicitis und Paratyphns R.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Appendicitis acuta. Bei
der Operation mehrfach Hämorrbägien auf der Darmwand sichtbar. An¬
fängliche Besserung. Sodann Eifisetzen einer schweren Peritonitis.
Sektion: Pylephlebitis. Gangrän des Colon asoendens. In der grossen
schlaffen Milz Reinkulturen von Paratyphus B. Es empfiehlt sich, in
Fällen schwerer Appendicitis häufiger nach dem Paratyphus B-Eoreger
zu fahnden. -o 1 i< Wolfsohm
J. M. van Dam-Alkmaar: Die radikale Behandlung angeborener
Blasendivertikel. *(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 2.)
Die vorderen und seitlichen Blasendivertikel (ohne 'Ureter in der Wand)
exstirpiere ■ man von vorn aus extravesical. Die seitlichen Blasendivertikel
(mit einem Ureter in der Wand) exstirpiere man am besten extravesical
von vorn aus; wenn dies nicht geschehen kann, kombiniere man extra-
uud intravesical oder gehe rein transvesioal vor. Blasendivertikel,
welche infolge zu inniger Verwachsung mit der Umgebung nicht zu
exstirpieren sind, werden am besten nach der etwas modifizierten (siehe
Original) Pousson’schen Methode behandelt.
J. H. Zaaijer -Leiden: Erfolgreiche transpleurale Resektion eines
Cardiacarcinoms. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 2.)
Verf. berichtet über ein von ihm ausgearbeitetes zweizeitiges Operations¬
verfahren und teilt einen von ihm nach dieser Methode erfolgreich
operierten Fall mit.
K. Pro pp in g- Frankfurt &. M.: Regenerierung des Choledeehas
nach Einlegen eines T-Rohres. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
791
BdL 88, H. 2). Gelegentlich eines Falles, bei dem aus anderen Gründen
nach 2 1 /* Jahren eine Relaparotomie nötig wurde, konnte sich P. davon
überzeugen, dass durch Einlegen von temporären Gummiprothesen —
Verf. bevorzugt das T-Rohr — Defekte des supraduodenalen Choledochus-
abschnittes ausheilen, indem sie sich nicht nur funktionell, sondern
auch anatomisch wiederherstellen. Auch für Defekte des retroduodenalen
Gholedochus kann das T-Rohr als temporäre Prothese dienen, dooh ist
hierbei an die Möglichkeit einer eventuell auftretenden Duodenalfistel
zu denken. W. V. Simon.
Siehe auch Pharmakologie: Oliva, Aether und Mischnarkose.
— Haut- und Geschlechtskrankheiten: Klausner, Zungenkrebs
als Folgezustand bei Epidermolysis bullosa.
Röntgenologie.
F. Dessauer-Frankfurt a. M.: Versuche über die hart«! Röntgen-
strablen (mit Berücksichtigung der Tiefenbestrahlung). (Münchener
med. Wochenschr., 1918, Nr. 13.) Dünner.
Siehe auch Augenheilkunde: Haudek, Lokalisation von
Fremdkörpern im Auge mittels Röntgenstrahlen.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
K. Marcus - Stockholm: Klinische Beobachtungen über die Pro¬
gnose der kongenitalen Syphilis. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis,
1918, Bd. 116, H. 1.) Weder das Alter der maternen Syphilis, noch
die Erscheinungen der Mütter bei der Entbindung haben einen be¬
stimmten Einfluss auf den Zustand des neugeborenen Kindes gezeigt.
Die spezifische Behandlung während der Schwangerschaft hat dagegen
einen ausserordentlich günstigen Einfluss gezeigt. Eine durch Jahre
fortgesetzte Behandlung ist jedoch notwendig, um Recidive zu verhindern
und die Seroreaktion dauernd negativ zu halten. Die intrauterine Be¬
handlung hat auch auf den weiteren Verlauf der angeborenen Syphilis
einen deutlich günstigen Einfluss sowohl klinisch als serologisch gezeigt.
A. Nanta-Toulouse: Syphilis und Lymphomatösen. (Annales de
Dermatol, et de Syphiligraphie, März 1913.) Bei Syphilitischen kommt
auf der Höhe der Krankheit manchmal eine mit Leukämie verbundene
Lymphomatöse vor, genau wie die klassische lymphatische Leukämie.
Wahrscheinlich ist diese Erscheinung durch den syphilitischen Prozess
selbst hervorgerufen. Immer wahr.
F. Lade-Hamburg: Erfabrangei nit der HerBain-PerBtz’schea
Syphilisreaktion an 600 Fällen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 15.) Bei sicherer und fraglicher Lues ist die Hermann-Perutz’sche
Reaktion genauer als die Wassermann’sche Reaktion. Bei Nicht-Lues
unterlaufen selten positive und fragliche Resultate. Die neue Reaktion
wird wohl die Wassermann’sche Reaktion nicht verdrängen. L. rät
trotzdem zu ihrer Ausführung, wenn die Benutzung eines serologischen
Instituts nioht möglich ist Wolfsohn.
G. Stern-Düsseldorf: Die Anwendungsart des Salvarsans and Neo-
salvarsans, lafnsion oder Injektion. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 13.) Verf. macht intravenöse Injektionen — nicht In¬
fusionen — in die Armvene in konzentrierter Form. Das ist besonders
bequem beim Neosalvarsan, das sich in Wasser löst. Die Ausführung
ist sehr einfach und, sterile Instrumente und aseptische Handhabung
vorausgesetzt, überall durchführbar. Man gibt in eine Rekordspritze
etwa 8 ccm frisch gekochtes Wasser, schüttet die Neosalvarsandosis
hinein, mischt so lange bis sich alles gelöst hat und injiziert dann in
bekannter Weise. Etwas komplizierter ist die Methode beim Altsalvarsan,
da dabei Neutralisieren nötig ist. Dünner.
P. Sobotka - Prag: Zur Kenntnis der Myose der Cutis und der
Subcutis. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116* H. 1.) Der
Fall von multiplen reinen Cutismyomen gab Gelegenheit, die diagnosti¬
sche Bedeutung einer bestimmten Anordnung der Geschwulst eben von
neuem und schärfer zu betonen, die Uebereinstimmung der Richtlinien
dieser Anordnung mit den Spaltrichtungen der Haut auf noch bessere,
gesichtete Grundlage zu stellen und endlich ein neues, übrigens nicht
konstantes, „physiologisches“ Symptom der Arrektorenmyome, nämlich
ihre Reaktion auf die für gewöhnliche Arrektorenkontraktion auslösenden
Reize zu! beschreiben. Det zweite Fall gehörte zu den sehr seltenen
Fällen von echt myomatösen Tumoren der Unterhaut, genauer gesagt
zu den Angiomyofijiromen. *
1 J. Toyama-Sendai (Japan): Ueber eine bisher nock nicht be¬
schriebene Dermatose: „Pityriasis circinata“. (Archiv V Dermatol,
u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Die Primärefflorescenz stellt regel¬
mässig kreisrunde Scheiben dar von 4—5 mm bis über 20 cm Grösse.
Die Farbe ist lichtbraun bis dunkelbraun. Die Oberfläche ist schuppend.
Die Lokalisation ist typisch. Am häufigsten und stärksten wird der
Stamm betroffen, besonders Rücken, Lenden und Bauch. Der Verlauf
der Affektion ist ein ausserordentlich chronischer. Ein Pilz oder sonstige
Parasiten Hessen sich nicht nachweisen, auch fielen alle Kultur- und
Uebertragungsversuche negativ aus.
K. Herzheimer und K. Schmidt - Frankfurt a. M.: Ueber
Erytheaa exsodativiiB Bilti forme vegetans. (Archiv f. Dermatol, u.
Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Vegetationsbildungen oder Wuoherungs-
progesse sind bisher beim Erythema exsudativum nopht nicht beschrieben
worden, obwohl sie sich bei allen mit Blasenbildung einhergebenden
Hautkrankheiten entwickeln können. Unter entsprechender Behandlung
bildeten sich die Produkte dieser gesteigerten lokalen Entzündung
innerhalb weniger Woohen wieder vollständig zurück.
E. Klausner• Prag: Zangenkrebs als Folgezustand bei einem
Fall von Epidermolysis bvllosa (dystrophische Form). (Archiv f.
Dermatol, u. Syphilis, 1913, Bd. 116, H. 1.) Verf. möchte die an¬
geborene Ueberempfindliohkeit und Störung in der Anlage der Haut,
bzw. des Epithels, die in anderen Fällen von Epidermolysis bullosa zu
Schleimhautverdickungen oder zu Leukoplaoie geführt hat, in seinem
Fall für die Entstehung des Zungencarcinoms verantwortlich machen.
G. Petges und Desqueyroux - Bordeaux: Entzündliche Tuber¬
kulose und Psoriasis. (Annales de Dermatol, et de Syphiligraphie,
März 1913.) Der Patient litt an ankylosierendem Gelenkrheumatismus
tuberkulöser Natur und hatte gleichzeitig eine Psoriasis. Die Verff.
stellen nun die Hypothese auf, dass diese Psoriasis bacillärer Natur sei.
Ad. Neiditsoh • Basel: Untersuchungen über den Eiweissabbau
bei einigen Dermatosen. (Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, 1913,
Bd. 116, H. 1.) Die Untersuchung hat im wesentlichen zu einem
negativen Ergebnis geführt, indem in keiner der geprüften Dermatosen,
weder bei Psoriasis, noch Ichthyosis, noch Ekzem usw. eine konstante
und daher für die Pathogenese der betreffenden Krankheit zu verwertende
Vermehrung der im Harn ausgeschiedenen Aminosäuremenge sich kon¬
statieren Hess; ebenso erwies sich auch die Menge der in den spontanen
Hautblasen eines Pemphigus vulgaris enthaltenen Aminosäuren nioht
erhöht. Dagegen fand sich in einem Falle von chronisch recidivierender
Urticaria jeweils parallel mit den neuen Schüben ein ganz auffallend
starkes Ansteigen der ausgeschiedenen Aminosäuren, so dass hier eine
ursächliche Bedeutung der Aminosäuren — Ausscheidung und damit eine
Störung im Eweissabbau — nicht von der Hand zu weisen ist.
Immerwahr.
Siehe auch Therapie: Polland, Furunkulin. Winkler, Sul-
fidal. — Parasitenkunde und Serologie: Glück, Zur Frage der
Idiosynkrasien. _
Geburtshilfe und Gynäkologie.
W. Zangemeister-Marburg: Ueber puerperale Uterus in Version.
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 16.) Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
H. Waith er -Giessen: Synthetisches Hydrastinin-Bayer, ein Ersatz
für Extr. Hydrastis oanadensis fluidum. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 18.) Das Präparat ist eine wertvolle Bereicherung unseres
Arzneischatzes, wesentlich für gynäkologische Blutungen, vermutlich
auch Hämoptoe, Epistaxis, Nieren- und Darmblutungen. Dünner.
Siehe auch Unfallheilkunde und Versicherungswesen:
Martin, Prolaps und Unfall. — Parasitenkunde und Serologie:
Siehe Arbeiten über Schwangersohaftsdiagnose von Freund und Brahm,
Schlimpert und Hendry, Freund, Lindig.
Augenheilkunde.
Gl au sen-Königsberg: Ueber Anwendung der Noviformsalbe in
der äasserea Augenheilkunde. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April
1913.) Das Noviform, ein Tetrabrombrenzkatechinwismut-Präparat (che¬
mische Fabrik von Heyden) erwies sich in Salbenform bei Lidrand¬
erkrankungen als ein ausgezeichnetes Mittel. Da es auch antiseptische
Eigenschaften hat, ist der Vorschlag des Verf., es künftighin als Ersatz
des Xeraforms, Jodoforms bei beginnendem Ulcus serpens anzuwenden,
immerhin der Beachtung wert.
Gzaplewski-Göln: Untersuchungen über Trachos. (Zeitschr. f.
Augenheilk., März/April 1913.) Mit Hilfe der Nakanishi’schen Färbe¬
methode (Boraxmethylenblau), einer vitalen polychromatischen Minimal¬
färbung gelang es, im Trachomsekret und -follikel Gebilde festzustellen,
die der Verf. den Mycetozoen am nächsten stehend glaubt. In alten
Schnittpräparaten Hessen sich diese Gebilde nach vorheriger Behandlung
mit Antiforminlösung ebenfalls nachweisen. Im hängenden Tropfen voll¬
führten die Gebilde amöboide Bewegungen, einige wiesen Geissein auf.
Dass beim Trachom ätiologisch ein Protozoon in Betracht käme, nahm
man eigentlich schon lange an. Man hielt unendlich kleine Formen,
Chlamydozoen,;' für die Ertfsger. Der neue Parasit weist Formen von
zum Teil sehr erheblicher Grösse auf. DieJ Conjunetfva würde in ähn¬
licher Weise wie bei der Amöbendysenterie erkranken. Eine Rolle in
der Uebertragung würde verseuchtes Wasser spielen.
0. Scheffels-Crefeld: Zur Prioritätsfrage betreffs des Kuhnt’schen
Bindehautlappens. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913.) Es
handelt sich hier nur um Feststellung der Tatsache, dass die Bindehaut¬
plastik zur Heilung von Hornhautgeschwüren schon vor Kuh nt von
Alexander Pagensteoher undSchöler ausgeführt wurde, dass aber
Kuh nt das ganz in Vergessenheit geratene Verfahren neu entdeckt und
systematisch zur Methode ausgebaut habe.
0. v. Fürth und Hanke-Wien: Studien über QnellungsVorgänge
aB Auge. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913.) Die Versuche
wurden sowohl am lebenden Tierauge als auch am enucleierten yorge-
nommen. Pie Tension der Augen wurde vor und nach der Einspritzung
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792
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
von verdünnter Säure bzw. Alkali mittels Schiotz’ Tonometer kontrolliert.
Ausserdem wurden Verkürzungsvorgänge an säurequellenden Scleral-
stücken und ihre Wägung und Volumsbestimmung und die Quellung des
Glaskörpers beobachtet. Die Ergebnisse lassen sich dahin zusammen¬
fassen, dass in erster Linie die Sclera bei Säureeinwirkung quillt, dann
erst in geringem Maasse der Glaskörper, und dass die konstatierte Druck¬
steigerung wohl auf beide Faktoren zurückzufübren ist. Beim Zustande¬
kommen des Glaukoms kann man eine Säurequellung nicht ausschliessen.
Es dürften aber noch exakte Untersuchungen zum strikten Nachweis
erforderlich sein. Die Säurequellung der Sclera besteht in einer Volums¬
und Gewichtszunahme.
R. Hesse und E. Phleps-Graz: Schichtstar und Tetanie. (Zeit¬
schrift f. Augenheilk., März/April 1913.) Unter 43 Schichtstarpatienten
zeigten 35, d. i. etwa 81 pCt., sichere Zeichen einer noch bestehenden,
latenten oder abgelaufenen Tetanie. Auch andere Starformen im prä-
senilen Alter Hessen bei der neurologischen Untersuchung eine Tetanie
erkennen. Die Rachitis dürfte nach den vorliegenden Untersuchungen
nicht die hervorragende ätiologische Rolle spielen.
H. Wo 1 ff-Berlin: Ueber neue ophthalmoskopische Unlersuchungs-
methoden. (Zeitschr. f. Augenheilk., März/April 1913 ) Der Autor be¬
schreibt 1. die unoculare und 2. die stereoskopische reflexfreie Ophthalmo¬
skopie im umgekehrten Bilde, 3. die Photographie und Projektion des
stereo-ophthalmoskopischen umgekehrten Bildes, 4. ein einfaches Demon-
strationsocular für die unoculare und stereoskopische reflexfreie Ophthal¬
moskopie im umgekehrten Bilde, 5. ein handliches Instrumentarium zur
reflexfreien Ophthalmoskopie im aufrechten und im umgekehrten unocu-
laren und stereoskopischen Bilde, 6. einen neuen Augenspiegel für das
aufrechte Bild.
M. Haudek-Wien: Ueber den Nachweis und die Lokalisation
schwerer Fremdkörper im Auge mittels Röntgenstrahlen. (Zeitschr. f.
Augenheilk., März/April 1913.) Im Original nachzulesen.
_ G. Erlanger.
Hygiene und Sanitätswesen.
E. Moegle-Stuttgart: Zur Desinfektion milzbrandsporenhaltiger
Häute und Felle. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 66,
H. 5 u. 6, S. 442.) Die Verfahren von Schatten froh und Seymour-
Jones zur Desinfektion milzbrandsporenhaltiger Häute sind, wie die
Nachprüfungen des Verf. ergeben haben, einwandfrei und sicher; sie
verursachen verhältnismässig geringe Kosten und schädigen auch die
Gerbfähigkeit nicht. Ein Erfolg in der Bekämpfung und Verbreitung
des Milzbrandes wäre nach Ansicht des Verf. zu erreichen, wenn sämt¬
liche überseeischen Häute und Felle an den Einfuhrhäfen der Des¬
infektion unterworfen würden.
F. Pollak-Triest: Lebensdauer und Entwicklungsfähigkeit von
Choleravibrionen auf Obst nnd Gemüse. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
Abt. 1, Orig., Bd. 66, H. 7, S. 491.) Einige Beobachtungen an Cholera¬
fällen wiesen den Verf. auf die Ueberträgerrolle infizierter Nahrungs¬
mittel hin; er suchte deshalb durch Laboratoriumsversuche festzustellen,
wie lange Choleravibrionen auf verschiedenen Obst- und Gemüsesorten
(Orangen, Citronen, Aepfel, Kopfsalat, Spinat, Cichoriensalat, Vogelsalat)
lebendig und entwicklungsfähig bleiben. Die verschieden lange Dauer,
die zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen schwankte (auf Kopf¬
salat z. B. fanden sich noch am 29. Tage entwicklungsfähige Vibrionen),
ist durch das verschiedene Verhalten der Blättersorten gegenüber Aus¬
trocknung und Fäulnis zu erklären. Wenn auch die Ergebnisse der
Versuche nicht ohne weiteres auf die wirklichen Verhältnisse übertragen
werden können, so muss doch als sicher gelten, dass die genannten
Vegetabilien unter günstigen Umständen beträchtlich lange infektions¬
fähig bleiben können; dies muss bei Aufstellung und Ausführung pro¬
phylaktischer Maassnahmen gegen die Choleraeinschleppung und -Ver¬
breitung entsprechend berücksichtigt werden. Bierotte.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
E. Fro eh lieb - Berlin: Die Bedeutung der Aufnahme- and Revisions-
nntersachang für die private Krankenversicherung. (Aerztl. Sachverst.-
Ztg., 1913, Nr. 6.)
Weber - Chemnitz: Commotio cerebri mit anatomischen Befunden.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 3.) Die Arbeit ist ein wichtiger Bei¬
trag zur Frage der posttraumatischen Veränderungen des Gehirns. Ohne
dass makroskopische Veränderungen trotz eines Knochenrisses an der
linken Seite der Schädelbasis zu sehen waren, ergab doch die mikro¬
skopische Untersuchung eine pralle Füllnng vieler kleinster Gefässe, er¬
weiterte Lymphräume, kleinste perivasculäre Blutungen und Oedem und
Auflockerung des perivasculären Hirngewebes. Ausserdem bestanden
arteriosklerotische Veränderungen. Verf. nimmt an, dass durch die
Gehirnerschütterung zunächst eine reflektorische Lähmung des Vaso¬
motorencentrums stattgefunden hat. Da die sklerotischen Gefässe den
hierdurch bedingten Circulationsschwankungen nicht gewachsen waren,
kam es zu Zerreissungen und Schädigung der Hirnsubstanz.
H. Sachs - Breslau: Tranmatische Neurose ohne Rentenansprneb.
Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Bloch in Nr. 24, 1912, dieser
Zeitung. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 6.) Polemik.
H. Engel: Syringomyelie, irrtümlich diagnostiziert und als Folge
einer peripheren Verletzung anerkannt. (Monatsschr. f. Unfallheilk.,
1913, Nr. 3.) Es wird ein sehr interessanter Fall mitgeteilt, der ur¬
sprünglich von namhaften Gutachtern als Syringomyelie aufgefasst wurde,
entstanden nach einer unbedeutenden Verletzung, die darin bestand,
dass der Betreffende mit beiden Knien auf eine eiserne Schiene aufstiess.
Der ursächliche Zusammenhang wurde vom Reichsversicherungsamt an¬
erkannt und das erstattete Obergutachten in der Sammlung des Reicbs-
versicherungsamts publiziert. Da aber die nach Jahren vorgenommenen
Nachuntersuchungen zeigten, dass die nervösen Störungen ganz eiheblich
zurückgegangen waren, kommt Verf. zu dem Resultat, dass hier gar
keine Syringomyelie Vorgelegen hat, sondern höchstwahrscheinlich vom
Unfall ganz unabhängige neuritische Prozesse auf alkoholischer Basis.
Wohlwill - Hamburg: Posttranmatioehe Psychose. (Monatsschr. f.
Unfallheilk., 1913, Nr. 3.) W. beobachtete bei einem 49 jährigen Arbeiter
nach einer schweren Gehirnerschütterung ein halbes Jahr später lautes,
prahlerisches Wesen, nach einem weiteren Jahre Reizbarkeit und traurige
Verstimmung und dann im Anschluss an eine Röntgenuntersuchung eine
schwere Psychose, deren Hauptsymptome ängstliche Erregung, unsinnige
hypochondrische Ideen, Halluzinationen und Verfolgungswahn waren.
Obwohl die ganze Entwicklung des Leidens nicht gerade sehr für eine
traumatische Aetiologie sprach, ergab später dooh die Sektion sehr
typische Veränderungen, die auf eine schwere traumatische Schädigung
des Gehirns hinwiesen. Es fanden sich die von Koppen als besonders
charakteristisch für traumatische Erkrankungen geschilderten Narben
der Hirnrinde und Substanzdefekte derselben.
M. Bernhardt - Berlin: Tod duroh Herzaffektion oder durch
elektrischen Unfall? (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1918, Nr. 4.) Mitteilung
eines Obergutachtens für das Reiohsversicherungsamt, in welchem der
plötzliche Tod eines Bergmanns mit einer Verletzung durch einen Strom
von 220 Volt in Zusammenhang gebracht wird.
G. S. Engel - Berlin: Lassen sich die neueren Errungenschaften auf
dem Gebiete der Herz- nnd Gefässforschnng für die Lebensversicherung
verwerten? (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 4.) Verf. tritt in diesem
Aufsatz dafür ein, dass einige neuere Methoden der Untersuchung des
Herzens, wie die Blutdruckmessung und die Sphygmographie, sowie die
Funktionsprüfungen des Herzens Eingang in die Lebensversicberungs-
praxis gewönnen.
Hiltmann - Berlin: Duodenalgeschwüre nnd Tranva. (Aerztl.
Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 7.) Beitrag zu der noch wenig erörterten
Frage des Zusammenhangs zwischen Trauma und Duodenalgeschwür.
Ein 51 jähriger Heizer blieb an einem eisernen Träger hängen und fiel
nach der rechten Seite hin um. Er hatte sofort starke Schmerzen in
der Hüftgegend und konnte nicht auftreten. Es wurde eine Fraktur des
rechten Schenkelhalses festgestellt. 5 Tage nach dem Unfall bestanden
starke Leibschmerzen. 8 Tage später eine Temperatur von 40°. (De¬
cubitus.) Auch wurde Blut im Stuhlgang beobachtet. Nach einer pro¬
fusen Darmblutung, die einen Monat später erfolgte, starb der Patient
Die Obduktion ergab im Duodenum vier Geschwüre an der hinteren
Wand. Verf. nimmt an, dass von dem septischen Decubitus aus Emboli
in die Duodenalarterien eingeschwemmt worden sind, die zur Entwicklung
der Geschwüre Veranlassung gegeben haben.
Maröchaux - Magdeburg: Postmortale Behandlung eines Typhns-
falles. (Aerztl. Sachverst.-Ztg., 1913, Nr. 4.) In launiger Weise schildert
M. einen Rentenstreit, in welchem es sich darum handelte, festzustellen,
ob die Typhuserkrankung eines in Elbwasser gefallenen Arbeiters auf
diesen Sturz in das infizierte Wasser, also auf einen Unfall, zurück¬
zuführen sei. Die Unfallgerichte kamen schliesslich zu einer Ablehnung
des Zusammenhangs, und zwar deswegen, weil die Inkubationszeit eine
auffällig kurze war. Der Mann war am 4. Dezember ins Wasser ge¬
fallen und schon am 8. klagte er über Schwindel und Durchfälle, am
12. konnte schon Fieber und Benommenheit konstatiert werden. Der
letzte Gutachter gab zwar in diesem Falle die Möglichkeit eines Zu¬
sammenhangs zu. Das Reichsversicherungsamt aber lehnte die Ent¬
schädigungsansprüche ab, weil mindestens der Nachweis der Wahrschein¬
lichkeit zu erbringen war.
E. Martin - Berlin: Prolaps nnd Unfall. (Aerztl. Sachverst-Ztg.,
1913, Nr. 6.) Die Anschauungen, welche M. über die traumatische
Aetiologie des Prolaps der weiblichen Genitalien äussert, weichen von
den bisher geltenden durchaus ab. Er geht aus von seiner an anderer
Stelle ausführlich erörterten Lehre, dass die Befestigungsmittel der
Beckenorgane in einen Haft- und einen Stützapparat zu trennen sind.
Vou diesem Standpunkte aus erörtert er die Befestigung der weiblichen
Genitalien und den Mechanismus ihrer Lockerung durch traumatische
Einwirkungen. Als primäre Prolapse bezeichnet er diejenigen, welche
wie die Cystocele, der Uterusprolaps und die Hernien in der Bauchfeil¬
tasche vor und hinter der Gebärmutter durch ein primäres Nacbgeben
des Haftapparats entstehen, zu den sekundären diejenigen, die wie der
Prolaps der hinteren Scheidenwand, die Elongatio colli, zwar auch auf
die pathologische Beschaffenheit des Bindegewebes zurückzuführen sind,
in welchen aber der Haftapparat erst nach dem primären Defekt des
Stützapparats durch allzu grosse Inanspruchnahme schadhaft geworden
war. Die Auffassung des Verf. weicht wesentlich ab von der Lehre
Winter’s, die bisher bei Rentenansprüchen als maassgebend angesehen
wurde. Auch die Anschauungen von Schwarze, die vielfach als
Richtschnur bei Gutachten galten, hält Verf. nicht mehr für stichhaltig.
H. Hirschfeld.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
798
Technik.
Deck er-München: Praktische künstliche Afterbandage and Mast-
daran orfallbandage. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.)
Angabe von Bandagen für Anus praeternaturalis und Mastd arm Vorfall.
Dünner.
F. Dautwitz-St. Joachimsthal: Vorrichtung zur portionenweisen
Entnahme emanationshaltiger Flüssigkeiten nnd Gase. (Wiener klin.
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Der Verf. hat einen Apparat konstruiert,
welcher für Krankenhäuser und Sanatorien gedacht ist, die die Radium¬
emanationen sich selbst aus Radiumpräparaten darstellen wollen. Er
gestattet die drei wichtigsten Anwendungsforraen der Radiumemanation:
Bäder, Trinken und Inhalation. Anfertigung bei 0. Neupert Nachf.,
Wien 8, Bennoplatz 8. P. Hirsch.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie nnd Nervenkrankheiten.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. März 1913.
Vorsitzender: Herr Liepmann.
Schriftführer: Herr Henneberg.
Yor der Tagesordnung.
Hr. Oppenheim: Ueber vorzeitiges Auftreten der Paralysis agitans.
Der 35 jährige Patient leidet, wie Sie auf den ersten Blick sehen,
an einer typischen Paralysis agitans mit besonders starker Ausbildung
der Muskelstarre, der Fixation der Haltungsanomalien, der Salivation usw.
Das besondere Interesse, das er bietet, ist die vorzeitige Entwicklung des
Leidens, das im 33. Lebensjahre aufgetreten ist.
Trotzdem würde ich Ihnen denselben nicht vorgestellt haben, wenn
ich nicht in derselben Woche einen zweiten Fall dieser Art gesehen
hätte, einen 32 jährigen Kaufmann aus Paris, bei dem die Krankheit im
27. Lebensjahre angefangen hat.
Im Laufe der Jahre habe ich mindestens ein halbes Dutzend Fälle
gesehen, aber trotzdem nicht nur die ausserordentliche Seltenheit der
juvenilen Form der Paralysis agitans betont, sondern auch die Ver¬
mutung ausgesprochen, dass sie vielleicht einen besonderen Typus dar¬
stelle. Das kann ich nun auf Grund dieser meiner neueren Erfahrungen
nicht aufrecht erhalten. Danach unterscheidet sich die Frühform des
Leidens in keinem Punkte von der echten.
Nun machen wir freilich dieselbe Erfahrung fast mit allen Krank¬
heiten, die wir in ein bestimmtes Alter zu verlegen gewohnt sind. Wir
erkennen bald, dass es da keine starren Gesetze gibt. Ich erinnere Sie
an die merkwürdigen Erfahrungen, die wir mit der Dementia paralytica
gemacht haben, an das senile Irresein, andererseits an die multiple
Sklerose, an die angeborenen Nervenkrankheiten, von denen die Mehrzahl
auch im späteren Alter auftreten kann.
Für die bemerkenswerte Erscheinung lassen sich ja verschiedene
Gründe und Hypothesen ins Feld führen. Bei der Betrachtung des
heute vorgestellten Falles ist wohl in Erwägung zu ziehen, dass er ein
russischer Jude ist, deren Jahre, fast möchte man sagen, doppelt zählen,
die auch meist körperlich einseitig gestaltet erscheinen. Denn das
Lebensalter rechnet, um einen Ausspruch Byron’s zu modifizieren, nicht
nach den Jahren, sondern nach unseren Kämpfen und Leiden. Aber
damit ist der Kern der Sache nicht getroffen. Wenigstens habe ich die
juvenile Paralysis agitans auch in einzelnen Fällen bei Individuen ge¬
sehen, die ein durchaus behagliches Leben geführt hatten. Es bleibt
hier für die Hypothese und Forschung also noch ein weiter Spielraum.
(Autoreferat.)
Diskussion.
Hr. Jaoobsehn fragt, ob bei dem vorgestellten Patienten am
Gefässsystem Alterserscheinungen beobachtet worden sind, die vielleicht
das frühzeitige Auftreten der Paralysis agitans erklären könnten.
Hr. Förster fragt mit Bezug auf die von Wilson beschriebenen
Fälle, ob bei dem Patienten eine Lebererkrankung vorliegt.
Hr. 0. Maas: Ich möchte den Herrn Vortragenden fragen, ob der
Patient Lues gehabt hat; falls das der Fall sein sollte, wäre daran zu
denken, dass Gefässveränderungen im Gehirn als Ursache der Erkrankung
anzusehen wären.
Hr. Oppenheim (Schlusswort): Am Herzen und Gefässapparat habe
ich keine wesentlichen Veränderungen konstatieren können, auch nicht
an der Leber. Uebrigens bilden die von Wilson beschriebenen Fälle
auch einen ganz speziellen Typus, der mit der Paralysis agitans nichts
zu tun hat. Lues kommt bei dem heute vorgestellten Falle nicht in
Frage (auch Wassermann negativ), aber in zwei anderen Fällen dieser
Art, die ich gesehen habe, war Lues voraufgegangen, ohne dass aber die
Paralysis agitans auf Rechnung dieser gebracht bzw. als syphilitische
Nervenkrankheit gedeutet werden konnte.
Hr. Förster stellt eine Patientin vor, bei der Anfälle von 6e-
sehmacksparästhesien im Sinne eines sensorischen Jackson’schen An¬
falles auftraten. Es handelt sich um eine Patientin, die am 13. Februar
1911 zuerst erkrankte mit einem Anfall, der mit Bewusstlosigkeit einher-
ging. Sie hatte Krämpfe, die 2 Stunden gedauert haben sollen; Zungen¬
biss, Hess Kot und Urin unter sich. Nach dem Anfall fiel auf, dass die
linke Körperhälfte schwächer wurde als die rechte. Es traten Kopf¬
schmerzen auf. Nach einem halben Jahr ein zweiter Anfall, ähnlich wie
der erste, wieder Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Zungenbiss; Dauer Stunde.
Die Schwäche der linken Körperseite nahm bedeutend zu, das linke
Bein schleifte nach. Es kamen nun Anfälle hinzu, in denen Patientin
ein komisches Gefühl auf der ganzen linken Körperseite hatte. Zu
gleicher Zeit stellte sich dann ein süssliches Gefühl in der linken Zungen¬
hälfte ein. Diese Anfälle dauerten nur einige Minuten. Im Februar 1912
ein dritter Anfall ohne Bewusstlosigkeit, Es ging Druckgefühl von der
Magengegend nach dem Halse zu voraus, und zwar sass das nur in der
linken Seite im Halse; hinterher Krämpfe in den Kiefern, während die
Beine sich steif streckten. Patientin war vom 22. Februar 1912 bis
22. April 1912 in der Charitö. Auch dort wurden mehrmals Anfälle
geschildert, in denen sie ein süsses Gefühl in der linken Zungenhälfte
hatte. Seither ist es schlimmer geworden, öfter steigt es wie ein Gas
hoch, es wird der Patientin schlecht, sie hatte einen süssen Geschmack
im Munde, dann ist das linke Bein und der linke Arm taub, wie ein¬
geschlafen. Das dauert 1—2 Minuten. Seit Juli wurde auch das rechte
Bein schwächer, etwas später fing auch der rechte Arm an schwächer
zu werden. Sie fühlt manchmal auch Zuckungen im rechten Arm, beim
Schlucken muss sie immer an der rechten Seite schlucken: wenn sie die
Speisen auf der linken Seite des Mundes schluckt, komme öfter Ver¬
schlucken vor.
Die Aufnahme erfolgte am 6. Januar 1913. Es bestand Anosmie
rechts, die aber durch ausgedehnte Rhinitis atrophicans erklärt wird.
Der Augenhintergrund zeigt beiderseits Stauungspapille, Nadelstiche
werden links am Kopf übermässig schmerzhaft gefühlt, rechts ist das
Gefühl normal. Der Cornealreflex ist rechts stärker als links. Beim
Kauen habe sie links nicht dieselbe Kraft wie rechts. Beim Mundöffnen
keine deutliche Abweichung des Unterkiefers. Der linke Facialis bleibt
etwas zurück. Links wird besser geschmeckt als rechts. Rechts wird
einmal bitter als süss, links als bitter angegeben, einmal Tinctura chini
auch links als etwas süsslich bezeichnet. Es besteht eine leichte
Pyramidenbahnlähmung der ganzen linken Körperhälfte. Das Lagegefühl
am linken Daumen und grosser Zehe zeigt eine leichte Störung, rechts
ebenfalls eine geringe Schwäche, aber keine deutlichen Pyramidenbahn-
symptome. Babinski besteht weder rechts noch links, doch ist der
Mendel’sche Reflex links positiv. Es kommen fast täglich kleine Anfälle
vor, in denen Patientin angibt, dass es ihr in der Mitte des Körpers
hocbgehe, die Zunge sinke links herab und sei schwach, zugleich ent¬
stehe ein süsses Gefühl in der linken Zungenhälfte, manchmal gehe das
Gefühl auch nach der rechten Seite hinüber, dann hat sie an der rechten
Körperhälfte das Gefühl des Ameisenlaufens.
Es handelt sich hier um eine Patientin mit den Symptomen eines
raumbeengenden Prozesses innerhalb der Schädelhöhle. Die Symptome
lassen an einen tiefen Marktumor denken; da die Pyramidenbahn¬
lähmungen, als sie sich zuerst bemerkbar machten, zuerst im Bein be¬
gonnen hatten, konnte daran gedacht werden, dass der Tumor von der
rechten Hemisphäre auf die linke übergegriffen hatte, da er so zuerst
die Beinregion schädigen musste. Die Symptome von Kribbeln und von
süssem Geschmack müssen ebenso wie die epileptiformen Anfälle als
Reizsymptom der Rinde aufgefasst werden, wobei das Auftreten des
süssen Geschmacks in der Zunge auf eine Reizung der Rinde im Gebiet
des Geschmackscentrums hinweist. Eine genaue Lokalisation ist bei den
ungenügenden Kenntnissen, die wir über die Vertretung des Geschmacks
in der Rinde haben, nicht möglich. Da die Möglichkeit bestand, dass
Tumormassen in der Innenfläche der Hemisphäre gefunden werden
konnten, wurde über dem Beincentrum eine Trepanation vorgenommen.
Es fand sich jedoch nur normales Hirn. Eine Absuchung mittels Hirn¬
punktion gestattete die Patientin nicht. Nach der Operation nahmen
die Symptome zu. Das Bemerkenswerteste an dem Fall scheint mir
das Auftreten von Geschmacksstörungen im Sinne der Jackson’schen
Epilepsie. Vielleicht wird die anatomische Untersuchung eine Lokalisation
ermöglichen.
Diskussion.
Herrn Oppenheim befremdet es, dass im Hinblick auf die Anos-
mie und die Geschmacbsaura nicht der Lobus temporalis — besonders
entsprechend den Erfahrungen von Jackson und Gowers — als Sitz
der Neubildung in Erwägung gezogen worden ist. (Autoreferat.)
Hr. Bernhardt: In einer Sitzung unserer Gesellschaft vom
4. Dezember 1905 hat Herr Völsch über einen von mir und ihm in
meiner Poliklinik beobachteten Fall von Kleinhirnbrückenwinkeltumor
bei einem Manne gesprochen. ,
Ich erwähnte in der Diskussion eines bei dem Kranken beobachteten
Gefühls von Brennen an der rechten Zungenhälfte (auch der
Tumor sass rechts), das auch schon Bruns, später Ziehen beschrieben
haben. Ich machte darauf aufmerksam, dass dieses Symptom vielleicht
als ein frühdiagnostisches Merkmal pathologischer Zustände im Klein-
birnbrüokenwinkel benutzt werden könne.
Ich erinnere hier daran, nicht weil ich meine, dass es sich im
Forster’schen Falle um einen Tumor in der erwähnten Gegend handelt,
sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass sensible und sensorische
Störungen an der Zunge bei verschiedenem Sitz krankhafter Verände¬
rungen innerhalb des Schädels an verschiedenen Hirnprovinzen zur Er¬
scheinung kommen können.
Hr. Förster (Schlusswort): Herrn Oppenheim erwidere ich, dass
an einen Schläfenlappentumor zwar gedacht wurde, dass aber bei den
starken Druckwirkungen ein Schläfenlappentumor unwahrscheinUch schien,
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794
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
da keinerlei Symptome von seiten der basalen Hirnnerven, insbesondere
auch keine vorübergehende Oculomotoriuslähmung jemals zur Beobachtung
gekommen ist, die bei dem langen Verlauf und den starken Druck¬
symptomen bei einem Schläfenlappentumor doch zu erwarten gewesen
wäre. Die Anosmie konnte, wie schon erwähnt, nicht verwertet werden,
da sie nach Ansicht der Nasenklinik durch die Rhinitis atrophicans er¬
klärt wird.
Hr. Bürger demonstriert einen Hund, der seit April v. J. dauernd
pro Kilo 2 ccm Methylalkohol, mit der doppelten Menge Wasser ge¬
mischt, erhielt, eine für den Menschen tödliche Dosis. Vergiftungs¬
erscheinungen (Unruhe, Taumeln, Somnolenz) traten nur in den ersten
6 Wochen auf, jetzt zeigt der Hund ein normales Verhalten. Die Ge¬
wöhnung an das Gift ist somit eine sehr weitgehende, eine solche kommt
anscheinend auch beim Menschen zustande.
Hr. Peritz: Heber Hypophysenerkrankungeii.
Vortr. führt aus, dass die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt
haben, dass die Drüsen mit innerer Sekretion nicht nur ein einziges
Sekret liefern, sondern polyvalente Sekrete. Das haben die Unter¬
suchungen der Schilddrüse ergeben, wie für die Keimdrüsen und
bei der Nebenniere wird man dasselbe Resultat erhalten, wenn man
nioht nur nach dem Adrenin, sondern nach anderen Substanzen
in der Nebenniere sucht. Die Hypophyse weist mit ihrem Bau direkt
auf eine Polyvalenz der Sekrete hin: Vorderlappen, Pars intermedia
und Hinterlappen. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben Resultate
gezeitigt, die unsere Kenntnisse über die Sekrete der verschiedenen Teile
erheblich gefördert haben. Zuerst hatAschner gezeigt, dass die Hypo¬
physe kein lebenswichtiges Organ ist, dass Tiere nach Hypophysen¬
entfernung weiter leben können. Die sonstigen Resultate der Aschner-
sohen Versuche sind auch schon vorher, besonders von Cushing, er¬
halten worden. Man hat einmal einen Zwergwuchs bei jungen Tieren,
denen die Hypophyse entfernt worden war, festgestellt, dann eine ausser¬
ordentliche Fettentwicklung, welche nicht nur das Unterhautfettgewebe
betrifft, sondern auch sich an alle Organe anlagert. Cushing hat dann
ferner eine Erhöhung des Zuckerspiegels im Blute bei Tieren gefunden,
denen der Hinterlappen entfernt worden war, und eine grössere Toleranz
gegen Zucker; erst wenn den Tieren Hinterlappenextrakt gegeben wurde,
sank die Toleranz gegen Zucker, und es trat eine alimentäre Glykosurie
auf. Dazu kommt, dass A sehn er feststellen konnte, dass bei hypo¬
physenberaubten Tieren die Adrenalinglykosurie erheblich geringer ist
als bei normalen Tieren. Endlich haben Aschner und Porges ge¬
funden, dass der Gasstoffwechsel bei Tieren ohne Hypophyse erheblich
herabgesetzt ist. Falta und Bernstein sahen bei Injektion von
Hypophysenvorderlappenextrakt eine Abnahme des Gasstoffwechsels mit
ansteigendem respiratorischen Quotienten und bei Injektion von Hinter¬
lappenextrakt ein Ansteigen des Gasstoffwechsels. Ferner bat der
Hinterlappenextrakt mitsamt der Pars intermedia oine Einwirkung
auf die Beckenorgane. Von Schäfer ist bei Verfütterung des Hinter¬
lappens und der Pars intermedia Polyurie und Polydipsie gesehen
worden. Neben hohem Blutdruck besteht auch eine Einwirkung auf die
Nierengefässe und die Nierensekretion. Ferner besteht eine Wechsel¬
wirkung zwischen Hypophyse und Keimdrüsen. Nach Entfernung der
Hypophyse sah Aschner eine Atrophie der Keimdrüsen, aber nur bei
jungen Tieren, während Biedl und Cushing eine solche bei partieller
Exstirpation auch bei erwachsenen Tieren feststellen konnten. Endlich
ist in den letzten Jahren vorzüglich der Einfluss des Pituitrinum in-
fundibulare auf den schwangeren Uterus studiert worden, nachdem
Frankl-Hoohwart und Fröhlich den Einfluss dieses Extraktes auf
die Beckenorgane nachgewiesen hatten. Eine Blutdrucksenkung durch
Hypophysenextrakt ist wohl auf das Cholin, das sich in allen Drüsen
mit innerer Sekretion findet, zurückzuführen. Wenn auch ganz
schematisch, so vermag man heute schon zu bestimmen, welchen
Funktionen die verschiedenen Lappen der Hypophyse dienen. Die
Wachstumsstörungen nach Entfernung der Hypophysb in Zusammenhalt
mit der Hypertrophie des Vorderlappens der Hypophyse bei der Akro¬
megalie spricht dafür, dass der Vorderlappen einen Einfluss auf das
Knochenwachstum besitzt. Auf Grund der Versuche von Schäfer muss
man annehmen, dass der Mittellappen Beziehungen znr Nierensekretion
besitzt. Endlich scheint die Störung im Zuckerstoffwechsel durch ‘den
Ausfall f des Hinterlappens bedingt zü sein. Die Theorie von Cushing
geht dahin, diese Störung als die Ursache der Adipositas anzusehen.
Fischer nimmt aus u allgemeinen Ueberlegungen ebenfalb an,% dass
der Einfluss atjf die Keimdrüsen und 1 auf den Fettstoffwechsel Vo'ü dem
Hinterlappen äusgeht. Auf Grund dieser Verteilung kann man, wenn
auch mit aller Vorsicht, zu'einer Einteilung der verschiedenen Hypo¬
physenerkrankungen kommen. Man kann zwischen Hyperfunktion und
Hypofunktion der einzelnen Lappen unterscheiden, ferner Mischformen
und endlich eine Miterkrankung der Hypophyse bei Erkrankung mehrerer
oder aller endokriner Drüsen.
1. Erkrankung des Vorderlappens: a) Unterfunktion: Zwergwuchs;
b) Hyperfunktion: Akromegalie, Gigantismus.
2. Erkrankungen des Hinterlappens: a) Verminderung der Funktion:
hypophysäre Adipositas; b) Hyperfunktion: Diabetes insipidus?
3. Mischformen: a) Gesteigerte Funktion des Vorderlappens mit
verminderter Funktion des Hinterlappens: Akromegalie mit hypophysärer
Adipositas; b) Unterfunktion der gesamten Hypophyse: Zwergwuchs mit
Adipositas.
4. Erkrankungen der Hypophysen in Gemeinschaft mit anderen
Drüsen: a) Keimdrüse und Hypophyse: Eunuchoidismus; b) Erkrankung
aller Drüsen mit innerer Sekretion: pluriglanduläre Erkrankung von
Claude und Gougerot, multiple Sklerose der endokrinen Drüsen von
Falta, partieller Gigantismus.
Es werden nun die verschiedenen Formen an der Hand von Krankheits¬
fällen, die im Diapositiv gezeigt werden, besprochen, nicht genau der
Reihenfolge des Schemas entsprechend, sondern ihrer inneren Zusammen¬
gehörigkeit nach.
Der Zwergwuchs kann, nachdem Ben da bei einem Zwerg ein Sarkom
der Hypophyse festgestellt hat, auf Erkrankung der Hypophyse zurück¬
geführt werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Zwerge,
welche man auf den Ausstellungen sieht, verschiedenster pathologischer
Provenienz sind. Bekanntlich führt die Schilddrüsenerkrankung zum
Zwergwuchs. Nach Klose und Vogt bedingt im Tierexperiment die
Entfernung der Thymus Zwergwuchs, während beim menschlichen Status
thymico-lymphaticus eher ein gesteigertes Grössenwachstum zu finden
ist. Der Zwergwuchs als Folge eines Dyspituitarismus braucht, wie alle
anderen Erkrankungen der Hypophyse, aber nicht mit einer Tumor¬
bildung verbunden zu sein, sondern kann duroh Sklerose oder einen
anderen pathologischen Prozess hervorgerufen werden. Für diese Fälle
fehlt bis jetzt die Möglichkeit einer Diagnostik. Die folgenden Aus¬
führungen sollen auf die Richtung hinweisen, wie eine solche Diagnostik
möglich ist.
Es werden dann zwei Fälle von Akromegalie gezeigt, bei denen vor
allen Dingen darauf hingewiesen wird, dass es durchaus irrig ist, wenn
man annimmt, dass der Verlust der Keimdrüsenfunktion als Früh¬
symptom der Akromegalie anzusehen ist. Bei beiden Fällen besteht die
Akromegalie schon fünf Jahre, ohne dass eine Impotenz eingetreten
wäre. In dem einen Fall war anfangs eine sexuelle Uebererregbarkeit
vorhanden. Es wird dann die Theorie der gegenseitigen Beeinflussung
von Keimdrüse und Hypophyse an Hand der Tatsachen besprochen.
Man weiss, dass die Hypertrophie der Hypophyse zur Funktions¬
losigkeit der Keimdrüsen führt. Aplasie der Keimdrüsen oder Kastration
führt umgekehrt zur Hypertrophie des Vorderlappens der Hypophyse,
ebenso die Schwangerschaft. Man müsste also annehmen, das hier jede
der beiden Drüsen hemmende Sekrete liefert. Dann müsste Entfernung
der Hypophyse zu gesteigerter Tätigkeit der Keimdrüsen führen. Gerade
im Gegenteil bedingt aber Abtragung der ganzen Hypophyse eine
Atrophie der Keimdrüsen. Fischer sucht dieser Schwierigkeit dadurch
Herr zu werden, dass er das Sekret, welches die Keimdrüsenfunktion
regelt, im Hinterlappen der Hypophyse entstehen lässt. Die Vernichtung
der Keimdrüsenfunktion bei den Tumoren des Vorderlappens erklärt er
durch mechanische Einflüsse. Diese Theorie hat vieles für sich. Sie er¬
klärt aber nicht, warum beim Zugrundegehen der Keimdrüsen oder bei
der Aplasie derselben es zu einer Hypertrophie des Vorderlappens
kommt. Man muss, wie Fischer, annehmen, dass ein forderndes Sekret
im Hinterlappen für die Keimdrüsenfunktion entsteht. Dagegen muss
man ferner annehmen, dass zwischen Vorderlappen und Hinterlappen
der Hypophyse ein Antagonismus besteht, wofür eine Reihe von Tat¬
sachen, besonders in Hinsicht auf den Zucker- und Gasstoffwecbsel
sprechen. Hypertrophiert der Vorderlappen der Hypophyse, so geht
duroh die zu starke Funktion die des Hinterlappens zugrunde und da¬
mit auch die Keimdrüsenfunktion, umgekehrt geht die Keimdrüse und
infolgedessen auch der Hinterlappen der Hypophyse zugrunde, so ge¬
winnt der Vorderlappen, da ihm die Hemmung vom Hinterlappen fehlt,
einen grösseren Spielraum für seine Funktion.
Auch auf die Theorie von Freund und von Stumme wird hin¬
gewiesen, dass die Entstehung der Akromegalie die Folge einer Dys¬
funktion der Keimdrüse sein kann. Es werden dafür die Fälle von
Gigantismus herangezogen, die auf dysgenitaler Basis beruhen, während
bei anderen eine primäre Erkrankung der Hypophyse angenommen
werden muss. Schliesslich werden die Symptome des Gigantismus und
sein Uebergang in die Akromegalie besprochen; der psychische Infanti¬
lismus bei diesen Fällen wird zurückgeführt auf die lAplasie der Keim¬
drüsen.
Die Dystrophia adiposo-genitalis wird gemeinsam besprochen. Man
kann verschiedene Formen unterscheiden: den Eunuchoidismus, die echte
hypophysäre Adipositas, und endlich Formen, die der allgemeinen Fett¬
sucht ähnlich sehen, endlich die Beziehungen zijr Dercum’schen Krank¬
heit. Es wird immer wieder auf die Schwierigkeit der Diagnose hinge¬
wiesen, wenn die cerebralen Symptome eines Hypophysentumörs und
die bekannte Erweiterung der Sella tupcioa,im Röntgenbild fehlen. Es
werden Fälle von Eunuchoidismus gezeigt,, dann zwei familiäre Fälle
einer hypophysären Adipositas bei zwei Schwestern, bei denen die Fett¬
bildung Sich von den Hüften abwärts bis zu den Knöcheln in Form
einer Pandurenhose ausgebildet hat. Bei der einen besteht eine Er¬
weiterung der Sella turcica, bei der anderen nicht. Bei der einen ist
der Blutzuokergehalt erheblich erhöht, während bei der anderen noch
die Untersuchung aussteht. Auch andere Formen werden gezeigt, die
auf luischer Basis beruhen und in Form der Deroum’schen Krankheit
aufgetreten sind. Die Diagnose wird erst möglich sein, wenn man nach
Ansicht des Vortragenden den Zuckerstoffwechsel bei diesen Fällen ge¬
nauer durchforscht hat. Nach Cushing ist die Störung des Zucker-
stofiwechsels in Form einer Stauung und Nichtverbrennung des Zuckers
die Ursache der Adipositas. Mit Hilfe des Gasstofiwechsels kann man
diesen Dingen naebgehen. Diese Untersuchungen müssen gemacht
werden, um zu einer klaren Einsicht in die Verhältnisse zu kommen.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
796
Bis dahin sind wir nur auf den Aspekt angewiesen. So wird noch ein
Fall von Zwergwuchs mit Adipositas bei einem 20jährigen Menschen ge¬
zeigt, bei dem Lues vorhanden ist. Der Fall ähnelt den von Neurath,
Goldstein und anderen gezeigten. Wahrscheinlich handelt es sich
auch um einen Hydrocephalus oder um eine Lues der Hypophyse. Doch
besitzen wir bei diesen Fällen, wie betont, nur den äusseren Eindruck,
der uns zur Diagnose führt.
Endlich werden Fälle juveniler pluriglandulärer Erkrankung gezeigt
und die Symptomatologie dieser Fälle und der des reifen Alters be¬
sprochen.
Zum Schluss wird über die Operation der Hypophysentumoren ge¬
sprochen, auch solcher, die nur eine Adipositas gemacht haben. Die
Entfernung des Tumors wirkt hier wie beim Basedow die teilweise Ab¬
tragung der Struma. Dagegen besitzen wir noch keine Therapie der
Fälle, die ohne Vergrösserung der Hypophyse oder mit einer Sklerose
des Hirnanhanges einhergehen.
Hufelandische Gesellschaft
(für Demonstrationen und Vorträge aus der gesamten praktischen Medizin).
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. März 1913.
Vorsitzender: Herr Fritz Strassmann.
Schriftführer: Herr J. Ruhemann.
1. Hr. Dorendorf:
Ein Beitrag zur Frage des ZutandekoMmeas linksseitiger Recnrrens-
lähmnng bei Mitralstenose.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Killian: Bei der Topographie des linksseitigen Recurrens kann
die Vergrösserung des linken Vorhofs nicht die Gefahr der Paralyse
dieses Nerven bringen. Eine Serie von Sektionen muss hier die Ent¬
scheidung abgeben. Wahrscheinlich spielt die Pericarditis eine Rolle.
Hr. Zinn glaubt ebenfalls, dass das Fortschreiten der Entzündung
von dem Pericard auf das hintere Mediastinum ätiologisch ausschlag¬
gebend ist.
2. Hr. Finkeistein: Zar Thymnshypertrophie.
Vorstellung eines einjährigen Knaben mit seit Geburt bestehendem
Stridor, spastischem Husten, Dysphagie und Dämpfung auf und neben
der oberen Hälfte des Sternum, die auf eine Thymusbypertrophie hin¬
deuten, die auch durch das Röntgenbild wahrscheinlich gemacht wird.
Diskussion.
Hr. Hirschfeld fragt, ob Todesfälle durch Thymushypertrophie
öfter beobachtet sind.
Hr. Dorendoif berichtet über den Fall bei einer jungen Dame,
welche plötzlich Cheyne - Stokes’sches Atmen, heftige Tachycardie
(180 Pulse) zeigte. Nach der wegen der Möglichkeit des Bestehens einer
Vergiftung vorgenommenen Magenausspülung trat Exitus ein. Die
Sektion ergab braunes Kolorit der Haut, Affektion der Spitze und der
Nebennieren. Die Thymusdrüse wiegt mehr als 30 g, von kindlicher Be¬
schaffenheit. Starke Vergrösserung der Lymphdrüsen am Darm, itilz-
hyperplasie. Hier lag Thymustodesfall durch Erstickung vor.
Hr. Ben da: Vereinzelte Sektionen sprechen für Erstickung durch
Thymusvergrösserung; aber es kommt hierbei auch Herztod vor, was die
Erweiterung der Herzventrikel ohne Zeiohen von Suffokation beweist.
Hr. Fritz Strassmann unterscheidet den plötzlichen Tod bei dem
Status thymico-lymphaticus und den durch Kompression. Nur in einem
ein neun Monate altes Kind betreffenden Fall war der Tod durch Druck
der Thymusdrüse, die 40 g wog, bei Ausschluss aller anderen Ursachen
wahrscheinlich. Bei anderen Fällen, wo Capillarbronchitis bestand, war
die Sache zweifelhaft. Es ist nicht der Druck auf die Trachea, da hier¬
durch sohon vorher Erscheinungen vorhanden sind, sondern die un¬
erwartete Kompression tieferer Abschnitte, des Herzens, der Gefässe oder
Mediastinalnerven für den Exitus maassgebend. Bei dem Status thymico-
lymphaticus wird verhältnismässig kleine Drüse gefunden.
Hr. Finkeistein: Plötzliche Todesfälle bei Thymushypertrophie
kirnen vor. In dein Vbtfiegönden Falle, bei dem immer während<<des
Futterns croupartiger; stridoröser Hüsten, Gyafnose, ja Suffokationsanfälle
eintraten, machte die Ernährung grosse Schwierigkeiten; trotzdem erzielte
die Pflege ein gut gedeihendes Kind. Vortr. will durch Röntgenbehand¬
lung aen Versuch einer therapeutischen Einwirkung* 1 machen.
3. Hr. F. Strassmann: Sublimat- uad Lysolvergiftung.
Bei einem unmittelbar tödlichen Vergiftungsfall, bei dem die Ver¬
mutung auf Arsen Vergiftung ausgesprochen worden war, konnte Vortr.
durch den Sektionsbefund, obwohl sich die charakteristischen Aus¬
scheidungserscheinungen an Nieren, Darm, Mundhöhle noch nicht ent¬
wickelt hatten, ausschliesslich auf Grund des Magenbefundes alsbald die
durch die chemische Untersuchung später bestätigte Diagnose auf Ver¬
giftung durch eine ziemlich konzentrierte Sublimatlösung stellen. Das
Bild der gleichmässigen harten grauweissen Verätzung der ganzen
Schleimhaut ohne Erweichungserscheinungen, wie es dieses und noch ein
anderes vorgelegtes Präparat zeigen, kommt nur diesem Gift zu. Auoh
die ihm in ihrer Wirkung nächststehenden Gifte Carbol und Lysol zeigen,
wie vorgelegte Präparate beweisen, gewisse Abweichungen, ganz abge¬
sehen von dem charakteristischen Geruch. Lysol ist speziell durch die
weiche seifige Beschaffenheit der verätzten Partien kenntlich. Vortr.
gibt einen Rückblick auf die vor etwa acht Jahren auf ihren Höhepunkt
gelangte Selbstmordepidemie mittels LysolvergiftuDg in Berlin, die seit¬
dem, offenbar im Zusammenhänge mit der Einschränkung des Verkaufes,
fast völlig geschwunden ist.
Diskussion.
Hr. Leibholz weist auf die durch die frühere Anwendung sehr
konzentrierter Sublimatlösung hervorgerufenen medikamentösen Intoxi¬
kationen hin.
Hr. Lehr: In manchen Fällen von Sublimatvergiftung wird das
schwere Krankheitsbild zum grössten Teil beherrscht durch das Versagen
der Nierenfunktion.
In einem Falle, den ich im Jahre 1909 mitzubeobachten Gelegenheit
hatte, trat am siebenten Tage vollständige Anurie ein; am neunten
Krankheitstage, also nach zweitägiger Anurie, entsohloss sich Herr Pro¬
fessor Ritter-Posen zu einer Nierenoperation. Es war die Decapsulation
beabsichtigt, aber nachdem kaum die Niere freigelegt war, musste die
Operation, die in Aethernarkose vorgenommen wurde, wegen schlechten
Allgemeinbefindens abgebrochen werden. Schon nach wenigen Stunden
kam die Urinsekretion wieder in Gang, die in 24 Stunden 1200 ccm er¬
gab und sich am folgenden Tage auf 2000 com steigerte. Gleichzeitig
hob sich das Allgemeinbefinden so, dass die behandelnden Aerzte hofften,
den Patienten, einen kräftigen, 35 jährigen Mann, der sich mit zwei
Sublimatpastillen ä 1 g vergiftet hatte, am Leben zu erhalten.
Nach dreiwöchigem Krankenlager jedoch ging von einer stoma-
titischen Wunde am Mundboden eine Sepsis aus, der der Patient nach
zwei Tagen erlag.
Vielleicht wäre es geraten, in ähnlichen Fällen die Nierenoperation
vorzunehmen, bevor noch die Anurie eingetreten ist, so dass der Patient
in der Lage bleibt, das Gift nach Möglichkeit auszuscheiden.
In einer Umfrage der Medizinischen Klinik, 1912, Nr. 27, über die
Decapsulation erklärt sich auch Pels-Leusden für die Operation bei
schweren Intoxikationsanurien, während Israel und Anschütz die
Nephrotomie empfehlen.
Ob in dem erwähnten Falle die Freilegung der Niere oder die
Aethernarkose die günstige Wendung bewirkt haben, lässt Ritter dahin¬
gestellt.
4. Hr. F. Strassmann:
Ueber die Form der Knoehenschnsswanden.
Vortr. zeigt das Schulterblatt einer von ihrem Mann erschossenen
Frau. Es ist deutlich zu sehen, wie die zunächst von unten kommende
Kugel gegen die Spina scapulae angeschlagen, daduroh an der Spitze
gestaucht und in ihrer Richtung verändert worden ist, so dass sie nun
weiter nach unten flog und Speiseröhre und Brustaorta im unteren
Drittel traf und durchbohrte, wodurch die tödliche Verblutung bewirkt
ward. Im Anschluss werden eine Anzahl Schädeldächer demonstriert,
an denen die charakteristischen Verschiedenheiten in der Form von Ein¬
schuss und Aussohussöffnung deutlich zu sehen sind, und es werden die
Bedingungen besprochen, unter denen reine Lochschüsse, solche mit
Sprengungsfissuren und diffuse Zersprengungen des Schädels durch
Schussverletzungen eintreten.
5. Hr. P. Fraonekel (a. G.) demonstriert Präparate von spontanen
Aortenrnptnren. Die typische Ruptur des höheren Alters illustriert
das Herz eines auf der Strasse zusammengebrochenen 68 jährigen Mannes.
Im Zusammenhänge mit Granularatrophie der Nieren und schwerer de¬
formierender Endoaortitis des Bogens stand eine starke Herzhypertrophie
und cylindrische Erweiterung der Aorta ascendens. Der etwas quer¬
gestellte Riss sass wie gewöhnlich in der auch nach histologischer Unter¬
suchung gesunden Wand einige Centimeter über den Klappen. Die Zer-
reissung war rasch durch die ganze Wand gegangen, da sich ein eigent¬
liches interstitielles Aneurysma nicht gebildet hatte. Ob in solchen
Fällen ein leichtes Trauma vorangegangen ist, ist meist nicht festzu¬
stellen; notwendig ist es bei einem solchen Befunde nicht. Für die
Ruptur der Aorta ascendens im jüngeren Alter liegt die Ursache
nicht so selten in angeborener Stenose oder Atresie des Isthmus.
Es wurden zwei (genauer in der Vierteljahrsschrift für gerichtliche
Medizin, 1912, beschriebene) Präparate gezeigt; nämlich a) Herz eines
33 Jahre alten* tuberkulösen, arbeitenden Mannes, der nach ganz kurzem
Unwohlsein gestorben war. Totale Isthmusatresi^ ,an typischer Stelle,
gut walnussgrosses, älteres kugeliges Aneurysma dissecans dicht über
den Klappen, das ins Pericard durchgebrochen war; ausgebildete
Collateralen; keine Dilatation oder Hypertrophie des jHerzens; unebene
Intima der Aorta ascendeös und chrpoische Mesoaortitis. . b) Herz eines
27 jährigen Güterbodenarbeiters der Eisenbahn, der jahrelang beschwerde*
frei gearbeitet hatte, plötzlich nach dem Mittagessen erkrankte und nach
lVz Stunden starb. Stenose des Isthmus oberhalb der linken Subclavia
von 1 mm Weite und sofort eine zweite von 4 mm unterhalb der Sub¬
clavia. Starke Dehnung der nahezu glatten Aorta ascendens, in ihr
einige Centimeter über den Klappen ein grosser Querriss; Abreissung
der rechten Coronararterie; starke Hypertrophie des linken Ventrikels;
Klappenanomalien; offenes Foramen ovale. Die kongenitale Stenose be¬
dingt zweifellos, wie auoh in diesen Fällen die sekundären Verände¬
rungen an der Aorta oder dem Herzen beweisen, trotz Collateralbildung
eine Ueberbeanspruchung und disponiert zu früherem Tode, allerdings
nicht nur infolge Ruptur. Dies zeigt auch ein Herz eines l 1 /* jährigen
kräftigen Knaben mit starker Isthmusstenose, der einer ganz leiohten
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796
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Bronchitis plötzlich erlag. Ausser einem ausgeheilten Niereninfarkt fand
sich bedeutende Hypertrophie beider Ventrikel; besonders aber des
rechten mit Stauung im grossen und kleinen Kreislauf. Die histologische
Untersuchung hat übrigens auch in der Aorta dieses Kindes wie in denen
der Erwachsenen keine Veränderungen nachweisen können, die als fehler¬
hafte Anlage gedeutet werden könnten. Die Befunde sind vielmehr, wie
auch die von Moriand und Babes und Mironescu beschriebenen,
einfacher als Folgen der Drucksteigerung aufzufassen. Warum im
Einzelfalle Dehnung mit totaler Ruptur oder dissecierendes, lange trag¬
bares Aneurysma oder Anpassung und dann Tod an sekundären oder
intercurrenten Erkrankungen erfolgt, ist bisher nicht aufgeklärt. Pro¬
phylaktisch dürfen aber Personen, bei denen, wie bei dem Güterboden¬
arbeiter, die Anomalie diagnostizierbar war, nicht zu schwerer körper¬
licher Arbeit angenommen werden. Erliegen sie der Ruptur, so ist der
Arbeitgeber nach Ansicht des Vortr. wenigstens teilweise entschädigungs¬
pflichtig.
Diskussion.
Hr. Benda hält die Annahme, dass die Media zuerst einreisst, für
nicht ganz zutreffend, da man neben dem Haupteinriss ältere kleinere
Einrisse von der Intima ausgehend findet. Bezüglich der Aetiologie
kommen viele Fälle von Aortenruptur ohne Trauma vor, wohl ist oft ein
Trauma bei disponierter Aorta das ursächliche Moment. Benda erwähnt
den Fall von zwei Gasarbeitern, die bei Rohrarbeiten durch Gasver¬
giftungen umfielen; intensive Sauerstoffinhalation, Aortenruptur. Hier
war die Druckerhöhung durch die Atmung causales Moment. Ebenso in
folgendem Falle. Eine Frau fiel in der Stube bei gewöhnlicher Be¬
wegung um, lag unter Angina peotoris-Erscheinungen da. Vornahme
künstlicher Atmung. Exitus. In fünf Jahren hat Benda drei Fälle
von Aortenruptur gesehen. Oft wird der Riss übersehen, wenn man an
dieser Stelle das Gefäss gerade einschneidet.
6. Hr. L. Bürger zeigte an der Hand von 40 farbigen Photographien
die Bedeutung dieser für die Medizin und speziell für sein Spezialfach,
die gerichtliche Medizin, so z. B. für die Identifizierung von Personen,
speziell Ertrunkener. Blutbesudlungen und Blutspuren, die für die ge¬
richtliche Medizin von grosser Bedeutung sind, werden durch die farbige
Photographie ausgezeichnet wiedergegeben, ebenso Blutunterlaufungen,
ferner Verbrennungen verschiedener Grade, endlich die Ausdehnung des
Pulverschmauches und der Pulvereinsprengungen bei Schussverletzungen,
die ja auch eine grosse Rolle spielen. Auch pathologisch-anatomische
Präparate, deren Konservierung in natürlichen Farben nur schwer gelingt,
wie z. B. Cyankalimagen, liefern gute Lumierebilder. Bei forensischen
Blutuntersuchungen geben die für Blut charakteristischen Spektren, die
Blutkristalle usw., die sich zum Teil schlecht längere Zeit konservieren,
gute Lumierebilder. Für den Unterricht sind diese Bilder, wie in allen
Zweigen der Medizin, besonders in der gerichtlichen Medizin von grossem
Wert.
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. Februar 1913.
Hr. Boruttau:
Ueber gegenseitige Beziehungen der Wirkungen von Adrenin nnd
Infandibularextrakt. (Nach Versuchen des Herrn Dr. Niculescu).
Die Verstärkung der blutdrucksteigernden Wirkung des Adrenins
durch vorherige Injektion von Infundibularextrakt und umgekehrt
(im Sinne der gegenseitigen Sensibilisierung, die Kepinoff beschrieben
hat) ist ein am Kaninchen regelmässig zu erhaltendes Versuchsergebnis.
Bei gleichzeitiger Injektion geeigneter Dosen wird eine starke und sehr
langdauernde Biutdrucksteigerung erhalten, während die dem Infundibular¬
extrakt eigene anfängliche Blutdrucksenkung nebst Aussetzen der Herz¬
tätigkeit wegfällt.
Zur Untersuchung der gegenseitigen Beziehungen der Uteruswirkung
wurde der ausgeschnittene Meerschweinchenuterus verwendet, bei welchem
Adrenin auch in stärkster Verdünnung nur Erschlaffung hervorruft. Iq-
fundibularextrakt macht dagegen Kontraktion. Es konnten hier Dosen
ermittelt werden, bei deren Kombination beide Wirkungen zunächst sich
das Gleichgewicht halten; allmählich tritt aber Tonuszunahme ein, zum
Zeichen, dass die Infundibularextraktwirkung auch hier von längerer
Dauer ist als die Adreninwirkung. Viel intensiver als Infundibular¬
extrakt wirkt Imidazoläthylamin, welches, in zehnfacher Dosis mit Adrenin
gleichzeitig wirkend, immer noch steilen Tonusanstieg bewirkt. Mutter¬
kornextrakte bewirken neben etwas Tonuszunahme hauptsächlich Ver¬
stärkung der rhythmischen Bewegungen.
(Die ausführliche Veröffentlichung erfolgt an anderer Stelle.)
Berliner ophthalmologische Gesellschaft.
Sitzung vom 13. März 1913.
Hr. WEtzold: 1. Amyloid der Conjonctiva tarsi.
Vorstellung einer 50jährigen Frau, die vor 6 Jahren in Posen an
Trachom erkrankte und nahezu 2 Jahre deswegen behandelt wurde.
Vor 3 Tagen trat sie wegen Tränenträufeln links und Schwere der Lider
in poliklinische Behandlung. Die Conjunctiva tarsi zeigt beiderseits,
links stärker als rechts, eine bis zu 6 mm dicke graugelbliche, glasige,
Nr. 17.
tumorartige Beschaffenheit von derber Konsistenz nebst glatter Ober¬
fläche und bricht beim Ektropionieren querdurch; massig starke Narben¬
bildung ist damit verbunden. Während das Plasmom mehr sulzig, ge¬
lappt und ausgebuckelt ist, ebenso wie das Granulom und Sarkom, die
differentialdiagnostisch in Betracht kommen, handelt es sich im vor¬
liegenden Falle um Amyloid der Conjunctiva An mikroskopischen
Präparaten werden die genannten Erkrankungsformen demonstriert.
2 . Elephantiasis phlebectatica.
Ein 14 jähriger Junge, der in seinem 8. Lebensjahr mit ausser¬
ordentlich starker Schwellung des rechten Ohres erkrankte, begann bald
darauf über Schwellung der Lider zu klagen, an die sich im Laufe der
Jahre eine immer mehr zunehmende, entstellende, teigige Schwellung
des ganzen Gesichtes über Nase und Lippen hin anschloss. Die Um¬
gebung der Augen ist zurzeit bretthart, zum Teil narbig. Ulcera,
Lupus haben nie bestanden. Die Ränder der knöchernen Orbita sind
infolge periostitischer Prozesse stark verdickt und verbreitert. Die
Orbicularis oris ist derb infiltriert und lässt an den Mundwinkeln
kirschgrosse, harte Knoten durchfühlen. Starke Erweiterung der Venen
im Bereich der erkrankten Gesichtsabsohnitte legen die Diagnose
Elephantiasis phlebectatica nahe. Aetiologie unbekannt.
Hr. Meissner: Seleralabseess.
Vor etwa 10 Tagen kam ein etwa 50 jähriger Herr zur Beobachtung
mit der Angabe, dass seit 2 Tagen sein rechtes Auge angeschwollen
sei. Die Lider waren leicht geschwollen, es bestand starke gemischte
Iojektion des Bulbus und Chemosis der Bindehaut. Etwa im vertikalen
Meridian am Limbus war eine leichte circumscripte Schwellung der
Sclera, etwa halbpfennigstückgross, unter der Conjunctiva zu bemerken.
Das Auge war stark licht- und druckempfindlich, im übrigen aber
normal. Es wurde Scleritis diagnostiziert, nach der Aetiologie, besonders
nach Lues oder Tuberkulose gefahndet. Für beide fand sich anamnestisch
kein Anhaltspunkt. Die Temperatur war normal; Wassermann negativ;
auch bei Injektion von >/a ccm Tuberkulin 1:10000 keine örtliche oder
Allgemeinreaktion. Nach 2 Tagen, ehe die zweite Tuberkulininjektion ge¬
macht war, wurde eine etwa erbsengrosse Prominenz an der eben er¬
wähnten Stelle deutlicher und bildete sich central eine gelblich durch¬
schimmernde Nekrose heraus; es lag also ein Abscess der Lederhaut
vor. Es entleerte sich bei der Inzision Eiter, in dem im Ausstrich sowie
in der Kultur Staphylococcus aureus in Reinzüchtung nachgewiesen
wurde. Der Seleralabseess ist jetzt ausgeheilt. Augenscheinlich hat
man es mit einer Metastase zu tun. Die Erreger können nur auf dem
Wege der Blutbahn hingelangt sein. Der Abscess liegt gerade in der
Gegend, wo die vorderen Ciliargefässe die Lederhaut durchdringen, und
es ist wohl eine Embolie dort anzunehmen.
Der Ausgangspunkt für die Septikämie dürfte in einer gleichzeitig
bestehenden Cystitis und Prostatitis liegen, auch im Urin konnten die¬
selben Erreger nachgewiesen werden, dagegen verlief eine Aussaat aus
dem Blut negativ. Für eine zeitweise Anwesenheit der Mikroorganismen
sprach aber auch der Umstand, dass ein Tag nach der Scleritis ein
ziemlich grosser Furunkel am Gesäss auftrat.
Hr. Adam:
Ueber funktionelle Nachbehandlung nach Schieioperationen.
• Bei dem Bestreben, das Schielen durch Uebungen zu heilen, ist
das Gebiet der funktionellen Nachbehandlung nach der Operation in den
Hintergrund getreten. Die operative Behandlung beseitigt nur einen
Teil der Störungen, die in ihrer Gesamtheit den Begriff des Schielens
ausmachen. Mit der Konstatierung und Beseitigung der Schieistellung
ist das Wesen des Strabismus durchaus nicht erschöpft, es bestehen
vielmehr noch eine Reihe von sensorischen Störungen, die auch nach der
Operation sich noch bemerkbar machen und deren Beseitigung die Auf¬
gabe der funktionellen Nachbehandlung ist. Diese sensorischen
Störungen sind:
1. Die falsche Lokalisation. Diese wird allerdings durch die
Operation in den meisten Fällen beseitigt, doch bleiben immerhin noch
etwa 2pCt. übrig.
2. Die Herabsetzung der Sehschärfe. Diese muss durch ge¬
eignete Seh- und Leseübungen gebessert werden. Es gelingt dies zu¬
weilen in ganz überraschendem Maasse. Vom Fingerzählen in 2 Metern
steigt die Sehschärfe häufig bis S = s /i 5 *
3. Die Exklusion des Schielaugenbildes. Diese kann am
besten durch das Amblyoskop beseitigt werden. Hier bieten die Fälle
von Strabismus altemans häufig eine ganz besondere Schwierigkeit, da
sie eine regionäre Exklusion der Maculagegend bieten, die durch
Uebungen häufig nicht zu beseitigen ist.
4. Die mangelhafte Fusion. Diese kann durch stereoskopische
Uebungen so gebessert werden, dass in etwa 80pCt. aller Fälle ein
binoculares Einfacbsehen erzielt wird. Binoculare Tiefenwahrnehmung
wird aber nur in etwa 20pCt. der Fälle möglich gemacht.
Erst nachdem diese sensorischen Störungen beseitigt sind und
nachdem das Fusionsvermögen angeregt ist, kann man hoffen, dass der
durch die Operation erzielte Effekt auch dauernd bestehen bleibt Nur
Operationen in Verbindung mit funktioneller Nachbehandlung garantieren
einen dauernden Erfolg. Kurt Steindorff.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
797
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft Ihr Tater-
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Ne iss er.
Schriftführer: Herr Röhmann.
1. Hr. R. Meissner:
Ueber die Bindang des Arscnwasserstoffes in Blut.
In Anlehnung an eine vonLockemann, Reokleben und Eokardt 1 )
ausgearbeitete qualitative Arsenwasserstoffanalyse versucht Verf. der Be¬
antwortung der Frage näher zu kommen, zu welchen Bestandteilen des
Blutes Arsenwasserstoff die grösste Affinität habe, zu den Lipoiden (wie
Aether und Chloroform), zum Serum, zum Stroma oder zum Hämoglobin.
Die hier in Frage kommenden Blutbestandteile wurden rein dargestellt
und in demselben Verhältnis, wie sie im Blute vorhanden sind, in ge¬
eigneten Flüssigkeiten gelöst oder suspendiert. Für die Lipoide werden
folgende Werte erhalten:
1. Reines Chloroform band.32,7 pCt.
Chloroform -}- Cholesterin band . . . 33,3 „
„ 4" Lecithin band .... 31,3 „
2. Reine Gummisuspension band . . .71,0 „
Gummisuspension + Lecithin band . . 71,0 „
„ -j- Cholesterin band . 64,0 „
3. Physiol. NaCl-Lösung band .... 63,0 „
„ „ + 20 g Menschen¬
hirnbrei band.65,0 „
4. Reiner Aether band.92,0 „
Aether 4~Cholesterin4~Lecithin -f- Fett¬
säuren 4" Fette band.91,0 „
Nach diesen Zahlen besitzen Lipoide kein starkes Bindungsvermögen
zu AsHg 8 . Ebenso verhielt sich Serum und Stroma (in den verschiedensten
Konzentrationen) Dagegen ergab reines Hämoglobin (nach Hoppe-
Seyler dargestellt und von Merck bezogen) in wiederholten Analysen
folgende Zahlen:
Reine physiologische NaCl-Lösung band.44pCt.
NaCl (0,92pCt.) 4" Hämoglobin in normalenMengen band 82 „
Diese Werte zeigen deutlich, dass im Blute das Hämoglobin allein
den Arsenwasserstoff energisch zu binden vermag.
Es konnte ferner festgestellt werden, dass die Hämatincomponente
des Hämoglobins — wie bei der CO-Intoxikation — auch bei der AsH 8 -
Vergiftung stark beteiligt ist; denn Hämatin vermag AsH 8 stark zu ab¬
sorbieren, wie folgende Zahlen lehren:
Reine NaH (1: 500) band.70 pCt.
Reines Hämatin (nach Küster) zu 0,1 pCt.
in NaOH 1:500 gelösst band . . . . 96 „
Auch die Gegenwart des Eisens scheint bei dieser Bindung nicht
ohne Bedeutung zu sein, da im Vergleich zum Hämatin das eisenfreie
Hämatoporphyrin (rein nach Esohbaum) 23 bis 26pCt. in den gleichen
Konzentrationen weniger absorbierte.
Verschiedene Blutarten untereinander in ihrer Absorptionsenergie,
gegenüber dem AsH 8 verglichen, zeigen keine wesentlichen Differenzen.
Galle band etwas weniger als Blut.
Eine grössere Reihe Entgiftungsversuche führten deshalb nicht zum
Ziele, weil AsH 8 im Blute sehr schnell in eine andere As-Verbindung
umgewandelt wird. Vergiftet man Tiere mit AsH 8 und infundiert ihnen
darauf schnell eine in vitro stark AsH 8 bindende Substanz, so wirkt
dieselbe im Tierkörper nicht AsH s entgiftend, weil freies AsH 8 hier schon
nach ganz kurzer Zeit nicht mehr vorhanden ist. Denn dieses Blut gibt
keine Reaktion auf AsH 8 . Fügt man ihm aber ein reducierendes Agens
(H 2 aus HCl 4“ Zn) zu, so entsteht wieder freies AsH 8 . Da ein Re¬
duktionsmittel zur Wiederherstellung unseres Gases hier nötig ist, so
wird es beim Zusammentreffen mit Blut möglicherweise in irgendeine
Oxydationstufe übergeführt.
Dieser Prozess: Aufnahme, Bindung und Ueberführung des AsH 8
im Blute in diese noch nicht analysierte As-Verbindung geht sehr schnell
vor sich; ich möchte ihn als erste Phase der AsH 8 -Intoxikation be¬
zeichnen.
Die zweite verläuft langsamer: sie endet mit der Hämolyse. Die
Arsenwasserstoffhämolyse hat zwei auffallende Symptome:
1. Sie wird erst nach längerer Zeit sichtbar.
2. Sie tritt nur bei bestimmten AsHg-Konzentrationen ein.
Setzt man eine hämolytische Sk^la ah, so zeigt "sich beim Hinzu¬
fügen ganz geringer AsH 8 -Mengen keine Hämolyse und keine Verfärbung
des Blutfarbstoffe; bei den folgenden AsH„ - Konzentrationen tritt
Hämolyse ein, teils ohne, teils mit Verfärbung. Beim Zusatz von
noch mehr AsH 8 tritt keine Hämolyse mehr ein; der Blutfarbstoff wird
jetzt unter Verfärbung (graubraun-graugrün) völlig gefällt.
Diese Farbenveränderung erinnert an die Erscheinungen, die man
keim Zusammentreffen von Blut und SH* beobachtet. Der sich hierbei
bildende Körper, das Sulfmethämoglobin, hat ein typisches Spektrum.
Auch Arsenwasserstoff gibt mit Blut ein konstantes Spektrum, wenn man
AsH 8 im Ueberschuss hinzufügt. Man erhält es am besten, wenn man
einen Tropfen Blut, Blutkörperchenbrei oder Hämoglobin mit 10 bis
15 ccm physiologischer Kochsalzlösung mischt, die AsH 8 in grosser Menge
1) Zeitsehr. f. analyt. Chemie, Bd. 46, S. 671.
absorbiert hat. Es tritt dann ausser einem Streifen (reduziertes Hämo¬
globin) oder zwei Streifen im Grün (Oxyhämoglobin) noch ein Streifen
im Rot konstant auf.
Diskussion.
Hr. Pohl: Die Gesamtwirkung des Arseniks wird vielfach dahin
zusammen gefasst, dass man sagt, er sei ein Protoplasmagift, das heisst
nicht viel mehr als er wirkt, weil er wirkt. Gegenüber dieser Phrase
scheint es mir ein wirklicher Fortschritt, dass in der Arsengruppe als
Ursache einer cellulären Wirkung — hier die Schädlichkeit des Arsen¬
wasserstoffes für das rote Blutkörperchen — eine chemische Reaktion,
eben die Affinität zwischen dem Eisenkern des Hämoglobins und dem
Arsenwasserstoff andererseits, festgestellt ist.
2. Hr. Eiseiiberg:
lieber sogenannte Mutationen (Sprungvariationen) bei Bakterien.
Die Erblichkeits- und Variationserscheinungen bei Bakterien sind nicht
ohne weiteres mit denjenigen bei höheren Lebewesen zu analogisieren,
da hier zunächst der Generationsbegriff ein ganz anderer ist. Es darf
eine Zellgeneration der Mikroben nicht einer Individualgeneration der
Vielzelligen gleichgestellt werden, sondern nur eben einer Zellgeneration
in ihrer Entwicklung — ein Correlat einer Individualgeneration eines
höheren Lebewesens, die viele Zellgenerationen umfasst, wäre auch erst
in einer Reihe von Zellgenerationen bei Bakterien zu suchen, also etwa
in einer Agar- oder Bouillonpassage. Das Fehlen der Amphimixis, die
sehr beschränkte Möglichkeit, Eigenschaften einzelner Keime zur Anschauung
zu bringen, die ungenügende Kenntnis der biologischen Bedeutung vieler
Merkmale sind alles Faktoren, die eine gesonderte Betrachtung dieser Er¬
scheinungen bei Bakterien und grosse Vorsicht bei ihrer Anreihung an
sonstige Variationserscheinungen geboten erscheinen lassen.
Eine Sonderstellung kommt zweiffellos der Erscheinungsgruppe des
B. coli mutabile zu, die wegen ihres ausgesprochen adaptiven Charakters
am besten vielleicht als sprungweise Adaption bezeichnet wird. Ob bei
der Entstehung der anderen „Mutationen“ adaptive Vorgänge mit im
Spiele sind, lässt sich zurzeit kaum entscheiden, da wir über die bio¬
logische Bedeutung des Wachstums in längeren oder kürzen Verbänden,
der Sohleimproduktion, der verschiedenen Bakterienfarbstoffe, der tryp-
tisohen Fermente (Gelatinasen), der vermehrten Tyrosinbildung, der Fähig¬
keit zur relativen Anaerobiose und anderer Merkmale, die die zutage
tretenden Unterschiede bedingen, nur mangelhaft oder gar nicht unter¬
richtet sind. Eine sprungweise Entstehungsweise sensu strictissimo, d. h.
ein Umschlag von einer Zellgeneration zur anderen, ist bis jetzt nur in
einem Fall festgestellt worden, nämlich bei Aussaat aus jahrelang auf¬
bewahrten Milzbrandsporenfäden wachsen neben typischen sporogenen
Kolonien auch atypische asporogene — hier hat die Umstimmung wohl
eine lange Zeit beansprucht. — aber nur eine einzelne im Zustand
latenten Lebens befindliche Generation betroffen, unter Ausschluss von
Vermehrung und Wachstum.
Die Konstanz der resultierenden Formen ist eine recht verschiedene;
es gibt solche, die monatelang in successiven Passagen den einmal er¬
worbenen Typus festhalten, es gibt welche, die nach Tagen bis Wochen
einen teilweisen Rückschlag zur Vorsprungsform aufweisen, es gibt ferner
auch solche, die immer wieder rückschlagen und nur durch ständige
Auslese festzubalten sind („Ever sporting varieties“). Endlich bekommt
man ab und zu quasi eruptive Perioden zu sehen, wo binnen kurzer
Zeit immer neue Formen zum Vorschein kommen. Also eine gewisse
Analogie zu den „Mutationsperioden“ von De Vries.
Was die Ursache der beobachteten Umschläge betrifft, stehen wir
erst am Anfang der Forschungsarbeit und können meist kaum über Ver¬
mutungen hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Stoffwechselvorgänge
dabei eine hervorragende Rolle spielen, daneben wohl auch die Art der
Sauerstoffzufubr, der Wassergehalt des Mediums, die darin enthaltenen
Salze, osmotische Verhältnisse usw. Die Versuche, willkürlich durch be¬
kannte Faktoren den Typus umzuprägen (Sei ff er t, Penfold undVortr.,
Erzeugung asporogener Mutanten beim Milzbrandbacillus durch Kultur
auf Glyoerinagar oder bei 42 0 C), werden bei weiterem Ausbau vielleicht
erlauben, in den Mechanismus dieser Vorgänge tiefer einzudringen, und
stellen wohl die wichtigste Aufgabe zukünftiger Forschung auf diesem
Gebiete dar.
Es wird augenblicklich wohl kaum möglich sein, die Bedeutung ab¬
zuschätzen, die die in Rede stehenden Spaltungsvorgänge für die'Frage
nach der Entstehung neuer Bakterienarten besitzen. Wenn auch eine
grosse" Anzahl der beschriebenen Erscheinungen Verlustvariationen dar-
stelleri und zweifellose Fälle von Auftreten ganz neuer Eigenschaften noch
nicht ganz sicher festgesteilt sind, so sei doch c^e Möglichkeit soloher
durchaus nicht auszuschliessen. .Es verdient betont zu werden, dass in
manchen Fällen nicht ein Merkmal, sondern eine Gruppe von verschiedenen
Merkmalen correlative Abänderung zeigt, sodann aber, dass die in
unseren Kulturen auftretenden Varietäten zum Teil mit solchen über¬
einstimmen, die an natürlichen Standorten gefunden werden. Jedenfalls
wird die genaue Erforschung der Variationsbreite jeder Spezies zur
exakten Artumgrenzung und zur Erkenntnis verwandschaftlicher Be¬
ziehungen zwischen den Bakterien manches beitragen können. Praktisch
wird uns dadurch die Möglichkeit gegeben, vorkommendenfalls auch
atypische Formen richtig zu diagnostizieren. Anderseits wird angesichts
der grossen Plastizität der Bakterien grosse Vorsicht geboten bei Be¬
nutzung von Elektivnährboden, die durch ihre spezifischen Zusätze lelfeht
wichtige Aenderungen der auf ihnen gezüchteten Bakterien bewirken, ander¬
seits aber manche atypische Föhnen unterdrücken können.
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798
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Im Anschluss an die Ausführungen wurden verschiedene Abarten
von Cholera Vibrionen, B. prodigiosum, B. Kieliense, B. pyooyaneum,
B. fluorescens liquef. und non liquef., B. violaceum, Sarcina t e tragen a,
Kapselbakterien, ein eigener Stamm von B. typhi mutabile demon¬
striert.
Klinischer Abend vom 21. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Harttung.
Hr. Groenouw stellt einen 21 jährigen Kranken vor, dem vor fünf
Wochen ein Fibrosarkom der Augenhöhle mittels der Kroenlein’schen
Operation entfernt wurde. Die früher vorhandene Stauungspapille ging
zurück, das Auge besitzt jetzt Vs Sehschärfe.
Hr. Harttung demonstriert einige Fälle von Lues des Schädels.
1. Eine periost-ostale Erkrankung am Stirnbein aus dem Frühstadium,
die mit schweren Störungen einhergeht und sich auf jede Behandlung,
auch auf das Salvarsan, als refraktär erweist.
Der Vortr. betont dabei die Notwendigkeit eventueller chirurgischer
Eingriffe bei diesen Knochenherden, die für die allgemeine Therapie
schwer zugänglich seien. Das beweisen auch der 2. und 3. Fall, die
gleichfalls vorgestellt werden, und bei denen es sich um dieselbe Er¬
krankung im Spätstadium handelt. Beide haben sich zu schwerer Zer¬
störung der Knochen entwickelt und beide sind der allgemeinen Be¬
handlung insofern nicht zugänglich, als das örtliche Leiden durch die
Allgemeintherapie so gut wie gar nicht beeinflusst wird. Fall 2 ver¬
weigert eine lokale Behandlung, ln Fall 3 ist der Krankheitsherd aus-
gemeisselt und die Dura abgekratzt worden. Es hat sich aber eine
neue Sequestration in der Bandzone entwickelt.
Hr. Harttang demonstriert an Stelle des erkrankten Hrn. Urban
unter Vorzeigung mikroskopischer Präparate und mehrfacher Lumiere-
Photogramme eine Anzahl von Fällen von Hauttnberknlose*
Der Vortr. geht dabei auf die Stellung der sogenannten Tuberkulide
ein. Er zeigt 1. einen Fall von Scrofuloderm neben drei Fällen von
Erytheme Bazin, 2. zwei Fälle von Tuberculosis verrucosa cutis, 3. zwei
Lichen scrofulosorum in der Reaktion, 4. einen Folliclisfall, 5. ein Boeck-
sches Sarkoid, 6. zwei Lupus erytheraatodes-Fälle, 7. einen Fall von
Acnitis Barthölemy. Schliesslich zeigt der Vortr. noch einen Fall von
serpiginösem Lupus neben einem tuberösen Syphilid von fast gleicher
Ausdehnung, unter Hervorhebung der differentialdiagnostischen Momente.
Hr. Leopold: Ueber Nerven Symptome bei Frühlies.
50 Fälle von frischer Lues I und II wurden an der Hautabteilung
des Allerheiligenhospitals zu Breslau (Prof. Harttung) vor der Behand¬
lung genau auf Nervensymptome untersucht and lumbalpunktiert. Das
Lumbalpunktat wurde auf Nonne-Spelt’sche Reaktion, Wassermann’sche
Reaktion und auf Spirochäten geprüft, der Eiweissgehalt nach Essbach
wurde festgestellt und die Zahl der Lymphocyten im Kubikzentimeter
mit der Fuchs-Rosenthal’schen Zählkammer ausgezählt.
Unter 40 Fällen von sekundärer Lues fand sich 25 mal ein positives
Lumbalpunktat, unter 10 Fällen primärer Lues 5 mal ein positives
Lumbalpunktat. Die genaue Untersuchung des peripheren Nerven¬
systems ergab 7 mal positives Babinski’sches Phänomen, in 10 Fällen
positives Oppenheim’sches Phänomen, 6 mal Pupillendifferenz, 6 mal
Romberg’sehes Phänomen, 12 mal Fuss- oder Patellarclonus, 4 mal
Sensibilitätsstörungen. An subjektiven Nervensymptomen fanden sich in
10 Fällen Kopfschmerz, Schwindel und Ohrensausen. Auffallend waren
bei allen Patienten die lebhaften und zum Teil gesteigerten Periost-
Sehnenreflexe. Die stärksten positiven Nervenbefunde fanden sich bei
den Fällen mit auch sonst stark ausgesprochenen Luessymptomen. Die
Untersuchungen bestätigen die Ansicht Ravaut’s, der die frische Lues
für eine Art Septikämie hält, welche mit Vorliebe die äussere Haut und
das Nervensystem befällt. Die Affektion des Nervensystems dokumentiert
sich einerseits durch den pathologischen Liquor, andererseits durch die
oben beschriebenen mehr oder weniger starken Veränderungen im peri¬
pheren Nervensystem.
Hr. Wallfi8eh stellt zwei Fälle von Spatexanthemen nach intra¬
venöser Salvarsaninjektion vor. In dem ersten Falle handelt es sich
um eine Patientin, die 8 Tage nach einer Injektion von 0,4 Salvarsan
unter Schwellung der Halsdrüsen, Magen, Kopfschmerzen und Erbrechen
von einem maculösen Exanthem am Stamm, den Extremitäten und im
Gesicht befallen wurde. Gleichzeitig bestand eine geringe Schwellung
der Lider, der Lippen und eine leichte Cyanose des Gesichts.
Bei der anderen Patientin trat 8 Tage nach einer Injektion von
0,3 Salvarsan unter allgemeinem Unwohlsein, Schnupfen, Kopfschmerzen,
Gelenkschmerzen, Druckgefühl in den Augen ein an den Unterarmen
beginnendes Exanthem auf, das sich bald über den ganzen Körper ver¬
breitete und nach seinem Aussehen so sehr an Masern erinnerte, dass
im Verein mit dem Schnupfen und der Conjunctivitis die Differential¬
diagnose Morbilli ernstlich in Betracht kam.
Hr. Wallfisch stellt einen Fall von Fernlhronbose nach intra¬
venöser Salvarsaninjektion vor.
Im Laufe von 8 Tagen nach einer intravenösen Salvarsaninjektion
in die Vena media cubiti entwickelte sich ein Abscess auf dem Musculus
vastus latus, der dasselbe Bild darbot, das früher bei Abscessen nach
intramusculärer Salvarsaninjektion beobachtet wurde.
Da die von dem Abscessinhalt angelegten Kulturen steril blieben,
andererseits aber As chemisch in ihm nachgewiesen wurde, kann nur
angenommen werden, dass das Salvarsan auf embolischem Wege diese
Nekrose ausgelöst hat.
Hr. Braendle berichtet über günstige Erfahrungen, die mit Röntgen¬
bestrahlungen allein, bzw. in Kombination mit Quarzlichtbestrahlungen
bei taberknlösen Affektionen der Knochen, Gelenke nnd Drüsen er¬
zielt wurden. Die Beobachtungsresultate sind ähnlich denen, die aus
der chirurgischen Klinik zu Basel von Iselin publiziert wurden.
Die Röntgenbestrahlungen werden bei diesen Affektionen in Form
der Tiefenbestrahlungen ausgeführt: Harte Röhre, grosse Focushaut¬
distanz, Filter 1 mm dickes Aluminium. Die Quarzlichtbestrahlungen
werden mit der von Nagelschmidt angegebenen Modifikation der
Kromayer’schen Quarzlampe gemacht.
Die günstige Einwirkung der Bestrahlungen dokumentiert sich durch
teilweise ganz erhebliche Gewichtszunahme der Patienten. Diese Ge¬
wichtszunahme tritt ein trotz der häufigen nach den Bestrahlungen ent¬
stehenden Temperatursteigerungen.
Bei tuberkulösen Lymphomen wirken die Röntgenstrahlen ebenfalls
bei den meisten Fällen sehr günstig, bei offener Drüsentuberkulose
müssen nach Beobachtungen des Redners die Röntgenbestrahlungen mit
Quarzlichtbestrablungen kombiniert werden.
Hr. Mathmam stellt einen 39 jährigen Arbeiter mit einer Indaratio -
pesis plastica vor, der in seiner Anamnese Gonorrhöe (1892) und Lues
(1894) hat. Zwei antiluetische Kuren 1894 und 1900.
November 1911 beobachtet Pat. ganz plötzlich eigentümliche Ver¬
härtungen in seinem Gliede, die bis heute unverändert geblieben sind
und nie Schmerzen verursacht haben. Bei Erektion geringe Abweichung
des Penis nach oben. Der Coitus wird ohne Schmerzen und Störungen
vollzogen. Pat. bekam Jodkali intern.
Status: Kräftiger Mann.
Innere Organe gesund, ebenso das Nervensystem. Keine luetischen
Symptome. Wassermann’sche Reaktion des Blutes negativ.
Im linken Corpus cavernosum, dicht neben der Medianlinie ein
bleistiftdicker derber Strang, der gegen die Glans zu allmählich in das
Corpus cavernosum übergeht, gegen die Symphyse einen haselnussgrossen
Knoten deutlich isolieren lässt. Von der Mitte des Stranges geht noch
ein lakenförmiger Fortsatz nach abwärts. Die Penisschafthaut ist unver¬
ändert und zeigt normale Verschieblichkeit.
Urin ist klar und enthält Flocken (mikroskopisch: Schleim, Leuko-
cyten, keine Bakterien).
Zucker und Eiweiss negativ.
Urin centrifugiert: Plattenepithelien und spärliche Leukocyten.
Die Urethra ist ohne weiteres für eine Sonde (Charriere Nr. 24)
passierbar; endoskopisch lässt die Urethralschleimhaut nichts Patho¬
logisches erkennen.
Es handelt sich hier um ein Induratio penis plastica.
Alle durch lokal entzündliche und allgemeine Prozesse bedingten
Indurationen lassen sich als ätiologische Faktoren ausschliessen, auch
die Gonorrhöe, die etwa 20 Jahre zurückliegt, und die Lues. Es kämen
hier nur gummöse Prozesse in Betracht. Die Konstanz der Affektion
auch bei Jodtherapie spricht gegen einen gummösen, also luetischen
Prozess.
Die Aetiologie der Induratio penis plastica ist unbekannt.
Histologisch ist auffallend die Aehnlichkeit des Bildes mit der
Dupuytren’sohen Kontraktur, ferner das häufige Zusammentreffen mit
Gicht.
Die Prognose ist quoad sanationem infaust. Indes sind auch
Fälle von Spontanheilung beobachtet (Jadassohn, Schaffer und
Callomon.
Die Therapie, lokale und allgemeine, ist machtlos, auch Fibrolysin-
kuren. Die chirurgische Therapie ist auch erfolglos, da Recidive auf-
treten.
Sitzung vom 28. Februar 1913.
Hr. Hin8berg:
Ueber die medenen Fanktioisprüfangsmetkoden des Ohrlabyrintbs.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Aerztlicher Verein zu Hamburg.
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 18. März 1913.
1. Hr. Oehlecker: Ueber Nebennierentamoren.
Zunächst referiert Vortragender über eine 36jährige Frau, die seit
langer Zeit über anfallsweise Schmerzen in der rechten Bauchgegend,
aber auch in der rechten Schulter klagte. Es fand sich ein Tumor,
dessen Zugehörigkeit zur Niere durch Harnuntersuchung, Ureteren-
catheterismus und „Pyelographie“ ausgeschlossen werden konnte. Die
Operation ergab ein malignes Hypernephrom, ausgehend von der rechten
Nebenniere. Zwei Tage später Exitus an Herzschwäche. Sodann geht
Vortr. auf das klinische Bild der Nebennieren tu moren ein. Von den
etwa 35 in der Literatur bekannten Fällen ist kein einziger vor der
eventuellen Operation diagnostiziert. Die meisten werden überhaupt erst
auf dem Sektionstisch gefunden. Ein weiterer Teil macht nur durch die
Metastasen Symptome. In den übrig bleibenden Fällen ist die
Differentialdiaguose gegenüber Nierentumoren oft unmöglich, zumal auch
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28. April 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
799
bei Nebennierengeschwülsten Hämaturie Vorkommen kann, sei es durch
Uebergreifen des Tumors auf die Niere, sei es infolge Kompression der
Nierenvene. Addison-Symptome fehlen stets. Es ist das geradezu
charakteristisch und durch Erhaltenbleiben der in Betracht kommenden
Zellen oder vikariierenden Ersatz zu erklären. Besonderen Wert legt
Vortr. auf die Schulter sch merzen, die er bei den verschiedensten
akuten Prozessen nahe dem Zwerchfell wiederfinden konnte und
durch eine Reizung des Phrenicus erklärt, die auf die an der Ur¬
sprungsstelle (4.—5. Gervicalsegment) nahegelegenen, die Schulter
innervierenden Nerven überspringt. Die operativen Erfolge sind durchweg
unbefriedigend.
Diskussion.
Hr. Brauer fand das Symptom des Schulterschmerzes beim Ein¬
gehen mit einem Paquelin in einen bronchiektatisehen Abscess nahe
dem Zwerchfell. Er weist auf die Analogie mit den Head’schen
Zonen hin.
Hr. Jacobsthal berichtet über einen Fall von Peritheliom der
Nebenniere, bei dem sich ebenfalls Schulterschmerz auf der betreffenden
Seite tand.
Hr. Luce: Herr Oehleoker hält den Vergleich mit den Head’schen
Zonen nicht für zutreffend.
2. Hr. Brauer*. Ueber doppelseitigen Pneumothorax.
Vortr. berichtet über einen Mann, der sich mit einer weitgehenden
allgemeinen Anästhesie öffentlich produziert und bei dieser Gelegenheit
eine Stichwunde des Thorax sich zuzog. Die Untersuchung ergab einen
doppelseitigen Pneumothorax. Der Pneumothorax auch auf der nicht
verletzten Seite hatte wahrscheinlich schon vorher bestanden. Weniger
Wahrscheinlichkeit hat die Annahme einer pathologischen Kommunikation
durch Oefinungen im Mediastinum für sich. Pat. kam (lediglich
Morphiuminjektionen) mit dem Leben davon. Von den vielen sich hier
ergebenden Fragen erörtert Vortr. hauptsächlich die des intrathoraken
Druckes. Man muss drei Druckgebiete unterscheiden: erstens den im
Alveolarbaum herrschenden, der dem Atmosphärendruck gleich ist;
zweitens den Druck zwischen den beiden Pleurablättern, wo zwar, wenn
man die beiden Pleurablätter voneinander trennt, ein negativer Druck
herrscht, unter normalen Verhältnissen aber — wie sich durch be¬
sondere Versuchsanordnung sicher zeigen lässt — nicht; drittens den
Druck im Mediastinum, der negativ ist. In der Ruhe kommt jedoch
dieser negative Druck für die Aspiration des Bluts nicht in Betracht:
was circulationsfördernd wirkt, sind die Atembewegungen, und dies
fand bei dem Pat. in einer für das Leben genügenden Weise statt.
Ausserdem bestand eine Scbluckstörung, die vielleicht in der Verringerung
des negativen Druoks im Oesophagus ihre Erklärung findet.
3. Hr. Sehottmüller und Lempe:
Ueber anhämolytische Streptokokken.
Vortragende haben gefunden, dass, wenn man anhämolytische Strepto¬
kokken in Blut — ohne Nährbodenzusatz — einsäte, diese nach
24 Stunden in demselben abgetötet waren, während hämolytische sich
rapide vermehrten. Dies lässt sich nicht anders als durch eine viel
höhere Virulenz der letzteren gegenüber den Schutzstoffen des Bluts
erklären, wodurch die Differenzierbarkeit der Streptokokken nach ihrem
Verhalten auf Blutnährböden eine neue Bestätigung erfährt. Demon¬
stration entsprechender Kulturen.
Sitzung vom 1. April 1913.
Hr. Lippmann:
Demonstration der Doehle’schen Lenkoeyteneinschl&sse beim Scharlaeh.
Obwohl vieles für eine Protozoenätiologie beim Scharlach spricht,
so ist diese doch immer noch nioht bewiesen. Ein einziges Mal hat
Doehle eine Spirochäte im Blut gefunden, später nie wieder. Die von
Doehle beschriebenen Leukocyteneinschlüsäe — die sich mit allen
Blutfärbungen, mit Ausnahme der von Giemsa, darstellen lassen —,
sind nicht spezifisch für Scharlach, kommen aber überwiegend häufig bei
diesem vor, so dass ihr Fehlen bei einer scharlachverdächtigen Er¬
krankung gegen diese Diagnose sprach. Doch konnte Lippmann sie
auch in einer Reihe leichter Scharlachfälle nicht nachweisen. Von Be¬
deutung ist der Parallelismus zwischen dem Vorkommen der Körperchen
und dem Ausfall der Ehr lieh’schen Aldehydreaktion. Letztere fehlte
in denselben Scharlaohfällen, in denen auch die Einschlüsse vermisst
wurden. Beide kommen bei allen hochfieberhaften Prozessen vor und
sind als Ausdruck des Zerfalls von Blutzellen zu betrachten.
Diskussion.
Hr. Paasohen fragt, ob der Vortr. bisweilen die Eiqsohlüsse
von einem Hof umgeben fand. P. sah dies niemals und sohliesst
daraus, dass es sich wohl weniger um phagocytäre Elemente handelt,
als um Produkte der Leukocyten selbst.
Hr. Lippmann fand auch in der Regel keinen Hof.
Hr. Wohlwill: Ueber akute und chronische multiple Sklerose.
Die Strümpell-Müller’sche Theorie von der endogenen Entstehung
der multiplen Sklerose basiert bekanntlich auf der Annahme zweier
wesensverschiedener Prozesse, der eigentlichen multiplen Sklerose resp.
multiplen Gliose und der als Endprodukt disseminierter Entzündungs¬
prozesse auftretenden sekundären multiplen Sklerose. Zu letzterer
rechnen sie auoh die sogenannten akuten Fälle.
Vortr. will an Hand der Untersuchungsergebnisse in zwei akuten
Fällen die Berechtigung dieser Trennung nachprüfen. Er demonstriert
zunächst die histologischen Besonderheiten dieser Fälle und kommt dann
zu folgenden Schlüssen bezüglich der Pathogenese:
Die Beziehung zwischen Gefässsystem und sklerotischen Herden
ist in die Augen springend. Auffallend ist, dass die Herde nicht den
Capillarverbreitungsgebieten der Gefässe entsprechen. Wahrscheinlich
sind lokale Circulationsstörungen dafür zu beschuldigen, dass die
Herde an einer beliebigen Strecke des Gefässverlaufs auftreten. Dass
die Infiltrations Vorgänge in den Gefässscheiden in so hohem Maasse
maassgebend für den Prozess sind, dass die übrigen Vorgänge am
Nerven- und Gliagewebe von ihnen abhängig sind, ist nicht wahr¬
scheinlich, weil diese zellige Infiltration der Gefässscheiden an den für
den Herd in Betracht kommenden centralen Gefässen nicht aus¬
gesprochener ist, als an den übrigen Gefässen innerhalb des Herdes,
und sie auch an frischen Herden nicht ausnahmslos angetroffen wird.
Die Gliaproliferation kann nicht als reine Ersatzwucherung
nach dem Markscheidenzerfall aufgefasst werden, weil sie sehr früh auf-
tritt und z. B. über das bei sekundärer Degeneration gesehene hinaus¬
geht, auch an Stellen auftritt, wo Markzerfall nicht nachweisbar ist.
Umgekehrt kann aber auch der letztere nicht durch eine erdrückende
Wirkung der proliferierenden Glia erklärt werden, da es hierfür völlig
an Analogien fehlt, und da Herde auch ohne Wucherung faseriger Glia
auftreten (periphere Nerven, Grosshirn-, Kleinhirnrinde). Wenn in der
Peripherie der Herde Gliawucherung bei noch intaktem Mark gefunden
wird, so ist das als einfaches Ueber-das-Ziel-schiessen der Gliareaktion
erklärlich. Schwer verständlich aber wäre, wenn die erdrückende
Wirkung der wuchernden Glia das Maassgebende wäre, dass diese
Wirkung — wie sich am Markscheidenbild ergibt — plötzlich mit so
scharfer Grenze aufhört. Endlich kommt die so verschiedenartige Anlage
der Glia in der grauen und weissen Substanz in Herden, welche beide
betreffen, nie zum Ausdruck.
Nach allem scheinen Markscheidenzerfall, Gliawucherung und Gefäss-
wanderkrankung sämtlich primär zu sein.
Ein Vergleich mit den chronischen Fallen ergibt keine prinzi¬
piellen Unterschiede. Es trifft auf die akute multiple Sklerose
nicht zu, wenn Müller den Fällen sekundärer multipler Sklerose ein
Mitzugrundegehen der nervösen Elemente, im Centrum der Herde auch
eine Zerstörung der Glia zuschreibt. Umgekehrt finden sich auch bei
typischer chronischer multipler Sklerose Herde in den peripheren Nerven,
areolierte Herde usw., die man früher als der echten multiplen Sklerose
fremd betrachtete. Insbesondere aber sind auch bei dieser die Be¬
ziehungen der Herde zu den Gefässen sowie die Erkrankung ihrer Wände
an frischen Herden deutlich nachweisbar. Andererseits bestehen aber
doch gewisse Differenzen, die namentlich darin zum Ausdruck kommen,
dass in den typischen Fällen auoh die frischen Herde eine viel weniger
lebhafte Wachstumsenergie zeigen als in den akuten Fällen. Diese
Unterschiede sind nur quantitativer Natur, aber quantitativ sind die
Differenzen gegenüber anderen Encephalitis- und Myelitisformen über¬
haupt nur. Es handelt sich um eine grosse Gruppe herdförmig auf¬
tretender entzündlicher Prozesse im Centralnervensystem, aus der sich
gewisse typische Bilder herausschälen lassen, die aber an der Grenze
ineinander übergehen.
In klinischer Beziehung verhalten sich, wie zuerst Marburg betont
hat, die akuten Fälle auch nicht wesentlich anders als die chronischen;
insbesondere zeigen sie auch den charakteristischen Verlauf in Schüben,
mit Remissionen und Exacerbationen. Bemerkenswert ist eine bäufig
beobachtete, manchmal das ganze Krankheitsbild beherrschende Trübung
des Sensoriums in den akuten Fällen.
Was ferner von klinischen Gesichtspunkten zugunsten der endogenen
Theorie angeführt wird, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Von den etwa 15
bekannt gewordenen Fällen familiärer multipler Sklerose halten die
wenigsten einer strengen Kritik stand. Obduziert wurden nur die Fälle
von Eichhorst. Da die Differentialdiagnose gegenüber den eigentlichen
hereditären Erkrankungen sehr schwer sein kann, so muss bei nur
klinisch beobachteten Fällen der Nachweis des für [multiple Sklerose
charakteristischen Verlaufes verlangt werden; dieser ist nur in den
Fällen von Reynold’s erbracht.
Auch die heterologe Vererbung: neuropathische Belastung u. dgl.
scheint keine Rolle zu spielen. Die Statistiken, die das Gegenteil be¬
weisen wollen (Roeper), sind nicht verwertbar, weil es an einem nach
den gleichen Gesichtspunkten untersuchten Vergleichsmaterial an Ge¬
funden fehlt. Die Erfahrungen der praktischen Neurologen sprechen
jedenfalls nicht für eine grosse Bedeutung dieser Momente.
Die Auffassung, dass für die Entstehung der multiplen Sklerose
exogene Momente (inkl. etwaiger im Organismus selbst entstandener
schädlicher Stoffe) in erster Linie in Frage kommen, gewinnt nach allem
immer weitere Verbreitung.
Hr. Trö'mner demonstriert das Gehirn eines 9 jährigen Knaben, der
3 Monate vor dem Tode an Schwindel, taumeligem Gang und Er¬
brechen erkrankte. Objektiv: Druckempfindlichkeit des Kopfes, Facialis-
asymmetrie, Nystagmus, spastische Symptome. Diagnose: Prozess in der
hinteren Schädelgrube; nach Ausschluss von Tumor/Meningitis, En¬
cephalitis, wahrscheinlich multiple Sklerose. Verlauf aber überraschend
schnell. Obduktion ergab etwa 6 sklerotische Herde im Kleinhirn.
Diskussion über den Vortrag von [Wohlwill und die
Demonstration von Trömner.
Hr. Lüttge weist darauf hin, dass diese „akuten“ Fälle meist
schon länger bestehen, als nach der klinischen Beobachtung anzunehmen
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
wäre, und fragt den Vortr., ob in seinen Fällen ebenfalls hierfür An¬
haltspunkte seien.
Er. Jakob berichtet über zwei akute und zwei chronische Fälle;
in allen waren die infiltrativen Vorgänge deutlich nachweisbar, im letzten
standen aber endarteriitische Prozesse im Vordergrund. Zuerst treten
Lymphocyten, dann Polyblasten, zuletzt Plasmazellen auf. ln den
akuten Fällen geht die zeitige Infiltration über die Gefässscheiden hinaus.
Das Alter des Herdes ist zu bestimmen nach dem Stadium der Abbau¬
zellen („Myelophagen“, Körnchenzellen der verschiedenen Typen). Zum
Schluss demonstriert J. ein Gehirn mit diffuser Sklerose.
Die weitere Diskussion wird vertagt.
Hr. Nonie:
Demonstration von Nognchipr¶ten von Spirochäten bei Paralyse.
Die Spirochätennatur der Gebilde scheint ausser allem Zweifel,
ebenso die Diagnose Paralyse. Bisher wurden die Spirochäten nur in
akuten Fällen gefunden; sie finden* sich im Mark und allen Schichten
der Rinde bis auf die Gliarandschicht, nicht in der Pia und in den
Gefässscheiden. N. macht auf die grosse Tragweite dieser Entdeckung
aufmerksam. Auch aus anderen Gründen sei man mehr und mehr dazu
gekommen, dass die Unterscheidung in echte Lues und Metalues nicht
aufrecht zu erhalten sei. Dagegen kann N. die von Ehrlich getroffene
Analogisierung zwischen den doch ganz inkonstanten, langsam sich vor¬
bereitenden Remissionen der Paralyse und dem, bestimmten Regeln
unterworfenen, anfallsweisen Verlauf anderer Spirochätenkrankheiten
(„Spirillose“) nicht zutreffend finden.
Die Diskussion wird vertagt. Fr. Wohl will.
Aerztlicher Bezirksverein zu Zittau.
Krankenhausabend vom 6. März 1913.
Vorsitzender: Herr Körner.
Schriftführer: Herr Klieneberger.
1. Hr. Dreyzehner: a) Demonstration eines durch Resektion ge¬
wonnenen Carcinoma Pylori sowie des nach der Autopsie heraus¬
genommenen Magens. Der Tod war 5 Tage nach dem Eingriff infolge
von Lungenentzündung (Aether ?) erfolgt. Die Autopsie zeigte, dass
keinerlei Komplikationen von seiten des Bauchfells Vorlagen, dass die
Gastroenterostomie tadellos war und dass die Nähte intakt waren.
b) Demonstration eines mannskopfgrossen Uterusmyoms, in dessen
Höhle ein grosser sarkomatöser Polyp sich fand, der breitbasig im
Fundus inseriert zur Cervix heraustrat.
c) Demonstration eines kindskopfgrossen myomatösen, per lapa-
rotomiam gewonnenen Uterus.
2. Hr. Moser: a) 50 jähriger Mann mit angeborener Muskel¬
geschwulst im Biceps beider Oberarme. Bei Krümmung im Ellenbogen
springt beiderseits aus der Mitte des Biceps eine taubeneigrosse Geschwulst
hervor, so dass man den Eindruck einer Muskelhernie hat. Beim ruhen¬
den Muskel ist eine Fascienlücke nicht deutlich fühlbar. Man fühlt
links eine 5 cm lange derbe Schwiele im Muskel selbst, daneben noch
eine scheinbar der Fasoie angehörende streifenförmige Verdickung. Rechts
ist eine Schwiele weniger deutlich zu fühlen. Der Mann hat keinerlei
Beschwerden oder Nachteile vou dieser zufällig entdeckten Affektion.
b) 25 jähriger Mann mit beiderseitiger kongenitaler radioulnarer
Synostose der Ellenbogengegend (zufälliger Befund gelegentlich einer
vor 2 Jahren mit gutem Dauererfolg ausgeführten Leistenbruchoperation).
Beide Hände stehen in Pronation; es ist keine Spur einer Supination
möglich. Am linken Arm besteht ausserdem eine halbrandtellergrosse
Hautverdünnung mit Gefässschlängelungen, ferner ist der kleine Finger
in allen Gelenken leicht gebeugt. — Auf Röntgenplatten sieht man, dass
das nicht fühlbare Radiusköpfchen vorhanden ist, auch in Gelenk¬
verbindung mit dem Humerus steht. Die Länge der Synostose vom
distalen spitzbogenförmigen Beginn bis zum Anfang des Radiusköpfchens
beträgt auf allen Platten ungefähr 5 cm. Sowohl Ulna wie Radius sind
verdickt, letzterer ausserdem nach verschiedenen Richtungen ausgebogen,
also verlängert, ln beiden Ellenbogengelenken besteht gute Beuge- und
gute Streckfähigkeit, rechts sogar Ueberstreckung. Die gesamte Arm¬
muskulatur ist kräftig; Pat. verrichtet schon seit Jahren Arbeit als
Hausdiener in einem Hotel. Familienanamnese ohne Belang.
c) Retroperitonealer Echinococcus. 57 jährige Frau, die seit
15 Jahren einen wachsenden Tumor im Leibe fühlte. Die Untersuchung
ergab die Leber in die linke untere Bauchseite gedrängt, die rechte
Bauchseite durch einen knochenharten Tumor ausgefüllt, der nur
rechts unten, dort, wo er zu umgreifen war, Pergamentknittern aufwies.
Beide Nieren funktionierten gut. Trotz dor starken Verdrängung der
Leber waren die hinteren unteren Lungengrenzen gleichmässig hoch und
gleichmässig verschieblich. Die Laparotomie ergab einen retroperitoneal
gelegenen Echinococcus, der sich unten und rechts leicht ablösen liess,
dagegen bei Trennung der Leber einriss. Deshalb Marsupialisation mit
Vorlagerung und Abtragung des abgelösten Teils.
d) Appendico8tomie wegen schwerer chronischer Colitis. Die
87 jährige Frau litt seit V 2 Jahr an Blutabgängen und Durchfall (in
letzter Zeit bis zu 40 Stuhlentleerungen in 24 Stunden). Colon descendens
und Flexura sigm. auffallend deutlich als harte Stränge zu fühlen.
Wassermann uegativ, keine Tuberkulinreaktion. Die Operation ergab
entzündliche Rötung des ganzen Colon descendens und der Hälfte der
Flexura sigm.; die Wandungen waren hochgradig verdickt, das Lumen
eng. Die entzündliche Rötung setzte sioh etwas aufs Mosoeolon fort,
daneben fanden sich alte schwielenartige Verdickungen des Mesocolons.
Am ganzen übrigen Teil des Dickdarms und des Rektums fühlbare, aber
viel geringere Wandverdickung. Knopfloch-Appendicostomie in rechter
Unterbauchgegend; täglich 2 Spülungen (Argent. nitr., Tannin, Bolus)
nach vorangegangenem Einlauf. Rasche Besserung, Entlassung nach
3 Wochen. Jetzt, 6 Wochen nach der Operation, hat Pat. ein- bis zwei¬
mal am Tage Stuhlgang, gewöhnlich nur nach dem Einlauf, und hat
bedeutend an Gewicht zugenommen. Das Colon descendens ist noch
leicht verdickt zu fühlen. Die Behandlung setzt Pat. unter ärztlicher
Aufsicht zu Haus fort.
3. Hr. Rudolph: Therapie der Eklampsie.
Herr Rudolph steht auf dem Boden der Stroganofsehen Ansichten.
Es ist weniger wichtig, die Giftquelle, die nur langsam Gift dem Orga¬
nismus zuführt, zu beseitigen, also bei ausgesprochener Eklampsie mög¬
lichst rasch zu entbinden, als vielmehr von Bedeutung, die bereits im
Körper aufgespeicherten Giftmengen zu verringern. Die in Betracht
kommende Therapie, welche am meisten Aussicht auf Erfolg verspricht,
sind ausgiebiger Aderlass, Flüssigkeitsersatz duroh Hypodermoklyse,
Trinken, Rektaleinläufe und Fernhalten äusserer Reize, durch Herab¬
setzung der Reflexerregbarkeit (Chloral, Morphium und Isolierzimmer).
Dass die Ansicht, es gelinge durch Eientfernung die Eklampsie unmöglich
zu machen, irrig ist, beweist die Wochenbetteklampsie.
Kasuistische Mitteilung: Bei einem Fall schwerer Scbwangerschafts-
eklampsie hatte die nach dem Stroganofsohen Gesichtspunkte eingeleitete
Behandlung vollen Erfolg. Verschwinden der Eklampsie und normal
spontane Entbindung.
Diskussion.
Hr. Brodtmann: Bedeutet die Venaeseotio nicht insofern eine Ge¬
fahr, als sie das Vorkommen von Atonien begünstigt?
Hr. Rudolph ist nicht der Meinung, dass durch die Venaesectio
bei Eklamptischen Atonien bedingt werden, da das eklamptiache Blut
stark gerinnungsfähig ist. Für die Richtigkeit der Stroganofschen
Ansicht, dass durch Blutentziehung und damit Verringerung des auf¬
gestapelten Giftes die Eklampsie beeinflussbar ist, spricht die Tatsache,
dass bei Placenta praevia Eklampsie nicht beobachtet wird.
Herrn Fröde endlich gegenüber betont der Vortragende, dass
Schwitzprozeduren bei Eklampsie sehr unzweckmässig sind.
4. Hr. Peppmtiller: a) Hochgradiger einseitiger Keratoconis bei
einer 30 jährigen Frau. Die Affektion besteht seit 11 Jahren. Obwohl
Amblyopie, besteht und das Auge in Divergenzstellung steht, wird die
Frau durch Doppelbilder (strahlige Figuren) erheblich gestört.
b) 69 jährige Frau mit Careiion des Unterlids. Das Carcinom
soll seit 10 Jahren bestehen. Unter Radiumbestrahlung ist eine weit¬
gehende Besserung eingetreten. Die Geschwürsfläcbe ist zum Teil
epithelisiert. Der Rest soll demnächst exstirpiert, der Defekt durch
Plastik (nach Köllner) gedeckt werden.
c) Fall von doppelseitiger, symmetrisch gelegener sulziger 8chwellug
der Conj. tarsi der Unterlider und Conj. bubi im unteren Teil des
Bulbi. Ende November (1. Konsultation) bestand oberflächliche Membran¬
bildung, die den Eindruck einer Aetzung hervorrief.
Gleichzeitig bestehen seit längerer Zeit Ulcera und Granulationen
im Kehlkopf und in der Mundhöhle. Wassermann (3 mal) stets negativ,
auf 5 mg Alttuberkulin weder örtliche noch allgemeine Reaktion. Nach
Hydrarg.- Spritzkur und intravenöser Salv&rsaninjektion sowie Jodkali
vorübergehende Besserung nur am rechten Auge, aber keine vollständige
Abheilung. Es muss vorläufig unentschieden bleiben, ob Lues oder
Tuberkulose das Grundleiden ist.
5. Hr. Bretschneider: 42 jähriger Mann mit linksseitiger Hemi¬
plegie. Der Sohlaganfall trat vor 2 Monaten ein, nachdem 24 Stunden
vorher wiederholt Vorboten (vorübergehende Lähmung) eingetreten waren.
Es trat am Aufnahmetage* eine komplette cerebrale Lähmung der linken
Seite ein, mit Beteiligung des Oculomotorius, des Facialis, des Hypo-
glossus, daneben mässige Sensibilitätsstörungen. Der Blutdruck war
normal. Erscheinungen von seiten des Herzens fehlten. Die Wasser-
mann’sche Reaktion war negativ, die Lumbalflüssigkeit normal. An¬
amnestisch belastend kamen Abusus nicotinae und schwere Arbeit in
den Tropen als Heizer in Betracht. Trotzdem wurde eine Schmierkur
eingeleitet und Jodkali gegeben. Bereits 14 Tage nach dem Insult
setzte mässige Bewegungsbehandlung, elektrische Behandlung (faradischer
Strom) ein, mit dem Erfolge, dass der Mann bereits 2 Monate nach einem
so schweren Schlaganfall mit Hilfe eines Stockes gehen und wenig aus¬
giebige Bewegungen im Schulter- und Ellenbogengelenk ausführen kann.
Es besteht übrigens eine Mitbeteiligung der Psyohe (Weinen und Lachen),
wie man das oft zu sehen gewohnt ist.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
Sitzung vom 12. April 1913.
Hr. Schümann: Chirurgische Demonstrationen.
1. 19 jähriges Mädchen, bei dem wegen Hirntnmors die HippePsche
Palliativtrepanation mit gutem Erfolg ausgeführt wurde. Tumor nicht
lokalisierbar. Seit 1912 doppelseitige Stauungspapille, heftige Kopf¬
schmerzen, Schmierkur ohne Erfolg. Lumbalpunktion: Druck 300 mm Hg,
Liquor ohne Besonderheiten. Operationsbefund: Gehirn gespannt, Ab¬
plattung der Windungen. Kein Tumor erreichbar. Wundsohluss —
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Liquorfiatei, die sieh bald schloss. Bei Schluss der Liquorfistel trat
Oedem des Gesichts auf, das sioh allmählich verlor. Nach der Operation
wurden die Papillen normal. Sch. hält die Palliativtrepanation keines¬
wegs für eine Verlegenheitsoperation.
2. 63 jähriger Elbschiffer mit doppelseitiger übergroßer Leistei-
hernie, nie Bruchband oder Tragbeutel getragen. Gutes Resultat Bis
1904 wurden riesenhafte Hernien überhaupt nicht operiert. Sauer-
bruch und Witzei wagten sich als erste an die Operation. Kontra¬
indikation sind konstitutionelle Erkrankungen. Vorbereitung für die
Operation dringend geboten: Bettruhe, Hochlagerung, Dauerbad usw.
8. 47 jähriger Mann, bei dem im Februar 1911 wegen Sarcom
himeri Amputation im oberen Drittel des linken Oberarms vorgenommen
worden war. Oktober 1912 Resektion des Schultergürtels wegen
Reoidiv mit ausgedehnter Geschwürsbildung. Im Heilungsverlauf trat
ein kleines cutanes Recidiv auf, das ezstirpiert wurde. Heilung.
HHr. Geipel und Rnppreeht I:
Ueber Nieren- nnd Blasentiberknlose.
Hr. Geipel bespricht die pathologisoh-anatomischen Verhältnisse
und demonstriert Injektionspräparate der Niere. Bei 85 pCt. aller Tuber¬
kulosen findet man Rindentuberkel in der Niere. Die Infektion erfolgt
auf dem Blutwege, neuerdings durch Nachweis der Tuberkelbacillen im
Blut wissenschaftlich begründet. Die Ausscheidungstuberkulose ent¬
wickelt sich in den Pyramiden dadurch, dass die Bacillen die Glomeruli
passieren und sich in den geraden Harnkanälchen festsetzen. Von
chronischer Lokaltuberkulose der Niere sind Frühstadien selten be¬
obachtet. G. hat bei einem 8 jährigen Kind, das an Soharlach gestorben
war, drei haselnussgrosse Herde im Mark der linken Niere gefunden.
Die retrograde, ascendierende Nierentuberkulose kommt durch Ureter¬
verlegung zustande. Die „Kittniere“ ist als Ausheilungsstadium anzu¬
sehen, das für weitere Verbreitung der Tuberkulose ungefährlich ist, da
niemals Tuberkelbacillen darin gefunded wurden. Nach einer Zusammen¬
stellung von Zacharias - Dresden (Stadtkrankenhaus Johannstadt) waren
von 603 Tuberkulosesektionen 36 Nierentuberkulosen = 2,7 pCt. Davon
waren 40pCt. doppelseitig, 60pCt. einseitig, Verhältnismässig häufig
war mit Tuberkulose des Genitalschlauohes Knochentuberkulose ver¬
gesellschaftet. Zur Diagnose liefert der Tierversuch die günstigsten
Resultate. Die Bacillenfärbung lässt besonders in Anfangsstadien oft
im Stich. Die Bacillen sind im Urin in Form von Zöpfen angeordnet.
Die Antiforminmethode ergibt häufig fehlerhafte Resultate, da die Unter¬
scheidung der Tuberkelbacillen von anderen im Urin vorkommenden
säurefesten Stäbchen auch für geübte Untersucher oft schwer ist. G.
empfiehlt die protrahierte Gramfärbung. Zum Schluss werden zahlreiche
Photographien und makroskopische Präparate von Nierentuberkulose
gezeigt.
Hr. Rupprecht I erläutert vom Standpunkt des Chirurgen die
Frage der Nieren- und Blasentuberkulose. Die chirurgisch bedeutsamen
Formen der Nierentuberkulose sind: 1. das tuberkulöse Geschwür der
Nierenpapille — Gefahr der Verblutung; 2. die cavernöse Nephrophthise
— am häufigsteu; 8. die noduläre Form — sehr schlechte Prognose;
4. die massive Form — sehr schlechte Prognose; 5. die verschlossene
Nierentuberkulose durch Ureterverschluss — tubelkulöse Hydronephrose;
6. tuberkulöse Pyonephrose; 7. atrophische Form — Kittniere. Von
Sekundärerkrankungen sind wichtig die bindegewebige Entartung der
Fettkapsel der Niere; die Perforation der Pyonephrose, die zu Lumbal-,
subphrenischem oder Psoasabscess führen kann, sowie die Ureter- und
Blasentuberkulose. Das Ueberwiegen nur einseitiger Nierentuberkulose
und der descendierenden Form bedingen die therapeutische Bedeutung
rechtzeitiger chirurgischer Behandlung. Die Sicherung der Diagnose, welche
von beiden Nieren erkrankt ist, ist durch das von Max Nitze - Dresden
1877 zuerst demonstrierte Cystoskop und die 1903 von Voelker und
Joseph eingeführte funktionelle Nierendiagnostik (Chromocystoskopie)
wesentlich erleichtert worden. Von klinischen Symptomen finden wir
höchst selten Nierensymptome im Beginn der Erkrankung. Schleichend
beginnt das Leiden mit Blasenbeschwerden, Harndrang und Polyurie,
später beobachtet man Enuresis nocturna, Pyurie, schmerzhafte Mixtionen
und Tenesmus. In der Anamnese fällt besonders das Fehlen jeglicher
Aetiologie für diese Beschwerden auf, und das Versagen aller an¬
gewandten Therapie sichert die Diagnose. Diagnostische Tuberku)in-
iojektion, die Schmerzen in der erkrankten Niere hervorruft, kann bei
Patienten, besonders Kindern, bei denen die Uroskopie unmöglich ist,
verwandt werden. Die Röntgendiagnostik versagt in den Initialfällen.
Vor 20 Jahren schon führte R. zur Diagnostik die provisorische, tempo¬
räre Unterbindung des Uretesja der* wahrscheinlich erkrankten Seite aus
und beobachtete, ob innerhalb 48 Stunden urämische Symptome auf¬
traten. Da dies nicht eintrat und in f) 24 Stunden l 1 /* Liter Urin von
der anderen Niere ausgeschieden wurden, entfernte er die unterbundene
Niere mit gutem Heilungsresultat. Marion und Schlagintweit in
München haben eine andere Methode der provisorischen Ureterunterbin¬
dung angegeben, die ebenfalls die Feststellung, welche Niere erkrankt
ist, ermöglicht. Die Prognose der Nieren tuberkulöse hängt ab von der
Komplikation mit Blasentuberkulose, die glücklicherweise recht spät
manifest wird, da die Ureter- und Blasenschleimhaut für Tuberkulose
wenig empfänglich ist. Als Operation kommt die Exstirpation der er¬
krankten Niere, nur bei Hufeisenniere die halbseitige. Resektion in
Frage. Nachbehandlung mit Tuberkulinkur. Da die Patienten auoh
nach der Operation Bacillenausscheider bleiben, soll man den aus¬
geschiedenen Harn vorsichtshalber desinfizieren lassen.
In der Diskussion sprachen die HHr. Brückner, Schmorl
H. Hoffmann, Keitel, Hähnel.
Schlusswort: Hr. Rupprecht I.
K. Hoffmann-Dresden.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
Sitzung vom 4. März 1913.
I. Hr. Rollv:
Das Verhalten des Blntznckers bei Gesunden nnd Kranken.
(Die Arbeit ist ausführlich in der Zeitschrift für Biochemie, Bd. 48,
erschienen.)
II. Hr. Weddy-Poenieke: Demonstration von Nervenkranken.
1. 55 Jahre alter Schuhmacher. Seit Juni 1912 mit Zitterbewegung
des rechten Armes erkrankt. Allmähliche Beugung des Kopfes nach
hinten und der linken Seite. Das Bild erinnert an die Paralysis agitans.
Es bestehen rhythmische Osoillationen der ganzen Extremität mit deut¬
lichem Intentionstremor, wie bei multipler Sklerose. Tremor besteht im
Schlafe fort, Zahl der Schwingungen beträgt durchschnittlich 6,4 pro
Sekunde. Rigidität der Muskeln ist nicht mit Sicherheit in den Ex¬
tremitäten festzustellen, bei der Kopfhaltung scheint sie eine gewisse
Rolle zu spielen. Es liegt wohl eine seltene Form des Extensions¬
typus der Paralysis agitans vor. Dafür spricht auch die Bewegungs¬
armut und Verlangsamung der willkürlichen Bewegungen und der Sprache.
Keine besondere Gleichgewichtsstörung, vielleicht eine geringe Latero-
pulsion nach rechts. Multiple Sklerose ist wohl wegen des Alters aus-
zuschliessen. Zitterbewegungen und Kopfhaltung lassen auch an einen
Tumor cerebri (Kerne des Seh- und Streifenhügels) denken, dessen
Läsion ein der Paralysis agitans ähnliches Bild hervorruft.
2. Arbeiter, 59 Jahre alt. Februar 1909 Unfall: Brust- und Bauch¬
quetschung. Allmählich stellten sich Schmerzen und zunehmende
Verkrümmung der Wirbelsäule ein; jetzt hochgradige Kyphose.
Der chronische Vertebralrheumatismus ist schon wegen der
Abhängigkeit vom Unfall auszuschliessen. Dann käme in Frage die
Strümpell-Marie’sche Krankheit. Doch ist auch bei dem Flexions¬
typus derselben die Kyphose niemals so hochgradig und betrifft nicht
die ganze Wirbelsäule. Ferner fehlt hier die infektiöse Ursache, auch
das Alter spricht dagegen. Im Röntgenbild zeigt sich, dass eine Ver¬
knöcherung der vertikalen Bänderund der Zwischenwirbelsoheiben nicht
besteht. Ferner sind Hals- und Hüftgelenke, Schulter- und Sterno-
claviculargelenke usw. vollkommen frei. Keine Abplattung des Thorax,
In die engere Wahlkommen differentialdiagnostisch nur die Bechterew¬
sche Krankheit und die Hysterie. Für die von Bechterew be¬
schriebene ankylotische Steifheit der Wirbelsäule spricht, dass die grossen
Nachbargelenke der Wirbelsäule vollkommen verschont sind, dass eine
ausgesprochene Kyphose und Schmerzen bestehen, und dass ätiologisch
das Trauma verantwortlich zu machen ist. Im Röntgenbild ist aller¬
dings von entzündlichen Prozessen der kleinen Wirbelgelenke, die der
Krankheit zugrunde liegen sollen, nichts festzustellen. In ganz seltenen
Fällen soll es auch zu einer Kompression des Rückenmarks kommen, und
man konnte daher den unfreiwilligen Urinabgang, der seit September 1911
besteht, als Symptom einer medullären Kompression deuten. Anderer¬
seits ist seit nun l 1 /* Jahren kein weiteres Symptom binzugetreten, das
für Kompression spräche. Daher wäre es wohl auch möglich, dass es
sich um einen der allerdings sehr seltenen Fälle von hysterischer Lähmung
dee Schliessmuskels handelte. Auch sonst mancherlei psychopathische
Züge. Sichere Entscheidung, ob Bechterew’sche Krankheit
oder tonische Muskelkontrakturen auf hysterischer Basis,
ist nicht möglich. Zur Vornahme der Chloroformnarkose gibt Patient
seine Zustimmung nicht.
3. Frau, 41 Jahre alt. Befund: Pupillen lichtstarr, Konvergenz¬
reaktion gut. Linksseitige Extremitäten: Patellar- und Achillessehnen-
reflei fehlen, Hypotonie. Rechtsseitig: Lebhafter Patellar- und Vorder-
armrefiex, Achillessehnenreflex fehlt auch, Hypertonie, Andeutung von
Babinski. Ausserdem an der rechten oberen Extremität: Atrophie des
Daumen- und Kleinfingerballens sowie der Interossei, Afienhand. Herab¬
setzung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit. Die Kranke
leidet seit sieben Jahren an Tabes dorsalis. Vor drei Jahren trat
eine rechtsseitige Hemiplegie ein, die die Wiederkehr des erloschenen
rechten Patellarreflexes mit sich brachte. Seit einem Jahr entwickelt
sich nun die beschriebene rAtrophie der rechten kleinen Hand¬
muskeln. Vortr. führt aus, warum eine Neuritis sowie progressive
Muskelatrophie auszuschliessen seien.' Es handelt sich vielmehr sehr
wahrscheinlich qm einen seltenen Fall von amyotrophischer
Tab es, bei dem also zu der Erkrankung der hinteren Wurzeln eine
solche der vorderen Wurzeln — hier in Höhe des achten Cervical- und
ersten Dorsalsegments — hinzugetreten ist.
Diskussion.
Hr. Dumas fragt an, ob bei Fall 1 nicht an Hysterie zu
denken sei.
Hr. Weddy-Poenicke: Eine Hysterie sei wohl mit Sicherheit aus¬
zuschliessen, da alle anderen Merkmale derselben bei dem nun 55 jährigen
Manne fehlen, da der Tremor suggestiven Einwirkungen gegenüber voll¬
kommen unbeeinflussbar ist und auch im Schlaf unverändert fort¬
besteht.
Hr. Niessl von Mayendorf: Der vom Vortr. vorgestellte Fall
bietet das typische Bild einer Kleinhirnerkrankung. Die Beschränkung
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
des Schütteltreraors mit den grossen Osoillationen auf eine obere Ex¬
tremität, die Steigerung desselben bei intendierten Bewegungen, seine
Unbeeinflussbarkeit durch den Schlaf sprechen für den organischen
Charakter der Erkrankung und sind für Erkrankungen des Kleinhirns
oder für dessen Verbindungen mit dem Grosshirn vielfach charakteristisch.
Ausserdem spricht für eine Lokalisation in das Kleinhirn der tonische
Kontraktionszustand der Hals- und Kopfmuskeln derselben Seite und die
anarthrische, zuweilen skandierende Sprachstörung. Endlich ist der
Gang entschieden cerebellar-ataktisch (Zickzackgang). Ueber ge¬
legentliche Schwindelerscheinungen wurde von dem Patienten gleichfalls
geklagt. Gegen Paralysis agitans spricht das Fehlen des allgemeinen
Rigors und der Retro- und Propulsionsbewegungen beim Gange.
Hr. Weddy-Poenioke (Schlusswort): Daran, dass es sich um eine
organische Erkrankung handelt, kann allerdings wohl kein Zweifel sein.
Dagegen dürfte ein Tremor wie dieser, der sich auf eine obere Extremität
beschränkt und schon seit neun Monaten Tag und Nacht unverändert
anhält, ohne dass eine Parese hinzugetreten wäre, dooh gewiss
nicht als die typische Begleiterscheinung eines Cerebeilartumors anzu¬
sprechen sein. Ferner dürfte, wenn wir einen tonischen Kontraktions¬
zustand annehmen wollten, nicht ein solcher derselben Seite vorliegen;
es würde sich ja einmal, da der Kopf nach hinten gebeugt ist, um den
beiderseitigen Gucullaris oder Splenius, dann aber, da auch eine Neigung
des Kopfes nach links besteht und das Kinn dabei nach rechts oben
gewendet ist, um den Sternocleidomastoideus der anderen Seite handeln.
Weiterhin kann man von einer wirklichen cerebellaren Ataxie doch wohl
nicht sprechen, weder von statischer noch von locomotorischer. Es ist
nicht das charakteristische Hin- und Hertaumeln, sondern ein Abweichen
nach der Seite, besonders nach der rechten, im Sinne der Lateropulsion.
Es fehlt auch das so häufig bei Kleinhirntumoren beobachtete Auftreten
von Parese der Extremitäten einer Seite mit Hypertonie, es fehlt die
von dem Vorredner erwähnte Adiadochokinesis, es fehlt der charakte¬
ristische Kleinhirnschwindel, es fehlt der Nystagmus, es fehlen jegliche
Symptome seitens der Hirnnerven, und es fehlen Allgemeinerscheinungen,
auch besteht kein Kopfschmerz; die Sehnenreflexe zeigen keine wesent¬
liche Veränderung. Die Sprache ist doch wohl nicht als skandierend zu
bezeichnen, sie erscheint nur etwas verlangsamt, und es dauert oft eine
gewisse Zeit, ehe der Kranke zum Sprechen kommt.
Vor allem aber hat sich im Laufe der neun Monate noch keine
Veränderung des Augenhintergrundes entwickelt. Es besteht keine
Stauungspapille, die ja gerade bei Tumoren der hinteren Schädelgrube
ein fast nie fehlendes Symptom ist. Nach alledem dürfen wir sagen,
dass man in unserem Fall von dem typischen Bild einer
Kleinhirnerkrankung wohl kaum wird sprechen können.
Sitzung vom 11. März 1913.
Hr. Vtfrner: Die operationslose Behandlung des Krebses (Zeller).
Der Vortragende gibt einen kurzen historischen Ueberblick über die
operationslosen Methoden des Krebses, insbesondere über die von Zeller
benutzten Mittel, Silicium und Arsen. Das letztere ist ein uraltes Mittel,
und Silicium wurde bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts in gleicher Weise von dem schottischen Arzte Battge inner¬
lich verwendet. Die innerliche Verwendung des Arsens gegen Krebs
stammt aus dem Mittelalter und ist in Italien aufgekommen unter dem
Namen „Pasta di fratre Cosimo“. Diese Paste entspricht der Zeller’schen
Arsenquecksilberpaste, sie wurde vor Zeller schon von Hebra zur
Behandlung des Hautkrebses angewendet. Zur Bewertung des Zeller’schen
Heilverfahrens erwähnt Vortr. kurz, dass die sanierende Wirkung des
Siliciums, wenn überhaupt, dann nur in bescheidenem Maasse bei
jüngeren sekundären Tumoren von Bedeutung sein kann. Die Wirkung
der Arsenpaste kommt in der Hauptsache für den primären Hautkrebs
als Heilmittel in Frage, kann aber auch durch andere Präparate ersetzt
werden. Vortr. beweist dies durch Demonstration zweier Patientinnen,
von denen die eine ein Gancroid, die andere einen walnussgrossen,
tiefer greifenden carcinomatösen Prozess der linken Wange hatte. Hier
hat Vortr. glatte Heilung durch Anwendung einer wechselnden Behand¬
lung von Pyrogallol und Chromsäure-Ionophorese erzielt. Zum Schluss
fasst Vortr. seine Beobachtungen dahin zusammen, dass eine operations¬
lose Behandlung des Krebses nur für den äusseren primären Krebs mit
Aussicht auf Erfolg durchführbar ist (Behandlung der chronischen
Seborrhöe, des Ekzems usw.). Metastatische Krebse und solche von
anderer Herkunft und Lokalnation wie die Haütkrebse sind für die
operationslose Behandlung nicht geeignet.
Diskussion.
Hr. Alexander hat in drei Fällen von Brustkrebs bei einer 50 Jahre,
einer 66 Jahre und einer 78 Jahre alten Frau die Zeller’sche Paste an¬
gewendet. Wegen zu grosser Schmerzen hat er die Anwendungsform
etwas modifizieren müssen. Die Erfolge waren unbefriedigend. Nur in
einem Falle von oberflächlichem, handtellergrossem Gancroid war Tendenz
zur Heilung vorhanden; der Geschwürsgrund reinigte sich, an den
Rändern traten deutliche Epithelwucherungen auf. In den beiden
anderen Fällen von nichtulceriertem Mammacarcinom wurde der Tumor
zerstört. Die dadurch hervorgerufene Ulceration war grösser als der
Tumor selbst; die Frauen gingen beide unter eigentümlichen Allgemein¬
erscheinungen zugrunde. Es traten Oedeme, Ascites, pustulöser Aus¬
schlag usw. auf, und es blieb unsicher, ob das Carcinom oder eine
schwere Intoxikation den Tod herbeigeführt hatte. Die dauernde Unter¬
suchung des Urins ergab keinen besonderen Befund. A. erachtet die
Gefahr der Arsenintoxikation für nieht gering.
Hr. Herzog demonstriert interessante mikroskopische Präparate von
zwei Fällen von Brustkrebs, die Herr Alexander mit Zeller’scher
Paste behandelt hatte. Sie stammten von Hautlappen, die an die durch
die Paste zerstörten Garcinome an grenzten. Ueberall sind deutliche
Krebsnester und -stränge zu erkennen. Gleichzeitig war in den
nekrotischen Partien zu erkennen, dass neben den nekrotisch gewordenen
Krebszellen auch das normale Gewebe zerstört worden war. Die Ver¬
kalkung von Gefassen innerhalb der nekrotischen Herde führt H. eben¬
falls auf den Einfluss der Paste zurück, also keine elektive Wirkung
der Paste allein auf die Krebszellen, wie vielfach angenommen wird.
Hr. Buchbinder hat sich persönlich bei Zeller über dessen Ver¬
fahren informiert und hat gleichzeitig eine Anzahl von geheilten Fällen
gesehen. Zwei davon haben ein so günstiges Resultat ergeben, wie es
durch Operation nicht besser erzielt werden konnte. Allerdings handelt
es sich in der Mehrzahl der Fälle um oberflächliche Hautcancroide.
B. glaubt, dass in vereinzelten Fällen von Hautkrebs, vornehmlich bei
Ablehnung der Operation und bei inoperablen Fällen das Zeller’sche
Verfahren anwendbar sei; im übrigen tritt er aber für die operative
Behandlung des Krebses ein. Der inneren Anwendung des Siliciums
kann er nicht das Wort reden, er hat dabei wiederholt Gollapszustände,
Somnolenz und akute Herzschwäche beobachtet.
Hr. Payr hat 11 Krebskranke klinisch nach dem Zeller’schen Ver¬
fahren behandelt, 10 davon sind gestorben, in einem Fall ist der Prozess
verlangsamt worden, aber blieb deutlich prozediert. Von drei weiteren
Fällen, die ambulatorisch behandelt wurden, starben zwei und im dritten
Falle trat rapide Verschlechterung ein. Wiederholt wurden profuse
Durchfälle und alle Anzeichen einer Arsenintoxikation beobachtet. Nach
Ansicht von Herrn P. zerstört die Arsenpaste, soweit sie einwirkt, den
Tumor radikal, verschont aber dabei auch nicht das gesunde Gewebe.
Oberflächliche Cancroide, die schon 6—-8—12 Jahre bestanden, wurden
bösartig und infiltrierend, und das geschah meist dann, wenn sie von
der Haut auf die Schleimhaut Übergriffen. Im übrigen weist Herr P.
darauf hin, dass es eine grosse Anzahl Methoden, z. B. Röntgen¬
bestrahlung, Radium usw., gibt, die ebenfalls unter Umständen das
Hautcarcinom günstig beeinflussen, sie sind meist ungefährlicher und
schmerzloser als das Zeller’sche Verfahren. Auf dem letzten Chirurgen-
kongress in Brüssel wurden nicht weniger als 30 Moulagen von tadellos
auf solche Weise geheilten Hautkrebsen gezeigt unter dem Hinweise,
dass oberflächliche Gancroide auch spontan ausheilen könnten.
Bezüglich angeblich geheilter Recidive weist Herr P. darauf hin,
dass auch Fehldiagnosen möglich sind, und berichtet über einen ein¬
schlägigen Fall. Herr P. tritt energisch für die Operation des Krebses
als erste und bisher einzige Methode ein, die einen dauernden Erfolg
verspräche. Wenn überhaupt, dann käme das Zeller’sche Verfahren
höchstens für inoperable Fälle oberflächlicher Hautkrebse einmal in
Frage.
Hr. Zweifel steht der Behandlung des Uteruscarcinoms mittels
des Zeller’schen Verfahrens ablehnend gegenüber. Ob die bisher günstig
beeinflussten Fälle recidivfrei bleibep, muss erst erwiesen werden. Bis¬
her hat man meist nur Va Jahr mit der Veröffentlichung der Fälle ge¬
wartet. Herr Zweifel verlangt 5 Jahre Recidivfreiheit, wenn man den
Krebs wirklich als geheilt ansehen will, er erreicht es in 51 pGt. aller
Fälle, die nicht zu spät in Behandlung kamen, einzig und allein durch
die Operation.
Hr. Vorn er (Schlusswort) hebt nochmals hervor, dass nicht nur
oberflächliche, sondern auch tiefergreifende Hautcarcinome durch An¬
wendung geeigneter Aetzmittel geheilt werden können. Die elektiven
Eigenschaften gewisser Aetzmittel — die ausschliessliohe Zerstörung des
Krankhaften — sind nur für die Dauer weniger Tage vorhanden, bei
lange fortgesetztem Gebrauche der gleichen Mittel ohne Abwechselung
wird auch das gesunde Gewebe angegriffen.
Aus den Ausführungen des Vortragenden und der Diskussionsredner
ging mit aller Deutlichkeit hervor, dass das Zeller’sche Verfahren kein
allgemeines Krebsheilmittel ist und seine Anpreisung weit über das Ziel
des Erreichbaren hinausgeht.
ila dankenswerter Weise hat der Vortragende erneut auf das eng¬
umgrenzte Feld der operationslosen Behandlung und Heilung des
Krebses hingewiesen und hervorgeboben, dass eine Uebertragung dieser
Methode auf andere Krebse, wie solche der Haut, nicht angängig ist.
Rösler.
-tm— ü
Unterelsässischcr Aerzte verein zu Strassburg i. E,
Sitzung vom 1. März 1913.
1. Hr. v. Lichtenberg:
Freie Fettäberpflanzung. (KrankenVorstellung.)
20 jähriges Mädchen wurde am 7. April 1912 wegen Sarkoms des
Oberkiefers operiert, welches durch die Highmorsböhle durch gebrochen
war. Die Orbitalplatte konnte erhalten werden. Trotzdem entstand
eine hässliche Einziehung des Gesichts, die auch durch Anwendung einer
Prothese nicht ausgeglichen wurde. Es wurde daher aus der Gesässbacke
ein entsprechender Fettgewebslappen in den Defekt überpflanzt und da¬
durch die Wölbung der Wange wieder hergestellt.
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
803
2. Hr. Hügel:
Kurze Mitteilang aber chemotherapeutische Versuche mit organischen
Antimonpräparaten bei Spirillosen nnd Trypanosomenkranhheiten.
In Anwendung gezogen wurden: Präparat I: p-acetylamino-phenyl-
stibinsaures Natron, Präparat II: p-benzolsulfonphenylstibinsaures Natron
und Präparat III: p-urethranophenylstibinsaures Natron. Diese drei
Substanzen wurden bei der Spirillose der Hühner und bei der Kaninehen¬
syphilis mit Erfolg angewendet, versagten jedoch bei der Behandlung
der menschlichen Syphilis. Auch bei der Durine, einer Trypanosomen¬
erkrankung, wurden Erfolge erzielt.
Diskussion: Hr. Uhlenhuth.
3. HHr. Guleke und Rosenfeld:
a) Demonstrationen ans dem Gebiete der Chirurgie des Nervensystems.
Guleke und Rosenfeld berichten über eine 84jährige Frau, bei
welcher die Palliativtrepanation, und zwar die Freilegung beider Klein¬
hirnhemisphären aus folgenden Gründen indiziert war. Die Frau war
früher im wesentlichen gesund gewesen. Im Jahre 1907 wurde sie wegen
Empyem der linken Kieferhöhle operiert. Im Jahre 1911 soll angeblich
eine leichte Blinddarmreizung stattgefunden haben. Für Lues liessen
sich keine Anhaltspunkte finden. Conceptionen waren konsequent ver¬
hindert worden. Im Dezember 1911 erkrankte die Frau während eines
Aufenthaltes in Bonn mit Kopfschmerzen, welche zunächst als funk¬
tionelle aufgefasst wurdeD. Sehr bald wurde aber eine doppelseitige
Stauungspapille konstatiert. Die Reaktionen auf Syphilis fielen im Blut
und im Lumbalpunktat negativ aus.
Im März 1912 kam die Frau in die Poliklinik für Nervenkrankheiten.
Ihr Ernährungszustand war schlecht. Eine Organerkrankung liess sich
nicht nachweisen. Die Menses waren normal. Es fehlten alle Herd¬
symptome, welche für eine Erkrankung des Grosshirns sprechen konnten,
ebenso die Symptome einer Kleinhirnerkrankung oder einer Erkrankung
im Kleinhirnbrückenwinkel. Es fand sich beiderseits eine ausgesprochene
Stauungspapille mit vereinzelten Blutungen. Die Sehschärfe war damals
noch normal. Die Frau klagte über äusserst heftige Kopfschmerzen,
welche ausschliesslich in den Hinterkopf lokalisiert wurden, und es war
sehr auffällig, dass die Frau die Angabe machte, dass die Schmerzen
in den Nacken, ja sogar in die Schultern und den linken Arm aus¬
strahlten. Es bestand regelmässiges Erbrechen, so dass die Frau sehr
heruntergekommen war. Die Lumbalpunktion wurde nochmals ausge¬
führt und ergab starke Vermehrung des klaren Liquors, der unter be¬
trächtlichem Druck stand, und eine ganz geringfügige Lymphocytose.
Die Syphilisreaktionen fielen im Punktat und im Blut negativ aus. Da
der Fall zunächst weder in bezug auf die Lokalisation, noch in bezug
auf die pathologisch-anatomische Grundlage klar und die Sehschärfe
noch nicht herabgesetzt war, so wurde der operative Eingriff zunächst
noch verschoben. Die Frau war — wie erwähnt — im Jahre 1907 an
einem Kieferhöhlenempyem links operiert. Es fand sich ein solches
Empyem auch rechts, welches dann von Herrn Prof. Manasse im Juni
1912 operiert und glatt zur Ausheilung gebracht wurde. Die schweren
allgemeinen cerebralen Symptome bestanden aber fort. Deutliche Herd¬
symptome fehlten dauernd. Es liess sich im Juni 1912 nur eine geringe
Schwäche im linken Facialis und eine ganz geringe Unsicherheit beim
Gehen konstatieren. Die Untersuchung mit Röntgenstrahlen ergab am
Schädel nichts Besonderes.
Am 26. Juli 1912 konstatierte Herr Prof. Hertel, dass die Seh¬
schärfe anfiug abzunehmen. Auch die schweren cerebralen Symptome
nahmen eher zu. Spezifische Kuren hatten keinen Erfolg. So erschien
die Palliativtrepanation über dem Kleinhirn indiziert, da die Kopf¬
schmerzen ausschliesslich in den Hinterkopf und in den Nacken loka¬
lisiert waren und die Stauungspapille so frühzeitig aufgetreten war. Ja,
es wurde die Vermutung ausgesprochen, ob vielleicht eine eztradurale
oder eine extracerebrale Affektion vorliegen könne, da trotz so langem
Krankheitsdauer sichere Symptome einer Kleinhirnerkrankung fehlten.
Operation am 26. Juli 1912: Freilegung beider Kleinhirnhemisphären
unter grossen Schwierigkeiten, da der Schädel überall 1 cm dick und
auffallend sklerosiert ist. Starke erweiterte Emissarien, sehr schwer zu
stillende BlutuDg aus denselben. Am Confiuens sinuum stösst man auf
einen 1 cm weit gegen dip Venen vorspringenden und diese stark kom¬
primierenden unregelmässig gestalteten Knochenvorsprung, der nur mit
Mühe abgetragen werden kann. Seiner Grösse und Form nach kann er
kaum als Spina aufgefasst werden, sondern, muss als Exostose bezeichnet
werden. Anfangs schien sich die linke Kleinhirnhemisphäre stärker vor¬
zuwölben als die rechte, nach breiter Eröffnung des Schädels liess sich
aber ein Druckunterschied zwischen links und rechts nicht nachweisen.
Es- schien überhaupt kein besonders vermehrter Hirndruck zu bestehen.
Die Palpation der Dura ergab nichts Abnormes. Da die Patientin schon
zu Beginn der Operation stark collabierte und dauernd im Collaps blieb,
wurde die Eröffnung der Dura und die Absuchung des Kleinhirns nach
einem eventuell vorhandenen Tumor auf eine spätere SitzuDg verschoben,
zumal eine Entlastung des Gehirns durch die Operation erreicht war.
Die vor der Operation vorhandenen Symptome und Beschwerden inkl.
Stauungspapille sind aber prompt und dauernd zurückgegangen, so dass
die Frau jetzt — 7 Monate nach der Operation — geheilt erscheint und
von einem weiteren Eingriff vorläufig Abstand genommen > wurde.
Trotzdem wird man die Möglichkeit zugeben, dass dooh noch eine
Tumorbildung in der hinteren Schädelgrube vorhanden ist, und dass
der vorzügliche Erfolg der Palliativtrepanation nur ein vorübergehender
ist. Sollte diese Vermutung zutreffen, so werden die Vortr. weiter über
den Fall berichten.
b) Operativ geheilter metastatischer Hirnabscess. (Schon vor
2 Jahren im Unter-Elsäs9ischen Aerzteverein demonstriert)
22 jähriger junger Mann. Anfang Juli 1910 fötider Auswurf. Fieber.
Wal nussgrosse Caverne am Hilus der rechten Lunge. Besserung. Nach
6 Wochen plötzlich epileptische Anfälle, im linken Arm beginnend.
Nach wenigen Tagen Parese, dann Lähmung des linken Arms, 2 Tage
später auch des linken Beins und des linken Facialis. Benommenheit.
In der Annahme eines metastatischen Abscesses in der Gegend der
rechten motorischen Region osteoplastische Trepanation am 18. August
1910. Hühnereigrosser Abscess in der Gegend der zweiten Stirnwindung.
Drainage. Anfangs beträchtlicher Hirnprolaps, der sich in wenigen
Wochen fast völlig zurückbildet. Die Lähmung des Facialis verschwindet
nach 8, die der Beine nach 14 Tagen. Bewegungen in der linken
Schulter nach 7 Wochen, in den Fingern erst nach 4 Monaten. Hand-
und Fingerbewegungen bleiben dauernd geschwächt.
Die bronchektatische Caverne heilte einige Monate später in kli¬
nischer Behandlung (Prof. Cahn) völlig aus. Acht Wochen nach der Ope¬
ration traten nachts zwei epileptische Anfälle, kurz darauf ein dritter auf.
Seitdem (in 2 Va Jahren) im ganzen vier Anfälle, der letzte im Januar
1913, zwischen dem letzten und vorletzten Anfall über ein Jahr.
Dauernd Brom, 2—3 g täglich. Klagen über starke Nervosität, psychische
Depression. Vor 2 Tagen Suicid durch Schläfenschuss. Trotz des tra¬
gischen AusgaDgs des Falles beweist er, dass in allen Fällen, wo
Lokalisation möglich ist und der Allgemeinzustand und der Befund am
primären Herd einen Eingriff nicht kontraindiziert, die Operation auch
beim metastatisohen Hirnabscess geboten ist.
c) Fall von Little’scher Krankheit durch Foerster’sche Operation
gebessert.
Resektion der zweiten, dritten, vierten und fünften Lumbal- und
zweier Sacralwurzeln beiderseits, vor einem halben Jahr bei einem fünf¬
jährigen Knaben mit hochgradigem Little und völliger Gehunfähigkeit.
Der Knabe geht jetzt mit geriDger Unterstützung, wickelt die Sohlen
gut ab, kann die Beine frei bewegen und strecken. Die Nachbehandlung
muss dauernd und lange unter ärztlicher Kontrolle fortgeführt werden,
da ein kurzer Aufenthalt zu Hause in diesem Fall genügt hatte, um
einen grossen Teil der gemachten Fortschritte wieder verloren gehen zu
lassen. Auffallende geistige Entwicklung des Kindes während der Be¬
handlung.
4. Hr. Schmidt:
Ueber die Radinmemanation nnd ihre therapeutische Bedeutung.
Historischer Ueberblick über die Entdeckung der radioaktiven Sub¬
stanzen und Vortrag über das Wesen der Radioaktivität, über die für
diese Stoffe geltenden physikalischen und chemischen Gesetze und Er¬
läuterung der Instrumente für den Nachweis der Radioaktivität. Demon
stration von Kompressen, Besprechung der therapeutischen Anwendung
und der Wirkungsweise der Emanation. Stellung der Indikationen und
Gegenindikationen. Tilp-Strassburg i. E.
Aerztlicher Verein zu München.
Sitzung vom 12. März 1913.
1. Hr. v. Baeyer: a) Demonstration künstlicher Beine, die ein
Mittelding zwischen Prothese und Stelzfuss darstellen und sich durch
Billigkeit, Dauerhaftigkeit und Einfachheit der Gelenkvorrichtungen aus¬
zeichnen.
b) Ueber intermittierende Extension.
Bei der Extension der Gelenke entsteht im Gelenk ein negativer
Druck, dadurch leichte Exsudation, ferner Hyperämie der benachbarten
Kapsel- und Knochenteile. Nach Einstellung der Extension gelingt es,
durch Bewegung der Gelenke diese leichte Exsudation und Hyperämie
wieder wegzumassieren. Die günstigen Wirkungen dieses Wechsels von
Extension und Bewegung, die besonders bei chronischen Gelenkleiden,
z. B. dem Malum coxae senile, in Erscheinung treten, erzielt B. durch
einen neuerdings von ihm konstruierten Apparat, dessen Einzelheiten er
erläutert.
Diskussion: Hr. Lange.
2. Hr. R. v. Hösslin:
Ueber Lymphocytose bei i Ästhetikern und. Neuropathen und deren
klinische Bedeutung.
Der Vortr. berichtet über 100 im Laufe eines längeren Zeitraumes
eobachtete Fälle von relativer und absoluter Lymphocytose, bei denen
häufig zugleich Eosinophilie und Vermehrung der grossen mononucleären
Zellen bestand, während das Verhalten der Erythrocyten und des Hämo¬
globins nur geringen Schwankungen unterworfen war. Die Fälle liessen
sich in 4 Gruppen einteilen, in 1. solche mit anatomischen Verände¬
rungen (4), 2. solche mit Diabetes (7, darunter 6 mit neutrophiler
Leukopenie), 3. Fälle von Basedowscher Erkrankung und Thyreosen
(15 mit neutrophiler Leukopenie), 4. verschiedene Fälle ohne besonderen
organischen Befund, meist reine Astheniker und Neuropathen (74, dar¬
unter 44 mit neutrophiler Leukopenie). In letzteren Fällen meist
blasses Aussehen bei normalem Hämoglobingehalt, ptotischer Habitus,
manchmal leichte Temperaturen ohne jeden Anhaltspunkt für Tuberku¬
lose wie bei Thyreosen, Lymphocytose. In zahlreichen ganz ähnlichen
Fällen allerdings keinerlei Veränderungen des Blutbefundes.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Zwischen den letzten 3 Gruppen, besonders der dritten und vierten,
bestehen auf Grund mancher gemeinschaftlicher Symptome nahe Wechsel¬
beziehungen, die vielleicht in den gemeinsamen Störungen der inneren
Sekretion, d. h. deren Dysfunktion begründet sind. So findet sich Gly-
kosurie häufig bei Basedow und Pankreaserkrankungen; bei Basedow
wiederum kommen nicht selten Veränderungen der Thymus und des
lymphatischen Gewebes in Drüsen und Schleimhäuten vor im Sinne
einer Hyperplasie des lymphatischen Apparates, ähnlich dem
Status thymico-lymphaticus, worauf offenbar die Lymphocytose zurück¬
zuführen ist. Auch zwischen der Asthenie und Neuropathie und den
Störungen der inneren Sekretion scheinen Beziehungen zu bestehen, und
zwar kommt dabei ebenfalls eine Dysfunktion der Thymus und des
lymphatischen Gewebes in Betracht. Therapeutisch ist die Lympho¬
cytose durch Arsen sehr günstig zu beeinflussen, allerdings kommt es
nach dem Aussetzen des Mittels meist wieder zu einem erheblichen An¬
stieg der Lymphocytenzahl.
Diskussion: HHr. Mennacher, Hecker, v. Pfaundler,
Krecke, v. Müller.
3. Hr. Rosenberger: Ueber Dnodenaltberapie.
Der Vortr. demonstriert ein in Anlehnung an die Gross’sche Duo¬
denalsonde konstruiertes Instrumentarium, mit dem es gelingt, Duodenal¬
saft zu gewinnen und unter Umgehung des Magens vom Duodenum aus
künstlich zu ernähren. Letzteres Verfahren hat sich besonders bewährt
beim runden Magengeschwür und bei der akuten Gärungsdyspepsie.
Hans Bachhammer-München.
Aus Pariser medizinischen Gesellschaften.
Acaddmie de mddecine.
Sitzung vom 4. März 1913.
Hr. Monprofit herichtet über seine kriegschirnrgischen Erfah¬
rungen, die er beim griechischen Heer in Gemeinschaft mit Gruet
und Nicoletis machen konnte. Auf dem Felde können mit einer guten
Organisation den Verwundeten die meisten früher beobachteten Kompli¬
kationen erspart bleiben. Notwendig ist ein gut geschultes Personal,
das genau weiss, was es zu tun hat und namentlich den ersten Verband
möglichst antiseptisch anzulegen versteht, und zwar mit dem Verband¬
zeug, das der Verwundete selbst mit sich trägt. Die guten Resultate
sind namentlich der von dem französischen Arzt Arnaud durcb-
gefübrten Organisation zu verdanken und diesem Verbandzeug, das in
vielen Fällen vom Verwundeten selbst möglichst rasch verwendet wurde.
Die Grundbedingung für ein gutes Resultat ist die möglichst frühzeitige
Anlegung dieses Verbandes, Eine zweite Bedingung ist die Enthaltung
von jeder Exploration oder Tamponierung des Schusskanals. Jede nicht
dringend indizierte Operation ist gefährlich. Der Verbandplatz muss eine
Anstalt für antiseptische Verpackung, und ein rasches Speditionsbureau
sein; und dieses gilt auch noch für die zweite Hilfslinie. Ein grosser
Unterschied liegt in der Gefährlichkeit der Gewehrkugelverletzungen und
der Schrapnellverletzungen.
Die türkischen Kleinkaliberkugeln machen einen einfachen Wund¬
kanal, der leicht heilt; penetrierende Verletzungen der Brust heilten
meist bei Enthaltung von jeglichem Eingriff.
Bei komplizierten Frakturen der Glieder waren Amputationen selten
nötig; die konservative Behandlung gab die besten Resultate. Schrapnell¬
verletzungen dagegen waren immer ernst, besonders diejenigen der Ge¬
schütze der Verbündeten.
Diskussion.
Hr. Reclus betont ebenfalls die Vorteile der konservativen Be¬
handlung bei kleinkalibrigen Schussverletzungen. Er ist für voll¬
kommene Enthaltung von chirurgischen Eingriffen. Er erinnert an die
grosse Schwierigkeit kleinkalibrige Geschosse zu finden, selbst mit Röntgen¬
strahlen, und an die häufigen Infektionen, die bei diesem nutzlosen
Suchen entstehen. Die Gefahr einer Bleivergiftung durch zurückgebliebene
Kugeln ist gar nioht zu befürchten.
Ferner betont er den günstigen Einfluss, im Krieg wie im Frieden,
den man durch Behandlung mit frischer Jodtinktur erzielt (Jod 1 g, auf
15 g 95 pCt. Alkohol). Dieses frische Präparat gibt nie Blasen¬
bildungen.
Hr. Pazzi verdammt, wie Montprofit, die Laparotomie auf
dem Schlachtfeld, aber nicht im Frieden, wie z. B. bei penetrierenden
Bauchwunden.
Hr. Tnffier zeigt, dass man in gewissen Fällen, in denen doppel¬
seitige Kastration mit Uternsexstirpation angezeigt wäre, den Uterus
belassen und die Ovarien unter die Haut transplantieren
kann. So bleibt die Menstruation erhalten, und mit ihr das physio¬
logische Gleichgewicht der Frau. Sollten die Ovarien schmerzhaft werden,
so können sie nach einfachem Hautschnitt entfernt werden. Eine
26jährige Frau bat, so operiert, nach 2 l f 2 Jahren noch regelmässig
menstruiert.
Das gleiche Resultat wurde bei 18 Patientinnen von 19 Operierten
beobachtet.
Hr. Kontier berichtet über eine breite Pylorostomie nach Stenose
infolge Verätzung mit Snblimat. Patientin wurde mehrere Jahre nach
Eintritt der Stenose, im Inanitionsstadium, mit vollkommenem Erfolg
operiert Im Narbengewebe fand man zerstreute Tuberkelknoten, ohne
dass sonst die Frau anderswo tuberkulöse Herde aufwies.
Sitzung vom 11. März 1913.
Hr. Chantemesse referierte über Antityphnsimpfnng im Heer der
Vereinigten Staaten. Die seit 1909 fakultative Impfung wurde im
März in einer Division und im September des gleichen Jahres für das
ganze Heer obligatorisch.
Von 1909 an sank die Morbidität auf 173 Fälle mit 16 Todesfällen;
1910 verzeichnete man 142 Fälle mit 10Todesfällen; 1911 nur 44Fälle
mit 6 Todesfällen und endlich in den ersten acht Monaten von 1912
nur noch 9 Fälle mit 1 Todesfall. Von den 368 gemeldeten Fällen
fallen nur 18 auf Geimpfte, und davon verlief kein Fall letal. Dieses
Beispiel sollte man in Frankreich, besonders in Marokko befolgen. Die
amerikanischen Resultate wurden mit reinen, einwertigen Typhusbacillen¬
kulturen erzielt, nach Sterilisation durch Erwärmung, also mit einem
Impfstoff, wie er im englischen, deutschen und japanischen Heer ge¬
bräuchlich ist. Diesen gleichen Stoff lieferte Chantemesse im
Jahre 1912 für die Flotte. Von den 3000 Geimpften wurde keiner
typhuskrank, während viele nicht Geimpfte erkrankten. Man kann er¬
warten, dass diese gefahrlose Methode den Typhus zum Verschwinden
bringt, wie die Blattern verschwunden sind.
Diskussion.
Hr. Netter betont, dass der von Chantemesse im Jahre 1888
bei Mäusen verwendete Impfstoff auf 120° erwärmt wurde, während der
amerikanische Impfstoff nur auf 53° erwärmt wird. Er hebt hervor,
dass die Forschungen von Pfeiffer, und Kolle-Wright die
praktische Verwendung der Methode erlaubt haben. Er erinnert, dass
schon 1886 Salm an und Schmidt Impfung von Leuten mit auf 60*
erwärmten Kulturen von Paratyphus B gemacht haben. Bei den Ver¬
suchen von Chantemesse an Mäusen starb eine Maus von vier,
was für die Einführung in die Praxis nicht sehr einladend war.
Hr. Vincent meint, ein Impfstoff, der auf 100 bis 120° erwärmt
werde, sei nicht wirksam. Uebrigens lassen sich die Resultate des Tier¬
versuchs nicht auf den Menschen übertragen; die Tiere erliegen nicht
der Typhusinfektion, sondern der Intoxikation. Vortr. zieht die mehr¬
wertigen Impfstoffe vor. Der amerikanische Stoff, eine Variante des
Pfeiffer’schen und des von Chantemesse verwendeten, gibt ja gute
Resultate, aber man muss mit dem Genius epidemicus des Landes rechnen,
in dem man impft. In Amerika ist Typhus nur mässig verbreitet, von
1907 bis 1909 war die Morbidität der Armee an Typhus nur 3 pCt.,
während sie in Indien zwischen 15 bis 85 pCt. schwankte. In solchen
Ländern kann man Impfstoffe erproben. Unter den gewärmten Impf¬
stoffen sind diejenigen vorzuziehen, die am am wenigsten erwärmt sind,
wie die von Leishman, der nur auf 53° erwärmt wird.
Hr. Chantemesse behauptet, Erwärmung auf 100 bis 120° ver¬
mindere die Wirksamkeit nicht. Uebrigens ist er später auch auf tiefere
Temperaturen heruntergegangen. Er beansprucht das Verdienst, das
Prinzip der Antityphusimpfung aufgestellt zu haben, durch seine mit
Widal gemeinschaftlich gemachte Arbeit.
Sitzung vom 18. März 1913.
Hr. Vincent bemerkt bezüglich der Antityphnsimpfnng, dass Chan t e-
messe bei seinen ersten Versuchen von 1888 bis 1892 Typhuskulturen
verwendete, die 10 Minuten auf 120° erwärmt worden waren, später
eine Stunde auf 100°. Nach Vortr. sind solche Kulturen vollkommen
wirkungslos.
Hr. Chantemesse hält daran fest, dass er mit Widal, mehrere
Jahre vor Pfeiffer-Wright, zuerst gezeigt habe, dass man bei für
Typhus empfänglichen Tieren mit durch Erwärmung sterilisierten Typhus¬
kulturen eine Schutzimpfung machen könne.
Hr. Netter gibt zu, dass diese Tiere immunisiert waren, also muss
die auf 100—130° erwärmte Kultur dooh wirksam gewesen sein.
Hr. Walther teilt seine Statistik der Spätresnltate seiner konser¬
vativen Eierstockoperationen (partielle Resektion oder Ignipunktur)
mit. Von 139 in den Jahren 1901—1912 Operierten konnten 98 Frauen
wieder untersucht werden. 68 Fälle waren ganz geheilt. In 12 Fallen
bestand bei kombinierter Untersuchung mehr oder weniger starke
Schmerzhaftigkeit der Ovarien ohne spontane Schmerzen. In seohs Fällen
litten die Frauen noch besonders zur Zeit der Menstruation. In acht
Fällen war gar keine Besserung zu verzeichnen, und in vier Fällen war
wegen Recidiv die Hysterektomie gemacht worden. Der funktionelle
Wert der so erhaltenen Ovarien ist durch die Geburten klargelegt. Von
73 Operierten (doppelseitige partielle Resektion oder totale Resektion
einer Seite mit partieller der anderen Seite) haben 18 (also 24 pCt.)
Kinder geboren. Die partielle Resektion muss gemacht werden, wenn
die Tube permeabel ist, selbst wenn das Ovarium sehr krank scheint.
Bei zwei Frauen mit totaler Resektion einer Seite und Belassen eines
kleinen Stückes des Eierstocks auf der anderen Seite sind je drei Ge¬
burten zu verzeichnen.
Sitzung vom 25. März 1913.
Hr. Ronssean-St. Philippe zeigt, dass bei gewissen hartnäckigen
VerdanniigsstörangeD des Kindesalters (Appetitlosigkeit, Konstipation,
Atonie, Dyspepsie, chronischer Enteritis) kleine Ipecacuanhadosen
äusserst wirksam sind. Diese Störungen werden oft durch fehlerhafte
Diät unterhalten. Sie verdanken ihre Entstehung grossenteils mangel¬
hafter Gallensekretion. Gallentreibende Mittel, besonders Ipecaouanba,
sind deshalb angezeigt. Der Autor verwendet die Tinktur in kleinen,
lange fortgesetzten und progressiven Dosen bis zur Heilung.
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28. April 1913.
BERLINER KLINJSCHE WOCHENSCHRIFT.
805
Qr. Engine Dopiy beachtet bei der Tabesbehandlong nicht das
ätiologische Moment, die Syphilis. Er leitet möglichst rasch folgende
Therapie ein: Regulierung der Verdauung, während 3—4 Wochen Jod¬
kali, dann Liquor Fowleri; gegen Schmerzen vermeidet er Morphium,
zieht Canabis indica vor, oder Aconitin oder Exalgin. Am besten wirkt
richtig angewendet der Phosphor.
Hr. Dupny de Frenelle beschreibt eine nene Technik nnd Instru¬
mentation zur Operation der chronischen Appendicitis ohne sichtbare
Narbe. Die Lage der Appendix wird erst genau festgestellt. Der
Aussenrand des Rectus, die obere Haargrenze des Schamhügels, Nabel,
Spina anterior und die durch Palpation festgestellte Situation der
Appendix werden durch Bleifäden und Punkte markiert und dann radio-
skopisch die Beweglichkeit des Coecums festgestellt, welch letztere den
Sitz der Appendix zu bestimmen erlaubt. Diese liegt meist in den
beiden unteren Dritteln der Fossa iliaca. Sie wird durch einen Schnitt
in der Pubisgegend gesucht, und zwar mit besonderen dreiarmigen
Ecarteuren, die mit Glühlampen versehen sind. Die Operationsnarbe ist
vollkommen durch die Pubishaare gedeckt.
Soctätä medicale des höpitaux.
Sitzung vom 7. März 1913.
HHr. Abrami, Gantier und Wissenbach beschreiben einen neuen
Fall von erst eitriger, dann blutiger Reaktion des Liquor cerebro¬
spinalis im Verlauf eines embolischen Erweichungsherdes der
Gehirnrinde. Es handelte sich um einen ausgedehnten Erweichungs¬
herd infolge Embolie bei Mitralstenose. Zwei Tage nach dem Anfall
war der Liquor ganz eigenartig, dann trat eine meningeale Blutung ein,
und nach derselben bestand mehrere Tage Lymphocytose. Dem Stadium
des weissen Erweichungsherdes entsprach eine vasculäre Kongestion, die
sich durch reichliche Leukocytose kundgab; dem Stadium des roten In¬
farkts entsprach die darauffolgende meningeale Blutung.
HHr. Henri Claude und F. Levy besprachen die Behandlung der
Facialisparesen mit lokalen Iojektionen von Magnesiasalzen. Die Methode
der Alkoholinjektionen nach Schloesser gibt interessante, aber leider
oft nur vorübergehende Resultate und muss mit grosser Vorsicht ver¬
wendet werden, weil der Alkohol, auf den motorischen Nerven ver¬
wendet, Paralyse erzeugen kann. Die Autoren haben, nach Meitzer
und Auer, die inhibitorische Wirkung der Magnesiasalze auf das Nerven¬
system geprüft und gedacht, diese Wirkung bei spastischen Erscheinungen
centralen Ursprungs zu verwenden. Sie zeigen eine seit 2 Jahren an
halbseitigem Facialisspasmus leidende Patientin, die zuerst innerhalb
3 Wochen 14 Injektionen von 1 ccm einer Lösung von Magnesium sul-
furicum von 25 g auf 100 g erhielt. Die Zahl der Anfälle nahm be¬
deutend ab, aber sie verschwanden nicht. Man macht daraufhin an der
Stelle des Austrittes der Facialis aus dem Foramen stylomastoideum eine
Injektion von 2 ccm einer 50 proz. Lösung von Magnesiumchlorür.
Nach 2 Tagen verschwanden die Spasmen und sind nun 5 Wochen aus¬
geblieben. Dieses Resultat ist beachtenswert, weil die Magnesiumsalze
keine Paralyse erzeugen und deshalb die Injektion ruhig wiederholt
werden kann.
HHr. Merkten und Legras haben bei 25 Patienten mit Ungleichheit
der Pnpillen die Wassermann’scbe Reaktion untersucht. Syphilis war
in 12 Fällen sicher und dabei Wassermann positiv, ln sieben Fällen
schien Syphilis trotz positivem Wassermann zu fehlen. Sechsmal war
der Wassermann negativ, trotzdem in zwei Fällen darunter Syphilis
sicher war. Somit war die Reaktion in 19 von 25 Fällen positiv, und
in zehn Fällen bestanden klinische Zeichen von Syphilis der Nerven-
centren. Die Ungleichheit der Pupillen geht dem Argyll voraus.
Diskussion: Hr. Dufour hat vor 11 Jahren die Beziehungen von
Ungleichheit der Pupillen und Syphilis festzustellen versucht und kam
durch die klinische Untersuchung ungefähr zu den gleichen Schlüssen,
die heute die Wassermann’sche Reaktion ergibt.
HHr. Flaodin und R. Duma beschreiben einen Fall von grossem
dysenterischen Leberabscess mit Durchbruch in die Bronchien; Heilung
durch Operation und Emetinbehandlung. Patient wurde vor
lVa Jahren operiert und geheilt. Ein Rückfall verlangte neuen chirur¬
gischen Eingriff, aber die Eiterung dauerte weiter fort, es blieb ein
seitlicher Eiterabfluss, und der Allgemeinzustand wurde schlecht. Es
wurden deshalb vier subcutane Iojektionen von Emetin, muriaticum ge¬
macht. Sofort fiel das Fieber ab, die blutig-eitrigen Sputa verschwanden,
ebenso der Husten. Der Eiter wurde graufarben und nahm bedeutend
ab. Nach einer zweiten Iojektionsserie konnten die Drains entfernt
werden, und Patient heilte vollkommen. Die Heilung wurde radio-
graphisch verfolgt und festgestellt. Diese Beobachtung zeigt den hohen
Wert des Emetins.
Diskussion: Hr. Dopter hat gerade jetzt eine Amöbendysenterie
in Beobachtung mit reichlichen Amöben. Emetin, muriaticum hatte eine
hervorragende Wirkung: die Stühle nahmen rasch ab, und die Amöben
verschwanden aus dem Stuhle.
Sitzung vom 14. März 1913.
Bezüglich der Emetinbehandlirog der Amtibendysenterie berichtet
Hr. Milian, dass er vor einem Jahr einen Kolonisten mit Syphilis und
Dysenterie mit Salvarsan behandelte, und er war erstaunt von der
günstigen Wirkang dieses Mittels auf die Dysenterie. Patient ist seither
geheilt. Infolge dieser guten Wirkung des Salvars&ns auf Dysenterie
versuchte der Autor die Wirkung des für Dysenterie spezifischen Emetins
auf die Syphilis. Er sah eine sehr günstige Wirkung bei einem Patienten,
der für Salvarsan und Quecksilber refraktär war. Jüngst sah er bei einem
derartigen Patienten mit syphilitischer Periostitis ebenso den günstigen
Einfluss des Emetins. Bei noch unbehandelter Lues sind die Resultate
weniger gut.
Hr. Chaaffard beschreibt einen neuen Fall von dysenterischem
Leberabscess und Heilung durch Operation und Emetin. Der
40 jährige Patient hatte Frankreich nie verlassen, aber in Brest bei den
Kolonialtruppen gedient, bei welcher Gelegenheit er mit Dysenterie¬
fällen in Berührung kam. Er hatte nie charakteristische Dysenterie,
bekam aber im vergangenen Juli einen 25 Tage dauernden Durchfall,
ohne Tenesmus, ohne blutige Stühle. Daraufhin blieb er 4 Monate
wohl und bekam dann die Symptome akuter Hepatitis mit Icterus, grosser
Leber, Fieber, Frösten und Schweissanfällen, und nach einiger Zeit
zeigten sich Anzeichen eines grossen Leberabscesses, Vorwölbung der
Lebergegend, Subicterus, schlechter Allgemeinzustand, Fieber mit grossen
Frösten und Leukocytose mit Polynucleose. Der Zustand verlangte
raschen Eingriff, der einen Liter schokoladefarbenen, nicht fötiden und
keine Amöben enthaltenden Eiters entlerte. In einem Fragment der
Abscesswand konnte Dopter Amöben nachweisen. Das Fieber fiel ab,
aus dem Drain floss hämorrhagischer Eiter. 5 Tage nach der Operation
wurden subcutan 4 cg Emetin, muriaticum injiziert, am anderen Tage
8 cg Emetin, in 40 g Wasser gelöst, in die Abscesshöhle eingespritzt,
und darauf noch einige subcutane Einspritzungen gemacht. Schon nach
der ersten Einspritzung war der Eiter nicht mehr blutig, und bald hörte
die Sekretion überhaupt auf.
Diskussion: Hr. Rouget hat einen Leberabscess mit torpidem
Verlauf beobachtet. Durch Punktion wurden 200 ccm Eiter entleert.
Emetin wurde subcutan injiziert, worauf sofort der Allgemeinzustand
sich besserte.
Hr. Gaillard fragt, ob es möglich sei, ein Emphysem des Mediasti¬
nums, bei Erzeugung eines künstlichen Pneumothorax, zu bewirken,
infolge Stichs und Einblasens von Stickstoff ins interlobuläre Gewebe,
ohne Verletzung der Lungenbläschen. Ein solcher Unfall wäre das Todes¬
urteil für die Methode des künstlichen Pneumothorax. Wenn , dieser mit
Erfolg gemacht ist, kann ein Emphysem des Mediastinums auf drei Arten
entstehen. Erstens durch subpleurales Platzen von Lungenbläschen
infolge eines Hustenanfalls; dann wird das Emphysem rasch unter der
Halshaut sichtbar und dehnt sich aus. Zweitens durch Einblasen des
Stickstoffs zwischen Rippen und parietales Blatt der Pleura, und drittens
durch Verletzung der Pleura visceralis und des interlobulären Gewebes,
ohne Eröffnung der Lungenbläschen (Verletzung durch den Troicart)
oder durch Verletzung der Pleura mcdiastinalis, Zerreissung von
Adhäsionen. In den beiden letzten Fällen sind die infiltrierenden Gase
allein durch die in der Pleura angesammelte Gasmenge geliefert, also
beschränkt, somit kann sich das Emphysem nioht ausbreiten, ln einem
Fall trat das Emphysem des Mediastinums wahrscheinlich durch Ver¬
letzung der Pleura mediastinalis ein. Die Operation des Pneumothorax
arteficialis schien gut zu verlaufen. Nach 2 Stunden, infolge Husten¬
anfalls, starker retrosternaler Schmerz, daraufhin subcutanes Emphysem
an der Halsbasis, das lokalisiert bleibt und rasch verschwindet. Kein
Emphysem am Stichpunkt für den Pneumothorax, der sich übrigens
rasch resorbierte.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin.
(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.)
(Fortsetzung.)
Hr. Mühsam - Berlin: Ersatz eines Harnröhrendefektes
durch die Vena saphena.
Der vom Vortr. mitgeteilte Fall wurde wegen einer imper¬
meablen Harnröhrenstriktur operiert. Die Strikturen bestanden seit
26 Jahren. Bei seiner Aufnahme ins Krankenhaus Moabit war eine
36stündige Urinverhaltung vorhanden. Bougieren und Katheterisieren
erwies sich als unmöglich. Es wurde daher die Blase oberhalb
der Symphyse eröffnet und der retrograde Katheterismus versucht. Er
misslang, da die Spitze des Katheters im Damm stecken blieb. Nun¬
mehr wurde vom Orificium urethrae aus ein Katheter eingeführt und
auf eine von einer früheren Urethrotomia externa herrührende Narhe
eingeschnitten. Die beiden Katheter dienten als Leitsonden, und auf
ihnen wurde oberhalb und unterhalb derStriktur die Harnröhre eröffnet.
Die zwischen ihnen liegende narbige Striktur wurde exstirpiert, der De¬
fekt betrug 6 cm. Die Harnröhre wurde nach beiden Richtungen hin
nunmehr mobilisiert. Es gelang aber nicht, sie soweit freizumachen,
dass eine Naht möglich gewesen wäre. Um den Defekt auszufüllen,
wurde die Vena saphena rechts freigelegt und ein 8 cm langes Stück
derselben entfernt. Ein ganz feiner Gummikatheter wurde durch den
Ureter eingeführt. Als er zur Dammwunde herauskam, wurde das Venen¬
stück darüber geführt und der Katheter durch den centralen Harn¬
röhrenstumpf in die Blase geführt. Die Vene wurde dann nach beiden
Enden hin nach Carrel-Stich vereinigt, die Wunde durch Naht ganz
geschlossen. In die Blase kam ein Katheter, und die Wunde um ihn
herum wurde verkleinert. Der Katheter blieb bis zum 8. Oktober, also
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806
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
3 V 2 Wochen, liegen. Naeh seiner Entfernung Hess Patient spontan Urin
durch die Harnröhre. Bei später vorgenommenem Bougieren zeigte es
sich, dass an den Nahtstellen der Harnröhre mit der Vene zwei derbere
Stellen vorhanden sind.
Eine regelmässige Bougiebehandlung hat seit über einem Jahre
nicht mehr stattgefunden. Trotzdem sind sämtliche Funktionen, auch
die sexuellen, vollkommen in Ordnung. Patient lässt in gutem Strahl
Urin. Das Bougieren ist nicht ganz leicht, glingt aber mit einem
Timann-Katheter. Da seit einem Jahre jetzt keine Veränderungen im
Befunde zu verzeichnen sind, so kann der Patient wohl als dauernd ge¬
heilt betrachtet werden und in geeigneten Fällen die Verwendung eines
Venenstücks zum Ersatz von Harnröhrendefekten auch mit Rücksicht
auf das Dauerresultat empfohlen werden.
Hr. Voelcker-Heidelberg: Operation an den Samenblasen.
Vortr. hat mittels seiner Operationsmethode mehrfach Gelegenheit
gehabt, Operationen an den Samenblasen vorzunehmen. Im ersten Fall
handelte es sich um ein Carcioom, das entfernt wurde, jedoch ohne dass
eine Dauerheilung eintrat. Beim zweiten Fall wurden die in dicke
Schwarten eingehüllten Samenblasen entfernt, weil sie zu Ureterkoliken
Veranlassung gegeben batten. Die Exstirpation brachte Heilung. In
drei weiteren Fällen wurden die Samenblasen entfernt, weil sie Veran¬
lassung gegeben hatten zur Entstehung eines chronischen Gelenkrheuma¬
tismus. Einmal wurden als Erreger dieser Samenblaseneiterungen Gono¬
kokken, einmal Pneumokokken festgestellt. Nach Exstirpation der er¬
krankten Organe trat eine wesentliche Besserung bzw. Heilung des
Gelenkrheumatismus ein.
Hr. Strobel - Erlangen: Experimentelle Untersuchungen
über die Entstehung des mechanischen Kropfherzens.
Vortr. hat bei einer Anzahl von Tieren durch partielle Knorpel¬
resektion der Trachea künstliche Trachealstenose verursacht und bei
diesen Tieren, die längere Zeit am Leben blieben, durch Wägung und
Vergleichung mit normalen Herzen eine Herzvergrösserung bis zu V® des
Eigengewichtes feststellen können. Danach würde schon die Tracheal¬
stenose allein ausreichen zur Entstehung einer Herzhypertrophie.
Hr. v. Haberer-Innsbruck: Thymektomie bei Basedow.
Vortr. hat nach dem Vorschläge von Herrn Garre viermal
die Thymektomie bei Basedow bzw. bei basedowoiden Zuständen aus¬
geführt. In einem fünften Falle war die Thymus wegen Stenosen¬
erscheinungen, die durch sie hervorgerufen waren, entfernt worden. In
allen Fällen hatte die Operation guten Erfolg, doch soll von allen
Fällen nur über einen berichtet werden, da die übrigen dem Vortr. aus
dem Grunde zu wenig beweiskräftig erscheinen, als dabei jedesmal neben
der Thymektomie auch eine Schilddrüsenreduktion gleichzeitig vor¬
genommen worden war. Der hier zu berichtende Fall betrifft einen
30 jährigen Herrn, der im Jahre 1909 nach einer fieberhaften Erkrankung
einen akuten, gleich mit schweren Herzsymptomen einsetzenden Basedow
acquiriert hatte. Zunächst wurde, da sich die Symptome immer mehr
verschlimmerten, 2 Jahre nach Beginn der Erkrankung die Halbseiten-
strumektomie von einem anderen Operateur ausgeführt, die den Ex¬
ophthalmus dieser Seite besserte, während er auf der anderen Seite be¬
stehen blieb. Da sich aber die Herzsymptome nicht besserten, suchte
der Patient einen berühmten Chirurgen auf, der ihm auf der
zweiten Seite die eine Schilddrüsenarterie unterband. Statt einer
Besserung trat aber zunehmende Verschlimmerung aller Symptome,
sowohl der nervösen, wie vor allem der Herzerscheinungen auf.
In ganz desolatem Zustande kam der Kranke Ende 1912 zu
Vortr. Damals klagte der Patient auch über Anfälle von Erstickung
mit Bewusstseinstrübung, die mit der Exspektoration von viel schaumigem
Sputum stets ihr Ende fanden. Patient hatte damals eine Herzdilatation,
die zu einer Verlagerung des Spitzenstosses bis in die Axillarlinie ge¬
führt hatte, eine grosse Stauungsleber und.Stauungsmilz, der Radialpuls
war kaum tastbar, ganz irregulär, und selbst in der Ruhe zwischen 140
bis 160. Der zugezogene Internist bezeichnete das Herz damals als
Ermüdungsherz und stellte die Prognose infaust.
Nur dem Drängen des Patienten und seiner Angehörigen nach¬
gebend, entschloss sich Vortr. zur Thymektomie, die, in Lokalanästhesie
ausgeführt, zunächst für den Operateur recht unbefriedigend war, da
statt der erwarteten Thymus von beträchtlicher Grösse nur ein ganz
kleiner Tbymuskörper gefunden wurde, der kleinste* den Vortr. je ent¬
fernt hat. Histologisch erwies sich die Thymus in Involution, enthielt
aber auffallend viel Hassal’sche Körperchen. Um so auffallender war
der Erfolg der Operation. Er trat zwar nicht gleich ein, aber relativ
bald. Jetzt ist bei dem Patienten die Herzdilatation verschwunden, der
Herzspitzenstoss liegt innerhalb der Mamillarlinie, die Stauungsleber ist
vollkommen zurückgegangen. Radialpuls 84 in der Minute ist voll und
kräftig, allerdings noch etwas unregelmässig. Die nervösen Erscheinungen,
wie Zittern und Unruhegefühl, sind verschwunden. Der Patient, der jetzt
frei von jedem Herzmittel ist, konnte in letzter Zeit anstandslos eine
Bergtour unternehmen. Man muss nach dem Gesagten doch wohl zu
dem Schlüsse gelangen, dass in diesem Falle die Thymektomie aus¬
gezeichnet gewirkt hat. Sie liegt jetzt 4 Monate zurück.
Hr. Hosemann-Rostock: Die Funktion der Schilddrüse bei
Basedow.
Nachdem Walter gezeigt hat, dass bei thyreoidektomierten Tieren
der Verlauf der De- und Regeneration gequetscher Nerven stark ver¬
zögert ist, bei Verfütterung von Schilddrüsentabletten aber wieder
normal wird, haben Hosemann und Walter auf diesem Wege die
Funktion'der Basedowstruma im biologischen Experiment geprüft. Bei
Kaninchen, denen die Schilddrüse radikal entfernt war, wie die verzögerte
Nervende- und regeneration bewies, wurden Stücke von frischer Basedow¬
struma lebenswarm intraperitoneal, intramuskulär oder subcutan im¬
plantiert, in anderen Versuchsreihen wurden die Tiere mit Trocken¬
präparaten von Basedowstrumen wochenlang gefüttert: Die De- und
Regeneration der gequetschten Nerven wurde dadurch nicht wesentlich
beeinflusst und blieb stark verzögert, während die Implantation frischer
normaler Schilddrüse bei denselben Tieren den Verlauf der Nervende-
und regeneration beschleunigte, so dass er dem bei den normalen,
nicht thyreoidektomierten Kontrollieren glich. Aus diesen Versuchen
ist der Schluss zu ziehen, dass bei der Basedowschen Krankheit nicht
eine Steigerung der Funktion der Schilddrüse, ein Hyperthyreoidismus
vorliegt, sondern ein Dysthyreoidismus.
Diskussion.
Hr. Gap eile-Bonn hat bei einem Falle von Basedow durch Thym¬
ektomie Heilung eintreten sehen, wodurch die Anschauung Garre ’s be¬
stätigt wird, dass die Thymus in ihrer Funktion nebengeordnet ist der
Wirkung der Thyreoidea, dass ihre Funktion der der Thyreoidea wesens¬
ähnlich ist. Bei der Frage der Beteiligung der Thymus kommt es nicht
so sehr auf die Grösse dieses Organes an, als auf den mikroskopischen
Nachweis, dass ihre Struktur eine infantile Persistenz der Thymus ergibt.
Hr. Meise 1-Konstanz hat bei Untersuchungen von 800 Schulkindern
in 40—70 pCt. Kropf gesehen. Er demonstriert eine Patientin, die früher
einen Kropf gehabt hat, jetzt aber eine kaum fühlbare Schilddrüse zeigt.
Abnorme Pigmentationen und Veränderungen der Haut gingen durch Ver¬
abreichung von frischer Hammelschilddrüse wesentlich zurück.
Hr. Thost-Hamburg: Ueber die Behandlung der Tracheal¬
stenosen nach dem Luftröhrenschnitt.
Vortr. beschreibt ein neues Verfahren, bei dem er von der Fistel
aus neben der Kanüle einen Bolzen einführt, der eine Dehnung der
Stenose bezweckt und erreicht. Das Verfahren hat sich in 70 ein¬
schlägigen Fällen bewährt.
Hr. Jehn - Zürich hat vielfach chronische Lungeneiterungen ver¬
mittels Pneumothorax behandelt und gefunden, dass metapneumoniscbe
sowie genuine Lungenabscesse sehr günstig hierbei beeinflusst werden.
Sind aber Bronchiektasen vorhanden, dann kann zwar der Zustand ge¬
bessert werden, jedoch nicht ausheilen, weil die Bronchien starr sind.
(Demonstration von Präparaten.)
Kriegschirargische Mitteilungen.
Hr. Goebel-Breslau bespricht die chirurgischen Erfahrungen
der Tripolisexpedition des Deutschen Roten Kreuzes.
Es werden seltenere Weichteil-, Knochen- und Gelenkschüsse be¬
sprochen. Im allgemeinen ist die Einzelwirkung des italienischen Klein¬
kalibers (6,5 mm) eine mässige. Querschüsse des Halses und Gesichts
heilten gut, Gelenkschüsse ebenfalls. Eiterungen der Gelenke wurden
möglichst exspektativ behandelt. Neu sind die Aeroplanbomben-
verletzungen, die sich durch Multiplizität, vorwiegendes Befallensein der
unteren Extremität und des Stammes und Verlauf des Wundkanals
distal-proximalwärts auszeichnen. Sie sind teils durch die Bomben¬
splitter, meist aber durch die Schrapnellkugeln, mit denen die Bomben
gefüllt sind, hervorgerufen. Schwere Vereiterungen sowohl dieser als
anderer Verletzungen schlossen sich an Tolypragmasie von anderer
Seite (Kugelsuchen, allzu häufige Verbände) an. Die Wirkung des aus¬
trocknenden Klimas, das dem von Südwest fast gleicht, zeigte sich in
den trotz jener nicht indizierten Eingriffe relativ häufigen Heilungen.
Auch Schrapnellschüsse heilten relativ oft primär.
Die Erfahrungen mit der modernen Wundbehandlung und Anti¬
sepsis waren gute. Die Emanzipation vom Wasser (Desinfektion mit
Alkohol bzw. Jodtinktur, Verband mit v. Oetting’schem Mastiol, Lokal¬
anästhesie mit Novocain-Suprareninlösungen in zugeschmolzenen Am¬
pullen, weniger mittels aufzulösender Tabletten) bewährte sich sehr.
Zur Allgemeinnarkose wird Chloroform empfohlen. Es gab allerdings
eine Chloroformsynkope bei einem durch Typhus geschwächten Herzen.
Interessant waren chirurgische Komplikationen des Typhus: Parotis,
Abscess an Stirn und Fingern, Empyeme, appendicitischer Abscess,
Gangraena cruris und Gangrän der Zehen. Unter der Berberbevölkerung
Tripolitaniens (meist Bewohnern des Djebel) wurden relativ zahlreich
Hautcarcinome, meist Cancroide, Blasen- und Gallensteine beobachtet
Auoh ein Leberechinococcus kam zur Operation.
Hr. Coenen-Breslau hat mit Dr. Thom 665 Schussverletzungen in
Athen behandelt. Es starben sieben Patienten; fast */< aller zeigte
reaktionslose Wundheilung. 30 schwere Phlegmonen wurden mit aus¬
giebigen Inzisionen und vier Amputationen behandelt. Bei 23 Gelenk¬
schüssen wurde viermal reseziert einmal amputiert Die übrigen Ge¬
lenke heilten glatt aber in einigen Fällen mit arthritischen Erscheinungen.
Von 94 komplizierten Schussfrakturen heilten 83 primär, 11 mit Kom¬
plikationen, eine mit Amputation. Die Aneurysmen, von denen fünf
operiert wurden, werden am besten, wenn sie sich abgekapselt haben,
operiert; man muss sie operieren bei Ruptur. Blutet der durchschnittene
periphere Stumpf der abführenden Arterie nicht, so ist die Gefässnaht
zu machen. Zwei vitale Bluttransfusionen hatten guten momentanen
Erfolg. Die Nervenverletzungen sind an den oberen Extremitäten häufiger
als an den unteren. Auch bei den diametralen Schädelschüssen muss
trepaniert werden, wenn Herdsymptorae vorhanden sind. Die Rücken¬
markschüsse gehören zu den traurigsten Kriegserinnerungen. (Demon¬
stration von 16 anatomischen Präparaten von Schussverletzungen.)
Hr. Kirsch n er -Königsberg beobachtete 1000 Fälle, von denen 300
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28, April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
807
operiert wurden. Die erste Zeit arbeitete er in Sofia, später dicht bei
Adrianopel in Mustapha Pascha. Die Güte der Resultate wächst mit
der Entfernung vom Kriegsschauplatz. Er sah Infektionen in 33 pCt.
bei Knochenschüssen, 37 pCt. bei Gelenkscbüssen und gar in 50 pCt.
bei Gefässverletzungen. Hierfür anzuschuldigen ist in erster Reihe der
Transport, anfangs über 150 km, später über 75 km, auf einfachen
Ochsenkarren, ohne Decken oder sonstige Unterlagen. Nach der Ein*
lieferung waren die Patienten, soweit sie überhaupt noch am Leben
waren, völlig erschöpft und bedurften eines tagelangen Schlafes, ehe
man den geringsten Eingriff wagen konnte. Ausserdem fehlte es an der
notwendigsten Immobilisierung; weder Gips noch Schienen waren ver¬
wendet worden. Der Verband bedeckte die Wunde meist nicht einmal,
weil er nicht kriegsmässig ausgeführt worden war. Man muss ihn fest¬
kleben, und zwar mit Mastisol über die ganze Extremität. So aus¬
geführte Verbände kamen in Sofia tadellos an.
Hr. zur Verth-Kiel: Seekriegsverletzungen.
Quellen zur Erkenntnis der Seekriegsverletzungen sind 1. die theo¬
retische Ueberlegung, 2. Friedenserfahrungen (Unglücksfälle), 3. See¬
kriegserfahrungen, besonders die Erfahrungen der Japaner in ihren beiden
letzten grossen Seekriegen. Leichenschiessversuche liegen für die Schiffs¬
artillerie nicht vor.
Das Kriegsinstrument im Seekrieg ist nicht wie am Lande der
Mensch, sondern das Kriegsschiff. Demgemäss sind auch die Waffen im
Seekrieg andere wie am Lande, nämlich in erster Linie schwere Artillerie,
weiter Minen und Torpedos. Drei Viertel aller Seekriegsverletzungen
auf japanischer Seite waren Artillerieverletzungen (davon 2 / 8 durch
direkte und Va durch indirekte Geschosse hervorgerufen), ein Viertel
entstand durch Minen und Torpedos (davon mehr als die Hälfte durch
indirekte Geschosse). Neben den Verletzungen durch feindliche Waffen
bringt das Seegefecht eine recht grosse Zahl von Verletzungen, die
durch das Kriegshandwerk selbst entstehen. Als Durchschnittszahlen
an Gefechtsverletzungen sind mit sehr grossen Abweichungen nach oben
und nach unten nach japanischen Berechnungen im Zukunftsseegefecht
20 pCt. Verluste zu erwarten, davon 4 pCt. tot, 8 pCt. schwer und
8 pCt. leicht verletzt. Die Verluste im Seegefecht sind, soweit sie zur
ärztlichen Versorgung kommen, nach oben begrenzt, da bei Ueber-
schreitung einer gewissen Anzahl das Schiff selbst zu sehr zerstört ist
und dem sicheren Untergänge anheimfällt. Brauchbarere Auskunft als
über die Zahl geben die japanischen Berichte über die Verletzungsart.
Ein Viertel aller Seekriegsverletzungen sind Quetschungen, mehr als ein
Drittel Quetschwunden, etwa ein Sechstel Schusskanäle (Steckschüsse
und Durchschüsse) ein Zehntel Zermalmungen und Verstümmelungen,
ein Zehntel Verbrennungen und ein Zwanzigstel Augen- und Ohren¬
verletzungen. In rund 5 pCt. sind Eingeweideverletzungen zu erwarten,
in 20 pCt. Knochenbrüche. Bemerkungen über Sitz, Ausgang, Heilungs¬
dauer und Infektion der Seekriegsverletzungen folgen.
Hr. A. Frank-Berlin: Kriegserfahrungen.
Redner leitete auf griechischer Seite in Saloniki, sodann in Leukast
ein Hospital; da es sich um mittlere Etappen handelte, so wurde wenig
operiert. Die Behandlung hinter der Gefechtslinie war auf griechischer
Seite zweckmässig, nur wurde vielleicht zu viel Jodtinktur gepinselt.
Das Verbandpäckchen nach französischem Muster erwies sich als zweck¬
mässig, und seine Verwendung geschah in geeigneter Weise. Ein Unter¬
schied zwischen Jodtinktur und Mastisol ergab sich nur insofern, als mit
letzterem auch das Ungeziefer festgeklebt wurde. Fixierende Verbände
kamen auch bei isolierten Weichteilsverletzungen zur Anwendung, wenn
diese ausgedehnter waren. Infiziert waren meist nur die Artillerie¬
schüsse, konnten aber trotzdem allermeistens konservativ behandelt
werden. Eine Gasphlegmone, kein Tetanus. Verletzungen des Ab¬
domens, des Thorax heilen unter Ruhigstellung nur in seltensten Aus¬
nahmefallen, je einmal musste operiert werden. Als Objekt für die
Operationen bleiben Sohädelverletzungen, Extremitäten, Nerven und
Gefässverletzungen. In der vorderen Linie wurde zu früh trepaniert
und die Trepanierten zu früh entlassen. Die Nervenoperation wurde
den grosseren Hospitälern Vorbehalten. Häufig sind Weichteils Verletzungen
der unteren Extremitäten, insbesondere, 25 pCt., der Wadenschuss, der
sehr schmerzhaft ist und ein grosses Hämatom bildet. Dieses kommt
zur Vereiterung. Trotz Inzision und Drainage kommt es gelegentlich
zu Gangrän der Muskulatur.
fir. Pochhammer: Hinsichtlich der Häufigkeit infizierter Wunden
kommt er zu anderen Anschauungen als GoenOn. Er stand dicht
hinter der Front bei Janina. An dieser Stelle häufen sich die infizierten
Verletzungen, indem die Nichtinfizierlen abgeschoben werden. Zuletzt
waren unter 52 Fallen 47 infizierte. Er ist zufrieden mit dem griechischen
Verbandpäckchen, unzufrieden mit der Fixation der Knochenbrüche.
Wieviel auf die erste Versorgung der Wunde ankommt, sah er in Salo¬
niki, wo von 4—500 türkischen Verwundeten fast alle infiziert waren,
weil wegen der herrschenden Demoralisation sich niemand um sie ge¬
kümmert hatte. Er glaubt durch Stauung viel Infizierte gerettet zu
haben. Bei komplizierten Frakturen wendet er ohne Rücksicht auf
Sequester und dergl. den gefensterten Gipsverband an. Bei den grossen
Granatenverletzungen fand er die Sonnenbehandlung sehr vorteilhaft.
Hr. Golmers - Coburg: Ueber die Wirkung des Spitz¬
geschosses.
Vortr. erörtert auf Grund seiner im Balkankriege gemachten Er¬
fahrungen die Wirkung des Spitzgeschosses bei den verschiedenen Ver¬
letzungsmöglichkeiten und vergleicht dieselbe mit der Wirkung des
ogivalen Geschosses. Er kommt zu folgenden Ergebnissen:
Durch das Spitzgeschoss gesetzte penetrierende Wunden unter¬
scheiden sich im wesentlichen nicht von den durch andere gleich-
kalibrige Mantelgeschosse hervorgerufene Schusswunden; der Einschuss
ist auffallend klein, der Ausschuss findet sich bei ihnen meist etwas
grösser als der Einschuss.
Die Neigung des Spitzgeschosses, im Widerstand den Schwerpunkt
nach vorn zu werfen, d. h. sich um seine quere Achse zu drehen, gibt
ihm einen grösseren Aktionsradius im Verlaufe des Schusskanals und
scheint Einfluss zu haben auf das häufige Zustandekommen von Gefäss-
und Nervenverletzungen.
Aus demselben Grunde kommt es bei Schussfrakturen häufig zu
Steckschüssen, bei denen das Geschoss Deformationen erleiden kann.
Wenn ein Teil derselben auch auf Querschlägern beruhen mag, die
beim Spitzgeschoss häufiger sind als bei den ogivalen Geschossen, so
kommt diese Deformation doch nachweislich auch bei Ersttreffern vor.
Sie kommt zustande durch verschiedene, gleichzeitig auf das Gesohoss
einwirkende Kräfte in dem Augenbliok, in dem das Geschoss den Knochen
trifft (Drall, Stauchung, Verwerfen des Schwerpunktes, lebendige Kraft,
Härtegrad des getroffenen Knochens); von wesentlichem Einfluss ist
dabei der Winkel, unter dem das Geschoss auf den Knochen auftrifft
(Demonstration verschiedener deformierter Geschosse).
Bei den tangentialen Schädelschüssen ist durchweg eine erhebliche
Splitterung und ein vergrösserter Knochenausschuss vorhanden, der die
Infektionsgefahr erhöht.
(Demonstration von aus dem-Gehirn extrahierten Splittern bei einer
Anzahl von tangentialen Schüssen.)
Vortr. kommt zu dem Schluss, dass die Verwundungsfähigkeit des
Spitzgeschosses zum mindesten die gleiche wie die des ogivalen Ge¬
schosses ist, wenn man sie infolge der auch in mittleren Entfernungen
häufig auftretenden Steckschüsse mit Querschlägerwirkung auf den Knochen
nicht als grösser bezeichnen will.
Hr. Fessler-München hat die Lage, welche das Spitzgeschoss bei
seinem Fluge einnimmt, studiert. Er liess es durch Sägespäne fliegen,
von Zeit zu Zeit war eine Pappwand eingeschaltet. Aus der Gestalt
des Loches konnte er die Bewegungen des Geschosses rekonstruieren.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Geschoss, nachdem es irgendwo
aufgeschlagen hat, sich nicht etwa einfach umdreht, sondern fortgesetzt
pendelt. Steril können die Verletzungen mit der Spitzkugel nioht sein,
da Kleider und, wie besonders der Tierversuch zeigt, Haare tief in die
Wunde gerissen werden. Der günstige Wundverlauf ist daher eine Folge
der Wundbehandlung.
Hr. Frank-Berlin: Gegenüber Colmers betont er, dass die Steck¬
schüsse beim Spitzgeschoss durchaus nicht häufiger sind als beim ogi¬
valen Geschoss. Die 12 pGt. Steckschüsse erklären sich seiner Ueber-
zeugung nach aus Prallschüssen, was bei der mangelhaften Ausbildung
der türkischen Schützen nicht wunderbar ist, selbst bei den Franzozen
waren 30 pGt. der Treffer Rückschläger. Am Einschuss lässt sich dies
nicht immer erkennen.
Hr. Mühsam: Die im Deutschen Roten Kreuz-Lazarett in
Belgrad beobachteten Gehirn-, Rückenmarks- und Nerven¬
verletzungen.
Unter den im Deutschen Roten Kreuz-Lazarett in Belgrad beob¬
achteten Kopfschüssen waren die Mehrzahl Kontur-, Weichteil- oder
Knochenschüsse, bei denen das Gehirn nicht mitbetrofien war. Bei
einem Fall von Läogsschuss durch den Kopf, bei dem die Kugel neben
dem Scheitelbeinhöcker herein und über dem medianen Drittel der
Glavicula herausgegangen war, fehlten cerebrale Erscheinungen, ebenso
bei zwei Querschüssen durch den Kopf.
Gerebrale Erscheinungen sind nur bei drei Konturschüssen beob¬
achtet worden, und zwar nach einem Konturschuss eine Gommotio, bei
einem zweiten eine vorübergehende Amaurose des gleichseitigen Auges,
bei einem dritten eine Lähmung der kontralateralen Hand und des
Vorderarms. Während die beiden ersteren Fälle ohne Operation heilten,
musste der letzte operiert werden. Bei der etwa 4 Wochen nach der
Verwundung vorgenommenen Trepanation fanden sich acht Knochen¬
splitter ins Gehirn eingedrungen und wurden entfernt. Eine nach der
Operation hinzugekommene kontralaterale Facialis- und Beinlähmung
ging zurück. Die Armlähmung blieb aber bestehen.
Rückenmarksverletzungen sind zweimal beobachtet worden, und
zwar in beiden Fällen Kontusionen bzw. Hämatomyelien. Im ersten
Falle sassen Einschuss und Ausschuss auf der gleichen Seite, und es
handelte sich um eine einseitige Lähmung der unteren Extremitäten,
welche sich sehr wesentlich besserte. Im zweiten Falle war der Ein¬
schuss zwei Querfinger breit über dem medianen Drittel der linken
Glavicula, der Ausschuss an der rechten Spina scapulae. Hier waren
zunächst Lähmungen, dann starke Spasmen in beiden Beinen mit
Steigerung der Patellarreflexe vorhanden. Der Zustand besserte sich,
doch blieben bis zuletzt Spasmen, Kniescheiben- und Fussclonus und
ausgesprochener Babinski zurück.
Plexusverletzungen sind drei beobachtet worden. Der erste Fall
betrifft den oben kurz erwähnten Längsschuss des Kopfes, der zweite
und dritte Fall betrifft Halsschüsse. Die Symptome waren bei allen
drei ausstrahlende Schmerzen, Schwäche, Bewegungsbehinderung des
betreffenden Armes. In allen Fällen trat Besserung ein.
Lähmungen peripherer Nerven kamen sieben zur Beobachtung. Zwei
Plexuslähmungen waren durch Schulter- bzw. durch Schlüsselbeinschüsse
hervorgerufen. Die nervösen Erscheinungen bei dem Sohlüsselbeinschuss
besserten sich von selbst. Bei dem Schulterschuss wurden die Nerven
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
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in der Achselhöhle freigelegt, in Narbengewebe eingebettet gefundeu
und durch Neurolyse aus der Narbe befreit. 14 Tage nach der Ope¬
ration begann Patient seinen bis dahin gelähmten Arm wieder zu be¬
wegen.
Von drei Radialisverletzungen war eine durch Schuss auf das
Schlüsselbein bedingt. Sie blieb ungeheilt. Zwei andere waren durch
Schüsse durch den Oberarm verursacht. In einem Falle, in dem es sich
nur um eine Kontusion des Nerven handelte, ging die Lähmung nach
etwa 6 Wochen zurück. Im zweiten Falle wurde 6 Wochen nach der
Verwundung zur Operation geschritten. Der Nerv fand sich durchschossen
und wurde vernäht.
Zwei Peroneuslähmungen besserten sich von selbst; es handelte
sich wohl nur um unvollkommene Zerreissung oder Kontusion des
Nerven.
Hr. Jurasz-Leipzig sah 12 Hirnschüsse, darunter 11 infizierte.
Diese wurden gespalten, die Splitter entfernt, die Wunde offen gelassen.
3 mal kam es zu Spätabscessen. In einem Fall von Haarseilschuss
unter das Periost kam es dennoch zu Osteomyelitis. Für die schlechten
Resultate verantwortlich ist die unzweckmässige erste Behandlung, be¬
sonders das übertriebene Tamponieren der türkischen Aerzte. Unter den
Rückenmarksverletzungen fand er 2 mal reine Commotio ohne Ver¬
letzung des Knochens und ohne Hämatom. Liquorbeschaffenheit normal.
Trotzdem schlaffe Lähmung, Inkontinenz, Hypästhesie. Spontane Heilung.
Bei einem Steckschuss des Rückenmarks wurde die Kugel aus der Cauda
equina entfernt. Rückgang der Lähmungen binnen 3 Monaten. Auch
am Nerven kommen Kontusionen vor, so in einem Falle, wo der Plexus
brachialis durchsetzt war. Spontaner Rückgang der Lähmungen.
Hr. Kirschner-Königsberg gibt das Vorkommen derartiger Fälle
zu, kommt aber zu dem Ergebnis, dass man in jedem Fall freilegen soll,
da es unmöglich ist, diese Fälle gegen solche abzugrenzen, bei denen
der Eingriff geboten ist: nämlich Zerreissungen, Gegenwart irritierender
Fremdkörper, Einmauerung des Nerven im Narbengewebe. Im letzteren
Fall empfiehlt er, den Nerven nach der Neurolyse in Fascia lata ein¬
zubetten.
Hr. v. Oettingen-Berlin: Die Infektion im Kriege.
Im Gegensatz zu der Annahme v. Bergmann’s muss man heut¬
zutage daran festhalten, dass jede Wunde infiziert ist. Daher geht vieles
auf primäre Infektion zurück, was man der sekundären zuschreibt.
Man soll ausbluten lassen, aber dann zudecken. Die Unterlassung der
Wuudbedeckung führte zu 1 pCt. Tetanus bei den 63 000 russischen
Verwundeten nach Mukden. Die Kranken selbst, aber auch die Helfer
infizieren die Wunden durch unzweckmässige oder unsinnige Maassnahmen.
Spülungen mit Wasser oder giftige Antiseptica können nur schädlich
wirken. Auch das Jodoform will er verdammen. Er rügt ferner die
Unterlassung der Fixation. Statt sich über Sondierungen zu beschweren,
soll man einfach die Sonde aus dem Instrumentarium entfernen. Er hat
sie nie gebraucht. Die schädliche Tamponade entspringt einer unbe¬
gründeten Angst vor Blutungen. Es gilt der Grundsatz, dass eine
Blutung entweder tödlich oder harmlos ist.
Die gewöhnliche Form der Heilung ist die unter Schorf mit nekro¬
tischen Rändern und sekundärer Granulation. Redner glaubt, dass in
den Statistiken, auf welche er aus den verschiedenen Gründen wenig
Wert gelegt wissen will, diese Wunden mit Unrecht als nichtinfektiös
geführt werden.
Die Kriegsphlegmone und das zerstörte Gewebe hat nicht den fort¬
schreitenden Charakter, wie wir ihn vom Frieden kennen. Was als
Abscesse aufgefübrt wird, ist allermeistens Eiterverhaltung unter dem
Verband und beruht auf primärer Infektion. Den Satz, dass der erste
Verband das Schicksal entscheidet, will er heute zugeben, wenn man
die Fixation hinzunimmt. Die Hauptsache seien die drei Fixationen:
1. Fixation der Bakterien durch Jodtinktur oder besser Mastisol.
2. Fixation der verletzten Stellen und 3. Fixation des Kranken am
Lager. Die Tragbahre kann dabei sehr vorteilhaft alle Schienen er¬
setzen. Er betont die Vorteile der Suspension bei Kriegsphlegmone,
beklagt ihre zu seltene Anwendung und glaubt, dass alle Wadenschüsse
durch sie glatt heilen würden.
(Schluss folgt.)
Deutscher Kongress für innere Medizin
zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913.
(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.)
Eröffnungsrede: Hr. Penzoldt- Erlangen. P., der Vorsitzende dieser
Tagung, gedenkt der Verstorbenen dieses Jahres, hebt mit Genugtuung
hervor, dass die Zahl der Mitglieder und der Vortragenden ständig im
Wachsen begriffen und der Kongress nunmehr in Vollkraft in das vierte
Jahrzehnt seines Bestehens eintritt.
Die stark angefeindete Arzneimittelkommissiön hat als Erfolge zu
verzeichnen, dass viele Firmen ihre Anzeigen den Grundsätzen des Kon¬
gresses an gepasst haben, und es ist zu hoffen, dass auch Arzneimittel¬
prüfungsanstalten zum Nutzen der Aerzte und zum Schutze der hilfe¬
suchenden Menschheit gegründet werden.
Noch grössere Erfolge sind der Centralkommission beschieden
gewesen, die als ein mächtiges Bollwerk zum Schutze der Einheit der
inneren Medizin das Centralblatt ins Leben gerufen hat. Die Zahl
der Publikationen in der inneren Medizin ist ins Unendliche gewachsen,
behufs Einschränkung der Veröffentlichungen empfiehlt P., nur aus¬
gereifte Arbeiten mit grossen Untersuchungsreihen zu publizieren, die
kleinen Einzelpublikationen sollten von den führenden Männern zurück¬
gehalten werden.
1 . Referent: Hr. Hans H. Meyer-Wien: Die Erwärmung ist das
Ergebnis chemischer, die Wärmeabgabe physikalischer Prozesse. Ver¬
liefen beide unabhängig voneinander, so würde die Temperatur des
Körpers auf- und absehwanken «wischen einem die Aussentemperatur
nur wenig übersteigenden Minimum und dem höchsten noch mit dem
Leben verträglichen Wärmegrad (42° C) als Maximum. Bleibt die
Körpertemperatur beständig gleich, so muss zwisohen beiden Vorgängen
eine Wärmeregulation bestehen. Dieser centrale Temperaturregulator
liegt im Gehirn; ist dieser intakt, so bleibt die Körpertemperatur
konstant, mögen auch an der Wärmebildung und an der Wärmeabgabe
beträchtliche Aenderungen nach oben oder nach unten vorgenommen
werden. Der normale Regulationsapparat ist beim Menschen auf rund
37° C abgestimmt, im Fieber ist er auf eine abnorm hohe Temperatur
(38—42° C) eingestellt und wird durch Antipyretica wieder auf 37 9
zurückgestellt. Man kann sich den ganzen Apparat als zwei örtlich
vielleicht getrennte, korrelativ miteinander gekuppelte Centren vorstellen,
als ein thermogenetisches, d. h. wärmespeicherndes bzw. temperatur¬
steigerndes und ein thermolytiscbes, d. h. temperaturminderndes, kurz
als ein Wärme- und als ein Kühlcentrum. Beide Centren können von
der Peripherie her reflektorisch vorübergehend erregt werden, und zwar
reguliert der Organismus mit Gegenaktion schon bei nur drohender,
durch die Hautempfindung angekündigter Abkühlung oder Ueberhitzung.
Das Wärmecentrum kann auch reflektorisch gehemmt werden und zwar
durch starke Hautreize wie Sinapismen. Beide Centren sind aber
auch unmittelbar erregbar oder zu beruhigen, Erwärmung des Wärme¬
centrums erregt Sinken der Temperatur, Abkühlung fieberhafter Er¬
höhung.
Das Aronsohn-Sachs’sche Wärmecentrum ist im Fieber ira Zustande
einer erhöhten Erregbarkeit, das antagonistische Kühlcentrum ist dabei
automatisch gehemmt. Das Wärmecentrum ist nicht nur mechanisch
und elektrisch direkt erregbar, sondern auch reflektorisch und chemisch,
z. B. durch NaCl, parenteral beigebrachtes artfremdes Eiweiss, Albu-
mosen, andere Eiweissabbauprodukte, darunter auch das Anaphylatoxin,
Toxine von Mikroparasiten, Adrenalin usw. Da letzteres das sym¬
pathische Nervensystem erregend oder sensibilisierend beeinflusst, wird
wohl auch das Wärmecentrum demselben angehören. Dazu stimmt auch,
dass bei Basedow eine grosse Neigung zu Temperatursteigerungen be¬
steht: nämlich auch das Schilddrüsenhormon steigert die Erregbarkeit
des sympathischen Nervensystems. Das Kühlcentrum wird wohl auto¬
nomer Natur sein, damit stimmt, dass Erreger des autonomen Systems
wie Pikrotoxin, Santonin, Digitalin auch einen typischen Temperaturabfall
durch Erregung der Kühlcentren bewirken.
Bei mangelhafter Tbyreoideafunktion oder der Pars anterior der
Hypophyse besteht Neigung zu subnormaler Temperatur als Ausdruck
einer verminderten Erregbarkeit des Wärmecentrums. Die Ausschaltung
des Wärmecentrums bei Winterschläfern scheint auch auf Ausfall¬
erscheinungen von seiten der Hypophyse zu beruhen.
Im Fieber ist das Kühlcentrum gehemmt, das Wärmecentrum aber
übererregbar, d. h. erst durch eine höhere Temperatur als normal zu
beruhigen. Bei übererregbarem Wärmecentrum tritt natürlich auch
leichter als in der Norm Erschöpfung ein. Bei starker Badeabkühlung
vermag der Fiebernde daher nicht seine hohe Eigenwärme konstant zu
erhalten, er wird dadurch auf Stunden, der Gesunde nur für Minuten
abgeküblt. Das Chinin schränkt schon in kleinen Gaben den Eiweiss¬
abbau ein, am Gesunden wird dies ausgeglichen, beim Fiebernden drückt
Chinin aber die Temperatur herunter, es ist also ein leichtes Narkoticum
des Wärmecentrums, ein stärkeres der Alkohol und Chloral.
Als Gegenstück dazu wirken andere Gifte wie Pikrotoxin usw. durch
Erregung des Kühlcentrums, ebenso die Bulbärgifte Veratrin, Akonitin
und Digitalin. Die Entfieberung wird schonender durch Mittel herbei¬
geführt, die die Wärmeproduktion einschränken, während Anti-
pyrin, Acetanilid und Salioylate, welche die Wärmeabgabe erhöben,
leicht Schwächezustände zur Folge haben.
2. Referent: Hr. L. Kreh 1 - Heidelberg: Der homöotherme
Organismus besitzt Einrichtungen für die Erhaltung der Eigenwärme,
welche im Gehirn zwischen dem frontalen Ende des Thalamus und den
Vierhügeln liegen. Tiere, die unmittelbar hinter diesen Stellen an den
Vierhügeln durchschnitten werden, besitzen nicht mehr die Fähigkeit
der Regulierung. Nach Trennung von Vorderhirn und Streifenkörper an
den caudalen Partien bleibt die Wärmeregulation erhalten. Die Unver¬
sehrtheit einer Hälfte genügt für die Erhaltung der Funktion. Die re¬
gulierenden Vorrichtungen sind von zahlreichen anderen Stellen des
Hirns leicht zu beeinflussen. Die Auffassung des Fiebers als eines Er¬
regungszustandes des thermoregulatorischen Apparates setzt voraus, dass
beim Gesunden und beim Fiebernden qualitativ gleiche energetische
Vorgänge ablaufen.
In der Regel befindet sich der Fiebernde im Zustand mehr oder
weniger starker Unterernährung. Im reinen HuDger beteiligt sich das
Eiweiss am Kraftwechsel mit 15 bis 20 pCt., der übrige Teil kommt auf
Rechnung von Kohlehydraten und Fetten. Nach Grafe bestehen für
das Fieber nun ganz analoge Verhältnisse, nur bei lange währendem
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28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Fieber sinkt der Eiweissquotient viel tiefer. Der Stoffweohsel des
Fiebernden ist also qualitativ von dem in Unterernährung befindlichen
Menschen nicht verschieden und der Annahme eines Erregungszustandes
der Thermoregulatoren steht nichts im Wege.
Auch bei der Wärmeabgabe bestehen prinzipiell keine Abweichungen
von der Norm. In bezug auf Stoffzerfall beteiligen sich die Muskeln in
der Norm sowohl als auch an der febrilen Wärmeproduktion, so kann
man bei curarisierten Tieren aseptisches Fieber z. B. durch NaCl - In¬
jektion hervorrufen. Ebenso gelingt an ihnen der Wärmestich. Aber
auch die grossen Unterleibsdrüsen haben Bedeutung für die fieberhafte
Wärmeproduktion (Notwendigkeit des Glykogengehaltes der Leber für
Piqure und Fieber). Im Hunger kommt aseptisches Fieber nicht zu¬
stande. Bei Tieren mit durchschnittenem Brustmark (bis hinauf zu d 2 )
ist die Regulationsbreite herabgesetzt. Nach Durchschneidungen des
Brustmarks bei c 8 zwischen Hals- und Brustmark ist die Regulierfähig¬
keit völlig aufgehoben. Erzeugung von aseptischem Fieber und Wärme¬
stich gelingen dann nicht mehr. Kranke mit ähnlichen Läsionen des Hals¬
markes zeigen nicht selten besonders hohe Temperatursteigerungen.
Gleiche Verhältnisse wie bei Durchtrennung des Halsmarkes bestehen
bei Durchschneidung des Brustmarkes am vierten Segment mit beider¬
seitiger Entfernung des Ganglion stellatum oder bei gleichzeitiger Re¬
sektion der Nervi vagi. Bei ihnen kann man weder mittels Wärmestich
noch auf aseptisch-chemischem Wege Fieber hervorrufen.
Dem Grenzstrang spricht auch K. eine grosse Bedeutung für die
Wärmeregulation und das Fieber zu (Adrenalinfieber, Hyperglykämie bei
Fieber, Temperaturabfall bei Ausfall der Nebennieren). Im Zwischenhirn
erzeugte Erregungen gehen auf sympathischen Bahnen jedenfalls auch zu
den Drüsen mit innerer Sekretion. Die Entstehung von Fieber ist fast
immer auf Zerfall von Eiweiss im Organismus zurückzuführen, so bei
bakteriellen Injektionen, Kochsalzfieber usw. Die Blutplättchen, welche
besonders leicht zerfallen und dabei ungemein leicht Fieber erzeugen,
spielen möglicherweise bei der Genese des Fiebers auch eine Rolle. Von
einem einheitlichen pyrogenen Körper kann man noch nioht reden. Die
fiebererzeugendon Substanzen müssen aber jedenfalls eine Konstitution
haben, die sie zur Bildung von Antitoxinen befähigt. Viele Fiebernde
lassen sich durch reichliche Nahrungszufuhr annähernd oder völlig im
Energiegleichgewichte halten. Mau kommt dabei mit mittleren Gaben
Eiweiss bei reichlicher Kohlehydratnahrung aus. Immerhin erweisen sich
beim Fiebernden 40—50 Nettokalorien als notwendig. Forcierte An¬
wendung von kaltem Wasser stellt an den Energieverbrauch der Kranken
nicht zu untersohätzende Anforderungen und ist daher bei Fiebernden
elnzuschränken. Die schlechte Sitte, gegen jede Temperatursteigerung
sofort mit Antipyreticis vorzugehen, ist glücklicherweise jetzt verlassen.
Mit vorsichtigen Dosen von Pyramidon kann man allerdings bei Typhösen
viel Nutzen stiften.
Hr. A. Schittenhelm - Königsberg: Anaphylaxie und Fieber.
Injiziert man einem Tier eine kleine Menge artfremden Eiweisses
parenteral und macht nach etwa 14 Tagen eine Reinjektion, so entsteht
der anaphylaktische Shock des Meerschweinchens mit Temperatur- und
Leukocytensturz, Atemnot, Lungenblähung und Aufhebung der Blut¬
gerinnung. Bei leichterem Verlauf der anaphylaktischen Erkrankung
entstehen Fieber, Leukocytose, Blutdrucksenkung, vermehrte Lymph-
strömung usw. Je nach der Menge der reinjizierten Dosis kann man
Fieber oder Collapstemperatur hervorrufen. Schwierig 'ist die Erklä¬
rung des gesamten Symptomenkomplexes. Nach den Versuchen von
Biedl und Kraus mit Wittepepton erklärt sioh scheinbar der ganze
Prozess durch parenterale Verdauung. Wittepepton ist jedoch ein Ge¬
misch der verschiedensten Eiweissabbaustufen und enthält u. a. das
niedrig moleculare Vasodilatin und hochmoleculare höchst giftige Eiweiss¬
spaltungsprodukte- Zum genauen Studium der Anaphylaxie muss man
aber gut charakterisierbare isolierte Körper verwenden. Die zusammen¬
gesetzten Eiweisskörper, wie Nucleoproteide, Nucleohistone usw. beein¬
flussen den Organismus kaum. Sehr stark dagegen die abgetrennten
Eiweisskomponenten, wie das Histon und das Protamin. Die Gift¬
wirkung wird wieder aufgehoben, wenn man sie mit anderen Sub¬
stanzen verkuppelt, ähnlich wie Wittepepton durch Pepsin zu Plastein
verwandelt seine Wirkung verliert. Vielleicht spielt diese natürliche
Entgiftung auch im Organismus eine Rollo. Bei allen diesen Sub¬
stanzen, ähnlich wie bei den basischen Abbauprodukten Histamin und
Methylguanidin fehlen einige Kardinalsymptome- der Anaphylaxie, >wie
die Aufhebung der Blutgerinnung und die Erzeugung der Eosinophilie,
auch sind hierbei viel grössere Quantitäten notwendig als bei Serunj-
reinjektionen. Durch parenteral^. Einverleibung von artfremdem Eiweiss
wird der Organismus zur Abgabe von Schutzfermenten an d^s Blut
behufs Aufspaltung desselben veranlasst, ehe noch durch Reiojektion
Anaphylaxie ausgelöst werden kann. Die parenterale Verdauung bietet
demnach keineswegs eine erschöpfende Erklärung der Anaphylaxie.
Nach Friedberger soll eia einheitliches Anaphylatoxin als inter¬
mediäres Abbauprodukt aus den verschiedensten Eiweisskörpern ent¬
stehen und die spezifischen Antikörper das Eiweiss über diese Zwischen¬
stufe hinaus in ungiftige Spaltprodukte zerlegen. Die Giftwirkung ist
aber viel geringer als bei den minimalen Mengen des Anaphylaxie¬
versuches. Ungeachtet der Sensibilisierung des Organismus durch
Bakterieneiweiss kann auch primär bei Infektionen eine hohe Gift¬
wirkung durch Spaltprodukte der Bakterien entstehen. Die Bakterien¬
proteine rufen aber spezielle Symptomenkomplexe hervor, die für die
einzelnen Bakterien variieren, ebenso sind die entstehenden Immun¬
körper streng spezifisch. Bei Malaria sind ausschliesslich die Sporu-
lationsformen die Träger des Fieberagens. Beim Rückfallfieber entsteht
der Fiebertypus dadurch, dass in der fieberfreien Periode spezifisch
baktericide Stoffe im Blute kreisen. Nach ihrer Abnahme beginnt das
Fieber von neuem. Alle diese Befunde sprechen gegen die Erklärung
des infektiösen Fiebers durch ein einheitliches Gift. Bei einer natür¬
lichen Infektion sieht man auch kaum jemals Vergiftungsbilder, welche
mit dem anaphylaktischen Shock auch nur entfernte Aehnliohkeit auf¬
weisen. Es könnten vielmehr Aenderungen im kolloidalen Gleichgewicht
des Blutes die anaphylaktischen Erscheinungen hervorrufen, zumal durch
Schütteln von ungiftigen Seren mit Kaolin, Kieselgur usw. diese in hoch¬
giftige umgewandelt werden, ebenso durch Behandlung mit kolloidaler
Kieselsäure. Nebstbei erhöhen sich bei diesen Prozeduren die vaso-
konstruktorisohen Fähigkeiten der Seren durch Desaggregation. Hierher
gehört auch die Erzeugung von Fieber oder Gollaps durch intravenöse
Injektion von feinsten Paraffinsuspensionen, das Fieber bei Messing-
giessern sowie nach Einatmung von Zink und anderen Schwermetall¬
dämpfen. Nichtsdestoweniger hat die Anaphylaxie uns einen tieferen
Einblick in die Pathologie des Eiweissabbaues gewährt.
(Fortsetzung folgt.)
Chemiker und Biologe. 1 )
Von
P. G. Unna.
Biologe: Also kurz und gut: die Reduktionsorte im tierischen
Gewebe erkennen Sie an, die Sauerstofforte aber nicht.
Chemiker: Ja und Nein. Gegen die von Ihnen aufgestellten Re¬
duktionsorte (Hornschicht, Spongioplasma, Muskeln, Nerven, Erythrocythen)
ist chemisch nichts einzuwenden. Freilich sind die Manganbilder der¬
selben nicht eindeutig; denn Kali hypermanganicum wird nicht nur von
reduzierenden Stoffen, sondern auch von H,O a , einem oxydierenden
Mittel, zersetzt. Aber dafür treten die Färbungen der anderen und wie
Sie nachgewiesen haben, identischen Reduktionsbilder ein (Eisen-Cyan¬
mischung und Tetranitrochrysopbansäure), die nur durch Reduktion
(des roten Blutlaugensalzes bzw. der Nitrogruppe) und jedenfalls nicht
durch H 2 0 2 zustande kommen können.
Nur als sichergestellten und vollkommenen Gegensatz zu diesen
Reduktionsorten erkenne ich auch Ihre Sauerstofforte (Kern,
Mastzellen, Plasmazellen, Knorpel) an, da beide Gruppen sich nicht bloss
unterscheiden, sondern sich wie Positiv und Negativ verhalten, so dass
die mit Rongalitweiss dargestellten Sauerstofforte sämtlich keine Re¬
duktionsorte, die Reduktionsorte keine Rongalitweissorte sind. Aber ich
erkenne die Sauerstofiorte nur als histologischen Befund an, der ja
wichtig genug sein mag. Chemisch sind es für mich keine Sauer¬
stofforte, sondern da sie Leukomethylenblau aufnehmen und speichern,
Säureorte, meinetwegen besonderer Art.
Biologe: Dem muss ich entschieden entgegentreten. Wenn ich
die Schnitte mit S0 2 oder Cyankalium vergifte, leidet darunter das Säure¬
bild gar nicht, wie die gute und dunkle Methylenblaufärbung derselben
beweist. Aber die Färbung solchergestalt ihres Sauerstoffs beraubter
Schnitte mit Rongalitweiss versagt vollständig. Ebenso beseitigt eine
Erhitzung der Schnitte auf 100° das Rongalitweissbild, wärend das mit
Methylenblau darstellbare Säurebild nicht im geringsten gelitten hat.
Chemiker: Ich gebe zu, dass hierbei ein Unterschied zwischen
Methylenblaufärbung und Rongalitweissfärbung zutage tritt. Ich würde
denselben aber nur so ausdrücken, dass ich sage: die an Sauerstoff ver¬
armten oder erstickten Schnitte verlieren auf eine noch unerklärte
Weise ihre Affinität zu Leukomethylenblau, während die zum Methylen¬
blau erhalten bleibt.
Biologe: Nun genau das, was ich künstlich durch Sauerstoff-
entziebuog an den Sauer9tofforten bewirken kann, findet sich schon von
Natur an gewissen Gewebselementen, wie die Hornschicht, die Muskel¬
substanz, die sich als Säureorte wohl mit Methylenblau färben lassen,
die aber als Reduktionsorte Rongalitweiss nicht zu bläuen vermögen.
Sie werden wieder sagen, dass hier auf bisher noch unerklärte Weise
die sauren Gewebe wohl Methylenblau, aber kein Leukomethylenblau
aufnehmen können. Aber abgesehen davon, dass hierin noch keine Er¬
klärung liegt, ist es auch nioht ganz richtig. Denh in Wirklichkeit
nimmt die Hornschioht, wenn auch nicht viel, so doch sicher etwas
Leukomethylenblau auf, auch,wenn man es dem Rongalitweissbild der
ungefärbten Hornschioht nicht ansieht. ,,
Chemiker: Das kann ich mir nicht denken. Es gibt Körper, die
bei Gegenwart von Luftsauerstoff dauernd oxydieren und andere, die bei
Gegenwart von H 2 dauernd reducieren. Aber Körper, die bei Ueber-
sohuss von Luft dauernd Oxydation hindern, gibt es nicht. Wo die Luft
nioht bläut, da ist auch kein Leukomethylenblau und wo Leukomethylen¬
blau ist, da bläut die Luft schliesslich stets. Eine Reduktionskraft der
Hornschicht, so gross, dass sie dauernd vorhandenes Leukomethylenblau
an der Oxydation hindern könnte, ist undenkbar.
1) Dieser Dialog entstand im Anschluss an die rege Diskussion
nach meinem in der Berliner physiologischen Gesellschaft am 24. Januar 1913
gehaltenen Vortrag: Tatsachen über die Reduktionsorte und Sauer¬
stofforte des tierischen Gewebes.
(Vergleiche hierzu No. 13 dieser Wochenschrift. Red.)
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Biologe: Dass dieses für Sie „Undenkbare“ dennoch in Wirklich¬
keit besteht, ist leioht nachzuweisen. Denn das in der Hornschicht latente
Leukomethylenblau kann man mit verschiedenen stärkeren Oxydations¬
mitteln in Methylenblau verwandeln und dadurch kenntlich machen. Die
beste Methode, die ich auch stets an wende, um irgendwo latentes Leuko-
metbylenblau zu entdecken, ist ein kurzer Aufenthalt der Schnitte in
Osmiumdampf; denn hier geht nicht gleichzeitig eine Auswaschung des
gebildeten Methylenblaus einher. Doch gelingt die Bläuung der bis
dahin weissen Hornschicht auch oft mit H 2 0 2 , Eisenchlorid usw.
Aber wenn die Abweisung des Rongalitweiss durch die Hornschicht
auch nicht so absolut ist, wie Sie annehmen, so stimme ich Ihnen doch
darin bei, dass Rongalitweiss nur in sebr geringem Maasse von der Horn¬
schicht aufgenommen und noch sohleohter von ihr (unauswaschbar) fixiert
wird. Eine naheliegende Erklärung dafür wäre übrigens der Säurezusatz
(HCl, Essig), der dem Rongalitweiss gemacht werden muss. Denn wenn
man eine Methylenblaulösung durch Säurezusatz abschwächt, färbt sich
die Hornschicht auch nicht, sondern nur Mastzellen und Kerne.
Doch werde ich auf den Hauptgrund der Nichtfärbung der Horn¬
schicht durch Rongalitweiss gleich zu sprechen kommen, nachdem wir
uns über die Natur der Sauerstofforte verständigt haben, denn beide
Fragen hängen untrennbar zusammen. Sie bestreiten also, dass die
Sauerstofforte freien Sauerstoff besitzen und sich dadurch von ihrer Um¬
gebung unterscheiden.
Chemiker: In der Tat. Ihre Sauerstofforte sind für mich nur
Leukobasen fixierende Orte; da ihre Bläuung bei Luftabschluss
nicht stattfindet, so ist dort auch kein freier Sauerstoff, alle Bläuung
beruht vielmehr auf dem Zutritt des Luftsauerstoffs.
Biologe: Sie denken offenbar daran, dass ich gleich anfangs die
Abhängigkeit der Bläuung der Kerne durch Rongalitweiss vom Zutritt
des Luftsauerstoffs nachgewiesen habe. Aber erstens waren diese älteren
Versuche nicht mehr eiuwandsfrei, seitdem wir gelernt haben, dass durch
Pyrogallol- bzw. Phosphorwasser nicht bloss der Luftsauerstoff ab¬
gehalten, sondern auch die Sauerstofforte direkt geschädigt werden. Sie
sind später mit einwandfreier Methode wiederholt worden und haben zu
ganz anderen Resultaten geführt.
Weiter aber haben wir unterscheiden gelernt zwischen primären
Sauerstofforten (Kern und Mastzellen), welche den Sauerstoff zu akti¬
vieren vermögen, und sekundären Sauerstofforten (Granoplasma, Plasma-
zellen, Ganglien, Knorpel), die befähigt sind, freien Sauerstoff (sei es
physikalisch oder locker chemisch) zu speichern. Für beide Kategorien
hat offenbar der Zutritt des Luftsauerstoffs eine verschiedene Bedeutung.
Für die primären Sauerstofforte ist der Sauerstoffzutritt die notwendige
Bedingung, dass sie aktivieren können; ganz unabhängig davon können
sie noch einen beliebig hohen Rest von früher aktiviertem Sauerstoff
besitzen, da sie natürlich auch Sauerstoff zu speichern vermögen.
Schliesst man da den Luftsauerstoff ab, so können die Kerne entweder
Sauerstoff in ganz verschiedenem Grade anzeigen oder nicht. Schliesst
man aber den Luftsauerstoff von den sekundären Sauerstofforten ab, so
müssen dieselben (also Plasmazellen, Ganglien, Knorpel) unter allen
Umständen Sauerstoff besitzen und anzeigen; denn darin besteht ihre
einzige Funktion. Ein Fehlen des freien Sauerstoffs an den sekundären
Sauerstofforten bei Luftabschluss würde beweisen, dass sekundäre patho¬
logische Veränderungen in ihnen stattgefunden haben (z. B. Aus¬
waschung der Cytose aus Plasmazellen, Ganglien).
Die mit verbesserter Methode angestellten Luftabschliessungsversuche
bestätigen diese Voraussetzungen sämtlich. Man hat hierzu nur nötig,
die Schnitte aus dem Rongalitweiss dreimal in Reagiergläschen mit gut
abgekochtem Wasser zu schütteln und auf das letzte Gläschen Paraffinum
liquidum 3—4 cm hoch aufzugiessen. Man kann dann sicher sein, dass
aller in den Schnitten vorhandene freie Sauerstoff sich nach einiger Zeit
durch Bläuung der Schnitte anzeigt, ohne dass von aussen freier Sauer¬
stoff zutreten kann. Und das Resultat ist das erwartete. Alle sekun¬
dären Sauerstofforte (Plasmazellen usw.) sind prachtvoll gebläut; die
primären (Kerne) meistens auch, aber in verschiedenem Grade, manchmal
sehr stark, manchmal nur schwach.
Chemiker: Nun wohl. Wenn diese Rongalitweissversuche unter
Sauerstoffabschluss sich vollinhaltlich bestätigen sollten, gebe ich zu,
dass in den Geweben an verschiedenen Orten Reservesauerstoff vor¬
handen ist; aber Sie müssen hinwiederum auch zugeben, dass, abgesehen
hiervon, auch überall dort die Rongalitweissmethode Bläuung hervorruft,
wo nur die zwei Bedingungen vorhanden sind, dass Leukomethylenblau
gespeichert wird und Luftsauerstoff hingelangt.
Biologe: Leider kann ich Ihnen auch nicht einmal dieses zugeben.
Denken Sie nur an alle die ungebläuten, hell hervorleuchtenden Kerne
der Plasmazellen, Ganglien, des Knorpels auf Schnitten, die mit Rongalit¬
weiss gefärbt und der Luft ausgesetzt sind. Hier sind beide Be¬
dingungen vorhanden und doch tritt keine Bläuung ein; denn Sie werden
doch wohl kaum die Vorstellung wagen, dass die sauren Kerne der
Plasmazellen usw. nicht, wie alle anderen Kerne, Leukomethylenblau
aufnehmen könnten. Es muss also noch als eine dritte Bedingung hinzu¬
kommen, dass der Kern sich mit Sauerstoff belädt und diese
findet sich in den drei erwähnten Fällen nicht erfüllt, denn in allen ist
der Kern von einer dichten Masse sekundärer Sauerstofforte (Granoplasma,
Knorpelgrundsubstanz) umlagert, die dem Kern beständig den von ihm
aktivierten Sauerstoff entzieht. Dass wirklich nur dieser Grund hier die
gewöhnliche Bläuung des Kerns verhindert, lässt sich leicht beweisen.
Man entzieht (z. B. durch 1 proz. Borsäurelösung) den betreffenden
Schnitten auf unschädliche Weise das räuberische Granoplasma und wird
finden, dass die Kerne (der Plasmazellen, Ganglien) sich nun wieder
ganz wie gewöhnliche Kerne mit Rongalitweiss bläuen. Fassen wir diese
und die vorhergehenden Versuche zusammen, so haben wir also teils
dort keinen freien Sauerstoff, wo wir ihn nach der einfachen „Küpen¬
theorie“ der Sauerstoffortc U finden müssten, teils dort freien Sauerstoff,
wo er nach derselben Theorie nicht auftreten sollte, weil die zutretende
Luft ausgeschlossen ist.
Chemiker: Gut, dass Sie an die Küpenfärbung erinnern. Ich
wollte schon lange fragen, weshalb Sie nur Methylenweiss zur Auf¬
findung der Sauerstofforte benutzen. Andere Leukofarben können doch
zu anderen Gewebsteilen Affinität besitzen und es ist doch von vorn¬
herein gar nicht ausgeschlossen, dass auf demselben Wege noch andere
Sauerstofforte als die von Ihnen angegebenen gefunden werden könnten.
Insbesondere wäre es mir interessant, zu erfahren, wie sich das Leuko-
produkt des indigoschwefelsauren Natrons (Indigcarmin), einer sauren
Küpenfarbe, zum Gewebe verhält.
Biologe: Ich habe in der Tat schon mit verschiedenen sauren
Leukofarben experimentiert 2 ), unter Zugrundelegung derselben soeben
von Ihnen berührten Fragestellung; besonders haben mir Leukorcein
und Leukosäuregrün (in Rongalitmischungen) deutliche Befunde gegeben.
Leukoindigkarmin (Indigweiss) habe ich erst in neuester Zeit benutzt
und dieselben Resultate gefunden, wie mit den anderen beiden sauren
Leukofarben. Alle ergeben das genaue Gegenteil der Rongalitweiss-
färbung; Kerne ungefärbt, Hornschicht und Spongioplasraa gefärbt. Hinzu
kommt als etwas Neues noch: eine Färbung des Kollagens. Das
war vorherzusehen, denn diese sauren Leukofarben haben nur Affinität
zu den basischen Bestandteilen des Gewebes, und da diese im grossen
und ganzen mit den reduzierenden Bestandteilen desselben zusammen¬
fallen, so ergeben sich mit sauren Leukofarben ähnliche Bilder wie die
Reduktionsbilder, wenigstens in bezug auf Kern, Spongioplasma und
Hornschicht. Das KoIIagen macht eine Ausnahme, da es nicht wie die
anderen Teile reduziert, aber durch die Menge seiner basischen Bestand¬
teile den sauren Leukofarbstoff doch speichert.
Sollte ich aus diesen Bildern nun schliessen, dass alles Frühere
verkehrt war, dass die Kerne keinen freien Sauerstoff besitzen, statt
dessen aber die Hornschicht und das Spongioplasma? Doch gewiss nicht.
Ich möchte mich vorläufig in diesem Punkte Ihrer anfangs geäusserten
Ansicht anschliessen, dass den festen Punkt in der ganzen Sauerstoff¬
frage die Reduktionsbilder darstellen, die ebenso eindeutig wie leicht
verständlich sind. Alles, was mit ihnen nicht harmoniert, muss genau
auf irgendwelche besonderen Einflüsse untersucht werden. Und so ist
es denn auch gar nicht schwer, die besonderen Umstände herauszufinden,
welche die Bilder des Leukorceins, Leukosäuregrüns und des Indigweiss
erklären. Zunächst lässt sich feststellen, dass diese Färbungen ohne
Zutritt von Luft nicht stattfinden; auf sie passt also die Küpentheorie.
Freien Sauerstoff im Gewebe zeigen sie nirgends an. Sie können das
um so weniger, als sie sich fast nur an reduzierende Teile des Gewebes,
die uns durch die Reagentien für Reduktion anderweitig bekannt sind,
fixieren, und höchstens könnte man versucht sein, im gefärbten KoIIagen
ausnahmsweise einen „basischen Sauerstoffort“ zu erblicken. So dachte
ich auch, bis ich durch Ausschluss der Luft 8 ) fand, dass auch hier kein
Sauerstoffort vorliegt.
Chemiker: Sie geben also doch hier wenigstens zu, dass bei vor¬
heriger Speicherung eines Leukofarbstoffes allein das Hinzutreten der
Luft genügt, um ohne weiteres eine Färbung im Sinne der oxydierten
Farbe hervorzurufen.
Biologe: Ohne weiteres — nein! Denn es kommt hier ausserdem
noch wesentlich auf die günstige oder nicht günstige Reaktion des sich
färbenden Gewebes an. Sie müssen nicht vergessen, dass zwischen
basischen und sauren Leukofarben die Grunddifferenz besteht, dass nur
die letzteren sich mit basischen Bestandteilen des Gewebes ver¬
binden, während für beide Arten von Farbstoffen die gemeinsame Regel
besteht, dass die Oxydation durch die Gegenwart von Alkalien sehr be¬
günstigt wird.
Chemiker: Sie scheinen also zu meinen, dass die Begünstigung
der Oxydation durch Alkalien auch auf den Fall der Verbindung der
sauren Leukofarben mit basischen Eiweissstoffen auszudehnen sei.
Biologe: Ich habe Ihr mitleidig ironisches Lächeln bei dieser
Frage wohl bemerkt und eigentlich auch erwartet. Die Sache scheint
1) So will ich der Kürze halber die chemische Theorie der Sauer¬
stofforte nennen, welche nur die beiden Bedingungen: Speicherung von
Leukomethylenblau und Zutritt von Luftsauerstoff berücksichtigt.
2) Unna, Die Darstellung der Sauerstofforte im tierischen Gewebe.
Med. Klinik, 1912, Nr. 23, S. 951.
3) Diese vollkommene Ausschliessung des Sauerstoffes bedarf einer
besonderen, aber einfachen Technik. Die mit den Leukofarben be¬
handelten Schnitte werden rasch in wenigstens zwei verschiedenen Ge-
fässen mit Rongalitwasser (etwa 72 proz.) abgespült und kommen sodann
direkt, ohne vorher in destilliertem Wasser abgespült zu sein, in ein
etwa 10 cm hohes, cylindrisches Gefäss, in welches zuerst bis zur Hälfte
der Höhe Glycerinum purissiraum eingegossen wird, das vorher gründlich
abgekocht war. Die obere Hälfte wird sodann mit dem die Schnitte
enthaltenden Rongalitwasser gefüllt. Man stösst die Schnitte mittels
einer Glasnadel in das Glycerin und hält sie mit derselben auf dem
Boden beliebig lango fest. Schnitte aus Indigweiss und Leukorcein
bleiben in dem sauerstofffreien Glycerin ungefärbt, färben sich jedoch,
herausgenommen, an der Luft in gewöhnlicher Weise.
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UNIVERSUM OF IOWA
28. April 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
811
mir aber doch zu -wichtig, um sie damit abzumachen. Zunächst habe
ich an Sie die Gegenfrage zu stellen, wie Sie denn den grossen
prinzipiellen Unterschied zwischen der Reoxydation der sauren und
basischen Leukofarben erklären wollen. Bei ersteren ist die Reoxydation
im Gewebe sehr energisch und nur durch die allerstärksten reduzierenden
Mittel zu verhindern. Sie findet im ausgekochten Wasser, ja selbst in
Pyrogallol- und in Phosphorwasser statt, wio ich das schon bei Be¬
sprechung des Leukorceins mitgeteilt habe. Es werden offenbar alle
Spuren von Sauerstoff aus der Umgebung mit grosser Energie zur Re-
oxydation herangezogen und benutzt. Nur in Rongalitwasser hält sich
Leukoroein und ebenso Indigweiss unverändert.
Im Gegensatz dazu bläut sich das Leukomethylenblau viel weniger
energisch; die schwächsten reduzierenden Mittel genügen, um die Re-
oxydation zu verhindern. Da liegt doch der Gedanke am nächsten, dass
bei den sauren Leukofarben die basischen, von ihnen angefärbten Gewebs-
elemente die Reoxydation fördern, während bei den basischen Leuko¬
farben diese Förderung naturgemäss wegfällt. Denn Leukomethylenblau
wird ja nur von den sauersten Gewebsteilen gespeichert (Knorpel, Kerne,
Mastzellen, Plasmazellen, Ganglien); duroh seine Verbindung mit
diesen allein wird seine Oxydation zu Methylenblau also durchaus
nicht begünstigt, im Gegenteil, sogar verzögert und herabgesetzt, als
fände sie in einer sauren Lösung statt. Wenn trotzdem alle Sauerstoff¬
orte sich gerade an den sauersten Orten des tierischen Gewebes befinden
und nachweisen lassen, so kann es eben nur der daselbst aufgespeicherte
Sauerstoff sein, nicht die Reaktion des Gewebes, welche die Oxydation
bei der Färbung mit Rongalitweiss fördert.
Dass — im Gegensätze zu Rongalitweiss — das Indigweiss und
Leukorcein dort, wo sie sich im Gewebe verankern, keinen freien Sauer¬
stoff finden, sondern ihn nur aus der Luft beziehen, geht schon daraus
hervor, dass genau dieselben Bilder, die, wie gesagt, den Reduktions¬
bildern ähnlich sind, ebensowohl bei Färbung des frischen Gewebes mit
Indigweiss und Leukorcein entstehen wie bei Färbung desselben Gewebes,
nachdem es erhitzt ist oder lange in Alkohol oder Formalin aufbewahrt
war; unter solchen Umständen also, die das Vorhandensein von freiem
Sauerstoff absolut ausschliessen.
Sodann verträgt sich die folgende Tatsache nicht mit der Annahme
ton Sauerstofforten an Stelle derjenigen basischen Gewebselemente, die
von Indigweiss und Leukorcein angefärbt werden. Sauerstofforte, d. h.
Ansammlungen freien Sauerstoffs, werden durch längere Aufbewahrung
in starken Reduktionsmitteln allmählich vernichtet. So verschwinden
die Sauerstofforte der Plasmazellen, wenn wir die Schnitte längere Zeit
in einer Rongalitlösung aufbewahren. Schnitte aber, die mit Indigweiss
oder Leukorcein behandelt und tagelang in Rongalitlösung aufbewahrt
waren, bläuen sich doch sofort wieder, wenn sie an die Luft gebracht
werden. Die Bläuung beruht hier eben nur auf der Speicherung der
sauren Leukofarben in bestimmten basischen Gewebselementen, in Ver¬
bindung mit welchen sie zugleich ein energisches Oiydationsbestreben
erhalten.
Welches diese basischen Elemente sind, welche Indigweiss und
Leukorcein speichern, wissen wir auch schon. Es sind dieselben oxy-
philen Substanzen 1 ), welche durch ihre Affinität zu Hämatein -f- Alaun
die sogenannten Hämatoxylinbilder hervorrufen. Behandelt man die
Schnitte mit 5 proz. HCl, so lösen sich die sauren, basophilen Sub¬
stanzen auf und es bleibt eine basische Grundlage zurück, die aus den
in 25 proz. HCl löslichen, basischen oxyphilen Substanzen und der eben¬
falls basischen, oxyphilen, aber nur sehr schwer löslichen Zellgrundlage
(Spongioplasma, Plastin des Kerns) besteht. Die letztere speichert die
sauren Leukofarben etwas, die basophilen Substanzen gar nicht, die
löslichen, oxyphilen Substanzen aber stark 2 3 ). Die von ihren
sauren, basophilen Elementen befreiten Schnitte färben sich daher mit
Indigweiss und Leukorcein stark, ja sogar stärker als die unversehrten
Schnitte, da in ihnen die basophile Substanz blossgelegt ist und ihre
volle Basicität, ungehindert durch saure Beimischung, entfalten kann.
Chemiker (nach einigem Besinnen): Wollte ich auch alle diese
Schlussfolgerungen zugeben und mich Ihrer Ansicht über den funda¬
mentalen Unterschied der gewöhnlichen Küpenfärbung und der Rongalit-
weissfärbung anschliessen, so finde ich doch noch keine Erklärung für
den Hauptpunkt Ihrer Sache, weshalb nämlich das basische Leuko¬
methylenblau gerade nur eine Affinität zu denjenigen sauren Orten des
Gewebes besitzt, in denen der Sauerstoff, wie ich mit Ihnen einmal an¬
nehmen will, gespeichert wird, während das Methylenblau auch andere
saure Gewebsorte färbt.
Biologe: Gerade dieser Umstand ist so leicht erklärlich, dass er
mir geradezu selbstverständlich erscheint. Er ist nämlich die notwendige
Folge des allgemeinen Gesetzes oder, besser, gesagt, der bei der Ver¬
wandtschaft zwischen Eiweiss und Farben, Eiweiss und Beizen und
zwischen Eiweiss und Eiweiss durchgreifenden Regel, dass sauerstoffreiche
und sauerstoffarme Stoffe sich anziehen und gegenseitig absättigen, ein
Gesetz, das ich mit dem Namen der oxypolaren Affinität bezeichnet habe*).
Dasselbe herrscht neben dem der Säure-Basenaffinität und durchkreuzt
dieselbe häufig, wodurch eine Reihe paradoxer Verwandtschaften, so
1 ) S. Unna, Biochemie der Haut, S. 52. Jena 1913, Fischer.
2) Die Schnitte müssen vor der Behandlung mit den sauren Leuko¬
farben natürlich von anhängender HCl durch Sodalösung und destilliertes
Wasser befreit werden.
3) Unna, Die Bedeutung der Sauerstofforte in der Färberei.
Dermatol. Stud., Bd. 22. Hamburg und Leipzig 1912, Leop. Voss.
z. B. der sauerstoffreichen, sauren Pikrinsäure zur sauren, aber sauer¬
stoffarmen Stachel- und Hornschicht bei der van Gieson-Färbung erst
verständlich werden. Nach diesem Gesetze muss die Verwandtschaft
saurer Sauerstofforte zum Leukomethylenblau stärker sein als zu dessen
Oxydationsprodukt: Methylenblau. Daher bildet sich beim Zusammen¬
treffen von Leukomethylenblau und sauren Sauerstofforten sofort eine
feste, nur schwer auswaschbare Verbindung, in welcher der H 2 das
Leukomethylenblau und der 0=0 des Sauerstoffortes sich ausgeglichen
haben. Also auch diese scheinbare Paradoxie ist chemisch gut be¬
gründet.
Würden Sie nun zum Schluss noch die Geduld haben, mir zuzuhören,
wenn ich die paar Thesen für zukünftige Diskussionen über dieses Thema
heraushebe, die mir nach unserer heutigen Unterhaltung beweisbar und
bewiesen zu sein scheinen?
Chemiker: Ich habe nichts dagegen.
Biologe: 1. Es gibt Reduktionsorte im tierischen Gewebe, die
sich jederzeit durch Reduktionsreagentien in charakteristischer Färbung
darstellen lassen.
2. Es gibt Sauerstofforte im tierischen Gewebe, die sich an
Gefrierschnitten durch Rongalitweiss darstellen lassen.
3. Chemisch lassen sich von diesen von Rongalitweiss bevorzugten
Stellen zwei Dinge aussagen. Sie enthalten gespeicherten Sauerstoff
und haben gerade deswegen eine oxypolare Affinität zum reduzierten
Methylenweiss.
4. Die Sauerstofforte befinden sich stets an hervorragenden Säure-
orten des Gewebes; aber es gibt auch Säureorte, die keinen Sauerstoff
speichern (z. B. Hornschicht) und deshalb keine oxypolare Affinität zum
reduzierten Leukomethylenblau, wohl aber eine mässige zum Methylen¬
blau aufweisen.
5. Die Sauerstofforte zerfallen in 2 Klassen; die primären akti¬
vieren Luftsauerstoff und zeigen bei Luftabschluss eine verschieden grosse
Menge davon, unter Umständen gar keinen an (Kerne, Mastzellen); die
sekundären speichern nur den von den primären aktivierten Sauerstoff
und enthalten auch bei Luftabschluss stets eine erhebliche Sauerstoff-
raenge (Plasmazellen, Ganglien, Knorpel).
6 . Die sauren Leukofarben (Leukorcein, Leukosäuregrün, Indig¬
weiss) besitzen Affinität zu den basischen Teilen der Gewebe (oxyphile
Zellsubstanzen, Kollagen). Die Verbindung mit diesen basischen Stoffen
befördert ihre Oxydation, die aber nur bei Luftzutritt vor sich geht.
Diese echten Küpen zeigen also nur basische Gewebsteile an, weisen
dagegen keinen freien Sauerstoff in denselben nach, wie die Rongalit-
weissfdrbung in den sauren.
Chemiker: Ich muss gestehen, dass ich gegen diese Thesen, vor¬
ausgesetzt, dass die zugrunde liegenden Versuchsergebnisse weiterhin
Bestätigung finden, nicht mehr viel einzuwenden habe. Jedenfalls halte
ich Ihren Weg für den richtigen, um der geheimnisvollen Zellsubstanz
chemisch und biologisch beizukommen.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. Der Leiter der Unterrichtsabteilung des Kultusministeriums,
Herr Ministerialdirektor Naumann, wurde zum Wirkl. Geheimen
Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt.
— Geheimrat C. A. Ewald begeht am 30. d. M. das 25 jährige
Jubiläum als dirigierender Arzt der inneren Abteilung des Augusta-
Hospitals in Berlin. Von seinen früheren und gegenwärtigen Schülern
ist für diesen Tag eine besondere Ehrung geplant, und auch wir bringen
dem langjährigen ehemaligen Leiter dieses Blattes die herzlichsten Glück¬
wünsche dar.
— Unser geschätzter Mitarbeiter, Stabsarzt Möllers am Institut
Rob. Koch, erhielt den Professortitel. Desgleichen der neue Privatdozent
für soziale Medizin und Abteilungsvorsteher im Institut für Hygiene,
Herr Grotjahn.
— Aus dem Programm der vom 21. bis 26. September in Wien
stattfindenden 85. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte: Montag, den 22. September: F. Rinne - Leipzig: Das Wesen
der kristallinen Materie vom Standpunkt des Mineralogen. H.vonSee-
1 i g e r - München: Moderne Astronomie. Mittwoch, vormi ttags: Medizinische
Hauptgruppe: Gesamtsitzung: Brodmann-Tübingen: Neuere Forschungs¬
ergebnisse der Hirnanatomie. Re ich-Wien: Anatomie des Bogengang¬
apparates. Rot hfeld -Wien: Physiologie des Bogengangapparates.
Barany-Wien: Klinik des Bogengangapparates. Nachmittags: Natur¬
wissenschaftliche Hauptgruppe: Gesamtsitzung: H. Wien er-Darmstadt:
Wesen und Aufgaben der Mathematik. A. Steuer-Innsbruck: Ziele
und Wege biologischer Mittelmeerforschung. Donnerstag: Gemeinsame
Sitzung beider Hauptgruppen: K. Ritter von Hess-München: Der
optische Sinn der Tiere. 0. Lummer-Breslau: Das Sehen. E. Dolezal-
Wien und Exz. A. von Hübl-Wien: Photogrammetrie. Freitag:
E. Fischer-Freiburg im Breisgau: Das Rassenproblem. Max Neu¬
burger-Wien: Gedenkrede auf Joh. Christ. Reil (+ 1813). Othenio
Abel-Wien: Neuere Wege phylogenetischer Forschung.
— Vom 1. bis 5. August d. J. findet zu Brüssel die 3. Inter¬
nationale Konferenz für Krebsforschung statt. Zur Beratung
kommen folgende Themata: 1. Die Anwendung der physikalisch-chemischen
Verfahren bei der Behandlung des Krebses. Anwendung chemischer
Mittel nach Radikalopetationen. 2. Vaocinationstherapie der Geschwülste.
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UNIVERSIT7 OF IOWA
812
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
з. Statistik der Krebskrankheit. Oertliche Verbreitung. 4. Einrichtung
für die Fürsorge Krebskranker (Fürsorgestellen usw.), Pflege der Krebs¬
kranken und Unterricht in dieser Pflege. 5. Bericht über den Stand
der Krebsforschung und Krebsbekämpfung in den einzelnen Ländern,
unter Vorlage der betreffenden Drucksachen, Schriften für Aerzte, Merk¬
blätter für9 Volk usw. — Die Organisation der Konferenz liegt in den
Händen der Belgischen Kommission für Krebsforschung (Dr. Henseval,
Brüssel, Palais du Cinquantenaire).
— Die 20. Versammlung des Vereins deutscher Laryngo-
logen findet am 7. und 8. Mai in Stuttgart statt. Aus den Vorträgen
seien erwähnt: Denker-Halle: Demonstration von Instrumenten zur
Intercricothyreotomie; Preysing-Cöln: Beiträge zur Operation der
Hypophyse; Ephraim-Breslau: Zur Theorie des Bronchialasthma;
Brünings-Jena: Ueber ein Universal-Laryngoskop; Manasse-Strass-
burg i. E.: Demonstration eines Gehirns mit äusserst hochgradigen
rhinogenen Veränderungen; Katzenstein-Berlin: Neue Methode der
direkten Laryngoskopie; Ki Ui an-Berlin: Demonstration zur Schwebe¬
laryngoskopie; Goerke-Breslau: Zur Tonsillektomiefrage; Brügge¬
mann-Giessen: Behandlung des erschwerten Decanulements; Solger-
Breslau: Zur Kenntnis der Differentialdiagnose zwischen Syphilis und
Tuberkulose der oberen Luftwege; Spiess-Frankfurt a. M.: Bericht über
Positiver Wassermann bei malignen Geschwülsten.
— Vom 5. bis 11. Mai 1913 findet in Lausanne der Kongress
lür Sportphysiologie und Sportpsychologie statt.
— Das Deutsche Centralkomitee zur Erforschung und Bekämpfung der
Krebskrankheit hat die Schrift „Die klinische Frühdiagnose des
Krebses“ von Dr. Fiscber-Defoy-Quedlinburg mit einem Preis gekrönt
und „den deutschen Aerzten gewidmet“. Auf die vortreffliche kleine
Abhandlung sei hiermit die Aufmerksamkeit der Kollegen gelenkt.
:— Das „Archiv für klinische Chirurgie“ („Langenbeck’s
Archiv“, wie es in der ganzen Welt heisst) hat das erste 100 seiner
Bände soeben abgeschlossen. Ein Supplementheft von Stabsarzt F.Brüning
bringt neben einem vollständigen Namen- und Sachregister für diese ganze
Serie in grossen Zügen eine Skizze von dem Entwicklungsgang der
Chirurgie der letzten 50 Jahre, wie er sich in diesem Centralorgan der
deutschen Chirurgie widerspiegelt. Belegt mit Tatsachen und manchem
trefflichen Citat ist dieser Artikel ebenso instruktiv wie amüsant und
verdient auch in nichtchirurgischen Kreisen gelesen und um manches
Wortes der grossen Altvordern willen wohlbeherzigt zu werden.
— Das „Krankenpflege-Lehrbuch“, das die Medizinalabteilung
des preussischen Ministeriums des Innern als Lehrbuch für das Kranken¬
pflegepersonal herausgibt, ist soeben in 3. Auflage bei Aug. Hirschwald
erschienen. Von Prof. Dietrich, Vortragendem Rat in genannntem
Ministerium, Generalarzt a. D. Körting und Oberstabsarzt a. D. Prof.
Salzwedel verfasst, bietet das rund 400 Seiten starke Buch in klarer
Diktion und etwa 170 instruktiven Abbildungen alles, was der preussische
Krankenpfleger wissen muss. Ueber die Bedürfnisse der eigentlichen
Pflege hinaus vermag er aus den Kapiteln über die Versicherungsgesetze
и. ähnl. noch manches zu lernen, um auch weiterhin dem Kranken mit
Rat beistehen zu können.
Hochschulnachrichten.
Jena. Habilitiert: Dr. Zange für Ohrenheilkunde. — Königs¬
berg. Prof. E. Schwalbe in Rostock hat einen Ruf als Ordinarius der
Pathologie erhalten. — Heidelberg. Prof. v. Düngern wurde zum
Direktor des neugegründeten Instituts für experimentelle Krebsforschung
in Hamburg berufen. — Marburg. Dr. Zeissler, Abteilungsvorsteher
am Institut für Hygiene, übernimmt die Leitung der bakteriologisch-
serologischen Abteilung am Krankenhaus in Altona. — München.
Habilitiert: Dr. Veiel — bisher in Tübingen — für innere Medizin.
Aufruf.
Das Direktorium der Hufeland’schen Stiftungen versendet nach¬
stehenden Aufruf:
Berlin, Frühjahr 1913.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Zu unserem Bedauern haben wir aus den Beitragsnachweisungen
des Jahres 1912 ersehen, dass das Interesse der Herren Kollegen für die
Hufeland’schen und Goburek’schen Stiftungen von Jahr zu Jahr ab¬
nimmt, obwohl die verschiedenen ärztlichen Hilfs- und Unterstützungs¬
kassen — wie sich wiederholt gezeigt hat — nicht in der Lage sind,
dem Unterstützungsbedürfnis zu genügen. Um dem Sammelgeschäft
mehr als bisher das wünschenswerte Ergebnis zu sichern, möohten wir
nicht unterlassen, mit einigen Worten Ziele und Erfolge der Hufeland-
schen und Goburek’schen Stiftungen näher darzulegen.
Die Stiftung für Aerzte wurde im Jahre 1830 begründet. Im
Jahre 1836 erfolgte die Stiftung für Arztwitwen. Letztere wird von
derjenigen für notleidende Aerzte getrennt verwaltet. Beide Stiftungen
dienen dazu, in Fällen der Not durch einmalige oder laufende Beihilfen
lindernd und helfend einzugreifen. Materiell ungünstig gestellten Aerzten
kann sodann vom 60. Lebensjahre ab eine Pension gewährt werden.
Bedingung für die Zuwendungen aus den Stiftungen ist die Zu¬
gehörigkeit zu ihnen. Diese wird durch Zahlung eines jährlichen
Beitrages von mindestens 6 M. (3 M. zu der Aerzte-, 3 M. zu der
Witwenkasse) erworben. Unterbrechungen der Zahlungen heben die
Verlag und Eigentum von August HirBchwald in
Mitgliedschaft und den Anspruch auf Unterstützung auf. In besonders
gearteten Fällen, in denen Unter9tützuugsansprüche bei unterbrochener
Beitragsleistung geltend gemacht worden sind, hat das Direktorium die
Nachzahlung der fehlenden Beiträge zugelassen und daraufhin die übliche
Unterstützung bewilligt. Die Entscheidung hierüber hat sich das
Direktorium von Fall zu Fall Vorbehalten.
Die Unterstützungen und Pensionen, die an Aerzte gezahlt werden,
belaufen sich im Einzelfalle auf 200 bis 500 M. jährlich, die einmaligen
Unterstützungen an Arztwitwen auf 100 M., 120 M. und 150 M.; die
laufenden auf jährlich 160 M., zahlbar in zwei Raten zu 80 M. Bis
Ende des Jahres 1912 sind an Unterstützungen und Pensionen für
Aerzte insgesamt 622 775,27 M., an Arztwitwen 978 011,79 M. gezahlt
worden. Aus der Goburek’schen Stiftung für notleidende Arztwaisen
sind seit dem Jahre der Gründung — 1907 — bis Ende 1912 Beihilfen
im Betrage von 34 755 M. gegeben worden.
Wir richten an Sie, verehrter Herr Kollege, die dringende Bitte, die
verhältnismässig geringe Jahresausgabe von 6 M. nicht zu
scheuen und uns zu helfen, die Stiftungen im Sinne des edlen Gründers,
des Staatsrats Dr. Christ. Wilh. Hufeland, immer leistungsfähiger zu
machen. Trotz der vielen ärztlichen Hilfs- und Unterstützung 9 kassen
wird den Hufeland’sohen Stiftungen stets ein weites Feld ihrer segens¬
reichen Tätigkeit verbleiben. Die Geldsendungen bitten wir an den zu¬
ständigen Herrn Kreisarzt zu richten oder unmittelbar an unser Post¬
scheckkonto Berlin 16 350.
Dietrich, Heyl, J. Hofmeier, J. Orth, Schlegtendal.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife:
ordentl. Honorarprofessor und dirigierender Arzt am Augusta-Hospital
in Berlin, Geh. Med.-Rat Dr. A. Ewald.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. 0. Krumhaar in Eisleben.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Kreisarzt a. D., Geh. Med.-Rat Dr.
Esch-Waltrup in Cöln.
Charakter als Medizinalrat: Pathologischer Anatom des Hygieni¬
schen Institus in Posen, Prof. Dr. K. Winkler.
Prädikat Professor: Stabsarzt Dr. B. Möllers, kommandiert zum
Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ in Berlin.
Ernennungen: Landesgesundheitsinspektor, Reg.- und Geh. Med.-Rat
Dr. Holtzmann in Strassburg i. E. zum Kaiserl. Landesmedizinalrat
im Ministerium für Elsass-Lothringen; Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hilde¬
brand in Berlin, an Stelle des ausgeschiedenen Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Heubner zum ordentl. Mitglieds der Wissenschaftlichen
Deputation für das Medizinalwesen.
Zu besetzen: in der hygienisch-bakteriologischen Abteilung der Königl.
Landesanstalt für Wasserhygiene, Post Berlin-Lichterfelde 3, Ehren¬
bergstrasse 3S/42, die Stelle eines wissenschaftl. Hilfsarbeiters. Aerzte
mit entsprechender Vorbildung wollen ihr Bewerbungsgesuch mit An¬
gabe der Remunerationsansprüche an die vorbezeichnete Anstalt ein¬
senden.
Niederlassungen: Aerztin Dr. Ch. Schütz geb. Basch und Dr.
A. F. P. Böttcher in Königsberg i. Pr., Marineunterarzt Dr. H.
Ehmsen in Kiel, Dr. H. Fe hl and in Hüls (Bez. Münster), Arzt M.
Thürlings in Dielingen, Dr. K. Wesemann in Wolfhagen, Dr. K.
Meinardus in Koblenz.
Verzogen: Dr. K. H. Erler von Santomischel nach Schöneberg
(Weichsel), Dr. E. Rösler von Königsberg i. Pr. nach Marienburg,
Arzt W. Jonas von Frankfurt a. M. und Dr. G. Wolff von Berlin
nach Greifswald, Dr. R. M. Willim von Reisen und Dr. W. Neu-
mann von Waldenburg i. Schl, nach Breslau, Dr. F. Schrödter von
Breslau nach Biberach (Württemberg), Dr. R. Fromherz von Aller¬
heiligen (Schweiz) nach Altheide, Dr. K. Stein von Oels nach Landeck
i. Schl., Dr. V. Kawka von Luisenfelde nach Gross-Hammer, Dr. E.
Matthäus von Nürnberg nach Obernigk, Dr. F. Pies von Duisburg
nach Erfurt, Arzt J. Glau von Schreiberhau nach Wandsbek zum
Militär, Dr. R. Köster von Kiel nach Flensburg, Dr. Th. Ebsen von
Tarp und Dr. H. Schüssler von Jena nach Kiel, Dr. G. Boyksen
von Deezbüll nach Altona, Dr. F. Wetze 11 von Laubach (Hessen)
nach Deezbüll, Dr. R. Felten und Aerztin Dr. F. Felten von
Woserin i. Meokl. nach St. Peter, Dr. K. Sommerlad von Schleswig
nach Delmenhorst, Dr. E. Berger von Ober-Jersdal nach Schleswig,
Dr. A. Knüppel von Kemberg nach Wedel, Aerztin Dr. E. Frank
von Rendsburg nach München, Dr. A. Muszkat von Geestemünde
nach Dresden, Dr. 0. Lauw von Beverstedt nach Langwedel, Dr. G.
Mittmann von Grohnde nach Lehe, Dr. A. Feldmann von Lang¬
wedel nach Plauen i. V., Dr. F. J. Wes sing von Recklinghausen
nach Hövel, Dr. K. Warnek von Bielefeld nach Paderborn, Arzt W.
Uffelmann von Rosenthal nach Marburg.
Verzogen ohne Angabe de9 neuen Wohnortes: Dr. J. G. Lipp-
mann von Nordhausen.
Gestorben: San.-Rat Dr. Ph. A. Teschenmacher in Neuenahr, San.-
Rat Dr. H. Hertel in Vluyn.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin W., Bayreuther Strasse 43.
Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Dl* Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden
Montag in Nummern von ea. i —6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Bnehhandlungen nnd Postanstalten an.
BERLINER
Alle Einsendungen fflr die Redaktion nnd Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald ln Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr and Dr. Hans Kok Augnst Hirschwald, Yerlagsbachhandlung in Berlin.
Montag, den 5. Mai 1913.
M 18 .
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Origioalien : Erlenmeyer: Ueber Epilepsiebehandlung. S. 813.
Boehnoke: Ueber die Wirkung der Camphers bei bakterieller
Infektion. (Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie
zu Frankfurt a. M.) S. 818.
Klinkert: Untersuchungen und Gedanken über den Cholesterin-
stoffWechsel. (Aus der medizinischen Klinik in Groningen.)
S. 820.
Stadelmann: Ueber seltene Formen von Blutungen im Tractus
gastro-intestinalis. S. 825.
Unna: Zur Chemie der Zelle. S. 829.
Spät: Ueber den Einfluss der Leukocyten auf das Anaphylatoxin.
(Aus dem hygienischen Institut der deutschen Universität in Prag.)
S. 831.
Lublinski: Die akute nicht eitrige Thyreoiditis. (Eine Ueber-
sicht.) S. 834.
BtteherbesprechongeB : Roux: Terminologie der Entwioklungsmeohanik
der Tiere und Pflanzen. S. 837. (Ref. v. Hansemann.) — Schall:
Der menschliche Körper und seine Krankheiten. S. 837. Berkart:
On bronchial asthma, its pathology and treatment. S. 887. (Ref.
Knopf.) — DiGaspero: Hysterische Lähmungen, Studien über
ihre Pathophysiologie und Klinik. S. 837. Sommer: Klinik für
psychische und nervöse Krankheiten. S. 838. Löwenfeld: Bewusst¬
sein und psychisches Geschehen. Die Phänomene des Unter¬
bewusstseins und ihre Rolle in unserem Geistesleben. S. 838. (Ref.
Seiffer.) — Dührssen: Gynäkologie. S. 838. Küstner: Kurzes
ALT.
Lehrbuch der Gynäkologie. S. 838. (Ref. Zuntz.) — Stein eg:
Darstellungen normaler und krankhaft veränderter Körperteile an
antiken Weihgaben. S. 838. (Ref. Holländer.)
Literatur-Auszüge: Pharmakologie. S. 839. — Therapie. S. 839. —
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 839. —
Parasitenkunde und Serologie. S. 840. — Innere Medizin. S. 841. —
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 842. — Kinderheilkunde.
S. 843. — Chirurgie. S. 843. — Röntgenologie. S. 844. — Haut-
und Geschlechtskrankheiten. S. 844. — Geburtshilfe und Gynäko¬
logie. S. 844. — Augenheilkunde. S. 844. — Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten. S. 844. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 845. —
Unfallheilkunde und Versicherungswesen. S. 845.
Verhaudlungeu ärztlicher Gesellschaften : Berliner orthopädische
Gesellschaft. S. 845. — Medizinische Sektion der schlesi¬
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau.
S. 846. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. S. 850. — Aerzt-
licher Bezirksverein zu Zittau. S. 850. — K. k. Gesell¬
schaft der Aerzte zu Wien. S. 851.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin. (Schluss.) S. 852.
Bio oh: Die Aufgaben der „Aerztliohen Gesellschaft für Sexualwissen¬
schaft^ S. 855.
Preisausschreiben. S. 859.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 860.
Amtliche Mitteilungen. S. 860.
Ueber Epilepsiebehandlung.
Von
Dr. Albrecht Erlenmeyer,
Geheimem Sanitätsrat und leitendem Arzte der Dr. Erlenmeyer’schen Anstalten für Gemüts- und Nervenkranke zu Bendorf bei Coblenz.
Wenn ich auf Wunsch der Redaktion dieser Wochenschrift
meine Erfahrungen über die Epilepsiebehandlung in den folgenden
Zeilen niederlege, dann betrachte ich es nicht als meine Aufgabe,
in eine kritische Besprechung der durchaus hypothetischen Auf¬
fassung vom Wesen der Epilepsie und vom Mechanismus des
epileptischen Anfalles einzutreten; nur soweit das zur Begrün¬
dung gewisser therapeutischer Maassnahmen erforderlich erscheint,
werde ich sie kurz erwähnen. Wichtiger und dem Zwecke dieses
Aufsatzes entsprechender dünkt es mir, die Grundsätze zu ent¬
wickeln, die für die therapeutische Beurteilung und Behandlung
der Epilepsiekranken zu beachten sind. Sie ergeben sich aus
der genauen Analyse der. epileptischen Anfälle mit allen ihren
Eigenheiten, Abarten und ßrsatzerscheinungen, aus der sorg¬
fältigen Aufnahme und Feststellung von Anamnese und Patho¬
genese, sie ergeben sich endlich aus der eingehendsten körper¬
lichen Untersuchung. Alle diese Bestrebungen zielen darauf ab,
für jeden einzelnen Fall die . auslösende Ursache der Krankheit
nnd der JVofälle aufznfinden nnd damit eine möglichst erfolgreiche
Behandlung zu begründen.
Die Diagnose der Epilepsie als Krankheit wird zwar
in der übergrossen Mehrzahl der Fälle aus dem epileptischen An¬
fall gestellt, indessen der einzelne Anfall genügt dazu nicht. Dazu
müssen viele solcher Anfälle in nicht allzu weit auseinander
liegenden Zwischenräumen aufgetreten sein. Vereinzelte epilep¬
tische, oder — wie man bei solchem Verhältnis grundsätzlich
richtiger sagen sollte — epileptiforme Anfälle kommen bei
manchen anderen Krankheiten vor and sind dann immer nur als
Symptom dieser Krankheit zu bewerten. Die Diagnose der Krank¬
heit Epilepsie dürfen sie nur dann begründen, wenn sie sich
wiederholen, and wenn keine andere, namentlich keine andere
Gehirnkrankheit nachweisbar ist. Handelt es sich z. B. um einen
Hirntumor, der epileptiforme Anfälle hervorruft, dann sollten
diese, auch wenn sie sich häufiger wiederholen, als Tumorsymptome
und nicht als Epilepsiezeichen bewertet werden.
Ueber das Wesen oder das pathologische Substrat
der Epilepsiekrankheit gibt es nur Hypothesen.
Die grösste Wahrscheinlichkeit bat die Annahme für sich,
dass wir in der sogenannten „epileptischen Veränderung“
(Nothnagel) der motorischen Grosshirnrinde den die Krankheit
bedingenden Zustand zu erblicken haben. Wir charakterisieren
diese Veränderung dadurch, dass wir ihr die Eigenschaft der
Ueberempfindlichkeit zusprechen, und dass wir von ihr behaupten,
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UNIVERS1TV OF IOWA
814
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
sie besitze die Neigung, auf gewisse Reize mit „Entladungen“
(Hughlings Jackson) zu antworten. Ob diese „epileptische
Veränderung“ der motorischen Hirnrinde histologischer, chemischer
oder physikalischer Natur ist, wissen wir nicht, aber der ganze
psychisch-motorische Symptomenkomplex der Epilepsie weist mit
Notwendigkeit darauf hin, ihre Existenz vorauszusetzen, und. aus
der Tatsache, dass epileptische Anfälle auch dann noch eine Zeit¬
lang fortbestehen, nachdem ihre sichere Ursache gänzlich be¬
seitigt worden ist, müssen wir schliessen, dass die „epileptische
Veränderung 11 nicht ein vorübergehendes Symptom, sondern ein
chronischer, dauernder Zustand ist.
Ich neige zu der Annahme, dass die „epileptische Verände¬
rung“ und damit die Epilepsie am häufigsten durch dauernde
intracranielle Drucksteigerungen hervorgerufen wird, und
zwar sowohl durch allgemeinen, als auch durch örtlich wirkenden
Druck.
Da wir nur stärkere Druckgrade aus der Stauungspapille
erschlossen können und kein Mittel besitzen, kleine, auf das Ge¬
hirn einwirkende Drncksteigerungen nachzuweisen, sind wir nicht
daran gewöhnt, diese nach Gebühr zu schätzen. Es ist uns ge¬
läufig, dass Hydrocephalns, Hirnschwellung (Reichart) und Hirn¬
tumoren den intracraniellen Druck in die Höhe treiben, wir sollten
aber mehr, als es meist geschieht, dasselbe voraussetzen von
fötalen Encephalitiden, meningitischen Exudaten, Cysten, Ab-
scessen, Sklerosen und anderen örtlichen pathologischen Zuständen.
Auch bei den durch vorzeitige Nahtverknöcherung entstehenden
Entwicklungshemmungen des Schädels erfährt das sich ausdehnende
und wachsende Gehirn einen dauernden Gegendruck. Bei den
gummösen, arteriitischen und meningitischen Prozessen der Syphilis
kann durch Druck auf das Gehirn ebenso gut Schaden angerichtet
werden, wie durch das syphilitische Virus. Auch bei der cere¬
bralen Atherosklerose handelt es sich meist um Drucksteigerung.
Die capillaren Blutungen nach Gehirnerschütterung, Sturz auf den
Kopf, Ohrfeigen and Sonnenstich sind von demselben Gesichts¬
punkte aus zu beurteilen. Ebenso Fremdkörper, wie Splitter der
Tabula vitrea, die nach einer Schädelverletzung in das Gehirn
eindringen, denn jeder in die Hirnrinde eindringende Körper ver¬
langt dort einen Platz, den er nur dadurch einnehmen kann, dass
er die umgebenden Gewebsteile znrückdrängt und zusammen¬
drückt.
Neben dem gesteigerten Druck kommen chemisch-toxische
Ursachen für die Entstehung der Epilepsie zur Geltung. Ich
erinnere an die chronische Vergiftung mit Alkohol, Blei, Absynth,
Nikotin, Cocain, erinnere an die Ueberladung des Blutes mit
Harnbestandteilen (Urämie). Auch durch Autointoxikation
mit Stoffwechsel Produkten kann Epilepsie entstehen, wahrschein¬
lich auch durch Produkte der inneren Sekretion (Thyreoidea,
Thymus), ganz bestimmt durch die Gifte des Scharlach, der Diph¬
therie, der Influenza und der Masern.
Die „Entladung“ befällt corticale und subcorticale Gebiete.
Sie tritt ein, nachdem das Höchstmaass einer in den „veränderten“
Zellen der Hirnrinde angewachsenen Spannung erreicht ist, ganz
gleichgültig, ob das eine Flüssigkeits-, oder Gas-, oder elektrische
Spannung ist. Das käme einer Selbsterregung der eigenen mo¬
torischen Zellenelemente gleich, zu der, wie wir aus dem Experi¬
ment wissen, schon äusserst geringe Reize ausreichen. Die alte
vasomotorische Hypothese hat man fallen gelassen, obgleich Sie
alle Symptome eines epileptischen Anfalles am ungezwungensten
erklärte, und obgleich die auf sie gegründete Therapie keine
schlechteren Ergebnisse aufzuweisen hatte, als jede andere.
Ueber eine Gruppierung und Einteilung verschiedener
Epilepsieformen fasse ich mich kurz. Als die natürlichste
Einteilung ist mir immer die in angeborene oder in frühester
Jugend entstandene und in erworbene Epilepsie erschienen.
Erfolgt diese Erwerbung in späteren oder späten Jahren, dann
spricht man von Spätepilepsie. Als unterste Zeitgrenze ihres
Beginnes rechnet man die Vollendung der Gehirnentwicklung.
Diese Einteilung ist in gewissem Sinne, wenn auch in beschränktem
Umfang eine ätiologische. Wirwissen, dass für die angeborene
Epilepsie intrauterin und in den allerersten Lebenszeiten über¬
standene Gehirnerkrankungen mit ihren Folgezuständen als Ursachen
der Krankheit angenommen werden müssen, und wir wissen ferner,
dass für die spät erworbenen Former« das Gehirn- und Schädel-
trauma, der Alkoholismus, die Syphilis und die Atherosklerose
ätiologisch j ln Frage kommen.
Mit den Ausdrücken idiopathische .oder genuine Epi¬
lepsie wird gesagt. dass keine organischen oder symptomati¬
schen Formen vorliegen, als deren Ursachen man Gehirnkrank¬
heiten verschiedener Art betrachtet. Von ausgesprochen organischer
Aetiologie ist die Jackson’sche Rindenepilepsie, die sich
dadurch von allen anderen Epiiepsieformen wesentlich unter¬
scheidet, dass bei ihr Bewusstseinsstörungen meistens zu fehlen
pflegen, und dass ihro Krampferscheinungen entweder nur einzelne
Glieder befallen oder von einzelnen Gliedern und Gliederteilen
aus ihren'Verlauf nehmen, der sich der Anordnung der motorischen
Rindencentren entsprechend gestaltet. Unter Reflexepilepsie
werden diejenigen Formen zusammengefasst, bei denen als Ursachen
der Anfälle sich periphere Narben, Fremdkörper, Knochenauf¬
treibungen, Gewebsanschwellungen, cariöse oder zu eng stehende
Zähne, Verzögerung des Zahndurchbruchs, Würmer und unzählige
andere zufällige Dinge und Schädigungen finden. Die moderne
Auffassung neigt dazu, diese Form abzulehnen, weil es sich bei
ihr meist um hysterische und nicht um epileptische Anfälle
handeln soll.
So einfach das Symptomenbild des epileptischen Voll¬
anfalls mit seiner tonischen und seiner clonischen Phase er^
scheint, so mannigfaltig und oft schwer erkennbar treten uns die
Abweichungen von ihm gegenüber, die sowohl durch eine Ver¬
minderung als auch durch eine Vermehrung und eine Veränderung
der Einzelsymptome sich auszeichnen. Schon deshalb ist es un¬
erlässlich, alle diese sehr verschiedenen Arten, Unter- und Ab¬
arten eines epileptischen Anfalls genau zu kennen, weil
der Arzt einen Anfall nicht immer zu sehen bekommt und bei
seiner Diagnose auf Berichte angewiesen ist. Die Kranken und
ihre Angehörigen lassen gewöhnlich nur die sogenannten grossen
Anfälle mit Aura, Schrei, Hinstürzen, Bewusstlosigkeit, Krämpfen,
Zungenbiss und Nachschlaf als epileptische gelten, benennen sie
auch so und rechnen nach ihnen Beginn und Dauer der Krank¬
heit. Es ist aber ein grosser Fehler, sich auf derartige Angaben
zu verlassen und auf die genaueste Feststellung darüber zu ver¬
zichten, ob nicht irgendwelche Variationen des typischen
Anfalls, wie eingliedrige oder halbseitige Krämpfe, die Epilepsia
cursoria oder rotatoria, Schwindel, Ohnmächten, Petit mal, Ab¬
senzen, Dämmer- uad Schlafzustände, plötzliche Verwirrtheit,
nächtliches Aufscbrefen mit und ohne Bettnässen, nächtliches
Zähneknirschen mit Gesichtsverzerrungen, periodische Schweiss¬
ausbrüche, Intoleranz gegen Alkohol und pathologische Rausch¬
zustände, plötzliches Fortlaufen und planloses Umherirren und
noch manche andere Erscheinungen vorgekommen sind. Das
alles muss genau abgefragt werden, und dabei ist dem Er¬
innerungsvermögen des Kranken nach diesen Vorfällen und Er¬
eignissen die grösste Beachtung zu schenken. Das ist deshalb
so wichtig, weil der Ausfall der Erinnerung nach einem Anfalle
ein sicheres differentialdiagnostisches Zeichen gegen
hysterische Anfälle ist. Auch die Art der Muskelkrämpfe
und Muskelbewegungen bei einem Anfalle lasse man sich genau
beschreiben; plötzliches Einsetzen und strenge Begrenzung auf
zusammengehörige Muskelgruppen, die zuerst sich krampfhaft
strecken, dann zucken, spricht für Epilepsie, während allmählicher
Beginn, langsame Steigerung verschiedenartiger regelloser Glieder¬
bewegungen, Herumwerfen des ganzen Körpers, Einnehmen
grotesker Stellungen für Hysterie in Anspruch zu nehmen ist.
Ist der Arzt bei dem Anfall zugegen, dann entscheide er nach
der Pupille, die nur bei dem epileptischen Anfall erweitert und
völlig reaktionslos ist. Io Zwe.ifelfällen, die durchaus möglich
sind, versuche man die Anwendung äusserer Reize, wie Anspritzen
mit kaltem Wasser, Faradisation mit dem Pinsel, Druck auf die
Ovariengegend usw. Bei einem epileptischen Anfall bleiben
solche Mittel ohne alle Wirkung, während sie einen hysterischen
Anfall zu unterdrücken, Mindestens zu mildern vermögen. Ich
warne auch davor, die Laienangabe über eine Spätepilepsie
ohne kritische Prüfung hinzunehmen. Gerade bei solchen An¬
gaben sollten die Aufklärungsversuche über den Beginn und die
Art der'Anfälld sehr genau vorgenommen werden. Sehr häufig
findet man dabei hysterische Anfälle statt epileptischer. Diese
Regeln sind dringend zu beachten, wdnn es gilt, eine Unfall-
epilepsie zu begutachten. Bei eingehender und genauester
Prüfung aller Unfallumstände konnte ich mehrere Male erweisen,
dass der Unfall nicht die Ursache, sondern die Folge eines epi¬
leptischen Anfalls gewesen ist, voh> denen der Verunglückte schon
vorher heimgesucht worden war. Allerdings darf man sich'bei
diesen Erhebungen nicht mit der Verneinung der Frage begnügen,
ob schon vorher epileptische Anfälle vorgekommen seien. Da£
Wort „epileptisch“ sollte man dabei , am * besten«' gar nicht an¬
wenden. Die grosse Reibe der Anfall Varietäten muss abgefragt,
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UNIVERSUM OF IOWA
6. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
815
es müssen Erkundigungen bei Angehörigen» Nachbarn, Berufs¬
genossen, an früheren Arbeitsstätten gewissenhaft eingezogen
werden. Trifft man auf Kranke, die über ihre Anfälle genau
Bach geführt haben, dann wird dadurch die Feststellung des
Beginns der Krankheit und ihrer möglichen Ursachen erleichtert,
ln anderen Fällen pflege ich von zwei Seiten her aufklärend vor¬
zugehen. Ich suche in rückläufiger Reihe den letzten, vorletzten,
yorvorletzten und die noch weiter zurückliegenden, und ich be¬
mühe mich dann, in vorwärtsführender Reihe den allerersten,
den zweiten, dritten und die folgenden Anfälle festzustellen. Bei
nicht zu alten Fällen gelingt es oft, beide Reihen zusammen-
zubringen. Man erfährt jedenfalls bei dieser Art der Erhebung
die Zwischenräume zwischen den Anfällen, die oft jahrelang
dauern, man erfährt auch bei zweckmässiger Fragestellung die
Verschiedenheiten und Abarten der einzelnen Anfälle. Von
grosser Bedeutung ist es, diese Untersuchungen auch auf die
Aura auszudehnen, die immer bei noch ungestörtem Bewusstsein
abläuft. Sie kann oft auf eine anfallauslOsende Ursache hin-
leisen. Sie ist von verschieden langer Dauer, die sich manchmal
nur nach Sekunden, manchmal nach Stunden und Tagen bemisst.
Bei der motorischen Aura tritt Zittern und Zucken oder
lähmungsartige Schwäche in einzelnen Muskeln oder Muskel-
gruppen, terner Erbrechen auf; bei der psychischen kommt es
zu plötzlichem Angstgefühl, zu Unruhe, zu ungewohnten und ver¬
wirrenden Vorstellungen, zu Denkhemmung. Bei der psycho¬
motorischen habe ich aphasische Zustände beobachtet. Die
vasomotorische äussert sich durch plötzliche Schweissaus¬
brüche, Absterben und Kältegefühl der Glieder. Am häufigsten
kommt die sensorielle Aura vor mit verschiedenartigen Par-
ästhesien, mit Ohrensausen, scharfen, oft unangenehmen Geruchs¬
und Geschmacksempfindungen, Funken- oder Feuererscheinungen
in den Augen, Aufsteigen eines Hauchs oder Windes vom Bauche
oder der Brust nach dem Kopfe. Als Stoffwechselaura mochte
ich die starke Verminderung der 24 ständigen Urinmenge be¬
zeichnen, und eine allgemeine, nicht zu lokalisierende
Aura besteht darin, dass der Kranke ein nicht definierbares,
aber ganz bestimmtes Gefühl des kommenden Anfalls bat.
Die Anfälle bewahren nur selten »einen und denselben
Qharakter. Sie wechseln ihn sehr häufig,* und die meisten
Kranken haben gewöhnlich mehrere Arten von Anfällen, am
häufigsten wohl grosse, mit Petit mal-Anfällen wechselnd. Anderer¬
seits gibt es Kranke, bei denen ein Anfall genau so stereotyp
verläuft wie der andere.
Wenn sich die Anfälle häufen und so schnell aufeinander
folgen, dass der eine noch kaum zu Ende ist, wenn der folgende
schon beginnt, dann spricht man von Status epilepticus, ein
nicht selten für das Leben des Kranken gefährlicher Zustand.
Grosses Gewicht lege ich auf die Festlegung der Umstände,
unter denen der allererste Anfall aufgetreten ist. Zu¬
nächst habe ich mich immer bemüht, die Stunde zu bestimmen,
in der die Anfälle sich ereignet haben. Dadurch wird häufig
schon die grosse Gruppierung in Epilepsia diurna und nocturna
möglich, wobei die letztere schon in ganz bestimmter Weise auf
gewisse Ursachenmöglichkeiten, wie gefüllte Blase, leeren Magen,
Kopfnarben usw. hinweisen kann. Dann sind alle nur denkbaren
und zu den Verhältnissen des Kranken passenden Umstände vor
dem ersten Anfall zu erörtern. Sie werden am besten nach der
körperlichen und seelischen Seite hin aufzuklären versucht.
Zu den ersteren gehören Art und Menge der Nahrung, Zeit ihrer
Zufuhr, Stuhlentleerung, Menstruation, Genuss von alkoholischen
Getränken, von Tabak, körperliche Ueberanstrengungen, sexuelle
Reizungen und Betätigungen, Aufenthalt in verdorbener Luft,
vorhergegangene Krankheiten; zu den letzteren rechne ich Schreck,
Angst, gemütliche Erregung in Schule und Kirche, Strafe, Zank,
Streit und noch viele andere.
Auch den Witterungs Verhältnissen kommt eine gewisse Be¬
deutung zu. Luftdruck und Temperatur sind durchaus nicht ohne
Einfluss auf nervenempfindliche und gefässreizbare Menschen, und
es steht durchaus fest, dass eine atmosphärische Depression eine
Depression der Gemütslage, apoplektiscbe Insulte und epileptische
Anfälle provozieren kann.
Grosse Aufmerksamkeit ist den Zahnkrämpfen uBd der
Schwierigkeit des Erwachens aus tiefem Schlafe zu
schenken. Unter den ersteren verbirgt sich sehr häufig der An¬
fang deri Epilepsie. Bei solchen Kranken findet man häufig
Störungen der seelischen Funktionen von der leichtesten Debftität
bis zur ausgesprochenen Idiotie. Schweres Lernen und Begreifen
in der Schule, mangelhaftes Erinnerungsvermögen sind bei genauer
Prüfung und Nachforschung ebenso nachzuweisen wie eine nach
Graden verschiedene Gemütsstumpfheit. Meist dürfte es sich bei
solchen epileptischen Kindern um eine heredoluetische Encephalitis
mit nachfolgender Entwicklungshemmung des Gehirns bandeln.
Auch unsymmetrische, mikrocepbale und Turmschädelbildungen
findet man bei ihnen. Als sehr verdächtiges Epilepsiezeichen
betrachte ich bei Kindern und Erwachsenen die Schwierigkeit
des Erwachens, die gelegentlich anftritt. Solche Personen können
nur mit den äussersten Anstrengungen der Umgebung aus dem
Schlafe erweckt werden und verweilen auch nach dem endlich
eingetretenen Erwachen noch längere Zeit in einem Zustande von
Dösigkeit und Benommenheit. Auch Handlungen und Ver¬
richtungen, die an und für sich nichts Auffälliges haben, er¬
wecken dadurch Verdacht auf epileptische Zustände oder epi¬
leptischen Charakter, dass sie bei unpassender Gelegenheit und
am Unrechten Orte geschehen, vorausgesetzt, dass keine Betrunken¬
heit besteht. Wer in einem Konzert plötzlich den Hut aufsetzt
und unter Gestikulationen laut spricht, ist sicher epileptisch,
besonders wenn er sich nachher nicht an den Vorfall erinnert.
Ebenso der, der auf der Strasse sich auszukleiden beginnt. Die
meisten Exhibitionisten sind Epileptiker.
Die spasmophilen Zustände der Kinder gehören ebensowenig
zur Epilepsie wie Oppenheim’s myasthenische Krämpfe.
Ueber die Untersuchung des Kranken brauche ich mich
hier nicht zu äussern. Sie verläuft wie jede allgemeine Unter¬
suchung, sie mass umfassend, gründlich und erschöpfend sein.
Es wäre ein grosser Fehler, sie nur auf das Nerven¬
system zu beschränken. Nie soll man dabei vergessen, die
Schädelmaasse aufzunehmen und den Augenhintergrund zu besehen.
Hinweise auf alle möglichen Gehirnstörungen und ihre Rückstände
können dadurch gegeben werden. Auch eine Blutuntersuchung
soll gemacht, jedenfalls der Hämoglobingehalt festgestellt werden.
Werden Befunde erhoben, die die Annahme einer Reflexepilepsie
nahe legen, wie Hautstellen mit veränderter Sensibilität, Narben,
die angewachsen sind oder schmerzen, dann sollte man immer
prüfen, ob diesen Stellen die Bedeutung von epileptogenen Zonen
zukommt, d. b. man sollte versuchen, durch mechanische,
thermische oder faradische Reizungen dieser Zonen einen Anfall
auszulösen.
Einzelne Befunde können auch in Verbindung mit den vorher
festgestellten Umständen über die Zeit der Anfälle auf eine sichere
ätiologische Diagnose hinleiten. Ein jünger Mensch bekam die
Anfälle nur nachts im Schlafe, und zwar, wie die weitere Er¬
hebung ergab, nur dann, wenn er links lag. Die Untersuchung
des Schädels deckte dann an der linken Seite eine talergrosse
Stelle mit spärlichem Haarwuchs auf, die auf Beklopfen schmerzte,
wobei ein Gefühl von Schwere und Schwäche im rechten Arm
auftrat.
Wende ich mich nun zur Behandlung, dann müsste ich zu¬
nächst etwas über die Prophylaxe sagen. Ich kann das aber
übergehen, weil die Prophylaxe der Epilepsie sich im wesent¬
lichen mit derjenigen aller Nerven- und Geisteskrankheiten deckt.
In der Praxis handelt es sich meist um die Heiratsfrage. Hierbei
gilt die bewährte Regel, dass der Arzt die meist Beteiligten über
alle Punkte genau aufklären, ihnen aber die Entscheidung allein
überlassen soll.
Die persönliche Behandlung muss dem Bestreben dienstbar
gemacht werden, die krankhafte Erregbarkeit der Gehirnrinde, die
Ueberempfindlichkeit der „epileptischen Veränderung“ zu beseitigen.
Die Behandlung muss „depressorisch“ sein.
Dieser Forderung entspricht in erster Linie die Ruhe.
Epileptiker, die von mehr als zwei Anfallen in der Woche heira-
gesuoht werden, gehören während einer Krankenhauskur ins Bett.
Während einer ambulanten Behandlung suche man diesem Gebote mög¬
lichst nahe zu kommen. Stösst man mit der Bettkur auf Widerstand,
dann verordne man sie unter der Firma einer Mastkur. Der Bettkur
gleich zu achten sind Liegekuren im Freien. Hier ist darauf aufmerksam
zo machen, dass ein Epileptiker niemals auf einem Federkopfkissen,
sondern immer nur auf einem Rosshaarkissen schlafen soll; tritt während
des Schlafes ein Anfall ein, in dem der Kranke auf das Gesicht rollt,
dann erstickt er auf dem Federkissen, während! das Rosshaarkissen Luft
durchlässt. **' ^
6 Zwischen den Liegestunden erweist sich ein ruhiges, auf jswei Tages¬
portionen von je 1 bis VU Stunden verteiltes Gehen sehr förderlich.
Ich empfehle hierzu leicht steigende Wege zu wählen, weil die meisten
1 *
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UNIVERSUM OF IOWA
816
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Epileptiker einen weichen Puls haben und eine Stärkung des Herz¬
muskels sehr gut gebrauchen können. Mit körperlicher Arbeit sei
man besonders bei jugendlichen Kranken vorsichtig. Oie Grenze der
Toleranz ist schnell überschritten, und dann kommt ein Anfall. loh
stimme noch immer nicht in die allgemeine Begeisterung für Beschäfti-
gungs- und Arbeitstherapie bei Nervenkranken ein und habe keine Ver¬
anlassung, von dem Standpunkte abzugehen, den ich in meinem bei der
Naturforscherversammlung zu Aachen im Jahre 1900 über diese Frage
erstatteten Referate eingenommen habe. Ich mache hier eine scharfe
Trennung zwischen Geisteskranken und Nervenkranken, und so sehr ich
Beschäftigung und Arbeit aller Art bei den ersteren hoehschätze, so
wenig halte ich bei letzteren, besonders während einer gegen Erregungs-,
Reiz- und Ermüdungszustände gerichteten Behandlung, die sogenannte
Arbeitstherapie für indiziert. Für abgelaufene Fälle dagegen, an denen
nichts mehr zu retten, kaum noch etwas zu verderben ist, ist sie ein
ausgezeichnetes Mittel, den Kranken den Tag auszufüllen und die Zeit
zu vertreiben. Dann verdient sie aber nicht mehr den Namen einer
Therapie.
Speisen und Getränke, die das Nervensystem erregen and
reizen können, sollen vermieden werden.
Alkoholische Getränke, Kaffee, Tee und Tabak sollten ganz verboten
werden, besonders bei jugendlichen Kranken. Auch der Fleischgenuss
ist einzuschränken. Man verfahre aber mit allen diesen Verordnungen
nicht schematisch, sondern richte sich nach den persönlichen Erforder¬
nissen, Gewohnheiten und Folgen. Es kann sehr zum Nachteil aus-
schlagen, wenn Magen und Darm mit Gemüsen, Früchten, Milch und
Brot überfüllt und belastet werden, denn Gasaufblähung der Därme,
Hebung des Zwerchfells und Verschiebung des Herzens können für die
Auslösung eines epileptischen Anfalles viel gefahrvoller werden als eine
Zigarre, oder ein Glas Bier, oder die beschwerdelose Verdauung einer
gemischten Mahlzeit mit gut zubereitetem Fleisch. Auf alle Qualitäts¬
tüfteleien der Ernährung lege ich keinen Wert. Richtiger und wichtiger
erscheint mir die Verordnung kleiner, aber häufiger Mahlzeiten. Auch
während der Nacht lasse ich gelegentlich bei besonderen Indikationen
essen, z. B. bei Anfällen in den frühen Morgenstunden, die meist mit
dem leeren Magen ursächlich in Zusammenhang stehen.
Für tägliche Stuhlentleerong muss bestimmt gesorgt
werden.
Reine Luft ist ein Haupterfordernis für die Kranken.
Epileptische Anfälle können zweifellos durch Einatmung verbrauchter
und verdorbener Luft entstehen, die Kranken sollen deshalb das längere
Zusammensein mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen vermeiden.
Das Schlafzimmer ist in geeigneter Weise zu lüften, wobei aber die Er¬
wärmung berücksichtigt werden soll. Im Winter im Kalten zu schlafen,
verträgt nicht jeder Kranke.
Der Kranke pflege die Haut und sorge für Reinlichkeit
durch Wäsche, Wasser und Seife. Der Zahnpflege ist grosse
Aufmerksamkeit zu schenken. Vor notwendigen zahnärztlichen
Eingriffen sollte ein Epileptiker nicht zurückschrecken.
Die Wasseranwendung kann bei der Behandlung der Epi¬
leptiker wertvoll sein. Ihr muss nur immer eine bestimmte Auf¬
gabe gestellt werden.
Meistens kommt sie vom Gefässsystem, und meistens handelt es sich
um seine Kräftigung. Am sichersten erreicht man diese mit Halbbädern
von 24 bis 22 0 C. Sollen kongestive Zustände des Kopfes beeinflusst
werden, dann gebe ich Sitzbäder von 5 Minuten Dauer bei einer Tem¬
peratur von 22 bis 20° C. Auch wechselwarme Fussbäder mit einer
Differenz zwischen 40 und 20° C sind dabei angezeigt, und feuchtwarme
Packungen um Unterleib und Oberschenkel leisten gute Dienste. Liegen
keine derartigen bestimmten Indikationen vor, dann lasse ich Vollbäder
von 35° C bei einer Dauer von 20 bis 30 und 40 Minuten nehmen und
lasse das Bad mit einer allgemeinen Begiessung mit 25 gradigem Wasser
beenden. Das kommt der allgemein „depressorischen“ Tendenz der
Behandlung am weitesten zur Hilfe.' Bei Wannenbädern muss stets eine
zweite Person anwesend sein, um bei einem Anfalle das Ertrinken des
Kranken zu verhüten.
Auf die Anwendung irgendeiner elektrischen Behand¬
lungsmethode kann man bei Epileptikern verzichten.
Wenn ganz bestimmte Anhaltspunkte zu operativen Ein¬
griffen am Schädel vorliegen, soll man sie ausführen lassen.
Die günstigsten Erfolge lassen Verletzungen mit Knocheneindrücken
erwarten. Die Trepanation an und für sich bringt oft durch
Druckentlastung überraschende Erfolge. Ebenso der Balkeu-
stich. Anton hat ihn bei einem 11jährigen Mädchen mit
Status epilepticus, Dämmerzuständen, Benommenheit und be¬
ginnender Verblödung ausgeführt. Der unter der stark gespannten
Dura angesammelte Liquor floss nach Einführung der Canüle unter
starkem Drucke ab. Die Anfälle blieben aus, das Kind wurde
lueider, : die geistige Stumpfheit verschwand, das Gedächtnis kehrte
zdrück. * I j
Narben'und andere Gewebsveränderungen, die sich'
als epileptogene Zonen erweisen, lasse^ man beseitigen.^Ope¬
rationen in der Nase und im Nasenrachenraum, die ich
sehr häufig habe ausführen lassen, teils um kongestive Zustände
zu beseitigen, teils um die Luftwege zu erweitern, haben mir nur
in seltenen Fällen einen vorübergehenden Erfolg gebracht
Ableitende und revulsive Behandlungsmethoden
pflege ich mit Vorliebe anzuwenden. Wenn nur der geringste
Verdacht auf eine überstandene Encephalitis oder Meningitis vor¬
liegt, ziehe ich ein Haarseil in den Nacken und lasse es bei
vorschriftsmässiger Behandlung monatelang liegen. Ich habe
damit, besonders bei Kindern und jugendlichen Kranken, gläniende
Erfolge erzielt.
Von Medikamenten stehen noch immer an erster Stelle die
Brompräparate, und zwar die anorganischen. Sie haben
den höchsten Bromgehalt, und ihre Bromwirkung ist unstreitig die
grösste. Die von mir empfohlene Kombination mehrerer Brom¬
salze hat sich bewährt.
Ob man nun die Bromide einzeln oder kombiniert gibt, die
wichtigste Maassregel ist die, sie stets in grosser Verdünnung dem Orga¬
nismus zuzuführen. Damit wird die Resorption befördert, die Entgiftung
erleichtert, der Bromismus am längsten hintangebalten oder gar ver¬
hütet. Der Zusatz von Kohlensäure und von Salzen, die für Diurese
und Stuhlgang förderlich sind (Bromwasser), erscheint sehr zweckmässig.
Man fange mit kleinen Dosen an, etwa zwei- bis dreimal täglich je
1—IV 2 g und steige ganz allmählich auf grössere Gaben. Man muss
sich dabei ganz nach der Eigenart des Falles richten. Eine Bromsalzkur
soll man nie plötzlich abbrechen, sondern unter allmählicher Ver¬
minderung der Tagesdosis zu Ende führen. Ich warne daher auch
dringend vor einer intermittierenden Brombehandlung. Auoh die Sym¬
ptome des Bromismus sollten nie Anlass zum plötzlichen Aussetzen der
Bromsalze geben. Bei Bromismus verringere man die Dosis oder ver¬
dünne die Lösung oder weohsele das Präparat. Ich habe es unzählige
Male beobachtet, dass ein schwerer Kaliumbromismus unter dem Ge¬
brauche von gleiohen Dosen Bromnatrium oder meines Bromwassers
prompt zurückgegangen ist. Die organischen Brompräparate ent¬
halten sämtlich sehr viel weniger Brom als die anorganisohen. Es ist
deshalb vollkommen berechtigt, die Gefahr des Bromismus bei ihrem
Gebrauche geringer anzuschlagen, aber die reine Bromwirkung bleibt
ebenfalls stark hinter der der anorganischen Präparate zurück. Ob
Brom in organischer Biodung besser oder schneller zur Wirkung kommt,
ist nicht erwiesen.
Zur Unterstützung der Bromsalzkur wird Chloral-
hydrat und Opium empfohlen.
Ich gebe das erstere sehr gerne und mit gutem Erfolge in refracta
dosi, etwa zweimal täglich je 0,5 g. Opium bevorzuge ich bei Alkohol¬
epilepsie und gebe davon zwei- oder dreimal täglich je 0,05 g. In
neuerer Zeit wird auch Luminal empfohlen, was ich auf Grund meiner
Erfahrung auch befürworten kann. loh gebe vier Tage hintereinander
abends eine halbe oder auch eine ganze Tablette (0,3) und setze am
fünften Tage aus. Bei diesen drei Unterstützungsmitteln kann man
hohe Bromsalzdosen vermeiden, kommt man mit kleineren Gaben aus.
Auch die Verbindung von Bromsalzen mit einem Baldrianinfus
(20—30 g auf 200) kann ich empfehlen, besonders bei leichten Anfällen.
Ein nach amerikanischer Vorschrift hergestelltes Fluidextrakt von
Baldrianwurzel ist wirkungsvoll, empfiehlt sioh aber wegen seines
Alkoholgehaltes nicht bei jugendlichen Kranken.
Eine besondere Beachtung verdient die Flechsig’sehe Opium-
Bromkur. Sie eignet sich aber, wie ich ausdrücklich betone, nur für
die Krankenhausbehandlung. Sie besteht aus zwei Teilen, einem Opium-
und einem Bromteil. Im ersteren wird Opium gegeben, und zwar
Opium purum, auf keinen Fall etwa Opiumtinktur oder Pantopon. Man
beginnt mit dreimal täglich 0,05 g, am besten in Pillenform. An jedem
zweiten Tage steigt man um dreimal 0,01, und erreicht in dieser Weise
am 51. Tage dreimal 0,3, das sind 0,9 Opium. Während dieses Teiles
der Kur lasse man den Kranken verdünnte Salzsäure nehmen oder gebe
ihm Acidoltabletten, von denen eine (0,5) 4 Tropfen Salzsäure ent¬
spricht. Im allgemeinen werden, wie wir aus der Psychiatrie wissen,
solche hohe Opiumdosen gut, vertragen, aber es ist durchaus nicht nötig,
die Flechsig’sche Kur bis zum Maximum der Opiumzufuhr auszudehnen.
Man richte sich ganz nach dem Verhalten des Kranken, seinem Herzen
und seinem psychischen Zustande und breche ab, wenn sich grössere
Schlafsucht am Tage einstellt Immerhin sollte man bis zu einer Tages¬
dosis von 0,5 bis, 0,6 ansteigen. Der zweite Teil der Kur beginnt mit
dem plötzlichen Aussetzen des Opiums und seinem Ersatz durch Brom-
kaliura, von dem man sofort 6 g pro die in drei Portionen zu je 2 g
geben muss. Das ist ein gefährlicher Augenblick, in dem das Hers eine
sorgfältige Ueberwachung beansprucht. Allmählich steige man mit dem
Bromkalium auf dreimal 3 g und bleibe dann eine längere Zeit etwa
2 Monate, auf dieser Dosis stehen, vorausgesetzt dass diese Dosen ver¬
tragen werden und kein Bromismus entsteht. Die Kur hat keine Dauer¬
erfolge aufzuweisen und sollte, wenn überhaupt, nur als ultimum
refugium angewendet werden.
• Auch die v. Rechtere w’sche Kur hat: Anhänger, wenn
auch keine allgemeine Anerkennung gefunden. <
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Original frn-m
UNIVERSITÄT OF IOWA
5. Mal 1919.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
817
Sie besteht in einer Verbindung von Bromkalium, Godein und Adonis
vernalis. Die Vorschrift lautet: Infus. Adonis vern. 4,0:180, Codein 0,15,
Kal. bromat. 7,5—12,0. Täglich drei- bis viermal 2 Esslöffel zu nehmen.
Den Esslöffel zu 15 g gerechnet, wären das täglich bei viermaliger Gabe
5—8 g Bromkalium, eine immerhin beträchtliche Menge.
Bemerkenswert, aber noch keineswegs nach allen Richtungen auf¬
geklärt, ist ein gewisses antagonistisches Verhalten zwischen
den Chloriden und Bromiden im Organismus. Der Chlorgehalt
des Blutes soll sich vermindern, wenn reichlich Bromsalze darin kreisen,
die letzteren sollen also die ersteren verdrängen. Das scheint auch
daraus hervorzugehen, dass im Beginne einer Bromretention die Kochsalz¬
ausscheidung gesteigert ist, und das3 andererseits eine vermehrte Koch¬
salzzufuhr die Bromausscheidung beschleunigt. Festgestellt nach Ver¬
suchen von B. Külz ist, dass bei Bromzufuhr die Chlorwasserstoff-
saure des Magensaftes durch Bromwasserstoffsäure ersetzt wird, und dass
dabei die sonst chlorreichsten Gewebe am meisten Bromsalze enthalten.
Für die Behandlung der Epileptiker ist daraus die Ver¬
ordnung koch salzloser oder kochsalzarmer Nahrung
entstanden, mit der Betonung, dass während ihrer Durchführung
die Wirksamkeit der Bromsalze sich steigere, dass man also ihre
Dosis verringern könne.
Aus dem erwähnten antagonistischen Verhalten der Chloride und
Btomide folgt einerseits, dass bei absoluter Kochsalzentziehung sehr
schwerer Bromismus auftreten muss, andererseits, dass dieser durch ge¬
steigerte Kochsalzzufuhr wieder schnell beseitigt wird. Die von den
französischen Aerzten Toulouse und Riohet empfohlene Kur ist von
einer grossen 2ahl deutscher Forscher nachgeprüft, indessen eine über¬
einstimmende Anerkennung ihrer Wirksamkeit nicht erzielt worden. In
der Ambulanz stösst die systematische Verminderung des Kochsalzes in
der Nahrung auf zu grosse Schwierigkeiten, und bei den grösseren und
besseren Erfolgen, die die Kur bei Krankenhausbehandlung unstreitig
aufzuweisen hat, sind dafür die geregelten und ruhigen Verhältnisse des
Krankenhauses nicht ausser Anschlag zu lassen. Auch die persönliche
Abneigung der Kranken gegen eine längere Zeit fortgesetzte salzlose
oder salzarme Nahrung, die durch ihren faden und widerlichen Ge¬
schmack schliesslich abstösst, ist nicht dazu angetan, der Kur eine all¬
gemeine Anerkennung und Einführung zu verschaffen. In neuester Zeit
scheint eine Wendung in dieser Frage dadurch herbeigeführt werden
zu sollen, dass auf Veranlassung des Dr. med. A. Ulrich, dirigierenden
Arztes der schweizerischen Anstalt für Epileptische in Zürich, eine mit
Bromnatrium und Kochsalz im Verhältnis von 1,1 :0,1 und eine Kleinig¬
keit Fett kombinierte Suppenwürze (Maggi) fabrikmässig in Tabletten¬
form hergestellt wird, das Sedobrol, mit dem es gelingt, heisses Wasser
in würzig schmeckende, allerdings für die Ernährung wertlose Suppen
ümzuwandeln* Ulrich hat mehrere Jahre hindurch 15 Epileptiker zu¬
erst mit salzlosen Suppen, dann mit Sedobrolwassersuppen ernährt und
veröffentlicht nun seine sehr günstigen Ergebnisse in bezug auf die Ver¬
minderung und das gänzliche Ausbleiben der Anfälle bei einigen seiner
Kranken. Er hat nicht nur das Suppensalz zum Ausfall gebracht, was
er auf 10—20 g täglich angibt, er hat auch in anderen Speisen das Salz
allmählich vermindert und seine Kranken schliesslich auf 8*/ a g Salz täg¬
lich heruntergesetzt. Die Arbeit muss im Original 1 ) nachgelesen werden.
Eine bestimmte Stellungnahme zu der ganz gewiss wichtigen Frage er¬
scheint mir noch nicht möglich, und eine bestimmte Entscheidung
darüber, wo nun eigentlich der ausschlaggebende und heilende Faktor
liegt, ob in der Bromdosis, ob in der enormen Kochsalzverarmung, ob in
einem gewissen Gleichgewichtsverhältnis zwischen Brom und
Salz, das für jeden Kranken herausgefunden werden müsste, oder ob io
der sehr grossen Verdünnung, in der das Brom-Kochsalz gereicht wird
(Suppen), oder gar in der Suppenwürze, die eine vollkommenere Aus¬
nutzung der zugeführten Speisen und Getränke und wohl auch der Medi¬
kamente ermöglichen soll, das alles ist noch unklar. Immerhin ist diese
neue, höchst einfache Methode wert, innerhalb eines Krankenhauses syste¬
matisch nachgeprüft zu werden.
Ich verbiete Fleisch und Fische in gesalzenem und geräuchertem
Zustande, Bratensauoen, Käse, gesalzene Butter und jeden Zusatz von
Salz zu fertigen Speisen. Erweist sich ein weiterer Abzug von Salz als
erforderlich oder wünschenswert, dann lasse ich Suppen durch Milch er¬
setzen. Dazu führe ich die Brombehandlung mit meinem Bromwasser
aus, das auf 1,0 g Bromsalze 0,1 g Chlornatrium enthält. Ich
lasse davon drei- bis viermal täglich je 75 ccm trinken, das sind 8—4 g
Bromsalze plus 0,3—0,4 g Kochsalz. Experimenti causa habe ich fest¬
gestellt, dass sich eine salzlos hergestellte Suppe mit einer entsprechenden
Menge meines Bromwassers sehr schmackhaft machen läst.
Ausser den Bromsalzen haben mir bei der Behandlung von
Epileptikern, namentlich bei Kindern und jugendlichen Kranken,
die Jodsalze hervorragende Dienste geleistet. Wie ich schon
hervorgehoben habe, sind Encephalitis und Meningitis, mögen sie
in der fötalen oder der ersten Lebenszeit durchgemacht worden
sein, mögen sie heredoluetischer Natur sein oder nicht, die
häufigsten Ursachen der Epilepsie. Die verschiedenartigen Pro-
J) Münchener med. jjVocljenschr. ? 1912, Nr, 36 u. 37.
dukte and Rückstände dieser Entzündungskrankheiten bieten stets
ein dankbares Objekt für eine Resorptionsbehandlung.
Eine solche habe ich bei jugendlichen Epileptikern immer in erste
Linie eingeleitet und babe versucht, von innen und aussen den patho¬
logischen Herden auf den Leib zu rücken. Jodsalze innerlich, Solbäder
und Haarseil in den Nacken von aussen, damit habe ich den Kampf
geführt. Selbstverständlich und aus der Natur der Dinge sich ergebend
fordert eine derartige Behandlung lange Zeiträume, bis eine Wirkung,
bis ein Erfolg erzielt wird. Alte Exsudate, Lymphstauungen, Verände¬
rungen der Gefässwände sind nicht in vier bis sechs Wochen zu beseitigen,
sie sind auch nicht mit homöopathischen Jodsalzdosen zur Resorption zu
bringen. Sie müssen schärfer angefasst werden, und es ist ein glück¬
licher Umstand, dass Kinder gerade Salz und Jod in starken Gaben so
gut vertragen. Eine derartige Behandlung muss monatelang konsequent
durcbgeführt und, wenn erforderlich, nach Pausen immer wiederholt
werden. Die Pausen kann man mit einem roborierenden Regime aus¬
füllen und dabei Bromsalze geben, die ich während der eigentlichen
Resorptionskur nicht gebrauchen lasse. Wie ich wiederholt bei anderer
Gelegenheit angegeben und zur Nachahmung empfohlen habe — ich gebe
stets Kalium und Natrium jodatum zusammen, stets in alkalischer Lösung,
stets bei säurefreier Diät, stets mit kleinen Dosen einschleichend und
sie progressiv steigernd.
Von den unzähligen anderen Medikamenten, die früher gegen die
Epilepsie angewandt worden sind, verdient heute höchstens das Atropin
eine Erwähnung. Man gibt es entweder in Pillen zu je 0,005 g, wovon
täglich eine bis zwei verordnet werden, oder in subcutaner Injektion
(0,01:10,0; davon täglich eine viertel bis eine halbe Pravazspritze voll).
Ganz neue Wege scheint die Krotalinbehandlung zu
zeigen, die in England von Turner, in Amerika von Spangier,
bei uns von Fackeuheim in Cassel inauguriert worden ist.
Krotalin ist eine aus den Giftdrüsen der Klapperschlange gewonnene
Substanz, die vermöge ihrer Zusammensetzung eine Doppelwirkung auf
den menschlichen Organismus ausübt: die in ihr enthaltenen Pepton¬
bestandteile bringen eine nervenläbmende Wirkung zustande, während
der zweite Bestandteil, das Globulin, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes
herabsetzt- Gerade zwischen der letzteren und der Epilepsie soll ein
Zusammenhang, eine Wechselbeziehung bestehen, was auch daraus ge¬
schlossen werden müsse, dass Hämopbile niemals an Epilepsie erkranken.
Es käme also bei Niohtblutern, die epileptisch sind, darauf an, die Ge¬
rinnungsfähigkeit ihres Blutes herabzusetzen, sie gewissermaassen zu
Hämophilen zu machen. Die Anwendung erfolgt duroh subcutane In¬
jektion 1 ). Die Erfolge sind nach Fackenheim’s Veröffentlichung äusserst
günstig. Die Krotalinbehandlung bietet Aussicht auf dauernden Erfolg.
Unter ihrer Wirkung tritt eine auffallende Hebung des Allgemeinbefindens
ein, und zwar noch mehr in psychischer als in somatischer Beziehung.
Die Kur eignet sich nur für Krankenhausbehandlung.
Gegen den Status epilepticus haben sich Klystiere von
Chloralhydrat von jeher als wirksam erwiesen. Man darf mit ihrer
Anwendung nicht zu lange zögern. Auf Grund des Brom-Kochaslz-
antagonismus empfiehlt sich eine grössere Zufuhr von Kochsalz io
Form von Klystieren oder Infusionen (0,8 pCt.).
Zum Schlüsse noch ein Wort über die Coupierung des
einzelnen epileptischen Anfalles. Von ihr kann natürlich
nur da die Rede sein, wo dem Anfalle eine längere Aura vor¬
hergeht.
Tritt diese auf bestimmte Körpergebiete lokalisiert auf, dann werden
Hautreize, wie scharfe Einreibungen, Faradisation mit dem Pinsel, Bürsten
und ähnliches angewandt, v. Strümpell hat bei solchen Fällen ein
ringförmiges Blasenpflaster um die betreffende Extremität gelegt und den
Anfall dadurch verhütet. Bei Jackson’schen Anfällen, die von dem distalen
Extremitätenende aufwärts voranschreiten, kann eine feste, blutabsperrende
Umschnürung am oberen Ende der Extremität den Anfall unterdrücken.
Bei allgemeiner Aura sind Inhalationen von Amylnitrit empfohlen worden,
auch Schlucken von Kochsalz soll nützlich sein.
1) Durch die Apotheken von der Firma J. & H. Lieberg in Cassel
zu beziehen. Es wird zur subcutanen Injektion in sterilen Ampullen
von verschieden starker, genau dosierter Konzentration geliefert. Zur
ersten Einspritzung nimmt man die niedrigste Dosis von 0,000325 g.
Ist die entzündliche Reaktion, die immer entsteht, aber von Injektion
zu Injektion geringer wird, abgeheilt, dann gibt man nach acht Tagen
die zweite Einspritzung von 0,00065 g. Diese Injektion wiederholt man
in Zwischenräumen von acht Tagen, im ganzen etwa vier- bis sechsmal.
Dann steigt man auf die Dosis von 0,00086 g, von der meist zwei Ein¬
spritzungen in 14 tägigen Zwischenräumen genügen. Nach weiteren
14 Tagen geht man auf 0,0013 pro injectione und wiederholt sie nach
vier Wochen. Kommen dann noch Anfälle, kann man nach weiteren
vier Wochen eine Einspritzung von 0,0025 geben, die unter Umständen
nach vier Wochen zu wiederholen ist. Bleiben die Anfälle schon nach
den niedrigen Dosen aus, dann ist eine weitere Steigerung nicht er¬
forderlich. Bei Kindern und Jugendlieben sind nur die zwei schwächsten
Dosen in zehntägigen Zwischeoräumen anzuwenden.
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UNIVERSUM OF IOWA
818
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu
Frankfurt a. M. (Direktor: Wirkl. Geh. Rat Professor
Dr. P. Ehrlich).
Ueber die Wirkung des Camphers bei bakte¬
rieller Infektion. 1 )
Von
Stabsarzt Dr. K. E. Boehncke, Mitglied des Instituts.
Der Campher hat — besonders in früheren Zeiten — in der
Medizin eine grosse Rolle gespielt, teils als Excitans bei Collaps-
znständen im Verlaufe akuter lofektions- und Entzündungskrank-
heifcen, teils infolge seiner antiseptischen Eigenschaften direkt als
Antisepticum in Pulverform bei eiternden und diphtherischen
Geschwürsprozessen sowie endlich als Therapeuticum, meist aller¬
dings in Verbindung mit noch anderen Mitteln, bei Pneumonien.
Unter diesen Umständen erschien es von Interesse, zu unter¬
suchen, ob dem Campher eine besondere chemotherapeutische
Bedeutung im Tierversuch in einer spezifischen Wirkung auf
irgendwelche Infektionserreger, namentlich solche bakterieller
Art, zukommt. 2 3 )
Als Erreger für die zu setzenden bakteriellen Infektionen wurden
in erster Linie Pneumokokken gewählt, einmal wegen der dem Campher
von manchen Seiten vindizierten Wirkung bei der Pneumonie, haupt¬
sächlich aber deshalb, weil nach den ergebnisreichen Untersuchungen
Morgenroth’s 8 ) und seiner Mitarbeiter sowie nach eigenen Erfahrungen 4 )
die Pneumoniekokken unter den bakteriellen Infektionserregern aus ver¬
schiedenen biologischen Gründen für chemotherapeutische Versuche be¬
sonders geeignet erscheinen mussten.
Als Anwendungsform des Chemikale kam in erster Linie die
ölige Lösung in Frage, da die anderen noch möglichen Lösungsmittel —
Alkohol, Aetber, Chloroform — wegen ihrer eigenen, zum Teil hohen
toxischen Wirkung nur wenig geeignet erscheinen konnten. Die An¬
wendung des Chemikale in öliger Lösung hatte zudem wegen der lang¬
samen, dauernden Wirkung manche Vorteile gegenüber einem schnell
resorbierbaren Vehikel mit sehr starker, plötzlicher, dafür kürzeren und
mehr toxischen Wirkung. Trotzdem wurden einige Versuche mit körper¬
warmen alkoholischen (38 proz.) Lösuugen von Campher (10 proz.) an¬
gestellt, nachdem sich ergeben batte, dass eine toxische Wirkung des
Alkohols bei den im Schutzversuch benötigten Mengen nicht zu be¬
fürchten war. Als Versuchstiere in meinen seit mehreren Monaten
systematisch unternommenen Schutz- und Heilversucben mit Campher
dienten zunächst weisse Mäuse. Schon bei der Einstellung der
Toxicität der öligen 10 proz. und 5 proz. sowie der alkoholischen Lösungen
machte sich eine sehr verschiedenartige Empfindlichkeit der
Versuchstiere gegenüber dem Chemikale recht unangenehm bemerkbar.
Nachdem sich als Dosis tolerata 0,2—0,25 ccm der 10 proz. und 0,3 bis
knapp 0,5 ccm der 5 proz. öligen sowie 0,25 ccm der 10 proz. alkoho¬
lischen Campherlösung (pro 20 g Gewicht der Maus) ergeben hatte,
wurde das Mittel zunächst im Schutzversuoh angewendet. Die unten
angegebenen Injektionsdosen gelten stets in der Berechnung pro 20 g
Tiergewicht bei Mäusen. Die Injektion der Campherlösung in sterilem
Olivenöl bzw. in sterilem Triolein erfolgte subcutan bzw. (siehe unten)
einige Male intraperitoneal. Die Injektion mit Kochsalzverdünnungen
eines für Mäuse hochvirulenten Pneumokokkenstammes (24 ständige
Bouillonkultur) geschah stets in der Menge von 0,5 ccm intraperitoneal
bzw. (siehe unten) suboutan.
Schutzversuch l.
0,2 ccm 10 proz. Campheröl subcutan, Infektion 4 Stunden später
intraperitoneal.
Kontrollmäuse (0,5 ccm Verd. Vioooo) : tot nach 24—36 Stunden.
Von 10 behandelten Mäusen gehen 4 toxisch innerhalb 1—5 Stunden
ein, die 6 Testierenden sind nach 7 Tagen munter.
Schutzversuch 2.
0,25 ccm 5 proz. Campheröl; Infektion wie oben. Therapie 24 Stunden
später wiederholt.
Kontrollmäuse: tot nach 24—48 Stunden. Von 10 wie oben be¬
handelten Mäusen leben nach 7 Tagen sämtliche.
Nach diesen recht günstigen Ergebnissen wurde zunächst das Intervall
zwischen Behandlung und Infektion von 4 auf 2 Stunden verkürzt. Wie
die nachstehend wiedergegebenen Versuchsresultate zeigen, wurde da-
1) Als Autoreferat mitgeteilt am 3. April d. J. auf der diesjährigen
Tagung der Freien Vereinigung für Mikrobiologie.
2) Auf die während der Drucklegung dieser Arbeit erschienene Ver¬
öffentlichung von Leo über therapeutische Versuche mit Campherwasser
bei der Tneuraokokkeninfektion in Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nf. 13, und seine Bemerkungen ebendort, Nr. 15, sei hiert verwiesen.
3) Diese Wochenschr., 1911, Nr. 34 u. 44. Centralbl. f. Bakteriol.,
1912, Ref., Bd. 54, Beih. b
4) Boehncke, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 8.
durch der therapeutische Effekt bereits in nicht unerheblichem Maasse
beeinträchtigt. m
Sohutzversuch 3 und 4.
0,2 ccm 10proz. Campheröl subcutan; Infektion 2 Stunden später.
Kontrollmäuse: tot nach 30 Stunden.
Von den behandelten Tieren erlagen 60pCt. der Infektion, davon
40 pCt. verzögert zwischen dem 3. bis 5. Tage post infectionem. 40 pCt.
waren am 7. Tage munter.
Bemerkenswert erscheint, dass diesmal entgegen dem Versuch 1 bei
genau gleichen Campherdosen kein Tier infolge Toxicität ausfiel. Etwas
besser war das Resultat bei Verwendung von 0,4 ccm 5 proz. 01. camphor.,
indem hierbei 40 pCt. der Mäuse der Infektion erlagen und 60 pCt.
überlebten.
Im Schutzversuch 5 wurde daher versucht, die Campherdosis
noch etwas zu steigern, um so eventuell das Ergebnis etwas zu ver¬
bessern. Die Mäuse erhielten 0,25 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 20 g
Gewicht subcutan. Infektion 2 Stunden später intraperitoneal.
Kontrollmäuse: tot nach 30—60 Stunden.
Behandelte Mäuse*. 20pCt. tot infolge Toxicität, 20pCt. tot infolge
Infektion, 60pCt. überlebend.
Auch eine fraktionierte Therapie vermochte bei dieser Versuchs¬
anordnung die Resultate nicht zu verbessern, wie sich ergibt aus
Schutzversuch 6.
0,25 ccm 5proz. 01. camphor. subcutan; Infektion nach 2 Stunden
intraperitoneal. Therapie nach 20 Stunden wiederholt.
Kontrollmäuse: tot nach 30—60 Stunden.
Von den behandelten Mäusen erlagen 40 pCt. der Infektion zwischen
48—72 Stunden, 60pCt. lebten nach 7 Tagen.
Also gegen das vorige Versuchsergebnis keine Verbesserung im
Gesamtresultat, nur dass bei der fraktionierten Therapie kein Ausfall
infolge toxischer Wirkung des Chemikale vorkam. Mehrtägige Camphe-
rung, die die Mäuse allerdings infolge der wiederholten Oel-lnjektionen
mit Collodiumverschluss etwas angriff, schien die Resultate infolge der
Anreicherung des Camphers im Körper der Maus besser zu gestalten
(s. auch weiter unten).
Damit schien die therapeutische Wirksamkeit des subcutan appli¬
zierten Campheröls gegenüber Pneumokokken im Versuch an weissen
Mäusen ihre Grenzen erreicht zu haben. Denn weder im Heilversuch
noch auch nur bei gleichzeitiger Infektion und Therapie zeigte sich auch
bei Verminderung der Infektionsdosis ein nennenswerter und sicherer
Erfolg. Sehr starke Inlektionsdosen beeinträchtigten übrigens auch bei
den Schutzversuchen mit den angegebenen Zwischenzeiten den thera¬
peutischen Erfolg recht erheblich.
Da sich gezeigt hatte, dass weisse Mäuse von einem etwa 38 proz.
Alkohol bis 0,5 ccm pro 20 g subcutan ohne Schaden vertrugen, so
wurde eine 10 proz. alkoholische Campherlösung 37° warm in Dosen
von 0,3 bis 0,25 bis 0,2 einer Reihe weisser Mäuse subcutan injiziert
und eine Stunde später bzw. gleich darauf die Infektion mit Pneumo¬
kokken (Vioooo 0,5 ccm intraperitoneal) vorgenommen. Ausser den mit
0,3 alkoholischer Campherlösung behandelten Tieren, die meist in
wenigen Stunden toxisch eingingen, kamen alle davon. Besonders aber
scheint die intraperitoneale Applikation des Campheröls mit folgender
Suboutaninfektion geeignet, mit weit geringeren Campherdosen noch
Erfolge im Schutzversuch zu erzielen: während die Virulenzkontrollen
sowie nur mit sterilem Olivenöl intraperitoneal injizierte weisse Mäuse nach
36—48 Stunden starben, blieben Reihen von Mäusen, die mit 0,15 ccm
(toxische Ausfälle), 0,125 ccm (ein toxischer Ausfall), 0,1 und 0,075 ccm
5 proz. sterilen Campheröls vorbehandelt wurden, bisher — 8 Tage —
munter. Es scheint also infolge der schnelleren, dabei doch gleich-
mässig andauernden Resorption die therapeutische Wirksamkeit erheblich
gesteigert zu sein.
Bemerkt sei dabei, dass gegenüber anderen Infektionserregern bak¬
terieller Art (Streptokokken, Bacillen der septisohen Pneumonie
und Rotlaufbacillen [vgl. weiter unten]) dem Campher irgendwie spe¬
zifische Wirkung nach unseren Ergebnissen nicht oder nur bedingungs¬
weise zuzukommen scheint. Ebenso versagte das Mittel in Schutz¬
versuchen gegenüber Recurrensspiroohäten, wenn auch eine geringe
Wirkung sich insofern bemerkbar machte, als die Spirochäten bei den
behandelten Mäusen zunächst unverkennbar spärlicher sich zeigten als
bei den nichtbehandelten Kontrollen und dadurch meist eine geringe
Verzögerung des Todes bei den Camphertieren (um 20— 30 Stunden) er¬
reicht wurde. •
Bereits im Beginn der vorgeschilderten Versuche war auch ein ver¬
einzelter Versuch mit Kaninchen gemacht, und zwar mit wenig ermuti¬
gendem Resultat. Allerdings dürfte dasselbe bedingt gewesen sein durch die
äusserst starke Infektionsdosis: 1,0 ccm der Verdünnung Vio hochvirulenter
Pneumokokkenbouillonkultur intravenös und besonders die viel zu geringe
Menge des gleichzeitig verabreichten Campheröls: 2 ccm 10 proz. sub¬
cutan. Beide Tiere waren nach 24 Stunden tot. Ein gleichzeitig mit
schwächerer Infektion (1 com der Verdünnung Vioo Kultur intravenös) und
zweitägiger Vorbehandlung mit je 2 ccm 10 proz. 01. camphor., sowie
12 Stunden post infectionem erfolgter Reinjektion der gleichen Campher¬
dosis angesetzter Versuch, bei dem das Versuchstier munter blieb und
das Kontrolltier nach 24 Stunden einging, blieb deshalb nicht eindeutig,
weil bei der Kontrolle sich ausser Pneumokokken im Blut auoh noch
Polbakterien fanden, die auf eine intercurrente seuchenartige Erkrankung
hindeuteten.
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UMIVERSITY OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
819
Inzwischen war ich jedoch durch eine Notiz in dem Uebersichts-
referat von Rosenthal 1 ): „Die Chemotherapie der Pneumokokken¬
infektion“ aufmerksam gemacht auf therapeutische Erfolge von Welch
bei der Campherbehandlung der Pneumokokkeninfektion am Kaninchen,
die er auf Seibert’s 2 ) Veranlassung unternommen hatte. Seibert
hatte bei Pneumonien mit Subcutaneinspritzungen von grossen Dosen
Campberöl, zweimal täglich während der ganzen Dauer der Erkrankung
wiederholt, so günstige Erfahrungen gemacht, dass er diesen Effekt nur
einer spezifischen Wirkung des Campbers auf die im Blute des Pneu-
monikers kreisenden Pneumokokken zuschreiben zu dürfen glaubte, be¬
sonders da in Reagenzglaskulturen schon Spuren von Campher zu ge¬
nügen schienen, um eine Entwicklung der Pneumokokken zu verhindern
(Hensel). Weiter wird noch kurz über Versuche von Welch berichtet,
wonach fortschreitende Infektionen mit virulenten Pneumokokken an
Kaninchen durch subcutane Campherölinjektionen erfolgreich beeinflusst
werden konnten. Dieser „spritzte zuerst einer Anzahl Kaninchen ein
abgemessenes Quantum einer subcutanen (? B.) Emulsion von Pneumo¬
kokken in die Ohrvene; diese Tiere gingen alle nach 36 Stunden ein.
Bei der zweiten Serie spritzte Welch dieselbe Menge Pneumokokken¬
emulsion in die Vene und eine Stunde später 1 ccm 20 proz. Campheröls
subcutan ein. Letztere Einspritzung wurde alle 12 Stunden wiederholt.
Diese Tiere erkrankten ebenfalls, erholten sich aber binnen 2 Tagen
ausser einem, welches erst nach 9 Tagen einging“.
Diesen geradezu glänzenden kurativen Effekt konnten wir nicht
bestätigen, wie das nachfolgende Protokoll zeigt:
Heilversuch an Kaninchen nach Welch.
Infektion von vier Kaninchen intravenös mit 1 ccm einer 24 stän¬
digen virulenten Pneumokokkenbouillonkultur in Verdünnung 1:150.
Eine Stunde darauf den Tieren Nr. 117, 198, 252 subcutan je 1 ccm
20 proz. 01. camphor. Die Therapie wird alle 12 Stunden wiederholt.
(Tabelle 1.)
Tabelle 1.
Tag
Nr. 117
Nr. 198
Nr. 252
Kontrolle
unbehandelt
1.
0
fl
0
krank
2.
t*7«
massenhaft
+ 2
+ IV2
Pneumokokken
Pneumokokken
Pneumo¬
Pneumo¬
1 im Blut 1
! i
kokken
kokken
Es war also bei günstigster Kritik des Versnchsergebnisses
lediglich eine vielleicht minimale Verzögerung des letalen Aus¬
ganges durch die nachfolgende Campherbehandlung erzielt
worden.
Einer Anregung von Exzellenz Ehrlich folgend, wurden in
weiteren Heilversuchen (Therapie eine Stunde post infectionem)
die Campherdosen erheblich erhöht, da sich gezeigt hatte, dass
Kaninchen 12,5 bis 15 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 1000 g
Körpergewicht ohne Schaden vertragen. Jedoch auch bei In¬
jektion von 10 ccm 10 proz. Campheröls pro 1000 g war ein
sicherer Erfolg nicht zu erzielen:
Unbehandelte Kontrolle: f 1*/ 2 .
Behandeltes Kaninchen Nr. 726, 1900 g: f 3 (Kaninchenseuche,
keine Pneumokokken).
Behandeltes Kaninchen Nr. 129, 1950 g: + 3 l / 2 (zahlreiche Pneumo¬
kokken im Blut).
Bessere Resultate konnten in Schutzversuchen erzielt
werden:
1. Fraktionierte Behandlung nach Welch:
Kontrolle: + U/ 2 bzw. f 3.
Intervall zwischen Therapie und Infektion:
3 ständig: 2 Kaninchen, davon
2 „ 1 „ f 1*);T Kaninchen, davon
gleichzeitig: 1 „ + 2; 1 „ -J- 5.
*) Kaninchenseuche: massenhafte Polbakterien, dazwischen äusserst
vereinzelt Pneumokokken.
2. Einmalige grosse Campherdosen:
10 ocm 10 proz. 01. camphor. pro 1000 g subcutan, 2 Stunden später
Infektion intravenös.
Kontrolle: t 3.
Kaninchen Nr. 273: Nach 12 Tagen munter.
Kaninchen Nr. 700: Nach 5 Tagen völlig munter, ist } Stunde nach
der letzten Besichtigung tot aufrfefunden, keine Pneumokokken. Freie
Blutung in die Peritonealhöhle (Fusstritt?). 1
1) Zeitschr. f. Chemotherapie, Bd. 1, Ref., H. 12.
2) Münchener tned. Wochenschr., 1909, Bd. 2.
Es zeigen sich also bei Kaninchen ziemlich dieselben Er¬
scheinungen wie bei den Mäuseversuchen: im Schutzversuch, be¬
sonders bei Anwendung grosser Dosen, unzweifelhafte Wirkung
des Camphers auf die folgende Pneumokokkeninfektion, die aber
mit dem zeitlichen Näherrücken von Therapie und Infektion an
Sicherheit und Intensität abnimmt, um im Heilversuch ganz un¬
sicher zu werden, so dass meist nur eine kürzere oder bisweilen
längere Verzögerung des Todes des behandelten Tieres resultiert.
Bemerkt sei noch, dass bei Kaninchen die Einverleibung des
Camphers probeweise im Schutzversuch auch in alkoholischer Lösung
vorgenommen wurde. Bei lOpCt. Camphergehalt wurden 5 ccm pro
1000 g verwendet. Infektion 2 Stunden nach erfolgter Therapie. Trotz
alle 24 Stunden wiederholter Injektion der gleichen Campherdosis konnte
bei den Versuchstieren nur eine Verzögerung des Todes (+ 4 und + 2*/ 2 )
gegenüber der Kontrolle (f l 1 /,) erzielt werden.
Da von den Kaninchen ohne Schaden grössere Mengen
des 10 proz. Campheröls (bis 10 ccm pro 1000 g Gewicht)
stomachal vertragen wurden, so schien es, besonders mit
Rücksicht auf die Verhältnisse in der humanen Therapie, von
Interesse, ob bei stomacbaler Applikation eine Wirkung zu er¬
zielen war. Zu dem genannten Zwecke wurden stomachal vor¬
behandelte Kaninchen 24 Stuuden später mit Pneumokokken in¬
fiziert. Mehr als eine Hinauszögerung des Todes um 1 bis
IV 2 Stunden gegenüber den Kontrollieren liess sich bei dieser
Applikation in unseren Versuchen nicht erreichen. Jedoch müssten
noch ausgedehntere Versuchsreihen folgen, da wir in den Winter¬
monaten in allen unseren Versuchen zahlreiche seuchenkranke
Tiere trotz aller Vorsicht fanden, so dass sich zu einer ge¬
legeneren Jahreszeit vielleicht auch die Erfolge günstiger gestalten
dürften.
Endlich wurde auch die Wirksamkeit des Camphers bei intra¬
pleuraler Infektion von Meerschweinchen mit Pneumokokken
geprüft. Bei den bekannten Schwierigkeiten bei dieser Infektions¬
manier stets eindeutige Resultate zu erhalten, erscheint es viel¬
leicht nicht unberechtigt, anzuführen, dass unsere bisherigen Er¬
gebnisse wenigstens teilweise eine schützende Wirkung des Camphers
gegenüber der Intrapleuralinfektion mit folgender experimenteller
Lobulärpneumonie darzutun scheinen (Tabelle 2 und 8).
Tabelle 2.
Infektion sehr stark: 0,03 hochvirulentes, von Pneumokokken
wimmelndes Meerschweinchenpleuraexsudat 4 Stunden nach Vorbehand¬
lung (subcutan) mit 1,0 bzw. 1,25 ccm 10 proz. 01. camphor. pro 100 g
Körpergewicht.
CO
H
Nr. 667
Nr. 322
Nr. 339
Nr. 119
Kontrollen
1
?
?
1
0
ti 1 +1
2
+ iV)
t IV 2 ‘)
1 2
0
'Massenhaft Pneumo¬
3
Fast Reinkultur von
0
kokken im reich¬
4
Seuchebacilen. Sehr
spärliche Pneumokokken
0
lichen pleuritlschen
Exsudat
8
im geringen Exsudat
0
1) Tiere versehentlich vor Sektion verbrannt.
Tabelle 3.
Infektion schwach. Behandlung wie oben.
Campherdosis
Kontrollen
Tag
1,0 ccm
1,0 ccm
1,25 ccm
1,25 ccm
—
—
Nr. 166
Nr. 227
Nr. 314
Nr. 340
Nr. 676
Nr. 315
1
krank
munter
munter
munter
krank
?
2
t 2
?
munter
3
4
Rechtsseitige
13
Ji
munter
»
R
Pneumonie.
Eitrige Peri¬
n
n
krank
c
Stich¬
tonitis. Keine
*
y>
0
Q
verletzung
Pneumo¬
yy
»
t b
9
11
der Lunge
kokken
*
»
Spärliches xihes
Pleuraexsudat
n
*
mit Pneumo¬
kokken
r Wenn nach allem dem Campher apch keine überwältigende
Wirksamkeit auf die Pneumokokkeninfektion zuzukommen scheint,
so erscheinen die Ergebnisse doch lohnend, weitere'Kombinationen
mit anderen Chemikalien (eine grössere Anzahl solcher Campher-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
820
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
derivate haben wir bereits geprüft) and mit spezifischem Sernm 1 )
anzustellen und auch andere Infektionserreger mit heranzuziehen,
da sich neuerdings bei anderer Applikationsart im Schutzversuch
der Campher auch gegenüber Rotlaufbakterien eine gewisse Wirk¬
samkeit zu zeigen scheint.
Aus der medizinischen Klinik in Groningen (Direktor:
Prof. Dr. A. A. Hymans v. d. Bergh).
Untersuchungen und Gedanken über den Chole¬
sterinstoffwechsel.
Von
Dr. D. Klinkert.
Das Cholesterin hat in der letzten Zeit für die klinische
Pathologie an Bedeutung gewonnen, sowohl durch die neueren
pathologisch-histologischen Untersuchungen Aschoff’s und seiner
Schule 2 ), als durch die wichtigen klinischen Befunde, welche
Chauffard und seine Mitarbeiter in einer Reihe von Mitteilungen
an die Societe de biologie, veröffentlicht haben.
1) Dass sich mit der Chemo-Serotherapie in Kombination im
Schutzversuch jedenfalls die Resultate verbessern lassen, dürfte ohne
weiteres aus nachstehend aufgeführten Protokollen ersichtlich sein:
0,3 ccm Campberöl 5 proz., subcutan. 0,3 ccm Campheröl 5 proz., subcutan.
Infektion 24 Stunden später. Infektion 4 Stunden später.
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Pneumok.-
Serum
, Merck
0,9 ccm Pneumok.-Serum,
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(1:1000)
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Infektion 1 / 2 Std. später.
(1:1000) i.p. Infektion4Std. s
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+ Serumtherapie.
Campheröl- + Serumtherapie.
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Mehrtägige Campherung: dreimal 0,12 ccm Campheröl.
Danach Infektion.
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0,45 ccm Pneumokokkenserum, Merck (1 :500)
i. p. Infektion 3 Stunden später.
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Campheröl- -f- Serumtherapie.
Bei der Rolle, die der Campher als Excitans bereits bei der Be¬
handlung der Pneumonie hat, dürften Kombinationen mit spe¬
zifischem Serum zu nachdrücklicher Therapie nicht aussichtslos
erscheinen.
2) R. Kawamura, Die Cholesterinesterverfettung.
Die Untersuchungen der letzten Jahre über die Pathogenese
des Gallensteinleidens haben es wahrscheinlich gemacht, dass die
Auffassung Naunyn’s in vielen Punkten unrichtig zu nennen ist.
Die Arbeiten Aschoff’s, Goodman’s, Röhmann’s und Kusu-
muto’s haben die hepatogene Herkunft des Cholesterins der
Galle bewiesen und damit der Naunyn’schen Hypothese ihre
grösste Stütze genommen.
Die alte klinische, von der französischen Schule nie aufge¬
gebene Auffassung, dass der Allgemeinstoffwechsel und konsti¬
tutionelle Momente eine bedeutende Rolle spielen in der Gallen¬
stein pathogenese, kam wieder zu Ehren. Damit war aber zu
gleicher Zeit ein eingehendes Studium des Cholesterinstoffwechsels
unter normalen und pathologischen Bedingungen eine dringende
Forderung geworden.
Die verbesserte Methodik hat es ermöglicht, dieses Studium
in Angriff zu nehmen. Windaus 1 ) lehrt uns in seiner Digitonin-
methode eine elegante und fehlerfreie Technik der Cbolesterin-
bestimraung. Chauffard hat mit Grigaut 2 ) eine colorimetrische
Bestimmung der Cholesterinmenge des Blutserums ausgearbeitet,
welche zwar nicht vollkommen exakt ist, den klinischen Anforde¬
rungen aber genügend entspricht. Sie ermöglichte der Cbauffard-
schen Schule das klinische Studium der Cholesterinpathologie.
Chauffard und Grigaut haben die Farbenreaktion Lieber¬
mann ’s auf Cholesterin (Grünfärbung einer Cholesterinlösung in
Chloroform, bei Zusatz von Essigsäureanhydrid und konzentrierter
Schwefelsäure) zu einer quantitativen Bestimmung des Cholesterins
benutzt. Die Technik ist folgende:
2 ccm Serum werden mit 1 proz. alkoholischer Kalilange
versetzt, das Serum wird auf dem Wasserbade verseift, der un-
verseifbare Rest in Aether aufgenommen, gewaschen, der Aether
verdampft und das Residuum in 5 ccm heisses Chloroform auf¬
genommen. Jetzt werden 2 ccm Essigsäureanhydrid mit zwei
Tropfen konzentrierter Schwefelsäure zugefügt. Nach etwa 10 Mi¬
nuten tritt schöne Grünfärbung auf, welche in ihrer Intensität
der Cholesterinmenge entspricht. Im Colorimeter wird diese
Farbe verglichen mit denjenigen der Cholesterin-Chloroform¬
standardlösungen bekannter Konzentration, welche za gleicher
Zeit der Liebermann’schen Reaktion unterzogen werden. Diese
Methode ist von verschiedenen französischen Autoren (Iscovesco
und Görard) als fehlerhaft bezeichnet worden. Soweit mir
bekannt, hat sie in der deutschen Literatur bis jetzt keine Nach¬
prüfung gefunden. Sie hat als quantitative Methode den Fehler,
auf Farbenreaktion begründet zu sein. Wie folgende Unter¬
suchungen zeigen werden, ist sie aber zuverlässig innerhalb der ,
Grenzen (6—8 pCt. Fehler), welche Chauffard und Grigaut*^
selbst angegeben haben.
Zur Prüfung ihrer Zuverlässigkeit habe ich die Methode
Windaus’ benutzt. Bei den Vorarbeiten stellte sich heraus, dass
das gewöhnliche Extraktionsverfahren im Soxhletapparat für die
kleinen Mengen Serum, welche die Klinik in den meisten Fällen
zu liefern imstande ist, zu umständlich war. Die Extraktion nach
Chauffard und Grigaut erwies sich als sehr bequem. So habe
ich für kleine Mengen Blutserum die folgende Technik ausge¬
arbeitet, welche sich gut bewährt hat.
5 ccm klares Serum werden in einem Kjeldahlkolben mit
50 ccm 8 proz. alkoholischer Kalilauge versetzt. Verseifung wäh¬
rend 1 1 / 2 Stunden auf dem Wasserbade. Man lässt abkühlen.
Nachher wird dreimal mit frischem Aether ausgescbüttelt, der
Aether gewaschen, abdestilliert.
} Das Residuum wird in 30—40 ccm heissen Alkohol aufge¬
nommen und jetzt 15—20 ccm einer heissen 1 proz. alkoholischen
Digitoninlösung (Merck) zugefügt. Nach einiger Zeit wird die
klare Flüssigkeit trübe und fällt das Digitonincholesterid aus.
Es empfiehlt sich, die Flüssigkeit während der folgenden
Tage zu schütteln, damit das Cholesterin absolut quantitativ aus¬
fällt, und erst am 6. Tage zu filtrieren mittels eines getrockneten
und gewogenen Filters. Der Niederschlag wird mit Alkohol und
Aether gewaschen und dann Filter mit Niederschlag nach Trock¬
nung bis zur Gewichtskonstante gewogen. Die Menge freien
Cholesterins ergibt sich in einfacher Weise aus dem Quotienten
der Moleculargewichte, Cholesterin : Digitonincholesterid = 1: 4.
Das klare Filtrat wird aufbewahrt. Es ist m|r im Anfang
passiert, dass nachher noch eine kleine Menge Digitonincholesterid,
welche sich noch in Lösung befand, ausflockte. Wenn man aber
1) Windaus, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
Bd. 42, H. 1.
2) Chauffard et Grigaut, Soc. de biol., 25. November 1911.
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
5* Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
821
die Flüssigkeit schüttelt and sie nicht vor dem 6. Tage filtriert, hat
man in keiner Beziehung Unannehmlichkeiten zu befürchten.
Ich habe mit beiden Methoden zwei Serien gesunder junger
Frauen und Männer (Krankenschwestern und Studenten) unter¬
sucht. Es sind keine Parallelbestimmungen gemacht worden.
Als ich schou mit der Chauffard’schen Methode beschäftigt war,
veranlasste mich die ungünstige Kritik Iscovesco’s und Görard’s,
eine neue Serie Bestimmungen nach der Methode Windaus
auszuführen. Das Blut wurde bei jedem Falle am Morgen dem
Patienten mittels Venaepunktion entnommen. (Tabelle 1.)
Tabelle 1.
Cholesteringehalt des normalen Serums in Grammen pro Liter.
Methode Chauffard-
Grigaut
Methode Windaus
1,875
1,850
1,575
1,800
1,725
1,680
2,400
1,590
1,875
1,300
1,500
1,655
1,650
1,610
1,800
2,095
1,800
1,775
1,875
1,915
1,575
1,730
1,425
1,650
1,875
2,750
1,500
1,570
1,875
2,135
1,800
i 2,335
1,650
1,655
Mittelwert 1,765 g
Mittelwert 1,822 g
pro Liter
pro Liter
Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass beide Methoden
gut übereinstimmende Mittelwerte geben. Da die Methode
Windaus vom chemischen Standpunkt fehlerfrei zu nennen ist,
sind alle folgenden Bestimmungen mittels dieser Methode
ausgeführt worden. Es muss aber hervorgehoben werden,
dass die Resultate, welche Cbauffard in den folgenden klini¬
schen Fragen erzielt hat, zuverlässig sind.
II.
Neu mann und Hermann 1 ) hatten schon früher mit einer
ganz anderen Methode gezeigt, dass während der letzten
Schwangerschaftsmonate das Blutserum der Mutter mehr Chole¬
sterin enthält als in normalen Umständen. Chauffard 2 ) und
seine Schüler konnten dieses Ergebnis bestätigen. Da noch keine
exakten Zahlen in der deutschen Literatur vorhanden sind, fand
ich es wünschenswert, die Untersuchung mit der Methode
Windaus zu wiederholen. Das Blut von normalen schwangeren
Frauen bekam ich durch Venaepunktion. Wo diese nicht mög¬
lich war, benutzte ich das Blut, welches post partum aus dem
retroplacentären Hämatom so sauber wie möglich gewonnen
wurde. Da diese Technik theoretisch nicht ganz fehlerfrei ist,
sind die Zahlen gesondert geordnet (Tabelle 2).
ln Uebereinstimmung mit den genannten Autoren fanden wir
also, dass in den letzten Schwangerschaftsmonaten das Blutserum
der Mutter abnorm reichhaltig an Cholesterin ist, während das
Serum des Kindes einen abnorm niedrigen Gehalt aufweist. Aus
den Untersuchungen Chauffard’s folgt weiter, dass diese Hyper-
cholesterinämie in den ersten Tagen post partum geringer wird,
daun wieder schnell ansteigt wie vor der Entbindung. Von der
zweiten Woche an fällt die Kurve ganz lytisch ab und erreicht
nach zwei Monaten post partum die Norm.
Diese Tatsachen geben Anlass zu zwei wichtigen Fragen:
J Wie entsteht diese Hypercholesterinämie? Ist es wahrscheinlich,
dass die Frequenz der Cholelitbiasis bei Frauen, welche geboren
haben, mit dieser Hypercholesterinämie während der Schwanger¬
schaft in kausalem Zusammenhang steht?
^ Die französische Schule hat diese letztere Frage bejahend be¬
antwortet. Vorläufig, meiner Meinung nach, ohne genügend ex¬
akte experimentelle Beweise.
Denn wie steht es um unsere Kenntnis in diesen Fragen?
1) Wiener klin. Wochenschr., Nr. 12.
2) Chauffard, Guy Laroche und Grigaut, Societe de biologie,
1. und 8. April 1911.
□ igitized by Gck >gle
Tabelle 2.
Normale Schwangerschaft (7. bis 9. Monat).
Cholesteringehalt des mütterlichen Serums in Grammen pro Liter.
Normalwert
= 1,822 g.
Mütterliches
Mütterliches
Punktionsblut
Partusblut
1,935
!
! 2,510
1,875
i
2,325
| 2,950
2,765
2,475
3,670
2,570
1
3,275
2,350
2,620
i
2,390
1 3,970
2,830
1,860
2,540
2,980
2,805
3,475
4,255
2,835
2,465
2,475
2,490
3,410
Cholesteringehalt des kindlichen Blutes (aus der Nabelschnur gewonnen).
I . .
. . 1,200 g
II . .
. . 1,275 „
III . .
• - 1,490 ,
IV . .
. . 1,085 „
V . .
. . 1,325 ,
VI . .
. . 1,140 „
VII . .
. . 0,860 „
Wir wissen absolut nichts von der Gallensekretion während^
der Schwangerschaft. Menschliches Material fehlt vollkommen.
Tierexperimente, welche ich in dieser Beziehung angestellt habe,
sind mir bis jetzt infolge der komplizierten Technik misslungen.
Meine Versuche gingen dahin, die Gallensekretion bei einer
. Hündin mit kompletter Gallenfistel vor und während der
Schwangerschaft zu studieren. Denn auf diese Weise muss das
Problem gelöst werden.
. Es steht fest, dass während der Schwangerschaft auch auf
dem Gebiete des Fettstoffwechsels Aenderungen auftreten. Hof¬
bauer spricht bei seinen histologischen Untersuchungen von
einer charakteristischen Schwangerschaftsleber. Positives vom
Cholesterinstoffwechsel wissen wir aber nicht. Einzelne Tatsachen
scheinen anzudeuteo, dass wir in diesen Fragen mit komplizierten
Verhältnissen zu tun haben, welche wir noch nicht übersehen
können. y
Das Cholesterin circuliert im Blut hauptsächlich als Ester,
an höhere Fettsäuren gebunden, während nur ein kleines Quantum^
nach HepnerV) Untersuchungen frei anwesend ist. Weder
unsere noch Chauffard’s Methode ist imstande, die beiden Teile
getrennt zu bestimmen. Nach Neumann ist es aber wahrschein¬
lich, dass in der Schwangerschaft die Ester vermehrt circulieren/
während bei der Hypercholesterinämie beim Icterus nach Panzer 2 )
und Widal 3 ) das freie Cholesterin hauptsächlich vermehrt ist.^
Diese Tatsachen sind wichtig, denn Untersuchungen von Röh-
mann 4 ) zeigen, wie die Leber nicht imstande ist, die Cholesterin*'
ester anzugreifen, während die Erythrocyten dieses Ferment be-^
sitzen. In der Galle kommt das Cholesterin hauptsächlich frei
vor, und man könnte a priori eher einen Zusammenhang zwischen
dem Gehalt des Serums und der Galle an freiem Cholesterin S
erwarten.
Allein, wir wissen überhaupt noch sehr wenig von den
Faktoren, welche den Cholesteringehalt der Galle bestimmen.
Wir wissen durch Aschoff und Bacmeister, dass das Cholesterin
der Galle von hepatogener Herkunft ist und dass Naunyn’s
Hypothese unrichtig genannt werden muss. Wir wissen durch
die wichtigen Untersuchungen Goodman’s, dass die Cholesterin-^
menge steigt bei eiweissreicher Diät und parallel der Gallen- v
Säureausscheidung verläuft. Diese Tatsache ist von grosser Be¬
deutung. Sie macht wahrscheinlich, dass die Cholesterin¬
ausscheidung auch als Sekretionsprozess der Leber aufzufassen ^
1) Hepner, Pflüger’s Archiv, 1898, Bd. 73.
2) Panzer bei Chvostek, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 73, H. 5 u. 6,
S. 519.
3) Widal, Semaine m6dicale, 1912, Nr. 42.
4) Röhmann, diese Wochenschr., 1912, Nr. 42.
3
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
822
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
ist. Wie Goodman sagt: „Auch die der Cholsäureausscheidung
parallel gehende Steigerung der Cholesterinmenge wird man als
eine sekretorische Mehrleistung der Leberzellen aufzufassen
haben 1 ).
3 Dagegen scheint eine cholesterinreiche Nahrung wohl den
Gehalt an Cholesterin des Blutserums vorübergehend zu beein¬
flussen 2 ) 3 ) 4 ), nicht aber die Menge des Cholesterins in der Galle
zu vermehren. So fand Goodman bei einer Diät von 725 g
Eiweiss, weiches sehr wenig Cholesterin enthält, eine Gallenmenge
von 477 g mit 0,208 g Cholesterin, während 488 g Kalbshirn,
welches sehr viel Cholesterin enthält, 367 g Galle lieferten mit
0,145 g Cholesterin. Also ein Cholesteringehalt der Galle bei
Eiweissnahrang von 0,0436 pCt. und bei cholesterinreicher Diät
von 0,0395 pCt.
. Schliesslich wissen wir durch Untersuchungen von Röhmann
^ und Kusumuto 5 ), dass bei der Zerstörung von grösseren Mengen
Erythrocyten der Cholesteringehalt der Galle steigt.
Das sind die Ergebnisse, welche die experimentelle Patho¬
logie geliefert hat. Es ist gewiss verfrüht, aus diesen spärlichen
Tatsachen weitgehende Schlüsse in bezug auf den Zusammenhang
zwischen dem Gehalt des Blutserums und der Galle zu ziehen.
Neuere klinische Tatsachen fordern aber unsere Aufmerksamkeit.
Es hat sich nämlich berausgestellt, dass nicht nur in der
^Schwangerschaft, sondern auch bei der chronischen Nephritis,
dem Diabetes mellitus und dem Icterus eine Hypercholesterin-
\ ämie vorkommt, während dagegen bei den akuten Infektions-
^ krankheiten und der hektischen Tuberkulose eine Hypocholesterin-
ämie besteht.
Ich werde nachher auf diese Tatsachen und ihre Erklärung
zurückkommen müssen. Uns interessiert hier der Befund
Bacmeister’s 6 ), dass in einem Fall von Diabetes mellitus mit
kompletter Gallenfistel der Cholesteringehalt der Galle bedeutend
erhöht war.
Eine Arbeit aus dem Freiburger Institut 7 8 ) macht uns weiter
aufmerksam auf einen merkwürdigen Parallelismus zwischen dem
Cholesteringehalt der Galle in den Fällen, wo durante vita ein
vermehrter oder verringerter Gehalt an Cholesterin des Blut¬
serums zu erwarten ist.
Ich muss bei den folgen Zahlen aber bemerken, dass Serum
und Galle nicht von denselben Personen untersucht worden sind.
Solch eine Untersuchung und eine experimentelle Studie, welche
den Cholesteringehalt des Blutserums und der Galle unter ver¬
schiedenen Umständen berücksichtigt, fehlt leider noch ganz. Die
folgenden Zahlen sollen daher nur als Anregung betrachtet werdea.
(Tabelle 3.)
Tabelle 3.
Eigene Beobachtungen
Methode Windaus
Peirce (Freiburger Institut)
Methode Windaus
Cholesteringehalt d. normalen
Cholesteringehalt d. Galle
1,400 (?)
Serumsin Grammen pro L
ter 1,822
in Grammen pro Liter .
Typhus abdominalis .
. 0,900
Septikämie.
0,090
« *
. 1,310
0,110
Pneumonia crouposa .
. 0,990
Erysipelas.
0,260
. 1,520
Typhus abdominalis . .
0,390
Tuberculosis febrilis .
. 1,775
Pneumonia crouposa . .
0,420
» a
. 1,850
. 1,480
Miliartuberkulose . . .
0,570
Chronische Nephritis .
. 2,265
Chronische Nephritis . .
1,010
Ti Ti
. 2,660
Ti V *
4,900
T> ji •
. 3,910
Ti Ti • *
4,600
T> Ti •
. 4,760
Ti Ti
10,100
Obgleich es gewiss nicht erlaubt ist, bei den grossen
Schwankungen, welche der Cholesteringehalt der Galle innerhalb
24 Stunden aufweist 8 ), weitgehende Schlüsse aus der Analyse
der Blasengalle post mortem zu ziehen, so ist doch der Paralle-
lismus dieser beiden Serien zu auffallend, und sind die Schwankungen
1) Goodman, Hofmeister’s Beitr., 1907, Bd. 9, S. 91.
2) Pribram, Biochem. Zeitschr., 1906, Bd. 1, S. 413.
3) Doree and Gardner, Proceedings of the Royal soc., 1909,
Bd. 81, S. 109.
4) Grigaut et Huillier, Soc. de biol., 27. Juli 1912.
5) Röhmann und Kusumuto, Biochem. Zeitschr., 1908, Bd. 13,
S. 354.
6) Bacmeister, Biochem. Zeitschr., 1910, Bd. 26, S. 223.
7) Peirce, Deutsches Archiv f. klin. Mod., Bd. 61, H. 3 u. 4, S. 337.
8) Bacmeister, Biochem. Zeitschr., 1. c.
bei den beschriebenen Krankheiten zu gross, um als ganz zu¬
fällige bezeichnet werden zu können. Es ist daher empfehlens¬
wert, diese Untersuchungen mit der exakten Methode Windaus’
näher auszuführen. Wir haben es mit verwickelten Problemen
zu tun. Die Tatsache, dass, wie wir bald zeigen werden, die
kontinuierliche Hypercholesterinämie während der Schwanger¬
schaft nicht von der Nahrung abhängig ist, sondern durch endogene ^
Faktoren bestimmt wird, beweist die Schwierigkeit der Frage
genügend.
Wo wir einerseits wissen, dass die Cholesterinaasscheidung
bei der Gallenproduktion eine Sekretion der Leber ist, und
andrerseits bekannt ist, wie diese Drüse mit ihren vielen
Funktionen in die Regulation der Drüsen mit innerer Sekretion
eingeschaltet ist, sollen diese zwei wichtigen Tatsachen uns davor
warnen, aus ungenügenden experimentellen Ergebnissen zu schnell
Schlüsse zu ziehen bezüglich des Problems der Gallenstein¬
pathogenese; wie es bis jetzt zuviel geschehen ist. Die Klinik
und die klinische Erfahrung sollen die Richtung angeben, in
welcher die experimentelle Pathologie zu arbeiten hat.
Ich komme auf die erste Frage zurück: Wie lässt sich die
Hypercholesterinämie in der Schwangerschaft erklären? Das
stete Vorkommen während der Schwangerschaft und das Ver¬
schwinden einige Zeit nach der Entbindung machen einen kausalen
Zusammenhang wahrscheinlich und erlauben die Frage, ob wir
vielleicht die Ursachen der Hypercholesterinämie in den ge¬
änderten Funktionen des Geschlechtsapparats zu suchen haben.
Untersuchungen von Neu mann und Hermann 1 ) bestätigen diese
Vermutung. Sie haben gezeigt, wie bei der künstlichen Mono -j
pause durch Kastration diese Hypercholesterinämie gleich¬
falls auftritt, ja wie auch sogar während der Menstruation' 7
Schwankungen des Cholesteringehalts des Blutes auftreten. Dieser
Befund ist von grosser Bedeutung. Die Hypercholesterinämie bei
fehlender Ovarial- (Follikel ) Funktion zeigt, wie der Cholesterin¬
gehalt des Blutes von den Drüsen mit innerer Sekretion 1 '
reguliert wird.
Es sei hier an dieser Stelle erlaubt, klinisch feststehende
Tatsachen der Cholelithiasispathologie von diesem Punkte aus zu
beleuchten. Der kausale Zusammenhang zwischen Fettsucht und
Gallensteinbildung ist selbst von Naunyn nicht geleugnet worden.
Es ist wahrscheinlich richtig, die Fettsucht, welche während der
Schwangerschaft oft auftritt, mit der geänderten Funktion des y
Ovariums (fehlender Follikelfunktion?) in Zusammenhang zu
bringen, wo bekanntlich Kastration in der Hälfte der Fälle Fett¬
sucht zur Folge hat. Von rein klinischem Standpunkt aus be¬
steht bei dieser Auffassung ein ungezwungener Zusammenhang
zwischen genitaler Fettsucht, Hypercholesterinämie und Disposition y
für Gallensteinbildung.
Es ist weiter bekannt, wie die jüdische Rasse sowohl für
diese Fettsucht während der Schwangerschaft besondere Neigung '
zeigt, wie auch für Gallensteinbildung sehr disponiert ist. Wenn
ich schliesslich die Frequenz des Diabetes mellitus bei den Juden
erwähne, das Vorkommen von Schwangerschaftglykosurien und
die Hypercholesterinämie in vielen Fällen von Diabetes mellitus
(s. unten), so glaube ich behaupten zu dürfen, dass von diesem
klinischen Standpunkt aus betrachtet viele schon längst bekannten,
aber in gegenseitigem Zusammenhang nicht erforschten Tatsachen
in einem neuen Lichte erscheinen.
Es fehlen bis jetzt weitere Einblicke in die Art, wie die
Hypercholesterinämie während der Schwangerschaft entsteht. Nor
ein Befand soll hier erwähnt werden. Während verschiedene
Autoren (u. a. Prönant) dem Corpus luteum eine Rolle bezüg¬
lich der Pathogenese der fehlenden Follikelfunktion in der
Schwangerschaft beimessen und dieses Organ gewiss von Be¬
deutung ist für die Physiologie der Gravidität, steigert sich der
Cholesteringehalt der Luteinzellen während der Schwangerschaft 1 ).
Es ist unwahrscheinlich, dass hier eine einfache Fettinfiltration
im Spiele ist, wenn man die Aktivität des temporär arbeitenden
Organs in Erwägung zieht. Ein Zusammenhang in umgekehrter
Richtung ist aber ebenso unbewiesen. Wir müssen die beiden
Tatsachen vorläufig im Zusammenhang registrieren.
III.
Chauffard 2 ) und Grigaut haben zum ersten Male gezeigt,
dass auch bei der Nephritis, hauptsächlich bei den chronischen
Typen der Cholesteringehalt des Serums vermehrt ist Eigene
1) Neumann und Hermann, 1. c.
2) Chauffard, Soci6tö de biol., 10. und 17. Februar 1911.
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UNIVERSUM OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
828
Beobachtungen, welche wir hier folgen lassen, bestätigen diesen
Befand vollkommen. Die Analysen sind wieder mit der Methode
Windaus aasgeführt worden.
Nehpritis chronica parenchymatosa et interstitialis.
Cholesteringehalt des Blutserum in Grammen pro Liter.
Normal wert = 1,822 g.
1.
Arteriosklerotische Schrumpfniere. . . .
2,365 g
2.
Nephritis chronica parenchymatosa . . .
2,660 *
3.
do.
Retinitis albuminurica .
3,910 „
4.
do.
parenchymatosa . . . ,
4,260 „
5.
do.
Retinitis albuminurica .
2,685 „
6.
do.
(Schwangerschaft) . .
3,985 „
7.
do.
do. . .
2,710 *
8.
do.
Retinitis albaminurica .
2,980 „
Eklampsie.
1. 2,760 g
2. 3,315 „
3. 2,740 „
4. 3,210 „
Diese neuen Tatsachen sind insofern interessant, dass sie
uns einen besseren Einblick in einzelne Erscheinungen des Krank¬
heilsbildes der chronischen Nephritis und der Schwangerscbafts-
niere gewähren. Von Lauber und Adamuck 1 ) wurde gezeigt,
wie die eigentümlichen weissen Flecken, welche in der Retina
bei ernsten Fällen von Nephritis auftreten, aus Fett bestehen und
^chemisch als Anhäufungen von Cholesterinestern aufgefasst werden
müssen. Neuere Untersuchungen von Ginsberg 2 ) und Chauf-
fard 3 ) haben diesen Befund bestätigt. Chauffard 4 ) bat keinen
Anstand genommen, die Hypercholesterinämie, welche bei schweren
Nephritisfällen konstant anwesend ist, und diese örtlichen Chole-
sterininfiltrate miteinander in Zusammenhang zu bringen, ob¬
gleich Art und Weise dieser Cholesterininfiltration und der Grund,
warum eben die Retina bei der Nephritis für sie disponiert
scheint, ganz unbekannt bleiben. Wahrscheinlich spielen celluläre
Vorgänge und Gefässänderungen, welche die Nephritis begleiten,
eine bedeutende Rolle.
Ihr Zusammenhang erfolgt aber aus der Tatsache, dass bei
den reparablen Formen der Schwangerschaftsnephritis die Flecken
verschwinden können, zu gleicher Zeit mit der Hypercholesterin-
% ämie und Besserung der Nierenkrankheit. Ebenso die Tatsache,
^dass dieselben Flecken beim Diabetes mellitas in der Retina auf-
treten und diese Störung unter Diätbehandlung abbeilen kann 5 ),
während, wie wir unten zeigen werden, auch hier eine Hyper-
cholesferinämie besteht, welche der Schwere der Glykosurie
parallel geht.
Auch für folgendes möchte ich das Interesse erregen. Die
Arteriosklerose, besser gesagt, das Atherom ist in den meisten
Nephritisfällen der treue Begleiter der Nierenkrankheit. Merk¬
würdig ist dabei der Befund Aschoff’s und Windaus’, dass
^ der Cholesteringehalt der atheromatösen Aorta stark vermehrt
ist. Die Zahlen sind der Arbeit Windaus’ entnommen worden 6 ).
Normale Aorta
Freies Cholesterin
Cholesterinester
I
1,19 pM.
0,47 pM.
II
1,03 B
0,32 „
Atheromatose Aorta
I
4,49 w
3,75 ,,
II
7,41 „
10,53 j)
III
6,73 ,,
7,92 „
Obgleich auch hier der feinere biologische Mechanismus
dieser Cholesterininfiltration unbekannt bleibt, und celluläre
Vorgänge eine Hauptrolle dabei spielen werden, bleibt das Zu¬
sammengehen der Hypercholesterinämie und des Atheroms der
Beachtung wert.
Zum Schluss noch zwei Punkte. Erstens haben P. Marie
und Guy la Roche 7 ) gezeigt, dass der Arcus corneae senilis,
welcher bei älteren Personen mit Gefässänderungen oft gefunden
-^wird, eine Cholesterininfiltration der Hornhaut ist. Zweitens die
'"^Tatsache, dass auch bei der chronischen Nephritis Xanthelasma
"^nd Xanthomen auftreten 8 ). Ich werde später auf die Haut¬
1) Lauber und Adamuck, Archiv f. Ophthalmol., 1909, Bd. 71
S. 429.
2) Ginsberg, Archiv f. Ophthalmol., Bd. 82, H. 1.
3) Chauffard, Soci6t6 de biol., 27. Juli 1912.
4) Chauffard, Semaine m6dicale, 1912, Nr. 17.
5) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 205. Gal'ezowski, TraitS
i oonographique d’ophthalmoscopie, S. 158.
6) Hoppe-Seyler’s Zeitschr., 1910, Bd. 67, H. 2.
7) P. Marie et Guy la Roche, Semaine m6d., 1911, Nr. 31.
8) Geyer, bei Max Joseph, Lehrbuch der Hautkrankheiten, S. 229.
affektionen noch ausführlich zurückkommen. Hier genügt festzu¬
stellen, dass sie aus Cholesterininfiltrationen der Haut bestehen
und auch bei anderen Hypercholesterinämien (beim Diabetes und
Icterus) gefunden werden.
Wenn wir uns jetzt fragen, wie diese Hypercholesterämie bei
der Nephritis entsteht, werden unsere Gedanken sofort in be¬
stimmte Bahnen geführt. Wir müssen, nach den Untersuchungen
Neumann’8 und Hermann’s bezüglich Hypercholesterinämie und
Geschlechtsfunktionen während der Schwangerschaft, auch bei
dieser Hypercholesterinämie den Drüsen mit innerer Sekretion
Rechnung tragen. Die Nebennieren rücken dann sofort in den
Vordergrund unserer Betrachtungen.
Das Zusammengehen von hohem Blutdruck, Herzhypertrophie
und Hypertrophie der Nebenniere (Adenombildung) ist zu oft
wahrgenoramen worden, dass man an Zufall hierbei denken dürfte.
Es besteht nun wieder ein merkwürdiger Parallelismus
zwischen der Hypercholesterinämie bei Nephritis und Vermehrung
des Cholesteringehaltes der Nebenniere in dieser Krankheit.
Analysen von Chaüffard zeigen es eindeutig 1 ).
Arteriosklerose. 3 Fälle. Mittelwert des Cholesteringehaltes
der Nebenniere.5,9 pCt.
Schrumpfniere. 7 Fälle. do. 5,2 „
Akute Infektionskrankheiten. (HypocholesterinämieJ. Chole¬
steringehalt der Nebenniere.0,9 „
Tuberculosis (Hypocholesterinämie). Cholesteringehalt der
Nebenniere.1,3 „
Auch Kawamura 2 ) beschreibt den hohen Cholesteringehalt
der Nebennieren im histologischen Bilde bei Nephritis, Fettsucht
und Gefässkrankheiten, umgekehrt Verminderung des Cholesterins
bei Sepsis, Typhus und chronischer Tuberkulose.
Es stellt sich sofort die Frage: Haben wir es bei dem
Cholesterinreichtum der Nebennieren mit einer sekundären In¬
filtration zu tun, wobei, wie wir für Retinitis angenommen haben,
die Hypercholesterinämie vielleicht eine der Ursachen ist? Die
folgenden Tatsachen stehen damit in Widerspruch. Die Neben¬
niere ist (das Corpus luteum ausgenommen) das einzige Organ,
in welchem auch unter ganz normalen Umständen, Cholesterin¬
ester im histologischen Bilde gefunden werden, während in allen
anderen Fällen die Organe oder Gewebe, in welchen mit dem
Polarisationsmikroskop Cholesterinester sich finden lassen, sich
in pathologischem Zustande befinden. Diese Tatsache scheint mir
von Bedeutung zu sein. Sie zeigt, wie vielleicht der normale
Cholesteringehalt mit der Funktion der Nebenniere in Zusammen¬
hang steht und Reichtum oder Armut an Cholesterin eine Aeusse-
rung von Hyper- oder Hypofunktion ist. Der Reichtum an Cholesterin
bei Nephritis spricht um so mehr für diese Auffassung, wo wir
den erhöhten Cholesteringehalt finden in einem Organ, das auch
in anderer Hinsicht (Hyperplasie des chromaffinen Gewebes,
Adenombildung) Zeichen von Hyperfanktion darbietet.
Die Cholesterinester der Nebennierenrinde sind also wahrschein- ^
lieh Sekretionsprodukte dieses Gewebes. In diesem Sinne äussern
sich Elliot und Tuckett 8 ), auch Biedel 4 ). Obwohl der Beweis,
dass die Nebennieren diese Ester in die Blutbahn ausscheiden,
nicht geliefert ist, ja Biedel dies nicht wahrscheinlich achtetauf
Grund chemischer Analyse (I. c. Seite 269), ist der Parallelismus
zwischen Hypercholesterinämie bei Nephritis und Reichtum der
Nebenniere an Cholesterinestern zu auffallend, um jeden kausalen
Zusammenhang leugnen zu wollen. Wir müssen diese Tatsache
für die Zukunft registrieren.
Schliesslich noch folgendes: Auch während der Schwanger¬
schaft treten in den Nebennieren Aenderungen auf, welche auf
eine vermehrte Funktion dieses Organs weisen. Stoerk und
v. Haberer sprechen selbst von Schwangerschaftshypertrophie.
Beachtenswert 5 ) ist weiter die Tatsache, dass von verschiedenen
Forschern die Uebereinstimmung zwischen gewissen Lutein¬
zellen und Zellen der Nebennierenrinde erwähnt worden ist.
IV.
Von Fischer 6 ) ist auf eine Vermehrung des Cholesterin¬
gehaltes des Blutes bei Diabetes mellitus durch sorgfältige
1) SociSte de biol., 6. Juli 1912.
2) 1. c., S. 70 u. 71.
3) Elliot and Tuokett, Journ. of physiol., 1906, Bd. 34.
4) Biedel, Innere Sekretion (1. Aufl.), S. 269.
5) Mulon, Parallele entre le corps jaune et la cortico-surrSnale
ehe* la cobaye. Societö de Biologie, 1906, S. 292. — Wallart, Archiv
f. Gynäkologie, Bd. 81, S. 271.
6) Fischer, Virchow’s Archiv, 1903, Bd. 217.
3 *
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824
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Analyse hingewiesen worden. Nach ihm haben in Deutschland
Klemperer und Umber 1 ) über diese Frage Untersuchungen au¬
sgestellt und gefunden, dass diese Hypercholesterinämie nicht
^stets vorkommt, sondern am meisten in schwereren Fällen. Auch
Apert, Pöchery und Rouillard 2 ) fanden diese Vermehrung
nicht konstant. Meine persönlichen Beobachtungen stimmen mit
der Auffassung Klemperer’s überein. Die Analysen sind mit
der Methode Windaus’ ausgeführt worden.
Diabetes mellitus.
Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter.
Normalwert = 1,822 g.
1. Glykosurie ohne Acidosis und Polyurie . . . 1,510 g
2. do. mit leichter Acidosis. 2,835 „
3. do. mit mittelschwerer Acidosis . . . 3,340 „
4. do. mit schwerster Acidosis, Coma . . 3,500 „
5. do. mit leichter Acidosis.2,415 „
6. do. mit leichter Acidosis.3.610 *
7. do. mit starker Acidosis. 3,580 „
8. do. mit starker Acidosis. 4,965 „
Die Erklärung dieser Hypercholesterinämie scheint beim
ersten Anblick eine einfache zu sein. Wo wir wissen, dass täg¬
lich ungefähr 1 J / 2 g Cholesterin mit der Galle ausgeschieden
werden und beim Icterus dieses Quantum ganz oder teilweise in die
Lymphgefäs8e der Leber wieder resorbiert wird, sollte man
a priori eine Vermehrung des Cholesteringehaltes des Blutes er¬
warten. Umso mehr, wo Panzer 1 ) und Widal 2 ) gezeigt haben,
dass beim Icterus mehr das freie Cholesterin und nicht die Ester
im Serum vermehrt ist und auch das Cholesterin der Galle frei
ist. Bei dieser Auffassung vergisst man aber, dass auch normal
liter der grösste Teil der Galle und wahrscheinlich auch des
Cholesterins im Tractus intestinalis resorbiert wird. Auch andere
Tatsachen, so das Vorkommen von Xanthelasma bei Cirrhosis
hypertrophica hepatis sine ictero, lassen vermuten, dass eine
Hypercholesterinämie hepatogener Herkunft anzunehmen ist.
Merkwürdig bleibt aber die Tatsache, dass bei Leberkrankheiten
(im anatomischen Sinne) ohne Icterus sehr oft auch keine Hyper-
cbolesterinämie gefunden wird, wie folgende Zahlen zeigen:
Krankheiten der Leber ohne Icterus.
Gewisse klinische Erscheinungen lassen beim Diabetes mellitus
in vielen Fällen eine Hypercholesterinämie vermuten. An erster
Stelle das Auftreten der weissen Herde in der Retina. Ihre
Pathogenese habe ich. schon bei der Retinitis albuminurica aus¬
einandergesetzt. Die Besserung, welche die Retinakrankheit unter
diätetischer Behandlung aufweisen kann 3 ) macht einen ursäch¬
lichen Zusammenhang zwischen Rentinitis und Hypercholesterin¬
ämie um so mehr wahrscheinlich, wo die Vermehrung des
Cholesteringehaltes des Blutes der Intensität der diabetischen
Störung parallel geht.
Auch das nicht seltene Auftreten von Xanthelasma bei Diabetes
lässt in diesen Fällen eine Hypercholesterinämie vermuten, wo
wir unten zeigen werden, wie eine Vermehrung des Cholesterins
im Blute für diese Hautaffektion eine Conditio sine qua non zu
sein scheint. Die Tatsache, dass auch diese Krankheit unter
diätetischer Behandlung verschwinden kann und bei Verschlechte¬
rung des Krankbeitsbildes wieder auftritt 4 ), entspricht vollkommen
unserer Auffassung.
Die Erklärung dieser Hypercholesterinämie beim Diabetes
\ liegt noch im Dunkeln. Die Hypothese, dass sie ihre Ursache
^ in der fettreichen Nahrung findet, wird schon widerlegt durch
die Tatsache, dass in meinem Fall von Coma diabeticum, wo
Nahrungsaufnahme unmöglich war, eine starke Hypercholesterin¬
ämie gefunden wurde.
Meine frühere Auffassung, dass der starke Eiweissgehalt
beim Diabetes zur Hypercholesterinämie Anlass gibt, ist ebenfalls
nicht aufrecht zu erhalten, wo beim Typhus und bei der
stark fiebernden Tuberkulose eine Hypocholesterinämie gefunden
wird. In beiden Zuständen mit ihrem starken Fieber ist ja ein
grosser Ei weisszerfall wahrscheinlich.
^ Ob auch hier die Drüsen mit innerer Sekretion eine Rolle
spielen, ist möglich, aber nicht erwiesen. Merkwürdig ist der
Befund Kawamura’s 6 ), dass die Nebennieren beim Diabetes einen
geringen Gehalt an Cholesterin aufweisen. Weitere Untersuchungen
sind auch hier dringend erwünscht.
\ Schliesslich ist auch beim chronischen Icterus eine Vermeh-
° rung des Cholesteringehaltes des Serums gefunden worden. Dieser
Befund war schon vor Jahren von Forschern wie Pages und
Flint festgestellt worden, in den späteren Jahren aber wieder
vernachlässigt. Ich war imstande fünf Fälle zu analysieren.
Krankheiten der Leber mit Icterus.
Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter (Methode
Windaus).
1 .
Normalwert = 1,822 g.
Carcinoma hepatis mit Icterus . .
• 2,750 g
2.
do.
do. . .
. 2,550 w
3.
do.
do. . .
. 3,850 *
4.
do.
do. . .
• 2,400 „
5. Cholelithiasis mit Icterus (Stein im
Ductus choledochus). 2,390 „
1) Klemperer und Umber, Zeitschr. f. klin. Med., 1907, Bd. 61,
1908, Bd. 65.
2) Apert, P6chery et Rouillard, Society de Biologie, 25. März
1912.
3) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 205.
4) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit, S. 171.
5) Kawamura, 1. o., S. 67.
Cholesteringehalt des Blutserums in Grammen pro Liter (Methode
Windaus).
Normalwert = 1,822 g.
1. Cirrhosis hepatis. 1,425 g
2. do. . 1,650 „
3. do. . 1,580 „
4. Carcinoma hepatis. 0,925 „
5. do. . 1,760 „
6. Cholelithiasis ohne Icterus .... 1,650 „
7. do. do. .... 1,570 ,
Die letzten zwei Zahlen zeigen, dass bei der Cholelithiasis
von einer kontinuierlichen Hypercholesterinämie (als Diathese)
gar nicht die Rede ist. Die Bedeutung, welche wir der Schwanger¬
schaft für die Steinbildung beimessen, steht mit diesem Befunde
in vollem Einklang.
Unter den klinischen Erscheinungen, zu welchen diese Hyper¬
cholesterinämie beim Icterus Anlass gibt, muss das Xanthelasma
an erster Stelle genannt werden. Ich habe bei der Nephritis
und beim Diabetes mellilus diese Affektion schon flüchtig er¬
wähnt. Hier soll sie einer eingehenden Besprechung unterzogen
werden. Verschiedene Einzelheiten entnehme ich dabei dem er¬
schöpfenden Referat, welches Chvostek neulich in der Zeitschrift
für klinische Medizin, Bd. 73, veröffentlicht hat.
Die Xanthome sind zitronengelbe, scharf begrenzte Ge¬
schwülste, welche flach in der Haut eingebettet sind. Die haupt¬
sächlichste Lokalisation befindet sich an den Augenlidern. Aber
nicht nur auf der äusseren Haut, sondern auch auf den Schleim¬
häuten, im Munde, der Vagina, auf dem Endo- und Pericard
können sie auftreten. Im mikroskopischen Bilde erkennt man
diese Infiltrate als Anhäufungen von Bindegewebe- oder Endothel¬
zellen, welche mit grossen Mengen Fett ausgefüllt sind. Pinkus
und Pick 3 ) haben dieses Fett als Cholesterinester zum ersten
Male erkannt.
Das Auftreten beim chronischen Icterus, das Verschwinden
beim Abheilen dieser Gelbsucht, ebenso wie die Besserung, welche
das diabetische Xanthelasma unter entsprechender diätetischer
Behandlung aufweisen kann, sprechen für die Annahme, dass
eine Hypercholesterinämie für das Auftreten des Xanthelasmas ^
notwendig ist.
Die Analysen des Blutserums bei Patienten mit Xanthom\/
haben diese Vermehrung des Cholesterins in allen untersuchten
Fällen gezeigt. Merkwürdig und beachtenswert ist die Tatsache,
dass schon 1878 Quinquaud 4 ) diesen Zusammenhang erwähnt
hat. Die mir bekannten Analysen lasse ich folgen.
1. Fall Chvpstek’s (Analyse von Panzer ausgeführt mit der Methode
Windaus.)
Freies Cholesterin . . 2,555 g pro Liter
Gebundenes Cholesterin . 0,087 „ „ „
Gesamtmenge Cholesterin 2,642 g pro Liter
2. Fall Thibierge’s 5 ) (Methode Chauf-
fard-Grigaut).5,75 g pro Liter
1) Panzer bei Chvostek, 1. c.
2) Widal, Semaine med., 1912, Nr. 42.
3) Pinkus und Piek, Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 426.
4) Quinquaud, bei Chvostek, 1. c., S. 480.
5) Thibierge et Weissenbach, Soci6t6 medicale des hopitaux,
31. März 1911.
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UNIVERSUM OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
825
{ 3. Fall Apert’s 1 ) (Methode Chauffard-
Grigaut).5,50 g pro Liter
4. „ Apert’s (Methode Chauffard-
Grigaut).3,15 „ „ *
Es ist der Mühe wert, etwas tiefer auf die Pathogenese
dieser Xanthome einzugehen. Obwohl die Frequenz der Xanthome
beim Icterus eine einfache Erklärung findet in der dabei auf¬
tretenden Hypercholesterinämie, muss betont werden, dass oft
eine Inkongruenz besteht zwischen Xanthom und Intensität des
Icterus. Einerseits sieht man Fälle von ganz leichter Gelbsucht
mit starker Xanthombildung, andererseits schweren Icterus ohne
Xanthom, in einzelnen Fällen zuerst Xanthom und später Icterus.
Ich selber sah vor einigen Jahren einen typischen Fall von
symmetrischem Xanthelasma palpebrarum bei einer jungen Frau
mit hypertrophischer Lebercirrhosis ohne Icterus. Die stark ver-
grösserte Leber und Milz und das fast unerträgliche Hautjucken
sicherten die Diagnose der Leberkrankheit auch in funktionellem
Sinne.
. Solche Tatsachen veranlassten Chvostek 2 3 ) dazu zu schreiben:
''„Nicht also der Icterus, sondern die Veränderung der Leber ist
das Maassgebende für das Auftreten des Xanthoma.“ Sie zwingen
zur Annahme einer hepatogenen Hypercholesterinämie, obwohl
vorläufig die Einsicht in ihre Erklärung und Pathogenese fehlt.
Die folgenden klinischen Einzelheiten sollen noch erwähnt werden.
Die Tatsache, dass 70 pCt. der Xanthomfälle, welche mit Icterus
auftreten, bei Frauen Vorkommen, erinnert einerseits an die Chole-
lithiasis, lässt aber andererseits vermuten, dass auch die Ge¬
schlechtsfunktionen und ihre Aenderungen mit der Pathogenese
der Xanthombildung in Zusammenhang stehen. Die Klinik steht
mit dieser Vermutung in vollem Einklang. Erstens die Tatsache,
dass diese Xanthomen am meisten auftreten zwischen dem 85.
^ und 50. Jahre, beim Auftreten der Menopause, mit dem Aufhören
der Ovarialfunktion. Weiter die folgenden Literaturangaben.
Hutchinson 8 ) meint, dass Frauen mit Störungen der Genital-
] funktionen zur Xanthombildung disponiert sind. Addison 4 ) be¬
schreibt den Fall einer Frau, bei welcher die Menses mit dem
35. Jahre aufbörten, und bei der das Xanthelasma sich dann
bildete. Futcher 5 ) sah das Zusammengehen von Xanthom und
Ovarialkystomen, und Posner 8 ) erzählt folgenden sehr merk¬
würdigen Fall. Bei einer Frau trat während der Schwanger¬
schaft starkes Hautjucken auf. Der Pruritus verschwand post
partum, kehrte aber bei jeder Menstruation mit grösserer Inten¬
sität wieder. Nachdem dieser Pruritus drei Jahre periodisch sich
eingestellt hatte, trat Icterus auf und Xanthombildung.
Das Auftreten dieses Pruritus, welchen wir als hepatogen
aufzufassen haben (ich denke dabei auch an den Icterus
gravidarum) während der Schwangerschaft und folgenden Men¬
struationen, zeigt den Zusammenhang zwischen Leberstörung und
Geschlechtsfunktionen in deutlicher Weise. Auch für die Patho¬
genese der Cholelithiasis scheint mir der Zusammenhang zwischen
Aenderungen des Cbolesterinstoffwechsels in der Leber und Modi¬
fikation der Geschlechtsfunktionen während der Schwangerschaft
nicht ohne Bedeutung zu sein.
Hier möchte ich aufhören. Noch vieles in der Physiologie
und Pathologie des Cholesterinstoffwechsels bleibt unerklärt. Wir
stehen erst im Anfang des Studiums dieses neuen Gebietes. Wo
ich versucht habe, die neuen Ergebnisse in exakten Zahlen fest-
zulegen, stellte ich mir zu gleicher Zeit die Aufgabe, auf die
Lücken unserer Kenntnisse deutlich hinzuweisen. Zukünftiger
Forschung bleibe es Vorbehalten, diese Lücken in befriedigender
Weise auszufüllen.
Ueber seltene Formen von Blutungen im Tractus
gastro-intestinalis.
Von
£. Stadelmann.
(Vortrag, gehalten in der Berliner med. Gesellschaft am 19. März 1913.)
M. H.l Es stösst häufig auf die allergrössten Schwierigkeiten
für den Praktiker, die Quelle von inneren Blutungen mit Be¬
stimmtheit bei Lebzeiten festzustellen. Das ist um so schlimmer,
1) Apert, Pöohery etRouillard, Sooiete de biol., 25. Mai 1912.
2) Chvostek, 1. c.
3) 4) 5) Hutchinson, Addison, Futcher bei Chvostek, 1. c.,
S. 542.
6) Posner bei Chvostek, 1. c., S. 532.
als es sich ja hier um lebenbedrobliche, sehr ernste Zustände
handelt, und der Arzt bei solchen Kranken vor eine schwere
Verantwortung gestellt ist, besonders auch, um nur das eine zu
erwähnen, nach der Richtung hin, ob er bei diesen Kranken eine
Operation vornehmen lassen will, um das Leben des Betreffenden
zu retten.
Bei solchen inneren Blutungen denken wir zunächst in erster
Linie an ein Ulcus ventriculi, weil das das Naheliegendste ist.
Aber die Diagnose ist doch häufig sehr unsicher. Die Aufnahme
der Anamnese bei diesen sehr schwer Kranken ist häufig gar
nicht durchzuführeo, und dann gibt es auch Fälle, wie das jedem
Praktiker bekannt ist, bei welchen diese Blutung auftritt, ohne
dass die geringsten Anzeichen einer Magenerkrankung voran¬
gegangen sind und diese Blutung wie ein Blitz aus heiterem
Himmel als erste Erscheinung eines Ulcns ventriculi einsetzt.
Diagnostizieren wir nun in solchen Fällen ein Ulcus
ventriculi, dann ist es uns gelegentlich keine kleine Ueber-
raschung, wenn wir auf dem Sektionstisch die Quelle der Blutung
als ans einem Ulcus ventriculi stammend nicht nachgewiesen
bekommen, ja, wenn uns der pathologische Anatom, wie das mir
und wohl auch anderen in manchen Fällen passiert ist, die Quelle
der Blutung überhaupt nicht aufdecken kann. Es ist dann sehr
wenig beruhigend, wenn wir etwa hören, diese Blutung soll aus
einem geplatzten Varix des Oesophagus stattgefunden haben, wo¬
bei dann gelegentlich die Varicen auch nicht einmal nachweisbar
sind, oder wenn uns gesagt wird, dass es sich hier um parenchy¬
matöse Blutungen handelt, wie das — ich will auf diesen Punkt
später noch zurückkommen — in seltensten Fällen vorkommt.
Ganz besonders unbefriedigend sind diese Annahmen, wenn keine
Ursachen für solche Varicen in dem Oesophagus aufzufinden sind,
wenn kein Leberleiden, kein Herzleiden, keine Quelle von sonstigen
Stauungserscheinungen vorhanden ist.
Schon verschiedene Autoren haben sich mit dieser Frage
beschäftigt, und ich verweise nach dieser Richtung hin besonders
auf den Aufsatz von Kuttner 1 ), der vor einiger Zeit er¬
schienen ist.
M. H.l Ich gedenke Ihnen hier keine übersichtliche Zu¬
sammenstellung aller der bisher bekannten Ursachen von Blu¬
tungen in den Tractus gastro-intestinalis zu geben. Ich möchte
Sie in bezug auf diese Frage auf den Aufsatz von Singer 2 ) ver¬
weisen, der vor kurzer Zeit erschienen ist, und in dem systematisch
alle diese Ursachen zusammengestellt sind, sowie auf den eben
erwähnten Aufsatz von Kuttner. Ich möchte Ihnen heute nur
an der Hand von einzelnen Präparaten über einige eigene Er¬
fahrungen berichten, die ich in der letzten Zeit über Blutungen
aus dem Tractus gastro-intestinalis gesammelt habe, und möchte
bemerken, dass ich mich weniger auf die okkulten als auf die
manifesten Blutungen hier einlassen werde.
Ausgehen möchte ich von einem Fall tödlicher Magenblutung,
der dann später noch zu einem Gutachten Veranlassung gab.
Ich gebe Ihnen eine kurze Schilderung des Krankheitsverlaufs
und des Befundes:
Es bandelt sich um einen 35 Jahre alten Maurer, der bisher gesund
gewesen war, und der nie über den Magen geklagt haben wollte. Am
Tage vor der Aufnahme im Laufe des Nachmittags wird ihm ohne be¬
sondere Gelegenheitsursacbe plötzlich schlecht, und am Abend erbricht
er grosse Mengen von Blut, angeblich einen ganzen Eimer voll. Am
nächsten Morgen findet wieder Blutbrechen statt, diesmal ein halbes
Wasserglas voll, und nun wird er ins Krankenhaus gebracht. Hier kann
ausser starker Anämie nichts Besonderes festgestellt werden, keine
Druckschmerzen im Epigastriuro. Der Patient ist sehr unruhig, wirft
sich fortwährend, trotz strenger Gegenanordnung, im Bett hin und her.
Der Stuhl ist dunkel, schwarzrot, enthält viel Blut. Am nächsten Tage
erneutes leichtes Blutbrechen. Der Magen wird ganz ruhig gestellt.
Pat. bekommt nichts per os; Ernährung und Flüssigkeitszufuhr erfolgt
nur per rectum.
Am darauffolgenden Tage (5. XI. 1910) ist der Patient wieder sehr
unruhig, erscheint benommen, das Aussehen ist fahl und blass, der Puls
ist celer, sehr frequent. Es erfolgt wieder Erbrechen blutig gefärbter
Massen. Er klagt über ständige Uebelkeit und Brechreiz, sowie
Schwindelgefühl. Gelatineinjektionen subcutan.
Am 6. XI. findet mittags plötzlich Collaps statt. Pat. ist völlig
benommen, und des Abends erfolgt der Exitus. Die Diagnose wurde
auf ein Ulcus ventriculi mit Arrosion eines Gefässes gestellt.
Die Sektion, die von Herrn Kollegen Pick vorgenommen wurde,
ergab sonst keine Besonderheiten, speziell keine Leber-, Herz- oder
Nierenerkrankung, keine Stauungserscheinungen, im Magen selber kein
Geschwür, ebensowenig eins im Duodenum. Als Quelle der Blutung
1) Med. Klinik, 1910, Nr. 16 u. 17.
2) Med. Klinik, 1912, Nr. 22, S. 893 ff.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
findet sich an der grossen Curvatur, handbreit vom Oesophagus entfernt,
ein stecknadelkopfgrosses Loch, das mit Blut bedeckt ist. Auf Druck
entleert sich aus ihm flüssiges Blut. Mit einer Borstensonde gelangt
man in das Gefäss hinein. Es ist das eine geplatzte Vene. Es fanden
sich im Magen, wie Sie auch jetzt noch an dem Präparat sehen, starke
Venenektasien, von denen eine geplatzt ist, und aus diesem Varix hat
sich der Kranke verblutet. Die Leber ist makroskopisch vollkommen
normal, auch mikroskopisch ergaben sich hier keine Anzeichen einer
Lebererkrankung.
Für diese Variceo in dem Magen des Patienten ist gar keine
Aetiologie zu finden. Die Ursache derselben ist vollständig un¬
aufgeklärt Man muss also diese Varicen als idiopathische an¬
sprechen und muss an eine rein lokale Veränderung aus unbe¬
kannten Ursachen, bzw. an eine kongenitale Anlage bei diesen
Varicen denken.
Der Fall gab noch zu einem Gutachten Veranlassung. Es
sollte hier ein Unfall vorliegen. Ein Unfall war aber gar nicht
nachzuweisen. Ja, es war nicht einmal nachzuweisen, dass der
betreffende Kranke bei seiner regulären Arbeit sich irgendwie
überanstrengt hatte. Dieser Varix konnte natürlich bei jeder
Gelegenheit plötzlich platzen. Es mussten also die Ansprüche
in bezug auf einen Unfall abgewiesen werden.
Solche Varicen finden sich nun, wenn man darauf achtet,
gar nicht so selten, sowohl im Oesophagus, als auch im Magen
und im Darm. Ich denke dabei — das möchte ich noch einmal
ausdrücklich betonen — nicht an diejenigen Varicen im Oeso¬
phagus, welche bei Leberkrankheiten irgendwelcher Art, besonders
Lebercirrhosen, aber auch bei anderen Leberkrankbeiten gewöhn¬
lich beschrieben sind, auch nicht an solche, die infolge von
Herzkrankheiten, Lungenkrankheiten, Nierenkrankheiten usw. auf¬
getreten sind, für die also eine bestimmte Aetiologie aufzufinden
ist. Diese sind demnach von der Besprechung hier ausgeschlossen.
1. Wenn ich nun systematisch vorgehe und zuerst die Varicen
des Oesophagus bespreche, so habe ich ja über die Aetiologie
der gewöhnlichen Varicen im Oesophagus schon das Nötige ge¬
sagt. Es ist allgemein bekannt, dass bei Lebercirrhose sich
häufig Varicen im Oesophagus ausbilden, dass dieselben platzen
und zu tödlichen Blutungen Veranlassung geben können. Das¬
selbe gilt, allerdings viel seltener, augenscheinlich auch von
anderen Leberkrankheiten. Varicen im Oesophagus finden sich
nun durchaus nicht selten bei alten Leuten. Es ist wahrschein¬
lich, dass dabei Potatorium, Arteriosklerose, Phlebosklerose usw.
eine ätiologische Rolle spielen. Idiopathische grössere Varicen,
wie ich sie hier an diesem Magen zeigen konnte, habe ich nicht
beobachtet und kann ich Ihnen nicht zeigen. Aber es ist von
anderer Seite auf solche Varicen im Oesophagus aufmerksam ge¬
macht worden, besonders auch von Kuttner 1 ), der sie als Quelle
von okkulten nnd manifesten Blutungen in seinem Aufsatz er¬
wähnt hat.
2. Nun die Varicen im Magen. Einen solchen Fall habe ich
Ihnen aus meiner Beobachtung schon gleich im Anfänge meines
Vortrages gezeigt. Ein weiterer ist der folgende:
Es handelt sich um einen 73 Jahre alten Mann, der sterbend mit
den Anzeichen schwerster innerer Blutung ins Krankenhaus gebracht
wird. Eine Anamnese ist nicht aufzunehmen, er stirbt bald unter den
Zeichen von zunehmender Herzschwäche. Bei der Sektion zeigt sich,
dass dieser Kranke an einem geplatzten Magenvarix gestorben ist. Sie
sehen hier wunderschön ausgeprägt einen solchen Varix, Sie sehen auch
die Oeffnung desselben, und Sie finden bei dem Manne ausserdem noch
als einzigen weiteren Befund einen mässigen Sanduhrmagen. Ob dieser
Sanduhrmagen zu der Bildung dieser Varicen Veranlassung gegeben hat,
ist mir sehr unwahrscheinlich. Ich habe recht häufig Sanduhrmagen ge¬
sehen, aber solche Varicenbildungen sind mir noch niemals dabei vor¬
gekommen.
Das dritte Präparat zeigt Ihnen ganz enorm ausgebreitete
Varicen in dem Magen als Nebenbefund.
Es bandelt sich in diesem Falle um einen 55 Jahre alten Bau¬
arbeiter, der vom Gerüst gefallen war und sich verschiedene Rippen¬
frakturen zugezogen hatte. Es fand infolge der Rippenfrakturen eine
starke Blutung in die Pleurahöhle statt. Dann ist der Kranke ge¬
storben, und zwar fand sich bei der Sektion ausser dieser Blutung in
der Pleurahöhle Myodegeneratio cordis fibrosa und atelektatische Pneu¬
monie im linken Unterlappen. Als Nebenbefund kann ich Ihnen ganz
enorm ausgebreitete Varicen im Magen zeigen — Sie sehen sie am besten
immer bei durchfallendem Licht —, die aber nicht geplatzt sind. Es
ist das ein Nebenbefund, der bei der Sektion erhoben wurde. Natür¬
licherweise hätte, wie in den anderen Fällen, bei .irgendeiner Gelegenheit
hier auch einer von diesen enorm ausgedehnte^ Varicen platzen können.
1) Kuttner, 1. o.
M. H., auf solche Magenvaricen ist auch gelegentlich vou
anderen Autoren aufmerksam gemacht worden. Ich nenne hier
zunächst Birch-Hirschfeld, Gel, Blume, le Cronier-Lan-
caster, Kuttner und Ringel. Aber die Aetiologie, die Ent-
stehangsweise dieser Varicen ist vollständig ungeklärt geblieben.
Man hat auch augenscheinlich bisher nicht genügend auf diese
Varicenbildung geachtet. Anders liegt das in dem Falle von
Ringel 1 ). Dieser hat in seinem Falle einen Kranken zur Beob¬
achtung gehabt, der jahrelang an den schwersten Magenblutungen
gelitten hat. Es wurde die Diagnose auf ein Ulcus ventriculi
gestellt. Daneben aber konnte man schon bei Lebzeiten fest¬
stellen, dass bei dem Kranken eine Lues bestand, und dass eine
starke Milzvergrösserung aufzufinden war. Der Kranke starb an
einer von diesen Blutungen, und bei der Sektion zeigte sich,
dass im Fundus des Magens ausgedehnte Varicen bestanden, von
denen einer geplatzt war. Ausserdem fanden sich in der Milz
Thrombosen, Infarkte, die Milzvene war obturiert, und Ringel
meint nun, dass diese Varicen in seinem Falle durch die Throm¬
bose der Milzvenen entstanden seien, und zwar deswegen, weil,
wie er angibt, die Venen des Fundusteils des Magens nicht in
die Vena portarum, wie alle übrigen Magenvenen, sondern in die
Vena lienalis einmünden, und er stützt sich dabei auf Angaben
von Gegenbauer.
Nun, ich habe mich nicht davon überzeugen können, dass
Gegenbauer — ich habe die zweite Auflage seines Werkes
durchgesehen — diese Ansicht ausgesprochen hat. Ich muss auch
bezweifeln, dass diese Angabe richtig ist und dieser Erklärungs¬
versuch von Ringel demnach zu Recht besteht. Immerhin waren
ja wenigstens in seinem Falle irgendwelche anatomischen Momente
aufzufinden, die eventuell diese Venenstauung und diese Varicen¬
bildung hätten verursachen können. Bei den übrigen Autoren
und in meinen Fällen fehlt jede Aetiologie für die vorhaudenen
Venenektaaien, so dass nichts anders übrig bleibt, als diese
Varicenbildung als idiopathische zu bezeichnen. 2 )
3. Varicen des Darmes. Die Phlebektasien des Darmes müssen
wir in zwei Gruppen teilen, die klinisch wie pathologisch-ana¬
tomisch verschiedene Bedeutung haben. Die einen sind keines¬
wegs sehr seltene Befunde. Es handelt sich bei ihnen um multiple
Venenerweiterungen, submucös und subserös, die ohne manifeste
Stauung sich ausbilden und stets relativ klein bleiben, obgleich
sie gelegentlich auch halberbsengross werden können. Am besten
sind sie bei durchfallendem Licht zu sehen. Dass diese Venen¬
ektasien gelegentlich okkulte und manifeste Blutungen machen
können, wenn sie platzen, ist klar. Ich zeige Ihnen zwei solcher
Fälle.
In dem ersten Falle handelt es sioh um einen 36 Jahre alten
Kutscher. Sie sehen hier eine grosse Menge von diesen Venenektasien,
auch die Knötchen sind sehr gut ausgeprägt, sie haben aber in diesem
Falle zu Blutungen keine Veranlassung gegeben.
Das nächste Präparat stammt von einem 54 jährigen Arbeiter, der
an Lungentuberkulose mit Bronchopneumonie gestorben ist; auch hier
sind diese Venenektasien zu sehen, wenn auch nicht so schön wie in
dem vorigen Präparat.
Diesen, wie gesagt, häufigeren Varicenbildungen steht eine
andere Kategorie von Varicenbildungen gegenüber, die recht
selten ist. Es sind dies grössere, ätiologisch unmotivierte und
ganz isolierte Varicen. Von diesen haben wir folgende zwei Fälle
beobachtet.
In dem ersten Falle sehen Sie einen isolierten grossen Varix, der
am Darm aufgefunden worden ist, und zwar bei einem 83jährigen Maurer.
Der Mann ist infolge eines Unfalls gestorben, den er erlitten bat. Er
fiel von der Treppe, erlitt eine Fractura humevi und starb an einer
Apoplexie mit Bronchopneumonie.
Das zweite Präparat stammt von einer 84 jährigen Frau, die infolge
einer incarcerierten Cruralhernie gestorben ist. Dieser ganz isolierte
Varix ist ausserordentlich schön zu sehen.
Es ist klar, meine Herren, dass ein solcher Varix auch
platzen und zu tödlichen Blutungen Veranlassung geben kann.
1) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten. Separat¬
abzug.
2) Einen ganz ähnlichen Fall wie den von Ringel habe ich übri¬
gens vor einer Reihe von Jahren ebenfalls beobachtet. Auch hier han¬
delte es sich um wiederholte, sich auf Jahre hindurch erstreckende
schwerste Magenblutungen, bedeutende Milzvergrösserung und Lues. Der
Tod erfolgte schliesslich im Anschluss an eine neue profuse Magen¬
blutung. Die Sektion ergab das Fehlen eines Magenulcus. Eine genaue
pathologische Durcharbeitung dieses Falles aus der Privatpraxis war
damals leider nicht möglich.
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UNIVERSUM OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
827
Ueber Varixknoten, die linsengross bis erbsengross sind, hat
vor nicht langer Zeit Ewald 1 ) berichtet. Dieselben finden sich
im Dickdarm, und zwar 10 bis 15 cm und noch höher vom Anus
entfernt. Sie wurden rektoskopisch festgestellt. Es handelte sich
bei seinen Kranken um dauernde Blutungen aus dem Rectum;
die Kranken wurden arbeitsunfähig, anämisch, elend und fielen
zusammen. Wenn Ewald bei der rektoskopischen Untersuchung
diese Var ixknoten auch nur leicht berührte, so bluteten dieselben,
und es war monate- und jahrelang eine mehr oder weniger starke
Blutung aus diesen Varixknoten erfolgt. Es sind das Hämorrhoidal¬
knoten, die aus dem Plexus haemorrhoidalis superior sich gebildet
haben. Die Aetiologie dieser Hämorrhoidalknoten ist nicht klar.
Chronische Obstipation kann es nicht allein sein; denn chronische
Obstipation ist ein sehr häufiges Leiden, dagegen sind diese
hochgelegenen Varixknoten ausserordentlich selten. Sie können
nicht nur zu okkulten, sondern auch zu schweren manifesten
Blutungen Veranlassung geben. So führt Ewald einen Fall, den
ich nach ihm citiere, von Bensaude an, bei welchem sich die
Kranke infolge des Platzens eines solchen hochgelegenen Varix¬
knotens verblutet habe.
M. H.! Es war in meinem Vortrag hauptsächlich meine
Absicht, Ihre Aufmerksamkeit auf solche Varicen als Quelle von
Blutungen hinzulenken, da mir diese noch nicht genügend be¬
kannt zu sein scheinen. Blutungen aus anderen Ursachen im
Tractus gastro-intestinalis sind aus einer Fülle von Ursachen
möglich. Letzthin hat Singer 2 ) diese Fälle systematisch zu¬
sammengestellt. Ich verweise auf seinen Vortrag und auf den
von mir schon mehrfach citierten Vortrag von Kuttner. Ich
will mich auf eine solche systematische Zusammenstellung und
Betrachtung hier nicht einlassen, sondern Ihnen nur noch eine
Reihe von seltenen Fällen zeigen, die wir in der letzten Zeit be¬
obachtet haben, und bei denen schwere Blutungen in den Tractus
gastro-intestinalis aus den verschiedensten Ursachen stattgefunden
haben.
Das nächste Präparat — ein Arrosionsaneurysma — schliesst sich
hier wohl am besten an. Es handelt sich hier um eine 61 Jahre alte
Frau; die Patientin hat viel an Magen- und Darmkatarrh gelitten. Es
besteht starke Schwäche und Abmagerung. Sie bricht seit Monaten alles
aus, was sie geniesst; seif einem Jahre hat sie 20 Pfund an Gewicht
abgenommen. Der Tod erfolgte infolge von Schwäohe ohne weitere
klinische Erscheinungen als allgemeiner Marasmus.
Das Präparat zeigt Ihnen nun ein Stück Jejunum, in welchem Sie
zwei gut gereinigte aber tief greifende Geschwüre sehen, welche
mikroskopisch keine spezifische Struktur aufweisen.
In dem oberen Geschwür sehen Sie ein erbsengiosses sogenanntes
Arrosionsaneurysma, welches mit thrombotischen Massen gefüllt ist. Das
Geschwür ist tiefer bineiDgegangen, hat ein Gefäss arrodiert, infolge Aus¬
buchtung dieses Gefässes hat sich ein Aneurysma entwickelt. Aehnliche
Vorgänge sehen wir ja auch an den Gefässen von Lungenkavernen.
Natürlich platzen gelegentlich solche Aneurysmen und geben zu mehr
oder minder schweren Blutungen Veranlassung.
Wieviel Blut die Kranke auf diesem Wege verloren hat, ist aus der
Krankengeschichte nicht zu ersehen.
Diese Patientin ist nun nicht an Blutungen gestorben, sondern an
ihrem chronischen Magendarmkatarrh, der zu allgemeinem Körperverfall
geführt hat.
M. H.! Es wird öfter behauptet, dass bei chronischen Darm¬
katarrhen Blutung im Stuhl zu finden ist, und ebenso oft wird
das Gegenteil behauptet. Ich meine, dieses Präparat, das ich
Ihnen hier zeige, gibt unwiderlegbar den Beweis dafür, dass die
positive Angabe zu Recht besteht, indem es nach weist, wie schwer¬
wiegende Veränderungen lediglich infolge eines chronischen Darm¬
katarrhs im Darm stattfinden. Wir werden also, wenn wir Blut
in den Fäces finden, manifest oder occult, noch nicht einen
chronischen Darmkatarrh ausschliessen können.
Das nächste Präparat zeigt Ihnen Blutungen, die in einer anderen
Weise erfolgt sind. Es findet sich hier eine verkalkte und verkäste
Lymphdrüse, wahrscheinlich tuberkulöser Natur, zwischen Oesophagus
und Trachea an der Bifurkation mit konsekutiver Vereiterung. Dieselbe
ist auf der einen Seite in den Oesophagus und auf der anderen Seite
in die Aorta durchgebrochen mit folgender Verblutung in den Oeso¬
phagus.
Es handelt sich um einen 21 Jahre alten Arbeiter, der mit Fieber
in etwas benommenem Zustande in das Krankenhaus kam, über den
Magen klagte und unter den Erscheinungen einer inneren Blutung, mit
Blut im Suhl, starb. Die Diagnose war auf ein Ulcus ventriouli ge¬
stellt; denn diese Quelle der Blutung, wie sie durch die Sektion £lar-
1) Diese Wochenscht., 1911, Nr. 2. •
2) 1. c.
gestellt wurde, konnte natürlich nicht nachgewiesen werden, ausser¬
dem deuteten die Magenbeschwerden auf ein bestehendes Ulous
ventriculi.
Sondenverletzungen des Magens kommen beim Sondieren
nicht so selten vor. Es handelt sich bei ihnen meist um ober¬
flächliche Arrosionen der Schleimhaut. Es finden leichte Blutungen
statt, die wir bei der Spülflüssigkeit dann nachweisen können.
In den meisten Fällen folgt gar keine schlimmere Erscheinung
danach; die leichten Schleimhautverletzungen heilen augenschein¬
lich schnell. Wir bekommen also diese Sondenverletzungen auch
kaum pathologisch-anatomisch zu sehen.
Da ich Gelegenheit hatte, bei diesem Kranken hier eine solche
Sondenverletzung aufzufinden, habe ich sie hier mitgebracht und zeige
sie Ihnen. Es sind oberflächliche Arrosionen, die Schleimhaut fehlt an
den betreffenden Stellen, die stark injiziert und hellrot aussehen.
Das Präparat stammt von einem 56 jährigen Manne, der an einem
Oesophaguscarcinom gestorben ist, das in die Aorta am Isthmus per¬
foriert ist. Er starb infolge akuter Verblutung in den Intestinaltractus.
Da ein Verdacht auf Magencarcinom bestand, war ein Probefrühstück
gegeben worden, die Sondenuntersuchung war am 11. Januar vorgenommen
worden. Die Sonde ging ohne jede Schwierigkeit in den Magen durch,
irgendwelche weiteren Erscheinungen traten nicht auf; auch ist Blut in
den Fäces in den nächsten Tagen nicht nachgewiesen worden. Dann
am 16. Januar, das heisst fünf Tage später, des Morgens, wird dem
Patienten ohne jede weitere Veranlassung plötzlich schlecht, er erbricht
grosse Mengen von Blut und stirbt innerhalb zwei Minuten.
Das Präparat, welches den Durchbruch des Carcinoms zeigt,
habe ich Ihnen auch noch mitgebracht.
Wie stark die Blutung war, sehen Sie an dem Magenausguss,
den ich Ihnen auch noch herumgebe.
Sie sehen an ihm den Oesophagusansatz, den Fundus, den Duodenal¬
abgang in getreuem Abbild.
Es ist so, als ob wir den ganzen Magen mit Gips ausgegossen
hätten.
Um einen seltenen Fall innerer Blutung in den Darm handelt es
sich auch in folgendem Falle. Das Präparat stammt von einem 24 Jahre
alten Dienstmädchen. Die Patientin kommt mit den Anzeichen schwerster
innerer Blutung in das Krankenhaus und ist am Tage vor der Aufnahme
unter starken Leibschmerzen collabiert.
Die letzte Menstruation bat vor zehn Wochen stattgefunden. Sonst
ist wenig aus der Kranken herauszubekommen. Aus der Scheide fliesst
kein Blut, das Orificium ist geschlossen, dagegen entleert sich aus dem
After hellrotes Blut. Die Patientin stirbt schon an demselben Tage
mit plötzlichem Collaps unter Zunahme der Erscheinungen einer inneren
Blutung. Die Diagnose kann nur insoweit gestellt werden, dass es sich
um eine schwere Blutung in den Darmkanal handelt.
Die Sektion ergibt nun einen ausserordentlich grossen, vom Rectum
ausgegangenen retroperitonealen Abscess, der ausser dem Eiter erheb¬
liche Mengen von Blut enthält. Dieser Abscess war breit sowohl in
das Jejunum als an zwei kleineren Stellen in das Rectum durchgebrochen.
Der Darm war vollständig mit Blutmassen ungefüllt — ich gebe Ihnen
auch hier die Blutcoagula herum —, die ganze Umgebung des Reotums
war ausserordentlich stark schwielig verändert, die Abscesswand unten
von derbsten Schwielen umgeben. Diese Blutungen stammten aus einem
grossen Arrosionsaneurysma, der rechten Arteria iliaca. Sie sehen
hier oben die etwas enge Aorta, von der die Iliacae abgehen. Dann ist
die rechte Iliaca durch ein grosses Loch perforiert, und aus diesem hat
sich die Kranke verblutet. Man muss sich den Fall also so vorstellen,
dass hier bei der Kranken zuerst ein periproktitisoher Abscess bestanden
hat, der sich dann durchgewühlt hat und auf der einen Seite in den
Dünndarm sowie den Dickdarm durchgebrochen ist und auf der anderen
Seite die Arteria iliaca arrodiert hat, die dann geborsten ist und die
tödliche Blutung veranlasst hat.
Ein sehr seltener Fall von syphilitischem Magengeschwür ist
der folgende, von dem ich Ihnen das Präparat zeigen möchte. Die
Patientin ist von dem dirigierenden Arzt der chirurgischen Abteilung,
Herrn Dr. Braun, operiert und geheilt worden. Es handelt sich in
diesem Falle um eine BO Jahre alte Zimmermannsfrau. Sie hat seit
ltyt Jahren Schmerzen im Magen, nach dem Essen Aufstossen, zeitweise
Erbrechen. Die Schmerzen sind manchmal sehr heftig und strahlen nach
dem Rücken zu aus. Vor 14 Tagen will Patientin einen halben Tassen¬
kopf voll ziemlich hellroten Blutes gebrochen haben. Die Patientin ist
in der letzten Zeit sehr abgemagert, fühlt beim Erbrechen eine dicke,
schmerzhafte Gesohwulst um den Nabel herum. Die Patientin wiegt
73 Pfund, ist sehr elend und wird auf die chirurgische Abteilung ver¬
legt, weil man Verdacht auf ein Magencarcinom hat. Man fühlt im Ab¬
domen, dicht oberhalb des Nabels, einen kleinapfelgrossen Tumor,
der etwas beweglich ist, der schmerzhaft ist und der von der Leber ab-
grenzbar ist. Die Leber überragt den Rippensaum um Querfingerbreite;
die Milz ist nicht vergrössert. Der Magensaft wurde nach einem Probe¬
frühstück untersucht. Er reagierte sauer, enthielt aber keine freie Salz¬
säure, Spuren von Milchsäure, zeigte bei der Aufblähung leichte Sand¬
uhrform, hatte deutliches, kräftiges t peptisc^es Verdauungsvermögen.
Bei der Laparotomie findet sich nun in der vorderen Magenwand
eine derbere flache Partie. Desgleichen sind Schwellungen 4 vou derber
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828
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Konsistenz in der Gegend des Pankreaskopfes zu finden. Diese Ver¬
dickungen des Pankreaskopfes machen den Eindruck von entzündlichen
Wucherungen. An einem exzidierten Stück wird auch von Herrn
Prof. Pick diese Annahme als richtig bestätigt. Es wird nun eine
Resektion des Magens vorgenommen, etwa in der Mitte beginnend, bis
fast zum Pylorus hin. Die beiden Enden werden verschlossen, das
Duodenum wird mobilisiert und in die Magenwand eingenäht. Die
Patientin übersteht die Operation gut, erholt sich sichtlich, die Bauch¬
höhle schliesst sich bald, und nun zeige ich Ihnen das resezierte Magen¬
stück, das von Herrn Prof. Pick auch genau untersucht worden ist.
Es besteht auf der geröteten Schleimhaut ein Geschwür von höchst auf¬
fallender Form. Es ist flach, der Grund eitrig belegt, die Gestalt ist
im ganzen hufeisenförmig. Was nun besonders auffällt, ist der eigen¬
tümlich gezackte, fast landkartenförmige an sich scharfe Rand, der von
teils sanft, teils stärker geschwungenen Bogen linien begrenzt wird. Der
Rand ist unterminiert, aber es fehlt eine Infiltration desselben. Es ist
dies ein syphilitisches Geschwür, das als solches durch die mikro¬
skopische Untersuchung nacbgewiesen werden kann. Es zeigen sich
zahlreiche, sehr charakteristische endarteriitische Gefässänderungen.
Diese, sowie die ganze Abgrenzung, die ganze Gestaltung des Ulcus ent¬
spricht vollkommen den Beschreibungen, die Eugen Frankel über
syphilitische Darmgeschwüre mehrfach gegeben hat. Es war allerdings
bei der Kranken die Wassermann’sche Reaktion negativ, auch die Wolff-
Eisner’sche und Pirquet’sche Reaktion waren negativ, dagegen ergab
eine genaue Anamnese, dass hier Syphilis bei der Kranken im Spiel
war. Sie hat im Anschluss an einen Abort einen bräunlichen, klein¬
knotigen Hautausschlag gehabt, der als syphilitischer Ausschlag an¬
gesprochen werden musste.
Der vorliegende Fall ist auch ausführlich untersucht und be¬
schrieben worden von einem amerikanischen Kollegen, Herrn Dr. Curtis.
Die Patientin wird nach einigen Woeben mit einer Gewichtszunahme
von 13 Pfund — sie wiegt nunmehr 86 Pfund — aus dem Kranken¬
hause im Zustande vollkommenen Wohlbefindens entlassen, und, soviel
ich weiss, ist sie auoh jetzt vollständig gesund.
Ein sehr seltener Fall, den ich Ihnen zeigen möchte, ist der nächste.
Es handelt sich bei ihm um eine Lungensyphilis. Bei dem grossen
Interesse, welches dieser Fall hat, gehe ich ein wenig näher auf den¬
selben ein.
Das Präparat stammt von einer 49 Jahre alten Arbeiterfrau, die
am 20. I. 1910 in völlig ausgeblutetem Zustande in extremis ins
Krankenhaus kommt. Sie kann gar nicht weiter untersucht werden, sie
stirbt nach ganz kurzer Zeit. Bei der Sektion findet sich bei der
Kranken eine schwielige Mesaortitis und eine Erweiterung der Aorta
ascendens, die auf syphilitische Affektion hindeuten. Ausserdem findet
sich eine syphilitische Erkrankung des Oberlappens der linken Lunge.
Man sieht gelbe Gummaknoten in diesem Präparat, die sich in dem
schwieligen helleren Gewebe ausgebildet haben. Die Gummaknoten sind
am Abond nicht so schön zu sehen wie am Tage. Sie treten als gelb¬
liche Flecken und Erhebungen aus dem hellen Narbengewebe hervor.
Dann sehen Sie eine mit eitrigen Gewebsfetzen bedeckte Höhle, welche
sich in dem peripleuralen Gewebe ausgebildet hat. Dieser Abscess ist
durchgebrochen nach der einen Richtung hin in den Oesophagus und
nach der anderen Seite hin in die Aorta. Es ist wahrscheinlich zuerst
die Perforation in den Oesophagus erfolgt, nachher in die Aorta, und
aus diesem Riss hat sich die Kranke dann in den Tractus gastro-
intestinalis hinein verblutet.
Die syphilitische Natur dieser Affektion ist nun nicht nur durch
den anatomischen Befund begründet, sondern wir haben zunächst auch
zwei Meerschweinchen mit den Guramimassen geimpft. Dieselben sind
nach II Monaten frei von Tuberkulose geblieben, also Tuberkulose ist
ausgeschlossen. Sodann war die Wassermann’sche Reaktion positiv,
und endlich fanden wir syphilitische Knochenveränderungen an den
Tibien, auch war bei der Kranken eine leichte Sattelnase vorhanden, so
dass an der syphilitischen Natur dieses Geschwürs kaum ein Zweifel
besteht.
Ein Präparat von erheblich praktischer und wissenschaftlicher Be¬
deutung, das auch nicht gerade häufig ist, ist das folgende. Es stammt
von einem 26 Jahre alten Arbeiter. Der Patient wird im schwersten
ausgebluteten Zustande in das Krankenhaus gebracht Er will seit
längerer Zeit an Magenbeschwerden gelitten haben. Am Abdomen findet
sich eine Narbe. Er gibt an, dass er vor zwei Jahren wegen eines
Magenleidens operiert worden ist. Es hat augenscheinlich eine Gastro¬
enterostomieoperation stattgefunden. Trotz aller Bemühungen steht die
Blutung nicht, es erfolgt weiteres stark blutiges Erbrechen. Der Stuhl
ist blutig, teerfarben. Patient stirbt am nächsten Tage.
Die Sektion ergab nun folgendes. Es besteht eine Gastroenterostomie,
und Sie sehen, wie die Duodenalschlinge mit dem Magen verbunden
worden ist. Der Pylorus ist derartig verengt, dass kaum ein Bleistift
durch ihn durebgeführt werden kann. Das ist die Pylorusstenose ge¬
wesen, wegen deren vor zwei Jahren bei dem Kranken die Gastroentero¬
stomie gemacht worden ist. Nun findet sich aber in dem absteigenden
Schenkel des eingenähten Darms ein Ulcus rotundum pepticum mit einem
Arrosionsaneurysma, das Sie hier sehr deutlich und sehr schön liegen
sehen, das geplatzt ist, und aus dem sich der Kranke verblutet hat.
Ausserdem finden Sie aber, dass um die Gastroenterostomiewunde herum
sich eine schwielige Narbe ; entwickelt hat. Dieser Befund ist von
praktischer Bedeutung. Er stellt eine Mahnung an die Herren Chirurgen
dar, bei solchen Gastroenterostomien die Gastroenterostomie so weit wie
möglich zu machen, damit nachher nicht durch narbige Schrumpfung
eine so starke Verengerung des Lumens auftreten kann, dass es, wie.
hier, zu einer neuen Stenose kommt. Die hat hier stattgefunden, und
wenn Sie genauer Zusehen, so werden Sie finden, dass der zuführende
Schenkel des Duodenums sehr stark erweitert ist gegenüber dem ab¬
führenden Schenkel. Es hat hier augenscheinlich eine Stagnation von
Speisemassen im Duodenum stattgefunden. Wahrscheinlich ist ein Teil
der Speisen aus dem Magen durch die Gastroenterostomie in den oberen
zuführenden Schenkel gegangen und der andere Teil in den absteigenden
Schenkel. Es hat nicht alles gut und gleichmässig abfliessen können,
weil sich hier diese Gastroenterostomiestelle stark verengt hat. Möglicher¬
weise ist das Arrosionsaneurysma auch die Folge dieser andauernden
Stenose.
M. H.! Ich erwähnte schon in der Einleitung zu meinem
Vortrage, dass manchmal bei der Sektion die Quelle schwerster,
ja tödlicher Blutungen nur mit grösster Mühe oder überhaupt
nicht gefunden wird. Der letzte Fall, über den ich zu
sprechen habe, soll ein Beispiel dafür abgeben. Ueber diesen
Punkt sprechen sich auch die pathologisch-anatomischen Lehr¬
bücher aus, indem z. B. Kaufmann in seinem Werke sagt, dass
es manchmal nicht gelingt, die Stelle, aus der es geblutet hat,
aufzufinden, und dass man dann genötigt ist, zu der Annahme
einer parenchymatösen Blutung zu greifen. Aehnlich sprechen
sich auch andere Autoren aus, z. B. Ewald 1 ). Das ist natürlich
eine sehr unbefriedigende Erklärung, unbefriedigend sowohl für
den pathologischen Anatomen wie für den praktischen Arzt und
eventuell auch für den Chirurgen, der in einem solchen Falle
auf Veranlassung des Arztes operiert hat, und der dann natürlich
vergebens operiert hat.
Einen solchen Fall erlebte ich kürzlich bei einem 42 Jahre alten
Kellner, bei dem besondere Krankheiten nicht vorangegangen sind. Er
will seit Weihnachten 1912, d. h. seit etwa 2 l / 2 Monaten, krank gewesen
sein. Er hat da einen Stoss vor die Brust bekommen, auf welchen er
seine Krankheit schiebt. Seitdem ist er sehr matt, sieht elend und
blass aus und klagt über den Magen.
Am 3. Februar 1913 erbrach nun Pat. helles Blut. Die Menge ist
nicht festgestellt. Die Blutung wiederholt sich am 4. Februar. Am
6. Februar wird er in das Krankenhaus eingeliefert und erbricht auch
dort Blut (ein Wasserglas voll). Zum Teil ist das Blut geronnen, es
ist dunkelrot. Trotz aller vorgenommenen Maassnabmen erbricht der
Kranke am 7. Februar wiederum Blut, das auch dunkelrot und zum
Teil geronnen ist. Die Menge beträgt diesmal Vz L Im Anschluss an
diese Blutung collabiert der Patient, und er stirbt am 10. Februar
unter den Erscheinungen von Herzcollaps. Bei der Sektion finden wir
schwerste Anämie, starke Herzverfettung, starke parenchymatöse Herz¬
degeneration. Der Mageninhalt ist leicht blutig verfärbt, im Dickdarm
schwarzblutig verfärbter Stuhl. Der Mageo zeigte nun an keiner Stelle
bei genauester Untersuchung eine grössere Ulceration, die man als
Blutungsquelle in Anspruch nehmen konnte. Auoh der Oesophagus
war frei von solchen Stellen, und wir haben auch, um ganz sicher zu
gehen, die Mundhöhle und den Nasenrachenraum inspiziert, ebenfalls
erfolglos. Einen einzigen Befund haben wir erheben können, und der
war lolgender. An der Pars pylorica und dem angrenzenden Teil des
Duodenums findet sich die Muskulatur um das Vierfache verdickt, und
im Ring des Pylorus sowie unmittelbar dahinter war eine Anzahl von
etwa linsen grossen Erosionen vorhanden, die ganz oberflächlich sind.
Sie reichten, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, nicht bis an
die Submucosa, vor allem nicht bis an die Muscularis.
Wie nun die Verdickung der Magenwand in Kombination
mit den Erosionen beweist, bat sich hier ein chronischer Ent¬
zündungsprozess in der Pars pylorica und im Duodenalanfang
abgespielt. Die mikroskopische Natur der kleinen Erosionen war
vollkommen unspezifisch.
Gewiss ist dieser Befund an sich geringfügig. Aber es ist
der einzige, den man als Quelle für diese tödliche Blutung ent¬
decken konnte. Auch zu diesem Punkt sprechen sich erfahrene
Anatomen in ihren Lehrbüchern in dem Sinne aus, dass bei mul¬
tiplen kleinen und einfachen Magenerosionen grössere, ja tödliche,
Blutungen Vorkommen können. Dem muss also auch hier so ge¬
wesen sein. Der Kranke hat sich an diesen kleinen Erosionen
verblutet.
Diese Verhältnisse hat auch Engelsmann 2 ) vor einigen
Jahren in einer Arbeit über Magenerosionen zum Gegenstände
einer grösseren Untersuchung gemacht. Er hat drei Fälle aus
der Lenhartz’schen Klinik beschrieben, bei welchen genau diese
Zustände, wie ich sie eben geschildert habe, vorhanden waren,
und die er auch nach dem Tode einer genauen mikroskopischen
1) Krankheiten des Magens. 3. Auflage, S. 418, und neuerdirigs
Deutsche med. Wochenscbr., 1913, Nr. 9, S. 398 u. ff.
2) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten, 1909,
Bd. 10, H. 10.
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UNIVERSUM OF IOWA
ß. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
829
Untersuchung unterzogen bat. Seine Fälle und Untersuchungs¬
resultate stimmen vollständig mit der Schilderung überein, die
ich Ihnen gegeben habe. Engelsmann kommt unter besonderer
Bezugnahme auf die älteren Untersuchungen von Nauwerck und
von Berger zu dem für uns wichtigen Ergebnis, dass Blutungen
in lebenbedrohendem, ja tödlichem Umlange aus solchen Erosionen
hervorgehen können, bei denen die Muscularis nicht betroffen ist
und intakt bleibt, also grössere Gefässe nicht erodiert werden.
Natürlich haben wir in unserem Falle auch den Pfortader¬
kreislauf und die Leber genügend untersucht und können be¬
zeugen, dass hier alles normal gewesen ist.
Selbstverständlich haben diese Fälle, wie ohne weiteres er¬
sichtlich ist, eine grosse praktische Bedeutung, da die Diagnose
in erster Linie bei ihnen natürlich auf ein Ulcus ventri-
culi gestellt wird, und die Differentialdiagnose zwischen Ulcus
ventriculi und diesen oberflächlichen Magenerosionen kaum durcb-
zufübren sein wird. Die Anamnese führt uns da nicht weiter
und ebensowenig die klinische Beobachtung und Untersuchung.
Engelsmann meint nun, die Differentialdiagnose zwischen Ulcus
ventriculi und Magenerosionen könne in folgender Weise gestellt
werden: Wenn jemand unter den Erscheinungen eines Magenulcus
erkrankt ist und die Lenhartz’sche Kur bleibt erfolglos — d. h.
die Blutungen stehen nicht und das Magenulcus heilt nicht —,
dann soll man an eine solche Magenerosion denken. Ich vermag,
ro. H., diesen etwas kühnen Schluss nicht mitzumachen; denn es
gibt doch auch sonst Fälle von sichergestelltem Magenulcus, die
durch die Lenhartz’sche Kur nicht geheilt werden, und solche
Magenerosionen sind doch ganz ausserordentlich seltene Prozesse.
Die Zahl der Fälle von Sektionen solcher Magenerosionen ist
jedenfalls sehr geringfügig. Zweifellos ist bei unserem Kranken
die Blutung aus diesen oberflächlichen Erosionen erfolgt, und er
ist denselben erlegen.
M. H.! Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein paar Dia¬
positive zeigen. Vorausschickend möchte ich bemerken, dass es
sich dabei um Transparentaufnabmen handelt, d. b. die Photo¬
graphien sind nicht bei auffallendem, sondern bei durchfallendem
Licht gewonnen worden. Sie sehen also hier gleichsam Sil¬
houetten 1 ). Die Gefässschatten sind nicht durch irgendeine
Gefässinjektion erzielt worden, die Photographien sind von den
Präparaten in ihrem bei der Sektion gewonnenen natürlichen
Gefässfüllung8zustande gemacht worden.
Zur Chemie der Zelle.
Von
P. G. Unna.
I. Granoplasma.
Die Kenntnis der Zelleiweisse begann 1875, als Hoppe-
Seyler, gestützt auf die Arbeiten von Denis (1859), Lieber¬
kühn, Brücke, Kühne und eigene Untersuchungen, zum ersten
Male ein System der Ei weisskörper anfstellte 2 ). Er bezeichnete
mit dem Namen Globuline 3 ) „Eiweissstoffe, die in Wasser un¬
löslich, in Salzlösungen löslich sind, durch Säuren und Alkalien,
besonders aber durch erstere schnell in andere, gleichfalls in
Wasser unlösliche aber minder veränderliche Stoffe übergeführt
werden. Diesen Globulinsubstanzen gehören nun die Eiweissstoffe
an, welche in Knospen, jungen Trieben und Samen von Pflanzen
ebenso wie in Eiern, Spermatozoon und jungen Zellen von Tieren
ohne Ausnahme gefunden sind, soweit bisher die Untersuchung
in dieser Richtung vorgedrungen ist M3 ). Eine ebenso weite Ver¬
breitung besitzen nach Hoppe-Seyler: Vitellin und Myosin.
Er sagt: „Es scheint, dass in allen Protoplasmen zwei Ei weiss¬
stoffe vorhanden sind: 1. durch gesättigte Chlornatriumlösung
nicht fällbares Vitellin und 2. ein durch diese Lösung fällbarer
Eiweissstoff: Myosin“ 4 .
Dieser Anschauung trat zuerst Hammarsten entgegen, nach
welchem die Hauptmasse der freien Zellen und zellreichen Organe
1) Folgt Vorführung von vier Lichtbildern.
2) Hoppe-Seyler, Handbuch d. physiol. u. pathol.-chemischen
Analyse, 1875, 4. Aufl.
3) Der Name Globuline geht auf Berzelius zurück, der den Eiweiss¬
körper, welcher in den roten Blutkörperchen mit Hämatin verbunden
ist, Hämoglobulin nannte und in eine Klasse mit dem Eiweiss der
Kristallinse und dem Casein stellte.
4) Hoppe-Seyler, Allgemeine Biol., 1877, S. 76 u. 77.
nicht aus genuinen Eiweissstoffen (Albuminen und Globulinen),
sondern aus Pseudonucleinen besteht, worunter er die von Kossel
als Paranucleine bezeichneten eisen- und phosphorhaltigen
Proteide (im Eigelb, in der Milch) versteht, welche keine Nuclein-
basen enthalten. „Diese Proteinsubstanzen repräsentieren das
eigentliche Protoplasmaeiweiss, und die Albumine und^Globuline
dürften vielmehr teils als das Näbrmaterial der Zelle, teils als
Zerfallsprodukte bei der chemischen Umwandlung des Proto¬
plasmas aufzufassen sein“ 1 ).
Halliburton, dem Lilienfeld und Mörner folgten, stellte
solche Proteide aus der Niere, der Leber und aus kernlosen
Erythrocyten dar und vertrat die Ansicht, dass dieselben im
Protoplasma aller Zellen vorhanden seien. Sie gerinnen zwischen
48 und 52° und werden aus den Lösungen von Kochsalz und
Magnesiumsulfat bereits vor der Ganzsättigung, ähnlich wie Myosin,
gefällt 2 ).
Von da an gilt, nachdem auch Alexander Schmidt 3 ) für
dieselbe eingetreten, allgemein die Lehre, dass im Zellprotoplasma
Proteide vom Charakter der Nucleoalbumine den Hauptbestandteil
ausmachen, von analoger Beschaffenheit etwa wie Casein und
Vitellin; das Protoplasma soll reich an solchen Proteiden, da¬
gegen arm an nativen Ei weisskörpern sein. Auch Kossel 4 ) hält
die „Nucleoalbumine“ genannten Proteide für weitverbreitete Be¬
standteile der tierischen Gewebe, betont aber, dass sie trotz ihres
Phosphorgehaltes von den Kernsubstanzen grundverschieden seien,
und schlägt vor, die Bezeichnung „Nuclein“ nicht mehr auf sie
anzuwenden.
Cohnheim 5 ) machte mit dieser notwendigen Unterscheidung
Ernst, indem er die bis dahin als Nucleoalbumine den Nucleo-
proteiden des Kerns gegenübergestellten Eiweisse mit dem Namen
Phosphoglobuline bezeichnete, da sie in ihren Eigenschaften
den Globulinen näher stehen als den Nucleoproteiden. Letztere
enthalten Nucleinsäure, Pentose, Purin- und Pyrimidinbasen, alles
Körper, die den Phosphoglobulinen fehlen. Neuerdings bezeichnet
Cohnheim 6 ) diese als rhosphoproteide im Anschluss an die
Engländer und Amerikaner. Aus den Phosphoproteiden wird der
Phosphor als Phosphoreiweiss abgespalten, aus den Nucleoproteiden
als Nucleinsäure.
Auch die neuesten Arbeiten von Samuely 7 ) und Kanitz 8 )
vertreten denselben Standpunkt. Letzterer sagt geradezu: „Früher
nahm man viel Globulin in den Zellen an. Sie sind der Haupt¬
sache nach mit Proteiden verwechselt worden.“ Nach Kanitz
enthält das Protoplasma zusammengesetzte Eiweisse mit prothe-
tischer Gruppe, Glykoproteide und Nucleoalbumine.
So wichtig diese chemischen Untersuchungen über das Proto¬
plasma der Zellen sind, ein so wenig anschauliches Bild geben
sie bis jetzt vom stofflichen Aufbau desselben. Bilden diese ver¬
schiedenen Proteide durch innige Mischung eine einheitliche Masse
oder ist das Protoplasma mosaikartig aus ihnen zusammengesetzt?
Leiten sich die Proteide nur vom Protoplasma oder auch von
Kernbestandteilen ab? Diese und andere Fragen können nicht
durch noch so subtile chemische Untersuchungen allein gelöst
werden. Die Chemie muss sich entschHessen, mit der feineren
Histologie einen Bund einzugehen, sie muss zur Mikrochemie
werden.
Freilich muss, um ein fruchtbares Zusammenarbeiten von
Histologie und Chemie zu ermöglichen, die erstere schon so weit
gekommen sein, den Protoplasmaleib mit ihren eigenen Mitteln
in bestimmte, chemisch verschiedene Bestandteile zu zerlegen, und
so weit ist sie heute in der Tat. So lange allerdings die Histo¬
logie noch allein mit metallischen Fixatoren arbeitete, war von
solchen chemischen Differenzen im Protoplasma nichts zu sehen.
Aber mit der Rückkehr zur alten Alkoholfixation zeigten sich
solche und ergaben ein besseres Verständnis der Zusammensetzung
1) Hammarsten, Studien über Mucin und mucinähnliche Sub¬
stanzen. Pflüger’s Archiv, 1885, S. 449.
2) Halliburton, Nucleoproteids. The journal of physiol., 1895,
Bd. 18. — Derselbe, The proteids of the kiduey and liver cells. The
journal of physiol., 1880, Bd. 9, S. 229.
8) Alexander Schmidt, Zur Blutlehre, 1892.
4) Behrens, Kossel und Schiefferdecker, Die Gewebe des
menschlichen Körpers, 1889.
5) Gohnheim, Chemie der Ei weisskörper, 1904, 2. Aufl.
6) Cohnheim, Chemie der Eiweisskörper, 1911, 3. Aufl.
7) Samuely, Die Proteine, in Oppenheimer’s Biochemie, Bd. 1,
S. 275.
8) Kanitz, Das Protoplasma als chemisches System, in Oppen¬
heimer’s Biochemie, Bd. 2, S. 245.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
des Protoplasmas. So viele Bereicherungen die Anwendung der ]
Flemming’schen und ähnlicher Fixatoren auch der Lehre von der
Kernstruktur gebracht hatten, so unfruchtbar hatten sie sich für
das Studium des Protoplasmas erwiesen, und besonders des patho¬
logisch veränderten Protoplasmas — wie wir heute wissen, aus
dem einfachen Grunde, weil diese hochoxydierten chemischen
Substanzen (Osmiumsäure, Chromsäure, Platinchlorid, Pikrinsäure
usw.) nach dem Gesetz der oxypolaren Affinität 1 2 3 * * ) nicht zu dem
Sauerstoff abgebenden Kern, wohl aber zu dem stark reduzieren¬
den Protoplasma Verwandtschaft besitzen und die feineren geweb¬
lichen Differenzen im Protoplasma bei ihrer Verbindung mit dem¬
selben ausglichen und verwischten.
Die einfache Alkoholfixation mit nachfolgender Färbung
mittels basischer Anilinfarben führte Mitte der neunziger Jahre 8 )
mit Notwendigkeit im allgemeinen zu der Erkenntnis, dass jeder
tierische Zellenleib aus zwei ganz verschiedenen Arten von
Protoplasma zusammengesetzt ist, dem Spongioplasma und
Granopiasma und auf dem Spezialgebiet der Gehirnanatomie
zur Auffindung des bis dahin gänzlich verkannten Granoplasmas
der Ganglienzellen, welches nach seinem Entdecker Nissl’sche
Körperchen genannt wurde. Es ist kein Zufall, dass beide nahezu
gleichzeitigen Funde mit derselben Methodik, Alkoholfixation und
Methylenblaufärbung gemacht wurden; unter der Herrschaft der
alten Kernfixatoren war ihre Entdeckung unmöglich, bei Abkehr
von dieser Methodik musste sie notwendigerweise gefunden werden.
Wer mit dieser Methodik aber pathologische und speziell
hypertrophische Veränderungen des Gewebes studiert, wird sehr
häufig Protoplasmateilcben auch dort begegnen, wo man sie nicht
erwartet, nämlich getrennt von den Zellen in den Lymphspalten;
mit anderen Worten, er wird an vielen Präparaten einen Proto-
plasmatransport entdecken. Dieser pathologische Protoplasma-
transport war mir schon lange bekannt, als ich gelegentlich einer
Versuchsreihe über Protoplasmafärbung nach Fixation mit eiweiss-
fällenden und -lösenden Mitteln eine einfache Methode fand, einen
solchen Protoplasmatransport künstlich 8 ) in den GewebBschnitten
zu erzeugen, und zwar durch Vorbehandlung der Stücke mittels
Lösungen von Kochsalz und anderen Neutralsalzen.
Es zeigte sich nun, dass durch schwachprozentuierte Lösungen
von Kochsalz nur das Granoplasma den Zellen entzogen wurde,
während das spongioplastiscbe Wabengerüst der Zellen erhalten
blieb. Es war also durch diese einfache Kocbsalzbehandlung ein
Mittel an die Hand gegeben, die beiden Hauptsubstanzen des
Protoplasmas voneinander zu trennen, und ich stand nicht an,
die Kochsalzmethode als „eine gewebsanalytiscbe Methode zu
empfehlen, die sich an Sicherheit und Wert mit der Kühne’schen
Verdauungsmetbode messen kann und diese an Einfachheit noch
übertrifft 11 .
Als diese Beobachtungen über künstliche Granolyse der
Zellen gemacht wurden, stand nur die polychrome Methylenblau¬
lösung als bestes granoplasmafärbendes Mittel zu Gebote. In¬
zwischen haben wir die feiner analysierende Carbol -(- Pyronin
+ Methylgrün-Methode (Pappenheim-Unna) gewonnen, welche
uns u. a. auch in den künstlichen Protoplasmatransport einen
klareren Einblick gewährt. Waren wir früher nicht imstande,
die freien Granoplasmabröckel von den freien Cbromatinbröckeln
der Kerne im Gewebe mit Sicherheit zu unterscheiden, so ist das
seitdem ein leichtes, da die Granoplasmaabkömmlinge die rote
Farbe des Pyronins, die Chromatinabkömmlinge die blaugrüne des
Methylgrüns bewahren. Ich habe die Resultate der künstlichen
Auslaugung von Zellsnbstanzen durch Kochsalz auf Tafel 38 und
39 meines „Histologischen Atlas zur Pathologie der Haut“ (1903,
H. 6 u. 7) zeichnen lassen. Durch bestimmte Modifikationen der
Konzentrationen der Salzlösungen und der Dauer der Behandlung
gelingt es, fast alle Bilder des spontanen pathologischen Zell¬
transports künstlich herzustellen. Es hat sich im allgemeinen
dabei ergeben, dass die Abbanprodukte des Granoplasmas, soweit
sie fest sind, sich strukturell wie letzteres verhalten; sie sind
amorphkörnig, bröcklig, pulvrig, klumpig, niemals fadenförmig.
Hingegen haben die Abbauprodukte des Kernchromatins nach der
Kocbsalzbehandlung die Form von Tropfen, Schmelzgestalten,
1) Ueber die dieses Gesetz beweisenden Tatsachen siehe Unna und
Golodetz, Die Bedeutung des Sauerstoffs in der Färberei. Dermatol.
Studien, Bd. 22.
2) Unna, Ueber die neueren Protoplasmatheorien und das Spongio¬
plasma. Arbeiten aus Unna’s Klinik, 1895. Berlin 1896, Grosser.
3) Unna, Ueber spontanen und künstlichen Transport von Zell¬
substanzen und über Kochsalz als mikrochemisches Reagens. Monatsh.
f. prakt. Dermatol., 1901, H. 33, S. 342.
Fäden und Fadennetzeo. Unterschiede zwischen Granoplasma
und Kernchromatin bestehen darin, dass ereteres viel rascher und
leichter von den gleichen Kochsalzlösungen angegriffen wird, und
dass das gelöste Granoplasma die Neigung hat, alles Spongio¬
plasma und die Intercellularsubstanzen zu imbibieren und ihnen
seine eigene Affinität zu basischen Farben zu verleihen, eine sehr
bemerkenswerte Eigenschaft, die das gelöste Kernchromatin nicht
besitzt.
Wir verfügen mithin schon geraume Zeit über eine einfache
Methode, bestimmte, morphologisch gut charakterisierte Teile des
Protoplasmas und Kernes aus der Zelle herauszulösen, und zwar
beeinflussen die Neutralsalze (Kochsalz, Natriumsulfat, Ammon¬
sulfat), wie wir gesehen haben, in verschiedener Konzentration
sowohl das Granoplasma wie das Kernchromatin. Da
letzteres Phosphorsäure enthält, so wird man natürlich, wenn
man Gewebe mit verdünnten Neutralsalzlösungen auszieht, die ge¬
lösten Proteide stets phospborsäurehaltig finden, ohne dass dieser
Befund die Gegenwart eines Phosphoproteids im Protoplasma
beweist.
Diese einfache Ueberlegung zeigt, dass der Weg der Salz¬
lösung und Salzfällung allein uns über keinen einzigen Zell¬
bestandteil genaueren Aufschluss geben wird. Denn die Extrakte
haben ihren morphologischen Charakter als Gewebsteil eingebüsst
und tragen keinen sicheren Index, an dem wir ihre Herkunft er¬
kennen könnten. Wir wären mithin ratlos, wenn nicht die er¬
wähnten Lösungsversuche uns gleichzeitig auch gelehrt hätten,
dass die herauszulösenden Gewebsteile bestimmte färberische
Eigenschaften besitzen. Wir sind mithin imstande, irgend¬
einem morphologisch gut charakterisierten Eiweisskörper im Ge¬
webe einen tinktoriellen Index anzuheften und dann vermittels
desselben seine spezifischen Lösungsmittel auszukundschaften,
d. b. solche, die nur diesen einen Zell bestand teil lösen, die
anderen aber nicht. Haben wir dann mit einem solchen spezi¬
fischen Lösungsmittel im grossen das Gewebe extrahiert, so muss,
wenn die mikroskopische Vorarbeit richtig war, der im grossen
gewonnene Extrakt einerseits dieselben tinktoriellen, andererseits
dieselben Lösungseigenschaften zeigen, wie der betreffende Be¬
standteil des Gewebes. Ich habe diese mikrochemische Methode
der Zellanalyse, da sie stets sowohl spezifischer Färbungs- wie
Lösungsmethoden bedarf, die chromolytische Methode ge¬
nannt 1 ).
Nur auf diesem Wege, glaube ich, können wir nach und nach
dem Aufbau des Zelleiweisses näher kommen. Die Zellchemie
muss mit denjenigen Bausteinen beginnen, die sich
tinktoriell gut charakterisieren lassen. Ein solcher Bau¬
stein ist das Granoplasma.
Wenn man an die Untersuchung des Granoplasmas der
Schnitte mit dem Gedanken geht, dass man es hier mit einem
durch Fixation und Härtung geronnenen, denaturierten Ei weiss¬
körper zu tun habe, so wird man durch die geradezu ausser¬
ordentliche Löslichkeit desselben im höchsten Grade überrascht
werden. Obwohl das Granoplasma im Gewebe stets nur in Form
von festen Brocken erscheint, ist es schon in reinem Wasser
ziemlich löslich. Lässt man z. B. granoplasmareiche Schnitte
eine Nacht im Brütofen aseptisch (mit Toluolzusatz) in destilliertem
Wasser liegen, so lässt sich in ihnen kein Granoplasma mehr
dnrch Färbung nach weisen. Bei höherer Temperatur löst Wasser
das Granoplasma noch schneller; ja, die Erhitzung in Wasser auf
100°, bei der sonst alle Ei weisskörper gerinnen, löst das Grano¬
plasma aus Schnitten fast momentan. Die histologische Praxis
bat schon lange das Wasser als einen schädlichen Faktor er¬
kannt, der selbst in 70 proz. Spiritus noch zur Geltung kommt;
sie gibt den Rat, die auf Granoplasma zu untersuchenden Ge-
websstücke auf einem mit absolutem Alkohol getränkten Watte¬
bausch möglichst rasch zu entwässern.
Die Löslichkeit des Granoplasmas in kochendem Wasser be¬
weist aber, dass es sich nicht um einen genuinen Ei weisskörper,
ein Albumin oder Globulin, handeln kann. Es kommen dagegen
Peptone und Albumosen in Betracht. Peptone können leicht aus¬
geschlossen werden, da diese sich in absolutem Alkohol, in Tri-
chloressigsäure und Pikrinsäure lösen, während das Granoplasma
von diesen Flüssigkeiten ausgezeichnet gut konserviert wird.
1) Siehe Unna und Golodetz, Ueber Granoplasma und eine all¬
gemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬
bestandteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 1.
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5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
881
Dagegen besitzt das Granoplasma alle charakteristi¬
schen Eigenschaften der Albamosen. Es ist unlöslich in
gesättigten Neutralsalzen und Alkaloidreagentien, dagegen löslich
in kaltem and kochendem Wasser. Während es in einer Mischung
von konzentrierter Kochsalzlösung und Essigsäure bzw. kon¬
zentrierter Ferrocyankaliumlösung und Essigsäure kalt unlöslich
ist, löst es sich in denselben Mischungen bei Erwärmung 1 ). Es
ist mir überhaupt keine einzige Eigenschaft des Granoplasmas
bekannt, die sich nicht auch in der Klasse der Albumosen
wiederfindet.
Die speziellere Vergleichung mit den bekannten Albumosen
ergibt nun, dass es sich nicht um Heteroalbumose handeln kann,
da diese beispielsweise in Wasser und 2 proz. Kupfersalzlösungen
unlöslich ist, während sich Granoplasma darin löst, und wiederum
in Essigsäure löslich ist, die Granoplasma erhält.
Noch weniger kommt Protalbumose in Betracht, da diese
nicht bloss in Essigsäure, sondern sogar in 80 proz. Alkohol lös¬
lich ist. Auch gibt Protalbumose eine starke Milionreaktion, die
dem Granoplasma fehlt.
Viel ähnlicher als diesen primären Albumosen ist Grano¬
plasma den Deuteroalbumosen. Beide sind löslich in kaltem
und kochendem Wasser, in Salpetersäure über 1 proz. und ver¬
dünnten Neutralsalzlösungen, in 2 proz. Knpferacetat- und Kupfer-
sulfatlösungen, dagegen unlöslich in konzentrierten Neutralsalz¬
lösungen, in gesättigter Ammonsulfat- und Zinksulfatlösung, in
konzentrierter Kochsalzlösung HNO s , in konzentrierter Pikrin¬
säure, in Phosphorwolframsäure bzw. Phosphormolybdänsäure
+ HCL
Trotz dieser starken Verwandtschaft im allgemeinen zeigt
das Granoplasma im einzelnen doch auch Eigenschaften, die
den Deuteroalbumosen fremd sind. So ist es bereits unlöslich
in 1 j 2 und 2 3 / 3 gesättigter Ammonsulfatlösnng, in verdünnter
Pikrinsäure und Essigsäure, in 1—2 prom. Salpetersäure, Salz-
und Schwefelsäure. Diese Züge weisen aber auf eine Albumosen-
art hin, welche Kühne 4 * ) im Tuberkulin und Witte-Pepton
nach wies und Akroalbumose nannte. Diese ist nämlich, wie
schon R. Koch vorher nach weisen konnte, in Essigsäure unlöslich.
Kühne zeigte dann, dass sie überhaupt in sehr verdünnten
organischen und unorganischen Säuren, mit Ausnahme von Bor¬
säure, unlöslich ist. Neben diesen nur der Akroalbumose zu¬
kommenden Charakteren zeigt aber das Granoplasma noch die
besonderen Eigenschaften der Deuteroalbumosen: grosse Lös¬
lichkeit in Wasser, verdünntem Alkohol, 2 proz. Kupfersalzlösung
und Salpetersäure (über 1 pCt.). Das Granoplasma ist daher
als eine Akro-Deuteroalbumose aufzufassen. Da man die
Albumosen nach ihrer Herkunft zu benennen pflegt (Fibrinöse,
Myosinose, Gelatinöse usw.), so schlage ich für diese aus Zellen
extrahierte Albumose den Namen Cytose vor.
Als besonders charakteristische Eigenschaften der Cytose
sind zu nennen: ihre Unlöslichkeit in Essigsäure, in stark ver¬
dünnten Mineralsäuren (1—2 pM.) und 80 proz. Alkohol, ihre
Löslichkeit in Borsäure, schwächerem Alkohol und Wasser, be¬
sonders bei höherer Temperatur.
Die Cytose ist wie die Akroalbumose Kühne’s und alle
Deuteroalbumosen eine starke Säure; sie ist daher absolut baso¬
phil, d. h. färbt sich mit allen basischen, dagegen mit keiner
sauren Farbe.
Um die Cytose im grossen darzustellen, muss man sie mit
möglichster Schonung anderer löslicher Eiweisskörper (Kern¬
chromatin, Nucleolin, Mastzellenkörnung) geeigneten Organen
(Leber, Hirnrinde) entziehen. Hierzu haben sich ausser der Bor¬
säure einige Salze geeignet erwiesen: Ferrocyankalium, Blei¬
acetat und Baryumchlorid, teils allein, teils mit Borsäure zu¬
sammen 8 ).
Die Existenz einer Albumose als eines normalen Bestand¬
teiles der Gewebe ist neu. Abderhalden hat in mehreren
Arbeiten und neuerdings zusammen mit Oppenheimer 4 ) sicher
1) Eine ausführliche Darstellung aller Lösungsverhältnisse des Grano¬
plasmas siehe in Unna und Golodetz, Ueber Granoplasma und eine
allgemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬
bestandsteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 1.
2) Kühne, Erfahrungen über Albumosen und Peptone. IV. Zeit¬
schrift f. Biol., nene Folge, 1892, Bd. 11, S. 308.
3) Genaueres hierüber siehe Unna und Golodetz, Ueber Grano¬
plasma, 1. c.
4) Abderhalden und Oppenheimer, Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 42, S. 155.
nachgewieseu, dass iu den Körperflüssigkeiteo, in Blut und
Lymphe, höchstens Spuren von Albumosen Vorkommen, und dass
alle von der Verdauung herrührenden Albumosen vor ihrem Ein¬
tritt in die Körpergewebe bis zu den letzten Bausteinen, den
Aminosäuren, abgebaut werden. Also i»t die allgemein in allen
Gewebszellen vorkommende Cytose nicht aus der Nahrung auf¬
genommen, sondern in den Zellen gebildet. Sie entsteht aus dem
Zellprotoplasma wohl ebenfalls durch eine Art Verdauung, einen
fermentativen Abban des Protoplasmas.
Die grosse Bedeutung dieses Vorganges, des Auftretens von
Cytose in den Zellen, sehe ich in der nur dem Granoplasma,
nicht dem übrigen Protoplasma, dem Spongioplasma, zukommenden
Fähigkeit, Sauerstoff zu speichern. Während das Spongio¬
plasma ein Sauerstoffzehrer ist und sich nur mit Reduktions¬
färbungen, nicht mit Oxydationsfärbungen darstellen lässt, ent¬
hält das Granoplasma im frischen Zustande, auf Gefrier¬
schnitten mit Rongalitweiss I nachweisbar, stets freien Sauer¬
stoff. Selbst produziert es diesen freien Sauerstoff nicht, denn
mit Rongalitweiss II untersucht zeigt es keinen selbständigen
Aktivator, wie der Kern, mit Benzidin und Wasserstoffsuperoxyd
untersucht kein Oxydationsferment, wie die weissen Blutkörperchen.
Es ist also nur ein Sauerstofferhalter, ein vorzügliches Sauer¬
stoffreservoir. Als solches tritt es aber überall auf, wo das
Gewebe durch übermässige Reduktion geschädigt werden würde;
also besonders bei allen Infektionen, deren Träger oder deren
Toxine reduzierende Eigenschaften haben. Dann füllen sich die
ohnehin cytosehaltigen Deckepithelien und Drüsenzellen in maxi¬
maler Weise mit Granoplasma. Ebenso die normalerweise cytose-
armen Bindegewebszellen, und zwar zunächst die Perithelien der
Blutgefässe, denen der aktivierte Sauerstoff der die Blutgefässe
einscheidenden Mastzellen aus erster Hand zu Gebote steht. Durch
diese Aufspeicherung sauerstoffhaltiger Cytose wandeln sie sich
in Plasmazellen um. Eine gehörige Ausbildung von Plasma¬
zellen bildet in jedem erkrankten, z. B. tuberkulösen oder krebsigen
Gewebe einen Reservespeicher für Sauerstoff, den sich das Gewebe
selbst zu seiner besseren Ernährung schafft. Freilich ist die
chemische Substanz, die den Sauerstoff speichert, die Cytose,
selbst ein Abbauprodukt der Zelle und daher hinfälliger Natur.
Eine Ueberschwemmung mit kochsalzhaltiger Lymphe, eine seröse
Entzündung genügt, um dieselbe mit ihrem Sauerstoff aus den
Zellen auszuwaschen.
Aus dem hygienischen Institut der deutschen Uni¬
versität in Prag (Vorstand: Prof. Dr. Oskar Bail).
Ueber den Einfluss der Leukocyten auf das
Anaphylatoxin.
Von
Privatdozent Dr. Wilhelm Spät,
k. u. k. Rcglmontsarit.
Während dem Problem der Anaphylaxie in der ersten Zeit
ihrer Erforschung nur eine rein theoretische Bedeutung beige¬
messen wurde, trat dasselbe in der Folge dadurch in den Vorder¬
grund des allgemeinen ärztlichen Interesses, dass mit demselben
die Erscheinungen im Verlaufe der Serumtherapie und eine Reihe
von bekannten, aber bis dahin unaufgeklärten Affektionen als
Ueberempfindlichkeitssymptome gedeutet wurden. Eine besonders
bedeutsame Richtung nahmen diese Forschungen, als der Gedanke
auftauchte, die Erscheinungen des anaphylaktischen Shocks mit
den Vorgängen bei der Infektion in Beziehung zu bringen und
letztere als eine besondere Form der Anaphylaxie hinzustellen
(Friedberger, Neufeld u. a.). Nach dieser neuen Vorstellung
soll auch bei der Infektion mit verschiedenen pathogenen Mikro¬
organismen immer dasselbe, also nicht spezifische Gift, das Ana¬
phylatoxin, entstehen; spezifisch wäre nur der Modus der Gift¬
bildung, indem durch die parenterale Anwesenheit des Antigens
der homologe Antikörper spezifisch vermehrt bzw. entstehen würde,
welcher den Abbau des Antigens bis zur giftigen Stufe des Ana-
phylatoxins vollzieht. Die Verschiedenheit der Krankheitserschei¬
nungen und des Verlaufes wurde durch die verschiedene Lokali¬
sation, verschiedene Vermehrungsintensität, differente Virulenz-
Verhältnisse einzelner Bakteriengruppen und durch das verschiedene
Verhalten des tierischen Organismus gegenüber verschiedenen Er¬
regern erklärt. Während beim anaphylaktischen Versuch das
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882
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Gift prompt gebildet bzw. abgespalten wird und in wenigen
Minuten zu den schwersten Erscheinungen und znm Tode führt,
soll nun die Produktion desselben Giftes während einer Infektions¬
krankheit in mehr chronischer, protrahierter Weise vor sich gehen,
weshalb der Verlauf den stürmischen Charakter des anaphylakti¬
schen Symptomenkomplexes vermissen lässt.
So bestechend nun auf den ersten Blick diese neue An¬
schauung über das Wesen der Infektion als eine besondere Form
der Anaphylaxie wirken mag, so erscheint sie jedoch bisher keines¬
wegs experimentell begründet. Die Tatsache, dass aus Bakterien
nach Einwirkung von Immun- oder Normalamboceptoren und
Komplement ein Gift entsteht, das unter den für die Anaphylaxie
charakteristischen Erscheinungen Meerschweinchen tötet, kann
hierfür nicht besonders geltend gemacht werden, denn es ist nicht
einzusehen, warum das Bakterieneiweiss für diese Versuche nicht
ebenso geeignet sein sollte wie jedes andere Eiweiss. Auch die
von Friedberger und Mita 1 ) beschriebenen anaphylaktischen
Fieberreaktionen dürften nicht als ein schwerwiegender Beweis
erachtet werden und noch eine andere Deutung zulassen. Es sei
diesbezüglich nur auf die vor kurzem erschienene Arbeit von
Friedberger und Ito 2 ) hingewiesen, durch welche die Beweis¬
kraft der früheren Anschauung stark herabgesetzt wird.
Hingegen sind die Versuche Weil’s 3 ) geeignet, starke Be¬
denken gegen die Identifizierung der Infektion mit der Anaphylaxie
wachzurufen.
Weil ging mit Recht von dem Standpunkte aus, dass nach
dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens eigentlich nur eine
Erklärung für das Zustandekommen der septikämischen Infektions¬
krankheiten auf Schwierigkeiten stösst. Bei den toxischen Er¬
krankungen, wie Diphtherie oder Tetanus, ist das Krankheitsbild
durch das von den Bakterien produzierte Toxin, bei den endo-
toxischen, wie Cholera oder Typhus, durch die primär toxische
Leibessubstanz der betreffenden Krankheitserreger vollkommen er¬
klärt, wobei es bei der letzteren Krankheitsgruppe für die Krank¬
heitserscheinungen gleichgültig ist, ob das Freiwerden der giftigen
Stoffe auf spezifische Weise (durch Bakteriolysine) erfolgt oder
nicht. Dagegen stehen wir bisher bei den septikämischen In¬
fektionskrankheiten noch immer vor einem undurchdringlichen
Rätsel, und es entsteht die Frage, ob und inwieweit bei diesen
Affektionen, deren Erreger keinerlei giftige Produkte ausscheiden,
eine Analogie zur Anaphylaxie nachzuweisen ist. Weil wählte
zur Lösung dieser Frage den Hühnercholerabacillus und versuchte
zunächst mit demselben ein Anaphylatoxin darzustellen. Diese
Mikroorganismen wurden deshalb hierzu gewählt, weil sie zu den
typischsten Vertretern der höcbstinfektiösen Bakterien gehören,
denen namentlich die Kaninchen mitten im scheinbar besten
Wohlbefinden plötzlich unter anaphylaxieähnlichen Erscheinungen
erliegen. Die Versuche ergaben nun ein positives Resultat inso¬
fern, als das mit Hühnercholerabacillen behandelteMeerschweinchen-
serum Meerschweinchen unter schweren typischen Symptomen
tötete. Nachdem sich auf diese Weise der Hübnercholerabacillus
zur Darstellung von Anaphylatoxin geeignet erwiesen hatte, modi¬
fizierte Weil die Versuchsbedingungen, um sie den natürlichen
Verhältnissen näherzubringen. Zur Darstellung des Anapbyla-
toxins wurde nicht Meerschweinchen-, sondern Kaninchen¬
serum verwendet und das Serum nach der Behandlung mit Hühner¬
cholerabacillen Kaninchen injiziert. Wenn die Anaphylaxie für
die Infektion von Bedeutung wäre, so müsste gerade bei Kaninchen
der Erfolg ein eklatanter sein, da diese Tiere der Hühnercholera¬
infektion unter anaphylaxieähnlichen Symptomen erliegen. Es
zeigte sich aber, dass in keinem einzigen Falle Anaphylaxie¬
erscheinungen ausgelöst werden konnten. Auf Grund dieser
negativen Versuchsergebnisse Weil’s kann man demuach einer
Identifizierung der Infektion mit der Anaphylaxie nicht zu¬
sammen.
Ungefähr gleichzeitig mit dieser Arbeit publizierten Fried -
berger und Szymanowski 4 ), offenbar in dem Bestreben, neue
1) Ueber Anaphylaxie. XVIII. Mitteilung. Die anaphylaktische
Fieberreaktion. Zeitsehr. f. Immunitätsforsch., I. Teil, Orig., Bd. 10,
H. 1 u. 2.
2) Beiträge zur Pathogenese des Fiebers. III. Mitteilung. Die Be¬
einflussung der Körpertemperatur durch Salze nach Untersuchungen am
Meerschweinchen. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., I. Teil, Orig., Bd. 15,
H. 4 u. 5.
3) Ueber die Bedeutung des Anaphylatoxins für die Infektions¬
krankheit. Wiener klin. WocbeDschr., 1911, Nr. 40.
4) Ueber Anaphylaxie. XXIII. Mitteilung. Einfluss der Leukocyten
auf die Anaphylatoxinbildung in vitro. Zeitschr. f. Immunitätsforsch.,
I. Teil, Orig., Bd. 11, H. 5.
Analogien zwischen der Infektion und der Anaphylaxie aufzu-
decken, eine Reihe von Versuchen, die den Einfluss der Leuko¬
cyten auf das Anaphylatoxin betreffen. Aus diesen Versuchen
geht hervor, dass die weissen Blutzellen sowohl die Bildung des
Anaphylatoxins zu verhindern, als auch das fertige Anaphylatoxin
zu entgiften vermögen. Die Autoren nehmen an, dass durch die
Phagocytose, die sie bei der Behandlung, besonders mit Immun-
sernm, tatsächlich in Erscheinung treten sahen, ein Teil der zur
Giftbildung abznbauenden Bakterien von der Serumwirkung aus¬
geschaltet wird. Hierbei lassen die Autoren die Möglichkeit
offen, dass im Tierkörper die Verhältnisse anders liegen, indem
auch innerhalb der Leukocyten eine Giftabspaltung aus den
Bakterien zustande kommen könnte. Nur bei der Einwirkung der
Leukocyten auf das fertige Anaphylatoxin glauben die Verfasser,
dass neben der eigenartigen Beeinflussung durch diese Blutzellen
auch die Eventualität einer einfachen Absorption in Erwägung zu
ziehen wäre.
M. Massone 1 ), welcher in ähnlichen Versuchen den.Einfluss
der Leukocyten auf das fertige Anaphylatoxin studierte und zu
gleichen Ergebnissen gelangte, ist in seinen Schlussfolgerungen
ganz dezidiert, er glaubt bewiesen zu haben, dass die Leukocyten
ausgesprochene Giftzerstörer seien und hierdurch dem infizierten
Organismus eine erhebliche Schutzwirkung verleihen, da „die
Vergiftungserscheinungen, die der Bakteriolyse folgen, zum grossen
Teil, wenn nicht ausschliesslich, auf Bildung des Anaphylatoxins
zurückzuführen sind u .
Mit gleicher Bestimmtheit macht S. Miyaji 2 ), der diese Ver¬
hältnisse auf Anregung P. Th. Müller’s untersuchte, die Pbago-
cytose für die Behinderung der Giftbildung verantwortlich.
Da wir auf Grund zahlreicher Untersuchungen, die in unserem
Institute ausgeführt wurden, über die Wirkungsweise der Leuko¬
cyten wesentlich andere Vorstellungen haben, beschlossen wir die
oben angeführten Angaben bezüglich der Beeinflussung des Ana¬
phylatoxins durch Leukocyten einer Nachprüfung zu unterziehen.
Im Nachfolgenden seien einige dieser Versuche mitgeteilt.
Zur Gewinnung von Leukocyten wählten wir einen Modus, der sich
in unserem Institut seit Jahren als der zweckmässigste bewährte; er
weicht von der von anderen Autoren geübten Technik in Einzelnheiten
ab und ist ganz einfach. Wir injizieren einem Meerschweinchen 20 bis
30 ccm sterile gewöhnliche Nährbouillon intraperitoneal; nach etwa
15 Stunden wird das Tier verblutet, das stets reichlich vorhandene Ex¬
sudat sowie die durch Ausspülen der Bauchhöhle mit steriler physio¬
logischer Kochsalzlösung erhaltene Füssigkeit centrifugiert und der hier¬
durch gewonnene Leukocytensatz gewaschen.
Die quantitative Auswertung der Leukocytenmengen, wie sie von
Massone angegeben wird — Vergleich mit verschieden abgestuften Auf¬
schwemmungen von Kaolin —, erscheint uns sehr umständlich und vor
allem nicht ganz genau. Wir bestimmen für gewöhnlich die Leukocyten
einfacher und objektiver durch Abwägen des durch das Centrifugieren
gewonnenen Satzes. Das zur Aufnahme der Leukocytenemulsion be¬
stimmte Röhrchen wird zunächst leer und dann nach dem Centrifugieren
mit dem Satz abgewogen. Die Differenz ergibt das Gewicht der Leuko¬
cyten.
Die Emulsionen verschiedener Organe (Leber oder Niere vom Meer¬
schweinchen), welche als Vergleichs- und Kontrollmaterial zu den Ver¬
suchen herangezogen wurden, erhielten wir durch Durcbpressen zer¬
kleinerter Organstücke, welche steril den frisch getöteten Tieren
entnommen wurden, durch ein steriles Drahtnetz vermittels eines Mörsers.
Die nach Zusatz von physiologischer Kochsalzlösung entstandene Auf-
schwemmuag wurde zunächst in der Wassercentrifuge etwa drei Minuten
lang centrifugiert, der entstandene Satz (der gröberen Partikel) entfernt.
Die auf diese Weise hergestellte gleichmässige Emulsion wurde in der
elektrischen Centrifuge scharf centrifugiert, zum Satz — wie in den
einzelnen Versuchen ersichtlich —, die Bakterien und das Meerschweinchen¬
serum zugesetzt, gut durchgeraischt und zeitweise geschüttelt. Die Menge
der Organemulsion wurde in analoger Weise wie die Leukocyten durch
Abwägen bestimmt.
Wir verwendeten in unseren Versuchen aussohliesslich Prodigiosus-
bacillen, welche fünf Minuten lang bei 100° gekocht und in den in
einzelnen Versuchen angegebenen Mengen zugesetzt wurden.
A. Versuche über den Einfluss von Leberzellen auf die Ana¬
phylatoxinbildung.
Versuch 1.
Eine 24 stündige Agarkultur von Prodigiosusbacillen wird in 1 ccm
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt, fünf Minuten gekocht und
in zwei Teile geteilt.
1) Ueber die giftzerstörenden Eigenschaften der Leukocyten. Diese
Wocbenschr., 1911, Nr. 52.
2) Ueber den Einfluss von Leukocyten und Leukocytenextrakten auf
die Anaphylatoxinbildung. Zeitschr. f. Immunitätsforsch., I. Teil. Orie.,
Bd. 13, H. 5.
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5. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
838
a) 0,5 com wird mit 4 ccm Meersohweinohenserum,
b) 0,5 ccm mit dem Satz der Leberemulsion und 4 ccm Meer¬
schweinchenserum gut gemischt, eine Stunde bei 37°, &j 2 Stunden bei
Zimmertemperatur gehalten und sodann centrifugiert. Der klare Abguss
wird injiziert.
Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a) intravenös. Starke
Krämpfe, liegt fast leblos, nach lange anhaltenden Wiederbelebungs¬
versuchen — künstlicher Atmung — Erholung.
Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b) intravenös. Keine
Erscheinungen.
Versuch 2.
Vorbereitung wie im Versuch 1.
Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a). Sofort starke
Krämpfe, liegt eine Zeitlang fast leblos, dann langsame Erholung.
Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b). Keine Er¬
scheinungen.
Versuch 3.
Vorbereitung wie im Versuch 1. Behandlung 3 1 /* Stunden bei 87°.
Meerschweinchen 1. Erhält 4 ccm des Abgusses a) intravenös. Starke
Krämpfe, stirbt nach wenigen Minuten. Sektion: Starke Lungenblähung.
Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm des Abgusses b) intravenös. Keine
Erscheinungen.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der Zusatz von Leber¬
emulsion die Anaphylatoxinbildung in vitro verhindert,
ebenso wie in den oben besprochenen Versuchen von Fried¬
berger und Szymanowski die Leukocyten, dass hierbei aber
nicht an einen biologischen Vorgang gedacht werden kann, wie ihn diese
Autoren in der Phagocytose erblicken, durch welche etwa ein Teil der
zur Giftbildung bestimmten Bakterien dem Abbau entzogen werden. Da
von einer Phagocytose durch Leberzellen keine Rede sein kann, müssen
wir die Wirkung der letzteren als eine rein physikalische Funktion
im Sinne einer Absorption auffassen.
In dieser Auffassung werden wir bestärkt durch folgende
B. Versuche über den Einfluss der Leukocyten und anderer
Zellen auf das fertige Anaphylatoxin.
Versuch 1.
Zwei frische Agarkulturen von Prodigiosusbacillen wurden mit
16 ccm normalen Meerschweinchenserums l l / 2 Stunden bei 37° be¬
handelt und hierauf centrifugiert; 4 ccm des Centrifugats wurden mit
0,75 g Leukocyten vom Meerschweinchen, 8 ccm desselben mit 3 g
Leberemulsion I Stunde bei 37° digeriert und sodann abcentrifugiert.
Der klare Abguss wurde zur Injektion verwendet.
Meerschweinchen 1. Erhielt 3 ccm reines, unbehandeltes Anaphyla¬
toxin intravenös. Schwere Anaphylaxie, stirbt nach wenigen Minuten.
Meerschweinchen 2. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬
cyten behandelt wurde, intravenös. Keine Erscheinungen.
Meerschweinchen 3. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬
emulsion behandelt wurde, intravenös. Keine Erscheinungen.
Meerschweinchen 4. Erhielt 4 ccm wie Meerschweinchen 3. Keine
Erscheinungen.
Versuch 2.
Die Anaphylatoxingewinnung wie im obigen Versuche. Dann wurde
das fertige Anaphylatoxin in der oben angeführten Weise, und zwar 4 ccm
mit 0,5 g Meerschweinchenleukocyten, 4 ccm mit Leber-, 4 ccm mit
Nierenemulsion behandelt. Injektion intravenös.
Meerschweinchen 1. Erhielt 2,5 ccm unbehandeltes Anaphylatoxin.
Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen Minuten. Künstliche Atmung
ohne Erfolg.
Meerschweinchen 2. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬
cyten behandelt wurde. Sofort Krämpfe. Erholung naoh künstlicher
Atmung.
Meerschweinohen 3. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen.
Meerschweinchen 4. Erhielt 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Nieren¬
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen.
Versuch 3.
16 ccm Meerschweinchenserum werden mit zwei Agarkulturen
3y s Stunden bei 37° behandelt und hierauf centrifugiert. Das fertige
Anaphylatoxin wird dann, wie in den früheren Versuchen, mit Leuko¬
cyten (0,75 g), Leber- und Nierenemulsion behandelt.
Meerschweinchen 1. Erhält 2,5 ccm unbehandeltes Anaphylatoxin.
Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen Minuten.
Meerschweinchen 2. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leuko¬
cyten behandelt wurde. Schwere Anaphylaxie, stirbt in wenigen
Minuten.
Meerschweinchen 3. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit Leber¬
emulsion behandelt wurde. Keine Erscheinungen.
Meerschweinchen 4. Erhält 4 ccm Anaphylatoxin, welches mit
Nierenemulsion behandelt wurde. Schwere Anaphylaxie, stirbt in
wenigen Minuten.
Wir ersehen aus diesen Versuchen, dass das Anaphylatoxin,
welches in der Menge von 3 ccm Meerschweinchen in wenigen Minuten
tötet (Versuch 1, Tier 1), 4duroh Behandlung mit Leberemulsion
ebenso unwirksam witd wie unter dem Einfluss der Leuko¬
cyten,
Im Versuch 2 ist das Anaphylatoxin durch die Behandlung mit
Leukocyten nur in sehr geringem Maasse abgesohwächt (weniger Leuko¬
cyten als im Versuch 1), während es durch die Leber- und Nieren¬
emulsion vollkommen entgiftet ist.
Im Versuch 3 versagen sowohl die Leukocyten als auch die Nieren¬
zellen, während die Leberemulsion eine gänzliche Entgiftung des Ana-
pbylatoxins herbeigefübrt hat (Tier 3). Offenbar ist die absorbierende
Kraft, die hier einzig und allein für die Erklärurg der zutage tretenden
Erscheinung in Betracht kommt, bei den Leberzellen viel grösser als bei
den anderen zum Versuch herangezogenen Zellelementen.
Unsere Versuche stehen demnach hinsichtlich der erhobenen
Befunde vollkommen im Einklang mit den Angaben von Fried¬
berger und Szymanowski, allein die Erklärung, welche diese
Autoren für die Behinderung der Giftbildung bzw. die Entgiftung
des fertigen Anapbylatoxins angeben, erscheint nach unseren Er¬
gebnissen nicht zulässig. Denn wenn bei der Einwirkung der
Leukocyten die Möglichkeit, dass die Phagocytose die Menge der
dem Abbau anheimfallenden Bakterien verringert, diskutiert
werden könnte, ist eine solche, sobald es sich um Leber- oder
Nierenzellen handelt, vollkommen ausgeschlossen; bei der Be¬
urteilung der Versuche mit dem fertigen Anaphylatoxin ist wohl
Annahme einer einfachen Absorption die einzig plausible Er¬
klärung.
Unsere Auffassung steht in Uebereinstimmung mit den Be¬
funden von Ritz und Sachs, denen es gelungen ist, mit Kaolin
sowohl die Anaphylatoxinbildung zu verhindern, als auch das
fertige Anaphylatoxin zu entgiften. Die Autoren konnten auch
aus dem behandelten Kaolin durch Digerieren bei 42° bis 45°
das offenbar absorbierte Gift in physiologische Kochsalzlösung
absprengen, welche dadurch giftige Eigenschaften erhielt.
Wir können somit die Anschauung aussprecben, dass in den
Versuchen von Friedberger und Szymanowski ebenso wie in
denen von Miyaji und in unseren die Leukocyten keine
biologische Funktion (Phagocytose) ausüben — wie diese
Autoren behaupten —, sondern lediglich als ein einfaches
Absorbens wirken. Durch unsere Befunde wird natürlich auch
die oben angeführte Auffassuug Massone’s, die selbst durch
seine eigenen Versuche nicht begründet erscheint, ganz hin¬
fällig.
Wenn Friedberger und Szymanowski durch ihre Unter¬
suchungen Analogien zwischen der Anaphylaxie und Infektion
auffinden wollten, ist dieser Versuch als gescheitert zu be¬
trachten.
In den Versuchen von Friedberger und Szymanowski
sowie in den unserigen wurde als stille Voraussetzung ange¬
nommen, dass das Anaphylatoxin aus dem Antigen, in unserem
Falle aus den Bakterien durch Einwirkung von Normalambo-
ceptoren gebildet wird, eine Annahme, die in der letzten Zeit
stark in Zweifel gezogen wurde. Wir wollen nur auf die An¬
gaben Bauer’s 1 ) binweisen, nach denen das Anaphylatoxin aus
dem Meerschweinchenserum entsteht, sowie auf die von mehreren
Seiten (Ritz und Sachs, Weil u. a.) ausgesprochene Vermutung,
dass das giftige Moment der behandelten Meerschweinchensera
bereits in diesen präformiert ist und nur durch antagonistische
Stoffe verdeckt ist, welch letztere bei der Behandlung des Serums
beseitigt werden. Nach dieser Anschauung wären also die Bak¬
terien nicht die Matrix, aus der das Gift durch Abbau entsteht,
sondern ein Absorbens, welches die antagonistisch wirkenden
Substanzen entfernt und die giftigen Momente frei macht (Weil).
Wenn wir auch in einer Reihe von Versuchen 2 ) die Angaben
Brauer’s nicht bestätigen konnten, so muss man doch an die
von Ritz und Sachs 8 ) berührte Möglichkeit denken, dass das¬
selbe Kaolin, welches die giftigen Substanzen von ihren Antago¬
nisten frei macht, im Verlauf der Behandlung auch das fertige,
frei gemachte Anaphylatoxin absorbiert, so dass im Resultat das
behandelte Meerschweinchenserum völlig unwirksam erscheint.
Eine andere Frage, auf die wir hier nicht näher eingehen
wollen, ist die, ob man berechtigt ist, die Ergebnisse der Ana-
phylatoxinforschung ohne weiteres auf die Anaphylaxie und —
wenn man auf den Gedankengang Friedberger und seiner Mit¬
arbeiter eingehen will — auch auf die Infektion zu übertragen.
1) Ueber die Herkunft des Anaphylatoxins. Diese Woohenschr.,
1912, Nr. 8.
2) 10 ccm frisches Meerschweinchenseerum wurden mit 2,5 g Kaolin
5 Stunden bei 87° unter öfterem digeriert und sodann centrifugiert. Die
Tiere vertrugen 4, 5 und 6 ccm des klaren Abgusses intravenös ohne
die geringsten Erscheinungen.
8) Ueber das Anaphylatoxin, Diese Woohenschr., 1911, Nr. 22,
6
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UNIVERSUM OF IOWA
834
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
John Auer 1 ) betont mit Recht, dass bis jetzt keineswegs be¬
wiesen ist, dass bei der wirklichen Anaphylaxie die reizauslösen-
den Stoffe mit dem Anapbylatoxin identisch sind, dass es nicht
zulässig ist, aus der Aehnlichkeit der biologischen Reaktion auf
die Identität der daran beteiligten Agentien zu schliessen.
Zusammenhang.
Der Einfluss der Leukocyten auf die Anaphyla-
toxinbildung und auf das fertige Anaphy 1 atoxin kann
nicht — wie Friedberger und Szymanowski, Massone und
Miyaji behaupten — durch Phagocytose erklärt werden,
durch welche die Zahl der zum Abbau bestimmten Bakterien ver¬
ringert wird. Wir haben dieselben Resultate mit Leber¬
und Nierenzellen erzielt, bei denen von Phagocytose
naturgemä83 keine Rede sein kann.
Der Einfluss all dieser Zellen auf die Anaphyla-
toxinbildung kann auf Grund unserer Versuche nur als
einfache Absorption gedeutet werden.
Die akute nicht eitrige Thyreoiditis.
Eine Uebersicht.
Von
Sanitätsrat Dr. W. Lublinski.
Die akute Entzündung der gesunden Schilddrüse (Thyreo¬
iditis) wird weit seltener beobachtet als die der kropfig ent¬
arteten (Strumitis). Die ersten ausführlichen Beschreibungen
machen noch keinen Unterschied dieser beiden Formen, trotzdem
schon Conradi die allgemeine Bezeichnung „Struma inflamma-
toria u als nicht zutreffend erklärte, weil sie nur auf die Ent¬
zündung der kropfigen Schilddrüse passe. Erst um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts wird die Trennung strenger durcbgeführt,
und die Arbeit Bauchet’s de la thyroidite et du goitre enflamm4
unterscheidet zum erstenmal streng zwischen den beiden
Formen; sie hebt auch das Ueberwiegen des weiblichen
Geschlechts hervor. Ebenso hat Lebert wenige Jahre später
in einer Monographie die Verhältnisse ziemlich klargestellt und
ausser einer pathologisch-anatomischen Beschreibung eine kli¬
nische Scheidung zwischen idiopathischer und meta¬
statischer Entzündung der Schilddrüse vorgenommen. Er kennt
als ätiologische Momente den Typhus, die Pneumonie, das Puer¬
peralfieber und die Pyämie, sowie Bronchitis und Orchitis. In
den nächsten Jahren beschäftigen sich vornehmlich französische
Autoren mit dieser Frage; die Terminologie ist bei einigen wieder
etwas unklar. Ein neuer Zug kommt in die Literatur durch die
Arbeiten Kocher’s und seiner Schüler, die sich allerdings haupt¬
sächlich mit der Strumitis beschäftigen, aber auf die Unter¬
scheidung derselben von der Thyreoiditis dringen. Von Wert ist
auch die Arbeit Mygind’s, der zuerst die nicht eitrige
akute Thyreoiditis als eine Erkrankung eigener Art in
einem klinisch scharf umgrenzten Krankheitsbilde beschreibt, was
Ewald, der wohl zwischen akuter idiopathischer und meta-
statischer Thyreoiditis unterscheidet, nicht tut, da er die nicht
eitrige Form nur für eine leichtere Erkrankung hält, was übrigens
auch v. Eiselsberg’s Meinung zu sein scheint. Die umfassendste
Arbeit der letzten Jahre rührt her von de Quervain (1), der
nach allen Seiten Klarheit zu bringen, auf das beste bestrebt ist.
Seine Monographie gilt um so mehr als Grundlage für alle
späteren Arbeiten, als in ihr die zahlreiche Literatur kritisch
berücksichtigt wird.
Das klinische Bild der akuten nicht eitrigen Thyreo¬
iditis ist ausserordentlich prägnant und erlaubt, die Diagnose in
den meisten Fällen ohne Schwierigkeit zu stellen. In der Mehr¬
zahl der Fälle beginnt sie plötzlich mit hohem Fieber, nicht
selten mit einem Schüttelfrost. Daneben bestehen Uebelkeit,
oft Erbrechen und heftiger Kopfschmerz, ausstrahlende
Schmerzen besonders nach Ohr und Hinterhaupt. Das
Fieber kann bis 40° ansteigen, hat remittierenden Charakter;
der Puls schwankt je nach dem Alter zwischen 100 und
120 Schlägen, ist voll und hart. Oft schon am ersten, sicher
aber am zweiten, seltener am dritten Tage tritt mit dem Gefühl
einer unangenehmen Spannung in der vorderen Halsgegend, die
1) Ueber Kriterien der Anaphylaxie. Diese Wochenschr., 1912,
Nr. 33.
sich besonders bei Kopfbewegungen zu heftigem Schmerz steigert,
eine Anschwellung der Schilddrüse ein, die sich zunächst
meist auf einen Lappen beschränkt oder doch in demselben vor¬
herrschend ist. Selten ist anfangs der Isthmus betroffen. Das
sieht man aus de Quervain’s Zusammenstellung; nur einmal
unter 45 Fällen, soweit Angaben vorhanden, ist der Isthmus als
der zunächst erkrankte Teil angegeben, währene Dünger (2)
sechsmal unter sieben Fällen den Isthmus sogleich mit ergriffen
fand. In der Zusammenstellung Robertson’s (3), 96 Fälle,
findet sich keine nähere Angabe. Ich selbst habe sie unter
II Fällen niemals auf den Isthmus beschränkt gefunden. Nach
der Meinung de Quervain’s wäre bei dieser Lokalisation an die
Entzündung eines kleinen median gelegenen Kropfknotens za
denken; das scheint aber nicht zuzutreffen, da sich in Dunger’s
Fällen ein solcher nach der Rückbildung nicht fand; sonst hätte
er es wohl erwähnt. Die Grösse der Geschwulst hängt von der
vorherigen Beschaffenheit des Organs ab; war dasselbe schon
vorher leicht byperplastisch, so kann der einzelne Lappen die
Grösse eines Hühnereis überschreiten und seitlich über die Kopf¬
nicker vorquellen, so dass bei Erkrankung der Gesamtdrüse diese
die Gestalt eines Hufeisens annimmt. Immer ist die Schwellung
recht druckempfindlich, auch spontan bei Kopfbewegung
tritt Schmerz ein, so dass der Nacken besonders gestützt werden
muss. Die Konsistenz der Drüse ist mehr derb als elastisch;
die bedeckende Haut fühlt sich häufig wohl warm an, ist aber
sehr selten gerötet und immer verschieblich, während die Luft¬
röhre und der Kehlkopf von der Geschwulst gleichsam umkrallt,
fest mit ihr verbunden sind.
Subjektiv bestehen neben dem Druck und Spannungsgefühl
vor allem die schon erwähnten ausstrahlenden Schmerzen ins
Ohr und Hinterhaupt, die auch in der Schulter empfunden werden.
Daneben sind die Schlingbeschwerden charakteristisch, die
manchmal einen sehr hohen Grad erreichen [Goldberger (4)],
ebenso wie die Behinderung der Atmung, die in der Haupt¬
sache als mechanischer Effekt der festen Umklammerung der
Luft- und Speiseröhre durch die entzündete Drüse anzusehen ist.
Daneben besteht in vielen Fällen Heiserkeit und ein quälen¬
der Reizhusten mit leicht blutig gefärbtem Auswurf, herbei¬
geführt durch entzündliche Schwellung der Kehlkopf- und Luft-
röhrenschleimhaut (Mygind). Mir ist es in einem solchen Falle
leider nicht gelungen, die Luftröhre zu spiegeln, da infolge einer
Recurrenslähmung und einer starken Hyperämie des Kehl¬
kopfes mit leichtem Oedem ein Einblick in die Tiefe verwehrt
blieb. Diese Lähmung scheint nicht so selten zu sein; ich habe
sie viermal unter 11 Fällen gefunden. Stein (5) hat sie nie ge¬
sehen und will auch von einem solchen Fall nichts gehört haben;
ebensowenig von einer Kompression der Trachea. Das beweist
natürlich bei der geringen Zahl seiner Beobachtungen gar nichts.
Ein anhaltender Schaden für die Stimme, der zunächst eintritt,
besteht nicht, da nach Ablauf der Entzündung der N. recurrens
wieder seine Tätigkeit aufnimmt. Weit seltener als dieser Nerv
ist das sympathische Nervengeflecht betroffen. Ausser
dem Fall von Holz, bei dem Ptosis des Augenlides, Myosis
und Aufhebung der Schweisssekretion infolge Lähmung des
rechten Halsteils des Nerven durch den Druck des rechten
Scbilddrüsenlappens hervorgerufen wurde 1 ), gehört hierher der Fall
von Sterkmans (6).
Alle diese Erscheinungen erreichen ihren Höhepunkt meist
am Ende der ersten Woche, um dann nach und nach abzu-
klingen. Das remittierende Fieber hört auf, die Hauptbeschwerden
mindern sich wesentlich. Allerdings kann es bis zum vollen
Verschwinden aller Erscheinungen noch wochenlang dauern. Aber
immer ist im Auge zu behalten, dass bei einseitiger Er¬
krankung der gesamte Symptomenkomplex sich auf
der anderen Seite wiederholen kann, weshalb man mit der
Vorhersage vorsichtig sein muss.
Wenn auch die Mehrzahl der Fälle in der geschilderten
Weise sich abspielt, so ist nicht ausser acht zu lassen, dass die
Krankheit einerseits milder verlaufen kann — leichtes oder auch
kein Fieber, keine oder nur geringe Beschwerden von seiten der
Atmung, der Deglutition und der ausstrahlenden Schmerzen —
andererseits so hettig werden, dass sich der Prozess nicht rück-
1) Anmerkung während der Korrektur: Herr Kollege Holz, der den
Kranken auf meine Bitte neulich nach vielen Jahren wieder untersuchte,
fand zwar die Schilddrüse gesund, aber noch immer eine wenn auch
geringe Ptosis und Myosis sowie ein leichtes Eingesunkensein des Bulbus,
der auch weicher als der linke ist.
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5. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
885
bildet, sondern zu Eiterung und selbst zu Gangrän führt.
Das wurde besonders bei den pneumonischen und puerperalen
Fällen, sowie bei denen nach Diphtherie und Erysipelas
beobachtet. Auf diese will ich nicht weiter eingehen, weil sie
ausserhalb des Bereichs dieser Arbeit liegen und am allerhäufig¬
sten nach Strumitis eintraten. Robertson (3) hat 96 Fälle
analysiert, von denen 63 Thyreoiditis, 83 Strumitis waren. Von
den letzten gingen 27 in Eiterung über, von den ersteren 13.
Gangrän ist sehr selten und prognostisch ungünstig.
Wenn wir auch klinisch den Unterschied zwischen nicht¬
eitriger und eitriger Thyreoiditis aufrecht erhalten, so muss doch
erwähnt werden, dass Eiterung eintreten kann, ohne erkannt zu
werden. In einem Fall von Breuer fand sich 7 Monate später
bei der Autopsie ein kleiner Abscess mit eingedicktem Staphylo¬
kokkeneiter.
Gehen wir nunmehr zur Aetiologie, so stossen wir zu¬
nächst auf die Frage, gibt es eine genuine primär auf¬
tretende Form, de Quervain bejaht sie vom klinischen
Standpunkt, wenn er auch zugibt, dass eigentlich alle Formen
metastatischer Natur seien. Da aber der primäre Herd sich
häufig in keiner Weise zu erkennen gibt, so müsse die Trennung
aufrecht erhalten werden. Dünger steht auf dem entgegen¬
gesetzten Standpunkt; ich bin überzeugt, dass ebenso wie sich z. B.
das Feld der kryptogenetischen Pyämien immer mehr aufhellt, so
auch in dieser Frage nach und nach mehr Klarheit herrschen
wird. Als Beispiel führe ich einen Fall von Ausset (7) an:
Ein Kind erkrankt an Thyreoiditis, ohne dass sich ein Grund an¬
geben lässt; drei Monate später erfolgt ein Rückfall, diesmal be¬
gleitet von akutem Rheuma des Ellbogengelenks. Ein weiterer
Fall von Dünger betrifft ein Mädchen mit Ulcus ventriculi, bei
dem plötzlich der Mittel- und dann der linke Lappen anschwellen.
Diesen Fall könnte man primär nennen. Nun hat aber Kocher,
allerdings für Strumitis, nacbgewiesen, dass Mikroorganismen,
vom Darm her resorbiert, als ihre Urheber anzusprechen seien.
Könnten dieselben nicht auch io Dunger’s Fall die Schuldigen
sein? Meiner Meinung nach ist vorläufig als primär nur die
durch Jod bedingte Thyreoiditis, sowie die traumatische —
wenn es eine solche gibt — anzusehen, während es bei den
anderen nicht anders steht, wie mit der Frage: Ist der akute
Gelenkrheumatismus eine primäre Krankheit oder nicht? Die
häufigste „primäre“ Thyreoiditis ist die rheumatische;
mindestens ebenso häufig ist ihre Komplikation mit akutem
Gelenkrheumatismus, de Quervain führt unter 63 Fällen
ausser drei eigenen noch sieben aus der Literatur an, ebensoviel
Robertson. Nächstdem scheinen Masern am häufigsten von
ihr begleitet zu sein. Dem me hat bei einer Masernepidemie
(224 Fälle) 15 mal das Auftreten von zum Teil beträchtlichen
Anschwellungen und in der Folge hyperplastischen Veränderungen
der vorher gesunden Schilddrüse beobachtet. Nicht minder häufig
ist die Influenza die Ursache; leider lässt sich, da häufig Strumitis
in den Krankengeschichten als Bezeichnung gewählt, wo offenbar
Thyreoiditis gemeint ist, kein genaues Zahlenmaterial geben,
de Quervain teilt sieben Fälle mit, Robertson zählt vier,
Dünger zwei; ich selbst habe ebenfalls zwei beobachtet, die sich
etwa eine Woche nach Ablauf von lüfiuenza unter hohem Fieber
und derber Anschwellung des rechten Lappens entwickelten.
Abfall des Fiebers nach 3 bzw. 5 Tagen; Rückkehr zur Norm
innerhalb 14 Tagen. Fieberhaftes Recidiv in dem einen Fall
linksseitig mit Recurrenslähmung. Vollständige Wiederherstellung.
Auch die Angina gehört zu den Krankheiten, denen sich die
akute Thyreoiditis nicht selten anzuschliessen pflegt. Gewöhnlich
ist der Verlauf ein leichter, de Quervain teilt vier, Robert¬
son drei Beobachtungen mit; ich (8) selbst habe neun solche
Fälle beobachten können, eine verhältnismässig sehr grosse Zahl,
wohl einerseits infolge meines speziellen Berufs, andererseits
durch den Umstand bedingt, dass ich in jedem Fall von Angina
die Schilddrüse untersuche und mich nicht begnüge, die Be¬
schwerden allein durch die Angina zu erklären. Bei Diphtherie
ist nur einmal eine akute nicbteitrige Thyreoiditis von Brieger
beschrieben worden, ebenso wie bei Erysipelas von Mygind,
bei Parotitis von Servier, bei Orchitis von Eulenburg,
von Barlow bei Erythema nodosum. In der Mehrzahl der
Fälle von Diphtherie und Erysipelas geht, ebenso wie bei den
pneumonischen und puerperalen Fällen, wie schon erwähnt, der
Prozess in Eiterung über. Nach Lecene und Metzger (9) ist
die puerperale Thyreoiditis eine seltene Komplikation. Der
Typhus befällt mit Vorliebe Kröpfe und führt in der Regel zur
Eiterung. Sehr interessant ist die Kombination von Malaria
und akuter Thyreoiditis; solche Fälle haben unter anderen Zesas
und Charcot mitgeteilt. Auch die Verbindung mit Syphilis
ist nicht zu vergessen; nach Engel-Reimers ruft diese Krank¬
heit in ihrer Frühperiode Anschwellung der Schilddrüse hervor.
Ich erwähne ferner die Alteration der Schilddrüse infolge Jod-
gebrauchs. Seilei (10), Gundorow (11), ich (12) u. a. haben
solche Fälle mitgeteilt. Interessant ist das von Dünger mitge¬
teilte Recidiv einer Thyreoiditis nach Gebrauch von Syr. ferri
jodat.
Ich komme nunmehr zu einem Gebiet, das noch der weiteren
Forschung bedarf. Es ist der Zusammenhang der Erkrankung
der Schilddrüse mit Anämie und Chlorose. Da diese Kombi¬
nation mir nur beim weiblichen Geschlecht aufgefallen ist, so
könnte man an eine einfache Hyperämie oder leichte diffuse
Hyperplasie denken, wie so häufig bei Menstruation und Gravi¬
dität, wenn nicht der spontane Schmerz, die plötzlich auftretende
Druckempfindlichkeit, die häufige Beschränkung auf nur einen
Teil der Drüse, der wenn auch seltene Beginn mit leichtem
Fieber an eine wahre Entzündung denken Hesse. Diese Fälle
gehören bei nötiger Obacht nicht zu den Seltenheiten. Auch
der Zusammenhang der akuten Thyreoiditis mit Lungentuber¬
kulose ist von Bedeutung, weil er zur Klärung der Frage
nach dem Zusammenhang der Thyreosen mit Lungen¬
tuberkulose beitragen könnte. Hufnagel (13) hat sie zuerst
angeregt, und verschiedene Autoren, wie v. Brand enstein (14),
Bialokur (15), Poncet und Leriche(16), Saathoff (17) u. a.,
haben sich mit derselben beschäftigt. Man hat der Tuberkulose
eine wesentliche ursächliche Rolle für die Entstehung der Thyre¬
osen einschliesslich des Morbus Basedowii zugesprochen. Meist
handelt es sich um beginnende prognostisch günstige Formen der
Tuberkulose, bei denen die Erkrankung der Schilddrüse auftritt,
die nach Besserung der Tuberkulose mit ihren Symptomen wieder
schwinden kann.
Ferner wird als ätiologisches Moment für die akute Thyreo¬
iditis das Trauma erwähnt, de Quervain glaubt, dass es sich
bei den bisher mitgeteilten Fällen eher um Blutungen in die
Drüse gehandelt habe. Der neueste von Burk (18) mitgeteilte
Fall — Druck des hohen Kleiderkragens beim langanhaltenden
Schreiben — scheint mir auch als Blutung in die Drüse 'auf¬
gefasst werden zu müssen.
Prädisponiert für die Erkrankung ist das weibliche Ge¬
schlecht, und zwar stimmen die Beobachter, welche über
grössere Zahlenreihen verfügen, überein, dass die meisten Fälle
zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr Vorkommen. Meine Beob¬
achtung betraf nur weibliche Personen in diesem Alter. Daraus
geht hervor, dass die Zeit, in der das weibliche Geschlecht sich
am allerwenigsten im genitalen Gleichgewicht befindet, der Er¬
krankung am öftesten unterliegt.
Die Diagnose ist im allgemeinen leicht zu stellen, wenn
die Aufmerksamkeit des Beobachters nicht durch die Symptome
des begleitenden Leidens abgelenkt wird. Differential diagnostisch
kämen in Frage:
1. Die akute diffuse Hyperplasie, welche oft in der
Pubertät auftritt, die Menstruation und Gravidität häufig begleitet,
bei der Anämie und Chlorose nicht selten ist. Aber diese ist
weder von Fieber und Schmerzen begleitet, noch pflegt sie in
Kürze zu verschwinden.
2. Lymphdrüsenentzündungen und Phlegmonen der
Umgebung. Eine genaue Untersuchung wird um so eher vor
einer Verwechslung schützen, als die äussere Haut bei der Thyreo¬
iditis fast immer unbeteiligt ist.
3. Blutungen. Diese sind besonders bei der Struma nodosa
nicht selten; es gibt kleine Kropfknoten, dem Träger vorher gar
nicht bekannt, da sie keine Erscheinungen machen. Durch eine
plötzlich in dieselben eintretende Blutung wird eine starke Aus¬
dehnung des Isthmus oder eines Lappens hervorgerufen. Tritt
eine solche Blutung, was nicht so ganz selten vorkommt, im
Verlauf einer Angina oder einer Infektionskrankheit mit heftiger
Atemnot auf, so ist zunächst eine genaue Diagnose kaum zu
stellen; aber es ist im Auge zu behalten, dass alle Beschwerden
bei einer Blutung plötzlich erscheinen, rasch ihren Höhepunkt
erreichen, kaum ausstrahlende Schmerzen auslösen, erst bei der
Resorption leicht fieberhaft werden und in Bälde vorübergehen.
Aehnlich verhält es sich bei Blutungen in die gesunde
Schilddrüse; dass trotzdem in der Auffassung des jeweiligen
Falles, ob Blutung, ob Entzündung, sich verschiedene Meinungen
geltend machen, zeigt die Literatur. Todesfälle sind nur bei
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836
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Kropfblutung beobachtet worden. Bruening (19) zählt vier
Fälle auf.
4. Bösartige, rasch wachsende Geschwülste. Wenn
sich solche vornehmlich auf strumösem Boden entwickeln, so
kommen in der gesunden Schilddrüse besonders Sarkome vor.
Immer wird eine genaue Anamnese und Untersuchung zum Ziel
führen; die bösartige Geschwulst ist weit derber, die Abgrenzung
gegen die Nachbarschaft nicht so ausgesprochen; Verwachsungen
mit der Umgebung, Lymphdrüsenschwellung geben einen Finger¬
zeig für die Diagnose.
5. Strumitis. Für die Differentialdiagnose ist die Herkunft
und die Anamnese des Kranken von grosser Bedeutung. Stammt
dieser aus einer Kropfgegend, so ist eine Strumitis um so wahr¬
scheinlicher, als in dieser Cysten und kleine Knoten der Schild¬
drüse so häufig sind, dass, wie de Quervain berichtet, sich
Kocher nicht erinnert, eine reine Thyreoiditis gesehen zu haben.
Immerhin ist es nötig, auch objektiv zu einem Resultat kommen
zu können. Niemals wird bei der Thyreoiditis die Schilddrüse
solche Dimensionen annehmen, wie wir sie häufig beim Kropf
finden; niemals wird sich beim Kropf das plastische Bild des
Hufeisens so ausgesprochen zeigen wie bei der allgemeinen
Thyreoiditis; Verwachsungen mit der Nachbarschaft sind beim
Kropf die Regel, während sie bei der Thyreoiditis fehlen. Ist
der Kropf und nicht nur ein Knoten in ihm entzündet, so ist
seine Gesamtheit betroffen, während bei der Thyreoiditis häufig
nur ein Lappen ergriffen ist und öfters erst nach seiner Rück¬
bildung ein anderer Teil erkrankt. Diese Unterscheidung ist
wichtig, weil die Strumitis weit eher zur Vereiterung führt als
die Thyreoiditis. Unter den 96 Fällen Robertson’s war, wie
schon erwähnt, 33mal Strumitis; von diesen 33 vereiterten 27,
während von den 63 Fällen von Thyreoiditis nur 13 in Eiterung
übergingen.
Die Prognose der akuten nichteitrigen Thyreoiditis
ist günstig. Es werden allerdings in der Literatur zwei
direkte Todesfälle — Lebert und Weitenweber — an¬
geführt, denen ich noch einen dritten, den Sterckmans’ (6), an-
schliessep kann. Der Fall von Lebert kommt nicht in Betracht,
da die Sektion eine nichteitrige Strumitis erwies. Bei den beiden
anderen fehlt die Sektion. Der Fall von Weitenweber betraf
einen 17jährigen an „Blähhals“, also Struma, leidenden Menschen,
der im Anschluss an gastrisches Fieber unter erneuter Temperatur¬
steigerung an schmerzhafter Schwellung der vorher nur un¬
bedeutend vergrösserten Schilddrüse mit Atem- und Schling¬
beschwerden und Heiserkeit erkrankte. Es wurde eine durch
Zurücktreten des „Krätzeexanthems“ bedingte akute Schilddrüsen¬
entzündung diagnostiziert, der der Kranke durch Erstickung erlag.
Wahrscheinlich handelte es sich um Strumitis bei Typbus, die
wie gewöhnlich bei diesem eitrig war; der Fall rührt aus dem
Jahre 1845 her. Der neueste stammt aus dem Jahre 1912 und
erstickte ebenfalls; nach einer Angina entstand bei einem
28jährigen Manne eine Anschwellung besonders des linken
Lappens der Schilddrüse mit Parese der Stimmbänder, erschwerter
Deglutition, Atembeschwerden und linksseitigem Exophthalmus.
Dieser Zustand hielt etwa 6 Wochen an und führte unter schweren
Respirationsstörungen nach einem heftigen Erstickungsanfall zum
Tode. Da keine Sektion vorliegt, ist schwer zu sagen, ob Eiterung
bestand, ob der Kranke durch Kompression der Luftröhre oder
durch Lähmung der Stimmbänder zugrunde ging. Jedenfalls ist
bisher kein einwandfreier Fall von akuter nichteitriger
Thyreoiditis ohne weitere Komplikation tödlich verlaufen.
Das muss gegenüber den zwei Todesfällen, die in der Literatur
von einem Autjor zum anderen übergehen, einmal festgestellt
werden.
Wenn also die Prognose in dieser Hinsicht eine günstige
ist, so muss doch eine gewisse Vorsicht bei ihrer Stellung
geübt werden, weil es zweifellos Fälle gibt, in denen sich an
die Thyreoiditis die Basedowsche Krankheit an¬
geschlossen hat. Diesen Uebergang erklärt de Quervain
durch die Annahme einer durch die Entzündung der Schilddrüse
bedingten anhaltenden Neigung des Epithels zu Wucherung und
zur Bildung eines abnormen Kolloids. Hierdurch wird die Funktion
der Schilddrüse verändert. Bei der Wichtigkeit dieser Kompli¬
kation seien die einzelnen Fälle genannt. Ganz sicherest der
Fall von Gilbert und Castagne. Ein löjähriges Mädöben
macht nach Typhus eine leichte ThyreoiditÄ durch und erkrankt
4 Wochen später an den ersten Symptomen eines später gatiz
offenbaren Morbus Basedowii. Der -zweite rührt von c Reinhold
her, bei dem sich im Anschluss an Influenza eine akute Thyreo¬
iditis — vom Verfasser Strumitis genannt, entwickelte. Drei
Monate später Morbus Basedowii. Der dritte, von Bauer, lautet:
Bei einem vorher gesunden 43jährigen Manne, nicht nervös, aus
gesunder Familie, entwickelt sich im Anschluss an eine an¬
scheinend einfache akute Thyreoiditis ein typischer schwerer
Morbus Basedowii. Die Krankheit führte nach einem halben
Jahre, zuletzt unter dem Bilde einer akuten Psychose, zum Tode.
Bei der Sektion fand sich ein mit eingedicktem Staphylokokken¬
eiter gefüllter Abscess in der Schilddrüse. Im vierten Falle
(de Quervain) litt die Patientin wiederholt und schwer an
akutem Gelenkrheumatismus mit Endocarditis. Seit mehreren
Jahren ist die rechte Halsseite etwas druckempfindlich; der rechte
Lappen ist leicht diffus vergrössert, von etwas festerer Konsistenz
als der linke. Leichte, nicht zu bezweifelnde Basedowerscheinungen
stellten sich in der Folge ein. Als fünften reihe ich den Fall
von Apelt (20) an. Etwa 3 Wochen nach einem im rechten
Sinus pyriformis aufgetretenen Abscess entwickelte sich eine akute
Thyreoiditis. Kurze Zeit nach Abklingen des akuten Prozesses
sind die ersten Basedowsymptome aufgetreten, welche sich nach
und nach vermehrten. Unter dem Einfluss einer rein expektativen
Behandlung schwinden zunächst die Augensymptome, nach einem
halben Jahre die Tachycardie, der Tremor. Gleichzeitig schwoll
die Schilddrüse ab.
Von diesen Fällen sind unzweifelhaft der erste, zweite
und fünfte die Folge eiuer akuten nicht eitrigen
Thyreoiditis, der dritte die Folge einer eitrigen; den
vierten würde ich auf eine Struma beziehen.
Diese Fälle verhalten sich denjenigen sehr ähnlich, welche
nach Jodgebrauch bei Struma ausgesprochene Symptome
des Morbus Basedowii darbieten. Trousseau, der diese
Verhältnisse schon kannte, glaubte, dass es sich um Individuen
handelte, die schon vorher mit Morbus Basedowii behaftet waren,
bei denen aber erst das Jod die Symptome auslöste. Spätere
Autoren, wie Horsley, Moebius u. a., führen sie aber auf die¬
selbe Grundlage zurück wie den „echten“ Morbus Basedowii.
Th. Kocher (21) hält den Jodbasedow für einen echten, bei
dem sogar im weiteren Verlauf Exophthalmus auftreten kann..
Ich mache diesen Nebenexkurs, weil, wie schon vorher er¬
wähnt, auch die anscheinend gesunde und die zur Norm zurück¬
gekehrte Schilddrüse auf Jod mit Entzündung bzw. Erneuerung
derselben reagieren kann. Das ist für die Therapie von grosser
Wichtigkeit. Es gilt noch vielfach das alte Dogma von der
Wirksamkeit des Jods bei Schilddrüsenerkrankungen. Wie ge¬
fährlich diese Medikation unter Umständen werden kann, haben
die obigen Erörterungen gezeigt. Im allgemeinen ist die
Behandlung eine symptomatische. Man wird bei grosser
Schmerzhaftigkeit lokal die Kälte anwenden, bei Schling- und
Atembeschwerden Morphium oder Pantopon subcutan. Für die
Anwendung anderer Heilmittel wird die Hauptkrankheit maass¬
gebend sein. Immerhin hat die Erfahrung ergeben, dass die
Salicylsäure und ihre Derivate nicht nur bei den rheumatischen
Formen von Nutzen sind. Natr. salicyl. Diplosal, Aspirin u. a.
innerlich, lokal Spirosal in Oel gelöst (10 pCt.) werden sich wirk¬
sam erweisen. Bei der Malariathyreoiditis ist Chinin das gegebene
Heilmittel, Arsen und Eisen bei der durch Anämie und Chlorose
bedingten. Selbstverständlich wird man bei Jodthyreoiditis das
schädigende Medikament weglassen.
Ein operatives Vorgehen ist bei der akuten nicht eitrigen
Thyreoiditis nicht notwendig. Wenn aber Erstickungsgefahr ein-
treten sollte, so ist selbstverständlich der schuldige Drüsenteil
zu entfernen, de Quervain und Haegier haben in je einem
Fall auf diese Weise das bedrohte Leben gerettet. Es dürfte
nicht Vorkommen, dass der Erkrankte erstickt, wie es noch im
Jahre des Heils 1912 in dem Fall Sterckmans’ (6) gewesen ist.
Wie bei eingetretener Eiterung die Behandlung zu gestalten ist,
das liegt ausser dem Bereich dieser von der Redaktion angeregten
Arbeit. 1 •
Literatur.
1. F. de Quervain, Die akute nicht eitrige Thyreoiditis. Mitteil,
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1904, 2. Supplementband. Die ge¬
sammelte Literatur bis 1904 ist hierselbst angeführt. — 2.' Dünger,
Ueber akute nicht eitrige Thyreoiditis. Münchener <med. Wochenschr.,
1908, Nr. 36j — 3. Robertson, Die akute Entzündung der Glandula
thyreoidea. Monthly Cyclopedia, Mai 1911, Lancet, 8. April 1911. —
4. Goldberger, Zwei Fälle von primärer Tlqrreoiditis acuta. Wiener
med. Woehenschr.,J910, Nr. 32. —? 5. Steint, Akute Entzündung der
Schilddrüse. The Laryngoscope, August 1912. — 6. Sterckmans*
Bericht über einen tödlichen Fall kongestiver Thyreoiditis. Annal. des
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UNIVERSUM OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
837
malad, de l’oreille, du larynx etc., 1912, livr. 8. — 7. Ausset, Rheu-
matische Thyreoiditis. Sociötö de Pädiatrie, 18. April 1907. —
8. Lublinski, Ueber die Komplikation der Angina mit akuter Thyreo¬
iditis. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 14, und Wiener med. Wochenschr.,
1910, Nr. 42. — 9. Lecene und Metzger, Die akute Thyreoiditis im
Verlauf der puerperalen Infektion. Annal. de gynöcologie etc., Februar
1910. — 10. Seilei, Archiv f. Dermatol, u. Syph., Bd. 64, H. 1. —
11. Gundorow, Beitrag zur Frage der Thyreoiditis jod. acuta. Arch.
f. Dermatol, u. Syph., Bd. 77 u. 89. — 12. Lublinski, Jodismus acutus
und Thyreoiditis acuta. Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 8. —
13. Hufnagel, Basedow im Anschluss an tuberkulöse Erkrankungen.
Münchener med. Wochenschr., 1908, Nr. 46; Schilddrüsenerkrankungen
auf tuberkulöser Grundlage usw., ebenda, 1912, Nr. 25. — 14. v. Branden-
stein, Basedowsymptome bei Lungentuberkulose. Diese Wochenschr.,
1912, Nr. 39. — 15. Bialokur, Basedowsymptome als Zeichen tuber¬
kulöser Iofektion. Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 16, H. 6. — 16. Poncet
und Leriche, Entzündliche Tuberkulose und Schilddrüse. Gaz. des
höp., 1909, Nr. 148. — 17. Saathoff, Thyreose und Tuberkulose.
Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 5. — 18. Burk, Ueber einen
Fall von akuter recidivierender Thyreoiditis. Münchener med. Wochen¬
schrift, 1908, Nr. 41. — 19. Bruening, Ueber Kropfblutung. Archiv
f. klin. Chir., Bd. 91. — 20. Apelt, Ein Fall von Basedow’scher Krank¬
heit im Anschluss an nicht eitrige Thyreoiditis acuta. Münchener klin.
Wochenschr., 1912, Nr. 41. — 21. Th. Kocher, Ueber Jodbasedow.
Archiv f. klin. Chir., Bd. 92.
Bücherbesprechungen.
Terminologie der Entwieklnngsmeehanik der Tiere vnd Pflanzen.
In Verbindung mit C. Correns, Prof, der Botanik in Münster;
Alfred Fisohel, Prof, der Anatomie in Prag; E. Küster, Prof.
der Botanik in Bonn. Herausgegeben von Prof. Wilhelm Ronx.
Leipzig 1912. Preis 10 M.
Verschiedene der Medizin verwandte Zweige der Wissenschaft haben
sioh allmählich so entwickelt, dass sie sich einer eigenen Sprache be¬
dienen, die in der allgemeinen Nomenklatur der Medizin sonst nicht ent¬
halten ist ln diesen Wissenschaften hat es sich als praktisch erwiesen,
besondere Kunstausdrücke zu bilden für komplizierte Begriffe, und Worte,
die auch sonst verständlich wären, in einem ganz bestimmten Sinne zu
gebrauchen. Die Entwicklungsmechanik gehört zu diesen Zweigen der
Wissenschaft. Ja, nicht bloss das, sie ist allmählich einer der hervor¬
ragendsten Teile der allgemeinen Biologie geworden, der die einzelnen
Zweige derselben durchdringt. Für alle diejenigen, die sich nun mit
der Entwicklungsmechanik selbst nicht ausführlich beschäftigt haben,
wird es immer schwieriger dieser speziellen Terminologie zu folgen und
sie sich einzuprägen. Das vorliegende Werk erweist sich deswegen als
ein Bedürfnis für alle diejenigen, die entwioklungsmechanische Unter¬
suchungen selbst, sowie auch Untersuchungen über Entwicklungs¬
geschichte, Vererbung usw. lesen und studieren wollen. Wie
umfangreich diese Terminologie geworden ist, geht daraus hervor,
dass das vorliegende Lexikon auf 465 Seiten alle diejenigen Stich¬
worte gesammelt aufweist, die nicht ohne weiteres verständlich
sind und die in der Entwicklungsmechanik eine bestimmte Deutung
bekommen haben. Die einzelnen Worte sind kurz erklärt, und es finden
sioh Hinweise auf diejenigen Autoren, die die Worte zuerst erfunden und
angewandt haben.
Das Werk zeichnet sich nicht nur durch eine ausserordentliche Voll¬
ständigkeit aus, sondern ist auch ein Muster, wie ein solches Lexikon
der Terminologie verfasst werden muss. Trotz der Kürze der Erklärungen
wird man kein Stichwort vergebens aufschlagen, ohne vollkommen Auf¬
klärung darüber zu erlangen. Das Werk dient als Ergänzung zu den
Wörterbüchern der Biologie, der Zoologie und Medizin sowie zu denLehr-
und Handbüchern der Entwicklungsmechanik der allgemeinen Biologie
und Physiologie. Daraus ergibt sich der weite Leserkreis, für den das
Buoh bestimmt ist. v. Hansemann.
Hermann Schall: Der menschliche Körper and seine Krankheiten.
Eine populäre Darstellung für die gebildeten Laien und Ein¬
führung für Mediziner und Krankenpfleger. Stuttgart 1912.
J. B. Metzler’sche Buchhandlung.
Der Zweck des vorliegenden Buches ist die Darstellung der Physio¬
logie und Pathologie des Menschen für gebildete Laien, für Studierende
der Medizin und für ärztliches Pflegepersonal. Der Verf. sagt selbst in
seinem Vorwort: „An Büchern populär-medizinischen Inhalts ist kein
Mangel/ Indes soll uns diese Tatsache nicht verhindern, Freude zu
empfinden bei jedem Versuch, in weiteren Kreisen das Verständnis für
dieses interessante Gebiet der Biologie zu fördern.
Der Verf. gibt zunächst einen kurzgefassten Abriss der Anatomie,
deren Kenntnis für das Nachfolgende unerlässlich ist. Sodann behandelt
Schall in knapper, leichtverständlicher Weise im allgemeinen Teil die
normalen Lebensvorgänge, ihre Beeinflussung durch erbliche Veranlagung,
durch Krankheitserreger usw. und den krankhaften Ablauf dieser Vor¬
gänge, wie er auch durch diß vorgenannten Schädigungen veranlasst
wird. Der spezielle TeiP beschäftigt sich mit den Störungen des Kreis¬
laufs, der Atmung, der Ernährung und den Krankheiten des Nerven¬
systems.
Dem Buch ist eine grosse Anzahl von Abbildungen beigegeben, die
zum Teil recht schematisiert, aber gerade deswegen für den Gebrauch
des Laien gut geeignet sind. Eine Erklärung der wichtigsten Fremd¬
wörter bildet den Schluss des Buches, das recht geeignet erscheint, bei
dem ihm zugedachten Leserkreis aufklärend und belehrend zu wirken.
J. B. Berkart: On broichial asthma, its pathology and treatment.
Third edition. Henry Frowde. Oxford university press. 146 S.
Dass das bekannte Büchlein seinen Umfang gegen die früheren
Ausgaben nicht vermehrt, sondern verkürzt hat, zeigt, dass der Autor
seine Ansichten für so bewiesen hält, dass sie der Stütze durch aus¬
führlicheres kasuistisches Material entbehren können.
Von den theoretischen Ansichten des Autors über „die paroxysmale
Dyspnoe, welche gewöhnlich Asthma genannt wird“, interessiert uns
hauptsächlich, dass erden Bronchiolenkrampf im Asthmaanfall voll¬
kommen in Abrede stellt. Wir sind so daran gewöhnt, diesen Krampf
als wichtigen — wenn nicht wichtigsten — Bestandteil des Asthma¬
anfalls anzusehen, dass wir leicht vergessen, dass es sich um eine
Hypothese handelt, die allerdings viel Wahrscheinlichkeit hat. Jeden¬
falls darf die Ansicht eines so ausgezeichneten und erfahrenen Praktikers
wie Berkart nicht unbeachtet bleiben, und es wäre sehr zu wünschen,
dass stringente Beweise für oder gegen das Vorkommen des Broncho¬
spasmus erbracht würden.
Nach B. zeigen alle Asthmatiker körperliche Abnormitäten. Sehr
häufig ist überstandene Rachitis als Ursache des Asthmas anzusehen,
wobei Verf. daran erinnert, dass auch in den Fällen, bei welchen die
Knochen später wieder ziemlich normale Form angenommen haben,
durch die überstandene Krankheit das Knochenmark abnorm funktionieren
und krankhafte Erscheinungen hervorrufen kann. In 16pCt. der Fälle
des Verf. lag Heredität vor; in 60pCt. der Falle reichte der Beginn des
Asthmas in das erste Lebensjahrzehnt zurück. B. beweist an der Hand
seiner Zahlen, dass zwar nur ganz ausnahmsweise Asthmatiker in oder
am Anfall sterben, dass aber das Asthma, namentlich wenn es bis in
die Kindheit zurückreicbt, das Leben wesentlich abkürzt.
Etwa zwei Fünftel des Buches sind der Therapie gewidmet. Dass
soviel Asthmatiker Opfer der Kurpfuscher werden, erklärt B. damit,
dass diese skrupellos bedenkliche und direkt gefährliche Mittel an wenden,
um den Anfall zu coupieren. Dafür ist der Kranke dankbar; dass
Strammonium, Atropin, Hyoscin, Morphin usw. auf den Verlauf seiner
in älteren Fällen immer bestehenden Lungen-, Herz- und Nervenkrank¬
heit ungünstig einwirken, weiss er nicht (der Kurpfuscher vielleicht auch
nicht). Aber tatsächlich richtet der Kurpfuscher auch hier schweren
Schaden an dadurch, dass durch seine Scheintherapie kostbare Zeit für
eine wirklich erfolgreiche Behandlung verloren geht.
Verf. behandelt schwere Fälle zunächst immer mit Bettruhe, eventuell
Freiluftliegekur. Er verwendet auf die Behandlung von Hals- und
Nasenleiden grosse Sorgfalt, da diese oft Gelegenheitsursachen für die
Entstehung von Asthmaanfällen geben. Nasenoperationen sollen nur
bei wirkliche^ Indikationen (Atmungshindernis) vorgenommen
werden. Im übrigen wird das gesamte Armamentarium der modernen
Therapie einschliesslich Diphtherieheilserum (zur Lösung der in den
Bronchien gelagerten Fibringerinnsel) angewandt
Dem Büchlein liegt eine aussergewohnlich ausgedehnte Erfahrung
zugrunde, und es enthält auch für den, der nicht in allen Punkten mit
dem Autor übereinstimmt, sehr viel Interessantes. Eine deutsche Üeber-
setzung würde voraussichtlich guten Absatz finden.
H. E. K n op f - Frankfurt a. M.
Di Gupero-Graz: Hj sterische Lähmungen, Studien über ihre Patho¬
physiologie and Klinik. Mit 38 Figuren im Text und auf einer
Tafel. (Aus „Monographien auf dem Gesamtgebiete der Neuro¬
logie und Psychiatrie“, herausgegeben von Alzheimer und
Lewandowsky. Heft 3.) Berlin 1912, Verlag von Julius
Springer. 174 S. Preis 8,50 M.
Der Verf. dieser für Fachleute sehr interessanten Studie geht von
der Tatsache aus, dass manche Kapitel der Hysterie, speziell der
hysterischen Lähmungen einer eingehenden Revision bedürfen. Namentlich
hirnphysiologische Untersuchungen hierzu fehlen fast ganz und hier
setzen Di Gaspero’s Studien ein, welche sich neben der Darstellung
der klinischen Eigentümlichkeiten der hysterischen Lähmungen die Er¬
forschung der Pathophysiologie derselben zum Ziele setzen. Dies ge¬
schieht durch Untersuchung der Blutverschiebungsverbältnisse, d. h.
durch die plethysmographische Methode an hysterisch gelähmten Gliedern
und zum Vergleich damit an organisch gelähmten, sowie an gesunden
Extremitäten. Die gestellte Aufgabe ergibt von selbst die Scheidung-
des Stoffes in zwei Teile, einen klinisch-symptomatologischen mit den
Ergebnissen bezüglich der nosologischen Stellung, der Pathologie und
Pathogenese solcher Lähmungen, und einen experimentellen Teil mit
umfangreichem Kurvenmaterial, methodologischen Auseinandersetzungen
und tabellarischen Auswertungen. Verf. kommt u. a. zu dem Schlüsse,
dass es funktiouelle motorische Lähmungen an den Extremitäten gibt,
welche nichts mit autosuggestiven Lähmungsvorstellungen, mit einer
psychogenen Entstehung zu tun haben, also ausserhalb des heute noch
überwiegend geltenden Hysteriebegriffes stehen und doch klinische
Merkmale der Hysterie aufweisen; üie sollen als hysteriforme
Lähmungen bezeichnet werdefi und unterscheiden sich schon nach
ihrer Aetiologie von den echt hystensohen, psychogenen Lähmungen,
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UNIVERSUM OF IOWA
838
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
indem sie gewöhnlich auf ein mechanisches Trauma zurückzuführen
sind. Klinisch charakterisieren sie sich u. a. durch ein Ausbleiben der
körperlichen Aeusserungen psychischer Zustände auf vasomotorischem
Gebiet (sphygmograpbisch festzustelleo), also eine gleichzeitige vaso-
vegetative Lähmung. Diese höchst merkwürdigen Lähmung9- oder
HemmuDgsvorgänge auf dem Gebiete der Yasomotilität, welche bei
organisch bedingten Extremitätenlähmungen nicht konstatiert werden,
sind als integrierende Haupterscheinung seitens der Pathophysiologie und
Symptomatologie der hysteriformen Lähmungsvorgänge zu betrachten.
Robert Sommer - Giessen: Klinik für psychische nnd nervöse
Krankheiten. 7. Bd., H. 4. Halle a. S. 1912, Carl Marhold,
Verlagsbuchhandlung. Preis 3,00 M.
Das 4. Heft des 7. Bandes der Sommerischen „Klinik“ enthält u. a.
den Schluss des Berichts über den 2. Kurs mit Kongress für Familien¬
forschung, Yererbungs- und Regenerationslehre in Giessen (April 1912),
einen psychologisch und psychiatrisch interessanten Aufsatz von
K. v. Leupoldt über „Das Diktat als psychopathologische Unter¬
suchungsmethode“ und eine Mitteilung von W. H. Becker: „Ist die
Dementia praecox heilbar?“, welche gleich wie die hierzu gemachte Mit¬
teilung von Sommer die Schwierigkeiten der Diagnose und besonders
der Prognosenstellung der Dementia praecox illustriert.
L. LSwenfeld-Müochen: Bewusstsein and psychisches Geschehe!.
Die Phänomene des Unterbewusstseins nnd ihre Rolle in
unserem Geistesleben. (Heft 89 der „Grenzfragen des Nerven-
und Seelenlebens“, herausgegeben von L. Löwenfeld.) Wies¬
baden 1913, Verlag von J. F. Bergmann. (94 Seiten. Preis
2,80 M.)
Im ersten Kapitel dieser kritischen Studie untersucht L. Löwen-
feld nach einer kurzen historischen Revue der Ansichten anderer
Autoren die Frage, wie sich Bewusstsein und Psyche zueinander
verhalten und welche Rolle das Unterbewusstsein in unserem Geistes¬
leben spielt. Die Lehre vom Unterbewusstsein wird breit erörtert und
fundamentiert, seine Grösse, Leistungen, Beziehungen zum Oberbewusst¬
sein, zu Intelligenz, Gefühl usw. werden so ausführlich wie möglich dis¬
kutiert, und die Vertreter der Identität von Psychisch und Bewusst
werden bekämpft, nicht ohne die vom Verf. gezeigte Möglichkeit einer
Verständigung zwischen den Nur-Bewu3sten und den Auch-Unterbewussten.
Nachdem so die Bedeutung des Unterbewusstseins, die diesbezüglichen
Theorien und Gegenansichten einer eingehenden Beleuchtung unter¬
zogen sind und als Ergebnis festgestellt ist, dass es zwar kein Doppel-
Ich, aber sicher ein gleichzeitiges Nebeneinander von Ober- und Unter¬
bewusstsein gibt, folgt ein kürzeres zweites Kapitel über Gedächtnis,
Unterbewusstsein und Hypnose. Hier bespricht L. das, was wir
vom Wesen des Gedächtnisses wissen bzw. nicht wissen, die Haupt¬
theorien, die Einteilbarkeit des Gedächtnismaterials in vier Gruppen, je
nach der Reproduktionsfähigkeit, die dabei vom Unterbewusstsein ge¬
spielte Rolle, die bezüglichen Erscheinungen bei posthypnotischen
Suggestionen, psychopathischen Zuständen (Hysterie, Epilepsie, Rausch),
im Traum und in der Hypnose. In den Schlussbemerkungen fasst L.
das Wesentliche seiner Untersuchungen nochmal zusammen: es ist
herzlich wenig, was dabei herauskommt. Denn, stellst Du die psycho¬
logische Perspektive so ein wie Möbius, so besteht „Hoffnungslosigkeit“,
stelltst Du sie weniger vermessen auf ein niedrigeres Niveau — und es
bleibt uns nichts anderes übrig —, so kannst Du höchstens manche Pro¬
bleme lösen. Im konkreten Fall L.’s lautet die Lösung: Psychisch
und Bewusst sind inkongruent. Der Möbius’schen Perspektive würde
dies als „Kleinkram“ erscheinen. Indessen, man muss sich begnügen.
Mehr wird die Psychologie der Zukunft (so etwa schliesst L. seine
interessanten Ausblicke) erreichen, wenn sich die beiden Haupt¬
richtungen, die „allgemeine Psychologie“ und die „Tiefenpsychologie“
(Freud, Bleuler, Jung usw.), nicht mehr bloss gegenseitig dis¬
kreditieren, sondern abschleifen und ergänzen. W. Sei ff er.
A. Dührssen: Gynäkologie. Berlin 1913, Verlag von S. Karger.
10. Auflage.
Nachdem die 1909 erschienene 9. Auflage eine Reihe wichtiger Er¬
gänzungen und Verbesserungen des mit Recht beliebten kleinen Buches
gebracht hatte (s. Ref. 1909, S. 545), konnte sich Verf. in der nach so
kurzer Zeit erschienenen Neuauflage auf wenige Hinzufügungen be¬
schränken. So wird das Mammin-Poebl zur Behandlung von Myom und
klimakterischen Blutungen erwähnt, bei letzteren die Bedeutung der
Röntgenstrahlen gewürdigt.
0. Küstner: Karzes Lehrbuch der Gynäkologie. Bearbeitet von
Bumm, Döderlein, Krönig, Menge, Küstner. Jena 1913,
Verlag von G. Fischer. 5. Auflage.
Bei einem so bekannten Buch wie dem vorliegenden, dessen frühere
Auflagen in dieser Wochenschrift gebührende Würdigung erfahren haben,
erübrigt es sich, auf den Wert desselben näher einzugehen, der ja im
übrigen durch die rasche Folge der Auflagen genügend charakterisiert
ist. In der vorliegenden 5. Auflage, bei deren Bearbeitung v. Rosthorn
nicht mehr mitwirken konnte, sind die Kapitel Anatomie von Krönig
und Tuberkulose von Menge neu bearbeitet worden. Die Abbildungen,
namentlich die farbigen, sind vermehrt worden. Das Buch wird sicher
wie bisher seinen grossen Leserkreis sich erhalten. L. Zuntz.
Theodor Meyer Steiueg: Darstellungen normaler ud krankhaft
veränderter Körperteile an antiken Weihgaben. (Jenaer medizin-
historische Beiträge.) 1912, Verlag von Gustav Fischer. Preis
3 Mark.
Seitdem Stieda sich mit den antiken Exvotos mit Körperform be¬
schäftigt hat, hat das Studium dieser Dinge nicht geruht. Bietet doch
diese Untersuchung sowohl von ihrem allgemeinen Standpunkt, als
auch durch ihre äussere mehr anatomische Betrachtung eine dankbare
Aufgabe. — Der grösste Reiz aber liegt darin, die Gegenstände selbst
zu sammeln und für die Medizinhistorie zu retten. Und diese Aufgabe
hat auch Meyer Steineg mit Freude erfüllt. Die Stücke, die er ge¬
sammelt und abgebildet, stammen meist von der Insel Cos. Die Beiträge
anatomisch interessanter Weihgaben aus Griechenland sind nun aber
deshalb von besonderem Werte, weil die Anzahl derselben im Verhältnis
zur etrusko-latini9chen Provenienz ziemlich spärlich sind. — Ausser den
in dem vorliegenden Hefte schon angeführten Sammlungen und Zusammen¬
stellungen hat die letzte Publikation des Direktors Svoronos im
„Das Athener Nationalmuseum“ zu den bereits bekannten Stücken noch
die Abbildung einer ganzen Reihe von Einzel weibgaben, meist aus dem
Athenischen Asklepieion stammend, gebracht. Alle diese Stücke und
die anderen mir bekannt gewordenen sind im Gegensatz zu den italischen
aus Marmor gefertigt Meyer Steineg’s Funde sind aber aus rötlichem
Ton, und bei mehreren Gegenständen weist er selbst darauf hin, dass
möglicherweise diese Exvotos von auswärts nach der Heilstätte Cos ge¬
bracht wurden. — Den grössten Wert beansprucht ein Kopf eines
Knaben mit vorgetriebenem und tumorartigem Bulbus. Dieses reizend
gearbeitete Köpfchen und ein zweites mit möglicher Darstellung einer
Facialislähmuog sind offenbar nicht Bruchstücke einer Figur, sondern
als Einzelstück gearbeitet. Dafür spricht der dicke Halsteil mit glattem
Abstrich. — Von solchen Köpfen habe ich bei allen orientalischen Anti¬
quaren massenhafte Fälschungen gefunden; gelegentlich waren auch echte
Köpfe dabei, welche aber nach meiner Ansicht keineswegs mit Weih¬
gaben irgendetwas zu tun hatten. Die Unterscheidung von Echt und
Unecht ist aber ebenso schwierig, wie bei dem Wandertrieb und Gewandt¬
heit griechischer Verkäufer solcher Gegenstände es schwer ist, die
Provenienz eines Stückes einwandsfrei festzustellen. Diese Leute reisen
mit ihren Objekten herum, und so werden die merkwürdigsten Dinge
verschleppt. Ich erwähne aber ausdrücklich, dass Prof. Zahn, einer
der hervorragendsten Kenner antiker Kleinkunst, den Kopf für einwands¬
frei und ausgezeichnet erklärt hat.
Der Autor schliesst 9ich bei der Deutung und Bewertung solcher
Krankheitsexvotos der von mir ausgesprochenen naheliegenden Auffassung
an, dass Beauftragte und Stellvertreter nicht reisefähiger Kranken das
Abbild ihres Leidens dem Gotte mitbrachten; während nun im allge¬
meinen auch die körperlichen Weibgaben in der Umgebung des Asklepieion
massenhaft käuflich waren, musste ein solches Krank hei tsexvoto besonders
angefertigt werden und hat für uns deshalb besonderen Wert.
Der zweite Gegenstand, dem ein ganz besonderes Interesse zukommt,
ist eine Platte mit einem rundlichen Körper und Nebenkörper, welcher
für Griechenland vielleicht eine Rarität darstellt, während er in Italien
massenhaft vorkommt. Die Tatsache, dass auch dieses Exvoto aus Ton
ist, spricht demnach vielleicht für eine nicht hellenistische Provenienz.
Während nun jetzt wohl ziemlich allgemein die Ansicht verbreitet ist,
dass der grössere Körper auf den lateinisch-etruskischen Votiven die
Gebärmutter ist, herrscht über den Nebenkörper eine verschiedene Auf¬
fassung. Man hält ihn für die Wasserblase oder, wie ich, für den Eier¬
stock. loh habe darauf hingewiesen, dass unter den hunderten Exem¬
plaren, die ich bisher untersuchte, kein einziger Nebenkörper eine
Oeffnung zeige. Dieses ist aber auf dem Relief von Meyer Steineg
nicht nur nicht der Fall, sondern im Gegensatz auch zu den anderen
Töpferarbeiten hat hier die ganze äussere Form der Mündung einen
Vulvacharakter, so dass für dieses einzelne Stück die wahrscheinliche
Bezeichnung Uterus- und Harnblase ausser Zweifel steht.
Heft 3. Krankenanstalten im griechisch-römischen Alter¬
tum.
Das dritte Heft der Jenaer Beiträge gibt einen gedrängten, aber
auch für solche, welche diesen Dingen ferner stehen, interessante und
verständliche Darstellung der historischen Entwicklung der Kranken¬
pflege in der antiken Welt. Die Rekonstruktion der Koerheilstätte in
ihrem Zustande des III. Jahrhunderts vor Christi gibt ein anschauliches
Bild der Situation. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass im Gegen¬
satz zu anderen Asklepieien in Cos eine intimere Verbindung der Heil¬
stätte mit der dortigen Aerzteschule bestand. Auch die römischen
Militärlazarette und die Sklaven-Valetudinarien werden einer Besprechung
unterzogen. Die Hefte werden der Beachtung dringend empfohlen.
Holländer.
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5. Hai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
889
Literatur-Auszüge.
Pharmakologie.
H. Januschke-Wien: Ein Beitrag zu den physikalisch-chemischen
Bromwirk nagen im Organismus. (Wiener med. Wochensohr., 1918,
Nr. 14.) 1. Je nach der Technik in der Darreichung von Bromnatrium
können wir im Nervensystem Bromidionenwirkung oder Chlorid Verdrängung
erzielen. Jeder dieser beiden Vorgänge übt seine physiologische Wirkung
auf andere Nervencentren aus. 2. Es gibt Fälle von menschlicher Epi¬
lepsie, wo die Heilerfolge durch Bromidionenwirkung zustande kommen
und nicht durch Chloridverdrängung. 3. Die Empfindlichkeit des Nerven¬
systems gegen die narkotische Wirkung der Bromidionen kann durch
massige Entziehung eines lebenswichtigen Zellbausteines (von Lipoiden,
Calcium oder Chloridionen) gesteigert werden. 4. Zu exakten Studien
über Bromidwirkungen im Organismus ist nur das Bromnatrium ver¬
wendbar. Andere Bromsalze oder organische Bromverbindungen sind
ungeeignet; die Salze deshalb, weil ihre Kationen (K, NH 4 , Ca, Mg)
starke Eigenwirkungen entfalten und die Bromid Wirkungen stören; orga¬
nische Bromverbindungen (Adalin, Bromural, Neuronal u. a.) darum,
weil sie physikalisch-chemisch und physiologisch Narkotica der Fettreihe
sind und der Chloralhydrat-Urethangruppe analog wirken.
G. Eisner.
0. Gros-Leipzig: Das Wesen der Oxalsänrewirkiing auf das
Frosekherz. (Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 6,
S. 895—406.) Im Gegensatz zu Janusohke sieht Gros das Wesen
der Oxalsäurevergiftung nicht in einer Kalkentziehung, da er eine fast
vollkommene Erholung des vergifteten Herzens auch durch Auswaschen
des Giftes ohne Kalkzufuhr erzielen konnte. Jacoby.
E. Bertarelli-Parma: Untersuchungen über das keimtötende
Vermögen des Tanrins. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt 1, Orig.,
Bd. 67, H. 1 u. 2, S. 100.) Taurin ist ein Präparat, das eine an die
Kreoline erinnernde Mischung darstellt, jedoch nicht so scharf und unan¬
genehm riecht und stärker wirksam sein soll wie diese; es besteht aus
Phenolen und Kreosot. Wenn auch nicht so stark wirksam wie Sublimat,
ist es in 5 prom. Lösung der 5 proz. Carbolsäure überlegen und wird
deshalb vom Verf. an deren Stelle empfohlen, zumal es sich auch er¬
heblich billiger stellt. Bierotte.
Siehe auoh Innere Medizin: Allard, Cymarin, ein neues Herz¬
mittel. Sohn, Beeinflussung des Stoffwechsels durch Benzol.
Therapie.
E. Freund und A. Kriser-Wien: Ueber die Behandlung der
Ischias, Tabes and chronischer Gelenkerkrankugen mit Mesothor¬
sehlamm. (Therapeut. Monatsb., April 1913.) Verff. kommen zu fol¬
gendem Schluss: Die Behandlung mit Mesothorschlamm ist in erster
Linie indiziert für Fälle von Ischias; hier kann man mit dieser Methode
allein sehr günstige Erfolge erzielen. Die Behandlungsmethode ist auch
sehr geeignet, zur Unterstützung anderer Methoden zu dienen (z. B.
Radiumemanation), dabei tritt die rasche schmerzstillende Wirkung her¬
vor. Bei Gelenkerkrankungen waren die Erfolge wechselnd. Bei Tabes
wurde keinerlei Erfolg erzielt. Einzelne gute Erfolge zeigten sich bei
einer chronischen Tendovaginitis infolge beruflicher Anstrengung bei
einem Klavierspieler, ferner in einem Fall von Pruritus ani bei einer
Patientin mit perniciöser Anämie, so dass in derartigen Fällen ein Ver¬
such mit dem unschädlichen Mesothorschlamm gerechtfertigt erscheint.
Welz-Frankfurt a. M.: Die Behandlung des Erysipels mit Anti"
streptokokkensernm. (Therapeut. Monatsh., April 1913.) Nach Auf¬
zählung der verschiedenen Sera, ihrer Gewinnung und ihrer Erfolge nach
der vorhandenen Literatur, wendet sich Verf. der Beschreibung der von
ihm beobachteten einschlägigen Fälle zu. Das Serum wurde in einer
Menge von 100 ccm intravenös injiziert, nachdem man durch eine Tags
zuvor gemachte subcutane Probeinjektion sich vergewissert hatte, dass
die Anwendung des differenten Mittels gut vertragen würde. Unter
denjenigen Momenten, die einer allgemeinen intravenösen Serum¬
therapie des Erysipels im Wege stehen, befindet sich, abgesehen von
dem hohen Preise (100 ccm kosten 30 M.), die Gefahr des akuten Collapses
nach der Infusion. Man wird in jedem einzelnen Falle zu erwägen
haben, ob die Schwere der vorliegenden Infektion diesen Eingriff recht¬
fertigt oder nicht. Bei leichten Krankheitsformen wird die Serum¬
behandlung unnötig sein, und in den Fällen, bei denen weniger die
Schwere der Allgemeininfektion als die Kreislaufsschwäche das Bild be¬
herrscht, wird man wohl von der intravenösen Zufuhr so grosser Serum¬
dosen zunächst lieber noch ganz Abstand nehmen. Das Serum hilft
nur in einem gewissen, wenn auch nicht unbeträchtlichen Teil der Fälle.
H. Knopf.
H. Rosenhaupt - Frankfurt a. M.: Die medikamentöse Behand-
lmg des nervösen Erbrechens im frühen Kindesalter. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Anästhesin wird in 2—3proz. gum¬
möser Mixtur kaffeelöffelweise empfohlen. Das Mittel wirkt nur bei
nervösem Erbrechen, nicht in Fällen von Pylorospasmus, die zum Hirsch-
sprung’schen Typus gehören. Es lässt sich diese Wirkungsweise direkt
als Differentialdiagnosticum verwerten. Wolfsohn.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
S. B. de Groot-Groningen: Erwiderung auf die kritischen Bemer-
kungeu Ritter’s zu meiner Arbeit über das Entstehen and Ver¬
schwinden von Lymphdrttsen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122,
H. 1 u. 2.) Die Mitteilung bringt im Anfang nur eine Entschuldigung
dafür, dass er die Arbeit Ritter’s in der deutschen Bearbeitung seiner
Arbeit nicht genügend gewürdigt habe. J. Becker.
H. Löffelmann: Ueber Befunde beim Morbns Hodgkin mittels
Antiforminmethode. (Beitr. z. Klin. d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) Der
Morbus Hodgkin oder die Lymphogranulomatosis stellt eine pathologische
Entität dar, die klinisch und anatomisch charakteristisch genannt werden
kann. Speziell das histologische Bild ist so typisch, dass aus demselben
sofort die Diagnose gemacht werden kann. Bei geeigneter Methodik —
Uhlenhuth’s Antiforininmothode — gelang es in sechs von sieben Fällen
unzweifelhaft nach Ziehl färbbare Tuberkelbacillen in dem pathologisch¬
anatomischen Gewebe zu finden. Ferner wurden in allen sieben Fällen
granulierte grampositive Stäbchen gefunden, welche der Much’schen
Form des Tuberkelbacillus glichen. Vermutung eines kausalen Zu¬
sammenhanges zwischen Tuberkulose und Morbus Hodgkin.
J. W. Samson.
J. v. Wiczkowski-Lemberg: Zur Lehre über die Leakümie.
Vorläufige Mitteilung. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.)
Der Verfasser injizierte einem Huhne intravenös 2 ccm Pleura¬
exsudat eines Leukämikers. Nach etwa sechs Wochen erkrankte das
Tier unter Erscheinungen, die denjenigen der menschlichen Leukämie
entsprechen. Im Blut fiel das Ueberwiegen der grossen Lymphocyten
auf. Die Sektion zeigte eine mehrfach vergrösserte Milz, eine Vergrösse-
rung der Leber und rotes Knochenmark. Einer kritischen Besprechung
dieser Tatsachen enthält sich der Verf. vorläufig. P. Hirsch.
N. Anitsohkow - St. Petersburg: Die pathologischen Verände-
rangeB innerer Organe hei experimenteller Cholesterinesterverfettnng.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Durch lange Fütterung mit
cholesterinreicher Nahrung lassen sich bei Kaninchen typische ana¬
tomische Veränderungen bervorrufen: die Leber verwandelt sich im
Sinne einer typischen Cirrhose; die Aorta zeigt Veränderungen, welche
mit der Atherosklerose, auch der menschlichen, grosse Aehnlichkeit
haben; in den blutbildenden Organen entstehen grosse Makrophagen, die
anisotrope Einschlüsse und Pigmentkörnchen enthalten. In den Lymph-
drüsen und in der Milz ist eine myeloide Umwandlung der Elemente
nachzuweisen. Dieses pathologische Bild der Cholesterinverfettung ist
auch beim Menschen schon öfters beobachtet worden. Wir haben allen
Grund, anzunehmen, dass zwischen diesen Beobachtungen und den ex¬
perimentellen Tatsachen ein gewisser Parallelismus im morphologischen
und pathogenetischen Sinne existiert. Wolfsohn.
F. Harbitz - Christianis; Angeborene Tuberknlose. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Das beobachtete Kind starb an einer
tuberkulösen Lungenaffektion 25 Tage nach der Geburt. Alle Be¬
dingungen zur Annahme einer angeborenen Infektion waren vorhanden:
Die Mutter, die am gleiohen Tage zur Obduktion kam, litt an einer
Tuberkulose im Endometrium an der Placentarstelle, so dass wohl die
Uebertragung von Tuberkelbacillen direkt in das Blut des Kindes erfolgt
ist. Der Uterus wurde wahrscheinlich während der Schwangerschaft von
den tuberkulösen Tuben aus infiziert. Da ausserdem noch eine Miliar¬
tuberkulose der Mutter bestand, so kann man eine hämatogene Infektion
der Placenta nicht ausschliessen. Als Ausgangspunkt der Infektion des
Foetus ist die Placentartuberkulose am wahrscheinlichsten.
Dünner.
Cb. J. Bond-Leicester: Die Sehleimkanäle und der Blatstrom als
Infektionswege. (Brit. med. journ., 29. März 1913, Nr. 2726.) Die
drüsigen Organe können zunächst durch den Blutstrom infiziert werden.
Ein wahrscheinlich häufigerer Weg der Infektion ist durch die Aus-
fübrungsgänge. Diese haben einen schleimigen Wandbelag, und dieser
Sohleim bewegt sich aufwärts, dem Sekretstrom entgegen nach der Drüse
hin und führt feste Teilchen mit sich, was man mit Hilfe von Indigo¬
pulver naohweisen kann. Wie diese Farbteilchen können auch Bakterien
mitgerissen werden. Dieser aufwärts gerichtete Strom entsteht z. B.,
wenn das Sekret der Drüse durch eine am oberen Ende des Ausfüh¬
rungsganges angelegto Fistel abfliesst, oder unter natürlichen Umständen,
wenn der Schleim an verschiedenen Stellen des Ganges ungleichmässig
resorbiert wird. Wird der Schleim an einer Stelle stark resorbiert, so
rüokt der in der Umgebung befindliche dorthin nach, auch gegen die
Richtung des Sekretstromes. So gelangen Bakterien verhältnismässig
rasch ins Innere von Drüsen, was der Verf. an Beispielen von verschie¬
denen Organen ausführlich darlegt. Die Bakterien passen sich dabei
ihrer Umgebung an, und das klinische Bild der Drüsenerkrankung ist
verschieden, je nachdem die Infektion auf dem Wege des Blut- oder des
Schleimstromes erfolgt ist.
H. Blakeway-London: Ungewöhnlich grosses Teratom von einem
Pferdehoden. (Brit. med. journ., 5. April 1913, Nr. 2727.) Die 30 Pfund
(engl.) schwere Geschwulst zeigte bei der mikroskopischen Untersuchung,
dass sie aus allen drei embryonalen Gewebssohichten bestand: Platten-
epithelien, Haareu und Talgdrüsen vom Ektoderm, Cysten mit Cylinder-
epithel ausgekleidet vom Entoderm und Stroma und Knorpel vom
Mesoderm. Beim Menschen sind derartige Geschwülste sehr selten.
Weydemann.
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UNIVERSUM OF IOWA
840
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18»
F. L. Duraont-Bern: Experimentelle Beiträge zur Pathogenese der
akuten hämatogenen Osteomyelitis. (Deutsche Zeitschr. t. Chir., Bd. 122,
H. 1 u. 2.) Verf. verfolgte die Experimente Lex er’s, die er nur in
ihren Folgerungen bestätigen kann. Bei jungen Kaninchen kann man
Osteomyelitis erzeugen mit Staphylokokken, wenn man darauf achtet,
dass diese auf Kaninchenblut hämolytisch wirken. Einen spezifischen
Bacillus osteomyelitidis (Bencke) gibt es nicht. J. Becker.
S. Skudro-Krakau: Ueber den Einfluss der QuecksiIberpräparate
auf das Wachstum der Mäosecardnome. (Wiener klio. Wochenschr.,
1913, Nr. 15.) Ausgehend von der Voraussetzung, dass Quecksilber
manchmal die Resorption pathologischer Gebilde beschleunigt (Gumma),
hat der Verf. den Einfluss dieses Metalls auf die Entwicklung maligner
Mäusetumoren studiert. Es ergab* sich, dass weder die Sublimatverfütte-
rung, noch die Einreibung grauer Salbe in die Impfstelle, noch die
subcutane Injektion von Sublimat einen Einfluss auf die Resorption der
geimpften Tumoren ausübt. P. Hirsch.
Siehe auch Innere Medizin: Kuthy, Vererbung des Locus
minoris resistentiae bei Lungentuberkulose.
Parasitenkunde und Serologie.
S. Tscbachotin - Heidelberg: Eine hygienische Saugpipetto für
bakteriologische and chemische Zwecke. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 4, S. 319.) Mit Abbildung versehene Be¬
schreibung einer Saugpipette, die das unangenehme Aufsaugen mit dem
Munde vermeidet und durch Fingerdruck arbeitet.
L. Dreyer-Breslau: Ueber Virulenzprüfang mittels intraarticularer
Impfung. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 1 u. 2,
S. 106.) Auf Grund einer grösseren Reihe von experimentellen Unter¬
suchungen empfiehlt D. die intraarticulare Impfung für Virulenz¬
prüfungen von Bakterienstämmen. Dieses Verfahren gibt schon nach
kürzester Zeit Resultate, es ist leicht ausführbar und sehr empfindlich;
namentlich eignet es sich für die Prüfung der Eigenschaften der für den
Menschen pathogenen Eitererreger.
H. Bley - Stuttgart: Untersuchungen über die Negativfärbung von
Bakterien mittels des Tugeheverfahrens nach Burri. (Centralbl. f.
Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 3, S. 206.) Das Tuscheausstrich¬
verfahren von Burri hat sich dem Verf. nicht nur bei Untersuchungen
von Reinkulturen, sondern auch besonders von Ausstrichen von Material
erkrankter Organe bewährt; er erklärt es vielen der jetzt üblichen Aus¬
strich- und Färbeverfahren für gleichwertig, manchem für überlegen;
gerade in praktischer Hinsicht ist es wertvoll, da es schnell ausführbar
ist und auf einfache Weise rasche Orientierung ermöglicht.
Ph. Verderame - Freiburg: Zur Bifferenzieruug gramnegativer
Diplokokken mit Hilfe der Agglutinations- und KomplementbinduDgs-
probe. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 4, S. 307.)
Die Agglutinationsprobe ist neben dem kulturellen Verhalten zur Trennung
des Meningococcus von anderen gramnegativen Kokken, namentlich der
ihm nahe verwandten Catarrhalisgruppe, brauchbar. Das Komplement¬
bindungsverfahren jedoch eignet sich kaum zur Trennung des Meningo¬
coccus, Gonococcus und Mikrococcus catarrhalis, da es keine sicheren
Schlüsse zu lässt. Bie rotte.
W. Schürmann und C. Hajos-Bern: Erfahrungen mit den
Tellnrnährbäden bei der bakteriologi8chen Diphtheriediagnose.
(Deutsche med. Wochenschr., 1918, Nr. 17.) Der Zusatz von Tellur
zum Löffler’schen Serumagar erleichtert die Diphtheriediagnose. Verff.
empfehlen nicht die Anreicherung auf Serumplatten, sondern die direkte
Aussaat auf Tellurplatten. Sie gibt bessere Resultate als die Anreiche¬
rung auf Löfflerplatten, kombiniert mit dem Tellurplattenverfahren. Es
lässt sich auch in flüssigen Tellurnährböden eine stärkere Anreicherung
der Diphtheriebacillen erzielen als in gewöhnlicher Bouillon.
Wolfsohn.
J. A. Waledinsky-Tomsk: Zur Frage der Färbung der Tnherkel-
bacillen im Sputum. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67,
H. 3, S. 222.) Die Nachprüfung von Versuchen von Strauss, der
Tuberkelbacillen mittels gewöhnlicher wässerig-alkoholischer Lösungen
von Anilinfarben färben konnte, bestätigten dieses Ergebnis; doch
steht diese Methode praktisch dem Carboiverfahren von Ziehl-Neelsen
weit nach und kann in zweifelhaften Fällen nicht angewendet werden.
Bierotte.
A. Forbät-Budapest: Ueber „Splitter“ «im Sputum von
Phthisikern. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) In manchem
tuberkulösen Sputum fand F. neben typischen Bacillen die Spengler-
ischen Splitter. Sie sind durch Färbung nachweisbar (Kontrastfärbung
mit Tropäolinalkohol) und zeigen sich in einer solchen Form, als ob sie
Bruchteile der Bacillen wären. Ausschliesslich Splitter enthaltende
Sputa fand F. nie. Der Splittergehalt wird wahrscheinlich bedingt durch
Verminderung des Fettgehalts (und damit auch der Virulenz). Unter
günstigen Lebensbedingungen können sie anstatt der Splitter wieder
Bacillen zeigen. Wolfsohn.
Weber - Berlin: Die Bedeutung der Rindertuberkulose für die Ent-
stehuug der mensehliehen Tuberknlose. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19,
H. 6.) Die Rindertuberkulose kann beim Kinde eine zum Tode führende
Tuberkulose hervorrufen und ausserdem, in seltener* Fällen unter dem
Bilde jeder anderen Form tuberkulöser Erkrankung verlaufen. Zum
Schutze des Einzelindividuums sind daher die Maassnahmen gegen die
vom tuberkulösen Rinde drohende Gefahr nicht entbehrlich. In der Epi¬
demiologie der Tuberkulose als Volkskrankheit kommt die Rolle, welche
die Rindertuberkulose für die Entstehung der Tuberkulose des Menschen
spielt, überhaupt nicht zum Ausdruck, sie tritt gegenüber der Bedeutung,
welche dem tuberkulösen Menschen als der gefährlichsten Infektions¬
quelle zukommt, vollkommen in den Hintergrund.
Petersen - Kopenhagen: Untersuchungen über Tuberkelbacillei.
(Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 19, H. 6.) Die Ausbreitung der Tuberkulose
in Intensität und Schnelligkeit wächst mit der Grösse der infizierenden
Dosis, die Virulenz der Bacillen und die spezifische Sensibilität der
Tiere nimmt mit der Resistenz derselben ab. Aber Schwankungen in
der Grösse der Dosis von bis über 100 pCt. geben erst Ausschlag bei
der Anwendung kleiner Mengen Bacillen, wobei alle Verschiedenheiten
am stärksten sind und sich am deutlichsten verfolgen lassen. Die
Latenzzeit nimmt mit steigender Menge eingeführter Bacillen, deren
Virulenz und der spezifischen Sensibilität der Kaninchen ab, wächst mit
der Resistenz derselben. Bei Infektion mit humanen Stämmen und
tuberkulösem Auswurf entwickelt sich in der Regel eine generelle Tuber¬
kulose, jedoch auf Auge und Lungen begrenzt. Impfung mit bovinem
Material weist in jeder Beziehung die stärkste Entwicklung der Tuber¬
kulose aus. Bei Einimpfung in die Cam. ant. des Auges kann Wachs¬
tum von sogar sehr wenigen Bacillen Vorkommen. Die Methode lässt
sich zur Anlegung von Reinkultur, Nachweis von Tuberkelbacillen in
verdächtigem Material und zum Studium der Wachstumsformen unter der
Entwicklung brauchen.
Sata- Osaka: Immunisierung gegen Tuberknlose und deren
Reaktionserscheinungen an einigen Tierarten. (Zeitschr. f. Tuberkul.,
Bd. 20, H. 1.) Die Immunisierung gegen Tuberkulose kann mittels art¬
fremder lebender sowie toter Tuberkelbacillen oder deren Gifte bis zu
gewissem Grade erzielt werden. Die Ueberempfindlichkeit wird nioht nur
durch lebende Tuberkelbacillen hervorgerufen, sondern auch dureh tote
Bacillen wie deren Gifte, ebenso die Immunität, welche durch eine Reihe
spezifischer Wirkungen des Immunserums in exakter Weise nachweisbar
ist. Als Reaktionserscheinungen im klinischen Sinne nach der Injektion
sind zu erwähnen: Temperatursteigerung, eventuell -stürz, Schwäche,
Abnahme der Fresslust, Gelenkentzündung, progressiver Marasmus sowie
akute Anaphylaxie. Die Schwierigkeit der Immunisation gegen Tuber¬
kulose beruht auf dem Marasmus und der akuten Anaphylaxie.
Ott.
H. Mehl er und L. Ascher - Nürnberg: Beitrag zur Chemotherapie
der Tuberkulose. Versuohe mit Borcholin (Enzytol). Münchener med.
Wochenschr., 1918, Nr. 14.) Zusammenfassung: 1. Lecithin und Lecitbio-
spaltungsprodukte (Cholin) haben erhebliche bakteriolytische Kraft, auch
bei Tuberkelbacillen. 2. Das Lecithinspaltungsprodukt Cholin lässt sich
als locker gebundenes Salz (Borcholin) ohne Schaden in verhältnismässig
grossen Dosen, auch bei Tuberkulösen, in die Blutbahn bringen. 3. Bei
floriden Fällen von Tuberkulose löst Borcholin eine typische Reaktion
aus. 4. Therapeutische Versuche haben die Brauchbarkeit von Boroholin
bei Tuberkulose ergeben. 5. Ob Borcholin beim weiteren Ausbau der
Methode sich als genügend wirksames antituberkulöses Mittel erweist,
oder ob es anderweitig kombiniert werden muss, bleibt ferneren Unter¬
suchungen Vorbehalten. Dünner.
R. Müller und K. Th. Willich - Kiel: Sareiueu in der mensch-
lichen Harnblase. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67,
H. 3, S. 124.) Die Verff. konnten bei zwei Fällen in der Harnblase von
Patienten eine in ihrem kulturellen Verhalten näher beschriebene Sarcine,
die namentlich durch ihr Waobstum auf Blutagar und Agar gekenn¬
zeichnet war, feststellen. Sie halten es für wahrscheinlich, dass diese
Sarcine, der sie den Namen Sarcina urica beilegen, in den betreffenden
Fällen eine Reizwirkung auf die Blasenscbleimhaut ausgeübt hat.
T. Sugai und J. M onobe- Osaka: Die Leprabacilleu in der Xilek
von Leprakranken, (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67,
H. 4, S. 238.) In 2 von 10 Fällen von Lepra konnten in der vor und
nach der Geburt untersuchten Milch der Kranken Leprabacillen fest¬
gestellt werden; bei beiden Hessen sie sich auch im Blut nachweisen,
bei vier anderen nur in diesem, nicht aber in der Milch.
Bierotte.
M. Mayer, H. Roche-Lima und H. Werner - Hamburg: Unter¬
suchungen über Verruga peruviana. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 13.) Bei einem sicheren Fall von Verruga peruviana wurden
in den Hautknötchen Einschlüsse in den gewucherten Zellen gefunden,
die dafür sprechen, dass diese Krankheit in die Gruppe der Chlamydozoen-
krankheiten gehört. Uebertragung auf Affen gelang. Dünner.
Petzetakis: Ueber die Agglutiuatiou des Pnaumobaeillas. (Lyon
med., 1913, Nr. 14.) In einem Falle von durch den Fried länder’schen
Bacillus hervorgerufener Septikämie konnte ein agglutinierendes Ver¬
mögen des Blutserums nachgewiesen werden; desgleichen wurde mit
Serum von Krebskranken, von Pferden und Hübnern eine Agglutination
des Bacillus erzielt. A. Münzer.
E. Jolowicz - Hellerau: Ueber „eigenlösende“ Eigenschaftei des
Meersthweinchenserpms und dadurch bedingte Fehlerqaellea der
Wassermann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 19 J 3, Nr. 17.)
J. hat eine Eigenlösung bei 7—8 Meerschweinchen desselben Stalls be¬
obachtet. Er hält die Erscheinung für ek) Degenerationsseichen infolge
übermässiger Inzucht ' Wolfsohn.
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UNIVERSUM OF IOWA
6. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
841
E. v. Kraffl-Lenz und E. P. Pick-Wien: Ueber das Verhalten
der Plasteine im Tierkörper. II. Mitteilung. Plasteine als Antigene.
(Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 6, S. 407—425.)
Plasteine haben antigene Eigenschaften, ihre Antikörper sind nicht art¬
spezifisch. Auch die zur Darstellung der Plasteine verwandten Pepsine
können ihre Artspezifität nicht den Plasteinen übertragen. Dass im
Plastein eine Atomgruppierung vorliegt, welche den verschiedenen, auch
komplex gebauten Eiweisskörpern gemeinsam ist, geht daraus hervor,
dass die Plasteinimmunsera auch mit den Goctoseren verschiedener Tiere
reagieren. Die Coctoimmunsera sind an und für sich artspezifisch.
Jacoby.
A. Zinsser- Berlin: Ueber die Texieität des menschlichen Harns
in pnerperalen Zustand und bei Eklanpsie. (Centralbl. f. Gynäkol.,
1913, Nr. 14.) Nach den Untersuchungen von Pfeiffer beruht die
Giftigkeit des Harns in einigen Krankheitsfällen ganz einfach auf dem
Uebergeben von Zwischenprodukten der Verdauung auf den Harn, d. b.
auf sogenanntem parenteralen Ei weisszerfall. Es würde dies also aufs
neue nahelegen, dass es anaphylaktische Vorgänge im puerperalen Zu¬
stand gibt, und die längst begrabene Lehre von der Harn gif tigkeit
wieder zur Bedeutung kommen. Es gelingt nicht, ein Tier durch intra¬
venöse Injektion von eklamptischem Harn zu töten; die beobachteten
Temperatursenkungen haben nichts Charakteristisches und sind ganz
unabhängig vom Grad der Nierenerkrankung; ebensowenig konnte bei
Eklamptischen auf Grund der biologischen Auswertung des Harns ein
parenteraler Eiweisszerfall gefunden werden. Siefart.
F. Scordo-Rom: Experimentelle Studien über die Therapie des
Mittelmeerfiebers. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67,
H. 3, S. 151.) S. impfte Ziegen intravenös mit Reinkultur des Malta-
mikrococcus und behandelte sie dann mit intravenösen Einspritzungen
von Sublimat. Die Injektionen wirkten günstig auf die roten Blut¬
körperchen, deren Zahl sich vermehrte; gleichzeitig wurde damit ein
Steigen des Hämoglobingehalts beobachtet. Ferner wurde eine Leuko-
cytose mit Vorwiegen der neutralen Mehrkeruigen erzielt. Die Mikro-
kokkenseptikämie wurde geheilt, die Keime verschwanden aus dem Blut.
Ueber Versuche an einigen maltafieberkranken Menschen soll an anderer
Stelle berichtet werden. Bierotte.
Siehe auch Innere Medizin: Bruschettini: Behandlung der
Tuberkulose mit dem Bruschettini’schen Serumvaccin. — Geburtshilfe
und Gynäkologie: Scholl und Kolde, Bakteriologische Unter¬
suchungen bei gynäkologischen Erkrankungen. — Psychiatrie und
Nervenkrankheiten: Noguchi, Spirochaete pallida im Central¬
nervensystem bei Paralyse und Tabes.
Innere Medizin.
Br ecke: Die deutsche Heilstätte Davos und die deutsche Heil¬
stättenbewegung. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.)
J. W. Samson.
Dietschy- Allerheiligen: Zur Diskussion über die Heilstätten
für Kranke des Mittelstandes. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 19, H. 6.) D.
empfiehlt, in den Volksheilstätten Einzelzimmer für Kranke des Mittel¬
standes zu reservieren und ihnen eigenes Speisezimmer zur Verfügung
zu stellen. Das Verfahren hat sich in der Heilstätte des Verf. sehr gut
bewährt.
Kuthy - Budapest: Ueber die Turban’sche Vererbung des Locus
■inoris resistentiae bei Lungentuberkulose. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20,
H. 1.) Dort, wo K. einer Vererbung des Locus minoris resistentiae be¬
gegnete, dominierte sowohl bei den Geschwistern als auch bei Eltern
und Kind die gutartigere Tuberkulose. Bei Kindern z. B., bei denen das
Vererbungsstigma der mit der Elterntuberkulose identischen Lokalisation
des Leidens vorhanden war, fanden sioh auffallend oft die gutartigsten
Formen der Lungenerkrankung vor, nämlich die abortive Lungentuber¬
kulose, das sogenannte „Lungentuberkulosoid“ von Neisser und
Bräuming. Die hereditäre Belastung hat also im allgemeinen nicht
die ominöse Bedeutung, welche nach der heute noch gangbaren Ansicht
ihr zugesprochen wird. Ott.
Straub und Otten: Einseitige vom Hilus ausgehende Lungen¬
tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) An der
Hand klinischer Beobachtungen wird der typischen doppelseitigen, von
den Spitzen ausgehenden Lungentuberkulose eine vorwiegend einseitige
von den Hilusdrüsen verlaufende Form der Lungentuberkulose gegen-
übergestellt. Die Symptome, die eine Unterscheidung der beiden Formen
auch in vorgeschritteneren Fällen ermöglichen, werden besprochen.
Drei Wege der vom Hilus ausgehenden Lungentuberkulose werden ver¬
folgt, die Tuberkulose der Basis des rechten Oberlappens, die Tuber¬
kulose des rechten Mittel- und Unterlappens und die Tuberkulose der
Basis des linken Oberlappens. Unter den für Kompressionstherapie ge¬
eigneten Fällen von Lungentuberkulose sind die vom Hilus ausgehenden
Formen besonders zahlreich. Auf Grund des eigenen Materials und der
Fälle von Brauer wird Kompressionstherapie befürwortet bei allen
fortgeschritteneren vom Hilus ausgehenden, noch ganz oder fast ein¬
seitigen Lungentuberkulosen, bei denen einerseits Neigung zum Fort¬
schreiten, andererseits aber wenigstens eine gewisse Tendenz zu repara¬
tiven Vorgängen nachweisbar ist. J. W. Samson.
F. Deutsch und 0. Ho ff mann - Wien: Untersuchungen über das
Verhalten des vegetativen Nervensystems bei tuberkulösen Erkran¬
kungen der Lunge. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Vor¬
läufige Mitteilung. Sympathicotoniker zeigen eine Verschiebung im
Mischungsverhältnis der weissen Blutkörperchen zugunsten der uni-
nucleären Zellen. Steigt der Tonus im autonomen Symptom, d. h.
schreitet der Krankheitsprozess vorwärts, so ist der Mischungsquotient
ein normaler, in Fällen des dritten Stadiums ein mehr oder weniger
vergrösserter. Nach Adrenalininjektionen fanden die Verff. in den
meisten Fällen eine relative Vermehrung der mononucleären Zellen.
P. Hirsch.
Kinghorn und Twichell - Saranac Lake: Komplementbindungs-
reaktion zur Diagnose der Lungentuberkulose. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20,
H. 1.) Für die Frühdiagnose der Lungentuberkulose ist die Komple¬
mentbindungsreaktion von keiner grossen Bedeutung. Der positive Aus¬
fall bedeutet zwar entschieden tuberkulöse Infektion, der negative
spricht aber nicht mit Sicherheit dagegen.
Fels-Lennep: Psychologische Betrachtungen bei der subcutanen
Tuberkulindiagnostik. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.) Mitteilung
einer Anzahl psychologischer Beobachtungen zu dem Zweck, anzuregen,
dass auch die Lungenspezialisten der Psyche ihrer Kranken etwas mehr
Rechnung tragen sollen.
Helwes-Diepholz: Allgemeine, ambulante Tuberkulinbehandlung
in einem ländlichen Kreise. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.) Im
Kreise Diepholz wurde auf Beschluss des Kreistuberkuloseausschusses die
Behandlung der Tuberkulösen mit Tuberkulin allen Aerzten auf öffent¬
liche Kosten freigest6Üt, seit zwei Jahren mit dem Erfolg, dass bei einer
Menge von Tuberkulösen der Anfang der Krankheit erkannt ist, und dass
dann durch die Einspritzungen die Heilung leicht erreicht werden konnte.
Schumacher - M.-Gladbach: Die entano Diagnostik und das
Eisen tuberkulin. (Zeitschr. f. Tuberkul., Bd. 20, H. 1.) Ob die Ver¬
wendung des Eisentuberkulins einen Fortschritt bedeutet, ob es ein
brauchbares Mittel ist, aktive und inaktive Tuberkulose zu unterscheiden,
ist sehr zweifelhaft. Es ist überhaupt nicht wahrscheinlich, dass eine
spezifische Reaktion dies leisten kann.
Klein - Holsterhausen: Die kritische Verwertung der Tuberkulin-
diagnostik in der Unfallbegutachtung. (Zeitschr. f. Tub., Bd. 20, H. 1.)
Nicht der klinische Befund allein, aber auch nicht die Tuberkulin¬
injektion allein ohne Berücksichtigung des klinischen Befundes vermögen
die Tuberkulose festzustellen, sondern ein Abwägen derselben gegen¬
einander, aber dann auch mit fast immer zutreffender Sicherheit, lässt
Fehler vermeiden. Ott.
E. Lippert: Experimentelle Studien über das Verhalten der Blut¬
gase bei Erkrankungen der Lunge und der luftfährenden Wege.
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) In sämtlichen Fällen von
Pleuritis oderVerstopfungsatelektäse geht der Sauerstoffgehalt des arteriellen
Blutes herab, und zwar um so stärker, je grösser der Ausfall der gas¬
austauschenden Oberfläche war. Der Kohlensäuregehalt des arteriellen
Blutes steigt in diesen Fällen, nur einige Male geht der C0 2 -Gehalt
etwas unter die Norm. J. W. Samson.
Kirchen stein - Davos-Platz: Einfluss der spezifischen Jodcalium-
therapie C. Spengler’s auf die Entgiftung des tuberkulösen Organismus.
(Zeitschr. f. Tub., Bd. 19, H. 6.) In allen Fällen lässt sich eine mehr
oder weniger starke, oder vollständige Entgiftung des Organismus kon¬
statieren. Die Folgen der Entgiftung sind auf zweierlei Art zustande
gekommen: erstens durch die direkte lytische und antitoxische Wirkung
des Jodcalium, und zweitens durch das Eintreten der indirekten durch
die Entgiftung eingeleiteten aktiven immunisatorischen Reaktionen der
eigenen Körperzellen. Die Jodcaliumtherapie ist also, worauf C. Spengler
selbst hingewiesen hat, ein positiv-aktives Immunisationsverfahren gegen
die Tuberkulose.
Bruschettini - Genua: Die spezifische Behandlung der Tuberku¬
lose mit dem Bruschettini’schen Serumvaccin. (Zeitschr. f. Tub.,
Bd. 20, H. 1.) Koch’sche Bacillen, die ziemlich lange Zeit in Berüh¬
rung mit lebenden Leukocyten geblieben waren, lieferten Verf. das
Vaccin; er hat bei dessen Anwendung im allgemeinen Eintrocknung der
nassen Prozesse und beginnende Sklerosierung angenommen. Ott.
A. Weiss: Ueber Komplikationen der Behandlung mit künstlichem
Pneumothorax. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) In einem
Fall konnte eine sichere ShockwirkuDg von der Pleura aus beobachtet
werden. Hohe Druckwerte werden gut vertragen, nur gelegentlich nicht
bei partiellem Pneumothorax neben dem Herzen. Ein Fall von Gas¬
embolie bei einer Nachfüllung wird beschrieben, desgleichen ein Durch¬
bruch des Pneumothorax durch das Mediastinum von der rechten auf
die linke Seite. Begleitende Pleuritis soll etwa in der Hälfte der Fälle
Vorkommen. Phthisen mit pneumonischem Charakter geben nicht so
günstige Resultate wie sonst der künstliche Pneumothorax.
J. W. Samson.
S. N. Halbraith-London: Akute tuberkulöse Pneumoiie; Heilung.
(Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Krankengeschichten von zwei Fällen
dieser seltenen Erkrankung. Beide endeten in Heilung.
Weydemann.
Lindvall und Tillgren: Zur Kenntnis der Lungensyphilis.
(Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 24, H. 3.) Zwei mit genauen
Sektionsprotokollen und mikroskopisoh - anatomischen Befunden beob¬
achtete Fälle. J. W. Samson.
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UNIVERSUM OF IOWA
842
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
G. Treupel -Frankfurt a. M.: Die Lnngengangrän und ihre Be¬
handlung. (Deutsche med. Wocheoschr., 1913, Nr. 17.) Klinischer
Vortrag. Wolfsohn.
S. Plaschkes-Wien: Zur Kasuistik der fetthaltigen Exsudate.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) Beschreibung eines Falles
Ton fetthaltigem Pleuraexsudat (nach Quincke), Hydrops adiposus
oder chyliformis im Gegensatz zum echten Chylothorax, Hydrops
chylosus. G. Eisner.
Ed. Al lard - Hamburg: Cymarin, ein neues Herzmittel. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Cymarin ist das chemisch reine,
kristallisierte Glykosid von Apocynum cannabinum. Es ist ein rasch
und energisch wirkendes Herzmittel, das noch häufig wirkt, wenn
Digitalis versagt. Es besitzt zudem eine stark diuretische Wirkung. Es
kann per os uhd als intravenöse Injektion angewendet werden. Bei
letzterer Verabreichung tritt die Wirkung schon nach wenigen Minuten
ein. Therapeutische und toxische Dosis liegen weit auseinander.
Wolfsohn.
A. Kakowski-Kiew: Weitere Beiträge zur Diätetik. (Therapeut.
Monatsh., April 1913.) Verf. untersuchte den Einfluss der in Russland
als Nahrung sehr verbreiteten Pilze auf den Verlauf von Nierenkrank¬
heiten und kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu dem Schlüsse,
dass Pilze dem Nierenkranken zu verbieten seien. H. Knopf.
W. Bywaters und A. Rendle Short-Bristol: Aminosäure! nnd
Zucker bei der Rectalernährung. (Archiv f. experim. Pathol. u.
Pharmakol., Bd. 71, H. 6, S. 426—445.) Eiweiss wird bei der Rectal¬
ernährung nur resorbiert, wenn es in vitro vorher durch Verdauung in
Aminosäuren zerlegt ist. Dabei findet eine nennenswerte Fäulnis der
zugeführten Klysmen im Darm nicht statt. Dextrose wird viel besser
wie Laktose resorbiert und hemmt den Verfall durch Hunger. Fett
wird schlecht resorbiert. Das beste Nährklysma besteht aus Milch, die
24 Stunden lang der Pankreaseinwirkung ausgesetzt ist, mit 5 proz.
reiner Dextrose. Jacoby.
K. Mattisson - Malmö: Ueber die sogenannte Capillaranalyse vom
Magensaft nach J. Holmgren. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19,
H. 1.) Verf. kommt auf Grund sorgfältiger Untersuchungen zu dem
Schluss, dass die Methode nicht brauchbar ist.
J. P. Gregersen-Kopenhagen: Untersuchungen über Sehmidt’s
Bindegewebsprobe. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Es
wurden 14 Patienten mit Achylie untersucht, wobei die Fäces bei mehr¬
facher Untersuchung fast regelmässig Bindegewebe nach Fleischkost ent¬
hielten, d. h. ein negatives Resultat auf vier positive bei ein und dem¬
selben Patienten kam. Bei 22 Patienten mit Salzsäure im Mageninhalt
eine Stunde nach dem Ewald’schen Probefrühstück wurde in 14 Fällen
kein Bindegewebe gefunden, bei den anderen waren die Ergebnisse
wechselnd und die Bindegewebsverdauung war von dem mehr oder
weniger grossen Gehalt an freier Salzsäure abhängig. Hierüber hat Verf.
noch einige besondere Versuche angestellt. Die Eingabe von Salzsäure
und Pepsin beeinflusst den Ausfall der Bindegewebsprobe gar nicht,
ebensowenig die Aciditätswerte.
A. Sommerfeld - Posen: Zur Differentialdiagnose des Ulcus ven-
tricnli und des Ulcns duodeni. (Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19,
H. 1.) Sommerfeld gibt eine Analyse von 44 Fällen von Magen-bzw.
Duodenalgeschwüren, die er in drei Gruppen einteilt: a) Magengeschwüre,
die entfernt vom Pylorus sassen (11 Fälle), b) Pylorusgeschwüre
(12 Fälle), c) Duodenalgeschwüre (21 Fälle). Es fand sich: Frühschmerz
bei Magenkörpergeschwüren in 75 pCt., Spätschmerz bei Pylorus- und
Duodenalgeschwüren in 69 bzw. 64 pCt. Linderung der Hungerschmerzen
durch die Nahrung der oben angegebenen Reihe nach in 64, 50 und
80 pCt. Lokalisierte und irradiierte Schmerzen sind bei a) mehr nach
links, bei b) und c) mehr nach rechts (42 und 62 pCt.) gelegen. Der
Mendel’sche Scbmerzpunkt und der Boas’scbe Druckpunkt sind inkonstant.
Letzterer war links bei a) in 50 pCt., bei c) in 29 pCt., rechts bei b) in
30 pCt., bei c) in 44 pCt. Hypersekretion bestand bei a) in V 2 » bei
c) in 4 / b der Fälle. Pylorospasmus mit „transitorischer Zwölfstunden¬
retention (Kemp)“ wurde wiederholt beobachtet, eine Periodicität der
Beschwerden fand sich bei Ulcus duodenale in 86 pCt., bei Ulcus ven-
triculi nur in 9 pCt. Die Zahl der Fälle ist zu klein, um bindende
Schlüsse zu erlauben (so finden sich z. B. bei Kemp in 25 pCt. perio¬
dische Schmerzen bei Ulcus ventriculi), immerhin sprechen die Zahlen
ganz im Sinne der in Deutschland gefundenen Tatsachen.
F. Bjalokur-Jalta: Zur Frage der Palpation des Wurmfortsatzes.
(Archiv f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Im Original einzusehen.
Die Schlusssätze des Verf. bringen nichts Neues. Ewald.
F. Monisset und L. Folliet: Ueber die Epilepsie im Verlauf
des Typhus. (Lyon möd., 1913, Nr. 13.) In seltenen Fällen beobachtet
man im Verlaufe eines Typhus Auftreten von Epilepsie. Das Leiden ist
dann entweder als Folge eines Hirnabscesses, einer Hirnembolie, einer
Meningitis oder Encephalitis zu deuten, oder es hat bereits in früheren
Jahren bestanden und kommt unter dem Einfluss der typhösen Infektion
wieder zum Vorschein. A. Münzer.
S. Boyd-London: Nichtparasitäre Cysten der Leber. (Lancet,
5. April 1913, Nr. 4675.) Klinische Besprechung der allgemein cysti-
schen Erkrankung der Leber aus den solitären Lebercysten unter Be¬
rücksichtigung der Arbeiten über die einzelnen Fälle. Kranken-
gescfiichte eines vom Verf. beobachteten Falles und tabellarische Ueber-
sicht über 34 Fälle von Operationen solitärer Cysten. Weydemann.
K. Byloff-Wien: Beitrag zur Kenntnis der Aneurysmen der Bauch¬
aorta. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Es bandelt sich um
ein kindskopfgrosses Aneurysma der Bauchaorta bei einem 57 jährigen
Patienten, das zur Arrodierung des 8., 9. und 10. Brustwirbels führte.
Die Diagnose konnte bereits intra vitam gestellt werden. Interessant
ist, dass differentialdiagnostisch die Abgrenzung von einer Pankreas¬
erkrankung sich recht schwierig gestaltete, indem vier Attacken beob¬
achtet wurden, die durch das Auftreten von Appetitlosigkeit, Aufblähung
des Leibes, Fettstühle, Kreatorrböe, alimentäre Glykosurie und Lävulos-
urie an eine Erkrankung des Pankreas denken liessen. Das Wechselnde
in der Funktionsstörung der Drüse sprach gegen die Annahme einer
malignen Neubildung oder eines chronisoh-indurativen Prozesses, das
Fehlen von Koliken gegen Pankreassteine. P. Hirsch.
Reuss - Chemnitz: Hernia diaphragmatica oder einseitiger
Zwerch feil hoch stand? (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.)
ln dem beschriebenen Fall handelt es sich trotz des vorausgegangenen
Traumas um einen einseitigen Zwerchfellhochstand, nicht um Hernia dia¬
phragmatica. Es werden die differentialdiagnostischen Momente, die sich
zum grössten Teil auf das Radiogramm stützen, besprochen.
Wolfsohn.
I. Sohn - Lemberg: Ueber die Beeinflussung des Stoffwechsels
durch Benzol samt Bemerkungen über seine Darreichung bei der
Leukämie. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) S. hat eine Reihe
von Stoffwecbseluntersuchungen an drei nicht leukämischen Patienten
und an einem Falle von myeloider Leukämie angestellt. Er schliesst
hieraus, dass durch das Benzol eine Veränderung der Oxydationspro¬
zesse im Organismus stattfindet. Die bisher durch die Benzolbehandlung
beobachtete günstige Beeinflussung der Leukämie bezieht sich fast aus¬
schliesslich auf das Sinken der Zahl der weissen Blutkörperchen. Nach
Ansicht des Verf. ist diese Abnahme nur eine scheinbare und erklärt
sich durch Verminderung im Blute der peripheren Gefässe unter gleich¬
zeitiger Anhäufung in den Blutcapillaren der inneren Organe. Ein Zer¬
fall weisser Blutkörperchen im Organismus findet nicht statt; diese
scheinbare Verminderung der weissen Blutkörperchen entspricht also
nicht einer Bessserung des Krankheitszustandes. Vor einer Benzol¬
darreichung in gösseren Dosen und durch längere Zeit hindurch muss
gewarnt werden. P. Hirsch.
Siehe auch Therapie: Freund und Kriser, Behandlung der
Ischias, Tabes und chronischen Gelenkerkrankungen mit Mesotborschlamm.
Welz, Behandlung des Erysipels mit Antistreptokokkenserum. — Para¬
sitenkunde und Serologie: Waledinsky, Färbung der Tuberkel¬
bacillen im Sputum Mehler und Ascher, Chemotherapie der Tuber¬
kulose. — Chirurgie: Neudörfer, Pylorospasmus und Ulcus ventriculi.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
H. Vogt-Wiesbaden: Psychotherapie. (Therapeut. Monatsh., April
1913.) Zusammenfassende Uebersicht. Ergebnisse der Therapie.
H. Knopf.
Keilner-Hamburg: Die mongoloide Idiotie. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 14.) An Hand von 7 Fällen mit Abbildungen
bespricht K. die Symptome der mongoloiden Idioten.
H. Noguchi-New York: Studien über den Nachweis der Spirochaete
allida im Centralnervensystem bei der progressiven Paralyse nnd
ei Tabes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) N. ist es
zum ersten Male gelungen, in den Gehirnen von Paralytikern und
Tabikern nach einer modifizierten Levaditi-Färbung Spirochäten nachzu¬
weisen. Damit ist der Beweis der Zugehörigkeit dieser Erkrankungen
zur Syphilis erbracht; inwieweit die Bezeichnung „parasyphilitische Er¬
krankungen“ berechtigt ist, muss weiteren Untersuchungen Vorbehalten
bleiben. Von ihnen hängt dann auch das therapeutische Eingreifen ab.
Was die Verteilung der Spirochäten im Gehirn der Paralytiker betrifft,
so wurden die Befunde speziell im Gyrus frontalis, Gyrus rectus und
Regio Rolandi erhoben.
K. Goldstein - Königsberg: Ein Fall von Akromegalie lach
Kastration bei einer erwachsenen Frau. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 14.) Einer jetzt 48 jährigen Frau, die von jeher durch ihre
Grösse und Grobknochigkeit auffiel, wurden im 39. Lebensjahre Uterus
und Adnexe vollständig entfernt. Objektiv bestehen jetzt sehr grosse
Extremitäten, Verdickung der Weichteile, Vergrösserung des Gesichts und
Vorstehen des Kinnes. Brüchige Haut. Keine Symptome, die für
Hypophysenvergrösserung sprechen. Die Anlage zum Riesenwuchs liefert
die Grundlage. Die Ausschaltung der Genitaldrüsen war die Veranlassung
zum Auftreten der akromegalischen Erscheinungen. Dünner.
Siehe auch Innere Medizin: Fels, Psychologische Betrachtungen
bei der subcutanen Tuberkulindiagnostik. Monisset und Folliet,
Epilepsie im Verlaufe des Typhus. — Chirurgie: Mayesima, Förster¬
sehe Operation bei Erythromelalgie. Leriche, Dehnung des Plexus
solaris wegen gastrischer Krisen.
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5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
843
Kinderheilkunde.
J. Schwenke - Breslau: Die diagnostische Bedeutung der Döhle-
scheu Lenkoeyteneiischlüsse hei Scharlaeh. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 14.) Die Untersuchung auf Döhle’sche Leukocyten-
einschlüsse muss in ihrer diagnostischen Bedeutung eine ziemlich
weitgehende Einschränkung erfahren. Infolge der einfachen Technik
dürfte sie immerhin als unterstützendes Hilfsmittel in zweifelhaften Fällen
mit Erfolg heranzuziehen sein. Dünner.
W. Uffenorde - Göttingen: Bemerkung zu der Abhandlung von
Dr. E. Benjamin: „Die Therapie des Scharlachs“ in dem Februarheft
dieses Jahres der Therapeutischen Monatshefte. (Therapeut. Monatsh.,
April 1913.) Yerf. widerspricht der 1. c. geäusserten Ansicht, „sobald
das Trommelfell (bei der Scharlachotitis) injiziert und vorgewölbt ist,
sich zunächst lediglich auf Spülungen mit warmen Borsäurelösungen
zu beschränken“. Vielmehr kann nach Yerf. hier sofortige ausreichende
Paracentese allein als rationell erscheinende Maassnahme in Frage
kommen, die der Eomplikationsgefahr der Scharlachotitiden entgegen¬
zuarbeiten sucht. Der lokale Befund, die Temperatur u. a. haben be¬
treffs der Maassnahmen in dieser Hinsicht zu entscheiden.
H. Knopf.
Siehe auch Therapie: Rosenhaupt, Medikamentöse Behandlung
des nervösen Erbrechens im Kindesalter.
Chirurgie.
S. Muroya: Experimentelle Untersuchungen über Novocain bei
Paravertebralinjektion. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.)
Bei der Paravertebralinjektion ist die tödliche Dosis des Novocains im
Kaninchenversuoh gegenüber der Dosis bei subcutaner Injektion ver
riogert. Die Resorption kann verringert werden durch Zusatz von
Gelatine und Adrenalin zu der Novocainlösung. J. Becker.
v. G a z a - Leipzig-Gohlis: Gewebsnekrose nnd arterielle* Arrosions¬
blutung nach Anwendung alter Novocainlösungen nur Infiltrations¬
anästhesie. (Deutsche med. Wocbenschr., 1913, Nr. 16.) Yerf. sah
nach dem Gebrauch einer alten Novocainlösung am Oberkiefer eine
schwere Gewebsnekrose mit mehrfacher gefährlicher Arrosionsblutung aus
der Arteria palatioa ascendens und vorübergehender Perforation des
harten Gaumens. Vor der Anwendung älterer Lösungen ist demnach
dringend zu warnen. Wolfsohn.
F. Kuhn-Berlin: Zuckerinfusionen, ein Prophylakticum gegen
Thrombose. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Trauben¬
zuckerlösungen von 4 pCt. haben neben ernährender, antitoxischer und
blutdruckhebender Wirkung die Eigenschaft der anticoagulierenden
Wirkung, was zur Verhütung postoperativer Thrombosen — allerdings
nur für einige Stunden — von Wichtigkeit ist. Einzelheiten des inter¬
essanten Aufsatzes sind im Original einzusehen. J. Becker.
R. Vogel-Wien: Ruptur des M. rectus femoris. (Wiener med.
Wochenscbr., 1913, H. 13.) Ruptur in einem verfetteten Muskel mit
scharfer, fast glattrandiger Trennungsfläche, hervorgerufen durch plötzlich
einsetzende, die Leistung des degenerierten Muskels weit übersteigende
Kraft. Adaption der Lappen und Naht. Vorzüglicher Heilerfolg.
G. Eisner.
0. Warschauer-Hannover: Ueber freie Fascientransplantation.
(Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Historische Uebersicht
des Transplantationsverfahrens. Sehr zu empfehlen ist die Fascienplastik
nach Kirschner, die bei Ersatz von Sehnendefekten nach vorherigem
Ueberzug eines Stücks resezierter Vena saphena über den Fascienstreifen
gute Resultate gibt.
W. Speck-Leipzig: Luxation der Hand radialwärts mit isolierter
•Luxation des Kahnbeins volarwärts. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122,
H. 1 u. 2.) Mitteilung eines neuen Falles dieser seltenen Verletzung.
Bei der Therapie leistet- die von Payr angegebene Kapselfüllung
Gutes, sonst kommt eventuell blutige Reposition in Betracht.
J. Becker.
A. S. B. Bankart - London: Die Technik der Entfernung der Hals-
rippen. (Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Der Verf. macht einen
10 cm langen Schnitt 2,5 cm entfernt von der Linie der Darmfortsätze
und parallel dazu. Die Mitte des Schnittes liegt in der Höhe des
7. Halswirbels. Der Trapezius wird durchtrennt und beiseite gezogen,
so dass die hinteren tiefen Halsmuskeln freiliegen, an deren äusserem
Rande die Querfortsätze und der Ansatz der Halsrippe sichtbar wird.
Diese wird dicht am Wirbel durchtrennt, ist nun beweglich und kann
leicht aus den Weichteilen gelöst werden. Naht des Trapezius mit
Catgut; seine Durchtrennung hatte keine üblen Folgen. Die Blutung
war sehr gering. Diese leicht auszuführende Operation hat grosse Vor¬
züge vor den bisher üblichen Verfahren. Wey dem an n.
R. L6riohe-Lyon: Chirurgische Gedanken über die Heliotherapie,
besonders bei tuberkulösen Erkrankungen im Kindesalter. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Ponoet ist als Vater der Helio¬
therapie anzusprechen, die dann von Rolli er später weiter ausgebaut
wurde. Die Methode muss mehr und mehr eingeführt werden.
J. Becker.
J. Zilz: Primäre Wangenaktinomykose. (Wiener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 13.) Beschreibung eines Schulfalles von primärer
Wangenaktinomykose, bei dem sich alle Verlaufsphasen sehr schön
präsentieren. Nach der traumatischen Inoculation des Strahlenpilzes
durch einen mit demselben beladenen Kürbissamen lässt sich das In¬
vasionsstadium, die einleitende, meist unbemerkt verlaufende Schleim-
hauterkrankung, genau verfolgen. Ihr schliesst sich dann das Studium
der Monoinfektion, und zwar das Studium der latenten Bildung des
Granulationstumors in der Wange an. Es ist dies eben dieser patho¬
logische Abschnitt, wo der Strahlenpilz allein sein schleichendes, lang¬
sam, aber hartnäckig progredientes Zerstörungswerk betreibt Im letzten,
und zwar im floriden Stadium der Mischinfektion setzte die chirurgische
Therapie noch vor dem bedrohlichen Uebergreifen des Prozesses auf die
Umgebung wirksam und heilend ein. G. Eisner.
N. Patterson-London: Ein Fall von Epitheliom der Ohrmuschel
nnd der Halsdräsen; Entfernung der Ohrmuschel und der Drüsen.
(Lancet, 5. April 1913, Nr. 4675.) Bei der Entfernung der in sehr
weitem Maasse ergriffenen Halslymphdrüsen machte der Verf. zunächst
einen Verschluss des Sinus lateralis, und er gedenkt dies in Zukunft
stets zu tun. Hautschnitt wie bei der Operation am Processus mastoideus;
Abheben des Periostes, Eröffoung des Schädels etwa 2 cm hinter der
Mitte des äusseren Gehörganges, am besten mit dem Meissei. Wenn der
Sinus freiliegt, wird die Oeffnung nach hinten und oben erweitert, damit
ein Tampon eingelegt werden kann. Man vermeidet so die Gefahr, dass
bei der späteren Entfernung der Halsdrüsen bei einer etwaigen Ver¬
letzung der Jugularis interna eine schwere und lästige Blutung eintritt.
Die Freilegung des Sinus erfordert nicht mehr als 5—10 Minuten.
Weydemann.
Mayesima-Kyoto: Ein durch die Förster’sche Operation erfolg¬
reich behandelter Fall von Erythromelalgie. (Deutsch* Zeitschr. f.
Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Die Aetiologie der Erythromelalgie ist strittig,
vasomotorische Neurosen, Degeneration der peripheren Nerven u. a. hat
man angenommen. Wahrscheinlich ist sie als vasomotorische Neurose
anzusprechen, wofür auch der Erfolg der nach Förster ausgeführten
Resektion der 4.-5. Lumbal- und 1.—2. Sacralwurzeln spricht.
R. Leri che-Lyon: Dehnung des Plexus solaris wegen tabischer
gastrischer Krisen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.)
Bericht über eine Patientin, die nach Försterischer Operation ein Recidiv
bekam, das durch Dehnung des Plexus solaris geheilt wurde. Man ist
zu dem Eingriffe berechtigt, da er Erleichterung herbeiführt, trotz der
eventuellen Mortalitätsgefahr. J. Becker.
J. T. Pilcher: Postoperative gastro-enteritische Parese. (Archiv
f. Verdauungskrankh., Bd. 19, H. 1.) Pilcher findet, dass der Zu¬
stand nicht so selten vorkommt, als gewöhnlich angenommen wird. Er
hat über 60 Fälle selbst beobachtet. Nach gedrängter Beschreibung
der klinischen Symptome kommt P. zu der Auffassung, dass der ursäch¬
liche Faktor nicht in einer rein mechanischen Grundlage bestehen kann,
sondern in einer Erschöpfung der Nerven des Magendarmkanals gelegen
ist. Dieselbe kann durch ein Trauma oder durch Refleximpulse oder
durch beides bedingt sein. Gegen die Annahme, dass die Narkose die
Ursache ist, spricht der Umstand, dass akute Magendarmparese nach
Operationen unter örtlicher Anästhesie aufgetreten ist. Therapeutisch
wendet P. häufig wiederholte, genügend lange andauernde Magen¬
spülungen und Rectaleingiessungen unmittelbar nach der Operation von
2 1 dezinormaler Salzlösung (?) an. Subcutan gab er früher Eserin,
sulfuric. oder salicylic. in Dosen von 0,0015, jetzt Hormonal 20—40 ccm
intramusculär oder intravenös. Die Wirkung war „ausserordentlich be¬
friedigend“ und schnell. Unangenehme-Nebenwirkungen fehlten. Es soll
kein Laxans angewandt werden, ehe nicht eine gründliche Entleerung
des Magens erzielt worden ist. Die operative Behandlung ist nicht am
Platz, ebensowenig die Behandlung durch Lage Wechsel. Ewald.
A. Neudörfer-Hohenems: Pylorospasmus and Ulcus ventriculi.
(Müncher med. Wocbenschr., 1913, Nr. 14.) N. machte bei einem callösen
Ulcus der kleinen Curvatur Resektion des Pylorus, der vollkommen
spastisch kontrahiert war und geradezu den Eindruck eines Tumors
machte. Das Ulcus heilte aus. Dieser Fall passt, wie N. ausführt, sehr
gut in die in jüngster Zeit von v. Bergmann inaugurierte Theorie der
Entstehung des Ulcus ventriculi. Dünner.
G. Bien-Wien: Fall von Ileus, hervorgerufen durch Obliteration
eines MeekePsehen Divertikels. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 13.)
Beschreibung eines Falles von Ileus bei einem 2 Monate alten Kinde,
dessen Aetiologie besonderes Interesse hat: Ein mit retiniertem rechts¬
seitigen Hoden verwachsenes obliteriertes Meckel’sches Divertikel zieht
als strangförmiges Gebilde aus der rechten Fossa iliaca in den in der
Bauchwand befindlichen offenen Processus vaginalis. Dadurch wird
einerseits das Ileum zur Knickung gebracht, andererseits der Austritt
einer Hernie ermöglicht. Alle klinisohen Erscheinungen werden durch
diesen anatomischen Befund erklärt. Die Knickung des Darmlumens
macht den langsam ansteigenden Ileus verständlich. G. Eisner.
Bertelsmann-Cassel: Soll im Intermediärstadium der aknten
Appendieitis operiert werden? (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122,
H. 1 u. 2.) B. rät im Gegensatz zu Fromme zur Operation, da in dem
Intermediärstadium alle Wehrkräfte des Peritoneums noch mobil sind.
Operiert man nicht, dann läuft man Gefahr, dass eine Laxheit bezüg¬
lich des Operierens zum Nachteil der Kranken auftritt.
Bertelsmann-Cassel: Zur Technik der Appendektomie. (Deutsche
Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Nach Isolierung des Appendix,
Durchquetschung desselben und Umschnürung des Stumpfes wird der
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18 .
Appendix mit Paquelin abgetragen, der Stumpf durch Tabaksbeutelnaht
in die Tiefe versenkt. Bei eitrig-gangränöser Form -wird zunächst eine
Durchstechungsnaht nahe dem Ansatz nach Sprengel und Rehn an¬
gelegt und sonst wie üblich verfahren. J. Becker.
0. Föderl-Wien: Herniologisehes. (Wiener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 13.) Yerf. bespricht Bruchformen, welche durch Varianten
des Bruchsackes und durch ihre relative Seltenheit besonderes Interesse
beanspruchen. Daneben werden Geschwülste und Prozesse besprochen,
die zu Verwechslungen mit Hernien Veranlassung geben könnten. Die
Einzelheiten der Arbeit sind zum Referat nicht geeignet.
G. Eisner.
A. Polacco und A. Neu mann-Bruck: Zur Aetiologie, Symptomato¬
logie und Pathogenese der akuten Darmstrangulation. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Cbir., Bd. 122, H. I u. 2.) Organisierte Gebilde, herrührend
wahrscheinlich von einem peritonealen Exsudat früherer Zeit, veranlassten
nach einem Trauma einen Obturationsileus, der sich durch Bradycardie
und verzögerte Morphiumwirkung auszeichnete.
W. Goebel-Cöln: Chirurgische Erfahrungen aus dem Balkan¬
kriege. (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 122, H. 1 u. 2.) Abwartendes
Verhalten ist angebracht. Die Wundinfektion ist meist eine Sekundär¬
infektion. Bei Schussverletzungen der Extremitäten wird der Gipsverband
sehr empfohlen. J. Becker.
Röntgenologie.
Th. Groedel und Fr. Groedel - Frankfurt a.M.: Die Technik der
Röntgenkinematographie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.)
Die kombinierte Herzröntgenkineraatographie und Elektrocardiographie
(mit Kunstbeilage). Wolfsohn.
F. M. Groedel-Frankfurt a. M.: Die röntgenologische Darstellung
des Proeessus vermiformis. (Münchener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 14.) G. vertritt auf Grund seiner Untersuchungen die Ansicht, dass
die normale Appendix röntgenologisch nicht darstellbar sei. Nur in
einem einzigen Falle von Invagination bei einem 7 jährigen Patienten
wurde die Appendix nach Wismuteinlauf sichtbar. (Inzwischen hat
Max Cohn-Berlin auf dem Chirurgenkongress eine Reihe Röntgenplatten
mit Appendices vorgeführt, die also beweisen, dass die Appendix
röntgenologisch sehr gut darstellbar ist. Ref.) Dünner.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Kawasoye,
Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Eihäute.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
E. Finger-Wien: Qnecksilber und Salvarsan. Bemerkungen
zur Syphilistherapie und zur Wirkung der gebräuchlichen Antisyphilitjca.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Das Salvarsan in steter
Kombination mit Quecksilber eignet sich im Primärstadium zur Abortiv¬
behandlung Wassermann-negativer Sklerosen vorzüglich, im Tertiär¬
stadium ist es dort am Platze, wo rasche Wirkung erzielt werden soll.
Dagegen unterbleibt die Salvarsanbehandlung bei Wassermann-positiven
Sklerosen und im frühen Sekundärstadium. Auch diese Indikations¬
stellung beugt dem Auftreten einer Encephalitis haemorrhagica nicht
vor. Ueber das Schicksal der mit Salvarsan behandelten Patienten be¬
züglich der Meta- und Paralues.(Paralyse, Tabes, Aortitis) fehlt uns
noch jede Erfahrung. P. Hirsch.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
M. Kawasoye - Kiel: Einwirkung der Röntgenstrablen auf die
Eihättte. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 14.) Verf. hat eingehende
Tierexperimente darüber angestellt, ob die Röntgenstrahlen die Gravidität
beeinflussen, und kommt zu dem Resultat, dass ein anatomisch nach¬
weissbarer Einfluss auf die Eihäute nicht besteht, wenigstens waren die
mikroskopischen Befunde an den Eihäuten keine anderen, als man sie
auch sonst am Ende der Schwangerschaft findet. Dasselbe gilt auch
für die Uteruswand. Trotzdem waren die Schädigungen der Gravidität
ganz offenbar. In drei von sieben Fällen trat Abort ein, es wurden
tote und zum Teil macerierte Föten entleert. Genauere Untersuchungen
zeigten, dass die Veränderungen sich namentlich auf Leber und Milz
beziehen. Diese Feststellungen scheinen uns recht wertvoll, zeigt es
doch, wie vorsichtig man z. B. bei Graviden mit der Anwendung der
Röntgenstrahlen sein muss.
H. Sieber: Zur Scopoiaminfrage. (Centralbl. f. Gynäkol, Nr. 14,
1913.) Verf. weist wie schon einmal auf die ausserordentlichen Gefahren
der Scopolaminanwendung hin.
C. Koch - Giessen: Kritische Betrachtung zur Frage unserer modernen
Wehemnittel mit besonderer Berücksichtigung des Betaimidazolyläthyl-
amins. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 16.) Verf. hat früher die
Anwendung des genannten Präparats durch Injektion in die Portio
empfohlen, ist aber wegen der unter Umständen sehr heftigen und all¬
gemeinen Wirkung desselben von dieser Form der Anwendung zurück¬
gekommen. Dagegen hat sich das Präparat bei der Anwendung in
Tropfenform (Lösung 1: 500 6—20 Tropfen) bewährt. Jedoch scheint
es dieselbe Vorsicht in der Anwendung zu erheischen, wie Pituitrin und
andere in gleichem Sinne wirkende Mittel, z. B. plötzliche Erschlaffung
des Uterus, Uteruskrampf usw. Es werden aus der Praxis entsprechende
Fälle angeführt und kritisch beleuchtet. Siefart.
H. Reinhard • Osnabrück: Zar medikamentösen Bekandlnng der
Webensehwäcke während der Geburt. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 16.) Mit Pituitrin hat Verf. keine guten Erfolge gehabt
Mehrmals sah er dabei gefährliche Dauerkontraktionen des Uterus.
Etwas bessere Resultate gibt das Pituglandol, wenngleich auch hierbei
Tetanus uteri vorkommt. Am günstigsten und ungefährlichsten wirkt
noch das Secalan-Golaz. 0,5 reicht meist aus, kann jedoch unbedenklich
wiederholt werden. Wolfsohn.
E. Langes-Kiel: Intraperitoneale Verblutung intra pmrtnm infolge
von Venenrnptnr des Uterus. (Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 15.)
Sechs Wochen ante terminum traten bei einer Gravida heftige Schmerzen
im Leibe auf. Patientin verfiel zusehends, und da die offenbaren Zeichen
einer internen Blutung vorhanden waren, so schritt man zur Laparotomie.
Als Ursache der Blutung wurde ein pfennigstückgrosses Loch in der
Uterusserosa gefunden, welches in ein weit ausgebuchtetes Venen¬
aneurysma führte. Da das Kind abgestorben war, wurde die supra¬
vaginale Amputation gemacht. Trotz reichlicher Zufuhr aller denkbaren
Analeptica trat der Exitus ein. Die mikroskopische Untersuchung der
angefertigten Serienschnitte ergab, dass die Ruptur einer sehr dünn¬
wandigen varicös erweiterten Vene dicht unter der Serosa vorlag.
F. v. Neugebauer-Warschau: Ueber eine Gebnrt 5 Jahre nach
vorausgegangener Piccolioperation wegen puerperaler Uterusinversion.
(Centralbl. f. Gynäkol., 1913, Nr. 15.) Verf. hat bei einer Patientin eine
Inversio uteri operiert durch die sogenannte Piccoli’sche Operation (Ex-
cision eines Stückes der hinteren Uteruswand und Redression mit Ver-
nähung des Excisionsschnittes). Nach 5 Jahren kam die Patientin
wieder zur Entbindung und machte eine glatte Spontangeburt und ein
normales Wochenbett durch. Die Placenta zeigte in ihrer Mitte eine
Einschnürung, was anscheinend auf die Nahtnarbe zurückzuführen ist
Er will konstatiert haben, dass die Inversio fast nur bei Primiparen
vorkommt, und schliesst sich der Ansicht von Mannsfeld an, dass sie
stets mit mangelhafter Entwicklung oder Störung im Wachstum der
Nebennieren verbunden ist, ohne dass man bisher eine Erklärung
dafür hat.
E. Scholl und W. Ko lde - Erlangen: Bakteriologische Unter-
snchangen bei gynäkologischen Erkrankungen. (Centralbl f. Gynäkol.,
1913, Nr. 16.) Die Verff. haben 100 in der dortigen Klinik operierte
Fälle bakteriologisch untersucht, und zwar in der Weise, dass bei den
Pat. nach der Aufnahme, bevor eine Spülung gemacht war, von der
Portio und aus der Vagina mit der Platinöse Sekret entnommen wurde.
Es wurden dann nach dem Verfahren von Heim aerobe und anaerobe
Kulturen in Bouillon und Agar angelegt. Zur Beobachtung kamen 23
nach Wertheim operierte Fälle, zwei Fälle von Ovarialcarcinom, fünf
von Totalexstirpation wegen klimakterischen Blutungen, neun von Myom,
drei von Totalexstirpation wegen Adnexerkrankungen, einer von Total¬
exstirpation wegen Lungentuberkulose, ferner plastische Operationen.
Das Resultat war, dass das Vorhandensein von Streptokokken, seien es
hämolytische oder anhämolytische, aerobe oder anaerobe, keinen Anhalts¬
punkt bietet, um eine Prognose über den Verlauf zu stellen.
Siefart.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Zinsser, Toxi-
cität des menschlichen Harns im puerperalen Zustand und bei Eklampsie.
— Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Goldstein, Akromegalie
nach Kastration.
Augenheilkunde.
M. Hoffmann-München: Doppeltbrechende Myelin« in Katarakten.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 14.) H. bestätigt durch eine
Nachuntersuchung die schon 1857 von Mettenheimer erhobenen Be¬
funde von doppeltbrechenden Myelinen in Katarakten; diese Myeline
fand er bei normalen Linsen nicht. Unterwarf er jedoch normale Linsen
der Hämolyse, so beobachtete er sie auch; ein Befund, der dadurch an
Bedeutung gewinnt, dass auch andere Analogien zwischen kataraktösem
Zerfall der Linse und autolytischen Zerfallsprozessen bestehen.
Dünner.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
J. Lang-Prag: Znr Therapie der Entzündungen im Mud,
Rachen nnd Kehlkopf. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.)
Verf. hat eine grössere Anzahl von Mitteln in bezug auf ihre klinische
Wirkung ausprobiert. Am wirksamsten erschienen ihm das Pyocyaneo-
protein Honl und die Angioltabletten. Von Gurgelwässern ist Forma-
mint sehr wirksam; Chlorkali ist sehr giftig und ein schwaches Gurgel¬
wasser. Es sollte aus dem Arzneischatz völlig gestrichen werden.
Wolfsohn.
J. F. O’Malley: Die Ausschälung der Tonsillen und die Ent¬
fernung der adenoiden Wucherungen unter Lachgas. (Brit. med. journ.,
5. April 1913, Nr. 2727.) Der Verf., der täglich über 30 Fälle zu ope¬
rieren hat, verwirft die gewöhnliche Amputation der Tonsillen und
macht jedesmal die völlige Ausschälung mit Hilfe eines Tonsillektoms
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5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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unter Lachgasnarkose. Er gibt ausführlich alle Einzelheiten seiner
Technik in bezug auf die Vorbereitung und Lagerung der Patienten,
der Narkose, der Operation selbst und der Nachbehandlung.
Weydemann.
Garei und Gigno uz: Korrektionen der Deformitäten der Nase
dar eh intranasale Operationen und Inklusionen der Prothese. (Lyon
möd., 191S, Nr. 14.) Während die Deformitäten der Nase bisher nur
auf extranasalem Wege korrigiert wurden, ist es neuerdings gelungen,
dieselben durch intranasale Operationen zu beheben. Das erreichte kos¬
metische Resultat ist sehr befriedigend, da die verunzierenden Narben
völlig fortfallen. . A. Münzer.
Hygiene und Sanitätswesen.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Weber, Be¬
deutung der Rindertuberkulose für die Entstehung der menschlichen
Tuberkulose. —• Innere Medizin: Dietschy, Zur Diskussion über
Heilstätten. Brecke, Die deutsche Heilstättenbewegung.
Unfallheilkunde und Versicherungswesen.
Siehe auch Innere Medizin:» Klein, Tuberkulindiagnostik in
der Unfallbegutachtung.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner orthopädische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzung vom 4. März 1913.
Vorsitzender: Herr Joachimsthal.
Schriftführer: Herr Mai Böhm.
Der Vorsitzende begrüsst die anwesenden Gäste: die Herren Prof.
Dr. Dieck, Dr. Tedeschi, Dr. Melanotto und Dr. Katz.
Aufgenommen sind in die Gesellschaft die Herren Prof. Dr. Ax-
hausen, Dr. Wagner-Teplitz, Dr. Wolfsohn und Dr. Fritz Wachsner.
Herr Wollenberg berichtet über die Vorbereitungen zum Inter¬
nationalen physiotherapeutischen Kongress.
1. Hr. Reiner: Ueber Myatonia congenita.
(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
2. Hr. Gränberg (a. G.): Die Grundlagen der Orthodontie.
(Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Muskat-Berlin weist darauf hin, dass Anomalien in der Zahn¬
stellung und in der Zahnentwicklung gewöhnlich mit Störungen des
übrigen Knochensystems zusammen Vorkommen. Er richtet an den
Vortragenden die Frage, ob nicht auch in den gezeigten und sonst
beobachteten Fällen Knochenveränderungen besonders rachitischer
Natur Vorgelegen hätten. Für den Orthopäden wäre es wertvoll, wenn
ein solcher Zusammenhang stets oder in der Regel bestände, um aus
der falschen Zahnstellung einen sofortigen Rückschluss auf rachitische
Veränderung des Knochenapparates ziehen zu können.
Hr. Eckstein bittet um nähere Angaben, bis zu welcher Alters¬
grenze sich die demonstrierten Stellungskorrekturen ausführen lassen.
Hr. Grünberg (Schlusswort): Ob die Rachitis stets Anomalien des
Gebisses und der Kiefer zur Folge hat, lässt sich vorläufig mit Bestimmt¬
heit nicht sagen.
Leider kommen die Patienten in der Mehrzahl der Fälle viel zu
spät zu uns, um mit Bestimmtheit die rachitische Erkrankung feststellen
zu können. Zur Lösung dieser Frage könnten meiner Ansicht nach nur
die Orthopäden beitragen, da sie die Kinder in viel jugendlicherem Alter
und meistens auch wegen der fraglichen Erkrankung zur Behandlung
bekommen.
Die Fälle von sogenanntem offenem Biss führt man fast in allen
Fällen auf Rachitis zurück.
Ich kann nur nochmals die Zuversicht aussprechen, dass die gemein¬
schaftliche Tätigkeit des Orthopäden und Orthodonten viele noch dunkle
Punkte der Lösuug entgegenführen wird.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass jede Regulierung im jugend¬
lichen Alter sich viel leichter durchführen lässt. Man soll trotzdem
es nie ablehnen, eine Regulierung auch bei einem Erwachsenen durch¬
zuführen, aber nur dann, wenn eine dringende Notwendigkeit vorliegt.
Die Knochenformation geht im vorgeschrittenen Alter ebenso wie
im ganz jugendlichen vor sich, aber bedeutend langsamer. Die Gefahr
der Thrombosierung der Gefässe . bpi zu starker Kraftanwendung ist
sehr nahe. „
So sind viele Fälle bekannt, wo Regulierungen noch bis zum
35. Jahre durchgeführt wurden. Mein ältester Patient war etwa
60 Jahre alt.
Unter allen Umständen ist ein Unterschied zu machen, ob die
Anomalie nur auf die Zahnstellung beschränkt ist oder aber auch die
Kiefer in Mitleidenschaft gezogen sind. In letzterem Falle soll man im
Alter von 20 bis 22 Jahren auch den Versuch einer Regulierung
unterlassen.
3. Hr. Evler: Mitteilungen zur orthopädischen Technik.
Zunächst erlaube ich mir, Ihnen ein orthopädisches Glac61eder zu
zeigen; es hat grössere Zug- und Reissfestigkeit als das bisherige, ist
weniger dehnbar, wird nicht durch Schweiss entgerbt, kann also auf der
Haut nicht trocknen oder hart werden und scheuern, verursacht auch
keine Reizerscheinungen. Es lässt sich ausser mit Benzin mit Seife
reinigen und eignet sich für Riemen, zum Füttern, Einfassen.
Die Gerbung ist von der hiesigen Glacölederfabrik von Karplus &
Herzberger nach einem von mir zusammengestellten Gerb verfahren, einer
Kombinationsgerbung mit Formaldehyd, Oelemulsion und Magnesium¬
silicat vorgenommen worden. Die Gerbung kann mit Chrom- oder Loh¬
gerbung verbunden werden. Auch dickes Leder ist hergestellt. Mit
dem letzteren weichen Material lassen sich ebenso wie mit Chromleder
der Haut direkt unter Fortfall der Modelle, wie sie die Hessingapparate
bedürfen, Spannungen anschmiegen, welche an vorspringenden Knochen
und Weichteilen Widerhalt finden und die durch Bewegungen der Mus¬
keln bedingten Volumenänderungen der Gliedmaassen mitmachen. Sollte
in Ausnahmefällen unter Beibehaltung der Biegsamkeit eine grössere
Stützkraft erforderlich sein, so dürfte sich ein Balatariemen empfehlen.
Der Preis ist derselbe wie für Leder. Erheblich billiger stellen sich
dagegen Baumwollgurte; ich habe mir solche von 4,8 cm Breite und
4 mm Dicke weben lassen, auch in ihnen haften Nieten, welche bei
untergewickelter Trikotschlauchbinde nicht im geringsten drücken. Ich
niete mit Schuhösen, Zweispitznieten oder mit Schrauben. Abgesehen
von dem schnellen geräuschlosen Einsetzen der Niete, in den beiden
ersteren Fällen mit besonderen Zangen, lassen sich dieselben leicht ent¬
fernen bzw. abfeilen.
Amerikanische Riemenverbinder (Schraubennieten) sind ebenfalls
mitunter zweckmässig; sie haften infolge der kleinen Häkchen an dem
Unterteil an sich ziemlich fest.
Um Schienen noch mehr am Verschieben (Drehen) zu hindern,
wende ich gewöhnliche Schrauben und kleine die Schienen von oben
umfassende Blechstücke mit zwei oder vier Zacken an der Unterfläche
an, welche durch Druck der Schraubenmutter in die Gurte hineingepresst
werden, von unten wirkende Blechstücke mit Zacken können direkt dem
Schraubenkopf angelötet sein.
Die Verbindung zweier Gurte machte bisher Schwierigkeiten, ich
versuchte es mit Schnürhaken, Oesen, Schnallen und Riemen, aber der
Verschluss war kein zuverlässiger und nicht in grösserer Ausdehnung zu
verstellen, beiden Uebelständen wird durch unverrückbare Riemen- und
Gurtenklemmen abgeholfen.
Sie ermöglichen auch, Riemen von verschiedener Dicke, zwei Riemen
übereinander zu verbinden. Dies erreiche ich durch die Schlitze in den
Seitenbacken; in diese ist die Klemmvorrichtung eingesetzt, teils fest,
teils abnehmbar, um Riemen und Gurte bei den beiderseitig zu ver¬
wendenden Apparaten je nach Bedarf über- oder untereinanderlegen zu
können. Infolge der doppelten Reihe Zacken der Klemmvorrichtung
und der Widerhaken am Boden ist weder Vor- noch Rückwärtsbewegung
der eingeklemmten Gurte möglich.
Der Verschluss geschieht ebenso wie das Oeffnen mit Hilfe eines
einfachen zweispitzigen Drahtschlüssels, der in zwei Löcher der Klemm¬
vorrichtung passt.
Um Schienen der Länge und Lage nach verschiebbar zu befestigen,
habe ich eine Schraubenvorrichtung mit Oeffnungen in der Längs- und
Querrichtung konstruiert, es können auch zwei Stahlschienen von je
12 mm Breite und 3Va mm Dicke übereinander festgehalten werden, wie
es am Knie erforderlich ist. Befestigt werden diese Verschlussköpfe an
den Gurten mittels biegsamer Stäbe aus blauem Federstahl, deren
Länge sich nach der gewünschten Verstellbarkeit richtet. Der Feder¬
stahl lässt sich mit Blechschere schneiden, die Löcher mit einer Zange
eindrücken und mit einer fünfkantigen Ahle leicht erweitern, die Kanten
sind abzufeilen.
Gegenüber den Gewindeklötzen und geschlitzten Schienen dürften
diese Verschlussköpfe einen Vorteil bedeuten. Mit Klemmzangen festzu¬
stellende Drehknöpfe haben sich zur Verbindung von geschlitzten Quer-
und Längsschienen nicht bewährt.
Wenn die Apparate Anklang fänden, würde es sich empfehlen, zum
Gebrauch fertige Gurte in verschiedenen Längen mit aufmontierten
Riemenklemmen und Verschlussköpfen und passenden Stahlschienen vor¬
rätig zu halten. Ich wollte aber die Möglichkeit der Selbstherrichtung
ohne besonders dazu geschulte Kräfte gezeigt haben. Die Riemen¬
klemmen und Verschlussköpfe sind gestanzt, also verhältnismässig billig
herzustellen, wie auch die durchlochten Federstahlstäbe.
Ich glaube, dass hierdurch die von mir angegebenen Lederstreck¬
verbände eine Verbesserung erfahren.
Nach diesem Prinzip hergestellte Apparate werden sich auch für
die Unfallstationen vorteilhaft erweisen, sie bedeuten einen Fortschritt
gegenüber den Hessingapparaten, sie sind dem Körper unmittelbar an-
und nachzupassen, bedecken nicht grosse Flächen und haben ein geringes
Gewicht, lassen sich leicht mit Heftpflaster und elastischen Zügen ver¬
binden, auch mit Spiralfederextension. Die Gurte liegen der Haut überall
glatt und gleichmässig ^p, schmiegen sich genau an vorspringenden
Knochen und Muskeln an und umscbliessen diese fest und sioher, ohne
zu drücken oder einzuschnüren und den Kreislauf zu behindern; eventuell
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18 .
ist dem Weichteilpolster mit einigen Touren einer Trikotschlauchbinde
nachzuhelfen. Dadurch, dass jederzeit eine Aenderung der Extension
möglich ist, wird die wenig feste Fixierung der bisherigen Schienen¬
spangenapparate vermieden.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur zn Breslan.
(Offizielles Protokoll.)
Klinischer Abend vom 7. März 1913.
Vorsitzender: Herr Zieschö.
Hr. Ludwig Mann stellt zwei Fälle von familiärer Myotonie mit
Mnskelatrophie nnd Kataraktbildnng vor.
Die beiden Brüder sind bereits vor 10 Jahren (am 6. März 1903)
von Herrn Uhthoff in unserer Gesellschaft vorgestellt worden, und ich
habe damals über den Nervenbefund berichtet. Inzwischen sind sie in
das hiesige St. Josephs-Krankenhaus zur Untersuchung gekommen, und
ich bin Herrn Zieschö dankbar, dass er mir Gelegenheit gegeben hat,
den damaligen Befund nachzuprüfen.
Bei dem älteren Bruder, dem jetzt 46 jährigen Patienten, ist im
Jahre 1896 dio Kataraktoperation in der Kgl. Augenklinik ausgeführt
worden. Damals fanden sich noch keine myotonischen Erscheinungen;
dieselben sind erst später hinzugetreten und noch später ist die Muskel¬
atrophie hinzugekommen.
Bei dem jüngeren, jetzt 40 jährigen Bruder sind die Krankheits¬
erscheinungen genau in dem gleichen Lebensalter und in derselben
Reihenfolge aufgetreten. Im Jahre 1903 Kataraktoperation, damals
myotonische Erscheinungen nur angedeutet, erst später weitere Ent¬
wicklung derselben und erst in den letzten Jahren Entwicklung von
Muskelatrophie.
Die Lokalisation und Ausbreitung der myotonischen sowohl wie der
myotrophischen Störungen stimmen in beiden Fällen in einer geradezu
frappanten Weise überein. Vollkommen atrophisch sind in beiden Fällen
nur die Daumenballen und die ersten Interossei. Die übrige Musku¬
latur zeigt zwar im ganzen ein verringertes Volumen, aber es findet
sich nirgends ein vollständiger Schwund irgendeines Muskels. Eine auf¬
fallende Kraftlosigkeit, aber keine Lähmung, besteht beiderseits im
Facialisgebiet, worauf bereits damals Herr Uhthoff hingewiesen
hat. Die myotonischen Erscheinungen sowohl bei Willkürbewe¬
gung wie bei mechanischer und elektrischer Reizung sind ebenfalls
in beiden Fällen in ganz übereinstimmender Weise in den gleichen
Muskelgruppen lokalisiert, nämlich in den Finger- und Handgelenks¬
beugern und in den Masseteren. In der übrigen Muskulatur, auch an
den unteren Extremitäten findet man zwar einige Andeutung der myo¬
tonischen Bewegungsstörung, sie ist aber nirgends so ausgesprochen,
wie in den Fingerbeugern, in welchen sich das Phänomen der Nachdauer
der Kontraktion jederzeit sehr schön beim Faustschluss produzieren lässt.
Erscheinungen der Tetanie, die wir vor 10 Jahren neben der Myo¬
tonie andeutungsweise beobachteten, sind jetzt nicht mehr vorhanden;
insbesondere fehlt das Facialisphänomen. Ich habe auch bereits damals
die Fälle mehr der Myotonie wie der Tetanie zugerechnet.
Die vollständige Uebereinstimmung der beiden Fälle in bezug auf
Verlauf und Lokalisation der Symptome und die Entstehung in genau
dem gleichen Lebensalter zeigt in höchst eklatanter Weise, dass es sich
hier um ein der Gruppe der familiären Muskelerkrankungen auf heredi¬
tärer Basis zugehöriges Leiden handelt. Die Entstehung durch eine
Störung der inneren Sekretion, die für manche derartige Fälle ange¬
nommen wird (auch bei den vorgestellten Patienten betonten wir da¬
mals eine Hypoplasie der Schilddrüsen), scheint wenig wahrscheinlich.
Diskussion.
Hr. Uhthoff hebt zunächst hervor, dass die Prognose der Operation
von Katarakt mit Tetanie bei relativ jungen Menschen nicht ungünstiger
sei als bei anderen Kataraktkranken. Auch in diesen Fällen seien
damals die Operationen ganz normal verlaufen.
Er hält den jetzigen Befund von ausgedehnter Muskelatrophie be¬
sonders bei dem einen der Kranken für sehr bemerkenswert und fragt
den Vortragenden, ob er diesen Muskelschwund für rein peripher be¬
dingt hält oder eine Affektion der Vorderhörner des Rückenmarks an¬
nimmt?
Eine Parallelstellung dieses Befundes mit der Thomsen’schen Krank¬
heit halte er nicht für angängig, auch habe er Kataraktbildung bei der
Thomsen’schen Krankheit nicht beobachtet.
Hr. Kaposi (demonstriert): 1. Röntgenphotographie, welche ein
Revolvergeschoss in der Wirbelsäule zwischen 6. und 7. Brustwirbel
erkennen lässt. Patient hatte sich beim Einstecken des Revolvers in
die rechte Brustseite angeschossen. Einschuss vom unterhalb des
rechten Schlüsselbeines. Keine Lungenerscheinungen, aber totale Para¬
plegie vom 6. Segment ab, Blase, Mastdarm gelähmt, Reflexe erloschen.
Durch Laminektomie das Geschoss aus dem Rückenmark, das völlig
quer zerstört war, entfernt. Nach der Operation keine Besserung;
Exitus aber erst nach % Jahr.
2. Röntgenplatten, darstellend carcinomutöse Zerstörung des 2.
und 3. Lendenwirbels und kyphotische Knickung. Patient seit einem
Jahre „rheumatoide“ Schmerzen in den Beinen; jetzt deutliche Parese
beider Beine neben ischiadischen Schmerzen, Schwäche von Blase und
Mastdarm.
Es findet sich eine sehr druckschmerzhafte kyphotische Lenden¬
wirbelsäule. Kleines, gut bewegliches, bisher ganz unbeachtet ge¬
gebenes Garcinom der rechten Mamma mit harten Achseldrüsen.
Zerstörung der Wirbel zweifellos metastatisch.
3. Bericht über einige schwere Sch&delverletznngen.
a) Mann, 14 Tage nach Kopfhieb anlässlich eines Wirtshausstreites
somnolent eingeliefert. Seit der Verletzung soll linker Arm, Bein und
linkes Gesicht geschwächt sein. Somnolenz seit einem Tage rasch zu¬
nehmend. Ausser der linken Lähmung-und Somnolenz findet sich
doppelseitige Stauungspapille und Druckpuls. Rechts über dem Scheitel¬
beine 2 cm lange Narbe. Wegen Verdachts auf Hirnabscess Trepa¬
nation; beim Aufklappen des Knochens wird mit diesem zugleich eine
abgebrochene im Knochen feststeokende Messerklinge aus dem
Gehirn herausgeholt. Nekrotische, eitrige Hirnmasse stürzt nach;
in ihr ein Knochensplitter und ein ausgesprengtes Stück des Messers.
Entfernung des Knochens samt Messer. Drainage. Somnolenz weicht
völlig, Lähmung bleibt. Nach 4 Wochen Meningitis und Exitus.
b) 16jähriger Junge mit Hirnerschütterung durch Hufscblag.
Zertrümmerung des linken Schläfenbeines, Zerreissung der
Arteria meningea media. Trepanation. Unterbindung der Meningea.
8 Tage bewusstlos, dann allmählich Besserung, jetzt geheilt und voll
arbeitsfähig.
c) 20jähriger Mann. Automobilzusammenstoss. Schwere Zer¬
trümmerung der Nasenwurzel, des Stirnbeines mit Frei¬
legung des Gehirnes, Abriss des Sinus, Fissur in die Orbita.
Knochensplitter entfernt, Sinus longitudinalis unterbunden. Heilungs¬
verlauf völlig reaktionslos.
d) 10jähriger Junge, vom zweiten Stock gesprungen, weil er
versehentlich vom Vater in die Wohnung ein geschlossen war und zur
Schule musste. Zertrümmerung des Stirnbeines dicht über dem rechten
Auge. 6 Tage post Trauma noch somnolent eingeliefert, Splitter ent¬
fernt, grösserer extraduraler Abscess. Glatte Heilung.
e) Fast die ganze Schläfenbeinschuppe bildende Knochensplitter,
entfernt bei einem 6 jährigen Jungen 3 Wochen nach schwerer Ueber-
fahrung, extraduräler Abscess, grosser Hirnprolaps, nach mehreren
Monaten epithelisiert. Deckung nicht gestattet.
f) Zwei Fälle, die gleich nach der Verletzung aufgenommen und
durch Entfernung der Knochensplitter in kurzer Zeit geheilt wurden.
Vortr. bespricht kurz an der Hand der vorgestellten Fälle die
chirurgische zutreffende Therapie der sofortigen Operation bei jeder
schweren mit Splitterung und Depression einhergehenden Schädel¬
verletzung und weist auf den Gegensatz zwischen dem Heilungsverlauf
der frisch eingelieferten und der verschleppten Fälle hin.
Zum Schluss Demonstration des Schädeldaches einer überfahrenen
Patientin, die an septischer Phlegmone des Beines zugrunde gegangen
war. Intra vitam keinerlei schwere, cerebrale Symptome, nur Klagen
über zeitweise Kopfschmerz, post mortem zeigt sich eine 26 Vs cm lange,
fast das ganze Schädeldach durchsetzende Fissur der ganzen Schädeldicke.
Hr. Zieschä:
1. Demonstration eines Falles von kongenitalem Herzfehler mit
Aneurysma der linken Arteria poplitea.
12jähriger Knabe, Familienanamnese ohne Besonderheiten. Das
Kind hat immer blass ausgesehen und stets nach stärkeren körperlichen
Bewegungen über Atemnot geklagt. Vor zwei Monaten erkrankte er mit
Fieber und Appetitlosigkeit, wobei ein Herzleiden konstatiert wurde.
Sehr schmächtiger und schlecht genährter Knabe von blasser Hautfarbe,
mit mässig starker Cyanose des Gesichts. Sinnesorgane ohne Besonder¬
heiten. Mässige Schwellung der submaxillaren Drüsen beiderseits.
Herzgegend leicht prominent, Lunge frei von Veränderungen, Herzaktion
regelmässig, verstärkt, Puls 100—120. Herzspitzenstoss im 5. Inter-
costalraum ausserhalb der Mamillarlinie. Epigastrische Pulsation. Herz
nach allen Seiten stark vergrössert, auscultatorisch Geräusch wie bei
einer Aorteninsuffizienz und Stenose. Röntgenologisch typisches Bild
eines kombinierten Aortenfehlers. Leber und Milz vergrössert; keine
Oedeme, kein Ascites. Sehr deutlich ausgeprägte Trommelschlegelfinger
und -Zehen. Blut: Erythrocyten 4 000 000, Leukocyten 6700, Hämo¬
globin 55 pCt., Blutdruck 106. Wassermann zweifelhaft. Andauernd
Temperaturen um 38°.
Es liegen also die Erscheinungen eines seit frühester Jugend be¬
stehenden kombinierten Aortenfehlers mit frischen endocarditischen Er¬
scheinungen vor.
Vor einer Woche plötzlich ausserordentlich heftige Schmerzen im
linken Unterschenkel unterhalb der Kniekehle, die auch durch Morphium
nur ganz vorübergehlnd gemildert werden. Im Verlaufe der nächsten
Tage bildet sich eine hühnereigrosse, prallgespannte, auf Druck ausser¬
ordentlich schmerzhafte Geschwulst dicht unterhalb der Kniekehle aus,
die ein sehr starkes systolisches Rauschen hören und fühlen lässt
Später infolge Druckes auf die Venap Oedem des linken Fusses und
Unterschenkels.
Klinisch handelt es sich nach den vorliegenden Symptomen sicher
um ein Aneurysma der Arteria poplitea bzw. der Arteria digitalis
fausteria. Die Entstehung ist schwer zu erklären. Man kann an die
Verschleppung eines septischen Embolus mit nachfolgender Erweichung
der Gefässwand denken.
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UMIVERSITY OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
847
2. Demonstration eines Falles von progressiver Mnskelatropbie
(neuraler Typus).
53jähriger Mann, FamilienanamDese ohne Belang. Es leiden eine
Tante und eine Kusine an ganz ähnlichen Krankheitserscheinungen wie
der Patient selbst. Vor acht Jahren Brustfellentzündung, vor zwei
Jahren Kontusion der Unterschenkel, Juni 1912 Kontusion des Kopfes
und des rechten Oberarms. Nach dem zweiten Unfall wurden bei der
klinisohen Beobachtung nervöse und muskuläre Störungen an den unteren
Extremitäten gefunden, die man zunächst als Folgen des Unfalles auf-
aufassen geneigt war. Eine genaue Anamnese ergab jedoch, dass Patient
bereits im Anfang dieses Jahres derartige Störungen am Bein bemerkt
hatte. Die Kräfte des Beines nahmen ab, komplizierte Bewegungen konnten
nicht mehr exakt ausgeführt werden. Manchmal hatte er das Gefühl des
Eingeschlafenseins im linken Bein. Bis Mitte Juli nahm das Schwäche¬
gefühl selbst nicht zu. Erst als der Patient nach dem zweiten Unfall
das Bett verlassen wollte, war die Schwäche erheblich stärker ge¬
worden. Es fiel dem Patientes auch auf, dass das Bein dünner ge¬
worden war.
Jetzige Beschwerden: Schwäche besonders im linken Bein, mitunter
stechende Schmerzen in beiden Beinen. Auch im rechten Arm hatte
Patient mehreremale krampfartige Zusammenziehungen der Musku¬
latur, früher (vor zwei Jahren) auch Kribbeln und Ameisenlaufen im
rechten Arm.
Organbefund normal, keine Veränderungen an den Augen und am
Augenhintergrund. Es findet sich jetzt eine starke Atrophie des linken
Beines, besonders am Unterschenkel (Mm. gastrocnemius, soleus, peronei),
gleichmässige geringe Atrophie des Oberschenkels ohne Bevorzugung
einzelner Muskelgruppen; keiner der atrophischen Muskeln ist völlig
paretisch. Herabsetzung der groben Kraft. Starke Deformation des
Fusses im Sinne eines Pes equinovarus mit starker Hyperextension der
Zehen, insbesondere der grossen Zehen, deren Grundphalanx überstreckt
ist, während die Endphalanx sich in Beugestellung befindet. Achilles¬
sehne stark verkürzt, entsprechend .starke Beschränkung der Dorsal¬
flexion des Fusses. Fussgelenk fast ankylosieri Sensibilität nicht ge¬
stört. Starke Verdickung der rechtsseitigen Wadenmuskulatur. An den
oberen Extremitäten sind bisher Atrophien nicht wahrzunehmen. Keine
Herabsetzung der tiefen Sensibilität und der Vibrationsempfindung.
Elektrisch besteht partielle Entartungsreaktion, auch in der verdickten
rechtsseitigen Wadenmuskulatur deutlich ausgesprochen, die sich da¬
durch als Pseudohypertrophie erwies.
Reflexe: Bauchdecken- und Cremasterreflexe positiv. Patellarreflexe
gesteigert, Patellarclonus, Achillessehnenreflexe nicht auslösbar, Babinski
stark positiv.
Im Bereiche der Unter- und Oberschenkelmuskulatur und ebenso
auch an beiden oberen Extremitäten, rechts mehr als links, fibrilläres
Muskelzittern. Wassermann’sche Reaktion negativ.
Der etwas atypische Fall erinnert auch durch das Vorkommen einer
Pseudohypertrophie sehr an einen anderen, den Oppenheim in seinem
Lehrbuch beschrieben hat.
3. Demonstration eines Falles von neoritiseher Mnskelatropbie.
Der Name „neuritische Muskelatrophie“, der nicht ganz zutreffend
ist, ist gewählt worden, weil die Erscheinungen unter dem Bilde einer
Neuritis begannen. Die weitere Entwicklung des Falles hat ergeben,
dass es sich auch hier um das Krankheitsbild der neuralen progressiven
Muskelatrophie handelt.
Es handelt sich um ein SOjähriges Mädchen, dessen Familien¬
anamnese ohne Belang ist; nur soll auch hier eine Kusine unter ganz
ähnlichen Erscheinungen krank sein. Patientin hatte als Kind Masern,
später starke Bleichsucht, mit 25 Jahren Nierenentzündung. Anfang
Oktober begannen Schmerzen in den Knien und ein starkes Schwäche¬
gefühl in den Beinen, so dass die Beine beim Laufen einknickten; sie
ist auch einigemale hingefallen. Vor drei Wochen Ameisenlaufen in den
Waden und auffälliges Einschlafen der Beine. Dieser Zustand besserte
sich allmählich. Vor ungefähr fünf Wochen Schmerzen in den Knie¬
kehlen. Patientin gibt jetzt noch an, dass schon vor Beginn der Krank¬
heit die Beine an Umfang abgenommen hätten. Früher will sie immer
gut gelaufen sein und nie Schmerzen in den Beinen gehabt haben. In
den letzten Tagen, sonst niemals, Erbrechen. Stuhlgang regelmässig,
Wasserlassen ohne Besonderheiten. Morbus sexualis negatur. Kein
Trauma, keine nachweisbare toxische Schädigung. Erste Menstruation
mit 13 Jahren, stets regelmässig; angeblich niemals Ausfluss. Kräftiges
Mädchen in gutem Ernährungszustände, mit im allgemeinen schwach
entwickelter Muskulatur.
Augen frei von jeglicher Veränderung, Augenhintergrund, Augen¬
muskelbewegung normal. Die rechte Nasolabialfalte ist weniger scharf
ausgeprägt als die licke. Der Mundwinkel hängt nicht herab. Nase,
Ohren, Rachenorgane ohne Besonderheiten. Keine Schwellung der peri¬
pheren Drüsen.
Lungen ohne Besonderheiten, bis auf eine ganz leichte Schall¬
verkürzung links hinten oben bis zur Spina scapulae. Auscultatorisch
ohne Besonderheiten. Herz von normaler Grösse, Herzaktion regel¬
mässig, Puls regelmässig, voll, nicht beschleunigt. Abdomen und Ab¬
dominalorgane unverändert, Bauchmuskulatur kräftig.
Nervenstatus: An den Armen Muskulatur schwach, motorische
Kraft beiderseits gleich, nicht herabgesetzt. An den Beinen starke
Atrophie der Unterschenkel muskulatur beiderseits, besonders der
Peronealgruppe, sowie der Adduktoren des Oberschenkels auf beiden
Seiten. Aktive und passive Beweglichkeit in den Kniegelenken normal.
Die Füsse stehen beiderseits in Supinationsstellung mit Einwärtsdrehung
und Erhebung der inneren Fussränder, rechts mehr als links; beginnende
Hyperextension der Zehen, besonders der grossen Zehe. Hohes Fuss-
gewölbe mit stark prominentem Fussrücken und Verkürzung der Achilles¬
sehne beiderseits. Die aktive Plantarflexion der Füsse schwach, 1. > r.
Passive Bewegungen in beiden Fussgelenken sehr schwach, r. > 1. Gang
allein wegen der Peroneuslähmung unmöglich, mit Unterstützung unbe¬
holfen, schmerzhaft.
Reflexe: Bauchdeckenreflex beiderseits vorhanden, lebhaft; Patellar¬
reflexe, Achillessehnenreflexe, Fusssohlenreflexe, Babinski fehlen; kein
Fussclonus.
Sensibilität: Muskelsinn beiderseits stark herabgesetzt, 1. > r.
An beiden Beinen, von den Knien nach abwärts Berührungsempfindung
am stärksten, weniger stark die anderen Qualitäten; ,an der medialen
Hälfte des rechten Unterschenkels stärker als auf der lateralen, links
auf der Aussenseite stärker als auf der Innenseite. Stärker noch ist die
Herabsetzung der Sensibilität auf dem B'ussrücken beiderseits; an den
Zehen ist dieselbe ganz erloschen. Diese Sensibilitätsstörung hat sich
vom Tage der Aufnahme stetig zurückgebildet, so dass sie jetzt nicht
mehr nachweisbar ist. Vibrationsgefühl erhalten.
Die elektrische Untersuchung ergibt partielle Entartungsreaktion.
Fibrilläres Muskelflimmern ist hier nicht beobachtet worden.
Nach diesen Erscheinungen scheint die oben gestelllte Diagnose
berechtigt. (Die später vorgenommene Wassermann’sche Reaktion ver¬
lief positiv.)
Diskussion.
Hr. 0. Fo erst er fragt, wie es mit dem Nachweis von Wassermann
im Blut und Liquor in den demonstrierten Fällen steht. Es ist das
deshalb wichtig, weil die chronisch-progressive Muskelatrophie häufig auf
spinalluetischer Basis beruht. Redner selbst hat drei Fälle beobachtet,
die genau so lokalisiert waren, wie der eine hier vorgestellte, und die
luetischer Genese sind. Die Frage der Beziehung zwischen Lues und
chronisch-progressiver Muskelatrophie ist auch deshalb interessant, weil
sie die Beziehungen, die zwischen Tabes und Muskelatrophie in ätio¬
logischer Hinsicht bestehen, betrifft. Es gibt bekanntlich Fälle von Tabes
mit Muskelatrophie, Fälle von reiner Muskelatrophie mit vereinzelten
tabischen Symptomen und endlich Fälle von ausschliesslicher Muskel¬
atrophie ohne jedes tabische Symptom. Zur Erkrankung der Vorder¬
hörner kann aber auch eine luetische Seitenstrangerkrankung treten,
dann bestehen spastische Symptome neben den atrophischen. Das gibt
sich unter Umständen nur durch Babinski, manchmal durch richtige
spastische Paraplegie zu erkennen. Derartiges hat Redner auch mehr¬
fach beobachtet. Die Therapie muss eine lange und intensive sein.
Hr. Ludwig Mann: Ich möchte eine so enge Beziehung zwischen
Tabes und progressiver Muskelatrophie, wie HerrFoerster meint, nicht
annehmen. Dagegen spricht meines Erachtens die doch sehr grosse
Seltenheit des Vorkommens der Muskelatrophie bei der Tabes dorsalis.
Auch wenn man Gelegenheit hat, Tabesfälle in sehr grosser Zahl über
Jahre und Jahrzehnte hinaus zu beobachten, sieht man doch exceptionell
selten das Hinzutreten von Muskelatrophie.
Hr. Bleisch demonstriert einen Fall von Aogenveräideringen bei
disseminierter Myelitis.
Diskussion.
Hr Ziesche: Es handelt sich bei dem vorgestellten Kranken um
einen 33 jährigen verheirateten Mann, dessen Familienanamnese ohne
Belang ist. Mit elf Jahren war er wegen eines Augenleidens drei Wochen
im Krankenhaus. Frau gesund, keine Fehlgeburten, drei gesunde Kinder,
ein Kind jung gestorben. Bei der ersten Untersuchung, als der Patient
noch auf der Augenabteilung lag, waren Motilität und Sensibilität völlig
intakt, vor allem ist die Bauchmuskulatur kräftig, so dass sich der
Kranke ohne Hilfe schnell aufsetzen kann. Patellarreflexe gesteigert,
rechts > links, Achillessehnenreflexe lebhaft, Oppenheim beiderseits vor¬
handen, Babinski angedeutet. Wassermann’sche Reaktion negativ.
Am 27. II. Klagen über Schwäche und Schmerzen in den Beinen,
Patellarrefleie gesteigert, Babinski beiderseits lebhaft, Bauchdeckenreflexe
fehlen. Aktives Aufrichten aus liegender Stellung unmöglich. Sensi¬
bilität auch dort, wo über Schmerzen geklagt wird, intakt. Stuhlgang
und Blasenentleerung stets frei von Veränderungen.
Am 1. III. Ischurie mit hochstehender, bis an den Nabel reichender
Blase. Entleerung durch Katheter. Deutliche Schwäche der Beuge- und
Streckmuskulatur der Ober- und Unterschenkel, Patient kann die Beine
nicht mehr heben. In einer Gürtelzone vom Rippenrand bis zum Nabel
scheint die Sensibilität für spitz und stumpf etwas herabgesetzt zu sein.
Babinski deutlich, Patellar- und Achillessehnenreflexe gesteigert, rechts
Fussclonus. Bauchdeckenreflexe fehlen, Lähmung der Bauchmusklatur.
4. III. Blasenlähmung besteht fort, es besteht jetzt das typische
Bild einer Querschnittsmyelitis mit vollständiger Lähmung der unteren
Extremitäten und Fehlen der Sehnenreflexe. Bis in die Höhe des 12. Brust¬
wirbels vollkommene Anästhesie für alle Qualitäten, rechts darüber eine
handbreite hyperästhetische Zone. Andeutung von Halbseitenläsion.
Leukocyten 5000. Temperatur ist seit zwei Tagen ständig gestiegen
und bewegt sich um 39°. Puls 100—120.
6. III. In den beiden letzten Tagen klagt Patient über sehr heftige
Schmerzen in den Beinen und dem Rümpf, die allmählich aufwärts ge¬
stiegen sind und den rechten Arm ergriffen haben. 'Empfindungslosig¬
keit heraufgegangen bis in die Höbe des 5. Brustwirbels, gleichmässig
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848
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18 .
für alle Qualitäten. Beide unteren Extremitäten vollständig gelähmt,
ebenso Blasen- und Bauchmuskulatur sowie auch die Intercostalmuskeln
und die Muskulatur des Schultergürtels. Starke Parese aller Muskeln
des rechten Armes, nirgends Atrophie. Bauchdecken- und Cremaster¬
reflexe fehlen, ebenso sämtliche Haut- und Sehnenreflexe.
Es besteht jetzt das deutliche Bild einer disseminierten Myelitis.
Interessant ist, dass in einem Stadium der Erkrankung der Patient alle
Zeichen einer multiplen Sklerose darbot. Dadurch und ebenso in dem
weiteren Verlauf nähert sich der Fall einem Symptomenkomplex, der
aus der Nonne’schen Abteilung als akute multiple Sklerose beschrieben
und auch autoptisch erhärtet wurde.
Hr. Uhthoff bemerkt, dass er den Fall auf Veranlassung von
Herrn Bleisch auch untersuchen konnte, und er hält die Deutung
des Vortragenden für richtig, dass es sich hier um einen der seltenen
Fälle von Myelitis: mit akuter retrobulbärer bzw. Neuritis optica handele.
Die Sehstörungen und die ophthalmoskopischen Veränderungen an
sich würden sich ja allenfalls auch mit dem Krankheitsbild der multiplen
Sklerose m Zusammenhang bringen lassen, aber das Bild der spinalen
Erscheinungen (motorische und sensible Paraplegie der unteren Ex¬
tremitäten, Blasenlähmung, Lähmung der Bauchmuskulatur usw.) lasse
schon keine andere Diagnose als die einer Myelitis über den ganzen
Rückenmarksquerschnitt zu.
Hr. Walliczek:
1. (Jeher einen Fall von Verbrennung des Trommelfelles links.
Der Patient,’ der sich mir heute zur Demonstration zur Verfügung
gestellt hat, erkrankte am 15. IX. 1912 an einem akuten Schnupfen
und Mittelohrkatarrh linkerseits. Am 16. IX. verordnete ich dem Kranken
Eingiessungep von Menthol-Naphthol-Glycerin, die erwärmt dreimal täg¬
lich vorgenommen werden sollten. Am 20. IX. fand ich am linken
Trommelfell eine erbsengrosse, die hintere und untere Hälfte der Membran
einnehmende Blase, die mit gelblichseröser Flüssigkeit gefüllt war. Auf
meine Frage, wie diese plötzliche Verschlimmerung entstanden sei, er¬
klärte Patient: er habe am Tage vorher den Einguss wie vorgeschrieben
im Reagenzglase über der Lampe erwärmt, aber ohne Nachprüfen ins
Ohr gegossen. Der ausserordentliche Schmerz, der momentan im Ohr
entstand, liess ihn sofort die Flüssigkeit herausschütten. Aber der Nach¬
schmerz sei noch äusserst heftig und anhaltend gewesen.
Es handele sich in der Tat um eine Verbrennung mit Blasenbildung
am Trommelfell, während der Gehörgang ausser einer geringen Rötung
eine Veränderung kaum aufwies.
Durch diesen Befund wird die auch von Passow beobachtete Tat¬
sache wieder bestätigt, dass das Integument des Gehörganges gegen Ver¬
brennungen viel widerstandsfähiger ist als das des Trommelfelles. Da¬
gegen habe ich bisher die von Passow in seinem Buche „Verletzungen
des Gehörorgans“ behauptete Tatsache, dass auf dem Trommelfell Blut¬
blasen entstehen, wenn das Spülwasser zu kalt temperiert ist, noch nie¬
mals bestätigt gefunden. Bei der Häufigkeit der calorischen Labyrinth¬
prüfung müssten aber doch bei der Kaltwasserprüfung solche Blutblasen
sehr oft beobachtet werden. Es wäre daher nicht uninteressant, zu er¬
fahren, ob in anderen Kliniken solche Trommelfellreizungen als Folge
calorischer Prüfung beobachtet wurden. Ich möchte eher annehmen,
dass für das Entstehen ton Blutblasen am Trommelfell bzw. Gehörgang
wohl eher ein zu tiefes Hineinführen der Ohrenspritze in den Gehörgang
schuld ist, als etwa die geringen Gradunterschiede nicht genügend
temperierten Wassers.
Ich kehre zu unserem Fall zurück. Die Blase wurde geöffnet; sie
zersprang beim Einlegen eines Adrenalin-Cocaintampons. Die Nach¬
behandlung mit Perhydrol konnte nicht verhindern, dass einige Tage
später eine grosse Perforation in der Gegend der Blase entstand. Die
Perforation wurde absolut sicher festgestellt. Eine eigentliche Eiterung
entstand nicht. Das Ohr wurde nach einiger Zeit deshalb trocken be¬
handelt, und die Perforation heilte überraschend schnell in einigen
Wochen zu.
Jetzt kann man das Trommelfell völlig geschlossen sehen; man er¬
kennt auch noch vorn unten eine linsengrosse atrophische Stelle,
während hinten unten und oben das Trommelfell schwach getrübt ist.
Das Hörvermögen für Flüstersprache ist annähernd normal.
Auch in diesem Fall zeigt es sich wiederum, dass bei einer relativ
ausgedehnten Zerstörung des Trommelfells, wenn dieses bisher gesund
war, schuell eine Regeneration der Membran bzw. Verschluss der Zer-
reissung erfolgt, vorausgesetzt, dass keine interkurrente Eiterung den
Heilprozess verhindert. Das sonderbarste in dieser Beziehung sah ich
vor 12 Jahren bei einem Waldenburger Bergmann, der damals durch
eine Dynamitexplosinn eine Zerreissung beider Trommelfelle erlitten
hatte. Während das eine nur einen Riss aufwies, zeigte sich das andere
völlig zerfetzt und die Fetzen des Trommelfells schienen eingerollt. Der
Hammergriff ragte gerade in die Pauke und schien frakturiert. Ich
reponierte den Hammergriff und behandelte das Ohr im übrigen trocken.
Nach etwa vier Wochen stellte sich mir der Kranke mit völlig verheiltem
Trommelfell und relativ gutem Hörvermögen wieder vor. Solche Fälle
sind wohl grosse Seltenheiten, sind aber auch anderweitig beobachtet
worden.
2. Angeborener knöcherner Choanalverschlnss.
Die Patientin, die ich Ihnen vorzustellen mir erlaube, ist ein
klassisches Beispiel einer einseitigen kompletten Nasenverstopfung, näm¬
lich ein Fall von rechtsseitiger, angeborener, knöcherner Choanalatresie.
Solche Fälle sind nach zwei Richtungen interessant; einmal sind sie an
und für sich Seltenheiten, die schon deswegen ein erhöhtes medizinisches
Interesse beanspruchen, und dann sind uns gerade die Fälle angeborener
Nasenverstopfung die berufensten Zeugen in der Frage, ob die Wachs¬
tumsstörung und Missgestaltung des Oberkiefers und Nasengerüstes eine
Folge der behinderten Nasenatmung ist, wie K örner Waldow behauptet,
oder ob diese Missgestaltung durch intrauterine Veranlagung hervor¬
gerufen wird und mit Rasseneigentümlichkeiten des Schädels in Ver¬
bindung zu bringen ist, wie Siebenmann und Fränkel lehren. Ich
möchte auf diese Streitfrage des Näheren nicht eingehen, sondern nur
kurz meine persönliche Auffassung in der Frage dahin äussern, dass
beide Parteien recht haben, d. h. dass sowohl die eine, wie die andere
Möglichkeit in einer Reibe von Fällen nachweisbar ist. Da aber von
den 80 in der Literatur veröffentlichen Fällen nur sehr wenige genaue
Gesichts- und Gaumenmessungen aufweisen, so dürften die hier gefundenen
Maasse ebenfalls interessieren.
Nach Siebenmann-Fränkel beträgt der
Breite
mittlere Gaumenindex ' * 100 = 46
Breite _
„ Nasenindex X 100 = 47
»
Höhe
Obergesichtsindex
X 100 = 50,1
In unserem Falle
der Gaumenindex
„ Nasenindex
Höhe
1,6
cm
Breite
3,5
cm
Breite
2,3
cm
Höhe
4,2
cm
Höhe
5,2
cm
= 45,7
=* 54,7
= 52
Da die Messung des Gaumens in vivo wegen der damit verbundenen
Schwierigkeiten sehr ungenau ist, habe ich einen Gipsabdruck desselben
vornehmen lassen und diesen in der vorgeschriebenen Weise gemessen.
Unter etwa 45 000 Patienten, die ich während meiner Tätigkeit
untersucht habe, habe ich nur drei Fälle von Choanalatresie beobachtet,
und zwar 1 doppelseitigen bei einer Köchin, 1 rechtsseitigen und
1 linksseitigen je bei einem Mädchen. Die Patientin mit der doppel¬
seitigen Choanalatresie ist alsbald aus der Behandlung fortgeblieben, als
sie den Vorschlag einer Operation hörte. Genauere Daten fehlen deshalb.
Den linksseitigen Verschluss habe ich im Jahre 1900 operiert, doch liess
der Erfolg zu wünschen übrig.
Die hier vorgestellte Patientin ist 13 Jahre alt und hat seit ihrer
Jugend eine einseitig verstopfte Nase. Vor Jahren wurden ihr hier in
Breslau von anderer Seite Nasenpolypen, A. V. und vergrösserte Mandeln
entfernt. Zugleich wurde der Vater auf die später notwendig werdende
Operation der Nasenverwachsung hingewiesen.
Wenn man die Nasenmuschel mit Cocainadrenalin zur maximalen
Schrumpfung bringt und den in der rechten Nasenseite massenhaft an¬
gesammelten Schleim entfernt hat, sieht man durch Rhinoscopia anterior,
wie sich links das Gaumensegel beim U-Sagen hebt, und der Reflex der
hinteren Pharynxwand tritt deutlich hervor. Rechts dagegen sieht man
in geringerer Tiefe die Nase hinten durch eine frontale Wand abge¬
schlossen. Misst man die Tiefe der Nase mit einer graduierten Sonde,
so gelangt man links SVaom und rechts nur 6 cm tief. Misst man nun
die Tiefe der Nasenscheidewand durch eine an der Spitze senkrecht ab¬
gebogene Sonde, so erhält man einen Abstand von 6 l / 2 cm von der
Nasenspitze. Es beweist dies also den Abschluss der Nasenöffnung in
der Ebene der Choane.
Giesst man Wasser in die rechte Nasenseite, so fliesst nichts nach
dem Rachen, während es links glatt nach dem Rachen abfliesst und ge¬
schluckt wird.
Bei Rhinoscopia posterior sieht man beide Tubenmündungen deut¬
lich; wärend aber links die Choane und die Nasenmuscheln deutlich zu
erkennen sind, ist rechts nur eine glatte Wand bemerkbar, die in der
Mitte eine linsengrosse Einziehung aufweist. Bei Palpation mit dem
Finger und der Sonde wird ihre Konsistenz als knochenhart fest¬
gestellt.
Geruchssinn ist rechts nicht vorhanden; Ohrbefund und Hörver¬
mögen beiderseits normal; Augenbefund ebenso. Die rechte Gesichts¬
hälfte scheint etwas kleiner zu sein, als die linke. Die rechte Nasolabial-
falte etwas verstrichen, Mund rechts etwas schief. Zähne recht schlecht
und unregelmässig gestellt. Gaumen mässig hoch, die Raphe ist an¬
scheinend etwas nach rechts verschoben. Sonst ist eine Anomalie am
Kopf nicht wahrnehmbar.
Therapeutisch beabsichtige ich hier mit einem elektromotorisch be¬
triebenen Rundbohrer die Membran zu durchlochen und von der Oeffoung
aus die ganze Knochenwand fortzustanzen, bis eine annähernd normale
Choane entstanden ist. Die Operation soll unter Lokalanästhesie aus-
geführt werden.
Hr. Malis berichtet über einen Fall von Gyn&tresie bei einem
16 jährigen Mädchen (hochsitzende Scheidenatresie mit Hämatocolpus und
doppelseitiger Hämatosalpinx ohne Hämatometra). Das Mädchen klagte
seit zwei Jahren über Schmerzen im Leibe, die anfangs in 4 wöchigem
Intervall auftraten und ein bis zwei Tage anhielten, seit etwa 8 Wochen
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UMIVERSITY OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
849
aber fast kontinuierlich fortbestehen. Anamnestische Angaben über
voraufgegangene Infektionskrankheiten fehlen.
Derber, druckempfindlicher Tumor bis handbreit über die Symphyse
reichend, nach links die Mittellinie zwei Querfinger überschreitend, nach
rechts bis an den Darmbeinkamm sich erstreokend, mit sattelförmiger
Einsenkung. Vulva schliesst; Hymen fehlt; an Stelle des Introitus
leichte Einziehung. 5 cm oberhalb des Sphincter ani tastet man einen
Tumor, der die Vorderwand des Rectums vorwölbt und in den obigen
Tumor übergeht.
Mach Querschnitt zwischen Harnröhre und Anus und teils stumpfer,
teils scharfer Trennung der obturierenden Schicht Eröffnung des Blut¬
sackes und Entleerung schokoladefarbener, zäher Flüssigkeit. Nach
Mobilisierung der Schleimhaut werden die Ränder des Restes des Scheiden¬
schlauches heruutergezogen und an die äussere Haut angenäht. Es resultiert
eine gut für ein Finger passierbare Scheide. Man fühlt jetzt einen dick¬
wandigen Uterus ohne Inhalt mit rechtsseitigem, faustgrossem, adhärentem
Adnex und linksseitig fingerdicken beweglichen Hämatosalpinx. Nach
suprasymphysärem Fascienquerschnitt Entfernung des rechtsseitigen
Tumors (Demonstration) und Entleerung des linksseitigen Hämatosalpinx
mit nachfolgender Salpingostomie. Glatte Rekonvaleszenz. Pat. isst,
hat sich recht gut erholt und ist regelmässig menstruiert. Die Scheide
ist ziemlich geschrumpft, zurzeit, 5 Monate nach der Operation, für
kleinen Finger knapp passierbar. Bei eventueller Verheiratung der Pat.
käme dieserhalb eine Nachoperation in Frage.
Kritik der zurzeit herrschenden Anschauungen über Aetiologie und
Therapie der Gynatresien.
Nach Ansicht des Vortr. findet die Nagel-Veit’sche Theorie durch
obigen Fall eine neue Bestätigung. In Fällen von Gynatresie mit kom¬
plizierender Hämatosalpinxbildung ist in gleicher Sitzung mit Eröffnung
des Blutsackes die Hämatosalpinx in Angriff zu nehmen. Ob man die
Operation vaginal oder abdominal beginnt, ist irrelevant. Bei doppel¬
seitiger Hämatosalpinx ist der Versuch der Erhaltung der Conceptions-
möglichkeit durch Salpingostomie zu machen.
Sitzung vom 14. März 1913.
Vorsitzender: Herr A. Neisser.
Schriftführer: Herr Röhmann.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Richard Levy demonstriert einen 35jährigen Mann mit tabi-
scher Spontanfraktnr der Lendenwirbelsänle.
Der Pat. wusste über Entstehung des Gibbus nichts anzugeben.
Völlige Zertrümmerung des zweiten und dritten Lendenwirbels, trotzdem
kann der Mann bei gestreckten Knien extreme Rumpfbeugung ausführen.
Hypotonie der Hüftgelenke kommt hierbei wohl allerdings auch in Be¬
tracht. (Siehe nachstehende Figur 1 und 2.)
Figur 1.
HHr. E. Frank und F. Heimann:
Ueber biologische Carcinomdiagnose. — Erfahrungen mit der Abder-
halden'schen Fermentreaktion beim Carcinom.
Hr. Frank gibt einen Ueberblick über die wichtigeren Versuche,
das Carcinom serologisch zu diagnostizieren (Erhöhung des antitrypti-
schen Titers nach Brieger-Trebing, Zellreaktion nach Freund -
Karainer und Neuberg, Komplementablenkungsmethode nach
v. Düngern, Meiostagmiereaktion nach Ascoli-Azar).
Hr. Heimann berichtet sodann über die Resultate gemeinsamer
Studien über die Verwendbarkeit der Abderhalden’schen Fermentreaktion
für Carcinomerkennung.
(Der Vortrag ist in Nr. 14 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.)
Figur 2.
Diskussion.
Frl. Herzberg: Im Anschluss an den Vortrag des Herren Frank-
Heim an n möchte ich über die Resultate berichten, die wir mit der Abder¬
halden’schen Schwangerschaftsreaktion an der Prof. L. Fraenkel’schen
Frauenklinik erzielten. Vorausschicken will ich, dass nur die Fälle
berücksichtigt wurden, in denen genau nach den Angaben Abder-
halden’s unter peinlichster Beobachtung aller Kontrollproben gearbeitet
wurde. Die Versuche datieren von Ende Oktober 1912 an, von welcher
Zeit ab zugleich die Biuret- und Ninhydrinprobe angestellt wurde.
Frühere Resultate blieben unberücksichtigt. Von diesem Termine an
stellten wir bei 44 Frauen die Abderhalden’sche Reaktion an und zwar
hauptsächlich bei jungen Graviditäten von 6—8 Wochen — denn nur in
dieser Zeit wäre eine sichere Schwangerschaftsdiagnose von praktischem
Wert — und bei zwei Tubargraviditäten.
24 mal stimmte der klinische Befund mit der Reaktion überein: bei
Gravidität positiv, bei Amenorrhoe aus anderen Ursachen negativ. Auch
die beiden Tubargraviditäten gaben positiven Befund. Andererseits war
bei 9 weiteren jungen Graviditäten von 6—8 Wochen die Reaktion
negativ und bei 3 nicht graviden Frauen positiv. Unter die letzt¬
erwähnten Fälle fällt ein Myom.
Es handelte sich um eine 29 jährige II para. Letzter Partus 1909.
Menstruation nie ausgeblieben. Seit 3 Monaten bemerkt die Frau ein
Stärkerwerden des Leibes und sucht deswegen die Poliklinik auf. Die
Differentialdiagnose schwankte nach Berücksichtigung aller Momente
zwischen erweichtem Myom und Gravidität von etwa 20 Wochen.
Abderhalden positiv. Die klinische Beobachtung sprach dann doch
für Myom, so dass laparotomiert wurde. Es handelte sich um ein ganz
erweichtes Myom. Die Abderhalden’sche Reaktion hätte uns hier irre¬
führen können.
Nach unseren Erfahrungen ist also die Abderhalden’sche Reaktion
immer mit zu berücksichtigen bei der Diagnose, jedoch sind die Resultate
noch zu schwankend, als dass man sich auf sie allein verlassen könnte.
Zweimal gebrauchten wir Abortplacenten: Hier kamen wir zu dem
interessanten Resultate, dass sie von Schwangerenserum, das mit anderen
Placenten sicher positive Reaktion gab, nicht abgebaut wurden.
Eklampsieplacenten verhielten sich hinsichtlich der Reaktion wie normale
Placenten.
Zusammenfassung: 44 Fälle.
24 mal Abderhalden +: Gravidität 6.—8. Woche
9 „ » » 6 .- 8 . „
3 „ „ nicht gravid (davon 1 mal Myom)
3 mal Biuret — Ninhydrin +: Gravidität 6.—8. Woche
5 „ „ — „ 4malGrav. 6.—8. „
1 „ „5. Mon. mit abgestorb. Fötus.
Weiterhin stellt Prof. Fraenkel gegenwärtig Versuche darüber an,
ob in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten Corpus lut. verum
lösende Fermente im Blute kreisen.
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UNIVERSUM OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Hr. P. Rosenthal berichtet über zurzeit noch nicht abgeschlossene,
mit Frank gemeinsam ausgeführte Versuche an Hunden und Kaninchen
über die Spezifität der Abderhalden’sohen Fermente. Nach den bis¬
herigen Ergebnissen scheint eine gewisse Artspezifität der Fermente zu
bestehen, doch scheint innerhalb der Organe die Placenta eine gewisse
Sonderstellung einzunehmen.
Hr. Marcus: (Die Diskussionsbemerkung ist in Nr. 17 dieser
Wochenschrift abgedruckt.) __
Aerztlicher Verein za Hamburg.
Sitzung vom 8. April 1913.
Hr. KafTka bespricht Wesen nnd Technik der Abderhalden’schen
Sehwangerschaftsdiagnose und geht sodann auf die Fauser’schen Unter¬
suchungsergebnisse ein. K. hat festgestellt, dass im Liquor selbst bei
Verwendung grösserer Mengen die Fermente nicht nachweisbar sind,
und zwar weder das gegen Placenta gerichtete noch — bei Gehirn¬
krankheiten — das gegen Gehirn gerichtete. Er schliesst daraus, dass
die Anschauung Fauser’s nicht zu Recht besteht, nach der die Un¬
heilbarkeit z. B. der Paralyse darauf beruht, dass die bei Zugrunde¬
gehen von Nervensubstanz entstehenden Fermente ihrerseits wieder das
Nervengewebe anzugreifen vermögen.
Hr. Hegener berichtet über folgenden Fall: Otitis media naeh
Angina führt zu spontaner Trommelfellperforation; danach trotz Tempe¬
raturabfall keine Erholung. Nach einiger Zeit wieder Fieberanstieg;
längere Zeit hindurch sehr hohes, stark remittierendes Fieber. Bei
Untersuchung des schwer collabierten Patienten fand H. ausser der ge¬
wöhnlichen radiären und Hammergriffinjektion noch eine diffuse Trommel¬
fellrötung, die auf irgendeinen sonst nicht zugänglichen Herd hinwies.
Bei der Operation fand sich der Warzenfortsatz ostitisch verändert, hier
und da kleine Eiterpünktchen. Im Sinus wahrscheinlich randständiger
Thrombus: nicht eröffnet, noch Jugularis unterbunden. Heilung. H. fasst
den Fall als Osteophlebitispyämie auf.
Hr. Weygandt:
Fälle von Dysgenitalismns mit psychischen Stör an gen.
Fall 1. 13jähriger Knabe mit juveniler Paralyse. Mutter war
syphilitisch. Der hier bestehende Dysgenitalismus mit einzelnen femininen
Erscheinungen und eunuchoidem Körperbau wird auf die kongenitale
Lues — die sonst keinerlei Stigmata (Hutchinson’sche Trias oder dgl.)
gemacht hatte — zurückgeführt.
Fall 2. Ebenfalls Dysgenitalismus mit eunuchoidem Längenwuchs.
Psychisch ist Pat. kindlich, läppisch, weinerlich, ziemlich schwachsinnig;
halluziniert. Als gemeinsame Ursache der körperlichen und psychischen
Störungen ist abnorme Anlage zu betrachten.
Fall 3. 20jähriges, 136 cm grosses Mädchen mit infantilen
Genitalien. An den Beinen spastische Erscheinungen und erhöhte
Sehnenreflexe, allerdings kein Glonus, kein Babinski. Psychisch: tiefe
Idiotie der eretbischen Form; stereotype Bewegungen, ähnlich denen der
Katatoniker. Der Fall dürfte als Nanisme diplegique (Bourneville)
zu charakterisieren sein.
Hr. Kümmell stellt eine Frau vor, der er die carcinomatöse Blase
total exstirpiert hat. Die Ureteren wurden nahe der Wunde in die
äussere Haut vernäht und der Patientin ein Gummireceptaculum gegeben.
Infektion der Harnwege ist bis ietzt vermieden.
Hr. Prochownik:
Gynäkologische Röntgenbestrahlungen and Demonstrationen.
Nach einem historischen Rückblick auf die verschiedenen Methoden
der Myombehandlung bespricht P. seine Erfahrungen mit der Röntgen¬
behandlung. Nach den bei der Kastration gemachten Erfahrungen schloss
er Frauen unter 40 Jahren von dieser Behandlung aus. Ferner galt
ihm als Kontraindikation Blasenbeschwerden, dauernde Metro- (nicht
Meno-)rhagien, submucöser Sitz der Myome. Bei Anämie und „Myom¬
herz“ bevorzugt er diese Therapie. Nach diesen Grundsätzen erwiesen
sich ihm von 180 Myomfällen 45 geeignet zur Bestrahlung, die in
39 Fällen erfolgreich war. Von den übrigen 6 kann nur einer als
Misserfolg zählen, zwei entzogen sich der Behandlung, bei dreien erwies
sich die Diagnose als unrichtig. Bei den erfolgreichen verschwanden
nicht nur die Symptome, sondern es fand auch ein Rückgang der
Tumoren statt, und zwar häufiger, schneller und erheblicher als bei
Kastration. Stabil blieben sie nur in lOpCt. der Fälle (gegenüber
25 pCt. bei Castratio). In zwei Fällen musste wegen „klinischer Malignität“
nach 1 */* bzw. 2 1 /* Jahren doch noch operiert werden. Das Dauer¬
resultat war meist um so besser, je schneller die Amenorrhoe erzielt
war. P. nimmt eine Wirkung der X-Strahlen auch auf die Tumorzellen
an. Wesentliche Schädigungen durch die Bestrahlung sah P. nie. An
der Haut nur leichte Erytheme, nichts, was über kosmetische Bedeutung
hinausging. Ganz ausnahmsweise leichte, schnell vorübergehende Albu¬
minurie; endlich nervöse Störungen: Schwindel, Kopfschmerz, Uebelkeit
(„Röntgenkater“).
Zum Schluss bespricht P. die Bestrahlungstherapie bei klimak¬
terischen Blutungen, die — in 15 besonders schweren Fällen — stets
von promptem Erfolg war. _
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 15. April 1913.
1. Fortsetzung der Diskussion znm Vortrag des Herrn Wohlwill:
Ueber akute und chronische multiple Sklerose.
Hr. Nonne bespricht die pathologisch-anatomische und klinische
Differentialdiagnose zwischep der funiculären Myelitis und der multiplen
Sklerose, die namentlich in beginnenden sowie in akuten Fällen schwierig
sein kann. Er demonstriert die Präparate von zwei Fällen, von denen
der erste klinisch das typische Bild der multiplen Sklerose geboten
hatte, der zweite wie eine akute Querschnittsmyelitis verlaufen war.
Beidemal anatomisch die charakteristisch symmetrische, aus konfluierten
Herden (Lückenfelder!) entstandene strangförraige Affektion.
Hr. Kafka fragt nach den Liquorbefunden bei den Wo hl will-
sehen Fällen und geht auf die Fauser’schen Anschauungen ein, die
ihm unwahrscheinlich erscheinen, da die betreffenden Fermente im Liquor
nicht nachweisbar sind.
Hr. Liebrecht möchte die Gliawucherung bei der multiplen Skle¬
rose doch als reine Ersatz Wucherung auffassen und beruft sich dabei
auf Erfahrungen beim Opticus.
Hr. Wohlwill (Schlusswort): Die Befunde im einzelnen können
sehr variieren; ältere Herde batW. in seinen Fällen nicht gesehen, will
aber nicht bestreiten, dass möglicherweise solche vorhanden waren.
Liquoruntersuchung fand nur in einem Fall statt und ergab massige
Lymphocytose.
2. Diskussion zu der Demonstration des Herrn Nenne: Negaehi-
Präparate von Spirochäten bei Paralyse.
Hr. Stargardt: Schon die pathologisch-anatomischen Befunde
nötigten, die Paralyse als eine echt syphilitische — aber nicht gum¬
möse — Erkrankung zu betrachten. Der Spirochätenbefund hat daher
nichts Ueberraschendes. Paralyse, Tabes, Aortitis und Arthropathie sind
als spätsyphilitische Prozesse zu bezeichnen.
Hr. Paaschen: An der Spirochätennatur ist nicht zu zweifeln.
Hr. Jakob maoht auf die Schwierigkeiten der Erkennung aufmerk¬
sam; sodann erinnert er an die pathologisch-anatomisch interessanten
Fälle, in denen Uebergangsformen von Lues cerebri und Paralyse bzw.
eine Kombination beider Erkrankungen vorzuliegen scheinen.
Hr. Kafka: An der Sonderstellung der Paralyse ist trotz der
Spirochätenbefunde vorläufig noch festzuhalten.
Hr. Nonne (Schlusswort) betont ebenfalls, dass die Paralyse immer
noch als Entität für sich zu betrachten sei. Therapeutisch könne man
sich nicht allzuviel Hoffnungen machen.
3. Hr. E. Fraenkel demonstriert das Sehädeldach eines Falles vei
tnberkalöser Meningitis, bei dem die Nähte intensiv gerötet erscheinen;
die Knochen sind in denselben beweglich. Dies ist ein typischer Be¬
fund bei Meningitis tuberculosa (Pielsticker). Er beruht lediglich
auf einer Hyperämie der Gefässe der Markräume. Bei eitriger Menin¬
gitis ist er viel seltener zu beobachten. Die Erscheinung ist als der
Ausdruck einer intensiven, ziemlich schnell auftretenden Drucksteigerung
zu betrachten; sie findet sich von der Zeit des Fontanellenschluses bis
zur Beendigung des Wachstums. Die tuberkulöse Meningitis ist be¬
vorzugt, weil bei ihr regelmässig die Hirnsubstanz beteiligt ist (Schwel¬
lung) und der Verlauf langsamer ist.
Diskussion: HHr. Hegler, Preiser, Fraenkel.
4. HHr. Rimmerle und Sehunrai:
Ueber Bence-Jones’sehe Albamiaarie.
Hr. Kimmerle berichtet nach ausführlichem historischen Rückblick
über folgenden Fall: Männlicher Patient hatte Lues. Seit l*/i Jahren
Ermüdbarkeit, später Abmagerung. Keine Knochenscbmerzen. Ob¬
jektiv: Erhebliche Kachexie. Grosser, grobhöckeriger Tumor in ab-
dominc. Keine Drüsen. Knochen nicht druckempfindlich. Der Urin
enthält neben Serumalbumin den Bence- Jon es’ sehen Eiweisskörper,
Cylinder, Leukocyten, Bakterien. Röntgenologisch: Kein sicherer
Befund. Späterhin zeitweise Schmerzen im Sternum und Druckempfind¬
lichkeit der 7. und 8. Rippe und des 6. Brustwirbels; verschwand später
wieder.
Differentialdiagnose: Für Myelom kein sicherer Anhalts¬
punkt. Auffallend wäre der grosse Tumor. Bei Car ein om ist die
Bence-Jones’sche Albuminurie äusserst selten (nur ein sicherer Fall).
Wahrscheinlicher: Sarkom, von den Knochen oder Lymphdrüsen aus¬
gehend, mit Lebermetastasen.
Hr. Schümm demonstriert den Nachweis des Bence-Jones’scben
Eiweisskörpers. Es handelt sich um eine den echten Eiweisskörpern
sehr nahestehende Substanz, da durch Verdauung mit Pepsin und Salz¬
säure ein buntes Gemisch von Albumen abgespalten wird. Esbaoh’s
Reagens ergibt stets Fällung; Fehlen derselben schliesst also das Vor¬
handensein des Bence-Jones’schen Körpers aus. Die Herkunft ist noch
gänzlich dunkel. Da bisweilen 60—70 g pro die längere Zeit hindurch
ausgeschieden werden, so ist die Entstehung im Tumor selbst unwahr¬
scheinlich. F. Wohl will - Hamburg.
Aerztlicher Bezirksverein za Zittau.
(Offizielles Protokoll.)
Krankenhausabend vom 3. April 1913.
Vorsitzender: Herr Körner.
Schriftführer: Herr Klieneberger.
1. Hr. Hering: Herstellung vegetativ keimfreier Rohmileh.
Bisher war es durch kein Entkeimungsverfahren gelungen, nennens¬
werte Quantitäten einer keimfreien einwandfreien Nährmilch zu gewinnen
Kurzfristiges Sterilisieren bei 100 und mehr Grad, oder anhaltendes Er-
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5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
851
hitzen auf 80—90° (Pasteurisieren) „denaturieren“ frische Milch che¬
misch und biologisch derart, dass sie eigentlich nur noch als ein Milch-
sunogat angesprochen werden kann. Um die baktericide Wirkung ultra¬
violetter Strahlen der Milchentkeimung dienstbar zu machen, versuchten
vor mehr als 10 Jahren bereits Dr. Seifert, Dr. Lob eck-Leipzig, im
abgeschlossenen keimfreien Raume vermittels einer Sprühdüse nebelfein
zerstäubte Milch durch ultraviolette Bestrahlung zu entkeimen. Der
Erfolg war nur ein teilweiser, weil den ultravioletten Strahlen die Kraft
fehlt, dünne Milchschichten, ebenso feinste Milchstäubchen zu durch¬
dringen; jedes solches Stäubchen wirft quasi einen „Ultraschatten“, die
hierin liegenden Keime entgegen der Abtötung. Diese Versuchsanstellung
führte — theoretisch freilich auf ganz anderer Basis — zu einem neuen
Verfahren, wonach kalte Milch in einem konstant auf etwa 73—75° er¬
haltenen Raum durch eine Sprühdüse hindurchgesprüht und die sofort
wieder abfliessende Sprühmilch umgehend steril gekühlt wird. Durch
diesen beträchtlichen, momentan sich vollziehenden Temperatursprung
gehen alle vegetativen Bakterienformen zugrunde, während die Milch
selbst hierbei nicht Zeit findet, weder chemisch noch bakteriologisch sich
zu verändern. Es resultiert hierbei tatsächlich eine vegetativ keimfreie
Milch, welche alle Qualitäten frischer Rohmilch besitzt; sie schmeckt
wie diese, lässt sich verbuttern und verkäsen wie diese, liefert „fehler¬
frei“ und steril: Butter, Quark, Rahm, Magermilch. Dass hierdurch ein
ganz gewaltiger Fortschritt auf dem Gebiete der Milch- und Molkerei¬
hygiene erreicht ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. Das neue Ver¬
fahren der Leipziger Gesellschaft für Molkereifortschritte ist patentiert.
2. Hr. Moser: a) Demonstration der Röntgenplatte des linken Ober¬
kiefers einer 50jährigen Frau, die seit 2 Jahren an Schmerzen und
Gesichtssehwellungen litt. Mao sieht einen im Oberkiefer steckenden
Zahn. Dieser, ein etwa 2 cm langer zapfenförmiger, retinierter, jeden¬
falls überzähliger Zahn wurde durch Inzision und Zurückschieben der
Schleimhaut entfernt.
b) Demonstration der Harnorgane eines 59 jährigen Mannes mit
niehttranmatiseher Blasenrnptnr. Als der Patient sich bei der ersten
Untersuchung umlegte, hatte er das Gefühl, als ob im Leibe etwas risse.
Da aber der Leib sohon vorher bretthart war, und da auch der Puls
ruhig blieb, kann man wohl annehmen, dass die Perforation schon vorher
stattgefunden hatte. Mittels weichen Katheters — erste Katheterein¬
führung! — wurde ®/ 4 Liter völlig blutigen Harns entleert. Der spontan
und tropfenweise entleerte Harn war schon seit 3 Tagen blutig. Fünf
Stunden später die Zeichen des freien Ascites mit schnell zunehmender
Pulsverschlechterung. Bei der Laparotomie wurde ein Loch auf der
Hinterwand der Blase linksseitig gefunden, durch das sehr leicht der
Zeigefinger in die Blase geführt werden konnte. Zweireihige fortlaufende
Catgutnabt, dann Cystotomie und Ausschälung der nur kleinapfelgrossen
Prostata, die aber weit in die Blase hineinragte und die Urethra circulär
umgab. Dauerkatheter, Drainage und Tamponade der Blase. Tod nach
3 Tagen. Bei der Sektion Peritoneum frei von pathologischer Flüssig¬
keit. Der obere Teil des Blasenloches war wieder offenstehend, die
Catgutfäden nur noch zum Teil vorhanden. Die rechte Niere vergrössert,
Nierenbecken erweitert, Harnleiter kleinfingerdick. Linke Niere stark
verkleinert, mit Narben an der Oberfläche, Becken und Harnleiter er¬
weitert, in letzterem 6 cm vor der Harnblasenmündung ein 1 cm langer
maulbeerförmiger Stein.
Die Zerreissung der ausgedehnten Blasenwand, deren Muskulatur
verdickt war, muss der mangelhaften Entleerung und Ueberdehnung zur
Last gelegt werden.
3. Hr. Klieneberger: a) Progressive Paralyse. 50 jähriger Bäcker,
der halb erfroren im Chausseegraben gefunden wurde. Demente Form
mit allen psychischen und somatischen Zeichen. Bemerkenswert ist das
gleichzeitige Vorhandensein einer Aorteninsuffizienz sowie völliger An¬
algesie. Eine Phlegmone, die im Anschluss an ein Trauma entstanden
war, konnte bis auf den Knochen inzidiert und ausgekratzt werden, ohne
dass eine Abwehrbewegung erfolgte. Der Patient erleidet, wenn man
ihn nicht genügend schützt, Brandwunden, obwohl er warm und kalt
noch unterscheiden kann.
b) Diphtberia vagiuae, die erst bemerkt wurde, als die wegen einer
Lungenentzündung behandelte Frau nach der Krise über Urinbeschwerden
klagte. Es bestand eine schwere Staphylokokkenoystitis mit Dysurie.
Die kleinen Labien und der Eingang der Vagina zeigten dicke,- nicht ab¬
hebbare Membranen von speckgrauer Färbung. Bakteriologisch konnten
wiederholt Diphtheriebaoillen aus den Membranen sowie aus dem Rachen,
der keine Veränderung zeigte, gezüchtet werden. Die Behandlung der
Scheidendiphtherie mit Pyocyanasespray, daneben Scheidenspülungen,
führte binnen 8 Tagen zur Abstossung der Membranen und zur Bildung
normaler Schleimhaut. Die Cystitis allerdings besserte sich langsamer
unter Wärmebehandlung, Trinkkur und Salol. Es muss dahingestellt
bleiben, ob neben den Diphtheriebacillen die Staphylokokken für die
Entstehung der Affektion ursprünglich in Frage kamen. Der rasche
günstige Ausgang — die erst 14 Tage in Behandlung befindliche Frau
ist zurzeit fieber- und beschwerdefrei, die Reste der pneumonischen Ver¬
dichtung sind allerdings noch nachweisbar — ist jedenfalls bemerkens¬
wert. Eine Antitoxinbehandlung hat nicht stattgefunden. Im Gegensatz
zu der infausten Prognose der Haut- und Scheidendiphtherie kleiner
Kinder scheint also die chronische Diphtherie Erwachsener, selbst bei
einer so bemerkenswerten Komplikation (croupöse Pneumonie), keine so
ernste Prognose darzubieten.
c) Pneumothoraxbehandlung. Demonstration einfacher Apparatur
(in der Höhe verstellbare Flaschen, Wassermanometer, Dreiwegehahn und
Nadel mit seitlicher Luftzuführung). Bei einer gleichzeitig vorgestellten
Patientin war eine croupöse Lungenentzündung zu einer alten Tuber¬
kulose (Bacillennachweis) hinzugetreten. Wegen mangelnder Resolution,
Fortdauer des Fiebers und reichlicher Exspektoration wurde ein Pneumo¬
thorax links angelegt und nach 5 Wochen wieder nacbgefüllt, mit dem
Erfolge, dass eine Gewichtszunahme um 8 Pfund erzielt wurde, dass
das Fieber verschwand, der Auswurf fast ganz aufhörte und das Allgemein¬
befinden sich entsprechend besserte.
Bei einer zweiten Patientin mit ähnlichem Befund (Pneumonie und
Tuberkulose) aber mit dem Unterschiede, dass es sich um eine floride
Tuberkulose handelte, hatte die Pneumothoraxbehandlung vorübergehend
anscheinend vollen Erfolg (günstige Wirkung auf das Allgemeinbefinden,
den Ernährungszustand, das Fieber und die Exspektoration). Leider
setzte im Anschluss an eine Angina 37 2 Wochen nach Anlegen des
Pneumothorax, besonders auf der Pneumothoraxseite, eine floride Aus¬
breitung ein, die binnen kurzem zum tödlichen Ausgange führen wird.
In einem dritten Fall (Tuberkulose dritten Grades bei Diabetes)
hatte die Pneumothoraxbehandlung, die übrigens wegen Verwachsung
nicht recht durchzuführen war, nur subjektiven Erfolg.
d) Die Radiographie in der Diagnostik der Nephrolithiasis.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 7. März 1913.
(Eigener Bericht)
Hr. Marschik stellte einen Patienten vor, welchen er vor einigen
Monaten mit Verschluss des Kehlkopfes demonstriert hatte.
Es wurde seither der Larynx gespalten und eine Bolzendehnung
durchgeführt. Der Kranke hat seitdem gelernt, mit einer normalen
Larynxstimme zu sprechen: die Stimme ist noch ein Flüstern, während
er, wie früher, mit einer deutlichen Pharynxstimme laut sprechen kann.
Wenn das Lumen des Kehlkopfes und der Trachea sich nicht mehr ver¬
engen wird, soll der Kehlkopf geschlossen und die Kanüle weggelassen
werden.
Hr. Stein berichtet über eine chronische Form des Rotzes, welcher
auf die Haut und die Gelenke lokalisiert ist.
Pat. stammt aus Konstantinopel. Er hatte monatelang serpiginöse
Geschwüre mit ausgenagten Rändern an den Unterschenkeln, am Ge¬
schwürsrande sassen kleine Pusteln, aus welchen sich auf Druck Eiter
entleerte. Der Eitererreger konnte nicht aufgefunden werden. Unter
chirurgischer Behandlung vernarbten die Geschwüre. Hierauf traten
Schwellungen an den Knochen und Gelenken auf, die Punktion eines
Kniegelenkes ergab Eiter, in welchem wiederum kein Erreger gefunden
werden konnte. An mehreren Knochen sassen periostitische Auflage¬
rungen. Der ganze Prozess war von Fieber begleitet. Die Diazoreaktion
im Harne war positiv, und der Harnbefund sprach für Amyloidose der
Niere, sonst waren die inneren Organe normal. Pat. starb. Die Ob¬
duktion ergab die schon klinisch festgestellten Erscheinungen des ätio¬
logisch nicht geklärten septiko-pyämischen Prozesses. Aus dem Eiter
konnte durch Kultur ein gramnegativer Bacillus gezüchtet werden,
welcher sich als identisch mit dem Bac. mallei erwies. Bei Ueber-
impfung auf Meerschweinchen entstanden multiple Gelenkschwellungen,
Periostitiden und serpiginöse Geschwüre. Eine Analogie mit dieser Form
des Rotzes bietet der Schweinerotlauf, welcher entweder als allgemeine
Sepsis oder als eine Gelenkkrankheit verlaufen kann.
Hr. Bäräuy demonstriert einen Apparat zur Prüfung des Zeige-
versuches durch Abkühlung von Kleinhirnpartien.
Er besteht aus einer Kapsel, in welcher Eis eingeschlossen werden
oder durch welche eine Kältelösung zirkulieren kann. Wenn man diese
Kapsel auf die Dura auflegt, so wird die darunter befindliche Partie des
Gehirns abgekühlt. Vortr. hat die Abkühlung durch Eis bei einem
Patienten versucht, welcher an Cholesteatom des Felsenbeins litt und
bei welchem das Kleinhirn freigelegt wurde. Wenn eine Stelle am
hinteren Pol des Kleinhirns abgekühlt wurde, so trat beim Zeigeversuch
Vorbeizeigen mit dem Finger nach oben ein.
Hr. Hofmaun berichtet über einen Fall von ausgetragener Extra¬
uteringravidität.
Bei der kreissenden Patientin wurde der Schädel deutlich im Becken
getastet, der Muttermund war aber verschlossen und der Uterus nicht
hochgradig vergrössert. Bei der Laparotomie fand man das abgestorbene
Kind frei in der Bauchhöhle, der Schädel stak im kleinen Becken. Die
Placenta sass nahe der linken Uterusecke und war auch mit dem Uterus¬
fundus, dem Darm und dem Netze verklebt. Merkwürdig ist, dass Pat.
während der ganzen Gravidität keinerlei Beschwerden hatte.
Hr. Abels berichtete über einen Fall von Rheumatismus uodosus.
Bei ihm bilden sich im Verlaufe des Gelenk- und Muskelrheumatismus
subcutane Knoten von verschiedener Grösse, welche in der Umgebung
der Gelenke, der Sehnen oder an Stellen sitzen, wo das Periost einem
Drucke unterworfen ist. Der Rheumatismus nodosus ist fast immer mit
Endooarditis kombiniert.
Hr. Benedikt sprach über die Aetiologie der chronische« Neurose«
und über ihr Verhältnis zur Syphilis, ferner über die Chemotherapie der
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Kieselsäure. Vortr. knüpft an den von ihm demonstrierten Fall von
einseitiger Taubheit und Parese der anderen Körperhälfte an. Für
Tuberkulose war kein Anhaltspunkt vorhanden, dagegen war die Wasser-
mann’sche Reaktion positiv, es war aber wahrscheinlich, dass Pat. über¬
haupt keine Lues gehabt hat. Vortr. stellte die Diagnose auf Krebs
mit unbekanntem Sitze und fasste die vorhandenen Lymphdrüsen-
schwellungen als Metastasen auf. Er möchte der Vermutung Ausdruck
geben, ob vielleicht die Wassermann’sche Reaktion nicht auch ein
Symptom gewisser chronischer nervöser Sklerosen ist, vor allem der
Dementia paralytica und der Tabes. Vortr. hat den Fall mit Kiesel¬
säure behandelt, und Pat. ist jetzt weitgehend gebessert. Vortr. hat
schon im Jahre 1910 Versuche mit Kieselsäure bei Carcinom angestellt
und ein diesbezügliches Schreiben bei der „k. k. Gesellschaft der Aerzte
in Wien“ zur Wahrung der Priorität hinterlegt. Schuh hat schon im
Jahre 1850 Versuche mit Kieselsäure vorgenommen, bekam aber meist
Misserfolge. Reine Kieselsäure ist sehr schwer herzustellen, sie wurde
dem Vortr. von Hofrat Ludwig zur Verfügung gestellt, die Versuche
mit diesem Mittel hat Vortr. im Institute von Hofrat Paltauf an
Mäusen und Ratten angestellt. Es gelang ihm schon im Jahre 1910
bei Ratten, welchen präventiv Kieselsäure gegeben wurde, das Aufgehen
eines eingeimpften Rattenkrebses zu verhindern, bei der Sektion wurde
keine Spur von Krebszellen vorgefunden. Sarkom verhielt sich anders,
Vortr. ist noch mit einschlägigen Versuchen beschäftigt. Bei centraler
Syphilis führte Kieselsäure eine weitgehende Besserung herbei. Vortr.
möchte sie als ein wichtiges chemotherapeutisches Mittel in der Be¬
handlung des Krebses und der centralen Syphilis sowie der Skrophulose
der Lymphdrüsen zur weiteren Prüfung empfehlen. Wichtig ist die An¬
wendung der Kieselsäure als Präventivmittel zur Verhütung von Re-
cidiven nach Krebsoperationen, die Präventivkur soll von Zeit zu Zeit
wiederholt werden. Vortr. gibt die Kieselsäure, und zwar Orthokiesel-
säure, per os in der Dosis von 1—2 cg pro Tag, bei Carcinomen des
Verdauungstraktes beträgt die tägliche Dosis nur wenige Milligramm,
da solche Patienten grössere Gaben nicht vertragen. Wie weit die
Tolerabilität des Organismus für Kieselsäure geht, wie hoch also die
Dosierung zu stellen ist, kann Vortr. derzeit noch nicht entscheiden.
42. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin.
(Berichterstatter: Privatdozent Dr. M. Katzenstein.)
(Schluss.)
Hr. Korsch-Berlin berichtet über günstige Beobachtungen aus dem
letzten türkisch-griechischen Kriege, in welchem die Griechen geschlagen
wurden und ihre Verbandpäckchen nicht benutzten. Der Transport
musste durch Träger geschehen und schadet aus diesem Grunde wenig.
Er hat sehr viel Gips benutzt; gegenüber dem Mastisol bat er das Be¬
denken, dass es durch Blutungen aufgeweicht würde und dann In¬
fektionen erlaubte.
Hr. Rehn-Frankfurt beanstandet es, dass die Zusammensetzung des
Mastisols nicht bekannt gegeben werde.
Hr. v. Oettingen-Berlin verweist auf die Patentschrift und ver¬
spricht die Bekanntgabe der Formel, die wegen ihrer Kompliziertheit
ihm nicht gegenwärtig sei (diese Bekanntgabe geschieht am Nachmittag).
Kr. Ko ler teilt seine Erfahrungen über Schuss Irak turen der Dia-
physe von längen Röhrenknochen mit. Auch er betont die Wichtigkeit
einer guten Immobilisierung. Streckverband an der oberen Extremität,
circulärer Gipsverband an der unteren Extremität. Die Amputation ver¬
sucht er meist durch Resektion zu umgehen, hatte jedoch am Ober¬
schenkel sehr schlechte Erfolge. 3 Todesfälle.
Hr. Spitzy-Graz glaubt mit einer Mischung aus Alkohol, Pech
und Wachs mit geringeren Kosten das gleiche zu erreichen wie mit dem
Mastisol.
Hr. Lotsch - Berlin spricht auf Grund persönlicher Erfahrungen aus
dem türkisch-bulgarischen Kriege über die Schussverletzungen der
Blutgefässe und kommt zu folgenden Schlusssätzen: 1. Das moderne
Spitzgeschoss verursacht häufig Gefässschüsse. 2. Abgesehen von den
sofort tödlichen Blutungen sind infolge der Kleinheit von Ein- und Aus-
sohussöffnung starke primäre Blutungen, die zu sofortigem operativen
Eingreifen zwingen, relativ selten. 3. Alle Grade der Gefässverletzung
vom Streifschuss bis zum Lochschuss bzw. Abschuss kommen zur Beob¬
achtung. 4. Häufig sind Arterie und Vene gleichzeitig verletzt. 5. Meist
kommt es zur Bildung eines „stillen Hämatoms“, das nach mehreren
Tagen eventuell zu pulsieren beginnt und zum Aneurysma spurium
wird. 6. Alle Schwerverletzungen in der Nähe grosser Gefässe sind auch
ohne jedes Hämatom der wandständigen Thrombose dringend verdächtig
und wegen der Emboliegefahr sorgfältigst ruhig zu stellen. 7. Gut
fixierte „stille Hämatome“ dürfen mit guten Transportmitteln unbedenk¬
lich in die Feldlazarette überführt werden. Die Blutungsgefahr ist auf
den Wundtäfelchen zu vermerken. 8. Nur bei drohender Ruptur, bei
Gefahr der Druckgangrän und bei Vereiterung sollte primär ligiert
werden. Bei sachgemässer Ruhigstellung und eventueller Kompression
werden viele Gefässschüsse ohne Operation heilen. 9. Unter den immer¬
hin primitiven Verhältnissen der Truppen- und Hauptverbandpläte sind
Gefässunterbindungen schwierig und zeitraubend. Unnötige Ligaturen
sind deshalb auf den Verbandplätzen zu vermeiden und den rückwärtigen
Formationen zu überlassen. 10. Blutungen zwingen in jedem Falle zu
sofortigem Eingreifen in Narkose und unter Blutleere. 11. Stets ist die
doppelte Unterbindung dies- und jenseits der VerletzuDgsstelle anzu¬
streben. Unter ungünstigen Verhältnissen ist diese Forderung auch für
den Geübten unmöglich. Als Ersatz tritt die Ligatur am Orte der Wahl
ein. 12. Die Technik der Gefässunterbindungen hat für die Kriegs-
obirurgie erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen. Mehr denn je
sollte in den Operationskursen an der Leiche die Unterbindung auch
kleinerer Gefässe geübt werden. 13. Bei Spätblutungen nach etwa vier
bis neun Tagen kann wenigstens an den Extremitäten bestimmt auf einen
ausreichenden Collateralkreislauf gerechnet werden. 14. Aneurysmen
versucht man zunächst durch Kompression zu behandeln. Die oben¬
genannten Gründe können jedoch jederzeit zum Eingreifen zwingen.
15. Wenn möglich sind Aneurysmenoperationen den stehenden Lazaretten
zu überlassen. Hier kann unter den Verhältnissen der Friedenspraxis
operiert und nach doppelter Ligatur der zu- und abführenden Gefässe
die Exstirpation des Aneurysmasackes ausgefübrt werden. 16. Die Ge-
fässnaht ist nur in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen wirk¬
lich unerlässlich, dann soll sie allerdings mit allen Mitteln unter den
bestmöglichen Verhältnissen angestrebt werden. Primäre Gefässnähte
auf den Verbandplätzen sind unmöglich.
Hr. v. Frisch-Wien: Kriegschirurgisohe Erfahrungen über
Aneurysmen.
Vortr. hat 16 Aneurysmen beobachtet, von denen er 15 operiert
und geheilt hat. Der eine nicht operierte Fall heilte ebenfalls. Regel¬
mässig bestanden sehr grosse Schmerzen.
Die Indikation der Operation sah er in einer Störung der Funktion
sowie im Grösserwerden des aneurysmatischen Sackes. Er hat in sämt¬
lichen Fällen die Exstirpation des Anearysma in doppelter Ligatur vor¬
genommen und hält Gefässtransplantationen nicht für erforderlich, da es
sich um junge Leute handelt, bei denen die Ausbildung eines arteriellen
Co 1 lateralkreislaufs sehr wahrscheinlich ist. Es trat in seinen fünfzehn
operierten Fällen keine Gangrän auf.
Hr. Colmer - Coburg teilt im allgemeinen diesen Standpunkt, war
jedoch zweimal genötigt, eine Gefässtransplantation vorzunehmen.
Hr. Dreyer-Breslau: Beobachtungen vonGangrän während
des Balkankrieges.
Beobachtungen von 31 Fällen von Fussgangrän bei Leuten, die
tagelang mit feuchten Stiefeln herumzulaufen gezwungen waren. Die
Temperatur war nicht sehr niedrig, so dass es sich um eine Erfrierung
unmöglich handeln konnte. Die türkischen Soldaten tragen Schnürschuhe
und Wickelgamaschen, und wenn die Gamaschen feucht werden, so üben
sie einen stärkeren Zug aus als im trockenen Zustande und schaffen so
eine Prädisposition zur Gangrän. Vortr. empfiehlt statt der auch im
deutschen Heere bei Offizieren eingeführten Schnürschuhe die Verwen¬
dung des hohen Stiefels. Da dieser, wenn er nass geworden ist, nur unter
grossen Schwierigkeiten aus- und anzaziehen ist, so empfiehlt Vortr.
die Verwendung eines Modells, das er demonstriert und bei dem der
der weiche Schaft mit Schnallen zu öffnen und zu schliessen ist.
Hr. Clairmont-Wien: Bei Segmentalschüssen des Schädels darf zur
Erweiterung des Schusskanals der Knochen nicht entfernt werden, da
hier leicht zu grosse Defekte entstehen. Der Tangentialschuss ist der
gefährlichste Schuss, weil hierbei der Einschuss sehr gross ist. Es muss
die Kugel primär entfernt und die Wunde ohne Drainage geschlossen
werden. Die Diametralschüsse sind konservativ zu behandeln.
Hr. CoImers-Coburg hat 18 Schädelschüsse gesehen. Von zwölf
Operierten starben sieben infolge Encephalitis.
Hr. Carl - Königsberg i. Pr.: Eine neue Anwendungsweise
der Hochfrequenz in der Chirurgie.
Vortr. berichtet über die Erfolge der HochfrequeDzbehandlung der
Angiome. Nach der ersten Mitteilung von Hoff mann- Meran über die
blutstillende Wirkung der Hochfrequenzströme hat Vortr. diese Therapie
auf angiomatöse Bildungen verschiedenster Art angewendet.
Ausgewählt wnrden hauptsächlich solche Patienten, bei denen die
bisher üblichen Behandlungsmethoden nicht anwendbar schienen. Es
folgt Demonstration von Bildern.
1. Ausgedehntes Cavernom au Zunge und Unterlippen eines drei¬
jährigen Knaben, 6 mal behandelt.
2. Teleangiektasien am rechten Schultergürtel und am ganzen
rechten Arm bei einem 10jährigen Knaben.
3. Ciroumscriptes Cavernom an der rechten Hälfte der Unterlippe
und ausgedehnteres an der rechten Zungenhälfte.
Ausserdem noch andere Fälle, die nicht im Bilde vorgeführt werden.
Demonstration von Bildern nach der Behandlung. Als Stromquelle
dient ein Diathermieapparat von Reiniger, Gebbert und Schall.
Bei Beginn der Behandlung Verwendung kleiner Funken, dann steigend.
Bei Kindern bipolare Abnahme des Stromes.
Schilderung der Wirkung auf das Gewebe: Schorfbildung mit an¬
ämischer Peripherie, die nach einigen Minuten abklingt Später Ab-
stossung der Schorfe, Vernarbung und Schrumpfung der cavernösen Teile
in der Umgebung.
Bei der Behandlung erfolgt meist keine Blutung, Schmerzen gering.
Schilderung der Einwirkung auf die Gefässwände, physikalische Er¬
klärung der Wärmeentwickelung.
Darstellung der Unterschiede gegen die Paquelin-Behandlung. De-
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5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
853
monstration einer durch Emaille gegen die Umgebung isolierten Nadel zur
Behandlung von Angiomen mit normaler Hautbedeckung.
Hr. Klapp: Ueber eine Methode der Tonsillektomie.
Die technische Frage der Tonsillektomie ist noch nicht als gelost
zu betrachten. Die Indikation zur vollständigen Entfernung erkrankter
Tonsillen würde weiter gesteckt werden können, wenn die Operation
einfach und nicht gefährlicher als die Tonsillektomie wäre.
Vortr. gebraucht zur Tonsillektomie ein Instrument, welches der
Luer’schen Hohlmeisselzange am nächsten kommt. Es ist mit zwei hohl-
meisselartigen Fortsätzen ausgestattet, die ober- und unterhalb der Ton¬
sille in die Gaumenpfeilernische eingesetzt werden. In einer grösseren
Reihe von Fällen hat es sich ergeben, dass die Tonsillen ganz radikal
entfernt werden können. Es gehört natürlich eine gewisse Uebung dazu, das
Instrument zu führen.
Hr. Ach-München: Beitrag zur Oesophaguschirurgie.
Vortr. führt folgendes aus: Dem endothorakalen Speiseröhren¬
ersatz nach Resektion des Oesophagus hängen verschiedene Mängel an,
einerseits sind es die technischen Schwierigkeiten bei der Operation
selbst, andererseits postoperative Störungen, so die erhöhte Gefahr der
Pneumonie, die Zwerchfellhernien und vor allem die Infektion der Pleura¬
höhle, die zum Teil bedingt ist durch die langdauernde Operation, vor
allen Dingen aber auf die Nahtinsuffiziens zurückzuführen ist. Da diese
erwähnten Punkte nicht mit Sicherheit ausgeschaltet werden können
und der blinde Verschluss des oberen Resektionsstumpfes erfahrungs-
gemäss zur Perforation führt, kam Voitr. auf den Gedanken, den oberen
Teil des Oesophagus überhaupt in toto zu entfernen. Dies erreichte er
dadurch, dass er den oberen Oesophagusstumpf unter Invagination
desselben nach oben extrahierte. Er baute die Extraktionsmethode an
einer grossen Versuchsreihe beim Hunde für alle Möglichkeiten aus, die
uns das Oesophaguscarcinom beim Menschen bieten konnte und über¬
trug schliesslich das Verfahren auch auf den Menschen, wo es bei vier
Patienten Anwendung fand.
Die Extraktion des Oesophagus lässt sich leicht bewerkstelligen,
erfolgt bei langsamer Extraktion ohne Nebenverletzungen und geht
ohne eine nennenswerte Blutung einher. Als Kontraindikation für
die Extraktionsmethode sieht er stark ausgedehnte, eventuell ver¬
kalkte Bronchialdrüsen an, worüber eine Röntgenaufnahme Aufklärung
verschafft. Bei der Extraktionsmethode besteht die Möglichkeit, durch
das Vorgehen vom Abdomen und vom Halse aus die Eröffnung der
Pleurahöhlen bei den meisten Carcinomen des thorakalen Oesophagus-
abschnittes zu vermeiden. Je nach dem Sitze des Carciuoms ist
natürlich die Art des operativen Vorgehens eine verschiedene. Die
Cardiacarcinome sowie die Oesophaguscarcinome des unteren Abschnittes
sind unbedingt auf abdominalem Wege operativ anzugreifen, da uns der
abdominale Weg für die Operabilität dieser Carcinome am besten auf¬
klärt und auch die Entfernung dieser Carcinome leichter auf abdominalem
Wege erfolgt. Bei den reinen Cardiacarcinomen ist die direkte Ver¬
einigung des Oesophagusstumpfes mit dem Magen oder Darm das er¬
strebenswerte Ziel. Gelingt dies aber nicht oder bei den Carcinomen
des Oesophagus, deren obere Grenze bis in die Nähe der Bifurkation
reicht, ist die Resektion mit nachträglicher Extraktion des oberen
Oesophagusstumpfes zu empfehlen. Die Operation gestaltet sich folgender-
maassen:
Mittels eines grossen Rippenbogenschnittes wird der linke Rippen¬
bogen aufgeklappt, und man kann sich nun eventuell nach Durch¬
trennung des Zwerchfells am Hiatus oesophageus davon überzeugen, ob
das Carcinom operabel ist oder nicht. Ist das Carcinom operabel, so
wird der Oesophagus in seinem Halsteil circular freigelegt, wobei be¬
sonders auf die Nervi recurrentes zu achten ist. Nach Anlegen des
Brauer’schen Ueberdruckapparates bei 1 cm Ueberdruck und Zuleitung
von Sauerstoff wird nun abdominell vorgegangen und der Tumor mobili¬
siert; wenn es sich notwendig erweisen sollte, werden die beiden
Nervi vagi durchtrennt, was nach des Vortr. Erfahrung von den Kranken
auch ohne Cocainisierung anstandslos vertragen wird. Der Oeso¬
phagus wird nun oberhalb des Carcinoms abgebunden und die Ab¬
bindungsfäden werden lang gelassen. Hierauf wird ein Stahldraht mit
einer Oese vom Munde aus in den Oesophagus nach unten vorgeschoben.
Es wird nun d&r Oesophagus mit einer Naht oberhalb der Unterbindungs¬
stelle durohstocben und zwar derart, dass die Nadel durch die Oese
durchgeführt wird. In einer Entfernung von etwa 12 cm von der Oese
wird nun der Faden geknotet und der Oesophagus abermals circulär ab¬
gebunden. Nach Resektion des Tumors beginnt nun die langsame Ex¬
traktion; sobald in der Halswunde der Invaginationstrichter erscheint,
ist die Extraktion beendet. Die aus dem Invaginationstrichter hervor¬
ragenden langgelassenen Fäden des Oesophagus werden nun zur Hals¬
wunde herausgezogen und nach Abschneiden des die Drahtöse fassenden
Fadens vor dem Munde durch den Narkotiseur wird der Oesophagus
retrahiert, d. h. aus der Halswunde herausgezogen und in seine frühere
Lage gebracht und antethorakal subcutan verlagert. Konnten die beiden
Nervi vagi erhalten werden, so wird eine Gastrostomie angelegt, mussten
sie beide durchtrennt werden, so ist nach den Erfahrungen A.’s dringend
anzuraten, dbn Magen zum antethorakalen Oesophagusersatz zu ver¬
wenden. '*■ '
Sitzt das Carcinom im Jugülum und reicht etwa 5—6 cra unter¬
halb des Jugulums, so geht man mittels Kragenschnittes vor, reseziert
den Tumor und extrahiert den unteren Oesophagusabschnitt von einer
Magenfistel oder von einer Gastrotomiewunde aus nach abwärts und ver-1
wendet ihn durch subcutane Lagerung zum anthethorakalen Oesophagus¬
ersatz. Nur die Carcinome in der Gegend der Bifurkation selbst sind
endothorakal anzugreifen unter Extraktion des oberen Resektionsstumpfes
nach oben und des unteren nach unten.
Vortr. hatte Gelegenheit, bei vier Patienten diese Extraktionsmethode
durchzuführen, und es ist ihm damit gelungen, ausgedehnte Carcinome
des unteren Oesophagusabschnittes, welche zum Teil auf den Magen
Übergriffen, zu exstirpieren; in einem Falle handelte es sich um ein
kleines Carcinom, 12 cm oberhalb der Cardia, das er vom Abdomen aus
ohne Eröffnung der beiden Pleurahöhlen entfernt hat. Sämtliche Fälle
verliefen letal, einer an Dilatation des Herzens mit sekundärer Pneu¬
monie, einer an Mediastinitis, der Patient mit dem kleinen Carcinom,
welcher einen starren Thorax mit Emphysem und Bronobiektasien auf¬
wies, ging an eitriger Bronchitis und Pneumonie zugrunde. Der erste
von A. operierte Patient, bei dem er beide Nervi vagi durchtrennen
musste und welcher körperlich ausserordentlich heruntergekommen war,
überstand die Operation gut, bekam jedoch eine Hypersekretion des
Magens, einen Pylorospasmus und eine Insuffizienz der Magenfistel,
Momente, die sicher auf die Durchtrennung der Nervi vagi zurückzu¬
führen sind. Er ging am 17. Tage infolge von Inanition zugrunde. Der
antethorakal subcutan verlagerte Oesophagus war fest eingeheilt, die
Schleimhaut normal verfärbt. Auch bei den übrigen Fällen war der
vorgelagerte Oesophagus und Magen mit der Umgebung verklebt und gut
ernährt, ein Zeichen, dass sie sich zur antethorakalen Oesophagoplastik
sehr gut verwerten lassen.
Gerade mit Rücksicht auf den letzterwähnten Fall glaubt A. zu der
Annahme berechtigt zu sein, dass mit dieser Extraktionsmethode
schliesslich doch gute Resultate gezeitigt werden. Verschiedene Momente
müssen jedoch Berücksichtigung finden. Seines Erachtens nach ist es
nötig, dass bei der Operation die Allgemeinnarkose möglichst aus¬
geschaltet wird, speziell bei Kranken mit Lungenemphysem und starrem
Thorax. Vielleicht ist die Anwendung der oberen und unteren Rachy-
anästbesie nach Jonnesco angezeigt; ferner muss der Ueberdruck auf
ein Minimum beschränkt werden wegen der Gefahr der Dilatation des
Herzens und ausserdem müsse dafür Sorge getragen werden, dass die
Patienten nicht in einem derart desolaten Zustande kommen. Dies
ist nur zu erreichen, wenn die Chirurgen an alle Aerzte, speziell an die
Aerzte auf dem flachen Lande, ein Rundschreiben erlassen, worin sie
über die Symptome des Oesophaguscarcinoms aufgeklärt und angehalten
werden, Kranke, welche die ersten Symptome, wie leichtes Druckgelühl,
Schmerz oder Brennen beim Schlucken aufweisen, sofort dem Chirurgen
zur Oesophagoskopie zu überweisen. Unbedingtes Erfordernis ist es
allerdings hierzu, dass auch die Oesophagoskopie Allgemeingut sämt¬
licher Chirurgen wird.
Hr. Rchn-Jena hat ähnliche Versuche beim Tier und an der
Leiche gemacht, nur mit dem Unterschied, dass er den Muskelschlauch
des Oesophagus stehen lässt und nur seine Schleimhaut durch eine
Wunde am Halse hervorholt. Das Ziel muss sein: alle Cardiacarcinome
per laparotomiam, alle oberhalb des Zwerchfells gelegenen extrathorakal
zu entfernen.
Hr. Röpke-Barmen demonstriert an Zeichnungen die Bildung
eines Schlauches aus einem Teil des Magens zum Ersatz des Oesophagus
unter der Haut der vorderen Brustwand.
Hr. Kümmel 1 - Hamburg hat ausser vier Roux’schen Operationen
elf Oesophaguscarcinome reseziert. Davon sind drei Cardiacarcinome
geheilt, die er per laparotomiam entfernt bat. Auf Grund seiner Er¬
fahrungen ist er durchaus gegen jede primäre Vereinigung, und der
Meinung, dass die Möglichkeit einer Heilung nur in der zweizeitigen
Operation gegeben ist. Falls bei der Operation ein Vagusast verletzt
wird, muss auch der zweite durchschnitten werden.
Hr. Heller - Leipzig hat interessante Tierversuche gemacht, mit
Hilfe deren es ihm gelungen ist, durch Cocainisierung des intrathorakalen
Vagusabschnittes Reflexe, die sich auf dessen Lungen- und Herzabschnitt
bezogen, auszuschalten.
Hr. Ernst Unger-Berlin hat wiederholt versucht, das Carcinom
im Thoraxteil der Speiseröhre zu operieren, bisher ohne Erfolg.
Er benutzt als Druckdifferenzverfahren die Meltzer’sche Insufflation;
sie hat als Vorteil, dass der Thorax ruhig steht, ebenso die Lungen,
und der Mund des Kranken zu Manipulationen des Narkotiseurs frei
bleibt.
Schnitt durch durch den 7. oder 8. Zwischenrippenraum; meist
genügt die Resektion einer einzigen Rippe. Weder Knopf noch Naht
sind brauchbar, man versenkt den unteren Stumpf in den Magen, den
oberen zieht man mittels Sonde, vom Munde eingefübrt, hinaus bis ans
Jugulum; in einem Falle riss der Oesophagus ab von der Sonde, man
musste vom Thorax und Jugulum Zusammenarbeiten.
Tod infolge Nachblutung nach 4 Tagen. Die Durchschneidung des
Vagi in der Nähe des Zwerchfells ist unschädlich.
Hr. Stieda- Halle demonstriert eine Patientin, bei der er ähnlich
wie Lex er wegen Verätzung des Oesophagus einen künstlichen Oeso¬
phagus unter der Haut der vorderen Brustwand gebildet hat. Wie die
Demonstration ergibt, funktioniert die neugebildete Speiseröhre gut.
Hr. Nord mann-Berlin: N. verletzte bei einer Cholecystektomie
wegen akuter Cholecystitis und Cholangitis ascendens dadurch den Ductus
ctyoledochus am Uebergang in den Ductus hepaticus, dass die Gallen¬
blase, bei der der Cysticus fehlte, zu stark vorgezogen war und beide
Gänge nebeneinander in die Klemme zu liegen gekommen waren. Nach
Drainage des Ductus hepaticus wurden die durchschnittenen Gallengänge
miteinander vereinigt. Vorübergehend lief die Galle in den Darm, später
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
entstand eine vollkommene Stenose infolge der pericholecystitischen
Phlegmone, und alle Galle floss nach aussen. N. führte nun ca. acht
Wochen nach der ersten Operation folgende Operation aus: Es wurde
der Ductus hepaticus bzw. seine Verlängerung an der Leberunterfläche
möglichst weit nach dem Leberhilus zu freigelegt und der Rest der
äusseren Gallenfistel exstirpiert. Es war unmöglich, in den zahlreichen
Schwarten an den Ductus choledochus und an das Duodenum heranzu¬
kommen. Deshalb wurde eine hohe Jejunalschlinge herbeigezogen und
nach beiden Seiten abgeklemmt. Dann wurde ein dünnes Drain in den
verlängerten Ductus hepaticus geschoben und in eine kleine Inzision des
Jejunums hineingeführt und mit einer Kornzange ca. 10 cm tiefer durch
eine zweite kleine Oeffnung wieder herausgezogen. Der innerhalb des
Darmes liegende Drainteil war mit zahlreichen seitlichen Einschnitten
versehen, und ferner war das Drain mit einigen Nähten im Ductus
hepaticus fixiert. Dann wurde sowohl über der Einmündungsstelle des
Drains in den Darm wie auch über der Ausmündungsstelle eine Witzel-
sche Schrägfistel angelegt. Die Darmschlinge wurde möglichst dicht an
den Ductus hepaticus herangebracht und hier die Anastomose mit Netz
umwickelt. Unterhalb der Gallengangs-Darmverbindung wurde eine
typische Enteroanastomose zwischen zu- und abführendem Schenkel an¬
gelegt. Bereits nach 5 Tagen entleerte sich sämtliche Galle in den
Darm, und 4 Wochen nach der Operation wurde das Drain, welches zum
lateralen Wundwinkel herausgeleitet war, herausgezogen. Glatte Heilung.
N. empfiehlt dieses Verfahren für alle die Fälle, in denen die trans¬
duodenale Hepaticusdrainage nach Völker unmöglich ist. Er weist
darauf hin, dass der schräge, in der Darmwand verlaufende Verbindungs¬
gang die Gefahren der Cholangitis ascendens sehr herabsetzt, und dass
sich deshalb diese Methode vielleicht auch für jede Gallenblasen-Darm-
verbindung eignet, besonders aber, wenn die gallenhaltige Gallenblase
durch entzündliche Veränderungen eine sichere Naht bei der Cbolecyst-
enteroanastomose nicht gestattet. N. betont, dass nach den Versuchen
von En der len mit Sicherheit anzunehmen ist, dass das Serosaendothel
durch Cylinderepithel der Gallengänge bzw. der Gallenblase ersetzt wird.
Hr. L. Arnsperger-Karlsruhe: Zur Entstehung der akuten
Pankreatitis.
Vortr. berichtet über drei im letzten Jahre operierte Fälle von akuter
hämorrhagischer Pankreatitis mit diffuser abdominaler Fettgewebs-
nekrose, bei denen sich als einziger sonstiger Befund eine ausgesprochene
Cholecystitis mit Gallensteinen vorfand, während die tiefen Gallenwege,
die Pankreasgänge und das Duodenum völlig frei von Entzündung waren.
Auf Grund dieser Fälle hält der Vortr. die Entstehung der Pan¬
kreatitis auf dem Lymphwege von der entzündeten Gallenblase aus für
möglich, wie er es für die chronische Pankreatitis beschrieben hat.
Für diese Annahme würde nach dem Vortr. auch sprechen, dass
derjenige Fall, bei dem die Gallensteine entfernt und die Cholecystitis
durch Drainage bekämpft wurde, die Erkrankung zunächst überstand
und erst 4 Wochen später zu Hause starb, während die beiden anderen
Fälle, bei denen nur das Pankreas freigelegt und tamponiert wurde,
nach wenigen Tagen zum Exitus kamen.
Der Vortr. empfiehlt daher, zur Klärung des Zusammenhanges bei
den Operationen und Obduktionen der akuten Pankreatitis auf den Zu¬
stand der Gallenblase zu achten.
Hr. Körte-Berlin hat drei Fälle schwerer akuter Pankreatitis in
der letzten Zeit gesehen und sie durch breite Drainage sämtlich zur
Heilung gebracht.
Hr. Nordmann-Berlin weist darauf hin, dass in ca. 40 pCt. der
Fälle die akute Pankreasstenose mit Gallensteinen bzw. Cholecystitis
vergesellschaftet ist. Bei den bisher angestellten Versuchen, um diese
Zusammenhänge zu klären, wurde Galle bzw. infizierte Galle in den
Ductus pancreaticus injiziert. Die auf diese Weise erzielten positiven
Befunde von Pankreasnekrose sind nach N.’s Ansicht wahrscheinlich da¬
durch zustande gekommen, dass die feinen Ausführungsgänge zersprengt
wurden und der Pankreassaft in das Gewebe gepresst wurde. Demnach
sind sie mit den Vorgängen in der menschlichen Pathologie nur unvoll¬
kommen in Parallele zu setzen. Es wurden deshalb an BO Hunden
Versuche angestellt derart, dass die Papillen mit einer Silkwormnaht
verschlossen und Bakteriengemische in die Gallenblase injiziert wurden.
Es gelang auf diese Weise, bei richtiger Versuchsanordnung und Aus¬
schaltung aller manuellen Quetschungen am Pankreas beim Hunde
14 mal eine typische Pankreasnekrose mit Blutungen und ausgedehnten
Fettgewebsnekrosen zu erzielen, die sioh makroskopisch und mikro¬
skopisch vollkommen so verhielten, wie sie beim Menschen beobachtet
wurden. Wurde nur die obere Papille verschlossen und der untere
Ausführungsgang des Pankreas unberührt gelassen, so blieben trotz
einer Infektion der Gallenwege alle Veränderungen am Pankreas aus.
Ebenfalls waren die Versuchsergebnisse negativ, wenn beide Papillen
zugebunden wurden, der Ductus choledochus seitlich vom Pankreas zu¬
geschnürt wurde und infektiöses Material in die Gallenblase gebracht
war. N. ist der Ansicht, dass auf diese beschriebene Weise die Pankreas¬
nekrose durch drei Faktoren verursacht wird. Erstens durch den gleich¬
zeitigen Abschluss des Pankreassaftes und der Galle vom Duodenum,
der ein vollkommener sein muss, zweitens durch die Anwesenheit in¬
fektiösen Materials in der Gallenblase; wurden nämlich die Papillen
unterbunden und nicht gleichzeitig Bakteriengemische in die Gallenblase
injiziert, so blieben alle Pankreasnekrosen aus. Drittens durch die ana¬
tomische Anlage, wie sie der Verlauf des Ductus choledochus und des
Ductus pancreaticus beim Hunde zu zeigen pflegt, und die ähnlich wie 1
bei einigen Menschen zu sein pflegt. Es mühden nämlich in der oberen
Papille die beiden Gänge zusammen ins Duodenum ein und bilden hier
sehr häufig durch ihr Zusammentreffen eine kleine Ampulle oberhalb der
Papille, so dass nach dem Verschluss derselben Galle in den Ductus
pancreaticus übertreten kann.
Mit diesen experimentellen Erfahrungen stimmten die klinischen
Beobachtungen N.’s vollkommen überein. Er hatte achtmal Gelegenheit,
wegen schwerer akuter Pankreasnekrose operativ einzugreifen. Bei den
ersten vier Fällen wurde das Pankreas dekapsuliert und von allen Seiten
durch das Ligamentum gastrocolicum und durch das kleine Netz drainiert
bzw. tamponiert und der Bauch ausgespült. Sämtliche Fälle starben
im Collaps bzw. kurze Zeit nach der Operation. Bei den nächsten drei
Fällen wurde einmal die Gallenblase drainiert und zweimal exstirpiert
und in diesen drei Fällen neben der Dekapsulation, Drainage und Tam¬
ponade des Pankreas eine Galienwegsdrainage angeschlossen. Bei dem
letzten Falle wurde wegen schwersten Collapses zunächst nicht operiert
und einige Tage später ein linksseitiger grosser subphrenischer Abscess
eröffnet. Der Fall, bei dem schwerste Gallensteinkoliken und leichter
Icterus vorangegangen waren, ging in Heilung aus. Bei allen acht ope¬
rierten Fällen wurde bei der Autopsie bzw. bei der Operation ein Gallen-
steinleidsn nachgewiesen. Bei zwei operierten Fällen, in denen die
Gallenblase mit in Angriff genommen wurde, entleerte sich vorüber¬
gehend aus dem Choledochusdrain Pankreassekret, woraus N. mit Sicher¬
heit schliesst, dass die beiden Gänge ein gewisses Stück oberhalb der
Papille sich vereinigten. Nach diesen mit dem Experiment völlig über¬
einstimmenden klinischen Erfahrungen rät N., wenn irgend möglich, bei
jedem Falle von akuter Pankreasnekrose die Gallenblase bzw. den
Ductus choledochus zu drainieren und die Gallenblase nur bei leid¬
lichem Kräftezustande, guter Zugänglichkeit und starken Veränderungen
zu exstirpieren.
Hr. Kehr-Berlin: Rückblick auf 2000 Operationen an den
Gallenwegen. (Eine Gegenüberstellung der Erfolge des ersten und
zweiten Tausend.)
Die Gesamtsterblichkeit beträgt 16,7 pCt. Wenn man aber die bös¬
artigen Komplikationen nicht mitrechnet (Carcinom, biliäre Cirrhose,
septische diffuse Cholangitis), so beträgt die Sterblichkeit 5,4 pCt. Hat
man nur die reinen Steinfälle im Auge, so ist die Sterblichkeit noch
niedriger und liegt bei 3 pCt.
Die Gesamtsterblichkeit des ersten Tausend betrug 16,2 pCt., die
des zweiten Tausend 17,2 pCt., die der Berliner Praxis (380 Fälle)
18 pCt.
Dass die Mortalität von Jahr zu Jahr gewachsen ist, liegt daran,
dass die bösartigen Fälle zugenommen und das Material belastet haben.
Beim ersten Tausend lagen 12,9 pCt., beim zweiten Tausend 17,8 pCt,
bei den 380 Fällen der Berliner Praxis 20 pCt. bösartige Kompli¬
kationen vor.
Dagegen ist beim zweiten Tausend die Sterblichkeit der reinen
Steinfälle etwas niedriger wie beim ersten Tausend, und vor allem ist
die Sterblichkeit nach der T-Drainage beim zweiten Tausend um 3 pCt.
zurückgegangen. Sie betrug beim ersten Tausend (202 Fälle) 5 pCt.,
beim zweiten Tausend (333 Fälle) nur noch 2,1 pCt Bei den ersten
50 Choledochotomien war die Sterblichkeit 10 pCt.
Es entspricht demnach die Gesamtsterblichkeit ungefähr
dem Prozentsatz der bösartigen Komplikationen plus 2 bis
3pCt. Sterblichkeit der reinen Steinfälle.
Es gibt, auch wenn wir ohne Handschuhe und Bartbinde operieren,
keine operative Peritonitis mehr.
Es gibt keine Wundinfektion schwerer Natur mehr, wenn wir den
Panniculus adiposus nicht nähen.
Zweierlei haben wir aber noch nicht erreicht: 1. eine ungefährliche
Narkose und 2. die Verhütung von Blutungen der Ikterischen.
Gegen die Blutungsgefahr der Ikterischen gibt es zurzeit nur ein
Mittel: die rechtzeitige Operation beim Icterus.
Extremitäten.
Hr. Dollinger - Budapest: Suspension und Stützpunkte
künstlicher Glieder.
Zwei Punkte sind bei den bisherigen Prothesen unberücksichtigt
geblieben: nämlich die Suspension und die Druckentlastung. Es ist zu
berücksichtigen, dass die Prothese die Fortsetzung des Stumpfes sein
soll. Zur Erreichung gut sitzender Prothesen macht D. einen Gips¬
abdruck des Stumpfes und, modelliert an ihm bestimmte Stütz- und
Druckpunkte.
Hr. Perthes-Tübingen: Ueber Osteochondritis deformans
juvenilis.
P. ist auf Grund der Beobachtung von 21, zum Teil mehrere Jahre
verfolgten Fällen zu der Anschauung gekommen, dass unter dem als
„Arthritis deformans juvenilis“ veröffentlichten Material eine Gruppe von
Fällen existiert, welche sich von der Arthritis deformans prinzipiell
unterscheidet. Die Krankheit, welche Perthes mit einem besonderen
Namen (Osteochondritis deformans) benennen möchte, zeichnet sich patho¬
logisch-anatomisch durch eigenartige, auf Knorpelneubildung beruhende
Destruktionsherde im Innern des Femurkopfes aus. Bei Kindern zwischen
dem 5. und 12. Jahre auftretend, bedingt sie eine typische kegelförmige
Deformität des Femurkopfes und macht mit Regelmässigkeit charakte¬
ristische klinische Erscheinungen: hinkender GaDg, positives Trendelen-
burg’sches Phänomen, Abduktionshemmung bei freier Flexion, kein Druck-,
kein Stauchungsschmerz. Sie heilt nach mehrjährigem,Bestehen aus unter
Hinterlassung einer erheblichen Deformität des oberOn Femurendes, aber
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UNIVERSUM OF IOWA
5. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
855
ohne andere funktionelle Störungen als eine sehr geringe Abduktions¬
hemmung. (Demonstration der Symptome an zwei Kindern.)
Hr. Wilma: Operative Behandlung des Pes valgus und
varus.
Bei Pes valgus wird durch das Abgleiten des Talus nach vorn und
innen vom Galcaneus das Umlegen des Fusses und seine Abflachung,
die Abduktion des Vorderfusses und leichte Pronation bedingt. Um das
Abgleiten des Talus in obengenannter Richtung zu verhindern, empfiehlt
es sich, bei mittelsohweren Fällen von Plattfuss das Gelenk zwischen
Talus und Naviculare zu ankylosieren, und zwar mit gleichzeitiger keil¬
förmiger Knochenresektion am vorderen Taluskopf und Einpflanzung des
keilförmigen Knochenstückes, dessen breitere Basis nach der Planta pedis
sieht, in das Gelenk zwischen Calcaneus und Guboideum von der Aussen-
seite. Bei schweren Fällen genügen die genannten Eingriffe nicht, sondern
es muss noch gleichzeitig die Stellung zwischen Talus und Galcaneus
korrigiert werden, was am besten erreicht wird durch Entfernung der
Gelenkknorpel zwischen diesen Knochen von zwei horizontalen Schnitten.
Auch hier tritt dann eine Ankylose an Stelle des Gelenkes und verhindert
das Abgleiten des Talus und Umlegen des Fusses. Bei der Nach¬
behandlung muss darauf geachtet werden, dass der Talus möglichst nach
aufwärts geschoben und die Fusswölbung wieder stark ausgeprägt wird,
was relativ leicht gelingt.
Bei Pes varus (nur bei schweren Fällen bei Erwachsenen kommt
der Eingriff in Betracht) lässt sich durch eine, bei der Pes valgus be¬
schriebene Methode, entsprechend geänderte Operation ebenfalls ein gutes
Resultat erzielen, nämlich Ankylosierung im Chopart’schen Gelenk,
eventuell mit Keilresektion aussen und Implantation in das Talo-Navicular-
gelenk. Dann Redression des Calcaneus nach Lösung seiner Verbindung
mit dem Talus durch Meissei und Hammer und Ankylosierung dieses
Gelenkes mit starker Pronation des ganzen Fusses.
Hr. Müller-Rostock hat bei schwerem Plattfuss die Keilexzision
des Knochens aus dem medialen Fussrand vorgenommen und durch
Verwendung dieses Knochenteils am lateralen Fussrande ein gutes ana¬
tomisches und funktionelles Resultat erzielt.
Hr. Perthes-Tübingen hat eine ähnliche Operation bei Plattfuss
ausgeführt.
Hr. Hackenbruch-Wiesbaden: Die ambulante Behandlung
von Knochenbrüchen mit Gipsverbänden und Distraktions¬
klammern.
Nach kurzem geschichtlichen Ueberblick über die Distraktions¬
behandlung von Unterschenkelbrüchen (1893 v. Eiseisberg, 1901
Käfer) zeigt Vortr. seine mit Kugelgelenken lind beweglichen Fuss-
platten versehenen Distraktionsklammern, welche zu beiden Seiten der
gebrochenen Extremität an den in der Frakturebene circulär durch¬
trennten Gipsverband angegipst werden und für fast alle Extremitäten¬
brüche verwendbar sind.
Unter Demonstration von Röntgenbildern, mehreren Extremitäten¬
phantomen sowie von einigen Kranken mit frischen Knochenbrüchen, bei
welchen die Distraktionsklammern angelegt sind, wird die Wirkung
dieser Klammern illustriert. Werden nach erfolgter Ausgleichung der
Verkürzung (kontrolliert durch Röntgenaufnahme) durch die Längs¬
distraktion die vier Kugelgelenke gelöst, so wird der untere
Teil des Gipsverbandes nach allen Seiten beweglich: es
können dann die Bruchfiächen der Knochen zur genauen Reposition ge¬
bracht werden; durch Festschrauben der Kugelgelenke wird die erhaltene
gute Stellung der Fragmente fixiert. (Wiederum Kontrolle durch Röntgen¬
aufnahme.)
Für besonders schwierige Fälle wird eine kleine Hilfsschrauben-
vorrichtung demonstriert und deren Anwendung erläutert.
Zur Polsterung des Gipsverbandes werden flache Faktiskissen
(in Manschetten- oder Fussextensionslaschenform) verwendet und so
schädigende Drucknekrosen vermieden. Bei in Gelenknähe befindlichen
Knochenbrüchen werden die Distraktionsklammern so befestigt, dass die
beiden einander gegenüberstehenden Kugelgelenke möglichst in die
Ebene der Drehungsachse des Gelenkes zu liegen kommen, so dass nach
Lösung der beiden betreffenden Kugelgelenke Bewegungen in dem mit-
eingegipsten Gelenke (bei gleichzeitig bestehender Distraktion und
Fixation der Bruchstücke) möglich sind.
In den meisten Fällen von Knochenbrüchen an den unteren Extremi¬
täten können unter Verwendung der geschilderten Distraktionsklammern
die Patienten schon einige Tage nach Anlage der Distraktionsklammern
aufstehen und vor Ablauf der zweiten Woche nach dem Unfall gehen.
Demonstration dreier Patienten mit Unterschenkel-, Malleolen- und
Oberarmbrucb, bei denen die Klammern verwendet wurden.
Hr. He 11 er-Leipzig berichtet über weitere Erfahrungen, die in der
Payr’schen Klinik mit der Mobilisierung versteifter Gelenke gemacht
wurden, und demonstriert geheilte Patienten.
Hr. Oehleoker-Hamburg: Zur chirurgischen Behandlung
tabischer Gelenkerkrankungen.
Vortr. berichtet über drei (zum Teil atypische) Gelenkresektionen
bei tabischer Arthropathie. In allen Fällen wurde eine knöcherne Anky¬
lose erzielt. Ebenso brachten sechs osteoplastische Fussamputatiönen
gute und sehr nützliche Erfolge (gegebenenfalls Vorbehandlung mit Jod¬
tinkturinjektionen ins Gelenk und sicherer Fixierung in Gipsverbänden),
'pas leitende Grundprinzip, bei den chirurgischen Eingriffen ist folgendes:
Vollständige Ausschaltung des kranken und zügellos gewordenen Ge¬
lenkes; genaue Fixierung der Knochenenden zueinander; einseitig wir¬
kende Druckbelastung bei sorgfältigster Nachbehandlung. Auf jeden
Fall muss eine knöcherne Ankylose erreicht werden; denn dann kommt
der Krankheitsprozess zum Stillstand und schon atrophischer Knochen
gesundet wieder unter einseitiger Belastung. Selbstverständlich ist auch
die Indikationsstellung unter genauer Berücksichtigung des Grundleidens
sorgsam abzuwägen. Besonders bei Tabikern aus dem Arbeiterstande
ist eine frühe osteoplastische Fussamputation ratsam, es muss aber hier
mit allen Mitteln erstrebt werden, dass der Galcaneus mit den Unter¬
schenkelknochen fest verheilt. Die tabischen Arthropathien des Knie¬
gelenks geben ein grosses Feld für orthopädische Behandlung, doch
haben hier auch Resektionen ihre Berechtigung; in manchen Fällen
bringt hier die chirurgische Behandlung gute Vorteile, wie es bei den
drei oben angeführten Kniegelenksresektionen der Fall war.-
Die Aufgaben der „Aerztlichen Gesellschaft für
Sexualwissenschaft“. ‘)
Von
Dr. med. Iwan Bloch.
Verehrte Anwesende! Hermann von Helmholtz, der grosse
Arzt und Naturforscher, der tiefe philosophische Denker, hat einmal die
Gründe zusammengestellt, die in der Erforschung der organischen Natur,
in Physiologie und Medizin Deutschland die Führerrolle zugewiesen
haben. In der herrlichen Rede „Ueber das Ziel und die Fortschritte
der Naturwissenschaft“ erklärt er diese Führerrolle Deutschlands mit
folgenden Worten: „Das Entscheidende war, dass bei uns eine grössere
Furchtlosigkeit vor den Konsequenzen der ganzen und vollen Wahrheit
herrscht als anderswo. Auch in England und Frankreich gibt es aus¬
gezeichnete Forscher, welche mit voller Energie in dem rechten Sinne
der wissenschaftlichen Methode zu arbeiten imstande wären, aber sie
mussten sich bisher fast immer beugen vor gesellschaftlichen Vorurteilen,
und konnten, wenn sie ihre Ueberzeugung offen aussprechen wollten,
dies nur zum Schaden ihres gesellschaftlichen Einflusses und ihrer Wirk¬
samkeit tun.
Deutschland ist kühner vorgegangen, es hat das Vertrauen gehabt,
welches noch nie getäuscht worden ist, dass die vollerkannte Wahrheit
auch das Heilmittel mit sich führt gegen die Gefahren und Nachteile,
welche halbes Erkennen der Wahrheit hier und da zur Folge haben
mag. Ein arbeitsfrohes, massiges, sittenstrenges Volk darf solche Kühn¬
heit üben, es darf der Wahrheit voll in das Antlitz zu schauen suchen,
es gebt nicht zugrunde an der Aufstellung einiger voreiliger und ein¬
seitiger Theorien, wenn diese auch die Grundlagen der Sittlichkeit und
der Gesellschaft anzutasten scheinen.“
Wir wollen uns heute an diese Worte erinnern, gerade heute,
wo wir im Begriff sind, das letzte Stück Mittelalter abzuwerfen,
das bisher noch in der Medizin fortlebte und sie an der vollen Durch¬
führung des Prinzips der absolut freien wissenschaftlichen Forschung
hinderte. Und es gereicht uns zur besonderen Freude, dass wiederum
Deutschland, die deutsche Medizin es ist, die durch die Be¬
gründung der Aerztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft
mit dem letzten Rest mittelalterlicher Anschauung aufgeräumt hat, der
noch in unsere Zeit hineinspukt. Wir wollen dieses bisher verpönte
Gebiet zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung machen, d. h.
wir wollen auch hier die ganze Wahrheit mit allen ihren Konsequenzen
erkennen und nicht die halbe verschleierte, die allein gefährlich ist.
Wenn man sich die Frage vorlegt, wie es möglich war, dass selbst
die Medizin, die Wissenschaft vom nackten Menschen, es nicht wagfte,
das berühmte delphische Wort: Mensch, erkenne dich selbst! wirklich
voll und ganz zu erfüllen, und eine wissenschaftliche Diskussion und
Erörterung der sexuellen Probleme perhorreszierte, so kommt man bei
näherer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Grund hierfür nicht in
den rein medizinischen Anschauungen lag und liegen konnte. Denn
welcher Arzt hätte von jeher die gewaltige Bedeutung der Sexualität für
die Physiologie und Pathologie, für das körperliche und geistige Sein des
Menschen übersehen können? Es ist vielmehr gar kein Zweifel, dass
das sexuelle Vorurteil, das unter den vielen Vorurteilen der Menschheit
auf allen Gebieten der Kultur, des Glaubens und des Wissens vielleicht
das hartnäckigste ist, dass dieses Vorurteil rein theologischen Ur¬
sprungs ist. Es war die mittelalterliche Theologie, welche in An¬
lehnung an die dogmatisch fixierte Lehre des Augustinus über die
Erbsünde die Vorstellung von der allgemeinen Sündhaftigkeit, Schlechtig¬
keit und Schändlichkeit des Geschlechtlichen in alle Gebiete des Lebens
einführte und diese Idee der abendländischen Kultur so tief ein¬
impfte, dass sie noch heute nicht nur die öffentliche Meinung be¬
herrscht, sondern auch in tausend Einzelheiten des täglichen Lebens, in
Sitte, Brauch und Konvention überall hervortritt.
Der berühmte protestantische Theologe Adolf Harnack hat das
grosse Verdienst, in seinet glänzenden Analyse der augustiniscben Erb¬
sündenlehre den überzeugenden Beweis erbrapht zu haben, dass diese
1) Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung 'der~Aei;?tlichen Ge¬
sellschaft für Sexualwissensöhaft am 21. Februar 19 iS. Vorher verlas der
Redner die am Schluss abgedruokten Begrüssungsworte Ernst Haeekel
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856
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Erbsünde wirklich wesentlich als „Fleischessünde 4 aufzufassen ist und
dass das sexuelle Vorurteil einzig und allein auf diese Lehre zurückzu-
führen ist. Wie tief dieses Vorurteil wurzelt, erkennen wir daraus,
dass selbst die Reformation es nicht hat überwinden können, und dass
Luther nach anfänglicher Lossagung ihm später wieder rettungslos ver¬
fallen ist. Luther ist ein lehrreiches Beispiel für die ja auch heute
noch häufige Beobachtung, dass ein und derselbe Mensch in den ver¬
schiedenen Phasen seines Lebens verschieden über den Wert des Ge¬
schlechtlichen denken kann. Augustinus hatte seine Erbsündenlehre
nach einer in wüsten sexuellen Ausschweifungen verbrachten Jugend
aufgestellt, Luther trat zuerst als ein glühender Verteidiger des
Rechtes und Wertes des Geschlechtstriebes auf und betonte seine emi¬
nente Bedeutung für die natürliche freie Entwicklung der menschlichen
Persönlichkeit. Von seinen unzähligen Aeusserungen über das natür¬
liche Recht der sexuellen Betätigung seien hier nur zwei angeführt:
„Eine Dirne, wo nicht die hohe seltsame Gnade da ist, kann sie
eines Mannes eben so wenig geraten, als essen, trinken, schlafen und
andere natürliche Notdurft. Wiederum auch also: Es ist eben so tief
eingepfianzt der Natur Kinder zeugen, als essen und trinken. Darum
hat Gott dem Leibe die Glieder, Adern, Flüsse und alles, was dazu
dienet, geben und eingesetzt. Wer nun diesem wehren will und nicht
lassen gehen wie die Natur will und muss, was tut der anders, denn er
will wehren, dass Natur nicht Natur sei, dass Feuer nicht brenne,
Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse noch trinke noch schlafe?
Ist’s Schande, Weiber nehmen, warum schämen wir uns auch nicht
Essens und Trinkens, so auf beiden Teilen gleich grosse Not ist. Ach,
was soll ich mehr davon sagen? Es ist zu erbarmen, dass ein Mensch
so toll sein sollte, dass sich wundert, dass ein Mann ein Weib nimmt,
oder dass sich jemand dess schämen sollte, derweil sich niemand wundert,
dass Menschen zu essen und zu trinken pflegen. Und diese Notdurft,
da das menschliche Wesen herkömmt, soll noch erst in Zweifel und
Wunder stehen!“
Für den Luther dieser ersten Phase ist der Geschlechtstrieb in
der Natur, daher wie diese eine Offenbarung Gottes, daher der Mensch
als Träger der Sexualität verehrungsvürdig. Dem Worte folgte die
Tat: die Heirat des Mönches Martin Luther mit der Nonne Katha¬
rina von Bora.
Wie ganz anders aber, verehrte Anwesende, ist der Luther der
zweiten Phase. Man könnte es nicht glauben, wenn man es nicht
schwarz auf weiss lesen würde. Der ehemalige Augustinermönch ist in
dieser zweiten Periode völlig zum echten und rechten Augustinismus
zurückgekehrt, er bekennt sich wieder zur Lehre von der Erbsünde und
sieht daher auf einmal wieder im Geschlechtlichen und in seiner Be¬
tätigung etwas „Schändliches“. Vielleicht hat bei dieser retrograden
Entwicklung der Einfluss von Krankheit und Alter mitgewirkt. Auch
hierfür seien einige Beispiele angeführt:
„Ist nicht die fleischliche Lust eine Wunde aller Wunden? Ist
sie nicht ein Geschwür und Plage über alle Wunden und Schläge?“
„Das männliche oder weibliche Glied ist an sich sehr schändlich
und wird damit ein schändlich Werk ausgerichtet.“
„Man soll das Böse im Ehestande und in der ehelichen Beiwohnung
nicht verteidigen, als ob es etwas Gutes sei. Wir sollen die böse Lust
und Schande, so im Ehestand ist, nicht entschuldigen. Wir sollen nicht
sagen, es ist wohlgetan, dass ich bei meinem Weibe geschlafen habe,
sondern wir sollen unsere Unreinigkeit erkennen.“
So hat Luther schliesslich doch die „Erbsünde“ wieder eingesetzt,
sie beherrscht auch die protestantische Sexualethik bis auf den heutigen
Tag und ist die eigentliche Wurzel jener Zweideutigkeit, Scheinheilig¬
keit, Heuchelei und Prüderie, die noch heute das Sexualleben der Kultur-
mensohheit von Grund aus vergiftet. Aber doch dürfen wir z. B. aus
der scharfen Kritik, die Adolf Harnack in seiner klassischen Dogmen¬
geschichte der Erbsünden lehre zu teil werden lässt, die Hoffnung ent¬
nehmen, dass der moderne Protestantismus im Sinne der ersten Phase
Luthers sich zu einer endlichen vorbehaltlosen Anerkennung der Sexuali¬
tät als einer natürlichen und an sich absolut nicht sündhaften oder gar
schändlichen Lebensäusserung entschliessen wird.
Es bedarf aber noch einer Erklärung, woher es kam, dass die Me¬
dizin sich in der Behandlung und allgemeinen Auffassung der sexuellen
Fragen so ganz von der Theologie ins Schlepptau nehmen liess. Da
haben wir nun die kulturgeschichtlich und psychologisch interessante
Tatsache zu verzeichnen, dass dieselbe Theologie, die das Sexuelle als
schändliche Erbsünde stigmatisiert batte, die Erörterung und Erforschung
dieses Gebiets ausschliesslich für sich beanspruchte und die Medizin, die
sie im übrigen einer strengen Censur unterwarf, so viel wie möglich von
ihm fernbielt. Auch das Mittelalter und die Neuzeit bis zum 19. Jahr¬
hundert besassen ihre Krafft-Ebings. Nur waren die eifrigen Sammler
einer erstaunlich reichhaltigen, nach systematischen Gesichtspunkten
gruppierten Sexualcasuistik nach wissenschaftlicher Methode keine Me¬
diziner, sondern Theologen, waschechte Theologen. Diese Art von
Schriftstellerei beginnt schon im 6. Jahrhundert und setzt sich in un¬
unterbrochener Folge bis zur Gegenwart fort. Sie wird hauptsächlich
durch die zahlreichen mittelalterlichen Buss- und Beichtbücher und die
Schriften der katholischen Moraltheologen repräsentiert. Ein Liguori,
Thomas Sanchez, Bouvier, Debreyne, Claret und viele andere
haben ad usum confessariorum, wie der technische Ausdruck lautet,
das ganze menschliche Geschlechtsleben von (oder besser bereits schon
vor) der Geburt bis zum Grabe in allen seinen Erscheinungen und
Aeusserungen, den physiologischen und den pathologischen, bis in die
kleinsten Einzelheiten und nur möglichen und denkbaren Beziehungen
erörtert, immer aber unter dem Gesichtspunkte des Dogmas der Erb¬
sünde. »Sie zogen“, wie Adolf Harnack sagt, „das Verborgenste ans
Licht und erlaubten sich über Dinge öffentlich zu reden, über die sonst
niemand zu sprechen wagt.“
Sicherlich war es aber doch nicht ausschliesslich eine perverse
Phantasie, die diese zahlreichen, für den Beichtstuhl bestimmten Schriften
hervorgerufen hat. Die Kirche, die den Menschen auch durch Rat und
Tat an sich zu fesseln suchte, hatte frühzeitig erkannt — und das mag
uns rückständigen Medizinern eine Lehre sein —, dass das Geschlechts¬
leben mit seiuen mannigfaltigen Gestaltungen sehr häufig eine Quelle
schwerer seelischer und körperlicher Leiden für das einzelne, oft un¬
erfahrene Individuum darstellen kann, und dass Augenblicke kommen, wo
der Mensch das Bedürfnis empfindet, auch seiner sexuellen Nöte durch
eine Beichte ledig zu werden. Hierin liegt eine gewisse Rechtfertigung
für die Beichtbücher und die subtile Sexualcasuistik der Moraltheologen,
die ja durchweg zum Zwecke der Anwendung im praktischen Leben ver¬
fasst sind. Soweit sich nun Aerzte an die wissenschaftliche Bearbeitung
der praktischen Fragen des Sexuallebens heran wagten, bedurften sie
einer kirchlichen Approbation, und ihre Schriften unterlagen der theo¬
logischen Zensur. Dieses Verhältnis änderte sich zwar mit dein 16. Jahr¬
hundert, als ein freierer Geist in die Wissebschaften einzog, und in den
protestantischen Ländern hat sich die Medizin bald völlig von der Theo¬
logie emancipiert. In den katholischen Ländern und Landesteilen jedoch
finden wir noch beute manche Spuren des alten Zusammenhanges, wie z. B.
die von Aerzten mit kirchlicher Genehmigung verfassten Handbücher det
sogenannten „Pastoralmedizin“, als deren bekanntestes ich das deutsche
Werk von Capellmann nenne. Ja, in Italien hat sogar eine theo¬
logische Zensur bis zur kitte des 19. Jahrhunderts bestanden. In einem
interessanten Reisewerk erzählt Dr. Wilhelm Horn, Kreisphysikus in
Halberstadt, dass nach der Mitteilung des Arztes Dom in ici in Palermo
ein katholischer Priester als Zensor für medizinische Bücher fungierte,
der u. a. in einer vonDominici verfassten Abhabdlüng über Kastration
das Wort „Hode“ als anstössig gestrichen habe, weshalb der Druck
unterbleiben musste.
In den letzten Jahrzehnten hat sich nun in der medizinischen
Wissenschaft ganz allmählich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass
erstens, um mit Forels Worten zu sprechen, der Mensch keinen wahren
Grund besitzt, sich irgendeines Teiles seines Körpers zu schämen, und
dass zweitens die Sexualität sowohl als hygienischer als auch als patho¬
gener Faktor arg vernachlässigt worden ist. Die Anthropologie und
Völkerkunde, die Psychiatrie, die Kriminalanthropologie, die ProstitutioDS-
forschung und schliesslich die soziale Medizin und Rassenhygiene zeigten
uns nacheinander die sexuellen Probleme in einer neuen und vielseitigen
Beleuchtung. Jetzt erst erkannte man ihro enorme Bedeutung für das
individuelle und soziale Leben des Menschen. Es soll unserem Reichs¬
kanzler v. Bethmann - Holl weg nicht vergessen werden, dass er
noch als Minister des Innern, in einer denkwürdigen Sitzung des
Preussischen Abgeordnetenhauses im Jahre 1907, sich zum Interpreten
dieser neuen Erkenntnis] machte und von dem Geschlechtstriebe sprach
als von der „Lebenskraft, der wir nicht nur das Böse, sondern auch im
letzten Grunde das Dasein verdanken, folglich Leben, Lust und auch
das Gute und Edle, das wir schaffen“. Es handelte sich bezeichnender
Weise bei diesem Ausspruche um eine Frage, in welcher die Aerzte in
letzter Zeit die Führung übernommen haben, um die Frage der Bekämpfung
und Beaufsichtigung der Prostitution. Es waltet ja hierbei die Tendenz ob,
allmählich die polizeiliche Reglementierung ganz durch die freie ärzt¬
liche Kontrolle zu ersetzen, v. Bethmann-Hollweg hatte in der er¬
wähnten Rede anerkannt, dass die Behandlung solcher praktischen
Fragen der Sexualhygicne bestimmten Spezialisten obliegen müsse, die
sich, wie er sich ausdrückte, mit „Kopf und Herz“ mit der Sache be¬
schäftigen und auch bei der neuen Formulierung des Strafgesetzbuches
zugezogen werden müssten. Es war hier wohl zum ersten Male vom
Ministertische aus auf die hohe Bedeutung der ärztlichen Sexualforschung
hingewiesen worden.
In der Tat muss heute, wo es eine ernste wissenschaftliche
Forschung auf diesem Gebiete gibt, wo glücklicherweise ein Teil der
Aerzte es nicht mehr für unter seiner Würde hält, die Fragen des
Sexuallebens selbst zu beantworten, statt sie gänzlich den Theologen zu
überlassen, es muss heute der Arzt als der berufenste Vertreter die
Aufgabe des Theologen übernehmen, für eine individuelle und soziale
Hygiene des Geschlechtslebens zu sorgen. Wenn nach Gladstone’s
Wort in Zukunft die Aerzte die Führer der Menschheit sein werden,
so werden sie es ganz gewiss auf diesem Gebiet sein, zumal wenn sie
gestützt auf eine umfassende Einsicht in die kulturellen und sozialen
Zusammenhänge nicht bloss die körperliche, sondern auch die seelische
Seite der Frage ständig im Auge behalten.
Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, dass selbst ein katholischer
Theologe, dass Joseph Mausbach neuerdings die Berechtigung der
Erforschung des Sexuellen als reinen Wissengegenstandes anerkannt hat
In der Tat handelt es sich hier um ein neues, durchaus selb¬
ständiges Forschungsgebiet, das sich in den letzten Jahren immer
deutlicher als solches abgesondert hat, nachdem sich, wie unser verehrter
Herr Präsident, Geheimrat Eulenburg, es richtig gekennzeichnet hat,
die „Summe der Tatsachen, Erfahrungen, erkennbaren Beziehungen ge¬
rade für dieses Gebiet mit einem Male in früher unerhörter Massenbaftig-
keit angehäuft und verdichtet hat.“ Diese einzelne Tatsachen und Pro¬
bleme waren bisher unter den verschiedenartigsten Gesichtspunkten be*
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6. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
867
arbeitet worden, ihre wissenschaftliche Ordnung und Zusammenfügung
zu einem organischen Ganzen war dadurch erschwert, wenn nicht un¬
möglich gemacht worden, dass sie in ganz heterogenen Disziplinen
bearbeitet oder besser unzureichend bearbeitet und oft nur gestreift
worden waren. Zu diesen Disziplinen geboren vor allem die Psychiatrie,
die z. B. die Frage der sexuellen Perversionen völlig einseitig behandelt
hat, die Dermato-Venerologie, die ebenso einseitig die Prostitutionsfrage
fast ausschliesslich für sich occupierte, die Urologie, die Gynäkologie,
die Hygiene und die gerichtliche Medizin. Eine wahrhaft wissenschaft¬
liche Sexualforsohung, d. h. eine wirkliche objektive allseitige Be¬
trachtung und Erforschung der einschlägigen Probleme ist nur dann
möglich, wenn man sie nicht mehr, wie bisher, als mehr oder weniger
geduldetes Anhängsel irgendeiner anderen Wissenschaft auffasst, sondern
als ein selbständiges Forschungsgebiet, als ein organisches Ganzes nach
einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet. Für dieses neue Sondergebiet
hatte ich 1906 den Namen „Sexualwissenschaft“ vorgeschlagen,
welches Wort in seine Bestandteile zerlegt bedeutet: die Wissenschaft
vom Sexuellen, d. h. von den Erscheinungsformen und Wirkungen der
Sexualität in körperlicher und geistiger, in individueller, und sozialer
Beziehung. Diese Begriffsbestimmung wird der eigentümlichen Doppel¬
natur des Geschlechtstriebes gerecht, seiner biologischen und kulturellen
Seite, und weist darauf hin, dass wir auch als Aerzte und Naturforscher
jene sozialen und kulturellen Beziehungen um so weniger vernachlässigen
können, als sie stets ein biologisches Substrat haben. Wir haben ja
der Tatsache, dass die Sexualwissenschaft mit so vielen Grenzgebieten
der Natur- und Kulturwissenschaft Berührung hat, dadurch Rechnung
getragen, dass wir in unseren Satzungen ausdrücklich den Beitritt
nichtmedizinischer Akademiker als ausserordentliche Mitglieder
vorgesehen haben, weil wir auf die Mitarbeit der Naturforscher,
Philosophen, Theologen, Juristen, Soziologen und Kulturforscher
nicht verzichten können und wollen. Aber wir betonen von vornherein,
dass wir die Biologie für die Grundlage, den eigentlichen Kern der
ganzen Sexualwissenschaft halten, dass aus den biologischen
Phänomenen der Sexualität sich die geistigen und kultu¬
rellen erklären. Als „Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft“
wollen wir an unserer streng naturwissenschaftlichen Methode festhalten,
welche überall den Kausalzusammenhang zwischen Körper und Geist
ihren Untersuchungen zugrunde legt und auoh bei der Erforschung mehr
kultureller und sozialpsychologischer Probleme diesen Zusammenhang
nicht ausser aoht lässt. Unter dieser Voraussetzung wird auch die
Sexualwissenschaft die ihrer grossen Bedeutung entsprechende Stellung
unter den übrigen medizinischen Disziplinen einnehmen und bald ihre
Existenzberechtigung, ihre Notwendigkeit und ihren Wert erweisen. Es
dürfte in dieser Beziehung von Interesse sein, dass wohl zum ersten
Male an einer deutschen Universität im Sommersemester 1913 an der
Berliner Universität ein sexualwissenschaftliches Kolleg gelesen werden
wird. Herr Geheimrat Eulenburg hat im soeben ausgegebenen Vor¬
lesungsverzeichnis ein Publikum über „Grundzüge der sexuellen Psycho¬
logie und Psychopathologie“ angekündigt. Sicherlich wird dieses Bei¬
spiel bald Nachahmung finden, die Sexualwissenschaft wird akademisches
Bürgerrecht erwerben, obgleich ja heute gerade die akademischen Kreise
unter dem Einflüsse der schon erwähnten Vorurteile sich noch ablehnend
verhalten.
Lassen Sie mioh, verehrte Anwesende, in grossen Zügen und in
kurzen Andeutungen ein übersichtliches Bild entwerfen von den Auf¬
gaben und Problemen, mit denen sich unsere Gesellschaft voraussicht¬
lich zu beschäftigen haben wird. Es kann sich dabei nur um eine
knappe Skizze des gegenwärtigen Standes der sexualwissenschafftlichen
Forschung handeln, um eine Hervorhebung der wichtigsten Kardinal-
probleme der theoretischen und praktischen Sexualwissenschaft.
Indem wir dabei vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreiten,
haben wir zunächst die biologischen Probleme, die allgemeinen ana¬
tomisch-physiologischen Grundlagen der Sexualwissenschaft ins Auge zu
fassen. Ursprung und Wesen der Sexualität als einer der wichtigsten
Lebenserscheinungen wird voraussichtlich einen breiten Raum in unseren
Erörterungen einnehmen.
Die Sexualität, d. h. die Fähigkeit zur Zeugung und Fortpflanzung«
ist eine Funktion der lebendigen Substanz, als solche ist sie aber
sekundärer Natur, d. h. das Leben war das Primäre, die Sexualität
das Sekundäre, das erst durch einen Prozess der Differenzierung
aus ihm hervorging. Der gegenwärtige Stand der Forschung über die
Biologie der Zelle zwingt uns nicht nur zur Annahme einer Urzeugung,
sondern gibt uns auch Anhaltspunkte dafür, wie sich aus der ersten
lebendigen Materie am Anfang der Dinge bestimmte Teile differenziert
haben, die die Funktion der Fortpflanzung übernahmen.
Wenn wir die zuerst von H. E. Richter und Sir William
Thomson formulierte, dann neuerdings von Svante Ärrhenius weiter
ausgebaute Theorie von der Verschleppung der ersten Lebenskeime von
anderen Weltkörpern durch Meteoriten oder den Strahlungsdruck der
Soone hier beiseite lassen, da sie das Problem nur verschiebt, aber
nicht löst, so jnüssen wir uns gegenüber der von Helm hol tz gestellten
Alternative: „Organisches Lebeq hat entweder zu irgendeiner Zeit an¬
gefangen zu bestehen oder es besteht von Ewigkeit“ gegen die Ewigkeit
des Lebens aussprechen, da die' natürliche Entwicklung und die Geo¬
logie eine solche aussohHessen. Die von Eduard Pflüger in seiner
(berühmten Abhandlung: ^Ueber die physiologische Verbrennung in den |
lebendigen Organismen“ r!875- aufgestellte Cyantheorie der Urzeugung,
nach der das Plasma, die „lebendige Substanz“ ihre vitalen Fähigkeiten
den chemischen Eigenschaften des Eiweisses verdankt, insbesondere dem
darin enthaltenen aus einem Atom Kohlenstoff und einem Atom Stick¬
stoff zusammengesetzten Cyanradikal, dem sogenannten „halblebendigen
Molekül“, das durch Polymerisierung zu dem lebendigen Molekül des
Protoplasma wurde, ist durch die neueren Forschungen über die bio¬
chemische Struktur der Plasmazellen bestätigt worden. Danach sind die
Lebensvorgänge in der Zelle nur unter der Voraussetzung hochwertiger
Plasmamoleküle oder Biomoleküle zu erklären, welche der Assimilation
und Teilung fähigen Atomgruppen nur durch die Komplikation ihres
Baues von den vielatomigen Molekülen hochorganisierter organischer
Verbindungen, wie z. B. der aromatischen Körper oder Eiweissstoffe,
verschieden sind.
Im weiteren Verlauf der in den hochwertigen Biomolekülen der
lebendigen Substanz sich vollziehenden chemischen Prozesse der Assimi¬
lation und Dissimilation kommt es nun zu einer Sonderung der plas¬
matischen Massen. Es differenziert sich ein ausschliesslich der Fort¬
pflanzung dienender kleinerer Teil von einem grösseren Teil, der die
Funktion der Ernährung und Anpassung übernimmt. Es scheidet sieh
das Kernplasma oder Karyoplasma als Träger der Sexualität von dem
Cytoplasma. Der letzte Grund für die Differenzierung von Kern und
Zellplasma ist in der zunehmenden Komplikation des Chemismus der
lebenden Substanz und in der Möglichkeit einer räumliohen Trennung
gewisser chemischer Prozesse zu suchen. Das Problem des Ursprungs
und Wesens der Sexualität ist also ein chemisohes, wie die Betrachtung
der einfachsten Organismen zeigt, in Bestätigung des Wortes von
Lorenz Oken: „Da muss der Grund aller Begattung sein, wo gar
keine Begattung ist.“ Diese Vorstellung eines sexuellen Chemismus
hat jetzt grundlegende Bedeutung für die Sexualwissenschaft gewonnen
und erweist sich als ein überaus glückliches heuristisches Prinzip für
den Fortschritt der Forschung, das übrigens durch immer neue Tat¬
sachen fundiert wird und das hellste Licht über viele Erscheinungen
der sexuellen Physiologie und Pathologie verbreitet.
Neben dem Chemismus erweist sich das grosse Prinzip der
Variabilität als der Leitfaden in dem Labyrinth der sexualwissen-
scbaftliohen Probleme.
Man kann hierauf das berühmte Wort des Ovid anwenden: „Nicht,
wann vorbei sie geeilt, rufst je die Welle zurück du.“ Es ist immer
eine andere Welle in dem ewigen Flusse des Lebens. In der unauf¬
hörlichen Aufeinanderfolge der lebendigen Organismen, diesem ewigen
Werden und Vergehen seit Jahrmillionen gleicht kein lebendiges Ge¬
bilde dem anderen, jedes ist ein bestimmtes Individuum für sich,
das nie, niemals wiederkehrt, in gewissem Sinne also unersetzlich
ist. Hier, verehrte Anwesende, liegt die philosophische Begründung
für den neuerdings so oft betonten energetischen, ökonomischen und
Kulturwert des einzelnen menschlichen Individuums. Diese wunderbare
Variabilität liegt im Wesen der Sexualität, ist der Zweck der Befruchtung
und Fortpflanzung, die von der einfachen Teilung und Knospung zur
Kopulation und Konjugation, vom Hermaphroditismus zur Geschleehts-
trennung fortschreitet und damit die Möglichkeiten der Differenzierung
ins Ungemessene vermehrt. Es ist dabei bemerkenswert, dass auch die
höheren Formen der Sexualität schon in den niederen angelegt sind,
und dass sie selbst Spuren jener niederen Herkunft bewahren. So ver¬
mehren sich z. B. die der Gattung Volvox angehörigen Geisselinfusorien
das eine Mal durch blosse Teilung, das andere Mal aber durch Kon¬
jugation, indem einzelne grössere, geissellose, kugelförmige, ruhende Indi¬
viduen, welche die weiblichen Geschlechtsindividuen vorstellen, mit
spindelförmigen, geisseltragenden, beweglichen Individuen, den männ¬
lichen Fortpflanzungstieren, verschmelzen. Man hat zutreffend die
ruhenden Individuen mit den Eizellen, die mit Geissein versehenen mit
den Samentierchen der höheren Tiere verglichen.
Eine ähnliche Erscheinung kommt bei manohen Insekten vor, bei
denen in verschiedenen Generationen die ungeschlechtliche Fortpflanzung
als sogenannte Parthenogenesis mit der'geschlechtlichen ab wechselt.
Auch das sexualbiologische Studium der höheren doppeltgeschlecht¬
lichen Lebewesen zeigt uns, dass es eine absolute Männlichkeit und
Weiblichkeit nicht gibt, sondern dass fast immer Spuren des anderen
Geschlechts in irgendeiner Form nachweisbar sind. Diese „ Bisexualität“
ist eines der wichtigsten Probleme der Sexualwissenschaft, das schon in
der hermaphroditischen Idee des Altertums symbolisiert, von Plato in
einem tiefsinnigen Mythus erörtert wurde und neuerdings in der von
Magnus Hirschfeld inaugurierten Lehre von den sogenannten
„Zwischenstufen“ und später in den mehr auf das Psychologische
und Charakterologische gerichteten Studien von Fliess,Weiningeru. a.
wissenschaftlich formuliert wurde.
Schon Darwin stellte in seinem Werke „Ueber das Variieren der
Tiere und der Pflanzen“ die These auf: „Bei jedem Weibchen existieren
die sekundären männlichen Charaktere und ebenso bei jedem Männchen
alle sekundären weiblichen Charaktere in einem latenten Zustande,
bereit, sich unter gewissen Bedingungen zu entwickeln.“ Er führt zahl¬
reiche Beobachtungen dafür an, z. B. die hahnenfedrigen Hennen, die
Fasanenhennen, die Weibchen hirsebartiger Tiere, die im Alter Geweihe
bekommen. Darwin erwähnt ferner, dass Hunter auch beim Menschen
somatische Anzeichen der Bisexualität beobachtet habe. August W^is-
mann hat diese Vorstellung des latenten Zwittertums auch auf f das
Keimplasma und die Keimzellen übertragen, indem ^r annahm, dass die
Keimzellen,, mit Doppeldeterminanten ausgestattet sein müssen. Dass
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UNIVERSUM OF IOWA
858
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
hier die für die Sexualwissenschaft so bedeutsame Tatsache der Ver¬
erbung eine Rolle spielt, dass in jedem Geschlecht beide Zustände durch
besondere Erbeinheiten vertreten sein müssen, haben Morgan und
Valentin Haecker wahrscheinlich gemacht.
Es wird vor allem zunächst die Aufgabe unserer Gesellschaft
sein, die biologischen Grundlagen der Bisexualität näher zu erforschen
als Vorbedingung für das wissenschaftliche Studium ihrer physiolo¬
gischen Aeusserungen und hierbei an die zahlreichen „Zwischenstufen“,
wie z. B. die neuerdings von Ernst Haeckel studierte Gynäko¬
mastie sowie an die verschiedenen Formen des Hermaphroditismus
anzuknüpfen.
Wir wissen heute, dass die Ursache der „Geschlechtlichkeit“, der
spezifischen „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“, eine chemische ist.
Dieser chemische Einfluss geht von der sogenannten „inneren Sekretion“
der Keimdrüsen, der Hoden und der Eierstöcke aus und unter¬
hält nicht nur dauernd die „Sexualspannung“ der geschlechtsreifen
Individuen, sondern ist auch von wesentlicher Bedeutung für die Ent¬
wicklung, volle Ausbildung und Präralenz der spezifischen Geschlechts¬
charaktere, der „sekundären Geschlechtscharaktere“ Darwin’s. Dies ist
unter anderem durch die interessanten Experimente des Prager Physio¬
logen Eugen Steinach neuerdings bewiesen worden. Nach ihm kommt
die Entwicklung der Männlichkeit, die ganze Wandlung, welche das un¬
reife Tier durchläuft, um ein reifes Männchen zu werden, durch den
chemischen Einfluss der inneren Hodensekrete auf das Centralnerven¬
system zustande. Er bezeichnet diesen Einfluss als eine „Erotisierung“
des Central nerven Systems. Schon im 18. Jahrhundert hatte der fran¬
zösische Arzt Thöopile de Bordeu diese Erkenntnis vorgeahnt, als er
seine „Aura seminalis“ ins Blut eindringen und einen incitierenden
Einfluss auf den gesamten Organismus ausüben, sie als „Vermittlerin
zwischen Geist und Seele“ dienen liess. Nach den neuesten, soeben
veröffentlichten Untersuchungen von L. R. Müller und W. Dahl be¬
teiligen sich neben den Hoden auch die Vorsteherdrüsen und die
Samenblasen an der inneren Sekretion.
Die Erotisierung des Gehirns durch chemische Produkte der inneren
Sekretion stellt nach Sigmund Exner eine Art von Intoxikation
dar und macht das Wesen des bekannten „Liebesrausches“ aus, für
dessen näheres Studium somit die biologischen Grundlagen gegeben
wären. Wie ferner Kastrationsversuohe zeigen, überdauert diese Eroti¬
sierung längere Zeit den Ausfall des ursächlichen Faktors.
Das führt uns zur Erklärung des eigentümlichen Phänomens der
Fortdauer des Geschlechtstriebes bei Kastraten, wobei aller¬
dings auch in Betracht gezogen werden muss, dass die Prostata nach
neueren Untersuchungen sich an der inneren Sekretion beteiligt. Die
neueren Experimente von Foges und Lode, die Keimdrüsen trans¬
plantierten, haben auch die enge Beziehung von Störungen der inneren
Sekretion zur Ausbildung der Zwischenstufen, z. B. weibischer Männer
und männlicher Weiber erwiesen. Endlich ist es ziemlich sicher, dass
der sogenannte Infantilismus mit einer Verkümmerung der Keimdrüsen
und mit krankhaften Veränderungen der anderen Organe der inneren
Sekretion (Schilddrüse, Hypopbysis) zusammenhängt.
Die innere Sekretion werden wir auch als den wichtigsten ätiologi¬
schen Faktor heranzuziehen haben, wenn es sich um das Studium der
individuellen Schwankungen der Sexualität handelt, wie sie
im Laufe des Tages und des Jahres beobachtet werden. Es gibt nicht
bloss eine Wellenbewegung im Sexualleben des Weibes, als deren typi¬
scher Ausdruck die periodische Menstruation aufzufassen ist. Auch der
Mann zeigt periodische Schwankungen des Sexualtriebes. Als Rest der
Brunstzeit, die noch heute bei primitiven Stämmen in Australien nach¬
weisbar ist, kann in Europa die statistisch von Ottomar Rosenbach
und Strass mann nachgewiesene Steigerung der Zeugungstätigkeit im
Frühjahr, speziell im Mai, betrachtet werden. Auch der Einfluss von
Konstitution, Ernährung, Lebensweise, körperlicher und geistiger Tätig¬
keit auf das sexuelle Verhalten des Individuums bedarf noch genauerer
Untersuchung. Die durch das Nervensystem vermittelte künstliche Er¬
regung ist bereits durch die Experimente von A. Lode sinnfällig de¬
monstriert worden, indem er an Hunden nachwies, dass die Tätigkeit
des Hodens in Tagen künstlioh erzeugter geschlechtlicher Erregung eine
Steigerung erfährt. Andererseits lehrt die Beobachtung, dass dauernde
und Jahre hindurch fortgesetzte sexuelle Abstinenz, aber ebenso ein
Uebermaass von sexueller Betätigung ein vorzeitiges Aufhören der Tätig¬
keit der Geschlechtsdrüsen bewirken kann. Die oft behauptete Beziehung
der zeitweiligen sexuellen Enthaltsamkeit zur Steigerung der geistigen
Leistungsfähigkeit würde eine neue Beleuchtung erfahren, wenn die Ver¬
mutung Einer’s richtig wäre, dass die Samenblasen bei längerer Ab¬
stinenz das Hodensekret resorbieren.
Ueberhaupt wird die Untersuchung der so innigen Beziehungen
der Sexualität zum Nervensystem und zum geistigen Leben
eine Fülle von Aufgaben bringen, deren Lösung für die sexuelle Patho¬
logie, Hygiene und Therapie die grösste Bedeutung besitzt. Die che¬
mische Erotisierung durch die innere Sekretion konzentriert ihre Wirkung
zunächst auf das Gehirn und setzt die Ganglien in Stand, die vom
anderen Geschlecht ausgehenden Sinneseindrücke in Lustgefühle umzu¬
werten, den eigentlichen Trieb zum anderen Geschlecht hervorzurufen.
Erst später entwickelt sich die Erektions- uod Begattungsfähigkeit. t -E^
spielen bereits die Sinnesein drücke bei dieser primären Erotisierung
eine Hauptrolle*, und unter diesen Sinneseindrücken ist es besonders der
Geruchssinn, dessen innige Beziehungen zur Sexualität schon seit
langer Zeit im Volke bekannt, aber erst in den letzten Dezennien von
Naturforschern, Biologen und Aerzten wissenschaftlich erforscht worden
sind. Ernst Haeckel erklärt den Geruoh für die Quintessenz, das ur¬
sprüngliche Wesen der Liebe. Der Trieb, die sinnliche Regung, welche
die Samenzelle zur Eizelle treibt, ist nach ihm eine geruchsähnliche
Empfindung. Der „erotische Chemotropismus“ der beiden kopu¬
lierenden Germinalzellen beruht auf einer Anziehung durch den Geruch.
Aehnliche Anschauungen vertreten Bidder und Kröner. Sie erfuhren
eine gewisse Bestätigung durch die aufsehenerregenden Entdeckungen
von H. Zwaardemaker und Wilhelm Fliess. Jener stellte die
merkwürdige Tatsache fest, dass die sexuellen Duftstoffe bei Pflanzen
und Tieren von einer einzigen chemischen Gruppe, der sogenannten
Caprylgruppe, geliefert werden; dieser entdeckte die „Genital¬
stellen“ der Nase und eigentümliche reflektorische Beziehungen
zwischen Sexualfunktion und Nase.
Die innige Wechselwirkung zwischen der Sexualität und der geistigen
und körperlichen Leistungsfähigkeit und Produktivität ist auf den Ein¬
fluss der inneren Sekretion der Keimdrüsen zurückzuführen, da sie bei
Kastraten völlig fehlt. Pelikan hebt hervor, dass zwar im Laufe der
Jahrhunderte manche Kastraten einen bedeutenden künstlerischen Ruf
als Sänger genossen haben, dass aber nie ein solcher den Ruhm eines
Komponisten oder eines anderen produzierenden Künstlers gewonnen hat
Die Produktionskraft des Geistes ist abhängig von der Erotisierung des
Gehirns duroh die innere Sekretion, aber obenso auch die körperliche
Energie. Daher ist die Sexualität von der grössten Bedeutung für die
menschliche Arbeit im weitesten Sinne des Wortes. Es spricht sich
diese Beziehung aus in dem merkwürdigen Vikariieren von physischem
und geistigem Zeugungstrieb, von geschlechtlicher und religiöser bzw.
künstlerischer Ekstase, von geschlechtlicher und motorischer Energie.
Es gibt psychische und körperliche Aequivalente, in die sich die
potentielle Energie des Geschleohtstriebes umsetzen kann. Der Ausdruck
„sexuelle Aequivalente“ ist weiter und umfassender als das in
diesem Sinne gebrauchte Wort „Sublimierung“, das zudem nur die
psychische Seite des Umsetzungsprozesses bezeichnet. Das Studium
dieser sexuellen Aequivalente enthüllt uns vor allem die ungeheure Be¬
deutung des Sexuellen für das Individuum, für sein Geistes- und Affekt¬
leben und stellt es als ein gewaltiges Kulturprinzip in das hellste
Licht. Es erweist vor allem die Richtigkeit der These, dass die
Sexualität für das Individuum mindestens so viel bedeutet
wie für die Gattung.
Im Zusammenhänge mit dem grossen Einfluss des Centralnerven¬
systems, insbesondere des Gehirns auf die sexuellen Vorgänge und Vor¬
stellungen sei auch $uf die nicht zu unterschätzende Bedeutung
früherer sexueller Kindheits- und Jugenderlebnisse hin¬
gewiesen, die imstande sind, gewisse Associationen ein für allemal fest
zu verankern. Es ist von grösstem Interesse, dass bereits Goethe dies
erkannt hat. An einer Stelle in „Wilhelm Meister’s Wanderjahren“ er¬
klärt er die Neigung junger Männer zu älteren Frauen aus der Er¬
innerung an die Ammen- und Säuglingszärtlichkeit. Es darf aber nicht
übersehen werden, dass die Vererbung als mächtiger Faktor auch für
die Genesis von Triebabweichungen in Betraoht kommt, da durch sie
Zustände einer andersartigen Sexualität beim Nachkommen hervortreten
können, die bei den Erzeugern latent geblieben waren. Wenn man
mit Darwin und Weismann die Vererbung als Vermittlerin einer
kontinuierlichen Variabilität auffasst, so kann sie auch in bezug auf die
Sexualität eine allmähliche Steigerung kleiner individueller
Abänderungen herbeiführen, die dann, schliesslich z. B. in einer Reihe
scheinbar völlig heterosexueller Generationen das plötzliche Auftreten
eines homosexuellen Individuums zur Folge hat.
Das sind, verehrte Anwesende, im wesentlichen die grossen allge¬
meinen Probleme, die augenblicklich die Sexualforschung beschäftigen.
Sie bilden die Grundlage für das Studium der zahlreichen speziellen
Probleme der Sexualwissenschaft Ich muss mich darauf beschränken.
Ihnen zum Schluss nur kurz, kaleidoskopisch, nur in Ueberschriften und
Stichworten das grosse Arbeitsgebiet vorzuführen, das wir im Laufe der
Zeit in unser Bereich ziehen werden und müssen. Es ist natürlich un¬
möglich, Ihnen aus dem grossen Gebiet der Sexualpathologie alle in
Betracht kommenden Affektionen aufzuzählen. Es seien nur diejenigen
genannt, die voraussichtlich den breitesten Raum in unseren Verhand¬
lungen einnehmen werden, wie z. B. die sogenannte Paradoxia
sexualis, die häufig vorkgmmende Inkongruenz zwischen Geschlechts¬
trieb und Ausbildung der Genitalorgane, wobei der Trieb entweder der
Entwicklung der Genitalien vorausgeht, wie bei der Säuglings- ond
Kinderonanie, oder lange nach Erlöschen der Funktion der Keimdrüsen
bisweilen im hohen Greisenalter wieder auftritt, wie ferner die sogenannten
autoerotischen Erscheinungen, insbesondere die Masturbation, das
vielgestaltige Krankheitsbild der sexuellen Neurasthenie, die männ¬
liche Impotenz, namentlich die starkverbreitete juvenile Impotenz,
die sexuelle Frigidität des Weibes, die pathologischen Pollu¬
tionen, der Einfluss pathologischer Zustände der Genitalien und der
accessorischen Geschlechtsdrüsen auf die sexuelle Funktion, die Ursache
des idiopathischen Priapismus und endlich das grosse,jGebiet der so¬
genannten sexuellen Perversionen») wie Algolagnie, Fetischismus,
Homosexualität, für die heute nicht mehr ausschliesslich der patholo¬
gische Gesichtspunkt in Betracht kommt, sondern auch der Gesichts¬
punkt der Variation und der Anknüpfung an gewisse physiologische
Begleiterscheinungen des Sexualakts. Als von der Homosexualität ver¬
schiedene Erscheinungen wären die neuerdings beschriebenen Zustands-
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UMIVERSITY OF IOWA
5. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
859
bilder der „Weiberscheu“ (Wilhelm Ebstein) und des yon Magnus
Hirschfeld entdeckten „Transvestitismus“ zu erwähnen.
Von grosser Wichtigkeit ist das Studium der Beziehungen der
Sexualität zu anderen Krankheiten. Die Psyche wird durch
Genitalaffektionen krankhaft verändert und hat ihrerseits einen gewaltigen
Einfluss auf das Geschlechtsleben, der sogar bis zur Unterbrechung
sexueller Funktionen gehen kann. So hat Brierre de Boismont
zuerst Mitteilung von der interessanten Tatsaohe gemacht, dass bei
jungen Mädchen, die aus dem Elternhaus in die Pension kommen, häufig
plötzlich für einige Zeit der Monatsfluss aufhört. Die Menstruations¬
und Klimakteriumspsychosen, die Pubertätspsychosen beim Manne
weisen auf denselben Zusammenhang hin. Ferner wird die sexuelle
Grundlage des vielgestaltigen, aber in neuester Zeit sich immer mehr
verflüchtigenden Krankheitsbildes der weibliohen Hysterie zu untersuchen
und festzustellen sein, ob die von einigen Gynäkologen noch festgehaltene
alte hippokratische Anschauung, dass die Hysterie eine Uterusreflex¬
psychose sei, noch zu Recht besteht. Zweifellos ist die epileptische
Grundlage vieler sexualpathologischer Erscheinungen. Von Beziehungen
der Sexualfunktion zu körperlichen Krankheiten stehen im Vordergrund
diejenigen zu Magen- und Darmleiden, zum Diabetes mellitus,
zur Tabes dorsalis. Erwähnt sei auch die Beziehung des Eunu¬
choidismus zum Diabetes insipidus und die angebliche sexuelle
Salacität bei Tuberkulose.
Was nun die Therapie der Sexualleiden betrifft, so kommt hier
zunächst die Frage in Betracht, ob der Arzt überhaupt den Geschlechts¬
verkehr als ein prophylaktisches oder therapeutisches Mittel empfehlen
darf. Kein Geringerer als Rudolf Virchow hat zuerst diese bedeutungs¬
volle Frage in einem 1870 erschienenen Aufsatze behandelt, auch wir
werden uns eingehend mit ihr zu beschäftigen haben. Von den thera¬
peutischen Maassnahmen seien nur summarisch aufgezählt die Psycho¬
therapie in Form der hypnotischen und Wachsuggestion, der
Willenstherapie, der Psychoanalyse, die medikamentöse
Therapie, Diätetik und Ernährungstherapie, die Hydro-, Balneo-
und Klimatotherapie, die Elektrotherapie, Massage, Gymnastik
und Mechanotherapie, die Hyperämiebehandlung und Thermo-
therapie, die Behandlung mit Röntgenstrahlen, die Organ¬
therapie und schliesslich die chirurgische Behandlung. Wir werden
uns mit der genaueren Indikationsstellung für die einzelnen therapeu¬
tischen Methoden zu beschäftigen haben, da die vielgestaltigen sexuellen
Erkrankungen das Prinzip der Individualisierung in der Behand¬
lung ganz besonders verlangen. Hierbei muss uns stets der Grundsatz
leiten, dass wir nicht magistri, sondern ministri fiaturae sind.
Die Sexualwissenschaft ist so gut ein Teil der sozialen Medizin wie
die Rassenbiologie und die Hygiene überhaupt. Daher wird unsere
Gesellschaft die Pflioht haben, die grossen sozialen Probleme der
Sexualwissenschaft zum Gegenstand eingehender Erörterung und
Förderung zu maohen.
Die bedeutungsvollen Fragen der sexuellen Aufklärung und
Pädagogik, der sexuellen Abstinenz und ihrer sozialen Bedeutung
sind hier in erster Linie zu nennen. Aber auch die gegenwärtig von
der Rassenbiologie mit Beschlag belegte Eugenik, die Frage der
Rassenveredelung oder besser Menschenveredelung durch Heirats¬
beschränkungen bzw. Sterilisierung der mit erblichen Krankheiten be¬
hafteten oder antisozialen Individuen, durch Bekämpfung der Inzucht,
des für die Keimdrüsen so verderblichen Alkoholismus, der venerischen
Krankheiten fällt ebensosehr in das Forschungsgebiet der Sexualwissen¬
schaft. Das gleiohe gilt von der augenblicklich aktuellen Frage der
Geburtenregelung und des Geburtenrückgangs, von der Unter¬
suchung des Einflusses der Schule auf das Sexualleben und
der Frage, inwieweit die Schulärzte hier einzugreifen haben, endlich
von der Statistik („Sexualverhältnis* u. a.), der Genealogie und der
Familienforschung und der sogenannten „Pathographie“, bei der zu
berücksichtigen sein wird, dass die Erforschung der Sexualität uns zu¬
gleich den Wesenskern des Individuums enthüllt. Mindestens zu
zwei Dritteln gehört die Prostitutionsfrage unserem Gebiete an,
in welches das biologische und sexualethische Problem der Prosti¬
tution ganz, das Problem der Persönlichkeit der Prostituierten
selbst zu einem grossen Teile hineinfällt. Endlich werden die innigen
Beziehungen der Sexualwissenschaft zur Kriminologie, Strafrechts¬
pflege und forensischen Medizin unfl auch zivilrechtliche
Fragen auf diesem Gebiete berücksichtigt werden müssen.
Eine letzte Seite der Sexualwissenschaft ist die ethnologisoh-
historisohe Betrachtung ihrer Probleme, das Studium der sexuellen
Elementargedanken der Menschheit, die Untersuchung der überein¬
stimmenden biologisch-sozialen Erscheinungen der Sexualität bei allen
Völkern und zu allen Zeiten. Diese anthropologische Beträchtungs-
weise (im weitesten Sinne des Wortes) liefert uns für die Sexualwissen¬
schaft an der Hand von Massenbeobachtungen solche wissenschaftlich
verwertbaren Grundlagen, dass sie denselben Anspruoh auf Exaktheit
und Objektivität erheben können wie die rein naturwissenschaftliche
Einzelbeobachtüng. Das gilt sowohl von der sexuellen Ethnologie,
die das Sexualleben der einzelnes Rassen und Völker, audh das
Sexualleben der Misohlinge studiert, als auch von dem grössten Ge¬
biete des sexuellen Folklore, das Sprache, Mythus, Symbolik,
Lebensgewohnheiten, Aberglauben umfasst. Das Studium der
biologischen Grundlagen dieser sozialpsychischen sexuellen Phänomene
wird eine unser# wichtigsten und interessantesten Aufgaben sein. Die
historischen Forschungen haben deshalb für die Sexualwissenschaft
die grösste Bedeutung, weil sie unwiderleglich die Unhaltbarkeit der
Entartungstheorie dartan und zeigen, dass die sogenannte „sexuelle
Korruption“ eigentlich immer existiert hat und also nicht die letzte Ur¬
sache des Unterganges gewisser Staaten und Völker gewesen sein kann.
Nebenbei kann die Sexualwissenschaft durch den Nachweis, dass gewisse
sexuelle Phänomene in der Kirchengesohichte weniger der historischen
als im wahren Sinne des Wortes der hysterischen Theologie an¬
gehören, der Theologie einen besseren Dienst leisten, als diese ihr früher
geleistet hat. Und auch die Philosophie wird der Sexualwissenschaft
dankbar sein, wenn diese eine bisher bestehende schmerzliche Lücke,
auf die allerdings Friedrich Nietzsche mit seinem Wort von der
„Hinaufpflanzung“ hingewiesen hat, durch die Begründung einer natür¬
lichen Sexualethik ausfüllt, die von dem Begriff des Sexuellen als
einer an sich durchaus natürlichen und edlen Lebenserscheinung aus¬
geht, und ihm durch den auf biologischer und medizinischer Basis be¬
ruhenden Begriff der sexuellen Verantwortlichkeit erst den wahren
ethischen Inhalt gibt.
Damit, verehrte Anwesende, hätten wir die erste flüchtige Wande¬
rung durch das weite und zukunftsreiche Gebiet der Sexualwissenschaft
vollendet. Ich hoffe, dass sich Ihnen dabei die Ueberzeugung von der
Notwendigkeit der Begründung unserer Gesellschaft aufgedrängt hat, und
dass Sie gleich mir die Zuversicht auf ihre gedeihliche Entwicklung
hegen und auf ihre immer mehr wachsende Bedeutung für die Medizin
und die Soziologie.
Worte Ernst Haeckels.
Das Licht der wissenschaftlichen Erklärung, das die moderne Ent¬
wicklungslehre seit einem halben Jahrhundert in alle Gebiete des
menschlichen Denkens und Forschens erfolgreich eingeführt hat, dürfte
auch erfreuliche Helle verbreiten über jene „ägyptischen Geheimnisse“,
welche seit Jahrtausenden unter dem Druck religiösen Aberglaubens und
traditioneller Sitten * der Forschung unnahbar erschienen. Dazu gehört
in erster Linie das ungeheuere, ebenso interessante als theoretisch und
praktisch wichtige Gebiet der Sexualität, des organischen Geschlechts¬
lebens. Jeder Gebildete weiss, welche unermessliche Rolle im mensch¬
lichen Leben die sexuelle Liebe spielt, wie unser ganzes soziales und
Familienleben, unsere Kunst und Literatur mit diesem gewaltigen
Problem verwoben ist. Aber die wenigsten Gebildeten kennen die
anatomischen Grundlagen und die physiologischen Prozesse dieses
„Liebeslebens“, die wenigsten wissen, dass der „erotische Chemo¬
tropismus der Urquell der Liebe“ ist, wie ich schon vor 40 Jahren in
meiner Anthropogenie darzutun versucht habe. Erst die gewaltigen
Fortschritte der Sexualforschung in den letzten 30 Jahren, die über¬
raschenden Ergebnisse der physiologischen und morphologischen Unter¬
suchungen über Befruchtung und Bastardzeugung, über den innigen Zu¬
sammenhang unseres ganzen Sinnes- und Seelenlebens mit den geheimnis¬
vollen Vorgängen der Geschlechtsliebe, haben weiteren Kreisen die Augen
geöffnet über die fundamentale Bedeutung der Sexualität.
Wir müssen es daher als einen grossen Fortschritt begrüssen, dass
in neuester Zeit eine „Aerztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft“
sich in Berlin konstituiert hat, und dass hervorragende Gründer derselben
sioh bemühen, auch weiteren Kreisen von Gebildeten die Augen über
diese bedeutungsvollen „Geheimnisse“ zu öffnen.
Geschrieben den 10. Februar 1913.
Preisausschreiben.
Durch die wissenschaftliche Forschung ist die Tatsache erwiesen,
dass die Uebertragung des Typhus in einer nicht geringen Zahl der
Fälle durch Dauerausscheider oder Bacillenträger erfolgt.
Besonders bedeutungsvoll ist die Gefahr solcher Dauerausscheider,
die — meist ohne Kenntnis ihres gefahrbringenden Zustandes — in
einem Nahrungsmittelvertrieb Beschäftigung gefunden haben, wodurch
die Möglichkeit gegeben ist, dass eine grosse Anzahl von Menschen zu¬
gleich den Ansteckungsstoff in sioh aufnehmen und erkranken kann.
So war auch im Dezember 1912 die Typhusepidemie in Hanau zu¬
stande gekommen.
Es hat zwar nicht an Versuchen gefehlt, die Dauerausscheider von
ihrem gefahrvollen Zustand zu befreien; ihr Ergebnis kann aber bisher
nicht befriedigen.
Um diese Forschung auf diesem Gebiete von neuem zu beleben,
hat ein hochherziger Stifter 10 000 Mark zur Verfügung gestellt, die
nach der Entscheidung des Unterzeichneten Preisrichterkollegiums dem¬
jenigen ohne Rücksicht auf Nationalität Zufällen, der ein
Mittel oder Verfaßen angibt, womit es ihm in zuverlässiger
Weise gelungen ist, die Typhusdauexjiusscbeider in ab¬
sehbarer Zeit von den gewähnten Krankheitserregern zu be¬
freien. * . *■ 11 ri *
T I I J f.
Es muss nachgewiepen werden, dass die Darmenßleerung^n und der
Harn det Dauerausscheider naoh erfolgter Behandlung mindestens ein
halbes Jahr von Typhusbakterien freigeblieben sind.
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UNIVERSUM OF IOWA
860
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Sollte eine nicht ganz befriedigende Lösung der gestellten Frage
gefunden werden, so kann auch eine Teilsumme gewahrt werden.
In der spätestens bis zum 1. Oktober 1914 an den Vorsitzenden
des Preisrichterkollegiums in deutscher Sprache einzureichenden Arbeit
sind die angestellten Versuche so eingehend zu beschreiben, dass als¬
bald in eine Nachprüfung eingetreten werden kann.
Die zur Nachprüfung erforderlichen Präparate müssen dem Preis¬
richterkollegium kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.
Die Nachprüfung muss bis zum 1. Juni 1915 beendigt sein.
Im Falle von Stimmengleichheit bei der Abstimmung entscheidet
der Vorsitzende des Preisrichterkollegiums.
Berlin W., Wilhelmstr. 86/87.
Das Preisrichterkollegium.
Professor Dr. v. Schjerning, Professor Dr. Ehrlich,
Generalstabsarzt der Armee und Chef des Wirklicher Geheimer Rat und Direktor des
Sanitätskorps. Kgl. Instituts für experimentelle Therapie
in Frankfurt a. M.
Professor Dr. Gaffky,
Geheimer Obermedizinalrat nnd Direktor
des Kgl. Instituts für Infektionskrankheiten
»Robert Koch* in Berlin.
Professor Dr. Uhlenhuth,
Geheimer Regierungsrat und Direktor des
hygienischen Instituts in Strassburg i. IS.
Professor Dr. Kraus,
Geheimer Medizinalrat und Direktor der
II. medizinischen Klinik der Charite in
Berlin.
Professor Dr. Hoffmann,
Oberstabsarzt und Referent im Kriegs-
ministerhiiu.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizin. Gesellschaft
vom 30. April 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung Herr West
(als Gast): Patienten mit geheilter Tränensackeiterung aus der Klinik
von Prof Silex. (Diskussion: HHr. J. Hirschberg, Gutmann, West.)
Hierauf hielt Herr Warnekros den angekündigten Vortrag: Kurze Mit¬
teilungen aus der technischen und chirurgischen Zahnheilkunde, und Herr
G. Zuelzer seinen Vortrag über: Die objektive Feststellung der Neuralgie
in ihrer klinischen Bedeutung.
— Die diesjährige 60. Versammlung mittelrheinischer Aerzte
wird am 18. Mai in Bad Kreuznach abgehalten. Nach Besichtigung der
Sehenswürdigkeiten (Radiumfabrik,Radiuminhalatorium, Bäderhaus) werden
von 1 bis 4 Uhr Vorträge aus allen Gebieten der Medizin von einer
Anzahl Professoren und Aerzten gehalten; danach findet im Hotel
Oranienhof gemeinschaftliches Mittagessen statt.
— Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten veranstaltet ihre Jahresversammlung diesmal
am 20. und 21. Juni aus Anlass der Jahrhundertausstellung in Breslau.
Auf der Tagesordnung stehen eine Reihe wichtiger Fragen. (Dr. Julian
Marcuse - Ebenhausen „Geschlechtskrankheiten und Bevölkerungs¬
problem“. Korreferent Herr Blaschko. Herr J. Heller „Geschlechts¬
krankheiten und Eherecht“. Dr. Chotzen über die von der Gesell¬
schaft seinerzeit ins Leben gerufene sexualpädagogische Aktion und ihre
bisherigen Erfolge.)
— Ein internationaler Kongress für den Kampf gegen die Beschädi¬
gung und Verfälschung von Nahrungsmitteln findet in Gent vom
1. bi» 3* August d. J. statt. Meldung an Herrn Antony Neuckens,
Rathaus, Brüssel.
— Der Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standesvereine
hat eine Auskunftsstelle errichtet und mit der Leitung des Bureaus
Herrn Sanitätsrat Dr. Heinrich Joachim betraut. Dieses Bureau gibt
gegen Entgelt Aerzten und Privatpersonen mündlich und schriftlich
(nicht telephonisch) Auskunft in ärztlich-rechtlichen Angelegenheiten.
Der Leiter des Bureaus ist wochentäglich von 1—2 Uhr im medizini¬
schen Warenhaus (Karlstrasse 31) zu sprechen. Für jede Auskunft ist
eine Gebühr von 3 bis 10 M. (je nach der Mühewaltung) zu entrichten.
Bei besonders schwierigen und zeitraubenden Leistungen, insbesondere
bei der Aufstellung von Liquidationen, kann über die Höchstgebühr von
10 M. hinausgegangen werden. Organisationen können gegen eine jähr¬
liche Bauscbgebühr die unentgeltliche Auskunftserteilung an ihre Mit¬
glieder vereinbaren. Privatpersonen haben das Doppelte der Gebühren¬
sätze zu zahlen. Es steht dem Leiter des Bureaus frei, in besonderen
Fällen von der Erhebung der Gebühr für die Auskunftserteilung Abstand
zu nehmen.
— Indem wir auf das vorstehende Preisausschreiben betr.
Dauerausscheider von Typhusbacillen aufmerksam machen, geben wir
dem Wunsche des Preisrichterkollegiums Ausdruck, dies Ausschreiben in
in- und ausländischen Zeitschriften zum Abdruck gebracht zu sehen.
— Herr Dr. Klotz in Schwerin teilt uns mit, dass die Firma
Kopp & Joseph ohne seine Erlaubnis seine Arbeit in dieser Wochen¬
schrift, 1912, Nr. 2, zur Reklame für Zeozonpaste verwendet; Herr Kollege
Klotz bittet uns, darauf hinzuweisen, dass er dieser Reklame voll¬
kommen fernsteht und die Firma seinen Wunsch, die Arbeit nicht zu
solchen Zwecken zu gebrauchen, abgelehnt hat. Auch Herr Beerwald
hat sich gegen eine solche Citierung seines Namens verwahrt.
Hochschulnachriobten.
Berlin. Prof. Kaiserling, bisher Custos am pathologischen
Institut, ist zum Ordinarius in Königsberg ernannt. Sein Nachfolger
wird Prof. Westenhoeffer. — Halle. Geheimrat v. Bramann ist
gestorben. — Göttin gen. Privatdozent Bennecke ist durch einen
Sturz vom Pferde tödlich verunglückt.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 2. Kl. m. Eichenlaub
und Schwertern am Ringe: Geh. San.-Rat Dr. A. Volmer in
Berlin.
Charakter als Geheimer Sanitätsrat: den San. - Raten Dr.
A. Bayer in Aachen, Dr. Th. Conrad in Züllichau, Dr. A. Diester¬
weg in Berlin, Dr. H. Gemmel in Salzschlirf, Dr. H. Gerhartz in
Rheinbach, Dr. E. Goetz in Danzig, Dr. E. Kelle in Weferlingen,
Dr. W. Klein in Colo, Dr. Th. Köhler in Weilburg a. L., Dr.
H. Krön in Berlin, Dr. A. Lenne in Neuenahr, Dr. P. J. Olbertz
in Bonn, Dr. L. Palm in Andernach, Dr. F. A. Reinstadler in
Dillingen, Dr. 0. A. F. Schmidt in Neudamm, Dr. K. Schumacher
in Aachen, Dr. L. Sebold in Cassel, Dr. L. Sommer lat in Frank¬
furt a. M., Dr. J. Stern in Charlottenburg, Dr. Th. Voss in Ems¬
detten und dem Arzte Dr. Th. Treitel in Königsberg i. Pr.
Charakter als Sanitätsrat: den Aerzten Dr. K. Abel in Berlin,
Dr. B. Anton in Oels, Dr. G. Baron in Moye, Dr. E. Barth in
Cbarlottenburg, Dr. H. Becker in Düsseldorf, Dr. K. Behrendt in
Berlin, Dr. 0. Bense in Nienburg a. W., Dr. K. Blumenthal in
Ilfeld, Dr. S. Bokofzer in Berlin-Lichtenberg, Dr. P. Bongers in
Königsberg i. Pr., Dr. H. Brehm in Berlin, Dr. H. Runsmann in
Münster i. W., Dr. K. Burhenne in Hannover, Dr. G. Buseban in
Stettin, Dr. H. Claessen in Neuenahr, Dr. E. Claus in Grebenstein,
Dr. M. Cohn in Berlin, Dr. E. Cramer in Breslau, Dr. H. Drescher
in Pakosch, Dr. A. Elsässer in Hannover, Dr. H. Engel in Breslau,
Dr. K. Fab er in Bochum, Dr. E. Fleck in Cöln a. Rh., Dr.
K. Frank in Berlin-Schöneberg, Dr. H. Friede in Altona, Dr.
G. Gensen in Berlin, Dr. J. Glaser in Burg, Dr. E. Grätzer in
Berlin-Friedenau, Dr. M. Grobe in Franz. Buchholz, Dr. J. Hage¬
mann in Bonn, Dr. E. Heimbacb in Kyritz, Dr. S. Heinrichsdorff
in Kolberg, Dr. H. Henningsen in Kiel, Dr. E. Henze in Berlin,
Dr. H. Herz in Coblenz, Dr. M. Hirschberg in Lauenburg i. P.,
Dr. F. Hitzegrad in Kiel, Dr. C. Hoffmann in Hannover, Dr.
C. Hoffmann in Habelschwerdt, Dr. J. Jacoby in Charlottenburg,
J. Ide in Nebel auf Amrum, Dr. L. Ittmann in Breslau, Dr.
M. Kandier in Kloster Haina, Dr. E. Keller in Berlin-Tegel, Dr.
H. Kellner in Küllstedt, Dr. P. M. Ketelsen in Oldsum a. Föhr,
Dr. P. Klaus in Hahnenklee, Dr. A. Kiessler in Barmen, Dr.
F. Kooh in Bad Reichenhall, Dr. G. F. H. Kollath in Gollnow, Dr.
B. Kosterlitz in Berlin-Wilmersdorf, Dr. B. Kreisel in Gleiwitz,
Dr. H. Kreutzberg in Hannover, Dr. A. Künkler in Kiel, Dr. A.
v. Kunowski in Leubus, Dr. R. Kunze in Reichenbach i. Schl., Dr.
M. Kuntze in Kattowitz, Dr. H. Lembeck in Magdeburg, Dr. K.
Lepere in Hirschberg i. Schl., Dr. R. J. L. Leymann in Nienburg
a. W., Dr. A. Lippmann in Charlottenburg, Dr. A. Löwenstein
in Elberfeld, Dr. M. Lubowski in Wiesbaden, Dr. E. Manche in
Berlin-Schöneberg, Dr. K. Mannaberg in Gleiwitz, Dr. H. Mayer in
Frankfurt a. M., Dr. Th. du Mesnil de Rochemont in Altona, Dr.
M. Metz in Brandenburg a. H., Dr. M. Meyer in Berlin, Dr. P.
Mildenstein in Altona, Dr. F. Mose in Kiel, Dr. G. Nauwerck
in Möckern, Dr. M. Petersen in Leck, Dr. W. Pielicke, Direktor
des Sanatoriums der Heilstätten in Beelitz, Dr. F. Plessner in Wies¬
baden, Dr. R. Pütter in Stralsund, Dr. K. Purrucker in Magde¬
burg, Dr. K. Schiele in Westeregeln, Dr. G. Schüler in Friedrichs¬
hagen, Dr. M. SpanjJjow in Berlin, Dr. F. Speyer in Berlin-Schöne¬
berg, Dr. R. Wedel in Neubarnim, Dr. H. Weidner in Frankfurt
a. 0., Dr. M. Weile in Breslau, Dr. F. Weinstock in Berlin, Dr.
K. Westphal in Fordon, Dr. P. Wolfheim in Königsberg i. Pr.
Prädikat Professor: Privatdozent Dr. A. Grotjahn in Berlin.
Ernennungen: ausserordentl. Professor Dr. Wolff in Strassburg i. E.
zum ordentl. Professor daselbst.
Niederlassungen: Dr. C. Grünwald in Frankfurt a. M., Dr. W. R. G.
Havenstein in Bedburg, Dr. F. Koehl, Dr. E. Löhnberg, Dr. F.
Wagner, Dr. J. Baus und Arzt W. Roedel in Cöln, Dr. C. Reuter
in Bonn.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. G. Box¬
berger von Frankfurt a. M., Dr. M. F. J. Graf v. Wiser von Wies¬
baden.
Praxis aufgegeben: Dr. E. Frensdorf in Frankfurt a. M.
Gestorben: Dr. 0. Schloss in Wiesbaden, San.-Rat Dr. H. Cor¬
nelius in Elberfeld, Prof. Dr. J. Seemann in Cöln.
Berichtigung.
In der Arbeit des Herrn Freudenthal, Nr. 15, S. 668 muss es
heissen Scopolamin hydrobrom. 0*0001 anstatt 0,001.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Kohn, Berlin Bayreutlier Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Sohumacher in Berlin:N. 4.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
BERLINER
Dl« Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
Alle Einsendungen ffir die Redaktion nnd Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald ln Berlin NW., Unter den Linder
Ho. 68, adressieren.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dr. Hans Kohn.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 12. Mai 1913. M 19.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Originalien: Moure: Gegenwärtige Behandlung der Ozaena. (Illustr.)
S. 861.
Miller: Corpus luteum und Schwangerschaft. Das jüngste operativ
erhaltene menschliche Ei. (Aus der Heidelberger Universitäts-
Frauenklinik.) (Illustr.) S. 865.
Lichtwitz und Thörner: Zur Frage der Oxalsäurebildung und
-ausscheidung beim Menschen. (Aus der medizinischen Klinik in
Göttingen.) S. 869.
Unna: Zur Chemie der Zelle. (Fortsetzung.) S. 871.
Hinsberg: Ueber die funktionelle Untersuchung des Ohrlabyrinthes.
S. 876.
Aron: Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim Diabetes. S. 878.
Wolff und Mulzer: Darf das Neosalvarsan ambulant angewendet
werden? (Entgegnung auf die Abhandlung von Prof. Dr. Touton.)
S. 879.
Behla: Ueber die Sterblichkeit an Krebs in Preussen während der
Jahre 1903—1911 nach Altersklassen. S. 882.
Beckers: Ueber den qualitativen und quantitativen Nachweis von
Traubenzucker im Harn. S. 883.
Bächerbesprechnngen: Mohr und Staehelin: Handbuch der inneren
Medizin. S. 884. (Ref. Strauss.) — Rick er: Grundlinien einer
Logik der Physiologie als reiner Naturwissenschaft. S. 884. (Ref.
Henneberg.) — Katz, Preysing und Blumenfeld: Handbuch
der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. S. 884.
(Ref. Brühl.) — Lohmann: Die Störungen der Sehfunktionen.
S. 885. (Ref. Steindorff.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 885. — Pharmakologie. S. 885. —
Therapie. S. 886. — Allgemeine Pathologie und pathologische
ALT.
Anatomie. S. 886. — Parasitenkunde und Serologie. S. 886. —
Innere Medizin. S. 887. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 887. — Kinderheilkunde. S. 888. — Chirurgie. S. 888. —
Röntgenologie. S. 889. — Urologie. S. 889. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. S. 889. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 890. —
Augenheilkunde. S. 891. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 891. —
Technik. S. 892.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Saul: Beziehungen der Helminthen und Acari zur
Geschwulstätiologie. S. 892. Mosse: Akrodermatitis chronica
atrophicans und Splenomegalie. S. 893. Stadelmann: Ueber
seltene Formen von Blutungen im Tractus gastrointestinalis. S. 893.
West: Demonstration von Patienten mit geheilter Tränensack-
eiteruog. S. 895. Warnekros: Kurze Mitteilungen aus der tech¬
nischen und chirurgischen Zahnheilkuude. S. 896. Zuelzer: Die
objektive Feststellung der Neuralgie in ihrer klinischen Bedeutung.
S. 896. — Berliner otologische Gesellschaft. S. 896. —
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
S. 898. — Berliner Gesellschaft für Chirurgie. S. 898. —
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 899. — Verein
für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr.
S. 900. — Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu
Dresden. S. 900.
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬
setzung.) S. 901.
Vindobonensis: Wiener Brief. S. 902.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 903.
Amtliche Mitteilungen. S. 904.
Gegenwärtige Behandlung der Ozaena.
(Coryza atrophique ozenateux.)
Von
Prof. E. J. Moure- Bordeaux.
(Uebersetxt von San.-Rat Dr. Lewin.)
1. Allgemeine Bemerkungen. Wenn man die.Schwere
eines Leidens nach der Anzahl der zu seiner Bekämpfung
empfohlenen Behandlungsmethoden beurteilen darf, so kann die
Ozaena mit Recht als eine sehr hartnäckige Krankheit gelten,
die viele Aerzte sehr lange Zeit als unheilbar gehalten
haben.
In der Tat, wenn man nur wenige Jahre zurückgeht, so
kann man die Spezialisten in zwei gesonderte Gruppen ein¬
teilen: Die eine war ganz davon überzeugt, dass die Ozaena
ein angeborenes Leiden sei, ausschliesslich durch eine Missbildung
der Nasenhöhlen hervorgerufen und den Hilfsquellen unserer
Kunst ganz unzugänglich. Diese Autoren beschränkten sich also
darauf, in Uebereinstimmung mit ihrer Auffassung von Krank¬
heit, den Kranken eine reinigende Behandlung zu verordnen.
E>iese Behandlung bestand in Naseneinspritzungen, bald mehr bald
weniger reichlich und bezüglich der angewandten Flüssigkeiten
wechselnd. Diese Aerzte vergassen jedoch, dass die Ozaena keine
Krankheit ist, welche sich ausschliesslich auf die Nasenhöhlen
beschränkt, da sehr oft die hintere Nase, der Pharynx, Larynx
und die Trachea selbst vom gleichen Krankheitsprozess befallen
werden, so dass die sogenannten Reinigungsinjektionen nur einen
Teil des kranken Gebietes abspülten, nicht aber die Krusten in
ihrer Gesamtheit entfernten und fast immer den unangenehmen
und ekelerregenden, vom Kranken verbreiteten Geruch bestehen
Hessen.
Die zweite Gruppe, welcher ich seit sehr vielen Jahren
angehöre, betrachtete dagegen die atrophische fötide Coryza als
ein Leiden, dessen Natur und Gestalt ausserordentlich verschieden
sein können; ein Leiden, bisweilen angeboren, häufiger erworben,
welches sich in der Kindheit entwickelt und besonders in der
Wachstumsperiode verschlimmert. In der Ueberzeugung, dass es
sich um einen trophischen Prozess infolge von Ernährungsstörungen
der Schleimhaut handle, hat diese Kategorie der Spezialisten
daran gedacht, dass es möglich sei, gegen die Entwickelung des
Krankheitsprozesses wirksam vorzugehen, ihn in seiner Ent
wicklung zu hemmen und zur Rückbildung zu bringen. Kurz
sie glaubten, dass man die Kranken von ihrem schweren Leiden
definitiv befreien könnte.
Ich bin der Ansicht, dass heutzutage die grösste Mehrzahl
der Spezialisten dieser Auffassung sich angeschlossen hat. Die
Prognose der Ozaena scheint demnach weniger trübe zu sein, als
sie es bis in die letzte Zeit hinein gewesen war.
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UNIVERSUM OF IOWA
862
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Es liegt nicht in meiner Absicht, in diesem Artikel die
übrigens noch sehr dunklen Theorien über die Pathogenese der
Ozaena mitzuteilen, welche Prof. Alexander in Berlin einem
Stadium za unterwerfen versucht hat. Unser Berliner Kollege
hat in allen Ländern der Welt Komitees geschaffen, deren Auf¬
gabe es ist, die Ozaena nicht nur in ihren Krankheitssymptomen,
sondern auch in ihrer Entwicklung, ihrer Art des Auftretens und
ihrer inneren Natur zu studieren.
Ich hoffe, dass diese Sammelforschung uns günstige Resultate
liefern wird, und dass wir bald eine Reihe wichtiger und nütz¬
licher Dokumente zur Lösung dieses schwierigen Problems be¬
kommen werden. Heute will ich mich darauf beschränken, die
moderne Therapie dieser schweren und hartnäckigen Krankheit
der Nasenhöhlen mitzuteilen.
Selbstverständlich habe ich nicht die mehr oder weniger
chronischen Formen von Coryza mit Bildung von kleinen gelb¬
lichen Krusten ohne Geruch im Auge, diejenige Form, welcher ich
den Namen „pseudatrophische oder präbacilläre Coryza“ beigelegt
habe, auch nicht die ulcerösen Coryzas infolge von Nekrosen oder
anderen Knochenveränderungen (Syphilis, Fremdkörper usw.).
Ich meine hier nur die Coryza vom atrophischen,
föti den Typus, bei der die unteren und mittleren Nasenmuscheln fast
auf eine einfache Leiste reduziert sind, über welcher die granu¬
lierte, mürbe und atrophische Schleimhaut maximal erweiterte
Nasenhöhlen aufweist. Diese noch gereizte Schleimhaut sondert
mehr oder weniger Eiterprodukte ab, welche, in der Nase ein¬
trocknend, grünliche dicke, fötide Krusten bilden, die der Patient,
je nach dem Fall, alle 2 , 3 oder 4 Tage in Form von grossen
Pfropfen ausstösst: Die atrophische Rhinitis, oft von retro-
nasalem Katarrh derselben Natur, bisweilen sogar von laryngo-
trachealer Ozaena begleitet; die atrophische Rhinitis, bisweilen
mit besonderen Sinusitiden kompliziert, welche gleichfalls Krusten
oder vielmehr einen purulenten dicken Inhalt haben. Die In¬
fektion einer oder mehrerer Nebenhöhlen, welche ich nicht, mit
Grünwald, als obligatorisch ansehen kann, ist meiner Ansicht
nach eine einfache Komplikation, welche die Sekretmenge ver¬
mehrt und dadurch die Bildung von fötiden Borken begünstigt.
Auf dieser Grundanschauung fussend, bleibe ich stets davon
überzeugt, dass die Ozaena, mit welcher ich mich in diesem
Artikel beschäftige, heilbar ist. Folgende Therapie muss man,
meiner Ansicht nach, anwenden, um die Menge und darauf die
Natur der Sekrete zu modifizieren, sie danach zu unterdrücken
und der Schleimhaut ihre normale Beschaffenheit wiederzugeben.
2. Behandlung. Zunächst muss man das Alter der Kranken
in Betracht ziehen. Denn eine Behandlung, welche sehr wohl
für Jünglinge oder Erwachsene geeignet ist, kann nur sehr schwer
verwendet werden, wenn es sich um ganz junge Kinder und noch
mehr um einfache Säuglinge bandelt. Bei diesen letzteren muss
man sich oft darauf beschränken, einfach für Reinigung bis zu
der Zeit zu sorgen, wo die Kinder vernünftiger und leichter zu
behandeln sind (5 oder 6 Jahre). Dann erst kann man mit der
Behandlung beginnen, welche bei dem schweren Leiden, dessen
Träger sie schon sind, tatsächlich wirksam ist.
A. Heisse Luft. Die heisse Luft ist ein Reizmittel für die
Sehleimhaut, welches, allein angewendet, kein Heilresultat liefern
kann. Es bringt zwar während seiner Anwendung eine Besserung,
aber keine Heilung.
B. Sera. Ebenso verhält es sich mit den Seren, welche,
nachdem sie eine Zeitlang en vogue waren, heutzutage ganz in
die Vergessenheit versunken sind. Einige derselben, wie das
Diphtherieheilserum, hatten Unannehmlichkeiten sowohl für die
Kranken als auch für gewisse Aerzte zur Folge, welche davon
einen übermässigen Gebrauch zu der Zeit machten, wo diese Be¬
handlung als eine souveräne Methode zur Bekämpfung und Heilung
der Ozaena empfohlen wurde.
G. Atemübungen. Einige Autoren meinten, in der Ueber-
zeugung, dass die an Ozaena leidenden Patienten schlecht atmeten
oder wenigstens nicht verständen, durch die Nase zu atmen, dass
die Behandlung in einer Wiedererziehung zur Nasenatmung be¬
stehen müsse. Zur Erleichterung dieser Uebungen macht man
Gebrauch von Douchen mit komprimierter Luft, welcher man
Sauerstoff hinzufügt, der rhythmisch unter einem Druck zwischen
0 bis 5 Kilo eingeführt wurde. Diese Luftdouche (R. Foy) wirkt
in der Weise, dass sie eine Massage der Schleimhaut berbeiführt,
welche die Girculation belebt und den Drüseninhalt gewisser¬
maßen heraustreibt. Diese erste vom behandelnden Arzt aus¬
geführte Behandlung muss in Form von Uebnngen der Nasen¬
atmung seitens des Kranken fortgesetzt werden.
Zur Ausführung dieser Behandlung hat R. Foy ein ganz
kompliziertes Instrumentarium erfunden, bestehend in 1. einer
Quelle für komprimierte Luft; 2. einem Manometer zur Regulierung
des Sauerstoff drucks; 3. einer Ente, um die in die Nase ein¬
geblasene Luft feucht zu machen und gleichzeitig den in ihr etwa
befindlichen Staub zurückzu halten; 4. einer Reihe von Griffen oder
Hähnen, welche es ermöglichen, die Gasströme zu regulieren oder
einzuschalten und demnach die Lufteinfuhr der Atmung des Kranken
anzu passen.
An diesem Apparat kann eine Art Pistole mit komprimierter
Luft angebracht werden, auf welche gerade Röhren, retronasale
Kanülen usw. derart aufgesetzt werden können, dass man die Luft
in das Nasen innere oder in den Nasenrachenraum schleudern
kann.
Zu dieser vom Arzt ausgeführten Behandlung rät Foy, eine
Reihe von Uebungen hinzuzufügen, deren Beschreibung wir in dem
von Mahn in der Presse mödicale (4. Januar 1013) veröffent¬
lichten Artikel finden:
„Uebung Nr. 1. — Nasenatmung. — Notwendiges Instru¬
ment.“
Nasenkompressor, bestehend aus zwei Metall platten,
welche die äussere Form der Nasenflügel umfassen, durch ein
Schloss verbunden sind und auf diese Partien einen mit Hilfe
einer Feder regulierbaren Druck ausüben; der ganze Apparat
wird nach Art einer Brille getragen.
Dreimal täglich soll man 20 tiefe Naseninspirationen machen,
wobei die Nasenflügel gegen den Widerstand des Kompressors an¬
kämpfen. Dieser Apparat soll, wenn möglich, während des
ganzen Lebens zweimal täglich 1 / 2 Stunde lang benutzt werden.
Uebungen Nr. 2. Costo diaphragmatische Atmung, a) Nasale
Inspiration, indem man die Nasenflügel erweitert und die Regio
subumbiiiealis des Bauches mit Hilfe der auf diese Gegend ge¬
kreuzten Hände eindrückt, was notwendigerweise zu einer maxi¬
malen Erweiterung des Brustkorbes führt.
Diese Uebung muss stehend, sitzend und liegend gemacht
werden.
b) Der Kranke übt sitzend, den Oberkörper nach vorn ge¬
neigt, mit beiden seitwärts an den Stuhlsitz festgelegten Händen
einen allmählichen Zug während der tiefen Inspiration aus; da¬
durch immobilisiert er die Schultern und zwingt die Regio
xiphoidea, eine energische Bewegung nach vorn zu machen.
c) Tiefe Inspiration und völlige Exspiration, indem man die
Handflächen seitlich gegen den Brustkorb in der Höhe des Pro¬
cessus xiphoideus legt. Bei der Inspiration kontrollieren die
Hände die völlige Erweiterung des Thorax, und bei der Ex¬
spiration tragen sie zur maximalen Entleerung der Lungen bei.
Die Zahl der Atmungen bei jeder Uebung a, b, c wird
allmählich je nach dem Training des Patienten zunehmen.
Uebungen Nr. 3. Geschmeidigmachen. Diese Uebungen sollen
nur verordnet werden, nachdem der Patient vollständig gelernt
hat, mittels der voraufgegangenen Uebungen durch die Nase zu
atmen und seinen Thorax zu mobilisieren, um Ermüdnug zu
vermeiden, welche durch ihre vorzeitige Anwendung eintreten
könnte.
Diese Behandlung, obwohl sehr kompliziert und ein wenig
langwierig in ihrer Anwendung, scheint, allein gebraucht,
keine genügenden Resultate geliefert zu haben, um die in ihrer
Drüsensekretion und Allgemeinernährung tief gestörte Nasen¬
schleimhaut zu verändern. Diese Luftmassage, welche in leichten
Fällen und besonders in der Anfangsperiode eine gewisse Wirkung
zu haben scheint, kann nicht genügen, um eine auf dem Wege des
trophischen Rückgangs befindliche Schleimhaut wiederherzustellen.
D. Mechanische Behandlung. Dagegen bewirkt die
Massage mit Hilfe von Nasenduschen, welche regelmässig nicht
auf Wochen oder Monate, sondern jahrelang fortgesetzt werden,
die regelmässige und beständige Reinigung der Nasenhöhlen und
bildet eine Behandlung, die tatsächlich wirksam ist, jedoch ein
wenig lange dauert.
Ich habe Kranke gesehen, welche aus dieser anscheinend
wenig energischen Therapie eine wirkliche Besserang erzielten,
so dass nach einer gewissen Zeit, im allgemeinen mehreren
Jahren, die Schleimhaut nach und nach eine mehr rosige Farbe
gewann, indem sie ihr granitenes poröses Aussehen verlor; das
Schwellgewebe bildete sich wieder, die Drüsensekretion ver¬
änderte sich, und allmählich sah man unter dem Einfluss der
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
863
fortgesetzten Nasenduschen die Nasenhöhlen ihre alte Vitalität
wieder aufnehmen. Dieses Resultat schien mir besonders in den
Fällen schätzenswert, wo die Behandlung während der Ent¬
wickelungsperiode der Kinder, d. h. zwischen 8 und 16 Jahren,
stattgefunden hatte.
Ich gebe aber ohne weiteres zu, dass die Massage und
Reinigung der Schleimhaut durch die Nasendusche nicht im¬
stande ist, ein dauernd günstiges Resultat zu liefern. Andererseits
wirkt sie so langsam und so wenig kräftig, dass die Kranken,
wenn man sie nicht in Händen behält, sich der Behandlung
entziehen. Sie verlieren so in sehr kurzer Zeit den Nutzen,
welchen sie in einem Zeitraum von mehreren Jahren erzielt
haben.
Dass die Natur der injizierten Flüssigkeit eine grosse thera¬
peutische Bedeutung habe, glaube ich nicht. Mag die Nasen¬
spülung mit einem alkalischen Wasser (Salz, Borsäure usw.) oder
mit antiseptischen, anscheinend energischeren Mitteln, wie Pheno-
salyl, carbol- oder salicylsaurem Natron, Carbolsäure, Resorcin usw.,
gemacht werden, keines dieser Mittel scheint mir eine elektive
Wirkung auf die Ozaenainfektion auszuüben. Die Regelmässig¬
keit und die andauernde Sorgfalt, sie scheinen mir viel
mehr ein günstiges Resultat zu erzielen als die Natur des ange¬
wandten Topica.
Um wirksam zu sein, müssen die Nasenduschen nicht nach
dem Verfahren von Weber, d. h. mit Hilfe eines in gewisser
Höhe — im allgemeinen 1 m — angebrachten Irrigators, welcher
eine mehr oder minder beträchtliche Menge Flüssigkeit enthält,
ausgeführt werden. Sie sollen vielmehr in Form von rhyth¬
mischen Strahlen besonders mit der englischen Spritze (Enema)
geschehen, so dass die Einspritzung der Flüssigkeit den respira¬
torischen Atembewegungeu entspricht (Figur 1.) Diese sacca-
Figur 1.
dierte Einspritzung hat den grossen Vorteil, die Ablösung der
Krusten zu erleichtern und zu verhüten, dass sie in den Nasen¬
höhlen verweilen. Keinesfalls aber würde die vordere Nasen¬
dusche, wie zweckmässig sie auch ausgeführt werden mag, ge¬
nügend sein. Man muss ihr notwendigerweise die hintere Nasen¬
dusche anfügen, d. h. einen hinter das Gaumensegel getriebenen
Strahl: vom Nasenrachenraum gegen die Choanenöffnungen und
den Körper des Keilbeins. Die so eingetriebene Flüssigkeit er¬
zeugt eine vollständigere und besonders wirksame Reinigung.
Man kann ohne Unbequemlichkeit die mittleren Nasengänge und
selbst den hinteren oberen Teil der Hinternase, das Ostium maxil-
lare usw. duschen. (Figur 2.)
Um die retronasale Dusche auszuführen, bediene ich mich
einer besonderen, mit drei Löchern durchbohrten Kanüle: das
erste obere ist bestimmt, die Decke des Nasenrachenraums zu
duschen, die beiden vorderen seitlichen senden die Flüssigkeit in
die hinteren Nasenöffnungen vor dem Keilbeinkörper. Auf diese
Weise löst man die Krusten ab, welche oft die Neigung haben,
sich anzuhäufen und in dieser Gegend zu verweilen. Ferner
muss auf die mit etwa 1 Liter Flüssigkeit ausgeführte Nasen-
und Retronasaldusche sofort eine Oelverstäubung in jede Nasenhöhle
nach der Injektion folgen. Diese Verstaubung hat den Zweck, alle
dem Topicum zugängliche Partien der Schleimhaut mit einer dünnen
Flüssigkeitsschicht zu imprägnieren, welche nicht nur einen ge¬
wissen Reiz auf die Schleimhaut ausübt, sondern auch besonders
Figur 2.
die Sekrete hindert, an den Unebenheiten der Nase sich festzu¬
setzen. (Figur 3.) Diese Art des Vorgehens erleichtert die
Austreibung der Borken zur Zeit der zweimaligen täglichen
Waschungen, auf welche ich soeben hingewiesen habe.
E. Vibrationsmassage. Ich habe bereits erklärt, dass
die Nasenduschen, wenn sie regelmässig ausgeführt werden, ein
günstiges Resultat erzielen können, aber erst nach einem gewöhnlich
sehr langen Zeitraum. Auch wenn die Patienten gelehrig genug
sind, regelmässig unserer Behandlung zu folgen, so habe ich doch
seit mehr als 20 Jahren die Gewohnheit, dieser Reinigungs¬
behandlung direkte Massagen der Schleimhaut zweimal wöchent¬
lich nach dem Prinzip, welches Brawn-Triest früher angegeben
hat, hinzuzufügen. Dank der Einführung des Elektromotors in
unser chirurgisches Arsenal ist es immerhin bequemer und leichter,
die Massage der Schleimhaut in der Weise auszuführeD, dass
man auf den Motor ein mit Watte umwickeltes Stilet aufsetzt,
mit dessen Hilfe man eine ausserordentlich lebhafte und wirk¬
same Vibration der Schleimhaut herbeiführt. Es ist übrigens nach
dem, was wir im allgemeinen von der Massage wissen, durchaus
leicht einzusehen, dass die Vitalität des kranken, anämischen und
atrophischen Gewebes durch eine regelmässig und sorgfältig
ausgeführte Massage im günstigen Sinne verändert werden kann.
Ausserdem habe ich in der festen Ueberzeugung, dass die
pathologische Sekretion der Schleimhautdrüsen eine wichtige Rolle
in der Bildung der Borken spielt, zu welchen sie das Haupt¬
element liefern, die Gewohnheit angenommen, auf jede Massage
eine Zerstäubung in die Nase beiderseits folgen zu lassen, und
zwar mit einer Argentum nitricum-Lösung von 1 :20, 1:16,
1 : 10 und sogar 1: 6, deren elektive Wirkung auf diese Arten
von Drüsenstörungen bekannt ist.
Diese Therapie, einstmals von Meyje empfohlen, hat mir
bis heute durchaus ermutigende Resultate gegeben, und ich kann
Hunderte von Kranken, welche definitiv von ihrer atrophischen
fötiden Coryza geheilt sind, aufführen nach einer Behandlung,
die zwischen 3, 4, 6 und 6 Jahren schwankte.
Ich erinnere mich einer Reihe von kranken jungen Frauen
(man weiss, dass das weibliche Geschlecht häufiger an dieser
Krankheit leidet), welche infolge dieser Behandlung eine der¬
artig regenerierte Schleimhaut zeigten, dass die unteren Nasen¬
muscheln fast geschwollen waren, so dass sie die Nasenatmung
tatsächlich behinderten. Die Schwellung war derartig, dass,
wenn ich diese Kranken nicht gekannt und nicht gewusst hätte,
wie ihr früherer Zustand gewesen war, ich ihnen vielleicht vor¬
geschlagen haben würde, diese Verdickung zu beseitigen, entweder
mittels Lichtstrahlen oder Cochotomie: Operationen, die ich
mich hüten würde, bei alten Ozaenakranken zu empfehlen aus
Furcht, infektiöse Prozesse herbeizuführen, welche ihren Ausgang
in perakute Atrophie nehmen könnten.
F. Behandlung mit Paraffin (Methode Moure und
Brindel). Stets von der Heilbarkeit der Ozaena überzeugt,
hatte ich mit mehreren Kollegen beobachtet, dass eine
Deviation mit Verdickung der Nasenscheidewand einer Seite die
Bildung von Borkenansammlung der verengten Seite verminderte.
Von da bis zum Versuch, das durch Atrophie der Nasenmuscheln
geschaffene Defizit zu decken, indem ich unter die Schleimhaut
der unteren Muscheln, des Nasenbodens oder des Septums sterili¬
siertes Paraffin einspritzte, war kein weiter Schritt. Ausserdem
kam mir, nachdem ich von den Arbeiten von Gersuny und
Eckstein über Paraffineinspritzungen in die Gewebe Kenntnis
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erhalten hatte, die Idee, dass es ebenso möglich wäre, die
atrophischen Muscheln mit Hilfe einer ähnlichen Injektion unter
die Schleimhaut wiederherzustellen. Es war im Jahre 1902
(Februar), als ich gemeinsam mit meinem damaligen Assistenten
Dr. Brindel die ersten Versuche mit dieser neuen Methode
machte. Unsere Resultate wurden im Mai desselben Jahres der
französischen Gesellschaft für Oto Rhino-Laryngologie mitgeteilt.
Seit dieser Zeit wurde die Paraffinage der Muscheln, nach¬
dem sie Gegenstand verschiedener Kritiken geworden war, all¬
gemein verbreitet, und fast in allen Ländern der Welt wurden
Erfolge mit dieser Behandlungsmethode berichtet. Ich muss
jedoch anerkennen, dass sie von einigen Autoren in glücklicher
Weise verbessert wurde, besonders von Broeckaert-Gent, nach¬
her von Mahu, Gault und jüngst noch von Robert Leroux.
Diese Autoren haben nämlich in vielleicht berechtigter
Furcht, dass aus der Injektion flüssigen Paraffins in die
Nasengewebe, welche in so ausgebreiteter Verbindung mit den
Augen- und selbst Schädelvenen stehen, Unannehmlichkeiten ent¬
stehen könnten, versucht, festes Paraffin oder wenigstens eine
Paste desselben zu injizieren. Jeder dieser Autoren bat zu¬
gleich zur Einführung desselben ein mehr oder weniger ingeniöses
und auch mehr oder weniger kompliziertes Instrument erfunden
(Figur 4), welche später vereinfacht wurden, besonders in den
letzten Jahren. Denn die Spritze von Gault und der Parafino-
style von Robert Leroux scheinen mir der letzte Triumph
der Einfachheit zu sein (Figur 6).
Dank dieser Instrumente ist die Technik der Paraffinage der
Figur 4.
Figur 5.
“PARAFFINOSTYLE" ot Robert Leroux
Muscheln sehr einfach geworden, die Vorbereitungen dazu sind
es vielleicht weniger. Man muss nämlich nicht glauben, dass
jeder Träger der Ozaena eo ipso für das Paraffin geeignet ist.
Man muss wissen, dass gewisse Schleimhäute derartig brüchig,
weich und degeneriert sind, dass es unmöglich ist, sie abzuheben
und das Injektionsmaterial unter dieselben einzufübren.
Bei diesen schweren Formen muss man zuerst kürzere oder
längere Zeit von der Behandlung Gebrauch machen, deren
Technik ich in dem vorhergehenden Abschnitt angegeben habe:
die nasalen und retronasalen Duschen, begleitet von direkter
Massage mit Verstaubung von Argentum nitricum, haben im all¬
gemeinen eine unleugbare Wirksamkeit, welche entweder nach
mehreren Monaten oder bisweilen erst nach ein bis zwei Jahren
der Behandlung in di“e Erscheinung tritt. Unter dem Einfluss
dieser direkten Applikationen erlangt die Schleimhaut wieder
einen Tonus und eine Elastizität, die für die Paraffininjektion
genügend sind. Nur dann kann die Behandlung mit den Chancen
eines fast sicheren Erfolges in Anwendung kommen.
Der Modus faciendi ist durchaus einfach: Nachdem man
die Nadel mit Paraffin unter die Schleimhaut längs der unteren
Muschel bis zu ihrem hinteren Drittel eingeführt bat, wird das
leicht erwärmte Paraffin sanft, allmählich unter die Schleimhaut
getrieben, die dadurch abgehoben wird; in dem Maasse, wie es
eindringt, zieht man die Nadel zurück, so dass man zunächst die
Schleimhaut der Muschel, dann die des Bodens und selbst die des
Septums anfüllt. Der Zweck besteht darin, das Lumen der allzu
weiten Nasenhöhlen deutlich zu verengern.
Sobald das Paraffin so eingespritzt ist, wird es an den
Stellen fest und bleibt darin unbegrenzte Zeit. Ich sehe manchmal
Kranke wieder, welche vor 7, 8 und 10 Jahren injiziert
wurden und ihre voluminösen Muscheln stets behalten haben, die
wie geschwollen aussehen, nur dass ihre Farbe ein wenig blass
und gelblich ist. Alle diese so behandelten Kranken haben durch
diese Behandlung eine erhebliche Besserung, selbst eine Heilung
ihrer Ozaena erfahren.
Man kann demnach behaupten, dass das Paraffin, zu ge¬
eigneter Zeit und unter passenden Verhältnissen angewandt, zwar
nicht das einzige therapeutische Element bildet, welches
wir anwenden und stets empfehlen müssen, aber eine Behandlung,
deren durchaus nützliche Wirkung bei der Behandlung der atro¬
phischen, fötiden Ozaena man kennen muss.
3. Komplizierende Sinnsitiden. Absichtlich habe ich
es unterlassen, von den komplizierenden Sinusitiden zu sprechen,
welche ziemlich oft, aber nicht beständig, wie Grünwald es
beschrieben hat, die atrophische fötide Coryza begleiten. Denn
ich bin der Ansicht, dass diese Komplikation, wenn sie besteht,
mit den gewöhnlichen Mitteln behandelt werden muss, d. h. zu¬
nächst mit Einspritzungen in die Höhlen und in hartnäckigen
Fällen mit Radikaloperation.
Ich habe in der Tat zahlreiche Beobachtungen von Kranken
gemacht, deren Ozaena sehr gebessert, ja selbst geheilt erscheint,
die jedoch trotz der Wiederherstellung ihrer Nasenmuscheln
eiterige, leicht borkige, nicht riechende Sekretionen haben. Die
Hartnäckigkeit ihres Leidens ist die reine Folge von Sinusitiden,
im allgemeinen der Kieferhöhlen, welche durch Ausspülungen
ihrer Höhlen eine Zeitlang gebessert werden, jedoch wieder auf-
treten, sobald 'man sie sich selbst überlässt. Nur die „Radikal¬
operation“, natürlich ohne Cochotomie, brachte bei mir diese
Arten von Ozaena zur definitiven Heilung (im allgemeinen be¬
standen sie bei jungen Mädchen von 18 bis 22 Jahren).
Eine Allgemeinbehandlung dürfte sich gleichfalls empfehlen.
Sie müsste eine tonische regenerierende sein; bisweilen wäre Jod
angebracht. Ebenso könnten Thermal-, Schwefel-, alkalische,
Solbäder usw. ihre Indikation bei einer stets ebenso langwierigen
wie jeder Behandlung trotzenden Krankheit finden.
Schl us sfol gerungen.
Ich erhebe nicht den Anspruch, eine unfehlbare, stets zur
Heilung führende Behandlungsmethode der Ozaena angegeben zu
haben. Ich bin aber überzeugt, dass alle diejenigen, Aerzte wie
Patienten, welche den Mut und die Geduld haben werden, regel¬
mässig und methodisch die von mir im Verlauf dieses Artikels
angegebenen Behandlungen anzuwenden bzw. durchzuführen, stets
die Genugtuung haben werden, ihre Bemühungen von einem Er¬
folg gekrönt zu sehen, der sehr häufig ein vollständiger, bisweilen
ein partieller, aber stets ein beachtenswerter ist.
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12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Aus der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik
(Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. C. Menge).
Corpus luteum und Schwangerschaft. Das
jüngste operativ erhaltene menschliche Ei. 1 )
Von
Privatdozent Dr. John Willooghby Miller,
früherem wissenschaftlichen Assistenten der Klinik, jetzigem Assistenzarzt am patho¬
logischen Institut Tübingen.
I. Einleitung. Die künstliche Befruchtung.
Nicht geringes Aufsehen erregte im Laufe des verflossenen
Sommerseinesters — obwohl es sich keineswegs um ein Novum
handelte — die Mitteilung eines Falles von gelungener künst¬
licher Befrachtung durch Döderlein. Wenige Wochen später
konnte Hirsch über die stattliche Zahl von sechs erfolgreichen
Versuchen berichten.
Uebereinstimmend geben beide Autoren — allerdings ohne ihre
Ansicht zu begründen — als geeignetsten Operationstermin die Zeit
unmittelbar vor dem Eintritt der Periode oder sofort nach dem Ver¬
siegen der menstruellen Fiuxion an, doch hält Hirsch den letzteren
Zeitpunkt noch für den günstigeren.
Rohleder, der in seiner Monographie über „die Zeugung beim
Menschen“ 21 positive Versuche früherer Autoreu zusammenstellt, präzi¬
siert seinen etwas abweichenden Standpunkt folgendermaassen: „Viel¬
leicht ist die günstigste Kombination die Vornahme der künstlichen
Befruchtung unmittelbar nach einem intermenstruellen (lies intra¬
menstruellen — Verf.) Coitus bei schwacher, nicht starker Menstruation“
(S. 233) „oder an den beiden ersten Tagen unmittelbar post men-
struationem“ (S. 235).
Wir finden also sowohl die Zeit vor als auch während als
auch nach den Katamenien als erfolgverheissend bezeichnet; meines
Erachtens kann aber unmöglich jede dieser physiologisch und
histologisch so verschiedenen Phasen in gleicher Weise für den
Eingriff geeignet sein, und die Frage nach dem vorteilhaftesten
Augenblick scheint noch ihrer Beantwortung zu harren. Ihre
Besprechung möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Erörte¬
rungen nehmen.
Als erwiesen gilt, dass das menschliche Weib in jedem Zeitabschnitt
der von den Keimdrüsen geregelten periodischen Wellenbewegung seiner
Lebensprozesse — die Tage der Blutausscheidung keineswegs selbst aus¬
genommen — zu concipieren vermag. Die Vereinigung von Ovulum und
Samenfaden, die aller Wahrscheinlichkeit nach im lateralen Drittel der
Tube vor sich geht, wird daher ceteris paribus um so sicherer erfolgen,
je kürzere Zeit die Spermatozoon in der Ampulle des Eileiters auf das
passierende Ei zu warten haben. Es kann also keinem Zweifel unter¬
liegen, dass in Anbetracht der schnellen Lokomotion der männlichen
Keimzellen als der „fruchtbarste Moment“ die Zeit unmittelbar vor der
Ovulation zu betrachten ist. Vermögen doch die Spermatozoon in der
Minute eine Strecke von 2 bis 3 mm zurückzulegen „und würden dem¬
nach, ein stets gleichmässiges Vordringen vorausgesetzt, zu der 160 bis
200 mm langen Strecke vom Orificium externura uteri bis zum Tuben¬
trichter, etwa ein bis zwei Stunden brauchen“ (Bumm).
Es fragt sich nun, ob wir imstande sind, den Ovulations¬
termin der gesunden Frau mit hinreichender Genauigkeit zu be¬
stimmen.
Die Antwort auf diese Frage muss dank den umfassenden Experi¬
mentaluntersuchungen und klinischen Autopsien Ludwig Fraenkel’s
in Breslau einerseits und durch die histologischen Arbeiten Hitsch-
raann’s und Adler’s in Wien und ihrer leider in Vergessenheit ge¬
ratenen Vorläufer andererseits trotz vielseitiger Opposition unbedingt
positiv ausfallen. Es lässt sich nämlich aus ihren kombinierten Ergeb¬
nissen einwandfrei der Schluss ziehen, dass bei regulär menstruierten
Individuen ein festes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eireifung und
Blutung besteht, und dass die Ovulation der zu ihr gehörigen Periode
um etwa 9 Tage vorausgeht. Als Durchscbnittstermin für den Follikel¬
sprung ergab sich Fraenkel — bei vierwöchigem Zyklus — ungefähr
der 19. Tag nach Beginn der letzten Menses. Etwa 8 Tage später hat
das Ovulum die Tube durchwandert; der gelbe Körper hat dann den
Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht, um sich mit Beginn der (bei
ausbleibender Befruchtung) sofort einsetzenden neuen Menstruation all¬
mählich wieder zurückzubilden. Doch ist der zeitliche Ablauf dieser
Vorgänge zweifellos nicht absolut regelmässig, sondern individuellen
Schwankungen unterworfen, wie man sie ja bei den verschiedenen
Generationsphasen — ich erinnere nur an die grossen Differenzen in
Menstruationstypus und Schwangerschaftsdauer — niemals vermisst.
Im allgemeinen werden wir jedoch den Zeitpunkt der Follikel-
berstung auf den 9. Tag vor dem berechneten Eintritt der neuen
Katamenien fixieren müssen.
1) Auszug eines in der Sitzung des Tübinger medizinisch-natur¬
wissenschaftlichen Vereins am 18. November 1912 gehaltenen Vortrags.
Die ausführliche Publikation erfolgt im Archiv für Gynäkologie.
Wir finden demnaeb als gegebenen Termin für den Versuch
der künstlichen Befruchtung bei vierwöchig menstruierten
Frauen etwa den 18. Tag, bei Frauen mit dreiwöchigem Typus
etwa den 11. Tag nach Eintritt der letzten Periode.
Zum Verständnis der kausalen Zusammenhänge zwischen
Follikelsprung und Corpus luteum-Bildung einerseits, Menstruation
und Nidation andererseits ist die etwas ausführlichere Erörterung
der Fraenkel’schen Arbeiten unerlässlich.
Der verstorbene Breslauer Embryologe Gustav Born ist, wie
Fraenkel in loyalster Weise berichtet, „der alleinige Vater der ur¬
sprünglich nicht publizierten Hypothese, das Corpus luteum verum
graviditatis müsse nach seinem Bau und Entwicklungsgang eine Drüse
mit innerer Sekretion sein, ausgestattet mit der Funktion, die An¬
siedelung und Entwicklung des befruchteten Eies im Uterus zu veran¬
lassen“ (S. 438).
Wollen wir dem Gedankengang Born’s folgen, so müssen
auch wir die Erörterung über die Funktion des gelben Körpers
auf die Kenntnis seiner Struktur and seines Ursprungs basieren.
Ich beginne daher mit der Genese, Histologie und Rückbildung
des Organs, bespreche dann die Differentialdiagnose des Corpus
luteum graviditatis, weiter die Biologie des gelben Körpers, seinen
Einfluss auf die schwangere und nichtschwangere Gebärmutter,
sowie den Funktionsmodus und schliesslich die durch sein
Hormon ermöglichte Eieinbettung beim Menschen.
II. Histogenese und Histologie des Corpus luteum.
A) Der epitheliale Ursprung.
Wie Sobotta betont, zeigt das Organ bei den al^verschie¬
densten Säugetierspezies absolut identische Gewebsformen und
stellt ein vollkommen homologes Produkt dar. Der Schluss, dass
seine Entstehung beim Menschen in genau der gleichen Weise
vor sich geht wie bei den anderen Ordnungen der Mammalia, muss
daher als durchaus berechtigt gelten. Nun ist durch die um¬
fassenden und exakten Untersuchungen Sobotta’s bekanntlich
die epitheliale Genese des Corpus luteum und seine äusserst rasche
Entwicklung bei der Maus und später beim Kaninchen und beim Meer¬
schweinchen sichergestellt und allseitig anerkannt. Wir werden
also auf Grund dieses Analogieschlusses auch für den Menschen
eine ähnlich schnelle Entstehung des gelben Körpers aus der
epithelialen Membrana granulosa folliculi annehmen müssen.
Um nun auch einen direkten Beweis für die Richtigkeit
dieser Auffassung zu erbringen, habe ich in Anbetracht der
schnellen Gewebsbildung und der daraus resultierenden schwierigen
Beschaffung frühester Entwicklungsstadien au dem fertigen
Organ nach einem Kriterium der Histogenese gesucht und glaube
den Nachweis seiner epithelialen Natur dnreh das Auffinden von
Kolloidtropfen innerhalb seiner Zellen erbracht zu haben.
Man sieht nämlich in den Zellen des Corpus luteum graviditatis
zahlreiche homogene runde oder rundliche Tröpfchen von ungleicher
Grösse, von den allerfeinsten Kügelchen, so gross etwa wie die Granula
der Leukocyten, bis zu gröberen Tropfen vom Umfang einer mässig
starken Luteinzelle, im Durchschnitt etwas grösser als ein Erythrocyt.
Diese Gebilde sind durch ihre starke Affinität zu sauren Anilinfarben,
relative Gramfestigkeit, lebhaften Glanz und bräunlichgelbe Farbe bei
der Tinktion nach van Gieson als Kolloidtropfen qualiflziert, und diese
werden nur von Epithelien produziert. Der Nachweis solcher
Tropfen sichert also die Epithelnatur der sie produzierenden
Zellen.
Als drittes Argument für die Entstehung des Corpus
luteum aus der Membrana granulosa hat uns nun Robert Meyer
vor zwei Jahren in dankenswertester Weise eine peinlich genaue,
geradezu mustergültige Schilderung und Abbildung einer Serie in
Entwicklung begriffener gelber Körper gegeben von einem Früh¬
stadium an, wie es seiner Meinung nach „beim Menschen noch
nicht bekannt ist“ (S. 361) bis zur vollendeten Reife.
Hier ist also erfreulicherweise das „missing link“ zwischen
Granulosa-Epithel und Corpus luteum-Zelle aufgefunden, so dass
wir also durch den dreifachen Beweis — Analogieschluss, Kolloid¬
befund und direkte Beobachtung eines allmählichen Uebergangs
von annähernd normalen Granulosa-Epithelien in die grossen
Luteinzellen — die epitheliale Herkunft des gelben Körpers als
gesichert annehmen dürfen.
B) Die Histologie des Corpus luteum.
Die umfangreichen Zellen des fertigen Gebildes haben poly¬
gonale Form, das Protoplasma lässt deutlich eine staubartig fein¬
körnige Struktur erkennen; der runde, bläschenförmige Kern zeigt
fein verteiltes Chromatin und deutlichen Nucleolus. Durch aus¬
gedehnte Gefässneubildung wird der junge Zellkomplex von einem
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
so feinen und engmaschigen Nets von Haarröhrchen durchzogen,
dass jedes einzelne Zellindividuum mit einer Seite seines Leibes
irgendeiner Kapillare dicht anliegt (Kreis, S. 421 f. und
Wallart, S. 582) und eine auffällige Aehnlichkeit des Lutein¬
gewebes mit der Zona fasciculata der epithelialen Nebennieren¬
rinde oder einem Leberacinus resultiert.
Der frische gelbe Körper enthält — entgegen dem allgemein
verbreiteten Dogma, das sich wie eine ewige Krankheit in den
Lehrb&chern fortgeerbt hat — kein Neutralfett und präsentiert
sich demzufolge bei Färbung mit Hämatoxylin und Sudan III
in reinem Blau.
C) Die Ruckbildung des Corpus luteum.
Erst nach dem Einsetzen der acht bis neun Wochen in An¬
spruch nehmenden regressiveu Metamorphose lässt sich im Corpus
luteum, wie ich bereits 1909 gezeigt habe, Neutralfett nach weisen.
Erst jetzt beginnt das Organ, die Sudanfärbung anzunehmen, und
man sieht die blaue Farbe mit blossem Auge über blauviolett und rot¬
violett allmählich in ein wunderschönes Rot übergehen. Das mikro¬
skopische Aussehen der Zellen selbst erfährt im Hämatoxylin-Eosin-
schnitt eine mit der forschreitenden Verfettung des Organs zunehmende
Veränderung: der Zelleib wird kleiner, das Protoplasma viel heller und
durchsichtiger.
Hand in Hand mit dieser Veränderung an dem epithelialen Haupt¬
bestandteil des Corpus luteum geht eine Umwandelung seines binde¬
gewebigen Stützapparates, und es entsteht unter Zugrundegehen
der verfetteten Luteinzellen allein durch hyaline Ent¬
artung des bindegewebigen Retikulums das Corpus albicans.
D) DieDifferentialdiagnose der Corpus luteum
graviditatis.
Eine gesonderte Berücksichtigung erfordert noch das Corpus
luteum graviditatis. Der gelbe Körper ist zwar immer das gleiche,
periodisch sich bildende Organ von nur temporärem Bestand,
doch ergeben sich aus der verschiedenen Lebensdauer des Ge¬
bildes bei Eintreten und bei Ausbleiben der Conception gewisse,
nicht unwichtige Unterschiede, die uns eine Differentialdiagnose
des Corpus luteum graviditatis gestatten.
Das Schwangerschafts-Corpus luteum gibt während der ganzen Dauer
der Gravidität so gut wie keine Fettreaktion, die vorherrschende De¬
generationsform ist neben der Atrophie die einfache Nekrose. Als neuer
Faktor im Prozess der regressiven Metamorphosen des gelben Körpers
tritt hier dann noch die bereits in ihrer histogenetischen Bedeutung ge¬
würdigte kolloide Entartung hinzu.
Ich glaube daher, dass man durch den Kolloidnachweis die
beiden Arten des Organs voneinander unterscheiden kann. Jeden¬
falls spricht reichlicher Kolloidgehalt mit grösster Wahrschein¬
lichkeit für ein Schwangerschaftsprodukt. In den späteren Tagen
des Puerperiums ist übrigens in der Regel kein Kolloid mehr
nachweisbar.
Gleichfalls von differentialdiagnostischem Wert — wenn auch
sonst von untergeordneter Bedeutung — ist die Kalkablagerung
im gelben Körper. Der Kalk erscheint hier in Form von kleinen
rundlichen Konglomeraten, die meist Brombeerform zeigen und
die Grösse einer Luteinzelle kaum erreichen.
Diese histologischen Unterscheidungsmerkmale des Corpus
luteum graviditatis und menstrnationis haben nun nicht nur theo¬
retischen, akademischen Wert, sondern auch praktische klinische
Bedeutung, wie ich an einem konkreten Fall demonstrieren möchte:
Einer etwa 50jährigen, im Klimakterium befindlichen Patientin
wurden bei Gelegenheit der Schauta-Wertheim’schen Prolapsoperation
die Adnexe der einen Seite exstirpiert, da sich in dem betreffenden
Ovarium eine pflaumen grosse Cyste fand. Bei der mir übertragenen
Untersuchung des Eierstocks fiel mir ein besonders grosses und schönes
Corpus luteum auf, so dass ich trotz des Alters der Patientin an die
Möglichkeit einer Gravidität dachte und den Operateur von meiner
Vermutung verständigte. Diese Eventualität war von dem Kollegen
wegen des vorgerückten Alters der Patientin begreiflicherweise nicht in
Betracht gezogen worden und wurde auch jetzt mit dem Bemerken abge¬
lehnt, „dass so eine alte Grossmutter doch keine Kinder mehr bekomme“.
Dieser Einwand liess sich jedoch leicht durch den Hinweis wider¬
legen, dass die Existenz des gelben Körpers die stattgehabte Ovulation
und — bei der verheirateten Frau — die Möglichkeit der Conception
beweise. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet gewann die bei der
Operation konstatierte Grösse, Sukkulenz und Hyperämie des Uterus eine
gravierende Bedeutung.
Dieser peinlichen Ungewissheit liess sich sofort durch die mikro¬
skopische Untersuchung des gelben Körpers ein Ende bereiten: Sie er¬
gab eine sehr deutlich ausgesprochene, etwas ungleich verteilte Ver¬
fettung des Luteingewebes bei Fehlen von Kolloidtropfen und
Kalkconcrementen, und sicherte so die Diagnose des Corpus luteum
roenstruatiQnis,
m. Die Biologie des Corpus luteum.
A. Die Funktion des gelben Körpers.
a) Corpus luteum und Uterus gravidus. Ursprung und
Bau des gelben Körpers, wie ich sie vorstehend kurz geschildert,
batten in Born die Vorstellung erweckt, dass das genannte
Organ eine Drüse mit innerer Sekretion sei, und schwerkrank,
batte er Fraenkel ersucht, die experimentelle Verfolgung dieser
Idee zu übernehmen. Die Bitte Born’s erfüllend, bat dieser dann
nicht nur den Beweis für die Richtigkeit der genialen Theorie
in der mitgeteilten Fassung erbracht, sondern erkannt, dass dem
gelben Körper eine noch viel weitergehende Bedeutung zu¬
kommt:
„Das Corpus luteum bewirkt den in den Generationsjahren erhöhten
Ernährungszustand des Uterus. Der in dieser ganzen Zeit vermehrte
Umfang und Turgor des Organs sowie seine vierwöchentlichen zyklischen
Hyperämien sind die Folge der inneren Sekretion des Corpus luteum.
Seine fortgesetzte sekretorische Tätigkeit bewirkt einerseits die Insertion
und Entwicklung des Eies und andererseits, wenn die Befruchtung des
letzeren unterbleibt, die Menstruation (S. 489).“
Zur Untersuchung der Funktion des gelben Körpers nahm
Fraenkel seine Ausschaltung vor. Der Experimentalbeweis ist
teils negativer Art: Ausbleiben der Trächtigkeit bei Eliminierung
der Luteinsubstans, teils aber positiv: Entwicklung oder Fort-
schreiten der Gravidität bei Belassung des gelben Gewebes und
Vornahme der nötigen Kontrolleingriffe.
Die Versuche erstrecken sich auf nicht weniger als 400 Kaninchen.
112 isolierte Totalentfernungen der gelben Körper bei befruchteten
Tieren innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Belegen verhinderten
ausnahmslos die Eieinbettung (wenn die Operation im Laufe der ersten
sechs Tage erfolgte) oder unterbrachen die sich bereits entwickelnde
Gravidität (wenn der Eingriff erst nach der Insertion des Ovulums
zwischen dem 7. und 14. Tage post coitum vorgenommen wurde). Bei
doppelseitiger Kastration wurde naturgemäss in allen Fällen — es
sind 51 — der gleiche Erfolg erzielt. Zahlreiche Kontrol(Operationen
(einfache Narkose, einfache Laparotomie, Ausschaltung eines Teils des
Eierstockparenchyms oder eines Teils der gelben Körper, Hineinbrennen
von Löchern neben das unversehrte Luteingewebe) bewiesen die sou¬
veräne Dignität der Corpora lutea. Nach 53 Teilentfernungen der gelben
Körper bis zum 15. Tage wurde 31 mal ein Fortschreiten der Schwanger¬
schaft konstatiert.
Durch die imponierende Wucht dieser grossen Zahlen dürfte
der Satz, dass das Corpus luteum die prägraviden Alterationen
des Endometriums, die Deciduabildung, bewirkt, und dass es der
Ansiedlung und ersten Entwicklung des Eies beim Kaninchen vor¬
steht, wohl hinlänglich erwiesen sein.
Die Berechtigung einer Uebertragung dieser bedeutungsvollen
Ergebnisse auf die menschliche Physiologie erhellt aus eioer ana¬
logen, bisher nicht publizierten klinischen Beobachtung Menge’s:
„Laparotomie — Indikationsstellung nicht mehr erinnerlich — bei
einer Gravida der 7. bis 8. Woche. Uterus gross, kugelig, weich.
Grosses Ovarium mit cystischem Corpus luteum, das ausgeschält wird.
Niemals Abgang von Gewebe, nur Absonderung einer blutigwässrigen
Ausscheidung etwa 14 Tage lang. Uterus wird klein und hart.“
Also Rückbildung einer durch Autopsie in viva festgestellten
Gravidität im zweiten Monat ohne Abort, genau nach dem Typas
der Eikammerresorption beim Kaninchen. — Im übrigen wird
auch, soweit ich sehe, von den Gegnern der Born - Fraenkel-
schen Lehre die Berechtigung zu dem Analogieschluss auf die
Funktion des gelben Körpers bei der Spezies homo sapiens nicht
bestritten.
Mit der Born - Fraenkel’schen Lehre wohl vereinbar, ja
vielleicht als notwendige Ergänzung zu bezeichnen, ist die Theorie
von Prenant und Sandes, die die Funktion des Corpus luteum
in einer Hemmung der Ovulation während der Schwangerschaft
erblicken (citiert nach Sobotta und Birnbaum, S. 43 f.) Tat¬
sächlich kann als erwiesen gelten, dass die Eireifung während
der Gravidität sistiert.
b) Corpus luteum und Uterus non gravidus. Logische
Folge des bewiesenen ersten Teils vom Corpus luteum-Gesetz ist
einmal, dass stets das Ovulum der zuerst ausbleibenden
Periode imprägniert wird und dass die Nidation nie im
Anschluss an die letzten Menses, sondern stets kurz vor dem
Termin der ersten ausfallenden Regel stattfindet. Logische
Folge ist zum anderen, dass auch die prämenstruelle Umwand¬
lung der Gebärmutterschleimhaut durch die Tätigkeit des Corpus
luteum bedingt wird. Dieses kann ja, wie Fraenkel sich sehr
treffend ausdrückt, nicht wissen, ob eine Conception zustande
kommen, ob es einem Ei zur Nidation verhelfen wird. Mag Gra-
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12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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vidität eintreten oder mag es zur menstruellen Blutung kommen
— das histologische Bild muss zu dieser Zeit dasselbe sein. Tat¬
sächlich ist die Richtigkeit dieser theoretischen Schlussfolgerung
durch die aufsehenerregenden Arbeiten Hitschmann’s und
Adler’s, die uns den zyklischen Wechsel in der Architektur der
Mucosa corporis — er war bereits vor 40 Jahren von Kundrat
und Engel mann richtig erkannt — wieder kennen lehrten und
die Endometritis glandularis mit Recht zum alten Eisen warfen,
bewiesen.
Der Experimental beweis für diese theoretische Deduktion ist
an unseren gebräuchlichen Laboratoriumstieren naturgemäss nicht
zu erbringen, da sie bekanntlich nicht menstruieren, dagegen hat
Fraenkel wiederholt das zweifellos noch höher einzuschätzende
Experiment am Menschen selbst ausgeführt.
In 9 Fällen von Cöliotomie an Frauen mit gesunden inneren Ge¬
schlechtsorganen brannte er bei der Revision der Adnexe mit dem
Paquelin ein frisches Corpus luteum bzw. einen springfertigen Follikel
aus und konnte dann konstatieren, dass mit nur einer Ausnahme „die
Ausschaltung des gelben Körpers oder die Verhütung seiner Entstehung
einen deutlichen Einfluss auf die nächste Menstruation ausübt, der
darin besteht, dass das normale Auftreten der Periode verhindert wird“
(S. 481).
Diese quantitativ zur Stütze des Gesetzes wohl noch nicht
ausreichenden Versuche werden durch gleichsinnige klinische
Beobachtungen an einem grossen Operationsmaterial — es handelt
sich ausschliesslich um Patientinnen mit extragenitälen Tumoren,
Osteomalacie, unkomplizierter Appendicitis, Prolaps oder Retro-
fiexio — in vorzüglicher Weise ergänzt.
Da die Altersbestimmung nicht mehr ganz frischer Corpora lutea
recht schwierig ist, so verwertete Fraenkel — bzw. liess durch seinen
Schüler Hergesell verwerten — aus seinen IBS Fällen diejenigen, die
entweder zur Zeit der Operation gerade menstruierten oder „ein hoch¬
rotes haselnussgrosses, weiches, sukkulentes und prominentes, bei leiser
Berührung oder spontan blutendes Corpus luteum aufwiesen“. Elf
Frauen wurden während der Menses operiert: niemals fand sich ein
frisches Corpus luteum. Dagegen wurde bei 43 im Intervall operierten
Frauen ein junger gelber Körper konstatiert, und zwar waren bei diesen
Frauen 11 bis 26 Tage seit Beginn der letzten Periode verflossen.
Niemals fand die Ovulation kurz vor, während oder kurz nach der
Menstruation statt
Die Schwankung um 15 Tage — es sind vereinzelte Fälle,
die sich so weit vom Normaltypns entfernen —- erklärt sich
dorch den nicht bei allen Frauen gleichmässigen Menstruations¬
zyklus, der Schwankungen von 2V 2 bis 4% Woeben aufweist.
Lassen wir die extrem gelagerten Fälle ausser Betracht, so ergibt
sich die zweite Hälfte des Intervalls als Ovulationsbreite, im
Durchschnitt der 19. Tag nach dem Einsetzen der letzten Regel.
Wie erinnerlich erstreckt sich aber das erweiterte Corpus
lnteum-Gesetz nicht nur auf Eieinbettung und Schwangerschafts¬
protektion und nicht nur auf die Menstruation, sondern ganz all¬
gemein auf den in den Generationsjahren erhöhten Ernährungs¬
zustand des Uterus.
Diese Theorie beruht auf den Beobachtungen L. Fraenkel’s über
die Atrophie des Uterus naoh isolierter Ausbrennung der Luteinsubstanz
bei Kaninchen; die Verkümmerung des Fruchthalters erreichte hier den¬
selben Grad wie naoh der Kastration. „Als kaum siohtbares Band hob
er sich zunächst nur wenig von dem oft fettreichen Peritoneum der
Bäuohwand, der Blase und des Mesometriums ab, war fast ohne jedes
Konsistenzgefühl, naoh allen Richtungen verkleinert. Mikroskopisch war
die Muskelscbicht so verschmälert, dass die Sohleimhaut sie an Breite
übertraf“ (S. 478).
In den Rahmen des Gesetzes fügen sich auch aufs beste
folgende allbekannte Tatsachen ein: Ehe die Keimdrüse ihre
Funktion der Eireifung und Luteinbildung beginnt, finden wir das
Genitale in infantilem Zustand, und es erfolgt keine uterine
Blutung. Stellt der Eierstock im Klimakterium seine Tätigkeit
ein, unterbleibt also die Produktion von gelben Körpern, so ver¬
fällt die Gebärmutter der senilen Atrophie. Bessere Belege für
die souveräne Dignität des Luteingewebes und die Abhängigkeit
des Fruchthalters von dem Organ Hessen sich kaum erbringen.
Dieselbe Causa movens wie bei der Altersschrumpfung des
Uterus — den Fortfall der Luteinsubstanz — dürfen wir mit
Fraenkel bei der zweiten Form der physiologischen Gebär¬
mutteratrophie voraussetzen, ich meine die von Thorn sogenannte
Laktationsatrophie.
B. Die Wirkungsweise des Corpus luteum.
Den Erörterungen über die komplizierte Funktion des gelben
Körpers schliesst sich die Besprechung der Frage an: Auf welche
^W^ise wird das Organ seiner Aufgabe gerecht?
Bekanntlich hatte Pflüger 1865 die Theorie aufgestellt, dass der
von einem dichten Nervengeflecht umsponnene Follikel durch sein kon¬
tinuierliches Wachstum einen stetigen Druckreiz auf das nervöse Faser¬
netz ausübt, dass dieser Reiz nach Erreichung eines bestimmten In¬
tensitätsgrades auf dem Wege über das Rückenmark reflektorisch eine
starke arterielle Fluxion bedinge, und dass schliesslich dieser intensive
Blutzufluss sowohl den Follikelsprung wie die Menstruation veranlasse,
doch erweist sich das Fundament der einst allgemein anerkannten Lehre
durch den Nachweis der Inkongruenz von Ovulation und Menstruation
als hinfällig, beruht sie doch auf der Voraussetzung eines Synchronismus
der beiden Sexualprozesse.
Experimentelle Widerlegung erlitt dann das alte Dogma einerseits
durch die Versuche von Rein 1 ), der trotz „Durchschneidung sowohl des
sympathischen als auch der Sakralnerven des Uterus, ausgeführt an ein
und demselben Kaninchen“ (S. 77), also trotz Loslösung des Uterus von
allen seinen Verbindungen mit cerebrospinalen Centren Empfängnis,
Schwangerschaft und Geburt beobachtete, und durch die schönen Arbeiten
von Knauer und Halb an andererseits, die nach Transplantation der
so natürlich völlig isolierten Ovarien unter die Haut, unter die Musku¬
latur oder ins grosse Netz bei Hündinnen Brunst und bei Pavian¬
weibchen echte Menstruation auftreten sahen.
. Damit ist die Frage „Nervenbahn oder Gefässbahn?“ un¬
bedingt zugunsten der letzteren entschieden, und die schon vorher
von vielen Autoren vermutete, von Born und Fraenkel ins
Corpus luteum lokalisierte innere Sekretion der weiblichen Keim¬
drüse sichergestellt.
Eine wesentliche Stütze erhält das Breslauer Gesetz noch
durch die Sicherstellung der epithelialen Natur des gelben
Körpers. Allerdings stehe ich nicht auf dem Standpunkt, dass das
Gesetz mit diesem Nachweis stehe und falle; immerhin entspricht
aber ein epitheliales Corpus luteum zweifellos besser dem
Bilde, das wir uns von einer Drüse mit innerer Sekretion machen,
als ein bindegewebiges Organ. Gegenstandslos wird auch der
Einwand, dass man einen Fettkörper nicht als endokrines Gewebe
ansprechen dürfe, da das soviel umstrittene Gebilde sich während
seiner Funktionsdauer gegen die Fettfarbstoffe refraktär verhält.
Ich habe dann weiter vor einigen Jahren im Berliner Institut
für Infektionskrankheiten „Robert Koch u versucht, durch die
Komplementbindungsmethode im Reagenzglas ein Hormon des
Corpus lutenm nachzuweisen.
Ich injizierte Kaninchen, Gänsen und Tauben Carboikochsalz¬
emulsionen von Corpus luteum-Substanz zahlreicher Kühe bzw. Säue
und erzielte mit dem sehr wirksamen Serum eines so präparierten
weiblichen Kaninchens zwar eine Hemmung der Hämolyse in Verbindung
mit dem homologen Luteinextrakt, aber auch mit den Extrakten anderer
Organe derselben Tierart. Eine spezifische Immunisierung mit Lutein¬
gewebe war also nicht zu erzwingen.
Der negative Ausfall der angestellten Reaktionen — ich
komme auf diese 1908 publizierten Versuche überhaupt nur des¬
wegen zurück, um die Deduktion ungerechtfertigter Schluss¬
folgerungen zu verhindern — darf jedoch nicht als eine Wider¬
legung des Corpus luteum-Gesetzes angesprochen werden, da sich,
wie wir jetzt wissen, gegen Sekrete überhaupt keine Antikörper¬
produktion erzielen lässt
IT. Die Bedeutung der Menstruation.
Die harmonische Kongruenz der experimentellen und klinischen
Resultate Fraenkel’s und der histologischen Arbeiten der Wiener
Autoren und ihrer Vorläufer beweist, wie wir gesehen hatten,
dass das Corpus luteum die prägraviden Alterationen des Endo¬
metriums bedingt, und ich hatte es als logische Folge dieser Tat¬
sache bezeichnet, dass stets das Ovulum der zuerst ausbleibenden
Periode imprägniert wird, und dass die Nidation nie nach Ab¬
klingen der Menses, sondern stets zum Termin der ersten aus¬
fallenden Menstruation stattfindet. Eine weitere notwendige Kon¬
sequenz ist die Reduzierung der bisher allgemein angenommenen
Schwangerschaftsdauer um 19 Tage.
Diesen Gedanken hatte schon vor vierzig Jahren zuerst Löwen -
hard Ausdruck verliehen; mit Recht weist er darauf hin, dass das
Endometrium — wenn die alte Theorie von der Einnistung des Eichens
post menses richtig wäre — nachdem es sich eben umsonst zur Decidua
(praemenstrualis) umgebildet, wenige Tage darauf, nach abgelaufener
Blutung, schon wieder neue Empfangs Vorbereitungen treffen müsste
(S. 488):
Ganz eindeutig sprechen auch im Sinne des Fraenkel’schen
Gesetzes die in jedem einschlägigen Lehrbuch besprochenen Be-
1) Die in diesem Zusammenhang viel citierten Arbeiten von Goltz
können meines Erachtens nicht gegen die Pflüger’sche Auffassung verwertet
werden.
2 *
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UNIVERSUM OF IOWA
668 _ BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 19.
obachtungen von Eintritt der Schwangerschaft bei jungen Mädchen
in südlichen Ländern vor der Menarche, bei stillenden Frauen vor
dem Wiedereintritt der Regel nach dem Wochenbett und bei
Matronen im Klimakterium.
Die Menstruation ist also nicht, wie Pflüger vermutet, als
„ein Inoculationsschnitt der Natur zur Aufimpfung des befruchteten
Eies auf'den mütterlichen Organismus“ aufzufassen, sondern'zeigt
im Gegenteil den Zerfall des bereiteten Nestes an.
Bei Strassmann finde ich die Angabe, dass es Völkerschaften gibt,
die — unbewusst — die äusserste Konsequenz aus dieser Auflassung
ziehend, in der Menstruation gewissermaassen einen Kindesmord erblicken,
weil sie ihnen das Zeichen der Nichtbefruchtung ist (S. 108 f).
In der menstruellen Blutung haben wir nicht eine eigentliche
sexuelle Funktion, sondern nach Fraenkel nur eine Art Kreis¬
laufentlastung zwar nicht des ganzen Organismus, wohl aber des
hyperämischen Uterus zu sehen. Es ist vielleicht das Nährblut
für das Ei, das beim Abbau des Nestes abfliesst. Die Menstruation
ist der Indikator frustrauer Ovulation. „A woraan menstruates
because she does not conceivc“ (Power).
V. Die Eiciiihettung beim Menschen.
Die passive Wanderung des befruchteten Ovulum, das auf
der Reise Corona radiata und Zona pellucida verliert, soll beim
Menschen 7 bis 8 Tage in Anspruch nehmen. Die Nidation ge¬
schieht durch aktives Eindringen des Eichens zwischen zwei
Drüseumündungen („interstitielle Implantation“) — das Ei gräbt
sich also wie ein Parasit sein Bett selbst — und das entstehende
Loch wird durch ein „Schlusscoagulum“ (Bonnet) provisorisch
verschlossen. Wir wissen jedoch nicht, in welchem Entwicklungs¬
zustand sich das Ovulum bei der Einboruug befindet, da dieses
Stadium beim Menschen bekanntlich noch niemand gesehen hat,
und wir wissen auch nicht, wieviel Zeit dieser Prozess in An¬
spruch nimmt.
Selbst das jüngste bisher entdeckte Ei, dass in der Heidel¬
berger Frauenklinik zufällig bei der Untersuchung einer Kürettage
gefunden wurde, ist bereits in die Schleimhaut eingebettet, rings
von einer Trophoblastschale umgeben und lässt ein kleinstes
Embryonalschild erkennen. Bevor ich jedoch mit der Beschrei¬
bung des histologischen Bildes beginne, seien die anaranestischen
Notizen gegeben, die ich in Anbetracht der Wichtigkeit und Selten¬
heit des Fundes nicht kürzen zu dürfen glaube:
Frau S. M., 26 Jahre alt, aufgenommen 8. I. 1909.
Periode: Seitdem 15. Jahr, anfangs zwei Tage dauernd, spärlich;
jetzt fünf Tage und stark; dabei Unterleibs- und Kreuzschmerzen. Inter-
menstrueller Fluor.
Menstruationstypus: Leicht anteponierend, etwa dreiwöchentlich.
Letzte Periode: Vor Weihnachten 1908.
Partus: Zwei Spontangeburten. Letzte Entbindung: Sep¬
tember 1907.
Anamnese: Nach dem letzten Partus */ A Jahr lang gestillt, dann
eintägige Periode (vor Pfingsten 1908), dann neun Wochen Pause, darauf
vierzehntägige Blutung. Seitdem alle 14 Tage 5 bis 6 Tage dauernde
Menstruation mit heftigen Schmerzen. Im Oktober raässig starke, drei
bis vier Wochen dauernde Blutung. Jetzt kommt die Regel alle 24 Tage
bei fünf- bis sechstägiger Dauer stark.
Patientin klagt über die genannten Menstruationsbeschwerden und
über dauernde Schmerzen im Kreuz und allgemeines Schwächegefühl.
Operation: Abrasio; Alexan der-A dams, am 14. I. 1909.
Spätere Ambulanznotiz: Blutungen regelmässig, keine Be¬
schwerden mehr.
Leider existieren von dem kostbaren Material nur fünf Schnitte. Un¬
günstig ist auch der Umstand, dass die Schnittrichtung nicht senkrecht
zur Schleimhautoberfläche, sondern schräg zu ihr gefallen ist, so dass die
Einbruchsstelle des Eies mit dem „Gewebspilz“ (Peters) zur Darstellung
gelangt ist. Dagegen ist das junge Gebilde glücklicherweise offenbar im
grössten Durchmesser getroffen, und in drei Präparaten ist die Embryonal¬
anlage aufs deutlichste zu erkennen. Präparate und Beschreibung haben
Herrn Prof. II e c h e 1 - Freiburg Vorgelegen, dem ich für die Durchsicht
zu besonderem Dank verpflichtet bin, von ihm rührt auch die exakte
Bestimmung der Maasse her. Das grösste äussere Maass beträgt
0,83 mm, während das ganze Ei im Lichten nur 0,44 mm misst.
Der Beschauer erkennt zunächst die Trophoblastschale und die
durch einen bei der Paraffineinbettung entstandenen Spal t von jener
getrennte lockere Mesoderm-Masse. Letztere hat die Gestalt eines nicht
ganz regelmässigen Polygons und ist mit einer zarten, staubartig feinkörnigen,
mit Eosin blassrosa getönten Masse vollkommen ansgefüllt und — nament¬
lich in der Umgebung der Keimanlage — von spärlichen Zellen vom
Typus junger, noch relativ protoplasmaarmer Fibroblasten durchzogen.
Einzelne von diesen lassen sehr schöne und deutliche karyokinetische
Figuren erkennen. Aehnliche mesodermale Zellen umsäumen die
centrale Masse in einfacher, nur stellenweise doppelter Lage und grenzen
sie von dem erwähnten Retraktionsspalt ab; auch sie zeigen gut erhaltene
G D C M ESpR Sy
Bl Pr B Gj
Leitz 3; Oc. 4; Tub. 15,5; Vergrösserung ca. 185: 1.
E = solider Embryonalknoten, M = Mesoderm, K = Kernteilungsfigur
(Diaster) im Mesoderm, B = Stelle des Bauchstiels, Sp = bei der Paraffin¬
einbettung entstandener Retraktionsspalt, C = Cytotrophoblast (Lang-
hans’sche Schicht), Sy = Syncytium (Plasmoditrophoblast), Bl = Blut-
lakunen, G = mütterliche Gefässe, G A = durch das Syncytium auf¬
geschlossenes Gefäss, Dr = Drüsen, D = Deciduale Reaktion.
Mitosen. Es besteht also noch kein Cölora; auch fehlen meso¬
dermale Zotten noch vollständig.
In der Nähe der Mitte, jedoch etwas excentrisch, liegt die Embryonal¬
anlage (samt der Anlage von Amnion und Dottersack); Embryonalschild und
Amnion messen 0,095 :0,072 mm. Auf eine nähere Beschreibung des
Gebildes gehe ich als zu weit führend hier nicht ein, zumal die
Deutung eines nur in einem Präparat auffallenden Zellkomplexes noch
strittig erscheint. Es sei nur kurz bemerkt, dass man in den Schnitten
die Vorbereitung zur Bildung einer Markamnionhöhle verfolgen kann —
ein Befund, in dem ich einen Beweis für die „mit einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit“ aufgestellte Behauptung K ei bei’s er¬
blicke, dass der genannte Hohlraum „als Spaltbildung innerhalb einer
soliden Zellmasse auftritt und dass demnach Amnionfalten beim Menschen
nie vorhanden sein dürften“ (S. 60).
Auf der Seite der kürzesten Entfernung der (wie erwähnt, etwas
excentrisch gelegenen) Embryonalanlage vom Trophoplast hat sich das
Mesoblastgewebe bei der artefiziellen Schrumpfung nicht losgetrennt, so
dass die Mesodermzellen unmittelbar der inneren Lage der Trophoblast-
schale anliegen. In einem Schnitt berührt letztere bemerkenswerter¬
weise die Zellen, welche die Markamnionhöhle, wie erwähnt, umgeben.
Hier würde sich später wohl der Bauchstiel entwickelt haben.
Der Ektoblastmantel lässt bereits die Differenzierung in den
Cytotrophoblast (die Langhans’sche Schicht) und den Plasmodi¬
trophoblast oder Spongiotrophoblast (das Syncytium) erkennen.
Es besteht jedoch durchaus kein prinzipieller Unterschied in der Kern-
forra oder in der Kern- und Protoplasmafärbbarkeit, so dass man den
bestimmten Eindruck kontinuierlicher Uebergänge zwischen den beiden
Zelltypen gewinnt, wie dies auch Peters, Leopold und Jung für
ihre Fälle nachdrücklich betonen. Auch die regelmässige Anordnung
der Langhans’schen Zellen zu einer Basalschicht des Trophoblasts ist
nicht überall ausgeprägt, und die Abgrenzung der einzelnen Zell¬
individuen gegeneinander ist stellenweise ganz undeutlich. Kernteilungs¬
figuren sind im Cytotrophoblast ziemlich reichlich, heben sich aber gegen
das relativ basophile Protoplasma nicht so deutlich ab wie in den Zellen
des Mesoblasts.
Das Syncytium, das die bekannte lakunäre, jedoch nicht bienen¬
wabenartige Anordnung zeigt, nimmt nicht annähernd einen so grossen
Raum ein wie bei dem nächst älteren Ei von Bryce und Teacher,
und die Zahl der grösseren Bluträume beträgt pro Schnitt noch nicht
ein Dutzend. Ich habe den Eindruck, dass sie nicht einer Vakuoli¬
sierung primär solider Zellhaufen durch ein proteolytisches Ferment,
also nicht einer Art Selbstverdauung ihre Entstehung zu danken haben,
sondern dass das Syncytium nach Arrodierung dilatierter Capillaren
unter Verdrängung und Zerstörung des Endothels die Auskleidung der
Bluträume übernimmt. Deutlich ist an mehreren Stellen das Aufschliessen
der mütterlichen Capillaren zu erkennen. Gut erhaltene rote Blut¬
körperchen konnte ich in den Vakuolen jedoch nur ganz vereinzelt
finden; man sieht nur eine eosinrote, etwas fädige Masse, die aber von
dem Mesoblastgewebe wohl zu unterscheiden ist. Dagegen sind multi-
nucleäre Leukocyten hier leicht erkennbar. Sehr bemerkenswert scheint
mir noch der Befund einer grossen, schönen karyokinetischen Figur
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
869
innerhalb des Syncytiums in der äusseren Begrenzung einer peripher
gelegenen Lacune.
Peripherwärts vom Spongiotrophoblast erkennt man in sehr be¬
grenztem Umkreis die beginnende Umbildung der Stromaelemente zu
Deoiduazellen. Von einer epithelioiden Lagerung kann jedoch noch keine
Rede sein. Mitosen sind in diesen hypertrophierenden Zellindividuen
nur in geringer Zahl vorhanden. Ein nekrotischer Gürtel in der Um¬
gebung des Eies — wie im Fall Bryce - Teacher — fehlt vollkommen,
vielmehr stösst das Syncytium überall an durchaus kernfrische Gebilde.
Seine Begrenzung gegen das materne, von multinucleären Leukocyten
spärlich durchsetzte Gewebe erfolgt zum Teil in Bogenlinien — dort wo
an seiner Peripherie grössere Lacunen gelegen sind — zum Teil strahlt
es aber in leicht divergierenden Zügen gegen die Schleimhaut aus; die
Zellkomplexe der beiden Organismen lassen sich jedoch leicht von¬
einander abgrenzen. Von einer Zone gegenseitiger Durchdringung fetaler
und mütterlicher Elemente, einer „Umlagerungszone“ (Peters), kann
also nicht die Rede sein. Nur an der schon vorher erwähnten Seite des
Mesoblastpolygons — der excentrischen Embryonalanlage am nächsten —,
die der basalen Schicht des Cytotrophoblasten fest adhäriert, lässt sich
die Trennungslinie nicht so ganz leicht ziehen. Wie bekannt, ist ja die
Unterscheidung von Decidualelementen und einkernigen Abkömmlingen
des Spongiotrophoblasten häufig — namentlich in älteren Placenten —
eine etwas heikle Aufgabe. Erwähnung verdient noch die geringe Blut¬
menge in der unmittelbaren Umgebung des Eies.
Eine Zerstörung der Drüsen durch den Trophoblast, wie dies in
späteren Stadien (Frassi) zweifellos der Fall ist, findet nirgends statt;
wohl aber sieht man an zwei Stellen auf den fünf Schnitten eine Be¬
rührung der beiden Epithelarten, jedoch nooh ohne Beeinträchtigung der
mütterlichen Zellen. Die Drüsen, die der parallel zur Oberfläche ver¬
laufenden Schnittrichtung entsprechend vorwiegend quer getroffen sind,
zeigen hier nicht die für die Schwangerschaftsdecidua typische Sternform,
sondern erscheinen rundlich oder oval; die einzelnen Epithelien sind
recht niedrig, zum Teil breiter als hoch, mit scharfen inneren Konturen,
weisen aber ein teils basophiles, vielfach in Körnerfäden angeordnetes,
teils oxyphiles, mehr diffus verteiltes Sekret auf.
Die vom Ei weiter entfernten, hochgradig aufgelockerten und
ödematös durchtränkten Schleimbautpartien bieten ein wunderschönes
Bild prämenstrueller oder richtiger Graviditätsreaktion; Umbildung der
Stroma- zu Deciduazellen erkennt man jedoch nur in der unmittelbaren
Umgebung einzelner Schleimhautgefässchen.
Zusammenfassung.
Zwischen Menstruation und Ovulation besteht ein festes Ab¬
hängigkeitsverhältnis, und zwar geht der Follikelsprung der Blu¬
tung durchschnittlich neun Tage voraus. Während das Ei die
Tube durchwandert, erfolgt die Umbildung der Membraua granu-
losa des Follikels zum Corpus luteum, dessen epitheliale Natur
durch die vergleichende Entwicklungsgeschichte, durch das Auf¬
finden des nur von Epithelien produzierten Kolloids innerhalb
der Luteinzellen und den Nachweis direkter Uebergänge er¬
wiesen ist.
Das frische Corpus luteum gibt keine Fettreaktion; erst nach
Beginn seiner Rückbildung gelingt der Fettnachweis. Das Corpus
luteum graviditatis gibt während der ganzen Dauer der Schwanger¬
schaft so gut wie keine Fettfärbung. Das Corpus albicans ent¬
steht unter Zugrundegehen der verfetteten Luteinzellen allein
durch hyaline Entartung des bindegewebigen Reticulums. Eine
histologische Differentialdiagnose des Corpus luteum graviditatis
wird durch den Nachweis von Kolloidtropfen und Kalkconcre-
menten bei negativem Ausfall der Fettreaktion ermöglicht.
Der gelbe Körper ist eine periodisch sich bildende Drüse
mit innerer Sekretion; sie veranlasst die cyklische Umbildung
des Endometriums zur Decidua — das Ei ist hierzu nicht nötig
— und ermöglicht so die Nidation; sie bewirkt — als trophisches
Centrum für den Uterus — ganz allgemein den in den Gene¬
rationsjahren erhöhten Turgor des Organs und protegiert so die
junge Schwangerschaft, und sie verhindert eine neue Eireifung
während ihrer Funktionsdauer. Die sogenannte Laktationsatrophie
des Uterus ist keine reflektorische Trophoneurnse, sondern nur
die Folge der im Puerperium fehlenden Corpus luteum-Neu¬
bildung.
Der Nachweis eines inneren Sekrets des gelben Körpers im
Reagenzglasversuch durch die Komplementbindungsmethode miss¬
lingt, da Hormone niemals zur Antikörperbildung Veranlassung
geben.
Versuche, ein Sekret des gelben Körpers durch die vitale
Färbung nachzuweisen, haben noch zu keinem Ergebnis geführt.
Die Schwangerschaftstoxikosen einschliesslich der Eklampsie
entstehen möglicherweise durch eine Unterfunktion von Corpus
luteum und Nebenniere.
Die Menstruation stellt — ein Indikator frnstraner Ovulation
— nur eine Entlastung des hyperämischen Uterus vor; für das
Zustandekommen der Conception hat sie keine Bedeutung. In
dem Menstrualblut ist vielleicht die Nährflüssigkeit für das Ei,
die beim Abbau des Nestes abfliesst, zu sehen. Brunst und Men¬
struation sind entwicklungsgeschichtlich und physiologisch prin¬
zipiell verschiedene Erscheinungen.
Als geeignetster Termin für die natürliche wie für die künst¬
liche Befruchtung ergibt sich der zehnte Tag vor dem berechneten
Eintritt der neuen Periode.
Zur Implantation gelangt stets das Ovulum der zuerst aus¬
bleibenden Regel; eine postmenstruelle Einbettung gibt es nicht.
Die Nidation erfolgt durch aktives Eindringen des Eichens zwischen
zwei Drüsenmündungen. Beide Komponenten des Trophoblasts
sind fetaler Natur. Capillarendothel und Drüsenepithel verhalten
sich rein passiv.
Aus der medizinischen Klinik in Göttingen.
Zur Frage der Oxalsäurebildung und -aus-
scheidung beim Menschen.
Von
L. Lichtwitz und W. Thömer.
In der Lehre des Oxalsäurestoffwechsels ist die Unzerstör¬
barkeit der Oxalsäure jenseits der Darmwand eine der wenigen
vollkommen gesicherten Tatsachen. Unzweifelhaft ist ferner, dass
die Oxalsäure ein normales Endprodukt des Stoffwechsels ist.
Aber bereits in der Frage nach ihren Muttersubstanzen im Hunger-
zustand besteht keine volle Einigkeit. Noch grösser sind die
Differenzen bezüglich der Bildung der Oxalsäure aus den Nähr¬
stoffen.
Unsere Untersuchungen wurden in der Absicht unternommen,
spärliche Beobachtungen über einige Punkte des Oxalsäureproblems
zu ergänzen.
Nach einem Befund von Mohr und Salomon 1 ) kann bei
Icterus eine Erhöhung der Oxalsäureausscheidung im Harn be¬
stehen. Klemperer und Tritschler 2 ) fanden beim Hund nach
Verfütterung von 2 g glykocholsaurem Natrium eine Vermehrung
der Oxalsäure. Da nach den übereinstimmenden Untersuchungen
von Lommel 8 ), Stradomsky 4 ), Mohr und Salomon der Leim
ein Oxalsäurebildner ist, haben Klemperer und Tritschler das
Glykokoll auf seine Fähigkeit, in Oxalsäure überzugehen, untersucht.
Von ihren vier Versuchen ist nur in Fall 2 ein deutlicher positiver
Erfolg eingetreten. In zwei Versuchen am Menschen ist die nach
Glykokoll eingetretene Steigerung von 16,0 mg am Vortag, 16,6 mg
am Glykokolltag, 15,9 und 19,1 mg an den beiden Nachtagen
bzw. von 20,9 mg am Vortag, 22,3 mg am Glykokolltag, 23,4
und 20,3 mg an den beiden Nachtagen nicht überzeugend. In
einem Versuch am Hund trat nach subcutaner Injektion von
500 mg Glykokoll eine erhebliche, aber mit starken Schwankungen
einhergehende Steigerung der Oxalsäureausscheidung ein, die nach
drei Wochen noch bestand, während dieser Zeit zu einer höheren
Mehrproduktion von Oxalsäure führte, als aus dem Glykokoll
entstehen kann und demnach mit diesem sicher nicht in Zusammen¬
hang stand.
Satta und Gastaldi 6 ) haben bei einer Nachprüfung der
Glykokollwirkung am Hund ein durchaus negatives Resultat
gehabt. In einer soeben erschienenen Mitteilung bestätigt
Wegrzynowski 6 ) die Beobachtung von Klemperer und
Tritschler. Aber auch in diesem Versuch ist die Steigerung
nach grossen Dosen Glykokoll (10 und 17 g bei einem 18 kg
schweren Hund) sehr gering (Maximum der Vorperiode 18 mg,
Maximum der Hauptperiode 22 mg).
Wir haben den Einfluss des Glykokolls auf die Oxalsäure¬
ausscheidung gelegentlich der Untersuchungen an Ikterischen und
an einem Normalen gemacht. Zugleich haben wir einige Male
die Wirkung von Gelatine beobachtet.
Die Oxalsäure wurde nach der Methode von Salkowski
bestimmt. Die konstante Diät war nicht völlig frei von Oxalsäure,
da sonst den Ikterischen bei gleichzeitigem Ausschluss des Fettes
eine zu einförmige Kost gereicht worden wäre. (Tabelle 1.)
1) Archiv f. klin. Med., 1901, Bd. 70, S. 486.
2) Zeitschr. f. klin. Med., 1902, Bd. 44, S. 337.
3) Archiv f. klin. Med., 1899, Bd. 63, S. 599.
4) Virchow’s Archiv, 1901, Bd. 163, S. 304.
5) Archiv p. 1. science m6d., 1908, Nr. 3 u. 4.
6) Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1913, Bd. 83, S. 112.
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870
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Tabelle 1.
Pat. W. Icterus oatarrhalis.
Datum
1912
Harnmenge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
23. V.
440
13,5
Nachtharn, Stuhl acholisch.
24. V.
1050
24,3
—
25. V.
1642
38,6
—
26. Y.
1800
29,8
—
27. V.
1240
26,9
—
28. V.
1400
34,4
—
29. V.
1360
27,0
—
30. Y.
1246
26,7
Icterus nimmt ab.
31. V.
1800
30,0
—
l.VI.
1350
19,0
Kein Icterus mehr
2. VI.
1400
13,0
Gallenfarbstoffprobe negativ.
3. VI.
2040
15,5
—
4. YI.
1860
19,7
—
5. YI.
2670
30,1
Gemischte Kost.
6. YI.
—
—
—
7. VI.
1985
29,8
Io diesem Kalle war während des Icterus die Oxalsäure¬
ausscheidung erheblich gesteigert, nach Abklingen des Icterus
normal. Der Einfluss der Roständerung ist deutlich.
Tabelle 2.
Pat A. Icterus bei Ulcus duodeni.
Datum
1912
Harn menge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
;. v.
650
10,3
Nicht volle Tagesmenge.
k Y.
1220
29,1
Harn ikterisch.
25. V.
1500
8,7
Harn hell.
26. V.
—
—
—
27. V.
750
14,0
Harn hell.
Der Patient kam erst kurz vor dem Aufhören seines Icterus
zur Beobachtung. Das Abfallen der Oxalsäurewerte mit dem Ab¬
klingen des Icterus ist deutlich.
Tabelle 3.
Pat. K. Icterus catarrhalis.
Datum
1912
Harn menge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
15. VI.
1080
18,6
Stuhl nioht acholisch.
16. VI.
700
14,8
—
17. YI.
700
15,0
—
18. YI.
940
19,0
Harn heller.
19. YI.
750
5,0
Ham ist nicht mehr
ikterisch.
20. YI.
450
7,0
—
Der Gallenabschluss vom Darm war bei dieser Patientin kein
vollständiger.
Die Oxalsäureausscheidung liegt erheblich niedriger. Der
Abfall mit dem Abklingen des Icterus tritt hervor.
Tabelle 4.
Pat. P. Steinverschluss des Ductus choledochus. Starker
Icterus.
Datum
1912
Harnmenge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
20. VII.
1000
16,7
Stuhl acholisch.
21. VII.
1040
15,5
—
22. VII.
1250
23,3
—
23. VII.
1450
15,0
29 Glykokoll.
24. VII.
1350
24,6
Heftiger Schmerzanfall. Urin
danach bedeutend heller,
enthält Urobilin. Icterus ge¬
ringer. Auf Einlauf gefärbter
Stuhl.
25. VII.
1270
12,8
26. VII.
930
8,4
2 g Glykokoll.
27. VII.
1400
16,0
Stuhl leidlich gefärbt.
Die Oxalsäureausscbeidung ist sehr unregelmässig. Sie über¬
schreitet nur an zwei Tagen ein wenig die Norm. 2 g Glykokoll
bewirken keine Steigerung.
Bei dem Rolikanfall am 24. wird der Choledochus frei. Die
Oxalsäureausscheidung nimmt gleichzeitig ab.
Tabelle 5.
Pat. G. Icterus gravis (Carcinoma hepatis?).
Datum
1912
Haramenge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
6. VII.
1050
32,5
Stuhl ist acholisch.
7. VII.
1425
30,4
—
8. VII.
1660
36,0
—
9. VII.
1760
28,2
4 g Glykokoll.
10. VII.
1900
36,0
—
Die Oxalsäureausscheidung ist deutlich erhöht. 4 g Glykokoll
sind ohne Einfluss.
Tabelle 6.
Pat. Sehr. Icterus catarrhalis.
Datum
1912
Harnmenge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
22. VII.
1200
30,0
23. VII.
1300
31,0
—
24. VII.
1160
31,2
5 g Glykokoll.
25. VII.
1170
24.4
—
26. VII.
1120
25,5
Icterus nimmt ab. Stuhl
etwas gefärbt.
27. VII.
860
25,7
20 g Gelatine.
28. VII.
1220
25,0
Urin hell.
29. VII.
1050
23,1
—
30. VII.
1050
32,0
40 g Gelatine. \ TT •
Stuhl gefärbt. Harn “
enthält Urobilin. ) ne,L
31. VII.
1030
34,0
l.VIII.
1270
27,0
—
Die Oxalsäureausscheidung ist erhöht. Sie sinkt mit dem
Abklingen des Icterus auf Werte, die immer noch etwas über der
Norm liegen. 5 g Glykokoll sind ohne Einfluss, ebenso 20 g
Gelatine (= etwa 2,5 g Glykokoll). 40 g Gelatine (= 5 g Glyko¬
koll) bewirken eine deutliche Steigerung.
Tabelle 7.
Pat. L. Cholelithiasis.
Datum
1912
Harn menge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
28. VIII.
750
17,8
29. VIII.
1000
17,4
Stuhl acholisch.
30. VIII.
650
13,4
—
31. VIII.
630
9,7
—
1. IX.
1050
13,0
5 g Glykokoll.
2. IX.
1380
16,8
—
3. IX.
1010
20,0
40 g Gelatine.
4. IX.
153Ö
15,4
Bilirubin schwach Stuhl
leicht gefärbt.
5. IX.
1200
14,0
Bilirubin —.
6. IX.
700
18,0
—
Die Oxalsäureausscheidung ist niedrig und unregelmässig.
5 g Glykokoll sind ohne Einfluss. Nach 40 g Gelatine der höchste
Wert, aber kein überzeugendes Resultat, das vielfach durch das
Abklingen des Icterus verdeckt ist. Auch das Abfallen der Oxal¬
säureausscheidung mit dem Schwinden des Icterus tritt nicht
hervor.
Tabelle 8.
M. normal.
Datum
Harnmenge
Oxalsäure pro die
Bemerkungen
1912
mg
29. VIII.
1450
44,4
noch gemischte Kost
30. VIII.
1350
20,0
31. VIII.
1490
25,0
l.IX.
1940
20,0
4 g Glykokoll
2. IX.
1120
18,0
3. IX.
1520
29,0
40 g Gelatine
4. IX.
1238
28,0
5. IX.
950
23,0
6. IX.
1330
20,5
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
871
4 g Glykokoll sind ohne Einfluss. 40 g Gelatine (= etwa
5 g Glykokoll) bewirken eine deutliche Steigerung, die am 4. Tage
wieder abgeklungen ist.
Diese Beobachtungen ergeben, dass die Oxalsäureausscheidung
bei Abschluss der Galle vom Darm in der Mehrzahl der Fälle
erhöht ist und gleichzeitig mit dem Durchgängigwerden des
Gallengangs zu normalen Werten absinkt. Glykokoll, in Mengen
von 2—5 g per os gereicht, hat in 6 Versuchen nicht zu einer
Steigerung der Oxalsäureausscheidung geführt. Die von allen
Autoren übereinstimmend beobachtete Wirkung der Gelatine ist
auch in diesen Versuchen eingetreten.
Wenn aber das Glykokoll nicht als Muttersubstanz der Oxal¬
säure anznsehen ist, so ist auch die Hypothese von Klemperer
und Tritschler, dass die Glykocholsäure über das Glykokoll
im Darm Oxalsäure bildet, hinfällig. Da nach einem Versuch
dieser Autoren die subcutane Zuführung von glykocholsaurem
Natrium beim Hund zu einer Steigerung der Oxalsäureausscheidung
nicht führt, also ein intermediärer Abbau der Gallensäure in dieser
Richtung nicht nachzuweisen ist, so müsste, wenn die Auffassung
von Klemperer und Tritschler richtig wäre, bei Icterus die
Oxalsäureausscheidung geringer sein als in der Norm,
Das entgegengesetzte Verhalten drängt zu der Auffassung,
die nicht neu ist, dass die Oxalsäureausscheidung nicht allein
durch den Harn, sondern auch durch die Galle erfolgt. Sal-
kowski 1 ) hat in Rindergalle 21,65mg Oxalsäure pro Liter gefunden.
Wir haben in einer kleinen Portion der Leiche entnommener
menschlicher Galle vergeblich nach Oxalsäure gesucht. Zu einer
Analyse grösserer Mengen frischer Galle fehlte bisher das Material.
Aber die oben mitgeteilten Beobachtungen, dass mit dem Wegsam-
werden des Ductus choledochus die Oxalsäureausscheidung im
Harn sofort absinkt, lassen eine andere Deutung, als dass die
Leber sich an der Ausscheidung der Oxalsäure beteiligt, kaum
zu. Dass endogene Oxalsäure in den Darm abgesondert wird,
geht auch aus Untersuchungen hervor, über die Noorden 2 )
berichtet. Man hat gefunden, dass bei Milchdiät die niedrigsten
Oxalsäurewerte (2—4 mg pro die) im Harn zu finden sind. Da
die endogene Oxalsäurebildung sicher grösser ist, so ist aus dieser
für die Therapie wichtigen Beobachtung zu entnehmen, dass ein
Teil der im Körper gebildeten Oxalsäure in den Darm gelangt
und bei Anwesenheit von Kalk in grösseren Mengen (Milchdiät)
durch Bildung des unlöslichen Kalksalzes der Resorption und
damit der Ausscheidung durch die Nieren entgeht.
Zweifellos kommt dem Kalkgehalt der Nahrung ein grosser
Einfluss auf die Resorption der Oxalsäure und ihre Ausscheidung
im Harn zu. ln dem Kalkgebalt der Nahrung und der Absonderung
der Oxalsäure (durch die Galle?) in den Darm ist vielleicht der
Grund für die grossen Differenzen zu suchen, die io den Unter¬
suchungen über den Oxalsäurestoffwechsel bestehen.
Ein solcher Differenzpunkt ist die Bildung von Oxalsäure
aus Kohlehydraten. Während die Mehrzahl der Autoren einen
solchen Zusammenhang ablehnt, kommen andere zu dem entgegen¬
gesetzten Ergebnis. Wegrzynowski 3 ) hat in methodisch ein¬
wandfreien Versuchen dargetan, dass Kaninchen, Hund und Mensch
bei Hafermehlfütterung und noch mehr bei Hafermehl -f- Zucker
eine höhere Oxalsäureausscheidung haben. Der Autor zieht aber
nicht den Schluss, dass aus dem Zucker nach der Resorption
Oxalsäure wird (was bei allem, was wir über den intermediären
Zuckerabbau wissen, als ausgeschlossen gelten kann), sondern
dass die Mikroorganismen des Darmes an der beobachteten Stei¬
gerung der Oxalsäureausscheidung schuld sind. Auf diesen Zu¬
sammenhang ist wohl zuerst von Minkowski 4 ) hingewiesen
worden. Dass gerade bei Hafermehlfütterung eine Aenderung der
Darmflora eintritt, stimmt gut zu den Untersuchungen von Klotz 5 )
über den Abbau der Haferstärke. So wird es vielleicht möglich
sein, umgekehrt aus der Aenderung der Oxalsäureausscheidung
auf eine Veränderung in dem Verhalten der Darmflora zu schliessen.
Für die diätetische Therapie des Diabetes mellitus und für wichtige
Fragen aus dem Gebiet der Säuglingsernährung wäre ein solches
Kriterium von Interesse.
Es darf als sicher gelten, dass beim Diabetes mellitus die
endogene Oxalsäureausscheidung nicht erhöht ist. Es gibt aber
1) Diese Wochenschr., 1900, S. 434.
2) In Krause und Garr&, Lehrbuch der Therapie innerer Krank¬
heiten, 1911, II. Bd., S. 194.
3) Zeitscbr. f. physiol. Chemie, 1918, Bd. 83, S. 112.
4) v. Leyden, Handbuch der Ernährungstherapie, 1904.
5) Die Bedeutung der Getreidemehle für die Ernährung, Berlin,
bei Julius Springer, 1912.
in der Literatur zwei Fälle, die sich dieser Anschauung nicht
einfügen. Fürbringer 1 ) fand bei einem Diabetiker eine ganz
ungeheure Vermehrung der Oxalsäureausscheidung im Harn und
gleichzeitig Oxalatkristalle im Sputum. Naunyn 2 ) berichtet
über einen von Kausch beobachteten Diabeteskranken, der mehr
wie 1000 mg Oxalsäure in 24 Stunden abgab. Eine ausführliche
Publikation dieses Falles scheint nicht erfolgt zu sein. Der
Patient Fürbringer’s hatte aber eine Pneumomykose. Bei der
Sektion wurde in der Lunge ein Brandherd mit einem fruktifi-
zierenden Mycel von Aspergillus niger gefunden. Von dem
Aspergillus niger ist bekannt, dass er bei Gegenwart von Kalk¬
salzen aus Zucker Oxalsäure bildet. Es kann gar keinem Zweifel
unterliegen, dass bei diesem Patienten das Oxalat des Sputums
ein Produkt des Pilzes war, und es ist mehr wie wahrscheinlich,
dass die grosse Steigerung der Oxalsäureausscheidung im Harn
mit dieser „Symbiose“ zusammenhing. Dieser Fall kann in
diagnostischer Hinsicht sehr lehrreich sein. Im übrigen ist er
ein neuer Beweis der Bedeutung, die den Mikroorganismen für
den Oxalsäurestoffwechsel zukommt 3 ).
Klemperer und Tritschler haben gefunden, dass das
Kreatinin ein Oxalsäurebildner ist. Kreatin und Kreatinin kommen in
den Muskeln der Vertebralen in wechselnder Menge, in grösster
bei Vögeln vor [Hammarsten 4 )]. Nach Monari steigt der
Gehalt der Muskeln an diesen Stoffen bei der Arbeit. Aus
diätetischen Gründen ist es daher interessant zu wissen, wie das
Fleisch während einer Muskelarbeit getöteter Vögel auf die Oxal¬
säureausscheidung wirkt. Solche Vögel sind u. a. Rebhühner.
Der eine von uns (Th.) hat einen Selbstversuch ausgeführt,
der durch Aufnahme von 2 Litern Culmbacher Bier am letzten
Tage der Einstellung auf eine konstante Kost leider an Ueber-
sichtlichkeit verloren hat.
Tabelle 9.
Datum
1912
Harnmenge
Oxalsäure pro die
mg
Bemerkungen
4. IX.
2300
37
Potus!
5. IX.
1200
28
4 gebratene Rebhühner
6. IX.
1600
31
3 „
7. IX.
1150
27,4
8. IX.
1300
27,0
9. IX.
1550
30,0
freie Kost
Ein deutlicher Einfluss ist also nicht zu bemerken.
Zusammenfassung.
1. In der Mehrzahl der Fälle von Icterus besteht eine er¬
höhte Oxalsäureausscheidung im Harn.
2. Gleichzeitig mit dem Durchgängigwerden des Ductus
choledochus sinkt die Oxalsäureausscheidung durch die Nieren.
3. Aus diesem Verhalten und aus Beobachtungen anderer
Autoren kann auf eine Ausscheidung der Oxalsäure durch die
Galle geschlossen werden.
4. 2—5 g Glykokoll bewirkt beim ikterischen und normalen
Menschen keine Vermehrung der Oxalsäure im Harn.
5. Leim ist ein Oxalsäurebildner.
6. Die Beobachtungen von Wegrzynowski weisen von
neuem auf die Bedeutung der Darmflora für die Oxalsäurebildung
hin. Aus dem Fall Fürbringer’s ist diese Wirkung von Mikro¬
organismen (Aspergillus niger in der Lunge) mit grosser Deut¬
lichkeit zu ersehen.
7. Gebratene Rebhühner führen nicht zu einer Vermehrung
der Oxalsäureausscheidung.
Göttingen, 4. Februar 1913.
Zur Chemie der Zelle.
Von
P. 6. Uina.
II. Kernkörperchen.
Die Kernkörperchen werden heutzutage wohl von allen
Anatomen, Zoologen und Botanikern vom übrigen Kern streng
1) Deutsches Arch. f. klin. Med., 1875, Bd. 16, S. 499.
2) Der Diabetes mellitus, Wien 1898.
3) Herr Kausch teilt brieflich mit, dass sein Patient keine Asper¬
gillusinfektion hatte.
4) Lehrbuch der physiol. Chemie.
3*
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UNIVERSITÄT OF IOWA
872
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
geschieden. Schon Flemming nahm einen wesentlichen Unter¬
schied zwischen Kernchromatin uod Nucleolensubstanz (Nucleolin)
an and wies darauf hin, dass frische Kerngerüste in destilliertem
Wasser blasser, die Kernkörperchen dagegen stärker lichtbrechend
werden 1 ). Strassburger gegenüber, der Uebergänge zwischen
beiden Substanzen sehen wollte, betonte dann Zacharias mit
Entschiedenheit, dass alle Lösnngs- und Pärbungserscbeinungen
beim Chromatin und Nucleolin durchaus verschieden seien. Indem
er seine sehr ausgedehnten und sorgfältigen Untersuchungen über
Pflanzenkerne 2 ) mit Flemming’s Beobachtungen an tierischen
Kernen zusammenfasste, schuf er das heute noch geltende System
der Differenzierung zwischen Kernchromatin und Nucleolen-
substanz, aus dem wir dasjenige, was für unsere weiter fort¬
geschrittene Technik der Untersuchung von Bedeutung ist, heraus¬
heben wollen:
1. In Wasser blasst Chromatin ab, während Nucleolin stärker
lichtbrechend wird.
2. In 0,1—0,3 HCl quillt Nucleolin, nicht Chromatin, welches
stärker lichtbrechend wird.
8. ln Pepsin -J- HCl wird Chromatin ebenfalls stärker licht¬
brechend, Nucleolin quillt, wird blasser und löst sich teil¬
weise auf.
4. In Trypsin und in Alkalien ist dagegen Chromatin leicht,
Nucleolin schwerer löslich.
5. In 10 proz. Kochsalzlösung quillt Cbromatin bloss, während
sich Nucleolin zum Teil löst.
6. In 15 proz. HCl löst sich Chromatin, Nucleolin dagegen
nicht.
Dazu kamen dann noch einige tinktorielle Differenzen, von
denen die wichtigste ist:
7. Chromatin färbt sich in Methylgrün -f- Essigsäure grün,
Nucleolin nicht.
Eine andere Differenz zwischen Kern und Kernkörperchen,
welche Zacharias gegenüber der Carminfärbung auffand, dass
nämlich die Nucleolen nur von einer neutralen (ammoniak¬
löslichen), das Chromatin von einer mit Essigsäure angesäuerten
Carminlösung stark gefärbt werden, lässt sich heute bei der
allgemeinen Verschlechterung des Carmins nicht mehr gut be¬
nutzen und konnte wohl nur aus diesem Grunde von mir nicht
bestätigt werden.
Sämtliche anderen Methoden der Differenzierung, die mehr
oder weniger starke Quellung oder Lichtbrechung bei der Behand¬
lung mit Säuren, schwachen Alkalien und alkalischen Salzen
haben beute nur noch den historischen Wert, dass sie ihrer Zeit
die Lehre von Zacharias mit begründen halfen, dass das Kern¬
körperchen nicht etwa nur ein Reservestoff für den Kern, sondern
dass Kern und Kernkörperchen zwei chemisch durchaus ver¬
schiedene Organe der Zelle sind. Jene Reagentien lassen
sich wohl an frischen Pflanzenzellen anwenden, treten aber für
unser Material und die heutige Technik hinter anderen Methoden
zurück.
Das Wesentliche, was Zacharias ausserdem in bezug auf
die Kernkörperchen auffand, war ihr Eiweissgehalt. Es ver¬
dient das besonders hervorgehoben zu werden, da wir heute ge¬
wohnt sind, gegen das Vorkommen genuiner Ei weisskörper in der
Zelle sehr skeptisch zu sein. Zacharias bewies das Vorkommen
von Eiweiss zunächst durch die Abnahme des in ammoniakaliscbem
Garmin färbbaren Anteils bei der Verdauung mit Pepsin -|- HCl
und bei der Behandlung mit 10 proz. Kochsalzlösung. Er hielt
den hiernach von den Nucleolen übrigbleibenden Rest für das
Reinke’sche Plastin. Es gelang ihm dann auch, durch die vou
ihm selbst ersonnene Eiweissfärbung mit einer Folge von Ferro-
cyaokalium’ -f- Essigsäure und Eisenchlorid in den Nucleolen Ei¬
weiss in Form eines blauen Gerüstes und blauer Körnchen nach¬
zuweisen.
Endlich hat Zacharias auch das Verdienst, auf eine morpho-
logisch-tinktorielle Verschiedenheit im Kernkörperchen selbst auf¬
merksam gemacht zu haben. Er konnte in Wasser, Alkohol und
in 5 proz. Essigsäure an grösseren Kernkörperchen zwei Teile
unterscheiden, einen centralen, stärker lichtbrechenden und in
neutraler Carminlösung stärker färbbaren und einen peripheren,
schwächer lichtbrechenden und in derselben Carminlösung schwächer
färbbaren.
1) Zellsubstanz, S. 140.
,,2) Botanische Zeitung, 1882—1887.
Die schon von Tan gl (1882) bervorgehobene Tatsache, dass
die Kernkörperchen bei der Mitose in das Protoplasma aus-
gestossen werden 1 ), vertritt auch Zacharias. Um das Wieder¬
auftreten der Kernkörperchen nach der Mitose in den Tochter¬
zellen zu erklären, nimmt er an, dass die Plastingrundlage im
Kern bei der Mitose erhalten bleibt, sich ebenfalls teilt und die
Hälften sich später wieder mit Eiweiss anreichern.
Wir sind heute in der Lage, die Thesen von Zacharias
über das Kernkörperchen mittelst einer verbesserten und ein¬
facheren Technik fast alle bestätigen zu können, so die teilweise
Löslichkeit- desselben in konzentrierter Kochsalzlösung und Pepsin
+ Salzsäure sowie seine Unlöslichkeit in Wasser. Nur in einem
allerdings sehr wichtigen Punkte muss die Lehre von Zacharias
ergänzt und verbessert werden; er glaubte, die Anwesenheit von
Nuclein im Kernkörperchen ausschliessen zu können, weil alle
seine Reagentien erhebliche Unterschiede zwischen Kern und
Kernkörpereben ergaben. Für die Kernkörperchen (der tierischen
Gewebe wenigstens) müssen wir jedoch unbedingt die Anwesen¬
heit von Nuclein auch im Kernkörperchen behaupten.
Der Beweis dieses Satzes ist leicht zu führen, da wir im (ge¬
reinigten) Methylgrün ein Mittel haben, Nuclein (und Nuclein-
säure) von allen anderen Zelleiweissen sicher zu unterscheiden.
Am besten eignen sich für diese Versuche in Alkohol fixierte und
in Celloidin eingebettete spitze Condylome oder Hautcarcinome. Die
Schnitte kommen zur Beseitigung der Lipoide eine Stunde in der Warme
in ein geschlossenes Gläschen, das mit gleichen Teilen von absolutem
Alkohol und Aether gefüllt ist, sodann in die 2 proz. gereinigte
Methylgrünlösung. Die Reinigung der Methylgrünlösung muss kurz
zuvor nach Paul Mayer mit Chloroform im Scheidetrichter vorgenommen
werden, wodurch das verunreinigende, ei weissfärbende Methylviolett be¬
seitigt wird. Die gefärbten Schnitte werden in mit Essig angesäuertem,
destilliertem Wasser abgespült, in einem Gemisch von absolutem Alkohol
und Trichloressigsäure (2000: 1) rasch (ca. Va Minute) entwässert und
durch eine Mischung von Xylol und Bergamottöl zu gleichen Teilen in
Balsam gebracht. Der Trichloressigsäurezusatz beseitigt eventuell vor¬
handene letzte Reste von Methyl violett.
So behandelte Schnitte zeigen in ungefärbtem Protoplasma
dunkelgrüne Mitosen, eine ungefärbte Kerngrundsubstanz mit
grünem Cbromatingerüst und grünen Kernkörperchen. Die¬
selben sind in homogener Weise methylgrün gefärbt mit stärkerer
Färbung des Aussenrandes. Die dunkelgrün gefärbten Kerne der
Plasmazellen des Bindegewebes weisen auch grün gefärbte Nucleolen
auf, die allerdings weit schwächer gefärbt sind als die Chromatin¬
brocken dieser Kerne.
Nuclein ist aber nicht die einzige und nicht einmal die
hauptsächlichste saure Eiweisssubstanz der Kernkörperchen, was
seit der Einführung der Pappenheim-Unna-Färbung allgemein be¬
kannt ist; denn mit dieser färben sich die Kernkörperchen
bekanntlich nicht grün wie die übrige Kernsubstanz, sondern rot.
Zur Sicherung dieses wichtigen Restultats im mikrochemischen
Sinne bedarf aber auch diese Methode einiger Modifikationen;
ich nenne die so veränderte, schärfere Methode, um späteren
Unklarheiten vorzubeugen: die Nuclein-Nucleolinmethode*).
Die Celloidinschnitte von spitzem Condylom, Hautcarcinom usw.
werden erst (wie oben) sorgfältig entfettet. Die Farbmischung wird mit
vor kurzem gereinigtem Methylgrün frisch angesetzt (Methylgrün 0,15 g
+ Pyronin 0,25 g + 96 proz. Alkohol 2,5 g -f- Glycerin 25,0 g -f-
0,5 proz. Carbolwasser ad 100 g). In diese kommen die Schnitte bei
Zimmertemperatur 20—80 Minuten, werden in schwach mit Essigsäure
angesäuertem destillierten Wasser abgespült, in Aloohol. absolut, -f- Tri¬
chloressigsäure (2000:1) zugleich entfärbt und entwässert und durch
Bergamottöl + Xylol zu gleichen Teilen in Balsam gebracht. Gut ge¬
lungene Schnitte dürfen mit blossem Auge nicht gleichmässig blaurot
aussehen; sie müssen eine gemischte grünlich-rötliche Färbung zeigen.
Die so gefärbten Schnitte beweisen mit Sicherheit, dass in
den Nucleolen auch eine vom Nuclein vollständig ver¬
schiedene, saure, mit Pyronin färbbare Eiweisssubstani
vorhanden ist, und dass diese Substanz in ihnen sogar bedeutend
vorwiegt. Denn nicht nur sind die Kernkörperchen diejenigen
Elemente der Schnitte, welche am stärksten pyroninrot hervor¬
treten, beispielsweise noch stärker als das pyroninrote Grano-
plasma der Plasmazellen, sondern das Pyronin hat auch das
Methylgrün vom Kernkörperchen ferngehalten bzw. verdrängt, so
dass nicht einmal dessen stark nucleinhaltige Randpartie grün ge-
1) Denkschriften der Wiener Akademie: Mathemat.-naturwissenschaftl.
Klasse, Bd. 45.
2) Unna, Biochemie der Haut, S. 8. Jenal913t Fischer..
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12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
873
färbt ist. Die Nacleolen der Plasmazellen sind schwächer gefärbt
als die der Epithelien. Demgegenüber bilden die dunkelgrünen
Mitosen, das dunkelgrüne Chromatin der Epithelien und Plasma¬
sellen die Beweisstücke dafür, dass bei dieser Methode alles
Nuclein grün gefärbt ist, wo es nicht mit anderen sauren Eiweiss¬
körpern im Ueberschuss gemischt vorkommt wie eben in den
Kernkörperchen.
Die Nuclein-Nucleolinmethode zeigt also, dass Zacharias
mit seiner Lehre insoweit vollkommen im Recht war, als die
Kernkörperchen eine Eiweisssubstanz reichlich enthalten, die vom
Nuclein ganz verschieden ist; sie zeigt aber, dass daneben Nuclein
doch in ihnen vorkommt, wenn auch in geringerer Menge als im
Chromatin. Hätte Zacharias bereits unsere heutige Färbe¬
technik besessen, so hätte er diesen Sachverhalt ebenso leicht
feststellen können; ja, diese Erkenntnis wäre ihm sogar sympa¬
thischer gewesen, als sich aus seinen Worten so ohne weiteres
schliessen lässt. Denn, wie schon erwähnt, hat Zacharias
bereits in grösseren Kernkörperchen zwei verschiedene Substanzen
entdeckt, eine centrale und eine periphere. Die centrale Substanz
ist in Wasser und Alkohol unlöslich und stärker lichtbrechend
und ist in Kochsalzlösung vorzugsweise löslich. Diese Attribute
passen alle auf unsere pyroninophile Hauptsubstanz der Kern¬
körperchen. Die periphere dagegen ist weniger lichtbrechend in
Wasser und Alkohol und geht offenbar auf das besonders an der
Peripherie der Kernkörperchen angehäufte Nuclein. Denn im
Gegensatz zu den reinen Nucleinbildern färbt sich die Randpartie
der pyroninroten Kernkörperchen nicht stärker als die centrale;
diese Randpartie enthält also einerseits relativ mehr Nuclein,
andererseits aber nicht mehr pyroninophile Substanz als die Mitte.
Es besteht also tatsächlich eine Differenz zwischen Mitte und
Randsaum des Kernkörperchens, wie Zacharias richtig gesehen
hat, und gerade diese wird durch Ansammlung von Nuclein in
letzterem bewirkt.
Die Nuclein-Nucleolinmethode bestätigt schliesslich auch noch
die von Tangl und Zacharias aufgestellte Lehre, da«s bei der
Kernteilung die Kernkörperchen sich vom Kerne vollständig
trennen, der Mitosenbilducg fern bleiben und erst in den Tochter¬
kernen wieder auftreten. Sie ergänzt diese Lehre nur in dem
einen wichtigen Punkte, dass das Nucleolin, wenn auch getrennt
vom Kern, während der Mitosenbildung als Substanz erhalten
bleibt. Zacharias konnte mit seinen einfachen basischen Fär¬
bungen basophiles Chromatin und Nucleolin nicht unterscheiden.
Er glaubte daher, dass das Nucleolin während der Mitosenperiode
bis auf die Plastingrundlage verschwände, dass diese unfärbbar
erhalten bliebe, sich mit dem Chromatin in zwei Hälften teile
und in den Tochterkernen erst durch Speicherung von Eiweiss
wiederhergestellt und tinktoriell nachweisbar würde. Nun be¬
stätigen aber besonders die grossen Kernteilungsbilder des Car-
cinoms in vollkommen überzeugender Weise 1 ) die Ansicht von
Tangl, dass die Kernkörperchensubstanz mit normaler Färbbar¬
keit erhalten bleibt. Sie zeigen nämlich, dass entweder das
(pyroninrote) Nucleolin vor oder nach Schwund der Kernmembran
aus dem Kern in das Zellprotoplasma wandert, wobei es häufig
die (grüne) Kernfigur mit (leuchtend roten) Protuberanzen umgibt
oder sich wie eine Scheidewand zwischen die Tochterkerne schiebt
oder endlich sich in unregelmässigen Brocken im Protoplasma
verteilt. Hierbei verlieren die Kernkörpereben ihre regelmässige,
tropfenförmige Gestalt; sie existieren bei der Kernteilung nicht
mehr als solche, sondern nur noch als formlose chemische Sub¬
stanz und müssen sich demnach in den Tochterkernen wieder von
neuem bilden.
Die Kernkörperchen enthalten, wie das bisherige gezeigt hat,
zwei verschiedene saure, basophile Eiweisssubstanzen, nämlich
neben einer mässigen Menge Nuclein eine reichliche Menge von
einem sauren, pyroninophilen, mit Methylgrün nicht färbbaren,
in Wasser unlöslichen, in Salzlösungen löslichen Eiweisskörper.
Während das Nuclein, besonders durch Kossel und seine
Schüler, bereits eingehend erforscht ist, kommt von den baso¬
philen Teilen des Nucleolus für uns vor allem diese pyronino¬
phile Substanz in Betracht, deren Vorkommen und Eiweissnatur
bereits Zacharias bekannt war, deren genauere Erforschung
jedoch bislang nicht in Angriff genommen ist. Mit ihr zu be¬
ginnen, empfiehlt sich auch deshalb, weil sie gut färbbar und
leicht löslich ist; denn die Isolierung jeder Eiweisssubstanz der
1) Unna, Ueber Pseudoparasiten der Carcinome. Zeitschr. f.
Krebsforsch., 1905, Bd. 3, H. 2, Taf. 6, Fig. 59-70.
Zelle ist um so aussichtsreicher, je färbbarer und löslicher
sie ist 1 ).
Da bei der Nuclein-Nucleolinmethode ausser den Kernkörper-
chen stets auch das Granoplasma der Epithelien und Binde¬
gewebszellen, insbesondere das der Plasmazellen, pyroninrot
gefärbt wird, ist unsere nächste Aufgabe, die pyroninophile
Substanz des Nucleolus mit dem Granoplasma zu vergleichen
und ihre Identität oder Verschiedenheit festzustellen. Dieselbe
ist leicht zu lösen, da schon der Aufenthalt der Schnitte in
warmem, destilliertem Wasser alles Granoplasma aus ihnen heraus¬
löst, während das pyroninophile Nucleolin erhalten bleibt und
sogar noch stärker gefärbt als sonst hervortritt. Das Grano¬
plasma besteht, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben 1 ), aus
einer Albumose (Cytose); seine Extraktion durch Wasser ist da¬
her selbstverständlich; das pyroninophile Nucleolin ist aber, wie
dieser einfache Versuch zeigt, nicht mit dem Granoplasma iden¬
tisch und überhaupt keine Albumose. Es ist dagegen löslich in
verdünnter Kochsalz- und Ammonsulfatlösung, in verdünnten
Alkalien und alkalischen Salzen und in konzentrierten Mineral¬
säuren, unlöslich in verdünnten Mineralsäuren und konzentrierten
Neutralsalzlösungen, in 10 proz. Essigsäure, Trichloressigsäure,
Lösungen von Gerbsäure, Jodjodkalium, Jodkalium-Jodquecksilber,
Sublimat, Kupfersulfat und -acetat.
Vermöge dieser Löslicbkeitsverhältnisse schliesst sich das
pyroninophile Nucleolin eng den Globulinen an. Es sind nur
wenige Tatsachen gefunden, welche für einen Unterschied beider
Substanzen sprechen — so die Unlöslichkeit des pyroninophilen
Nncleolins in 1 proz. Trichloressigsäure, in Pepsin-Salzsäure, in
10 proz. Phosphorsäure, in Alaun (1 proz. und 1 prom.) und in
1 proz. Lösungen von MgS0 4 und ZnS0 4 .
Diese wenigen Ausnahmen, welche gegen die Zugehörigkeit
der basophilen Substanz im Kernkörperchen zu deu Globulinen
sprechen und in dem (im Oktober 1912 abgeschlossenen) Werke:
Biochemie der Haut 2 ) von mir als solche angeführt worden sind,
haben sich bei weiterer Verfolgung des Gegenstandes nicht mehr
aufrecht halten lassen. An jener Stelle wurde bereits die Ver¬
mutung geäussert, dass sie nur scheinbare Ausnahmen darstellten
und auf eine Veränderung der Kernkörperchen durch den Auf¬
enthalt in Alkohol zurückzuführen seien, ln der Tat hat seitdem
die Untersuchung an frischem Material und an Gefrier¬
schnitten gezeigt, dass die pyroninophile Substanz des Kern¬
körperchens. in den obengenannten Flüssigkeiten genau so lös¬
lich ist, wie die Globuline es sind. Es ist ja auch ganz ver¬
ständlich, dass die Einbettung in Celloidin die Löslichkeit der
Kernkörperchen, wenn sie Globuline enthalten, stark beeinflussen
muss, während sie auf den Gehalt des Protoplasmas an Cytose
wirkungslos ist, weshalb die Extraktion der ebenfalls pyronino¬
philen Cytose auch noch bei alkoholgehärtetem Material vorge¬
nommen werden kann.
Die beiden Zellteile, welche sich bei Anwendung der Nuclein-
Nucleolinmethode pyroninrot färben: die Cytose im Protoplasma
und die basophile Substanz im Kernkörperchen zeigen also gerade
den einfachsten Reagentien gegenüber die grössten Unterschiede,
entsprechend ihrer Natur als einer Albumose und einem Globulin,
ln reinem Wasser ist die Cytose löslich, das pyroninophile
Nucleolin vollkommen unlöslich. In heissem Wasser ist Cytose
noch stärker löslich als in kaltem, während das pyroninophile
Nucleolin gerinnt. Verdünnter (80 proz.) Alkohol löst Cytose,
macht jedoch das Nucleolin unlöslich. 1 proz. Kochsalzlösung
ist in der Kälte ohne Einfluss auf Cytose, löst dagegen das
pyroninophile Nucleolin. Auch die Zunahme der Löslichkeit mit
der Erwärmung im allgemeinen, die der Cytose eigen ist, fehlt
dem Globulin der Kernkörperchen.
Andererseits haben beide Eiweisskörper auch wieder manche
Aehnlichkeiten. Sie sind beide stark sauer, färben sich nur mit
basischen Farben (Metbylgrün ausgenommen) und sind in ver¬
dünnten Mineralsäuren, in verdünnter und konzentrierter Essig¬
säure und in konzentrierten Neutralsalzlösungen unlöslich.
Die verschiedenen Lösungsverhältnisse der Cytose und des
Globulins der Kernkörperchen machen es also leicht, beide von¬
einander zu trennen. Schon die Behandlung mit destilliertem
1) Genaueres über die Technik der chromolytisohen Analyse der
Eiweisskörper siehe Unna und Golodetz, Zur Chemie der Haut. X.
Ueber Granoplasma und eine allgemeine Methode zur mikrochemischen
Erforschung eiweissartiger Zellbestandteile. Dermatol. Wochenschr.,
1913, Bd. 56, S. 1.
2) Unna, Biochemie der Haut, S. 13—14. Jena 1918, Fischer.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Wasser in der Wärme entzieht den Schnitten alle Cytose und
lässt alles Globulin ungelöst zurück.
Es bleiben dann in den Kernen noch sechs wohlcharakteri¬
sierte, verschieden tingible Eiweisskörper erhalten:
1. das basophile Chromatin (Nuclein); es färbt sich bei
der Nuciein-Nucleolinfärbung grün, bei der Hämatein -f- Alaun-
Safranin-Tanninfärbung 1 ) gar nicht;
2. das oxyphile Chromatin (Flemming’s Achromatin); es
färbt sich bei der Nuciein-Nucleolinfärbung gar nicht, bei
der Hämatein Alaun-Safranin-Tanninfärbung dunkel blau¬
violett;
3. das basophile Nucleolin (Globulin); es färbt sich bei
der Nuciein-Nucleolinfärbung rot, bei der Hämatein -j- Alaun-
Safranin-Taninfärbung rot;
4. das oxyphile Nucleolin; es färbt sich bei der Nuciein-
Nucleolinfärbung gar nicht, bei der Hämatein -|- Alaun-
Safranin-Tanninfärbung blauviolett;
6. die basophile Grundsubstanz verhält sich ebenso wie
das basophile Nucleolin (3); sie kommt nur in den „sauren
Kernen“ vor;
6. die oxyphile Grundsubstanz (Plastin nach Reinke-
Zacharias); sie färbt sich bei der Nuciein-Nucleolinfärbung
gar nicht, bei der Hämatein -|- Alaun-Safranin-Tanninfärbnng
schwach grauviolett.
Auf die verschiedenen Elemente des Kerns verteilen sich
diese sechs Eiweisse folgendermaassen:
1. Das Kerngerüst besteht aus basophilem Chromatin, oxyphilem
Chromatin und Plastin.
2. Die Kernkörperchen bestehen aus basophilem
Chromatin (Nuclein), basophilem Nucleolin (G lobul in),
oxyphilem Nucleolin und Plastin.
3. Die Grundsubstanz besteht normalerweise aus oxyphiler
Grundsubstanz; nur die sauren Kerne enthalten auch basophile
Grundsubstanz (Globulin).
Die Kernkörperchen erscheinen hiernach als das komplizierteste
Gebilde im Kern; sie sind ausgezeichnet durch den Besitz zweier
saurer, grundverschiedener Eiweisskörper (Nuclein und Globulin).
Ob die in ihnen enthaltenen zwei basischen Ei weisskörper: das
in HCl löslichere oxyphile Nucleolin und die unlöslichere Plastin¬
grundlage mit den entsprechenden basischen Bestandteilen des
Kerngerüstes identisch sind, müssen zukünftige feinere Lösungs¬
und Färbungsversuche ergeben. Die bisherigen machen ihre
Identität wahrscheinlich.
Wenn wir also einen frischen Gewebsschnitt — am besten
eignen sich dazu der grossen Epithelkerne wegen Schnitte von
grosszeiligen Carcinomen 2 ) — durch Behandlung mit Wasser von
seinen wasserlöslichen Bestandteilen, speziell von Cytose befreit
haben, so behalten die Kernkörperchen alle ihre vier Eiweisse,
da diese in Wasser unlöslich sind. Mit der Nuclein - Nucleolin-
methode gefärbt zeigen die Schnitte rein pyroninrote Kern¬
körperchen, weil die rote Globulinfärbung in ihnen die grüne
Nucleinfärbung verdeckt; bei der Hämatein Alaun-Safranin-
Tanninfärbung werden die Kernkörperchen rein safraninrot und da
weder das basophile Nuclein, noch das oxyphile Nucleolin und
das oxyphile Plastin, sondern nur das basophile Globulin Safranin
annimmt, rührt die Safraninfärbung der Kernkörperchen auch nur
von ihrem Globulingehalt her.
Die drei anderen Eiweisse des Kernkörperchens (ausser dem
Globulin) kommen färberisch erst zur Geltung, wenn das Globulin
aus den Kernkörperchen herausgelöst ist. Dies ist leicht zu
erreichen.
Die Schnitte kommen 6 bis 12 Stunden in eine verdünnte
Neutralsalzlösung im Brutofen. Alle Neutralsalze erfüllen diesen
Zweck in gleicher Weise. Besonders haben sich mir die Chloride
und Acetate von K von Na bewährt. Die Verdünnung kann von
0,5 pCt. bis 6 pCt. gehen.
Da auf diese Weise nur das Globulin den Schnitten entzogen
wird, so verbleibt im Kern noch viel saure (basophile) Substanz,
nämlich ausser dem Nuclein des Kerngerüstes und der Mitosen
1) Hämatein -f Alaun-Safranin-Tanninmethode: 1. Hämatein + Alaun
10 Minuten. 2. Abspülung in Wasser. 3. Einprozentige Safraninlösung
10 Minuten. 4. Abspülen in Wasser. 5. Fünfandzwanzigprozentige,
wässerige Tanninlösung 10 bis 15 Minuten. 6. Wasser, Alkohol,
Oel, Balsam.
2) Die Carcinomstücke können vor dem Scheiden in Alkohol kurz
gehärtet werden. Aber eine Einbettung in Celloidin unterbleibt besser,
um die Lösung des Globulins nicht zu beeinträchtigen.
auch das Nuclein der Kernkörpereben. Daher ergibt an solchen,
z. B. mit 1 proz. Kochsalzlösung extrahierten Schnitten die
Nuclein - Nucleolinfärbung metbylgrüne Kernkörperchen neben
methylgrünen Kerngerüsten und Mitosen. Die Kernkörperchen
sind nicht gleichmässig grün gefärbt, sondern zeigen auch hier
einen stärker gefärbten Randsaum und schwächer gefärbtes
Centrum, da das Nuclein sich in ihnen am Rande anhäuft. Es
besteht in diesem Punkte eine gewisse Aehnlichkeit mit den ganzen
Kernen, in deren Membran sich ja auch stets etwas Nuclein an¬
gehäuft vorfindet.
Ebenso wie diese Präparate beweisen auch die extrahierten
und nach der Hämatein -f“ Alaun-Safranin-Tanninmethode gefärbten
Schnitte, dass sie kein Globulin mehr in den Kernkörperchen
enthalten. Die Kernkörperchen färben sich blauviolett wie das
Kerngerüst und die Mitosen; von allen drei Elementen werden
eben nur die oxyphilen Teile vom Hämatein gefärbt, das Safranin
findet kein Globulin mehr vor, in dem es durch Tannin fixiert
werden könnte. Freilich färbt Safran in allein in solchen
durch Salz extrahierten Schnitten noch das vorhandene Nuclein
rot; aber bei Vorfärbung mit Hämatein und Nachbehandlung mit
Tannin, wird es dem Nuclein (im Gegensatz zum Globulin) wieder
entzogen.
Nach Beseitigung des Globulius ist es unsere nächste Auf¬
gabe, den Kernkörperchen auch das zweite basophile Eiweiss, das
Nuclein, zu entziehen. Auch diese ist in sehr einfacher Weise
lösbar. Es genügen hierzu schwache Lösungen von Alkalien mit
oder ohne Trypsin. Dieselben lösen das basophile Chromatin
(Nuclein) sowohl aus dem Kerngerüst wie aus den Kernkörperchen.
Am einfachsten lässt man eine 1 proz. Sodalösung etwa 3 Stunden
im Brutofen auf die mit Kochsalz ausgezogenen Schnitte wirken.
Der tinktorielle Erfolg ist, wie vorherzusehen war, der, dass
in den so extrahierten Schnitten die Kernkörperchen weder Pyronin
noch Methylgrün mehr annehmen; sie bleiben daher bei der
Nuclein-Nucleolinmethode ganz ungefärbt. Bei der Hämatein
+ Alaun-Safranin-Tanninmethode dagegen färben sie sich ebenso,
wie vor der Sodabehandlung; die Kernkörpereben sind sogar
häufig stärker blauviolett gefärbt als vor der Extraktion. Die
oxyphilen Teile sowohl des Kerngerüstes wie des Kernkörperchens
werden durch die Sodalösung ebensowenig angegriffen, wie vorher
durch die Kochsalzlösung.
Zu diesen basischen und daher oxyphilen Eiweissen des Kern-,
körperchens wenden wir uns jetzt; sie sind noch viel weniger
erforscht wie die beiden sauren Eiweisse des Kernkörperchens,
und eigentlich ist bisher durch die Arbeiten von Zacharias nur
eine derselben bekannt geworden. Zacharias wies nämlich nach,
dass bei Verdauung mit Pepsinsalzsäure die Kernkörperchen der
Pflanzenkerne zuerst zwar an Masse abnehmen (3 :1), dass schliess¬
lich aber ein Rest der Verdauung widersteht. Diesen unverdau¬
lichen Rest erklärte er für identisch mit dem Plastin Reinke’s.
Zacharias erhielt den gleichen Rest, wenn er statt mit Pepsin-HCl
zu verdauen, die Gewebe mit einer 15 proz. HCl behandelte. Man
kann diese Platingrundlage in allen Schnitten sehr leicht und
rasch isolieren, wenn man sie (kalt) mit konzentrierter (25 proz.)
Salzsäure behandelt.
Geht man aber schonender vor, indem man die Schnitte
stufenweise erst mit 5 proz. HCl bei Zimmertemperatur und dann
erst mit 25 proz. HCl behandelt, so ergibt sich die interessante
Tatsache, dass die beiden Produkte nicht bloss in bezug auf ihre
Lösungsverhältnisse, sondern auch färberisch verschieden sind.
Beide sind basischer Natur und färben sich daher ausschliesslich
nur mit sauren (und zwar allen sauren) Farben; aber die io
5 proz. HCl unlösliche, in 25 proz. HCl leicht lösliche basische
Substanz färbt sich ausserdem noch sehr stark mit der sauren
Beizenfarbe Hämatein -{- Alaun. Diese Eigenschaft geht dem
Plastin ab und hierdurch ist ihre Anwesenheit oder Abwesenheit
in verdauten Schnitten leicht festzustellen.
Zwischen das Plastin auf der einen Seite und die sauren
Eiweisse auf der anderen schiebt sich also in allen Teilen der
Zelle noch ein leichter lösliches, basisches Eiweiss ein,
das wir vorderhand, solange seine genauere Charakteristik noch
fehlt, als oxyphile Substanz bezeichnen müssen. Genauer
müssen wir von einer Gruppe von „oxyphilen Substanzen“ reden,
da eine solche basische Einlage sowohl im Protoplasma wie im
Kern und sowohl im Kerngerüst wie im Kernkörperchen vor¬
handen ist. Es macht den Eindruck, als ob diese Einlage nötig
ist, um die so wichtigen, aber leicht löslichen sauren Zell-
8«’-stanzen (Cytose, Globulin) an die mehr indifferente, basische
Zellgrundlage zu binden. Da diese im Protoplasma bereits den
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12. Mai 1913.
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Namen Spongioplasma und im Kern den ebenso gut eingeführten
Namen Plastin trägt, so kann es keine Verwirrung herbeifuhren,
wenn wir die löslicheren oxyphilen Substanzen der Kürze halber
einfach oxyphile Substanzen nennen und daher auch im Kern¬
körperchen ausser den beiden sauren (basophilen) Eiweissen und
dem Plastin von einer sie verbindenden „oxyphilen Substanz“
reden. Dieses „oxyphile Nucleolin“ hat die Eigenschaften aller
oxyphilen Substanzen, d. h. es ist unlöslich (bei Beschränkung
auf 12 Stunden) in 5 proz. HCl, löslich in 25 proz. HCl und
speichert mit grosser Energie Hämatein -j- Alaun. Hat man
daher die sauren, basophilen Eiweisse aus den Kernkörperchen
ausgewogen, so gibt die Alaun -|- Hämateinfärbung noch sehr
scharfe Bilder derselben. Durch variierte Lösungs- und Färbungs¬
versuche lässt es sich erweisen, dass es überhaupt nur die
oxyphilen Substanzen sind, die Anlass zu den Hämatein-
bildern der Zellteile geben. Wo auch sonst diese beliebten
sogenannten Hämatoxylinfärbungen in der Zoologie, Embryologie
und Pathologie verwandt werden, sie färben in allen Zellen nur die
oxyphilen Substanzen; sie geben sehr charakteristische und chemisch
wertvolle, aber doch nur ganz einseitige Bilder der ganzen Zelle.
Diese Erörterungen über die Darstellung und die Eigenschaften
der oxyphilen Substanzen im allgemeinen waren nötig zur Wahrung
des Zusammenhanges mit der neueren Entwicklung der Zellen¬
lehre. In dem speziellen Fall des oxyphilen Nucleolins ist aber
gerade die Darstellung durch stufenweise Verstärkung der Salz¬
säure eine sehr unvollkommene. Während im Protoplasma und
im Kerne sonst die 5 proz. HCl die basophilen Substanzen überall
glatt entfernt und nur die oxyphilen Substanzen übrig lässt,
bleiben gerade im Kernkörpereben stets Globulinreste zurück, und
die letzten Reste werden erst entfernt, wenn nach längerer Zeit
auch die oxyphilen Teile angegriffen werden. Dieses beruht auf
der stark sauren Beschaffenheit des Globulins, welches die sauerste
Substanz in der Zelle darstellt.
Für die Blosslegung der oxyphilen Teile des Kernkörperchens
muss man sich daher der oben von mir soeben eingehend er¬
örterten Methode bedienen, d. h. der Stufenfolge: Wasser, Koch¬
salz, Soda, die viel sicherer und zugleich viel schonender ist.
Diese drei milden Lösungsmittel leisten successive dasselbe, was
sonst auf einmal die 5 proz. Salzsäure bewirkt. Auch sie hinter¬
lassen einen rein basischen Zellenrumpf, der nur noch aus den
oxyphilen Substanzen und der Zellengrundlage (Spongioplasma
und Plastin) besteht, nachdem sie aber vorher schon zur Gewin¬
nung von Cytose, Globulin und Nuclein in reiner Form geführt
haben. Der auf diese Weise gewonnene basische Rest kann dann
in gewohnter Weise durch konzentrierte HCl in einen löslichen
und einen unlöslichen Teil getrennt werden.
Will man das Globulin aus den Kernkörperchen in grösserer
Masse gewinnen, um die Globulinreaktionen daran im grossen
prüfen zu können, so geht man am besten auch von Mikrotom-
8chnitten des frischen durch C0 2 -Schnee vereisten Gewebes aus,
z. B. von einer frischen Niere, da Schnitte besser als Stücke
blutfrei zu machen sind. Die Menge der Schnitte muss wenigstens
ein halbes Reagiergläschen füllen. Sie verbleiben 12 Stunden
oder länger in destilliertem Wasser im Brutofen, wodurch die
Cytose und etwaige Blutreste vollkommen ausgezogen werden.
Ob dieser Punkt erreicht ist, erkennt man durch Färbung ein¬
zelner Schnitte mit der Nuclein-Nucleolinmethode; das Proto¬
plasma darf keine pyroninrote Färbung mehr aufweisen, während
die Kernkörperchen noch ihre normale rote Farbe zeigen. Die
Schnitte kommen sodann sechs weitere Stunden in eine 1 proz.
Kochsalzlösung im Brutofen. Folgendes sind die Notizen eines
derartigen Versuches:
Die von den Schnitten abfiltrierte Lösung ergab beim Aufkochen
eine starke Trübung. Dieselbe konnte nicht von Albumin, sondern nur
von Globulin herrühren, da die Schnitte ja vorher mit Wasser aus¬
gezogen waren. Eine Bestätigung ergab die Aussalzung mit Kochsalz
und Ammonsulfat. Bekanntlich wird bei neutraler Reaktion Albumin
selbst bei Ganzsättigung von Kochsalz und HalbsättiguDg von Ammon¬
sulfat nicht gefällt. Hier führten beide Neutralsalze eine stärkere
Fällung herbei. Ein Teil der Flüssigkeit wurde zur Verdunstung ge¬
bracht und mit Salpeter und Soda verbrannt. In der Asche war Phos¬
phorsäure auf keine Weise nachweisbar. Der getrocknete Rest der so
als Globulinlösung erkannten Flüssigkeit wurde in Hollundermark auf¬
gefangen und färbte sich bei Behandlung mit der Nuclein-Nucleolin-
methode im Gegensatz zum grüngefärbten Hollundermark rot 1 ).
1) Die Hollundermarkmethode findet sich beschrieben in Unna und
Golodetz, Zur Chemie der Haut, X. Ueber Granosplasma und eine
allgemeine Methode zur mikrochemischen Erforschung eiweissartiger Zell¬
bestandteile. Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, S. 16.
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Es unterliegt also keinem Zweifel, dass das eine der beiden
basophilen Eiweisse im Kernkörperchen ein Globulin ist. Da nun
jede Zelle ihren Kern und jeder Kern sein Kernkörperchen be¬
sitzt, so heisst das mit anderen Worten, dass jede Zelle ein
wenig Globulin enthält. Der im ersten Artikel dieser Serie
citierte Satz von Hoppe-Seyler aus dem Jahre 1876, dass in
allen jungen Zellen Globulin vorhanden sei, ist mithin durch die
chromolytische Methode glänzend bestätigt und auf alle Zellen
erweitert worden, und das so oft bezweifelte Vorkommen ge¬
nuiner Eiweisssubstanzen in der Zelle ist eine Tatsache.
Wir sind aber vermöge der neuen Sauerstoffreagentien in der
Erkenntnis der Kernkörperchen noch einen wesentlichen Schritt
weitergekommen; wir verstehen, weshalb jede Zelle ihr Kern¬
körperchen hat und haben muss.
Die Kernkörperchen als Ganzes sind Sauerstoff orte. Mit
Rongalitweiss I (Rongalit -j- Leukomethylenblau) gefärbt, zeigen
frische Gewebe dunkelblaue Kernkörperchen in heller blauen
Kernen. Zu solchen Versuchen eignen sich gut spitze Condylome,
von inneren Organen die Leber (z. B. der Maus), da hier relativ
nucleinarme, nucleolinreiche Kerne Vorkommen. Diese dunkel¬
blaue Färbung verdankt das Kernkörperchen seinem Gehalt an
Globulin, nicht an Nuclein. Denn wenn das Kernkörperchen
durch 1 proz. Kochsalzlösung (kalt, 12 Stunden) seines Globulin¬
gehaltes beraubt wird, sinkt die Blaufärbung des Kernkörperchens
mit Rongalitweiss 1 auf die des übrigen Kernes herab, und das
Bild der blauen Kreisfläche wandelt sich meistens in das eines
blauen Ringes, ln so extrahierten Kernen färbt sich mit Rongalit¬
weiss I nur noch das Nuclein des Kernkörperchens. Behandelt
man die Schnitte mit destilliertem Wasser statt mit Kochsalz¬
lösung, so wird aus ihnen nur die ebenfalls Sauerstoff speichernde
Cytose ausgezogen, nicht das Globulin. Demgemäss verbleibt
den Kernkörperchen auch der vom Globulin gespeicherte
Sauerstoff, und dieselben färben sich mit Rongalitweiss I
dunkelblau.
Zu demselben Resultate führt die Färbung mit Rongalitweiss II
[Rongalit -f- Leukoblau 1900] *). Diese zeigt die Anwesenheit von
einem Sauerstoffaktivator an, nicht von freiem Sauerstoff; sie
färbt die primären, nicht die sekundären Sauerstofforte. Mit¬
hin färben sich mit Rongalitweiss II Kerne und Mastzellen, aber
weder Granoplasma noch Knorpelgrundsubstanz. Da also diese
Leukofarbe im Kern nur von Nuclein gebläut wird, aber nicht
auf freien, gespeicherten Sauerstoff im Kerne reagiert, so färben
sich mit ihr die Kernkörperchen nur schwach und meistens nur
ringförmig. Diese Färbung wird natürlich auch weder durch die
Extraktion mit Wasser noch durch die mit Kochsalz modifiziert.
Sie gibt genau dieselbe Kernfärbung wie gereinigtes Methylgrün 3 ),
welches bekanntlich auch nur von Nuclein aufgenommen wird.
Wenn also in jungen, eben geteilten Kernen sich von neuem
Kernkörperchen aus einem Teil des Kerngerüstes bilden, so
sammelt sich an diesen Orten zunächst Globulin an, und dieses
speichert den vom übrigen Kerngerüst aktivierten Sauerstoff.
Der Sinn des Kernkörperchens als eines besonderen Organs der
Zelle ist also der eines Sauerstoffreservoirs für den Kern
selbst, wie das Protoplasma ein solches in der angesammelten
Cytose besitzt. Da die Bildung des Kernkörperchens eine nahezu
universelle ist, so müssen wir annehmen, dass zum regelrechten
Funktionieren auch der Kern eines Reservoirs an gespeichertem
Sauerstoff bedarf. Es ist auch wohl nicht ohne Bedeutung, dass
dieses Sauerstoffreservoir im Kern im Globulin eine haltbarere
Grundlage besitzt als das entsprechende, stark veränderliche
Sauerstoffreservoir des Protoplasmas in der albumosenartigen
Cytose.
1) Unna, Die Darstellung der Sauerstofiorte im tierischen Gewebe.
Med. Klinik, 1912, Nr. 23. Das dort empfohlene Blau 1900 der Firma
Durand & Huguenin, Basel, bat sich neuerdings nicht als ganz zuver¬
lässig erwiesen, wie die übereinstimmenden Erfahrungen iu drei ver¬
schiedenen Laboratorien ergeben haben. Als Ersatz zur Darstellung von
Rongalitweiss II ( empfehle ich in solchem Falle das Leukocoelestin
der Firma Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, welches auch bei Dr. Holl¬
born, Leipzig, vorrätig ist.
2) Unna und Golodetz, Die Bedeutung des Sauerstoffs in der
Färberei. Dermatol. Studien, Bd. 22, Kap. 1: Das Geheimnis des
Methylgrüns. Leop. Voss, Hamburg und Leipzig 1912.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Ueber die funktionelle Untersuchung des
Ohrlabyrinthes.
Von
Prof. Dr. Hilisberg.
(Vortrag, gehalten in der medizinischen Sektion der Schlesischen Gesell¬
schaft für vaterländische Kultur zu Breslau am 28. Februar 1913.)
M. H.I Rein Gebiet der Otologie hat io den letzten Jahren
so eingehende Bearbeitung gefunden, keins hat aber auch so
interessante Resultate geliefert wie die funktionelle Untersuchung
des Labyrinthes. Während es in der Hauptsache zunächst rein
praktische Fragen waren, die den Anstoss zu diesen Unter¬
suchungen gaben — vor allem die Diagnostik der Labyrinth¬
eiterungen — kam bald eine ganze Reihe von allgemein wichtigen
und interessanten Gesichtspunkten hinzu, so dass heute die Re¬
sultate dieser Forschungen auch für die Gesamtmedizin von Be¬
deutung sind.
Da die Ergebnisse dieser Arbeiten bisher in der Hauptsache
in otologischen Fachzeitschriften publiziert und deshalb der All¬
gemeinheit schwer zugänglich waren, glaube ich, Ihr Interesse
heute für eine kurze Uebersicht über dieses Gebiet in Anspruch
nehmen zu dürfen.
Bekanntlich sind im Labyrinth die Endapparate zweier ganz
verschiedener Sinnesorgane vereinigt: der des Gehörorgans in der
Schnecke und der eines mit zur Regelung des Körpergleich¬
gewichts dienenden Organs im Vorhof Bogengangsapparate.
Die funktionelle Untersuchung des Hörorganes ist Ihnen in ihren
Grundzügen wohl bereits bekannt; Sie wissen, dass wir durch den
Rinne’schen Versuch, die Feststellung der unteren und oberen Tou-
grenze, den Schwabach’schen Versuch u. a. m. meist in den Lage
sind, festzustellen, ob eine Erkrankung der Schnecke bzw. des Acusticus
vorliegt.
Ich will deshalb auf diese Fragen nicht näher eingehen und
mich auf die Untersuchung des statischen Teiles des Labyrinths
beschränken.
In der Hauptsache interessieren uns dabei die Bogengänge,
die bekanntlich halbkreisförmige Kanäle darstellen, die ungefähr
in den drei Ebenen des Raumes angeordnet sind. Die Nerven-
endorgane, die Cristae ampulläres, liegen in einer Erweiterung
des Kanals, der Ampulle. Sie bestehen aus einer Bindegewebs-
leiste, auf der mit Haaren versehene Sinneszellen liegen; diese
Haare ihrerseits sind von einer homogenen Masse, der Gupula,
eingeschlossen.
Die physiologische Reizung dieser Sinneszellen geschieht nun
dadurch, dass der flüssige Inhalt des Bogenganges, die Endo¬
lymphe, in Bewegung gerät, d. h. sich gegen die Bogengangs¬
wand und damit auch gegen die Cupula vorschiebt. Diese wird
dadurch verbogen, und diese Biegung oder Zerrung bildet offen¬
bar den adäquaten Reiz für die Sinneszellen.
Physiologisch kommt diese reizauslösende Liquorströmung
dadurch zstande, dass zu Beginn einer Drehung des Kopfes die
Flüssigkeit infolge des Trägheitsgesetzes zurückbleibt, nach Be¬
endigung sich weiterbewegt. Das lässt sich sehr schön an
diesem Modell beobachten. (Demonstration.)
Diese Vorgänge, die sich natürlich beim Menschen nicht direkt
sichtbar machen lassen, sind durch Physiologen, vor allem Flourens,
Breuer und Ewald durch Tierexperimente bis in die feinsten Details
studiert wordeu. Dabei wurde nun festgestellt, dass durch eine be¬
stimmte Strömung der Endolymphe stets und ganz gesetzmässig be¬
stimmte Augenbewegungen ausgelöst werden. So z. B. sehen wir bei
einer Bewegung des Liquor im rechten horizontalen Bogengang zur
Ampulle hin (also ampullopetal), dass beim narkotisierten Tier beide
Bulbi nach links abweichen, also nach der nicht gereizten Seite, und
dort stehen bleiben, solange der Reiz andauert. Beim wachen Tier
tritt dagegen im Moment der Reizung Nystagmus auf, und zwar nach
der gereizten Seite hin.
Die nystagmusartigen Zuckungen der Bulbi lassen stets zwei Kom¬
ponenten unterscheiden: eine langsame, die in ihrer Richtung der beim
narkotisierten Tier beschriebenen Deviation entspricht, und eine schnelle,
die ihr entgegengesetzt ist. Da letztere die auffälligere ist, wird die
Richtung des Nystagmus nach ihr benannt, d. h. wir sprechen von
Nystagmus nach rechts, wenn die schnelle Komponente nach rechts
gerichtet ist.
Eiu weiteres charakteristisches Merkmal dieses Nystagmus
besteht darin, dass er bei Blick in der Richtung der schnellen
Komponente stärker, bei Blick nach der anderen Richtung
schwächer wird oder verschwindet. 1 Wir lassen deshalb, wenn
wir auf Nystagmus nach rechts fahnden, den Patienten stets nach
rechts sehen.
Diese Augenbewegungen sind auch beim Menschen in gleich
gesetzmässiger Weise mit den Liquorbewegungen verknüpft, auch
beim Menschen sehen wir bei Reizung in Narkose oder bei Be¬
wusstseinsstörung Deviation der Bulbi, am nicht narkotisierten
Nystagmus. Auf der .Beobachtung dieses Nystagmus unter be¬
stimmten Verhältnissen beruhen unsere ganzen modernen Unter¬
suchungsmethoden, auf der Arbeit der Physiologen basiert die
der Otologen.
Bei den ersten Versuchen ging man davon aus, dass man
die Liquorströmung in den Bogengängen auf physiologische
Weise, also durch aktive oder passive Drehung des Kopfes oder
des ganzen Menschen, auslöste. Am zweckmässigsten bedient
man sich dabei eines Drehstuhles, wie Sie ihn hier sehen.
(Demonstration.)
Dieser Weg hat sich in der Tat auch als gangbar erwiesen,
und es gelingt mit dieser Methode häufig, Defekte in der Funktion
des ganzen Bogengangssystems oder einzelner Bogengänge auf
einer oder auf beiden Seiten nachzuweisen.
Ich kann Ihnen das am besten an einem konkreten Beispiel
klar machen.
Wenn wir einen Menschen bei aufrechter Kopfstellung um seine
Längsachse drehen, dann liegen die beiden horizontalen Bogengänge
annähernd horizontal, sie werden also sehr stark erregt, während in den
beiden anderen Bogengängen, die vertikal stehen, kaum eine Flüssigkeits¬
bewegung stattfinden wird.
Bei Beginn der Drehung bleibt in beiden horizontalen Bogengängen
die Flüssigkeit zurück. Es entsteht also, da bei beiden die Ampulle
vorne liegt, im rechten eine Strömung zur Ampulle hin, also eine
ampullopetale, im linken eine von der Ampulle fort, also am pul lo-
fugal.
Nun löst, wie Ewald nachgewiesen hat, eine ampullopetale Störung
Nystagmus in der Richtung nach der gereizten Seite aus, eine ampullo-
fugale Nystagmus in der Richtung nach der anderen Seite. In unserem
Fall also erzeugt die Drehung im rechten horizontalen Bogengang
Nystagmus nach rechts, die im linken ebenfalls; beide Reize wirken im
gleichen Sinne, es resultierte Nystagmus nach rechts.
Nach Auf hören der Drehung entsteht, wie ich bereits er¬
wähnte, eine Liquorströmung im umgekehrten Sinne, die selbst¬
verständlich auch Nystagmus im umgekehrten Sinne erzeugt, den
sogenannten Nachnystagmus. Da dieser aus praktischen
Gründen sich viel leichter beobachten lässt als der Nystagmus
während der Drehung, ihm im übrigen völlig gleichwertig ist,
wird er von uns aus Bequemlichkeitsrücksichten fast ausschliess¬
lich verwertet.
Zu erwähnen ist nun endlich noch, dass nach einer bestimmten
Anzahl von Drehungen der Nystagmus in der Regel eine bestimmte
Dauer hat. So dauert er nach 10 Drehungen um die Vertikalachse meist
20—40 Sekunden.
Was geschieht nun bei Rechtsdrehung, wenn der horizontale
Bogengang einer Seite, sagen wir z. B. der der rechten,
funktionsunfähig ist?
Es wird dann nur noch das linke Labyrinth, in dem die ampullo-
fugale Strömung entsteht, gereizt. Nun wissen wir aber durch die
klassischen Plombierungsversuche Ewald’s, dass die ampullofugale
Strömung nur einen halb so starken Reiz ausübt als die ampullopetale.
Dementsprechend ist auch der den Augenmuskeln zugeleitete Reiz nur
halb so stark, und der Nystagmus dauert bei dieser Versuchsanordnung
erheblich kürzere Zeit, etwa ö—15 Sekunden. Bei Drehung nach links
dagegen entsteht im noch erhaltenen linken Bogengang die stärker
wirkende ampullopetale Strömung, der Nystagmus ist demnach auch
von normaler Dauer. Sie sehen demnach, dass wir aus dieser Differenz
in der Nystagmusdauer bei Rechts- und Linksdrehung ohne weiteres die
Ausschaltung des eine Bogenganges schliessen können. <
Nun können wir aber durch Veränderung der Kopfhaltung
auch die anderen Bogengänge in die für die Reizung durch
Vertikaldrehung günstige horizontale Lage bringen, wir können
also auch diese einzeln untersuchen.
Die Dreh versuche haben, so interessante Resultate sie liefern,
einen Nachteil: es wurden stets beide Labyrinthe gleichzeitig
gereizt, und da einige Zeit nach der Zerstörung eines Labyrinthes
häufig eine anscheinend central bedingte Kompensation eintritt,
werden die Resultate verwischt; nach einer gewissen Zeit können
wir deshalb vermittels der Drehung die Zerstörung eines Laby¬
rinthes oft nicht mehr nachweisen.
Es war deshalb, speziell für die otologische Praxis, von
grösster Bedeutung, dass Bäräny vor sieben Jahren eine Methode
angab, die die Reizung jedes Labyrinthes qllein gestattete. Sie
hat sich seitdem als „calorische Reizung u allgemein eingeführt
und bewährt. ^
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Es war schon früher wiederholt Physiologen nnd Otologen aufge¬
fallen, dass bei Ausspülung des Gehörganges mit kaltem Wasser bzw.
bei Belastungsversuchen am Trommelfell mit Wasser oft Schwindel,
manohmal auch Uebelkeit und Erbrechen auftreten. Ueber die Ursachen
war man sich aber nicht recht klar, man dachte an einen abnormen
Druck, abnorme Reizbarkeit des betreffenden Individuums oder ähn¬
liches.
Bdräny konnte nun aber einwandsfrei feststellen, dass Labyrinth¬
reizerscheinungen, vor allem aber Nystagmus — und das macht gerade
die Methode so wertvoll — sich stets gesetzmässig bei jedem Individuum
mit normalem Labyrinth hervorrufen lassen, sobald man das Trommel¬
fell bzw. die mediale Paukenhöhlenwand, die ja zugleich die laterale
Labyrinthwand ist, entweder abkühlt oder erwärmt. Als einfachstes
Mittel zur Auslösung dieses „calorischen Nystagmus“ wird in der
praktischen Otologie fast allgemein Ausspülung mit Wasser angewandt,
dessen Temperatur höher oder niedriger ist als die des Körpers; doch
lässt sich derselbe Effekt auch durch Einblasen von kalter Luft, Ein¬
führung kalter Gegenstände ins Ohr oder ähnliche Manipulationen er¬
reichen.
Bärany gab nun auch gleich bei seiner ersten Publikation
eine Erklärung des Phänomens, die heute fast allgemein anerkannt
nnd wohl zweifellos auch richtig ist.
Da die die Labyrinthhohlräume vom Mittelohr trennende Knoohen-
schicht an verschiedenen Stellen von sehr verschiedener Dicke ist, muss
dort, wo sie am dünnsten ist, zuerst eine Abkühlung der Endolymphe
stattfinden. Dadurch wird, das bedarf wohl keiner weiteren Erörterung,
ein Endolymphstrom erzeugt, da sich die kühleren Endolymphteile senken,
die wärmeren in die Böhe steigen. Es entsteht also ein Endolymph¬
strom in bestimmter Richtung, ebenso wie bei der Drehung, die selbst¬
verständlich auch genau so auf die Gupula wirkt.
Da nach der anatomischen Konfiguration der horizontale und der
obere Bogengang der Paukenhöhlenwand am nächsten liegen, kommen
diese für die calorische Reizung am meisten in Betracht, und zwar lässt
sich durch Veränderung der Kopfhaltung bald der eine, bald der andere
in die für die Erzeugung des Temperaturgefälles günstigste Stellung,
die „Optimumstellung“, bringen. Da der Zusammenhang zwischen
Richtung der Endolymphströmung und Nystagmus selbstverständlich
ebenso gesetzmässig ist, wie der bei der rotatorischen Prüfung, kann ich
mich hier auf das früher Gesagte beziehen.
Um nur ein Beispiel anzuführen, so entsteht bei Kaltwasser¬
spülung des rechten Ohres rotatorischer Nystagmus nach links, bei
Warmwasserspülung, bei der das Temperaturgefälle ja umgekehrt sein
muss, Nystagmus nach reohts.
Durch Veränderung der Kopfstellung lässt sich auch die Richtung
des Nystagmus gesetzmässig beeinflussen.
Ich will Sie aber nicht mit der Anführung weiterer Details
ermüden und verwirren, m. H., und nur noch so viel sagen, dass
wir durch die Prüfung des calorischen Nystagmus fast ausnahms¬
los imstande sind, festznstellen, ob der horizontale und der obere
Bogengang einer Seite überhaupt erregbar ist.
Nun wäre es sehr wünschenswert, wenn wir auch über den
Grad der Erregbarkeit Aufschluss erhalten könnten, da Beob¬
achtungen an pathologischen Fällen die Annahme nahe legen,
dass die Erregbarkeit gesteigert oder herabgesetzt sein kann.
Man hat versucht sich darüber Klarheit zu verschaffen, indem man
entweder feststellte, wie lange der Nystagmus nach Beginn der Erre¬
gung andauerte, oder indem man die Menge des Wassers und damit die
angewandte Kälte- bzw. Wärmemenge maass, die zur Auslösung des
Nystagmus verbraucht wurde. Für letztere Zwecke hat Brünings einen
sehr handlichen Apparat konstruiert (Otocalorimeter), der anscheinend
praktisch brauchbare Resultate liefert. (Demonstration.)
Physiologisch interessaut und praktisch richtig ist ferner ein
anderes Experiment, das uns über das Vorhandensein von Fisteln
in der Labyrinthwand, wie sie bei Mittelohreiterungen nicht selten
sind, Aufschluss gibt. Komprimiert man mittelst eines Gummi¬
ballons die Luft im. Gehörgang, so wird die Drucksteigerung
durch die Fistel auf die Endolymphen übertragen und dadurch
eine stossartige Endolymphbewegung erzeugt.
Auch hier wieder sehen wir typische Augenbewegungen, und swar
eine langsame Abweichung der Bulbi bald nach der gereizten, bald
nach der anderen Seite, in einzelnen Fällen auch Nystagmus.
Dass sich die Richtung der Augenbewegung im einzelnen Falle nicht
vorher berechnen lässt, wie bei der calorischen oder rotatorischen Prüfung,
liegt wohl daran, dass die Richtung der Endolymphbewegung (ob ampullo-
fugal oder ampullopetal) von der uns ja unbekannten Lage der Fistel
und vielleicht auch von Veränderungen im Lumen des Bogenganges ab¬
hängig ist
Das Phänomen, meist als „Fistelsymptom“ bezeichnet, ist
vor allem für die Indikationsstellung für Operationen wichtig.
Praktisch weniger wichtig ist zurzeit noch die galvanische
Untersuchung des Labyrinths, und das ist auch der Grund dafür,
dass ich diese historisch ältere Untersuchungsmethode erst jetzt
erwähne.
Wir sind über Angriffspunkt (Nerv oder Labyrinth?) und
Wirkungsweise des galvanischen Reizes noch zu wenig orientiert,
um gerade für die praktisch uns am meisten interessierenden
Fragen exakte Schlüsse ziehen zu können.
Ich will deshalb auf die Schilderung der an sich sehr inter¬
essanten Fragen verzichten, um den Rest der Zeit noch auf eine
andere Frage zu verwenden, die neuerdings mit viel Erfolg be¬
arbeitet wird: die Reaktionsbewegungen des Körpers oder ein¬
zelner Muskelgruppen bei Labyrinthreizung.
Bekannt ist ja, dass bei stärkerer Labyrinthreizung neben
den eben besprochenen Erscheinungen noch weitere auftreten:
subjektiv Schwindel, oft Uebelkeit, objektiv Gleichgewichts¬
störungen, eventuell Erbrechen.
Diese Gleichgewichtsstörungen, die ja schon durch die
klassischen Versuche von Flourens bekannt waren, und die
früher fast die einzigen bekannten Symptome der Labyrinth¬
erkrankungen bildeten, sind höchst wahrscheinlich auf eine Störung
des von den beiden Labyrinthen der Körpermuskulatur zuge¬
leiteten Tonus zurückzuführen.
Vor der Einführung der vorhin geschilderten Untersuchungs¬
methoden versuchte man, mit ihrer Hilfe Störungen im Bereich
der Labyrinthfunktion festzustellen, und ich konnte Ihnen vor
einigen Jahren an dieser Stelle an Patienten zeigen, dass in der
Tat nach einseitiger oder doppelseitiger Labyrinthzerstörung auch
nach dem Abklingen der stürmischen Gleichgewichtsstörungen,
die den Einbruch des Eiters im Labyrinth regelmässig begleiten,
noch Defekte vorhanden sind. Auch dann, wenn die Patienten
sich unter den Bedingungen des täglichen Lebens wieder an¬
scheinend normal bewegen, lässt sich noch feststellen, dass bei
Ausführung komplizierterer Uebungen, z. B. Hüpfen mit ge¬
schlossenen Augen, Koordinationsstörungen vorhanden sind. Das
wurde von v. Stein in Moskau und von Krotoschiner in meiner
Klinik einwandfrei bewiesen.
Da die Ergebnisse dieser Prüfungen jedoch an Exaktheit weit
hinter denen der calorischen Reizung Zurückbleiben, wurden sie
zu deren Gunsten allgemein verlassen.
Dafür haben wir aber gelernt, diese Störungen des Muskel¬
tonus in anderer Richtung diagnostisch zu verwerten. Man fand
nämlich, dass bei einigermaassen starker Reizung eines Labyrinthes
Fallbewegungen auftreten, nnd dass die Fallbewegung ganz ge¬
setzmässig in einer Richtung erfolgt, die der des gleichzeitig er¬
zeugten Nystagmus entgegengesetzt ist.
Diese Beziehung zwischen Richtung des Nystagmus und Kopf¬
stellung ist so konstant, dass wir, wenn sie nicht vorhanden ist,
wenn z. B. bei Nystagmus nach links bei aufrechter Kopfstellung
Fall nach links eintritt, mit Bestimmtheit sagen können, dass die
Fallbewegung nicht vestibulär ausgelöst ist, sondern dass es sich
entweder um eine cerebellare Erkrankung oder um Hysterie,
vielleicht auch um traumatische Neurose handelt.
Ausserdem können wir aber auch, wie Baräny gezeigt hat,
nachweisen, dass durch die Labyrinthreizung in den einzelnen
Extremitäten deutliche und gesetzmässige Koordinationsstörungen
auftreten. Am besten lässt sich das am sogenannten „Zeigever¬
such“ demonstrieren.
Der zu Prüfende wird aufgefordert, z. B. bei ausgestrecktem
Arm mit seinen Fingerspitzen die des Untersuchers zu berühren,
dann den Arm zu senken und die Fingerspitzen des Untersuchers
wieder zu berühren.
Der Normale bringt das mit offenen und geschlossenen Augen
prompt fertig. Wenn man nun aber den Versuch wiederholt,
nachdem man experimentell Nystagmus erzeugt hat, tritt regel¬
mässig eine Abweichung des Armes in der dem Nystagmus ent¬
gegengesetzten Richtung ein, der Patient „zeigt vorbei“.
Ein Ausbleiben der Zeigereaktion bei normalem Nystag¬
mus beweist eine Störung im Cerebellum oder eventuell im
Acusticus.
Ich kann auf die Erklärung der Erscheinung und auf weitere Details
nicht mehr eingehen, möchte nur noch erwähnen, dass sich der Versuch
vor allem für die Diagnostik der Kleinhirnerkrankungen als eminent
wichtig erwiesen hat
M. H.! Ich bin am Schluss meiner theoretischen Aus¬
führungen und möchte mir nur noch erlauben, Ihnen die ge¬
schilderten Versuche zum Teil wenigstens zu demonstrieren, so
weit das in einer grösseren Corona möglich ist.
Zur Demonstration habe ich ausser einen normalen jungen
Mann Fälle gewählt, die Ihnen interessante pathologische Verhält¬
nisse zeigen.
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UNIVERSUM OF IOWA
878
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Bei diesem Patienten hier ist das Fistelsymptom ausser¬
ordentlich leicht auszulösen. Es ist das dadurch zu erklären,
dass durch ein Cholesteatom anscheinend die Kuppe des horizon¬
talen Bogengangs abgeschliffen wurde, so dass das Endost des
Bogengangs freiliegt, ohne dass aber das Labyrinth selbst er¬
krankt ist. Ebenso wie durch die Luftverdichtung lässt sich
durch Berührung der Bogengangsgegend mit einer Sonde leicht
Schwindel auslösen.
Bei dem zweiten Patienten lässt sich durch die geschilderten
Untersuchungsmethoden einwandfrei feststellen, dass der Vesti-
bnlarapparat auf beiden Seiten vollständig gelähmt ist; auf der
einen Seite ist auch die Hörfunktion stark herabgesetzt, während
sie auf der anderen fast normal erhalten ist.
Da bei dem Patienten nicht nur die rotatorische und calo¬
rische, sondern auch die galvanische Erregbarkeit vollkommen
geschwunden ist, möchte ich annehmen, dass es sich nicht nur
um eine Erkrankung des Labyrinthes, sondern mehr um patho¬
logische Vorgänge in den Nerven bzw. in ihren Kernen handelt.
Die Ursache ist vielleicht ein Trauma. Ohne die exakte Vesti-
bularuntersuchung würde Patient leicht in den Verdacht der Simu¬
lation gekommen sein.
Bei dem dritten Patienten endlich sind dauernd auffallende
Erscheinungen beim Zeigeversuch vorhanden: er zeigt dauernd
nach aussen bzw. nach oben vorbei.
Wir haben diese Erscheinungen ganz zufällig gefunden, und
eine Erklärung dafür hat die neurologische Untersuchung nicht
ergeben. Dafür, dass es sich wahrscheinlich nicht um rein
funktionelle Störungen handelt, spricht der Umstand, dass sich
das Vorbeizeigen nicht durch die Erzeugung von Nystagmus be¬
einflussen lässt, wie das sonst fast stets der Fall ist.
Zur Aetiologie der Gefässerkrankungen beim
Diabetes.
Von
Dr. E. Aron,
Leitender Arzt am Krankenhause der jüdischen Gemeinde zu Berlin.
(Vortrag, gehalten am 19. Febröar 1913 iu der Berliner medizinischen
Gesellschaft.)
Es ist eine heutzutage wohl ziemlich allgemein anerkannte
und in ihrer praktischen Bedeutung vollkommen gewürdigte Be¬
obachtung, dass wir beim Diabetes mellitus einen auffallend hohen
Prozentsatz von Gefässerkrankungen arteriosklerotischer Natur
finden. Früher hat man nicht stets diese Anschauung geteilt.
So schreibt Senator 18790: »Herz und Gefässe bieten gar keine
charakteristischen und durch ihre Häufigkeit bei Diabetes auf¬
fallenden Befunde.“ Ferner: „Die Arterien hat man öfter athero-
matös gefunden, indes keineswegs auffallend oft, ja Dickinson
hält die Atheromasie für selten bei Diabetes“. Seitdem man je¬
doch intensiver auf diesen Zusammenhang besonders bei grösserem
Materiale geachtet hat, hat man sich davon überzeugt, dass beim
Diabetes in der Tat auffallend häufig Atheromatose vorkommt.
Grube fand, um eine bekannte Statistik hier aufzuführen, unter
177 Fällen von Diabetes 66 mal Arteriosklerose, also in etwa 37 pCt.
der Fälle. Auch v. Noorden 1 2 * * * * ) gibt bei seinem sehr grossen Material
in 40 pCt. seiner Diabetiker arteriosklerotische Gefässverände-
rungen an. Man hat diese Erfahrung als eine Tatsache hinge¬
nommen, aber trotz vielfacher Ueberlegungen recht wenig darüber
herausbekommen, warum die Arteriosklerose so überraschend oft
in dem Krankheitsbilde des Diabetes in die Erscheinung tritt.
Die bekannten Monographien über den Diabetes, soweit ich sie
eingesehen habe, wissen über die Ursache der häufigen Gefäss-
veränderungen bei der Zuckerkrankheit uns keine befriedigende
Erklärung zu geben. Einer unserer besten Kenner und Forscher
über Diabetes, Naunyn 8 ), sagt: »Welches der Zusammen¬
hang zwischen der Arteriosklerose und dem Diabetes
sei, ist nicht zu entscheiden. Es ist möglich, dass er durch
1) Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie von Ziemssen,
1879, 1. Hälfte, Bd. 13, 3- 415.
2) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. 1912,
S. 199.
8) Der Diabetes mellitus, Wien 1900. Nothnagel, Spezielle
Pathologie Und Therapie, 1. Hälfte, Bd. 7, S. 84. Im Original nicht ge¬
sperrt gedruckt.
die Lebererkrankung (Herzfehlerleber und Girrbose) vermittelt
wird, vielleicht aber macht die Arteriosklerose der Pankreas¬
arterien, welche von Fleiner u. a. naebgewiesen ist, eine
Funktionsstörung dieses für den Diabetes in erster Linie wichtigen
Organes.“ Dass Lebererkrankungen, besonders cirrhotische Vor¬
gänge, in vereinzelten Fällen bei Diabetes auch die Ursache
der Gefässerkrankungen sind, soll nicht bestritten werden. Der¬
artige Erkrankungen finden sich jedoch viel zu selten, als
dass wir hierin nun etwa eine Erklärung für das häufige Vor¬
kommen von Gefässveränderungen bei der Zuckerharnruhr sehen
könnten.
Fleiner'und G. Hoppe-Seyler haben dann auf die Syphilis
als ätiologischen Faktor hingewiesen, welche bekanntlich oft genug
Erkrankungen der Gefässe verursacht, ln vereinzelten Fällen
mag ja die Syphilis als Entstehungsursache des Diabetes und der
Gefässveränderungen zu betrachten sein. Vielleicht werden uns
hier systematische Untersuchungen über den Ausfall der Wasser-
mann’schen Reaktion beim Diabetes weiter aufklären. Es ist je¬
doch nicht anzunehmen, dass die Syphilis eine so häufige Ursache
der Zuckerkrankheit ist, dass wir nun dadurch gleichfalls die
häufige Entwicklung von Gefässerkrankungen plausibel machen
könnten. Wir werden uns daher wohl nach einer anderen Ur¬
sache umsehen müssen, wenn wir in ungezwungener Weise das
häufige Zusammentreffen von Diabetes und Arteriosklerose er¬
härten wollen. Es ist vielleicht nicht überflüssig, darauf be¬
sonders hinzuweisen, dass wir bei unserer Betrachtung nur die
Fälle von Diabetes im Auge haben, bei denen der Diabetes die
primäre Erkrankung ist, und die GefässVeränderung erst im Ver¬
laufe der Zuckerkrankheit eintritt. Andererseits ist bekannt
genug, dass es Fälle von Arteriosklerose gibt, welche später zum
Diabetes führen. Das sind aber ganz andere Fälle. Sie treten vor¬
wiegend erst im späteren Lebensalter auf und betreffen meist hagere
Leute. Bei ihnen ist die diabetische Erkrankung die mehr neben¬
sächliche. ln diesen Fällen mag ja häufiger eine arteriosklero¬
tische Erkrankung der Pankreasarterien von Bedeutung sein.
In folgendem will ich es versuchen, eine, wie mir scheint,
recht einfache und ungekünstelte Theorie zu entwickeln, welche
das häufige Auftreten von Arteriosklerose bei Diabetes in voll
kommenster Weise erklärt. Zuvor muss ich jedoch in aller Kürze
auf eine der wichtigsten, bekannten Ursachen für das Entstehen
der Arteriosklerose überhaupt eingehen. Unter diesen Ursachen,
deren es sehr viele gibt, spielt eine sehr wichtige Rolle ein
mechanisches Moment, das in der häufigen Ueberfüllung des
Blutgefässsystems besteht. Dieses Moment trifft ganz besonders
häufig bei allen starken Trinkern und Essern zu. Besonders führen
starke Biertrinker ihrem Körper oft dauernd und regelmässig sehr
grosse Mengen von Flüssigkeit gewohnheitsmässig zu. Diese Zu¬
fuhr von grossen Flüssigkeitsmengen bedeutet für den Körper
und insbesondere für das Blutgefässsystem eine ausserordentliche,
schädigende Belastung, welche auf die Dauer selbst ein noch so
gesundes Circulationssystem oft nicht ungestraft aushalten wird.
Auf diesen causalen Zusammenhang, besonders für das Herz,
haben vor längerer Zeit Bauer und Bollinger die Aufmerk¬
samkeit gelenkt. Wenn auch bei chronischen Biertrinkern
neben der oft exorbitanten Flüssigkeitsmenge, welche chronisch
Tag für Tag für Jahre und Jahrzehnte dem Körper zugeführt
wird, noch andere Schädlichkeiten mitsprechen und die Blut¬
gefässe schädigen, besonders der Alkohol und sehr oft
gleichzeitig Nikotin, so ist doch wohl allgemein anerkannt,
dass schon allein eine chronische Ueberlastung des Kreis¬
laufes durch Zufuhr übergrosser, mehr indifferenter Flüssigkeits-
mengen, ohne dass diese andere Schädlichkeiten zu enthalten
brauchen, für die Girculationsorgane oft verhängnisvoll wird.
Wir betrachten eine derartige, chronische Ueberlastung des Gefäss-
systems als eine der häufigsten Ursachen der Arteriosklerose. Wir
werden im folgenden auf diese Aetiologie der Arteriosklerose
noch des öfteren zurückzukommen haben. Ein anderes, ebenso
anerkanntes Moment in der Aetiologie der arteriosklerotischen
Gefässerkrankung ist die übermässige Aufnahme fester Nahrung,
wie sie bei üppiger Lebensweise oft genug vorkommt. Audi
hierbei kommt es zu einer Ueberlastung des Blutgefässsystems,
und diese Ueberlastung schädigt die Arterien. Kombinieren sich
beide Dinge, die chronische Zufuhr übermässiger, flüssiger und
fester Nahrungsmittel, so werden die Konsequenzen an den Ge-
fässen sich um so früher und intensiver fühlbar machen. Diese
beiden Dinge sind es, welche nach meinem Dafürhalten vor
allem mit dafür verantwortlich zu machen sind, dass wir beim
Diabeteb sö häufig arteriosklerotische Veränderungen an den
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
879
Arterien finden. Aach beim Diabetes wird bekanntlich im all¬
gemeinen übermässig stark getrunken und gegessen. Oft wirken
diese Momente hier Jahre und Jahrzehnte ein und werden selbst¬
redend das Gefässsystem dauernd fiberfüllen und überlasten. Wie
stark diese Ueberlastung ist, darüber geben uns einige wenige
Zahlen einen ungefähren Anhalt.
Die Harnmenge beim Diabetiker beträgt nach v. Noorden (S.125)
bei mittelschweren Fällen 5—6 Liter; oft steigt sie auf 10 Liter und
erreicht in seltenen Fällen sogar Werte von 20 Litern 1 ). Dass bei
der Zufuhr von ähnlichen Flüssigkeitsmengen, wenn sie lange
oder gar dauernd fortgesetzt wird, eine deletäre Ueberlastung des
Arteriensystems zustande kommen muss, ist ja wohl recht plau¬
sibel. Diese Ueberbürdung des Gefässsystems wird um so
markanter sein müssen, da beim Zuckerkranken bekanntlich die
Haut meist wenig zum Schwitzen neigt. Die meisten Diabetiker
haben eine auffällig trockene Haut. Auch die Perspiratio in-
sibilis ist bei den Zuckerkranken nachgewiesenerweise im allge¬
meinen herabgesetzt. Diese beiden Dinge werden sicher im un¬
günstigen Sinne auf das Blutgefässsystem einwirken müssen. Sie
werden eine Ueberlastung des Gefässsystems direkt fördern und
unterstützen. Andererseits wissen wir zur Genüge, dass auch die
Aufnahme fester Nahrung beim Diabetiker sehr oft stark ge¬
steigert ist. So erwähnt Külz 2 ) einen Patienten, welcher täglich
5—6 kg Fleisch verzehrte. Diese Zufuhr übergrosser fester
Nahrungsmengen wird natürlich in ähnlicher Weise auf das Gefäss¬
system einwirken, wie wir dies auch sonst bei starken Essern
schon erwähnt haben. Dass die Aufnahme der flüssigen und
festen Nahrungsmengen bei den Zuckerkranken eine gesteigerte
ist, ist eine so bekannte Beobachtung, dass selbst Laien diese
Tatsache kennen. Wenn wir also rekapitulieren, so finden
wir beim Diabetiker zwei Momente in ganz hervorragender Weise
zutreffend, die chronische Zufuhr grosser Mengen von Flüssigkeit
und fester Nahrung, zwei Dinge, welche wir ganz besonders als
häufige Faktoren für das Zustandekommen arteriosklerotischer
Prozesse an den Gefässen kennen gelernt haben. Dafür, dass
dieser Zusammenhang begründet ist, spricht auch die Beobachtung
v. Noorden’s 8 ), dass „hochgradige Entwicklung der Arterio¬
sklerose sich häufiger bei fettleibigen Diabetikern findet als bei
mageren“. Sehr erwünscht wären nach meinem Dafürhalten
systematische Blutdruckmessungen bei Diabetikern. Allerdings
müssten diese Untersuchungen an einer grossen Anzahl von
Diabetikern der Privatpraxis ausgeführt werden und nicht
etwa im Krankenhause, wo wir ja gewöhnlich Diabetiker
im 2. Stadium antreffen. Bei den decrepiden Kranken des
2. Stadiums würden sie gar nichts beweisen. Blutdruckbestim¬
mungen beim Diabetiker scheinen bisher nur wenig ausgeführt zu
sein; einige sprechen dafür, dass der Blutdruck bei Diabetikern
gesteigert sei. So fand v. Noorden (S. 111) bei längerdauerndem
Diabetes oft Blutdrucksteigerung und Arteriosklerose auch ohne
Nephritis. Dass die Ueberfüllung des Kreislaufes und die
supponierte Blutdrucksteigerung beim Diabetes vermisst werden
wird, wenn keine gesteigerte Nahrungsaufnahme stattfindet, oder
wenn bei Regulierung der Diät diese künstlich herabgesetzt
worden ist, das dürfte nur logisch sein. Auch bei körperlich
herabgekommenen, schlecht ernährten Kranken wird man ja auch
sonst wohl keine Blutdrucksteigerung erwarten dürfen.
Wenn wir bei einer grossen Anzahl der Diabetiker infolge
der gesteigerten Zufuhr der Nahrungsmittel eine chronische Ueber¬
füllung des Kreislaufes, welche die Arterien zu schädigen imstande
ist, annehmen dürfen, so werden wir erwarten müssen, dass diese
Schädlichkeit auch auf das Centralorgan, auf das Herz einwirken
muss. Diese Ueberlastung des Blutgefässsystems ex ingestis wird zu
einer Ueberdehnung und Hypertrophie des linken Herzens führen
müssen. Man bat auch in der Tat bei den Autopsien von Zucker¬
kranken nicht selten Herzhypertrophien aufgefunden. So sah
0. Israel in 10 pCt., J. Mayer in 13 pCt. und Saundby in
13 pCt. der secierten Diabetiker Hypertrophie des linken Ventrikels.
Da jedoch gleichzeitig meist Nierenveränderungen (Nierenhyper¬
trophie) vorhanden waren, so wurde im allgemeinen die Herz¬
hypertrophie hiermit in Zusammenhang gebracht. Israel, der
1) Es erscheint mir recht verführerisch zu sein, viele Leber- und
Nierenerkrankungen, welche im Verlaufe des Diabetes auftreten, mit
dieser Ueberanstrengung der Nieren und Leber in Zusammenhang zu
bringen, infolge der grossen Inanspruchnahme dieser Organe.
2) Külz, Klinische Erfahrungen über Diabetes mellitus. 1899.
ß; 378 . |1 ,, ,
3) v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. Berlin
1912. S. 199.
mit dieser Erklärung nicht zufrieden war, nahm an, dass der ver¬
mehrte Blutzucker die Herzhypertropbie bedinge. Nach meinem
Dafürhalten bedarf es dieser Hypothese nicht, wenn wir berück¬
sichtigen, was ich ausgeführt habe, dass bei vielen Diabetikern
eine chronische Ueberlastung der Blutgefässe obwaltet.
Wir werden also wohl nicht fehl gehen, zur Erklä¬
rung der häufigen Beobachtung, dass bei Diabetikern
Arteriosklerose oft in die Erscheinung tritt, als
acceptables Bindeglied ein Moment heranzuziehen,
welches boi beiden Erkrankungen, dem Diabetes und
der Arteriosklerose, besondere Bedeutung hat, i. e. die
Ueberlastung des Kreislaufes infolge zu reicher Er¬
nährung.
Konsequenterweise drängt sich wohl von selbst die nahe¬
liegende Frage auf, ob es nicht möglich ist, in sehr einfacher
Weise dieser verhängnisvollen Komplikation des Diabetes, welche
oft das ganze Krankheitsbild beherrscht, vorzubeugen, indem man
diese chronische Ueberlastung des Kreislaufes verhütet, dadurch
dass man einerseits die Zufuhr der Flüssigkeitsmenge und anderer¬
seits die der festen Nahrungsmittel beschränkt. Diese Art der
Therapie ist jedoch recht wenig aussichtsvoll. Diabetiker ver¬
tragen im allgemeinen eine Beschränkung, besonders der FJüssig-
keitszufuhr recht schlecht und beachten meist eine derartige
ärztliche Vorschrift nicht. Aehnlich, wenn auch nicht ganz so
ungünstig, liegen die Verhältnisse bei der Verordnung einer Re¬
duktion fester Nahrungsmittel. Oft genug steht]dem das ge¬
steigerte Durst- und Hungergefühl der Diabetiker ; entgegen.
Ganz anders gestalten sich jedoch die Dinge, wenn es uns
gelingt, durch eine rationelle und dem Falle angepasste Diät¬
beschränkung die Zuckermenge herabzusetzen. Dann geht meist
das Hunger- und Durstgefübl ganz von selbst herunter. Dann
beugen wir einer chronischen Ueberlastung des Kreislaufes pro¬
phylaktisch vor und können hoffen, damit gleichzeitig eine effekt¬
volle Prophylaxe der Arteriosklerose beim Diabetes zu ^erreichen.
Natürlich muss eine solche Prophylaxe möglichst frühzeitig ein-
setzen. Es ist zu hoffen, dass auf diesem Wege die Entwicklung
der Arteriosklerose bei vielen Diabetikern verhütet werden kann.
Die Prophylaxe der Arteriosklerose beim Diabetiker deckt sich
also in erfreulicher Weise mit der möglichst frühzeitigen Diagnose
und einer rationellen Behandlung des Diabetes überhaupt. Hier
heisst es, wie auch sonst so oft: frühzeitig die Krankheit er¬
kennen. Dann wird es auch möglich sein, die Komplikationen
der Krankheit, die Arteriosklerose in vielen Fällen zu verhüten.
Darf das Neosalvarsan ambulant angewendet
werden?
Entgegnung auf die Abhandlung von Prof. Dr. Touton.
Von
Prof. Dr. A. WollT und Privatdozent Dr. P. Mälzer.
In einer in Nr. 31 der Münchener medizinischen Wochenschrift vom
Jahre 1912 erfolgten Publikation „Zur Kasuistik der Behandlung der
Syphilis mit Neosalvarsan“ haben wir über unsere Erfahrungen berichtet,
die wir mit dem neuen, aus dem Salvarsan hervorgegangenen Arsen¬
präparat „Neosalvarsan“ bei der Behandlung der Syphilis erzielt haben.
Wir haben gefunden, dass dem Neosalvarsan, in der von Ehrlich und
Schreiber als ungiftig und wirksam angegebenen Dosierung angewendet,
erstens eine grössere Giftigkeit zukommt als dem Altsalvarsan, da
wir sehr schwere toxische Nebenwirkungen beobachtet haben (mehr oder
weniger hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, starkes Erbrechen,
Durchfall, ausgebreitete Arzneiexantheme, Herpeseruptionen, Lähmungen,
Harnverhaltung, Nephritis, grosse Decubitalgeschwüre usw.) und zweitens
eine geringere Wirksamkeit, da es nioht die gleiche therapeutische
Beeinflussung spezifischer Krankheitsprodukte besitzt, wie entsprechende
Salvarsan- oder Hg-Dosen. Auf Grund dieser unserer schlimmen Er¬
fahrungen, die im Laufe der Zeit noch von verschiedenen anderen
Autoren [Bayet 1 ), Grünberg 2 ), Kall 3 ), Bernheim 4 ), Heuck 5 ), Busse
und Merian 6 ) u. a.] mehr oder weniger bestätigt wurden, hatten wir
keine Veranlassung, dieses Mittel weiterhin in unserer Klinik zu ver¬
wenden. Im Interesse der Patienten und der Aerzte glaubten wir ferner
1) Bay et, Journ. med. de Bruxelles, lSfl2, Nr. 37.
2) Grünberg, Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 44.
3) Kall, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 81.
4) Bernheim, Deutsche med. Woohenschr. 1912, Nr. 22.
5) Heuk, Therapeut. Monatsh., 1912, Nr. 11.
6) Buss© und Merian, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 43,
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UNIVERSUM OF IOWA
880
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
energisch davor ■warnen zu müssen, einem Vorschläge von Touton zu
folgen, der dahin lautete, dass das „Neosalvarsan so recht ein Mittel für
die ganz ambulante, vom Krankenhaus unabhängige Privatpraxis sei“.
Obwohl wir nun dieser unserer Warnung hinzufügten: „wenigstens in
der von Ehrlich angegebenen Dosierung“, erblickt Touton in
dieser Warnung, wie wir aus seiner in Nr. 11 dieser Wochenschrift,
1913, erschienenen Abhandlung „Darf das Neosalvarsan ambulant ange¬
wendet werden“ entnehmen können, eine Kritik „seiner“ Methode der
ambulanten Anwendung des Neosalvarsans. Diese irrige und völlig aus
der Luft gegriffene Annahme veranlasst ihn nun zu den schärfsten, weder
sachlich noch formell irgendwie zu rechtfertigenden Angriffen und Vor¬
würfen uns gegenüber.
Herr Touton verlangte von uns, dass wir „vor Abgabe dieses
scharfen Urteils (scilicet über Neosalvarsan) uns zunächst einmal die
Mühe hätten nehmen sollen, die Methode des als unvorsichtig verurteilten
Praktikers selbst nachzuprüfen“. Dem ist gegenüberzuhalten, dass wir
ja nicht die Methode der ambulanten Anwendung des Neosalvarsans,
wie sie Herr Touton angegeben hat, verurteilt haben, sondern dem
generell gehaltenen Ausspruch von Touton entgegengetreten sind
(der sich noch dazu auf Resultate gründete, die grösstenteils bei Spät-
latens und bei den sogenannten metaluetiscben Erkrankungen, also nicht
bei manifesten Symptomen der Syphilis gewonnen worden waren und
wohl nur durch den jeweiligen Ausfall der Wassermann’schen Reaktion
nachgewiesen werden konnten), dass „das Neosalvarsan so recht
ein Mittel sei für die ganz ambulante, vom Krankenhaus
oder Sanatorium unabhängige Privatpraxis“. Hätte HerrTouton
bei seinem Resümee hinzugesetzt etwa: „wenn man es in so kleinen
Dosen, wie ich es angegeben habe, und in Kombination mit Hg ver¬
wendet“, so wäre es uns niemals eingefallen, seinen Namen bei unserer
Zusammenfassung auch nur in den Mund zu nehmen. Und ausserdem
haben wir ja auch noch, worauf wir oben schon hinwiesen, hinzugesetzt:
„wenigstens in der von Ehrlich angegebenen Dosierung“.
Wir hatten demnach doch wohl keine Verpflichtung, vor Abgabe
unserer Aeusserung erst die „neue Methode des Herrn Touton“ nach¬
zuprüfen. Die diesbezüglichen Angaben von Touton haben uns auch
gar nicht weiter interessiert, denn erstens wollten wir ja die therapeu¬
tische Wirkung des neuen, als besonders wirksam und ungiftig
erklärten Arsenpräparates allein kennen lernen und mit der
uns bereits bekannten des alten Salvarsans vergleichen.
Als die Touton’sche Arbeit, welche die diesbezüglichen Mitteilungen
über die guten Erfolge seiner Kombinationsbehandlung enthielt, am
10. Juni 1912 erschien, hatten wir bereits 13 Fälle mit Neosalvarsan
behandelt und uns (siehe unsere damaligen Protokolle) dabei überzeugen
können, dass so kleine Dosen von Neosalvarsan, wie sie Touton
verwendet, bei manifesten Symptomen einer Syphilis allein
überhaupt nicht oder doch nur sehr wenig wirksam sein
konnten.
Zweitens wussten wir demnach schon, dass die gute Wirkung
der Touton’schen „Neosalvarsankur“ in erster Linie auf Rechnung
der mindestens 10—14 Tage betragenden Vorbehandlung mit Hg
und der Fortsetzung der Hg-Behandlung während der Neo-
salvarsaninfusion zu setzen sein musste. Dass Salvarsan allein die
Syphilis nicht heilt, das hat ja auch Ehrlich schon längst zugegeben.
Seit mehr als l 1 /* Jahren kombinieren auch wir in den Fällen, wo wir
Salvarsan verwenden, dieses mit energischen Hg-Kuren. In Ueberein-
stimmung mit Jadassohn und anderen namhaften Dermatologen halten
auch wir es für vollkommen gleichgültig, „ob man mit Hg anfängt und
das Salvarsan nachfolgen lässt oder umgekehrt, oder ob man mit beiden
zu gleicher Zeit anfängt“. In der Kombinationstherapie Touton’s
konnten wir demnach nichts Neues und Nachprüfungswertes erblicken!
Drittens warnt gerade Wechselmann immer wieder aufs
entschiedenste vor einer Kombination des Salvarsans wie
des Neosalvarsans mit Hg und insbesondere vor einer „Vorbehand¬
lung“ im Sinne Touton’s. Wechselmann erblickt ja gerade darin
die Hauptursache eventuell toxischer Nebenwirkungen dieser Präparate.
Weiterhin werfen uns Touton, Marschalko und einige andere
Autoren vor, dass wir bei unseren therapeutischen Versuchen mit Neo¬
salvarsan von Anfang an zu hohe Dosen gegeben hätten. Dem ist
nun folgendes entgegenzuhalten: Wir wollten die Wirkung des Neosal¬
varsans auf syphilitisohe Manifestation nacbprüfen. Wir erhielten eine
Probesendung von Ehrlich mit der Weisung, uns an die vonSchreiber
seit Oktober 1911 bei 230 Patienten erprobte Dosierung — ein mittels
Schreibmaschine geschriebenes Schema lag bei — zu halten. Es ist wohl
selbstverständlich, dass wir uns zunächst wenigstens an diese Dosen halten
mussten, wenn wir die uns von Schreiber vielgerühmte Wirksamkeit
des neuen Salvarsanpräparates am eigenen Material nachprüfen wollten.
Hätten wir von Anfang an kleine Dosen gewählt und dabei
keine oder nur geringe Wirkungen erzielt, so wäre uns ganz
gewiss von Ehrlich und seinen Anhängern der Vorwurf ge¬
macht worden, dass wir nicht die richtigen bzw. genügend
hohen, also wirksamen Dosen gewählt hätten. Zudem glaubte
man ja gerade den grossen Vorteil des neuen Salvarsanpräparates dem
alten gegenüber darin zu erblicken, dass es in weit höheren Dosen
wie jenes ohne Schaden gegeben werden könne [Ehrlich, Schreiber 1 ),
1) Schreiber, Münchener raed. Wochenschr., 1912, Nr. 34.
Iversen 1 ), Duhot 2 )], und dass man „eben dadurch dem Ehrlich-
schen Ziele einer Therapia magna sterilisans der Syphilis
näher gekommen sei bzw. es schon erreicht habe“ (Iversen).
Schon kurze Zeit nach Beginn unserer diesbezüglichen Versuche mussten
wir aber, wie aus unseren veröffentlichten Protokollen hervorgeht, der
bereits bei dieser Dosierung von uns beobachteten recht unangenehmen
Nebenwirkung wegen die Dosen verkleinern und insbesondere die Zeit,
die zwischen den einzelnen Injektionen lag, verlängern. Schwere toxische
Zufälle, die auch andere Autoren bei der ursprünglich von Ehrlioh zur
Verwendung empfohlenen Dosis beobachtet hatten, veranlassten Ehrlich
bekanntlich in einem Rundschreiben vom 18. Juni 1912 ebenfalls zu
fordern, dass nicht so hohe Dosen mehr verwendet werden dürften, dass
zwischen die einzelnen Dosen Pausen von drei bis vier Tagen ein¬
zuschieben seien, und dass die Gesamtdose der Kur nicht über 5-—6 g be¬
tragen dürfte.
Bis zum Erscheinen dieses Rundschreibens hatten wir nun im
ganzen 19 von 30 Fällen bereits mit Neosalvarsan behandelt und dabet
in keinem einzelnen Falle obige, doch gegenüber der ersten An¬
gabe bereits stark reduzierte Dosis überschritten. Im Durchschnitt
haben wir nur sehr selten und nur in den ersten paar Fällen mehr als
4 g als Gesamtdosis gegeben. Als wir später bei noch vorsichtiger
Dosierung sogar bei einer Gesamtdosis von 3,3 g Neosalvarsan bei einem
jungen 27 jährigen Mädchen ausserordentlich schwere Nebenwirkungen,
wie wir sie mitteilten, sahen, da warfen wir allerdings, wie Touton so
treffend sagt, „das Neosalvarsan in die therapeutische Rumpelkammer
der Strassburger Universitäts-Hautklinik*.
Ausserdem ist aber noch zu bemerken, dass wir, wie ebenfalls aus
unseren Protokollen hervorgeht, ja direkt gezwungen waren,
grössere Dosen Neosalvarsan zu verwenden, da nämlich
kleinere — wenigstens ohne gleichzeitige Hg-Anwendung — auf
manifest-luetische Symptome fast gar keine Wirkung ent¬
falteten. Erst nach der ein- oder zweimaligen Wiederholung einer
intravenösen Injektion in etwas gesteigerten Dosen von Neosalvarsan
trat eine deutliche therapeutische Beeinflussung der luetischen Krank¬
heitsprodukte ein. Insbesondere aus der Krankheitsgeschichte unseres
Falles der erst nach sechsmonatigem schwersten Siechtums starb, lässt
sich dies ausserordentlich klar ersehen. Wir wiederholen im folgenden
einen Teil derselben:
Martha Br., Näherin, 27 Jahre alt, niemals krank. Anfang März d. J.
bemerkte Pat. ein Geschwür an den Geschlechtsteilen, das sich im Laufe
der Zeit vergrösserte, dann aber wieder abheilte.
Am 1. VI. in die Klinik aufgenommen, fanden wir bei dem etwas
schwächlichen, aber gesunden (Cor und Pulmo ohne Besonderheiten)
Mädchen an den Genitalien zahlreiche nässende Papeln und Reste eines
indurierten Oedems und eine ausgeprägte Scleradenitis sinistra in der
Leistengegend. Augenbefund und Gehörorgan ohne Besonderheiten.
Urin normal. Wassermann’sche Reaktion stark positiv.
Krankheitsverlauf: 1. VI. 1912 0,7 Neosalvarsan.
2. VI. Temperatur normal, kein Kopfschmerz, Erbrechen oder
Durchfall.
3. VI. Status idem. Wassermann’sohe Reaktion positiv. Papeln
nicht beeinflusst.
4. VI. 1,2 Neosalvarsan.
5. bis 8. VI. Keine Temperaturerhöhung, Allgemeinbefinden
normal, Wassermann’sche Reaktion positiv, Papeln unverändert
deshalb am
8. VI. 1,4 Nersalvarsan.
9. VI. Temperatur normal; äusserst heftiges, fast un¬
stillbares Erbrechen.
Hier waren Dosen, die von Ehrlich, Schreiber, Iversen u. a.
als absolut zulässig erklärt worden waren und noch erklärt werden
(siehe oben), gegeben und scheinbar ausgezeichnet vertragen worden.
Insbesondere war — „ohne eine vorsichtige Hg-Vorbehandlung im Sinne
Touton’s — niemals Fieber aufgetreten, es hatte demnach, wenn man
mit Touton u. a. das bei florider Lues nach der ersten Salvarsan- bzw.
Neosalvarsandosis auftretende Fieber als „Endotoxinreaktion“ auffassen
wollte, trotz florider Hauterscheinungen infolge der durch
das Neosalvarsan zerstörten Spirochäten kein Freiwerden
der so verderblichen Endotoxine stattgefunden. Wie ein Blitz
aus heiterem Himmel traten plötzlich unstillbares Erbrechen und alle jene
unheimlichen Erscheinungen auf, die uns doch als typische Wirkungen
einer akuten Arsen Vergiftung so bekannt sind. Am 15. XII. 1912 starb
das Mädchen. Die Sektion, die von Herrn Professor Ghiari am anderen
Tage ausgeführt wurde, und die spätere histologische Untersuchung er¬
gab den Befund einer toxischen Myelitis, welche von Herrn
Professor Chiari auf eine Arsenintoxikation zurückgeführt
wurde. Der Fall wurde übrigens von Herrn Professor Chiari auf der
diesjährigen Tagung der Deutschen pathologischen Gesellschaft in Mar¬
burg besprochen, und wir verweisen im näheren auf das diesbezügliche
Protokoll. Einen fast ganz analogen Fall erlebten ausser uns auch
Bayet nach 0,7 und 0,8, also im ganzen 1,5 Neosalvarsan in 10 Tagen,
und Busse und Merian nach nur 0,6 Neosalvarsan.
Herr Touton erwähnt in seiner, diesen Erörterungen zugrunde
liegenden Abhandlung wiederholt Episoden aus einer anscheinend recht
lebhaften Diskussion über Neosalvarsan, die während der Herbstversamm-
1) Iversen, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 26.
2) Duhot, Revue beige d’urologie et dermato-syph., 1912, Nr. 40
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
881
lang der südwestdeutscben Dermatologen in Frankfurt a. M. stattfand,
obwohl es unserer Ansicht nach nicht Usus ist, in wissenschaftlichen Ab¬
handlungen und Polemiken irgendwelche Aeusserungen zu verwerten, die in
Privatgesellschaften getan werden bzw. die nicht in üblicher
Form in irgendeiner Fachzeitschrift publiziert, dem Leser
der betreffenden Abhandlung zugänglich sind. (Das ist zu
unserem eigenen grossen Bedauern in Frankfurt nicht der Fall.) Leider
waren wir damals aus äusseren Gründen verhindert, persönlich zu er¬
scheinen, was Herr Touton anscheinend ebenfalls lebhaft bedauert
hat, da er ja „sich uns dann einmal persönlich gekauft hätte“. Diese
unsere Polemik wäre dann wohl überflüssig geworden. Unsere Inter¬
essen wurden aber anscheinend in ausgezeichneter Weise durch Herrn
Dr. Hügel, einem Assistenten unserer Klinik, vertreten, denn die
Mehrzahl der anwesenden Kollegen gratulierte ihm zu seinen
ruhigen und saohgemässen Diskussionsbemerkungen und erklärten
sich mit seinen Ausführungen über die von uns beobachtete
Neosalvarsanwirkung, insbesondere bei unserer „Myelitis“
völlig einverstanden. Diesen Erklärungen, die auch von dem gleich¬
falls dort anwesenden 2. Assistenten der Klinik, Herrn Dr. Mentberger,
vollkommen bestätigt wurden, gegenüber verstehen wir nicht, wie Herr
Touton behaupten kann, „dieser Deutung (Reaktion auf einen latenten
Herd in der Umgebung des Lendenmarks, der mangels einer milden
Hg-Yorbehandlung und wegen der relativ hohen, rasch aufeinander
folgenden Neosalvarsandosen zu rasoher Schwellung kam) schlossen sich
die Nicht-Strassburger Herren in der Diskussion vollständig an“.
Aus eben diesem Grunde, einer unvollständigen Berichterstattung
Toutons wegen, müssen wir hier auch mit einigen Worten auf den so¬
genannten „Wasserfehler“ eingehen. Im besonderen verweisen wir hier
auf die Publikation von Herrn Dr. Obermiller 1 ), die im Verlage von
Beust - Strassburg erschienen und die ganz im Sinne unserer diesbe¬
züglichen Anschauungen geschrieben ist. Herr Touton schreibt: „In
vielen Fällen handelt es sich aber überhaupt ganz gewiss noch um den
Wasserfehler, und er ist sicher kein „Märchen“, wie die Strassburger
Herren Mulzer und Obermiller glauben macheu wollen. Da Ehrlich
selbst in Frankfurt das Unzulässige ihrer Experimente zugleich mit ihrem
Mangel an Beweiskraft gebührend gewürdigt hat, so bin ich dessen hier
überhoben.“
Aus diesen Worten muss doch nun jeder Leser, der nicht an jener
Versammlung teilgenommen hat, schliessen, dass Ehrlich tatsächlich
die Ausführung beider Herren in exakter und streng wissenschaftlicher
Weise widerlegt habe. Dem ist nun aber in Wirklichkeit nicht
so gewesen!
Nach den Mitteilungen unserer beiden Assistenten und zahlreicher
anderer Gewährsmänner war Ehrlich so erregt, dass von einem ge¬
ordneten Beweis der „Unzulässigkeit“ unserer Experimente usw. nicht
die Rede gewesen sein soll. Exz. Ehrlich war ferner offenbar falsch
über die Versuche des einen von uns, Dr. Mulzer, orientiert worden,
denn sonst hätte er sich nicht zu der Drohung hinreissen lassen, „uns den
Staatsanwalt auf den Hals schicken zu wollen“ und doch absolut korrekte
Versuche, auf die wir gleich noch einmal zurückkommen werden, ver¬
glichen „mit dem Vorgehen eines Chirurgen, der mit ungewaschenen
Händen im Bauch eines Patienten herumwühle“ und sie ein „unerhörtes
Verbrechen“ genannt. Nun diese Versuche, die lediglich dazu gemacht
worden sind, um zu beweisen, dass aus bakterienhaltigem Wasser herzu¬
stellende Kochsalzlösung die starken Fiebersteigerungen hervorrufen könnte,
aber zu unserem eigenen Erstaunen das Gegenteil ergaben,
wurde folgendermaassen vorgenommen: Einige Liter gewöhnlichen, frisch
destillierten und sterilen Wassers aus der Spitalapotheke wurden in
zwei grossen weithalsigen Flaschen teils offen, teils nur ungenügend ver¬
schlossen 4—6 Wochen lang in einem Laboratoriumsraum aufgestellt.
Nach Verlauf dieser Zeit fanden sich in einem Färbepräparat aus dem
Bodensatz massenhaft Bakterien. Dieses so stark verunreinigte Wasser
wurde nun nach Zusatz von 0,9 pCt. Kochsalz 2 Stunden lang im
strömenden Wasserdampf nochmals sterilisiert (Sterilitätsprüfung!),
mit sterilem Wattebausch und Verschlussstreifen verschlossen und als¬
bald zu Salvarsaninjektionen verwendet und zwar schadlos.
Die Reaktionen verliefen genau so, wie wir sie auch bei
ganz frisch aus der Leitung entnommenem destillierten und
sterilisierten Wasser zu sehen gewohnt sind. Auch damit ge¬
spritzte Kaninchen haben nicht den geringsten Schaden erlitten. „Was
speziell die Temperaturen anbetrifft, so hatten wir teils höheres (als
Maximum jedoch nur ein einziges Mal 39,7°), teils mittleres, teils gar
kein Fieber. Ja, wenn wirklich das mit Endotoxin banaler Bakterien
geschwängerte Wasser so gefährlich wäre, so hätten doch die Reaktionen
bei diesem „perniciösen Wasserfehler (Ehrlich)“ ganz anders
ansfallen müssen, sie hätten vor allen Dingen regelmässig mit sehr
hohem Fieber einhergehen müssen und niemals ausbleiben dürfen,
und es hätte schliesslich in zwei Fällen die Reaktion auf eine wieder¬
holte Infusion mit frischem Wasser die auf die vorausgegangene mit altem
Wasser nicht übersteigen dürfen“ (Obermiller).
Dass es einen durch Toxine pathogener Bakterien hervorgerufenen
„bakteriologischen“ Wasserfehler geben kann, das leugnen auch wir
nicht, aber wir glauben nicht, dass die gewöhnlichen, unschädlichen
Wasser- und Luftmikroben nun auf einmal eine so giftige Wirkung her¬
vorrufen können. Seit vielen Jahren liefert die Spitalapotheke für In¬
fusionen der Chirurgen und der Gynäkologen des hiesigen Bürgerspitals
1) Strassburger med. Zeitg., 1913, Nr. 1 u. 2.
die gleiche, absolut einwandfreie sterile Kochsalzlösung, wie wir sie zur
Bereitung der Salvarsanlösung verwenden.
Das Spitalwasser, das zur Herstellung dieser Kochsalzlösung bzw.
des destillierten Wassers verwendet wird, gleicht aber bezüglich seines
geringen Bakteriengehaltes dem von Touton so sehr gerühmten Wies¬
badener Leitungswcsser nicht nur, sondern es übertrifft es auch noch
(Mulzer).
Chirurgen und Geburshelfer sind nach wie vor mit dieser Kochsalz¬
lösung vollkommen zufrieden, auch jetzt noch, wo es bei uns Syphilido-
logen, allerdings mit Salvarsan verbunden, doch recht oft sehr
unangenehme bzw. toxische Wirkungen entfaltet. Wir haben seinerzeit
Versuche einer Behandlung des Pemphigus mit Chinin, und insbesondere
zahlreicher Lupusfälle mit Aurum kalium cyanat. vorgenommen, bei denen
ebenfalls das jeweilige Mittel in derselben physiologischen Kochsalz¬
lösung gelöst war. Nun, in keiner der etwa 300 Injektionen ist
irgendwelche Fiebersteigerung aufgetreten!
Nachdem der bakteriologische Wasserfehler nicht in allen Fällen
die Nebenerscheinungen erklären konnte, entdeckte Wechsel mann noch
im chemischen Wasserfehler ein weiteres kausales Moment: Nach ver¬
gleichenden Analysen des im Wecbselmann’schen Destillationsapparate
(ganz aus Glas) hergestellten Wassers mit dem, welches der Vebmel-
Lautenschläger’sche Apparat (Kocbflasche und Kühler aus Metall) liefert,
soll nämlich letzteres wegen zu vieler chemischer Rückstände zu bean¬
standen und nur das Wasser aus dem Wechselmann’schen Apparat
einwandfrei sein. Der eine von uns, Mulzer, hat indes im Verein mit
Oberapotheker Dr. Matter gefunden, dass sowohl mit dem Vehmel-
Lautenschläger’schen als auch mit einem ganz aus Glas (Jenenserglas)
hergestellten Apparate gleich gute Resultate erzielt werden können, und
dass das Strassburger Leitungswasser auch nach dieser Hin¬
sicht dem Wiesbadener vollkommen gleichsteht. Mit chemisch
reinem H 2 0 werden wir nun praktisch überhaupt nicht zu rechnen
haben, stets werden minimale Spuren chemischer Bestandteile bei
der Destillation oder bei der Injektion (Schlauch!) mit übergehen!
Ebenso übertrieben ist nach unserer Ansicht die Warnung von Siccard
und Leblanc, wegen ihres Bleisilikatgehaltes andere Destillations¬
apparate zu benützen als die aus Jenenserglas. Wozu macht man immer
und immer wieder neue Versuche, die doch in jedem Lehrbaoh der
Toxikologie als typisch für akute Arsenvergiftung beschrie¬
benen und nach der Einführung von einem Arsenpräparat, wie es doch
das Salvarsan und das Neosalvarsan einmal kt, häufig auftretenden
Nebenwirkungen, auf alle möglichen anderen Ursachen zurückzuführen,
nur nicht eben auf das Arsen! Wenn man einem Patienten 1 g Mor¬
phium in einem Glas Wasser verabreicht, und er stirbt unter den An¬
zeichen einer Morphium Vergiftung, dann wird es doch niemand einfallen,
das Wasser anzuklagen, um in ihm die Ursache des Todes za suchen.
„Wenn ein anderer als Ehrlich, sagt treffend Pielicke, wenn irgend¬
eine Fabrik das Mittel direkt in die Therapie eingeführt hätte, so hätten
wohl weniger Fachleute den Umweg der Erklärung über die Herxheimer-
sche Reaktion und über den sogenannten Wasserfehler so lange mit¬
gemacht.“ (Obermiller.)
Was schliesslich die generelle Frage betrifft, ob man Neosalvarsan
ambulant geben soll oder nicht, so können und wollen wir hier niebt
auf die teilweise doch recht harmlosen Einwände des Herrn Touton näher
eingehen. Wir lehnen es auch fernerhin ab, das Neosalvarsan noch
weiterhin zu verwenden, weder ambulant, noch im Krankenhaus, und
zwar einmal, weil es in den allein wirksamen Dosen weit
toxischer als Salvarsan wirkt, und dann, weil wir mit dem
Salvarsan, das in den entsprechenden Dosen viel wirksamer
und weit weniger giftig ist, völlig auskommen.
Das Salvarsan aber geben wir nur in den seltensten Fällen, selbst
in den kleinen Dosen (0,3—0,4 g), die wir in Verbindung mit ausgiebigen
Hg-Kuren anwenden, ambulant. Wir verlangen zum mindesten, dass
der Patient, wenn er seine ganze Kur nicht im Krankenhause vollenden
kann, einige Tage nach der Infusion in der Klinik bleibt und sioh uns
in kürzeren Zwischenräumen wieder vorstellt oder sich zu Hause unter
genau orientierte ärztliche Kontrolle gibt. Gerade die Argumente, die
Herr Touton im letzten Absatz seiner Publikation für die ambulante
Verabreichung des Neosalvarsans (NB. Wieder generell gehalten!) an¬
führt, sprechen doch am schärfsten dagegen. Wir wissen nun
doch wirklich leider zu gut, dass im Anschluss an eine Salvarsan- bzw.
Neosalvarsaninfusion jederzeit plötzliche und unvorhergesehene üble Zu¬
fälle auftreten können. Vor kurzem erst wieder passierte es uns hier
in der Klinik, dass ein vollkommen gesunder Patient, der vor 80 Jahren
Lues acquiriert hatte und jetzt wegen einer suspekten Rhinitis 0,3 g
Salvarsan erhielt, 24 Stunden später bewusstlos und schwer röchelnd im
Abort aufgefunden wurde. Allmählich traten dann die Symptome einer
Apoplexie bei ihm zutage und etwa 20 Stunden später war dieser Patient
tot. Die Sektion ergab einen Blutergusss in einem Ventrikel und zahl¬
reiche punktförmige Hämorrhagien in der Rindensubstanz,
die nach Prof. Chiari ausserordentlich für eine Arsenvergiftung sprachen.
Besonders zu betonen ist hier noch, dass keinerlei syphilitische Ver¬
änderungen im Gehirn und an den Gefässen (keine Spur einer Arterio¬
sklerose!) gefunden werden konnten. Wäre dieser Patient nun nicht in
der Klinik geblieben, sondern nach Hause gefahren, wo er höchstwahr¬
scheinlich seinen Angehörigen nichts von der, seine Krankheit ver¬
ratenden Kur gesagt hätte, so würde man eben einen gewöhn¬
lichen Schlaganfall angenommen haben. In Analogie hierzu steht
folgender Fall: Ein hiesiger Herr hatte von einem Spezialkollegen am
6
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
882
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Morgen Neosalvarsan erhalten und war noch am selben Tage nach
Molsheim gefahren. Am Abend kehrte er wieder in seine Wohnung zu¬
rück, klagte aber über schwere Kopfschmerzen und Benommenheit.
Nach zwei Stunden stellte sich Bewusstlosigkeit ein. Es wurde nun
Herr Dr. Böllak gerufen, der den Kollegen, der die Einspritzung ge¬
macht hatte, vertrat. Dieser zog zu diesem Fall den einen von uns
(Prof. Wolff) zu, der den Patienten im tiefsten Coma mit stark er¬
weiterten Pupillen und vollständige Resolution der Glieder vorfand.
Epileptische oder epileptiforme Krämpfe wurden nioht beobachtet. Die
Bewusstlosigkeit hielt 24 Stunden lang an, dann erholte sich der Patient
allmählich wieder.
Mit diesen unseren beiden Fällen decken sich nun eine ganze An¬
zahl von Mitteilungen in der einschlägigen Literatur, nach denen kurze
Zeit nach einer aus therapeutischen Gründen vorgenommenen Salvarsan-
injektion die Patienten bewusstlos in der Eisenbahn, im Arbeitszimmer, im
Hotel oder irgendwo auf dem Erdboden gefunden wurden und in der Be¬
wusstlosigkeit meist (nach Lesser 16 von 18 derartiger Fälle) starben.
Da wir nun noch ausserdem wissen, worauf ja auch Herr Touton noch
hinweist, dass ein Syphilitiker, eben weil er an dieser Krankheit leidet,
alles tut, diese seinen Angehörigen und auch dem Arzte sehr gern
verheimlicht, so müssten wir schon im Interesse einer exakten Auf¬
klärung über die Wirkung des Salvarsans bei der Verabreichung desselben
überall so verfahren, wie wir hier in der Klinik.
Alle diese Gefahren und Möglichkeiten müssen nun aber auch dem
Neosalvarsan zukommen, da es nach unseren Erfahrungen und der
anderer Autoren (siehe oben) selbst in kleineren Dosen viel toxischer
als das Altsalvarsan wirkt. Aus diesen Erwägungen heraus haben wir
unsere Warnung von der ambulanten Verwendung des Neo-
salvarsans ausgesprochen. Wir wiederholen sie hier und fügen
noch hinzu, dass für uns damit die Akten über das Neosalvarsan end¬
gültig geschlossen sind.
Ueber die Sterblichkeit an Krebs in Preussen
während der Jahre 1903—1011 nach Alters¬
klassen.
Robert Behla.
Zunahme der Sterblichkeit an Krebs in Preussen überhaupt sowie
in den Altersklassen von 0 bis 30, 80 bis 60 und über 60 Jahren für
die Jahre 1903—1911, berechnet auf 10 000 Lebende derselben Alters¬
klasse.
_ Gestorben _
an Krebs I an anderen Neubildungen 1 )
überhaupt
auf 10 000
Lebende
überhaupt
auf 10 000
Lebende
zus. | m. w. zus. m.
öerhaupt*).
11
580
21
2581
5,52
6,42
5,98
949
1213
12
192
22
586
5,84
6,66
6.26
1060
1404
12
649
23
115
5,77
6,79
6,29
1143
1446
13
111
23
906
5,86
6,93
6,40
1177
1415
13
730
25
100
6,08
7,15
6,62
1356
1578
14
051
25
602
6,08
7,21
6,65
1323
1606
14
407
26
416
6,23
7,29
6,77
1377
1636
15
420
28
093
6,49
7,70
7,10
1482
1765
16
180
29
473
6,64
7,90
7,28
1461
1726
Altersklasse
121
196
317
0,11
0,18;
0,14
235
245
142
221
363
0,13
0,20
0,16
256
267
182
198
330
0,12
0,17
0,15
276
281
141
220
361
0,12
0,19
0,16
317
244
150
187
337
0,13
0,16
0,15
345
302
124
209
338
0,10
0,18
0,14
335
302
167
204
871
0,14
0,17
0,16
359
314
152
218
370
0,12
0,18
0,15
877
346
175
203
878
0,14
0,17
4 )
0,15
362
294
Gestorben _
I an anderen Neubildungen
überhaupt
I w. I zi
auf 10 000
Lebende
überhaupt
auf 10000
Lebende
zus. I m. w. I zus.l
Altersklasse
5 706 10051 8,17
5 918 10 567 8,61
6 011 10 566 8,28
6 286 10 911 8,29
6 511 11421 8,56
6 662 11 737 8,70,
6 779 11 984 8,78
7 268 12 708 9,07!
7 880 18015 8,95
von SO bis
10,18 9,20
10,42 9,54
10,39 9,86
10,57 9,45
10,87 9,74
,10,96 9,85
10,98 9,91
11,62 10,37
11,32 10,16
l ) l )
60 Jahren.
400 564 964 0,75
495 699 1194 0,92
518 691 1209 0,94
508 738 1246 0,90
621 784 1405 1,08
683 763 1396 1,08
627 792 1419 1,06
695 904 1599 1,16
692 885 1577 1,10
l )
1,01 0,88
1,23 1,08
1,19 1,07
1,25 1,08
1,31 1,20
1,25 1,17
1,28 1,17
1,45 1,30
1,86 1,28
*) *)
über 60 Jahren.
1903 5 211 5 678 10 889 43,19 38,26 40,47 3141404 718 2,6012,72 2,67
1904 5 602 6 053 11 655 45,85 40,17 42,72 309 437 746 2,53 2,90 2,73
1905 5 777 6 439 12 216 46,40 41,96 43,95 349 474 823 2,80 3,09 2,96
1906 5 979 6 655 12 634 47,41 42,45 44,66 352 433 785 2,79 2,76 2,78
1907 6 309 7 032 13 341 49,36 44,13 46,46 390 491 881 3,05 3,08 3,07
1908 6 851 7 179 13 530 49,10 44,40 46,49 355 541 896 2,74 3,35 3.08
1909 6 636 7 424 14 060 50,70 45,23 47,66 391 530 921 2,99 3,23 3,12
1910 7 076 7 936 15 012 53,41 47,78 50,28 410 515 925 3,09 3,10 3,10
1911 7 483 8 595 16 078 55,26 50,30 52,49 406 547 953 3,00 3,20 3,11
l )
Danach ist nach der amtlichen Statistik die Zunahme der Sterbe¬
ziffer überhaupt bei Krebs im Jahre 1903 = 5,98 bzw im Jahre 1911
= 7,28, bei anderen Neubildungen im Jahre 1903 = 0,61, bzw. im
Jahre 1911 = 0,79.
Die Zunahme der Sterbeziffer beträgt speziell in den Alters¬
klassen:
80—60 Jahre
über 60 Jahre
zus. ha. w. zus.
10 11 12 13
1 0,54 0,6710,61
1 0,60 0,77 0,68
) 0,63 0,78 0,70
2 0,64 0,75 0,69
l 0,72 0,82 0,77
> 0,70 0,82 0,76
1 0,71 0,83 0,77
1 0,76 0,88 0,82
1 0,73 0,84 0,79
110,2210,22
5 0,24 0,28
1 0,25 0,25
? 0,21 !0,24
) 0,2610,28
5 0,2610,27
>0,2610,28
L 0,29'0,30
) 0,24 0,27
•) | *)
1) Hierzu sind ausser den Sarkomen alle anderen, auch die an gut¬
artigen Neubildungen Gestorbenen mitgezählt.
2) Die Gestorbenen unbekannten Alters sind hier einbegriffen.
3) 1912:29 912.
4) Vgl. Fussnote 1 der rechten Spalte dieser Seite.
bei Krebs
im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911 im Jahre 1908 1921
männl. von 0,11 auf 0,14 männl.von 8,17auf 8,95 männl. v. 48,19 auf55,24
weibl. „ 0.18 „ 0,17 weibl. „ 10,18 „ 11,82 weibl. * 38,26 „ 50,80
zus. „ 0,14 „ 0,15 zus. „ 9,20 „ 10,16 zus. „ 40,47 „ 52,49
bei anderen Neubildungen
im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911 im Jahre 1903 1911
männl. von 0,21 auf 0,29 männl. von 0,75 auf 1,10 männl. v. 2,60 auf 3,00
weibl. „ 0,22 „ 0,24 weibl. „ 1,01 „ 1,36 weibl. * 2,72 „ 8,20
zus. „ 0,22 „ 0,27 zus. r 0,88 „ 1,28 zus. „ 2,67 * 3,11
Hinsichtlich dor drei Kategorien der Altersklassen sehen wir, dass
in der ersten Kategorie die Zunahme sehr wenig, in der Mittelkategorie
massig ist; dagegen hat der-Krebs in der letzten Kategorie ganz be¬
deutend zugenommen. Diese Statistik mit Berücksichtigung der Alters¬
klassen stimmt im allgemeinen mit der anderer Länder überein; auch
hier zeigt sich in Bayern, Baden, namentlich in England, die Zunahme
hauptsächlich in der letzten Kategorie. Ebenso stimmt unsere preussische
Krebsstatistik damit überein, dass stufenweise bis zu den höchsten
Altersklassen der Krebs immer häufiger wird. Ohne hier auf die viel¬
umstrittene Frage, ob die Gesamtzunahme nur scheinbar oder wirklich
ist, einzugehen, haben wir für diese Gradatimzunahme mit den Jahren
und den steigenden Altersklassen bislang keine stichhaltige Erklärung.
Ich bemerke noch, dass auch für das Militär, wo die erste Kategorie in
Frage kommt, von einer eigentlichen Zunahme nioht gesprochen werden
kann. Obwohl kein direktes Vergleichungsmaterial vorliegt, hat nach
einer Mitteilung von Prof. Schwiening bei den krebsartigen Tumoren
beim Militär eine Vermehrung nicht stattgefunden.
Wollte man nun aus dieser augenscheinlichen Zunahme in der
dritten Kategorie sohliessen, dass die Krebskrankheit eine exquisite
1) Das Jahr 1911 weist gegen 1910 mehrfaeh ein Zurüokgehen der
Sterbeziffer auf. Diese Erscheinung ist jedoch zum grössten Teil auf
die grössere Zahl der Lebenden, die der Berechnung zugrunde gelegt
sind, zurückzuführen. Die grössere Zahl erklärt sich daraus, dass im
Jahre 1911 die Lebenden für den 1. Juli, dagegen 1910 für den
1. Januar errechnet sind, besonders aber auch daraus, dass die durch
die Volkszählung vom 1. Dezember 1910 ermittelte Einwohnerzahl be¬
deutend höher ist als die durch die Fortschreibung von 1906 bis
1910 gewonnene Zahl.
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UNfVERSITY OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Alterskrankheit und lediglich dem Alter als solchem zur Last zu legen
ist, so wäre dies ein ebenso unberechtigter Schluss, als wenn man für die
Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit lediglich die Hitze verantwort¬
lich machen wollte.
Die Medizinalstatistik ist in ätiologischer Beziehung insuffizient; sie
kann nur Hinweise, nicht wirkliche Beweise geben; die kausalen Faktoren
dieser Phänomene festzustellen, muss Sache der speziellen experi¬
mentellen Forschung sein. Es kann sich in letzter Linie um eine ge¬
steigerte Disposition handeln, wo besondere Schädlichkeiten, unbelebte
und belebte, leichter einwirken können.
Da Sarkome nach der bislang Vorgefundenen Auszählung unter den
anderen Neubildungen mit einbegriffen sind, lassen sich darüber be¬
sondere Angaben in bezug auf die drei Kategorien nach Zunahme und
Alter nicht machen. Ich habe jedoch angeordnet, dass die an anderen
Neubildungen Gestorbenen fortan einzeln nach 56 der Einteilung der
Todesursachen des preussischen Ministerialerlasses vom 22. April 1904
ausgezählt werden, um auch über die einzelnen Tumorarten, namentlich
auch der gutartigen, näheren Aufschluss zu erhalten.
Nach einer von mir erfolgten Stichprobe für 1907 starben von
über 15 Jahr alten Personen an Krebs 25023, an Sarkom 772, an anderen
Neubildungen 1887 (vgl. Mediz. Nachricht., Jahrgang 1, S. 116). Um jedoch
eine solohe Statistik aufzumachen, ist es durchaus erforderlich, dass die
Bezeichnung der einzelnen Tumoren eine sorgfältigere wird als bisher. Die
Allgemeinbezeichnungen: Gestorben an Geschwulst, Gewächs usw., wie
sie jetzt vielfach auf den Totenscheinen üblich sind, müssen fortfallen
und durch spezielle Tumorbezeichnungen ersetzt werden. Es sei noch
bemerkt, dass über die Häufigkeit der Geschwülste, bös- und gutartiger,
im preussischen Staat zurzeit keine statistischen Angaben möglich sind.
Die Heilanstaltsstatistik bildet nach dieser Richtung nur einen Teil der
Fälle. Nach einem Durchschnitt der in den Heilanstalten zur Behand¬
lung bzw. Operation kommenden gutartigen Geschwülste kommen etwa
ein Drittel auf Cysten, ein Drittel auf Polypen und Fibrome, das letzte
Drittel auf die anderen benignen Neubildungen. Die Heilungsresultate
der gutartigen Blastome sind dem hohen Stande der chirurgischen Kunst
gemäss ausserordentlich günstige. Verschwindend wenig Todesfälle!
Möge auch bei den malignen Tumoren die Mortalität sioh in Zukunft
bald vermindern — die Kurve sich senken!
Ueber den qualitativen und quantitativen Nach¬
weis von Traubenzucker im Harn.
Von
Wilhelm Beekers- Aachen,
Chemiker und Apotheker.
Der qualitative und quantitative Nachweis von Traubenzucker im
Harn ist für den Arzt von grosser Wichtigkeit. Die Methoden zum
Nachweis sowie zur Feststellung der Menge des täglich ausgeschiedenen
Zuckers sind sehr zahlreich; sie verdienen, einer kritischen Betrachtung
unterzogen zu werden. Das Deutsche Arzneibuch, 5. Ausgabe, 1910,
führt bei den Reagentien für ärztliche Untersuchungen an: Kupfersulfat¬
lösung, Kalilauge, Nylander’s Reagens, Phenylhydracin und Natrium¬
acetat. Sie finden Verwendung zur Ausführung der Fehling’schen,
Trommer’schen, Nylander’schen und Phenylhydracinprobe. Die ver¬
schiedenen Methoden sind von ungleichem Werte, wie ich mich im Laufe
der Zeit durch vergleichende Untersuchungen überzeugen konnte. Bei
Benutzung der Nylander’schen Probe z. B. ist zu beachten, dass der zu
prüfende Harn Schwefel wasserstofffrei ist, da sonst auch bei Anwesenheit
von Zucker durch Bildung von sohwarzem Schwefelwismut Zucker vor-
getäuscht werden kann. Ausserdem muss man bei der Nylander’schen
Probe die Flüssigkeit mindestens 3 Minuten im Kochen erhalten. Bei
Ausführung der Fehling’schen Probe ist darauf zu sehen, dass man die
beiden Lösungen getrennt aufbewahrt und nur bei Bedarf mischt, da
spontane Zersetzungen der Fehling’schen Lösung beobachtet worden sind,
die dann beim Kochen sowohl für sich allein, als auch mit zuckerfreien
Harnen Reduktion zu Kupferoxydul ergaben. Es ist daher zweckmässig,
dass man die getrennt aufbewahrten Fehling’schen Lösungen nach dem
Mischen zuerst lür sich kocht, um sicher zu sein, dass keine Reduktion
der Lösung selbst eintritt, und dann erst dem zu untersuchenden Harn
zusetzt und wieder kocht. Es sei bei Anwendung der Fehling’schen
Lösungen daran erinnert, dass auch noch andere in jedem normalen
Harn vorkommende Körper die Reduktion zu Kupferoxydul veranlassen
können; so bewirken Kreatinin und Harnsäure ebenfalls Reduktion der
Febling’schen Lösung. Nach meinen Erfahrungen ist aber nun die
Phenylhydraoinprobe die zuverlässigste zum qualitativen Nachweis von
Zucker. Sie besteht in der Bildung von Phenylglykosazon, welches an
den'charakteristisohen, intensiv gelben Kristallnadeln unter dem Mikroskop
zu erkennen ist. Ich habe in allen zweifelhaften Fällen, in denen
eine teilweise Reduktion qnd Verfärbung der Flüssigkeit sowohl bei
-Nylander wie bei Fehling eintrat, durch den positiven oder negativen
Ausfall dieser Probe mir die grösste Sicherheit in der Entscheidung ver¬
schaffen können. Die Kristalle sind so charakteristisch, dass das Auf¬
treten oder Ausbleiben der Kristallbildung bei all meinen Untersuchungen
ausschlaggebend gewesen ist. Nach Groooo 1 ) erhält man noch bei
0,01 Sacchar. uvae pro Liter deutliche, gelbe Kristallnadeln. Ich möchte
daher empfehlen, zum qualitativen Nachweis von Zucker dieser Methode
sich zu bedienen. Man verfährt zur Ausführung der Probe so, dass man
50 ccm Harn mit 2 g salzsaurem Phenylhydracin und etwa 4 g Natrium¬
acetat im Wasserbade eine halbe Stunde lang erwärmt; man nimmt die
Lösung alsdann heraus und lässt sie schnell erkalten; hierbei scheiden
sich bei Gegenwart von Zuoker gelbe Kristallnadeln aus, die dann ab¬
filtriert und unter dem Mikroskop betrachtet werden. Die Methode ver¬
danken wir den Forschungen von E. Fisch er-Berlin, der gezeigt hat,
dass Traubenzucker durch Phenylhydracin bei Gegenwart von essig¬
sauren Salzen in Reaktion tritt und charakteristische Verbindungen ein¬
geht. In der Kälte bildet sich beim Zusammentreffen der drei Sub¬
stanzen farbloses, leicht lösliches Dextrosephenylhydraein nach der
Gleichung:
C.H l2 0« + C 6 H 8 . NH — NH, = C 8 H 12 0 8 . N. NH. C e H 8 + H a O.
In der Wärme des Wasserbades addiert diese Verbindung noch ein
weiteres Molekül Phenylhydracin, und es entsteht Phenylglykosazon
von der Formel Ci 8 H 22 N 4 .0 4 , welches aus gelben meist zu Drusen an¬
geordneten Kristallnadeln besteht
Ausser diesen Methoden nach dem Deutschen Arzneibuch gibt es
noch eine sehr charakteristische Reaktion zum qualitativen Nachweis
von Zucker, die ich sehr empfehlen kann, es ist die Methode von
Rubner. Dieselbe besteht darin, dass man etwa 10 ccm Harn mit
5 ccm Liquor plumbi subacetici und 2Ya ccm Liquor ammonii oaustici
versetzt. Man fasst das Reagenzglas oben und unten und erwärmt durch
Drehen des Glases in einer Spiritusflamme mit der Vorsicht, dass man
hauptsächlich nur an ein und derselben Stelle erhitzt. Die Flüssigkeit
soll nicht zum Kochen kommen. Bei Gegenwart von Zucker zeigt sich
an der erwärmten Stelle eine deutliche fleischfarbene oder rosenrote
Zone. Dieselbe ist so charakteristisch, dass ein Harn von 0,05 pCt.
Zuckergehalt die Reaktion noch sehr deutlich zeigt. Durch Kreatinin
und Harnsäure wird die Reaktion nicht beoinflusst; sie ist daher besser
als die Fehling’sche Probe.
Das Arzneibuch führt als weiteres Reagens zum Nachweis von
Zucker lOproz. Kupfersulfatlösung und 15proz. Natronlauge an. Diese
werden benutzt zur Ausführung der Trommer’schen Probe. Man stellt
die Probe an durch Versetzen von 5 ccm Harn mit 5 com Natronlauge,
Hinzufügen von Kupfersulfatlösung tropfenweise so lange, als das zunächst
gefällte Cuprihydroxyd sich noch klar löst. Zieht man nunmehr das
Reagenzglas durch die Flamme, so erfolgt eine Abscheidung von rotem
Kupferoxydul bei Gegenwart von Zucker. Diese Reaktion ist nicht
einwandfrei, da auch Harnsäure und Kreatinin dieselbe veranlassen.
Also auch diese Probe kann nur ein nebensächliches Interesse be¬
anspruchen. Was nun die quantitative Bestimmung von Traubenzucker
im Harn anbetrifft, so sind eine ganze Anzahl Methoden im Gebrauoh.
Für den Arzt aber kommen eigentlich, da derselbe meist nicht viel Zeit
für derartige Untersuchungen erübrigen kann, nur zwei Methoden in
Frage, es ist die polarimetrische und die Bestimmung mittels Gärung.
Um nun ein Urteil über die Zuverlässigkeit beider Methoden zu ge¬
winnen, habe ich eine Anzahl Diabetikerharne nach beiden Methoden
untersucht, und zwar habe ich gleichzeitig die Gärungsapparate von
Einhorn, Fiebig und Lohnstein auf ihre Zuverlässigkeit unter¬
einander einer vergleichenden Prüfung unterzogen, deren Ergebnisse aus
beifolgender Tabelle zu ersehen sind:
Prozente Zucker naoh:
Fiebig
Einhorn
Lohnstein
Polarimeter
2,8
2,5
3,3
4,4
6,78
4,8
4,3
6,2
4,0
3,8
4,6
5,2
1,6
1,3
2,0
2,2
1,0
1,4
1,8
2,4
0,6
0,8
1,4
1,8
1,0
1,0
2,4
2,9
3,2
3,2
4,0
4,6
2,4
2,0
3,1
3,6
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass ich mit demselben Harn
unter Benutzung der verschiedenen Instrumente relativ grosse Differenzen
feststellen konnte, dass ich ferner mit dem Polarisationsapparate stets
höhere Werte erhielt als bei der Gärung, und dass endlich die Gärungs¬
apparate untereinander auch wieder grosse Ungleichheiten zeigten. Den
wahren Werten am nächsten kamen die Zahlen, die ich mit dem Lohn¬
stein erhielt. Ich fand bei den einzelnen Untersuchungen meistens Unter¬
schiede von 1,2 bis 2 pCt., so dass diese Gärungsapparate kaum in Frage
kommen sollten zur. quantitativen Ermittelung von Zucker im Harn.
Schon deshalb sollte man die Gärungsapparate nicht verwenden, weil
vielfach die zur Gärung benutzte Hefe nicht immer ganz stärke- und
zuckerfrei ist. Ferner kann auch eine eintretende Selbstgärung der Hefe,
welche mit Entwicklung von Kohlensäure verbunden ist, das Resultat
ganz und gar unvollständig oder ungenau machen.
1) Zeitsohr. f. analyt Chemie, Bd. 24, S. 478.
6 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
All diesen Zufälligkeiten und Unzuverlässigkeiten entgeht man durch
die Polarisation des Harnes. Diese stellt die bequemste und auch die
exakteste Methode zur Bestimmung von Dextrose dar. Man benutzt
meist den Halbschattenapparat von Mitscherlich hierzu, der zvar
noch durch den Apparat mit Keilkompensation übertroffen wird. Während
man bei letzterem Apparate jede Lichtquelle benutzen kann, lässt der
Mitscherlich’sche Apparat nur die Anwendung von Natriumlioht zu. Der
Polarisationsapparat mit Keilkompensation lässt einen Gehalt von 0,05 pCt.
Zucker noch sehr deutlich erkennen, während man mit dem Mitscherlich-
scben Apparate einen Gehalt von 0,2 pCt. noch ganz sicher erkennen
kann. Da man aber meist keinen besonderen Wert auf einen Zucker¬
gehalt von 0,05 pCt. legt, so wird man in jedem Falle mit dem Halb¬
schatte napparate von Mitscherlich auskommen können. Eine Er¬
läuterung über den Gebrauch des Apparates ist jedem Instrument bei¬
gefügt; die Handhabung ist sehr einfach und nicht schwierig. Meine
Erfahrungen kann ich dahin zusammenfassen, dass man zum qualitativen
Nachweis von Zucker im Harn stets entweder die einwandfreie Osazon-
probe machen soll oder die Rubner’sche. Will man noch ein Uebriges
tun, so bestimmt man den Schmelzpunkt des gebildeten Osazons, wo¬
durch die Identität der Zuckerart festgestellt werden kann. Der Schmelz¬
punkt des Glykosazons sowie des Lävulosazons liegt bei 205°, der des
Laktosazons bei 200°, der des Pentosazons bei 154—160*. Zur quanti¬
tativen Ermittelung von Zucker eignet sich am besten und sichersten
die Polarisation. In diesen beiden Methoden haben wir die sichersten
Mittel zum Nachweis und zur quantitativen Feststellung von Trauben¬
zucker im Ham.
BQcherbesprechungen.
Mohr und Staehelia: Handbuch der inneren Medizin. Berlin, Verlag
von Julius Springer. Bd. IV (Preis 22 M.), Bd. V (Preis 28 M.).
ln den vor kurzem erschienenen Bänden IV und V behandeln in
Band IV Suter-Basel die Erkrankungen der Harnwege und die Sexual¬
storungen, Morawitz-Freiburg die Erkrankungen des Blutes, Lominel-
Jena die Erkrankungen der Muskeln, Gelenke und Knochen, Falta-Wien
die Erkrankungen der Drüsen mit innerer Sekretion, W. A, Freund-
Berlin und R. von den Velden-Düsseldorf das Kapitel Konstitution
und Infantilismus, J. Baer-Strassburg Diabetes, Oxalurie und Phosphat-
urie, sowie Fettsucht, Gigon-Basel Gicht, Vogt-Strassburg Rachitis,
Osteomalaoie und exsudative Diathese und die beiden Herausgeber die
durch äussere physikalische (Kälte, Hitze, Elektrizität usw.) bedingten
Erkrankungen.
In dem vorliegenden Bande ist der Stoff nach manchen Richtungen
hin anders eingeteilt, als in den üblichen Lehr- und Handbüchern. Die
Einteilung berücksichtigt dabei sowohl die durch die modernen wissen¬
schaftlichen Forschungen, als die durch die praktischen Bedürfnisse ge¬
gebenen Fragestellungen. Ersteres trifft insbesondere für das von Falta
mit grossem Geschick bearbeitete Kapitel der Drüsen mit innerer Sekretion
zu, sowie auch für das von W. A. Freund und von den Velden ge¬
meinschaftlich bearbeitete Kapitel der auf anatomischer Basis erwachsenen
Konstitutionsanomalien. Es darf als ein besonderer Vorzug des Werkes an-
geseheu werden, dass sich die beiden Herausgeber die Mühe genommen
haben, die als direkte Folgen physikalischer Schädigungen erzeugten
Krankheiten in übersichtlicher und den praktischen Interessen entgegen¬
kommender Weise zu besprechen. Es sind dabei sogar die Seekrankheit,
die Bergkrankheit und die Erkrankungen der Luftschiffer berücksichtigt
Das Kapitel Blutkrankheiten, in welchem gleichzeitig auch die Erkrankungen
der Milz und die hämorrhagischen Diathesen geschildert sind, ist im
Vergleich zu manchen anderen Kapiteln etwas ausführlich gehalten, und
es wird insbesondere den theoretischen Grundlagen eine etwas weitgehende
Berücksichtigung gezollt. Knapp und zugleich übersichtlich sind die Erkran¬
kungen der Muskeln, der Knochen und der Gelenke geschildert. Die gleiche
Eigenschaft zeigt auch die Bearbeitung des Diabetes.. Alle Kapitel des
vorstehenden Bandes sind auf modernster Grundlage bearbeitet. Trotz¬
dem überall die neuesten Forschungsergebnisse zum Ausgangspunkt der
Betrachtung gewählt sind, kommen aber doch die alten durch die Er¬
fahrung gesicherten Tatsachen zur vollen Geltung. Allerdings hätte
in der Darstellung, entsprechend der in der Einführung zum ersten Bande
mitgeteilten Absicht, die Besprechung der Therapie an manchen Stellen
etwas mehr ins Detail gehen dürfen.
Die für den vierten Band geäusserten Vorzüge in der Durchführung
der Arbeitsgrundsätze treffen auch für Band V zu, obwohl hier die
Arbeitseinteilung mehr als in Band IV an das Gewohnte erinnert.
In diesem Bande behandeln E. Müller-Marburg die Erkrankungen
des Rückenmarks und seiner Häute und M. Rothmann-Berlin die Er¬
krankungen des Gehirns und der Hirnhäute in ausgezeichneter Weise.
Veraguth-Züricb schildert die Krankheiten der peripheren Nerven in
sehr übersichtlicher Form und Bing-Basel entwirft in sehr instruktiver
Weise ein Bild von den kongenitalen, heredofamiliären und neuromuskulären
Erkrankungen (angeborene Erkrankungen des Gehirns, progressive Muskel-
trophien, Friedreich’sche Krankheit, hereditäre progressive Chorea, Myo-
tonia congenita usw.). Von den funktionellen Neurosen sind die Be¬
arbeitungen der Psyohoneurosen und der Epilepsie von Heilbronner-
Utrecht in fesselnderWeise unter Berücksichtigung derneueren Auffassungen
geschrieben» und C urschmann -Mainz gibt eine anschauliche Schilderung
von Migräne, Schwindel, Chorea, Tetanie, Paralysis agitans, Tremor,
Maladie des Tics, vasomotorischen und trophischen Neurosen. Von be¬
sonderem Interesse ist das von Kohnstamm-Königstein i. T. bearbeitete
Kapitel über Physiologie und Pathologie des visceralen Nervensystems.
Den Schluss des Bandes stellt eine aus der Feder von Gutzmann-
Berlin stammende Bearbeitung der funktionellen Störungen der Stimme
und Sprache und eine von E. Meyer-Königsberg gelieferte Bearbeitung
der toxischen Erkrankungen des Nervensystems dar. Band V enthält
ausserdem noch eine Summe ausserordentlich gelungener sehr instruktiver
Abbildungen, welche die Darstellung an vielen Stellen in ausgezeichneter
Weise unterstützen. H. Strauss-Berlin.
6. Kieker: Grundlinien einer Logik der Physiologie als reiner
Naturwissenschaft. Stuttgart 1912, Verlag von F. Enke. Preis
3,60 Mark.
Die Abhandlung zerfällt in einen ersten, der Logik der Naturwissen¬
schaft gewidmeten Teil und in einen zweiten, der diese auf die Physio¬
logie an wendet.
Aus dem ersten Teil sei nur folgendes hervorgehoben: Indem der
Verf. davon ausgebt, dass es in der Natur nichts in sich Beharrendes
und Abgeschlossenes gibt, dass sie als eine unendliche Kette von Vor¬
gängen aufzufassen ist, die der Naturforscher zu untersuchen, nicht aber
mit Wertungen zu versehen hat, behandelt er zuerst die Objekte der
Naturwissenschaften, die Dinge der naiven Denkweise mit ihren Eigen¬
schaften, Tätigkeiten und Fähigkeiten, als solche Summen von gleich¬
wertigen Vorgängen, die mit anderen Vorgängen in Beziehungen stehen.
Auf dieser Grundlage ergibt sich ihm insbesondere die Ablehnung des
Begriffes der Aktivität im Bereiche der Naturwissenschaften. Zum
kausalen Urteil übergehend, führt ihn die gleiche Betrachtungsweise, die
Betonung des Geschehens in seinen unendlichen gleichwertigen Re¬
lationen, zum Satze von der Vielheit der Ursachen und Wirkungen.
Es schliesst sich auf psychologischer Grundlage eine Erörterung des
teleologischen Urteils an, wie es teils an Stelle kausaler Urteile gesetzt,
teils als Ersatz nicht vorhandener kausaler Urteile verwandt wird. Das
Werturteil, das in jeder teleologischen Auffassung enthalten ist, wird als
dem Geiste der Naturwissenschaft, der alle Vorgänge gleichwertig sind,
widersprechend nacbgewiesen und der philosophische Charakter des teleo¬
logischen Urteils dargetan.
Es würde zu weit führen, wollten wir wiedergeheu, wie der Verl
auf der skizzierten Grundlage den Begriff, das induktive und deduktive
Schliessen, das Gesetz, die Hypothesen und das Experiment auffasst und
darstellt.
Im zweiten Teil geht der Verf. vom Verhältnis der Anatomie zur
Physiologie aus und stellt jene als eine Methode dieser hin. Anknüpfend
an die Zurückweisungen der Wertungen und der Aktivität im Bereiche
der Naturwissenschaften gibt er eine Kritik des Begriffes der Zelle, die
in der Vircho w’schen Auffassung als das Wesentliche und als aktiv
tätig erscheint. Nachdem das kausale und das teleologische Urteil in
der Physiologie an den Beispielen der Entwicklungslehre, der Organismus-
auffassung des Körpers, des Verhältnisses von Physiologie und Patho¬
logie u. a. erörtert worden ist, wendet sich Verf. der Kritik des Lebens¬
begriffes und der Begriffe vom Leben zu. Dem Leben wird eine ledig¬
lich begriffliche Existenz zugesprochen. Die Lehre von der Lebenskraft,
die mechanistische und die vitalistische Auffassung des physiologischen
Geschehens, der cellularphysiologische Lebensbegriff Virchow’s und die
neue Fassung, die ihm Verworn und 0. Hertwig gegeben, die Granula¬
lehre und die „OrganPhysiologie“ werden nacheinander mit Hilfe der
gewonnenen Einsichten betrachtet und so jenes Ergebnis der lediglich
begrifflichen Existenz des Lebens und des teleologischen Charakters der
verschiedenen Lebensbegriffe gewonnen, aus dem die Unbrauchbarkeit
des Lebensbegriffes für eine naturwissenschaftliche Physiologie hervorgeht
Ein kurzer Ueberblick über den Inhalt der Physiologie gibt dem
Verf. Gelegenheit, seine relativistische Auffassung derselben darzulegen:
hierbei wird die Reihenfolge der physiologischen Vorgänge besonders
betont und dem Nervensystem in seiner Beziehung zu Reizen die erste
Stelle zugewiesen. Am Schlüsse wird die naturwissenschaftliche Physio¬
logie, die „Relationsphysiologie“ der teleologisch-naturphilosophischen
Biologie gegenübergestellt und zu einer scharfen Trennung beider auf¬
gefordert.
Es ist dem Verf. gelungen, seine Gedankengänge in klarer und
anschaulicher Weise vorzutragen und durch Heranziehung von Beispielen
aus allen Gebieten der Naturwissenschaft zu beleben. Niemand wird
das Buch ohne grossen Nutzen aus der Hand legen, insonderheit kann
das Studium desselben jedem Studierenden der Medizin zur Schulung
des naturwissenschaftlichen Denkens nur dringend empfohlen werden.
_ Henneberg-Berlin.
Handbach der spesiellea Chirurgie des Ohres and der eherei Luft¬
wege. Herausgegeben von Dr. L. Kats, Dr. H. Preysiag und
Dr. F. Bluateafeld. Würzburg 1912/1913, Verlag von Curt
Kabitzsch.
Die dritte und vierte Lieferung des 4. Bandes enthält den Schluss
des Kapitels: die Chirurgie der Schilddrüse von Gluck und Sörensen,
ferner von Hausberg bearbeitet die Laryngofissur. Dieses Kapitel wird
ausführlich und anschaulich besprochen. Es werden die Indikationen zu
diesem Eingriff nach den einzelnen Krankheitsgruppen geordnet be¬
handelt und die Technik der Operationen durch gute Abbildungen ver*
anschaulicht. Den Schluss des Bandes bildet der Anfang des Kapitels:
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Endolaryngeale Operationen (indirekte Methode). In sehr klarer und
übersicbtlioher Form werden von Blumenfeld die einschlägigen Ein¬
griffe im Kehlkopfinnern dargestellt.
In der fünften und sechsten Lieferung des gleichen Bandes findet
dieses Kapitel seinen Abschluss. Es werden die Eingriffe im Kehlkopf
bei Tuberkulose, Syphilis und bei Tumoren (gutartigen wie bösartigen)
ausführlich geschildert und durch eine reiche Anzahl von sehr guten,
zum Teil farbigen Abbildungen illustriert.
Die siebente Lieferung enthält die Bearbeitung der Tracheotomie von
Bockenheimer, die durch sehr schöne Abbildungen der Operation
und des notwendigen Instrumentariums ausgezeichnet ist. Ferner ent¬
hält diese Lieferung die Besprechung der Tracheo-Bronchoskopie von
Mann. Mit allen Einzelheiten werden diese Untersuchungsmethoden
anschaulich dargestellt. Sehr gut ausgeführte Abbildungen erleichtern
das Verständnis dieses Kapitels. An einschlägigen Krankheitsfällen aus
der Literatur und eigener Beobachtung werden die Anwendungsarten der
Tracheo-Bronchoskopie auseinandergesetzt.
Die Ausstattung der neu erschienenen Lieferungen ist ausgezeichnet.
Der Preis der 3./4 und 5./6. Lieferung beträgt 8,50 M., der 7. Lieferung
7,00 M. _ Brühl.
W. Lohmann: Die Störungen der Sehfanktionen. Leipzig 1912,
F. C. W. Vogel.
Der Verf., der sich durch eine Reihe trefflicher Arbeiten aus dem
Gebiete der physiologischen Optik hervorgetan hat, bietet mit diesem
Buch einen ebenso neuen wie interessanten Versuch, die physiologische
Optik unter dem Gesichtspunkt der Veränderungen abzuhandeln, die als
krankhafte Störungen in die Erscheinung treten. In 12 Kapiteln be¬
spricht er die Pathologie des Sehvermögens, der Adaptation und des
Lichtsinns, des Farbensinns (hier das „Farbenhören“ und andere Be¬
gleitempfindungen streifend), des binocularen Sehens und die Seh¬
störungen bei Erkrankungen der Sehbahnen und Sehcentren. Das Buch
bringt eine Fülle von Anregungen und gewinnt an Wert durch die
vielen Literaturnachweise. Die äussere Ausstattung ist über jedes Lob
erhaben, nur wäre bei einer neuen Auflage, die dem Werke sehr zu
wünschen ist, auf eine exaktere Rechtschreibung der Eigennamen zu
achten. Kurt Steindorff.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
E. L. Backman und C. G. Sundberg: Zur Frage des Verhaltens
der Amphibien in verschieden konzentrierten Lösnngen. Bemerkungen
zu der im ersten und zweiten Hefte von Pflüger’s Archiv, Bd. 150, 1912,
veröffentlichten Mitteilung von Dr. Bruno Brunacci. (Pflüger’s Archiv,
Bd. 151, H. 1—8.) Zurückweisung von Brunacci’s Prioritätsreklamation.
F. Schaefer: Vergleichung der bei konstantem und rhythmischem
Drnck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeit.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Nach Hamei sollte bei rhythmischer
Durchtreibung von Flüssigkeit durch die Hinterbeine des Frosches weit
mehr Flüssigkeit durchströmen als bei konstanter Durchströmung. Verf.
macht auf einen Fehler in Hamel’s Versuchsanordnung aufmerksam.
Bei Vermeidung dieses findet Verf., dass bei rhythmischem wie konstantem
Druck die gleichen Flüssigkeitsmengen hindurchtreten, wenn die Mittel¬
drucke gleich sind. Bei Einwirkung gefässerregender Mittel scheint da¬
gegen rhythmischer Druck vorteilhafter zu sein als konstanter.
J. Boeke: Die Regenerationserscheinangen bei der Verheilung von
motorischen «nd receptorischen Nervenfasern. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151,
H. 1—3.) Verf. vereinigte an Hunden den centralen Stumpf des durch¬
schnittenen Hypoglossus mit dem peripherischen des Lingualis und
untersuchte nach verschieden langer Zeit mikroskopisch das Verhalten
der vereinigten Nerven. Er findet, dass die alte Lehre von der Unfähig¬
keit motorischer Nervenfasern mit sensiblen zu verheilen, unrichtig ist.
Die motorischen Fasern verwachsen mit ihnen, können jedoch ihr End¬
gebiet, die Muskelfasern, nicht erreichen, weil sie die Bahn, in die sie
hineingewachsen sind, nicht verlassen können. Sie wachsen an den
Muskelbündeln vorüber und bilden erst am Ende der Lingualisbabn ihre
Endverzweigungen aus. Dadurch ist allerdings eine physiologische
Heilung (Wiederherstellung der Hypoglossusfunktion) im allgemeinen
ausgeschlossen. Trotzdem könnte auch sie teilweise zustande kommen,
weil einzelne Hypoglossusfasern im perineuralen Bindegewebe
weiter wachsen und schliesslich Endplättchen auf Muskesfasern bilden.
H. Fredericq: Die Hering’sche Theorie gibt keine Erklärung für
den an ausgeschnittenen Herzmaskelstüeken hervorgerufenen Pnlsns
altersaBS. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Der Herzalternaus soll
nach Hering auf einer partiellen Asystolie beruhen und diese dadurch
zustande kommen, dass einzelne Muskelfasern sich noch in der refraktären
Phase befinden. Verf. führt die Ergebnisse von Versuchen an, die dieser
Anschauung widersprechen.
M. Eiger: Die physiologischen Grundlagen der Elektrocardio-
graphie. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Verf. kritisiert zunächst
die bisher aufgestellten Theorien über die Bedeutung des Elektrocardio-
gramms, von denen er die meisten unvollkommen findet. Er selbst
nahm Elektrocardiogramme auf von ganzen Froschherzen wie von
einzelnen Teilen desselben. Erfindet, dass an jedem Teil des Herzens
sich ein Elektrooardiogramm gewinnen lässt, das im wesentlichen dem
Kammerelektrocardiogramm entspricht. Im Anschluss an Cybulski
b.ingt Verf. die elektrischen Herzströme in Beziehung zu dessen Stoff¬
wechsel und führt den Teil S 0 T der Kurve sowie die Zacke T auf den
Stoffwechsel während der Systole und Diastole zurück. Zum Schluss
gibt Verf. ein Schema über die Gestalt der der Kontraktion der ein¬
zelnen Herzabschnitte zukommenden Kurven. A. Loewy.
Lee und White: Ueber Blutgerinnnng. (Americ. journ. of med.
Science, 1913, Nr. 4.) Um Fehlerquellen auszuschalten, ist es nötig,
Blut direkt aus der Vene zu entnehmen, damit es nicht mit der Haut
in Berührung kommt. Verff. entnehmen das Blut mit einer Spritze und
füllen es dann erst in eine Capillare, wodurch meines Erachtens eine
neue Fehlerquelle geschaffen wird, die bei früher beschriebenen Methoden
(Schultz) vermieden wird. Schelenz.
Arneth-Münster i.W.: Die Thorium X-WirkiBg auf das Blnt-
zellenlebeB. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 16 u. 17.) A. hat
die Wirkung der Thorium X-Strahlen auf die einzelnen Blutzellenarten
eingehend studiert. Beim Kaninchen fand er einen Abfall der Gesamt-
leukocyten. Besonders stark sind an diesem Abfall die pseudoeosino¬
philen Zellen beteiligt, so dass eine relative Vermehrung der Lympho-
cyten zustande kommt. Dabei ist das pseudoeosinophile Blutbild „nach
reohts“ verschoben. Der Grund für die Verarmung an weissen Blut¬
zellen ist in letzter Linie in einer mangelhaften Produktion des Knochen¬
markes zu suchen. Da sich die lymphoiden und Lymphzellen am
längsten im Knochenmark erhalten und die Wirkung des Thorium X
auf diese Zellen relativ gering ist, sind sie im strömenden Blute relativ
vermehrt. Jedenfalls besitzt aber das Thorium X eine ausserordentlich
schädigende bzw. hemmende Wirkung auf die Zellproduktion in den
Centralorganen. Trotz der gewaltigen Zellabnahme ist nun im Blute
nichts von jugendlichen Ersatzformen zu bemerken: vielmehr weist das
Blutbild für alle Leuko- und Lymphocyten fortschreitende Altersver¬
änderungen der Kerne auf. Die Erythrocyteuzahl wird im Tierexperiment
ebenfalls stark herabgesetzt (auf 1 l i \ desgleichen der Hämoglobingehalt.
Bei vorher geschädigtem Blut macht sich jedoch eine günstige Beein¬
flussung kenntlich. So erklärt sich die günstige Wirkung des Thorium X
bei perniciöser Anämie. Bei Behandlung der Leukämie kommt es
durchaus nicht darauf an, die Gesamtleukocytenzahl möglichst weit
herabzudrücken, vielmehr hat die Abstufung der Dosen unter genauer
Kontrolle des qualitativen Blutbildes zu erfolgen. Erweist sich das
„Leukämievirus“ als besonders hartnäckig, so geht trotz Thorium X der
leukämische Prozess seinen Weg. Wolfsohn.
Boit- Königsberg: Ueber PlenraresorptioB. (Centralbl. f. Chir.,
1913, Nr. 12.) B. hat Hunden Trypanblau-, Tusche-Karmin in physio¬
logischer Kochsalzlösung eingespritzt. Einzelnes sei nur erwähnt: Nach
Monaten fanden sich tuschedurchsetzte Peribronchial-, Peritracheal- und
Bifurkationsdrüsen. Fast sofort nach der Injektion der Flüssigkeit in
die eine Pleura wurde sie auch in der anderen Pleurahöhle sichtbar,
ohne dass Mediastinumverletzungen bestanden! Dasselbe Resultat nach
vorheriger Unterbindung des Ductus lymphaticus und Truncus lympha-
ticus dexter. Die Flüssigkeit scheint durch das Mediastinum durch¬
zudiffundieren. Beim Hunde tritt bei einseitiger Infektion auch eine
Infektion der anderen Pleurahöhle durch das Mediastinum ein.
Sehrt.
Pharmakologie.
J. Pal-Wien: Experimentelle und klinische Studien über die
Wirkling des Papaverins. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.)
Es ist unrichtig, dass die Nebenalkaloide des Opiums unwirksam sind.
Das Papaverin setzt den Tonus der glatten Muskulatur herab (geprüft
am Verdauungstraotus, an der Bronchialmuskulatur, Harnblase und
Uterus), macht Blutdruckerniedrigung und Pulsbeschleunigung. Thera¬
peutisch wirksam ist das Papaverin beim Asthma bronchiale sowie bei
Krampf- und Reizungszuständen im Bereich des Gastrointestinaltractus.
Da es io den angewandten Dosen keine narkotische Wirkung hat, so ist
das Papaverin ein gutes Mittel, um gewisse durch Krampf glatter Muskel¬
fasern erzeugte Sohmerzzustände zu beseitigen. Eine grosse Bedeutung
kommt ihm in Kombination mit anderen Mitteln (besonders Opium¬
alkaloiden) zu. Papaverin wirkt dem Morphin funktionell antagonistisch
und lässt daher abdämpfende und regulierende Wirkungen zustande
kommen. G. Eisner.
N. Schapiro: Ueber die Wirkung von Morphium, Opium und
P&ntopon auf die Bewegungen des Magendarmtraetns des Menschen und
des Tieres. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 1—3.) Röntgenologische
Untersuchungen mit Wismutbreifütterung. Am Hunde wurde zum
Zwecke der gesonderten Untersuchung einzelner Magendarmabschnitte
eine „Darmfistel am einseitig ausgeschalteten Dünndarm“ angelegt.
Verf. findet, dass Opium, Morphium, Pantopon zu einer maximalen Kon¬
traktion der Dünndarmschlingen und Erweiterung des ganzen Colons
führen. Beim nüchternen Hunde kommt es zu verlangsamter
Dünndarmentleerung ohne Aenderung der Durch tri ttszeit durch den
Dickdarm; beim gefütterten tritt keine Transportverzögerung im
Dünndarm ein, eine geringe im Dickdarm. Die Wirkung am Menschen
ist schwankend. In der Hälfte der Fälle trat eine starke Verzögerung
der Magenentleerung ein, in einem kleineren Teil kam eine Beschleunigung
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886
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
zustande. Im Dünndarm fand sich oft kein Effekt da, wo die Magen¬
entleerung verlangsamt war, sonst eine Verzögerung. Auch der Tonus
des Dünndarms wurde verschieden beeinflusst. Der Tonus des Dick¬
darms wurde nicht beeinflusst. Die stopfende Wirkung der Opiate be¬
ruht nach Verf. auf einer zeitweiligen Abschwächung bzw. Ausschaltung
des Defäkationsreflexes. A. Loewy.
B. Doinikow-Frankfurt a. M.: Verhalten des Nervensystems ge¬
sunder Kaninchen zu hohen Salvarsandosen. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 15.) D. stellte zahlreiche Versuche mit Salvarsan an,
um eventuell die Frage der Schädlichkeit auf das Nervensystem zu
fördern. Bei den Tieren, die langdauernde Salvarsaninjektionen in
therapeutischer Dosis erhielten, Hessen sich keine Veränderungen am
Nervensystem naohweisen. Bei toxischen Dosen waren die Resultate
verschieden. Zum Teil fanden sich Veränderungen am Gehirn; die
weitere pathologisch - anatomische Untersuchung muss die etwaigen
Störungen an anderen Organen nachweisen. Dünner.
Siehe auch Kinderheilkunde: Talbot und Sisson, Formal¬
dehydausscheidung bei Kindern. — Haut und Geschlechtskrank¬
heiten: Fischer, Auftreten von Exanthemen nach Gebrauch von
Copaivabalsam. _
Therapie.
W. Kühn-Leipzig: Die Anwendung des faradischen Stroms beim
intermittierenden Hinken. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 17.) In einem
Fall von intermittierendem Hinken, bei dem die Femoralis nicht mehr
zu fühlen war, hat K. guten Erfolg durch Anwendung des faradischen
Stroms in Form von Teilvierzellenbädern zu verzeichnen gehabt.
Sehrt.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
J. Jundell: Die chronischen Anstrengnngsver Änderungen des
Herzens. (Nord. raed. Arkiv, 1912, Afd. 2, H. 3, Nr. 9.) Herzen, die
einst chronisch überanstrengt, aber anderen schädigenden Einflüssen
(Alkohol, Lues u. a.) nicht ausgesetzt waren, atrophieren gleich anderen
Muskeln nach dem Aufhören der gesteigerten Inanspruchnahme und
kehren zur früheren normalen Grösse und Beschaffenheit zurück.
E. Herzfeld.
C. Hegler, E. Fraenkel und 0. Schümm-Hamburg: Zur Lehre
von der Haematoporphyria congenita. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 18.) Demonstration im Aerztlichen Verein zu Hamburg am
11. Februar 1913 (cf. Gesellschaftsbericht). Wolfsohn.
Ch. Walker und H. Whittingham - Glasgow: Die Wirkung einer
allgemeinen Kontraktion der peripheren Blutgefässe anf den Mänse-
krebs. (Lancet, 12. April 1913, Nr. 4676.) Die unmittelbare Wirkung
der von Wassermann und Neuberg u. a. benutzten Verbindungen
bei der Behandlung des Mäusekrebses besteht in einer allgemeinen
Kontraktion der peripheren Blutgefässe und einer gleichzeitigen passiven
Erweiterung der Gefässe des Tumors. Die Verff. haben Versuche ge¬
macht mit dem gefässverengernden Mutterkornpräparat Ernutin und mit
Hypophysenextrakt. Beide hatten eine ähnliche Wirkung wie die Sub¬
stanzen von Wassermann usw. Bei dem Hypophysenextrakt fanden
sich Nekrosen und Blutungen in den Geschwülsten, und das Wachstum
wurde gestört. Von einer spezifischen Wirkung der Mittel auf die Krebs¬
zellen kann keine Rede sein. Weydemann.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Finkeln¬
burg, Rindenatrophie und intakte Pyramidenbahn. — Geburtshilfe
und Gynäkologie: Haeberle, Dicephalus tribrachius. Modena,
Fehlen des Gehirns und Rückenmarks. Sunde, Herpes zoster frontalis
und Bakterienbefund im Ganglion Gasseri. — Chirurgie: Holländer,
Genese der Netztumoren.
Parasitenkunde und Serologie.
0. Mayer-Landau: Zosammenlegbftrer Bakterienbrntsehrank,
besonders für den Gebrauch im Felde geeignet. (Centralbl. f. Bakteriol.
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 398.) Der vom Verf. konstruierte
zusammenlegbare Brutschrank besteht in zwei ineinandergeschachtelten
Blechkasten, einer Asbestauskleidung, einer Thermometerhülse, einem
Thermometer und einer Petroleumlampe. Der leicht transportable
Apparat ist in wenigen Minuten aufzustellen und in Betrieb zu setzen;
er kann mit Vorteil Verwendung finden, wo mit Gas geheizte Brutschränke
nicht aufzustellen sind. Bierotte.
Mentz v. Krogh-Cordoba: Zur Erleiehternng der serologischen
Titrationen mittels Verdünnungspipetten. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 489.) Beschreibung einer für serologische
Arbeiten bestimmten Verdünnungspipette, die es ermöglicht, die bisher
gebräuchliche, etwas umständliche Art der Verdünnungsmethodik zu ver¬
meiden.
M. Rabino witsch -Charkow: Ein neuer Hoiswasserfiltrierapparat.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 493.) Der
vom Verf. nach dem Prinzip des Autoklaven konstruierte Apparat soll
es ermöglichen, Agar- und Gelatinenährböden einfach und schnell zu
filtieren.
U. Cano und G. Martinez-Sassari: Einfluss der Wasserfanna anf
Choleravibrionen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67,
H. 6, S. 431.) Choleravibrionen können im Darm von Goldfischen 2 bis
4 Tage am Leben bleiben. Die Wasserinfektion wird weder durch die
Vibronenentleerung der Fische begünstigt, noch durch Beförderung der
Bakterienentwicklung mittels der Ausscheidungen. Die Gegenwart ver¬
schiedener Wassertiere (Frosch- und Insektenlarven, Wasserkäfer) be¬
einflusst nicht die Lebensfähigkeit der Choleravibrionen; diese haben
auf die genannten Tiere keinen Einfluss, mit Ausnahme vielleicht von
Froschlarven.
B aerthl ein-Gross-Lieh terfelde: Ueber eholera&hnliehe Vibrionen.
(Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 321.) Echte
choleraähnliche Vibrionen zeigen morphologisch und kulturell ein mit
den Choleravibrionen übereinstimmendes Verhalten. In der Mehrzahl
scheinen sie hämolytisch zu wirken. Serologisch sind sie von der
Cholera scharf abzugrenzen; mit Hilfe der Komplementbindung ist dies
manchmal nicht durchführbar. Sie besitzen ferner meistens eine gewisse
Pathogenität für Meerschweinchen. Inwieweit ihnen bei sporadisch vor¬
kommenden Darmerkrankungen, bei denen sie gefunden worden sind,
eine ätiologische Bedeutung zukommt, ist noch nicht aufgeklärt.
A. Sugai und J. Monobe-Osaka: Ueber die Vererblichkeit der
Lepra und einiger anderer Infektionskrankheiten. (Centralbl. f. Bakteriol.
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 336.) Durch Meerschweinchenver-
suche konnte festgestellt werden, dass Tuberkelbacillen, die in die Hoden
injiziert wurden, im Samen des Tieres nach einigen Tagen nachzuweisen
sind. Sie bleiben dort lebensfähig, können sich an geeigneten Stellen
vermehren und dort tuberkulöse Prozesse hervorrufen. Leprabaoillen,
Tuberkelbacillen und kleine Kokkenarten können die gesunden Pla-
centargefässe von Menschen und Tieren passieren und vom mütterlichen
Blut in das fötale gelangen; die Zahl der Keime in letzterem ist sehr
klein. Ein Passieren der Placentargefässe von Bac. coli und Typhus¬
bacillen findet kaum statt. Väterliche direkte Vererbung und mütter¬
liche Infektion mit Lepra, Tuberkulose und anderen Infektionskrank¬
heiten im Fötalleben ist nicht auszuschHessen.
T. Ishiwara-Tokio: Ueber die Rattenlepra. (Centralbl. f. Bakteriol.
usw., Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 446.) Die Diagnose „Rattenlepra*
ist bei alten Ratten nur mit einer gewissen Vorsicht zu stellen; aus¬
schlaggebend ist die bakteriologische Untersuchung durch den Nachweis
der Rattenleprabacillen. Ob diese mit den Leprabacillen des Menschen
identisch sind, ist noch eine offene Frage. Bierotte.
H. Dostal-Wien: Zur Stellung des Tnberkelbaeillns im System
der Mikroorganismen. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Experi¬
menteller Beitrag zu dem Satze Coruet’s, dass die Faden- und Zweig¬
bildung des Tuberkelbacillus zeigt, dass dieser nicht zu den einfachen
Bakterien (Schizomyceten) gehört, sondern die parasitäre Form eines
Fadenpilzes darstellt. G. Eisner.
J. Fraser - Edinburg: Eine Studie über die Organismentypen in
einer Reibe von Knoehen- nnd Oelenktnberkulosen bei Kindern. (Brit.
med. joum., No. 2728 v. 12. April 1913.) In einer Reihe von 70 Fällen
von Knochen- und Gelenktuberkulose bei Kindern hat der Verf. 11 mal
den bovinen, 26 mal den humanen und 3 mal beide Typen von Tuberkel¬
bacillen gefunden. In den ersten 3 Lebensjahren überwog der bovine
Typus bei weitem; in späterem Alter fanden sich beide Formen etwa
gleich häufig; wo Lungentuberkulose in der Familie vorlag, überwog die
humane Form. Zur Identifizierung wurde erkranktes Gewebe zunächst
auf Meerschweinchen übertragen und erst mit deren erkranktem Gewebe
Kulturen angelegt. Zur Unterscheidung diente 1. die Säurebildung der
humanen Form (nach Theobald Smith), 2. das Wachstum der Kolonien
auf Dorset’s Eidotternährboden mit Glycerin und 3. die Impfung von
Kaninchen mit sehr kleinen Mengen der Kultur intravenös.
Weydemann.
Küster und P. Wossner-Freiburg i. B.: Untersuchungen über die
Bakterienflora der Nase, mit besonderer Berücksichtigung des Vor¬
kommens von Diphtheriebacillen. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. 1,
Orig., Bd. 67, H. 5, S. 354.) Bei Untersuchungen der Bakterienflora von
100 Fällen meist normaler Nasenhöhlen und einiger durch leichte, nicht
spezifische Entzündungsformen erkrankter Nasenschleimhäute konnten
83 Reinkulturen gewonnen werden, die meistenteils zu den Kugel¬
bakterien gehörten; ferner fanden sich die verschiedensten Stäbchen,
ausserdem Fäulnispilze und Hefenarten. Die Keime gehörten sämtlich
zu den in der nächsten Umgebung des Menschen (Luft, W’asser, Staub
usw.) oder in und an ihm selbst vorkommenden Sapropbyten. Diphtherie¬
bacillen wurden nicht gefunden, doch diphtherieähnliehe bei einem
Fall von Ozaena, der in die Untersuchungen einbezogen war.
Bierotte.
A. Zaloziecki-Leipzig: Ueber „eigenlosende* Eigenschaften des
Meersehweinehensernms und dadurch bedingte Fehlerquellen der
Wassermann’schen Reaktion. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 17.) Die Eigenlösung des Meersohweinchenserums ist eine typische
Amboceptorhämolyse durch Komplement und Normalamboceptoren, nicht
wie Stern glaubt, lediglich Komplementvermehrung. Für die Praxis
der Wassermann'schen Reaktion ist die dadurch bedingte Fehlerquelle
nicht eben hoch zu bewerten, da sie im Vorversuch erkennbar ist!
Wolfsohn.
E. Hanoi 16ff-St. Petersburg: Ueber die Verdanungsf&higkeit den
I Normal- und Lnessernms. (Centralbl, f. "Bakteriol. usw., Abt. 1, Orig.,
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12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
887
Bd. 67, H. 5, S. 382.) Luesserum wird nach den Untersuchungen des
Verf. durch Magensaft bedeutend stärker verdaut als Normalserum.
Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen Magensaft und Luesserum.
Eine zutreffende Erklärung kann Verf. vorläufig nicht geben.
Bierotte.
H. Schl echt-Kiel: Allgemeine und lokale Eosioophilie bei Ueber-
empfindlichkeit gegen organische Arsenpräparate. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Bei zwei gegen Arsenpräparate überempfind¬
lichen Individuen fand Sch. eine ausgesprochene lokale und allgemeine
Eosinophilie. Sch. erklärt die Ueberempfindlichbeitssymptome derart
entstanden, dass Verbindungen zwischen Arsen und körpereigenem Ei-
weiss Zustandekommen, die dann als blut- und organfremd circulieren,
also im Bruck’schen Sinne als „entarteignetes“ Eiweiss wirken.
Dünner.
L. Loeb, G. T. Moore und M. S. Fleisher-St. Louis: Vorkommen
von Hefen in menschlichen Tnmoren, mit Versuchen über das Wachs¬
tum einer pathogenen Hefe im Tierkörper. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 6, S. 450.) Die Untersuchungen von 16 bös¬
artigen Tumoren des Menschen auf Hefen waren bis auf einen Fall stets
negativ; nur aus einem Sarkom konnte ein dem Saccharomyces cerevisiae
nahe verwandter Organismus gezüchtet werden, der den Namen Saocharo-
myces parasiticus von den Verfassern erhalten hat. Dieser wurde zu
eingehenden Studien bezüglich seiner Wachstumsbedingungen und
Wirkungsweise im Säugetier, benutzt. Das seltene Vorkommen der
Hefen wie der Ausfall der Tierversuche in dem positiven Fall machen
es nach Ansicht der Verfasser durchaus unwahrscheinlich, dass den Hefen
eine allgemeine Bedeutung für das Wachstum maligner Tumoren zu¬
kommt. Bierotte.
W. Kolle, 0. Hartoch, M. Rothermundt und W.Schürmann-
Bern*. Ueber neue Prinzipien und neue Präparate für die Therapie der
Tryp&nosomeninfektionen. — Chemotherapeutische Experimentalstudie.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag, gehalten am
81. März 1913 auf der 7. Tagung der Freien Vereinigung für Mikro¬
biologie in Berlin. Wolfsohn.
Siehe auch Kinderheilkunde: Kleinscbmidt, Milchanaphy¬
laxie. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Donagh, Mikro¬
organismen der Syphilis. Saisawa, Aetiologie des Erythema exsuda¬
tivum multiforme.
Innere Medizin.
C. v. Dapper-Saalfels und E. Jürgensen-Kissingen: Indikationen
des Kissinger nuten „Lnitpold-Sprndels“. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 15.) Der Luitpold - Brunnen ist bei interner An¬
wendung ein gutes Unterstützungsmittel bei Behandlung der Chlorose
und anämischer Zustände. Auch Hyperaoiditäten leichteren Grades
wurden günstig beeinflusst.
H. v. Recklinghausen - Strassburg: Neue Apparate zur Messing
des arteriellen Blntdnekes beim Menschen. (Münchener med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 15 u. 16.) Dünner.
K. Weiser-Wien: Vorhofsflimmern bei paroxysmaler Taehyeardie.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Beschreibung eines Falles
von paroxysmaler Taehyeardie bei einem wahrscheinlich nur nervösen
Herzen. G. Eisner.
Sir J. Barr: Rheumatoide Arthritis. (Brit. med. journ., 12. April
1913, Nr. 2728.) Nach der Ansicht des Verf. ist die rheumatoide
Arthritis verursacht durch eine leichte chronische Acidose, durch die
den Geweben Kalk entzogen wird. Es ist also eine allgemeine Er¬
krankung und die Vorliebe für die Gelenke liegt in deren Struktur und
leichten Verletzlichkeit. Mit dem Verluste der Kalksalze fangen die
Gewebe an zu schwellen und werden gefässreicher, die Muskeln kommen
in einen Zustand reizbarer Schwäche. Die Behandlung besteht in der
Erzielung einer möglichsten Alkalinität des Blutes: reichlich rotes
Fleisch, wenig gärende vegetabilische Substanzen. Als Medikamente
kommen Alkalien und Kalksalze in Frage; nur wissen wir leider nioht,
ob per os gegebener Kalk überhaupt in die Gewebe gelangt oder einfach
wieder ausgeschieden wird. Weydemann.
Henius und Rosenberg-Berlin: Das Marmorek-Sernm ii der
Behandlung der Lungentuberkulose. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 17 u. 18.) Henius hat 23 klinische, Rosenberg 21 poli¬
klinische Lungentuberkulosen mit Marmorek-Serum behandelt, meist mit
rectaler Applikation. Schädliche Folgen wurden nie gesehen, dafür sind
aber auch die Erfolge nicht eben sehr eklatant. Die geeignetsten Fälle
für die Serumbehandlung scheinen die schweren Fälle des zweiten und
die leichteren des dritten Stadiums zu sein. Wolfsohn.
J. Schütz-Marienbad: Ueber Sekretlous- und Motilitätsprüfnng
des Magens. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15 u. 16.) Verf.
bespricht den Wert der Magenfunktionsprüfungen mit Magen schlauch.
Das Ewald-Boas’sche Probefrühstück ist zur Funktionsprüfung sehr ge¬
eignet. Es gibt einen guten Anhaltspunkt bezüglich der Sekretion. Die
Milch bietet eine zweckmässige Ergänzung. Man muss sich bei allen
mit Magensonde erhobenen Befunden klar sein, ob sie symptomatische
oder funktionelle Bedeutung besitzen. G. Eisner.
Schlayer - München: Notiz zur Fnnktioisprüfnng der Niere. 1
(Münohener med. Woohenschr., 1913, Nr. 15.) Dünner.
N. Klodnitzky-Astrachan: Beobachtungen über Flecktyphus in
Astrachan io den Jahren 1907—1909. (Centralbl. f. Bakteriol. usw.,
Abt. 1, Orig., Bd. 67, H. 5, S. 838.) In den Jahren 1907—1909 kamen
in der Stadt Astrachan 2110 Fälle von Flecktyphus zur Beobachtung.
Bezüglich der Frage der Bedeutung von Läusen bei der Verbreitung des
Flecktyphus steht Verf. auf dem Standpunkt, dass diesen eine zu grosse
Bedeutung zugeschrieben wird, wenn er auch nicht leugnen will, dass
in einigen Fällen Ansteckung durch Läuse stattfindet. Versuche, die
Krankheit durch Bisse von Wanzen auf Meerschweinchen zu übertragen,
fielen negativ aus. Io klinischer Hinsicht wurden Besonderheiten nicht
beobachtet; die Mortalität mit etwa 12 pCt. war verhältnismässig niedrig.
Die Therapie war die übliche; besonderer Wert wurde auf häufigen
Lagewechsel der Kranken gelegt, um Lungenhypostasen zu vermeiden,
die man häufig als unvermeidlich angesehen hat; weiter wurde auf sorg¬
fältige Reinigung der Mundhöhle und Zähne geachtet. Die bakterio¬
logischen Untersuchungen verliefen bis auf einen Fall negativ; in diesem
fanden sich vom Verf. näher beschriebene und in Reinkultur gezüchtete
Bacillen von ausserordentlicher Virulenz, die er auch aus Wanzen einige
Male isolieren konnte; sie als den Erreger des Flecktyphus zu be¬
zeichnen, wagt der Verf. nach seinen eigenen Worten nicht.
Bierotte.
Siehe auch Physiologie: Arneth, Thorium X-Wirkung auf das
Blutzellenleben. — Parasitenkunde und Serologie: Schlecht,
Lokale Eosinophilie bei Ueberempfindlichkeit gegen organisohe Arsen¬
präparate.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Goldbladt - Kiew: Neues Reflexoneter. (Deutsche Zeitschr. f.
Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Das Instrument besteht aus dem Schlag¬
apparat, einem Extensitäts- und einem Intensitätsmessapparat (Winkel-
bzw. Geschwindigkeitsmesser). Es eignet sich zur Untersuchung sämt¬
licher Sehnenrefiexe und gestattet auch eine graphische Registrierung.
Modena - Ancona: Totales Fehlen des Gehirns und des Rücken¬
marks. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Reife Frucht,
die einige Minuten gelebt hat. Rumpf und Extremitäten gut entwickelt.
Echte Amyelie, Hirn- und Rückenmarksnerven vollkommen ausgebildet,
mit ihren Wurzeln frei endend. Es ergibt sich daraus, dass das Muskel¬
system sich unabhängig vom Nervensystem entwickelt.
Finkelnburg-Bonn: Partielle Rindenatrophie und iitakte Pyra¬
midenhahn in einem Fall von kongenitaler spastischer Paraplegie
(Little). (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Die Unter¬
suchung ergab neben einem mässigen Hydrocephalus deutliche Atrophie
der motorischen Rindenzellen mit Ausnahme der untersten (fünften)
Schicht und Fehlen jeder sekundären Pyramidenbahndegeneration.
Lähmungen und Spasmen können also auch bei intakter Pyramiden¬
bahn duroh Affektion der obersten Rindenschicht entstehen.
K. Kroner.
G. Söderbergh: Kleinhinsymptome bei Myxödem. (Nord. med.
Arkiv, 1912, Afd. 2, H. 3, Nr. 11.) Vier Fälle von Myxödem wiesen
sämtlich eine Reihe von Kleinhirnsymptomen auf. Konstant fand sich
in allen Fällen cerebellare Katalepsie und Störung der Diadokokinese.
E. Herzfeld.
A. Sunde - Ghristiania: Herpes xoster frontalis mit Bakterien -
befaid im Ganglion Gasse?!. (Deutsche med. Wochensohr., 1913,
Nr. 18.) Io einem Fall von Herpes zoster frontalis, der drei Tage nach
dem Ausbruch ad exitum kam, zeigte die Obduktion eine frische, teils
hämorrhagische, teils seropurulente Entzündung im Ganglion Gasseri der¬
selben Seite. Mikroskopisch fanden sich viele grampositive Kokken.
Einen Bakterienbefund in Spinalganglien konnte S. sonst in der Lite¬
ratur nicht erwähnt finden. Wolfsohn.
Merzbacher und Gastex - Tübingen: Ueber ein sehr grosses
multilobuläres Fibrom im Cervicalmark. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven¬
heilkunde, Bd. 46, H. 2.) Länge der Geschwulst 11 cm. Schmerzen
fehlten fast ganz, da offenbar die Verbindung zwischen der poripheren
und centralen Leitungsbahn unterbrochen wurde, bevor die Wurzeln ge¬
reizt waren. Krankheitsdauer 18 Jahre.
Beck-Heilbronn: Moltiple Sklerose, Schwangerschaft und Ge¬
burt. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 46, H. 2.) Die Gravidität
stellt einen bedenklicheren Faktor dar als die Geburt, wenn auch von
einer generellen Schädlichkeit nicht gesprochen werden kann. In
mehreren Fällen zeigte sich eine Verschlimmerung auch erst bei einer
späteren Gravidität.
Rosenblath - Cassel: Cystieerkenmeningitis mit vorwiegender
Beteiligung des Rückenmarks. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilkd.,
Bd. 46, H. 2.) Fünfjährige Krankheitsdauer. Zunächst nur cerebrale
Erscheinungen, die sich grösstenteils wieder zurückbilden. Nach drei
Jahren Wiederaufflackern und Auftreten von ausgesprochenen Rücken¬
markserscheinungen, während die cerebralen nochmals zurüokgehen. Bei
der Autopsie Erweichungen, namentlich im unteren Hals- und oberen
Brustmark, das von Granulationsgewebe umschlossen ist; die Parasiten
sind sämtlich abgestorben. Auffallenderweise fehlten Sensibilitäts¬
störungen fast gänzlich. K. Kroner.
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888 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 19.
Siehe auch Chirurgie: Sievers, Phrenicuslähmung bei Plexus¬
anästhesie. Payr, Technik der Hirnpunktion. Babitzki, Ischiadicus-
anästhesie. — Haut- und Geschlechtskrankheiten: Müller, Vaso-
commotio cerebri nach Salvarsaninfusion.
Kinderheilkunde.
A. Schlossmann - Düsseldorf: Die Arbeitsleistung des Säuglings.
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 47.) Die Arbeits¬
leistung des Säuglings darf in Theorie und Praxis nicht vernachlässigt
werden. Sie ist abhängig von dem Temperament des Kindes und einer
Reihe im und ausser dem Kinde gelegener Faktoren. In vier Fällen
berechnete sie Sch. auf 155—341 Meterkilogramm pro Kilogramm Körper¬
gewicht und Stunde und 345—1000 Meterkilogramm pro Kilo Muskulatur
und Stunde. Es ist ersichtlich, dass diese Ausschläge bei der Fest¬
stellung des Nahrungsbedarfes der Säuglinge eine Rolle spielen müssen.
E. Schloss - Berlin: Bemerkungen zu einer Kritik von Prof. Leo
Langstein über mein Buch „Ueber Sänglingsernährung“. (Monats¬
schrift f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 54.) Polemik.
W. Birk-Kiel: Ueber den Einfluss psychischer Vorgänge auf den
Ernährungserfolg bei Säuglingen. (Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913,
Bd. 12, S. 1.) Die Bedeutung psychischer Momente für das Gedeihen
junger Säuglinge ist allgemein anerkannt, doch fehlten zum Beweise des
Zusammenhanges dieser Dinge bisher Belege in Form klinischer, ein¬
deutiger Krankengeschichten. Verf. legt in der vorliegenden Mitteilung
zwei einschlägige Beobachtungen vor, in denen in interessanter Weise
die Bedeutung des Milieuwechsels (auch innerhalb eines Krankenhauses),
der individuellen Einzelpflege, d. i. die Herstellung einer Art seelischen
Kontaktes zwischen Kind und Pflegerin, und des psychischen Wohl¬
befindens für die körperliche Entwicklung mancher Kinder bewiesen
wird. Insbesondere ist es in hohem Maasse lehrreich, zu sehen, wie es
B. an der Hand seiner Fälle gelingt, zu zeigen, dass der Begriff der
Einzelpflege durchaus nicht mit dem der individuellen Pflege identisch
ist, und dass sich auch in der Anstalt durch Rücksichtnahme auf
psychische Eigentümlichkeiten der Kinder ihre somatische Entwicklung
beeinflussen lässt.
P. Hecin und M. K. John - Budapest: Die kaseinfettangereicherte
Kuhmilch (K. F. Milch) als Dauer- und Heilnahrung. (Monatsschr. f.
Kinderheilk., 1913, Bd. 11, S. 621.) Der hohe Preis, der im Handel
käuflichen Eiweissmilch und die Schwierigkeiten der Herstellung, speziell
wegen der Unmöglichkeit, eine zuverlässige Buttermilch zu bekommen,
veranlassten die Verff. zu dem Versuch, das Prinzip der Eiweissmilch
in einfacherer Weise in einer Heilnahrung zur Geltung zu bringen. Sie
erreichten das, indem sie das bei der Labung der Kuhmilch erhaltene
Kaseinfettgerinnsel nach Verteilung in heissem Wasser und fünf- bis
sechsmaligem Passieren durch ein Haarsieb zu 1 / 9 - bis y 2 -Kuhmilch¬
wassermischung hinzusetzten und 3 pCt. Soxhlets Nährzucker hinzufügten.
Diese Nahrung enthält weniger Fett als die Eiweissmilch. Das Manko
an Nährwerten wird durch den Zuckerzusatz ausgeglichen. Der wichtigste
Unterschied gegenüber der Eiweissmilch ist der grössere Gehalt an Molke,
doch glauben die Verff., das9 das wirksame Moment der Eiweissmilch
ihr hoher Gebalt an Kaseinfett sei, und dass „die Molke und insbesondere
deren Milcbzuckergehalt den Heilungsvorgang nicht im geringsten be¬
einträchtige“. Mit der Kasein fettmilch erzielten die Verff.“ bei der künst¬
lichen Ernährung junger, gesunder Säuglinge und bei der Behandlung
chronischer Dyspepsien gute Erfolge.
H. Kleinschmidt - Marburg a. L.: Ueber Milehanaphylaxie.
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Bd. 11, S. 644.) Zur Klärung des
Phänomens der Milchanaphylaxie stellte der Verf. eine Reihe von inter¬
essanten Versuchen an, deren Ergebnis er selbst folgendermaassen zu¬
sammenfasst: „1. Gesunde, ausgewachsene Meerschweinchen können auf
enteralem Wege mit Kuhmilch sensibilisiert werden. 2. Ob rohe oder
kurz aufgekochte Milch dabei verwandt wird, ist gleichgültig; mit
i/ 4 Stunde gekochter Milch aber werden die Resultate inkonstant, was
offenbar auf die Reduktion der biologisch wirksamen Molkeneiweisskörper
zurückzuführen ist. 3. An der Sensibilisierung ist in erster Linie das
Milchalbumin beteiligt, doch kommt auch eine Kaseinüberempfindlichkeit
vor. 4. Albumin- und Kaseinüberempfindlichkeit können nebeneinander
bestehen (polyvalente Anaphylaxie). Das Ueberstehen eines Kaseinshocks
hat nicht Antianaphylaxie für Albumin zur Folge. 5. Bei subcutan und
durch Fütterung vorbehandelten Meerschweinchen lässt sich auf enteralem
Wege kein Shock auslösen. 6. Es fehlen auch lokale celluläre anaphy¬
laktische Prozesse sowie Temperaturanomalien, Bluteosinophilie und Anti¬
anaphylaxie. 7. Dagegen erwiesen sich Tiere, die im Hungerzustand
oder nach Podophyllinverabreichung die auslösende Milchraenge auf
oralem Wege erhalten haben, gewöhnlich refraktär gegen die intracard-ial
tödliche Dosis. Immerhin treten schwere Ueberempfindlichkeitserschei-
nungen nach der Probeinjektion ein. 8. Das Berkefeldfiltrat von roher
Kuhmilch erzeugt beim normalen Menschen und Meerschweinchen, intra-
cutan eingespritzt, ausgesprochene Reaktionserscheinungen. 9. Mit in¬
aktiviertem Kuhmilch-Berkcfeldfiltrat oder Rinderserum ist bei einmalig
subcutan mit Milch vorbehandelten Meerschweinchen eine lntracutan-
reaktion nicht zu erzielen. 10. Eine positive Intracutanreaktion mit in¬
aktiviertem Milch-Berkefeldfiltrat wurde bisher beim Menschen nicht be¬
obachtet.“
M. Kretschmer - Strassburg: Ueber die Aetiologie des Scharlachs.
(Monatsschr. f. Kinderheilk., 1913, Orig., Bd. 12, S. 11.) Sammelreferat über
die bisherigen Forschungsergebnisse unter Mitteilung eigener Unter¬
suchungen. Das Referat zeigt die Ergebnislosigkeit aller bisherigen
Untersuchungen, die bestimmt waren, die Aetiologie des Scharlachs auf¬
zudecken; auch die eigenen Untersuchungen des Verf., ausgeführt mit
Scharlachblut, Blutserum, Harn, Zungenbelag, Drüsenpunktat, Cerebro¬
spinalflüssigkeit, Hautschuppen, Aufschwemmungen postmortal ent¬
nommener Organe und mit Streptokokken an Mäusen, Meerschweinchen
und Kaninchen, batten kein positives Ergebnis. R. Weigert.
Tal bot und Sisson: Formaldehydansscheidung bei Kindern nach
Urotropin. (Boston med. journ., 1913, Nr. 14.) Die Formaldehydaus¬
scheidung verhält sich bei Kindern anders als bei Erwachsenen, die nur
zum Teil Formalin abspalten. Bei 44 untersuchten Kindern fanden Verff.
stets Formaldebyd nach Urotropin, oft erst nach grossen Gaben. Zu
vermeiden sind gleichzeitig Medikamente, die den Urin alkalisch machen.
Schelenz.
Chirurgie.
R. Klapp-Berlin: Physiologische Chirurgie. (Münch, med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 15.) Verf. zeigt an einer Reihe von Beispielen, dass
die Erfolge, die durch chirurgische Eingriffe erzielt werden, nur durch
physiologisches Vorgehen bedingt sind. Zum Teil ist die Chirurgie dazu
auf dem Wege der Empirie gelangt. Es ergibt sich die berechtigte
Forderung, bei allem chirurgischen Handeln physiologisch zu denken;
die Therapie kann sich nur auf dem Boden einer gründlichen Physio¬
logie weiter entwickeln. Dünner.
Günther-Bielefeld: Verwendung des Bolus alba bei der Hände¬
desinfektion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) G. kann Bolus für
die Hand, besonders auch zum bessseren Ueberstreifen der Handschuhe,
nicht empfehlen; die Haut wird leicht rissig. Er verwendet sterilen
Puder.
Deutschländer - Hamburg: Gelenkanästhesie. (Centralbl. f. Chir.,
1913, Nr. 11.) D. empfiehlt unter Blutleere das Gelenk mit dem
Anaestheticum (>/, pCt. Novocain-Suprarenin) zu injizieren. Bei grösseren
Gelenken empfiehlt es sich, das Gelenkinnere in zwei Parteien zu
injizieren. Grösstenteils verödete Gelenke eignen sich nicht zu dieser
Anästhesie.
H. Frowelin - Riga: Die Anästhesierung der rechten Darmbein¬
grube bei der Operation der chronischen Appendicitis. (Centralbl.
f. Chir., 1913, Nr. 10.) Um eine Anästhesie des Peritoneum parietale
zu erreichen, geht man mit der Nadel an der Spina sup. ant. in die
Tiefe der Beckenschaufel und injiziert parallel der Beckenschaufel nach
unten, oben und in die Tiefe. Gute Resultate! (Mesenterialunterbindung
war schmerzhaft.)
P. Babitzki: Zur Anästhesie des Nervus isehiadicns. (Central¬
blatt f. Chir., 1913, Nr. 13.) B. trägt zu seiner Arbeit in Nr. 7, 1913,
nach: er braucht 20 ccm einer 3proz. Novocainlösung, bei Frakturen
genügt es, nur die zwei grossen Nervenstämme (cruralis, ischiadicus) zu
injizieren. Um eine Blutung zu vermeiden, ist es angezeigt, die Injektion
am äusseren Rande der Nerven zu machen.
R. Sievers - Leipzig: Phrenicuslähmung bei Plexusanästhesie
nach Kulenkampf. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 10.) Im Anschluss an
eine sonst normal verlaufene Kulenkampf’sche Plexusanästhesie war es
bei einem bisher gesunden 29 jährigen Mann zu einer mit heftigen
Schmerzen verbundenen röntgenologisch nachweisbaren Motilitätsstörung
einer Zwerchfellhälfte gekommen, die sich in drei Tagen vollkommen
verlor. Dieselbe ist vielleicht zustande gekommen durch subfasciale
Diffusion des Anästheticums nach dem Phrenicus hin oder durch Aus¬
breitung der Iojektionsflüssigkeit auf der Plcurakuppe.
W. Danielsen - Beuthen: Sind Wundinfektion und langdauernde
Abschnürung Gegenindikation gegen die Gefässnaht bei Verletzungen?
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) An Hand eines Falles glaubt D.
diese Frage verneinen zu können.
Z. Slawinski - Warschau: Zur Technik des beweglichen Stumpfes
bei Amputationen. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) S. hat nach
Amputation im unteren Drittel des Vorderarms dadurch einen beweg¬
lichen Stumpf erzielt, dass er 3 cm Knochen in einiger Entfernung vom
Amputationsende resezierte. Die unteren und mehr mit den oberen
Teilen der Vorderarmknochen in Verbindung stehenden Knochenstücke
waren nur muskulös mit dem oberen Teile des Vorderarms verbunden.
Das Ende des Vorderarms kann Patient jetzt gut handartig bewegen.
W. Levy-Berlin: Ueber die Bildung tragfähiger Stümpfe bei der
tiefen Amputation des Unterschenkels (Amputatio supramalleolaris) durch
osteoplastische Verwendung der Knöchel. (Centralbl. f. Chir., 1913,
Nr. 17.) Auf die Amputationsstelle deckt Verf. einen Hautlappen, an
dem der abgemeisselte Knöchel noch vorhanden ist. Am meisten zu
einer solchen Osteoplastik empfiehlt sich der innere Knöchel.
R. Frank - Kaschau: Zur Behandlung beginnender Gangrän. (Cen¬
tralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Bei einem Fall von Erfrierung dritten
Grades haben Borchardt’s Wechselbäder einen brillanten Erfolg gehabt.
L. Moszkowicz-Wien: Diagnostik und Therapie bei Gangraena
pedis. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Um zu erkennen, ob die
Circul&tion eines Beins gestört ist, genügt es, es 1 — 2 Minuten empor-
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UMIVERSITY OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
889
zuheben, dann wird es leichenblass. — Durch Aufheben und Wieder-
herabhängenlassen des Gliedes kann man dieselben Resultate erzielen,
vie Borchardt mit seinem Wechselbad.
Perthes - Tübingen: Ueber modellierende Osteotomie bei Platt-
füssen mit schwerer Knochendeformität. (Centralbl. f. Cbir., 1913,
No. 15.) Bei erheblicher Deformation nimmt P. aus dem Os naviculare
einen Keil und treibt ihn in den osteotomierten Calcaneus hinein. Auf
diese Weise wird die Deformität behoben.
v. Brunn-Rostock: Ueber Fraktiren des Sternam. (Centralbl. f.
Chir., 1913, Nr. 17.) Verf. teilt drei Fälle von Sternumfrakturen mit,
die durch das Auflallen einer schweren Last auf das Genick und den
oberen Teil der Halswirbelsäule bei leicht gebeugter Körperhaltung zu¬
stande gekommen waren. Sehrt.
A. Lorenz: Ein Fall von doppelseitigem, angeborenem Defekt
des Radios. (Wiener med. Wochenschr., 1913, No. 17.) Beschreibung
des Falles und der Therapie (modellierendes Redressement). Nach fünf
Jahren Reoidiv. Wiederholung des Redressements. Danach vollständiger
Erfolg. G. Eisner.
Payr - Leipzig: Zur Technik der Hirnpnnktion. (Centralbl. f.
Chir., 1913, Nr. 11.) P. beschreibt eine mit Griff versehene Hohlrinne,
die entlang des Bohrers bis in das Schädeldachloch eingeführt wird.
Nach Herausziehen des Bohrers hat die Nadel auf diese Weise ihren
sicheren Weg.
Wilm8 - Heidelberg: Eine Rippenqnetsebe zur leichteren Resektion
von Rippen. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) Angabe eines neuen
Instrumentes. Sehrt.
E. de Verteuil-Port of Spain: Zwei Fälle von penetrierenden Herz¬
wanden; Operation. (Brit. med. journ., No. 2728 vom 12. April 1913.)
Krankengeschichten. Nach den Erfahrungen des Verf.’s ist Catgut als
Nahtmaterial für die Herzwunde unsicher; er zieht feine Seide vor; die
Nähte dürfen nicht zu fest geknüpft werden. Die Eröffnung der Pleura
ist nicht gefährlioh; der Pneumothorax schwindet rasch. Die Pleura¬
eröffnung gibt Gelegenheit, den Pleuraraum von Blutgerinnseln zu reinigen.
Weydemann.
A. Hofmann - Offenburg: Zur Frage der freien Transplantation
des Peritoneums. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.) H. wendet sich
sehr richtig gegen die Bemerkung Friedemann’s, dass auch nicht¬
serosabedeckte Darmstellen heilen können ohne die von H. vor¬
geschlagene Transplantation. Der Umstand, dass ohne Peritonisierung
ein glatter Wund verlauf erzielt werden kann, spricht nicht gegen freie
Peritoneal transplantation.
F. v. Fink - Karlsbad: Ueber plastischen Ersatz der Speiseröhre.
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 15.) Verf. empfiehlt ein Verfahren, das
den Magenkörper, den Pylorus und den horizontalen Ast des Duodenums
zum Ersatz der Speiseröhre verwendet, während der Fundus die Funktion
der Verdauung zu übernehmen hat. — 1. Fall: Nach 6 Tagen Exitus,
der nicht dem Verfahren zur Last gelegt werden kann.
J. Hohlbaum - Leipzig: Zur Frage der Sehleimhantjodierong bei
Operationen des Magendarmtractns. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 10.)
Nach Erfahrungen aus der Payr’schen Klinik kann H. die Warnung
Fiebers’ vor der Jodtinktur als nicht gerechtfertigt ansehen.
Wolff - Hermannswerder: Sechsmalige Gastrotomie an demselben
Magen. Gastroskopiseher Nachweis einer Zahnbürste (Dr. Eisner).
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 11.) Mitteilung des Falles einer Psycho¬
pathin, die dreimal einen Löffel und dreimal eine Zahnbürste ver¬
schluckt hatte. Das letzte Mal hatte Röntgenuntersuchung kein
Ergebnis, dagegen die Gastroskopie.
F. Steinmann-Bern: Ausschaltung des Warmfortsatzes. (Central¬
blatt f. Chir., 1913, Nr. 12.) Verf. hat einen Wurmfortsatz, der in aus¬
gedehnten Verwachsungen lag, nach Kofmann „ausgeschaltet". Nach
drei Tagen heftige Erscheinungen. Die Entzündung war in dem ausge¬
schalteten Processus weitergegangen (Abscesshöhle, Perforation, Kolpieren).
Verf. warnt vor dem Kofmann’schen Vorgehen!
Kaefer-Odessa: Appendectomia sabserosa. (Centralbl. f. Chir.,
1913, Nr. 14.) Verf. empfiehlt für Fälle, in denen eine Auslösung des
Processus in der üblichen Weise nicht möglich ist, Ausschälung. Ein
Zurückklaffen des Processus nach Durchtrennung seiner Basis, wie es
Kofmann empfiehlt, verwirft auch Verf. richtigerweise!
Bastianelli-Rom: Wie soll man die Pyelotomie wunde behandeln?
(Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 12.) Pyelotomiewuuden heilen ohne Naht.
Besser ist es jedoch, die Wunde zu nähen. Verf. erwähnt einen Fall,
in dem er die Schnittwunde des Nierenbeckens durch einen Fett*
Fascienlappen aus der Nierenkapsel deckte.
K. Dahlgren - Gothenburg: Modifikation der kombinierten Ope¬
rationsmethode bei Cancer recti. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 13.)
D. hat, um nach Resektion des carcinomatösen Rectums eine zu grosse
Spannung und Neurose des heruntergezogenen Darmteiles zu vermeiden,
in der ersten Sitzung von einem Rectalschnitt aus die Gefässe des
Mesenteriums in der Flexur in einer Ausdehnung, die einer Länge Darm
von 20—25 cm entsprach, unterbunden und dann das Mesenterium
central von den Unterbindungen durchgeschnitten. Auf diese Weise war
ein 20—25 cm langes Dickdarmstück ohne Mesenterialfixierung und Er¬
nährung.* -Trotzdem blieb die Darmwand gut ernährt und wurde wieder
versenkt. Nach 10 Tagen wurde dann reseziert und die so vor¬
behandelte und deshalb bewegliche Darmsohlinge ohne Strammung
heruntergeholt.
Payr-Leipzig: Zur Nahtsicherung bei Pyelolithotomia. (Central¬
blatt f. Chir., 1913, Nr. 15.) Bastianelli will die von Payr emp¬
fohlene Deckung des Nierenbeckenschnittes mit eiuem Lappen aus der
Capsula fibrosa schon vor zwei Jahren ausgeführt haben. — Da dieser
Fall nirgends veröffentlicht ist, entzog sich derselbe P.’s Kenntnis.
Sehrt.
E. Holländer-Berlin: Zur Genese der Netztnmoren (Epiploitis
plastica). (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag in der
Berliner Gesellschaft für Chirurgie am 10. März 1913. Wolfsohn.
Röntgenologie.
A. Schlesinger - Berlin: Zur Vereinfachung der Fremdkörper-
extraktion. (Centralbl. f. Chir., 1913, Nr. 14.) Verf. bringt das be¬
treffende Glied zwischen Schirm und Röntgenlicht; mit einer Schreibfeder
markiert er auf der zu- und abgewandten Seite des Gliedes mit Tinte
einen Punkt (der den Fremdkörper deckt). Dann wird das Glied von
der anderen Seite zwischen Schirm und Röhre gebracht und wieder diese
zwei Punkte markiert. Nachher werden im aseptischen Operationssaal
zwei lange Nadeln eingeführt, die die zwei korrespondierenden Punkte
verbinden. Wo sie sich treffen, liegt der Fremdkörper. Sehrt.
M. Reichmann - Chicago: Fremdkörperlokalisation im Auge,
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Beschreibung der in einem
Falle von Splitter hinter dem Bulbus angewandten Röntgentechnik; die
Lokalisation war, wie die Operation zeigte, richtig. Dünner.
N. Dohan: Ueber den derzeitigen Stand der Röntgentherapie.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Nach einem kurzen geschicht¬
lichen Ueberblick, bei dem 4 Etappen in der Entwicklung der Röntgen¬
therapie unterschieden werden, geht Verf. auf einige biologische Grund¬
lagen ein. Die Röntgenstrahlen führen zur Degeneration und Nekrobiose
der Gewebszellen. Die Empfindlichkeit der Zellen ist verschieden. Dem
Degenerationsprozess kann eine Restitutio ad integrum oder ein Ab¬
sterben der Zelle folgen. Fieber tritt nach Röntgenbestrahlung nur auf,
wenn grosse Zerfallsmassen zur Resorption gelangen. Folgende Gruppen
bei Erkrankungen des menschlichen Organismus werden für die Röntgen¬
therapie aufgestellt: 1. Haut (die verschiedensten Hauterkrankungen);
2. lymphatische Organe (Leukämie, Pseudoleukämie); 3. Drüsengewebe
(Keimdrüsen, Schilddrüse, Schweiss- und Talgdrüse, Prostatahypertrophie);
4. Centralnervensystem (Neuralgien, bes. Ischias); 5. maligne Tumoren;
6. tuberkulöse Erkrankungen (Hauttuberkulose, tuberkulöse Symptome,
Knochen-, Gelenk- und Sebnenscheidentuberkulose). Näheres s. Original¬
arbeit. G. Eisner.
Siehe auoh Haut- und Geschlechtskrankheiten: Joseph
und Siebert, Röntgenbehandlung des Hydrocystoma tuberosum multi¬
plex. — Geburtshilfe und Gynäkologie: B'oges, Röntgentherapie
bei Uterusblutungen, v. Graff, Röntgentherapie der Gynäkologie.
Urologie.
P. J. Freyer - London: Eine Reihe von 236 Fällen von völliger
Ausschälung der Prostata, die in den beiden Jahren 1911 und 1912
gemacht worden sind. (Lancet, No. 4676 vom 12. April 1913.) Seinen
schon früher veröffentlichten 800 Fällen fügt der Verf. 236 neue hinzu,
von den 1036 starben nur teilweise an den Folgen der Operation
5VipCt.; die übrigen hatten mit einer Ausnahme einen vollen Erfolg.
In 190 Fällen waren gleichzeitig Blasensteine vorhanden, diese hatten
8,4 pCt. Todesfälle, die übrigen, nicht mit Stein komplizierten 4,8 pCt.
Die Patienten fühlten sich nach der Operation auffallend wohl und ver¬
jüngt, was den Verf. zu der Annahme bringt, dass die vergrösserte
Prostata ein Toxin in den Kreislauf sendet. Weydemann.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
R. Weintraub - Wien: Zur Kenntnis der kongenitalen Cutis-
defekte. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Bei den an¬
geborenen Alopecien handelt es sich um circumscripte Cutisdefekte. Die
konstante Lokalisation dieser Defekte ist in oder nahe der Medianebene.
Charakteristisch ist ihre gegen die umliegende normale Haut vertiefte
Stellung, das verdünnte atrophische Aussehen, der Mangel der Haare
und der den Hautdrüsen entsprechenden Oeffnungen.
B. Hochstetter-Bonn: Ueber eine seltene Anonalie des Haar¬
wechsels. (Dermatol. Zeitschr., April 1913.) Verf. hat in Wien in
Finger’s Kfinik einen Fall von Pinselhaar, welchem er Hautstückchen
exzidierte, histologisch untersucht, und gefunden, dass die eigentümliche
schwarze Färbung durch Schmutz verursacht war; dass der Grund für
das zahlreiche Vorhandensein der Haare das Bestehen eines zusammen¬
gesetzten Follikels war, und dass die Haare nicht entsprechend aus-
gestossen wurden, sondern dass die Kolbenhaare unbegrenzt lange im
Follikelinnern liegen blieben.
M. Hodara - Konstantinopel: Ein Ball von Hidradenoma eruptivum
Darier und Jacquet (Syringocy^tadenom). (Dermatol. Wochenschr., 1918,
Bd. 56, Nr. 15.) Die Drüsengeschwülste sassen in grosser Ausdehnung
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UNIVERSUM OF IOWA
890
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
auf der unteren Brustbälfte. Unter zweimonatiger Röntgen¬
behandlung flachten die Tumoren ab und die Ulcerationen des grossen
Krankheitsherdes vernarbten, so dass vollständige Heilung des Leidens
zu erwarten steht.
M. Joseph und C. Siebert- Berlin: Ueber erfolgreiche Behand¬
lung des Hidrocystoma tuberosum multiplex. (Dermatol. Wochensohr.,
1913, Bd. 56, Nr. 15.) Die bisher wegen der kolossalen Anzahl der
Effloreszenzen als unheilbar geltende Krankheit kann durch die Röntgen¬
strahlen günstig beeinflusst werden, was auch für ihren epithelialen Ur¬
sprung spricht.
A. Wagner- Prag; Scabies bei Epidermolysis bullosa heredilaria.
(Dermatolog. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 16.) Verf. berichtet über
einen einschlägigen Fall, welcher zuerst den Eindruck eines lange be¬
stehenden Pemphigus machte. Durch das Bestehen von MilbeDgängen
und das Auffinden von Krätzmilben wurde die Diagnose auf Scabies
gesichert, die schon seit drei Jahren bestehen sollte.
Immerwahr.
K. Saisawa-Tokio: Beitrag zur Aetiologie des Erythema exsuda¬
tivum multiforme. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) S. be¬
obachtete bei einem Soldaten eine akute Infektionskrankheit mit visce¬
ralen Symptomen, in deren Verlauf sich ein Erythema exsudativum
multiforme entwickelte. Im Blute des Patienten waren gleich nach
Ausbruch des Exanthems kleine Stäbchen nachweisbar (desgleichen im
Urin), die sich noch 2 Wochen nach der Entfieberung daselbst fanden.
Diese Stäbchen werden zu der Krankheit in Beziehung gebracht.
W. Fischer - Berlin: Ueber das gehäufte Auftreten von Exan¬
themen naeh dem Gebrauch von Copaivabalsam. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 18.) F. macht darauf aufmerksam, dass nach
Copaivabalsam relativ häufig (etwa 9 pCt.) sehr lästige Exantheme auf-
treten. Gelegentlich werden auch schwerere allgemeine Störungen, be¬
sonders Circulationsstörungen, beobachtet. Es empfiehlt sich daher, den
Copaivabalsam zu vermeiden und .in der Gonorrhöetherapie lieber
Sandelölpräparate anzuwenden. Wolfs oh n.
A. Kupffer-Kuda (Esthland): Die Lepra in Esthland. (Lepra,
Bibliotheca internationalis, 1913, Bd. 14, H. 1.) Die Lepra ist nach
Esthland von den verschiedensten Seiten eingeschleppt worden. In dem
Landesleprosorium ist bereits seit dem Jahre 1906 mehr als ein Drittel
aller in Esthland vorhandenen Leprösen interniert. Das administrative
Verfahren mit den Leprösen ist durch Verordnungen geregelt und auf
eine gesetzliche Basis gestellt.
E. Meulergracht - Kopenhagen: Mitteilung über die Lepra in
Serbien. (Lepra, Bibliotheca internationalis, 1913, Bd. 14, H. 1.) Verf.,
welcher während des Balkankrieges als Arzt nach Serbien geschickt war,
hat dort einen Leprafall bei einem 21jährigen eingeborenen Serben be¬
obachtet. Bisher sollen in Serbien im Jahre 1897 nur drei Leprafälle
beobachtet worden sein. Möglicherweise waren der verstorbene Vater
und ein älterer Bruder des Patienten leprös. Immerwahr.
P. W. Bedford: Die Behandlung des Nasenlupus mit nascieren-
dem Jod. (Brit. med. journ., 12. April 1913, Nr. 2728.) Lupusbehand¬
lung nach Pfannenstiel gab ein gutes Resultat in Verbindung mit
Tuberkulin. Als das Tuberkulin, mit dem der Patient vor Beginn der
Jodbehandlung gespritzt wurde, weggelassen wurde, hörte die Besserung
auf; sie schritt weiter fort, als wieder gleichzeitig Tuberkulin gegeben
wurde. Weydemann.
Bettmann-Heidelberg: Kombinierte Behandlung des Lupus mit
Alttuberkulin und Aurum-Kalium cyanatum. (Münchener med.Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 15.) B. hat die von Bruck und Glück inaugurierte
Methode der kombinierten Behandlung von Alttuberkulin und intra¬
venösen Injektionen von Aurum-Kalium cyanatum an 16 Lupuspatienten
nachgeprüft. Interessant ist die Beobachtung, dass bei dieser Kom¬
binationstherapie hohe Temperatursteigerungen auftraten, die nach der
Anwendung eines jeden Mittels für sich allein ausblieben; B. sah sogar
Fälle, bei denen Tuberkulin zunächst kein Fieber im Gefolge hat,
während nach Aurum-Kalium cyanatum-Injektion und nochmaliger Tuber¬
kulininjektion sich hohes Fieber einstellte. Das ist theoretisch sehr
interessant, insofern als B. im Gegensatz zu Bruck und Glück nicht
ira Tuberkulin, sondern im Aurum die „Gleitschiene“ sieht. Ein thera¬
peutischer Effekt mit der kombinierten Therapie bei Lupus besteht
sicherlich. Man muss nur vorsichtig sein wegen der schweren Tuber¬
kulinreaktion en. Dünner.
J. E. R. Mc Donagh - London: Der Lebenscyklus des Mikroorga-
nisnns der Syphilis (Leukocytozoon syphilidis). (Dermatol. Wochen¬
schrift, 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Nach Anschauung des Verf. besteht die
Infektionskraft der Syphilis aus einem kleinen kreis- oder etwa nierenförmig
gebildeten Körper, der mit Leichtigkeit in jedem Schanker gefunden
werden kann. Dieser Sporozoit ist von aktiver Beweglichkeit, nimmt
dann eine intercelluläre Form an und betritt eine Bindegewebszelle, in
welcher er bedeutenden Veränderungen unterliegt. Das Maskuline be¬
tritt einen grossen mononucleäreu Leukocyten, und es werden drei
birnenförmige Körper in seinem Innern unterscheidbar. Der maskuline
Gametocyt gewinnt mehr und mehr an Gestalt, bis schliesslich eine
Spirale gebildet ist. In einigen dieser Spiralen sind dunkelfarbige
Strukturen zu beobachten, die unzweifelhaft mit den birnenförmigen
Körpern korrespondieren. Von dieser Masse zweigen sich nun Spiro¬
chäten ab, wie die Speichen eines Rades von seiner Achse. Der weib¬
liche Gametocyt bleibt extracellulär und behält seine Form fast völlig.
Die Art der Befruchtung wird des näheren beschrieben.
A. Strauss - Barmen: KoBEentrierte iatraveiöse Salvarsai-
iüjeküoaen. (Dermatol. Wochenschr., 1913, Bd. 56, Nr. 14.) Strauss
empfiehlt die intravenöse Einspritzung von 0,9 Salvarsan in 10 ccm
Wasser gelöst mittels einer 10 ccm enthaltenden Rekordspritze. Die
Spritze wird mit einer Doppelnadel armiert, d. h. mit einer scharfen
Nadel, die mit einem die Spitze deckenden inneren Rohre armiert ist,
um die Venenwände zu schützen. Immerwahr.
Kall-Jena: Die praktische Verwendbarkeit der provoxiereideH
Wirkling des Salvarsans. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.)
1. In einer Reihe von Lues I mit negativer Seroreaktion erfolgt oft nach
der ersten Salvarsaninfusion ein plötzlicher Umschlag. Prognostisch
günstig sind die Fälle, wo die Reaktion negativ bleibt. 2. Bei un¬
behandelter Lues II und III mit negativer oder zweifelhafter Reaktion
wird die Blutprobe nach einer Salvarsanspritze positiv. 3. Bei anderen
Fällen, speziell Spätlues, ist der Wassermann am Ende der Kur stärker
als zu Beginn. 4. Fälle von sicherer Lues mit negativem Wassermann
bleiben trotz Provokation negativ. 5. Fälle, die unter der Behandlung
negativ geworden waren, zeigten auf Provokation mit Salvarsan einen
positiven Ausschlag. Die Blutentnahme ist am besten am Tage nach
der Provokationsspritze zu machen. Es ist empfehlenswert, anstatt des
Original-Wassermann die Stern’sche Modifikation, die früher positiv und
später negativ wird, anzuwenden.
M. Müller-Metz: Vasoeoamotio eerebri, ein neuer Symptomen-
komplex von Gehirnerscheinungen schwerster Art nach Salvarsan-
infasionen, eine mittelbare Folge des Wasserfehlers. (Nach einer auf
der 84. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Münster
gehaltenen Vorträge.) (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.)
Drei Fälle mit Magendarmstörungen nach Salvarsaninfusion. Ein vierter
Fall erkrankte am 4. Tage nach der Infusion mit Bewusstlosigkeit. Im
Laufe der weiteren Tage traten Symptome auf, die durch schnelle Ver¬
änderlichkeit auffielen: Eine starke Facialislähmung des unteren Astes,
die nach 20 Minuten verschwunden war, eine nur wenige Stunden an¬
haltende Parese des linken Armes, kurzdauernde Gesioht9cyanose, Cheyne-
Stokes’sches Atmen und Pulsverlangsamung für kurze Zeit. Alle diese
Symptome fasst M. als Vasocommotio eerebri auf, die ihrerseits vielleicht
durch Magendarmstörungen und durch dabei entstehende Toxine bedingt
sind, wie sie nach Salvarsaninfusionen beobachtet wurden. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass die Darmstörungen auf den „Wasserfehler“ zurück¬
zuführen sind. Dünner.
Siehe auch Pharmakologie: Doinikow, Verhalten des Nerven¬
systems gesunder Kaninchen zu hohen Salvarsandosen.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
W. Weinberg-Stuttgart: Zur Frage der Vorausbestimmung des
Geschlechts beim Menschen. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsb. u. Gynäkol.,
Bd. 18, H. 1.) Polemik gegen Schöner.
A. Häberle-Würzburg: Ein Fall von Doppelmissbildung (Dicephalus
tribrachios). (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.)
Genaue Beschreibung eines Falles mit 2 Röntgen- und 2 Situsbildern.
R. Mees - Heidelberg: KleinhirnexstirpatieB bei einem Fall von
angeborener üydreneephalocele occipitalis. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh.
u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Beschreibung eines Falles, der jetzt seit
l 1 /* Jahren weiterlebt. K. Hoffmann-Dresden.
H. Haus er-Rostock: Vierlinge and Vierlingsmütter. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Kasuistik. Vierlingsmütter sind durch¬
schnittlich älter als Drillingsmütter, diese wieder älter als Zwillings¬
mütter. Die Anzahl der Erstgebärenden unter den Mehrlingsmüttern
nimmt mit steigender Zahl der Mehrlinge ab. Die Vierlingsmütter sind
in der überwiegenden Mehrzahl Vielgebärende (VIparae und darüber),
während für Zwillings- und Drillingsmütter die Mehrgebärenden (Ilparae
bis V parae) das Hauptkontingent stellen. Dünner.
Pankow-Düsseldorf: Die anatomischen Grundlagen der Placenta
praevia und ihre Bedeutung für die Therapie. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 18.) Vortrag auf dem Internationalen Gynäkologen¬
kongress in Berlin 1912. Wolfsohn.
Schwarz - Elbing: Ruptur des graviden Uterus nach voraus¬
gegangenem klassischen Kaiserschnitt. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 15.) Kasuistik. Heilung. Dünner.
A. May er - Tübingen: Ueber einige seltene Formen von engem
Becken. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) 1. Hebo-
tomiebecken. Knöcherne Heilung nach der ersten Hebotomie ohne
Störung der Gebärfähigkeit. Bindegewebige Heilung nach der zweiten
BeckenspaltuDg mit verbesserter Dehnbarkeit des Beckens, so dass später
Spontangeburt möglich. 2. Hebotomiebecken. Bei zweimaliger Becken¬
spaltung jedesmal knöcherne Heilung. Nach der zweiten Operation Ent¬
wicklung eines stark ins Lumen vorspringenden Callus; dadurch Becken¬
verengerung, die später extraperitonealen Uterusschnitt nötig machte.
3. Durch traumatischen Pfannenbruch und centrale Luxation des Ober¬
schenkels verengtes Becken. 4. Atypisches plattrachitisches Becken mit
luetischen Knochenveränderungen.
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
891
Y. Kasashima - Tübingen: Zur Frage über die aktive Therapie
bei fieberndem nid septischem Abort. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u.
Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Statistische Mitteilungen über 183 Fälle von
Abort bis zum fünften Schwangerschaftsmonat. Gute Erfahrungen mit
aktiver Therapie. Die Therapie und Prognose bei fiebernden Aborten
kann nicht in zuverlässiger Weise vom bakteriologischen Befund ab¬
hängig gemacht werden; sie richtet sich vielmehr zum grössten Teil
nach der Resistenz des Organismus.
M. Ogata- Osaka: Die Symptomatologie der Rachitis and Osteo-
malade in Japan. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.)
Yerf. berichtet an der Hand von 240 Fällen über eine im Jahre 1906
in der Provinz Toyama endemisch auftretende Knochenkrankheit, die
sich bei genauerem Studium als „Rachitis und Osteomalacie“ heraus¬
stellte. Er schildert eingehend die Symptomatologie der je nach den
verschiedenen Lebensaltern sehr verschiedenartigen Krankheitsbilder,
insbesondere die Veränderungen des Knochensystems.
K. Hoffmann-Dresden.
W. E. Fothergi 11 - Manchester: Operation bei Uternsvorfall mit
Hypertrophie des Cervix. (Brit. med. journ., 12. April 1913, Nr. 2728.)
Ein Schnitt für die Amputation des Cervix und die vordere Colporrhaphie.
Der Cervicalkanal wird erweitert, und es wird ein Schnitt rund um den
Cervix gemacht. Die Scheidenwand wird mit der Schere abgetrennt und
der Cervix in eine vordere und hintere Lippe gespalten, die amputiert
werden. Die Scheidenwand wird auf jeder Seite des kreisförmigen
Schnittes 2,5 cm gespalten und vom Parametrium und der Blase ab¬
getrennt und ein dreieckiges Stück mit der Basis am Cervix, der Spitze
an der Harnröhrenmündung abgetragen. Der Cervixstumpf wird in den
hinteren Teil des Einschnitts genäht. Dieses Verfahren gab bessere
Resultate, als wenn beide Operationen für sich gemacht wurden.
Weydemann.
A. Foges-Wien: Ueber Röntgentherapie bei Uterasblntnngen.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Die Röntgentherapie in der
Gynäkologie beruht auf physiologischen Grundlagen, nicht auf reiner
Empirie. Der bestrahlte Eierstock wird kleiner und verliert seine
Graaf’schen Follikeln. Die Elemente der weiblichen Keimdrüse, welche
durch innere Sekretion die Funktion des Uterus normal erhalten, werden
vernichtet. Die Kastration durch Röntgenstrahlen ist der operativen
Therapie bei Uterusmyomblutungen vorzuziehen. Die wichtigsten In¬
dikationen für die Anwendung von Röntgenstrahlen in der Gynäkologie
überhaupt sind schwere Genitalblutungen. Verf. berichtet über seine
Erfolge an 16 Patienten: 11 vollkommene Amenorrhoen, 4 Oligomenor¬
rhoen. Die durch die Kastration bedingten Ausfallserscheinungen waren
nicht sehr schwer. Verf. empfiehlt die Röntgenbestrahlung bei exakter
Indikationsstellung sehr.
E. v. Graff-Wien: Zur Technik der Röntgentherapie in der Gynä¬
kologie. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Zwei Methoden
zur funktionellen Ausschaltung der Ovarien durch Röntgenstrahlen sind
im Gebrauch: Albers-Schönberg arbeitet mit sehr kleinen Licht¬
minuten an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Mehrfache Wiederholung
nach 6—8 tägigen Pausen. Focushautdistanz 38 cm mit Hautschutz von
Ziegenleder und Staniolpapier. In schroffem Gegensatz hierzu steht die
von Gauss ausgearbeitete Technik, bei der in dreiwöchigen Abständen
ungeheure Mengen von Röntgenstrahlen (bis über 50 Erythemdosen) in
wenigen Tagen gegeben werden. Dazwischen gibt es viele Uebergänge.
Gau ss verwendet zur Absorption der weichen Strahlen (Verbrennungen
auf der Haut!) 3 mm dicke Aluminiumfilter. Man kann so die Menge
der wirksamen harten Strahlen vermehren. Der Focushautabstand wird
verringert. Dadurch wird die Wirksamkeit der Strahlen erhöht.
G. Eisner.
A. Hegar - Freiburg: Bericht über die Angelegenheit Niebergall.
(Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Bericht, der in
der Sitzung der Oberrheinischen Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe verlesen wurde, mit zwei Zusätzen.
K. Hoffmann-Dresden.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankeiten: Beck,
Multiple Sklerose, Schwangerschaft und Geburt. — Chirurgie:
Günther, Bolus alba bei Händedesinfektion.
Augenheilkunde.
Flemming: Experimentelle und klinische Studien über den Heil¬
wert radioaktiver Strahlen hei Aogenerkranknngen. (Graefe’s Archiv,
Bd. 84, H. 2.) Flächenhafte Ausbreitung der radioaktiven Substanz,
die gasdicht abzuschliessen ist, muss wegen genauer Dosierung und der
Möglichkeit, die Erfolge nachzuprüfen, gefordert werden. Auf die nor¬
male Haut wirken physikalisch gleichwertige Mengen von Radium und
Mesothorium gleich. Radium (4,04 rag) erzeugt nach 15 Minuten langer
Bestrahlung bleibende Pigmentierung (Mesothorium von 12 mg schon
nach weniger als 10 Minuten), nach einer Stunde Narbenbildung mit
später auftretenden Teleangiektasien; Polonium (10 mg) macht vorüber¬
gehende oberflächliche Rötung. Im Gebiet der bestrahlten Haut heilen
Schnittwunden nur per secundam. Normale Cornea und Conjunctiva ist
bei Kaninchen resistenter als die Haut; experimentelle Verletzungen
beilen^nach Bestrahlung schneller, chemische Reizung (Dionin) wird
nicht beeinflusst. Bestrahlung nach Injektion quantitativ bestimmter
Tuberkelbacillenemulsion in die vordere Kammer verzögert die Inkuba¬
tion der experimentellen Augentuberkulose; doch ist die Baktericidie
der radioaktiven Substanzen geringer als die des Sonnenlichts. Vor
der Injektion ist die Bestrahlung wertlos; unmittelbar nachher erzielt
Radium verzögerte Perforation, Mesothorium verlängerte Inkubation;
nach Ausbruch klinischer Erscheinungen ändert die Bestrahlung den
Prozess nicht mehr. Normale menschliche Augen werden auch durch
relativ lange Bestrahlung nicht geschädigt. Marantische Hornhaut¬
geschwüre werden stets, Ulcera serpentia bisweilen, Ulcus gonorrhoicum,
Keratitis parenchymatosa und eczematosa, Leukoma, Sklerose nie günstig
beeinflusst. An der Iris erzeugen die Präparate Miosis, bei Iritis Ver¬
minderung der Schmerzen, aber keine Aenderung der Erkrankungsdauer.
Bei chronischer Bindehautentzündung sind die Resultate gut, bei
Trachom nicht besser als die anderer bewährter Methoden. Geschwülste,
sofern sie nicht eine gewisse Grösse überschritten haben, werden durch
die Bestrahlung ausserordentlich günstig beeinflusst. Ausser Abschälung
der Haut hat das Hantieren mit radioaktiver Substanz keine Neben¬
wirkungen. K. Steindorff.
P. v. Szi ly -Budapest: Zur Chemotherapie der luetischen Keratitis.
(Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 15.) Mitteilung über Heilung bei
vier Fällen von luetischer Keratitis durch intensive intravenöse Salvarsan-
applikation. G. Eisner.
Seidel: Ueber hochgradigen tranmatischen Astigmatismus bei
Schieiamblyopie des anderen Auges. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 2.)
Nach perforierender Verletzung des einzigen sehtüchtigen Auges hinter¬
blieb ein Astigmatismus von über 14 D, nach dessen Korrektion eine
Sehschärfe von fast 2 /s erzielt wurde. Für die Ferne gebrauchte der
Patient hauptsächlich das andere schielamblyope Auge, obwohl es nur
S = i/ 5 hatte, für die Nähe aber das aphakische. Die Sehkraft des
schielenden Auges hatte sich, als es nach dem Trauma mehr zum Sehen
berangezogen wurde, von Fingerzählen in 2—3 m (= 1 / 20 —Vso) auf Vs
gehoben — ein Beweis für die Existenz einer Arablyopia ex anopsia.
E. Fuchs: Ueber chronische endogene Uveitis. (Graefe’s Archiv,
Bd. 84, H. 2.) Von den drei Abschnitten der Uvea kann jeder gesondert
für sich erkranken. Die Exsudation bei akuter Iritis (durch eitrige In¬
fektion) ist durch polynucleäre Leukocyten, die bei chronischer Iritis
durch Lymphocyten und Plasmazellen charakterisiert. Von den für
Uveitis chronica typischen Hornhautbeschlägen gibt es zwei Arten:
Pseudopräcipitate, die auf der Descemet einen kontinuierlichen Zellbelag
bilden, und die echten Präcipitate, abgegrenzte, mehr kompakte Zell¬
haufen, die sich im Kammerwasser bilden und durch die Centrifugal-
kraft gegen die Cornea geschleudert werden. Die die Präcipitate bil¬
denden Lymphocyten stammen aus der Iris oder dem der Kammerbucht
zugehörigen Teile des Corpus ciliaca. Auch auf der Iris und der vor¬
deren Linsenkapsel kommen Präcipitate vor, ebenso auf der Netzhaut
(hier aber nur bei exogener Entzündung), im Glaskörper und auf der
Aderhaut. Fuchs gibt nun eine eingehende Beschreibung des patho¬
logisch-anatomischen Befundes, den er bei einer Reihe von Fällen er¬
hoben hat. Es handelt sich um eine Cyclitis mit Präoipitaten ohne
Synechien, um eine Iridocyclitis chronica leichten Grades mit einzelnen
hinteren Synechien, um zehn Fälle chronischer Uveitis. Zum Schluss
seiner umfangreichen Arbeit bespricht Fuchs die nach Netzhautablösung
bisweilen auftretende Iridocyclitis, die durch die reizende Wirkung des
subretinalen Exsudats entsteht.
R. Kümmell: Zur Frage der Netzhantabläsnng. (Graefe’s Archiv,
Bd. 84, H. 2.) Verf. nimmt an, dass infolge einer Druckdifferenz
zwischen Aderhaut und Glaskörper eine retro-retinale Transsudation aus
den Aderhautgefässen die Netzhaut von ihrer Unterlage abhebt. Gleich¬
zeitig retrahiert sich der Glaskörper, der mit dem vorderen Teil der
Retina fest verbunden ist, und zieht die Retina aktiv nach vorn.
A. Vogt: Herstellung eines gelbblanen Lichtfiltrates, in welchem
die Macula centralis in vivo in gelber Färbung erscheint, die Nerven¬
fasern der Netzhaut und andere feine Einzelheiten desselben sichtbar
werden und der Grad der Gelbfärbung der Linse ophthalmoskopisch
nachweisbar ist. (Graefe’s Archiv, Bd. 84, H. 2.) Am geeignetsten zum
Sichtbarmachen der eventuell gelben Farbe der Macula centralis ist ein
Mischlicht, das etwa zu gleichen Intensitäten reines Gelb und reines
Blau enthält; dabei ist Rot tunlichst auszuschalten. V. erzielte diesen
Effekt durch zwei flüssige Filter, deren eines aus konzentrierter wässriger
Kupfersulfatlösung, deren anderes aus wässriger Erioviridin B-Lösung
bestand. Durch dieses Filter gehendes Licht einer Projektionsbogen¬
lampe zeigt im aufrechten Bilde den Fundus oculi und die Papille
gelbgrün infolge stärkerer Absorption kurzwelligen Lichtes durch Sclera,
Blut, Pigment und Lymphe. Auch die Linse hat eine solche selektive
Absorption zur Folge; stärkere Gelbfärbung der Linse verursacht rela¬
tive Gelbblindheit. Die centralen Teile der Maoulagegend erscheinen
ebenfalls infolge von selektiver Absorption gelb. Man sieht in dem
Filterlicht auch den Verlauf der Nervenfasern in der Netzhaut.
K. Steindorff.
Siehe auch Röntgenologie: Reichmann, Fremdkörperlokali¬
sation im Auge. _
Hygiene und Sanitätswesen.
F. Schrammen - Cöln: Ueber Diphtheriebacillenträger in einem
Cölner Schalbezirk. (Centralbl. f. Bakteriol. usw., I. Abt., Orig., Bd. 67,
H. 6, S. 423.) Innerhalb eines Schulbalbjahres wurden in einer Knaben-
und in einer^Mädohenvolksschule^in sämtlichenJKlassen — mit Ausnahme
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UNIVERSUM OF IOWA
892
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
einer einzigen Knabenklasse — Diphtheriebacillenträger gefunden; ihre
Zahl betrug bei den Mädchen im Durchschnitt 10,8 pCt. (niedrigste Zahl
5,8 pCt., Höchstzabl 25,5 pCt. der Schölerzahl), bei den Knaben im
Durchschnitt 6,3 pCt. (niedrigste Zahl 3,2 pCt., Höchstzahl 21 pCt. der
Schülerzahl). Eine Erkrankung an Diphtherie ist jedoch io der Beob¬
achtungszeit unter den Kindern nicht vorgekommen und auch, soweit
feststellbar, nicht in ihren Familien. Der Verf. betrachtet deshalb die
Gefährlichkeit der Bacillenträger bei seinem Material nicht als gross
und hält eine von anderer Seite vorgeschlagene rigorose Behandlung der
Bacillenträger für unnötig wie auch für undurchführbar. Weitere Unter¬
suchungen an anderem Material sollen vorgenommen werden.
Bierotte.
P. Bassol: Spltemheinungen der Caisson-Krankheit. (Amerio.
journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 4.) Bericht über 16 Fälle, deren erste
Erkrankung zum Teil mehrere Jahre zurückliegt. Die Erscheinungen
erstrecken sich auf die sogenannte „Caisson-Myelitis“, Gelenkaffektionen,
die sich als Arthritis deformans auf dem Röntgen bilde erwiesen und
dauernde Ohrerkrankungen.
S. Erdmann: Die akuten Erscheinungen der Caisson-Krankheit.
(Amerie. journ. of med. Sciences, 1913, Nr. 4.) Beim Bau des East
River-Tunnels in New York wurden bei 10 000 Arbeitern 3692 Fälle
beobachtet. Bei der Sektion eines Mannes wurden aus dem rechten
Herzen 3,1 ccm Gas aspiriert, dessen Analyse 80 pCt. N, 20 pCt. C0 2
ergab. Schelenz.
0. Sachs-Wien: Ueber Aetzgeschwüre nach Carbid. (Wiener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Beschreibung von Hautverätzungen durch
Carbid. Heilung mit Perubalsam. Verf. tritt für Schutzmaassregeln für
die mit Carbid beschäftigten Arbeiter ein.
E. Finger-Wien: Die Syphilis als Staatsgefahr und die Frage der
Staatskontrolle. (Wiener med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Das Referat
ist für den XVII. internationalen medizinischen Kongress in London
1913 bestimmt. Verf. gibt Ratschläge zur Prophylaxe der Geschlechts¬
krankheiten. Näheres s. Originalarbeit. G. Eisner.
Technik.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Mayer, Zu¬
sammenlegbarer Bakterienbrutschrank. Mentz v. Krogh, Verdünnungs¬
pipetten. Rabinowitsch, Heisswasserfiltrierapparat. — Psychiatrie
und Nervenkrankheiten: Goldbladt, Reflexometer. — Chirurgie:
Wilms, Rippenquetsche.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Nachtrag zur Sitzung vom 12. März 1913.
Hr. Saul:
Beziehungen der Helminthen nnd Aeari zur Geschwnlstätiologie.
Marchand 1 ) hat als erster unter den Medizinern den Gedanken
ausgesprochen, dass Tumoren durch toxische Stoffwechselprodukte hervor¬
gerufen werden können. Er begründet diese These, indem er auf die
hypertrophischen und hyperplastischen Prozesse hinweist, die im Gefolge
der Gravidität auftreten. Nach dem Tode des befruchteten Ovulums
können diese Prozesse die physiologischen Grenzen überschreiten und
das Chorionepitbeliom hervorrufen.
In den Fällen, wo übertragbare Tumoren endemisch auftreten,
müssen wir im allgemeinen annehmen, dass die geschwulsterregenden
Stoffwechselprodukte von Parasiten stammen. Die Untersuchungen von
Rehn 2 3 ), Leichtenstern 8 ) und Leuenberger 4 ) lehren, dass in seltenen
Fällen auch toxische Stoffe anderer Provenienz geschwulsterregend
wirken. Diese Forscher beobachteten Endemien von gutartigen und bös¬
artigen Harnblasengeschwülsten, die bei Arbeitern der Anilinfarben¬
industrie auftraten: Papillome, Carcinome und Carcinosarkome.
Aus den Erfahrungen, die sich auf den Botriocephalus latus, die
Filaria Banorofti, die Filaria Medinensis, die Filaria rbytipleurites, den
Bilharziawurm, die Kedanimilbe, die Notoedresmilbe, die Phytoptusmilbe
und die Tarsonemusmilbe beziehen, ergibt sich die Folgerung, dass Hel¬
minthen und Milben toxische und geschwulsterregende Eigenschaften be¬
sitzen. — Nachdem Askanazy 5 ) das Distomum felineum in einem
Lebercarcinom des Menschen nachgewiesen hatte, fand Borrel 6 ) in
Mäusecarcinomen, Mäusesarkomen und Mäuselymphomen: Helminthen
oder deren Trümmer, in einem Sarkom der Mäuseleber und einem Adeno-
carcinom der Mäu9eniere je einen Cysticercus und in dem Blute einer
Krebsmaus Nematoden. Borrel vermutete, dass diese Parasiten als
1) Deutsche med. Wochenschr., 1902, Nr. 39 u. Nr. 40.
2) Archiv f. klin. Chir., 1895, Bd. 50, S. 5S8 u. ff.
3) Deutsche med. Wochenschr., 1898, Nr. 45, S. 709.
4) v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1912, Bd. 80, S. 208 u. ff.
5) Centralbl. f. Bakteriol., 1900, Bd. 28.
6) Zeitschr. f. Krebsforsch., 1909, Bd. 7, S. 265 u. ff.
Zwischenwirte von Geschwulsterregern wirken könnten. Demgegenüber
durfte ich darauf hinweisen, dass die Helminthen an und für sich
toxische und geschwulsterregende Eigenschaften besitzen. Diese Wir¬
kungen beobachtete ich bei Mäusen, denen der Cysticercus fasciolaris —
ein Schmarotzer der Mäuseleber — subcutan implantiert worden war 1 ).
— Die Versuche von Fibiger 2 ) lehren, dass als Erreger der bei Ratten
endemisch auftretenden gutartigen und bösartigen Epitheliome des Magen¬
darmkanals Filarien in Betracht kommen. Ihre Zwischenwirte sind nach
den Resultaten des türkischen Forschers Osman üaleb 8 ), die Fibiger
bestätigt hat, Schaben (Schwaben). Fibiger gebührt das Verdienst,
diese Rattengeschwülste histologisch untersucht und als Epitheliome er¬
kannt zu haben. Im übrigen dürfte der Befund einer neuen Filarie in
denVersuchen Fibiger’s ausschliesslich zoologisches Interesse besitzen,
weil erfahrungsgemäss alle Filarien, die Gewebsparasiten sind, Geschwülste
hervorrufen.
Nachdem die geschw ulsterregen de Bedeutung der Milben in
der Pflanzenpathologie anerkannt war, unternahm Borrel 4 ) den
Versuch, die Demodexmilben für die Aetiologie derjenigen mensch¬
lichen und tierischen Tumoren in Anspruch zu nehmen, die auf
der Haut oder ihren Anhangsgebilden auftreten. B o r e 11 ver¬
mutete, dass die Demodexmilben als Zwischenwirte von Ge¬
schwulsterregern fungieren. Diese Anschauung wurde von Orth 5 ),
Tsunoda 6 ), Dahl 7 ) und mir 8 ) widerlegt. Indessen veranlassten mich
die Veröffentlichungen Borrel’s, Milbenbefunde bei Tumoren zu be¬
achten. Da aus den Abbildungen des genannten Autors ersichtlich war,
dass er duroh die Technik des Einbettens, Schneidens und Färbens die
Milben bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte, so versuchte ich, dieselben
aus dem Geschwulstgewebe zu isolieren. Auf diesem Wege fand ich in
Carcinomen, Sarkomen, Fibromen und Cystomen des weiblichen Genital-
tractus, sowie in Mäusecarcinomen, einem Hundesarkom und in der Huf¬
krebsgeschwulst eines Pferdes Milben, die schon bei oberflächlicher Be¬
trachtung als verschieden von der Milbengattung Demodex imponierten.
Dahl®) konstatierte, dass es sich um neue Milbenarten handelte, dass
die Milben der menschlichen und tierischen Tumoren voneinander ver¬
schieden waren, und dass sie zu der Gattung der Tarsonemusmilben
gehörten, die in der Pflanzenpathologie als Geschwulsterreger bekannt
sind. Bald darauf fanden G. Blanc und M. Rollet 10 ) die von Dabl
und mir als Tarsonemus hominis beschriebene neue Milbenart in einem
Falle von „hartnäckigem Blasenkatarrh“. Alsdann publizierte Borrel 11 ),
dass er eine bisher unbekannte Milbenart in dem Talgdrüsenadenom
einer Maus gefunden habe. Und Ascher 12 ) sowie v. Wasiliewski 18 )
berichteten über eine Milbenendemie bei Ratten. Die befallenen Tiere
erkrankten an papillomatösen Tumoren, denen sie unter kachektischen
Symptomen erlagen. Mittels der infizierten Käfige konnten die Ge¬
schwülste willkürlich hervorgerufen werden.
Wie ich bereits in früheren Veröffentlichungen dargelegt habe, ge¬
statten die statistischen, kasuistischen, epidemiologischen, histologischen
und therapeutischen Erfahrungen, Milben für die Gesohwulstätiologie des
Menschen und der Tiere in Anspruch zu nehmen. Es ergibt sich nun
die Frage: Erklärt die Biologie parasitischer Milben die mangelnde
Kontagiosität des Carcinoms sowie diejenigen Erfahrungen, die sich auf
präcarcinomatöse Erkrankungen beziehen? Dies ist in der Tat der Fall,
wie die folgenden Darlegungen des Veterinärpathologen Schindelka 14 )
lehren:
„Ueber die Art und Weise, wie die Hunde die Acarusräude er¬
werben, ist nichts mit voller Sicherheit bekannt. Künstliche Ueber-
tragungsversuche gelingen nur ausnahmsweise. Das Zustandekommen
der Ansteckung scheint auf einer besonderen Disposition zu beruhen,
da wir einerseits aus zahllosen Beispielen wissen, dass gesunde
Hunde oft jahrelang mit acaruskranken Hunden in der engsten Be¬
rührung gehalten werden können, ohne jemals zu erkranken, während
in anderen Fällen nur eine kurzdauernde Berührung solcher Tiere
zur Uebertragung und Weiterverbreitung der Acarusräude zu ge¬
nügen scheint. Durch vorausgehende andere Hautkrankheiten wird
eine Prädisposition für die Invasion von Räudemilben geschaffen;
z. B. werden gerade solche Hautstellen, die an Herpes tonsurans
erkrankt waren, mehrere Monate nach vollendeter Heilung von der
Acarusräude befallen. Das Gleiche gilt von Anätzungen der Haut,
von Ekzemen, von seborrhoischen Zuständen. Umgekehrt muss
1) Diese Wochenschr., 1908, Nr. 49, S. 2206; Centralbl. f. Bakteriol.,
1908, Bd. 47, S. 444: ebenda 1909, Bd. 49, S. 80 u. ff.; ebenda 1909,
Bd. 50, S. 438.
2) Diese Wochenschr., 1913, Nr. 7.
3) Compt. rend., 1878, Bd. 87, S. 75 u. ff.
4) Annal. de l’institut Pasteur, 1909.
5) Diese Wochenschr., 1910, Nr. 10, S. 452.
6) Zeitschr. f. Krebsforsch., 1910, Bd. 8.
7) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 7, S. 338, und Centralbl.
f. Bakteriol., 1910, Bd. 53.
8) Deutsche med. Wochenschr., 1910, Nr. 7, S. 838 u. ff., und
Centralbl. f. Bakteriol., 1910, Bd. 55.
9) 1. c.
10) Compt. rend. de la soc. de biol., 1910, Bd. 69.
11) Annal. de l’institut Pasteur, 1910.
12) Archiv f. Dermatol., 1910, Bd. 101.
13) Tagung der Freien Vereinigung für Mikrobiologie, Berlin 1912.
14) Handb. d. tierärztl. Chir., 1903, Bd. 6, S. 70 ff.
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12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
893
hervorgehoben werden, dass an den primär durch die Räudemilben
erkrankten Hautstellen sich ebenfalls sehr leicht Pilze, wie auoh
andere Milben ansiedeln.*
So weit der Veterinärpathologe Sohindeika.
Gegen v. Wasiliewski 1 ) möchte ich bemerken, dass Virohow in
seinen Vorlesungen den Begriff Tumor definiert hat, wie folgt: „Tumor
ist jede abgegrenzte Form der Anschwellung.* Virohow hebt hervor,
dass diese Definition gestattet, z. B. die Hydrocele als Tumor zu be¬
zeichnen. Wird die „abgegrenzte Anschwellung* durch Epithelien be¬
dingt, so nennen wir sie Epitheliom, bei infiltrierendem Wachstum:
Garcinom (malignes Epitheliom).
Da v. Düngern 2 3 ) bemüht ist, den Granulationsgeschwülsten eine
Sonderstellung gegenüber den Sarkomen einzuräumen, so sei bemerkt,
dass Virchow in seinem Geschwulstwerk die aktinomykotischen Tumoren
den Sarkomen zurechnete, da er nicht in der Lage war, die Granulations¬
geschwülste von den Rundzellensarkomen morphologisch zu unterscheiden.
Die differentielle Diagnose der Fibrome und Sarkome ist in den Grenz¬
fällen völlig unsicher. Lubarsch*) bekundet, dass die Ovarialfibrome
trotz klinischer Gutartigkeit mikroskopisch als Sarkome imponieren
können.
Die Beziehungen der Helminthen und Acari zur Geschwulstätiologie
habe ich an zahlreichen Photogrammen demonstriert. Die ausführliche
Veröffentlichung wird an anderer Stelle erfolgen.
Sitzung vom 19. März 1913.
Vorsitzender: Herr Landau.
Schriftführer: Herr v. Hansemann.
Vorsitzender: Ich habe Ihnen die traurige Mitteilung zu machen,
dass unser lieber Kollege, der Geh. San.-Rat Dr. M. Marcus, seit 1869
Mitglied unserer Gesellschaft, ein treuer Besucher unserer Sitzuogen,
vor einigen Tagen gestorben ist. Er hat noch kurz vor seinem Tode
seine Anhänglichkeit an die Medizinische Gesellschaft dadurch bekundet,
dass er, was Statuten massig möglich ist, sich die immerwährende Mit¬
gliedschaft der Gesellschaft gesichert hat. Ich bitte Sie, sich zum An¬
denken dieses ausgezeichneten Kollegen zu erheben. (Geschieht.) Ich
danke Ihnen.
Herr Auffermann ist wegen Verzugs nach ausserhalb ausgescbieden.
Herr Virchow hat die Annahme seiner Wahl als Ausschussmitglied
angezeigt.
Dann möchte ich Ihnen noch eine weitere Mitteilung machen. Sie
haben mir die Ehre erwiesen, Sie auf dem Physiotherapeutischen Kongress
vertreten zu dürfen. Ich werde voraussichtlich behindert sein und
möchte Ihnen Vorschlägen, an meiner Stelle Herrn Kollegen Stadel¬
mann, der sich zur Vertretung bereit erklärt hat, zu delegieren.
Wenn ich keinen Widerspruch erfahre, darf ich wohl annehmen,
dass Sie mit.der Vertretung der Gesellschaft beim Physiotherapeutischen
Kongress durch Herrn Stadelmann einverstanden sind.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Mosse : Ich möchte Ihnen eine 58 jährige Patientin vorstellen,
die zwei verschiedene Krankheitsbilder aufweist, die miteinander nicht
in Zusammenhang stehen.
Die Patientin hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Sie hat
eine grosse Anzahl gynäkologischer Operationen und anderer Behandlungs¬
methoden durchgemacht. Ich zeige sie Ihnen zunächst wegen einer
Affektion, die sie seit ungefähr 30 Jahren hat. Sie sehen, dass die Haut
der Beine bis zu den Nates herauf vollkommen atrophisch ist; man kann
sie mit Zigarettenpapier vergleichen. Durch die Haut hindurch sehen
Sie eine grosse Anzahl erweiterter Venen, an mehreren Stellen, besonders
am Fuss ist die Haut rot verfärbt.
Es handelt sich um den Zustand der idiopathischen Hautatrophie,
im engeren Sinne der Akrodermatitis chronica atrophicans von Herx¬
heim er und Hartmann, die diesen Zustand von der idiopathischen
Hautatrophie absondern und von ihm dann sprechen, wenn infiltrative
Veränderungen vorangegangen waren oder noch gleichzeitig nachweisbar
sind. Das ist hier der Fall. Die Patientin ist bereits im Jahre 1903
von Herrn Hoffmann — jetzt in Bonn — in der hiesigen Dermato¬
logischen Gesellschaft demonstriert worden; damals waren auch sklero¬
dermieähnliche Veränderungen vorhanden, die jetzt nicht mehr nach¬
weisbar sind. Ich selbst habe übrigens einen ähnlichen Fall in dieser
Gesellschaft im Jahre 1906 vorgestellt.
Die Patientin zeigt aber zweitens noch eine andere Anomalie. Sie
hat eine Splenomegalie und eine Anämie. Die Milz überragt den
Rippenbogen um 2—3 Querfinger; die Milzdämpfung ist intensiv. Die
Anämie kennzeichnet sich durch eine Oligochromämie, die wiederholt
nachgewiesen wurde (60—65 pCt. Hämoglobin), während die Zahl der
roten Blutkörperchen bald normal, bald subnormal war. Die Leber ist
palpabel; im Urin Urobilin und Urobilinogen. Es ist anzunehmen, dass
es sich um einen beginnenden Morbus Banti handelt; aber Sie wissen
ja, dass diese Erkrankung mit Sicherheit erst durch die anatomische
Untersuchung zu erkennen ist. Falls die Patientin auf meinen Vor¬
1) 1. c.
2) Deutsche med. Wochenschr., 1912, Nr. 25, S. 1215.
3) Lubarsch und Ostertag, Ergebnisse der allgemeinen Patho¬
logie usw., 1885* 2, S. 352. n ‘ 1
schlag der Splenektomie eingehen sollte, werde ich später auf den Fall
noch einmal zurückkommen.
Tagesordnung.
Wahl eines stellvertretenden Vorsitzenden. Der Vorsitzende
beruft zu Stimmzählern die Herren Mosse, Munter und Philippi.
Die Wahl ist dadurch notwendig geworden, dass Herr Kraus die auf
ihn entfallene Wahl abgelehnt hat. Vorgeschlagen werden die Herren
Kraus und Bier.
Vorsitzender: Ich bitte, dem Wunsohe des Herrn Kraus nicht
zu folgen. Wird sind jedenfalls nicht verpflichtet, uns danach zu richten.
(Rufe: Akklamation! Rufe: Bier!)
Das Ergebnis der Abstimmung verkündet der Vorsitzende wie
folgt:
Es sind 133 Stimmzettel abgegeben worden, davon waren zwei un¬
beschrieben. Es verbleiben 131 gültige Stimmen, die absolute Mehr¬
heit beträgt 66. Herr Kraus bat erhalten 84 Stimmen, Herr Bier
47 Stimmen; demnach ist Herr Kraus gewählt. (Beifall.) Ich bitte
ihn dringend, die Wahl anzunehmen.
Herr Kraus nimmt die Wahl an.
Tagesordnung.
Hr. Stadelmann:
Ueber seltene Formen von Blatangen im Traetns gastrointestinalis.
(Erschien unter den Originalien dieser Wochenschr. in Nr. 18, S. 825.)
Diskussion.
Hr. L. Pick: Herr Stadelmann hat Ihnen durch seine Präparate
und Ausführungen die grosse Variabilität der Ursachen für die Blutungen
aus dem Magendarmtractus erwiesen, eine Variabilität, die auch dann
eine ausserordentliche ist, wenn wir von den kleinen okkulten Blutungen
ganz absehen und lediglich die grossen bedrohlichen und tödlichen
Blutungen ins Auge fassen.
Wenn ich auf eine bestimmte Form dieser tödlichen Blutungen —
die aus rupturierten Varicen des Oesophagus und Magens — noch mit
ein paar Worten eingehe, so bestimmt mich dabei eine besondere Tat¬
sache. Es findet sich nämlich in nicht häufigen, aber höchst charakteristi¬
schen Fällen solcher Blutungen eine pathologisch - anatomisch sehr auf¬
fallende Art der Veränderung, auf die ich vor einigen Jahren in einer
Arbeit in Virchow’s Archiv, 1909, Bd. 97 eingehender verwiesen habe,
und die seither in einer Reihe von Mitteilungen immer wieder in der
nämlichen Form beschrieben wird. Man hat diese Veränderung in einer
nicht ganz zutreffenden Weise als cavernöse Umwandlung der
Pfortader bezeichnet. Statt der Pfortader findet sich ein bräunliches,
fleischähnliches, derbes, ganz feinporiges Gewebe, aber — und das macht
eben die Bezeichnung nicht zutreffend — nicht nur an der Stelle der
Pfortader, sondern mehr oder weniger in diffuser Form durch das ganze
Lig. hepatoduodenale hindurch.- Ich darf Ihnen vielleicht als den
Ausgangsfall dieser Gruppe meine eigene Beobachtung hier kurz demon¬
strieren.
Die 57jährige Frau war unter einer akuten Blutung in den Magen¬
darmkanal, die übrigens nach aussen nicht manifest geworden war, zu¬
grunde gegangen. Im Oesophagus fanden sich (Demonstration) ausge¬
dehnte Phlebektasien, ganz wie bei einfacher Lebercirrhose, und eine
zweifache frisobe Perforation.
Hier haben Sie nun das Hauptpräparat, das Ihnen Leber, Magen
und Duodenum, das Omentum minus und das Pankreas in Einem zeigt.
Sie sehen, das Ligamentum hepatoduodenale ist in toto ersetzt durch
eine fast gänseeigrosse, sehr derbe, graubräunliche, feinporige Geschwulst¬
masse, und worauf ich Sie besonders aufmerksam mache, das ist ausser dem
bedeutenden Volumen die ganz diffuse Verbreitung dieser Masse: sie
geht einerseits bis an die Area portae hepatis, dann ganz diffus ver¬
schwimmend in den Pankreaskopf und erfüllt ebenso von rechts nach
links das ganze Ligamentum hepatoduodenale. Die Leberarterie und
ihre Aeste, der Ductus choledochus und cystious liegen mitten in dem
geschwulstähnlichen Gewebe, das auch gegen den Hals der Gallenblase
diffus vordringt.
Die Vena lienalis und Vena mesenterica magna — das sind die
Hauptwurzeln der Pfortader — lassen sich durch Präparation als fort-
gesezt erweisen in Collateralb&hnen gegen den Oesophagus und die
Gardia hin.
Die Leber selbst ist von gewöhnlicher Grösse und Läppchen¬
zeichnung.
Es sind dann in der Folge eine Anzahl ganz gleicher Fälle be¬
schrieben worden: 1909 von Vers6, später von Beitzke hier aus dem
Orth’schen Institut, dann von Risel, von Kaufmann, neuerdings von
Emmerich in München. Auch ältere Fälle von Köbrioh, D6v6-
Gauohois gehören hierher. Klinisch sind fast alle ausgezeichnet durch
einen meist sehr bedeutenden und immer sehr harten fibrösen Milztumor
und ferner durch eine hervorragende Ghronicität, selbst über zwei De¬
zennien oder mehr. Wenn sich nun in diesen Fällen das cavernöse
Gewebe lediglich auf den Umfang der Pfortader und ihrer Hauptäste
beschränken würde — es können auch die intrahepatischen Hauptäste
oder die Vena lienalis einbezogen sein —, so würde ganz selbstverständ¬
lich für die Genese dieses Zustandes in erster Linie an eine Thrombose
der Pfordader aus irgendeiner Ursache und eine nachfolgende cavernöse
oder sinuöse Metamorphose des Thrombus im Sinne Virchow’s zu denken
sein. Wenn Sie aber, wie in meinem Fall und in manchem anderen der ge¬
nannten, das ganze Ligamentum hepatoduodenale von einer 1 gesdhwulst-
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UNIVERSUM OF IOWA
894
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
massigen Masse aasgefüllt finden, die die Arteria hepatica und die
grossen Gallenwege völlig umwächst und einschliesst oder sogar diffus
in das Pankreas einwächst, dann kann man nicht gut generell von einer
einfachen cavernösen Metamorphose der Pfortader auf der Basis einer
vorgängigen Thrombose sprechen.
Eben darum habe ich mich damals für eine neoplasmatische Genese
des ganzen Prozesses, für eine cavernomatöse Wucherung phlebogenen
Ursprungs aus der Wand der Pfortader heraus ausgesprochen, im Sinne
der phlebogenen Angiome, wie sie vor vielen Jahren Virchow, v. Esmarch
und v. Recklinghausen beschrieben haben. Beitzke hat als primäre
Ursache eine Missbildung, ein primäres Fehlen des Pfortaderstammes
postuliert. Die folgenden Autoren haben mit der Annahme einer ein*
fachen cavernösen Metamorphose eines Pfortaderthrombus auskommen
zu können geglaubt.
Dass dies für eine so kolossale Bildung, wie Sie sie in unserem
Falle hier sehen, zutrifft, halte ich für ausgeschlossen.
Was an unserem Fall weiter auffällt, ist eine wiederum sehr eigen¬
artige Veränderung im Ligamentum hepatogastricum. Hier, wo normaler¬
weise überhaupt kaum Blutgefässe zu sehen sind, laufen mächtige, zum
Teil fast federkieldicke geschlängelte Venen. Sie treten hier vom Magen
aus direkt in die Leber. Sie finden also — das ist das prinzipiell
Wichtige — neben der gewöhnlichen, die Leber umgehenden Collateral-
circulation nach dem Oesophagus hin eine zur Leber gerichtete
Collateralbahn, neben der entlastenden hepatofugalen eine die Leber mit
Magen- und Darmblut versorgende hepatopetale. Ich erwähne diese
Verhältnisse, die ich an anderer Stelle ausführlich erörtert habe, hier
nur, weil es inzwischen gelungen ist, für sie auch eine experimentelle
Grundlage zu schaffen, und weil gerade die Ergebnisse des Experiments
auch für die Auffassung des cavernösen Gewebes im Ligamentum hepato-
duodenale eine bestimmte, von der bisherigen abweichende Deutung ver¬
anlassen. Steenhuis und Reddingius in Groningen haben unter Auf¬
nahme meiner Vorstellungen von der hepatopetalen Collateralcirculation
bei Pfortaderverschluss experimentell beim Kaninchen durch partielle
Unterbindung der Pfortader hepatopetale Collateralbahnen erzeugt, und
dasselbe ist beim Hund Herrn Neuhof in meiner Anstalt gelungen.
Wenn (Reddingius) beim Kaninchen, das zwei rechte und zwei linke
Leberlappen hat, für die beiden linken und den oberen rechten der Ductus
hepaticus unterbunden wird und für den unteren rechten der zugehörige
Pfortaderast, so schrumpfen die ersten drei Lappen, während der vierte,
rechte untere stark hypertrophisch wird. Hier bildet sich an der Stelle der
unterbundenen Vena portae ein cavernöses Gewebe mit reichlichen Ge-
fässen, das dem vierten Lappen portales Blut zuführt. Es ist also das
cavernöse Gewebe hier nichts als eine hepatopetale Collateralbahn, wie
ich es auch damals selbst erwogen habe (1. c. 516 u.), und es ist von
einer Thrombenrekanalisation ganz unabhängig, denn die Pfortader ist
ja ligiert, ein zu rekanalisierender Thrombus also gar nicht vorhanden!
Jedenfalls wird so die topographische Unabhängigkeit der cavernösen
Masse vom Gefässrohr der Pfortader verständlich und so wohl auch ihre
unter Umständen tumorartige, excessive Ausbreitung wie in unserer Be¬
obachtung.
Was die eigenartigen Fälle von cavernöser Umwandlung im Liga¬
mentum hepatoduodenale zu dem heutigen Thema in besondere Be¬
ziehung bringt, ist nicht diese hepatopetale, sondern die gewöhnliche,
bekaunte, hepatofugale Collateralbahn über Magen und Oesophagus zur
oberen Hohlvene hin. Sie führt, wie Sie dies in unserem Falle oder
z. B. im Fall Risel’s sehen, unter Umständen zur tödlichen Varix¬
blutung aus der Speiseröhre.
Will man in solchen Fällen oder überhaupt bei altem intra vitam
oder operationem diagnosticierten chronischen Verschluss der Pfortader —
nach Analogie der Talma’schen Operation bei der Lebercirrhose — das
Blut in zweckmässiger Weise ableiten, so zeigt dazu diese hepatopetale
Collateralbahn den Weg. Man würde das Netz, Magen und Dünndarm
in möglichst intime und ausgedehnte Verbindung nicht, wie bei der
Talma’schen Operation, mit der vorderen Bauchwand, sondern mit der
Leberoberfläche bringen müssen. So würde zugleich der Hämodynamik
wie der Funktion des Organs genützt.
Hr. Albu: Ich möchte zu den Mitteilungen des Herrn Vortragenden
auch einen diagnostisch wichtigen Beitrag liefern: einen Fall von töd-
icher Darmblutung aus einer diffusen Varicosis desRectums
von einer solchen Ausdehnung, wie sie wohl zu den ausserordentlichen
Seltenheiten gehört. Es war ein kräftiger Mann von 86 Jahren, der nie
in seinem Leben krank gewesen ist, der insbesondere ein vollkommen
gesundes Herz hatte. Die wiederholte Untersuchung liess auch an Leber
und Milz nicht die geringste Erkrankung oder Veränderung erkennen.
Er litt lange Jahre schon an kleinen Darmblutungen, die von seinen
Aerzten als hämorrhoidale gedeutet wurden.
Im August vorigen Jahres kam er zum ersten Male zu mir mit dem
Bilde einer schweren Anämie. Die Untersuchung ergab, dass sogenannte
Hämorrhoiden weder extern noch. intern (durch Herauspreasen) nachzu¬
weisen waren. Auch palpatorisch konnte man keinerlei varicöse Knoten
finden. Das hauptsächlichste Interesse des Falles liegt in dem recto-
skopischen Befund, wie er vielleicht noch nicht erhoben worden ist:
Man^sah vom Sphincter internus ab zahlreich erweiterte, teilweis fast
kleinfingerdicke (!) Varicen bis in die Flexura sigmoidea hinauf-
ziehen, die sich tiefblau-rot gefärbt, prall gespannt und strotzend ge¬
füllt dem Auge darboten. Es war ein eigenartiges Bild, das im Moment
etwas Erschreckendes hatte. Man konnte aber nicht genauer untersuchen,
weil bei jeder Bewegung des Tubus sofort eine Blutung aus den Gefassen
eintrat.
Es gelang zunächst, das Befinden des Patienten durch absolute
Ruhelagerung und strengste Diätbesohränkungen wieder zu bessern. Die
Blutungen hörten auf, und Patient konnte seiner Tätigkeit wieder nach¬
gehen. Im November kam er aber wieder. Er hatte mit einem Male
wieder eine Blutung bekommen, und zwar so stark, wie er sie bisher
noch nie gehabt hatte.
Ich habe den Patienten in die Klinik aufgenommen, weil ich die
Gefahr, in der er schwebte, erkannte. Die Blutungen standen auch zu¬
nächst wieder bei absoluter Bettruhe und vorsichtigster Diät; dann aber
kam nach etwa zehn Tagen im Bett ohne die geringste erkennbare Ver¬
anlassung plötzlich wieder eine profuse Blutung, an der er nach drei
Tagen zugrunde gegangen ist. Alle therapeutischen Versuche, die in
energischster Weise vorgenommen wurden, misslangen. Auch wieder¬
holte lokale Aetzungen mit Eisenchlorid, Adrenalin u. dgl. hatten keinen
Erfolg. Ich habe mich schliesslich dazu entschlossen, im Rectoskop eine
ganz hohe Tamponade zu machen und im Bett bei linker Seitenlage bis
zu 80 cm hoch einen dicken Gazestreifen eiugeführt; aber durch diesen
Tampon hindurch sickerte das Blut weiter heraus. Der Mann ging an
Herzschwäche zugrunde.
Wir haben nun die Sektion machen können. Es fand sich an den
inneren Organen absolut keine Veränderung, sondern nur eine enorme
Varicosis im Rectum, die bis in die Flexura sigmoidea hineinreichte,
aber dort auch wie abgeschnitten aufhörte. Die stark erweiterten Venen
waren stellenweise wie Haarlocken aufgekräuselt.
Ich hatte das Präparat heute abend hierher bringen lassen. Leider
ist es bei dem Transport beschädigt worden. Ich werde es später ge¬
legentlich demonstrieren. Es hat sich hier also um eine isolierte und
circumscripte Varicosis des Dickdarms gehandelt, ohne dass eine
Ursache dafür in allgemeinen Gefässerkrankungen ersichtlich ist. Die
Kenntnis solcher seltenen Vorkommnisse hat immerhin Wert.
Hr. Paul Lazarus: Ich möchte Ihnen von Darmblutungen
berichten, experimentell erzeugt durch Einspritzung von toxischen Dosen
radioaktiver Stoffe, insbesondere Actinium X in die Blutbahn von
Hunden. Sie starben unter den Erscheinungen der hämorrhagischen
Diathese. Man konnte Blutungen in der Darmschleimhaut, Blutungen
in das Darmlumen nachweisen. Die histologische Untersuchung ergab
eine mächtige Hyperämie der Darmvenen, eine starke Erweiterung der
Darmcapillaren, eine Imprägnation der Capillarwand mit körnigem
Niederschlag (vielleicht von der Actiniumsuspension herrührend), Epithel¬
läsionen und Blutungen in der Umgebung der Capillaren.
Ich glaube, dass diese histologischen Befunde uns einen Wink geben
für die Auffassung der Darmblutungen ohne makroskopisch nachweisbaren
Befund. Freilich ist es schwer, solche aus Capillarvergiftungen hervor¬
gehende Blutungen nachzuweisen, man müsste denn den Darm in Serien¬
schnitten untersuchen. Diese experimentellen Studien geben uns ferner¬
hin einen Fingerzeig in ätiologischer Beziehung. Es ist möglich, dass bei
Vergiftung mit Substanzen, welche vorzugsweise durch die Darmschleim¬
haut ausgeschieden werden, die Quelle der Blutung in den dadurch
veranlassten Capillarschädigungen zu suchen ist. Für die Darmblutungen
nach Quecksilbervergiftungen ist das ja seit langem bekannt.
Hr. L. Kuttner: Die grosse Zahl der hochinteressanten Präparate,
die Herr Stadel mann hier demonstriert hat, ist ein deutlicher Beweis
dafür, wie zahlreich die Fälle von Blutungen sind, die im Mageodarm-
tractus Vorkommen. Ich habe auf diese Vorkommnisse, wie Herr
Stadelmann ja auoh erwähnt bat, wiederholt hingewiesen und will
hier auf die einzelnen Fälle von Herrn Stadelmann nicht weiter ein-
gehen. Ich möchte nur betonen, dass ich verschiedene Fälle von töd¬
licher Blutung, darunter auch solche mit sehr langem Decursus morbi,
beobachtet habe, bei denen ich den Verlauf der Erkrankung jahrelang
verfolgen konnte, wo die klinischen Erscheinungen alle für ein Ulcus
ventriculi sprachen, wo nachher die Sektion aber nur ganz kleine, ober¬
flächliche Erosionen oder überhaupt keinen anatomischen Befund er¬
geben hat.
Mit dieser Tatsache muss man unter allen Umständen in der Praxis
mehr rechnen als das bisher geschieht. Wir sind nicht berechtigt, so
ohne weiteres bei leisem Verdacht auf Ulcus oder Carcinom auf Grund
von manifesten oder okkulten Blutungen eine derartige Erkrankung an¬
zunehmen. Wenn diese Präparate zum Teil auch Raritäten bedeuten,
so ist deren Zahl doch eine so grosse, dass sie praktisch von aller¬
grösster Bedeutung sind.
Hr. Kraus fragt, ob es sich in den Fällen des Herrn Stadelmann
um terminale Ereignisse handelt oder um länger dauernde Krankheitsfälle.
Hr. Stadelmann (Schlusswort): loh will nur ein paar Worte auf
die Anfrage von Herrn Kraus antworten. Natürlich sind es mehrfach
katastrophale Blutungen gewesen. Bei ein paar der Fälle habe ich
aber von einer etwas längeren, auf mehrere Tage und vielleicht eine
Woche lang sich erstreckenden Blutungen gesprochen. Immerhin kann
ich doch sagen, bei diesen schweren Blutungen, die sich auf mehrere
Tage erstrecken — wenn sie sofort zum Tode führen, ist ja davon nicht
die Rede —, ist doch auch ein praktisches Interesse dabei, weil natür¬
lich der Arzt sich immer überlegen muss: kannst du nicht vielleicht
durch eine chirurgische Operation helfen? In erster Linie wird natürlich,
wie ich das schon ausgeführt habe, immer bei diesen Fällen an Ulcus
ventriculi gedacht, wobei dann die Frage einer Operation immer wieder
von neuem auftauchen muss, mit der. man vieUeicht / noch Rettung
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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bringen kann. Ich zeigte Ihnen bei allen diesen Fällen, wie häufig es
doch vorkommt, dass eine solche Blutung nicht aus einem Ulcus ven-
triculi kommt, während man doch an Ulcus ventriculi in erster Linie
denken musste, und hier wäre eine Operation ein Fehlgriff gewesen,
weil sie gar nichts genützt hätte.
Die Beobachtungen von Herrn Kollegen Kuttner, die ich ja aus
seiner von mir mehrfach citierten Publikation kenne, und über die er
hier noch einmal aus dem Schatze seiner Erfahrungen gesprochen hat,
stimmen mit meinen Beobachtungen durchaus und nach jeder Richtung
hin überein.
Sitzung vom 80. April 1913.
Vorsitzender: Herr Landau.
Schriftführer: Herr Rotter.
Vorsitzender: Ich eröffne die Sitzung und begrüsse Sie freund-
lichst. Ich hoffe, dass unsere Sommerarbeit eine erspriessliche sein
wird. Als Gäste begrüsse ich die Herren DDr. West aus Baltimore,
Schulhof aus Wien und Zanuttini aus Udine.
Wegen Verzugs nach ausserhalb ist Herr Heuser aus der Gesell¬
schaft ausgeschieden.
Ferner habe ich Ihnen mitzuteilen, dass Herr Fasbender seinen
70. Geburtstag gefeiert, und dass der Vorstand ihm im Namen der Ge¬
sellschaft ein Glückwunschtelegramm gesandt hat. Er dankt für die
Anteilnahme der Gesellschaft.
Vor der Tagesordnung.
Hr. West (a. G.):
Demoistratie* von Patienten mit geheilter Tränensackeiterung.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift)
Diskussion.
Hr. J. Hirschberg: Nachdem Sie ebenso, wie ich selber, das vor¬
treffliche Aussehen des Operirten gebührend bewundert haben, erhebt
sich für den wissenschaftlichen Arzt sofort die Frage, welche Stellung
denn in der Geschichte 1 ) unsrer Kunst diese merkwürdige Operation
einnehmen dürfte.
Die alten Griechen hatten zwar nicht sehr vollkommene An¬
schauungen von dem Thränen-Apparat und seiner Wirkung, obschon
Ly kos, der ältere Zeitgenosse des Galen, den Thränen-Nasengang be¬
schrieben, während Galenos sich rühmt, zuerst die [Thränen-]Drüsen
und die Ausführungsgänge [der Thränen-Kanälchen] erwähnt zu haben.
Aber die Thränen-Fisteln kannten die Alten ganz gut und haben
eine Unzahl von Heilmitteln derselben angegeben. Die Durchbohrung
der Thränensackgegend nach der Nasenhöhle hin finden wir nicht
bei Gelsus, dem Compilator der Alexandrinischen Schriften, sondern
erst bei Arhigenes, dem Zeitgenossen des Trajan. Die Stelle stammt
aus seiner Arzneimittel-Lehre; sie ist uns bei Galen aufbewahrt und
lautet folgendermaassen:
„Wenn sie aber so (d. h. durch Auflegen von zusammenziehenden
und ätzenden Mitteln) nicht gesund werden, so schneide ein am [inneren]
Augenwinkel, spreize die Wunde und bohre mit dem dünnen Bohrer
zahlreiche Löcher; dann wende das [scharfe] Schädelpflaster an; denn
Hnochenschuppen werden abfallen, und die Kranken genesen. Oder
lege den Knochen frei und drücke das Glüheisen auf; auch so werden
Knochenschuppen abfallen, und die Kranken genesen. Einige aber
schneiden am Winkel ein und drücken da, wo trepaniert ist, [das dünne
Ende eines] feinen Trichters gegen, giessen geschmolzenes Blei ein und
kauterisiren und erzielen so vortreffliche Heilung 2 3 )“.
Der einzige griechische Arzt, von dem wir eine zusammenhängende
Abhandlung über Chirurgie besitzen, Paulos von Aeguina, aus dem
7. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung, hat das Verfahren mit den folgenden
Worten kritisiert:
„Einige haben nach dem Ausschneiden des [wilden] Fleisohes den
Bohrer angewendet und die Feuchtigkeit oder den Eiter in die Nase
übergeleitet Ich aber bin stets mit dem Kauterisiren des Knochens
aasgekommen.“
Die Araber haben diese Operationen von den Griechen über¬
nommen. In dem arabischen Kanon der Augenheilkunde, den Ali Ibn
Isa zu Bagdad um das Jahr 1000 u. Z. verfasst hat, wird die Durch
bohrung nach der Nasenhöhle hin mittelst eines Dreikants oder eines
besonderen, für diesen Zweck angefertigten Instruments, ziemlich genau,
wohl nach eigener Erfahrung des Vfs., beschrieben. „Sowie Blut aus
der Nase fliesst, ist das Instrument bereits durchgedrungen.“ 8 )
Der geistreichste der arabischen Augenärzte, Am mar 4 ) aus Mosul,
der zu Kairo, gleichfalls um das Jahr 1000, gewirkt hat, empfiehlt bei
1) Vgl. m. Gesch. d. Augenh., § 361 (1908).
2) Vgl. Galen, von den örtl. Heilmitteln, Vc. 2 (B. XII, S. 821).
Versuche niemand, statt des griechischen Textes die beigefügte lateinische
Uebersetzung zu lesen. Das ist vergebliches Bemühen. Der Uebersetzer
bat diese Operationen nicht verstanden. Prof. Lagrange hat sich
leider nur auf diese Uebersetzungen gestützt. (A. d. 0., B. 138,
S. 161 fgd.)
3) Arab. Augenärzte, von Hirschberg und Lippert, I, S. 126 u.,
1904. Gesch. d. Augenheilk., von Hirschberg, B. II, S. 128, 1908.
4) Arab. Augenärzte, II, S. 68, 1905 ■ >
der Thränen-Fistel, wenn der Knochen bereits sohadhaft geworden, das
Durchbrennen des Knochens mit dem glühenden Eisen, — „bis der
Rauch aus der Nase entweicht“.
Die Arabisten im europäischen Mittelalter, wie Guy von
Ghauliao, begnügen sich meist mit dem einfachen Brennen, während
sie die Trepanation nicht loben.
Ebenso ist es im Beginn der Neuzeit, der Renaissance. Ambroise
Pure, der, grössere Erfahrung hat, verlässt sich auf das einfache
Brennen; auch Fabricius al Aquapendente, der mehr Gelehrter,
als Künstler gewesen.
Zur Zeit der Wiedergeburt der Augenheilkunde, d. h. im
Anfang des 18. Jahrhunderts, übt der Verfechter des Alten, der Eng¬
länder Woolhouse zu Paris, die blutige Durchbohrung des Thränen-
beins (und Einführung eines goldnen Röhrchens) zusammen mit der
Ausrottung des Thränensacks; während sein Gegner, der fortschrittliche
Professor Heister zu Altdorf, allerdings in schlimmen Fällen auch
die Durchbohrung nach der Nase zu verrichtet, aber das Glüheisen ver¬
wirft und für gewöhnlich das neue Verfahren von Anei verwendet.
Dominique Anei aus Toulouse hat 1713 zu Genua ein neues
Verfahren geübt und beschrieben, die Durchspritzung und die Sondierung
des uneröffneten Thränenkanals von den Kanälchen aus.
Natürlich wurde sehr bald diese Durchspritzung und Sondierung
auch auf dem schwierigeren Wege, von der Nase her, empfohlen und
geübt (von Bianchi zu Turin 1715, von La Faye in Paris, von
de la Foreste, 1753; ferner von Gensoul zu Lyon 1826 und noch
von Rau in Bern 1854).
Aber dem Verfahren von Anei erstand bald ein siegreicher Neben¬
buhler in dem des berühmten Chirurgen J. L. Petit zu Paris, der, im
Jahre 1734, den Thränensack von aussen aufschneidet und eine gerinnte
Sonde durch den Nasengang bis in die Nase einführt: die Rinne dient
dazu, um eine Kerze einzulegen, den Nasengang offen zu halten. Jeden
Tag wird eine frische Kerze eingelegt, bis der Nasengang heil ist; dann
kann man die äussere Wunde des Thränensacks schliessen.
Der berühmte Chirurg Louis, der Berichterstatter der Pariser
Akademie der Chirurgie, hat 1753 in seinem Bericht über die Verfahren von
M6jan zu Montpellier und Cabanis zu Genf, Dochte in den Thränen-
nasengang einzuführen, — ein Verfahren, das in unsren Tagen, 1908,
von W. Koster Gzn in Leiden wieder neu erweckt worden ist, — aus¬
drücklich erklärt, dass die Alten irrten, wenn sie den Knochen immer (?)
durchbohrten; die Neuen, wenn sie ihn nie durchbohren wollen.
Das erste Drittel des 19. Jahrhunderts befreite sich von der
Durchbohrung nach der Nase zu und von dem Irrtum, dass gewöhnlich
Knochenfrass bei den schlimmen Thränenfisteln bestehe; verfiel aber in
die grössere Verirrung, nach Spaltung der vorderen Thränensack wand
das goldene Röhrchen Dupuytren’s — das übrigens schon 1753 von
Fourbert und 1781 von Wathen in London angewendet worden, —
oder den Blei-Nagel Scarpa’s in den Thränennasengang einzubringen
und einheilen zu lassen.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte drei neue
Gedanken:
1. Die Sondierung des Thränennasenkanals mittelst dickerer
Sonden, nach Schlitzung des Röhrchens. Diese Verbindung des Anel-
schen Verfahrens mit dem Petit’schen hat W. Bowman in London
1857 uns geschenkt, u. A. Weber in Darmstadt 1868 verbessert.
2. Die Ausrottung der Thränendrüse, schon früher empfohlen,
1843 von P. Bernard zu Paris und 1846 von Kajetan von Textor
zu Würzburg ausgeführt, 1888 von L. Wecker auf den Lidtheil der
Drüse beschränkt.
3. Die Ausrottung des Thränensacks, welche unbewusst schon
seit den ältesten Zeiten, wenigstens seit den Alexandrinern, dann
bewusst (allerdings zusammen mit der Durchbohrung) von Woolhouse
und seinem Schüler Platner in Leipzig (1724) geübt worden, ist 1868
als besonderes Verfahren von A. Berlin, damals zu Stuttgart, eingeführt
und von Alfred Graefe, Kuhnt, Czermak, Axenfeld, Meller
u. A. erheblich verbessert worden.
Das Thränen an sioh stört meist nur wenig. Aber gefährlich ist
die dauernde Eiter-Absonderung von Seiten der unheilbar erkrankten
Thränensack-Schleimhaut *).
Die Ausrottung ist das Haupt-Verfahren bei unheilbarer Thränen¬
sack-Eiterung, der Hauptschutz gegen den gefährlichen Hornhaut-Abscess
sowie gegen Vereiterung des star-operierten Auges, wenn nicht in leichteren
Fällen (naoh Haab und nach Hirschberg) der galvanokaustische Ver¬
schluss der Thränenröhrchen ausreicht.
Jetzt komme ich zu dem 20. Jahrhundert und zu dem Ver¬
fahren des Herrn Vortragenden.
Im Jahre 1904 hat Toti 2 ) in Florenz die alte Durchbohrung in
neuer Form wiederaufgenommen. Er nennt sein Verfahren Dacryooysto-
rhinostomie, d. h. Thränensacknasen - Einmündung oder -Verbindung.
Er entfernt die knöcherne Scheidewand zwischen dem Thränensack und
der Nasenschleimhaut und stellt eine bleibende Oeffnung zwischen Thränen¬
sack und Nase her. Guter Erfolg in sieben Fällen.
1) Man denke nur an die Tuberkulose der Thränensack-Schleim¬
haut, die gar nicht so selten ist.
2) Clinica moderna, Firenze 1904. Vgl.J C.-Bl. f. A., 1904, S. 461.
(Michels’ Jahres-Bericht bringt nur den Titel.) In Czermak-Elschnig’s
Operations-Lehre vom Jahre 1908 noch nicht erwähnt. Auch nicht bei
Board (1910), wohl aber bei Meller (1913).
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Der Urheber lobt sein Verfahren. Sein Landsmann Strazza tadelt
dasselbe i ).
Der erfahrene und sorgsame Elschnig in Prag stellte (1909) sich
auf Toti’s Seite. Auch Lagrange 2 ) in Bordeaux (1907), der das Ver¬
fahren ein wenig abgeändert hat.
Herr West macht nun die Operation von hinten, von der
Nase aus. Sein Verfahren ist dem von Toti überlegen in kosmetischer
Hinsicht. Es ist schwieriger; das hindert nicht die Anwendung, wohl aber
vorläufig die Verbreitung der Operation.
Um das Verfahren zu beurtheilen, müsste man die Fälle vorher
gesehen haben und muss sie länger verfolgen.
Das Durchspritzen ist an sich nicht entscheidend. Die Flüssigkeit
könnte durch den Thränennasenkanal gekommen sein. Im vorliegenden
Falle glaube ich allerdings, dass sie durch die künstlicheOeffnung
herausgekommen ist, da der Strahl für den Thränenkanal zu breit war.
Den „Fluorescin-Versuch“ kannten schon die Alten, nur in andrer
Weise.
Aristoteles sagt (von der Erzeugung der Tiere, IIc 5, 747a, 7):
„Die schwangeren Frauen prüfen sie durch Einstreichen von gefärbten
Substanzen in die Augen, ob sie den Speichel im Munde färben.“
Galen, vom Nutzen der Theile, Xc 11, berichtet, dass oft Arzneien,
die in’s Auge gestrichen werden, nicht lange danach ausgeschnaubt oder
ausgespuokt werden.
Einspritzungen in die Thränenkanälchen sind schon von
den griechisch-römischen Thierärzten gemacht worden. (Veget.
Renat. mulomed. II, c. 21. Glaud. Hermeri mulomed. Chironis,
o. 84. Vgl. m. Gesch. d. Augenh., III, S. 41.)
Hr. Gustav Gutmann: Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu
dem Verfahren des Herrn West. Ich selbst bin dieser Frage näher¬
getreten und habe einen Fall von Dakryocystektasie mit profuser
Blennorrhoe im Tränensack Herrn Dr. Halle überwiesen, der bei Herrn
Dr. West die Operation gelernt hat. Die Operation ist nicht leicht und
wurde von Herrn Dr. Halle ausgezeichnet ausgeführt. Ich war über¬
rascht, muss ich sagen, von dem ganz ausserordentlichen Erfolge. Nach
kurzer Zeit, als ich den Patienten wiedersah, war die Dakryocysto-
blennorrhöe vollständig verschwunden, und ein glänzendes kosmetisches
Resultat, wie ich es bisher nicht gesehen hatte, kann ich hier ver¬
bürgen. Als ich die Patientin 6 Wochen später sah, konnte ich den¬
selben Status feststellen. Nachher habe ich sie aus den Augen ver-
loren.
Ueber andere Fälle, welche ich Herrn Dr. Halle überweisen
liess, habe ich nur ein bedingtes Urteil, weil ich sie zum Teil vorher
nicht gesehen habe, zum Teil nur zu kurze Zeit beobachten konnte.
Ich will nur einen Fall hervorheben, der mir die Vorzüge des West’schen
Verfahrens klar vor Augen führte. Es ist ein Patient mit beiderseitiger
Ptosis congenita mit beiderseitiger Tränensackblenuorrhöe. Er ist bereits
in der Kindheit auf beiden Augen mit Exstirpation des Tränensackes
behandelt worden, aber mit mangelhaftem Erfolge. Es blieb eine pro¬
fuse blennorrhoische Sekretion zurück. Infolgedessen operierte ich den
Patienten auf dem rechten Auge und nahm ihm den Rest des zurück¬
gebliebenen Tränensacks heraus, mit dem Erfolge, dass die Eiterung
aufgehört hatte und nur eine kleine Narbe entstand; Träuenträufeln
aber blieb zurück. Ich hätte nun noch eventuell die untere Tränen¬
drüse herausuehmen können, habe aber vorläufig davon abgesehen. Als
der Patient nun aber mit dem linken Auge kam, auf dem er ebenfalls
Dakryocystoblennorhöe hatte, überwies ich ihn dem Kollegen Halle,
der ihn nach West operiert hat. Auf dem linken Auge ist die Ope¬
ration mit demselben vorzüglichen Erfolge verlaufen, und ich habe den
Patienten mehrfach nachher gesehen. Links bat er kein Tränenträufeln.
Rechts ist zwar die Eiterung beseitigt, Tränenträufeln aber und die
Narbe von den früheren Operationen hat er zurückbehalten.
Ich glaube auch, dass die West’sche Operation der Toti’sohen vor¬
zuziehen ist, denn die Toti’sche wird immerhin von aussen gemacht
und setzt eine äussere Narbe. Demnach meine ich, dass in gewissen
Fällen, namentlich bei Dakryocystoblennorrhöe mit Ektasie des Tränen¬
sackes, es ein ganz ausserordentlicher Vorteil ist, das Verfahren des
Kollegen West aozuwenden.
Was nun aber die wiederholten Sondierungen anbetrifft, von denen
Herr Kollege West hervorgehoben hat, dass sie nicht zur Heilung
führten, so glaube ich, dass, wenn nicht Dakryocystektasie oder un¬
trennbare Strikturen vorliegen, keine Indikation gegeben ist, gleich die
West’sche oder die Toti’sche Operation auszuführen. Ich habe zahlreiche
solche Fälle gesehen, wo es besser gewesen wäre, wenn man die Finger
davon gelassen und nicht so häufig sondiert hätte. Je seltener man
solche Fälle von beginnender Dakryocystoblennorrhöe sondiert, desto
besser heilen sie. Dies habe ich bereits 1893 in meinem Kompendium
der Augenheilkunde hervorgehoben. Nach mir hat es auch Axenfeld
betont.
Hr. West (Schlusswort): Ich möchte Herrn Geheimrat Prof. Hirsch¬
berg für seine Bemerkung über die Geschichte der Entwicklung dieser
Operation danken. Ich glaube, ich habe auch darauf aufmerksam ge¬
macht, dass die Idee uralt ist, und dass bereits Oelsus und Galen
daran gedacht haben. Ueber das Toti’sche Verfahren möchte ich hier
nur sagen, abgesehen von dem Hautschnitt und dem darin ab und zu
1) Ebenda.
2) Ann. d’Oc., B. 138, S. 161 u. fgd.
entstehenden Keloid heilt Toti nur ungefähr 50 pCt. der Fälle; bei
dieser Methode heilen wir aber 90 pCt.
Zu Herrn Prof. Gutmann’s Bemerkung über seine guten Resultate
mit Sondieren möchte ich folgendes bemerken: Wenn man mit ein paar
Mal Sondieren Heilung erzielt, dann habe ich nichts gegen diese Methode,
wenn man aber einen Patienten einer sogenannten Sondenkur Monate
hindurch unterwerfen muss, dann bin ich sehr dagegen. Meiner Ansicht
nach ist es viel vorteilhafter, in diesen Fällen meine Operation auszu-
führen. Denn, wie Sie sehen, kann diese Operation bei Kindern und
selbst bei alten Frauen vorgenommen werden, und man hat ein sofortiges
Resultat.
Ich danke dem verehrten Herrn Vorsitzenden und auch den anderen
Herren für Ihre Aufmerksamkeit.
. Hr. Warnekros:
Karze Mitteilungen ans der technischen and chirurgischen Zahn-
heilknnde.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Hr. 6 . Znelser:
Die objektive Feststellung der Neuralgie in ihrer klinischen Be¬
deutung.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Berliner otologische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. Februar 1913.
Vorsitzender: Herr Passow.
Schriftführer: Herr Beyer.
Der Vorsitzende begrüsst als Gäste die Herren Bäräny und
Wethlo.
Die Beschlussfassung über die Bewilligung eines Fonds zu einem
Schwartze-Denkmal wird vertagt.
Vor der Tagesordnung.
Hr. Herzfeld: Seit der Einführung des Salvarsans sind isoliert«
V estibttlaraffektienen nicht mehr so selten. In dem vorzustellenden
Fall spielt diese Aetiologie keine Rolle, da Patient weder Lues gehabt
hat, noch je mit Salvarsan behandelt worden ist. Vor etwa 10 Wochen
erlitt er plötzlich einen etwa eine Minute dauernden Schwindelanfall,
einige Stunden später eioen zweiten, ebenso schnell vorübergehenden,
in der darauffolgenden Nacht einen dritten, wesentlich stärkeren Anfall,
begleitet von heftigem Erbrechen und Schweissausbrucb. 5 Tage nach
dem Anfall konnten noch deutliche Vestibularstörungen nacbgewiesen
werden: Positiver Romberg, Stehen auf einem Bein unmöglich, Gehen
auch schon bei offenen Augen nur unter Schwanken möglich. Starker
horizontaler Nystagmus beim Blick nach rechts. Beim Liegen auf der
linken Seite wird der Schwindel sehr verstärkt. Die calorische Reaktion
ist beiderseits erloschen oder wenigstens sehr stark herabgesetzt,
Schwindel tritt bei der Spülung nicht ein. Die galvanische Reaktion
ist ebenfalls links ganz erloschen, desgleichen die statische. Nach
aktiver wie passiver Drehung um die gesunde Seite erfolgt kein
Nystagmus nach links; nach Drehung um die kranke Seite wird der
bereits vorhandene, nach rechts gerichtete Nystagmus etwas verstärkt.
Bei den Bäräny’schen Zeigeversuchen wird kein Vorbeizeigen kon¬
statiert, ebenso ergibt die neurologische Untersuchung normale Verhält¬
nisse, desgleichen die interne wie ophthalmoskopische. Das Hörvermögen
beträgt rechts 5 m, links 3 m für Flüstersprache. Im Laufe der Zeit
haben sich die Gleichgewichtsstörungen wesentlich gebessert, immerhin
schwankt Patient auch heute noch beim Gehen mit geschlossenen Augen
und weicht nach links ab (Demonstration). Die galvanische Reaktion
ist vor 8 Tagen wiedergekehrt. Wo haben wir den Krankheitsherd zu
suchen? In Frage kommen: 1. der periphere Endapparat, 2. der intra-
oraniell gelegene Teil des Nerven, 3. die grosse Vestibulariskernregion,
in der der motorische Deiter’sche Kern liegt. Das Kerngebiet möchte
ich ausschHessen wegen des Fehlens anderer Erscheinungen von seiten
der Nerven, deren Kerne in derselben Region liegen, des Abducens und
des Trigeminus. Aber auch das periphere Endorgan möchte ich aus-
schliessen, und zwar einmal wegen des anfänglichen Fehlens der galva¬
nischen Reaktion. Ferner aber ist doch kaum anzunehmen, dass bei
einer Blutung innerhalb des Labyrinths — eine solche müsste man doch
annehmen — die Cochlea so wenig befallen worden wäre. Somit müssen
wir also den Herd in dem intracraniell gelegenen Nervenabschnitt
suchen und annehmen, dass der vestibuläre Anteil hauptsächlich be¬
troffen ist. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einer Kreislauf¬
störung, sei es, dass es sich um eine capillare Blutung oder um eine
Thrombose des zuführenden Gefässastes handelt..
Hr. Brühl: 1. Beiderseitige hysterische Taubheit Ein 17 jähriges,
auf einem Ohr vor längerer Zeit radikal operiertes Mädchen ertaubt
ohne besondere Veranlassung während der Arbeit auf beiden Obren.
Noch 3 Tage später besteht vollkommene Taubheit beiderseits für
Sprache und Töne, dabei eine sehr lebhafte Reaktion des Vestibulär-
apparates. Der Trommelfellbefund war auf dem nicht operierten linken
Ohre absolut negativ, Katheter ohne Erfolg. 2 Tage später zeigt
Patientin auf dem linken Ohre eine traumatische Ruptur; Ursprung un¬
bekannt, wahrscheinlich durch Ohrfeige entstanden. Patientin hört
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12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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beiderseits am Ohr und 10 Minuten nach Anwendung von Metallotherapie
links 3 m weit und am nächsten Tage auf dem operierten Ohre 1 m und
dem anderen 6 m weit. Patientin, die ihrer Taubheit wegen die Arbeit
verlieren sollte, ist jetzt wieder in ihrer Stellung.
2 . Otitis interna im Anschluss an eine ganz frische Mittelohr¬
entzündung bei einem 18jährigen Manne. Am dritten Tage nach Ein¬
tritt der Otitis und 24 Stunden nach der Paracentese unter Schwindel
Erbrechen, Nystagmus, vollkommene Taubheit, Unmöglichkeit, sich auf¬
recht zu halten und Unerregbarkeit des Vestibularapparates; keine Tem¬
peratursteigerung. Die Mittelohrentzündung heilte glatt ab. Die völlige
Uneiregbarkeit des Labyrinthes blieb bestehen.
3. Präparat von Kleinhirnabscess im Lohns biventer. 27 jähriges
Mädchen mit Cholesteatom, Facialislähmung, Ataxie, Taubheit, Unerreg¬
barkeit des Vestibularapparates der erkrankten Seite, starkem Nystagmus
nach der kranken Seite und erhöhter vestibulärer Erregbarkeit der anderen
Seite. Patient zeigte mit dem Arm der kranken Seite spontan
nach aussen vorbei, auf der auch die Ionenreaktion nach Drehung
fehlte, während sie auf dem Arm der anderen Seite vorhanden war.
Trotz sofort gestellter Diagnose und ausgeführter Operation (Radikal¬
operation und Resektion der stark erkrankten Pyramide bis zum inneren
Gehörgang und mehrfacher lozisionen ins Kleinhirn) wurde der Abscess
nicht gefunden; bei der Sektion zeigte es sich, dass derselbe 3 cm von
der Oberfläche entfernt gelegen war. Der Tod erfolgte durch Meningitis.
Diskussion.
Hr. Bärany: Es freut mich, dass Prof. Brühl als einer der ersten
bei einem typischen Fall von Kleinhirnabscess das Vorbeizeigen in
der von mir angegebenen Weise beobachtet hat. Ich habe bis jetzt
sechs Kleinhirnabscesse mit dem Vorbeizeigen des Armes nach aussen
und Fehlen der Zeigereaktion nach innen gesehen. Ein analoger Fall
wurde von Holmgren publiziert. Zu diesen kommen noch zwei
Meningoencephalitisfälle und zwei Inzisionen des Kleinhirns, die Region
des Kleinhirns zwischen Sinus und Labyrinth betreffend. In allen diesen
Fällen waren dieselben Störungen nachweisbar. Ferner sind die Fälle
hierher zu rechnen, bei denen ich die Abkühlung ausgeführt habe, es
sind drei Fälle, an denen der Abkühlungsversuch 17 mal vorgenommen
wurde. (Seither ist noch ein Fall der Klinik Passow hinzugekommen.)
Alles zusammen liegen 28 Beobachtungen über das Gentrum für den
Einwäitstonus der oberen Extremität vor, dessen Lähmung Vorbeizeigen
nach aussen ergibt. Bei den Abscessen muss man aber trotzdem, wie
ich glaube, darauf gefasst sein, einmal auch ein negatives Resultat zu
erhalten. Ein Abscess in der Tiefe der Marksubstanz, der, von einer
Kapsel umgeben, sehr langsam wächst, könnte unter Umständen wie
ein Tuberkel oder eine Cyste die Fasern nur verdrängen und nicht zer¬
stören und dann müssen natürlich Ausfallserscheinungen fehlen. Nach
der Inzision des Abscesses aber wird man wohl immer, wenn sie an der
typischen Stelle, unmittelbar vor dem Sinus erfolgt, Vorbeizeigen nach
aussen erwarten dürfen.
Was den Fall Prof. Herzfeld’s betrifft, so ist es merkwürdig, dass
er nach so vielen Monaten einseitiger Vestibularislähmung noch so leb¬
hafte Gleichgewichtsstörungen zeigt. Meist schwinden sie sehr bald voll¬
ständig. Herzfeld hat ja selbst einen Fall von doppelseitiger Zer¬
störung des Vestibularapparates beschrieben, wo die Gleichgewichts¬
störungen vollkommen fehlten. Vielleicht liegt hier doch noch eine
Komplikation der Vestibularerkrankung vor.
Den Fall von akuter Otitis mit Labyrinthitis hätte ich wohl auch
nicht operiert. Bezüglich der serösen Labyrinthitis können wir aller¬
dings heute weniger als früher eine sichere Diagnose stellen. Bisher
hatten wir geglaubt, dass eine Labyrinthitis serös ist, wenn keine
Labyrinthfistel besteht. Nach den neueren mikroskopischen Befunden,
nach denen aber durch die intakten Fenstermembranen hindurch eine
Labyrintheiterung entstehen kann, müssen wir diesen diagnostischen
Anhaltspunkt aufgeben. Auf der anderen Seite wissen wir aber, dass
auch eine eitrige Labyrinthitis mit Fistel circumscript bleiben kann.
Die Unterscheidung zwischen seröser und eitriger Labyrinthitis, wenn
keine Komplikation der Labyrinthitis besteht, ist deshalb kaum je mit
absoluter Sicherheit zu machen. Selbstverständlich erwachsen daraus
grosse Schwierigkeiten für die Indikationsstellung zur Labyrinthoperation.
Je nach dem Temperament und der persönlichen Erfahrung wird darum
der eine Operateur radikaler, der andere konservativer sein, ohne dass
man dem einen oder anderen einen Vorwurf machen könnte.
Hr. Wischnitz:
Fall von nicht eitriger Encephalitis im Anschluss an Otitis media.
Derartige Fälle sind in der Literatur äusserst selten beschrieben
worden. Ich möchte mir gestatten, über einen solchen Fall zu be¬
richten.
Das hier vorliegende Präparat stammt von einem 34 jährigen Manne,
bei dem wegen einer bestehenden akuten Otitis med. ac. des rechten
Ohres in der Herzfeld’schen Klinik eine Aufmeisselung vorgenommen
worden war, bei der ein epiduraler Prozess freigelegt wurde. Doch schon
nach kurzer Zeit stellten sich bei dem Patienten wieder Kopfschmerzen,
Druckgefühl über dem rechten Auge und Schmerzen im rechten Ohr ein.
Ich führte daher in Abwesenheit von Herrn Prof. Herzfeld die Radikal¬
operation aus; doch auch diese brachte dem Patienten nur für wenige
Tage Erleichterung, bald stellten sich dieselben Beschwerden ein, ohne
dass der objektive Befund einen Anhaltspunkt für die Klagen des
Patienten hatte geben können. Es bestanden weder Sensibilitäts- noch
Motilitätsstörungen, Puls, Reflexe, Temperatur waren normal. Auffallend
war nur eine leichte Ptosis rechts. Zu einem weiteren Eingriff lag also
kein Anlass vor.
Da trat plötzlich, etwa sechs Wochen nach der ersten Operation,
Schüttelfrost und Temperaturanstieg bis 39,6° und Bewusstlosigkeit ein.
Gröbere Lähmungserscheinungen Hessen sich bei dem somnolenten
Patienten nicht nachweisen. Die Lumbalpunktion ergab getrübtes
Punktat, in dem sich Eiterkörperchen und grampositive Pneumokokken
fanden. War hiermit die Diagnose einer Meningitis gesichert, so lies»
sich doch das gleichzeitige Bestehen eines Abscesses nicht ganz aus-
schliessen. Ich legte daher die mittlere Schädelgrube frei, machte
mehrere lozisionen in den Schläfenlappen, ohne aber Eiter zu finden,
zwei Tage darauf trat der Exitus ein.
Bei der von Herrn Prof. Jacobsohn vorgenommenen Hirnpunktion
fand sich eine nicht eitrige Encephalitis in der rechten Grosshirnhemi¬
sphäre. Die rechte Hemisphäre zeigt, wie Sie sehen, im Bereich der
Arteria foss. Sylv. eine starke Blutstauung, die sich auf den unteren
Teil des Stirnlappens der Centralwindungen und des Parietallappens er¬
streckt. Bei den Frontalschnitten zeigt sich nun besonders ein merk¬
licher Farbenunterschied zwischen den Windungen der rechten und
linken Grosshirnhemisphäre, und zwar zeigt sich rechts die Rindenregion
derjenigen Bezirke, welche besonders die Fossa Sylvii umgeben, stark
gerötet, und diese Röte hat auch in etwas geringerem Grade die Rinde
der über und unter der Fossa Sylvii gelegenen Zone ergriffen.
Hätte sich der Prozess auf der linken Seite abgespielt, so wäre die
Diagnose einer Erkrankung der Hirnsubstanz leichter gewesen. Da hätten
aufgetretene aphasische Störungen die Aufmerksamkeit schon frühzeitig
auf eine Erkrankung der Hirnsubstanz gelenkt. Man hätte dann wahr¬
scheinlich einen Abscess diagnostiziert, ihn aber vergeblich bei der Ope¬
ration gesucht.
Oppenheim, Voss, Jacobsohn u. a. haben auf den Zusammen¬
hang der nicht eitrigen Encephalitis mit der Otitis media hingewiesen,
und ich glaube, dass es in manchem Falle von diagnostiziertem Hirn-
abscess sich um eine solche Encephalitis gehandelt haben wird.
_ Diskussion.
Hr. Wagener: Ich möchte fragen, ob das Gehirn mikroskopisch
untersucht ist.
Hr. Wischnitz: Nein, die mikroskopische Untersuchung steht noch
aus, Herr Prof. Jakob wollte sie vornehmen.
Hr. Wagener: Bevor die mikroskopische Untersuchung des Gehirns
gemacht ist, kann man nichts sicheres aussagen. Die Diagnose einer
eitrigen Meningitis ist anzunehmen nach dem Befunde der Leukocyten
im Lumbalpunktat. Wenn vermehrte Leukocyten oder Lymphocyten
nachgewiesen sind, handelt es sich um eine Entzündung. Je nach der
Art der Bakterien wird es verschieden sein, ob mehr Leukocyten auf-
treten oder mehr Lymphocyten. Hier sind vermehrte Leukocyten ge¬
funden, und ich bin überzeugt, wenn viele Stellen des Gehirns unter¬
sucht werden, ist auch die Stelle nachzuweisen, von der diese Leuko¬
cyten ausgeschieden sind. Es handelt sich hier meines Erachtens um
eine von den Formen, die Körner als Meningitis sine meningitide be¬
schrieben hat: eigentlich ein Widerspruch an sich, und trotz der vielen
Widersprüche meines Erachtens insofern richtig, als makroskopisch oft
keine leicht erkennbare Meningitis gefunden wird.
Zur Erklärung solcher Fälle muss mehr, als es gewöhnlich geschieht,
der verschiedene Toxingehalt des Lumbalpunktates herangezogen werden.
Hr. Blumenthal: Ich möchte auf einen Unterschied aufmerksam
machen, auf den von anderer Seite hingewiesen worden ist, das sind
die Temperaturunterschiede bei Gehirnabscessen und bei Encephalitis.
In der Regel verlaufen die Gehirnabsoesse ohne Temperaturerhöhung
oder mit subfebriler Temperatur, während die Encephalitis sehr oft mit
hoher Temperatur verläuft. Auch in dieser Beziehung steht der Fall
wohl, wie Herr Wagener gesagt hat, der Meningitis näher als dem Ge-
himabscess.
Hr. Herzfeld: Dass es sich zum Schluss um eitrige Meningitis
gehandelt hat, ist zweifellos, dafür spricht ja der Bakterienbefund. Es
fragt sich nur, ob die Encephalitis nicht vorher bestanden hat. Tat¬
sächlich ist ja eine Reihe von Fällen publiziert worden, bei denen
Meningitis nicht nebenbei bestand, und Oppenheim wie Koppen
konnten sogar an später zur Sektion gekommenen Fällen Heilung der
Encephalitis haemorrhagica beobachten. Wenn man unsere Literatur
mit der neurologischen vergleicht, wundert man sich, wie wenig in der
otologischen darüber zu finden ist. In dem Index der neuesten Lehr¬
bücher ist kaum der Namen der Encephalitis haemorrhagica an¬
gegeben, und doch lohnt es sich, auf diese Encephalitisart etwas mehr
zu achten, zumal die Prognose durchaus nicht infaust ist. Der heikelste
Punkt ist natürlich die Diagnose, da die Encephalitis haemorrhagica und
die Encephalitis purulenta oft dieselben Erscheinungen machen wie der
Hirnabscess. Immerhin gibt Oppenheim, dem wir die meisten ein¬
schlägigen Arbeiten über diese Art von Encephalitis verdanken, doch
verschieden diagnostische Winke an, vor allen den, dass bei dieser
Encephalitis „die lokalen Erscheinungen bzw. die Herderschei¬
nungen nicht den streng lokalen Beziehungen zur Otitis
entsprechen“, wie wir es beim Abscess gewohnt sind. Die Herd¬
erscheinungen sind andere, weil die Encephalitis, sehr oft wenigstens,
an anderen Stellen sitzt als der otitische Hirnabscess. Der otitische
Hirnabscess bildet sich ja im allgemeinen per continuitatem von dem
erkrankten Ohre aus, sitzt also an ganz bestimmten Stellen des Schläfen-
lappens oder des Kleinhirns. Die Encephalitis hingegen entsteht auf
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
dem Wege der Blut- oder Lymphgefässe und kann an den verschiedenen
Stellen des Gehirns, sogar in der entgegengesetzten Hemisphäre sitzen.
Hr. Schwabach: Anknüpfend an die letzte Bemerkung des Herrn
Herzfeld, dass eine Encephalitis auch eventuell an der entgegen¬
gesetzten Seite auftreten könne, möchte ich kurz über einen derartigen
Fall berichten, den ich vor einer Reihe von Jahren beobachtet habe.
Es handelte sich um den 3 V 2 jährigen Sohn eines Kollegen, der im An¬
schluss an eine Iofluenzaotitis eine Entzündung des linken Warzenfort¬
satzes acquirierte, die mich zur Vornahme der Mastoidoperation veran-
lasste. Der Verlauf war zunächst ausserordentlich günstig, als nach
ungefähr vier Wochen, nachdem die Wunde bis auf eine ganz kleine
Oeffnung verschlossen war, plötzlich wieder hochgradiges Fieber auftrat,
der Patient somnolent wurde, Krämpfe in den unteren Extremitäten,
Strabismus und eine leichte Facialisparese zeigte. Ich dachte natürlich
daran, dass ein Recidiv der Eiterung in dem Ohr eingetreten sein
könnte: aber die genaueste Untersuchung gab nicht den geringsten An¬
lass für diese Annahme. Die Herren Oppenheim und Jansen wurden
auf Wunsch des Vaters zur Konsultation zugezogen und sprachen sich
dahin aus, dass die Erkrankung von dem operierten Ohre nicht aus¬
gehen könne. Herr Oppenheim stellte die Diagnose auf Encephalitis.
Das Kind starb, und bei der Obduktion, die vom Kollegen Ben da aus¬
geführt wurde, fand sich eine hämorrhagische Encephalitis, und zwar
auf der dem operierten Ohr entgegengesetzten Seite, während auf der
operierten Seite bei genauester Untersuchung des Felsenbeins keine Spur
von irgendwelchen eitrigen Prozessen nachzuweisen war; es fand sich
nur auf der äusseren Seite des Warzenfortsatzes eine ganz kleine Oeff¬
nung, die nirgends mit einem Eiterherde in Verbindung stand.
Ich glaubte diesen Fall, obwohl er mit der Ohrerkrankung selbst
nichts zu tun hatte, er vielmehr höchstwahrscheinlich auf einen kurze
Zeit vorher aufgetretenen Stickhusten zurückgeführt werden musste, er¬
wähnen zu sollen, da derartige Fälle sehr leicht zu Täuschungen, event.
auch zu zwecklosen operativen Eingriffen Veranlassung geben können.
Hr. Wolff: Es scheint mir in diesem Falle nicht ganz klar zu sein,
ob die Encephalitis nicht im Anschluss an die Inzisionen entstanden ist.
Man sieht in der Nähe der Inzisionsstelle ein grosses Blutgerinnsel im
Cerebrum. Auch die blutige Durchtränkung der Umgebung könnte als
eine Folge der bei den Inzisionen erfolgten Blutung angesehen werden.
Hr. Passow: Diesen Eindruck hatte ich bei Besichtigung der Prä¬
parate auch; aber die Symptome waren ja vorher da, und ich wagte
nicht, diese Behauptung aufzustellen.
Hr. Wischnitz: Herr Professor Jacobsohn hat, sobald er das
Präparat sah, die Ansicht ausgesprochen, dass nur Encephalitis in Be¬
tracht kommen könnte, und glaubte, die Diagnose auch durch den
mikroskopischen Befund erhärten zu können. Ich möchte später über
den Ausfall der mikroskopischen Untersuchung noch berichten.
Hr. Bosch:
Demonstration histologischer Präparate von Labyrinthitis.
B. demonstriert mittels Projektionsapparates histologische Präparate
von Labyrinthitis. An den beiden ersten Fällen, die an postoperativer
Meningitis (nach Radikaloperation) zugrunde gegangen waren, wird die
Art des Durchbruchs der Entzündung vom Mittelohr in das Vestibulum
und von dort in den Hiatus internus erläutert. Die Schnecken selbst
zeigten nur eine seröse bzw. serofibrinöse Entzündung.
Der dritte Fall betraf eine Ertaubung nach Scharlachotitis. Die
histologischen Präparate zeigen die Räume des inneren Ohres mit Binde¬
gewebe ausgefüllt, welches schon reichlich neugebildeten Knochen auf¬
weist. Interessant war, dass der Uebergang der Entzündung auf die
Hirnhäute nicht wie sonst gewöhnlich durch Vermittlung des Labyrinths
erfolgt war, sondern auf dem Wege des Facialiskanals bzw. durch cariösen
Knoohen an der Pyramidenspitze.
Diskussion.
Hr. Wagener: In dem ersten Falle, den Herr Busch vorgestellt
hat, war die Cochlea verschieden stark ergriffen, stark in der Basal¬
windung, minder stark in anderen Windungen. In diesem Falle war
eine Labyrinthoperation indiziert. Sollte in diesem Falle aber nicht
ein Fehler bei der Untersuchung des Hörvermögens vorgekommen sein?
Ich glaube, es ist noch immer das sicherste, sich strikt an die
Regel zu halten: können wir überhaupt noch etwas von Reaktion naoh-
weisen am Vestibularis oder am Cochlearis, dann machen wir das Laby¬
rinth nicht auf. Wir wissen alle, wie schwierig es ist, einseitige Taub¬
heit festzustellen, und wie schwierig es oft ist, sicher festzusteilen, ob
eine calorische Reaktion positiv oder negativ ist. Auch im dritten
Falle halte ich einen Untersuchungsfohler bei der Vestibularisprüfung
für wahrscheinlich.
Dann möchte ich noch auf den zweiten Fall ganz kurz eingehen,
wo die Facialisläbmung zustande gekommen war durch eitrige Ent¬
zündung der Facialis im Porus acusticus internus. Gewöhnlich kommt
eine Facialisläbmung durch Läsion in der Gegend des ovalen Fensters
zustande. Würden wir da immer bis zum Porus acusticus internus Vor¬
gehen, würden wir viele Patienten umbringen. Wir gehen nur dann so
weit vor, wenn eine eitrige Meningitis bereits besteht, da wir ja mit
der Freilegung des Porus acusticus internus an dieser Stelle auob die
Dura eröffnen.
Liegen also nicht besondere Gründe vor, so machen wir bei Facialis-
lähmung eventuell die Labyrinthoperation, aber nicht die erweiterte
Neunann’flch* Operation bi* >zum Porus acusticus internus.
Hr. Blumenthal: In dem einen Falle von Herrn Busch sind die
Veränderungen in dem Ductus cochlearis verschieden stark, ausgesprochen
in der Basalwindang, weniger in der Spitze. Es wäre sehr wohl vor¬
stellbar, dass eine genaue Funktionsprüfuög nur einen partiellen Laby¬
rinthausfall ergeben hätte. Dabei besteht gewiss für uns alle kein
Zweifel darüber, dass das Labyrinth in diesem Falle eröffnet werden
musste. Es gibt sicher eine Reihe von Labyrintherkrankungen, die wir
operativ angreifen, und bei denen wir das Labyrinth eröffnen müssen,
auch wenn die Funktionsprüfung noch keinen völligen Labyrinthausfall
ergibt. Bei den Eitereinbrüchen ins Labyrinth an der hinteren Pyra-
midenfläche wird vermutlich die Cochlea eine Zeitlang wenig verändert
sein. Ich glaube, dass wir uns nicht nur von dem Ausfall der
Funktionsprüfung, sondern auch von den bei der Operation gefundenen
Veränderungen an der Labyrinthkapsel leiten lassen müssen.
Hr. Brühl: Ich glaube nicht, dass es die Absicht des Herrn
Kollegen Busch war, irgendwelche klinische Fragen zu lösen. Es
handelt sich bloss um einige sehr hübsche Labyrinthpräparate, aus denen
man sicher etwas lernen kann. Die Fälle liegen Jahre zurück, und
klinisch lassen sie sich nicht bewerten.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Pädiatrische Sektion.)
Sitzung vom 28. April 1913.
1. Hr. Fiakelstein: Seltene Hautkrankheiten im Kiadesaltor.
An erster Stelle zeigt Vortr. ein Kind mit Favus, zweitens zeigt er
einen 4 1 /* jährigen Jungen, der bereits im Alter von 6 Wochen erkrankte.
Es bildeten sich an den Kniekehlen Blasen, später gleiche Effloreszenzen
an den Lippen. Seit dieser Zeit treten derartige Hautausschläge häufiger
auf. Eine sichere Diagnose kann nicht gestellt werden, vielleicht handelt
es sich um Dermatitis herpetiformis oder eine Herpes zoster-artige Er¬
krankung. Es bestehen auch Anomalien von seiten des Darmes sowie
Facialistik.
Es handelt sich um schwere, wohl vom Nervensystem ausgehende
chronische Störungen; wahrscheinlich sind Darm- und Hauterkrankungen
koordinierte Symptome.
Diskussion.
Hr. Ledermann betrachtet den Fall als Epidermolysis bullosa
hereditaria, eine oft auch ohne Heredität auftretende Krankheit.
Hr. Neu mann hat eine solche Affektion bei Vater und Tochter
gesehen.
Hr. Eckert beriohtet über Erfolge der Behandlung mit Atropin
und kleinen Dosen Schilddrüse.
2. Hr. Roseistern:
Ein Fall von Paehymeiingitis haemorrhagiea im Kiadesalter.
R. berichtet über einen Fall von Facialisparese bei einem 6 Monate
alten luetischen Kinde. Eine rapide Zunahme des Schädelumfanges (in
einer Woche um 4 cm) wird auf eine Pachymeningitis haemorrhagiea
zurückgeführt, die auch Ursache der Facialisparese ist, da am Ohr kein
pathologischer Befund erhoben werden kann.
3. Hr. L. F. Meyer:
Hochfleberhafte Infektionszustände mit protahiertem Verlauf.
Es handelt sich um Krankheitsbilder, die zunächst wie eine gewöhn¬
liche Grippe erscheinen, ohne dass aber das Fieber, welches einen
pyämischen Typus zeigt, zurüokgeht. Das Krankheitsbild erinnert an
die Typhobacillose der Franzosen. Die Diagnose ist zweifelhaft.
Diskussion: HHr. Langstein, Mosse, Finkeistein, Tugend¬
reich. H. Hirschfeld.
Berliner Gesellschaft für Chirurgie.
Sitzung vom 28. April 1913.
Vorsitzender: Herr Sonnenburg.
Schriftführer: Herr Riese.
Vor Eintritt in die Tagesordnung: Hr. Sonnenburg: Nachruf des
verstorbenen v. Bramann, den Vorsitzender sohon frühzeitig als den
ruhigen und entschlossenen Chirurgen kennen lernte. Nachdem er vor
25 Jahren durch sein energisches und erfolgreiches Einschreiten in der
Krankheit Kaiser Friedrichs seinen Ruf begründete, hat er später, fol¬
gend seinem Chef v. Bergmann, die Lehre der Chirurgie der Gehirn¬
krankheiten weiter gefördert.
Die Versammlung erhebt sich zu Ehren des Verstorbenen.
1. Hr. Mühsam:
Exstirpation der Milz nnd der linken Niere wegen Ueherfahrens.
Vortr. erinnert an einen Fall, den er 1910 in der Freien Vereini¬
gung vorstellte: Es handelte sich um einen Knaben, der überfahren war,
Zeichen innerer Blutung hatte und durch Exstirpation der gequetschten
Milz geheilt wurde. Obwohl Blut im Urin war, wurde nur eine
leichtere Quetschung der Niere angenommen; die Niere konnte erhalten
werden.
Aehnlioh ist der jetzt vorgestellte Fall: Ein Knabe, der am 1. Oster
feiertag von einem Omnibus überfahren wurde, pulslos, mit Anzeichen
schwerster innerer Blutung eingeliefert wurde. Es fand sich nach Er¬
öffnung des Peritoneums ein grosser, linksseitiger Bluterguss, Bröckel
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12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
899
der zertrümmerten Milz kamen entgegen. Exstirpation der Milz. Ferner
fand sich die linke dislozierte Niere frei an ihrem Stiel hängend in der
Bauchhöhle. Sie wurde gleichfalls entfernt. Die Heilung erfolgte glatt.
Der Knabe konnte am 11. Tage aufsteben, wurde am 17. Tage geheilt
entlassen. Die Leukocyten waren am 1. Tag post operationem gesteigert,
dann wieder niedriger. Arneth 30 pCt. Rote Blutkörperchen einen Tag
post operationem 3 1 /« Millionen, nach 4 Tagen über 4 Millionen. (Demon¬
stration des Patienten und der beiden Milzpräparate.)
2. Hr. Holländer:
Demonstration nur Technik der Rhinoplastik.
Naoh.mancherlei Versuchen hat Vortr. bei Operation von grösseren
Nasendefekten folgenden Modus prooedendi eingeschlagen: Umschneiden
des Randes, quere Durchmeisselung auch des Vomer, Herunterklappen
eines gestielten Stirnlappens. Die Narbe der Stirn wird später nicht
entfernt Bei Materialentnahme von anderen Stellen hat H. keine guten
Resultate gewonnen, auch nicht mit der italienischen Methode. Er hat
darum eine andere Methode gewählt: Abpräparieren eines langen,
schmalen, rechteckigen Lappens von der Gegend der Articulatio sterno-
clavicularis bis zur Mamilla schräg verlaufend; Heraufklappen des
Lappens, Anheilen an die angefrischte Nasenwunde. Nach Durch¬
schneiden der Brücke bleibt genügend Material zum Decken des Defekts.
Dass gerade die Brusthaut der Glavioulargegend zu plastischen Zwecken
sich sehr eignet, ist auch von anderen (Rosenstein) bestätigt. (Demon¬
stration.)
Diskussion.
Hr. J. Joseph hat im Gegensatz zu Herrn Holländer mit der
italienischen Methode stets gute Resultate erzielt, hat darum keine
Veranlassung, von ihr abzuweichen, vor allem betont er die gute Kopf¬
haltung bei dieser Methode.
Auf Anfrage des Herrn Israel gibt er an, als Stützmaterial
nach Anheilung der Armhaut zwei Stücke der Tibia unter die Haut
einzupflanzen, ein längeres queres und ein kürzeres (3 om) als Septum.
Auf Anfrage des Herrn Sonnenburg teilt er mit, dasB das weisse
Aussehen der transplantierten Haut durch recht frühzeitiges Abnehmen
des Verbandes vermieden wird und durch Einwirkung von Licht und
Sonne versohwindet. Künstliche Bestrahlung hält er nicht für er¬
forderlich.
Demonstration: Hr. Münnich (a. G.) zeigt einen transportablen
Operationstisch, der sich durch Leichtigkeit, Festigkeit, Verstellbarkeit
auszeichnet, der z. B. auch als gynäkologischer Untersuchungstisoh dient,
zur Beckenhochlagerung verwandt werden kann usw.
8. Hr. Casper: Znr Nierendiagnostik.
Die Fortschritte der Diagnostik, namentlich der funktionellen Prü¬
fung durch Katheterismus der Ureteren usw. haben Wertvolles- speziell
zur Erkennung der Nierentuberkulose geleistet. Demgemäss sind auoh
die Operationsresulte erheblich bessere geworden. Während früher die Mor¬
talität über 20 pCt. betrug, hat Frisch unter seinen in den letzten Jahren
Operierten nur drei Tote, Zuckerkandl nur einen, Vortr. selbst bei
56 Operierten nur einen Exitus, also 2 pCt. Durch die verfeinerte Diagnostik
kann jetzt eher entschieden werden: 1. Welche Fälle sind zu operieren?
2. Welche sind inoperabel? Für die Spätresultate ist vor allem die
Diagnose der Doppel- oder Einseitigkeit von ausserordentlicher Wichtig¬
keit. Die Tuberkulose der Nieren heilt spontan nicht aus; gut ope¬
rierte Fälle geben eine gute Prognose. Jede Nierentuberkulose kann
daraus erkannt werden, dass Blut und Eiter sich nach einiger Zeit im
Harn zeigen. Zeigt der Harn beiderseits Pus, ist der Harn beider¬
seits virulent für Meerschweinchen, so ist beiderseitige Erkrankung sicher.
Ebenso bei einseitiger Tuberkulose. Wenigstens hatte man dies bisher
immer so angesehen. Auffällig war nun, dass oft nach Exstirpation der
einen Niere Tuberkulose der anderen auftritt. Darum impft Vortr. stets
mit dem Harn beider Seiten, wenn auch der der anderen klar und
frei von Albumen erscheint. So ist in zwei Fällen, in denen kein Sedi¬
ment vorhanden war, auoh der Harn der scheinbar gesunden Seite viru¬
lent gewesen. Andere, z. B. Israel, schlossen sich seinen Ausführungen
an. Es fragte sich nun, ob Tuberkelbacillenbefund gleichbedeutend mit
tuberkulöser Erkrankung der einen Seite ist, oder ob nicht möglicher¬
weise die im Blut kreisenden Bacillen durch die Niere ausgeschieden
werden. Es ergab sich: Gesunde Nieren scheiden keine Tuberkel-
baoillen aus, kranke lassen sie passier-en. Da ein stringenter Beweis
dafür aber bisher nicht erbracht war, hat sich auf Veranlassung des
Vortr. sein Assistent Dr. Philippsthal mit der Frage beschäftigt und
gefunden: 1. Ganz gesunde Nieren scheiden keine Tuberkelbaoillen aus,
2. wohl aber nephritische; Harn virulent für Meerschweinchen (Tier¬
experiment). Kielleuthner-München hatte schon zuvor gefunden, dass
bei Tuberkulose der Lungen gesunde Nieren keine Tuberkelbacillen aus-
scheiden, bei 18 Fällen mit Albumen war der Harn dreimal virulent,
obwohl die Nieren selbst später keine Spur von Tuberkulose zeigten.
Daraus schloss er: Nur wenn Blut und Eiter im Urin auftreten, ist die
Diagnose Tuberkulose zu stellen. Alle drei Nephritiden zeigten Al¬
bumen und Cylinder. Ein Fall von Casper ist klinisch interessant:
Vor 8 Jahren wurde wegen Tuberkulose die linke Niere exstirpiert.
Vor 2 Jahren trat eine schwere tuberkulöse Cystitis auf. Deswegen
schaltete er die Blase aus, nähte den rechten Ureter in die Bauchdecken
ein. Vor 6 Monaten ergab sich, dass der Harn des rechten Ureters frei
von Albumen und Cylindern war und avirulent. Vor kurzem ergab sich
der gleiehe ■ Befund. Vor 2 Jahren handelte ws sich also um eine
toxische Nephritis, nicht etwa um eine später ausgeheilte Tuberkulose.
Es gilt der Grundsatz: Jede operierbare Nierentnberkulose muss
operiert werden, wenn die andere Niere nicht tuberkulös, aber auoh,
wenn sie leicht nephritisch ist.
Findet sich Pus, so ist Tuberkulose wahrscheinlich. Da auch bei
Nephritis Pus, su ergeben sich zwei Fälle: 1. Wenn rote und weisse
Blutkörperchen nicht dauernd sich finden, so liegt keine Tuberkulose
vor. 2. Bei Nephritis sind die weissen und roten Blutkörperchen nicht
konstant; der Albumengehalt ist grösser, als den körperlichen Elementen
entspricht. Bei Tuberkulose sind weisse und rote Blutkörperchen in
grösserer Menge, dauernd; keine Cylinder. Resümee: Wenn sich Tuberkel¬
bacillen finden, soll man nur dann operieren, wenn der Harn wirklich
von einem Tuberkuloseprozess stammt.
Diskussion.
Hr. Portner berichtet über vier Fälle, die zum Unterschied von
den Casper’schen nicht die geringsten Anzeichen von Tuberkulose auf¬
wiesen, in einem Falle auch keine Zeichen von Nephritis, aber konstante
Schmerzen der rechten Niere. Heilung durch Nephrektomie. Es handelte
sich tatsächlich um eine beginnende Tuberkulose, nicht um eine Aus¬
scheidungstuberkulose.
Hr. Israel: Eine Entscheidung ist zurzeit bei der ganzen Frage
nicht zu treffen, da sie noch in der Schwebe ist. Von einer Ausheilung
kann erst nach mehijäbrigem Gesundsein die Rede sein. Bei der Dia¬
gnose ist eine Fehlerquelle zu beachten: die Infektion des Ureteren-
katheters durch die infizierte Blase; keimfrei kann diese durch Spülungen
nicht gemacht werden. Es können demnaoh Tuberkelbaoillen in den
Ureter verschleppt werden durch den Katheter. Beweisend war ihm
folgender Fall: Bei einer Patientin war von anderer Seite doppelseitige
Erkrankung angenommen, eine Operation daher abgelehnt. Vortr. hat
nun unter besonderen Kautelen Urin durch Ureterenkatheter entnommen,
ihn in Zeiten von 3 zu 3 Minuten in 12 verschiedenen Gläsern auf¬
gefangen. Die mit dem Harn der ersten Gläser geimpften Tiere starben,
die letzten nicht.
Hr. Casper: Schlusswort.
Hr. Müller: Penetriereade Kniewnnden des Friedens.
Vortr. berichtet über 33 Fälle aus dem Urbankrankenbause 1890
bis 1912. Er unterscheidet, scharfe und stumpfe Gewalteinwirkungen,
Verletzungen durch Hieb und Stich, Quetschungen des Gelenks. Letztere
geben eine ungünstigere Prognose.
Scharfe Verletzungen: 16,9 Männer, 7 Kinder; stumpfe: 17,6 Männer,
11 Kinder. Es fehlen gänzlich die Frauen, was durch die Verschieden¬
heit der Berufe und durch den Schutz der Kleider bei Frauen zu er¬
klären ist.
Scharfe Verletzungen sind sehr häufig bei Zimmerleuten, Holzhauern.
Die Diagnose, ob penetrierend oder nicht, ist oft schwer zu stellen.
Austritt von Synovia fand sich bei kleineren Wunden nur zweimal.
Hämarthros wurde nie beobachtet, nur Synovitis serosa. Eingedrungene
Nadel erzeugt Synovitis; sie wird erst lästig beim Wandern. Den Sitz
zeigt das Röntgenbild. Früher bediente man sioh der Magnetnadel.
Der klinische Verlauf hängt von der bakteriellen Infektion ab.
Die sekundäre ist häufiger als die primäre. Die Behandlung ist kon¬
servativ. Bei Erguss Punktion. Bei Infektion Ausspülung mit Lysol,
früher Sublimat. Eröffnung durch Längsschnitt, Ausspülung, Tampo¬
nade (lange Schnitte!). Breite Eröffnung. Resektion der Gelenkenden.
Die Dauer der Behandlung bei scharfer Verletzung war durchschnitt¬
lich 88 Tage. Fünf heilten mit voller Beweglichkeit, acht mit be¬
schränkter, drei mit Ankylose. Bei Messerverletzung zeigten 55 pCt, bei
Nadelstichen 66 pCt. keine Eiterung. Durch Injizieren von Methylenblau,
Einblasen von Luft ist nachzuweisen, ob eine Wunde penetrierend ist.
Der Austritt von Luft erfolgt bei gerader Lage, nicht bei gebeugtem Knie.
Bei stumpfer Gewalteinwirkung ist die Verschmutzung der Wunde
von Bedeutung. Der Schmutz dringt oft tief in die Weichteile, oft ins
Gelenk selbst. Alle fieberten in den nächsten Tagen. Bei fünf kam es
zu keiner schweren Eiterung. Die Innenseite ist doppelt so häufig be¬
troffen als die Aussenseite, wohl weil der Condylus medialis stärker ist
und mehr nach unten ragt. Dauer der Behandlung: durchschnittlich
150 Tage.
Behandlung: Spaltung mit Drainage, Tamponade, Gegeninzision;
Eröffnung des Gelenkes, lockere Tamponade. Nach Abklingen der
akuten Erscheinungen bleibt der Verband lange liegen. Hinter den
Condylen bleibt längere Eiterung bestehen. Aufklappen des Gelenks
mit Resektionsschnitt. Die Eiterung geht oft in die oberen Recessus, in
die Oberschenkelmuskulatur. Als letzte Mittel bleiben dann:
Absägen der Condylen. Resektion. Sohliesslich Amputation.
Mit Stauung keine guten Resultate. Heilung mit voller Beweg¬
lichkeit in 0 Fällen, teilweiser in 5, Ankylose in 7 Fällen. Zweimal
Tod durch Sepsis, einmal durch Meningitis. Holler.
Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin;
Sizung vom 11. April 1913.
Vorsitzender Herr Mackenrodt teilt mit, dass sich ein spezial¬
ärztlicher Verein zur Vertretung der Interessen der Spezialärzte gebildet
hat, und gibt eine Liste zum Zweck der Namen ei ntragung umher.
Vor der Tagesordnung erhält Hem Gersten her# ;das Wort, da sein
Vortrag schon gedruckt ist, für eine Mitteilung zur Rotter’sehen Pro*
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UMIVERSITY OF IOWA
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
muntoriumr «Sektion. R Otter geht bis zu 7 om Conjugata vera herab,
was der Vortragende für zu weitgehend hält. Er hat die Methode an
der Leiche geprüft. Die Meisseiführung geschieht von oben nach unten,
wobei die grossen Gefässe mit zwei stumpfen Haken zu schützen sind.
In einem Falle ist die Conjugata von 8 auf 9Va cm gebracht. Hervor¬
zuheben ist, dass in gewissem Sinne dabei auch der quere Durchmesser
erweitert wird. Glaubt, dass man sich der Operation nicht ganz wird
verschliessen können, die Resultate muss erst die Praxis lehren. Dis¬
kussion findet nicht statt.
Hr. Falk*. Ueber die Therapie der Extrauteringravidität.
Er hält eine Aussprache über einige Punkte iür wertvoll. Alle sind
darin einig, dass die nicht geplatzte und die frisch geplatzte Extra¬
uteringravidität zu operieren sind. Nur Schauta und Abel wollen
nicht im Shock operieroo. Von Interesse ist die Frage, wie soll man
sich verhalten, wenn bei abgelaufener Extrauteringravidität ein kleiner
Tubentumor vorhanden ist? Auf dem Naturforschertag in Münster
wurde die Operation allemal gefordert. Was hier die Abderhalden’sche
Reaktion leistet, ist noch unbekannt. Er hat 84 Fälle operiert, davon 81
radikal mit 3 Todesfällen. Gerade die kurz nach der Operation Ge¬
storbenen müssen berücksichtigt werden. Ob die abgelaufenen mit
Hämatocele zu operieren sind, muss aber danaoh beurteilt werden, ob
die Hämatocele wächst.
Er hat es in 6 Fällen beobachtet, und in allen Fällen frische
Blutungen gefunden. Diesen stehen aber so zahlreiche andere gegen¬
über, die ganz spontan gut verliefen, dass bei Vorhandensein einer
Hämatocele ein exspektatives Verfahren angebracht erscheint. Aller¬
dings nur unter strengster klinischer Beobachtung. Blande verlaufen
können alle Fälle, bei denen schon Hämatocele vorhanden ist, sind aber
solide Tumoren da, welche eine gewisse Beweglichkeit besitzen und gegen
Apfelgrösse steigen, so muss unter allen Umständen operiert werden.
Irrtümer in bezug auf das Alter sind namentlich bei interligamentärer
Entwicklung möglich. Ganz besonders gefährlich sind die interstitiellen
und halbinterstitiellen, wo schon zu Anfang tödliche Blutungen auf-
treten können. Dass die Operation in frühem Stadium gefahrloser ist,
bestreitet Vortragender bis zum gewissen Grade, sicher gilt dies aber für
den Tubenabort. Bei Notoperationen ist die Mortalität natürlich grösser
(5—7 pCt.). Trotzdem soll man sich an den Shock nicht kehren. In
einem Falle trat nach interner Blutung akute, gelbe Leberatrophie auf.
Er glaubt, dass der Grund die plötzliche Ueberschwemmung mit totem
Blut ist. Es ist nötig, alles Blut zu entfernen und womöglich ohne
Beckenhochlagerung zu operieren. Bei frisch geplatzten und bei Hämato-
celen muss stets die Laparotomie gemacht werden, kleine isolierte
Tumoren können vaginal operiert werden. Er musste zweimal nach¬
träglich zur abdominalen Operation übergehen, was bei ausgebluteten
Patientinnen stets schlecht ist.
Diskussion.
Hr. Mühsam bespricht das Material des Krankenhauses Moabit.
Operiert alle Fälle, sobald die Diagoosc feststeht. Die Statistik zeigt,
dass die Mortalität geringer ist, je mehr operiert wird. Seit 1908 sind
alle Fälle geheilt, es starben überhaupt nur 4, die im Collaps ein¬
geliefert waren. Der Unterschied zwischen Abort und Ruptur ist zu
schwer zu machen, so dass man einfach nur auf Extrauteringravidität
zu fahnden hat. Ist die Diagnose zweifelhaft, so empfiehlt sich die
Probepunktion vom Douglas her, welche fast stets zum Resultat führt.
Auf das exspektative Verfahren darf man sich nicht verlassen. Das
zurückgebliebene Blut fürchtet er nicht. Ausser 4 Fällen alle abdominal
operiert.
Hr. Hammerschlag ist von Falk’s Ansicht zu der Mühsam’s
gekommen. Die abgelaufene ist von der noch bestehenden Extrauterin¬
gravidität nicht zu unterscheiden. Operiert nur verjauchte vaginal, ent¬
fernt das Blut nicht. Sieg wart erinnert daran, dass nicht alle Patienten
die Zeit haben, die Resorption abzuwarten. Von 73 Fällen war 20 mal
freie Blutung vorhanden, wovon 19 glatt genasen, eine starb, bei der
die Operation infolge alter Verwachsungen besonders schwierig war.
53 abgekapselte Blutungen, wovon 44 durch Laparotomie, 9 vaginal
operiert wurden mit einem Todesfall an Embolie. Legt Wert auf pein¬
liche Peritonealisierung und Entfernung des Blutes, vermeidet Becken¬
hochlagerung, gebraucht auch die Probepunktion.
. Hr. Mackenrodt erklärt den Standpunkt Falk’s für den der
reinen Vernunft, die praktische Vernunft schreibt sofortige Operation vor.
Nicht operierte Fälle machen oft nach Jahren noch heftige Beschwerden.
Die Operation kann sogar im Bett gemacht werden.
Hr. Falk hält das Material des öffentlichen Krankenhauses für so
verschieden von dem anderen, dass es nicht zum Vergleich heranzu¬
ziehen ist. Die Grenze ist der zweite Monat. Die Heilung dauert mit
und ohne Operation 5 bis 6 Wochen. Probepunktion ist wünschens¬
wert und anzuwenden, wenn Bluterguss vorhanden. Die Entfernung des
Blutes ist nötig. _ Siefart.
Verein für wissenschaftliche Heilkunde zn Königsberg i. Pr.
Sitzung vom 17. März 1913.
1. Hr. Lissaner:
Mammatnberkniose (Demonstration vor der Tagesordnung).
Vortragender untersuchte 3 Fälle von Mammatuberkulose bei Frauen
über 40 Jahre. Sie batten mehrmals geboren. Die Fälle sind makro¬
skopisch einem cirrhösen Carcinom völlig ähnlich, wurden auch klinisch
dafür gehalten. Bemerkenswert ist die relative Häufigkeit der Euter¬
tuberkulose beim Rind; vielleicht spielen hier mechanische Schädigungen
durch das Melken eine gewisse Rolle.
2. Hr. Poppe: a) Priorität der Sehädelbrfiehe.
Vortragender bespricht an Hand von Präparaten das gegenseitige
Verhalten verschiedener Frakturlinien in bezug auf die zeitliche Auf¬
einanderfolge der einzelnen Traumen.
b) Zar Kenntnis der Klees&lzvergiftoog.
Es werden zwei tödlich verlaufene Fälle besprochen. Auffallend ist
die ausserordentlich rasche Wirkung des Giftes; am Magen sind schwere
schwärzliche Aetzungen zu erkennen.
3. Hr. Fester:
(Jeher die Ursachen der Sommersterbliehkeit der Säuglinge.
Ohne die diätetischen Schädigungen gering zu achten, glaubt der
Vortragende der Wärmestauung an sich eine grosse Rolle bei dem Aus¬
bruch der schweren Krankheitserscheinungen zuschreiben zu müssen.
Versuche an Säuglingen, welche einer leichten Ueberhitzung ausgesetzt
wurden, ergaben, dass unter solchen Bedingungen dem Brechdurchfall
sehr ähnliche Erscheinungen auftreten.
4. Hr. Beothio: Ueber die Bedeutung des Blutzuckers.
Er ist ein Maassstab für die Kohlehydratzersetzung im Körper.
Interessant ist die Feststellung, dass während des Gebäraktes der Blut¬
zuckergehalt steigt; es wird diese Erscheinung in Beziehung gebracht
zu der Steigerung der gesamten Muskeltätigkeit.
Frey-Königsberg.
Gesellschaft für Natur- nnd Heilkunde zu Dresden.
Sitzung vom 19. April 1913.
Vorsitzender: Herr Schmaltz.
Hr. Hernig-Zittau (a. G.): Hygienisch einwandfreie Milchentkeianng.
H. beschreibt das von Lobeck-Leipzig angegebene Zyma ver¬
fahren zur Keimabtötung in der Milch, bei welchem die Milch unter
einem Druck von 4 Atmosphären durch eine Sprühdüse in einen auf
72—75° C erhitzten Raum zerstäubt wird, hier etwa Vs Minute ver¬
weilt und dann keimfrei abgefangen wird. Die so entkeimte Milch zeigt
keine chemische oder biologische Veränderung, d. h. sie kann wie frische
Milch verbuttert und verkäst werden. Nachprüfungen der Keimfreiheit
durch Hofmann ^Leipzig und Schlossmann-Düsseldorf ergaben, dass
alle Keime ausser den auch mit anderen Verfahren nicht abtötbaren
Dauersporen abgetötet waren. Sowohl für Volks-und Säuglingsernährung,
wie auoh für die Landwirtschaft (Verbitterung keimfreier, von der
Molkerei den Landwirten zurückgelieferter Magermilch an das Jungvieh)
und zur Tuberkulosebekämpfung lassen sich wesentliche praktische
Vorteile erhoffen, zumal die Zyma-Milch 100 pCt. haltbarer ist als Roh¬
milch. H. betont die Notwendigkeit der Zentralisation des Milchhandels
zur Beseitigung der hygienischen Misswirtschaft in den kleinen Betrieben
und im Milcbkleinbandel.
Diskussion.
Hr. Rietschel stellt die Keimfreiheit der Milch bei der Säuglings-
ernährung nicht so sehr in den Vordergrund. Im Gegensatz zu Scbloss-
mann glaubt er — was auch eine grosse statistische Arbeit aus Amerika
bewiesen hat —, dass gekochte Milch besser vertragen wird als rohe.
Unsere klinisch-experimentellen Untersuchungen sind aber über ihre An¬
fänge noch nicht hinausgekoramen. Jedenfalls liegt das Problem der
Säuglingsernährung in der Zufuhr artfremder Nahrung.
Hr. Faust fordert vor allem möglichst sorgfältige Gewinnung der
Milch ohne sekundäre Verunreinigung. Von der keimfreien Magermilch-
verfütterung an Jungvieh zur Tuberkulosebekämpfung verspricht er sich
keinen Erfolg, da dadurch die Stallinfektion nicht beseitigt werde.
Hr. Thiersch hält das neue Verfahren für wahrscheinlich billiger
als die Pasteurisierung. Es ist aber wohl nur in grossen Molkereien
anwendbar. Auch er fordert möglichst keimfreie Lieferung an die
Molkereien.
Hr. Schubart fragt, ob das Steroverfahren das gleiche sei wie
das Zymaverfahren.
Hr. Schmaltz verspricht, sich für die Verhütung der Typhusver¬
breitung sehr viel von dem Zymaverfahren, besonders wenn der gesamte
Konsum an Milch auf diese Weise billig geliefert werden kann.
Hr. Hernig (Schlusswort): Das Steroverfahren ist ein Durchlüftungs¬
verfahren, bei dem durch das Zerstäuben der gekochten Milch der Koch¬
geschmack beseitigt werden soll. Eine Regeneration des Eiweisses da¬
durch ist unmöglich. Für die Reinigung der Milch bei der Gerinnung
hat die Zyma-Gcsellschaft eine Milchreinigungscentrifuge mit Wattefilter
konstruiert. Sollte für die Ernährung eine Bakterienart von Wichtigkeit
sein, so kann durch das Metschnikoff’sche Glykobakterverfahren nach¬
träglich wieder jede Bakterienart der Milch beigemischt werden.
Hr. Krüger:
a) Uebersichts&ufnahmen vom nropoetisehen System. (Mit Demon¬
strationen.)
An der Hand ausgezeichneter Röntgenbilder zeigt K. den Wert der
Uebersichtsaufnahmen mit Collargolfüllung des Nierenbeckens bei Nephro-
lithiasis und anderen Nierenerkrankungen zur Lokalisation der Steine
bzw. der Erkrankung. Die Collargolaufnahmen sind der Casper’schen
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UNIVERSUM OF IOWA
12. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
901
Methode mit Einführung eines Mandrinkatheters überlegen. Beschreibung
der Teohnik.
b) Ein Fall tob Spondylitis tramatiea. (Mit Demonstrationen.)
Spongiomalacie mit Gallusbildung am 6. Halswirbel nach gerinfügigem
Trauma. K. Ho ff mann -Dresden.
Deutscher Kongress für innere Medizin
*u Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913.
(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.)
(Fortsetzung.)
Sitzung vom Dienstag, den 15. April 1918.
Vorträge.
Hr. Grafe-Heidelberg: Ueber das Verhalten des Eiweiss-
minimums beim experimentellen Fieber.
Im Fieber des Menschen spielt bei der Steigerung der Eiweiss¬
verbrennung eine toxische Komponente in der Regel keine Rolle. Viel¬
mehr ist sie ungefähr die gleiche wie im Hunger. Dafür spricht die
Erhaltung von Hochfiebernden im N-Gleichgewicht mit eiweissarmer
Kost. G. untersuchte nun, welche Veränderungen in der N-Ausscheidung
ein treten, wenn ein Tier, dessen Stoffwechsel durch starke Ueber-
ernährung mit Kohlehydraten auf das Eiweissminimum eingestellt ist,
in fiebernden Zustand versetzt wird. Bei gleichbleibender starker
Ueberernährung mit Kohlehydraten trat in der Fieberperiode entweder
gar keine Steigerung oder eine so geringfügige ein, wie sie der Steigerung
der Gesamtverbrennung durch das Fieber entsprach. Höhere Werte
werden nur erhalten, wenn die Tiere während des Fiebers weniger
Kohlehydrate erhalten wie während der Vorperiode. Anhaltspunkte für
einen toxischen Einfluss des Fiebers auf den Eiweissstoffwechsel lassen
sich also nicht feststellen.
HHr. Citron und Leschke-Berlin: Experimentelle Beiträge
zur Frage der Beziehungen zwischen Nervensystem und In¬
fekt beim Fieber.
Wurden durch Ausschaltung des Mittelhirns poikilotherm gemachte
Tiere mit Trypanosomen infiziert, so bekamen sie keine Temperatur¬
steigerung, die Infektion selbst blieb dabei ganz unbeeinflusst. Wurde
die Operation bei bereits infizierten Tieren ausgeführt, so sank die Tem¬
peratur der Tiere. Schaltet man also das Mittelhirn aus, so tritt keine
Temperaturerhöhung mehr ein. Berechtigt ist die Anwendung nur der¬
jenigen Antipyretica, welche wie das Chinin bei Malaria und das Sal-
varsan bei Recurrens nicht den Reiz auf das Wärmecentrum ausschalten,
sondern auch das primum movens beseitigen. Bei den Anaphylaxie¬
versuchen können Antigen und Antikörper wechseln. Gemeinsam ist,
dass stets Komplement bei dem Anaphylaxieversuch verschwindet. Die
Komplementbindung kann auch durch Kolloide verschiedenster Art Zu¬
standekommen. Ein Teil der aseptischen Fieberformen lässt sich wohl
auch so erklären, dass durch Einspritzung von Paraffin u. dgl. Kom¬
plementverarmung und infolgedessen ein Gift entsteht.
Frl. Rahel Hirsch: Anaphylatoxinfieber und Gesamt¬
energie- und Stoffumsatz.
Das durch Trypanosomen erzeugte Infektionsfieber führt beim Hunde
wie beim Kaninchen zu gesteigerter Wärmeproduktion, in geringerem
Grade Wärmestiohhyperthermie. Beim Anaphylatoxinfieber dagegen
findet man selbst bei 41° eine Einschränkung des Gesamtumsatzes.
Daraus geht hervor, dass das Anaphylatoxin nur ein Stadium im Fieber
darstellt, und dass die Stoffwechselvorgänge unabhängig von der Fieber¬
temperatur verlaufen können. Mit Chinin kann man den auf der Höhe
des Fiebers bedeutend gesteigerten Gesamtstoff- und Energieumsatz
wieder auf normale Werte herabdrücken und stark negative Bilanzen in
positive umwandeln. Sowohl bei der Erhöhung als bei der Ein¬
schränkung des Stoffumsatzes im Fieber ist der Eiweiss- und der Fett¬
umsatz beteiligt. Im Fieber kommt es zu einer beträchtlichen Steigerung
der Harnsäureausscheidung, welche sich im Gegensätze zu den Kontroll-
tagen des. gesunden Tieres durch Chinin nicht verringern lässt.
Diskussion.
HHr. Rautenberg-Berlin, Edens-München.
Hr. F. v. Müller-München: Die Relation zwischen der Beteiligung
von Eiweiss und Kohlehydraten am Gesamtstoffwechsel ist sehr schwierig
zu bestimmen und als Basis für die Entscheidung der Frage, ob es einen
toxischen Eiweisszerfall im Fieber gibt, auch nach Senator’s Ansicht
ungeeignet Ebenso ist N-Gleichgewicht ein relatives Maass, denn es
lässt sioh auch im hoohfiebernden Zustand durch ungeheure Ueber-
schwemmung mit Kohlehydraten erreichen. Zweckmässiger erscheint es,
die Leute auf N-Minimum durch Ueberschwemmung mit Kohlehydraten
zu bringen; durch Ueberhitzung oder durch grosse Märsche (Rundgang
um den Starnberger See) lässt sich dann der N-Stoffwechsel nicht in
die Höhe treiben, dagegen ist das N-Minimum bei fieberhaften Kranken
immer etwas erhöht, selbst bei Ueberschwemmung mit Kohlehydraten.
An dem febrilen ^N-Zerfall ist doch etwas ganz Besonderes.
Hr. Loening-Halle: Es kann sioh im Fieber nioht lediglich um
einen Hungerzustand handeln, Intoxikationen spielen sioher dabei auch
eine Rolle.
Hr. F. Kraus-Berlin: Zwischen beiden Referaten besteht ein ge¬
wisser Gegensatz. Herr Meyer spricht von einem thermoregulatorisohen,
Herr Krehl von einem thermogenetischen Centrum. Während nach
Krehl’s Ansicht Temperatur und Stoffwechselsteigerung im Fieber nicht
getrennt marschieren, bezeichnet K. beide als zwei Tasten einer Klavia¬
tur, welche nicht immer gleich stark angeschlagen werden. Das zeigen
die Untersuchungen im Anaphylaxie- und im Trypanosomenfieber, im
fievre intermittante hepatique und beim Tuberkulösen. K. ist trotz der
Arbeiten von Grafe überzeugt, dass beim Eiweissstoffwechsel im Fieber
etwas Besonderes vorliegt.
Hr. v. Jaksch-Prag ist gegen die Anwendung von Antipyreticis
und Alkohol bei Typhus, von der früher übertriebenen Bäderbehandlung
des Typhus möchte J. die Lakenbäder beibehalten.
Hr. Schnöe-Schwalbach, Morawitz-Freiburg: Erzeugt man bei
Kaninchen oder Meerschweinchen aseptische Thrombosen, so entstehen
infolge Koagulation und Zerfall von zahlreichen Blutplättchen Fieber¬
steigerungen.
Hr. Marohand-Heidelberg konnte gemeinsam mit Freund keinen
Parallelismus zwischen Höhe des Blutdrucks und der Temperatur bei
menschlichem infektiösen Fieber finden. Ebenso tritt bei aseptischem
Fieber gewöhnlich keine Hyperglykämie beim Kaninchen ein.
K. Reich er-Bad Mergentheim: Angesichts von subnormalen Tem¬
peraturen bei Hypofunktion der Thyreoidea und Neigung zu Fieber bei
Basedow ist es von Interesse, dass R. bei mehreren Basedowkranken mit.
reichlicher Fettnahrung Temperaturen bis zu 89° hervorrufen konnte,
dagegen nicht mit isodynamen Eiweiss- oder Kohlehydratmengen.
Hr. Lennhoff-Berlin hat mit Levy-Dorn an gesunden Ring¬
kämpfern ein Bewegungsfieber bis zu 39° konstatieren können.
Hr. Moritz-Cöln befürwortet eine vorsichtige Pyramidonbehandlung
bei Typhus.
Hr. Krehl (Schlusswort): Gefässnerven- und Wärmeregulations-
centrum liegen nach Müller und Leschke beide in der Regio sub-
thalamica, das ist sehr plausibel. K. ist im Gegensatz zu Müller und
Kraus von einem toxogenen Eiweisszerfall im Fieber nicht überzeugt.
Für die Möglichkeit von fieberhaften Temperatursteigerungen ohne Er¬
höhung des Gesamtstoffwechsels wäre die Arbeit von Frl. Hirsch der
erste Beweis. Doch ist dagegen der Ein wand zu erheben, dass das
Anaphylaxiefieber an der Grenze zwischen Fieber und Kollaps steht.
Es müssten stündliche Temperaturmessungen vorhanden sein, um die
Ergebnisse ohne weiteres verwerten zu können. Neuerdings wird die
Bedeutung niedriger Temperatursteigerungen (87,3—87,5) vielfach über¬
trieben.
Hr. G. Jochmann: Salvarsan bei Scharlach.
J. hat 109 Fälle mit Alt- und 8 mit Neosalvarsan behandelt. Auf¬
fallend günstig wurde die Scharlachangina, speziell die Angina neoroti-
cans beeinflusst, deren Nekrosen sich unerwartet schnell zu reinigen be¬
gannen und vielleicht so das seltene Auftreten von Otitis zur Folge
hatten. Nachkrankheiten wie Drüsenschwellungen und Nephritis wurden
dagegen durch Salvarsan nicht verhütet. Leichtere Fälle von Soharlach
bedürfen nicht der SalvarsanbehandluDg, wohl aber die sohwer toxischen.
Das Neosalvarsan ist zur Scharlachbehandlung nicht geeignet.
Diskussion: Hr. Schreiber-Magdeburg hat auch mit kleinen
Dosen Salvarsan schöne Erfolge gesehen, selbst bei lokaler Anwendung.
Hr. Benario-Frankfurt: Der anorganische Wasserfehler ist bei
Neosalvarsan besonders zu beachten. Yolhardt’s Methode (kleine
Dosis früh, grosse am Spätnachmittag) sollte bei Scharlach versucht
werden.
Hr. Menzer-Bochum hat Bedenken gegen die Anwendung von Sal¬
varsan bei Scharlach.
Hr. H. Lüdke-Würzburg: Zur Deutung der kritischen Ent¬
fieberung.
L. weist durch Tierversuche nach, dass zur Zeit der Krise bei der
Pneumonie ein rapides, sprungweises Anwachsen der Sohutzstoffe im
Körper, eine 10—100 fache Konzentrationssteigerung für das Phänomen
der kritischen Entfieberung verantwortlich zu machen ist.
Sitzung vom Mittwoch, den 16. April 1913.
Hr. Goldmann-Freiburg: Der Yerd auungsvorgang im Lichte
der vitalen Färbung.
- Goldmann hat mit Hilfe seiner Methode der vitalen Färbung bei
den verschiedensten Tieren und unter den mannigfachsten Yariationen
der Ernährung den Yerdauungsprozess verfolgt. Schon makroskopisch
lassen sich die tätigen Abschnitte des Magendarm kan als von den un¬
tätigen an ihrer dunkleren Färbung erkennen. Die Färbung beruht auf
einer Anhäufung vital blau gefärbter Zellen, welche in ständiger Wan¬
derung innerhalb der Darmwand begriffen sind. Als Ursprungsstätte
dieser Zellen hat Goldmann das Netz, die Lymphdrüsen und die Milz
gefunden. In den Lymphdrüsen und der Milz, die periodischen Funk¬
tionswechsel erfahren, erhalten diese Zellen aus zerfallenen Blutzellen
wichtiges Bildungsmaterial, das bei der weiteren Verarbeitung der vom
Magendarmkanal aufgenommenen Nahrungsstoffe eine wichtige Rolle
spielt. Neben diesen vital gefärbten Zellen hat G. andere gefunden,
von denen er sicher hat zeigen können, dass die Oxydaseferment ent¬
haltenden im Verein mit den vorhin erwähnten an der Verarbeitung der
Nährstoffe teilnehmen. G. bringt die bei der Ernährung auftretende
zelluläre Reaktion innerhalb der Darmwand in Beziehung zu Vorgängen
im Organismus, bei denen es sich darum handelt, dass der Körper sich
gegen den Eintritt körperfremder Substanzen wehrt oder sich bemüht,
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UNIVERSITY OF IOWA
902
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1Ö.
dieselben in körpereigene umzuwandeln. An zahlreichen Präparaten
mikro- und makroskopischer Natur erläutert er seine Ansichten.
Diskussion: Hr. Friedrich*Königsberg: Mit der vitalen Färbung
und zwar mittels Trypanblau konnte Beut die Wanderung des Farb¬
stoffes von einer Pleurahöhle über Mediastinum anticum und posticum
▼erfolgen; dabei bäumt sich das Pleuraendothel förmlich auf und
wandelt sich aus einem flachen in ein kubisches und schliesslich in ein
cylindrisches um.
Hr. K. Reicher-Bad Mergentheim: Ueber Fett- und Lipoid-
stoffweohsel bei Diabetes mellitus.
Nach Verabreichung von reinen Triglyceriden entsteht im Blut vor¬
übergehend eine Vermehrung nicht nur des Fettes, sondern auch von
Lecithin und Cholesterinestern. Dabei sinkt der respiratorische Quotient
zunächst langsam, dann stärker und erreicht seinen Tiefpunkt zur Zeit,
wo die Fette und Lipoide im Blut rapide zu sinken beginnen. Dies
scheint dafür zu sprechen, dass die Fette im wesentlichen nicht als
solche, sondern einerseits gebunden an Glycerophosphorsäure-Cbolin als
Lecithin, andererseits an Cholesterin als Cholesterinester verbrannt
werden. Eine ähnliche Vermehrung der obengenannten Lipoide kann
man zeitweise bei anämisierten und bei phosphorvergifteten Tieren sowie
bei schweren Diabetikern beobachten, desgleichen in Hungerzuständen.
Dies weist darauf hin, dass auch die Mobilisierung des Fettes aus den
Depots heraus in Form des Lecithins und der Cholesterinester statt¬
findet und ihre Bildung die Vorbedingung für die Fettverbrennung bildet,
ähnlich wie die Umwandlung des Glykogens in Traubenzucker der Kohle¬
hydratverbrennung vorausgehen muss.
Beim Diabetiker kann man ebenso wie beim Alkoholiker beobachten,
dass die Kurve der Lipoidvermehrung im Blut nach Fettnahrung einen
langsameren Ablauf und einen höheren Anstieg zeigt (normaler Diabetes),
und diese Abweichung von der Norm ist um so grösser, je stärker die
Acidosis ausgeprägt ist. Durch Konkurrenz mit der vorher erwähnten
Fettmobilisierung in Form von Lipoiden wird die Kurve in Fällen mit
starker Acidosis dahin umgeformt, dass ein Absinken bis zur Abscisse
überhaupt nicht mehr stattfindet, sondern nur Gipfel mit geringen
Wellentälern nachzuweisen sind.
Hr. Lüthje-Kiel: Bemerkungen zur Therapie des Diabetes
mellitus.
L. verabreicht 75—80 g Zucker in 4—5 proz. Lösungen als Tropfen-
klystiere, welche ohne Darmreizerscheinungen vertragen werden. Die
stattgehabte tatsächliche Resorption des Traubenzuckers beweisen An¬
stiege des Blutzuckerspiegels auf 0,187 von 0,085 pCt. usw. Dieser
Zucker wird auch verbrannt, denn der Urinzucker steigt kaum an. Nach
intraportalen Zuckerinjektionen steigt der Urinzucker stärker an als nach
Injektion in die Vena femoralis.
Hr. Hermanns - Freiburg: Ueber den Abbau der Acetessig-
säure im Organismus.
H. weist für Acetessigsäure und ihre Homologen nach, dass im
Organismus sowohl die SäurespaltuDg unter Aufnahme eines Moleküls
Wasser als auch die Ketonspaltung stattfindet.
Hr. E. Frank - Breslau: Der renale Diabetes des Menschen
und der Tiere.
Es ist eine nooh immer umstrittene Frage, ob es in der mensch¬
lichen Pathologie einen Nierendiabetes gibt, d. h. ein Zuckerharnen trotz
völliger Unversehrtheit der am Kohlenhydratstoffwechsel beteiligten Or¬
gane. Auf Grund der mit allen Kautelen durcbgeführten Untersuchungen
des Vortr. lässt sich zunächst sagen, dass die Gifte Uran, Chrom, Queck¬
silber beim Versuchstier in kleinen Dosen konstant eine auf die Nieren
zu beziehende Zuckerausscheidung hervorrufen, die längere Zeit anhält
und durch Wiederholung der Dosis in gewissen Zeitabständen zu einer
dauernden gemacht werden kann. Der Blutzucker bleibt dabei beim
Hunde normal oder subnormal (0,108; 0,088; 0,078; 0,0G8). Für einige
menschliche Fälle von Zuckerkrankheit (darunter drei von F. unter¬
suchte) muss ebenfalls eine wahrscheinlich durch endogene Giftstoffe
krankhaft veränderte Tätigkeit der Niere verantwortlich gemacht werden.
Eine typische Form des menschlichen Nierendiabetes ist die bei manchen
Frauen in der Schwangerschaft auftretende Glykosurie, die durch starke
Belastung mit Amylaceen oder Traubenzucker bei fast allen Schwan¬
geren hervorgerufen werden kann.
Diskussion zu Reicher - Frank.
Hr. Embden - Frankfurt a. M.: Was Reicher für den Fettsäure¬
abbau nachwies, nämlich die Verknüpfung desselben mit Lecithinbildung,
stimmt nach noch nicht veröffentlichten Versuchen von E. auch für den
Kohlehydratabbau. Im Muskelpresssaft bildet sich nach kurzem Stehen
Milchsäure, obwohl der Muskel vorher weder Zucker noch Glykogen ent¬
hielt, und eine äquimolekulare Menge Phosphorsäure. Die Muttersubstanz
der entstandenen Milchsäure muss daher Milch- und Phosphorsäure in
äquimolekularen Mengen enthalten. Andererseits synthetisiert Trocken¬
hefe Zucker und Phosphorsäure zu Hexophosphorsäure. Setzt man dieser
Hefe zu, so zerfällt sie wieder in fast äquimolekulare Mengen Milch-
und Phosphorsäure. Die Untersuchungen von Hermanns sieht E. als
eine Bestätigung seiner Ansichten vom Säureabbau durch Säure¬
spaltung an.
Hr. Lang-St. Petersburg hat auch bei dauernder Anwendung der
Zuckerklystiere ein Heruntergehen des Urinzuckers gesehen.
Hr. Fischler-Heidelberg: Nach Herstellung einer Anastomose
zwischen Pfortader und Vena cava verträgt der Hund annähernd gleiche
Mengen Dextrose und Lävulose wie vorher, dagegen erscheinen dann von
Laktose und Galaktose fast 80 pCt. im Urin.
Hr. Jaksch - Prag hat zuerst die Acetessigsäure aus dem Harn als
Kupfersalz dargestellt.
Hr. Plönies - Hannover hat ebenfalls mit Zuckerklystieren gute
Erfahrungen gemacht.
Hr. Porges-Wien findet in den Frank’schen Befunden seine
Untersuchungen über Schwangerschaftsglykosurie bestätigt. Von diesen
harmlosen Fällen sind aber diejenigen von eohtem Schwangerschafts¬
diabetes zu trennen, welche sohechte Prognose geben und zu Acetonurie
und Fruktosurie führen.
Hr. G. K lern per er - Berlin: Die Lipoidämie des Diabetikers ist
ganz unabhängig von der Fettnahrung, ist also, wie K. im Gegensatz zu
Reicher annimmt, grundsätzlich von der Verdauungslipämie verschieden.
Bei stark milchigem Serum ist die Prognose des Diabetikers immer eine
infauste, Lipoid charakterisiert ein Coma differential diagnostisch stets als
ein diabetisches.
K. betont gegenüber Frank, dass er schon vor 18 Jahren die
Grundzüge des renalen Diabetes dargelegt, zu dem er auch die Fälle
von älteren Leuten mit Arteriosklerose rechnet, welche mit echtem Dia¬
betes nicht zu verwechseln und am besten unbehandelt zu lassen sind.
Hr. Magnus-Aisleben - Würzburg: Bei Injektion von Zucker in
die Vena portae kommt es zu einer Ueberschweramung der Leber mit
Zucker und dadurch vielleicht zu einer schlechteren Ausnützung des¬
selben als bei Injektion in die Vena femoralis.
Hr. Bacmeister - Freiburg konnte nur bei Diabetes eine ausser¬
ordentliche Vermehrung des Cholesterins im Blute ante mortem nach-
weisen, bei allen anderen Krankheiten sinkt dessen Menge.
Hr. Minkowski - Breslau weist auf Lipoidämie nach Pankreasexstir¬
pation hin, bei welcher auch intravenös injizierte Zuckermengen voll¬
ständig im Harn wieder ausgeschieden werden.
Hr. Bönniger - Pankow: Der sechs Jahre beobachtete Fall
von Nierendiabetes scheidet andauernd Spuren von Zucker aus, Zucker¬
zufuhr ist darauf voa keinem Einfluss. Erbliche Momente spielen bei
renalem Diabetes sicher auch eine Rolle, denn der Sohn des Patienten
leidet auch daran.
Hr. Loschke - Berlin bat durch Leberexstirpation bei Fröschen einen
Phloridzindiabetes nicht beeinflussen können.
Hr. Lichtwitz - Göttingen spricht über Differenzen zwischen Harn-
und Blutzucker.
Hr. Reicher-Mergentheim (Schlusswort) hält daran fest, dass ein
prinzipieller Unterschied zwischen der Lipoidämie bei Diabetes und der
physiologischen nicht besteht. Für Coma diabeticum sind nebst hohem
Lipoidgehalt des Blutes hohe Blutzuckermengen bei Herabgehen des
Urinzuckers charakteristisch.
Hr. Lüthje-Kiel (Schlusswort) ist in der Verwertung der Kriterien
für einen renalen Diabetes viel vorsichtiger geworden, so hält L. die
Unabhängigkeit der Glykosurie von der Grösse der Kohlehydratzufuhr
nicht mehr für ein maassgebendes Charakteristikum. Auch bei Verwertung
der Blutzuckerbestimmungen sollte man vorsichtiger sein.
Hr. Herrmanns - Freiburg: Normalerweise vermag die Leber Acet¬
essigsäure nach dem Typus der Säurespaltung zu zerstören, im Coma
diabeticum aber nur nach dem der Ketonspaltung.
Hr. Frank - Breslau: Der von Klemperer seinerzeit beschriebene
Fall ist angesichts seines hohen Blutzuckergehaltes kein echter renaler
Diabetes. Nach den Versuchen v. Kontschek’s werden die im Nieren¬
protoplasma normalerweise aufgespeicherten Zuckermengen durch den
Uranreiz herausgeworfen.
(Fortsetzung folgt.)
Wiener Brief.
Eine grosse schulärztliche Enquete gab den Wiener Aerxten
überreichen Stoff zur Debatte. Die Aerztekammer war aus äusseren
Gründen gezwungen, in aller Eile eine derartige Enquete zu veran¬
stalten, um eigentümlichen Erscheinungen in der Schularztfrage zuvor¬
zukommen. Die pädiatrische Universitätsklinik hatte nämlich, ohne sich
mit den Aerzten Wiens in Verbindung zu setzen, an alle staatlichen
Mittelschulen die Anfrage gerichtet, ob die Uebernahme des schulärzt¬
lichen Dienstes von seiten der Klinik gegen ein bescheidenes Entgelt
genehm wäre. Gegen dieses Vorgehen der Universitätsklinik, welches
übrigens bei einigen Schulleitern Beifall gefunden hat, lehnte sich sowohl
die gesamte Aerzteschaft als auch die Majorität der Eltern, deren Kinder
Mittelschulen besuchen, auf. Es wäre auch ein Novum und mit den
Zwecken und Zielen der Kliniken nicht zu vereinbaren gewesen, wenn eine
derselben den schulärztlichen Dienst, etwa für die Hälfte oder ein Drittel
der Wiener Sohulkinder, an sich gerissen hätte.
Die Aerztekammer beeilte sich, die Angelegenheit in die normalen
Bahnen zu leiten und stellte an Fachmänner eine Reihe von Fragen,
deren Inhalt und Erledigung in den folgenden Zeilen kurz skizziert
werden sollen. Die meisten Fachmänner sprachen sich dahin aus, dass
in Grossstädten ein oder mehrere Aerzte die schulärztliche Tätigkeit im
Hauptamt ausüben sollen und dass eine entsprechend grosse Zahl von
praktischen Aerzte diese Tätigkeit im Nebendienste zu versehen hätten
Die Maximalzahl der einem Schulärzte im Hauptamte zuzuweisenden
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12. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
908
Schüler sollte etwa 15 000, im Nebenamte 2000 bis 3000 betragen. Sehr
heikel gestaltete sich die Diskussion über die Frage der Honorrierung der
Schulärzte. Im allgemeinen siegte die Anschauung, dass die Humanität
der Aerzte nicht missbraucht werden dürfe, dass die Aerzte auf ein
Honorar nicht verzichten können, ein entwürdigendes Honorar nicht
annehmen dürfen.
Als Jahresgehalt eines Arztes im Hauptamte und in einer Gross¬
stadt wurden etwa 12 000 K. festgesetzt, für den Arzt im Nebenamte
ein Minimalhonorar pro Kopf (der zu untersuchenden Schüler und Jahr)
von 1 K. angenommen. Der Schularzt soll sich den schulerhaltenden
Behörden zur Verfügung stellen, in dringenden f'ällen jedoch selbständig
handeln. Die schulärztliche Aufsicht soll Volks- und Bürgerschulen,
Mittel- und Hochschulen umfassen. Bei der Besprechung des Pflichten¬
kreises des Schularztes wurde mit Recht betont, dass der Schularzt nicht
bloss als Schülerarzt zu gelten habe, sondern auch auf die Hygiene
des Schulhauses und den ganzen Unterrichtsbetrieb sein Augenmerk
richten müsse. Unser Hygieniker HerrSohattenfroh streifte auch das
Gebiet der sexuellen Aufklärung; die geschlechtliche Aufklärung der
Kinder solle nicht forciert werden, und wenn man sich dafür entschliesse,
solle man diese Aufklärung nicht dem Lehrer der Zoologie, soodern dem
Schulärzte übertragen. Prinzipiell wurde betont, dass der Schularzt die
Behandlung der Sohulkinder nicht übernehmen dürfe. In einer Debatte
wies ein Wiener Kollege auf die Gefahren hin, welche den praktischen
Aerzten aus dem Forcieren der schulärztlichen Einrichtungen erwachsen
könnten. Erwünschte, dass entweder nur Amtsärzte den schulärztlichen
Unterricht übernehmen sollen oder dass eine allgemeine ärztliche Organi¬
sation die Aufgabe übernehmen und unter den hierzu sich meldenden
Aerzten verteilen solle. Eine sehr lebhafte Debatte verursachte die
Frage: Ausbildung des Schularztes, in welchen Fächern er etwa spezia-
listische Kenntnisse unbedingt benötige, und ob er Erfahrungen in der
Praxis haben müsse. Die Spezialisten verlangten Schulaugenärzte, Schul¬
ohrenärzte, Schulzahnärzte, Schulspraohärzte usw. Der Hygieniker Herr
Grassberger regte an, dass der Schularzt einen dreiwöchigen Kursus
absolvieren solle, in welchem er über die wichtigsten Kapitel seines Dienstes
zu informieren sei. Das Verhältnis zwischen dem Schulärzte und dem
Spezialisten charakterisierte Oberstadtphysikus Böhm treffend mit
folgenden Worten: Der Schularzt ist gewissermaassen der Hausarzt. Er
hat die Untersuchung und die sanitäre Ueberwachung der Schüler und
der Schule durchzuführen. Nur in dem Falle, wenn der Schularzt es
für indiziert hält, ist ein Spezialarzt pro consilio beizuziehen. Von
Aerztinnen wurde die Einführung weiblicher Schulärzte für Mittel¬
schülerinnen und die Einführung von Schulschwestern als Gehilfinnen
der Schulärzte angeregt.
Das reiche Material der denkwürdigen Wiener schulärztlichen
Enquete wird von der Wiener Aerztekammer redigiert und den Behörden
zur Verfügung gestellt werden. Hoffentlich bekommen wir bald Schul¬
ärzte für alle Unterrichtsanstalten — ohne schwere Schädigung der
Praktiker.
Die leidige Zahlstockfrage! taucht wieder auf. Nachdem es ab¬
gelehnt wurde, für die neuen Kliniken Zahlstöcke einzurichten, sollen in
einem neuen städtischen Spital Räume für den zahlungsfähigen Mittel¬
stand geschaffen werden. Wenn dieser Plan zur Tatsache werden sollte,
dann würden etwa 1500 Aerzte in Wien, welche von der freien Praxis
lebten, ökonomisch auf das schwerste betroffen werden. Die Aerzte sind
bereit, nachzugeben und die Einführung von Zahlstöcken für den Mittel¬
stand als einer Zwischenstufe zwisohen den allgemeinen Spitalsabtei-
lungen und den Sanatorien zuzulassen, wünschen jedoch die freie Arzt¬
wahl auf diesen Zahlstöcken. Die Aerzte fordern, dass der behandelnde
Arzt, der aus irgendeinem Grunde einen Kranken auf die Zahlabteilung
eines Spitales schickt, von der Weiterbehandlung dieses Kranken nicht
ausgeschaltet werden soll.
Die Zahl der Mediziner an der Wiener Universität nimmt in
auffälliger Weise zu. Im Jahre 1906 waren an der Wiener Universität
1009 Mediziner inskribiert, im Jahre 1912 2057. An allen österreichi¬
schen medizinischen Fakultäten zählte man im Jahre 1906 1872 Medi¬
ziner, im Jahre 1912 5640 Mediziner. Die bedenklich wachsende Hörer¬
zahl fordert von der Unterrichtsverwaltung die Schaffung neuer, wenn
auch nur provisorischer, Lehrkanzeln. Der bekannte Kriegsohirurg und
Abteilungsvorstand an der Wiener allgemeinen Poliklinik Herr Alexander
Fraenkel bat vor einigen Tagen vom Unterrichtsministerium den Auf¬
trag erhalten, schon in diesem Sommersemester klinische Vorlesungen
über Chirurgie zu veranstalten. Es wird sich demnach an der Poliklinik,
welche früher von den Klinikern bekämpft und negligiert wurde, eine
dritte chirurgische Klinik langsam entwickeln. Ferner soll im allge¬
meinen Krankenhause neben den zwei bestehenden chirurgischen Kliniken
eine propädeutische Klinik eingerichtet und abwechselnd von den rang-
ältesten Assistenten geleitet werden. Wien wird demnach in Bälde drei
chirurgische Kliniken für Vorgeschrittene und eine propädeutische
chirurgische Klinik für Anfänger besitzen.
In den nächsten Tagen werden die Beratungen über die Besetzung
der ersten medizinischen, durch den Rücktritt v. Noorden’s frei¬
werdenden, Klinik beginnen. Das Kollegium ist, wie an dieser Stelle
bereits angedeutet wurde, nicht geneigt, diesmal einen Reichsdeutschen
nach Wien zu berufen. Man will vorerst unter den einheimischen Inter¬
nisten, deren es eine sehr grosse Zahl gibt, Umschau halten. Die rang-
ältesten auch in Deutschland bekannten Persönlichkeiten sind die Herren:
Pal, Kovacs und Obermayer. Selbstverständlich hängt die Be¬
rufung eines Klinikers nicht von dem Range ab, den er als Primarius
im Staatsdienste bekleidet. Es werden übrigens auch Namen von reiohs-
deutschen Aerzten genannt, trotzdem, wie gesagt, ein Vorschlag noch
nicht erstattet werden konnte. Es wäre müssig und voreilig, diese Namen
heute zu publizieren; wir wollen nur betonen, dass immer und immer
wieder der Wunsoh der Wiener Professoren und Aerzte zur Geltung
kommt, Herrn Friedrich Kraus aus Berlin und Herrn Ludolf Krehl
aus Heidelberg wieder nach Wien zu ziehen. Wir fürchten, dass dieser
Wunsch, der schon oft ausgesprochen wurde, abermals ein frommer
bleiben werde. Vindobonensis.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In derSitzung derBerliner medizinischen Gesellschaft
vom 7. Mai 1913 demonstrierte vor der Tagesordnung 1. Herr v. Hanse¬
mann Präparate des Herrn Fibiger: Zur künstlichen Erzeugung von
Krebs; an der Diskussion beteiligten sich der zufällig in Berlin an¬
wesende Herr Fibiger und Herr C. Lewin. 2. Herr Katzen¬
stein: Heilung einer fast völligen Armlähmung durch Plexuspfropfung
von der anderen Seite her (Diskussion: Herr Toby Cohn). 3. Herr
Gontermann: Kalkablagerungen im Unterhautfettgewebe (Diskussion:
Herr v. Hansemann), ln der Tagesordnung hielt Herr E.:Bumm den
angekündigten Vortrag: Ueber die Erfolge der Röntgen- und Meso¬
thoriumbestrahlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien; Herr
Haendly: Demonstration der zu diesem Vortrage gehörenden mikro¬
skopischen Präparate.
— Herr Rudolf Mosse hat anlässlich seines ,70. Geburtstages
unter anderen ärztlich-humanitären Stiftungen (z. B. ein Krankenhaus
in seiner Vaterstadt) die Berliner medizinische Gesellschaft
mit einer hochherzigen Gabe bedacht. In einem liebenswürdigen Briefe
teilt er der Gesellschaft mit, dass er sich freuen würde, den von der
Gesellschaft geplanten Bau eines Hauses fördern zu dürfen, das dem
Andenken Rudolf Virchow gewidmet sei, und dass er zu diesem Zwecke
der Gesellschaft die Summe von 100 000 M. zur Verfügung stelle.
— Die I. medizinische Klinik der Charitö hat mit Beginn
dieses Semesters ihren prächtigen Neubau bezogen; am 5. d. M. fand in
Gegenwart von Vertretern der beteiligten Behörden die feierliche Ein¬
weihung statt. Nach einer Ansprache seitens des Herrn Kultusministers
hielt Herr W. His eine Eröffnungsvorlesung, in der er die historische
Entwicklung der Klinik mit prägnanten Charakteristiken seiner Amts¬
vorgänger beleuchtete und über die notwendigen Reformen im klinischen
Unterricht sprach. Wir werden die geistvolle Rede im Wortlaut ver¬
öffentlichen.
— Der Vorstand der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Aerzte hat an die Vorstände der medizinischen und naturwissen¬
schaftlichen Vereine Deutschlands und Oesterreichs ein Rundschreiben
erlassen, in welchem eine einheitliche Regelung der deutschen
Kongresse vorgeschlagen wird. Es sollen in Zukunft die Spezialgesell¬
schaften in einem Jahre für sich, im nächsten Jahre gemeinschaftlich
mit der Naturforscherversammlung tagen und demgemäss auch das
Arbeitsmaterial so gesichtet werden, dass bei den Einzeltagungen wesent¬
lich spezielle Fragen, auf der grossen Versammlung Gebiete allgemeinen
Interesses behandelt werden. In logischer Folge einer solchen Neu¬
ordnung würden dann die Naturforscherversammlungen einen
zweijährigen Turnus annehmen. Der hiermit ausgesprochene Ge¬
danke ist nicht neu. Seit vielen Jahren sind wir an dieser Stelle
dafür eingetreten, dass endlich ein derartiges Zusammenarbeiten der
Naturforschergesellschaft mit den Spezialkongressen angebahnt werde —
das einzige Mittel, um ihre Tätigkeit in erfolgreichere Bahnen zu lenken
und namentlich die Berechtigung der Naturforscherversammlungen über¬
haupt wiederherzustellen (vgl. hierzu z. B. meine Berichte über die
Lübecker Versammlung, diese Wochenschr., 1895, Nr. 38; über die
Braunschweiger Versammlung, 1897, Nr. 40; die Stuttgarter Versammlung,
1906, sowie meinen Artikel Kougressfragen, 1905, Nr. 36). Ebenso hat
Waldeyer, unstreitig die grösste Autorität in diesen Dingen, später
G. Klemperer diesen Modus, insbesondere die Beschränkung der Natur¬
forschertagungen auf zweijährige Intervalle als unumgänglich, schon
längst erkannt und gefordert. Und namentlich seit für die internationalen
Kongresse der vierjährige Turnus proklamiert worden und ein permanentes
Komitee eingesetzt worden ist, lag es sehr nahe, nunmehr endlich
eine generelle Regelung auch für die nationalen Veranstaltungen
herbeizuführen. Bisher sind alle diese Anregungen ungehört verhallt
— um so erfreulicher ist es, dass sie diesmal von autoritativster
Seite ausgehen. Es wird nicht leicht sein, die Widerstände der
Ueberlieferung zu brechen — aber, wer in dem Kongresswesen einen
gewaltigen Faktor für unser wissenschaftliches Leben erblickt, wer in
dem bisherigen regellosen Durch- und Nebeneinander eine ungeheure
Verschwendung von Energie erkannt hat, wird sich den Vernunftgründen,
die für die geplante Neuerung sprechen, nicht verscbliessqn können.
Kann man sich in Wien zu einer Beschlussfassung im Sinne dieses Vor¬
schlages durchringen, so wird die diesjährige Versammlung bedeutungs¬
voll für die ganze künftige Entwicklung werden! P.
— XVII. Internationaler medizinischer Kongress, London,
6. bis 12. August 1913. Wir machen nochmals darauf aufmerksam,
dass die deutschen Kollegen ihre Beiträge durch Vermittelung des
Schatzmeisters des Deutschen Reichskomitees, Herrn Kommerzienrat
E. Stangen, Berlin W., Friedriohstr. 72, einzahlen können; derselbo
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904
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
übersendet auf Verlangen die notwendigen Formulare und sonstigen
Drucksachen. Es empfiehlt sich, die Anmeldungen zur Mitgliedschaft
möglichst bald zu bewirken, damit die vor dem Kongress erscheinenden
Auszüge aus den Referaten der betreffenden Sektion rechtzeitig zugeschickt
werden können. — Der Vorsitzende der Sektion für Ophthalmologie,
Sir Henry Swanzy, ist verstorben; an seine Stelle ist Sir Anderson
Critchett getreten.
— In der unter Vorsitz von Dr. Max Koch abgehaltenen Sitzung
der Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie
vom 28. April 1918 sprach Herr Edmund Falk unter Demonstration
vieler instruktiver Präparate über Schizosoma reflexum und zeigte
die Bedeutung dieser Deim Kalb beobachteten Missbildung für die Er¬
klärung der Genese der Bauchspalten. Herr Kantorovicz legte eine
grössere Zahl von Präparaten, die in der tierärztlichen Praxis gewonnen
waren, vor und besprach ihre Bedeutung für die vergleichende Patho¬
logie. Herr Max Koch demonstrierte einen Pferdemagen mit zahl¬
reichen Oestridenlarven und anatomische Präparate der durch die
Fliegenlarven erzeugten Epithelwucherungen. Herr Max Koch
sprach ferner unter Vorzeigung vieler makroskopischer und mikrosko¬
pischer Präparate über die Spiropteren als Parasiten und Ge-
schwulsterreger, ein Thema, das durch die Untersuchungen
Fibiger’s zurzeit theoretische und praktische Bedeutung erlangt habe.
(Diskussion: HHr. Dieterich, Saul, Koch.)
— Am 15.—22. Oktober 1913 findet in Madrid mit Unterstützung
der Regierung und unter Patronat des Königs der IX. internationale
Kongress für Hydrologie, Klimatologie und Geologie statt.
Mit dem Kongress ist eine Weltausstellung aller derjenigen Erzeugnisse
verbunden, die mit demselben in Zusammenhang stehen. Zu näherer
Auskunft ist der Vertreter für Deutschland, Sanitätsrat Dr. 0. Rosen¬
thal, Berlin, Potsdamer Str. 121g, bereit.
— Die diesjährige VII. Jahresversammlung der Gesellschaft
deutscher Nervenärzte wird vom 29. September bis 1. Oktober (mit
Empfangsabend am 28. September) in Breslau abgehalten werden. Die
Referatthemata sind: 1. Ueber die Abbauvorgänge im Nervensystem.
Referent: Alzheimer-Breslau. 2. Röntgenologie in ihrer Beziehung
zur Neurologie. Referent: A. Schüller-Wien. Anmeldungen bis späte¬
stens den 5. Juli an den ersten Schriftführer, Dr. K. Mendel, Berlin W.,
Augsburgers! r. 48.
— Dozentenvereinigung für ärztliche Ferienkurse in
Berlin. Ein kurzfristiger (zweiwöchiger) Kurs der Charlottenburger
Krankenanstalten vom 19. bis 31. Mai wird abgehalten von den
Herren: Bessel- Hagen (chirurgische Klinik), Umber (klinische
Medizin), Dietrich (Pathologie u. Anatomie), Keller (Geburtshilfe u.
Gynäkologie), Brüh ns (Dermatologie), Neupert (Unfallbegutachtung),
Schultz (Hämatologie); ausserdem klinische und histologisch-bakterio¬
logische Technik, Stoffwechselkurs. Näheres durch Herrn Melzer,
Ziegelstr. 10/11 (Langenbeck-Haus).
— Die Impf frage wird bekanntlich den nächsten Deutschen Aerzte-
tag beschäftigen. Da ist der Bericht über das Impfwesen von Inter¬
esse, den das Ministerialblatt für das Medizinalwesen in Preussen für
das abgeiaufene Jahr bringt und aus dem einerseits hervorgeht, mit wie
grosser Sicherheit der Impfstoff den gewünschten Erfolg bewirkt und wie
selten jetzt schädliche Nebenwirkungen beobachtet werden.
Abgesehen von unbedeutenden und vermeidbaren Schädigungen starb,
wie die Sektion ergab, ein Kind an Purpura haemorrhagica, die mit der
Impfung nicht in Zusammenhang gebracht werden kann, und zwei er¬
krankten an Wundrose — also ebenfalls an einer bei genügender Sorg¬
falt vermeidbaren Affektion —; eins davon starb. Das sind bei etwa
•/ 4 Millionen Impfungen Resultate, die doch das Geschrei der Impfgegner
zum Schweigen bringen sollten.
— Sanitätsrat 0. Rosenthal erhielt auf der Internationalen
Hygieneausstellung in Rom von 1912 für die Ausstellung seiner sta¬
tistischen und photographischen Tafeln, betreffend das Pflegeheim
für erblich kranke Kinder in Berlin-Friedricbsbagen, die
höchste Auszeichnung, den grossen Preis, und für seine Forschungen
auf dem Gebiete der hereditären Syphilis die goldene Medaille der
Stadt Rom.
— Die Kurstadt Marienbad hat aus Anlass des 50 jährigen Doktor¬
jubiläums des daselbst praktizierenden Regierungsrats Professor Kisch
eine im Gentrum der Stadt gelegene Gasse (bisher Waldquellgasse) als
Dr. Kisch-Gasse benannt.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Prof. Rumpel, welcher bisher die urologische Abteilung
der Königl. chirurgischen Poliklinik verwaltete, wurde an Stelle des in
den Ruhestand tretenden Prof. Köhler zum Leiter der Nebenabteilung
der chirurgischen Klinik in der Charitö ernannt. Zum Nachfolger
Rumpel’s wurde’ Privatdozent Dr. E. Joseph bestimmt. Der Privat¬
dozent für innere Medizin, Dr. Fleischmann, erhielt den Titel Professor.
Dr. Adam wurde zum Lektor für Massage und Gymnastik an der
I. medizinischen Klinik ernannt. — Jena. Der wissenschaftliche Mit¬
arbeiter der Zeiss-Werke, Dr. v. Rohr, wurde zum ao. Professor für
Optik an der Universität ernannt. — Halle. Prof. Stieda wurde mit
der Leitung der chirurgischen Klinik für das laufende Semester betraut.
— Magdeburg. Prof. Thorn, Oberarzt der gynäkologischen Abteilung
des städtischen Krankenhauses Sudenberg, starb infolge einer Infektion.
— Marburg. Prof. Römer wurde mit der Stellvertretung des auf
einer Auslandsreise befindlichen ersten Abteilungsvorstehers am hygie¬
nischen Institut der Universität Berlin, Prof. Dr. Ficker, beauftragt
und zu dem Zweck in Marburg auf ein Jahr beurlaubt. — Tübingen.
Prof. v. Brunn übernimmt die Leitung der chirurgischen Abteilung am
Evangelischen Krankenhaus in Bochum. — Wien. Prof. v. Frisch
wurde Hofrat.
Gang der Volkskrankheiten.
Pest. Deutsch-Ostafrika. Im Bezirk Muansa sind im März
zahlreiche Personen an einer pestverdächtigen Krankheit gestorben.
Chile (2.—8. III.) 1 und 1 +. — Cholera. Türkei (15.—21. IV.) 2
und 2 f. — Pocken. Deutsches Reich (27. IV.—8. V.) 7. Oester¬
reich (18.—19. IV.) 1. — Fleckfieber. Oesterreich (13.—19. IV.)
112. — Genickstarre. Preussen (20.—26. IV.) 9 und 3f.
Oesterreich (6.—12.IV.) 4. — Spinale Kinderlähmung. Preussen
(20.—26. IV.) 2. — Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an
Diphtherie und Krupp in Berlin-Steglitz; an Typhus in Halber¬
stadt.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: Arzt Dr. E.
Paschen in Hamburg.
Königl. Kronen-Orden 3. Kl.: Vorsteher der Landesanstalt für
Wasserhygiene in Berlin-Dahlem, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K. Günther.
Königl. Kronen-Orden 4. Kl: Arzt Dr. A. Sohönstadt in Beriin-
Schöneberg.
Versetzt: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Ricken von Malmedy nach Arns¬
berg, Kreisarzt Dr. Gehrke von Putzig nach Berlin, Kreisarzt Dr.
Krüger von Düsseldorf nach Putzig.
Ernennungen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hildebrand in Berlin
an Stelle des ausgeschiedenen Geh. Med.-Rats Prof. Dr. Heubner
zum ordentl. Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬
zinalwesen, Kreisassistenzarzt Dr. F. Peters in Cöln zum Kreisarzt
in Löwenberg i. Schl., Kreisassistenzarzt Dr. H. Schopohl in Breslaa
zum Kreisarzt in Malmedy, Arzt Dr. D. Schmidt in Hoya zum Kreis¬
assistenzarzt in Cöln, Oberarzt Dr. Halbey in Ueokermünde zum
Kreisassistenzarzt in Kattowitz. Die Ernennung des Arztes Dr. W.
Klimm in Landeshut i. Schl, zum Kreisassistenzarzt in Kattowiti ist
rückgängig gemacht worden.
Zu besetzen: die Stelle des Kreisassistenzarztes und Assistenten
bei dem Medizinal untersuchungsamte in Breslau. Jahresremuneration
2000 M. Bakteriologische Vorbildung erforderlich. Die Stelle kann
auch einem noch nioht kreisärztlicb geprüften Arzte vorläufig kom¬
missarisch übertragen werden, wenn er den Bedingungen für die Zu¬
lassung zur kreisärztlichen Prüfung genügt und sich zur alsbaldigen
Ablegung der Prüfung verpflichtet.
Verzogen: Oberstabsarzt a. D. Dr. G. A. Kirstein von Rastatt
(Baden) nach Rosen thal, Dr. F. Bröcker von Düsseldorf nach
Altenahr, Dr. A. Homburg von Hanau, Dr. G. Voss von
München und Dr. E. Becker von Bonn nach Düsseldorf, Arzt
J. Rocoo von Halle a. S., Arzt E. Caro von Freising und Arzt
L. Timphus von Dortmund nach Duisburg. Dr. A. Dorth von
Gelsenkirchen nach Essen, Arzt P. Lindner von Bremerhaven
nach Hamborn, Dr. M. Sarrazin von Berlin-Friedenau nach
Kempen, Dr. H. Krüsemann von Rheinkamp naoh Mülheim (Ruhr),
Dr. K. Kahler von Frankfurt a. M. und Dr. H. Fernmer von Mül¬
heim (Ruhr) naoh Oberhausen, Dr. J. Haenlein von Duisburg naoh
Mainz, Dr. E. Kellner von Johannistal b. Süchteln naoh Galkbausen,
Dr. D. Rath von Kempen nach Crefeld, Stabsarzt a.D. Dr. K. Peters
von Mülheim (Ruhr) naoh Erlangen, Dr. H. Augustin von Moers naoh
Vluyn, Arzt W. Friedrich von Landsberg a. W. nach Bonn zum
Studium der Zahnheilkunde, Arzt K. Böhm von Niedaltdorf nach
Kerperich-Hemmersdorf, Dr. W. Schwarze von Eyll nach Niedalt¬
dorf, Dr. F. Dietz von Fladungen naoh Saarlouis, Dr. H. Engländer
von Bonn nach St. Wendel, Dr. H. Feuerhaok von Hohenlychen
nach Charlottenburg, Dr. G. Reymann von Flonheim und Dr. H.
Boennecken von Prag naoh Frankfurt a. M., Dr. P. Wössner von
Frankfurt a. M. nach Freiburg i. Br., Arzt J. Kartsoher von Cam-
borg nach Heddernheim b. Frankfurt a. M., Dr. W. Sohuler von
Rostock nach Camberg, Dr. S. v. Dyminski von Berlin, Dr. A
Roesen von Bonn und Dr. H. van der Vüürst deVries von Jeus
nach Wiesbaden, Arzt W. Rüben von Wiesbaden naoh Hamburg, Dr.
D. Rath von Kempen nach Crefeld, Dr. W. Raabe von Fulda, Dr.
E. Zippe von Charlottenburg, Dr. J. Schumacher von Alfhausen
und Dr. F. Burck von Kaiserswerth nach Düsseldorf, Dr. J. Leiber
von Bremen, Dr. W. Ebermann von Goslar und Dr. Th. Funcoius
von Düsseldorf nach Duisburg, Arzt W. Hofins von Cöln naoh Duis-
burg-Meiderich, Dr. W. Sach von Lübeck naoh Walsum, Arzt F. E.
Berk von Greifswald nach Steele.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hans Ko hu, Berlin W., Bajreuther Strasse 41
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
Di« B«rliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden
Monte# in Nummern von es. S—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
BERLINER
Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirochwald ln Berlin NW., Unter den linder
No. 68j adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen«
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 19. Mai 1913. M 20 .
Fünfzigster Jahrgang.
INHALT.
Origiialiei: His: Zur Einweihung der I. medizinischen Klinik. S. 905.
Schmieden: Ueber oiroumscripte entzündliche Tumorbildung in
der Bauchhöhle, ausgehend vom Netz. (Aus der Königlichen
chirurgischen Universitäts-Klinik Berlin.) S. 908.
Göppert: Die Rhinitis posterior im Säuglingsalter. (Illustr.) S. 910.
Dorendorf: Ein Beitrag zur Frage des Zustandekommens links¬
seitiger Recurrenslähmung bei Mitralstenose. (Aus der inneren
Abteilung des Krankenhauses Bethanien.) S. 912.
Johannessohn: Ueber Eibon (Cinnamoylparaoiyphenylharnstoff).
(Aus dem Königin Elisabeth-Hospital in Berlin-Oberschöneweide.)
(Illustr.) S. 914.
Unna: Zur Chemie der Zelle. (Schluss.) S. 916.
Meyer: Zur Frage der Adrenalinwirkung auf den Coronarkreislauf.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.)
(Illustr.) S. 920.
böhe: Beitrag zur Frage der Reinfection. (Aus der Königl. Uni¬
versitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten.) S. 922.
West: Die Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus in über
100 Fällen von Dakryostenose. (Aus der Klinik von Prof. Silex-
Berlin.) S. 926.
Schmidt: Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenbehandlung
in den letzten Jahren. (Uebersichtsreferat.) S. 927.
Bfleherbesprechiiigen: Fromme und Ring leb: Lehrbuch der Kysto-
photographie; ihre. Geschichte, Theorie und Praxis. S. 930. (Ref.
Posner.) — Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge
zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. S. 930. Frank: Affekt¬
störungen; Studien über ihre Aetiologie und Therapie. S. 931.
(Ref. Seiffer.)
Literatur-Auszüge: Anatomie. S. 931. — Physiologie. S. 931. — Phar¬
makologie. S. 932. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 932. — Parasitenkunde und Serologie. S. 934.
Innere Medizin. S. 934. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.;
S. 935. — Kinderheilkunde. S. 935. — Chirurgie. S. 935. —
Röntgenologie. S. 938. — Urologie. S. 938. — Haut und Geschlechts¬
krankheiten. S. 938. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 938. —
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 938. — Hygiene und
Sanitätswesen. S. 938.
YerhandlaDgei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigung zur Pflege
der vergleichenden Pathologie. S. 938. — Berliner uro-
logische Gesellschaft. S. 939. — Aerztlicher Verein zu
Hamburg. S. 940. — Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde zu Dresden. S. 941. — Gynäkologische Gesellschaft
zu Dresden. S. 941. —K. k. Gesellschaft der Aerzte zu
• Wien. S. 942. — Gesellschaft für innere Medizin und
Kinderheilkunde zu Wien. S. 944.
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬
setzung.) S. 944.
Lieske: Aerztliohe Rechtsfragen. S. 948.
Tagendreich: Adolf Baginsky zum 70. Geburtstage. S. 951.
Tagesgeschiohtl. Notizen. S.951. — Amtl. Mitteilungen. S.952.
Zur Einweihung der I. medizinischen Klinik.
Rede, gehalten am 5. Mai 1913.
Von
Professor W. His.
Festlich feiern wir am heutigen Tage die Erfüllung eines
lange gehegten Wunsches. Aus den düsteren und engen Räumen
eines Gebäudes, dessen einzigen Vorzug die altehr würdige Tradition
bildete, ziehen wir ein in einen Bau, dessen äusseriiehe
Sittlichkeit in glänzendem Rahmen alles einschliesst, was den
dreifachen Erfordernissen der Klinik, der Krankenpflege, der
Forschung und dem Unterricht dienen kann. Der ansehnlichen
Reihe von Instituten, in denen die alte Lehranstalt verjüngt auf¬
ersteht, reiht Bich unser Bau als gewichtiges Glied an und lenkt
unsere Erinnerung auf den Mann, dessen Interesse, Geschick und
Tatkraft wir die Neuordnung der Königl. Charite in erster Linie
verdanken, auf Friedrich Althoff, dessen mächtige Persönlich¬
keit durch die Jahre, die uns von seinem Wirken trennen, viel¬
leicht erst in ihrer wahren Grösse erscheint.
Wir erfüllen eine angenehme Pflicht, wenn wir unseren Dank
gegenüber allen aussprechen, die den so wohlgelungenen Neubau
ermöglicht und gefördert haben.
ln erster Linie dem Königl. preussiseben Staatsministerinm,
dem Herrn Minister der geistlichen and Unterrichtsangelegen¬
heiten, dem Herrn Finanzminister and ihren Räten; nicht minder
dem Hause der Abgeordneten für die Bewilligung der reichen
Mittel. Unser besonderer Dank gebührt dem Ministerialdirektor
Exzellenz Naumann für sein nimmermüdes Interesse und seine
reiche Erfahrung, ebenso den beiden Direktoren der Charitd,
Herrn Obergenerhlarzt Professor Dr. Scheibe und Herrn Geheimen
Regierungsrat Pütter, deren Hinsicht und Entgegenkommen uns
von grösstem Wert war. Wenn ich nun die fachmännischen
Leiter des Baues neune, Herrn Geheimrat Thür, Herrn Geheimen
Baurat Diestel, Herrn Regierungsbaumeister Mylius und Herrn
Regierungsbanführer Müll er, und der gewissenhaften Sorgfalt des
leider verstorbenen Baurates Metzing gedenke, so weiss ich wobl,
dass das Werk den Meister am besten lobt, aber es ist mir eine
besondere Freude, das unermüdliche Geschick za preisen, mit
dem diese Herren jederzeit hnseren Wünschen entgegenkamen,
mochten diese noch so grosse Schwierigkeiten darbieten. Wenn
wir von vornherein an einen gegebenen Grundriss gebunden
waren, so batten wir den Vorteil, die Erfahrungen benutzen zu
dürfen, die beim Bau und Betrieb der II. medizinischen Klinik
gewonnen waren, and die uns von Herrn Geheimen Medizinalrat
Kraus und seinen Mitarbeitern bereitwillig .übermittelt wurden.
Auch von mancher anderen Seite erhielten wir vortreffliche Rat¬
schläge, besonders für die Einrichtung der Laboratorien. Ich'
möchte nicht versäumen, meinen Assistenten und Mitarbeitern für
ihren Eifer and ihren Fleiss aufs herzlichste zu danken. Meiue
und ihre Aufgabe wird es sein, den Neubau seinen Zwecken
dienstbar zu machen und ihn mit dem Geiste zu beleben, der
durch die hundertjährige Geschichte der Anstalt wie durch den
heutigen Stand der Medizin geboten ist.
Der hohe Stand des wissenschaftlichen Lebens in Deutsch¬
land begnügt sieb niebt mit der Aufgabe, die Tradition fort¬
zusetzen und zu überliefern, er setzt von jedem Gliede des Uni-
versitätskÖTpers selbsttätige Mitarbeit voraus in der Forschung
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UNIVERSITY OF IOWA
m
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
wie in der Beurteilung und Behandlung jedes Einzelfalles.
Er stellt hohe Ansprüche, aber er befriedigt durch das unauf¬
haltsame Fortscbreiten des Wissens auf allen Gebieten, und er
lockt durch die Zukunftshoffnungen, die er in seinem Schosse
birgt. Mochten noch vor einigen Jahrzehnten einzelne Staaten einen
guten Praktiker für ausreichend zum Dozenten halten: so weit hinter
uns liegt dieser Standpunkt, dass selbst mittlere und kleinere
Stadtgemeinden heute angesehene Gelehrte an ihre Krankenhäuser
zu fesseln suchen und verstehen. Ein Krankenhaus ohne Labo¬
ratorium ist eine überlebte Einrichtung. Je mehr die Medizin
aufhört, die Krankheit als etwas Gegebenes zu nehmen, je mehr
sie in ihr einen Lebensvorgang sieht, der durch innere oder
äussere Ursachen vom normalen Geschehen abweicht, um so enger
muss sie an die Physiologie sich anlehnen und das gesamte
Rüstzeug ihrer Methodik und Denkweise übernehmen. Wie die
Klinik auf diesen Weg gelangte und warum sie ihr Heil darin
sucht, auf ihm zu verbleiben, das habe ich vor nahezu 6 Jahren
in meiner Antrittsvorlesung auszuführen versucht; ganz analogen
Standpunkt vertrat Kraus bei der Einweihung der II. medi¬
zinischen Klinik, und Goldscheider beim Antritt seines Amtes:
ihn vertreten wohl alle Kliniker deutscher Sprache. Die enge
Verkettung von Theorie und Praxis ist geradezu das Kennzeichen
der deutschen Medizin der Gegenwart, und ein so aufmerksamer
Beobachter wie Abraham Flexner, der kürzlich im Auftrag
der Carnegie Foundation ein zusammenfassendes Werk über medi¬
zinischen Unterricht veröffentlichte, hat vollkommen recht, wenn
er sagt, dass die Verbindung von Physiologie und Klinik, von
Laboratorium und Krankenhaus, von Forschung und Anwendung
nicht, wie in England und zum Teil auch in Frankreich, das
Resultat einer zufälligen persönlichen Begabung des Klinikers,
sondern der Grundstock des ganzen wissenschaftlichen und er¬
zieherischen Systems sei.
Mit dieser Orientierung des Denkens und Arbeitens stellt
sieh die Medizin auf die Forderungen ein, die Baco von Verulam
für die induktive Wissenschaft im allgemeinen und mit über¬
raschender Voraussicht für die Medizin im besonderen aufgestellt
bat. Sie verzichtet auf ein abgeschlossenes System, auf den
Schein vollständigen Wissens, sie erkennt dessen Umfang als be¬
schränkt, unvollkommen und stets erweiterungsbedürftig; sie an-*
erkennt Regeln und Methoden für die Forschung im allgemeinen,
aber nicht für das Handeln im Einzelfall. Sie verwirft das
Schema und verlangt Einsicht und Verständnis von Ursache und
Wirkung als Grundlage der Praxis. Sie findet ein Recht zu
dieser Forderung im Erfolg ihrer Prinzipien, in der ungeheuren
Verbreiterung und Vertiefung des Wissens, in der gewaltigen
Vermehrung des Könnens; sie postuliert, dass die Grundsätze,
welche die Forschung und Praxis siegreich beherrschen, auch im
Unterricht zur Geltung kommen. Das Problem der medizinischen
Erziehung drängt sich in solcher Stunde dem akademischen
Lehrer mit Macht auf, und ich darf mir wohl erlauben, seine
verschiedenen Seiten in dieser Stunde, wenn auch nur flüchtig,
zu beleuchten.
Es mag an sich verwunderlich erscheinen, eine Tätigkeit er¬
örtern zu wollen, die so wesentlich mit der Persönlichkeit des
Lehrers und ihren individuellen Eigenschaften verknüpft ist. Es
handelt sich doch nicht um die blosse Ueberlieferung der Wissen¬
schaften, sondern, und dies gilt ganz besonders für die Medizin,
um die Anleitung zur Beobachtung und zur Verknüpfung der oft
so schwer zu deutenden Tatsachen zu einer Vorstellung, welche
das Handeln bestimmen soll; die Entscheidung 'über Leben und
Gesundheit des anvertrauten Patienten mit ihrer grossen .Ver¬
antwortung beruht recht oft auf einem Entschluss, der sich nicht
exakt begründen lässt, sondern mehr in dem Charakter und
fast unbewusst sich aufdrängenden Erinnerungsbildern des
Arztes seine Stütze findet, und den oft mehr das Vertrauen zum
Wissen und Können, als die Logik seinem Schüler verständlich
machen muss. Daher lässt der Staat dem akademischen Lehrer
volle Freiheit der Lehre; er umschreibt ihm das Gebiet in weiten
Grenzen und lässt ihm völlig frei, wie und wieviel er von seinem
Wissen dem Schüler mitteilen will. Wer sich interessiert für die
Art des Lehrens, wird bei jedem seiner Kollegen eine besondere
Art finden, und gerade an dieser Klinik, die von den Zeiten ihres
Beginnes ab stets das Glück hatte, wirksame Lehrer zu besitzen,
ist in sehr verschiedener Weise vorgetragen worden. Der erste
Professor der Klinik war Johann Christian Reil, eine mächtige
Persönlichkeit, gewaltig in Wort und Schrift, ein Organisator
ersten‘ Range», der 4ü Hallet seine Schüler durch den Umfang-
seiner Gedanken, wie durch die 1 ‘ Kunst äratMchen Handelns be¬
geistert hatte. Seinem umfassenden Geist genügte es nicht, bei
Einzeltatsachen zu verweilen, er musste suchen, sie zu einer Ein¬
heit zusammenzufassen, und er gilt heute, da der hundertste
Todestag herannaht und sein Gedächtnis durch einen Vortrag
aof der Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte gefeiert
werden soll, vielfach als ein Anhänger der so hart befehdeten
Lebenskraft. Aber, obwohl er diese annehmen zu müssen glaubte,
war er doch viel zu strenger Denker, um nicht ausdrücklich aus¬
zusprechen: „Doch bemerke ich, dass diese Hypothese gerade bei
meiner Arbeit etwas ganz Ausserwesentliches sei. Wir sind ge¬
nötigt, die Phänomene des gesunden und des kranken Körpers
auf irgendeinen festen Punkt zurückzuführen und sie von einem
unbekannten Etwas als von ihrer Ursache abznleiten. Gleichviel
wie wir dieses unbekannte Ding nennen .... wenn wir nur so
etwas supponieren, das der ferneren Untersuchung kein Hindernis
in den Weg legt. u Dieser Mann, welcher der medizinischen
Schule Berlins zweifellos den Stempel seiner Persönlichkeit auf¬
gedrückt hätte, starb leider nach nur einjähriger Lehrtätigkeit,
ein Opfer seines Berufs, in den Kriegslazaretten am Flecktyphus.
Seine beiden Nachfolger gehörten einer jetzt ausgestorbenen
Richtung an und werden in der Geschichte der Wissen¬
schaft kaum mehr genannt. Karl Aug. Wilh. Berends, der
„letzte klassisch gebildete Kliniker“, ruhte noch ganz auf den
Schriften der Alten, die auszulegen er für seine Hauptpflicht hielt.
Bescheiden schrieb er: „Die Grundsätze, nach denen ich die Zu¬
hörer unterrichten und vor dem Krankenbett führen und leiten
werde, beziehen sich durchaus auf alte, lange anerkannte patho¬
logische und therapeutische Wahrheiten: sie können sich also
durch keine Neuheit empfehlen; ich bin aber auch zufrieden,
wenn sie nur richtig und für die Anwendung nützlich und fruchtbar
sind.“ Aber der schlichte Mann, den Goethe 1819 „einen sofort
vertrauenerweckenden Medicus“ nannte, war, nach Stromeyer’s
Zeugnis, noch in hohem Alter ein anziehender Lehrer, an dessen
beredten Lippen die Hörer mit Liebe hingen. Er starb 1826.
Mit seinem Nachfolger Ernst Daniel Aug. Bartels beherrschte
wieder die damals in höchster Blüte stehende Naturphilosophie
das Katheder, und trotz des glänzenden Stils, den Bartels in einer
selbst in damaliger Zeit ungewöhnlichen Weise beherrschte, und
obwohl er durchsetzte, dass der medizinische Unterricht von der
Ziegelstrasse nach der an Mitteln und Betten reicher aus¬
gestatteten Charitö verlegt wurde, klagten doch seine Schüler,
dass er sich zu oft in trocknen schematischen und subtil aus-
getiftelten diagnostischen Differenzierungen verliere. Zudem war
er kränklich und von der Gicht geplagt.
Um so mehr leuchteten die Vorzüge Johann Lucas Schön¬
lei n’s, der nach Bartels’ Tode 1840 die Klinik übernahm, als
genialer Arzt und Begründer der naturwissenschaftlichen Richtung
in der Medizin bereits eine europäische Berühmtheit, dessen An¬
kunft ganz Berlin, vom König bis zum bescheidenen Bürger herab,
mit Spannung entgegensah. Er führte die sorgsame Untersuchung
jedes Organs mit Hilfe von Perkussion und Auscultation, Mikro¬
skop und chemischem Reagens in den Unterricht ein. Seine
Krankendemonstration war, obwohl die Sprache durch ein Kropf¬
übel stockend und der Atem pfeifend war, in aller Knappheit so
treffend und packend, dass Griesinger noch in späteren Jahren
gestand: „Alles schien er mir zu wisseo, alles am Krankenbette
zu könnenl u Seine Methode verlangte diagnostische Fertigkeiten:
unter ihm zuerst wurden Kurse zu deren Erlernung eingerichtet,
welche seine Assistenten Simon, Josef Meyer, Traube, Remak
abhielten.
Ganz anders war Frerichs’ Art. Er ist, neben Wunder¬
lich und seinen schwäbischen Freunden, der Begründer der
modernen, auf die Physiologie gegründeten Klinik. Der Kranke,
den er gerade vorstellte, war ihm nur der Ausgangspunkt für
eine glänzende Darstellung eines Krankheitsbildes, bei dem er
den Zusammenhang der Erscheinungen, den Ablauf der Verände¬
rungen und ihre Aeusserungen in den Symptomen hinreissend
schilderte. Der Hörer* glaubte förmlich zu sehen, wie das eine
aus dem anderen sich mit Notwendigkeit entwickelte, und genoss
die Belehrung auch dann, wenn er mit zunehmender Erfahrung
erkannte, dass die glänzende Schilderung auf den gerade da¬
liegenden Kranken gar nicht passte und gar die Sektion ein ganz
anderes Leiden ergab. Die Therapie, auf die Schön lein von
Fall zu Fall sorgsam eingegangen war, hatte für Frerichs wenig
Interesse; sie wurde nur kurz und generell abgehandelt.
Leyden wiederum war Therapeut von Anlage undUeberzeugung.
S$in Wi8jMn,.idas er bis ins h«fee Alter stets im gesamten Gebiet
seines Faches vollständig cu erbaten strebte, die sorgsame Beob-
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
907
achtung, die er allen noch so unbedeutend scheinenden Eigen¬
heiten des Kranken widmete, war ihm in erster Linie Mittel zum
Zwecke der Heilung. Nicht die Lehre vom Krankheitsverlauf,
sondern die Besonderheit des einzelnen Krankheitsfalles stellte er
beim Unterricht in den Vordergrund, und mit treffenden launigen
Bemerkungen verstand er den Hörer zur Aufmerksamkeit auf
alle die Einzelheiten hinzulenken und vor ihm den ganzen Reich¬
tum therapeutischer Möglichkeiten auszuschütten, um daraus
das gerade für diesen Fall passende auszulesen. Soviel ihm die
allgemeine Pathologie an wichtigen Ergebnissen verdankt, so
stolz war er darauf, eine individuelle Pathologie und Therapie zu
lehren.
So verschieden war die Art, in der meine Vorgänger lehrten,.
und doch hat jeder von ihnen hervorragende Schüler herari-
gebildet, und jeder eine Generation tüchtiger Aerzte herangebildet.
Es führen eben viele Wege zum Ziel; und das Ziel ist er¬
reicht, wenn es gelingt, das Interesse, die Begeisterung des
Schülers für den Gegenstand zu erwecken und ihm den Weg zu
eigenem und richtigem medizinischen Denken zu weisen.
Hier aber setzt eine Schwierigkeit ein, die zu überwinden
ausserhalb der Macht des einzelnen Lehrers steht. Richtiges Denken
in der Medizin setzt, nachdem sie auf Systematisierung verzichtet
bat und die Beurteilung und Beeinflussung der Krankheitsvorgänge
als ihre Aufgabe ansieht, eine hinreichende Kenntnis eben dieser
Vorgänge voraus. Wie weit reicht aber unsere Einsicht, wie weit
sind unsere Vorstellungen hinreichend gesichert, um dem
Studierenden dargeboten zu werden? Man braucht nur die Patho¬
logie der letzten 20 Jahre zu verfolgen, um den fortwährenden
Wandel, das Schwanken der Ansichten zu erkennen. Das ist die
unvermeidliche Begleiterscheinung jeder Wissenschaft, die in
reger Arbeit sich entwickelt und erstarkt. Demgemäss muss
auch der Unterricht darauf ausgehen, unser derzeitiges Wissen
als ein unvollkommenes, ein vorläufiges darzustellen; die Gründe
der gegenwärtigen Ansichten, die möglichen Einwände darzulegen
und damit ein Fundament zu geben, auf dem der künftige Arzt
weiterbauen und dem Fortscbreiten des Wissens folgen kann. Es
leuchtet ein, dass eine solche Anleitung weit schwieriger ist als
eine dogmatische Darstellung, und dass sie an das Wissen und L
Denken des Studierenden weit grössere Anforderungen stellt. Vor
allem verlangt sie eine sorgsame Scheidung des Hypothetischen
vom Tatsächlichen; entgegen der jugendlichen Hinppigung zum
geschlossenen System, zur glänzenden Hypothese muss der Wirk¬
lichkeitssinn geweckt und die Kunst der Beobachtung gelehrt
werden. Dies erfordert eine früh einsetzende Schulung, welche
zu geben die Macht des einzelnen Lehrers überschreitet. Bei
aller Freiheit, in seinem Fache nach Belieben zu lehren, ist
er ein Glied im gesamten System des Unterrichts, dass der
Staat aufzustellen und durchzuführen die Pflicht und die Mittel
auf sich nimmt: dieses ganze System muss auf diesen einen Ton
gestimmt sein. Ich will hier nicht die Frage des Vorunterricbts
anschneiden. Obwohl ich mit Kern in der Wertschätzung des
humanistischen Unterrichts durchaus übereinstimme, würde ich
auch mit einer Schule einverstanden sein, welche eine mathe¬
matisch-naturwissenschaftliche Richtung stärker betont: die Haupt¬
sache ist, dass sie die Grundlage einer allgemeinen Bildung ge¬
währleistet. „Die Bildung“, sagt Billroth, „ist immer etwas
Aristokratisches: der Arzt, der Lehrer, der Richter, der Geistliche:
sie sollen die äpunot ihres Dorfes, ihrer Stadt, des Menschen¬
kreises überhaupt sein, der sie umgibt. Damit sie es sein
können, müssen sie die Uebermacbt des Wissens und
Könnens haben, und diese gewinnt man nur durch die harte
Arbeit des Lernens, noch mehr durch die Ausbildung des
inneren Triebes zum Lernen.“ Diesen inneren Trieb zu er¬
wecken, das ist’s, was eine Wissenschaft, die selbst in ewigem
Werden ist, von der Schule in erster Linie verlangt. Ihr grösster
Feind ist nicht die Unwissenheit, gegen die sie hinreichend ge¬
rüstet ist, sondern das selbstbewusste Halbwissen und die Ober¬
flächlichkeit. Dagegen zu kämpfen ist eine Hauptaufgabe in der
Organisation des medizinischen Unterrichte, dessen Studienordnung
in den Ländern deutscher Zunge, wie in Frankreich, England
und den Vereinigten Staaten zurzeit wieder emsig beraten wird.
Die Schwierigkeit des Unterrichts ist heute gegenüber ver¬
gangenen Jahrzehnten erschwert worden durch den Umfang des
Wissenstoffes, den der Studierende innerhalb einer gegebenen
Zeit in sich aufnehmen soll. Erfahrene Examinatoren geben über¬
einstimmend an, dass trotz der Verbesserung des Lehrmaterials
tmd der Detifonetrationsmittel Niveau der iütaataprtfungcan-,
dauernd sinkt; ‘dass dibKenntnisse wohl nach der Breite waÄsen,
an Tiefe aber abnehmen, und dass an Stelle des Verständnisses
so oft nur Schlagworte zu finden sind. Da die Intelligenz unserer
Studierenden zweifellos nicht abgenommen hat und ihr Fleiss
wohl eher im Zunehmen begriffen ist, muss der Fehler wohl im
System liegen, das eine Vertiefung in die Lehrfächer mehr und
mehr erschwert. Die Ursachen sind unschwer zu finden. In
allen deutschsprachlichen Ländern wird eine gründliche Aus¬
bildung in der Anatomie und der Physiologie mit Recht als
Fundament des Medizinstudiums angesehen und eine eingehende
Orientierung in Physik und Chemie, in Zoologie und Botanik ge¬
fordert. Nun beginnt der Unterricht in diesen sechs Fächern
gleichzeitig im selben Semester, das daher mit Kollegien und
Uebungen überreich besetzt ist, und wenn nun gar die Jugend
ihr Recht auf Körperkultur und die Freuden ihreo Alters auch
nur in bescheidenstem Maasse geltend macht, bleibt für systema¬
tisches Nacharbeiten des Gegenstandes kaum mehr Zeit übrig.
So bleibt denn nur haften, was gelegentlich sich dem Gedächtnis
einprägt: vor dem tentamen pbysicum wird rasch „gebüffelt“
und ebenso rasch hernach vergessen. Das Resultat sehen wir
Kliniker an den entsetzten Gesichtern, wenn von den Studenten,
die auf dem Gymnasium zwei bis drei Jahre, auf der Universität
zwei Semester Chemie und Physik getrieben haben, auch nur die
elementarsten Kenntnisse in diesen Fächern vorausgesetzt werden.
Eine zweckmässigere Verteilung der Studien und Prüfungen, wie
sie in Oesterreich und der Schweiz eingeführt ist, könnte auch
bei uns das Uebel verringern.
Ganz ähnlich geht es aber in den klinischen Semestern zu.
Vor 2 Jahrzehnten mochte der Unterricht dem Stande .der
Wissenschaft hinreichend angepasst sein. Heute ist er ein Kleid,
aus dem der Inhaber herauswächst, das überall zu eng und zu
kurz geworden ist.
Früher wurden die Hauptkliniken 8, oft 4 Semester gehört und
viele der Studenten suchten schon vor dem Examen durch Famu¬
lieren sich Uebung im Beobachten zu verschaffen. Die Einführung
der Spezialfächer und Kurse hat aber die Zeit für die Haupt¬
fächer immer mehr beengt; wo nicht die Kliniker sich dagegen ver¬
wahren, können die erforderlichen Praktikantenscheine in 2 Semestern
erworben werden, und dass dies für die Hauptfächer eine unge¬
nügende Ausbildung sei, wird kein Kundiger bestreiten, umsomehr,
als der Umfang des in den Kliniken zu lehrenden Materials schon
dadurch gewachsen ist, dass zusammenhängende Vorlesungen über
spezielle Pathologie und Therapie selten gelesen, noch seltener
gehört werden, ihr Inhalt also, so gut es geht, in den Kliniken
mit vorgetragen werden muss.
Seit den Zeiten des Sylvins und Boerhave hat der klinische
Vortrag immer als Hauptstück des Unterrichts gegolten. Aber
er hat seinen Charakter geändert. Mit steigender Zuhörerzahl
rückte er aus dem Krankenzimmer in den Hörsaal, und wenn es
an kleinen Universitäten noch möglich ist, gewisse Krankheits¬
phänomene jedem Einzelnen zu demonstrieren, so müssten bei 60,
100 und mehr Teilnehmern die Surrogate, Abbildung oder Moulage
die eigene Beobachtung zu ersetzen suchen. Immer weiter wird
der Student vom Kranken abgedrängt,, immer mehr die Möglich¬
keit, selbst zu untersuchen und den Verlauf zu verfolgen, ver¬
kümmert. Darin liegt eine Gefahr für die ärztliche Ausbildung,
die um so grösser ist, als der Sinn für schlichte Beobachtung,
der Respekt vor der Tatsache dem Germanen nicht immer ange¬
boren ist, und er nur allzu sehr dazu neigt, den Prinzipat der
Idee über die Wahrnehmung anzuerkennen. Gerade die deutsche
Medizin ist der Gefahr der Spekulation besonders ausgesetzt und
in mehreren Epochen in ihrer Entwicklung dadurch schwer ge¬
fährdet worden.
Es liegt uns ferne, das Medizinstudium Frankreichs und Eng¬
lands dem unseren vorziehen zu wollen; gerade in diesen Ländern
sind die lebhaften Reformbewegungen ein Zeichen, dass man deren
Mängel tief empfindet, und allerseits wird die Folgerichtigkeit
unserer Unterricbtsorganisation bereitwillig anerkannt. Dies darf
uns aber nicht hindern, den Vorteil anzuerkennen, den das eng¬
lische und französische System für den Studenten dadurch bietet,
dass es ihn reichlich und anhaltend ans Krankenbett führt. Da¬
durch wird der Sinn für Beobachtung geweckt, eine eindringlichere
Anschauung gefördert und das Interesse für Diagnostik und Therapie
mächtig gestärkt. Der Schüler sieht nicht mehr den Fall, sondern das
leidende Individuum, an dessen Ergehen er lernt Anteil zu nehmen.
Das praktische Jahr unserer Mediziner, dessen grosse Vorteile ich
nicht verkenne, und das ich in Zukunft, weder gissen noch ver¬
kürzen möchte, ist nicht imstande, Gleich wertige» zu bieten. Jlis
der angehendst Aut im dasselbe eiotritt, sind seine Studien abge-
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UNIVERSUM OF IOWA
908
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
schlossen and die Gewohnheit, das Wort des Lehrers oder des
Lehrbuchs der eigenen Beobachtang für überlegen zu halten, schon
zu fest eingewurzelt. Wir bedürfen wieder der Famulatur, des
Aufenthaltes auf dem Krankensaal während einiger Woeben im
zweiten oder dritten klinischen Semester, wie es früher fast
allgemein üblich war, und wie es dem Clerc des englischen, dem
Stagiaire des französischen Spitals noch heute vorgeschrieben ist.
ln diesem Sinne müssen wir bestrebt sein, den Studierenden zu
eigener Beobachtung, selbständiger Tätigkeit wieder heranzuführen,
und ihm dadurch ein Gegengewicht zu geben gegenüber dem
reichen Maasse dessen, was ihm autorativ vorgetragen werden muss.
Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der Ort. Vielleicht
wird die Konferenz der deutschen Medizinfakultäten, die ja gewisse
gemeinsame Angelegenheiten so wirksam in die Hand in nehmen
begonnen hat, dem Gegenstand ihre Aufmerksamkeit schenken
und nach genügender Beratung positive Vorschläge den Behörden
unterbreiten.
Mögen solche Zukunftswünsche gewürdigt werden als Aus-
druck unseres Bestrebens, uns nicht mit dem zu begnügen, was
der Staat uns in diesem Gebäude und seinen glänzenden Ein¬
richtungen so freigebig geboten hat, sondern auch unsererseits
an der Ausbildung des Unterrichts rastlos fortzuarbeiten. Wir
können unRern Dank nicht besser ausdrücken, als in dem Bemühen,
zu allen Zeiten unserer Medizinschule das zu erhalten, was sie
sich dank der staatlichen Fürsorge, dank dem Eifer und der Be¬
deutung ihrer Lehrer erworben bat, ihren Weltruf!
Aus der Königlichen chirurgischen Universitäts-Klinik
Berlin (Direktor: Geheimrat Bier).
Ueber circumscripte entzündliche Tumorbildung
in der Bauchhöhle, ausgehend vom Netz. 1 )
Von
Prof. Dr. V. Schmieden.
Die nachfolgenden Zeilen scbliessen sich an eine vor kurzem
publizierte Arbeit von Küttner 2 ) an, welcher im Anschluss an
einige interessante Fälle ein bisher noch wenig bekanntes Krank¬
heitsbild aufstellt. Es entstand bei zwei Patienten mittleren
Alters, von welchen berichtet wird, dass sie sehr fettleibig waren,
ohne bekannte Ursache, insbesondere ohne dass Operationen vorher¬
gingen, ziemlich plötzlich eine umschriebene Geschwulstbildung
im Bauch, einmal in der Ileocoecalgegend, das andere Mal in der
Gallenblasengegend, und beide Fälle gaben Anlass zur baldigen
Laparotomie, um so mehr, als bei der nicht sicher feststehenden
Diagnose der Verdacht einer bösartigen Neubildung durchaus
nicht von der Hand zu weisen war. In beiden Fällen fand sieb
ein entzündlicher Konglomerattumor, der mit den Darmschlingen
der Umgebung verbacken war, und welcher in dem einen Falle
eine mit nekrotischen Fettmassen erfüllte Erweichungsböble ent¬
hielt und nur ausgeschabt wurde, im anderen Falle aber aus der
Umgebung der Gallenblase mit dem umgebenden Netz total ex-
stirpiert werden konnte. Dieser letztere Tumor gab Gelegenheit
zu genauerer histologischer Untersuchung, weiche Fettnekrose mit
mehr oder weniger frischen entzündlichen Veränderungen der
Umgebung ergab, ohne dass eine Ursache des Prozesses sich
histologisch nachweisen liess. Die bakteriologische Untersuchung
ergab in beiden Fällen keinerlei Beteiligung von Bakterien. Beide
Fälle heilten sehr glatt aus, und bei dem offen nachbehandelten
Falle war besonders auffallend, dass jede Eiterung fehlte.
Küttner, der die Literatur auf ähnliche Fälle durchstudierte,
konnte nichts völlig Analoges finden und ist auch nicht in der
Lage, die Entstehung dieser Fettgewebsnekrosen mit Sicherheit
zu erklären.
Ein von mir selbst beobachteter, ähnlicher Fall gibt mir
Gelegenheit, das Küttner’sche Material zu bereichern und zu¬
gleich zu zeigen, zu wie hochgradigen Veränderungen, ja Störungen
der Darmpassage die geschilderten Erkrankungen führen, und wie
ausgiebige Eingriffe sie nötig machen können. Beim Lesen der
Küttner’schen Fälle denkt man ja unmittelbar an die von Braun
beschriebenen entzündlichen Fettgewebstumoren nach Netzunter¬
bindung, mit denen das Küttner’sche Krankheitsbild sicher ver¬
wandt, aber keineswegs identisch ist, und welche ebenfalls zu
allerhand diagnostischen Schwierigkeiten und Verwechslungen
Anlass gaben, und bei denen es sich der Hauptsache nach um
gewaltige, mit der Zeit aber wieder verschwindende Schwielen¬
bildung im Netz handelt, in deren Mitte man bei genauerer Unter¬
suchung als deren Ursache Ligaturfäden und nekrotische Unter¬
bindungsstümpfe nachweisen kann. Die von Braun beschriebenen,
auch uns in vereinzelten eigenen Beobachtungen begegneten Fälle
dieser Art verlaufen gelegentlich ziemlich harmlos und heilen
unter Behandlung mit Umschlägen oder anderen Resorbentien;
die zum Teil recht grossen Operationen, welche dabei ausgeführt
wurden, sind vielfach jedenfalls ganz überflüssig; sie wurden
1) Teilweise vorgetragen als Diskussionsbemerkung zum Vortrage
des Herrn Holländer: Zur Frage der Geschwulstbildung nach Netz-
Unterbindungen. t ,Bexliner^,Gesellsch. f. Chir., 10. März 1913.
, 2) H. Küttner, Ueber circumscripte Xumorbildung durch abdominale
Feftnekrose und subcutane Fettspaltung. Diese Wochenschr., 1913, Nr. 1.
wegen des anfänglich bedrohlichen Charakters des Leidens unter¬
nommen. Eine andere Gruppe von Fällen solcher Epiploitis
plastica nach Braun zeigt aber keine Neigung zur Rückbildung;
vielmehr wächst die entzündliche Geschwulst so lanee weiter,
bis man mit Hilfe grosser Einschnitte in den Tumor hinein den
Ligaturfaden entfernt und die nekrotischen Netzstümpfe zur Aus¬
stoßung gebracht hat. Diese Operationen begegnen um so
grösseren Schwierigkeiten, als der weniger erfahrene Chirurg,
der das Braun’scbe Krankheitsbild nicht kennt, mit dem per
Laparotomie freigelegten Tumor gar nichts anzufangen weiss,
höchstens bei dem meist vergeblichen Versuch der Totalexstirpation
grossen Schaden anrichtet. Einer jüngst von Holländer 1 ) ge¬
gebenen Zusammenstellung verdanken wir ferner den erneuten
Hinweis, dass das oft rasche und bedrohliche Wachstum der ge¬
schilderten Netztumoren schon in einer Reihe der in der Literatur
beschriebenen Fälle zu schweren lleuserscheinungen durch Um-
wachsung der Därme geführt hat, und dass Todesfälle vorkamen,
bzw. das Leben nur durch sehr ausgedehnte Darmoperationen
gerettet werden konnte. Wegen der Literatur über dieses Gebiet
weise ich auf die Hoiländer’sche Arbeit hin. Man soll stets
an diese Braun’schen Pseudotumoren denken, wenn sich einige
Monate nach einer Bruchoperation, bei welcher Netzunter¬
bindungen stattgefunden haben, solche Geschwülste im Bauch
zeigen.
Auch in dem von mir zu schildernden Falle hat eine Bruch¬
operation »stattgefunden; aber trotzdem glaube ich, dass das
Krankheitsbild durchaus den Küttner’schen Fällen von idio¬
pathischer „tumorbildender Fettgewebsnekrose des Netzes“ anzu¬
reihen ist, da bei der Bruchoperation keine Netzunterbindung er¬
folgte, und da die die entzündliche Netzgeschwulst einleitenden
Schmerzanfälle und Stiche bereits lange vor der Bruchoperation
beobachtet wurden. Ausserdem bestehen auch noch andere weit¬
gehende Analogien mit den Küttner’schen Fällen.
Die Krankengeschichte des Patienten ist folgende:
Am 23.1. 1911 wurde in die Königliehe Klinik der 48 jährige Dreher
J. G. aufgenommen. Seit etwa 8 /< Jahren klagt er über Stiche und
Schmerzen in der rechten Unterbauchgegend. Seit 7* Jahr leidet er an
Leistenbrüchen und an einem Nabelbruch. Patient ist ausserordentlich
fettleibig und von kräftigem Körperbau. Am 30.1. 1911 wird ihm unter
Lokalanästhesie der Nabelbruch mit einem queren Schnitt beseitigt, und
gleichzeitig die beiden Leistenhernien, von denen die rechte grösser ist,
die linke nur eine Bruchanlage darstellt. Die Wunden heilen rasch;
in der sehr fettreichen Leistenbeuge besteht freilich kurze Zeit Sekretion
aus dem Unterhautfettgewebe. Am 25. II. 1911 wird Pat. vollkommen
geheilt entlassen.
Am 17.1. 1912 erneute Aufnahme in die Klinik. Nach der etwa
1 Jahr zurückliegenden Operation war der Kranke etwa s / 4 Jahr lang
vollkommen frei von Beschwerden. Seit 2 Monaten jedoch treten die
rechtsseitigen Stiche in der Unterbauchgegend wieder auf, die von zu¬
nehmendem Charakter und anfallsweise beobachtet werden; auch
breiten sie sich nach der Mitte der Unterbauchgegend zu aus. Die an¬
fänglich bestehende mässige Stuhlverstopfung wird gegen Ende Dezember
so heftig, dass unter Verhaltung von Blähungen und unter starken
Schmerzen Aufstossen eintritt mit kotigem Geschmack. Anfang Januar
wird einige Tage Fieber beobachtet. Unter Zuhilfenahme von Abführ¬
mitteln wird bei häuslicher Behandlung der Zustand gebessert und die
akute Gefahr beseitigt, aber in vermindertem Maasse bestehen die gleichen
Beschwerden fort. Der ausserhalb der Klinik behandelnde Arzt denkt
an eine atypisch verlaufende Blinddarmentzündung. Befund bei der
Aufnahme: Pat. hat subfebrile Temperaturen. In der Ileocoecalgegend
fühlt man bei dem fettleibigen Pat. undeutlich einen über kindskopf¬
grossen, nicht scharf abgegrenzten, druckempfindlichen, festen Tumor,
welcher mit den Bauchdecken anscheinend zwar nicht verwachsen zu
sein soheint, aber dessen Versohieblichkeit doch eine sehr geringe ist
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1) Holländer, Berliner Gesellsch. J. Oblr^ 10. März 1918.
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UMIVERSITY OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
909
Da wir sofort an eine entzündliche Netsgesohwulst im Sinne Braun’s
dachten, trotzdem Netzunterbindungen bei der ersten Operation nicht
stattgefunden hatten, verordneten wir bei Bettruhe flüssige spärliche
Kost und grosse Priessnitz-Umschläge auf den Leib. Trotz gleichzeitig
gegebener Abführmittel und Darmspülungen kommt keine nennenswerte
Entleerung zustande, und die Beschwerden des Kranken nehmen einen
bedrohlichen Charakter an. Somit war eine Operation unvermeidlich.
Diese (22.1. 1912) beginnt mit einem grossen Pararectalschnitt rechter-
seita und zeigt, dass es sich um einen grossen, aus ungemein harten
Schwielen bestehenden Tumor handelt, an dem mehrere Dünndarm-
scblingen fest angelötet sind, und in welchen das fettreiche Netz ohne
scharfe Grenzen übergeht. Es gelingt nioht, in vollkommen freie Teile
der Bauchhöhle vorzudringen. Eine totale Entfernung der Geschwulst,
welche in ihre Umgebung eingemauert ist, erscheint vollkommen unmög¬
lich und wird auch aus dem Grunde unterlassen, weil der ganze Prozess
mit grosser Wahrscheinlichkeit als ein chronisch-entzündlicher betrachtet
werden muss. Ehe man nun versucht, in die Geschwulst einzudringen,
um eventuell vorhandene centrale Erweichungen oder centrale ursäch¬
liche Herde freilegen oder drainieren zu können, wird der Vorsicht
wegen die Vorderfläche der Hauptgeschwulst mit dem Peritoneum parietale
der vorderen Bauchwand sorgfältig umsäumt. Dann wird eine etwa
5 cm lange und IV 2 cm tiefe Inzision in die Geschwulst hinein geführt;
sie zeigt aber überall denselben homogenen, schwielig weissen Quer¬
schnitt, in dem einzelne schon makroskopisch wie Nekroseherde aus¬
sehende Einsprengungen deutlich sichtbar sind. Ausserdem erkennt man
hier und da im schwieligen Gewebe eingeschlossene Reste von Fett¬
gewebe. Um den vermutlich dahinter liegenden Dickdarm (Coecum)
nicht zu verletzen, wird nicht tiefer eingeschnitten, auch nicht stumpf
tiefer vorgegangen, sondern nur eine grosse schwielige Gewebsplatte zur
Untersuchung herausgeschnitten. Das obere und untere Drittel der
Wunde wird vernäht; im mittleren Drittel wird eine sterile Tamponade
auf die Exzisionsstelle gelegt und nach aussen geleitet.
Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst (Prof. Westen-
höfer) ergibt ausschlieslich Schwielen von wenig entzündlichem Charakter,
dazwischen eingestreut zum Teil nekrotisches Fettgewebe.
Um die Resorption einzuleiten, werden im Stadium der Nachbehand¬
lung abwechselnd Thermophore und feuchte Umschläge aufgelegt. Die
alten Beschwerden des Kranken sind aber nur ganz unwesentlich ge¬
bessert, die Stuhlentleerung bleibt minimal, Windverhaltung besteht
nicht. Unter starker, im wesentlichen vergeblicher Peristaltik bildet sich
am 28. I. in der Excisionsstelle der Schwielen in der Tiefe eine anfangs
kleine Kotfistel, welche die grosse Fettgewebswunde der Bauchwand in¬
fiziert, so dass diese zum Teil wieder geöffnet werden muss. Während
diese Kotfistel offen bleibt und gewissermaassen wie ein Sicherheitsventil
(Gasfistel) wirkt, kommt die hauptsächlichste Stuhlentleerung auf dem
natürlichen Wege langsam in Gang und die Beschwerden verringern sich.
Die Kotfistel, welche mehrfach versiecht, dann aber wieder aufbricht, wird
durch gelegentliches Ausbrennen mit dem Thermokauter stark verkleinert
und schliesst sich gegen Ende April vollständig; auch die äussere Wunde
hat sich so stark verkleinert, dass der Patient am 2. IV. sehr erholt
und ohne wesentliche Beschwerden entlassen werden kann. Er bleibt
in weiterer Behandlung, während welcher Zeit er stark an Gewicht zu¬
nimmt. Stets aber bleibt in der Umgebung der eingezogenen Narbe in
der Tiefe der Tumor fast noch in der anfänglichen Grösse fühlbar, wenn
auch keine Sohmerzhaftigkeit und keine wesentliche Darmstenose mehr
besteht.
Schon am 13. VI. 1912 muss aber der Kranke von neuem in die
Klinik aufgenommen werden. Seit Mai beobachtet er wiederum die alten
Schmerzen und Stiche in der rechten Unterbauohgegend, und wiederum
beginnt hartnäckige Stuhlverhaltung, welche mit Abführmitteln und
Darmspülungeu kaum nennenswert beeinflusst wird. Abführmittel
steigern nur die Beschwerden, und in einem solchen Anfall bricht auch
in der Mitte der schon in letzter Zeit verdickten und schmerzhaften
Narbe die Kotfistel wieder auf. Im Stuhl ist auch jetzt ebenso wie
früher weder Schleim noch Blut vorhanden. Das Allgemeinbefinden ver¬
schlechtert sich während der nun beginnenden klinischen Beobachtung
dauernd. Bettruhe, Anwendung von Umschlägen führen keine Verkleine¬
rung der Geschwulst herbei, diese scheint vielmehr noch zu wachsen.
Die heftigen, oft stundenlang andauernden Scbmerzanfälle nehmen
schliesslich einen so bedrohlichen Charakter an, dass Patient von neuem
operiert werden muss, um nicht seinem Leiden zu erliegen, welches
durchaus den Charakter eines dauernden chronischen Ileus angenommen
hat. Am 14. VII. wird daher nochmals, und zwar dieses Mal in der
Mittellinie, nach sauberer Abdeckung der kleinen Kotfistel laparotomiert
und oberhalb und unterhalb des Nabels die Bauchhöhle im wesentlichen
frei von Verwachsung vorgefunden. Von dem Schnitt aus fühlt man in
der Ueocoecalgegend den fast mannskopfgrossen, harten Konglomerat¬
tumor vollkommen unbeweglich mit seiner Umgebung verlötet. Nur
mühsam erkennt man die in den entzündlichen Tumor einmündende
tiefste Dünndarmschlinge. Sie wird handbreit vor der Geschwulst quer
durohtrennt und beide Enden blind geschlossen. Darauf wird das zu¬
führende Ende durch breite laterale Anastomose mit dem Colon trans-
versum verbunden.
Der Eingriff wird vortrefflich überstanden. Die Scbmerzanfälle sind
momentan beseitigt und die Stuhlentleerung erfolgt auf dem natürlichen
Wege, zunächst 8—4 mal täglich. Im weiteren Verlauf bleibt die Kot¬
fistel zunächst noch immer offen und scheidet in wechselnder Menge
Stuhlgang ab. Nur zeitweise treten leichte Beschwerden in der Gegend
des Tumors auf, welcher sich nunmehr langsam verkleinert. Am 8. VIII.
1912 wird der Kranke mit ganz unbedeutender Kotfistel in gutem Er¬
nährungszustand ohne Beschwerden entlassen.
Die Nachuntersuchung im März 1913 ergibt, dass der Kranke seit
mehreren Monaten voll arbeitsfähig ist. Er ist in gutem Ernährungs¬
zustand, klagt nie mehr über Leibsohmerzen, trägt wegen der vielen
Bauchnarben eine breite Bauchbandage und hat normalen Stuhlgang.
Leider bricht die alte Fistel alle 3—4 Wochen in der inzwischen über¬
heilten Narbe ohne bekannte Ursache wieder für einige Tage auf und
entleert etwas Kot, manchmal nur etwas Eiter, um dann wieder ziemlich
rasch zuzuheilen (Rückstauung im ausgeschalteten Coecum). Der Tumor
in der Ueocoecalgegend ist nunmehr völlig verschwunden. Auch bei der
Abtastung in Rückenlage des Kranken fühlt man nur die schwielige
Narbe der Bauchdecken.
Aus der geschilderten Entstehungsgeschichte, dem Verlauf,
dem makroskopischen und mikroskopischen Befund, sowie aus
den Erfolgen der operativen Eingriffe dürfte zur Genüge hervor-
gehen, warum ich den geschilderten Fall nicht dem von Braun
beschriebenen und seitdem in die allgemeine Kenntnis überge¬
gangenen Krankheitsbild unterordnen, sondern ihn den Küttner¬
sehen Fällen anreihen möchte. Wir lernen daraus, dass diese
tumorbildende Fettgewebsnekrose mit plastischer Verdickung der
Umgebung ebenfalls zu so hochgradigen Verengerungen des Darm¬
lumens führen kann, wie auch die Epiploitis plastica, welche sich
um die Unterbindungsstümpfe des Netzes herum entwickelt, und
dass leider nicht in allen Fällen eine Neigung zu centraler Er¬
weichung und damit zu einem Ausstossen der nekrotischen Ge-
websmassen besteht, wie es in dem einen Küttner’schen Falle
beschrieben wurde. Solche centralen Erweichungen sind also
günstige Vorkommnisse und werden in Zukunft die Diagnose er¬
leichtern, wenn man ihnen bei der Operation begegnet. Die
schweren Darmerscheinungen erklären sich in unserem Fall leicht
dadurch, dass das Coecum von dem entzündlichen und zu sekun¬
därer Schrumpfung neigenden Schwielengewebe, so weit man sehen
konnte, vollkommen umwachsen war. An diese Möglichkeit muss
man denken und nie in einem solchen Falle operativ tief in die
entzündliche Geschwulst eindringen, ehe man sich nicht wenig¬
stens überzeugt bat, dass die benachbarten Dickdarmabschnitte
nicht mitten durch die Geschwulst hindurchziehen.
Interessant ist in unserem Falle die Zeitdauer der Entwick¬
lung, welche sich in schubweisem Verlauf über viele Monate er¬
streckt und die einer wirklichen Heilung erst entgegengefübrt
wurde, als der von der Kotpassage ganz offenbar ausgehende Reiz
endgültig ausgeschaltet war. ln meinen Fällen haben sich also
schmerzhafte Attacken, wie sie auch Küttner bei der Entstehungs¬
geschichte seiner Fälle schildert, mehrfach ereignet und jedesmal
zur Verschlimmerung geführt. Ganz besonders günstig war die
Erkrankung in dem zweiten Küttner’schen Fall lokalisiert, wo
wegen dieses Umstandes sowie wegen des offenbar noch früh¬
zeitigen Krankheitsstadiums eine Totalexstirpation sich ermöglichen
liess. Ob in meinem Falle die leichten Fiebererscheinungen sich
einzig und allein durch die nekrotisierende Netzentzündung er¬
klären, bleibt um so unwahrscheinlicher, als nirgends Eiterung
oder lebhafte frischere Entzündung sich nachweisen liess. Eite¬
rung trat erst hinzu, nachdem der Zustand durch die Kotfistel
infiziert war.
Ganz offenbar prädisponiert allgemeine Fettleibigkeit zu dem
in Rede stehenden Krankheitsbild. Was tatsächlich dieser inter¬
essanten Gewebsveränderung ursächlich zugrunde liegt, geht aus
meinen Fällen ebensowenig hervor. Zu denken ist entschieden
an thrombotische Vorgänge mit Ernährungsstörungen im Netz¬
fettgewebe oder an Embolien (rasche Entstehung bei den Küttner-
schen Fällen) oder an Blutungen, oder von kleinen Netztorsioneu
mit unvollständiger Abschnürung ausgehende Circulationsstörung.
Dass bakterielle Ursachen das Primäre sind, erscheint auch mir
unwahrscheinlich. Insbesondere ist wohl nicht anzunehmen, dass
sie aus dem Darmlumen herstammen. Bei der Differentialdiagnose
darf jedenfalls ausser echten Geschwülsten auch Aktinomykose
und Lues mitberücksichtigt werden.
Möge der geschilderte Fall das Seine zur Klärung des inter¬
essanten Krankbeitsbildes beitragen.
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UMIVERSITY OF IOWA
910
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Die Rhinitis posterior im Säuglingsalter.
Von
Prof. P. Gtfppert-Göttingen.
(Nach einem Vortrag, gehalten bei der Tagung der südwestdeutschen
und niederrheinisch-westfälischen Vereinigung für Kinderheilkunde zu
Wiesbaden am 13. April 1913.)
In den letzten Jahren hat die Lehre von der Bedeutung des
Schnupfens im Säuglingsalter, wenn auch einstweilen mehr in
kinderärztlichen Kreisen, die Aufmerksamkeit gefunden, die sie
verdient. Wir haben nicht nur mehr als früher die Störungen
kennen gelernt, die eine selbst unbedeutende Verlegung der Nasen¬
wege für die Nahrungsaufnahme darstellt, sondern würdigen auch
den Schnupfen als Infektionskrankheit. So ist uns bekannt, dass
die Schnupfeninfektion die Hauptursache der sogen, parenteral
bedingten Durchfälle ist und dass das Misslingen künstlicher Er¬
nährung bei manchen Neugeborenen durch eine solche mitver¬
schuldet ist. Als Beispiel für diese uns allen wohlbekannte Tat¬
sache mag eine Kurve dienen, die eine Hausepideraie der früheren
Göttinger Kinderklinik darstellt. Von den 10 im Hause an¬
wesenden Säuglingen erkrankten alle innerhalb 14 Tagen an
Schnupfen. Nur wenige bekamen im Anschluss hieran Bronchial¬
katarrh, aber fast alle mehr oder weniger Durchfall und erlitten
zum Teil erhebliche Gewichtsstürze.
Bei einer so wichtigen Erkrankung, wie der Schnupfen sie
für den Säugling darstellt, ist es wohl der Mühe wert, häufiger
als bisher den Locus morbi einer Untersuchung zu unterziehen.
Wir haben bei der Fahndung auf Nasendiphtherie gelernt, dass
wir auch beim jüngsten Säugling doch genügend grosse Schleim¬
hautbezirke der Nase übersehen, um über den Krankheitsprozess
etwas Bestimmtes aussagen zu können 1 ).
Nur in verhältnismässig wenigen Fällen verläuft der Schnupfen
unter dem Bilde der Rhinitis anterior. Der vordere Teil der
unteren Nasenmuschel ist dann prall geschwollen, blassrot und
füllt fast das ganze Nasenloch aus. Noch während der Inspek¬
tion ändert sich der Grad der Schwellung erheblich, so dass man
mitunter Freiwerden und Zuschwellen des Nasenloches in wenigen
Minuten beobachten kann. Wir finden diese Form der Erkrankung
hauptsächlich bei blühenden, derben Kindern, in chronischer Form
ausserdem im Beginn der hereditären Lues.
Am häufigsten, und zwar namentlich bei den Schnupfen¬
katarrhen, wie wir sie in Säuglingsabteilungen nur zu oft sehen,
ist die Schwellung der vorderen Nase recht unbedeutend. Die
normal fast weisse Schleimhaut des vorderen Septums und der
unteren Nasenmuschel ist mehr oder weniger erheblich gerötet
und soweit wir in die Nase hineinblicken können, sehen wir den¬
selben Befund ohne erhebliche Schwellung. Trotzdem ist bei
einem Teil dieser Fälle eine charakteristische Form von Ver¬
schluss der oberen Luftwege vorhanden. Einer besonderen Er¬
klärung bedarf die chronische Form dieser Nasenverstopfung.
Klinisch stellt sich die Krankheit etwa folgendermaassen dar:
Die erste Schnupfeninfektion, die das Kind oft in seinen
frühesten Lebenstagen betrifft, hinterlässt eine mehr oder weniger
schwere, andauernde Hemmung der Nasenatmung. In den leich¬
testen Fällen ist sie oft nur dadurch charakterisiert, dass der
Säugling stets mit halb offenem Munde daliegt. Je nach Tempe¬
rament lässt er sich dadurch beim Saugen an der Brust mehr
oder weniger stören. Schon ein geringes Hemmnis veranlasst den
nervösen Säugling, sich gegen das Anlegen zu sträuben, während
ein anderer selbst bei erheblicher Behinderung geduldig trinkt.
Akute Schnupfenattacken führen jedoch oft plötzlich zu einem
vollständigen Verschluss der Nasenwege. Das Kind sträubt sich
dann mit augenscheinlich grosser Angst gegen das Anlegen, und
die Mutter setzt es unter dem Eindruck dieses Verhaltens in der
Regel dauernd ab.
Während die leichteren Fälle trotz der Nasenverstopfung
noch gut gedeihen können, gedeihen schwerer betroffene Kinder
sehr schlecht, ja sie bleiben im Wachstum um Monate, in seltenen
Fällen sogar um Jahre zurück. In der Regel bekommen wir die
Kinder erst im 6.—8. Lebensmonat zu sehen. Nach dem Bericht
der Mutter haben die Kinder öfters gefiebert, sind zeitweise
appetitlos gewesen und haben auch wohl leichte spontan oder
durch eine sonst nicht wirksame Therapie (Calomel) schnell ge¬
heilte Durchfälle gehabt. Die Nasenatmung ist bei diesen Kindern
1) Siehe die Arbeiten von Blochmann aus der Göttinger Kinder¬
klinik. Diese Wochenschr., 1910, Nr. 44 u. 1911, Nr. 38.
trotz Offenstehens der vorderen Nase extrem behindert, und zwar
hat die Behinderung alle Charakteristica der Verstopfung, wie wir
sie bei Adenoiden finden. Das sonstige Aussehen des Kindes ist
so bezeichnend, dass sich die einzelnen Kinder untereinander
geradezu ähnlich sehen (s. Figur 1). Die Nasenlöcher sind weit
aufgerissen, der Gesichtsausdruck ein wenig ängstlich, die obere
Gesichtshälfte ein wenig gedunsen. Beim nackten Kinde fällt es
Figur 1.
auf, wie schmal und kurz der Brustkorb ist. Die Rippen laufen
horizontaler als sonst. Der untere Teil des Brustkorbes, nament¬
lich des Sternums, ist nach unten zu leicht eingebogen. Dem
kurzen Thorax gegenüber erscheint der Bauch enorm verlängert.
Namentlich ist die obere Bauchbälfte unverhältnismässig ver-
grössert. Der Meteorismus kann zeitweise so erheblich werden,
dass das Kind wochenlang an schwerster Atemnot leidet, ln
diesen hochgradigen Fällen dürfte das von Usener beschriebene
Luftschlucken der Säuglinge mit verstopfter Nase mit schuld an
den schweren Erscheinungen sein. Ebenso wie bei den leichteren
Fällen zeigen sich auch bei diesen Formen akute Reinfektionen
oder Exacerbationen. Aber sie äussern sich mehr durch Störung
des Allgemeinbefindens und der Verdauung. Die Vermehrung des
Nasenverschlusses wird begreiflicherweise weniger schroff empfun¬
den. Folgender Fall möge die Leidensgeschichte eines solchen
Kindes darstellen.
Marie K., 5 Monate alt, kommt leicht intoxiciert im Februar 1911
zur Aufnahme in die Klinik. Gewicht 4 kg. Starke Rhinitis posterior,
Gesichtsausdruck wie auf dem Bilde, typische Deformierung des Brust¬
korbes. Zu den dauernden Beschwerden treten hinzu: 20. III. bis
3. IV. Pneumonie. 16. IV. Angina mit zerfahrenen Stühlen. Ueber-
führung auf Brust. 5. V. Rhinitis anterior. 5.—14. V. mit stärkstem
Nasenverschluss, etwas Bronchitis. 20. V. wieder Verschlimmerung
des Schnupfens. 5.—13. VI. Halsentzündung mit stärkerem Schnupfen.
Die endlich beginnende Gewichtszunahme sistiert seitdem für einige
Wochen. 21. VII. frische Angina, rechtsseitige Jugulardrüsenschwellung,
Gewichtsstillstand. 30. VII. stärkere Angina, Fieber, zerfahrene Stühle,
Rückkehr zur Brusternährung. 27. VIII. bis 2. IX. frische Nasopharyngitis,
schleimige Stühle. 9. IX. und 11. IX. Mittelohrentzündung beiderseits.
Links Paracentese. 27. IX. bis 1. X. wieder frischer Katarrh mit be¬
ginnender Otitis media. 23. X. dasselbe usw.
Noch weitere 9 Monate setzte sich die Leidensgeschichte des Kindes
in gleicher Weise fort, und so lange sistierte das Wachstum. Dann erst
begann das Kind sich rapide zu entwickeln und damit öffnete sich auch
die verschlossene Nase.
Wie sehr man anfangs auch geneigt sein mochte, das ge¬
schilderte Krankheitsbild auf Vergrösserung der Nasenrachen¬
mandel zurückzuführen, so widerspricht dieser Annahme die Tat¬
sache, dass die bei weitaus grösste Anzahl der hiervon be¬
troffenen Kinder, selbst bei den allerschwersten Leiden gesund
wird, sobald das Wachstum einsetzt. Die Kinder haben dann
schon in der Mitte des zweiten Lebensjahres gewöhnlich freie
Nasenatmung. In einem Falle, bei dem das Wachstum 2 Jahre
lang sistiert hatte, war mit 2 l / 2 Jahren das gewünschte Ereignis
eingetreten.
Wenn wir als Ursache der Nasenverstopfung Hyperplasie der
Nasenrachenmandel annehmen, so muss vorausgesetzt werden,
dass zum mindesten bei dem Wachstum des Nasenrachenraums
die Adenoiden nicht wachsen und dadurch relativ kleiner werden.
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
911
Canal . 1
choa-
nalis J
Die Annahme erscheint wenig plausibel, da gerade im zweiten
und dritten Lebensjahre die Neigung zur Hyperplasie gemeinig¬
lich besonders stark ist. Dieser Hypothese wiederspricht auch
z. B. folgender Fall, den ich dem freundlichen Entgegenkommen
der Herren Prof. Erich Müller und 0. Herbst danke.
Frida M., geboren den 27. Juni 1912. Seit 18. Juli im Waisenhaus
Rummelsburg. Ernährt mit Frauenmilch aus der Flasche. Bis
22. November hat sich langsam folgender Zustand entwickelt: Kind
schwitzt viel, schnarcht sehr, offenbar infolge von Adenoiden, und sieht
gedunsen aus. 2. Dezember: Die Verstopfung der Nase wird immer
stärker. Offenbar Wucherungen im Nasenrachenraum. Kein Sekret aus
der Nase. Die Atembehinderung nimmt in den nächsten Tagen stark
zu. Zunehmende Blässe. Bei der Atmung werden die Rippen ein¬
gezogen. Es erfolgt bis 8. Dezember ein Gewichtssturz von 4600 bis
4020 g. Seit dem 8. wird Adrenalin in die Nase eingeträufelt. Am
12. findet sich folgende Notiz in der Krankengeschichte: Mund ge¬
schlossen gehalten, kein Schnarchen. Das Trinken, das seit Anfang des
Monats stark erschwert war, geht jetzt wieder ungestört vor sich.
Wiedererlangung des alten Gewichtes. Trotzdem Ende Dezember eine
akute Schnupfenattacke erfolgt und an diese sich seit dem Januar eine
Bronchopneumonie anschliesst, kommt es nicht wieder zum Rückfall in
das alte Leiden. Befund bei der Untersuchung März 1913: Nasen¬
atmung ziemlich frei. Finger dringt nicht in den Nasenrachenraum ein,
nur ein Stück der Hinterwand ist zu fühlen, das Gaumensegel aber so
weit nach oben zu drängen, dass sehr erhebliche Vergrösserung der
Rachenmandel mit Sicherheit auszuschliessen ist.
Eine derartige Heilung ist nur verständlich, wenn der wesent¬
liche Teil der Atembehinderung durch eine Schleimhautschwellung
verursacht ist. ln der Tat kann man sich gelegentlich bei
Sektionen von schnupfenkranken Säuglingen überzeugen, dass bei
der Erkrankung des Nasenrachenraums die Schleimhaut nament¬
lich der Seitenteile oft sehr viel stärker zur allgemeinen Ver¬
engung beiträgt, als die Adenoiden. Aehnliche Erfahrungen
scheint nach den Angaben von Czerny 1 ) auch Bartenstein
gemacht zu haben. Von besonderer Wichtigkeit aber ist es, sich
klar zu machen, von welcher Stelle der oberen Luftwege eine
Schwellung der Schleimhaut die grösste mechanische Wirkung
entfalten kann. Wir bedürfen daher der Kenntnis der Anatomie
des Nasenrachenraums im Säuglingsalter. Mangels Angaben in
der Literatur schildere ich die Verhältnisse nach eigenen Ab¬
güssen und Präparaten 2 ).
Der Aditus narium ist stärker nach oben gerichtet als im
späteren Alter und zeigt an seinem Uebergang in die Nase eine
Verengung. Bei Beginn der eigentlichen Nase steigt fast senk¬
recht die obere Begrenzung in die Höhe, um nach den Choanen
zu wieder herabzufallen. Die Choanen verdienen ihren Namen
nicht, sie stellen nichts weiter dar als kleine, kreisrunde Oeff-
nungen bzw. Kanälchen, so dass die Nasenmuscheln völlig vom
Nasenrachenraum abgetrennt werden. Für diesen 1—2 mm
langen Kanal möchte ich daher den Namen „Canalis
choanalis“ gebrauchen. Diese Kanäle sind durch eine stark
schwellbare Schleimhaut eingesäumt. Namentlich die obere Be-
Figur 2.
1) Monatsschr. f. Kinderheilk., 1912, S. 162.
2) Herrn Prof. Voit sage ich für seine freundliche Unterstützung
besten Dank.
grenzung nach dem Nasenrachenraum zeigt diese Eigenschaft, wie
aus dem Bilde, das von einem chronischen Säuglingsschnupfen
stammt, zu ersehen ist (Figur 2).
Im Laufe des ersten Lebensjahres erweitert sich die Choane
nach oben gleichzeitig mit den übrigen Wachstumserscheinungen
des Gesichtsschädels.
Nach der Vereinigung der beiden Canales choanales verläuft
der Nasopharynx eine grosse Strecke völlig horizontal, sich nach
hinten zu verbreiternd bis zu den nicht tief einspringenden
Rosenmüller’schen Gruben, wo er seine grösste Breite erreicht.
In scharfer Kante biegt er hier nach unten um und verläuft
jetzt, sich verschmälernd in einen stumpfen Winkel gegen die
Horizontale, also nicht rechtwinklig wie etwa beim Erwachsenen,
bis zur Pars laryngea, etwa ein Verhalten, wie wir es beim Tiere
sehen. Der horizontale Teil ist an der Oberfläche vollständig
platt und trägt hier die Pharynxtonsille, die im ersten Lebensjahr
häufig noch keine Keimcentren aufweist. Die Unterfläche dieses
Pharynxteils ist begrenzt von dem vollständig horizontal ver¬
laufenden weichen Gaumen, der auch im Gegensatz zum Er¬
wachsenen noch in seinem letzten Teile, dem Gaumensegel, diesen
horizontalen Verlauf beibehält.
Der stumpfe Winkel, in dem der untere Teil des Pharynx
diese Horizontale kreuzt, bedingt, dass der Zungengrund in
schrägerer Linie aufsteigt und länger dem Pharynx anliegt.
Wir sehen daher ausser anderen, für die Erscheinung des
Säuglingsschnupfens wichtigen topographischen Verhältnissen,
dass die Canales choanales einen Engpass darstellen, der durch
unerhebliche Schleimhautschwellung schon verschlossen werden
kann, und dass das in der Tat stattfindet, zeigt ja schon das
Bild, das von einem chronisch schnupfenkranken Säugling stammt.
Das Kind hatte in seinen ersten zwei Lebensmonaten dauernd
verstopfte Nase. Zugleich zeigt uns dies Bild, dass die Nasen¬
rachenmandel an einer relativ weiten Stelle über dem horizontal
verlaufenden Teile des Gaumensegels liegt. Ihre Anschwellung
muss daher recht erheblich sein, um eine Wirkung hervorzu¬
rufen. Bei dem ganzen Verlauf des Pharynx aber ist ersichtlich,
dass wir wenigstens in den ersten sechs Lebensmonaten den
Finger gar nicht so krümmen können, dass er in den Nasen¬
rachenraum eindringt. Wir müssen zufrieden sein, die Nasen¬
rachenmandel durch das Gaumensegel hindurch abzutasten. Wenn
wir auch auf diese Weise nur erhebliche Hypertrophien nach-
weisen können, so genügt dies doch nach dem oben Gesagten für
den praktischen Zweck völlig 1 ).
Wir sind somit berechtigt, ein Krankheitsbild auf¬
zustellen, das sich durch chronische Verstopfung des
hinteren Teils der Nasenwege charakterisiert, dessen
klinische Erscheinungsformen oben beschrieben sind.
Wohl ist die Schleimhaut des Rachenrauras und der
hintersten Nase nicht frei von Schwellung, aber die
Stenose entsteht an dem Engpass der Canales choanales.
Mit der Erweiterung dieser Canales zur Choane findet
die Krankheit ihre natürliche Heilung.
Dass aber gerade hier die Schleimhaut besonders schwillt,
erklärt sich leicht durch Stauung der Sekrete der weiten Nasen¬
höhle an dieser Stelle, die namentlich beim liegenden Kinde am
deutlichsten sein muss.
Es liegt mir fern, zu bestreiten, dass auch die Hypertrophie
der Nasenrachenraandel schon in frühen Lebensmonaten eine selb¬
ständige Bedeutung gewinnen könne. Vereinzelt haben andere
ebenso wie ich Fälle beobachtet, bei denen durch das Gaumen¬
segel ein dickes Polster zu fühlen war. Ein wirklich vollständiges
Curettement des Nasenrachenraums, das allerdings mit dem ge¬
wöhnlichen Ringmesser in Anbetracht der anatomischen Verhält¬
nisse nicht immer gelingt, führt fast momentane Heilung herbei 2 ).
Selbstverständlich gibt es auch gemischte Fälle. So sah ich
bei einem Kinde, das seit den ersten Lebenswochen an Rhinitis
posterior litt, mit ungefähr 3 / 4 Jahren nach schwerer Nasen¬
racheninfektion eine bedeutende Zunahme der Hemmung der
Nasenatmung. Die Digitaluntersuchung ergab ziemlich stark ver-
grösserte Nasenrachenmandel. Nach deren Entfernung war der
1) Eine ausführliche Darstellung dieser Fragen soll später folgen.
2) Auf die Technik der Operation gehe ich hier nicht ein. Den
Einwand Czerny’s, dass es sich vielleicht in solchen Fällen nicht um
Adenoide, sondern um Schleimhautschwellung handeln könne, kann ich
in meinen Fällen durch anatomische Untersuchungen nicht widerlegen,
doch spricht alles für die obige Annahme. Lugenbühl hat aber schon
beim sechswöchigen Kintje anatomisch . nachgewiesene adenoide Wuche¬
rungen entfernt.
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UMIVERSITY OF IOWA
912
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.' 20:
Zustand des Kindes etwa derselbe wie in der letzten Zeit vor
der Operation, nnd erst nach 2—3 Monaten setzte die Heilung ein.
So wünschenswert in solchen Fällen daher die Operation
auch ist, so können wir doch Vorhersagen, dass ihr Nutzen nur
ein teilweiser sein kann.
Zum Schloss noch einige Worte über die Therapie. Gelegent¬
lich gelingt es, unter Anwendung von Adrenalin eine Heilung zu
ermöglichen, wie das citierte Beispiel von Herbst zeigt. Doch
dürfen wir auf einen solchen Erfolg selbstverständlich nicht
rechnen. Die Nebennierenpräparate werden hauptsächlich An¬
wendung finden müssen während der akuten Exacerbation. Man
träufelt dann mit der Augenpipette 10 und 5 Minuten vor dem
Trinken einige Tropfen folgender Lösung ein:
Sol. Adrenalini oder Suprarenini (1:1000) 1,0
Aq. boratae 2,0.
Bei den chronischen Verschwellungszuständen nutzt gelegent¬
lich Argentum nitricum. Man träufelt in 1 proz. Lösung etwa
2 Tropfen in jedes Nasenloch ein und wiederholt die Prozedur
5 Minuten später noch einmal, nachdem man die Nase ab¬
gewischt hat. Jeden dritten Tag muss eine Pause gemacht
werden.
Den starken Meteorismus habe ich in einem sehr bösartigen
Falle durch Einlegen einer grossen weichen Oesophagussonde in
den Darm (30—50 cm weit) erfolgreich bekämpfen können. Es
wurde abgewartet, bis das Kind die Sonde von selber ausstiess.
Der Erfolg ist wohl nicht allein dem Ableiten der Winde, sondern
dem Kontraktionsreiz durch den Fremdkörper zu danken. Künftig
wird man auch an die Anwendung der Schlundsonde denken
müssen.
Die wichtigste Behandlung aber ist, das Kind vor akuten
Anfällen zu schützen. Das Verhalten dieser Kinder gegenüber
jeder Schnupfeninfektion in ihrer Umgebung lehrt uns, dass es
sich meist, wenn auch nicht ausschliesslich, um Reinfektionen,
nicht um Exacerbationen handelt. Es liegen also die gleichen
Verhältnisse vor, wie sie L.F. Meyer 1 ) überhaupt bei an chronischen
oder recidivierenden Erkrankungen der Luftwege leidenden Kindern
nachweisen konnte. In den überfüllten Zimmern der Armen ver¬
laufen daher diese Fälle schwerer als beim einzelnen Kinde gut
situierter Eltern. Bei klinischer Behandlung äussert sich die
Empfänglichkeit für Schnupfen in sehr peinlicher Weise, wenn
auch oft bei der Schwierigkeit der Ernährung einzig und allein
die stationäre Behandlung das Kind retten kann.
Soweit daher eine Isolierung des Kindes auch von scheinbar
gesunder Umgebung möglich ist, muss sie durchgeführt werden.
Der Widerstand gegen die einzelnen Infektionen lässt sich
erfolgreich beben durch Freilufttherapie. So verlaufen die An¬
fälle viel milder, wenn die Kinder dauernd im Freien sind.
Namentlich bei dem Kinde, dessen Leidensgeschichte wir zum
Teil citiert haben, zeigt es sich, dass trotz der häufigen Anfälle
Frische und Munterkeit so lange nur unbedeutend litt, als das
Kind mindestens 6—8 Stunden im Freien lag. Das Wachstum
setzte erst ein, als das Kind fast den ganzen Tag halb nackt
und am ganzen Körper von der Sonne gebräunt im Freien lag.
Auch im Winter muss die Lufttherapie fortgesetzt werden. Dann
wird freilich oft das Spazierenfahren im kalten Zimmer als Not¬
behelf dienen müssen.
Sehr wirksam ist ein Aufenthalt in möglichst staubfreier
Gegend, Wald, Gebirge und See. Aber wir müssen bei dieser
Verordnung ausserordentlich vorsichtig sein, soweit es sich
wenigstens um fortgeschrittenere Fälle handelt. Nicht nur die
Wobnungsverbältnisse müssen besonders bequem und günstig sein,
sondern es ist auch darauf zu achten, dass ein in Ernährungs¬
fragen erfahrener ärztlicher Berater leicht zu erreichen ist. In
der Tat sind mitunter die Schwierigkeiten in der Beurteilung und
Behandlung der hier so häufigen parenteral bedingten Durchfälle
so gross, dass es für das Kind oft wichtiger ist, in der Hand des
Arztes zu bleiben, der es kennt. <
Dass im übrigen die zugrunde liegende Konstitutionsschwäche,
die exsudative Diathese bei der Wahl der Ernährungsmethode
gleichfalls sorgfältig berücksichtigt werden muss, bedarf keiner
besonderen Erörterung.
1) L. F. Meyer, Festschrift für Heubner, S. 418.
Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses
Bethanien.
Ein Beitrag zur Frage des Zustandekommens
linksseitiger Recurrenslähmung bei Mitral¬
stenose.
Voa
H. Doreadorf.
(Nach einem am 18. März 1913 in der Hufelandischen Gesellschaft
gehaltenen Vortrage.)
Ortner hat als erster im Jahre 1897 zwei Beobachtungen
von Mitralstenose mit Lähmung des linken Nervus recurrens mit¬
geteilt. Auf Grund seiner beiden Beobachtungen und der von
Schlagenhaufer und Störck dem jüngeren erhobenen Ob¬
duktionsbefunde gelangte Ortner zu dem Schlüsse, dass gelegent¬
lich bei Stenose des Mitralostiums „eine derartig mächtige
Dilatation des linken Vorhofs zustande komme, dass der Nervus
recurrens sin. durch denselben an den Aortenbogen angedrückt,
komprimiert, zur Degeneration seiner Fasern gebracht und hier¬
durch das linksseitige Stimmband gelähmt werde“.
Seit dieser Publikation von Ortner sind vier weitere Beobachtungen
von Recurrenslähmung bei Mitralstenose mit Obduktion und einige
wenige, nur klinisch beobachtete Fälle derart mitgeteilt worden.
In allen Fällen suchten die Autoren die Erklärung für die Stimm¬
bandlähmung in einer Kompression des Recurrens.
Die Kompression des Nerven sollte stattfinden in einer Reihe von
Beobachtungen (Fälle von Ortner, Freystadtl-Stranz, einem Falle
Hofbauer’s) direkt zwischen Vorhofs wand und Aorta, oder aber — wie
in einem Falle Ortner’s — zwischen Aorta und linkem Hauptbronchus,
oder endlich zwischen der Arteria pulmonalis und der Aorta (Fall
Frischauer’s, Gillie’s und Alexander’s).
Dazu käme der Fall H. v. Schrötter’s, bei dem die Schädigung
des Recurrens „durch seine Lagerung zwischen die Wandanteile der
Aorta und des offen gebliebenen dilatierten Ductus Botalli und hierbei
durch pulsatorischen Druck“ erklärt wird, und der Fall von Kraus,
bei dem das Ligamentum Botalli den Recurrens kreuzte und schnürte
und seine Degeneration bewirkte.
Wenn wir die topographisch-anatomischen Lagebeziebungen
der in Betracht kommenden Organe des hinteren Mediastinums
betrachten, so wird es klar, dass eine wirksame, zur Faser¬
degeneration führende direkte Kompression des Recurrens durch
einen dilatierten linken Vorhof während der Diastole wegen der
Lagebeziehung des Aortenbogens zur Arteria pulmonalis aus¬
geschlossen ist.
Eine derartige Kompression des Nerven durch den erweiterten
Vorhof kann — wie bereits Kraus hervorgeboben hat — nur
indirekt bewirkt werden, indem ein Druck von dem Vorhof auf
den Aortenbogen und den Nervus recurrens durch Vermittlung
der Arteria pulmonalis übertragen wird.
(So verhielt es sich bei dem Kranken Frischauer’s, bei dem nur
eine geringgradige Abduktionsparese des linken Stimmbandes zustande
gekommen war. An dem von dem jüngeren Störck demonstrierten
Präparat liess sich erkennen, dass der Nerv zwischen der Arteria pulmo¬
nalis, die duroh den vergrösserten linken Vorhof nach oben verschoben
wurde, und dem Aortenbogen komprimiert war.
In dem Falle Gillie’s, mir nur zugänglich in einem Referate der
Semaine mödicale (1905, Nr. 51), komprimierte der dilatierte Ast der
Arteria pulmonalis den linken Recurrens.
Alexander nahm an, dass bei seinem in der Gesellschaft der
Chariteärzte 1903 vorgestellten Kranken mit dem rechten Ventrikel auch
der Conus arteriosus und die Arteriae pulmonales erweitert wären, und
dass beide, der erweiterte linke Vorhof und die erweiterte Pulmonalis,
zusammen durch pulsatorischen Druck den Nervus recurrens funktions¬
unfähig gemacht hätten.)
Auoh dass der Druck des linken Atriums auf den linken Haupt-
bronchus den Bronohus gegen den Aortenbogen anpressen könnte, wie
Ortner für seinen ersten Fall angibt, erscheint anatomisch nicht recht
verständlich.
Sicher ist, dass eine beträchtlichere Vorhofserweiterung die Bronohien
nicht unbeeinflusst lässt.
Der jüngere Störck hat bei seinen Untersuchungen in toto ge¬
härteter Präparate bei Vitien mit Vorhofsvergrösserung (besonders
Mitralstenosen) nachweisen können, dass in jedem Falle von linksseitiger
Vorhofsvergrösserung entsprechenden Grades eine Abstumpfung des
Interbronchial winkeis zustande kommt, dass die Bifurkation eine
Spreizung erfährt, die beiden Hauptäste flacher abgehen als normal, ja
in extremsten Fällen einen Winkel von 90° mit der Luftröhre bilden.
Ausser dieser Heraufdrängung bewirkt der erweiterte Vorhof eine
Abplattung des linken Brouchus von unten und vom her.
Die an ausgegossenen Bronchien von : Störck und intra vitam
bronchoskopisch von Kahler festgestellte Einengung des forderen
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
913 1
unteren Quadranten deutet darauf hin, dass der Druok des erweiterten
Vorhofs Ton vorn unten nach hinten oben auf den Bronchus wirkt, so
dass zu erwarten ist, dass durch das vergrösserte, weiter heraufrückende
Hers die Bronchien nach hinten verschoben werden müssen, also vom
Aortenbogen weg, und dass dadurch einer Kompression des Nervus
recurrens swisohen Bronchus und Aorta entgegengewirkt wird.
Danach ist die Mehrzahl der Recurrenslähooungen bei Mitral¬
stenose anatomisch nicht befriedigend erklärt.
Ich habe auf meiner Krankenabteilung in Bethanien, in der
die laryngoskopische Untersuchung in einschlägigen Fällen syste¬
matisch ausgeführt wird, im Laufe von zwei Jahren vier Fälle
von Mitralfehlern mit Recurrenslähmung gesehen.
Bei meinen Fällen war der Entstehungsmodus der halbseitigen
Kehlkopflähmung bestimmt ein anderer. Die Kehlkopflähmung
hatte mit der Vergrösserung des Vorhofs nichts zu tun.
Ich bringe Auszüge aus den Krankengeschichten:
Die 46 jährige Frau K. trat mit dekompensierter Mitralstenose und
-Insuffizienz am 26. Dezember 1912 in die Abteilung ein. Wie lange der
Klappenfehler bestand, war nicht sicher. 1890 hatte sie ihrer Angabe
nach Gelenkrheumatismus; ob damals das Herz beteiligt war, wusste
sie nicht anzugeben.
1900 stellte ein Arzt, der sie wegen einer „Influenza“ behandelt
hätte, angeblich den bestehenden Klappenfehler fest.
Seit 1902 zeitweilig Herzbeschwerden; überstand 1906 angeblich
eine Lungenentzündung.
Seit dem Winter 1911 stärkeres Herzklopfen und Kurzatmigkeit
beim Treppensteigen, demnächst auch beim Gehen zu ebener Erde.
Seit Februar 1912 begannen die Beine zu schwellen; sie litt an
Appetit- und Schlaflosigkeit, Magen- und Leberdruok.
Wenige Tage vor ihrer Aufnahme ins Krankenhaus sollen plötzlich
Schmerzen hinter dem Brustbein aufgetreten sein. Seit der Zeit sei
sie heiser.
Bei der Aufnahme bestand eine Vergrösserung des Herzens in querer
Richtung und nach oben zu. An der Spitze des Herzens, die im 6. Inter¬
oostalraum bis in die vordere Axillarlinio hinein gefühlt wurde, ein prä¬
systolisches und langes systolisches Geräusch.
Als Ursache der heiseren, fast tonlosen Stimme wurde eine links¬
seitige Stimmbandlähmung festgestellt. Das linke Stimmband stand
unbeweglich bei der Atmung und beim Anlauten in Cadaverstellung.
(Eine Sensibilitätsstörung des Kehlkopfeingangs war nicht nachweisbar.)
Nach etwa vierwöchiger Behandlung wurde die Kranke ziemlich gut
kompensiert auf ihren Wunsch aus dem Krankenhause entlassen.
Die Stimmbandlähmung war unverändert.
Bei einer Nachuntersuchung am 8. Mai war die linksseitige Reourrens-
lähmung unverändert.
Am 27. Juli 1912 stellte sie sich mir wieder vor. Sie zeigte eine
stärkere Dekompensation. Aber bei der Kehlkopfspiegeluntersuchung
war ausser einer leichten linksseitigen Posticusparese (das linke Stimm-
band bewegte sich nicht ganz so weit nach aussen als das rechte) nichts
Abweichendes mehr nachweisbar. Seit drei Tagen habe sie bemerkt,
dass sie wieder mit klarer Stimme singen könne.
Im September 1912 wurde die Kranke stärker dekompensiert wieder
ins Krankenhaus gebracht. Der Spitzenstoss reichte bis in die mittlere
Axillarlinie, die rechtsseitige überschritt den rechten Brustbeinrand um
zwei Fingerbreiten. Der Herzdämpfung setzte sich scbornsteinförmig eine
retrosternale Dämpfung auf, die nach beiden Seiten das Manubrium um
IV* Querfinger überschritt. Präsystolisches und systolisches Geräusch
an der Spitze. Stauungsleber, Stauungsniere, Hydrothorax rechts mehr
als links, Oedeme am Rücken und den unteren Extremitäten.
Man hörte jetzt in der ganzen Regio cordis extrapericardiales Reiben.
Das Oliver-Cardarelli’sche Symptom war vorhanden.
Trotz der stärkeren Dekompensation waren die Stimme vollkommen
rein und die Stimmbandbewegungen völlig frei, und sie sind es auch ge¬
blieben, wie wir uns bei der einmonatigen stationären Behandlung der
Frau auf der Abteilung, während der die Dekompensation behoben wurde,
und bei wiederholten späteren Nachuntersuchungen überzeugen konnten.
Hier kann eine infolge des Mitralfehlers entstandene Dilatation
des linken Vorhofs als Ursache der Recurrenslähmung nicht wohl
in Frage kommen.
Bei der in den letzten Monaten mehrfach vorgenommenen
Röntgendurchleuchtung fand sich bei dorso-ventraler Strahlen-
richtnng immer eine starke Verbreiterung des Herzschattens, der
eine ausgesprochene Dreiecksform aufwies mit fast völliger Aus¬
gleichung der Bogenbildnng an seiner linken Seite. (Demonstration
des Röntgenbildes.) Dabei waren die Herzpulsationen besonders
gut ausgeprägt.
Dieser Röntgenbefund, auf den meines Wissens zuerst durch eine
Arbeit von Radonicic aus der Innsbrucker Klinik hingewiesen wurde,
ist, falls keine klinischen Symptome für Pericardialerguss vorliegen, für
die Diagnose Goncretio pericardii verwertbar, wie ich durch die Autopsie
zweimal bestätigen konnte.
Im ersten schrägen Durchmesser erwies sich das hintere Mediastinum
im oberen Anteile streifig verdunkelt. (Demonstration des Röntgenbildes.)
r 7 ' Die Angabe der Kranken, dass sie vor dem Auftreten der
Stimmstörung t Schmerzen in der Brust hinter dem Brustbeine
empfunden habe, deutete auf Mediastinitis hin.
Das später festgestellte,? noch jetzt nachweisbare extraperi-
cardiale Reiben und der jetzt deutliche Pulsus laryngeus descendens,
die Schattenbildung im oberen Teile des hinteren Mediastinums
und die röntgenologisch festgestellte Abweichung der Herzfigur
(Dreiecksform derselben, Ausgleichung der linken Bögen) lassen
die Diagnose Concretio pericardii nnd Mediastinitis fibrosa stellen
und die vorübergehende Recurrenslähmung als Folge der Media¬
stinitis erklären. —
Bei zwei weiteren Beobachtungen von Mitralstenose und In¬
suffizienz war die Recurrenslähmung eine dauernde.
Die 17jähr. Kranke EliseK. (Krankenvorstellung) war imDezemberl910
an Gelenkrheumatismus krank und wurde von Mitte Januar bis Mitte
Februar 1911 im Augusta- Hospital wegen der dabei aufgetretenen Herz¬
komplikation behandelt.
Nach*dem im Augusta-Hospital geführten Krankenblatt hat damals
Pericarditis und Pleuritis exsudativa duplex bestanden. Im Kranken¬
hause noch wurde die Kranke heiser und ist es seitdem angeblich dauernd
geblieben.
Im Dezember 1911 Atemnot, Herzklopfen, demnächst wassersüchtige
Anschwellung der unteren Körperhälfte. Wegen zunehmender Kurzatmig¬
keit am 29. I. 1912 Aufnahme in Bethanien.
Bei der Aufnahme fanden sich bei der Kranken starke Oedeme au
den Beinen, Rücken und seitlichen Abschnitten des Leibes, Hydrothorax,
Ascites, Stauungsleber, Stauungsnephritis, die Herzdämpfung in querer
Richtung und nach oben hin verbreitert. (Der Spitzenstoss des Herzens
im 6. Intercostalraum von der Maraillarlinie bis in die vordere Axillar¬
linie reichend.)
Retrosternale Dämpfung, die nach beiden Seiten den Rand des
Manubriums um 2 cm überschreitet. (Linksseitige Herzdämpfung geht
bis in die vordere Axillarlinie, rechtsseitige bis in die Mitte zwischen
rechtem Brustbeinrand und rechter Mamillarlinie.) An der Herzspitze
präsystolisches und systolisches Geräusch, II. Pulmonalton accentuiert;
man fühlt den Klappenschluss der Pulmonalklappen. Oliver-Cardarelli’sches
Symptom vorhanden.
Stimme leicht heiser, manchmal umschlagend. Linke Stimmlippe bei
der Inspiration und Phonation unbeweglich in sogen. Cadaverstellung,
freier Rand leicht excaviert. Sensibilität des Larynx intakt.
Durchleuchtung in dorso-anteriorer Strahlenrichtung ergibt eine Drei¬
ecksform des Herzscbattens. Von der Kuppe des Schattens der grossen
Gefässe begrenzt sich das Cor auf der linken Seite mit einer nahezu
geraden Linie mit Ausgleichung der Bogenbildung, Herzpulsationen dabei
auffallend gut ausgeprägt.
Auch hier zeigten sich bei Durchleuchtung im ersten schrägen Durch¬
messer Verdunklungen im hinteren Mediastinalraum.
Die Kranke wurde leidlich kompensiert aus der Anstalt entlassen
und erreichte nach mehrwöchiger Schonung volles Wohlbefinden und
Arbeitsfähigkeit. Die linksseitige Kehlkopflähmung ist unverändert ge¬
blieben.
Die klinisch sichergestellte Pericarditis, die retrosternale
Dämpfung, der Pulsus laryngeus descendens, die dreieckige Herz¬
figur mit Ausgleichung der linken Bögen, die Schattenbildung im
hinteren Mediastinum lassen mit Sicherheit eine Concretio peri¬
cardii und Mediastinitis fibrosa mit folgender Recurrenslähmung
diagnostizieren.
Bei einer dritten Kranken, der 9jähr. Margarethe S., war im
Verlaufe eines im 8. Lebensjahre auftretenden Gelenkrheumatismus
eine Mitralstenose und Insuffizienz entstanden.
Das Kind kam am 13. XII. 1911 in schwer dekompensiertem Zu¬
stande (mit Oedemen, beträchtlichem Hydrothorax duplex und Ascites,
Stauungsleber und -Milz) ins Krankenhaus.
Systolische Einziehungen der Brust in der Gegend des 4.—6. Inter¬
oostalraumes und diastolisches Vorschleudern der Brustwand (Vorschleudern
und Puls alternierten) Hessen in dem Falle die bestehende Herzbeutel¬
obliteration erkennen. (Der vorhandene Pulsus laryngeus descendens
deutete auf die Mediastinitis hin.)
Der Processus vocalis hing ins Kehlkopflumen hinein; das linke
Stimmband ersohien verkürzt, hatte weniger Körper als das rechte, der
mediAle Rand war leicht excaviert. Das linke Stimmband stand bei der
Inspiration und Phonation unbeweglich in Cadaverstellung. Beim Phonieren
überschritt das rechte Stimmband die Mittellinie und legt sich an das
linke an. Die Epiglottis schwingt beim Phonieren kurz nach reohts
herüber. Stimme rein.
Die kleine Kranke kam einige Wochen, nachdem sie das Kranken¬
haus verlassen hatte, zum Exitus. Eine Autopsie war leider nicht zu
erreichen.
leb glaube aber, dass die nach dem klinischen Befunde vor¬
handene Mediastino-Pericarditis als Erklärung für die bis zum Tode
bestehende Recurrenslähmung herangezogen werden muss.
Schliesslich beobachtete ich einen Fall von akuter Mediastino-
Pericarditis, die zur Lähmung der linken Stimmlippe führte.
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UNIVERSUM OF IOWA
014
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Im Verlaufe einer Polyarthritis rheumatica, die mit Endocarditis,
Pericarditis und Pleuritis exsudatica duplex verlief, trat bei einem
28jährigen Arbeiter eine linksseitige Recurrenslähmung auf. Die Peri¬
carditis verlief in 3 Wochen.
Der Kranke wurde nach 3monatigcr Behandlung mit kompensierter
Mitralinsuffizienz und kompletter linksseitiger Recurrenslähmung arbeits¬
fähig aus dem Krankenhause entlassen.
Die Kehlkopflähmung bestand — wie eine Nachuntersuchung zwei
Monate nach der Entlassung ergab — wenigstens 5 Monate lang.
Als ich den Mann im Herbst noch einmal untersuchte, war von der
linksseitigen Recurrenslähmung nichts mehr nachzuweisen.
Eine Drucklähmung des linken Recurrens durch das Peri-
cardialexsudat lässt sich ausscbHessen. Die ersten Zeichen der
Recurrensschädigung traten erst auf, als der Oberhaupt nur etwa
roittelgrosse Herzbeutelerguss bereits in der Abnahme begriffen war.
Viel plausibler erscheint hier die Erklärung der Lähmung durch
Fortschreiten der Entzündung vom Pericard, dessen hintere Wand
von Pleura mediastinalis nicht bekleidet ist, auf das hintere
Mediastinum, wo der Vagus und Recurrens geschädigt werden
können. Die Mitbeteiligung des hinteren Mediastinums an der
das Pericard betreffenden Entzündung ist nach meinen darauf ge¬
richteten Untersuchungen ausserordentlich häufig nachweisbar.
Bei dem Reichtum des lockeren Bindegewebes des Mittelfell¬
raumes an Lympbgefässen und Lymphdrusen müssen entzfiadlicbe
Vorgänge hier die günstigsten Bedingungen zu rascher Aus¬
breitung finden.
Die Mediastinitis und Mediastinopericarditis als Ursache der
Recurrenslähmung bei Fällen von Mitralstenosen, die mit Stimm-
bandläbmung verliefen, ist m. E. bisher nicht hinreichend ge¬
würdigt worden.
Ich glaube, dass die Mediastinitis auch bei dem einen oder
anderen der in der Literatur mitgeteilten Fälle von Recurrens¬
lähmung bei Mitralstenose als Ursache der Lähmung wohl heran¬
gezogen werden dürfte.
Jedenfalls erscheint es bemerkenswert, dass bei den beiden
Fällen Ortner’s, der zuerst auf die Mitralstenose als Ursache
linksseitiger Recurrenslähmung hingewiesen hat, aber für seine
Fälle anatomisch nur wenig befriedigende Erklärungen geben
konnte, eine Pericardobiiteration bestand.
Aus dem Königin Elisabeth-Hospital in Berlin-Ober-
schoneweide (Chefarzt: Geheimrat Görges).
Ueber Eibon (Cinnamoylparaoxyphenyl-
harnstoff).
Von
F. JohaBnessohn.
Der Kampf gegen die Tuberkulose ist, ehe man die verschiedenen
Tuberkuline kannte als exquisit spezifisch wirkende Mittel, mit Hilfe
verschiedener Antiseptica geführt worden. Diese entstammten haupt¬
sächlich der aromatischen Reihe, und besonders die Gruppe der Salicyl-
säure und des Garbois lieferten die am meisten angewandten Mittel, wie
z. B. Benzoesäure und Kreosot, sowohl in Form der Inhalationen wie
auch intern gegeben. Die Inhalationsantiseptik kann natürlicherweise
nur auf oberflächlichere Schleimhautaffektionen tuberkulöser Art ein¬
wirken, tiefere tuberkulöse Prozesse entgehen ihrem Einfluss. Und gerade
die tieferen Prozesse an der Lunge sind es doch vor allen Dingen, die
wir in die Behandlung bekommen. Von einer rein antiseptischen Wirkung
im Blute durch intern dargereichte Antiseptica etwas erreichen zu
wollen, würde ausserordentlich grosse Gaben der betreffenden Mittel er¬
forderlich machen, die in solchen Mengen vom Magen kaum vertragen
werden dürften. Wenn nun trotzdem mit der internen Verabreichung
relativ kleiner Mengen dieser Mittel unbestreitbare Erfolge erzielt worden
sind, so sind diese auf andere Weise zu erklären, worüber weiter unten
noch gesprochen werden soll. Der Gedanke, diese antiseptischen Mittel
direkt auf dem Blutwege zu den tuberkulösen Prozessen zu befördern,
lag ja eigentlich sehr nahe und ist in der Tat von Länderer be¬
schritten worden, der nach mannigfachen Versuchen auf dem Wege über
den Perubalsam in der Zimmtsäure das Mittel gefunden zu habon
glaubte, das ohne Gefahr iu die Blutbahn zu injizieren wäre und das
die beste antiseptische Wirkung entfaltete. Die Resultate, die Län¬
derer erzielte, waren von Erfolg gekrönt und regten zu einer eingehen¬
den Prüfung seiner Methode an.
Leider sind die Autoren, die die Methode nacbgeprüft haben, nicht
zu einstimmigem Urteil über sie gekommen. So berichtet Länderer
selber 1894 und 1896, dass chronische Tuberkulose der Lunge bei aus¬
reichender Behandlungsdauer (etwa drei Jahre), wofern noch keine
Cavernen nachweisbar waren, völlig ausgeheilt sind. Auch Moschko-
witz konnte in mehr als der Hälfte seiner Fälle eine wesentliche Besse¬
rung feststellen. Günstig spricht sich auch Krämer aus, und in der
Diskussion zu einem Referate Ewald’s über die Zimtsäurebehaud-
lung tritt Hansemann sehr warm für Landerer’s Methode ein. Ferner
berichten Frank und Haentjens über günstige Resultate, ebenso wie
Heusser und Kohn. Eine ganze Reihe von Autoren äussert sich sehr
vorsichtig, vollständig verworfen wird die Methode von Mader, der an
50 Kranken keine Spur einer Besseerung feststellen konnte, von Staub,
Meyer, und auch Rebsamen kommt in seiner Inauguraldissertation,
in der er die Methode Landerer’s kritisch bespricht, zu deren Ab¬
lehnung.
Durch die Tuberkulintherapie ist Landerer’s Methode in den
Schatten gedrängt worden, ehe noch ein allgemein gültiges Urteil fest¬
stand. Vereinzelte Aerzte hielten an ihr fest und bemühten sich,
das Verfahren zu vervollkommnen. W. Minnich veröffentlichte 1911
eine Arbeit, in der er seine diesbezüglichen Versuche schilderte. Das
Endprodukt war die Herstellung eines Piäparates, das unter dem Namen
Eibon von der Gesellschaft für chemische Industrie in Basel in den
Handel gebracht wird.
Eibon ist Cinnaraoylparaoxyphenylharnstoff
[C 6 Hb—CH = CH—COO<ZI>NH—CO—NH a ];
es sind weisse Nadeln, die bei 204° schmelzen, sich in Wasser und
Alkohol schwer, in verdünnten Alkalien und Säuren gar nicht lösen. Es
ist aber lipoidlöslich und wird daher vom Körper trotz seiner schweren
Löslichkeit in Wasser gut resorbiert. Zur Bestimmung der Resorption
genügt die Hippursäurebestimmung im Harn, da Eibon wahrscheinlich
im Körper so oxydiert wird, dass es in die Benzoesäure- und Paraamino-
phenolgruppe zerfällt. Die Benzoesäure wird dann bei reichlichem Vor¬
handensein von Glykokoll als Hippursäure ausgeschieden. In Tierver¬
suchen der chemischen Fabrik wurden etwa 29 pCt. des eingeführten
Eibons im Kote wieder aufgefunden, mithin also 71 pCt. resorbiert, doch
betrug die im Harn ausgeschiedene Menge nur etwa 57,5 pCt. des ein-
gebrachten Eibons. Ich habe nun die Resorption beim Menschen zu be¬
stimmen versucht. Nach Analogie des angeführten Tierversuches wurde
zunächst die Benzoe- und Hippursäureauscheidung ohne Eibondarreichung
bestimmt; dann wurden 5,0 g Eibon innerhalb zwei Stunden gegeben
und die in den nächsten drei Tagen ausgeschiedene Benzoe- und Hippur¬
säure festgestellt. Abzüglich der sonst vorhandenen Benzoe- und Hippur¬
säure ergibt diese ein Maass für die Eibonresorption:
ohne Eibon beträgt die tägliche Benzoe- und Hippursäure¬
ausscheidung . 0,065 g
nach 5,0 g Eibon beträgt in 3 Tagen die Benzoe- und
Hippursäureausscheidung. 2,239 „
minus 3 mal physiologische Benzoe- und Hippursäure-
ausscheidung ..0,195 g
für Eibon geltende Benzoe- und Hippursäureausscheidung . 2,044 g
für 5,0 g Eibon berechnete Benzoe- und Hippursäure > < 3,100 „
Nach diesem Versuche dürften also 65,9 pCt. des eingefübrten Eibons
zur Resorption gelangen. Kamphausen ist es gelungen, wenn er
Tieren genügend grosse Mengen Eibon gab, im Lungensekret Benzoe¬
säure nachzu weisen.
Wie äussert sich nun die Eibonwirkung? Nach Minnich’s An¬
gaben werden die Maximal- und Minimalamplituden der Temperaturkurve
gedämpft; das Fieber geht langsam, Tag für Tag um wenige Zehntel¬
grade, herunter. Diesen Einfluss des Eibons auf die Temperatur bin ich
in der Lage, durch zwei Kurven zu illustrieren (s. Kurve 1 und 2). In
beiden Fällen handelte es sich um Patienten mit grossen und zahl¬
reichen Cavernen, die mit ziemlich hohen Temperaturen in die Behand¬
lung mit Eibon eintraten. Wenn sich auch physikalisch eine Besserung
des Lungenbefundes nicht nachweisen liess — waren es doch beides
Kurve 1.
40°
39 (
aff
57'
56'
A
7
\A
7
Vr
7
Sept. 17 18. 19 20 21 22 23. 24. 25. 26. 27 28. 29 30.
Gustel Z., 18 jähriges Dienstmädchen, progrediente Tuberkulose.
Täglich 4 mal 1 Eibontablette.
Kurve 2.
o7
•0
d
7*
0
Y
7"
Okt. 25. 26. 27 28.' 29. W 31.NOV.1. 2 3. 4. 5. 6. 7
Johannes H., 26 Jahre, Hämoptoe, progrediente Phthise.
Täglich 4 mal 1 Elbontablette.
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
915
ulceröse Endstadien und wurde eine objektive Besserung natürlich gar
nicht erwartet —, so fühlten sich doch die Patienten in dem Maasse,
als die Temperatur herunterging, subjektiv wohler. Auch in anderen
Fällen als in diesen ulcerösen Endpyrexien war ein Einfluss auf die
Temperaturkurve unverkennbar, der sich dahin äusserte, dass die Kurve
ihre Zacken verlor, ja, in manchen Fällen hielt sich die Temperatur
während des ganzen Tages auf annähernd derselben Höhe, so dass man
bei der geringen Differenz von nur 1 oder 2 Zebntelgraden von einer
Maximal- und Minimaltemperatur gar nicht sprechen konnte. Dies war
besonders der Fall, wenn die Anfangsstadien mit subfebrilen Tempera¬
turen, jedoch verhältnismässig breiter Temperaturamplitüde in die Elbon-
behandlung kamen.
Einen weiteren Einfluss des Eibons, auf den Minnich schon hin¬
weist, konnten auch wir feststellen. Es ist das die Besserung des
Sputums, sowohl quantitativ wie auch qualitativ. Diese Sekretions¬
beschränkung, die ja von der Benzoesäure schon längst feststand, war,
wie bei Minnich, so auch bei uns in einigen Fällen derartig stark,
dass wir namentlich natürlich bei Patienten mit Cavernen das Mittel
auszusetzen gezwungen wurden. Aber auch qualitativ besserte sich das
Sputum. Nach läogere Zeit fortgesetzter Eibonbehandlung nahmen die
Tuberkelbacillen im Sputum auffallend an Zahl ab. Desgleichen ver¬
ringerte sich die Menge der Staphylo- und Streptokokken, die in der
Regel, da es sich ja meist um bereits eingetretene Mischinfektion handelte,
anfangs recht zahlreich vorhanden waren.
Der Zimtsäuretherapie Land er er’s ist es vorgeworfen worden, dass
sie die Neigung zu Lungenblutungen verstärke. So maobt besonders
Frankel auf diesen Umstand aufmerksam. Wir haben Eibon bei
mehreren Patienten mit Lungenblutungen gegeben, mitunter sogar bei
frischer Hämoptoe; in drei Fällen kam die Blutung auch bei gleich¬
zeitiger Eibonbehandlung zum Stehen, und die Patienten blieben während
der ganzen Zeit der weiteren Elbonkur frei von Hämoptoe. Nur in
einem vierten Falle (Fritz B. [854], progrediente Phthise) trat nach
längerer Eibondarreichung ein Hämoptoe auf, von der wir den Eindruck
hatten, dass sie durch das Eibon begünstigt worden war. Die Blutung
dauerte relativ lange Zeit und kam erst, als wir das Eibon aussetzten,
sum Stehen; sie kehrte wieder, als wir nach einiger Zeit von neuem
einen Versuch mit Eibon zu machen uns entschlossen hatten. Dieses
Verhalten zwang uns, das Eibon überhaupt bei diesem Patienten fort¬
zulassen. Die zwei Monate, die er dann noch lebte, hatte er keine
Blutung mehr zu überstehen. Ob dieses Zusammentreffen von Hämo¬
ptoe und Elbonkur nur zufällig war, müssen weitere Erfahrungen lehren.
Rein theoretisch betrachtet kann wohl zwischen beiden ein innerer Zu¬
sammenhang bestehen. Nach histologischen Untersuchungen, die
Richter an tuberkulös infizierten und mit Zimtsäure behandelten Kanin¬
chen ausgeführt hat, kommt es unter dem Einfluss der Zimtsäure zu
einer Entzündung um die tuberkulösen Herde, die sich zunächst in
Capillarektasie äussert.
Wenn nun der Einschmelzungsprozess der tuberkulösen Herde
rascher vor sich geht als die reparative Entzündung, so sind jene an¬
fänglichen Capillarektasien, die noch nicht junges Bindegewebe schützend
umschliesst, in hohem Maasse gefährdet. Werden sie arrodiert, so wird
es zu Blutungen kommen, die mehr den Charakter einer parenchymatösen
Blutung tragen, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Blutungen bei der
Lungentuberkulose aus grösseren Gefässen, bzw. geplatzten Aneurysmen,
d. i. die Eibon- bzw. Zimtsäureblutung wird längere Zeit mit derselben
nicht allzugrossen Stärke andauern. Dieses Verhalten zeigte die Häm¬
optoe bei unserem Patienten, der 5 Tage lang ununterbrochen geringe
Mengen Blut aushustete, was den Eindruck machte, als ob das Blut
aus einem Schwamm hervorsickerte. Nach diesen Erörterungen darf
man der Zimtsäuretherapie den Umstand, dass die Neigung zu Hämoptoen
durch sie vielleicht vermehrt wird, nicht zum Vorwurf machen, im
Gegenteil, es ist diese vermehrte Neigung, die ja doch nur bei sowieso
verlorenen ulcerösen Endstadien in die Erscheinung treten wird, nur ein
Beweis mehr für die Wirksamkeit des Mittels, ein Ausdruck dafür, dass
in der Tat reparative Vorgänge an den tuberkulösen Herden stattfinden.
Damit ist gleichzeitig angedeutet, dass es überall da, wo es noch zu
keiner Einschmelzung tuberkulösen Gewebes gekommen ist, am ehesten
möglich sein wird, mit der Elbonbehandlung volle Erfolge zu erzielen,
während es an den Stellen, wo schon Einschmelzungscavernen bestehen,
von der Stärke und Ausdehnung der Einschmelzung abhängen wird, ob
Besserungen erreioht werden können, ln demselben Sinne hatte sich ja
auch Länderer bereits über die Grenzen der Zimtsäurebehandlung ge-
äussert, insofern, als er in jener Arbeit sich nur bei Cavernen ohne be¬
trächtliches Fieber, eben als Ausdruck geringer Ulceration, noch Besse¬
rung verspricht, während auch er Cavernen mit starker Neigung zu
fortschreitender Einschmelzung, kenntlich am hohen, kontinuierlichen
Fieber, stets für aussichtslos hält. Dieselben Grenzen mussten sich
natürlicherweise auch bei der praktischen Erprobung des Eibon ergeben,
über die W. Minnich zuerst und kürzlich Camphausen berichtet
haben. Solange man sich die Fälle für die Elbonbehandlung auswählt
nach Maassgabe jener theoretischen Ueberlegungen und praktischen Er¬
fahrungen, die bereits gemacht worden sind, wird man mit ihr Erfolge
zu erzielen wohl in der Lage sein.
Aus dem Erörterten heraus möchte ich nun auch blcgs den Lungen¬
befund bei physikalischer Untersuchung von den Fällen im folgenden
anführen, die innerhalb jener eben bezeichneten Grenzen liegen. Denn
dass bei Fällen jenseits dieser Grenzen subjektive und auch vorüber¬
gehende objektive Besserungen aufgetreten sind, spielt ja für die kli¬
nische Bewertung des Mittels keine grosse Rolle.
1. Hermann P., 35 jähriger Maler (431). Pat. bietet bei Beginn
der Elbonbehandlung folgenden Befund dar: Subfebrile Temperatur 87,5,
87,8, 88,0°. Lunge: Rechts vorn im Bereiche des Lobus superior et
medialis, sowie links hinten im Bereiche des Lobus superior feuchte,
mittel- und kleinblasige Rasselgeräusche. Schallfeld links hinten ein¬
geengt. Rechts vorn oben Schallverkürzung. Sputum enthält reichlich
Tuberkelbacillen. Es werden 4,0 g Eibon täglich gegeben. Nach etwa
vierwöchiger Elbonbehandlung verlässt Pat. das Krankenhaus zur weiteren
Heilstättenbehandlung; er bietet folgenden Entlassungsbefund: Dämpfungs¬
verhältnisse wie anfangs. Rechts vorn supra- und infraclavicular bis
zur zweiten Rippe auf der Höhe des Inspiriums vereinzeltes leichtes
Rasseln. Links hinten im Bereiche des Lobus superior abgeschwächtes
Atmen und mitunter leichtes leises Rasseln. Sputum sehr gering,
Tuberkelbacillen noch vorhanden, doch sehr spärlich. Temperatur nicht
über 87,8°. Mithin wesentliche Besserung.
2. Fritz G., 19 jähriger Arbeiter (893). Beginn der Elbonbehandlung
am 25. IX. 1912 mit folgendem Befund: Temperatur abends stets 87,6
bis 37,8°. Lunge: Untere Grenze beiderseits gut verschieblich. Hinten
links unten etwa drei Querfinger breite geringe Schallverkürzung. Hinten
links oben Schallfeld um einen Querfinger breit beiderseits eingeschränkt.
Vorn rechts oben über der Clavicula Schallverkürzung. Hinten rechts
neben dem zweiten Brustwirbel Dämpfung. Im Bereiche der Dämpfungen,
mit Ausnahme der letzteren, Rasseln und hinten links unten Bronchial¬
atmen. Sputum enthält reichlich Tuberkelbacillen. Es werden nun
4,0 g Eibon täglich gegeben. Die Temperatur sinkt ständig um kleine
Beträge. Sputum wird geringer. Bei der Entlassung zu Anfang No¬
vember ist Pat. völlig frei von Temperatursteigerungen; Auswurf hat er
überhaupt nicht mehr. Hinten links unten keine Schallverkürzung mehr,
kein Rasseln, vesiculäres Atmen. Hinten links oben ist das Schallfeld
in derselben Ausdehnung eingeschränkt wie bei der Aufnahme, auch die
Dämpfung hinten rechts neben dem zweiten Brustwirbel besteht noch
(Bronchialdrüsen?). Hinten links oben ist das Atmen etwas abge¬
schwächt, doch finden sich keine Rasselgeräusche noch sonstigen An¬
zeichen eines noch bestehenden Katarrhs. Ausserdem beträchtliche Ge¬
wichtszunahme.
3. Benno B., 16 jähriger Arbeiter (1148). Pat. wird am 11. XI. 1912
mit Hämoptoe eingeliefert. Sofortiger Beginn der Elbonbehandlung;
Blutung steht am nächsten Tag vollständig. Temperatur bis 39,2°.
Der nach einigen Tagen aufgenommene Lungenbefund ist folgender:
Links oben vorn und hinten verschärftes Inspirium, verlängertes Ex-
spirium, vereinzeltes Giemen. Links hinten Dämpfung. Sputum ent¬
hält Tuberkelbacillen. Entlassungsbefund vom 18.1. 1918: Hinten und
vorn links oben in derselben Ausdehnung wie bei der Aufnahme etwas
rauhes Atmen, kein Giemen und kein Rasseln. Die Schallverkürzung
hinten links besteht noch. Keine Bacillen mehr in dem sehr spärlich
gewordenen Sputum aufzufinden. Pat. ist fieberfrei.
4. Otto T., 34 jähriger Gürtler (1069). Pat. wird wegen Morphium¬
vergiftung eingeliefert, die er wegen zu starken Hustens versucht hat.
Temperatur 38,2°. Der bei eingeleiteter Elbonbehandlung erhobene
Lungenbefund ist folgender: Ueber beiden Spitzen vorn supraclavicular
und infraclavicular bis zur zweiten Rippe, hinten in gleicher Ausdehnung
Dämpfung und in diesen Bezirken Rasseln; das Sputum enthält massen¬
haft Tuberkelbacillen. Bei der Entlassung hatte sich der Befund inso¬
fern gebessert, als die Maximaltemperatur bis auf 37,5° heruntergegangen
und das Sputum spärlicher und ärmer an Tuberkelbacillen geworden
war. Die Dämpfung bestand in derselben Ausdehnung wie im Anfang,
doch war das Rasseln nur noch vereinzelt, bei tiefen Inspirationen zu
hören.
5. Minna B., 28 jährige Ehefrau (831). Beginn der Elbonbehandlung
am 9. IX. 1912. Die Lungen bieten folgendes Bild: Hinten rechts unten
vom Angulus scapulae abwärts, über beiden Spitzen hinten, vorn supra-
und infraclavicular bis zur zweiten Rippe beiderseits reichliches Rasseln.
Das Schallfeld hinten rechts oben ist um einen Querfinger breit von
beiden Seiten her eingeschränkt Sputum ist reichlich und enthät viel
Tuberkelbacillen. Temperatur subfebril bis 37,8° mit Tagesschwan¬
kungen von 8 / 10 — u /io°* Bei der Entlassung am 19. X. 1912 konnte
folgender Befund erhoben werden: Das rechte Schallfeld ist immer noch
in demselben Maasse wie anfangs eingeschränkt, jedoch findet sich hier
kein Rasseln mehr. Auch hinten rechts unten findet sich nur bei ganz
tiefer Inspiration vereinzeltes leises Knacken, kein eigentliches Rasseln
mehr. Die linke Spitze ist ganz frei. Sputum hat die Pat. überhaupt
nicht mehr. Die Temperatur gebt nie mehr über 37,2°, die Tages¬
schwankungen betragen höchstens 2 / 10 °.
6. Klara V., 19 jähriges Dienstmädchen (923). Beginn der Elbon¬
behandlung am 30. X. 1912 mit folgendem Befund: Vorn links oben
supraclavicular Dämpfung mit tympanitischem Beiklang, hier in dem
Bereich der Dämpfung grossblasiges Rasseln zu hören. Hinten links
oben Schallfeld von beiden Seiten um je einen Querfinger breit einge¬
schränkt, auch hier Rasseln. Rechts keine Schallverkürzung; vorn jedoch
Rasseln bis zur zweiten Rippe. Auswurf sehr spärlich, jedoch reichlich
Tuberkelbacillen zu finden. Temperatur subfebril bis 37,9°. Am
12. XI. tritt Hämoptoe auf, die bei weitergegebenem Eibon wieder zum
Stehen kommt. Entlassungsbefund vom 14. XII. 1912: Es ist weder
rechts noch links, auch nicht an jener Stelle auf der Höhe der dritten
Rippe, irgendwelches Rasseln zu hören, dagegen sind die Dämpfungen
in demselben Umfange wie anfangs nachweisbar. Röntgendurchleuchtung
3 *
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916
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
zeigt rechts oben eine Narbe, die rechte Lunge frei Yon Cavernen, da¬
gegen im linken Oberlappen eine etwa haselnussgrosse Caverne an jener
Stelle, wo das grossblasige Rasseln anfangs zu hören war. Pat. hat
überhaupt kein Sputum mehr. Mazimaltemperatur bis 37,4°.
Diese sechs angeführten Fälle beweisen mit ihrem objektiven
Lungenbefund das, was oben behauptet wurde; leichte Fälle, wie Fall 1,
2, 4, 5, werden wesentlich gebessert; Fall 2 bedeutet doch geradezu
eine Heilung, ob diese freilich von Dauer sein wird, ist ja allerdings
fraglich. Fall 3 und 6 mit Hämoptoe und zweifellos Cavernen deuten
darauf hin, dass es, solange der Einschmelzungsprozess nicht zu lebhaft
vor sich geht, was sich in diesen Fällen durch die verhältnismässig ge¬
ringe Temperatur zu erkennen gibt, möglich ist, wesentliche Besserungen
zu erzielen; selbst die Cavernen reinigen sich, was sich im Fall 6 durch
das Verschwinden der grossblasigen Rasselgeräusche kenntlich machte.
Die 10 Fälle von Luugentuberkulose, die wir sonst noch mit Eibon
behandelt haben, lagen jenseits der oben geschilderten Grenzen, wie es
ja natürlich ist, dass dem Krankenhaus mehr schwere als leichte Fälle
zur Behandlung^anheimfallen. Wenngleich auch hier sich ein gewisser
günstiger Einfluss der Elbonbehandiung nicht leugnen lässt, wie es
z. B. aus der Temperaturerniedrigung der beiden mitgeteilten Kurven
ersichtlich ist, so war doch die Besserung stets nur vorübergehend und
der Einscbmelzungsprozess schon so weit vorgeschritten, dass er nicht
mehr dauernd aufgehalten_werden konnte.
Fragen wir nun, auf welche Weise die Wirkung des Eibon zustande
kommt, so wird es sich darum handeln, zu entscheiden, ob seine Wir¬
kung nuralsjrein^antiaeptische aufgefasst werden soll oder nicht. Wie
bereits eingangs erwähnt ist, dürften die Mengen der ja an und für sich
antiseptisch wirkenden Mittel, wie Benzoe und Zimtsäure, zu gering sein,
um allein auf diese Weise eine Wirkung erzielen zu können. Für die
Zimtsäure haben bereits Richter und Spiro nachgewiesen, dass eine
erhebliche Vermehrung (um mehr als das Dreifache) der Leukocyten
stattfindet, die sich auch im Arterienblute feststellen lässt, so dass sie
auf eine vermehrte Bildung in den hämatopoetischen Organen zu be¬
ziehen ist. Ich habe auch in einigen Fällen einige Zeitlang die Leuko-
cytenzahl bestimmt. Ueber diese Verhältnisse gibt die folgende Tabelle
Auskunft:
Datum
Minna B. (831)
Leukocyten
Fritz B. (854)
Leukocyten
Herrn. P. (431)
Leukocyten
Fritz G. (893)
Leukocyten
11. IX.
8000
12000
10 000
18. IX.
13 300
13 000
12000
—
25. IX.
16 250
18 750
20 000
9 175
2. X.
16 300
20 000
—
12 500
Die Messungen sind stets zu derselben Zeit, morgens zwischen 6
und 7 Uhr, nüchtern ausgeführt worden in Abständen von 8 Tagen.
Kon trollun Versuchungen ergaben, dass bei Patienten ohne Eibon sich
die Zahl der Leukocyten annähernd auf gleicher Böhe hielt.
Während bei der intravenösen ZimtsäureiDjektion die Vermehrung
der Leukocyten wohl beträchtlicher war, sich aber in 24 Stunden bereits
wieder die alten Verhältnisse einstellten, ist die Vermehrung bei der
internen Eibondarreichung geringer, aber stetiger bei allmählichem lang¬
samen Anstieg. Auf dieser Vermehrung der Leukocyten, die ja als die
Scbutztruppen des Körpers längst anerkannt sind, beruht meiner Meinung
nach in erster Linie die Wirksamkeit der Eibontherapie. Ob neben der
Vermehrung der Zahl der Leukocyten auch eine Stärkung bzw. Hebung
ihrer Schutzkräfte eintritt, ist noch unentschieden, jedoch zu erwarten
nach Analogie des Einflusses stark verdünnter Säuren auf die Lebens¬
tätigkeit einzelliger Organismen, die eine wesentliche Steigerung erfährt.
Neben diesen Fällen von Lungentuberkulose haben wir eine ganze
Reihe von Lungenentzündungen mit Eibon behandelt. Wenn es auch
selbstverständlich nicht gelingen wird, den Gampher aus seiner domi¬
nierenden Stellung zu verdrängen, so hat uns doch das Eibon in manchen
Fällen ganz wesentliche Dienste geleistet.
Besonders bemerkenswert ist ein Fall, in dem beide Lungen mit
Ausnahme des rechten Oberlappens hepatisiert waren. Die Patientin
war ganz blau, Campher und Sauerstoffinhalationen besserten die Farbe
nicht, erst durch langsame, ständige Sauerstoffinfusion unter die Haut
verlor sich die Blaufärbung und machte natürlicher fieberhafter Rot¬
färbung Platz. Das Fieber dauerte 12 Tage, bis wir an diesem Tage
mit der Elbonbehandiung einsetzten, worauf das Fieber fiel, der Husten
und die Sekretion geringer wurde. Dass das Fallen des Fiebers durch
das Eibon hervorgerufen wurde und nicht zufällig war, dürfte daraus
hervorgehen, dass es von Tag zu Tag nur um wenige Zehntelgrade fiel,
also nach Art der bisher beobachteten Eibonwirkung.
Zusammenfassung:
1. Eibon wird zu etwa 66 pCt. vom menschlichen Körper re¬
sorbiert.
2. Eibon bewirkt eine Vermehrung der Zahl der Leukocyten.
3. Die Temperatur sinkt nach Eibondarreichung langsam, Tag für
Tag um wenige Zehntelgrade.
4. Das Sputum bessert sich, sowohl hinsiohtlich der Menge, wie
auch des Gehaltes an Tuberkelbacillen.
5. Anfangsstadien mit subfebrilen Temperaturen werden derart ge¬
bessert, dass bei genügend langer Behandlung eine Heilung erzielt
werden kann; Tuberkulosen mit Cavernen, jedoch geringer Einsohmelzungs-
tendenz, kenntlich an dem nicht allzu hohen Fieber, erfahren auch noch
eine wesentliche Besserung; Tuberkulosen mit Cavernen und hohem
Fieber als Kennzeichen starker Einschmelzungstendenz werden nur sub¬
jektiv und höchstens vorübergehend objektiv gebessert.
6. Lungenentzündungen werden durch Eibon in durchaus günstiger
Weise beeinflusst.
Zur Chemie der Zelle.
Von
P. 6. Unna.
III. Die sauren Kerne.
Von
P. G. Unna und Eugen Wolf.
Bereits seit 18 Jahren ist ein kleiner Kreis von Aerzten mit
den „sauren Kernen“ gut bekannt, welche zunächst allerdings in
pathologischer Haut (Lepra, Lupus, Condyloma accuminatnm,
Purpura senilis) gefunden wurden, sich aber sehr bald als ein
regulärer Bestandteil aller tierischen'Gewebe erwiesen.
Das allgemeinere Interesse, welches diese Kernart daher verdiente,
bat sie bisher nicht gefunden, weder bei Anatomen noch Patho¬
logen, weder bei Embryologen noch Zoologen. Diese eigentüm¬
liche Beschränkung der Bekanntschaft eines regelmässigen Gewebs-
teiles auf einen Kreis von Dermatologen beruht keineswegs auf
einer besonders schwierigen Darstellung der sauren Kerne; die¬
selbe ist vielmehr eine höchst einfache. Sie bedarf auch keiner
neuen, wenig bekannten Färbetechnik, sondern nnr der seit langem
als Entfärbungsmittel bekannten Substanzen: Tannin oder Jod, wie
denn die überall geübten Gentiana-Jod-Methoden zu den besten
Darstellungsweisen der sauren Kerne gehören.
Der sonderbare Umstand, dass trotzdem die Lehre von den
sauren Kernen bisher zu den histologischen Gebeimlebren gehörte,
ist vielmehr einfach darauf zurückzuführen, dass die mit über¬
wältigender Macht über alle Biologen herein brechende and seitdem
unsere Anschauungen gestaltende Mitosenlehre mit den sauren
Kernen nichts anzufangen wusste. Denn die sauren Kerne weisen
keine Mitosen auf; ihnen fehlt das, was die Kerne bis heute in
den Mittelpunkt des histologischen Geschehens und Interesses ge¬
rückt bat. Das ist jetzt anders geworden. An den Kernen inter¬
essiert heute nicht nur ihre Potentia geueraudi, sondern fast
ebensosehr ihre Fähigkeit, den für das Gewebe notwendigen
aktiven Sauerstoff zu beschaffen, und wir können gleich hier ver¬
raten, dass die bisher so wenig gewürdigten sauren Kerne gerade
diese Kerneigenscbaft in besonders hohem Grade besitzen. Sie
haben unter Verlust der Potentia generandi, aber ohne die Fähig¬
keit der Sauerstoffaktivation zu verlieren, sich ansserdem za
Sauerstoffspeichern ersten Ranges umgebildet.
Diese neuen Erfahrungen über saure Kerne besitzen ein so
weittragendes chemisches und physiologisches Interesse, dass voo
nun an wohl alle biologischen Disciplinen sich eingehend mit
ihnen beschäftigen werden.
Da aber die Bekanntschaft mit ihnen hente noch sehr wenig
verbreitet ist, können wir ans nicht der Pflicht entziehen, die¬
selben morphologisch noch einmal kurz zu schildern.
Während in normalen Kernen das saure Chromatingerüst und
die sauren Nucleolen in einer grösstenteils basischen, durch basische
Farben mithin nicht färbbaren Grundsubstanz liegen, gibt es auch
total saure Kerne, in denen sich auch die Grundsubstanz mit
basischen Farben färben lässt. Diese ganz sauren oder kurz:
sauren Kerne zeichnen sich ausserdem durch ihre besondere Grösse
und meist ellip>oidische Gestalt aus.
„Ihr zahlreiches Auftreten bei pathologischen Prozessen and
besonders bei solchen, welche mit einer Ueberproduktion von
Zellen einhergehen, spricht dafür, dass denselben innerhalb der
ganz normalen Entwicklung der Zellenkerne keine Stelle zukommt.
Andererseits beweist aber ihr vereinzeltes Vorkommen in der
normalen Haut, und zwar an Stellen, wo sich gleichzeitig eine
einfach regressive Metamorphose des Protoplasmas findet, nämlich
im Fettgewebe, dass pathologische Ursachen für ihre Entstehung
nicht gerade*notweudig sind. Wir haben die sauren Kerne also
wohl jedenfalls aufzufassen als das Resultat einer stets möglichen,
aber doch von der Norm abweichenden Entwicklungsricbtung, zu
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT*.
der nur unter pathologischen Verhältnissen häufiger Gelegenheit
gegeben ist.
Die Verteilung der sauren Kerne bei den Epithelgeschwülsten
(Condyloma acuminatum usw.) lehrt uns ferner, dass diese ab¬
weichende Entwicklung bereits an den jüngsten, der Bindegewebs-
grenze direkt aufsitzenden Epithelien fertig ausgebildet sein kann,
mithin durchaus nicht an ein besonderes Alter der Zellenkerne
geknüpft ist. Und ferner bemerkt man an solchen Präparaten
mit sauren Epithel kernen, dass in den verschiedenen Zellen¬
schichten die sauren Kerne in Gestalt, Farbenreaktion und Art
der Chromatinverteilung sich auffallend gleichen, während die
benachbarten basischeu Kerne in ihrer Form, Tingibilität und der
Art des Chromatingerüstes von der Bindegewebsgrenze an aufwärts
allmählich bedeutende und zwar regressive Veränderungen er¬
kennen lassen. Abgesehen von einer totalen und nicht bedeutenden
Schrumpfung weisen die sauren Kerne kaum eine Veränderung
auf, auch wo sie bereits in den Bereich der Verhornung gezogen
werden; sie färben sich fast noch ebenso Btark mit basischen
Farben, weisen noch in derselben Art, wie in den jnngen Epi¬
thelien, ein oder zwei Kernkörperchen und ein schwaches Gerüst
von Chromatinfäden auf, welche wegen ihrer gleich starken
Basopbilie innerhalb der Kerngrundsubstanz nur wenig hervortreten.
Es scheint mithin, dass die sauren Kerne dadurch, dass die
saure Beschaffenheit des Chromatins sich dem ganzen Karyoplasma
frühzeitig mitgeteilt hat, in abnorm konstante Gebilde umgewandelt
sind. Nehmen wir nun noch die Tatsache hinzu, dass die sauren
Kerne auch meistens grösser sind, als die normalen basischen
Kerne, was besonders auffällig bei den Bindegewebszellen der
Cutis (z. B. in Lepromen) hervortritt, so liegt der Gedanke nahe
genug, in ihnen sterile Gebilde zu sehen, welche durch
Abgabe von Chromatin an die Kerngrundsubstanz ihre
normale Entwicklungs- und Teilungsfähigkeit verloren
haben“ 1 ).
Diese eigentümlichen Kerngebilde gestatten uns „einen Blick
in die Kehrseite des Zellenlebens, und wir können uns über die
Menge der Zellen vergewissern, welche von dem Produktions-
gescbäft ausgeschlossen sind. Wo sich viele saure Kerne unter
den gewöhnlichen (mit neutral oder basisch reagierender Kern-
grundsubstanz) eingestreut finden, da werden die Zellen zum Ver¬
harren in statu quo neigen und an ihrer Reproduktionskraft Ein¬
busse erlitten haben. Die Potentia generandi eines Ge¬
webes steht im umgekehrten Verhältnis zur Ausbildung
saurer Kerne“ 2 * ).
Wir haben diese alten Arbeiten nicht referiert, sondern direkt
citiert, um zu zeigen, dass in den verflossenen 18 Jahren an der
Lehre von den sauren Kernen der Hauptsache nach sich nichts
geändert hat. Nur in einem Punkte ist allerdings eine wichtige
Veränderung und Erweiterung unserer Kenntnisse zu verzeichnen.
Die saure Substanz, welche die Grundsubstanz bei den sauren
Kernen basophil macht, ist nämlich nicht, wie eben citiert, baso¬
philes Chromatin, sondern wie die neuen Färbemethoden ergeben:
basophiles Nucleolin.
In einer weiteren Arbeit über die Darstellung der sauren
Kerne in normalem und pathologischem Gewebe 8 ) wurde gezeigt,
dass die hierzu notwendige Beize (Tannin) den sauren Kernen
eine andere Farbe verleiht wie dem Cbromatin, nämlich eine
metachromatische (violett bei der Färbung mit polychromer
Methylenblaulösung, rot bei Färbung mit Gentianaviolett) und
dass zur Fixation Chromsäure und Zenker’s Lösung nicht ge¬
eignet sind, wohl aber ausser Alkohol Müller’s und Flemming’s
Lösungen. Hier finden sich auch genaue Angaben über die für
pathologische und normale Gewebe geeigneten Färbungen der
sauren Kerne. Mittelst dieser untersuchte dann Hensel 4 * * ) die
sauren Kerne der gesunden Haut und fand, dass sie ein normaler
Bestandteil in allen Lebensaltern sind. Sie kommen schon beim
Embryo vor. Individuell ist ihre Menge sehr schwankend. Am
meisten enthalten in allen Fällen die Knäueldrüsen.
Die wichtigste neue Erfahrung in bezug auf die sauren Kerne
ist, wie eben schon gesagt, ihre chemische Verwandtschaft mit
1) Unna, Zur Kenntnis der Kerne. Monatsh. f. prakt. Dermatol.,
1895, Bd. 20, S. 604.
2) Unna, Saure Kerne. Deutsche Medizinal-Ztg., 1895, Nr. 42,
S. 4 (des Sonderabdr.).
8) Unna, Die Darstellung der sauren Kerne in normalem und patho¬
logischem Gewebe. Monatsh. f. prakt. Dermatol., 1905, Bd. 41, S. 358.
4) Ben sei, Ueber saure Kerne in der normalen Baut. (Aus Unna’s
Dermatologicum.) Monatsh. f. prakt. Dermatol., 1905, Bd. 41, S. 581.
Hier sind auch viele Färbemethoden genauer angegeben.
91?
demjenigen basophilen Nucleolin, welches sich ausser Nuclein
noch in den Kernkörperchen befindet. Im vorigen Artikel 1 ) wurde
gezeigt, dass diese saure Substanz eine Globulinsubstanz ist und
demgemäss haben wir auch in den sauren Kernen Globulin zu
erwarten.
In der Tat sind eigentlich alle spezifischen basischen Fär¬
bungen 2 ) der Kernkörperchen, die man auch kurz: Globulin-
färbungen nennen kann, zugleich solche für saure Kerne. Die
einfachste ist die folgende: 1. Polychrome Methylenblaulösung
2 Minuten; 2. Abspülen in Wasser; 8. 26proz. wässrige Tannin¬
lösung 10—15 Minuten; 4. Wasser, Alkohol, Oel, Balsam.
Auf einem schwach bläulichen Hintergründe treten allein zwei
Elemente dunkel hervor, die blauschwarz gefärbten Kernkörperchen
und die dunkelblauen sauren Kerne, in denen die Kernkörperchen
noch tiefer gefärbt sich abheben. Statt der polychromen Metbylen-
blaulösung kann man auch Safranin oder das gewöhnliche Carbol-
fuchsin benutzen, muss aber in letzterem Falle zur leichteren
Entfärbung der Tanninlösung etwas Orange zusetzen. Die Spezi-
fizität dieser Färbungen beruht auf der Eigenschaft des Tannins,
in starker Konzentration nur mit Globulin und den basischen
Farben eine feste Tripelverbindung zu geben, während die anderen
sauren Eiweisse (Cytose) gelöst oder (Nuclein) entfärbt werden.
Eine zweite Art der Färbung der sauren Kerne beruht auf
einer ähnlichen Affinität des Jods einerseits zu basischen Farben,
andererseits zum Globulin: 1. Gentiana -f- Alaunlösung (Grübler)
(oder Gentiana-)- Anilinlösung) 2 Minuten; 2. Wasser; 3. Lugol’sche
Lösung 2 Minuten; 4. Wasser, Alkohol, Oel, Balsam.
Eine dritte gute Färbung gleichzeitig für saure Kerne und
Kernkörperchen beruht auf einem anderen Prinzip, welches auch
bei der Färbung der Protozoenkerne eine Rolle spielt. Sättigt
man nämlich zuerst die oxyphile Grundsubstanz der sauren Kerne
mit Eosin dadurch ab, dass man die Schnitte x / 4 — 1 f 2 Minute in
eine rotstichige, wässrige Eosinlösung legt, so färben sich jetzt
die sauren Kerne wie die Kernkörperchen schon normalerweise
auch mit dem Pyronin der Nuclein-Nucleolin-Färbung (modifizierte
Pappenheim-Unna-Färbung). Die pyroninroten sauren Kerne
zeigen noch im Innern ein grünes Nucleingerüst neben einem oder
zwei dunkelroten Kernkörperchen.
Bei diesen spezifischen Färbungen der sauren Kerne zeigen sie
nicht immer dieselbe Tiefe der Färbung wie die Kernkörperchen;
so überwiegt bei den Gentiana-Jod-Methoden gewöhnlich die Fär¬
bung der sauren Kerne, bei der Safranin-Tannin-Methode die der
Kernkörperchen. Ausser Jod und Tannin kann man natürlich
auch andere Substanzen als Beizen für saure Kerne gebrauchen,
welche Globuline fällen und mit basischen Farben Niederschläge
geben, z. B. Kali bichromicum, Eisenchlorid (1 pM.), Bleiacetat.
Neben diesen Färbungen, die nur die sauren Kerne und Kern¬
körperchen in spezifischer Weise hervorheben, hat eine vierte
Doppelfärbung für das Studium der sauren Kerne insofern grossen
Wert, als sie zugleich die gewöhnlichen (basischen) Kerne in
schärfstem Kontrast zu denselben darstellt, die Hämatein -j- Alaun-
Safranin-Tannin-Methode.
Die Alkobol-Celloidin-Schnitte erhalten zuerst mittelst irgendeiner
guten Hämatein -|- Alaun - Mischung eine kräftige Kernfärbung, werden
darauf besonders gut in Wasser abgespült, kommen auf 10 Minuten in
eine lproz. Safraninlösung und, wiederum gut in Wasser abgespült, in
eine 25 proz. Tanniniösung, bis die rote Farbe der Schnitte in eine rot¬
violette umschlägt. Darauf muss die überschüssige Gerbsäure sehr
gründlich ausgewaschen werden, ehe die Schnitte in Alkohol entwässert
werden und durch Bergamottöl + Xylol in Balsam kommen.
Auch bei dieser Doppelfärbuug sind allein die Kernkörperchen
und die sauren Kerne in den Epithelzellen rot gefärbt.
Besteht so eine völlige Uebereinstimmung der sauren Kerne
und Kernkörperchen gegenüber unseren Färbemetboden, so finden
wir eine nicht minder grosse, fast absolut zu nennende gegenüber
den Lösungs- und Fällungsmitttein der Globuline. Zu diesen Ver¬
suchen dienten Gefrierschnitte frischer spitzer Condylome, die
zum Schluss nach der Hämatein -f- Alaun-Safranin Tannin-Methode
gefärbt wurden. Der Uebersichtlichkeit wegen ordnen wir die
Versuche in eine Tabelle, in welcher in drei Rubriken die sauren
Kerne, Kernkörpereben und ein bestimmtes aus Milch frisch ge¬
wonnenes Globulin in ihrem Verhalten zu vielen Reagentien ver¬
glichen werden.
1) Siehe diese Wochenschr., No. 19, S. 871.
2) Die Färbuogsresultate beziehen sich alle auf Alkohol-Celloidin-
Schnitte von spitzen Condylomen.
4
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Original fro-m
UNIVERSUM OF IOWA
Ö18
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Saure
Kerne
Kern¬
körperchen
Globulin
Aqua destill., kalt, 24 Std.
+++ *)
+++
unlöslich
„ fontis 24 „
+++
+++
NaCl 36 pCt., kalt . . .
+++
+++
fi
* 18 „ „ ...
++
++
etwas gelöst
. 9 . » ...
+
+
fi »
. 8,6 . , ...
0
0
löslich
„ 36 „ bis 39° . .
+
+
unlöslich
f> 86 „ , 50«. .
+
+
„
ft 86 „ „ 750. .
++
++
„
» 86 , . 100*. .
+++
+++
„
Ammousulfat . . 72 pCt.
++
++
„
. • • 36 .
++
++
fi
ft • • 7,2„
0
0
löslich
Magnesiumsulfat . 86 „
++
++
unlöslich
0
0
löslich
Zinksulfat . . . 100 „
++
++
unlöslich
• ... 50 B
++
++
. • • • 1 .
0
0
löslich
H 2 S0 4 .... 10 n
0
0
. .... 1 .
+
+
unlöslich
.... 1 pM.
+
+
HCl.10 pCt.
0
0
löslich
..1 ,
+
+
unlöslich
..1 pM.
4-4-
++
n
H 8 P0 4 .... 10 pCt.
4-
+
n
•.1 .
4-
+
HNOg .... 5 „
0
0
löslich
....... 1 fi
4-
+
unlöslich
fi .Vs »
4-
+
fi
fi .Vi* fi
4-
+
„
Essigsäure . . . 100 „
0
0
löslich
* ... 50 ,
0
0
„
... 25 B
0
0
fi
. ... 10 B
4-
+
unlöslich
KOH.5 „
0
0
löslich
Soda.10 *
0
0
fi
-.1 ,
0
0
».1 P*.
0
0
„
Ammonsulfid . . 10 pCt.
0
0
fi • ■ 1 .
0
0
fi
. . 1 pM.
0
0
Ferrocyankalium . 2 pCt.
0
0
n
„ bei 50°
+
+
„
. . 75 #
+4-4-
+++
unlöslich
fi . ioo*
+++
+++
n
Essigsäure Tonerde . . .
0
0
löslich
Alaun . . 1 pCt.
0
0
„ . . lpM.
0
0
fi
fi . • 1 . bei 500
0
0
fi
« • • 1 . n 75 0
++
++
gerinnt
. • • 1 , fi ioo 0
++
++
V
bol. Calc. bisulfur. . . .
++
++
unlöslich
Sublimat .... 6 pCt.
+
+
*
Kuperacetat . . . 10 *
+
+
Lugol.
++
++
fi
JK + HgJj.
++
++
fi
Bleiacetat.
++
++
Platinchlorid.
++
++
f)
Phosphormolybdänsäure . .
++
++
Phosphorwolframsäure . .
++
++
Tannin.1 pCt.
++
++
..1 PM.
++
++
fi
Trichloressigsäure . 1 pCt.
++
++
Pikrinsäure . . . 1 „
Ferrocyankalium +
++
++
fi
Essigsäure . . . 2 *
+
+
fi
HCl + Pepsin, 4 Std. . .
fast 0
fast 0
etwas gelöst
« H- 9* 8 „ . .
0
0
fast ganz gelöst
0
0
löslich
1) Die Kreuze bedeuten Erhaltung bzw. Färbbarkeit, deren Anzahl
den Grad der letzteren. 0 bedeutet das Verschwinden des betreffenden
Gewebselementes.
Eine Durchsicht der vorstehenden Tabelle ergibt die absolute
Identität der Reaktionen der pyrouinophilen Substanz einerseits von
sauren Kernen, andererseits von Kernkörperchen und die ebenso
absolute Identität beider mit dem aus Kuhmilch gewonnenen
Globulin. Am überzeugendsten sprechen für die Identität mit
Globulinen die Kurven der Löslichkeit bei sämtlichen Neutral¬
salzen und Säuren. Schwache Lösungen der Neutralsalze lösen
gleichzeitig bei demselben Prozentgehalt die pyroniuopbile Sub¬
stanz der Kernkörperchen, der sauren Kerne und das Globulin,
so Zinksulfat und Magnesiumsulfat bei 1 pCfc., Kochsalz bei
3,6 pCt., Ammonsulfat bei 7,2 pCt., während stärkere Kon¬
zentrationen in allen Fällen nicht mehr lösend wirken. Bei
Schwefelsäure, Salzsäure und Salpetersäure beginnt die Unlöslich¬
keit der Gewebselemente und des Globulins gleichzeitig mit lpCt.,
bei Essigsäure mit lOpCt., während die höheren Prozente der
Säuren beides lösen. Phosphorsäure aber löst ausnahmsweise
sowohl die Gewebselemente wie das Globulin noch nicht bei
10 pCt. Interessant ist das verschiedene Verhalten der sauren
Salze. Essigsäure Tonerde und Alaun lösen alle 3 Substanzen
bei niederer, nicht bei höherer Temperatur; die Lösung von
saurem schwefligsaurem Calcium löst dagegen auch in der Kälte
nicht. In diesen Beziehungen verhalten sich also die Gewebs¬
elemente ebenfalls genau wie Globulin.
Nachdem wir nun die chemische Natur der sauren Kerne
erkannt und in ihnen dieselbe saure Eiweisssubstanz, dasselbe
Globulin, wie in den Kernkörperchen gefunden haben, ist es an
der Zeit, die Frage aufzuwerfen, wie denn die sauren Kerne ent¬
stehen. Wo wir dieselben vereinzelt zerstreut, z. B. im Binde¬
gewebe, im Fettgewebe, an den Blutcapillaren, antreffen, sind
sie immer voll ausgebildet und wir können ihnen nicht ansehen,
ob sie aus gewöhnlichen Kernen entstanden sind oder eine ganz
besondere Genese besitzen. Anders an solchen Orten, wo sie
gehäuft, in grossen Mengen auftreten, wie im Epithelgewebe.
Besonders empfehlen sich zum Studium ihrer Entwicklung die
Epithelgeschwülste der äusseren Haut. Durch den scharfen
Gegensatz der jungen Epithelien an der Bindegewebsgrenze und
der alten an der Verhornungsgrenze und die unverkennbare, ein¬
seitige Entwicklungsrichtung, von jener zu dieser, ist es hier ein
Leichtes, bei jedem sauren Kern allein durch seinen Ort das
Alter und die Entwicklungsstufe desselben zu bestimmen. Hier
kann man nicht im Zweifel bleiben, ob schon die Kerne der
jüngsten Epithelien sich wie saure verhalten, oder ob erst fertige,
ältere Kerne eine Umbildung in saure erleiden.
Das geeignetste Material unter den Epithelgeschwülsten liefert
auch hier das spitze Kondylom, welches bekanntlich nur aus
einer einfachen, aber hochgradigen Hypertrophie der Stachelschicht
besteht. Hier findet man die grössten Deckepithelien und die
grössten Kerne und wird durch keine Erweichungsprozesse, hya¬
line Degenerationen und sonstige sekundäre Veränderungen gestört.
Besonders klar tritt hier die Altersstufe jeder Zelle zwischen
Keimschicht und Hornschicht hervor. Dazu kommt als wesent¬
licher Umstand, dass das spitze Kondylom sowohl im Epithel
wie in seinem Bindegewebsstiel von sauren Kernen wimmelt. Sie
sind hier daher auch allen Dermatologen bekannt, die an dem¬
selben Objekte einmal mit der Gentiana • Jod - Methode nach
Epithelfasern und Herxheimer’schen Spiralen geforscht haben.
Bei der Färbung mit der Hämatein + Alaun-Safranin-Tannin-
Methode treten alle Kernkörperchen und sauren Kerne dunkel-
safraninrot hervor und heben sich prachtvoll von dem durch
Hämatein blauvioletten Chromatin aller sonstigen Kerne und dem
ebenso gefärbten Spongioplasma der Epithelien und des Kollagens
ab. Der erste Eindruck für jeden, der zum ersten Male solche
Färbungen ausführt, ist ein hochgradiges Erstaunen über die Fülle
von früher nicht gesehenen, sauren Kernen. Bei schwacher Ver-
grösserung sieht es zunächst so aus, als ob alle Kerne überhaupt
in diese (rote) Kategorie gehören. Stärkere Vergrösserung lehrt
aber bald, dass die gewöhnlichen Kerne mit basischer Grund¬
substanz in noch grösserer Anzahl dazwischen vorhanden sind
und nur ihrer Farbschwäche wegen nicht auffallen. Aber gerade
diese farbschwachen normalen Kerne der Stachelschicht, die
weder Hämatein stark noch Safranin überhaupt aufnehmen, haben
wir zunächst ios Auge zu fassen, um die Besonderheit der sauren
Kerne recht zu verstehen.
Ganz normale Epithelkerne besitzt eigentlich nur die Keim¬
schicht, die der Cutis direkt aufsitzt, und eine oder zwei darauf
folgende Reihen von Stachelzellen. Hier hat der Kern in der
Ruhe eine länglich ovale Gestalt, eine schwachblaue Grund-
substanz mit etwas dunkler blauem Kerngerüst und rotem Kern-
körpereben. Die etwas älteren Stachelzellen der mittleren Lagen
zeigen einen etwas grösseren, rundlichen und heller gefärbten
Kern. Diese Veränderungen beruhen auf einer Vermehrung der
Grundsubstanz der Kerne und einer Rarefaktion ihres Kern¬
gerüstes, während die Kernkörperchen ihre Gestalt und rote
Färbung beibehalten. Diese Veränderung der Kerne mit stärkerem
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
919
Hervortreten der Grandsubstanz und Zurücktreten des Chromatins
wird im allgemeinen za wenig beachtet; sie tritt auch als
normale Altersveränderung nicht überall so klar hervor,
wie gerade im Deckepithel. Weit bekannter ist die entgegen¬
gesetzte Alters Veränderung unter dem Namen der Pyknose der
Kerne, die in einem Schwund der Grundsubstanz und Zusammen¬
schrumpfen des zurückbleibenden Chromatingerüstes besteht.
Die abnorme Veränderung der Kerne, die zur Bildung der
sauren Kerne führt, beginnt nun, wie die doppelgefärbten Hämatein-
Safranin-Bilder zeigen, bereits unmittelbar an der Cutis¬
grenze in einigen der jüngsten Epithelien. Hier färbt sich die
normalerweise bläuliche Grundsubstanz rötlich, wodurch der
ganze Kern mit blauem Kerngerüst und roten Kernkörperchen
blauviolett bis rotviolett erscheint. In den folgenden Zellen¬
reihen sind die sauren Kerne schon rein safraninrot. Genauere
Untersuchung lehrt, dass in diesen gesättigt safranin roten Kernen
auch noch das blaugefärbte Cbromatingerüst und die dunkelroten
Kernkörpereben enthalten sind, obwohl sie färberisch nicht zur
Geltung kommen. Wenn diese Stufe erreicht ist, verändern sich
die sauren Kerne nicht mehr; sie steigen mit den anderen, immer
farbschwächer werdenden Kernen in die Höhe bis an die Ver¬
hornungsgrenze und werden dadurch in diesen höheren Lagen
durch ihre starke Färbung immer auffallender. Ja, sie gehen in
die Hornschicht ein, ohne ihre Röte und Gestalt zu verlieren.
Sie erleiden also nicht die normale Altersveränderung der Epithel¬
kerne; aus ihnen sind dauerhafte Gebilde geworden.
Die Erscheinung der sauren Kerne beruht also auf einer
primären Veränderung der Grundsubstanz, indem diese basische
Substanz sich mit demselben sauren Globulin füllt, welches
normalerweise nur in den Kernkörperchen vorhanden ist. Man
könnte diesen Prozess daher auch die Nucleolin-Metamorphose
der Kerngrundsnbstanz nennen. Dass derselbe eine reine
Kernangelegenheit darstellt und gänzlich unabhängig vom Proto¬
plasma ist, geht mit Sicherheit ans der Tatsache hervor, dass
häufig im Epithel in einer Kernhöble 2 Kerne Vorkommen, von
denen einer ein normaler, der andere ein saurer ist.
Hand in Hand mit dieser Veränderung verliert der Kern
sicher seine Fähigkeit, Mitosen zu bilden; noch niemals ist eine
solche in einem sauren Kerne getroffen worden. Der anf diese
Weise zugleich steril und stabil gewordene Kern repräsentiert
gleichsam als Ganzes ein stark vergrössertes Kernkörperchen.
Ganz ähnlich wie im Epithel verhalten sich die sauren
Kerne im Bindegewebe, was ihre chemischen und tinktoriellen
Eigenschaften betrifft, während sie morphologisch einige Be¬
sonderheiten zeigen. Dieselben lassen sich auch im binde¬
gewebigen Stiel des spitzen Kondyloms studieren; weit besser
allerdings noch in tuberkulösen Geweben. Vom Lupus sind die
betreffenden Bilder bereits ausführlich mitgeteilt 1 ). Die dort
beschriebenen Präparate sind nach der dritten der oben angeführten
Methoden gefärbt, welche für die sauren Kerne des Bindegewebes
überhaupt manche Vorzüge hat, also mit kurzer Vorfärbung mit
(rotstichigem) Eosin und darauffolgender Nachfärbung mit der
Karbol -j- Metbylgrün -|- Pyronin-Mischung. Die Vorfärbung mit
Eosin bewirkt eine starke Nachfärbung der Kernkörperchen und
der sauren Kerne mit Pyronin, so dass diese Elemente nun
ebenso stark rot hervortreten wie bei der Hämatein + Alaun-
Safranin-Tannin-Methode. Auch die Entstehung der sauren Kerne
in der Keimschicht des Epithels mit einer schwachen Rotfärbung
der Grundsubstanz ist an so gefärbten Präparaten vorzüglich zu
sehen. Aber der Hauptvorzug liegt in ihrer Hervorhebung der
sauren Kerne des Bindegewebes und der scharfen Unterscheidung
der letzteren von den chromatoliptischen 2 ) Kernen. Beide
Kernarten gleichen sich bis auf ihre verschiedene Färbung in
allen Stücken; sie sind grösser als die normalen spindelförmigen
Bindegewebskerne und erhalten bei dieser Vergrösserung die
Form grosser, seitlich abgeplatteter Ellipsoide oder Zylinder, die
oft etwas über die Fläche gebogen und am Rande eingekerbt
sind. In ihrer Mitte liegen stets 1—2 Kernkörperchen. Der
Unterschied zwischen den sauren und den chromatoliptischen
Kernen besteht nun darin, dass die ersteren bei der angeführten
Färbung dunkelrot, die letzteren ganz blass aussehen. Nur die
Kernmembran der chromatoliptischen Kerne ist wie bei den
sauren Kernen durch Metbylgrün etwas blau und das Kern¬
körperchen rot gefärbt. Mit anderen Worten ausgedrückt heisst
1) Unna, Histologischer Atlas zur Pathologie der Haut, H. 8,
S. 212—218, 224-225, 237—241, Figuren 213, 214, 231—235.
2) Chromatinarm, von Aetmo, intrans. schwinden. A. a. 0., S. 212.
das: die sauren und chromatoliptischen Kerne haben beide den
normalen geringen Nucleingehalt der Kernmembran und einen
Globulingehalt des Kernkörperchens; die Grundsubstanz besteht
aber bei den chromatoliptischen Kernen aus basischer Substanz,
welche basische Farben abweist, bei den sauren Kernen hat diese
Grundsubstanz sich mit Globnlin gesättigt und nimmt daher die¬
selbe basische Farbe (Pyronin) wie das Kernkörpereben an. Dass
diese Färbung eine vorherige Absättigung der basischen Grund-
Substanz mit Eosin erfordert, ist eine häufiger vorkommende Be¬
dingung (vgl. Protozoenkerne) für Speicherung basischer Farben.
Diese Abneigung der Grundsubstanz chromatoliptischer Kerne
gegen basische Farben hat zur Folge, dass sie nur bei Färbung
mit diesen als ungefärbte Elemente scharf hervortreten. Man
erkennt sie wohl mit ihren besonderen Eigenschaften auch bei
der Hämatein -|- Alaun-Safranin-Tannin-Methode. Aber da hier
das Hämatein das oxyphile Kerngerüst (Flemming’s Achromatin)
etwas anfärbt, so erscheinen sie dunkler und weniger auffallend
als bei der Eosin-Methylgrün -j- Pyronin-Metbode.
Was stellen nun die chromatoliptischen Kerne des Binde¬
gewebes, die bis auf den Globulingehalt alle Eigenschaften mit
den sauren Kernen teilen, eigentlich vor? Am nächsten liegt es
wohl, sie mit den älteren Epithelkernen zu vergleichen. Auch
diese sind durch Vermehrung der Grundsubstanz vergrössert und
haben ein normales Kernkörperchen, zeigen dagegen einen Mangel
an basophilem Chromatin, das sich auf die Kernmembran be¬
schränkt. Vielleicht sind die grossen chromatoliptischen Kerne
des Bindegewebes wirklich nur gealterte Kerne. Rein histologisch
lässt sich das schwer beweisen, da hier kein Altersindex in der
Lokalisation besteht, wie im Epithel. Aber histogenetisch wird
sich diese Aufgabe wohl bearbeiten lassen und wahrscheinlich zu
der angedeuteten Lösung führen.
Dass mit der Chromatinarmut der chromatoliptischen Kerne
auch Sterilität einhergeht, ist wohl selbstverständlich. Aber es
liegen interessante Befunde dafür von tuberkulösen Riesenzellen
vor, dass sich die chromatoliptischen ebenso wie die sauren
Kerne unter begünstigenden Umständen noch amitotisch, durch
Zer8chnürung teilen können 1 ). Die Kernzerschnürung durch Ein¬
faltung der Kernmembran hat ja auch bei diesen Kernen nichts
Auffallendes, da die Kernmembran bei ihnen das einzige Element
ist, welches sich noch einen Rest von basophilem Chromatin
(Nuclein) bewahrt hat.
Licht auf die Bedeutung dieser vielgestaltigen Kernwelt hat
aber erst die Erkenntnis geworfen, dass die Hauptfunktion der
sauren Kerne ihre Sauerstoff aktivierende und speichernde ist.
Alle besonderen und früher auffallenden Eigentümlichkeiten sind
dadurch mit einem Male aufgeklärt. Die sauren Kerne wurden
zuerst bei seniler Degeneration (Verwitterung) der Haut und bei
Lepromen gefunden, bei denen die Ernährung und Regeneration
des Gewebes stark darniederliegt. So schien es, dass sie einen
Mangel an Regenerationskraft andeuteten. Das war richtig, aber
nur die negative Seite der Sache. Ihr häufiges Vorkommen im
Embryo, an den Blutcapillaren, in den immerfort tätigen Knäuel¬
drüsen machte alsbald das Suchen nach einer weiteren Funktion
notwendig. Diese und damit die positive Funktion der sauren
Kerne ist nun darin gefunden, dass sie ganz hervorragende Sauer¬
stofforte darstellen; sie färben sich mit Rongalitweiss I und
Rongalitweiss 11 stärker als normale Kerne. Gewöhnlich tritt das
Kernkörperchen in ihnen dabei noch besonders intensiv gefärbt
hervor. Während der Kern durch saure Umwandlung seiner
Grundsubstanz die Fähigkeit der Mitosenbildung verliert, wird er
zu einem Sauerstoffreservoir ersten Ranges. Denn das in der
Grundsubstanz eingeschlossene Nuclein aktiviert den zum Kern
gelangenden Sauerstoff wie in jedem Kern; der aktive Sauerstoff
wird aber dann sofort in der sauren, globulinhaltigen Grund¬
substanz gespeichert, wie sonst nur im Kernkörperchen. Die
sauren Kerne sind also gleichzeitig gute Aktivatoren und sehr
gute Sauerstoffspeicher, während die normalen Kerne zwar gute
Aktivatoren, aber nur mässige Sauerstoffspeicher sind. Der
Sauerstoff, den das Nuclein aktiviert, wird von der basischen
Grnndsubstanz des normalen Kerns zum Teil schon wieder ebenso
verbraucht, wie im Spongioplasma des Zellleibes. Unter diesem
Gesichtswinkel erscheint die Produktion des Gewebes an sauren
Kernen von ähnlicher Bedeutung, wie die vom Granoplasma im
Epithel und von Plasmazellen im Bindegewebe. Es werden in
allen Fällen rund um die Sauerstoffaktivatoren (Kernchromatin)
saure Eiweissmassen abgelagert, welche imstande sind, Sauerstoff-
1) A. a. 0., S. 240, Fig. 235.
4*
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Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
920
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Vorräte zu bilden und den aktivierten Sauerstoff vor sofortigem
Verbrauche zu bewahren.
Von diesem Standpunkte aus begreifen wir natürlich ebenso
sehr die Nützlichkeit der sauren Kerne beim Embryo und im
Endothel der BlutcapiHaren wie in der Greisenhaut und im
Leprom. Und wenn auch sicher durch die Ausbildung der sauren
Kerne ebensoviele Einzelkerne dem Zellteilungsgeschäft entzogen
werden, so tragen die gebildeten und Sauerstoff speichernden
sauren Kerne doch insgesamt dazu bei, den Sauerstoffgehalt eines
Gewebes zu erhöhen, und befördern damit indirekt auch seine
mitotische, regenerative Kraft.
Es ist vielleicht nicht unnötig, zum Schlüsse noch die Frage
aufzuwerfen, ob die sauren Kerne ihren hergebrachten Namen
auch verdienen. Ursprünglich war derselbe ein Notbehelf, eine
Abkürzung für etwa „ganzsaure Kerne“ oder „Kerne mit saurer
Grundsubstanz“. Seitdem sich aber ergeben hat, dass der in die
Grundsubstanz abgelagerte saure Eiweisskörper die wichtige
Funktion eines Sauerstoffspeichers ausübt, die eben auch nur von
einem sauren Eiweisskörper ausgeübt werden kann, so scheint es
uns, dass die sauren Kerne ihren hergebrachten Namen mit
grösserem Rechte und Stolze tragen dürfen als bisher.
Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.
Zur Frage der Adrenalinwirkung auf den
Coronarkreislauf.
Von
Dr. Felix Meyer-Kissingen-Berlin.
In den verschiedenen Gefässprovinzen des Körpers bietet
kein in sich geschlossener Blutkreislauf so viele Schwierigkeiten
in der Beobachtung und Bewertung des Experiments wie das
System der Kranzgefässe des Herzens. Denn bei keinem anderen
Organ ist die Blutverschiebung für die direkte Beobachtung so¬
wohl wegen der unausgesetzten Herzkontraktionen als auch wegen
des Durchscheinens des in den Herzhöhlen strömenden Blotes so
unzngängig und dabei doch so abhängig von dem Funktions-
znstand des versorgten Organs wie bei den Coronargefässen des
Herzens. Menge und Durchflussgeschwindigkeit des Coronarblutes
steht ohne Zweifel im Verhältnis zur Herzkraft und Funktions¬
tüchtigkeit des Herzens — das beweist schon das Sistieren des
venösen Blutausflusses aus der Kranzvene bei künstlichem Herz¬
stillstand durch Vagnsreiz —, aber umgekehrt wird die Herz¬
arbeit durchaus beeinflusst von der Menge und Beschaffenheit des
das Herz ernährenden Coronarblutes, wofür ohne weiteres die
Erfahrung und das Experiment des Herztodes durch Coronar-
verschluss spricht. Es war daher nicht nur physiologisches
Interesse, wenn die Forscher sich bemühten, über vasomotorische
Beeinflussbarkeit der Coronargefässe Klarheit zu bekommen,
sondern es musste auch der Nachweis selbständiger Gefässreaktion
der Kranzgefässe auf das therapeutische Handeln von weittragender
Bedeutung sein. Z. B. war es wichtig, über den Reaktionszustand
der Coronargefässe bei Darreichung von Digitaliskörpern unter¬
richtet zu sein, um die Gefahr einer Angina pectoris vermeiden
oder dieselbe eventuell beheben zu können. Kaum ein Arznei¬
mittel war anscheinend darum befähigter, die Frage der selb¬
ständigen Reaktionsfähigkeit der Coronarien zu beweisen wie das
Adrenalin oder das synthetische Suprarenin, das im peripherischen
Gefässsystem so offensichtliche und schnelle Kontraktionen der
Gefässe zustande brachte und eine so verblüffend belebende
Wirkung auf das ausgeschnittene Säugetierherz entfaltete. Bis
auf die jüngste Zeit haben sich daher die Forscher des Adrenalins
zum Nachweis der vasomotorischen Beeinflussbarkeit bedient, und
zwar benutzten sie entweder die Langendorff’sche (1) Methode
des Durcbfliessens einer Menge Nährlösung (Ringer) mit Zusatz
des Adrenalins durch das ausgeschnittene überlebende Säugetier¬
herz, oder sie benutzen die 0. B. Meyer’sche (2) Methode der Be¬
stimmung der Längenzu- oder abnahme eines ausgeschnittenen
circulären Kranzarterienstreifens in Adrenalin-Ringer- bzw. Adre¬
nalin-Ringer-Blutlösung. Die Resultate der Versuche mit beiden
Methoden sind aber unzuverlässig und nicht auf die wirklichen
Verhältnisse übertragbar, und es erklären sich daraus auch die
Differenzen in den Meinungen über Vorhandensein oder Nicht¬
vorhandensein von Vasomotoren der Kranzgefässe, wie dies sowohl
von mir (3) in einer früheren Arbeit als auch zu fast gleicher
Zeit von Morawitz (4) und Zahn eingehender auseinander-
gesetzt wurde. Denn in beiden Methoden ist der Einfluss des
Nervensystems, des Blutdrucks und der normalen Blutflüssigkeit
ausgescbaltet. Während z. B. Schäfer (5) bei künstlicher Durch¬
blutung des Herzens mit Ringer und defibriniertem Blut eine
Adrenalinwirkungauf die Coronarien leugnet, wurde von Dogiel (6)
und Archangelski eine Verengerung der Kranzgefässe durch
Adrenalin, von Pahl (7), Eppinger und Hess (8), de Bonis
und Susanna (9) sowie Langendorff (10) eine Erweiterung
bzw. Verlängerung des Kranzgefässstreifens angegeben. Noch
eine der neuesten Arbeiten aus dem Rostocker pharmazeutischen
Institut von F. Rabe (11) gibt einen Unterschied in der Ein¬
wirkung von Suprarenin in der Ringerlösung und in der Blut¬
ringerlösung an. In der Ringerlösung findet eine Verengerung,
in der Blutringerlösung eine Erweiterung der Gefässe statt. Um
so mehr sind zur Beurteilung der Adrenalin Wirkung, soll man
die Schlüsse auf die Verhältnisse beim lebenden Menschen über¬
tragen können, nur Versuche in physiologischer Anordnung, d. h.
am lebenden Tiere in situ geeignet. Der von mir angegebenen
Methode der Einführung einer abgebogenen Glaskanüle in eine
vordere Hauptvene des schlagenden Herzens in situ und Re¬
gistrierung der verminderten oder vermehrten Blutdurchströmung
mittelst Tropfenschreibers oder mittelst Volumschreibung durch
den Pistonrekorder wurde nun von Morawitz und Zahn eine
ihrer Ansicht nach verbesserte Methode entgegengesetzt. Mora-
witz und Zahn führten eine neusilberne Tamponkanüle durch
das rechte Herzohr und den rechten Vorhof in den Sinus coro-
narius venosus ein und bestimmten die ausfliessende Blutmenge
durch eine Art Briefwage. Der Vorzug ihrer Methode wäre nun
die grössere Präzision, da bei ihrer Methode das gesamte, das
Goronarsystem durchströmende venöse Blutvolumen gemessen
würde, während bei der meinigen nur die Blntverschiebung in
einer Abzweigung, also in der Mitte der Strombahn bestimmt
würde. Abgesehen nun davon, dass die Gefässe in einem so ge¬
schlossenen Kreislauf wie in den Coronarien sich im ganzen
wohl so verhalten wie in ihren Teilen — es müsste denn der
Gegenbeweis erbracht werden —, so ist die Präzision der
Morawitz’scben Methode durch dreierlei Umstände doch illu¬
sorisch. Zunächst ist die Einführung der Kanüle durch den
Vorbof schon viel schwieriger und eingreifender als in eine offen
sichtbare Vene. Zur Sichtbarmachung des Sinus venosus muss
das Herz aufgerichtet werden. Dabei kommt es häufig zu einem
Abknicken der grossen Gefässe, und es tritt Herzflimmern ein,
wie sich dies mir in der Nachprüfung bei 5 vergeblichen Ver¬
suchen am Hundeherzen abspielte. Erst am Katzenherzen, das
viel widerstandsfähiger ist, gelang mir die Morawitz’sche
Methode. Ein zweiter Uebelstand ist die schnelle Verblutung
ohne Infusion der defibrinierten Blutmenge und die Fehlerquelle
der Blntdruckschwankungen durch die notwendige Infusion.
Ein dritter Uebelstand ist die leichte Gerinnbarkeit des
Blutes in der engen Tamponkanüle, welche die Anwendung von
Hirudin erheischt, dessen blutdruckerniedrigende Wirkung aber
eine weitere Fehlerquelle involviert. Ich habe deswegen bei der
ferneren Anwendung der Morawitz’schen Methode eine weitere
doppelwinklig gebogene Glaskanüle mit olivenförmigem Ansatz
benutzt, bei der keine Gerinnungen während des Versuchs ein¬
traten. Demgegenüber wird nun bei meiner alten Methode dem
Tier nicht so viel und so schnell das Blut entzogen, zumal ich
durch Sistieren des Tropfblutes das Tier vor der Verblutung
schützen kann. Zudem braucht das Herz nicht aus seiner Lage
entfernt, die Herzspitze nicht gehoben zu werden. Die physio¬
logischen Verhältnisse werden dadurch weit mehr gewahrt und
die Technik vereinfacht. Immerhin, das Prinzip der Morawitz-
Zahn'schen Methode ist dasselbe wie das der meinigen, nämlich
die Verfolgung der Gefässreaktion im lebenden Körper, und das
einzig gegebene, um Klarheit in die Frage der Beeinflussung der
Coronarien durch Arzneimittel, speziell das Adrenalin, zu bringen.
Demzufolge sind auch die Resultate unserer beiden Methoden be¬
züglich des Adrenalins übereinstimmend. In beiden Versuchs¬
anordnungen sehen wir eine Beschleunigung des Blotausflusses
ans den Kranzgefässen, die etwa das 3—5 fache der Norm be¬
trägt, aber auch noch höher steigen kann. Strittig allein blieb
die Frage, ob diese Beschleunigung rein passiver Natur, d. h.
durch den erhöhten Blutdruck, durch die vis a tergo bedingt sei,
oder ob die Kranzgefässe sich dabei auch aktiv erweitern. In
dem Versuch von Morawitz und Zahn sieht man — worauf die
Autoren besonders binweisen —, die Beschleunigung auch nach
Rückkehr des Blutdrucks zur Norm noch einige Zeit anhalten.
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
921
Bei X-Injektion von 0,2 mg Adrenalin.
Kurve 2.
Blutdruck
Bei X—X Injektion von 0,2 mg Adrenalin —
gleichzeitig künstlich herabgesetzter Blutdruck (trotzdem vermehrte Durchfluss¬
geschwindigkeit).
Kurve 3.
Blutdruck IllflllPPlIllllp
Tropfen¬
kurve
444- !^J-y4^-jU-44iU^ 4—1-4-4-
Bei + Injektion von 1 ccm Imido-Roche 1:10.
Sie erklären dies auch als Ausdruck einer aktiven Erweiterung,
doch halten sie den Vorgang in der Hauptsache für eine
passive Gefässdehnung.
Um nun völlige Klarheit in dieser Frage zu erhalten, habe
ich bei Benutzung der Morawitz’schen Methode (modifiziert
durch Anwendung einer weiteren Kanüle und Tropfenschreibung
statt Wägung) folgende Versuchsanordnungen getroffen und hoffe
damit eine eindeutige Lösung gefunden zu haben.
Nach Einführung der Kanüle durch das Herzohr in den
Sinus coronarius und Armierung derselben mit ölgefülltera Ansatz¬
schlauch und Glasrohr (mit bekannter Abbiegung) zur Tropfen¬
schreibung wurde ausser der Carotis zur Registrierung des Blut¬
drucks die Art. femoralis freigelegt und mit abklemmbarer Kanüle
versehen. Sobald nach Injektion des Adrenalins der Blutdruck
stieg, wurde aus der Femoralis soviel Blut abgelassen, bis der
Blutdruck auf die frühere Norm gesunken war, bzw. eine gleich¬
bleibende Höbe zeigte. Beifolgende Kurven 1 und 2 veranschau¬
lichen nun, wie trotz des künstlich herabgedrückten bzw. niedrig-
bleibenden Blutdrucks der Tropfenfall beschleunigt bleibt, also
eine vermehrte Durchflussgeschwindigkeit anzeigt. Dass es sich
dabei nicht um ein einfaches Trägheitsmoment handelt, lehrt der
Vergleich mit Imido-Roche (/Mmidoazomethylamin) (vgl. meine
Arbeit: Ueber die Wirkung verschiedener Arzneimittel auf die
Coronargefässe des lebenden Tieres, Archiv f. Anat. u. Physiol.,
physiol. Abt., 1912, S. 214). Bei dieser Kurve zeigt sich bei
Senkung des Blutdrucks eine deutliche Verminderung des Tropfen¬
falls, die sofort aufhört, sobald der Blutdruck wieder steigt und
zur Norm zurückkehrt. Ich erkenne nun zwar an, dass bei
Adrenalin die ausserordentliche Beschleunigung der Blutdurch-
strömung der Coronarien in erster Linie durch die erhöhte Herz¬
arbeit bzw. durch den gesteigerten Blutdruck bedingt ist, aber
es ist nach obiger Darlegung absolut nicht die elektiv coronar-
gefässerweiternde Wirkung dieser Substanz zu verkennen. In
dieser Erkenntnis werden wir noch mehr bestärkt durch die
Resultate von Pahl (7), Rabe (11), Brodie und Cullis (12) u. a.,
welche eine Verlängerung der Coronargefässstreifen in Blut-Ringer¬
lösung sahen, während sich Gefässstreifen anderer Provenienz
zusammenzogen, wie dies Argyll Campbell (13) in dem
Schäfer’schen Institut zu Edinburg nachwies. Das Adrenalin
macht also eine Erweiterung der Coronargefässe und
eine lebhafte Beschleunigung und Vermehrung derBIut-
durchströmung des Kranzgefässsystems.
Literatur.
1. Langendorff, Centralbl. f. Physiologie, 1907, Bd. 21. —
2. 0. B. Meyer, Zeitschr. f. Biologie, 1906, Bd. 48, S. 352. — 3. Felix
Meyer, Med. Klinik, 1912, Nr. 21. Archiv f. Anat. u. Physiol., 1912,
S. 223. — 4. Morawitz und Zahn. — 5. Schäfer, Archive internat.
de physiol., 1904, Bd. 2, S. 141. — 6. Dogiel und Archangelsk!,
Pflügei’s Archiv, 1907, Bd. 16, S. 482. — 7. Pahl, Wiener medizin.
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UNIVERSUM OF IOWA
922
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Wochenschr., 1909, Nr. 8. — 8. Eppinger und Hess, Zeitschr. f.
experim. Pathol. u. Therapie, 1909, Bd. 5, S. 622. — 9. de Bonis und
Susanna, Centralbl. f. Physiol., Bd. 23. — 10. Langendorff,
Centralbl. f. Physiol., 1907, Bd. 21. — 11. F. Rabe, Zeitschr. f. experim.
Pathol. a. Therap., 1912, Bd. 11, S. 135. — 12. Brodie und Cullis,
Journal of physiol., 1911, Bd.43. — 13. Argyll Campbell, Quarterly
journ. of exp. physiol., Yol. 4, Nr. 1.
Aus der Königl. Universitätsklinik für Haut- und
Geschlechtskrankheiten (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Lesser).
Beitrag zur Frage der Reinfektion.
Von
Dr. H. Löhe,
Stabsarxt und Assistent der Klinik.
Die Frage, ob eine einmalige Infektion mit Syphilis eine er¬
neute Ansteckung für immer ausschliesst oder ob eine Reinfektion
unter Umständen möglich ist, hat in der Literatur verschieden¬
artige Auslegung gefunden. Diese Frage ist um so bedeutungs¬
voller, als damit zugleich die Möglichkeit der Heilbarkeit der
Syphilis bejaht oder verneint wird. Besonders lebhaft musste
naturgemäss das Interesse zu einer Zeit werden, wo eine neue
Aera der Behandlung durch die Einführung des Salvarsans im
Kampfe gegen die Syphilis anbrach, wo die Möglichkeit auf¬
tauchte, mit einem Schlage die Syphilis zu heilen.
Nicht vereinzelt sind die Beobachtungen, welche beweisen, dass
energische antisyphilitische Hg-Euren auch in verhältnismässig kurzer
Zeit wohl imstande sind, die acquirierte Syphilis zur Ausheilung zu
bringen. Mir selbst ist ein Fall eines Arztes bekannt, bei dem nach
sofortiger Exzision des eben bemerkten Primäraffektes (mit Spirochäten¬
nachweis) und unmittelbar eingeleiteter sehr energischer Behandlung
(mehrfache Calomelinjektions- und Einreibungskuren) die Sekundär¬
erscheinungen ausblieben, der Patient auch nach einem Zeitraum von
7 Jahren ständig negative Wassermann’sche Reaktion aufwies und ge¬
sunde Kinder erzeugte. Einen solchen Fall nicht als geheilt be¬
trachten zu wollen, liegt kein Grund vor. Abgesehen davon, dass
mehrere Kollegen den Fall eingehend beobachtet haben, auch der
Patient selbst sich stets auf das genaueste überwachte, sprechen ja
auch die dauernd negative Wassermann’sche Reaktion, die gesunden
Kinder für eine völlige Ausheilung.
Natürlich war und ist das sicherste Kriterium für das Ueber-
stehen der Lues die Empfänglichkeit des Organismus für eine
zweite Infektion. Dieser wichtigen Frage haben schon lange die
Kliniker ihre Aufmerksamkeit zugewandt, und so finden wir im
Laufe der letzten Jahrzehnte eine Reibe von Fällen beschrieben,
die mit Sicherheit die Möglichkeit einer Reinfektion dartun.
Natürlich hat es auch nicht an Gegnern dieser Anschauung ge¬
fehlt, und vor allem sind Ricord und nach ihm v. Bären¬
sprung und v. Sigmund zu nennen, die aufs entschiedenste
eine Reinfektion ablehnten.
Ricord’s Gesetz: „Niemand bekommt zweimal, d. h. zu ver~
schiedenen Zeiten, einen indurierten Schanker.“ „Niemand bekomm*
zweimal die konstitutionelle Syphilis“ glaubte v. Bärensprung (1860'
nach dem Resultat seiner klinischen und experimentellen Beobachtungen
noch besser in die Sätze zusammenzufassen: „Es ist also ein Gesetz,
von dem ich keine Ausnahme kenne: Personen, die einen indurierten
Schanker haben oder die an der konstitutionellen Syphilis leiden oder
die früher einmal syphilitisch waren und es nicht mehr sind, können
von einem indurierten Schanker nicht mit Erfolg geimpft werden oder,
was dasselbe ist, nicht zum zweiten Male syphilitisch angesteckt werden.
Alle diese Personen haben aber die volle Receptivität für das CoDtagium
des weichen Schankers.“ Trotz der Autorität v. Bärensprung’s 1 )
fanden seine Ansichten nicht allgemeine Geltung, und bald erschienen
Mitteilungen anderer Autoren, welche die Unhaltbarkeit seiner Leitsätze
erwiesen. Köbner*) erbrachte klinisch und experimentell durch eine
grosse Reihe von Autoinoculationsexperimenten den zwingenden Beweis,
dass ein syphilitischer Organismus gegen die örtlichen Wirkungen des
sekundären Contagiums nicht völlig immun ist, und zwar weder vor
Ausbruch der Allgemeinsymptome, noch während des Sekundär- oder
Tertiärstadiums, noch auch nach Schwinden der syphilitischen Erschei¬
nungen. Gleichzeitig veröffentlichte er (1871) eine Statistik über
45 Fälle von Reinfektion mit 8 eigenen Beobachtungen, bei welchen
1) v. Bärensprung, Mitteilung, aus d. Abt. f. syphilit. Kranke.
Charit6-Annal., Bd. 9, H. 1.
2) H. Köbner, Ueber Reinfektion mit konstitutioneller Syphilis.
Berliner klin. Wochenschr., 1872, Nr. 46, S. 549.
zwischen erster Infektion und Reinfektion ein Zeitraum von 18 Monaten
bis 5V* Jahren lag. Wenn auch nicht alle 45 Fälle als einwandfrei
bezeichnet werden können, so bleiben doch immerhin nach Abzug von
22 beobachteten Schankern — allein, ohne Sekundärerscheinungen —
23 Fälle übrig, bei denen syphilitische Erscheinungen der Haut und
Schleimhäute jeden Zweifel ausschlossen.
In der B'olgezeit finden sich in der Literatur zahlreiche Einzelbeob-
achtungen von Fournier, Lang, Boeck, Neumann 1 ) und vielen
anderen Autoren verzeichnet. Ein grosser Teil derselben konnte einer
ernsten kritischen Beleuchtung nicht standhalten, und so war die
Forderung des Londoner Kongresses 1896 eine durchaus berechtigte, nur
solche Fälle als sichere Reinfektion anzuerkennen, bei welchen der
typische Verlauf der Infektion nicht nur anamnestiscb, sondern auch
durch eine klinisch zuverlässige Beobachtung (multiple Drüsenschwellung,
Roseola) sichergestellt und die abermalige Erkrankung einen für Syphilis
typischen Verlauf haben muss, d. h. Primäraffekt, Lymphdrüsen-
schwellung und Exanthem. Bei Anlegen dieses Maassstabes mussten
natürlich eine grosse Zahl der beschriebenen Fälle ausscheiden, da das
Auftreten eines skleroseähnlichen Geschwürs am Genitale allein eine
Reinfektion nicht verbürgt, es sich vielmehr auch um ein irritiertes Ulcus
molle, ein ulceriertes Gummi und vor allem auch um einen Chancre
redux, also eine Reinduration handeln konnte.
Aus der jüngsten Zeit verdient ganz besonders die grosse Arbeit
von Felix John 2 ) hervorgehoben zu werden, der es unternahm, die ganze
in- und ausländische Literatur auf Fälle von Reinfectio syphilitica
kritisch zu sichten. -Unter den 356 zusammengetragenen Kranken¬
berichten findet er nur 14 Fälle, die allerdings auch den rigorosesten
Forderungen genügen müssen; dazu kommen noch weitere 15 Fälle, die
mit höchster Wahrscheinlichkeit als echte Reinfektion aufzufassen sind;
das macht also 8,42 pCt., eine nicht sehr grosse Zahl im Vergleich zu
den als Reinfection aufgefassten Fällen.
Zu den sicheren Fällen dürfte auch folgender Fall zu rechnen
sein, den ich erst kürzlich zu sehen Gelegenheit hatte und der
von zuverlässigen Beobachtern erkannt und behandelt worden ist.
Die kurzen Angaben sind folgende:
Offizier, jetzt 51 Jahre alt. Infektion mit Lues 1897. Primäraffekt
an der Urethra. Starke Roseola. Einreibungskur von 160 g. Früh¬
jahr 1897 wegen Angina specifica Calomelinjektionskur (6 Injektionen).
1900 Einreibungskur 160—180 g. Längere Zeit Kalium jodatum
20,0: 300,0. Eine Serie von Jodipininjektionen. Der ängstliche, sehr
besorgte Patient war dauernd in spezialärztlicher Beobachtung; keinerlei
Erscheinungen traten auf.
Januar 1909 Primäraffekt mit Spirochaetae pallidae im Sulcus coronar.
und in der Tasche neben dem Frenulum. Allgemeine indolente Drüsen¬
schwellung. Nach 6 Wochen maculo-papulöses Syphilid. März 1909:
1. Kur, 14 Injektionen, Hydr. sal. 2. Kur Juli/August 1909. 10 In¬
jektionen Hydr. sal. Weihnachten 1909 Wassermann’sche Reaktion
negativ. Januar 1910 Erscheinungen in der Hohlhand. 3. Kur, 12 In¬
jektionen, Hydr. sal. 4. Kur Juni/Juli 1910, 12 Injektionen Hydr. sal.
März 1912 Wassermann’sche Reaktion stark positiv. 5. Kur 3 Injektionen
Hydr. sal., 4 Injektionen 01. einer. Jetzt, März 1913, keine manifesten
Erscheinungen von Lues, Wassermann’sche Reaktion positiv.
Also ein Fall von einwandfreier Syphilis (Primäraffekt der
Urethra, gefolgt von Roseola), der mit 2 Einreibungskaren and
6 Calomelinjektionen behandelt wurde. 12 Jahre später erleidet
der Patient eine Reinfektion, die sich manifestiert durch 2 Primär¬
affekte und ein maculo-papulöses Syphilid.
War auch klinisch der unzweifelhafte Beweis erbracht, dass
es eine Reinfectio syphilitica gibt, so wurde die volle Sicherheit
in dieser Frage erst geschaffen durch die Entdeckung der
Spirochaete pal 1 da, die ja den grössten Fortschritt in der Er¬
kenntnis der Syphilis und die Möglichkeit, den Initialaffekt als¬
bald nach seinem Auftreten als einen syphilitischen mit Sicherheit
zu erkennen bedeutete. Und heute sind wir ja gewohnt, in allen
zweifelhaften Fällen einen Primäraffekt nur als solchen anzu¬
erkennen, wenn der Nachweis der Spirochaeta pallida er¬
bracht ist.
Aus dieser Periode stammt der erste Fall, den ich zu be¬
obachten Gelegenheit hatte, und der sich kurz folgendermaasseu
darstellt.
H. T., Schuhmacher, 28 J. (Aufnahme: 4. IV. 1906 — Entlassung:
23. VI. 1906.)
1904: Tripper.
Jetzige Erkrankung: Letzter Coitus 12. November 1905. Einen Tag
später trat linksseitige Leistendrüsenschwellung auf. Behandlung mit
essigsaurer Tonerde und grauer Salbe. Die Geschwulst ging zurück,
während eine rötlich gestreifte Hautpartie darüber blieb, in welcher sich
bald gelbe „Pickel“ bildeten, die sich allmählich bis zu dem jetzigen
grossen Geschwür entwickelten. Am Penis hat Patient nie etwas Krank-
1) J. Neumann, Syphilis. Wien 1899. S. 197.
2) F. John, Reinfectio syphilitica. Volkm. Sammlung klin. Vortr.
Leipzig 1909.
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19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
928
haftes bemerkt; kleine rötliche Flecke bestehen seit Ende Januar, der
jetzige Ausschlag erst seit Mitte März. Seit 1. April ist Patient heiser.
In den letzten Tagen hatte er heftige Kopfschmerzen.
Befund: Mittelkräftiger Mann in leidlichem Ernährungszustand.
Innere Organe: Ohne Besonderheiten.
Haut: Auf der Kopfhaut erbsen- bis bohnengrosse nässende Papeln,
zum Teil mit Schorf bedeckt. Im Gesicht nur vereinzelte Papeln und
Flecke. Auf dem ganzen Oberkörper vorn ziemlich scharf, etwa hand¬
breit über dem Nabel aufhörend, rotfleckiges Exanthem, in welches zahl¬
reiche kleinere bis erbsengrosse papulo-squamöse Stellen eingelagert
sind. Auch an den Oberarmen finden sich einzelne Papeln in dem
roseolaartigen Exanthem. Die Roseola an den Armen reicht herab bis
zum Handgelenk. Auf dem Rücken tritt die papulöse Art des Exanthems
und zwar hier in grosspapulöser Form weit stärker hervor als auf der
Brust, während etwa vom zweiten Lumbalwirbel abwärts wieder die
Roseola überwiegt, die hier bis zur unteren Glutäalfalte reicht, wo sie
noch schwach angedeutet ist.
Genitalien: Ohne jede Besonderheiten.
Drüsen: Inguinales links eine etwa 3'/i cm lange querlaufende,
geschwürige Wundstelle mit entzündlich geröteten, wulstigen, weithin
unterminierten, lappigen Rändern. Das Geschwür reicht etwa 1 cm in
die Tiefe, wo sich reichlich dicker Eiter vorfindet über massenhaft
glasigen Granulationen.
Inguinales: rechts bohnen- bis pflaumengross, hart, indolent.
Cubitales: beiderseits mandelgross.
Axillares: beiderseits erbsengross.
Submaxillares: über bohnengross.
Postauriculares: rechts erbsen-, links linsengross.
Im allgemeinen sind die Drüsen hart und indolent.
Mundhöhle: Zähne grösstenteils defekt.
Weicher Gaumen und hintere Rachenwand stark gerötet.
Urin: Albumen fehlt.
Diagnose: Lues II. Schankröser Bubo links, sponte perforatus.
Lymphadenitis multiplex, Scleradenitis dorsalis penis. Maculo-papulo-
crustöses Syphilid. Angina specifica; Impetigo capitis.
Therapie: 8 Sublimatdoppelspritzen vom 5. April bis 11. Mai.
14 Einreibungen (Hg. ein.), Jodkatium.
8. IV. Wegen Heiserkeit Jodkali. Spritzkur wird gut vertragen.
12. IV. Geringe Hg.-Stomatitis. Exanthem auf dem Kopf geht
zurück. Auf Brust und Rücken Papeln in Heilung. Bubowunde in
guter Heilung.
18. IV. In Aethernarkose Umschneidung der Wundränder und Aus¬
räumung der vereiterten Drüsen. Dabei zeigt sich, dass die Drüsen¬
veränderungen bis dicht an den Funiculus spermaticus heranreichen und
auch die im Drüsenpaket liegenden Gefässe verdickt und zum Teil
obliteriert erscheinen. Das ganze Drüsenpaket reicht in die Tiefe bis
in die nächste Nähe der grossen Gefässe.
23. IV. Wunde sezerniert sehr stark, am unteren Rande stösst sich
ein kleiner nekrotischer Fetzen ab, in der Tiefe frische Granulationen.
25. IV. Der mediale Wundwinkel bildet eine sehr tiefe, fast nur
unter der Haut gelegene Tasche. Spaltung.
28. IV. Wunde granuliert gut. Umgebung weich, nicht schmerzhaft.
14. V. Der laterale Wundwinkel bildet eine sehr tiefe Tasche nach
oben hin, aus der sich auf Druck hin Eiter entleert. Man fühlt, der
inneren Darmbeinschaufel aufsitzend, einen harten, etwas druckempfind¬
lichen Tumor, der mit diesem Gang nach oben hin augenscheinlich in
Verbindung steht. In Aethernarkose Spaltung des Ganges nach oben.
Beim Auskratzen mit dem scharfen Löffel werden eiterdurchsetzte Granu¬
lationsmassen zutage gefördert. Drainage, Jodoformgaze.
29. V. Nach beendigter Kur keine syphilitischen Erscheinungen.
7. VI. Bubo hat sich wesentlich verkleinert, etwa 6 cm lang und
an der breitesten Stelle 2 cm breit. Schwarze Salbe.
20. VI. Bubo noch weiter wesentlich verkleinert. Es besteht nur
noch ein zweimarkstückgrosser granulierender Herd in der Mitte und
eine 2 mm tiefe, 2 cm lange spaltförmige Wunde am äusseren Winkel.
23. VI. Die Wunden haben sich noch etwas verkleinert, so dass
sie noch etwa mandelgross und 1 cm gross sind.
Gebessert, auf Wunsch entlassen.
Anscheinend hat es sich um einen stark ulcerierten Primäraffekt in
der linken Leistenbeuge gehandelt, an den sich ein schankröser Bubo
anschloss. Als typische syphilitische Erscheinungen folgten: Lympha¬
denitis multiplex, ein maculo-papulo-crustöses Syphilid, Angina specifica
und Impetigo capitis syphilitica. In der Krankengeschichte ist aus¬
drücklich vermerkt, dass am Penis keinerlei syphilitische Erscheinungen,
insbesondere kein Primäraffekt, bemerkt wurden. Alle Erscheinungen
heilten unter spezifischer Behandlung völlig ab.
Derselbe Patient trat am 9. IV. 1907, also fast genau ein Jahr
später, in poliklinische Behandlung mit einem seit drei Wochen an der
Haut des Penis bestehenden Geschwür, das sich nach dem letzten Ver¬
kehr, etwa 20. II.. gebildet hatte. Io der Zeit seit seiner Entlassung
waren nie wieder Erscheinungen bei ihm zur Beobachtung gekommen.
Im poliklinischen Journal findet sich folgende Notiz: An der rechten
Seite des Penis am äusseren Präputialblatt ein gut haselnussgrosser
Primäraffekt (glatte, geschlossene Oberfläche, mattrot, leichte Einziehung
nach der Mitte zu, wallartiger Rand, starke Härte). Am Rumpf Roseola,
mittelgrossfleckig, linsengross, mässig reichlich, zum Teil urticata; an
den Oberschenkeln, den Armen spärliche Roseolen. Nässende Papeln
ad scrotum. Sechs linsengrosse Papeln auf der Haut des Penis. Zarte
Plaques an der rechten Mandel. In der rechten Leistenbeuge ein klein¬
apfelgrosser Bubo; die darüberliegende Haut gerötet und infiltriert, an
einer Stelle Fluktuation, Betastung sohmerzhaft. Es besteht Lymph-
drüsenscbwellung: Inguinales links, Cubitales, Axillares, Submaxillares,
Cervicales.
In dem Primäraffekt fanden sich sehr zahlreiche Spirochaetae
pallidae (-f-f-+). Das klinische Bild bot alle Charakteristica des
syphilitischen Schankers dar; ausgesprochene syphilitische Sekundär-
ersoheinungen waren vorhanden. Ausserdem wurde der Primäraffekt am
9. IV. exzidiert und ein Teil auf einen Cercocebus fuliginosus über¬
impft, bei welchem sich an den Augenbrauen typische Initialaffekte ent¬
wickelten.
In diesem Falle unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass es
sich um eine Reinfektion handelte, eine Reinduration ausge¬
schlossen werden konnte, zumal etwa ein Jahr zwischen erster
und zweiter Infektion lag, die klinischen Erscheinungen beide
Male eindeutig waren, auch der zweite Initialaffekt an einer
anderen Stelle sass wie beim ersten Male.
Natürlich setzte man in dieser Hinsicht die grössten Er¬
wartungen auf das Salvarsan. Wenn durch dieses so eminent
wirksame Präparat die erhoffte Therapia sterilisans magna ge¬
glückt wäre, die Lues mit einem Schlage geheilt würde, so wäre
damit auch die Frage der Reinfektion entschieden gewesen. Es
liegen bereits mehrere einschlägige Beobachtungen aus der jüngsten
Zeit vor (Stühmer, Bering, Finger, Milian). Es hat aber
auch andererseits nicht an Widerspruch gefehlt; und insbesondere
ist es E. Hoffmann, welcher derartige Fälle nicht immer als
Reinfektion, sondern als sogenannte Solitärsekundäraffekte im
Sinne Thalmann’s auffasst. Ich werde auf diese Frage noch
zurückkommen und möchte zunächst einige eigene Beobachtungen
aus der Kgl. Universitätsklinik schildern.
Fall 1. M. W., Kaufmann, 38 Jahre alt. Aufnahme 26. III. 1912.
1902, 1907 Gonorrhöe. 1904 weicher Schanker. Jetzige Krankheit:
Pat. ist verheiratet. Infectio angeblich unbekannt. Frau gesund nach
ärztlicher Untersuchung.
19. III. 1912 bemerkte Pat. Jucken unter der Vorhaut. Zunehmende
Schwellung und Schmerzen führten ihn am 21. III. in die Poliklinik,
wo Spülungen des stark geschwollenen, sehr engen Vorhautsackes vor¬
genommen wurden. 23. III. wurden Spirochaetae pallidae in dem am
Präputialring sitzenden Geschwür gefunden. Aufnahme in die Klinik
angeraten.
Status: Mittelgrosser, schwächlicher Mann.
Gor, Pulmones: Ohne Besonderheiten. Urin: Albumen —, Sac¬
charin». —.
Genitalia: Vorhautsackmündung entzündlich gerötet; es besteht
Phimose. Aus der Oeffnung des Präputialsackes entleert sich wenig,
dünner, schleimig-eitriger Ausfluss. Am inneren Vorhautblatt, dessen
Oberfläche wenig erodiert ist, besteht rechts eine bohnengrosse Induration
(reichlich Spirochaetae pallidae).
Drüsen: Inguinales haselnussgross. Sonst keine allgemeine Drüsen¬
schwellung. Kein Exanthem.
Diagnose: Primäraffekt an der Vorhautsackmündung. Phimose.
Scleradenitis inguinalis sinistra.
Therapie: 26. III. Salvarsan 0,5 intravenös. Abends Temperatur
38,4°. Mehrmals Erbrechen und Durchfall. Nach der Injektion sofort
starke Schmerzen in Brust und Rücken.
27. III. 0,05 Hydr. sal.
30. III. 0,1 Hydr. sal.
Gebessert, auf Wunsch entlassen.
Zweite Aufnahme 2. IV. 1912.
Phimose besteht fort. Die bohnengrosse Induration ist kleiner ge¬
worden, das Oedem des Präputiums völlig verschwunden. Die haselnuss¬
grosse Inguinaldrüse bedeutend kleiner. Urin: Spur Albumen.
Salvarsan 0,4 intravenös.
Temperatur 38,9°, mehrmals Erbrechen und Durchfall.
3. IV. Gebessert, auf Wunsch entlassen.
III. Aufnahme 6. XII. 1912.
Ausser dem ehelichen Verkehr angeblich kein ausserehelicher.
Neben der alten Narbe soll vor acht Tagen ein neues Geschwür ent¬
standen sein.
Befund: Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin Albumen -f-,
(Ep. + Ek. +.) Saccharum —.
Genitalia: Am Vorhautsackrande, auf dem äusseren Vorbautblatt,
ungefähr entsprechend dem Sitz des früheren Primäraffektes, der auf dem
inneren Vorhautblatte sass, neben der alten Narbe, eine erbsengrosse,
harte Stelle mit glatter, lackfarbener Oberfläche, die sich scharf gegen
die weiche Umgebung abhebt. Spirochaetae pallidae ++• Es besteht
sehr starke Phimose. Dorsales Lymphgefäss stricknadeldick, hart. Leisten¬
drüsen: links haselnuss-, rechts erbsengross, indolent, keine allgemeine
Drüsenschwellung, kein Exanthem; behaarter Kopf und Mund frei.
Wasser mann’sche Reaktion negativ.
7. XII. Salvarsan 0,4 intravenös. Gut vertragen. Albumen —.
Gebessert, auf Wunsch entlassen.
17. XII. Der Primärafiekt zum Teil vernarbt, in der Mitte mit
gelbgrünlicher Borke bedeckt. Leistendrüsen beiderseits erbsengross,
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Dorsales Lympbgefäss: stricknadeldick. Cubitales, Cervicales: linsen¬
gross. Kein Exanthem. Mund, behaarter Kopf: frei. Urin: SacchaTum—,
Albumen + (Spuren). Ep. + Ek. +, keine Cylinder.
Salvarsan 0,4. Gut vertragen. Wassermann’sche Reaktion + negativ.
18. XII. In Lokalanästhesie Abtragung des vorderen Teiles der
Vorhaut mitsamt Primäraffektrest; glans und inneres Vorhautblatt ohne
Besonderheiten.
18. XII. Gebessert, auf Wunsch entlassen.
18. I. 1913. Herpes progenitalis im Sulcus coronarius. Dorsales
Lympbgefäss nicht geschwollen. Leistendrüsen: erbsengross. Cubitales
nicht geschwollen. Nuchales: links linsengross.
Am Körper kein Exanthem. Mund, Kopf frei. Wassermann’sche
Reaktion negativ.
Calomel 0,05. — Einreibungskur 36 mal 4,0 Ungt. hydr. ein.
27. II. Wassermann’sche Reaktion — negativ.
10. IV. Wassermänn’sche Reaktion negativ.
Fall 2. H. Sch., Kaufmann, 26 Jahre alt. Aufnahme 14. V. 1912.
1911. Gonorrhöe und doppelseitige Epididymitis.
Am 16. VIII. 1911 kleiner Pickel auf dem äusseren Vorhautblatt.
Nach Mitteilung des Virchow-Krankenhauses Primäraffekt mit Spirochaetae
pallidae +-f-. Wassermann’sche Reaktion 16. VIII. negativ. Behandlung:
20. VIII. Salvarsan 0,4; 28. VIII. und 4. IX.: Salvarsan je 0,5. — Auf den
Primäraffekt Calomelstreupulver.
Jetzige Krankheit: 7. V. 1912: Nach mehrmaligem Verkehr im
April eine juckende, rote Stelle auf dem inneren Vorhautblatt, die all¬
mählich hart wurde. 9. V. 1912: eine zweite Stelle gleicher Art neben
dem Bändchen. 13. V.: linksseitige Leistendrüsenschwellung.
Befund: Im Sulcus coronarius amUebergang auf das innere Vor¬
hautblatt eine bobnengrosse, knorpelharte Scheibe, die im Centrum
erodiert ist; neben dem Frenulum links eine zweite kleinere Sklerose.
Spirochaetae pallidae +++. — Auf dem Penisschaft eine weiche,
bohnengrosse Narbe.
Drüsen: Inguinales links, eine haselnussgrosse, barte, indolente
Drüse.
Haut: Auf der Brust mehrere rote Flecken (Roseola?).
Mund: Frei.
Diagnose: Zwei Primäraffekte im Sulcus coronarius (Roseola?).
Therapie: Salvarsan 0,5 intravenös. Temperatur: 37,1. Hydr.
sal. 0,05.
15. V. Gebessert, auf Wunsch entlassen.
Fall 3. A. L., Lederarbeiter, 37 Jahre alt. Aufnahme 7. XII. 1911.
Frühere Geschlechtskrankheiten: 0.
Jetzige Krankheit: Letzter Coitus Ende August: Nach 8 Tagen
linsengrosses, hartes Geschwür im Sulcus coronarius, das unter Calomel-
pulver in 8 Tagen heilte. Mitte Oktober: unmittelbar neben der Narbe
kleiner Riss, der nach 2 bis 3 Tagen Einmarkstückgrösse erreichte. Ende
November: starke Leistendrüsenschwellung links. Anfang Dezember:
starke Kopf- und Halsschmerzen, zugleich auffallende Verengerung und
Verklebung des Oriflc. ext. urethrae.
Status: Mittelgrosser, kräftiger Mann. Innere Organe: ohne Be¬
sonderheiten.
Albumeu —, Sacoharum —.
Genitalia: Im Sulcus coronarius rechts bohnengrosses, speckig
belegtes Ulcus, mit zweimarkstückgrosser infiltrierter Umgebung. Dorsales
Lympbgefäss, federkieldick. Orificium urethrae und Urethra bis Sulcus
coronarius derb, sklerosiert, durch eine festhaftende Borke verschlossen.
Spirochaetae pallidae ++•
Drüsen: Inguin.: links bohnengross, rechts höhnen—haselnussgross.
Axillares, Cubitales: erbsengross.
Haut: Am Oberkörper deutliche livide rote Roseola.
Rachenring: mässig scharf, abgesetzte Rötung.
Klagen über starke Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit.
Diagnose: LuesII. Zwei Primäraffekte im Sulcus coronarius und
der urethra. Solerangitis dorsalis. Scleradenitis. Roseola, Ceph&laea.
Wassermann’sche Reaktion stark positiv +++•
Therapie: 9. XII.: Hydr. sal. 0,05. 11. XII.: Hydr. sal. 0,1.
15. XII. Primäraffekt überhäutet sich, noch doppelt bohnengross.
Roseola abgeblasst. Cephalaea besser.
Salvarsan 0,4 intravenös. Temperatur 38,3.
21. XII. Noch geringo Induration der Urethra. Primäraffekt im
Sulcus noch infiltriert. Roseola noch schwach sichtbar.
Salvarsan 0,4 intravenös. Wassermann’sche Reaktion stark positiv
++++•
22. XII. Befund wie 21. III. Gebessert, auf Wunsch entlassen.
11. Aufnahme am 14. I. 1913. Ende Dezember 1912 bemerkte Pat.
nach einem mehrere Wochen zurückliegenden Verkehr (Mitte Dezember)
ein kleines Bläschen auf der Unterlippe, aus dem sich allmählich ein
Geschwür entwickelte.
Status: Innere Organe ohne Besonderheiten. Urin: Albumen,
Saccharum —.
Auf der Unterlippe links von der Mitte sieht man eine pfennigstück¬
grosse, runde, scharfgeschnittene, erodierte Stelle, deren Grund und Um¬
gebung sich hart anfühlen. Die Oberfläche ist nicht vertieft, lackfarben
glänzend, zum Teil mit einem dünnen Borkchen bedeckt. Spirochaetae
pallidae H—K
Drüsen: Submental-, Submaxillardrüsen gut walnussgross. Hals¬
drüsen wenig geschwollen (linsengross).
Cubitales: rechts erbsengross, links nicht geschwollen.
Inguinales: erbsengross.
Auf dem inneren Vorhautblatt rechts eine weiche pfennigstückgrosse
Narbe (ehemaliger Primäraffekt).
Am Körper kein Exanthem. Behaarter Kopf, Mund, After frei. —
Wassermann’sche Reaktion stark positiv (++++)•
Diagnose: Primäraffekt der Unterlippe. Skleradenitis.
Therapie: 15. I. Hydrarg. sal. 0,05.
17. I. Salvarsan 0,4, ohne Beschwerden vertragen. Submaxillar¬
drüsen links stärker geschwollen.
19. I. Calomel 0,1.
21. I. Borke des Primäraffektes bat sich abgelöst, am Rande be¬
ginnende Ueberbäutung.
27. I. Ueberbäutung bis auf linsengrosse Stelle im Centrum. Wasser¬
mann’sche Reaktion stark positiv (+++*+■)•
28. I. Salvarsan 0,4. Temperatur 38,4.
80. I. Calomel 0,1. Primäraffekt völlig iiberbäutet. Lymphdrüsen-
schwellung am Halse erheblich zurückgegangen. Keine Allgemeinerschei¬
nungen.
3. II. Primäraffekt abgeheilt mit einer erbsengrossen, im Centrum
leicht eingezogenen Narbe. Unterkieferdrüsen als kirsebgrosse einzelne
Drüsen fühlbar. Leistendrüsen: links bohnen-, rechts bis erbsengross.
Cubitales: links linsen-, rechts erbsengross. Nuchales: linsen- bis erbsen¬
gross. Kein Exanthem. Mund, behaarter Kopf, Hände, Fusssohlen frei.
6. II. Salvarsan 0,4. Ohne Beschwerden. Wassermann’sche Reak¬
tion stark positiv (H—{-++).
7. II. Befund beim Abgang: An der Unterlippe weiche, leicht ver¬
tiefte Narbe. Unter dem Unterkiefer rechts kirsohgrosse, links 4 hasel¬
nussgrosse harte Drüsen fühlbar. Cervicales*. links erbsen-, rechts linsen¬
gross. Cubitales: rechts linsengross, links etwas kleiner. Inguinales:
erbsen- bis bohnengross. Mund frei. Kein Eianthem.
Gebessert, auf Wunsch entlassen.
Wenn wir das Ergebnis aus unseren Krankengeschichten kurz
zusammenfassen, so bandelte es sich im 1. Fall um einen sicheren
bohnengrossen Primäraffekt an der Vorhautsackmündung bei be¬
stehender Phimose mit typischer Leistendrüsenschwellong, der mit
0,15 Hydr. sal. 4-04 Calomel und 0,5 Altsalvarsan (intramusku¬
lär) sowie 0,4 Salvarsan (intravenös) behandelt wurde. Allgemein¬
erscheinungen traten nicht auf; die anfangs positive (4~4~H—h)
Wassermann’sche Reaktion wurde negativ. 9 Monate später bil¬
dete sich neben der Narbe des 1. Primäraffektes eine kleinere,
ca. erbsengrosse Sklerose mit reichlichen Spirochaetae pallidae
bei gleichzeitiger indolenter Leistendrüsenschwellung. Unter Cir-
cumcision der Phimose wurde diese Sklerose entfernt, und sie
erwies sich auch bei der histologischen Untersuchung (Endo- und
Perilymphangitis, Endo- und Periphlebitis) als solche. Die Wasser¬
mann’sche Reaktion, die beim Auftreten des 2. Primäraffektes
noch negativ war, blieb negativ bis heute (10. IV. 1918). Unter
der eingeleiteten Kur: 0,3 4* 0,4 Salvarsan intravenös, 0,1 Calo¬
mel und einer Einreibungskur von 180 g Unguent. einer., traten
Sekundärerscheinungen bis heute nicht aul.
Es handelt sich also um einen abortiv behandelten Primär¬
affekt, ohne allgemeine Erscheinungen von seiten der Haut,
9 Monate später gefolgt von einer neuen Sklerose typischer Art
neben der alten Narbe.
Der 2. Fall betrifft einen 26jährigen Mann, der am 3. VIII.
1911 am Penisschaft eine Sklerose mit zahlreichen Syphilis-Spiro¬
chäten sowie doppelseitiger Leistendrösenschwellung aufwies. Die
Wassermann’sche Reaktion war am 8. und 16. VIII. negativ;
syphilitische Sekundärerscheinungen zeigten sich nicht. Patient
bekam 3 mal intravenös Salvarsan, im ganzen 1,4. Nach fast
9 Monaten (am 7. V. 1912), während deren keine syphilitischen
Manifestationen auftraten, bekam Pat. auf dem inneren Vorhaut¬
blatt am Uebergang auf den Sulcus coronarius, bzw. neben dem
Frenulum je einen Primäraffekt mit typischen Spirochäten; da¬
neben bestand geringe Leistendrüsenschwellung und ein Ausschlag
am Körper, der als roseolaverdächtig erschien.
Wir haben also wieder das Bild eines abortiv behandelten
Primäraffektes am äusseren Präputialblatt, der unter Salvarsan
allein abbeilte und nicht von Sekundärerscheinungen gefolgt war;
9 Monate später am Penis, aber nicht an derselben Stelle, zwei
neue typische Primäraffekte mit sekundärer Leistendrüsenschwellong
und einer angedeuteten Roseola.
Im 3. Falle liegen die Verhältnisse noch klarer. Etwa
6 Wochen nach der Infektion bilden sich ein Primäraffekt im
Sulcus coron., ein zweiter an der Harnröhrenmündung mit Scler¬
adenitis inguinalis. Nach weiteren 6 Wochen folgt eine gross¬
fleckige Roseola, mit deren Auftreten starke Kopfschmerzen ver¬
bunden sind. Wassermann’sche Reaktion stark positiv. I 1 /« Spritzen
Hydr. sal., 0,1 Calomel und 2.mal 0,4,Salvarsan intravenös bringen
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19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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alle Erscheinungen zum Verschwinden. Wassermann’sche Reak¬
tion am 21. XI1. stark positiv (-)--)—|—|-).
13 Monate später wird der Fatieut in die Klinik aufgenommen
mit einem 10-pfennigstückgrossen typischen Primäraffekt an der
linken Hälfte der Unterlippe und charakteristischer Drüsen-
Schwellung der Unterkieferdrüsen, der nach einem Verkehr exira
matrimonium im Dezember entstanden ist und jetzt ca. 2 Wochen
besteht. Die Wassermann’sche Reaktion ist stark positiv(-j—|—|—J-).
Die Erscheinungen gehen unter einer gemischten Kur, 0,05 Hydr.
sal. + 0,2 Calomel und 3 mal 0,4 Salvarsan, innerhalb 3^2 Wochen
völlig zurück. Wassermann’sche Reaktion am 6. II. 1913 stark
positiv (++++)•
Demnach ein Fall von sekundärer Syphilis (2 Primäraffekte
am Penis, Roseola, starke Gephalaea), die unter einer gemischten
Therapie von Hydr. sal., Calomel und Salvarsan abheilt. 13 Mo¬
nate später an der Unterlippe ein sicherer Primäraffekt, der so¬
fort abortiv behandelt und nicht von Sekundärerscheinungen ge¬
folgt wird.
Die Frage, ob man die in unseren Fällen beobachteten
zweiten Sklerosen als Pseudoprimäraffekte (Hoffmann), als
Solitärsekundäraffekte (Thalmann) bezeichnen darf, müssen wir
verneinen. Selbst wenn wir in dem ersten Falle nach dem
klinischen Bilde annehmen, dass es sich nicht um eine Reinfektion,
sondern um eine Reinduration gehandelt hat, da der zweite Primär¬
affekt sich unmittelbar neben der Narbe des ersten lokalisierte,
so lässt sich dennoch in diesem Falle das Ergebnis der Wasser-
mann’schen Reaktion zugunsten unserer Auffassung verwenden.
Dieselbe war beim Auftreten des ersten Primäraffektes stark
positiv (-]—|—|—f-), wurde im Laufe der Behandlung negativ und
blieb auch negativ. Beim Auftreten der zweiten Sklerose war sie
noch negativ; die sofort eingeleitete, sehr energische Therapie
hielt sie negativ, und auch die mehrfachen Untersuchungen er¬
gaben stets dasselbe Resultat bis heute.
Die Ansichten über die Berechtigung des Begriffes „Solitär¬
sekundäraffekt“ als einer Erscheinungsform der Syphilis, die eine
besondere Bezeichnung erforderlich oder auch nur wünschenswert
macht, sind geteilte. R. Müller 1 ) (aus der Finger’schen Klinik)
weist in seiner Erwiderung auf die von Friboes 2 ) geübte Kritik
der Fälle Finger’s dessen Einwürfe zurück und lehnt die Hypo¬
these des Solitärsekundäraffektes völlig ab. Er sieht in einer
derartigen Manifestation der Syphilis nichts weiter als eine zu
einer „schankriformen Papel u ausgewachsene isolierte Sekundär-
effloreszenz, die als Recidiv auftreten könne, „ohne von neuer¬
lichen sekundären Erscheinungen gefolgt zu seih“; treten solche
in der Folgezeit auf, so haben sie nur die Bedeutung zufällig
später aufgetretener Sekundärerscheinungen, aber nicht die eines
auf „einen Solitärsekundäraffekt“ folgenden allgemeinen Exanthems.
Bei den von Friboes beschriebenen Fällen traten im längsten
Falle nach i * j 2 Jahr bereits die Pseudoprimäraffekte auf, während
in unseren Fällen das kürzeste Intervall 9 Monate, das längste
13 Monate betrug. Auch die Lokalisation eines Teiles der
Sekundäraffekte in den Fällen von Friboes (rechte Schulter,
linker Vorderarm, linkes unteres Augenlid) weicht von der in
meinen Fällen beobachteten und für Primäraffekte sehr gewöhn¬
lichen Lokalisation erheblich ab; auch ist eine spezifische Drüsen¬
schwellung in den beiden ersten Friboes’schen Fällen nicht be¬
obachtet.
In unseren Fällen ist es bei den zweiten Sklerosen das Prä¬
putium, der Sulcus coronarius, die Unterlippe, also Eingangs¬
pforten für das Virus, die man als relativ häufige bezeichnen
darf. In jedem unserer Fälle ist das Bild des Primäraffektes ein
klinisch eindeutiges; charakteristisches Aussehen, Induration,
regionäre Drüsenschwellung, in einem Falle sichere, im zweiten
vermutliche Roseola, im dritten Falle geradezu klassische Drüsen¬
schwellung am Unterkiefer. Wenn es im letzten Falle nicht zur
Ausbildung der Roseola kam, so war es hier die alsbald ein¬
setzende energische Therapie, welche die Sekundärerscheinnngen
hintanhielt.
Ebensowenig wie Friboes die von ihm beschriebenen Fälle
als cutane Frührecidive nach Salvarsanbehandlung im Sinne Bett¬
mann’s 8 ) auf fasst, vermögen wir dies bei unseren Patienten zu
1) R. Müller, Zur Differentialdiagnose zwischen Reinfectio syphilitica
und .skleroseähnlichen Papeln. Dermatol. Zeitschr., 1911, Bd. 18, S. 809.
2) W. Friboes, Ueber Pseudoprimäraffekte nach intensiver Behand¬
lung im Frühstadium der Syphilis. Dermatol. Zeitschr., 1911, Bd. 18,
S. 543.
3) Bettmann, Ueber cutane Frührecidive der Syphilis nach Salvarsan¬
behandlung. Deutsche med. Wochenschr., 1911, Nr. 10, S. 438.
tun. Abgesehen davon, dass die von Bettmann beobachteten
Frührecidive zeitlich viel früher auftreten („zweite bis sechste
Woche nach der Injektion und nach völligem Schwinden der
vorhergehenden Erscheinungen oder wenigstens nach deutlicher
Rückbildung des Primäraffektes“) als in unseren Fällen, unter¬
scheiden sie sich teilweise auch durch ihre Lokalisation („Extremi¬
täten, besonders Vorderarme und Unterschenkel“, allerdings auch
Penis und Unterlippe), ganz besonders aber durch die Form
„papulöse Effloreszenzen von einem Multiplum des Umfangs lenti-
ginöser Papeln“ und endlich auch durch die schlechte Heilungs¬
tendenz trotz energischer Anwendung sowohl von Salvarsan wie
Quecksilber. Dass auch das klinische Bild ein anderes war als
in Bettmann’s Fällen, die „zunächst ziemlich sukkulent, ohne
eigentliche Neigung zum Nässen und ohne Induration“ eine Ver¬
wechslung mit „Chancre redux“ nahelegten, geht ja wohl aus
unserer Schilderung zur Genüge hervor.
Der von Bering 1 ) beobachtete Fall wird unseres Erachtens
nach von ihm mit Recht als eine Reinfectio syphilitica bezeichnet.
(15. X. 1909 Primäraffekt an der linken Seite der Glans, der mit
12 Injektionen grauen Oels ä 0,075 behandelt wurde.) Der Patient
infiziert sich im Januar 1911 bei seiner Frau, die breite Condy¬
lome ad genitalia hatte, und weist am 23. II. 1911 an der rechten
Seite der Glans (bis dahin frei von syphilitischen Erscheinungen)
eine zweite typische Sklerose mit reichlichen Spirochaetae pallidae
auf, die am 8. III. von typischen Sekundärerscheinungen gefolgt
ist. Die am 15. X. 1909 positive Wassermann’sche Reaktion ist
noch am 3. II. 1911 negativ. Dass in diesem Falle der erste
Primäraffekt mit nur einer, und zwar energischen Hg-Kur ausheilt,
ist ja eine, wenn auch seltene, doch einwandfrei beobachtete Tat¬
sache (cf. Engel Reimers, Dreuw), die in diesem Falle auch
durch die am 3. I. 1911 noch negative Wassermann’sche Reaktion
ihre Stütze findet. Ja, dass sogar in manchen Fällen eine reine
lokale Therapie genügt, einen klinisch und bakteriologisch sicheren
Primäraffekt zur Ausheilung zu bringen, die sekundär-syphili¬
tischen Erscheinungen hintanzuhalten, bat uns der Vortrag
Scherber’s 2 ) auf dem X. Dermatologenkongress in Frankfurt a. M.
gelehrt. In dem von ihm selbst beobachteten und den ein¬
schlägigen citierten Fällen (vier Fälle von Taylor 8 ), die er be¬
sonders hervorhebt), müssen wir wohl annehmen, dass nicht die
örtliche Therapie der wesentliche Heilfaktor ist, sondern dass
wohl der betreffende Organismus eine ganz besonders starke
natürliche Abwebrfähigkeit gegen das syphilitische Virus besitzt.
Wenn wir auch für unsere Fälle — insbesondere die beiden
letzten — in Anspruch nehmen, dass es sich nm sichere Fälle
von Reinfektion handelte, so müssen wir andererseits doch die
Bedenken von Friboes teilen, der einen grossen Teil der als
Re- und Superinfektion beschriebenen Fälle als solche nicht an¬
erkennt, sie vielmehr als „Solitärsekundäraffekte“ auffasst. Machen
wir uns diese Auffassung zu eigen, so ist damit bewiesen, dass
eine vollkommene Heilung im Sinne der Therapia sterilisans
magna Ebrlich’s nicht gelungen, aber doch eine fast voll¬
kommene erzielt ist, die ja die Vorbedingung für das Auftreten
eines „Solitärsekundäraffektes“ bildet.
Wir selbst verfügen bereits über eine grössere Zahl von
Fällen, wo bei sicherem Primäraffekt mit Spirochäten, aber noch
negativer Wassermann’scher Reaktion eine Abortivbehandlung mit
Salvarsan und Hg (Salvarsan 0,3, 0,4, 0,4; 6 bis 8 Injektionen
Calomel) nach Exzision des Primäraffektes eingeleitet wurde und
die Patienten auch noch nach einem Jahr und länger frei von
Erscheinungen blieben, auch die Serumreaktion stets ein negatives
Resultat zeitigte. (Eine Arbeit hierüber wird in Kürze erscheinen.)
Diese Beobachtungen berechtigen uns daher auch zu der Annahme,
dass bei rechtzeitig eingeleiteter sehr energischer Behandlung,
„besonders bei Primäraffekten ohne Sekundärerscheinungen“ es
gelingt, mit grösserer Sicherheit dem Ziel, die Syphilis mit einer
Kur zu heilen bzw. die zur Heilung erforderliche Behandlungszeit
abzukürzen, näher zu kommen. Um jedoch ein abschliessendes
Urteil hierüber abgeben zu können, wird es noch jahrelanger
Beobachtung unter fortgesetzter Kontrolle des Blutes bedürfen.
Dass wir aber diesem Ziel infolge der Errungenschaften der
modernen Syphilistherapie näher gerückt sind, dafür scheinen
auch unsere Fälle einen Beitrag zu liefern.
1) Fr. Bering, Ein Fall von Reinfectio syphilitica. Münchener
med. Wochensohr., 1911, Nr. 18, S. 958.
2) Scherber, Die Abortivbehandlung der Syphilis. Verhandl. d.
Deutschen dermatol. Gesellseh., X. Kongress 1908, S. 232.
3) Taylor-New York. Lancet, 1907, S. 181.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Aus der Klinik von Prof. Silex-Berlin.
Die Eröffnung des Tränensackes von der Nase
aus in über 100 Fällen von Dakryostenose.
Von
Dr. J. M. West.
(Demonstration, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am
30. April 1913.)
M. H.! Die Idee, einen Abflussweg zwischen Auge und Nase
in Fällen von Dakryostenose wiederherzustellen, so dass Drainage
erzielt wird und Eiter und Tränen vom Tränensack durch die
Nase abfliessen können, ist so rationell, dass es kein Wunder ist,
dass dieser Gedanke uralt ist, und dass Galen und Celsus
schon daran gedacht haben. Die alten Versuche, diesen Zweck
zu erzielen, sind aber alle misslungen.
In den letzten zwanzig Jahren sind wieder Versuche gemacht
worden, um einen dauernden Abflussweg in Fällen von Stenose
zu schaffen. Die Rhinologen haben von der Nase aus operiert
und die Ophthalmologen von aussen durch einen Hautschnitt.
Caldwell publizierte im Jahre 1893 einen Fall, in welchem er
zunächst eine Sonde in den Tränennasengang bis zur Stenose ein¬
führte und dann mittels des elektrischen Trepan den vorderen
Teil der unteren Muschel bis zum Ductus entfernte. Dann wurde
der Gang aufwärts verfolgt bis zur Sonde und dadurch Drainage
erzielt. Killian empfahl sechs Jahre später ein ähnliches Ver¬
fahren. Passow berichtet 1901 über vier Fälle, die er in ähn¬
licher Weise unter allgemeiner Narkose operiert hat.
Ich glaube, ich kann wohl sagen, dass die bisherigen ver¬
einzelten intranasalen Eingriffe auf den Tränenweg keineswegs die
Behandlung der Dakryostenose beeinflusst haben.
Toti hat im Jahre 1894 eine Methode angegeben, bei welcher
er durch einen Hautschnitt im inneren Augenwinkel eine dauernde
Verbindung zwischen Tränensack und Nase erstrebt. Abgesehen
von der Narbe und dem darin ab und zu entstehenden Keloid,
teilt uns Toti mit, dass er gute Resultate in nur „über der Hälfte
der Fälle“ erzielt. Die verhältnismässig geringe Prozentzahl von
Heilungen muss daran liegen, dass die Anatomie des inneren
Augenwinkels, insbesondere der zarten Tränenröhrchen, viel
darunter leiden muss.
Trotzdem diese verschiedenen Versuche, von innen (intra¬
nasal) und von aussen (durch die Haut), einen Abflussweg vom
Tränensack zur Nase geschaffen haben, ist die Behandlung der
Dakryostenose im allgemeinen unverändert geblieben. Und noch
heute besteht diese Behandlung aus Sondierung, Ausspülungen,
und in Fällen von Tränensackeiterung wird der Sack von aussen
entfernt. Das Sondieren ist bekanntlich ein sehr unzuverlässiges
Verfahren, und sehr oft wird die Stenose nur enger dadurch. Das
Ausspülen kann manchmal eine Dakryocystitis ausheilen, doch
bleibt die Stenose, die Ursache der Krankheit, zurück, und der
Patient kann leicht ein Recidiv bekommen. Sehr oft findet man
keine Besserung der Dakryocystitis durch Spülungen, und in diesen
Fällen wird der Sack von aussen entfernt. Mit der Entfernung
des Sackes von aussen wird die Verbindung mit der Nase voll¬
kommen verschlossen, und um dann zu vermeiden, dass der Patient
nachher Trftnenträufeln hat, wird die Tränendrüse auch mit ent¬
fernt.
Die Tränensackeiterung ist durch eine Stenose im
Tränennasengang verursacht, und es wäre selbstver¬
ständlich viel rationeller und konservativer, wenn wir
die anatomische Verbindung zwischen Auge und Nase
wieder herstellen und die Tränendrüsen in Ruhe lassen
könnten.
Die konservative Behandlung der Dakryostenose hat mich
seit Dezember 1908, wo ich meine erste Operation auf dem
Tränenwege ausgeführt habe, interessiert. Im Jahre 1910, nach¬
dem ich sieben Fälle operiert hatte, habe ich eine Methode an¬
gegeben, welche ich „eine Fensterresektion des Ductus nasolacri-
malis“ genannt habe, und welche sich von der Methode von
Caldwell, Killian und Passow unterscheidet insofern, als sie
konservativer ist und die beiden Muscheln intakt lässt. Aber bei
diesen Fällen habe ich schon gesehen, dass, wenn die Stenose
hoch oben an der Ausmündung des Sackes liegt (und gerade
hier ist die häufigste Stenose), eine Fensterresektion des Ductus
nicht genügt, weil man eine Oeffnung oberhalb der Stenose
machen muss, und dreimal habe ich den Tränensack eröffnen
müssen.
Im Laufe des letzten Jahres habe ich durch das Interesse
und die Liberalität des Herrn Prof. Silex Gelegenheit gehabt,
an einem grossen Material die Erkrankungen des Tränenweges
nnd ihre Behandlung eingehend zu studieren. Als operative Be¬
handlung habe ich die Fensterresektion des Ductus ganz und gar
aufgegeben und habe mich nur mit dem Tränensack beschäftigt,
weil, wenn man den Sack eröffnet hat, man selbstverständlich
oberhalb aller Stenosen ist. ln einer Reihe von über 100 Fällen
habe ich den Tränensack angegriffen und die Technik für diese
Operation entwickelt. Diese Eröffnung des Tränensackes
von der Nase aus ist die Operation, die ich jetzt in allen
Fällen von Dakryostenose mache, wo überhaupt eine Operation
indiziert ist.
Die Methode besteht darin, dass unter Lokalanästhesie
(Cocain, Adrenalin) zuerst unter Schonung der unteren Muschel,
die den Tränenwulst deckende Schleimhaut entfernt wird, und als¬
dann ein Stück vom aufsteigenden Kieferast und auch ein Stück
vom Os lacrimale weggemeisselt wird, wobei der Tränensack an
der lateralen Nasenwand freigelegt wird. Dann wird die nasale
Wand des Sackes weggeschnitten und eine neue künstliche direkte
Verbindung zwischen Auge und Nase oberhalb der intakten unteren
Muschel hergestellt.
In der ophthalmologischen und auch in der laryngologischen
Gesellschaft zu Berlin habe ich geheilte Fälle von Dakryostenose
mit vollkommen normal funktionierendem Tränenwege vorgestellt
und habe die Technik der Operation beschrieben. Die Arbeit
will ich ausführlich in einer anderen Veröffentlichung mitteilen.
Kurz zusaramengefasst bestehen die Vorteile meiner Methode
über die Exstirpation des Sackes von aussen darin, dass
1. die physiologische Funktion des 'Tränenweges
wiederhergestellt wird, so dass nicht nur eine Eite¬
rung des Sackes ausgeheilt wird, sondern auch die Tränen,
wie normalerweise, durch die Nase abfliessen könuen und
daher eine spätere Epiphora vermieden wird,
2. die Tränendrüse geschont wird,
3. ein Hautschnitt und eventuelle Narbe vermieden werden.
Was die Resultate anbetrifft, möchte ich bemerken, dass ich
die oben beschriebene Operation bei allen den verschiedenen
Krankheitsbildern (Epiphora, Dakryocystitis, Dakryoblennorrhoea,
Phlegmone, Tränenfistel), die durch Dakryostenose hervorgerufen
werden, ausgeführt and in 90 pCt. der Fälle sehr gute Resultate
erzielt habe.
Jetzt, m. H., erlaube ich mir, Ihnen einige Patienten vor¬
zustellen:
Fall 1. Tränensackphlegmone, geheilt durch Eröffnung des Tränen¬
sackes von der Nase aus. Bei dieser Patientin ist überhaupt nicht zu
sehen, an welchem Auge die Phlegmone gewesen ist.
Fall 2. Im Gegensatz zu Fall 1 eine Tränensackphlegmone von
aussen inzidiert. Nach dieser Inzision entsteht eine Fistel, die nicht
ausbeilen wollte. Diese Fistel habe ich durch Eröffnung des Tränen¬
sackes von der Nase aus geheilt, aber eine sichtbare Narbe bleibt zurück;
das ist das Resultat der Inzision von aussen.
Fall 3. Ein Mann, der mit Dauersonden über ein Jahr behandelt
wurde, ohne jeden Erfolg. Die Dauersonde wurde 7 verschiedene Male
eingelegt, und jedesmal nach Entfernung der Sonde wächst die Stenose
wieder zu. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus habe
ich sofortige Heilung erzielt.
Fall 4. Ein junger Mann, der im Laufe von drei Jahren über
150 mal sondiert worden war, weil er an einer Tränensackeiterung litt,
jedoch ohne jeden Erfolg, ehe er an die Klinik von Professor Silex
kam. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus sofortige
Heilung.
Fall 5. Junges Mädchen, das an einem Auge an Dakryocystitis
und an dem anderen an Dakryoblennorrhöe litt. In einer Sitzung habe
ich beide Tränensäcke von der Nase aus eröffnet. Resultat: sofortige
Heilung.
Fall 6. Patient mit Tränenträufeln. Geheilt durch Eröffnung des
Tränensackes von der Nase aus.
Fall 7. 69jährige Frau, die bisher ohne jeden Erfolg sondiert
wurde. Nach Eröffnung des Tränensackes sofortige Heilung, die bis jetzt
bereits ein Jahr anhält.
Fall 8. Kind von 6 Jahren, das an Dakryocystitis litt. Sofortige
Heilung durch Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus.
Fall 9. Kind von 10 Jahren, das an Dakryophlegmone litt. Eine
Inzision von aussen hatte die Krankheit nicht geheilt, dagegen ist eine
Tränenfistel entstanden. Nach Eröffnung des Tränensackes von der Nase
aus ist die Tränenfistel sofort geheilt.
Fall 10. Patient, den ich erst gestern wegen Tränensackeiterung
mit Ektasie des Sackes (Tumor lacrimalis) operiert habe. Wie die Herren
sehen können, \st es überhaupt, nicht festzustellen, welches Auge operiert
worden ist. <
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UNIVERSITY OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
927
Fall 11. Patientin, die an Star und auch an Tränensackeiterung
litt. Ich habe die Dakryostenose von derNase aus mit Wiederherstellung
der Physiologie des Tränenweges geheilt. Die Staroperation, die ein
paar Wochen später von Professor Silex vorgenommen wurde, ist ohne
jede Komplikation verlaufen.
Bei allen diesen Patienten ist der Fluorescinversuch positiv,
d. b. Fluorescin, eine gefärbte Lösung, in das Auge eingeträufelt,
läuft durch die Nase allein heraus. Bei der alten Frau (Fall 7)
habe ich in den oberen Teil der Nase einen reinen weissen Watte¬
bausch geschoben. Nachher habe ich eine Lösung von Fluorescin
in das Auge eingeträufelt. Wie Sie sich überzeugen können, ist
der Wattebausch vom Fluorescin gelb gefärbt. (Demonstration.)
Wenn also die gefärbte Flüssigkeit von selbst durch die Nase
abfliesst, so müssen selbstverständlich die Tränen auch abfliessen;
mit anderen Worten: wir haben diese Patienten nicht nur von
ihrem Leiden befreit, wir haben auch die Wiederherstellung der
Physiologie des Tränenweges erzielt. Jetzt, m. H., zum Schluss,
um zu beweisen, wie frei und glatt der Weg vom Auge nach der
Nase zu ist, will ich dieser alten Frau, die über ein Jahr geheilt
geblieben ist, Flüssigkeit von den Tränenröhrchen aus durch die
Nase durchspritzen. Wie Sie sehen, ergiesst sich die Flüssigkeit
in einem Ström durch die Nase. (Demonstration.)
Soviel ich weiss, ist dies der erste Versuch, an der Hand
eines grossen Materials die Frage der Behandlung der Dakryo¬
stenose klinisch zu lösen, und ich glaube schon, dass diese Reihe
von Fällen allein genügt, um zu beweisen, dass wir eine bessere
Methode zur Behandlung dieser Krankheit gefunden haben.
Ich danke dem Herrn Vorsitzenden und auch den anderen
Herren für ihre Aufmerksamkeit.
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen¬
behandlung in den letzten Jahren.
Uebersichtsreferat.
Von
Dr. H. E. Schmidt-Berlin.
Die Röntgenbehandlung hat sich im Laufe der Jahre immer
neue Indikationsgebiete erobert; auch die Technik hat sich ständig
weiter entwickelt und dadurch zum Teil erst Erfolge ermöglicht,
dir früher nicht zu erzielen waren; die Gefahr der Schädigungen
ist heute auf ein Minimum reduziert; diese Tatsachen rechtfertigen
wohl den Wunsch der Redaktion, den Lesern dieser Wochenschrift
einen Bericht über die wichtigsten Fortschritte zu geben, welche
auf dem Gebiete der Röntgenbehandlung in den letzten Jahren
zu verzeichnen sind, und lediglich der Erfüllung dieses Wunsches
sollen die folgenden Zeilen dienen 1 ).
Es ist ohne weiteres verständlich, dass die Fortschritte in
erster Linie auf dem Gebiete der Technik zu suchen sind. Es
sind neue und wichtige Apparate geschaffen worden, welche uns
die Kontrolle der Röhrenkonstanz erleichtern oder zur Bestimmung
der Qualität und Quantität der Röntgenstrahlen dienen oder eine
stärkere Belastung der Röhre und dadurch eine intensivere Röntgen¬
strahlenwirkung ermöglichen.
Zwei Apparate, welche zur Kontrolle der Röhrenkonstanz dienen,
sind das Sklerometer von Klingelfuss und das Qualimeter von
Bauer. Beide sind Zeigerinstrumente, welche die sekundäre Spannung
messen; diese sinkt, wenn die Röhre weicher wird, und steigt, wenn sie
härter wird. Dementsprechend wird auch der Zeigerausschlag dieser In¬
strumente kleiner oder grösser. Er ändert sich nicht, wenn die Röhre
konstant bleibt. Diese Spannungsmesser leisten also eigentlich nicht
mehr als die der Röhre parallel geschaltete Funkenstrecke, nur er¬
möglichen sie die Kontrolle der Röhreukonstanz in bequemerer Weise,
da ein Blick auf den Zeiger genügt, um etwa eingetretene Aenderungen
des Härtegrades zu erkennen. Als objektive Härtemesser kommen sie
nach meiner Ansicht nicht in Betracht, da sie bei dem einen Instru¬
mentarium ganz andere Werte angeben können als bei dem anderen.
Man ist also zur zablenmässigen Bestimmung des Härtegrades immer
noch auf die bekannten Härteskalen, welche direkt auf optischem Wege
die Penetrationsfähigkeit erkennen lassen, angewiesen, wie sie von
Benoist, Walter, Wehnelt u. a. konstruiert worden sind.
Statt der konventionellen Einheiten der verschiedenen Skalen
(Benoist, Walter, Wehnelt u. a.) hat Christen als absolutes Maass
1) Bezüglich näherer Details verweise ich Interessenten auf mein
soeben erschienenes „Compendium der Röntgentherapie“ (dritte ver¬
mehrte Auflage, Hi rsohfeld-Berlin, 1913).
der Penetrationskraft einer Röntgenstrahlung die „Halbwertschicht“
eingeführt.
Unter Halbwertschicht versteht man nach Christen diejenige Dicke
einer Schicht destillierten Wassers, gemessen in Centimetem, welche von
jeder einfallenden Röntgenstrahlung gerade die Hälfte absorbiert und
die andere Hälfte durchlässt.
Je weicher also eine Strahlung ist, desto dünner, je härter, desto
dicker ist ihre Halbwertschicbt, desto tiefer kann sie eindringen, ehe sie
durch Absorption auf die Hälfte ihrer Intensität reduziert ist. Praktisch
kann man nun die Absorptionsfähigkeit der menschlichen Weichteile der¬
jenigen des destillierten Wassers gleicbsetzen. Haben wir z. B. auf die
Haut die Dosis 10 appliziert, und wir haben in 2 cm Tiefe noch die
Dosis 5, so haben wir eine Strahlung von der Halbwertschicht 2 cm.
Nach dem Vorschläge von Christen dürfte es sich der Einfachheit
halber empfehlen, von 0,5, 1, 1,5, 2 cm-Strahlen zu sprechen, geradeso
wie wir etwa von G mm-Geschossen reden.
Zur Bestimmung der Halbwertschicht dient der von Christen an¬
gegebene absolute Härtemesser, mit welchem man an jeder in
Betrieb befindlichen Röntgenröhre die Halb wertschicht der Strahlung
direkt optisch ablesen kann.
Ueber das Prinzip des Instruments sei hier nur so viel gesagt, dass
es im wesentlichen aus dem „Absorptionskörper“ und der „Halb¬
wertplatte“ besteht, deren Schatten auf einem Fluoreszenzschirm ver¬
glichen werden. Der Absorptionskörper ist ein treppenförmiges Gebilde
aus einer Substanz, deren Absorptionsvermögen dem der menschlichen
Weichteile entspricht. Die Höbe der einzelnen Stufen steigt von 0,25
bis 3 cm. Die Halbwertplatte besteht aus einer siebförmig durchlöcherten
Metallplatte, und zwar ist die Summe aller Löcher gleich der halben
Fläche der Scheibe, so dass von jeder auffallenden Strahlung nur die
Hälfte hindurchgelassen wird (Halbwert). Der Absorptionskörper ist
neben der Platte verschieblich. Bei einer weicheren Strahlung wird
eine niedrigere, bei härterer Strahlung eine höhere Stufe die gleiche
Schattenintensität auf dem Leuchtschirm geben wie die Halbwertplatte.
Das Instrument scheint berufen, die bisher gebräuchlichen Skalen
zu verdrängen, so dass wir endlich in der „Halbwertschicht“ ein
einheitliches Maass für die Qualität einer Strahlung haben würden.
Zur Messung der Quantität hat sich nach wie vor das ausserhalb
Frankreichs zuerst vom Verfasser empfohlene Radiometer von Sabouraud-
Noire so gut bewährt, dass Holzknecht eine neue „Skala zum
Sabouraud“ konstruiert hat, welche nicht nur Voll dosen, sondern
auch Teil dosen abzu lesen gestattet.
Diese Modifikation entspricht jedenfalls keinem dringenden
Bedürfnis; ‘denn wenn man die Röhren konstant zn halten ver¬
steht, was heute unbedingt zu fordern ist, braucht man sie nur
einmal auszudosieren. Wenn man weiss, wie lange man braucht,
um die Volldosis zu bekommen, kann man natürlich jede be¬
liebige Teildosis durch entsprechende Abkürzung der Expositions¬
zeit erhalten. Die Kontrolle der Konstanz erfolgt durch Milli¬
amperemeter und parallele Funkenstrecke. Statt derFunken-
strecke kann man das noch bequemere Qualimeter von Bauer
benutzen. Die Vorteile dieser vom Verfasser bereits vor 6 Jahren
angegebenen kombinierten Dosierungsmethode sind so ein¬
leuchtend und schon so oft wiederholt worden, dass es sich er¬
übrigt, hier näher darauf einzugehen. Irgendwelche Modifikationen
sind vollkommen überflüssig. Die Methode hat sich immer mehr
eingebürgert, und erst kürzlich bat sie Frank Schultz wieder
als „absolut zuverlässig“ empfohlen.
Es ist in der Tat die einzige rationelle Dosierungsmethode, welche
wir zurzeit besitzen. Wichtig für die Dosierung ist die vom Verfasser
experimentell an seiner eigenen Haut festgestellte Tatsache, dass das
Radiometer von Sabouraud-Noirö nur für eine mittelweiche Strahlung
(5—7 We.) Gültigkeit hat; bei dieser enstspricht die Volldosis (Teinte B)
der vom Verfasser eingeführten Erythemdosis. Dagegen entsprechen
bei einer harten Strahlung von 10—12 We. erst zwei Volldosen der
Erythemdosis. Bei noch härterer Strahlung müsste man noch mehr
Volldosen geben, um die Erythemdosis zu erreichen. So gibt
Gauss an, dass er mit einer möglichst harten Strahlung, die ausserdem
noch durch 3 mm starkes Aluminium filtriert und dadurch noch härter
geworden ist, bis zu 30 x (drei Volldosen nach Sabouraud-Noirö)
gehen kann, ohne dass ein Erythem auftritt.
Das erklärt sich ganz einfach dadurch, dass das Absorptions¬
vermögen der Sabouraud-Tabletten erheblich grösser ist als das der
Haut. Daher muss bei härterer Strahlung die Tablette bereits die der
Volldosis, entsprechende Teinte B zeigen, während die durchlässigere
Haut noch lange nicht den entsprechenden Bruchteil der Strahlung ab¬
sorbiert hat. Umgekehrt liegen die Dinge bei einer sehr weichen
Strahlung.
Was für das Radiometer von Sabouraud-Noirö festgestellt ist,
muss wohl auch für alle anderen „chemischen“ Dosimeter gelten, da
alle Reagenzpapiere und -flüssigkeiten infolge ihres Gehaltes an metalli¬
schen Bestandteilen ein viel grösseres Absorptionsvermögen für Röntgen¬
strahlen besitzen als die menschliche Haut.
Das neueste Messinstrument ist das von der Firma Reiniger,
Gebbert & Sohall hergestellte Iontoquantimeter, welches auf der
Ionisierung einer Luftstrecke (lonisierungskammer) durch Röntgenstrahjea
6 *
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
beruht und die Ablesung mittels Zeigerausschlages auf einer Skala ge¬
stattet, die nach Kienböck-Einheiten geteilt ist.
Dies Instrument 'würde insofern einen Vorzug vor den chemischen
Dosimetern besitzen, als hier jede Subjektivität, wie sie bei der Ab¬
schätzung von Farbennuancen kaum zu vermeiden ist, fortfällt. Auch
mit diesem Quantimeter dürfte man nur bei mittel weicher Strahlung
richtig, bei harter aber unter- und bei weicher überdosieren. Praktische
Erfahrungen und Vergleichsuntersuchungen liegen noch nicht vor.
Bei den grösseren Anforderungen, die besonders in der Tiefen¬
therapie heute an die Röhren gestellt werden, hat es nicht ausbleiben
können, dass man erstens nach Mitteln gesucht hat, welche eine
Schonung der Röhren bei starker Belastung bezwecken, und dass man
zweitens die Röhren selbst widerstandsfähiger gemacht hat.
Den Zweck der Röhrenschonung erfüllt der sogenannte „Rhyth¬
meur“, ein Zusatzunterbrecher, welcher neben dem Hauptunterbrecher
eingeschaltet wird und die Tätigkeit der Röhre in regelmässigen, rasch
aufeinanderfolgenden Pausen unterbricht. In den Pausen hat die durch
den Aufprall der Katbodenstrahlen auf der Antikathode entstehende
Wärme Zeit, sich im Metall zu verteilen. Es kann also nicht so leicht
zu einer Ueberhitzung des Antikathodenmetalls und damit zu einer Gas¬
abgabe und einem Weicherwerden der Röhre kommen. Durch den
Rhythmeur erhält man also mit anderen Worten in kurzen Pausen
aufeinanderfolgende Momentbelastungen, die man natürlich erheblich
stärker wählen kann als eine Dauerbelastung. Die Röntgenstrahlen¬
menge nimmt natürlich mit der Belastung zu, und die Expositionszeit,
welche zur Verabfolgung einer bestimmten Dosis Röntgenstrahlen er¬
forderlich ist, wird entsprechend abgekürzt. Der Rhythmeur ist sehr
zweckmässig da, wo es auf besondere Gewaltleistungen ankommt, wie
z. B. bei dem grossen Material der Freiburger Frauenklinik.
Störend sind die unvermeidlichen grossen Schwankungen der Zeiger¬
instrumente, welche erstens für diese Instrumente nicht ganz gleich¬
gültig sein dürften und zweitens vor allem eine exakte Kontrolle der
Röhrenkonstanz sehr erschweren. Ich ziehe es daher im allgemeinen
vor, ohne Rhythmeur zu arbeiten, kann dann allerdings die Röhren
nicht ganz so stark belasten und muss infolgedessen etwas länger ex¬
ponieren.
Von den Röhren hat sich für starke Beanspruchung die alte
Wasserkühlröhre von Möller gut bewährt, speziell der Typ
„Rapidrohr“ mit, etwas kräftigerer Antikathode.
Wenn das Kühlwasser zu heiss und die Röhre weicher werden
sollte, kann man das heisse Wasser einfach ausgiessen und durch kaltes
ersetzen. Es empfiehlt sich nur nicht, gleich alles Wasser auszugiessen,
sondern noch soviel im Kühlgefäss zu lassen, dass wenigstens das Anti¬
kathodenmetall von heissem Wasser bedeckt ist, und dann vorsichtig
kühles Wasser nachzufüllen. Auch gibt es eine einfache Vorrichtung,
welche gestattet, das Wasser in dem Kühlgefäss circulieren zu lassen.
Doch kommt man im allgemeinen mit der Kühlung durch stehendes
Wasser, das ira Bedarfsfälle gewechselt wird, aus.
Eine andere Art der Kühlung ist die durch circulierende Luft,
welche mittels eines Pressluftgebläses oder einer elektrischen
Luftdusche („Föhn“) gegen die Antikathodenplatte geblasen wird
und dadurch eine gute Kühlung des Metalles bewirkt (Röhren von
Reiniger, Gebbert & Schall und Burger). Auch derartige Röhren sind
sehr belastungsfähig und besonders für Tiefenbestrahlungen geeignet.
Die Regulierung der Röhren ist dadurch verbessert worden, dass
man sie während des Betriebes aus der Ferne, von geschütztem
Standort aus vornehmen kann (Distanzregulierung [Holzknecht],
Luftfernregenerierung [Bauer]). Mir persönlich haben sich am
besten die Osmoregenerierung und die neue Luftregenerierung
bewährt. Letztere ist auf Wunsch an den meisten gebräuchlichen Röhren¬
typen anzubringen. Bei der Regenerierung handelt es sich bekanntlich
immer um eine Gaszufuhr, sobald die Röhren die Neigung zeigen,
„härter“ zu werden. Man benutzt zu diesem Zwecke auch Glimmer¬
und Kohleplättchen, welche bei Erwärmung durch den elektrischen Strom •
Gas abgeben. Ganz abgesehen von der Umständlichkeit des Verfahrens
sollte man diese Art der Regenerierung auch aus dem Grunde ganz
fallen lassen, weil die gasabgebenden Substanzen zu rasch abgenutzt
werden.
Neben den Indnktor-Unterbrecherapparaten sind heute auch
sogenannte unterbrecherlose Apparate in Gebrauch (Ideal¬
apparat [Reiniger, Gebbert & Schall]).
Diese Hochspannungsgleichrichter kommen besonders da in
Frage, wo Wechsel- oder Drehstrom vorhanden ist, weil man in
diesem Falle für den Indukt or-Unterbrecherbetrieb einen Umformer
nötig hat. Trotzdem ist die letztgenannte Betriebsart meines Erachtens
dann empfehlenswerter, wenn der Röntgenapparat lediglich für thera¬
peutische Zwecke bestimmt ist. Die Stromkurve ist nämlich bei den
Hochspannungsgleichrichtern ungünstiger für die Erzeugung harter
Strahlen, auf welche es gerade in der Therapie vorwiegend ankommt;
sie produzieren einen grösseren Anteil weicherer Strahlen; das ist wieder
ein Vorteil da, wo es lediglich auf röntgendiagnostiscbe Zwecke ankommt,
weil die Bilder kontrastreicher ausfallen. Ferner ist die Regulierung
der Stromzufuhr nicht im, der feinen Weise möglich, jrie bei dpm In-,
duktor-Unterbreoherapparat. Auch bei diesen ist leider meist die Unter¬
teilung des Widerstandes für den primären Strom nicht so fein, wie das
für die Wahl einer möglichst passenden Röhrenbelastung wünschenswert
ist. Ich habe daher die Firma' Reiniger, Gebbert & Schall ver¬
anlasst, gerade auf diesen Punkt bei der Herstellung neuer Schalttische
oder Schalttafeln besonderen Wert zu legen.
Günstiger, speziell für die Erzeugung harter Strahlen, soll die Strom-
kurve bei dem Hochspannungsgleichrichter der Veifa-Werke sein, der
unter dem Namen Reformröntgenapparat von Dessauer kon¬
struiert worden ist. Als neuester Unterbrechertyp sei hier der Gas-
unterbrecher von Reiniger, Gebbert & Schall erwähnt. Statt
der funkenlöschenden Flüssigkeit (Petroleum) wird hier Gas benutzt.
Dadurch wird eine Verschlammung des Quecksilbers vermieden. Der
Unterbrecher erfordert keine besondere Wartung und gestattet, grössere
Stromstärken zu unterbrechen.
Die Neuerungen auf dem Gebiete der Apparatur, soweit sie
zurzeit praktische Bedeutung haben, dürften hiermit genannt sein.
Auch auf dem Gebiete derBestrahlungstechnik, speziell der
Tiefenbestrahlung, haben wir Fortschritte zu verzeichnen, welche
wir den Gynäkologen, in erster Linie Krönig und Gauss, ver¬
danken.
Die Erfolge, welche an der Freiburger Frauenklinik bei Myomen, prä¬
klimakterischen Blutungen und Dysmenorrhöen erzielt werden konnten,
sind in der Tat wesentlich günstiger als an anderen Orten, und das
dürfte vor allem auf das Konto einer besseren Technik zu setzen sein.
Worin besteht nun die Freiburger Technik?
In der systematischen Anwendung von zwei Mitteln zur Verbesse¬
rung der Tiefenwirkung, welche lange bekannt sind: der Filtration einer
an sich schon möglichst harten Strahlung und der Anwendung zahlreicher
Einfallspforten („Kreuzfeuer“). Dazu kommt als drittes Neues die Appli¬
kation grösserer Dosen auf die einzelnen Bestrahlungsfelder, als das bis¬
her für möglich gehalten war. Um ganz gerecht zu sein, muss man zu¬
geben, dass auch so zahlreiche Einfallspforten für die Strahlung bis dato
noch nicht benutzt worden waren.
Ueber das beste Filtermaterial dürfte nach den verdienstlichen
Untersuchungen von Schatz wohl kein Zweifel mehr bestehen: es ist
das Aluminium. Freilich kann man auoh mit Glas oder Leder filtrieren;
doch hat jenes den Nachteil der Zerbrechlichkeit, während dieses
in sehr dicker Schicht angewandt werden muss. Als ungeeignetes Filter¬
material kann wohl das von v. Jaoksch empfohlene Silber angesehen
werden, da es nicht nur die weichen, sondern auch die harten Strahlen
zum grossen Teil absorbiert. Nicht so einig wie über das Material ist
man sich über die Dicke des Aluminiumfilters. Früher hat man 0,5 bis
1 mm dickes Aluminium benutzt, Gauss hat wohl zuerst 3 mm dickes
Aluminium angewandt. In Frankreich wird von manchen Röntgen¬
therapeuten (Jaugeas) 4 mm dickes Aluminium empfohlen.
Untersuchungen, welche Verfasser mit dem Christen’schen Härte¬
messer angestellt hat, zeigen, dass die Penetrationskraft einer Strahlung
erheblich zunimmt, wenn man sie durch 1 mm Aluminium filtriert;
filtriert man sie durch 2 mm Aluminium, so nimmt sie zwar noch etwas,
aber doch nur wenig zu, um dann stationär zu bleiben, auch wenn man
sie 3, 4 oder 5 mm Aluminium passieren lässt. Dagegen findet eine
erhebliche Sohwächung der Strahlungsintensität statt, weil durch dickere
Filter auch die harten Strahlen zum Teil absorbiert werden.
Zu etwas anderen Ergebnissen ist Hans Meyer gekommen. Filtrierte
er eine harte Strahlung (von 6 B. W.) durch 1 mm Aluminium, so zeigte
der Christen’sche Härtemesser eine Halb wertschicht von 2 cm; filtrierte
er durch 2 mm, so stieg die Halb wertschicht auf 2,25 cm.
Bis dahin decken sich die Resultate mit denen des Verfassers;
dagegen fand Hans Meyer das Optimum bei Filtration durch
4 mm Aluminium mit 2,5 cm Halbwert9chicht.
Wenn wir diese letzten Angaben für die Wahl der geeigneten
Filterdecke verwerten wollen, so haben wir also:
bei 1 mm Aluminium eine Halbwertschicht von 2,0 cm,
n 2 „ n n n n 2,25 „
n ^ „ n n n n 2,6 „
Man sieht also, dass auch nach den Angaben von Hans
Meyer die Penetrationskraft einer durch 1 oder 2 mm Aluminium
filtrierten Strahlung nicht in nennenswerter Weise steigt, wenn
man sie noch weitere 2 mm Aluminium passieren lässt.
Verfasser benutzt daher ausschiesslich Aluminiumfilter von
1 bis höchstens 2 mm Dicke, da eine nennenswerte Steigerung
der Penetrationskraft durch dickere Filter nicht möglich, anderer¬
seits eine erhebliche Abschwächung der Strahlungsintensität un¬
vermeidlich ist.
Ein Mittel, welches in Freiburg nicht angewandt wird, ob¬
wohl es eine weitere Steigerung der Dosen um das l l /s* bis 2-
fache gestattet, ist die Anämisierung der Haut, welche — wie
Schwarz gezeigt hat — die Haut unempfindlicher für Röntgen¬
strahlen macht, sie also desensibilisiert. Schwarz wandte bei
seinen Versuchen zur Erzielung einer Anämie die Kompression
durch Holzplättchen an.
Verfasser konnte experimentell nacbweisen, dass die gut
komprimierte Haut die doppelte Erythemdosis verträgt, ohne dass
eine sichtbare Hautreaktion auftritt.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Reicher und Lenz haben dann an Stelle der Kompressionsanämie
die Adrenalinanämie eingeführt, die etwa das Gleiche leistet, aber
meines Erachtens nur an den Stellen den Vorzug verdient, an welchen
eine Kompression aus technischen Gründen nicht möglich ist.
Im übrigen ist zu bedenken, dass Adrenalin immerhin ein Gefäss-
gift ist, und dass auch die Röntgenstrahlen die Gefässe schädigen, so
dass Iselin die Adrenalinmethode aus diesem Grunde vollkommen ver¬
wirft, und man muss zugeben, dass sein ablehnender Standpunkt nicht
unberechtigt erscheint.
Durch die Kompression erreichen wir noch etwas anderes, näm¬
lich eine Annäherung des Focus an die zu bestrahlenden, tiefge¬
legenen Gewebe und eine Verringerung des Unterschiedes in der Ent¬
fernung der tiefgelegenen Gewebe und derjenigen der Haut vom Focus
oder mit anderen Worten: ein günstigeres Verhältnis der Oberflächen-
zur Tiefendosis. Besonders bei Tiefenbestrahlungen des Abdomens ist
die Kompressionsanämie entschieden vorzuziehen; allerdings muss 'man
genau darauf achten, dass auöh wirklich das ganze Bestrahlungsfeld
gleichmäßig gut komprimiert wird.
Verfasser hat speziell für radiäre Bestrahlungen des Abdomens
unter Filtration und Kompression einen Tubus von annähernd drei¬
eckigem Querschnitt angegeben, der sich sehr gut bewährt hat 1 ).
Ebenso wie Anämie die Hant unterempfindlich macht, wird
sie durch Hyperämie überempfindlich für Röntgenstrahlen, wie
das Verfasser zuerst experimentell an seiner eigenen Haut nach-
weisen konnte. Auch diese Tatsache hat Bedeutung für die
röntgen therapeutische Praxis gewonnen und erklärt die schon
früher erzielten besseren Erfolge nach Vorbehandlung mit Hoch¬
frequenzströmen (Eijkmann, Frank Schultz).
Durch eine derartige Vorbehandlung mit Hochfrequenzströmen,
Licht, Kohlensäureschnee oder andere Irritantien) werden eben die
pathologischen Gebilde, welche sich gegen Rontgenstrahlen refraktär
verhielten, hyperämisiert und dadurch sensibilisiert.
Zur Sensibilisierung tiefer gelegener Tumoren hat Verfasser
zuerst die Thermopenetration empfohlen.
Doch scheint sich die Methode nach den spärlichen, bisher vor¬
liegenden Erfahrungen nicht besonders für diesen Zweck zu eignen,'
erstens weil die Haut immer mitsensibilisiert wird, zweitens weil auch
tiefgelegene normale Gewebe (Niere, Leber, Darm usw.) mitsensibilisiert
werden müssen, drittens weil sich die Wirkung der Thermopenetration
mit nachfolgender Röntgenbestrahlung häufig in einer Erweichung, in
einem Zerfall des Geschwulstgewebes zu äussem scheint, der wieder mit
der Gefahr der Metastasierung verbunden ist.
Die elektive Röntgenstrahlenwirkuug äussert sich aber bei den
radiosensiblen Geschwülsten nicht in einer groben Nekrotisierung,
sondern in einer allmählichen Schrumpfung des Tumors unter
narbiger Degeneration. Vielleicht gelingt es einmal, auf chemisch¬
therapeutischem Wege die röntgen - refraktären Tumoren für
Röntgenstrahlen zu sensibilisieren.
Bemerkenswert ist, dass auch bei mancher Hauterkrankung,
in welchem eine mittelweiche Strahlung keinen Erfolg bringt,
eine härtere Strahlung bisweilen sehr prompt wirkt.
Frank Schultz hat wohl zuerst auf diese Tatsache hin¬
gewiesen. Wir sind darum nicht genötigt, anzunehmen, dass
härtere Strahlen biologisch wirksamer sind als weichere, wie
das Meyer und Ritter auf Grund experimenteller Untersuchungen
getan haben.
Die bessere Wirkung der härteren Strahlung lässt sich auch rein
physikalisch dadurch erklären, dass bei allen Hauterkrankungen mit
tiefer greifender Infiltration von dieser Strahlung in den tieferen Schichten
— bei gleicher Oberflächendosis — mehr absorbiert werden muss als
von einer weichen Strahlung, welche schon zum grössten Teil von den
oberflächlichsten Schichten einer pathologischen Zellanhäufung absorbiert
wird und infolgedessen natürlich auf die tieferen Schichten nicht ge¬
nügend einwirken kann.
Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen¬
technik und Röntgenbiologie haben vor allen Dingen in der
Tiefentherapie bessere Resultate gezeitigt als sie früher möglich
waren. Bei der Behandlung der präklimakterischen
Blutungen und der Myome kommen wir heute viel schneller
zum Ziele, und auch, (jie Dysmenorrhöen jüngerer Frauen,
deren Ovarien zweifellos widerstandsfähiger sind, können wir
heute leichter beeinflussen.
Bei den Myomen hat die Röntgentherapie die chirur¬
gische Behandlung völlig in den Hintergrund gedrängt, wenn wir
etwa von den submukösen Myomen absehen, die grösstenteils ge¬
boren in der Cervix liegen und die man natürlich schneller und
einfacher operativ entfernt.
Aber auch andere pathologische Prozesse tiefgelegener Organe
dürften von. der verbesseren Technik viel profitieren, in erster
-*—sir . h j’i - -ab
1) Hergestellt von Reiniger, Gebbert & Schall.
Linie die tuberkulösen Erkrankungen der Drüsen, der
Knochen, der Gelenke, des Bauchfells, die auch schon bei
einer primitiveren Technik gut zu beinflussen waren, dann auch
die inoperablen Sarkome und Carcinome, welche eine auch
nur mässige Radiosensibilität besitzen; denn das dürfen wir auch
heute nicht vergessen: die Beeinflussbarkeit der malignen Ge¬
schwülste hängt vielmehr von ihrer biologischen Beschaffenheit
als von der Quantität und Qualität der applizierten Röntgen¬
strahlen ab. Es gibt Geschwülste, welche auch auf die grössten
Dosen der härtesten Strahlen nur mit einer rapiden Wucherung
reagieren (Zungencarcinome!) und andere, welche schon auf
kleine Dosen schrumpfen.
Immerhin liegen einige Beobachtungen vor, welche doch dafür
sprechen, dass wir bei mauchen inoperablen Garcinomen durch
die Applikation grösserer Dosen bessere Erfolge erzielen, als das
früher möglich war (Krönig und Gauss, Bumm).
Dass an der Freiburger Klinik jetzt auch operable Uterus-
carcinome mit- Röntgenstrahlen behandelt werden, erscheint zu¬
nächst etwas kühn. Immerhin ist die Möglichkeit nicht ausge¬
schlossen, dass wir mit unserer heutigen verbesserten Technik
auch operable Carcinome erfolgreich behandeln können; man hat
bei Portio-Carcinom ganz immense Dosen (bis zu IOOOO XI) auf
den Carcinomtrichter appliziert. Meines Erachtens£sind_so grosse
Dosen aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich.
Auch an die Behandlung der Hypophysistumoren hat
man sich mit Erfolg berangewagt (Böclere, Jaugeas). fcj
Für die Oberflächenbestrahlung hat. besonders die Sensibili¬
sierung und die Feststellung der besseren Wirkung einer harten
Strahlung bei mancher dermatologischen Affektion zur Erzielung
besserer Resultate geführt, so dass wir heute auch in manchen
bisher als refraktär angesehenen Fällen noch Erfolge erzielen
können.
Von neueren Indikationen für die Röntgenbehandlung seien
hier noch folgende genannt: Malaria (Rieciardi, Skinner
und Carson, Petrone), Morbus Addisonii (Golubinin,
Wiesner), Syringomyelie (Raymond, Beaujard und Lher-
mitte), multiple Sklerose (Marinesco).
Hier sind zweifellos günstige Erfolge zu verzeichnen.
Auch die progressive Paralyse hat man bereits in den
Bereich der Röntgenbehandlung gezogen (Marinesco, V; Lützen-
berger); doch scheint hier eine gewisse Skepsis bezüglich der
angeblichen Erfolge vorläufig recht angebracht.
Auch die Ophthalmologie hat sich der Röntgenbehandlung
bei Lidepitbeliomen, Lupus conjunctivae, Trachom mit
Erfolg bedient; besondere Erwähoung verdient der von Burk
mitgeteilte Fall von Hornhautepitheliom, welcher durch
Röntgenbestrahlung geheilt wurde, während man sonst in der¬
artigen Fällen zur Enucleation des Bulbus gezwungen war.
In der Otologie sind Ekzeme, Psoriasis, Lupus und
Ulcus rodens des äusseren Ohres erfolgreich behandelt worden.
In der Rhinologie bilden Rosacea, Acne, Lupus der Hant
und Schleimhaut,, Ulcus rodens und Ozaena ein dankbares
Feld für die Anwendung der Röntgenstrahlen.
In der Laryngologie ist es besonders die Tuberkulose,
welche in manchen Fällen recht günstig beeinflusst wird. Auch
bei inoperablen Carcinomen ist natürlich ein Versuch mit Röntgen¬
behandlung strikte indiziert.
Die modernste Anwendung der Röntgenstrahlen ist die Be¬
strahlung der Nebennieren zwecks Herabsetzung des Blutdruckes
bei Arteriosklerose, wie sie Zimmern und Cottenot
empfohlen haben, in der Annahme, dass der arterielle Hochdruck
eine Folge der Hyperfunktion der Nebennieren sei, und dass die
Röntgenstrahlen auf die pathologisch gesteigerte Tätigkeit dieser
Organe in gleicher Weise hemmend einwirken müssen, wie bei
anderen drüsigen Organen (Schilddrüse, Schweissdrüsen, Talg¬
drüsen usw.) Die guten Erfolge von Zimmern und Cottenot
und die experimentellen Versuche von v. Decastello und Kien¬
böck, welche an röntgenbestrahlten Mäusen schon makroskopisch
eine Verkleinerung der Nebennieren feststellen konnten, ermutigen
jedenfalls zu weiteren Versuchen. Die Weiterentwicklung der
Röntgenbehandlung hat uns unerwartete Erfolge gebracht, aber
leider auch unerwartete Nebenwirkungen. Es sind nach Appli¬
kation grosser Dosen harter, filtrierter Strahlen viele Monate nach
Abschluss der Behandlung Ulcerationen der Haut beobachtet
worden, zum Teil ohne dass Erytheme als Folge der Bestrahlungen
vorausgegangen waren (Speder, d’Halluin, Iselin). Wenn es
sich hier auch — anscheinend —TimAusnabmefälle handelt, die
vielleicht puf eine besonder Empfindlichkeit 'des Gefässsystems
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
zurückzuführen sind, so müssen wir doch die Warnung Iselin’s
vor allzu grossen Dosen als berechtigt bezeichnen. Es handelt
sieb bei diesen „Spätscbädigungen“ offenbar um ein Novum.
Denn derartige Spätschädigungen sind nach Applikation mittel-
weicher, unfiltrierter Strahlen bisher anscheinend nicht beobachtet
worden. Das erklärt sich auch wieder rein physikalisch in zwang¬
loser Weise. Denn bei Verabfolgung gleicher Oberflächendosen
wird die Schädigung der tiefen Hautgefässe um so grösser sein,
je härter die Strahlung ist. Und gerade die Schädigung dieser
tiefergelegeuen Hautgefässe ist wahrscheinlich für die spätere Er¬
nährungsstörung der Haut verantwortlich zu machen, weiche dann
zur Atrophie oder sogar zur Nekrose führen kann. Meist scheint
allerdings zur Auslösung der Schädigung noch die Einwirkung
irgendeines äusseren Reizes erforderlich zu sein.
Zum Schlüsse dieses Berichtes sei noch darauf hingewiesen,
dass wir heute in allen Fällen, in welchen ein maligner
Tumor operativ entfernt wurde, eine chronisch inter¬
mittierende prophylaktische Röntgenbehandlung fordern
müssen, um etwa zurückgebliebene kleine Reime, die natürlich viel
leichter zu zerstören sind als massige Tumoren, zu vernichten,
noch bevor sie sich zu sichtbaren Recidiven entwickelt haben.
Der Heidelberger Chirurg Werner begründet diese Forderung
sehr richtig mit folgenden Worten:
„Der Wert dieser Methode ist vorläufig noch nicht zu über¬
sehen, doch sollte sie in jedem Falle geübt werden, da man dem
Patienten eine Chance gibt, für welche er keine Nachteile in den
Kauf zu nehmen hat.“
Bücherbesprechungen.
Lehrbach der Kystophotographie; ihre Geschichte, Theorie and
Praxis. Von Prof. Dr. Fr. Fromme, Privatdozenten für Gynäko¬
logie und Geburtshilfe, und Dr. 0. Ringleb, Privatdozenten für
Urologie an der Universität Berlin. Mit 29 Abbildungen im Text
und 7 photographischen Tafeln. Wiesbaden 1913, J. F. Bergmann.
Schon in mehrfachen Veröffentlichungen hat Ringleb über die Ver¬
besserungen am optischen Apparat des Nitze’sohen Rystoskops berichtet,
die er, nach v. Rohr’s theoretischen Berechnungen, in die Praxis ein¬
geführt hat; ebenso ist durch mancherlei Demonstrationen bereits von
ihm dargetan worden, dass die scharfe Detaillierung, die das neue
System erlaubt, auch der photographischen Reproduktion sehr günstige
Bedingungen bietet. Dank dem Entgegenkommen des Prof. Franz hat
er nunmehr, in Gemeinschaft mit Fromme, ein grosses Krankenmaterial
durchgeprüft — allerdings, was immer wieder betont werden muss, vor¬
läufig nur an Frauen, bei denen die anatomischen Verhältnisse die Ein¬
führung starker Instrumente wesentlich erleichtern. Das vorliegende
Werk, die Frucht dieser gemeinsamen Untersuchungen, stellt daher nicht
etwa einen kystophotographiseben Atlas im gebräuchlichen Wortsinne dar,
wie ihn etwa der Lehrer zur Unterstützung für die Beobachtung am
Lebenden benutzt; also keine Sammlung typischer oder seltener Fälle.
Vielmehr handelt es sich hier um eine theoretische Darstellung und
praktische Anweisung zur Verwertung der von Ringleb konstruierten
Photographierkystoskope, denen lediglich eine Anzahl von Aufnahmen,
gewissermaasssen als Beläge, beigegeben sind. Diese betreffen in ihrer
überwiegenden Mehrzahl die verschiedenen Formen der Blasengefässe,
namentlich ihr charakteristisches Verhalten am Harnleitereingang;
ausserdem finden sich noch Abbildungen von Cystitis, von Tuberkeln,
von einem Papillom und Divertikeln. Ihnen allen wird man unbedingt
eine ganz besondere Feinheit und Naturtreue zuerkennen, auch der
technischen Reproduktion das höchste Lob zollen. Sie bilden einen un¬
widerleglichen Beweis für die Richtigkeit der theoretischen Kon¬
struktionen, mit denen sich der Text beschäftigt, und deren freilich nicht
müheloses Studium allen denen empfohlen werden muss, welche sich ein¬
gehender mit den photographischen Aufnahmen von Blasenbildern be¬
schäftigen. Im voraufgeschickten geschichtlichen Teil schildern die Verff.
übrigens die früheren Methoden — die ersten Versuche Kutner’s,
sowie die Apparate Nitze’s, Casper’s, Jaooby’s, Freudenberg’s —
vielleicht hier und da mit zu scharfer Kritik der doch immerhin sehr
schönen Resultate, die diese Autoren unter den schwierigeren Be¬
dingungen, wie die männliche Blase sie stellt, erreicht haben.
P o s n e r.
C. G. Jang - Zürich. Wandlungen and Symbole der Libido. Bei¬
träge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. (Sonderabdruck
aus dem „Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologiscbe
Forschungen“, 3. und 4. Band. Leipzig und Wien 1912. Franz
Deuticke. 422 S. Preis 10 M.
Es wäre unrichtig, zu sagen: dieses Buch ist nur für Anhänger der
Freud’schen Psychologie geschrieben; denn es wendet sich, wie diese
Psychologie überhaupt, an einen universellen Kreis Gebildeter, die eine
Beziehung zu psychologischen Dingen haben. Aber das lässt sich wohl
sagen: es wird nur von solchen verstanden werden, die mit der Freu fi¬
schen Psychologie bereits bekannt sind. Dem Publikum einer allge¬
mein-medizinischen Wochenschrift gegenüber muss dies bei der Ankündi¬
gung zuerst betont werden.
Jung geht davon aus, dass bei dem gegenwärtigen Stand der
Forschung die individual-psychologische Analyse durch Hinzuziehung
historischen Materials erweitert werden müsse, um von da neue Auf¬
schlüsse über individual-psychologische Probleme zu gewinnen. Dies
unternimmt er an der Hand einiger unbewusst dichterisch geformten
Phantasien einer Amerikanerin, die als Beitrag zu den Fragen des Unter¬
bewusstseins vor mehreren Jahren in den „Archives de Psychologie“
publiziert waren. Dieses individuelle Phantasiesystem führt ihn zu
Quellen aus der Urgeschichte des menschlichen Denkens und Phantasierens
und seine historisch - analytischen Studien greifen an die höchsten Pro¬
bleme des menschlichen Geistes. In diesem Sinne handelt es sich nicht
bloss um eine Monographie über die Libido, sondern auch um „Beiträge
zur Entwicklungsgeschichte des Denkens“.
Die Psychoanalyse unterscheidet danach zwei Denkformen, das be¬
wusste, „gerichtete“, „angepasste“ Denken und das phantastische Denken,
welches zum Teil unbewusst, rein subjektiv ist und nur aus egoistischen
Wünschen gespeist wird. Diese zweite Denkform erzeugt — ohne
Korrektur durch die erste — ein überwiegend subjektives Weltbild, sie
ist ein infantiles Denken aus der Vergangenheit des Individuums und
des Menschengeschlechts, in welchem sich ein VerdichtuDgsprodukt der
psychischen Entwicklungsgeschichte aufbewahrt hat. Die dem Unbe¬
wussten entstammenden Denkprodukte zeigen unter gewissen Bedingungen
mythischen Charakter, Züge archaischer Geistesartung, als ob die Seele
eine historische Schichtung besässe, wobei die ältesten Schichten dem
Unbewussten entsprächen. Das Unbewusste ist in unendlich viel höherem
Grade allen Menschen gemeinsam als die Inhalte des individuellen Be¬
wusstseins: es ist die Verdichtung des historisch Durchschnittlichen und
Häufigen.
Nach solchen, hier kaum nur andeutbaren Auseinandersetzungen im
ersten Teil handelt der zweite, der Hauptieil des Buches über den Be¬
griff und die genetische Theorie der Libido, über die Verlagerung der
Libido als mögliche Quelle der primitiven menschlichen Erfindungen,
über die unbewusste Entstehung des Heros, über Symbole der Mutter und
der Wiedergeburt, über den Kampf um die Befreiung von der Mutter
und über das Opfer.
Der Begriff der Libido erfährt hier eine so allumfassende Verall¬
gemeinerung, wie sie die Freud’sche Theorie bisher zwar andeutete,
aber kaum anwandte, obwohl sie, ursprünglich von der Hysterie aus¬
gehend, auf die Psychoneurosen überhaupt, dann schon auf die Traum¬
deutung, die Mythen- und Märchenbildung, die Arbeit von Dichtern und
Künstlern und schliesslich auf das Gebiet der Geisteskrankheiten über¬
tragen ist.
Der Ursprung aller Religion beruht nach J. auf der Libido, die
sich natürlich nicht auf den sexuellen Trieb beschränkt, sondern ein
Begriff geworden ist, der fast das gesamte Streben der Menschheit seit
ihren Urzeiten umfasst. An der Gottesidee ist das Wirksame nicht die
Form, sondern die Kraft, die Uebergewalt, das Uebermenschliche, Furcht¬
erregende und zugleich Liebende, väterlich Sorgende: alles das sind
Attribute der Libido im Freud-Jung’schen Sinne. Sie macht in der
Entwicklungsgeschichte der Psyche die merkwürdigsten Wege und Um¬
wege, welche durch die psychoanalytischen Mechanismen aufdeckbar sind.
Die Allmacht eines Gottes, z. B. der Sonne, ist die Allmacht der Libido,
d. h. der treibenden Kraft unserer eigenen Seele, deren Wesen es ist.
Nützliches und Schädliches, Böses und Gutes zu schaffen. Die religiösen
Heroen des Dionysos-Christus-Kultes und ihre typischen Schicksale
sind Abbilder der menschlichen Libido und ihrer Schicksale. Der
Terminus Libido ist „weit genug, um alle die unerhört mannigfaltigen
Manifestationen des Willens im Schopenhauer’schen Sinne zu
decken, und genügend inhaltsreich und prägnant, um die eigentliche
Natur der von ihm begriffenen psychologischen Entität zu charakteri¬
sieren.“ Er hat „auf biologischem Gebiet dieselbe Bedeutung wie der
Begriff der Energie auf physikalischem Gebiet seit Robert Mayer.“
So ziemlich alles, was uns lieb und teuer ist, sagt J., muss auf den
Fortpflanzungstrieb zurückgeführt werden. Der Libidobegriff wird ihm
zum Begriff des Willens überhaupt, und er überlässt es dem Philosophen,
„mit diesem Stück eines psychologischen Voluntarismus fertig zu werden“,
indem er auf Schopenhauer’s „Welt als Wille“, aufPlaton’s „Eros“
und andere philosophische Begriffsschöpfungen hinweist. Dieser eingehend
begründete, genetische Libidobegriff, diese „Urlibido“ wurde im Lauf
derZeit mehr und Aehr desexualisiert, mittelst Ersetzung durch Phantasie¬
korrelate übertragen, verlagert. „Damit wurde allmählich eine gewaltige
Erweiterung des Weltbildes erzielt, indem immer neue Objekte als
Sexualsymbole assimiliert wurden: Es ist eine Frage, ob nicht über¬
haupt auf 'diese Weise der menschliche Bewusstseinsinhalt ganz oder
wenigstens zum grossen Teil zustande gekommen ist.“ Die Erfindung
der Feuerbereitung ist z. B. nach J. vielleicht dem Drange zu verdanken,
ein Symbol für den Sexualakt einzusetzen. Für das primitive Denken
war eben die sogenannte objektive Welt nur subjektives Bild, wie be¬
sonders aach vergleichende Sprachstudien zeigen. „Altes Vergängliche
ist nur ein Gleichnis.“ Die feste Bedeutung der Dinge hat in diesem
Reich (der entwicklungsgeschichtlichen Libidogleicbnisse) ein Ende.
Von grösster Bedeutung für die Wandlungen der Libido ist ein ihr
entgegengesetzter Widerstand, das Incestverbot. Der Raum verbietet
es, auf diesen psychologischen Incestbegriff hier näher einzugehen. Er
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19. Mai 1913.
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ist natürlich nicht rein sexuell, sondern ebenso weit wie der Libido¬
begriff gefasst: Das Streben nach der Rückkehr zur Mutter. Auch er
ist den mannigfachsten Verlagerungen, Wandlungen, Verdrängungen
unterworfen.
Wie die bisherigen Studien, so führen auch die folgenden über die
Muttersymbole und die Wiedergeburtssymbolistik der verschiedensten
Kulturen, auch die erwähnten weiteren Themata (Befreiung von der
Mutter und das Opfer) zu den kühnsten Deutungen, zu ebenso konse¬
quenten wie gewagten Schlüssen auf die Entwicklungsgeschichte des
Denkens. Das beigezogene Ci taten material aüs allen Literaturen und
Kulturen ist ungeheuer, die Belesenheit und Kenntnis fremder Studien¬
gebiete bei einem Einzelnen, einem Arzt erstaunlich. Völkerforschung,
Sprach- und Altertumswissenschaft, Mythologie, Theologie, Philosophie,
Kunst- und Literatur bieten dem Verf. die Quellen, die er mit einem
horrenden Fleiss zusammenleitet, um den neuen Wein einer neuen Welt¬
anschauung in alle Schläuche zu füllen. So ist die Lektüre des Buches
schon aus formalen Gründen sehr schwer, sie ist es aber auch bezüglich
des Inhalts, denn „das psychoanalytische Denken läuft der bisherigen
Denkgewohnheit entgegen“, indem es jene Symbolbildungen zurüok-
denkt, die im Lauf der Zeiten immer komplizierter wurden. Vieles er¬
scheint dem unparteiischen Leser einleuchtend und für eine zukünftige
Psychologie höchst bedeutungsvoll, vieles allzu gewagt und vorläufig
nur geistreiche Conception, manches vom Verf. Gedachte aber wird
manchem undenkbar erscheinen, und zwar nicht bloss mangels psycho¬
analytischer Denkgewohnheit. Nicht jeder wagt seine Symbolerkenntnis
und seine Deutungskunst bis an die äussersten Grenzen des mensch¬
lichen Geistes vorzuschicken, und die neue Denkgewobnheit wird wie die
alte in manche Sackgasse wandern.
Damit ist aber diesem Buche keine Kritik gesprochen, denn sein
Autor sagt es am Schlüsse selbst, dass Arbeitshypothesen nicht unter¬
drückt werden dürfen, weil sie vielleicht keine ewige Gültigkeit haben,
vielleicht auch irrtümlich sind. Das ist der einzig richtige Standpunkt
eines Forschers auf diesem Gebiete. Die vom Verf. geleistete Arbeit
wird jedenfalls auf lange Zeit hinaus eine der fruchtbarsten Anregungen
der Tiefenpsychologie im eigenen wie im feindlichen Lager bilden.
Ludwig Frank: Affektstö mögen; Studien über ihre Aetiologie und
Therapie. (Heft 4 der „Monographien aus dem Gesamtgebiete
der Neurologie und Psychiatrie“, herausgegeben von Alzheimer
und Lewandowsky.) Berlin 1913, Verlag von Julius Springer,
399 S. Preis 16 M.
Es handelt sich in dem vorliegenden Buche nicht um eine syste¬
matische Darstellung der Affektstörungen, sondern, wie sein Untertitel
besagt, um Studien über die Aetiologie und Therapie der Affektstörungen.
Auf solche nämlich, auf Afielrtstörungen, führt der Verf. alle sogenannten
Psychoneurosen zurück, und so behandelt er nach einleitenden Vor¬
bemerkungen über psychologische Begriffe, über Hypnose und über seine
eigene, von früher her bekannte bypnoide Methode die Aetiologie und
Behandlung der neurasthenischen Zustände auf Grund von Erschöpfung,
von Affektverdrängung (Aerger-, Eifersüchte-, Wut-, Libido-, Schmerz¬
neurosen, Neurosen des Müdigkeits- und Unlustgefühls, des Fremd¬
gefühls, Schreibkrampf, Schwindel bzw. Agoraphobie, hysterische Dämmer¬
zustände, neurasthenische Verstimmungen), sodann die Angstneurosen
uud Zwangsneurosen, Störungen der Magen- und Darmfunktion, der
Girculation, des Schlafes, Enuresis, Stottern u. a., und schliesslich sexuelle
Anomalien, Perversionen und Perversitäten.
Der Verf., ehemaliger Direktor der kantonalen Irrenheilanstalt
Münsterlingen (Schweiz), ist den Fachgenossen als ausgezeichneter Arzt
mit sehr grosser psychoanalytischer Erfahrung bekannt. Das tritt auch
dem Leser dieses Buches auf jeder Seite entgegen. Psychoanalytisches
Material kann nur durch ausführliche Wiedergabe überzeugend wirken;
deshalb müssen die zum Teil langen, aber doch nur auf das wesent¬
lichste komprimierten Krankengeschichten vom Leser mit demselben Wert
belegt werden wie vom Autor. Aus diesen lehrreichen Kranken¬
geschichten F.’s erkennt man seine Methode, ihre Einfachheit und ihre
Erfolge.
Was nun seine psychoanalytische Methode für die Aetiologie und
Therapie der Psychoneurosen betrifft, so bedient sich F. einer Art von
Hypnose, die er „Psychokatharsis“ nennt, und die sich mit dem ur¬
sprünglichen analytischen Vorgehen von Breuer und Freud deckt: es
ist die Verwendung des künstlichen Halbschlafs zum Abreagieren ge¬
wisser Affekte und zum Aufsuchen ihres Zusammenhangs mit früheren
Erlebnissen. F. nennt diese Methode ein objektives, rein wissenschaft-
schaftlich-experimentelles Verfahren, das jeder lernen, nachprüfen und
anwenden kann, was F. bei der Freud - Jung’schen Methode von heute
für ausgeschlossen hält. Die Psychoneurosen nun entstehen meist aus
dem Widerstreit zweier Affekte; der eine wird verdrängt und kann dann
pathogen werden. In diesem Sinne sind auch die Schlafstörungen meist
Affektstörungen. Durch die Psychokatharsis treten die früheren Erleb¬
nisse, auf welche es bei Analyse und Therapie ankomrat, szenisch und
affektbetont unter der Kontrolle der noch erhaltenen, oberbewussten
Aufmerksamkeit wieder ins Bewusstsein, und zwar genau so mit allen
Details, wie sie den synchronen Erregungen beim primären Erlebnis
entsprechen. So werden die verdrängten Affekte abreagiert, die dazu¬
gehörigen Erlebnisse bewusst, und das ist der therapeutische Faktor,
vom Traum unterscheidet sich der kathartische Halbschlafzustand durph
das Erhaltensein der Aufmerksamkeit. Das Anwendungsgebiet der
Methode ist ein ziemlich grosses, hat natürlich aber auch seine Grenzen,
die F. nicht verheimlicht. Das wesentliche ist nach F. eine besondere,
psychoneurotische Veranlagung des Gehirns, welche eben die Katharsis,
das eigenartige Wiederbewusstwerden früherer, gefühlsbetonter psychisoher
Eindrücke ermöglicht.
Das Verhältnis der Fränkischen Psychokatharsis zur Freu duschen
Psychoanalyse ist derart, dass jene aus den Wurzeln dieser entstammt,
aber sich selbständig als ein einfacher, besonderer Ast weiterentwickelt
hat, ohne in das weite Geäst der Spekulationen Freud’s und seiner
Schule (d. h. in die Lehren von der Abwehr und Zensur, von der Sym¬
bolik und ihrer Deutung, von der universellen Sexualdeterminierung usw.)
hineinzuwachsen. Der Verf. spricht sich einerseits darüber ganz klar
aus, ohne andererseits irgendwelche Prioritätsansprüche zu stellen.
Durch diese sozusagen vermittelnde Stellungnahme, die als solche gar
nicht beabsichtigt, sondern in jahrelanger Forschung von selbst ent¬
standen ist, wird er vermutlich viel Beifall finden, und zwar gerade
auch bei Gegnern Freud’s, denen seine (Frank’s) Anschauungen und
Erfolge bisher weniger bekannt geworden sind.
Jedenfalls kann man diese Methode und dieses Buch jedem Arzt
ohne jede Gefahr dringend empfehlen, was bei den Methoden und den
literarischen Produkten der Freud’schen Schule leider nicht immer
möglich ist. Von einem Kapitel z. B., wie dem über sexuelle Anomalien
in Frank’s Buch, kann man nur wünschen, dass es die allerweiteste
Verbreitung und Beachtung bei der Aerzteschaft finden möge. Das Buch
ist August Forel gewidmet. W. Seiffer.
Literatur-Auszüge.
Anatomie.
V. Jonesco: Untersuchungen über den Ursprung des Pigmentes
im Hinterlappen der menschlichen Hypophyse. (Archives de m6d.
expörim., 1913, Nr. 1.) Aus dem Vorderlappen wandern Eosinophile in
den Hinterlappeu. Deren Kern zerfällt durch Karyolyse in Granula,
diese vergrössern sich nach Schwund der Kernmembran und füllen
schliesslich das ganze Protoplasma an. Die Zelle zerfällt, die Granula,
die nun braun sind, färben sich mit Kresylblaurubinorange hellgrau
(Propigment) oder leuchtend grün. Entweder findet man das Pigment
nun frei, oder es wird von Neurogliazellen phagocytiert. Daneben be¬
obachtet man bisweilen eine histolytische Degeneration der Eosinophilen.
Wartensleben.
Physiologie.
E. Abderhalden und A. Weil: Ueber eine lene Aminosäure
von der Zusammensetzung C 8 H 18 N0 2 , gewonnen bei der totalen Hydro¬
lyse der Proteine und Nervensnbstanz. (Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 84, H. 1, S. 39.) Bei der Veresterung eines Hydrolysates von Nerven¬
substanz wurde in der Leucinfraktion eine Substanz gefunden, welche
auf Grund ihrer Eigenschaften als d-a-Aminocapronsäure angesprochen
werden muss. Verff. nennen sie analog dem Valin statt a-Aminoiso-
valeriansäure Caprin.
E. Grafe: Ueber Stickstoffansatz bei Fütternng kleiner Eiweiss¬
gaben und grösserer Mengen von Ammoniaksalzen und Harnstoff. (Zeit¬
schrift f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 2 u. 8, S. 69.) Es sollte entschieden
werden, ob es gelingt, bei einem Tier bei Zulage von einer die Ab¬
nutzungsquote erheblich unterschreitenden Eiweissmenge mit einer
calorien- und kohlehydratreichen Nahrung durch gleichzeitige Verfütterung
grösserer Mengen von Ammoniaksalzen oder Harnstoff einen deutlichen
Stickstoffansatz zu erzielen. Die Versuche wurden an Hunden und
Schweinen ausgeführt und ergaben, dass man einen Stickstoffansatz bei
gleichzeitiger Verfütterung sehr grosser Mengen von Ammoniaksalzen
und Harnstoff nur dann beim Schwein erreicht, wenn die Menge des
Nahrungseiweisses mindestens */a bis 2 / s der Abnutzungsquote beträgt.
Welcher Art aber dieser Stickstoff Umsatz ist, bleibt noch zu entscheiden.
E. Abderhalden: Weitere Versuche über die synthetischen Fähig¬
keiten des Organismus des Hundes. (Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 83, H. 6, S. 444.) Die mitgeteilten Versnche zeigen, dass es gelingt,
Hunde 100 Tage und sicher noch viel länger mit vollständig abgebautem
Fleisch unter gleichzeitiger Verabreichung von Kohlehydraten und Fetten
zu ernähren. Die Versuchstiere mussten vor dem Versuch längere Zeit
hungern und bekamen dann obiges Futter. Dabei nahm der eine Hund
fast 10 kg an Körpergewicht zu. Die Versuche an einem anderen Hund
ergaben, dass Tryptophan und Tyrosin in der Nahrung nicht fehlen
dürfen. Die Beobachtung, dass das Fehlen des Tryptophans auffallend
rasch schwere Symptome — Schlafsucht, leichte Ermüdbarkeit usw. —
im Gefolge hat, macht es wahrscheinlich, dass das Tryptophan ein Aus¬
gangsmaterial zur Bildung von Produkten der inneren Sekrete darstellt.
Doch fehlen vorläufig noch die direkten Beweise für eine solche Annahme.
E. Laqueur: Zur Methode von Stoffwechselantersuchnngen an
Kaninchen; Milch als ihre einzige Nahrung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 84, H. 1 u. 2, S. 109.) Yerf. empfiehlt als Nahrung für Kaninchen
bei Stoffwechseluntersuchungen reine Milch. Sie wird von den Tieren
meist gut vertragen upd ermöglicht, täglich den äufgenömmenen Stick«
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
stoff bequem zu bestimmen. Bei Milchfütterung ist die Urinaussoheidung
regelmässiger, erfolgt spontan und in grösseren Mengen, und der Harn
erscheint weniger zersetzlicb.
H. Schade und E. Boden: Ueber die Anomalie der Harnsäire-
löslichkeit (kolloidale Harnsäure). (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 83,
H. 5, S. 347.) Die einfache Salzforro des molekular- bzw. iondispersen
Monourats ist keineswegs die einzige Form, in der die Harnsäure im
Serum Vorkommen kann. Es existiert noch eine kolloide Form der
Harnsäure im Blut, deren Menge in beträchtlicher Breite schwankt (5
bis 90 mg pro 100 mg). Ob neben dieser experimentell bewiesenen
kolloidchemischen Besonderheit der Harnsäure noch ein zwingender Grund
zur Annahme einer zweiten davon unabhängigen chemischen Besonder¬
heit im Sinne der Laktimform gegeben ist, muss zweifelhaft erscheinen.
M. Kashiwatara: Ueber das Verhalten der Harnsäure zu Zink¬
salzen. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 2 u. 3, S. 223.) Bei
Zusatz von Zinklösuogen zu Harnsäurelösungen bzw. Lösungen von barn¬
sauren Salzen entstehen sehr zinkreiche, barnsäurearme Niederschläge.
Diese Beobachtung diente als Grundlage für eine neue Methode der
quantitativen Harnsäurebestimmung im Urin, die sich als dem immerhin
etwas schwierigen Silber verfahren gleichwertig erwies. Diese Methode
besteht im Prinzip darin, dass man die Harnsäure im Harn mit Zucker¬
sulfat fällt, den Niederschlag abfiltriert, wäscht nnd zersetzt und die so
in Freiheit gesetzte Harnsäure mit Salzsäure ausfällt, trocknet und wägt.
E. Laqueur: Die Wirkung der Kohlensäure auf den Stoffwechsel.
Autolyse und Stoffwechsel. 6. Mitteilung. (Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 84, H. 2 u. 3, S. 117.) Kaninchen wurden auf 2—7 Stunden mit
einem Stoffwechselkäfig in einen Kasten gesetzt, durch den Gemische
von Luft und Kohlensäure geleitet wurden. Dabei ergab sich, dass,
sofern der C0 2 -Gehalt der Luft 7 pCt. für längere Zeit nicht übersteigt,
ein sicherer Einfluss auf die N-Ausscheidung nicht zu konstatieren war.
Wurde er dagegen höher als 10 pCt., so trat eine Mehrausscheidung von
N ein. Das war besonders deutlich ausgesprochen, wenn der C0 2 -Gehalt
13 pCt. überstieg. Mit der erhöhten N-Ausscheidung war regelmässig
eine Wasserretention verbunden. Wohlgemuth.
Frank-Greifswald: Der Ausgleich des arteriellen und venösen
Druckes in aus der Bluthahn ansgeschalteten Teilen des Gefäss-
systems. (Zeitschr. f. experim. Patbol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, S. 37
bis 39.) Man kann direkt durch das Experiment nachweisen, dass ent¬
sprechend der theoretischen Vorstellung bei Ausschaltung eines Körper¬
teiles aus der allgemeinen Blutbabn ein Ausgleich zwischen dem
arteriellen und dem venösen Druck im ausgeschalteten Gebiet stattfindet.
R. Hirsch-Berlin: Fieber und Chininwirkung im Fieber. Trypano¬
somen-Wärmestich. Anaphylatoxinfieher beim Kaninchen. Adrenalin
und Wärmehau8halt. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13,
H. 1, S. 84—163.) Beim Trypanosomenfieber ist im Fieberanstieg die
Wärmebilanz noch positiv, wird aber am dritten Injektionstage bei einer
Temperatur von 39° negativ. Auf der Höhe des Fiebers ist die Wärme¬
produktion um 40pCt. erhöht bei negativer Stickstoff- und Kohlenstoff¬
bilanz. Mit dem Einsetzen des Fiebers tritt intensiv vermehrte Harn¬
säureausscheidung auf. Wasserretention war bei den Hunden mit
Trypanosomenfieber nicht nachzuweisen. Chinin wirkt nicht nur beim
gesunden Tiere sparend auf den Wärmehaushalt, sondern übt auch auf
der Höhe des Fiebers derartigen Einfluss auf den Gesamtumsatz aus,
dass sich bei unverändert hoher Temperatur der Stoffwechsel auf normales
Niveau wieder einstellt. Die vorher negative Bilanz wird wieder positiv;
der Eiweiss- und Fettstoffwechsel wird in diesem Sinne durch Chinin
günstig beeinflusst. Im Fieber reagiert die stark vermehrte Harnsäure¬
ausscheidung nicht auf Chinin, während der Purinstoffwechsel des ge¬
sunden Tieres durch Chinin nicht eingeschränkt wird. Der eine Versuchs¬
hund hat 2 Monate hoch gefiebert bei quantitativ und qualitativ
gleicher Nahrung. Infektionsfieber erhöht auch beim Kaninchen die
Wärmeproduktion. Auch der Wärmestich erhöht die Wärmeproduktion,
aber weniger als das infektiöse Trypanosomenfieber. Beim Anaphyla-
toxinfieber kann selbst bei hoher Temperatur die Wärmeproduktion beim
Kaninchen weit unter die Norm sinken. Injektion von Adrenalin in
verschiedene Organe ruft Hypothermie hervor, die als Sympathieusreiz-
wirkung aufgefasst wird. Injektion von Adrenalin in die Niere und das
Pankreas führt sofort zu Kalkablagerung. Nach Adrenalininjektionen
in das Pankreas oder die Schilddrüse tritt Glykosurie auf. Bei der
Adrenalinhypothermie ist die Wärmeproduktion eingeschränkt, und die
Kohlensäureproduktion sinkt. Jacoby.
St. v. Bogdandy: Quantitative Bestimmung der Pepsinwirkling.
(Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 84, H. 1, S. 18.) Die vom Verfasser
empfohlene Methode der quantitativen Pepsinbestimmung schliesst sich
an die Volhard’sche Caseinmethode an. Der Grad der Eiweissspaltung
wird aber nicht titrimetrisch sondern polarimetrisch festgestellt, indem
nach der stattgefundenen Spaltung das unverdaute Casein ausgefällt und
in dem Filtrat das optische Drehungsvermögen festgestellt wird. Diese
Methode bietet indes keine sonderlichen Vorteile vor der Volbard’schen,
sie hat vielmehr den Nachteil, dass zu ihrer Ausführung der sehr kost¬
spielige Polarisationsapparat von Schmidt-Haensch mit dreiteiligem
Gesichtsfeld erforderlich ist. Wohlgemuth.
Pharmakologie.
S. Fränkel und P. Kirschbaum-Wien: Ueber Adigan, ein neues
Digitalispräparat. (Wiener klin. Wocbenschr., 1913, Nr. 16.) Die Verff.
stellten ihr neues Präparat durch Reinigung der Digitalisextrakte mit
Cholesterin her, wobei Digitonin und die saponinartigen Substanzen aus¬
gefällt wurden. Das so hergestellte Präparat enthält, wie die Tierver¬
suche zeigten, alle wirksamen Bestandteile der Digitalis, auch die bisher
vorliegenden klinischen Prüfungen bestätigten dies. Nebenwirkungen
wurden nicht beobachtet. Adigan wird von der chemischen Fabrik
S. Richter in Budapest in den Handel gebracht. P. Hirsch.
S. Saneyoshi-Freiburg i. B.: Wirkungsmechanismus des Arseaiks
hei Anämien. (Zeitschr. f. experim. Patbol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1,
S. 40.) Die Arsenwirkung bei Anämien scheint nicht in enger Beziehung
zu der toxischen Blutwirkung des Arsens zu stehen.
A. Langaard-Berlin: Die Giftlosigkeit des Methyl- nnd Aethyl-
nlkohels. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1, S. 20
bis 36.) In kleinen, täglich wiederholten Dosen ist der Methylalkohol
giftiger als der Aethylalkohol, in einmaligen grossen Dosen ist der
Aethylalkohol bedeutend giftiger als der Methylalkohol. In kleinen,
wiederholten Dosen gegeben, äussert der Methylalkohol eine cumulative
Wirkung, die wohl dadurch zustande kommt, dass er von gewissen Teilen
des Centralnervensystems angezogen und dort langsam zu Ameisensäure
oxydiert wird. _ Jacoby.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Walther: Zur formalen und kausalen Genese der Brmstmiskel- u4
Brn8tdrfi8endefekte. (Vircbow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Verf., mit
Defekt des Pectoralmuskels und der Brustdrüse der rechten Seite be¬
haftet, beschreibt sich selbst eingehend und bespricht an der Hand der
gesamten Literatur die Genese. Er kommt zu dem Schluss, dass der
Pectoralisdefekt keine Missbildung für sich darstelle, sondern ein Teil
einer Entwicklungsstörung am Thorax sei, die als Hemmungsbildung
aufgefasst werden müsse. Das Hauptkriterium des Pectoralisdefektes
gegenüber anerworbenen Muskelerkrankungen liege im Integumentdefekt,
dessen Folge dann der Brustdrüsendefekt sei.
Fischer: Grindprobleme der Geschwilstlebre. (Frankfurter
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Es handelt sich um Vorfragen ganz
allgemeiner Natur, die Verf. in dieser sehr bedeutungsvollen Arbeit stellt
und beantwortet. Die radikale Anwendung des von Verworn postu¬
lierten konditionalen Denkens erscheint Verf. für Fortschritte innerhalb
der exakten Forschung keineswegs förderlich. Er fordert energisch die
Restituierung des Begriffs der. Ursache; ohne jeden mystischen Hinter¬
grund, ausschliesslich als die Bedingung eines Geschehens, die entweder
für unser Verstehen oder für unser Handeln die wichtigste ist. Gerade
in der Wertung der Bedingungen eines Geschehens sieht Verf. ein un¬
bedingtes Erfordernis, ja die Grundlage naturwissenschaftlicher Er¬
kenntnis überhaupt; und aus dieser bewusst subjektiv determinierten
Formulierung des Ursachenbegriffs leitet er eine logische und praktische
Rechtfertigung her, nun von neuem an die kausale Analyse der Lebens¬
vorgänge heranzutreten. Benn.
K. Vogel-Dortmund: Die allgemeine Astboiie des Bindegewebes
in ihren Beziehungen zur Wudheiling and Nirbenbildnng. (Münchener
med. Woohenschr., 1913, Nr. 16.) V. vermutet eine allgemeine Schwäche
des Bindegewebes bei Erkrankungen wie Enteroptose, Pes planus,
Varicen usw. und versucht an einem reichhaltigen Material nachzuweisen,
dass sich diese Schwäche, die ererbt sein kann, bei den davon betroffenen
Personen in einer schlechten Callusbildung nach Frakturen oder in
mangelhafter Heilung von Weichteilwunden äussern kann. Dünner.
Dietrich: Ueber ein Fibroxanthosarkom mit eigenartiger Aus¬
breitung und über eine Vena eava Biperior siiistra bei dem gleichen
Fall. (Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Bei einer 29 jährigen Pa¬
tientin, die Exophthalmus und Herzbeschwerden dargeboten hatte, fand
sich ein retroperitonealer Tumor mit infiltrativem Uebergreifen auf die
Nieren und andere benachbarte Organe, ferner mit Metastasen auf dem
Peritoneum, vollständiger Durchsetzung des Herzens und mit symme¬
trischen Knoten um beide Nervi optici neben anderen Lokalisationen.
Seinem histologischen Bau nach glich der Tumor einem Fibrosarkom;
doch war er ausgezeichnet durch mächtige Aufspeicherung von doppelt-
brechenden Lipoiden, die besonders in grösseren, zum Teil mehrkernigen
Zellen (Schaumzellen) abgelagert erschienen. Der Fall gehört zu den
Xanthomatosen Bildungen und ist am besten als Fibroxanthosarkom zu
bezeichnen, da es Verf. nicht angängig erscheint, die hervorstechendste
Eigentümlichkeit, nämlich die Lipoidspeicherung, nur adjektivistisch zu
bezeichnen, wie es Pick tat, der den Ausdruck Fibrosarcoma xantho-
matosum eingeführt hatte. Bei dem gleichen Fall fehlte die Vena cava
dextra, und eine Vena cava sinistra bestand, die an Stelle des Sinus
coronarius in den rechten Vorhof eintrat. Eine bisher nur sehr selten
gemachte Beobachtung und gleichzeitig ein Beitrag mehr zu den nicht
seltenen Fällen eines gleichzeitigen Vorkommens von Entwicklungs¬
störung und Geschwulstbildung im gleichen Körper. Benn.
E. Prado-Tagle: Beiträge zum Studium der Riesen zellea lieb
sibentanen Depots von Radiombleiverbindungen. (Centralbl. f. Pathol.,
Bd. 24, H. 6.) Die bei Mäusen sich unter den gegebenen Bedingungen
bildenden Riesenzellen entstehen aus Fibroblasten durch Kernteilung.
Dietrich.
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
933
Thoma: Untersuchungen über das Sebädelwaebstim und seine
Sttiraigen. (Vircbow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Umfangreiche Arbeit
über das Verhältnis von Schädelwachstum und Gehirnentwicklung, die
reich ist an mathematischen und physikalischen Betrachtungen, und
daher schwierig zu lesen und für ein kurzes Referat nicht geeignet ist.
Fisoher: Ueber ein primäres Adamantinom der Tibia. (Fiank-
furter Zeitscbr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Ein operativ entfernter Tumor
der Tibia bei einem 37 Jahre alten Mann wurde makroskopisch zunächst
als ein periostales Sarkom angesprochen. Die mikroskopische Unter¬
suchung ergab jedoch das Bild eines epithelialen Tumors, mit der Be¬
sonderheit, dass innerhalb der Zellnester und -stränge Lücken auftraten,
die Drüsenlumina nicht unähnlich waren, dass ferner das Zwischengewebe
auf grosse Strecken hin den Charakter eines myxomatösen Zwischen¬
gewebes annahm und die Zellen selbst zum Teil in einer schleimäbn-
lichen Masse eingebettet lagen. Verf. begründet in längerer Ausführung
die obengenannte Diagnose und nimmt als Ursache eine eigentümliche
Epithelverlagerung des Ektoderms im embryonalen Leben an.
Benn.
J. F. Co ly er-London: Die pathologische Anatomie perideataler
Erkrankungen. (Lancet, 19. April 1913, Nr. 4677.) Die zahnärztliche
Sammlung des Royal College of Surgeons enthält eine ausgezeichnete
Reihe von Präparaten zur pathologischen Anatomie der peridentalen
Erkrankung. Die Präparate stammen von Menschen und wilden und
zahmen Tieren. Die Erkrankung, die der Verf. bespricht, ist eine
rarefizierende, fortschreitende Osteitis, die am Rande des Alveolarfort¬
satzes beginnt Sie ist rein lokalen Ursprungs und hat ihre unmittel¬
bare Ursache in einer Bildung von Stagnationsbezirken um die Zähne.
Die verschiedene Dichte des Knochengewebess hat Einfluss auf die
Schnelligkeit der Zerstörung. Weydemann.
Martins: Maligner Sympathoblaatentamor des Halssympathicus,
teilweise ausdifferenziert zu gutartigem Ganglioneurom. (Frankfurter
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Bei einem 2'/ 2 jährigen Knaben fand
sich ein mit dem Grenzstrang des Halssympathicus im Zusammenhang
stehender Tumor, der in seinem grössten Teil aus Zellen bestand, die
eine etwas höhere Differenzierung zeigten als die Zellen der bisher be¬
kannten Tumoren dieser Gruppe und eine deutliche fibrilläre Zwischen¬
substanz aufwies. Ein kleiner Tumorknoten wies neurofibromartige
Struktur auf und stellte somit ein gutartiges Ganglioneurom des Sym-
pathicus dar. Benn.
A. J. Abrikossoff: Zur Kasuistik der Parenchymembolien. Klein-
hirngewehsembolie der Arteria coronaria cordis beim Neugeborenen.
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 6.) Durch Zerreissung des Sinus
occipitalis bei Steisslage wurde Kleinhirngewebe in die Venen einge¬
schwemmt und gelangte durch das Foramen ovale in die Arteria coro¬
naria cordis. Dietrich.
Wo 1 f f- Reiboldsgrün: Die hämatogene Verbreitnng der Tuberkulose
und die Disposition bei Tuberkulose. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 25, H. 1.) Die Verbreitung der Tuberkulose im menschlichen
Körper ist immer hämatogen. Die im Blute kreisenden Tuberkelbacillen
kreisen dort, wo ein krankhafter Zustand besteht, d. h. ein Organ durch
fehlerhafte Anlage oder Funktion widerstandslos geworden ist. Die
anatomischen und funktionellen Abweichungen von der Norm können
ererbt oder erworben sein. Das Wesen der Disposition besteht aus
pathologischen, teils anatomischen, teils physiologischen Zuständen, die
dem einzelnen Individuum eigen sind oder als Familieneigensobaft
bestehen oder zeitlich dem Individuum anhaften.
J. W. Samson.
Laqueur: Weitere Untersuchungen über die Herkunft der Speichel¬
körperchen. (Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Die
Tonsillen sind nicht die Quelle der Speiohelkörperchen. Sie stammen
vielmehr von den Leukocyten des Blutes ab und treten durch das
Epithel im Bereich der gesamten Mund- und Rachensohleimhaut, nament¬
lich in der Gegend des hinteren und oberen Rachendaches. Sie stellen
echte neutrophile Leukocyten dar. Benn.
E. Ludwig: Ueber ein malignes Adenomyom des Mesenteriums.
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 7.) Ein carcinomatöser Mischtumor
im Ligamentum gastrocolicum wird von versprengten Darmkeimen abge¬
leitet. Dietrich.
M. Katzen stein-Berlin: Beitrag zur Entstehung des Magen¬
geschwürs. II. Die experimentelle Hervorrufung eines Magen¬
geschwürs. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Verf. ist es im
Tierexperiment in zahlreichen Fällen gelungen, ein Ulcus ventriculi von
charakteristischem Aussehen zu erzeugen. Er setzte einen Schleimhaut¬
defekt im Magen und störte das normale Verhältnis zwischen dem
Pepsin des Magensaftes und dem Antipepsin der Magenwand durch
Anwendung von Säuren teils lokal durch Umspritzen des Defektes mit
schwachen Säuren, teils durch Zufuhr der Säure auf dem Wege der
Blutbahn und durch Hitzeeinwirkung mittels eines in den Magen ein¬
geführten Porzellanbrenners. Die zur Entstehung des Magengeschwürs
notwendigen Faktoren: circumscripte Nekrose, Herabsetzung des Anti¬
pepsins, Anwesenheit eines wirksamen Magensaftes, erreichte er beim
Kaninchen, dessen Magensaft frei von Pepsin, und dessen Magenwand
ohne Antipepsin ist, durch Zuführen eines pepsinhaltigen Saftes; beim
Hunde, wo reichlich Pepsin und Antipepsin vorhanden ist, durch Zer¬
störung des Antipepsins. Baetzner.
Gel 14: Der primäre Krebs des Pankreas. (Archives des m6d.
exper., 1913, Nr. 1.) Das primäre Pankreascarcinom kann entweder
den Bau einer exkretoriscben Drüse mit Drüsenschläuchen haben, die
in erweiterte Ausführungskanäle oder in Hoblräume münden; oder es
hat glandulären Bau und ähnelt dem Bau der Pankreasläppchen. Mit
der Entwicklung des Krebses kommt es zu Sklerose, zu Läsionen der
Acini, oft zu Infektionen, dann auch zu Alterationen in den Langer-
hans’schen Inseln, die sich sehr reichlich aus dem aciuösen Gewebe ent¬
wickeln oder verkümmern können. All diese Momente bedingen das
Auftreten einer Glykosurie oder von Diabetes. Wartensleben.
Fischer: Ueber ein primäres Aagioendotheliom der Leber.
(Frankfurter Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Das sehr Merkwürdige
und Interessante dieses Falles besteht darin, dass der primäre ge¬
schwulstbildende Bezirk von Anfang an ein ganzes Organ umfasste,
nämlich das gesamte Capillarendothel der Leber, auch an den von
Geschwulstknoten entfernten Partien wies das Gewebe Veränderungen
auf, die nicht anders als eine Umwandlung in Geschwulstzellen gedeutet
werden konnte.
Fischer: Primäres Chorioiepitheliom der Leber. (Frankfurter
Zeitschr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Makroskopisch einem Angio-
endotheliom völlig gleichend, ergab die mikroskopische Untersuchung
grosse epitheliale Zellen, Riesenzellen und Syncytien. Abgesehen von
einem Tumorknoten im Pankreas fanden sich alle übrigen Organe frei
von Geschwulstbildung. Hinsichtlich der Genese bestehen zwei Möglich¬
keiten: primäres Teratom der Leber mit einseitiger Entwicklung von
Chorionepithel oder Verschleppung von Chorionzotten bei der Gravidität
(vor IV 2 Jahren) und Ansiedelung in der Leber. Verf. nimmt das
letztere an.
v. Hansemann: Die Lösugsmöglicbkeit der Gallensteine.
(Virchow’s Archiv, Bd. 212, H. 1.) Verf. nahm die Versuche von
Naunyn auf, künstlich in die Gallenblase von Hunden eingebrachte
menschliche Gallensteine auf ihre Lösungsmöglicbkeit hin zu studieren.
An sechs Hunden stellte er diesbezügliche Experimente an und in allen
Fällen erwies sich, dass nach einer gewissen Zeit eine Gewichts- und
Volumenabnahme der Steine eiogetreten war, die durchschnittlich pro
die 0,01 g betrug. Hauptsächlich waren es Cholesterinsteine, die Verf.
eingeführt batte, deren Löslichkeit in Galle bereits gut bekannt war.
Da aber das Cholesterin auch das Bindemittel in den Pigment- und
Kalksteinen darstellt, folgert Verf., dass auch bei ihnen eine Auflösung
oder Zerfall eintreten würde. Benn.
H. Miyake-Kiuschu (Japan): Statistische, klinische und chemische
Studien zur Aetiologie der Gallensteine, mit besonderer Berücksichtigung
der japanischen nnd deutschen Verhältnisse. (Archiv f. klin. Chir.,
Bd. 101, H. 1.) Die Gallensteinerkrankung ist in Japan viel weniger
häufig als in Deutschland. Die Frauen sind seltener befallen wegen
Nichttragen des Korsetts. Cholesterinsteine werden in Japan infolge des
mangelhaften Vorkommens der gallensauren Salze, das sich aus der
japanischen Volkskost erklärt, ganz selten beobachtet. Die Infektions¬
quelle der Gallenwege ist vorwiegend der Darm, ascendierend durch den
Ductus choledochus, die Erreger sind fast ausnahmslos Colibakterien.
Baetzner.
Lichten stein-Warschau: Sind die Galleigaagstiberkel in der
Leber das Resultat einer Aisseheidangstaberkalose? (Beitr. z. Klinik
d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) Weder anatomische noch histologische
Untersuchungen haben bisher einen sicheren Beweis für die Entstehung
der Gallengangstuberkel durch eine Ausscheidungstuberkulose erbracht.
J. W. Samson.
Nowicki: Zur Kasuistik der durch einen 8palwarm hervorgerufenen
Leberabstesse. (Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 7.) Bei einem 35 jäh¬
rigen Manne hatte sich ein Spulwurm tief in die Leber gebohrt und zu
Abscessen geführt. Dietrich.
Ch. Foix und H. Salin: Ueber die experimentelle Hämoglobin¬
urie. (Archives de möd. exper., 1913, Nr. 1.) Unter dem Einfluss einer
Infektion, meist Syphilis, gelangt eine Substanz mit globuliciden Eigen¬
schaften in das Blut, die im Plasma oder direkt von den Erythrocyten
gebunden wird. Diese werden so fragil, durch Kältewirkung kommt es
zu Hämoglobiuurie. Das Hämoglobin schädigt als heterogenes Albumin
das Nierenparenchym, es tritt Albuminurie ein, vielleicht auch intra¬
renale Hämolyse. In der Zirkulation bleiben noch freies Hämoglobin
und geschädigte Erythrocyten. Diese werden in der Milz fixiert unter
deren Vergrösserung, oft auch unter leichtem hämolytischen Icterus.
Wartensleben.
H. Ribbert: Die Hämoglobinansscbeidnng durch die Nieren.
(Centralbl. f. Pathol., Bd. 24, H. 6.) R. hält daran fest, dass Hämo¬
globin in gesunden Nieren durch die Glomeruli ausgeschieden wird, nur
in stärker veränderten Organen vielleicht durch die Harnkanälchen.
Dietrich.
Martins: Carcinoma psammosnm des Ovarinm beim Hohn.
(Frankfurter Zeitsohr. f. Pathol., Bd. 12, H. 3.) Das Carcinom zeigte
teils medulläre, teils adenomatöse Form; überall war es durchsät von
kleinen, runden Kalkkonkrementen, die jedoch nur innerhalb der Drüsen
lagen (beim Menschen auch im bindegewebigen Stroma) und kleine un¬
regelmässige Klumpen bildeten, in denen keine Schichtung zu er¬
kennen war. Benn.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
934
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
M. Herr mann: Experimentelle Studien über die histologisches
Läsionen des Hodens nach Verletzungen des Samenstranges. (Archives
de möd. expörim., 1913, Nr. 1.) Versuche an Hunden, bei denen kleinere
oder grössere Schädigungen des Samenstranges gesetzt wurden, wie sie
leicht bei Hernienoperationen Vorkommen, ergaben, dass es immer zu
Läsionen im Hoden kommt, die bis zu tiefgreifender Schädigung führen
können. Ebensolche Veränderungen kann die Radikalheilung der Hydro-
cele machen. Wartensleben.
Parasitenkunde und Serologie.
E. Wiener-Tor: Ueber einen Vihrionenbefnnd in einem Yenen¬
geschwär. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Aus dem Ge¬
schwür am Fussrücken eines Pilgers wurden Vibrionen gezüchtet, welche
als sichere Choleravibronen anzusprechen waren, die in enger Symbiose
mit anderen Mikroben lebten. Bemerkenswert war das lange Bestehen
des sonst so empfindlichen Gholeravibrio in dem Eiter des Yemen-
geschwürs. P. Hirsch.
R. Dubois: Ueber die Behandlung der Tnberknlose durch marine
Mikroorganismen. (Compt. rend. de Tac. d. Sciences, 1912, Nr. 11.) Vor
langem hatte D. aus Seetieren einen Micrococcus gezüchtet, den er Meer¬
schweinchen injizierte, bei denen sich nach Injektion von Tuberkel¬
bacillen Drüsen entwickelt hatten. Nach 10 Monaten waren alle bis
auf eins noch am Leben. Warten sieben.
F. Klopstock - Berlin: Ueber die Wirkung des Tuberkulins auf
taberkulosefreie Meerschweinchen und den Ablauf der Tuberkulose am
tuberkulinbebandelten Tier. (Zeitschr. f. eip. Pathol. und Ther., Bd. 13,
H. 1, S. 56—57.) Wiederholte subcutane Injektionen von Alttuberkulin
werden meistens von normalen Meerschweinchen gut vertragen. Auch
monatelange Vorbehandlung mit Tuberkulin erhöht nicht die Resistenz
gegenüber einer experimentellen Tuberkelbacillenemulsion. Die Tuber¬
kulinempfindlichkeit der vorbehandelten und später infizierten Tiere ist
jedoch wesentlich herabgesetzt. Wiederholte Tuberkulingaben rufen bei
gesunden Meerschweinchen keine Antikörperbildung hervor. Tuberkulin-
vorbehandelte, tuberkuloseinfizierte Meerschweinchen weisen keine mittels
der Komplementbindungsprobe nachweisbare Antikörper auf.
Jacoby.
C. Funk: Studien über Beri-Beri. (Brit. med. journ., 19. April
1913, Nr. 2729.) Bei seinen weiteren Arbeiten konnte der Verf. aus
der rohen Vitaminfraktion aus Hefe drei verschiedene Körper von¬
einander trennen: 1. Nadeln und Prismen, in Wasser fast unlöslich,
wenn Schmelzpunkte 229°, die mit seiner früheren Substanz identisch
sind; 2. eine leicht in Wasser lösliche Substanz, die ein schwer lösliches
Pikrat bildet; Schmelzpunkt 235°; 3. eine Substanz, die in Wasser etwas
leichter löslich ist als die erste, Schmelzpunkt 222°. Ueber die Wirk¬
samkeit dieser Substanzen bedarf es noch weiterer Arbeiten.
J. C. G. Ledingham: Der bakteriologische Beweis der Anto-
intoxikation vom Darm aus. (Brit. med. journ., 19. April 1913,
Nr. 2729.) Abfällige Kritik der Arbeiten von Metschnikoff und seinen
Schülern. Ihre Arbeiten über die Darmflora und die Autointoxikation
haben bisher noch keinen sehr bemerkenswerten Nutzen ihrer Hypothesen
gegeben. Weydemann.
F. Luithlen-Wien: Veränderungen der Haatrcaktion bei Seron
ind kolloidalen Substanzen. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.)
Die Herabsetzung der Hautempfindlichkeit kann nicht allein auf Ver¬
änderungen der Gerinnungsfähigkeit des Blutes zurückgeführt werden.
Es ist höchst wahrscheinlich, dass der Erfolg der Eiweissmjektionen auf
nichts anderem beruht, als auf der kolloidalen Natur dieser Substanzen.
Der Vorgang hat offenbar mit der antitoxischen und biologischen Fähig¬
keit der Sera nichts zu tun, sondern es handelt sich nur um die
parenterale Einführung eines kolloidalen Komplexes und Stoffwechsel¬
veränderungen unbekannter Art.
M. Hesse-Wien: Ueber Verwendung von aktivem und inaktivem
Serum bei dem Komplementablenknngsversnch. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 16.) H. hat die Modifikationen der Wassermann’schen
Reaktion daraufhin nacbgeprüft, ob der Methode mit aktivem oder mit
inaktivem Serum der Vorzug zu geben sei. Er ist der Ansicht, dass die
aktive Methode nioht nur ebenso verlässlich ist als die inaktive, sondern
vielmehr noch sicherer, indem bei ihr noch Luetiker zur Beobachtung
kommen, die der inaktiven Methode entgingen. Die Verwendung des
aktiven Serums ist also vorzuziehen.
E. Ferrari und L. Urizio-Tilsit: Die Meiostagminreaktion bei
Verwendung von Lecithinextrakten. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 16) Die Reaktionen wurdeu mit Alkoholextrakten aus Lecithin an¬
gestellt, und zwar erwies sich der Amylalkohol als besonders günstig.
Die Verff. bezeichnen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen geradezu als
glänzende, welche die Resultate bei Verwendung von Acetonextrakten
(Köhler und Luger) erheblich übertreffen. Dabei bewahren die Sera
ihre spezifischen Eigenschaften durch längere Zeit unverändert, was einen
grossen Vorzug vor der Dungern’schen Methode bedeutet.
E. Ep st ein-Wien: Die Abderhalden’sche Serumprobe auf Carcinom.
(Wiener klin. Wochouschr., 1913, Nr. 17.) Von 37 untersuchten Seris
Krebskranker waren 36 befähigt, koaguliertes Carcinomeiweiss anzu¬
greifen (das eine Serum stammte von einem 80 jährigen kachektischen
Carcinomkranken.) In keinem einzigen dieser Fälle wurde Placentar-
eiweiss angegriffen. Von 18 untersuchten Schwangerenseren griffen 17
Placentareiweiss an. Dagegen waren von 47 carcinomfreien Fällen, die
zum Teil grossen Kräfteverfall zeigten, 46 nicht imstande, koaguliertes
Carcinomeiweiss abzubauen.
J. Bauer-Innsbruck: Ueber orgaaabbaiiend« Fermente im Serum
bei endemischem Kropf. I. Mitteilung. (Wiener klin. Wochenschr.,
1913, Nr. 16.) Schilddrüsengewebe abbauende Fermente lassen sich in
vielen Fällen von endemischem Kropf im Serum nachweisen, mitunter
auch bei einzelnen Individuen der Endemiegegend, bei welchen eine
klinisch nachweisbare Vergrösserung der Schilddrüse nicht besteht. Der
Verf. schlägt vor, den Ausdruck „Dysthyreose“ statt endemischem Kropf
anzuwenden, da die Funktionsstörung der Schilddrüse auch ohne Ver¬
grösserung des Organes bestehen kann. P. Hirsch.
Innere Medizin.
J. Baylac und M. Pujol: Ein Fall von progressiver pernieiöser
Anämie von «plastischem Typns. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 32.) Sehr
schwere apiastische Anämie, die sich rasch vom siebenten Monat der
Schwangerschaft mit schweren gastrointestinalen Störungen bei einer
Multipara entwickelte, die immer schlecht genährt war und unter sein-
ungünstigen hygienischen Bedingungen lebte. Die Entbindung wirkte
nicht günstig, es trat sehr rasch der Exitus letalis ein.
Wartensleben.
St. E. Denyer-Hall: Der Gebrauch von Zaeker bei Herzkrank-
beiten. (Lancet, 19. April 1913, Nr. 4677.) Nach den Erfahrungen des
Verf. hat Zucker keinen Erfolg bei Fällen von Herzschwäche mit Oedem,
mit Schmerzen von Angina pectoris und bei solchen infolge von Nieren¬
erkrankungen. Eine überraschende Wirkung entfaltet der Zucker oft in
Fällen von primärer Herzschwäche. Weydemann.
J. Rihl - Prag: Klinische Beobachtungen über Verlängerung 4er
der Postextrasystole folgeadea Vorhofperioden bei sopraveatrikal&rea
Extrasystolen. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie, Bd. 13, H. 1,
S. 1 — 19.) Es werden klinische Beobachtungen über das Vorkommen
einer Verlängerung der Vorhofpostextraperiode nach supraventrikulären
Extrasystolen mitgeteilt. Im Anschluss daran wird nach kritischer Be¬
sprechung der vorliegenden experimentellen Befunde über die nach Extra¬
systolen an anatomisch tätigen Herzabschnitten zu beobachtenden
frequenzhemmenden Effekte auseinandergesetzt, dass sich letztere nicht
durch Störungen der Reaktionsfähigkeit erklären lassen, sondern wohl
auf Störungen der Reizbildung zurückzuführen sind. Jacoby.
Lafforgue: Associierte Pnenmokokkeninfektionen. (Rev. de med.,
1913, Nr. 4.) Bericht über 3 Fälle von Malaria, die durch echte
Pneumokokkenpneumonien kompliziert wurden. A. Münzer.
H. Deist: Bemerkung zu dem Aufsatz: Ueber Albnmosurie bei
Tuberkulose (Bd. 24, H. 2). (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.)
E. Pachner- Prag: Erfahrungen mit dem Tnberkulomuzin Wele-
minsky. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.) Das Präparat
muss als spezifisch wirksames Mittel bei Tuberkulose angesehen werden.
Vom Tuberkulin unterscheidet es sich dadurch, dass es eine geringere
toxische Komponente hat, ferner dass die wirksame Dosis fast stets die¬
selbe bleibt (Mangel an Gewöhnung), und dass die Wirkung sehr rasch
eintritt. Die Resultate bei schwerer Lungentuberkulose sind recht er¬
mutigend.
J. Holmgren - Stockholm: Die Uebereinstimmung zwischen dem
Verhalten verdünnter Sänren in Löschpapier und der Tnberkulin-
reaktion in der Hant. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, H. 1.)
Grössere theoretische Arbeit, zu kurzem Referat nicht geeignet.
Löffel mann: Nachtrag zu: Ueber Befunde bei Morbus Hodgkin
mittels der Antiforminmethode (Bd. 24, H. 3). (Beitr. z. Klinik d.
Tuberkul., Bd. 25, H. 1.)
E. Kuhn: Bemerkungen zu der Arbeit Berlin’s in H. 3, Bd. 23,
über Erfahrungen mit der Sangmaske. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 25, H. 1.) Polemik.
H. C. Jakobäus-Stockholm: Ueber Laparo- und Thorakoskopie.
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Brauer. (Beitr. z. Kinik d.
Tuberkul., Bd. 25, H. 2.) Besprechung der Technik und Indikationen
der Laparoskopie, Befunde bei Lebercirrhose, Pickscher-Krankheit, Leber¬
lues, Bauchfelltuberkulose. Dann Besprechung der Technik und Indi¬
kationen der Thorakoskopie, mit Befunden bei tuberkulöser Pleuritis,
idiopathischer Pleuritis, nichttuberkulöser Pleuritis, Pleuritis exsudativa
chronica, Empyem, künstlichem Pneumothorax. J. W. Samson.
E. Bitot und P. Mauriac: Hämatemese durch Arteriosklerose
der Magengefässe. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 30.) Innerhalb eines
Jahres sehr häufig Blutbrechen bei einem Manne, der sechs Jahre zuvor,
30 jährig, sich mit Lues infiziert und nun Tabes hatte. Temporalis stark
geschlängelt, zweiter Aortenton accentuiert. Deshalb wurden die Blu¬
tungen auf Arteriosklerose der Magengefässe zurückgeführt. Die Autopsie,
bei der Atberomatose der Oesophagus-, Magen- und Duodenalgefässe
neben Coronarsklerose gefunden wurde, bestätigte diese Diagnose.
Wartensleben.
Th. Hausmann - Rostock: Die ätiologische Rolle der Syphilis in
manchen Fällen von Ulcus callosum penetrais und bei einigen Tumoren.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Die syphilitischen Magenaffektionen
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19. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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werden bei der operativen Freilegung häufig nicht erkannt. Bei benignen
Tumoren und callösen penetrierenden Ulcera des Magens mit Anacidität
muss man an eine luetische Basis denken. Histologisch geben besonders
die Gefässveränderungen bei Elastieafärbung Aufschluss. Diagnostizierte
Sarkome und Retroperitonealtumoren sind häufig gummöser Natur.
Baetzner.
M. Favre und L. Bonier: Ein Fall von typhöser Spoadylitis.
(Lyon möd., 1913, Nr. 15.) 60 jährige Patientin erkrankte im Verlauf
eines Typhus an starken Schmerzen in der Gegend der letzten Lenden¬
wirbel; auf Druck starke Empfindlichkeit, völlige Immobilisatiou der
Wirbelsäule, Steigerung der Patellarreflexe, Ausstrahlen der Schmerzen
in die unteren Extremitäten. Diagnose: typhöse Spondylitis. Restlose
Heilung. A. Münzer.
E. Behrenroth und L. Frank - Greifswald: Klinische und experi¬
mentelle Untersuchungen über die Funktion der Niere mit Hilfe der
Phenolsnifophthaleinprobe. (Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie,
Bd. 13, H. 1, S. 72—83.) Die Verff. halten die Phenolsulfophtbaleinprobe
für die einfachste und zuverlässigste Methode der funktionellen Nieren¬
diagnostik. Wahrend bei der normalen Niere die Ausscheidung in der
ersten Stunde die in der zweiten Stunde beträchtlich übertrifft, ändert
sich das in pathologischen Fällen. Es lassen sich Nierenschädigungen
mit dem Verfahren nachweisen, die klinisch in bezug auf Eiweissaus¬
scheidung und morphologische Bestandteile keinen pathologischen Befund
bieten. Auch bei der Erkennung einseitiger Nierenerkrankungen leistet
das Phenolsulfophthalein gute Dienste. Nach Ansicht der Verf. besteht
bei chronischer Nephritis auch eine Leberschädigung. Jacoby.
J. Brault: Phlegmone des Penisgewebes bei den Diabetikern.
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 21.) Eine ziemlich seltene Affektion, die noch
relativ häufig bei Diabetikern beobachtet wird, ist eine mehr oder minder
weit greifende Gangrän des Penis. Diese heilt nicht selten aus unter
Hinterlassung einer Fistel. Wird diese nicht sorgfältig behandelt, so
kann die Entzündung in die Tiefe fortschreiten, so dass schliesslich die
Corpora cavernosa und die Urethra im Eiter florieren. Ein solcher Fall
wird beschrieben. Wartensleben.
Siehe auch Pharmakologie: S. Fränkel und P. Kirschbaum,
Adigan, ein neues Digitalispräparat. — Pathologie: Miyake, Aetio-
logie der Gallensteine, mit besonderer Berücksichtigung der japanischen
und deutschen Verhältnisse. — Chirurgie: Nagelsbach, Blutbild bei
Strumen.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
G. Froment und 0. Monod: Die Pronst-Lichtheim-Dtjeriiie’sche
Probe. (Rev. de med., 1913, Nr. 4.) Die Fähigkeit einzelner Aphasischer,
die Bucbstabenzahl bzw. Silbenzahl eines Wortes, welches sie nicht aus¬
sprechen können, anzugeben, findet sich bei allen Kranken mit reiner
motorischer Aphasie; auch wenn die Aphasie sich noch mit leichter
Agraphie verknüpft, ist sie erhalten. Ihr Vorhanden-bzw. Erloschensein
ist kein Beweis für den subcorticalen bzw. corticalen Sitz der ursäch¬
lichen Läsion. A. Münzer.
F. Corsy Anatomische Betrachtingen über die nenrolytischen
Injektionen bei der Facialisnenralgie. (Gaz. des höp., 1913, Nr. 27.)
Das genaue anatomische Studium lehrt, dass keine absolut sichere
Methode existieren kann, um den gewünschten Nervenstamm mit der
Nadel zu treffen. Jedoch vermag die Uebung zu einer recht grossen
Sicherheit zu führen. Wartensleben.
H. Mabille und A. Pitres: Ein Fall von postapoplektiscber
Fixationsamnesie, der 23 Jahre hindurch bestanden hatte. (Rev. de
möd., 1913, Nr. 4.) 34 jähriger Syphilitiker verliert nach einem apo-
plektiscben Insult absolut das Vermögen, irgendwelche Ereignisse usw.
in seinem Gedächtnis zu fixieren. Im Verlauf weniger Stunden vergisst
er, was er kurz vorher gesagt, gehört und getan hat. Alles ist ihm
neu, gleich als ob es zum ersten Male sich ereignete. Die Erinnerung
an alle vor dem Insult geschehenen Dinge ist erhalten. Nach 23 Jahren
Exitus. Die Sektion deckt zwei symmetrische Erweichungsherde im
Centrum semiovale beider Hemisphären auf; sie waren unmittelbar vor
dem Kopf des Schwanzkerns gelegen. Theoretische Erörterungen.
A. Münzer.
Siehe auch Chirurgie: Rorschach, Tumoren der Zirbeldrüse.
Kinderheilkunde.
Variot, Lavialle und Rousselot: Der Gebrauch überzuckerter
Milch bei Dyspepsien im Kindesalter. (Bull, de la soc. de ped. de Paris,
1913, Nr. 3, S. 109.) Bericht über 15 Fälle von Dyspepsie bei Säug¬
lingen, in denen Milch mit einem Zuckergehalt von lOpCt. angeblich
mit gutem Erfolg aogewendet wurde.
Dufour: Unvollständige Pylorusstenose bei einem Säugling von
6 Monaten. (Bull, de la soc. de p6d. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 150.)
Typische Pylorusstenose. Nachdem alle Medikation erfolglos gewesen
war, trat Besserung und Heilung ein, als man die Nahrungsmenge auf
18 Mahlzeiten innerhalb 24 Stunden verteilte. Die Art und Weise, wie
man die Nahrung gibt, ist also ebenso wichtig als wie: was man gibt.
Birk-Kiel.
R. Steiner-Wien: Mitteilungen über einen Fall von Hirscbspruug-
scher Krankheit. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 9 jähriger
Knabe. In Höhe von 10 cm wurde rectoskopisch ein kleinerbsengrosser,
kurzgestielter Polyp gesehen. Die Therapie bestand in systematischen
Darmentleerungen durch hohe Einläufe, Atropininjektionen, Verabreichung
von Nux vomica, vorsichtiger Massage und Faradisation. Es wurde hier¬
durch erreicht, dass der Leibumfang abnahm, die Darmsteifung auf¬
hörte, ferner Gewichtszunahme und subjektives Wohlbefinden.
P. Hirsch.
Lange: Beobachtungen von kongenitaler Skoliose. (Bull, de la
soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 167.) Die Ursache kongenitaler
Skoliosen kann sehr verschieden sein: überzählige halbe Wirbel mit ent¬
sprechender 13. Rippe, Atrophie einer Wirbelhälfte, vollkommenes Fehlen
einer Wirbelhälfte, Aplasie eines Rippenbogens; ausserdem gibt es
Skoliosen ohne anatomische Veränderungen der Wirbelkörper, die not¬
wendigerweise auf intrauterine anormale Druckverhältnisse zurückgeführt
werden müssen.
Nageotte-Wilbouchewitsch: Wie soll man die Skoliose infolge
Missbildung des 5. Lumbal Wirbels behandeln? (Bull, de la soc. de
ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 117.) Bei Skoliosen ist es notwendig,
rechtzeitig mit Röntgenstrahlen zu untersuchen. Findet man im Ent¬
stehen begriffene Läsionen, so besteht die Behandlung in Ruhe bei
korrigierter Haltung. Bei Missbildungen dagegen soll man eine statische
Korrektur, vermittels eines hohen Stiefels, gebrauchen. Man erreicht
dadurch oft, dass unter dem Gewicht des Körpers sich die erhöhte
Hälfte des Wirbels, der ja noch jung und modellierfähig ist, abflacht.
Man kann auch auf blutigem Wege die Missbildung angehen, indem
man entweder die zu hohe Hälfte des Wirbels wegnimmt oder auf der
anderen Seite ein Stück unresorbierbarer Masse ein fügt.
Roederer und A. Weil: Die Häufigkeit von Abscessen bei Pott’scher
Krankheit. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 152.)
Während bei der üblichen klinischen Untersuchung Abscesse bei Pott¬
scher Krankheit nur relativ selten gefunden werden, erhält man bei der
Röntgenuntersuchung einen ausserordentlich häufigen positiven Befund.
Etwa in 85 pCt. der Fälle finden sich Abscesse.
Weill undMouriquaud: Klinische und radiologische Bemerkungen
zur Pneamonie des Säuglings. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913,
Nr. 3, S. 182.) Die Pneumonie der rechten Spitze ist beim Säugling
die häufigste und die gutartigste. Sie zeigt im Röntgenbilde die
charakteristische Form eines Dreiecks. Ihr Sitz ist immer die Rand¬
zone. Eine „centrale“ Pneumonie gibt es eigentlich nicht. Das Röntgen¬
bild liefert einen prinzipiellen Unterschied zwischen der lobären Pneu¬
monie und der Bronchopneumonie. Die letztere gibt keinen scharf
begrenzten Schatten und hat niemals die Dreiecksform.
Cassoube: Verschiedener Ansfall der Wassermann’schen Reaktion
bei Zwillingen. (Bull, de la soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 179.)
Bei dem einen Kinde fiel der Wassermann positiv, bei dem anderen
negativ aus. 8 Tage später war er bei beiden positiv.
Gautonnet und Schreiber: Anicidie und kongenitaler Katarakt
auf beiden Augen bei einem Säugling von 3 Monaten. (Bull, de la
soc. de ped. de Paris, 1913, Nr. 3, S. 147.) Kasuistischer Fall.
Birk-Kiel.
Chirurgie.
R. Dax-München: Ueber 1500 Lumbalanästhesien, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Die Münchener Klinik hat
gute Resultate zu verzeichnen und empfiehlt daher Verf. die Lumbal¬
anästhesie für geeignete Fälle aufs wärmste. W. V. Simon.
A. Neumann-Kneucker- Wien: Kälteleitungsanästhesie am
Nervns mentalis. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Die Be¬
täubung des knapp unter der Schleimhaut liegenden Nervus mentalis,
geschieht durch Aufstäubung des Chloräthylstrahls. Die Anästhesie
tritt schon nach etwa 25 Sekunden ein. Die Methode eignet sich vor
allem für die Extraktion unterer Prämolaren. P. Hirsch.
A. W. Meyer - Heidelberg: Beiträge zur Lokal- und Nervenleitungs¬
anästhesie. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) 1. Um
sich bei atypischen Verhältnissen über die Lage der grossen Nerven-
stämme während der Operation orientieren zu können, empfiehlt Verf.
die „fragmentierte Lokalanästhesie“, die darin besteht, dass man zuerst
nur die Haut und während der Operation erst die tieferen Teile anästhe¬
tisch macht. Das gleiche Verfahren eignet sich beim Suchen nach tief¬
sitzenden Fremdkörpern. 2. Nach Ansicht des Verf.’s ist die Injektion
eines Lokalanästheticums in entzündetes Gebiet (Abscesse usw.) nicht
bedenklich und kann ohne Gefahr der Keimverschleppung angewandt
werden. 3. Die Umspritzung der Frakturenden mit lokalanästhetischen
Lösungen hat sich bei Einrichtung von Frakturen als sehr gut erwiesen.
4. Ebenso gut hat sich die Einspritzung lokalanästhetischer Lösungen
in Gelenke und um dieselben zur Stellung von Diagnosen, zu Operationen
und zur orthopädischen Behandlung bewährt. Weiterhin gibt Verf. einen
Weg an, um bei der KulenkampfFschen Plexusanästhesie die Haut des
ganzen Oberarms gefühllos zu machen. Schliesslich gibt er technische
Anweisungen zur Nervenleitungsanästhesie in der Ellen beuge und auf
der Volarseite des Handgelenks, die sich ebenfalls in der Heidelberger
Poliklinik bewährt haben.
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UNIVERSITY OF IOWA
930
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
D. Ku lenkampff - Zwickau: Die Radlkaloperation des Ohres in
Lskalanisthesie, ihre Technik und Nachbehandlung, (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. gibt in seiner Arbeit eine ge¬
naue Beschreibung des von ihm an einem grösseren Material (32 Falte)
ausgearbeiteten Verfahrens und liefert ausserdem einen Beitrag zur Frage
der Perichondritis der Ohrmuschel. W. V. Simon.
N. Beresnego wsky - Tomsk: Die intravenöse Isopralnarkose.
(Archiv f. klin. Chir.. Bd. 101, H. 1.) Verf. kommt auf Grund zahl¬
reicher Narkosen am Hund mit nachfolgenden pathologisch-anatomischen
Untersuchungen zu dem Schluss, dass die intravenöse Isopralnarkose
wegen der Unmöglichkeit der exakten Sterilisierung der Lösung, ihrer
langwierigen Zubereitung und der schädlichen Wirkungen auf Nieren¬
parenchym und Herz in der Klinik kaum Anwendung und Verbreitung
verdient.
E. Unger und M. Bettmann - Berlin: Experimente zur Be-
Mupfong der Atemlähmung bei Gehirooperationen mittels Meltzer’s
Insafflation. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Verff. haben im
Hundeexperiment gezeigt, dass bei Hirnoperationen die cerebrale Lähmung
des Atemcentrums und die nachfolgende des Herzcentrums durch
Meltzer’s Insufflation, dauerndes Einblasen von Sauerstoff und Luft in
die Trachea, mit Erfolg bekämpft werden kann. Die Einführung des
Katheters macht vielfach Schwierigkeiten, wird aber meist mit Hilfe des
Röhrenspatels nachKillian auszuführen sein. Baetzner.
H. Rorschach - Münsterlingen: Zur Pathologie und Operabilität
der Tumoren der Zirbeldrüse, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 83, H. 3.) Verf. teilt eingehend einen Fall mit, bei dem
es sich um einen zusammengesetzten Tumor der Zirbeldrüse mit sarko-
matös entartetem Bindegewebsgerüst und Ganglienzellennestern (Glio-
sarcoma gangliocellulare) handelte. Der Fall ist dadurch besonders
interessant, dass Pat. vorher an einer Dementia praecox gelitten hatte,
deren Symptome sich, je mehr sich die Tumorsymptome bemerkbar
machten, verloren. Verf. nimmt an, dass Psychose und Tumor in diesem
Falle voneinander unabhängige Folgen einer fehlerhaften Keimanlage
sind. Weiter berichtet Verf. über einen zweiten Fall, bei dem ebenfalls
das Vorhandensein eines Zirbeldrüsentumors in Frage gezogen werden
muss, und der den Vatersbrudersohn des ersten Patienten betraf. Auf
die einschlägigen Fragen ist in der Arbeit ausführlich eingegangen worden.
H. Strobel und Kirschner - Erlangen: Ergebnisse der Nervenaaht.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Die Verff. berichten
über die Erfolge, die bei 14 Nervenverletzungen an der Erlanger Klinik
erzielt worden sind. Sie treten dem Lexer’schen Standpunkt entgegen,
dass man bei mit Nervenverletzungen einhergehenden Frakturen zunächst
konservativ behandeln und erst bei Misserfolg die Nervennaht machen
soll. Vielmehr, soll man in diesen Fällen Bruchstelle und Nerv frei-
legen, die Bruchstücke möglichst so durch Schrauben, Verbolzen usw.
vereinigen, dass eine Verschiebung nicht mehr eintreten kann, und sofort
die Nervennaht anschliessen. W. V. Simon.
W. Trotter- London: Die operative Behandlung bösartiger Er¬
krankungen des Monde« und des Rachens. (Lancet, 19. und 26. April
1913, Nr. 4677 und 4678.) Klinische Besprechung der Erfahrungen, die
der Verf. bei 32 derartigen Operationen gemacht hat, und der von ihm
in verschiedenen Fällen befolgten Technik. Er hatte pCt. Todes¬
fälle und 25 pCt. Heilungen. Weydemann.
C. Eisenberg - München: Irreponible Radinsfraktnren. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 33, H. 3.) Mitteilung dreier Fälle.
A. W. Meyer - Heidelberg: Zur Diagnose und Behandlung einiger
Frakturen, besonders der Gelenke, (v. Bruns Beitr. z. klin. Chir.,
1913, Bd. 83, H. 3.) An der Hand mehrerer Fälle teilt Verf. inter¬
essante diagnostische und therapeutische Einzelheiten mit, die jedoch in
einem kurzen Referat nioht wiedergegeben werden können.
O. v. Angerer-München: Zur Operation des Genn valgom. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. hat mit der Ausführung
einer Keilosteotomie an der Tibia ebenso gute, wenn nicht bessere Re¬
sultate erzielt, als mit der technisch schwierigeren Femurosteotomie. Die
Fibula brauchte nie mitdurchmeisselt zu werden und gab während der
Heilungsperiode eine gute Schiene ab. Zweimal trat eine Peroneusparese
ein, die aber nach einiger Zeit wieder von selbst schwand.
E. Müller-Stuttgart: Zu der Arbeit von J. Geiges: Beitrag zur
Aetiologie des Klaaenhohlfnsses. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 83, H. 3.) Die von Geiges publizierten Fälle (v. Bruns’ Beitr.,
Bd. 78) von Klauenhohlfuss mit Spina bifida occulta haben ätiologisch
mit den von M. publizierten Fällen von idiopathischem Klauenhohlfuss,
bei dem alle Muskeln funktionieren, nichts zu tun. Verf. hatte in seiner
von Geiges kritisierten Arbeit die auf Muskellähmung beruhenden Hohl-
füsse extra von der Besprechung ausgeschlossen, ln 11 jetzt untersuchten
bzw. nachuntersuchten Fällen von idiopathischem Klauenhohlfuss konnte
Verf. keine Spur einer Spina bifida occulta nach weisen, womit er die
Behauptung von Geiges, dass sich unter den Fällen von idiopathischem
Hohlfuss mancher Fall von Klauenhohlfuss mit Spina bifida occulta ver¬
stecke, widerlegt.
E. Barreau - München: Ueber C-Knorpelverletznngea. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) An der Hand von neun Fällen
behandelt Verf. die Anatomie und Physiologie wie das Zustandekommen
der Verletzung. Bei frischen Fällen wird konservativ behandelt, erst
Ruhigstellung, später Massage usw. Aeltere Verletzungen werden ope¬
rativ behandelt, und zwar bestand diese bei den Fällen des Verf. 7mal
in Totalexstirpation und 2 mal in partieller Resektion der Knorpel. D^r
angewandte parapitellare Schnitt gibt, wie auch der horizontale Schnitt,
keine gute Uebersicht über das Gelenk und ist daher vielleicht die
Kirschner’sche Methode, die sich bei Leiohenversuchen als praktisch
zeigte, zu empfehlen. Die Resultate sind nicht sehr gut; meist bleiben
Beschwerden zurück. W. V. Simon.
N. Bogaras-Tomsk: Resedio extremitatis inferior». (Das neue
Prinzip in der Knieresektion bei ausgedehnter Gelenkaffektion.) (Archiv
f. klin. Chir., Bd. 101, Heft 1.) Entfernung des ganzen Gelenks ohne
dessen Eröffnung ist das vom Verf. vorgeschlagene Prinzip der Resektion
der Extremitätenteile in der ganzen Circumferenz, wobei die Haupt-
gefässe und Nerven erhalten bleiben. Indiziert bei malignen Tumoren
und ausgedehnten tuberkulösen Fungis. Baetzner.
R. Horand und G. Courday: Feilende Hüfte. (Gaz. des höp.,
1913, Nr. 20.) Es werden zwei Fälle beschrieben, die dieses Krankheits¬
bild boten. Wartensleben.
W. Lobenhoffer - Erlangen: Ueber Seapnlarkrachea. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Nach Besprechung des zuerst
von Küttner in der deutschen Literatur ausführlicher besprochenen
Krankbeitsbildes teilt Verf. den Fall eines jungen Mädchens mit, bei
dem das Scapularkrachen durch eine proliferierende Entzündung einer
Bursa anguli superioris verursacht wurde, die nach angestrengtem Mähen
aufgetreten war. Nach Exstirpation der Bursa und eines vorhandenen
Luschka’schen Knochenhöckerchens trat Heilung ein.
W. V. Simon.
Förster: Ueber Taberkaliatherapie bei der chinrguchea Taber-
kalose des Kindesalters. (Beitr. z. Klinik der Tuberkul., Bd. 25, H. 1.)
Die chirurgische Tuberkulose des Kindesalters scheint ein dankbares Feld
für die Anwendung der Tuberkulintherapie zu sein; hygienische, klima¬
tische und allgemeine therapeutische Maassnahmen dürfen aber dabei
nicht fehlen. In Anbetracht der fast überall vorhandenen Ueberempfind-
lichkeit kommt nur die Applikation minimalster Dosen in Frage (durch
schnittliche Anfangsdosis von 1 j t bis 1 Millionstel mg). Dabei sind
Stichreaktion und massige Lokalreaktion nicht unerwünscht, leichte All¬
gemeinreaktionen nicht schädlich. Die Scrofulose verdient besondere
Berücksichtigung bei der Tuberkulintherapie, doch darf hier nur streng
nach der Sahli’schen Methode, als absolut reaktionslos, vorgegangen
werden. J. W. Samson.
A. Krecke-München: Zur Technik der Stramektomie bei beider¬
seitigem Kropf, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 88, H. 3.) Verf.
geht so vor, dass er auf der einen Seite die Art. thyreoid. inf. sehr weit
nach aussen unterbindet, um nicht mit dem Epithelkörperchen in Kon¬
flikt zu kommen. Da es aber doch immer möglich ist, dass man bei
der Freilegung des unteren Poles und der Unterbindung der Art. thyreoid.
inf. die Epithelkörperchen geschädigt hat, muss man auf der anderen
Seite diese auf jeden Fall schonen, und daher auf die Freilegung der
Gegend der Epithelkörper und auf die Unterbindung der Art. thyreoid. inf.
verzichten. Verf. näht auf der zweiten Seite nach Unterbindung der
oberen Gefässe und nach Ablösung des Kropfes von der Luftröhre den
Kropf auf allen Seiten durch einige Nähte ab und macht eine Keilresektion.
E. Nägelsbach - Erlangen: Untersuchungen über das Blutbild bei
Strnnen und dessen Beeinflussung durch die Strumektomie. (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Nicht nur bei Basedowkranken,
sondern überhaupt bei fast allen Strumenträgern besteht eine Lympho-
cytose, und zwar pflegt diese bei den Basedowpatienten am stärksten
zu sein, etwas geringer bei leichten Tbyreosen, am wenigsten bei un¬
komplizierten Strumen. Der Grad der Lymphocytose entspricht jedoch
durchaus nioht regelmässig der Schwere der sonstigen Erscheinungen.
Für die Prognose hat der Blutbefund keine Bedeutung. Eine charakte¬
ristische Veränderung der Leukocytenzahl besteht weder bei Basedow
noch bei den anderen Schilddrüsenveränderungen. Bei den operierten
Strumen tritt zugleich mit der Besserung der übrigen Symptome ein
Herabgehen der Lymphocytenwerte ein.
H. Doerffler-Weissenburg i. B.: Kasuistischer Beitrag zur Opera¬
tion der starren Dilatation des Thorax, (v. Bruns’ Beitr. x. klin.
Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Mitteilung eines günstig verlaufenen Falles,
bei dem Verf. zur Sicherstellung der dauernden Beweglichkeit der Rippen¬
enden in den Rippendefekt nach dem Vorschlag von Seidel einen Muskel¬
lappen eingeschlagen hatte.
Stroebel - Erlangen: Der Micrococcns tetragenes als Erreger von
Bakteriämien beim Menschen, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913,
Bd. 83, H. 3.) Mitteilung eines Falles, bei dem es im Anschluss an
eine Empyemfisteloperation zu einer Tetragenessepsis kam. Das klinische
Bild begann mit Schwellung und Schmerzen der Fuss- und Handgelenke,
ging mit Hautblutungen auf dem Fussrücken und auf dem Penis und
Oedemen einher. Sehr auffallend war, dass die teigigen Oedeme in ihrer
Lokalisation ausserordentlich schnell wechselten. Es fand sich beispiels¬
weise am Morgen eine Schwellung der einen Hand, nachmittags war diese
Schwellung wieder verschwunden und dafür eine solche an der linken
Brustseite aufgetreten. Das Fieber war unregelmässig mit starken Re¬
missionen. Der Allgemeinzustand des Patienten hatte ausserordentlich
gelitten.
Enderlen-Würzburg: Gesichtspunkte und Thesen zur Peritoaitif-
frage. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Vortrag
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
987
aus der zweiten Versammlung bayerischer Chirurgen am 6. Juni 1912
in München. Diskussion.
Hügel - Landau: Zur Behandlung der Peritonitis mit Campheröl.
(y. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Bei zwei Fällen
von diffuser Peritonitis nach Wurmfortsatzperforation brachte die Be¬
handlung mit Campheröl keinen Erfolg. Bei einer diffusen Peritonitis
nach Gallenblasenperforation ging die Patientin kurz nach der Operation
zugrunde. Verf. glaubt, dass es sich hierbei um eine Art Seifenver¬
giftung gehandelt habe und wird hierin durch das Ergebnis der von ihm
angestellten Versuche bestärkt. Er warnt vor Campherölbehandlung bei
der galligen Peritonitis.
W. Pettenkofer-München: Behaadlug der postoperativen Darm¬
parese bzw. -paralyse. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.)
Verf. rühmt zur Bekämpfung der Darmparese die Wirksamkeit der „elek¬
trischen Darmeinläufe“, deren Prinzip in der Hauptsache darin besteht,
dass die in den Darm infundierte Flüssigkeit als Elektrode benutzt wird.
Beschreibung der Technik und einer vom Verf. zu diesem Zwecke ange¬
gebenen Darmsonde. Der Stuhl erfolgt nicht unmittelbar nach der Appli¬
kation, sondern etwa nach 2 bis 3 Stunden. Eventuell kann man den
elektrischen Einlauf noch mit Physostigmin kombinieren.
Mandel-München: Ueber entzündliche Geschwülste des Bauches,
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Mitteilung dreier Fälle.
Bei zwei Fällen war wahrscheinlich eine vorausgegangene Appendicitis
die Ursache, bei dem dritten hat vielleicht eine vorher verschluckte Zahn¬
prothese eine Läsion der Darmwand verursacht und so zur schleichenden
Entwicklung der Geschwulst geführt. W. V. Simon.
Kr. Poulsen - Kopenhagen: Multiple mesenteriale Chyluseysten
bei einem 7jährigen Mädchen. Volvulus mit Darmperforation und
diffuser Peritonitis. Resectio ileh Heilung. (Archiv f. klin. Chir.,
Bd. 101, H. 1.) Ein Fall von multiplen lymphatischen Mesenterial¬
geschwülsten einer Dünndarmschlinge, die zur Achsendrehung und an
der Torsionsstelle zur Perforation und sekundärer Peritonitis führte.
Baetzner.
Madien er-Kempten: Ueber gallige Peritonitis ohne Perforation
der Gallenwege. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Bei
Erkrankungen des Gallengangssystems kann es ausser durch Perforation
auch durch Diapedesin zu einer Peritonitis mit ausgesprochen galligem
Exsudat kommen. Bisher sind nur 4 Fälle dieser Art in der Literatur
beschrieben, denen Verf. einen weiteren hinzufügt. Der gallige Charakter
des Exsudates kann nur von direktem Durchtritt der Galle durch die
nichtperforierte Gallenblasen- bzw. Gallengangwand herrühren, denn er
wird auch bei fehlendem Icterus beobachtet. Vielleicht spielt neben
der Entzündung eine vorhandene Gallenstauung dabei eine Rolle. Pro¬
gnostisch sind diese Formen günstiger, als die durch Perforation ent¬
standenen.
K. Hügel-Landau: Mikroskopische Perforation der Gallenblase.
(v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Bericht über 5 selbst
beobachtete Fälle. Für das Zustandekommen der mikroskopischen Per¬
forationen muss der Cysticus oder ein mehr darmwärts gelegener Ab¬
schnitt der Gallengänge absolut und fest verschlossen sein. Steine mit
kristallinischer Oberfläche scheinen sich fester als solche mit glatter
Oberfläche einzukeilen. Der Inhalt der Gallenblase muss infiziert sein.
Von Komplikationen, die nach der mikroskopischen Perforation öfter ein¬
zutreten scheinen, sind die Lungenembolie und die Parotitis zu nennen.
W. V. Simon.
H. Finsterer-Wien: Freilegung inoperabler Magencarcinome zur
Röntgenbestrahlung und die damit erzielten Erfolge. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 16.) 1. Die Resektion des Magencarcinoms ist
überall auszuführen, wo sie technisch möglich ist. Bei Anwendung der
Lokalanästhesie statt der Allgemeinnarkose können die allgemeinen
Kontraindikationen fast ganz fortfallen. 2. Nach der Resektion weit
vorgeschrittener Caroinome ist von der einfachen Tiefenbestrahlung oder
besser von der sekundären Freilegung des Operationsterrains zur
Röntgenbestrahlung behufs Zerstörung von Krebskeimen in den zurück¬
gebliebenen Drüsen eine Verminderung der Zahl der Recidive und Leber¬
metastasen zu erwarten. 3. Bei inoperablen Carcinomen soll der Magen
vollkommen freigelegt und dann Gastroenterostomie weit gegen den
Fundus zu bzw. Jejunostomie gemacht werden. Dann Bestrahlung, dje
immer lange Zeit fortgesetzt werden muss. Dünner.
A. Aoh-München: Arteriomesenterialer Ilens. (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Cbir., 1918, Bd. 83, H. 3.) Verf. ist auf Grund zahlreicher Tier¬
versuche zu der Ansicht gekommen, dass das Primäre die akute Dilata¬
tion des Magens ist. Diese kommt durch eine motorische Insuffizienz
des Magens zustande, die durch die Narkose auf nervösem Wege wie
durch die Operation auf mechanischem Wege gesetzt wird und die duroh
die Ueberfüllung des Magens durch feste, flüssige oder gasförmige Massen
zur Dilatation die Veranlassung gibt. Durch Aenderung der Rückenlage
des Patienten am besten in die Schnitzler’sche Bauchlage, verbunden
mit gleichzeitigen Magenspülungen, wird meist prompte Heilung erzielt.
In den allerschwersten Fällen kommt die Gastroenterostomia retrocolica
in Frage.
v. Stubenrauch-München: Technik der temporären Enterostomie
bei Peritonitis und Inanitionazuständen. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.,
'1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. bildet durch die Anlegung zweier 1 cm von¬
einander entfernter Lembertnähte eine Falte in der Dünndarmwand und
sticht nach Fixierung der Schlinge an das Peritoneum parietale in diese
Falte eine Metallkanüle, an die ein Schlauoh befestigt wird, und die
liegen bleibt, bis Darmgase per vias naturales abgeben. Nach der Ent¬
fernung der Kanüle tritt spontane Heilung ein. Decubitus der inneren
Darmwand als Folge eines von der Metallkanüle ausgehenden Druokes
hat Verf. nie gesehen. In ganz ähnlicher Weise geht Verf. bei der Enter¬
ostomie zum Zwecke der Nahrungszufuhr vor. Die hier angewandte
Kanüle, die zur Eingiessung einer vom Verf. zusammengestellten Speise
aus Hygiama, Ei, Zucker und Kochsalz dient, braucht nicht liegen zu
bleiben, sondern kann jedesmal erneut in die Darmfalte eingestochen
werden.
A. Schmitt-München: Zur Frage des Coecum nobile, (v. Bruns*
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Verf. meint, dass man mit den
beim Coecum mobile angewandten Ergänzungsdiagnosen „Typhlektasie
und Typhlatonie“ den Kern der Krankheit viel besser trifft. Die bei
diesen Patienten vorhandene Enteroptose führt zur Stuhlenthaltung, diese
zur Dehnung und Erschlaffung des Coecums und des Col. ascend. Daraus
ist die abnorme Weite und Beweglichkeit des Coecums erklärt. Die ab¬
norme Gestaltung und Bildung des ileocoecalen Mesenteriums ist durch¬
aus nicht so häufig und so stark entwickelt, um die Häufigkeit des allzu
mobilen, allzuweit und schlaff gefundenen Coecums erklären zu können.
Verf. hat in seinen Fällen die Faltung oder Raffung des Coecums aus¬
geführt und nur zweimal das Coecum mit einigen Nähten möglichst weit
hinten an die mediale Bauchwand fixiert, weil es starke Neigung zur
medianen Verschiebung hatte. Dadurch wird sicher nur eine ganz leichte
Bewegungsbeschränkung erreicht. Eine Aufhebung derselben, wie sie
Wilms fordert, hält Verf. für falsch. Die Resultate des Verf. waren
gut, doch sieht er die operative Behandlung nur als eine die nötige
interne Behandlung unterstützende Therapie an.
L. Burkhardt-Nürnberg: Die operative Behandlung des Coecum
mobile, (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Das Coecum
mobile braucht nicht immer Beschwerden zu machen, doch scheint es
mehr als ein normales zur Erkrankung disponiert zu sein. Die Behaup¬
tung, dass das Coecum mobile keine Krankheit sui generis sei, sondern
nur ein Teil einer allgemeinen Enteroptose, will Verf. wenigstens für
alle Fälle nicht gelten lassen. Verf. hebt weiter den Wert der Röntgen¬
untersuchung hervor; er konnte sich von dem Symptom der seitlichen
Verschieblichkeit nicht einwandsfrei überzeugen, doch scheint ihm der
abnorme Tiefstand und die abnorme Länge und Weite des Coecalsackes
im Röntgenbilde charakteristisch. Denen, die die operative Behandlung
des Coecum mobile für unzweckmässig und widersinnig halten, kann sich
Verf. nicht anschliessen. Für die hartnäckigen, jeder anderen Behandlung
trotzenden Fälle hält er ein operatives Eingreifen für indiziert. Und
zwar soll man nicht nur die abnorme Beweglichkeit, sondern auch die
abnorme Länge und Weite des Coecalsackes beseitigen. Die operative
Behandlung kann auch bei Versagung aller interner Behandlung noch
gute Resultate zeitigen, vor allem habe sie nie geschadet.
C. Eisenberg-München: Ueber die von erworbenen DivertikelB der
Flexura sigmoidea ausgehenden entzündlichen Erkrankungen, (v. Bruns’
Beitr. z. klin. Chir., 1913, Bd. 83. H. 3.) Zusammenstellung der bisher
veröffentlichten Fälle unter Hinzufügung einer neuen Krankengeschichte.
Grosser Fettreichtum der Patienten spielt vielleicht bei der Entstehung
eine nicht unwichtige Rolle, weil die Gefässlücken, durch die die Diver¬
tikel herauszutreten pflegen, bei Fettreichtum erweitert zu sein pflegen.
Die klinisohen Erscheinungen sind ausgesprochen: sie äussern sich in
Störungen in der Darmfunktion, dann weiter durch Symptome, die auf
intraabdominelle Verwachsungen oder Perforationen hinweisen. Letztere
sind es auch vor allem, die die Prognose ernst gestalten. Diagnostiziert
können bisher nur Fälle werden, bei denen sich ein fester Tumor in der
linken Darmbeingrube findet. Bei der Differentialdiagnose gegen Caroinom
ist der mangelnde Blutbefund in den Fäces, die Schmerzhaftigkeit des
Tumors bei Druck und die rektoskopische Untersuchung von Wichtigkeit.
Die Behandlung kann nur eine chirurgische sein. W. V. Simon.
E. Müller-Hamburg: Ueber Carrinoide des Wurmfortsatzes.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Die unter der Diagnose „primäre
Appendixcarcinome“ veröffentlichten Tumoren sind in drei Gruppen zu
sondern: 1. Carcinome, bei denen das Coecum mitergriffen ist. Sie ge¬
hören zu den Coecumcarcinomen. 2. Carcinome der Appendix mit
freiem Coeoum. Das sind die wirklichen primären Carcinome der
Appendix. 3. Rundzellentumoren, mikroskopische Carcinome, klinisch
gutartig. Sie stellen eine besondere Art epithelialer Neubildung des
Darmes dar und werden am besten als Carcinoide charakterisiert.
Baetzner.
Geb eie-München: Ueber das Prostatacareinom. (v. Bruns’ Beitr.
z. klin. Chir., 1913, Bd. 83, H. 3.) Da das Carcinom der Prostata nicht
gar zu selten ist, muss man bei jeder Vergrösserung der Prostata an
diese Erkrankung denken. Allerdings ist die Diagnose nicht leicht und
wird stets nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose sein können. Die Ope¬
rationsresultate sind schlecht, doch muss man, da Dauerheilungen be¬
kannt sind, das Carcinom radikal in Angriff zu nehmen suchen, wenn
es die Kapsel noch nicht durchbrochen hat und Metastasen nicht fest¬
stellbar oder sehr beschränkt sind. Entgegen Posner, der den trans-
vesicalen Weg strikte ablehnt, empfiehlt Verf. die suprapubische Prostat¬
ektomie, wenn die Drüse nur teilweise vom Carcinom ergriffen ist und
dasselbe mehr central im Drüsengewebe liegt. In den anderen Fällen
wendet er die Zuckerkandel’sche perineale extrakapsuläre Methode
an oder bei fortgeschrittenen Fällen den von Völoker zur Freilegung
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988
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
der Samenblasen angegebenen ischiorektalen Schnitt in Bauchlage de9
Patienten. W. V. Simon.
Longard-Forst - Aachen: Beitrag zur Behandlung der aknt
eitriges Appendieitis. (Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Statistische
Erfahrungen über eine zusammenhängende Serie von 100 Fällen ope¬
rativ behandelter akut eitriger Appendieitis mit circumscripter oder all¬
gemeiner Peritonitis. Baetzner.
0. v. An ge rer-München: Ersatz eine» Harnröhrendefektes durch
den Wurmfortsatz. (v. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1914, Bd. 83, H. 3.)
Yerf. benutzte nach der von Lexer angegebenen Methodik den Schleim-
hautcylinder des Wurmfortsatzes als Ersatzstück und erzielte ein gutes
Resultat. W. V. Simon.
O. Uffreduzzi - Turin: Die Pathologie der Hodenretentioa.
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 101, H. 1.) Beim retinierten Hoden finden
sich gewöhnlich noch andere Entwicklungsstörungen. Die frühzeitigen
Alterserscheinungen im Hoden sind nicht eine Folge der fehlerhaften
Lage, vielmehr in der Spärlichkeit ausbildungsfähiger Samenkanälchen
bedingt. Neigung zu Bruch, Drehung und maligner Eutartung sind
häufige Komplikationen des retinierten Hodens. Baetzner.
P. Clairmont - Wien: Kriegschirorgische Erfahrungen. (Wiener
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte in Wien am 31. Januar 1913. Referat siehe den
Sitzungsbericht. P. Hirsch.
Siehe auch Pathologie: Vogel, Allgemeine Asthenie des Binde¬
gewebes in ihren Beziehungen zur Wundheilung und Narbenbildung. —
Innere Medizin: Brault, Phlegmone des Penisgewebes bei Dia¬
betikern. — Kinderheilkunde: Lange, Kongenitale Skoliose.
Roederer und Weil, Abscesse bei Pott’scher Krankheit. Nageotte
und Wilbouchewitsch, Skoliose.
Röntgenologie.
A. F. Hertz-London: Chronische Darmstanung. (Brit. med. journ.,
19. April 1913, Nr. 2729.) Auf Grund zahlreicher Röntgenbeobachtungen
der Darmtätigkeit kommt der Verf. zu Schlüssen, die von den Ansichten
manoher englischen Chirurgen (La ne) sehr ab weichen. Bei der Deutung
der Röntgenbilder ist grosse Vorsicht nötig. Darmstauung führt nie zu
Stauung des Mageninhaltes und nicht zu Knickungen, Erweiterungen und
Geschwüren des Duodenums. Bei Duodenalgeschwüren entleert sich der
Magen ungewöhnlich schnell, und dann sammelt sich der Wismutbrei in
grösserer Menge im Duodenum an, zumal wenn der Untersuchte zeit¬
weise auf der rechten Seite liegt. Diese vorübergehende Ansammlung
des Wismutbreies täuscht eine Erweiterung vor. Ebensowenig führt eine
Knickung am Uebergang des Ileums zum Coecum zur Stauung. Hier
liegt normal ein Sphincter, der den Darminhalt 4—5 Stunden und
länger aufhält. Dieser Sphincter erhöht und verlängert die normale
Stauung, wenn er durch pathologische Vorgänge gereizt wird, z. B. bei
Appendieitis. Palpation oder Aufblähung des Dickdarmes unter dem
Röntgenschirm lässt oft scheinbare Knicke verschwinden. Bei Stauungen
im Colon ist zu unterscheiden zwischen mangelhafter Defäkation und
echter Verstopfung dadurch, dass das Rectum vor der Untersuchung
durch Klysmen gründlich entleert wird. Enteroptose führt nicht ohne
weiteres zur Darmstauung. Weydemann.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Chilaiditis-
Stavrides, Röntgenbehandlung der Uterusmyome.
Urologie.
Siehe auoh Innere Medizin: Behrenroth und Frank,
Funktionsprüfung der Niere mit Phenolsulfophthalein. — Chirurgie:
v. Angerer, Ersatz eines Harnröhrendefektes durch den Wurmfortsatz.
Gebele, Pro9tatacarcinom. — Geburtshilfe und Gynäkologie:
Spire und Boeckel, Geburtshilfliche Gründe zur Vornahme der
Nephrektomie bei einseitiger Nierentuberkulose.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
F. Jampolsky - Wien: Initialsklerose an der Carnncnla lacrimalis.
(Wiener klin. Wochenschr., Nr. 17.) Die Sklerose wurde bei einer
40 jährigen Hebamme beobachtet, welche die Angabe machte, dass ihr
vor zwei Monaten bei der Entbindung einer luetischen Frau Frucht¬
wasser in das Auge gespritzt sei. Der Fall ist ein äusserst seltener,
der Verf. konnte in der Literatur nur sechs Fälle von Primäraffekt auf
der Caruncula lacrimalis finden. P. Hirsch.
J. Janet und A. Löf - Bing: Behandlung des Trippers und
seiner Komplikationen mit Neosalvarsan. (Gaz. des hop., 1913, Nr. 21.)
Die Gonorrhöe, besonders der Frauen, wird mit sehr gutem Erfolge
durch Spülungen mit 2proz. wässriger Neosalvarsanlösung oder mit
lOproz. Salbe behandelt. Aber auch die Gonokokkensepsis wird aus¬
gezeichnet beeinflusst durch intravenöse Neosalvarsaninjektionen.
Wartensleben.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
Leble-München: Behandlung der Vorderhanptslagen. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 16.) Dünner.
H. Pan cot und A. Debeyre: Junge Ovarialschwangerschaften.
(Annales des gynöcol. et d’obst., März 1913.) Beschreibung eines eigenen
und Vergleich mit anderweit veröffentlichten Fällen. Die Schwanger¬
schaft kann sich an jeder Stelle des Ovars entwickeln und ist nicht an
einen Graafschen Follikel gebunden.
A. Spire und A. Boeckel - Nancy: GebnrtshUflieke Grlade zur
Vornahme der Nephrektomie bei einseitiger Nieren tuberkulöse. (Annales
des gyoecol. et d'obst., März 1918.) In dem Streit über konservative
oder operative Behandlung der Nierentuberkulose stehen die Verf.
durchaus auf dem operativen Standpunkt, wenn die Einseitigkeit der
Erkrankung sicher ist. Gründe: Nephrektomierte haben gesunde Kinder
ohne Schaden geboren und genährt. Nicht Nephrektomierte erfahren
durch Gravidität schwere Verschlimmerung und Albuminurie auch der
gesunden Niere; die Gravidität wird leichter gestört. F. Jacobi.
F. Rousseau und Cassard: Di« Appendieitis bei der Fr an.
(Gaz. des hop., 1913, Nr. 19.) Die bei der Frau nicht seltenen Be¬
ziehungen zwischen Appendieitis und Erkrankungen der Genitalorgane,
sowie die differentialdiagnostischen Momente werden eingehend besprochen.
Wartens leben.
D. Chilaiditis und G. Stavrides - Konstantinopel: Die Behand¬
lung der Uterusmyome mit Röntgenstrahlen. (Annales des gynecol. et
d’obst., März 1913.) Die Verf. benutzen die Verschieblichkeit der Haut,
um mehr Eintrittsfelder für die Strahlen zu erhalten. Zwei Fälle mit
gutem Erfolg. F. Jacobi.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Epstein,
Abderhalden’sohe Serumprobe auf Carcinom. — Innere Medizin:
Baylac und Pujol, Perniciöse Anämie und Schwangerschaft.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Sargnon und Vignard: Fall von Einklemmung eines Dernes
in der Bronchialbifnrkation des rechten Unterlappens. Extraktion
mittels Bronchoscopia inferior. Heilung. (Lyon mödical, 1913, Nr. 15.)
Kasuistische Mitteilung. A. Münzer.
Siehe auch Chirurgie: Kulenkampff, Radikaloperation des Ohres
in Lokalanaesthesie.
Hygiene und Sanitätswesen.
G w erd er - Davos-Platz: Die Tuberknlosesterbliehkeit unter der
einheimischen Bevölkerung von Davos. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul.,
Bd. 25, Nr. 1.) An der Hand einer ausführlichen Statistik wird nach¬
gewiesen, dass in hygienisch geleiteten Lungenkurorten keine vermehrte
Ansteckungsgefahr besteht. Die Kranken sowohl wie die Einheimischen
können durch rationelle Maassnahmen so erzogen werden, dass jeder vor
einer Ansteckung in solchen Kurorten (auch Sanatorien natürlich) sicher
ist. Alle Staaten haben die Pflicht, die als wirksam erprobten Maass¬
nahmen zum Wohle ihrer Völker durchzuführen.
F. A. Bauer-Inner-Arosa: Heilstätten er fahrnugen über Bronehi-
ekt&sien. (Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Bd. 25, Nr. 1.) Für Kinder¬
heilstätten eher geeignet, von der Aufnahme in die Heilstätten der
Laodesversicherungsanstalten ist vorläufig abzuraten. Privatheilanstalten
sollten aufnehmen. J. W. Samson.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. November 1912.
Vorsitzender: Herr Bongert.
Schriftführer: Herr Max Koch.
1. Hr. Bongert: Sarkome bei Rinden.
Vortr. weist an der Hand eines Präparats von einem Uterussarkom
beim Rinde darauf hin, dass die Sarkomatosis bei Rindern in der Regel
von den in der Beckenböhle gelegenen Lymphknoten ihren Ausgang
nimmt und von da aus auf die cranial gelegenen Lymphknoten fort¬
schreitet. Die Entstehung von metastatischen sarkomatöseo Geschwülsten
in den grossen Parenchymen kommt so gut wie nicht vor. Demzufolge
sprechen einzelne Autoren auch nicht von einer Lymphosarkomatosis,
sondern von Lymphomen. Alles spricht dafür, dass diese sarkom-
ähnlichen Geschwülste beim Rinde infektiösen Ursprungs sind. Ueber-
tragungsversuche liegen noch nicht vor.
2. Hr. Nenmark:
Demonstration von Präparaten von Enteritis ebroniea pseudotnber-
enlosa bovis.
Ueber das Wesen dieser nur beim Rinde vorkommenden Krankheit
macht Vortr. einige kurze Angaben. Die mit der Krankheit behafteten
Rinder zeigen folgendes: hochgradige Abmagerung trotz guter Fresslust,
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
939
jeder medikamentösen Behandlung trotzender Durchfall, keine Störung
des Allgemeinbefindens; die Diarrhöe kann gelegentlich auch fehlen.
Die Krankheit besitzt einen ausgesprochen chronischen Charakter, sie
kann jahrelang dauern und führt stets zum Tode, wenn die Tiere nicht
vorher geschlachtet werden. Bei der Sektion findet man ausser am
Darm keinerlei Veränderungen. Die Schleimhaut des Darms bietet ein
ausserordentlich charakteristisches Aussehen dar. Sie ist, ohne stark
gerötet zu sein, enorm verdickt und in hohe, teils mehr parallel, teils
unregelmässig gewunden verlaufende Falten gelegt. Dadurch erinnert
sie lebhaft an die Grosshirnobei fläche mit ihren Windungen und Furchen.
Diese Veränderungen können sich auf einen Teil des Darms, gewöhnlich
die hintere Partie des Dünndarms, beschränken, sie können aber auch
den ganzen Darm bis zum After einnehmen. Niemals zeigt die Schleim¬
haut Verkäsung. Die Gefässlymphknoten sind vergrössert, stark durch¬
feuchtet, ebenfalls niemals verkäst oder verkalkt. Mikroskopisch findet
man schon im direkten Ausstrich des Darmschleims ungeheure Mengen
von Stäbchen, die sich wie Tuberkelbacillen färben. Sie sind etwas
kürzer als Tuberkelbacillen, die Form und Lagerung erinnert sehr an
Leprabacillen. In Schnitten sieht man sehr viele epithelioide und manch¬
mal auch Riesenzellen, vollgepfropft mit den erwähnten Bakterien. Die
Lieberkühn’schen Drüsen sind intakt, in ihrem Lumen findet man keine
säurefesten Stäbchen. Die Krankheit wurde zuerst für eine besondere
Form der Tuberkulose gehalten (Johne und Frothingham, Koch u. a.).
B. Bang wies 1906 nach, dass die Krankheit mit Tuberkulose nichts
Zu tun hat. Er konnte durch Fütterung und intravenöse Injektion
Kälber infizieren. 1907 berichtete 0. Bang von der interessanten Tat¬
sache, dass die mit fraglicher Krankheit behafteten Rinder auf Vogel¬
tuberkulin reagieren. Nach Hove tritt die Reaktion auch bei Anwendung
der conjunctivalen und cutanen Methode ein. Neuerdings ist es Twort
gelungen, den Erreger auf Medien, denen er abgetötete Tuberkelbacillen
zusetzte, zu züchten. Nach Ho Ith genügt auch der Zusatz von Tuberkel¬
bacillenextrakt. Twort konnte bei Vögeln und Kaninchen Agglutinine
erzeugen, diese Antikörper konnte er auch bei spontan erkrankten und
künstlich infizierten Rindern nachweisen.
3. Hr. Dornig:
Zar Frage der Behandlung bösartiger Geschwülste hei Haustieren
mit Röntgenstrahlen.
Der Vortr. teilt seine Erfahrungen mit, die er bei der Behandlung
einer Reihe von bösartigen Geschwülsten bei Haustieren (Pferden und
Hunden) mit Röntgenstrahlen gesammelt hat. Es hat sich dabei heraus¬
gestellt, dass eine Anzahl von Tumoren durch die Strahlenbehandlung
sehr gut beeinflusst und vollständig und dauernd zum Schwinden ge¬
bracht werden kann. In anderen Fällen dagegen, und das war die
grössere Zahl, konnte trotz Anwendung der gleichen Technik eine Ver¬
kleinerung der Geschwülste durch Strahlenbehandlung nicht erzielt
werden. In einzelnen Fällen hatte es sogar den Anschein, als ob die
Röntgenstrahlen direkt als Reiz auf das Tumorgewebe wirkten und zu
noch schnellerem Wachstum anregten.
Der Vortr. hat in einer Reihe von Fällen, die ihm in der chirurgischen
Klinik der Berliner tierärztlichen Hochschule zur Behandlung zur Ver¬
fügung standen, mikroskopische Untersuchungen der Tumoren vor Beginn
der Behandlung, nach einigen Sitzungen und am Schluss der Behand¬
lung ausgeführt. Es hat sich dabei ergeben, dass es in allen Fällen
die schnell wachsenden, zellreichen und nicht organisierten Tumoren,
welche wenig oder keine Stützsubstanz sowie keine Blutgefässe ent¬
hielten, die der Röntgenbehandlung zugänglich waren, während die
bindegewebs- und gefässreichen, vor allem aber die Miscbgeschwülste,
in der Regel gänzlich erfolglos bestrahlt wurden. Die mikroskopischen
Veränderungen, welche im bestrahlten Tumorgewebe gefunden wurden,
waren Degenerationen aller Art, wie sie auch normalerweise in Ge¬
schwülsten angetroffen werden, allerdings in viel geringerem Maasse.
Der Vortr. glaubt, dass man durch systematische Untersuchungen
des Gewebes vor Beginn der Röntgenbehandlung, nach einigen Sitzungen
sowie nach Abschluss der Behandlungen gewisse Merkmale finden wird,
die uns schon vorher die Möglichkeit geben, eine sichere Prognose zu
stellen, ob ein bestimmter Tumor für die Röntgenbehandlung geeignet
ist oder nicht.
Diskussion.
Hr. Heller fragt naoh der genauen Dosierung der therapeutisch
wirksamen Bestrahlungen in der Veterinärmedizin. Er ersucht ferner
um Auskunft über Röntgenschädigungen und über die eventuelle Röntgen¬
idiosynkrasie.
Hr. Rosenthal fragt, ob die Ulcerationen der Tierhaut bei Röntgen¬
bestrahlung, die nach dem Vortragenden ja auch einmal einen Reiz für
das Geschwulstwachstum abgegeben hat, schon einmal zur Beobachtung
einer Tumorbildung bei Tieren durch Röntgenbestrahlung geführt haben,
wie sie beim Menschen beobachtet ist.
Hr. Eber lein weist unter Bezugnahme auf die Ausführungen des
Vortragenden darauf hin, dass Verbrennungen durch Röntgenstrahlen
und andere Röntgenschädigungen bei den Haustieren im ganzen selten
sind, da offenbar die Haut derselben nicht so empfindlich ist wie die
der Menschen. Gelegentlich der Behandlung eines Ulcus sarcomatosum
hat E. einmal eine stärkere Röntgenschädigung beobachtet, die zu einem
Tumor fibrosus führte. Der Tumor wurde exstirpiert und das Pferd ge¬
heilt. Auch sonst hat E. Reizungs- und Entzündungserscheinungen an
der Haut des Pferdes und Hundes wahrgenommen, die im ganzen aber
stets leichterer Art waren. Neubildungen, insbesondere Röntgencarcinome,
sind trotz sehr zahlreicher Röntgenbehandlungen im übrigen nicht vor-«
gekommen.
Die von Prof. Heller angeregte Behandlung der Sarkome mit Sal-
varsan verdient nach E. Beachtung, jedoch müssen Beobachtungen hier¬
über abgewartet und kritisch genau geprüft werden, um so mehr, als
die früher gebräuchliche Behandlung der Sarkome mit Arsenik sich eine
Anerkennung auch nicht errungen hat.
Hr. H. Hirsohfeld: Ein amerikanischer Autor hat kürzlich mit
Röntgenstrahlen am Rattenschwanz ein Cancroid erzeugt, das er auch
transplantieren konnte.
Hr. Regenbogen:
Neubildungen bei kleinen Tieren, besonders bei Geflügel.
Der Vortr. referierte zunächst über das Vorkommen von Tumoren
bei kleinen Haustieren und Vögeln ganz allgemein auf Grund des ge¬
waltigen Materials der Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen
Hochschule. Dann ging er über auf die Geflügeltuberkuloseverbreitung
der Hühner, die eine ausserordentlich grosse ist, und auf die Papageien¬
tuberkulose. Nach dem Beobachtungsmaterial von 15 Jahren, über 3000
kranke Papageien, entfallen auf Tuberkulose der Papageien 20 pCt. _
gegenüber Eberlein 36 pCt, Fröhner 25 pCt., denen nur das Material
von etwa 8 Jahren zur Verfügung stand. Die Formen der Papageien¬
tuberkulose kamen zur Besprechung — etwa 90 pCt. Haut- und Schleim¬
hauttuberkulose, etwa 7—8 pCt. Gelenk- und Knochentuberkulose und
2—3 pCt. Tuberkulose der Lungen und des Darmes (Eingeweidetuber¬
kulose). Nur S Fälle konnten genannt werden, bei denen ein inniges
Zusammensein mit tuberkulösen Menschen nachgewiesen werden konnte,
die meisten Erhebungen blieben unbeantwortet. Tuberkulose bei der
Taube, Sittich, Kanarienvögeln, Wildente und Rebhuhn wurde gleichfalls
besprochen und an Präparaten vorgezeigt. Darmtuberkulose vom Papagei
und Präparate.
Alsdann kam die „Geflügelpocke“ — Bollinger’s „Epithelioma
contagiosum“ zur Vorführung (Huhn, Pute, Taube). Hinweis auf die
Theorien über die Aetiologie. Nach Uhienhuth handelt es sich um
eine lokale Infektion der Haut mit Diphtherieerregern. Praxis lehrte
immer, dass sehr oft Diphtherie und Pocke nebeneinander Vorkommen.
3. Keratom (Xanthom) am Fuss einer Henne in seltener Grösse!
4. Sarkome der Haut bei Hahn, Taube, Huhn in multipler Form!
Kleinzellige Rundzellensarkome.
5. Melanosarkom am Gaumen eines Teckels mit Metastasen in
inneren Organen.
6. Myosarkom am Darm eines Huhns.
7. Carcinom, Fibrosarkome, Lipome beim Hunde, Sarkome am
Schädel eines Hundes.
8. Favus am Kopfe einer Maus.
Hr. Eberleil:
Demonstration einiger seltener bei grossen Haustieren beobachteter
Geschwülste.
Redner ging zuerst auf das Vorkommen der Geschwülste bei den
grossen Haustieren ein und wies insbesondere darauf hin, dass und aus
welchen Gründen die Tumoren bei den Haustieren nicht ganz so häufig
beobachtet werden wie beim Menschen. Zum Beleg seiner Angaben
verwies derselbe auf die vorliegenden Statistiken, welche er des Näheren
erläuterte. Im übrigen aber kommen alle Tumorenformen, welche beim
Menschen beschrieben sind, auch bei den grossen Haustieren zur Beob¬
achtung. Es zeigen sich jedoch auch nicht unerhebliche histologische
Unterschiede zwischen den Neubildungen des Menschen und der Haus¬
tiere, welche in eingehender Weise beschrieben werden.
Im Anschluss daran teilte E. seine Beobachtungen über seltene,
bemerkenswerte Fälle, und zwar über acht Carcinome, 30 Sarkome,
32 Botryomykome, ein Melanom und ein Aktinomykom des Pferdes und
des Rindes mit. Zur Erläuterung des Vortrages dienten neben einer
grösseren Zahl von anatomischen Präparaten 20 Projektionen und 52 Ab¬
bildungen. Von den einzelnen Fällen wurden insbesondere die kli¬
nischen Erscheinungen, die histologischen Eigenheiten und die Therapie
besprochen. In eingehender Weise teilte E. auch seine Erfahrungen
über die Röntgentherapie mit.
Diskussion: HHr. M. Koch, Rosenthal, Regenbogen,
Sohmey.
Berliner nrologlsche Gesellschaft,
Sitzung vom 15. April 1913.
Ehrenvorsitzender: Herr Küster.
Hr. Casper widmet dem an infektiösem Scharlach verstorbenen
Mitglieds Dr. Oscar Pielecke Worte ehrenden Angedenkens.
Hr. V. Steiler: Demonstration von Cystennieren.
Vorstellung einer Patientin mit grosscystischer Degeneration der
Nieren; grosser höckeriger Tumor rechts entspricht der rechten, kleiner
linksseitiger höokeriger Tumor entspricht der linken Niere. Auch in
der Leber sind höckerige Cysten fühlbar. Im Urin geringer Albumen¬
gehalt. Röntgenaufnahme zeigt die vergrösserten Nieren als tiefe
Schatten.
Hr. M. Roth: Demonstration über Cystenniere.
45 jährige Patientin mit kindskopfgrossen Tumoren auf beiden Seiten.
An der Oberfläche kleine prallelastische Knötchen fühlbar, die fluktuieren.
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940
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Als erstes Symptom traten Blutungen während der Schwangerschaft auf.
Urin ist klar, sehr dünn. Das Krankheitsbild hat grosse Aehnlichkeit
mit chronischer Nephritis. Funktionsstörungen der Nieren vorhanden.
Nach Phloridzininjektion erfolgt erst nach 40 Minuten Zuckerausscheidung,
nach Indigoarmininjektion erste Spuren von Blaufärbung erst nach
35 Minuten. Im Anschluss an die Vorstellung der Patientin demonstriert
Vortr. ein Präparat von Cystenniere.
Diskussion: Hr. Steiner: Die Differenz seiner Anschauungen
über die Nierenfunktion zu denen des Herrn Roth ist darauf zurück¬
zuführen, dass die Entwicklung des Leidens verschiedene Stadien durch¬
macht, je nachdem noch gesundes Nierengewebe vorhanden ist, ist die
Funktion mehr oder weniger gestört. Zur Differentialdiagnose gegen¬
über der Hydronephrose ist zu bemerken, dass man bei der letzteren
das Gefühl der Fluktuation hat, bei der Cystenniere dagegen nicht Die
Cysten fühlen sich knochenhart an.
Hr. Rumpel: Cystische Erweiterung des vesicalen Creterendes.
Die cystische Erweiterung des vesicalen Ureterendes entsteht durch
Vorstülpung der Schleimhaut, wenn der Ureter die Blasen wand schräg
durchsetzt und eine längere Strecke dicht unter der Schleimhaut entlang
läuft. Bei einer 25 jährigen Dame bestanden hochgradigste Harn¬
beschwerden, immerwährender Urindrang. Harn frei von pathologischen
Bestandteilen. Cystoskopie ergab sehr ausgebildete Erweiterung des
unteren Ureterenendes. Demonstration desselben durch Projektions¬
apparat. Therapie: Sectio alta. Mit zwei Pinzetten wird die Spitze des
Bürzels ergriffen, Harn Leiterkatheter eingeführt. Spaltung des Bürzels,
Abtragung des Zipfels, Naht. Einlegen von Verweilureterenkatheter, der
jedoch nicht vertragen und herausgenommen werden musste. Glatte
Heilung trotzdem. Beschwerden verschwunden.
Diskussion.
Hr. Lohnstein: Demonstration einer grossen Ureterocele, die
intravesioal operiert wurde. Die Ureteröftnung wurde kauterisiert.
Heilung.
Hr. Lipman-Wulf: Ausser der von Herrn Rumpel erwähnten
Entstehungsursaohe der cystischen Erweiterung des unteren Ureteren¬
endes gibt es noch zwei andere Theorien für die Bildung dieser Anomalie.
Dieselben sind besprochen in Lipman-Wulf’s Veröffentlichung im
Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexualorgane, 1899:
„Beobachtungen bei einer vor 14 Jahren Nephrektomierten.“ Ausser
dieser angeborenen Anlage gibt es, wie in dem von mir publizierten
Falle, auch eine erworbene, funktionelle Entstehung dieser Erweite¬
rung. Bei der Patientin hatte 14 Jahre lang die eine, übrig ge¬
bliebene Niere mitsamt dem Ureter die Ausscheidung des Urins zu be¬
sorgen. Infolge dieser Arbeitsüberlastung kam es zu einer kolossalen
Hypertrophie der Niere, einer hochgradigen Erweiterung des Ureters
mit divertikelartiger Ausstülpung des unteren Ureterenendes. Diese
cystischen Erweiterungen machen für gewöhnlich keine Beschwerden,
sie treten erst auf bei Verlagerung der UreterenÖffnung oder ex¬
zessiver Grösse des Divertikels. So wurde auch in meinem Falle
die cystische Erweiterung bei der aus anderen Gründen ausge¬
führten Cystoskopie zufällig entdeckt. Es war dies der erste in
der Literatur beschriebene am Lebenden mit dem Cystoskop
beobachtete Fall einer cystenartigen Erweiterung des
Ureterenendes. Lipman-Wulf hatte später Gelegenheit, die ver-
grösserte Niere, den erweiterten Ureter mit der divertikelartigen Aus¬
stülpung des unteren Endes im Verein für innere Medizin zu demon¬
strieren *).
Hr. E. Pflster-Cairo (a. G.):
Ueber Histologie kleinerer Bilharziaconeremente.
Demonstration eines Harnröhrensteins. Kleine Gruppe Eier in dem
Stein; ebenfalls Harngriess, in dem Eier zu finden sind. Die Eier brechen
in die Blase durch, auf den entstehenden Geschwüren entstehen Krusten
und Ablagerungen. Demonstration cystoskopischer Bilder am Pro¬
jektionsapparat über die Entstehung der sogenannten durch Bilharzia
hervorgerufenen Sandblase. Die Knötchen bestehen aus Eierkonglo¬
meraten. Diese Knötchen unterscheiden sich von Tuberkelknötchen,
indem sie nicht den Gefässen folgen. Ethymologisch sollte man statt
Bilharzia besser Bilharziasis sagen.
Hr. 6 . Oelsner: Zur Pyelotomie. (Kurzer Vortrag.)
0. berichtet über 17 Pyelotomien aus der Casper’schen Klinik.
Er tritt für möglichste Erweiterung der Indikationen zu dieser Operation
auf Kosten der Nephrotomie ein. Der Einwand, die Pyelotomie be¬
günstige die Fistelbildung, besteht bei exakter Technik zu Unrecht, wie
eigene Erfahrungen und die anderer Autoren beweisen, da nicht nur
genähte, sondern auch drainierte Nierenbeckenwunden glatt ausheilen.
In erster Linie kommt die Operation bei kleinen aseptischen und in¬
fizierten Steinen, bei Fällen von beiderseitiger Calculosis und solitären
Nieren in Frage; man wird sie aber auch in einer grossen Zahl von
verästelten und Korallensteinen zur Anwendung bringen können, eventuell
unter Kombination mit einer partiellen Nephrotomie. Zur Technik der
Operation empfiehlt 0. die Pyelotomia posterior. Handelt es sich um
eine stärkere Infektion, so ist das Nierenbecken zu drainieren und etwa
8 Tage durch das Drain zu spülen. Besteht nach Schluss der Nieren¬
beckenwunde die Pyelitis noch fort, so ist möglichst frühzeitig mit Nieren-
beokenspülungen von der Blase aus zu beginnen.
1) Vereinsbeilage der Deutschen med. Wocbenschr., 1900, Nr. 45.
Diskussion.
Hr. William Israel sucht auch die Nephrotomie nach Möglichkeit zu
beschränken, trotzdem ist sie in einzelnen Fällen geboten; zeitweise die
Kombination zwischen beiden. Die Pyelotomien im jüdischen Kranken¬
haus sind fistellos geheilt. Wenn nicht zu starke Infektion bestand,
wurde genäht, sonst drainiert.
Unter 42 konservativen Nierenoperationen waren 22 Pyelotomien,
in 18 Fällen wurde Nephrotomie gemacht. Die Nephrotomie ist nicht
auszuschalten. Demonstration eines Falles mit vielen Steinen, in dem
Nephrotomie + Pyelotomie gemacht wurde. Zuerst prima Intentio,
Nachblutung, nach drei Wochen nochmalige Operation Nephrektomie,
Pyelonephritis festgestellt. Grund dafür war das Zurückbleiben eines
kleinen Sternchens am Ureterabgang.
Hr. Zondek bestätigt die Ausführungen des Vortragenden, die mit
seiner Indikationsstellung 1 ) übereinstimmen. Die Operation der Wahl
ist die Pyelotomie. Nur wenn diese nicht möglich oder hinreichend ist,
ist die Nephrotomie mittels Längsschnitts oder sind die von Zondek
angegebenen Methoden: Radiärschnitt bzw. Radiärschnitt + Pyelotomie
indiziert, die vonOasper wie von anderen Autoren angenommen worden
sind. An der Hand klinischer Beobachtungen verbreitet sichZ. eingehend
darüber und weist darauf hin, dass die Pyelotomie zweckmässig an der
hinteren Wand vorgenommen wird, zuweilen aber nur an der vorderen
Wand möglich ist. Bei Erweiterung des Nierenbeckens, was auch bei
Hufeisenniere gewöhnlich der Fall ist, ist die Pyelotomie deshalb besser,
als bei normaler Weite des Beckens auszuführen, weil eine Verletzung
der vor dem Becken verlaufenden Gefässe leicht zu vermeiden ist
Hr. Küster berichtet über einen von ihm behandelten Fall von
doppelseitigem, riesigem Korallenstein; hier wurde vor 20 Jahren Pye-
iolithotomie gemacht. Der Fall wurde völlig geheilt, Patientin ist heute
noch gesund. Empfiehlt die Pyelotomie unabhängig davon, ob das Becken
infiziert ist oder nicht.
Hr. A. Lewin: Nierentnberknlose ind Addisoi’sche Krankheit
Bei dem Patienten wurde vor 12 Jahren Tuberkulose der rechten
Niere konstatiert. Nephrektomie angeraten, aber abgelehnt. Nach zwei
Tuberkulinkuren sehr gebessert. Urin klar. 1907 wurden mit centri-
fugiertem Urin zwei Meerschweinchen geimpft; bei beiden wurde um¬
fangreiche Tuberkulose gefunden. Tuberkulin hatte also nicht geheilt
Befinden blieb ein gutes, bis schleichender Morbus Addison auftrat
Bräunung der Haut, Muskelschwäche, Digestions- und Nervenbeschwerden.
Tod im vorigen Jahre. Sektionsbefund: Tuberkulose beider Nieren,
Verkäsung der Nebennieren, Tuberkuloseherd in der Prostata.
Hr. L. Casper: a) Hyperplasie der Niere.
Mann von 61 Jahren mit Nierenkolik und Blutung. Nach Klinik¬
aufnahme sistiert Harnentleerung. Cystoskopisch festgestellt Coagulum
von Blut in rechter Ureterenöffnung. Entfernung durch Ureteren-
katheter. Einsetzen der Urinfunktion. Dies wiederholt sich mehrere
Male. Linke Ureterenöffnung nicht gefunden. Röntgenbild ergab grosse
rechte, kleine linke Niere. Rudiment, angeborene Hypoplasie der linken
Niere, kongenitale Missbildung.
b) Grosser Ureterstein bei einer Frau im tiefsten Teil des Ureters,
der nach gynäkologischer Operation durch Liegenbleiben von Fäden
entstanden sein soll. Demonstration des Röntgenbildes. Entfernung
durch Sectio alta. Dies ist die beste Methode zur Entfernung intramuraler
Steine. Stein bestand aus Erdphosphaten.
c) Gesehlosseao Tuberkilose der Niere. Plötzlicher Schmers in
der linken Niere, trüber Harn, eitriger Urin aus dem linken Ureter,
der meerschweinchenvirulent war. Patient gesund, bis im Februar wieder
trüber Urin auftrat, der sich jedoch bald wieder klärte. C. fand, dass
aus dem linken Ureterostium sich bei Indigcarminprobe kein Blau ent¬
leerte. Röntgenaufnahme ergab grosse linke Niere. Anamnese, zwei¬
maliges Auftreten von trübem Harn, Fehlen von Indigcarmin, der meer¬
schweinchenvirulente Urin liessen geschlossene Nierentuberkulose ver¬
muten. Operation ergab kleine verkäste Niere in grosser, verkäster,
schwielendurchwachsener Fettkapsel.
Diskussion.
Hr. Lohnstein erwähnt einen Fall, bei dem ebenfalls Schwierig¬
keiten in der Diagnosestellung bestanden. Grosser Tumor der linken
Nierengegend. Kombination einer geschlossenen tuberkulösen Hydro¬
nephrose und einer abnormen Ausmündung des rechten Ureters.
Hr. Steiner: Bei .einseitiger Tuberkulose der Niere findet sich
Verdickung des Ureters als pathognomonisches Zeichen. Dies ist bei
Frauen leicht fühlbar, schwieriger zu konstatieren beim Mann.
L. Lipman-Wulf - Berlin.
Aerztlicher Verein za Hamburg.
Sitzung vom 22. April 1913.
Hr. Dentscbländer demonstriert zwei Patienten, bei denen er
Ellenbogengelenksresektion ausgeführt hat Bei dem ersten war nach
unbedeutendem Trauma des Ellenbogens eine mässige Funktionsstörung
zurückgeblieben. Röntgenaufnahme ergab eine scharf abgegrenzte, xehn-
pfennigstückgrosse Aufhellung in der oberen Radiusepiphyse. Operation:
haselnussgrosse Cyste. Histologisch: Chondrofibrom. Vortr. meint
dass der Prozess ins Gebiet der lokalisierten fibrösen Ostitis gehöre, und
1) Nephrotomie oder Pyelotomie? Diese Wochenschr., 1909, Nr. 22.
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
941
macht Entwicklungsstörungen für die Enthebung verantwortlich. Im
zweiten Fall handelte es sich um eine komplizierte Fraktur.
Hr. Spät stellt zwei Patientinnen vor, bei denen er wegen vor¬
zeitiger Lösung der normal sitzenden Placenta die Sectio caesarea vor¬
genommen hat. Da es sich um Erstgebärende handelte und bei beiden
der Muttermund kaum eröffnet war, kam eine anderweitige Therapie
nicht in Frage. Unter günstigen Bedingungen — bei Mebrgebärenden —
wird man Blasensprengung, Wendung usw. anwenden.
Hr. Brauer berichtet über die therapeutischen Maassnahmen in
einem Fall schwerster Morphium Vergiftung. Patient hatte 0,6 g
Morphium -}- 0,003 g Scopolamin subcutan appliziert. Tiefste Somnolenz.
Hautreize, künstliche Atmung, Aderlass, Kochsalzinfusion, Lumbalpunktion
(Druck 500 mm H 2 0!) mit nachfolgender NaCl- Ausspülung waren alle
nur von vorübergehendem Erfolg. Darauf schritt Vortr. zur Sauer¬
stoffspülung der Trachea, Traoheotomie und Einführung eines
männlichen Katheters durch die Kanüle bis zur Bifurkation, Anschluss
an die Sauerstoffbombe. Schon nach 5 Minuten bedeutende Besserung.
Patient wurde — nach Ueberstehen leichter Aspirationspneumonien —
geheilt. Die Behandlung ist dadurch wirksam, dass sie die C0 2 *Ver¬
giftung, welche stets zur Morphiumvergiftung hinzutritt und dadurch den
etwaigen letalen Ausgang verschuldet, behebt. -
Hr. Sieveking macht einige Bemerkungen zur Tuberkulosefürsorge
bei Mittelstandspatienten.
Hr. Noobo:
Weitere ErfahrBBgen an operierten Fällen von Rückenmarkstumoren.
Vortr. hat in den letzten 4 Jahren 24 mal wegen Tumor spinalis
operieren lassen und bespricht die praktisch wichtigen Ergebnisse, die
die folgenden 15 Fälle boten:
a) 2 durch Operation völlig ausgeheilte Fälle. Im ersten
Fall — Tumor des unteren Halsmarkes — war bemerkenswert, dass
Schmerzen lange Zeit hindurch nur im Bein bestanden, ferner das
Fehlen von Brown-Sequard Symptomen, obwohl Kompression von links
erfolgte. Im zweiten Fall war die Diagnose — Tumor am unteren Hals¬
mark — nur auf folgende Symptome hin gestellt: Konstante Schmerzen
im Ulnarisgebiet, Druckempfindlicbkeit des 7. Halswirbels, Pupillen¬
differenz.
b) 4 Fälle, die theoretisch hätten geheilt werden können, bei denen
der Misserfolg unglücklichen Umständen zuzuschreiben war:
1. Isolierte, absolut tumorartige Gummigeschwulst. Unter
spezifischer Behandlung bedeutende Besserung, dann Exitus an Pneu¬
monie. 2. Der Tumor wurde nach D6 lokalisiert. Bei Operation
starker Liquordruck, Tumor nicht gefunden. Exitus nach 4 Monaten.
Der Tumor sass zwei Segmente tiefer: die oberen Polsymptome
waren also durch lokalisierte Liquoransammlung bedingt. Be¬
merkenswert war ferner das Vorhandensein von Ataxie und Schmerzen,
obwohl der Tumor vorn sass. 3. Diagnose: Tumor im unteren Hals¬
mark. Nach Lumbalpunktion plötzlich totale schlaffe Tetra¬
plegie. Operation ergab, dass eine Blutung in den Tumor, der sich
an der supponierten Stelle fand, hinein stattgefunden hatte. Exitus
nach wenigen Stunden. Gefährlichkeit der Lumbalpunktion bei
Rückenmarkstumoren war bisher nicht bekannt. 4. Diagnose: Tumor
am unteren Dorsalmark (eventuell multipel?). Bei der Operation wurde
nichts gefunden. Exitus nach wenigen Tagen. Sektion ergab ein
Enchondrom vom Wirbel körper des 9. Dorsal Wirbels ausgehend;
wegen des Sitzes vorn war der Tumor nicht gefühlt worden. Trotzdem
waren das Hauptsymptom Schmerzen gewesen. Paresen nur sehr
geringfügig, dies erklärt durch den histologischen Befund, bei dem
die Achsencylinder sich intakt zeigten.
c) 5 maligne Tumoren. 1. Gliom, zunächst anscheinend extra¬
medullär, es zeigte sich aber, dass der Tumor von innen heraus
gewachsen war. Klinisch war keine dissooiative Empfindungslähmung
vorhanden gewesen, kein rascher Verlauf usw. 2. Riesenzellen¬
sarkom, das den ganzen Körper des 8. Halswirbels zerstört hatte.
Röntgenbild hatte nichts davon erkennen lassen. 3. Hodgkin-
Metastase im Wirbelkörper (kein Novum). 4. Metastasen eines primären
Lungenoarcinoms, deren eine den Conus komprimiert batte. Dies ist
bemerkenswert, weil sonst gerade der Conus relativ „resistent“ gegen
Kompression ist. 5. Lungentuberkulose und Gibbusbildung liess an
Spondylitis tuberculosa denken. Sektion: Sarkom. Bei Fehlen von
Senkungsabscess wird man Spondylitis tuberculosa für unwahrschein¬
lich halten müssen.
d) 3 Fälle von „Pseudotumor“ und Heilung nach Laminektomie.
In den ersten beiden Fällen fand sich keine Liquordruckerhöhung; im
ersten ist eine zur Heilung gekommene funiculäre Myelitis, im zweiten
die sacrale Form der multiplen Sklerose nicht ganz auszuschliessen. Im
dritten — Conusaffektion; erhöhter Lumbaldruck — konnte eine
Liquorsperrung als Ursache angenommen werden.
e) Fall von Kyphoskoliose mit Rompressionserscheinungen.
Röntgenbild ergab eine Spaltung der unteren Hals- und oberen Brust¬
wirbel. Dadurch Dehnungslähmung.
Vortr. betont, dass mit zunehmender Erfahrung die diagnostischen
Schwierigkeiten — namentlich auch betreffs Unterscheidung intra- und
extramedullärer Tumoren — immer wachsen. Aber die Erfahrungen
ermutigen auch zu operativem Vorgehen. Hervorzuheben ist, dass eine
Probelaminektomie nie von Schaden war. Fr. Wohlwill.
Gesellschaft fttr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
Sitzung vom 26. April 19l3.
Vorsitzender: Herr Schmaltz.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Magnus einen Fall von Entbin-
dangslähmnug in Pleins eervicalis (nach Zangengeburt mit Armlösung)
vor, den er duroh Osteotomie mit Verwandlung der bestehenden Innen¬
rotation des linken Humerus in Aussenrotation geheilt hat.
Hr. Schmor! demonstriert 1. die Organe eines 14jährigen Knaben,
der an generalisierter Aktinomykose zugrunde gegangen ist. In fast
allen Organen fanden sich Aktinomykoseherde von Blutungen umgeben.
Einbruch der Aktinomykose vom Lungenhilus in die Vorhöfe, Verschlep¬
pung auf dem Blutweg.
2. Organe eines 16 jährigen leukämischen Mädchens mit hochgradiger
Lungenphthise und Solitärtuberkulose im Heri.
3. Vier Fälle von Salvarsanvergiftung. Bei dem ersten am 12.,
17. und 21. Dezember 1912 0,3 + 2 mal 0,2 Neosalvarsan, vom 6. bis
23. Dezember täglich je 4 g Ungt. hydrarg. Pat. wurde 6 Tage nach
der letzten Injektion bewusstlos aufgefunden. Exitus nach weiteren
5 Tagen. Es fanden sich im Gehirn multiple punktförmige Blutungen,
multiple kleine Erweichungsherde, die konfluierten und in deren Um¬
gebung keine Blutung war. Die Gefässe waren frei von Thromben.
Verfettung der Capillarendothelien sehr ausgesprochen. Sch. glaubt die
Blutungen auf ein Bersten der durch Verfettung der Endothelien ge¬
schädigten Gefässe beziehen zu müssen, während er die Erweichungs¬
herde auf toxische Schädigungen zurückführt. Wie das Arsen Parenchym-
schädigungen hervorruft, so ist es auch ein Gefäss und zwar vorwiegend
Capillargift und zeigt Neurotropismus. Wahrscheinlich liegt in den
Vergiftungsfällen eine gewisse Idiosynkrasie gegen Arsen vor. Fehler¬
hafte Zubereitung spielt nach der Ansicht von Sch. keine wesentliche
Rolle dabei.
Der zweite Fall betrifft einen 43jährigen Mann, der an pro¬
gressiver Paralyse litt. Durch mehrfache Salvarsaninjektionen Besserung,
die die Entlassung aus der Anstalt ermöglichte. Erneute Aufregungs¬
zustände. Auf Salvarsan wiederum so deutliche Besserung, dass das
eingeleitete Entmündigungsverfahren aufgehoben werden musste. Zehn
Wochen nach der letzten Injektion Krämpfe und Bewusstlosigkeit,
36 Stunden später Exitus. Ausser einer Schluckpneumonie keine Ver¬
änderung der inneren Organe. Hirnwindungen abgeplattet, Hyperämie
der Meningen, zahlreiche punktförmige Blutungen und kleine Er¬
weichungsherde. Genau begrenzte, symmetrische Erweichung der beiden
inneren Glieder des Linsenkerns. Rinde frei von Erweichungsherden und
Blutungen. Verfettung der Capillarendothelien, Verkalkung der Media
und Verfettung der Intima der Gefässe in den Erweichungsherden.
Sonst keine Arteriosklerose. Keine Thromben in den Gefässen. Sch.
nimmt in diesem Falle pathogenetisch toxische Gefässwirkung an. Er
erörtert die Frage der Neurorecidive und zeigt ausgezeichnete Präparate
von Spirochäten im Gehirn, die dem letzteren Fall entstammen.
Diskussion.
Hr. Werder hält die Salvarsan Vergiftung für eine unberechenbare
Folge, die uns bei der geringen Häufigkeit ihres Vorkommens nicht von
der Salvarsantherapie abhalten soll. Er schliesst Epileptiker, Alkoholiker,
die epileptische Anfälle hatten, und Paralytiker von der Behandlung mit
Salvarsan aus und berichtet über mehrere Fälle, die ihn hierzu ver¬
anlassen.
Ausserdem die Herren Galewsky, Naether, Rietschel.
Hr. Arnsperger:
Die Behandlung der Lungentuberkulose mittels künstlichen Pneumo¬
thorax.
Eingehendes Referat über die historische Entwicklung, Technik und
Erfolge des Pneumothorax. Befunde und Erfolge bei 15 vom Referenten
mit Pneumothorax behandelten Fällen. Demonstration der zugehörigen
Röntgenbilder.
Diskussion: Hr. Geibel und Arnsperger.
K. Hoffmann - Dresden.
Gynäkologische Gesellschaft za Dresden.
Sitzung vom 17. April 1913.
Vorsitzender: Herr Goldberg.
HHr. Rtthsamen und Weitzel demonstrieren den cystoskopischen
Befund erstens bei einer 73 jährigen Frau, der vor 10 Jahren ein
Zwauck-Schilling’sches Pessar eingelegt wurde, dass sie seitdem ununter¬
brochen und ohne Störung trug. Vor 6 Wochen traten Incontinentia
urinae und Schmerzen beim Sitzen und Liegen auf. Das Pessar ist
reizlos eingeheilt, der rechte Flügel desselben aber in die Blase durch¬
gewandert. Das Rectum ist intakt. Zweitens bei einer 60 jährigen
Patientin mit Carcinoma cervicis uteri und proliferierenden, blumen¬
kohlartigen Metastasen in der Blase.
Hr. Vogt demonstriert das makroskopische^ Präparat ein es^ Ulcus
dnodeni beim Neugeborenen, bei dem am 2. Tag Bluterbrechen und
Melaena auftrat. Injektion von Blutserum der Mutter und Gelatine er¬
folglos. Exitus am 4. Tag.
Diskussioq: HHr. E, Kehrer und Rietschel,
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UNIVERSIT7 OF IOWA
942
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Hr. Rietsehel hält ein eingehendes Referat über das Problem der
kiinstlichenlErnährnng der Säuglinge, in dem er die verschiedenartigen
Hypothesen besonders von Pfaundler - München, Hamburger-Wien
Czerny- Berlin darlegt.
Diskussion: HHr. Teuffel und Brückner.
K. Hoffroann - Dresden.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
(Eigene Berichte.)
Sitzung vom 14. März 1913.
Hr. Obersteiner:
Ueber pathologische Veranlagung im Nervensystem.
Ueber dieses Kapitel wurden im Institut des Vortragenden zahl¬
reiche Untersuchungen ausgeführt. Wir verfügen betreffs dieses Themas
schon über eine Anzahl wichtiger Tatsachen, doch geben diese noch
keinen vollständigen Ueberblick, und das Untersuchungsgebiet dehnt sich
immer weiter aus, je mehr man sich in die Frage vertieft. Schon
Henle nahm ein inneres und ein äusseres Moment der Erkrankung an,
das erstere würde der Konstitution entsprechen. Die Anlage und die
Disposition bezeichnen etwas ähnliches, sind aber nicht identisch; es
gibt neben Rassen- und Artdisposition auch eine individuelle und eine
lokale Disposition. Zur Rassendisposition gehört z. B. der Umstand,
dass bei Juden Diabetes häufiger vorkommt als bei anderen Rassen. Die
Anlage entsteht schon in den frühesten Entwicklungsstadien, die Dis¬
position wird später erworben. Das Nervensystem zeigt individuelle
Verschiedenheiten bezüglich der Reaktion vom Indifferentismus bis zur
Idiosynkrasie, dies sieht man deutlich z. B. gegenüber dem Alkohol,
Nikotin, Koffein, Morphin u. a. Eine besondere Abart der Anlage und
Disposition bildet die Vererbung. Es gibt angeborene Formgestaltungen
oder histologische Veränderungen des Nervensystems, welche unter dem
Einflüsse eines äusseren Agens (z. B. der Ueberanstrengung) das Zu¬
standekommen einer Erkrankung erleichtern. Ueber das individuell ver¬
schiedene chemisch-physiologische Verhalten des Nervensystems wissen
wir noch recht wenig; es wäre hier anzuführen, dass die Quellungsfähig¬
keit des Nervengewebes eine verschiedene ist. Die Hypophysis und die
Glandula pinealis zeigen schon beim Neugeborenen eine wechselnde Aus¬
bildung. Die individuelle geistige Veranlagung steht mit dem Gehirn¬
gewicht in keinem Parallelismus, wenn man auch im allgemeinen sagen
kann, dass die intelligenten Stände durchschnittlich ein schwereres Ge¬
hirn haben. Bei zu leichtem Gehirn bandelt es sich um eine Entwick¬
lungsstörung. Wichtig sind Abnormitäten der Gefässversorguog des Ge¬
hirns. Im Bereiche des Circulus Willisii finden sich manchmal Anomalien;
ob diese für das Zustandekommen von Geisteskrankheiten eine Wichtig¬
keit habeD, ist noch nicht erwiesen, jedoch ist es denkbar, dass Störungen
der Blutcirculation an der Gehirnbasis schwere Folgen nach sich ziehen
können. Manchmal sind beide Art. communicantes post, eng oder sie
fehlen ganz, in einem solchen Falle wäre nach Unterbindung der Carotis
die Gefahr einer Gehirnerweichung sehr gross. Es ist bekannt, dass alle
Gewebsteile des Organismus eine individuelle stärkere oder schwächere
Widerstandsfähigkeit zeigen können. Die Grösse der Nervenzellen und
ihre Leitung zeigen keinen Zusammenhang; die Zellen des Ganglion
Gasseri, welchen ein Neuron von einigen Zentimetern Länge zugehört,
und die gleichwertigen Zellen eines Lumbalganglions, zu welchen ein
Neuron von 1— Vj 2 m Länge gehört, verhalten sich in ihrer Länge wie
2:3. Die Vorderhornzellen im Cervicalmark sind grösser als diejenigen
im unteren Teile des Rückenmarkes. Die physiologische Bedeutung der
Neurofibrillen ist noch Gegenstand der Kontroverse. Es wäre wichtig,
nachzuweisen, ob es Gehirne oder Gehirnteile gibt, in welchen die Zellen
reicher an gewissen spezifischen Substanzen sind. Bei der Färbung er¬
geben sich bezüglich des Tinktionsvermögens gleichwertiger Nervenzellen
Verschiedenheiten, eine ungenügende Ausbildung der Zelle oder ihres Keroes
könnte auf eine Funktionsbeeinträohtigung hindeuten. Bei der Friedreich-
schen Ataxie und derLittle’schen Krankheit wurde eine geringere Ausbildung
der Nervenfasern nachgewiesen. Das „nervöse Grau“ erfährt bei der pro¬
gressiven Paralyse eine Lichtung, aber nicht bei seniler Demenz. Das Glia-
gerüst zeigt individuelleVerschiedenheiten, besonders im Rückenmark, wo die
gliöse Randschicht verschiedene Ausdehnung haben kann. Dies ist auch
bezüglich der centralen Glia der Fall; ein grösserer Reichtum derselben
kann hier zur centralen Sklerose und zur Spaltbildung führen. Zu
weiteren Anomalien der Anlage gehören im Rückenmark die Hydro-
rayelie und Veränderungen am Conus. Die feinen Gefässe des Gehirns
können verschiedene Wanddicke haben, dünnwandige Gefässe sind
leichter zerreisslich. Die endocraniellen Gefässe haben ihre eigenen
Nerven. Verschiedene Veranlagung der Gefässe spielt sicher auch bei
der Intoleranz gegen Alkohol eine Rolle. Eine atypische Lagerung von
Gehirnteilen kann auf eine Minderwertigkeit des Gehirns hinweisen,
hierher gehören z. B. Verlagerung der Purkinje’schen Zellen, der Pyra¬
miden u. a. Die relativ grosse Vulnerabilität der Pyramidenbahnen ist
darauf zurückzuführen, dass sie zu den jüngsten Formationen des
Nervensystems gehören. Zu einigen speziellen Beispielen übergehend,
weist Vortr. darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Lues und
Tabes bzw. Paralyse nicht abzuleugnen ist, es muss aber zur Lues noch
ein dispositionelles Moment hinzutreten, da nicht alle Luetiker tabisch
bzw. paralytisch werden. Bei Tabes ist das Rückenmark sicher minder¬
wertig. Die Untersuchung von 168 Rückenmarken von Tabikern zeigte u. a.
eine geringere Entwicklung des Rückenmarks, kurze Hinterstränge, das
Vorkommen von markhaltigen Fasern, einen abweichenden Verlauf von
Bahnen. Die gefundenen Anomalien hatten ihren Sitz vorwiegend im
lumbalen Anteil, man könnte hier also auch von einer lokalen Dis¬
position sprechen. Man kann annehmen, dass ein mangelhaft angelegtes
Rückenmark von Lues eher geschädigt, ebenso auch von Ueber¬
anstrengung stärker affiziert wird als ein normales Rückenmark. Es
liegt nahe, zu erwarten, dass auch bei der progressiven Paralyse eine
Minderwertigkeit des Nervensystems vorliegen wird. Die Wichtigkeit
der Disposition für die Tabes und die juvenile Paralyse ist erwiesen.
Die amyotrophische Lateralsklerose ist auf eine kongenitale Anlage
(Schwäche des motorischen Systems) von Strümpell zurückgeführt
worden. Bei der hereditären Ataxie besteht eine mangelhafte Ent¬
wicklung der später erkrankenden Bahnen und Kerne. Bei der hereditären
cerebellaren Ataxie findet sich eine mangelhafte Entwicklung des Klein¬
hirns. Sohultze beschrieb bei Pseudohypertrophie eine mangelhafte
Anlage des Nervensystems. Angeborene Beweglichkeitsstörungen im
Bereiche der Hirnuerven wurden auf einen infantilen Kernschwund
zurückgefübrt, sie sind jedoch durch Kernaplasie zu erklären. Es finden
sich andererseits Aplasien von Gehirnteilen ohne irgendeine wahrnehm¬
bare Funktionsstörung; so hat Vortr. eine Aplasie des Wurmes gesehen,
welche ohne auffallende Symptome verlief. Die Variabilität der Be¬
schaffenheit der Wand des 4. Ventrikels sowie des 3. Ventrikels werden
sicher eine Bedeutung in der Pathogenese von Gehirnprozessen, z. B. in
der Entstehung von Tumoren oder Spaltbildungen, haben. Bei juveniler
Paralyse findet man im ganzen Nervensystem eine Unterwertigkeit; bei
Irren wurde auch das dauernde Vorhandenhein {grosser Zellen nach¬
gewiesen, welche im Fötalleben unterhalb der Pia Vorkommen und
später verschwinden. Bei Epilepsie kann die Ursache ihrer Entstehung
in einer Keimschädigung durch Alkohol und Syphilis bestehen. Bei der
familiären amaurotischen Idiotie handelt es sich um eine schwere Ent¬
wicklungsstörung im Nervensystem, die hereditäre Opticusatrophie beruht
auf einer mangelhaften Anlage des Nerven. Das Gebiet der funktionellen
Neurosen wird mit zunehmender Erfahrung immer mehr eingeengt. Da
organische und funktionelle Symptome zusammen bei einer Krankheit
Vorkommen können, wird es empfehlenswert sein, die Unterscheidung
zwischen organischen und funktionellen Nervenkrankheiten fallen zu
lassen und nur von organischen und funktionellen Symptomen zu
sprechen. Vielleicht wird manchen der letzteren eine angeborene An¬
lage zugrunde liegen; als Beweis hierfür gelten vor allem die erbliche
Belastung und das Vorkommen von Degenerationszeichen. Dies gilt
bezüglich der Hysterie, der Neurasthenie und vielleicht auch der
Psychosen. Für das Auftreten der traumatischen Neurose wird nicht
ohne Berechtigung neben dem Trauma eine degenerative Veranlagung
des Nervensystems verantwortlich gemacht. Die Störungen des Central-
nervensystems können auf eine Entwicklungshemmung oder auf einen
Bildungsexzess zurückgefübrt werden, sie sind entweder deutlich wahr¬
nehmbar oder können nur aus gewissen Symptomen erschlossen werden.
Die meisten Gifte und Toxine haben eine konstante Prädilektion für
bestimmte Nervenzellen, diese haben also eine verschiedene Widerstands¬
kraft gegenüber Giften. Diese Verschiedenheit kann auch von In¬
dividuum zu Individuum different sein.
Sitzung vom 4. April 1913.
Hr. Barany berichtet über seine Untersuchungen betreffs der Deviation
conjagöe bei Hemiplegie.
Die rechte Hirnhälfte reguliert die Bewegungen der Augen und des
Kopfes nach links, die linke dieselben Bewegungen nach rechts. Wenn
nun ein rechtsseitiger Hirnberd in der motorischen Region vorhanden
ist, so folgt daraus eine Lähmung hinsichtlich der Wendung des Kopfes
und der Augen nach links, die linke Gehirnhälfte überwiegt, und der
Kranke wende’t Kopf und Augen nach rechts, „er sieht seinen Herd an“.
Dieses Symptom verschwindet nach kurzer Zeit, und die Bewegungen
werden wieder frei. Die Erklärung dieses Verschwindens ist für den
Fall leicht, wenn die motorische Region oder ihre Leitungsbabn nur
komprimiert, aber nicht zerstört ist. Bei einer Frau, welche bewusstlos
eingeliefert wurde, war eine komplette Blicklähmung nach links vor¬
handen, die Augen und der Kopf waren nach rechts gewendet, es war
ein rechtsseitiger Blutungsherd im Gehirn vorhanden. Am nächsten
Tage war Pat. noch bewusstlos, die Lähmung hatte zugenommen, die
Augen waren aber nach links gewendet. Die Frau starb noch an dem¬
selben Tage. In anderen Fällen, welche am Leben blieben, verschwand
die Blicklähmung. Vortr. hat 50 alte Hemiplegiker auf dieses Symptom
untersucht. In 25 Fällen bestand bei Ausschaltung der willkürlichen
Innervation eine Deviation der Augen nach der entgegengesetzten Seite
des Herdes. Vortr. erklärt dies durch die Tonussteigerung in den sub-
corticalen Centren der erkrankten Gehirnhälfte analog der Steigerung
der Reflexe nach Hemiplegie. Es handelt sich also bei dem Verschwinden
der Deviation nicht um einen Heilungsvorgang. Bei alten Hemiplegikern
steht der Kopf nicht genau in der Mitte, sondern er weicht nach der
Seite des Herdes ab. Dieselben Symptome fand Vortr. bei 19 unter
57 Epileptikern.
Hr. Vogel demonstrierte eine 66 jährige Frau, bei welcher eine
Magenresektion wegen Leiomyoms der Magenwand vorgenommen
wurde.
Pat. hatte seit 3 Monaten Schmerzen im linken Hypogastrium, da¬
selbst war ein faustgrosser derber Tumor zu tasten, welcher verschieblich
war. Die Laparotomie zeigte, dass der Tumor an der kleinen Curvatur
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UNIVERSUM OF IOWA
19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
943
des Magens sass; nach Magenresektion erfolgte Heilung. Die histo¬
logische Untersuchung ergab ein Leiomyom der Magenwand mit centraler
Erweichung.
Hr. v. Khantz demonstrierte ein Kind mit einer ans der Orbita
wachenden Geschwulst.
Hr. Erdbeim führte eine 22 jährige Frau mit einer kolossalen
Gr&viditätshypertrophie der Mammae vor.
Pat. bekam vor 2 Jahren anlässlich einer Gravidität eine excessive
Hypertrophie der Mammae, welche nach Einleitung des Abortus wieder
zurückging. Gegenwärtig ist Pat. im 3. Monat der Gravidität, die
Mammae haben sich wieder vergrössert, so dass sie jetzt grösser als
Mannsköpfe sind. Auch die accessorischen Drüsen in der Achselhöhle
sind zu kopfgrossen Tumoren vergrössert. Aus mehreren kleinen
Grübchen an der Mamma fliesst Milch ab, in diese Grübchen münden
einige Milchgänge. Es wird die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft vorgenommen werden, später wird vielleicht eine Exzision von
Drüsengewebe aus den Mammae ausgeführt werden.
Hr. Breuer stellte einen Mann mit chronischer Strumitis vor.
Der Kranke bekam vor 3 Jahren eine Schwellung des Halses, welche
rasch zunahm und Atemnot mit Erstickungsanfällen verursachte. Durch
die derbe Geschwulst wurde die Trachea nach rechts verdrängt. Wegen
Atemnot musste ein Teil der Thyreoidea ausgeschnitten werden. Sie
enthielt sehr hartes Bindegewebe und nur wenige dickwandige Gefässe.
Die früher bestandene Recurrenslähmung ist zurückgegangen.
Hr. Lorenz demonstrierte eine Frau, welche wegen Achsendrehung
des S romanum operiert wurde.
Nach Anfällen von sehr hartnäckiger Stuhlverstopfung bekam die
Kranke Erscheinungen eines Dickdarmverschlusses. Bei der Operation
fand sioh das S romanum um 180° gedreht und der zuführende Darm¬
teil bis zur Dicke eines Oberschenkels gebläht. Es wurde ein Stück
des S romanum reseziert.
Hr. Marschik demonstrierte eine alte Frau, bei welcher ein Ober-
kiefemrkom durch Röntgenbestrahlung geheilt wurde.
Die histologische Untersuchung ergab ein kleinzelliges Sarkom. Da
die Radikaloperation nicht mehr möglich war, wurde der Tumor zum
grossen Teil excochleiert und dann mit Röntganstrahlen behandelt.
Dieses Verfahren wurde noch einmal wiederholt. Die Kranke ist geheilt.
Hr. Kofler führte eine Frau nach Ausheilung eines komplizierten
Kieferhöhlenempyems vor.
Auf eine Kieferhöhleneiterung folgte eine Nekrose von Teilen des
Oberkiefers und der Nasenwand. Der fortschreitende Eiterungsprozess
machte eine Radikaloperation notwendig. Eine auftretende Orbital¬
phlegmone wurde inzidiert. Ein Auge musste wegen Panophtbalmie
enucleiert werden. 14 Tage später bekam die Kranke meningeale Er¬
scheinungen. Die neuerliche Inzision einer Phlegmone des unteren
Augenlides führte zur definitiven Heilung.
Hr. Nobl demonstrierte das mikroskopische Präparat eines mit Silber
imprägnierten Gehirnschnittes eines Falles von Dementia paralytlca.
In dem Präparat finden sich auffallend zahlreiche Spirochäten.
Hr. Löwit demonstrierte Uternsmyome.
In einem Falle war noch ein Carcinom vorhanden, im anderen war
das Myom zum Teil nekrotisch. Eine Röntgenbehandlung der Myome
wäre in diesen Fällen wohl aussichtslos gewesen.
Sitzung vom 11. April 1913.
Hr. Nobl demonstrierte einen Mann, bei welchem nach Schreck all¬
gemeine Alopeeie eingetreten ist.
Der Kranke ist Motorführer der Strassenbahn und hatte im Oktober
1912 einen heftigen Wagenzusammenstoss. Er konnte einige Minuten
lang nicht sprechen; nach einigen Tagen begannen die Haare büschel¬
weise auszufallen und nach 14 Tagen hatte er keine Haare mehr am
ganzen Körper. Keine Sensibilitätsstörung, keinerlei Erscheinungen einer
traumatischen Neurose.
Hr. Weil demonstrierte einen Mann, bei welchem ein Haemangioma
haemorrhagicum des Pharynx erfolgreich mit Radium behandelt wurde.
Der Kranke bekam vor zwei Jahren am Gaumen eine Geschwulst,
welche exstirpiert wurde. Es stellten sich schmerzhafte Drüsenschwellun¬
gen am Halse ein. Vor einigen Monaten stellte sich eine Entzündung
des Pharynx ein, welche mit Membranbildung einherging. Röntgen¬
strahlen und Jod waren erfolglos.
Nunmehr sieht man eine blaurote Geschwulst im linken Gaumen,
ähnliche Tumoren an der hinteren Rachen wand und schmerzlose ver-
grösserte Drüsen am Halse. Im Zusammenhang mit mehreren Angio-
sarkomen wird die ganze Affektion als Hämangiosarkom aufgefasst.
Arsenbeh andlung hatte einen geringen Erfolg, dagegen gingen die Ge¬
schwülste nach Radiumbestrahlung zurück.
Hr. Spitzer stellte einen 30jährigen Mann mit Parpara papilata
nrtieavs vor.
Der Kranke bekam vor zwei Tagen ein fleckiges Exanthem am
ganzen Körper, welches soharlachähnlich ist, ohne Fieber einhergeht und
sehr stark juckt.
Hr. Schüller demonstrierte Röntgenbilder und Präparate von intra¬
kraniellen Verkalkungen.
Io den Hirnhäuten finden sich häufig Verkalkungsherde. In der
Glandula pinealis, im Plexus ohorioideus, in den Capillaren und kleinen
Hirngefässen sitzen oft Konkremente. DenUebergang zur pathologischen
Verkalkung bilden die Verkalkungen der Pacchioni’schen Granulationen.
Weiter finden sich Verknöcherungen in der Falx; pathologische Ver¬
kalkungen kommen vor bei Ganglienzellen nach Erweichungs- und Ent-
zündungsprozessen. Grössere, makroskopisch sichtbare Konkremente und
Auflagerungen kommen im Gehirn unter verschiedenen Umständen zu¬
stande. Eine Gruppe von Verkalkungen beobachtet man bei Epileptikern.
Hr. Vogel demonstrierte 2 Präparate von Raptor eines Gallen¬
ganges nnd von chronischen Choiedochasverschlnss.
Hr. Pal machte Mitteilung über experimentelle und kliuische Stadien
über die'Wirkung des Papaverins.
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das Papaverin den Tonus
der glatten Muskulatur herabsetzt. Seine Wirkung tritt besonders nach
tonuserregenden Giften hervor. Es gilt dies nicht nur für den Darm
(Popper und Frankl), sondern auch für den ganzen Verdauungstrakt,
lür die Broncbialmuskulatur und den graviden und virginelien Uterus.
Papaverin setzt den normalen Blutdruck wenig, dagegen den durch
Adrenalin, Uzara oder Pituitrin erhöhten rasch herab. Dieser plötzliche
Abfall kann auch zum Stillstand des Kreislaufs führen. Papaverin setzt
den Erfolg reflektorischer Reize auf die Gefässe und die glatte Musku¬
latur herab. Die tonusherabsetzende Wirkung ist von der Hemmung,
z. B. durch Adrenalin, verschieden. In klinisch-therapeutischer
Anwendung erwies sioh das Papaverin wirksam: 1. gegen den Broncho¬
spasmus bei Asthma bronchiale, 2. bei Krampfzuständen im Bereiche
des Verdauuogstraktes; Cardiospasmus, Hyperemesis, Hyperaciditäts¬
beschwerden, gastrischen Krisen, Erbrechen nach Morphin sowie bei
spastischen Darmzuständen. Das Papaverin bietet die Möglichkeit der
kausalen Behandlung gewisser durch den Krampf glatter Muskelfasern
erzeugter Schmerzzustände und vielleicht dadurch auch diagnostischer
Direktiven. Das Papaverin wirkt auch beim Menschen nachweisbar bei
erhöhtem Druck blutdruckherabsetzend. Dem Papaverin kommt, abge¬
sehen von seiner selbständigen Wirkung, eine besondere Bedeutung in
Kombinationen zu, worauf seine Rolle im Opium hinweist. Aus der Zu¬
sammensetzung des Opiums haben wir noch manche Lehre zu ziehen.
Hr. Jannschke: Ueber Entzändangshemmang.
Experimentelle Untersuchungen an Kaninchen sowie klinische Beob¬
achtungen haben zu folgenden Ergebnissen geführt: Die akute flüssige
Exsudation bei der empfindlichen Senfölchemosis des Kaninchenauges
kann durch medikamentöse Lokalanästhesie der Bindehaut oder durch
Degeneration der Trigeminusfasern nach Nervendurchschneidung verhütet
werden. Senfölchemosis wird ferner sehr abgeschwächt und verzögert
durch tiefe allgemeine Narkose der Versuchstiere, durch antipyretische
und analgetisch wirkende Substanzen und durch andere Beruhigungs¬
mittel des Nervensystems. Die Senfölchemosis kann schliesslich noch
gehemmt werden durch Abdichtung der Gefässwände mittels subcutaner
Injektion von Calcium- oder Magnesiumsalzen oder von Adrenalin.
Fast über sämtliche, im Experiment geprüfte Substanzen liegen
Beobachtungen aus der menschlichen Klinik und Therapie vor, nach
denen dieselben befähigt sind, in bestimmten Geiässprovinzen und gegen
gewisse Entzündungserreger antiphlogistisch zu wirken.
Sitzung vom 18. April 1913.
Hr. v. Khaatz demonstrierte einen Fall, von Knocheneyste des
Oberarmes.
Hr. v. Anflschnaiter demonstrierte einen Apparat zar Eaterecleaaer-
spfilang.
Derselbe ist für Dauerirrigationen des Darmes bestimmt, wobei
80 bis 40 Liter Wasser zur Verwendung gelangen. Damit Pat. diese
Massenspülung verträgt, wird die Irrigation im Bade vorgenommen. Das
aus dem Darm abfliessende Wasser wird in ein luftdicht verschlossenes
Gefäss abgeleitet. Die Indikation zur Anwendung dieses Apparates ist
vorwiegend die Obstirpation.
Hr. Haadek demonstriert Röntgenbilder von perigastritisebea Ver¬
wachsungen des Magens.
Diese finden sich oft bei Ulcus ventriculi und verraten sich durch
eine Schattenzacke bei wismutgefülltem Magen. Manchmal werden diese
Vorsprünge erst deutlich, wenn man den Magen künstlich disloziert.
Die Zacken entstehen dadurch, dass der Magen an umschriebenen
Stellen fixiert ist, welche die Spitze der Zacke bilden. Während sonst
die Konturen der kleinen Curvatur eine scharfe krumme Linie ist, wird
bei Verwachsung diese Linie durch eine Zacke unterbrochen. An der
grossen Curvatur kommen schon bei normalem Magen Zacken vor, da er
sich daselbst in Querfalten legt. Beim Sanduhrmagen, welcher funktionell
oder infolge eines Ulcus entsteht, ist die enge Stelle durch eine scharfe,
geschweift verlaufende Linie begrenzt; bei oarcinomatösem Sanduhrmagen
ist diese Linie unregelmässig gezackt. Vortr. demonstriert eine Röntgen¬
aufnahme, bei welcher ein Füllungsdefekt des Magens durch Verdrängung
des letzteren durch einen Milztumor vorgetäuscht wurde.
Hr. Strisower berichtet über seine Untersuchungen betreffs Bildnag
nnd An8seheidang von Ameisensäure im Harne.
In der Norm kommt Ameisensäure in der Menge von 12 mg im
Harne vor. Bei Muskelarbeit steigt sie etwas an, noch mehr bei Vitien,
welche mit Dyspnoe einhergehen, hier kann sie bis auf 40 bis 80 mg
ansteigen. Noch grösser ist ihre Menge im Harne bei Diabetes mit
Acidose. Die Ameisensäure ist ein Produkt des intermediären Stoff¬
wechsels; sie entsteht aus Kohlehydraten, Fett und Ei weissstoffen, und
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944
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
zwar aus den Fettsäuren, welche als Abbauprodukte beim Zerfall der
genannten Nährstoffe entstehen. Vorwiegend kommen hier die niederen
Fettsäuren in Betracht. Vortr. hat auch bei Leukämie eine Vermehruog
der Ameisensäure gefunden. H.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde zn Wien.
Sitzung vom 24. April 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Marburg demonstrierte in Vertretung des Herrn Marin esco
mikroskopische Präparate, welche Spirochäten in der Hirnrinde von
Paralytikern 'zeigen.
Hr. Hollitschek stellte eine 25 jährige Frau mit Horbas Basedowii
nnd Pnlsverlang8amnng vor. Die Kranke leidet seit Kindheit an Magen¬
beschwerden und Erbrechen. Vor einem Jahre gesellten sich Herzklopfen,
Atemnot, Exophthalmus und eine Struma hinzu. Die Kranke zeigt an¬
gewachsene Ohrläppchen, ein enges peripheres Gefässsystem und Zeichen
von Basedow. Merkwürdigerweise weist der Puls nur 50 bis 60 Schläge
in der Minute auf. Vorübergehend steigt er nach starker Erregung auf
70 bis 80 Schläge. Das seltene Zusammentreffen von Pulsverlangsamung
und Basedow ist wohl damit zu erklären, dass die Kranke ursprünglich
eine Bradycardie hatte.
Hr. Schönstein führte einen 44 jährigen Mann vor mit einer iso¬
lierten Peroneuslähmung nach Influenza.
Isolierte Nervenlähmungen, wie Satoriusläbmung oder Lähmung des
Plexus brachialis, sind nach Influenza nur in wenigen Fällen bekannt.
Hr. Kahler demonstrierte eine 53 jährige Frau mit klimakterischer
Osteomalacie nnd Tetanie.
Die Kranke kann weder stehen noch gehen; beim Versuche aufzu¬
stehen treten blitzartige Schmerzen in den Oberschenkeln auf. Durch
Abbreohen der Zahnkronen ist der Oberkiefer zahnlos geworden. Die
Kranke zeigt eine leichte Struma, lange schmale Plattfüsse, eine An¬
deutung von Syndaktilie zwischen der zweiten und dritten Zehe. Die
Kranke leidet ferner an einer Mitralstenose, an hochgradiger Osteomalacie
und Tetanie.
Hr. Glässner demonstrierte RSntgenbilder, anatomische Präparate
und einen Kranken mit einem Magenleiden.
Ein Mann wurde wegen eines in die Milz weit vordringenden pene¬
trierenden Ulcus operiert, welches vom Fundus ventriculi ausging. Nach
einigen Jahren traten Schmerzen und Magenblutungen auf, das Röntgen¬
bild zeigte einen von der grossen Curvatur zur Leber hinziehenden
Schatten. Die Operation ergab ein in die Milz hineinreichendes Ulcus
der Fundusgegend. Wegen einer starken Blutung aus der Vena
lienalis musste die Milz exstirpiert werden. Die Magenresektion brachte
Heilung.
Der zweite Fall betrifft ein grosses Neoplasma unterhalb des Zwerch¬
fells, welches auf den cardialen Auteil des Magens und den Oesophagus
übergreift.
Im dritten Falle lag ein Neoplasma des Magens vor, welches schon
ohne Wismutfüllung auf dem Röntgenschirm einen Schatten gab.
Hr. Müller demonstrierte mikroskopische Präparate, in denen
eosinophile Zellen im Blnte nach einer besonderen Methode gefärbt
wurden.
Vortr. wendet die Methode von Smith-Dietrich in folgender
Modifikation an: Es wird nicht fixiert; bis zur Differenzierung dürfen die
Präparate nicht mit Wasser oder Metallinstrumenten in Berührung
kommen. Die eosinophilen Granula färben sich schwarzbraun oder
schwarzblau. Die eosinophilen Granula enthalten Lipoidkörper; nach
Entfernung der Lipoide tritt die Färbung nicht auf, ebenso auch nicht
bei pseudoeosinophilen Zellen. H.
Deutscher Kongress für innere Medizin
zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1913.
(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.)
(Fortsetzung.)
Sitzung vom Mittwoch, den 16. April 1913.
Hr. G. Klemperer-Berlin: Wesen der Atophanwirkung.
Gewisse dem Atopban nahestehende Körper, wie Novatophan und
Acitrin zeigen dieselbe Wirkung wie Atophan: ändert man den Phenyl¬
ring, so bleibt die Harnsäureausscheidung aus, z. B. beim Sulfatophau.
Ein Atophankörper besitzt sogar die Heilwirkung des Atophans, obDe
die Harnsäureausfuhr zu vermehren. Die Wirkung des Atophans kann
daher nicht auf Harnsäuremobilisierung beruhen. Bei 300 Fällen von
akutem Gelenkrheumatismus hat sich das Atophan als fast gleich¬
wertig den Salicylaten erwiesen. Vorhergehendes Eiuträufeln von
Atophan verhindert das Entstehen einer Entzündung der Gonjunctiva
nach Senföleinträufelung. Manche Atophanderivate besitzen auch diese
antiphlogistische Wirkung, andere nicht, obwohl sie ausgezeichnete
Giobtmittel sind. Atophan wirkt auch schmerzstillend bei Ischias und
Kopfschmerzen.
Hr. Abel-Wiesbaden: Beziehung zwischen Splanchnicus-
tonus und Harnsäureausfuhr.
Verfüttert man gleichzeitig mit purinhaltigen Körpern Kalk, so er¬
hält man eine Verminderung der Harnsäureausfuhr gegenüber der Norm.
Nach Atophanfütterung entsteht bei Kaninchen eine excessive Darm-
byperämie. Es besteht offenbar ein Parallelismus zwischen der Grösse
der Harnsäureausfuhr einerseits und der Darmtätigkeit und damit der
Btutfülle im Pfortadergebiet andererseits. Baryumsulfat erzeugt eine
Depression des endogenen Purinwertes auf 60—50 pCt. und Aufhebung
der Atophanwirkung, ähnlich Wismut und Uzara. Dagegen entsteht
nach Arsen eine Vermehrung der Harnsäure um 50—lOOpCt., bei Brech¬
wurz 50 pCt., geringere Wirkung bei Kolchicin, Theophyllin, Ghloral u. a.
Eine stark vermehrende Wirkung bis zu 60pCt. ergaben auch alle
Diarrhoica. Das Atophan vermehrt die Harnsäure, weil es den Splanch-
nicus lähmt und damit die Durchblutungsgrösse und Sekretion der
Gedärme erhöht. Bei einem Falle von Anus praeternat. konnte man
nach Nucleinsäure- und Thymusdarreichung excessive Hyperämie und
spontane Blutung t der Darmschleimhaut beobaohten. Auch die Harn¬
säure, die bei. der Verfütterung der sogeannten exogenen Purine aus¬
geschieden wird, wird bei der Hyperfunktion der Verdauungsdrüsen
ähnlich wie bei der Atophandarreichung produziert. A. begründet dann
eingehend die Unmöglichkeit, dass ein verfüttertes Purinmolekül zur
Harnsäure umgewandelt wird. Insbesondere führt er die Unabhängigkeit
von der Nahrungsaufgabe, die Abhängigkeit von der Verdauungsarbeit
und das Vorhandensein eines Grenzwertes für die Harnsäureausfuhr
an, der sich auch durch noch so hohe Puringaben nicht hinaufschrauben
lässt.
Hr. R. Bass-Prag: Ueber Nucleinstoffe und Harnsäure
im menschlichen Blute.
B. hat mittels einer von ihm und Wiechowski ausgearbeiteten
neuen Methodik, bei welcher die Enteiweissung durch Goagulation mittels
Phosphorwolframsäurechinin, Einengung bei mineralsaurer Reaktion und
Fällung der Purine durch einen starken Silberüberschuss vorgenommen
wird, feststellen können, dass das Blut normaler, purinfrei ernährter
Menschen konstant isolierbare HarnsäuremeDgen enthält. Daneben
kommen in weitaus überwiegender Menge Nucleinbasen, hauptsächlich
Adenin, vor, fast kein Guanin. Die Nucleinbasen entstammen mit
grösster Wahrscheinlichkeit gepaarten Muttersubstanzen (Nucleotiden),
da sie nur nach der Säurebehandlung der Goagulationsflüssigkeit nach¬
zuweisen sind. Unter chronischer Atophandarreichung sinkt der Harn¬
säuregehalt des Blutes; eine ähnliche Senkung ist ausnahmsweise auch
am Höhepunkte der akuten Atophanwirkung wahrzunebmen, während in
der Regel hierbei noch normale Harn säure werte aufzufinden sind. Nie
bewirkt das Atophan eine Steigerung der Blutharnsäurewerte. Das
Atophan besitzt demnach seinen Angriffspunkt in der Niere. Die ge¬
paarten Nucleinbasen des Blutes werden durch Atopban wie durch
Nucleinsäuredarreichung nicht beeinflusst. Ob die unter Atophan aus¬
geschiedene Harnsäure aus aufgestapelten Purinstoffen frisch gebildet
wird, oder ob sie aus Harnsäuredepots stammt, bleibt unentschieden.
Experimentell Hess sich die letztere Frage an Tieren mittels subcutaner
Uratdepots nicht sicher entscheiden. Der Gehalt an Nucleinbasen ist
eine besondere Eigentümlichkeit des menschlichen Blutes.
Diskussion.
Hr. Frank - Breslau: Die sehr schöne Methode von Wiechowski
und Bass bedeutet einen grossen Fortschritt: die Enteiweissung kann
man noch eleganter mit Uran vornehmen. In Uebereinstimmung mit den
genannten Autoren konnte F. selbst bei purinfrei ernährten Menschen
deutliche Mengen von Harnsäure im Blut nachweisen, so dass er in Ver¬
legenheit ist, wie man jetzt die Diagnose auf Gicht stellen soll. Das
Verschwinden der Blutharnsäure nach Atopbangaben kann F. ebenfalls
bestätigen. Allerdings kommt es nach 1—2 Tagen wieder zu einem
enormen Sturz der Harnsäurewerte im Urin unter ganz erheblichem An¬
steigen der Harnsäuremengen im Blute. So sind die positiven Resultate
von Retzlaff und Dohrn zu erklären.
Hr. Weintraud -Wiesbaden fasst gegenwärtig die Atopban-
wirkung ähnlich auf, wie die von Aspirin und anderen Neuralgicis.
Der endogene Harnsäurewert ist eine individuelle Konstante und ab¬
hängig von der inneren Mauserung. Der exogene Wert ist über ge¬
wisse Grenzen hinaus überhaupt nicht zu steigern. Mit purinfreier
Kost gelingt es nicht, das Blut von Harnsäure frei zu machen. Es
ist also viel wichtiger, dass die im Organismus gebildete Harnsäure
ausgeschieden, nicht dass sie besonders wenig gebildet wird. Wir
müssen daher bei unseren diätetischen Vorschriften uns vor allzu
strenger Betonung der purinfreien Kost hüten, vielmehr die Nahrung
so einrichten, dass sie eine möglichst geringe Verdauungsarbeit erfordert
Hr. v. Noorden-Wien schliesst sich der antineuralgischen Auf¬
fassung der Atophanwirkung an. Er hat mit Methylenblau gute Erfolge
bei Gicht gesehen.
Hr. Göppert-Göttingen: Die Purinausfuhr kann merkwürdigerweise
auch durch Thymusextrakt mächtig angeregt werden, der keine Purine
mehr enthält.
Hr. Retzlaff-Berlin kam es bei seinen Untersuchungen darauf an,
nachzuweisen, dass dem Atophan keine elektive Nierenwirkung zukomme,
da unter Atophanwirkung im Blute Harnsäure auftreten könne.
Hr. Minkowski-Breslau: Die Atophanwirkung ähnelt auch darin
der von Salicylsäure, dass man bei genügend grossen Dosen Salicyl-
säure ebenfalls eiiie Harnsäureausschwemmung hervorrufen kann. Nach
Abklingen dieser Vermehrung kann man mit Atophan auch keine Harn¬
säure mehr zur Ausfuhr bringen.
Hr. Klemperer (Schlusswort) hat auf die Aehnlichkeit von Atophan
mit Salicylaten schon vor Jahresfrist hingewiesen; trotzdem bestehen
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
945
gewisse Unterschiede, denn Atophan versagt vollkommen bei Typhus
und anderen sohweren fieberhaften Erkrankungen. Die Wandlungen in
den Ansiebten über die Pathologie der Gicht lehren uns, dass wir Beob¬
achtung und Erfahrung, nicht Theorie auf unsere Fahne schreiben sollen,
dann werden wir vor dem Schicksal bewahrt bleiben, unsere Behandlungs¬
methoden alle 10 Jahre von Grund aus zu ändern.
HHr. Frank und Behrenroth-Greifswald: Ueber funktionelle
Nierensohädigung nach Infektionskrankheiten.
Vortragende berichten über Schädigungen der Nierenfunktion, die
sich mit Hilfe der modernen Methoden der funktionellen Nierendiagnostik
nachweisen lassen.
HHr. E. Meyer und Jungmann - Strassburg: Ueber experi-
mentelle Beeinflussung der Nierentätigkeit vom Nerven¬
systeme aus.
Die Verfasser konnten durch viele Tierexperimente zeigen, dass im
verlängerten Rückenmark ein Centrum existiert, das einen Einfluss auf
die NiereDtätigkeit ausübt. Wurde diese Stelle durch Stich verletzt, so
war, unabhängig von der Wasser- und Kochsalzzufuhr, eine beträcht¬
liche Zunahme der Harnmenge und eine hochgradige Steigerung der
prozentualen und absoluten Koohsalzausscheidung die Folge. Die gleiche
Wirkung hatte die Durohschneidung der zur Niere gehenden Nerven,
indessen war der Salzstich nach der Durohschneidung der Nierennerven
erfolglos. Die Nervenbahn, die die Niere mit dem Gehirn verbindet,
konnte dann durch besondere Versuche noch genauer bestimmt werden.
Die durch Verletzung dieser Bahn hervorgerufene Vermehrung der Koch¬
salzabgabe und Harnmenge ist zum Teil als eine Reizung der Vaso¬
dilatatoren, zum Teil als eine direkte Anregung der Nierenzellen zu er¬
höhter Tätigkeit aufzufassen. Die gefundenen Tatsachen sind für die
Erklärung der normalen Nierenfunktion von Bedeutung und dienen auch
der Erforschung mancher noch unklarer Krankheitszustände.
Diskussion.
Hr. Roh de-Heidelberg hat durch andere experimentelle Eingriffe
dieselben Resultate wie Meyer erhalten.
Hr. Finkelnburg-Bonn: Beim Diabetes insipidus ist die Konzentra¬
tionsfähigkeit der Niere erhalten. Nervöse Polyurie entsteht beim Hund
nach Thyreoideaverfütterung.
Hr. Angyan-Pest: Bei einer inkompensierten Mitralinsuffizienz mit
Oedemen verschwanden diese, als nach embolischer Hemiplegie Polyurie
eintrat.
Hr. Schlayer-München verwirft die intramuskuläre Milchzucker¬
injektion von Frank. Nach Entnerven der Nieren entsteht trotzdem
durch Stich in den Wurm des Kleinhirns Polyurie.
Hr. Kohnstamm-Königstein i. T.
Hr. Lüthje-Kiel*. Verzögerung der Milchzuckerausscheidung ist bei
Infektionskrankheiten gewöhnlich mit Auftreten von Cylindern und Nieren-
epithelien im Urin begleitet.
Hr. Forsch b ach -Breslau: Bei Diabetes insipidus ist die Kon¬
zentrationsfähigkeit für Phosphate, Kochsalz und Harnstoff erhalten.
Hr. Benario-Frankfurt betont den Zusammenhang von Diabetes
insipidus mit luetischen und Hypophysenerkrankungen.
HHr. Morawitz und Zahn-Freiburg: Untersuchungen über den
Koronarkreislauf.
Ueber die Physiologie der Koronargefässe, besonders auch über den
Einfluss arzneilicher Einwirkungen auf dieses so wiohtige Gefässgebiet
ist noch wenig Sicheres bekannt, denn es war bisher nicht möglich
(wegen der grossen technischen Schwierigkeiten), Versuche an den Kranz-
gefässen lebender Tiere vorzunehmen. Alles, was man bisher wusste,
erstreckte sich auf das Verhalten dieser Gefässe an herausgenommenen
überlebenden Herzen. Die dort gewonnenen Erfahrungen entsprachen
nur sehr unvollständig den Vorstellungen, die man sich am Kranken¬
bette über dieses Gefässgebiet gebildet hatte. Es erschien daher not¬
wendig, an Herzen zu experimentieren, die sich in nervöser Verbindung
mit dem Centralnervensystem befinden, also am lebenden Tier. Solche
Versuche waren bisher wegen der verborgenen Lage jenes Gefässgebietes
als aussichtslos nicht in Angriff genommen worden.
Die Vortragenden beschreiben ein Verfahren, mit dessen Hilfe
es gelingt, am lebenden, narkotisierten Tier alles den Herzmuskel
durchströmende Blut aufzufangen und zu messen.
Eine besonders starke Wirkung auf die Gefässe des Herzens kommt
dem Nikotin zu. Es zieht die Gefässe erst stark zusammen und lähmt
sie später. Damit gewinnt man für das relativ häufige Vorkommen von
Erkrankungen dieses Gefässgebietes bei starken Rauchern eine neue
Grundlage des Verständnisses. Erweiternd wirken besonders die Nitrite,
z. B. das Nitroglycerin, ferner das Coffein und ähnliche Körper. Eine
enorme Verbesserung der Herzdurcbblutung ruft auch das Adrenalin
hervor, das viele andere Gefässgebiete stark verengt, die Herzgefässe
aber erweitert.
Die neue Methode soheint geeignet zu sein, eine sichere experi¬
mentelle Grundlage für viele Fragen zu bieten, die sioh bei der Beob¬
achtung der so häufigen und wichtigen Erkrankungen der Kranzgefässe
des menschlichen Herzens ergeben.
Hr. Quincke - Frankfurt: Ueber den Blutstrom im Aorten¬
bogen.
Vortr. untersuchte an Leichen die Strömung in der Carotis dextra
und sinistra, er fand dieselben beiderseits gleich. Eine reichlichere
Blutversorgung der linken Hirnhälfte kann also weder^für die Erklärung
der Rechtshändigkeit der Menschen nooh für die grössere Häufigkeit der
linksseitigen embolisohen Hirnerweichung herangezogen werden. In Ueber-
einstimmung mit letzterer Tatsache gelangten in des Vortr. Versuchen
suspendierte feste Körper mit dem Flüssigkeitsstrom häufiger in die
linke als in die rechte Carotis; das muss auf dem asymmetrischen Ab¬
gang der Zweige des Aortenbogens beruhen.
Hr. Gerhardt-Würzburg: Zur Lehre von der Dilatation des
Herzens.
Vortr. teilt einige Beobachtungen mit, welche dafür sprechen, dass
die herkömmliche Unterscheidung zweier Formen von Herzerweiterung
(einer rein kompensatorischen und einer infolge von Ueberanstrengungl
m dieser Schärfe nicht zu Reoht besteht.
Ferner bespricht er die Beziehungen zwischen Erweiterung der Vor¬
höfe und Unregelmässigkeiten des Pulses.
Hr. Bruus - Marburg: Experimentelle Untersuchungen zur
Frage der akuten Herzermüdung und Dilatation.
Es kam darauf an, die Vorgänge und Veränderungen zu studieren,
wie sie am gesunden Herzen als Folge hochgradiger körperlicher, z. B.
sportlicher, Anstrengung eintreten können.
Dabei stellte sich im Tierversuch heraus, dass sehr starke und sehr
lang anhaltende Anstrengungen des Herzens, bei dem einen früher, bei
dem anderen später, zu einer in vielen Fällen irreparablen Herzschädigung
führen. Dieselbe besteht in einer Herzerweiterung und Abnahme der
Pumpkraft des Herzmuskels. Diese letztere ist nicht die Ursache der
Herzerweiterung. Es führt vielmehr die durch die Anstrengung be¬
dingte Herzschädigung zu einer Abnahme der Elastizität des Herz¬
muskels bzw. zu einer erheblichen elastischen Naohdehnung dieses
muskulösen Organs.
Diskussion.
Hr. Schott-Nauheim: Durch die Untersuchungen von Gerhard
und Bruns werden die Versuche von A. Schott aufs glänzendste be¬
stätigt, dass bei gesunden Menschen durch anstrengende Ringversuohe
eine Dehnung des Herzens entstehen kann. A. Schott hob auch als
der erste die Unterschiede zwischen kompensatorischer und diktatorischer
Hypertrophie hervor. Er bezog den Ausdruck nur auf grössere Herz¬
füllung bei Aortenfehlern im Verhältnis zur Ausdehnung.
Hr. Hering-Prag würdigt das Verdienst von Schott, die Begriffe
der Stauungsdilatation und kompensatorischen Dilatation scharf getrennt
zu haben. Mit ersterer wird gewöhnlich der Begriff der Herzsohwäche
verbunden. H. schlägt jedoch für den Ausdruck Stauungsdilatation vor:
inkompensatorische Dilatation.
Hr. Moritz-Köln: Das diastolische Herzvolumen kann im Be¬
reiche der Norm einem beständigen Wechsel unterworfen sein. Das
wirksame Moment ist hierbei die Füllung. Demgegenüber stehen Ver¬
änderungen der Herzgrösse, welohe durch Erkrankungen des Muskels
verursacht werden, sogenannte myogene Dilatationen oder Stauungs¬
dilatationen im Sinne von Schott. Wenn der Herzmuskel gezwungen
wird, sich gegen einen höheren Aortendruck zu entleeren, dann nimmt
sein diastolisches Volumen zu. Der erweiterte Herzmuskel ist dann im¬
stande, eine grössere Kraft zu entwickeln, ähnlich wie ein stark ge¬
dehntes Gummiband sich auch kräftiger zusammenzuziehen vermag. Im
Gegensatz zu Schott hat Moritz selbst bei maximalster Anstrengung
bei Gesunden niemals eine Herzdilatation gesehen, sondern nur bei
Kranken. Das Herz verkleinert sich vielmehr bei anstrengender Arbeit,
wenn es dieselbe gut verträgt.
Hr. de la Camp-Freiburg: Untersuchungen beim Ski Wettlaufen auf
dem Feldberg zeigten interessanterweise beim Sieger absolut kein ver-
grössertes, im Gegenteil ein verkleinertes Herz und keine Veränderung
in der Pulsamplitude, dagegen die maximalste Steigerung des Blut¬
drucks. Alle anderen Läufer hatten verminderten systolischen und
diastolischen Blutdruck. Je später der Fahrer am Ziel ankam, desto
ausgesprochener waren Herzdilatationen und sonstige Störungen im
Kompensationsmechanismus. Fast alle Fahrer wiesen eine mehr oder
weniger starke Albuminurie auf, die stärkste unter Ausschwemmung von
zahlreichen Cylindern der Sieger.
Hr. E. Mosler- Berlin: Der Atemstillstand in tiefer In¬
spirationsstellung, ein Versuch zur Beurteilung der Kreis¬
lauffunktion.
Der Vortr. misst 5 Minuten lang am Riva-Rocci’schen Apparat oder
an dem von ihm empfohlenen Metallmanometer „Tykos“ den Blutdruck.
Dann lässt er langsam und so tief als möglich inspirieren und den Atem
auf der Höhe der Inspiration 25 Sekunden lang anhalten. Sodann
müssen die Patienten wieder gewöhnlich atmen. Nach Beendigung der
Atempause notiert M. nun den Blutdruck von Minute zu Minute. Bei
diesem Verfahren unterscheidet er folgende Gruppen:
1. Der Blutdruck bleibt nach dem Versuch unverändert: Bei allen
gesunden und denjenigen kranken Herzen, die noch als gut leistungs-
fähig anzusprechen sind.
2. Der Blutdruck ist beträchtlich gestiegen: Bei den gut leistungs¬
fähigen hypertrophischen Herzen.
3. Der Blutdruck ist gefallen: Bei nicht mehr leistungsfähigen
Herzen mit und ohne erhöhtem Blutdruok.
4. Der Blutdruck steigt anfangs, fällt dann, um erst allmählich zur
Norm zurüokzukehren: Grenzfälle zwischen Gruppe 2 und 8.
Der Vortr. bespricht eingehend die physikalischen und physio¬
logischen Bedingungen seines Versuches und setzt auseinander, weshalb
er sich berechtigt glaubt, das psychogene Moment vernachlässigen zu
dürfen.
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UNIVERSUM OF IOWA
946
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Hr. Strubell-Dresden; Der Einfluss der Leibesübungen auf
das Elektrocardiogramm und die Funktion des Herzens.
St. hat als der erste mit der Elektrocardiographie die Teilnehmer
eines sportlichen Ereignisses aufgenommen, und zwar waren es Schwimmer
bei einer Schwimmkonkurrenz am 14. März 1909 zu Dresden. Ueber
diese Versuche hat St. bereits auf dem Kongress für innere Medizin in
Wiesbaden 1909 berichtet. Nun hat er seine Untersuchungen auch auf
Skifahrer, Ringer und Sportsleute anderer Gattung ausgedehnt. Im all¬
gemeinen erhellt auch durch diese Untersuchungen der günstige Einfluss
der rationell betriebenen Leibesübungen auf die Herzfunktion. Dagegen
müssen alle Uebertreibungen, die infolge von starken Arteriendruck¬
steigerungen und übergrosser Herzanstrengung das Herz überdehnen,
ganz entschieden als schädlioh bezeichnet werden. So ist z. B. der Ring¬
sport, wenigstens in der Form, wie ihn die Berufsringer treiben, ent¬
schieden als ungünstig für das Herz zu betrachten, trotz der damit ver¬
bundenen hochgradigen Stärkung der Muskulatur. Diese Ringer sterben
denn auch jung, meist vor dem 40. Jahre. Günstig können nur die¬
jenigen Sportzweige auf das Herz wirken, welche ohne allzugrosse Steige¬
rung der Widerstände das Herz allmählich durch die gesteigerte Arbeit
stärken, so z. B. der Skisport. Hier sollten freilich die einzelnen Sports¬
leute womöglich klinisch und elektrocardiographisch überwacht werden,
um Schädigungen hintanzuhalten, wie sie eine übertriebene Betätigung,
zu hohes Alter oder latent bestehende Kreislaufstörungen mit sich
bringen.
HHr. Ganter - Tübingen und Zahn - Heidelberg: Ueber das
Elektrocardiogramm des Vorhofes bei normotroper und
heterotroper Automatic.
Es Hess sich feststellen, dass bei Entstehung der Herzreize an der
normalen Stelle (Sinusknoten) der Aktionsstrom des Vorhofes sich im
wesentlichen als eine einfache positive Zacke darstellt. Verliert der
Sinusknoten die Führung des Herzens, was im Experiment durch Aus¬
schaltung dieser Gegend mittels Kälte oder Exzision herbeizuführen ist,
so tritt, was schon in früheren Versuchen bewiesen werden konnte, der
Atrioventrikularknoten an seine Stelle. Die Aenderung des Reizent¬
stehungsortes dokumentiert sich nun auch im Verlauf des Vorhofaktions¬
stromes, indem bei ihm zunäohst eine ausgesprochene negative Zacke
auftritt, die bei der üblichen Ableitung meist allein die Vorhofaktion
anzeigt. Diese typische Aenderung findet sich auch in denjenigen Fällen,
bei denen nach Ausschaltung des Sinusknotens der Vorhof vor den
Kammern schlägt. Es Hess sich mit Sicherheit feststellen, dass unter
diesen Verhältnissen der Herzreiz von den obersten Ausläufern des Atrio¬
ventrikularknotens (Gegend der Einmündungsstelle der Coronarvenen)
ausgeht. Denn durch Abkühlung auch dieses Teiles des Atrioventrikular¬
knotens werden die Vorhöfe zum Stillstand gebracht, während die
Kammern in langsamerem Rhythmus eventuell weiterschlagen. Es wird
aus diesem Verhalten der Schluss gezogen, dass in den Vor¬
höfen des Säugerherzens nur zwei Gebiete zur Bildung von
regelmässigen Herzreizen befähigt sind: der Sinusknoten
und die verschiedenen Teile des Atrioventrikularknotens.
Wird bei der üblichen Ableitung beim Menschen eine
negative Vorhofszacke im Elektrocardiogramm gefunden, so
kann daraus geschlossen werden, dass die Reizentstehung
im obersten Teil des Atrioventikularknotens stattfindet.
Ein unter pathologischen Verhältnissen auch beim Menschen be¬
obachtetes Auftreten von Herzjagen (Tachycardie) konnte im Tierversuch
an Katzen herbeigeführt und näher analysiert werden. Es zeigte sich
dabei ebenfalls eine negative Vorhofszacke, und die Kühlung der obersten
Atrioventrikularknotenabschnitte brachte die Tachycardie zum Ver¬
schwinden. Damit ist bewiesen, dass diejenigen Tachy-
cardien, die mit negativer Vorhofszacke im Elektrocardio¬
gramm verlaufen, vom obersten Teil des Atrioventrikular¬
knotens ihren Ausgang nehmen.
Hr. Bittdorf - Breslau: Ueber das Elektroangiogramm.
Die lange strittige Frage nach der Mitbeteiligung der Schlagadern
an der Blutbewegung wurde durch Ableitung elektrischer Ströme von
demselben mit Hilfe des sogenannten Saitengalvanometers zu lösen
gesucht.
Es gelang, beim Menschen unter gewissen Bedingungen derartige
Ströme von der Körperoberfläche (Bein) abzuleiten. Noch leichter
ist der Nachweis des Auftretens elektrischer Ströme bei jedem Puls
an der freigelegten Schlagader von Tieren (Kaninchen, Hunden). Es
liess sich ferner zeigen, dass diese Strömung durch die direkte
pulsatorische Dehnung der Gefässmuskeln erzeugt wird, während das
Herzgefässnervensystem keinen Einfluss auf ihre Entstehung zu haben
scheint.
Diskussion zu den Vorträgen Mosler - Bittdorf.
Hr. Volhardt - Mannheim.
Hr. v. Bergmann - Hamburg-Altona: Bei der dynamischen Be¬
trachtungsweise des Pulses bekommt man keinen Aufschluss über Centren
und Peripherie getrennt, sondern nur über die Resultate. Auf Grund
derselben kann man trotzdem mit Sicherheit sagen, dass zu einem be¬
stimmten Zeitpunkt der Puls besser oder schlechter wird und hat auf
diese Art objektive Anhaltspunkte für die Beurteilung der Einwirkung
medikamentöser und hydrotherapeutischer Eingriffe.
Hr. Christen - Bern begrüsst die ausführliche Nachprüfung seiner
dynamischen Kreislaufdiagnostik; Die Richtigkeit seiner Messungen ‘hat
er neuerdings durch einen versenkten künstlichen Puls studieren
können, wobei sich wieder die völlige Unabhängigkeit der Resultate
von der Dicke der Weich teile ergab. Eine neue Tabelle ermöglicht die
direkte Ablesung des Untersuchungsergebnisses ohne vorhergehende
Multiplikation.
Hr. Magnus-Alsleben -Würzburg.
Hr. Hering-Prag weist auf seinen Erklärungsversuch des Elekto-
angiogramms hin.
Hr. Riehl-Prag konnte in einem Falle von andauernder Vorhof-
tachysystolie eine deutliche Verkürzung des Intervalls Vorhofeystole-
Ventrikelsystole nachweisen. Angesichts des Verhaltens des Elektro-
cardiogramms schloss R. auf heterotope Reizbildung.
Sitzung vom Donnerstag, den 17. April 1913.
Hr. K. Bürker - Tübingen: Die Thoma - Zeiss’sche Zähl¬
methode der Erythrooyten gibt um 7 pCt. zu hohe Werte an.
Vor 2 Jahren ausgeführte vergleichende Versuche in Tübingen und
im Sanatorium Schatzalp, 300 m über Davos, haben ergeben, dass es
im Hochgebirge zu einer absoluten Vermehrung der roten Blutkörper¬
chen und des roten Blutfarbstoffes kommt, aber zu keiner so grosseo,
als man bisher angenommen hat, dass ferner einen Monat nach der
Rückkehr ins Tiefland noch eine sehr beträchtliche Nachwirkung be¬
steht. Weitere methodische, zur Sicherung des Resultats mit dem
neuen Zählapparate des Vortr. angestellte Untersuchungen haben er¬
geben, dass die bisher meist benutzte Thoma Zeiss’sche Zählmethode
mit einem Fehler von 7 pCt. behaftet ist. Das Missverhältnis, das bisher
zwischen der Zahl der roten Blutkörperchen und dem Farbstoffgehalt
des Blutes im Hochgebirge beobachtet wurde, beruht darauf, dass der
durch das rasche Senkungsbestreben der schweren Blutkörperchen in
der leichteren Verdünnungsflüssigkeit bedingte Fehler im Hochgebirge
dadurch vergrössert wird, dass dort die Blutkörperchen farbstoffreicher
werden und dabei sich noch rascher senken. Ganz gewaltig kann der
Fehler bei Zählung im verschiedenartigen Blute werden, denn das
Senkungsbestreben ist z. B. bei Rattenblutkörperchen nur 33 pCt
kleiner, bei Taubenblutkörperchen nur ebensoviel grösser, und bei Frosch¬
blutkörperchen gar um 500 pCt. grösser als bei menschlichen roten
Blutkörperchen. Auoh im pathologischen Blute mit seinen farbstoff¬
armen Blutkörperchen einerseits und seinen farbstoffreichen andererseits
macht sich der Fehler, und zwar in sehr verschiedenem Maasse, geltend.
Die älteren Zählmethoden sind daher schon unter gewöhnlichen Be¬
dingungen zur exakten Ermittlung der Zahl der roten Blutkörperchen
ungeeignet.
Hr. Matthes-Marburg: Ueber die Hunter’sche Zungenver¬
änderung bei perniciöser Anämie.
Hunter hat eine Zungenentzündung beschrieben, die angeblioh
nur bei dieser Erkrankung, und zwar in jedem Falle Vorkommen soll
und mit analogen Veränderungen im Magendarmkanal einhergeht.
Hunter hat namentlich auf den Befund von Streptokokken in diesen
Veränderungen hingewiesen und sie als die Einfallspforte für die die
Anämie erzeugende Infektion erklärt. Diese Zungenentzündung ist in
Deutschland bisher nicht als charakteristisch angesehen worden. Vortr.
berichtet über 10 derartige Fälle mit Zungenveränderungen. Dagegen
konnte er das Vorkommen von Streptokokken darin nicht bestätigen.
Wohl aber konnte man durch Sektionsbefunde das Vorkommen einer
Hämolyse im Pfortadergebiet konstatieren. Darin sowohl wie in der
Eisenverteilung in den Organen ist eine Stütze für den Ursprung der
Erkrankung aus dem Gebiete des Verdauungstraktus zu sehen. Die
Zungenentzündung kommt jedoch nicht in allen Fällen zur Beobachtung.
Sie ist, wenn vorhanden, diagnostisch wichtig, da sie ein Frübsymptom
ist und vor den eigentlichen Blutveränderungen auftritt.
Der Vortr. hält einen infektiösen Ursprung der Erkrankung für
wahrscheinlich und macht namentlich auch auf das familiäre Vor¬
kommen der Erkrankung aufmerksam. Erwiesen ist der infektiöse
Ursprung aber bisher nicht. Auoh Uebertragungsversuche auf Affen
schlugen bisher fehl.
Diskussion: Hr. E. Meyer-Strassburg weist auf die perniciöse
Anämie der Pferde bin, die man durch Ueberimpfung des Serums kranker
Tiere auf andere übertragen kann. Nach einer Latenzperiode von zehn
Tagen treten die anämischen Erscheinungen auf, und auch in Milz und
Leber entwickeln sich allmählich dieselben histologischen Veränderungen
wie bei den spontan erkrankten Tieren.
Hr. Veil-Strassburg: Ueber gesetzmässige Schwankungen
der Blutkonzentration.
Bei Untersuchung der Blutkonzentration ist ein ständiger Vergleich
von Gesamtblut und Plasma von Wichtigkeit. Ein Fall von chronischer
nichttuberkulöser Bauchfellentzündung, bei dem duroh Bauchpunktion
7 Liter Flüssigkeit entleert worden waren, zeigte z. B. eine erhebliche
Eindickung des Gesamtblutes, während das Serum eine noch erheb¬
lichere Verdünnung aufwies, ein Verhalten, aus dem hervorgeht, wie
gross nach solchen Funktionen nicht nur die Wasser-, sondern auch die
Eiweissverluste des Körpers werden. Bei manchen Gesunden unterliegt
die Blutkonzentration schon in absoluter Ruhe beträchtlichen Schwan¬
kungen, die nur durch den Schlaf aufgehoben werden können. Diese
Schwankungen stehen in Beziehungen zu Veränderungen des Blutes, die
für die arteriosklerotische Schrumpfniere typisch sind. Durch den Ader¬
lass können diese letzten Veränderungen, eine beträchtliche Blut¬
eindickung, für längere Zeit beseitigt werden, was diese Kranken in einen
sehr gebesserten ffustand versetzt Endlich ergibt das genaue Studium
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UNIVERSUM OF IOWA
16. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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der Blutkonzentration bei der Herzwassersucht, dass sie einen Grad¬
messer für die Wirksamkeit unserer Therapie darstellt. Das gewöhnliche
Verhalten des Blutes soll dabei das einer mit der Therapie einsetzenden
Blutverdünnung sein. Denn eine solche entspricht dem Transport des
Odemwassers.
Hr. Naegeli-Tübingen: Ergebnisse von Untersuchungen des
Blutplasmas und Blutserums.
Die morphologischen Untersuohungsmethoden des Blutes sind zu
einem Abschluss gekommen. Um weitere Fortschritte zu erreichen,
müssen physikalisch-chemische Methoden herangezogen werden. So gibt
die Serumfarbe wichtige diagnostische Anhaltspunkte bei Anämien.
Chlorosen haben stets abnorm blasses Serum, perniciöse Anämien konstant
abnorm dunkles, gelbes Serum. Es muss Aufgabe der Zukunft sein, zu
entscheiden, ob hier immer Bilirubinderivate die Färbung bedingen, oder
ob es sich um Vermehrung des Luteins handelt. Die refraktometrische
Methode zur Untersuchung des Eiweissgehaltes gibt viele wichtige
klinische Befunde. Da die Refraktometer sehr teuer sind, wird ihre
Anwendung beschränkt bleiben. Vortr. führt den Nachweis, dass durch
die sehr einfache Viscosimetrie des Blutserums oder Blutplasmas voll¬
kommen gleichsinnige Resultate erreicht werden. Die Methode lässt sich
durch eine kleine Umgestaltung des Viscosimeters noch erheblich ver¬
feinern.
Hr. Julius Bauer - Innsbruck: Untersuchungen über Blut¬
gerinnung mit besonderer Berücksichtigung des endemischen
Kropfes.
Vortr. fand, dass das Gerinnungsvermögen des Blutes nicht nur,
wie dies bereits bekannt war, bei Basedowscher Krankheit und ähnlichen
Formen des Kropfes herabgesetzt ist, sondern auch bei allen Arten von
Kropf, insbesondere auch bei den zum Kretinismus hinüberleitenden
Formen, ferner auch bei anderen Affektionen der Drüsen mit innerer
Sekretion (Pankreas, Hypophysen, Keimdrüsen u. a.).
Vortr. sah einen Fall von Bluterkrankung (Hämophilie), bei dem
das Gerinnungsvermögen so hochgradig herabgesetzt war, dass die Ge¬
rinnung, statt wie normal, nach 2—3 Minuten zu sein, nach 16 Stunden
noch nicht erfolgte. Da der Kranke, ein 17 jähriger junger Mann, Sym¬
ptome gestörter bzw. mangelhafter Schilddrüsentätigkeit aufwies, be¬
handelte ihn der Vortr. mit Schilddrüsensubstanz. Unter dieser Behand¬
lung nahm nun das Gerinnungsvermögen so weit zu, dass die Gerinnung
des Blutes bei dem Kranken in wenigen Woohen in 12 Minuten erfolgte.
Vortr. zieht hieraus den Schluss, dass die Hämophilie in diesem Falle
nur ein ins extreme gesteigertes Symptom war, wie es auoh sonst bei
den verschiedensten Erkrankungen der Drüsen mit innerer Sekretion
beobachtet wird.
Hr. Magnus - Aisleben-Würzburg: Ueber die Ungerinnbar¬
keit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker.
Das von Sohwindsüchtigen ausgehustete Blut zeigt manchmal die
sonst ganz ungewöhnliche Eigenschaft, nicht zu gerinnen. Es beruht
dies wahrscheinlich darauf, dass durch den tuberkulösen Prozess Stoffe
ähnlich wie bei der Autolyse (Selbstverdauung) frei werden. Während
nämlich der Presssaft frischer Organe gerinnungsfördernd wirkt, zeigt
der durch Autolyse gewonnene Extrakt hemmende Eigenschaften.
Diskussion.
Hr. Quincke - Kiel: Wenn man den Urin unmittelbar nach dem
Erwachen untersucht, so zeigt er eine dunklere Farbe und ein höheres
spezifisches Gewicht, da die Harnsekretion im Schlafe vermindert ist.
Lässt man den betreffenden Menschen 2—3 Stunden noch ruhig im Bette
liegen, ohne etwas zu trinken zu geben, so ist der hernach gelassene
Harn wieder heller und von geringerem spezifischen Gewicht. Schläft der
Patient dagegen nochmal 2—3 Stunden ein, so bleibt das Absinken des
spezifischen Gewichts und die Harnvermehrung aus.
Hr.Determann-St. Blasien macht auf die bedeutenden Schwankungen
der Viscosität aufmerksam, welche durch Schwankungen des Gasgehalts
veranlasst werden und hauptsächlich das Gesamtblut, nicht so sehr das
Serum, betreffen. Vor einer Ersetzung der Viscosimetrie durch Refrakto-
metrie ist entschieden zu warnen. Um die Unstimmigkeiten der Resultate
aufzuklären, die sioh bei den Bestimmungen mit den Apparaten von
Hess und Determann ergeben, und die mit der Viscositätszunahme
des Blutes wachsen, wäre eine objektive Prüfung der Apparate yon
dritter Seite erwünscht.
Hr. Volhardt - Mannheim hebt die ausgedehnten Versuche von
Keller hervor, die bei cardialem Oedem Hydrämie vermissen lassen.
Entsteht Hydrämie, dann tritt auch Diurese ein, das gilt auch für die
Oedemkrankheit katexochen, die degenerative Erkrankung der Niere, die
wir nach Müller Nephrose nennen. Es ist eben in diametralem Gegen¬
satz zu unseren bisherigen Anschauungen die schlechte Kochsalz- und
Wasserausscheidung durch die Oedeme bedingt, und wir finden daher
nicht hydrämisches, sondern abnorm eingedicktes Blut. Die Oedeme
wurden also extrarenal, nicht renal bedingt. Es besteht offenbar ein
Missverhältnis zwischen Wasseraustritt aus den Gefässen und Wasser¬
resorption aus den Geweben infolge einer Gefässschädigung, welche mit
der Entzündung der Nierengefässe nicht parallel gehen kann, da wir bei
entzündlichen Nephritiden jedes Oedem vielfach vermissen. Der Name
„arteriosklerotische Schrumpfniere“ wird besser durch „arteriosklerotische
Niere“ ersetzt.
Hr. Reiss-Frankfurt a. M.; Sohon Böhme hatte darauf hingewiesen,
dass Muskelkontraktion die Bhitkonzentr&tioh erhöhe.^Na*h Schlaf .ist
daher auch die Blutkonzentration ausserordentlich niedrig. Die »von den
Physiologen gefundenen Normalwerte können nicht der Praxis als Normal-
werte zugrunde gelegt werden, da man unter den gewöhnlichen Versuchs¬
bedingungen höhere Werte findet als bei vollständig ausgeruhten Menschen.
Man könnte auf diese Art leicht Werte als pathologisch bezeichnen, die
es gar nioht sind. Viscosimetrie und Refraktometrie sind keine Kon¬
kurrenz-, sondern Ergänzungsmethoden.
Hr. Bürker - Tübingen verhält sich gegen die Angaben über
Aenderungen der Blutzusammensetzung unter physiologischen Verhältnissen
sehr skeptisch, da er unter solchen Bedingungen stets eine erstaunliche
Konstanz der Blutzusammensetzung beobachtet hat. Bei der Fuld-
schen Methode der Gerinnungszeitbestimmung sprechen die Befunde von
2—3 Minuten für eine Fehlerquelle, denn bei 25° C beträgt sie sonst
noch 5 (Minuten. Bei 500 Einzelbestimmungen von Schiössmann-
Tübingen stimmten die Vergleicbsbestimmungen aus Vene und Finger¬
kuppe nach der Methode von Bürker vollkommen überein, die Gewebs¬
flüssigkeit hat somit keinen Einfluss auf die Geriunungszeit.
Hr. E. Meyer - Strassburg: Bei den Patienten mit Präsklerose
tritt nach einmaligem Aderlass ein allgemeiner Umschwung im Befinden
ein. Bei Trockendiät befinden sich diese Kranken ausserordentlich
schlecht, was durch die hohen refraktometrischen Werte des Serums
zu erklären ist. Bei reichlicher Versorgung mit Flüssigkeit bessert
sich der Zustand dieser Patienten. Die übermässige Furcht vor zu
grosser Wasserzufuhr rührt wohl von den Untersuchungen über das
Münchener Bierherz her; tatsächlich zeigen Patienten, die sehr viel
Flüssigkeit durch das Herz durchpumpen (Diabetes inaipidus) niemals
Blutdrucksteigerungen oder Herzvergrösserungen. Bei Patienten mit
Harnstauung und Polyurie im Gefolge von Prostatahypertrophie werden
die allerhöchsten Serum werte gefunden. Die Operationschancen werden
bei diesen Patienten bedeutend günstiger, wenn durch reichliche
Flüssigkeitszufuhr die Serumwerte vorher zur Norm zurückgeführt
werden.
Hr. Morawitz - Freiburg: Spritzt man Hunden oder Katzen Blut,
das man ihnen eben entzogen, in die Pleura ein und entnimmt es wieder
nachher, so wird es ungerinnbar infolge Fehlens des Fibrinogens.
Wahrscheinlich ist es durch die Endothelien der Pleura physikalisch ver¬
ändert worden. Mit Rücksicht auf diese Erfahrung ist an zu nehmen, dass
auch bei der Ungerinnbarkeit des Hämoptysikerblutes eine Aenderung
des Fibrinogens eine Rolle spielt.
Hr. Lichtwitz - Göttingen: Die Werte der Viscosimetrie und Re¬
fraktometrie lassen sich nicht miteinander direkt vergleichen, wenn man
nicht mit dem Thermostaten arbeitet, denn die Viscosität ist ausser¬
ordentlich abhängig von der Temperatur. Es kommt übrigens nicht nur
auf die Eiweissmenge, sondern auch auf die Verteilung der Kolloide an.
So erlangte Serum durch Schütteln mit Tierkohle vasokonstriktorische
Eigenschaften. Naoh Heubner quillt die Sehne bei 0° besser als bei
Körpertemperatur, hat also einen negativen Temperaturkoeffizienten,
ebenso der Muskel. In der Niere besitzt die Rinde einen positiven, das
Mark hingegen einen negativen Quellungskoeffizienten. Wenn nun eine
physikalische Aenderung, wie Temperaturwechsel eine so entgegen¬
gesetzte Wirkung bei Mark und Rinde der Niere haben, kann man
sich auch vorstellen, dass chemische Körper unbekannter Art eine
andere Einwirkung auf das Serum und eine andere auf die Gewebe
ausüben.
Hr. Volhardt - Mannheim: Bei Nierensklerosen wirkt Trockendiät
ausgezeichnet, speziell Anfälle von Asthma cardiale verschwinden sofort.
Hr. Determann - St. Blasien: Bei seinem Viscosimeter ist ein 15°
eingestellter Thermostat stets in Verwendung.
Hr. Friedei Kahn-Kiel: Ueber hämolytischen Icterus.
Kahn berichtet über eine Reihe von Fällen von sogenanntem hämo¬
lytischen Icterus und ihre Beeinflussung durch Milzexstirpation. Bei
allen war das Krankheitsbild in charakteristischer Weise ausgebildet;
es bestand meist seit vielen Jahren Gelbsucht, mehr oder weniger starke
Blutarmut mit Verminderung der Widerstandsfähigkeit der roten Blut¬
körperchen. Sieben Fälle gehörten der erblich-familiären, drei der er¬
worbenen Form an. Bei zwei Patienten wurde die stark vergrösserte
Milz mit überraschendem Erfolg exstirpiert. Die Gelbsucht verschwand,
die Blutarmut wurde vollkommen behoben. Nach einer anfänglich starken
Gallenfaibstoffausscheidung im Urin, die vor der Operation fehlte, ent¬
hielt der Harn keinerlei Gallenfarbstoffe mehr. Ebenso Hess sich im
Stickstoff- und Harnsäurestoffwechsel nach anfänglicher übermässiger
Ausschwemmung dieser Substanzen eine Rückkehr zur Norm zeigen.
Die roten Blutkörperchen erlangten eine wesentlich bessere Widerstands¬
fähigkeit. Nach diesen Erfahrungen sollte man annehmen, dass die Milz
nicht allein sekundär erkrankt ist, sondern primär den Sitz des Leidens
ausmacht. Die zum ersten Male bei familiärer Form dieser Krankheit
gemachte Milzexstirpation ermuntert bei dem relativ einfachen Eingriff
unter Berücksichtigung besonderer Indikation zur öfteren Vornahme
dieser Operation. Ferner sind diese Erfahrungen geeignet, für die heute
noch grossenteils hypothetische Funktion der Milz neue Gesichtspunkte
zu liefern.
Diskussion.
Hr. Lommel-Jena: Der Name hämolytischer Icterus ist nioht
glücklich gewählt, denn die Hämolyse findet sich auch bei der per-
niciösen Anämie und Icterus kann gelegentlich auch fehlen, die
Resistenzverminderung bei sonst ganz typischen Fällen desgleichen.
Zwei Kinder einer. Frau ny| hämolytischem Icterus besitzen chronische
Milztumoren, die nunmehr seit 10 Jahren ohne jede Störung »des Blut-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
bildes und des Allgemeinbefindens beobachtet werden, ein drittes Kind
starb an Pseudoleukämie.
Hr. Liohtwitz - Göttingen: Es ist eine ganz gesetzmässige Er¬
scheinung, dass im Harn Urobilin ausgeschieden wird und im Blute eine
Gallenfarbstoffreaktion nachweisbar ist. Dabei ist die Niere aber für
Gallenfarbstoffe nicht undurchlässig, denn bei intercurrierender Chole-
lithiasis geht Gallenfarbstoff in den Urin über. Möglicherweise bandelt
es sich also bei den Fällen von hämolytischem Icterus um andere Farb¬
stoffe als Bilirubin, die durch die Niere nicht durchgehen.
Hr. Decastello-Wien: Bei einem Falle, der eine Mittelstellung
zwischen erworbenem hämolytischen Ioterus und perniciöser Anämie
ein nimmt, zeigte sich eine deutliche Herabsetzaug der Erythrocyten-
resistenz. Auch hier war der Erfolg der Splenektomie ein aus¬
gezeichneter.
Hr. Bauer - Innsbruck macht auf das häufige Vorkommen von
Erythrocyten mit vitalfärbbaren Granulis aufmerksam, ferner auf die
Herabsetzung der Erythrocytenresistenz bei Untersuchung nach Ent¬
fernung des Plasmas, während bei Versuchen im eigenen Plasma normale
Werte gefunden werden.
Hr. Kahn (Schlusswort): Bei der hereditären Form ist die Kesistenz-
verminderung immer nachweisbar. Die Splenektomie ist nur bei er¬
heblicher Berufsstörung des Patienten durch die vefgrösserte Milz an¬
gezeigt.
Hr. S. Bergei - Hohensalza: Die klinische Bedeutung der
Lymphocytose.
Die weissen Blutkörperchen spielen im Kampfe des Organismus
gegen Krankheitserreger eine bedeutende Rolle. Die Lymphocyten
speziell enthalten ein fettspaltendes Ferment. Die klinische Beobachtung
lehrt, dass bestimmte Krankheiten mit einer Vermehrung bestimmter
Gruppen von weissen Blutkörperchen einhergehen. Vortr. hat auf Grund
experimenteller Untersuchungen das biologische Gesetz festgestellt, dass
gegen fettartige Krankheitserreger die mit fettspaltenden Eigenschaften
versehenen Lymphocyten in Funktion treten, während sich gegen die
eiweissartigen Infektionserreger die eiweissverdauenden Leukocyten
richten. In den Körper eingeführtes Fett wird von den einkernigen un-
granuHerten Zellen aufgenommen und verdaut. Die Verklumpung und
Auflösung der roten Blutkörperchen wird infolge Verklebung bzw.
völligen Schmelzens ihrer fetthaltigen Oberfiächenschicbt durch das
Ferment der gleiohen Zellart bewirkt. Vor allen Dingen aber erwiesen
sich bei Krankheitserregern fettartigen Charakters, inbesondere bei
Tuberkulose, Lepra, Syphilis, die Lymphocyten als ein mächtiges Ab¬
wehrmittel des Organismus. Hier umgeben sie den Krankheitsherd wie
ein schützender Wall, der imstande ist, die Infektionsstoffe, teilweise
wenigstens, in ihrer Giftigkeit abzuschwächen. Diese Fermente, die sich
auoh in die Blutbahn ergiessen, haben die Fähigkeit, sich spezifisch
gegen das betreffende Krankbeitsgift einzustellen und dasselbe unschäd¬
lich zu machen. Auch die Wassermann’sohe Reaktion beruht auf einer
spezifischen Einstellung des fettspaltenden Lymphocytenferments gegen
die fettartigen Syphiliserreger. Diese Befunde haben nicht bloss wissen¬
schaftliches Interesse, sondern eröffnen auch für die Therapie erfolg¬
versprechende Ausblicke.
Diskussion.
Hr. Turban-Davos: Die von Stäubli bei Gesunden im Hoch¬
gebirge gefundene Lymphocytose konnte bei Untersuchungen in T.'s
Laboratorium in langen Versuchsreihen bestätigt werden. Man kann
darin einen unterstützenden Faktor bei der Heilkraft des Hocbgebirgs-
klimas suchen.
Hr. Rothschild-Bad Soden: Lymphocytensputa bilden ein charakte¬
ristisches Phänomen der beginnenden Lungentuberkulose.
Hr. Schröder-Schömberg hat, von ähnlichen Gedanken wie Vortr.
ausgehend, Milzbreiinjektionen bei der Behandlung experimentell er¬
zeugter Tuberkulose vorgenommen.
Hr. Reich er-Bad Mergentheim weist darauf hio, dass er mit Neu-
berg und Rosenberg zuerst auf den weitgehenden Parallelismus
zwischen Lipolyse einerseits und Hämolyse und Bakteriolyse anderer¬
seits hingewiesen hat. R. konnte in weiteren Versuchen durch In¬
jektionen verschiedener Lipoide, unter anderen auch des Nastins, die
Fettspaltuogskraft des tierischen Organismus erhöhen. Auch bei der
Immunisierung von Tieren gegen Erythrocyten kann man entsprechend
dem Ansteigen des hämolytischen Titers eine Zunahme der lipolytischen
Kraft des Serums wahrnehmen.
Hr. Bergei (Schlusswort) erinnert an die klinische Bedeutung der
verminderten lipolytischen Fähigkeit des Blutes Schwangerer, die Hof¬
bauer gefuuden, und bezeichnet die Fälle von Tuberkulose, welche ein
starkes Fettspaltungsvermögen im Serum aufweisen, als prognostisch
günstig.
Hr. Jamin-Erlangen: Ueber juvenile Asthenie.
J. berichtet über eine Untersuchungsreihe an jugendlichen Personen,
bei welchen ohne die für Chlorose bezeichnenden Veränderungen des
Blutbildes und der Blutfarbe die Symptome der Bleichsucht bestanden.
Ein Teil der Fälle stand durch leichte Störungen in der Gestaltung und
Farbe der roten Blutkörperchen der echten Chlorose nahe und war mit
Eisen erfolgreich zu behandeln. Bei einem anderen Teil waren die An¬
zeichen der Schwäche, Blässe usw. auf anderweitige innere Krankheiten
zurückzuführen. Eine dritte Gruppe von besonders hartnäckigen und
schwer beeinflussbaren Fällen zeigte bei normalem roten Blutbild eine
Veränderung der weissen Blutzellen, nämlich Abnahme ihrer Gesamtzahl
und Vorherrschen der einkernigen Formen. Es ist anzunebmen, dass es
sich bei dieser, als „juvenile Asthenie 0 bezeichneten Krankheit des Ent-
Wicklungsalters um Störungen der inneren Sekretion, und zwar, wie der
Vergleich mit dem kindlichen Blutbild nahelegt, um eine Entwicklungs¬
hemmung handelt
Hr. Brauer-Hamburg: Weitere klinische und experimentelle
Erfahrungen über arterielle Luftembolie.
Vortr. beriohtet in abschliessender Form über die Klinik und
Anatomie sowie experimentelle Untersuchungen über Luftembolie in die
Lungenvenen und damit in das arterielle System. Der dieser Form der
Luftembolie folgende klinische Symptomen komplex ist unter dem Ein¬
flüsse der sich häufenden lungenchirurgischen Maassnahmen in den letzten
Jahren häufiger zur Beobachtung gekommen.
Das Charakteristische ist, dass die Luft in die Lungenvenen ein¬
dringt. Dies geschieht entweder durch Ansaugung seitens des linken
Herzens oder duroh inspiratorische Saugbewegungen in dem betreffenden
Lungenabscbnitt oder endlich durch Ansaugung der Luft duroh den Blut¬
strom in einem Seitenast des eröffneten Gefässes.
Das klinische Bild ist zu trennen in die akuten und in die Dauer¬
erscheinungen. Akut setzt gewöhnlich ein schwerer Shock, eventuell
mit Bewusstseinsverlust, eventuell mit sofortigem Tode oder den aller¬
verschiedensten Hirnsymptomen ein. Im weiteren Verlaufe kann dann
entweder eine völlige Rückkehr zur Norm eintreten oder irgendwelche
Reiz- oder Lähmungssymptome am Centralnervensystem übrigbleiben.
Es ist natürlich ausserordentlich wahrscheinlich, dass auch gelegentlich
die zufälligen, plötzlichen, schlagartigen Tode, wie sie mit Einsetzen
einer Lungenblutung gelegentlich beobachtet werden, durch Luftembolie
und nicht durch Blutaspiration und Erstickung zustande kommen. In
der Literatur existiert bislang ein positiver Sektionsbefund. Doch sollte
auf diese Frage seitens der Kliniker und Anatomen unbedingt genauer
geachtet werden. Eingehende experimentelle Untersuchungen, die im
Verein mit Herrn Weber an einer grösseren Reihe von Affen, Hunden
und Kaninohen und bei grössten Versuchsvariationen ausgeführt wurden,
haben bei verschiedenen noch unklaren Fragen der Luftembolie nunmehr
gezeigt, dass die so vielfach hervortretende Behauptung, es handle sich
in den beobachteten klinischen Bildern um Pleurareflexe, irrig ist. Die
feineren gehirnanatomischen Untersuchungen wurden von Herrn Dr. Spiel¬
meyer durchgeführt. Die Luftembolie in die Arterien stellt eine
prinzipielle, eigenartige, experimentelle Läsion des Gehirns dar. Das
meiste von dem, was in der Literatur bis auf die neueste Zeit als
reflektorische Vorgänge geschrieben wurde, gehört in das Kapitel der
Luftembolie.
(Fortsetzung folgt.)
Aerztliche Rechtsfragen.
Streitfragen über die Liquidation der Aerzte.
Von
Dr. Haas Lieske-Leipzig.
Soit geraumer Zeit liefern die Liquidationen der Spezialärxte
zu Erörterungen der Judikatur und zu Klagen der Patienten ständig
neuen Stoff. Die Kardinalfrage lautet hier: „Ist auch der
Spezialarzt an die in der Gebührenordnung für Aerzte
aufgestellte Taxe gebunden? u Eine Umschau in der juristi¬
schen Literatur hierüber zeigt, wie ja leider so oft, auch in diesem
Punkte statt feststehender Thesen ein Chaos von Meinungen. Fest
steht über all dem allein, dass die Anwendung der Taxe durch
den Willen der Beteiligten ausschaltbar ist; Vereinbarungen zwischen
Arzt und Patient über die Höbe des die Taxe überschreitenden
Honorars sind also von vornherein zu respektieren. Zweifel er¬
blühen aber alsbald bei der Frage danach, wann angesichts des
Fehlens bestimmter Abreden über den Geldpunkt aus dem Still¬
schweigen des Patienten ein unbedingtes Sichunterwerfen unter
die die Taxe überschreitende Honorarforderung erblickt werden
darf. Darüber hören wir hier von kompetenter Seite die Ansicht
verfechten, eine Vereinbarung einer Vergütung in bestimmter Höhe
sei aus dem Verhalten des Kranken schon dann herauszulesen,
wenn sich dieser von einem Spezialisten in Kenntnis solcher Eigen¬
schaft als Arzt behandeln lasse, ohne über das Honorar zu reden.
Anderenorts aber wird diese These lebhaft befehdet. Und zwar
erklärt man hier, es sei nicht abzuseben, wieso das Schweigen
des Patienten über die Honorarfrage zu der Deutung zwänge, dass
er die Bemessung des Honorars in das freie Belieben des Spezial¬
arztes stellen wolle. Freilich sei dem Patienten ja meist bekannt,
dass der Spezialist höhere Gebühren als ein gewöhnlicher Arzt
nehme; diese Kenntnis rechtfertige aber nicht die Folgerung, es
habe der Patient damit die Taxe aus dem Vertrags Verhältnis
absolut ausschalten wollen. Vielmehr lege des Patienten Schweigen
den Schluss nahe, es sei die taxenmässige Vergütung vereinbart
Denn die Taxe sei ja gerade zum Schutze des Publikums gegen
willkürliche Honorarforderungen erlassen, und die Gebührenordnung
scbliesse sonder Zweifel auch die Tätigkeit der Spezialisten ein.
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
949
Das ergebe sich schon aus dem Umstande, dass sie auch für
solche Leistungen Gebühren auswerfe, die überhaupt nur von
Spezialärzten vorgenommen werden. Mithin sollen nach der letzt¬
gedachten Auffassung die Sätze der Gebührenordnung in strittigen
Fällen, d. h. überall dort, wo besondere Honorarvereinbarungen
fehlen, auch für Spezialärzte maassgebend sein. Zur Bekräftigung
solcher These wird weiter von ihren Verfechtern auf den weiten
Spielraum der Gebührenordnung aufmerksam gemacht, der es an¬
geblich gestattet, auch den berechtigten Mehrforderungen hervor¬
ragender Spezialisten entsprechendes Gehör zu verschaffen. Reichen
aber die Gebührenordnungssätze wirklich nicht aus, nun dann
haben die Aerzte in solchen Fällen ja immer noch das Mittel
ausdrücklicher Vereinbarung höherer Honorare Im allgemeinen
aber sieht der Gewährsmann für die geschilderte Auffassung eine
Aufgabe der Rechtsprechung auch darin begründet, gegenüber
unmässigen Mehrforderungen der Spezialärzte die Sätze der Ge¬
bührenordnung nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen, weil er
es unberechtigt schilt, dass sich jeder beliebige Spezialarzt über
die auch für ihn geschaffene Taxe ohne weiteres binwegsetzt.
Lassen wir in dieser wichtigen Frage nach der Theorie die Praxis
in einem Urteile des Stettiner Oberlandesgericbts zu Worte kommen.
Der Fall behandelt eine Radikaloperation beiderseits von Stirn-
und Siebbein in Narkose, vorgenommen von einem Spezialisten in
seiner Privatklinik und zwar mit glänzendem Erfolge. Vergütungs¬
vereinbarungen fehlen. Dagegen besteht für das streitige Rechts¬
verhältnis in der Gebührenordnung für approbierte Aerzte und
Zahnärzte eine Taxe. Frage: „Kann aus dem Stillschweigen über
die Liquidation billigerweise der Wille der Beteiligten heraus¬
gelesen werden, sich über die Satzungen der Taxe binwegzusetzen
und dafür das von dem Arzt Verlangte treten zu lassen ?“ Bei
der Beantwortung fixiert das erkennende Oberlandesgericht zunächst
als Norm, es sei im allgemeinen auf einen Willen des Patienten,
die Taxe, die doch zu seinem Schutze und zum Schutze des
Publikums gegen übermässige Honoraransprüche erlassen sei, zu
überschreiten, nicht zu schliessen. Diese Norm aber soll auch
unter den besonderen Umständen des zu entscheidenden Falles
prävalieren. Der sein Honorar einklagende Arzt wird zwar als
ein besonders verdienstreicher Spezialist und als Privatdozent von
bestem Ruf und Leiter einer vielbesuchten Privatklinik in der Reichs¬
hauptstadt auch durch die Urteilsgründe besonders anerkannt. Als
erwiesen betrachtet das Urteil des weiteren, dass die von dem
Operateur vorgenommene schwierige Operation Gesundheit und
Leben des beklagten Patienten gerettet hat. Weiter steht fest,
dass der Beklagte der wohlhabenderen Geschäftswelt einer Pro¬
vinzial bau ptstadt angehört und durch seine Verwandten schon
vor der Behandlung darüber instruiert war, dass der behandelnde
Arzt in seiner Eigenschaft als ausgezeichneter und vielgenannter
Spezialist und Universitätsdozent sich nach den seitens der Ver¬
wandten gemachten Beobachtungen mutmaasslich nicht nach der
Gebührenordnungstaxe werde richten wollen. Bei solcher Sach¬
lage, meine ich, liegt allerdings der Schluss sehr nahe, es möchte
sich namentlich im Hinblick auf die ausserordentlich schwierige
und gefährliche Operation, im Hinblick ferner auf den grossen
Ruf des Operateurs und auf die günstige pekuniäre Lage des
Operierten annehmen lassen, letzterer habe bei Abschluss des
Vertrages mit dem Arzte die Honorarbestimmung in dessen billiges
Ermessen stellen mögen. Solche Auffassung teilt jedoch das er¬
kennende Oberlandesgericht nicht. Es negiert die Erlaubnis einer
sicheren Folgerung dahin, dass der Beklagte dem klagenden Arzt
ein solches freies Bestimmungsrecht habe einräumen mögen. Viel¬
mehr neigt das Oberlandesgericht zu der Auffassung, es habe
zwar der Patient erwarten müssen, dass der Arzt die höchsten
Sätze der '.Taxe liquidieren werde; ein Ueberschreiten der Tax¬
sätze habe , er dagegen nicht voraussehen müssen. Die logische
Konsequenz j solcher Meinung musste selbstverständlich zu einer
Abweisung der Klage des Arztes, der über die Taxe hinaus
liquidiert hatte, führen. Der für die Spezialisten sich daraus er¬
gebende Rat aber lautet:' ;; Will ein Spezialaczt die den Patienten
schütztende staatliche Taxe überschreiten, so erscheint es geboten,
den Patienten darüber rechtzeitig zu informieren, zumal gerade
der Arzt von vornherein allein den Verlauf der Behandlung sach¬
kundig zu beurteilen vermag. Sonst erscheint eben nach dem
zitierten Verdikt] auchrein Spezialarzt an die in der Gebühren¬
ordnung für Aerzte aufgestellte TaxeJgebunden.
Verweilen wir noch mit einigen Worten bei dem ohne Zweifel
sehr wichtige^ Kapitel über die ärztlichen Honorare und ihre
rechtliche Würdigung. Die Judikatur belehrt uns hier ^ a. aueh
darüber, da*s es vor den Schranken des Gerichts versucht worden
ist, die Zahlung des Honorars für Operationen von dem Erfolge
der operativen Behandlung abhängig zu machen. „Haftet* 1 , so
lautet danach die Frage, „ein Arzt für den Ausgang der
Operationen? 11 Die kurze und unzweifelhafte Aufklärung aber
heisst: Selbst wenn es sich um die Vornahme einer ganz be¬
stimmten vereinbarten Operation handelt, so kann doch der Arzt
auch für ihren ungünstigen Verlauf nicht ohne weiteres haftbar
gemacht werden. Schadenersatzansprüche und Honorarvorentbal-
tungen wegen des Misserfolges einer Operation sind vielmehr aus¬
schliesslich dann begründet, wenn solcher Misserfolg von dem
Arzte verschuldet ist, oder aber, wenn der Arzt ausdrücklich für
günstigen Ausgang der Operation Garantie übernommen hat.
Anderenfalls ist auf eine Absicht der approbierten Aerzte, für
den Erfolg von vornherein einstehen zu wollen, berechtigterweise
nicht zu schliessen. Und zwar um so weniger, als ja erfahrungs-
gemäss bei Operationen der Erfolg keineswegs lediglich von des
Operateurs Tüchtigkeit abhängt. Will man also annebmen, es habe
ein Arzt im speziellen Falle wirklich seine Honoraransprüche voU
dem Gelingen eines bestimmten operativen Eingriffes abhängig
machen wollen, so findet man eine Berechtigung zu solcher Prämisse
ausschliesslich in einer diesen Willen völlig klar und zweifelsfrei
bekundeten Abmachung des Operateurs.
Ebenso interessant und in das tägliche Leben einschneidend,
wie viel diskutiert, ist schliesslich die Frage nach der Pflicht der
Aerzte zur Spezifikation ihrer Deservitenrechnungen.
Muss der Arzt auf Wunsch des Patienten seine Rechnung auch
dann, wenn sie sich im Rahmen der Gebührenordnung hält,
spezialisieren, oder muss er es nicht? Hierüber ist vor dem Forum
der Gerichte wiederholt gestritten worden, ohne dass wir aller¬
dings aus dem Streite eine feststehende gerichtliche Praxis profi¬
tieren. Vielmehr hören wir hier ein Ja, dort ein Nein aus dem
Munde der Richter. „Ja u , sagt das Oberlandesgericht München
unter der Begründung: Das Rechtsverhältnis des Arztes zu seinem
Patienten sei regulär ein Dienstvertrag, und nur geleistete Dienste
verpflichteten zur vereinbarten taxenmässigen oder üblichen Ver¬
gütung. Schon daraus aber leite sich das Recht des Zahlungs¬
verpflichteten her, zu erfahren, welche Dienste denn nun eigentlich
geleistet worden seien.
Anders das Münchener Landgericht, das also des Arztes
Pflicht auf Spezifikation seiner Deservitenrechnung ablehnt. Hier
hören wir Proklamation der These: Es fehle ein Rechtssatz des
Sinnes, dass der Arzt Bezahlung für geleistete Dienste erst nach
Rechnungslegung hierüber verlangen könne, weshalb eine Ver¬
pflichtung zu einer Vorleistung des Arztes in der geschilderten
Art nicht anzuerkennen sei. Gegen die letztgenannte von den
beiden aufgezählten jüngst bekundete Auffassung haben sich
allerdings, wenn auch nicht in den Kreisen der Richter, so doch
in der Literatur Stimmen energischen Protestes erhoben. In ihm
wird zur Begründung einer Spezifikationspfiicht des Arztes darauf
aufmerksam gemacht, dass der Patient ja sonst, das heisst ohne
Spezifikation, gar nicht nachzuprüfen vermöge, ob der Arzt in
seiner Pauscbalforderung nicht die übliche Taxe überschritten
habe, da er, der Patient, die Einzelansätze ja nicht kenne. Wolle
man das Verlangen nach spezialisierter Abrechnung von der
Hand weisen, so führe das zu dem unbefriedigenden Ergebnisse,
wonach ein Patient die ihm vorgelegte Pauschalrechnung stets
kritiklos begleichen müsste, selbst wenn sie ihm zu hoch erschiene.
Auch sei es gar nicht einzusehen, warum nicht ein Arzt, ebenso
•wie jeder andere, der selbständige Dienste leistet, zur Spezifikation
seiner Rechnung verbunden sei. Schon des Bürgerlichen Gesetz¬
buches Norm, die eine Leistung so zu bewirken befiehlt, wie
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es fordern,
schliesse die Verpflichtung in sich, dass der Arzt, wie jeder
andere Geschäftsmann, sein Honorar erst beanspruchen könne,
wenn er die verlangte Spezifikation gegeben und dem Patienten
damit die Nachprüfung seiner Rechnung ermöglicht habe. Gegen
diese Auffassung vermöchte aber der häufige Gebrauch der
Aerzte, ihre Rechnung nicht zu spezifizieren, nicht anzukommen;
denn ein Patient, der die Pauschalrechnung des Arztes zahle,
verzichte stillschweigend auf Spezifizierung; er habe eben zum
Arzte. das Vertrauen, dass dessen Paaschalforderung richtig
berechnet sei; mit diesem Regelfall rechnen die pauschaliter
liquidierenden Aerzte. Verlange aber der Patient spezifizierte
Forderung, so"dokumentiere er hierdurch dem Arzte gegenüber
seinen auf Nachprüfung gerichteten Willen; diese Nachprüfung
könne ihm der Arzt nicht verwehren; er seT-vielmehr ver¬
pflichtet, die Unterlagen hierzu da*ch Spezifizierung der Rechnung
zu geben. c '
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Dem Begehren nach spezifizierter Rechnung wird freilich
schon sehr oft das Berufsgeheimnis des Arztes entgegenstehen.
Denn sobald es über Existenz und Höhe der Forderung zwischen
den Parteien zu Dissonanzen kommt, die schliesslich vor dem
Gerichte ausklingen, dann muss notgedrungen der seine Forderung
im speziellen motivierende Arzt in den überwiegenden Fällen das
Leiden des Patienten zum mindesten vor die Richter und —
bei der in Deutschland herrschenden Oeffentlichkeit des Ver¬
fahrens — auch noch vor ein grösseres Auditorium bringen. Ein
Punkt, der selbst von dem Oberlandgericht München, welches,
wie wir hörten, für eine ärztliche Spezifizieruogspflicht plädiert,
nicht übersehen wird. Auch nach jenem Urteil kann man einem
Arzte solche Spezifizierung der Rechnung dann unbedingt nicht
zumuten, wenn sie ohne unbefugte Offenbarung von Privatgeheim¬
nissen untunlich wäre. Und doch wird hier der beklagte Arzt
trotz seiner Berufung auf die ihm obliegende Geheimnis-
wahrung zur Spezifikation verurteilt. Kläger war in jenem
Rechtsstreite der Ehemann der behandelten Patientin. Die ihm
für Behandlung seiner Frau übersandte Rechnung erschien ihm
zu hoch, weshalb er im Klagewege Detaillierung forderte. Dazu
stellen die Urteilsgründe des genannten Gerichts ausdrücklich
fest, dass der Ehemann durchaus nicht etwa die Natur der
Krankheit seiner Frau oder die Ursachen derselben kennen lernen,
sondern lediglich wissen wollte, welche Dienstleistungen der be¬
klagte Arzt im einzelnen gemacht habe. Zur Belehrung des
sich auf sein Berufsgeheimnis stützenden Arztes meint nun das
erkennende Gericht, es bedürfe keiner weiteren Ausführungen,
dass derlei vom Kläger geforderte allgemeine Angaben, wie
beispielsweise über Einspritzungen, Massage, Auskultationen usw.
ohne nähere Angaben der Körperteile, an denen und in welchen
sie vorgenommen wurden, eine Verletzung des Berufsgeheimnisses
an sich nicht enthalte. Um so weniger, als hierbei der Kenntnis
und dem Takte des Arztes ein weiter Spielraum im einzelnen
gegeben sei. Selbstverständlich drängt sich jedem Arzte bei der
Lektüre solchen Verdiktes der Einwurf auf die lächelnden Lippen,
dass eine derartige Spezifikation für einen seriösen Menschen
überhaupt untunlich ist, weil sie nichts, denn eine leere Spiegel¬
fechterei einschliesst., De'hft eine spezifizierte Rechnung im Sinne
der hier von dem Oberlandgericht München vorgeschriebenen
würde starker Komik zweifellos nicht entbehren, weil sie, ent¬
hielte sie beispielsweise die Posten — 11 Auskultationen, 14 Ein¬
spritzungen usw. — nicht nur farblos wäre, sondern eine ernste
Nachprüfung auf ihre Ordnungsmässigkeit ganz unmöglich zuliesse.
Das erkennende Gericht fühlt das auch; der Versuch, diesen
Einwurf zu entkräften, muss aber wohl als gänzlich misslungen
charakterisiert werden. Es erklärt nämlich, inwieweit eine solche,
sozusagen „farblose“ Darstellung praktische Bedeutung habe,
erscheine gleichgültig; der Kläger begnüge sich jedenfalls mit
einer solchen und wolle nur wissen, was und wie oft etwas ge¬
schehen ist. Gerade diese Wissenschaft aber, meine ich, kann
ihm ohne ernsthafte Spezifikation, welch letztere darum ohne
Verletzung des Berufsgeheimnisses kaum zu ermöglichen gewesen
sein dürfte, nicht werden. Denn sobald der Kläger wirklich
erfährt, was geschehen ist, dann weiss er wohl auf alle Fälle
auch um die Natur des behandelten Leidens, und zum mindesten
würde es ihm möglich sein, auf Grund solch spezialisierter
Rechnung sich derartige Kenntnis aus dem Munde eines Sach¬
verständigen, d. h. des Arztes, zu holen. Die Aerztewelt wird,
meine ich, aus diesem Grunde mit vollem Rechte gegen das
Ansinnen, ihre Deservitenrechuung spezialisieren zu müssen,
Front machen und verlangen, dass sie sich etwa auf die An¬
gabe der Zahl der Besuche des Patienten oder bei ihm be¬
schränken darf.
Die Kollision der Schweigepflicht des Arztes mit der
ihm angesonnenen Verpflichtung, vor Gericht klagweise seine
Honoraransprüche zu spezialisieren, ist gerade in einem jüngst
vom Reichsgericht abgeurteilten Fall akut geworden und darf
als ein gewichtiger Beitrag der ganzen Frage nach der Berech¬
tigung einer Forderung spezialisierter Liquidation gelten. Der
Fall, in dem schliesslich das Reichsgericht ein „Schuldig“ gegen
den angeklagten Arzt ausspracb, lag folgendermaassen:
Bei einem Arzte A. erscheint ein Herr B. und beauftragt den
Arzt, das erkrankte Mädchen G. auf seine, des Auftraggebers,
Kosten in Behandlung zu nehmen. Der Arzt behandelt denn
auch die Kranke, erhält aber trotz wiederholter Mahnung kein
Geld yon deppB. und*sieht sich deshalb schliesslich veranlasst,
.sjch mit seiner Liquidation -an den Vater des Mädchens C. zu,
wenden. Indessen begegnet er auch vor dieser Instanz mit seiner
Honorarforderung tauben Ohren und übergibt darum endlich die
Sache einem Rechtsanwalt zu gerichtlichem Austrage. Der
Anwalt, der seitens seines Klienten, des Arztes A., von der Natur
der Krankheit der G. unterrichtet worden ist, reicht denn auch
die Klage ein und lässt in ihr die Natur der Infektionskrankheit
der G. durchblicken. Hierauf basiert die von dem Reichsgericht
wegen Verletzung der Schweigepflicht ausgesprochene Verurteilung
des angeklagten Arztes. Bei der Mitteilung des Sachverhaltes an
den Rechtsanwalt ging der Arzt davon aus, dass jener alles ihm
mitgeteilte zur Klage verwerten und in der mündlichen Ver¬
handlung zum Vortrag bringen werde. Es schützt aber, wie das
Reichsgericht ausführt, das Strafgesetzbuch den An vertrauenden
bedingungslos in jeder weiteren Mitteilung seines Privatgeheim¬
nisses an dritte Personen, soweit die Schweigepflicht besteht und
die weitere Mitteilung unbefugt ist. „Ich bin“, macht der Arzt A.
dagegen geltend, „aber befugt gewesen, meinem Rechtsanwalt den
ganzen Sachverhalt mitzuteilen, weil ich nur so auf Zahlung
hoffen durfte.“ Allein das Reichsgericht bestreitet diese Be¬
fugnis. Es erklärt dem Angeklagten, dass ihm die Natur und
der Grund der Infektionskrankheit innerhalb der Ausübung seiner
ärztlichen Tätigkeit bekannt geworden und ihm also kraft seines
Standes oder Gewerbes anvertraut worden sei. Nach dem Grund¬
gedanken des die Schweigepflicht des Arztes statuierenden Straf¬
gesetzbuches sei der Arzt A. daher zur Schweigepflicht gegen¬
über jedermann obligiert gewesen. „Ob diese allgemeine Schweige¬
pflicht ausnahmsweise wegfällt, wenn der Arzt bei ihrer strengen
Einhaltung ausserstande wäre, im Streitfälle seine Ansprüche
auf Gegenleistung wirksam gerichtlich zu verfolgen, bedarf im
vorliegenden Falle keiner Erörterung“, da das Gericht aus¬
drücklich festgestellt bat, dass zur Begründung der Klage die
Offenbarung jenes Geheimnisses weder geboten, noch auch nur
förderlich gewesen sei.
Bei der Lektüre der von mir unter Anführungstrichen ge-
äusserten Worte des Reichsgerichtes gewinnen wir die Ueber-
zeugung, dass unserem obersten Gerichtshof die Befugnis der
Aerzte, vor Gericht ihnen Anvertrautes dann auszuplaudern, wenn
es zur Verfolgung ihrer berechtigten Ansprüche unerlässlich not¬
wendig ist, zum mindesten hochgradig problematisch erscheint
Wenn aber ein Arzt in der Verfolgung seiner ohne jeden Zweifel
unbedingt berechtigten Interessen, nämlich im Kampfe um sein
Honorar, schon von einer Motivierung seiner Ansprüche Abstand
nehmen muss, wie viel weniger kann ihm da zugemutet werden,
seine Liquidation durch Spezifizierung seiner Deservitenrechnung
zu begründen, sobald darin auch nur die Möglichkeit einer Ver¬
letzung des Berufsgeheimnisses erblickt werden kann.
Die letzte hier za behandelnde Frage in Sachen ärztlicher
Honorarforderung gelte dem Hausarzte. Auch über ihn ist sehr
viel geschrieben worden. Leider aber herrscht auch hinsichtlich
seiner an Stelle der notwendigen Einheit der Anschauungen Fehde
unter den einzelnen Literaten. Die meines Wissens znm letzten
Mal erörterten Probleme darüber stammen von Justizrat Korn
und gewähren einen kurzen und doch erschöpfenden Ueberblick
über den hier herrschenden Kampf der Ansichten. Der von
Korn erörterte sog. Hausarztvertrag hat zum Gegenstände die
bekannte nnd beliebte Vereinbarung zwischen Arzt und Patient,
wonach ein Arzt eine bestimmte Zeitdauer lang die Behandlung
der Familie gegen festgesetztes Pauschale übernimmt. Die Arbeits¬
leistung, die der Arzt dabei zu bewältigen hat, dankt er dem
Zufall, d. h. er muss für sein Pauschale alle notwendigen ärzt¬
lichen Behandlungen vornehmen, sei es nun, dass sie, gemessen
an der Höhe des Honorars, reichlich zahlreich oder lächerlich
gering sind. Der Vertrag bindet eben beide Teile an ihre ge¬
troffenen Abmachungen. Natürlich aber gibt es Gründe, die eine
vorzeitige Beendigung dieses Vertragsverhältnisses rechtfertigen.
Korn denkt dabei an den Tod des Patienten und an den not¬
wendigen Wegzug des Arztes oder des Patienten. Im übrigen
gestattet unser Bürgerliches Recht, das hierüber zu dem Arzte
spricht, beiden Teiles Kündigung ihres Vertragsverhältnisses ohne
Einhaltung einer Frist beim Vorliegen wichtiger Gründe. Worin
aber liegt solch wichtiger Grund? Eine ebenfalls zweifelhafte
Frage. Bei der Fixation von Beispielen dahin beantwortet sie
Korn mit der Erklärung, es sei ein wichtiger Grund möglicher¬
weise in verletzender Kritik ärztlicher Leistungen, im Wegznge
des Arztes oder Patienten nach einem entfernten Stadtteil, in der
Unterlassung oder Verspätung von Besuchen zu finden. Liegt er
auch darin, dass ein Hausarzt nicht unaufgefordert regelmässige
Visiten machf, wenn der Hausarztvertrag dies nicht befieht? Koro
verneint das mit Recht unter dem triftigen Hinweis darauf, dass
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19. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
961
ärztliche Leistungen besonders bestellt tu werden pflegen. Ge¬
setzt nun, der Vertragsschliessende Patient ist innerhalb der Ver¬
tragsfrist gestorben und der wichtige Grund zur Vertragslösung
hierdurch gegeben und benutzt worden. Auch dadurch werden
Streitpunkte über die Höhe des Honorars geschaffen, deren Exi¬
stenz ein kurzes Beispiel illustrieren möge. Der Hausarztvertrag
läuft laut Vereinbarung vom 1. Januar bis 31. Dezember. Zu¬
folge des Todesfalles des ihn abschliessenden Familienvaters wird
er aber bereits am 1. Mai gelöst. Als Vergütung hatte der Arzt
für die ganze Jahresdauer 240 M. zu fordern. Wieviel darf er
jetzt nach Lösung des Vertrages für die gehabte Mühewaltung
verlangen? Ist ihm ein dem Jahrespauschale entsprechender Teil
zu zahlen? Oder berechtigt die vorzeitige Lösung zur Aufstellung
einer den gehabten Mühewaltungen angemessenen Berechnung?
Man wird diese Frage, überdenkt man die Intentionen der Parteien
beim Abschluss des Vertrages, im letztgedachten Sinne beant¬
worten. Denn als der Arzt den Vertrag abschloss, bat er sich
bei der Fixation seines Honorars ohne jeden Zweifel von der
Rücksicht auf die Länge der Vertragsdauer leiten lassen und
seine Liquidation also im Hinblick auf Voraussetzungen angesetzt,
die in der Tat nicht eingetroffen sind. So schliessen wir mithin,
dass der bei Auslegung von Verträgen dominierende Wille der Ver¬
tragsschliessenden nicht darauf gerichtet gewesen ist, bei unvor¬
hergesehener vorzeitiger Lösung des Vertragsverhältnisses die
Vergütung ebenfalls pauschaler zu liquidieren und zu zahlen 1 ).
Sämtliche Literatur zitiert bei Staudinger, 5. u. 6. Aufl., Recht
der Schuldverhältnisse, 2. Teil, S. 1069—71.
Adolf Baginsky zum 70. Geburtstage.
Am 22. Mai feiert AdolfBaginsky, der Mitbegründer der deutschen
Kinderheilkunde, seinen 70. Geburtstag. Seine straffe, aufgereckte Ge¬
stalt, sein durchgearbeiteter, bedeutender Kopf verraten freilich nichts
davon. Der lebhafte Anteil, den er hörend, redend, schreibend allen
Fragen seiner Fachwissenschaft entgegenbringt, lässt den Gedanken an
Greisentum nicht aufkommen. Und doch, wenn einer, so hätte Adolf
Baginsky das Recht, müde zu sein. Wir glücklichen Nachfahren,
denen vortrefflich eingerichtete Kinderkliniken zu fachmännischer Aus¬
bildung offen stehen, können uns nur schwer vorstellen, mit welchen
Mühen und Opfern die Gründer unserer Wissenschaft ihre Kenntnis vom
gesunden und kranken Kinde erworben und vertieft haben. Als der
junge Arzt Baginsky die Früchte seiner gut angewandten Studienzeit
als Landdoktor und später in Nordhausen ernten wollte, erkannte er
sehr bald, dass ihn die Berliner Universität, wie ausgezeichnet ihre
Lehrer auch waren, auf die Krankheiten des Säuglings- und Kindesalters
nur höchst dürftig vorbereitet hatte; entsprechend der Gleichgültigkeit,
mit der die Forschung damals das jüngste Lebensalter betrachtete.
Gerade solch Brachland zu bebauen, musste den Forscherdrang und
den Arbeitstrieb Baginsky’s reizen. Er kehrte nach Berlin zurück
und eröffnete im kinderreichen Norden Privatpraxis und Ambulatorium.
Gleichzeitig studierte er, mit erstaunlicher Arbeitskraft gesegnet, patho¬
logische Anatomie, physiologische Chemie und Bakteriologie; mit so
gutem Rüstzeug versehen, untersuchte er in zahlreichen Arbeiten Physio¬
logie und Pathologie des Kindesalters. Die Ergebnisse seiner Forschung
legte er grossenteils in dem von ihm mitbegründeten und noch heute
von ihm herausgegebenen Archiv für Kinderheilkunde sowie in seinem
in zahlreichen Auflagen verbreiteten Lehrbuch der Kinderheilkunde
nieder.
Stets bestrebt, nach dem Goethewort alle seine „ Eigenschaften zu
kultivieren“, liess er neben seinem Forscherdrang auch sein hervor¬
ragendes Organisationstalent nioht unbefriedigt. In zahlreichen Arbeiten
machte er sorgfältig durchdachte Vorschläge zum Ausbau der Kinder¬
fürsorge, in einer Zeit, wo die soziale Hygiene noch so gar nicht modern
war und dem Kinderschutz noch nioht wie heute ein „augustisch Alter
blühte“. Sein Lehrbuch der Schulhygiene legt Zeugnis ab von dem
weiten sozialärztlichen Gesichtskreis Baginsky’s.
Aber als Mann der Tat liess er es nicht bei Vorschlägen bewenden.
Schon die Seehospize beispielsweise fanden an ihm einen energischen
Förderer. Vor allem aber ist seiner nie erlahmenden Tatkraft die aus
Mitteln der privaten Wohltätigkeit erfolgte Errichtung des ersten grossen
modernen Kinderkrankenhauses im Jahr« 1890 zu verdanken,
des Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhauses,
wie es getauft wurde im Hinblick auf den warmen und tätigen Anteil,
den die Kaiserin Friedrich dem Plane Baginsky’s entgegenbrachte.
Die Errichtung dieses Kinderkrankenhauses ist in Wahrheit eine vorbild¬
liche soziale Grosstat zu nennen, besonders wenn man sich vor Augen
führt, wie dürftig damals die Gelegenheit war, kranke Kinder anstaltlich
zu versorgen. Ungezählte Scharen siecher Kinder fanden in den hellen.
,, 1) Mittlerweile ist diese Auffa^pg von anderer Seite freilich wieder
bestritten worden. ( (
luftigen Räumen ihre Gesundheit wieder. Dass Bau und Einrichtung
mustergültig waren, ist selbstverständlich. Ueberall zeigt sich, mit
welchem Weitblick Baginsky den Betrieb dieser Anstalt einriohtete.
Um nur einige charakteristische Dinge zu erwähnen: Von Anfang an
hatte sich das Krankenhaus der sachverständigen Mitarbeit eines be¬
soldeten Chemikers zu erfreuen, eine Maassnah me, deren Zweckdienlich¬
keit andere Anstalten erst viele Jahre später erkannt haben. Die An¬
gliederung einer vollwertigen chirurgischen Station, unter Gluck’s Leitung,
erweist sich als gleich nützlich für die Behandlung der Kranken wie für
die Ausbildung der Assistenten. Dann sei erinnert an die Pflegerinnen¬
schule, die Baginsky in der Einsioht ins Leben rief, dass die Säug¬
lings- und Kinderpflege eine besondere Schulung erfordere. Als die
Stadt im Jahre 1900 das Krankenhaus übernahm, schlug dieser in voller
Blüte stehenden Schule leider die Sterbestunde. Heute bildet die Aus¬
bildung von Säuglings- und Kinderpflegerinnen eine Hauptforderung der
modernen Fürsorgebewegung. Die Musteranstalt wurde die Pflanzstätte
einer stattlichen Schar von Aerzten, die ihr dort erworbenes Wissen in
alle Teile Deuschlands und des Auslands trugen. Baginsky selbst
reifte in klinischer Beobachtung und emsiger Bearbeitung des gewaltigen
Krankenmaterials zu dem grossen Arzt, als den ihn seine Schüler und
seine Klienten schätzen. Hier wurden die Grundzüge für die Anwendung
des Behring’schen Diphtherieheilserums aufgestellt, hier wurde und
wird manch neues Diaeteticum für das Säuglingsalter sorgsam und ob¬
jektiv geprüft. Allerdings fühlt sich Baginsky stark verantwortlich
für das Wohl seiner Schutzbefohlenen, und das „nil nocere“ ist ihm
oberstes Gesetz. Auch ist ihm eine gesunde therapeutische Skepsis
eigen, wie sie bei einem kritischen Beobachter nicht verwunderlich ist,
der TzeptnXofiev&v ivtaurätv so viel unfehlbare Heilmittel und Heilwege
hat sang- und klanglos in den Orkus sinken sehen.
Dies Krankenhaus mag Baginsky wohl als die Krone seines Lebens¬
werkes betrachten, und so ist es ihm eine tiefe Freude, dass die Stadt
jetzt das Haus in stattlicher Weise ausbaut.
So kann Adolf Baginsky heute mit freudigem Stolz auf den
zurückgelegten Weg blicken. Gesundheit, Arbeitskraft und Arbeitsfreude
sind ihm bis heute treu geblieben. Wie wir jungen Assistenten gar
manches Mal, wenn wir in mitternächtiger Stunde die Potsdamer Strasse
durchschritten, seine Studierlampe durch die Nacht schimmern sahen, so
arbeitet auch heute noch bis in die tiefe Nacht hinein der von seiner
Lebensaufgabe ganz erfüllte und hingenommene Mann.
Dieser mit scharfem, eindringendem Verstände, mit unbeirrbarem
Weitblick gepaarte Fleiss hat ihn gipfelwärts den Weg geführt, den ihm
niemand geebnet hat. Er ist ihn gegangen immer sich selber treu, ohne
seine Ueberzeugung je umzubiegen oder auch nur zu verbergen.
Dem verehrten Lehrer, dem ausgezeichneten Arzt und Forscher,
dem aufrechten Manne sei unser herzlichster Glückwunsch dargebracht!
Tugendreich-Berlin.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Hufelandischen Gesellschaft vom
8. Mai (Vorsitzender: Herr Strauss) demonstrierte Herr Siegheim einen
Fall von Lues heriditaria tarda, Herr Finkeistein einen Fall vonBronchial-
drüsentuberkulose. (Diskussion: Die Herren Buttermilch, P.Frankel,
Pollnow, Strauss.) Herr Sohmieden berichtete über einen Fall von
Zerreissung der Vena cava inferior. (Diskussion: Herr W. Israel.)
Herr Strauss demonstrierte einen Fall von aplastischer Anämie nach
Magenblutung und besprach zwei Fälle von chronisch-acholurischen
Icterus. (Diskussion: Herr Ewald.) Herr Gottsohalk fasste seine
Erfahrungen betreffs der Abderhalden’schen Schwangerschaftsreaktion
zusammen. (Diskussion: Herr Erler, Ublmann.) Herr Krön stellte
einen eigenartigen Fall von Dystrophia musculorum progressiva an.
(Diskussion: Die Herren Ewald, W. Alexander.)
— In der Sitzung der Berliner orthopädischen Gesell¬
schaft am 5. Mai (Vorsitzender: Herr Joaohimsthal) sprach Herr
Schuster über die Differentialdiagnose der Fingerkontrakturen. (Dis¬
kussion: Herren Kölliker - Leipzig, Joachimsthal, Schuster.) Herr
Peltesohn und Herr Joachimsthal sprachen über seltene Thorax¬
anomalien (Diskussion: Herren Hel bürg und Böhm), Herr Oppen¬
heim über Röntgenbehandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose.
— Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin. Der
Kursus über soziale Medizin beginnt bereits am 80. Juni und dauert bis
11. Juli. Auskunft erteilt das Sekretariat der Akademie Moorenstrasse.
— Die Fortschritte in der ärztlichen und sozialen Ver¬
sorgung des gesunden und kranken Säuglings umfasst ein vom
Gentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen in Ver¬
bindung mit dem Seminar für soziale Medizin veranstalteter Zyklus
von Kursen und Vorträgen, der im Kaiserin Auguste Viktoria-
Hause in Berlin vom 2. bis 11. Juni d. J. stattfindet. Bei dem Zyklus
wirken als Dozenten mit: Prof. Dr. Langstein, Direktor des Kaiserin
Auguste Viktoria-Hauses, in Verbindung mit dem Oberarzt Dr. Bahrdt
(Säuglingsklinik), Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Franz und Prof. Dr. Lang¬
stein (Das Stillen, einschliesslich Am men wesen), Privatdozent Dr. Arndt
(Hautleiden), Dr. A. Peyser (Hals-, Nasen-, Ohrenleideo), Prof.
Dr, Krückmann (Augenleiden), Prof. Dr. Fintel st ein‘(Die Beziehungen
der 1 KoBBfttotionsanomalien im Sä&glingsaltef zu den 1 Erkrankungen
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952
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
einzelner Organe), Stabsarzt Dr. Hörne mann (Milchhygiene), Dr. Edel¬
stein (Milchchemie), Prof. Dr. Langstein, Dr. Bahrdt und
Dr. Thomas (Diätetik und Milchkücbenwesen), Dr. Rott (Was soll man
Mädchen und Mütter in der Säuglingspflege lehren, und wie verhilft man
ihnen zum Mindestmaass der erforderlichen Kenntnisse?), Dr. Bahrdt
(Praktische Uebungen in der Säuglingspflege und ärztlichen Technik),
Dr. Rott (Die Unterweisung des Hilfspersonals in der Säuglingspflege),
Stabsarzt Dr. Hornemann (Stallhygiene der Milchtiere), Stadtrat San.-
Rat Dr. Gottstein (Zusammenhang der Säuglingsfürsorge mit der all¬
gemeinen Wohlfahrtspflege), Dr. Rott Wie kann man Säuglingsfürsorge,
einschliesslich Milchwesen, organisieren?), Prof. Dr. Langstein (Die
Besonderheiten des Säuglingsalters). Ausserdem werden Vorträge in
Verbindung mit Besichtigungen der für die Kursteilnehmer sehens¬
werten Institute gehalten von: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Baginsky
(Tuberkulose im Säuglingsalter — Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinder¬
krankenhaus), Prof. Dr. Bendix (Sommersterblichkeit — Säuglingsklinik,
Charlottenburg), Dr. Lissauer (Ueber Mütterheime — Mütterheim
Westend), Abhaltung einer Sprechstunde (Säuglingsfürsorgestellen Berlin),
Privatdozent Dr. L. F. Meyer (Lues congenita — Kinderasyl, Schmidt-
Gallisch-Stiftung), Dr. Rott (Krippenwesen — Krippe Kyffhäuserstrasse),
Dr. Japha, Dr. Oberwarth und Dr. Orgler (Demonstration poli¬
klinischer Fälle —-Kinderhaus Blumenstrasse), Dr. Rott (Berufsvor¬
mundschaft und Säuglingsfürsorge — Kaiserin Friedrich-Haus für das
ärztliche Fortbildungswesen), Prof.Dr.Erich Müller (AkuteInfektionen
im Säuglibgsalter — Waisenhaus in Rummelsburg). — Die Teilnahme
an dem Zyklus ist nur Aerzten gestattet und unentgeltlich (gegen Er¬
stattung einer Einschreibegebühr von 5 M. für den ganzen Zyklus).
Meldungen vom 15. Mai an im Bureau des Kaiserin Friedrich-Hauses für
das ärztliche Fortbildungswesen, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2—4.
— Den Glückwünschen, die aus der Feder eines seiner Schüler
unserem verehrten Mitarbeiter, Prof. Adolf Baginsky, in dem Artikel
auf S. 951 dieser Wochenschrift zu seinem 70. Geburtstage dargebracht
werden, schliesst sich die Redaktion dieser Wochenschrift aus vollem
Herzen an!
— Die italienische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie
hat Herrn Prof. Dührssen zum Ehrenmitglied, Herrn Prof. P. Strass-
xhann zum korrespondierenden Mitgliede ernannt.
— Häufig schon wurden Klagen darüber laut, dass es „nicht¬
offiziellen“ Forschern schwer falle, einen Platz für ihre Arbeiten zu
finden; denn mit einem nach Studentenart zu belegenden Arbeitsplatz
ist natürlich einem selbständigen Forscher nicht viel geholfen. Als die
Gründung der Kaiser Wilhelms-Gesellschaft bekannt wurde, hofften wohl
manche, dass in ihren Forschungsinstituten auch solchen freien Forschern
ein Unterkommen gewährt werden würde. Ob dies möglich ist und in
Zukunft geschehen wird, bleibt abzuwarten. Auf einem anderen Wege
sucht ein Vorschlag Waldeyer’s die Aufgabe zu lösen, indem er im
Herrenhaus die Schaffung eines Privatdozentenhauses anregte. Damit
wäre schon viel gewonnen, aber keineswegs genug; denn wissenschaft¬
liche Arbeit ist heute nicht mehr ein Reservat der Dozenten, und gerade
die Nicht-Habilitierten leiden besonders unter dem erwähnten Mangel.
Also man folge nur Waldeyer’s Vorschlag, lasse aber dabei seine
Konsequenzen nicht aus dem Auge und schaffe freie Forschungsinstitute.
— Der „Verband der Tierschutzvereine“ hat sich an die Vertreter
der ärztlichen Forschung gewandt, um sich von ihnen sagen zu lassen,
„innerhalb welcher Grenzen der wissenschaftliche Versuch am lebenden
Tier als unentbehrlich anzusehen ist“. Zu diesem Zwecke schrieb er
unter dem eben citierten Thema eine Preisaufgabe aus, welche von den
Herren Rieh. Lehmann in Freiburg i. Schl, und Werner Fischer-
Defoy in Quedlinburg erfolgreich gelöst wurde. Man muss anerkennen,
dass die Tierschutzvereine damit den richtigen Weg beschritten haben,
und darf einem solchen verständigen, von den sonstigen maasslosen
Angriffen wohltuend sich abhebenden Vorgehen gegenüber gerne und
offen zugestehen, dass eine Schärfung des Gewissens bei manchen Ex¬
perimentatoren durchaus nicht unangebracht erscheint. Deshalb ist der
kleinen Broschüre (Kommissionsverlag von Franz Wagner-Leipzig), die
die beiden Preisausschreiben enthält, auch die weiteste Verbreitung zu
wünschen, und zwar sowohl in den Kreisen der Forscher, wie in dem
Lager der „Antivivisektionisten“.
— Die „Deutsche Gesellschaft für Kaufmannserholungs¬
heime E. V.“ hat kürzlich in Wiesbaden ihr erstes Heim eröffnet.
Dabei hielten der Handelsminister Dr. Sydow und Sanitätsrat Sonnen¬
berger-Worms Ansprachen.
— In Nr. 19 dieser Wochenschrift erwähnten wir unter Hinweis auf das
im Ministerialblatt veröffentlichte Resultat des Impfgeschäfts im
Jahre 1912, dass der nächste deutsche Aerztetag sich mit der Impffrage
befassen wolle, um gegen die immer bedrohlicher werdenden Angriffe
gegen das deutsche Impfgesetz Stellung zu nehmen. Mit Rücksicht auf
die Tatsache, dass die Gegner des Impfzwanges besonders in den
Reihen der Sozialdemokratie zu fioden sind, ist von Interesse, dass in
Nr. 9 der Sozialistischen Monatshefte Herr Kollege Chajes lebhaft für
das Impfgesetz eintritt, wie er unseres Wissens auch schon früher
einmal getan.
— Die bekannte Streitfrage, ob unsere ärztlichen Lokalvereine,
die mit den Krankenkassen verhandeln sollten, als wirtschaftliche Ver¬
eine anzusehen sind und demnach die Eintragung ins Vereinsregister
nicht beanspruchen können, wurde jetzt für den Bereieh des preussischen
Kammergerichts im Sinne des Ministers des Innern entschieden.
— Die soeben erschienene erste Abteilung des Jahresberichts über
die Leistungen und Fortschritte in der gesamten Medizin
(Virchow’s Jahresbericht, jetzt herausgegeben von Waldeyer und
Posner) weist eine wichtige Neuerung insofern auf, als den bisherigen
Kapiteln: Descriptive Anatomie, Histologie und Entwicklungsgeschichte,
die von Prof. Sobotta-Würzburg bearbeitet sind, ein neuer Abschnitt:
Physische Anthropologie voraufgeschickt ist — die Anregung
hierzu hat Herr Geheimrat Waldeyer gegeben, die Bearbeitung über¬
nahm Prof. Paul Bartels - Königsberg. An Stelle der Herren Prof. Wohl-
gemuth und Loewy hat Herr Dr. Bornstein - Hamburg die physio¬
logische und pathologische Chemie übernommen — der Abschnitt Physio¬
logie verblieb in den Händen von Prof. R. du Bois-Reyraond. Auch
sonst zeigt das Mitarbeiterverzeichnis einige bemerkenswerte Aende-
rungen: Prof. Oestreich - Berlin übernahm die allgemeine Pathologie
— als Nachfolger Pagel’s Herr Prof. Sudhoff - Leipzig die Geschichte
der Medizin. Prof. Siemerling - Kiel berichtet jetzt über den grössten
Teil der Erkrankungen des Nervensystems, Dozent Dr. v. Jagic-Wien
über Krankheiten des Circulationsapparats, Privatdozent Dr. Franke-
Heidelberg über allgemeine Chirurgie; Geheimrat Schwabach - Berlin
über Ohrenkrankheiten; Prof. Asch - Strassburg über Krankheiten des
Harnapparats.
Hochschulnachrichten.
Würzburg. Prof. Boveri hat den Ruf als Direktor des Instituts
für experimentelle Biologie der Kaiser Wilhelms-Gesellschaft in Dahlem
abgelehnt. — Wien. Nachdem der Wunsch, F. Kraus oder L. Krebl
an Stelle v. No Orden’s zu erhalten, sich aussichtslos erwiesen, ist
nunmehr A. Schmid- Halle dafür in Aussicht genommen worden. —
Bern. Habilitiert: Dr. Landau für Anatomie. — Lemberg. Professor
Gluzinski wurde zum Hofrat ernannt.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 4. Kl.: San.-Rat Dr.
A. Scheele in Schwelm.
Königl. Kronen-Orden 8. Kl.: ordentl. Professor, Geh. Med.-Rat Dr.
A. Heffter in Berlin, Marineoberstabsärzte a. D. W. Riegel, bisher
vom Sanitätsamt der Mnrinestation der Ostsee, und Dr. R. Evers,
bisher von der Marinestation der Nordsee.
In den Ruhestand getreten: Kreisarzt, Med.-Rat Dr. Altendorf
in Prüm.
Niederlassungen: Dr. H. Machwitz in Charlottenburg, Dr. H.
Putzig in Berlin, Arzt M. Bache in Halberstadt, Dr. P. Ritter in
Jerichow, Arzt H. Schink in Erxleben, Dr. C. Schneider in Glad-
beck-Brauck.
Verzogen: Dr. J. Wittemann von Heidelberg nach M.-Gladbach,
Arzt G. Haas von Würzburg nach Hamborn, Dr. A. Bittner
von Giessen nach Mülheim (Ruhr), Dr. W. Theopol d von
Duisburg-Meiderich nach Lemgo (Lippe), San.-Rat Dr. H. Hacken¬
berg von Remscheid nach Düsseldorf, Geh. San.-Rat Dr. F. Wolff
von Berlin-Wilmersdorf, Dr. M. R. Bonsmann von Marburg und
Dr. J. Fauth von Strassburg i. E. nach Cöln, Dr. A. Schneider
von Wiesbaden und Dr. K. Koch von Barmen nach Bonn, Dr. E.
Fränkel von Bonn nach Heidelberg, Dr. H. Baumeister von Cöln
nach Bedburg (Kr. Bergheim). Dr. F. Appel von Schöneberg (Kreis
Marien bürg, Westpr.) nach Spantekow, Dr. H. Appel von Spantekow
nach Anklam, Dr. J. Hering von Clettwitz nach Stettin, Dr. P.
Michaelis von Eggesin nach Chemnitz, Dr. G. Brinck von Wasser¬
leben nach Eggesin, Arzt F. Borchert von Degow nach Afrika, Dr.
F. Büscher von Strelitz nach D*gow, Dr. G. Buchsteiner von
Pennekow nach Stolpmünde, Dr. H. Wittenberg von Gadderbaum
nach Neinstedt b. Thale, Arzt J. Bering von Gescher nach Münster,
Dr. E. Lohmann von Borgentreich nach Arnsberg, Dr. F. Joelsohn
von Bonn, Arzt A. Machatius von Apenburg (Kr. Salzwedel), Dr.
K. Meyer von Birken werder, Dr. G. Reim an n von Nürnberg, Arzt
R. Pott von Wilhelmsruh, Aerztin Dr. E. Troschel geb. Schulz
von Mainz, Dr. H. Duesberg von Mülheim a. Rh., Dr. V. Schauss
von Erfurt, Dr. E. Kobligk von Dortmund, Dr. H. Beumer von
Düsseldorf und Dr. F. Wagner von Oberaching nach Berlin, Arzt
W. Glaser von Tempelhof, Arzt J. Geiger von München, Arzt R.
v. Hippel von Berlin-Lichterfelde, Dr. H. Jordan von Mannheim,
Arzt J. Ohlmann von Frankfurt a. M., Dr. F. Prinzing von Ulm
nach Charlottenburg.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Aerztin E.
Dinckelacker, Dr. E. Aronbeim, Dr. B. Goldmann, Dr. K.
Heuser und Dr. F. Tbeilhaber von Berlin, Dr. W. Mirauer von
Charlottenburg, Dr. A. Blitz von Bad Oeynhausen.
Gestorben: Kreisarzt, Geh. Med.-Rat Dr. Lehmann in Hameln, Dr. F.
Löwenstamm in Charlottenburg, San.-Rat Dr. A. Hamann in
Jerichow, Arzt R. Uterwedde in Erxleben, Dr. K. Redecker in
Koblenz.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hane Kohn, Berlin W„ Bayrenther Strasse 43.
Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin* — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
BERLINER
Die Berliner Kliniache Wochenschrift erscheint Jeden
Montag in Nummern von ca. 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Mark. Bestellungen nehmen
alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
Alle Einsendungen für die Redaktion und Expedition
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posncr und Dp. Hans Kohn.
Expedition:
August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 26. Mai 1913. JV2 21.
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Originalen: Gluck: Erfahrungen auf dem Gebiete der Chirurgie der
oberen Luft- und Speisewege. S. 953.
Faber: Anämische Zustände bei der chronischen Achylia gastrica.
(Aus der medizinischen Universitätsklinik in Kopenhagen.) (Illustr.)
S. 958.
Döllken: Ueber Heilung tabischer Erscheinungen durch Arsen und
durch Bakterienpräparate. (Illustr.) S. 962.
Obermiller: Ueber Arsenlähmungen. (Aus der Klinik für syphi¬
litische und Hautkrankheiten der Universität zu Strassburg i. E.)
S. 966.
Adler: Zur Adrenalinbestimmung im Blut. (Aus dem patho¬
logischen Institut des Auguste Viktoria-Krankenhauses zu Berlin-
Scböneberg.) S. 969.
Vorkastner: Psychiatrie und Presse. (Aus der Königl. psychiatri¬
schen und Nervenklinik zu Greifswald.) S. 971.
Bücherbesprechnngen: Faber: Die Arteriosklerose, ihre pathologische
Anatomie, ihre Pathogenese und Aetiologie. S. 976. de Terra:
Vademecum anatomicum. S. 976. (Ref. Pinner.) — Axenfeld:
Lehrbuch der Augenheilkunde. S. 976. (Ref. v. Sicherer.) —
Brauer: Der Tuberkulosefortbildungskurs des Allgemeinen Kranken¬
hauses Hamburg-Eppendorf. S. 976. (Ref. Samson.) — Mathes:
Der Infantilismus, die Asthenie und deren Beziehungen zum Nerven¬
system. S. 976. (Ref. Münzer.) — Morawitz: Ueber Vorgänge der
Selbstvergiftung und Entgiftung im Organismus. S.977. (Ref. Jacoby.)
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 977. — Pharmakologie. S. 978. —
Therapie. S.- 978. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 979. — Parasitenkunde und Serologie. S. 979. —
Innere Medizin. S. 980. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Erfahrungen auf dem Gebiete der Chirurgie der
oberen Luft- und Speisewege. 1 )
Von
Prof. Dr. Gluck.
M. H.! Seit Jahrzehnten habe ich wiederholt und ausführ¬
lich unter anderem neuerdings in einer Monographie im Verein
mit meinem Mitarbeiter und Kollegen Herrn Dr. Johannes
Sörensen unsere Methoden und Rosultate auf dem Gebiete der
Chirurgie der oberen Luft- und Speisewege erörtert. Dem
Resümee, welches ich heute über unsere Erfahrungen, einer an
mich ergangenen Aufforderung Ihres geschätzten Vorstandes gern
entsprechend, zn geben beabsichtige, darf ich eine kurze historische
Reminiszenz vorausschicken.
Als ich im Jahre 1877 den russisch-türkischen Krieg als rumänischer
Arzt mitmachte, brachte ich bei einem Verwundetentransport von der
Donau unter anderen einen Soldaten nach Bukarest, der vor Plewna
eine schwere Schussverletzung des Halses und speziell der Kehlkopf¬
region erlitten hatte, mit consecutiver Hautgangrän und jauchender
Phlegmone und Nekrosen- und Fistelbildung am Kehlkopf und der Speise¬
röhre. Die tiefen buchtigen Wundhöhlen reinigten sich nach Abstossung
volumöser fötider Gewebssequester. Aber trotz aller unserer Bemühungen
erlag Patient einer septischen Fremdkörperpneumonie. Die genaue Be¬
obachtung dieses Falles legte mir damals, also vor 36 Jahren, die Idee
der prophylaktischen Resektion der Trachea nahe. Ein hervorragender
russischer Kriegschirurg, dem ich davon sprach, sagte mir damals: ein
so phantastischer Gedanke könne nur in dem durch die schrecklichen
1) Vortrag (mit Demonstration von Patienten), gehalten in der Sitzung
der Laryngologischen Gesellschaft zu Berlin am 14. Februar 1913.
ALT.
S. 981. — Kinderheilkunde. S. 982. — Chirurgie. S. 982. —
Röntgenologie. S. 983. — Urologie. S. 985. — Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. S. 985. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 985. —
Augenheilkunde. S. 986. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
S. 987. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 987. — Technik. S. 987.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft, v. Hansemann: Demonstration von Präparaten
des Herrn Fibiger zur künstlichen Erzeugung von Krebs. S. 988.
Katzenstein: Heilung einer fast völligen Armlähmung durch
Plexuspfropfung von der anderen Seite her. S. 989. Go nt er¬
mann: Demonstration von Kalkablagerungen unter die Haut.
S. 989. Bumm: Ueber die Erfolge der Röntgen- und Mesothorium¬
behandlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien. S. 989. —
Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie.
S. 989. — Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. S. 992. —
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für
vaterländische Kultur zu Breslau. S. 992. — Aerztlicher
Verein zu Hamburg. S. 993. — Aerztlicher Verein zu
Essen-Ruhr. S. 994. — Nürnberger medizinische Gesell¬
schaft und Poliklinik. S. 994. — K. k. Gesellschaft der
Aerzte zu Wien. S. 995. — Verein deutscher Aerzte zu
Prag. S. 995.
II. Tagung der Vereinigung sächsischer Chirurgen. S. 995.
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Fort¬
setzung.) S. 997.
Armit: Londoner Brief. S. 998.
Aerztekurse in Wien. S. 999. — Vindobonensis: Pro domo. S. 999.
Tagesgeschichtl. Notizen. S. 1000. — Amtl. Mitteilungen. S. 1000.
Eindrücke überreizten Gehirne eines ganz jungen Arztes auftauchen.
Als mir im Jahre 1879 Exzellenz v. Langenbeck die Aufgabe erteilte,
nach einem Verfahren zu forschen, um die letale Schluckpneumonie nach
chirurgischen Eingriffen, speziell nach der Kehlkopfexstirpation zu ver¬
hüten, kam ich auf diese Idee zurück und begann meine Tierexperi¬
mente und Leichenversuche über Resektion und Naht der Luftröhre und
über das Tracheostoma circulare. Die Hauptthese, welche wir damals
aufstellten, lautete: „Bei Exstirpation des Larynx oder, allgemeiner aus¬
gedrückt, bei all denjenigen Operationen, welche bisher durch Fremd¬
körperpneumonie so ungemein häufig den Tod herbeiführten, bietet die
prophylaktische Resektion der Trachea und das Einnähen des Tracheal-
stumpfes circulär in eine Hautboutoniere eine absolute Garantie gegen
die Entwicklung der septischen Aspirationspneumonie.“ Es ist nun nicht
uninteressant, zu konstatieren, dass diese Idee weit über 3 Jahrzehnte
gebraucht hat, um sich in der praktischen Chirurgie das Bürgerrecht
zu erwerben. Ich freue mich, dass gerade Mitglieder dieser Gesellschaft
und speziell auch Herr Prof. Killian sich veranlasst gesehen haben, unsere
Methode der Laryngektomie zu adoptieren und mit Erfolg davon Gebrauch
zu machen. Ihnen allen ist ja bekannt, dass die Resultate unserer
Versuche den Kern und Angelpunkt bilden, um den sich unsere erzielten
Erfolge auf diesem Gebiete gruppieren, und dass diese Experimente
einem Fermente gleich befruchtend auf die Entwicklung rationeller Modi¬
fikationen sowohl in der Technik und Nachbehandlung, als auch in den
funktionellen Endergebnissen dieser Operation gewirkt haben.
Die erste Gruppe von Operationen, welche die Gefahr einer
Aspirationspneumonie in sich bergen, betrifft Eingriffe, welche
oberhalb des Larynxeinganges und seines Reflexapparates sich
abspielen, also beispielsweise Oberkiefer, Nasenrachenraum, Zunge
und Mundboden betreffen. Hierbei sind Operationen im steilen
Sitze oder am hängenden Kopfe in Halbnarkose mit Kuhn’scher
Tubage, temporäre Wundkompression, temporäre elastische Ligatur
der Carotis communis, exakte Tamponade, Umstechungsnähte, die
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Original from
UNIVERSITY OF IOWA
954
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
das Gewebe successive umschnüren und abnähen, bevor zwischen
den Umstechungsligaturen und Suturen dasselbe weit im Gesandeo
durchschnitten wird, rationelle und sichere Hilfsmittel während
der Operation. Nach derselben Lungengymnastik, kräftiges Ab¬
husten und spirituöse Abreibungen des Brustkorbes neben Spülungen
der Mundhöhle mit dem Irrigator und peinlicher Sorgfalt in der
Nachbehandlung. Werden diese Gesichtspunkte exakt befolgt, so
bedarf es keiner prophylaktischen Tracheotomie mehr für die
überwiegende Mehrzahl dieser Fälle, dieselbe ist vielmehr als
eine nachteilige Komplikation, ja sogar als eine eventuelle Gefahr
zu erachteo. Ich kann Ihnen über Oberkieferresektionen, Ope¬
rationen von Tonsillar-Sarkomen und -Carcinomen, von Carci-
nomen der Zunge und des Mundbodens berichten, welche, nach
diesen Prinzipien operiert, tadellos verliefen, und zwar in grossen
Reihen von Fällen. Auch wenn es bei sehr umfangreichen Pro¬
zessen nötig wurde, den Unterkiefer iu der Medianlinie zu re¬
sezieren und den Mundboden zu spalten, um sich einen bequemen
Zugang zum Krankheitsgebiete zu bahnen; die einzige Hilfs¬
operation, nebenbei gesagt, die wir hierbei anerkennen, abgesehen
natürlich von der Ligatur der Arteriae linguales bei Zungen-
turaoren und der Ligatur der Arteria carotis externa oder tempo¬
rären elastischen Abklemmungen der Carotis communis bei Ton-
sillargeschWülsten oder Oberkiefertumoren von besonderem Umfange
oder besonderem Blutreichtum. Diese Ligaturen werden übrigens
in einer anatomischen Region ausgeführt, welche an sich in einem
ersten Operationsakte freigelegt werden muss, weil eine peinlich
exakte Exstirpation der regionären Lymphdrüsen jedem dieser
Eingriffe vorauszugehen bat. Diese Wunde wird dann genäht,
drainiert und verbunden, bevor man zur Operation des primären
Krankheitsherdes schreiten darf. Auch die krankhaften Zustände,
welche eine Pharyngotomie zu ihrer radikalen Entfernung er¬
heischen, bieten im allgemeinen bei richtiger Technik und
Lagerung und bei Vermeiden der Verletzung der Nervi laryngei
superiores keine Gefahr der Bronchopneumonie ab ingestis. Es
wird Sie interessieren, dass der Fall von enormen Tonsillar-
carcinomen, welchen Herr Kollege Busch in der vergangenen
Sitzung hier demonstriert hat, von uns vor B 1 /* Wochen mit Re¬
sektion des Unterkiefers in der Mittellinie nnd Drüsenexstirpation
radikal operiert ist und einen glatten und tadellosen Wundverlauf
genommen hat. Der Patient ist jetzt als geheilt zu betrachten.
Die Gefahr der Aspirationspneumonie sowohl während der
Operation, als auch nach derselben, wird zu einer drohenden und
gravierenden bei denjenigen grossen Eingriffen, welche den Kehl¬
kopf selbst betreffen, oder mit und neben ihm den Rachen und
die Speiseröhre. Die Aspirationspneumonie dezimierte diese
Operierten bis zu 56 pCt. in den ersten Tagen oder Wochen nach
dem Eingriffe, trotzdem die Technik schon eine recht zweck¬
mässige war und trotz der Tamponkanülen von Trendelenburg,
Hahn und Michael, welche, so sinnreich sie an sich sind, den
prinzipiellen Fehler an sich tragen, dass sie Teile, die konser¬
viert und geschont werden sollten, Dämlich die Luftröhre, auf
das Intensivste reizten und schädigten, ohne den Zweck einer
aseptischen Tamponade der Trachea in einwandfreier Weise
garantieren zu können. Hier war das Gebiet, wo die prophy¬
laktische Resektion der Luftröhre und die Bildung des Tracheo¬
stoma circulare für alle Totalexstirpationen des Kehlkopfes, und
zwar sowohl für die einfachen, wie für die mit Resektion oder
Exstirpation des Rachens oder des Halsteiles der Speiseröhre,
maliguen Strumen oder ausgedehnten Zungengeschwülsten so
segensreich wirken sollten, während für die Hemilaryngektomie
die cutane Laryngoplastik, kombiniert mit Jodoformschürzen¬
tamponade nach unseren Erfahrungen analoge Garantien bietet.
Diese plastischen Operationen habe ich seit dem Jahre 1897
geübt, denselben eiue grosse Zukunft vindiziert und sie im
Jahre 1899 in einer Arbeit über Kehlkopfchirurgie und Laryngo¬
plastik beschrieben, speziell auch für endonasale Operationen.
Durch die implantierten gestielten Hautlappen wird eine dauernde
Erhaltung des momentan erzielten Operationsresultates garantiert.
Es ist das eine prinzipielle Tatsache, welche eine Generalisierung
für viele einer Operation zugänglichen stenosierenden und obli¬
terierenden Prozesse verdient Wir befinden uns, wie ich glaube,
in der ersten Phase einer sehr entwicklungsfähigen Methode, das
waren meine damaligen Worte. In der Tat ist die Dermatoplastik
uns in der Chirurgie der oberen Luft- und Speisewege zu einem
unentbehrlichen Hilfsmittel geworden. Ob wir ein Stoma cutaneum
anlegen, ob wir die Hautlappen als organischen Schutzwall zur
Umsäumung des Trachealstnmpfes benutzen, ob sie eine Pharynx¬
naht decken, ob sie die Wirbelsäule nach der queren Pharyng-
ektomie bekleiden, ob wir ein cutanes Ersatzrohr für die Trachea
oder den Oesophagus nnd Pharynx bilden, immer liefert uns die
Haut ein ausgezeichnetes physiologisches adaptationsfähiges Ge¬
webe, welches im hoben Grade geneigt ist, an seinem lmplantations-
orte eine funktionelle Metaplasie anzunehmen und sich dem Charakter
seiner neuen Aufgaben in geradezu idealer Weise anzupassen.
Für die totale Zungenexstirpation endlich mit Epiglottis und
Zungenbein haben wir nach präliminarer tiefer Tracheotomie den
Aditus ad laryngem temporär plastisch verschlossen und auf diese
Weise die Schluckpneumonie mit absoluter Sicherheit vermieden.
Neben der Lösung des Problems der Eliminierung der Gefahr
der Schluckpneumonie war es unsere Hauptaufgabe, die Operation
zu einer aseptischen zu gestalten. Gute Voibereitung des Kranken
im weitesten Sinne des Wortes, tiefe Narkose mit Dräger’schem
Sauerstoffapparat, Cocainpinselungen der Schleimhaut, um die
Reflexe und die Würg- und Brechbewegungen während der Ope¬
ration aufzuheben. Exakte Blutstillung durch Ligatur wesentlich
der Hauptstämme, und zwar immer Umstecbungsligatur, ver¬
meiden die Nachblutungen. Prinzipielles Vermeiden von Massen¬
ligatoren und des Thermokauters, Entfernung der Muskulatur des
Larynx und ausgiebige Fascienspaltung brachten es mit sich, dass
keine grösseren Gewebsnekrosen sich bildeten und einfache Wund-
verhältnisse Vorlagen. Bei grossem Pharynxdefekt und zweifel¬
hafter Asepsis wurde der Defekt in Form eines Stoma an die
äussere Haut angeheftet.
Wir operieren immer, wenn nicht vitale Kontraindikationen
vorliegen, in einem Akte und ohne zwingende vorausgegangene
Tracheotomie, dabei in tiefer Allgemeinnarkose. Unser Verfahren
besteht im wesentlichen darin, dass wir
1. den Kehlkopf vor der Eröffnung der Luftwege völlig frei-
legen, die zuführenden Gefässe unterbinden und die regionären
Lymphdrüsen exstirpieren;
2. nach Abtrennung des Kehlkopfes vom Pharynx den
Pharynxdefekt sofort schliessen, während der Kehlkopf weit aus
dem Wundgebiet hervorgezogen wird;
3. nach Abtrennung des Kehlkopfes von der Trachea die
letztere in die Hautwunde einDähen;
4. die ganze Operationswunde durch Naht schliessen und
durch eine Heilung per primam intentionem eventuell in 8 Tagen
erzielen.
Damit ist a) eine radikale Entfernung alles Kranken garan¬
tiert, b) die Operation so lebenssicher als möglich gestaltet und
c) der postoperative Zustand ein möglichst günstiger.
Die radikale Exstirpation der regionären Lymphdrüsen und
Stränge weit im Gesunden eventuell mit Ausschaltung des Kopf¬
nickers und der Vena jugularis communis vom Angulus venosus
bis zum Foramen lacerum mit Nackenfett und Nackendrüsen war
eine weitere Aufgabe, der wir uns mit peinlichster Sorgfalt unter¬
zogen. Die exakte Wund Versorgung, die Bildung einer künst¬
lichen Lacuna vasorum znr Isolierung der Gefässscheiden von der
Pharynxnahtlinie, die sekundären plastischen Operationen zum
Schluss von Pharynxfisteln und Defekten bildeten eine fernere
wichtige Aufgabe. Auch der Konstruktion unserer Kanülen und
Ersatzprothesen widmeten wir unsere volle Aufmerksamkeit. Der
Patient muss nach der Heilung dauernd unter ärztlicher Kontrolle
bleiben. Jedes spätere Drüsenrecidiv muss sofort wieder operiert
werden, ebenso Tracheal- oder Pharynxrecidive. Auch nach
solchen wiederholten Recidivoperationen haben wir treffliche Er¬
folge noch zu erzielen vermocht. Nur die Hingabe an die ge¬
stellte Aufgabe und das sich dem einzelnen Patienten Widmen
sichert einigermaassen den dauernden Erfolg im stets zunehmen¬
den Umfange. Sie werden nachher einen Patienten sehen, dem
wir vor 7 Jahren ausser dem Kehlkopf, der halben Schilddrüse,
den Drüsen mit der Vena jugularis mit dem Kopfnicker, den
ganzen Pharynx und den Halsteil der Speiseröhre entfernt haben;
er trägt keine Kanüle, die verlorenen Organe sind durch ein
cutanes Rohr ersetzt, Patient ist blühend und gesund und gebt
seinem Berufe als Polizeibeamter in vollem Umfange nach. Bei
einem zweiten Patienten, den ich Ihnen vorführen werde, ist
genau dieselbe Operation gemacht worden, wir mussten ihm aber
wegen eines Recidivs noch den Pharynxstumpf bis zur Schädel¬
basis mit beiden Tonsillen entfernen, so 'dass ihm also vom
Jugulum bis zur Schädelbasis Speiseröhre und Pharynx fehlt; er
trägt noch unsere Gummiersatzprothese, wir wollen ihm aber
demnächst die plastische Schlussoperation machen.
Die am Larynx Operierten müssen nach der Heilung eine
ausreichende Atmung garantiert erhalten, sie dürfen keine relative
Enge, keine Ateminsuffizieuz aufweisen.
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UMIVERSITY OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
955
M. H.! Das klingt sehr selbstverständlich und ist es nach
meiner Erfahrung leider doch nicht. Zu enge Kanülen und zu
enge endolaryngeale Verhältnisse nach Laryngoflssuren oder Hemi-
laryngektomie bedingen sehr ernste Gefahren. Zum Beispiel für
das Herz und auch für das Gehirn, namentlich bei älteren Leuten,
auch wenn der Patient subjektiv wenig klagt und sich mit dem
Zustande abzufinden geneigt erscheint. Diese Gesichtspunkte
haben uns veranlasst, analog unserem Tracheostoma circulare
schon vor dem Jahre 1898 Laryngostomien und Tracheostomien
' auszuführen, als Sicherheitsventile, ein Zustand, welcher dem
Patienten eine absolut freie Atmung garantiert. Wird dieses
künstliche Schisma der Luftwege durch eine Gummipelotte oder
Ventilprotbese geschlossen, so ist nebenbei die Sprachfunktion
eine ganz vortreffliche.
Ist es nun möglich, den Larynx später auf normale Weite
zu bringen, dann kann das Laryngostoma plastisch verschlossen
werden, aber nur in diesem einen Falle, sonst ist es besser, das
Schisma zeitlebens persistieren zu lassen.
Das Alter der Geschwülste und die Kachexie der davon Befallenen
betreffend herrschen unter den Aerzten oft die sonderbarsten Vor¬
stellungen. Zum Beispiel wird bezweifelt, dass jemand ein Garcinom
haben könne, weil er blühend aussieht, ferner wird das Alter der Ge¬
schwulst etwa mit dem Zeitpunkt identifiziert, wo die ersten Symptome
eine ärztliche Untersuchung erheischten. Ein Carcinom kann viele Jahre
lang bestehen, ohne das Allgemeinbefinden irgendwie zu stören oder
irgendwie ein Symptom zu veranlassen, das haben wir schon sehr oft
einwandfrei beobachtet. Vor einiger Zeit haben wir unter anderem einen
Patienten für Herrn Geheimrat Schoetz laryngektomiert und geheilt,
bei dem der Herr Kollege vor über zwölf Jahren einen Kehlkopfkrebs
konstatierte. Der Patient war nicht zu bewegen, sich chirurgisch be¬
handeln zu lassen, und erst, als vitale Indikation vorlag, liess er sich
tracheotomieren und dann laryngektomieren. Analoge Beobachtungen
über das Alter der Geschwülste und das Allgemeinbefinden ihrer Träger
habe ich an den verschiedensten Organen anzustellen im Laufe der Jahre
Gelegenheit gehabt.
Beobachtungen über das sogenannte Verhältnis des Cancer ä deux
haben wir relativ oft gemacht. In einem Falle sind beide Ehegatten im
Verlaufe von zwei Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben, in anderen Fällen
hatte der Mann Kehlkopfcarcinom und die Frau Lebercarcinom, einmal
beispielsweise hatte Vater und Sohn Zungencarcinom und ähnliches mehr.
Kombinationen von Tuberkulose der Lungen mit Larynxcarcinom
haben wir zweimal gesehen, Uebergang von Pachydermie einmal und
Uebergang von Papilomen in Larynxcarcinom zweimal in einwandfreier
Weise. Es würde zu weit führen, die Verhältnisse hier weiter ausfübren
zu wollen.
Eine wichtige Tatsache sei hier noch hervorgehoben, die Latenz der
Primärgeschwülste, speziell der Pharynxtumoren betreffend. Wiederholt
haben wir Patienten zugewiesen bekommen, bei denen entweder vor
einiger Zeit oder aber schon vor mehreren Jahren Drüsengeschwülste
am Halse operiert waren, deren histologische Untersuchung Carcinom er¬
gab. Man hatte sich zum Teil mit der Diagnose bronchogenes Carcinom
geholfen und die laryngologische Untersuchung entweder oder den Be¬
fund nicht genau genug erhoben. In diesen Fällen fanden wir primäre
Pharynxcarcinome und mussten die Radikaloperation ausführen. Wir
möchten auf diese Verhältnisse mit aller Energie hinweisen.
Was nnn die Indikationen zn den einzelnen operativen Ein¬
griffen anbelangt, so vertreten wir folgenden Standpunkt.
1. Mittels der Laryngofissur operieren wir Stimmbandcarci-
nome, solange sie auf dem freien Rand des Stimmbandes im
wesentlichen beschränkt erscheinen, nach vorne die Medianlinie,
nach hinten den Processus vocalis nicht erreichen, jedenfalls
nieht überschreiten, und solange die Beweglichkeit des Stimm¬
bandes noch erhalten ist.
2. Carcinome der Epiglottis kann man, wenn sie auf deren
Rand oder ihren freien Flächen beschränkt sind, durch einfaches
Abtragen der Epiglottis an der Basis entfernen.
3. Mittels Hemilaryngektomie operiert werden endolaryngeale
Krebse, die weder die vordere Commissur noch das Arygebiet
der betreffenden Seite erreichen oder gar überschreiten, nach
oben über den Aditus ad laryngem nicht hinausreichen und nach
der Tiefe das Knorpelgerüst noch nicht durchbrochen haben.
4. Die totale Laryngektomie erfordern alle Larynxcarcinome,
die nicht auf eine Seite beschränkt sind, ferner alle diejenigen,
welche in den Pharynx übergreifen, auch wenn das nur auf der
einen Seite der Fall ist; endlich alle Carcinome, welche an
irgendeiner Stelle das Keblkopfgerüst durchbrochen haben.
5. Der Kehlkopf kann nicht erhalten werden bei Carcinomen
des Zungengrundes und der Epiglottis, welche von oben in den
Larynx hineingewachsen sind. Bei Pbarynxcarcinomen und Schild¬
drüsenkrebsen, welche auf den Kehlkopf übergreifen, auch wenn
dieses Uebergreifen nur an einer umschriebenen Stelle sich nach-
weisen lässt. Bei einer Struma carcinomatosa war von anderer
Seite erst rechts, dann links ein Strumaknoten entfernt worden.
Die Patientin wurde bei uns bei der Aufnahme asphyktisch, die
Tracheotomie tief im Jugulum machte unglaubliche Schwierig¬
keiten. Einige Wochen später haben wir den Kehlkopf mit der
ganzen Struma und einer Anzahl Trachealringen exstirpiert, die
Struma maligna war in den Kehlkopf hineingewachsen. Wir
haben noch niemals aus dem Mediastinum anticum den Luft-
rührecstumpf so tief herausexatirpiert. Das Endresultat ist ein
vorzügliches, auch heute noch, im 7. Jahre nach der Operation.
Die Patientin spricht ausgezeichnet und leitet ein grosses Pensionat,
in dem sie sich in verschiedenen Sprachen unterhalten muss.
Besonders interessant ist es, dass wir vor kurzem bei ihr rechts
und links vom Luftröhrenstumpf ein paar Drüsenknoten fühlten,
die sich bei der geplanten Operation als Schilddrüsengewebe heraus-
stellteD, welches sich von Drüsenresten wohl regenieit haben mag.
6. Die Lymphdrüsenmetastasen des Kehlkopfkrebses müssen
bei der Operation mitentfernt werden, und zwar radikal.
7. Hat ein Kehlkopfkrebs schon umfangreiche Drüsen ver¬
anlasst, dann muss unter allen Umständen neben der radikalen
Drüsenoperation der Kehlkopf mit der Epiglottis radikal entfernt
werden.
8. Es gibt für uns eigentlich nur zwei Umstände, die der
Operabilität eine Grenze setzen; einmal wenn der Tumor vom
Kehlkopf und der Speiseröhre aus diffus in die umgebenden
Weichteile hineingewachsen ist, so dass Halsorgane, Muskulatur
und die Haut eine undifferenzierbare carcinomatöse Masse bilden,
zweitens wenn der Tumor selbst oder die erkrankten Drüsen¬
gruppen auf beiden Halsseiten so mit der Gefässscheide ver¬
wachsen sind, dass es a priori unmöglich erscheint, sie zu ent¬
fernen, ohne beiderseits die Vena jugularis communis resezieren
zu müssen oder gar die eine Carotis primitiva mitzuunterbinden.
Die Ligatur der Carotis communis ist unter allen Umständen
selbst bei jungen Individuen eine höchst bedenkliche Komplikation
der Operation, und man wird sich nur im äussersten Notfälle za
derselben entschliessen dürfen. Die quere Naht und der plastische
Ersatz der Blutgefässe, die, wie Ihnen bekannt sein dürfte, durch
meine eigenen Experimente inauguriert sind, hat gerade für die
Halsoperationen noch keine greifbaren klinischen Resultate ge¬
zeitigt. Selbstverständtieh haben wir trotzdem die Carotisligatur
oft genug ausführen müssen.
Die Laryngofissur wegen Carcinom haben wir 42 mal aus*
geführt, die erste Serie von 35 Fällen mit einer Mortalität von
OpCt.; unter den letzten 7 Fällen batten wir 2 Todesfälle, beide
Patienten waren 70 Jahre alt, der eine davon Diabetiker, beide
mit Emphysem und eitriger Bronchitis aufgenommen. Nur zwei
von den 42 Fällen haben ein Recidiv bekommen, und bei dem
einen davon konnten wir durch Radikaloperation die dauernde
Heilung erzielen.
Die Hemilaryngektomie haben wir 48 mal ausgeführt; die
erste Serie von 28 Fällen ergab 3 Todesfälle, die letzte Serie
von 20 Fällen hatte 0 pCt. Mortalität.
Von 160 Totalexstirpationen des Kehlkopfes haben wir bei
der letzten Serie von 63 Fällen OpCt. Mortalität.
Wir konnten bei den 132 Operierten bis 1911 über 24 Fälle
berichten, die 4 bis 15 Jahre recidivfrei waren, und über 21, die
etwa 3 Jahre post Operationen) bei der Nachuntersuchung als
recidivfrei befunden wurden.
Pharynxresektionen mit Laryngektomien haben wir 84 aus-
gefübrt. Sie haben mit 21 Todesfällen die grösste Mortalität von
25 pCt., jedoch sind unter den letzten 24 Operationen nur zwei
Todesfälle zu verzeichnen gewesen, so dass auch auf diesem
schwierigsten Gebiet unsere Technik wesentliche Fortschritte ge¬
macht hat.
Von den queren Resektionen des Pharynx und des Halsteils
des Oesophagus hat v. Hacker aus der gesamten Literatur nur
25 Fälle zusammenstellen können mit 48 pCt. Mortalität, nur
einer davon war nach l l / 2 Jahren noch recidivfrei. Wir haben
allein 47 solcher Fälle radikal operiert mit im ganzen 5 Todesfällen.
In denjenigen Fällen, wo eine Radikalheilung durch Operation
ausgeschlossen ist, helfen wir unseren Patienten durch die so¬
genannte Organausschaltung eventuell für längere Zeit und ge¬
nügen damit einer vitalen Indikation und einer humanen wichtigen
ärztlichen Aufgabe. So haben wir bei den inoperablen Speise¬
röhrenkrebsen den intrathorakalen Oesophagus nach Gastrotomie
und Oesophagotomie an der Körperoberfläche durch unsere Gummi-
1 *
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Gougle
Original frn-m
UNIVERSITY OF IOWA
956
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
trichterprothese ersetzt, welche diese beiden Stomata vereinigt,
so dass der Patient in ausgezeichneter Weise sich wieder er¬
nähren kann, und zwar auf einem der Norm analogen Wege. Für
inoperable Zustände in den Mediastinen, welche zur Erstickung
führen, haben wir, um einer vitalen Indikation zu genügen, die
Operation der Lungenfistel ersonnen. Beide Methoden werden
jetzt geübt und in den modernen chirurgischen Lehrbüchern ein¬
gehend beschrieben und empfohlen.
M. H., wir dürfen wohl hoffen, das technische und thera¬
peutische Problem der chirurgischen Behandlung der oberen Luft-
und Speisewege bei malignen Erkrankungen prinzipiell der Lösung
näher gebracht zu haben. Immerhin bildet das von uns bisher
erreichte experimentelle und klinische Forschungsresultat be¬
greiflicherweise nur eine Etappe auf der Bahn zu stetig voll¬
kommeneren Behandlungsmethoden.
lieber die funktionellen Endresultate, speziell die Sprach-
resultate bei den verschiedenen Operationen (Laryngofissur, Hemi-
und Totalexstirpation, Bildung eines cutanen Trachealrohres),
ebenso über die Pharynxstimme, die Sprache ohne Zunge und die
Sprache mit künstlichem Kehlkopf möchte ich Sie durch die nun
folgenden Kraokendemonstrationen aufklären.
Der erste Fall, welchen ich Ihnen vor9telle, betrifft einen jungen
Mann, den ich im Jahre 1899 wegen eines kolossalen hämorrhagischen
Sarkoms des Oberkiefers operiert habe. Er war von verschiedenen
Kliniken als inoperabel zurückgewiesen. Ich will bemerken, dass es der
letzte Fall ist, bei dem wir die prophylaktische Tracheotomie angewandt
haben. Acht Tage später unterbanden wir die rechte Carotis externa
und entfernten den Oberkiefer mit der Geschwulst, wobei auch die Keil¬
beinhöhle von Geschwulstmassen ausgeräumt und reseziert werden musste.
Im Jahre 1903 haben wir ein Recidiv an der Zungenbasis entfernt und
1908 noch einmal einen kleinen Knoten an derselben Stelle. Die Ent¬
stellung ist gering, die Sprache eine sehr gute und Patient vollkommen
gebeilt und arbeitsfähig.
Der zweite Fall, den ich Ihnen vorstelle, betrifft einen 58 jährigen
Patienten, dem wir wegen eines sehr grossen Carcinoms der Zunge nach
vorausgehender Drüsenexstirpation und Unterbindung beider Arteriae
linguales die ganze Zunge bis zur Epiglottis entfernt haben nach voraus¬
gegangener Resektion des Unterkiefers in der Mittellinie und Spaltung
des Mundbodens. Die Zunge wurde am hängenden Kopf exstirpiert unter
möglichster Schonung des Mundbodens und Rekonstruktion desselben,
d. h. es wurde schrittweise vorgegangen unter tiefgreifenden Umstechungs¬
nähten und Urastechungsligaturen, immer etappenweise operiert, so dass
also der eine Mitarbeiter unterbindet und erst nach der Unterbindung
der andere Operateur schneidet. Mit der letzten Umstechung und der
letzten Naht ist die sehr wenig blutreiche Operation beendet. Wenn
Sie dem Patienten in den Mund sehen wollen, werden Sie den Eindruck
haben, als ob er noch eine Zunge hätte, so vollkommen erreichen es die
Kranken durch Uebung, ihren Mundboden zu heben und eine vioariierende
Funktion für den Verlust der Zunge anzubahnen. Andere Fachgenossen
haben das von uns geübte Verfahren ebenfalls erprobt und sich sehr
anerkennend darüber geäussert. Wir können bei frühzeitiger Diagnose
radikaler operieren, in der Ueberzeugung, nicht nur mit grösserer Sicher¬
heit eine recidivfreie Periode von langer Dauer zu erzielen, sondern auch
trotz des radikalen Eingriffes ein tadellos funktionelles Sprachresultat
zu erzielen. Diesem Patienten mussten wir übrigens vor einiger Zeit
ein sehr ausgedehntes Drüsenrecidiv mit Entfernung des Kopfnickers und
der Vena jugularis vom Angulus venosus bis zum Foramen lacerum ent¬
fernen, wobei der Drüsentumor von der Carotis lospräpariert und der
Nervus vagus aus der Geschwulstmasse herausgelöst werden musste;
auch diese Operation ist glatt verlaufen. Der 71jährige Herr, welchen
ich Ihnen 1909 ohne Zunge demonstriert habe, ist heute noch im
75. Lebensjahre recidivfrei und spricht ausgezeichnet.
M. H., den dritten Fall, welchen ich Ihnen vorstelle, haben wir im
Jahre 1897 operiert. Er litt an schwerer Lungentuberkulose mit Lungen¬
blutungen und erkrankte dann an schwerer Tuberkulose des Larynx.
Die Tracheotomie war bereits in Hamburg ausgeführt worden. Das Lumen
des Kehlkopfes war mit der feinsten Sonde von der Trachealwunde her
nicht mehr zu passieren. In einem ersten Akte wurde die totale
Laryngofissur ausgeführt mit Eistirpation der Tracheotomienarbe; die
Epiglottis wurde exstirpiert mit der Schleimhaut der Sinus pyriformes,
der Kehlkopf in seiner Totalität exenteriert sowie nekrotische Kehlkopf¬
knorpel reseziert. In der Testierenden Höhle wurden Hautlappen der
Nachbarschaft hineingeschlagen und in den Hohlraum hineintamponiert
und daselbst nach oben unter Bildung eines neuen Larynxeinganges
sorgfältig eingenäht. Die Tuberkulose ist beseitigt, der Kehlkopf völlig
mit gesunder äusserer Haut austapeziert. Bei der Untersuchung mit
dem Spiegel sieht man einen völlig benarbten, linsenförmig gestalteten
Spalt, ein Schisma, durch welchen die Atmung vor sich geben kann.
Die Hautlappen haben einen mucösen Charakter angenommen; beim
Laryngoskopieren bemerkt man, dass die Rima glottidis eine linsen¬
förmige, ganz vernarbte Eingangsöffnuug bildet, durch die Patient auch
nach oben zu respirieren in der Lage ist; auch kann man sich über¬
zeugen, wenn ich mit dem Trousseau die Narbenlippen auseinander¬
sperre, dass die äussere Haut gar keinen cutanen Eindruck mehr macht,
wohl verstanden, handelt es sich nicht etwa um eine Metaplasie des
Epithels, die Haut hat sich aber den neuen anatomischen Bedingungen
vollkommen adaptiert. Ich halte diesen Fall für prinzipiell wichtig, weil
er beweist, dass es in der Tat möglich ist, nachdem auf chirurgischem
Wege die Tuberkulose beseitigt ist, nur äussere Haut zur totalen Laryngo-
plastik zu benutzen. Es ist ferner hier zum ersten Male nach einer so
eingreifenden Larynxoperation eine Laryngostomie gemacht worden und
durch dieselbe ein Zustand geschaffen, der den Patienten vollkommen
befriedigt; er atmet durch den Spalt, trägt einen Hemdkragen, der hinten
auf der Wirbelsäule geknöpft wird und ihm also sein Schisma während
des Sprechaktes verschliesst und kommt seinem Berufe als Kaufmann
nun schon im 17. Jahre nach der Operation in vollstem Umfange nach.
Ich will noch bemerken, dass ich den Patienten später wegen einer
käsigen Orchitis auf der rechten Seite kastrieren musste, und dass ihm
vor einiger Zeit die linke Niere und der Harnleiter wegen Tuberkulose
entfernt werden mussten. Genau so also, wie wir Gelenkresektionen und
Drüsen bei Kindern und Erwachsenen oft an mehreren Stellen wegen
Tuberkulose operieren müssen, so gehört der Kehlkopf auch zu denjenigen
Organen, die wir nach genauer Erwägung der Indikationsstellung mit
voller Aussicht auf Erfolg in den Bereich unserer chirurgischen Be¬
strebungen ziehen dürfen. Ich weiss wohl, dass ich mich mit dieser These
in einem gewissen Gegensatz zu vielen Laryngologen befinde, muss aber
dieser unserer Ueberzeugung im Interesse der Kranken Ausdruck geben.
Der vierte Fall, den ich Ihnen vorstellen will, ist in seinem vierten
Lebensjahr wegen Diphtheritis tracheotomiert worden; er hat dann jahre¬
lang eine Kanüle getragen und und ist darauf in der Charite, wo er
zwei Jahre gelegen hat, mit Laryngofissur und Bougieren behandelt
worden. Diese Behandlung ist erfolglos geblieben. Als der Knabe, jetzt
neunjährig, vor einem Jahre zu uns kam, batte er eine sehr schwere
eitrige Bronchitis und eine vollständige Obliteration des Kehlkopfes, auch
litt er sehr unter Reizerscheinungen von der Kanüle und Reflexhusten.
Wir sind bei ihm so verfahren, wie wir das im Jahre 1896 bereits be¬
schrieben haben. Zwei verschiedene Methoden stehen uns bei diesen
Fällen zu Gebote. Zunächst legen wir die Tracheotomie tief unten im
Jugulum an, dann exstirpieren wir die alte Tracheotomienarbe mit der
narbigen Haut und resezieren hierauf die Trachea im Krankheitsgebiet
bis auf den Oesophagus. Es wird, wie ich mich ausdrücken möchte,
scheibenförmig schrittweise so lange und so viel von der Trachea reseziert,
ebenso vom Ringknorpel, wenn nötig bis in das Arygebiet, bis man zwei
weite, adaptationsfähige Lumina erhält. Diese beiden Lumina werden
circuiär miteinander vernäht, darauf eine Hautnaht gemacht, die Kanüle
wird später entfernt. Auf diese Weise haben wir bei einer Anzahl
bereits publizierter Fälle vortreffliche Dauerresultate erzielt. Bei dem
hier vorgestellten Knaben war diese Methode nicht ausführbar, und haben
wir unser zweites Verfahren zur Anwendung gebracht. Zunächst haben
wir vom Arygebiet nach abwärts nicht nur die Haut und die Tracheo¬
tomienarbe, sondern auch den Ringknorpel und eine Reihe von Tracheal-
ringen radikal unter Freilegen der vorderen Wand des Oesophagus
exstirpiert. Darauf haben wir zwei rechteckige Hautlappen der
Nachbarschaft mobilisiert, auf den Oesophagus in der Medianlinie
aufgepflanzt, nach unten an den Trachealstumpf und nach oben an
den Kehlkopfrest angenäbt, nun die Wunde tamponiert und in den
Trachealstumpf eine Kanüle eingesetzt. Während der Nachbehandlung
trug der Knabe einen modifizierten Dupuis mit möglichst kurzem Tracheal-
schenkel und Ventilprothese, dessen oberer Schenkel aus einem Gummi¬
rohr besteht, welches in den Larynx bineinreicbt. Nach Heilung dieses
ersten Operationsaktes besass der Knabe zwischen Trachealstumpf und
Larynx eine cutane Mulde, welche die Hinterwand und die Seitenwände
des späteren cutanen Trachealrohres bildeten. Die Scblussplastik haben
wir ein halbes Jahr nach der ersten Operation ausgeführt, so dass das
Resultat ein tracheo-laryngeales Hautrohr darstellt, welches tief im
Jugulum einen gut umsäumten Längsspalt als Sicherheitsventil für die
Atmung besitzt. Der Knabe trägt keine Kanüle mehr, all seine Reflex¬
erscheinungen sind geschwunden, er kann mit lauter, wenn auch heiserer
Stimme anhaltend sprechen und ist als vollkommen geheilt zu betrachten.
Auf diesem Wege können wir ein cutanes Rohr bilden von der Ary-
gegend bis hinab zum Jugulum. Es ist gar nicht notwendig, dass hier
ein Periostknochenlappen zur Bildung der vorderen Trachealwand be¬
nutzt wird. Das blosse cutane Rohr genügt, wie Sie sehen, vollkommen.
Das Schisma, welches als Sicherheitsventil für die Atmung bestehen
blieb, kann man jederzeit später plastisch verschliessen.
Ich lege auf die Ihnen vorgestellten Fälle einen besonderen
Wert, weil, wie ich hervorheben will, wir die Laryngoplastik
zuerst angegeben und mit Erfolg geübt haben und ebenso das
Verfahren der Laryngo- und Trachostomie von uns begründet ist.
Diese und ähnliche Operationen haben wir übrigens nicht nur bei
Tuberkulose und bei postdiphtherischen Zuständen, sondern auch
bei Folgezuständen nach Selbstmordversuchen und bei akuten
eitrigen nekrotisierenden Prozessen am Kehlkopf und der Trachea
mit ganz ausgezeichneten Dauererfolgen geübt. Noch bemerken
will ich hierzu, dass wir bei unseren Tracbealresektionen und
Heraufziehen des Trachealstumpf es und circulärer Naht desselben
mit dem resezierten Larynx in der Höhe des Arygebietes das
schon längst getan haben, was Föderl für das Kehlkopfcarcinom
empfiehlt. Was aber bei unseren nicht carcinomatösen Fällen
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
957
möglich war mit Erhaltung des Larynxeinganges, das ist bei dem
Kehlkopfcarcinom nicht durchführbar; fallen doch dabei die Epi¬
glottis, der Kehlkopfeingang und die Nervi laryng. superiores
fort, und würde es zwecklos sein, nun den Trachealstumpf etwa
an die Schleimhaut der Sinus pyriformes annähen zu wollen, un¬
weigerlich würde doch die letale Schluckpneumonie die Folge
dieses operativen Versuches sein.
Aus der Reihe unserer mit Laryngofusur behandelten Kehl-
kopfcarcinome ist der hier anwesende 47jährige Patient erschienen,
der vor 17 Monaten operiert wurde. Wenn Sie ihn laryngosko-
pieren, werden Sie konstatieren, dass sich ein neues linkes Stimm¬
band gebildet hat. Patient ist in einer grossen Fabrik sehr tätig
und spricht den ganzen Tag mit seinen Kunden, ohne sich an¬
gestrengt zu fühlen.
Manche unserer Patienten mit konservativen Laiyngoüssuren
und partiellen Larynxexenterationen sprechen wie Leute mit intak¬
tem Kehlkopf, andere wiederum haben ein etwas heiseres Organ.
Wir kämen jetzt zu der Demonstration von halbseitig Laryngekto-
mierten. Bei dem ersten Fall handelt es sich um ein 24jähriges Mädchen,
welches ich vor 12 Jahren operiert habe; es war im Kinderkrankenhause
mit schwerer Dyspnoe und Tuberkulose des Kehlkopfes aufgenommen.
Wir mussten die geschwulstartige ulceröse Tuberkulose mit Entfernung
des halben Kehlkopfes und nachfolgender Laryngoplastik behandeln. Die
Patientin hat, wie Sie sich überzeugen können, eine geradezu normale
tadellose Stimme, mit der sie auch zu singen imstande ist. Das Stimm¬
band der gesunden Seite schwingt über die Medianlinie hinaus und die
Haut der Laryngoplastik kommt ihr funktionell entgegen. Das Laryngo-
schisma wollten wir auch jetzt trotz des dringenden Wunsches der Pat.
nicht schliessen, weil eine relative Atemeuge noch besteht. Dieser rela¬
tiven Enge des Kehlkopfeingaoges verdankt aber die Pat. die über¬
raschende Funktion, ln diesem Falle ist kein Recidiv der Tuberkulose
weder lokal noch an anderen Drüsen oder Gelenken aufgetreten, sondern
die Heilung ist eine definitive.
Dem Herrn, welchen ich Ihnen jetzt demonstriere, habe ich vor drei
Jahren den halben Kehlkopf wegen Carcinom exstirpiert und in einer
zweiten Sitzung carcinomatöse Halsdrüsen radikal entfernt. Der Spalt
ist bei ihm ein verhältnismässig grosser, und Sie können beim Sprechakt
und beim Anlauten die Funktion des Stimmbandes der gesunden Seite
direkt beobachten. Auch seine Sprache ist eine recht gute. Der dritte
Herr ist vor 8 Jahren wegen eines Kehlkopfcarcinoms mit halbseitiger
Exstirpation behandelt worden. Er spricht ausgezeichnet und hat gestern
einen Vortrag von einer halben Stunde gehalten. Wenn das Laryngo-
schisma fest zugehalten wird, so hören Sie einen deutlichen Stridor.
Die Nacht über habe ich ihn verpflichtet, die Prothese abzunehmen und
durch den Kehlkopfspalt zu atmen. Patient raucht stark, ist überhaupt
ein Lebemann, und wenn er noch obendrein eine insuffiziente Atmung
hätte, so würde zweifellos sein Herz diesen Anforderungen nicht ge¬
wachsen sein. Wenn er nicht eine relative Eüge hätte, würde er nioht
so gut sprechen. Das Stimmband der gesunden Seite kann natürlich
nicht in jedem Falle etwas Aussergewöbnliches leisten, es muss ihm
etwas funktionell entgegenkommen von der implantierten Haut, und das
ist nur möglich bei der schon so oft erwähnten relativen Enge. Sobald
der Kehlkopfeingang zu weit ist, verschlucken sich die Kranken und
sprechen schlechter. Beides sind Nachteile, lieber also ein Laryngo-
stoma und eine kleine Pelotte und guter Schluck- und Sprechakt.
Wir kämen nun zu den Totalexstirpierten. Der erste Patient ist
vor 10 Jahren operiert worden, und zwar handelt es sich um eine
totale Laryngektomie, partielle Pharynxresektion und Drüsenexstirpation.
Er trägt noch eine Kanüle, weil er ängstlich ist und sich daran gewöhnt
hat. Seine Sprache ist laut und verständlich, und er arbeitet schwer in
seinem Berufe. Der zweite Herr, den ich demonstriere, ist vor 3 Jahren
in seinem 22. Lebensjahre hemilaryngektomiert worden wegen Carcinoms.
Vor 2 1 /* Jahren mussten wir ihm wegen Recidivs auch die andere Kehl¬
kopfseite entfernen und die erkrankten Drüsen. Er ist jetzt 26 Jahre
alt, blühend und gesund, grosser Reiter und Tänzer und, wie Sie sich
überzeugen können, spricht er geradezu verblüffend. Er kann tele¬
phonieren und verkehrt den ganzen Tag mit seinen zahlreichen Kunden.
Ich erwähne hier noch einen Patienten, und zwar einen berühmten
Baritonisten, dem wir wegen Carcinoms leider den Kehlkopf entfernen
mussten. Dieser Kranke hat eine so ausgezeichnete Spracbfunktion
wiedererlangt, dass er jetzt in Odessa als Gesangslehrer tätig ist. Der
vierte Patient ist vor 5 Jahren operiert worden, und zwar handelte es
sich um eine Totalexstirpation wegen Carcinoms. Er leidet im Herbst
und Frühjahr an Tracheitis sicca und Bronchialkatarrben, sonst geht
auch er seinem Berufe nach und spricht, wie Sie sich überzeugen
können, ganz vortrefflich.
Sie sehen an allen Fällen, wie bei dem Tracheo- und Laryngostoma
äussere Haut und Tracheal- oder Kehlkopfschleimhaut an den Narben¬
linien miteinander verschmolzen sind und ineinander übergehen.
Die Patientin, welche ich Ihnen jetzt demonstriere, ist vor 6 Jahren
operiert worden; sie litt an Lungenphthise und sehr schwerer Kehlkopf-
tuberkulöse. Wir mussten ihr den ganzen Kehlkopf mit der Epiglottis
entfernen, seitdem ist sie gesund, trägt keine Kanüle und kann tadellos
schlucken. Sie muss sehr schwer arbeiten und, um ihren Unterhalt zu
verdienen, schon vor 4 Uhr früh aufstehen. Sie kann nun nicht die
Pharynxstimme mit Erfolg gebrauchen, deshalb trägt sie einen von uns
konstruierten Apparat, der unter Ausschaltung der Lungen auf mecha¬
nischem Wege eine Stimme ertönen lässt. Die Patientin trägt an einem
Gurt einen leichten polierten Holzkasten, in diesem Holzkasten befinden
sich vier Blasebälge und ein metallisches. Luftreservoir. Den Kasten
verlässt ein Gummisohlauoh, welcher in einem Metallbügel endigt, der
nach dem Gesicht, der Ohrgegend und dem Jochbogen der Patientin
modelliert ist. Am Ende des Metallbügels befindet sich. eine * Metall¬
olive; diese Metallolive ist mit einer Klemme versehen, welche die
Nasenscheidewand der Patientin zwischen ihre Branchen fasst. In der
Metallolive befindet sich die Stimme, und von der Olive geht ein Gummi¬
schlauch noch etwa 11 cm in das Nasenloch der Patientin, um etwa
hinter dem Velum pendulum zu münden. Wenn nun die Patientin mit
der Kurbel« welche an dem Holzkasten angebracht ist, die Blasebälge
in Tätigkeit versetzt, so entweioht aus dem Luftreservoir die Kom¬
pressionsluft in den Gummischlauch und bringt die Stimme in der
Metallolive zum Tönen. Dieser Ton wird in den Nasenrachenraum ge¬
leitet, und wenn die Patientin gleichzeitig Artikulationsbewegungen
macht, so dass Stimme und Artikulationsbewegungen einen physiologi¬
schen Akt bilden, so spricht sie mühelos mit lauter, im grössten Raume
hörbarer Stimme, wovon Sie sich selbst überzeugen können. Der
Apparat, wie Sie ihn hier sehen, ist das Resultat ziemlich schwieriger
Ueberlegungen gewesen und durchaus brauchbar. Jeder Aphonisohe,
jeder, dem für eine gewisse Zeit eine Sohweigekur auferlegt ist, sowie
natürlich jeder Laryngektomierte kann mit Hilfe dieses Apparates seinem
Sprachbedürfnis in tadelloser Weise naohkommen. Ich will noch kurz
bemerken, dass wir auch versucht haben, den Apparat vom Munde aus
in Tätigkeit zu setzen, und dass wir auch auf andere Weise, also z. B.
auf elektrischem Wege oder mit Hilfe von Telephonmembranen oder aber
endlich mit Hilfe von Tonkonserven, d. h. von phonographischen Platten,
welche mit den lang ausgedehnten Tönen von Sängern oder Sängerinnen
geladen sind, für unsere Zwecke erfolgreiche Versuche gemacht haben;
ja, dass ich sogar Herrn Edison hei seiner letzten Anwesenheit in
Berlin für diese Zwecke zu interessieren versucht habe. Er liess mir
auch sagen, er wolle eventuell in Amerika darüber nachdenken und mir
dann Bescheid zukommen lassen.
Ich zeige Ihnen endlich die beiden Patienten, welche ich im Ein¬
gänge meines Vortrages bereits erwähnt habe, und denen also nicht nur
der Kehlkopf und mehrere Trachealringe, sondern auch der Pharynx in
seiner Totalität fehlt, denen ferner die Drüsen auf der rechten Seite mit
Vena jugularis und Kopfnicker und der halben Struma mit dem Isthmus
entfernt sind. Der erste Patient, bei dem schon die Schlussplastik
längst gemacht ist, ist im Jahre 1907 operiert und hat auch eine ge¬
nügende Sprachfunktion. Bei dem zweiten Patienten wollen wir dem¬
nächst die Schlussoperation, d. h. die Bindung des cutanen Pharynx-
Oesophagusrohres ausführen. Wir mussten bei ihm vor kurzem eine
Recidivoperation ausführen und haben dabei den Pharynxstumpf mit
beiden Tonsillen bis zur Schädelbasis hin wegnehmen müssen. Sie
können sich durch Untersuchung mit dem Spiegel davon überzeugen,
dass ihm also ausser dem Kehlkopf von der Schädelbasis bis zum
Jugulum Pharynx und Oesophagus fehlen und von uns plastisch mit
Erfolg rekonstruiert werden sollen, falls er kein Recidiv bekommt.
Was nun die plastischen Operationen anbelangt, nicht bloss
diejenigen wegen Carcinoms, sondern auch diejenigen bei steno-
sierenden und ulcerösen Prozessen, so wird vielfach der Fehler
begangen, dass einmal die Operation zu früh gemacht wird, wenn
das Material noch ungeeignet für eine prima intentio und mangel¬
haft ernährt erscheint, und dass zweitens man nicht, so wie wir
es empfehlen, alles narbige und alles pathologische Gewebe,
ganz gleich ob es sich um Haut oder andere Gebilde bandelt,
radikal weit im Gesunden umschneidet und entfernt, bevor man
zu einer Plastik schreitet. Eine erfolgreiche Plastik erfordert
unter allen Umständen, dass normale physiologische Gewebe für
dieselbe benutzt werden. Nur dann können die neugebildeten
oder rekonstruierten Kanäle oder Hohlräume, ganz gleich, ob es
sich um Kehlkopf, Schlundkopf oder Luftröhre handelt, dauernd
die ihnen durch die Operation wiedergegebene Form, Weite und
Rekonstruktion beibebalten und eine tadellose Funktion liefern.
M. H.! Ich hoffe, dass die Ihnen vorgestellten Fälle Ihnen
bewiesen haben, dass wir von den subtilsten konservativen Ope¬
rationen bis zu den radikalsten und eingreifendsten in der Lage
sind, durch unsere operativen Methoden funktionelle und kos¬
metische Dauerresultate zu erzielen.
Was den Fall von cylindrischer Dilatation des Oesophagus
im Halsteile bis zum Jugulum aubelangt, dessen Röntgenbild ich
Ihnen demonstriert habe, so möchte ich denselben hier nicht
genauer erörtern, weil' der inzwischen vollkommen durch die
Operation geheilte Fall an anderer Stelle von uns ausführlich
veröffentlicht werden soll.
2
Digitized b'
Google
Original fro-m
UMIVERSITY OF IOWA
' 958
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Aus der medizin. Universitätsklinik in Kopenhagen.
Anämische Zustände bei der chronischen
Achylia gastrica. 1 )
Von
Prof. Kund Faber.
Der Gegenstand, über den ich heute Abend die Ehre habe
vor Ihnen zu sprechen, ist vielfach diskutiert und auch von mir
und meinen Mitarbeitern wiederholt behandelt worden. Wenn
ich gleichwohl die Frage von neuem besprechen möchte, so ge¬
schieht es, weil sie ständig ungelöste Probleme umfasst, und weil
die Sache viel praktische Bedeutung hat und nicht immer nach
Verdienst gewürdigt wird.
Die chronische Achylia gastrica ist ja eine Krankheit, die
in den letzten Dezennien die Aerzte mehr und mehr beschäftigt
und auch die praktischen Aerzte interessiert, weil sie so ausser¬
ordentlich häufig ist und weil ihre richtige Behandlung für die
Patienten so wichtig und in der Regel für den Arzt so dankbar
ist, der die Natur der Krankheit kennt. Es ist denn auch eine
beträchtliche Zahl, die in den Krankenhäusern behandelt wird,
so dass ich aus den letzten Jahren ein Material von über
200 Patienten aus meiner Klinik habe sammeln können, und
dieses Material will ich meiner heutigen Darstellung zugrunde
legen.
In dem Material sind nicht mitgerechnet die Kranken mit
Krebs, Lungentuberkulose, chronischer Bronchiektasie und Diabetes
mellitus, bei welchen Krankheiten die Achylie ein häufiges sekun¬
däres Leiden ist. Auch die Fälle sind nicht mitgerechnet, wo
die Achylie nur ein vorübergehendes Phänomen war, das sich
nach einer oder zwei Untersuchungen als in eine Hypochylie mit
niedrigen Säurezahlen übergehend erwies.
Dahingegen sind alle Fälle von Anämie mitgerechnet, selbst
wenn diese wie bei den perniciösen Anämien ein recht selb¬
ständiges und dominierendes Symptom war.
Ueber die Anämie bei den ersten 112 Patienten habe ich in
einer kleinen Mitteilung 1912 berichtet; sie werden in der Ge¬
samtzahl hier mit aufgefübrt. Seitdem ist das Material um
95 Fälle vermehrt, so dass ich im ganzen über 207 Fälle von
chronischer Achylia gastrica verfüge.
Tabelle 1 gibt eine Uebersicht über die nach Altersgruppen ver¬
teilten Fälle, sowie eine Angabe der von Anämie begleiteten Fälle.
Tabelle 1.
Jahre
Achylie
80-65 pCt.
Hb
65 pCt.
Hb
Pern.
Anämie
10—20
6
0
1
_
21—30
41
5
9
1
81-40
40
1
4
5
41—50
39
3 1
5
7
51—60
56
4
2
7
61—70
22
2
1
2
71—80
8
—
—
—
207
15
22(15)
22 59
llpCt. 1
llpCt. 28,5]
Die Hauptmasse der Kranken verteilt sich auf die Jahre von 20 bis
60 und ziemlich gleichmässig über diesen Zeitraum, wenn sie auch meist
im Alter von 50 bis 60 Jahren stehen. Ich muss sogleich betonen, dass
diese Tabelle nur Angaben über das Alter der Acbyliekranken macht,
die das Hospital aufgesucht haben. Verschiedene Untersuchungen, so
unter anderen von Seidelin, zeigen, dass die Achylie naturgemäss an
Häufigkeit mit dem Alter der Kranken zunimmt und sich ausserordent¬
lich häufig im hohen Alter findet, doch macht sie in diesen Jahren
selten starke Symptome, auch werden solche Kranken relativ selten in
ein allgemeines Krankenhaus aufgenommen. Was das Geschlecht der
Kranken betrifft, so habe ich es für die letzten 95 ausgezogen und
43 Männer und 52 Frauen gefunden, also ungefähr gleich viel.
Es hat sioh nun gezeigt, dass wir bei diesen 207 Krankenhaus¬
patienten mit Achylie eine Anämie mit höchstens 80 pCt. Hämoglobin
bei 59 nachweisen konnten, was einen Prozentsatz von 28,5 ergibt.
Die Anämie war sehr verschiedenen Grades. Bei 15 Kranken han¬
delte es sich nur um eine leichte Anämie mit einer Hämoglobinmenge
von 65—80 pCt., bei 22 war die Hämoglobinmenge 65 pCt. oder darunter,
und von diesen bei 15 unter 50 pCt. Schliesslich erweisen sich 22 Typen
als echte Biermer’sche pernioiöse Anämie.
1) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu Kopen¬
hagen.
Was die leichteren Anämien betrifft, so muss man betonen, dass
bei vielen der 207 Patienten das Blut gar nicht untersucht ist, da man
aus dem Aussehen der Patienten keinen Grund hatte, eine Anämie zu
vermuten. Wir können also gut einige leicht anämische Zustände dieser
Kranken übersehen haben, während das bei den schwereren Anämien
sehr unwahrscheinlich ist. Es bleiben daher wesentlich diese zwei
Gruppen, die Anspruch auf nähere Untersuchung haben. Unterschieden
habe ich zwischen ihnen nach dem Blutbefund, namentlich nach dem
Verhältnis zwischen Hämoglobinmenge und Blutkörperchenzahl, so dass
alle Anämien der ersten Gruppe — die einfachen Anämien — einen
Farbenindez unter 1, in der Regel bedeutend niedriger, etwa 0,5 oder
0,6, haben, während ich zu den eigentlichen pernioiösen Anämien die
Fälle gerechnet habe, deren Farbenindez über 1 ist. In dieser Gruppe
findet man somit fast alle die schwersten Anämien mit unter 1 Million
roter Blutkörperchen, und die meisten dieser Fälle hatten einen töd¬
lichen Ausgang. Ich habe jedoch auch zu dieser Gruppe zwei Fälle mit
weniger starker Anämie gerechnet — mit etwa 2 Millionen roter Blut¬
körperchen und etwa 50 pCt. Hämoglobin — da diese beiden Fälle
konstant einen Indez über l zeigten, also Zeichen von megaloblastischem
Regenerationstyp. Obgleich diese Einteilung ihre Mängel bat, da sich
Uebergangsfälle finden, die schwer zu rubrizieren sind, glaube ich nicht,
dass wir im Augenblick bessere Einteilungsmodi haben, und ich folge
hier der von Hayem, Sdrensen und Laache begründeten Lehre, die
auch von Ehrlich, Friedrich Müller u. a. acceptiert ist.
Einfache Anämien.
Wenn wir zunächst die 22 Fälle von schwererer einfacher
Anämie untersuchen, so genannt im Gegensatz zu der perniciösen,
so war die Hämoglobinmenge bei 15 bis 50 pCt. oder darunter
gesunken, doch nur in einigen wenigen Fällen bis auf 34 bis
35 pCt. Die Anzahl der Blutkörperchen hatte relativ weniger
stark abgenommen, hielt sich in der Regel auf 3 bis 4 Millionen,
in einzelnen Fällen ging sie jedoch unter 8 Millionen, bis auf
2,8 Millionen, herunter, aber der Index war in allen Fällen unter 1,
oft sehr niedrig, 0,5 bis 0,6. In Uebereinstimmung damit fand
sich Poikylocytose und kleine blasse Blutkörperchen, keine Ver¬
änderungen der weissen.
Der Zustand der Patienten wurde zunächst von dem Magen¬
leiden geprägt, das teils dyspeptische Störungen, teils Darm¬
störungen, namentlich häufig Diarrhöen verursachte. Oft waren
diese Symptome jedoch wenig deutlich, wie wir das so oft bei
Achylie sehen. Infolge der Anämie litten sie ausserdem an
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit und ähnlichen anämi¬
schen Symptomen.
Wie gewöhnlich war die Achylie selbst der Behandlung nicht
zugänglich, sie war konstant vorbandetf, aber die Symptome, die
sie hervorrief, sowohl die Dyspepsie als auch die Diarrhöen,
Hessen sich in der Regel mit Erfolg bekämpfen. Weit weniger
gilt das von der Anämie. In einem Teil der Fälle gelang es,
die Anämie dauernd zu bessern oder zu heilen, selbst wenn die
Achylie unverändert blieb, aber in einer grossen Zahl von Fällen,
und namentlich in den späteren Fällen von Anämie zeigte sich
die Anämie in einem bemerkenswerten Grad für die Behandlung
unzugänglich, und diese Patienten möchte ich ganz besonders
hervorheben. Die Anämie war bei diesen Patienten ausserordent¬
lich chronisch. Ich konnte einige von ihnen 6—7 Jahre ver¬
folgen, und stets bot sie eine Anämie vom selben Typ und un¬
gefähr demselben Grad. Zeitweise Hess die Anämie sich bessern,
so dass die Hämoglobinmenge von etwa 50 auf 70—80 pCt. stieg,
aber immer ging der Zustand wieder auf 50—60 pCt. zurück,
und solche Verbesserungen und Verschlimmerungen setzten sich
durch Jahre hindurch fort. Als ein typisches Beispiel kann ich
einen Kranken anführen, den ich vor längerer Zeit beobachten
konnte, und den ich in meiner früheren Publikation besprochen
habe.
Laura F., unverheiratet, geb. 1878. Behandelt auf Abteilung B
Mai-Juli 1906 und April-Juni 1907. Seit der Pubertät litt sie an Cardi-
algie, meist dünnem Stuhlgang, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Herzklopfen
und Kurzatmigkeit. Niemals Hämatemese oder Melaena und auch keine
okkulte Blutung. Zahlreiche Magenfunktionsuntersuchungen zeigten
konstant Achylie. (Zum ersten Mal 1906 konstatiert.) Nach Probe¬
frühstück: Freie HCl 0, Totalacidität 4—12, Pepsin 0. Von den Blut¬
untersuchungen seien folgende angeführt (Tabelle 2).
Ihr Aussehen und Allgemeinbefinden blieb alle die Jahre hindurch
im wesentlichen unverändert. Sie ist blass, aber nicht mager und teil¬
weise infolge der Müdigkeit und häufig recidivierenden Darmstörungen
arbeitsunfähig.
Dem Charakter der Anämie nach ähneln diese Fälle am
ehesten schweren Chlorosen, und sie finden sich auch ganz über¬
wiegend bei Frauen, da nur 3 von den 22 schweren einfachen
Anämien bei Männern angetroffen wurden, aber sie verteilen sich
auf höhere Altersklassen als die Chlorosen, da von den 22 nur
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
959
Tabelle 2.
Datum
Hämoglobin
pCt.
Rote Blut¬
körperchen
Weisse Blut¬
körperchen
2. Mai
1906
•38
4200 000
6700
23. Mai
1906
44
—
—
6. Juni
1906
56
. —
—
10. Juli
1906
75
—
—
27. Sept.
1906
55
—
—
24. April
1907
70
4 500 000
—
2, Mai
1907
65
4 300 000
—
5. Juni
1907
80
—
—
4. März
1908
60
—
—
8. Sept.
1909
55
—
—
1910
50
—
—
—
65
—
—
21. Jan.
1913
54
3 600000
—
10 ein Alter unter 30 Jahren hatten, während 12 30—70 Jahre
alt waren.
Man könnte nun fragen, ob es sich wirklich in allen diesen
Fällen nur um einfache Anämien im Anschluss an Achylia gastrica
handelt. Die Kombination der beiden Phänomene, Anämie und
Achylie, ist ja für Magenkrebs charakteristisch, und solche
langdauernden mittelstarken Anämien können auf Blutsickern aus
den Genitalien und namentlich auf okkulten Blutungen aus Magen
und Darm bei Ulcera, oder sie können auf Darmstrikturen beruhen.
Hierauf ist zu' antworten, dass alle diese Patienten auf diese
Möglichkeiten genau untersucht sind. Das Wichtigste ist ja,
okkulte Blutung aus Magen und Darm anzunehmen, aber zahl¬
reiche Untersuchungen bei den Kranken haben negatives Resultat
ergeben, so dass es sicher ausgeschlossen werden kann. Ich
kann weiter anführen, dass Ellermann beim Durchgehen von
Prof. Gram’s Journalmaterial 6 Fälle vollständig der gleichen
Art hat sammeln können.
Keiner der 22 Fälle starb infolge der Krankheit, aber in einem
Fall trat der Tod infolge einer interkurrenten Krankheit nach einer
Operation ein. Es zeigte sich bei der Sektion, dass ausser Blässe sioh
keine makroskopischen Veränderungen fanden, speziell nicht im Magen
oder Darmkanal. In den Organen kein Ulcus oder Krebs. Bei der
mikroskopischen Untersuchung des Magens fand sich eine diffuse Gastritis
mit reichlicher Bindegewebsentwicklung, diffuser Rundzellinfiltration und
zahlreichen follikelartigen Rundzellanhäufungen. Sie hatte also am
ehesten den Charakter einer chronischen, diffus follikulären Gastritis.
Dadurch erklärte sich die chronische Achylie, aber für die Anämie fand
sich keine andere Erklärung.
Wir haben also hier einen entscheidenden Beweis dafür, dass
sich bei diesen Patienten nichts anderes als diese beiden Phä¬
nomene zu finden brauchen, die Achylie und die Anämie. Man
könnte somit fragen, ob es sich nicht um ein zufälliges Zusammen¬
treffen handeln könnte.
Selbst wenn die beiden krankhaften Zustände häufig sind,
ist es doch unwahrscheinlich, dass das Zusammentreffen zufällig
sein sollte, wenn man den grossen Prozentsatz Achyliker, die
Anämie haben, betrachtet (28,5 pCt.), und namentlich wenn man
sieht, dass 11 pCt. schwere einfache Anämie hatten. Ein Kontroll-
matefial ist doch sehr wünschenswert, nm diese Frage beurteilen
zu können. Ich habe dazu zunächst die Verhältnisse bei Poly¬
arthritis chronica benutzt.
Bei dieser Krankheit ist die chronische Achylie ein relativ
häufiges Phänomen, wie ich das früher betont habe. In ca. 7*
aller Fälle findet sich eine Achylie, somit bei 15 von 65, die
in den letzten 3 Jahren auf Abt. B behandelt sind. (Tabelle 3.)
Tabelle 3.
1910—1912
An¬
zahl
Hämo¬
globin
65 bis
50 pCt.
Hämo¬
globin
50 pCt.
Im
ganzen
pCt.
Achylia gastrica.
95
4
8
12
12,7
Hypochylia gastrica.
16
l
1
2
(12,5)
Nervenkrankheit und Achylie . .
8
0
1 2
2
(25)
Polyarthritis chronica mit Achylie
15
2
1 2
2
(27)
„ „ ohne „
50
(1)
1?
1 (2)
2(4)
Febris rheumat. ac.
72
2
2
Untersuchen wir das Verhalten der Anämie der Achylie-
kranken in diesen Jahren, so haben wir im ganzen 95 Patienten
mit Achylie. Ausser 10 perniciösen Anämien finden sich unter
ihnen 12 schwerere Anämien vom Typus der einfachen Anämie,
ungefähr 18 pCt. Nehmen wir allein die mit Polyarthritis
chronica komplizierten 15 Achylien, so finden wir darunter 4 von
diesen Anämien, was eine noch höhere Prozentzahl ergibt, und
dasselbe gilt von 8 Achylien, die sich zusammen mit verschiedenen
organischen Nervenkrankheiten finden, wie Myelitis, Paralysis
agitans, Tabes, Ischias; darunter finden sich 2 schwere Anämien,
also auch relativ viele.
Dagegen finden wir bei den 50 Fällen von Polyarthritis
chronica, bei denen keine Achylie nachgewiesen ist, starke Anämie
nur in zwei Fällen, und in dem ausgesprochensten Fall vermissen
wir sogar hier eine Untersuchung der Sekretionsverhältoisse des
Magens; im zweiten Fall bestand eine starke Hypochylie, wenn
auch keine komplette Achylie.
Aehnlich finden wir bei der akuten Febris rheumat., wo
die Achylie selten ist, allerdings relativ häufig, ganz leichte
Anämien; aber kommen wir unter 65 pCt., so finden wirzwischen
72 Fällen nur 2, und keiner von ihnen reichte unter 50 pCt.
Wir sehen hier einen bedeutenden Unterschied im Auftreten der
Anämie bei unseren Patienten mit Achylie und bei denen ohne
solche, und wir können nicht im Zweifel sein, dass ein Zusammen¬
hang zwischen diesen beiden krankhaften Zuständen besteht.
Wir werden später auf die Frage zurückkommen, wie weit ein
Kausalitätsverhältnis hier besteht.
Ich will noch darauf aufmerksam machen, dass man auch
bei Patienten mit nicht vollständiger Achylie in ähnlicher Weise
Anämien antreffen kann. Bei 16 Patienten, die bei der Aufnahme
Achylie, aber später niedrige Säurezahlen zeigten, positive, wenn
auch schwache Reaktion auf Kongopapier und negative mit dem
Günzburg-Reagenz, also keine wirklich freie Salzsäure, fanden
wir zweimal einfache Anämie unter 65 pCt.
Bevor wir die Gruppe der einfachen Anämien* verlassen, will
ich nur die praktische Bedeutung hervorheben, die ihre Kenntnis
für den Arzt hat, und namentlich die Kenntnis der stets recidi-
vierenden chronischen Fälle, die sich schwer heilen lassen. Kennt
man sie nicht, wird man sich schwer überzeugen, dass es sich
nicht um eine gefährliche innere Krankheit und speziell um Ulcus
oder Krebs handelt. Aber io bezug auf das Leben ist die Pro¬
gnose in diesen Fällen gut, selbst wenn die Anämie schwer zu
beeinflussen ist.
Achylia gastrica mit perniciöser Anämie.
Gehen wir nunmehr zur Gruppe der echten perniciösen
Anämien über, so besteht kein Zweifel, dass ein enges Ver¬
hältnis zwischen der Anämie und der Achylie existiert, denn diese
ist beinahe ein konstantes Phänomen bei der idiopathischen
perniciösen Anämie.
Ausser den 22 Fällen in unserem Material hier finden sich eine
Menge anderer Fälle in der Literatur. Ich selbst habe nur in einem
Fall einen Blutbefund wie bei der perniciösen bei einem Pat. mit er¬
haltener Magensekretion angetroffen, aber dieser Fall wich doch in
mehreren Beziehungen von dem gewöhnlichen Biermer’schen Typ ab.
Die Anämie des Pat. ging bis auf 1,5 Millionen herunter mit 30pCt.
Hämoglobin, Index 1, nachdem längere Zeit Nasenblutungen und zuletzt
Retinahämerrhagien bestanden hatten.
Pat. erholte sioh vollständig und war bei normalem Blutbefund
durch 7 Jahre lang ganz gesund. Dann bekam er ein typhoides Fieber
und dabei eine starke Blutung, die eine bedeutende Anämie verursachte,
die auch diesmal erhöhten Index zeigte, die sich aber sehr besserte,
bis er an einer interkurrenten Erkrankung (Pneumonie) starb.
In der Literatur habe ich ausserdem nur eine Beobachtung von er¬
haltener Magensekretion bei einem Pat. mit idiopathischer perniciöser
Anämie gefunden, nämlich Sophie Herzberg’s Fall. Auch hier war
der Verlauf jedoch nicht ganz typisch, da der Index zunächst niedriger
als 1 war, danach allerdings höher, aber zuletzt hatten die weisaen Blut¬
körperchen bis auf 70 000 pro Kubikmillimeter zugenommen.
Diese zwei Fälle hindern uns daher nicht, die Achylie als
ein konstantes Phänomen bei der typischen idiopathischen perni¬
ciösen Anämie zu betrachten. Aber so allgemein anerkannt dieses
Zusammentreffen ist, ebenso uneinig ist man doch, wenn man den
Zusammenhang zwischen der Achylie und der perniciösen Anämie
erklären will. Die ursprünglich von Fenwick vorgetragene An¬
schauung, dass die Anämie eine direkte Folge einer auf Schleim¬
hautatrophie beruhenden Achylie wäre, also eine Art Ernährungs¬
störung, musste sehr bald aufgegeben werden. Die Martius’sche
Lehre, dass erst, wenn an die Magenatrophie sich eine Darm¬
atrophie anschliesst, die perniciöse Anämie entsteht, musste ver¬
lassen werden, nachdem Bloch und ich gezeigt hatten, dass eine
V
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UNIVERSUM OF IOWA
960
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
solche Darmatrophie sich bei perniciösen Anämien überhaupt
nicht findet.
Statt dessen stellten Bloch und ich die Hypothese auf,
dass die Achylie auf einer toxischen Gastritis beruht, die
denselben Ursprung wie die Anämie hätte and dieser also koordi¬
niert wäre. Wir dachten nns die Anämie von einem blut-
destruierenden Gift hervorgerufen, and dass dieselbe Vergiftung
eine toxische Gastritis mit Achylie verursacht, wie man das bei
anderen Intoxikationen und Infektionen sehen kann.
Dass sich bei der perniciösen Anämie wirklich nicht nur
eine Achylie fand, sondern konstant auch eine stark aus¬
gesprochene Gastritis, konnten wir in allen von uns untersuchten
Fällen nachweisen, wie dies auch an vielen anderen Stellen nach¬
gewiesen ist.
Diese Anschauung von der Achylie als Folge einer toxischen
Gastritis wird auch von Lazarus vertreten. Scbaumann
schloss sich ihr an, und sie ist wohl ziemlich allgemein acceptiert.
Verschiedene von mir gemachte Beobachtungen haben jedoch
in mir Zweifel an der Haltbarkeit dieser Hypothese entstehen
lassen, von der man übrigens auch von anderer Seite, wenn auch
mit anderer Motivierung, loszukommen versucht hat.
Es ist mir immer auffällig gewesen, dass sich, wie zeitig
man auch immer zur Untersuchung einer perniciösen Anämie
kam, doch immer Achylie vorfand. Man sollte erwarten,
dass man Fälle so früh treffen könnte, dass das eventuelle Gift
auf das Blut einzuwirken begonnen, aber dem Magen noch nicht
so sehr geschadet hätte, dass es zum Aufhören der Sekretion ge¬
kommen wäre, aber derartiges ist nicht beobachtet. Dagegen
hatte ich jetzt Gelegenheit, einige Kranke zu beobachten, wo
ganz entgegengesetzt die chronische Achylie ganze Jahre hin¬
durch konstatiert war, bevor die Kranken Zeichen von perniciö^er
Anämie aufwiesen. Ich will drei solcher Beobachtungen an
führen.
1 . P. L., Kaufmann. Gestorben am 2. Mai 1911, 89 Jahre alt.
Erste Untersuchung 1908. Komplette Achylie. (Professor
Lorentzen.) 1 */* Jahre hatte er dyspeptische Symptome gehabt, Cardi-
algie, unregelmässiger Stuhl, abwechselnd hart und dünn. Schmerzhafte,
blutrote Zunge (Hunter’sohe Glossitis?). Keine Blässe der Haut.
1907 wiederholte Untersuchungen: Achylie. Keine freie HCl.
Totalacidität 12—20. Hämoglobinmenge 85—90 pCt. (Sahli.)
Dyspepsie, Cardialgie und Obstipation.
1908 wiederholte Untersuchungen: Achylie. Freie HCl 0. Total¬
acidität 6 .
1911 Universitätsklinik. Letztes Jahr Blässe. Jetzt leichter Icterus
und Retinahamorrhagien. Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 27. Keine
okkulte Blutung.
März Hämogi. 25 pCt., rote Blutkörperchen 1 500 000, Index 0,8
• 28 , „ * 850 000 , 1,7
April ^ 22 „ 9 ,, 840 000 „ 1,3
„ ff 18 , ff ff 850000 ff 1
Mai Tod. Sektion: Universelle Anämie und Fettdegeneration der
Organe. Leichte Milzschwellung. Megaloblastische Degeneration des
Knochenmarks.
2. Chr. K., Anwalt. Gestorben am 17. April 1912, 55 Jahre alt
Erste Untersuchung 1909. Komplette Achylie. (Dr. Kramer
Petersen.) Freie HCl 0. Totalacidität 31. Kein Pepsin oder Lab¬
ferment. Hämoglobinmenge 90—100 pCt. Cardialgie, Erbrechen und
Anorexie. Keine okkulte Blutung.
1910. Hämoglobinmenge 90 pCt.
1911. Hämoglobinmenge 90 pCt.
1912. (Dr. Borgbjärg.) Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 30.
Kleine Retention nach 12 Stunden.
Febr. Hämogl. 37 pCt., rote Blutkörperchen 1 360 000, Index 1,4
März * 42 „ „ « 1350 000 „ 1,5
* * 40 ff ,, ff 1 390 000 ff 1,4
„ . 31 » w ff 1060 000 , 1,5
Makrocytose mit Megalocyten von 10 bis 12,5, Leukopenie.
1912. Universitätsklinik. April Hämoglobin 23 pCt., rote Blut¬
körperchen 400000. Tod. Keine Sektion.
3. Ch. W., Kaufmann, 54 Jahre alt.
Erste Untersuchung 1902. Komplette Achylie. (Prof. Sjöqvist.)
Hämoglobinmenge 95 pCt. Schwere im Epigastrium, sonst keine
Symptome.
1910. März: Hämoglobinmenge 60 pCt. Komplette Achylie. Freie
HCl 0. Totalacidität 0.
Mai: Hämoglobinmenge 65 pCt.
Juni: Hämoglobinmenge 70 pCt.
September: Hämoglobinmenge 60 pCt.
1912. Juli: Hämoglobinmenge 54 pCt.
1912. Privatklinik. Achylie. Freie HCl 0. Totalacidität 24.
Keine okkulte Blutung. Starke Diarrhöen, periodisch leichter Icterus.
Retinablutungen. Blässe, keine Abmagerung. Im Blut Makrocyten,
kernhaltige rote Blutkörperchen, Leukopenie. Leichte Milzschwellung.
Septbr. Hämogl. 46 pCt.. rote Blutkörperchen, 1 780 000, Index 1,3
9 fl
54
» »
9
1500 000
f>
1,8
Oktbr. ff
37
n y>
9
1 200 000
9
1,5
99 99
20
» n
fl
900 000
9
1,1
99 B
16
ja 9
9
760 000
9
1,1
99 99
81
» fi
9
1000 000
9
1,5
Novbr. jj
45
fi fi
1 270000
9
1,8
99 99
47
» r>
»
1700 000
9
1,4
Dezbr. „
32
9 9
9
1230 000
9
1,3
„ ff
40
9 9
9
1 300 000
9
1,5
Zustand seitdem unverändert, etwas schwankend.
Tod im Februar 1912.
In allen drei Fällen ist die Diagnose Anaemia perniciosa
zweifelhaft, wenn auch nur der eine Fall zur Autopsie gekommen
ist. Bei keinem von ihnen fanden sich in den Fäces Bandwurm¬
eier, und es war keine andere Krankheit bei den Patienten zu
konstatieren. Die Achylie war sieben, bzw. drei und zehn
Jahre nacbgewiesen, bevor die Anämie sich zeigte, und
die normale Hämnglobiumenge des Blutes war bei allen ungefähr
gleichzeitig mit der Achylie konstatiert worden. Es ist also klar,
dass die Achylie in diesen Fällen der Anämie vorausgegangen
ist. Von einer Koordination der Gastritis und Anämie kann keine
Rede sein, aber die Vermutung liegt nahe, dass die Achylie auf
eine oder die andere Weise in ursächlichem Verhältnis zu der
später sich entwickelnden starken Anämie steht Selbst wenn sie
nicht ein direkt veranlassendes Moment ist, muss man doch ver¬
muten, dass sie die Anämie indirekt verursacht.
Von einem zufälligen Zusammentieffen kann nicht gut die
Rede sein, dazu nimmt die Gastritis einen allzu centralen Platz
in dem Krankheitsbilde der perniciösen Anämie ein, und ich
kann binzufügen. dass der häufige Befund von auch leichteren
Anämien bei Achylie gastrica die pathogenetische Bedeutung der
Gastritis des weitereu stützt.
Wir kommen hier auf die alte Fenwiok’sohe Anschauung zurück,
dass die Gastritis Ursache der Anämie ist, wenn wir auch eine andere
Erklärung als die suchen müssen, dass die Anämie durch die mangel¬
hafte Ernährung verursacht wird. Wir müssen ein Zwischenglied, eine
Komplikation der Achylie als die eigentliche Ursache suchen. Von be¬
sonders grosser Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die von Tal 1-
quist im staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen ausgeführten
Untersuchungen über Bothriocephalusanämie, die, wie bekannt, in
Blutbefund und Symptomatologie mit der idiopathischen perniciösen
Anämie ganz übereinstimmt. Er hat gezeigt, dass die perniciöse Bothrio-
cepbalusanämie auf dem Auftreten besonders blutdestruierender Gifte
im Bandwurm, Hämolysinen beruht, die durch den Darm resorbiert
werden und Blutdestruktion hervorrufen. Bekanntlich schwindet die
Anämie, wenn der Wurm ausgetrieben und die Quelle der Hämolysin¬
bildung verstopft ist.
Wie natürlich, erweiterte Tallquist seine Betrachtungen auf die
idiopathische perniciöse Anämie und berührte die Möglichkeit, dass hier
Hämolysine aus den atrophischen Prozessen resorbiert werden könnten,
die man im Magendarmkanal fand. Hierdurch erhielten die pathologi¬
schen Veränderungen in diesen Organen eine erneute Bedeutung, und
namentlich, da ich nun Beispiele von Vorhandensein von Achylie lange
vor der Anämie nachweisen konnte, verdienen die anatomischen Ver¬
hältnisse eine besondere Besprechung.
Wie erwähnt, glaube ich nacbgewiesen zu haben, dass die Lehre
von der Atrophie im Darm jedes Anhaltspunktes entbehrt, und das ist
auch von denen acceptiert worden, die später mit guten Methoden unter¬
sucht haben. Wir finden auch keine Entzündungsprozesse im Darm¬
kanal dieser Patienten. Die häufigen Darmstörungen, namentlich die
Diarrhöen, beruhen auf der Achylie; sie gehören zu der Gruppe von
Diarrhöen, die von Schmidt dyspeptische Diarrhöen genannt werden,
die gastrogen sind, auf Achylie beruhen.
Von Schläpfer ist behauptet worden, dass sich bei Patienten mit
perniciöser Anämie in der Darmschleimhaut Zellen mit eigentümlich
lipoidartigem Inhalt finden sollten, bei denen man hämolytische Eigen¬
schaften vermuten könnte. In einem gut entwickelten Fall von per¬
niciöser Anämie haben wir sorgfältig auf diese Zellen untersucht, ohne
eine Spur von ihnen finden zu können, während andererseits Aschoff
angibt, sie gewöhnlich in Leichen von Patienten angetroffen zu haben,
die nicht die mindeste Anämie hatten.
Man kann daher kaum die Vorstellung von pathologischen
Veränderungen in der Darmwand als Quelle der Resorption von
Hämolysinen aufrechterhalten. Besser künnte man in der kon¬
stant vorhandenen Gastritis die Quelle solcher Stoffe soeben,
namentlich, da sie so häufig zu Atrophie mit ausgesprochenem
Drüsenschwund führt.
Hiergegen kann jedoch angeführt werden, dass zwischen dem
Prozess in der Magenwand und dem Entstehen der Anämie durch¬
aus kein Parallelismus nacbgewiesen werden kann. Die Gastritis
führt allerdings zur Atrophie, aber der Grad derselben bängt von
der Zeit ab, die sie bestanden hat, und die perniciöse Anämie
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Original frorn
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
961
scheint bald zeitig, bald spät im Verlauf der Gastritis auftreten
zu können.
In meiner und Lange’s Abhandlung über die Pathogenese
der chronischen Achylie haben wir über einen Magen von einem
Patienten mit perniciöser Anämie berichtet und ihn abgebildet
Die Schleimhaut war hier stark entzündet, zeigte aber keine Spur
von Atrophie, die Drüsenschicht war in ihrer ganzen Ausdehnung
erhalten. Laut Krankengeschichte war auch kein Zeichen von
Gastritis oder Magenleiden überhaupt vorhanden, bevor Anzeichen
von der Anämie sich einstellten, die im Laufe eines Jahres zum
Tode führten.
Im Gegensatz hierzu haben wir einen 21jährigen jungen
Mann beobachtet, der im Mai 1912 im Reichshospital unter allen
Zeichen perniciöser Anämie starb, die bis auf 28 pCt. Hämoglobin
und 925000 roten Blutkörperchen (Index 1,5) herabging und die
sich bei der Sektion als eine typische perniciöse Anämie erwies.
Er batte 4—5 Jahre lang Zeichen von Anämie gezeigt, aber die kom¬
plette Achylie, die er hatte, scheint schon längere Zeit bestanden
zu haben, denn nach mehreren Lungenentzündungen in der Kind¬
heit litt er ständig an chronischer Diarrhöe, bis zu 7—8 mal
dünnem Stuhl in 24 Stunden. Bei der Sektion zeigten sich die
Därme völlig normal und bei der mikroskopischen Untersuchung
ohne Atrophie, ohne zweifellose Entzündungsphänomene und ohne
Schläpfer’sche Lipoidzellen. Die Diarrhöe musste also von der
Magenerkrankung, der Achylie herrühren. Anatomisch fand sich
im Magen überall eine starke diffuse Entzündung und an grossen
Partien des Magens bestand, besonders in seinem Pylorusteil, eine
komplette Atrophie der Magendrüsen (Fig. 1). Das Obeiflächen-
epithel war erhalten, aber unter ihm fand sich nur ein zellen¬
reiches Granulationsgewebe mit reichlichem Bindegewebe und ver¬
einzelten Drüsenresteu. An vielen Stellen war das Ventrikelepithel
durch Darmepithel mit Becherzellen und Lieberkühn’schen Drüsen
ersetzt (Fig. 2). Nur im Cardiateil fanden sich Partien, wo die
Ventrikeldrüsenschicht im wesentlichen erhalten war, aber auch
hier stark entzündet mit Bindegewebs- und Rundzellanhäufungen
(Fig. 3).
Figur 1.
Gastritis mit Atrophie der Magendrüsen und Follikelbildung der Schleim¬
haut. Nur das Oberflächenepithel und einige Magengruben sind erhalten.
Vergrösserung 1:50.
Figur 2.
Gastritis mit Atrophie der Mageudrüsen. Obeiflächenepithel ist mit
Darraepithel und die Magendrüsen mit Liebekühn’schen Drüsen ersetzt.
Vergrösserung 1:46.
Figur 3.
Gastritis mit unregelmässiger Infiltration der Schleimhaut ohne Atrophie
der Magendrüsen. Vergrösserung 1 : 42.
Vergleicht man diese beiden Beobachtungen, so sieht man,
dass die Atrophie für das Entstehen der Anämie nicht das Ent¬
scheidende sein kann, und man kann hinzufügen, dass man bei
alten Leuten sehr oft Gastritiden mit der ausgesprochensten
Atrophie ohne Spur von Anämie trifft. Wie auch Herzberg das
betont hat, ist die Atrophie nur ein Ausdruck dafür, dass die
Gastritis eine gewisse Zeit bestanden hat, und dass sie an Aus¬
dehnung mit dem Alter der Gastritis zunimmt.
Es ist somit schwer, die mögliche Resorption von Hämo¬
lysinen direkt auf die anatomischen Veränderungen in der Magen¬
schleimhaut zu beziehen, und man muss auf andere Weise suchen,
ein Mittelglied zwischen der Gastritis und der Anämie zu finden.
Als ein solches Zwischenglied haben einige Forscher an eine
vielleicht vom Magendarmkanal ausgehende Infektion gedacht
(Hunter, Ellermanu). Man könnte auch an eine vom Darm¬
kanal ausgehende Intoxikation wie bei der Bothriocephalusanämie
denken.
Ich will in diesem Zusammenhang besonders die Bedeutung
der bekannten bakteriziden Eigenschaften des sauren Magensaftes
betonen. Diese sind ganz abhängig von der Anwesenheit der
freien Salzsäure. Wie schon Madsen und Yundell vor einer
Reihe von Jahren nachgewiesen haben, ist das Duodenum unter
normalen Verhältnissen so gut wie immer steril, aber bei Patienten
mit Achylie, wo die desinfizierende Eigenschaft des Magens auf¬
gehoben ist, bekommen wir eine reiche Flora in dem obersten,
sonst sterilen Abschnitt des Darmes. Wie ich vor langer Zeit
das betont habe, ist man berechtigt, in dieser abnormen Darm¬
flora eine Hauptursache der so häufigen, oft putriden Diarrhöen
zu sehen, die die Patienten mit Achylie plagen, und wir könnten
vielleicht hier auch eine Quelle für ihre Anämie haben, wie
Grawitz es schon hervorgehoben hat.
Man muss sich ja erinnern, dass eine ganze Reihe von Bak¬
terien im Besitz stark hämolytischer Eigenschaften und wohl zu
merken solcher sind, dass sie Hämolysine ausscheiden, die sehr
wohl Gegenstand der Resorption sein könnten. Hämolysine sind
bei vielen pathogenen Bakterien nachgewiesen, beim Streptococcus
longus, dem Staphylococcus aureus, Bacillus perfringens, Bacterium
coli, ausserdem beim Tetanus, Cholera und vielen anderen, und
sie können natürlich von weit mehr Bakterien produziert werden,
als zur Zeit bekannt sind.
So liegt der Gedanke nicht fern, dass sich in der Darmflora
des obersten, besonders resorptionsfähigen Abschnitts des Darms
solche hämolytischen Bakterien entwickeln könnten. Die Barriere
des Magens ist gebrochen, und der Organismus ist nicht darauf
eingerichtet, die Resorption von Hämolysinen an dieser Stelle zu
hindern, wie das im Colon geschehen muss. Der ganz moderne, be¬
sonders von den französischen Pathologen bearbeitete Krankheits¬
begriff, der hämolytische Icterus, findet sich bei vielen Infektionen,
speziell Septikämien, und äussert sich durch Icterus von wechseln¬
der Stärke, Anämie und Milzscbwellung, ganz wie wir das bei
den perniciösen Anämien finden, und dieser Symptomenkomplex
wird gewöhnlich bei verschiedenen Darmkraukheiten beobachtet.
Betrachten wir den Darminhalt als Quelle der Hämolysine, so
kommen wir damit auf alte Erfahrungen zurück, dass schwere
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962
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Anämien häufig bei Dünndarmstrikturen mit Stagnation in den
dilatierten Darmteilen oberhalb der Strikturen entstehen. Be¬
sonders naheliegend scheint mir diese Hypothese als Erklärung
für die leichteren Fälle von Anämie bei Achylie, die einfachen
Anämien, zu sein. Aber sie kann auch auf die idiopathischen
perniciösen Anämien ausgedehnt werden. Wir befinden uns hier
auf wenig gesichertem Boden, und es ist nicht meine Meinung,
neue Anschauungen über diese hingeworfene Hypothese hinaus
auszusprechen, sondern nur einen von den Wegen zu zeigen, auf
denen eine primäre Gastritis mit Achylie eventuell Anlass zur
Entstehung einer Anämie geben kann. Mir kommt es speziell
darauf an, zu zeigen, dass die Gastritis nicht eine Folge der An¬
ämie ist, und dass die Gastritis und die Anämie nicht auf einer
gemeinsamen Ursache beruhen, sondern dass die chronische
Gastritis mit Achylie der Anämie vorangebt und in ur¬
sächlichem Verhältnis zu der Anämie steht.
Ueber Heilung tablscher Erscheinungen durch
Arsen und durch Bakterienpräparate.
Von
Prof. Dr. Döllken in Leipzig.
Von einer eigentlichen Heilung der Tabes kann nicht ge¬
sprochen werden, da die bestehenden Ausfallserscheinungen irre¬
parabel sind. Während der ganzen langen Dauer der chronischen
Krankheit jedoch laufen an den Nerven und Organen des Tabikers
Krankheitsprozesse ab, die therapeutischen Eingriffen gut zugängig
sind. Die sehr zahlreichen stationären Tabesfälle in jedem Krank¬
heitsstadium (Naturheilungen) mahnen direkt zu aktiven Heil¬
bestrebungen.
Wirklich kausale Therapie kennen wir bis jetzt nicht.
Die unveränderte Spirochaeta pallida ist nicht der Erreger der
Tabes. Daher wirken weder Salvarsan noch Quecksilber spezifisch
bei Tabes.
So ausgezeichnete Erfolge die rein symptomatische The¬
rapie (Frenkel, Förster u. a.) selbst in schweren Fällen er¬
zielt hat, die Notwendigkeit der allgemeinen Therapie bleibt
bestehen. '•*'
Einen besonders wichtigen Platz in der allgemeinen Therapie
der Tabes nimmt neuerdings das Arsen ein. Die starke Wirkung
der Arsenpräparate auf den Stoffwechsel, auf LeukocytenVermehrung
im Blut, auf Kräftigung einzelner Organe setzen den Körper des
Tabikers in Stand, sich wirksam gegen das Tabesvirus zu wehren.
Es ist bislang kein Beweis erbracht, dass Arsenikalien den Er¬
reger der Tabes zu vernichten vermögen, wohl aber ist es
wahrscheinlich, dass sie die Körperorgane zur erhöhten wirksamen
Produktion von Schutz stoffen anregen.
Salvarsan.
Das grosse Interesse bat sich natnrgemäss dem Salvarsan
zugewandt. Während non Alt, Wechselraann, Donath, Collins
und Armour, Leredde, Haccius u. a. weitgehende Besse¬
rungen der tabischen Symptome durch Salvarsan beobachtet
haben, fehlt es auch nicht an negativen Resultaten. Treupel
sah, dass die Krankheitserscheinungen nach relativ kurzer Besse¬
rung sich wieder verschlimmerten. Oppenheim kennt Fälle,
deren Ataxie sich nach der Salvarsaninjektion verschlimmerte.
Es scheint, dass in neuerer Zeit die positiven Resultate
uberwiegen, und zwar seitdem immer mehr die Tatsache erkannt
wurde, dass nur grosse Dosen von Salvarsan in öfterer Wieder¬
holung metaluetische Prozesse günstig beeinflussen können (Drey-
fus, Leredde u. a.). Damit muss allerdings nicht nur der
Gedanke an die Möglichkeit einer Sterilisatio magna bei meta¬
luetischen Erkrankungen fallen, sondern auch die Idee ihrer
spezifischen Beeinflussung durch Salvarsan. Die geringe Neuro-
tropie des Mittels ist ein Grund dafür, dass meist nur durch
häufige grosse Gaben Erfolge von relativer Dauer erzwungen
werden können.
Meine eigenen Erfahrungen an mehr als 100 Fällen gehen
dahin, dass die Tabiker ungleicbmässig auf Salvarsan reagieren.
Viele erfahren schon auf kleine intravenöse Dosen 0,25—0.3
eine Hebung des Allgemeinbefindens und des Kräftezustandes.
Das ist bei der gewöhnlichen Mutlosigkeit der Tabiker ein wich¬
tiger Erfolg. Manche aber bekommen nach der ersten Dosis
starke Reizsymptome, eine erhebliche Verschlimmerung aller
subjektiven Beschwerden, oder eine Verschlimmerung des Ge¬
samtzustandes. Die unangenehme Erfahrung kann man fast ebenso
oft an Kranken im präataktischen Stadium, wie an solchen mit
fortgeschrittener Tabes machen. Vermutlich handelt es sich dabei
um eine Reizung der Produktionsstätten des Tabesvirus.
Es ist sehr fraglich, ob es gelingt, durch Salvarsan allein oder durch
Salvarsan und Hg die Erreger der Tabes auf direktem oder indirektem
Wege zu vernichten. Ein Patient, der niemals die geringsten tabischen
Beschwerden gehabt hatte, dessen Tabes durch Zufall entdeckt worden
war, hatte es nach vorgelegten Unterlagen fertig gebracht, sich innerhalb
eines Jahres fast 25 g Salvarsan injizieren zu lassen. Die in dieser Zeit
etwa 6 mal vorgenommene Wassermannreaktion ergab stets einen posi¬
tiven Ausfall. Einen Monat nach der letzten Salvarsaninjektion hatte er
zwar keine Beschwerden, von objektiven Symptomen aber Pupillenstarre,
Fehlen der Achilles- und Patellarreflexe, deutliches Romberg’sches
Zeichen, Herabsetzung der Haut- und Tiefensensibilität an den typischen
Stellen. Demnach kein Ausfallssymptom beseitigt, aber auch nicht die
Hypästhesie geheilt, die hier nicht Ausfallserscheinung war.
Gelegentlich wird temporär die Wassermannreaktion ne¬
gativ. In vielen Fällen gelingt es, durch 4—6malige intravenöse
Injektion von je 0,5 Salvarsan, am besten kombiniert mit Hg,
lancinierende Schmerzen zu beseitigen, Krisen, Ataxie, Hypästhesie,
Augenmnskel8törungen, Blasenbeschwerden erheblich zu bessern.
Einfluss auf erloschene Sebnenreflexe und auf Pupillenstarre habe
ich nicht nachweisen können.
Leider lässt nicht selten nach einiger Zeit, etwa nach 3 bis
10 Monaten, der erreichte Erfolg nach. Wiederholung der Kur
hat längst nicht immer das gleiche Besserungsresultat.
1. Sch., Kaufmann, 39 Jahre alt. Lues vor 15 Jahren. Starke
Ataxie der oberen, geringe der unteren Extremitäten. Sehnenreflexe
fehlen. Haut- und Tiefensensibilität stark herabgesetzt. Romberg mässig
stark. Hypotonie. Anämie. Lancinierende Schmerzen im Ulnarisgebiet
beiderseits und in beiden Beinen. 8. IX. 1910: Wassermannreaktion
negativ. Salvarsan 0,5 intravenös. Kein Erfolg, keine Schädigung.
Februar/März 1911 4 Salvarsaninjektionen intravenös je 0,5 werden glatt
vertragen. Die Schmerzen schwinden, Schrift und Ataxie werden be¬
deutend besser, Gangstörungen sind nicht mehr nachzuweisen. Ver¬
schlimmerung des Zustandes September 1911.
2. R., Kaufmann, 36 Jahre alt. Lues vor 13 Jahren. Intensive
Hg-Kuren durch 5 Jahre. Im 30. Jahr begannen Magenkrisen, 2 mal im
Jahr. Bald danach Pupillenstarre und Fehlen der Kniereflexe. Queck¬
silber- und Badekuren in Oeynhausen brachten keine Besserung. 1910
in jedem Monat 3—8 Tage heftige Magenkrisen, die den Patienten sehr
herunterbrachten. Wassermannreaktion stark positiv.
Oktober 1910 Salvarsan 0,6 intravenös, glatt vertragen. Magen¬
krisen hören auf. April 1911 eine Magenkrise. Mai 1911 in jeder Woche
Magenkrisen von 1—2 Tage Dauer, die an Heftigkeit rasch zunehmen,
so dass Patient fast unfähig zu jeder Tätigkeit ist. Nun auch ataktische
Störungen, Kniereflexe aufgehoben, Hautsensibilität, Tiefensensibilität an
den Beinen stark herabgesetzt. 16. VI. Salvarsan 0,4 intravenös, glatt
vertragen. Gleich nachher enorme Verschlimmerung der Magenkrisen.
Naoh weiteren Salvarsaninjektionen 0,6 am 3. VII. und 0,6 am 18. VII.
sistieren die Magenkrisen wieder. Ataxie bessert sich erheblich. Bis
April 1912 kein Rückfall, Ataxie jedoch schon im November 1911 wieder
deutlicher.
3. S., 50 Jahre alt, Lues vor 25 Jahren. Typische Tabes seit
10 Jahren. Starke Ataxie, lanzinierende Schmerzen in den Beinen,
Kehlkopfkrisen, Anämie. Arteriosklerose. Haut- und Tiefensensibiiität
von den Brustwarzen an nach unten zu stärker werdend sehr beträcht¬
lich herabgesetzt, an Unterschenkeln und Fussen fast aufgehoben.
Sehnenreflexe aufgehoben. Stürzt hin beim Versuch, das Romberg’sche
Zeichen zu prüfen.
Juni 1912 Salvarsan 0,3 intravenös, glatt vertragen. Am nächsten
Tage bereits starke Verschlimmerung der sämtlichen Beschwerden. Kehl¬
kopfkrisen ungemein heftig und quälend bedingen im Verein mit den
lanzinierenden Schmerzen völlige Schlaflosigkeit. Bekämpfung der Er¬
scheinungen nur unvollkommen mit Pyramidon. Gehfähigkeit durch
stärkere Ataxie verschlechtert. Patient ist zu weiteren Salvarsaninjek¬
tionen nicht zu bewegen.
Die von mir meist angewandte Kombination von Salvarsan
nnd Quecksilber ergab dieselben Resultate wie Salvarsan allein.
Der therapeutische Effekt hielt nicht länger an.
Enösol.
Als wertvolles Mittel in der Tabestherapie bewährte sich
auch mir die lösliche Arsenquecksilberverbindung Enesol. Selbst
dekrepide Tabiker, denen Salvarsan oder Schmierkur schlecht
bekommen war, vertrugen die Enösolkur durch 5 Wochen sehr gut.
Mit ziemlicher Sicherheit Hessen sich auf Monate mit einer
Enösolkur die lanzinierenden Schmerzen bessern oder vertreiben.
Der Ernäbrungs- und Kräftezustand nahm stets zu. Ataxie und
Sensibilitätsstörungen wurden jedesmal gebessert. Auch auf
Krisen war ein günstiger Einfluss nicht zu verkennen. Nie da-
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
963
gegen habe ich die Pupillenstarre weichen und erloschene Sehnen¬
reflexe im Verlauf der Kur wieder anftreten sehen.
Bezüglich der Heilungsdauer sah ich neben unverändert
guten Erfolgen seit 2 Jahren (bis jetzt) auch mehrere Rückfälle
nach etwa 4—6 Monaten.
Noch bessere Resultate als ich haben Schaffer und auch
Hudovernig mit Enöaol erreicht.
Bakterien präparate.
Wenn die Tabes durch ein aktives infektiöses Agens
hervorgebracht wird, und das ist mehr als wahrscheinlich, so
Rind es wohl veränderte Spirochäten, die ihre Wirksamkeit an
den hinteren Wurzeln, am Rückenmark und an anderen Organen
entfalten. Noguchi (1913) hat einmal bei Tabes Spirochäten
gefunden. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass ein weiterer
Mikroorganismus erst die Spirochäten mobilisiert und aktiviert und
damit zu ihrer besonderen Wirkung veranlasst.
Oder es werden von den Infektionsträgern in ihren Wirbel¬
knochenherden, die dem allgemeinen Säftestrom besonders schwer
zugängig sind, Toxine erzeugt, die allein oder in Verbindung
mit den Mikroorganismen als Hauptangriffspunkte die Hinter¬
wurzeln und Hinterstränge nehmen.
Ausser den Zerstörungsprozessen an Rückenmark und
Hinterwurzeln finden sich während der ganzen Dauer der Er¬
krankung subchronische, chronische und recidivierende anders¬
artige Krankheitsprozesse in peripheren Nerven und in
Körperorganen, alle bedingt durch das Tabesvirus.
Die Richtigkeit der Ueberlegung vorausgesetzt, müssen haupt¬
sächlich drei Arten von Mitteln therapeutische Erfolge
erzielen. Zuerst baktericide Stoffe, wenn sie nur im Säftestrom
an die Brutstätten der Tabeserreger herangebracht werden können.
Ferner Bakterienprodukte und andere Mittel, welche die
Fähigkeit haben, die Tabestoxine zu binden und in eine un¬
schädliche Form überzufübren.
Drittens Eiweisskörper und ähnliche, die den Organismus
unter Fieberbewegung und Hyperleukocytose zu einer starken
Reaktion zwingen. Organe des Körpers selbst mögen dadurch
zur erhöhten Bildung von Antikörpern angeregt werden. Dazu
die Phagocytose und Fermentwirkung der Leukocyten. v. Wagner
hat das Verdienst, zuerst und systematisch die günstige Wirkung
eines solchen Stoffes, des Tuberkulin, auf Paralyse studiert zu
haben.
Pyocyanase.
Es erschien mir aussichtsvoll, gegen Tabes baktericide
Stoffe anzuwenden. Ich nahm meinen Ausgang von der Pyo¬
cyanase.
Pyocyanase enthält bakteriolytische Enzyme, die aus den Zell¬
leibern des Bacillus pyocyaneus frei geworden sind (Emmerich und
Löw) und einen isolierbaren, lipoiden, baktericid wirkenden
Körper (Landsteiner und Raubitschek). Von den Verdauungs¬
säften wird Pyocyanase nicht leicht angegriffen (Emmerich). Die sehr
stark auflösende Wirkung auf Spirillen — auch Spirochaeta pallida
— ferner auf Milzbrandbacillen, Staphylokokken, Gonokokken, Diphtherie¬
bacillen und Diphtherietoiin ist durch Reagenzglasversuche und durch
das Tierexperiment einwandfrei nacbgewiesen worden.
Die interne Verabreichung hat selbstverständlich auf tabische Pro¬
zesse keinen Einfluss, auch nicht auf Magenkrisen.
Subcutane und intramusculäre Injektion ist schmerzhaft und gibt
eine starke lokale Reaktion. Es ist mir nicht gelungen, einen meiner
Patienten zur Durchführung der Kur zu bewegen. Doch genügten die
gemachten Injektionen zur Feststellung einer starken Hyperleukocytose
und eines günstigen Einflusses auf lanzinierende Schmerzen.
Py ocy an eus vaccine.
Von einer Pyocyaneusvaccine konnte ich erwarten, dass sich
eine besondere Wirkung durch Endotoxine neben der allgemeinen
durch das Bakterieneiweiss erzielen lässt. Auf meine Veranlassung
bat daher das sächsische Serumwerk und Institut für Bakterio-
therapie in Dresden eine Pyocyaneusvaccine dargestellt und mir in
dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, ebenso alle weiteren Bak¬
terienpräparate meiner Untersuchungsreihe.
Kulturen des Bacillus pyocyaneus werden ohne Bestandteile des
Nährbodens in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt und bei
+ 65° C abgetötet. Von der Aufschwemmung werden Einzeldosen mit
100—2000 Millionen Keimen in 1 ccm Lösung angefertigt.
Angewandt habe ich Pyocyaneusvaccine in 19 Tabes fällen
des frübataktischen und präataktischen Stadiums, jedesmal mit
einem günstigen therapeutischen Erfolg.
Die Injektionen erfolgen alle zwei Tage. Anfangsdosis 100 Millionen
Keime. Steigen je nach Reaktion auf 1000—5000 Millionen Keime pro dosi.
Oertliche Reaktion an der Einstichstelle wird häufig beob¬
achtet Sie besteht in leichter Rötung der Haut und geringer Schwellung
des Gewebes, die nach 24—36 Stunden wieder verschwunden ist. Lokal¬
reaktion, Allgemeinwirkung und therapeutischer Erfolg stehen nicht in
einfacher Beziehung zueinander.
Von den Allgemeinerscheinungen ist zuerst die Tempe¬
raturerhöhung zu erwähnen. Es ist nicht nötig, die Temperatur um
mehr als 1—1,5* C über die Normaltemperatur zu treiben. Damit ist
gesagt, dass die Normaltemperatur im Einzelfall festgestellt werden
muss. Ein sehr grosser Teil der Tabiker im ataktischen Stadium hat
normal 35,5—36,1° C Tagestemperatur (cf. Kurven).
10—20 Stunden nach der lüjektion wird die Höchsttemperatur
erreicht. Dann erfolgt ein mässiger rascher, nie ein kritischer Abstieg.
Gelegentlich zeigt sich eine zweite Kurvenspitze am folgenden Abend.
Ausserordentlich variabel ist die Toleranz und Resistenz
gegen Pyocyaneusvaccine. Während der eine Tabiker sehr rasch bei
der Höohstdosis von etwa 5000 Millionen Keimen pro injectione ohne
wesentliche subjektive Beschwerden anlangt (Krankengeschichte Nr. 1),
kann bei dem anderen im langsamen Anstieg die Dosis von etwa 500
bis 1000 Millionen Keimen nicht überschritten werden. Als objektiver
Maassstab für das Injektionsquantum dient die Temperaturkurve. Für
die ungleiche Toleranz der verschiedenen Individuen habe ich weder in
der Schwere der Tabes noch in komplizierenden Erkrankungen einen
Grund finden können. Es zeigt sich sogar gelegentlich, dass kräftige,
sonst völlig gesunde Tabiker im initialen Stadium bei negativer Wasser¬
mannreaktion sehr stark auf Pyocyaneusvaccine reagieren.
Ich beginne mit der Injektion von 100 Millionen Keimen in die
Streckmuskulatur des Oberarms, gebe nach je zwei Tagen 100, dann 200,
dann 300 Millionen Keime. Bei 200—300 zeigt sich stets eine deut¬
liche Temperaturerhöhung. Uebersteigt sie den gewünschten Effekt
von 1 bis 1,5° G, so gehe ich zunächst etwas herunter, um dann langsam
wieder anzusteigen. Unter Umständen musste ich 3—4 mal nach¬
einander 200—300 Millionen Keime injizieren, weil jedesmal die Tempe¬
ratur um 1,5—2° G stieg. Das sind die Fälle, in denen man nicht
über 500—1000 Millionen Keime hinausgehen soll. Etwas häufiger sind
Fälle, in denen die zweitägigen Iöjektionsdosen 50, 100, 200, 300, 500,
1000, 1500, 2000, 3000, 5000 und jedesmal weiter 5000 bis zum Ende
der 4—5 wöchigen Kur betragen.
Die Pulsbeschleunigung geht der Temperatur parallel. Mit
dem Fieber zeigt sich gelegentlich etwas Kopfdruck und erschwertes
Einschlafen am Injektionstage.
Die Darmentleerung ist während der Kur etwas verlangsamt,
die Urin men ge etwas vermindert. Abnorme Bestandteile treten im
Urin nicht auf. Das Körpergewicht sinkt in den Kurwochen langsam
um 1—2 kg.
Die Leukocytenzahl steigt nach jeder Injektion an, ist 24 Stunden
später am höchsten und sinkt dann bald ab. Die Hyperleukocytose
geht nicht dem Fieber parallel. Sie erreicht ihre höchsten Werte ge¬
wöhnlich etwa 14 Tage nach Beginn der Kur. Selten werden Werte
von mehr als 15 000 bei einer Normalzahl von 6000 bis 7000 gezählt.
In einem Fall betrug die Höcbstzahl 24 000.
Eine Resistenz gegen Pyocyaneusvaccine wird nur sehr langsam
erworben. Die Ausscheidung ihrer wirksamen Bestandteile ist in der
Hauptsache nach 2—3 Tagen beendigt, wie sich durch superponierte
Injektionen und durch die Temperaturkurve der meisten Normalkuren
demonstrieren lässt (cf. Kurve 3). Der Heilerfolg hängt weder von der
besonderen Höhe des Fiebers, noch von der Stärke der Leukocytose, noch
von der mehr oder minder energischen Allgemeinreaktion des Körpers ab.
Es ist nicht an wahrscheinlich, dass Pyocyanens-
vaccine einen direkten Einfluss auf die Tabeserreger
und auf das Tabesvirus ausübt, wohl im Sinne einer Wachs-
tumsbemmung der Erreger und Bindung ihrer Toxine.
Die therapeutische Wirkung zeigt sich bereits nach
wenigen Injektionen. Zunächst werden die lanzinierenden
Schmerzen geringer und schwinden bald völlig. Dann bessern
sich die ataktischen Erscheinungen, die Gehfähigkeit wird
besser; die Kräfte beginnen sich zu heben. Blasen- und Mast¬
darmstörungen erfahren bedeutende Besserung. Paretische
Augenmuskeln wurden in den beobachteten Fällen beweglicher.
(Verschwanden sind die Paresen erst völlig, als ich später noch
Salvarsan gab.) Das Romberg’sche Zeichen wird meist in
leichteren und mittelschweren Fällen zum Schwinden gebracht.
Niemals aber habe ich während der Kur erloschene Sehnen¬
reflexe wieder auftreten oder licbtstarre Pupillen sich bewegen sehen.
Die Wassermannreaktion blieb stets positiv oder negativ
wie vor der Kur.
3. S., 32 Jahre alt, Kassenbote. Präataktisches Stadium. Lues
vor 11 Jahren. Seit einem Jahre heftige lanzinierende Schmerzen iu
den Beinen. Grosse Mattigkeit. Pupillen starre. Patellarreflexe,
Achillessehnenreflexe fehlen. Romberg’sches Zeichen deutlich. Ab und
zu gehen morgens einige Tropfen Urin unbemerkt ab. Hypästhesie an
den Unterschenkeln und Füssen. Ataxie beim Kniehackenversuch.
Wassermannreaktion im Blut positiv. Beginn der Kur am 7. I. 1912.
Verträgt Pyocyaneusvaccine sehr gut, reagiert aber bis zum Schluss der
Kur mit annähernd derselben Temperaturerhöhung auf jede Injektion.
Kumulati.vwirkung (Superposition) der Vaccine am 13. II.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Kurve 1.
Tabelle 1.
Id 19 Fällen:
Laminierende Schmerzen nach 4 Injektionen geschwunden, Ataxie Unverändert !
und Blasen Störung, Romberg nach 8 Injektionen. Sensibilität an den
16
19
19
Unterschenkeln bessert sich allmählich. Keine Müdigkeit und Mattigkeit
mehr. Kein Einfluss auf Sehnenreflexe und Pupillen. Gewichtabnahme
2,5 kg. Wassermannreaktion bleibt positiv.
Erfolg jetzt nach 1 1 / 4 Jahr unverändert. Ist im Dienst wie
früher tätig.
4. D., 85 Jahre alt, Kutscher. Ataktisches Stadium. Lues vor
15 Jahren. Sehr heftige lanzinierende Schmerzen in den Beinen, Gürtel-
gefühl. Alle 3 Wochen Magenkrisen. Anämie. Erhebliche Ataxie in
den unteren Extremitäten, dadurch arbeitsunfähig. Gang stampfend.
Starker Romberg. Knie- und Achillesreflexe erloschen. Bedeutende
Hvpästhesie der unteren Extremitäten und des Leibes. Urinträufeln.
Linkes Lid hängt etwas. Reflektorische Pupillenstarre. Wassermann¬
reaktion im Blut negativ.
Beginn der Kur am 8. I. 1912. Ziemlich starke Reaktion auf mittlere
Dosen der Pyocyaneusvaccine, zuletzt eine stärkere Empfindlichkeit
statt Resistenz. Ausscheidung der Vaccine langsam, 3 tägiger Typus.
Zuverlässig Hessen sich in allen Fällen lanzi-
nierende Schmerzen und Blasenstörungen zum Ver¬
schwinden bringen. Krisen wurden nach Abschluss der
Kur nicht mehr beobachtet. Nur in einem Fall waren die
Krisen zwar sehr gebessert, aber doch nicht völlig beseitigt.
Die Ataxie war in allen Fällen mindestens so erheblich
gebessert, dass praktisch keine Gehstörung mehr vor¬
lag und die Arbeitsfähigkeit nicht mehr behindert war.
In 3 Fällen wurde die vor der Kur nicht unerhebliche Ataxie
der unteren Extremitäten so weit beseitigt, dass beim Knie¬
backenversuch ohne Augenkontrolle keine Störung mehr fest¬
gestellt werden konnte. Besonders hervorgehoben zu werden ver¬
dient die bis jetzt 1—l^jährige Dauer der Heilresultate.
Es ist kein Rückfall zu verzeichnen. Nur in einem Falle schien
nach 10 Monaten eine leichte Verschlechterung der sehr ge¬
besserten Ataxie eintreten zu wollen (cf. Fall 4). Auf eine Wieder¬
holung der Kur drängten alle 9 Patienten mit sehr gebesserter
Ataxie. Ich habe nach 6—10 Monaten die Kur mit anderen
Mitteln, zumTei) mit Pyocyaneusvaccine kombiniert, wieder¬
holt, in jedem Einzelfall mit einem Plus an Erfolg.
Als Kontraindikation für meine Behandlung habe
ich Tabes ira 3. Stadium und wesentliche Komplikationen von
seiten des Respirations- und Verdauungstractus betrachtet.
Staphylokokken vaccine.
Viel weniger Erfolg habe ich mit der polyvalenten
Staphylokokken vaccine gehabt.
Die lanzinierenden Schmerzen schwinden nach wenigen Injektionen,
später die Blasenstörung und das Gürtelgefühl. Die Hypästhesie bessert
sich. Gegen Ende der 6 wöchigen Kur ist die geringe Ptosis fast ge¬
schwunden, das Romberg’sche Zeichen gering, der Gang fast normal bei
offenen Augen. Gewichtsabnahme von 58 auf 57 kg. Vermag seinen
Dienst als Kutscher wieder zu versehen. Während der Kur eine Magen¬
krise, seitdem nicht wieder. Wassermannreaktion im Blut negativ
geblieben. Besserung der Ataxie liess um Weihnachten 1912 etwas nach,
wurde dann durch eine andere Kur noch mehr gebessert als vorher
durch die Pyocyaneuskur.
5. P., 55 Jahre alt, Buohbinder. Präataktisches Stadium. Lues
geleugnet. Wassermannreaktion im Blut stark positiv. Lanzi-
nierende Schmerzen in Armen und Beinen seit 5 Jahren. Blasenkrisen,
Urinabgang. Enge, starre Pupillen. Knie-, Achillesreflexe aufgehoben.
Romberg deutlich. Hautsensibilität an der lateralen Seite der Unter¬
schenkel massig, Tiefensensibilität stärker herabgesetzt; dieselbe Hyp¬
ästhesie einer bandtellergrossen Fläche unter der linken Brustwarze.
Beginn der Kur am 12. IV. 1912. Normaltemperatur unter 36,0° C.
Reagiert gut auf mittlere Dosen Pyocyaneusvaccine.
Kurve 3.
Sehr bald schwinden die lanzinierenden Schmerzen, die Blasen-
bescbwerden und nach beendigter Kur auch die Blasenkrisen. Bis jetzt
kein Rückfall. •
Im ganzen habe ich 19 Fälle mit Pyocyaneusvaccine behandelt.
In allen Fällen war Lues nachweisbar entweder anamnestisch oder
durch die Wassermannreaktion. Die Wassermannreaktion war
positiv in 14, negativ in 5 Fällen. Demnach in 74pCt. posi¬
tiver Ausfall.
Nach der Kur Wassermannreaktion positiv 14, negativ 5 Fälle.
(Tabelle 1.)
Ich habe in steigender Dosis von 100 bis 5000 Millionen Keime in¬
jiziert. Die Lokalreaktion ist meist nicht sehr stark, die Allgemein¬
reaktion gering. Eine bemerkenswerte Temperatursteigerung zeigt sich
nicht, die Hyperleukocytose ist gering. Hohe Dosen von 5000 Millionen
Keimen verursachen oft Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Gefühl schwerer
Krankheit.
Der therapeutische Erfolg einer 4—6 wöchigen Kur ist nicht be¬
deutend. Die lanzinierenden Schmerzen bessern sich oder verschwinden
für einige Zeit. Auch die Ataxie bessert sich meistens.
Von den 5 mit Staphylokokkenvaccine behandelten Fällen hatten alle
vor der Kur und nach der Kur positive Wassermannreaktion. (Tabelle 2.)
Ataxie
Lanzi¬
nierende
Schmerzen
Krisen
p 1
II
«2
09
Pupillen¬
starre
1
S
*
Vor der Kur.
4
5
1
4
3
5
Geschwunden.
—
2
—
—
—
—
Sehr gebessert ....
—
3
—
2
—
—
Gebessert.
2
—
—
—
—
Unverändert.
2
1
2
3
5
Staphylokokken toxi ne.
Weiter habe ich ein Präparat verwandt, welches durch keimfreie
Filtration einer 3 wöchigen Staphylokokkenbouillon gewonnen ist und
keinerlei Zusätze erhalten hat. Zur Kultur sind mindestens 4 Staphylo¬
kokkenstämme verwandt worden. Die in die Bouillon übergegangenen
Bakterientoxine wirken energisch auf den menschlichen Organismus ein.
Steigende Dosen von Vr. bis s / 4 ccm injiziert, rufen Hyperleukocytose und
Fieber bis 39 °C hervor. Resistenz wird relativ rasch erworben. Sehr
unbequem sind die starken Nebenerscheinungen, wie Kopfschmerz, Mattig¬
keit, Krankheitsgefühl. Der therapeutische Erfolg kleiner Dosen ist
nicht genügend. Die unangenehmen Nebenerscheinungen lassen eine
längere Kur mit grösseren Dosen untunlich erscheinen. Günstiger Einfluss
auf lanzinierende Schmerzen und Ataxie unverkennbar. Behandelt 4 Fälle.
Autolysierte Staphylokokkenvaccine.
Gute Resultate habe ich mit einem Staphylokokkenautolysat
gewinnen können.
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
965
Es ist naoh der Vorschrift von Sei lei (1909) hergestellt, enthält
aber ausserdem noch in 1 ccm etwa 4000 Millionen Keime, die durch
Zusatz von 0,5proz. Karbolsäure abgetötet worden sind.
Begonnen habe ich mit der intramuskulären Injektion von Vio com
und konnte fast immer ziemlich rasch auf 1—2 ccm steigen. Bei Staphylo¬
kokkenautolysatvaccine gibt die jedesmalige Temperatursteigerung und
das Allgemeinbefinden den Maassstab für die nächste Injektions-
dosis. Die Temperatur wird zweckmässig auf etwa 38 °C gebracht —
1—2° über die Normaltemperatur. Gelegentlich sind die Nebenerschei¬
nungen, Krankheitsgefühl, Schwäche usw., ziemlich stark. Die Hyper-
leukooytose bewegt sich in mittleren Werten, kann aber ausnahmsweise
auch einmal 20000 übersteigen.
Einigemal erlebte ich es, dass nach den ersten Injektionen die lan-
zinierenden Schmerzen heftiger wurden, dann aber rasch vollständig
schwanden. Schon bald nach Beginn der Kur bessert rieh die Ataxie
bedeutend. Als ziemlich hartnäckig erwiesen sich Gürtelgefühle, die erst
gegen Ende der 5 wöchigen Kur aufhörten. Kehlkoptkrisen, Magenkrisen
besserten sich bedeutend, vergingen aber völlig erst auf nachfolgende
Salvarsankuren. Eine Ptosis besserte sich sehr rasch, wurde aber nicht
völlig geheilt. In einem Fall schwand eine frische tabische Arthropathie
nach etwa 8 Injektionen. Das Romberg’sche Zeichen wird stets schwächer
oder schwindet.
Die Wassermannreaktion im Blut, Papillenstarre, fehlende
Sehnenreflexe werden nicht beeinflusst.
6. Sch., 40 Jahre alt, Organist. Lues nicht zugegeben. Wassermann¬
reaktion negativ. Pupillenstarre. Westphal. Starker Romberg. Erheb¬
liche Hypästhesie der Beine. Lanzinierende Schmerzen in den Beinen.
Blasenschwäche. Augenkrisen. Ptosis links. Beträchtliche Ataxie. Der
Zustand hatte sich in etwa 8 Wochen entwickelt. Zu Beginn der Kur
noch vor der ersten Injektion begann sich eine tabische Arthropathie im
rechten Sprunggelenk zu entwickeln. Erhielt zuerst 4 Injektionen Staphylo¬
kokkenvaccine, dann Staphylokokkenautolysatvaccine. Während die erste
keine deutliche Einwirkung hatte, zeigte sich nach wenigen Dosen des
Autolysats eine erhebliche Besserung. Die lanzinierenden Schmerzen
schwanden, gleichzeitig besserte sich rasch die Ataxie und bald auch die
Blasenschwäche. Das linke Lid konnte besser gehoben werden. Patient
brauchte bei Prüfung des Romberg nicht mehr gehalten zu werden. Die
Hypästhesie der Beine wurde geringer. Nach etwa 8 Injektionen zeigte
das rechte Sprunggelenk nur noch eine sehr geringe Verdickung und
konnte mit normaler Kraft bewegt werden.
Kurve 4.
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Die Kur war im ganzen anstrengend. Nach der 4. und 8. Injektion
grosse Abgesohlagenheit und Mattigkeit. Zum Schluss der Kur war der
Gang mit Augenkontrolle fast normal, Patient konnte wieder Orgel
spielen, was bis dahin völlig unmöglich war, weil er die Pedale nicht
richtig traf. 2 Monate später Salvarsan 2,0 in 3 Injektionen. Danach
Verschwinden der Ptosis, Aufhören der Augenkrisen. — Seit Beendigung
der Autolysatkur tut Patient Dienst wie früher ohne Beschwerden. Ueber
eine zweite andere Kur 8 Monate später zur Verbesserung des Resultats
mit Erfolg werde ich in anderem Zusammenhang berichten.
Behandelt habe ich mit Staphylokokkenautolysatvaccine
8 Fälle. Wassermannreaktion bleibt trotz der Kur unverändert
4 Fälle positiv, 4 negativ. (Tabelle 3.)
Tabelle 8.
In 8 Fällen:
Ataxie
Lanzi¬
nierende
Schmerzen
'.Krisen
Blasen¬
störungen
Pupillen¬
starre
Westphal
Vor der Kur.
5
5
2
6
6
8
Geschwunden.
—
5
—
5
—
—
Sehr gebessert ....
4
—
2
1
—
—
Gebessert ......
1
—
—
—
—
—
Unverändert.
—
—
—
—
6
8
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass bei 8 von den 5 Ataktikera
gleich zu Beginn der Kur auch Frenkel’sche Uebungen angewandt worden
sind. Im Fall Sch. jedoch erst einige Zeit nach Abschluss der Injektions¬
kur angefangen, brachten sie noch eine weitere kleine Besserung des
Ataxierestes.
Tuberkulin.
Nach meinen ersten Untersuchungen mit Pyocyoneusvaccine
war es mir selbstverständlich, dass auch Tuberkulin eine Heil¬
wirkung auf den tabischen Prozess haben müsste. Ich habe da¬
her 16 Tabiker des ersten und zweiten Stadiums mit Injektionen
von Alttuberkulin behandelt, und zwar nach den Prinzipien, die
v. Wagner und Pilcz für ihre Tuberkulinkuren bei Paralyse
aufgestellt haben. Die erzielten Erfolge waren gut. Fälle mit
kräftiger Fieberreaktion bis 39° C. und starker Leuko-
cytose wiesen die günstigsten Resultate auf. Weniger gut be¬
einflusst wurden die Fälle, bei denen rasch Resistenz gegen hohe
Tuberkulindosen von 1,0 bis 2,0 eintritt. Der Gang des Heilungs¬
prozesses ist derselbe wie bei den anderen Bakterienpräparaten.
Zuerst Schwinden der lanzinierenden Schmerzen, dann Besserung
der Ataxie und Krisen. In zwei Fällen sehr rasch sich ver¬
schlimmernder Tabes im ataktischen Stadium konnte ich mit einer
energischen Tu berkul in kur nach wenigen Injektionen einen
Stillstand und dann eine glänzende Besserung erreichen.
Beide Patienten, die infolge ihrer Ataxie nicht mehr allein
im Zimmer gehen konnten, sind seit mehr als einem Jahr
wieder fähig, ohne Störung ihrem Beruf nachzugehen, in
dem sie beständig zu stehen und gehen gezwungen sind. Bei
beiden trat nur sehr langsam eine Resistenz gegen Tuber¬
kulin ein.
Die Dauer der Tuberkulinheilung ist sehr verschieden. Während
die gegen Tuberkulin minder Resistenten lange Zeit, ein Jahr und mehr,
von Rückfällen verschont bleiben, scheint eine rasch erworbene, weit¬
gehende Tuberkulinimmunität einen viel geringeren Schutz gegen das
Tabesvirus zu gewähren. Wenigstens erlebte ich in einigen Fällen, die
zuletzt 2,0 Tuberkulin ohne deutliche Reaktion erhalten hatten, naoh
vier bis sechs Monaten ein beträchtliches Nachlassen der Heilwirkung.
Wiederholung der Tuberkulinkur zeigte, dass noch beträchtliche Immunität
bestand, und dass nun die tabischen Erscheinungen nicht recht weichen ’
wollten.
Behandelt habe ich 16 Tabesfälle mit Tuberkulin. Wasser¬
mannreaktion vor der Kur positiv in 13 Fällen, negativ in
8 Fällen. Davon Lues 1 mal negiert. Nach der Kur dasselbe
Ergebnis. (Tabelle 4.)
Tabelle 4.
In 16 Fällen:
Ataxie
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S | s
GO
Krisen
Blasen- |
Störungen !
Pupillen-
starre
Westphal
Vor der Kur.
8
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2,
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13
15
Geschwunden.
—
12
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8
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Sehr gebessert ....
4
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1
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—
Gebessert.
4
—
2
—
—
—
Unverändert.
—
—
—
—
13
15
Durch vereinzelte Zufallsfunde ist schon früher Heilwirkung
von Bakteriengiften auf tabische Symptome mitgeteilt worden.
Stembo beschreibt 1904 einen Fall, in dem Injektionen anti-
rabischer Markemulsion die bis dabin unerträglichen lanzinierenden
Schmerzen bereits seit Anfang 1902 beseitigt hatten. Allerdings
gibt er, wie Hirschberg, eine unrichtige Deutung. Del Valle
y Aldabalde (1908) hat eine Besserung der Tabes, besonders
der lanzinierenden Schmerzen, nach häufiger Injektion von Diph¬
therieheilserum gesehen.
Meioe Untersuchungen über Bakterienprodukte haben gezeigt,
dass die Entgiftung des Tabesvirus im menschlichen
Körper durch eine ganze Reihe von Bakterienpräparaten —
sicher auf Zeit — erreicht werden kann. Der Effekt ist nicht
durch das Bakterien ei w ei ss, sondern in der Hauptsache durch
Endotoxine bedingt. So sind sehr rasch gewachsene Pyocyaneus-
kulturen selbst in hohen Dosen nicht stark wirksam. Stapbylo-
kokkenvaccine ist selbst in grossen Gaben wenig wirksam, die
Staphylokokken vaccine aber, welche einen kurzdauernden
autolytischen Prozess durcbgemacht bat, vermag in ge¬
ringen Mengen intensive Wirkung zu entfalten. Verschiedene
weitere Bakterienpräparate, — die Versuche sind noch nicht
ganz abgeschlossen — mit noch intensiverer Wirkung auf
tabische Krankheitserscheinungen haben mir ebenfalls den Satz
bestätigt.
4
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UNIVERSUM OF IOWA
966
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Aus der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten
der Universität zu Strassburg i. E. (Direktor: Prof.
Dr. Wolff).
Ueber Arsenlähmungen.
Ein Beitrag zur Beurteilung der Nebenwirkungen des
Salvarsans (bzw. Neosalvarsans).
Von
Dr. Obermiller,
Oberarzt im 2. Rhein. Hus.-Regt. Nr. 9.
Obwohl in allen neueren toxikologischen Lehrbüchern Kon¬
vulsionen als cerebrale, Lähmungen als spinale Sym¬
ptome der Arsen Vergiftung erwähnt sind, scheinen diese Angaben
in der Salvarsanzeit doch keine genügende Beachtung und
Würdigung erfahren zu haben: sonst hätten nicht so viele
Theorien über die Nebenwirkungen des Salvarsans auf¬
gestellt und gerade die neurotoxische Wirkung des
Präparates so bekämpft werden können. Vor allem aber
scheint das klinische Bild der Arsenlähmung, seit unser
Reichsgesetz der verheerenden Wirkung dieses Giftes Einhalt ge¬
boten hat, in Vergessenheit geraten zu sein, so sehr, dass die
neuerdings nach Salvarsanbebandlung aufgetretenen Paraplegien
meines Wissens noch von keiner Seite aus als typische Arsen¬
paraplegien bezeichnet worden sind.
Wenn ich auch an anderer Stelle 1 ) den Beweis für die
Identität der Symptome der Arsen Vergiftung und aller Neben¬
wirkungen des Salvarsans durch Gegenüberstellung der beiden
Krankheitsbilder erbracht zu haben glaubte, so empfand ich es
doch noch als eine Lücke, dass mir gerade für die Identität der
Arsen- und Salvarsanparaplegien beweiskräftiges Material nicht
Vorgelegen hat. Muss man doch annehmen, dass, wenn wirklich
die Salvarsanlähmungen rein areentoxisch sind — wovon wir
stets überzeugt waren —, das gleiche Krankheitsbild auch bei
Vergiftungen mit Arsenik schon zur Beobachtung gelangt sein
muss. Diese Erwägungen waren es, die mich veranlasst haben,
in der Literatur nach Arseniklähmungen zu suchen, wobei ich
auf ein so umfangreiches kasuistisches Material stiess — ich habe
etwa 70 Arbeiten gelesen —, dass es weit über den Rahmen
dieser Abhandlung hinausginge, wollte ich alle Fälle hier einzeln
aufführen. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf einige
grössere Arbeiten von Alexander 2 ), Huber 8 ), Imbert-
Gourbeyre 4 ), Jäschke 5 ), Jolly 6 ), Kovacs 7 ), Krehl 8 ),
Marik 9 ), Müller 10 , Renner 11 ), Rubinowicz 12 ), Seelig-
müller 18 ), die auch Referate über viele Fälle bringen, so¬
wie auf die Schmidt’schen Jahrbücher. „Hat ja doch von
allen Giften, u sagt Sch um bürg 14 ), „die im Laufe der Jahr¬
hunderte den Gerichtsarzt beschäftigt haben, keines andauernd
solches Interesse erweckt als gerade das Arsen, aber wohl auch
keines absichtlich oder unabsichtlich soviel Menschen unter die
Erde gebrachte Gehörten die Arsenvergiftungen früher zu den
häufigsten Vergiftungen, so haben die letzten Jahrzehnte eine ganz
bedeutende Abnahme derselben zu verzeichnen.
Für die Beurteilung der Salvarsanparaplegien dürfte es nun
im folgenden angebracht sein, das Bild von der Wirkung des
1) Obermiller, Zur Kritik der Nebenwirkungen des Salvarsans
(bzw. Neosalvarsans) mit besonderer Berücksichtigung des Wasserfehlers.
Strassburg i. E. 1913, Verlag Beust.
2) Alexander, Klinische und experimentelle Beiträge zur Kenntnis
der Lähmungen nach Arsenikvergiftung. Habilitationsschrift, Breslau 1889.
3) Huber, Bayerisches ärztl. IntelI.-Blatt, 1880, Bd. 27, H. 51;
Zeitschr. f. klin. Med., 1888, Bd. 14, H. 5 u. 6.
4) Imbert-Gourbeyre, Des suites de l’empoisonement arsenical.
Paris 1881. Etudes sur la paralysie arsenicale, Gaz. med. de Paris,
1858, Bd. 13, H. 3.
5) Jäschke, Ueber Atrophie und Paralysen nach akuter Arsenik¬
intoxikation. Inaug.-Diss., Breslau 1876.
6 ) Jolly, Deutsche med. Wochenschr., 1893,Nr. 5; Charit6-Annalen,
1893, Bd. 18.
7) Kovacs, Wiener klin. Wochenschr., 1889, Nr. 88.
8 ) Krehl, Deutsches Archiv f. klin. Med., 1889, Bd. 44, H. 4.
9) Marik, Wiener klin. Wochenschr., 1891, Nr. 31—40.
10) Müller, Wiener med. Presse, 1894, Nr. 15 u. 16.
11) Renner, Ueber einen Fall von chronischer Arsenvergiftung.
Inaug.-Diss., Würzburg 1876.
12) Rubinowicz, Ueber Lähmungen und Atrophie nach akuter
Arsenvergiftung. Inaug.-Diss., Jena 1879.
13) Seeligmüller, Deutsche med. Wochenschr., 1881, Nr. 14—16.
14) Schumburg, Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Med., 1893, Bd. 5 u. 6.
Arsens auf das Centralnervensystem wieder ins Gedächtnis zurück¬
zurufen.
Der Arsenicismus cerebrospinalis war infolge der
vielen Schädigungen, die durch arsenhaltige Gegenstände (farbige
Kleider, Möbel, Tapeten, ausgestopfte Tiere usw.) und fahrlässige
Verwechselungen verursacht worden sind, infolge gewerblicher
und arzneilicher Vergiftungen, infolge Missbrauchs des Arseniks
in verbrecherischer und selbstmörderischer Absicht den früheren
Aerzten wohl bekannt.
Darnach folgen die Erscheinungen am Centralnerven¬
system, den Magendarmerscheinungen (die zuweilen von Tempe¬
ratursteigerungen begleitet sind, und von denen schon Orfila
und Tardieu bekannt war, dass sie sowohl nach externer, wie
nach interner und intravenöser Applikation aultreten), sowie den
übrigen, die somatische Reaktion ausmachenden Symptomen
(Uebelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Prostration, Tenesmus,
Zyanose, Collaps, Dyspnoe, Oedemen, laryngo - bronchialen
Katarrhen, Herzbeklemmungen, Tachykardie, Anurie, Albuminurie,
Hämaturie [Seiffert 1 )], Icterus [Freer 2 ), Trost 3 )], Ekzemen,
Herpes, Melanose) oft unmittelbar oder erst nach Tagen,
Wochen, Monaten.
Die rein cerebralen Symptome gehören in die akute
Periode der Vergiftung; es sind mit Coma einhergehende
Konvulsionen epileptoiden Charakters, die entweder rasch
wieder verschwinden oder schon in wenigen Stunden und Tagen
zum Tode führen, so bald, dass Veränderungen der Nerven-
elemente noch gar nicht zustande kommen konnten. Bei der
Autopsie ist daher nur eine Hyperämie des Centralnerven¬
systems, sowie der übrigen Eingeweide mit oder ohne
punktförmige Blutungen festzustellen. Dieser Form der
Areenvergiftung begegnen wir in zahlreichen Fällen in der
Literatur. Auch die Tierexperimente von Popo ff 4 ) und
Kreyssig 5 ) an Hunden bzw. Kaninchen (Vergiftungen mit
Acid. arsenicosum) haben dieselben Befunde ergeben. Nach
Heinz 6 ) und Silbermann 7 ) spielen bei diesen Prozessen Gefäss-
verlegungen eine Rolle.
Die spinalen Erscheinungen, die Lähmungen, sind
die Hauptwirkung des Arsens. Ihr Vorkommen ist seit dem
13. Jahrhundert durch Pierre d’Abano sichergestellt, aber wenig
bekannt geworden; erst in den 60er, 70er Jahren brachte man
ihnen grösseres Interesse entgegen. Sie weisen graduell grosse
Unterschiede auf: man beobachtet Uebergänge von leichter
Muskelschwäche bis zu vollständiger schlaffer Lähmung, von
leichteren Gefühlsstörungen bis zu völliger Anästhesie, von
leichten ataktischen Störungen bis zur Pseudotabes areenicalis.
Lähmungen können bei der akuten, subakuten und chronischen
Form der Vergiftung auftreten. „Jede Areen Vergiftung“, sagt
Alexander (1. c.), „welche nicht ganz leicht oder nicht so schwer
ist, dass der Tod in Kürze eintritt, kann Lähmungen im Gefolge
haben.“ Am seltensten sind sie daher bei der Form der akuten
Intoxikation, die Marik (l. c.) als die cerebrospinale bezeichnet,
wo der Tod unter Krämpfen und partiellen Lähmungen innerhalb
weniger Stunden und Tage eintritt, und am häufigsten stellen
sie sich „konsekutiv“, d. b. nach völligem Verschwinden der
akuten Intoxikationserscheinungen „ge wissermaassen
als ein neuer abgeschlossener Prozess“ ein (Marik).
Im übrigen ziehen die akuten Vergiftungen häufiger Lähmungen
nach sich als die chronischen, und zwar beginnen diese schon,
während die akuten Erscheinungen, auch seitens des Gehirns,
noch bestehen oder im Schwinden begriffen sind. Bei der sub¬
akuten und chronischen Vergiftung, wo die cerebralen und gastro¬
intestinalen Symptome mehr in den Hintergrund treten, entwickelt
sich erst Tage, Wochen und Monate nach der Vergiftung
das Stadium der Arsenlähmung, nach Alexander (1. c.) selten
vor dem 3. Tage und nach der 5. Woche, meist in der 2. und
3. Woche. Diejenigen Lähmungen, welche erst Wochen und
Monate nach Aufhören der primären, gastroenteritischen Er¬
scheinungen, also nach scheinbar vollständiger Genesung,
sich einstellen, sind nach Imbert-Gourbeyre (1. c.) tardive
Lähmungen. Die zeitlich so verschieden auftretenden Motilitäts¬
störungen stimmen jedoch in den wesentlichen Punkten mitein-
1) Seiffert, Wiener med. Wochenschr., 1884, Nr. 34.
2) Freer, Ref. Schmidts Jahrb., Bd. 207.
3) Trost, Ref. Schmidt’s Jahrb., Bd. 159.
4) Popoff, Virchow’s Archiv, Bd. 93.
5) Kreyssig, Virchow’s Archiv, Bd. 102.
6) Heinz, Virchow’s Archiv, Bd. 126.
7) Silbermann, Virohow’s Archiv, Bd. 117.
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UMIVERSITY OF IOWA
26. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
967
ander überein. Bei ihrer Entstehung spielt allerdings die Gift¬
dosis nur eine geringe Rolle: denn Lähmungen treten das
eine Mal schon nach ganz geringen Dosen auf, das andere Mal
bleiben sie nach sehr grossen Dosen aus, wie zahlreiche Bei¬
spiele lehren, wohl aber sind Resorptions- und Aus¬
scheidungsverhältnisse, die individuelle Toleranz, die
Idiosynkrasie nicht zu unterschätzende Faktoren (Marik).
Das Arsen ist heimtückisch und in seiner Wirkung unberechenbar.
Fast stets eröffnen sensible Störungen den Reigen der
Symptome. Sie bestehen in mitunter qualvollen, stechenden,
bohrenden, neuralgiformen Schmerzen, sowie Parästhesien (darunter
auch Gefühl des Erstarrens der Beine und abwechselndes Kälte-
und Wärmegefühl). Weiterhin betreffen die Störungen das
Empfindungsvermögen (Hyper-, Hyp- und Anästhesien) und die
übrigen Qualitäten des Hautsinns (Schmerz-, Orts-, Lage-, Tempe¬
ratursinn). Es sind aber auch Hyperalgesien bei Herabsetzung
der taktilen Sensibilität beobachtet worden, wie auch neben
Anästhesie und -algesie an der Peripherie eine Anaesthesia dolo¬
rosa vorhanden sein kann. Die Sensibilitätsstörungen treten
bilateral - symmetrisch und vorzugsweise und zuerst an
den Beinen auf. Dabei sind die Zehen und Finger bevor¬
zugt — nach Müller (1. c.) die sensiblen Medianusendzweige —
(Akrodynie). Von hier schreitet der Prozess centripetal weiter.
Die Nerven und die von ihnen versorgten gelähmten Muskeln
sind druckempfindlich. Zu den selteneren Erscheinungen gehören
Störungen des Gesichts, des Gehörs, der Blasen- und Mastdarm¬
funktion (Inkontinenz) und der Koordination.
Die Motilitätsstörungen beschränken sich meist auf die
vier Extremitäten, mit Bevorzugung der unteren, welche früher
und stärker befallen werden (im Gegensatz zum Blei). Charak¬
teristisch für die Arsenlähmung ist der Beginn an den peripheren
Enden, Fingern und Zehen (Akroparalysen), bilateral und sym¬
metrisch; von hier erstreckt sie sich dann centripetal auf Hände
und Füsse, Unterarme nnd Unterschenkel, höher hinauf selten.
Die weitaus häufigste Form ist die paraplegische, Mono- und
Hemiplegien sind nur wenig beobachtet worden. Im Gegensatz
zur Bleilähmung mit ausschliesslicher Extensorenbeteiligung sind
bei der Arsen Vergiftung Beuger und Strecker befallen, entweder
gleichmässig oder ungleicbmässig mit stärkerem Ergriffensein der
Strecker, so dass durch Ueberwiegen des Antagonistenzuges Kon¬
trakturen vom Flexionstypus zustande kommen können. Die
Lähmung fängt mit Schwäche und Schwere in den Gliedern
an (erschwertes Treppensteigen, Schleudern der Beine, Einknicken
der Knie). Diese Parese kann sich dann bis zur völligen Para¬
lyse steigern. Nach Müller (1. c.) beginnt die Störung fast stets
am Extensor hallucis longus und den Interossei der Füsse, später
werden Extensor digitorum communis, Tibialis anticus, Peronaeus
longus und brevis ergriffen (Pes equinus-Stellung); an den Händen
nimmt sie ihren Anfang an den Opponentes und Interossei (die
Endphalangen können nicht miteinander in Berührung ge¬
bracht werden, daher Greifbewegung und Pfötchenbildung der
Hand unmöglich — Arsenikhand) (Müller). Die Lähmung ist
stets eine schlaffe', mit Herabsetzung oder Aufhebung der
Sehnenreflexe. Die Hautreflexe zeigen ein verschiedenes Ver¬
halten. Geradezu charakteristisch für Arsenlähmung ist die
rasch (schon in der 2., 3. Woche nach der Vergiftung) und fast
gleichzeitig mit den paretischen Erscheinungen eintretende
Muskelatrophie, an den Spitzen der Extremitäten beginnend
und centripetal fortschreitend, mit Herabsetzung der faradischen
und galvanischen Erregbarkeit oder partieller oder kompletter
Entartungsreaktion. Dieser Muskelschwund ist mitunter so hoch¬
gradig, dass die Extremitätenmuskulatur oft in auffallendem
Kontrast zur sonst wohlerhaltenen Rumpf- und Kopfmnskulatur
steht [Krehl (1. c.), Schaper 1 )]. Die gelähmten Muskeln sind
druckschmerzhaft, die Haut ist darüber schlaff, welk, trocken.
Hand in Hand damit gehen dann noch andere trophische
Störungen der Haut (NagelVeränderungen, Haarausfall) —
Decubitus ist selten beobachtet worden — und Sekretions¬
anomalien (Hyperidrosis und Salivation). Von motorischen
Reizerscheinungen kommen Zuckungen, Tremor, Krämpfe vor.
Seltenere Beobachtungen sind die Anaphrodisia arsenicalis und
die Arsenikaphonie (Stimrobänderlähmung).
Die Rückenmarksläbmung dauert Wochen, Monate und Jahre
lang; cessante causa tritt Besserung, ja sogar vollständige Heilung
ein. Dabei verschwinden die Erscheinungen in derselben Reihen
folge, in der sie aufgetreten sind, es beginnen also die sensiblen
1) Schaper, Beiträge zur Lehre von der Arsenikvergiftung. Berlin 1846.
Störungen, folgen die motorischen und trophischen. Die Resti¬
tutio geschieht dabei ebenfalls symmetrisch, aber centrifugal
absteigend und an den oberen Gliedmaassen zuerst. Am spätesten
kehren die Kniesehnenreflexe zurück.
Die Prognose qnoad vitam ist günstig, Todesfälle kommen
selten vor: ist ja doch die anfängliche Lebensgefahr seitens der
Vergiftung beim Eintritt der Lähmungen meist schon wieder
überstanden. Darum sind auch unsere pathologisch - ana¬
tomischen Kenntnisse trotz der vielen klinischen Beob¬
achtungen ziemlich dürftig und mehr oder weniger rein hypo¬
thetisch. Weitaus der grösste Teil der Autoren, darunter auch
Leyden 1 ), hält die Arsenlähmung ausschliesslich für eine
periphere, toxische, degenerative Neuritis. Zum Teil
mag dies wohl auch daran liegen, dass vielfach nur peripher
nachgesucht wurde. (Eine Zusammenstellung der anatomischen
Befunde s. bei Marik, 1. c.) Die Anhänger des centralen
Ursprungs stehen hingegen nur vereinzelt da und haben dabei
noch das gegen sich, dass sie nicht durch anatomisches Material
den Beweis für ihre Hypothese erbringen können, so Da Costa,
Scolosuboff (cit. nach Marik), Rubinowicz (1. c.). Letzterer
Autor vertritt die Ansicht, dass wir es deshalb nicht mit einer
Erkrankung der peripheren Nervenbahnen, sondern mit einem
spinalen Leiden (der Vorder- und Hinterhörner) zu tun haben,
weil in fast allen Fällen der beginnende Muskelschwund sich als
das erste Symptom zeige, während die Lähmung sich erst später
und allmählich ausbilde. Wie dem auch sei, zugunsten einer
Läsion der peripheren sensiblen und motorischen Nerven,
einer Polyneuritis, spricht jedenfalls der schlaffe, atrophische
Charakter der Lähmung im Verein mit Schmerzen und den ver¬
schiedensten Sensibilitätsstörungen, der Druckempfindlichkeit der
gelähmten Muskeln und Nerven, sowie das fast regelmässige
Fehlen spastischer Erscheinungen, Blasen-, Mastdarmstörungen
nnd Decubitus. Indes erinnert die regelmässig paraplegische
Form der Lähmung mit der Lokalisation im Kerngebiet der Arm¬
and Beinmuskulatur, der Hals- und Lendenanschwellung, doch so
sehr an das Bild der Poliomyelitis anterior, dass die Annahme
wohl berechtigt erscheint, dass bei der Arsenläbmung neben
der peripheren Neuritis zum mindesten auch eine Kern¬
lähmung im Rückenmark, eine Erkrankung der Ganglien¬
zellen der peripheren motorischen Nerven in den Vorderhörnern,
vorliegt. Und dass der Prozess,, dort mitunter sogar noch grössere
Dimensionen annebmen kann, dürfen wir aus dem, wenn auch
seltener beobachteten Vorkommen von Blasen- und Mastdarm¬
inkontinenz [Fälle von Gerhardt 2 ), Henschen 8 ), Krehl (1. c.),
Krön 4 ), Mills 6 ), Langendorff 6 )] und Decubitus [Fälle von
Gerhardt, Stöcker 7 )] schliessen. Diese vermittelnde Ansicht
wird geteilt von Dana 8 ), Erb 9 ), Faklam 10 ), Henschen (1. c.),
Jolly (1. c), Marik (1. c.), Mills (1. c.). Während nach
Henschen die Veränderungen im Rückenmark und an den
peripheren Nerven gleichzeitig auftreten, ist nach Jolly das
Primäre und Konstante die periphere Läsion, und erst sekundär
kann dann auch noch der ganze motorische Tractus bis in
die Vorderhörner des Rückenmarks hinein erkranken.
Lässt uns nun so rein theoretisch betrachtet die Symptoma¬
tologie der Arsenlähmungen eine Mitbeteiligung des Rücken¬
marks vermuten, so werden wir durch einige wenige Autopsie¬
befunde in dieser Annahme nur bestärkt. Es sind dies die
von Erlicki und Rybalkin 11 ). Gerhardt (I. c.); Henschen (I. c.),
Oppenheim 12 ) und Popoff 18 ) beschriebenen Fälle. Wenn ich
trotz eingehenden Suchens in der Literatur 14 ) kein grösseres
Material habe auffinden können, so liegt dies eben an der schon
1) Leyden, Klinik der Rüokenmarkskrankheiten. Berlin 1875, Bd. 2.
2) Gerhardt, Sitzungsbericht der physikalisch-mediz. Gesellschaft
zu Würzburg, 1882, Nr. 7.
3) Henschen, Royal soc. of Sciences of Upsala, Sept. 1893. Ref.
Neurol. Centralbl., 1894, und Schmidt’s Jabrb., Bd. 241.
4) Krön, Neurol. Centralbl., 1902, Nr. 20.
5) Mills, Boston med. and surg. journ., 15. März 1883.
6) Langendorff, Henke’s Zeitschr., 1857, H. 2.
7) Stöcker, Virchow’s Archiv, Bd. 118.
8) Dana, Ref. Scbraidt’s Jabrb., Bd. 213.
9) Erb, Ziemssen’s Handb., Bd. 1.
10) Faklam, Archiv f. Psych., Bd. 31.
11) Erlicki und Rybalkin, Archiv f. Psych., 1892, Bd. 23.
12) Oppenheim, Zeitschr. f. d. gesamte Neurol. u. Psych., 1910,
Bd. 8, Orig.
13) Popoff, Virohow’s Archiv, Bd. 113.
14) Herrn Prof. Chiari, der mir hierbei behilflich war, spreche ich
an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus.
4*
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968
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
oben erwähnten Seltenheit letal verlaufender Arsenlähmungen.
Uebrigens ist auf den Mangel an Sektionsbefunden in dieser
Hinsicht auch schon von anderen Autoren, wie Faklam, Jolly,
Kovacs, Marik, Oppenheim, Popoff hingewiesen worden.
Aus diesen wenigen Beobachtungen geht aber mit Sicherheit
hervor, dass bei der Arsenlähmung in der Tat eine
Degeneration in den peripheren Nerven und im Rücken¬
mark vorkommt.
Des grossen Interesses wegen, das diese pathologisch - ana¬
tomischen Befunde beanspruchen durften, gebe ich sie im
folgenden wieder:
Erlicki und Rybalkin (1. c.): Vergiftung eines 50jährigen
Mannes mit etwa 14 g arseniger Säure. Klinischer Befund: Zu¬
nächst heftiger Magendarmkatarrh, nach neun Tagen Schmerzen und
Schwäohe in den unteren Extremitäten, am zwölften Tage vorübergehender
comatöser Zustand und Schwäohe in den oberen Extremitäten, rechts mehr
wie links. Allmähliche Steigerung der Paresen bis zur völligen
atrophischen Lähmung der oberen (Hände, Vorderarme) und unteren
Extremitäten (Füsse, Unterschenkel) mit Areflexie und Herabsetzung der
elektrischen Erregbarkeit. Die Peripherie war dabei am stärksten be¬
fallen. Maximum der Lähmung in der vierten Woche mit Beteiligung
der Rumpfmuskulatur. Druckschmerzhaftigkeit der Unterschenkel-
muskulafur. Hypästhesie der unteren Gliedmaassen. Von der sechsten
Woche ab allmähliche Besserung. Heilung innerhalb lVs Jahre mit
Kontrakturen an den oberen und unteren Gliedmaassen. Die Regene¬
ration schritt vom Centrum nach der Peripherie vor. Tod nach zwei
Jahren an tuberkulöser Pneumonie und Pleuritis.
Sektionsbefund: Dura cerebri stellenweise verdickt. Miliar¬
tuberkulose der Lungen, Pleuritis adhaesiva sin., Infarctus hepatis,
Enteritis ulcerosa tuberculosa, Myelitis toxica.
Mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks: Sämt¬
liche Nervenzellen des Rückenmarks, besonders in der grauen Substanz
der Vorderhörner beider Anschwellungen, weisen tiefe Degenerationen
auf. Sie sind an Zahl reduziert, die übrig gebliebenen abgerundet, ver¬
kleinert und haben ihre Fortsätze verloren. Ihr Protoplasma ist gelb¬
lich verfärbt und körnig degeneriert, des öfteren kam es zu Vaouolen-
bildung, auch Leukocyten befanden sich stellenweise im Protoplasma.
Die Zellkerne sind blass ohne Kernkörper, mit zernagten Rändern, gelb¬
lich körnig degeneriert oder oft völlig verschwunden. Das Nervennetz
in den Vorderhörnern der beiden Anschwellungen ist geschwunden, das
restierende Gewebe ist nur noch Neuroglia. Die Gefässe sind überfüllt.
Die Vorderstränge sind in beiden Anschwellungen stark verdünnt, arm
an myelinhaltigen Nervenfasern, atrophisch.
Nn. radiales und peronaei: Verminderung der Zahl der Nerven¬
fasern ; an den erhaltenen dünne Markscheiden und dicke Aohsen-
cylinder; Verdickung der Bindegewebssepta; stellenweise zeigen die
Nervenfasern völligen Mangel von Myelin und Achsenoylinder (Degene¬
ration).
Gerhardt (1. o.): Gewerbliche Arsenikvergiftung. Klinischer Be¬
fund: Kältegefühl und Schmerzen in den Armen, Schwäche in Armen
und Beinen mit Muskelschwund und Herabsetzung der elektrischen
Erregbarkeit, unfreiwilliger Urinabgang, Abnahme des Sehvermögens,
Decubitus, Anästhesie und -algesie im linken Bein. Nach langem
Krankenlager Tod infolge Sepsis (vom Decubitus ausgehend).
Sektionsbefund: Weichheit des Rückenmarks, Konturen der
grauen Substanz verwischt, Hyperämie der Gehirn- und Rückenmarks¬
meningen, Pseudomembran auf der Dura cerebri mit Blutpunkten,
milchige Trübung der Pia längs der Gefässe, Hirnwülste abgeplattet,
Furchen mit Serum gefüllt, Ventrikel stark gefüllt, beide Hemisphären
in der Gegend der Vorderlappen vollständig verklebt. Amyloide De¬
generation der Nieren.
Mikroskopische Untersuchung des Rückemarks: Vermeh¬
rung der Gliamasse, ausgehend von der hinteren grauen Kommissur des
Lendenmarks, sich zunächst in das Hinterhoru, dann weiter nach oben
im Halsmark in den rechten Seitenstrang und das rechte Vorderhorn
erstreckend, überall die Struktur dieser Teile zerstörend und dabei voll¬
ständig scharf abgegrenzt gegen das umgebende mehr oder weniger
normale Gewebe. Die centralen Teile dieser neugebildeten Glia-
massen fallen einer Degeneration anheim, die zu Höhlenbildung Veran¬
lassung gibt.
Henschen (l.o.): Klinischer Befund: 49jähriger Mann bekam
vier Stunden nach irrtümlicher Einnahme Va Teelöffels Arsenik Uebel-
keit, Erbrechen, Brennen im Halse. Am nächsten Tage blutige Stuhl¬
entleerungen und stechende Schmerzen und Parästhesien in Händen und
Füssen. Nach einigen Tagen Exanthem. Paresen der Arme und Beine.
Im Verlaufe von drei Monaten traten auf: Herabsetzung des Tast- und
Drucksinns, weniger des Schmerz- und Temperatursinns in Händen und
Vorderarmen, Füssen und Unterschenkeln; Parese der Vorderarme und
Hände (besonders befallen waren Ab- und Adduktoren der Hände,
Beuger und Strecker der Finger, Opponentes und Interossei) mit Kon¬
trakturen in Ellenbogen- und Fingergelenken, Atrophie der Hand- und
Vorderarmmuskulatur und quantitative Veränderung der elektrischen
Erregbarkeit. An den Füssen und Unterschenkeln kam es zur voll¬
ständigen Lähmung mit Kontrakturen in den Kniegelenken, Muskel¬
atrophie, Fehlen der Patellarreflexe und quantitativer Veränderung der
elektrischen Erregbarkeit. Es bestanden Oedeme der Beine, aber keine
Blasen- und Mastdarmstörungen. Der Tod erfolgte sechs Monate nach
der Vergiftung. Kurz zuvor traten noch Hyperästhesien in den Extremi¬
täten, unfreiwilliger Abgang von Urin und Kot, Sprech- und Schling¬
störungen auf.
Sektionsbefund: Hyperämie des Gehirns und seiner Häute,
Füllung der Ventrikel mit Serum, Weichheit des Rückenmarks, Ver¬
wischung der Querschnittszeichnung. Mikroskopisch: Ausgedehnte
Erkrankung der Vorderhornzellen, die alle Stadien der Degeneration er¬
kennen Hessen, vom Hals- bis zum Lendenmark (Verkümmerung und
Schwund). Im Halsmark Degeneration der Goll’sohen Stränge. In der
Höhe des zweiten Lumbalnerven eine 1 cm hohe, 1 mm breite Blutung
ins linke Vorderhorn. Entartete Bündel in den Spinalnerven unterhalb
der Ganglien.
Oppenheim (l.o.): Chronische Vergiftung eines 60jährigen Mannes
durch arsen-antimoDhaltige Tapeten und Vorhänge. Klinischer Be¬
fund: Kribbeln und Stechen in Händen und Füssen, Ekzem, taktile
Anästhesien am stärksten distal und proximalwärts sich verringernd,
Ataxie der Hände und Füsse, Hyperalgesien, Sehnenreflexe der Arme
erloschen, an Knie- und Achillessehnen vorhanden, keine ausgesprochenen
Lähmungserscheinungen, aber ataktischer, breitspuriger Gang. Rom¬
berg -)-. Nach einigen Monaten braune Pigmentation an den Ohren,
vorübergehende Erblindung und Ataxie der Lippenzungenmuskulatur,
Zuckungen und unter zunehmendem Kräfteverfall Tod.
Sektionsbefund: Verdickung und ödematöse Durchtränkung der
Pia; auffallende Verschmälerung der Hirnwindungen; mässiger Hydro-
cephalus internus. In der Mitte des Pons hanfkorngrosser rötlicher
Herd. Eotartungsspuren in den Pyramidenbahnen. Sklerose und klein¬
zellige Infiltration der kleinen Rückenmarksarterien, kleine zellige In¬
filtrationsherde in der Rautengrube. Geringe Entartung der peripheren
Nervenfasern des Medianus.
Popow (l.c.): Selbstmord mit Arsenik. Klinischer Befund:
Zunächst Erbrechen, am andern Tage Dyspnoe, Schwindel, Zuckungen
der Gesichts- und Extremitätenmuskulatur; Tod.
Sektionsbefund: Gehirnsubstanz blutarm, kleine Blutungen in
der Magenschleimhaut; Rückenmarkssubstanz weich mit intensiv rot ge¬
färbter grauer Substanz, aber noch deutlichen Grenzen. Mikroskopisch:
Ueberfüllung der Rückenmarksgefässe mit Blutkörperchen im Hals- und
Brustteil nahe am Centralkanal, ferner in den Hinterhörnern und den
weissen Seitensträngen zahlreiche Blutergiessungen von verschiedener
Grösse. Im Gebiet der Halsanschwellung ausserdem neben den Central-
venen Massen plastischer Exsudate, womit das den obliterierten Central¬
kanal umgebende Gewebe durch tränkt war; grössere Anhäufungen davon
in den Zwischenräumen der auseinandergeschobenen Elemente des um¬
liegenden Gewebes. Die Nervenzellen des Rückenmarks hatten oft trübes
Protoplasma, wobei man keinen Kern unterscheiden konnte. Sie waren
rundlich, ganz oder beinahe der Ausläufer beraubt, besonders im Gebiete
der Hinterhörner. Bedeutend seltener waren Nervenzellen zu finden, die
sich durch ein feinkörniges, schwach durch Karmin zu färbendes Proto¬
plasma mit einem gut erhaltenen and scharf bezeichneten Kerne und
mit einem gerundeten Körper fast ohne Fortsätze auszeichneten. Zellen
von solchem Typus fand man nur in den Vorderhörnern. Manchmal konnte
man in ihrem Protoplasma rundliche Höhluugen verschiedener Grösse be¬
merken, welche sich übrigens öfters in den Zellkörpern ohne Verände¬
rungen befanden. Vacuolisierte Zellen zeigten sich nur selten.
Die wenigen pathologisch - anatomischen Befunde letal ver¬
laufener Arsenikparaplegien werden noch ergänzt durch die Er¬
gebnisse der tierexperimentellen Forschung.
JäsohkeO- e*X der einen Hund mit Sol. Fowleri vergiftet hatte, fand
Apoplexien im Rüokenmark, besonders in der grauen Substanz und der
Hals- und Lendenanschwellung. Vereinzelt waren Vorder- und Hinter¬
hörner alteriert.
Vulpian 1 ) konnte bei mit Arsenik vergifteten Kaninchen eine
Myelitis mit Zerstörung der Nervenfasern der weissen Substanz feststellen.
Nach Schaffer’s 4 ) Experimenten an Hunden und Kaninchen findet
ein Zerfall der chromatischen Substanz durch Zerklüftung statt. Das
Paraplasma kann entweder unverändert oder durch Verschmelzung mit
dem Chromatingerüst homogenisiert erscheinen. Nach Entartung des
Zellleibes bleibt der bläschenförmige, lichte Kern mit seiner Körnchen¬
struktur noch lange sichtbar; erst bei ganz vorgeschrittener Degeneration
des Nervenzellenleibes schrumpft auch schliesslich der Kern und dege¬
neriert.
Die meisten Kenntnisse verdanken wir aber den eingehenden Studien
Popow’s (1. c.). Seine Versuche an Hunden haben zu folgenden Ergeb¬
nissen geführt:
1. Bei akuter Vergiftung mit Acid. arsenicos. kann der Tod
schon nach 4—6 Stunden unter tonisoh-cloniscben Krämpfen eintreten.
Sektion: Oedem und Hyperämie des Gehirns und Rückenmarks und
deren Meningen mit kleinen petechialen Blutextravasaten. Konsistenz-
Verminderung des Rückenmarks. Es schwillt besonders die graue Sub¬
stanz desselben an und wird intensiv rot. Hyperämie der Baucheingeweide.
Mikroskopisch: Starke, venöse, kapilläre Hyperämie, Schwellung der
Endothelkerne der Gefässe, Blutergüsse und Pigmentanhäufungen;
1) Vulpian, Malad, du Systeme nerv., 1879.
2) Schaffer, Ungarisches Archiv f. Med., 1898, Bd. 2, H. 1; Ref.
Sohmidt’s Jahrb., Bd. 241.
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
969
Ganglienzellen teilweise gut erhalten, teilweise vacuolisiert, degenerierend
oder zugrunde gegangen.
2. Bei subakuter Vergiftung tritt der Tod nach 4—6 Tagen
ein. tfakro- und mikroskopisch ist im wesentlichen dasselbe Bild vor¬
handen. Der Unterschied zwischen grauer und weisser Rückenmarks¬
substanz ist jedoch nicht so stark in die Augen springend, die Weichheit
und Lockerung der Gewebe ist stärker, und im Bereich der Anschwellungen
trifft man neben dem Canalis centralis kleine Blutergüsse. Pigmen¬
tierungen und Degenerationen der Ganglienzellen sind ausgedehnter.
3. Bei chronischer Vergiftung .tritt der Tod nach 3—6 Monaten
ein. Es besteht keine Hyperämie des Rückenmarks, sondern ödematöse
Schwellung und grosse Brüchigkeit. Die Grenzen zwischen grauer und
weisser Substanz verwischen sich, die ganze Oberfläche des Durchschnitts
ist gleichmässig gelbrot gefärbt, mit stärkerer Schattierung in der grauen
Substanz. Die Konsistenz ist noch mehr vermindert. Mikroskopisch:
Verdickung der Gefässwände, massige Exsudate, wenige Extravasate, von
normalen Ganglienzellen kaum noch Spuren, viele sind blass, trüb ge¬
schwellt, der grösste Teil zugrunde gegangen; starke Pigmentanhäufung
sowohl in der grauen wie weissen Substanz; in letzterer auch spindel¬
förmige Schwellungen der Achsencylinder und Degenerationen von Fasern.
Bei dem nach 6 Monaten verendeten Tiere traten Parese
der hinteren Extremitäten, Ataxie und Marasmus auf.
Den ganzen Krankheitsprozess charakterisiert Popo w folgender-
maassen: „Er beginnt an den Gefässen, aber die Nervenelemente
der grauen Substanz nehmen schon sehr bald einen tätigen An¬
teil. Auf diese Weise entwickelt sich eine Myelitis centralis
acuta oder, wie Erb sie zu nennen vorgeschlagen hat, eine
Poliomyelitis acuta. Die weisse Substanz nimmt vermöge ihres
geringen Gefässgehaltes nur im weiteren Verlaufe Anteil an der
Entzündung, und dann haben wir eine Myelitis acuta diffusa
vor uns; übrigens ergreift, soviel ich nach meinen Versuchen
urteilen kann, der Prozess alle weissen Säulen ziemlich gleichmässig
und lokalisiert sich nicht vorzugsweise in irgendeiner derselben.“
Wie ich bereits in meiner oben (1) citierten Arbeit hervor¬
gehoben habe, sind auch bei den Vorläufern des Salvarsans
(Atoxyl, Arsacetin, Arsenophenylglycin) dieselben klinischen und
pathologisch - anatomischen Veränderungen an den Organen und
am Centralnervensystem beobachtet worden, wie wir sie jetzt bei
der Salvarsanbehandlung sehen. Als weitere Belege dafür seien
hier noch erwähnt die Arbeit von Schlecht 1 ) mit einer Zu¬
sammenstellung der Symptome der Atoxyl Vergiftung und einem
Todesfall nach Atoxyl — epileptiforme Anfälle mit tonisch-
clonisehen Krämpfen, Coma, Tod am 2. Tage; Section: Hyperämie
der Organe, Lungenödem, punktförmige Blutungen im Bndocard,
Organdegenerationen — und die tierexperimentelle Atoxylvergiftung
von Köster 2 ), wobei Opticusatrophie, Blutungen und Degene¬
rationen io den Organen, Verfettung der Ganglienzellen des Ge¬
hirns, Degeneration der Hinterstränge, der Spinalganglien- und
Vorderhornzellen und der Lissauer’schen Randzone gefunden worden
sind. Die peripheren Nerven waren dabei meist intakt. Schliesslich
haben auch noch Igersheimer und Itani 3 ) bei Atoxylhunden
Hämorrhagien in Organen, bei Atoxylkatzen mit Ataxie, clonischen
Zuckungen, Spasmen und spastischen Paresen zellige Degenerations¬
prozesse im Gehirn und Rückenmark (Protoplasmaschwund, Vacuo-
lisation, Kernschrumpfung) festgestellt.
All diese klinischen und experimentellen Beob¬
achtungen zeigen uns die Uebereinstimmung der Sym¬
ptome der Arsenik Vergiftung mit den Nebenwirkungen
des Salvarsans (bzw. Neosalvarsans) von den Magen¬
darmerscheinungen angefangen bis zur akuten Hirn-
schwellung (Encephalitis haemorrhagica) und Rücken¬
markslähmung. Was sollen denn die Fälle Wolff-Mulzer,
Bayet, Jordan, Marie, Cimbal, Pechin, wo in einer für
die Ausbildung eines luetischen Neurorecidivs viel zu kurzen
Zeit nach Salvarsaninjektionen schwere Rückenmarkslähmungen
sich einstellteo, was der Fall Juliusberg-Oppenheim, wo
einige Tage nach einer Salvarsanbehandlung bei Lues I mit
noch negativem Wassermann eine Paraplegie auftrat, was
vor allem aber der Fall v. Bergmann, wo eine Nichtluetica
im Anschluss an eine Salvarsaninfusion paraplegisch wurde, —
was sollen all diese Fälle anders darstellen als eben die para-
plegiscbe Form der Arsenvergiftung 4 )?
1) Schlecht, Münchener med. Wochenschr., 1909, Nr. 19.
2) Köster, Archiv f. d. ges. Physiol., 1910, Bd. 136.
3) Igersheimer und Itani, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol.,
1909, Bd. 61, H. 1.
4) Eine Beschreibung dieser Fälle siehe bei Obermiller (1. c.).
Nachtrag zum Literaturverzeichnis dortselbst: Fall Bayet, Bullet, de la
soc. fran<j. de dermatologie et de syphiligraphie, 1912, S. 430 u. 453.
Fall Pechin, ebenda, S. 430.
Wohl hat Bayet makroskopisch keine Veränderungen im
Rückenmark bei seinem Falle gefunden, aber der Nachweis der
für Arsenvergiftung typischen Degenerationen, nichtentzündlichen
Veränderungen im Rückenmark ist meines Wissens bei Salvarsan-
lähmungen bis jetzt noch nicht erbracht worden. Um so grösseres
Interesse dürfte daher der inzwischen letal verlaufene Fall Wolff-
Mulzer beanspruchen, bei dem nach den vorläufigen Mitteilungen
über die mikroskopische Untersuchung (Prof. Ghiari) in der Tat
toxisch-degenerative Prozesse im Rückenmark vorliegen.
Durch diesen Fall dürfte die Beweiskette für die rein arsen¬
toxische Natur dieser Salvarsanparaplegien nun geschlossen sein.
Nach den Beobachtungen der Klinik (siehe die citierte Arbeit
Nr. 1) spielen überhaupt bei all den verschiedenen Nebenwirkungen
des Salvarsans und Neosalvarsans andere Momente als die Arsen-
vergiftung keine Rolle. Insbesondere kommt dem Wasser-
fehler, d. h. dem Vorhandensein abgetöteter, banaler
Wassermikroben im sonst sterilen Lösungswasser nach
den hier angestellten Versuchen praktisch gar keine
Bedeutung zu. Die Reaktion auf Salvarsan (und Neo-
salvarsan) ist rein arsentoxisch und bei der Regellosig¬
keit in ihrem Auftreten eben noch abhängig von indivi¬
duellen, konstitutionellen Verhältnissen von seiten des
Patienten. Damit lassen sich in der Tat alle Erscheinungen
nach Salvarsan in befriedigender Weise erklären.
Aus dem pathol. Institut des Auguste Viktoria-Kranken¬
hauses zu Berlin-SchÖneberg (Prosektor: Dr. Hart).
Zur Adrenalinbestimmung im Blut
Von
Leo Adler.
Die biologischen Methoden zur Adrenalinbestimmung im Blut
haben gar viel von der ihnen anfänglich zugeschriebenen Be¬
deutung verloren.
Am wenigsten wohl noch die älteste, die von Meltzer-Ebrmann,
obwohl man ihr Unspezifität [Vatermann und Boddaert 1 ), Pick und
Pineies 2 ), Comessatti 3 )] und grosse Ungesetzmässigkeit im Verhalten
der einzelnen Bulbi [R. H. Kahn 4 )] vorgeworfen hat. Abgesehen von
der nicht sehr grossen Empfindlichkeit kann man mit ihr recht gute
Resultate erzielen [vgl. auch Goldzieher 5 )]. Der Gefässstreifenmethode
von O. B. Meyer, der Kaninchenuterusmethode von FränkeJ, der
Froschgefässdurchblutungsmetbode von Laewen-Trendelenburg hat
man entgegengehalten, dass im Serum neben Adrenalin noch andere
aktive Substanzen vorhanden seien (erregende Wirkung des Normal¬
serums, hemmende Wirkung des Adrenalins auf den Kaninchendarm
[O’Connor 6 )], manchmal vorhandene erregende Wirkung des Normal¬
serums bei hemmender Wirkung des Adrenalins auf den Kaninchenuterus
[Falta und Flemming 7 ), Kahn 8 )]), und dass die resultierenden
Wirkungswerte nicht oder nur teilweise dem auf die glatte Muskulatur
wirkenden Adrenalin, sondern anderen, jedenfalls bei der Blutgerinnung
aus Fibrinogen oder zerfallenem Zellmaterial entstehenden adrenalin¬
ähnlichen Substanzen zuzuschreiben seien [O’Connor 6 ).] Dieser fand
alle Sera, in denen er Adrenalin zerstört hatte, fast ebenso wirksam wie
normale Sera, und er empfahl deshalb, die Adrenalinbestimmung im
Plasma vorzunehmen, doch R. H. Kahn 9 ) fand die Wirksamkeit des
Hirudinplasmas kaum geringer als die des Serums, und er bedenkt, ob
nicht vielleicht Hirudin die Vasokonstriktion herabsetze. Diesen Ein¬
wänden begegnet nun wieder Trend eien bürg 10 ), indem er angibt,
bei der Gerinnung enständen immer die gleichen Mengen vasokonstrik-
torischer Substanz, so dass die Resultate seiner mit Bröking 11 ) an¬
gestellten Versuche keinen absoluten, aber doch relativen Wert behielten.
Aber man hat gegen die einzelnen Methoden noch weitere Einwände er-
1) Vatermann und Boddaert, Deutsche med. Woobensohr., 1908,
Nr. 25.
2) Pick und Pineies, Biochem. Zeitschr., 1908.
3) Comessatti, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., 1909,
Bd. 60.
4) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 140 u. 144.
5) Goldzieher. Die Nebennieren. Wiesbaden 1911.
6) O’Connor, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 27.
7) Falta und Flemming, Münchener med. Wochenschr., 1911,
Nr. 50.
8) Fr. Kahn, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 13.
9) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 144.
10) Trendeienburg, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36.
11) Bröking und Trendeienburg, Deutsches Archiv f. klin.
Med., 1911.
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UNIVERSUM OF (OWA
970
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
hoben. Schlayer 1 ) fand, dass die Gefässstreifenmethode nur dann er¬
höhten Adrenalingehalt durch verstärkte Kontraktion anzeigt, wenn
gleichartiges Blut auf gleichartige Arterie wirkt. Weiter unten werde
ich zeigen, dass jede leichte Verdichtung des Mediums, in dem der Uterus
suspendiert ist, zu einer Erregung bzw. Tonussteigerung des Uterus
führen kann. Der Froscbgefässmethode hielt O’Connor 2 3 ) entgegen,
dass ein Teil der Serumwirkung der grösseren Viscosität des Serums
zuzuschreiben sei. Und wenn auch Trendelenburg 8 ) und R. H. Kahn 4 )
die Viscosität im Trendelenburg’schen Versuch nicht von Einfluss er¬
achten, so muss es doch Eindruck machen, wenn O’Connor 5 ) bei An¬
wendung eines starren Glascapillarsystems mit vierfach verdünntem
Serum noch eine kleine Abnahme der Tropfenzahl feststellen konnte.
Von all diesen Methoden unterscheidet sich einigermaassen die in
Deutschland augenscheinlich wenig bekannte von R. G. Hoskins 6 ), der
das Versuchsserum auf den im Femoralvenenserum suspendierten über¬
lebenden Kaninchendarm einwirken liess und eine Parallele zog zwischen
der im Versuohsserum enthaltenen Adrenalinmenge und dem Grade der
Hemmuug von Tonus und Peristaltik 7 ). Die Vorteile dieser Methode
sind augenscheinlich, nur scheint mir, muss man eines einwenden: Auch
das Normalserum wirkt auf den überlebenden Kaninchendarm erst nach
einer anfänglichen Tonushemmung steigernd. Hierauf hat schon
O’Connor 8 ) aufmerksam gemacht (vgl. die Kurve dieser Arbeit!). Wie
ich mich nachträglich wiederholt überzeugte, ist diese Hemmung manch¬
mal so ausgesprochen, dass man sie in nichts von der durch Adrenalin
verursachten unterscheiden kann. Diese anfängliche Tonussenkung des
Normalserums tritt offenbar auch bei wiederholtem Wechsel des Normal¬
serums auf. Worin sie begründet sein mag, dürfte vorläufig schwer zu
entscheiden sein.
Nach alledem kann es nicht wundernehmen, dass in der grossen
Literatur über Adrenalinbestimmung im Blut eine hochgradige Ver¬
wirrung herrscht, und dass die von den einzelnen Autoren mittels der
verschiedenen und auch gleichen Methoden festgestellten Adrenalinwerte
im Blut gesunder und kranker Individuen ganz ausserordentlich diffe¬
rieren, so dass beispielsweise im menschlichen peripheren Venenblute
Adrenalinwerte gefunden wurden, die nach dem einen Autor zweihundert¬
fach höher sind als die von einem anderen Autor gefundenen.
Seit Ende 1911 hatte ich den überlebenden Meerschweinchen¬
uterus zur Feststellung des Adrenalingehaltes im Blute von Ver¬
suchstieren benutzt, und ich konnte mitteilen, dass auf den in
Ringerlösung suspendierten überlebenden Meerschweinchenuterus
Adrenalin stets einen hemmenden, Normalserum nie einen
hemmenden, fast stets aber einen deutlich sichtbaren erregenden
Einfluss hat 9 ). Daraus, das9 die Sera meiner Versuchstiere stets
mehr oder weniger tonushemmend wirkten, schloss ich auf eine
Hyperadrenalinämie meiner Versuchstiere. Ich habe mich nun
aber weiter mit der Frage beschäftigt und einmal versucht,
eventuell verschiedene der eingangs' erwähnten Streitfragen am
überlebenden Meerschweincheouterus einer Entscheidung näherzu¬
bringen, vor allem aber weiter zu prüfen, ob in dem überlebenden
Meerschweinchenuterus wirklich ein brauchbares Testobjekt für
kleinste Adrenalinmengen im Blut gegeben ist, das sich eventuell
auch zu quantitativen Bestimmungen eignet.
Ich konnte nun bei im ganzen über 200 Versuchen nur einen einzigen
Uterus finden, auf den Adrenalin nicht hemmend wirkte. Dieser rea¬
gierte auf kleine Adrenalinmengen überhaupt nicht, und erst nach Zu¬
satz einer Adrenalinlösung 1 :100 000 trat eine starke Kontraktion ein,
die sioh nicht mehr löste. Eine derartig seltene Ausnahme kommt aber
praktisch gar nicht in Betracht. Diese Feststellungen stehen im Gegen¬
satz zu den Kehrer’schen 10 ) Versuchen, der durch Adrenalin den über¬
lebenden Meerschweinchenuterus stets erregen konnte.
Von vornherein erschien mir der Meerschweinchenuterus ein geeig¬
neteres Testobjekt zu sein als alle die anderen angegebenen, da auf ihn
allein Normalserum und Adrenalin verschieden wirken und somit keine
Wirkungswerte erhalten werden können, die nicht dem Adrenalin, son¬
dern dem Normalserum zugeschrieben werden müssen. Weiterhin aber
schien mir eine Tonushemmung an einem überlebenden Organ viel spe¬
zifischer für Adrenalin zu sein als eine Tonussteigerung. Diese kann
man durch alle möglichen leichten Reize [thermische (beim Wechsel der
1) Schlayer, Münchener med. Wochenschr., 1908.
2) O’Connor, l. c.
3) Trendelenburg, 1. c.
4) R. H. Kahn, 1. c.
5) O’Connor, 1. c.
6) R. G. Hoskins, cit. nach Hoskins und McClure, Archiv of
Internal Medicine, Chicago, Oktober 1912.
7) Auch mir wurde die Methode von Hoskins erst im Januar d. J.
gegen Abschluss meiner Meerschweinchen versuche bekannt. Hoskins
hatte die Liebenswürdigkeit, mir Separate seiner letzten diesbezüglichen
Arbeiten zu schicken. Aus einer dieser entnehme ich auch eine kurz
rekapitulierte Beschreibung seiner Originalveröffentliohung, die mir leider
nicht zugänglich war.
8) O’Connor, 1. c.
9) L. Adler, Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., 1912, Bd. 36.
10) Kehrer, Arch. f. Gynäkol., 1907.
Flüssigkeit), chemische (Normalserum, alle möglichen Chemikalien), mecha¬
nische (Mucilaginosa? s. u.)] erreichen, jene offenbar viel schwerer und
seltener. Schon im Anfang meiner Versuche fand ich, dass adrenalin¬
reicheres Serum eine vor allem dann deutliche Tonussenkung veranlasst,
wenn es auf den in Normalserum suspendierten Uterus einwirkt (vergl.
Kurve 5 meiner Mitteilung). Ich habe von da ab meine Meers ch wein eben-
uteri nach einer eventuellen Erholungszeit in Ringerlösung immer in
Normalserum (verdünnt) schreiben lassen und erst dann das Normal¬
serum durch in gleicher Weise gewonnenes und in gleicher Weise ver¬
dünntes Versuchsserum ersetzt.’ Bei Versuchen mit Meerschweinchen¬
serum wurde also Normal- wie Versuchsserum aus der Carotis, bei Ver¬
suchen mit menschlichem Serum wurde es beide Male aus der Cubitalvene
entnommen. In der anfänglich angewandten Versucbsordnung habe ich
nun noch folgende Aenderungen eintreten lassen: Zunächst entschloss
ich mich zu einem jedesmaligen Wechsel der Flüssigkeiten, da ich bei
meinen früheren Versuchen noch Wirkungen erhalten hatte bei Ver¬
dünnungsgraden, die offenbar zu hoch sein mussten und die einmal mit
dem Zusammenwirken der verschiedenen Medien, hauptsächlich aber wohl
damit in Verbindung zu bringen waren, dass die neu zugesetzte Flüssig¬
keit sich wohl doch nicht vollkommen mit der vorangehenden Flüssigkeit
mischte, so dass die Konzentrationen doch höher waren, als anfangs an¬
genommen. Es ist aber einleuchtend, dass hierdurch die Resultate
eventuell eine relative, aber keine absolute Aenderung erfahren. Um
nun beim Wechsel der Flüssigkeit jeden thermischen Reiz zu vermeiden,
liess ich das zuzusetzende Serum durch eine durch das Wärmebassin
führende Röhre in den 20 ccm fassenden Uteruscylinder einfliessen, aus
dem im Augenblick vorher das Normalserum durch einen selbstsaugenden
Kautschukballon schnellstens herausgesogen worden war. Es bat sich
gezeigt, dass diese momentane Entblössung des Uterus bei einem guten
Präparat so gut wie nie eine Tonusänderung hervorzurufen pflegt.
Auf diese Weise gelingt es unschwer, auch sehr kleine Adre-
nalinvermebrungen im Serum festzustellen, wie ich das bei einer
grösseren Anzahl von Versuchstieren fast stets konnte. Aber
hierbei ist noch folgendes festsuhalten: Der überlebende Meer¬
schweinchenuterus ist ein gar difficiles Organ. Selbst bei voll¬
ständiger Beherrschung der Technik und bei grosser Erfahrung
im Verhalten und in der Auswahl der einzelnen Uteri wird man
gar viele Organe finden, die nicht oder zu träge schreiben, oder
die so unregelmässig arbeiten, dass man sie nicht benutzen kann.
Das ist auch der Fall, wenn man unter Ausschluss aller virgi-
neller Tiere Individuen wählt, die nach einem oder mehreren
Partus vollkommen zurückgebildeten und event. schon wieder
kurze Zeit graviden Uterus haben. Wer einmal eine grössere
Anzahl von Kontraktionskurven bat schreiben lassen, der erfährt
bald, wie verschieden die Peristaltik der einzelnen Organe ist
und wie selbst die bestfunktionierenden Uteri recht häufig spon¬
tane Tonusschwankungen zeigen (Steigerungen entschieden häufiger
als Hemmungen). Aber man lernt bald, dennoch zu brauchbaren
Resultaten zu kommen.
1. Versuche mit Serum.
Auf der Suche nach einer quantitativen Bestimmung des Adrenalin¬
gehaltes dachte ich daran, gerade das entgegengesetzte Verhalten von
Serum und Adrenalin auf den überlebenden Meerschweinchenuterus zu
benutzen. Ich ging dabei von folgender Ueberlegung aus: Im Blut be¬
finden sich zwei Substanzen von verschiedenem Verhalten gegenüber dem
überlebenden Meerschweinchenuterus. Die eine erregt, die andere hemmt.
Bei dem offenbar verschiedenen Chemismus dieser beiden Substanzen ist
es unwahrscheinlich, dass beide, durch Verdünnung des Blutes gleich
stark verdünnt, dasselbe Maass an Wirksamkeit einbüssen werden. Es
ist vielmehr anzunehmen, dass die eine beider Substanzen mehr an Wirk¬
samkeit verlieren wird als die andere, so dass beispielsweise bei Aus¬
tausch 3 mal verdünnten Serums gegen etwa 5 mal verdünntes der Uterus
mit einer Tonusänderung reagieren muss. Das ist tatsächlich der Fall.
Anders ausgedrückt könnte man vielleicht von einer verschiedenen Wir¬
kungsbreite beider Substanzen sprechen. In beispielsweise 4 mal ver¬
dünntem Serum sind beide Substanzen so ausbalanciert, dass sie dem
Uterus einen bestimmten Tonus geben. Die Wirkungsbreite beider Sub¬
stanzen ist derart, dass bei einer nur 3fachen Verdünnung der Tonus
steigt, bei einer 5fachen der Tonus abnimmt. Ist der Adrenalingehalt
vermehrt, so bleibt beispielsweise der Tonus bei einer 3 fachen Ver¬
dünnung unverändert, während er bei 4maliger Verdünnung fällt. Be¬
stehen die Angaben Trend eienburg’s 1 ), der mitteilt, dass bei der
Gerinnung 9tets die gleichen Mengen erregender Stoffe entstehen, zu
Recht, so muss ich aus dem Verdünnungsgrad des Versuchsserums, der
den Tonus des in bestimmt konzentrischem Normalserum suspendierten
Meerschweinchenuterus unverändert lässt, den Adrenalingehalt berechnen
können. Wenn so der Schwellenwert 0, also der Grad der Wirkungs¬
losigkeit erreicht wird, so muss ich genauere Resultate bekommen, als
wenn ich aus der Erregung der verschieden erregbaren Uteri Schlüsse
auf den Adrenalingehalt ziehen wollte. Aber ich merkte sehr bald, dass
ich so nicht zu einem Ziele kommen konnte. Es gelang wohl, ganz
grobe Unterschiede im Adrenalingehalt einigermaassen festzustellen, aber
1) Trendelenburg, Münchener med. Wochenschr., 1911, Nr. 36.
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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auch das nicht immer. Ich wurde mir bald darüber klar, dass bei der
Gerinnung doch nicht immer gleiche Mengen der die glatte Muskulatur
erregenden Stoffe entstehen. Das zeigte sich weiterhin bei Versuchen,
in denen ich am in Ringerlösung suspendierten Meerschweinchenuterus
Adrenalin gegen verschiedene Konzentrationen von Meerschweinchen-,
Kaninchen- und Menschenserum auszutitrieren suchte. Allerdings sind
die Unterschiede keine sehr grossen. Von Einfluss ist offenbar die
Schnelligkeit, mit der die Gerinnung eintritt (Temperatur und Tier¬
spezies). So hat das langsam gerinnende Pferdeblutserum wohl weniger
dieser erregenden Gerinnungssubstanzen in sich als das der meisten an¬
deren Tiere. Weiterhin entstehen bei der Gerinnung des Meerschweinchen¬
blutes grössere Mengen dieser erregenden Substanz als bei der Gerinnung
des Kaninchenblutes. Ihre Mengen dürften sich etwa wie 7 : 5 verhalten.
Die Folgerung, auch beim Trendelenburg’schen Versuch die
nicht genau gleiche Menge der bei der Gerinnung entstehenden
erregenden Stoffe zu berücksichtigen und von den Resultaten zu
abstrahieren, liegt nicht weit.
2. Versuche mit Plasma.
Das Plasma wurde nach dem Vorgänge O’Connor’s gewonnen
durch geringste Zusätze Hirudins zum Blut sowie durch intravenöse In¬
jektion von Hirudin in die Ohrvene von Kaninchen und Blutentnahme
aus der Carotis. In allen Fällen war das Verhalten auf den überleben¬
den Meerschweinchenuterus, selbst wenn die geringste Gerinnselbildung
vermieden wurde — R. H. Kahn 1 ) betont die unbedingte Vermeidung
auch des kleinsten Gerinnsels —, ein ganz ausserordentlich verschiedenes.
Manchmal war kaum eine sofortige Einwirkung zu konstatieren, in der
Mehrzahl der Fälle jedoch trat eine hochgradige sofortige Steigerung im
Tonus ein, die im Durchschnitt sicherlich höher war als bei Zusatz
gleich stark verdünnten Serums. In allen Fällen aber, auch in denen,
wo keine wesentliche sofortige Erregung vorhanden war, trat nach
einiger Zeit eine immer stärker werdende Tonussteigerung auf, die häufig
zu einer stärksten Dauerkontraktion führte. Um die Ursachen dieser
Erregung festzustellen und in der Annahme, dass hier mechanische,
etwa durch Verdichtung des Mittels entstandene Gründe maassgebend
waren, probierte ich die Einwirkung verschiedener pharmakologisch
indifferenter Mucilaginosa (Salep, Gummi arabicum, Dextrin usw.) und
fand, dass auoh alle diese, entsprechend verdünnt, sehr wohl eine Tonus¬
steigerung hervorzurufen imstande sind. Ob das dichtere Mittel des
Plasmas die Tonussteigerung ganz oder teilweise (nur die allmählich
auftretende Tonussteigerung?) bedingt, dürfte aber trotzdem schwer zu
sagen sein.
Wenn wir diese Beobachtungen auf die anderen Testobjekte
übertragen, so würde sich ergeben, dass es von Nachteil ist,
wenn dem Vorschläge O’Connor'a 2 3 ) zufolge Adrenalinbestimmungen
im Plasma vorgenommen werden würden. Die Wirkung von
Seren, die nach gleicher Zeit und Verwahrung bei gleicher,
möglichst niedriger Temperatur benutzt wurden, erwies sich als
viel konstanter als die Wirkung des Plasmas. Auch R. H. Kahn 8 )
fand die Wirkung des Hirudinplasmas kaum geringer als die des
Serums.
3. Versuche mit defibriniertem Blute,
t Es hat sich gezeigt, dass dem oben Ausgefübrten entsprechend
die tonussteigernde Kraft des defibrinierten Blutes höher ist als
die des bei langsamer Gerinnung gewonnenen Serums. Wir gehen
wohl nicht fehl, wenn wir hierfür die Schnelligkeit der Gerinnung
maassgebend erachten.
4. Versuche zur quantitativen Bestimmung.
In der Ueberzeugung, aus dem Grade der Hemmung unter
keinen Umständen Schlüsse auf den Adreualingehalt ziehen zu
dürfen — auch Hoskins und McClure 4 ) konnten am selben
Darmstück mit einer schwächeren Adrenalinlösung stärkere Aus¬
schläge bekommen als mit einer stärkeren —, suchte ich ähnlich
wie Fränkel den Schwellenwert 0 festzustellen und diesen
parallel zu setzen der Adrenalinmenge, die diesen gleichen
Schwellenwert 0 hat.
Der Uterus wird also in Normalserum (etwa 1:4) suspendiert.
Dieses Normalserum wird ausgetauscht gegen gleich konzentriertes
Versuchsserum. Ist die Hemmung jetzt deutlich, so versuche ich an
einem anderen Uterus oder Uterusstück, den ich in Normalserum (1:8)
suspendiere, die Einwirkung des Versuchsserums (1:8). So bestimme
ich den höchsten noch wirksamen Verdünnungsgrad. In ähnlicherWeise
probiere ich jetzt Adrenalin, das wieder in gleich konzentriertem Normal¬
serum gelöst ist. Nach dem Adrenalin-Normalserumzusatz kann ich
eventuell noch einmal den Zusatz meines Versuchsserums versuchen,
1) R. H. Kahn, 1. c.
2) O’Connor, 1. c.
3) R. H. Kahn, Pflüger’s Archiv, Bd. 144.
4) Hoskins und McClure, 1. c.
um festzustellen, ob eine Aenderung im Verhalten des Uterus eingetreten
ist oder nicht.
Auf diese Weise habe ich versucht, den Adrenalingehalt des Blutes
aus der NeDennierenvene dreier Kaninchen zu bestimmen, und ich erhielt
Werte, die zwischen 1: 7 000 000 und 1:12 000 000 schwanken.
Hoskins und McClure 1 ) haben mit ihrer Methode im Neben-
nierenvenenblute des Hundes Adrenalinwerte von 1:1000 000 bis
1: 8 000 000 festgestellt.
Auf den in adrenalinfreiem Serum (Adrenalin durch Sauerstoff zer¬
stört!) suspendierten überlebenden Meerschweinchenuterus wirkte Kanin-
chencavaserum nicht hemmend.
Nach vergeblichen Versuchen, durch Muscarin und andere autonomen
Gifte am Meerschweinchenuterus eine Adrenalinhemmung zu kompen¬
sieren und aus der zur Erreichung des Schwellenwertes 0 nötigen Menge
des Muscarins die Adrenalinmenge zu berechnen, probierte ich dasselbe
mit Nicotin, pur., da ja Nikotin in kleinen Dosen auch die sympathischen
Endorgane erregt [Magnus*)]. Wegen der langen Dauer derartiger
Versuche am überlebenden Meerschweinchenuterus versuchte ich Nikotin
am überlebenden Kaninchendarm gegen Adrenalin auszutitrieren. Nun
arbeitet aber der Darm so schnell, dass eine Paralysierung der Adrenalin¬
hemmung nicht gelingt, da offenbar beide Gifte verschieden schnell —
Nikotin schneller als Adrenalin — wirken, so dass man erst eine Er¬
regung, dann eine Hemmung beobachten kann. [Die nach Kress 8 )
ausnahmsweise vorkommende Hemmung des Kaninchenserums durch
Nikotin habe ich in keinem Falle feststellen können.]
Anders scheint sich in dieser Beziehung der so langsam arbeitende
Meerschweinchenuterus zu verhalten. Bei diesem finden offenbar beide
Gifte genügend Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Die Titrierung gelingt
nun soheinbar mit Nicotin, tartar. cryst. alb. besser als mit Nicotin,
pur. Es mag sein, dass hierbei die Löslichkeitsverhältnisse eine Rolle
spielen.
Ich stehe noch am Anfang dieser letzteren Versuche, und wenn
auch bei zwei Kaninchen mittels dieser Titrierung Werte für den Adre-
nalingehalt der Nebennierenvene haben festgestellt werden können, die
ungefähr den oben erhaltenen entspracben, so sollen doch erst aus¬
gedehntere Versuche ergeben, ob wirklich eine derartige quantitative
Adrenalinbestimmung im Blut möglich werden wird.
Io Berücksichtigung dieser gefundenen äusserst niedrigen
Adrenalinwerte und der von Hoskins und McClure konsta¬
tierten Verdünnungsgrade des Adrenalins im arteriellen Blut,
nicht zum mindesten aber unter Zugrundelegen der Arbeiten von
Young und Lehmann 4 ), Frank 5 ) und Hoskins und McClure 0 )
müssen wir mit diesen Autoren stark bezweifeln, dass das ins
Blut 8ezernierte Adrenalin ein direkter Regulator des Blut¬
drucks ist.
Aus der Königl. psychiatrischen und Nervenklinik zu
Greifswald (Direktor: Prof. Dr. E. Schultze).
Psychiatrie und Presse. 7 )
Von
Privatdozent Dr. Vorkastner, Oberarzt der Klinik.
M. H.! Ihnen allen ist bekannt, dass Irrenheilkunde und
Irrenärzte seit längerer Zeit in der Oeffentlichkeit schwere An¬
griffe erfahren haben. Diese Angriffe mehren sich zu gewissen
Zeiten, sobald einmal ein sogenannter Sensationsfall die Gemüter
erregt hat, und haben sich teilweise zu Mengenkundgebungen und
Vereinsbildungen verdichtet.
Man spricht heutzutage von einer antipsychiatrischen Bewegung.
Die Psychiater sind weit davon entfernt, sich durch solche
Angriffe — mögen sie auch noch so maasslos und unbegründet
sein — die nötige Objektivität rauben zu lassen. Ich dürfte sonst
heute abend nicht vor Sie hintreten und mich über diesen Gegen¬
stand verbreiten. Vor einem Verlust der Objektivität schützt uns
schon unser wissenschaftlicher Standpunkt. Die ganze Strömung
ist eine Erscheinung, die uns zunächst einmal vom Standpunkte
des Psychologen und des Psychopathologen interessieren muss.
Es wäre an sich gewiss möglich, sie rein von diesem Standpunkte
1) Hoskins und McClure, Archiv of Internal Medicine, Okt. 1912.
2) Magnus, Pflüger’s Archiv, 1905, Bd. 108.
3) Kress, ibidem, Bd. 109.
4) Young und Lehmann, citiert nach Frank im Deutschen Archiv
f. klin. Med., 1911, Bd. 103.
5) Frank, 1. c.
6) Hoskins und McClure, American Joum. of Physiol., 1912,
Bd. 30, H. 2; ibidem 1912, Bd. 31, H. 2. — Dieselben, 1. c.
7) Nach einem am 17. November 1912 im Verein der Aerzte des
Regierungsbezirks Stettin gehaltenen Vortrag.
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Nr. 21.
aus zu betrachten, mit derselben Rübe, mit der etwa der Bakterio¬
loge die Bewegung eines Stäbchens unter dem Mikroskop betrachtet.
Aber es erscheint denn doch etwas gefährlich, sich zu weit
über die Sache zu stellen und die Rolle des objektiven Beobachters
zu konsequent durchzufübren. Nicht nur für uns. Solange rein
persönliche oder Standesinteressen verletzt sind, könnte ein Ver¬
zicht auf Abwehr noch gerechtfertigt erscheinen. Aber es kommen
auch die Interessen der Allgemeinheit in Betracht. Es ist zu be¬
fürchten, dass eine Abneigung gegen Irrenbeilkunde und Irren¬
ärzte Platz greift, die sowohl Kranken als auch Gesunden Schaden
bringt. Es ist zu befürchten, dass Geisteskranke aus Scheu vor
der Irrenanstalt in der Familie zurückgehalten werden, und dass
damit die Zahl der Selbstmorde, Morde und anderer Verbrechen
durch diese Kranken ansteigt.
Das Misstrauen des Publikums gegen die Psychiatrie ist
ausserordentlich leicht zu verstehen.
Die Psychiatrie als Wissenschaft ist verhältnismässig jung.
Allerdings — Hippokrates und seine Schüler wussten es bereits,
dass die Geisteskrankheiten Erkrankungen des Gehirns sind 1 ).
Aber diese Kenntnis ging gänzlich wieder verloren.
Eine dämonistische Auffassung, die Auffassung, dass die Geistes¬
krankheiten durch Besessenheit mit Dämonen, mit dem Teufel
bervorgerufen seien, herrschte lange Zeit, nicht nur in Kreisen
des Volkes, sondern auch der Aerzte 2 ). Der Einfluss auf die Be¬
handlung konnte nicht ausbleiben.
Es ist hinlänglich bekannt, wie man die Geisteskranken das
ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit hinein behandelt hat.
Mau brachte sie mit in den Gefängnissen unter, man sperrte
sie in Käfige, die sogen. „Dorenkisten“ man warf sie in die meist
in den Stadtmauern gelegenen Narrentürme, und des Sonntags¬
nachmittags zog das Publikum hinaus, um sich wie an einer
Menagerie an ihnen zu ergötzen. Allenthalben schmachteten sie
in Ketten. Die Zustände in den späteren „Tollhäusern u waren
nicht wesentlich besser.
Erst das Zeitalter der französischen Revolution brachte einen
Umschwung. Von den Vorkämpfern für eine Besserung der Lage
der Geisteskranken ist an erster Stelle der französische Arzt
Pinel zu nennen. Mit eigener Lebensgefahr setzte er es in den
Schreckenstagen der Revolution bei den Behörden durch, den
Geisteskranken ihre Fesseln abnehmen zu dürfen.
Es war der erste Beginn des „No restraint-Systems“, das im
folgenden Jahrhundert zur vollen Durchführung gelangen sollte.
Die Wohltaten Pinel’s und der ärztlichen Nachfolger auf
der von ihm betretenen Bahn muss man denen erzählen, die heut¬
zutage noch am liebsten die Behandlung der Geisteskranken in
theologischen Händen sehen würden. Hier erscheint der Hinweis
notwendig, dass das, was die christliche Milde jahrhundertelang
nicht vermocht bat, nämlich den unglücklichen Geisteskranken
ein menschenwürdiges Los zu bereiten, nait einem Schlage natur¬
wissenschaftliches Denken vermochte, die naturwissenschaftliche Auf¬
fassang, dass die Geisteskrankheiten Krankheiten des Gehirns sind.
Aber die Tat Pinel’s blieb zunächst noch vereinzelt. Es
dauerte noch eine geraume Zeit, bis Irrenanstalten in grösserer
Menge entstanden, und auch als diese vorhanden waren, waren
die Irrungen nicht zu Ende. Neben der sogenannten somatischen
Richtung, die die Anschauung Pinel’s verfocht, blieb eine moral-
theologische Richtung. Es ist noch nicht 100 Jahre her, dass
He in rot h, Professor der Psychiatrie in Leipzig, gelehrt bat, die
Geisteskrankheiten seien Folgen der Sünde und entstünden durch
eigenes Verschulden.
Die Behandlungsmethoden waren sinnlos und z. T. barbarisch.
Noch verhältnismässig lange erhielten sich allenthalben die
verschiedenartigen Zwangsmittel, die Zwangsjacken, die Zwangs¬
stühle U8W.
Ich brauche an dieser Stelle ja nicht sagen, wie so ganz
anders es in unseren heutigen Irrenanstalten aussieht, wie alle
Zwangsmittel auf das strengste verpönt sind und wie die Irren¬
anstalt immer mehr und mehr die Physiognomie des Kranken¬
hauses angenommen hat.
Das ist Ihnen, m. H.!, sehr wohl bekannt, nicht aber dem
grossen Publikum, und dieser letztere Zustand ist ein wichtiges
ätiologisches Moment der Strömungen gegen uns. Das Volk stellt
sich die Irrenbehandlung auch heutzutage noch so vor, wie sie in
früherer Zeit gewesen ist. Das ist ausserordentlich leicht zu er¬
1) Ziehen, lieber die allgemeinen Beziehungen zwischen Hirn- und
Seelenleben. 1912.
2) Pagel, Geschichte der Medizin. S. 98.
sehen. Sie brauchen nur in die so zahlreichen kinematographiscben
Theater unserer Gross- und Kleinstädte zu gehen. Sie werden da
auch gar nicht so selten in die Irrenanstalt geführt. Es ist das
ein beliebtes Thema, ein Thema, so recht für das Publikum, das
die Sensation wünscht, das das Gruseln lernen will. Da sieht
man denn z. B. folgenden Film 1 ): Ein Kranker wird in die An¬
stalt gebracht. Sofort fallen vier handfeste Wärter über ihn her,
schleppen ihn in die Badewanne und bearbeiten ihn von allen
Seiten mit Douchen. Die Douche spielt eine grosse Rolle in der
Vorstellung des Volkes. Das rührt wohl zum Teil aus den Zeiten
des Alexianerskandals her, eines Skandals, der auch den Irren¬
ärzten zur Last gelegt wird, während dieser Fall in Wirklichkeit
recht eklatant zeigt, wie die Sache gehen kann, wenn eine An¬
stalt nicht nur unter ärztlicher, sondern unter theologischer
Leitung steht, denn das war hier der Fall. Die deutschen Irren¬
ärzte hatten die Regierung vorher vor der Ueberantwortung von
Irren in theologische Hände gewarnt. Sie sehen dann weiter
auf dem Film, wie der Kranke in eine Zelle geworfen wird, die
nur mit einem Strohbündel versehen ist. Es folgt dann ein heftiger
Ringk&mpf des Kranken mit den Wärtern, an dessen Schluss
der Kranke, aus vielen Wunden blutend, mit verbundenem Kopf
dasitzt.
Auch Mercklin 2 ) erlebte ähnliches. Er sah folgenden Film:
Ein Kranker entflieht aus der Irrenanstalt. Mühsam schwingt er
sich über die aus grossen Steinquadern bergestellte Mauer
(Cyklopenmauer) der Anstalt. Ein Wärter in Uniform will den
Flüchtling zurückfübren. Da ergreift der Wärter eine bereit ge¬
haltene Peitsche und setzt die Rückführung mit Peitschenhieben
durch. Es wird dann wieder die Anstaltsmauer vorgefübrt. Ein
Zug kranker Frauen, von Pflegern und Wärterinnen begleitet,
strömt, vom Spaziergang heimgekehrt, einer Pforte zu. Die meisten
Kranken gehen willig durch die Pforte; einige wollen draussen
bleiben. Wiederum saust ein Hagel von Peitschenhieben auf die
Unglücklichen nieder.
Im Zuschauerraum sagte eine Frau: „So also werden sie
behandelt.“
So stellt sich das Volk die Irrenanstalt vor, und diese Vor¬
stellungen werden noch durch derartige Vorführungen genährt.
Es ist bedauerlich, dass solche Films die Zensur passieren. Da
erscheint mir vorbildlich das Vorgehen des Berliner Polizei¬
präsidenten v. Jagow, der im vorigen Jahre, wie ich aus einer
mir nicht mehr zugänglichen Zeitungsnotiz entnahm, die Auf¬
führung eines Sensationsstückes verbot, das Verhältnisse des
Irrenwesens (es handelte sich um die Einsperrung eines Gesunden)
in verzerrter Weise wiedergab.
Und nicht nur in niederen Kreisen herrschen solche Vor¬
stellungen, sondern auch unter den Gebildeten.
Ich lege Ihnen da zum Beweise eine Stelle aus einem Roman
der bekannten modernen Romanschriftstellerin Olga Wohlbrück 3 )
vor. Es heisst da: „Weisst Du, was sie mit mir gemacht haben
dort? Zwischen vier Gummiwände haben sie mich dort gesperrt,
weil ich nach den Mitteln schrie, die meine Schmerzen linderten.
Wie ein Tier gefesselt, haben sie mich in eine Badewanne gelegt,
eine Maske vor dem Gesicht, weil sie fürchteten, dass ich ihnen
die Hände durchbeissen würde wie ein tollwütiger Hund.
Wärterinnen haben sie mit Schimpf und Schande davongejagt,
weil sie Erbarmen gehabt haben mit mir. Und glaubst Du, die
ich nichts auf der ganzen Welt habe als ihn, dass ich zugeben
werde, zugeben, dass er eingesperrt werde zwischen vier Gummi¬
wände, wie ich eingesperrt war?“
Sie sehen, auch bei der geistigen Elite steht es nicht anders.
Das ist eine Quelle des Misstrauens.
Die andere, weit stärkere Quelle aber bildeten die mannig¬
fachen Broschüren und Zeitungsmitteilungen über angeblich un-
rechtsmässige Internierungen von Gesunden in Irrenanstalten, wie
sie sich besonders io den ersten Jahren des letzten Dezenniums
ausserordentlich gehäuft haben. Sie stammten zumeist aus der
Feder früherer Anstaltsinsassen oder waren durch sie veranlasst
Diese Mitteilungen riefen mit Recht im Pablikum eine grosse
Beunruhigung hervor, zumal sich die Irrenärzte vielfach schweigend
verhielten.
Verschiedene Umstände erklären dieses Stillschweigen. Ein
1) Eigene Beobachtung.
2) Mercklin, Psychiatrische Fälschungen auf Lichtbildbühnen.
Psychiatr.-neurol. Wochenschr., Jahrg. XIV, No. 18 (3. VIII. 1912).
3) Wohlbrück, Aus den Memoiren der Prinzessin Arnulf. Unter¬
haltungsbeilage der Täglichen Rundschau vom 22. Dezember 1911. Die
Stelle ist in der Psychiatr.-neurol. Wochenschrift, 1911/12, abgedruckt.
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Teil der Angegriffenen begnügte sich mit der Anerkennung ihres
rechtmässigen Handelns durch die Behörden. Es sprach weiter
mit die Pflicht des Schweigens, die den Aerzten durch den § 300
des StGB, und teilweise noch behördlicherseits auferlegt ist 1 ),
und schliesslich der Umstand, dass Beleidigungsklagen doch zu
keinem Ergebnis führten, weil die Gerichte entschieden, dass
die Beleidiger in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt
hätten.
So knnnte jene Massensuggestion zustande kommen, der auch
namhafte Männer zum Opfer fielen, so konnte die antipsychiatrische
Bewegung ungehindert an Ausbreitung zunehmen.
Eine Folge der allgemeinen Beunruhigung waren dann der
berühmte Kreuzzeitungsaufruf, unterzeichnet von einer Reihe an¬
gesehener Männer, die Göttinger Protestversammlung und die
Reichstagsvei handlangen, ausgehend von der berüchtigten Rede
des Abgeordneten Lenzmann 2 3 * ). Lenzmann hat sich zwar aller¬
dings dagegen verwahrt, dass er den „ehrenwerten Stand der
Irrenärzte“ beleidigen wollte, aber seine Ausführungen enthielten
doch stark Verletzendes. Und die Irrenärzte fanden im Reichs¬
tage keinen Verteidiger, nur der Abgeordnete Kruse trat für sie
ein, wenn auch nicht gerade sehr energisch. Vor allem da9
eine: die Regierung schwieg. Erst im folgenden Jahre erfolgte
eine Rechtfertigung durch den Mund des Staatssekretärs Graf
Posado wsky.
Schliesslich half noch eines das Misstrauen gegen die Irren¬
ärzte erhöhen, der Umstand nämlich, dass die junge Wissenschaft
der Psychiatrie bei ihrem Weiterdringen dazu kam, eine grössere
Anzahl von Verbrechen wie bisher als psychopathologisch bedingt
aufzufassen, und die Einbeziehung krimineller Fälle unter den
§ 51 StGB, sich mehrte. Wie man einerseits die Psychiater be¬
schuldigte, gesunde Menschen widerrechtlich einzusperren, so
alten sie nun andererseits als Befreier von Leuten, die hinter
chlo8s und Riegel in sicheres Gewahrsam gehörten.
Ich will hier gleich von vornherein feststellen: wir können
von unserem Standpunkt aus die Grundlage der ganzen Bewegung
gegen uns nicht als hinreichend fundiert anerkennen. Für die
Mangelhaftigkeit der Grundlagen will ich Ihnen zunächst keine
weiteren Belege geben. Sie finden diese Belege ausführlicher,
als sie in der Kürze der Zeit zu geben sind, in einem ganz aus¬
gezeichneten und verdienstvollen Werke, das vor kurzem er¬
schienen ist. Herr Kollege Beyer 8 ) aus Bayreuth hat sich die
Mühe genommen, ein grosses Material, Broschüren, Zeitungs-
mitteilungen, die Verhandlungen in den Parlamenten, zusammenzu¬
tragen und den einzelnen Fällen, die dort als widerrechtliche Inter¬
nierungen zur Sprache gekommen sind, durch eigene Forschungen
nachzugehen. In allen von ihm untersuchten Fällen bat es sich
nachweisen lassen, dass eine widerrechtliche Internierung sicher
oder höchstwahrscheinlich nicht vorlag. Vielfach bandelt es sich
uro so schwere Psychosen, dass sie auch der Laie aus den
Krankengeschichten ohne weiteres erkennt. Vor allen Diugen
ist auch ersichtlich, mit welcher Schnellfertigkeit die einzelnen
Broschürenscbreiber und Parlamentsredner vorgegangen sind, in¬
dem sie die angezogenen Fälle nicht auf ihre Richtigkeit nach¬
prüften, sondern sie einfach als gegebene Grössen aus den vor¬
liegenden Broschüren und den Zeitungen übernahmen. Ich will hier
nur ein kleines Beispiel anführen: Der Abgeordnete Lenzmann
hat in seiner Reichstagsrede von einer Kranken erzählt, die an¬
geblich widerrechtlich in eine Irrenanstalt gebracht war, die
dann befreit wurde und jetzt als eine angesehene Aerztin in der
Schweiz praktiziere. Tatsächlich verhielt sich aber die Sachlage
so, dass die betreffende Dame nach ihrer Befreiung schon lange
wieder als schwer Geisteskranke iu eine Anstalt gebracht war,
dass sie niemals Medizin studiert hatte und niemals als Aerztin
in der Schweiz tätig gewesen war. Und ähnlich liegen andere
Fälle.
Es ist ein altes Sprichwort: „Sage mir, mit wem Du um¬
gehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist.“ Und da treffen wir
denn bei den Antipsychiatern auf ganz eigenartige Kombinationen.
Vielfach kombiniert sich die antipsychiatrische Tendenz mit den
gegen die Gesamtheit der Aerzte gerichteten Bestrebungen, mit
dem Naturheilverfahren. Viele Antipsycbiater sind zugleich Anti-
vivisektiooisten, andere sind Spiritisten. Auch die Kombination
1) Man kann darüber verschiedener Meinung sein, wie weit der Arzt,
wenn er öffentlich angegriffen wird, den § SOO noch zu respektieren hat.
2) Schon vorher ein Angriff Stoecker’s im preussischen Abge¬
ordnetenhaus mit anschliessender Debatte.
3) Beyer, Die Bestrebungen zur Reform des Irrenwesens. Halle a. S.
1912, Carl Marhold.
mit dem Antisemitismus findet sich. Das ist sehr interessant.
Denn auch alle diese Strebungen finden wir besonders häufig bei
psychopathischen Personen, und auch die Wurzel der antipsychi¬
atrischen Bewegung liegt ja zum grössten Teil im Psychopatho-
logiscben. Die mangelhafte Krankheitseinsicht Anstaltsentlassener
spielt die wesentliche Rolle.
Mein Thema lautet jedoch „Presse und Psychiatrie“, und
ich muss nunmehr auf die Beziehungen zwischen diesen beiden
zu sprechen kommen. Es kann da nicht anders gesagt werden,
als dass die Presse in der ganzen Bewegung eine wenig er¬
freuliche Rolle gespielt hat.
Wir Psychiater haben zwar zunächst keinen Anlass, zu
zweifeln, dass, wenigstens in vielen Fällen, die Vertreter der
Presse von der besten Absicht geleitet gewesen sind, die Wahr¬
heit ans Licht zu bringen; aber wir können ihnen den Vorwurf
nicht ersparen, dass sie dabei oft nicht mit genügender Vorsicht
vorgegangen sind. In der Tat haben sie meines Wissens nicht
in einem einzigen Falle die Wahrheit ans Licht gebracht, sondern
sie haben zur Förderung eines verhängnisvollen Massenirrtums
beigetragen.
Wenn ich hier von der Presse spreche, so ist damit zunächst
die Tagespresse gemeint. Denn es existiert auch eine spezifisch
antipsychiatrische Presse, deren Produkte ich Ihnen nachher vor¬
zulegen habe. Bezüglich der Tagespresse ist nun zunächst zu
konstatieren, dass im Punkte der Psychiatrie bei fast allen Blättern
eine seltene Einmütigkeit herrscht. Ob grosse oder kleine Blätter,
ob politisch rechts- oder linksstehende, fast alle stossen gleich-
mässig in dasselbe Horn. Um Ihnen einen Begriff von dieser
Einmütigkeit zu geben, möchte ich erwähnen, dass z. B. die
Sensationsbroschüre von Karl Brill in folgenden grösseren Zei¬
tungen durchweg günstig besprochen wurde: Reichsbote, Ham¬
burger Korrespondent, Die Welt am Montag, Nationalzeitung,
Strassburger Post, Volksstimme, Wahrheit, Generalanzeiger für
Frankfurt a. M , Badische Landeszeitung, Posener Tageblatt, Leip¬
ziger Tageblatt, Mainzer Neueste Nachrichten 1 ). Von grösseren
Zeitschriften, die derb antipsychiatrischen Bestrebungen ihre Spalten
geöffnet haben, benennt Beyer die „Gegenwart“ und die „Zu¬
kunft“ (unter Anführung der betreffenden Stellen).
Diese Einmütigkeit beweist nun aber keineswegs die Richtig¬
keit der Ausstellungen, die in der Presse gemacht werden; es
gibt da doch Verschiedenes zu berücksichtigen.
Auch die Presse zeigt sich vielfach hinsichtlich psychiatrischer
Fragen ebenso unorientiert wie die Laienwelt.
So liegt mir folgender Zeitungsabschnitt über argentinische
Irrenhäuser vor. Von argentinischen Irrenhäusern teilt ein Mit¬
arbeiter dem täglichen Korrespondenten mit: Es gibt dort keine
zwangsweise internierten Irren; die Behandlung geschieht vielmehr
nach schottischem Muster bei offenen Türen. Die Kranken werden
mit denkbar zartester Schonung behandelt. So findet man über¬
haupt in keiner einzigen Irrenanstalt der Republik Argentinien
eine Zwangsjacke. Die Irren kommen und gehen in den soge¬
nannten Besitzungen der Anstalten. Sie arbeiten auf dem Felde
oder beschäftigen sich mit industriellen Handarbeiten oder helfen
in Küche und Haus mit, und die Erfahrungen, die man im Laufe
der Jahre sammelt, sind so ausgezeichnet, dass man das System
unter allen Umständen beizubehalten gedenkt.
Und dann kommt zum Schluss die in ihrer Naivität köstliche
Frage: Warum machen wir nicht auch einmal die Probe?
Sie sehen, wie spurlos an diesem Pressevertreter die Zeit
vorübergerauscht ist. Dieser Mann weiss nicht, dass schon vor
über 100 Jahren ein deutscher Arzt, nämlich der alte Reil, den
Vorschlag gemacht hat, die Kranken mit Feld- und Gartenarbeit
zu beschäftigen. Er weiss nicht, dass das Offentürsystem seit
langem bei uns besteht, dass Zwangsmittel streng verpönt sind,
dass unsere Kranken in ausgiebigster Weise draussen beschäftigt
werden, er weiss auch nicht, dass wir in Deutschland die Muster-
anstalt Alt-Scherbitz besitzen, wo ein ganzes Rittergut von Geistes¬
kranken bewirtschaftet wird. Das ist die Orientiertheit derer,
die über Irrenbeilkunde und Irrenanstalten schreiben. .
Gedankenlos wird auch nachgebetet, dass die Irrenärzte die
meisten der zu ihrer Beobachtung gelangenden Verbrecher für
geisteskrank erklärten. Re vera aber ist der wirkliche Prozent¬
satz der Exkulpierungen auf Grund psychiatrischer Gutachten
durchaus kein übermässig hoher. In den Jahren meiner Tätigkeit
1) Diese und eine Reihe weiterer Angaben entnehme ich dem Werke
von Beyer.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
an der Greifswalder Klinik sind sogar von 27 Beobachtungsfällen
nur 3 als unter den § 51 fallend erachtet worden.
Trotz ihrer vielfach mangelhaften Orientiertbeit findet sich
aber die Presse bereit, Mitteilungen aus Irrenanstalten Ranm zu
gewähren, ohne die Glaubwürdigkeit der Ueberbringer zu prüfen,
ohne die Gegenpartei zu hören, ohne sich zu orientieren. Ich
selbst erlebte folgenden Fall: Ich hatte einen schwer verkommenen
psychopathischen Alkoholisten auf der Station. Trotzdem der
Mann sich draussen immer wieder unliebsam bemerkbar machte,
sah ich kein Mittel, ihm die Entlassung zu verweigern, als er
darauf drängte. Noch an demselben Tage betrank er sich in der
Stadt gehörig und erregte wiederum unliebsames Aufsehen. So¬
fort brachte die Tageszeitung eine Notiz, es habe ein Mann in der
Stadt durch sein wunderliches Gebaren Aufsehen erregt, und
daran wurde die spitze, tendenziöse Bemerkung geknüpft, der
Mann sei am Morgen geheilt aus der Klinik entlassen worden.
Allem Anschein nach aber sei er doch wohl nicht geheilt und
die Entlassung verfrüht gewesen. Wie leicht hätte es in diesem
Falle der Redakteur gehabt, sich zu orientieren. Er hätte nur
an das Telephon gehen und mich anzurufen brauchen, dann
hätte er gehört, dass der Fall wesentlich anders lag, dass die
Schuld in der Unzulänglichkeit der Bestimmungen über die Rück¬
haltung solcher Kranken und nicht bei dem Irrenarzte zu suchen
sei. Allerdings sind uns ja bei solchen Mitteilungen durch den
§ 300 in erheblichem Maasse die Hände gebunden.
Nicht immer sind nun leider die Fälle, in denen sich die
Presse schlecht orientiert hat, so harmloser Natur wie der oben
von mir angeführte. Leider hat sich die Presse zu den ver¬
schiedensten Malen auch zu Beschützern der angeblich zu Unrecht
Internierten aufgeworfen, ohne Erkundigungen bei der Gegenpartei
einzuziehen.
Es ist historisch interessant, dass auch die Presse schon in
dem ersten überhaupt bekannten Falle angeblich widerrechtlicher
Internierung sich so verhalten hat. Dieser Fall 1 ) liegt bereits im
Jahre 1773. Er betraf einen geisteskranken, an Melancholie
leidenden Domsyndikus, dem von der Münster’schen Regierung ein
Tutor in Gestalt eines Paters beigegeben war. Der Kranke fühlte
sich zu Unrecht in seiner Freiheit beschränkt und wandte sich,
ein Mittel, das ja heute noch beliebt ist, an die Presse. In dem
Hamburger Relationskurier fand er ein Blatt, das seine Sache
verfocht und den ihn beschützenden Pater in gemeinster Weise
verdächtigte. Die Münster’sche Regierung wandte sich daraufhin
an den Hamburger Senat und das, was sie diesem schrieb,
könnte auch beute noch die Presse sich zur Lehre sein lassen:
„Nun ist uns zwar die Verfassung des dortigen Zeitungswesens
unbekannt, indessen mögen wir doch nicht verhehlen, wie es uns
ungemein dreist vorkomme, dass die Zeitungsschreiber einen
solchen Aufsatz, der ihnen von einer unbekannten Person zuge¬
schickt wurde, ohne vorherige Nachfrage im Publikum verbreiten,
vermessen dergestalt ein nichtsnutziger Mensch, allenfalls mit Er-
borgung eines falschen Namens, angesehene Männer unter dem
Vorschub eines solchen Zeitungsschreibers vor den Augen der
ganzen Welt unbestraft zu verlästern sich erkühnen könnte. Die
Prüfung überlassen wir den Herren, halten aber dafür, dass die
Zeitungsschreiber wenigstens zu einer öffentlichen Widerrufung
verbunden seien.“
Von den neueren Fällen, bei denen die Presse eine wenig
rühmliche Rolle gespielt hat, will ich nur einen herausgreifen*,
das ist der Fall Fuhrmann, der sich im Jahre 1901 in Neuenahr
abspielte. Ich bin in der Lage, Ihnen über diesen Fall etwas
Näheres berichten zu können, da mein Chef, Herr Professor
E. Schultze, als damaliger Oberarzt in Andernach diesen Fall
als Mitleidender erlebt hat und so gütig war, mir noch einmal
die Details zu erzählen.
Es handelte sich da um einen Mann, bei dem nach Ansicht
des Arztes ein Delirium tremens in Ausbruch war, und der in¬
folgedessen in die Anstalt Andernach gebracht wurde. Plötzlioh
erhob sich in der Bürgerschaft von Neuenahr die Meinung, dass
die Frau den Mann widerrechtlich in die Anstalt habe bringen
lassen, offenbar meinte man, um sich in den Besitz seines Ver¬
mögens zu setzen. Das Cölner Tageblatt brachte einen sensatio¬
nellen Artikel, der noch dadurch an Sensation gewann, dass der
zufällig in Neuenahr zur Kur weilende Chefredakteur sich per¬
sönlich von der Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen überzeugt
haben wollte. Weder der Hinweis, dass bei der Internierung ein
ärztliches Attest Vorgelegen, noch eine Erklärung des Oberarztes
1) Dem Werk von Beyer entnommen.
E. Schultze vermochten die Zeitung zu belehren. Es folgten
weitere ebenso tendenziöse Artikel. Die Frau strengte die Be¬
leidigungsklage an, aber das Gericht wies diese ab, da es sich,
ungeachtet des ärztlichen Gutachtens, auf Grund der Zeugenaus¬
sagen ebenfalls nicht überzeugen liess, dass der Mann tatsächlich
krank und aostaltsbedürftig gewesen sei, und Wahrung berechtigter
Interessen annahm. Erst in der Berufungsinstanz wurde der
Frau eine Genugtuung zuteil. Es wurde zwar ein Vergleich
zwischen beiden Parteien geschlossen, aber der Angegriffenen
wurde gestattet, das für sie günstige Ergebnis in den Zeitungen
zu veröffentlichen. Das Schönste aber war: während all dieser
Sachen sass der Kranke, von seinem Delirium tremens geheilt,
in der Anstalt und war äusserst dankbar dafür, dass man ihn
dortbin gebracht hatte, äusserst ungehalten aber über die
Leute, die sich unbefugt in seine Angelegenheiten mischten und
den öffentlichen Skandal provozierten.
Nur dieses eine Beispiel will ich hier anführen. Sie werden
daraus ersehen, dass auch Belehrungen von seiten der Gegen¬
partei bei der Starrheit der vorgefassten Meinung nicht immer
ein offenes Ohr finden.
Verschiedentlich ist es vorgekommen, dass Berichtigungen
der Gegenpartei zwar aufgenommen wurden, aber durch redaktio¬
nelle Zusätze sofort eine Abschwächung erfuhren. So erschien
in der Nationalzeitung ein Artikel: „Das Irrenhaus als Gefahr“ 1 ).
Medizinalrat Kreuser aus Winnenthal veröffentlichte eine Ent¬
gegnung, in welcher er die einschlägigen Verhältnisse eingehend
beleuchtete 2 ). Die Zeitung nimmt diese Erwiderung auf, fügt
aber gleich hinzu, dass sie sich nicht mit allen Ausführungen
des Verfassers einverstanden erklären kann.
Vorgekommen ist es auch, dass eine Zeitung die für einen
Irrenarzt ungünstige Entscheidung einer Instanz in aller Breite
besprach, die für den Irrenarzt günstige Entscheidung der höheren
Instanz jedoch nicht zur Kenntnis brachte 8 ).
Bezeichnend für die Voreingenommenheit der Presse ist auch
die Tonart, in der die einzelnen Artikel über die Missstände des
Irrenwesens gehalten sind, und das auch in grossen und ange¬
sehenen Zeitungen. „Schutz vor den Psychiatern“ heisst es da 4 )
oder „das Irrenhaus als Gefahr 5 )“ usw. Die Deutsche Montags¬
zeitung schrieb 6 ), man müsse es sich gefallen lassen, dass die
Psychiatrie das Regulin der öffentlichen Verdauung bilde, und
weiterhin in demselben Artikel: „man braucht heute nur eine
Hypothek und einen Schwager, ein Haus und einen Grosskousin,
einen Tausendmarkschein und einen Stiefsohn zu haben, um das
erlesenste Objekt für die lrrenpfiege abzugeben“. Die National¬
zeitung spricht von einem verderblichen System, das jeden von
uns schon heute oder morgen in seine furchtbaren Krallen zwingen
kann 7 ). Die Tägliche Rundschau schreibt 8 ): „Bisher ist es den
Psychiatern stets gelungen, Schadensersatzansprücbe durch Bezug¬
nahme auf den guten Glauben zu Fall zu bringen.“ Die Vossiscbe
Zeitung bringt ebenfalls diesen Satz 0 ), also auch diese medi¬
zinisch sonst so vorzüglich unterrichtete Zeitung scheint nicht
ganz frei von Befangenheit. Das ist nur eine kleine Blütenlese.
Nun sagte ich Ihnen schon, dass auch eine spezifisch anti-
psychiatrische Presse existiert. Es handelt sich da um die Organe
von Vereinen, die sich im Laufe der Zeit zum Schutze der an¬
geblichen Missstände des Irrenwesens gebildet haben. Solcher
Verein war z. B. die Centrale für Reform des Irrenwesens in
Hersbruck in Bayern und ist der Bund für Irrenfürsorge in Heidel¬
berg. Das Organ dieser letzteren Vereinigung lege ich Ihnen in
einem Exemplar vor. An der Spitze steht ein gewisser Adolf
Glöcklen, ein früherer Insasse der Heidelberger Klinik. Für
die Redaktion zeichnen ausserdem noch der bekannte Professor
Lehmann-Hohenberg in Weimar, ferner der grosse Befreier
vermeintlich widerrechtlich Definierter Rechtsanwalt Ehren fr ied in
Berlin, weiter von bekannten Juristen der Rechtsanwalt Lothar
Schücking in Dortmund und schliesslich eine Anzahl von
Aerzten. Diese Aerzte muss man sich aber erst einmal näher
1) Nationalzeitung, 27. Juni 1911.
2) Nationalzeitung, 9. Juli 1911.
3) E. Schultze, Die ungerechtfertigten Einweisungen in Irren¬
anstalten und ungerechtfertigte Entmündigungen. Monatsschr. f. krimin.
Psychologie u. Strafrechtsreform. 8. Jahrg.
4) Deutsche Montagszeitung, 3. Juli 1911.
5) Nationalzeitung, an oben citierter Stelle.
6) An oben citierter Stelle.
7) An oben citierter Stelle.
8) Tägliche Rundschau, 13. Juli 1911.
9) Vossische Zeitung, 13. Juli 1911.
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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anseben. AU mir bekannt will ich nur einen herausgreifen; das
ist der Sanitätsrat Bilfinger, der frühere Leiter der Gossmann-
schen Naturheilanstalt in Kassel. Er ist ein Vorkämpfer des
Naturheilverfahrens — die charakteristische Kombination —, Impf¬
gegner, hat verschiedentlich für Kurpfuscher eine Lanze gebrochen,
so z. B. für die Augendiagnostik des Lehmpastors Felke und
kürzlich für die diagnostischen Künste eines Hellsehers. Er hat
auch — ein Beispiel seiner anti-psychiatrischen Betätigung —
im Falle Fuhrmann, ohne den Kranken zu kennen, in einem
offenen Briefe an die Redaktion des Kölner Tageblattes seiner
Deberzeugung Ausdruck gegeben, dass der Internierte gesund sei.
Auf dem Titelblatt dieser Zeitung finden Sie die Ankündigung
einer Protestversammlung gegen den „Psychiaterunfug“. Wie im
Allgemeinen die Artikel gehalten sind, davon will ich Ihnen nur
ein kleines Beispiel gebeo, indem ich Ihnen den Anfang eines
Artikels vorlese. Dieser lautet 1 2 ): „Zu den Tricks, welche viele
Irrenärzte seit Jahren anwenden, um ihr lichtscheues Handwerk
möglichst ungestört zu betreiben, gehört die Praxis, in der Zu¬
lassung von Besuchen zu den Patienten die denkbar grössten
Schwierigkeiten zu machen.“ ln dieser und ähnlicher Tonart geht
es weiter. Die Nationalzeitung ist zwar gerecht genug, den Aus¬
führungen dieses Organs gegenüber von falschen Verallgemeine¬
rungen zu sprechen; allerdings könne man sie den armen Ge¬
schädigten nicht verdenken 3 ). „Es ist erschütternd, in der Mit¬
gliederliste eine ganze Reihe von Personen zu finden, die die
Grausamkeit dieses Systems am eigenen Leibe schwer genug zu
fühlen bekamen.“ Dann aber gewährt die Zeitung Anschuldi¬
gungen von ähnlicher Beschaffenheit und keiner gelinderen Tonart
Raum. Es handelt sich um die Wiedergabe von Ausführungen
des Herrn Ehrenfried, der nach Ansicht des Blattes „auf Grund
eigener düsterer Eifahrungen energisch für die Reform des Irren¬
rechts eintritt und schon manchen Bedrohten aus harter Um¬
klammerung befreit hat“. Es heisst u. a.: „Da nun zumeist die
geforderten Gutachten gut bezahlt werden, so ist Gefahr vor¬
handen, dass der Arzt nicht immer seine volle Objektivität wahrt,
und das Gutachten fällt gar zu leicht im Sinne des Auftraggebers
aus“ (notabene ist im Satz vorher erwähnt, dass ausschlaggebend
das Gutachten des Kreisarztes ist). „Der Anstaltspascha legt
sein ganzes Können und seine ganze Macht hinein, um die Ver¬
bindung des Patienten mit der Aussenwelt zu verhindern.“ „Bei
Privatanstalten ist eine Abweisung von Besuchen oft darin be¬
gründet, dass ihnen viel daran liegt, die Kranken zu behalten,
da die Freilassung nicht unerhebliche pekuniäre Ausfälle zur
Folge hat.“ „Gerade hierin ist der Krebsschaden zu suchen, da
es nur vereinzelt vorkommt, dass ein Psychiater das Gutachten
eines anderen umstösst.“
Genug von diesen Stichproben! Wir wollen uns lieber noch
rasch den hauptsächlich in den Presseartikeln erhobenen Vorwürfen
zu wenden. Es sind 2 Punkte, die da immer wiederkehren. Das
sind die angeblich ungerechtfertigten Aufnahmen und Rückbehal¬
tungen und die angeblich ungerechtfertigten Entmündigungen 3 ).
Was den ersten Punkt betrifft, so besteht ein besonderer
Argwohn gegen die Privatanstalten, weil diese ja ein geschäft¬
liches Interesse daran hätten, die Zahl ihrer Kranken zu ver¬
mehren. Man hat sogar den staatlichen Ankauf sämtlicher
Privatanstalten gefordert. Grosse, ja unerschwingliche Summen
würden dazu nötig sein (Laehr berechnete, dass im Jahre 1893
zum Ankauf der preussischen Privatirrenanstalten eine Summe
von mehr als 45 Millionen nötig gewesen wäre, und inzwischen
sind noch viele neue, zum Teil mit hohen Kosten gebaute An¬
stalten hinzugekommen).
Und herrscht nun wirklich die angeuommene Unsicherheit?
Der Anstaltsleiter, der sich zur widerrechtlichen Einsperrung
eines Gesunden verleiten Hesse, setzte sich den Gefahren der Be¬
strafung, der Konzessionsentziehung, der Schadenersatzpflicht aus.
Die anderen Aerzte der Anstalt müssten mit ihm im Bunde sein.
Sodann wird nicht berücksichtigt, dass heutzutage doch
schon umfassende Vorsichtsmaassregeln gegen ungerechtfertigte
Anstaltsinternierungen bestehen. Jeder, der in Preussen in eine
Privatanstalt gebracht wird, muss mit dem Attest eines Kreis¬
arztes oder eines anderen beamteten Arztes versehen sein. Es
ist horrend, bei diesen ein Mangel an Objektivität zu befürchten
(siehe obige Ausführungen der National-Zeitung). Die Aufnahme
1) Irrenrechtsreform, Nr. 20 u. 21.
2) An oben zitierter Stelle.
8) Ich folge hier im wesentlichen den Ausführungen von E. Scbultze
an oben zitierter Stelle und in „Das Irrenreoht“, Handb. d. Psychiatrie
v. Aschaffen bürg.
wird den Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft angezeigt,
die Anstalten werden zweimal jährlich vom Kreisarzt und mindestens
einmal jährlich von der sogenannten Besuchskommission kon¬
trolliert. Ausserdem steht es den Kranken jederzeit frei, sich
über ihre Freiheitsberaubung bei der Staatsanwaltschaft zu be¬
schweren. Durch die Nichtabsendung solcher Beschwerden würde
sich der Anstaltsleiter wiederum der Gefahr von Unannehmlich¬
keiten aussetzen.
Sollte das nicht vielleicht zu einer weitgehenden Sicherung
genügen?
Natürlich. Irren ist menschlich, und auch die Aerzte sind
Irrtümern ausgesetzt. Es ist daran zu erinnern, dass es auch
Justizirrtümer und schuldlos verbüsste Untersuchungshaft gibt.
Ein sicherer Fall der widerrechtlichen Einsperrung eines
gesunden Menschen ist zwar gar nicht bekannt (siehe auch die
Beyer’schen Untersuchungen). Das ist ein wesentlicher Punkt.
Aber schon im Hinblick auf die Möglichkeit, mag sie auch nach
Erwägung von allem noch so entfernt liegen, und besonders im
Hinblick auf die im Publikum nun einmal grossgezüchteten Be¬
fürchtungen würden wir ohne weiteres mit Verbesserungen ein¬
verstanden sein, wenn nur das, was in der Presse und ander¬
wärts als Verbesserung in Vorschlag gebracht worden ist, wirklich
diesen Namen verdiente.
Was ist vorgeschlagen? Es soll ein förmliches Aufnahme¬
verfahren stattfinden, es soll eine Aufnabmekommission zusammen¬
treten. Dadurch würde es aber unheilvolle Verzögerungen der
Aufnahme geben, unheilvoll sowohl für die Kranken, die einer
schnellen Behandlung bedürfen, als auch für die Gesunden, die
vor den Kranken geschützt werden müssen. Man soll nur einmal
versuchsweise solche Aufnahmekommissionen in einem Distrikte
einfübren; es würde sich wahrscheinlich binnen kurzem ein
Sturm der Entrüstung über die mangelhafte Irrenfürsorge erheben.
Weiter ist vorgeschlagen: Diese Kommissionen sollen nicht
oder wenigstens nicht allein ans psychiatrischen Sachverständigen
bestehen, sondern ganz oder teilweise aus Laien. Also dadurch
glaubt man eine grössere Gewähr für die richtige Beurteilung
geistiger Zustände zu haben, dass man Leute hineinzieht, die
nichts von der Sache verstehen. Der „gesunde Menschenverstand“
soll richten, derselbe gesunde Menschenverstand, der die Geistes¬
kranken bis in die Neuzeit hinein für Teufelsbesessene erklärt
und sie in ihrem Unrat hat verkommen lassen. E. Schultze
meint sehr richtig, dass man jeden für wahnwitzig erklären
würde, der ein technisches Unternehmen einer Kommission unter¬
stellen wollte, von der er den Mangel jeder technischen Aus¬
bildung forderte.
Die Hineinziehung von Laien ist nun auch ganz und gar kein
Schutz gegen widerrechtliche Internierungen. Es wird meistens
nicht bedacht, dass Laien nicht nur ausgesprochene Geisteskrank¬
heiten verkennen, sondern manchmal auch etwas absonderliche
Leute für geisteskrank halten, die es re vera gar nicht sind.
Chapin 1 ) hat sogar aus Amerika, wo eine Laienjury besteht, von
derartigen Vorkommnissen berichtet.
Dasselbe lässt sich bezüglich der Einschaltung der Polizei¬
behörde sagen.
Der zweite Punkt sind die ungerechtfertigten Entmündigungen.
Hier bedenkt man nicht, dass gar nicht der Irrenarzt ent¬
mündigt, sondern der Richter. Sobald aber der Verdacht einer
ungerechtfertigten Entmündigung auftaucht, richtet sich die Wut
nicht gegen den Richter, sondern gegen den Psychiater, dessen
Gutachten doch der Beweiswürdigung des Richters unterliegt.
Das Vorliegen von Geisteskrankheit genügt ja ferner nicht
zur Entmündigung, sondern die geistige Störung muss noch ge¬
wisse rechtliche Folgen nach sich gezogen haben.
Ueberdies sind nun auch ungerechtfertigte Entmündigungen
unerwiesen. Dass Entmündigungen späterhin wieder aufgehoben
sind, ist kein Beweis dafür, dass sie ungerechtfertigt waren. Und
wie selten wird eine Entmündigung erfolgreich angefochten? Das
zeugt eigentlich für das Zureichen der geltenden Bestimmungen.
Ich breche hier ab; denn bei der Kürze der Zeit kann es
mir nicht darauf ankommen, etwa alle Vorwürfe und Anregungen
hier behandeln zu wollen. Einiges habe ich auch schon weiter
oben widerlegt. Ich muss es mir auch versagen, auf die Siche¬
rungsvorschläge einzugehen, die von psychiatrischer Seite gemacht
werden.
Die Presse hat jedenfalls eine verhängnisvolle Rolle bei dem
Grosswerden der ganzen gegen uns gerichteten Bewegung gespielt,
1) Citiert nach E. Schultze.
G*
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und sie spielt sie zum Teil noch. Aber auch hier hat es an
Verbesserungsvorschlägen nicht gefehlt. Diese sind natürlich
nicht von der Presse ausgegangen, sondern von den Psychiatern.
Man hat z. B. vorgeschlagen, dass die Zeitungen einen
psychiatrischen Korrespondenten annehmen sollten. Doch
dürfte dies nur für die grossen Zeitungen möglich sein.
Ansprechend erscheint folgender Vorschlag von Beyer: „Die
Irrenärzte wählen aus ihrer Mitte eine Kommission, welche sich
mit den Standesvereinen der Presse in Verbindung setzt und sich
erbietet, gewissermaassen als Auskunftsbureau über zweifelhafte
Irrsinnsfälle zu dienen, eventuell solche mit einer Pressekommission
zu prüfen. Diese Kommission soll nicht den Zweck haben, ein
Urteil über diese Fälle abzugeben und schliesslich nur eine kurze
Notiz an die Zeitungen gelangen zu lassen, sondern sie soll diesen
erforderlichenfalls ausführliches Material zur Verfügung stellen,
damit an dessen Hand die Presse und eventuell das Publikum
selbst sich ein Urteil bilden kann. Sie soll nicht gegen die
Presse arbeiten, sondern mit ihr. u Ich halte den Gedanken
eines solchen Zusammenarbeitens für besonders glücklich.
Weniger zweckmässig erscheint mir die Einrichtung eines
psychiatrischen Rechtsbureaus, das in jedem gegebenen
Falle für die geschädigten Irrenärzte die zu Gebote stehenden
Rechtsmittel ausnutzt und eventuell die Beleidigungsklage vertritt.
Wenn ich mir noch einen Vorschlag erlauben darf, so wäre
es der, zunächst in den Grossstädten von den Psychiatern auf¬
klärende Kurse über das Irren wesen vor den Vertretern der Presse
halten zu lassen.
Jedenfalls kann ich mich in Uebereinstimraung mit Beyer
nicht der Meinung derjenigen anschliessen, die jegliche Auf¬
klärungen solcher Art als gänzlich nutzlos verwerfen, da die
Pressevertreter doch gar nicht die Absicht hätten, sich im einzelnen
und allgemeinen belehren zu lassen. Ebensowenig wie es uns
Psychiatern behagt, wenn man unserem Stande eine mala üdes
zu6chreibt, ebensowenig dürfen wir den Vertretern eines anderen
Standes diese zuschreiben, sondern wir sollten wenigstens ver¬
suchen, in loyale Beziehungen zu diesem Stande zu treten 1 ).
Bücherbesprechungen.
A. Faber- Kopenhagen: Die Arteriosklerose, ihre pathologische
Anatomie, ihre Pathogenese und Aetiologie. Jena 1912, Gustav
Fischer. Mit 7 Tafeln. 186 S. Preis 9,00 M.
Nach einer eingehenden Betrachtung der ausgedehnten Literatur
über die Arteriosklerose berichtet Verf. über seine eigenen, durch
mehrere Jahre fortgesetzten Studien über die arteriosklerotischen Ver¬
änderungen menschlicher und tierischer Gefässe. In seinen Ergebnissen
schliesst F. sich im allgemeinen an die Auffassungen von Jo res an,
insbesondere bezüglich der primären Verfettung und deren Uebergang in
Atherombildung. Besonderes Gewicht legt er auf die Häufigkeit der
Verkalkung in den elastischen Bestandteilen der Gefässwände, besonders
der Media. Um die Verteilung dieser Veränderungen in den ver¬
schiedenen Teilen des Gefasssystems übersichtlich darzustellen, hat F.
eine grosse Anzahl sorgfältig ausgearbeiteter Tabellen aufgestellt.
Ausserdem ist das Buch mit Abbildungen mikroskopischer Schnitte, teils
Zeichnungen, teils Mikrophotographien, ausgestattet.
Paul de Terra -Zollikon-Zürich: Vadentecnm anatomicum. Kritisch¬
etymologisches Wörterbuch der systematischen Anatomie. Mit
besonderer Berücksichtigung der Synonymen. Nebst einem An¬
hang: Die anatomischen Schriftsteller des Altertums bis zur
Neuzeit. Jena 1918, Gustav Fischer. 647 S. Preis geb. 16 M.,
geh. 15 M.
Ausgehend von der Idee, dass für den Arzt das Verständnis der
lateinischen und griechischen Sprache unentbehrlich sei, hat de Terra
die Ausdrücke der anatomischen Nomenclatur in einem Wörterbuch mit
ungefähr 14 000 Schlagwörtern zusaramengestellt. Er hat dabei das
Prinzip verfolgt, für die Wörter von allgemeiner Bedeutung die Ueber-
setzung nebst der sprachlichen Ableitung und.Angabe der Aussprache
zu bringen, während die speziellen anatomischen Bezeichnungen durch
1) Nach Abschluss dieses Vortrages wurde die Frage einer Reichs¬
irrengesetzgebung aufs neue im Reichstage angeregt (am 26. XI. 1912).
Siehe den Abdruck des stenographischen Berichts in der Psychiatrisch-
neurologischen Wochenschrift, 15. Jahrgang, Nr. 1 und 2. Der Abge¬
ordnete Gerlach (selbst Psychiater) ergriff in der Debatte „im Interesse
des Psychiaterstandes“ das Wort zu einem trefflichen Referat. Das vor¬
gebrachte Material wurde dem Reichskanzler überwiesen. Nach einer
Notiz der Täglichen Rundsohau vom 4. Mai 1918 soll der neue Landtag
sich mit einem preussiscben Irrengesetz beschäftigen.
die Angabe der Teile erklärt sind, die sie benennen. So hat der Verf.
in dankenswerter Weise die Aufgabe gelöst, ein Wörterbuch der anato¬
mischen Terminologie für den nicht klassisch gebildeten Mediziner mit
einem Nachschlagebuche der anatomischen Bezeichnungen der Körper¬
teile zu verbinden. Im Anhänge enthält das Buch ein Verzeichnis der
anatomischen Schriftsteller mit Angabe ihrer Hauptwerke und der von
ihnen herrührenden anatomischen Benennungen. A. W. Pinn er.
Axenfeld: Lehrbuch der Augenheilkunde. 3. Aufl. Jena 1912,
Gustav Fischer. 724 S. Preis brochiert 15,00 M., geb. 16,50.
Das ausgezeichnete Lehrbuch hat in dem kurzen Zeitraum von vier
Jahren die dritte Auflage erlebt, gewiss der beste Beweis, wie sehr es
unter den Studierenden beliebt ist.
Zu den Oeller’schen Tafeln, welche dadurch, dass die Bilder jetzt
einen leichten Glanz erhielten, noch wesentlich vorteilhafter wirken, als*
in der zweiten Auflage, ist eine zwölfte hinzugetreten (Retinitis anaemica).
Auch die zum grossen Teil mehrfarbigen Textabbildungen sind be¬
trächtlich vermehrt (um ca. 100) und der Text selbst hat in der neuen
Auflage eine eingehende Ueberarbeitung erfahren und wurde entsprechend
der neuesten Literatur ergänzt.
Das Buch dürfte in seiner neuen Gestalt unter Medizinstudierenden
und Aerzten noch mehr Freunde finden als bisher, um so mehr, als trotz
der mannigfachen Neuerungen und der vom Verlag mit grosser Sorgfalt
verbesserten Ausstattung des Werkes der Preis nur eine minimale Er¬
höhung erfahren hat. v. Sicherer-München.
Der Tuberkulosefortbildungskurs des Allgemeinen Krankenhauses
Hamborg-Eppendorf. Herausgegeben von L. Brauer. Würzburg
1913, Curt Kabitzsch. XI u. 324 S. Preis 9 M.
In modernster Weise wird hier die Tuberkulose von allen Seiten
der Diagnostik, der Therapie und der Prophylaxe in dem vorliegenden
ersten Bande behandelt. Den Auftakt bildet eine temperamentvolle Ein¬
führung Rudolf Brauer’s zugunsten einer medizinischen Fakultät an
der neu zu gründenden Hamburger Universität. In der ersten Arbeit
behandelt August Predöhl die soziale Fürsorge im Kampf gegen die
Tuberkulose und die leitenden Gesichtspunkte bei der Auswahl Tuber¬
kulöser bei der Heilstättenbehandlung. Mit so mancher veralteten Vor¬
stellung wird hier aufgeräumt und in dankenswerter Weise wieder auf
den modernen Standpunkt hingewiesen, dass die Lungenschwindsucht
überall geheilt werden könne, dass Höhenklima ebensowenig wie Witte¬
rung und Jahreszeiten dabei eine spezifische Rolle spielen. Dies darf
wohl nun als von der Mehrzahl der Tuberkuloseärzte anerkannt gelten.
Bei der Auswahl für die Heilstätten prinzipiell alle mit Kehlkopftuber¬
kulose komplizierten Fälle abzuweisen, dürfte dagegen kaum allgemeinen
Beifall finden, ebensowenig kann schon heute bezüglich der Erfolge,
welche mit der Aufnahme von Schwangeren in die Lungenheilstätten für
den weiteren Verlauf der Erkrankung auch nach der Entlassung aus der
Heilstätte erreicht sind, die Entscheidung dabin getroffen werden, dass
Schwangere unter allen Umständen abzulehnen seien. Das statistische
Material über die Fürsorgestellen für Lungenleidende in Hamburg gibt
Hermann Sieveking. Die neuesten Forschungen über die biologischen
und Immunitätsverhältnisse bei der Tuberkulose setzt Hans Much in
seiner gewohnten fesselnden und geistreichen, manchmal ein wenig
phantastischen Weise in sechs Vorlesungen auseinander. Dass die
Phantasie mitgearbeitet hat, darf in diesem Fall kein Vorwurf sein,
durch sie ist vielmehr eine Reihe von neuen Fragestellungen und An¬
griffspunkten für das Tuberkuloseproblem gegeben und insbesodere für
die Therapie der Zukunft manche Richtlinie festgelegt. Besonders inter¬
essieren dürften die zahlreichen positiven Resultate, die die Nachprüfungen
über die nicht säurefeste granulierte, von Much entdeckte Form des
Tuberkulosevirus ergeben haben. Fernerhin berichtet Deycke über die
schon früher von ihm bekannt gegebenen Beziehungen zwischen Lepra
und Tuberkulose, 0. Schümm über Farbstoffe und Reaktionen im Harn¬
stoff bei Tuberkulose, M. Nonne über die Differentialdiagnose der tuber¬
kulösen organischen Erkrankungen von Gehirn- und Rückenmark und
F. 0 eh leck er in einer mit zahlreichen trefflichen Illustrationen ver¬
sehenen Arbeit, die auch als Monographie erschienen ist, über die Be¬
handlung der Knochen- und Gelenktuberkulose mit orthopädischen Maass¬
nahmen. Mit feinem Takt und wohltuender Zurückhaltung behandelt
A. Thost die Larynxtuberkulose und befindet sich damit in angenehmem
Gegensätze zu vielen anderen Autoren, die gerade dies schwierige Gebiet
bearbeitet haben. Die Tuberkulose in der Gynäkologie und Geburtshilfe
behandelt Walter Rüder, der auch die Frage der Schwangerschafts¬
unterbrechung bei tuberkulösen Frauen diskutiert, und „der Seelen¬
zustand der Tuberkulösen“ von W. Wey g an dt bildet den Schluss des
auf der Höbe modernster Forschung stehenden Buches, so dass man dem
zweiten Bande, der hoffentlich die weiten, noch nicht behandelten Ge¬
biete der Tuberkuloseforschung bald bringen wird, mit grösstem Interesse
entgegensehen darf. J. W. Samson-Berlin.
Paul Mathes: Der Infantilismis, die Asthenie and deren Be¬
ziehungen zum Nervensystem. Berlin 1912. S. Karger. 18$ S.
In einer verdienstvollen Monographie behandelt M. das weitver¬
zweigte Gebiet des Infantilismus. — Es liegt in der Natur des Gegen¬
standes, dass die Studien des Verfassers sich nicht nur auf die infanti»
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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listischen Störungen beschränkten, sondern auoh verwandte Forschungs¬
gebiete berücksichtigten. So wurden einerseits noch die Eigenarten der
asthenischen Konstitution und deren Beziehungen zum Infantilismus,
andererseits die nervösen Schädigungen, die wir bei infantil-asthenischen
Individuen so ausgeprägt finden, eingehend besprochen. Gerade jetzt, da
die Lehre von der inneren Sekretion mit allzu gebieterisoher Gewalt sich
ausbreitet, da immer wieder die Schlagworte vom myxödematösen oder
genitalen Infantilismus usw. fallen, muss der Mathes’sche Standpunkt
mit doppelter Schärfe hervorgehoben werden: der Infantilismus ist eine
germinative Entwicklungshemmung. Gewiss mögen Funktions¬
störungen der Schilddrüse, der Keimdrüsen oder andere Schädlichkeiten
die Genese des Leidens fördern, die Hauptsache aber bleibt stets die
Behinderung des normalen Entwicklungsganges.
Gegen die Bewertung der psychischen Störungen bei Infantil-
Asthenisohen müssen vom psychiatrischen Standpunkt aus prinzipielle
Bedenken eroben werden. M. schildert uns als hauptsächlich in Betracht
kommenden Symptomenkomplex die psychische Depression. Schon das
erweckt in dem Leser ein leises Missbehagen. Die Depression ist, wie
M. ja selbst betont, nur ein Zustandsbild, ein Syndrom. Wir können
nur von der Depression eines bestimmten Leidens, etwa der Cyklothymie,
der Melancholie, der konstitutionellen Verstimmung usw. sprechen, nicht
aber von der psychischen Depression im allgemeinen. Sodann hebt M.,
in Anlehnung an Dubois, den Zustand der Depression bzw. — um¬
fassender ausgedrückt — der Labilität des Seelenlebens aus dem Sym-
ptomenbild der konstitutionell degenerativen Psychoneurosen (1. Kon¬
stitutionelle Depression; 2. Cyklothymie; 3. Neurasthenie; 4. Hysterie)
heraus und bezeichnet diese krankhafte Seelenverfassung als Psych-
asthenie bzw. psychasthenischen Symptomenkomplex (Dubois). In ihm
erblickt er den Typus der infantil-asthenischen Seelenstörungen. Abge¬
sehen davon, dass hier im Hinblick auf das bekannte Janet’sche Krank¬
heitsbild eine gewisse Verwirrung in der Nomenklatur geschaffen wird
— M. selbst ist das nicht entgangen —, scheint mir diese Auffassung
aus folgendem Grunde angreifbar: Mit Hilfe eines einzigen Symptoms
ist hier ein selbständiges klinisches Syndrom geschaffen worden; der
psychiatrischen Untersuchung aber gelingt es nicht, diesen patho¬
logischen Zustand — weder in bezug auf die Eigenart, noch auf die
Konstellation seiner Krankheitserscbeinungen — von anderen bekannten
Krankheitsbildern abzugrenzen. Die Infantil-Asthenischen sind mangel¬
haft entwickelte Individuen, natürlich auch hinsichtlich ihrer psychischen
Fähigkeiten. Sie gehören also von vornherein in die Kategorie der
psychopathischen Persönlichkeiten. Dass diese minderwertige Anlage —
besonders z. B. in der Pubertät — zu Seelenstörungen disponiert, ist
sicher. Dass weiter sich hierbei häufig depressive Zustände finden, wird
nicht bestritten. Aber es macht keine Mühe, diese Komplexe in das
Krankheitsbild einer Cyklothymie, einer Hysterie, einer Neurasthenie usw.
einzuordnen. — Schliesslich erscheint das Vorkommen von Sympathicus-
ersoheinungen bei Infantilen vielleicht etwas zu einseitig betont. Gerade
bei Deprimierten, speziell im Verlauf des manisch-depressiven Irreseins,
finden wir nicht nur eine allgemeine Empfindlichkeit des sympathischen,
sondern auch ebensosehr eine solche des cerebrospinalen Nervensystems;
hierfür sprechen die mannigfachen über den ganzen Körper verbreiteten
Miss- und Schmerzempfindungen, wie sie uns häufig von unseren Kranken
geschildert werden. A. Münzer.
Paal Morawiti: Ueber Vorgänge der Selbstvergiftung and -Ent-
giftang im Organismus. Freiburg und Leipzig 1913, Speyer u.
Kaerner. 30 S. 0,90 M.
Ein Vortrag, der in klarer Darstellung sich mit dem Wesen einer
Anzahl der wichtigsten Stoffwechselstörungen beschäftigt. Die Bedeutung
der inneren Sekretion, der endogenen und exogenen Krankheitsursachen
wird beleuchtet. Die Lektüre der kleinen Sobrift ist durchaus zu
empfehlen. Jacoby.
Literatur-Auszüge.
Physiologie.
H. Fabritius und E. v. Bermann: Zur Kenntnis der Haat- and
Tiefensensibilität, untersucht mittels der Abschnürungsmethode. (Pflüger’s
Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Verff. schnürten einen Finger an seiner
Basis mittels Gummibinde ab und prüften die Veränderung der Tast¬
kreise (simultanen Raumschwellen) und der sogenannten Stereognose,
d. h. der Fähigkeit Gegenstände durch Abtasten zu erkennen. 30 bis
35 Minuten nach der Verschnürung beginnen die Tastkreise rasch grösser
zu werden, so dass bei Entfernung der beiden Tasterspitzen um selbst
50 mm nur eine Tastempfindung entsteht. Bei zeitlich getrennter
Reizung mit beiden Spitzen wird dagegen jeder Reiz wahrgenommen und
richtig lokalisiert. Zugleich verschwindet auch die Stereognose. Es be¬
steht aber zunächst noch Berührungsdruckempfindliohkeit, Schmerz-,
Kälte- und Wärmeempfindlichkeit. Bald schwindet auch erstere, so
dass nur Temperatur- und Schmerzempfindungen auslösbar sind. Sie
können gut lokalisiert werden, besitzen aber keine Raumschwelle. Je
mehr die Berührungsdruckempfindlicbkeit gelitten bat, um so weniger
kann der Gewichtsunterschied verschieden schwerer Gewichte taxiert
werden. Die hier mitspielenden Muskelempfindungen können deshalb
nach Verff. nur geringe Unterschiodsempfindlichkeit besitzen.
J. S. Beritoff: Zur Kenntnis der spinalen Coordination der rhyth¬
mischen Reflexe vom Ortsbewegangstypus. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151,
H. 4—6.) B.’s Untersuchungen betreffen das Wesen der kombinierten
(Spring ) Reflexe am strychninisierten Rückenmarksfrosche und beziehen
sich auf die Lokalisation der Coordinationsapparate der Beugungs- und
Streckungsinnervation auf die Beeinflussung der Coordinationsapparate
einer Seite von der anderen symmetrischen Seite her und auf die Succession
der einzelnen Phasen der Beugungs- und Streckungsinnervationen, die dabei
mitspielen. B. findet, dass die Coordination der Beugungs- und Streckungs¬
reflexe derHiuterextremitäten und ihre Verbindung zu rhythmischen Reflexen
(Gehen, Springen) im 9. und 10. Rückenmarkssegment vor sich geht.
Hier befinden sich also die spinalen coordinierenden Centren. Eine ge¬
steigerte Tätigkeit löst rhythmische Reflexe an den Hinterextremitäten
aus. Eine richtige Regulierung der Centren durch sekundäre peri¬
pherische Impulse kommt nur bei freibeweglichen Hinterextremitäten
zustande. Die Tätigkeit der Coordinationsapparate verläuft gewöhnlich
getrennt sowohl von den gleichen Apparaten der entgegengesetzten
Hälfte als auch von den Apparaten anderer Segmente derselben Seite.
Sie wird also nicht auf „intercentralem“ Wege erregt. Bezüglich
weiterer Einzelheiten sei auf das Original verwiesen.
A. Basler: Ueber die Verschmelzung rhythmischer Wärme- and
Kälteempflndangen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Mittels eines
„thermische Reizmühle“ genannten Apparats hat Verf. folgendes fest¬
gestellt: Wärmereize, die in gleichen zeitlichen Abständen auf die
Volarseite des Vorderarms wirken, verursachen eine gleichmässige
Wärmeempfindung, wenn die Reize in Pausen von 1,5 Sekunden auf¬
einander folgen. Wenn die Reize nach mehr als je 1,88 Sekunden ein¬
ander folgen, tritt keine Verschmelzung der Wärmeempfindung mehr
ein. Kälteempfindungen verschmelzen bei einem Zeitunterschied von
0,53 Sekunden. Alternierende Wärme- und Kältereize verschmelzen bei
noch längerem Zeitunterschied. Im Gegensatz zum Auge war für die
Verschmelzung mehrerer Reize zu einer Empfindung die Dauer der
Reize und der dazwischen liegenden Pausen maassgebend.
H. Stübel: Ultramikroskopische Beobachtungen an Maskel-Geissel-
zellen. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Höher hatte, von der
Hypothese ausgehend, dass bei der Erregung von Nerv und Muskel
Aenderungen in der Beschaffenheit ihrer Kolloide erfolgen, versucht,
ultramikroskopisch solche Aenderungen nachzuweisen. Er fand keine
an den Nerven von Frosch und Hecht. St. hat nun an geeigneteren,
dünneren, Objekten eine Nachprüfung vorgenommen Aber auch er
konnte weder an glatten Froschmuskeln, noch an Myoidfäden von Vorti¬
cellen, noch an Flimmerzellen Veränderungen des Protoplasmas bei
ihrer Bewegung wahrnehmen. Wo solche vorhanden zu sein schienen,
z. B. bei Spermatozoen, handelt es sich wahrscheinlich um optische,
durch wechselnde Beleuchtung bedingte Phänomene.
A. Zahn: Experimentelle Untersuchungen über Reizbilduug and
Reizleitung im Atrioventrikal&rknoten. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151,
H. 4—6.) Z. prüfte an Hunden, Katzen, Kaninchen mittels lokalisierter
Abkühlung und Erwärmuug nach Ausschaltung des Sinusknotens die
Funktion der einzelnen Abschnitte des Atrioventrikularknotens. Alle
Teile dieses Knotens können rhythmische Reize bilden, wobei Erwärmung
zur Steigerung der Frequenz führt. Die Verzögerung der Reizleitung
findet hauptsächlich im mittleren Teil des Atrioventrikularknotens
statt. Abkühlung des Atrioventrikularknotens in seinem oberen Ab¬
schnitt führt zur Verminderung der Frequenz, solche im unteren
macht Ueberleitungsstörung zwischen Vorhof und Kammer. Bei Aus¬
schaltung des Sinusknotens durch Kälte bildet der mittlere Abschnitt
des Atrioventrikularknotens die Herzreize, bei nicht reizloser Zerstörung
des Sinusknotens dagegen bildet sie der obere Abschnitt.
W. Koch: Ueber die Bedeutung der Reizbildangsstellen (cardio-
motorische Centren) des rechten Vorhofes beim Säugetierherzep.
(Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.) Mikroskopische Untersuchungen
der von Zahn für seine Versuche benutzten Herzen. Danach besteht
der Aschoff-Tawara’sche Knoten aus zwei anatomisch und physiologisch
trennbaren Abschnitten. Die Grenze zwischen ihnen ist die ursprüng¬
liche Vorhof-Kammergrenze. Das von Zahn im Coronarvenentrichter
isolierte selbständige Centrum entspricht dem Vorhofabschnitt des
Aschoff-Tawara’schen Knotens. Die spezifischen Muskelsysteme stehen
in Beziehung zum venösen Klappenapparat des Herzens; der Sinusknoten
zu den Klappen der Vena cava sup., der Kammerknoten zu den Atrio¬
ventrikularklappen. Der Vorhofsknoten ist vielleicht als Rest der Sinus¬
klappenwinkelmuskulatur zu betrachten und steht in Beziehung zur
Vena cava inf. und Vena coronaria. Der Vorhofsknoten dürfte für ge¬
wöhnlich untätig sein und nur unter besonderen Bedingungen in Tätig¬
keit treten.
H. E. Hering: Erklärungsversuch der U-Zacke des Elektrocardio-
gramms als Elektroangiogramm. (Pflüger’s Archiv, Bd. 151, H. 4—6.)
Die am Elektrocardiogramm nicht konstant vorkommende U-Zacke hatte
Einthoven auf die Kammerkontraktion bezogen. H. hält diese An¬
nahme nicht für zutreffend, schliesst vielmehr aus verschiedenen Tat¬
sachen, dass sie der elektrische Ausdruck der Kontraktion der Arterien
sei, also eigentlich ein Elektroangiogramm darstelle. A. Loewy.
G. B oehm - München: Ueber den Einfluss des Nervus sympathicas
und anderer autonomer Nerven auf die Bewegungen des Dickdarms.
(Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 72, H. 1, S. 1—55.)
Die Arbeit bringt ausserordentlich wertyolle Tierversuche, die mannig-
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978
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
fache Aufklärung schaffen. Leider macht die Fülle des Materials ein
Referat unmöglich. Jaeoby.
H. Wörner-Frankfurt a. M.: Toleranz gegen Galaktose bei direkter
Einführung in den Pfortaderkreislanf. (Deutsches Archiv f. klin. Med.,
1913, Bd. 110, R. 8 u. 4.) Die Toleranz gegen Galaktose ist nach
Phosphorvergiftung bei direkter Einführung dieser Zuckerart in den
portalen Kreislauf herabgesetzt. Die Ursache ist in einer Parenchym¬
schädigung der Leber zu suchen. Die Richtigkeit dieser schon für die
orale Zufuhr der Galaktose gegebenen Erklärung ist damit bewiesen.
W. Zinn.
H. Freund und F. Marchand-Heidelberg: Ueber die Beziehungen
der Nebennieren za Blutzaeker and Wärmeregulation. (Archiv f.
experiment. Pathol. u. Pbarmakol., Bd. 72, H. 1, S. 56—75.) Verlust
der Nebennieren führt zu schweren Störungen der Wärmeregulation und
Verminderung des Blutzuckers. Es scheint, als ob Rinde und Mark der
Nebenniere in gleicher Weise wesentlich für die Funktion des Organs
sind, wenn auch das eigentliche Sekret nur das vom Mark gelieferte
Adrenalin ist. Jaeoby.
Ph. Schopp-Heidelberg: Ueber Nährklystiere mit Eiweissabban-
prodaktion und deren Einfluss auf den respiratorischen Stoffwechsel
und die Wärmeprodnktion. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913,
Bd. 110, H. 3 u. 4.) In Selbstversuchen wurden Nährklystiere mit Ei-
weissspaltungsprodubten (Riba, Hapan) in ziemlich hoher Konzentration
aufgenommen (14—22 pCt.). Die Ausnutzung in zehnstündigen Ver¬
suchen betrug 68—90 pCt. Respirationsversuche zeigten im Anschluss
an derartige Nährklystiere eine erhebliche Steigerung der Wärme¬
produktion (19—30pCt.). Infolge dieses Anreizes der verwendeten
Eiweisspräparate zu stärkerer Wärmeproduktion erscheint ihre aus¬
schliessliche Darreichung in Form von Nährklystieren calorisch unzweck¬
mässig, und es ist zur Deckung des calorischen Bedarfs und der Schonung
des Körperbestandes notwendig, gleichzeitig grössere Mengen von Fett
oder Kohlehydraten per os oder per rectum mit zu verabreichen, wie es
in der Regel schon bisher instinktiv richtig geschieht. W. Zinn.
Pharmakologie.
Beyschlag: Natürliche Bedingungen der Mineral- and Heilquellen.
Veröffentlichung der Centralstelle für Balneologie. (Zeitschr. f. Balneol.,
6. Jahrg., Nr. 3.) Die natürlichen geologischen Bedingungen der Ent¬
stehung von Mineral- und Heilwässern sind: 1. das Vorhandensein löse¬
fähigen Minerals im Gestein unter auslaugbaren Bedingungen, 2. tief¬
greifende Störungs- und Verwesungsvorgänge in der Erdkruste, die ein
Eindringen und Auslaugen der Schichten ermöglichen, 3. Vereinigung
dieser Lösungen mit den vulkanischen, namentlich gasförmigen Produkten
der Gegenwart und Vergangenheit. E. Tobias.
E. Bernoulli - Basel: Einfluss der Digitalis auf die Erholung des
Herzens nach Maskelarbeit. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.)
B. fand beim gesunden Herzen keinen Unterschied in der Erholung
nach dosierter Muskelarbeit und nach Digitalisdarreichung. Daraus
ergibt sich die praktische Folgerung, dass „prophylaktische“ Digitalis¬
verwendung ohne Zweck ist. Nur das kranke Herz reagiert auf Digitalis.
Dünner.
C. 0 eh me-Göttingen: Wirkungsweise des Histamins. (Archiv f.
experiment. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 71, H. 1, S. 76—96.) Histamin
ist bei der Injektion in die Portalvene ungiftig, bei langsamer Infusion
auch bei Einführung in die Jugularvene. Dabei verschwindet der grösste
Teil des Histamins sehr bald aus dem Blute und erscheint nicht im
Harn. Es scheint auch durch den Uterus, auf den es einwirkt, weder
zerstört noch in dem Organ gespeichert zu werden. Die Reizwirkung
scheint eine Funktion der Geschwindigkeit zu sein, mit der eine be¬
stimmte Giftmenge dem Organe zugeführt wird, das Konzentrations¬
gefälle vom Blute zum Organ scheint für die pharmakologische Wirkung
maassgebend zu sein. Jaeoby.
A. Elfer-Kolozsvär: Ueber die Wirkung des Extraktes aas dem
Iafaadibalarteil der Glandula pituitaria unter pathologischen Verhält¬
nissen. Untersuchungen über den N- and den Mineralstoffwechsel.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die sub-
cutane Darreichung des Extraktes verschlechtert den Eiweissstoffwechsel
nicht. Pituitrin verursacht eine vorübergehende Retention von P, Ca,
Mg. Diese Tatsachen rechtfertigten die Behandlung von Osteomalacie,
Rachitis mit Pituitrin eventuell durch längere Zeit hindurch. Versuche
nach dieser Richtung mit Kontrolle des Stoffwechsels stehen noch aus.
W. Zinn.
J. Nerking-Düsseldorf: Zur Frage der Giftwirknng der Rhodan-
salze. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Rbodanalkalien sind
durchaus nicht, wie Biberfeld meint, in Dosen von 0,5 bis 1,0 pro
die ungiftig. Wohl aber wird Rhodalcid, eine Eiweissverbindung des
Rhodans, ohne unangenehme Nebenwirkung vertragen. Wolfsohn.
Döblin und Fleischmann - Berlin: Zum Mechanismus der
Atropinentgiftang ' durch Blat und klinische Beobachtungen über das
Vorkommen der Entgiftung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.)
Es wurden die Eigenschaften der atropinentgiftenden Substanz des
Kaninchenblutes genauer untersucht und festgestellt, dass dieselbe an
das Serum und (Plasma gebunden und in den Blutkörperchen und im
Blutgerinnsel kaum vorhanden ist. Die entgiftende Eigenschaft ist
gegen Trocknen resistent und nicht dialysabel. Bei Wasserdialyse ent¬
giftet nur die Albuminfraktion, beim Aussalzen nur die Albuminfraktion.
Die Substanz ist undurebgängig durch die Ghamberlandkerze, kein
Lipoid und hitzeempfindlich. Schon Erwärmung auf 55° bewirkt eine
deutliche Abnahme des entgiftenden Vermögens. Das menschliche Blut¬
serum hat nur höchst selten entgiftende Eigenschaften für Atropin, und
zwar, wie es scheint, ausschliesslich nur bei Schildrüsenerkrankungen,
aber keineswegs regelmässig. H. HirschfeId.
Siehe auch Innere Medizin: Lindström, Arsenikvergiftung.
Therapie.
Chr. Schöne - Greifswald: Experimentelle Untersuchungen über
die Wirksamkeit grosser Seramdosen bei der Diphtherievergiftaig.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die Arbeit
zeigt, dass nach den experimentellen Resultaten auch im Verlauf der
menschlichen Diphtherievergiftung unter Umständen nur grösste Serum¬
dosen lebensrettend wirken können. Der Zeitpunkt, wann diese im
Einzelfalle anzuwenden sind, ist schwer bestimmbar. W. Zinn.
E. Schreiber-Magdeburg: Zur Prophylaxe and Therapie der
Diphtherie. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Schreiber’s
Versucho an 40 Patienten haben ergeben, dass es mit Hilfe der neuen
Behring’schen aktiven Immunisierung durch wenige Injektionen gelingt,
einen hohen Antitoxingehalt des Blutes zu erzeugen. Nach allem, was
wir bis heute über Schutzimpfung wissen, dürfte dieser Antitoxingehalt
genügen, um die Individuen gegen eine nicht allzu virulente Infektion
zu schützen. Die Zahl der bisher vorliegenden Untersuchungen ist
allerdings noch nicht ausreichend, um die Frage praktisch zu entscheiden.
Die Injektionen rufen leichte Reaktionserscheinungen hervor, die aber
stets vollkommen ungefährlich verlaufen. Der Impfschutz tritt frühestens
am 21. Tage nach der ersten Einspritzung auf. In der Zwischenzeit ist
die Ansteckungsgefahr wahrscheinlich vorhanden, vielleicht sogar erhöht.
Das Verhalten der Bacillenträger gegen die aktive Immunisierung konnte
Schreiber bisher noch nicht beobachten. Für die Behandlung der
Diphtherie wird eine möglichst frühzeitige intramuskuläre bzw. intra¬
venöse Serumanwendung empfohlen. Man tut gut, grössere Dosen zu
wählen, als bisher üblich war. Für die Behandlung der Mischinfeklionen
wird die lokale Applikation von Salvarsan bzw. Neosalvarsan empfohlen,
eventuell auch die intravenöse Injektion kleiuer Dosen dieser Mittel.
Auch mit der lokalen Anwendung des Diphtherieserums hatte Verf.
gute Erfolge. Die Herzschwäche wird mit Adrenalin sehr vorteilhaft
bekämpft.
E. y. Behring-Marburg: Ueber ein neues Diphtherieschatzmittel.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Nach umfangreichen Vor¬
studien im Tierexperiment ist v. Behring dazu gelangt, eine Mischung
von sehr starkem Diphtheriegift mit Antitoxin in solchem Verhältnis an¬
zuwenden, dass die Mischlösung im Meerschweinchenversuch nur einen
geringen oder gar keinen Toxinüberschuss aufweist. Die alte Lehre der
definitiven Giftneutralisierung durch Antitoxin in vitro hat sich in dieser
Form als irrig erwiesen. Ein für Meerschweinchen neutrales Toxin-Anti¬
toxingemisch ist noch imstande, beim Esel und besonders beim Affen
eine lebhafte Fieberreaktion mit nachfolgender Antitoxinbildung hervor¬
zurufen. Erst bei einem Mischungsverhältnis von 80—100 (Antitoxin)
auf 1 (Toxin) hört das Gemisch auf, für Affen giftig zu sein. Der Mensch
ist gegenüber einem für Meerschweinchen neutralen Gemisch viel weniger
empfindlich, am meisten noch im Alter von 4—15 Jahren. Diphtherie¬
bacillenträger sind besonders überempfindlich. Sie sind durch das neue
Behring’sche Mittel dementsprechend leicht zu starker Antitoxinproduktion
zu bringen. In der der Publikation beigegebenen Gebrauchsanweisung
sind eine Anzahl von Fragen enthalten, deren gewissenhafte Beant¬
wortung zunächst nur von ausgewählten Instituten wird stattfinden
können. Besonderen Wert legt v. Behring auf eine fortlaufende Prüfung
des Antitoxingehaltes im Blute. Kontraindiziert ist die Impfung im
Inkubationsstadium der Diphtherie und bei Herzschwäche. Durch die
Schutzimpfung wird eine langdauernde Immunität erzeugt. Weiterhin
gelingt es auf diese Weise, ein anthropogenes (homogenes) Diphtherie¬
antitoxin zur passiven Immunisierung zu gewinnen. Durch bedeutungs¬
volle Experimente ist v. Behring zu der Gewissheit gelangt, dass beim
passiv immunisierten Menschen ein homogenes Antitoxin ebensolaDge
im Organismus wirkt wie das durch aktive Immunisierung erworbene
autogene Antitoxin. Der Antitoxinschwund, welcher beobachtet wird,
hängt hauptsächlich zusammen mit einer Ausscheidung durch die
Sekretionsorgane. Im normalen Stoffwechsel wird dabei immer ein relativ
geringer Teil ausgeschieden; es kann aber durch interkurrentes Fieber
(z. B. infolge Tuberkulin) die Anwendung verstärkt und beschleunigt
werden. Wolfsohn.
J. Mannaberg-Wieri: Ueber Versuche, die Basedow’sehe Kraak-
heit mittels Röntgenbestrahlung der Ovarien zu beeinflussen. (Wiener
klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Die Beziehungen, welche zwischen
dem weiblichen Geschlechtsorgane und der Schilddrüse bestehen, regten
in dem Verf. den Gedanken an, die Basedow’sche Krankheit durch
Röntgenbestrahlung der Ovarien anzugreifen. In fast allen Fällen übten
die Bestrahlungen einen günstigen Erfolg aus. Am greifbarsten ist der
Einfluss auf die Gewichtszunahme, die bei 8 von den 10 bestrahlten
Fällen im Durchschnitt llpCt. betrug. Die Pulsfrequenz nahm zum
Teil erheblich ab, auch auf die Diarrhöen und den Tremor wurde eine
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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günstige Wirkung erzielt. Dagegen blieb der Exophthalmus in der
Hälfte der Fälle unverändert, ebenso war der Einfluss der Bestrahlungen
auf den Halsumfang sehr gering. P. Hirsch.
A. Merckens - Köln: Ein Fall schwerster Melaena neonatorum
geheilt durch Injektion von defibriniertem Menschenblnt. (Münchener
med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.) Intramuskuläre Injektion von 12 ccm
defibriniertem Menschenblut brachten Heilung.
H. Hahn - Heidelberg: Erfolgreiche Behandlung von hämophilen
Blutungen mittels des Thermokauters. (Münchener med. Wochenschr.,
1913, Nr. 18.) Bei zwei Blutern (P /2 Jahre und 2 1 /* Jahre alt), die
jeder anderen Therapie getrotzt hatten, stand die Blutung prompt nach
Kauterisieren der verletzten Stelle. Erklärung: Vielleicht entsteht
durch Hitzewirkung eine Coagulation des Gefässinhaltes, vielleicht
werden bei der Nekrose Stoffe frei, die die Blutgerinnung erleichtern.
Dünner.
E. Keuper'Berlin: Melnbrin als Antirheomaticnm und Anti-
pjreticum. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Gute Erfolge
bei akutem Gelenkrheumatismus, ferner auch bei Chorea minor, Ischias,
Pleuritis exsudativa u. a. Keine üblen Nebenwirkungen.
H. Sowade - Halle a. S.: Klinische Erfahrungen mit Embarin.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Embarin wird als gut
wirkendes Antilueticum empfohlen. In einem hohen Prozentsatz (24pCt.)
der Fälle wurden allerdings mehr oder minder schwere Störungen des
Allgemeinbefindens mit Temperaturerhöhung beobachtet. 9 Patienten
boten sogar ein vorübergehend recht ernstes Krankbeitsbild dar, be¬
stehend in Schüttelfrost, Collaps, Schwindelgefühl und Erbrechen. In
solchen Fällen ist natürlich unter allen Umständen das Embarin auszu¬
setzen. Einen grossen Vorteil erblickt S. darin, dass es mit Embarin
möglich ist, eine energische Quecksilberkur in 3—4 Wochen durchzu¬
führen. Wolfsohn.
Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie.
L. Jores-Cöln: Eine verbesserte Methode der Konservierung ana-
tonischer Objekte. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) J. er¬
zeugt durch Zusatz von Chloralbydrat zur Salzformalinmischung Hämo-
chromogen, das eine dem Hämoglobin ähnliche Farbe besitzt. Er benutzt
folgende Lösung zur Härtung der Objekte: 5 Teile künstliches Karls¬
bader Salz, 5 Teile Formol, 5 Teile Chloralbydrat und 100 Teile Wasser.
Dünner.
B. Hiromoto: Statistik der angeborenen Missbildungen in Japan.
(Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12,
H. 3.) Die Statistik (4804 Fälle mit 464 Missbildungen) ergibt fast
dieselben Resultate wie die Statistik Hoffa’s, so dass ein Unterschied
gegenüber europäischen Verhältnissen nicht festzustellen ist
M. Strauss.
D. v. Hansemann: Ueber die Benennung der Geschwülste. (Zeit¬
schrift f. Krebsforschr., Bd. 13, H. 1.) Nach dem Beispiel der Zoologen
und Botaniker will v. H. für die Geschwülste einen aus ihrer morpho¬
logischen Beschaffenheit abgeleiteten Grundnamen einfübren, der durch
ein oder mehrere Adjektive vervollständigt wird, die über die Histo-
genese, Malignität usw. Aufschluss geben sollen. Er will in diesem
Sinne auf die Kommission für die Geschwulstnomenklatur wirken, die
von der Brüsseler internationalen Krebskonferenz eingesetzt ist, und
hofft, auf diesem Wege Einfachheit und Einheitlichkeit in die so ver¬
worrene Nomenklatur der Tumoren zu bringen.
Bericht des dänischen Cancerkomitees über die Zählangen der
Krebskranken auf Island und auf den Färbern. (Zeitschr. f. Krebs¬
forschung, Bd. 13, H. 1.) Statistisches über das Vorkommen der bös¬
artigen Geschwülste auf den genannten Inseln.
E. Ludwig: Sarkom der Leber mit beiderseitiger diffuser Nieren-
sarkomatose bei einem Hahn. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.)
Der Fall, der zunächst an Tuberkulose erinnerte, hatte grosse Aebnlich-
keit mit dem Rundzellensarkom mit Lungen- und Nierenmetastasen, die
v. Werdt bei einem 11jährigen Knaben beobachtet hat.
H. Simon: Ueber ein klinisch an Botryomykom erinnerndes Fibro-
sarkom beim Esel. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Fibro-
sarkom am Schlauch (Präputium) eines Esels und Vergleichung des Be-
undes mit einem Botrymykom vom Samenstrangrest eines Wallachs.
F. A. Rogg-Rostock: Careinom aod Careinoid der Appendix.
(Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Fall von Appendixcarcinom
mit ausführlicher Literaturangabe und -besprechung.
F. Eichhorn-Rostock: Heterotopeg Chorionepitheliom in Gehirn
nnd Langen. (Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) In Gehirn und
Lungen wurden Tumoren gefunden, die das Bild des Chorionepithelioms
boten, während im Uterus (10 Wochen post partum) keine Spur einer
Geschwulst nachzuweisen war. Verf. nimmt an, dass die Chorion-
epithelien, die fötalen Ursprungs sind, als fremde Zellen in den mütter¬
lichen Organismus eingedrungen und in das Gehirn und die Lungen
verschleppt worden sind, wo sie günstige Bedingungen für die Geschwulst¬
bildung fanden, während der Uterus der Mutter „für die Weiterentwick¬
lung der Zellen einen geeigneten Boden nicht darbot“. Er nimmt dabei
eine Verschiedenheit der Disposition zur Geschwulstbildung bei den ver¬
schiedenen Organen der Mutter an. A. W. Pinn er.
Laache - Christiania: Ueber einige meta8tatische Hauttnmoren.
Kasuistische Mitteilung. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Es
werden eine Reihe seltener Fälle metastatischer Hauttumoren beschrieben
und abgebildct, nämlich: 1. Multiple Hautmetastasen, generalisierte
Pigmentsarkomatose mit Ausgangspunkt von einem Tumor der Parotis-
gegend. 2. Hirnleiden, primärer Hauttumor, metastatische Hautge¬
schwülste, Sarkom. 3. Multiple Hautsarkome, primäres Sarkom der
Wirbelsäule. 4. Vorübergehende Hämaturie, Nieren- und Nebennieren¬
krebs, multiple Hautmetastasen. 5. Geschwülste der Haut, nach einem
operierten Mammakrebs. 6. Metastatischer Nabelkrebs nach Carcinoma
ventriculi. 7. Zerstreute Hautcarcinome, als Primärherd Darmkrebs.
H. Hirschfeld.
G. Gr über-München: Beitrag zur Frage nach den Beziehungen
zwischen Krebs und peptischem Geschwür im oberen Digestionstrakt.
(Zeitschr. f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Unter Benutzung einer grossen
Zahl von Fällen erörtert Verf. die vielfach behandelte Frage und kommt
zu dem Schlüsse, dass einmal der Krebs sich aus dem Ulcus pepticum,
andererseits peptische Geschwüre sich sekundär auf dem Boden des
Krebses entwickeln können. Die Entscheidung über die Frage der
Priorität ist nicht in allen Fällen zu sichern, da man nicht immer
zwischen krebsigem Zerfall und peptischer Geschwürsbildung unter¬
scheiden kann, und in manchen Fällen die krehsige Infiltration die ur¬
sprüngliche peptische Ulceration verdeckt. A. W. Pinner.
Lee de-Hamburg-Eppendorf: Beiträge zur Diphtherie) mit besonderer
Berücksichtigung der pathologisch-anatomischen Organ- und bakterio¬
logischen Leichenblutbefunde in ihrem Verhalten zum klinischen Bilde.
(Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Resümee des Autors: Bei
der Diphtherie weist das Alter zwischen 5 und 15 Jahren die meisten
Erkrankungen auf, das weibliche Geschlecht ist stärker vertreten, beim
männlichen kommt es häufiger zu Tracheotomien. Herzstörungen zeigten
10,18 pCt. aller Aufnahmen, dieselben traten schon in den ersten Er¬
krankungstagen auf. Ihre Häufigkeit nimmt mit dem Alter ab, steigt
aber jenseits des 25. Lebensjahres wieder an. Das weibliche Geschlecht
war bei den Kreislaufstörungen nicht so stark beteiligt als das männ¬
liche, nach dem 15. Lebensjahre war seine Beteiligung aber stärker.
Die Mortalität ist am höchsten bis zum 5. und jenseits des 50. Lebens¬
jahres, und es überwiegt bei den Verstorbenen das männliche Geschlecht.
Der Tod erfolgt in 54—56pCt. in der ersten Erkrankungswoche, und
von diesen kommen 37,10 pCt. schon innerhalb der ersten 24 Stunden
des Spitalaufenthaltes zum Tode. Todesursachen bei Diphtherie sind:
Toxinüberschwemmung und ihre Wirkungen auf das Vasomotorencentrum
am Herzen und an den Nebennieren, Herzmuskelveränderungen, Ver¬
änderungen am Reizleitungscentrum und bronchopneumonische Verände¬
rungen. 65,13 pCt. der Verstorbenen zeigen infiziertes Leichenblut.
H. Hirschfeld.
Siehe auch Röntgenologie: E. Fraenkel, Syphilis platter
Knochen. Alexander, Syphilis der fötalen Wirbelsäule.
Parasitenkunde und Serologie.
Riemer - Rostock: Beeinflussung der Agglatinierbarkeit von
Typhasbacillen durch den Alkaligehalt des Nährbodens. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Von 10 Typhusbacillenstämmen
zeigten 9 auf stärker alkalischem Nähragar (2—4 ccm */, n Na 2 C0 3 über
dem Phenolphtbaleinneutralpunkt auf 100 ccm Nährboden) eine deutliche
Verminderung ihrer Agglutinabilität. Diese Agglutinationsverminderung
lässt sich durch Weiterzüchten auf stark alkalischem Nähragar nicht
verstärken, sondern wird bei einzelnen Stämmen wieder ausgeglichen.
Die Ueberimpfung der Typhusbacillen von alkalischem auf gewöhnlichen
Agar stellt meist schon in der ersten Generation die frühere Aggluti-
nationsfähigkeit wieder her. Paratyphusbacillen A verhalten sich auf
alkalischem Agar wie Typhusbacillen, während Paratyphus B nicht be¬
einflusst wird. Dünner.
A. Schubergund W. Böing-Berlin: Ueber den Weg der Infektion
bei Trypanosomen- and Spirocbätenerkranknngen. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, gehalten auf der 7. Tagung der
Freien Vereinigung für Mikrobiologie zu Berlin am 2. April 1913.
Wolfsohn.
F. Rosenthal-Breslau: Experimentelle Untersuchungen über das
Wesen und die Genese des Recidivs. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77,
H. 3 u. 4.) Ausgehend von Feststellungen Ehrlich’s, dass Normal¬
trypanosomen, im Reagenzglase mit Immunserum digeriert, sich unter
gewissen quantitativen Bedingungen zum Recidivstamm umwandeln, hat
Verf. in interessanten Versuchsreihen mit Trypanosomen die Ursachen
des Frübrecidivs aufzuklären versucht. Er kommt zu dem Resultat, dass
die Ursache des Frührecidivs nicht in einem Aufhören der Immunität
des Wirtsorganismus, sondern in der gerade unter dem Einfluss dieser
Immunität sich vollziehenden biologischen Wesensänderung des Parasiten
zu Individuen mit neuen Artcharakteren zu suchen ist.
H. Hirschfeld.
L. Quadflieg-Gelsenkirchen: Beitrag zur Modifikation der Wasser-
mann-Neisser-Brack’scben Reaktion nach M. Stern. (Deutsche med.
Wochenschr , 1913, Nr. 18.) Die Stern’sche Modifikation der Wasser-
mann’schen Reaktion mit aktivem Serum gibt etwas feinere Ausschläge
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
als die Wassermann’sche Reaktion. Da9 Serum muss jedoch ganz frisch
sein, und darin liegt eine gewisse Schwierigkeit. Um Irrtümern vor¬
zubeugen, sollte die Stern’sche Modifikation nur neben der Original¬
methode verwendet werden. Wolfsohn.
J. Ha Ipern-Heidelberg: Serodiagnostik der Geschwülste mittels
Komplementablenkungsreaktion. (Müochener med. Wochenschr., 1913,
Nr. 17.) Die Resultate zeigen, dass die v. Dungern’sche Tumorreaktion
zwar nicht mit absoluter Sicherheit die Frage entscheiden lässt, ob ein
maligner Tumor vorliegt, aber geeignet ist, unsere Diagoostik der ma¬
lignen Tumoren unter entsprechender Würdigung der klinischen Sym¬
ptome wesentlich zu unterstützen.
H. Froesch-Zürich: Komplementbindaugsreaktion bei ange¬
borenem Schwachsinn und anderen degenerativen Zuständen des
Centralnervensystems. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.)
Mit Hilfe eines künstlichen Lipoidgemisches (Gholesterin-Lecitbin-Natrium
oleinici in bestimmtem Verhältnis) ist bei angeborenen Schwachsinns¬
formen, sowie bei anderen organischen Krankheiten des Centralnerven¬
systems Komplementbindung zu erzielen. Ein grosser Teil dieser Fälle
zeigte auch bei der Wassermann’schen Reaktion schwache Hemmung der
Hämolyse, die nicht als durch Lues bedingt angesehen werden konnte.
Das gleiche Lipoidgemisch gab auch mit der Mehrzahl der Luesseren
Komplementbindung, mit anderen Seren nur ausnahmsweise. Die Reak¬
tion ist also für gewisse Erkrankungen des Centralnervensystems charak¬
teristisch, wenn auch nicht streng spezifisch. Dünner.
R. Ekler-Wien: Erfahrungen mit der biologischen Diagnose der
Schwangerschaft nach Abderhalden. (Wiener klin. Wochenschr., 1913,
Nr. 18.) Nach einem am 25. April 1913 in der k. k. Gesellschaft der
Aerzte in Wien gehaltenen Vortrag. Referat siehe den Sitzungsbericht.
G. Izar-Catania: Ueber Antigene für die Meiostagminreaktion.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) I. hat das Verhalten einer
Reihe von Fettsäuren gegenüber Tumorseris studiert. Unter diesen
zeigten die Leinöl- und die Ricinusölsäure in bezug auf die Oberflächen¬
spannung gegenüber menschlichen Tumorseris ein den Tumor- und
Pankreasextrakten ähnliches Verhalten. P. Hirsch.
Innere Medizin.
0. Cohnheim und 0. H. Weber: Die Blntbildnng im Hochgebirge.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Untersuchungen
an Arbeitern der Jungfraubahn, die sich durch lange Zeit in wirklich
grossen Höhen aufhalten. Es zeigten sich immer höhere Werte an
Erythrocyten und Hämoglobin als die Durchschnittszahlen sonst. Wir
haben eine wirkliche Neubildung von Blutkörperchen anzunehmen.
F. Laquer-Col d’Olen: Höhenklimannd Blotnenbildnng. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Die Zunahme der roten
Blutkörperchen und des Hämoglobins im Höhenklima (hier 2900 m) ent¬
spricht einer tatsächlichen Blutneubildung. Das Höhenklima übt einen
spezifischen Reiz auf die Blutneubildung aus, als dessen ursächliche
Komponente trotz aller Bedenken der verminderte Partialdruck des
Sauerstoffs anzusehen ist. W. Zinn.
K. Weihrauch - Edmundsthal-Siemerswalde: Resistenzbestimmnng
der Erythrocyten bei Tnberknlose. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 18.) Im Gegensatz zu Liebermann und Fillinger fand W. nur
in 2,9 pCt. aller Tuberkulosen eine Resistenzverminderung der Erythro¬
cyten, nach Vermeidung der von Schaeffer angegebenen Fehlerquellen.
Ein prognostischer Wert kommt dieser Reaktion ebenfalls nicht zu, da
sie bei schweren Fällen des dritten Stadiums fast stets fehlt. Nach
einer Tuberkulininjektion verschwand die vorher bestehende Verminderung
der Resistenz. Wolfsohn.
*'■ 0. Müller und K. Vöchting- Tübingen: Zur Frage des Herz-
sehlagvolnmens. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3
u. 4.) Das nach 0. Frank geschriebene optische Sphygmogramra der
Subclavia oder Carotis des Menschen ist zur relativen Bemessung ein¬
tretender Aenderungen des Herzschlagvolumens zu empfehlen.
Th. Christen - Bern: Neue Experimente zur dynamisches Pnls-
diagnostik. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.)
Auseinandersetzung mit den Arbeiten Sabli’s. Beschreibung von Ex¬
perimenten zum Beweise der Unanfechtbarkeit des Energometerprinzips
und der quantitativen Bestimmung des Elastizitätsfehlers beim Sphygmo-
bolometer.
0. Thorspecken: Beitrag zum Ausbau der intravenösen Stro-
phanthinther&pie. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.)
Strophanthin intravenös ist bei chronischer Herzinsuffizienz angezeigt,
wenn die galenischen Präparate schlecht oder nicht mehr vertragen
werden, ferner bei Komplikationen der Kompensationsstörungen mit
Magendarraleiden, zur Vermeidung dyspeptischer Nebenwirkungen, be¬
sonders aber bei Stauungszuständen von hepatischem Typus — einerlei,
welcher Natur das Herzleiden ist — und bei Anfällen von cardialem
Asthma und Lungenödem Scbrumpfnierenkranker: gewöhnliche Dosis
0,5 mg, Wiederholung nach 24 Stunden, in 4 Tagen eventuell 3 bis
4 Injektionen: nach 1 mg Anfangsdosis erst 36 Stunden bis zur Wieder¬
holung warten. Die Behandlung ist auch als sogenannte Serienbehand¬
lung monate- und jahrelang mit Erfolg durchführbar. Die Erfahrungen
sind mit sehr guten klinischen Krankengeschichten begründet.
N. Th. Golubow - Moskau: Scptikämie als häufiger Gast in der
Familie der übrigen Infektionskrankheiten. (Centraibl. f. innere Med.,
1913, Nr. 9.) Anführung von Krankengeschichten einiger bemerkens¬
werter Fälle von Septikämie. Verf. meint, dass die nichtcbirurgische
Sepsis häufig vorkommt oder zu selten diagnostiziert werde. Genauere
Untersuchungen nach dieser Richtung könnten vielleicht zur Aufklärung
der Aetiologie unklarer Krankheitszustände, wie der HodgkiD’scben Krank¬
heit (cf. die Untersuchungen von Fraenkel und Much! Ref.), Peliosis
rheumatic., Dermatomyositis usw., beitragen. C. Kays er.
F. Marchand Heidelberg: Ueber ungewöhnlich starke Lynphoeytose
im Anschluss an Infektionen. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913,
Bd. 110, H. 3 u. 4.) Unter dem Einfluss verschiedener bekannter In¬
fektionserreger (Kokken, Pneumonie, Tuberkulose) entwickeln sich gelegent¬
lich Störungen an den Bildungsstätten der Blutzellen, welche zu Lympho-
cytose, Drüsenschwellungen, Milzschwellung und häufig zu einer erheblichen
Verminderung der polymorphkernigen Zellen führen. Die aus praktischen
Gründen so wichtige Differentialdiagnose dieser Zustände gegenüber der
lymphatischen Leukämie und Pseudoleukämie ist besonders hervor¬
zuheben. Der Verlauf dieser Fälle ist oft langwierig, scheint aber mit
dem Abklingen der Infektion wieder zu einer Herstellung der normalen
Morphologie des Blutes zu führen. Es handelt sich offenbar um eine
infektiöse Reizwirkung auf die lymphatischen Apparate und Schädigung
der Leukocytenbildungsstätten im Knochenmark. Aehnlich ist e9 z. B.
beim Typhus. W. Zinn.
F. Gudzent-Berlin: Ueber Veränderungen des Blutbildes beim
chronischen Gelenkrheamatismiis. (Deutsche med. Wochenschr., 1913,
Nr. 19.) Beim chronischen Gelenkrheumatismus findet sich in der über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle eine relative und absolute Vermehrung
der Lymphocyten, wie G. an 100 Fällen nachweisen konnte.
Wolfsohn.
J. van Breemen: Französischer und deutscher Rheumatismus und
seine Behandlung. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.)
Verf. bespricht seine Erfahrungen mit chronischem Rheumatismus an
der Hand von 900 Fällen, die er in den letzten 7 Jahren beobachten
konnte. Ueber 75 pCt. gehören davon der wohlhabenden Klasse an. In
einzelnen Gruppen stellt er Fälle zusammen, die gewisse charakteristische
Differenzen aufweisen; in einigen war der gutartige Verlauf und der
Erfolg richtig angewandter Therapie bemerkenswert, in anderen wechselten
im Laufe der Jahre Gelenkleiden, Muskel-, Fascia- und Sehnenscheiden¬
rheuma mit Neuralgien ab, in wieder anderen zeigte sich ein starkes
familiäres Vorkommen und hereditärer Einfluss usw. E. Tobias.
E. Hesse: Die Beziehungen zwischen Kropfendemie und Radio¬
aktivität. (Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 8 u. 4.) Das
Radium ist offenbar nicht imstande, in den verschiedenen Formen, in
denen es auf den menschlichen Organismus einwirken kann, Kropf zu
erzeugen. Pie von radioaktiven Gesteinen ausgehende Strahlung und
die in die Luft übertretende Emanation sind zu gering, als dass sie
einen Einfluss auf den Organismus ausüben könnten. Die im Trink¬
wasser enthaltene Emanation kann nicht als Kropfursache angesehen
werden, denn es besteht keine Gesetzmässigkeit in der Verbreitung des
Kropfes und dem Vorkommen von aktiven Wässern. Auch die Möglich¬
keit, dass das Radium bei der Kropfgenese eine untergeordnete, be¬
günstigende Rolle spiele, darf abgelehnt werden. Die Forschungen von
H. erstrecken sich auf das Königreich Sachsen. W. Zinn.
Gudzent, E. Stein und Beyser: Beitrag zur Heilwirkung der
radioaktiven heissen Quellen von Teplitz-Schönau. (Zeitschr. f.
Balneol., Bd. 6, H. 2.) Die Verff. haben die Einwirkung der radio¬
aktiven heissen Quellen von Teplitz-Schönau vor und nach der Behand¬
lung klinisch an einer Reihe von Patienten nachgeprüft und die
empirisch bisher gefundenen Erfolge klinisch bestätigen können.
C. Hiss: Hypertension und ihre Behandlung mit Hoehfrequenz-
strömen. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Die
Hochfrequenzströme verursachen in allen Fällen zuerst einen verminderten
peripheren Widerstand, dem eine vergrösserte Arbeitsfähigkeit des
Herzens folgt. Bei normaler cardio-vasculärer Stabilität tritt keine
Veränderung im Blutdruck oder Puls ein. Bei niedrigem Blutdruck als
Folge der verminderten Herzkraft wird der Blutdruck erhöht; ist er zu
hoch, so wird der Puls besser und der Blutdruck niedriger. Der Puls
kann nach der Behandlung regelmässig werden. ' E. Tobias.
H. Rotky - Prag: Ueber träumati sehe Myositis. (Centraibl. f.
innere Med., 1913, Nr. 10.) Beschreibung eines Falles sogenannter
traumatischer Myositis, bei der eine übermässige Inanspruchnahme der
Muskelfunktion das eigentliche Trauma vorsteilt. Diese Fälle sind streng
von denen primärer, infektiöser Polymyositis zu trennen. Beiden Formen
gemeinsam ist nur der entzündliche Prozess im Muskel, der aber in
ätiologischer und wohl auch in anatomischer Beziehung verschieden zu
deuten ist. Bemerkenswert ist weiterhin die bei beiden Formen von
Myositis feststellbare relative Lymphocytose. C. Kays er.
Hofbauer: Zur Frage des künstlichen Pneumothorax. (Zeitschr.
f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Der künstliche Pneumo¬
thorax bewirkt durch Ausschaltung der respiratorischen Lungentätigkeit
eine Lahmlegung der Lymphbewegung und Toxinausschwemmung da¬
selbst. Daraus erklären sich die nach Auflassen des Pneumothorax
wieder erscheinenden Fieber, Schweisse, Abmagerung und Appetitverlust.
Die Operation schädigt schwer die Circulation durch wesentliche Herab¬
setzung der vitalen Retraktionskraft. Entsprechende Modifikationen der
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26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Atmung ersetzen den Pneumothorax, dessen Indikationen dementsprechend
herabgesetzt werden müssen. Vorerst ist die Bekämpfung der All¬
gemeinerscheinungen durch funktionelle Ruhigstellung, die der lokalen
Lungenerkrankung durch allmählich gesteigerte Heranziehung des Herdes
zur Atmung unter steter Kontrolle durch Thermometer und Wage zu
empfehlen. E. Tobias.
N. Voorhove - Amsterdam: Zur Lehre des Kalkstoffweehsels.
(Deutsches Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Untersuchungen
über Tuberkulose und Kalkstoffwechsel ergaben, dass sich bei den Tuber¬
kulosen ein grösseres Kalkbedürfnis, d. h. eine Neigung zur Decalci-
fikation, zeigt. W. Zinn.
Rover - Bremen: Ueber Atmung des gesunden nnd slurevergiftetei
Mensehen. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Verf. hat die
hämodynamischen Verhältnisse beim gesunden und säurevergifteten
Menschen untersucht und berichtet über einen Teil seiner Resultate.
Die Kohlensäure reguliert die Sauerstoffaufnahme und -abgabe bei jeder
Form der Atmung. Der Sauerstoffaustausch ist abhäogig von dem der
Kohlensäure. Bei willkürlich forcierter Atmung entsteht durch Aus¬
schwemmen der Kohlensäure eine innere Dyspnoe, bei körperlicher Arbeit
ist der Sauerstoffaustausoh prozentual und absolut vergrössert, prozentual
desgleichen bei der Verdauung und der Atmung sauerstoffarmer Luft.
Bei der Kohlensäurevergiftung wird die Oxydation im Körper erschwert
und schliesslich ganz verhindert. Bei dem Diabetes mellitus entsteht
durch den niedrigen Kohlensäurespiegel im Blute eine innere Dyspnoe,
das Coma ist eine innere Erstickung. Auch bei der Gicht ist ein ver¬
minderter Austausch der Blutgase wegen Harnsäurevergiftung wahr¬
scheinlich. H. Hirschfeld.
P. Hampeln-Riga: Ueber Lnngenblutiing bei perforierten Aorten¬
aneurysmen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Der im
Verlauf von Aortenaneurysmen auftretende Blutauswurf kann völlig un¬
abhängig von der Grundkrankheit auftreten. Mitunter liegt jedoch eine
mit dem Aneurysma zusammenhängende Lungenerkrankung vor (Infarkt,
Pneumonie usw.). Schliesslich kann auch eine direkte Abhängigkeit
vorhanden sein, sei es, dass es sieb um Perforation der Arteria pulmo-
nalis handelt, sei es, dass die Perforation in die Luftwege bzw. die
Lunge selbst erfolgt. Im letzteren Falle kann die Blutung rasch und
tödlich oder in mehreren subakuten Schüben verlaufen.
M. Bönniger - Pankow: Magenfonktion nnd Psyche. (Deutsche
med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.)
Reckzeh: Zur Frage der Entstebungsursache der Hämorrhoidal¬
knoten. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) In einem Falle
entstand ein Knoten durch Druck des eingeführten Uteruspessars.
Wolfsohn.
E. Lind ström - Gefvle (Schweden): Zur Kasuistik der Arsenik-
Yergiftnng. (Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Verf. beobachtete
an sich selbst und an seinem Sohne eine Arseuikintoxikation, die durch
den Arsengehalt der Wandfarben hervorgerufen war. Während sich bei
dem Jungen die Vergiftung durch eine hartnäckige Conjunctivitis ausserte,
traten bei L. selbst die Symptome einer schweren Neuralgie auf, die
sich hauptsächlich im rechten Arm lokalisierte. Dass gerade der Arm
der Sitz der Intoxikationssymptome wurde, erklärt Verf. durch die Theorie
des Locus minoris resistentiae, da er sich lange Jahre mit Massage be¬
schäftigt habe und auf diese Weise den Arm besonders stark angestrengt
habe. P. Hirsch.
E. Herzfeld und J. Bauer-Zürich: Quantitative Bestimmungs¬
methode geringer IndolmeDgen. (Centralbl. f. innere Med., 1913, Nr. 11.)
Die empfindlichste Indolreaktion ist die von Ehrlich beschriebene
p-Dimethylaminobenzaldebydreaktion, die sich besonders für spektro-
photometrische Bestimmungen eignet. Zur Isolierung aus festen und
flüssigen Substanzen ist besonders die Destillationsmethode mit Wasser-
dämplen und Ausschütteln des Destillates mit Xylol zu empfehlen. So
gelang es aus relativ kleinen Mengen von Blut, Harn und Stuhl das
Vorhandensein indolhaltiger Körper nachzuweisen. Technische Einzel¬
heiten siehe Original. C. Kays er.
Forschbach - Breslau: Zur Frage des Konzentriervermögens der
Niere beim Diabetes insipidus. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 77, H. 3
u. 4.) Während Tallquist, E. Meyer u. a. enge Beziehungen zwischen
Wasser- und Salzausscheidung beim Diabetes insipidus annehmen, hat
Forschbach das Wesen der Krankheit nur in einer Mehrausscheidung
von Wasser gesehen. In Erwiderung von Einwänden E. Meyer’s bringt
er jetzt neue Versuche, aus denen hervorgeht, dass die Niere des Dia¬
betes insipidus-Kranken die Fähigkeit hat, auch über die Gefrierpunkt¬
erniedrigung des Blutes hinaus zu konzentrieren und in bezog auf die
Elimination der festen Substanzen in Relation zu der Wasserflut das
gleiche leistet, wie die normale Niere. Der Diabetes insipidus ist also
eine Krankheit, bei der die Niere unter einem pathologischen Reizzu¬
stande abnorm grosse Wassermengen absondert. H. Hirschfeld.
J. Löwy-Prag: Zur Kenntnis des Morbus Addisonii. (Deutsches
Archiv f. klin. Med., 1913, Bd. 110, H. 3 u. 4.) Der mitgeteilte Fall
lehrt u. a.: Der Schwund der Nebennierenrinde führt bei Erhaltensein
des chromaffinen Systems unter den klinischen Symptomen des Morbus
Addisonii zum Tode. Die Ursache des Morbus Addisonii ist nicht
immer eine Erkrankung des chromaffinen Systems.» W. Zinn.
Goldscheider: Bewegungsbehandiung bei inneren Krankheiten.
(Zeitschr. f. physikal. und diätet. Therapie, Mai 1913.) G. bespricht die
Bedeutung der Bewegungsbehandlung bei den verschiedenen inneren
Erkrankungen. So sollte man keinen an Herzinsuffizienz behandelten
Patienten aus dem Bett aufstehen lassen, ehe nicht eine Zeitlang erst
passive Bewegungen und Atmungsgymnastik, später aktive Bewegungen
ausgeführt worden sind. Die Bewegungsübungen haben erst einzusetzen,
nachdem die pharmakologischen Herzmittel völlig oder nahezu ausgesetzt
sind. Auch bei Arteriosklerose ist die Bewegung in richtigen Bahnen
von Bedeutung. Ueber die Bedeutung der Atemgymnastik in der
Lungenpathologie sind die Autoren sich einig, während bei Magendarm¬
kranken die Gymnastik noch keine erhebliche Rolle spielt. Von grosser
Bedeutung aber ist sie beim Gelenkrheumatismus, bei Stoffwechsel¬
krankheiten und vor allem bei Nervenkrankheiten. E. Tobias.
A. Schnöe - Frankfurt a. M.: Neue Anwendungen des elektrischen
Vierzellenbades. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Vortrag,
gehalten auf dem V. internationalen Kongress für Physiotherapie in
Berlin.
P. Krause-Bonn: Ueber Vorkommen von Varicellen bei Er¬
wachsenen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, ge¬
halten in der Niederrheinischen Gesellschaft für Medizin und Natur¬
wissenschaften, medizinische Sektion, am 10. Februar 1913.
Wolfsohn.
E. Sehrwald-Strassburg i. E.: Erysipel nnd Tätowierung. (Mün¬
chener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) S. erwähnt einen einzigen Fall
von Erysipelas migrans, das bei seinem Fortschreiten sich auf einem
tätowierten Fleck am Arm ansiedelte und zunächst nur die rot täto¬
wierte Haut ergriff und dann erst auf die blaue überging. Daran
schliesst S. Betrachtungen, die nicht ganz einleuchtend sind.
Dünner.
Siehe auch Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Kliene-
berger, Encephalomyelitis nach Pocken. — Röntgenologie: Reuss
und Schmidt, Knochenatrophie nach Gelenkrheumatismus. Strauss,
Duodenalulcus. Faulhaber, Ulcus pylori. — Geburtshilfe und
Gynäkologie: Benthin, Kohlehydratstoffwechsel in der Gravidität
und Eklampsie.
Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Gregor und Schilder: Ueber reflektorische Hegenspannung beim
Normalen. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 8.) Die Gegenspannung des
Normalen ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der des
Spastikers verschieden.
G. Grund: Ueber die chemische Zusammensetzung atrophischer
Muskeln. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 8 ) Grund untersuchte das
Verhalten des Stiokstoffs und Phosphors beim entarteten Muskel. Be¬
sonders bemerkenswert war das erhebliche Anwachsen des an Eiweiss
gebundenen Phosphors. Dieser Befund ist spezifisch bei der Entartung
und fehlt z. B. beim Hunger vollkommen. G. untersuchte weiter, ob
die gefundenen chemischen Veränderungen nur bei der mit EaR ver¬
bundenen Atrophie des Muskels Vorkommen oder auch bei solchen
Muskelatrophien, deren klinisches Cbarakteristicum das Fehlen der EaR
ist. Als Vergleichsobjekt untersuchte er einen durch Inaktivität atro¬
phischen Muskel. Die Untersuchungen ergaben eine Uebereinstimmung:
der durch Inaktivität atrophische Muskel verhielt sich wie der, dessen
Nerv durchschnitten war. Die Einstellung der Funktion ist die Ursache
der chemischen Veränderung des atrophischen Muskels, genau wie sie
es auch in bezug auf die anatomischen Veränderungen ist.
E. Tobias.
Grund - Halle a. S.: Atrophische Myotonie. (Münchener med.
Wochenschr., 1913, Nr. 16 u. 17.) Dünner.
A. H. Hübner-Bonn: Pathologie und Therapie der Degeneration.
(Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Klinischer Vortrag.
Wolfsohn.
G. Peritz-Berlin: Die Spasmophilie der Erwachsenen. (Zeitschr.
f. klin. Med., Bd. 77, H. 3 u. 4.) Verf. hat gefunden, dass es bei Er¬
wachsenen eine Konstitutionsanomalie gibt, die durch anodische elek¬
trische Uebererregbarkeit, das Chvostek’sche Symptom, durch eine
mechanische Muskelübererregbarkeit, Hypertonie der Arterien, das
Aschner’scbe Symptom (Aenderung der Pulsform durch Druck auf den
Bulbus) und endlich durch eine Verschiebung des Blutbildes — Ver¬
mehrung der pathologischen Monocyten — charakterisiert ist. Diese
spasmophile Konstitution gibt die Grundlage für sehr verschiedene Erkran¬
kungen ab, wie Epilepsie, Tic, myalgische Erkrankungen, vasomotorische
Neurosen, manche Fälle von Vagotonie, von Migräne, von Asthma bron¬
chiale und Angstneurosen, deren gemeinsame Eigenschaft die Ueber¬
erregbarkeit des neuromuskulären Systems ist. H. Hirschfeld.
F. Stern-Kiel: Beiträge zur Klinik hysterischer Sitnations-
p8ychosen. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 3.) Nach kurzem Literatur¬
überblick Schilderung von 31 Fällen unter Würdigung genetischer und
differentialdiagnostischer Momente. In der Hauptsache befasst sich die
vorliegende Arbeit mit den Stuporzuständen und ihrer Abgrenzung gegen
die Katatonie und die Simulation. Die hysterischen Situationspsychosen
sind namentlich unter den Erkrankungen der Untersuchungshaft sehr
häufig, es muss an sie gedacht werden, auch wenn das Symptomenbild
völlig dem einer katatonen oder epileptischen Psychose gleicht, selbst
wenn Krampfanfälle epileptischen Charakters vorausgegangen sind. Die
Situationspsychosen erwachsen meist, wenn auch nicht stets, atrf dem
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Boden ausgesprochener psychopathischer Konstitution, deren Züge mit¬
unter nach der psychotischen Erkrankung deutlich hervortreten. Hyste¬
rische Antecedentien können völlig fehlen, auch während der Psychose
können nur in seltenen Fällen gehäufte und charakteristische körperliche
Stigmata neben den psychischen Symptomen die Differentialdiagnose
gegenüber der Katatonie erleichtern. Sensibilitätsstörungen fehlen aller¬
dings nur in den leichtesten Graden, sie haben aber im allgemeinen
nichts für die Hysterie Charakteristisches. In der Genese spielt neben
der Wirkung stürmischer Affekte der Krankheitswunsoh oft eine erheb¬
liche Rolle, ohne dass hierbei dieser KrankheitswiIle immer auf klar
durchdachten Gedankengängen erwächst. Symptomatologisch überwiegen
die akut verlaufenden Stupor- und Verwirrtheitszustände; bei mehr
chronischem Verlauf pflegt meist ein mehrfacher Wechsel des Zustands¬
bildes einzutreten. Eine gewisse Proportionalität zwischen Schwere der
psychopathischen Veranlagung einerseits, Dauer der Erkrankung, Inten¬
sität und Recidiven andererseits ist unverkennbar. Sämtliche beob¬
achteten nicht belasteten Fälle erkrankten an nur kurzdauernden leichten
Psychosen und erlitten keine Recidive, ausserdem Hessen sich hier stets
ausser den gewöhnlichen Ursachen (Verhaftung und ihre Folgen) be¬
sondere exogene Schädigungen (Gemütsshock, Alkoholexzess) nachweisen.
Die Gewohnheitsverbrecher verhalten sich wie schwere Psychopathen.
Fast alle einigermaassen intensiven Störungen heilen mit Hinterlassung
einer Amnesie ab, im übrigen ist die Prognose eine exquisit günstige.
Gegenüber der Katatonie ist differentialdiagnostisch auf den akuten
Beginn, die Beeinflussbarkeit ganzer Krankheitspbasen durch äussere
Umstände, theatralische und affektierte Färbung des Zustandsbildes,
das Fehlen von Störungen des Allgemeinbefindens, bezüglich des Stupors
auch auf das Erhaltenbleiben des Sinnes für Bequemlichkeit, den
charakteristischen stupiden oder kummervollen Gesichtsausdruck, viel¬
leicht auch auf das Festhalten an bestimmten Vorstellungen der Er¬
innerung Gewicht zu legen. Reine Simulation ist auch bei dem Auf¬
treten vortäuschungsverdächtiger Symptome unwahrscheinlich; nicht
selten ist dagegen Kombination von echten psychischen und simulierten
Störungen. Bemerkenswert ist endlich, wie gut im allgemeinen nach
Beendigung der Psychose die Strafhaft vertragen wird (bis 4 1 /* Jahre
Zuchthaus).
P. Kirchberg - Frankfurt a. M.: Zur Frage der Häufigkeit der
Wassermanureaktion in Liquor cerebrospinalis bei Paralyse. (Archiv
f. Psych., Bd. 50, H. B.) Unter 100 untersuchten Fällen boten 78 pCt.
eine positive Reaktion in Liquor, 93pCt. eine positive Blutreaktion.
Von den 22 Fällen mit negativem Wassermann im Liquor sind 50 pCt.
Taboparalytiker. Insgesamt bietet die Taboparalyse in rund 46pCt.
einen negativen Wassermann im Liquor, so dass also diesem Befund
eine differentialdiagnostische Wichtigkeit zwischen Tabes und Paralyse
nicht zukommt. Das von Nonne u. a. hervorgehobene negative Ver¬
halten der Reaktionen bei hereditären metasyphilitischen Erkrankungen
konnte nicht bestätigt werden. In zwei Fällen von Paralyse bestand
eine negative Blut- und positive Liquorreaktion. Selbst mit der Aus¬
wertungsmethode ergaben zwei Fälle eine negative Reaktion bei Paralyse.
0. Klieneberger- Königsberg i. Pr.: Eucephalomyelitis nach
Pocken (zugleich ein Beitrag zu den Erkrankungen der Drüsen mit
innerer Sekretion). (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 8.) Eine von Haus
minderwertige (Asymmetrie des Gesichts, Degenerationszeichen) weibliche
Person erkrankte im Anschluss an Pocken an einer plötzlich einsetzen¬
den motorischen Aphasie und Lähmung des rechten Armes und linken
Beines mit unvollständiger Rückbildung der Lähmungen. 6—7 Jahre
später Auftreten eines schnell- und feinschlägigen Zitterns im rechten
Arm, das bald auf die übrigen Extremitäten und den ganzen Körper
fortschritt. Wieder einige Jahre später Waohstumsstörungen (Grösser¬
und Dickerwerden der Hände, dabei unter anderem Herzklopfen, ge¬
steigerte gemütliche Erregbarkeit, Neigung zu Diarrhöen und vermehrter
Transpiration. Die im Anschluss an Pocken entstandene Encephalo-
myelitis hat einen Hydrocephalus im Gefolge gehabt, welcher eine
Schädigung der Hypophyse bewirkt hat, die ihrerseits wieder sekundär
zu einer Thyreoideaerkrankung geführt hat. Zugunsten der Diagnose
Hydrocephalus sprach auch die Drucksteigerung im Cerebrospinalkanal
und die vorübergehende Besserung der subjektiven Beschwerden nach
der Lumbalpunktion.
M. S.M arg u lies-Moskau: Ueber ependymäre Gliomatose der
Hirnventrikel. (Archiv f. Psych., Bd. 50, H. 3.) Sieben eigene klinisch
und anatomisch geschilderte Fälle. Die ependymäre Gliomatose ist eine
Herdlokalisation eines allgemeinen proliferativen gliösen Prozesses und
der Chaslin’schen Sklerose in der Rinde analog. Das klinische Bild ist
nicht spezifisch und hängt von der Lokalisation des gliösen Prozesses
ab. Letzterer ist nicht ein teratologischer Befund, sondern eine primäre
produktive und progressive Erkrankung infektiöser oder toxischer Natur.
Zweig-Dalldorf.
H. Lauber-Wien: Ein Fall von cyklischer Oculomotoriuslähmung.
(Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vorgestellt in der k. k. Ge¬
sellschaft der Aerzte in Wien am 7. Februar 1913. Referat siehe den
Sitzungsbericht. P. Hirsch.
R. Bälint: Die KochsalEentziehung in der Behandlung der
Epilepsie. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 9.) B&lint bespricht im
ersten Teil seiner Ausführungen die kochsalzfreie Diät bei Epilepsie und
resümiert seine Erfahrungen über ihren Wert. Sie übt in Verbindung
mit der Bromtherapie in frischen und in inveterierten Fällen einen sehr
guten Einfluss aus. Sie hat scheinbar grösseren Einfluss auf das
Sistieren der Krampfanfälle als auf das Petit mal. Auch das psychische
Befinden bessert sich bei der Diät. Eine schlechte Wirkung kann sich
zeigen, indem die Ernährung leidet oder Bromismus auftritt. Es ist
empfehlenswert, mit strenger Diät anzufangen und allmählich erst durch
Zusatz von Bromsalz zu leichterer Diät überzugehen. Neben der salz¬
freien Diät sind kleine Bromnatriumdosen (2—3 g pro die) zu verordnen.
Im zweiten Teil seiner Arbeit befasst sich Bali nt mit den Theorien
der Kochsalzentziehung in der Behandlung der Epilepsie.
K. Mendel-Berlin: Halsrippen. (Neurol. Centralbl., 1913, Nr. 9.)
Eine 30 jährige Frau leidet seit 10 Jahren an Schwäche, Schmerzen und
Parästhesien im linken Arm, seit mehreren Jahren ist die linke Hand-
muskulhtur atrophisch. Es besteht deutliche Muskelatrophie mit Ent¬
artungsreaktion sowie eine rudimentäre Halsrippe links. Das Röntgen¬
bild zeigt rechts eine vollentwickelte Halsrippe, die weder objektive
noch subjektive Symptome hervorgerufen hat, während die rudimentäre
linksseitige Halsrippe hochgradige tropbiscbe, sensorische und motorische
Störungen bedingte. Die Störungen der linken Seite hängen mit einem
Druck auf den Plexus brachialis zusammen, der rechts vom Druck ver¬
schont geblieben ist. E. Tobias.
F. Dunker: Generalisierte postdipktheritiseke Lähmung mit
psychischer Alteration. (Archiv f. Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfall¬
heilkunde, 1913, Bd. 12, H. 3.) Bei einem 17 jährigen Mädchen zeigte
eine typische Rachendiphtherie trotz sofortiger Injektion von 8000 l.-E.
Heilserum progressiven Charakter. 12 Tage nach Beginn bestehen
Paresen, die rasch fast die gesamte Muskulatur ergreifen und auch zur
psychischen Alteration (Stupor) führten. Intralumbale Injektion von
6000 I.-E. führte rasch zur Besserung und Heilung. Um Störungen zu
vermeiden, wurde vorher 5 proz. Calcium (dreimal ein Esslöffel innerlich)
gegeben. M. Strauss-Nürnberg.
Siehe auch Parasitenkunde und Serologie: Frösch,
Komplementbindungsreaktion bei angeborenem Schwachsinn und anderen
degenerativen Zuständen des Centralnervensystems. — Chirurgie:
Allison, Muskelgruppenschilderung zur Beseitigung spastischer Lähmung.
Kinderheilkunde.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Wall, Weiter¬
entwicklung frühgeborener Kinder.
Chirurgie.
Hayaski und Matsuoka: Angeborene Missbildungen kombiniert
mit der kongenitalen Hüftverrenkung. (Zeitschr. f. orthop. Chir.,
Bd. 31, H. 3 u. 4.) Beschreibung von 25 Fällen, an denen angeborene
Hüftverrenkung mit anderen angeborenen Missbildungen kombiniert war.
Hayaski und Matzuoka: Ueber die Erblichkeit der angeborenen
Hüftverrenkung. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Unter
230 Fällen von angeborener Hüftverrenkung fanden die Verfasser 14 erb¬
liche und 5 familiär vorkommende Fälle von Hüftluxation; es werden
5 Typen von Vererbungserscheinungen unterschieden.
Byehowsky: Ein Fall von angeborener Ellenbogenankylose
eines im Wachstum zurückgebliebenen und missgebildeten Armes.
(Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Beitrag zur Kasuistik der
Hemmungsmissbildungen auf amniotischer Basis.
Loewenstein: Zur Kasuistik der Hemmungsmissbildungen an
der oberen und unteren Extremität. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31,
H. 3 u. 4.) Es handelt sich um eine Hemmungsmissbildung auf endo¬
gener Grundlage; sie setzt sich zusammen aus einer symmetrischen
totalen knöchernen Synostose des Ring- und Mittelfingers, aus einer
Bracbyphalangie des kleinen und Zeigefingers, sowie der Zehen mit
sekundären Deviationen der Phalangen und Veränderungen ihrer
Knochenstruktur; ferner aus Schwimmhautbildung, Madelungdeformität
und Asymmetrie des Schädels. E gl off- Stuttgart.
E. G. Abbott - Portland: Die Korrektur der seitlichen Rückgrats-
verkrümmnngen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Schilderung
der Technik mit Abbildung des Abbott’schen Skoliosenredressionsapparats.
Wie mann-Flensburg: Knorpelfaltnng bei abstehenden Ohren and
Othftmatom. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Gutes Resultat
in je einem Falle. Wolfsohn.
Albec: Knochentransplantation bei tuberkulöser Spondylitis.
(Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd.31, H. 3 u. 4.) Verf. empfiehlt bei tuber¬
kulöser Spondylitis die Transplantation eines der Tibia entnommenen
Knochenspans. Er hat bei 50 Fällen sehr gute Resultate mit der
Methode gehabt. Eglo ff - Stuttgart.
Sakobielski: Zur Behandlung der Patellarfraktur. (Archiv f.
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, Nr. 3.) Zur
unblutigen Behandlung der Patellarfrakturen empfiehlt der Verfasser eine
Heftpflasterbandage, die aus zwei Heftpflasterstücken besteht, die von
oben und unten die Patella umgeben und mit Schnürhaken versehen
sind, die mit Gummischnur miteinander verbunden werden. (Das Ver¬
fahren ist nicht neu, sondern stellt die sogenannte unblutige Naht dar,
wie sie an der Mikulcz’schen Klinik vielfach verwendet wurde. D. Ref.)
B. Looser: Ueber die Valgusstellung des Fusses. (Archiv f.
Orthopädie, Mechanotherapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, Nr. 3.) Verf.
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
983
untersuchte die Füsse von 250 Soldaten, indem er einen Abdruck nahm
(Eisenchloridlösung und Gerbsäure nach Freiberg), mittels eines kleinen
4 cm hohen Kästchens die genau projizierte Umrisslinie zeichnete und
endlich noch die beiden Malleolen auf die Umrisslinie projizierte und so
bestimmte, ob und um wieviel die Malleolen die Umrisslinie des Fusses
überragt oder innerhalb derselben steht. Das Resultat dieser Unter¬
suchungen fasst Looser dabin zusammen, dass ein Fuss dann platt zu
nennen ist, wenn sein Abdruck so beschaffen ist, dass die Gerade, die
den hintersten Punkt mit dem lateralsten Punkt des Ionenrandes des
Abdruckes verbindet, nach vorne verlängert, die grosse Zehe trifft oder
innerhalb derselben durchgeht. Verläuft diese Linie mehr lateralwärts,
so ist das Fussgewölbe normal zu nennen. 44pCt. der gemessenen
Füsse ergaben einen platten Abdruck. Die Valgität ergibt sich aus den
Malleolenabständen, das sind die Abstände der Projektion der Malleolen
von dem entsprechenden Fussrand. Die Valgität ist um so aus¬
gesprochener, je mehr der innere Knöchel die Fusskontur überragt und
je weiter sich der äussere Knöchel nach innen von der Umrisslinie ent¬
fernt. Die grosse Mehrzahl der menschlichen Füsse steht in Pronations¬
stellung, so dass eine gewisse Valgität des Fusses als normal zu be¬
trachten ist. Die Valgität geht nicht immer mit der Abflachung der
Füsse parallel. Plattfussbeschwerdeu finden sich auch bei Leuten mit
normalen Fussformen und sind also nicht direkt abhängig von diesen
anatomischen Verschiebungen. Belastung der untersuchten Leute mit
27 kg ergibt keine spezifische Veränderung. Nach all dem soll die
Diagnose Plattfuss nicht gleich gestellt werden, wenn eine starke
Valgität oder Abflachung des Gewölbes besteht, sondern es sollen die
anderen Symptome, vor allem die subjektiven Beschwerden berücksichtigt
werden. M. Strau ss - Nürnberg.
E. L. Fieber-Wien: Kriegschirnrgische Eindrücke und Beobach¬
tungen aus Belgrad während des Balkankrieges. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 18.) Unsere Kenntnisse von der Pathologie der Schuss¬
wunden sind durch die Erfahrungen der letzten Zeit bei weitem nicht
in dem Maasse verändert worden, als es nach dem ausserordentlichen
waffentechnischen Fortschritt unserer Tage den Anschein haben könnte.
Des weiteren hat der Verfasser den Eindruck gewonnen, dass in der
Gefechtszone noch viel für den Chirurgen übrig bleibt, um eine
Besserung in den Heilungsaussichten jener Verletzten zu erzielen, die
bisher mit einem gewissen Fatalismus auf dem Transport ihrem Schicksal
überlassen wurden. Er fordert daher eine konsequente Ausgestaltung
der mobilen Sanitätsformationen, die reichlichst mit Aerzten und Material
dotiert sein müssten. P. Hirsch.
Allison: Moskelgrnppenschildernngen zur Beseitigung spasti¬
scher Lähmungen. (Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 31, H. 3 u. 4.) Auf
Grund der Erfahrungen an 25 Fällen empfiehlt A. die Isolierung einer
spastischen Muskelgruppe durch Alkoholinjektion an den Nerven als
wertvolles Hilfsmittel im Kampfe gegen die spastischen Lähmungen.
Egloff - Stuttgart.
H. Spude - Friedland: Erfolgreiche Behandlung von Gesichts¬
krebsen durch einfache Einstichelnng von Eisenoxyduloxyd. (Zeitschr.
f. Krebsforsch., Bd. 13, H. 1.) Bericht über die Heilung eines Falles
von Gesichtskrebs durch die im Titel angegebene Behandlung.
A. W. Pinner.
J. E. Schmidt - Würzburg: Bemerkungen über Dttnndarmstenose.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Nach einem in der physi¬
kalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg gehaltenen Vortrage,
siehe Gesellschaftsbericht dieser Wochenschrift.
A. Falkner-Liebau: Direkte Behandlung der tuberkulösen Peri¬
tonitis mit Jodpräparaten. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.)
F. hat die Hofmann’sche Methode, bei tuberkulöser Peritonitis das Peri¬
toneum mit Jodtinktur zu bestreichen, in drei Fällen mit gutem Erfolge
angewandt. Dünner.
v. Frühwald - Wien: Beitrag zur Kenntnis der postoperativen
Todesfälle bei abnormer Enge der Aorta. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 19.) Ein 24 jähriger Mann wurde wegen Angiofibrom
des Nasenrachenraums operiert. Langenbeck’scher Schnitt und Ab-
meisselung der Apertura periformis. Mässiger Blutverlust. Exitus eine
Stunde post operationem. Die Obduktion ergab eine auffallend enge
Aorta. Dieser Befund wird, ebenso wie in den von Melchior mit¬
geteilten Fällen, für den Tod verantwortlich gemacht. Wolfsohn.
Siehe auch Pathologie: Hiromoto, Angeborene Missbildungen
in Japan. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten: Mendel,
Halsrippen. — Röntgenologie: Sudeck, Beugungsluxation des 5. Hals¬
wirbels.
Röntgenologie.
Faulhaber: Neues Plattenformat 40 : 40 cm. (Fortschr. a. d. Geb.
d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Faulhaber meint, dass das Format
30:40 nicht für alle Fälle den Zweck erfülle, eine vollkommene Ueber-
sichtsaufnahme zu liefern. Speziell gilt dies für die so wichtigen Dick¬
darmaufnahmen. Auch bei Uebersicbtsaufnahmen der Lungen erweist
sich das Format 30:40 oft als zu klein. Das neue Format 40=40 hat
sich für alle Fälle als genügend herausgestellt.
H. Bauer: Eine einfache Vorrichtung zur Untersuchung und Demon¬
stration von Seknndärstrahlen. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr.
Bd. 20, H. 1.) Verf. beschreibt einen Apparat, der es gestattet, die
Sekundärstrahlung sowohl in der Durchleuchtung als auf Platten direkt
zur Anschauung zu bringen. Die beigegebenen Photographien sind sehr
instruktiv und eignen sich gut für die Demonstration im Unterricht.
M. Cohn.
A. Gunsett - Strassburg: Eine Fehlerquelle beim Ablesen der
Sabourand-Noirö-Tabletten. (Münchener med. Wohhenscbr., 1913,
Nr. 18.) Dünner.
E. Fraenkel: Ueber die angeborene Syphilis platter Knochen
und ihre röntgenologische Erkennung. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen¬
strahlen, Bd. 19, H. 6.) Verf. hat seine eingehenden Untersuchungen,
welche er in dem Ergänzungsband 26 des Archivs niedergelegt hat, noch
weiter verfolgt. Im besonderen hat er untersucht, ob neben der
röntgenologisch erkennbaren Osteochondritis auch eine schwere, auf
Aussen- und Innenfläche des Darmbeines lokalisierte Periostitis ossificans
besteht. Von anderen breiten Knochen bat er noch das Schulterblatt
untersucht und daneben auch den Rippen seine Aufmerksamkeit ge¬
schenkt. Er hat gesehen, dass in gleicher Häufigkeit wie die langen
Röhrenknochen die Rippen, das Darmbein und das Schulterblatt an
kongenitaler Syphilis erkrankt gefunden werden. Nie hat er das
Schlüsselbein von der syphilitischen Affektion befallen gesehen. Die
ossifizierende Periostitis entzieht sich der röntgenologischen Erkennung
vollkommen. Man ist also auf Grund des in dieser Beziehung negativen
Röntgenbefundes nicht berechtigt, eine Knochenhautentzündung auszu-
sohliessen.
Sudeck: Ein Fall von Bengnngslnxatien des fünften Halswirbels.
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Sudeck beschreibt
des näheren die sehr seltene Verletzung, bei der keine starken Nerven-
läsionen zu verzeichnen waren, und bespricht ausserdem die Chance, ob
man nach der radiologischen Diagnose auch noch bei älteren Fällen die
Reposition wagen darf, da man ja jetzt viel besser als früher eine Ueber-
sicht über die Lage der Skeletteile hat. Es kommt bei veralteten Luxa¬
tionen natürlich nur die Operation in Frage und diese nur dann, wenn
man dem Patienten alle Einzelheiten der Chancen bekanntgegeben hat,
und damit seine eigene Verantwortung für die Operation kategorisch
verlangt.
B. Alexander: Syphilis der fötalen Wirbelsäule. H. Abteilung.
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf., der sich seit
langem eingehend mit der Entwicklung der fötalen Wirbelsäule befasst
hat, gibt in der jeteigen Monographie ein Bild der syphilitischen Ver¬
änderungen an diesem Skeletteil. Wer sich über das in Rede stehende
Gebiet näher unterrichten will, dem ist die Lektüre dieser Arbeit im
Original dringend zu empfehlen. Sie eignet sich nicht zu kurzem
Referat.
E. Reu ss und H. Schmidt: Ueber einen Fall von Knoehen-
atrophle nach Gelenkrheumatismus. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen¬
strahlen, Bd. 19, H. 6.) Die Verf. beschreiben sehr eingehend einen
monströsen Fall der im Titel wiedergegebenen Affektion, der sich an
den Gelenken des ganzen Skelettsystems etabliert hatte. Es wird die
Frage aufgeworfen, auf welcher Basis derartig hochgradige Knochen¬
atrophien entstehen und dabei besonders einer Sohädigung von seiten
der trophischen Nerven gedacht. Interessant ist die Erwähnung, dass
in einem Falle hochgradiger Knochenatrophie, der von Pick näher be¬
schrieben ist, Kalkmetastasen in den meisten Organen gefunden wurden.
Am stärksten ist die Destruktion an den Skeletteilen, die nach Auf¬
treten der Erkrankung der weiteren Benutzung ausgesetzt werden. Da
die Patientin schon 25 Jahre zu Bett liegt, so zeigte sich die Verun¬
staltung am deutlichsten an den Händen, die noch eifrig mit Hand¬
arbeiten beschäftigt werden.
V. Revesz: Röntgenbilder normaler peripherischer Blutgefässe.
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Verf. erinnert daran,
dass B. Alexander schon im Jahre 1908 von lebenden Patienten eine
Röntgenplatte der Hand demonstrierte, auf der die Blutgefässe zu sehen
waren. Nach seinen eigenen Erfahrungen handelt es sich bei der Ver¬
besserung der Technik nicht mehr um einen vereinzelten Fall. R. pro¬
testiert dagegen, dass noch 1912 Grödel in seinem Buche der Röntgen¬
diagnostik schrieb, man müsse jeder Behauptung, dass die Blutgefässe
radiologisch darstellbar wären, mit möglichster Zurückhaltung begegnen.
Verf. weiss allerdings nicht anzugeben, ob es sich bei seinen Bildern
um die Darstellung von Arterien oder von Venen handelt.
H. Rieder: Das PauEerherz. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr.,
Bd. 20, H. 1.) Während Kalkablagerungen in allen möglichen Organen
des menschlichen Körpers schon lange gut darstellbar sind, ist das nicht
im gleichen Maasse zu sagen von den Kalkablagerungen, wie sie so
häufig in dem Gefässsystem des Herzens und der Aorta sich doku¬
mentieren. Am lebenden Herzen wurde nur in einzelnen Fällen, und
zwar nur am Herzbeutel, die Ablagerung von Kalksalz vermittelst der
Röntgenstrahlen vor Augen geführt. Rieder bringt zwei eigene Beob¬
achtungen, wo ihm die Kalkablagerung am Pericard sichtbar zu machen
gelang. Die Kalkablageumg dokumentiert sich stets in der Begrenzung
des linken Ventrikels. In technischer Hinsicht ist zu bemerken, dass
sich für die Darstellung nur Blitzaufnahmen, nicht die gewöhnlichen
Momentaufnahmen eignen. M. Cohn.
Faulh ab er-Würzburg: Diagnose und Behandlung des chronischen
Ulcus pylori. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17 u. 18.) Aus
der speziell für den Rontgenologen interessanten Arbeit sei die Zu¬
sammenfassung angeführt: Das chronische Ulcus pylori ist durch einen
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984
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
wohl umrissenen Symptomenkomplex ausgezeichnet. Für die topische
Diagnose sind ausser den bekannten noch drei weitere wichtige Sym¬
ptome maassgebend: 1. Periodizität der Beschwerden, 2. kontinuierliche
Hypersekretion, 3. Pylorospasmus. Das Symptom des Pylorospasmus
findet sich nicht bei pyloroformem Geschwür, sondern nur bei Lokali¬
sation des Ulcus am Pylorus oder in dessen nächster Nähe. Der Pyloro¬
spasmus kann auch aus leichten Motilitätsstörungen (motorische Insuffi¬
zienz ersten Grades) durch die Röntgenuntersuchung mit Sicherheit er¬
kannt werden. Da die interne Behandlung beim Ulcus pylori in über
2 / s der Fälle — nach den Erfahrungen F.’s — versagt, so muss die
Krankheit als relative Indikation zur Operation angesehen werden.
Dünner.
Strauss: Das Dnodenalnlens und seine Feststeilbarkeit durch
Röntgenstrahlen. (Fortsehr. a. d. Geb. d. Röotgenstr., Bd. 19, H. 6.)
Verf. bespricht eingehend die Diagnose des Zwölffingerdarmgeschwürs
und glaubt die Röntgendiagnose stellen zu dürfen, wenn sich folgende
Befunde bei einem Individuum vereinen: 1. ptotischer Magen, 2. hoch¬
gradig geartete Peristaltik, insbesondere des Antrums, 3. offener Pylorus,
4. rascher Uebertritt von Mageninhalt in das Duodenum, 5. Vorhanden¬
sein eines grauen Duodenalschattens neben dem tiefschwarzen Magen¬
schatten, 6. palpatorische Feststellung eines Schmerzpunktes am Duo¬
denum, 7. Rückstände im Magen. M. Cohn.
M. Cohn-Berlin: Die röntgenologische Darstellnng des Wurmfort¬
satzes. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 19.) C. weist zu dem
gleichnamigen Aufsatz Grödel’s in Nr. 14 der Münchener raed. Wochen¬
schrift mit vollem Recht darauf hin, dass ihm der positive Nachweis
der Darstellbarkeit des Appendix vollauf geglückt sei, wie ja auch seine
auf dem Chirurgenkongress demonstrierten Bilder zeigen. Diese ohne
weiteres einleuchtenden Bemerkungen will F. Grödel in seiner Antwort
nicht gelten lassen. Obwohl Cohn seine Bilder als Gegenbeweis der
Gr öd eTschen Ansicht anführt, spricht G. davon, dass für ihn die
Retina phänomenal begabter Einzelindividuen -nicht beweisend sei.
Dünner.
K. Schramm: Zur Technik der graphischen Darstellung der ab-
1 eiten den Harnwege mittels der Collargolröntgenaifnahme. (Fortsehr.
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Sch. sucht die Nachteile,
welche die Collargolinjektion in technischer wie pathologischer Beziehung
noch hat, dadurch auszuschalten, dass er die Beckenhochlagerung bei
den Patienten so weit herstellt, dass das vertikale Ende des Ureters
höher liegt wie das Nierenbecken. Diese Anordnung gestattet, ohne
Schwierigkeit die ableitenden Harnwege vollaufen zu lassen wie ein
Gefäss. Dadurch wird erreicht eine bessere und ausgiebige Füllung des
Nierenbeckens, die Aufhebung des Sekretionsdruckes der Niere und da¬
durch eine vorübergehemde Herabsetzung der Harnabsonderung. Die
technische Leistung wird dadurch erhöht und zugleich eine sogenannte
Sprengwirkung des Collargols vermieden, die in einem Falle (Rössle)
den Tod der Patientin zur Folge hatte.
J. u. S. Ratera: Ein grosser Nierenstein, Nephrektomieheilnng.
(Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verff. sahen auf
der Röntgenplatte einen Stein, welcher beinahe das ganze Feld einnahm,
das den normalen Verhältnissen der Niere entspricht. Der Stein war
glatt an seinem inneren Rande, wie die Form, welche das Nierenbecken
an der inneren Seite hat. An der äusseren Seite sah man Veränderungen,
welche die Gestalt der Niere stark nachahmten. Trotz der angeratenen
Operation verweigerte der Patient diese. Es trat aber bald darauf
Anuria calculosa ein. Ohne Narkose konnte die Operation gemacht
werden. Ein Nierenstein von 185 g wurde herausgenommen. Patient
konnte sogleich Harn ausscheiden; bald kehrte das Bewusstsein zurück.
Später musste zum Nierenschnitt die Nephrektomie hinzugefügt werden.
M. Cohn.
Schnäe: Zur Technik der Tiefenbestrahlnng. (Zeitscbr. f. physikal.
u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Verf. bespricht an der Hand einiger
Abbildungen das Problem der Tiefenbestrahlung, das heute in der
Röntgenologie eine so grosse Bedeutung erlangt hat. E. Tobias.
G. F. Hänisch: Meine Erfahrungen, Resultate, Technik in der
gynäkologischen Röntgentherapie. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röngenstr.,
Bd. 20, H. 1.) Verf. hat im ganzen 68 Fälle, die wegen Myomen, myo-
matösen Blutungen, Menorrhagien und Metrorrhagien verschiedener Art
in Behandlung kamen, bestrahlt. Da ihm in seinem Privatinstitut nicht
die Möglichkeit zustand, sich sein Material nach seiner Ueberzeugung
auszuwählen und heranzuziehen, so ist die Zahl der behandelten Per¬
sonen im Vergleich zu dem Zeitraum von über 4 Jahren keine sehr
grosse. Daher war die Beobachtung eine um so sorgfältigere. 40 Fälle
waren für eine genaue Statistik zu verwerten. Von diesen blieben 5
ungeheilt, 2 wurden wesentlich gebessert, 83 wurden geheilt. Bei den
nicht geheilten Fällen handelt es sich einmal um grosse gestielte sub-
mucöse Myome, einmal um eine sehr junge Frau mit kleinstem sub-
mucösem Myom, einmal um ein nicht erkanntes Carcinom, einmal um
zu grosse, wahrscheinlich auch zu alte Myome. Im fünften Falle
war keine Erklärung zu geben, da die Patientin fortblieb. Unter den
33 Fällen, welche gebeilt wurden, handelte es sich 8 mal um Fälle von
grössten und mindergrossen, im Wachstum begriffenen Myomen, mit
Schmerzen seitens des Herzens, der Blase oder des Mastdarms, ohne
sehr wesentliche Blutungen. Zur Kühlung der Müller’schen Wasserkühl¬
röhre bedient sich Verf. einer einfachen Einrichtung, eines Doppelrohres,
das von oben her Wasser empfängt und nach unten hin in einen Eimer
abfliesst.
M. Fraenkel: Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie. (Fortschr.
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf. schildert in einer
längeren Abhandlung noch einmal ausführlich die Grundsätze, welche er
bei der Behandlung gynäkologischer Leiden mittels Röntgenstrahlen ver¬
folgt. In den Vordergrund setzt er die von ihm geübte Felderbeband-
lung, zu der er sich einer besonderen Einteilung bedient. Als neu teilt
er ein Stativ mit, das es gestattet, von oben und von unten her gleich¬
zeitig eine Röhre gegen die Ovarien hin in Tätigkeit zu setzen. Die
Röhre wird neuerdings mit einem sogenannten Tonapparat gekühlt. Mit
diesem vermag Verf. einer Röhre einen Dauergebrauch von 5 bis
6 Stunden täglich suzumuten. Die Röhre bleibt bei 4 Milliampere Be¬
lastung konstant auf demselben Härtegrad und erhitzt sich kaum merk¬
lich. Auch er warnt, wie andere, vor der forcierten Behandlung der
Freiburger Schule und glaubt, dass die ungeahnten Erfolge, welche die
Gynäkologie von den Röntgenstrahlen gesehen hat, auch noch auf andere
gynäkologische Leiden ausser den Myomen sich erstrecken wird, be¬
sonders bei der Dysmenorrhöe, bei den Endometritiden und der fakul¬
tativen Sterilisierung bei Tuberkulösen.
M. Immelmann*. Zur Technik der gynäkologischen Röntgei-
nntersnehnng. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Als
Instrumentarium dient ein 30 cm-Induktor, Quecksilberunterbrecher-
Rhythmeur, 1 mm starker Aluminiumverschluss eines 8 cm Durchmesser
und 10 cm Länge habenden Bleiglastubus. Die Röhre wird mit 3 Milli¬
ampere bei 15 cm Funkenstrecke belastet. An vier bis fünf Stellen
des Abdomens werden je eine Erythemdosis Röntgenstrahlen appliziert.
Häufig tritt starke Pigmentation auf, fast nie Erythem. Meist treten
keine sekundären Erscheinungen auf. Bei Myomen hatte J. 50 pCt
Besserung der Begleiterscheinungen, in 15 pCt. der Fälle wurden die
Myome kleiner.
A. Köhler: Zur Technik und den Erfolgen der gynäkologischen
Röntgentherapie. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.)
K. bestrahlt nur durch die Bauchdecken hindurch, von der Ueberzeugung
aus, dass die Wirkung der kleinen Quantität Strahlen, die seitlich oder
vom Rücken her an die Ovarien gelangt, praktisch ohne Bedeutung ist.
Es werden drei aneinaudergrenzende rechteckige Eingangspforten gewählt.
Mit der Zeit wurde die Einzeldosis entsprechend vergrössert, bei Herab¬
setzung der Zahl der Gesamtbestrablung. K. belichtet an drei hinter-
einanderfolgenden Tagen. An Stelle des zuerst verwendeten Leders als
Filter benutzt er jetzt 2 mm dickes Pappelholz. Als Instrumentarium
dient ihm der rotierende Hochspannungsgleichricbter und auch noch das
Induktorium mit Quecksilberunterbrecher. Bestimmte Zahlen über den
Erfolg der Behandlung gibt Verf. nicht an, von dem Gesichtspunkt aus¬
gehend, dass es oft vorkommt, dass eine Statistik, zu günstiger Zeit
veröffentlicht, weit bessere Resultate hat, als wie eine Uebersicht, zu
späterer Zeit gegeben. Schätzungsweise meint Verf. die Chance der
Heilung auf 50—60pCt. angeben zu können.
M. Levy-Dorn: Zur Frage der gynäkologischen Röntgenbestrah-
IMS- (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Verf. hat
im ganzen 41 Patientinnen wegen Frauenleiden mit Röntgen strahlen
behandelt; darunter befanden sich 14 Myome. Die Chance des Erfolges
der Behandlung wuchs mit der Veränderung der Technik. In letzter
Zeit benutzte Verf. ein Aluminiumfilter von 2 mm Dicke. Die Zahl der
Eingangspforten wurde vergrössert; auf jede Stelle wird bis 10 oder
höchstens 15 x, unter dem Filter gemessen, in mehreren Tagen gegeben.
Wenn sich Verf. auch der Freiburger Methodik im Laufe der Zeit- näherte,
so machte er doch gegen eine vollständige Nachahmung derselben für
alle Fälle Front. Es bleibt abzuwarten, ob die intensive Bestrahlung,
wie sie in Freiburg geübt wird, wirklich gefahrlos ist.
H. Dietlen: Zur Röntgenbehandlung in der Gynäkologie. (Fort¬
schritte a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Die Erfahrungen
Ditlen’s beziehen sich auf 10 Fälle, von denen zwei noch in Behand¬
lung sind. Bestrahlt wurden 3—9 Serien. Höchstens wurden 168 Minuten
bei 85 x verabfolgt. Nur in einem Fall trat eine Dermatitis ersten
Grades ein. Die Erfolge waren sehr gute. Auch Dietlen hält die
Bestrebungen der Freiburger Schule für weit übers Ziel hinausschiessend.
F. de Courmelles: Röntgentherapie der Myome. (Fortschr. a. d.
Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Verf. gilt bei den Franzosen als
der Begründer der Röntgentherapie der myomatösen Blutungen. Diese
geht bis auf den 11. Januar 1904 zurück. Der Begründer des Ver¬
fahrens berücksichtigt bei der Prognose das Alter des Myoms, seine
elektrische Widerstandsfähigkeit, sowie die individuelle Empfindlichkeit
des Patienten. Mit dem Aluminiumfilter hat Courmelles stets nur
eine Schwarzfärbung der Haut und der Haare ohne die geringste Ver¬
brennung gesehen. Myome, die sich wirklich refraktär verhalten, gibt
es nach Courmelles nicht. Wenn die anfängliche Wirkung der
Röntgenstrahlen nicht vorhält, so wendet Verf. als Ersatz mit Erfolg
Radium intrauterin an.
Laquerriere und Delherm: Unsere Ansicht über die Röntgei*
therapie des Uterasmyoms. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr.,
Bd. 20, H. 1.) Verff. heben neben den allgemeinen Gesichtspunkten
hervor, dass die Röntgentherapie zweckmässig mit der Elektrotherapie
zu verbinden ist. Die Röntgentherapie kann in allen den Fällen ver¬
sucht werden, wo keine dringende Indikation zur Operation besteht.
Als solche gelten Verdacht auf carcinomatöse Entartungen, fieberhafte
Infektion, Stiltorsion, Polypen usw. Die Wirkung der Röntgentherapie
beruht darauf, dass sie die Funktionen der Ovarien zu verhindern sucht.
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Bei bejahrten Frauen lässt sich diese Sistierung viel leichter erzielen
als bei jüngeren. Die Röntgentherapie ist kontraindiziert bei Frauen
unter 40 Jahren. Mit 40—50 Jahren kann man sie versuchen, meist zu¬
sammen mit der Elektrotherapie nach Apostoli oder der Radium¬
elektrolyse. Bei älteren Frauen genügt die Röntgentherapie allein.
Guilleminot: Die Behandlung der uterinen Myome. (Fortschr.
a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.) Guilleminot wendet zwei
vordere und zwei hintere Einfallspforten an. Bestrahlung alle 10 Tage,
einmal vorn, einmal hinten, so dass jede Zone nur alle 20 Tage be¬
handelt wird. Bei grossen Myomen drei vordere und zwei hintere Ein¬
fallspforten. Für die vordere wird stets eine Kompressionsblende be¬
nutzt. Als Filter dient ein Aluminiumglas, das einer 2,5 mm dicken
reinen Aluminiumschicht entspricht. Pro Dosis (Sitzung und Einfalls¬
pforten) werden vier Holzknecht’scbe Einheiten appliziert. Es wurden
vorwiegend Kranke von 38—48 Jahren behandelt. Bei mageren oder
nur mässig korpulenten Individuen waren die Resultate im allgemeinen
sehr gut. Bei sehr dicken Frauen waren die Erfolge ungleichmässiger;
bei einigen gab es einen vollkommenen Misserfolg.
Bordier: Fortschritte der Röntgentherapie in der Gynäkologie,
ihre Vorteile, genane Technik, Indikation nnd Kontraindikation, Re¬
sultate, Zukunft. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 20, H. 1.)
Bordier, der sich schon sehr lange mit der Behandlung von Blutungen
myomatöser Kranker mittels Röntgenstrahlen befasst, hat von Anfang
an die Serienmethode angewandt, die in je drei Bestrahlungen durch
jede Einfallspforte besteht. Die Anzahl der Serien barg aber bei dem
Fehlen eines Erythems bei der häufigen Wiederholung eine ernste Ge¬
fahr, die man nicht mit Sicherheit voraussehen konnte. Noch nach
6—12 Monaten nach Beendigung der Behandlung trat Hautreaktion auf.
Bei der neuen Technik, die eine Anzahl von Serien bis höchstens 6 um¬
fasst, treten derartige Unannehmlichkeiten nicht mehr auf. Bordier
bedient sich bei jeder Bestrahlung der Messung der Strahlendosis. Die
Strahlenmenge, welche jedesmal, auf dem Filter gemessen, einfällt, ist
konstant und beträgt stets 5 H Einheiten. Nur die Dicke des Filters
wechselt je nach den Einfallspforten und den fortschreitenden Bestrah¬
lungsserien. Bordier hat die Filtration des Aluminiumfilters genau
untersucht und in Tabellen festgelegt. Die Erfolge, welche er zu ver¬
zeichnen hat, sind ganz ausgezeichnete. Er schildert genau den Verlauf
der Beeinflussung nach der Applikation der einzelnen Strahlenserien.
Iselin: Ueber Wachstums Schädigungen jünger Tiere duroh Rönt¬
genstrahlen. (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. 19, H. 6.) Iselin
ergänzt eine Arbeit R. Walter’s, die in einer der letzten Nummern
des Archivs veröffentlicht war. Besonders hebt er hervor, dass bei Kin¬
dern immer, wenn man mehreremal therapeutisch mit Filtration be¬
strahlt, eine Wachstumsverzögerung, wenigstens an kleinen Knochen ein-
tritt. Er verfügt über ein Dutzend solcher Beobachtungen.
M. Cohn.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Siehe Klein»
Hirsch und Hey mann zum Thema Röntgenbestrahlung.
Urologie.
Kielleuthner-Münohen: Wert der endovesicalen Operationen.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Vortrag, gehalten im Aerzt-
lichen Verein zu München am 18. November 1912; cf. diese Wochenschr.,
1913, Nr. 4, S. 191. Dünner.
Siehe auch Röntgenologie: Schramm, Darstellung der ab¬
leitenden Harnwege duroh Collargolröntgenaufnahme. J. u. S. Rat er a,
Nierenstein.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Renz: Zur physikalischen Behandlung der Hautkrankheiten.
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, Mai 1913.) Verf. bespricht
die Erfolge, die er mit Hydrotherapie und elektrischer Bogenlicht¬
behandlung bei einigen Hautleiden erzielt hat. Richtig angewandt, ver¬
trägt auch das Ekzem Wasserbehandlung, vor allem kurze heisse Pro¬
zeduren. Ausser bei der Psoriasis wurden auch bei der Furunculosis
gute Wirkungen erzielt, und zwar mit Dampfkompressen und Bogen¬
lichtbestrahlung. Gegen Acne, Hyperidrosis usw. werden speziellere
Vorschriften angegeben. E. Tobias.
P. Uhlenhuth und P. Mulzer-Strassburg i. E.: Ueber die In¬
fektiosität von Milch syphilitischer Frauen. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, 1913, Nr. 19.) Die Milch syphilitischer Frauen kann unter Um¬
ständen infektiös sein. In 2 Fällen gelang es den Verff., durch Ver¬
impfung von Milch syphilitischer Wöchnerinnen bei Kaninohen einwand¬
freie Hodensyphilome zu erzeugen. Einer dieser Fälle betraf sogar eine
symptomenlose Mutter (mit positiver Wassermann’scher Reaktion). Man
wird demnach in der Auswahl von Ammen ganz besonders vorsichtig
sein müssen. Positive Wasserraann’sche Reaktion muss in jedem Falle
Grund zur Abweisung sein. Der Weg der Infektion geht möglicherweise
durch den Magen. Allerdings bewirkt stark konzentrierter Magensaft in
vitro ein fast sofortiges Unbeweglichwerden der Spirochäten.
Wolfsohn.
Geburtshilfe und Gynäkologie.
O. Schöner-Rottach: Zur Frage der Vorausbestimmnng des Ge¬
schlechts beim Menschen. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol.
Bd. 18, H. 2.) Eine letzte Antwort in der Polemik gegen Weinberg.
Y- Kasashima - Tübingen: Pantopon - Scopolamindämmersohlaf.
(Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.) Gegenüber¬
stellung zweier Tabellen: a) über 442 Operationen mit Pantopon Scopol-
amindämmerschlaf und Lumbalanästhesie; b) über 437 Operationen mit
Morphium-ScopolamiDdämmerschlaf und Lumbalanästhesie. Es ergibt
sich daraus, dass bei Morphium-Scopolaminschlaf doppelt so viel Nar¬
kosenstörungen auftraten wie bei dem mit Pantopon-Scopolamin.
K. Hoffmann - Dresden.
F. Ertl-Linz: Klinische Versuche mit wehenanregenden Mitteln.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) Pituitrin (Parke, Davis)
und Pituglandol (La Roche) bewährten sich ebenso wie Glanduitrin
(Richter) als wehenanregende Mittel bei Wehenschwäche in der Er-
öffnungs- und Austreibungsperiode. Secacornin (La Roche) und Systogen
(Zyma) sind sehr brauchbare Mittel bei Wehenschwäche (Atonie) in der
Nachgeburtsperiode. Secacornin eignet sich in geringen Dosen (bis
höchstens 0,5 ccm) auch als wehenanregendes Mittel bei Wehenschwäche
in der Eröffnungs- und Austreibungsperiode der Geburt. Dünner.
H.Bayer: Lässt sich der künstliche Abort aus rassehygienischen
Gründen motivieren? (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18,
H. 2.) „Paarungshygiene“ ist die erste Forderung im Interesse der
Rassereinigung. Die Anwendung conceptionsverhindernder Mittel zu
rassehygienischen Zwecken ist berechtigt, zuweilen sogar notwendig.
Den künstlichen Abortus aus rassehygienischen Gründen — im Interesse
des Kindes und der weiteren Nachkommenschaft — auszuführen sind
wir im Prinzip berechtigt. Da wir aber bei dem jetzigen Stande der
Wissenschaft von den Lebensaussichten des Kindes im Einzelfalle gar
nichts Bestimmtes wissen, so ist die rassehygienische Indikation des
künstlichen Abortus zu verwerfen. K. Hoffmann - Dresden.
P. H ü s s y - Basel: Ein Fall von tödlicher Peritonitis nach Laminaria-
dilatation. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Warnung vor
Laminariadilatatoren. Dünner.
Benthin - Königsberg: Ueber den Kohlehydratstoffwechsel in der
Gravidität und bei der Eklampsie. Ein Beitrag zur Frage der
Leberinsuffizienz. (Monatsschrift f. Geburtshilfe u. Gynäkologie,
März 1913.) Die Störungen im Kohlehydratstoffwechsel sind nur
geringgradige, wie die Untersuchungen anderer Autoren und eigene
über den Blutzuckergehalt zeigen. Bei den beobachteten Alterationen
ist dem Einfluss der Drüsen mit innerer Sekretion, die zu zeitweiliger
Störung des physiologischen Gleichgewichts führen, Beachtung zu
schenken. Bei der Eklampsie kommt es zu einem Anstieg des Blut¬
zuckers, der aber eine direkte Folge der Krämpfe ist. Eine erhebliche
Beeinträchtigung der Leberfunktion in der Gravidität ist nicht anzu¬
nehmen; jedenfalls kommt eine solche als ätiologischer Faktor der
Eklampsie nicht in Betracht.
v. d. Hoeven-Leiden: Die Stellung der verschiedenen Kunstgehurten
in bezug aufeinander. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. März 1913.)
Auf Grund einer Zusammenstellung der in der Literatur niedergelegten
Ergebnisse und meiner eigenen Resultate kommt Verf. zu dem Ergebnis,
dass es sowohl um der Mutter wie um des Kindes willen, unser Bestreben
sein muss, die Geburt womöglich ohne Kunsthilfe verlaufen zu lassen
und Sorge dafür zu tragen, dass der Schädel nicht zu stark gedrückt
wird. Ist die Conjugata vera grösser als 8,5 cm, so nehme man
den Eihautstich im letzten Monat der Schwangerschaft vor, sobald der
Schädel Neigung zeigt, über der Symphyse hervorzuquellen. Ist der
Zeitpunkt für die Frühgeburt versäumt, so versuche man zuerst die ma¬
nuelle Blasensprengung. Zeigt sich diese unzureichend, so lege man bei
völliger Eröffnung die Zange an, eventuell versuohe man die Heb¬
osteotomie. Ist die Conjugata vera kleiner als 8,5 cm, so ist die Sectio
caesarea die Operation der Wahl. Die Prognose für alle diese Opera¬
tionen ist in der Klinik so viel besser als im Privathaus, dass alle Frauen
mit verengtem Becken ihre Niederkunft in einer Klinik abwarten sollten.
Kriwsky-Petersburg: Zur Frage von der Hebosteotomie. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gynäk. April 1913.) Bei Mehrgebärenden mit
geringer Beckenverengerung (Conjugata vera nicht unter 7 cm) ist die Heb¬
osteotomie ungefährlich und daher die Operation der Wahl. Bei Erst¬
gebärenden ist sie nur zu machen, wenn sonst nur die Perforation der
lebenden Frucht in Frage kommt und der Kaiserschnitt nicht anwend¬
bar ist. Zum Schutz der Weichteile empfiehlt sich dann eine prophy¬
laktische Inzision nach Schuchardt. Die ungefährlichste Methode ist
die von D öder lein. Nach der Hebosteotomie muss die Geburt sofort
(durch Foroeps oder Wendung) beendet werden. Die Nachbehandlung
beansprucht keinerlei besondere Vorrichtungen; eine frühzeitige Söiten-
lage ist anzuempfehlen. Die Verwachsung der zersägten Knochenenden
geht nicht so bald vor sich; es bildet sich entweder eine knöcherne oder
bindegewebige Narbe; eine bleibende Erweiterung des Beckens kommt
nicht häufig zustande. L. Zuntz.
A. Ziegler - Basel: Was* leistet die Deventer-Mttller’sche 'Ent¬
wicklung des Schultergtirtels ? (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u.
Gynäkol., Bd. 18, H. 2.) „Liegen die Arme vor der Brust in gebeugter
Haltung, so genügt häufig eine Senkung des Rumpfes, um den ventralen
Arm unter dem Schambogen hervortreten zu lassen, worauf duroh Er-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
heben des Rumpfes der dorsale Arm über den Damm schneidet"; so be¬
schreibt ▼. Herff prägnant den Deventer-Müller’schen Handgriff, bei
dem also die Armlösung im gewöhnlichen Sinne in Fortfall kommt; Verf.
schildert das Ergebnis von 575 Extraktionen nach dieser Methode.
F. A. Loofs- Halle a. S.: Zur Aetiologie der Spfttblatnngen im
Wochenbett. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 2.)
1. Fall: Exitus durch Verblutung. Pathologisch fand sich ein Aneurysma
spurium des Cervicalastes der Arteria uterina. 2. Fall: Exitus. Sektion:
Atheromatöse Veränderungen der nicht geheilten Arteria uterina. 3. Fall:
Oberhalb des inneren Muttermundes eine halbfingerlange, nach links ins
Parametrium sich erstreckende Höhlung. Am Eingang der Höhle findet
sich ein grösseres, frei flottierendes, arterielles Gefäss. Diagnose:
Uterusruptur. Gemeinsam ist allen drei Fällen die völlige oder be¬
ginnende Ausbildung eines Pseudoaneurysmas. Spätblutungen, die
recidivierenden Charakter zeigen, lassen auf „ Aneurysmablutung“
schliessen. Sie sind einzig und allein durch möglichst frühzeitige Ex¬
stirpation des Uterus zu retten. K. Hoffmann - Dresden.
Wall - Breslau: Ueber die Weiterentwicklnng frühgeborener
Kinder mit besonderer Berücksichtigung späterer nervöser, psychischer
und intellektueller Störungen. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol.
April 1913.) Die von den Neurologen vielfach aufgestellte Behauptung,
dass frühgeborene Kinder in höherem Maasse als reife zu Little’scher
Krankheit, Idiotie, Imbecillität und Epilepsie disponiert sind, lässt sich
bei Zugrundelegung der Geburtsjournale als einzig vollgültigen Beweises
für die Frühgeburt nicht aufrecht erhalten. Ein grosser Teil der früh¬
geborenen Kinder entwickelt sich völlig normal. Bei einem anderen
Teil macht sich eine gewisse Verzögerung der Entwicklung bemerkbar,
die sich darin zeigt, dass diese Kinder mit Verspätung laufen und
sprechen lernen, längere Zeit Bettnässer bleiben als normale Kinder, zu
Sprechstörungen, Pavor nocturnus und Enuresis nocturna neigen, in der
Schule zuerst nur mittelmässig oder schlecht mitkommen. Diese Ent¬
wickelungsverzögerung ist keine anhaltende und keine irreparable. All¬
mählich erfolgt der Ausgleich. Die Schwere der Erscheinungen ist um¬
gekehrt proportional der Anfangsgrösse dieser Kinder und steht in einem
direkten Verhältnis zu den Schädigungen im extrauterinen Leben durch
mangelhafte Pflege und Ernährung, durch schlechte hygienische Zustände
und accessorische Krankheiten. L. Zuntz.
E. Sehrt-Freiburg i. B : Zur thyreogenen Aetiologie der hämor¬
rhagischen Metropathien. (Münchener med. Wochenschr., 1918, Nr. 18.)
S. vermutet, dass bei hämorrhagischen Metropathien eine Störung der
Beziehung zwischen Ovarien und Schilddrüse besteht, in dem Sinne, dass
eine Hypofunktion der Thyreoidea vorliegt. Danach würde es sich bei
diesen Metropathien um Abortivforraen des Myxödems handeln. In der Tat
konnte S. bei 20 Fällen dieser Art 13 mal alle Zeichen einer Schilddrüsen¬
hypofunktion beobachten (relativ^..Leukopenie mit Lymphocytose, Be¬
schleunigung der Blutgerinnbarkeit und Herabsetzung der Viscosität),
die 7 anderen Fälle boten nur zum Teil die Symptome der Hypo¬
funktion. S. erörtert in diesem Zusammenhänge auch die Frage der
Tetanie, Eklampsie und des habituellen Aborts, denen auf Grund
ähnlicher Beobachtungen wie bei den hämorrhagischen Methropathien der
Thyreoidea eine ätiologische Bedeutung zuzusprechen ist. Dünner.
Hirsch - Berlin: Zur Lehre von der Aetiologie und Therapie der
Uterusblntnageii. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., April 1913.)
Zum Zustandekommen einer Uterusblutung wirken zusammen Hyperämie
des Beckens und mangelnde Kontraktilität der Uterusmuskulatur. Zur
Bekämpfung der letzteren erwiesen sich als sehr wirksam Injektionen
von Ergotinpräparaten (Secacornin 0,25—0,5 g) in die Substanz der
Portio. Kontraindiziert sind diese Injektionen bei allen akuten Ent¬
zündungserscheinungen am Uterus und den Adnexen. Vorbedingung ist
ein leeres Cavum uteri.
Mosbacher und Meyer - Frankfurt a. M.: Klinische und ex¬
perimentelle Beiträge zur Frage der sogenannten Ausfallerscheinungen.
(Monatsschr. f. Geburth. u. Gynäkol., März 1913.) Im Gegensatz zu
anderen Autoren, speziell zu Schi ekele, fanden Verff. bei operativ
kastrierten Frauen keine gesetzmässige Blutdrucksteigerung, keine er¬
höhte Adrenalinglykosurie, keine korrespondierende Cocain mydriasis,
keine regelmässig auftretenden sogenannten Ausfallserscheinungen. Es
besteht also kein regelmässig erhöhter Sympathicustonus. Im Gegenteil
fanden sich bei vielen kastrierten Frauen auch vagotonische Symptome
im Sinne von Eppinger und Hess (Fehlen des Raohenreflexes, Er¬
niedrigung der Pulszahl bei Druck auf den Vagus, Hypersekretion der
Magenschleimhaut, Dermographismus), und dies besonders bei denjenigen
Frauen, welche einen Ausfall der Adrenalinglykosurie zeigten. Diese
wechselnden Befunde sprechen einmal zugunsten des Vorwiegens der
sympathischen, ein andermal zugunsten der autonomen Uebererregbarkeit.
Hei mann-Breslau: Die gynäkologische Röntgentherapie. (Monats¬
schrift f. Geburtsh. u. Gynäkol. März 1913.) Auf Grund der vorläufig
noch wenig zahlreichen Fälle der Breslauer Klinik kommt H. zu dem
Ergebnis, dass die Röntgenbestrahlungen bei Myomkranken und klimak¬
terischen Blutungen sehr gute Erfolge erzielt haben; sie ersetzen nicht
völlig die Operation, aber sie stellen eine wertvolle Bereicherung unserer
therapeutischen Hilfsmittel dar. L. Zuntz.
G. Hirsch-München: Die Röntgentherapie bei Myomen und Fi-
hrosis nteri. (Münchener med. Wochenschr. 1913, Nr. 17.) Bei jeder
Frau, gleichviel welchen Alters, kann man durch Röntgenbestrahlung
die Ovarien zerstören, d. h. Amenorrhoe herbeiführen. Zur Erreichung
dieses Zieles benötigte H. bei Myompatienten durchschnittlich 81 X
und bei Fibrosispatienten 40 X. Die von anderer Seite angewandten
grösseren Dosen hält H. für überflüssig.
G. Klein-München: Röntgenbehandlung bei Careiiom des Uteras,
der Mamma und der Ovarien. (Münchener med. Wochenschr. 1913,
Nr. 17.) Mitteilung seiner Erfahrungen. Die Erfolge sind ermutigend.
Ein definitives Urteil über Heilung kann K. noch nicht abgeben, da er
seine Fälle noch nicht lange genug in Beobachtung hat. Man muss
fordern, dass man nicht erst inoperable Garcinome mit Röntgenstrahlen
behandelt, sondern erst operiert und dann bestrahlt. (Merkwürdig ist,
dass K. über die Untersuchungen Fiebiger’s, über den Carcinom-
erreger, nur in der Tageszeitung kurze Berichte fand; die Arbeit
Fiebiger’s steht in Nr. 13 der Berliner klin. Wochenschrift. Ref.)
Dünner.
H. Sellheim - Tübingen: Aggregatznstand, Elastizität lad Festig¬
keit des Bauches. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18,
H. 1.) Eignet sich nicht zu kurzem Referat.
L. M. Bossi- Genua: Eierstocks-Uternskrankheiten und Psycho¬
pathien. (Hegar’s Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 18, H. 1.)
Psychopathien können ebenso wie durch Schwangerschaft, Geburt und
Puerperium auch durch Erkrankungen des Genitalapparates hervor¬
gerufen werden; deshalb sollen Gynäkologen und Vertreter aller Speziali¬
täten bei den psychiatrischen Erkrankungen zugezogen werden, damit
durch Heilung des Grundleidens eine Unterbringung im Irrenhaus über¬
flüssig wird. Vorstellung zweier Patientinnen, bei denen psychische
Veränderungen nach Behandlung ihrer Cervicitis, Endometritis, Endo-
cervicitis und Retrodeviation des Uterus angeblich verschwunden sind
und die nach ihrer Heilung normale Schwangerschaften durchgemacht
haben. K. Hoffmann - Dresden.
Rathe - Breslau: Pseudomyxoms peritonei mit Beteiligung der
Ovarien und der Appendix. (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., März
1913.) Bei der ersten Operation der Patientin fanden sich gallertige
Massen in der Bauchhöhle und zwei gallertige Massen enthaltende
Ovarialtumoren. Nach 2 1 /« Jahren wurde ein entsprechender Tumor der
Bauohdecken entfernt; nach einem weiteren halben Jahr fanden sich
massenhafte gallertige Tumoren in der Bauchhöhle und ein entsprechen¬
der Tumor der Appendix. Es ist dieser Befund interessant, weil die
Appendix manchmal der primäre Ursprungsort des Pseudomyxoma peri¬
tonei ist.
Czyborra-Königsberg: Ueber Hämophilie bei Frauen. Monatsschr.
f. Geburtsh. u. Gynäkol. April 1913.) Bei 2 Frauen, deren Abstammung
aus Bluterfamilien erst nachträglich festgestellt wurde, kam es nach ein¬
fachen plastischen Operationen zu sehr schweren Nachblutungen, die
zu direkter Lebensgefahr und Störungen im Wundverlauf führten. Da¬
bei hatten aber diese Frauen — und dies scheint allgemein gültig zu
sein — bei ihren spontanen Entbindungen nur sehr geringen Blutverlust.
L. Zuntz.
Siehe auch Therapie: Mannaberg, Versuche, Basedow durch
Röntgenbestrahlung der Ovarien zu beeinflussen. — Röntgenologie:
Siehe die zahlreichen Referate über Röntgenbestrahlung in der Gynäko¬
logie. — Parasitenkunde und Serologie: Ekler, Abderbalden’sche
Reaktion.
Augenheilkunde.
J. Ginzburg - Kiew: Zur Kasuistik der Ptosis congenita mit
eollateraler Vererbung. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.)
In dem veröffentlichten Falle stammt von gesunden Eltern eine Nach¬
kommenschaft, deren mehrere Mitglieder in verschiedenem Grade von
Ptosis befallen sind. Das erste Kind war gesund geboren, das zweite
hatte das Leiden nur auf einer Seite, beim dritten Kind ist die Anomalie
besonders stark und auf beiden Seiten entwickelt; das vierte zeigt die¬
selbe auf beiden Seiten, aber bedeutend schwächer entwickelt; das
fünfte Kind ist wieder vollkommen gesund. Auf diesen Fall sind die
allgemeinen Grundsätze der Vererbung anwendbar, die in den siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts von Mendel angegeben wurden.
Augst ein-Bromberg: Zur Aetiologie und Therapie des Keratoeoans.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Nach den Altgemein¬
erscheinungen, dem Resultat der Blutuntersuchung und der erfolgreichen
Behandlung der Struma und des Keratoconus durch Thyraden, muss
man in dem veröffentlichten Falle als Grundursache des Krankheits-
bildes, in dem der Keratoconus ein Symptom darstellt, eine Störung der
inneren Sekretion, wahrscheinlich der Schilddrüse, annehmen. Der
Keratoconus mit angeborenen Bildungsanomalien ist zu trennen vom
Keratoconus ohne sie, der im jugendlichen Alter als Symptom dieser
Allgemeinerkrankung auftritt. Was die Therapie anbetrifft, so bezeichnet
Verf. als unzweckmässig alle Operationen mit Exzision der erkrankten
Hornhautpartien. Es kommt nur die Kauterisation in Frage, und zwar
ohne die Eröffnung der Vorderkammer. Das Ziel aller Operationen
muss sein, eine Abflachung des Kegels zur normalen Krümmung der
Cornea für die Dauer zu erreichen.
W. L ö h 1 e i n: Ein bisher nicht beobachteter Saprophyt als Erreger von
Panophtbalmie und Ringabscess der Hornhaat. (Archiv f. Augenheilk.,
Bd. 74, H. 1 u. 2.) Es handelt sich um ein schwach gram positives,
unbewegliches, geissei-, sporen- und kapselfreies Stäbchen von wechselnder
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26. MaiI19l8.
BERLINER KLINiSCHE WOCHENSCHRIFT.
987
Grösse, das gern zu grossen Klumpen, kolbigen Formen und Schein¬
fäden auswächst, auf Glycerinagar und Kartoffeln am üppigsten und
unter Bildung einer schleimig glänzenden, zäh zusammenhängenden
Flächenkultur wächst, gegen Kälte und Hitze recht beständig ist,
Traubenzucker vergärt, Milch coaguliert und Lackmusmolke bläut.
F. Mendel.
G e b b - Greifswald: Experimentelle und klinische Versuche über
Chemotherapie bei der Diplobacilleninfektion des menschlichen Auges.
(Münchener med. Wochensehr., 1913, Nr. 18.) G. untersuchte die
Wirkung von 60 Anilinfarbstoffen' auf die Diplobacillen in den Con-
junktivitiden und den Ulcera der Cornea. Das Wachstum der Diplo¬
kokken wurde von den verschiedenen Farbstoffen verschieden beeinflusst.
Auf Grund dieser experimentellen Untersuchungen liess G. ein Farben¬
gemisch hersteilen, das er nach vorangegangenen tastenden Versuchen
am Tiere bei Diplobacilleninlektionen eines Patienten mit sehr gutem
Erfolge anwandte. Der Effekt war besonders dann eklatant, wenn es
sich um eine reine Diplobacilleninfektion handelte.
P. Cohn - Mannheim: Behandlung mit Hetoleinträufelung bei
Iritis. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.) C. sah sehr gute
Erfolge von 2—5 pCt. Hetoleinträufelungen bei Iritis, die er jeden zweiten
Tag vornahm. Der Lösung fügte er 1 pCt. Novocain zu. Vor jeder Ein¬
träufelung wurde ein Tropfen 3proz. Cocain gegeben. Dünner.
J. Stähli: Persistenz von Resten der fötalen Pupillarmembran.
(Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Die Statistik des Verf.
erstreckt sich auf 800 Fälle mit 1600 Augen. Man findet die Pupillar¬
membranreste häufig an beiden Augen ein und desselben Individuums
vor; das gilt ganz besonders für die Fälle mit fadenförmigen Resten.
Bei bejahrten Leuten findet man anscheinend relativ seltener Ueberreste
der fötalen Pupillarmembran als bei jüngeren.
Greeff: Ueber das Vorkommen von geschlitzten Papillen beim
Menschen. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, ü. 1 u. 2.) In allen fünf
beschriebenen Fällen handelt es sich um ziemlich gleichartige De¬
formitäten der Pupillen. Bei heller Beleuchtung erscheinen diese
schlitzförmig entweder von oben nach unten, oder von rechts nach links,
oder schräg durch die Iris verlaufend, diese in der ganzen Ausdehnung
oder nur im mittleren Teile durchsetzend. Die Pupillen wurden meist
im Dunklen rund oder fast rund. In dem einen Falle ist wohl heredi¬
täre Lues vorhanden, in einem andern finden sich noch sonstige Miss¬
bildungen des Auges und anderer Körperteile, Ectropium uveae, Mem¬
brana pupillaris perseverans, Mikrocornea, Conus nach unten und Fehlen
von Schneidezahnen.
H. Haubach: Statistischer Beitrag zum Ort des Beginnes des
Altersst&rs. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Der Altersstar
nimmt mit besonderer Vorliebe seinen Anfang an den unteren Linsen¬
partien. In der Ergründung der Aetiologie dieser merkwürdigen Vor¬
gänge ist man noch nicht zu positiven einwandfreien Ergebnissen ge¬
langt.
L. Stein - Kreuznach: Untersuchungen über Glasbläserstar.
(Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Aus der Statistik (53 Fälle)
ist ersichtlich, dass ca. 50pCt. der untersuchten Glasbläser, die sich
noch im besten Mannesalter befinden, einen beginnenden Star aufweisen.
Ueber die Hälfte der Bläser war hyperop, die Myopen sind nur in ver¬
schwindend kleiner Anzahl vorhanden. Die Vorrichtungen zur Ver¬
hütung des Glasbläserstars, die die chemische Strahlenwirkung aufheben
sollen, haben keinen sonderlichen Erfolg.
J. Stähli: Zur Anatomie und Pathologie der Loes hereditaria
tarda oculi. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 2.) Die Arbeit zer¬
fällt in einen klinischen und in einen anatomischen Teil und eignet
sich nicht zum Referat.
J. van der Hoeve - Utrecht: Aagenanomalien bei kongenital¬
familiärer Taubheit und bei Labyrintherkranknag. (Klin. Monatsbl. f.
Augenheilk., April 1913.) Verf. untersuchte eine Familie mit drei
Taubstummen unter sechs Rindern. Bei den vom Verf. untersuchten
Fällen fanden sich bei angeborener Labyrinthtaubheit öfters, bei später
acquirierten nur sehr selten Pigmentabweichungen im Auge, und es ist
bis jetzt noch nicht nachgewiesen, dass die eine Anomalie von der
anderen abhängig ist.
K. Boehm - Breslau: Blendungsretinis infolge der Beobachtung
der Sonnenfinsternis am 17. April 1912. (Klin. Monatsbl f. Augenkeilk.,
April 1913.) Verf. gibt eine statistische Uebersicht über die Augen¬
schädigungen durch die Sonnenblendung, die in den Provinzen Schlesien
und Posen den Augenärzten zur Kenntnis gekommen sind. Das ganze
Material umfasst 412 Fälle. Unter diesen waren 196 = 59,4 pCt.
männlichen Geschlechts und 134 = 40,6 pCt. weiblichen. Bei 82 war
das Geschlecht nicht näher bezeichnet.
B. Lindenfeld-Warschau: Zur Bildung rosettenartiger FigareB
Ib der Netzhaut sonst normaler fötaler menschlicher Augen. (Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) Körnerrosetten, Körnerfalten und
Anhäufungen undifferenzierter Zellen können in fötalen sonst normalen
menschlichen Augen Vorkommen. Es ist nicht anzunehmen, dass die
vom Verf. beschriebenen Rosetten oder Faltenbildungen, die aus
differenzierten Körnerzellen bestehen, die Urtypen des Glioms darstellen;
möglicherweise können diese von ähnlichen, jedoch undifferenzierten
rosettenförmig angeordneten Zellen abstammen. Es muss durch Be¬
obachtungen und Experimente nacbgewiesen werden, ob Netzhaut¬
veränderungen wie die beschriebenen durch Röntgenstrahlen hervor¬
gerufen werden können.
A. Vogt-Aarau: Willkürliche Erzeugung und Beseitigung von vor¬
übergehenden Blendangsskotomen während der Fixation einer grellen
Fläche. (Archiv f. Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Für den Verf.
steht nach den beschriebenen Versuchen die bisher nicht bekannte Tat¬
sache fest, dass es durch unseren Willen möglich ist, in dem einer
grellen Liohtfiäche konstanter objektiver Helligkeit exponierten Seh¬
apparat eine Veränderung hervorzurufen, die in dem willkürlichen Er¬
zeugen und Verschwindenlassen von farbigen Blendungsbildern (relativen
Skotomen) und insbesondere von völligen Verdunkelungen des mittleren
Gesichtsfeldes (absoluten Skotomen) besteht, welche Veränderung unab¬
hängig von Konvergenz, Akkommodation und Pupillenweite ist und ihren
Sitz sehr wahrscheinlich in der Zapfenregion der Netzhaut hat oder doch
durch die Funktion dieser Region zum Ausdruck kommt. Die Er¬
scheinung lässt sich durch eine vom Willen abhängige Variabilität der
subjektiven Helligkeit erklären. Es ist annehmbar, dass die beschriebene
Veränderung auf dem Wege der centrifugalen Fasern der Sehbahn ver¬
mittelt wird und ihren Sitz in der Netzhaut hat.
A. Jess: Die Ringskotome Bach SoBBCBbleBdang. (Archiv f.
Augenheilk., Bd. 74, H. 1 u. 2.) Die Ringskotome waren in den meisten
Fällen total, waren sie partiell, so war die untere Gesichtsfeldhälfte er¬
griffen. Die Ringskotome sind sämtlich vorübergebende Erscheinungen,
die immer nur am geblendeten, nie am gesunden Auge in gleicher Weise
nachzuweisen waren. In nur 6 Fällen überdauerten sie den Zeitraum
von 4 Wochen. Stets handelte es sich nicht nur um eine Störung der
Farbenempfindlichkeit, immer gaben die Patienten ein deutliches relatives
Skotom für weiss an und nur dieses wurde aufgezeichnet; in einigen
schweren Fällen war das Skotom vorübergehend für Farben absolut.
Masuda - Tokio: Ein Fall von eigentümlichem Bindegewebsstrang
um die Papille. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1913.) In dem
sonst vollkommen normalen Augenhintergrund fällt ein grau-weisser dünner
Bindegewebsstrang auf, welcher die Papille unregelmässig umkreist. Es
handelt sich nach der Ansicht des Verfassers wahrscheinlich um einen
persistenten bindegewebigen Rest irgendeines groben Glaskörpergefässes
abnormer Art. F. Mendel.
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
M. Senator - Berlin: Weiteres über ätiologische BeziehongeB
zwischen Rheumatosen und nasalen Erkrankungen. (Deutsche med.
Wochenschr., 1913, Nr. 19.) Vortrag, gehalten im Verein für innere
Medizin und Kinderheilkunde in Berlin am 31. März 1913.
Fröse-Hannover: Nasenoperationen zur Beseitigung von Kopf¬
schmerzen. (Deutsche med. Wochenschr., 1913, Nr. 20.) Vortrag, ge¬
halten im Aerztliohen Verein zu Hannover am 15. Januar 1913.
Wolfsohn.
Hygiene und Sanitätswesen.
Siehe auch Geburtshilfe und Gynäkologie: Bayer, Künst¬
licher Abort aus rassehygienisohen Gründen.
Technik.
K. Sato-Tokio: Neues Hämometer. (Deutsche med. Wochenschr.,
1913, Nr. 19.) Eine kleine Menge Blut wird mit folgendem Reagens in
ein graduiertes Röhrchen hin ein geblasen:
Konzentrierte Salzsäure 2,0
Eisessig 5,0
Destilliertes Wasser 100,0.
Dabei entsteht eine salzsaure, hämatinähnliohe Lösung, deren Färbung
mit der eines konstant gefärbten Glasstäbchens verglichen wird.
Wolfsohn.
B. L e win s ohn- Altheide: Ein neues Herzplessimeter. (Münchener
med. Wochenschr., 1913, Nr. 17.) Dünner.
Bettmann: Ein fahrbarer Gipstisch. (Archiv f. Orthop., Mechano-
therapie u. Unfallheilk., 1913, Bd. 12, H. 3.) Beschreibung eines von
Schädel-Leipzig lieferbaren Tisches, der alle zur Gipstechnik nötigen
Utensilien übersichtlich angeordnet enthält und gleichzeitig auch mit
Kästen zum Einlegen der Gipsbinden und zum Waschen der Hände ver¬
sehen ist. M. Strauss.
H. Spitzy-Graz: Instrument zur radikalen Phimosenoperätion.
(Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.)
A. Freudenberg - Berlin: Ein elektrisches Beckendammheizkissen
in Badehosenform. (Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. 18.)
Dünner.
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UNIVERSUM OF IOWA
988
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2l.
Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Mai 1913.
Vorsitzender: Herr Orth.
Schriftführer: Herr F. Krause.
Vorsitzender: Ich habe eine Reihe von geschäftlichen Mitteilungen
zu machen.
Zunächst begrüsse ich als Gäste Herrn Prof. Fibiger aus Kopen¬
hagen und Herrn Dr. Salzmann aus Helsingfors.
In der letzten Sitzung der Aufnahmekommission sind folgende
Herren aufgenommen worden; Walter Levinthal, Siegfried Simon,
Klotzer,O.Sprinz, Alfred Totzke, Emil Loewenstein, W.Enters,
San.-Rat Ernst Friedländer, Peter Danielsohn, M. Herbst,
Hermann Meyer, Meyersohn, Hans Fronzig, Max Klopstock.
Ausgeschieden ist wegen Aufgabe seiner medizinischen Tätigkeit
Herr Dr. Fritz v. Liebermann, Mitglied seit 1891.
Vor der Tagesordnung habe ich Herrn v. Hansemann das Wort
zu geben zu einer kurzen Demonstration von Präparaten, die zwar keine
frischen Präparate sind, aber wegen des Interesses und weil der Ver¬
fertiger, Herr Prof. Fibiger, hier persönlich anwesend ist, dachte ich
vor der Tagesordnung das Wort erteilen zu dürfen.
Vor der Tagesordnung.
Hr. v. Hansemann:
Demonstration von Präparaten des Herrn Fibiger znr künstlichen
Erzeugung von Krebs.
Sie werden sich erinnern, dass in der letzten Sitzung vor den Oster¬
feiertagen Herr Saul hier der Arbeit des Herrn Fibiger Erwähnung
tat, in der mitgeteiit worden ist, dass bei Ratten künstlich Garcinome
erzeugt worden sind. Allen denjenigen von Ihnen, die die vorläufige
Mitteilung des Herrn Fibiger in der Berliner klinischen Wochenschrilt
gelesen haben, wird es klar geworden sein, dass die Arbeit des Herrn
Fibiger in den Worten des Herrn Saul durchaus zu kurz gekommen
ist, und dass die Bedeutung, die dieser Arbeit zukommt, nicht in der
genügenden Weise gewürdigt wurde. Die Bedeutung der Untersuchungen
des Herrn Fibiger beruht im wesentlichen nicht darauf, dass er aufs
neue festgestellt hat, dass durch gewisse tierische Parasiten, wie wir es
ja von der Bilharzia schon kennen, gelegentlich ein Carcinom entstehen
kann, sondern die Bedeutung dieser Untersuchungen liegt darin, dass
Herr Fibiger tatsächlich zum ersten Male ein solches Carcinom künst¬
lich erzeugt hat, nicht nur bei einem Tiere, sondern bei mehreren.
Nun sind freilich auch schon wiederholt, wie Sie wissen, künstliche Car-
cinome, und zwar beim Menschen, durch Röntgenstrahlen erzeugt worden,
aber das ist unabsichtlich geschehen, und es ist bisher noch nicht mög¬
lich gewesen, bei Tieren durch Röntgenstrahlen etwas Aehnliches zu er¬
zielen. Was Herr Fibiger aber hier gemacht hat, das ist das gewesen,
dass er mit voller Absicht und Zielbewusstsein Carcinome bei Ratten
erzeugt hat durch Uebertragung eines Parasiten, dessen Generations¬
wechsel er festgestellt hat, und den er kultiviert hat durch Uebertragung
auf andere Tiere, auf die Küchenschabe, dass er ferner durch die Ueber¬
tragung des Parasiten auf Ratten wieder Magencarcinome erzeugt hat.
Es sind das typische Magencarcinome, die nicht etwa bloss durch die
histologische Diagnose festgestellt sind — wobei man ja schliesslich
diskutieren könnte, ob es wirklich Krebse waren oder nicht —, sondern
dadurch konstatiert, dass sie Metastasen in den Lymphdrüsen und in
der Lunge gemacht haben. Weiter ist das Bedeutungsvolle wiederum,
dass in diesen Metastasen die Parasiten nicht anwesend sind, wonach
also, wie Herr Fibiger in seiner Arbeit ganz richtig hervorgehoben hat,
die Parasiten nicht Krebsparasiten sind, sondern einen Reiz hervor¬
bringen, ganz wie bei der Bilharzia, wodurch eine Art Entzündung und
eine Wucherung entsteht, und diese Wucherung geht dann selbständig
in Krebs über.
Das schien mir doch von solcher Bedeutung zu sein, dass ich
glaubte, die medizinische Gesellschaft hätte ein Anrecht darauf, etwas
davon zu sehen, und da Herr Fibiger die Liebenswürdigkeit gehabt
hat, mir Präparate zu überschicken, so habe ich mir erlaubt, diese Prä¬
parate dort aufzustellen. Sie werden dort unter Lupenvergrösserung ein
Uebersichtspräparat sehen. Dann werden Sie unter dem Mikroskop ver¬
schiedene Schnitte durch die Wucherungen des Magens sehen, auch
Stellen, wo der Parasit und dessen Eier liegen, nicht in der Geschwulst,
sondern an deren Oberfläche. Dann werden Sie Schnitte von den
Metastasen in den Lymphdrüsen und in den Lungen sehen, und endlich
ist ein Präparat von einem analogen Mäusetumor aufgesteilt, der aber,
wie Herr Fibiger mir eben mitgeteilt hat, nicht Krebs, sondern
nur eine papilläre Wucherung darstellt, welche durch die gleichen Para¬
siten hervorgebracht wird.
Es ist ein Zufall, dass Herr Fibiger heute hier ist. Ich weiss
nicht, ob der Herr Vorsitzende wohl gestatten würde, dass Herr Fibiger
noch einige Worte zu diesen interessanten Präparaten spricht, die wir
ihm verdanken.
Vorsitzender: Selbstverständlich; bitte, Herr Fibiger.
Diskussion.
Hr. Fibiger (a. G.): Wie Herr Geheimrat v. Hansemann schon
mitgeteilt hat, hatte ich gar keine Ahnung davon, dass ich heute abend
die Ehre haben würde, hier meine Präparate demonstriert zu sehen. Ich
bitte zunächst Herrn Geheimen Medizinalrat v. Hansemann, meinen
Dank entgegenzunehmen, nicht nur für die Demonstration, sondern auch
für die Anerkennung, die er meinen Untersuchungen gezollt hat.
Ich habe meiner kurzen Mitteilung in der Beliner klinischen Wochen¬
schrift ganz wenig hinzuzuiügen. Es wird in der nächsten Zeit in der
Zeitschrift für Krebsforschung eine ausführliche Mitteilung erscheinen,
wo die Details veröffentlicht werden sollen. Es sei mir aber gestattet,
hier einige Worte über die Untersuchungen zu sagen, die später aus¬
geführt worden sind. Natürlicherweise wird es der Hauptzweck dieser
Untersuchungen sein, erstens, wenn möglich, festzustellen zu suchen,
unter welchen Bedingungen es gelingt, überhaupt papillomatöse Tumoren
willkürlich carcinomatös zu verändern.
Es steht zu hoffen, dass vielleicht mit grosser Mühe eine Versuchs-
metbode gewonnen werden kann, die uns in den Stand setzt, das Ziel
zu erreichen. Natürlich wird auch das Ziel der künftigen Untersuchung
sein, die Tumoren zu transplantieren. Ich habe schon mehrmals Ver¬
suche darüber gemacht, muss aber einräumen, dass es vorläufig noch
nicht gelungen ist.
Die Untersuchungen, die ich nach der kurzen Mitteilung in der
Berliner klinischen Wochenschrift angestellt habe, haben in erster Linie
den Zweck gehabt, Ratten mit Nematoden zu infizieren, damit ich sicher
sein konnte, dass mir die Nematoden nicht aussterben.
Wie vielleicht einigen der Herren bekannt geworden ist, sind meine
früher publizierten Versuche hauptsächlich mit der grossen hellbraunen
amerikanischen Schabe, die sich hier im Norden verhältnismässig selten
findet, angestellt worden. Dass auch die gewöhnliche Küchenschabe,
Periplaneta orientalis, als Zwischenwirt der Nematoden dienen kann,
wurde gleichzeitig festgestellt.
Meine späteren Versuche, die noch bei weitem nicht abgeschlossen
sind, haben dann unter anderem natürlich den Zweck gehabt, darzutun,
dass, auch wenn die Nematode der Küchenschabe auf die Ratten über¬
tragen wird, Geschwülste und Cancroide sich entwickeln können.
Es ist mir gelungen, dies naohzuweisen, indem ich jetzt fünf bis
sechs sehr starke Papillome bei in dieser Weise infizierten Ratten ge¬
funden habe und darunter einen Fall von Cancroid, wie Sie in einem
aufgestellten Präparat sehen können. Ferner ist festgestellt worden,
dass die Nematode auch die am meisten verbreitete Schabenarzt Blatta
germanica, die ganz kleine Schabe, als Zwischenwirt benutzen kann. Ich
muss aber hinzufügen, dass die Uebertragung durch diese Schabenart
aus mehreren Gründen sicher weniger gute Resultate geben würde, in
erster Linie, weil die Blatta germanica viel kleiner als die andere Schabe
ist und darum Nematoden nur in spärlicher Zahl enthalten kann.
Als Kuriosum kann ich nooh mitteilen, dass der gewöhnliche Mehl¬
käfer, Tenebrio molitor, der als Zwischenwirt einer anderen Nematode
dient, auch als Zwischenwirt der von mir gefundenen Nematode benutzt
werden kann.
Grössere Bedeutung muss meiner Meinung nach dem Umstande bei¬
gelegt werden, dass die von mir gefundene Spiroptera sich nicht nur
auf Ratten, sondern auch auf Mäuse übertragen lässt. Wie bekannt,
sind Mäuse in weit höherem Grade als Ratten für Carcinomentwicklung
disponiert, und die meines Wissens einzigen genau beschriebenen zwei
Fälle von Cancroid des Vormagens bei Nagern sind eben bei Mäusen
von Murray gefunden worden. Möglicherweise werden da Versuche an
Mäusen gute Resultate ergeben. Diese Versuche sind jetzt eben be¬
gonnen worden. Ich habe auch schon sehr starke Papillomatose in dem
Vormagen dieser Tiere gefunden und erlaube mir, auf das aufgestellte
Präparat hinzuweisen. Inwieweit auch grössere Nager, wie Meerschwein¬
chen und Kaninchen oder ähnliche Tiere sich empfänglich zeigen, werde
ich demnächst untersuchen.
Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, dass es mir, sobald ich
dazu imstande sein werde, d. h. sobald ich die ausreichende Zahl von
infizierten Ratten besitze, eine angenehme Pflicht sein wird, meine Nema¬
toden anderen Instituten zu übergeben, um sie in den Stand zu setzen,
meine Versuche zu kontrollieren und nachzumachen, damit die Fort¬
schritte, die möglicherweise durch diese Experimente erreicht werden
können, so schnell wie möglich erreicht werden.
Hr. C. Lewin: Ich möchte doch nicht versäumen, im Anschluss an
diese Untersuchungen von Herrn Fibiger daraufhinzuweisen, dass noch
eine andere Arbeit in der letzten Zeit das lebhafteste Interesse der¬
jenigen, die sich für die Aetiologie des Krebses interessieren, hervor¬
gerufen hat, das ist die Arbeit von PeytonRous im Rockefeiler-
Institut. Herr Fibiger hat in seiner Arbeit schon angedeutet, es
könne die Möglichkeit vorliegen, dass die Nematoden, welche seine
Carcinome erzeugen, auch wiederum als Zwischenträger für ein invisibles
Virus fungieren. Diese von Herrn Fibiger geäusserte Anschauung er¬
schien mir deswegen sehr beachtenswert, weil nämlich Peyton Rous
durch invisibles Virus ein Hühnersarkom von Spindelzellencharakter und
neuerdings auch ein Hühnersarkom von Osteochondrosarkomcharakter
übertragen konnte, d. h. er hat die zerriebene Geschwulst durch Berke-
feldfilter filtriert und mit der absolut zellfreien Flüssigkeit die gleich¬
artigen Tumoren bei anderen Hühnern erzeugt unter Einspritzung von
Kieselgur, um eine mechanische Reizung hervorzurufen. So ist es ihm
gelungen, Osteochondrosarkom jedesmal mit diesem zellfreien Filtrat su
übertragen und überall Sarkom mit Knorpelgewebswucherung durch zell¬
freies Infiltrat zu übertragen. Im Hinblick auf diese Arbeit erscheint
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
989
die Ansicht des Herrn Fibiger, dass dort noch ein invisibles Virus im
Spiel sein könnte, doch sehr wahrscheinlich.
2. Hr. Katzenstein:
Heilung einer fast völligen AnnlShmung durch Plexnspfropfung von
der anderen Seite her.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Diskussion.
Hr. Toby Cohn: Der Herr Vortragende hat nicht erwähnt, dass
es sich um eine 7 Jahre lang bestehende poliomyelitische Lähmung
handelt. Ich möchte ferner bestätigen, dass vor der Operation ledig¬
lich eine kraftlose, rasch erschlaffende Extension der Grundphalangen
der vier letzten Finger, eine ebenso kraftlose Vorderarmilexion sowie
eine Spur von Handgeleoksflexion aktiv ausführbar waren. Das war
alles, was da war. Jetzt dagegen ist vorhanden: eine Extension der
vier letzten Finger in den Grundphalangen, eine etwas schwächere
Extension in den Mittelphalangen, Flexion in Grund- und Mittel¬
phalangen, Adduktion und Abduktion des Daumens, Extension des
Handgelenks, Supination und Pronation des Vorderarmes, Extension und
Flexion im Ellenbogen, sowohl in halber Pronations- als in Mittel¬
stellung zwischen Pronation und Supination.
leb will auf den elektrischen Befund, der sehr interessant ist, nicht
näher eingehen, weil ich glaube, dass sich die elektrische Erregbarkeit
in der nächsten Zeit (etwa in den nächsten 2—3 Monaten) voraussicht¬
lich noch ändern wird. Ich möchte Sie nur noch einmal — Sie haben
das ja auch durch Ihren Beifall gezeigt — auf die ausserordentliche
prinzipielle Wichtigkeit des Falles hinweisen. Diese Operation zeigt
einen neuen Weg, auf dem bei diesen sonst ganz trostlosen Fällen eine
Gebrauchsfähigkeit eines Armes erzielbar ist.
3. Hr. fiontermann-Spandau:
Demonstration von Kalkablagernngen unter die Bant.
Gestatten Sie, dass ich Ihnen kurz einen Fall von Kalkablage¬
rungen unter die Haut der Hand einer jungen Dame demonstriere.
Die Anamnese ist folgende: Zeichen von Gicht sind weder bei der
Patientin, noch deren Familie vorhanden. Das Leiden begann vor
2 Jahren. Damals schnitt Patientin etwa eine halbe Stunde lang mit einem
Messer Brot, wobei die Gegend des vierten Metacarpophalangealgelenkes
der Hohlhand besonders stark dem Druck des Messergriffes ausgesetzt
war ohne äussere Verletzung.
An dieser Stelle hatte sich nach einigen Wochen eine Schwiele ge¬
bildet, unter welcher bald ein Knoten entstand. Derselbe nahm
langsam an Grösse zu, ohne zu schmerzen.
Vor V« Jahr sah ich die Patientin zum erstenmal. Damals lag
unter der dünnen Hohlhandsohwiele des vierten Fingers ein linsengrosser,
harter Tumor, anscheinend ohne Zusammenhang mit der Haut, auf der
Unterlage beweglich, nicht schmerzhaft. Ich hielt denselben für eine
traumatische, fibröse Verdickung im Unterhautfettgewebe auf Grundlage
eines Hämatoms und verordnete resorbierende Mittel. Vor 5 Wochen
sah ich die Patientin wieder. Das Bild war ein ganz anderes. In der
Umgebung des alten Knotens waren mehrere neue entstanden, grössere
und kleinere, alle frei im subcutanen Gewebe liegend. Besonders zahl¬
reich und deutlich waren sie an der Basis des fünften Fingers aufge¬
treten, wo sie im Begriff waren, den Finger nach dem Dorsum zu um¬
wachsen. Die Schwiele des vierten Finger war dicker und höokeriger
geworden.
Eine Probeinzision am fünften Finger stellte fest, dass es sich um
kleine, stecknadelkopf- bis kleinerbsengrosse Tumoren handelte mit
zarter Kapsel, von weissgelblicher Farbe, im Fett liegend, zerstreut oder
nebeneinander, nirgends mit der Haut verwachsen. Die Kapsel war
sehr dünn und riss öfter ein. Dann entleerte sich ein weisser Brei, der
aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestand. Herr Geheimrat
v. Hansemann hatte die Liebenswürdigkeit, einen Kalkknoten zu unter¬
suchen und wird darüber berichten.
Herr San.-Rat Wechselmann war so freundlich, sich auf meine
Bitte für den mir unbekannten Fall zu interessieren und erkannte, dass
es sich um ein in der dermatologischen Literatur mehrfach beschriebenes
Krankheitsbild von traumatischer Kalkablagerung unter die Haut ban¬
delte. Auf dem auf sein Anraten angefertigten Röntgenbild sieht man
die kugligen, starken Schatten gebenden Gebilde. Dieselben haben sich
seit V 4 Jahr auffallend vermehrt. Man hat den Eindruck, als wenn sie
nach der Peripherie zu mit der Gefässverzweigung weiterwüchsen. So
sieht man bereits Andeutungen derselben an der Ulnarseite des vierten
Fingers bis an die Spitze desselben.
Man fühlt diese Knoten deutlich an der Basis des vierten Fingers
vor der Sehnenscheide, wenn man die Sehne zwischen zwei Finger
nimmt.
Seit einigen Wochen ist die Schwiele deutlich mit ihnen verwachsen,
was mir anfangs nicht der Fall zu sein schien.
Die Schwiele ist höckriger geworden dadurch, dass die Kalkknoten
allmählich nach der Oberfläche gewandert sind und die Hornschicht per¬
forieren. So sieht man auf der Schwiele eine stecknadelkopfgrosse,
frische Delle, aus weloher ich heute morgen ein kleines Kalkkügelchen
herausgehoben habe. Anfangs lagen die Kalkknoten unsichtbar unter
der unveränderten Haut.
Aetiologisch kommt meines Erachtens das Trauma in Betracht,
welches durch den Druck des Messergriffs gegeben wurde. Seine Wir¬
kung ist wohl im Sinne Jaddassohn’s zu erklären, dass eine Gewebs¬
schädigung verursacht wurde. An der Stelle dieses Locus min.
resistentiae lagerte sich der Kalk ab.
Ungeklärt in meinem Fall sind zwei Beobachtungen: 1. dass die
Kalkknoten sich in letzter Zeit so schnell vermehren, dass man an die
Beteiligung von Mikroorganismen denken könnte; 2. dass die Vermehrung
im Fettgewebe stattfindet, und zwar nach der Peripherie der Finger hin.
Diskussion.
Hr. v. Hanse mann: Ich habe nur ganz wenige Worte hinzu¬
zufügen.
Der Fall ist deswegen bemerkenswert, weil solche Dinge überaus
selten sind. Es ist, soweit ich aus der Literatur ersehe, erst der vierte
Fall, der überhaupt zur Kognition gekommen ist.
Wenn Sie das Präparat ansehen wollen, das da aufgestellt ist, so
werden Sie sehen, dass die Kalkconcremente kaum ein organisches Sub¬
strat haben, sondern dass sie sich fast vollständig auflösen. Es bleiben
nur ganz kleine Spuren amorpher Substanz zurück. Sie lassen sich
sehr leicht auflösen. In Salzsäure schäumen sie sehr stark. Sie be¬
stehen in der Tat aus kohlensaurem Kalk. Es sind Spuren von phos¬
phorsaurem Kalk beigemischt. Sie liegen vollständig ohne irgendwelche
Einkapselung im Unterhautfettgewebe, aber es hat sich dann reaktiv um
diese Kalkkörper herum junge Gewebsbildung eingestellt mit Granulations¬
gewebe und mit Fremdkörperriesenzellen, die in grosser Zahl um den
Kalk herumliegen. Also Sie werden im wesentlichen an den Stellen,
wo die Kalkkörper gelegen haben, jetzt ein Loch sehen.
Ueber die Aetiologie vermag ich Ihnen auch nichts weiter auszu-
sagen. Herr Gontermann hat wohl vergessen, anzuführen, dass die
Patientin sich in neuerer Zeit eine Syphilis geholt hat, die sie aber
noch nicht hatte, als die Affektion anfing, die also keineswegs als Aetio¬
logie aufzufassen ist, die aber doch vielleicht für die Propagation in
Frage kommt.
Tagesordn ung.
Hr. E. Bomm:
Ueber die Erfolge der Röntgen- und Mesothorinmbehandlnng bei
Careinom der weibliehen Genitalien.
(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.)
Vereinigung zur Pflege der vergleichenden Pathologie.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 30. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr L. Pick.
Schriftführer: Herr Max Koch.
1. Hj Mat Koch:
Demonstration von Sehilddrüsengesehwulsten des Hnndes. (Nach
Untersuchungen von Dr. Johann Schaaf.)
Zu fast sämtlichen bei Menschen an der Schilddrüse beobachteten
Veränderungen oder mit ihr in Zusammenhang gebrachten pathologischen
Zuständen finden sich Parallelen bei den Tieren. So liegen in der
Literatur Angaben vor über angeborenen sporadischen und endemischen
Kropf bei Tieren, über bösartige Kropfgeschwülste (Krebs), über Kreti¬
nismus, Myxödem, Basedow’sche Krankheit usw. Ueber das Vorkommen
von Kröpfen oder Geschwülsten der Schilddrüse bei den Wirbeltierklassen
unterhalb der Säugetiere liegen nur sehr wenige Beobachtungen vor.
Hier sei nur auf die interessanten Beobachtungen M. Plehn’s u. a.
über den endemischen Krebs der Schilddrüse bei Salmoniden und das
durch Pick und Poll nachgewieseoe Vorkommen einer Struma thyreoidea
bei einer Schlangenhalsschildkröte hingewiesen. Ueber das Vorkommen
derartiger Bildungen bei Säugetieren finden sich zahlreiche Angaben.
Von wilden, in der Gefangenschaft gehaltenen Säugetieren wird das Vor¬
kommen von Kropf bei folgenden Arten erwähnt: bei einer Löwin
(Jakimow) und beim Bär (Leisering), beim Korsak (Canis corsac)
(Hilgendorf und Paulicki), beim Dromedar und bei der Giraffe
(Johne), beim Präriewolf (Präparat in der Sammlung der Berliner tier¬
ärztlichen Hochschule nach Schaaf). Von den Haustieren sind Angaben
über das Vorkommen von Kropfgeschwülsten bei Hund, Katze, Pferd,
Rind, Ziege, Schaf, Schwein vorhanden. Bei weitem am häufigsten wird
der Hund von diesen Leiden befallen. Da über die Häufigkeit und den
Bau der Geschwülste der Schilddrüsen bei Berliner Hunden bisher noch
keine systematische Untersuchung vorlag, so bat Herr Dr. Johann
Sohaaf im Institut und unter Anleitung des Vortragenden diese Fragen
einer Untersuchung unterzogen. Untersucht wurden im ganzen 500 Hunde,
die von Herrn Dr. Jost aus der Hauptsammelstelle der städtischen
Flei8ohvernichtungsanstalt in dankenswerter Weise zur Verfügung ge¬
stellt wurden. Da keine Auswahl getroffen wurde, so handelt es sich
um Hunde aller Rassen und jeden Alters. Am häufigsten waren darunter
Foxterriers, Spitze, Dackel und Bastarde von diesen.
Die normale Schilddrüse des Hundes ist ein paariges Gebilde von,
der Grösse und Form eines Dattelkernes. Die Lappen liegen der Luft¬
röhre zu beiden Seiten direkt an, eine Verbindung zwischen beiden
(Isthmus) fand sich nur bei pathologisch veränderten Schilddrüsen. Als
Durchschnittsgewicht ergab sich nach von Herrn Dr. Schaaf ausge¬
führten genauen Wägungen von 30 Hunden 150—500 mg pro Kilogramm
Körpergewicht, was etwa einem zwischen 1,5 und 12 g differierenden
Gewiohte entspricht. Bei jungen Hunden ist sie im Verhältnis zum
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UNIVERSUM OF IOWA
990
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Körpergewicht am grössten, der rechte Lappen ist fast durchweg etwas
grösser als der linke.
Von den untersuchten 500 Hunden erwiesen sich 35 als mit ver-
grösserten oder erkrankten Schilddrüsen behaftet. Davon gehörten 28
zu der gutartigen, 7 zu der bösartigen Form der Struma. Der Rasse
nach handelt es sich meistens um Foxterriers, doch ist dabei zu berück¬
sichtigen, dass diese Rasse auch das Hauptkontingent zur Gesamtzahl
stellt. Bemerkenswert erscheint, dass mit nur wenigen Ausnahmen nur
ältere Hunde erkrankt sind, woraus hervorgeht, dass es sich ausschliess¬
lich um erworbenen Kropf handelt. Bei den mit der bösartigen Form
der Struma behafteten Hunden handelt es sich durchgängig um ältere
Hunde, und zwar waren je zwei 6 Jahre, einer 7, zwei 8 und je einer
12 bzw. 15 Jahre alt.
Die interessante Frage, ob der Kropf der Hunde in Berlin in neuerer
Zeit eine Zunahme erfahren hat, wie das für den Menschen anscheinend
der Fall ist, lässt sich leider mangels genauer Statistiken aus früherer
Zeit nicht genau beantworten. Von den 28 gutartigen Vergrösserungen
der' Schilddrüse gehörten 8 zum Typus der Struma diffusa und 20 zu
dem der Struma nodosa, doch lässt sich die Grenze zwischen diesen
beiden Typen nicht ganz scharf ziehen und muss der am meisten aus¬
gesprochene Typus bei der Einteilung den Ausschlag geben. Die kolloidale
(gelatinöse) Substanz wird beim Hund nicht in der Massenhaftigkeit ge¬
bildet, wie man das beim Menschen hie und da sehen kann, sonst haben
wir in bezug auf Cystenbildung, Blutungen, Ablagerung und Organisation
fibrinöser Massen, ausgiebiger Bindegewebsproduktion usw. dieselben Ver¬
änderungen wie beim Menschen. Ebenso fand sich in zwei Fällen Kalk¬
einlagerung.
Von den sieben bösartigen Schilddrüsenturaoren gehörten vier zum
Typus des malignen Adenoms der Schilddrüse, ein Fall erwies sich als
ein Carcinoma solidum und zwei endlich gehörten zu Tumoren der Binde¬
substanzreihe (Osteochondrosarkom und Osteoidchondrom).
Von den vier Adenomen der Schilddrüse zeigten drei Metastasen,
und zwar je zweimal iu den Lungen, einmal in den Lungen und Nieren.
Der vierte Fall dokumentierte seine maligne Natur nur durch das schon
makroskopisch wahrnehmbare Einwachsen von Geschwulstmassen in die
Venen. Der gleiche Vorgang Hess sich auch bei zwei der übrigen drei
Fälle schon makroskopisch nachweisen. In einem Fall fanden sich Lungen¬
metastasen, ohne dass makroskopisch ein solches Eindringen der Ge¬
schwulstmassen in die Venen wahrnehmbar war.
Bei dem als Carcinoma solidum der Schilddrüse zu bezeichnenden
Falle fanden sich zahlreiche bis taubeneigrosse Metastasen in den Lungen,
ausgedehnte krebsige Infiltration in den Bronchialdrüsen, ausserdem
Metastasen in Milz und Pankreas.
In bezug auf die Gesamtmasse der Geschwulstbildungen nimmt
dieser Fall die erste Stelle ein.
Das Osteochondrosarkom zeigte Metastasen von gleiphem Typus in
beiden Lungen und Nieren. Bei dem Osteoidsarkom fanden sich dagegen
merkwürdigerweise Lungenmetastasen von adenomatösem Bau. Meta¬
stasierung im Knochenmark, wie sie sich beim Menschen bei
malignen Schilddrüsentumoren so häufig findet, konnte trotz
aller darauf gerichteten Aufmerksamkeit nicht aufgefunden
werden.
Diskussion: Hr. Schmey demonstriert ein Schilddrüsencarcinom
von einem achtjährigen Terrier, der schon in frühester Jugend Anlage
zum Kropf gezeigt hatte. Die Sektion ergab, dass das Schilddrüsen-
carcinom Metastasen in der Lunge gebildet hatte, die durchaus den
Charakter der Schilddrüsen zeigten.
2. Hr. Erwin Christeller:
Experimente znr künstlichen Erzeugung von Missbildungen bei Lepi-
dopteren.
Missbildungen werden bei den Insekten nicht allzuselten von Sammlern
beobachtet. Trotzdem ist von wissenschaftlicher Seite sowohl die Syste¬
matik wie die Genese der Missbildungen, besonders bei den Schmetter¬
lingen, fast gänzlich unbearbeitet.
Vortr. gibt zunächst eine Definition des Begriffes der Schmetterlings¬
missbildungen, die, in sinngemässer Abänderung der Definition
E. Schwalbe’s für die Missbildungen des Menschen, als Missbildungen
alle diejenigen Veränderungen der Morphologie des Schmetterlings be¬
zeichnet, welche vor dem Schlüpfen des fertigen Insektes aus der Puppe
entstehen, soweit sie ausserhalb der Variationsbreite der Species ge¬
legen sind.
Von derartigen Missbildungen liegt in der entomologischen Literatur
eine grosse Menge bisher gänzlich ungeordneten, kasuistischen Materials
vor. Vortr. konnte über 550 Fälle missbildeter Insekten zusammen-
tellen und unter Heranziehung einer grossen Anzahl eigener Sammlungs¬
stücke folgendes, nach morphologischen Gesichtspunkten ausgebildete
System der Schmetterlingsmissbildungen aufstellen.
I. Abnorme Entwicklung des ganzen Körpers: A. Riesen¬
wuchs. B. Zwergwuchs.
II. Abnorme Entwicklung ganzer Körperteile. A. Mehr¬
fachbildung: 1. der Flügel, 2. der Beine, 3. der Fühler, 4. der
Maxillarpalpen. — B. Heteromorphose: 1. Bein statt Fühler, 2. Vorder¬
flügel statt Hinterflügel. — C. Defektbildung: a) Vollständiges Fehlen
1. von Flügeln, 2. von Fühlern, 3. von Beinen; b) teilweises Fehlen
1. der Flügel: a ) gleichmässige Verkleinerung, ß ) Schnittänderung,
y) Kerbung, d) Lochung; 2. der Fühler: Verkürzung; c) Spaltbildung
des Säugrüssels.
III. Abnorme Entwicklung einzelner Organe: 1. der Schuppen:
a) Albinismus: a ) universal, ß) lokal; b) Melanismus: a ) universal,
ß) lokal; c) Zeichnungsänderung: a) universal, ß) lokal; d) Schuppen¬
mangel: a) universal, ß) lokal; 2. der Flügelrippen: a) Verlaufsände-
rungen, b) Reduktion.
Hiervon trennt er, als nicht zu den Missbildungen gehörig, die bei
oder kurz nach dem Schlüpfen entstehenden, auf mangelhafter Ent¬
faltung an sich normal gebildeter Flügel beruhenden Verkrüppelungen,
und anderes ab.
Ueber die causale Genese dieser Missbildungen existieren nur einige
Experimental Untersuchungen, die sich mit der Entstehung der Mehrfach-
bildungen bei Käfern beschäftigen und in erster Linie Regenerations¬
vorgänge berücksichtigen (G. Tornier). Für eine zweite Gruppe, die
Pigmentauomalien (Melanismus, Albinismus) wurden verschiedentlich
Temperatureinflüsse verantwortlich gemacht; auch gelang es, durch ein¬
seitige Abkühlung von Sohmetterlingsgruppen halbseitige Albinos zu
erzeugen.
Demgegenüber liegen für die Defektmissbildungen bei Schmetter¬
lingen keine experimentellen Erfahrungen vor; Parasitenfrass, Nahrungs¬
mangel und mechanische Einwirkungen verschiedenster Art (Druck,
Schnürung, Schwerkraft, Centrifugalkraft) wurden als mutmaassliche,
ätiologische Momente herangezogen. Es gelang nun dem Vor¬
tragenden, durch Druckwirkung fast sämtliche obengenannte
Missbildungen künstlich hervorzurufen, und somit ihre Ent¬
stehung in der Natur auf rein mechanische Weise durch das Ex¬
periment zu beweisen.
Die Versuche wurden am Schwammspinner, Lymantria dispar, L.,
angestellt, dessen oberirdisch lebende, coconlose Puppe sich für die
Versuche sehr gut eignet. Die frisch gebildeten, noch ganz weichen
Puppen wurden in Seitenlage auf eine Unterlage gebracht, welche mit
flachen, der Puppenform genau angepassten Vertiefungen versehen war,
so dass die Puppen, mit der nach abwärts gerichteten Körperhälfte in
ihnen ruhend, in ihrer Lage fixiert waren. Nun wurde jede Puppe mit
einer kleinen Glasplatte bedeckt, die auf der Gegend der Flügelanlage,
als dem höchsten Körperpunkte, auflag, und deren Druck durch auf¬
gelegte B leige wich tchen abgestuft werden konnte. Es resultierte an der
Druckstelle eine Abplattung, welche, da die Puppen erst nach völligem
Erstarren des Chitius aus ihrer Lage befreit wurden, eine dauernde
Impression darstellte.
61 so behandelte Puppen ergaben im ganzen 54 Falter, welche die
folgenden Missbildungen aufwiesen:
I. Abnorme Entwicklung ganzer Körperteile. C. Defekt¬
bildung. b) teilweises Fehlen. I. der Flügel: a. gleichmässige Ver¬
kleinerung, ß. Schnittänderung, p. Kerbung, d. Lochung. 2. der Fühler:
a. Verkürzung, ß . Abplattung, y. Lochung.
II. Abnorme Entwicklung einzelner Organe. 1. der
Schuppen: d) Schuppenmangel: a. universal, ß. lokal. 2. der Bauch-
decke: Vorbuckelung.
Dass die hier aufgeführten Missbildungen genau den oben in der
ersten Tabelle erwähnten entsprechen, demonstriert der Vortragende an
einer grossen Zahl von Lichtbildern, sowohl nach im Freien gefangenen
Exemplaren als auch nach den im Versuch erzeugten Stücken.
Die durch gesperrten Druck hervorgehobenen Missbildungen stellen
sogar völlig neue, bisher in der Natur noch nicht beobachtete Formen
dar, nämlich:
1. Fühlerabplattung, d. h. der Fühler, besonders bei den
Männchen mit starkgekämmten Fühlern, weist, besonders in seinem
peripheren Teile eine platte, chitinöse Verbreiterung von unregelmässiger
Begrenzung auf.
2. Fühlerlochung, d. h. im Fühler findet sich ein nadelöbr-
artiges, 1 f 2 —IV 2 mm im Lichten messendes ovales Loch, welches durch
Auseinanderweichen der oberen und unteren Fühlerteile zustande kommt:
auch unvollkommene und doppelte Lochbilduug wurde erzielt.
3. Abdominalbuckel, d. h. die seitliche Bauchwand war bei
einem Tier in Form eines halbkugelförmigen, bruchsackähnlichen Knotens
vorgetrieben. Zu einem Austritt von Eingeweiden war es jedoch, wie
Querschnitte zeigten, nicht gekommen.
Die meisten Tiere zeigten nicht nur eine einzige, sondern ver¬
schiedene der beschriebenen Missbildungen. Daher werden die Versuche
nach der quantitativen Seite weiter ausgearbeitet werden, um die Genese
einzelner dieser Missbildungen gesondert zu studieren. Auch Ver¬
erbungsversuche sollen mit derartigen Faltern angestellt werden, obwohl
der Vortragende ein positives Resultat hierbei für unwahrscheinlich hält,
da es sich um rein somatisch erworbene Eigenschaften handelt.
(Autoreferat.)
Diskussion.
Hr. van t’Hoff: 1. Abnorme Entwicklung des ganzen Körpers,
zum Teil nur abhängig von klimatischen Verhältnissen, z. B. gerade
auch bei Pamphilus. Echter Riesenwuchs nur, wenn dieser an derselben
Lokalität wie die normale Art sich findet.
2. Dasselbe gilt zum Teil auch vom Melanismus, nördliche Formen ,
z. B. Endrom. Versicolora, Pieris var. Bryoniae usw.
3. Vollständiges Fehlen eines Flügels kann sehr leicht durch
Trauma der Puppe entstanden sein, so dass der Falter nur mit Zurück¬
lassen eines Flügels der Puppe entschlüpfen konnte.
4. Die Flügeldefekte sind in keinem Falle durch Parasiten zu er¬
klären, da keine existieren (weder in Raupe, noch Puppe), die derartige
Veränderungen hervorrufen könnten (Dipteren, Hymenopteren).
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UNIVERSUM OF IOWA
2Ö. Mai 19i3.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
991
5. Druckwirkung dürfte für einen Teil der Fälle (neben an¬
geborener Keimvariation) sicher maassgebend sein; von grossem Inter¬
esse wäre Fortsetzung der Versuche für die Frage der Vererbung er¬
worbener Eigenschaften.
3. Ludwig Piek:
lieber kongenitalen Riesenwuchs bei Menseh und Sängetier.
Vortr. entwirft auf Grund der in der Literatur niedergelegten und
eigener Beobachtungen ein morphologisches System des kongenitalen
allgemeinen und partiellen Riesenwuchses. Die einzelnen Glieder dieses
Systems stellen zugleich eine Häufigkeitsskala im Vorkommen der ein¬
zelnen Formen dar. Die allgemeinen anatomischen und klinischen Be¬
funde bei den von Riesenwuchs betroffenen Individuen bzw. der von
Riesenwuchs befallenen Teile werden besprochen, ebenso ihre Differential¬
diagnose gegenüber den Zuständen des postfötal entstehenden bzw. in
postlötalen Ursachen sich begründenden Riesenwuchses.
Vortr. demonstriert 1. einen Fall von halbseitigem „gekreuzten“
Riesenwuchs bei einem 10jährigen Mädchen. Bei kongenitaler Hyper¬
trophie eines grossen Teiles der rechten Körperseite war die linke
Mamma in den Riesenwuchs einbezogen. 2. einen Fall von partiellem
„gekreuzten“ Riesenwuchs beim neugeborenen Kalb. Hier unterliegt
die linke Hälfte des Kopfes und der Halswirbelsäule (4.—7. Halswirbel)
dem Riesenwuchs, zugleich auch die rechte Hälfte des fünften Hals¬
wirbels. Fälle von Riesenwuchs beim Säugetier sind bisher überhaupt
nicht berichtet.
Bei demselben Tier fand sich zugleich ein kongenitales haselnuss¬
grosses Fibrom am Aortensegel der Mitralklappe und eine enorme
Bindegewebeproliferation in der Leber unter Zerteilung des Leber¬
parenchyms in kleine und kleinste Lobuli oder vollkommener Aufteilung
der Trabekel in verschieden grosse Bruchstücke. Keine Gallengangs¬
wucherung oder irgendwie als „entzündlich“ aufzufassende Veränderungen.
Auch diese Befunde an der Herzklappe und der Leber sind terato-
1 ogisch, nicht im engeren Sinne pathologisch zu deuten: der Herz¬
klappentumor als lokaler geschwulstartiger Riesenwuchs des Binde¬
gewebes, die Leberfibrose als diffuser geschwulstmässiger Riesenwuchs
des Lebrrbindegewebes. Die beiden an sich sehr eigenartigen Befunde
rücken damit in den Kreis der auch sonst (beim Menschen) den Riesen¬
wuchs häufig komplizierenden Missbildungen und „Tumoren“: der Naevi
vasculosi und pigmentosi, Makroglossie, überzähligen Finger oder Zehen.
Syndaktylie, Lipome, Angiome.
Eben wegen dieser häufigen Kombination mit Missbildungen dürfte
für die spezielle Vorstellung der fötalen Störung beim Riesenwuchs unter
den verschiedenen zahlreichen Theorien die eines „Fehlers der embryo¬
nalen Anlage“ zu bevorzugen sein.
4. Hr. Seitmey:
Zar vergleichenden Pathologie der Nierenentwieklang.
In der Frage nach der Nierenentwicklung stehen sich noch heute
zwei verschiedene Anschauungen gegenüber, die am besten mit den
Schlagworten der Monisten und Dualisten charakterisiert werden. Wie
in allen anderen embryologischen Fällen sind es zwei Momente, die
bei der Schlichtung dieser Streitfrage die Hauptrolle spielen: 1. ver¬
gleichend embryologiscbe Untersuchungen, 2. pathologische Befunde
bei Mensch und Tier in der Nierenentwicklung, die einen Rückschluss
gestatten auf das normale Geschehen, und je häufiger in dieser Richtung
bei Mensch und Tier gleichartig zu deutende Befunde erhoben werden,
desto mehr verstäikt sich die Sicherheit der Theorie.
Die Monisten lassen bekanntlich aus dem WolfPschen Gang nicht
nur den Ureter, das Nierenbecken und die Sammelröhren, sondern auch
die Schaltstücke, die Henle'schen Schleifen, die gewundenen Harn¬
kanälchen und die Glomeruli entstehen; im Gegensatz dazu bildeten
sich nach den Dualisten nur der Ureter, das Nierenbecken und die
Sammelröhren aus dem Urnierengang, während alle anderen Abschnitte
des Kanalsystems der Niere aus dem Blastem hervorgehen, das sich
hutartig über die Sammelröhren stülpt. Die Vereinigung dieser beiden
getrennt angelegten Bestandteile kommt bereits in einer sehr frühen
Zeit des embryonalen Lebens zustande.
Ich gestatte mir Ihnen je eine Beobachtung aus der Pathologie der
Niere des Menschen und des Tieres vorzuführen, die zweifellos beide für
die dualistische Auffassung der Nierenentwicklung sprechen.
Der menschliche Fall stammt aus dem Material des Herrn Prof.
L. Pick. Georg Rosenow berichtete histologisch über ihn vor nicht
langer Zeit in Virchow’s Archiv, Bd. 205. Es handelt sich um ein
totgeborenes männliches Kind, das sehr zahlreiche Missbildungen auf¬
wies, von denen hier aber nur die des Urogenitalsystems interessieren.
Das Rectum endigte nicht nach aussen in einen Anus, sondern mündete
in die strangförmig dünne Harnblase; es bestand also eine Atresia ani
vesicalis. Die Harnblase bildete gegen den Nabel zu einen Zipfel, an
den sich der Urachus anscbliesst. Zu beiden Seiten der Harnblase und
des Rectums lagen die Hoden und darüber kappenartig die Neben¬
hoden, aus denen jederseits ein blind endigendes Vas deferens hervor¬
ging. Die Nebennieren lagen an normaler Stelle und waren kräftig
entwickelt. Die rechte Niere und der rechte Ureter fehlten; an Stelle
der linken Niere fand sich unterhalb der linken Nebenniere ein doppel¬
bohnengrosses, traubenförmiges Gebilde aus dicht gedrängten bis linsen¬
grossen transparenten Cysten.
Bei der mikroskopischen Untersuchung dieses als Niere ange¬
sprochenen Körpers fand man Cysten von verschiedener Grösse, die bald
leer, bald aber mit einer homogenen Masse angefüllt waren; ihre Gestalt
wechselte, sie waren bald ovoid, bald sanduhrförmig. Auch
Glomeruli und Blutgefässe konnten schon bei schwacher Vergrösserung
nachgewiesen werden. Bei starker Vergrösserung fand man die Cysten
mit einem flachen oder cubischen Epithel ausgekleidet. Die
Glomeruli zeigten die verschiedensten Entwicklungsphasen an; an sie
schlossen sich unmittelbar an Tubuli contorti und vereinzelt auch
U-förmig gebogene Henle’sohe Sohleifen. Unabhängig von diesen Be¬
standteilen und von ihnen immer isoliert fanden sich dichotomisch ge¬
teilte Röhrchen, die als Tubuli recti angesprochen werden mussten.
Es fanden sich also vor: 1. Glomeruli und Tubuli contorti und Henle’scbe
Schleifen und 2. Tubuli recti; beides in verschiedener Ausbildung; dar¬
unter auch Cysten, die aus den Tubuli recti hervorgehen.
Die Nierenmissbildung aus der Tierpathologie habe ich selbst vor
einiger Zeit unter dem Namen Hamartoma adenomatodes in Virchow’s
Archiv, Bd. 202, beschrieben. Alle 7 Fälle, die zur Untersuchung
kamen, boten makroskopisch und mikroskopisch die gleichen Verhältnisse
dar und betrafen Pferdenieren. Bei oberflächlicher Betrachtung merkte
man den Nieren nichts Besonderes an. Die Kapsel liess sich leicht ab-
ziehen und nur, wo eben pathologische Veränderungon bestanden, zeigte
sich etwas Adhärenz. Nach Entfernung der Kapsel bemerkt man in
ausgesprochenen Fällen über die Nierenoberfläche stecknadelkopf- bis
markstückgrosse, unregelmässig gestaltete herdförmige Flecken, die bald
über die Oberfläche hervorragen, bald narbenartig in das Parenchym
eingesunken erscheinen, so dass man dann an Infarktnarben denkt.
Jeder Herd besteht, wie man bei näherem Zusehen erkennt, aus einer
grossen Anzahl kleinster Bläschen. Auch auf dem Durchschnitt macht
jeder Herd den Eindruck eines Infarktes, dessen Basis natürlich nach
der Peripherie und dessen Spitze an die Markstrahlen und an die
Pyramiden stösst, und man kann sehr wohl erkennen, dass kleine
Cystosen jeden Herd zusammensetzen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fällt sofort auf, dass in den
helleren blasigen Partien das ganze Rindenparenchym fehlt; nirgends
trifft man in dem Massiv der Herde auch nur eine Spur von Glomeruli
oder Tubuli contorti an. Die Marksubstanz ist dagegen an den ent¬
sprechenden Stellen in gewöhnlicher Ausdehnung und Ausbildung vor¬
handen. An Stelle der fehlenden Glomeruli und Tubuli contorti siebt
man das betreffende RindeDgebiet ersetzt durch eine grosse Anzahl
rundlicher oder meist länglicher ovaler Hohlräume, die mit ihren Längs¬
achsen alle in der Richtung der Marksubstanz eventuell zu dieser kon¬
vergierend angeordnet erscheinen. Die Wand der Hohlräume ist mit
einem flachen einschichtigen Epithel ausgekleidet; die Hohlräume sind
meist erfüllt mit einer bröckeligen oder homogenen Masse; sie sind
untereinander durch lockeres Bindegewebe verbunden, und zuweilen
sieht man, dass die cystischen Räume sich kontinuierlich in die Tubuli
recti fortsetzen.
Wie lassen^ sich die Veränderungen in den beiden Nierenfällen er¬
klären? ln dem menschlichen Falle, wo es sich um ein totgeborenes
Kind bandelt, kann ja nur eine angeborene Missbildung in Frage kommen.
Bei dem Hamartoma adenomatodes der Pferdeniere müsste man
aber auch an die Möglichkeit einer entzündlichen Störung denken. Diese
Auffassung musste man aber fallen lassen, da sich bei der makro- und
mikroskopischen Untersuchung niemals chronische und nur ausnahms¬
weise acute parenchymatöse Entzündungen feststellen Hessen. Man
ist also gezwungen, auch das Hamartoma adenomatodes als eine Miss¬
bildung aufzufassen und die Entwicklungsgeschichte zur Erklärung
heranzuziehen.
Lassen sich nun die beiden Entwicklungsstörungen leichter mit
Hilfe der monistischen oder der dualistischen Auffassung über die Nieren¬
entwicklung erklären? Es ist direkt unmöglich für den menschlichen
Fall, mit Hilfe der monistischen Nierengenese eine Entwicklungsmöglich¬
keit anzunehmen. Denn da die Monisten vom WolfPschen Gang uno
actu das ganze Kanalsystem der Niere sich bilden lassen, so ist es un¬
begreiflich, warum immer gerade nur Glomeruli, Tubuli contorti und
Henle’scbe Schleifen in Verbindung stehen, während isoliert von ihnen
und durch Bindegewebe getrennt die Tubuli recti angeordnet sind. Man
kann sich auch nicht vorstellen, dass die Tubuli recti, die durch das
trennende Bindegewebe gewissemaassen coupiert sind, weiterhin noch
vollkommen geregelte Labyrinthe hätten bilden können.
Dagegen muss man wohl sagen, dass sich das Hamartoma adenoma-
todes nach der monistischen Ansohauung, wenn auch mit einigen
Schwierigkeiten, erklären lässt. Man stellt sich dann vor, dass die
Nierenentwicklung bis zu den Tubuli recti vom Nierengang her durchaus
normal erfolgt ist. dann erst trat die Störung und die cystische Ent¬
artung ein. Kaum zu verstehen bleibt dabei aber die Tatsache, dass
die normal angelegten Tubuli recti ausnahmslos und ganz gleich-
mässig ihr normales Weiterwacbstum aufgeben und nirgends auch nur
eine Spur von erhaltenen Tubuli contorti und Glomeruli zu ent¬
decken ist.
Beide Nierenmissbildungen, sowohl die beim menschlichen Fötus
als auch die in der Pferdeniere, lassen sich aber bequem mit Hilfe des
Dualismus erklären. Der WolfPsche Gang lieferte den Ureterspross
und die Tubuli recti, und über diesen Anlagen entstand gesondert vom
Blastem, das bei dem menschlichen Fötus rechts ganz zugrunde ging,
links an zahlreichen Resten erhalten blieb, die Anlage der Tubuli
recti einerseits und die der Rindenblastemprodukte andererseits kam
aber nicht zur Vereinigung, da sich zwischen beide Bindegewebe
trennend einsohob. Ein Teil der Tubuli recti ist cystisoh entartet.
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992
Berliner klinische Wochenschrift.
Nr. 21.
Genau so leicht lässt sich mit dem Dualismus das Hamartoma
adenomatodes erklären. Alle Teile bis zu den Tubuli recti einschliess¬
lich sind stets abgeschlossen entwickelt, während die Abschnitte, die
aus dem Blastem hervorsprossen sollen, fehleu. Die Tubuli recti sind
dann, da sie in den Markstrahlen den Anschluss nicht erreichten,
cys tisch entartet.
Beide Arten der Nierenmissbildung sowohl beim Menschen als auch
beim Tiere sind also durchaus geeignet, die dualistische Auffassung über
die Nierenentwicklung zu stützen. Die vergleichende Pathologie wird
hier nicht zu einem unerheblichen Faktor in der Entscheidung der
Frage der Nierengenese.
5. Hr. Fiskus berichtet über die von ihm vor Jahren beschriebenen
Sinnesorgane neben den Haaren der Menschen und einer grossen Zahl
von Säugetieren, welche er mit dem Namen Haarscheibe belegt hat.
Sie liegen in dem Winkel, der vom Haarfollikel und dem M. arrector
pili gebildet wird, und stellen sich als mehr oder minder grosse, aber
in jedem Fall mit dem blossen Auge erkennbare kleine Knötchen dar.
Genaue vergleichend-anatomische Untersuchungen ergeben eine prinzipielle
Uebereinstimmung im Bau mit den Tastflecken der Reptilien, und
ihre Anordnung auf den Reptilienschuppen deutet darauf hin, dass man
aus der Beachtung dieser Haarscheiben der Entstehungsweise des Säuge¬
tierhaares näherkommen könnte, da dieses- näher dem Vorderrande als
die Haarscheibe auf den Schuppen lokalisiert sein muss. Es wäre von
der grössten Wichtigkeit, bei den Vögeln das Analogon des Tastfleckes
nachzuweisen, da diese stammesgeschichtlich den modernen Reptilien
viel näher stehen als die vermutlich schon aus stegocephalenähnliehen
Reptilien abgezweigten Säuger (Maurer). Da die Feder mit viel
grösserer Wahrscheinlichkeit aus der Reptilienschuppe abgeleitet werden
kann als unser Haar, wäre diese Feststellung analoger Gebilde bei den
Vögeln von allererster Bedeutung.
Gynäkologische Gesellschaft zn Berlin.
Sitzung vom 25. April 1913.
Der Vorsitzende Herr Bumm teilt mit, dass die nächste und über¬
nächste Sitzung ausfällt, weil an den betreffenden Tagen das Stiftungs¬
fest und der Kongress in Halle stattfinden. Für das Stiftungsfest wird
eine Kommission ernannt. Es folgen Demonstrationen:
1. Hr. Voigts zeigt ein Kind mit Cephalhämatom, dessen Sitz am
Hinterhaupt ein ungewöhnlicher ist. Nach Anwendung von Umschlägen
erfolgte spontan Durchbruch, wodurch aber das Allgemeinbefinden nicht
gestört wurde. Merkwürdig ist, dass in diesem Falle ein Hämatom sich
bildete, obwohl Beckenendlage vorlag, man muss als Grund also das
forcierte Durchziehen des Schädels ansehen.
2. Hr. Schäfer spricht znr Technik der Abderhalden’schen
Reaktion. Dieselbe wird beschrieben und vorgeführt. Als Indikator
wird in Höchst hergestelltes Pepton benutzt. Es wird das Polarisations¬
und das Dialysierverfahren besprochen. Das ganze Verfahren ist so um¬
ständlich und kostspielig, dass es vorläufig nicht Allgemeingut werden
kann. Die Reaktion schwindet 8—14 Tage nach Ausstossung der
Placenta.
Diskussion.
Hr. Freund bemerkt, dass anfänglich die Methode nur bis zum
4. Monat anzuwenden war. Später wurde festgestellt, dass bei der ver¬
besserten Methode in jedem Monat Abbau stattfände. Man darf niemals
nur ein Pepton anwenden, sondern muss solches von verschiedener Her¬
kunft nehmen, ferner muss man nicht 24, sondern 48 Stunden ablesen.
Beim Dialysierverfahren ist zu bemerken, dass es einwandfreie Hülsen
nicht gibt, und dass mindestens immer 4 angesetzt werden müssen zum
Zweck des Vergleichs.
Hr. Heinsius bat einige Male auch bei eitrigen Adneztumoren
positive Resultate erhalten, ferner auch bei einer 56jährigen Frau, bei
der er die Amputation der Portio ausführte. Das Verfahren ist vor¬
läufig praktisch unverwendbar.
Hr. Schäfer bestreitet die Angaben von Freund.
3. Hr. Strasomann demonstriert a) einen grossen verkalkten Uteros-
tnnor, der einer 63 jährigen Frau entfernt ist. Derselbe bestand, nach-
gewiesenermaassen schon 25 Jahre. Patientin kam zur Operation, weil
sie bemerkte, dass Gasblasen aus der Scheide abgingen, und ein sehr
übler Geruch sich dabei entwickelte. Bei der in typischer Weise vor¬
genommenen Amputation zeigte sich, dass ein verkalktes, im Innern
carcinomatös degeneriertes Myom vorliegt. Trotz des Befundes glatter
Verlauf.
b) Er bat bei einer 37 jährigen Patientin vaginal eine Tnbar-
gravidität operiert. Dabei wurde konstatiert, dass die Adnexe der
anderen Seite fehlten. Er schliesst daran die Mahnung, dass man doch
stets ein Ovarium erhalten sollte.
c) Er demonstriert eine 2—3 Monate alte Doppelnissbildaag.
Interessant ist, dass kurz zuvor bei der Patientin ein Scheidenseptum
entfernt war. Alle Verdoppelungen disponieren aber zu Zwillings-
bildungen.
d) Demonstration einer Zwillingsplaeenta, aus deren Gestaltung
hervorgeht, dass es sich um monamniotische Zwillinge gehandelt hat,
was trotz der Häufigkeit der Zwillinge selten ist.
Hr. Bumm:
Ueber Uretemnterbindnng als Therapie bei hoehsitiendea Ureter-
verletzaageii.
Jede Ureterverletzung, ob absichtlich oder nicht, ist stets eine
schwere Komplikation. Wenn die Verletzung nahe der Blase zustande
kommt, macht man natürlich am besten die Einpflanzung. Eine Ein¬
heilung erfolgt fast stets. Ueber diese Fälle will er sich nicht ver¬
breiten, sondern nur über die, in welchen eine Implantation unmöglich
ist, ebenso auch eine Vereinigung. Besonders oft ereignet es sich bei
der Operation des Carcinoms, es kommt aber auch bei Myomoperationen
vor. Oft handelt es sich um das Herausschneiden von einzelnen Stücken,
dann ist das Nähen wie das Einnähen sehr schwer. Es bleibt das
Herausnehmen der ganzen Niere sofort, ferner die Einnähung in den Darm,
die man aufgegeben hat, die Einpflanzung des einen Ureters in den
anderen, was gänzlich zu verwerfen ist, da dann auch der noch intakte
Ureter in Gefahr gebracht wird. Endlich ist noch die Einpflanzung in
eine Tube zu erwähnen, was ebenfalls schlechte Resultate gibt. Er
empfiehlt daher die einfache Unterbindung des Ureters, die er viermal
ausgeführt hat. Jedesmal ist es reaktionslos verlaufen, nur ein Fall
ging später infolge Verjauchung schlecht aus, was aber der Ureterver¬
letzung nicht zur Last zu legen ist. Die Fälle werden kurz beschrieben.
Will man die Niere gleich ganz ezstirpieren, so ist zu bedenken, dass
man immerhin dann noch eine neue grosse Operation zu machen hat.
Ein Durchschneiden der Ligatur ist nicht zu fürchten, die Niere atrophiert
merkwürdigerweise schnell, innerhalb 2 Tagen, so dass er eine Hydro-
nephrose nicht gesehen bat.
Diskussion.
Hr. Jolly weist darauf hin, dass es sehr leicht gelingt, die Niere
retroperitoneal zu ezstirpieren.
Hr. Mackenrodt schlägt vor, da man nie wissen kann, ob die
andere Niere gesund ist, den Ureter nach der Haut durchzuführen und
erst nachträglich die Niere atrophieren zu lassen.
Hr. Schäffer schliesst sich Bumm an, hat auch reaktionslose
Heilung nach Unterbindung gesehen.
Desgleichen Hr. Koblank, der noch darauf hinweist, dass man
recht hochsitzende Verletzungen noch mit Erfolg nähen kann.
An der weiteren Diskussion beteiligten sich Herr Gerstenberg,
der sich Bumm anschliesst, und bei einer absichtlichen Durchschneidung
von der Unterbindung reaktionslose Heilung gesehen bat, Herr Knorr,
der die Methode Mackenrodt mit der Bumm’s kombinieren will, Herr
Fromme, der ebenfalls reaktionslose Heilung sab, Herr Freund, der
aufs neue die bisher nur an Tieren ausgeführte Einnähung in eine Tube
empfiehlt, und Herr Franz, der erst festgestellt wissen will, ob die
andere Niere gesund ist, der ebenfalls auch ganz hochsitzende Ver¬
letzungen für reparierbar hält, der einmal den Wurmfortsatz zu dem
Zweck mit Erfolg benutzt hat, wobei allerdings eine Blasenureterfistel
zurückblieb, und im übrigen für Mackenrodt’s Vorschlag sich aus¬
spricht.
Hr. Bumm betont im Schlusswort, dass er nur von der Unter¬
bindung als Notoperation gesprochen habe und nicht von all den
Methoden, die etwa bei irgendeiner Verletzung zu versuchen seieD.
Für ihn handele es sich eben nur um die Fälle, bei denen eben eine
Restitutio nicht möglich sei, und da sei es eben zu bemerken, dass die
Unterbindung reaktionslos verläuft und deshalb das Schonendste sei.
Siefart.
Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für rater-
ländische Kultur zu Breslau.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 25. April 1913.
Vorsitzender: Herr Rosenfeld.
Schriftführer: Herr Rohm an n.
Hr. Langenbeek:
Die akustisch-chromatischen Synopsien (farbige Gehörsempfindnugen).
Führt die Reizung eines Sinnesorgans neben der hierdurch ausge-
löstcn Sinneswahrnehmung gleichzeitig zu einer zweiten, im Bereich eines
anderen, primär gar nicht gereizten Sinnesgebietes gelegenen Miteropfin-
dung, so wird dieser Vorgang allgemein als sekundäre Empfindung oder
Synästhesie, und, sofern er visueller Art ist, als Synopsie bezeichnet.
Am auffallendsten sind die durch Gehörseindrücke hervorgerufenen
Farbenempfindungen: Klangphotismen oder audition coloree, Farbighören
oder akustisch-chromatische Synopsien genannt.
Von einer Reihe bekannter Musiker und Schriftsteller (Liszt,
Wagner, Schumann, Meyerbeer, Raff, v. Bülow, Tieck, Mo-
rike, Hoffmann, Heine, Gerstäcker, Ganghofer u. a.) wird an¬
gegeben, dass sie teils musikalische Eindrücke, teils Geräusche ver¬
schiedener Art mit Farbenempfindungen verbanden. In der wissenschaft¬
lichen Literatur sind seit Nussbaumer (1873) durch Bleuler und
Lehmann, Flournoy, Hennig, Hilpert, Kaiser, Maierhausen,
Stelzner, Thorp, Wallaschek u. a. zahlreiche einwandfreie Beob¬
achtungen derartiger Synopsien niedergelegt.
Der Vortragende kann durch Selbstbeobachtung zur Kenntnis der
Farbenempfindungen für Vokale und Zahlen beitragen. Jeder Vokal und
jede Zahl wird durch eine bestimmte z. T. kombinierte Farbennüance
repräsentiert, wodurch jede Silbe nach dem Wortklang einen charakte-
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26. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
998
ristischen farbigen Abglanz erhält; ebenso jede Zahl, deren Farben jedoch
unabhängig von denen für Vokale sind.
Zur Erklärung sind zahlreiche Theorien versucht worden. Man nahm
an, dass gewisse Schalleindrücke den Sehnerven in Mitschwingung ver¬
setzen oder dass einzelne Fasern des Aousticus sich in die Sehbabn ver¬
irren könnten; ferner dass bei nebeneinander verlaufenden Sinnesnerven¬
bahnen ein Reiz von der einen zur anderen übergehen, oder dass durch
Assoziationsfasern oder auch durch vasomotorische Einflüsse die Erregung
von einem auf ein anderes Centrum übertragen werden könne. Ferner
wurde an die Möglichkeit einer direkten Umsetzung von Tonwellen in
Lichtwellen gedacht und schliesslich auch an Darwinsche Prinzipien,
nach denen es sich um Reste der Doppelleistungen des früheren Gesamt¬
sinnesorgans bandeln sollte.
Der Vortragende lehnt diese Theorien, insbesondere auoh jede patho¬
logische Deutung der Erscheinungen als unwahrscheinlich und unbewiesen
ab und vertritt eine psychologische Erklärung der synoptischen
Phänomene, die durch Assoziationen der verschiedensten Art bedingt
sein können, z. B. a = schwarz, e = gelb, bedingt durch das Vorkommen
des Vokals in der betr. Farbenbezeicbnung. Häufiger als diese habi¬
tuellen sind zufällige Assoziationen, z. B. eu = grau, bedingt durch den
Eindruck, den die Eule in Bilderbuch oder Fibel erweckt. Aehnlich ist
die Deutung in allen Fällen, in denen Vokale, Zahlen, Wochentage,
Eigennamen, Monate, Geräusche usw. farbig empfunden werden.
Für die durch musikalische Klangwirkung hervorgerufenen Farben¬
empfindungen wird diese psychologische Erklärung jedoch von fast allen
Autoren abgelebnt. Der Vortr. findet in den in der Literatur mitge¬
teilten Fällen dieser Art jedoch gleichfalls zahlreiche Anhaltspunkte für
einen assoziativen Zusammenhang, z. B. Blechmusik als gelb, Violine als
violett, bedingt durch den Gleichklang der Vokale; oder Flöte als blau,
bedingt durch die Vorstellung Flötenspiel der Birten in blauer Ferne;
oder C dnr als weiss, bedingt durch die Tastatur des Klaviers, oder F-dur
als grün, bedingt durch die Vorstellung des ländlichen Grüns (Pastorale
F-dur von Beethoven) u. a. m. Werden die einzelnen Töne der Ton¬
leiter als farbig empfunden, so ist anzunebmen, dass absolutes Gehör
vorbegt.
Es liegt somit kein Grund vor, an dem bisher geübten Dualismus
der Erklärungen in physiologisch und psychologisch bedingten Synopsien
festzuhalten, es lässt sich vielmehr eine einheitliche Erklärung in dem
Satze zusammen fassen: Zufällige, meist in der Jugend entstandene Asso¬
ziationen, deren Ursprung durch die zahllosen wechselnden Eindrücke
des Lebens bald verwischt und später meist völlig vergessen wird, bilden
die Grundlage der synoptischen Erscheinungen.
Diskussion.
Hr. Hürthle wendet sich gegen die Ansicht des Vorsitzenden, dass
es sich bei den „akustisch-chromatischen Synopsien® um physiologi¬
sche Vorgänge handle. Die physiologischen Assoziationen bilden sich
in der Weise aus und sind dadurch charakterisiert, dass durch ein Ob¬
jekt oder einen Vorgang eine Anzahl verschiedener Sinnesorgane affiziert
wird, dass sich zwischen diesen Sinneserregungen Assoziationen ausbilden
und damit zur Bildung des Begriffes führen, welcher die sämtlichen
durch unsere Sinne wahrnehmbaren Eigenschaften des Objektes oder Vor¬
ganges umfasst. Diese Begriffsbildung ist für alle Individuen überein¬
stimmend. Bei den farbigen Synopsien handelt es sich dagegen um
Assoziationen, welche nicht duroh verschiedene Wirkungen des Objektes
auf verschiedene Sinnesorgane hervorgerufen werden und bei verschie¬
denen Personen nicht in derselben Weise. Wenn z. B., wie es von
einem der Anwesenden angegeben wird, mit den verschiedenen Wochen¬
tagen verschiedene, bestimmte Farben Vorstellungen verbunden sind, so
sind eben diese Farben weder objektive Eigenschaften der Wochentage,
die ja abstrakter sind, noch bei allen Personen in gleicher Weise auf¬
tretende Vorstellungen. Es handelt sich also bei den farbigen Synopsien
nicht um gesetzmässige, sondern um zufällige, rein subjektive Vorgänge
im Nervensystem. Sie können als Beweis dafür angesehen werden, dass
beim jugendlichen Individuum Assoziationen zwischen allen möglichen
Sinneserregungen Vorkommen, dass aber nur ein Teil derselben durch
Bahnung auf Grund gesetzmässiger Wiederholung der Erregungen zu
physiologischen Assoziationen wird.
Hr. Traugott hält ebenso wie Herr Langenbeck die Theorie von
der assoziativen Entstehung der Synopsien für zutreffend, meint aber
aus dem Umstande, dass die Synopsien — wenigstens wenn man die
sehr zahlreichen Fälle ausschalte, die offenbar nur eine Folge von Sug¬
gestionen und Autosuggestionen seien — doch im ganzen recht selten
sich finden, eine Lücke in dieser Theorie herleiten zu müssen: denn
wenn wirklich die Assoziationen die Grundlage der Synopsien sind, so
müssten doch eigentlich die letzteren ganz allgemein, nioht aber so
selten sich finden. Redner glaubt, dass es vielleicht angehe, diese
Lücke auszufüllen, wenn man von der Erwägung ausgehe, dass
die Menschen in bezug auf ihrp-Denktätigkeit und ihr Empfindungsleben
sich in zwei Kategorien scheiden: in auditiv und in visuell veran¬
lagte. Bei den letzteren — insbesondere bei Künstlern, Technikern —
bei denen alles Gedachte und Empfundene die Neigung habe, sich in
plastische Ansohauung umzusetzen, dürfte sich vornehmlich die Fähigkeit
bzw. Eigentümlichkeit finden, auch Töne in der Form visueller Empfin¬
dung zu perzipieren.
Hr. Ephraim: Dass gelegentlich erworbene Assoziationen den hier
besprochenen Phänomenen in der Hauptsache zugrunde liegen, wie der
Herr Vortragende ausgeführt bat, kann wohl kaum einem Zweifel unter¬
liegen. Iodes sind wohl diese Assoziationen schon von vornherein in
gewissem Sinne eingeschränkt Wir spreohen ja alle von dunklen und
hellen Vokalen, von grellen und zarten Farben, ebenso wie von grellen
und zarten Tönen. Und wir werden bei einer grellen Tonempfindung
kaum jemals die Vorstellung einer zarten Farbe und vice versa haben,
loh möchte daher glauben, dass bei den Synopsien das dynamische
Moment eine gewisse, wenn vielleicht auoh nur nebensächliche Rolle
spielt.
Hr. Koenigsfeld teilt mit, dass er bei den Namen der Wochen¬
tage ausgesprochene Farbenempfindungen hat, die in den letzten Jahren
etwas abgeblasst sind.
Aerztllcher Verein zu Hamburg.
(Biologische Abteilung.)
Sitzung vom 29. April 1913.
1. Diskussion zum Vortrag der Herren Kimmerle und Sehnmm:
Ueber Benee-Jones’sche Albuminirie.
Hr. Oehlecker berichtet über eine 24 jährige Patientin, bei der in
dreimonatiger Beobachtung niemals der Benoe-Jones’scbe Körper nach¬
weisbar war. Die trotzdem auf Grund der Röntgenbilder auf „multiple
Myelome“ gestellte Diagnose wurde duroh die Obduktion bestätigt.
Demonstration der Röntgenbilder.
Hr. Fraenkel demonstriert die Knochen des von Herrn Oehlecker
erwähnten Falles. Differentialdiagnostisoh führt die Symmetrie der Herde
nicht weiter, da auch z. B. Ca-Metastasen häufig symmetrisch im
Knochensystem auftreten, Spontanfrakturen sind im allgemeinen selten
bei Myelomen; wo sie Vorkommen, können sie mit guter Konsolidation
heilen. In dem besprochenen Fall fand sich auch in den Nieren eine
diffuse Infiltration, namentlich an der Basis der Markkegel (ebenfalls be¬
stehend aus Myelooyten), übrigens ein Beweis, dass Nierenschädigung nicht
für das Auftreten des Bence-Jones’schen Körpers (der hier ja gerade
fehlte) verantwortlich ist.
Hr. Allert berichtet über einen Fall von Oesophaguscarcinom
mit Peritonealmetastasen, der dauernd den Bence-Jones’schen Körper
ausschied. Bei der Sektion erwies sich das Knochensystem als
völlig intakt. Einwandfreie Fälle der Art sind bisher noch sehr selten.
Hr. Fraenkel, Herr Allert, Herr Schümm (Schlusswort).
2. Hr. Hirschsteiu: Ueber Nahnmsrsballast.
Vortr. hat bei fünf Nervösen und drei Nichtnervösen feinem Gesunden)
Stoffwecbseluntersuchungen gemacht, die erstens K, Na, CI, zweitens P
und Ca, drittens S und N betrafen. Stoffwechselgleicbgewicht bestand
in keinem Fall, ebensowenig einheitliche positive Bilanz (Retention) oder
negative (Ausschwemmung); vielmehr stets Mischformen. In allen
Fällen — sowohl bei positiver wie bei negativer Bilanz — wird CI in
höherem Grade ausgeschieden als Na, P in höherem als Ca, N in
höherem als S. Hirsch stein hat die verschiedenen Eiweisskörper unter¬
sucht und das Verhältnis S zu N in ihnen sehr variabel gefunden. Bei
Verabreichung sehr N-reicher Eiweissstoffe (Rindfleisch usw.) wird N
retiniert, sonst ausgeschieden. Hirschstein recurriert dann auf Abder¬
halden’s Lehre von der Zerlegung der Nährstoffe in die einzelnen in¬
differenten Bausteine und setzt auseinander, dass jede Nahrung nötige
und überflüssige Bausteine enthalte. CI, P, N werden in Mengen zu¬
geführt, die das Notwendige überschreiten, sie sind Nahrungsballast.
Nun hat der Körper die Fähigkeit zur Speicheruug; aber nicht in un¬
beschränktem Maasse: dem Retentionszustand muss ein Ausschwemmungs¬
zustand folgen, was physiologischerweise in der Ruhe durch Erleichte¬
rung der Nierenarbeit erfolgt. Aber auch diese Regulation kann
schliesslich versagen; es kommt dann zu Hemmung der Ausscheidung,
die verschiedene Kranheitszustände im Gefolge haben kann. Es ist
daher nötig, die Toleranzgrenze für die einzelnen. Stoffe zu ermitteln,
der bei Nervösen besonders tiefliegt, und dann solche Nahrung zu ver¬
abreichen, die in dem speziellen Fall noch Ausscheidung ermöglicht,
ohne dass doch Armut an den betreffenden Stoffen entsteht.
Diskussion: HHr. Schümm, Hess, Hirschstein (Schluss).
Hr. Paulsen demonstriert „Protozoen“ bei Manl- and Klauen¬
seuche (Kulturen und mikroskopische Präparate). Die früher von ihm
gezeigten Kulturen haben sich als Mischkulturen erwiesen. Sie be¬
standen aus Rhizopoden und Nematoden. Während erstere be¬
deutungslos sind, sioh vielfach auf Schleimhäuten, aber auch z. B. bei
Pflanzenkrankheiten finden, scheinen die letzteren doch zu dem Krank¬
heitsprozess in Beziehung zu stehen. Eine sichere Klassifikation ist nooh
nicht gelungen.
HHr. Trautmann und Gaethgens:
Einige schwebende Fragoa der bakteriologischen Diphtheriediagnose.
1. Herr Tr. bespricht zunächst die Notwendigkeit, die Diphtherie¬
kulturen zweimal, nach 24 und nach 48 Stunden, zu untersuchen. Die
erst nach 2 mal 24 Stunden gewachsenen Keime stammten zum grösseren
Teil von Kranken, nur zum Geringeren von Keimträgern. In 75pCt.
der Fälle erwiesen sie sich als tierpathogen. 2. Die Benutzung der
Tellurplatte zur Züohtung der Diphtheriebacillen hat sioh praktisch
nioht bewährt. Einerseits zeigen die Diphtheriekulturen alle Nuancen
von grau bis schwarz, andererseits sind „Verunreinigungen“ bisweilen
auch schwarz gefärbt. 3. Im Harn von Diphtheriekranken wurden bei
50pCt. Diphtheriebacillen nachgewiesen; von 10 Gesunden hatten 5
diphtheroide Stäbchen im Urin; einer absolut typische Diphtheriebacillen.
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Dieselben waren tierpathogeu. Eine Erklärung dieser epidemiologisch
sehr interessanten Tatsache ist schwer zu geben. 4. Es wird über
folgenden Fall berichtet: Ein Mädchen erkrankt an leichter Diphtherie.
Im Rachen- und Nasenabstrich werden vorzugsweise Pseudodiphtherie¬
bacillen, daneben einzelne echte Diphtheriebacillen nacbgewiesen. Acht
Tage nach der Heilung wieder fieberhafte Erkrankung. Im Abstrich jetzt
nur Pseudodiphtheriebacillen. Die Kultur wird weiter gezüchtet: in
der zehnten Generation finden sich in ihr zahlreiche echte Diphtherie¬
stäbchen. Tierversuche mit kleineren Dosen verliefen negativ. Bei In¬
jektion von drei Serumkulturen erkrankte das Meerschweinchen.
Tötung. Bei der Obduktion fand sich ein sulziges Oedem, leichte
Nebennierenschwellung, kein pleuritisches Exudat. Aus der Impfstelle
wurden Kulturen gewonnen, die in der sechsten Generation den Diph¬
theriebacillen viel näherstanden als das Ausgangsmaterial; aus der
Gallenblase ging eine siohere Diphtheriekultur auf. Tr. und G. sind
der Ansicht, dass die Pseudodiphtheriebacillen degenerierte Formen
echter Dipbtheriebacillen sind und dass der besprochene Fall die Mög¬
lichkeit einer Regeneration vor Augen führt. Denjenigen, die dem
Gedanken einer Variabilität der Bakterien näher stehen, wird diese An¬
schauung nichts Widersinniges bedeuten.
Aerztlicher Verein zu Essen-Ruhr.
(Wissenschaftliche Abteilung.)
Sitzung vom 16. Januar 1913.
Vorsitzender: Herr Morian.
Schriftführer: Herr Schüler.
1. Hr. Prais stellt einen Fall von Addison’scher Krankheit vor.
Er betrifft einen 88jährigen Asphaltarbeiter, der sich seit ungefähr einem
Jahre matt und müde fühlt, sodass er seit acht Monaten arbeitsunfähig
ist. Seit einem halben Jahre bemerkte er, dass seine Haut schmutzig-
braun wurde.
Die ganze Körperhaut ist braun verfärbt. In den Leistenbeugen
und Achselhöhlen ist die Pigmentierung stärker ausgesprochen. Auch
auf der Wangenschleimhaut finden sich braune Flecken.
Der Blutdruck betrug bei der Aufnahme nur 50 mm Quecksilber
(Riva-Rocci) und stieg nach länger fortgesetzter Suprarenindarreichung
auf 90 mm. Der Hämoglobingebalt betrug 15pCt., die Zahl der roten
Blutkörperchen 750000. Die Pirquet’sche und Wassermann’sche Re¬
aktion waren negativ, der übrige Organbefund bot nichts Abweichendes.
(Autoreferat.)
2. Hr. Balewski berichtet über einen Fall von Stomatitis ulcerosa
bei einem 31jährigen Manne. (Mit Krankendemonstration.)
Als Kind litt er an hartnäckigem Gesichtsekzem. Eine luetische In¬
fektion hat er nicht überstanden. Seit Mitte 1912 stellten sich
brennende Schmerzen im Munde und Rachen ein, deretwegen er zum
Arzt ging. Da eine Besserang nicht eintrat, kam er am 10. XII. 1912
ins Krankenhaus.
Die Mund-, Rachen- und Gaumenschleimbaut war fiächenhaft ero¬
diert, die Lippen waren bis zur Schleimhautgrenze mit kleinen Bläschen
mit eitrigem Inhalt bedeckt. Die übrigen Organe boten keinen Krank¬
heitsbefund. Seit Anfang Januar 1913 zeigten sich in den Achsel¬
höhlen, Leistenbeugen und an den Genitalien, besonders dem Scrotum,
pfenniggrosse Blasen mit wässrigem Inhalt, der bald eitrig wurde. Um
den Anus herum bildeten sich kondylomäbnliche Gebilde. Trotz nega¬
tiver Wassermann’scher Reaktion wird eine antiluetische Kur eingeleitet,
aber erfolglos. In den letzten Tagen sind grössere Blasen auf dem
Rücken entstanden. (Autoreferat.)
3. Hr. Pfeiffer:
Neueres zur Diagnose und Therapie des Scharlach.
Vortr. bespricht und demonstriert in aller Kürze die Ehrlich’scbe
Amid oben za ldehydreaktion, die ein wertvolles Hilfsmittel bei der
Diagnose des Scharlach darstellt. Er zeigt dann Blutpräparate von
frischen Scharlachfällen, welche die von Döhle beschriebenen Leuko-
cyteneinschlüsse aufweisen. Als Prophylakticum bei Scharlach er¬
wähnt er das Scarlatin Marpmann.
Das eigene Material der mit Neosalvarsan behandelten Scharlach¬
fälle ist noch zu gering, um daraus Schlüsse ziehen zu können, doch
soll mit den Versuchen fortgefahren werden.
Vor dem Vortrag gelangte ein 24jähriger Arbeiter zur kurzen Vor¬
stellung, der eigentümliche hysterische Symptome zeigte, nämlich
beim tiefen Atmen auftretende sprungartige, hüpfende Bewegungen.
(Autoreferat.)
4. Hr. Hessberg demonstriert a) Zwei Fälle von Ptosisoperation
nach Hess.
b) Kontosionsverletiaig des linken Auges bei einem 12jährigen
Knaben durch eine aus einer Luftpistole geschossene Bleikugel. Ausser
einem Haemophtbalmus internus war eine Iridodialyse nach unten und
eine Cataracta polaris posterior entstanden.
c) Gumma des Oberlides bei 45jähriger Frau.
d) Schwere Keratitis parencbymatosa mit starker Beteiligung des
gesunden Uvealtractus bei einer 38jährigen Frau. Wassermann stark
positiv. Besserung unter energischer Hg-Kur. Es wurden auch lokale
Instillationen von Neosalvarsan in 2 proz. Lösung nach dem Vorgang
von Rosenmey er - Frankfurt a. M. vorgenommen. Ueber den Effekt
lässt sich nach diesem einen Fall noch nichts sagen.
e) Typische Siderosis bulbi mit Cataracta matureseens. Ver¬
letzung nicht mit Sicherheit festzustellen, aber bei dem auch in der Huf¬
schmiede oft tätigen Landwirt wohl möglich. Feine lineare Narbe in
der Hornhaut, mit ihr korrespondierend ein kleines Irislöchelchen. Deut¬
licher Ausschlag am Sideroskop am unteren Hornhautrand — direkt
unterhalb der fraglichen Einschlagstellen. Dem zur Beobachtung und
Diagnose eingewiesenen Patienten wird die dringend notwendige Ex¬
traktion des Splitters vorgeschlagen. (Autoreferat.)
5. Hr. Hohn: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
a) Ein Fall von Peritonitis bei einer 75jährigen Frau, hervorgerufen
durch perforierte Geschwüre in einer Dünndarmschlinge des kleinen
Beckens. Veranlasst waren diese Geschwüre durch einen hühnereigrossen
Gallenstein. Der Stein war durch Perforation aus der Gallenblase in
in das Duodenum in den Darm gelangt, wie noch bei der Sektion nach¬
weisbar war.
b) Akute Leberatrophie. Leber hat ein Gewicht von 810 g und
zeigt das Bild der roton Atrophie. Sie stammt von einem 22 jährigen
kräftigen Mann, der kurz vorher vom Militär entlassen war und seit
14 Tagen an Gelbsucht litt. Bei der Aufnahme war der Patient bereits
benommen, es traten Krämpfe auf und in derselben Nacht erfolgte
der Exitus. • Kurze Besprechung der Aetiologie der akuten Leber¬
atrophie.
c) Syphilitische Erkrankung der Aorta. Rückblick auf die Ent¬
wicklung der Lehre von der luetischen Aortitis. Demonstration von
zwei Präparaten: 1. Aorteninsuffizienz bei einer 43jährigen Frau mit
positivem Wassermann. Typische luetische Aortitis. 2. Aortitis luetica
bei einem 62jährigen Mann mit positivem Wassermann in Verbindung
mit einfach arteriosklerotischen Veränderungen. Die mikroskopische
Untersuchung ergibt Lues (Gummata der Media).
d) Einschlüsse bei Scharlach. Es werden zunächst die experimen¬
tellen Arbeiten über die Aetiologie des Scharlachs aus den letzten Jahren
besprochen und die hierbei beobachteten Einschlüsse. Eino Nachprüfung
der Frage betreffs der von Döhle zuerst beschriebenen Einschlüsse in
den weissen Blutzellen ergab, dass sie in allen Fällen von Scharlach
nachweisbar sind. Dann aber auch bei anderen fieberhaften Erkran¬
kungen, was ihren diagnostischen Wert beeinträchtigt. Mit dem Erreger
des Scharlachs haben sie nichts zu tun. Es ist nicht gelungen, diese
Einschlüsse bei Tieren experimentell zu erzeugen. Der negative Befund
spricht bei Exanthemen gegen Scharlach. Der positive Befund in Ver¬
bindung mit der von Umber angegebenen Urinreaktion ist für Schar¬
lach zu verwerten. (Autoreferat.)
6. Hr. Glimmert: Ueber Pitaglandol in der Geburtshilfe.
7. Hr. Baamann: Klinische Demonstrationen.
a) 36jähriger Lehrer; seit zwei Jahren, ganz langsam entstehend,
ein Gefühl der Schwäche im linken Bein; beim Gehen schleift er das
linke Bein mit den Fussspitzen am Boden nach. Sonst keinerlei Be¬
schwerden. Objektiv leichte Spasmen in beiden Beinen, gesteigerte
Patellar- und Acbillessehnenreflexe, Knie- und Fussklonus 1. > r., beider¬
seits Babinski +, Oppenheim —. Bauchdeckenreflexe nicht auslösbar.
Von seiten der Hirnnerven keinerlei krankhafte Erscheinungen. Es
handelt sich natürlich um eine Erkrankung der spinalen Pyramiden¬
bahnen. Zurzeit besteht das Bild der typischen beginnenden Erb’schen
spastischen Spinalparalyse. Die weitere Entwicklung muss zeigen, ob
der vorliegende Symptomenkomplex nicht etwa den Beginn einer mul¬
tiplen Sklerose darstellt, wonach das Fehlen der Bauchdeckenreflexe ein
gewisser Hinweis ist.
b) Bei einem Paralytiker häuften sich die Anfälle derart, dass
durchaus das Bild eines Status epilepticms sich zeigte. Patient bekam
25 bis 30 typisch eleptische Anfälle täglich, war in der Zwischenzeit
unbesinnlich, Temperatur 39,5, mit starkem Schweiss. Als vorzügliches
Mittel gegen den epileptischen Status erwies sich Amylenhydrat per
clysma. Schüler.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
Sitzung vom 27. März 1913.
Hr. J. Krans: Die Pathologie nd Therapie der Conjunctivitis.
Aus dem referierenden Vortrage sei nur erwähnt, dass K. Sophol
(Bayer) in lOpCt. und 5pCt. auch heute noch anwendet und mit den
Resultaten zufrieden ist, doch vermag es das Argent. nitric. nicht völlig
zu ersetzen in den Fällen, wo eine starke papilläre Wucherung der
Gonjunctiva Aetzwirkung erwünscht erscheinen lässt. Da Sophol so gut
wie nicht reizt, wendet er es bei der Blennorrhoea neonatorum gonorrhoica
von Anfang an an uad streicht gleichzeitig Blenno-Lenicetsalbe ein, erst
wenn die Lider abgeschwollen, träufelt er Argent. nitric. ein, besonders
bei stark hahnenkammähnlicher Hypertrophie der Uebergangsfalte. Selbst¬
verständlich ist bezüglich Reinigung, Ausspülung das Vorgehen das
Allgemeinübliche. . Eisumschläge werden nicht, in Anwendung gebracht.
Von neueren Mitteln war K. mit dem von v. Ammon empfohlenen
Unguent. hydrargyr. jodat. flav. bei den scrofulösen Conjunctivitisformen
sehr zufrieden, es empfiehlt sich die Anwendung dieser Salbe besonders
in den Fällen, die nicht durch eine schleimig-eitrige Absondening kom¬
pliziert sind. In solchen Fällen wendet K. mit gutem Erfolg Xeroform-
Vaseline 5 proz. an, die sich ihm auch sehr gut bewährte bei chronischer
Blepharitis und Blepharoconjunctivitis. Trachom ist in Nürnberg
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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äussersjt selten, doch hatte K. Gelegenheit, sich von der günstigen Wirkung
der von Grün ert eingeiübrten Terminolsalbe und TerminolVaseline bei
follikulärer Conjunctivitis zu überzeugen. Kraus.
K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
Sitzung vom 25. April 1913.
(Eigener Bericht.)
Hr. Benedikt stellt eine Frau mit einer Kernläsion des Aensticns
und des Vestibnlaris vor.
Patientin hat in der Jugend spinale Kinderlähmung durchgemacht,
von welcher noch eine Peroneuslähmung zurückgeblieben ist, ferner er¬
blindete sie am linken Auge. Seit 2 Jahren ist das Sehvermögen auch
am rechten Auge herabgesetzt. Es besteht eine fast komplette centrale
Lähmung beider Vestibularnerven und des Acustious einer Seite.
Patientin hatte in der ersten Zeit Kopfschmerz und Schwindel, sie
schwankt etwas beim Stehen mit geschlossenen Augen und bekommt bei
seitlicher Blickrichtung auf einem Auge Nystagmus. Der Vestibularnerv
hat nach der Ansicht des Yortr. die Aufgabe, bei Störung des Gleich¬
gewichtes dieses automatisch wiederherzustellen. Die Sella turcica ist
bei der Patientin, wie das Röntgenbild zeigt, erweitert und vertieft,
ohne dass dies als pathologisch aDzusehen wäre.
Hr. Bachrach demonstrierte zwei Männer, bei denen er Tumoren
der Drethra mittels Fulguration behandelt hat.
Ein 38 jähriger Patient hatte seit 8 Jahren zunehmende Harn¬
beschwerden. Bei der Urethroskopie fand man den Colliculus seminalis
hypertrophisch und geschwollen, rechts von demselben sass ein Polyp.
Dieser wurde 10 Sekunden lang mittels Fulguration behandelt. Nach
2 Wochen war der Polyp verschwunden und die Entzündung des Colli¬
culus war zurückgegangen. In einem zweiten Falle sassen bei einer
Frau am Sphincter internus der Blase zwei Polypen, welche 6 Tage
nach durchgeführter Fulguration verschwunden waren. In einem dritten
Falle hat Vortr. eine Krebsimpfmetastase in der Narbe nach Sectio alta
mit Hochfrequenzströmen behandelt. Patient ist jetzt nach einjähriger
Beobachtung recidivfrei. Die Urethroskopie sollte öfters als bisher ver¬
wendet werden, weil sie Krankheitsbilder aufdecken kann, welche auf
keine andere Weise festgestellt werden können.
Hr. Schnitzler führte einen Mann vor, bei welchem er einen
Abscess in der motorischen Hirnregion eröffnet hat.
Patient erlitt im Raufhandel eine Schussverletzung am Schädel,
nach 2 Tagen verschlechterte sich die Sprache. Es wurde die Wunde
inzidiert und aus derselben ein Stück einer Revolverkugel und Eiter
entfernt. Die Sprache wurde nicht gebessert. Nach einigen Tagen
bekam Patient wiederholt Krampfanfälle, welche im Facialisgebiete be¬
gannen und auf die rechtsseitigen Extremitäten Übergriffen. Die Wunde
wurde erweitert, und es wurden wieder Bleistücke und Splitter der Tabula
vitrea entfernt. Da die Lokalisation der Wunde mit den funktionellen
Reiz- und Ausfallserscheinungen nicht stimmte, wurde im Facialis-
oentrum eine Gehirnpunktion ausgeführt, und es wurde ein Abscess auf¬
gedeckt, nach dessen Entleerung Heilung erfolgte.
Hr. Schnitzler demonstrierte eine Frau, welche sich während einer
Psychose 9 Haarnadeln in den Banch eingestochen hat.
Die Kranke zog sich selbst 6 Nadeln heraus; 3 mussten durch
Laparotomie entfernt werden. Es fehlten alle peritonitischen Erschei¬
nungen, trotzdem die Nadeln ein halbes Jahr im Körper verweilten.
Hr. Blnm stellte einen 11jährigen Knaben vor, bei welchem er
eine Urethralplastik wegen einer perinealen Harnfistel vorgenommen hat.
Der Kranke hat vor 4 Jahren durch Sturz auf einen Stein eine
Zerreissung der Urethra erlitten. Es blieb eine perineale Harnfistel
zurück, welche 6 mal ohne Erfolg operiert wurde. Yortr. legte eine
suprapubische Fistel an, um die Urethra auszuschalten. Da der Kranke
an Pyelonephritis laborierte, wurde die Urethra freigelegt, 2 l l 2 cm der¬
selben reseziert und die Enden miteinander vereinigt. Aus der Blase
wurde ein Stein entfernt. Der Kranke ist geheilt.
Hr. Ekler:
Erfahraigen über die Abderhalden’sehe Sehwaagersehaftsreaktioi.
Yortr. hat das Dialysierverfahren zur Diagnose der Schwangerschaft
nach Abderhalden nachgeprüft. Untersucht wurden 66 Fälle. Bei
41 Graviden war die Reaktion immer positiv, bei 25 nicht Graviden
immer negativ. Unter den positiven Fällen befanden sich ganz junge
Graviditäten, Extrauteringraviditäten und sonstige Fälle, bei denen eine
Diagnose mit Sicherheit nicht zu stellen war. Vortr. kommt zu dem
Schlüsse, dass das Verfahren, wenn es mit der nötigen Exaktheit genau
nach den Vorschriften Abderhalden’s ausgeübt wird, absolut verläss¬
lich ist. Er empfiehlt die Methode, die nicht nur für die Diagnose der
Schwangerschaft bestimmt, sondern auch andere Probleme zu lösen im¬
stande ist.
Hr. Paltanf demonstrierte das anatomische Präparat von Chorio-
epitheliomen der Leber, welche erst nach mehreren Jahren als Meta¬
stasen aufgetreten waren.
Das Präparat stammt von einer 61 Jahre alten Frau, welche Leber¬
tumoren hatte, die den Anschein von Echinococcus boten. Bei der
Probelaparotomie wurden aber keine Echinokokken gefunden. Patientin
starb bald an Anämie. Bei der Operation fanden sich in der grossen
Leber zahlreiche eingelagerte Tumoren mit einer hämorrhagischen Peri¬
pherie und fibrinähnlicbe Massen im Centrum. Die mikroskopische
Untersuchung ergab Chorioepitheliom. Da die Frau vor 22 Jahren zum
letztenmal entbunden hatte, so müssen die Chorionzellen viele Jahre
latent geblieben und erst später in Wucherung geraten sein. Yortr. hat
in einem anderen Falle eine Metastase nach einem Melanosarkom des
Auges erst nach 15 Jahren auftreten gesehen. Von langer Latenzzeit
des Chorioepithelioms sind mehrere Fälle bekannt. H.
Verein deutscher Aerzte zu Prag.
Sitzung vom 24. April 1913.
Hr. Hecht:
Die Wassermann’sehe Reaktion als Indikator bei der Therapie der
Syphilis.
Die Wassermann’sche Reaktion kann häufig, jedoch immer nur im
Zusammenhänge mit der klinischen Beobachtung wertvolle Anhaltspunkte
für die Behandlung geben. Im Primärstadium lässt die negative Reaktion
eine erfolgreiche Abortivbehandlung mit einiger Wahrscheinlichkeit er¬
warten. Bei positiver Reaktion muss die Behandlung bis zum Ver¬
schwinden der Reaktion geführt werden und muss auch weiter negativ
erhalten bleiben. Sowie die Reaktion positiv wird, ist schon die Indi¬
kation für die Weiterbehandlung gegeben. Auch im sekundären Stadium
ist die Behandlung bis zum Verschwinden der Wassermann’sohen Reaktion
durohzuführen und durch häufige Kontrollen muss man sich von dem
Negativbleiben der Reaktion überzeugen. Doch gibt es Fälle, die die
positive Wassermann’sche Reaktion nur sehr schwer verlieren und sogar
immer behalten. Diesen Fällen ist eine besondere Aufmerksamkeit zu
widmen. Im Stadium der Frühlatenz bedeutet die positive Wassermann-
sche Reaktion aktive Lues, die natürlich behandelt werden muss, im
Spätlatenzstadium müssen Erscheinungen trotz der positiven Wassermann-
sehen Reaktion nie folgen. Ein Versuch zur Aufhebung derselben kann
keinen Schaden bringen.
Eine grosse Rolle spielt die Wassermann’sche Reaktion bei der
provokatorischen Salvarsaninjektion, da durch das Positivwerden der
Beweis für eine noch latent bestehende Erkrankung erbracht werden
kann. Bleibt die Reaktion auch nach der Salvarsaninjektion negativ,
so kann mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Ausheilung der Syphilis
angenommen werden.
Im tertiären Stadium dauert es oft lange, ehe man mit energischen
Kuren die positive Wassermann’sche Reaktion umkehren kann. Bei
Lues maligna ist eine Aenderung der Wassermann’schen Reaktion, sei
es von positiv auf negativ, oder umgekehrt, ein günstiges Symptom, das
für die Reaktionsfähigkeit des Organismus spricht. Hier kann eine zur
riohtigen Zeit einsetzende Therapie Wunder wirken.
Eine besondere Wichtigkeit kommt der Wassermann’schen Reaktion
bei der Ehebewilligung, bei der Ammenuntersuchung, der Lebens¬
versicherung, der Prostituiertenkontrolle zu. Bei allen diesen Gelegen¬
heiten ist positive Reaktion die Indikation zur antiluetischen Behandlung.
0. Wiener.
II. Tagung der Vereinigung sächsischer
Chirurgen.
Dresden, 8. Mai 1913.
Vorsitzender: Herr Lindner-Dresden.
Hr. Payr - Leipzig: Ein lehrreicher Fall von schnollender
Hüfte.
In 99 pCt. aller Fälle beruht die schnellende Hüfte auf paraarti-
culärer Ursache, in 1 pCt. auf articularer Ursache. Bei ersterer Form
gleitet ein Teil des Tractus ileotibialis über den Trochanter major
hinweg und hinter diesem nieder. Hierdurch entsteht das Schnellen.
Als Therapie kommt in Betracht: Massage, Uebungs- und Balneotherapie
oder Fixation der Sehne des Glutaeus maximus, der in den Tractus
ileotibialis übergeht, an das Periost des Trochanter major. Vorstellung
eines durch Operation geheilten 14 jährigen Mädchens.
Hr. Weber - Dresden: Demonstrationen zur Säuglings¬
chirurgie.
a) 4V 2 jähriges Kind, das als Säugling in Aethernarkose wegen
Pylorospasmus operiert worden ist. Spaltung mit Vernähung, gutes
Resultat, b) 4 Wochen altes Kind, in Lokalanästhesie wegen Pyloro¬
spasmus operiert ohne Vernähung. Guter Erfolg, c) 4 Wochen altes
Kind, operiert wegen Nabelschnurbruch mit apfelgrossem Leber¬
vorfall. Guter Erfolg.
Diskussion. Hr. Heller-Leipzig berichtet über einen 50 jährigen
Mann, bei dem er Cardiospasmus durch Inzision geheilt hat. Man kann
die Operation ohne Schleimhauteröffnung oder Pleuraverletzung aus¬
führen. Sie ist indiziert bei den Patienten, bei denen Sondenbehandlung
erfolglos ist.
Hr. Bachmann - Leipzig: Ueber Mobilisierung des anky-
lotischen Hüftgelenks.
B. erläutert an 5 Fällen die beiden Arten von Mobilisierung der
Hüftgelenksankylose, wie sie an der Leipziger Klinik ausgeführt wird:
a) Bildung eines Sattelgelenks am Oberschenkelhals mit Muskelplastik
aus Musculus tensor fasciae latae; b) Aushöhlung der Pfanne, Einpassung
des Schenkelhalses in diese, verbunden mit Muskel- oder Periostplastik.
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096
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
: Nr. 21.
Nachbehandlung mit SchieneDhülsenapparat. Demonstration zugehöriger
Röntgeuaufnabmen.
Hr Scbanz-Dresden: Operierte Ankylosefälle.
Er benutzt als Interpositionsmaterial das Unterbautfettgewebe in
der Form des gestielten Lappens und verwirft die Nachbehandlung mit
Gymnastik und Massage. Er wirft die Frage auf, ob nicht später, ob¬
gleich kein typisches Gelenk mehr vorhanden sei, Arthritis deformans auf-
treten kann.
Diskussion. Hr. Payr hat selbst nach 3 1 /* Jahren in zwei Fällen
keine Arthritis deformans auftreten sehen trotz reichlicher Bewegungen
in dem mobilisierten Geleok. P. benutzt bei dem Kniegelenk prinzipiell
gestielte Fascienlappen als Interpositionsmaterial.
Hr. Credö-Dresden: 1909 nach Talma operierter Mann.
Vorstellung des in Nr. 18 der Berliner klinischen Wochenschrift 1910
veröffentlichten Falles, bei dem bis jetzt Dauerheilung erzielt wurde.
Es ist kein Ascites mehr aufgetreten. Der Testierende Bauchbruob wird
durch bequeme Bandage zurückgehalten. Völlige Arbeitsfähigkeit des
Patienten.
Diskussion.
Hr. Tillmanns - Leipzig empfiehlt die Talma’sche Operation bei
Banti’scher Erkrankung, wo die Exstirpation der Milz unmöglich ist.
Hr. Laewen - Leipzig berichtet über Dauererfolg (6 Jahre) nach
Talma'scher Operation bei Zuckergussleber und -Milz.
Hr. Lindner - Dresden hat öfters wegen Fehlens des Netzes die
Operation nioht durchführen können. In anderen Fällen sah auch er
gute Resultate.
Hr. Schümann-Dresden: Ueber Knochenbolzung.
Demonstration eines durch Knochenbolzung geheilten Oberschenkel¬
bruches, bei dem 6 Wochen nach der Verletzung noch keine Callus-
bildung eingetreten war.
Hr. Lindner-Dresden: Zur Leberresektion.
Demonstration eines wegen gummöser Veränderungen resezierten
linken Leberlappens. Heilung nach 14 Tagen per primam intentionem.
Hr. Heinecke - Leipzig: Ueber odontogene Kiefertumoren,
Ausführliches Referat über dieses Thema an der Hand zahlreichen
Materials der Leipziger Poliklinik. Die wirklich odontogenen Tumoren
haben sich stets als gutartig erwiesen. Ein maligner centraler Tumor
im Unterkiefer erwies sich als Metastase eines malignen Cylindroms der
Speicheldrüse, war also nicht odontogen.
Hr. Haenel - Dresden: Ueber den heutigen Stand der Car-
cinombehandlung.
Referat unter Benutzung eigener Erfahrungen. H. lehnt den Stand¬
punkt der Freiburger Universitäts-Frauenklinik ab. Er fordert un¬
bedingt radikale Entfernung operabler Caroinome. Ausnahmen von dieser
Regel kommen nur bei schweren Herz-, Gefäss- und Nierenerkrankungen
in Betracht. Bei der Operation vermeide man Dissemination des Tumors.
Die Probeexzision mit dem Messer schränke man möglichst ein. In¬
operable Tumoren behandle man kombiniert mit Bestrahlung, eventuell
nach partieller Operation oder Freilegung.
Hr. Magnus - Dresden: Ein Fall von Entbindungslähmung.
Vergleiche Bericht über die Sitzung des Vereins für Natur- und
Heilkunde zu Dresden am 26. April 1918 (Berliner klin. Wochenschr.,
Nr. 20).
Diskussion. Hr. Payr - Leipzig: Eine altbewährte Behandlungs¬
methode der Entbindungslähmung ist wochenlange Fixierung des ge¬
sunden Armes am Körper des Patienten und ausgiebige Bewegung des
kranken Armes.
Hr. Kulenkampff-Zwickau: Ueber Versorgung frischer Ver¬
letzungen. (Mit Projektionen.)
Ausgiebige Verwendung des chemisch indifferenten Perubalsams
empfohlen. Exakte Blutstillung ist für gutes funktionelles Resultat
wichtig. Jede freiliegende Sehne ist verloren. Deshalb möglichst kurzes
Abschneiden durchtrennter Sehnen oder Vereinigung der dorsalen und
volaren Sehnen über dem Stumpf nach Wilms.
Diskussion. Hr. Payr - Leipzig: Zur bequemen Befestigung von
Prothesen bilde man je einen volaren und dorsalen Hautlappen, ver¬
einige die Streoksehnen untereinander zu einem Ring, desgleichen die
Beugesehnen und bedecke sie getrennt mit den gebildeten Hautlappen.
Später kann man in der Mitte der Sehnenringe je ein Loch durchstossen
und darin die Prothese befestigen.
Hr. Seidel - Dresden: Zur Operation der habituellen
Schulterluxation.
Modifikation der Clairmont und Ebrlich’schen Operation, beruhend
auf dem Prinzip der freien Fascienüberpfianzung.
Diskussion: Hr. Payr - Leipzig hat mit Kapselfaltung mehrere
Recidive bei habitueller Schulterluxation gesehen. Ein mit Fascien-
transplantation behandelter Fall ist gut geheilt.
Hr. Frangenheim - Leipzig: Ueber die Ostitis chronica
fibrosa capitis.
Bericht über drei durch Resektion des Sobädels geheilte Fälle. Zur
Vorbeugung allgemeiner Knochenerkrankung soll operiert werden.
Hr. Tillmanns - Leipzig: 1. Ueber Glioma retinae mit aus¬
gedehnten Metastasen. Demonstration.
2. Geber Geschwülste der Bauchhöhle, a) Demonstration
eines bei einem ein Monat alten Kinde entfernten, mit Netz und Darm
verwachsenen Tumors, in dem Gliascbicht, fötale Gehirnanlage, Re-
spirations-, Genital-, Brustanlage usw. gefunden wurde. Diagnose:
„abdominaler foetus in footu.“ b) Bei der Sektion eines 2 1 /* jährigen
Kindes gefundene stielgedrehte Ovariaicyste, die bei der 4 Tage vor
dem Exitus vorgenommenen Appendicitisoperation nicht bemerkt
worden war.
Hr. Payr-Leipzig: Erfahrungen aus dem Gebiet der
Schilddrüsenchirurgie.
Aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungen teilt Herr Payr
allerlei hochinteressante Ergebnisse zur Schilddrüsenchirurgie mit. In
Gegenden, in denen der Kropf endemisch ist, herrscht der Kolloidkropf
vor. Kröpfe mit Basedow-Erscheinungen sind dagegen in Norddeutsch¬
land, wo der Kropf sporadisch auftritt, häufiger. Das Wasser spielt
sicher eine Rolle bei der Aetiologie des Kropfes. Kinder, die zur
Sommerfrische in Kropfgegenden weilten, bekamen manchmal Kröpfe, die
dann im Winter wieder verschwanden und auch im nächsten Jahr, wenn
sie wiederum in derselben Kropfgegend waren, aber dort nur Mineral¬
wasser tranken, nicht wieder auftraten. Zur Strumadiagnose verwendbar
sind folgende nicht allgemein bekannte Zeichen: 1. Die Struma endo-
tboracica verursacht fast stets Trachealstenose, die sich durch eine
darüberliegende Erweiterung der Trachea und durch Emphysem der
Lungenspitzen äussert. 2. Verschiedene Formen abnormer Kopfhaltung
sind charakteristisch für Struma. 3. Das Röntgenbild kann uns bei
fehlender äusserlich erkennbarer Kropfanlage eine Skoliose der Trachea,
hervorgerufen durch die sogenannten Ewald’schen Knoten, zeigen. Eine
Anzahl von Strumen bedürfen gar keiner Behandlung. Andere sind
durch Jod und Natrium phosphoricum zu beeinflussen, besonders die
parenchymatösen Formen mit Basedow-Zeichen, Hyperthyreoidismus und
Kropfherz. Eine dritte Reihe erfordert chirurgische Behandlung. Herr
Payr bereitet seine Kropffälle auf die Operation vor; bei Kropfherzen
und thyreotoxischen Formen durch Ruhe, Eisblase auf das Herz und
Digalen, bei Tracheobronchitiden durch Inhalationen, Priesnitz’sche Um¬
schläge und kleine Jodkaligaben. Die Operation führt er in Lokal- oder
Leitungsanästhesie, bei Basedow-Kröpfen in Scopolaminäthernarkose
durch. Von Kropfoperationen wendet er folgende an: 1. Ligatur der
Kropfarterien; 2. halbseitige Exstirpation; 8. Resektion der Thyreoidea.
Er legt bei jeder Operation prinzipiell den Nervus laryngeus inferior
frei. Die Tracheotomie, die der Ruin der Asepsis ist, hat er niemals
ausgeführt.
Diskussion: Hr. Lindner - Dresden betont ebenfalls die Wichtigkeit
des Röntgenbildes zur Strumadiagnose und beschreibt seine Technik.
Hr. Teske - Plauen: Ueber Statik und Mechanik der Brust¬
eingeweide.
Hr. Braun - Zwickau: Ueber die operative Behandlung der
eitrigen Thrombose der Vena ileo-colica.
Bei mesenterialer Pyämie macht Wilms die Unterbindung aller im
Winkel zwischen Coecum und Ueum gelegenen Venen in Analogie zur
Jugularisunterbindung bei otitischer Pyämie. Braun hält es für besser,
weiter centralwärts zu unterbinden und macht deshalb Unterbindung
mit Resektion der Vena ileo-colica.
Diskussion: HHr. Payr - Leipzig, Reichel - Dresden.
Hr. Heller-Leipzig: Epiphysentransplantation.
Experimentelle Ergebnisse an der Ellenbogenepiphyse des Radius.
Hr. Kölliker - Leipzig: Beitrag zur Stoffel’schen Operation.
Hr. Fabian - Leipzig: Ueber die Behandlung des Lympho¬
sarkoms.
Differential diagnostische Bemerkungen. Da einzelne Dauerheilungen
beschrieben sind, muss man operable Lymphosarkome operieren, obwohl
die Ergebnisse der chirurgischen Therapie im allgemeinen trostlos sind.
Hr. Credö - Dresden: Antiseptische Tamponade bei peri¬
tonealen Absoessen und Peritonitis.
Eine Statistik über 10 000 Fälle von Appendioitis von 13 Autoren
zeigt, 1. dass die Gesamtsterblichkeit sich zwischen 3 pCfc. und 13,2 pCt.
bewegt, 2. dass sie bei Früh- und Intervalloperationen etwa 1,0 pCt
beträgt, 3. dass von Abscessfällen etwa 9 pCt. bis 14 pCt. sterben und
4. dass bei diffuser Peritonitis sich die Sterblichkeit in den Grenzen von
28.3 pCt. bis 82 pCt. bewegt. Credö macht peritoneale Desinfektion mit
50—100 g 1 proz. Collargollösung und deponiert in einem Gasebeutel an
deu besonders gefährdeten Stellen einige Collargoltabletten. Die Tampons
werden nach wenigen Tagen entfernt. Er hat bei dieser Behandlung
meist kritischen Temperaturabfall erlebt.
Hr. Werth er - Dresden (als Gast): Erfahrungen bei Prostata¬
hypertrophie und -Atrophie.
Demonstration zahlreicher durch Operation gewonnener Präparate.
Hr. Grunert - Dresden: Der gegenwärtige Stand in der
Therapie der Prostatahypertrophie.
Grunert fordert die Frühoperation an Stelle des jahrelangen
Selbstkatheterismus.
Hr. Kleinschmidt - Leipzig: Ueber die Magenfälle der
Leipziger chirurgischen Klinik der letzten 1 Va Jahre.
Statistische Mitteilung.
Hr. Hohlbaum - Leipzig: Die diagnostische Bewertung der
neueren Untersuchungsmethoden bei chirurgischen Erkran¬
krangen des Magens. K. Hoffmann - Dresden.
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1918.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
997
Deutscher Kongress für innere Medizin
zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1918.
(Referent: K. Reicher - Bad Mergentheim.)
(Fortsetzung.)
Sitzung vom Donnerstag, den 17. April 1913.
Hr. Spielmeyer - München: Ueber die anatomischen Folgen
der Luftembolie im Gehirn.
Als anatomische Ursache für die (bei Lungenoperationen) infolge
von Luftembolie auftretenden Gehirnkrämpfe und Lähmungen fand Vortr.
bei Hunden und Affen, an welchen die Herren Brauer und Weber
experimentelle Luftembolie ins Gehirn erzeugt hatten, kleinste herd¬
förmige Nervenzellendegenerationen in der Hirnrinde.
Diskussion zu den Vorträgen Brauer und Spielmeyer.
Hr. Turban - Davos: Die grosse Mehrzahl der üblen Zufälle bei
Anlegung eines künstlichen Pneumothorax beruht zweifellos auf Gas¬
embolie. T. selbst bat bei einer N-Einblasung eine doppelseitige, zwei
Tage andauernde Erblindung unter Krämpfen und schweren Bewusst¬
seinsstörungen auftreten sehen.
Hr. Schottmüller - Hamburg: Bei einer Inzision in die Lunge be¬
hufs Eröffnung eines metapneumonischen Empyems entstand eine Blutung
und brodelndes Rasseln in der Tiefe der Höhle. Es trat vollständige
Bewusstlosigkeit, Dyspnoe und spastische Lähmung ein, nach drei Tagen
Besserung, Exitus bei neuerlichem Eingriff. Sektion: Markstückgrosser
Defekt beiderseits in der vorderen Centralwindung, nirgends ein Thrombus,
Embolus oder Gewebsbröckel zu entdecken. Auch hier ist wahrschein¬
lich Luftembolie eingetreten.
HHr. Hering-Prag und Bürker - Tübingen.
Hr. Singer-Wien: Zur konservativen Behandlung der chro¬
nischen Lungeneiterungen.
Bei reichlichem, eitrigem bzw. putridem Sputum infolge von Broncho-
blenorrhöe, putrider Bronchitis, Bronchiektasie oder Spätfolgen akuter
infektiöser Prozesse, metapneumonischer Prozesse und von Gangrän
wendet Vortr. Durstkuren an. Dabei sinkt mehr oder minder rasch die
Menge des Auswurfes, wobei gleichzeitig der putride und eitrige Charakter
des Sputums einer mehr katarrhalischen Beschaffenheit Platz macht.
Parallel damit kommen entzündliche peribronchitische Infiltrate, chro¬
nische Abscesse zur Aufhellung und Aufsaugung (was an zahlreichen
Radiogrammen und Sputumkurven demonstriert wird). Die vom Vortr.
geübte Durstkur unterscheidet sich von der strengen Schrotkur dadurch,
dass die Ernährung eine reichliche ist und zweimal wöchentlich ein
Trinktag oingeschaltet wird. Zumeist beobachtet man dabei ganz er¬
hebliche Gewichtszunahme.
Bei einem Vergleiche mit den Methoden der Collapstherapie kommt
Vortr. zu dem Ergebnis, dass, abgesehen von den eng gezogenen In¬
dikationen für diese, die Resultate dor Durstkur viel zuverlässiger und
dauernder sind.
Von den 14 Fällen, die Vortr. bisher überblickt, blieb bis auf 3,
bei denen das Verfahren abgebrochen werden musste, das günstige Re¬
sultat weit mehr als l 1 /, Jahre konstant, während des Vortr. eigene Er¬
fahrungen mit dem künstlichen Pneumothorax bisher nicht ermutigend
sind. Die Durstkur kann mit Schwitzbädern und anderen, die Sekretion
beeinflussenden Verfahren kombiniert werden; sie ist kontraindiziert bei
Tuberkulose und Nierenerkrankungen.
Hr. Moritz-Cöln: Zur Anlegung des künstlichen Pneumo¬
thorax durch Punktion.
Der zur Verwendung kommende Apparat ist so eingerichtet, dass
erst dann Luft durch die Hohlnadel in den Thorax eindringen kann,
wenn an dem Nadelende ein bestimmter Minusdruck auftritt. Es wird
dies dadurch erreicht, dass die mit der Nadel in Verbindung stehende
Aussenluft im Apparat selbst erst gewisse positive Druoke überwinden
muss, ehe sie nachströmen kann.
Die hierfür nötige Aspirationsluft findet sich nur im Pleuraspalt
während der Inspirationsphase. In der Lunge selbst kommt es nicht
zu derartigen Minusdrucken. Ist der Pleuraspalt erreicht, was man an
dem Hineinperlen der Luft erkennt, so lässt man erst ein grösseres
Quantum Luft inspiratorisch aktiv eintreten und erst dann und nur
dann geht man dazu über, Stickstoff unter positivem Druck einzublasen.
Der Apparat ermöglicht eine Abmessung eingeführter Stickstoffmengen
unter fortlaufender manometrischer Kontrolle des Injektionsdruckes und
erlaubt auch gegebenenfalls das in den Pleuraraum eingelassene Gas,
ebenfalls unter Messung seiner Quantität, wieder auszusaugen.
Hr. Königer- Erlangen: Ueber experimentelle Pneumo¬
thoraxpleuritis.
K. prüfte im Tierexperiment den Einfluss des Pneumothorax auf
die Entstehung und den Verlauf der Infektionen im Pleuraraum. Es
zeigte sich, dass nicht nur der offene, sondern auch der geschlossene
unkomplizierte Pneumothorax von einer gewissen Grösse ab die Wider¬
standskraft des Brustfelles gegen die Infektion herabzusetzen vermag.
Daraus ergeben sich (praktisch wichtige Folgerungen für die Klinik des
Pneumothorax, der bekanntlich auch zu Heilzwecken bei schweren
Lungenkrankheiten vielfach aogewendet wird. Möglicherweise lässt sich
die lokale Resistenzverminderung durch künstlichen Pneumothorax zu
diagnostischen Tierimpfungen und anderem verwerten.
Diskussion.
Hr. Br au er-Hamburg pflichtet den Anschauungen des Vorredners
durchaus bei. Es liegen auch im ganzen zahlreiche einwandfreie Beob¬
achtungen vor, dass die Pleura bei bestehendem Pneumothorax leichter
Infektionen verfällt als wie normalerweise. Häufig sah B. das Auf¬
treten schwerer Pleurainfektionen, wenn der Punktierende bei unge¬
schicktem Vorgehen durch den Luftraum hindurch die kranke Lunge
angestochen hatte, und dann von der kranken Lunge aus den Pleura¬
raum infizierte. Gelegentlich muss wohl auch ein Durchwandern von
Krankheitserregern durch die Lungenpleura hindurch angenommen
werden, ganz besonders bei übermässiger Druckspannung im Pleura¬
thoraxraum.
Mehrfach sah B. auch unmittelbar im Anschluss an das Einsetzen
einer Angina eine Pleurainfektion auftreten mit dem gleichen Krankheits¬
erreger wie auf dem Tonsillenabstrich. Dies erweist deutlich die ge¬
steigerte Vulnerabilität der Pleura bei Pneumothorax.
Zur Operation ist nur bei sorgsam überlegter Indikation zu schreiten.
Hr. Friedrich-Königsberg.
Hr. Bacmeister-Freiburg: Weitere Untersuchungen bei ex¬
perimenteller Lungenspitzen tuberkulöse.
Zum Ausbruch der Schwindsucht beim Menschen genügt nicht das
Eindringen von Tuberkelbacillen in die Lunge, sondern es muss noch
eine lokale Disposition hinzukommen, welche ererbt oder von dem Träger
erworben sein kann. Ueber die erste Entstehung der Schwindsucht
wissen wir nichts Genaues, da die allerersten Anfänge beim Menschen
schwer zu untersuchen sind und bisher bei Tieren keine echte Schwind¬
sucht experimentell erzeugt werden konnte. B. berichtet im Ausbau
früherer Experimente über seine Versuche an Tieren, bei denen es ihm
gelungen ist, zum ersten Male Erkrankungen zu erzeugen, die der
menschlichen Schwindsucht in allen Punkten ähnlich sind. Er liess
Kaninchen in Drahtschlingen hineinwachsen, die die obersten Rippen in
gleicher Weise gegen die Lungenspitzen drückten, wie es bei Menschen,
die zur Tuberkulose disponiert sind, sein kann. An den erzielten
Krankheitsbildern konnten nun alle Stadien der Krankheit studiert
werden. Vor allem konnte festgestellt werden, dass der erste Beginn
sowohl durch die Einatmung von Bacillen erfolgen kann, wie auch auf
dem Blutwege von einer tuberkulösen Drüse usw., die sich schon im
Körper befindet. Die Gelegenheit zu beiden ist fast für jeden Menschen
gegeben, der Ausbruch der Krankheit erfolgt erst, wenn die Lungen¬
spitzen in irgendeiner Weise geschädigt werden. Eine wichtige Rolle
spielt hierbei die mechanische Beengung der Lungenspitzen durch den
ersten Rippenring, eine andere Ursache ist in der Staubinhalation zu
sehen. Sowohl auf hämatogenem als auch auf aerogenem Wege gelingt
die Infizierung der Lunge mit Tuberkelbacillen, wenn man nach der
Infektion die Disposition in der Lunge dazu schafft.
Hr. Hammer-Heidelberg: Die serologische Diagnose der
Lungentuberkulose.
Die sichere Diagnose einer beginnenden Lungentuberkulose macht
in einer nicht geringen Anzahl von Fällen noch immer Schwierigkeiten.
Die physikalischen Untersuchungsmethoden, zu denen auch die Röntgen¬
untersuchung zu rechnen ist, lassen uns ebenso wie die diagnostischen
Tuberkulinmethoden vielfach im Stich. Auch die serologischen Unter¬
suchungsmethoden haben die auf sie gesetzten Hoffnungen bisher nicht
erfüllt. Es gelingt jedoch neuerdings durch die Verwendung von Extrakt
aus tuberkulösem Gewebe kombiniert mit Tuberkulin als Antigen in
nahezu 100 pCt. der Fälle von ausgesprochener Tuberkulose die Diagnose
durch Untersuchung des Blutserums mittels der Komplementbindungs¬
reaktion zu erhärten. E9 kommt aber natürlich weniger auf die Dia¬
gnose der ausgesprochenen Tuberkulose an, sondern auf die rechtzeitige
Erkennung der beginnenden Tuberkulose. Aber auch diese lässt sich mit
dieser Methode nachweisen. Schwierigkeiten macht nur die Differenzierung
der Fälle, die einmal eine tuberkulöse Infektion durchgemacht haben,
von denjenigen, bei denen die tuberkulöse Infektion zurzeit gerade
eine aktive Rolle spielt. Es scheint aber, dass sich durch diese Methode
sicherer als z. B. duroh die Methoden der Ueberempfindlichkeitsreaktion
gerade die momentan aktive Tuberkulose erkennen lässt, und es ist zu
hoffen, dass es durch weiter Verbesserung und Verfeinerung der Methode
auf diesem Wege schliesslich regelmässig gelingt, eine aktive Tuberku¬
lose rechtzeitig zu diagnostizieren.
Diskussion: Hr. Strubell-Dresden.
Hr. Rothschild - Bad Soden a. T.: Beiträge zur Chemo¬
therapie der Tuberkulose.
Ein Mittel, welches die Tuberkelbacillen im erkrankten Organismus
mit Sicherheit abtötet, ist bisher nicht bekannt. Wir müssen somit in
der Bekämpfung der Tuberkelbacillen Umwege machen. Die weissen
Blutkörperchen enthalten Fermente, die imstande sind, die Bacillen ab¬
zubauen. Und zwar enthalten die Lymphocyten fettspaltendes, die Phago-
cyten eiweissauflösendes Ferment. Eine Vermehrung der wichtigsten
Lymphocyten, die durch ihr Ferment den Fettmantel der Tuberkel¬
bacillen angreifen, ist somit geeignet, die weitere Vernichtung dieser
Schädlinge durch die Phagocyten vorzubereiten. Mittel zur künstlichen
Vermehrung der Lymphocyten sind alle Jodpräparate sowie das Pilo¬
carpin. Unter den Jodpräparaten nimmt Jodoform, das ja schon lange in der
chirurgischen Tuberkulose ein Rolle spielt, eine Sonderstellung ein, da
Jodoform sowohl die Lymphocyten vermehrt als auch die Phagocyten
zu erhöhter Tätigkeit anregt. Die Verbindung von Tuberkulin mit Pilo¬
carpin bzw. Jodpräparaten wird somit eine rationelle Bekämpfung der
Tuberkulose ermöglichen. Referent hat mit dieser Methode ermutigende
Resultate erzielt.
(Schluss folgt.)
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UMIVERSITY OF IOWA
998
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 21.
Londoner Brief.
Das Versicherungsgesetz in England.
IL
Am 19. November trat das Representative Meeting zusammen. Die
Sitzungen waren aufgeregt, und einmal sah es bedenklich so aus, als ob
die Verhandlungen ins Stocken geraten würden. Zuerst wurde, nicht
ohne Opposition, beschlossen, dass das neue Anerbieten des Finanz*
ministers „unausführbar und der Aerzteschaft unwürdig“ sei, und dass
die Aerzte sich weigerten, dasselbe anzunebmen. Dann folgte der Vor¬
schlag, dass man dem Finanzminister zu verstehen geben sollte, dass
durch sein Anerbieten die British Medical Association in die Lage ver¬
setzt worden sei, mit ihm und mit den Commissioners weiter zu unter¬
handeln in bezug auf die noch nicht bewilligten Ansprüche der Aerzte.
Eine Aenderung wurde dann vorgeschlagen in dem Sinne, dass der
Finanzminister von dem ersten Beschluss in Kenntnis gesetzt werden
sollte, und dass man ihm zu verstehen geben sollte, dass, wenn die
Regierung weitere Vorschläge zu machen wünschte, um den Widerstand
der Aerzteschaft zu beseitigen, dieselben von der British Medical Asso¬
ciation sorgfältig in Erwägung gezogen werden würden. Abgestimmt
wurde nicht nach der Zahl der Delegierten, sondern nach der Zahl der
Mitglieder, die jeder Delegierte vertrat. Es stimmten dafür: 9292 und
dagegen: 9269, also eine Majorität von nur 23, und wenn die übliche
Methode des Stimmens gewählt worden wäre, würde das Resultat
100 Vertreter dafür und 101 dagegen gewesen sein. Eine Schwierigkeit
erwuchs daraus, dass laut den Statuten der British Medical Association
zu bindenden Beschlüssen eine Majorität von mindestens zwei Drittel der
Stimmen notwendig ist. Die Aenderung kam, nachdem sie angenommen
worden war, als Resolution zur Sprache und bedurfte zur Annahme
die oben erwähnte Majorität. Zu dieser Resolution wurde eine sehr
lange, komplizierte Aenderung vorgeschlagen, wonach 1. der Finanz-
minister von dem ersten Beschluss in Kenntnis gesetzt werden sollte,
2. die Association ihre Aufmerksamkeit auf die Forderungen, die noch
nicht bewilligt worden waren, lenken sollte, 3. die Association be¬
stimmen sollte, welche Bedingungen sie würde annehmen können, und
4. ein kleines Komitee von Delegierten ernannt werden sollte, um
eventuell mit dem Finanzminister zu verhandeln. Also gerade das Gegen¬
teil von dem, was vordem beschlossen worden war! Aber warum nicht?
Die vorgeschlagene Aenderung wurde angenommen. Die gewählte
Methode war folgende: Für den Fall, dass Mr. Lloyd George neue
Vorschläge machen sollte, sollten die Delegierten sofort berichten, die
Abteilungen die neue Lage sofort besprechen und in einem zweiten
Representative Meeting bestimmen, was zu tun sei. Noch eins verdient
Erwähnung, ln den Anfangsstadien des Kampfes, wie schon in einem
früheren Londoner Brief berichtet worden ist, lag die Leitung der British
Medical Association in den Händen von Dr. Maclean, Dr. Smith
Whitaker u. a. m. Ausserdem haben Dr. Lauriston Shaw und Sir
Victor Horsley eine bedeutende Rolle gespielt. Dann folgte die Aus¬
scheidung von Dr. Smith Whitaker, als derselbe zum Vizevorsitzenden
der Insurance Commissioners ernannt wurde. Nachdem der Entwurf
Gesetz geworden war, erhoben sich viele Stimmen gegen die Leitung der
Association; Sir Victor Horsley ist ganz besonders angegriffen worden,
desgleichen Dr. Maclean und Dr. L. Shaw. Sir Victor Horsley
schied von dem Ausschuss und Representative Meeting aus, aber die
zwei letzterwähnten blieben. Die Anhänger der nicht nachgebenden
Partei, die dafür waren, das Anerbieten des Finanzministers energisch
zurückzuweisen, griffen Dr. Maclean und Dr. Shaw bei dem Represen¬
tative Meeting scharf an, und bei dieser Gelegenheit trat es klar zutage,
dass die Association unter sich durchaus nicht einig war. Ebenso fiel
es auf, dass mehrere der ärztlichen Mitglieder des Advisory Committee
entgegen den Wünschen der Association ihre Posten nicht niedergelegt
hatten. Später machte sich diese Spaltung in der Aerzteschaft noch
bemerkbarer, indem, während das Representative Meeting und die Mehr¬
zahl der Abteilungen es den Mitgliedern zur Ehrensache machen wollten,
an dem gegebenen Versprechen, keine Behandlung unter dem neuen
Gesetz zu leisten, festzuhalten, Dr. L. Shaw und eine Anzahl anderer,
die Aerzte zu überreden versuchten, sofort Posten als Versicherungs¬
ärzte zu übernehmen. Dr. Lauriston Shaw steht im Augenblick in
Konflikt mit dem Ausschuss der Association.
Zu gleicher Zeit wurden energisch Mittel gesammelt, um es der
Association möglich zu machen, den Kampf weiterzufübren. Die Gelder,
die als Streikfond dienen sollten, waren lächerlich klein im Vergleich zu
dem, was eventuell notwendig werden würde. Es waren weniger als
4 Millionen Mark. Bis Oktober 1912 waren schon 277 400 Mark für
Propagandazwecke, Reisekosten usw. verausgabt worden. Seitdem sind
zwei Representative Meetings abgehalten und infolgedessen die Ausgaben
bedeutend erhöht worden.
Am 25. und 26. November legten die Deligierten der Association
die Ansichten des Representative Body dem Finanzminister vor, und
nach kurzer Zeit antwortete letzterer hierauf in Form eines Memorandums.
In dieser Schrift wurden die Pflichten der „Panel“-Aerzte, d. h. der
Aerzte, die den Versicherten Behandlung unter dem Gesetz zukommen
lassen, detailliert auseinandergesetzt. In bezug auf diese Pflichten ist
darin nichts Neues enthalten, nur werden Einzelheiten genauer be¬
sprochen. Dasselbe gilt für die Honorierungsfrage. Bezahlungen für
Sonderleistungen, Nachtbesuche, Operationen usw. dürfen bewilligt werden,
aber die Mittel, die dies decken sollen, werden nicht erhöht; das Re¬
sultat wird sein, dass die Honorare für die gewöhnliche Behandlung
verhältnismässig niedriger ausfallen werden. Eins geht klar aus
der Schrift hervor, nämlich dass von den versicherten Kranken
der Arzt eine Bezahlung für besondere Leistungen nicht fordern
kann; dies ist nur dann statthaft, wenn der Versicherte den Wunsch
hegt, für ärztliche Behandlung selbst Vorkehrungen zu treffen und
hierzu Erlaubnis erlangt bat. "Weiterhin wird auf Inspektion näher ein¬
gegangen, und zwar gibt Mr. Lloyd George zu, dass eine Kontrolle
der Behandlung nicht stattfinden soll. Was das Schiedsgericht (Committee
of Compliants) anbetrifft, so ist er geneigt, den Wünschen der Association
nachzukommen und den Namen zu ändern. Sonst ist in dem Memo¬
randum nichts Neues und vor allem kein Nacbgeben von seiten des
Finanzministers zu finden. Der Ausschuss der British Medical Asso¬
ciation veröffentlichte das Memorandum und hob hervor, inwieweit die
Sachlage sich geändert hatte, und beschloss auf Grund dieser Aenderung (!),
für den 21. Dezember ein weiteres Representative Meeting zusammen¬
zurufen. In der Zwischenzeit stimmten die Abteilungen ab, ob die
Mitglieder den Versicherten Behandlung gewähren sollten oder nicht. Die
Tagespresse brachte täglich die Zahlen der Stimmen für und gegen,
und da die grosse Majorität dagegenstimmte, jubelte die konservative
Presse. Es konnte einen traurig stimmen, den Sitzungen zu folgen; ge¬
bildete Männer, die in wissenschaftlichen Dingen klar denken können,
schienen nicht imstande zu sein, zu sehen, dass ein Zurückweisen des
Anerbietens des Finanzministers für die Mehrzahl der Aerzte eine
Existenz unmöglich machen würde. Es wurden ihnen 6 sh und 6 d
oder 7 sh pro Kopf und pro Jahr angeboten; es wurde ihnen Unabhängig¬
keit von den Approved Societies zugesichert, sie sollten eine Stimme in
den Komitees haben, freie Aerztewabl wurde ihnen bewilligt; und wenn
auch verschiedene Punkte noch nicht zur vollen Befriedigung der Aerzte
entschieden waren, so stand doch zu erwarten, dass die Lage der meisten
Kassenärzte bedeutend günstiger sein würde als bisher, und eine Möglich¬
keit, später Fehler auszumerzen, durchaus nicht ausgeschlossen war.
Es unterlag ausserdem keinem Zweifel, dass eine ganze Anzahl Aerzte
zur Verfügung stehen würden trotz des Verbots der Britisch Medical
Association. Man tröstete sich mit dem Ausspruch, dass die Aerzte,
die unehrenhaft genug wären, dies zu tun, minderwertig seien, und
dass die Kranken sich damit nicht zufrieden geben würden. Es bildete
sich ein Verein von Aerzten, die offen erklärten, dass sie die Behandlung
übernehmen würden, trotzdem die British Medical Association sie nicht
von ihrem Versprechen entbinden wollte. Noch konnte die British
Medical Association den Sieg beanspruchen, denn Mr. Lloyd George
hatte wahrlich bedeutende Zugeständnisse gemacht. Es herrschte grosse
Spannung, und die Commissioners fürchteten, dass die British Medical
Association in diesem Sinne entscheiden und sich bereit erklären würde,
unter dem Gesetz versuchsweise zu arbeiten. Entschied die Association
anders, so blieb den Commissioners immerhin der Ausweg offen, für den
Fall, dass keine genügende Anzahl Aerzte bereit sein würden, unter
Vertrag zu arbeiten, festbesoldete Aerzte anzustellen (National Medical
Service) und das „panel“-System fallen zu lassen. Nur ein9 waren sie
fest entschlossen nicht zu tun, nämlich den Versicherten die 8 sh und
6 d für ärztliche Behandlung und Arznei in die Hand zu geben, um
ihnen die Gelegenheit zu bieten, sich ärztliche Behandlung damit zu
verschaffen, während die Association damit rechnete, dass dies ge¬
schähe. So erstaunlich es auch klingen mag, es ist aber Tatsache,
dass die Association einsab, dass der Public Medical Service-Plan un¬
möglich funktionieren könnte, und dass die einzig übrigbleibende Methode,
den arbeitenden Klassen ärztliche Behandlung zu gewähren, die sein
würde, mit den Friendly Societies zusammen zu arbeiten, und dass
letztere die Bezahlung und die Aerzte die Behandlung übernehmen
sollten. Man darf dabei nicht vergessen, dass die British Medical
Association bisher alles getan bat, um Unabhängigkeit von den Friendly
Societies zu erzielen. Jede Nummer des British Medical Journals brachte
eine Mahnung in Gestalt einer Wiederholung von dem Wortlaut des Ver¬
sprechens, das die Aerzte der British Medical Association geleistet batten,
und am 21. Dezember wurde ausserdem das Resultat der Abstimmungen
in den verschiedenen Abteilungen veröffentlicht. Es hatten bis dahin
nur 9331 Mitglieder der Association und 1S88 Nichtmitglieder gegen
Dienstleistung gestimmt und 1963 Mitglieder und 445 Nichtmitglieder
dafür. Wenn die Leitung der Association je Fehlschritte getan hat, so
verblassen sie im Vergleich mit dem Fehlschritte im Dezember.
Die British Medical Association geschlagen.
Am 23. Dezember trat das Representative Meeting wieder zusammen.
Der Vorsitzende, Dr. Verrall, hatte eine schwere Aufgabe, und er hat
sein Bestes getan, aber seine Leitung war mitunter kaum regelrecht.
Zuerst wurde der Vorschlag diskutiert, ob der Beschluss vom November
aufrecht erhalten werden sollte, wonach das Anerbieten des Finanz¬
ministers zurückgewiesen wurde, da die Bedingungen „unausführbar und
der Aerzteschaft unwürdig“ seien. Es wurde hervorgehoben, dass, wenn
der Ausdruck „unausiübrbar“ stehen bliebe, es unsinnig wäre, zu ver¬
suchen, ärztliche Behandlung laut dem Gesetz zu erteilen. Trotzdem
die Mitglieder sich wohl bewusst waren, dass eine nicht geringe Anzahl
Aerzte diese Behandlung auszuführen gedachte, und trotzdem die Asso¬
ciation keinen brauchbaren zweiten Vorschlag hatte, beschloss die Ver¬
sammlung fast einstimmig, dass der Beschluss bestehen bleiben solle.
Der Antrag, die Mitglieder von ihrem Versprechen freizumachen, wurde
zurückgewiesen. Dr. L. Shaw, Dr. Buist und Dr. Farquharson
legten ihre Stellungen im Ausschuss während der Sitzung nieder;
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UNIVERSUM OF IOWA
26. Mai 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
999
Dr. Maclean dagegen verschob seine Resignation bis zur nächsten Sitzung
des Ausschusses.
Ein kurzer Kampf folgte. Die Association versuchte diejenigen
Aerzte, die schon einen Vertrag mit den Versicherungskomitees ab¬
geschlossen hatten, zu bewegeD, ihre Verträge zurückzufordern, während
diejenigen Aerzte, die die Bedingungen für annehmbar hielten, und die
bereit waren, an ihren Verträgen festzuhalten, versuchten, andere für
ihre Sache günstig zu stimmen. Jedoch alles dies führte zu keinem
Resultat. Täglich brachten die Zeitungen die Zahl der neuen „panel“-
Aerzte; die konservative Presse machte sich ein Vergnügen daraus,
darauf aufmerksam zu machen, dass in der offiziellen Liste einzelne
Namen zwei-, drei-, vier- und sogar zehnmal aufgezählt wurden. Ausser¬
dem wurde berichtet (ob mit Recht ist unerwiesen), dass viele Aerzte
sich von den „panels“ zurückgezogen hätten.
Am 2. Januar trat Mr. Lloyd George wieder mit dem Advisary
Committee in Verbindung und hielt bei dieser Gelegenheit eine lange
Rede. Er stellte die Behauptung auf, dass seines Wissens kein Beruf
sich jemals gegen die verwaltende Kontrolle von Laien gewehrt hätte,
wenn letztere die Gelder beschafften. Die British Medical Association
ginge darauf aus, die absolute Kontrolle zu behalten, und er könnte
sich damit nicht einverstanden erklären. Dagegen sei klar, dass die
Mehrzahl der Aerzte die Berechtigung der vorerwähnten Kontrolle ein¬
sähe. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die praktischen Fragen.
Zunächst untersuchte er das Problem, was geschehen sollte in den Fällen,
wo eine genügende Anzahl Aerzte den Vertrag mit den Insurance Com-
mittees abgeschlossen hätten. Er machte dabei einen Ueberblick über
seine Verhandlungen mit den Aerzten und stellte die These auf, dass
er berechtigt gewesen sei, die Aerzte vor der Einführung des Entwurfes
nicht zu konsultieren, denn es habe sich seitdem herausgestellt, dass
die Vertreter der British Medical Association, mit denen er zu ver¬
handeln gehabt hätte, niemals bevollmächtigt gewesen wären, An¬
erbietungen im Namen der Aerzte zu machen oder Bedingungen zu
stellen. (Von Mr. Lloyd George’s prophetischem Talent hatte bisher
keiner eine Ahnung!) Er kritisierte in schärfster Weise, wohl nicht
ohne Berechtigung, die Inkonsequenz der Association, die in letzter
Minute ihre Ansichten geändert hätte. Er erklärte, dass er für etwa
drei Viertel der Gemeinden von England, Schottland und Wales ge¬
nügend „panel“-Aerzte hätte; für ganz Schottland sei er imstande, den
Versicherten ärztliche Behandlung auf diese Weise zukommen zu lassen,
mit Ausnahme vielleicht von den Orkney- und Shetland-Inseln. Auch
fast ganz Wales sei mit Aerzten versorgt. Die Zahl der Aerzte, die
sich bereit erklärt hätten, die Behandlung zu den von ihm im November
auseinandergesetzten Bedingungen zu übernehmen, beliefe sich auf 10 000.
Er sprach die Hoffnung aus, dass die Verträge zwischen den Aerzten
und den Komitees nicht zu eng gehalten werden würden, erstens weil
die ganze Sache noch im Versuchsstadium stehe, und zweitens weil
zweifellos Schwierigkeiten entstehen würden, wenn man sich absolut nur
nach dem Wortlaut der Verträge richtete. Er würde gern bereit sein,
eventuell auftauchende Klagen auf ihre Berechtigung hin zu prüfen und
für die Beseitigung der Ursachen zu sorgen. Nur eins müsste bestehen
bleiben: kein Pfennig mehr Honorar würde den Aerzten bewilligt werden,
denn er sei nicht geneigt, die Steuer noch zu erhöhen, um dies zu er¬
möglichen. In den Fällen, wo die Zahl der „panel“-Aerzte nicht aus¬
reicht, um Behandlung auf diese Weise zu gewähren, würde er sich
gezwungen sehen, das „panel“*System fallen zu lassen und Aerzte von
auswärts in die betreffenden Ortschaften einzuführen, damit diese die
Behandlung unternähmen. Wo einige der ansässigen Aerzte bereit
wären, die Behandlung zu erteilen, würden diese und eventuell noch
binzugezogene auswärtige Aerzte mit den Insurance Comittees Sonder¬
verträge schliessen, und es würde kein weiterer Arzt zugelassen werden,
ohne dass das Commitee die Sachlage erst untersucht hätte. Eine dritte
Methode würde die sein, eine genügende Anzahl festbesoldeter Aerzte
anzustellen, denen die ganze Beschäftigung zufallen würde. Das Gehalt
dieser Aerzte würde sich auf 10 000 Mark jährlich belaufen.
Aus seiner Rede ging klar hervor, dass nur im Ausnahmefalle ver¬
sicherten Personen die Möglichkeit geboten werden würde, mit ihrem
Hausarzt ein Abkommen zu treffen dahin, dass ihnen die Gelder für
ärztliche Behandlung überwiesen werden würden. Hiermit wurde den
Hoffnungen der British Medical Association ein jähes Ende gemacht.
Am 15. Januar trat das Gesetz in bezug auf ärztliche Behandlung
in Kraft. Die Aerzte gerieten in Verzweiflung: Ueberall sahen sich die
Aerzte, die geschworen hatten, unter keinen Umständen Verträge zu
schliessen, gezwungen, sich vor sicherem Ruin zu retten. Die Abteilungen
der Association beriefen Versammlungen ein, und es wurde beschlossen,
in den Gegenden, wo die Gefahr der Einführung von Aerzten von aus¬
wärts gross war, Behandlung zu übernehmen. Die Liberalen jubelten!
Am 17. und 18. Januar fand wieder ein Representative Meeting statt,
und die Mitglieder wurden von ihrem Versprechen befreit. Zu spät:
Die Regierung, Mr. Lloyd George, die Insurance Commissioners und die
liberale Partei haben die Gelegenheit benutzt, und die British Medical
Association ist geschlagen worden. Schade! Im November hatte die
Association Gelegenheit, den Sieg davon zu tragen.
Das Uebrige kann in wenigen Worten erzählt werden. In London
existiert die freie Aerztewahl nur in beschränktem Maasse, denn die
Mehrzahl der Aerzte hat sieb noch nicht mit den Bedingungen einver¬
standen erklärt. Dagegen haben ausserhalb Londons die Versicherten
die Auswahl von fast allen im Orte wohnenden Aerzten.
Mr. Lloyd George ist sehr gerissen, aber selbst der Sohlaueste kann
gelegentlich einen Fehler machen. Und dies ist ihm passiert. Er batte
86 500 000 M. nötig, um damit die Mehrkosten der ärztlichen Behand¬
lung für ein Jahr bestreiten zu können. Aber das Gesetz bestimmt, dass
die Regierung nur zwei Neuntel beitragen soll. Dies hat er entweder
vergessen, oder er muss geglaubt haben, dass die Abgeordneten es ver¬
gessen würden. Auf jeden Fall verlangte er in dem „ Appropriation“-Ent¬
wurf — einem Zuschussbudget — die erwähnte Summe. Die Regierung
hat in letzter Zeit ein Gesetz erlassen, wonach das House of Lords Ge¬
setze in demselben Parlament zweimal ändern oder zurüokweisen kann,
aber wenn das House of Commons der Aenderung oder Zurückweisung
des House of Lords in den nachfolgenden Jahren immer wieder ent¬
gegenarbeitet, so wird einer dritten Zurückweisung des House of Lords
ungeachtet das Gesetz eingefübrt. Dagegen, wenn ein Gesetz sich aus¬
schliesslich mit Finanz befasst, so bedarf es der Zustimmung des House
of Lords überhaupt nicht. Da das Leben der jetzigen Regierung nur
knapp so lange dauern kann, dass die zweimalige Zurückweisung eben
überstanden werden könnte, da ebenfalls eine Hinausschiebung in diesem
Falle höchst unbequem sein würde, war es dem Finanzminister darum
zu tun, diese Sache, ohne sie dem House of Lords zu überweiseo, durch¬
zuführen. Kurz und gut, er schmuggelte sie in dem Appropriation Ent¬
wurf ein. Eine konservative Stimme jedoch erhob sich dagegen. Der
betreffende Herr lenkte die Aufmerksamkeit des Hauses auf das Vor¬
gehen; er erklärte, dass Mr. Lloyd George eine Aenderung in der
Politik einführen wollte, und hob hervor, dass dies mit dem Gesetz in
direktem Widerspruch stände. Der Prime Minister erkannte die Richtig¬
keit dieses Einwurfes an, bat sozusagen um Entschuldigung für Mr. Lloyd
George; er, Mr. Asquith, sei bereit, baldigt die Sache durch dies¬
bezügliche Legislation in Ordnung zu bringen, und er hoffe, die Ab¬
geordneten würden den Entwurf glatt durchgehen lassen. Dies geschah.
In einem weiteren Londoner Brief soll gezeigt werden, wie die
Aerzte die Arbeit erledigt haben, und ob die Bedingungen gut oder
schlecht gewesen sind. Vorläufig lässt sich hierüber ein Urteil nicht
bilden. H. W. Armit.
Aerztekurse in Wien.
In dem Boston medical and surgical Journal vom 1. Mai
1913 (Nr. 18) finde ich einen „Brief aus Wien“ vom 27. März d. J. an
den Herausgeber unter der Ueberschrift „Der Köder Deutschlands“.
Der Inhalt befasst sich mit der Gewohnheit vieler amerikanischer Aerzte,
nach vollendetem Studium an deutschen Universitäten sich fortzubildeo.
Der Schreiber unterscheidet drei Klassen: Aerzte, die ohne vorherige
lange Erfahrung den Schluss zu ihrer Ausbildung gewinnen wollen, alte
erfahrene Aerzte, die ihr Wissen auffrischen wollen, und solche — etwa
85 pCt. von allen —, die nach längerer oder kürzerer Praxis sich in
kurzer Zeit zum Spezialisten ausbilden wollen. Die meisten von ihnen
können kein Deutsch und geben sich auch keine Mühe, zu lernen.
Darum wird ihnen in schlechtem Englisch ein Wust von Wissen vorge¬
tragen, den sie gar nicht in der kurzen Zeit in sich aufnehmen können.
Zum Schluss erhalten sie in Wien nach 20 oder auch mehr Stunden
ein Diplom der Universität durch eine Geschäftsverbindung ameri¬
kanischer Aerzte, in dem die spezialwissenschaftlicbe Ausbildung bezeugt
wird — für das Publikum, für den Arzt nur ein Ausweis des gezahlten
Geldes.
Ganz mit Recht schreibt der „H. P. G.“ Unterzeichnete Verfasser,
ein solches Verfahren schädige die Universität Wien, aber auch das
Ansehen des Aerztestandes in Amerika (auch der ganzen Welt! Ref.).
Eine Erklärung aus Wien gegen diese Angriffe, offenbar aus ärzt¬
lichem Stande direkt, wäre doch sehr bald zu erhoffen. Vielleicht han¬
delt es sich bei der Gesellschaft amerikanischer Aerzte in Wien doch
nur um ein kaufmännisch gut geleitetes Schwindelunternehmen.
Sch.
Der Wunsch des Einsenders findet in nachfolgenden Zeilen schon
Erfüllung. Red.
Ein Wort pro domo.
Der Wiener Brief in der Nummer vom 1. Mai d. J. des „Boston
medical and surgical journal“ enthält in bezug auf die ausländischen
Aerzte, welche österreichische Universitäten frequentieren, mehrere Irr-
tümer. Es sei vorausgescbickt, dass in früheren Jahren jeder
amerikanische Arzt, er mochte welche Vorbildung immer genossen haben,
als Frequentant zugelassen wurde und eine Bestätigung — nicht
ein Diplom! — in Betreff seiner Studien erhielt. Seit Jahresfrist er¬
halten nur jene amerikanischen resp. ausländischen Aerzte eine der¬
artige Bestätigung, welche an einer international anerkannten
medizinischen Hochschule ihre Studien absolviert haben, ferner mindestens
drei Monate lang Vorlesungen oder Kurse an einer österreichischen Uni¬
versität hören.
Seitdem die Bestätigungen nach der Richtung hin restringiert
wurden, dass sie nur Aerzten mit entsprechender wissenschaftlicher Vor¬
bildung erreichbar sind, hat die Zahl der amerikanischen Aerzte in Wien
in auffälliger Weise abgenommen. Die meisten ausländischen Aerzte,
welche sich an österreichischen Universitäten fortbilden, sind Spezial¬
ärzte oder wollen Spezialärzte werden. Viele dieser Kollegen sind der
deutschen Sprache nicht mäohtig; doch besitzen wir z. B. in Wien zahl-
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UNIVERSITÄT OF IOWA
1000
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
reiche Professoren und Dozenten, welche sehr gut englisch sprechen.
Der Passus des Bostoner Wiener Briefes vom „schlechten“ Englisch trifft
für Wien nicht zu.
Unwahr ist, dass amerikanische oder ausländische Aerzte überhaupt
ein „Diplom der Universität“ erhalten, „in welchem die spezialwissen¬
schaftliche Ausbildung bezeugt wird“. Der anonyme Verfasser des
Wiener Briefes konfundiert zwei Einrichtungen, welche an den Uni¬
versitäten des In- und des Auslandes bestehen. Jeder ausländische,
also auch jeder amerikanische Arzt, der eine entsprechende wissenschaft¬
liche Vorbildung nachweisen kann und mindestens drei Uonate lang
inskribiert war, erhält eine Bestätigung, aus welcher zu entnehmen
ist, welche Gegenstände und welche Dozenten er gehört hat. Ueber den
Erfolg seiner Studien steht in dieser Bestätigung kein Sterbenswörtchen.
Die Bestätigung ist nichts mehr und nichts weniger als der Index,
das Verzeichnis der inskribierten Vorlesungen und Uebungen jedes Uni¬
versitätshörers. Man überschätzt übrigens, nebenbei bemerkt, die Zahl
der ausländischen Aerzte, welche sich in Wien fortbilden; es frequentierten
die Wiener medizinische Fakultät im letzten Wintersemester 259 Aerzte
und 2 Aerztinnen; davon stammten 3 Kollegen aus Deutschland, 1 aus
Belgien, i aus Holland, 6 aus England, 1 aus Russland, 9 aus Asien
und 44 aus Amerika.
Es gibt einen Verein amerikanischer Aerzte in Wien. Dieser hat
die Aufgabe, nach Wien kommenden Landsleuten mit Rat und Tat zur
Seite zu stehen. Auf die Ausstellung von Bestätigungen der Wiener
Universität hat dieser Verein — wie selbstverständlich — gar keinen
Einfluss.
Die Bestätigungen über absolvierte Vorlesungen und Uebungen
sind — das sei nochmals betont — keine Diplome. Dagegen hat jeder
Kliniker, jeder Vorstand eines wissenschaftlichen Institutes, jeder Pri¬
marius einer Krankenabteilung in Oesterreich das Recht, Aerzten, welche
mindestens drei Monate an seiner Station tätig waren, ein Zeugnis aus¬
zustellen. Das ist ein woblbegründeter Usus, der ja auch ausserhalb der
schwarz-gelben Pfähle nicht unbekannt ist. Der Verfasser des Wiener
Briefes scheint die Zeugnisse privaten Charakters, welche jeder ärzt¬
liche Vorstand ausstellen darf, mit den Bestätigungen über inskri¬
bierte Vorlesungen und Kurse, die von der Universität ausgefolgt werden,
zu konfundieren. Vindobonensis.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Berlin. In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft vom 21. Mai hielt Herr Hausmann den angekündigten Vortrag:
Ueber topographische Gleit- und Tiefenpalpation. In der Diskussion
über den Vortrag des Herrn E. Bumm: Ueber die Erfolge der Röntgen-
und Mesothoriumbestrahlung bei Carcinom der weiblichen Genitalien
sprachen die Herren Pinkuss, Arendt, Meidner und Sticker. Die
weitere Diskussion wurde vertagt.
— In Hamburg ist in Angliederung an das Terrain das Eppendorfer
Krankenhauses eine Lupusheilstätte eröffnet worden. Sie ist u. a. mit
allen Errungenschaften der modernen Licht- und Strahlentherapie aus¬
gestattet. Behufs Aufnahme stehen zurzeit 25 Betten zur Verfügung;
während für ambulante Behandlung auf eine tägliche Frequenz von
100 Lupösen gerechnet wird. Oberarzt ist Dr. Paul Wich mann. Auch
in Giessen ist dieser Tage eine Lupusheilstätte eröffnet worden.
— Medizinische Fortbildungskurse finden am Allgemeinen
Krankenhause Eppendorf in Hamburg in derZeit vom 14. bis 23. Juli
1913 statt. Diese Kurse stehen im Zusammenhänge mit den Aka¬
demischen Ferienku rsen zu Hamburg (24. Juli bis 5. August 1913).
Es finden Vorlesungen statt über: 1. Die praktisch wichtigsten Kapitel
der Mykosenlehre; 2. Tuberkulose und Lungenkrankheiten; 3. die Lepra¬
frage; 4. Infektionskrankheiten: 5. Herzkrankheiten; 6. Fortschritte auf
dem Gebiete der Strahlenforschung und -Therapie. Sowohl während der
Kurstage als auch eventuell später finden vormittags klinische Visiten
und Uebungen, sowie nachmittags in mehr oder weniger grösserem
Umfange klinisehe und bakteriologische Demonstrationen, praktische
Uebungen usw. nach Verabredung statt. Ein detailliertes Programm
versendet auf Anfordern kostenfrei: Bureau des ärztlichen Direktors,
Allgemeines Krankenhaus Eppendorf, Hamburg 20.
— Tageszeitungen zufolge schweben Verhandlungen, um in Danzig
eine Akademie für praktische Medizin zu errichten.
— Dezimalgewichte und -maasse in England. Es hat be¬
sonderes Aufsehen in England erregt, wie das British medical journal
Nr. 2732 berichtet, dass der General Medical Counsil beschlossen
hat, für die nächste Ausgabe des britischen Arzneibuches das
metrische System anzuwenden, und die EdeLteinhändler in London
bemühen sich um die Einführung eines amtlichen metrischen Karates.
In Südafrika hat man die gleichen Neigungen, und einem Gesetzentwürfe
über die Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Maass und Ge¬
wicht in diesen Staaten ist das metrische System zugrunde gelegt Das
Gesetz darüber ist allerdings noch nicht angenommen, ln Malta wird
das metrische System im nächsten Jahre amtlich eingeführt. Ausser
England hat in Europa Russland noch ein eigenes Maass- und Gewichts¬
system, doch regt die Duma zum Gebrauch des metrischen an. Auch
China macht Anstalten, seine Maass- und Gewichtssysteme in das
metrische umzuwandeln. Und Siam hat es bereits eingeführt Den Haupt¬
widerstand in England leisten die Baumwollfabrikanten in Lancaster,
die fürchten, dass ihre Abnehmer im ferneren Osten jede Aenderung des
gewohnten Maasses mit grossem Misstrauen aufnehmen werden. Dieser
Eiowand würde wegfallen, wenn im Osten ebenfalls das metrische
System eingeführt wird. Auch für die Schulkinder würde es eine Er¬
leichterung sein, wenn sie das komplizierte englische Maass- und Gewichts¬
system nicht mehr zu lernen brauchten, und endlich würde es die
Lektüre englischer wissenschaftlicher Arbeiten erheblich erleichtern.
— Die sämtlichen Arbeiten über Salvarsan zu sammeln ist ein
glücklicher Gedanke, dessen Ausführung den engeren Fachleuten die
Bewältigung dieser Riesenliteratur und damit die Würdigung des
Ehrlich’schen Mittels ausserordentlich erleichtert. Das Frankfurter In¬
stitut hat sich dieser Arbeit unterzogen, und es liegt jetzt bereits der
dritte stattliche Band (Verlag von Lehmann-München) der bisher er¬
schienenen Abhandlungen vor.
— Herr Dr. Harry Benjamin - Berlin-Halensee hat „den dringenden
Wunsch“ nach Aufnahme der Mitteilung, dass er zwar Herrn F. F. Fried¬
mann als Assistent nach Amerika begleitet, sich aber dort von ihm ge¬
trennthabe. „Die Ursache dafür liegt hauptsächlich in grundverschiedenen
wissenschaftlichen und ärztlichen Anschauungen.“ — So begreiflich dieser
Wunsch ist, so auffallend wird es bleiben, dass Herr B. diese „Grund-
verschiedenheit“ erst jenseits des Ozeans entdeckt bat.
Hochsch ulnaohr ich ten.
Kiel. Habilitiert: Dr. Konjetzny für Chirurgie. — Bonn. Der
Privatdozent für Chirurgie, Dr. A. Kocher, erhielt einen Lehrauftrag
für chirurgische Operationslehre. — Prag. An Stelle des nach Königs¬
berg berufenen Prof. Hof mann wurde Prof. K. Kreibich zum Dekan
der medizinischen Fakultät ernannt. — Bologna. Habilitiert: DDr. Co-
lorni (Gynäkologie) und Poppi (Oto-Rhinologie). — Genua. Habilitiert:
Dr. Licini (Chirurgie). — Budapest. Prof. Freiherr Fr. v. Koranyi,
85 Jahre alt, ist gestorben.
Amtliche Mitteilungen.
Personalien.
Auszeichnungen: Roter Adler-Orden 3. Kl. m. d. Schleife:
Direktor des Hygienischen Instituts in Posen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
E. Wernicke.
Roter Adler-Orden 3. Kl.: Leibarzt Sr. Königl. Hoheit des Prinz¬
regenten, Ober Med.-Rat Dr. v. Hoesslin in München.
Roter Adler-Orden 4. Kl.: Stadtarzt, Prof. Dr. W. ?. Drigalski
in Halle a. S., Chefarzt Prof. Dr. K. Goebel in Breslau, Arzt Dr. F.
Käss in Barop.
Königl. Kronen-Orden 2. Kl.: Geh. San.-Rat Dr. Wallichs in
Altona.
Königl. Kronen-Orden 4. Kl: Oberarzt Dr. J. Köllner io Würzburg.
Charakter als Geheimer Medizinalrat: Kreisarzt a. D., Med.-Rat
Dr. Altendorf in Prüm.
Prädikat Professor: Privatdozent Dr. P. Fleischmann in Berlin.
Ernennungen: ausserordentl. Professor Dr. C. Kaiserling in Berlin
zum ordentl. Professor in Königsberg, Privatdozent, Prof. Dr. M.
Westenhöffer in Berlin zum Abteilungsvorsteher am Pathologischen
Institut der Universität daselbst.
Versetzt: Kreisarzt und ständiger Hilfsarbeiter bei der Königlichen
Regierung zu Oppeln Dr. Franz nach Lötzen, Kreisarzt Dr. Zelle
von Lötzen nach Oppeln als ständiger Hilfsarbeiter bei der König¬
lichen Regierung daselbst.
Niederlassungen: Stabsarzt Dr. 0. Jancke in Königsberg i. Pr.,
Arzt F. Ph. Marquardt in Reetz, Dr. G. Aebert in Sommerfeld,
Dr. E. Pelz, Dr. P. Hoensch, Dr. E. Dieckmann, Dr. E.
Loewenstein und Dr. A. Guttmann in Breslau, Arzt F. Volln-
hals in Jannowitz, Dr. M. Melzer in Hirschberg, Aerztin Dr. J.
Brinitzer geb. Kap lau in Altona, Dr. H. Martin in Lehrte, Dr.
E. Lemminger in Lüneburg, Dr. M. Halle in Geestemünde, Arzt
J. W. Haas in Waldfeucht, Kreis Heinsberg, Dr. J. Ch. Dorn in
Ringingen.
Verzogen: Dr. A. Reiche, Dr. H. Schmidt, Dr. J. Sprotte, Dr. fl.
Stettiner sowie Dr. S. Wagner von Berlin nach Charlottenburg,
Arzt R. Boettger von Leipzig, Dr. G. Brotzen von Sommerfeld
und Dr. E. Reuss von Gottesberg i. Schl, nach Berlin-Schöneberg.
Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Arzt M.
Rosenthal von Frankfurt a. 0. und Dr. E. Cantor von Bunzlau
auf Reisen, Arzt 0. Deilmann von Dortmund, Arzt G. Hirschberg
* von Gelsenkirchen, Arzt W. Geulen von Bütgenbach, Kreis Malmedy.
Praxis aufgegeben: Dr. J. Finck in Berlin-Rosenthal, San.-Rat Dr.
0. Proetzsch in Hasslinghausen, jetzt in Erbenheim, Landkr. Wies¬
baden.
Gestorben: Dr. F. Plathner in Liegnitz, Dr. A. Cossmann in
Wehrau, Kr. Bunzlau, Geh. San.-Rat Dr. H. Dreesen in Elmshorn,
Stadtarzt, Marine-Oberstabsarzt a. D. Dr. F. Behrens in Wilhelms¬
haven, Stabsarzt a. D. Dr. F. Plüm in Düren.
Für die Redaktion verantwortlich Dr. Hana Kohn, Berlin W., Bayrenther Strasse 42.
Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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UNIVERSUM OF IOWA
Die Berliner Klinische Wochenschrift erscheint jeden
liontag in Nummern von et 5—6 Bogen gr. 4. —
Preis vierteljährlich 6 Merk. Bestellungen nehmen
eile Buchhandlungen und Postanstalten an.
BERLINER
Alle Binsendungen für die Redaktion und Bxpeditioh
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden
No. 68, adressieren.
KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Organ für praktische Aerzte.
Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung
nach amtlichen Mitteilungen.
Redaktion: Expedition:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin.
Montag, den 2, Juni 1913.
M 22 .
Fünfzigster Jahrgang.
I N H
Originaliea : Bumm: Ueber Erfolge der Röntgen- und Mesotborium-
bestrahlong beim Uteruscarcinom. (Aus der Königlichen Uni¬
versitäts-Frauenklinik Berlin.) (Ulustr.) S. 1001.
Wickham: Allgemeine histologische Veränderungen der Gewebe
unter dem Einfluss der Strahlenwirkung. (Aus dem biologischen
Radiumlaboratorium zu Paris.) S. 1006.
Pinoussobn: Ueber die Einwirkung des Lichts auf den Stoffwechsel.
(Aus der II. mediziu. Klinik der Universität zu Berlin.) S. 1008.
Strauss und Brandenstein: Röntgenuntersuchungen bei chro¬
nischer Obstipation. (Aus der inneren Abteilung des Jüdischen
Krankenhauses zu Berlin.) S. 1009.
Klieneberger: Die Radiographie in der Diagnostik der Nephro-
litkiasis. S. 1012.
Rothmann: Kritische Untersuchungen über die Methoden der
Viscosimetrie des Blutes. (Aus dem physiologischen Institut der
Universität Breslau.) (lllustr.) S. 1018.
Ephraim: Zur Theorie des Bronchialasthma. S. 1015.
Baerthlein: Ueber Mutation bei Diphtherie. (Aus der bakterio¬
logischen Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.) S. 1017.
Strubeil: Pharmako-dynamische Probleme. (Aus der Abteilung für
Vaccine-Therapie derTierärztlichen Hochschule zu Dresden.) S. 1018.
Schanz: Zur Abbott’schen Behandlung der Skoliose. S. 1019.
Hausmann: Ueber die einfachste Gramfärbungsmethode. S. 1021.
Kayser: Meningismus. (Uebersichtsreferat.) S. 1021.
Bücherbespreehiuigei : Blumenthal: Handbuch der speziellen Patho¬
logie des Harns. S. 1022. Abderhalden: Handbuch der bio¬
chemischen Arbeitsmethoden. S. 1023. Lazarus: Handbuch der
Radiumbiologie und -therapie, einschliesslich der anderen radio¬
aktiven Elemente. S. 1023. Tigerstedt: Physiologische Uebungen
und Demonstrationen für Studierende. S. 1023. (Ref.Wohlgemuth.)—-
Wechselmann: Ueber die Pathogenese der SaWarsantodesfälle.
S. 1023. (Ref. Benario.) — Michaelis: Einführung in die Mathematik
für Biologen und Chemiker. S. 1024. (Ref. Wolff.)
ALT.
Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 1024. — Pharmakologie. S. 1025. —
Therapie. S. 1025. — Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie. S. 1026. — Parasiten künde und Serologie. S. 1026. —
Innere Medizin. S. 1027. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
S. 1029. — Kinderheilkunde. S. 1029. — Chirurgie. S. 1029. —
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 1030. — Geburtshilfe und
Gynäkologie. S. 1031. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
S. 1032. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 1032. — Unfallheilkunde
und Versicherungswesen. S. 1032. — Militär-Sanitätswesen. S. 1032.
— Technik. S. 1033.
VerhaadluBgeB ärztlicher Gesellschaften: Berliner medizinische
Gesellschaft. Haendly: Die histologischen Veränderungen der
mit Röntgenstrahlen und Mesothorium behandelten Carcinomfälle.
S. 1033. Hausmann: Ueber Gleit- und Tiefenpalpation. S. 1033.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Bumm: Ueber die Erfolge
der Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung hei Carcinom der weib¬
lichen Genitalien. S. 1033. — Berliner Gesellschaft für
Chirurgie. S.1034. — Verein für innere Medizin und Kinder¬
heilkunde zu Berlin. S. 1035. — Wissenschaftlicher Verein
der Aerzte zu Stettin. S. 1036. — Verein der Aerzte Wies¬
badens. S. 1038. — Aerztlicher Verein zu Essen-Ruhr.
S. 1039. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. S. 1040. —
Naturhistorisch - medizinischer Verein zu Heidelberg.
S. 1040. — Nürnberger medizinische Gesellschaft und
Poliklinik. S. 1041.
Deutscher Kongress für innere Medizin zu Wiesbaden. (Schluss.)
S. 1041.
Weisz: Budapester Brief. S. 1043.
Cuno: Presse und Psychiatrie. S. 1044.
König: Fritz G. v. Bramann. S. 1045.
Kissinger ärztlicher Bezirksverein: Erklärung. S. 1047.
Tagesgeschichtliche Notizen. S. 1047.
Amtliche Mitteilungen. S. 1048.
Aus der Königlichen Universitäts-Frauenklinik Berlin.
Ueber Erfolge der Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung beim
Uteruscarcinom.
Von
E. Bumm.
(Vortrag, gehalten in der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft am 7. Mai 1913.)
Dass sich Epitheliome der Haut durch die Einwirkung von
Röntgen- und Radiumstrahlen zur Ausheilung bringen lassen, ist
schon lange bekannt. Bereits vor 6 Jahren hat Lassar an dieser
Steile eine Reihe von Personen gezeigt, bei denen Cancroide an
der Gesichtshant durch Radiumbestrahlung zum Verschwinden ge¬
bracht worden waren. In den letzten Jahren haben sich die Mit¬
teilungen ähnlicher Fälle gemehrt, zum Teil ist auch der Bestand
der Heilung lange genug beobachtet worden, so dass man von einer
wirklichen Dauerheilnng sprechen kann. Diese harten Hautkrebse
heilen aber auch durch Aetzmittel der verschiedensten Art, sie zeigen
ein relativ langsames, geschlossenes Wachstum und wenig Neigung
zur Absplitterung von Keimen an der Peripherie and zur Meta¬
stasenbildung, die auch an den Lymphdrüsen meist spät eintritt.
Ganz anders liegen die Dinge bei den weichen Carcinomen,
die von Schleimhäuten oder Drüsen ihren Ausgangspunkt nehmen.
Sie haben infolge ihres raschen Wachstums und ihrer Neigung,
schon frühzeitig Metastasen in der näheren Umgebung und in den
Lymphdrüsen za machen, den Heilversuchen von jeher grössere
Schwierigkeiten entgegengesetzt. Auch hier wurden mit der Be¬
strahlung zuweilen bemerkenswerte Besserungen, Verhärtung und
Verkleinerung der Krebsknoten, Aufhören des Zerfalles, der
Jauchung und Blutung und eine Art Vernarbung an der Ober¬
fläche erzielt, in der Tiefe schritt die Neubildung aber weiter,
und die Kranken erlagen schliesslich der Kachexie. Die Mehrzahl
dieser Beobachtungen ist in dem Handbuch der Radiumbiologie
and -Therapie von P. Lazarus (Kap. 22 Louis Wickham,
Kap. 24 Czerny und Caan) zusammengestellt, hier finden sich
auch schon ausführliche Darstellungen der histologischen Ver¬
änderungen, welche durch die Bestrahlung am Carcinomgewebe
hervorgerufen wurden (Kaiserling, Bashford, Wickham und
Degrais), und die also kein Novum sind. Im grossen und ganzen
hielt man von der Bestrahlung der Drüsen- und Schleimhaut-
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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
carcinome nicht viel, and wer der Diskussion beigewohnt bat,
die in dieser Gesellschaft vor einem Jahre im Anschluss an die
Vorträge von Pinkuss und Sticker stattfand, musste den Ein¬
druck gewinnen, dass die Bestrahlung bei diesen Carcinomen ver¬
sage, in frischen Fällen eine gefährliche Zeitvergeudung und in
inoperablen Fällen gegen den tödlichen Ausgang machtlos sei.
Es liegt mir daran, zu zeigen, dass sich diese skeptischen
Anschauungen heute nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Wir
sind im Laufe des einen Jahres, das seit jenen Verhandlungen
verflossen ist, mit der Bestrahlung in zweierlei Richtung um ein
gutes Stück weiter gekommen. Erstens haben wir gelernt, durch
harte Röhren und entsprechende Filterung ohne Schädigung des
gesunden Gewebes viel grössere Mengen von Röntgenstrahlen in
viel grössere Tiefen des Körpers zu schicken. Die frühere kurz¬
zeitige Anwendung weicher, schon von der Oberfläche fast voll¬
ständig resorbierter Strahlen ist mit der heutigen Tiefen¬
bestrahlung gar nicht zu vergleichen und mutet in ihrer Ver¬
wendung gegen den Krebs jetzt recht naiv an. Zweitens bat die
industrielle Herstellung des Mesothoriums die Möglichkeit ge¬
schaffen, grössere und deshalb viel wirksamere Mengen radio¬
aktiver Substanzen in der Tiefe der Körperhöhlen zu verwenden,
wo die Applikation der Röntgenstrahlen schwierig ist. Ich er¬
innere mich, dass vor 7 Jahren von der Gharitö-Direktion den
Kliniken eine Kapsel mit 1 oder 2 mg Radiumsalz zu Versuchen
zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben damals vergeblich auf
eine Einwirkung des Radium auf die Carcinome gewartet. Heute,
wo wir dank dem Entgegenkommen der chemischen Industrie in
der Lage sind, 420 mg Mesothorium auf einmal wirken zu lassen,
haben wir einen Ueberfluss von strahlender Kraft und müssen wir
uns durch dicke Bleifilter vor allzustarker Wirkung schützen.
Wir betreiben an der Klinik die intensive Bestrahlung von
Carcinomen seit einem Jahr und haben dabei bis heute die Menge
der Strahlen stetig gesteigert, so dass wir jetzt bei Zahlen wie
10 000 Kienböck x und 25 000 Milligrammstunden Mesothorium
im Einzelfall angelangt sind. Ermöglicht wird eine so hohe
Dosierung durch die Toleranz der Genitalschleimhäute gegenüber
harten Strahlen, welche im Vergleich mit jener der äusseren Haut
als eine besonders grosse bezeichnet werden muss.
Bereits im Sommer vorigen Jahres konnte Händly in der
hiesigen geburtshilflich-gynäkologischen Gesellschaft an zwei Fällen
unserer Klinik zeigen, dass durch die Intensivbestrahlung beim
inoperablen (Jteruscarcinom nicht nur ein Aufhören der Jauchung
und Blutung, sondern auch eine Schrumpfung der Krebsknoten
und eine Art von Stillstand des Wachstums eintritt. Der eine
der Fälle wurde während der Ferien weiter bestrahlt und zeigte
im Oktober eine derartige Besserung, dass er nunmehr gut ope¬
rabel schien. Durch 1600 x war der Carcinomtrichter in eine
harte knorpelige Masse umgewandelt, es bestand keine Sekretion
und Blutung mehr, mit dem scharfen Löffel liess sich aus der
Collumhöhle nur mit Mühe etwas Gewebe abschaben, die Krebs¬
wucherung, welche früher diffus bis an die Beckenwand heran¬
ging, war nun als sklerotischer Knoten scharf abgesetzt. Die
Exstirpation liess sich gut ausfübren, der Frau geht es bis jetzt
gut. Auf den anatomischen Befund am Uterus, der überall eine
mächtig entwickelte Gewebssklerose aufwies, komme ich später
noch zu sprechen. Franz hat gelegentlich der Demonstration
des Präparates eine ähnliche Beobachtung aus der Chariteklinik
mitgeteilt, die Besserung war durch die Röntgenbestrahlung eine
so grosse geworden, dass die Kranke v sich für geheilt hielt und
die nachträglich vorgeschlagene Operation ablehnte.
Uns hat die Umwandlung eines inoperablen Carcinoms in ein
operables und die zweifellos günstige Beeinflussung der Krebs¬
wucherung in unserem Falle viel Vertrauen und die Anregung
gegeben, die Bestrahlung der Carcinome in grösserem Umfang
und in verstärktem Maasse fortzusetzen. Ich möchte Ihnen in
folgendem über eine Anzahl solcher Beobachtungen berichten, in
welchen zurzeit einigermaassen eine Beurteilung des Erfolges
möglich ist:
1. Frau K., 57 Jahre alt. Die linke Seite der Portio vag. und des
Soheidengewolbes ist zerklüftet, es besteht ein Trichter, in den man ein
Fingerglied einführen kann, und der mit bröckeligen Massen ausgefüllt
ist. Vom Trichter aus zieht ein sehr empfindlicher Strang nach links
und hinten entsprechend dem Lig. Douglassii bis zur Beckenwand. (Figur 1.)
Mikroskopische Diagnose: Weiches alveoläres G&rcinom, teil¬
weise adenomatöser Bau.
Nach 800 x-Kienböck haben Blutung und Sekretion ^tufgehört, der
Carcinomtrichter hat sioh gereinigt und zusammengezdgen, mit der
Curette lässt sich nichts mehr abschaben.
Nach 367 x abdominal und 1559 x vaginal besteht an Stelle des
Figur 1.
ursprünglichen Carcinoms eine feste Narbe. An dem früheren
Strang ist keine Induration mehr, aber noch eine gewisse Empfindlichkeit
auf Druck nacbzuweisen, die auch bei stärkeren Bewegungen noch von
selbst auftritt. Sonst keine klinischen Zeichen der Erkrankung
mehr.
2. Frau F., 59 Jahre alt. Portio in ganzer Ausdehnung zerstört,
im Scheidengewölbe ein blutender und jauchender Carcinomtrichter. Das
rechte Parametrium bis an die Beckenwand infiltriert. (Figur 2.)
Figur 2.
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenc&rcinom
des Collum uteri.
Probeexzision nach 20 tägiger Bestrahlung: Alle Stadien des Unter¬
ganges der Carcinomnester neben stellenweise besser erhaltenen Partien,
starke hyaline Degeneration und Sklerose des Bindegewebes.
Naoh 5 Wochen derselbe mikroskopische Befund.
Nach 8 Wochen sind verabreicht: 8236 x und 12 000 Milligramm¬
stunden Mesothorium. Die Scheide verengert sich nach oben trichter¬
förmig, die Carcinomhöhle ist verschwunden. Auch bei starkem Druck
mit der Curette lässt sich von den callösen Wänden des Collum nichts
mehr absohaben. Keine Blutung mehr, Sekretion gering, nicht mehr
übelriechend.
Die Infiltration des rechten Parametriums ist nicht mehr vorhanden.
Subjektives Wohlbefinden.
3. Frau H., 40 Jahre alt Im hinteren Teil des Soheidengewolbes
bis an die Portio ein grosses Carcinomgeschwür mit wallartig aufge¬
worfenen Rändern. Von dem Geschwür geht eine harte Infiltration nach
beiden Seiten und um das Rectum herum bis an den Knochen. Uterus
fixiert. (Figur 3.)
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellencarcinom
der Vagina.
Nach achttägiger Bestrahlung in einem mit der Curette heraus¬
geholten Stückchen bereits Carcinomnester in allen Stadien des Zer¬
falles, beginnende Sklerose des Bindegewebes. Nach 4 Wochen Befund
ähnlich.
Nach 7 Wochen sind verabreicht 8452 x und 8700 Milligramm¬
stunden Mesothorium. n .
Im Scheidengewölbe kommt man in einen engen Triohter, der sieb
zur Portio hinzieht, das frühere Geschwür ist zu einer callösen Nische
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2. Juni 1913.
BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Figur 3.
zusammengezogen, yon deren knorpelig barten Wänden sich nur mit
Mühe ein paar kleine Partikel des fibrinösen Belages abkratzen lassen.
Die Infiltration im Beckenbindegewebe ist in eine harte Schwarte um¬
gewandelt.
Keine Sekretion mehr, die Schmerzen sind schon nach den ersten
Bestrahlungen verschwunden.
4. Frau K., 37 Jahre alt. Im hinteren Scheidengewölbe eine drei¬
markstückgrosse Ulceration mit zerfallender, blutender und jauchiger
Oberfläche und infiltriertem Grund. Portio unverändert Vom Geschwür
eine Infiltration bis an das Becken heranreichend. (Figur 4.)
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoaroinom
der Vagina.
Durch vaginale Hilfssohnitte wird das Geschwür für die Bestrahlung
gut zugänglich gemacht.
Nach 3 Wochen in einem exzidierten Stückchen: starke Sklerose
des Bindegewebes, Carcinomnester zum Teil noch unverändert.
Nach 6 Wochen sind verabreicht 3552 x und 14 200 Milligramm¬
stunden Mesothorium.
Befund: Völlige Ueberhäutung des Geschwüres, Schleimhaut
daselbst überall weich, auch bei kombinierter Untersuchung vom Rectum
aus gar keine Infiltration mehr zu fühlen. Das rechte Scheidengewölbe
ist narbig eingezogen, beim Versuch, etwas abzuschaben, bringt die
Curette nur fibrinösen Belag herunter.
Keine Sekretion mehr, subjektiv und klinisch Heilung.
5. Frau S., 50 Jahre alt. Portio vollständig zerfallen, grosse krater¬
förmige Krebshöhle, nach rechts auf die Vagina übergehend. Starke
Jauchung. Infiltration beiderseits bis zur Beckenwand. (Figur 5.)
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom
des Collum uteri. r
Nach 3 Wochen: Caroinomepithel schon deutlich verändert, starke
Sklerose des Bindegewebes.
Nach 6 Wochen schwere Schädigung der Carcinomnester, nach
7 Wochen fortgeschrittene Sklerose, nur noch wenige Carcinomstränge
im Zerfall.
Nach 8 Wochen sind verabreicht 10004 x und 16120 Milligramm-
-stunden Mesothorium. j...
Befund: Man kommt im Grund der Scheide auf einen callösen Ring,
darüber liegt eine mit starren Wänden umgebene kleine Höhle, die nicht
mehr blutet, deren spärliches Sekret aber noch einen leicht fauligen
Figur 5.
Geruch aufweist. Die Infiltration in der Umgebung ist in eine derbe
Schwiele umgewandelt. Keine subjektiven Beschwerden. Der Fall ist
jetzt operabel.
6. Frau J., 54 Jahre alt. Portio zerklüftet, Collum in einen
Carcinomkrater verwandelt mit bröckeligen, jauchenden Wänden. Beider¬
seits Infiltration bis an die Beckenwand. (Figur 6.)
Figur 6.
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom
des Collum uteri.
Nach 1938x und 10400 Milligraramstunden Mesothorium. Befund:
Im Scheidengewölbe ein Trichter, der nur mehr die Fingerkuppe ein-
dringen lässt, keine weichen Massen, keine Jauchung und Blutung mehr.
Die Umgebung des Trichters sklerotisch. Mit der Curette lässt sich
nichts mehr abschaben.
7. FrauW., 35 Jahre alt. Kolbig verdicktes Collum, Muttermunds¬
lippen ektropioniert, aus der Cervixhöhle jauchig zerfallene und blutende
Massen hervorragend. Uterus beweglich. (Figur 7.)
Mikroskopische Diagnose: Alveoläres Plattenzellenoarcinom
des Collum uteri.
Figur 7.
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